Dr} » ‚ II AHA RR RR ÄRRRLR RR LRREN SELTEN RER u b RR Sch RK OR ch {Ir BE ES v RR va 0% be 15) y BER 2 Ieleir Irt Be BRRRERRNG vehLeirl? m 16 er L Hin Tea EM ’ $, Inn ERROR RO “ j “ In ALrL Pure “ ee Kuh, AraraTaneth . KICK IR. Kin fr Hirt f ji Kart z Pe > AR SPA EER. es . Hr > * EHER 2 Be ri, Br: HH % .. rettet, eiateiate x ” « £ Ir, RR vr RRRIRE r : art le ei EB ? RN Be LPLYL re b,' \ = . ! he t er KOORL Hucsche ‚6 DKOROREhR KR Kant BE „ BR yarap RR Yu Be BENNS LP) Er RZ BE ah, IREye r "on ze Rebe re u S\ NR Biologisches Centralblatt. 1916. iologisches Centralblatt ‘ Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen, Herausgegeben von Dex Goebel und "Dr. ’R. Hertwig Prof. der Botanik Prof. der Zoologie in München. Sechsunddreissigster Band. IgI6. Mit‘ıı8 Abbildungen und 4 Tabellen. Leipzig 1916. Verlag von Georg Thieme. 7 ae I 7 IE: Eye Buchdruckerei von Junge & Sohn Inhaltsübersicht des sechsunddreissigsten Bandes. 0= Original: R = Reterat. Ballowitz, E. Über die Rotzellen und ihre Vereinigungen mit anderen Farbstoffen in der Haut von Knochenfischen. 0 — Spermiozeugmen bei Libellen. O. Ban 240 Bokorny, Th. Neues über die Kohlenstofernährune Bi: Bilanzen. a: — Einiges über die Hefeenzyme. ©. Boruttau, H.: Fortpflanzung und Gosehlechiennterschiede ‚des Menschen. R Boveri, Th. Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. R Brehm’s Tierleben. R Se Bretscher, K. Vergleichende nr uelhpen ber Ken Frühjahrszuß der Vögel. (Elsaß-Lothringen und das schweizerische Mittelland.) O0. Brun, Rud. Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 0 Be P. Praktikum der Zellenlehre. R 5 Caron-Eldingen, v. Die Vererbung innerer und Hußerer Bigenschatten. R — Erwiderung auf die Besprechung der Schrift „Die Vererbung innerer und äußerer Eigenschaften“. 0 . Correns, C. Über den Unterschied von onen und nilanzlichen ae tum. 100, DE TE a Dotlein, F. Fackeringelläten. über den Stoffwechsel farb- loser Mastigophoren. O Re De: EN a er Driesch, Hans. Noch einmal das Mi moncch: äquipotentielle System‘. 0) Eichwald, Egon. Die Energetik der Organismen. ©. Forbät, Alexander: Die Immunitätslehre und deren Parece seine im Kampfe gegen die Kriegsseuchen. ee Serumtherapie, Vakzinetherapie. BR ; . Goebel, K. Das Rumphius-Phänomen ha ie primäre Beletting de Blatt- edenke. Ö RR a: — Zu Jacques Loeb’s Enechaneen) über Ben anon ix Be phyllum. O0 HT DS: 16355 19 193 VI Inhaltsübersicht. Goldschmidt, Richard. Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen in Gewebekulturen von Insekten. 0) -— Die Urtiere. R Haecker, V. Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. O0 — Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. Die Wacheinsurd. nung der Axolotl-Haut. OÖ. , i ! Hase, Albr. Beiträge zu einer Biologie der kakrderlahe ten corporis de Geer = vestimenti Nitzsch). R. SR Hertwig, Oskar. Die Elemente der Entwicklungslehre e Menschen Fa der Wirbeltiere: Anleitung und Repetitorien für Studierende und Ärzte. R Hess, R. Der Forstschutz. Ein Lehr- und Handbuch. R Ir J. Ein Fall von Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Groß- cine. 1) : Jennings, H.S. Die niederen Örsasamen. ne Bez niyialbgie und Beche. logie. R ee N REN En en a SM en Das Jollos, Vietor. Die Fortpflanzung der Infusorien und die potentielle Un- sterblichkeit der Einzelligen. O I er. Jordan, Hermann. Die Vergleichende Biol in der Geschichte der Zoologie. O wE IR ee Kammerer, Paul. Allgemeine Biologie. R Kathariner, L. Die Reaktionszeit. R A Eh: Kraepelin, K., Die Beziehungen der Tiere und Pflanzen äiarler. R Kronfeld, E.M. Zur Biologie der Doppelbeere von Lonicera alpigena L. © Küster, Ernst. Pathologische Pflanzenanatomie in ihren Grundzügen. R Landsberg-Günthart und Schmidt, Streifzüge durch Wald und Flur. R Leick, Erich. Über’ ae und Temperaturzustand lebender Pflanzen. O0 24 Dreh LE 2 Levy, A., Sur les toxines ‚des araignees et Ba end ds TeBenairen. R Linsbauer, K. Die physiologischen Arten der Meristeme. O0) Locy, William A. Die Biologie und ihre Schöpfer. R : Lotsy, J. P. Die endemischen Pflanzen von Ceylon und die Motahene- hypothese ©. Sr Maignon, Francois, Prof. de Phys 3 P’eole Seen: ae & en Recherches sur la toxieite des matieres albuminoides. AR Marilaun, Anton Kerner von. Pflanzenleben. R Miehe, H., Allgemeine Biologie. R Neuerschienene Bücher . . en A 1 NO 240. 336. 384, "139, 496. 5 Notiz RE ER ER A ao uno un ee Popoff, Methodi. Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. O. Register ee es re KU De Sa Pu Renner, O. Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 0. Riebesell. Die mathematischen Grundlagen der Vererbungs- und Variations- lehre. R u ige hehe ee BAR A Schaxel, Julius. Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Sy- stems. 0) ee N og le AL Schlemmer, Untersuchungen über den Mechanismus der Ambozeptor- und Komplementwirkung. BR. SE e Schürhoff, P. N. Über regelmäßiges Vorkommen rei Zellen an den Griffelkanälen von Sambucus. 0. Inhaltsübersicht. Steinmann, P. und Bresslau, E. Die Strudelwürmer (Turbellaria). R Steinmann, Paul. Praktikum der Süßwasserbiologie. A Stellwaag, F. Wie steuern die Insekten während des Fluges? O0 Stomps, Theo J. Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromo- somenzahl bei den Oenotheren. 0) Szymanski, J. S. Die Haupt-Tiertypen in bezug au ins verleilnns der Ruhe- und Aktivitätsperioden im 24stündigen Zyklus. O0... .. Verhoeff, K. W. Ist die physiologische Bedeutung der Glomeriden-Telo- podemweeklänt? O0: .'... . A Ve Me CE; Voges, Ernst. Der Nestbau der Bolrdeiean. OT ERRE : j Vries, Hugo de. Die endemischen Pflanzen von Ceylon und die tierendel Oenotheren. 0. Biologisches Gentralblatt. Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von Di. K Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München. ENeE von Se Thieme in ae Be N RER für 12 Fine, Ban 20 Mac - jährlich, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie. vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Weruer Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Ba. KXXVI. 20. Januar 1916. A 1. Inhalt: De ne Die endemischen Pflanzen von en und die mutierenden Oenotheren. — Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzliehem Zwittertum. — Ballowitz, Uber die Rotzellen und ihre Vereinigungen mit anderen Farbstoffzellen in der Haut von Knochenfischen. — Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? — Locy, Die Biologie und ihre Schöpfer. — Hase, Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus (Pediculus corporis de Geer = vestimenti Nitzsch). — Neuerschienene Bücher. Die endemischen Pflanzen von Ceylon und die mutierenden Oenotheren. Von Hugo de Vries. Für die Mutationslehre ist es augenblicklich eine Hauptfrage, wie Arten in der freien Natur entstehen. Die Forschung hat sich hier offenbar zunächst an diejenigen Arten zu wenden, welche in der jetzigen geologischen Periode entstanden sind, und am besten an die, welche noch an Ort und Stelle leben, wo sie zuerst auf- traten und wo die Lebensbedingungen seit ihrer Entstehung noch als unverändert angenommen werden können. Es handelt sich also im wesentlichen um endemische Arten mit möglichst geringer Ver- breitung. Eine zweite sehr wichtige Frage ist die nach dem Parallelismus zwischen der Entstehungsweise solcher lokalen Arten und den Er- scheinungen, welche das Auftreten neuer Arten im Versuchsgarten begleiten. Je mehr es gelingt, diese Analogie in Einzelheiten nach- zuweisen, um so sicherer wird offenbar die experimentelle Grund- lage für die neue Auffassung der Abstammungslehre werden. XXXVI. 1 2 De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. Zweı Forschungsrichtungen bieten sich augenblicklich für einen solchen Vergleich dar. Einerseits die Mutationsvorgänge in der Gattung Oenothera, andererseits die Studien von Willis über die endemischen Pflanzen von Ceylon'). Die Flora von Ceylon ist für diese Untersuchung ganz be- sonders geeignet, da sie seit über 70 Jahren von zahlreichen For- schern genau bearbeitet worden ist und die Resultate in der großen Flora von Trimen und Hooker zusammengestellt sind. In diesem Werke hat Trıimen für jede der 2809 beschriebenen Arten den Grad der Seltenheit angegeben. Er teilte dazu dıe Pflanzen in sechs Klassen ein, u. zw. Sehr gemein, Gemein, Ziemlich gemein, Ziem- lich selten, Selten und Sehr selten. Diese Angaben beruhen selbst- verständlich auf Schätzungen, welche aber unabhängig von jeder möglichen theoretischen Verwertung gemacht worden sınd. Die Ausführungen und Berechnungen W ıllis’ zeigen, dass sie ım allge- meinen sehr genau und zuverlässlich sind. Bezeichnet man die sechs Klassen von Trimen mit Zahlen (1 —= sehr gemein, 6 — sehr : selten u. s. w.), so lässt sich die mittlere Seltenheit einer willkür- lichen Gruppe von Arten in folgender Weise berechnen. In der Gruppe werden die Arten nach den sechs genannten Klassen zusammengestellt; für jede solche Unterabteilung wird die Zahl ihrer Arten mit dem Faktor der Seltenheit multipliziert, die Produkte werden addıert und ihre Summe durch die ganze Zahl der Arten dividiert. Das Ergebnis ist die mittlere Seltenheit der Gruppe, in Zahlen zwischen 1 und 6 ausgedrückt. Die Methode lässt sich offenbar für den Vergleich beliebiger Gruppen von Arten anwenden, z. B. für Familien und größere Gattungen, für die endemischen Arten, für Pflanzen der trockenen und der feuchten Regionen der Insel, für Arten mit auffallenden sogen. Anpassungen u. S. w. Das Mittel aus den Zahlen 1—6 ıst 3,5, und dieselbe Ziffer erhält man, wenn man die mittlere Seltenheit aller Arten der Insel zusammen berechnet. Die weiteren Berechnungen sind in zahl- reichen Tafeln mitgeteilt worden, deren auffallend regelmäßige Er- gebnisse zeigen, dass der Grad der Seltenheit von einem allgemein gültigen Gesetze beherrscht wird. Und dieses gilt nicht nur von den Pflanzen von Ceylon, sondern das Gesetz muss überall für die geographische Verbreitung bestimmter Gruppen seine Gültigkeit haben. 1) J. ©. Willis, The endemie flora of Ceylon, with reference to geographical distribution and evolution in general. Phil. Trans. Roy. Soc. London, Series B, Vol. 206, S. 307—342. J. C. Willis, Some evidence against the theory of the origin of species by natural selection. Ann. Roy. Bot. Garden Peradeniya, Vol. IV, Prt. 1, S. 1. De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. 3 Indem ich für die Einzelheiten der Tafeln und deren Zusammen- fassungen den Leser auf die Schrift von Willis verweise, will ich hier nur die von ihm gezogenen Folgerungen als Grundlage für meinen Vergleich benutzen. Dazu ist es aber erforderlich, zunächst eine gedrängte Über- sicht über die bis jetzt bekannten Mutationsvorgänge bei den Oeno- theren zu geben. Ich entnehme diese teilweise der vorhandenen Literatur, teilweise meinen eigenen noch nicht veröffentlichten Be- obachtungen. Die Untergattung Onagra umfasst augenblicklich etwa 50 Arten?). Von diesen sınd die meisten erst ın den letzten Jahren unter- schieden und beschrieben worden, namentlich von H.H. Bartlett. Dieser Forscher hatte die Freundlichkeit, mir Samen seiner neuen Arten und von mehreren ihrer Mutanten zu senden, und da sie alle reichlich in meinem Garten geblüht haben, hatte ich die Ge- legenheit, mich von ıhrem Werte und ihren auffallenden Unter- schieden zu überzeugen. Von jenen 50 Arten haben 8, also 16%, bis jetzt mehr oder weniger zahlreiche Mutationen hervorgebracht, während für einige weitere Arten Andeutungen eines ähnlichen Verhaltens vorliegen. Da die meisten Arten in dieser Beziehung aber nur nebenbei untersucht worden sind, darf wohl angenommen werden, dass das Mutieren ın dieser Gruppe eine ziemlich weit- verbreitete Erscheinung ist. Die acht mutierenden Arten sind: O. Lamarckiana Ser., O. bien- nis L., O. biennis Chicago, O. stenomeres Bartlett, 0. pratincola Bartl., ©. Reynoldsii Bartl., O. grandiflora Aıt. und O0. suaveolens Desf. Ich werde jetzt ıhre Mutanten für jede Art einzeln an- führen. O. Lamarckiana. Diese Art ist noch stets weitaus die reichste an neuen Formen, sowohl nach der Zahl der verschiedenen aus ıhr hervorgehenden Typen, als nach dem Prozentsatze der in jedem Jahre auftretenden Mutanten. Unter diesen wird von den meisten Schriftstellern ©. gigas, welche durch die doppelte Anzahl der Chromosomen gekennzeichnet ist, als progressiv betrachtet. 0. brevistylis, O. rubrinerris und O. nanella sind retrogressive Mutanten, während in ©. lata und O. scintillans ein ın der Mutterart latentes Merkmal als tätıg ange- nommen wird. Diese beiden Formen sind somit degressiver Natur. In Bastardierungen folgt O. brewistylis den Mendel’schen Gesetzen, ein für die Oenotheren seltener Fall. An diese schließt sich O. rubricaly& an, welche in den Kulturen von Gates aus O0. rubri- nervis hervorgegangen ist und sich der Mutterform gegenüber als 2) R.R. Gates, The Mutationfactor in evolution (Liste von 39 Arten, S. 10). H. H. Bartlett, Twelve elementary species of Onagra (12 weitere Arten). Cybele Columbiana Vol. I, S. 37 —56 1* 4 De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. Mendel’sche Dominante verhält?). Ich habe diese prachtvolle Neu- heit aus Samen, welche Herr Gates mir zu senden die Liebens- würdigkeit hatte, durch zwei Generationen kultiviert und mich von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugt. O0. seintillans bildet eine dimorphe Rasse, indem sie sich alljährlich ın seintillans und La- marcktiana spaltet. Solche dımorphe Mutanten habe ıch in der letzten Zeit mehr- fach isoliert; an anderer Stelle werde ich von ıhnen vier neue Typen als O. cana, : O. pallescens, ©. Lactuca und ©. liquida be- schreiben. O. semigigas hat 21 Chromosomen und ist somit als halbe Mutante vom Gögas-Typus zu betrachten. Ich habe neulich ge- funden, dass sie mit ausreichender Sicherheit als junge Rosette an den breiteren Wurzelblättern erkannt werden kann und ziemlich regelmäßig in einem Exemplare unter 1000 vorkommt. Eine erheb- liche Anzahl von anderen Mutanten sind bereits beschrieben worden *) und wenn man unter 10—20000 jungen Rosetten die abweichenden Typen auswählt, findet man wohl stets eine Reihe neuer Formen. Einzelne von diesen haben bereits gute Rassen gegeben, die meisten sind aber wegen mangelhafter Samenbildung unter unserem Klima oder aus anderen Gründen nicht weiter kultiviert worden. Solche umfangreiche Versuche machen den Eindruck, als ob das Mutationsvermögen der ©. Lamarckiana nahezu unerschöpflich sei. Demgegenüber steht aber der Umstand, dass gewisse, sehr erwünschte und anscheinend einfache Sprünge, wie konstant fünfzählige Blüten, weiße Blumenkronen u. s. w., bis jetzt nıcht vorgekommen sind. 0, biennis L. mutiert in semigigas, nanella, sulfurea, leptomeres, lata, rubrinerwis und laevwifolia. Die beiden ersteren sind von Stomps entdeckt worden und seitdem wiederholt aus der reinen Rasse der 0. biennis ın meinem Garten entstanden’). Die Mutation von Oenothera biennis ın O. biennis sulfurea wurde von Klebahn an Pflanzen aus der Lüneburger Heide studiert). Dieser Forscher beobachtete auch die O0. biennis eruciata, welche auch in unseren Dünen als Mutante entstanden ist und welche jetzt von Bartlett O. biennis leptomeres genannt wird. Die drei zuletzt genannten Formen, unter denen ©. biennis lata wohl die wichtigste ist, sind von Gates beschrieben worden’). Überdies ist eine 3) R. R. Gates, The new Phytologist Vol. 12, Nr. 8, p. 291, Oct. 1913. 4) F. W. T. Hunger, Recherches exp. s. ]. mutation chez Oe. Lam. Ann. Buitenz. 2e Serie, T. XII, p. 92—113. 5) Th. J. Stomps, Parallele Mutationen bei Oenothera biennis. Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch. Bd. 32, 1914, S. 179 und a.a. O. De Vries, The coefficient of mutation in Oe. biennis L. Bot. Gaz. Vol. LIX, Nr. 3, 1915, 8. 169196. 6) H.Klebahn, Formen, Mutationen und Kreuzungen bei einigen Oenotheren aus der Lüneburger Heide. Jahrb. Hamb. Wiss. Anst. Bd. XXXI, 1913. 7) R. R. Gates, The mutationfactor in evolution. London 1915, S. 159. De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. ) schmalblätterige Form von O. biennis von C. Stuart Gager ın Radiumkulturen erhalten worden’). O. biennis Chicago ıst eine, den Bartlett’schen neuen Arten gleichberechtigte, mit O. biennis nicht näher verwandte und nur vorläufig unter diesem Namen aufgeführte Art, von der ıch zuerst in einem Walde unweit Courtney am Ufer des Missouri-Flusses eine Mutation entdeckt habe und welche seitdem in meinem Garten neue Typen hervorgebracht hat. Unter diesen nenne ich hier nur O. saliecastrum, O. salicifola und O. saligna; sie sind alle durch schmale Blätter und andere Merkmale von der Mutterart durchaus verschieden. Die beiden ersteren sind in meinem Buche Gruppenweise Art- bildung S. 304--307 beschrieben und abgebildet worden, die letztere soll an anderer Stelle besprochen werden. Sie ist eine dimorphe Form, welche in jeder Generation in etwa der Hälfte der Individuen zum Typus der Mutterart zurückkehrt, welche sich also in dieser Beziehung verhält wie O. sceintillans u. a. O. stenomeres Bartlett hat zwei Mutanten geliefert, welche von Bartlett unter den Namen gigas und lasiopetala beschrieben worden sind. Beide sind progressive Mutationen mit für die Gruppe neuen Merkmalen. Die erstere hat, wie die 0. Lamarckiana mut: gigas, die doppelte Anzahl von Chromosomen und die entsprechen- den dieken Blütenknospen. Sie hat in meinem Garten in etwa 30 Exemplaren geblüht, neben einer gleich großen Kultur der Art selbst. Alle Teile, sowohl die vegetativen Organe als die Blüten zeigten deutlich die @Gögas-Merkmale. O. stenomeres mut : lasiopetala hat stark behaarte Blumenblätter, während bekanntlich die Petalen der Oenotheren sonst glatt und unbehaart sind’). O. pratincola Bartlett. In den Kulturen dieses Forschers sind entstanden mat : gigas. mit 28 Chromosomen, und mut: formosa, mit schmalen, runzeligen Blättern, ähnlich wie meine 0. biennts Chicago mut : salieifolia, aber weit höher und kräftiger als diese (in meiner Kultur 1,5 m gegen etwa 0,6 m). Ferner die Mutationen nummu- laria, tortuosa, ruhricentra und nitida !°). O. Reynoldsii Bartlett bringt drei Arten von Zwergen hervor, welche die Namen debilis, semialta und bilonga führen. Die ersteren sind die kleinsten und schwächsten; die semvalta sind intermediär zwischen dieser und der Mutterart, und die bilongu sind der semialta in jeder Hinsicht gleich, mit Ausnahme der Früchte, welche doppelt 8) C. Stuart Gager, Cryptomerie inheritance in Onagra. Bull. Torr. ‚Bot. Club T. 38, S. 461 und Brooklyn Inst. of Sc., Contrib. Nr. 3, 1911. 9) H.H. Bartlett, The experimental study of genetic relationships. American J. of Bot I, S. 132—155, 1915 (S. 143 mut: gigas; S. 146 mut: lasiopetala). 10) A.a.O. und H.H. Bartlett, Additional evidence of mutation in Oeno- thera. Bot. Gaz. Vol. 59, S. SI—123, 1915. 6 De Vries, Die endemischen Pflanzen von Geylon etc. so lang sind. Leider haben diese Mutanten in meinem Garten wegen des zu nördlichen Klimas zu spät geblüht und keine Früchte ausgebildet. Die Art des Mutierens ist hier von der gewöhnlichen verschieden, indem gewisse Individuen der O. Reynoldsii anscheinend keine Zwerge hervorbringen, während andere deren 60—80°%, ab- werfen !!). OÖ. grandiflora Aıt. hat ın den Kulturen von Davıs und von (Gates eine Reihe von Formen geliefert, deren einige vermutlich Bastarde sind, da der Fundort, von welchem ihre Samen stammten, eine Mischung von O. grandiflora, ©. Traeyi und über ein Dutzend intermediären Formen enthält und somit als Ausgangspunkt für reine Kulturen unbrauchbar ist!?). Als sichere und wichtige Mu- tation ist unter diesen Neuheiten jedenfalls ein von Gates er- haltener Zwerg anzuführen'?). Außer bei Dixie-Landing in der Nähe von Tensaw wächst die O. grandiflora noch an anderen Stellen in Alabama und von diesen besuchte ich 1912 mit Herın Bartlett die Umgegend des Dorfes Castleberry. Die Pflanze wuchs hier auf einem Maisfelde, und soviel wir feststellen konnten, als reine Rasse. Aus den dort eingesammelten Samen habe ich seither drei Gene- rationen kultiviert. Sie brachten regelmäßig zwei Mutationen her- vor, welche ich mut : ochracea und mut: lorea nenne. Die erstere ist von niedriger Statur und hat blasse grüne Blätter, die zweite ist kräftig und durch lange, dunkelgrüne, riemenförmige Blätter ausgezeichnet. Die ochracea entstand in den beiden letzteren Generationen ın vielen, die lorea dagegen nur in wenigen Exemplaren; beide sind samenfest. Eine ausführliche Beschreibung soll aber erst nach fort- gesetzter Kultur gegeben werden. Außerdem entstand aus den Samen meiner zweiten Generation eine Mutation, welche die dieken Blütenknospen und andere Merk- male des Gigas-Typus führte, deren Uhromosomen aber bis jetzt noch nicht gezählt worden sind. Sie trat ın zweı Individuen in einer Kultur von mehreren Hundert blühenden Pflanzen auf. O. suaveolens Desf. Seitdem ich diese Form neben der ©. grandiflora aus Alabama ın meinem Garten kultiviere, hat sie sich als von dieser durchaus verschieden herausgestellt!*). Die Samen zu meiner Kultur erhielt ich von Herrn Prof. L. Blaringhem, 11) H.H. Bartlett, Mutation en masse, Americ. Naturalist, 1915. S. 135. In ähnlicher Weise erzeugt O. Lamarckiana mut: gigas Individuen, welche etwa 25 % Zwerge unter ihren Nachkommen enthalten. Vgl. Bot. Gaz. T. 60, 1915. 12) De Vries und Bartlett, The evening primroses of Dixie-Landing, Ala- bama, Science N. S. 36, S. 599—601, 1912. 13) R. R. Gates, Mutationfactor, S. 150. 14) L’Oenothera grandiflora de V’herbier de Lamarck. Revue gen. d. bot. XXV bis, S. 151. De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. 7 der mir auch den Fundort im Forste von Fontainebleau zeigte. Hier bringt die Art von Zeit zu Zeit Exemplare mit schwefelgelben Blüten, ©. suaveolens mut : sulfurea hervor, und dieselbe Mutation ist im verflossenen Sommer auch in meinem Garten aufgetreten. Außerdem erhielt ich in der zweiten Generation (1914) meiner Kultur eine Zwergform mit dunkelgrünen langen und schmalen und sehr lang zugespitzten Blättern, welche ich mut : jaculatriw nenne. Sie ist unter unserem Klima sehr schwach und die Pflanze gab aus zahlreichen anscheinend guten Früchten nur zwei keimfähige Samen, welche zu der Mutter gleichen Pflanzen aufgewachsen sind. Ebenso entstand die mut : jaculatrix in der dritten Generation meiner Rasse, und zwar aus einer Kultur von über 1600 Exemplaren in einer Reihe von Individuen, von denen etwa ein Dutzend geblüht haben. In derselben Kultur traten zwei neue Formen 0. suareolens mut: lutescens und mut: fastigiata auf, beide in mehreren Exemplaren. Die erstere ist schwach, gelblichgrün, niedrig und dünnstengelig; sie erinnert an die mut: ochracea aus O. grandiflora. Die fastigiata ist zwar niedriger als die Art, aber kräftig und dicht beblättert; ihr Hauptmerkmal ist aber der aufgerichtete Stand ihrer Seiten- zweige, Blüten und Blütenknospen. Diese sind bei der Mutterart ım weiten Bogen aufwärts gerichtet, bei der Mutation aber der sie tragenden Achse dieht angedrückt. Schließlich sind noch zwei Exemplare einer mat : /ata und eine Pflanze mit dieken, an den Gigas-Typus erinnernden Blütenknospen zu erwähnen. Alle diese Formen sollen ausführlich beschrieben werden, sobald sie in zweiter Generation kultiviert sein werden. Überblicken wir die ganze Liste der bis jetzt bei den Oeno- theren gefundenen Mutationen, so fällt es auf, dass gewisse Typen aus je zwei oder mehreren Arten entspringen. So geben O. biennis und O©. suaveolens die mut: sulfurea; O. Lamarckiana, O. stenomeres und 0. Reynoldsii geben mut: gigas, und in derselben Richtung variiert ©. biennis, und wahrscheinlich auch ©. yrandiflora und O. suaveolens. Zwerge und schmalblättrige Formen sind gleichfalls nicht selten, und auch die mut: lata ist für drei Arten beobachtet worden. Daneben gibt es aber auch Typen, welche bis jetzt nur von einer Mutterart abgeleitet worden sind, sei es von der formenreichen 0. Lamarckiana, sei es von anderen Arten. Ohne Zweifel deuten diese Erscheinungen darauf hin, dass die Mutabilität auf bestimmte innere Ursachen zurückzuführen ist, welche, da sie so vielen Arten gemeinsam sind, wohl als durch Vererbung von der einen auf die andere übergegangen angenommen werden müssen. Gleichfalls darf man wohl annehmen, dass der hohe Grad der Mutabilität der ©. Lamarckiana nicht etwa plötzlich entstanden ist, sondern sich bereits in den Vorfahren dieser Art ganz allmählich entwickelt hat. S De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. Vergleichen wir jetzt die Mutabilität der Oenotheren mit den Ergebnissen, welche Willis für die Entstehung der endemischen Pflanzen von Ceylon aus seinen vergleichenden statistischen Unter- suchungen abgeleitet hat. Unter diesen Arten gibt es 108, welche je nur auf einem Berg- gipfel oder an einer kleinen Stelle im Gebirge vorkommen. Dort sind sie oft nur in sehr wenigen Exemplaren vertreten, z. B. Coleus elongatus auf dem Berge Ritigala nur in etwa einem Dutzend von Individuen. Mehrfach sind sie an Bedingungen gebunden, welche nur ganz lokal vorkommen und oft auf weniger als einen Hektar beschränkt sind. Außer diesem engen Gebiete findet man sıe nicht, teils wegen der Eigenschaften des Bodens, teils wegen der mit der Höhe der Lage rasch wechselnden klimatischen Einflüssen. Sie können somit wohl nie eine bedeutend größere Verbreitung gehabt haben als die jetzige. Trotzdem bilden sie gute, systema- tische Arten und sind sie nieht durch Übergänge mit den nächst- verwandten Arten verbunden. Diese sind gewöhnlich viel weiter verbreitet, an Individuen reich und wachsen oft in der nächsten Nähe der endemischen Formen. Diesen Mangel an Übergangsformen findet man bekanntlich auch in dem schönsten Beispiel der europäischen Mutationen, der Zinaria vulgaris peloria‘). Überall wo diese, sei es im Freien, sei es im Versuchsgarten, aufgetreten ist, geschah es ohne jede Vorberei- tung oder Vermittlung. Genau so verhalten sich die Mutationen der Oenotheren, welche ja auch sprungweise Umbildungen dar- stellen. Die sichtbaren Eigenschaften der lokalen endemischen Pflanzen Oeylons weisen nirgendwo bestimmte Beziehungen zu der Um- gebung auf und stellen offenbar keine Vorzüge ım Kampf ums Dasein dar. Die von Willis gegebenen vergleichenden Beschrei- bungen zeigen dieses klar. Wesentlich ist aber die Tatsache, dass es den endemischen Formen nicht gelungen ist, ihre Vorfahren zu verdrängen und sich an deren Stelle auszubreiten Solches kommt selbstverständlich unter den 800 endemischen Arten Ceylons bei einigen vor, aber weitaus die meisten sind verhältnismäßig selten geblieben. Sie sind also offenbar nicht unter dem Einflusse einer natürlichen Auslese von kleinen nützlichen Abweichungen durch deren allmähliche Anhäufung zum Vorteil der sie tragenden Pflanzen ausgebildet worden, wie es die alte Lehre annahm. Die Tabellen von Willis lehren, dass diese Vorstellung in keinem einzigen Falle zutrifft. Es bleibt keine andere Möglichkeit übrig als die Annahme von Sprüngen, mittelst deren die neuen Arten mit einem Schlage und in voller Ausbildung aus ihren Vorfahren entstanden sein müssen, 15) Die Mutationstheorie. Bd. I, S. 562. De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. g) Bei den Oenotheren aber lehrt die unmittelbare Beobachtung die Mutationen als solche kennen. Die endemischen Arten sind samenfest und pflanzen sich, so- weit bekannt, ohne Rückschläge auf ihre Vorfahren fort. Ebenso verhalten sich die meisten Mutationen der Oenotheren, und zwar vom Anfang an. Ob es in Öeylon auch dimorphe Spezies gibt, welche sich in jeder Generation ähnlich spalten wie die O. seintillans, ıst selbstverständlich unbekannt. Dieses ist aber sehr unwahrscheinlich, da solche Formen bereits im Laufe weniger Jahre von ihren atavistischen Spaltungsprodukten verdrängt werden müssten !°). Ob dieselben Mutationen im Freien nur je einmal oder wieder- holt entstehen, ist eine Frage, welche der Beobachtung nicht zu- gänglich ist, wie Willis hervorhebt (a. a. ©. S. 331). Er hält es für nicht unwahrscheinlich, dass sie oft in mehreren Exemplaren aus den Samen eines und desselben Individuums hervorgehen. Von solchen Samen könnten dann die meisten durch äußere Umstände verloren gehen, aber die Aussicht wäre größer, dass wenigstens einzelne zu blühenden Pflanzen aufwachsen würden. Unter den Oenotheren ist es Beobachtungssache, dass die Samen einer selbst- befruchteten Mutter gar oft mehrere Exemplare derselben Neuheit enthalten und die Zinaria vulgaris peloria lehrt ohne weiteres, dass eine bestimmte Mutation im Freien zu wiederholten Malen aus einer Spezies hervorgehen kann. Und seitdem dieselbe Mutation, wie z. B. die Gigas, aus verschiedenen Arten entstanden ist, kann es wohl nicht fraglich sein, dass sie auch mehrfach aus derselben Spezies hervorgehen kann. Es ist in dieser Beziehung vielleicht wichtig, dass die ©. yigas, welche ja eine progressive Mutation dar- stellt und somit am nächsten mit den Endemismen zu vergleichen ist, in meinen Kulturen bis jetzt nur einmal aus der O. Lamarckiana entstanden ist. Auch für O. brevistylis und ©. laerifolia, welche bis jetzt nur auf dem Felde bei ’s Graveland gefunden worden sind und welche somit eigentlich auch als lokale endemische Formen betrachtet werden können, genügt die Annahme einer einmaligen Entstehung vollkommen. Wir folgern also, dass Mutationen sowohl im Versuchsgarten als im Freien entweder nur je einmal bezw. ganz selten oder in verschiedenen Graden häufiger entstehen können. Die Mutationen der Oenotheren sind bekanntlich richtungslos, d. h. keine bestimmte Richtung waltet unter ihnen vor. Ebenso verhalten sich die Endemismen in Ceylon, welche sich über Veränderungen in fast allen Organen und Eigenschaften er- strecken. 16) J. Delboeuf, Ein auf die Umwandlungstheorie anwendbares mathe- matisches Gesetz, Kosmos, 1. Jahrg., Bd. II, S. 112 und Die Mutationstheorie, Bd.T, Sala: 10 De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. Die 800 endemischen Arten von Ceylon sind über nahezu 100 natürliche Familien und über eine viel größere Anzahl von Gat- tungen ziemlich gleichmäßig verteilt. Einzelne Gattungen gibt es mit 15—30 endemischen Arten, weitaus die meisten aber haben deren weniger als zehn. Diesem Verhalten kann man die Tatsache an die Seite stellen, dass ın der viel kleineren und erst seit kurzem ın dieser Richtung untersuchten Gruppe der Oenotheren etwa ein halbes Dutzend von Arten je 1-6 Neuheiten hervorgebracht haben, während deren Zahl bis jetzt nur bei der ©. Lamarckiana eine viel höhere ıst. Eine sehr wichtige Frage ıst von Willis aufgeworfen worden ın bezug auf den möglichen Umfang der Mutationen (a. a. O. S. 329). Er betrachtet es als eine unrichtige Folgerung aus der Theorie, dass diese Sprünge klein sein müssen und stellt als seine Ansicht auf, dass man ruhig annehmen darf, dass kein Unterschied zwischen zwei nächstverwandten Arten einer Gattung zu groß sei, um ın einem Sprunge zu entstehen. Sogar Untergattungs- und Gattungs- merkmale bedürfen nach ihm häufig nicht der Annahme von Reihen von aufeinander folgenden Mutationen. Er führt eine Reihe von Stützen für diese neue Ansicht an. Erstens sınd auch die kleinsten endemischen Arten gute Spezies, welche in vielen Merkmalen von ıhren nächsten, oft mit ıhnen zusammenwachsenden Verwandten unterschieden sind. Sie werden denn auch von den besten Syste- matikern als Arten und nicht als Varietäten betrachtet. Dennoch sınd sie so lokal, dass sie wohl kaum anders als durch einen ein- maligen Sprung entstanden sein können. M.a. W. die ganze Gruppe von Merkmalen, welche einer Speziesdiagnose zugrunde liegt, muss durch eine einmalige Mutation ins Leben gerufen werden können. Ferner gibt es in Ceylon 17 endemische Gattungen mit je nur einer Art und in diesen Fällen ist die geographische Lage gleichfalls eine solche, dass es auf der Hand liegt, für die ganze monotype Gattung ein einmaliges Entstehen anzunehmen. Es gibt nur vier endemische Gattungen mit je 2—3 Arten und nur zwei mit einer größeren Anzahl, u. zw. Doona mit 11 und Stemonoporus mit 15 Arten. Hier müssen offenbar nach der Entstehung der Gattung noch weitere Mutationen stattgefunden haben. Dieser Auffassung von Willis stimme ich gerne bei und meine, dass auch bei den ÖOenotheren die Mutationen weit zusammen- gesetztere Erscheinungen sind als wir bis jetzt angenommen haben. Ob man dabei den ganzen Sprung als eine Mutation bezeichnen oder die Umwandlung jedes einzelnen Faktors als eine solche be- schreiben will, ist offenbar gleichgültig. In meinem Buche über die Gruppenweise Artbildung habe ich mich bemüht, für jede Mu- tatıion eine bestimmte Umänderung in den Vordergrund zu stellen und die übrigen als sekundäre, von dieser mehr oder weniger ab- De Vries, Die endemischen Pflanzen von Ceylon ete. 11 hängige Vorgänge zu beschreiben. Doch gibt es offenbar Fälle, in denen zwei oder mehrere Umänderungen regelmäßig zusammen- gehen, ohne dass wir einen ursächlichen Zusammenhang zwischen ihnen auffinden könnten. Es mögen davon einige Beispiele ange- führt werden. ©. rubrinervis unterscheidet sich von der Mutterart durch die mangelnde oder mangelhafte Verdiekung ihrer Holz- und Bastfasern, überdies verhält sie sich in Kreuzungen mit der O. nanella anders als die 0. Lamarckiana. 0. nanella selbst unterscheidet sich nicht nur durch die niedrige Statur, sondern auch durch größere Empfindlichkeit für durch gewisse Bakterien verursachte Krank- heiten. ©. gigas hat die doppelte Anzahl von Chromosomen und die dadurch bedingten äußerlich sichtbaren Eigentümlichkeiten. Neben diesen hat sie eine ganze Reihe von Eigenschaften, welche weder damit, noch miteinander notwendigerweise zusammenhängen. Sie wird z. B. nicht, wie die 0. Lamarckiana, von älteren Arten in Zaeta und Velutina gespalten; sie bildet für gewöhnlich inter- mediäre Bastarde von sehr geringer Fruchtbarkeit und sie folgt ın ihren Kreuzungen mit dem von ihr erzeugten Zwerge: 0. gigas nanella, dem Mendel’schen Gesetze, was bekanntlich die ©. La- marckiana mit ihren Zwergen nicht tut. Dennoch ist diese ganze Gruppe von merkwürdigen Eigenschaften in meinem Garten in einem Sprunge entstanden. Auch in dieser Beziehung verhalten sich somit die Oenotheren in derselben Weise, wie die endemischen Arten von Üeylon und es scheint mir, dass der von Willis ausgesprochene Satz mit vollem Rechte eine sehr. eingehende Berücksichtigung bei der ferneren Bearbeitung der experimentellen Mutationserscheinungen beansprucht. Voraussichtlich werden sich diese Mutationen als mehr oder weniger und bisweilen als in hohem Grade zusammen- gesetzte Vorgänge ergeben, deren Analyse dann einen wichtigen Gegenstand für weitere Forschung bilden wird'!”). Fassen wir das Ergebnis der obigen Ausführungen kurz zu- sammen, so dürfen wir sagen, dass die von Willis ausgeführten floristischen und statistischen Studien der endemischen Flora von Ceylon eine sehr wichtige empirische Stütze für die Mutationslehre bilden, und dass der Prozess der Artbildung, wie er von ihm für diese Flora dargelegt worden ist, in nahezu allen Zügen mit den bei den Oenotheren beobachteten Mutationserscheinungen überein- stimmt. Dadurch erhält die jetzige experimentelle Methode den erwünschten Beweis für die Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse auf die Vorgänge in der freien Natur. 17) Solche Analysen habe ich seit einigen Jahren angefangen zu machen, teils auf dem Wege der Kreuzungen, teils durch das Sammeln seltener, in einer und derselben Richtung zu verschiedenen Stufen schreitender Mutationen der 0. La- marckiana. Ich werde darüber aber erst später berichten können, [2 Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichen Zwittertum. Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. Von €. Correns, Berlin-Dahlem. Mit 1 Textabbildung. Durch eine Reihe glänzender Untersuchungen ist für getrennt- geschlechtige Tiere der Zusammenhang zwischen dem Chromo- somenbestand der Kerne und dem Geschlecht nachgewiesen worden. Es kann jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen, dass, mindestens bei sehr vielen Spezies der verschiedensten Verwandtschaftskreise, das eine Geschlecht — häufiger das männliche — „heteroga- metisch“ ist, d.h. zweierlei Keimzellen hervorbringt, die irgend- wie im Chromosomenbestand verschieden sınd, während das andere Geschlecht — häufiger das weibliche — „homogametisch“ ist, d.h. nur einerlei Keimzellen bildet, die ım Chromosomenbestand der einen Keimzellsorte des heterogametischen Geschlechtes ent- sprechen. Kommt bei der Befruchtung Gleiches mit Gleichem zu- sammen, so entsteht das homogametische Geschlecht, kommt Un- gleiches zusammen, das heterogametische. Der Sicherheit dieser zytologischen Daten entspricht die Sicherheit ihrer physiologischen Deutung leider noch nicht, doch brauchen wir uns hier nicht mit ıhr zu befassen !). Es ıst Bo veri?)und Schleip°) auch möglich gewesen, den Wechsel zwischen getrenntgeschlechtigen und zwittrigen Individuen aufzuklären, der bei dem Nematoden Angiostoma (Rhabdonema) nigro- venosum regelmäßig stattfindet, soweit die Kernverhältnisse in Frage kommen. Ich darf ihre Ergebnisse wohl kurz anführen. Die Weib- chen und die Männchen der getrenntgeschlechtlichen Generation (die auf Schlamm lebt) haben eine verschiedene Chromosomenzahl ; das Weibchen hat 12, das Männchen 11 Chromosomen. Es entstehen nun bei den Reifeteilungen nur einerlei Eier, alle mit der gleichen Chromosomenzahl (6), dagegen zweierlei Spermatozoiden in gleicher Anzahl. Die einen haben ein Ohromosom weniger (also nur 5) als die anderen (mit 6). Führten beiderlei Spermatozoen die Befruchtung aus, so entstünden wieder Weibehen und Männchen. Die Sperma- tozoen mit der geringeren Chromosomenzahl, die dann bei der Bil- 1) Die Literatur bei Schleip, Geschlechtsbestimmende Ursachen im Tier- reich. Ergebn. u. Fortschr. d. Zoologie, Bd. III, Heft 3 (1912). Ferner Seiler, J., Das Verhalten der Geschlechtschromosomen bei Lepidopteren. Archiv für Zell- forschung, Bd. XIII, Heft2. Populärer bei Goldschmidt, in Correns und Goldschmidt, Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes. 1913. 2) Boveri, Th., Uber das Verhalten der Geschlechtschromosomen bei Herma- phroditismus. Beobachtungen an Rhabditis nigrovenosa. Verhandl der Phys.-Med. Gesellschaft zu Würzburg, N. F. Bd. XLI 8.85 u. £. (1911). 3) Schleip, W., Uber die Chromatinverhältnisse bei Angiostomum (Rhab- donema) nigrovenosum. Ber. d. Naturf. Gesellsch., Freiburg i. Bg. Bd. 19 (1911). Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. 13 dung der Männchen beteiligt wären, sınd aber offenbar funktions- unfähig. Es befruchten nur die Spermatozoen mit 6 Chromosomen, so daß nur Individuen entstehen, die die Chromosomenzahl der Weibchen (12) haben, auch den Weibchen ähnlich sehen, aber Zwitter sind. Bilden diese Zwitter (die in der Froschlunge leben) ihre Keimzellen, so erhalten die Eier in normaler Weise die halbe Chromosomenzahl (6); bei der Bildung der Spermatozoen wird aber bei der Hälfte 1 Ohromosom ausgeschaltet, so dass wieder zweierlei Spermatozoen, solche mit 5 und solche mit 6 Chromosomen, ent- stehen, die beide befruchtungstüchtig sind und mit den einerlei Eiern teils Männchen (mit 11), teils Weibchen (mit 12 Chromosomen) geben. Damit ıst bei Angiostoma das Schicksal der Chromosomen auf- geklärt. Die physiologische Seite des Problems bleibt dabei freilich unberührt, die Fragen: Warum wird das eine Mal ein Indi- viduum mit 12 Chromosomen zu einem Weibchen, das andere Mal zu einem Zwitter, und warum wird nach letzterem Falle bei der Spermatozoenbildung 1 Chromosom ausgeschaltet ? Nach dem Schema des Angiostoma lassen sich nun auch die Kernverhältnisse bei anderen Tieren erklären, die „habituelle*“ Zwitter sind, bei denen also nicht getrenntgeschlechtige und zwittrige Generationen abwechseln, sondern lauter zwittrige aufeinander folgen. Man braucht bloß anzunehmen, dass ihre weiblichen Keimzellen homogametisch, ihre männlichen Keimzellen aber heterogametisch seien und dass jene Hälfte der männlichen Keimzellen, die mit den Eizellen Männchen geben würde, nicht zur Funktion käme, früher oder später ausgeschaltet würde, dass die andere Hälfte aber mit den Eizellen Weibchen gäbe, die als Zwitter ausgebildet würden: 9, als Zwitter ausgebildet. BREUER 9 Keimzellen + + + 0 & Keimzellen Game 9, als Zwitter ausgebildet. Ki ne 9 Keimzellen + 4 + 0 & Keimzellen u u un 0, als Zwitter ausgebildet. ec. Dies Verhalten findet sich nun im der Tat bei Gasteropoden, wie Zarnik*) für Pteropoden (vor allem Creseis) und Demoll°) 4) Zarnik, B.,, Über den Chromosomenzyklus bei Pteropoden. Verh. d. Deutsch. Zool. Gesellsch. Bd. 21 (1911). 5) Demoll, R., Die Spermatogenese von Helix pomatia L. Zool. Jahrb., Suppl. 15, Vol. 2 (1912). {4 Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. für Helix pomatia nachweisen konnten. Es werden zweierlei Sper- matozoen in gleicher Zahl gebildet, von denen (wenigstens bei den Pteropoden) die einen sicher funktionslos sind. Fast gleichzeitig haben nun R. Hertwig‘®) und Demoll’) den Versuch gemacht, auch das Verhalten der gemischtgeschlechtigen (hermaphroditischen und einhäusigen) Blütenpflanzen nach dem Angiostoma-Schema zu erklären. R. Hertwig sagt darüber?): „Nun sind wir inzwischen durch die schönen Untersuchungen von Boveri und Schleip über das Wesen des Hermaphroditismus bei Tieren unterrichtet. Ihnen zufolge wäre ein Hermaphrodit ein Weibchen, dessen Öhromosomenbestand männlich modifiziert werden kann und zwar durch Rückbildung des zweiten x, vielleicht auch nur durch Abminderung seiner Potenz. Man könnte dann den ver- schiedenen Charakter des x dadurch ausdrücken, dass man es unter- streicht, da, wo es seine normale Potenz besitzt (x), es dagegen ein einfach druckt, wenn es einen labilen Charakter hat. Fasst man alle übrigen Chromosomen als A zusammen, so würden die Formeln lauten: 1. für ein diözisches Weibchen... . . A+x A-tx 2. für ein diözisches Männchen . . . . . A+x A+0 3. für die weibliche Blüte eines Monözisten A+x A-+x 4. für die männliche Blüte eines Monözisten A+x A+O für die gesamte monözische Pflanze .. A+-x A-+x. Ferner müsste man nach Analogie der bei Aphiden und Nema- toden beobachteten Verhältnisse annehmen, dass die männlichen Geschlechtszellen A 0 monözischer Pflanzen zugrunde gehen.“ Ähnlich äußert sich Demoll°). Danach müsste also der Fruchtknoten der weiblichen Blüte eines einhäusigen Gewächses und der einer Zwitterblüte nur einerlei Samenanlagen mit Eizellen enthalten, die weiblichen Chromosomen- bestand aufwiesen. Die Staubbeutel der männlichen Blüte des ein- häusigen Gewächses und die der zwittrigen Blüte hätten aber zweierlei Pollenkörner, solche mit männlichem und solche mit weiblichem Chromosomenbestand; nur die letzteren dürften funktionieren. Der Anlass, diese Übertragung der Verhältnisse bei Angio- stoma ete. auf pflanzliches Gebiet vorzunehmen, war bei beiden Autoren 6) Hertwig, R., Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Untersuchungen. Biolog. Centralbl. Bd. XXXII, S. 1 (1912). ‘) Demoll, R., Uber Geschlechtsbestimmung im allgemeinen und über die Bestimmung der primären Sexualcharaktere im besonderen. Zoolog. Jahrb., Abt. f. allg. Zool. u. Phys. Bd. 33, S. 41 (1912). Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. 15 der gleiche. Sie suchten das Ergebnis der von mir ausgeführten Bastardierungsversuche zwischen der einhäusigen Bryonia alba und der zweihäusigen Dryonia dioica!”) mit den auf zoologischem Gebiet geltenden Erfahrungen und Gedankengängen in bessere Über- einstimmung zu bringen, als mein eigener Deutungsversuch es er- laubte. Ich habe mich an anderer Stelle zu den Einwendungen, die man mir gemacht hat, geäußert!!) und bei der Gelegenheit auch hervorgehoben, dass mir dem Übertragungsversuch R. Hertwig’s undDemoll’s von vornherein unüberwindliche Schwierigkeiten theo- retischer (phylogenetischer) Natur entgegenzustehen schienen. Trotz- dem habe ich eine experimentelle Entscheidung versucht, über die hier berichtet werden soll. Denn einem Ergebnisse gegenüber, das für die Übertragung des Angiostoma-Schema spräche, hätten die widersprechenden theoretischen Überlegungen einer Revision unterzogen werden müssen. Es handelte sich also darum, ob bei gemischtgeschlechtigen Pflanzen die Hälfte der Pollenkörner, die in einer Anthere gebildet werden (jene, die männliche Nachkommen geben würden), bei der Befruchtung ausgeschaltet ıst, genauer gesagt, ob das für je 2 von den 4 Pollenkörnern gilt, die aus einer Pollenmutterzelle ent- stehen (und ihrer Bildung nach den 4 Spermatozoen entsprechen, die aus einer Spermatozyte I. Ordnung hervorgehen). Wenn nun auch vielfach bei zwittrigen Pflanzen, die keine Bastarde sind, den normal aussehenden Pollenkörnern solche beı- gemengt sind, die sich bei der mikroskepischen Untersuchung von vornherein als untauglich erkennen lassen, kann von einem regel- mäßigen Degenerieren der Hälfte der Körner keine Rede sein. Dieselben untauglichen Körner finden sich außerdem auch bei dem Blütenstaub getrenntgeschlechtiger Pflanzen. Gegen den mikroskopischen Befund lässt sich aber einwenden, dass sich die 50%, untauglicher Körner überhaupt nicht am Aus- sehen von den zur Befruchtung tauglichen zu unterscheiden brauchen. Suchte man diesen Einwurf mit dem Hinweis auf die Tatsache zu entkräften, dass ın vielen Fällen alle oder nahezu alle Pollenkörner einer Anthere in geeigneten künstlichen Nährlösungen oder gar schon in Wasser auskeimten und so ihre Tauglichkeit bewiesen, so brauchte auch diese Tatsache nicht als zwingend anerkannt zu werden. Denn aus der Fähigheit der Körner, auszukeimen und 10) Correns, C,, Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechtes nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen, S. 15 u. f. (1907). 11) Correns und Goldschmidt, R., Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes, S. 47 u. f. (1913). Dort ist vor allem auch auf die Haltlosigkeit des Erklärungsversuches Bates on’s hingewiesen, der immer noch wiederholt wird. | Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. selbst normale Schläuche zu bilden, folgt noch nicht, dass die Schläuche bis zu den Samenanlagen vordringen und die Befruch- tung wirklich ausführen!?). Gibt doch auch Boveri an, dass bei den zwittrigen Angiostoma-Individuen die beiderlei Spermatozoen äußerlich gleich sind und auch zusammen in die weiblichen Organe bei der Begattung eingeführt werden'?). Die Untauglichkeit der „Fünferspermatozoen“ konnte nur daraus erschlossen werden, dass "keine Nachkommen mit dem ÜUhromosomenbestand 11 auftreten, die bei ihrer Mitwirkung vorhanden sein müssten. Eine solche Beweisführung war für die Blütenpflanzen nach allem, was zurzeit über die Chromosomenverhältnisse ihrer Kerne bekannt ist, aussichtslos!*). Nur der direkte Nachweis, dass mehr als die Hälfte der Pollenkörner, dıe in einem Staubbeutel gebildet werden, die Befruchtung ausführen können, konnte eine sichere Entscheidung, und zwar gegen die Übertragung des Angiostoma-Schemas auf die Pflanzen, bringen. Es liegt nahe, bei einer größeren Zahl Blüten, die kastriert und vor Insektenzutritt geschützt worden sind, die Narben mit je einem Pollenkorn zu belegen und zuzusehen, wieviel Blüten Frucht ansetzen. Sind es mehr als die Hälfte, so ıst der Nachweis mit einer Sicherheit erbracht, die sich mehr oder weniger der Gewiss- heit nähert, in einem Maße, das sich aus der Gesamtzahl der be- stäubten Blüten leicht nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung fest- stellen lässt. Einen derartigen Versuch habe ıch vor Jahren zu anderen Zwecken mit Mirabilis Jalapa und M. longiflora angestellt!’), die sich dazu besonders gut zu eignen schienen. Einmal sind die Pollen- körner besonders groß und deshalb leicht zu handhaben, dann ent- halten die Fruchtknoten nur eine Samenanlage. Das Verhältnis der befruchteten Samenanlagen (a) zur Zahl der im Fruchtknoten überhaupt vorhandenen Samenanlagen (b) ist deshalb, wenn über- haupt Befruchtung eintritt, gleich 1. Damit fällt hier ein Faktor 12) Das wird durch die Beobachtungen bewiesen, die Jost (Über die Selbst- sterilität einiger Blüten, Botan. Zeitg. Bd. 65, I. Abt., S. 75 u. f.) bei seinen Be- stäubungsversuchen an selbststerilen Pflanzen mit ihrem eigenen Pollen gemacht hat; es trat vielfach Schlauchbildung bis tief in den Griffel, aber keine Befruch- tung ein. o)aler >.80. 14) Tischler, G., Chromosomenzahl, -Form und -Individualität im Pflanzen- reiche. Progress. Rei Botan. Bd. V, S. 230 u. f. Dort die Literatur, darunter die Angaben Nawaschin’s für die (zwittrige!) Tradescantia virginica, die noch der Deutung harren. ü 15) Correns, Ü., Über den Einfluss, welchen die Zahl der zur Bestäubung verwendeten Pollenkörner auf die Nachkommenschaft hat. Ber. d. Deutsch. Botan. Gesellsch. Bd. XVIII, S. 422 (1900). Dort ist auch die ältere Literatur angeführt und gewürdigt. Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. 17 weg, der, wie wir noch sehen werden (S. 19), das Ergebnis sehr stark beeinflussen kann. Die Versuche haben nun gelehrt, dass durchaus nicht jedes Pollenkorn, das auf die Narbe gebracht wird, die Befruchtung der einen Samenanlage im Fruchtknoten ausführen kann, auch wenn es völlig normal aussieht, dass vielmehr auf ein Korn, dem die Befruchtung gelingt, bei Mirabilis Jalapa etwa 4, bei M. longiflora etwa 3 Körner kommen, die es nicht so weit bringen. Es hat sich aber dabei auch herausgestellt, dass nicht alle Samenanlagen be- fruchtet werden können, selbst wenn ein großer Überschuss an Pollenkörnern auf die Narbe gebracht wird; bei Mirabilis Jalapa kommt auf drei taugliche je eine untaugliche Samenanlage; bei M. longiflora sind etwa gleichviel tauglich und untauglich. (Wegen der Einzelheiten muss auf die genannte Mitteilung verwiesen werden.) Diese Zahlen beweisen natürlich nichts in unserer Frage; sie zeigen aber jedenfalls, dass negativen Ergebnissen überhaupt keine Beweiskraft zukommt. Denn günstigstenfalls müssten neben dem Angiostoma-Mechanismus noch andere Ursachen wirksam gewesen sein, wenn statt der Hälfte mehr als drei Viertel der Pollenkörner keine Befruchtung ausfülrten, und diese Ursachen könnten auch für sich allein an dem Ergebnis schuld sein. Es wäre nun möglich gewesen, nach einem anderen Objekt zu suchen, das bei gleicher Versuchsanstellung entscheidende, positive Ergebnisse gezeigt hätte. Man hätte auch die Narbe einer Art, deren Fruchtknoten mehrere bis zahlreiche Samenanlagen enthält, mit einer bestimmten, größeren Zahl von Pollenkörnern belegen und zusehen können, ob die Zahl der Samen größer ausfiele als die Hälfte der Zahl der verwendeten Pollenkörner, wobei die Sicher- heit des Ergebnisses wieder mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu prüfen gewesen wäre. Ich zog statt dessen vor, einen etwas verschiedenen Weg einzuschlagen. Wenn die Geschlechtsbestimmung bei gemischtgeschlechtigen Pflanzen nach dem Angiostoma-Schema erfolgt, so muss, wie schon bemerkt, die Reduktionsteilung in den Pollenmutterzellen die Ent- scheidung bringen, und von den vier Pollenkörnern, die aus einer Mutterzelle hervorgehen, müssen zwei zur Befruchtung tauglich und zweı untauglich sein. Wir kennen nun eine ganze Anzahl Pflanzen, bei denen sich diese vier Pollenkörner nicht isolieren, sondern in „Tetraden“ ver- bunden bleiben. Für den Versuch suchen wir uns Arten aus, bei denen der Fruchtknoten mehrere Samenanlagen enthält, und be- legen die Narbe zunächst mit je einer Tetrade. Entwickeln sich dann Früchte, die bis zu zwei Samen, aber nie mehr als zwei ent- XXXVL 2 nn 2 Er « . 1 fü . “ 18 Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. halten, so spricht das dafür, dass das Angiostoma-Schema gilt — ganz zwingend ist auch dieses Ergebnis nicht. Sobald sich aber, auch nur in einzelnen Fällen, mehr als zwei Samen, also drei oder gar vier entwickeln, beweist das, dass mehr als zwei Pollenkörner befruchtungstauglich sind, das Angiostoma-Schema also nicht gelten kann. Der Vorteil, den die Verwendung von Tetraden statt ebensovieler isolierter Pollenkörner für die Versuche bietet, liegt auf der Hand. Gilt das Angiostoma-Schema, und verwendet man zu einer Bestäu- bung eine Tetrade, so ist man sicher, zwei taugliche und zwei untaugliche Körner zu verwenden, während bei der Benützung von vier einzelnen Pollenkörnern der Zufall entscheidet, ob zwei taug- liche und zwei untaugliche verwendet werden (Wahrscheinlichkeit nur -6,), oder drei taugliche und ein untaugliches (W. -#,), oder ein taugliches und drei untaugliche (W. -*,), oder lauter taugliche, oder lauter untaugliche (W. je ;!,). Das gilt für den günstigsten Fall, dass die tauglichen Körner keine größeren Chancen haben, ausge- sucht zu werden; durch eine (wenn auch unbewusste) Auswahl könnten die Ohancen für die eine Art Körner noch wesentlich ver- schlechtert werden. Den ersten Versuch stellte ich im Sommer 1914 mit Epilobium hirsutum an. Aneiner Anzahl Trieben einer großen, isoliert stehenden Pflanze wurden die Blütenknospen täglich, vor dem Aufblühen, kastriert, was leicht und vollkommen sicher geschehen konnte, und immer 2 Tage später mit je einer Pollentetrade aus frisch geöffneten Antheren, von anderen Trieben der Pflanze, bestäubt; die Tetrade wurde dabeı ziemlich weit unten, nahe der Vereinigungsstelle der vier Narbenzipfel, aufgelegt. Die Narben einiger weniger Blüten wurden auch mit zweı Tetraden belegt. Zum Schutze gegen In- sektenbesuch dienten Pergaminsäcke. Das Ergebnis war, ın mehr als 180 Fällen, gleich Null. Ob- schon die Fruchtknoten meist (nicht immer) merklich größer wurden als die von Kontrollblüten, die kastriert, aber nicht bestäubt worden waren, blieben sie doch bald stecken und enthielten nie auch nur einen tauglichen Samen. Hie und da waren einzelne Samenanlagen deutlich vergrößert, aber taub. Die Ursache des Misserfolges habe ich nicht eingehender unter- sucht. Dass unter den 720 Pollenkörnern der 180 Tetraden kein taugliches Korn gewesen wäre, ist ganz ausgeschlossen. Es unter- liegt kaum einem Zweifel, dass zwar einzelne Samenanlagen be- fruchtet worden sind, dass ihre Zahl aber zu klein war, um den Reiz auszuüben, der den regelmäßigen Zufluss der Nährstoffe sichert, der zur Ausbildung des Fruchtknotens zur Frucht, und damit auch der Samenanlagen. zu Samen, nötig sind. Jeder Fruchtknoten ent- hält gegen 300 Samenanlagen; in einem bestimmten Falle zählte Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. 19 befruchtete Samenanlagen vorhandene Samenanlagen günstigstenfalls „+, ist, ist zu klein, um eine normale Fruchtbildung zu ermöglichen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass schon die Ernährung des einzelnen Pollenschlauches auf seinem Wege durch den Griffel und Fruchtknoten nur dann sichergestellt wäre, wenn eine größere Anzahl von Schläuchen einen Reiz ausgeübt hätten, der die Zu- leitung oder die Bildung der dazu nötigen Stoffe ım Griffel veran- lasste. Da einzelne deutlich vergrößerte und deshalb wohl sicher befruchtete Samenanlagen beobachtet wurden, ist diese Annahme sehr wenig wahrscheinlich. Die Kastration verhindert an sich dıe Fruchtbildung nicht; nach reichlicher Bestäubung auch nur eines Narbenastes mit dem Pollen desselben Stockes erfolgte normaler Ansatz und normale Weiter- entwicklung. ich 278. Der Quotient (>. 27):°), der Im verflossenen Sommer habe ich dann auf die Solanacee Salpiglossis variabilis zurückgegriffen, die ebenfalls Tetradenpollen hat!’) und mir schon ab 1901 ein paar Jahre lang als Versuchs- pflanze gedient hatte!®). Dabei stellte sich wieder derselbe Übel- 16) Man könnte den Wert des Quotienten, bei dem eben Fruchtbildung mit einzelnen reifen Samen eintritt, das Reifungsminimum nennen und noch andere Werte besonders hervorheben, z. B. die Reifungsnormale, den Wert des Quotienten, bei dem normale Fruchtbildung mit der Zahl von Samen eintritt, die gewöhnlich reif werden kann. 17) Fischer, H., Beiträge zur vergleichenden Morphologie der Pollenkörner, S. 18 (1890). 15) Sie meinte ich, als ich bei einer Kontroverse mit Strasburger schrieb (Über den Modus und den Zeitpunkt der Spaltung der Anlagen bei den Bestarden vom Erbsentypus, Botan. Zeitg., Bd. 69, II. Abt., Sp. 81, 1902): „Einen anderen Weg habe ich bereits eingeschlagen... Es handelt sich um den experimen- tellen Nachweis der Eigenschaften aller vier Körner einer Pollentetrade durch den Bastardierungsversuch. Ergibt sich wiederholt, dass alle vier Körner derselben Tetrade die gleiche Anlage besitzen — entweder alle A oder alle a —, so muss die Entscheidung vor der ersten Teilung der Pollenmutterzelle gefallen sein und kann kaum durch eine Teilung zustande gekommen sein; Strasburger’s (damalige!) Annahme wäre dadurch so gut wie bewiesen. Ergibt sich dagegen, dass jede Tetrade beiderlei Körner enthält — solche mit der Anlage A und solche mit der Anlage a —, so ist sicher, dass die Pollenmutterzelle direkt vor der Teilung noch beiderlei Anlagen besessen haben muss. Stellt sich nun weiter heraus, dass nie mehr als zwei Körner der- selben Tetrade eine bestimmte Anlage enthalten, so muss die Spaltung durch eine Kern- teilung, und zwar die erste der Pollenmutterzelle, ausgeführt worden sein. Findet man aber, dass auch drei Körner oder gelegentlich einmal alle vier, dieselbe An- lage besitzen können, so kann die „Spaltung“ entweder durch eine Unterdrückung, wie sie Strasburger annimmt, geschehen sein, aber auf einem späteren Stadium, oder durch eine Zellteilung auf einem späteren Stadium: bei der Teilung der Pollenzelle in die vegetative und die generative. Einen Weg, diese Frage zu ent- scheiden, sehe ich zurzeit nicht.“ Später hat Strasburger selbst diese Methode )k 20 Üorrens, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. stand ein, der mir früher die Weiterführung der Versuche verdorben hatte: Bei der Kultur in Töpfen — mit Freilandpflanzen zu experi- mentieren ist so unbequem, dass die Sicherheit des Ergebnisses darunter leiden würde — gingen nach und nach fast alle Pflanzen ein, manche schon vor oder während der Bestäubungsversuche, manche bevor die Früchte reif waren. Es gelang aber doch, einige Pflanzen lang genug am Leben zu erhalten, und bei diesen konnte ich feststellen, dass von den vier Pollenkörnern einer Te- trade mehr als zwei befruchten können. Die Pflanzen, einer dunkel-blauvioletten Sippe angehörig, standen in einem kleinen Gewächshaus isoliert. Während der Dauer der Versuche wurde (mit der gleich zu erwähnenden Ausnahme) jede Blüte in der Knospe kastriert; die Krone wurde auf der Unterseite aufgeschlitzt und durch den Spalt die Antheren sorgfältig entfernt. Nur einzelne Blüten wurden, ebenfalls schon als Knospen, in Gaze- säckchen eingeschlossen und als Pollenlieferanten stehen gelassen; bei einem Teil der Versuche lieferten Pflanzen, dıe in einem anderen Gewächshaus isoliert worden waren, den Pollen. Hinsichtlich der Technik seı noch bemerkt, dass ein Streifen der Blumenkrone über das Endglied des Zeigefingers der linken Hand gezogen und mit Mittelfinger und Daumen festgehalten wurde. Darüber wurde eine offene Anthere leicht gestrichen, so dass die Pollentetraden einzeln und ın kleinen Gruppen daran hängen blieben. Von dieser Unter- lage stachen die gelben Tetraden sehr gut ab und ließen sich auch leicht und unversehrt wieder abheben. Sie waren mit bloßem Auge noch erkennbar, wurden aber doch mit einer scharfen Lupe (Leitz 16 X) noch sorgfältig ausgesucht, ehe sie mit einer Nadelspitze abgehoben und auf die reichlich sezernierende Narbe, möglichst in die Mitte ihrer seichten Furche, übertragen wurden. In den Tetraden sind die Körner fast immer in der gewöhn- lichen Weise (nach den Ecken eines Tetraöders) angeordnet. Dass nicht alle tauglich sind, ging schon aus dem mikroskopischen Bild hervor; hie und da waren ganze Tetraden verkümmert. Eine Prü- fung auf die Fähigkeit, zu keimen, war mir nicht möglich, da ich auf künstlichem Substrat keine normale Sehlauchbildung erhalten konnte. — Der zweifächerige Fruchtknoten enthält 300—400 Samen- anlagen. Ich fand bei Versuchspflanze B in den beiden Fächern 193 und 181 Samenanlagen, zusaımmen also 374, in einem Fach eines zweiten Fruchtknotens 175, bei D 204 und 202, zusammen 406, bei F 128 und 150, zusammen 278. Die Versuche lehrten bald, dass auch hier die Bestäubung mit einer einzigen Tetrade, wenigstens für gewöhnlich, nicht genügt, benützt, um bei Helodea eanadensis die Heterogametie des männlichen Geschlechts nachzuweisen (Über geschlechtsbestimmende Teac! Jahrb. f. wissensch. Botanik, Bd. XLVIII, S.441, 1910). Die Ergebnisse sind leider nicht veröffentlicht worden. Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. | um reife Samen zu erhalten (vergl. Tabelle I. Es durften aber auch Versuche verwendet werden, bei denen mehrere Tetraden auf dieselbe Narbe gebracht wurden. Wenn jede Tetrade nur zwei taugliche Pollenkörner enthält, dann durfte die Zahl der Samen in einer Frucht nie größer sein als die doppelte Zahl der verwendeten Tetraden, oder, anders ausgedrückt, die Zahl der Samen durfte nie die halbe Zahl der Pollenkörner übersteigen, die als Tetraden auf die Narbe gebracht worden waren. (Wurden z. B. 5 Tetraden ver- wendet, die aus 5% 4 Pollenkörnern bestanden, so durften nicht mehr als 10 Samen erhalten werden.) Aus niedrigeren Samen- zahlen war kein Schluss zu ziehen, weder in positivem noch in negativem Sinne. Wurde aber auch nur ein Same mehr erhalten, so war das ein Beweis dafür, dass wenigstens in einer Tetrade mehr als die Hälfte der Pollenkörner befruchtet hatten. NabellerE | | | KON yR | Zahl der zur | | | | Bestäubung | ! = 3 | _ 3 10 verwendeten | | | Tetraden v h | u 2 | NT L | in Hälfte der ersuchs- | Irler: le A f : verwendeten Pflanze | a, - - 10 Al Pollen- | körner A | — HRRTEN I IgERRNNIN, 218 9 2 3 0, 17,20 | Zahl der | Samen in Fradzaı In An ı denKapseln Bo ee Are | 0,0 Do Can..0% a Mn 8,13 17 BDaz) 0 | u ge I) 10 — | a | = ı | EN A NE BE - E 0,0,0 | er DE ge | | u | | OROFOMIZ> Ba 2 ei Mi 22294 1 25, 25 j | | | | Zahlen, die | ee FAR Mae ur ee? größer sind G | 0,0, 0, 0 | 0 Nez = 7’ kr als die Hälfte _ — Se Te ae Tr Ne | der verwen- H | = | Du 7 77200,07072 - ıdeten Pollen- 5 I Eee Ib er a ZEN res URS _—_ körner, sind I In ee I | 6 | 19 fett gedruckt. Es wurde mit 2, 3, 4, besonders häufig aber mit 5 und 10 Te- traden bestäubt. Nun erhielt ich positive Ergebnisse, die in Tab. I zusammengestellt sind. Aufgenommen wurden nur Versuche, bei denen die Pflanzen bis zur Fruchtreife oder annähernd so weit, am 99 Correns, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. Leben geblieben waren. Neben guten Samen wurden hie und da auch taube von normaler oder annähernd normaler Größe beob- achtet; sie wurden mitgezählt, da sie sich ganz sicher erst nach einer Befruchtung weiter entwickelt hatten und dann stecken ge- blieben waren. Wenn sie weggelassen worden wären, wäre das Hauptresultat der Versuche das gleiche geblieben. Zwei Fälle, in denen Samenanlagen sich zwar auffällig vergrößert hatten, dann aber stecken geblieben waren, sind in der Tabelle mit kleineren Zahlen eingetragen. — Die Früchte blieben auch günstigstenfalls sehr klein; sie wurden etwa 4—5, statt 13—14 mm lang, bekamen aber doch eine feste Wand und konnten selbst an der Spitze etwas aufspringen. Man sieht sofort, dass in einem freilich nicht sehr großen Teil der Fälle Früchte mit mehr Samen erhalten wurden, als der halben Zahl der zur Bestäubung verwendeten Pollenkörner entspricht. Damit ist bewiesen, dass von den 4 Körnern der Tetrade mehr als die Hälfte imstande sein kann, die Befruchtung auszuführen !?). Wurden z. B. 10 Tetraden verwendet und 26 Samen erhalten, so müssen ungünstigstenfalls bei 6 Tetraden 3 Körner und bei 4 Te- traden 2 Körner funktioniert haben; wahrscheinlich ıst, dass bei manchen Tetraden nur ein Korn oder gar keines wirksam war und dafür bei anderen Tetraden alle 4. Dafür spricht das positive Ergebnis, das einmal (bei Pflanze C) mit einer Tetrade erhalten wurde, und das tun auch die 16 Samen, die einmal bei Pflanze F nach Bestäubung mit 5 Tetraden erhalten wurden; hier mussten mindestens bei I Tetrade alle 4 Körner befruchtet haben. Es wird auffallen, dass öfters nach Bestäubung mit 5 oder 10 Tetraden entweder relativ viel Samen gebildet wurden oder der Fruchtknoten ganz stecken blieb. Schuld daran wird, zum Teil wenigstens, sein, dass ich, besonders anfangs, mit der Bestäubung der kastrierten Blüten zu lang gewartet habe. — Beachtenswert ist auch, dass die Wahrscheinlichkeit, überhaupt Samen zu erhalten, mit der Zahl der verwendeten Tetraden steigt: Von den 21 Be- stäubungen mit 5 Tetraden versagten 8 ganz, von den 15 Bestäu- bungen mit 10 Tetraden nur 4. Ferner, dass die Zahl der Samen rascher steigt als die Zahl der Tetraden, mit denen die Narbe be- legt wurde: Bei den 13 gelungenen Bestäubungen mit 5 Tetraden 19) Auf diesem Wege ist also auch das Problem lösbar, das in Anmerkung 18 auf S. 19 berührt wurde. Man stellt den Bastard zwischen zwei Sippen her, die sich nur in einem Merkmal (durch ein Gen) unterscheiden, eine „Monohybride“, und belegt die Narben des rezessiven Elters mit je einer Tetrade des Bastardes und außerdem mit einigen Tetraden des rezessiven Elters. Dann dürfen höchstens zwei Nachkommen das dominierende (oder Bastard-)Merkmal zeigen, der Rest muss das rezessive aufweisen — wenn die Spaltung bei der Reduktionsteilung in der Pollen- mutterzelle erfolgt. Correns, Uber den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. 93 gaben nur 3 mehr als die doppelte Zahl (mehr als 10) Samen, bei den 11 gelungenen Bestäubungen mit 10 Tetraden gaben 6 mehr als die doppelte Zahl (mehr als 20) Samen. — Auch individuelle Verschiedenheiten der einzelnen Versuchspflanzen, die auch sonst, bis herab zur Skulptur der Pollenexine, Unterschiede zeigten, mögen mitspielen. Durch unsere Versuche ist nun wohl einwandfrei bewiesen, dass das Verhalten tierischer Zwitter (so weit es zurzeit zyto- logisch geklärt ist) nicht auf das Verhalten gemischtgeschlechtiger höherer Pflanzen übertragbar ıst. Dieses Ergebnis war von vorn- herein zu erwarten, sobald man die Phylogenie der Geschlechts- verhältnisse hier und dort berücksichtigt. Stufe I If IDAfas I0R0 IDEE IV z Keimzellen ERLLIVZ RE NER EEE 0 ABI S Embryo Blüten Sporophylle Sporangien uoyBaoudr) oprofdıp j Reduktions- ! teilung Sporen j Antheridien u. Archegonien Keimzellen uoB19u9r) opıofdey Embryo ESP Stufe I ILE PITaSETIEbDHS TIIe Fig. 1. Stufe ZI Gemischtgeschlechtliche Moose, isospore Farngewächse II Ge trenntgeschlechtliche Moose, Schachtelhalme. [IIa Marsilia, Salvinia. IIIb Isoötes, Selaginella, zwitterblütige Blütenpflanzen. I/Ic Einhäusige Blütenpflanzen. IV Ge- trenntgeschlechtliche Blütenpflanzen. z zwittriger, m männlicher, «© weiblicher Ab- schnitt des Entwicklungszyklus, der in der Richtung des Pfeiles abläuft. Bei Angiostoma (und den Mollusken) ıst das Zwittertum offenbar sekundärer Natur, phylogenetisch jünger, aus der Ge- trenntgeschlechtigkeit entstanden ?°). Dafür lassen sich verschiedene 20) Das schließt nieht aus, dass vor dem älteren, getrenntgeschlechtigen Zu- stand ein noch älterer, hermaphroditischer lag, wie auch Schleip (Geschlechts- bestimmende Ursachen, Il. ce, S. 173) als möglich annimmt. h 94 Ballowitz, Über die Rotzellen ete. Gründe anführen; auch das zytologische Verhalten spricht dafür. Wenn die Hälfte der männlichen Keimzellen von vornherein zur Funktionslosigkeit bestimmt wird, kann das unmöglich ein ursprüng- liches Verhalten sein, trotz der „Verschwendung“, mit der Keim- zellen gebildet werden; es muss abgeleiteter Natur sein. — Die Mög- lichkeit für das Zwittrigwerden ıst ja stets darin gegeben, dass auch bei Geschlechtertrennung jedes Geschlecht die Anlagen des anderen enthält. Bei den Blütenpflanzen ist dagegen umgekehrt die Getrennt- geschlechtigkeit sekundärer Natur, phylogenetisch jünger, aus der Zwittrigkeit entstanden. Es geht das ganz deutlich aus der phylogenetischen Stufenleiter hervor, die von einem gemischt- geschlechtigen Moose (z. B. Funaria) oder Farne bis zu einer ge- trenntgeschlechtigen Blütenpflanze führt. Ich erlaube mir, an dieser Stelle nochmals ein Schema (mit unwesentlichen Änderungen) zu bringen, in dem ich an anderer Stelle *!) die Darstellung der Phylo- genie der Geschlechtertrennung bei den „Kormophyten“ zusammen- gefasst habe. Auf jeder der aufeinanderfolgenden Stufen (I—-IV) ist gegenüber der vorhergehenden der (im Schema dick ausgezogene) zwittrige Abschnitt (x) im Entwicklungsgang eingeschränkt, bis er bei der getrenntgeschlechtigen Blütenpflanze ganz geschwunden ist. Für das Einzelne seı auf die erwähnte Darstellung verwiesen. Nur so viel sei noch bemerkt, dass wir Anhaltspunkte haben, dass ge- trenntgeschlechtige Blütenpflanzen ausnahmsweise wieder auf den zwittrigen Zustand zurückfallen können. Ein solcher Fall von Zwittrigkeit, der vielleicht durch die zwittrigen Stöcke des sonst „weihäusigen Melandrium??) vertreten wird, wäre phylogenetisch mit den Zwittern von Angiostoma zu vergleichen. Kaiser Wilhelm-Institut für Biologie November 1915. Über die Rotzellen und ihre Vereinigungen mit anderen Farbstoffzellen in der Haut von Knochenfischen. Von Prof. E. Ballowitz in Münster i. W. Mit 8 Textabbildungen. Die Rotzellen oder Erythrophoren der Knochenfische sind bisher wenig untersucht worden und in ihrem inneren Bau und ihren mannigfachen Variationen fast unbekannt geblieben. Dies erklärt sich wohl hauptsächlich durch die technischen Schwierigkeiten, welche diese Farbzellen ihrem Studium bei Untersuchung mit stärksten 21) Correns, Ü., Geschlechtsverteilung und Geschlechtsbestimmung (bei Pflanzen). Handwörterb. d. Naturwissensch., IV. Bd., S. 975. 22) Shull, @. H. Reversible sex mutants in Lychnis dioica. Botan. Gaz. Vol. 52 (1911) und The inheritance of sex in Lychnis (ibid. Vol. 49, 1910). Ballowitz, Über die Rotzellen ete. 25) Systemen entgegenstellen. Ihre roten Farbstoffe sind mit wenigen Ausnahmen!) Lipochrome und als solche in Alkohol leicht löslich, so dass sie sich nicht gut konservieren lassen; auch verändern sie sich nach dem Tode sehr bald, wodurch der feinere Bau der Zellen zerstört wird. Man ist daher darauf angewiesen, vorwiegend lebendes Gewebe von frisch getöteten Tieren zu benutzen, ein Umstand, der diese Untersuchungen wesentlich erschwert. Bei meinen Chromatophorenstudien habe ich nun auch die Rotzellen berücksichtigt und eine große Mannigfaltigkeit derselben festgestellt. ”. ., .. * Bd SE PR 220 a « Bei Mallus?) fand ich sehr kleine, zierliche, nur mit einem einzigen großen Kern versehene, sternförmige Zellen, welche das Phänomen der momentanen Ballung und Ausbreitung ihrer Pigment- körnchen darbieten. Der Kern liegt. gewöhnlich in einem der breiten Fortsätze, wie Textfigur 1 zeigt. Von bestimmten Gobuden°) habe ich dagegen sehr große, sich baumartig reichlich verzweigende Erythrophoren beschrieben, welche aus meist zahlreichen zusammengelagerten Einzelzellen bestehen 1) Vgl.E. Ballowitz, Notiz über das Vorkommen alkoholbeständiger karmin- roter und braunroter Farbstoffe in der Haut von Knochenfischen. Hoppe-Seyler’s Zeitschr. f. physiolog. Chemie, herausgegeben von Kossel, Bd. 86, 1913. 2) Derselbe, Über die Erythrophoren in der Haut der Seebarbe, Mullus L., und über das Phänomen der momentanen Ballung und Ausbreitung ihres Pigmentes. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 83, Abt. I, 1913. 3) E. Ballowitz, Über schwarzrote und sternförmige Farbzellenkombinationen in der Haut von Gobiiden. Ein weiterer Beitrag zur Kenntnis der Ohromatophoren und Chromatophoren-Vereinigungen bei Knochenfischen. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. CVI, 1913. — Derselbe, Über schwarzrote Doppelzellen und andere eigen- artige Vereinigungen heterochromer Farbstoffzellen bei Knochenfischen. Anat. Anz. Bd. 44, 1913. 26 Ballowitz, Über die Rotzellen ete. me und mithin förmliche Zellenkonglomerate darstellen. Gewöhnlich sind diese Rotzellen mit einer großen, ähnlich verzweigten Schwarz- zelle zu einem eigenartigen Doppelgebilde vereinigt. Textfigur 2 führt eine solche Rotzelle, die mit einer Schwarzzelle vergesell- schaftet ıst, vor. Bei gewissen Zierfischen*) finden sıch kleine, dünne, blutrote oder braunrote Farbzellen mit wenigen breiten, unregelmäßigen 4) E. Ballowitz, Über Erythrophoren besonderer Art in der Haut von Knochenfischen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 82, Abt. I, 1913. Ballowitz, Über die Rotzellen ete. 97 Fortsätzen, deren Pigment aus größeren und ganz kleinen Körnchen besteht und in Alkohol beständig ist. Siehe Textfigur 3, welche drei solehe, im Leben blutrote Farbzellen von Fundulus gularis zur Darstellung bringt. Besonders prächtige, für die Untersuchung sehr geeignete Rot- zellen entdeckte ich kürzlich bei einem aus Afrika stammenden Zaerfisch, Hemichromis bimaculatus Gill. Diese Zellen beanspruchen Fig. 4 und 5. auch dadurch besonderes Interesse, dass sie sich mit Guaninzellen und mit Schwarzzellen zu organartigen Gebilden zusammenlagern. Ich habe sie daher einem eingehenden Studium unterworfen und in einer größeren, im Archiv für Zellforschung erscheinenden Ar- beit?) ausführlich geschildert. An dieser Stelle will ich nur folgendes hervorheben. 5) E. Ballowitz, Über die Erythrophoren und ihre Vereinigungen mit Irido- eyten und Melanophoren bei Hemichromis bimaculatus Gill. Vierter Beitrag zur Kenntnis der Chromatophoren und der Chromatophoren-Vereinigungen bei Knochen- fischen. Arch. f. Zellforsch. Bd. XIV, 1915. 28 Ballowitz, Über die Rotzellen ete. Besonders in der Bauchhaut von Hemichromis kommen zahl- reiche sternförmige Rotzellen vor, welche in dem Bindegewebe des Öorıums als abgeplattete, dünne Gebilde parallel der Hautober- fläche ausgebreitet liegen. Wie die Textfiguren 4 und 5 demon- strieren, besteht jede Zelle aus einer zentralen Scheibe und zahl- reichen, davon ausgehenden Fortsätzen. In der Scheibe sind meist zwei ovale, exzentrisch gelegene Kerne als helle Flecke zu sehen, selten waren es mehrere. Die von der Scheibe ausgehenden Fortsätze sind sehr zahlreich und haben die ausgesprochene Tendenz, sich der Hautoberfläche parallel in radiärer Richtung auszubreiten. Gewöhnlich treten an dem Scheibenrande etwas dickere Arme hervor, die sıch sehr bald in feine radiäre Äste zerlegen. Alle Fortsätze sind ziemlich dünn und gegen ihre freien Enden oft ein wenig verbreitert. So ent- stehen sehr zierliche, flächenhaft ausgebreitete Sterne mit vielen feinen Strahlen. Unter den Körnchen, bezw. Tröpfchen, welche dıe rote Pigment- masse bilden, lassen sich zwei Arten unterscheiden, die aber durch Übergänge verbunden sind: grobe und sehr feine. Bei meinen histologischen Studien an den lebensfrischen Haut- stücken von Hemichromis hatte ıch oft Gelegenheit, auch die Be- wegungserscheinungen der Rotzellen zu sehen. Ich kann nur sagen, dass sich diese in ganz ähnlicher Weise abspielen, wie ich sie von den Melanophoren bestimmter Gobiiden®) beschrieben habe. Ich sah auch in den Rotzellen eine strömende Bewegung der Pigment- körnchen in den Fortsätzen und eine Totalbewegung. Die strömende Bewegung der Körnchen, die unter dem Mikroskop bei Ölimmersion ziemlich schnell erschien, verlief stets radıär, konnte aber in neben- einander liegenden Kanälchen in entgegengesetzter Richtung er- folgen. Sie wurde sowohl an den groben, wie an den feinen Körnchen beobachtet. Von Interesse ist die Feststellung, dass die Ballung und Aus- breitung der groben und feinen Pıgmentkörnchen nicht isochron erfolgt. Ich muss es dahingestellt sein lassen, ob die beiden Körnchenarten in eigenen besonderen Kanälchen strömen. Diese Rotzellen vereinigen sich nun mit zahlreichen Guanin- kristalle führenden Iridocyten in gleicher Weise zu kleinen chro- matischen Organen, wie ich es für die Melanophoren beschrieben habe; nur tritt an die Stelle der Schwarzzelle eine Rotzelle. Die Iridocytenkörper dieser Farbzellenkombinationen, die Irido- some, werden von mehreren, oft sehr zahlreichen Iridocyten ge- 6) Vel. E. Ballowitz, Über die Pigmentströmung in den Farbstoffzellen und die Kanälchenstruktur des Chromatophoren-Protoplasmas. Nach Beobachtungen an der lebenden Pigmentzelle und nach kinematographischen Aufnahmen. Pflüger’s Arch. f. d. gesamte Physiol. Bd. 157, 1914. Ballowitz, Über die Rotzellen etc. 90 bildet, welche sich dicht zusammenlegen. Die Iridosome besitzen eine verschiedene Form und Größe. Meist sind sie kugelig, bis- weilen etwas länglich oder auch unregelmäßig. Des öfteren konnte ich bei Kantenansicht dieser kleinen organartigen Körper feststellen, dass sie die Gestalt einer sehr ausgeprägten bikonvexen Linse be- saßen. Die Textfiguren 6—8 veranschaulichen einige Formen dieser Erythroiridosome, wie ich sie benannt habe. | \ \} ı h u | In Textfigur 6 ist das rote Pigment bis in die letzten Enden der persistierenden Fortsätze der Rotzelle ausgeströmt. In der Mitte liegt die runde Iridoeytenkapsel, das Iridosom, welches ım Leben grün und blau schimmert. An ihrem Rande treten die Fort- sätze der Rotzelle aus dem Innern hervor. Textfigur 7 bringt das andere Extrem zur Anschauung. Das rote Pigment ist zentralwärts zurückgeströmt und hat sich im Bi) Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? Innern der Iridocytenkapsel angesammelt; nur in den Basen der Hauptfortsätze ist es noch angehäuft. Es scheint durch die Wan- dung des Iridosoms hindurch. Die pigmentfrei gewordenen Fort- sätze der Rotzelle sind dem Blicke vollständig entschwunden, haben aber ihre Lage bewahrt. Textfigur 8 endlich bringt die Kantenansicht eines Erythro- irıdosoms. Der Iridocytenkörper ıst von der Umgebung scharf ab- gesetzt und besitzt hier die Gestalt einer bikonvexen Linse. Aus ihrem Rande brechen die mit rotem Pigment beladenen Fortsätze des von der Linse eingeschlossenen Erythrophoren in radiärer Rich- tung hervor und breiten sich in einer Ebene ringsumher aus. Untersucht man die mit diesen chromatischen Organen ver- sehenen Hautstücke von Hemichromis ın physiologischer Kochsalz- lösung mit schwacher Vergrößerung bei auffallendem Licht, so er- strahlen die Iridosome, gleich funkelnden Edelsteinen, indem schönsten blauen, grünen und rötlichen Glanze; besonders wird der weißlich- stahlblaue Glanz beobachtet. Dazu kommt dann die rote Farbe des von dem Iridosom umschlossenen Erythrophors, dessen Pigment ın die Fortsätze in wechselnder Weise ausströmt. So entsteht der schöne rote Glanz und Schimmer, der die Haut dieser Zierfische, besonders zur Paarungszeit im Hochzeitskleide, auszeichnet. Wie steuern die Insekten während des Fluges? Von Dr. F. Stellwaag, Priv.-Doz. an der Universität Erlangen. Mit 9 Textabbildungen. Die Stellung eines schwebenden Körpers zum Raum ist ab- hängig von der Lage des Schwerpunktes und von seiner Oberfläche. Wenn daher ein Flugtier während seiner Fortbewegung seine Rich- tung Ändern will, so muss es entweder die Schwerpunktslage oder die Oberfläche verändern. In beiden Fällen handelt es sich um Steuervorrichtungen, aber die Funktionsweise ist prinzipiell ver- schieden. Das Gewichtssteuer, wenn ich mich so ausdrücken darf, wirkt dadurch, dass die Gleichgewichtslage aufgegeben wird, indem sich der Schwerpunkt verschiebt. So kann man sich vorstellen, dass der Körper eines Insektes einseitig belastet wird, wenn sich der Hinterleib nach rechts oder links abbiegt. Dann muss sich der Körper nach der einen oder anderen Richtung neigen, welche der Resultante aus der Richtung der Schwerkraft und der ursprüng- lichen Vortriebsrichtung der Flügel entspricht. Solche Steuer sınd bei manchen Luftschiffen als Laufgewicht in Gebrauch. Man erkennt, dass hier lediglich das Gewicht die ausschlaggebende Rolle spielt. Wie man sich das Gewicht eines Körpers in einem bestimmten Punkt, dem Schwerpunkt vereinigt denkt, so kann man bei einem Körper, der sich fortbewegt und daher dem Luftwiderstand ausge- -Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? Ba setzt ist, statt der von der Kraft des Luftdruckes angegriffenen Fläche einen einzigen Punkt, den Druckmittelpunkt annehmen. Seine Lage wechselt, sobald die Angriffsfläche der bewegten Luft- masse verändert wird. Erfolgt die Änderung einseitig, so wird eine Richtungsänderung herbeigeführt. Diese „Drucksteuer“ wirken niemals durch ıhr Gewicht, ja sie können theoretisch sogar als ge- wichtslos angenommen werden. Ihre Leistung ist um so größer, je schneller sich der Körper fortbewegt, denn sie wirken durch das Arbeitsvermögen des sekundär erzeugten Luftdruckes. Die Steuer der Luft- und Wasserfahrzeuge sind fast ausnahmslos der- artige Drucksteuer. Man könnte sie als extradirektive Steuer gegen- über den intradirektiven oder Gewichtssteuern ansprechen. Diese exakte Unterscheidung ermöglicht es, verschiedene Erscheinungen in der Fortbewegungsweise der Tiere zu erkennen und die in bio- logischen Hand- und Lehrbüchern allgemein herrschende Unklarheit zu beseitigen. Unsere Kenntnisse über die Steuerfähigkeit der Insekten gehen ın der Hauptsache auf Jousset de Bellesme(3) zurück. Seine Experi- mente an Insekten aller Ordnungen brachten ıhn auf den Gedanken, dass die Richtung während des Fluges bestimmt wird durch die Lage von Kopf und Thorax, also der Körperteile, die die Luft durchschneiden; sie hängt nach ihm ab vom Schwerpunkt und der Lage der Unter- stützungsachse, die beide beweglich sind. Meist ist es der Schwer- punkt allein, der eine Lageveränderung herbeiführt. Bewegungs- und Richtungsfunktion fällt nur bei wenigen Insekten zusammen, die direkte Flugmuskeln besitzen und daher die Flügel einzeln bewegen können, wie Aeschna. Allerdings nehme auch der lange und bewegliche Hinterleb an der Modifikation der Bewegungen teil, wie man deutlich bei den Agrioniden feststellen kann. Ähn- lich dürften sich die Schmetterlinge verhalten, deren Flügelbewe- gungen denen der Vögel gleichen. Bei den Hymenopteren dienen die Flügel lediglich der Fort- bewegung. Der gestielte Hinterleib ist sehr beweglich und kann durch verschiedene Lagen den Schwerpunkt verändern und damii die Bewegungsrichtung beeinflussen. Hebt man seine Bewegungs- freiheit auf, so kann das Insekt wohl noch fliegen, aber nicht mehr steuern. Bei Megachile, Polistes und anderen Hymenopteren nehmen außerdem die Beine noch an der Verschiebung des Schwerpunktes teil. Bei den Orthopteren ist das Abdomen nur wenig beweglich. Als Richtungsorgane kämen hier nur die Hinterbeine in Betracht, wenn sie nicht als Sprungorgane spezialisiert wären. Sie eigneu sich zur Steuerung schlecht und in der Tat vermögen die Acridier und Lokustiden nur schwer zu lenken. Bei den eben genannten Insekten sind die beiden Flügel jeder Seite für die Fortbewegung bestimmt. Bei den nun zu behandelnden 32 Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? Insekten hat die funktionelle Anpassung Organe geschaffen, die ganz bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben. Das eine Flügelpaar dient der Fortbewegung, das andere zur Änderung der Richtung. Da bei den Käfern der Hinterleib eng an den Metathorax angeschlossen ist, besitzt er nur geringe Bewegungsfreiheit. Er braucht aber gar nicht beweglich zu sein, denn die Flügeldecken haben die Funktion der Steuerung übernommen. Während des Fluges werden sie über den Thorax gehoben und stehen derart über dem Schwerpunkt, dass schon kleine Schwankungen genügen, seine Lage zu beein- flussen. Entfernt man die Flügeldecken, so ıst das Tier nicht mehr imstande, den Flug zu richten. Die Verschiebung des Schwer- punktes hat Plateau (11) genau festgestellt. Nur die Angehörigen einer kleinen Gruppe, die Cetonuden, fliegen mit geschlossenen Flügeln, eine interessante Tatsache, denn die Flügeldecke wirkt ın diesem Fall auf die Ausspannungsachse (sur l'axe de sustention), was einen Übergang zum Zustand vollkommener Differenzierung bei den Dipteren bildet (?). Hier ist die Steuerfähigkeit am besten entwickelt. Nur ein Flügelpaar dient der Fortbewegung. Der Hinterleib besitzt geringe Beweglichkeit, und so bleibt als einziges richtungsbestimmendes Organ das Schwingkölbehen jeder Seite. Durch ihre Amputation wird der Schwerpunkt zu weit nach vorn verschoben und der Flug der- artig beeinträchtigt, dass das Insekt zu Boden sinkt. Hängt man aber ein kleines Gewicht an den Hinterleib, welches den Schwer- punkt um das notwendige Maß nach hinten verlagert, so ist dem Tiere auch ohne Schwingkölbehen der Flug nach allen Richtungen möglich. Nach der hier mitgeteilten Ansicht von Jousset de Bellesme richten also die Insekten lediglich durch Gewichtssteuer ihren Flug. Er stimmt darin mit Plateau (11), Bert (4) und anderen Autoren überein. Diese Anschauungen halten aber unseren gegenwärtigen Kenntnissen nicht mehr stand. Bezüglich der Flügeldecken der Käfer habe ich (12, b) den anatomisch-physiologischen und experimentellen Beweis geliefert, dass ihnen die bisher zugeschriebene Rolle keines- wegs zukommt. Sie wirken als Drucksteuer oder noch besser als Stabilisierungsflächen. In den Schwingkölbchen der Dipteren aber hat man komplizierte nervöse Apparate erkannt, mit deren Hilfe die Fliege Gleichgewichtsschwankungen perzipiert. Dass sie trotz- dem als Gewichtssteuer die Flugrichtung des Tieres beeinflussen könnten, behauptete zwar vor 25 Jahren noch Weinland (14), doch dürften sich für diese Auffassung nur wenige Anhänger mehr finden. Es erscheint zum mindesten als zweifelhaft, ob ein Organ von so geringem Gewicht eine Änderung der Flugrichtung herbei- führen könnte. Diese wäre nur möglich, wenn die Halteren in der Richtung der quer verlaufenden Schwerlinie stehen. Verschie- Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? 33 dene Messungen aber, die ich vornahm, ergaben, dass der Schwer- punkt bei verschiedenen Arten hinter den Halterenwurzeln liegt und nach eingetretener Füllung des Darmes oder Vergrößerung der Gonaden noch weiter nach hinten rückt. Die entgegengesetzte Meinung wie Bellesme vertritt neuer- dings Amans (1). Nach ihm lenken die Insekten durch Druck- steuer. Er macht besonders auf die Wellenform der Körperteile aufmerksam, die bei der Bewegung dem Luftstrom dargeboten werden. Ihr Profil ist eine „ligne a double courbure“. Sie ıst am extremsten ausgeprägt bei den Ichneumoniden, wo der Hinterleib sichelartige Gestalt hat. In gewissen Grenzen bringt die Wellen- form dem Tier während des Fluges in dynamischer Hinsicht große Vorteile. Dadurch, dass ıhre Krümmung durch Bewegung des Hinterleibes varııert werden kann, wirkt sie als Drucksteuer. Bei den Ichneumoniden würde die abnorme Krümmung hinderlich sein, wenn es sich um schnell fliegende Insekten handeln würde. So aber ıst der Luftdruck nur gering und bewirkt, dass der Körper ım Flug eine horizontale Lage einnimmt. Es spielt also der Hinter- leib in diesem Falle dieselbe extradirektive Rolle wıe der ausge- breitete und nach unten gedrückte Schwanzfächer bei manchen Vögeln. Amans geht somit von denselben Voraussetzungen aus wie Bellesme, kommt aber gerade zu entgegengesetzten Resultaten, die allerdings einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit besitzen. Trotzdem schien mir das Problem des Steuervermögens der Insekten einer erneuten und gründlichen Prüfung wert. Der experimentellen Untersuchung stellen sich ganz bedeutende Schwierigkeiten entgegen. Man kann nicht immer Körperteile eines Insektes entfernen, ohne dem Organismus Schaden zuzufügen. Zum mindesten erhält man nur in Ausnahmefällen eindeutige Befunde. Auch die Herabsetzung der Bewegungsfähigkeit führt selten zum Zuel, da damit meist eine Belastung verbunden ist, die ihrerseits wieder auf die Steuerung einwirkt. Ich wandte daher ganz andere Methoden an. Wer Insekten während des Fluges genau beobachtet hat, weiß, dass sie in außerordentlich geschickter Weise nach allen Richtungen des naumes steuern und oft unvermittelt von der ein- geschlagenen Richtung abweichen. Würde die Steuerung durch Beine und Hinterleib zustande kommen, ähnlich wie sie bei Luft- und Wasserfahrzeugen durch Einrichtungen am Bug oder Heck er- reicht wird, so müssten die Steuerorgane um so deutlicher ihre Stellung verändern, je geschickter das Tier seine Richtung ändert. Niemals aber konnte ich durch direkte Beobachtung eine deutliche Lageveränderung von Beinen und Hinterleib zum Zwecke der Steuerung wahrnehmen. Ich führte dies zunächst auf die Schwierig- XXXVl 3 34 Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? g 8 keit zurück, ım entscheidenden Moment den schnellen Bewegungen des Tieres zu folgen; doch bot sich mir ın den Libellen ein will- kommenes Objekt dar. Bei trübem Wetter oder bei Sonnen- auf- oder -untergang sınd ıhre Bewegungen matter und man müsste daher leicht die Lageveränderung von Beinen und Hinterleib ver- folgen können. Mühelos steuert die Libelle nach vorwärts, seit- wärts und rückwärts, ohne auch nur für Augenblicke den langen Hinterleib zu bewegen, obwohl er als Steuer sich ausgezeichnet eignen würde. Bei schnellen Flügen, insbesondere z. B. wenn das Tier sich rasch senkt, verändert der Hinterleib seine Lage. Er be- stimmt hier aber nicht die Flugrichtung, sondern wird im Gegen- teil passiv abgebogen, nachdem das Tier seine neue Richtung ein- geschlagen hat. Diese Beobachtungen schienen mir wohl einwandfrei trotz der gegenteiligen Angaben der Autoren, aber noch nicht beweiskräftig genug, da sie subjektiv sind und sich nur auf einige günstige Ob- jekte beschränkten. Um auch objektiv Sicherheit zu bekommen, benützte ich eine einfache Vorrichtung. Wenn parallele Strahlen senkrecht auf einen Körper auffallen, so wird von diesem auf einer ebenfalls senkrechten Fläche ein Schatten entworfen, der scharfe Ränder besitzt und ebenso groß ist wie der Körper selbst. Die Tatsache, dass die Sonnenstrahlen als parallele Strahlen auf- ‚ufassen sind, verwertete ich, indem ich den Schatten fliegender Insekten auf lichtempfindliches Papier auffallen ließ, das mit Hilfe eines von der Firma Stegemann hergestellten Schlitzverschlusses belichtet wurde. Durch diese Methode erhielt ich allerdings nur Sılhouetten, aber Bilder, wie sie der photographische Apparat nicht liefern kann, der das Objekt nur in bestimmter Entfernung scharf aufnimmt, gewöhnlich verkleinert und bei der Schnelligkeit des Fluges und der darın bedingten übermäßig kurzen Belichtungszeit nicht genügend Iucht erhält. Mit Hilfe des Schlitzverschlusses stellte ich zum Teil unter ganz bedeutenden Schwierigkeiten und nach vielen Fehlversuchen in den letzten Jahren eine Reihe von Aufnahmen verschiedener Insekten her. In keinem Fall konnte ich eine Lageveränderung des Abdomens während der Richtungsänderung feststellen. Auch auf experimentellem Wege erzielte ich die gleichen Re- sultate. Nach der histologischen Struktur sind die Halteren als Gleichgewichtssinnesorgane zu betrachten. Jede passive Bewegung des Schwingkölbehens in einer bestimmten Ebene des Raumes bringt die Endgebilde einer bestimmten Papillengruppe an ihrer Basis zum Ausschlagen und orientiert den Körper nicht nur über die Richtung, sondern auch über die Schnelligkeit des Fluges. Da nun die Funktion aller Gleichgewichtsorgane nach Baunacke (2) darın besteht, „die lokomotorischen Erfolgsorgane so zu beein- Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? 35 flussen, dass aus deren regulatorischen Bewegungen eine bestimmte Körperlage resultiert“, so muss die Fliege bei einer Lageverände- rung mit solchen Körperteilen reagieren, die bei der Richtungs- änderung eine ausschlaggebende Rolle spielen. Die Reaktion muss um so deutlicher ausfallen, je eleganter und je häufiger das Tier ım Freiflug steuert. Ich habe oben schon darauf hingewiesen, dass die Halteren nicht als Gewichtssteuer in Betracht kommen können. Sie können aber auch nicht als Drucksteuer funktionieren, da sie hinter der Vorderflügelachsel stehen, wo der Weg des Flügelaus- schlages am geringsten ist und in gleichem Sinn und gleichem Takt wie der Vorderflügel schlagen. Außerdem sind sie aber gerade bei guten Fliegern, wie den Tabaniden, Syrphiden und Musciden von der Squamula thoracaliıs überdeckt. Es gibt wenige Stellen des Körpers, die während des Fluges vor Luftströmungen so gut ge- schützt sind wie die Halteren. Es können daher nach der herr- schenden Ansicht als Steuer nur Beine und Hinterleib wirksam sein. Bei meinen Experimenten benützte ich Vertreter der drei ge- nannten Dipteren- Familien, die zu den besten Fliegern nieht nur unter den Dipteren, sondern unter allen Flugtieren gehören, überraschend sicher steuern und sogar äußerst gewandt Sturzflüge ausführen. Ich fasste sie an der Brust mit einer Zange, die ich mir aus zwei Drähten herstellte. Sobald das Insekt mit den Flügeln schlug, brachte ich es in verschiedene Stellungen, so dass es bald auf der Seite, bald auf dem Rücken lag, oder einen wechselnd schiefen Winkel zur Horizontalen einnahm. Stets blieb der Hinterleib un- beweglich in der Längsachse des Tieres liegen. Allerdings suchte sich dabei das Tier mit den Beinen an der Gabel anzuklammern. Ich vermied dies, indem ich die Gabel am Hinterleib ansetzte. Dabei war es auch möglich, die Beinstellungen zu kontrollieren. Sie waren durchaus willkürlich und ihre Lageveränderungen konnten nicht als Kompensationsbewegungen gegen die veränderte Gleich- gewichtslage aufgefasst werden. Solche Versuche über Stellung der Beine und des Hinterleibes stellte ich auch mit Wespen (Vespa crabro L., Polistes gallicus L.), Bienen (Apis mellifica L.), Hummeln (Bombus agrorum L.), Schwärmern (Sphinxz pinastri L.) und Odo- naten (Aeschna grandis L.) an, stets mit dem gleichen Erfolg. Alle diese Beobachtungen berechtigen zu dem Schluss, dass die Anschauungen von Bellesme und Amans falsch sind. Weder die Beine noch der Hinterleib werden von den Insekten als Steuer gebraucht. Ehe ich zu meinen Versuchen die Gabel benützte, durchstach ich mit möglichst langen und dünnen Nadeln die Brust der Ver- suchstiere, um auf diese einfache, wenn auch unvollkommene Weise ein vorläufiges Urteil zu bekommen. Dabei kam es häufig vor, besonders bei Dipteren, dass die Tiere mit zunehmender 5) «) 36 Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? Schnelligkeit eine Drehung nach der rechten oder linken Seite aus- führten, so dass sie rasch um die Nadel rotierten. Diese Bewe- gungen traten ohne Lageveränderung der Extremitäten oder des Abdomens ein, und der Gedanke lag nahe, dass die Flügel es sind, welche die Steuerung herbeiführen. Die Art der Flügelbewegungen bei den Insekten hat Marey (9) mit Hilfe sinnreicher Experimente studiert und dabei gefunden, dass die Bewegungen auf jeder Körperseite stets vollkommen synchron vor sich gehen. Die Zahl der Schläge des rechten Flügels stimmt also vollkommen mit der des linken in einer gewissen Zeit überein. Man kann das sehr schön nachweisen, wenn man einen Druck auf die Rückenpartie der Brust eines soeben getöteten Insektes aus- übt. Es schnellen dann beide Flügel gleichzeitig ın die Höhe. Be- wegt man ferner nur den einen Flügel, ohne sonst das Tergum zu berühren, so macht der Flügel der anderen Seite gleiche oder ähnliche Ausschläge. Es ist ohne weiteres klar, dass ein völliger Synchronismus, verbunden mit gleicher Schlagrichtung und gleicher Amplitude, den Körper in gerader Richtung vorwärts bewegt. Die Tatsache des Synchronismus hat Bellesme, wie er aus- drücklich hervorhebt, bestimmt, nach einer außerhalb des Flug- apparates gelegenen Steuereinrichtung zu suchen. Da ich auf Grund des vorhin erwähnten Befundes annehmen musste, dass das Insekt mit Hilfe seiner Flügel steuert, stellte ich in dieser Richtung weitere Versuche an. Ich varıierte die Lage des Körpers während der Flügelbewegungen wıe vorher und stellte fest, dass das Tier bald ım Sinne des Uhrzeigers, bald in umge- kehrtem Sinne rotierte, je nachdem ich das Tier um seine Längs- achse drehte, ein Beweis zunächst, dass Gleichgewichtsstörungen des Körpers mit Hilfe der Flügelbewegungen kompensiert werden. Drehungen des Körpers fanden aber auch statt, wenn die Nadel senkrecht festgehalten wurde. Die Versuchstiere waren dann be- strebt, auf diese Weise aus der ihnen unbequemen Lage heraus- zukommen, d. h. sie versuchten zu steuern. Die Art und Weise, wie die Insekten die Rotation um die Nadel herbeiführten, konnte ich feststellen, indem ich das Tier mit der Gabel fasste und leicht nach verschiedenen Seiten des Raumes neigte. Es verändert sich dann die Ebene, in der jeder Flügel schwingt. Die Abweichungen der Schwingungsebenen voneinander lassen sich am besten von der Seite wahrnehmen, wie die Abbil- dung 1 zeigt. Um sie auch im der Vorderansicht deutlich zu machen, braucht man nur die Flügel nach der Angabe Marey’s zu vergolden und in bestimmter Richtung einen Lichtstrahl auf sie fallen zu lassen. Es erscheint dann häufig der eine Flügel dunkel, während der andere die Strahlen zum Beschauer hin reflektiert. Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? au In manchen Fällen ändert das Versuchstier nicht nur die Schwingungsebene, sondern auch die Amplitude des einen Flügels, so dass die Ausschläge auf beiden Seiten des Körpers verschieden groß sind. Diese Erscheinungen stehen nicht im Widerspruch mit der. Tatsache des Synchronismus der Flügel. Man kann in einem Kahne sitzend sehr leicht die Art der Ruderschläge auf beiden Seiten unabhängig variieren, wenn nur die Ruder gleichzeitig be- wegt werden. Die Experimente mit Dipteren und Sphinx pinastri L. ergaben, dass die Amplitude des einen Flügels immer mehr ver- rıngert werden kann, bis der Flügel völlig still steht, während der andere weiterschwingen kann. Solche Änderungen der Amplitude hat schon Voss (13) wahrgenommen, als er kinematographische Aufnahmen 2 von fliegenden Insekten machte. In seiner Veröffentlichung: Vergleichende Untersuchungen über Flugwerkzeuge der Insekten hat er den Gedanken ausgesprochen, dass sie für die Steue- rung, Stabilisierung und Schnelligkeit der Fortbewegung des Tieres von Be- deutung sind. Sie spielen aber nicht nur eine gewisse Rolle, sondern sie ermöglichen geradezu zugleich mit der Änderung der Schlagriehtung der Flügel die Steuerung, denn bei den Insekten 7,1. Die verschiedenen Schwin- stellt der Flugapparat gleichzeitig den gsungsebenen der Flügel jeder Seite Steuerapparat dar, wie ich hinreichend bei einer steuernden Biene. Die bewiesen zu haben glaube. Aufdrehung ist auf der rechten Zur Hl ec} Beldlaruno? der Seite des Tieres stärker als auf der a el arune Se linken und bewirkt eine Schwen- Erscheinungen des Steuerns ist es kung nach rechts. notwendig, etwas weiter auszuholen. In der Ruhelage stellt der Insektenflügel im allgemeinen eme ebene Platte dar. So lange aber eine Fläche gleichmäßig eben ıst, kann sie niemals als Flugfläche funktionieren; denn wenn sie nach abwärts schlägt, werden die Luftteilchen komprimiert und üben, da sie alsbald wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückzukehren suchen, einen Gegendruck auf die Unterseite aus, der der ursprüng- lichen Druckrichtung als antiparallel zu bezeichnen ist, und das Tier bei großer Kraftanstrengung nur heben würde. Der Insektenflügel aber er- zeugt nicht nur eine Hubkraft, sondern auch gleichzeitig einen Vortrieb und zwar zunächst durch die verschiedene Elastizität seiner Flügel- fläche. Costa, Subeosta und Radius versteifen bei den verschiedenen Arten getrennt oder verschmolzen den Vorderrand, so dass er wie eine Messerschneide die Luft zerteilen kann. Die hinter ihm liegende Fläche aber nimmt an Nachgiebigkeit zu, je weiter sie vom Vorderrand 38 Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? entfernt liegt, wieman deutlich am Käferflügel wahrnehmen kann, wo die Stärke der die Membran stützenden Adern merklich abnimmt. Analog liegen die Verhältnisse bei Insekten, wo der Hinterflügel reduziert und daher weniger kräftig ıst als der Vorderflügel, wie beispiels- weise bei Hymenopteren und bei manchen Lepidopteren. Damit eine physiologisch einheitliche und wirksame Flügelfläche zustande kommt, muss dieser an den Vorderflügel angeschlossen werden. Dies geschieht durch Häkchen bei den Hymenopteren, durch die Haftborste an der Flügelachsel bei den Lepidopteren. Der Hauptwert dieser Ein- richtungen liegt also nicht darin, dass sie den Hinterflügel an den Vorderflügel anschließen, damit er sich an den Flügelbewegungen beteiligen kann oder dass die Schlagfläche des Flügels vergrößert wird, sondern vielmehr darin, dass der Vorderflügel mit einem weichen Hintersaum versehen wird. Während des Fluges erhält somit der Flügel sekundär stets einen schwach owförmigen Querschnittt. Fig. 2. Fig. 3. Die von ihm getroffenen und komprimierten Luftteilchen suchen nämlich alsbald wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückzukehren und sind gezwungen, nach hinten unter dem weichen Hintersaum abzufließen. Sie üben dabei einen Druck auf den Flügel nach vor- wärts aus, wodurch der ganze Körper einen mehr oder weniger kraftvollen Vortrieb erhält. Die Form der Flügelfläche und ihre physikalische Beschaffenheit ist also im Verein mit der Drehung für den Flug eine unumgängliche Vorbedingung. Der unter dem abwärts schlagenden Flügel sich bildende Stauhügel erzeugt auf die Flügelunterseite einen Druck, der stets senkrecht zu den ein- zelnen Flächenteilen wirkt. Da die ganze Fläche durch die Hebung des Hinterrandes gekrümmt ist, so liegt die Hauptresultante der verschiedenen Kräfteparallelogramme nicht senkrecht auf ihr, sondern etwas nach dem Vorderrand zu geneigt (Abbildung 3,5, 7R). Ent- gegen dem Auftrieb des Körpers wirkt die Schwerkraft, die ıhn nach abwärts zieht. Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? 39 So lange der Insektenflügel wie bei den Libellen groß genug ist, um das Gewicht des Körpers zu tragen und fortzubewegen, ist er nicht gezwungen, während der Schläge noch besondere Lageverände- rungen zu machen. Ist aber der Flügel im Verhältnis zum Körper- Fig. 4. Fig. 2—7. Die Abbildungen zeigen, dass die Schwingungsebenen der Flügel (in Form der Zahl 8) und ihre Stellung verschieden ist bei horizontaler Fort- bewegung (Fig. 2 und 3), beim Schwebeflug (Fig. 4 und 5) und beim Flug nach rückwärts (Fig. 6 und 7). 6 — Richtung der Schwerkraft. R — Resultante der auf den Flügel beim Schlag einwirkenden Kräfte. 5 — Schwerpunkt. gewicht zu klein, so muss er schnelle und komplizierte Drehbewe- gungen ausführen (cf. Stellwaag 12a), damit der steife Vorderrand stets zuerst die Luft durchschneidet und ein lebhaftes Abtließen der Luftteilchen unter dem Hinterrand hervorruft. Welch hervor- ragende Leistungen die Flügel ausführen, wenn sie durch scharfe 40 Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? Drehungen die Elastizität ihres Hintersaumes unterstützen, zeigen ım extremen Fall die Dipteren. Sucht das Insekt lediglich vorwärts zu kommen, so muss es sich einen starken Vortrieb schaffen. Es stellt dann seine Flügel, wie ın der Abbildung 2 und 3 ersichtlich, derart, dass die Resul- tante der Kräfte stark gegen die Richtung der Schwerkraft geneigt ist (in den Abbildungen 2—7 stellt die Richtung der Resultante einen Mittelwert dar, denn es dreht sich, wie schon erwähnt, der Flügel ein wenig, wenn er abwärts schlägt). Beim Schwebeflug, den die Syrphiden besonders bevorzugen, ist die Schwingungsebene der Flügel so gegen die Horizontale geneigt (Abb. 4 und 5), dass die Resultante mit der Lotrichtung zusammenfällt. Daher fehlt der Vortrieb, während Auftrieb und Schwerkraft sich das Gleichgewicht halten. In dieser Stellung ist auch ein Flug senkrecht ın die Höhe möglich, wenn die Auftriebskraft durch schnelle Schläge vergrößert wird. Neigt sich die Resultante zur Lotrichtung hin, so erfolgt eine Bewegung des Körpers nach rückwärts (Abb. 6 und 7). In allen diesen Fällen schwingen die Flügel jeder Seite voll- kommen gleich (synchron, mit gleicher Amplitude und gleicher Schwingungsebene), und der Körper behält die einmal eingeschlagene Richtung bei. Wird der eine Flügel aber so aufgedreht, dass er den Auftrieb stärker ausnützt als den Vortrieb, dann findet eine Schwenkung bezw. Drehung um diejenige Körperseite statt, die den geringeren Vortrieb erzeugt (Abb. 1 rechte Seite des Tieres). Es kann sich aber auch die Amplitude der Flügelschläge auf der einen Seite bis zum völligen Stillstand des Flügels verringern. Die Folge davon ist, dass sich der Körper nach dieser Seite neigt; er wird nicht zu Boden fallen, da die Flügel der anderen Seite ihn immer noch fortbewegen, aber er wird unvermittelt aus der Richtung schwenken. Dadurch nun, dass die Insekten auf jeder Seite andere Bewegungen ausführen können, erreichen sie durch geschickte Kom- bination der verschiedenen Flügelschläge zum Teil geradezu über- raschende Möglichkeiten der Richtungsänderung. In den Abbil- dungen 8 und 9 habe ich die Flugbahn einer Honigbiene und einer Fliege (Eristalis tenax) als Beispiel aus einer Anzahl Aufschrei- bungen bei verschiedenen Insektenordnungen wiedergegeben. Die Bahn setzt sich zusammen aus verschiedenen Bewegungsarten. Bald werden Abschnitte von Kreisbögen beschrieben, wobei der Kopf ın der Richtung der Bewegung vorangeht, bald schnellt sich das Tier seitlich aus der eingeschlagenen Richtung, ohne die Stellung des Körpers zum Raum zu verändern. Auch ist es möglich, dass Wen- dungen um die Hinterleibsspitze oder um das Kopfende vorkommen können. Ähnliche Steuerbewegungen habe ich bei zahlreichen anderen Dipteren, bei Hymenopteren und auch bei Nachtfaltern beobachtet. Weniger geschickt steuern die Tagschmetterlinge. Dagegen ıst ihre Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? 4 sogen. geknitterte Flugbahn sicherlich auf die Unvollkommenheit des Zusammenwirkens beider Flügel zurückzuführen. Besondere Verhältnisse herrschen bei den Käfern. Die Fortbewegung in ge- rader Richtung macht ihnen zwar keine großen Schwierigkeiten. Dagegen ist für sie die Steuerung nach der Seite erschwert, da sich die Deckflügel dem Luftstrom in den Weg stellen. Die Käfer gaukeln daher nach rechts und links, wie man ohne Schwierigkeit beobachten kann. Fig S. Flugbahn einer Honigbiene, die im Fig. 9. Flugbahn einer Eri- Begriff ist, sich auf eine Blüte (2) nieder- stalis tenax, die auf eine Aster (A) zulassen. zufliegt. Vergleicht man die verschiedenen Insekten bezüglich ihrer Steuerfähigkeit miteinander, so kommt man zu dem Schluss, dass Flugfertigkeit und Steuerfähigkeit, nicht aber Flugfertigkeit und Körperform eng miteinander verknüpft sind. Je höher der Grad des Flugvermögens ist, desto besser vermag das Tier zu steuern. Da aber die Flugfähigkeit von der Spezialisierung des motorischen Apparates und besonders der Flügelachsel abhängt, so kann man die Steuerfähigkeit aus den morphologischen Verhältnissen des Thorax und besonders der Flügelachsel ablesen. Für die anatomisch- physiologische Analyse des Flugapparates der Insekten hat diese Erkenntnis wichtige Konsequenzen. Manche Elemente der Flügel- achsel spielen wohl bei der Steuerung eine Rolle und der eine oder andere Muskel dürfte in ihren Dienst gestellt sein, so dass seine 42 Stellwaag, Wie steuern die Insekten ihren Flug? Funktion von diesem Standpunkt aus zu beurteilen ist. Ob es sich dabei um direkte oder indirekte Muskeln handelt, muss die weitere Untersuchung entscheiden. Die Frage der Steuerung bei den Insekten steht ın engem Zu- sammenhang mit dem Problem, wie das Gleichgewicht während des Fluges erhalten wird. Unter der großen Zahl von fliegenden In- sekten besitzen nur verschwindend wenige statische Organe. Sie wurden bis jetzt nur beı Dipteren, bei Ckermes und Phylloxera ge- funden. Dies ist um so auffallender, als gerade bei so vorzüglichen Fliegern die Erhaltung des Gleichgewichtes von großer Bedeutung sein muss. Bethe (5) nahm daher an, dass bei allen Insekten, denen keine statischen Sinnesorgane zukommen, die Gleichgewichts- lage mechanisch erhalten wird. Es sind hier seine Versuche nur so weit von Interesse, als sie an fliegenden Tieren angestellt wurden. Bethe verfuhr in der Weise, dass er die Tiere zuerst mit Chloroform betäubte oder tötete, und dann mit verschiedenen Flügelstellungen, die ihnen eigentümlich sind, in großen weiten Zylindern oder frei im Raume fallen ließ. In welcher Lage sich die Tiere auch bei Beginn des Versuches befanden, immer nahmen sie während des Falles die Bauchlage ein und behielten sie bis zum Boden bei. „Dass hierbei die Gestalt der Tiere von großem Einfluss ist, zeigt ein Blick auf das Verhältnis zwischen Flügel und Körper. Dass aber auch bei den meisten untersuchten Tieren das Verhältnis von Luft und Körpersubstanz einen Einfluss auf die Er- haltung der Bauchlage hat, zeigt der Umstand, dass sie mit Aus- nahme weniger ın derselben Lage ın spezifisch schwerem Wasser nach oben getrieben wurden, in der sie in der Luft zu Boden fielen.“ Auch Amans (1. ce.) äußert sich ähnlich. „Man muss ın der Körperhaltung der Wegwespen ein Mittel zur Längsstabilisierung sehen. Die untere Fläche des Körpers ist stark konvex, und wir wissen, dass die Stabilisierung bei einer solchen Krümmung auto- matisch ist. Um das experimentell festzustellen, genügt es, ein konkav konvexes Blatt Papier fallen zu lassen — es wird auf die konvexe Seite fallen.“ Bethe’s Versuchsobjekte und das gekrümmte Blatt Papier stimmen insofern überein, als ihnen keine Eigenbeweglichkeit zu- kommt. Sie gleichen vollkommen den passiven Schwebeorganismen, die ım Medium eine bestimmte Lage zum Raum einnehmen, in die sie bei Störungen automatisch wieder zurückkehren. Die Anschauung von Bethe und Amans deckt sich nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen. Meine Versuche an Insekten ohne statische Sinnesorgane (Wespen, Sphinx ete.) beweisen, dass diese ebenso wie die Dipteren auf jede Störung der Gleichgewichtslage prompt durch kompensatorische Veränderungen der Schwingungs- Stellwaag, Wie steuern die Insekten während des Fluges? ja RO nz ebene oder der Amplitude der Flügel reagieren, d. h. dass sie Gleichgewichtsstörungen perzipieren und aktiv durch Drucksteuer in die Gleichgewichtslage zurückkehren. Dies ist nicht weiter sonder- bar, da die Orientierung der Tiere im Raum durchaus nicht immer durch statische Sinnesorgane geschehen muss, sondern auch mit Hilfe des Lichtsinnes zustande kommen kann. Bethe ließ bei seinen Versuchen außer acht, dass es nur wenige Insekten gibt, die schweben können. Die überwiegende Mehrzahl muss rasche und zum Teil rapide Flügelschläge machen, um einen wirksamen Auf- trieb und Vortrieb zu erzeugen. Verzeichnis der benützten Literatur. l. Amans. a) Geometrie descriptive et compar&e des ailes rigides. Association francaise pour l’avancement des sciences Oongrös d’Ajaceio 1901. — b) Sur les lignes ä double courbure dans locomotion animale: applications industrielles.. Verhandlungen des V. internationalen Zoologenkongresses. Nachtrag. — c) En flanant; causeries d’aviation. La nature Nr. 2060. 1912. 2. Baunacke. Zur Frage der Statocystenfunktion. Biolog. Centralbl. Bd. XXXII. 1913. 3 Bellesme, Jousset de. a) Recherches experimentales sur la fonction des balanciers chez les insects dipteres. Paris 1578. — b) Sur une fonetion de direction dans le vol des insectes. Compt. rend. de l’Acad. des sciences 1879b. Tome LXXXIX. 4. Bert, Paul. Notes divers sur la locomotion chez plusieurs especes animales. Memoires de la societ@ des sciences physiques et naturelles de Bordeaux. Paris 1866. 5. Bethe. Über die Erhaltung des Gleichgewichtes. Biolog. Centralbl. Bd. XIV. 1894. 6. Goureau. Memoire sur les balanciers des Dipteres. Ann. Soc. entom. de France, 2. Serie, Tom. I. 1843. 7. Kafka, G. Einführung in die Psychologie der niederen Tiere. Bd. I. Die Sinne der Wirbellosen. 1914. 8. Kolbe. Einführung in die Kenntnis der Insekten. Berlin 1873. A. Marey. Mem. sur le vol des insectes et des oiseaux. Ann. des sciences nat. Ser. 5, Zool. Tom. XII. 1869. 10. Pflugstaedt, Hugo. Die Halteren der Dipteren. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Ba.100.71912. ll. Plateau, F. Recherches exper. sur la position du centre de gravite chez les insectes,. Arch. d. science. phys. et nat. nouvelle Periode Tome 43. 1872. 12. Stellwaag, F. a) Bau und Mechanik des Flugapparates der Biene. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 95. 1910. — b) Der Flugapparat der Lamellieornier. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. OVIL. 1914. — ce) Welche Bedeutung haben die Deckflügel der Käfer. Naturw. Wochen- schrift. 1914. — d) Sperrtriebe am Käferthorax. Biolog. Centralblatt. 1914. — e) Sperrtriebe am Skelett des Käfers. Monatshefte für den naturw, Unterricht Bd. VIII. 1915. 44 Locy. Die Biologie und ihre Schöpfer. 13. Voß. Vergleichende Untersuchungen über die Flugwerkzeuge der Insekten. 2. Abhandlung. Verh. d. deutsch. zool. Gesellsch. 24. Versamml. 1914. 14. Weinland, E. Über die Schwinger der Dipteren. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd Ti. 1390: William A. Locy, Die Biologie und ihre Schöpfer. Übersetzung der 2. amerikanischen Auflage von E. Nitardy. Mit einem Geleit- wort von J. Wilhelmi. Gr. 8°, VI und 415 S., 97 Abb., Jena 1915, Gustav Fischer. Der Gedanke, einen kurzen zur Einführung bestimmten Abriss der Geschichte der biologischen Wissenschaften an der Hand kurzer Biographien ihrer Meister zu verfassen, ist glücklich zu nennen. Denn unzweifelhaft fehlt es durchaus an kurzen und leicht lesbaren Darstellungen aus der (Geschichte der Naturwissenschaften und die gewählte Form ıst geeignet, die notwendige Beschränkung auf das wichtigste zu ermöglichen ohne in trockenen Kompendienton zu verfallen. Leider ıst die Ausführung nicht ebenso unbedingt zu loben. Bei der schwierigen Auswahl des allerwichtigsten soll mit dem Verf. nicht darüber gerechtet werden, ob dieser oder jener Forscher ausführlicher hätte behandelt werden sollen. Aber es kann nicht verschwiegen werden, dass z. B. die Physiologie im engeren Sinn allzu stiefmütterlich bedacht ıst; hier sind wohl die wichtigsten Namen mit kurzen Daten genannt, aber von ihren eigentlichen Leistungen kann sich der Leser kein Bild machen. Und für eine ausführlichere Darstellung dieses und einzelner anderer Kapitel wäre bei gleichem Umfang des Buches wohl Platz zu schaffen, wenn Wiederholungen und inhaltlich nıchtssagende Lobsprüche unbarm- herzig ausgemerzt würden. Eine verhältnismäßige Bevorzugung der Forscher englischer Zunge ıst bei dem amerikanischen Verfasser verständlich. Es wäre aber erwünscht gewesen, wenn ein deutscher Bearbeiter das Werk für die deutschen Leser in der angedeuteten Richtung verbessert hätte. _Leider hat Wilhelmi nicht die Zeit gefunden, sich selbst der Übersetzung und einer Bearbeitung in diesem Sinne zu widmen, sondern die Arbeit einer Übersetzerin anvertraut. die wohl an manchen Stellen den Sinn und die Form nur mangelhaft übertragen hat. WR. Prof. Dr. Albr. Hase, Jena. Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus (Pediculus corporis de Geer — vestimenti Nitzsch). (Mit 47 Textabbildungen.) Zeitschrift für angewandte Entomologie. Zugleich Organ der Deutschen Gesell- schaft für angewandte Entomologie. 2. Bd., Heft 2, August 1915, S. 265—359. In der Hochflut der Abhandlungen, die im Verlaufe der Kriegs- jahre 1914/15 der Kleiderlaus gewidmet worden sind, bildet die vorliegende Arbeit nach Umfang und Inhalt unstreitig einen Ruhe- Hase, Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus. 45 punkt. Man wird in Zukunft nicht mehr über die Biologie der Pediculiden arbeiten können, ohne auf die Hase’sche Schrift Bezug nehmen zu müssen. Es ist erstaunlich, welche Fülle von Beobachtungen dem Ver- fasser in der kurzen Zeit von 2 Monaten zu machen gelang. Prof. Hase hatte allerdings die denkbar besten Arbeitsmöglich- keiten: er richtete anfangs dieses Jahres an die Medizinalabteilung des kgl. preußischen Kriegsministeriums das Gesuch, ıhn „als Bio- logen“ in die Armee einzustellen. Seiner Bitte wurde bereitwilligst entsprochen und nicht nur Prof. Hase, die ganze Wissenschaft ist deswegen den betreffenden Stellen zu großem Danke verpflichtet. Prof. Hase wurde dem Gefangenenlager Hammerstein in West- preußen zugeteilt und hatte dort Gelegenheit, täglich 3—4000 frisch abgesuchte Läuse als Experimentierungsmaterial zu bekommen. Das Material war also reichlich genug, so dass nach den verschie- densten Richtungen hin Versuche damit angestellt werden konnten. In 15 Kapiteln hat uns der Verfasser über seine Beobachtungen dabei berichtet. Kleider- und Kopflaus sind ım Laufe der Zeiten oft als eine einzige und ebenso oft als zwei verschiedene Arten angesprochen worden. Prof. Hase betont nochmals, dass wır auf Grund eines unverkennbaren Größenunterschiedes (Kleiderlaus > Kopflaus) und der verschiedenen Beschaffenheit der Beborstung der Weibchen, des 1. Fußpaares, der Scheidenklappen und der Hinterleibsmusku- latur, zwei deutlich getrennte Arten vor uns haben. Dem Aberglauben, die Kleiderlaus lebe nur ın den Kleidern, tritt der Verfasser mit einer langen Liste all der Plätze entgegen, an denen er Läuse konstatieren konnte: außer selbstverständlich auf allen nur erdenklichen Kleider- und Wäschestücken kann man Kleiderläuse überall auf der menschlichen Haut, selbst an den schwer zugänglichsten Stellen, und überall in den von Verlausten bewohnten Räumen antreffen. Ebenso verschieden und oft seltsam ist der Ort der Eiablage. Die Nähte der Kleider werden bevor- zugt, aber auch der menschliche Körper, besonders die behaarten Stellen, wie die Schamhaare, sind nicht gefeit davor, von den Läusen mit ihren Nissen belegt zu werden. Einige interessante Bilder mit Nissen, die an Körperteilen anderer Läuse angekittet sind, beleben diese Ausführungen. Die Höchstzahl der von einem einzigen Verlausten abgesuchten Läuse betrug 3800 Stück, damit wird das Märchen von den „Millionen von Läusen“, die manche Autoren von besonders unreinlichen Indı- viduen abgelesen haben wollen, wirksam widerlegt. Nicht alle Stoffarten werden von den Läusen gleichermaßen geschätzt: zu finden sind sie überall, aber wenn ihnen eine Aus- wahl freisteht, dann bevorzugen sie „alle Wollstoffe, gewalkte und filzige Stoffe, lockere Baumwollstoffe, Flanellhemden“, während sie auf „straffe Leinenstoffe, straffe Baumwollstoffe (Drelle), straffe Seidenstoffe, Lederwaren, Metallteile, Haare“ nicht so gerne gehen, 46 Hase, Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus. Die Entwicklungsdauer der Nisse wurde lange Zeit mit 3—4 Tagen angegeben; Prof. Hase fand, ebenso wie andere neuere Untersucher, als kürzesten Termin 5 Tage = 120 Stunden. „Das Auskriechen der Eier erfolgt bei 37° nach (5)—6—7 Tagen, bei 25—30° nach S—10 Tagen.“ Durch niedere Temperaturen kann man sowohl das Ausschlüpfen der Eier verzögern, wie überhaupt die Eiablage unterbinden. Aus der Nısse kriecht eine Larve aus, die sich von der erwachsenen Laus deutlich unterscheidet. Die Kleiderlaus ist ein sehr bewegliches Tier: bei horizontaler Lage kann sie trotz aller gegenteiliger Angaben wohl auf allem wandern, auf Glas, Metall, Papier, Gummi u. s. w. Bei vertikaler Lage ıst es für die Laus nicht so einfach, emporzuklimmen: da rutscht sie auf blankem Glas und Metall unweigerlich ab. Rauhe Metallflächen und schmutzige Glasplatten, besonders wenn noch Fasern an ihnen haften, klettern die Läuse mühelos empor. „Die Wandergeschwindigkeit ıst nach Temperatur und Unterlage (man könnte ‚Gelände‘ sagen) verschieden.“ „Bei 46° hört fast jedes Wandern auf, bei +0° erlischt es,“ bei 30—35° ©. ist es am leb- haftesten, bei 20— 25° Zimmertemperatur ist es immer noch sehr rege. Die Kleiderläuse haben ein sehr zähes Leben, sie „bleiben 2—3—4 Tage unter Sand und Erde lebensfähig“. Auch ihre Wider- standskraft gegen mechanischen Druck und gegen Verletzungen ist eine beträchtliche; dabei hielten „hungernde Tiere einen höheren Druck aus als eben frisch vollgesogene*. Eine ganze Reihe von Versuchen waren dem Verhalten der Läuse zum Licht gewidmet. Während nun die ausgehungerte Laus das Licht sucht, um eventuell dadurch eine neue Gelegenheit zur Blutentnahme zu finden, meidet die satte ebenso wie die beun- ruhigte Laus das Licht, sie sucht sich zu verkriechen. Mehr negativen Erfolg hatten die Experimente, die Prof. Hase über das Geruchsvermögen der Kleiderlaus anstellte. Geruchsorgane besitzen die Tiere sicher. Ob und wie weit auf diese aber die ver- schiedenen chemischen Mittel einzuwirken vermögen, diese Frage ist noch nicht geklärt. Nur so viel konnte man bisher ergründen, dass das Geruchsvermögen der Laus ein sehr reduziertes sein muss. Hunger wird von der Laus bei niederer Temperatur besser vertragen als bei hoher Temperatur, da die Verdauung ım Kühlen langsamer von statten geht als in größerer Wärme. Kälte scheinen die Tiere besser zu vertragen als man annehmen möchte. Kälte- grade etwa bis — 10° töten die Läuse durchaus nicht sicher. Auch ein Abtöten mit Wasser ıst gar nicht so einfach. Zwar stellen die Tiere unter Wasser bald ihre Bewegungen ein, sie bleiben aber dabei völlig lebensfähig: trocknet man die Tiere in Zimmertempe- ratur einige Stunden, dann leben sie wieder auf! Endlich berichtet uns der Verfasser noch von seinen Beobach- tungen über den Begattungsakt und den Stech- und Saugakt der Läuse. Bei der Begattung kriecht das Männchen unter das Weibchen und fasst mit seinem 1. Beinpaar das 3. Beinpaar des Weibchens, le Hase, Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus. 47T und zwar um die Tibia oder den Femur. Damit findet die Ver- schiedenheit der 1. Beinpaare bei den beiden Geschlechtern (das / besitzt einen daumenartigen Fortsatz, der dem 9 fehlt) eine ein- leuchtende Erklärung. Dann „heben beide Tiere den Hinterleib steil auf, fast ım rechten Winkel, und das Männchen beginnt mit seinem Hinterleibsende das des Weibchens zu reiben, indem es nach den Seiten etwas hin- und herpendelt. Bald auch tritt der Penis des Männchens hervor und wırd tief in die Vagina einge- stoßen. Dabeı hat sich der Leib des Männchens an den des Weib- chens angedrückt und ist steil aufwärts gerichtet, ja sogar mit dem äußersten Ende etwas nach vorn übergebogen. In dieser Stellung werden vom männlichen Tier Friktionsbewegungen langsam ausge- führt. Das Weibchen ist meist ganz passiv dabei. Nur läuft es oft einige Schritte langsam weiter, aber immer ist das Männchen bemüht, sich festzuklammern und es folgt Schritt für Schritt nach. Hat das Männchen aber seinen Halt verloren und ist noch kopu- lationsbegierig, so versucht es ımmer wieder Halt zu bekommen“. Fast bei allen kopulierenden Paaren stieß das Weibchen Kotballen aus, trotzdem sein Hinterleib sich dafür in einer ganz anormalen Lage befand. — Ob uur eine einmalige Begattung stattfindet, worauf das Vorhandensein nur einer Samenblase schließen ließe, weiterhin, ob eventuell eine parthenogenetische Bientwieklung vor- kommt, das sind noch ungelöste Fragen. Bei der Blutentnahme „presst dıe Laus ihre Mundöffnung an die Haut an, nachdem sie vorher die ‚Rüsselscheide‘ ausgestülpt hat“. Diese Rüsselscheide trägt einen Kranz kleiner gebogener Zähnchen, mit deren Hilfe die Laus sich fest in der Haut ver- ankern kann. Der Bohrstachel, der nun hervortritt, hat bei der Laus wohl nicht die Funktion eines Saugrüssels, er dient „vielleicht nur zum Einführen der Speicheldrüsensekrete in die Haut; denn dass solche in die Haut eingespritzt werden, geht aus den Quaddel- bildungen hervor“. Gleich nach dem Eiustich gerät die Kopfsaug- pumpe in lebhafteste Tätigkeit. „In Takten von !/,—'/, Sekunden erweitert und schließt sich dieselbe; bei den Erweiterungen nimmt sie Dreiecksform an; dieses Dreieck hebt sich vollkommen klar hellrot von den übrigen Organen im Kopfe ab und macht den Ein- druck einer zitternden roten Flamme. Ist das Tier satt, so hört auch die Tätigkeit dieses Saugapparates auf; man hat also ein recht untrügliches Zeichen für den Beginn und das Aufhören des Saugens selbst, und kann damit entscheiden, ob ein Einstich erfolglos war oder nicht. Auch setzt bei erfolgreichen Einstichen eine lebhafte, ja bisweilen stürmische Peristaltik ein.“ Die Verdauung geht oft sehr schnell vor sich, schon nach 2 Minuten kann man frischen hellroten Kot durch den After abstoßen sehen. „Die Abgabe des Kotes erfolgt bei lebhaft saugenden Tieren so schnell, dass es zur Bildung von Kotschnüren kommt, indem die einzelnen Brocken aneinander haften bleiben.“ Die Dauer des eigentlichen Saugaktes ist eine recht verschiedene. „Auch hier spricht wohl der allgemeine, jeweilige Ernährungszustand 48 Neuerschienene Bücher. eine bedeutsame Rolle.“ Nach der Beendigung des Sauggeschäftes verlassen die Läuse nicht sofort die Stätte ıhrer Tätigkeit. Er- mattet bleiben sie noch einige Zeit ruhig liegen, um erst dann ab- zuwandern. Die „Läuse sind nur befähigt, strömend warmes Blut aufzu- nehmen“; Versuche, ihnen frisch austropfendes Blut zur Nahrung anzubieten, schlugen immer fehl. Für die Praxis nicht unwichtig ıst die Erfahrung Prof. Hase’s, dass Verlauste die Läusestiche nicht immer spüren. Infolgedessen ist die Behauptung „ich habe keine Läuse“, mich hat keine „ge- bissen“, durchaus kein zwingender Beweis dafür, dass der Betreffende auch wirklich unverlaust ıst. Zudem „scheint bei vielen Individuen eine ‚Gewöhnung an die Läusebisse‘ tatsächlich einzutreten, ebenso wie es andererseits Leute gibt, die von Kleiderläusen nicht befallen werden“. Die Verheerungen, welche ım Gegensatz dazu manche Verlauste auf ihrer Hautoberfläche aufzuweisen haben, sind ganz entsetzliche. Mit der Schilderung solcher Fälle schließt der Ver- fasser seine hochinteressanten Ausführungen. Die Hase’sche Arbeit ıst als 1. Flugschrift der „Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie“ herausgegeben worden. Damit hat sich die genannte junge Gesellschaft zweifellos gut ın die Allgemeinheit eingeführt. Hans Walter Friekhinger (München). Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sınd. (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Ribbert. Prof. Dr. H., Bonn. Lehrbuch der allgem. Pathologie und pathologischen Anatomie. Mit 864 Figuren, 5. Aufl, gr. 8% VI, 815 S., Leipzig 1915. Verlag von F. C. W. Vogel. Preis Mk. 16 —, geb. Mk. 18.—. Kraepelin, Prof. Dr. K., Hamburg. Die Beziehungen der Tiere und Pflanzen zueinander. I. Die Beziehungen der Tiere zueinander. Mit 64 Abbildungen. 2. Aufl., kl. 8°, 113 S., Leipzig 1913. Verlag von B. G. Teubner. Preis Mk. 1.—, geb. Mk. 1.25. II. Die Beziehungen der Pflanzen zueinander und zu den Tieren. Mit 68 Abbildungen. 2. Aufl., kl. 8°, 99 8., Leipzig 1913. Verlag von B. G. Teubner. Preis Mk. 1.—, geb. Mk. 1.25. Miehe. Prof. Dr. H., Leipzig. Allgemeine Biologie. Einführung in die Hauptprobleme der organischen Natur. Mit 52 Abbildungen. 2. Aufl., VI, 144 S., Leipzig 1915. Verlag von B. G. Teubner. Preis Mk. 1.—, geb. Mk. 1.25. Verweyen, J. M., Naturphilosophie. Kl. S°, 112 8., Leipzig 1915. Verlag von B. G. Teubner. Preis Mk. 1.—, geb. Mk. 1.25. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von Dr. K’ Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München. Verlag von Georg Thieme in Leipzig. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Bd. XXXVI. 20. Februar 1916. Inhalt: Goebel, Das Rnmphius-Phänomen und die primäre Bedeutung der Blattgelenke. — Lins- bauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. ans Das Rumphius-Phänomen und die primäre Bedeutung der Blattgelenke. Von K. Goebel. Mit 28 Abbildungen im Text. Inhaltsübersicht. I. Einleitung: Das Rumphius-Phänomen; Verwechslung von Ph. Niruri mit Phylianthus-Arten, welche andere nyktinastische Bewegungen zeigen als diese. II. Schilderung von Ph. Urinaria. III. Die Reizbewegungen der Blätter von Ph. Urinaria. 1. Traumatonastische, 2. seismonastische, 3. thermonastische, 4. hygronastische, 5. photonastische. — Biologische Bedeutung dieser Reizbewegungen. Vergleich mit Oxalis-Arten, Robinia, Calliandra, Gramineen, Bewegung der Leersiablätter. 1V. Die primäre Bedeutung der Blattgelenke (als Entfaltungsorgane). Scheiden- und Spreitengelenke bei Gräsern. Verschiedene Art der Blattentfaltung. Be- ziehungen von Knospenanlage und nyktinastischen Bewegungen. „Korre- lationen‘“ bei der Blattentfaltung, Versuche mit Robinia, (Cassia, Mimosa, künstliche Umwandlung von Seitenfiedern in Endfiedern. — Reizbare Ent- faltungsmechanismen in Blüten (Berberis, Üentaurea) bei Insektivoren (Dionaea, Drosera), Kritik der Ansichten über die biologische Bedeutung der Stoßreizbarkeit von Mimosa. Ableitung der Reizbewegungen von anderen Bewegungen (Mac-Farlane, Ch. Darwin). Zusammenfassung. XXXVI. 4 50 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 1. Einleitung. Es liegt in der Natur der Dinge, dass von den Reizbewegungen der Blätter die rasch verlaufenden vor allem die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Demgemäß liegt über Mömosa pudica und andere Mimosa-Arten, Dionaea u. a. eine umfangreiche Literatur vor. Da- gegen werden die langsam sich abspielenden seismonastischen und anderen Reizbewegungen mehr nur beiläufig erwähnt und für keine der Pflanzen, welche sie zeigen, liegt meines Wissens eine einiger- maßen eingehendere Beobachtung über ihr Gesamtverhalten gegen- über den verschiedenen äußeren Reizen vor. Für „ökologische“ Betrachtungen — namentlich für die Frage, welche Bedeutung denn diese Reizbewegungen für die Pflanze haben — ist das aber selbst- verständlich wichtiger als z. B. die Frage, ob die Bewegungen Variations- oder Wachstumsbewegungen sind u. Ss. w. Fig. 1. Phyllanthus Urinaria, oberer Teil einer Pflanze in Schlafstellung. Nur die obersten Blätter der Pflanze haben typische Schlafstellung. Bei den zwei unteren sind die Blattspitzen statt nach aufwärts etwas nach abwärts gekehrt. Die folgenden Zeilen sollen auf eine Pflanze hinweisen, welche zu derartigen Untersuchungen ebenso wie zu Vorlesungsdemon- strationen ganz besonders geeignet erscheint. Das Bild, welches von ihr entworfen wird, erscheint freilich zunächst nur ın rohen Umrissen. Aufgabe späterer Untersuchungen wird es sein, diese zu berichtigen und näher auszuführen. — Die Pflanze, um welche es sich handelt, ist ein tropisches Unkraut, das sich auch in unseren (sewächshäusern selbst aussät, Phyllanthus Urinaria. Auf die Reizbarkeit dieser Pflanze wurde Verf. aufmerksam, als er Pflanzen ausriss.. Nach einiger Zeit waren an ihnen die scheinbaren Fiederblättehen (in Wirklichkeit die an den, einem ge- fiederten Blatte ähnlichen, Kurztrieben, den Phyllokladien, stehenden Blätter) nach oben hin zusammengefaltet (Fig. 1). Später stellte sich heraus, dass diese Beobachtung nichts weniger als neu ist, soebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 51 Denn schon der ehrwürdige Eberhard Rumpf (1627—1702) hat sie gemacht. In seinem „Herbarıium amboinense“ !) finden wir die vollständigsten Beobachtungen, welche bis heute über die Bio- logie dieser Pflanze vorliegen. Es heisst dort: „Exstirpata planta sua quoque claudit foliola sursum supra pinnam.“ Weiter: „foliola tenerrima sunt atque in abruptis ramis mox sese claudunt, parum supra pennaım elevata et contracta, quod etiam peragunt post solis occasum, perque totam noctem sic clausa manent, sed per diem expansa sunt nec alterantur ut ın herba sentiente. Sı jam solis occasu clausa sit haec planta videtur moesta esse de solis absentia, atque huic nomen obtinuit suum (Herba moeroris, het droevige kruid).“ Rumphius beobachtete also die Blattbewegung nach dem Ab- reißen und die „nyktinastische* oder Schlafbewegung, die er auch abbildet und — freilich naiv anthropomorphistisch — deutet. Er hebt aber ausdrücklich hervor, dass die erstere keine Reizbewegung sei, wie die bei der „planta sentiens“ (des Biophytum sensitivum, dessen seismonastische Reizbewegungen er eingehend beschrieben hat) „quum vero hujus mirabilem ac singularem proprietatem non habeant, quod nempe foliola ad tactum peregrinı eujusdam corporis non contrahant“. Das war ındes, wie sich aus dem folgenden er- geben wird, ein Irrtum. Außerdem schildert Rumphius den Standort der zwei von ihm beobachteten im malaiischen Archipel verbreiteten Phyllanthus- Arten (Ph. Miruri und Ph. Urinaria) und teilt auch mit, dass die Blätter oft „erucis et vermiculis“ gefressen werden. Seine Beobachtung, dass infolge eines Abtrennens der Zweige oder Ausreißens der ganzen Pflanze eine „Schlaf“bewegung der Blätter erfolgt, mag der Kürze halber das „Rumphius-Phänomen“ heißen. Spätere Angaben über die Schlafbewegungen von „Ph. Niruri“ stimmen mit denen von Rumphius nicht überein. So sagt Pfeffer?), dass bei der nyktinastischen Bewegung eine Drehung der Phyllanthus-Blätter eintrete. „Am Abend bewegen sich die Blättchen abwärts, legen sich aber nicht mit ihrer Rücken- fläche, sondern ihrer Vorderfläche aufeinander, während sich der Neigungswinkel gegen einen horizontal gestellten Stengel um 30— 50° verkleinert.“ Nach dieser Beschreibung schloss Darwın?), Phyllanthus schlafe wie Cassia („for they sink downwards at night and twist round). Während also nach Rumphius die Blätter von Phyll. l) Rumphius hat zwei Phyllanthus-Arten beobachtet und unterschieden. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich (wie auch Haßkarl u.a. annehmen) um die auch jetzt noch im malaiischen Archipel weitverbreiteten Ph. Niruri und Ph. Urinaria handelt. 2) W. Pfeffer, Die periodischen Bewegungen der Blattorgane. Leipzig 1875, p- 159. e 3) Ch. Darwin, The power of movements in plants. 1880, p. 385. 4 > 52 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Niruri in der Schlafstellung sich nach aufwärts bewegen, sollen sie nach Pfeffer sich nach abwärts drehen. Dasselbe gibt Stahl?) an, und Hansgirg?) stellt sogar einen „Phyllunthus-Typus“ auf: „Pflanzen, deren Blätter oder Blättchen abends oder nach erfolgter Reizung sich abwärts krümmen, zugleich aber auch um ihre Längsachse sich drehen, so dass sie mit ihren Vorderflächen und der Oberseite unter dem Blattstiele oder an diesem aufeinander zu liegen kommen.“ Ein Blick auf die Abbildung von Rumphius würde gezeigt haben, dass verschiedene Phyllanthus-Arten sich ın ihren Reizbewe- gungen verschieden verhalten, also ein „Phyllanthus-Typus“ nicht aufgestellt werden kann. Es ist aber zu betonen, dass die beiden Typen doch nicht scharf voneinander getrennt sind. Es kommt nämlich auch bei Ph. Uri- naria vor, dass die Blätter mit ihren Spitzen beim Zusammenlegen abwärts gerichtet sind (vgl. z. B. Fig. und deren Erklärung). Der Widerspruch zwischen den Angaben für Ph. Niruri erklärt sich daraus, dass Pfeffer und Stahl eine mit Unrecht so bezeichnete Pflanze vor sich gehabt haben. Ihre Angaben sind selbstverständ- lich ganz richtig, beziehen sich aber nicht auf den asiatischen Ph. Niruri, sondern auf den unter diesem Namen in botanischen Gärten (so, wie ich mich überzeugte, auch jetzt noch in Berlin-Dahlem, Leipzig, Jena) kultivierten südamerikanischen Ph. lathyroides‘). — Ph. Niruri verhält sich nach Rumphius ebenso wie Ph. Urinaria. Da diese Phyllanthus-Arten öfters verwechselt werden”), mag zu- nächst eine Schilderung der untersuchten Pflanzen gegeben werden. II. Gestaltungsverhältnisse von Ph. Urinaria, Keimpflanzen von Ph. Urinaria (und anderen Phyllanthus-Arten) findet man in den Gewächshäusern vielfach auf Töpfen, in denen andere Pflanzen gezogen werden, angesiedelt, da durch den unten zu erwähnenden Schleudermechanismus der Früchte (der auch bei den anderen Arten der Gattung sich findet) die in reichlicher Zahl gebildeten Samen auch ausgiebig verbreitet werden. 4) Stahl, Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen. Bot. Zeit., 1897, p. 84. 5) A. Hansgirg, Die Verbreitung der Reizbewegungen der Laubblätter, Ber. der deutschen botan. Gesellsch. VII, 1890, p. 303. — Der Verf. scheint die Phyllo- kladien für Blätter gehalten zu haben. 6) Müller-Argov. in Decandolle Prodromus sagt bei Ph. lathyroides aus- drücklich: „In hortis botanicis hine inde pro Ph. Niruri colebatur“ (a. a.0.XV,2, p-. 403). 7) Ph. Niruri und Ph. Urinaria lassen sich leicht durch die Beschaffenheit der Antheren, der Samen und die Verteilung der Blüten unterscheiden. Ph. Uri- naria hat seinen Namen ‚ob singularem vim Medicam, qua urinam pellere valet‘“ (Burmann, Thesaurus ceylanicus, p. 231). Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 59 Die Keimung stimmt mit der anderer „krautiger“ Phyllanthus- Arten überein®). Es treten also nach den Kotyledonen an der epi- kotylen Axe einige Laubblätter auf (meist 4—5). Es sind die größten und die einzigen symmetrischen der Pflanze. Später bringt diese nur noch Niederblätter hervor, in deren Achseln die mit zwei Zeilen asymmetrischer Blätter versehenen Phyllokladien stehen. Diese Niederblätter sind von eigentümlicher Gestalt. Sie be- stehen aus drei Teilen: einem mittleren kleinen Blättchen, welches an seinem Achselspross, dem Phyllokladium, emporgewachsen ist und zwei größeren seitlichen, mit herzförmigem Gründe. Letztere werden gewöhnlich als die Nebenblätter des Deckblattes des Phyllo- kladiums aufgefasst. So wird es — trotz der Verschiedenheit ın der Höhe der Einfügung (welche dazu veranlassen könnte, die zwei —=K ( | a Fig. 2. I Querschovitt durch eine Phyllokladienspitze, die Blätter schraffiert, ihre Nebenblätter nicht. II Tiefer geführter Querschnitt (nur die eine Hälfte gezeichnet). b Achselspross von Blatt 7 (st, st, dessen Nebenblätter). 2 Achselspross von Blatt 3). seitlichen Blätichen als Vorblätter zu betrachten) — wohl auch hier sein. Jedenfalls machen diese Nebenblätter zusammen mit der blatt- stielartigen Ausbildung der Phyllokladienachse den Eindruck, als ob sie Nebenblätter eines gefiederten Blattes (des Phyllokladiums) wären. Die Blattähnlichkeit der Phyllokladien ist deshalb hier be- sonders groß, weil deren Dorsiventralität stärker ausgeprägt ist als sonst. Sie zeigt sich in der schmal geflügelten und dadurch be- sonders blattstielähnlichen Achse, der Asymmetrie der Blätter und der Anordnung der Blüten. Die Blätter stehen in der Knospe ın zwei gedrehten Reihen (Fig. 2), sie sind bei guter Ernährung bis 2 cm lang und 7 mm breit (bei schlecht ernährten Pflanzen 9:2 mm). 8) Vgl. über die Keimung von Ph. lathyroides H. Dingler, Die Flach- sprosse der Phanerogamen (München 1885, p. 138); Goebel, Einführung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen, p. 87, Fig. 35. In Lubbock’s Werk „On seedlings“ (1892, p. 451) (in welchem die Literatur nur höchst unvollständig berücksichtigt ist), findet sich eine wenig genaue Beschreibung der Keimung von Ph. flaccidus. 54 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Vegetative Achselsprosse treten an den Phyllokladien mit Ausnahme eines einzigen basalen nicht auf, wohl aber schon sehr frühzeitig nach der Keimung Blüten. Diese stehen aber nicht ın den Achseln der Blätter, sondern dem unteren Nebenblatt des Blattes genähert (Fig. 2 II, b). Man sıeht dementsprechend frühzeitig die Blüten ın zwei Reihen an der Unterseite der Phyllokladien hervortreten?). Im oberen Teil des Phyllokladiums befinden sich männliche — ein- zeln oder mit einer Seitenblüte —, ım unteren weibliche Blüten, Zwitterblüten traf ıch nicht an. Beide Blüten haben ein sechs- zähliges Perigön, die männlichen drei Staubblätter, die weiblichen drei Fruchtblätter ohne Griffel. Der Fruchtknoten ist mit warzigen Hervorragungen besetzt. Er misst etwa 2mm ım Durchmesser. Die dreikantigen braunen Samenschalen haben auf der nach außen gekehrten Fläche Querstreifen, die teilweise miteinander im Zusammen- hang stehen. Die Seiten- flächen haben einige Ver- tiefungen, bedingt dadurch, dass frühzeitig die Zell- ER schicht, welche zur Hart- II schicht der Samenschale wird (es ist die dritte von Fig.3. Ph. Urinaria. Querschnitt einer jungen außen), sich nach innen aus- Frucht mit 6 Samen. Endosperm schraffiert, huchtet (Fig. 3). Darüber Hartschicht der Fruchtwand gestrichelt. (Gez. von Dr. Schüepp.) nne® liegen zwei äußere Zell- schichten. Die untere da- von vergrößert ihre Zellen an den Einbuchtungen sehr erheblich (Fig. 3). Ob etwa diese fleischigen Zellen bei der Verbreitung der Samen (Verschleppung durch Ameisen?) mitwirken, kann nur im Heimatlande der Pflanze sicher ermittelt werden, äußerlich ıst von diesen Zellen an der Schale des reifen Samens nichts mehr zu be- merken. Die reife Frucht bietet insofern einen eigenartigen Anblick, als sie weiß mit 6 dunklen Streifen erscheint (Fig. 4 /7T). Man könnte zunächst glauben, es sei dies bedingt dadurch, dass die 6 Perigon- 9) Dagegen sind die Phyllokladien von Ph. lathyroides viel weniger dorsi- ventral, die Sprossachse ist zwar auch abgeflacht, aber die Achselsprosse (Blüten- stände) stehen in der Blattmediane. Es ist anzunehmen, dass durch die Stellung der Blüten von Ph. Urinaria einerseits ihre Sichtbarkeit erhöht, andererseits die Verbreitung der Samen erleichtert wird. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 55 blätter nach der Befruchtung noch heranwachsen. Aber dies ist nicht der Fall. Vielmehr wird die Farbenverschiedenheit dadurch bedingt, dass der äußere fleischige Teil des Perikarps von dem inneren Steinkern in 6 Streifen durch Schrumpfung sich ablöst. Der weiße Steinkern tritt dann auffallend hervor, bleibt aber noch an 6 Stellen von dem geschrumpften Fruchtfleisch bedeckt (Fig. 4 //). Er teilt sich dann zunächst in 3 Stücke; jedes davon spaltet sıch von der Spitze her in 2 Klappen (Fig. 4 I), die nun die Samen auf eine Entfernung von 30—50 em fortschleudern. Manche fallen auch unter die Mutterpflanze selbst. Da die Samenbildung eine sehr reichliche ist (schon das erste Phyllokladium kann blühen und fruchten), so erklärt sich daraus und aus der Art der Samenver- breitung auch die von Rumphius beobachtete Tatsache, dass man auf Ödländern ganze Felder von Ph. Urinaria antrifft, die aussehen, als ob sie künstlich angebaut worden wären. Fig. 4. Phyllanthus Urinaria. I Geöffnetes Drittel einer unreifen Frucht (vergr.). IT Reife Frucht (schwach vergr.). Das eigentümliche Verhalten des Perikarps erklärt sich aus seinem anatomischen Bau. Es ist offenbar zurückzuführen auf Spannungen, welche auftreten beim Austrocknen. Die Ablösung des äußeren Perikarpgewebes erleichtert das Austrocknen. Man kann eine langsam verlaufende Öffnungsbewegung, an Teilstücken unreifer Früchte, an denen das grüne Gewebe sich noch nicht ab- gelöst hat, herbeiführen (Fig. 4 7). Diese zeigt sogar besonders deutlich die Gestaltveränderungen, die sonst so rasch sich abspielen, dass man sie nicht unmittelbar verfolgen kann. Im Perikarp findet sich eine Steinschicht, aus Prismenzellen bestehend, der außen und innen je eine Schicht diekwandiger, in schiefer Richtung verlaufender Fasern anliegt. Die Richtung dieser Fasern ist bei den äußeren annähernd rechtwinklig zu den inneren. Sie verkürzen sich beim Austrocknen am stärksten in der Längs- richtung, offenbar aber ungleich stark. Dadurch wird die Stein- zellplatte, mit der sie beide verbunden sind, in zwei einander ent- gegengesetzten Richtungen gespannt — wobei auclı Schrumpfungen 56 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. der Steinzellen selbst mitwirken mögen. Jedenfalls schnellt die gespannte Hartschicht schließlich los und springt mit den Samen ab. Ist die Abschleuderung auch keine so energische wie bei Hura erepitans — deren als Briefbeschwerer benützte, mit Blei aus- gegossenen Früchte noch 2 Jahre, nachdem ich sie 1890 aus Süd- amerika mitgebracht hatte, mit schussartigem Knall explodierten —, so genügt sie doch zur Weiterverbreitung der Samen. Von den anatomischen Verhältnissen der Vegetationsorgane sei hier nur der Bau der Blattgelenke erwähnt, welche die Reizbewe- gungen vermitteln. ag ANENKTU an! Fig. 5. Ph. Urinaria. 1 Stück eines Gelenkes im Längsschnitt. @ Spiraltracheen im Quer- und Längsschnitt. ZI schwach vergrößertes Blattgelenk im Längsschnitt, oben die Spiraltracheen durch Striche angedeutet. Das Gelenk ist asymmetrisch ausgebildet. Außerdem ist die Oberseite anders ausgebildet als die Unterseite. Vor allem spricht sich dies darin aus, dass in das Schwell- gewebe der Gelenkoberseite Züge von Spiraltracheiden (oder -Ge- fäßen) ausstrahlen, welche untereinander anastomosieren (Fig. 5) und bis zu den Oberhautzellen vordringen. Es ıst das eine Eigen- tümlichkeit, die meines Wissens an keinem anderen Gelenk be- kannt ist. Es ıst klar, dass die Spiraltracheiden (bezw. -Gefäße) aus den Gelenkzellen Wasser aufnehmen und den: Leitbündel, von dem sie ausstrahlen, zuführen können und umgekehrt. Im übrigen sind die Gelenkpolsterzellen ohne Interzellular- räume. Solche finden sich nur rechts und links von dem das Ge- lenk durchziehenden Leitbündel, Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 57 III. Die Reizbewegungen von Phyllanthus Urinaria. 1. Traumatonastische Bewegungen (veranlasst durch Verletzungen). Dass das „Rumphius-Phänomen“ eine durch Verletzung der Wurzeln veranlasste Reizbewegung darstellt, ıst ohne weiteres klar. Rumphius hat damit — freilich ohne es selbst zu erkennen !’) — zum ersten Male beobachtet, dass eine Reizbewegung oberirdischer Organe durch Reizleitung von den Wurzeln aus veranlasst werden kann. Denn die Bewegung erfolgt auch wenn jede Erschütterung der Sprosse vermieden wird. Dasselbe wurde sehr viel später von Dutrochet für Meimosa pudica festgestellt !!), Nach Borzı'?) dauerte es bei dieser Pflanze 3—5 Minuten, bis das unterste Blatt am Stengel nach Verwundung einer Seitenwurzel (in einer Ent- fernung von 15-—20 em von der Wundstelle) sich schloss. Ph. Urinaria ist für Wundreize ebenso wie für Stoßreize weniger empfindlich als Mimosa pudica, aber übertrifft diese, wie gezeigt werden soll, an photonastischer und hygronastischer Reizbarkeit. Zunächst sei erwähnt, dass alle Phyllanthus-Blätter nicht nur die an den Phyllokladien stehenden reizbar sind. Reisst man eine Keimpflanze aus der Erde, so schließen sich die Kotyledonen, d.h. sie bewegen sich aufwärts bis sie mit ihren Oberseiten sich be- rühren, falls sie nicht durch die zwischen ihnen stehende Knospe gehemmt werden. Unter günstigen Umständen erfolgt dies inner- halb einer Minute vom Zeitpunkt des Ausreissens an; selbstver- ständlich haben so junge Pflanzen keine so langen Wurzeln wie die Borzi’sche Mimosa, die Reizleitung erfolgt also nicht rascher als bei Mimosa. Ebenso zeigen an älteren Keimpflanzen die Primär- blätter eine Aufwärtsbewegung. Was die Geschwindigkeit der Reaktion betrifft, so sei folgendes bemerkt: Eine Pflanze wurde ohne Erschütterung durch einen Schnitt mit einem scharfen Messer abgeschnitten. Sie besaß drei ausge- wachsene Phyllokladien, in 1,5 cm, 9cm und 13 cm Entfernung von der Schnittstelle. Das letzte war das empfindlichste, wie denn allgemein die jüngeren Phyllokladien stärker reizbar sind als die älteren. Schon nach 1 Minute zeigte es Hebung der basalen Blätter, in 4 Minuten waren fast sämtliche Phyllokladien geschlossen. Wenn man hiernach die Reizleitung auf 2,1 mm in der Sekunde berechnen wollte, so würde das natürlich nicht zutreffend sein, da ja nicht 10) Die einzigen damals bekannten Reizbewegungen waren (außer den Schlaf- bewegungen) die durch Stoßreize bedingten (seismonastischen), die bei Phyllanthus so langsam verlaufen, dass Rumphius sie übersah. 11) Dutrochet, Recherches anatomiques et physiologiques, Paris 1824. Du- trochet gibt an, dass zuerst Desfontaines Mömosa durch Begießen der Wurzeln mit Schwefelsäure gereizt habe. 12) Zitiert bei Fitting, Die Reizleitungsvorgänge bei den Pflanzen, IL (Er- gebnisse der Physiologie, herausgeg. von Asher und Spiro, V, 1906, p. 188). DS Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. die Reizleitung als solche, sondern nur die Zeit bis zum Eintritt der Reaktion beobachtet wurde, außerdem ist die Geschwindigkeit der Reizleitung bei starken Reizen offenbar eine raschere als bei schwachen. Wenn man einen Phyllanthus mit der Wurzel heraus- reisst (die Schlafbewegung ging dann bei zwei verglichenen Pflanzen rascher vor sıch als beim Durchschneiden des Stämmchens), so muss natürlich der Reiz von der Wurzel in den Spross geleitet werden. Eine bloße Verletzung des Wurzelsystems durch Abschneiden ein- zelner Wurzeln führt zu keiner oder einer unbedeutenden Blatt- reaktion, während Keimpflanzen, die aus dem Kies, in dem sie ge- wachsen waren, herausgerissen wurden, ihre Blätter in 1 Minute schlossen. Die Fortleitung nach oben erfolgt rascher als die nach unten. Von einem Phyllokladum wurde durch einen scharfen Schnitt der obere Teil mit Blättern abgeschnitten. Diese führten die Schließbewegung ın 1!/, Minuten aus. An dem unteren, stehen- gebliebenen Teil des Phyllokladiums erhoben sich erst später die zwei obersten Blätter, schlossen sich aber nicht, sondern breiteten sich nach 10 Minuten wieder aus'?). Die Verletzung führt aber eine erhöhte Reaktion für andere Reize herbei. Wenn man die Blättchen des verletzten Phyllo- kladıums mechanisch reizt, so schließen sie sich rascher als gleich stark gereizte unverletzte.e Ebenso wenn man sie an die Sonne bringt (vgl. unten); es summiert sich dann der Verletzungsreiz mit dem Lichtreiz oder ım ersten Falle mit dem Stoßreiz. Eine Pflanze von Ph. Urinaria, welcher an zwei Phyllokladien morgens ein Stück abgeschnitten worden war, zeigte nachmittags 4 Uhr, dass diese Blätter fast ganz ın die Schlafstellung übergegangen waren, während die anderen Phyllokladien derselben Pflanze und die da- neben stehender unverletzter Pflanzen noch Tagesstellung aufwiesen. Es geht daraus hervor, dass der Wundreiz auch auf die Blätter einwirkte, die keinen Reizerfolg durch Blattbewegung aufwiesen !*) und 3) Dabei ist freilich auch zu beachten, dass der obere Teil eines noch nicht ganz alten Phyllokladiums reizbarer ist als der untere. Schneidet man die sämt- lichen Blätter auf einer Hälfte des Phyllokladiums ab, so heben sich zunächst nur die jüngsten Blätter (also die gegen die Spitze zu stehenden) der Gegenseite. 14) Das geht auch aus folgender Beobachtung hervor: in zwei Fällen wurden verletzte jüngere Phyllokladien welk, so dass-sie schlaff herunterhingen — erst später erholten sie sich wieder. Setzt man auf ein Blatt einen Tropfen Karbolsäure (5 %), so findet an der betupften Stelle eine Bräunung statt. Diese breitet sich längs der Nerven an von der Säure nicht berührte Stellen aus. Dann findet eine Erschlaffung des Gelenkpolsters statt. Das Blatt sinkt nach unten. Ferner: als ich ein noch nicht ausgewachsenes Phyllokladium mit der Spitze in Eiswasser tauchte, wurde es welk, der Turgor der Phyllokladienachse war aufgehoben oder stark vermindert. Merkwürdigerweise zeigte sich aber dasselbe auch bei dem nächsthöheren, jüngeren Phyllokladium. Der „Reiz“, der zum Welken führte, war also weitergeleitet worden. Eine Schlussbewegung trat nur andeutungsweise ein. Nach 20 Minuten war wieder alles frisch. xoebel, Das Rumphius-Phänomen etc, 54 dass er lange andauerte. Erst wenn ein schwacher Wundreiz sich mit einem anderen kombiniert, tritt er in die Erscheinung. Er ist auch noch vorhanden, wenn die (an den obersten Blättchen des Phyllo- kladienstummels) durch ıhn veranlasste Bewegung schon wieder rückgängig gemacht worden ist. Er war nur nicht mehr stark genug, um gegen die auf Ausbreitung der Blätter gerichtete „Ten- denz“ ankommen zu können. Außerdem wirkt er stundenlang nach. Dass der Verwundungsreiz in geradliniger Richtung am schnellsten geleitet: wird, zeigt folgende Becbachtung: An einer Phyllanthus-Pflanze (die im Gewächshaus bei 32° stand) wurde ein den Holzkörper treffender, aber nicht durch- trennender Schnitt angebracht. Eine Minute später erfolgte „Schluss“ der Blätter eines 37” mm gerade über der Wunde stehenden Phyllo- kladiums. Das der Schnittwunde näher, aber seitlich vom Schnitt stehende Phyllokladium zeigte erst viel später eine unvollständige Aufrichtung der Blätter. Nach abwärts war auch '/, Stunde nach der Verletzung noch keine Reizbewegung zu bemerken. Bei einer anderen Pflanze dauerte es über 3 Stunden, bis die unterhalb der Sehnittwunde stehenden Blätter sich geschlossen hatten. Das am stärksten gereizte Phyllokladium oberhalb der Wunde wurde später welk — was hier angeführt sein mag, weil es zeigt, dass Unter- brechung des Transpirationsstromes und Reizung offenbar nahe Beziehungen zueinander haben. So ging denn auch eine Pflanze, deren Stämmchen oberhalb der Primärblätter durch eine Klemme stark zusammengedrückt wurde, nach 2 Stunden in Schlafstellung über. Hier könnte man annehmen, dass nicht die Zusammendrückung der Wasserleitungs- bahnen, sondern die Verletzung der Parenchymzellen als Reiz ge- wirkt habe. Bei einer so dünnstengeligen und mit besonders dünner Rinde versehenen Pflanze wie Ph. Urinaria ist es nicht leicht zu entscheiden, ob eine Verletzung nur dann wirksam ist, wenn sie die Leitbündel — sei es Siebteil oder Gefäßteil — (oder den Holzkörper) trifft oder ob auch eine Verletzung des Parenchyms genügt. Dass aber die Hemmung der Wasserbewegung von erheblichem Einfluss auf die Blattbewegungen ist, zeigen folgende Beobachtungen: Die geklemmte Pflanze geht später in Tagesstellung und früher in Nachtstellung über als die anderen, verhält sich also wie die unten anzuführenden Pflanzen der Wasserkulturen mit geschädigtem Wurzelsystem, und wie die mit einem queren Einschnitt in die Spross- achsen versehenen. Dabei ist vielfach eine Verschiedenheit im Ver- halten der einzelnen Blätter wahrnehmbar. Z. B. war morgens $» 30 an einer solchen Pflanze das unmittelbar über dem Ein- schnitt stehende Blatt noch fast geschlossen, die darüber stehenden waren weiter offen, die unter dem Einschnitt stehenden ebenso 60 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. wie die daneben stehenden unverletzten Pflanzen ganz in Tages- stellung. Damit ist zu vergleichen, was später über die hygro- nastischen Bewegungen anzuführen sein wird. Eine Pflanze (Wasserkultur), bei der die Nährlösung durch 1%/,ıge Salpeterlösung ersetzt wurde, zeigte nur schwache, bald rückgängig gemachte Schlussbewegung der Blätter. Viel weniger für Verletzungen reizbar ist Ph. lathyroides — was, wie wir sehen werden, auch für andere Reize gilt. Wenn man ein Phyllokladienblatt ansengt, tritt keine Reiz- bewegung ein. Aber der „Reiz“ wird doch fortgeleite. Denn es werden die der Wundstelle nächsten (bei stärkerem Reiz auch alle anderen) Blätter des Phyllokladiums welk. Später erheben sie sich dann wieder. Dass der Wundreiz wahrgenommen wird, kann auch hier durch Summierung mit dem Lichtreiz gezeigt werden. Noch träger ıst Ph. mimosoides, der auch keine Schlafbewegungen aus- führt. Er ist aber für Wundreize sehr empfindlich, trotzdem er darauf nicht mit Bewegungen antwortet. Wenn die Endblättchen eines Phyllokladiumzweiges!?) angesengt werden, sterben die anderen unter Bräunung ab, ja es können sogar noch Blätter gegenüber- liegender Phyllokladienäste beschädigt werden. Wir sehen hier deutlich eine Fortleitung ohne eine Bewegungsreaktion. Sie ent- spricht der oben für die Veränderung mit Karbolsäure angeführten und beruht wahrscheinlich auf Übertritt von Zerfallsprodukten von Zellinhaltsstoffen in die Leitungsbahnen — Stoffen, die nun an den unverwundeten Stellen, an welche sie gelangen, Schädigungen her- vorrufen, seien es dauernde oder vorübergehende. Es mag hier bemerkt werden, dass keine Reizung eintrat bei Pflanzen, die unter Glasglocken standen, unter welche geringe Mengen von Leuchtgas gebracht wurden. Auch durch Betupfen der Gelenkpolster mit Ammoniumkarbonat trat eine solche nicht ein. Indes wurden solche Versuche nur beiläufig ausgeführt, da es sich darum handelte zu ermitteln, wie die Pflanze sich den natür- lich auf sie einwirkenden Reizen gegenüber verhalte. Es lag also keine Veranlassung vor, die Einwirkung abnormer Einflüsse ein- gehender zu prüfen. 2. Reizbarkeit für Stoß (seismonastische Bewegungen). Aus der oben angeführten Bemerkung von Rumphius geht hervor, dass die „seismonastische* Reizbarkeit von Ph. Urinaria eine geringere ist als die von Biophytum sensitivum‘*), womit auch 15) Die Phyllokladien sind hier verzweigt, vgl. die Abbildung in Goebel, Organographie, 2. Aufl., p. 227, Fig. 221. 16) Auch Bose (Plant response, 1906, p. 43) sagt: „The plant appears on casual inspection to be wholly insensitive, ordinary mechanical stimulation having no effect on its leaves.“ Nur für starke thermische und elektrische Reize seien die Blätter (gemeint sind die Phyllokladien) empfänglich. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 61 gesagt ist, dass sie noch mehr hinter der von Mimosa pudica u.a, zurücksteht. Sie ist aber dadurch von Interesse, dass sie (auch ohne Anwendung von Induktionsschlägen) gestattet, das Prinzip der Reizsummierung ohne wei- teres zu demonstrieren. Reizt man die Phyllokladien durch wenige schwache Schläge mit dem Finger !”), so bewegen sich die Blätter nur wenig nach aufwärts (Fig. 7), lässt man in kurzen Intervallen mehr Schläge einwirken, so findet ein „Verschluss“ statt, indem die Blätter sich mit den Oberseiten berühren (Fig. 8). Es dauert aber auch bei kräftigen Reizungen und optimaler Temperatureinige Minuten (4-5) bis dies stattfindet. Ebenso ver- streicht viel längere Zeit als bei Mimosa für die Öf- nungsbewegung. Bei einem Phyllokladium, dessen vor- dere Blätter infolge von Stößen 8% 15 ganz zusam- mengeklappt waren, wäh- rend die hinteren sich nur nach oben bewegt hatten, fingen die Blätter $S" 50 an auseinander zu gehen. Sie hatten 9% 20 die ausgebrei- tete Lage wieder ange- nommen. Daraus erhellt zugleich, dass die Bewegung nicht vollständig ausgeführt zu werden braucht, ehe sie rückgängig gemacht wird. Fig. 6. Ph. Urinaria. Pflanze ungereizt. Fig. 7. Dieselbe Pflanze wie Fig. 6 (die nicht sehr reizbar war). Das nach vorne gekehrte Phyllokladium durch zwei Stöße gereizt. Die Blätter haben sich (nach 5 Minuten) nur wenig erhoben. Vielmehr kann dies von jeder Erhebung aus geschehen. Ob dabeı Öszillationen stattfinden, wurde nicht näher untersucht. 17) Bei direkter Reizung des Gelenkes durch Reiben mit einer Stahlfeder wurde sowohl an der Ober- wie an der Unterseite eine Reizbewegung veranlasst. 52 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Dass mechanische Reize sich mit Lichtreizen u. a. sum- mieren können, wird später zu erwähnen sein. Ph. lathyroides reagiert auf Stoßreize in kaum merklicher Weise; dass er dafür doch empfindlich ist, zeigt sich, wenn man die Pflanze verfinstert; die mechanisch gereizten Phyllo- kladien nehmen dann früher die Schlafstellung ein als die unge- reizten. Der Reiz wurde also wahrgenommen, war aber nicht x BE. | stark genug um zu einer Re- EEE SEE | aktion zu führen. Ob sich die Fig. 8. Dieselbe Pflanze wie Fig. 6. Das Stoßreize ohne Beschädigung Phyllokladium rechts erhielt sofort 6Stöße, der Pflanze so verstärken das nach vorne gekehrte weitere 6 S Minuten lassen, dass sie (ohne Mitwir- nach der Reizung. kung eines anderen Reizes) eine Blattbewegung veran- lassen, bleibe dahin- gestellt. Stärkeren Stößen alsden ange- wandten dürfte die Pflanze ın der Natur kaum ausgesetzt sein. Es genügte für unsere Zwecke der Nachweis, dass die Pflanze für Reize empfindlich ist, auf welche sie schein- bar gar nicht ant- wortet. 3. Reizbewe- gungen infolge von Temperatur- schwankungen Fig. 9. Ph. Urinaria. stellung (Sonne + Stoßreiz). Pflanze in vollständiger Reiz- An den beiden Phyllo- kladien rechts und links sieht man je ein Blatt, welches die Bewegung nicht vollständig ausgeführt hat. Es findet erst eine Hebung, dann eine Senkung der Blattspitze statt, die aber meist nur bis zu (annähernd) horizontaler Lage führt. Letztere ist bei den beiden Blättern unterblieben. des Mittelnerven (thermonastische Bewegungen). Ein „Schluss“ der Blätter kann auch durch Tempe- Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 63 raturerniedrigung und -erhöhung herbeigeführt werden. Eine Pflanze, die von Luft von 31° ın Wasser von 17° gebracht wurde, zeigte nach 3 Minuten fast vollständige Schließbewegung. Ebenso tritt diese ein, wenn man eine Pflanze in einen Wärmekasten mit 40° stellt. Noch einfacher lässt sich die thermonastische Bewegung an abgeschnitten auf Wasser schwimmenden Phyllokladien zeigen '°), wenn die Wassertemperatur entsprechend erhöht wird. Wie bei der mechanischen Reizung kann auch hier die Reizung von der Wurzel aus erfolgen. Es genügt, den Topf, ın welchem die Pflanze wächst, stark abzukühlen. Beı einer Pflanze, die ın einem kleinen Topf bei 31° gestanden war (dieselbe Temperatur hatte auch die Erde im Topfe angenommen), genügt eine Abkühlung des Topfes (durch Eispackung) auf 19° um Schluss der Blätter her- vorzurufen — eine ebenso behandelte MRkmosa pudica zeigte keine Reizbewegung der Blätter. Nicht alle Pflanzen von Ph. Urinaria waren aber so empfind- lich: zwei andere wurden mit Eispackung versehen. Die eine 3" 37, die andere 3" 49. Geschlossen war die erste 4" 6 beı einer Tempe- ratur im Topf von 2°. Die zweite 4" 13 beı einer Temperatur ım Topf von 10°, die Lufttemperatur betrug 28°. Eine daneben stehende, nicht mit Eis gekühlte Pflanze zeigte keine Blattbewegung. Die Temperatur der Pflanze selbst wurde nicht bestimmt. In- des erscheint es wenig wahrscheinlich, dass eine erhebliche Ab- kühlung der oberirdischen Pflanzenteile durch Vermittlung der Wurzel stattfand: es liegt jedenfalls näher (schon nach Analogie mit dem Rumphius-Phänomen) anzunehmen, dass es sich nicht um direkte Einwirkung der Temperaturerniedrigung auf die Phyllo- kladien, sondern um die Weiterleitung eines auf die Wurzeln aus- geübten Reizes handelt. Man könnte auch daran denken, der durch Temperaturerhöhung ausgeübte Reiz bestehe eigentlich in einer plötzlichen Transpirations- steigerung, der durch Abkühlung des Topfes erfolgte aber wirke ähnlich, insofern als hierbei durch Herabsetzung der Wasserauf- nahme aus dem Boden gleichfalls ein Sinken der Wasserbilanz stattfinde!?). Indes ist diese Annahme nicht zutreffend. Die Bewe- gungen durch Temperaturerhöhung erfolgen auch in einem mit Wasserdampf gesättigten Raum. Auch kann sich der durch Tem- peraturabfall ausgeübte Reiz mit anderen summieren — ein durch Verwundung oder Erschütterung gereiztes Phyllokladium zeigt also die Wirkung von Temperaturabfall rascher als die nicht anderweit gereizten. 18) Ebenso z. B. auch an abgeschnittenen Blättern von Marsilia quadrifolia. 19) Das ergab sich bei der ersten der beiden Pflanzen sehr einfach dadurch, dass ihre Phyllokladien welk wurden, nachdem der Topf aus der Eispackung ge- 64 (Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Es genügt übrigens, ein Phyllokladium in der warmen Hand zu halten, um eine Reizbewegung herbeizuführen. Doch ist dabei natürlich nicht ohne weiteres klar, ob es sich um einen Temperatur- oder einen anderen Reiz handelt. — Auflegen von Eisstückchen auf die Gelenkpolster hatte keinen deutlichen Erfolg. Auch als die Nährlösung einer in Wasserkultur gezogenen Pflanze durch Wasser von 40° ersetzt wurde, erfolgte innerhalb von 5 Minuten keine Reaktion, sei es, dass die Zeit für die Leitung von der Wurzel ın die Blätter zu kurz war, sei es aus anderen Gründen. Ph. lathyroides erwies sich auch gegen Temperaturreize weniger empfindlich als Ph. Urinaria. Eintauchen der Phyllokladien in Eis- wasser ergab nur leichte Senkung, ebenso ein Verbringen in den Wärmekasten von 40°. Bei Ph. Urinaria (die vorher in einem Raum, dessen Temperatur 25° betrug, gestanden hatte) erfolgte in diesem Schluss der Blätter ın 9 Minuten. Die einzelnen Pflanzen reagieren aber verschieden. 4. Hygronastische Bewegungen. Kultiviert man Ph. Urinaria unter einer Glasglocke, also in einem sehr luftfeuchten Raum (in einem Fall zeigte das Hygrometer 90%, relative Luftfeuchtigkeit) und hebt die Glasglocke ab, so tritt rasch — ın 1!/, Minuten — Schlussbewegung ein. Die geringe Steigerung der Lichtintensität beim Abheben der Glasglocke kommt ebensowenig in Betracht wie etwa die dabei eintretende Luftbewe- gung, man kann dieselbe Wirkung auch hervorrufen, wenn man eine Pflanze aus einem Gewächshaus mit 75° relativer Luftfeuchtig- keit unter eine Glasglocke bringt, unter welcher durch Chlorcalcıum die Luftfeuchtigkeit auf 20%, herabgesetzt wurde. Eine langsame Verringerung der Luftfeuchtigkeit führte dagegen keine Reizbewegung herbei. Diese unterblieb bei einer Pflanze, die (der Topf durch Guttaperchapapier gegen Wasserverdunstung ge- schützt) unter eine tubulierte Glasglocke mit Chlorcalcium gesetzt wurde. Die durchgesogene Luft strich gleichfalls über Chlorcaleium- stücke. Die einzige Wirkung war, dass die unteren Phyllokladien frühzeitig vergilbten und vertrockneten. Offenbar geschah dies durch „korrelative Transpiration“, indem die oberen Phyllokladien den unteren Wasser entzogen. Die hygronastische Reizbewegung kann auch durch Austrock- nung des Bodens herbeigeführt werden. So war eine Pflanze, deren Topf nicht begossen wurde, bei hellem Himmel um 12% vollständig nommen worden war, trotz des Schlusses der Blätter. -— Die thermonastische Reiz- barkeit kann auch durch Einwerfen von Eisstückchen in die Nährlösung von Wasser- kulturen gezeigt werden. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc, 65 in „Tagesschlaf“ übergegangen, während die daneben stehenden. mit gut bewässerten Töpfen, dies nicht taten. Begießt man eine derartige Pflanze, so erfolgt Öffnungsbewegung — vorausgesetzt, dass bs nicht zu en; am Nachmittag ch denn dann ist der durch Liehtabnahme bedingte Schließungsreiz zu stark, als dass er durch Wasserzufuhr überwunden werden könnte. Oft erfolgt dann eine kurze Öffnungsbewegung, die durch eine Schließbewegung abgelöst wird. So war bei einer Trockenpflanze, die 2" 48 begossen wurde, schon nach 1 Minute die erste Öffnungsbewegung sichtbar. Nach 10 Minuten kam sie zum Stillstand und ging in Schließbewegung über. Wenn eine Pflanze durch Trockenhaltung des Topfes zum Schließen veranlasst wird, so ist charakteristisch, dass dies an der Fig. 10 (etwas verkleinert). 2 Pflanzen von Ph. Urinaria, die nebeneinander in demselben Gewächshaus standen. Links mit trockenem, rechts mit begossenem Topf. Pflanze von unten anfangend erfolgt, während sonst die oberen, Jüngeren Phyllokladien, FE die reizbareren, zuerst zu reagieren pflegen. Umgekehrt, wenn die Öffnungsbewegung. durch Begießen erfolgt, so on damit der apikale Teil der Pflanze. Es ist also — obwohl auch hier die einzelnen Pflanzen ungleich sich verhalten —, zweifellos, dass durch Trockenhaltung Reizbewegung herbeigeführt werden kann, die natürlich noch mehr sich äußert, wenn ein anderer Reiz (Sinken oder Steigen der Lichtintensität) damit sich kombiniert. Es kann, wenn das Welken zu rasch eintritt, dieses auch ohne Blattschluss erfolgen; natürlich muss, wenn die Pflanze welk war und ihre Blätter geschlossen hatte, erst wieder Turgescenz ein- treten, ehe die Öffnungsbewegung einsetzt. Eine Pflanze war z.B. (mit geöffneten Blättern) morgens 7" im trockenen Versuchsgewächs- haus ausgetopft stehen gelassen worden. 11" waren die Blätter fast ganz geschlossen, die Pflanze welk. Begießen bewirkte nach 15 Minuten Herstellung der Turgescenz, die Blättehen waren XXXVI. 5 66 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. aber (mit Ausnahme des obersten Phyllokladiums) noch alle ge- schlossen. 37 Minuten nach dem Begießen waren sie alle wieder ausgebreitet — beim einzelnen Phyllokladium geht die Ausbreitung von der Spitze nach der Basis zu. Damit stimmt überein, dass bei in Wasserkultur gezogenen Ptlanzen solche mit beschädigten Wurzeln viel früher „schlafen“ als solche mit durchaus gesunden Wurzeln. Eine Pflanze der ersten Art war z. B. vormittags 11" schon ganz in „Schlafstellung“ über- gegangen und blieb so auch den Rest des Tages über. Es scheint nicht viel andere Pflanzen zu geben, die so deutlich hygronastische Be- wegungen zeigen wie Ph. Urinaria — freilich sind darüber offenbar auch verhältnismäßig ‚wenige Untersuchungen angestellt worden. Ch. und Fr. Darwın?®) berichten über Pflanzen von Porliera hygrometrica, die infolge von Trockenhaltung des Topfes gleichfalls hy- gronastische Schließbewe- gungen zeigten ?t), für Oxalis strieta wırd unten Ähnliches zu berichten sein. Bei Meömosa tritt nach den bisher vorliegenden An- Fig. 11. 2 Pflanzen von Ph. Urinaria in einem ausgetrockneten Topf. Die rechts zeigt gaben bei trocken N gehal- großenteils Welken ohne Blattschlaf, die links tenen Pflanzen nur eine Ab- Blattschlaf. nahme der Reizbarkeit, aber keine Schließbewegung ein. Die Abbildungen (Fig. 11) beziehen sich auf zweı Pflanzen von Ph. Urinaria, die in einem längere Zeit nicht begossenen Topf standen. Die eine — wahrscheinlich die weniger gut bewurzelte — war morgens 9" ganz in Schlafstellung, bei der anderen sind nur die untersten Phyllokladien geschlossen. 9% 15 wurde der Topf begossen und 10° wieder photographiert. Die dabei eingetretene Veränderungen (Fig. 11 u. 12) brauchen nach dem Obigen keine weitere Schilderung. 20) Darwin, Power of movement, p. 336. 21) Es verhalten sich aber auch hier keineswegs alle Exemplare gleich, es mag das vielleicht mit der verschiedenen Bewurzelung zusammenhängen. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 67 Auf einer Steigerung des Wassergehaltes dürfte es auch be- ruhen, dass, wenn an in Schlafstellung übergegangenen Pflanzen alle Phyllokladien bis auf eines entfernt wurden, dieses in einigen Fällen (aber nicht bei allen so behandelten Pflanzen) eine deutliche, aber nicht vollständige und bald wieder rückgängig gemachte Öffnungsbewegung zeigte. Eine Pflanze, deren Sprossachse mit einer Klemme versehen war, zeigte 9% noch keine vollständige Tagesstellung und war 12" 15 fast vollständig ge- schlossen. Wie weit TEA Unterbrechung der ea ee: Wasserbewegung und Wundreiz (vgl. p. 53) hier einwirkten, bleibe dahingestellt. Welk war die Pflanze nicht. Da bei geklemmter Mimosa pudica die Empfindlichkeit für Stoßreize herabgesetzt ist, so glaube ich an- nehmen zu dürfen, dass der Wundreiz (der ja ohnedies nach einiger Zeit — wenig- stens was die äußere Erscheinung betrifft — ausklingt) weniger in Betrachtkommt als die Fig 12. Dieselben Pflanzen wie Fig. 11. °/, Stunden Störung der Wasser- „ach Begießen. Die Pflanze links zeigt Öffnung bewegung. der Blätter mit Ausnahme der zwei untersten Phyllo- Erwähnt sei noch, kladien. dass Ph. Urinaria tagelang untergetaucht im Wasser stehen kann, ohne zu leiden. An einer 3 Tage mit dem Topi in Wasser gestellten Pflanze waren merkwürdigerweise die Blätter an den Phyllokladien nach abwärts??) gekrümmt, und zwar aktiv, nicht passiv — ob infolge von O-Mangel oder Transpirationsverhinderung, bezw. Wasserfülle in den Gelenken, bleibe dahingestellt. 9" wurde die Pflanze aus dem Wasser genommen, 10%35 waren die Blätter wieder normal aus- gebreitet. Dass die Pflanze nicht ganz ungestraft weggekommen 22) Also ähnlich wie dies bei den nyktinastischen Bewegungen von Ph. lathy- roides der Fall ist. Auch bei anderen unter abnormen Bedingungen kultivierten Ph. Urinaria-Pflanzen wurde diese Abwärtskrümmung beobachtet. D* b8 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. war, zeigte sich daran, dass die Phyllokladien sich abends nicht vollständig schlossen, einzelne Blättchen waren sogar in ihrer Stel- lung geblieben. Am nächsten Abend trat aber wieder die normale Schlafstellung allgemein ein; die Pflanze hatte sich also wieder ganz erholt. Da die Blätter nıcht benetzbar sind, sind sie im Wasser mit einer silberig erscheinenden Luftschicht umgeben. Ob etwa durch längere Beträufelung die Benetzbarkeit zunimmt, wurde nicht untersucht. 5. Photonastische Bewegungen. Dass Ph. Urinaria „Schlafbewegungen“ ausführt, war, wie oben erwähnt, schon Rumphius bekannt. Die Untersuchung ergab, dass die Pflanze für Lichtschwankungen stark empfindlich ist, viel mehr als z. B. Mimosa pudica. Das spricht sich auch darın aus, dass sie abends viel früher ın Schlafstellung übergeht als letztere, und auch früher als Ph. lathyroide. Um 7% abends waren an einem hellen Sommertag (im Juni) z. B. alle Exemplare von Ph. Urinaria schon längst (seit 5°) in Schlafbewegung übergegangen; bei Ph. lathyroides die obersten jüngsten Phyllokladien im Übergang dazu, die unteren hatten noch Tagesstellung. Ebenso verhielt sich Ph. pulcherrimus, während bei Ph. mimosoides überhaupt keine Schlafbewegung eintrat. Eine solche war nach dem p. 60 Mitgeteilten ja auch nicht zu erwarten. Merkwürdig ist, dass Rumphius nicht beobachtete, dass Ph. Urinaria zu den Pflanzen gehört, die einen ausgesprochenen „fagesschlaf“ zeigen’), d. h. bei steigender Lichtintensität eine Schließbewegung ausführen. Diese ıst ganz unabhängig von der Richtung der Lichtstrahlen — sie geht genau ebenso vor sich, wenn man eine Pflanze von oben, von unten oder seitlich plötzlich starker Lichtintensität aussetzt, es handelt sich also um Induktion der gewöhnlichen, auch abends eintretenden Schließbewegung (ob in beiden Fällen die Veränderungen im Gelenk die gleichen sind oder nicht, ıst für unsere Ausführungen nicht von Bedeutung). Diese erfolgt um so rascher, je weniger die Pflanze vorher an starkes Licht gewohnt war. Wenn die Pflanzen vorher schattig gehalten waren, dann ın volle Sonne gebracht wurden, so erfolgte der „Schluss“ so rasch, dass er mit bloßem Auge ganz leicht ver- folgt werden konnte. Bei besonders empfindlichen Pflanzen und namentlich auch dann, wenn (durch Abnahme der Glasglocke) der 93) Stahl (Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen, Bot. Zeit., 1897, p. 91) beobachtete in Mexiko folgendes: „2—3 Stunden nach Sonnenaufgang hatten sich die Fiedern der Mimoseen, ss die Blätter kleiner Zuphorbia- und Phyllanthus-Arten, wie in der Nachtstellung dieht aneinander geschmiegt, um in der Profilstellung zu verharren bis zu den gewöhnlich trüberen Nachmittag- stunden, wo dann wieder Flächenstellung eintrat.“ In dem ungemein sonnigen Sommer 1915 öffneten sich die Blätter meiner Phyllanthus-Pflanzen, die sich in- folge steigender Lichtintensität geschlossen hatten, meist nachmittags nicht, sondern gingen direkt vom Tagesschlaf in den Nachtschlaf über. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 69 Trockenreiz mitwirkte, trat in 1 Minute Schluss der obersten, emp- findlichsten Phyllokladien ein. Diesen folgte bei jüngeren Phyllo- kladien rasch eine konkave Einkrümmung der Achse nach unten — der Beginn des Welkens. Bei anderen Pflanzen erfolgte zwar eine Hebung der Blätter, aber nicht ein vollständiger Schluss. Mimosa pudica, die unter denselben äußeren Umständen kultiviert worden war, reagierte viel weniger stark. Man kann durch rasche Steige- rung der Lichtintensität bei Pflanzen, die vorher sehr schattig standen, wohl auch hier „Schluss“ der Blättchen herbeiführen, Phyllanthus aber erwies sich als empfindlicher und schon wegen der geringen Stoßreizbarkeit zur Demonstration viel geeigneter als Miömosa. Die genannte Phyllanthus-Art kann also durch geeignete Vorbehandlung für plötzliche Lichtsteigerung fast so empfindlich gemacht werden, wie manche Mimosa-Arten es für Stoßreize sind. Eine Anzahl von Pflanzen wurden im Freien bei starker Be- sonnung gezogen. Es zeigte sich (obwohl sie nicht alle gleich sich verhielten), dass sie trotz der Einwirkung der Sonne ihre Blätter nicht schlossen. Diese waren nur aufgerichtet, aber nicht einander bis zur Berührung der Oberseiten genähert. Die neugebildeten Blätter blieben kleiner als die der Schattenpflanzen und erschienen durch Anthocyanbildung bräunlich. Wurden derartige Pflanzen in den Schatten gebracht, so dauerte es viel länger bis sie ihre Blätter ausbreiteten als bei Schattenpflanzen, die an die Sonne gebracht ihre Blätter schlossen, in den schattigen, feuchten Raum zurück- gebracht aber schon nach 5 Minuten eine Rückwärtsbewegung der Fiedern zeigten. Die Pflanzen sind also durch starke Beleuchtung in ihrer Re- aktionsfähigkeit heruntergesetzt, in eine Art Starrezustand über- gegangen°*), der erst aufhört, wenn die Pflanze wieder einige Zeit in schwächerer Beleuchtung war. Es zeigte sich das auch z. B. als nachmittags ein Gewitter aufzog. Die im Gewächshaus stehenden Pflanzen gingen sofort, infolge der Helligkeitsabnahme, in Schlaf- stellung über, die auf der Terrasse danebenstehenden Sonnenpflanzen nicht, wohl aber war dies durch Verbringung ins Dunkle zu erzielen. Vielleicht ist diese Abnahme der Empfindlichkeit bei Sonnen- pflanzen der Grund dafür, dass Rumphius den „Tagesschlaf* seiner „planta moeroris“ nicht beobachtete. Es sind selbstverständlich zwei Möglichkeiten vorhanden: entweder der Tagesschlaf ist ihm entgangen oder er war bei seinen Pflanzen nicht wahrnehmbar. Das erstere ist bei einem so ausgezeichneten Beobachter nicht eben wahrscheinlich. Wenn er Sonnenpflanzen vor sich hatte, so konnte durch die geringe Hebung der Blätter, welche diese in voller 24) Dass auch eine „Kältestarre‘“‘ vorkommt, also z. B. Pflanzen, die im Freien standen, bei 10° ©. morgens noch „schlafen“, braucht kaum erwähnt zu werden. 70 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete, Sonne zeigen, der „Tagesschlaf* um so weniger hervortreten, als bei meinen Versuchspflanzen teilweise die schief aufgerichtete Stellung auch bei geringeren Lichtintensitäten beibehalten wurde. Was zutrifft, kann natürlich nur in der Heimat der Pflanze entschieden werden’) — die Beobachtungen an kultivierten Pflanzen sprechen aber dafür, dass die Pflanzen an ihren natürlichen Stand- orten sich ebenso verhalten wie die von Stahl in Mexiko beob- achteten. — Pflanzen, die unter Glasglocken mit Rupfenbedeckung kultiviert wurden, gingen abends früher in Schlafstellung über als solche, die unter hellen Glocken standen: Offenbar waren die ersteren für Abnahme der Lichtintensität empfindlicher geworden als letztere. Andererseits kommt wohl auch die (Größe des „Gefälles“ ın Betracht. Pflanzen, die in einem hellbeleuch- teten Gewächshaus standen und hier ihre Blätter so aufgerichtet hatten, dass sie einen stumpfen Winkel bil- deten, gingen, ın das beschattete Ge- wächshaus gebracht, ın Schlafstel- lung über, obwohl die Pflanzen, die von Anfang an in diesem standen, nicht schliefen. Auch Pflanzen, die 3 Tage bei konstanter Beleuchtung oder ın konstanter Finsternis gestanden hatten, zeigten eine stark gemin- derte Reizbarkeit für Lichtab- bezw. -zunahme. Bei den in konstanter Beleuchtung gestandenen trat bei Verfinsterung nach 2 Stunden nur in der oberen Hälfte der Pflanze Fig. 13. Ph. lathyroides stark be- „Schluss“ der Blätter ein. Ahn- sonnt (verkl.). liches zeigte ın auffallendem Maße auch Ph. lathyroides. Pflanzen, welche aus dem feuchten, schattierten Gewächshaus in ein trockenes, stark besonntes gebracht worden, lassen ihre Blätter, wie Fig. 13 zeigt, fast in Vertikalstellung eintreten; es sieht aus, als ob sie schlaff herunterhingen. In Wirklichkeit ist aber, wie ein Umdrehen der Pflanze zeigt, eine aktive Krümmung vorhanden. Lässt man die Pflanzen längere Zeit in dieser Stellung, so werden die Blätter starr. In ein schattiertes Gewächshaus gebracht, zeigten die Pflanzen 25) Nach von Herrn Dr. v. Faber neuerdings aus Buitenzorg erhaltenen Mit- teilungen verhalten sich die javanischen Phyllanthus-Arten ebenso wie die mexi- kanischen (Nachtr. Anm.). Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 71 zwar eine allmähliche Hebung der Blätter. Aber es dauerte 10 Tage, bis die (an ihrer anderen Färbung leicht kenntlichen) Blätter aus der Sonnenstellung bei gedämpftem Lichte wieder ın die normale Horizontalstellung übergegangen waren — bei einer in trockener Zimmerluft stehenden Pflanze war auch nach dieser Zeit noch nicht die Normallage erreicht. Es scheint also, als ob diese Art (die für Reize viel weniger empfindlich ist als Ph. Urinaria) einmal empfangene Beeinflussung auch weniger leicht ausgleichen kann. Von Ph. Urinaria wurde die Spitze einer Pflanze in einen dunklen Zylinder geleitet. Es entwickelten sich darın vollständig chlorophyllose Phyllokladien, aber von wesentlich normaler Gestalt. Sie entfalteten im Dunkeln ihre Blätter, zeigten aber keine Schlaf- bewegungen — wenigstens waren sie nachts 9" geöffnet, während die im Freien stehenden Pflanzenteile alle Schluss der Blätter (Schlaf) aufwiesen. Man kann daraus noch nicht schließen, dass keine Beeinflussung der im Dunkeln befindlichen Teile durch die dem Lichtwechsel unterworfenen stattfinde, da ja dıe beobachteten Phyllokladien vielleicht nur im Zustand der „Dunkelstarre* sich be- fanden. Die eingehendere Prüfung der Frage sei auf eine spätere Gelegenheit verschoben, aus äußeren Gründen war eine öftere Be- obachtung der etiolierten Phyllokladien nicht möglich. Fragen wir uns, ob den beschriebenen Reizbewegungen von Ph. Urinaria eine ökologische Bedeutung zukomme, so ist die Be- antwortung der Frage dadurch erschwert, dass die Pflanze nicht in ihrer Heimat, sondern in der Kultur beobachtet wurde. Indes liegen doch einige Anhaltspunkte vor, und zum Vergleich sollen auch die mit ähnlicher Langsamkeit verlaufenden Reizbewe- gungen einheimischer Pflanzen kurz besprochen werden. Pfeffer‘) lässt es dahingestellt, ob den langsamen Reiz- bewegungen von Oxalis u. s. w. eine ökologische Bedeutung zu- kommt oder nicht. Bei Phyllanthus scheint mir zweifellos, dass die langsame seismonastische Reizbewegung weder Feinde ab- schrecken noch die Pflanze vor mechanischen Schädigungen schützen kann. Denn, wenn eine Reizbewegung selbst bei optimaler Temperatur so starke Anstöße braucht und so langsam sich abspielt wie bei Ph. Urinaria, so gehört schon ein starker Glauben an die Nützlich- keit alles Geschehens dazu, um auch hier eine solche Nützlichkeit zu mutmaßen. Auch wissen wir durch Rumphius, dass Insekten sich keineswegs vom Verzehren der Pflanzen durch Reize abschrecken lassen. Ebensowenig ist ein Nutzen der traumatonastischen und thermonastischen Bewegungen einzusehen, was bei letzteren auch 26) A. 2.0. p. 44f. 2 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. für die Ranken, die gleichfalls solche Bewegungen ausführen, zu- trifft. Bei den hygronastischen Bewegungen könnte man annehmen, dass sie den Pflanzen über plötzliche Veränderungen — wie etwa greller Sonnenschein nach vorausgegangenem trüben Wetter — hin- weghelfen. Zweifellos bedingt der Schluss der Blätter eine Tran- spirationsminderung. Aber wır sahen, dass gerade bei solchen Pflanzen, die ıhın am meisten notwendig hätten, der Schutz, den das Schließen der Blätter gegen Vertrocknen gewährt, ein zweifelhafter ist, da die Transpiration auch bei geschlossenen Blättern erheblich ist. Außerdem ıst trübes Wetter in den Tropen meist gleichbedeutend mit Regen. Wenn im Boden genug Feuchtigkeit vorhanden ist, braucht es aber doch wohl bei einer gut bewurzelten Pflanze keiner besonderen Schutzeinrichtungen gegen rasches Ver- trocknen. Dasselbe gilt auch von den photonastischen Bewegungen. Die feine Empfindlichkeit von Ph. Urinaria kommt gerade bei den Sonnenpflanzen, die sie am meisten benützen könnten, nicht immer zur Geltung, weil diese in einen Zustand verminderter photonastischer Reizbarkeit geraten, ähnlich wie die Schlafbewegungen, die man teilweise als Schutz gegen Erfrieren aufgefasst hat, gerade in kalten Nächten unterbleiben. — Es soll durchaus nicht in Abrede gestellt werden, dass die photonastischen Bewegungen unter Umständen als Schutz gegen zu starke Bestrahlung u. s. w. dienen können. Es wird aber bei einer anderen, analog sich verhaltenden Pflanze, Ozxalis strieta, darauf hingewiesen werden, dass sie ähnlich wie Ph. Urinaria, an sonnigen Standorten gerade dann, wenn man es für am nötigsten halten sollte, nicht schläft — ohne dabei Schaden zu leiden. Was die „nyktinastischen“ Bewegungen anbetrifft, so sieht be- kanntlich Stahl (a. a. O.) ın der Schlafstellung der Blattspreiten „eine Schutzeinrichtung gegen Taubeschlag und zwar im Interesse der stomatären Transpiration, deren Aufgabe es ist, die Assi- milationsorgane mit mineralischen Nährstoffen zu versorgen“. Durch Stahl’s Versuche ist nachgewiesen, dass die Schlafbewegungen in vielen Fällen eine Förderung der Transpiration ergeben. Dass diese Förderung eine für die Pflanze vorteilhafte Erscheinung ist, ist wahrscheinlich. Aber wir wissen nicht, welche Bedeutung sie im (Gesamthaushalt der Pflanze hat, worauf es beruht, dass die nyktı- nastischen Bewegungen unter den Pflanzen Mitteleuropas doch ver- hältnısmäßig nur wenigen zukommen und dass Pflanzen ohne Schlaf- bewegungen der Blätter an denselben Standorten wie solche mit Schlafbewegungen vortrefflich gedeihen, z. B. die Farne unserer Wälder neben Oxalis und Impatiens. Diese beiden Pflanzen ge- hören übrigens ebenso wie Ph. Urinaria zu den mit Guttation ver- sehenen. Die Guttation kann ja bekanntlich dann eintreten, wenn Groebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 13 die Transpiration erschwert oder verhindert ist. Wenn aber Stahl (a. a. O. p. 82) in der Schlafbewegung „eine im Kampf ums Dasein erworbene Einrichtung“ erblickt, so kann ich mich dieser Anschauung nicht anschließen, da dene den Kempf ums Dasein überhaupt ober (durch arme kleiner vorteilhafter Variationen) erworben, son- dern nur Unvorteilhaftes ausgejätet werden kann, aber auch Gleich- gültiges bestehen bleibt. Die Vorstellung, dass nur nützliche „Variationen“ erhalten bleiben, ist gewiss nicht haltbar. Wie nachts z. B. nach den Untersuchungen von Kraus der Durchmesser der Stämme anschwillt, ohne dass das eine Anpassung ist, so kann auch die ungleichmäßige Turgor- anschwellung in den Gelenkpolstern eine mit deren (später zu erörternder) primärer Funktion zusammenhängende Erscheinung sein, die unter Umständen nützlich sein kann, aber — um weiter bestehen zu bleiben — nicht von vorn- herein nützlich zu sein braucht. Der dabei statt- findende Energieaufwand kann gegenüber den gesamten Betriebsmitteln der Pflanzen doch wohl kaum in Betracht kommen. Jedenfalls gibt es auch Pflanzen, welche nyktinastische Bewegungen ausführen, bei denen ein „Nutzen“ derzeit nicht einzusehen ist. Näm- lich einmal Wasserpflanzen und dann xerophile. Die untergetaucht lebenden Wasserformen von Myriophyllum proserpinacoides?') und Limno- phila heterophylla führen ebenso die Schlafbewe- gungen aus wie die Landformen. Bei xerophilen Pflanzen sind Schlafbewe- gungen wohl verhältnismäßig selten. Indes treten sie in auffallender Weise hervor bei einer austra- lıschen Leguminose, Butazia myrtifolia. Die leder- igen Blätter zeigen einen ausgesprochen xerophilen Bau: dickwandige Epidermis (mit Schleimbildung), auf der Unterseite großes Hypo. derm, Spaltöffnungen auf die Oberseite beschränkt, dichtes Meso- phyll, Sklerenchymbündel an den Blattnerven ?®). Bei Tag (Fig. 14 7) stehen die Blätter (an der im Münchener botanischen Garten kultivierten Pflanze) in einem Winkel von Fig. 14 27) Abbildung bei Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie, 10 10% pn. Al. 28) Der hier nur kurz angeführte anatomische Bau stimmt nicht ganz mit den Angaben Reinke’s (J. Reinke, Untersuchungen über die Assimilationsorgane der Leguminosen. Jahrb. f. wiss. Botan. Bd. XXX, 1897, p. 35), indes zeigten die Pflanzen des Münchener Herbars denselben Blattbau, so dass die Bestimmung unserer Pflanze richtig sein dürfte. 14 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. etwa 45° von der Sprossachse ab. Nachts richten sie sich — so- weit sie nicht etwa durch ihre Achselknospen daran gehindert werden — so auf, dass ihre spaltöffnungsführende Oberseite der Sprossachse anliegt (Fig. 14 //). Um einen Schutz gegen Betauung kann es sich hier wohl nicht handeln — ganz abgesehen von der Frage, ob Taubildung an den Standorten der Pflanze in Betracht kommt. Die Blätter lassen nämlich auch ın der Tagstellung Wasser- tropfen ablaufen, nur im Winkel zwischen Blatt und Sprossachse können sıe sich allenfalls halten, kommen dort aber kaum in Be- tracht. Die Nachtstellung der Blätter aber würde wohl jeder „Ökologe“ zunächst eher für eine auf Transpirationsminderung : als auf Transpirationssteigerung „berechnete“ betrachten°®). Dass die letztere (durch höhere Temperierung der Pflanze) eintritt und von Bedeutung ist, erscheint zwar als möglich, aber doch als un- wahrscheinlich. Man kann hier wie bei den genannten Wasser- pflanzen die nyktinastische Bewegung der Blätter als eine früher nützlich gewesene, jetzt nur noch als Erbstück ın Betracht kommende betrachten. Aber damit ist dıe Tatsache, dass (anscheinend) nutz- lose nyktinastische Bewegungen vorhanden sind, natürlich nicht aus der Welt geschafft. Dass solche nutzlose Reizbewegungen gar nicht selten sind, geht, wie mir scheint, auch aus Beobachtungen an einigen anderen Pflanzen hervor, die hier angereiht werden mögen. Oxalis?"). Seit Morren und Cohn die Aufmerksamkeit auf die Reizbarkeit der Blätter von Oxalis Acetosella lenkten, sınd deren seismonastische und photonastische Bewegungen öfters besprochen worden. Es sei erwähnt, dass starke wiederholte Stöße (an einem Sommertag im Freien) in meinen Versuchen in 4 Minuten zu einer Senkung der Teil- blättchen führten, nach Ansengen eines Blättchens trat die Senkung schon nach 1 Minute ein. Eine Fortleitung des Reizes wird aber ın Abrede gestellt. So gibt z. B. Kniep?!) an, „Reizübertragung von einem Blättchen zum anderen findet bei Oxalis Acetosella auch nach Verwundung nicht statt.“ Das trifft nicht zu. Vielmehr kann man sich von der Reiz- fortleitung schon am unverwundeten Blatt leicht überzeugen. Hält man ein Blättchen längere Zeit zwischen Daumen und Zeigefinger, so tritt eine Senkung aller drei Blättehen ein. Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen Temperaturreiz. Pflanzen, die aus einem 29) Tatsächlich richten sich die Blätter an sonnigen Tagen auch auf. 30) Vgl. Pfeffer, Physiologische Untersuchungen, 1873, p. 68ff. 31) H.Kniep, Reizerscheinungen der Pflanzen in Handwörterbuch der Natur- wissenschaften Bd. VIII, 1913, p. 291. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 75 Raume von 21° in einen Wärmekasten mit 40° gebracht wurden, zeigten schon nach 5 Minuten deutliche Senkung der Blättehen und schließlich Schlafstellung. Die Temperatur im Topf war dabei von 21° auf 37° gestiegen, ohne dass das der Pflanze (deren Wurzeln im Freien wohl nie solchen Temperaturen ausgesetzt sind) irgend schadete. Schneidet man eines der drei Blättchen sorgfältig, unter Vermeidung einer Erschütterung, ab, so krümmt sich (bei einiger- maßen empfindlichen Pflanzen) nicht nur das Gelenkpolster des ab- geschnittenen Blättehens nach unten, sondern auch die unverletzten führen eine, wenn auch oft nicht erhebliche Senkung aus. Viel stärker ist der Ausschlag, wenn man eines der drei Blättchen vorsichtig zwischen den Fingern zerquetscht. Das eine der beiden anderen Blättchen hatte in einem solchen Falle innerhalb von 10 Minuten, das andere innerhalb von 14 Minuten eine Senkung um 90° ausgeführt. Auch das Rumphius-Phänomen tritt an ©. Acetosella auf, nur viel langsamer als bei Ph. Urinaria. Bei einigen im Walde ent- wurzelten Pflanzen dauerte es 25 Minuten, bis ausgesprochene Schlaf- stellung der Blätter eintrat°?). Eine Reizleitung hat also auch hier anscheinend stattgefunden und zwar durch den Stamm in die Blätter. Es ist für unsere Zwecke gleichgültig, ob der Wundreiz mehr von den verletzten Wurzeln oder dem beim Ausreißen leicht abbrechen- den kriechenden Rhizom ausging. Die Langsamkeit der Reaktion mag neben der Langsamkeit der Leitung auch dadurch bedingt sein, dass die Bewurzelung gegenüber der von Ph. Urinaria eine ver- hältnismäßig schwache ist, also auch die Verletzung eine weniger ausgiebige und damit der Reizanstoß ein geringerer. Auch indirekt lässt sich die Reizleitung erweisen, selbst an weniger empfindlichen Pflanzen, bei denen infolge des Abschneidens eines Blättchens keine deutliche Senkung der anderen Blättchen eintrat. Diese gingen nämlich abends früher in die Schlafstellung über als die ganz unversehrt gebliebenen (bei denen übrigens die jungen früher „schlafen“ als die alten). Es war dies auch dann der Fall, wenn der Wundreiz 6 Stunden zurücklag. Die Zeit, welche nötig ist, um ihn „ausklingen“ zu lassen, wurde nicht bestimmt. Man könnte gegen die Annahme, dass es sich hier um eine Summierung von Lichtreiz und Wundreiz handle, denselben Ein- wand machen wie bei dem unten zu erwähnenden Versuche mit Robinia Pseudacacia. Für diese Pflanze hatte Mohl angegeben, dass Ansengen der Fiederblättchen, Verwundung, galvanische Ströme, keine Reiz- bewegung bedingen. 32) Bei so langsamer Reaktion liegt der Einwand nahe, dass es sich um eine hygronastische, nicht um eine traumatonastische Reizbewegung handle, 16 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Dass verschiedene Pflanzen den verschiedenen Reizen gegen- über sich verschieden verhalten, geht auch aus den oben mitge- teilten Tatsachen hervor. So ıst auch Robinia Pseudacacia für Wundreize verhältnismäßig wenig empfänglich. Doch konnte gezeigt werden, dass solche nicht nur wahrgenommen, sondern auch weiter- geleitet werden. Wenn man nämlich Blätter abschneidet, so erhält man eine sehr energische Abwärtskrümmung der Fiederblätter, wenn man dafür sorgt, dass die Blätter frisch bleiben. Es geschah dies da- durch, dass sie mit der Basis in Wasser gestellt und unter eine Glasglocke gebracht wurden. Junge Blätter sind dabei reizbarer als ältere. So hatte ein 8" 30 abgeschnittenes, noch hellgrünes Blatt seine Fiedern 10" 45 stark nach unten gekrümmt, während diese Bewegung bei einem älteren noch kaum wahrnehmbar war. Es ist klar, dass, wenn diese Bewegungen traumatonastische sind, eine Fortleitung des Reizes von der Schnittfläche aus stattgefunden haben muss. Dabei brauchen natürlich die untersten Fiederblättchen keines- wegs zuerst sich zu bewegen. Wenn die obersten (jüngeren) reiz- barer sind als die unteren, werden jene früher als diese die Be- wegung ausführen, obwohl den letzteren der Reiz früher zugeleitet wurde. Wenn an den festsitzenden Blättern die eine seitliche Reihe der Fiederblättehen entfernt wurde, führt die andere (namentlich bei jüngeren Blättern) die nyktinastische Bewegung früher aus als dies an unverletzten Blättern der Fall war. Es war also der Wundreiz nicht nur wahrgenommen, sondern auch weitergeleitet worden. Gegen die Auffassung dieser Bewegungen als traumatonastische ließe sich einwenden, dass sie nicht direkt durch die Verwundung bedingt seien, sondern infolge einer Turgorsteigerung eintreten. Diese würde bedingt teils (im ersten Fall) durch Wasserzufuhr und Transpirationsminderung im Blatte, teils (im zweiten) durch eine Verminderung der transpirierenden Oberfläche bei gleichbleibender Wasserzufuhr. Ein solcher Einwand würde gerechtfertigt erscheinen, wenn es gelingen würde, an einer unverletzten Pflanze durch Vor- gänge, welche die Turgescenz erhöhen, die Senkung der Fiedern (durch ungleich starke Steigerung der Turgescenz der Gelenkpolster auf Ober- und Unterseite) herbeizuführen. Bis jetzt liegt dafür kein experimenteller Beleg vor, es gelang mir z. B. nicht, Oxals durch Versenkung in Wasser in Nachtstellung überzuführen; deshalb glaube ich die beschriebenen Vorgänge als traumatonastische be- trachten zu sollen. Ansengen der Blätter (das sonst ja stark wirkt) scheint bei Robinia — entsprechend Mohl’s Angaben — kaum eine Reiz- Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. ET bewegung zu bewirken. Die Blätter verhielten sich indes nicht alle gleich. An einem Ast zeichneten sich die angesengten Fieder- blättchen (die keine traumatonastische Bewegung ausgeführt hatten) dadurch aus, dass sie abends nicht in die Schlafstellung übergingen, am nächsten Tage dagegen eine Aufwärtskrümmung aufwiesen. An einer anderen Pflanze nahmen dagegen die angesengten Blätter an der Schlafbewegung teil — ob sie früher in diese übergingen, wurde nicht beobachtet. Dass den seismonastischen und traumatonastischen Bewegungen von Robinia eine ökologische Bedeutung zukomme, ist sehr unwahr- scheinlich — man müsste denn für die ersteren Schutz gegen Hagel oder starken Regen vermuten. Darauf wird bei Besprechung der seismonastischen Bewegungen von Mimosa pudica zurückzukommen sein. Trotz der anscheinenden Bedeutungslosigkeit der Reizbewe- gungen findet aber auch hier wie bei Oxalis Acetosella eine Reiz- leitung statt, wenn auch eine langsame. Beispiele für langsame Leitung von Wundreizen finden sich auch bei anderen Pflanzen. Wenn z. B. (bei einer Temperatur von 20°) die obersten Fiedern von Aeschynomene indica versengt wurden, so wurde der Reiz zwar ın basıpetaler Richtung weitergeleitet, aber es dauerte 12 Minuten, bis ein Zusammenklappen der Fiedern eintrat. Zur Demonstration langsam verlaufender seismonastischer Be- wegungen (namentlich im Winter) seı Calliandra tetragona emp- fohlen. Es bedarf erheblicher mechanischer Reizungen um eine Be- wegung der Blättchen nach oben und eine (schwache) Senkung der Fiedern des doppelt gefiederten Blattes herbeizuführen. Dabei zeigt die Pflanze sehr schön die Reizfortleitung. Ein Blatt, dessen Endfiedern 3" 4 an der Spitze versengt worden war (so dass etwa drei Fiederpaare verletzt bezw. getötet waren), zeigte 3% 6 (bei 18!/,° C.) schwache Erhebung der den versengten Fiedern benachbarten Blättchen. Später waren die Fiedern alle steil aufgerichtet, 3" 40 fast geschlossen (doch verhalten sich die einzelnen Fiedern nicht gleich). Außerdem war der Reiz auf das nächst untere und das nächst obere Blatt fortgeleitet. 3"53 war er im nächst unteren schon beinahe nicht mehr sichtbar, die ge- reizten Fiederblättchen (der Reiz geht selbstverständlich von der Blattbasis aus) waren beinahe in die Normalstellung zurückgekehrt. Es war aber auch das zweitnächst obere (von der Einfügungsstelle des gereizten etwa 3 cm, von der Verwundungsstelle etwa 17 cm entfernte Blatt) durch Steilaufrichtung seiner Fiederblättchen stark in Reizstellung übergegangen — ein Zeichen dafür, dass die Reiz- fortleitung nach oben intensiver erfolgt als nach unten. 18 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Mag auch die Temperatur von 18!/,° für die Schnelligkeit der Reizbewegungen keine optimale sein, so ist doch nicht zu bezweifeln, dass die seismonastischen und traumatonastischen Reizbewegungen sehr langsam verlaufen und trotz der schönen Reizleitung keine besondere Bedeutung für die Pflanze haben. Ein Blatt von COnlliandra, das morgens vor 9" durch Ansengen gereizt worden war, seine Fiedern aber wieder ausgebreitet hatte, zeigte (an einem trüben Dezembertag) °/,5" abends schon deutliche Aufrichtung der Fiederblättchen — also den Beginn der Schlaf- bewegung — während die anderen Blätter noch vollständige Tag- stellung zeigten — eine Beobachtung, welche ganz mit dem oben für andere Pflanzen Mitgeteilten übereinstimmt. Oxalis Acetosella ist bekanntlich eine Schattenpflanze, welche auf Steigerung der Lichtintensität durch Abwärtsbewegung der Fiedern reagiert. Pflanzen, welche ıch in den sonnigen Juni- und Julitagen dieses Jahres in voller Sonne zog (die Blätter bleiben dabei kurz, die Blattflächen nehmen die „Schlafstellung* an und zeigen eine heller grüne Farbe als die normalen Pflanzen), zeigten ihre Blätter in einem Starrezustand, d. h. sie reagierten, auch wenn sie ın den Schatten gebracht wurden, zunächst nicht durch Erhebung der Fiedern. Erst nachdem sıe längere Zeit (einen halben Tag und eine Nacht) im Schatten bezw. der Dunkelheit verweilt hatten, trat bei allen Blättern wieder Erhebung der Fiedern eın. Oxalis stricta, das bekannte, bei uns eingeschleppte Unkraut dagegen zeigte in den ununterbrochen aufeinander folgenden Sonnen- tagen des Juni und Juli 1915 auch bei stärkstem Sonnenschein keinen „Tagesschlaf“. An einer anderen Stelle, wo nach Süden eine Mauer stand, die Hitze „spie“*, waren die Blättchen nach unten gesenkt, sonst waren an ganz freigelegenen Standorten die Fieder- blättchen nur etwas mit dem Rand nach oben gekrümmt. Dagegen zeigten auf dem ersten Beet, als nach einigen trüben Tagen wieder heller Sonnenschein eintrat, eine ganze Anzahl von Blättern mittags den „Tagesschlaf“ (Senkung der Teilblättchen). Um zu prüfen, ob diese Erscheinung eine auf geringer Licht- empfindlichkeit beruhende sei, kultivierte ich Topfpflanzen unter einer Glasglocke in gedämpftem Lichte. Brachte ich sie in die Sonne und hob die Glocke ab, so trat nach wenigen Minuten Senkung der Blättchen ein, die der jüngeren nach 2 Minuten, die der älteren später. Nach 10 Minuten trat Welken ein. Übrigens erträgt Oxalis strica Welken sehr gut, selbst Pflanzen und deren Teile, die man durch Austrocknen abgetötet glaubt, erholen sich wieder, nur die untersten Blätter gehen dabei zuweilen zu- grunde. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 79 Die Empfindlichkeit von Oxalis Acetosella wurde aber von O. stricta ın meinen Kulturen bis jetzt nicht erreicht”). Eine Pflanze von ©. Acetosella hatte 14 "lage neben einer solchen von O. strieta schattig gestanden. Als sie in volle Sonne gebracht wurden, reagierten die ersten Blätter von O. Acetosella schon nach !/, Minute. Nach 2 Minuten waren an 16 Blättern die Blättchen mehr oder minder nach unten geschlagen, ©. strieta begann erst nach 9 Minuten an einzelnen Blättern dıe Schlafbewegungen. Wenn Pflanzen, die schattig und feucht standen, in die Sonne gebracht werden, so wirken zwei Reize zusammen ein: der durch die Steigerung der Lichtintensität gegebene und der durch plötz- liches Sinken der Luft- feuchtigkeit veranlasste. Dasselbe dürfte auch für dıe erwähnten vor und aneiner Südmauerstehen- den Pflanzen anzunehmen sein. Dass 0. strieta für „Trockenheit“ reızbar ist, also hygronastische Be- wegungen ausführt, lässt sich, wie bei Phyllanth. Urinaria, leicht zeigen. Lässt man die Töpfe stark austrocknen, so nehmen die Pflanzen auch am Tage Schlafstellung an oder behalten die Fig. 15. Oxalis sirieta. Pflanze morgens 10h Blätter Schlafstellung der Nacht wegen Trockenheit in Schlafstellung. bei. Die in Fig. 15 abgebildete Oxalis strieta war (während daneben stehende feucht gehaltene Pflanzen längst in Tagesstellung über- gegangen waren) morgens 9® noch in Schlafstellung. Sie wurde dann begossen und brauchte einige Stunden bis sie „erwachte“ °*). Trocken gehaltene Pflanzen nahmen auch die Schlafstellung gegen Abend früher an als feucht gehaltene, verwundete Blätter früher als unverwundete, offenbar durch Summation zweier Reize °’°). 33) O. strieta ist ja auch viel mehr „Sonnenpflanze“ als O. Acetosella, die als typische Schattenpflanze in der Sonne auch mehr gefährdet ist als O. strieta. 34) Die Öffnung der Blätter erfolgte von den obersten ausgehend und war nach 3 Stunden noch nicht ganz vollständig. 35) Macfarlane (Irritocontractility in plants, Biological lectures delivered at the marine biolog. laboratory of Wood’s Holl, Boston 1894) meint, dass die Tem - peratur des Bodens in erster Linie in Betracht komme und dass die Bewegungen s0 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Die Verhältnisse liegen also ganz ähnlich wie bei Ph. Urinaria — das amerikanisch-europäische Unkraut stimmt mit dem asiatischen überein. Seine Reizbewegungen hängen ab von den Verhältnissen, unter denen sıch die Pflanze befindet: Bei längerer Dauer von starker Sonnenwirkung gerät sie in eine Art Starrezustand und führt keine Schlafbewegungen aus, war sie vorher schattig und feucht kultiviert, so nımmt. sie bei direkter Exposition rasch die Schlafstellung an. Sıe transpiriert aber auch in dieser stark, wie das rasche Welken zeigt. Die Empfindlichkeit der Blätter für die genannten Faktoren wird ıhr wohl nicht viel nützen, um so weniger, als sie stark aus- trocknen kann, ohne viel Schaden zu leiden und auch etwaige Ver- luste durch Ausläufer- und Samenbildung leicht ersetzt. Ganz nutzlos er- scheint ferner, dass auch O.stricta das Rumphius- Phänomen zeigt, wenn auch dıe Nachtstellung bei den daraufhin unter- suchten Pflanzen nicht vollständig erreicht wurde. Mankönnte einen Nutzen herbeiziehen, in- dem man sagt: eine Wurzelbeschädigung könne durch Tiere ein- treten. Die Pflanze ent- Fig. 16. Dieselbe Pflanze wie Fig. 15 nach dem gehe dann der Vertrock- Begießen. nungsgefahr durch Sen- kung der Blätter. Das wäre aber eine durch keinerlei Beweise gestützte Konstruktion, zumal, wie wir sahen, die Transpiration auch noch an Blättern mit gesenkten Blättchen noch sehr lebhaft ist. Einen erheblichen Nutzen dürften auch bei ©. Acetosella die von Oxalis „parathermotropisch‘‘ (jetzt würde man sagen thermonastisch) seien, während Mangel an Feuchtigkeit nur insoferne in Betracht komme, als er „flacci- dity and a want of tone in the tissues‘‘ veranlasse. Das ist meiner Ansicht nach nicht zutreffend. Die thermonastische Empfindlichkeit von O. strieta war in meinen Versuchen keine erhebliche. Eine Pflanze, die ich in den Wärmekasten von 40° brachte, zeigte zwar eine Abwärtskrümmung der Blättchen, aber diese war nicht stark und war von der Schlafstellung weit entfernt. Stärker reagierte auf Temperatur- steigerung eine Pflanze, welche ich durch einen Querschnitt an der Sprossachse ver- letzt hatte. Trocken gehaltene Pflanzen von 0. strieta nahmen auch die Schlaf- stellung früher an als feucht gehaltene. Das alles zeigt, dass die hygronastische Reizbarkeit von ©. stricta eine größere ist als die thermonastische, Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Si meisten Reizbewegungen der Blätter nicht haben. So vor allem nicht von seismonastischen und traumatonastischen. Man kann, was die ersteren betrifft, zwar leicht beobachten, dass bei starkem Regen die Blättehen sich senken. Aber auch ohnedies werden sie wegen ihrer Kleinheit und ihrer Beweglichkeit an den Gelenken durch das Anprallen der Tropfen nicht beschädigt werden (wenigstens fehlt jeder Beweis für eine solche Beschädigung) und „Ombrophobie*“ (vgl. unten bei Möimosa) kann in unserem Klima doch nicht in Be- tracht kommen. Was aber sollte durch die Reizleitung bei Ver- wundung, die, wie wir sahen, auch hier vorhanden ist „bezweckt“ werden? Für die photonastischen Bewegungen lässt sich besser ein Nutzen einsehen. Dass die Profilstellung bei starker Beleuchtung den Blättern dieser Schattenpflanze nützlich sein kann, ist nicht zu be- zweifeln. Indes wird ein solcher Schutz nur bei vorübergehender starker Beleuchtung in Betracht kommen. Wenn z. B. die Bäume, in deren Schatten ©. Acetosella wuchs, stürzen oder abgeschlagen werden, so verschwinden die Pflanzen trotz der Profilstellung der Blätter nach einiger Zeit, einerseits wohl deshalb, weil der Boden in seinen oberen Schichten für die wenig tiefgehenden Wurzeln zu trocken wird, andererseits weil andere für offene Standorte besser geeignete Pflanzen den Sauerklee verdrängen. Betreffs der Schlaf- bewegungen sei auf das oben Gesagte verwiesen. Gramineen. In dieser großen Familie sind reizbare Blätter nur bei zwei Arten angegeben: 1. Brongniart beschrieb°®) Schlafbewegungen bei Olyra (Strephium) guianensis. Die Blätter dieser Pflanzen gehören zu der unter den Gräsern nicht häufigen Ausbildungsform, bei der zwischen Blattscheide und Blattfläche ein stielartiges Gelenk vorhanden ist — eine höhere Ausbildung des unten zu erwähnenrden „Spreitengelenks“. Dieses ermöglicht nicht nur die phototropische Einstellung der Blätter am Tage — welche an den schräg auf- steigenden Sprossen so orientiert sind, dass das Ganze einem ge- fiederten Blatte gleicht —, sondern auch die Schlafbewegung. Nachts liegt nämlich die Blattspreite den Sprossen an, so dass die Blatt- oberseite der Unterseite des darüberstehenden Blattes sich an- schmiegt. Wie bei Ph. Urinaria beginnt die Schlafbewegung schon am Tage (an Sommertagen zwischen 4—6 Uhr). Offenbar ist die Pflanze auf schwache Lichtintensitäten gestimmt. Damit würde auch (wenn man sich Stahl’s Ansicht über die Bedeutung der Schlafbewegungen anschließt) stimmen, dass sie Schlafbewegungen 36) A. Brongniart, Note sur le sommeil dans une plante de la famille des Gramindes. Bullet. de la soc. botanique de France VII (1860), p. #70. XXXVI. 6 82 Goebel, Das Rumphius-Phänonien ete. ausführt, während die an offenen Standorten wachsenden mit ähn- licher Blattform ausgerüsteten Bambusa-Arten, soweit mir bekamnt, keine Schlafbewegungen zeigen?’). Ob es sich bei Olyra um eine durch Wachstumsdifferenzen oder durch Turgordifferenzen im Ge- lenk ausgeführte Bewegung handelt, bleibt festzustellen. Ersteres erscheint wahrscheinlicher. Der zweite Fall bezieht sich auf Leersia oryzoides (Oryza elan- destina). Duval Jouve°*) betrachtete die Blätter dieses Grases als „irritables“, weil sie, abgeschnitten oder noch in Verbindung mit der Pflanze, zerknittert sich einrollen. Irgendwelche seismonastische Reizbarkeit liegt hier aber nicht vor. Ein Reiben festsitzender Blätter führt nicht zur Einrollung. Schnitt ich Sprosse von Leersia an der Basis ab und schüttelte sie, so erfolgte im Freien (bei geringer Luftfeuchtigkeit) eine Einrollung an der Blattspitze schon nach !/, Minute. Nach 1—2 Minuten war das ganze Blatt, von der Spitze aus fortschreitend, eingerollt, so dass es den in Fig. 17 abgebildeten Querschnitt f aufweist. Länger dauert es ın einem feuchten f Raume bis die Einrollung erfolgt. Wurde ein \ } nicht abgeschnittener Spross gleich lang und gleich Y stark geschüttelt, so trat keine Einrollung ein. Se Legt man ein eingerolltes Blatt in Wasser, so Fig. 17. Querschnitt öffnet es sich nach einiger Zeit wieder. eines eingerollten Aus dem Angeführten geht ohne weiteres Blattes von Leersia Jervor, dass es sich um eine, allerdings auf- oryzoides. Schwach Elenderaschendereladir en a Veen allend rasche, durch Transpirationsverlust be dingte Bewegung des Blattes handelt, die natür- lich auch eintritt, wenn man Blätter oder Sprosse ohne Erschütte- rung abschneidet. Das Schütteln befördert die Transpiration. Dass an den geschüttelten, nicht abgeschnittenen Sprossen keine Ein- rollung eintrat, beruht gewiss darauf, dass der Transpirations- verlust hier rasch wıeder gedeckt wird. Es sind ın dem dünnen Blatte die Gefäße ın den größeren Blattnerven auffallend weit, auch die Entfaltungszellen erreichen eine Höhe, welche fast der Hälfte der Blattdicke gleichkommt. Dass die Einrollung nicht ganz bis zur Blattbasis fortschreitet, möchte ich weniger (wie Duval Jouve a.a. O., p. 328) dem Umstande zuschreiben, dass die auf der Unterseite befindlichen „bandes bulliformes* — ... „font resi- stance ä la contraction de celles de la face superieure* —, sondern dem Umstande, dass sich an der Basis des Blattes ein (von Duval 37) Aber auch nicht eine (kultivierte) PhAarus-Art, die ähnliche Blattform hat und ähnliche Standorte bewohnt wie Olyra. Bekanntlich hat Pharus inverse Blätter. 38) Duval Jouve, Histotaxie des feuilles de Gramindes. Ann. des scienc. nat. 6 ser., t. I (1875), p. 325, 328. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 33 Or) Jouve nicht erwähntes) Spreitengelenk befindet (s. u.), dessen Vor- handensein schon genügt, um die Einrollung zu verhindern. Auch bei anderen Gräsern kann die Wasserverschiebung rasch eintreten. Dies zeigte auch ein breitblätteriges Gras aus Kamerun (ein Paspalım oder Oplismenus)°®). Begoss ich den Topf längere Zeit nicht, so falteten sich die Blätter der Länge nach zusammen. Nachdem der Topf begossen war, zeigte sich in überraschend kurzer Zeit eine Öffnungsbewegung. Einzelne Blätter beginnen damit schon nach 1 Minute. In 8 Minuten war die Mehrzahl geöffnet. Und zwar beginnt wie bei Ph. Urinaria die Öffnungsbewegung meist von den Sprosspitzen aus. Bei Sesleria coerulea fand Duval Jouve an Pflanzen, deren Blätter gefaltet waren, erst 6 Stunden nach Begießen wieder Ausbreitung. (Gegenüber den typischen Roll- und Faltblättern anderer Gräser zeigt Leersia jedenfalls eine Verschiedenheit, die zu beachten ist, wenn man die Frage nach der biologischen Bedeutung der Rollbewegung er- örtert. Jene Gräser sind xerophil. Sie haben Spaltöffnungen nur auf der Oberseite, auf der Unterseite, die beim Einrollen oder Einfalten die Außenseite darstellt, dagegen meist eine diekwandige Epidermis und einen Panzer von Sklerenchymfasern. So z. B. Stipa, Lygeum, Festuca-Arten u.a. Leersia dagegen ist ein sumpfbewohnendes Gras. In der Um- gebung Münchens wächst es zusammen mit Phragmites, Seirpus lacustris, Cicuta virosa u.a. Die Blätter sind dünn und haben Spalt- öffnungen auf beiden Seiten *°). Wenn Tschirch*') meint, Leersia werde sich „durch die Fähigkeit, ihre Blätter durch Einrollen gegen Verdunstung schützen zu können, bei Niveauschwankungen der Gewässer, an denen sie wächst, bei welchen sie wiederholt auf trockenen Boden gelangen kann, leicht den veränderten Lebensbedingungen anpassen können“, so schwebt diese Annahme ohne experimentellen Beleg in der Luft. Nimmt man an, dass beide Blattflächen bei Leersia annähernd gleich viel verdunsten, so würde die Transpiration durch die Ein- rollung um die Hälfte heruntergesetzt. Damit stimmen die Ergeb- nisse einiger Wägungen auch gut überein. Gewogen wurde der Transpirationsverlust von eingerollten Blättern und (unter gleichen 39) Die Pflanze ist auch dadurch von Interesse, dass die Blätter kein „Scheiden- gelenk“ haben. Die unteren Teile der Sprossachse ersetzen die mechanische Leistung des Scheidengelenkes durch Ausbildung von Collenchym. Die niederliegenden Sprosse scheinen nur schwach geotropisch zu sein. 40) Th. Holm (A study of some anatomical characters of North-American Gramineae Bot. Gaz. XVII, 1892) gibt an „Stomata are present in largest number on this, the inferior face of the blade“ (a. a. O., p. 59). 41) A. Tschirch, Beiträge zu der Anatomie und dem Einrollungsmecha- nismus der Grasblätter (Jahrb. f. wiss. Bot. XIII. 1882, p. 547, Anm.). 6* SA Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. äußeren Bedingungen) der von solchen, welche durch eingesteckte Glasfäden am Einrollen verhindert waren: iR a) Eingerollt: 8t 45 0,1056 gn 45 0,0952 b) Ausgebreitet: 3b 50 0,0685 9% 50 0,0562 (Gewicht der Glasfäden: 0,0084). Bezogen auf das Blattgewicht betrug der Transpirationsverlust bei a) 9,8%, bei b) 20,5%, in 1 Stunde. 2. a) Eingerollt: sh 56 0,1046 9ı 56 0,0925 b) Ausgebreitet: 91 0,1038 10% 1 0,0912 Gewicht der Glasfäden: 0,0177. Also Transpirationsverlust bei a) 11,6%, bei b) 14,6 9. 3 a) Eingerollt: 350 0,0766 AN 50 0,0710 b) Ausgebreitet: 33245 0,0913 Ah 45 0,0786 Gewicht der Glasfäden: 0,117. Transpirationsverlust bei a) 7,3%, bei b) 15,95 %. 4. a) Eingerollt: kl 0,1142 10% 30 0,0997 b) Ausgebreitet: 9223 0,1608 10% 35 0,1256 Gewicht der Glasfäden: 0,0146. Transpirationsverlust bei a) 12,7 %,, bei b) 24,1%. Mit Ausnahme der Wägung 2, bei der besondere Umstände obgewaltet haben mögen (vielleicht frühzeitiger Spaltenverschluss des Blattstückes) stimmte also das Ergebnis mit der Annahme überein. Im Freien konnte ich eine Einrollung der Leersia-Blätter bis jetzt nicht beobachten. Bei Topfpflanzen erfolgte sie erst, nach- dem die Töpfe mehrere Tage hindurch nicht begossen worden, also die Erde trocken geworden war. Die Einrollung der Blätter war keine vollständige, sie verschwand nach dem Begießen und zwar auch hier sehr rasch: innerhalb von 6 Minuten nach dem Begießen waren die Blätter der Hauptsache nach wieder flach, selbst ein Blatt, das 32 cm über dem Boden (am Spreitengelenk gemessen) stand und ganz röhrenförmig eingerollt gewesen war, war nach dieser Zeit, von einer leichten Einkrümmung abgesehen, wieder flach. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 85 Die Ein- und Aufrollbewegungen der Leersia-Blätter eignen sich also zur Demonstration in Vorlesungen, nicht nur um die Blatt- bewegung, sondern auch um die Geschwindigkeit der Wasserbewegung zu zeigen, Wenn man auch in der Annahme, dass die Fähigkeit, den Transpirationsverlust aut etwa die Hälfte herabsetzen zu können, für Leersia unter Umständen von Vorteil sein könne, nicht fehl- gehen wird, so fehlt es doch an eingehenderen Beobachtungen der Lebensverhältnisse an anderen als an mitteleuropäischen Standorten, an welchen dies Gras doch jedenfalls sich außerhalb seines eigent- lichen Verbreitungsbezirkes befindet. Bei uns erscheint die Aus- rüstung des Blattes mit dem rasch verlaufenden Ein- und Ausroll- mechanismus nicht von größerer Bedeutung. Leersia besitzt ein gut entwickeltes Wurzelsystem, kann also den Transpirationsverlust aus dem Boden rasch decken. Selbst wenn dieser stark austrocknet, wird das Weiterbestehen der Pflanze durch ihre Ausläufer gut gesichert sein. Ob in anderen Ländern für Leersia raschere Wechsel in der Wasserökonomie eintreten, muss dahingestellt bleiben, sie ist ja z. B. ein bekanntes Unkraut in Reisfeldern. Ob man die Bewegungen als Reizbewegungen bezeichnen soll oder nicht, hängt natürlich nicht von ihrer Geschwindigkeit, sondern von der Art der Ausführung und der Definition des Begriffs Reiz- bewegung ab. An toten, wieder angefeuchteten Blättern beobachtete ich beim Eintrocknen wohl Faltungen und unregelmäßige Ein- rollungen, aber nicht die geregelte Rollbewegung wie an lebenden Blättern. Ich möchte daher mit Duval Jouve und Tschirch annehmen, dass die Bewegung durch Turgorverminderung in den Gelenkzellen der Oberseite zustande kommt. Ein Beweis dafür liegt nicht vor, denn auch der mikroskopische Vergleich der Ge- lenkzellen an entfalteten und gerollten Blättern ergab keine ent- scheidenden Anhaltspunkte. Man kann die Einrollung auch herbei- führen, indem man einen Tropfen Glyzerin auf die Oberseite bringt. Nimmt man an, dass bei dem Wasserverlust der Gelenkzellen keine „Auslösung“ stattfindet, sondern nur eine den Außenbedingungen quantitativ entsprechende Verminderung, so wird man den Vorgang nach der gewöhnlichen Definition nicht als einen Reizvorgang be- zeichnen, so wenig wie die beim Welken oder bei Wasseraustritt beim Gefrieren eintretenden Bewegungen. Für die ökologische Be- trachtung ist aber, wie oben erwähnt, die Mechanik der Bewegung von untergeordnetem Interesse. Ihr „Nutzen“ ist erst noch fest- zustellen. Hier war Leersia zu erwähnen, weil, wenn die Gelenkzellen die Bewegung vermitteln, bei ihr ebenso wie in den anderen behan- delten Beispielen ein ursprünglich der Entfaltung dienendes sb (soebel, Das Runiphius-Phänomen ete. Strukturverhältnis später anderweitig verwendet wird. Bei dem oben erwähnten Paspalım ist dies nicht der Fall, hier haben die Blätter gerollte Knospenlage und zahlreiche Streifen von Gelenk- zellen wie bei Leersia. Trotzdem rollen sie sich nicht ein, sondern falten sich beim Eintrocknen. ; IV. Die primäre Funktion der Blattgelenke. Im vorstehenden wurden die Reizbewegungen von Phyllanthus und zum Vergleich damit von einigen anderen Pflanzen, soweit sie dem Verf. bekannt geworden sind, beschrieben, daran schloss sich an die Erörterung der Frage, ob diese Bewegungen (alle oder ein Teil davon) für das Leben der Phyllanthus-Pflanze von Bedeutung seien oder nicht. Mit der Beantwortung dieser Frage werden viele von vornherein nicht einverstanden sein. Denn man ist selbstverständlich geneigt, wenigstens den auf- fallenderen Reizbewegungen der Pflanzen eine besondere biologische Bedeutung zuzuschreiben, schon weil die der Tiere ja deutlich eine solche haben. Auch liegt ja die Bedeutung der geotropischen, phototropischen, chemotropischen u. a. Bewegungen klar zutage. Bei den Variationsbewegungen, um welche es sich hier handelt, lag es um so näher, dasselbe anzunehmen, als man dabei besondere „Bewegungsorgane*, die Blattgeleuke antrifft. Nun hat man aber, soweit mir die Literatur bekannt ist, merk- würdigerweise übersehen, dass die primäre Funktion der Ge- lenke, d. h. die erste und allgemeinste gar nicht die der Aus- führung von Variationsbewegungen ist*”). Vielmehr sind die Gelenke in erster Linie Entfaltungsorgane, in zweiter tragen sie das Gewicht der Blätter oder Blatteile, und erst in dritter Linie sind manche davon (und zwar meiner Auffassung nach zunächst „zufälliger“ weise) auch Organe für Variationsbewegung. Die primäre Funktion eines Organs zu ermitteln ist aber bei allen Organismen für den Biologen eine der wichtigsten Auf- gaben. Wenn man sie vernachlässigt, kommt man zu von vorn- herein unhaltbaren Auffassungen. Wer die Variationsbewegungen als die primäre Funktion der Blattgelenke ansieht, ist in einem ähnlichen Irrtum befangen wie jemand, der Pferde nur aus Abbil- dungen sich gegen Wölfe verteidigend kennt und nun meint, ihre Hinterhufe seien vor allem als Waffen, mit denen sie ausschlagen können, von Bedeutung. Selbstverständlich können sie als solche unter Umständen von Wichtigkeit sein. Aber ihre primäre Be- 42) Darwin (The power of movement) sagt z. B. von den Gelenkpolstern (p- 123): „and such long continued movements seem to be one chief end gained by the development of a pulvinus“, ferner (p. 397): „‚Besides the long continuance of the movements when effected by the aid of a pulvinus (and this appears to be the final cause of its development)... (Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc, 87 deutung ist natürlich eine ganz andere. Sie sind aber so ausge- bildet, dass sie unter Umständen auch in anderer Weise verwendet werden können. Die knollenförmigen Anschwellungen der Myrmecodien und die hohlen Rhizome mancher Farne (Lecanopteris carnosa, Polypodium sinuosum) hat man für besonders zur Beherbergung von Ameisen entwickelte Organe gehalten. Ihre primäre Funktion ist aber, wie Verf. vor Jahren nachwies*?), die der Wasserspeicherung — erst sekundär kommen die tierischen Inquilinen in Betracht, deren Vor- handensein unter Umständen nützlich sein kann, aber nicht nütz- lich zu sein braucht. Ein anderes Beispiel: Die bekann- ten ringförmigen Anschwellungen an der Basis der Blattscheiden der meisten Gräser (meist als „Grasknoten“ be- zeichnet), sind bekanntlich für die Auf- richtung der aus ihrer orthotropen Richtung gebrachten Grashalme wich- tig, weil sie imstande sind, auf ihrer Unterseite (auf dem Klinostaten auch allseitig) das Wachstum wieder aufzu- nehmen und so die „knieförmige“ Auf- richtung der Grashalme zu besorgen. Aber ihre primäre Funktion ist das nicht. Die ist zweifellos eine mecha- nische: die der Aussteifung der Halme gerade an der Stelle, wo infolge des interkalaren Wachstums der Inter- Fig. 18. Basis einer Blattspreite von nodien die schwächste Stelle vorhanden Zea Mars. G@ das Spreitengelenk ist. Dazu sind sie vortrefflich geeignet Ge mac durch ihren anatomischen Bau, nament- lich die massig entwickelten Collenchymbündel, welche Festigkeit mit einer gewissen Dehnbarkeit vereinigen. Gleichsam als wollte die Natur uns diese primäre Bedeutung der „Scheidengelenke“ an einem anderen Beispiel vor Augen führen, hat sie denselben Vorgang bei vielen Gräsern an der Basis der Blattspreite — dort, wo diese in die Scheide übergeht, wiederholt. Dort befindet sich das oft übersehene, aber durch seine Färbung, Gestalt und Bau bei vielen Gräsern sehr deutlich hervortretende Spreitengelenk*). Es ist in Fig. 18, von Zea Mais, abgebildet (@). 43) Goebel, Morphologische und biologische Studien. Annales du jardin botanique de Buitenzorg VII (1887), p.16 und Pflanzenbiologische Schilderungen I (Marburg 1889), p. 204. 44) Die hier vorgeschlagene Bezeichnung ist der von Jessen gebrauchten „Blattgrund“ vorzuziehen. Die letztere ist unrichtig gebildet, das Spreitengelenk liegt ja nicht am Grunde des ganzen Blattes, sondern nur an dem der Spreite. Ss Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Es ıst durch seine weißliche Farbe deutlich von der Spreite unter- schieden. Bei anderen Gräsern ist es dunkel gefärbt. Die Spreite bildet ursprünglich die Verlängerung der Blattscheide, ıst in der Knospenlage also (bei einem orthotropen Spross) aufrecht. Später biegt sich die Spreite von der Scheide ab. Das geschieht haupt- sächlich durch die Entwicklung des Spreitengelenkes, welches in der Knospenlage noch äußerst kurz, später interkalar heranwächst und die Abbiegung der Spreite veranlasst, teilweise wohl auch die Entrollung von deren basalem Teile begünstigt. Dieses Spreitengelenk zeigt wesentlich denselben anatomischen Bau wie das Scheidengelenk *). Nur hat das letztere als sekundäre Funktion, die aber keineswegs immer in die Erscheinung tritt — auch die der geotropischen Reaktionsfähigkeit. Diese ist offenbar dadurch begünstigt, dass das Gelenk als der zuletzt fertig gestellte Teil des Blattes (abgesehen von dem davon weit getrennten Spreiten- gelenk) auch die Wachstumsfähigkeit am längsten beibehält — schließlich erlischt sie auch hier. Es sollte mich nicht wundern, wenn man bei einigen Gräsern auch das Spreitengelenk zur Aufnahme des Wachstums veranlassen könnte, obwohl eine solche biologisch kaum von Bedeutung sein könnte. Das Spreitengelenk ist also ein Entfaltungsorgan und hat nach der Entfaltung die Blattspreite zu tragen. Dass es dazu be- sonders geeignet ist, zeigt ein einfacher Versuch. Biegt man z.B. bei Festuca gigantea das Blatt so ab, dass der obere Teil der Blatt- scheide vom Halm absteht, und nun statt des Spreitengelenkes das Gewicht der Blattscheide zu tragen hat, so knickt er leicht unter diesem Gewicht ein: er ist also nicht imstande, es zu tragen. Das führt uns zurück zu der primären Bedeutung anderer Gelenke. Die Entfaltung der Blätter und Sprosse — also der Übergang von der Knospenlage in den fertigen Zustand — kann (wenn wir von den Blattstielen hier absehen) vor sich gehen 1. durch diffus verteiltes stärkeres Wachstum der Oberseite, 2. durch besondere Entfaltungs(Gelenk)zellen (Gräser, manche Cyperaceen), 3. durch Gelenke. Und zwar a) durch im ausgewachsenen Zustand starre, b) durch im ausgewachsenen Zustand bewegliche Gelenke, 4. durch Schwellgewebe in Gestalt von Polstern, wie sie bei manchen Palmenblättern, den Inflorescenzästen vieler Gräser *°) u. Ss. f. auftreten. | 45) Vgl. darüber Volkartund Kirchner in: Loew, Kirchner und Schroe- ter, Lebensgeschichte der Pflanzen Mitteleuropas, Bd. I, 2. Abt. (1908), p. 57. 46) Vgl. Z. Woyeicki, Über die Bewegungseinrichtungen an den Blüten- ständen der Gramineen, Beih. zum Botan. Oentralblatt, Bd. XXVI (1910), Abt. I. (roebel, Das Rumphius-Phänomen ete. sg Hier haben wir es nur mit den unter 3. genannten Organen zu tun. Unter einem Gelenk oder Gelenkpolster verstehen wir be- kanntlich eigenartig aussehende, meist polsterförmig angeschwollene Teile des Blattstiels*”), die — wenigstens im primären Zustand — keine mechanischen Gewebe, wohl aber auf Ober- und Unterseite antagonistisch gespannte Parenchymgruppen aufweisen, welche zu- sammen mit dem passiv gedehnten, meist zentralen Leitbündel- körper, die Straffheit des Gelenkes bedingen. Die starren Gelenke sind durch den Besitz von Collenchym (manche auch von Skleren- chym) ausgezeichnet, sie führen vielfach, so lange sie noch wachs- tumsfähig sind, geotropische und heliotropische Krümmungen aus (Fig. 19). Dass die Gelenke die Entfaltungsbewegungen der Haupt- sache nach durch Wachs- tum ausführen, ıst leicht zu sehen. Indes sind bei Mimosa pudica 2. B. die Gelenkpolster des Blattstiels schon reizbar, ehe die Entfaltungsbewegung fertig ist, in einem Stadium, in welchem der Blattstiel noch steil aufgerichtet, die Blatt- spreite noch unentfaltet ist. Es ist also wohl möglich, dass auch Turgorvariationen bei der Entfaltung dieser Blätter Fig. 19 (stark verkleinert). T’revesia pal- eine Rolle spielen. Da die mata. Blattstiel mit zwei Gelenken (A u. 5). Wasefüridiei hieribeabsic] Man sieht, dass die horizontale Lage der "Sala DEAN SLCN- Blattspreite durch die Gelenke, namentlich tigte Darlegung nicht von Be- B zustande kam. deutung ist, wurde sie nicht näher untersucht. Jedenfalls geht aber aus dem Gesagten hervor, dass die Stoßreizbarkeit schon vorhanden ist, ehe sie dem Memosa- Blatte zum Schutze gegen Beschädigungen durch Regen, Hagel u. dgl. irgend von Nutzen sein kann, was für die spätere Erörte- rung über die Bedeutung der Mimosa-Reizbarkeit von Interesse ist. Dass der Bau der Gelenke im erwachsenen Zustand mit ihrer Funktion zusammenhängt, ist oft genug betont worden. Er ist aber offenbar auch ein für den Entfaltungsvorgang besonders geeigneter: der einzige zentrale Strang wird dem Wachstum des Grundgewebes gleichmäßiger (ohne Verzerrungen) folgen können als eine Anzahl getrennt verlaufender Stränge. Bei der Entfaltung durch Gelenke wird vielfach die spätere Stellung der Blattfläche nicht sofort erreicht, sondern das Blatt führt hin und her 47) Selbstverständlich gibt es auch Fälle, in denen die Gelenke nicht scharf vom Blattstiel unterschieden sind, auch an Sprossachsen können Gelenke sich aus- bilden. 90 (zoebel, Das Rumphius-Phänomen etc. gehende Entfaltungsbewegungen aus. Ob diese übereinstimmen mit den später auftretenden „Schlafbewegungen“ wird weiter unten zu erörtern sein. Wie weit diese Bewegungen autonome oder durch äußere Einwirkungen bedingte sind, scheint sehr wenig untersucht zu sein, wie denn die Entfaltungsbewegungen überhaupt wenig die Auf- merksamkeit auf sich gezogen haben. Man hat wohl darauf hinge- wiesen, dass z. B. die (durch das unten an der Blattspreite befind- liche Gelenk erfolgende) Abwärtskrümmung der jungen Blätter, von Theobroma Cacao (Fig. 20) — ähnlich verhalten sich manche andere Pflanzen — eine Schutzeinrichtung für die jungen Blätter darstelle, die Tätigkeit der Gelenke aber nicht näher untersucht*®). Es sei hier nur bemerkt, dass es sich bei Theobroma nicht etwa um schlaff herabhängende Blät- ter handelt wie bei Brownea _grandiceps, Amherstia nobilis und anderen Holzpflanzen, die ıhre Blätter „aus- schütten“, sondern um eine, durch Gelenke be- wirkte aktive Krüm- mung. Ähnlich verhält sich auch das dop- pelt gefiederte Blatt von Poinciana regia .(Fig. 21). Die Fiedern Fig. 20. Theobroma Cacao. (Stark verkleinert.) Am sind ursprünglich an jungen Trieb die Blätter durch das obere Gelenkpolster der aufrechten Blatt- aktiv abwärts gekrümmt. spindel dicht gedrängt und nach oben ge- richtet. Blattstiel und Blattspindel verlängern sich dann, der obere Teil des Blattes biegt sich nach unten, die Fiedern rücken aus- einander und krümmen sich dann scharf nach unten. Jetzt tritt erst Auseinanderrücken, dann die Entfaltung der Fiederblättchen ein (die Ausbreitung der Blattfläche der letzteren erfolgt natürlich durch stärkeres Wachstum der Oberseite), schließlich streckt sich die Blattspindel wieder gerade, die Fiedern krümmen durch ihre Gelenke sich nach oben und nehmen ihre entfaltete Stellung ein. 48) So heisst es z. B. bei Pringsheim, Die Reizbewegungen der Pflanzen, Berlin 1912, p. 31. von den Gelenken: „Sie kommen in großer Verbreitung bei den Leguminosen und Oxalideen, aber auch sonst vielfach vor und vermitteln deren Schlaf- und Reizbewegungen.‘“ Dass die Gelenke vor allem die Entfaltung ver- mitteln, wird hier ebenso wie in anderen Darstellungen nicht erwähnt. (soebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 91 Ähnliche Bewegungen führen auch die Fiedern von Robinia Pseudacacia aus. Sie sınd in der Knospenlage zusammengefaltet und liegen einander schief nach vorne gerichtet an, wobei sie durch einen Haarüberzug geschützt sind. Dann werden sie durch Ver- längerung der Blattspindel zwischen den einzelnen Fiederpaaren auseinander geschoben. Die einzelne (noch zusammengefaltete) Fieder streckt ihren kurzen Ansatzteil zum Gelenk und dehnt sich so, dass die aufeinanderliegenden Blattränder nach vorne sehen. Dann krümmt sich die Fieder nach unten (durch die Tätigkeit des Gelenkes), entfaltet sich und hebt sich nun in die (bei von oben nn a ee Fig. 21. Poinciana regia. Gipfel eines Sprosses. Am Blatte links die Fiedern aktiv abwärts gekrümmt. einfallendem, zerstreutem Licht) annähernd horizontale Stellung. Die Entfaltung erfolgt also durchaus nicht auf dem kürzesten Wege. Vielmehr findet zuerst eine Abwärtsbewegung um fast 180°, dann eine Aufwärtsbewegung um etwa 90° statt, Bewegungen, die durch die Gelenke der Fiederblätter ihnen ermöglicht werden. Die Ab- wärtsbewegung der Robinia-Blattfiedern ist auch dadurch von In- teresse, dass sie übereinstimmt mit der nyktinastischen Bewegung. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Zunächst sei noch er- wähnt, dass die Untersuchung der Entfaltungsvorgänge auch die sonderbare Stellung mancher Blätter ım entfalteten Zustand aus ihrer scheinbaren Vereinzelung erlöst. So ist z. B. eine höchst auffällige Erscheinung die Vertikal- stellung der großen Blätter mancher Anthurium-Arten, welche mit 99 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. aus diesem Grunde auch in unseren Gewächshäusern gezogen werden. So bei Anthurium Veitchü, A. Warocqueanum, A. leuconeuron u. a. (Fig. 22). Bei ersterem erreichen die Blattspreiten eine Länge von über 2 m bei 30 em Breite, bei A. Warocqueanum sind die Blätter (im Münchener botan. Garten) kürzer und breiter als bei A. Veitehii. Es wäre nicht richtig, wenn man derartige Blätter als „Hänge- blätter“ bezeichnen wollte**). Denn die Blattspreiten hängen keines- wegs passiv, durch ıhr Gewicht, herunter, sondern wenn man das Blatt aus seiner Lage bringt, stellt es sich (bei Pflanzen, deren Blattstiel ausgewachsen ist) durch die Tätigkeit des hinter der Blatt- spreite befindlichen Gelenkes wieder in die Vertikalebene ein. Eine Vergleichung mit an- deren Aroideen ergibt nun, dass diese (z. B. Anthurium Lindenia- num, A. regale, Monstera _deli- ciosa, Philodendron-Arten) die Vertikalstellung der Blattspreiten als vorübergehende Lage bei der Entfaltung aufweisen, ähnlich wie dies bei den er- wähnten Dikotylen der Fall ist. Wir können also sagen: Anthu- rium Veitchii behält eine Lage der Blattspreite dauernd bei, die bei verwandten Formen nur vor- übergehend bei der Blattentfal- Fig. 22. Anthurium Veitehii (im botan. tung sich einstellt. Garten München, stark verkleinert). Da es mir von Wert schien, das Verhalten der Keimpflanzen zu prüfen, so zog ich solche von Anth. Veitchüi (Fig. 23). Die Primärblätter zeigen die Vertikalstellung noch nicht, diese trat erst an späteren ein°®). Auch das weist darauf hin, dass das Verhalten dieser Pflanzen mit vertikal gestellten Blättern ein abgeleitetes ist, und zwar ein, wie wir sahen, in seinem Zustandekommen noch deutlich verfolgbares. 49) Wie dies Hansgirg (Phyllobiologie p. 115) tut. In seinem „Mangifera- Typus der Hängeblätter‘“‘ sind nicht zusammengehörige Dinge vereinigt. So die (allein den Namen Hängeblätter verdienenden) jungen Blätter von Amherstia und Brownea mit aktiv gekrümmten Blättern u. s. w. 50) Legt man die Pflanzen um, so gewinnt die Blattspreite ihre Vertikal- stellung durch Lagenveränderungen des Blattstiels wieder, wenn dieser noch wachs- tumsfähig ist. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 93 Die biologische Bedeutung der sonderbaren Blattspreitenstellung dieser Anthurium-Arten würde sich nur dann erörtern lassen, wenn man die Lebensverhältnisse der Pflanze in ihrer Heimat genauer kennen würde. In der Literatur war über die Standorte der Pflanze nichts zu ermitteln, nicht einmal, ob sie epiphytisch oder terrestrisch wächst. Wenn wir hören, die Pflanze stamme aus den Urwäldern am Ufer des Rio Murri in Kolumbien, so ist daraus nichts weiteres zu ent- nehmen. Fig. 23. Keimpflanze von Anth. Veitchü. (Schwächer verkleinert als Fig. 22.) Die Spreiten der ersten Blätter stehen nicht vertikal. Die Versuche, die „biologische Bedeutung“ der eigentümlichen Blattlage zu ermitteln, sind deshalb über Vermutungen nicht hinaus- gekommen. Johow°!) fasst die Vertikalstellung der Blattspreiten einiger anderer Aroideen als Anpassung gegen die Schädigung durch hohe Lichtintensitäten auf. Stahl°?) sagt: „Man wird also wohl nicht irre gehen, wenn man die Hängelage mit der gewaltigen Entwicklung der ungeteilten Blattspreite in Zusammenhang bringt, denn je größer eine einfache Blattspreite, um so größer die Gefahr der Beschädigung durch Wind und Regen... .“ Man könnte dem auch anfügen, dass eine vertikal gestellte Blattspreite in einem sehr regenreichen Klima rascher trocken ge- 51) Johow, Über die Beziehungen einiger Eigenschaften der Laubblätter zu den Standortsverhältnissen (Jahrb. f. wiss. Bot. XV, 1884). 52) E. Stahl, Regenfall und Blattgestalt, Ann. du jard. bot. de Buitenzorg, Vol. XI (1893), p. 150. 94 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. legt werden wird als eine (annähernd) horizontal gestellte. Die Tatsache, dass die Blätter von A. Veitchöi „Träufelspitzen“, die von A. Warocgueanum eine „Sammt,„-Epidermis besitzen — wie sie sonst bei Pflanzen regenreicher Standorte nicht selten ist — könnte man ebenfalls dafür geltend machen — ohne einen, der an der Richtig- keit dieser Deutung zweifelt, überzeugen zu können. Hier sei nur noch hervorgehoben, dass, wenn man ein Blatt von A. Veitehii (ohne Stiel und Gelenk, also nur die Blattspreite selbst, an der Basıs gefasst) horizontal hält, der Endteil des Blattes nach unten sinkt. Die an sich ziemlich derbe Nervatur ist also nicht imstande, das Gewicht des Blattes zu tragen. Auch ist der Blattstiel dünner als bei anderen großblätterigen Aroideen mit nicht vertikal gestellten Blättern (z. B. dem riesigen Nanthosoma robustum). Man kann daraus aber nicht die Annahme ableiten, dass die Vertikal- stellung aus mechanischen Gründen besonders geeignet sei. Denn sie erfolgt bei den Keimpflanzen schon zu einer Zeit, wo die Blatt- spreiten noch klein sind und ıhr Gewicht gut tragen können. Viel- mehr ermöglicht nur die Vertikalstellung die mächtige Entwicklung der Blattspreiten ohne entsprechende Verstärkung der Blattrippen. Die mächtige Entwicklung der Blattspreiten aber wird bei der für die Assımilation an sich nicht günstigen Stellung der Blattfläche von Bedeutung sein. Das und die oben mitgeteilte Tatsache, dass die Vertikalstellung dieser Aroideenblätter eine „stehengebliebene Entfaltungsbewegung“ ist, ıst das einzige, was wir bis jetzt über diese merkwürdige Er- scheinung näheres wissen. Alles andere sind Vermutungen, welche vielleicht zutreffen, vielleicht auch nicht. Johow (a.a. O., p.11d.S. A.) führt als besonders auffallendes Beispiel noch Dalechampia an, gibt aber leider über deren Stand- ortsverhältnisse nichts an. In den Gewächshäusern haben entfaltete Blätter von Dalechampia Roexliana nicht die Vertikalstellung, sondern verhalten sich wıe andere, euphotometrische Blätter. Dagegen verhielt sich eine Umbellifere, Hydrocotyle bonariensis, ım Münchener Garten (im Freien) wie Anth. Veitchüi: Die Blatt- spreiten behalten die Vertikalstellung der Entfaltung bei und nahmen sie auch bei künstlich herbeigeführten Lageveränderungen wieder an. In der älteren Literatur®?) wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Lage, welche Blätter und Blättchen ın der Schlafstellung einnehmen, übereinstimme mit der in der Knospenlage. 53) Z. B.Meyen, Pflanzenphysiologie III, p. 477: „Hat man die Pflanze bei Tage genau angesehen, so wird man des Nachts bemerken, dass die jüngsten Blätter fast zum Knospenzustand zurückkehren, während die älteren oft nicht mehr die mindeste Veränderung zeigen.“ »oebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 95 Das trifft tatsächlich vielfach °*), aber durchaus nicht allgemein zu. Es ist auch kein Grund einzusehen, weshalb die durch Turgor- variation herbeigeführte Schlafstellung zurückgehen sollte in die Knospenlage, aus der sich das Blatt durch Wachstumsverschieden- heiten entfernt hat. So ist denn auch die Knospenlage bei Phyl- lanthus Urinaria dieselbe wie beı Ph. lathyroides, die Schlafbewegung aber bei beiden verschieden. Es ist bei der antagonistischen Spannung der beiden Gelenk- seiten gegeneinander offenbar Sache des Zufalls, ob die Oberseite oder die Unterseite bei der Einnahme der nyktinastischen Stellung die sich stärker verlängernde ist — an sich genügt es ja für die normale Tagesstellung, dass zwei antagonistisch sich verhaltende Seiten vorhanden sind, welche natürlich durchaus nicht genau mit Ober- und Unterseite zusammenfallen und auch nicht geradlinig zu verlaufen brauchen. Meist ıst die sich verlängernde Seite des Ge- lenkpolsters beı den Blättchen wohl die Unterseite. Darwın war der Meinung, dass es bei der Schlafbewegung vor allem auf den Schutz der oberen Blattfläche vor Strahlung an- komme und schloss dies namentlich aus der „wunderbaren“ Drehung, welche die nyktinastisch sich abwärts bewegenden Blättchen bei Cassia (und Phyllanthus lathyroides) ausführen. Man müsste dann freilich annehmen, dass diese Drehung sozusagen eine Korrektur der Abwärtsbewegung darstelle. Denn viel einfacher wird ja der „Schutz“ der Oberseite durch Aufwärtsbewegung erreicht, wie Ph. Urinaria zeigt. Die Stahl’sche Auffassung dagegen, welche die nächtliche Transpiration in den Vordergrund stellt, braucht eine besondere Schutzbedürftigkeit der Oberseite nicht anzunehmen. Bei Oxalis Acetosella u. a. soll nach Darwin die Schlafbewegung (bei der die Blättchen ıhre Oberseite nach außen kehren, während die Unterseiten durch Annäherung aneinander „geschützt“ sınd“) dadurch bedingt sein, dass die Faltung der Blättchen nach oben ihnen ermögliche, nachts abwärts zu sinken. Man überzeugt sich aber leicht, dass eine Abwärtsbewegung um fast 90° auch ohne Faltung der Blätter möglich ıst. Diese gestattet nur eine größere Annäherung der Blätter aneinander, sie entspricht der Knospenlage der Blätter. Ursprünglich, in der Knospenlage, sind nämlich die drei Blättchen der Länge nach eingefaltet, liegen dicht aneinander und sind durch eine Krümmung des Blattstiels vertikal nach ab- 54) Namentlich dürfte es zutreffen für die meisten der Fälle, in denen die nyktinastischen Bewegungen durch Wachstumsdifferenzen ausgeführt werden. Bei Impatiens, Stellaria media u. a. handelt es sich dabei offenbar nur um paratonische Entfaltungsoszillationen. Im allgemeinen aber lässt sich nur sagen, dass zwar die Art und Weise der Ausführung der nyktinastischen Bewegungen übereinstimmt _ mit der der Entfaltungsbewegungen, dass aber beide bei ein und derselben Pflanze nicht gleichartig zu sein brauchen. 96 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. wärts gerichtet. Der Blattstiel richtet sich dann auf, die Blättchen- gelenke treten in Tätigkeit, entfernen die Blättchen voneinander und heben sie in Horizontalstellung. Durch Epinastie der Blatt- flächen breiten sie sich aus, lange ehe sie ihre schließliche Größe erreicht haben — wie das ja bei einer normal an schattigen luft- feuchten Standorten wachsenden Pflanze ohne Schädigung möglich ist. Dann aber tritt eine — indes nicht vollständige — Senkung von kurzer Dauer ein, die dann von einer Hebung abgelöst wird’°). Es sınd die Entfaltungsbewegungen also auch hier nicht so ein- fache, wie man zunächst annehmen könnte. Wie oben erwähnt, sind auch die Blätter von Mimosa für Stoß reizbar, ehe sich die Blättchen entfaltet haben, ehe also ein Schutz gegen Hagel, Regen u. s. w. in Betracht kommen kann, genau so wie die Kotyledonen auch solcher Pflanzen Schlaf- und andere Be- wegungen ausführen, bei denen ein Nutzen dieser Bewegungen nicht einzusehen ist, jedenfalls fehlt bis jetzt der Nachweis, dass ent- weder die Transpirationssteigerung dieser kleinen Blätter, oder der Schutz, den sie der ohnedies kleinen Stammknospe bei der Auf- wärtsbewegung gewähren können, für die Keimpflanzen von Be- deutung ist. Darwin schloss aus der Verschiedenheit ım nykti- nastischen Verhalten von.Kotyledonen und Blättern derselben Pflanze, und an Pflanzen derselben Gattung, und aus der weiten Verbreitung der nyktinastischen Bewegungen bei den Kotyledonen dikotyler Pflanzen, dass diese Bewegungen „for some special purpose“ er- worben seien (a. a. O. p. 315), und zwar einerseits zum Schutz der Oberseite, andererseits zu dem der Knospe gegen nächtliche Wärme- strahlung. Da, wie erwähnt, dafür kein experimenteller Beweis vorliegt, handelt es sich derzeit nur um eine Vermutung, der man die gegenüberstellen kann, dass der Schlaf der Kotyledonen meist ohne Bedeutung sei, eine paratonische Wiederholung der Öffnungs- bewegung bei der Entfaltung, aus deren weiter Verbreitung man keinen Schluss auf ıhre Nützlichkeit ableiten kann, obwohl eine solche unter bestimmten Umständen eintreten kann. Als eine durch die Schlafbewegungen bedingte Schutzeinrich- tung betrachtete A. P. Decandolle°‘) auch die eigentümliche Lage der Blütenstände von /mpatiens noli tangere. Sie ıst auch eine recht merkwürdige. Betrachtet man junge Inflorescenzen (mit gut entwickelten Blütenknospen), so sieht man sie nicht oberhalb des Blattes, wo sie ihrem Ursprung nach 55) Die jungen, noch hellgrünen Blätter schlossen sich in meinen Kulturen bei Verfinsterung stets früher als die älteren, dunkler grünen. 56) Physiologie vögetale p. 855 sagt er von den Blättern, die nachts sich ab- wärts bewegen: „lesquelles en se dejetant recouvrent et protegent les fleurs qui naissent de l’aisselle situ&e au dessous d’elles.‘“ Letzteres ist wohl ein lapsus calami, denn es handelt sich um die über den Blättern entspringenden Inflorescenzen, Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc, 97 eigentlich stehen sollten, sondern unterhalb, in der Nähe der Mittel- rippe der Unterseite dem Blatte anliegend. Das Blatt deckt also die junge Inflorescenz ganz zu. Das hat dazu geführt, ın dieser sonderbaren Lage eine Schutzeinrichtung zu sehen. Aber gegen was sollen die jungen Blütenstände eigentlich geschützt sein? Weder Regen noch Austrocknung kann den vom Kelch fest umschlossenen Blütenknospen an den Standorten der Pflanze etwas anhaben. Man kann sich auch leicht davon überzeugen, dass die Bedeutung der abnormen Lage eine ganz andere ist. Man braucht nur einen Blüten- stand, der eine der wundervollen großen gelben, zierlich an schwankem Stiele hängenden Blüten entfaltet hat, auf die Blattoberseite zu bringen, um zu sehen, dass dort die Blüten an dem kurzen, dünnen Inflorescenzstiele gar keinen Platz zur richtigen Entfaltung haben würden. Diesen können sie nur dadurch gewinnen, dass sie unter das Blatt gelangen°”). Das geschieht schon sehr früh. Die Blätter von I. noli tangere entfalten sich, lange ehe sie ausgewachsen sind. Die jungen Blütenstände bewegen sich nach unten (während das junge Deckblatt noch aufrecht steht) und seit- wärts. Ob dabei etwa negativer Heliotropismus in Betracht kommt, bleibe dahingestellt. Das Blatt wächst nun, indem es sich vom Spross abbiegt über den Blütenstand her, der sich wieder etwas aufrichtet und eine Zeitlang der Blattunterseite anliegt. Dann senkt er sich wieder und die Blüten schweben nun, wenn sie sich ent- falten, frei in der Luft, ohne durch das Deckblatt daran gehindert zu sein. Bei Pflanzen, die nur kleistogam blühen, unterbleibt manch- mal die Drehung der Inflorescenzen. Bei den /mpatiens-Arten, welche ihre jungen Inflorescenzen nicht unter die Blätter verstecken, ist die Inflorescenzachse viel länger und kräftiger als bei /. noli tangere. Sie hebt die Blüten dann weit über die Stützblätter hinaus und die Blüten sınd durch diese nicht in ihrer Zurschaustellung gehemmt. Wir sehen also, dass die primäre Bedeutung der Bewegungen der Noli tangere- Inflorescenzen die ist, trotz der Kürze und dem verhältnismäßig schwachen Baue der Inflorescenzachsen doch die Entfaltung der Blüten zu ermöglichen, dass aber ein „Schutz“ der Inflorescenzen, wenn überhaupt, so nur in zweiter Linie in Betracht kommt °®). Mit den Schlafbewegungen aber hat — entgegen der Ansicht Decan- dolle’s — die Stellung der Inflorescenzen nichts zu tun. Sie ist eine eigenartige Entfaltungsbewegung. 57) Ähnlich wie z. B. die Blütenstände der epiphytischen Stanhopeen durch Herabbiegen ihre großen Blüten viel sichtbarer machen als wenn sie aufrecht wären. 58) Kerner (Kerner’s Pflanzenleben, 3. Aufl, II, p. 284, 285) fasst als schutzbedürftig gegen Regen den Blütenstaub auf. Es fehlt aber der Nachweis, dass der Pollen von I. nolö tangere mehr eines solchen Schutzes bedarf als der anderer Impatiens- Arten. XXXVI. Ä 95 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Kehren wir zur Besprechung der Blattentfaltung zurück, so sei daran erinnert, dass bei den Entfaltungsbewegungen ein Zusammen- wirken des Wachstums von Blattstiel, Blattspindel und der Gelenke, sowie der Epinastie der Blattspreite stattfindet, welche die Entfaltung bewirkt; die Lagenänderung der Fiedern und der Fiederblättchen be- ruht ausschließlich auf Gelenkwirkung. Diese tritt sehr deutlich bei Mimosa hervor. Bei Mimosa pudica sind die Fiedern ursprünglich dicht zu- sammengepackt und nach der Oberseite des Blattstiels hin gebogen. Dieser streckt sich, die Fiedern richten sich auf und treten durch das Wachstum ihrer Gelenke nunmehr so auseinander, dass die beiden hinteren Fiedern (A, A, Fig. 28) mit dem Blattstiel nach hinten einen Winkel von etwa 90°5°), die beiden oberen einen von etwa 135° machen. Die hinteren Fiedern werden also viel stärker von der Mittellinie des Blattes abgebogen als die mittleren. Es ıst klar, dass dadurch eine gegenseitige Deckung und Beschat- tung der Fiedern vermieden wird. Diese stehen dicht aufeinander, weil die Blattspindel zwischen den Fiedern A und » nicht gestreckt ist. Wäre das der Fall, so würden die Fiedern die in Fig. 28 B eingezeichnete Stellung haben. Nun aber weichen die hinteren Fiedern sozusagen den vorderen aus, was durch die Gelenkpolster erfolgt. Man kann auch deutlich sehen, dass die Gelenkpolster der Fiedern k, und A, auf der v, und v, zugekehrten Seite in der nor- malen Tagesstellung konvex vorgewölbt sind. Die Gelenkpolster der Außenfiedern h verhalten sich also anders als die der Innen- fiedern v. Es fragt sich, worauf das beruht, ob es durch die Lage der Fiedern ein für allemal bedingt ist, oder ob die Anordnung abge- ändert werden kann. Das würde dann möglich sein, wenn eine gegen- seitige Beeinflussung der Fiedern stattfindet, eine Beeinflussung, welche aufgehoben werden könnte durch Entfernung einzelner Fiedern. Um diese Frage zu prüfen, wurde sowohl bei einfach als bei doppelt (und dreifach) gefiederten Blättern (deren einzelne Blättchen oder Fiedern mit Gelenken versehen sind) eine Anzahl von Ver- suchen ausgeführt, welche die angeführte Vermutung durchaus be- stätigten. Einige davon seien angeführt. A. Einfach gefiederte Blätter. 1. Robinia Pseudacia, R. viscosa. Die Blätter sind unpaarig gefiedert, die Endfieder fällt also in die Verlängerung der Längsachse, die Seitenfiedern machen mit 59) Die Stellung der Fiedern ist nicht bei allen Blättern gleich. In dem Schema Fig. 28 A ist der Winkel < R. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 99 ihr einen Winkel, der annähernd 90° beträgt. An jungen Blättern wurde die Endfieder (Fig. 24 II). Die stehengebliebene Seitenfieder stellte sich, wie Fig. 24 7 zeigt, in den meisten Fällen an- nähernd in die Längslinie. An der Blattspindel bei N ist die (doppelte) Narbe, die durch Entfernung der Endfieder und der einen Seiten- fieder entstand. Nicht alle Blätter antworteten in gleicher Weise auf die Entfer- nung. Bei manchen wurde die Auf- richtung der einen Seitenfieder in die Terminalstellung weniger voll- ständig erreicht als in anderen. Es war aber in allen Fällen eine deut- liche Änderung in der Lage der künstlich zur Endfieder gemachten Seitenfieder erkennbar. Neben der verschiedenen Beschaffenheit der einzelnen Blätier wird auch die Entwicklungsstufe, welche das Blatt zur Zeitdes Eingriffes erreicht hat, von Bedeutung sein. Dass die Lagenänderung durch das Gelenkpolster ausgeführt wird, ist klar — wie, ist für unsere Frage- stellung nicht von Belang. 2. Cassia glauca. Das Blatt ıst beı dieser Pflanze nicht wie bei Robinia un- paarig, sondern paarig gefiedert (Fig. 25 17). Die Blattspitze, wel- che die Gestalt eines kleinen, hinten liegen- den braunen Spitz- chens hat, ist nicht sichtbar. Bei Entfer- nung einer der beiden Endfiedern nahm die andere Terminalstel- lung an (Fig. 25 7). und eıne Seitenfieder darunter entfernt I Fig. 24. Robinia Pseudacia (auf '|, verkl.). / Blatt, bei dem eine Seiten- fieder die Stellung der Endfieder an- genommen hat. N Stelle, an der die wirkliche Endfieder und eine Seiten- fieder entfernt worden war, so wie es Fig. II zeigt. Die Änderung der Stellung der Fieder erfolgte spät, erst als das Blatt fast ausgewachsen war. 100 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Das Blatt wurde aus einem paarig zu einem unpaarig gefiederten. In dem ın Fig. 25 7 abgebildeten Falle war sogar eine Überkrüm- mung dieser Fieder nach der Seite der entfernten hin eingetreten. B. Pflanzen mit doppelt und dreifach gefiederten Blättern. 3. Die Blätter von Leucaena glauwca enden in zwei Fiedern, welche mit der Blattspindel nach unten einen Winkel von etwa Fig. 26. Leucaena glauca. Oberer Teil Fig. 27. Oberer Teil eines Blattes, eines unverletzten Blattes dessen rechte Endfieder entfernt war (auf '/, verkl.). (auf !/, verkl.\. 130° machen (Fig. 26). Wurde eine der Fiedern entfernt (Fig. 27), so stellte sich die andere ziemlich genau in die Verlängerung der Blattspindel, führte also eine Drehung um etwa 50° aus. 4. Mimosa Spegaxxinit. Das Blatt besitzt zwei Fiedern, die von der Blattspindel (nach hinten) um etwa 120° abstehen. Die Entfernung einer Fieder führte eine deutliche Aufrichtung der anderen herbei, wenn auch eine Stellung genau in die Verlängerung der Blattspindel nicht eintrat. 5. Mimosa pudica. Die Anordnungsverhältnisse sind oben erwähnt. Entfernt wurden an unentfalteten Blättern a) drei Fiedern, so dass nur eine hinten seitliche (%, oder A, Fig. 25) übrig blieb. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 101 Auch hier reagierten die einzelnen Blätter verschieden. Im günstigsten Falle stellte sich die allein übrig gebliebene Basalfieder fast in die Verlängerung des Blattstiels. In anderen war der Aus- schlag nicht so erheblich, aber doch eine Annäherung an die er- wähnte Stellung deutlich wahrnehmbar. b) Die beiden mittleren (v») Fiedern. Dann nahm das Blatt ganz oder annähernd die Gestalt an, welche die Primärblätter haben, bei denen nur zwei, nach vorne gerichtete Fiedern vorhanden sind, deren Lage sich erheblich von der sonst von den Basalfiedern eingenommenen unterscheidet. Fig. 25. A Schema der Fiederstellung bei Mimosa pudica. B Schema für die Fiederstellung bei einem gewöhnlichen doppelt gefiederten Blatte. c) Zwei Fiedern auf einer Seite entfernt. Auch hier stimmte das Ergebnis nicht bei allen Blättern über- ein. Es fanden sich solche, bei denen die obere der beiden Fiedern fast in die Lage der ihr ursprünglich benachbarten, entfernten ge- rückt war, während die Basalfieder gleichfalls in derselben Rich- tung (gegen die Blattspindel hin) verschoben war. In diesem Falle sah das Blatt also beinahe wie das unter b) beschriebene aus. Doch war die obere Fieder länger als die untere, wie das ja auch beim normalen Blatte der Fall ist. Bei anderen war die obere Fieder nur bis in die Verlängerung des Blattstiels gerückt. Die Reaktion war also bei Mimosa pudica zwar nicht immer eine so auffällige wie bei anderen operierten Pflanzen, trat aber doch deutlich hervor; im ganzen ist die Pflanze anderen gegenüber für solche Versuche nicht besonders günstig. Bei Amica Zygo- meris wurde kein deutlicher Ausschlag nach Entfernung einer Blatt- fieder erzielt, vielleicht weil vermöge der eigentümlichen Knospen- lage der Blätter die Entfernung eines Fiederblättehens erst in ver- hältnismäßig späterem Altersstadium möglich ist. Davon abgesehen ergaben die erwähnten Versuche, dass die Lage der Fiederblättehen oder Fiedern eines zusammengesetzten Blattes sich beeinflussen lässt: — teilweise in sehr auffallendem Maße, 102 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Wenn man sich über die dabei ausschlaggebenden Verhältnisse Rechenschaft zu geben versucht, so könnten zunächst folgende in Betracht kommen. 1. Es könnte sich handeln um die Folgen der Verwundung, welche durch die Entfernung einzelner Blatteile eingetreten ist. Diese Annahme wird durch folgende Beobachtungen widerlegt. Man sieht denselben Vorgang gelegentlich auch ohne Verwundung eintreten. Bei verschiedenen Pflanzen mit paarig gefiederten Blättern wurde beobachtet, daß wenn eine der Endfiedern zufällig verkümmert war, die andere sich in derselben Weise aufrichtete, wie es durch Entfernung einer Fieder künstlich herbeigeführt wurde. So bei Swietenia latifolia. Hier blieb an dem paarig gefiederten Blatte zu- fällıg eine Fieder ganz zurück und verwuchs mit der anderen, die sich terminal stellte. Auch bei den Phyllokladien von Ph. Urinaria lässt sich deutlich beobachten, dass das letzte Blättchen sıch an- nähernd ın die Richtung der Phyllokladienachse stellt, so daß das Phyllokladium wie ein unpaarig gefiedertes Blatt aussieht. Gleditschia triacanthos zeigt normal „paarig“ gefiederte (meist doppelt gefiederte) Blätter. Es kommt aber nicht selten vor, dass eine der Endfiedern schwächer als die andere oder gar nicht ent- wickelt ıst, dann stellt sich die erstere fast in die Verlängerung der Blattspindel. 2. Die Aufrichtung erfolgt, weil ein mechanisches Hindernis entfernt wird, das sonst die Aufrichtung verhindert. Dass auch diese Annahme nicht zutrifft, lässt sich leicht zeigen. Auch ist z.B. bei Cassia glauca das verkümmernde Ende des Blattes so klein, dass es unmöglich die Bewegung der kräftigen Gelenke hindern könnte. 3. Vielmehr handelt es sich zweifellos um eine Korrelation. Wodurch aber wird diese bedingt? Es wäre kaum etwas gewonnen, wenn man etwa erinnern wollte an „Rektipetalität“, noch weniger, wenn man die Noll’sche Morph- ästhesie herbeizöge. Denn das sind schließlich nur Worte, die Komplexe uns bis jetzt kausal unverständlicher Erscheinungen be- zeichnen. Da es sich bei den Gelenkbewegungen um Vorgänge handelt, die durchaus mit der Wasserkapazität der Zellen des Gelenkpolsters zusammenhängen, so wurde als Arbeitsvermutung angenommen, die Lagenveränderung entstehe dadurch, dass durch die Entfernung be- stimmter Blatteile das jetzt am Ende der Blattspindel befindliche Fiederblättchen (oder die Fieder) in andere Beziehung zu den Wasser- leitungsbahnen der Blattspindel komme. Diese werden nicht mehr zweiseitig sondern einseitig beansprucht und können nun so ein- wirken, wie man es sich mit einem (an sich gewiss unzutreffenden) Bild vorstellen kann: ein an einem Ende abgebogener Gummischlauch richtet sich gerade, wenn Wasser durch ihn unter Druck fließt. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 103 Es wurde deshalb versucht, ob eine Transpirationsverhinderung etwa ähnliche Einwirkung ausüben könne wie eine Entfernung. Zu diesem Zwecke wurde an jungen Blättern von Cassia glauca die eine der beiden Terminalfiedern beiderseits mit Kakaobutter be- strichen. Das Ergebnis war namentlich in einem Falle ein sehr deut- liches: Die bestrichene Fieder war im Wachstum gegenüber der anderen um mehr als die Hälfte zurückgeblieben und die nicht be- handelte Fieder hatte sich nicht nur in die Verlängernng der Blatt- spindel gestellt, sondern sogar nach der bestricheren hin etwas übergekrümmt, wie das auch bei Entfernung einer Fieder eintreten kann (Fig. 25 I). Damit ist zwar nicht bewiesen, dass die Transpirationsverhinderung der einen Fieder die Lagenveränderung der anderen bedingt, denn das Bestreichen mit Kakaobutter hemmt zweifellos auch andere Vor- gänge außer der Transpiration. Aber der Versuch zeigt jedenfalls, dass eine Entfernung der Fieder nicht notwendig ist, vielmehr schon eine Funktionsstörung genügt und wenn er auch die oben ge- machte Annahme nicht beweisen kann,. so spricht er auch nicht gegen sie. Selbst wenn sie zutreffen sollte, wäre das Abbiegen der hinteren Fieder im unverletzten Blatte noch nicht damit erklärt. Doch wäre auch hier eine Förderung der nach der Blattspitze hin gelegenen Gelenkpolster der Fiedern v, und », bezüglich ihrer Wasserentnahme auf Grund der oben angeführten Vermutung ver- ständlich. Die Frage soll weiter verfolgt werden. Hier sei nur auf eine allgemeinere Beziehung noch hingewiesen. Eine biologische Bedeutung ist für die durch Entfernung von Blatteilen bedingten Erscheinungen nicht ersichtlich, während eine solche ja ohne weiteres klar ist, wenn z. B. ein Seitenast einer Fichte sich nach Verlust des Gipfels aufrichtet und an dessen Stelle tritt. Hier nimmt man gewöhnlich eine Änderung in dem geo- tropischen Verhalten der Seitensprosse an. Wenn eine Seitenfieder von Cassia (scheinbar) zur Endfieder wird, kann dies mit einer Änderung der geotropischen Stimmung (transversal — in negativ- geotropisch) nicht zusammenhängen. Es wurde versucht eine „innere“ Ursache dafür verantwortlich zu machen. Selbstverständlich kann man diese Vermutung als zu „einfach“ und einer „tieferen Analyse“ entbehrend bezeichnen. Man wird auch immer recht haben mit einer solchen Kritik, weil tatsächlich alle unsere Zurechtlegungs- versuche auf Grund einer unvollkommenen Kenntnis der Lebens- vorgänge unternommen sind. Aber jede Hypothese ist nützlich, die zu neuen Versuchen Veranlassung gibt, und wir haben Beispiele dafür, dass „tiefere“ Analysen eine lähmende Wirkung ausgeübt haben, während andere heuristische Hypothesen schon dadurch, dass sie zum Widerspruch herausfordern, zur weiteren Untersuchung reizten. 104 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Um Entfaltungsvorrichtungen handelt es sich auch in anderen Fällen, so bei reizbaren Organen in Blüten. Allgemein bekannt sind die reizbaren Staubblätter der Berberis- Blüten. Die Filamente spreizen vom Fruchtknoten ab und schnellen, wenn sie (z. B. durch ein Insekt) berührt werden, auf diesen zu. Ursprünglich, in der Knospenlage, liegen die Filamente der Länge nach dem Fruchtknoten an; diese Lage, welche in der entfalteten Blüte für die Pollenentleerung bezw. die Fremdbestäubung natür- lich sehr ungünstig wäre, entspricht aber den Raumverhältnissen innerhalb der Blütenknospen. Die Filamente entfernen sich vom Fruchtknoten nicht wie die Staubblätter in anderen Blüten einfach durch stärkeres Wachstum (Epinastie) der Filamentoberseite, sondern durch die Ausdehnung des auf der Oberseite gelegenen Schwell- gewebes°®). Wenn also Haberlandt®!) meint, im Hinblick auf die Lage der Nektarien und des sich ansammelnden Honigs erscheine es be- greiflich, dass sich die Reizbarkeit auf die Oberseite des Filaments beschränke, so möchte ich vielmehr sagen: wenn die Entfaltung durch ein Schwellgewebe erfolgt (welches nebenbei auch reizbar ist), so kann dies nach den Raum- und Entfaltungsverhältnissen innerhalb der Berberis-Blüte nur auf der Oberseite liegen. Denkbar ist natürlich auch, dass in einer anderen Blüte zunächst die Blütenhüllblätter sich entfalten und die Staubblätter längere Zeit aufrecht oder nahezu aufrecht den Fruchtknoten einschließen. Dann kann eine Auswärtsbewegung (abgesehen von der gewöhnlichen, epi- nastisch bedingten) auch durch Verkürzung einer Filamentzone auf der Unterseite erfolgen. Ich möchte vermuten, dass so die Entfaltung der Cistus-Staubblätter, welche reizbar sind, erfolgt. Knoll‘) hat diese bei ©. salıifolius verfolgt. Die Staubblätter stehen in der entfalteten Blüte anfangs aufrecht, dann richten sie sich nach außen, so dass sie den Kronblättern mehr oder minder flach auf- liegen. Er meint: „Jedenfalls geschieht dies durch epinastisches Wachs- tum der Staubblattbasen.“ Das ist möglich. Aber da die Staubblätter dieselbe Bewegung, welche bei der Entfaltung spontan erfolgt, auch infolge mechanischer Reizung (wenn sie nach oben gebogen werden) ausführen, die Reizbewegung aber doch wohl sicher durch eine Ver- kürzung der Außenseite zustande kommt, so scheint es mir, im Zusammenhange mit den hier dargelegten Erscheinungen viel wahr- scheinlicher, dass auch bei Cistus die Reizbewegung nur durch den Entfaltungsmechanismus bedingt ist. Mit anderen Worten, auch 60) Über dessen Bau vgl. H. O. Juel, Einige Beobachtungen an reizbaren Staubfäden in „Botaniska Studier, tillägnade R. F. Kjellman‘“, Upsala 1906. 61) G. Haberlandt, Sinnesorgane im Pflanzenreich, 1901, p. 20. 62) F. Knoll, Zur Ökologie und Reizphysiologie des Andröceums von Cistus salvifolius, Jahrb. für wiss. Botanik, Bd. LIV (1914), p. 498. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 105 dieser besteht — nach meiner Vermutung — in einer Verkürzung der Außenseite. Bei Berberis wäre also sozusagen ein positives, bei Cistus salvifolius ein negatives Entfaltungs-Schwellgewebe vorhanden. Da man die Entfaltungsvorgänge nicht beachtete, hat man in diesen Blüten die Reizbarkeit teleologisch zu erklären versucht. Die bekannte Deutung, dass die Reizbewegungen von Berberis „offenbar darauf berechnet sind, durch Insekten, welche die Blüten des Honigs wegen besuchen, ausgelöst zu werden, bei welcher Ge- legenheit je nach den übrigen Einrichtungen der Blüte der Blüten- staub aus den Antheren an dem Insektenkörper hängen bleibt“ %), halte ich für unerwiesen. Die Pollenübertragung würde ohne die Reizbarkeit — wie in tausenden von anderen Blüten — ebensogut verfolgen. Bekanntlich öffnen sich die Berberis-Antheren mit Klappen. Diese nehmen — ebenso wie z. B. bei den Laurineen — den klebrigen Pollen mit empor. Ein Insekt, welches die stark duftenden und mit Nektarien versehenen Blüten besucht, würde auch ohne Reiz- barkeit der Filamente sich mit Pollen behaften. Des alten Sprengel Deutung, dass die Insekten eine Selbstbestäubung auslösen, war, wenn sie auch nicht haltbar ıst, doch vom Standpunkt streng teleo- logischer Deutung aus folgerichtiger. So hatte der Mechanismus einen Sinn — ähnlich dem der spontan nach der Narbe hin er- folgenden Staubblattbewegung, z. B. bei Parnassia. Für eine Fremd- bestäubung aber würde auch die Entfernung der Antheren von der Narbe in Verbindung mit den übrigen Eigentümlichkeiten der Blüte genügt haben — wenigstens hat meines Wissens niemand nach- gewiesen, dass die Reizbarkeit der Staubblätter für die Bestäubung notwendig oder von besonderem Nutzen ist, vielmehr hat man das aus dem Vorhandensein der Reizbarkeit eben nur erschlossen. Bei den Mimosen wird, wie unten angeführt werden soll, die Stoß- reizbarkeit teilweise als eine „Schreckbewegung“ für Tiere betrachtet, bei Derberis nimmt man an, dass die Bewegung der Filamente die Insekten nicht abhält, unmittelbar darauf eine andere Berberis-Blüte zu besuchen °). Übrigens sind die Filamente ja auch reizbar für hohe Temperaturen, Elektrizität, Chloroform, ‚Essigsäure, Jodjod- kaliumlösung u. s. w.‘) — Reizbarkeiten, die wohl jedermann als „zufällige“ betrachten wird. Dasselbe gilt der hier vertretenen Auf- fassung zufolge auch für die Stoßreizbarkeit, die im Gefolge einer eigenartigen Entfaltungsvörrichtung der Filamente auftritt. Sie wirkt bei der Bestäubung mit, diese würde aber ohne die Reizbewegung 63) Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie II. Aufl., p. 685. Ebenso wird in der blütenbiologischen Literatur der Sachverhalt aufgefasst. 64) Sprengel führt dies auf die „Dummheit“ der die Blüten besuchenden, nach seiner Ansicht besonders „unedeln“ Fliegen zurück, denn diese „bleiben sogar, wenn man sie stößt, mit großer Gleichgültigkeit sitzen“. 65) Vgl. Juel,a. a. O. 106 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. wohl ebensogut vor sich gehen, wie dies ja z. B. auch bei den nicht reizbaren Filamenten der Laurineen der Fall ist. Dieselben Gesichts- punkte gelten — mutatis mutandıs — wahrscheinlich auch für andere Fälle von reizbaren Staubfäden. Für Cistus salvifolius kommt Knoll, gegenüber früheren un- kritischen Deutungen zu dem Schluß, dass die Reizbarkeit der Fila- mente im Haushalt der Blüte entbehrlich sei, aber eine nützliche Einrichtung (im Dienste der Kreuzbestäubung) darstelle. Der erste Teil des Satzes dürfte sicherer begründet sein als der letzte. Jeden- falls haben die Blüten von den Reizbewegungen keinen besonderen Vorteil gegenüber anderen, die nicht reizbare Filamente haben, eher könnte man sagen, dass die pollensammelnden Tiere weniger Arbeit haben als sonst. Ähnlich verhalten sich offenbar die Helianthemum-Arten mit reiz- baren Filamenten. Die biologische Bedeutung der Reizbewegung soll bei H. polifolium darın liegen, „dass durch die Auswärtsbewegung der Staubblätter auf die Krone auffliegeude Insekten (Hummeln und Bienen), welche die Reizung vollziehen, mit Pollen bestäubt werden“ ®°). Das würden sie aber beim Pollensammeln auch ohnedies. Die Blüten sınd Pollenblüten mit zahlreichen Staubblättern, mit denen ein so dicker Insektenkörper wie der einer Hummel oder einer Biene viel- fach ın Berührung kommen muss. An ım Zimmer aufblühenden H. pilosum sind die zahlreichen Staubblätter ursprünglich umgekehrt kegelförmig nach oben ge- richtet und breiten sich dann mehr flach aus, wenngleich die äußersten immer noch einen Abstand von den Blumenblättern behalten. Auch hier wird höchstwahrscheinlich die Reizbewegung mit der Ent- faltungsbewegung übereinstimmen. Der „Nutzen“ der Reizbarkeit aber dürfte sich zu dem Verhalten der nicht reizbaren Blüten ähn- lich verhalten wie ein elektrisches Läutewerk zu einem Klingelzug: Beide tun denselben Dienst, ersteres ist für den, der es in Bewegung setzt, bequemer — „im Kampf ums Dasein erworben“ ist die Reiz- barkeit dieser Staubfäden gewiß nicht. Besonders oft besprochen worden sind dıe Reizbewegungen der Filamente von (entaurea. Bekanntlich sind hier, wie bei anderen Kompositen, die Antheren zu einer Röhre verklebt, die den Griffel umgibt. Die Filamente sind reizbar, aber in der Weise, dass sie sich verkürzen, es sind also keine antagonistischen Gewebe vor- handen. Ursprünglich sind die Filamente gerade. Sie würden diese Gestalt auch bei ihrer Verlängerung beibehalten, wenn nicht der Griffel ın seinem oberen, etwas angeschwollenen und mit „Fegehaaren“ be- setzten Teil als Hemmungskörper dienen würde. So kommt es, 66) Knuth, Handbuch der Blütenbiologie II, 1, p. 136. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 107 dass die Filamente sich konvex nach außen biegen. Später ver- längert sich der Griffel, die Filamente strecken sich gerade, da die Filamente aber noch nicht ihre endliche Länge erreicht haben, biegen sie sich später wieder nach außen. Reizbar sind sie auch in geradem Zustand ®”). Es ist also, solange der Griffel noch nieht durch die Antherenröhre hindurch gewachsen ist, in den Filamenten eine Entfaltungsspannung vorhanden. Der Pollen wird in die Antheren- röhre entleert. Zum Hinausschaffen ist aber die Reizbarkeit der Filamente nicht notwendig. Denn durch das Wachstum des Griffels wurde der Pollen auch an Blüten, die ich vor jeder Reizung schützte (bei Cent. Jacea und C. nigra)‘®), wie bei anderen Kompositen herausbefördert. Zunächst findet man dann an der Spitze der Antherenröhre ein lockeres, aber nicht loses durch den Griffel nach oben hinausgeschobenes Pulver. Man braucht die Fila- mente nicht zu berühren, um eine weitere Entleerung herbeizuführen. Es genügt, wenn man mit einer Nadel den Antherenkegel etwas biegt oder anstößt. Unterbleibt eine solche mechanische Reizung, so wächst der Griffel noch weiter durch und nimmt auch an seinen Fegehaaren noch Pollen mit. Schließlich fällt dieser, wenn kein Insektenbesuch erfolgt, ab. Ohne Zweifel könnte eine Pollenentleerung und -verbreitung auch ohne die Filamentreizbarkeit wie bei tausenden anderen Kompositen stattfinden. Es mag ja ein gewisser Vorteil darin liegen, dass durch die Reizbarkeit der Filamente die Pollen- entleerung besonders dann rasch und ausgiebig stattfindet, wenn ein Insekt die Blüte besucht, also Pollen (der übrigens ın verhält- nismäßig großer Menge gebildet wird) weniger leicht verloren geht, als dies sonst vielleicht der Fall wäre®®). Aber die Reizbarkeit ist auch hier nur eine sekundäre Erscheinung, die mit Entfaltungs- vorgängen zusammenhängt, und man kann nicht sagen, dass sie auf Insektenbesuch „berechnet“ oder durch diesen herangezüchtet sei. Etwas anderes wäre es, wenn sie zur Pollenentleerung notwendig wäre, also der ganze Vorgang erst durch einen Reizanstoß in Gang gesetzt würde. Das ist, wie wir sahen, nicht der Fall. Gewöhnlich aber wird in den Schilderungen des Verhaltens der Oentaurea-Staub- fäden unterlassen, darauf hinzuweisen, was eintritt, wenn keine Reizung erfolgt’) — wohl deshalb, weil man von vornherein an- nahm, die Reizbewegung müsse von besonderer Bedeutung sein. 60% Vel-Juel, ara. 0. p. 17. 68) Es ist ein eigentümlicher und z. B. bei Cent. nigra reizvoller Anblick, wenn auf allen Scheibenblüten eines vor Insektenbesuch geschützten Blütenkopfes die hellen durch den Griffel herausgeschobenen Pollenmassen liegen. 69) Ob der Pollen von Centaurea etwa gegen Feuchtigkeit besonders empfind- lich ist, ist meines Wissens nicht untersucht. 70) Z. B. sagt Kirchner (Blumen und Insekten 1911, p. 186): „Später, in der Regel nachdem der Pollen vollständig abgeholt worden ist, wächst in der ge- wöhnlichen Weise der Griffel hervor“ .... Hier, wie in anderen Darstellungen ist 408 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. Dem seien zwei Beispiele von reizbaren Blättern „insektivorer* Pflanzen angeschlossen. Bei dem einen handelt es sich um einen Vorgang, welcher dem der Berberis-Staubfäden gleicht, bei dem anderen um Wachstumsvorgänge, welche infolge von Reizen zu einer der Knospenlage entsprechenden Krümmung führen. Die biologische Bedeutung der Reizvorgänge soll hier nicht erörtert werden. Unter Verweisung auf frühere Ausführungen’!), welche versuchten, die Insektivorie als eine sekundäre Funktion auf- zufassen, möchte ich hier nur noch anführen, dass die verschiedene Ausbildung der Digestionsdrüsen (welche nach der a. a. O. ver- tretenen Auffassung primär Wasser ausscheidende waren) bei Dionaea und Drosera wahrscheinlich mit der verschiedenen Knospenlage der Blätter zusammenhängt. „Tentakeln“ vom Drosera-Typus würden in einem jungen Dionaea-Blatt nicht gut möglich sein. Denn in der Knospenlage liegen beide Blatthälften mit der Oberseite einander berührend sich an, bis das Blatt fast ganz ausgewachsen ist. Die Entfaltungsbewegung ist die erste Öffnungsbewegung, die später nach jeder (mechanischen oder chemischen) Reizung wiederholt wird. Die Oberseite bleibt wie bei Berberis ın reizbarer Spannung. Drosera: Die „Tentakeln“ sind in der Knospenlage eingekrümmt und biegen sich dann nach außen — eine Bewegung, welche bei Reizung in der entgegengesetzten Reihenfolge ausgeführt wird; auch hier also ist die Reizbewegung eine Wiederholung der Entfaltungs- bewegung. Kehren wir indes zu den Gelenken zurück. Wenn deren primäre Bedeutung die von Entfaltungs- und Trag- organen ist, so fällt die Notwendigkeit weg, für die reizbaren eine andere biologische Bedeutung herauszufinden. Eine solche kann, wıe ım Verlaufe der Darstellung öfters betont wurde, vor- ‚handen sein, braucht es aber nicht. Das wird jedermann zugeben für die Wundreizbarkeit von Phyllanthus, Oxalis u. a. — zudem wissen wir durch Rumphius, dass erstere Pflanze von Insekten ge- fressen wird, die sich durch die Reizbarkeit nicht abhalten lassen. Bei Mimosa hat man besonders nach einer biologischen Bedeu- tung der so auffallenden Stoßreizbarkeit gesucht. Meiner Ansicht nach bis jetzt ohne Erfolg. Erinnern wir uns der hauptsächlichsten Deutungsversuche. Sie seien hier kurz erörtert. offenbar vorausgesetzt, dass die Reizbewegung der Filamente für die Entleerung des Pollens erforderlich oder doch sehr wichtig sei. Dass der Pollen durch den Griffel entleert wird, wenn z. B. bei schlechtem Wetter Insektenbesuch zunächst ausbleibt und auch dann noch übertragen werden kann, wird nicht erwähnt, wie denn die ausschließlich teleologische Richtung der Blütenbiologie vielfach zu nicht haltbaren Deutungen geführt hat (vgl. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungs- theorien. Biol. Centralblatt XXIV, 1904). 71) Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen, Il. Marburg 1891. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 109 a) Sachs’ Hageltheorie. Sachs”?) beobachtete wiederholt, dass nach heftigem Hagel- wetter selbst robuste andere Pflanzen von den Hagelkörnern zer- schlagen wurden, die zarten Mimosen aber nicht. Die Beobachtung ist natürlich durchaus richtig und sehr lehrreich. Die Mimosen waren tatsächlich in Würzburg durch ihre Stoßreizbarkeit bei Hagel- fall begünstigt. Aber das ist sicher ein ganz zufälliger Nutzen. Denn erstens hagelt es bekanntlich in den tropischen Niederungen, wo Mimosa zuhause ist, nicht, oder höchst ausnahmsweise, man kann also auch nicht erwarten, dass „Anpassungen“ zum Schutz gegen Hagel ent- wickelt sind. Zweitens brauchen die Pflanzen auch wohl keine Schutz- mittel gegen Hagel, selbst in Gegenden, wo es fast alljährlich hagelt. Der Hagel fällt doch immer nur strichweise. Er zerstört also nıe die ganze Vegetation einer Gegend, namentlich nicht die sämtlichen einjährigen Pflanzen. Diese sind natürlich mehr gefährdet als die anderen, da unter Umständen die Hervorbringung des Samens ın Frage gestellt werden könnte. Die mehrjährigen aber können den durch Hagel angerichteten Schaden leicht ersetzen. Am übelsten werden die Schwimmblätter von Nymphaea und Nuphar zerfetzt, weil sie nicht ausweichen können, sondern glatt durchschlagen werden. Hat der Hagel aber je diese Pflanzen in einer bestimmten Gegend un- möglich gemacht? Man sieht von seiner Wirkung meist schon ım nächsten Jahre nichts mehr. Selbst wenn alle einjährigen Pflanzen strichweise durch Hagel vernichtet würden, würden sie bald von benachbarten nicht verhagelten Stellen her wieder einwandern. Ein bleibender Schaden ist nicht nachgewiesen. Auch darf man natür- lich nicht ausgehen von den Kulturpflanzen, welche der Mensch künstlich in Massen zusammenhäuft, so dass die Schädigungen stärker hervortreten. Dasselbe gilt von der Meinung, dass die Stoßreizbarkeit die Mimosenblätter vor der mechanischen Beschädigung durch tropische Regengüsse schütze. Das Blatt ist ja fein gegliedert, die Fiedern und Fiederblättchen drehbar — warum sollten sie bei starken Güssen mehr beschädigt werden als andere Pflanzen mit doppelt gefiederten Blättern ohne reizbare Gelenke? b) Die Theorie des Schutzes gegen Tiere. Sachs hat ferner hervorgehoben, dass die Reizbarkeit der Blätter in Verbindung mit den Stacheln es größeren Tieren ver- leide, die Mimosen zu fressen. Dieser Auffassung hat sich Stahl in seiner bekannten Ab- handlung „Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen“ ”°) 22) A. a. O. p. 689. 73) Botan. Zeitung 1897, p. 104. 110 Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. angeschlossen. Er fand wie Johow’”*) auf Weiden, wo Rinder oder Ziegen grasten, die Mimosen stets unversehrt, auch wenn der Rasen kurz gefressen war. Eine hungrige Ziege gab den Versuch, Mimosen zu fressen, bald auf. Mir scheint der Fall hier genau ebenso zu liegen wie bei dem Hagel in Würzburg. Ziegen und Rinder sind ja erst durch den Menschen ın die Gegenden, in denen Mimosen spontan wachsen, eingeführt worden. Auch scheinen die Tiere nicht überall so sen- sibel zu sein, wie die angeführten Autoren annehmen. Schon A. v. Humboldt berichtet”’); „Nur hier und da mischt sich eine krautartige Dikotyledone, die dem Rindvieh und den ver- wilderten Pferden so angenehme’) ganz niedere Sensi- tive (Mimosa intermedia und M. dormiens) unter die Gra- mineen. Die Eingeborenen nennen diese Pflanzengruppe sehr charakteristisch Dormideras, Schlafkräuter, da sie bei jeder Be- rührung die zartgefiederten Blätter schließen.“ Diese Bemerkung zeigt, dass es sich um stark seismonastisch reizbare Pflanzen handelt, — ob sie zu Mimosa pudica oder einer anderen Art gehören, ist natürlich gleichgültig. In seiner Reisebeschreibung (II, p. 392) sagt er: „Die Weiden, wo diese Sensitiven vorkommen, werden teurer als andere verkauft!“ Auch Haberlandt”’) erzählt, dass er in Singapore die großen Buckelochsen, unbekümmert um Reizbewegungen und Dornenstiche”°), die Zweige der (dort eingeführten und verwilderten) Mimosa pudica fressen sah. Wo aber sınd in der südamerikanıschen Heimat der Pflanze die „großen pflanzenfressenden Tiere“, zum Schutz gegen welche die Mimosen ihre Stoßreizbarkeit benützen sollen? Die Lamas, Guana- cos und Vicuüas gehören dem Hochgebirge an, ın welches die Mimosen nicht hinaufsteigen. Die kleinen Hirsche der Llanos aber haben doch wohl nie in solcher Menge gelebt, dass sie eine so massenhaft sich vermehrende Pflanze hätten gefährden können! 74) F. Johow, Vegetationsbilder aus Westindien, II, Kosmos II. Bd., 1887. „Eine Ziege ist damit beschäftigt, die Kräuter an der Böschung abzuweiden und hat schon einen guten Teil des Rasens kurz gefressen. Jetzt streckt sie ihre Zunge auch nach dem zarten Laub einer Mimose aus, aber kaum hat sie das erste Blatt berührt, so zieht sie stutzend vor der unheimlichen Erscheinung, die sich vor ihr abspielt, den Kopf zurück und sieht sich einer Schar von kräftigen Stacheln gegen- über, welche ihrer Nase den Zugang zu dem an den Stengel angedrückten Laub gründlich verwehren.“ Wenn Johow dementsprechend Mimosa pudica in ihren Abwehrbewegungen mit einem Igel vergleicht, so sei daran erinnert, dass es auch Mimoseen mit starker seismonastischer Reizbarkeit ohne Stacheln gibt, so z. B. die über dem Wasserspiegel sich ausbreitende Neptunia oleracea. 75) Al. v. Humboldt, Ansichten der Natur (Stuttgart, Cotta 1871, p. 73). 76) Sperrung von mir. G. 77) G. Haberlandt, Botan. Tropenreise, 2. Aufl., 1910, p. 36. 78) Es handelt sich eigentlich um Stacheln, nicht um Dornen! G. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 111 Rinder, Pferde, Maultiere und Ziegen aber hat erst der Mensch in Südamerika eingeführt — ebenso die Mimosen ins tropische Asien. Selbst wenn wir also annehmen, dass die Mimosen gegen Gefressen- werden durch die erwähnten Tiere geschützt seien, kann uns das ın keiner Weise das Zustandekommen der Stoßreizbarkeit erklären, so wenig wie das Geschütztsein gegen den Hagel in Würzburg. Haberlandt (a. a. O.) meint, dass vielleicht Insekten sich durch die Blattbewegungen vom Fressen abhalten lassen könnten. Das ist wohl möglich, aber zunächst auch nur eine durch Beobachtungen nicht gestützte Vermutung. Bis jetzt ist ganz unbekannt, ob In- sekten die Mimosen „annehmen“ oder ob diese etwa durch ihren Gerbstoffgehalt ete. schon geschützt sind, und ob, falls dies nicht der Fall ist, fresslustige Insekten sich durch die Reizbewegungen abschrecken lassen. Bei Phyllanthus Urinaria ist nach Rumphius’ Beobachtungen jedenfalls das letztere nicht der Fall. Bei Mimosa könnte man ja annehmen, dass die Tiere durch die rasch verlaufenden Reizbewegungen abgeschüttelt werden, aber gesehen hat so etwas meines Wissens noch niemand! Wenn also in der neuesten Besprechung der Stoßreizbarkeit von Mimosa’’) gesagt wird: „In der Abschreckung von Tieren ver- schiedenster Art liegt aber ohne Zweifel die biologische Be- deutung der schnellen auf Stoßreize erfolgenden Bewegungen der Mimosa-Blätter*, so handelt es sich dabei nicht etwa um eine sicher festgestellte Tatsache, sondern nur um eine bis jetzt unerwiesene Vermutung — wie so oft, wenn wir „ohne Zweifel“ sagen! ec) Wiesner°°) findet den Nutzen der Stoßreizbarkeit in dem Schutze gegen die schädlichen Einwirkungen der Benetzung. „Die Zweckmäßigkeit der Einwirkung .... wird verstanden, wenn man einerseits die außerordentlich leichte Benetzbarkeit der freien Blatt- flächen, andererseits den ombrophoben Charakter der Mimosen be- rücksichtigt. Die Blattoberseite wird in wenigen Minuten benetzbar. Solche Blättchen gehen in kurzer Zeit bei starker Traufe zugrunde.“ Er fand, dass Blätter mit freigelegter Oberseite nach 8—10 Tagen in starker Traufe zugrunde gingen. Das von Wiesner ermittelte ombrophobe Verhalten von Mömosa mag dazu beitragen, dass die Pflanze sich auch in sehr regenreiche Gebiete wie Westjava ver- breiten konnte. Aber zuhause ist Mimosa nicht im Monsungebiet, viel- mehr in den wesentlich niederschlagsärmeren Savannen Südamerikas — ebenso in denen Mexikos und Westindiens. Auch an anderen Stand- orten tritt sie auf, so bei Rio de Janeiro an Wegen u. s. w.; ebenso in Minas Geraös. Regengüsse von der Dauer und Stärke wie in 79) B. Ken Handwörterbuch der Naturwissensch. VIII, p. 286, Jena 1913. 80) J. Wiesner, Pflanzenphysiol. Studien aus Buitenzorg, III. Über den vor- herrschend ombrophilen Charakter des Laubes der Tropengewächse. Sitz.-Ber. der K. K. Akademie der Wissensch. in Wien. Math. naturw. Klasse 1894, p. 178, 1 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Westjava sind hier nicht üblich. (Jährliche Regenhöhe in Rio 121 cm, in Buitenzorg 450 cm.) Von einer Schädigung durch starke Benetzung kann also dort wohl kaum die Rede sein. Übrigens erträgt Mimosa sehr langes Untergetauchtsein, ohne ihre Reizbarkeit einzubüßen. Es wird sich also auch mit der „Ombrophobie“ in Westjava nicht viel anders verhalten als mit dem Schutz vor Hagel in Würzburg. Mir scheint, dass alle diese Deutungen nur besagen, dass die Stoßreizbarkeit unter bestimmten — vielfach in der Heimat der Pflanze gar nicht gegebenen Bedingungen — nützlich sein kann, nicht aber, dass sie der Mimosa dort das Dasein er- möglicht habe. Wenn die hier gegebenen Ausführungen zutreffen, so gilt von den Reizbewegungen dasselbe wie von den äußeren Gestaltungs- verhältnissen ®'); ihre Mannigfaltigkeit ıst größer als die der Lebens- bedingungen, viele davon sind also ohne besonderen Nutzen für die Pflanze. Reizbarkeit für Stoß, Verwundung, Lichtdifferenzen u. s. w. (also abgesehen von den tropistischen Bewegungen) gehört gewiss auch bei den höheren Pflanzen zu den allgemein verbreiteten Er- scheinungen. Schon H. v. Mohl®) hat betont, „dass der Mangel an Reizbarkeit, den wir bei der bei weitem größten Mehrzahl der (Gewächse beobachten, nur scheinbar ist, dass das parenchymatöse Zellgewebe im allgemeinen mit Reizbarkeit begabt, dass dieselbe hingegen infolge von übermächtiger Starrheit oder ungünstiger An- lagerung der Holzbündel in ihrer Äußerung gehemmt und unter- drückt ist“. Die Möglichkeit zu einer solchen Äußerung aber ist gegeben besonders bei einer Anzahl von Pflanzen mit Blattgelenken. Deren Reizbarkeit erschien uns aber als eine sekundäre Funktion — die primäre ist ihre Mitwirkung bei der Blattentfaltung. Sekundär mit der letzteren verknüpft sahen wir Reizbewegungen auftreten auch bei Pflanzen ohne Gelenke (Berberis- und Centaurea-Staubfäden. Dionaea-Blätter). Durch die Betonung der primären Funktion der Gelenke schwindet das Fremdartige, das die Nutzlosigkeit mancher dieser Reizbewegungen für uns zunächst hat. Mac Farlane°®) sucht sich das Vorhandensein nutzloser Reiz- barkeiten so zu erklären: „Why are plants that are nyctitropie and parathermotropie often very sensitive to impact, though apparently deriving no benefit from impact sensitivity? We reply that, being sensitive to, or ırrıtated by light, heat, or cold, they must of neressity be also sensitive to impact, even though deriving no benefit 81) Vgl. Goebel, Organographie, I, 2. Aufl, (1913), p. 39. 82) A. a. O. p. 372. 83) Mac Farlane, Irrito-Contractility in plants, Biological lectures delivered at the marine biolog. labor. of Woods Holl, Boston 1894, p. 206. Goebel, Das Rumphius-Phänomen etc. 113 therefrom, since contraction — sensitivity involves response to all forms of energy.“ Dieser Erklärungsversuch setzt zweierlei voraus: 1. Dass die nyktinastischen und thermonastischen Blattbewegungen wirklich einen bestimmten Nutzen haben. Das ist, wie wir sahen, aber keines- wegs stets sicher. 2. Nimmt er an, dass für Licht und Wärme reizbare Organe notwendig auch für Stöße reizbar sein müssen. Das trifft aber nicht überall zu und ist von vornherein nur dann anzu- nehmen, wenn man mit Mohl eine allgemeine Reizbarkeit, die sich nur nicht überall äußern kann, voraussetzt. Ist das aber der Fall, dann kann auch die Reizbarkeit für Licht und Wärme nicht von vornherein eine Sonderstellung beanspruchen. Weshalb z. B. bei Ranken die Reibungsreizbarkeit notwendig mit einer für Licht und Wärme verbunden sein sollte ist nicht einzusehen. Außerdem übersieht auch dieser „Erklärungsversuch“ vollständig die prımäre Funktion der Gelenke, und man könnte ıhn auch um- drehen und sagen, dass, da die seismonastische Reizbarkeit vor- handen sei, auch eine solche für Licht, Wärme und chemische Reize vorhanden sein müsse — überwiegt doch z. B. bei Mimosa pudica zweifellos die seismonastische Reizbarkeit die anderen! Ferner zeigen z.B. die von Wächter entdeckten chemonastischen Bewegungen der Blätter von Callisia repens*®*), dass keineswegs immer nutzlose Reizbewegungen als Begleiterscheinungen nützlicher aufgefasst werden können. Denn die Callisia schläft nicht und ıst doch mit nutzlosen chemonastischen Bewegungen versehen. Darwin hat bekanntlich die Blattbewegungen betrachtet als „modifizierte Ziırkumnutation“. Unter diesen Ausdruck kann man auch die Entfaltungsbewegungen einbegreifen. Aber er ist so all- gemein, dass damit kaum etwas gewonnen ist. Denn „Zirkumnutation*“ im Darwin’schen Sinn ist jeder ungleichmäßig verlaufende Wachs- tumsvorgang, oder bei Pflanzen mit Gelenken ein durch ungleich- mäßige Turgorvariation bedingter. Darwin hat dabei aber vor allem die Bewegungen entfalteter Blätter ım Auge. Wenn er sagt (a. a.0. p. 562): „The fact that nyctitropie movements oceur in species distributed in many families throughout the whole vascular series, is intelligible, if they result from the modification of the universally present movement of eircumnutation; otherwise the fact is inexplicable“, so ist dabei zu erinnern daran, dass er die Gelenke wie oben erwähnt, nicht als Entfaltungseinrichtungen, sondern als Organe, die eine lange fortdauernde Bewegung ermöglichen, betrachtete. Diese Entfaltungsorgane aber sind es, welche auch sekundär die „Zirkumnutationen“ der Gelenkblätter ermöglichen. 84) W. Wächter, Chemonastische Bewegungen der Blätter von Callisia repens, Berichte der Deutschen botan. Gesellsch., 23 (1908), p 379. XXXVI. 6) 114 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Wenn man das berücksichtigt, ist die weite Verbreitung°’) von Reizbewegungen bei Gelenkpflanzen, wie mir scheint, keineswegs „inexplicable“. Im übrigen sei es gestattet, zum Schluß dieser Mitteilung einen Satz von Rumphius, der sich auf die „planta sentiens“ (Biophytum sensitivum) bezieht, auf Phyllanthus Urinaria anzuwenden. Er sagt ®*), die Pflanze sei würdig, ın unseren Gärten kultiviert zu werden, „ut mirificam ejus naturam contemplantes ingenium nostrum exerceamus. Non ita quidem caput meum vexare volui ut caussam investigem occultae ıistius qualitatis, uti juxta Acostae relatum Philosophus quidam Indicus fecit, qui hanc detegere non valens in dementiam ineidit“. Zusammenfassung. Ein „Phyllanthus-Typus“ für Schlaf- und Reizbewegungen (wie Hansgirg ihn aufgestellt hat) ist nicht haltbar, weil innerhalb der Gattung Phyllanthus große Verschiedenheiten vorkommen. 2. Die von Pfeffer u.a. als „Ph. Niruri“ bezeichnete Pflanze ist Ph. lathyroides. Bei Ph. Niruri und Ph. Urinaria finden, wie schon Rumphius beschrieben hat, die Schlaf- und Reizbewegungen a, aufwärts, nicht wie bei Ph. lathyroides nach abwärts statt. Ph. Urinaria ıst eine durch den ausgesprochen dorsiventralen Bau ie Phyllodien, die Verteilung der männlichen und weiblichen Blüten, die Vorgänge beim Ausschleudern der Samen, die Beschaffen- heit der letzteren und das Auftreten von Tracheiden im Schwell- gewebe der Gelenkpolster leicht kenntliche im malaischen Archipel weit ea Art. Sie ıst ausgezeichnet durch traumatonastische, thermonastische, hyg on ir photonastische Dh raamn. Diese zeigen sehr deutlich, dass Reize sich summieren können und zwar sowohl äußerlich gleichartige als ungleichartige (z. B. Lichtreize mit Stoßreizen oder Trockenreizen). 6. Die Empfänglichkeit der Pflanzen ist eine, namentlich für Lichtreize, verschiedene je nach den Bedingungen, denen die Pflanzen vorher ausgesetzt waren, Schattenpflanzen “können sich z. B. in Sonnenlicht, das Sonnenpflanzen nur zur Hebung des Blattes ver- anlasst, fast momentan schließen. — Längere Einwirkung von starkem Licht oder Dunkelheit bedingt eine verminderte Reizbarkeit. 7. Das Prinzip der Summierung der Reize gestattet auch zu zeigen, dass Reize, die anscheinend Kane Wirkung ausübten, doch wahrgenommen wurden. 85) Man kann aus der weiten Verbreitung einer Erscheinung noch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass diese nützlich sein müsse. Ungemein viele Ascomyceten haben z. B. in ihrem Askus acht Sporen, das ist aber gewiss nicht dadurch bedingt, dass diese Zahl die vorteilhafteste ist! 86) a. a. O. p. 502. Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. 15 8. Eine Reizleitung findet auch von den Wurzeln nach den ober- irdischen Teilen statt, wodurch das „Rumphius-Phänomen“ be- dingt ist. 9. Analoge Erscheinungen finden sich bei Oxalis strieta und anderen Pflanzen. Die auffallend rasch erfolgenden Einrollbewegungen der Blätter von Leersia oryxoides sınd dadurch bedingt, dass sie für Transpirationssteigerung besonders empfindlich sind, eine Empfind- lichkeit für mechanische Reize liegt nicht vor. 10. Die „biologische“ Deutung der durch Gelenke ausgeführten Reizbewegungen hat nicht beachtet, dass die primäre Bedeutung der Blattgelenke die eines Entfaltungs- und Befestigungsorgans ist. Dasselbe gilt auch für die Scheiden- und Spreitengelenke der Gräser, für die reizbaren Staubblätter von Berberis und Centaurea. 11. Die Stellung, welche die durch Gelenke entfalteten Blättchen einnehmen, unterliegt einer korrelativen Beeinflussung. Es gelingt, eine Seitenfieder zur terminalen, ein Seitenblättehen zum End- blättchen, ein paarig gefiedertes Blatt zu einem unpaarig gefiederten zu machen. 12. Die durch die Art.der Entfaltung ermöglichten Reiız- bewegungen der Blätter können für die Pflanze von Nutzen sein, sind es aber ın zahlreichen Fällen, so weit wir bis jetzt beurteilen können, nicht. Vor allem ist für die auffälligen, seismonastischen Bewegungen, wie die von Mimosa pudica, Berberis, Centaurea trotz aller Deutungsversuche nicht nachgewiesen, dass sie den Pflanzen unter ihren natürlichen Lebensbedingungen nützlich oder gar unent- behrlich sind. Noch weniger ıst dies für die langsamen durch Stoßreiz aus- gelösten Bewegungen anzunehmen. Auch die übrigen sind nicht „ım Kampf ums Dasein“ erworben, sondern es tritt die allen Pflanzen- zellen eigene Reizbarkeit an den Gelenken besonders auffallend hervor als Begleiterscheinung bestimmter Entfaltungs- und Stellungs- einrichtungen. Die Reizbarkeit kann nützlich sein, aber braucht nicht nützlich zu sein. Es sind das dieselben Schlussfolgerungen, zu denen der Verfasser auch bezüglich der kleıstogamen Blüten und der Gestaltungserscheinungen überhaupt gelangte. Nachtrag. Oben ist nachgewiesen, dass eine Weiterleitung eines Wundreizes auch ohne dass eine Blattbewegung eintritt, statt- finden kann. Es sei hier noch erwähnt, dass es sich nach Ansicht des Verf. dabei um chemische Einwirkungen handelt. Wenn Meyen (a.a.O. p. 526) angibt, dass Mimosen, deren Blättchen wiederholt durch Brennen gereizt wurden, dadurch getötet werden oder sehr leiden, so handelt es sich nach Ansicht des Verf. dabei um eine Vergiftung. Neuerdings erhielt ich durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. v. Faber aus Buitenzorg Samen von Phyllanthus Niruri, die daraus entwickelten Pflanzen haben auch schon geblüht. gi 116 Goebel, Das Rumphius-Phänomen ete. Die Zahl der Primärblätter war eine größere als bei Ph. Uri- naria (bis 9), und die ersten 1-2 Phyllokladien traten in den Achseln der obersten Primärblätter auf (während die Deckblätter bei Ph. Urinaria alle Niederblätter sind). Es ist eine gewisse Habitusähnlichkeit mit Ph. lathyroides vor- handen. Aber die Pflanzen lassen sich, abgesehen von anderen Merkmalen, leicht durch ıhre männlichen Blüten unterscheiden: die Filamente sind bei Ph. lathyroides frei, bei Ph. Niruri zu einer „columna“* verwachsen. Die Schlafbewegungen stimmen ziemlich mit denen von Ph. Uri. naria überein, die im Texte aufgestellte Behauptung, dass die ın der physiologischen Literatur und manchen botanischen Gärten bisher als Ph. Niruri bezeichnete Pflanze Ph. lathyroides (oder übrigens wahrscheinlich eine Sammelart ist) hat sich also auch durch die Untersuchung lebender Pflanzen bestätigt. Verzeichnis der besprochenen Pflanzen. Aeschynomene indica, Reizleitung 77. Amicia Zygomeris, Korrelation am Blatt 101. Anthurium Veitchii, Orientierung der Blattspreiten 91—94. berberis, Reizbarkeit der Filamente 104—-108. Calliandra tetragona, Seismonastische Bewegungen und Reizleitung 77— 78. Cassia glauca, Versuche an Blättern 39,102. Centaurea, Reizbarkeit der Filamente 106. Cistus, Reizbarkeit der Filamente 104 ff. Dalechampia Koezliana, Entfaltungs- bewegung 94. Dionaea, Reizbarkeit und Entfaltungs- bewegung 108. Drosera, Reizbewegung 108. Eutaxia myrtifolia, Schlafbewegungen 73; Tagesschlaf 73—74. Gleditschia triacanthos, Korrelationen am Blatte 102. Gramineen, Bewegungen S81ff.; Schei- den- und Spreitengelenk 86 ff. Helianthemum, KReizbarkeit der Fila- mente 106. Hydrocotyle bonariensis, Stellung der Blattspreiten 94. Impatiens noli tangere, Entfaltungs- bewegung der Inflorescenz 96, 97. Leersia oryzoides, Blattbewegung 82—86. Leucaena glauca, Versuche über Korre- lationen am Blatte 100. Limnophila heterophylla, gung der Wasserform 73. Mimosa pudica, Temperaturreize 63; photonastische Bewegung 69; Entfal- tung 98; Korrelationen 100ff.: Nutzen der Reizbewegungen 96, 109 ff. Mimosa Spegazzinii, Korrelation 100. Schlafbewe- Myriophyllum proserpinacoides, Schlaf- bewegung 73. Olyra quwianensis, Schlafbewegung 81. Oxalis Acetosella, Reizübertragung 74; Rumphiusphänomen 75; Lichtstarre 78; Entfaltungsbewegung 95, 96. Oxalis strieta, Tagesschlaf und Starre 78; Hygronastische Bewegungen 79; Rum- phiusphänomen 80. Paspalum sp., Hygronastische Blattbe- wegung 83. Phylianthus lathyroides, Verwechslung mit Ph. Niruri 52; Reaktion auf Stoß- reize 62; Reaktion auf Temperatur- differenzen 64; Schlafbewegung 68; Folgen starker Beleuchtung 69—70. Phyllanthus mimosoides, Keine Schlaf- bewegungen 60; Reizleitung nach Ver- wundung 60. Phyllanthus Niruri, Nyktinastische Be- wegungen öl; Diagnose 116. Phylianthus Urinaria, Rumphiusphäno- men 50; Keimung 53; Blattbildung 53; Frucht und Samen 54—56; Bau des Ge- lenkes 56; Traumatonastische Bewe- gungen 57—60; Seismonastische Bewe- gungen 60—62; Thermonastische Be- wegungen 62—64; Hygronastische Bewegungen 64—68; Photonastische Bewegungen 68— 71; Nutzen der Reiz- bewegungen 71—74; Knospenlage 95. Poinciana regia, Entfaltungsbewegungen 9091: Robinia Pseudacacia, KReizbewegung 75—77; Entfaltungsbewegungen 91; Korrelation der Blattfiedern 98, 99. T'heobroma Cacao, Entfaltungsbewe- gungen 90. Trevesia palmata, Blattgelenke 89. Zea Mais, Spreitengelenk 87. Zu Bin Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. 147 Die physiologischen Arten der Meristeme. Von K. Linsbauer (Graz). Seit längerer Zeit mit Regenerationsversuchen an Stammorganen beschäftigt, hatte ich auch Gelegenheit, das regenerative Verhalten der Sprossvegetationsspitze kennen zu lernen!). Derartige Unter- suchungen bilden einen erwünschten Anhaltspunkt, aus der ver- schiedenen Ersatzmöglichkeit auf den Grad der Differenzierung des Zellenmaterials in seinen aufeinanderfolgenden Entwicklungsstadien zu schließen. Durch diese Erkenntnis wiederum gewinnen wir eine natürliche Grundlage zu einer Klassifikation der Meristeme auf phy- siologischer Basıs. Haberlandt hat den Bildungsgeweben mit voller Berechtigung den Charakter eines eigenen physiologischen Gewebesystems zu- erkannt: „Die allgemeine Charakteristik der Bildungsgewebe wäre unvollständig, wenn wir sie ausschließlich als die embryonalen Stadien der Dauergewebe ansehen würden. So lange nämlich das betreffende Organ wächst, gehen die Bildungsgewebe nie vollständig in die Bildung von Dauergeweben auf; sie regenerieren sich viel- mehr gleichmäßig und wahren so gewissermaßen, den aus ihnen hervorgehenden Dauergeweben gegenüber, ihre Selbständigkeit“ (l. c., S. 68). — So ist zwar die Gesamtheit der Bildungsgewebe vom physiologisch-anatomischen Gesichtspunkte aus als ein „System von bestimmter physiologischer Funktion“ wohl definiert; die phy- sıologisch-anatomische Methode lässt uns aber mehr oder minder im Stiche, wenn wir die verschiedenen Formen der Teilungsgewebe ihrer Funktion entsprechend charakterisieren und bezeichnen wollen, da ihre funktionelle Befähigung in ihrem anatomischen Baue nicht zum Ausdrucke kommt. Wir pflegen daher die Meristeme nach wie vor nach rein deskriptiv-anatomischen, entwicklungsgeschicht- lichen oder topographischen Merkmalen zu unterscheiden. Der Nach- teil eines solchen Vorgehens ist offenkundig und führt zu einer unsicheren und schwankenden Begriffsbestimmung. Da uns nun die Regenerationsversuche wenigstens bis zu einem gewissen Grade Einblick in die funktionelle Befähigung der Meristeme gewähren, d. h. in unserem Falle ihre Leistungsfähigkeit in bezug auf Organ- und Gewebebildung, ihre prospektiven Potenzen (Driesch), erkennen lassen, so können wir auf Grund derartiger Experimente den Ver- such einer physiologischen Charakteristik derselben unternehmen. Ist unsere Einsicht auf diesem Gebiete zwar noch sehr dürftig, so fehlt es doch nicht an Tatsachenmaterial, wodurch sich ein der- artiger Versuch rechtfertigt, der selbstredend nur zu einem vor- 1) Über die vorläufigen Ergebnisse dieser Studien habe ich in einer allgem. Versamml. der k.k.zool. bot. Ges. in Wien im Mai d. J. berichtet. Eine ausführ- liche Darstellung behalte ich mir für einen späteren Zeitpunkt vor. 118 Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. läufigen Ergebnis führen kann, das mit fortschreitender, speziell auf diesen Punkt gerichteter Analyse der Regenerationserscheinungen weiter ausgebaut und berichtigt werden muss. Ehe ich eine Charakteristik der Meristeme, worunter sämtliche Formen von Teilungsgeweben verstanden sein sollen, nach ihrer formativen Befähigung versuche, soll in Kürze die derzeit übliche Umgrenzung der wichtigeren Meristeme einer Besprechung unter- zogen werden. Der Begriff der Meristeme und ihrer verschiedenen Arten geht bekanntlich auf Nägeli(l. c., S.2) zurück. Während wir aber heute alle teilungsfähigen Gewebe unter diesen Begriff subsu- mieren, verwendete Nägeli den Ausdruck nur für das Teilungs- gewebe, „woraus anfangs das ganze Organ besteht“ und unter- schied es vom Kambium?). Er unterschied auch bereits zwischen Ur- meristem und Folgemeristem oder sekundärem Meristem (vgl. De Bary, l.c., S.5). Ersteres bildet die erste Anlage aller Organe und besteht aus einem Komplex gleichartiger Zellen, welche durch eine Reihe anatomischer Merkmale (Dünnwandigkeit, Plasmareich- tum u. s. w.) charakterisiert sind. Rothert (l.c., S. 1154) fügt als physiologisches Merkmal noch die Tatsache hinzu, dass sich hier Wachstum und Teilung das Gleichgewicht halten, woraus sich die Gleichartigkeit der Zellgröße erklärt. Das Urmeristem kann terminal, interkalar oder basal gelegen sein; es umfasst die Scheitelzelle bezw. die Initialengruppe einschließlich der von ihnen produzierten merıistematischen Zellen, soweit sie sich untereinander in Größe und Form nicht wesentlich unterscheiden. Das Urmeristem geht ohne Grenze unter Abnahme der Tei- lungsfähigkeit und Zunahme des Wachstums in das primäre Meri- stem über; dieser ist somit nur ein weiteres Entwicklungsstadium des Urmeristems, das anatomisch (Auftreten von Interzellularen und Vakuolen, beginnende Gewebedifferenzierung u. s. w)., nicht aber physiologisch-anatomisch charakterisiert ist. Die primären Meristeme gliedern sich in der Regel wieder in drei distinkte Bildungsgewebe: das Protoderm (Haberlandt), das Prokambium (Sachs) oder Desmogen (Russow s. Rothert S. 1158) und das Grundmeristem (Haberlandt)—=Jungparenchym(Wiesner). Die Unterscheidung erfolgt ausschließlich auf Grund anatomischer und topographischer Eigentümlichkeiten. „Hinsichtlich der Funktion der aus ihnen hervorgehenden Dauergewebe geben sie aber so gut wie gar keinen Aufschluss“ (Haberlandt, ].c., S. 84) und ebenso- wenig, möchten wir hinzufügen, über ihre eigene funktionelle Be- fähigung. 2) Schleiden und Schacht haben umgekehrt den Begriff Kambium im weiteren Sinne für sämtliche Arten von Bildungsgeweben gebraucht. Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. 119 Der Begriff „Folgemeristem“ ist dagegen ein rein entwicklungs- geschichtlicher; er umfasst die verschiedenartigsten und funktionell ganz ungleichwertige Meristeme, wenn sie nur aus Dauergewebe hervorgegangen sind. Da gewisse sekundäre Meristeme bekanntlich auch aus noch meristematischen Geweben unmittelbar herausdiffe- renziert werden können°), verliert der Begriff vollends an Schärfe und Brauchbarkeit. Vom physiologischen Standpunkte hat er von vornherein keine Berechtigung, da für ihn die Entwicklungsgeschichte eines Gewebes nicht in Betracht kommt. Hält man an dem her- gebrachten Begriffe fest, dann müssen physiologisch durchaus gleich- artige Gewebe wie das Kambium teils dem primären, teils dem sekundären Meristem zugerechnet werden; der Schwierigkeit durch eine Inkonsequenz aus dem Wege zu gehen, indem man auch das faszikulare Kambium zu den sekundären Meristemen rechnet, ob- gleich es sich vom primären Meristem ableitet, halte ich für einen ungerechtfertigten Ausweg). Diese Schwierigkeit ist aber durchaus nicht in der Natur der Sache begründet; sie entsteht nur dadurch, dass man gleichzeitig zwei heterogene, sich durchkreuzende Erklärungsprinzipien in An- wendung bringen will. Aus obiger Darstellung ergibt sich jedenfalls, worauf ich allein Gewicht legen will, dass die bisherige Umgrenzung der ver- schiedenen Meristeme das physiologische Moment ganz außer acht lässt. Überblicken wir die Meristeme im Hinblick auf die formative Befähigung ihrer Elemente, so können wir zunächst zwei Kategorien unterscheiden. In dem einen Falle sind sämtliche Zellen des Tei- lungsgewebes untereinander gleichwertig, d. h. jedes Element des betreffenden meristematischen Komplexes besitzt die gleichen Po- tenzen, wobei es natürlich nicht darauf ankommt, ob sie unter allen Umständen aktiviert werden oder ob in der Folge die Deszen- denten einer solchen Zelle durch bestimmte Bedingungskonstel- lationen in eine andere Entwicklungsbahn gedrängt werden. Im Gegensatz hierzu stehen solche Meristeme, deren Komponenten qualitativ verschiedene Befähigungen aufweisen. Wir wollen solche Teilungsgewebe in Anlehnung an die Roux’sche Nomenklatur (l. c., S. 313) als allopotente, die der ersterwähnten Art als isopotente Meristeme bezeichnen. Ein klares Beispiel für den letzteren Fall (isopotente Meristeme) liefert das Phellogen, dessen Elemente unter allen Umständen gleiche Deszendenten liefert: der Pflanzenart und dem jeweiligen 3) Vgl. Haberlandt, 1. c., S. 89. 4) Der Vorgang Fittings (l. c., S. 35) in der Neuauflage des Bonner Lehr- buches ist demgegenüber einfacher und einwandfrei; er unterscheidet lediglich zwischen Urmeristem und sekundärem Meristem. 120 Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. Organ entsprechend, ausschließlich Periderm oder überdies Phello- derm, Phelloid, typisches Aörenchym u. s. w. Dieser Fall liegt deshalb von vornherein so klar, weil dem Phellogen überdies nur eine bestimmte Entwieklungsmöglichkeit zukommt, es ist einseitig und bestimmt determiniert (uniıpotent). Schwieriger ist die Entscheidung in den mehrfach deter- minierten, multipotenten Meristemen. So können etwa die Kam- biumelemente des Stammes der Form und Funktion nach sehr ver- schiedenartige Dauerelemente entstehen lassen. Trotzdem: handelt es sich auch hier um ein isopotentes Meristem, da jede einzelne Meristemzelle dieselbe Befähigung zur Produktion verschiedener Dauerzellen besitzt. Die Entwicklungspotenzen der Kambiumzellen sind somit untereinander qualitativ gleich; die Qualitätsdifferenz in den entstandenen Produkten ıst durch die jeweiligen äußeren und inneren Bedingungen (Jahreszeit, Ernährungszustand, Alter u. s. w.) hervorgerufen worden, nicht aber der Ausdruck für eine verschiedene formative Befähigung der Kambiumzellen selbst. Wenden wir uns nun der Besprechung des Urmeristems zu. Unsere Regenerationsversuche am Sprossvegetationspunkt, über welche an anderem Orte zu berichten sein wird, führten zu dem sicheren Ergebnisse, dass das gesamte Urmeristem durch- aus keinen funktionell gleichwertigen Meristemkomplex darstellt. Das Experiment ergab vielmehr, dass ausschließ- lich der äußerste Scheitel imstande ist, nach erfolgter partieller Verletzung einen neuen Vegetationspunkt zu regenerieren. Dieser Anteil reicht nur bis in die Zone der sich eben vorwölbenden jüngsten Blattanlagen. Allen übrigen, distal von dieser Grenze gelegenen Elementen des Ur- meristems geht dieses Vermögen durchaus ab; sie müssen somit bereits eine weitergehende Differenzierung erfahren haben, die sich allerdings in ihrem anatomischen Bau durch nichts verrät, sondern erst durch das Ausbleiben des Regenerationserfolges nach künst- lichem Eingriff aufgedeckt wurde. Der äußerste Teil des Urmeri- stems allein besteht somit aus undifferenzierten, totipotenten’), also typisch-embryonalen Zellen, die untereinander gleiche Befähigung aufweisen. Sie allein können in fortschreitender Entwicklung den Spross ın seiner Gesamtheit aufbauen. Dieser distinkte Teil des Urmeristems stellt somit gleichfalls ein isopotentes Meristem dar, das sich aber durch seine allseitige Befähigung von den bisher be- sprochenen Meristemen scharf unterscheidet. Dieser in formativer Hinsicht wichtigste Teil des Urmeristems, der gewissermaßen den Ausgangspunkt der Sprossentwicklung darstellt, soll durch einen besonderen Namen gekennzeichnet werden, wir wollen ihn als Archimeristem bezeichnen. 5) Wenigstens in bezug auf die Sprossentwicklung. Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. 121 Die Begriffe Urmeristem und Archimeristem decken sich somit durchaus nicht. Ersteres besteht wohl aus Elementen von gleichem anatomischen Charakter, aber aus verschieden leistungsfähigen An- teilen; es stellt somit keine physiologische Einheit dar. Nur das Archimeristem besteht aus totipotenten und gleichzeitig isopotenten Elementen, wenigstens insoferne sie alle in gleicher Weise einen Vegetationspunkt regenerieren können‘). Jedes Organ besteht in seiner Jugend aus Urmeristem, also auch die Blätter. Ein Archi- meristem ist hingegen — von vereinzelten Ausnahmen abgesehen — bei den Angiospermenblättern nicht vorhanden; wäre es vorhanden, so müsste sich das Blatt aus dem unversehrten Reste einer ver- letzten Anlage regenerieren können, was — wenigstens bei den von mir untersuchten Fällen — niemals der Fall war”). Basale und inter- kalare Vegetationspunkte verdanken zwar ihren Ursprung einem Archimeristem, besitzen aber selbst nicht mehr dessen Charakter, da sie wohl neue Gewebe produzieren, aber, wie es scheint, keinen Vegetationspunkt regenerieren können; sie haben die Totalbefähigung der typisch embryonalen Zellen eingebüßt. Auch in der Wurzel können wir das Archimeristem ziemlich sicher und scharf gegen die Basıs hin abgrenzen; die Grenze ist durch jene Zone gegeben, bis zu welcher sich noch alle Histogene an einer durch Queramputation der Spitze veranlassten Ersatz- bildung beteiligen, eine Zone, die z. B. bei Zea Mais nach den Be- obachtungen von Sımon (l, l.c., S. 105) etwa °/, mm von der Spitze der Haube entfernt ist; nur bis dahin haben alle Meristem- elemente dieselbe regenerative Befähigung. In größerer Entfernung von der Spitze hingegen (?/_—1 mm) tritt nur mehr eine partielle (Simon, S. 112) oder — wie sie Prantl (l. ce, S. 554) nannte — prokambiale Regeneration auf, die dadurch charakterisiert ist, dass es dabei wohl zur Ausbildung eines vollkommenen Regenerates kommt, dass sich aber an der Ersatzbildung nur mehr Prokambial- zone und angrenzender Fibrovasalkörper beteiligen, während die Bildungsfähigkeit der inneren Zellen des Zentralzylinders erloschen ist. Es lassen sich somit hier wie im Sprosscheitel innerhalb des 6) Es ist allerdings möglich und sogar wahrscheinlich, dass auch die Elemente innerhalb des archimeristematischen Komplexes nicht absolut in jeder Hinsicht gleichbefähigt sind, dass sich vielmehr die Scheitelzelle bezw. Initialengruppe gegen- über den anderen Zellen bezüglich ihrer Potenzen unterscheiden. Dafür spricht vielleicht das Unterbleiben der Restitution bei Farnwurzeln (Prantl, |. e., S. 559, Simon J, l. c., S. 112, N&mee, |. c., S. 119). Die Frage bedürfte noch weiterer Untersuchung. In dem oben skizzierten Sinne können die Elemente der Archi- meristeme jedoch ohne weiteres als isopotent bezeichnet werden. 7) Pfeffer (l.c., S 169) erwartet allerdings, „dass die Zellen der ganz jugend- lichen Blattanlage noch den vollen embryonalen Charakter besitzen“; die Versuche, auf welche sich diese Vermutung stützt (vgl. S, 207), sind aber kaum zuverlässig und bedürfen jedenfalls einer Bestätigung. 22 Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. Urmeristems zweı potentiell ungleiche Zonen unterscheiden; nur der Spitzenteil stellt das Archimeristem des Wurzelscheitels dar. In dem restlichen Teil des Urmeristems ist die Differenzierung noch nicht so weit vorgeschritten, dass sie anatomisch zum Aus- drucke käme, doch dürfte, nach meinen bisherigen experimentellen Erfahrungen zu schließen, eine Neubildung von Seitenorganen, So- weit nicht noch eventuelle Reste des Archimeristems vorhanden sind, nicht mehr stattfinden, so wenig wie eine Restitution des ter- minalen Meristems von hier aus vor sich gehen kann°). Ich be- zeichne diesen Anteil des Urmeristems, um seinen verhältnismäßig ursprünglichen Charakter anzudeuten, ıhn aber doch vom Archı- meristem zu unterscheiden, als Protomeristem; seine Elemente sind wenigstens im Sprossvegetationspunkte noch isopotent. Unter diesen Begriff des Protomeristems fallen auch die anatomisch nicht oder nur wenig differenzierten Anteile der basalen und interkalaren Vegetationspunkte. Unter gleichzeitiger Zunahme der anatomischen Differenzierung geht nun die Determinierung der Meristeme immer weiter; die Iso- potenz der einzelnen Meristemkomplexe untereinander geht ver- loren; dadurch wird die formative Befähigung der einzelnen Teile in immer bestimmtere Bahnen gelenkt. Alle solchen, durch vor- geschrittene Differenzierung und infolgedessen durch verminderte formative Befähigung ausgezeichneten Meristeme fasse ich ohne Rücksicht auf spezielle Eigentümlichkeiten im Bau und Funktion als Deuteromeristeme zusammen. Eine schärfere Abgrenzung gegenüber den Protomeristemen ist natürlich von vornherein nicht zu erwarten. Mit Rücksicht auf spezifische potentielle Befähigungen ließen sich wohl noch verschiedene Meristeme innerhalb dieser Gruppe unterscheiden, doch liegt hierzu derzeit kein Bedürfnis vor, zumal es, zum Teil wenigstens, an entsprechenden Untersuchungen fehlt. Der Begriff „sekundäres oder Folgemeristem“ ist, wie oben er- wähnt, rein entwicklungsgeschichtlich gedacht und scheint mir daher vom physiologischen Standpunkte durchaus entbehrlich. Nichts- destoweniger halte ich es für möglich und angezeigt, das entwick- lungsgeschichtliche Moment insoferne zu verwerten, als es eine funktionelle Verschiedenheit der Meristeme bedingt. Wir sehen, dass das Archimeristem mit fortschreitender Ent- wicklung in Proto- und Deuteromeristem übergeht, wobei es an Entwicklungsmöglichkeit immer mehr Einbuße erleidet; die pro- gressive Entwicklung führt zu einer zunehmenden Determinierung. Soll nun ein Stadium geringerer Differenzierung erreicht werden, 8) Bei der Wurzel ist die Restitution möglich, aber nur partiell. Vgl. Anm. 6 auf S. 120. Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. 123 welches in der Entwicklung bereits durchlaufen wurde, so muss eine Rückdifferenzierung eintreten, die nur auf dem Wege über neue Zellteilungen erreicht werden kann. Je größer die Zahl der eingeschalteten Teilungen, desto ursprünglicher wird ım allgemeinen der Charakter der auf regressivem Wege entstandenen Meristeme. Es können auf diese Weise sämtliche Differenzierungsgrade oder sämtliche Arten von Meristemen auf progressivem oder auf retrogressivem Wege erreicht werden; potentiell sind sie einander durchaus gleichwertig. Wir unterscheiden dement- sprechend: 1. progressive Meristeme, solche, deren Determinierung im Laufe ihrer Entwieklung zunimmt, deren potentielle Befähigung somit immer mehr eingeengt wird; und 2. regressive Meristeme, solche, welche gegenüber den Elementen, aus denen sie hervor- gegangen sind, weniger determiniert erscheinen, die somit an Ent- wicklungsmöglichkeiten zugenommen haben. Man erkennt ohne weiteres, dass diese Begriffe umfassender sind wie die gewohnten Termini „primäre“ und „sekundäre* Meri- steme. Ein weiterer Vorzug dieser Fassung scheint mir darın zu liegen, dass die Begriffe auch den physiologischen Anforderungen gerecht werden, insoferne als die Konstatierung regressiver Ent- wicklung gleichzeitig die zunehmende potentielle Befähigung zum Ausdrucke bringt, während sich ein progressives Meristem auf dem Wege zunehmender Determinierung befindet. So wie die progressive Entwicklung jederzeit wiederum einer Entdifferenzierung Platz machen kann, so kann umgekehrt auch die regressive Entwicklung wieder in die fortschreitende, jetzt in andere Bahnen geleitete Entwicklung übergehen. Der Gedanke, der dieser Gliederung der Meristeme zugrunde liegt, ist natürlich nieht neu; die längstbekannte Tatsache des „Wiederembryonalwerdens“ von Dauerzellen stellt einen speziellen Fall von regressiver Entwicklung, von Entdifferenzierung dar. Ich möchte nur diese physiologische Erkenntnis auch auf anatomischem Gebiete entsprechend zum Ausdrucke bringen. Die nach Verletzungen auftretende Rückdifferenzierung führt ın der Regel (aber durchaus nicht immer) über die Kallusbildung’). 9) Wenn die Kallusbildung als Entdifferenzierungsvorgang aufgefasst wird, so wäre zu erwarten, dass die Elemente des Archimeristems, welche noch keine Diffe- renzierung erfahren haben, zu einer Kallusbildung unfähig sind. Nach Simon (II, S. 351) erreichen jedoch gerade die embryonalen Zellen den „Höhepunkt der Leistungsfähigkeit bezüglich der Kallusbildung‘“. Beachtet man hingegen den Zeit- punkt der Kallusbildung (nicht die erlangte Mächtigkeit) als Kriterium, so verliert dieser Satz seine Gültigkeit. Ich habe mich an den operierten Vegetationsspitzen von Phaseolus und Helianthus immer wieder überzeugen können, dass verletzte Partien der in zunehmender Differenzierung begriffenen Zellen in der Kallusbildung voraus- 124 Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. So lange der meristematische Charakter des Kallus erhalten ist, sind seine Entwicklungsmöglichkeiten, wie insbesondere die Studien von Simon (Il, S. 355) gezeigt haben, sehr mannigfaltig. Der jeweils wirkenden Bedingungskonstellation entsprechend können sich seine Elemente unmittelbar zu Dauerzellen (Sklerenchym, Tra- cheiden u. a. m.) differenzieren, zu hypotrophischem Wachstum an- geregt werden oder Desmogen und Sprossanlagen bilden, es kann also die regressive Entwicklung fortschreiten oder mehr oder minder frühzeitig wieder eine fortschreitende Entwicklung einsetzen, die in letzter Linie immer zur Bildung von Dauerelementen führt. In anderen Fällen kann aber die Rückdifferenzierung auch andere Wege einschlagen, wie z. B. bei der Phellogenbildung, bei welcher Dauerzellen oft nach erfolgter deutlicher Streckung, die vielleicht als erster Schritt zur regressiven Entwicklung aufzufassen ist (vgl. nachstehendes Schema) zu einem einseitig determinierten Meristem werden, das zu einer weiteren Entdifferenzierung nicht mehr befähigt ıst. Auch in der normalen Ontogenese kann durch „Selbststeue- rung“ eine rückläufige Entwicklung zustande kommen, die aber dann häufig schon auf einer frühen Stufe meristematischer Entwicklung einsetzt. In solchen Fällen schreitet die Entwicklung anscheinend kontinuierlich fort. Erst die Tatsache, dass sie ın letzter Linie nicht zu Dauerzellen, sondern zu Zellen von embryonalem Cha- rakter führt, lässt uns erkennen, dass an irgendeiner Stelle eine Umkehr des Entwicklungsganges stattgefunden haben muss. Wenn sich dieser Wendepunkt nieht äußerlich (morphologisch, Änderung der Teilungsfolge, Teilungsgeschwindigkeit) markiert, dann ist seine Ermittlung äußerst erschwert oder ganz unmöglich. Beispiele für eine solche in der Organısation begründete Umkehr in der Ent- wicklungsrichtung liefern uns die Vorgänge bei Differenzierung der (Gameten, denen offenbar embryonaler Charakter zuerkannt werden muss. Bei den Angiospermen speziell entwickeln sie sich nie- mals direkt aus dem typisch embryonalen Archimeristem; ihre Entstehung setzt vielmehr frühestens in den jugendlichen, noch ın protomeristematischem Zustande befindlichen Sporophyllen ein, also in einem Meristem, das nicht mehr über die Gesamtbefähigung eilen. Während Blattanlagen und junge Internodien schon zwei Tage nach der Operation einen wohlentwickelten Kallus aufweisen, ist im Bereiche des verletzten Archimeristems noch nicht die Spur zu sehen; erst 24 Stunden später hat auch hier die Kallusbildung eingesetzt. Innerhalb dieser Frist ist jedoch bei den in rapider Entwicklung begriffenen Keimlingen jedenfalls schon eine zunehmende Differenzierung eingetreten; die einen Kallus produzierenden Zellen dieser Region haben mit anderen Worten ihren ursprünglich embryonalen Charakter voraus- sichtlich bereits eingebüßt. Die embryonalen Archimeristemzellen bilden somit in diesem Zustande tatsächlich keinen Kallus aus, wie es unseren Voraussetzungen ent- spricht. Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. 125 verfügt, so dass die Gametenbildung mit einer Rückdifferenzierung, mit einem Auftreten regressiver Meristeme verknüpft sein muss!®). Einen Vorzug der oben durchgeführten Abgrenzung der Meri- steme und zugleich einen Beweis für ihre physiologische Berech- tigung erblicke ich darin, dass sie mit den von Sachs (II, S. 225) mit so viel Scharfsinn aufgestellten vier Phasen der Entwicklung (in seinen „Vorlesungen“ [1882 und 1887] unterschied Sachs ur- sprünglich nur drei Wachstumsphasen) ungezwungen in wünschens- werten Einklang gebracht werden können. Ja es lässt sich — wenn man will — die von mir auf Grund des regenerativen Geschehens durchgeführte Unterscheidung der Meristeme schon unmittelbar aus der Sachs’schen Darstellung herauslesen, wie aus einer einfachen Gegenüberstellung erhellt. I. Morphologische Periode: 1. Anlage der Organe nach Zahl und l. Archimeristem: Komplex un- Stellung. differenzierter, totipotenter Zellen, welche zur Anlage der Organe und (Gewebe bereitgestellt sind; unmittel- bar regenerationsfähig. 2. Embryonale Phase. die Vor- 2. Protomeristem: In dem noch in gänge umfassend, bei denen es sich seiner Gesamtheit teilungsfähigen und um die morphologisch wesentliche zunächst aus isopotenten und gleich- (Gestaltung handelt. artigen Zellen bestehenden Gewebe bereitet sich die Gewebedifferen- zierung vor; zur Ausgliederung von Seitenorganen nicht mehr direkt be- fähigt, ebensowenig zu unmittelbarer Regeneration. 2a. Deuteromeristem: Die Deter- minierung nimmt zu und beginnt sich auch anatomisch zu äußern (Bildung von Desmogen ete.), die 3 Teilungsfähigkeit nimmt ab. U. Physiologisch-biologische Periode. 3. Streeckungsphase: Vergrößerung 3. Höchstens noch einzelne meristema- der embryonal durchgebildeten Or- tische Komplexe in progressiver gane. Entwieklung. 10) Es scheint mir wichtig. auf diesen Umstand besonders hinzuweisen, da er nicht entsprechend gewürdigt wird. Selbst ein Mann von den Erfahrungen und dem Scharfsinne Sachs’ hält die gegensinnige Entwicklungstendenz der progressiven und regressiven Meristeme nicht auseinander. Er kommt zu der Auffassung, „als ob dieselbe Stoffmasse an Energie, an Arbeitskraft gewänne, wenn sie in zahlreiche Portionen oder Energiden zerfällt“ (I, S. 80). Die Beispiele, welche er zur Stütze dieser Erfahrung heranzieht, betreffen die „Furchung‘“ der befruchteten Eizelle, die Entwicklung der Scheitelzelle und die Entstehung der Fortpflanzungszellen. In den beiden ersteren Fällen handelt es sich jedoch um zunehmende Determinierung, im letzten Fall dagegen um eine Entdifferenzierung; das durch die Teilungsvorgänge angestrebte Ziel ist in beiden Fällen diametral entgegengesetzt. 126 Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. 4. Reifungsphase: Innere Gewebe- 4. Progressive Entwicklungsmöglichkeit ausbildung nach Erreichung defini- der Hauptsache nach erloschen; nur tiver Größe und Form. durch innere Differenzierung kann noch physiologisch verschieden wer- tiges Zellenmaterial gebildet werden. Es braucht wohl kaum betont zu werden, dass dieser Dar- stellung ebenso wie bei Sachs ın erster Linie die Verhältnisse am wachsenden Spross zugrunde gelegt sind, dass aber die Einteilung hier wie dort ım großen und ganzen auch auf andere wachsende Organe unschwer übertragen werden kann, wenngleich die Abgren- zung nicht immer mit gleicher Schärfe durchführbar ist. Wenn ich von einer mit dem Auftreten regressiver Meristeme verknüpften Rückdifferenzierung gesprochen habe, könnte es den Anschein erregen, dass bei diesem Vorgange Potenzen, die im Laufe der progressiven Entwicklung verloren gegangen sind, wieder neu gewonnen werden. Auf Grund theoretischer Erwägungen werden wir uns jedoch der von Goebel entwickelten Vorstellung anschließen müssen, dass mit der fortschreitenden Entwicklung nicht ein Ver- lust, sondern ein „Latentwerden“ von Potenzen verknüpft ıst und dass umgekehrt die Rückdifferenzierung nicht prinzipiell neue Fähig- keiten oder Qualitäten schafft, sondern nur die „Inkrustationen“, d. h. die durch bestimmte Bedingungskonstellationen bewirkten Hemmungen (Simon, S. 388) beseitigt. Je vollständiger dies ge- schieht, desto mehr Entwicklungsmöglichkeiten werden erzielt, bis schließlich die Gesamtheit der potentiellen Befähigungen wieder- gewonnen, d. h. der ursprüngliche embryonale Zustand wieder er- reicht ist. Die Frage, worauf dieses „Wiederembryonalwerden“ beruht, wurde schon wiederholt diskutiert. Nach Wiesner (l. e., S. 98) ist es die Anhäufung von Plasma, speziell von Keimplasma, die den Zellen den embryonalen Charakter verleiht. „Es ist offenbar ın den Vegetationszellen der Phanerogamen viel zu wenig Keimplasma vorhanden als dass sie direkt zu sekundären Embryonalzellen !!) werden könnten. Es muss vielmehr ein mehr oder minder reich- licher Zellteilungsprozess erst eine lokale Vermehrung des Proto- plasmas überhaupt und damit eine Vermehrung des Keimplasmas herbeiführen“ (l. e., S. 98)"). Der Anstoß zur Teilung wird, wie Wiesner vermutet, durch einen formativen Reiz hervorgerufen, der durch den Übertritt bestimmter chemischer Individuen oder organısierter protoplasmatischer Substanz aus den infolge Verletzung absterbenden Zellen ausgelöst wird (l. c., S. 104)?). 11) Wiesner versteht darunter eine solche Meristemzelle, welche auf unge- schlechtlichem Wege die Anlage eines neuen Pflanzenindividuums bilden kann. 12) Vgl. auch Winkler, S. 98, Simon, S. 388. 13) Der Reiz könnte, ganz allgemein gesagt, durch eine Störung der korre- lativen Beziehungen zwischen den Zellen zustande kommen, Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. 127 Stellen wir uns auf den Boden dieser Auffassung, so bleibt aber noch immer eine Schwierigkeit und nicht die geringste, wie mir scheint, bestehen. Die Entwicklungsfähigkeit der durch Teilung im regressiven Sinne entstandenen Elemente, ihr embryonaler Oha- rakter, nimmt sichtlich mit der Zahl der stattgehabten Teilungen zu; andererseits sehen wir aber umgekehrt, dass embryonale Zellen mit fortschreitender Teilung immer mehr an Entwicklungsmöglich- keit einbüßen, also an Keimplasma verlieren. Derselbe Vorgang führt somit zu entgegengesetzten Effekten: Die Teilung führt zur Zunahme der Differenzierung und umgekehrt wird eine stattge- habte Differenzierung durch Teilungen rückgängig gemacht. Den richtigen Weg zum Verständnis dieser Tatsachen hat Winkler gewiesen. Er beobachtete anlässlich seiner Untersuchungen über regenerative Sprossbildung am Blatte von Torenia, dass bei Entstehung der adventiven Anlage sich die Zellen in weitgehendem Maße fächern „ohne zunächst eine Volumänderung zu erfahren, eın Vorgang, der natürlich zu einer erheblichen relativen Vermehrung der Plasma- und Kernsubstanz führte“ (l. e., S. 98). Winkler hebt ausdrücklich hervor, dass ganz allgemein jede nicht embryo- nale Zelle vor der Regeneration einen solchen „Furchungsprozess* durchzumachen hat!*). Ich erinnere an die einleitend im Anschlusse an Rothert ge- gebene Charakteristik des Urmeristems, die besagt, dass sich hier Wachstum und Teilung das Gleichgewicht halten. Die progressive Entwicklung ist nun mit einer Zunahme des Wachstums verknüpft, der gegenüber die Teilungen allmählich in den Hintergrund treten. Nicht die Teilungen sind es, sondern die Wachstumsvorgänge, welche zu einer Verminderung des Plasmas und damit zu einem zunehmenden Erlöschen der Entwicklungsmöglichkeiten führen. Demgemäß verläuft nun die regressive Entwicklung, das Wiederembryonalwerden, ın ent- gegengesetztem Sinne: es setzen lebhafte Teilungen unter Verminde- rung der Wachstumsintensität der Teilprodukte ein, bis schließlich eın Gleichgewichtszustand zwischen beiden Prozessen hergestellt ist'?), der die Bildung eines Komplexes undeterminierten Zellenmaterials zur Folge hat. Diese Überlegung gilt für die Organanlage im Kallus ebensogut wie für die Entstehung der embryonalen Fort- pflanzungszellen. Das Wiederembryonalwerden scheint uns somit kausal verknüpft mit der zunehmenden Teilungs- fähigkeit und gleichzeitigen Hemmung der Wachstums- prozesse. 14) Vgl. auch die instruktive Figur einer Sprossanlage im Kallus bei Simon, II, S. 264, Fig. 5. 15) Für die regressive Entwicklung gilt also die allgemeine Regel, dass das Wachstum eine notwendige Vorbedingung für die Zellteilung ist (s. Winkler, II, S. 650), nicht, 128 Linsbauer, Die physiologischen Arten der Meristeme. Wenn ich den Versuch unternahm, die Arten der Meristeme in einer vom gewohnten Schema abweichenden Weise zu umgrenzen, so strebte ich mehr an als den Ersatz der eingebürgerten Termini durch neue. Ich glaube, dass die von mir versuchte Abgrenzung der Meristeme nach ıhrer potentiellen Befähigung natürlicher und mehr im Geiste der physiologischen Anatomie gelegen ist wie ıhre Charakterisierung nach äußerlichen Merkmalen, welche ihr Wesen, ihre formative Befähigung nicht berühren. Ich glaube auch, dass sich unsere Betrachtungsweise fruchtbarer erweisen dürfte, indem sie das anatomische Korrelat zu den Sachs’schen Wachstums- phasen ermittelt. Die experimentelle Morphologie ist in erster Linie berufen, unsere Einsicht in die Natur der Meristeme zu ver- tiefen. Literaturverzeichnis. De Bary, A. Vergleichende Anatomie der Vegetationsorgane. Leipzig 1877. Driesch, H. Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. Fitting. H. Morphologie in „Bonner Lehrbuch“, 12. Aufl., 1913. Goebel, K. 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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die HerrenMitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Pr of. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Haren Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Bd. XXXVI. 20. April 1916, | Mit. Inhalt: Se Über den Zusammenhang zwischen Statur und Eon enanıır bei den Oeno- theren. — Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen in Gewebe- kulturen von Insekten. — WVerhoeff, Ist die physiologische Bedeutung der Glomeriden- Telopoden geklärt? — Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. — Jennings, Die niederen Organismen, ihre Reizphysiologie und Psychologie. — Neuerschienene Bücher. Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl bei den Oenotheren. Von Prof. Dr. Theo. J. Stomps (Holland). Einleitung. Es ist gegenwärtig allgemein bekannt, dass einige der Mutationen, die Hugo de Vries in seinen Kulturen aus Oenothera Lamarckiana erhalten hat, eine von der der Mutterart verschiedene Chromosomen- zahl besitzen. Die erste Entdeckung in dieser Hinsicht wurde ge- macht von Frl. Lutz!). Sie fand, dass die unter dem Namen von O. gigas bekannte Mutation bei ihren Kernteilungen doppelt so viele Chromosomen aufzuweisen hat, als die O. ea nämlich 28 statt 14, welche letztere Zahl zuvor von ihr selbst, von Gates?) 1) Anne M. Lutz, A preliminary note on the chromosomes of Oenothera Lamarckiana and one of its mutants O. gigas. Science, N. S., Bd. 26, S. 151—152, Aug. 1907. 2) R. R, Gates, Hybridization and germ cells of Oenothera mutants. Bot. xaz., Bd. 44, S. 1—21, 1907. XXXVI. y) 130 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl etc. und Geerts?) für die diploide Chromosomenzahl von O. Lamarckiana festgestellt worden war. Ihre Angabe wurde durch eine Mitteilung Gates’*), der nicht wie Frl. Lutz Wurzelspitzen, sondern Pollen- mutterzellen studierte, bekräftigt und führte neuerdings zu der Ent- deckung, in Kulturen Bartlett’s, von Gigas-Mutanten mit 28 Chro- mosomen bei anderen mutierenden Oenotkera-Arten, nämlich bei O. stenomeres Bart]. sp. nov.°), einer von Bartlett vor kurzem in Amerika entdeckten Form mit cruciaten Blüten ®), und bei O. pra- tineola”), einer kleinblütigen, sich selbst bestäubenden Art aus Kentucky. Auf Grund theoretischer Erwägungen bin ich dann zum Schluss gekommen, dass gelegentlich auch Mutanten mit 21 Chro- mosomen, sogen. Semrigigas-Individuen, in die Erscheinung treten müssten®) und zwar häufiger als die echte O. gigas. In der Tat gelang es 1912 Frl. Lutz’) und mir!°), unabhängig voneinander, die Existenz solcher triploiden Mutanten nachzuweisen. Sowohl O0. Lamarckiana selbst, als die aus ihr hervorgegangene O. lata, zeigten sich imstande, sie hervorzubringen, und dieses Vermögen kommt auch der verwandten O0. biennis zu, wie ich gleichfalls 1912 dartun konnte'!). Frl. Lutz!?) machte dann die weitere Ent- deckung, dass die Mutation O. lata nicht wie O0. Lamarckiana und die meisten übrigen Mutanten über 14, sondern über 15 Chromosomen in den Kernen der diploiden Generation verfügt. Auch dieses wurde durch die Beobachtungen von Gates?) bestätigt, der außerdem eine Lata-Mutation mit 15 Chromosomen aus 0. biennis erhielt. Eine von der O. lata in einigen Punkten und namentlich durch die höhere Fertilität des Pollens abweichende Mutation aus O. Lamarckiana, 3) J. M. Geerts, Über die Zahl der Chromosomen von Oenothera Lamarck- iana. Ber. d. D. Bot. Ges., Bd. 25, S. 191—195, 1907 und Bd. 26a, S. 608, 1908. 4) R. R. Gates, The chromosomes of Oenothera. Science, N.S., Bd. 27, S. 193—195, Jan. 1908. 5) H. H. Bartlett, The mutations of Oenothera stenomeres. Am. Journ. of Bot., Bd. 2, S. 100—109, Febr. 1915. 6) H. H. Bartlett, An account of the cruciate-flowered Oenotheras of the subgenus Onagra. Am. Journ. of Bot., Bd. 1, Nr. 5, Maye 1915. 7) H. H. Bartlett, Additional Evidence of mutation in Oenothera. Bot. Gaz., Bd. 59, Nr. 2, Eebr. 1915, 8. 143. S) Theo J. Stomps, Kerndeeling en synapsis bij Spinacia oleracea L. Amsterdam 1910. 9) Anne M. Lutz, Triploid mutants in Oenothera. Biolog. Centralbl., Bd. 32, S. 385435, 1912. 10) Theo. J. Stomps, Die Entstehung von Oenothera gigas de Vries. Ber. d. D. Bot. Ges., Bd. 30, S. 406—416, 1912. 11) Theo. J. Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. Biolog. Centralbl., Bd. 32, S. 521—535, 1912. 12) Anne M. Lutz, 1. e., 1912, 8. 416. 13) R. R. Gates und N. Thomas, A cytological study of Oenothera mut. lata and Oen. mut. semilata in relation to mutation. Quart. Journ. of mierose. science, Bd. 59, S. 523—571, 1914. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 131 die Semilata genannt worden war, fanden Gates und Thomas gleichfalls im Besitze von 15 Chromosomen. Die Zahl 15 scheint übrigens noch bei verschiedenen anderen Mutanten vorzukomnfen. Frl. Lutz sagt nämlich auf Seite 433 ihrer Arbeit von 1912, dass sie „many quite distinct types of mutants with 15 chromosomes and some even with 16“ gefunden hat. Näheres darüber hat sie aber noch nicht mitgeteilt. Schließlich sei noch erwähnt, dass Gates!*) über eine Mutation aus O. Lamarckiana gigas berichtet hat, die ganz sicher 27, statt 28 Chromosomen ın den Kernen führte. Es kommt nun im Pflanzenreiche häufig vor, dass nahe ver- wandte Typen sich durch eine verschiedene Ohromosomenzahl von- einander unterscheiden. Man siehe die Zusammenfassung unserer jetzigen Kenntnisse über Chromosomenzahl, -Form und -Individualıtät im Pflanzenreiche, welche Tischler'?) neulich im Progressus rei botanicae gegeben hat. Aber die Unterschiede zwischen den Oeno- thera-Mutanten und den Mutterarten erregen unser besonderes In- teresse, weil wir genau wissen, wann sie ins Leben gerufen worden sind. Hier darf man also hoffen, die Ursachen des Entstehens solcher Differenzen erforschen zu können. Wenn wir jedoch fragen, ob die bis jetzt unternommenen zytologischen Untersuchungen an Oenotheren zu dem Ziele geführt haben, uns eine gut begründete Einsicht in dieses Problem zu geben, so muss die Antwort eine verneinende sein. Zwar haben sie die Entstehung einer Hypothese veranlasst, welche sich gegenwärtig einer gewissen Anerkennung erfreut und jetzt auch ihren Weg in die Lehrbücher gefunden hat, aber unangreifbar ıst dieselbe durchaus nicht und manche Einwände kann man gegen sie ins Feld führen, wie aus den folgenden Zeilen hervorgehen soll. Ich meine jene Auffassung, die das Auftreten der Mutanten mit abweichender Chromosomenzahl auf zufällige Un- regelmäßigkeiten bei der Chromosomenverteilung zurückführen will, eine Auffassung, die somit die Statur dieser Mutanten als von einer zufällig erworbenen Chromosomenzahl bedingt betrachtet. Der be- kannte Oenothera-Forscher Gates hat sich wiederholt zu Gunsten dieser Hypothese ausgesprochen. Frl. Lutz neigt weniger dazu, eine unregelmäßige Chromosomenverteilung als direkte Ursache von Mutationen anzunehmen, aber für einen Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl bei den Oenotheren spricht sie sich doch wohl einigermaßen aus, wenn sie auf Seite 418 ihrer Arbeit von 1912 sagt: „In my studies of the Oenotheras (as repeatedly stated heretofore) I have found no exception to the rule that all 14) R. R. Gates, The mutation factor in evolution, with particular reference to Oenothera, S. 217 u. f., 1915. 15) G. Tischler, Chromosomenzahl, -Form und -Individualität im Pflanzen- reiche. Progr. rei botan., Bd. 5, S. 164—284, 1915. g* 139 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. plants having the same vegetative characters from the seedling stage to the end of the flowering period, — have identical chromo- some numbers.“ Meine eigene Auffassung geht dahin, dass es eine so enge Beziehung zwischen Statur und Chromosomenzahl nicht gibt. Beobachtungen, die ich unten beschreiben werde, be- weisen das Gegenteil. Im besondern aber betrachte ich das Be- streben, die Mutanten mit abweichender Chromosomenzahl durch unregelmäßige Mitosen zu erklären, als verfehlt. Ich meine, Tat- sachen sind genügend vorhanden, um zu zeigen, dass solches nicht berechtigt sein kann. Sogar wenn man damit rechnet, dass die einzelnen Ühromosomen verschiedene Eigenschaften tragen könnten, was, besonders nach den hervorragenden Untersuchungen Morgan’s, gegenwärtig immer mehr wahrscheinlich erscheint, würde man noch nicht das Entstehen von Mutanten mit abweichender Chromosomen- zahl durch Unregelmäßigkeiten bei den Kernteilungen erklären können. Diesen Punkt werde ich am Schlusse meiner Mitteilung kurz erwähnen und wir werden dort die Argumente kennen lernen, die dafür sprechen, dass eine veränderte Ohromosomenzahl ange- sehen werden muss als Folge der nämlichen Mutationserscheinung, die zu gleicher Zeit die anderen Merkmale des neu aufgetretenen Individuums hervorrief. Vorläufig wollen wir uns darauf beschränken, die Frage zu diskutieren, ob die gegenwärtig häufig anzutreffende Hypothese vom Zusammenhang zwischen der Statur und einer zu- fällig erworbenen höheren Chromosomenzahl haltbar ist oder nicht, und zwar werde ich ın einem ersten Paragraphen die Tatsachen aus der Literatur zusammenstellen, die zu zeigen vermögen, dass diese Auffassung nicht richtig sein kann, in einem folgenden über eigene Beobachtungen berichten, die sich gleichfalls nicht mit ihr vertragen. $1. Tatsachen aus der Literatur, unvereinbar mit der Hypothese über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl. Wir verfahren zweckdienlich, indem wir die betreffenden Mu- tanten in zwei Gruppen einteilen, die eine, die Mutanten mit 15 Chromosomen umfassend, die andere die Semigigas- und Gigas- Mutationen, und jede für sich betrachten. Was zunächst die erste Gruppe, die ZLata- und Semslata- Mutationen anbetrifft, so ıst die Antwort auf unsere Frage schon sehr leicht zu geben. Hier nehmen einige Forscher also an, dass die Zahl 15 dadurch entsteht, dass gelegentlich Keimzellen mit 8 Chromosomen erzeugt werden und zwar infolge Unregelmäßig- keiten bei der Reduktionsteilung von O. Lamarckiana, respektive O. biennis. Anstatt 7 nach dem einen und 7 nach dem anderen, würden bisweilen 6 Chromosomen nach dem einen und 8nach dem Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 133 anderen Pole der heterotypischen Teilungsspindel wandern. Gates!*) erwähnt diese Erscheinung für 0. Lamarckiana, für deren Mutation O. rubrinervis und auch für O. biennis, Davis!) gleichfalls für O. Lamarckiana und O. biennis. Ob diese Wahrnehmungen viel- leicht einer anderen Deutung bedürftig sind, wollen wir vorläufig dahingestellt sein lassen. Uns interessiert hier vor allem die Wahr- scheinlichkeit der Annahme, dass „eine Oenothera-Pflanze, die in- folge irgendwelcher Störungen bei einer Zellteilung 15 statt 14 Chro- mosomen in ihren Zellkernen hat, deshalb gerade die lata-Eigen- schaften aufweist“, wofür nach Baur?) manches spricht. Nun, es ist klar, dass die Tatsachen diese Wahrscheinlichkeit gegenwärtig auf Null reduziert haben. Die Entdeckung von 15 Chromosomen bei ©. semilata und die Mitteilung von Frl. Lutz’), dass sie „many quite distinet types of mutants with 15 chromosomes“ gefunden hat, beweisen aufs deutlichste, dass von einem Zusammenhang zwischen einer bestimmten Statur und der Anwesenheit von 15 Uhro- mosomen in einer Pflanze nicht die Rede sein kann. Wenden wir uns nunmehr unserer zweiten Gruppe von Mu- tanten, den Semigigas- und Gigas-Mutationen, zu. Hier könnte man eher geneigt sein, an eine Beziehung zwischen Statur und Chromo- somenzahl zu denken. In der Tat ıst O. Lamarckiana semigigas mit 21 Chromosomen genau intermediär zwischen ©. Lamarckiana mit 14 und der bekanntlich viel kräftigeren O0. Lamarckiana gigas mit 28 Chromosomen und auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob die bekannte Regel Boveri’s über die Relation zwischen Chromosomenzahl, Kern- und Zellgröße, die durch die wichtigen Untersuchungen von El. und Em. Marchal eine so schöne Be- stätigung erhalten hat, sehr gut alle Unterschiede zwischen den drei genannten Typen begreiflich machen könnte. Allein, wir werden sehen, dass auch in diesen Fällen die Statur nicht von der erhöhten Chromosomenzahl verursacht wird. Die Beweisführung ist nicht schwer zu geben und kann sich beschränken auf unser zweites Beispiel, O. gigas, wegen des besonderen Verhältnisses, in dem O0. semigigas und O. gigas zueinander stehen. Es scheint mir erforderlich, zu allererst letztere Behauptung zu begründen. Als die verdoppelte Chromosomenzahl von 0. gigas von Frl. Lutz entdeckt worden war, ist sehr bald die Meinung ausgesprochen 16) R. R. Gates, The mutation factor in evolution, S. 179 und 181, 1915. 17) B.M. Davis, Cytological studies on Oenothera. II. The reduction divisions of Oenothera biennis. Ann. of Bot., Bd.24, S.631—651, 1910. III. A comparison of the reduction divisions of Oenothera Lamarckiana and O. gigas. Ann. of Bot., Bd. 25, S. 941—974, 1911. 18) E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. S. 300, Berlin 1914. 19) Anne M. Lutz, Triploid mutants in Oenothera, Biolog. Centralbl., Bd. 32, 1912, S. 433. A434 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzall ete. worden, dass sie entweder in der befruchteten Eizelle oder jeden- falls kurz nachher entstanden sein müsse und zwar infolge zu- fällıger Einflüsse, wie diese ın Wurzeln auch oft tätig sind und dort die sogen. syndiploiden Zellen hervorrufen. Gates?) vertei- digte diese Ansicht in seiner Mitteilung „The Stature and chromosomes of Oenothera gigas de Vries*, Strasburger?!) schloss sich ıhm an. Ihnen gegenüber vertrat ich die Meinung??), dass eine so auf- fällıge Verdoppelung der Chromosomenzahl, die sich als konstantes Artmerkmal erweist, unmöglich zufälliger Natur sein kann und dass ıhr ebensogut wie dem Entstehen anderer Eigenschaften eine Mutation zugrunde liegen muss. Ich folgerte daraus, dass die O. gigas durch das Zusammenkommen zweier Keimzellen, die beide eine verdoppelte Chromosomenzahl führten, entstanden sein müsste. Denn nach meiner Vorstellung konnte eine Verdoppelung nach der Befruchtung nicht stattfinden, wenn nicht wenigstens eine der beiden Keimzellen die Eigenschaft dazu mitgebracht hätte, dann aber selbst wohl schon in den Besitz einer doppelten Chromosomenzahl gelangt war. In dieser Weisekam ich dazu, das Auffinden von Mutanten mit 21 Chromosomen vorauszusagen, die dann natürlich durch die Ver- schmelzung einer vierzehnchromosomigen Keimzelle und einer nor- malen zustande kommen müssten. Als nun 1912 von Frl. Lutz?°) und mir?*) die Entdeckung solcher trıploiden Mutanten erfolgt war, glaubte ich, dass niemand mehr inbetreff des Ursprungs von O. gigas aus zwei diploiden Keimzellen Zweifel hegen würde, um so mehr, als ich aus dem Mutationskoeffizienten der triploiden Mutanten einen solchen für in dieser Art und Weise entstandene tetraploide Individuen herleiten konnte, der wenigstens ungefähr mit demjenigen der sehr seltenen O. gigas übereinstimmte. Gates jedoch konnte anfänglich meine Ansicht nicht teilen. Er meinte, das Auftreten der triploiden Mutanten’ beweise nur, dass O. Lamarckiana imstande sei, Eizellen mit 14 Chromosomen hervorzubringen, besage aber nicht, dass solches auch für die Pollenkörner zutreffe. Deshalb zog er es vor, für O. gigas einen von demjenigen der 0. semigigas ge- trennten und meines Erachtens äußerst hypothetischen Ursprung anzunehmen. Nach ihm??) „a tetraploid megaspore mothercell (also eine Mutterzelle, die sich typisch geteilt hat ohne nachfolgende 20) R. R. Gates, The Stature and Chromosomes of Oenothera gigas de Vries. Arch. f. Zellforsch., Bd. 3, S. 525—552, 1909. 21) E. Strasburger, Chromosomenzahl. Flora. Bd. 100, S. 398—446, 1910. 22) Theo. J. Stomps, Kerndeeling en synapsis bij S'pinacia oleracea L. Amsterdam 1910, S. 52—64. 23) Anne M. Lutz, Triploid mutants in Oenothera, ete. 24) Theo. J. Stomps, Die Entstehung von Oenothera gigas de Vries. Ber. d. D. Bot. Ges., Bd. 30, S. 406—416, 1912. 25) R. R. Gates, The mutation factor in evolution, S. 214. EEE Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 135 Zellwandbildung) might quite conceivably develop aposporously omitting both the meiotie divisions and fertilisation and produeing directly a tetraploid mutant“. Jetzt aber ist auch Gates im Be- griffe, seinen Standpunkt zu ändern. In seinem neuesten Buche teilt er eigene Beobachtungen mit, die dazu geeignet sind, den Aus- schlag zu Gunsten meiner Auffassung zu geben. Ich lasse sie hier folgen. Erstens hat Gates in mikroskopischen Präparaten eine Andeutung davon gefunden, dass sogar O. gigas noch imstande ist, für diese Art diploide Pollenkörner, also solche mit 28 Chromo- somen, hervorzubringen?®). Dies macht es im höchsten Grade wahr- scheinlich, dass das Vermögen, männliche Geschlechtszellen mit ver- doppelter Chromosomenzahl zu erzeugen, O. Lamarckiana nicht ab- geht. Zweitens hat Gates die Form der Pollenkörner normaler diploider Pflanzen studiert und dabei auch vereinzelte viereckige Körner zu Gesicht bekommen, wie sie für O. gigas charakteristisch sind?”). Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese diploid waren. Die Untersuchung der zum Teil 8 Chromosomen in den Kernen führenden Pollenkörner von O. semilata hat nämlich gelehrt, dass 8 Chromosomen nicht genügen und wenigstens 9 Chromosomen er- forderlich sind, um die viereckige Gestalt der Pollenkörner zum Vorschein zu rufen. An die Zahlen 9 bis 13 braucht man aber hier so lange nicht zu denken, als nicht Mutanten aufgefunden worden sind, bei deren Entstehung diese Zahlen eine Rolle spielen könnten. Kurz, unsere Anschauung über den Ursprung von 0. semigigas aus einer in Gigas mutierten und einer normalen, und von ©. gigas aus zwei in Gigas mutierten Keimzellen erscheint heutzutage berech- tigter als je, wie ich übrigens unten (in $ 2) noch näher auseinander- setzen werde. Schreiten wir also jetzt zur Behandlung der Frage, ob Gügas- Statur und verdoppelte Chromosomenzahl in kausaler Beziehung zueinander stehen. Drei Argumente werde ich anführen, die zeigen sollen, dass dies nicht der Fall ist. 1. Bekanntlich hat O. gigas die Eigenschaft, unter ihren Nach- kommen schmalblättrige Individuen hervorzubringen. So weit weichen diese in ihrem Aussehen oft von der normalen @Gigas-Statur ab, dass Gates sich veranlasst gefühlt hat, die Meinung auszusprechen °*), dass sie wohl weniger als 28 Chromosomen in ihren Kernen führen würden. Frl. Lutz berichtet aber auf Seite 423 ihrer Arbeit von 1912, allerdings mit einiger Reserve, doch 28 Chromosomen in 4 schmalblättrigen Gögas-Individuen gezählt zu haben. Dies würde . R. Gates, 1. c., S. 216 und 217. “BR. Gates, l. e, S 215. R. R. Gates, Tetraploid mutants and chromosome mechanisms. Biolog. Centralbl., Bd. 33, 1913, S. 132. R R 156 Stemps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Ohromosomenzall ete. zeigen, dass die Anwesenheit von 28 Chromosomen noch nicht die typische Gigas-Statur zu bedingen braucht. 2. Auf Seite 217 seines oben erwähnten Buches sagt Gates, aus einer Rasse von O. gigas eine Mutation mit 27 Chromosomen erhalten zu haben. Ihr Auftreten erläutert er mittels Unregel- mäßigkeiten, die auch in @Gigas-Pflanzen bei der Verteilung der Chromosomen in der heterotypischen Teilungsspindel vorkommen würden. Gates behauptet, hier sogar ein Auseinanderweichen der Chromosomen in 2 Gruppen von 12 und 16 konstatiert zu haben. Daher die Annahme, dass die betreffende Mutation aus der Ver- einigung einer normalen mit einer dreizehnchromosomigen Keimzelle hervorgegangen sei. In Hinsicht auf unser Ziel interessiert es uns jetzt besonders, etwas über die Statur dieser Mutation zu erfahren. Sollte die Hypothese vom Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl zutreffen, so könnte man erwarten, dass sie ın ihrem Aussehen !/,,; schwächer als die O. gigas sein würde. Nach Gates war dies jedoch nicht der Fall. „The decrease in size is much greater“, was Gates zu sagen veranlasst: „It seems to show, that other changes accompanied the loss of a chromosom. But if the chromosomes are unlike, this conelusion does not necessarily follow.“ Jedenfalls zeigt es, dass die Sache nicht so einfach ist, wie die von uns bestrittene Hypothese sie annimmt. 3. Von höchster Wichtigkeit für unsere Auffassung ist es, dass, ebenso wie in den Versuchen Gregory’s?) mit Prömula sinensis, faktisch auch ım Beispiel der 0. Lamarckiana zwei verschiedene Gigas-Mutationen ans Licht gekommen sind, eine bivalente Form mit verdoppelter Chromosomenzahl und eine gleichgestaltete uni- valente mit der gleichen Zahl wie O0. Lamarckiana. Zwar ist die letztere noch nicht direkt aus 0. Lamarckiana ın die Erscheinung getreten als greifbare Mutation, aber Tatsachen, welche die zyto- logische Forschung zu Tage gefördert hat, lehren uns, dass sie mög- lich ist. Es versteht sich von selbst, dass dieses Argument sehr schwer wiegt, denn es zeigt klar die Unabhängigkeit der Gügas- Statur von der verdoppelten Chromosomenzahl. Ich werde es darum mit einiger Ausführlichkeit behandeln. Auf Seite 182 u. f. seines Buches „Gruppenweise Artbildung* bespricht de Vries die Konstanz der intermediären Bastarde zwischen O0. gigas und O. Lamarckiana. Bekanntlich gelingt es leicht, Bastarde zwischen O. gigas und O. Lamarckiana herzustellen. Eine zweite Generation zu erzielen ist jedoch schwierig, infolge der Sterilität der Individuen erster Generation. Ein einziges Mal hat de Vries aber ein fertiles Bastardindividuum erhalten und zwar 29) R.P. Gregory, On the geneties of tetraploid plants in Primula sinensis. Proc. R. Soc., B, Bd. 87, S. 484492, 1914. en Stomps, Uber den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 137 1907 aus einer 1905 gemachten Kreuzung von Oenoth. gigas mit 0. Lamarckiana. Abgesehen von der Fertilität war es den übrigen Bastarden der ersten Generation durchaus gleich, somit ohne Zweifel Gigas X Lamarckiana. Aus den Samen dieser Pflanze ging 1908 eine zweite Generation hervor. Alle Individuen „waren unter sich gleich und führten genau denselben Typus wie die erste Gene- ration“. Durch 5 Generationen erhielt sich die Rasse darauf kon- stant, „ohne Änderung in ihren äußeren Merkmalen und in ihrer Fertilität“. Diesen Mitteilungen fügt nun de Vries in einer Fußnote noch folgende Bemerkung hinzu: „J. M. Geerts berichtet, dass er ın den vegetativen Kernen eines Individuums der zweiten Generation dieser fertilen Rasse von O. gigas X Lamarckiana nur 14 Chromo- somen gefunden hat. Siehe: Ber. d. D. Bot. Ges. 1911, Bd. XXIX, S. 163. Da diese Generation der ersten äußerlich gleich war, hat die Anfangspflanze meiner fertilen Rasse wohl auch nur 14 Chro- mosomen in ihren Kernen gehabt.“ Der Zytologe erwartet natürlich, in einem Bastardindividuum erster Generation 0. gigas X Lamarckiana als Diploidzahl der Chromosomen 21 zu finden. Deshalb verdient diese Äußerung von de Vries im höchsten Grade unsere Aufmerksamkeit. De Vries gibt damit als seine Meinung zu erkennen, wie aus dem oben über seine fertile Bastardrasse Gesagten sofort einleuchtet, dass O. gigas imstande wäre, gelegentlich Keimzellen mit nur 7 Chro- mosomen, aber übrigens im Besitze von @igas-Eigen- schaften zu erzeugen. Diese müssten dann als in Bezug auf die Öhromosomenzahl zurückmutiert betrachtet werden. Sie würden einer Gigas-Mutation angehören, die man O. gigas univalens nennen könnte. An der Hand von Tatsachen, die wır der Literatur entnehmen, werden wir jetzt sehen, dass zwar einerseits das von de Vries zu Gunsten seiner Annahme angeführte Argument nicht besonders glücklich gewählt ist, dass es aber andererseits weitere Argumente gibt, die geeignet sind, seine Meinung zu stützen und die sogar imstande sind, ıhr die Bedeutung eines wissenschaftlichen Ergeb- nisses zu verleihen. Es ist in der Tat möglich zu beweisen, dass in de Vries’ fertiler Rasse von O. gigas X Lamarckiana ein uni- valenter Gigas-Typus eine verborgene Existenz führt. Zu diesem Zwecke muss man sich gewisser Resultate der zytologischen For- schung erinnern. Als die verdoppelte Chromosomenzahl von ©. gigas entdeckt war, hat es sehr bald die Zytologen interessiert, wie wohl in einem Bastarde zwischen O. gigas und O. Lamarckiana oder in irgend einem anderen Bastarde mit 21 Chromosomen die Reduktions- teilung vor sich gehen würde, 138 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzall ete. Geerts3®) untersuchte Individuen erster Generation mit 21 Chro- mosomen aus Kreuzungen von O. lata mit O. gigas und von O. La- marckiana mit O. gigas. Er fand, dass bei der Reduktionsteilung regelmäßig nur 7 Chromosomen zum einen und 7 zum anderen Pole wandern, während die 7 übrigen sich in verschiedener Weise benehmen können. Gewöhnlich gehen 3 von ihnen zum einen Pol, 4 zum anderen. Aber „bisweilen erreichen sie die Pole nicht und treten also, wenn sich um jeden Kern eine Wand ausbildet, nicht in die Kerne ein“®!), Oft auch lassen sich in der heterotypischen Teilungsspindel Zeichen der Desorganisierung bei diesen Ohromo- somen erkennen. Bei der zweiten Teilung tritt Zerstückelung noch deutlicher zum Vorschein. „Zu den 4 Polen gehen also immer 7 deutliche Chromosomen und oft eine Zahl unregelmäßiger Chro- mosomen oder Chromatinstückchen. Wenn die Tetradenkerne ent- stehen, wird bisweilen dieses Chromatin in den Kern aufgenommen, aber meistens liegen außerhalb der Kernwand auch Chromatın- teilchen. Diese Chromatinstücke, welche außerhalb der Kerne zu- rückgelassen werden, entwickeln sich oft zu Zwergkernen, in den jungen Pollenkörnern sowie in dem jungen Embryosacke. Beim Auswachsen des Embryosackes verbleichen diese Zwergkerne und verschwinden allmählich ®').“ Diese interessanten Beobachtungen Geerts’ stehen in völligem Einklang mit den Erscheinungen, die Rosenberg°?) für Drosera obovata, den Bastard zwischen Dr. rotundifolia und Dr. longifolia, beschrieben hat. An deren Genauig- keit braucht man deshalb nicht zu zweifeln. Sie brachten Geerts dazu, anzunehmen, dass ein Bastard zwischen O. gigas und O0. La- marckiana (oder einer Mutante mit 14 Chromosomen) jedenfalls imstande ist, Keimzellen mit 7 Chromosomen und folglich Nach- kommen mit 14 Chromosomen hervorzubringen. „In den vegetativen Kernen eines Individuums der zweiten Generation von 0. gigas X O. Lamarckiana wurden denn auch 14 Chromosomen gefunden ®?).“ Wir sind nun zwar eben dabei zu beweisen, dass die Zahl 14 in diesem Individuum, das der fertilen Rasse von de Vrıies ange- hörte, nichts mit den Resultaten Geerts’ zu tun hatte. Aber seine Annahme, dass ein Bastard mit 21 Chromosomen Nachkommen mit 14 Chromosomen haben kann, ist nichtsdestoweniger bestätigt worden durch spätere Untersuchungen, auf die ich unten noch zu- rückkommen werde. 30) J. M. Geerts, Cytologische Untersuchungen einiger Bastarde von Oeno- thera gigas. Ber. d. D. Bot. Ges., Bd. 29, S. 160—166, 1911. ah) I. MM IGeertsrnlech 3.1633 32) J. Rosenberg, Cytologische und morphologische Studien an Drosera longifolia X rotundifolia. K. Svensk. Vet. Ak. Handl., Bd. 43, Nr. 11, S. 1—63, 1909. 33) J. M. Geerts, 1. c., S. 163. Stomps, Uber den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 139 Neben Geerts hat sich Gates°*) mit einem Studium der Re- duktionsteilung in triploiden Individuen beschäftigt. Anfänglich kam er dabei zu etwas anderen Resultaten als Geerts. Nament- lich beobachtete er nicht die von Geerts erwähnten Desorgani- sierungserscheinungen der Chromosomen. Diese sah er meistens in Gruppen von 10 und 11, bisweilen aber auch von 9 und 12, in der heterotypischen Teilungsspindel auseinandergehen. Deshalb meinte er, dass ın der Nachkommenschaft solcher Pflanzen am häufigsten Individuen mit 20, 21 und 22, daneben aber auch solche mit 18, 19, 23 und 24 Chromosomen auftreten würden. Den deut- lieh vorhandenen Unterschied zwischen den Beobachtungen der beiden genannten Forscher suchte Frl. Lutz°?) schon zu erklären durch die Annahme, dass im Herbste, in welcher Jahreszeit Geerts sein Blütenmaterial fixierte, die Reduktionsteilung einen unregel- mäßigeren Verlauf nehme, als mitten im Sommer. Neuerdings hat sich dieser Unterschied aber verflacht, indem Gates ähn- liche Erscheinungen beobachtet hat, wie Geerts, namentlich bei der homoiotypischen Teilung. Infolgedessen hält auch er es für möglich, dass in der Nachkommenschaft eines triploiden Individuums Pflanzen mit 14 Chromosomen auftreten, aber er bleibt der Mei- nung, dass solche mit 20, 21 und 22 Chromosomen jedenfalls die Mehrheit bilden, besonders, wenn die Samen, aus denen die Nach- kommenschaft hervorging, im Sommer angesetzt worden waren. Zwei Forscher sind somit auf Grund zytologischer Studien an den Mutterpflanzen zum Schluss gelangt, dass die Chromosomen- zahlen der Nachkommen eines Bastardes zwischen O. gigas und O. Lamarckiana u. Ss. w. sehr verschieden werden ausfallen müssen. Dass dem wirklich so ist, hat nun Frl. Lutz durch exakte Zählungen bewiesen. Für 42 solcher Pflanzen hat sie genau und für 11 weitere ungefähr die somatische Chromosomenzahl bestimmt. „Some were observed to have low, some high chromosome numbers 3®).“ Niedrige Zahlen scheinen besonders häufig vorzukommen. So sagt Frl. Lutz an einer Stelle, nachdem sie an das von Geerts beschriebene Aus- schalten von Chromosomen bei der Reduktionsteilung in triploiden Pflanzen erinnert hat, dass dem Anschein nach „this phenomenon is of very common occurrence“?”). Nähere von Frl. Lutz in Aus- sicht gestellte Mitteilungen über ihre Untersuchungen sind bis jetzt noch nicht erschienen. Es darf aber bemerkt werden, dass ihre Resultate sich in ungezwungener Weise vertragen mit der Mitteilung von de Vries°®), dass er aus einer Kreuzung von O. biennis semi- 34) R.R.Gates, Zuletzt in: The mutation factor in evolution, 8.133 u. f., 1915. 35) Anne M. Lutz, 1. c., 1912, S. 405. 36) Anne M. Lutz, |. c., 1912, S. 400. 37) Anne M. Lutz, l. c., 1912, S. 402. 38) Hugo de Vries, The coeffieient of mutation in O. biennis L. Bot. Gaz., Bd. 59, Nr. 3, S. 169—196, 1915. 140 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzall etc. gigas mit O. biennis nur Pflanzen mit 14 und 15 Chromosomen erhalten hat. Dies zeigt nämlich zum mindesten, dass ein Semi- gigas-Individuum — gleich dem Bastarde zwischen der Mutterart und der Gigas-Mutation, wie oben auseinandergesetzt wurde — in der Regel Eizellen mit 7 und 8 Chromosomen hervorbringt. Es ist aber wahrscheinlich, dass auch die Pollenkörner meistens solche niedrige Zahlen aufzuweisen haben. Ich erinnere an meine Be- schreibung°”) des Pollens der im Sommer 1911 in meinen Kulturen zum ersten Male entstandenen O. biennis semigigas. Zum Teil sind die Pollenkörner steril; die übrigen sind meistens dreieckig, aber ab und zu begegnet man auch der für die Pollenkörner von O. gigas charakteristischen viereckigen Form. Daraus darf man wohl mit Gates schließen, dass die meisten gesunden Pollenkörner geringe Chromosomenzahlen in den Kernen führen, dass aber höhere Zahlen gelegentlich auch vorkommen. Kurz, auf diesem Wege alleın könnte man zur Einsicht gelangen, dass die meisten Nachkommen eines geselbsteten Semigigas-Individuums im Besitze von niedrigen, einige aber auch von höheren Chromosomenzahlen gefunden werden müssen, wie Frl. Lutz es tatsächlich gefunden hat. Mit völliger Sicherheit wissen wir somit, dass Individuen der zweiten Generation einer Kreuzung zwischen O. gigas und O0. La- marckiana (oder eventuell deren Mutanten) oder auch Nachkommen einer Semigigas-Mutation alle möglichen Chromosomenzahlen von 14—22 oder 24 in ihren diploiden Kernen aufweisen können. Eigene unten zu beschreibende Beobachtungen haben mich weiter gelehrt, dass auch Zahlen bis 28 bei solchen Pflanzen vorkommen. Nach diesen zytologischen Erörterungen lasse ich jetzt die Argumente folgen, die zu zeigen vermögen, dass de Vries recht hat, wenn er der Ausgangspflanze seiner fertilen Rasse von O. gagas x. ©. Lamarekiana 14 Chromosomen zuschreibt. Wir erinnern uns, dass damit die Existenzfähigkeit einer unıvalenten Gigas-Rasse er- wiesen wird, was wieder die Unabhängigkeit der Gigas-Statur von einer verdoppelten Chromosomenzahl ins Licht stellt. Unsere Argu- mente sind vier an der Zahl. 1. Geerts ist nicht der einzige gewesen, der Chromosomen bei dieser fertilen Rasse gezählt hat. Auch ich habe für mehrere Individuen, namentlich aus der vierten und fünften Generation, die Chromosomenzahl bestimmt. Wie Geerts habe ich dabei nur die Zahl 14 gefunden. Man kann daraus schließen, dass die fertile Bastardrasse von de Vries eine typische vierzehnehromosomige Rasse ist. Aus dem Obenstehenden wissen wir aber, dass die Nach- kommen einer triploiden Pflanze durch sehr verschiedene Chromo- 39) Theo. J. Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. Biolog. Centralbl., Bd. ‚32, 1912, 8. 333. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Ohromosomenzahl ete. 141 somenzahlen gekennzeichnet sind. Das gilt auch für spätere Gene- rationen, wie ich unten noch beschreiben werde. Somit muss- die Ausgangspflanze der fertilen Rasse wohl auch 14 Chromosomen in ihren Kernen gehabt haben. 2. Frl. Lutz hat von mehreren triploiden Individuen die Nach- kommenschaft auf die vegetativen Merkmale hin untersucht. Sie teilt mit, dass sie dieselbe nicht gleichförmig gefunden hat!). Es war deutlich eine Reihe von Typen zu unterscheiden, was Fıl. Lutz auf die Anwesenheit von verschiedenen Uhromosomenzahlen zurückführt. Professor de Vries hebt aber nachdrücklich die Kon- stanz seiner fertilen Rasse von ©. gigas X Lamarckiana durch mehrere Generationen hervor, und jeder, der das Vorrecht gehabt hat, seine Kulturen zu sehen, hat den Eindruck einer völligen Gleichförmigkeit mitnehmen können. Alle Generationen sahen einander und der Ausgangspflanze durchaus gleich. Auch dies spricht dafür, dass die Ausgangspflanze nicht triploid, sondern diploid gewesen ist. 3. Die Ausgangspflanze der fertilen Rasse von O. gigas X. La- marckiana unterschied sich scharf von den anderen sicher triploiden Individuen der ersten Generation der Kreuzung durch ihre Fertilität. Dieser Punkt alleın verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Nach unseren bis jetzt gewonnenen zytologischen Erfahrungen wird nämlich ein triploides Individuum sich nie kennzeichnen durch einen so hohen Grad der Fertilitä. Im Zusammenhang mit den beiden vorigen Argumenten ıst somit auch diese Fertilität eine Stütze für die Auffassung von de Vries. 4. Frl. Lutz hat für 52 Pflanzen erster Generation der Kreu- zung O. lata X gigas genau die somatische Chromosomenzahl be- stimmt*!). In den meisten Fällen betrug sie 21 oder 22, wie man erwarten konnte, weil die Eigenschaft von ©. lata, zum Teil Eı- zellen mit 7, zum Teil solche mit 8 Chromosomen zu erzeugen, vorausgesetzt wurde. Zwei Individuen jedoch zeigten sich merk- würdigerweise ım Besitze von 15 Chromosomen. Meiner Meinung nach kann für diese Tatsache nur eine Erklärung in Betracht kommen. Die betreffenden Individuen müssen aus der Vereinigung von Lata-Eizellen mit 8 und Gigas-Kernen mit 7 (statt 14) Chro- mosomen hervorgegangen sein. Nötigenfalls würde man an eine apogame Entwicklung von Zata-Eizellen denken können. Im Zu- sammenhang mit allem, was man gegenwärtig über Apogamie weiß, braucht man aber auf die Möglichkeit einer solchen Entwick- lung kaum Rücksicht zu nehmen. Gibt man dies zu, dann bleibt nur noch die Annahme, dass O, gigas gelegentlich Keimzellen mit 40) Anne M. Lutz, 1. c., 1912, S. 396 und 397. 41) Anne M. Lutz, |. c., 1912, S. 413, 421. 142 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 7 Chromosomen hervorbringen kann. Jedenfalls darf man den wichtigen Fund von Frl. Lutz betrachten als ein Argument zu Gunsten der Vorstellung, dass die Ausgangspflanze für de Vries’ fertile Bastardrasse von O. gigas X Lamarckiana nur 14 Chromo- somen in ihren Kernen gehabt hat. Überblicken wir jetzt unsere gesamte Beweisführung, dann kommt es uns durchaus berechtigt vor, anzunehmen, dass de Vries’ fertile Rasse von ©. gigas X Lamarckiana aus einer Kreuzung von O. Lamarckiana mit einem univalenten und somit diploiden Gegas- Typus und nicht mit der gewöhnlichen tetraploiden ©. gigas her- vorgegangen ist. Die Existenz aber einer solchen univalenten Grgas- Mutation, die, abgesehen von der halbierten Chromosomenzahl der bivalenten Rasse übrigens ähnlich ist (es sei nochmals daran erinnert, dass eine Kultur der fertilen Bastardrasse von O. gigas X. Lamarckiana morphologisch nicht von Kreuzungen zwischen OÖ. Lamarckiana und der gewöhnlichen O. gigas unterschieden werden konnte), zeigt klar, dass die @igas-Statur nicht als Folge einer verdoppelten Chro- mosomenzahl betrachtet werden darf. Nachdem ich also an der Hand von Tatsachen aus der Lite- ratur die Unhaltbarkeit der Hypothese über den kausalen Zu- sammenhang zwischen einer bestimmten neu erworbenen Chromo- somenzahl und einer bestimmten Statur darzutun versucht habe, möchte ich jetzt neue eigene Beobachtungen beschreiben, die eben- falls für die Unrichtigkeit dieser Auffassung sprechen. S2. Eigene Beobachtungen, welche die Unrichtigkeit der Hypothese über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl dartun. Die eigenen Beobachtungen, die ich hier zur Sprache bringen möchte, beziehen sıch einerseits auf die Chromosomenzahl und Ge- stalt eines Bastards zwischen O. Lamarckiana gigas und O. atro- verens Shull und Bartlett (der früheren O. ceruciata Nutt.), andererseits auf eine Anzahl Nachkommen von trıploiden Bastard- pflanzen. a) Im Sommer 1912 fixierte ich in der früher beschriebenen Weise Wurzeln eines Individuums der ersten Generation einer 1911 ausgeführten Kreuzung zwischen O. gigas und O. atrovirens. Durch verschiedene Umstände kam ich erst im vorigen Jahre dazu, dieses Material näher zu studieren. In zahlreichen Kernplatten wurde dann die Anwesenheit von 28 Chromosomen festgestellt. Damit gewann unsere Pflanze eine besondere Bedeutung in mehr als einer Hinsicht. An erster Stelle verdient bemerkt zu werden, dass sie, obwohl sie 28 Chromosomen in ihren Kernen führte, wirklich sehr genau den anderen — 21 chromosomigen — Bastardindividuen der Gigas X atrovirens-Kultur ähnlich sah und sich namentlich von diesen nicht Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 143 durch eine kräftigere Gestalt unterschied. Hieraus geht hervor, dass es für das Zustandekommen einer bestimmten Statur durch- aus nicht maßgebend ist, wie viele Chromosomen vorhanden sind. Ein und dasselbe Aussehen ist möglich bei grundverschiedenen Chromosomenzahlen. Diese Erkenntnis stimmt nicht zu einer Auf- fassung, die die Statur gewisser Mutanten auf eine bestimmte zu- fällig erworbene Chromosomenzahl zurückführen will. Unsere Lamarckiana gigas X atrovirens-Pflanze war außerdem noch wegen einer anderen Ursache interessant, wie ich näher aus- zuführen nicht unterlassen möchte, obwohl ich damit von meinem eigentlichen Thema einigermaßen abschweife. Wie kam diese Pflanze zu ihrer hohen Chromosomenzahl? Einem Bestäubungsfehler konnte sie dieselbe nicht verdanken! Denn, wenn etwa ım Jahre 1911 beim Kastrieren einer Gigas-Blüte, deren Narbe später mit Atrovirens- Pollen belegt werden sollte, ein Gögas-Pollenkorn übersehen worden wäre, so wäre ın 1912 wohl eine Pflanze mit 28 Chromosomen auf- getreten, aber diese wäre natürlich eine echte O. gigas gewesen. Wir haben aber eben gesehen, dass unsere Pflanze sich in keiner Hinsicht von den anderen — triploiden — Bastardindividuen unter- schied und somit deutlich ©. gigas X atrovirens war. Die Zahl 28 kann deshalb nur erklärt werden durch die Annahme, dass auch O. atrovirens das Vermögen hat, ın Gigas zu mutieren. Unsere Pflanze war eine Lamarckiana gigas X atrovirens gigas und hat den fünften Fall vom Auftreten der @igas-Mutation bei Arten von Oenothera ans Licht gebracht. Sie lehrt uns aber noch etwas. Sıe ist näm- lich ım besonderen dazu geeignet, jeglichen Zweifel an dem Ur- sprung einer Gigas aus zwei in Gigas mutierten diploiden Keim- zellen endgültig zu beseitigen. Denn der Einwand, den Gates gegen die Annahme einer solchen Entstehungsweise erhoben hat, darin bestehend, dass noch nie das Auftreten von diploiden Pollen- körnern festgestellt werden konnte, ıst nun natürlich hinfällig ge- worden. Die Tatsache, dass auch O. atrovirens sich jetzt imstande ge- zeigt hat, in Gigas zu mutieren, macht eine Änderung der Mutations- koeffizienten, wie ich sie früher für O0. Lamarckiana semigigas und gigas abgeleitet habe*?), notwendig. Es sei, um dies deutlich zu machen, kurz an die Art und Weise erinnert, in der ich seinerzeit zu Werke gegangen bin, um zu diesen Werten zu gelangen. Wenn man O. Lamarckiana mit O. muricata (jetzt mit Bartlett **) besser OÖ, syrticola), O. Millersi oder O. atrovirens bestäubt, gehen aus den Samen fast ausschließlich gelbliche, bald absterbende Keimlinge hervor. Kreuzt man dagegen O. gigas mit diesen Arten, so erhält 42) Theo. J. Stomps, Die Entstehung von Oenothera gigas de Vries, Ber. d. D. Bot. Ges., Bd. 30, 1912, S. 414. 144 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl etc. man eine vollständig grüne erste Generation. Dasselbe wird natür- lich der Fall sein, wenn ın Gigas mutierte Eizellen der O. La- marckiana vom Pollen der genannten Arten befruchtet werden. Um somit zu erfahren, wie oft von ©. Lamarckiana diploide Eizellen erzeugt werden, hatte ich, wie ich dachte, weil ich das Mutations- vermögen von O. atrovirens nicht kannte, nur unter den wenigen grünen Individuen, welche aus den eben beschriebenen Zamarckiana- Kreuzungen hervorgehen, die Pflanzen mit 21 Chromosomen aus- findig zu machen und deren Zahl mit der Gesamtzahl der Keim- pflanzen zu vergleichen. Solche Individuen, die wegen ihrer kräf- tigen, an Gigas-Bastarde erinnernden Gestalt mit dem Namen Hero belegt wurden, zeigten sich in den Kulturen von de Vries in einem Verhältnisse von 3 auf 1000. Indem nun angenommen wurde, dass die Pollenkörner ebenso oft diploid werden wie die Eizellen, ließ sıch daraus für den Mutationskoeffizienten von O. semigigas unge- fähr 0,6% und für denjenigen von O. gigas 0,0009%, berechnen. Es versteht sich von selbst, dass jetzt, wo das Vermögen von O. atro- virens, in Gigas zu mutieren, bekannt geworden ist, diese Werte etwas niedriger veranschlagt werden müssen. Nicht uninteressant ist es, schließlich noch darauf hinzuweisen, dass man aus dem, was de Vries S. 327 u.f. in „Gruppenweise Artbildung“ über Oenothera hybrida Hero mitgeteilt hat, eigentlich schon auf das Mutationsvermögen von O. atrovirens hätte schließen können. Aus Kreuzungen zwischen O. Lamarckiana und O. atro- virens (sive ©. cruciata) erhielt er 15 Hero-Individuen auf eine Ge- samtsumme von 6760 Pflanzen, aus Verbindungen mit ©. syrticola (0. muricata) dagegen nur 4 Hero-Exemplare auf im Ganzen 4850 In- dividuen. Es ıst sehr auffallend, dass aus den Alrowirens-Kreuzungen so viel zahlreichere Pflanzen mit 21 Chromosomen zum Vorschein kamen, als aus den Syrticola-Kreuzungen. Die Annahme, dass O. atrovirens wohl, ©. syrticola dagegen nicht imstande ist, diploide Keimzellen zu erzeugen, gibt hierfür eine offenbar erlaubte und be- friedigende Erklärung. b) Ich werde jetzt weitere Fälle besprechen, in denen die Chro- mosomenzahl keinerlei Einfluss auf die Statur hatte. Sie beziehen sich auf eine größere Anzahl Nachkommen von Hero-Individuen. In de Vries’ „Gruppenweise Artbildung“ lesen wir auf Seite 329 folgendes: „Bastarde von ©. gigas sind im allgemeinen in sehr ge- ringem Grade fertil, und so verhielten sich auch die hier als Hero bezeichneten Pflanzen. Dennoch gelang es mir, in einigen Fällen aus ihnen eine zweite und dritte Generation zu erzielen. Sie wiederholten dann ihren Typus genau und konnten somit zu ein- 43) H. H. Bartlett, Twelve elementary species of Onagra. Cybele Colum- biana, Vol. I, Nr. 1, Wash. 1914. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 145 gehenden Vergleichungen und zu weiteren Kreuzungsversuchen dienen. Dabei zeigte es sich, dass die Hero stets die Merkmale der O. gigas in abgeschwächtem Grade aufwiesen und sich somit als Zwischenformen zwischen dieser und einer anderen Art verhielten. Je nach dem Vater waren aber kleine Unterschiede selbstverständ- lich vorhanden. Im Sommer 1912 habe ich neben zahlreichen blühenden Hero-Pflanzen verschiedener Herkunft und teils erster, teils zweiter Generation auch die reinen Bastarde von O. gigas X eru- ciata, O. gigas X muricata und O. gigas X Mellersi in zahlreichen blühenden Exemplaren ın der ersten Generation kultiviert und mich von deren völliger Identität in allen Merkmalen mit den ent- sprechenden Hero-Pflanzen überzeugt.“ Es ist mir nun vergönnt gewesen, von dergleichen Individuen aus der zweiten, dritten und vierten Generation Material zu fixieren. Als allgemeines Resultat der Untersuchung kann ich von vornherein feststellen, dass sehr verschiedene Chromosomenzahlen vorkamen, welche also nicht von Staturdifferenzen begleitet wurden. Diese Tatsachen sind im Widerspruch mit der hier bestrittenen Hypothese vom Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl. Die angewandten Methoden waren dieselben, welche früher schon beschrieben wurden. Alle Pflanzen, welche auf die Chromosomenzahl untersucht werden sollten, waren in Töpfe gesetzt worden. In dieser Weise war es leicht, eine größere Anzahl unverletzter W urzel- spitzen für die Fixierung zu bekommen. Ein einziges Mal wurden auch junge Blütenknospen für die Untersuchung benutzt. Die Fixierung wurde immer mit dem Flemming’schen Gemische vor- genommen. Die Schnitte wurden in einer Dicke von 10 u herge- stellt und mit Heidenhain’s Eisenhämatoxylin gefärbt. Chromo- somen zählte ich nur in der Metaphase, im Stadium der Kernplatte. Es versteht sich von selbst, dass ich dabei alle nötigen Vorsichts- maßregeln getroffen habe. So achtete ich besonders darauf, bevor ich zur Zählung der Elemente einer Kernplatte schritt, ob eine ge- nügend dicke Schicht von Protoplasma ober- und unterhalb dieser Platte bei höherer oder tieferer Einstellung des Mikroskops sicht- bar wurde, um sicher zu sein, dass keine Chromosomen fortge- schnitten worden waren. Im allgemeinen wurden so viele Kern- platten für jedes Individuum gezeichnet, als nötig war, um Sicherheit zu erlangen über seine diploide Chromosomenzahl. Bisweilen war dazu die Analyse sehr zahlreicher Metaphasen erforderlich und zwar infolge einer Komplikation, die unten beschrieben werden wird. In einzelnen Fällen gelang es nicht, mit Bestimmtheit die Chromo- somenzahl eines Individuums festzustellen, da das fixierte Material hierzu nicht ausreichte Man wird dann die gefundene Zahl als wahrscheinlich und nicht als sicher erwähnt finden. Ich werde jetzt die untersuchten Pflanzen nacheinander besprechen. AXXV|. 10 146 Stomps, Über den Zusaimmenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl etc. O. (Lamarckiana X Millersi) Hero. Von dieser Kreuzung züchtete Professor de Vries eine zweite Generation (aus im Jahre 1911 gewonnenen Samen) im Sommer 1912. Er „verglich sie mit einer benachbarten Kultur von O. gigas X. Millersi und fand keine wesent- lichen Unterschiede *). Von einem Individuum fixierte ich die Wurzeln. Die Untersuchung lehrte, dass die Pflanze 23 Chromo- somen in ihren Kernen führte. Dieses Ergebnis befremdet uns nicht, nach dem, was wir oben über die Nachkommen triploider Pflanzen gehört haben. Ich habe aber bei diesem Individuum noch etwas anderes gefunden, das eher geeignet ist, unsere Verwunderung zu erregen. Unter den 65 gezeichneten Kernplatten kamen auch welche vor mit absolut sicher 22 und 24 Chromosomen. Anfänglich verhielt ich mich dieser Beobachtung gegenüber sehr skeptisch. Wie leicht kann es nicht vorkommen, dass in einer Kernplatte zwei Chromosomen einander vollständig bedecken und infolgedessen ein Chromosom zu fehlen scheint? Falls ein Chromosom zu viel gezählt wird, wird es jedoch schon schwieriger, die Abweichung zu erklären, wenn man an der normalen Zahl festhalten will. Außerdem: meine Beobachtung stand nicht allein. Gates hat schon etwas ähnliches mitgeteilt für die oben erwähnte Mutation mit 27 Chromosomen, die er aus O. gigas erhielt, und bei dieser Pflanze auch Teilungen mit 26 Chromosomen gesehen *). Allerdings war auch hier Zweifel erlaubt aus dem eben genannten Grunde. Eine weitere Beobachtung hat es mir dann aber ermöglicht, mich in dieser Sache zu ent- scheiden. In einer einzigen Wurzel hatte augenscheinlich das ge- samte Periblem nur Kernplatten mit 22 Chromosomen aufzuweisen. Damit wurde jeglicher Zweifel am tatsächlichen Vorkommen der Zahl 22 bei unserer Pflanze überflüssig und unbegründet. An die Möglichkeit, dass die Wurzel ın allen Kernen 22 Chromosomen hatte und eine Verwechslung mit der Wurzel einer anderen Pflanze — an sich schon äußerst unwahrscheinlich — stattgefunden hat, kann nicht gedacht werden aus dem einfachen Grunde, weil keines der von mir untersuchten Individuen sich im Besitze von 22 Chromo- somen gezeigt hat. Vielmehr muss angenommen werden, dass eine Zelle mit 22 Chromosomen entstanden ist, als die Wurzel sich noch in einem jugendlichen Stadium der Entwicklung befand, und durch wiederholte Teilungen, während deren die Chromosomenzahl sich weiterhin nicht mehr änderte, die Entstehung einer größeren Zell- gruppe mit 22 Chromosomen in allen Kernen veranlasst hat. Die hier beschriebene Wurzel ist somit aus einem doppelten Gesichts- punkte interessant. Sie beweist nicht nur unzweideutig das ge- legentliche Vorkommen einer um eins verringerten Chromosomen- 44) Hugo de Vries, Gruppenweise Artbildung, Berlin 1913, S. 332. 45) R. R. Gates, The mutation factor in evolution, 1915, S. 218. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 147 zahl, sie lehrt außerdem, dass eine abgeänderte Zahl, wenn ein- mal entstanden, sich durch zahlreiche Zellgenerationen erhalten kann. Das in dieser Weise erzielte Resultat steht im Widerspruch mit den Erfahrungen von Frl. Lutz. Ungeachtet dessen, dass sie für 228 Pflanzen genau die Chromosomenzahl bestimmt und dazu 8000 Kernplatten studiert hat, kann sie nur sagen, dass „the number has been found constant for the individual in all cells of the root- tips and floral tisones studied“ *%). Ich führe das darauf zurück, dass Frl. Lutz eben anders geartete Pflanzen untersucht hat als ich, und durchschnittlich weniger Zählungen ausgeführt hat. Wie muss man die Erscheinung verstehen, dass ın einer und derselben Pflanze neben der typischen Zahl 23 auch die Uhromo- somenzahlen 22 und 24 beobachtet wurden? Paolo della Valle*®) und andere Forscher, welche gegenwärtig meinen, das Gesetz der Konstanz der Chromosomenzahl habe seine Existenzberechtigung verloren, würden auf diese Frage wahrscheinlich antworten, dass einfach ein neuer Fall von Fluktuation in der Chromosomenzahl vor- liegt. In der Tat sieht es so aus, als ob 23 der Mittelwert und 22 und 24 seltene Deviationen einer Variationenreihe wären. Ich vermag jedoch diese Ansicht nicht zu teilen, obwohl ich der Auf- fassung durchaus nicht abgeneigt bin, dass die Regel der Chromo- somenzahl-Konstanz viel an Wichtigkeit eingebüßt hat. Es sei mir gestattet, meinen Standpunkt kurz auseinanderzusetzen. Die Lehre von der Individualität und der Kontinuität der Chromosomen beruht heutzutage auf soliderer Grundlage als je zuvor. Deshalb wird wohl kaum jemand eine Fluktuation in der Chromosomenzahl in solcher Weise auffassen wollen, dass die ge- samte Kernsubstanz in der Prophase einer Teilung unter dem Ein- fluss geringer Schwankungen ın den äußeren Umständen, welche ja Bedingung jeder Fluktuationserscheinung sind, in eine variierende Anzahl Stücke zerlegt wird. Wenn man an einer solchen Fluktuation festhalten will, so kann man nur daran denken, dass einzelne Chromosomen in der Prophase mit den Enden im Zusammenhang bleiben könnten, wodurch die Gesamtzahl verringert wird, oder sich in kleinere zerteilen könnten, was eine zu hohe Chromosomen- zahl zur Folge hat, und man muss dabei immer im Auge behalten, dass äußere Umstände die Ursache der Veränderungen sein müssen, soll von fluktuierender Variation die Rede sein können. Ist nun eine derartige Variabilität jemals nachgewiesen worden? Vielleicht, aber mit Sicherheit lässt sich nichts sagen. Jedenfalls haben Ver- 46) Anne M. Lutz, 1. c., 1912, S. 420. 47) Paolo della Valle, L’organizzazione della cromatina studiata mediante il numero dei cromosomi. Archiv. zoolog., Bd. 4, S. 1—177, 1909. 10* 448 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. suche Koernicke’s®°) über die Wirkung von Radıumstrahlen auf pflanzliche Zellen, Wöyceicki’s*) über die Einwirkung des Äthers auf die Zellteilung und Lundegärdh’s°®) mit hohen Temperaturen gezeigt, dass die Ausbildung der Chromosomen in gewissem Grade von äußeren Einflüssen abhängig ıst. Deshalb ist es nicht unwahr- scheinlich, dass einige der bekannten Fälle vom Vorkommen einer variabelen dinloiden Chromosomenzahl innerhalb desselben Indi- viduums wirklich auf Fluktuation beruht haben. Es ist aber zu bemerken, dass dieselbe Erscheinung auch sehr gut von inneren Ursachen bedingt sein könnte. Es könnte m. a. W. möglich sein, dass die erblichen Eigenschaften zu bestimmen vermögen, ob und wo in der Pflanze Chromosomen zusammenkleben oder sich durch (uerspaltungen vervielfältigen werden. Ich denke hier im besonderen an jene Fälle, in denen in den Mutterzellen der Geschlechtszellen eine andere Chromosomenzahl als in den vegetativen Zellen kon- statiert wurde und in dieser Beziehung u. a. an eine im letzten Sommer erschienene Mitteilung von Kuwada°!). Dieser Forscher fand, dass Rassen von Stärkemais als diploide Chromosomenzahl immer die Zahl 20 aufzuweisen haben und ın den Pollenmutterzellen werden immer 10 Gemini gezählt. Zuckermaisrassen haben aber die Neigung, die diploide Chromosomenzahl zu vermehren und zwar mittels Querspaltungen der größeren Chromosomen. So findet man Individuen mit 21 Chromosomen in den Kernplatten der Wurzel- spitzen, andere zeigen sich im Besitze der Diploidzahl 22 oder 24. Unabhängig von der Chromosomenzahl in den Wurzelspitzen bilden Zuckermaispflanzen in den Pollenmutterzellen immer ım Durchschnitt 12 Gemini aus. In einzelnen Mutterzellen ıst diese Zahl aber doch geringer, in anderen dagegen noch höher, bisweilen 14, was mit einer vegetativen Zahl von 28 korrespondieren würde. Es ist somit klar, dass die Zuckermaispflanzen die erbliche Tendenz haben, ge- wisse Chromosomen des Stärkemais in kleinere auseinanderfallen zu lassen und die typische diploide Zahl, die erreicht werden soll, in den Pollenmutterzellen auch meistens erreicht wird, beträgt offen- bar 24. Dass viele Pflanzen in den vegetativen Zellen doch nur 21 oder 22 Chromosomen aufzuweisen haben, führt Kuwada darauf zurück, dass sie verschiedenen reinen Linien angehören. Dies heißt mit anderen Worten, dass diese Zahlen 21, 22, 24 jede für sich 48) M. Koernicke, Über die Wirkung von Röntgen- und Radiumstrahlen auf pflanzliche Gewebe und Zellen. Ber. d. D. Bot. Ges., Bd. 23, S. 464—415, 1905. 49) Z. Wöyceicki, Über die Einwirkung des Athens und des Chloroforms auf die Teilung der Pollen-Mutterzellen und deren Produkte bei Larix dahurica. Bull. Ac. d. Sc. Crac., Cl. d Sc. math. et nat., S. 506—553, 1906. 50) H. Lundegärdh, Zur Mechanik der Kernteilung. Svensk bot. Tidskr., Bd. 8, S. 161-180, 1914. 51) Y. Kuwada, Über die Chromosomenzahl von Zea Mays L. The bota- nical Mg., Tokyo, Bd. 29, Nr. 342, S. 83—89, 1915. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 149 von bestimmten erblichen Eigenschaften des Individuums bedingt sind. Von großem Interesse ıst es schließlich noch, daß Kuwada in dem Bastard zwischen Stärkemais 9 mit Zuckermais S 12 Gemini zählte. Dies veranlasst ıhn zu sagen: „Die Dominanzregel gilt also auch für die Zahl der Gemini.“ Wir können aus seinen Resultaten den Schluss ziehen, dass Veränderlichkeit in der diploiden Chromo- somenzahl nicht immer auf einer Fluktuationserscheinung zu beruhen braucht, sondern von erblichen Faktoren verursacht werden kann. Im einen sowie im anderen Falle bestehen Wechselbeziehungen zwischen . Zahl und Gestalt der Chromosomen, denn, wie oben bemerkt wurde, ın beiden wird eine Verminderung der Chromosomenzahl dadurch hervorgerufen, dass Chromosomen mit den Enden im Zusammen- hang bleiben, eine Vermehrung durch Zerteilung einzelner Chromo- somen in kleinere. Wenden wir uns nun einem genauen Studium der 22-, 23- und 24-chromosomigen Kernplatten unserer Oenothera-Pflanze zu, so wird es sofort klar, dass hier nicht von einer von äußeren Einflüssen bedingten Fluktuation und ebensowenig von einer von den erblichen Eigenschaften des Individuums verursachten Variabilität die Rede sein kann. In den Kernplatten mit 22 Chromosomen fällt nicht etwa ein Chromosom durch seine besondere Länge auf; es fehlt ein Chromosom, das ın den 23-chromosomigen Kernplatten vor- handen ist. Umgekehrt gibt es in Metaphasen mit 24 Chromosomen ein Chromosom zu viel, und zwei kleinere, die durch Querteilung eines Chromovsomes der 23-chromosomigen Platte entstanden sein könnten, werden nicht gesehen. Wir müssen uns somit nach einer anderen Erklärung für die von uns beschriebene Erscheinung um- schauen und diese ist nicht schwer zu finden. Bekanntlich sind Kernteilungen in Wurzeln sehr empfindlich für allerhand schädliche Einflüsse und der normale Verlauf wird sehr leicht gestört. Die häufig vorkommenden sogenannten syndiploiden Zellen denkt man sich z. B. in dieser Weise entstanden. Es liegt deshalb auf der Hand, in unserem Falle anzunehmen, dass infolge irgendwelcher Ursache gelegentlich ein Chromosom zu dem falschen Pol ge- zogen wird. Man muss m. a. W. asymmetrische Mitosen für die Erscheinung verantwortlich machen, wie sie schon 1893 von Hansemann°®2) in malignen Tumoren beobachtet und von Stras- burger’) bei Pisum konstatiert wurden, und wie sie auch ın Endospermen vorzukommen scheinen. In der Tat stößt man beim Durchsehen der Präparate bisweilen auf vertikal gestellte Telophasen, in denen bei dem einen Pol 24 und nach tieferer Einstellung bei 52) D. von Hansemann, Studien über Spezifizität, den Altruismus und die Anaplasie der Zellen. Berlin 1893. 53) E. Strasburger, Über die Individualität der Chromosomen und die Pfropfhybridenfrage. Z. f, w. Bot., Bd. 44, S. 482--555, 1907. 150 Stomps, Uber den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. dem anderen 22 Chromosomen gezählt werden. An sich sind solche Figuren natürlich nicht beweisend, aber im Zusammenhang mit dem Obenstehenden werden sie zu einem wichtigen Argumente für die hier verteidigte Auffassung. Meiner Meinung nach dürfen Fälle von auf erblichen Anlagen beruhender Variabilität oder von durch äußere Einflüsse bedingter Fluktuation in der Ühromosomenzahl als Ausnahmen von der Regel der Zahlenkonstanz betrachtet werden. Das gilt aber nicht für die Unregelmäßigkeiten in unserem Beispiele. Im Gegenteil möchte ich behaupten, dass dies eben der genannten Regel neuen Halt gewährt. Ich erinnere an die Wurzel, welche offenbar im ganzen Periblem 22 Chromosomen in den Kernen führte. Hieraus ersieht man, dass eine abweichende Zahl, wenn einmal hervorgerufen, sich weiterhin konstant erhält, wie es das Gesetz der Zahlenkonstanz verlangt. Der Erscheinung, dass innerhalb derselben Pflanze neben einer typischen auch anormale Chromosomenzahlen vorkamen, bin ich bei meinen Studien an Oenotheren noch wiederholt begegnet. Sie war es, auf die ıch oben hinzielte, als ich sagte, dass das genaue Feststellen der Chromosomenzahl meiner Pflanzen oft große Schwierig- keiten mit sich brachte. Findet man eine abweichende Zahl, so wird man natürlich glauben, sich bei den vorangehenden Zählungen ver- sehen zu haben, und von neuem anfangen. Ist kein reichliches Material fixiert worden und begegnet man verschiedenen Chromo- somenzahlen, so wird man sich eventuell kaum zu Gunsten der einen oder anderen Zahl auszusprechen wagen. Den. (Lamarckiana X syrticola) Hero. Eine zweite Generation züchtete Professor de Vrıes 1911 aus Samen, welche 1905 durch Selbstbestäubung eines aus einer Kreuzung von 0. Lamarckiana mit O©. syrticola hervorgegangenen Hero-Individuums gewonnen worden waren. „Sie umfasste nur drei Pflanzen, von denen nur eine geblüht hat°*).“ Von diesem Exemplar fixierte ich junge Knospen und zählte im meristematischen Gewebe die Chromosomen. In Knospen werden die Kernteilungsfiguren niemals so gut festgelegt, wie ın Wurzeln. Das ist der Grund, weshalb ich mich hier nicht so sicher über die Chromosomenzahl auslassen möchte, wie im vorigen Falle. Aber meine Figuren erlauben mir doch, 24 als die am meisten wahrscheinliche Zahl zu nennen. Auch hiermit bleiben wir noch ım Bereich der Erwartungen, welche von Gates und Frl. Lutz für Pflanzen der zweiten Generation ausgesprochen worden sind. Oen. (Lamarckiana X atrovirens) Hero. Bei weitem die meisten Pflanzen, welche ich untersuchte, gehörten der zweiten, dritten und vierten Generation dieser Kreuzung an. Für Einzelheiten über die en ———— 54) Hugo de Vries, Gruppenweise Artbildung, S. 331. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 15] Kulturen wolle man de Vries, Gruppenweise Artbildung, S. 330 u. 331, nachschlagen. Immer fixierte ich nun Wurzelspitzen dem bekannten Verfahren gemäß. Im Sommer 1912 hatte Professor de Vries eine erhebliche Anzahl Pflanzen zweiter Generation in Kultur. Für im Ganzen 5 Exemplare bestimmte ich die Chromosomenzahl. Zwei waren auf eine Hero-Mutter erster Generation mit 21 Chromosomen zurück- zuführen, drei auf eine andere. Von den beiden zuerst genannten Individuen hatte eines mit Sicherheit 24 Chromosomen. Bisweilen begegnete ich einer Teilung, in der mit größter Sorgfalt nur 23 Chromosomen gezählt werden konnten. Eine einzelne Kernplatte mag wohl aus 25 Elementen zusammengestellt gewesen sein; über die Chromosomenzahl des anderen Individuums bin ich nicht so ganz gewiss. Von dieser Pflanze habe ich nur ein geeignetes Würzelchen fixieren und schneiden können und folglich nur ein Präparat zu meiner Verfügung. Doch konnte ich mir ein Urteil bilden über die vermutliche Chromosomenzahl, welche 26 beträgt. Zum ersten Male treffen wir hiermit eine ziemlich hohe Zahl an, wie sie wohl bis jetzt von niemand für Nachkommen eines triploiden Individuums für möglich gehalten wurde. Noch höhere Zahlen fand ich aber bei den drei weiteren untersuchten Pflanzen der zweiten Generation. Von zwei Exemplaren hatte ich ein reichliches Material einlegen können. Infolgedessen konnte ich eine größere Anzahl von Präparaten durchmustern und ungefähr 60 Zeichnungen anfertigen. Der Schluss, zu dem ich kam, war, dass beide 28 Chromosomen in den Kernen führten. Abweichungen nach den Zahlen 27 und 29 kamen bei dem einen vielleicht, bei dem anderen aber sicher vor. In einer Wurzel des letzteren Individuums beobachtete ich u. a. eine prachtvolle syndiploide Anaphase, in der 56 scharf zählbare Chromosomen den beiden Polen zustrebten. Weiter notierte ich für diese Pflanze eine Kernplatte, in der glatt 29 Chromosomen gezählt wurden, eine mit vielleicht 29, eine mit 28 Chromosomen und außerdem einigen kleinen verdächtigen Chromatinkörnern, einige Metaphasen mit mehr oder weniger sicher 27 Chromosomen, und schließlich eine Platte, für die ich zum Schlusse kam, dass sicher nicht mehr als 26 Chromosomen anwesend sein konnten. . Vom dritten obengenannten Individuum hatte ich leider wieder zu wenig Material fixiert, um zu einem sicheren Resultate gelangen zu können. Jedenfalls war die Chromosomenzahl sehr hoch, aber ob 27 oder 28 Chromosomen vorkamen, wage ich nicht zu entscheiden. Die hier gefundenen hohen Zahlen werden uns weiter unten noch beschäftigen. Ich will jetzt berichten über 3 Pflanzen der dritten Generation, von denen ich im Sommer 1912 Wurzeln fixierte. Aus einer 1907 gemachten Kreuzung zwischen O. Lamarckiana und O. atro- -452 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl etc. virens hatte Professor de Vries auf 300 Keimpflanzen 7 Hero- Individuen bekommen, wie man in „Gruppenweise Artbildung“ be- schrieben findet, von diesen 7 eine zweite Generation, welche aber nur 2 Exemplare umfasste, und von diesen stammten dann wieder die Pflanzen dritter Generation des Sommers 1912. Für das erste der 3 fixierten Individuen kam ich an der Hand von 36 Zeichnungen zum Schlusse, dass seine diploide Chromosomen- zahl 26 betrug. Eine einzige schöne flache Kernplatte mit 25 Chromo- somen wurde beobachtet, gleichfalls eine einzige mit 27. Ebenso sicher führte das zweite Exemplar 25 als diploide Chromosomen- zahl. Daneben wurden eine Kernplatte mit 23, eine einzige mit 24, ein Paar mit etwas zweifelhaft 26 und zuletzt eine mit 27 Chromo- somen wahrgenommen. Die dritte Pflanze endlich, von der ich weniger Material zur Verfügung hatte, immerhin aber mehrere Wurzeln habe schneiden können, lieferte als Resultat wieder die /ıahl 26 mit möglichen Abweichungen nach 25 und 27. Wieder trifft man also auf hohe Chromosomenzahlen und das nämliche gilt nun zuletzt noch hinsichtlich der beiden Pflanzen vierter Generation, welche ich untersuchte. Diese hatten wieder eine ganz andere Abstammung als die Individuen zweiter und dritter Generation, von denen eben die Rede war. Sie rührten von 2 Hero-Individuen her, welche 1905 aus einer Kreuzung zwischen Oen. Lamarckiana und Oen. atrovirens in die Erscheinung getreten waren. Diese gaben eine zweite Generation, aus nur 3 Pflanzen be- stehend, im Jahre 1907, 27 blühende Pflanzen dritter Generation 1908 und 4 Mütter aus dieser Kultur lieferten dann 1912 eine vierte Generation, welche eine große Anzahl blühender sowie nicht blühen- der Pflanzen umfasst hat. Von einem ersten Individuum studierte ich 9 Präparate und zeichnete etwa 24 Kernplatten von besonderer Klarheit. Es stellte sich heraus, dass die diploide Chromosomen- zahl 27 war, mit sporadischen Deviationen nach 26 und 28. Von einem zweiten Individuum war die Menge des fixierten Materials wieder unzureichend zu einem ganz bestimmten Urteil. Jedenfalls habe ich 26 Chromosomen mit Sicherheit gezählt, aber die Tat- sache, dass auch eine Kernplatte mit vielleicht 27 Chromosomen sich mir dargeboten hat, und die Unmöglichkeit, in der ich mich befand, durch ein Studium weiterer Wurzeln zu entscheiden, ob 26 oder 27 die häufigere Zahl wäre, müssen mich vom Aussprechen eines definitiven Urteils zurückhalten. Fassen wir jetzt das über die Chromosomenzahlen der Nach- kommen von Hero-Individuen mit 21 Chromosomen Gesagte kurz zusammen, so sehen wir, dass sehr verschiedene Chromosomenzahlen bei solchen Pflanzen vorkommen können. Sie varıierten ın den studierten Fällen von 23 bis 28, wie man in nachfolgender Tabelle noch einmal in übersichtlicher Weise angegeben findet. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 153 I} | | Narr? E = = . SA: - Bi Vereinzelt zur Beob- Sı5 = 22; achtung gelangteAb- .— w) = - | pl | . 2 Kreuzung EEE Es [#5 -3 | weichungen von der 813 | 38 |e5©-@|typischen Chromo- Ser Oz somenzahl Ir BT TER BT =) sn] - == — —_— —— O. (Lamarckiana X Millersi) Hero 22 Al E29 lrsicher 22, 24 OA 5 X syrticola) ,„ 2 RD. ws. I ON L X atrovirens) , 2|1| 24 |sicher EINEN: „ ( „ x „ ) „ 2 2 26 | WS eh % x a: 2\|3| 28 |sicher 272, 29? „ ( „ x „ ) „ 2| 4 28 „ 26, 27, 29 »( „ x ” I)» 2 | 5 |270d.28| „ „( „ x » es: 32 2120226 55 29, 24 „( „ x EMERAEEN: 3724] 4:95 4 23, 24, 26?, 27 | „ x ” ) „ 373 26 » 30277 E | | „( 2 SER EN A 01 4142 5 26, 28 „( „ x BUTLER, 4 Won lesod.27, Ungeachtet dessen konnten keine Staturunterschiede bei den betreffenden Pflanzen konstatiert werden. Ich erinnere an den oben schon erwähnten Versuch von Professor de Vries, der im Jahre 1912 Pflanzen zweiter und vierter Generation der Kreuzung O0. Lamarckiana X atrovirens Hero, und solche erster Generation 0. gigas X atrovirens mit sicher 21 Chromosomen dicht neben einander aufwachsen ließ und trotzdem keine Unterschiede auffinden konnte. Wir kommen somit zum Schlusse, dass die Hypothese über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl den Tat- sachen nicht entspricht und deshalb aufgegeben werden muß. Dies zu zeigen, dient der vorliegende Aufsatz. S 8. Bemerkungen anlässlich der eigenen Beobachtungen. Ganz merkwürdig ist es, dass bei meinen Beobachtungen an Nachkommen von — triploiden — Hero-Individuen nur hohe Chromo- somenzahlen ans Licht gekommen sind. In Übereinstimmung mit den Funden Gates’, Geerts’ und Frl. Lutz’ an triploiden Mutanten oder, was dasselbe ist, Bastarden zwischen O. Lamarckiana und O. gigas würde man auch hier Zahlen zwischen 14 und höchstens 24 ın der zweiten Generation erwartet haben. Im Gegensatz dazu wurden Zahlen zwischen 23 und 28 beobachtet. Muss man deshalb annehmen, dass Gates Unrecht hat, wenn er auf S. 187 seines oben erwähnten Buches bei der Besprechung der Reduktionsteilung in triploiden Pflanzen sagt: „In the first place it may be said that there is probably no essential difference as regards the behaviour of the chromosomes in triploid mutants or hybrids?* Wird doch 154 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. in dieser Hinsicht ein Unterschied zwischen triploiden Mutanten und Bastarden bestehen? Leugnen kann man diese Möglichkeit nicht, aber ich möchte nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass man noch in anderer Weise das ausschließliche Vorkommen von hohen Chromosomenzahlen bei unseren Bastardnachkommen zu erklären suchen könnte. Oben ist in Erinnerung gebracht worden, dass O0. Lamarckiana bestäubt mit ©. Millersi, O. syrticola und O. atro- virens in der ersten Generation zum größten Teile gelbliche bald- absterbende Keimlinge gibt. ©. gigas mit dem Pollen dieser Arten befruchtet gibt aber eine vollständig grüne Nachkommenschaft. Wäre es nun etwa erlaubt, sich vorzustellen, dass hier aus irgend- einer komplizierten Ursache eine hohe Chromosomenzahl erforder- lich ist, um grüne lebenskräftige Pflanzen herbeizuführen, so würde es sich auch von selbst verstehen, dass bei den Nachkommen unserer Hero-Individuen nur hohe Chromosomenzahlen angetroffen wurden. Auch in späteren Generationen müssten dann die niedrigen Zahlen eliminiert werden und die Pflanzen, welche sie aufgewiesen haben würden, im jugendlichen Alter sterben. Tatsächlich gehen in Aus- saaten von Hero-Nachkommen zahlreiche Individuen im Keimlings- stadium zu Grunde. Es ist deshalb vielleicht nicht als ausgeschlossen zu betrachten, dass, wie die Hero-Individuen selbst geeignet sind, leicht die in Gigas mutierten Keimzellen von Oen. Lamarckiana auffinden zu lassen, das Studium ihrer Nachkommen vorteilhaft wäre im Hinblick auf das Feststellen von hohen Chromosomenzahlen in der Nachkommenschaft triploider Pflanzen. In dieser Weise ließe sich auch das Auffinden von so hohen Zahlen, wie man sie bis jetzt kaum hätte erwarten können, leicht verstehen. Eines wäre hier allerdings noch zu erwägen. Die Chromosomenzahlen der Hero- Individuen, welche Anfangspflanzen für die Kulturen waren, aus denen ich mein Material für die zytologische Untersuchung bezog, sind nicht bestimmt worden. Es muss deshalb mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass sie der Erwartung — 21 — nicht immer entsprachen und dadurch Einfluss auf die Zahlen in späteren Genera- tionen ausgeübt wurde. Bevor ich nun mein eigentliches Thema fallen lasse, muss ich noch einen Augenblick verweilen bei der Mitteilung von Frl. Lutz°°), dass sie die Nachkommenschaft von triploiden Mutanten nicht gleichförmig gefunden hat. Sie bringt das in Verbindung mit der Anwesenheit von verschiedenen Chromosomenzahlen. Hier kann ich Frl. Lutz nicht beistimmen. Dass durch weitere Untersuch- ungen ihre Angabe über das Vorkommen von verschiedenen Typen bestätigt werden wird, kann ich für möglich halten, nicht aber, daß man hier einen Zusammenhang zwischen einer immer kräftiger 55) Anne M. Lutz, 1. c., 1912, S. 396 u,f, Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. [55 werdenden Statur und einer allmählich steigenden Chromosomen- zahl wird nachweisen können. Eine etwas abweichende Gestalt beobachtete ich auch ein einziges Mal bei den oben beschriebenen Hero-Nachkommen. Die Pflanze sah ein wenig schwächlicher aus, ihre Blätter waren einigermaßen schmäler. Die Uhromosomenzahl stellte sich aber als besonders hoch, nämlich als 28 heraus. Hier wäre auch zu erinnern an die Mitteilung von de Vries°®), dass er aus einer Kreuzung von ©. biennis semi-gigas mit 0. biennis zwei Typen erhalten hat, einen breitblättrigen mit 14 und einen schmal- blättrigen mit 15 Chromosomen. Sollte es sich also mit der Zeit zeigen, dass tatsächlich triploide Mutanten Nachkommen von ver- schiedenem Aussehen hervorbringen, so wird doch kaum ein paralleles Wachsen von Statur und Chromosomenzahl festgestellt werden können. S 4. Schlussbetrachtungen. Bis hierher haben wir uns nur damit beschäftigt, die Unhalt- barkeit jener Auffassung darzulegen, welche die Statur gewisser Mutanten auf eine durch zufällige Umstände erhöhte Chromosomen- zahl zurückführt. Zum Schlusse werden wir jetzt noch die Frage besprechen, ob diese Hypothese sich vielleicht halten kann, wenn man die einzelnen Chromosomen als Träger besonderer erblicher Eigenschaften betrachtet. Es ist nicht zulässig zu sagen, eine ge- wisse Oenothera-Pflanze sei eine Lata, weil sie 15 Chromosomen in den diploiden Kernen führt. Vielleicht kann man aber sagen, sie sei eine Lata, weil ein bestimmtes Chromosom, mit bestimmten Merkmalen, einmal zu viel anwesend ist? Was die @igas-Mutation betrifft, so kommt es selbstverständlich aufs Gleiche heraus, ob man die Eigenschaften der einzelnen Chromosomen berücksichtigt oder nicht. Hier kann aber noch die Frage besprochen werden, ob eine Gigas aufgefasst werden darf als eine Form mit den nämlichen Charakteren, wie die Mutterart, aber bloß in doppelter Quantität. Was zunächst die 15-chromosomigen Mutanten anbelangt, so lässt sich mit Sicherheit nichts sagen. Die Möglichkeit kann nicht geleugnet werden, dass bei der Reduktionsteilung ın einer 14-chro- mosomigen Oenothera-Pflanze ein Chromosom durch zufällige Umstände zum falschen Pole befördert werden kann. Es ist denkbar, dass infolgedessen eine abweichende Form in die Erscheinung treten kann, deren Eigenschaften je nach der Art des übergetretenen Chromosoms wechseln würden. Das Auftreten von wenigstens 7 neuen Typen mit 15 Chromosomen würde man in dieser Weise verständlich machen können. Es passt dies zu den Tatsachen, aber doch vermag ich mich nicht zu der hier gegebenen sehr einfachen 56) Hugo de Vries, 1. c. 156 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzall ete. Anschauung zu bekehren. Ich erinnere in dieser Beziehung an einen Fehler, der in Studien über Heterochromosomen häufig ge- macht wird. Oft wird das Heterochromosom als Ursache, als Träger des Geschlechts betrachtet. Tatsächlich weıß man nur, dass seine Anwesenheit Begleiterscheinung vom Auftreten des einen oder des anderen Geschlechts ist?’). So könnte esauch in unserem Oenothera- Beispiele sehr gut sein, dass ‚das Entstehen irgendeiner Mutation mit der Verdoppelung eines bestimmten CUhromosoms zusammen- gehen würde, ohne dass dieses Ohromosom als die Ursache der Mutation anzusehen wäre. Studiert man genau alle Tatsachen, welche über die @igas-Mutation bekannt geworden sind, so ersieht man, dass die hier betrachtete Möglichkeit keineswegs zu ver- werfen ist, wenn man wenigstens die Vergleichbarkeit der Verände- rungen in der Chromosomenzahl in beiden Fällen zulässig erachtet. Die Frage, ob man sich die @Gigas-Statur dadurch ins Leben gerufen denken kann, dass die Eigenschaften der Mutterart ın doppelter Menge anwesend sind, habe ich früher schon behandelt und in verneinendem Sinne beantwortet’®). Ich weise jetzt noch darauf hin, dass de Vries in seinem Buche „Gruppenweise Art- bildung“ weitere Argumente zu Gunsten dieses Standpunktes genannt hat. Es darf nunmehr als sicher gelten, dass eine Gigas nicht in- folge einer zufälligen Verdoppelung des Chromosomensatzes der Mutterart in die Erscheinung tritt. Sie ıst ım Gegenteil als eine richtige Mutation mit wesentlich neuen Eigenschaften zu betrachten und unter diesen Merkmalen ist die erhöhte Chromosomenzahl sogar von nebensächlicher Bedeutung. Ein interessanter Unterschied zwischen ©. Lamarckiana und 0. Lamarckiana gigas, der wohl kaum auf eine Verdoppelung der Lamarckiana-Eigenschaften ın O. gigas zurückgeführt werden kann, ist z. B., dass in O. gögas das sogenannte Laeta-Pangen sich offen- bar nicht mehr ım labilen Zustande befindet, wie es ın O. Lamarckiana der Fall ıst, denn O. biennis gibt mit O. gigas bestäubt in der ersten (Generation nicht die bei Kreuzung mit O. Lamarckiana auftretende Spaltung in Zaeta und Velutina°’). Gates bemerkt zu dieser von de Vries zu Tage geförderten Tatsache: „We have here a striking change in hereditary behaviour‘°).“ Vielleicht noch wichtiger ist aber ein Unterschied zwischen ©. gigas und O0. Lamarckiana, über den de Vries neuerdings berichtet hat°!): ©. gigas gekreuzt mit 57) Siehe z. B. V. Haecker, Allgemeine Vererbungslehre, S. 368, Braun- schweig 1912. 58) Theo. J. Stomps, Die Entstehung von Oenothera gigas de Vries. Ber. d. D. Bot. Ges., Bd. 30, 1912, S. 411. 59) Hugo de Vries, Gruppenweise Artbildung, S. 178, 180. 60) R. R. Gates, The mutation factor in evolution, S. 235. 61) Hugo de Vries, Oenothera gigas nanella a Mendelian Mutant, The Bot. Gaz., Bd. LX, Nr. 5, Nov. 1915. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 1457 O. gigas nanella, zeigt Mendelspaltung, 0. Lamarckiana bekanntlich nicht nach der Kreuzung mit dem aus ihr hervorgehenden Zwerge 2). Es sei weiter nochmals an die Möglichkeit der Existenz einer univalenten Gigas-Rasse erinnert. Hierdurch wird wohl am besten bewiesen, dass die Veränderung in der Chromosomenzahl bloß eine Begleiterscheinung und nicht die Ursache der Gigas-Mutation ist. Sollte eine durch zufällige Umstände herbeigeführte Verdoppelung der Chromosomenzahl oder der erblichen Eigenschaften die Ursache dieser Mutation sein, so wäre auch nicht einzusehen, weshalb be- stimmte Arten sie wohl, andere dagegen, wie offenbar die O. syrti- cola nicht erzeugen. Schließlich zeigt das Auftreten von zwei Typen mit 14 resp. 15 Chromosomen ın der ersten Generation der Kreuzung O. biennis semigigas X O0. biennis aufs deutlichste, dass die Chro- mosomen nicht 'selbst regeln, sondern durch die erblichen Eigen- schaften geregelt werden: offenbar sind es dieselben Ohromosomen, welche in allen Pflanzen mit 14 zugegen sind und ist auch das fünf- zehnte bei allen Individuen der zweiten Gruppe das Gleiche. Auf die Beweiskraft der schmalblättrigen G@ögas-Nachkommen, welche Frl. Lutz doch ım Besitze von 28 Chromosomen fand, wurde oben schon hingewiesen. Für die @Gigas-Mutation können wir somit mit der vollsten Berechtigung annehmen, dass sie nicht infolge einer Unregelmäßig- keit bei der Chromosomenverteilung entsteht. Meiner Meinung nach wäre es nun unlogisch, für die Mutanten mit 15 Chromosomen nicht auch anzunehmen, dass die Veränderung in der Chromosomen- zahl eine Folge und nicht die Ursache der Mutation ist. Ich schließe meine Auseinandersetzung mit einer Bemerkung über die Art der bei den Oenotheren beobachteten Abänderungen in der Zahl der Chromosomen. Auch darüber lässt sich etwas sagen auf Grund bekannter Tatsachen. Häufig trıfft man in der Literatur die Meinung an, O. Lamarckiana bringe gelegentlich unreduzierte Keimzellen hervor und in dieser Weise würde dann die O. gigas ın die Erscheinung treten. Diese Meinung ist unrichtig, wie bewiesen werden kann. Man soll sprechen von Keimzellen, in denen infolge der Mutation in Gigas die Chromosomenzahl verdoppelt worden ist. Wir kommen zu dieser Erfahrung durch eine Mitteilung von Frl. Lutz %®). Aus selbstbefruchteter O. Zata erhielt sie eine Mutation mit 21 Chromosomen. Auf die Annahme, dass die ©. lata gewöhn- lich zur Hälfte Keimzellen mit 7, zur Hälfte solche mit 8 Chromo- somen erzeugt, wurde oben schon hingewiesen. Muss man sich nun vorstellen, dass die Semigigas-Mutation hervorging aus der Ver- einigung einer unreduzierten Keimzelle mit 15 und einer anderen, 62) Hugo de Vries, Über amphikline Bastarde. Ber. d. D. bot. Ges, Bd. 33, Heft 8, Nov. 1915. 65) Anne M. Lutz, 1. c., 1912, 8. 424. 158 Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl etc. welche infolge einer Unregelmäßigkeit bei der Reduktionsteilung nur 6 Chromosomen führte? Selbstverständlich nicht. Eine Keim- zelle mit 6 Ohromosomen wird sogar nicht bestehen und lebens- fähıg sein können. Die Erklärung ıst natürlich diese, dass eine normale Keimzelle mit 7 Chromosomen zusammentraf mit einer in Gigas mutierten, welche infolge einer Verdoppelung der Chromo- somenzahl 14 Chromosomen führte. Auch eine Pflanze mit 22 Chro- mosomen erhielt Frl. Lutz aus selbstbefruchteter O. /ata. Diese kann offenbar nicht als Argument für die hier vertretene Auffassung be- nutzt werden, aber im Zusammenhang mit dem Obigen ist es klar, dass sie aus der Fusion von Keimzellen mit 14 und 8 und nicht von solchen mit 15 und 7 Chromosomen hervorgegangen sein muss. Schließlich sei daran erinnert, dass Frl. Lutz aus einer Kreuzung von ©. lata mit O. gigas ın der ersten Generation unter 52 Indi- viduen 4 Pflanzen mit 30 Chromosomen erhielt‘). Ganz einfach lässt sich dies verstehen durch die Annahme, dass O. /ata ziemlich häufig ın Gigas mutiert und damit auch Keimzellen mit 16 Chro- mosomen erzeugt, und die Erklärung, welche eine unreduzierte Lata-Keimzelle mit 15 und eine abnormale @Gigas-Keimzelle mit gleichfalls 15 Chromosomen zusammenkommen lässt, kommt mir viel weniger wahrscheinlich vor. Für die Theorie ist es besonders wichtig, dass man berechtigt ist, von einer wirklichen Verdoppelung der Chromosomenzahl in der in Gigas mutierten Keimzelle zu sprechen. Es könnte dieser Vorgang nämlich auf einen progressiven Schritt in der phylogenetischen Entwicklung der Reduktionsteilung hindeuten, wie ich hier aber nicht näher ausführen werde. Nimmt man die Vergleichbarkeit der Zata-Mutation und der (rgas-Mutation an, so muss auch bei O. lata von einer Verdoppe- lung die Rede sein, aber nur von der Verdoppelung eines einzigen Chromosoms. In dieser Weise kommt man zum Schlusse, dass die Verdoppelung, welche bei der Entstehung von O0. gigas als unter- geordnetes Merkmal der ganzen Mutation auftritt, selbst wieder aus verschiedenen Faktoren gebildet wird, nämlich den Verdoppelungen der einzelnen Chromosomen. Kurze Inhaltsübersicht. 1. Ein genaues Studium der Literatur lehrt, dass die Hypothese, welche die Statur gewisser Mutanten der Oenotheren auf abweichende Chromosomenzahlen zurückführt, die durch zufällige Umstände ent- standen wären, unmöglich richtig sein kann. Von besonderer Wichtigkeit ist im dieser Beziehung die Fest- stellung der Existenz (und zwar verborgen innerhalb de Vries’ 64) Anne M. Lutz, 1. c., 1912, S. 413, 421. Stomps, Über den Zusammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl ete. 459 fertiler Bastardrasse von O. giyas X Lamarckiana) eines univalenten diploiden Giyas-Typus. 2. Auch neuer eigener Beobachtungen, die gegen einen Zu- sammenhang zwischen Statur und Chromosomenzahl sprechen, wird Erwähnung getan. a) Ein Individuum erster Generation der Kreuzung O. gigas X 0. atrovirens zeigte sich im Besitze von 28 Chromosomen und war äußerlich doch nicht von den übrigen 21-chromosomigen Gigas X atrovirens-Pflanzen zu unterscheiden. Die Tetraploidie dieses Bastardindividuums kann nur herbei- geführt worden sein durch ein der O. atrovirens zukommendes Ver- mögen, in Gögas zu mutieren, bringt somit den fünften Fall vom Auftreten dieser Mutation bei Arten von Oenothera ans Licht, und beweist ausserdem die Richtigkeit der Auffassung, welche eine Gigas durch das Zusammenkommen von 2 in Gigas mutierten Keim- zellen entstehen lässt. b) Für eine größere Anzahl Nachkommen von Hero-Individuen (d. h. seltene triploide Pflanzen, welche aus Kreuzungen zwischen 0. Lamarckiana einerseits und O. syrticola, O. Mellersi und ©. atro- virens andererseits hervorgehen) stellten sich die Chromosomenzahlen als sehr verschieden, nämlich varıierend von 23 bis 28, heraus. Ungeachtet dessen sahen die Pflanzen derselben Kreuzung einander und sicher 21-chromosomigen Vergleichspflanzen von O. gigas X O. syrticola, Mellersi oder atrovirens durchaus ähnlich. Innerhalb desselben Individuums war die Chromosomenzahl nicht immer konstant: vereinzelt gelangten Kernplatten zur Beob- achtung, die eine von der typischen etwas abweichende Chromo- somenzahl aufzuweisen hatten, und zwar infolge einer vorangehenden asymmetrischen Mitose, wie leicht bewiesen werden konnte; eine Zelle mit abgeänderter Chromosomenzahl konnte sogar Anlass geben zu der Entstehung einer größeren Zellgruppe, in der die neue Zahl sich konstant erhielt, wie es die Regel der Chromosomenzahlkonstanz verlangt. 3. Die Tatsache, dass die Chromosomenzahlen unserer Hero- Nachkommen schon in der zweiten Generation zwischen 23 und 28 variierten, während die Erfahrungen von Geerts, Gates und Frl. Lutz Zahlen zwischen 14 und 24 erwarten ließen, zieht unsere besondere Aufmerksamkeit auf sich. Man darf aus ihr schließen, dass Nachkommen triploider Pflanzen alle möglichen Chromosomen- zahlen von 14 bis 28 aufweisen können. Dass die niedrigen Zahlen bei unseren Pflanzen fehlten, muss vielleicht in der Weise ver- standen werden, dass die Individuen, welche sie aufgewiesen haben würden, im jugendlichen Alter starben. Sind doch auch die meisten Pflanzen erster Generation der Kreuzungen Lamarckiana X syrti- 160 Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen etc. cola, Millersi und atrovirens nicht entwicklungsfähig und fast nur die 21-chromosomigen Hero-Individuen bleiben am Leben. 4. Auch wenn angenommen wird, dass die einzelnen Chromo- somen Träger besonderer erblicher Eigenschaften sind, geht es nicht an, sich dıe Statur der Oenothera-Mutanten mit neuen Chromosomen- zahlen durch diese verursacht zu denken. Die bei den Oenotheren neu beobachteten Chromosomenzahlen sind vielmehr herbeigeführt worden durch eine Verdoppelung eines einzigen Chromosoms oder des gesamten Chromosomsatzes, welche Begleiterscheinung und nicht Ursache der Mutation war. Nachschrift. Nachdem mein Manuskript in die Presse ge- gangen war, gelang es mir, festzustellen, dass auch Nareissus poeticus imstande ist, in Gigas zu mutieren. Über diesen Fund werde ich an anderer Stelle ausführlicher berichten. Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen in Gewebekulturen von Insekten. Von Richard Goldschmidt. (Mit 9 Abbildungen.) Den Anlass zur Mitteilung der folgenden Notizen gaben Bo- veri’s interessante Erörterungen über die Entstehung maligner Tumoren). Dort findet sich der folgende Satz: „Wenn ich hier annehme, dass die Zellen der bösartigen Geschwülste sich des- halb immer weiter vermehren, weil sie auf die Einwirkungen der Umgebung, die sonst die Teilung hintanhalten, nicht mehr richtig reagieren, so liegt der Gedanke nahe, dass eine ebensolche schrankenlose Vermehrung bei normalen Gewebezellen eintreten müsste, falls sie durch Isolierung jenen hemmenden Einflüssen des übrigen Körpers dauernd entzogen wären, natürlich unter normalen Ernährungsbedingungen. Die gewaltige Zellvermehrung, von der Garrel bei der Kultur von Gewebestückchen außerhalb des Körpers berichtet, scheint dieser Vermutung günstig.“ Ich habe nun ge- legentlich einer Untersuchung über Spermatogenese in Gewebe- kultur, die ich in Harrison’s gastlichem Institut ausführte?), einige Beobachtungen gemacht, die in jenem von Boveri erörterten Zu- sammenhang von Interesse sind. Trotz ihres aphoristischen Cha- rakters seien sie hier mitgeteilt, da sie vielleicht jemand, der speziell an diesen Fragen interessiert ist, veranlassen könnten, eine gründ- liche Untersuchung des Gegenstandes vorzunehmen. 1) Boveri, Th. Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. Jena 1914, p. 15, Anm. 2) Wird im Arch. f. Zellforschung erörtert werden. Eine kurze Mitteilung erschien in den Proc. Nat. Acad. Sc. 1915. Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen ete. 161 Ich hatte die gesamte Spermatogenese in vitro erhalten, als ich die Hodenfollikel der Puppe von Lamia cecropia in Haemolymphe züchtete. Diese Follikel sind Hohlkugeln, etwa vom Aus- sehen einer Seeigelblastula, umgeben von einer dünnen zelligen Follikelmembran. Diese ist nur aus wenigen flachen Zellen zusammenge- setzt, wie sich im Leben leicht zeigen lässt, wenn sie durch minimalen Ammo- Pr: niakzusatz zum Kulturme- Sau dium zur Quellung gebracht Fig.31. werden. Die Samenzellen in diesen Follikeln bleiben unter normalen Bedingungen etwa eine Woche am Leben und vollenden dabei unter Umständen die Spermatogenese. Die Follikelzellen bleiben in dieser Zeit un- verändert, höchstens dass sie einige, wie Foraminiferenpseudopodien XXXVL 11 162 Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen etc. aussehende Fortsätze nach den Nachbarfollikeln zu aussenden und außerdem Massen von Fettröpfehen in ihrem Innern speichern (Fig. 1). Dies ändert sich nun vollständig, sobald die Samenzellen ım Follikel absterben. Nun beginnen nämlich die Follikelzellen sofort mit einem außerordentlichen Wachstum. Nach allen Seiten erstrecken sich die pseudopodienförmigen Fortsätze und vereinigen sich mit denen benachbarter Follikel. Plasmamassen strömen auf ihnen aus und senden wieder nach allen Seiten die zartesten durch- sichtigen Fäden. Wo sie die Oberfläche des Deckglases erreichen, breiten sie sich zu unendlich dünnen, schwimmhautartigen Plasma- zügen aus; wo sie zufällig auf Fäden im Präparat treffen, wachsen sie stereotropisch diesen entlang, ähnlich wie es Harrison für Nervenzellen gezeigt hat. Dabei verschleppen sie oft die Leichen der Samenzellen, die sich dann den Plasmasträngen eingelagert finden. Mit diesem Wachstum und der Plasmavermehrung geht sicht- lich ein sehr reger Stoffwechsel Hand ın Hand, denn die Stränge sind überall, wo eine Plasmaansammlung vorhanden ist, besonders in der Nähe der Kerne, mit Fettröpfehen beladen. Bei schwacher Vergrößerung sieht man nur diese, während die zarten Plasmazüge im stark lichtbrechenden Medium verschwinden. Fig. 2 gibt eine Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen etc. Photographie eines lebenden Präpara- tes bei schwacher Vergrößerung wie- der. Von einem Haufen junger Fol- likelgehtdasWachs- tum radıär nach allen Seiten. Nur die stark lıcht- brechenden Fett- massen haben einen Eindruck auf der Platte hinterlassen; einzelne Follikel — diekleinen Kreise — sind an dem Fett ın den Follikelzellen kenntlich. Das ty- pische Bild eines solchen Präparates nach dreimonat- lchem Wachstum ist nach dem leben- den Objekt ın Fig. 3 gezeichnet?). Es sei dabei nochmals be- merkt, dass ur- sprünglich alle Fol- likel — die Kugeln verschiedener Größe — völlig isoliert waren, etwa wie ein Haufen Seeigel- blastula. Fig. 4 gibt einige Einzelheiten bei stärkerer Ver- größerung aus einem gefärbten Präparat. Man sieht einige Follikel mit den toten Samen- 3) Die Zeichnungen wurden von Frl. Lina Krause ausgeführt. 11% 165 Fig. 4. 164 Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen ete. zellen, das schwimmhautartige Auswachsen der Plasmamassen sowohl wie die feinen, pseudopodienartigen Stränge und die verschleppten Samenzellen. Das Fett ist bei der Präparation aufgelöst, aber man sieht nun die Kerne, die auch im Leben sichtbar sind. Es ist bemerkens- wert, dass diese eine außerordentliche Größenverschiedenheit zeigen, von winzigen, stark chromatischen 5 - Kügelchen bis zu großen blassen Scheiben. Teilweise hat das aller- ee { ® ‘ dings eine rein mechanische Ur- Rt Ba 4 sache. Da, wo sich das Plasma der ® | Deckglasoberfläche anschmiegt, [2 werden auch die Kerne zu dünnen Scheiben abgeplattet, die ım Leben eine wundervoll regel- z mäßıge Wabenstruktur zeigen. Fig. 5. Aber die Verschiedenheit muss noch andere Ursachen haben. Oft findet man = dicht beieinander Kerne N PER der verschiedensten 5) Arten und auch poly- \ $ morphe Kerne. Da \ 4 niemals eine Mitose 2 2 ' zum Vorschein kam, u; N | aber sehr viele Bilder, N die auf direkte Kern- | teilung und Kernfrag- DR / \ mentierung deuten, so / neige ich zur Annahme, dass tatsächlich die Kernvermehrung ın % x dieser Weise erfolgt 7 und die Kerne sich N ziemlich passiv dabei > __ verhalten, einfach zer- Fig. 6. rissen und zerteilt wer- den. Dafür sprechen auch einige Befunde an Zuchten, die zu anderen Zwecken in abnormem Medium gemacht waren. Bei eingedicktem Medium nehmen diese Kerne oft alle möglichen, hirschgeweihförmigen Gestalten an (Fig. 5) und werden in allen Zuständen der Zerreikung gefunden, ohne dass dadurch sichtlich das Plasmawachstum beein- flusst wird®). Endlich sei noch auf die außerordentliche Plastizität 4) Die abgebildeten Zellen sind Lymphocyten, die die gleiche Erscheinung zeigen, f Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen etc. 165 der Kerne hingewiesen, die ın dünnen Plasmafäden spindelförmig ausgezogen werden, in flachen Häuten sich zu Scheiben abplatten und durch die Oberflächenspannung anlıiegender Fettkugeln ein- gerollt und deformiert werden. N a ’ = —ı N & HEN Be —_ Er N Sn i - Sr | u = ir u Tggr u —T— T— I. as EEE BISEN { J VER \ —— a zZ | ; / ee f \ I 7 } R Se Vv 2 / Ten KR! 23 — de > | NEL N N \ \ \ \ \ Fig. 7. In Boveri’s zitierter Abhandlung findet sich (p. 48) eine Er- örterung der Einwände, die sich seiner Anschauung entgegenstellen, wenn die Verhältnisse der Leukocyten in Betracht gezogen werden. Dort findet sich der Satz: „Aber auch dies scheint \ mir nicht ausgeschlossen, dass aus solchen simultanen =. Mehrteilungen der Leuko- —a \ cyten auch einmal zwar | Ss Zr) lebensfähige, aber in ihrem SF) Charakter veränderte Zellen, \ SINN speziell solche mit unbe- NN IN N schränkter Wucherungsten- AR IN | denz hervorgehen.“ Hierzu _ os St mag die folgende Beobach- A FIN NIS tung von Interesse sein: In Be vv Ru den normalen Zuchten schie- nen mir die Blutzellen des Schmetterlings keine be- merkenswerten Besonder- heiten zu zeigen; sie wurden allerdings auch nicht beson- ders beachtet. Dagegen zeigten sich interessante Dinge in einigen Kul- turen, die aus bestimmten Gründen in eingedickter Haemolymphe ge- halten wurden; es waren sowohl Präparate von Hodenfollikeln alsauch von Eiröhren. Hier begannen nämlich die Lymphocyten, besonders Fig. 8. 166 Goldschmidt, Notiz über einige bemerkenswerte Erscheinungen etc. die am Rande des hängenden Tropfens befindlichen, außerordentlich zu wachsen und sich in besonderer Weise zu vermehren. Fig. 6 zeigt eine solche Zelle nach dem Leben, die außerordentlich lange, fädige Ausläufer gebildet hat. Die Zellen sind dabei außerordent- lich durchsichtig, höchstens dass sie ein paar Fettröpfchen neben dem Kern enthalten. Bei der Teilung bleiben nun diese Zellen in maulbeerartigen Haufen vereinigt. Und von diesen gehen dann wieder Pseudopodien aus, denen entlang sich Zelleiber mit Kernen schieben und sich wieder weiter verästeln, so dass Zellketten ent- Fig. 9. stehen, wie sie Fig. 7 nach dem Leben wiedergibt. Indem die Zellen ferner nach allen Seiten wandern, erhalten wir Zellmassen, die wie retikuläres Bindegewebe aussehen und wie solches weiter- wachsen. Eine Gruppe solcher Zellen ist nach dem Leben in Fig. 8 wiedergegeben. Es wäre natürlich sehr interessant zu wissen, wie diese „Gewebebildung“ seitens der Blutzellen vor sich geht. Weder ım Leben noch im gefärbten Präparat konnte ich jemals eine nor- male oder abnorme Mitose finden. Dagegen deutet vieles darauf hin, dass die Kernvermehrung auch hier durch eine Art Kern- fragmentierung zustande kommt. In Fig. 9 ist ein Stück eines solchen Blutzellgewebes nach einem gefärbten Präparat abgebildet; es zeigt die zentrale Plasmamasse mit den höchst ungleichen Kernen Verhoeff, Ist die physiolog. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? 167 und die peripher auswachsenden Zellen. In diesem Bild sieht man auch eine Erscheinung, die öfters beobachtet wurde und unter Um- ständen eine große physiologische Bedeutung haben kann. Über Nacht war in einer Zelle eine bräunliche Masse erschienen (a), die genau wie ein Stück Chitin aussieht. Es ist sicher, dass vorher nichts davon ım Präparat enthalten war. Der Zweck dieser kurzen Mitteilung ist, wie gesagt, die Fach- genossen darauf hinzuweisen, dass hier eine sicherlich dankbare Möglichkeit gegeben ist, Fragen der Zellphysik, des Zellstoffwechsels und der Zellpathologie in Angriff zu nehmen. Osborne Zoological Laboratory, Yale University, New Haven, Conn. Dezember 1915. Ist die physiologische Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? (89. Diplopoden-Aufsatz.) Von K. W. Verhoeff, Pasing bei München. Die Männchen aller Opisthandria besitzen bekanntlich aın Hinter- ende des Rumpfes 1-2 (3) der Fortpflanzung dienliche Gliedmaßen- paare, welche bei den Unterordnungen der C'horizocerata und Plesto- cerata verschiedenen Bau aufweisen. (Man vergl. auch S. 20 und 21 in meinen Diplopoden Deutschlands, Winter’s Verlag) Von den immer mehr oder weniger verwickelt gestalteten Gonopoden der Proterandria unterscheiden sich die männlichen Gliedmaßenpaare der Opisthandria nicht nur durch ihre Lage, sondern auch dadurch, dass sie immer eine mehr oder weniger beinartige Beschaffenheit bewahrt haben. Für das letzte Paar dieser männlichen Hilfswerk- zeuge führte ich die Bezeichnung Telopoden und für das vor- letzte Nebentelopoden ein. Im folgenden soll gezeigt werden, dass diese Organe der Opisthandria nicht nur in morphologischer, sondern auch in physiologischer Hinsicht eine von den ent- sprechenden Gliedmaßenpaaren der Proterandriu abweichende Bezeichnung durchaus verdienen. Seit Gervais hat sich eine ganze Reihe von Autoren mit den Telopoden der @Glomeris beschäftigt, aber noch immer ıst deren physiologische Bedeutung nicht klargestellt worden. Eabre glaubte, dass die männlichen Telopoden die Erdkapseln für die Eier bilden könnten, er schreibt auf S. 284 seiner Recherches sur P’anatomie des organes reproducteurs, Annales des sciences naturelles, 4. Serie, T. III, 1855: „Les pattes supplömentaires du mäle, surtout celles de la derniere paire, servent apparemment de larges et vigoureuses palettes pour petrir ’humus et le rouler en globule autour de chaque &uf, & mesure que la femelle opere sa ponte.“ 168 Verhoeff, Ist die physiolog. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? Nach Fabre’s Ansicht sind die Eikapseln von Glomeris nicht nur Schutzdecken, sondern auch Nahrungskörper: „En grande partie forme de matieres vegetales decomposees, ıl constitue aussi un magasın de vivres, analogue aux boules que la merveilleuse industrie des Ateuchus, des Uopris et autres Scarabees, sait faconner avec d’immondes materiaux.“ Der Gedanke an die Tätigkeit copro- phager Lamellicornier, insbesondere die Beteiligung beider Ge- schlechter an der Brutpflege, führte Fabre zu der allerdings durch keinerlei Beobachtungen gestützten Vermutung, dass die Glomeris- Telopoden mit ıhren Fortsätzen und Lappen zur Knetung von Ei- kapseln geeignet wären. Schon A. Humbert hat diesen Irrtum zurückgewiesen und zwar ın einem hübschen kleinen Aufsatz, er- schienen in den Mitteilungen der Schweiz. entomol. Ges. 1870, Bd. 3, H. 10 unter dem Titel „Note sur l’accouplement et la ponte des Glomeris“. Er schreibt auf S. 539, dass die brünstigen Männchen ihre letzten Segmente ein wenig erheben und die Telopoden nach hinten herausstrecken „comme une pince dentee menacante“. In- dem sie sich dem Weibchen nähern, gehen sıe häufig rückwärts. Das Männchen schiebt seinen Hinterkörper unter den Vorderkörper des Weibchens, worauf die Telopoden die weiblichen Vulven er- fassen. Entweder sitzen beide Geschlechter in derselben Richtung und mit den Beinen auf der Unterlage, oder sie liegen auf der Seite und mit gegeneinander gerichteten Bauchflächen, wobei sich der Kopf des Männchens gegenüber den letzten Ringen des Weib- chens befindet, also ın entgegengesetzter Lage. Humbert fährt dann also fort: „Les deux sexes restent ainsı longtemps r&unis, le mäle serrant fortement les vulves de la femelle sans que l’on puisse constater aucun mouvement tendant a rapprocher les orifices genitaux des deux sexes.“ Nur einmal gelang es Humbert zu beobachten!), wie das Männchen den Kopf einkrümmte, um die Mundteile mit den am Grunde des 2. Beinpaares gelegenen Genital- öffnungen in Berührung zu bringen. „Recourbant ensuite son corps, ıl frotta son chaperon et sa levre inferieure contre les vulves.“ Zu einem sicheren Entscheid konnte Humbert nicht gelangen, viel- mehr wirft er folgende Fragen auf: „Est-ce que la fecondation aurait lieu par l’intermediaire des parties buccales (?)?), ou se ferait-elle au moyen de la premiere paire d’organes copulateurs, ou bien serait-elle düe a un simple rapprochement des orifices genitaux du mäle et des vulves?“ F. Karsch hat 1880 (auf den eben genannten Beobachtungen Humbert’s fußend) in seinem Aufsatz „Zur Formenlehre der penta- zonen Myriapoden“ Arch. f. Nat., zwar mit Recht geltend gemacht, 1) Es ist dies die einzige mit meinen im folgenden auseinandergesetzten Be- obachtungen in Einklang stehende Angabe über eine wirkliche Copula. 2) Das Fragezeichen wurde von Humbert selbst gesetzt! Verhoeff, Ist die physiolog. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? 4169 dass „von einem Eindringen in die weiblichen Organe wohl bei Polyxenus, nicht jedoch bei den Glomeriden die Rede sein kann“, eine eigene Beobachtung hat er aber offenbar nicht gemacht. Er schließt lediglich theoretisch, dass ım Gegensatze zu den übrigen Diplopoden bei den Glomeriden die Kopula „durch ein bloßes Zusammenpressen der Geschlechtsteile ersetzt zu werden scheint, zu dessen Zustandekommen die „forcipules copulatrices“ der Männ- chen eine bedeutsame Rolle spielen möchten“. Latzel hält ın seinem Diplopoden-Handbuch 1884 die @Glomeris-Begattung für unbekannt, da er Humbert’s Beobach- tungen nicht berücksichtigte. 1890 berichtet ©. vom Rath in seiner Schrift „Über die Fort- pflanzung der Diplopoden“ (Ber. d. naturf. Ges. Freiburg ı. Br., Bd. V, H. ı) S. 22, nachdem er Fabre’s irrtümliche Anschauung zitiert hat, folgendes: „Ich kann nachweisen, dass auch bei @lomeris die Kopulationsfüße, nachdem sie aus der Geschlechtsöffnung am 2. Beinpaare Sperma erhalten haben, ın die Vulven des Weibehens eingeführt werden.“ Durch seine Abb. 9, welche das Glomeris-Pärchen mit abge- wandten, also entgegengesetzten Köpfen und zugekehrten Bauch- flächen darstellt, erläutert vom Rath die im Vergleich mit Poly- desmiden und Juliden abweichende Kopulationslage und fährt dann also fort: „Die mächtig vorgestülpten Kopulationsfüße werden unter leb- hafter Bewegung sämtlicher Beinpaare allmählich ın (!) die Vulven des Weıibchens eingeführt, da aber die Beine des Männchens viel zu kurz sind, um das Weibchen damit zu umfassen, wıe es beı Polydesmus geschieht, so ıst die Umarmung keine so feste wie beı jenem und trennen sich die Tiere bei der geringsten Störung augen- blicklich und kugeln sich zusammen. ‚Jede Bewegung, sogar ein heller Lichtstrahl, schreckt die Tiere auseinander. Die Begattung dauert nicht so lange wie bei den Polydesmiden, vielmehr trennen sich die Tiere nach einigen Stunden wieder, auch wenn sie nicht gestört werden.“ In einem 2. Aufsatz „Zur Biologie der Diplopoden* a.a. 0. Bd. V, H. 2, 1891, ergänzt vom Rath seine Mitteilungen durch Beschreibung einer zweiten, „abweichenden Art der Kopulation“, bei welcher „das Männchen mit seinem Vorderkörper und oben- drein mit dem größten Teile des Hinterleibes über dem Kopfe und Rücken des Weibehens ruht, während die Kopulationsfüße ın (!) die Vulven eingeführt sind“. K. Hennings hat 1904 in seinem Aufsatz „Zur Biologie der Myriapoden II, Bemerkungen über (lomeris marginata“ (Biolog. Centralbl. Bd. XXIV, S. 252) behauptet, die Kopulation sei durch „vom hath so genau beschrieben worden“, dass er derselben 170 Verhoeff, Ist die physiolog. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? nichts hinzufügen könne, „zumal dieselbe stets, auch in den Ter- rarıen, unter der Blätterschicht vor sich geht und die Tiere so scheu sind, dass sie bei der geringsten Störung sich trennen und zusammenkugeln“. 1906 ım Arch. f. Nat., 72. J., 1. Bd., 2.H. habe ıch in meimem 24. Dipl.-Aufsatz „Zur Kenntnis der Glomeriden“ im Abschnitt D, Kapitel II, mich mit der @lomeris-Kopulation beschäftigt und die Frage erörtert, „welcher Teil der Gonopoden das Sperma aufnimmt und überträgt“. Da ıch inzwischen durch die nachfolgend be- sprochenen Beobachtungen hinsichtlich der Telopoden zu einer wesentlich abweichenden Anschauung geführt worden bin, verweise ich auf meine Angaben S. 215 und beschränke mich auf die Fest- stellung, dass ich 1906 zwar „eine Mulde“, welche durch die „Femoral- und Tibiallappen schützend umgeben“ wird, „als zeit- weisen Aufenthaltsort des Spermas“ für geeignet erachtete, dagegen ausgesprochene Einrichtungen zur Spermaaufnahme, wie wir sie innerhalb der Proterandria in Taschen, Rinnen und Säcken so zahl- reich und mannigfaltig antreffen, nicht nachweisen konnte. Auch jetzt muss ich betonen, dass unter allen Opisthandria Gebilde zur Spermaaufnahme niemals nachgewiesen werden konn- ten, weder an den Telopoden noch an den Nebentelopoden. S. 216 wies ich darauf hin, dass vom Rath’s Ansicht eines Einführens der Telopoden „ın die Vulven“ durchaus zu verwerfen ist, weil hiermit „eine physische Unmöglichkeit“ behauptet worden ist. Der Frage, welche Teile der Telopoden zu einer Sperma- übertragung geeignet sein sollen, ist vom Rath überhaupt nicht gefolgt, m. W. ıst dieselbe bisher von mir allein aufgestellt worden. Sie musste aber aufgestellt werden, nachdem vom Rath den obigen Irrtum so kategorisch erklärt hatte. Dass sie jetzt wieder überflüssig wird, ist erst eine Folge meiner neuesten Beobach- tungen. S. 217 habe ich auf eine dritte Kopulationsstellung aufmerk- sam gemacht, welche ich bei @lomeris connexa ın der freien Natur und zwar ın der Tatra beobachtete. Zugleich scheint diese „die einfachste zu sein“. „Beide Geschlechter befinden sich ın natürlichster Lage, d.h. stehend auf der Mehrzahl ıhrer Laufbeine, das Männchen gerade vor dem Weibchen. Letzteres mit erhobenem Vorderkörper, ersteres umgekehrt mit gesenktem und gegen die Unterlage ge- drücktem Kopf. Das Hinterende und der Präanalschild des Männ- chens sind etwas nach oben gebogen und schieben sich unter den Kopf und das Brustschild des Weibchens in: der Weise, dass die Telopoden die Vulven zu umklammern vermögen.“ Diese Kopulationsweise habe ich mit dem bei den Männchen mancher Glomeris-Arten mehr oder weniger ausgebuchteten Prä- Verhoeff, Ist die physiolog. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? 171 analschild in Zusammenhang gebracht und verweise auf meine An- gaben S. 217. Soweit die bisherige Sachlage, welche mich um so weniger befriedigte, als mir bis dahin genauere Beobachtungen über die Kopulationsweise nicht gelungen waren. Während meiner Studien in Württemberg sammelte ich Ende Mai 1911 zahlreiche Individuen der Glomeris conspersa auf dem Burgholzberg bei Cannstadt, wo diese Art so häufig ist, dass ich einmal 110 Stück an drei Stämmen der Robinia pseudacacia ab- suchen konnte. An den zahlreichen, lebend in Beobachtungsgläsern gehaltenen Individuen konnte ich die Kopulationen im ersten Drittel des Juni so oft verfolgen, dass ich nicht nur endlich die gewünschte Klarheit über diese Vorgänge gewann, sondern auch zugleich in- folge neuer Feststellungen zu einer von meiner eigenen bisherigen abweichenden Anschauung gelangte. Die Kopulationen fanden abends und nachts statt und zwar in einer Weise, welche der oben genannten 3. Kopulationsstellung entspricht. Sie beginnen damit, dass das brünstige Männchen mit weit nach hinten vorgestreckten Zangen (Telopoden) und nach außen gerichteten Tarsen suchend ın der Luft umherfährt, einem umge- kehrten Bücherskorpion vergleichbar. Sobald ein Weibchen er- reicht ist, macht das Männchen mit den Telopoden suchende und bisweilen ruckartige Bewegungen, klopft auch wohl vereinzelt gegen den Rücken des Weibchens, wobei die 3—4 letzten Tergite auffallend gelenkige, umherdrehende Bewegungen ausführen. So- bald nun das angreilende, rückwärts schreitende Männchen die richtige Lage erreicht hat, kneift es plötzlich zu und zwar um- fasst es die Vulven und die Hüften des 2. Beinpaares des Weib- chens frei von außen her. Zur Anreizung des Weibchens voll- führen die Telopoden bisweilen rhythmische Bewegungen. Beide Geschlechter stehen also bei dieser Kopulationsweise auf den Laufbeinpaaren, auch sei noch erwähnt, dass das Weibchen den Vorderkörper schräg zur Seite hält, während das rückwärts schrei- tende Männchen mit den 3—4 letzten Beinpaaren tastende Bewe- gungen ausführt. Das Weibchen nımmt überhaupt eine ruhige, ab- wartende Stellung ein, während die Beinpaare des Männchens unruhig auf- und niederfahren. Wie stark die Telopodenmuskulatur des Männchens ist, sah ich daraus, dass ein solches, obwohl es nur etwa halb so groß war wie das Weibchen, dieses energisch auf die Seite zog. Es kommt aber auch vor, dass ein Männchen mit seiner Zange nicht richtig gefasst hat, so sah ich eines, welches die Antenne eines Weibehens gepackt hatte, aber bald wieder losließ. In zwei Punkten weichen meine Beobachtungen auffallend ab von denen meiner Vor- gänger, indem 172 Verhoeff, Ist die physiolog. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? 1. die Kopulation durch Licht, soweit dasselbe nicht allzu grell ıst, keineswegs gestört wird und 2. auch die Verbindung der Kopulierenden durchaus nicht so locker ıst, wie das aus früheren Angaben hervorzugehen schien, denn ich konnte die Copula sowohl dreimal unter dem Binokular beobachten, als auch zweimal mit einer feinen Bleistiftspitze das Weibchen vorsichtig zur Seite drücken, ohne dass die Copula ge- löst worden wäre. Nicht kopulierende aber brünstige Männchen sind um diese Zeit überhaupt recht lebhaft und zeigen eine für @lomeris unge- wöhnliche Beweglichkeit. Beim Umherrennen machen sie bisweilen ruckweise Stöße mit oder ohne Berührung eines anderen Indi- viduums. Hat nun ein Männchen ın der angegebenen Weise mit seinen Telopoden die Hüften des 2. weiblichen Beinpaares gepackt, dann erfolgt meistens eine rollende Einkrümmung des Männ- chens, die sich 3—4mal wiederholen kann. Diese Ein- rollung bewirkt, dass der Kopf des Männchens seinen Telopoden und damit zugleich den Vulven so genähert wird, dass letztere den Mandibeln und dem Gnathochi- larıum erreichbar werden. Diese männliche Einrollung als Folge des Griffes der Zangen habe ich so häufig beobachtet, dass über die wesent- liche Bedeutung dieses Vorganges kein Zweifel mehr be- stehen kann. Die Copula selbst dauert nur kurze Zeit, so dass ich auch hierin mit vom Rath, welcher von „einigen Stunden“ spricht, nicht übereinstimme. Die Angaben vom Rath’s muss ich aber um so mehr für ırriıg halten, als nach der Copula das Männchen durch eine Putztätigkeit ın Anspruch genommen wird, die eben- falls zu den regelmäßigen Erscheinungen gerechnet werden muss. Sobald das Männchen nämlich die Zangen gelöst hat, streckt es sich, um sich dann aber erneut einzurollen, diesmal zwecks Reini- gung und Bespeichelung der Telopoden und ihrer Nachbar- schaft durch die Mandibeln. Die große Bedeutung, welche den meistens verwickelt gebauten Diplopoden-Mandibeln als Putzorganen zukommt, habe ich zuerst in den Diplopoden Deutschlands besprochen und zwar in der 3. Lieferung S. 177—179 (die physiologische Bedeutung der Mandibeln.) Zugleich erinnere ıch an die in der 6. Lieferung im Kapitel über die Kopfdrüsen S. 417 besprochenen Putzdrüsen. Die @Glomeris-Männchen führen uns also wieder einen besonderen Fall der mandibularen Tätigkeit vor, den ich unter der Lupe genau habe verfolgen können. Es werden nicht nur alle Teile der Telo- poden durch die Mandibeln sorgfältig gesäubert und befeuchtet, Verhoeff, Ist die physiolog. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? 173 sondern auch deren Nachbarschaft und der Rand des Präanal- schildes. Da bei Glomeris schon durch die meistens gesellige Lebens- weise zu wiederholten Kopulationen Veranlassung gegeben ist, liegt die Bedeutung der sorgfältigen Telopoden-Bearbeitung in einer Vorbereitung für die nächste Kopulation und zwar wird 1. durch die Säuberung eine Verunreinigung der Vulven ver- hindert, 2. durch die Befeuchtung mit dem Saft der Putzdrüsen die Geschmeidigkeit der zarten, dünnen Telopodenlappen und der ver- schiedenen Fortsätze der Zangen erhalten. — Meine Beobachtungen an den Pärchen der @Glomeris conspersa haben mich zu folgenden Ergebnissen geführt: Die bisherigen Autoren, soweit sie überhaupt Einschlägiges beobachtet haben, sahen lediglich eine Phase der Glomeris-Begat- tung, niemals aber den ganzen Vorgang im Zusammenhange, bei welchem folgendes zu unterscheiden ist: 1. die vorbereitende Angriffsstellung des Männchens mit vorgestreckten Zangen, 2. die Verankerung der Geschlechter durch den Zangengriff, 3. die Einkrümmung des Männchens, durch welche die Bein- paare zusammengedrängt werden, das 2. Beinpaar damit den Mund- werkzeugen genähert, so dass diese Spermamasse aufnehmen können, 4. die Mundwerkzeuge und zwar hauptsächlich die Mandibeln übertragen das Sperma auf die Vulven. — Es ıst allerdings infolge der eingekrümmten Haltung des Männ- chens bei der Kopulation unmöglich, die Sperma übertragende Tätig- keit der Mundwerkzeuge unmittelbar wahrzunehmen, aber sie muss aus allen übrigen Umständen als Notwendigkeit gefolgert werden, denn 1. sind die Telopoden durch ihre Aufgabe als Haltezangen so vollständig in Anspruch genommen, dass sie für die Spermaübertragung überhaupt gar nicht in Betracht kommen können. Die ganzen weiteren Manipulationen des Männchens haben zur not- wendigen Voraussetzung, dass es in seiner bestimmten Lage durch die Telopoden gehalten wird. Sobald es dieselben öffnet, rollt es notwendig zur Seite, falls es sich wenigstens in einge- krümmter Haltung befindet, 2. werden bei der Einrollung des Männchens die Mundwerk- zeuge desselben den Vulven des Weibehens mehr genähert als das 2. Beinpaar, so dass sie ihrer Lage nach zu einer Samenübertragung geeigneter sind als die Hüften jenes, 3. sind die innen an den Hüften des 2. Beinpaares sitzenden Penes so außerordentlich kurz und noch dazu mit ziemlich langen 174 Verhoeff, Ist die physiol. Bedeutung der Glomeriden-Telopoden geklärt? Tastborsten besetzt, dass sie zu einer Einführung in die Vulven durchaus ungeeignet erscheinen. Die kurzen Penes haben lediglich die Aufgabe, die hervorquellende Spermamasse am Verkleben mit den Hüften des 2. Beinpaares zu hindern und sie so nach außen gelangen zu lassen, dass sie den Mandibeln bequem erreichbar wird. — Latzel behauptete 1884 auf S. 82 seines Handbuches der Myriapoden der österreich.-ungar. Monarchie: „Ruthen finden sich keine“ und zwar sagt er das allgemein für die Opisthandria. Hier- über war jedoch schon Fabre besser orientiert, denn er schrieb auf S. 267 seiner Recherches 1855 a. a. OÖ. von „deux mamelons places a l’aisselle des pattes de la seconde paire*. Auch Karsch äußerte sich a. a. OÖ. S. 24 dahin, dass „die äußeren männlichen Teile sehr unscheinbar sind und an der der Vulvaöffnung beim Weibchen entsprechenden Stelle gelegen“. Der Ausdruck „mame- lons“ ist ziemlich treffend, es handelt sich hier um durchbohrte Warzen oder Höcker, indem sie vom Ende der Vasa deferentia durchsetzt werden. Hier möchte ich zugleich darauf aufmerksam machen, dass diese Penishöcker der Glomeriden wegen ıhres ein- fachen Baues zwar keine große systematische Bedeutung bean- spruchen können, aber immerhin bei entfernter stehenden Formen beachtenswerte Unterschiede aufweisen. Schon 1906 in meinem 24. Diplop.-Aufsatz, Archiv f. Naturg,., 72. J., I. Bd., 2 H. und zwar ım Abschnitt C S. 200, habe ich für die männlichen Zangen der Glomeriden die Bezeichnung Telo- poden eingeführt, welche übrigens für alle Opisthandria Gültigkeit besitzt. Das umgewandelte 18. männliche Beinpaar habe ich als Nebentelopoden unterschieden oder vordere und hintere, wenn auch das 17. eine Metamorphose erfahren hat. Obwohl schon aus morphologischen Gründen die Zangen nicht als Gonopoden be- zeichnet werden können, muss jetzt, nachdem ich gezeigt habe, dass sie überhaupt keine diesen Organen der Proterandria vergleichbare Rolle spielen, um so dringender die unterschiedliche Bezeichnung gefordert werden. Auch als „pattes copulatrices“ können die Zangen nicht mehr namhaft gemacht werden. Schließlich sei noch erwähnt, dass die Telopoden auch bei Gervaisia dieselbe Rolle spielen wie bei G@lomeris. Zwar konnte ich die Copula nicht so vollständig verfolgen wie bei der letzteren Gattung, dennoch zeigt das Verhalten der Männchen, welche auch bei Gervaisia mit weit vorgestreckter Zange die Weibchen auf- suchen, dass sich die Copula im wesentlichen ebenso abspielt. Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 175 Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. Von Prof. Dr. Methodi Popoft, z. Zt. im bulg. Militärspital Nr. 1 zu Skopje (Mazedonien). Die genaue Verfolgung der Lebensvorgänge der freilebenden Zellen hat uns besondere Zustände Jerselben aufgedeckt, bei welchen die physiologischen Verrichtungen der Zelle zu einer Störung, ja, zu einem fast völligen Stillstand kommen, um dann nach einer Zeit wieder ihren normalen Lauf aufzunehmen. Diese Zustände einer erschwerten Funktion — die Depressionszustände, wie sie Calkins treffend nannte —, sind bei Protozoen besonders gut wahrnehmbar (Maupas, Hertwig, Popoff u. a.) jedesmal vor Eintritt der Geschlechtsvorgänge. Diese letzteren pflegen eben während der Periode der „degenerescence senile“ (Maupas) der Zellen, der Periode einer physiologischen Depression (Hertwig) aufzutreten. Durch die einsetzenden Geschlechtsvorgänge oder andere Umregulierungsprozesse werden die depressionierten Zellen wieder aufgefrischt und lebensfähig gemacht. Ausgehend von diesen Feststellungen habe ich ın einer Reihe von Publikationen die Ansicht vertreten, dass der nämliche phy- siologische Zustand nicht nur für die freilebenden Zellen be- zeichnend ist, sondern dass auch die Geschlechtszellen der Meta- zoen einer physiologischen Depression unterworfen sind. Und in der Tat, wenn wir die Entwicklungsvorgänge der Geschlechts- zellen der Metazoen genauer durchsehen, so fällt uns sofort auf, dass nach einer Reihe von komplizierten Umänderungen, die Ge- schlechtszellen schließlich in einen besonderen physiologischen Zu- stand geraten, in welchem es zu einer Störung der Lebensvor- gänge der Geschlechtszellen kommt. Dieselbe wird schließlich so groß, dass die Geschlechtszellen, auch unter den möglichst gün- stigsten Lebensbedingungen gelassen, unbedingt dem Tode geweiht sind. Die Geschlechtszellen sterben ab, unter denselben Umände- rungen wie jede Körperzelle, die ihren Lebenslauf beendet hat: die Geschlechtszellen sterben an einer tiefen physiologischen De- pression. Eine nur scheinbare Ausnahme dieses Lebenslaufes der Ge- schlechtszellen machen die normal-parthenogenetischen Eier. Die- selben zeigen zwar während einer gänzen Reihe von Generationen eine große Lebenszähigkeit, indem sie immer wieder neuen Gene- rationen, ohne Hinzutreten umregulierender Prozesse, den Ursprung geben, doch treten schließlich’auch bei diesen Zellen Zustände ein, bei welchen sie nicht mehr spontan entwicklungsfähig sind. An dieser Phase ihrer Entwicklung angelangt, sterben, falls umregu- lierende Prozesse ausbleiben, auch die normal-parthenogenetischen Eier an einer tiefen physiologischen Depression ab. 176 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. Dieser Lebenslauf der Geschlechtszellen — seien es Protozoen- zellen, differenzierte Geschlechtszellen der Metazoen oder normal- parthenogenetische Eizellen — weist darauf hin, dass dieselben, genau wie die somatischen Zellen eines vielzelligen Organismus, Depressionszuständen unterworfen sind, welche ohne das Hinzutreten von Umregulierungsprozessen, mit der Degeneration und dem Tod aller dieser Zellen enden. Einer der Umregulierungsprozesse, welcher normalerweise bei den Geschlechtszellen auftritt — ıst die Befruchtung. Durch die- selbe gewinnt die sonst dem Tode geweihte Geschlechtszelle einen Entwicklungsimpuls und gibt, dank der in ihr liegenden Potenzen, einem neuen Organısmus den Ursprung. Wir kennen nun aber Fälle, wo die normalerweise befruch- tungsbedürftigen Eizellen auch ohne vorherige Befruchtung wieder entwicklungsfähig werden. Es sind dies die Erscheinungen der künstlichen Parthenogenese. Zahlreiche Beobachtungen und Experi- mente zeigen, dass es möglich ıst, die umregulierende physio- logische Wirkung der Befruchtung durch die Wirkung der ver- schiedenartigsten Agentien fast vollständig zu ersetzen und die sich in tiefer Depression befindenden Zellen wieder lebens- und ent- wicklungsfähig zu machen. Damit kommen wir zu der Kernfrage unserer weiteren Betrachtungen. Hier werde ich deshalb etwas weiter ausholen, wobei ich mich an die diesbezüglichen Ausführungen in meinen „Experimentellen Zellstudien IV“ eng anschließe. Im Jahre 18586 hat Tichomiroff unbefruchtete Bombyx-Eier kurze Zeit (2 Minuten) mit Salzsäure, Schwefelsäure oder rein mechanisch (mit Bürsten, Schütteln u. s. w.) behandelt. Die Eier fingen darauf an, sich zu teilen, um kleinen Embryonen den Ur- sprung zu geben. Ein Jahr später konnten O. und R. Hertwig die ersten Teilungsstadien der Strongylocentrotus-Eier durch Ein- wirkung von Chemikalien (Chloroform, 1887) und Strychnin (R. Hert- wig, 1896) auslösen. Diese Beobachtungen bildeten den Ausgangs- punkt für eine gründliche Erforschung derjenigen Agentien, welche imstande sind, die Entwicklung des unbefruchteten Eies anzu- regen. Es zeigte sich dabei, dass die allerverschiedensten Ein- wirkungen die künstliche Parthenogenese hervorrufen können, wie z. B. die Einwirkung von KCl, NaCl, MgCl,, MnCl,, CO,, NH,, von Tannin, verschiedenen Fettsäuren, von Spermaextrakten, Serum- einwirkungen, die Behandlung mit Xylol, Toluol, Äther u. s. w. Als sehr wirksame künstlich parthenogenetische Agentien haben sich außerdem die Änderung des osmotischen Druckes des um- gebenden Mediums, die Wasserentziehung und die verschiedensten mechanischen Einwirkungen erwiesen. Die Einwirkung einiger dieser Agentien, wie z. B. der hyper- tonischen Lösungen, der alkalischen Flüssigkeiten, der Wasserent- Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 77 ziehung u. s. w. auf das Eı ıst so günstig, dass dasselbe seine Ent- wicklung bis weit über das Larvenstadium hinaus fortsetzen kann. Ja, Delage ist es gelungen, junge Seeigel auf künstlich-partheno- genetischem Wege zu züchten. Über die Art und Weise der Einwirkung aller dieser Agentien auf das unbefruchtete Ei und über die Ursachen der künstlichen Parthenogenese gehen die Ansichten weit auseinander. Der erste Experimentator nach dieser Richtung — Ticho- miroff — ıst der Meinung, dass das Ei auf alle Reize, welcher Art sie auch sein mögen, nur durch eine spezifische Reaktion ant- worten kann — das ist die Segmentation. Für Bataillon, Mat- thews, wıe auch früher für Loeb und Delage u.a. ist die Wasser- entziehung des Eies durch die hypertonischen Lösungen oder durch das einfache Austrocknenlassen der Eier z. B. auf Fließpapier (Giard) das maßgebendste Momert für die künstlich-parthenogene- tische Entwicklung. Diese Forscher nehmen an (Matthews), dass bei der normalen Befruchtung ebenfalls die Wasserentziehung aus dem Protoplasma die Ursache für die einsetzende Segmentation des Eies ıst, da, wie bekannt, bei ıbrem Wachstum die männ- lichen und weiblichen Pronuklei durch Aufnahme von Flüssigkeit aus dem umgebenden Protoplasma sich vergrößern. Als Erklärungsursache für die künstliche Parthenogenesis wurden auch die Jonenwirkung der angewandten Reagentien auf das Ei (Loeb), die Einwirkung der Alkalität, die Umänderung der peri- pheren Eischicht durch die angewandten alkalischen, lipoidlösenden Reagentien, die Enzymwirkung des Spermienextraktes u. s. w. an- geführt. Aus dieser Fülle von Erklärungsversuchen stechen in letzter Zeit zwei, auf den ersten Blick scheinbar breit angelegte Theorien hervor, das sind die Theorien von Loeb und Delage. Bei seiner Erklärung geht Loeb von folgenden Betrachtungen aus. Die hypertonischen Lösungen entfalten, wie die Versuche zeigen, eine starke stimulierende Wirkung auf die Lebensprozesse der Eizelle —, sie sind ausgezeichnete parthenogenetische Agentien. Die durch die Segmentierung des künstlich befruchteten Bies ge- wonnenen Zellen würden aber auseinandergehen und ae wenn nicht andere Momente eingreifen. Das Zusammenbleiben der Segmentationszellen wird erreicht durch die Bildung einer Eimem- bran. Bei der künstlich angeregten Entwicklung kann die Bildung derselben durch die kurze Wirkung von lipoid- und fettlösenden Reagentien herbeigeführt werden. Bei diesem Prozess wird ein Teil der oberflächlichen Lipoid- und Fettschicht des Eies gelöst, der so entstandene Raum durch Exsudate vom Plasma eingenommen und auf diese Weise die für die befruchteten Echinideneier cha- rakteristische Dottermembran gebildet. Die gelösten Lipoidstoffe AXXVI. 12 118 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. werden ihrerseits für die bei der Zellteilung energisch einsetzenden Nukleinsynthesen ausgenützt. Von diesen Betrachtungen ausgehend ist Loeb in der Tat zu einer äußerst wirksamen Zusammenstellung von chemischen Agentien — Fettsäure und hypertonische Lösungen (MgÜl,) — gelangt, bei deren Anwendung fast 100% von den behandelten Eiern ın Ent- wicklung geraten und über das Larvenstadium hinauskommen. Ganz anders sind die Ausgangsbetrachtungen Delage’s, die ıhn bei der Ausarbeitung seiner ebenfalls sehr wirksamen Methode (Entwicklung der behandelten Eier zu etwa 100%) für die partheno- genetische Entwicklung geleitet haben. Die lebende Substanz, führt Delage aus, ıst ein Komplex von Albuminstoffen, die sich in kolloidaler Lösung ın einem elektrolytisch flüssigen Medium be- finden. Dieser kolloidale Komplex ist in einem instabilen Zustand, so dass die Sol- und Gelphasen nahe ihrem kritischen Punkte sind. Die Zellteilung ist charakterisiert durch Koagulierung (Übergehen ın Gelzustand, Bildung der Chromosomen, der mitotischen Figur u. s. w.) bezw. Auflösung (Auflösung der Kernmembran u. s. w.) einiger dieser Albumine. Es muss dann, Delage zufolge, möglich sein, die Teilung der Zelle anzuregen, wenn man auf eine in Still- stand geratene Zelle mit Chemikalien einwirkt, welche die für die Zellteilung charakteristischen kolloidalen Umwandlungen der Reihe nach wieder hervorrufen. Als Lösungsagens gebraucht Delage das Ammoniak und als Koagulierungsagens das Tannın. Durch die Einwirkung dieser Agentien werden die Umwandlungen der Kolloide von neuem ausgelöst und die Zelle fährt daher mit ihren unter- brochenen Teilungen fort. Alle hier erwähnten Theorien sind bestrebt, diejenigen Momente hervorzuheben, die nach der Ansicht ıhrer Autoren der normalen und der künstlich-parthenogenetischen Entwicklung gemeinsam sind. Als Grundlage dieser Theorien dient die heute allgemein eingebürgerte Auffassung über den physiologischen Zustand der Ge- schlechtszelle, nämlich, dass die Geschlechtszellen die lebensfähigsten Zellen ım Organısmus seien, trotzdem aber am Ende ihrer Ent- wicklung einem merkwürdigen, physiologischen Stillstand unter- worfen sind. Wie die Befruchtung und dıe darauffolgenden Um- änderungen der Eizelle einen nur für diese beschränkten Komplex von Erscheinungen bilden, so seien auch die Einwirkungen der oben erwähnten Agentien der künstlichen Parthenogenese ein (Gegenstück zu den normalen Befruchtungsvorgängen der Eizelle und als solche nur für die Geschlechtszellen gültige, spezifische Er- scheinungen. Sehen wir ob solch eine Betrachtungsweise zutreffend sein kann und ob sie in Einklang zu bringen ist mit unseren Erfahrungen über allgemeingültige, physiologische Zustände der Zelle. Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 179 Wie ich schon am Anfange dieses Aufsatzes angedeutet und in früheren Arbeiten ausführlicher dargetan habe, kommt jede Zelle im Laufe der Generationen in einen besonderen physiologischen Zustand, in dem die Lebensfunktionen allmählich abnehmen. Diese Abnahme führt nach und nach zu einer allmählichen Sistierung der Lebenserscheinungen, und schließlich, aus rein inneren Ursachen, zum Tode der Endgeneration der betreffenden Zellgenerationsfolge. Wie jede Zelle, so entgehen auch die Geschlechtszellen diesen funktionellen Störungen nicht. Die Geschlechtszellen haben aber, infolge von Bedingungen, auf die ich in früheren Arbeiten hinge- wiesen habe, noch die Möglichkeit, durch eine gründliche Reor- ganisation sich zu verjüngen und wieder wachstums- und teilungs- fähig zu werden. Dieser Umregulierungsprozess wird durch die Befruchtung herbeigeführt. Wie ıst dann die Einwirkung der Agentien zu beurteilen, welche die künstliche Parthenogenese hervorzurufen imstande ist? — Wie schon gesagt, befinden sich nach der hier entwickelten Auf- fassung die reifen Geschlechtszellen in einem Depressionszustand ihrer Lebensfunktionen. Durch die Einwirkung aller oben erwähnten Agentien werden die Geschlechtszellen verjüngt, sie werden einer phy- siologischen Umregulierung unterworfen und auf diese Weise zur Aus- übung ihrer Lebensfunktionen wieder fähig gemacht. Die künstliche Parthenogenese ist insofern dem Befruchtungsvorgang vergleichbar, als derselbe ein Zellverjüngungsvorgang ist. Die künstliche Par- thenogenese muss aber, dem oben Gesagten zufolge, auch eine allge- meine zellphysiologische Erscheinung sein, die ins Bereich der Ver- Jüngungserscheinungen der Zelle fällt und als solche von großer Bedeutung für unsere zellphysiologischen Auffassungen überhaupt ist. Ein Unterschied wird zwar in der weiteren Entwicklung der verjüngten Geschlechts- und Somazellen hervortreten. Die geweb- lich undifferenzierte Geschlechtszelle, welche mit allen Potenzen eines Organismus ausgerüstet ist, wird als Endresultat ihrer Tei- lungen notwendigerweise zur Bildung eines neuen Organismus führen, während jede Gewebszelle bei ihren Teilungsprozessen, bei der Regeneration z. B., nur zur Bildung einer besonderen streng differenzierten Gewebsart Anlass gibt. Von diesen theoretischen Auffassungen ausgehend habe ich eine Reihe von Versuchen zu deren Begründung und weiterer Aus- führung unternommen, über die ich hier berichten will. Dabei werde ich, um Wiederholungen zu vermeiden, viele von den in meinen früheren Arbeiten („Experimentelle Zellstudien IV“, Arch. f. Zellforschung 1915, D. Mediz. Wochenschrift, 1915, Nr. 42) er- wähnten Beobachtungen hier unberücksichtigt lassen. I. Aus zahlreichen Arbeiten über die künstliche Parthenogenese ist zu entnehmen, dass die hypertonischen Lösungen von NaCl, 12 180 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. MgCl,, KCl, MnÜl, ete. eine sehr günstige regulierende und stimu- lierende Wirkung auf die Geschlechtszellen haben. Dieselben Versuche zeigten ferner, dass neben der hypertonischen Beschaffenheit auch die chemische Zusammensetzung der hypertonischen Lösung einen Einfluss auf den Erfolg der künstlich-parthenogenetischen Behand- lung hat, — denn nicht alle hypertonischen Lösungen sind gleich wirksam. Die günstige stimulierende Wirkung mancher derselben wie diejenige von NaCl, MgÜl, auf die reifen Eizellen sticht be- sonders ab. Die Entwicklung der damit behandelten Eier erreicht fast 100%. Nach der hier vertretenen Auffassung aber müssen dieselben hypertonischen Lösungen allgemeine und keine spezifische, auf die Geschlechtszellen allein, beschränkte Zellstimulantien sein. Um dies zu prüfen habe ich die folgenden Experimente angestellt. Als sehr günstiges erstes Versuchsobjekt boten sich mir die in Winterruhe befindlichen Pflanzen dar. Wenn es gelingen sollte, die im physio- logischen Stillstand sich befindenden pflanzlichen Zellen aus ihrer Erstarrung herauszureißen und sie zur verfrühten Entwicklung zu bringen, so wäre der Beweis für die zellstimulierende Wirkung der oben genannten hypertonischen Lösungen erbracht. Als Versuchs- objekt diente mir der überwinternde Strauch Syringa vulgaris (Flieder), welche Pflanze, wie aus früheren Versuchen bekannt, leichter als andere zu beeinflussen ist. Am 18. Januar 1916 habe ich aus ein und demselben Strauch und aus ein und demselben Ast drei vorjährige Sprösslinge mit noch ganz geschlossenen Winterknospen genommen und injizierte bei dem einen, dicht unter jede der zwei Endknospen eine hyper- tonische Lösung (ca. !/, ccm) von MgÜl, (40°/,,)., Den anderen Sprössling injizierte ich auf dieselbe Weise und an derselben Stelle mit einer hypertonischen Lösung (40°/,,) von Na0l (20 %/,,)+ MgÜl, (20°%/,,). Ein dritter Sprössling blieb unbehandelt und diente als Kontrolle. Alle drei Sprosse kamen in ein gemeinsames Glas mit Brunnenwasser und blieben bei Zimmertemperatur (die Temperatur schwankte zwischen 20°C. bei Tag und 10°C. ın der Nacht) stehen. Nach 7 Tagen merkte man schon einen deutlichen Unterschied im Verhalten der Kontrolle gegenüber den Versuchszweigen. Die Kontrolle blieb fast unverändert, während die injizierten Zweige angeschwollen waren und auseinanderspreitzende Deckschuppen zeigten. Am 7. Tag wurden die Injektionen in derselben Weise nochmals wiederholt. Mıt jedem weiteren Tag nun wurde der Unterschied zwischen der Kontrolle und den Versuchszweigen immer größer. Die Versuchszweige gingen, und zwar alle beide fast gleich- zeitig, schon am 9. Tage ganz auf und es zeigte sich die Blumen- knospenanlage. Am 14. Tage, wie die beigegebene Zeichnung zeigt, waren die Versuchszweige schon sehr weit entwickelt (Fig. la, b), Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 181 während die Kontrolle (Fig. 1c) zwar in die Länge gewachsene, aber noch nicht aufgegangene Knospen zeigte. Dieser Versuch zeigt, wie stark stimulierend die Injektion von hypertonischen, künstliche Parthenogenesis hervorrufenden Lösungen auch auf die in funktioneller Ruhe sich befindenden somatischen Zellen, in diesem Fall pflanzliche Zellen, wirken kann. Die Versuche nach dieser Richtung werden weiter fortgeführt und ausgedehnt. a — Injektionen mit MgOl,; b— Injektionen mit M&Cl, — NaCl; ce — Kontrolle. a — Injektionsstellen. Als Gegenstück und als Unterstützung der Resultate der eben erwähnten Experimente dienen noch die Versuche Weber’s, Jesenko’s u. a, bei welchen ruhende Knospen ebenfalls zum frühen Austreiben angeregt werden, durch Injektionen von schwachen Lösungen von verschiedenen Salzen (Na-, Mg-Salzen). Diese ausgeprägte stimulierende Wirkung der hypertonischen MgOl,- und NaÜl-Lösungen ließ es wünschenswert erscheinen, deren Wirkung auch bei der Wundregeneration zu prüfen. Sollten, wie ich annehme, die künstlich-parthenogenetischen Mittel nicht spezifische, nur auf die Geschlechtszellen beschränkte, sondern allge- meine Zellexeitantien sein, so muss sich deren Wirkung auch in einer schnelleren Wundregeneration äußern. Die nach dieser Rich- tung vorgenommenen Experimente gaben sehr befriedigende Resultate. 182 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. a) Ich habe große 10—25 cm lange und 5--10 cm breite ober- flächliche oder tiefe Muskelwunden mit hypertonischer NaUl-(30°/,,) Lösung behandeln lassen. Die tiefen Wunden wurden mit Koch- salzlösung gut ausgewaschen oder dort, wo es möglich war, die Wunde in hypertonischer Lösung gebadet (20 Min. bis !/, Stunde). Es zeigte sich, dass Wunden, die in atonischem Zustand waren und nicht granulieren wollten, bald eine rötliche Farbe annahmen; das Granulationsgewebe vermehrte sich und die Wundheilung wurde beschleunigt. Nur einige Beispiele. 1. Eine 5 cm im Diameter große, runde Fersenwunde blieb nach einigen Fortschritten stehen. Das Muskelgewebe war atonisch, von bleichem Aussehen und wollte nicht mehr granulieren und epitheli- sieren. In diesem stationären Zustand blieb die Wunde 6 Wochen. Am 28. Januar wurde hypertonische NaÜl-Lösung mit 0,5% Bei- mengung von KCl und CaCl? angewandt. Die Wunde rötete sich bald darauf und fing zu granulieren an. Am 10. Februar war sie vollständig geschlossen und mit Epithel überdeckt. 2. Patient mit Fractura humeri (Gewehrgeschoss); operiert zum zweiten Male am 10. Januar: Kommunizierende Wunden an der inneren und äußeren Seite oberhalb des Ellbogens. Behandlung mit hypertonischer NaÜl-Lösung (10. Januar). Am 25.1. die Kom- munikation verschlossen. Die äußere Wunde gefüllt, aber es bleibt noch eine ca. 10 cm lange und 4 cm breite, nicht epithelisierte Stelle. Die innere Wunde von 4 cm Durchmesser leitet noch ın einen ca. 8 cm tiefen Kanal, aus dem die Wunde eitert. Hyper- tonische Kochsalzbäder. Am 2. Il. auch diese Wunde sehr gut, ohrie Eiter geheilt. Am 14. Februar die beiden Wunden geschlossen und epithelisiert. b) Wunden, die mit MgCl, und NaCl (ää& 15 °/,,) behandelt waren, zeigten ebenfalls eine rasch einsetzende Granulation und Epi- thelisation. 1. Patient mit Kugelwunde ım Fußgelenk mit Perforation der Tıbiıa und Fibula.. Am 26. I. die Wunde vorne weit aufgerissen, 10 cm lang und Scm breit in Kommunikation mit einer ebenso großen Wunde am inneren Fußknöchel. Beide Wunden in Eite- rung. Waschungen mit Wasserstoffsuperoxyd und dann sehr nasse Kompressen eine halbe Stunde lang von MeCl,- und NaÜl-Lö- sung. Am 6. II. die Kommunikation unterbrochen; die Wunden ohne Eiter, in starker Granulation; fast oberflächlich geworden. Am 12. II. die Wunden beinahe geschlossen: es bleibt nur je ein schmaler, länglicher, noch nicht epithelisierter Streifen. Am 20.11. die Wunden geheilt. 2. Patient mit Fractura femuris sinistri (November). Zweite Operation wegen schlechter Verwachsung am 10. ].; vorne am Schenkel 10 cm lange und 10 em tiefe Wunde; hinten am Schenkel Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 153 eine zweite weit aufgerissene 20 cm lange, 6 cm breite und S cm tiefe Wunde. Alle beide eiternd. In den ersten Tagen (26. I.) nach der Behandlung mit MgCl, und NaCl die Eiterung stärker, gemischt mit Blut. Am 2. II. eitert die hintere Wunde nicht mehr; starke Granulation. Aus der vorderen Wunde kommt noch Eiter, aber gemischt mit Blut. Von Zeit zu Zeit Auswaschungen mit H,O, und dann wieder mit MgCl,- und NaÜl-Lösung; die Wunde granu- liert. Am 8. II. die hintere Wunde in sehr gutem Zustand: 4 cm lang, 2 cm breit und 3 cm tief. Am 20. II. die hintere Wunde geschlossen; an der vorderen bleibt noch eine kleine Öffnung, welche in einen 5 cm tiefen Kanal führt. c) Ebenso günstigen Einfluss auf die Wundregeneration zeigte auch die Anwendung von der reinen MgÜl,-Lösung (30°/,,). Hier möchte ich drei besonders eklatante Fälle als Beispiel erwähnen. 1. Ein Soldat, der mit einem zerschmetterten Handgelenk ins Spital kam (November), hat nach einer überstandenen Operation (Entfernung von Knochensplittern) zwei Monate lang nicht genesen können; die Wunde eiterte und wollte sich nicht schließen. Es wurde eine neue Operation (20. I.) vorgenommen und noch einige Knochensplitter entfernt. Gleich darauf wurde die Wunde nur mit hypertonischer MgÜl,-Lösung behandelt. Anfangs jeden Tag und später einen Tag über den anderen hatte die Wunde 20 Minuten lang eine triefende, nasse MgÜl,-Kompresse erhalten und wurde dann trocken, wie bei der Behandlung mit NaCl, oder mit MgÜCl, und NaCl, mit aseptischer Gaze verbunden. Die Wunde reinigte sich bald darauf und nach 20 Tagen waren die anfangs 4 cm tiefen Wunden ganz regeneriert und mit Epithel bedeckt. 2. Einem 18 Jahre alten serbischen Gefangenen hatte ein Kugel- schuss dıe zwei mittleren Finger der rechten Hand weggerissen und die Handfläche an beiden Seiten weit aufgerissen. Nach der operativen Reinigung der Wunde (26. 1.) wurde dieselbe von An- fang an mit hypertonischer MgCl,-Lösung auf die schon beschriebene Weise behandelt. Nach 3 Wochen war die Wunde vollständig geheilt. Die schnelle Granulation und Epithelisierung der Wunde war sehr auffallend. 3. Ein 16 Jahre alter Serbe mit großer Frostbeule am rechten Fuß. Bei der Operation drei Zehen amputiert und das gangränöse Fleisch bis zur Mitte des Fußes gereinigt, so dass die vordere Hälfte des Fußes eine große, offene Wunde darstellte. Von Anfang an die Wunde bei Ausschluss von irgendwelchen Antiseptica nur mit MgÜCl,-Lösung behandelt. Am 6. II. die Wunde in starker Granulation, ohne Eiter. Am 26. II. ist von der Wunde nur noch die Ansatzstelle der ersten drei Zehen offen, die nicht epıi- thelisiert ist. 184 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. Bei der bekannten Langsamkeit der Abheilung von Erfrierungen ist das mit MgC], erzielte Resultat besonders bemerkenswert. Bei allen diesen, wie auch bei den anderen noch unten zu er- wähnenden Fällen wurde fast gar kein antiseptisches, gewebetötendes Mittel angewandt. Nur die stark eiternden Wunden wurden zuerst mit H,O, ausgewaschen (die außerordentlich günstige Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds ist in den letzten Jahren von Prof. Walther [Gießen] mit Nachdruck hervorgehoben und durch einleuchtende Versuche bekräftigt. Münch. Med. Woch. 1914) und gleich darauf mit der betreffenden hypertonischen Lösung behandelt. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass in einigen Fällen die MgÜl,-Behandlung allein nicht die erwünschten Resultate gab. Die Granulation der Wunden ging zwar gut vor sich, aber nicht in dem erwünschten Tempo. Worauf dieses abweichende Verhalten beruht, werden die noch ım Gang befindlichen Experimente zeigen. Die günstige Wirkung der MgÜl,-Lösung ist besonders bei reinen Wunden, die granulieren dürfen und sich schließen dürfen, auf- fallend. Alle diese Versuche sprechen zugunsten der vertretenen Auf- fassung von der allgemeinen zellstimulierenden Wirkung der hyper- tonischen, künstliche Parthenogenesis bedingenden Agentien. II. Als eine wichtige Stütze der hier vertretenen Auffassung von der Übereinstimmung der Erscheinungen der künstlichen Par- thenogenese und der bis jetzt bekannten Erscheinungen der Zell- stimulierung dienen weiter die Ätherisationsversuche bei Pflanzen. Molisch, Johansen, Weber u. a. haben gefunden, dass man die ruhenden Knospen zu frühem Austreiben anregen kann, wenn man sie auf kurze Zeit mit Ätherdämpfen behandelt. Jedesmal bleiben dıe Kontrollen im Vergleich zu den Versuchsknospen ın der Entwicklung zurück. Die Wirkung des Äthers als Stimulans bei der Pflanzenentwicklung ist so gut, dass man sie ın der Gärtner- kunst mit Erfolg anwendet. Äther ist aber auch ein künstlich- parthenogenetisches Mittel (Matthews, 1900), also nach dem bisher (esagten ein allgemein zellstimulierendes Mittel. Es lag deshalb nahe, seine Wirkung auch auf die Wundregeneration zu erproben. Und in der Tat, die nach dieser Richtung: vorgenommenen Versuche zeitigten, wie ich gleich vorwegnehmen will, überraschend günstige Resultate. Da die Anwendung des reinen Äthers oder der Äther- dämpfe bei den Wunden, wie sich herausstellte, unbequem und nicht angebracht ist, habe ich 1 Teil Äther in Gemisch mit 3 Teilen Oleum Olivarum steril angewendet. Die Oleum-Äther-Mischung wurde, je nachdem, direkt auf die Wunde gebracht oder auf die Wunde eine mit der Mischung gut getränkte Mullgaze gelegt. Der Verband geschah täglich oder einen Tag über den anderen. Die von mir nach dieser Methode behandelten Wunden waren meisten- = m > Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 185 teils Erfrierungen, d. h. gerade solche Wunden, die sehr langsam granulieren und schwer heilen. Nach Beginn der Ätherbehandlung merkte man, schon nach dem 2. bis 3. Verband, wie die Wunde sich rötete; es bildete sich bald ein gut aussehendes Granulationsgewebe, um bald darauf auch die angrenzende Epithelschicht zu beleben. In kurzer Zeit, schon nach 2—3 Wochen, schlossen sich manchmal große Wunden, die lange Zeit vorher, wochen-, ja monatelang keinen Fortschritt ge- macht hatten. Die vielen nach dieser Methode behandelten Wunden (ca. 30) lassen keinen Zweifel über die günstige zellstimulierende Wirkung des Äthers. Ja, die mit Oleum-Äther erzielten Resultate sind die auffallendsten, die ich in meiner Versuchsserie aufzuweisen habe. Hier einige Beispiele. 1. Patient mit komplizierter Fractura femoris sinistri, welche eine Amputation in der Mitte des Femurs notwendig machte (28. XI. 1915). Die Wunde ist anfangs mit Auswaschungen von H,O, behandelt worden, mit nachträglicher trockener Bandagierung. Am 22. I. war die Wunde seit einigen Wochen stationär: eine 10 cm lange und 5 cm breite Wundstelle wollte sich nicht weiter schließen. Am 22. I. 1916 Oleum-Äther angewandt. Am 26. 1. die Wunde schon in Granulation und von frischem Aussehen. Am 2. II. blieb eine nur noch 3 cm lange und 1 cm breite, nicht epi- thelisierte offene Stelle. Am 10. II. war die Wunde geschlossen und mit Epithel bedeckt. 2. Serbischer Gefangener (im Spital Mitte Dezember 1915 auf- genommen), mit Erfrierungen an beiden Füßen unter den Zehen. Die Heilung ist langsam vor sich gegangen (Behandlung mit H,O, und trockener Bandagierung mit Jodoformpulver). Vom 24.1]. an Oleum-Äther-Bandagierung. Am 8. II. die Wunden geheilt. 3. Eine Laparotomiewunde vom 26. X. 1915. Die Abheilung gut vor sich gegangen bis auf einen Streifen auf dem Musculus rectus abdominis, von Sem Länge und 3cm Breite, der 3 Wochen stationär bleibt und nicht epithelisier. Am 22.1. Behandlung mit Oleum-Äther. Am 2. II. die Wunde geschlossen. Die folgenden, mit genauen Messungen versehenen Angaben geben eine bessere Übersicht über die Schnelligkeit der Regeneration. 4. Serbischer Gefangener, Ende Dezember 1915 mit Erfrierungen an beiden Füßen in das Spital aufgenommen. An der rechten Ferse am 15. II. — dem Tag des Beginns der Oleum-Äther-Behandlung — noch eine eiternde Wunde 8 cm lang und 4,5 cm breit. Am 21.11. — die Wunde 7 cm lang und 4 em breit; am 25. II. — die Länge 5,5 cm bei einer Breite von 2,5em; am 28. II. — die Wunde 5 cm lang und 2 cm breit (der Versuch noch nicht abgeschlossen). — Am linken Fuß alle Zehen abgefallen. Am 15. II. an der An- satzstelle der Zehen eine 12 cm lange und 5,5 cm breite offene 186 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. Wunde. Am 21. II. die Wunde 10 cm lang und 4 cm breit; am 25. IH. hat die Wunde eine Länge von 9 cm und eine Breite von 3 cm; am 28. II. die Wunde S cm lang und 2,5 cm breit. An der rechten Ferse eine andere am 15. II. 7 cm lange und 5 cm breite gleiche Congelationswunde. Am 21. II. — die Wunde 6 cm lang und 3 cm breit; am 25. II. ıst die Wundlänge auf 5 em und die Wundbhreite auf 2 cm zurückgegangen; am 28. II. — die Wunde nur noch 2,5 cm lang und 1,2 cm breit. Alle diese Versuche zeigen, wie berechtigt die hier vertretene Auffassung ist, nach welcher die Mittel, welche künstliche Par- thenogenese hervorrufen, als allgemeine Zellstimulantien zu be- trachten sind. Il. Es ist eine interessante Beobachtung von Tiıchomiroff gewesen, dass man Seidenspinnereier zur weiteren Entwicklung an- regen kann, wenn man sie durch Bürsten, Streichen, Schütteln u. dgl. mechanisch reizt. Durch Schütteln allein ist es auch Mat- thews (1901) gelungen, Asteriaseier zur Entwicklung bis zum Bipinnariastadium anzuregen. Die mechanischen Reize wären folg- lich auch als spezifische Mittel für künstliche Parthenogenesis zu betrachten. Dies trifft aber, meiner Meinung nach, nicht zu. Auch die mechanischen Einwirkungen sind allgemeine, zellstimulierende Mittel. Es ist ja eine tägliche Beobachtung, dass Callositäten (Hühneraugen, Fingerschwielen bei Schreibern etc.) dort entstehen, wo die Zellen öfters mechanisch gereizt werden: durch den mecha- nischen Reiz fangen die Zellen an sich zu teilen und geben Anlass zu epithelialen oder dermalen Wucherungen. Die Wirkung der mechanischen Reize als zellstimulierende Mittel steht in diesen Fällen außer jedem Zweifel. Dieser zellstimulierenden Wirkung der mechanischen Reize ist, meiner Meinung nach, auch die günstige Wirkung der allgemeinen oder partiellen Massage zuzuschreiben. Durch die mechanischen Einwirkungen werden die Zellen in ihren Lebensfunktionen begünstigt und zu energischeren Teilungen ange- regt. Das Primäre bei der Massage ist deshalb die Zellstimulierung und erst an zweiter Stelle kommt die, jetzt fast allein hervorge- hobene Einwirkung auf die Blutzirkulation und folglich auf die Ernährung der betreffenden Körperstelle in Betracht. Denn die beste Blutzirkulation würde ohne Nutzen bleiben, wenn die Zellen funktionsträge sind. Erst die, durch die mechanische Reizung neu- belebten Zellen, können auch die ausgiebigere Nahrungsversorgung ausnützen. Sollten diese Auslegungen das Richtige treffen, so würde man bei dazu geeigneten Wunden die Regeneration, besonders des Epithels, beschleunigen, wenn man eine vorsichtige örtliche Massage, ganz ın der Nähe des Wundrandes, anwendete. Die nach dieser Richtung gemachten Erfahrungen sınd sehr zufriedenstellend: die massierten Wunden zeigten eine energischere Regeneration. Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 1S7 Sehr günstig auf die Regeneration wirkt auch das kräftigere Ab- reiben der Wundfläche mit trockener Gaze. Dies geschieht ja, und zwar meistens unabsichtlich, bei der Reinigung der oberfläch- lichen Wunden. Die Wirkung des mechanischen Moments für die schnellere Wundregeneration ist dabei nıcht außer acht zu lassen. Auffallend ist ferner die Beobachtung, dass sehr streng ımmo- bilisierte Arm- oder Beinfrakturen schwerer verheilen und die Knochenenden langsamer miteinander verschmelzen, als wenn man den Knochenbruchstellen, durch das leichte Spiel der ansetzen- den Muskeln kleinere, kaum merkliche Bewegungen und Reibungen gestattet. Durch die dadurch hervorgerufene mechanische Reizung der Osteoblasten werden dieselben in ihrer Teilung angeregt und es tritt eine raschere Bildung des Knochengewebes ein. Diese Bil- dung kann manchmal so stark hypertrophisch werden, dass sich an der Knochenverheilungsstelle eine unförmliche Verdickung bildet. Als Stütze für die Auffassung, dass mechanische Reize eine stimulierende Wirkung auf die Zellfunktion ausüben, möchte ich noch das folgende empirische Verfahren erwähnen, welches in der Chirurgie bei den Hauttransplantationen angewandt wird. Die Wunde, auf die das Hautgewebe transplantiert werden soll, wird zuerst küretiert und dann eine Zeitlang mit einem sterilen Gaze- lappen gerieben. Nach solch einer Behandlung gelingt auch die Transplantation leichter. Die Rechtfertigung dieses Verfahrens ist nach dem Vorhergesagten in der zellstimulierenden Wirkung der mechanischen Reize zu suchen: Die Zellen, welche die Basıs für das Transplantationsstück bilden, werden dadurch gereizt, es kommt zu einer energischeren Teilung derselben und folglich zu einer viel schnelleren Verschmelzung mit dem aufgelagerten Gewebestück. IV. In den Jahren 1900—1910 hat Bataillon durch viele geist- reich angelegte Experimente an Echinus-, Fisch- und Froscheiern nachzuweisen gesucht, dass einer der wichtigsten Momente bei der Hervorrufung der künstlichen Parthenogenese die Entwässerung des Eiplasmas ist. Durch diesen Prozess, sagt Bataillon, wird eine vollständige Umwälzung im Plasma hervorgerufen und die ın Stillstand geratenen Lebensprozesse wieder in Gang gebracht. So konnte Bataillon durch Einwirkung von hypertonischen Lösungen (von NaCl, Traubenzucker, Tierserum u. dgl.) auf das Eı Wasser- entziehung hervorrufen und dadurch die Segmentation auslösen. Seine Auffassung über die Bedeutung der Plasmaentwässerung für die Hervorrufung der künstlichen Parthenogenese hat Bataillon (1910) noch durch folgenden Versuch zu stützen gesucht. Er durch- stach mit sehr feinen Metallnadeln Eier von Rana und erhielt durch diese einfache Einwirkung die Erscheinungen der künstlichen Parthenogenese. Dasselbe plasmaentwässernde Moment würde nach Bataillon, wie schon erwähnt, auch bei der normalen Befruch - 185 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien, tung eine Rolle spielen, durch die entwässernde Wirkung näm- lich, welche die männlichen und weiblichen Pronuklei bei ihrem Wachstum auf das Protoplasma ausüben. Ob diese Auffassung des treibenden Momentes der künstlichen Parthenogenese und der Befruchtung das richtige trifft, sei dahin- gestellt. Wichtig für uns ist, dass durch die erwähnten Einwir- kungen die Eizelle wieder funktionsfähig wird und sich zu segmen- tieren anfängt. In meiner Arbeit „Experimentelle Zellstudien IV“ (1915) habe ich nun zu beweisen gesucht, dass die oben genannten künstlich- parthenogenetischen Mittel, nicht spezifische, sondern allgemeine Zellstimulantien sind. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich versucht, die physiologische Bedeutung der bei den einzelligen Orga- nismen so verbreiteten Erscheinung der Enzystierung zu erklären. Die Enzystierung ist dieser Auffassung gemäß als ein Zellver- jüngungsprozess anzusehen, und zwar vermöge der plasmaentwäs- sernden Wirkung, welche bei der Öystenbildung stattfindet. Näheres darüber ist in meinen Zellstudien zu finden. Eine sehr große Stütze erhält die hier vertretene Betrachtungs- weise der Erscheinungen der künstlichen Parthenogenese durch die stimulierende Wirkung, welche die teilweise Plasmaentwässerung auf die Wundregeneration hat. Es häufen sich in diesem Kriege immer mehr die Berichte (Dorquet — trockene Wundbehandlung [1915]; Walther — Heißlufttherapie bei der Wundbehandlung, wie auch in der Gynäkologie [1915]; früher Bier, Paolo u. a.) über die günstigen Resultate, welche man bei der trockenen Wund- behandlung erzielt. Die aseptisch trocken gelegten und der Luft ausgesetzten Wunden granulieren rascher und schließen sich schneller als diejenigen, welche mit den leider noch so viel angewandten Auswaschungen und Kompressen mit starken Antiseptica behandelt werden. Der große Unterschied zwischen diesen zwei Behandlungs- weisen trat besonders deutlich hervor bei der Wundabheilung in unserem Spital. In einem von den Sälen wurden die Wunden mit starken Antiseptica: Jodpinselung, Lysoformwaschungen, Jodoform- bestreuung, Cyanure-Gaze, Argentum nitrieum, Karbolsäure u. s. w. behandelt. In einem anderen Saal wurden dagegen, auch oft sehr komplizierte Frakturwunden, einfach trocken und aseptisch ver- bunden. Nur bei stark eiternden Wunden wurden von Zeit zu Zeit Auswaschungen mit Wasserstoffsuperoxyd vorgenommen, dann die Wunde wieder trocken gelegt und aseptisch verbunden. Auch die Drainagegazestücke wurden in die Wundgänge trocken gelegt. Bei günstigem Wetter wurden außerdem manche dazu geeignete Wunden der freien Luft im Spitalhof (das Spital liegt weit außer- halb der Stadt) ausgesetzt. Die Wundverunreinigung wurde in diesen Fällen durch ein feines, auf die Wunde gelegtes Gaze- Eee % Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. 189 tuch, verhindert. Es zeigte sich nun, dass bei dieser, keineswegs neuen Wundbehandlungsweise, die Wunden sehr rasch und gesund granulierten und schnell epithelisierten. Ja, die meisten Wunden ın dem „Saal der trockenen Behandlung“ waren schon weit in der Abheilung begriffen, während die mit den verschiedensten Antiseptica behandelten Wunden sehr langsame Fortschritte machten und sehr weit zurück waren: durch die starken, nicht nur die Bakterien, sondern auch das Gewebe tötenden Antiseptica werden eben die Wunden an ihrer normalen, natürlichen Heilung verhindert. Es ist hier nicht der Platz, sich über diese speziellen Fragen zu ver- breiten; dies werde ich in einem anderen Zusammhang später tun, betonen möchte ich nur, weıl dieses uns hier besonders interessiert, dass bei der trockenen Wundbehandlung und wie es anzunehmen ist, infolge der Zellplasmaentwässerung des Regenerationsgewebes, dasselbe stimuliert wird; die Wunde granuliert und schließt sich deshalb schneller. Auf diese Weise möchte ich mir auch die günstigen Resultate, welche bei der Bestäubung der Wunden mit indifferenten Pulvern zu erzielen sind, erklären. So z. B. wurden einige oberflächliche und reine Wunden mit Amylumpulver bestäubt und trocken ver- bunden. Die Abheilung auch dieser Wunden ging rasch und normal vor sich. Ein Gegenstück zu dieser somatischen Zellstimulierung haben wir, meines Erachtens nach, in dem kühnen Experiment von Gıiard (1904), welchem es glückte, Echinus-Eier zur weiteren Ent- wicklung anzuregen durch das einfache, teilweise Abtrocknen der- selben zwischen zwei Blättern Fließpapıer. V. Nur aus theoretischem Interesse habe ich auch einige Ver- suche im Gang über dıe Wirkung des Spermienextraktes auf die Wundregeneration. Denn es ist durch die Experimente Winkler’s (1900) bekannt, dass man Seeigeleier zur Segmentierung anregen kann, wenn man sie mit Spermienextrakt allein behandelt; für die physiologische Stimulierung der Eizellensegmentation ıst das Ein- dringen des Spermiums nich unbedingt ma Wie ich schon an einer anderen Stelle (Deutsche Mediz. onen 1915, Nr. 42) ausgeführt habe, war aber eine stimulierende Wirkung des Spermien- extraktes — des Spermins — schon lange vorher und zwar auf die somatischen Zellen bekannt. Ausgehend von der Beobachtung, dass das normale Infunktiontreten der Geschlechtsdrüsen mit einem Auf- blühen des Organismus Hand in Hand geht, um beı der völligen Sistierung der Funktion derselben einem allmählichen Abfall auch der anderen Körperfunktionen, Platz zu machen, hat Brown-Se- quard für diese auffallenden Erscheinungen die innere Sekretion der Geschlechtsdrüsen verantwortlich gemacht. Daher rührt auch das Bestreben, den allgemeinen Körperzustand kachektischer oder alternder Individuen durch Injektion von Spermienextrakten zu 190 Popoff, Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. heben. Die stimulierende Wirkung dieser Injektionen sowohl auf die Funktion des Nervensystems wie auch auf die Körperfunktionen überhaupt, ist nicht abzuleugnen. Nun wird es in diesem Zu- sammenhang klar, wie wichtig theoretisch es sein würde, wenn eine stimulierende Wirkung desselben Extraktes auch bei der Wund- regeneration beobachtet werden könnte. Näheres über den Aus- gang dieser Experimente werde ıch später bei einer anderen Ge- legenheit berichten. VI. Da nun die die künstliche Parthenogenesis hervorrufenden Mittel, wie es aus dem Vorhergesagten hervorgeht, belebend und stimulierend auch auf die somatischen Zellen wirken, so ist anzu- nehmen, dass ıhr günstiger Einfluss sich auch bei der Hebung des allgemeinen Körperzustandes kachektischer oder kranker Individuen äußern wird. Dieses Resultat könnte erzielt werden durch sub- kutane oder intravenöse Einspritzungen von hypertonischen NaCl-, oder aber, wie zu erwarten ist, noch besser von NaCl- und MgQ],- Lösungen, da diese letztere chemische Substanz zu den besten Mitteln für künstliche Parthenogenesis gehört). Versuche nach dieser Richtung, und zwar mit günstigen Re- sultaten, sınd schon, wenn auch von anderen Gesichtspunkten aus, gemacht worden. So hat man Meerwasserinjektionen (Na-, Mg- und andere Salze) bei kränklichen Individuen mit Erfolg angewandt. Die therapeutische Anwendung von hypertonischen Salzinjektionen geriet dann in Vergessenheit, um durch dıe Anregung Gärtner’s und Neumann’s von neuem aufgenommen zu werden. Sehr günstige Einwirkungen sınd damit bei der Behandlung von Cholera asjatica (Neumann, Galambos u.a.) erzielt worden. Nach diesen Autoren haben die hypertonischen Injektionen den Zweck, auf die profusen Durchfälle einzuwirken: durch die Hebung der Hyper- tonızıtät des Blutes wird der Abfluss der Körpersäfte nach außen (in den Darmtraktus) verhindert und sogar eine entgegengesetzte Strömung, nach dem Blutsystem zu, verursacht. Es ist sehr wahr- scheinlich, dass solch ein rein physikalischer Prozess durch die hypertonische Lösung im Körper hervorgerufen wird. Die günstige, belebende Wirkung dieser Injektionen möchte ich aber der hohen, zellstimulierenden Wirkung der Na- und Mg-Salze zuschreiben. Ein Beispiel (Fall von Dr. Mollow). Anfang Januar kam ins Krankenhaus ein bulgarıscher Soldat mit einer profusen Diarrhöe. Der Kranke war sehr herunter und geschwächt und hatte voll- kommen den Habitus eines schwer Cholera-Kranken. Die bakterio- logische Untersuchung ergab Dysenterie Shiga. Nach einigen miss- glückten Versuchen die Durchfälle zu sistieren, wurde zwei Tage 1) Das Einspritzen sogar von reinen MgCl, hypertonischen Lösungen zeigt, wie ich aus meinen Versuchen an Meerschweinchen entnehme, gar keine unange- nehmen Nebenerscheinungen (intraperitoneale Einspritzungen von 4°/,, MgCl,-Lösung). Jennings, Die niederen Organismen, ihre Reizphysiologie und Psychologie. 191 nacheinander je eine Infusion von 500 cem 10% NaUl-Lösung gemacht. Die Durchfälle ließen bald nach und das Allgemeinbefinden des Kranken besserte sich, der Appetit kam wieder zurück und der Kranke trat in die Rekonvaleszenz ein. Ähnliche günstige Resultate hat der Chefarzt des Spitals — Dr. Mollow — auch früher zu verzeichnen gehabt. Aus den hier vorgetragenen Versuchen und Beobachtungen geht nun hervor, dass die Mittel für künstliche Parthenogenesis keine spezifischen, nur auf die Geschlechtszellen beschränkten Stimu- lantien sind, sondern dass sie den obigen theoretischen Auseinander- setzungen gemäß als allgemeine Zellstimulantien aufzufassen sind. Und wenn dem so ist, wird es sofort klar, wie wichtig dıe Experimente über künstliche Parthenogenese vom allgemeinen zellphysiologischen Standpunkt aus sind. In den zahlreichen (schon weit über 200) und vielfach sehr eingehenden Untersuchungen über die künstliche Parthenogenese haben wir die Vorarbeiten, welche uns als Weg- weiser bei der Erforschung der Frage der Zellstimulantien ım all- gemeinen dienen müssen und dienen werden. Die große Bedeutung aber der auf einer soliden und breiten theoretischen Grundlage gestellten Frage der Zellstimulantien auch für die Medizin — innere und chirurgische — liegt auf der Hand. Noch mehr, die tiefere und eingehendere Klärung der Wirkungsweise der Zellstimulantien wird uns auch breite Aussichten öffnen auf das so interessante und wichtige Problem des Alterns und der Möglichkeit einer, wenn auch nur zeitlichen Behebung der Alterserscheinungen. Auf solch eine allgemeine zellphysiologische Basıs gestellt, werden uns auch die kardinalen Probleme über Zellfunktion, über Physiologie der Geschlechtsvorgänge und über den Zellentod in einer neuen Beleuchtung erscheinen. Zum Schluss möchte ich nicht versäumen, dem Chef des Spitals, Herrn Oberstabsarzt Dr. Mollow, für seine große Zuvorkommen- heit meinen Dank auszusprechen. Skopje (Mazedonien) im Februar 1916. Jennings, H. S. Die niederen Organismen, ihre Reizphysiologie und Psychologie. Autorisierte deutsche Übersetzung von E. Mangold. Wohlfeile Ausgabe des Werkes: Das Verhalten der niederen Organismen unter natürlichen und experimen- tellen Bedingungen. 8°, 578 S., mit 144 Fig., Leipzig u. Berlin 1914. B. G. Teubner. Geh. Mk. 5.—, geb. Mk. 6 Die Verlagsanstalt hat sich entschlossen; die Mangold’sche Übersetzung des Jennings’schen Werkes in einer neuen billigen Ausgabe herauszugeben. Es ist nicht hier die Stelle, seine Vorzüge eingehend auseinander zu setzen. Das Buch hat sich längst — es erschien 1906 zum ersten Male — einen ehrenvollen Platz ın der 192 Neuerschienene Bücher. biologischen und reizphysiologischen Literatur errungen. Der Über- setzer nennt es in seiner Vorrede ein klassisches Werk der bio- logisch-physiologischen Literatur, das zu den Grundlagen der ver- gleichenden Psychologie gehört. Dabei ist der Ton des Buches ein so liebenswürdiger — man lese z. B. den Abschnitt über das täg- liche Leben eines Paramaecıums —, das reiche Tatsachenmaterial so lebendig dargestellt, dass diese neue Ausgabe dem Buche sicher- lich auch viele neue Freunde zuführen wird. P. Buchner (München). Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sınd. (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Heering, Dr. W., Leitfaden für den naturgeschichtlichen Unterricht an höheren Lehranstalten. Ausgabe B. Leitfaden der Botanik und der Zoologie von P. Wossidlo. I. Teil: Für die unteren Klassen. Mit 319 Abbildungen und 8 Tafeln in Farbendruck. 2. Aufl.. 8°, XII, 352 S., Berlin 1914. Verlag der Weidmannschen Buchhandl. Preis geb. Mk. 3.80. Hess, Geh.-Rat Prof. Dr. R. und Prof. Dr. R. Beck, Der Forstschutz. Ein Lehr- und Handbuch. Mit einem Bildnis, 250 Abbildungen und einer bunten Tafel. Gr.8°, XIII, 537 S., Leipzig 1914. Verlag von B. G. Teubner. Preis geb. Mk. 16.—. v. Müller, Dr. Friedr. Spekulation und Mystik in der Heilkunde. Ein Überblick über die leitenden Ideen der Medizin im letzten Jahrhundert. 4°, 39 S., München 1914. J. Lindauersche Univ.-Buchhandl. Preis Mk. 1.60. Verworn, Prof. Dr. M., Bonn. Die biologischen Grundlagen der Kulturpolitik. Eine Betrachtung zum Weltkriege. Kl. 8°, 57 8., Jena 1915. Verlag von G. Fischer. Preis Mk. 1.20. 6latzel, Prof. Dr. Bruno, Berlin. Elektrische Methoden der Moment- photographie. Mit dem Bildnis des Verfassers und 51 Abbildungen. Kl. S°, VI, 103 S., Braunschweig 1915. Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn. Preis Mk. 3.60. (Sammlung Vieweg, Tagesfragen aus den Gebieten der Naturwissenschaften und der Technik, Heft 21.) Heimstädt, ©. Apparate und Arbeitsmethoden der Ultramikroskopie und Dunkelfeldbeleuchtung mit besonderer Berücksichtigung der Spiegelkondensoren. Mit 71 Abbildungen. Gr. 8°, 72 8., Stutt- gart 1915. Franckhsche Verlagsbuchhandl. Preis Mk. 2.—, geb. Mk. 2.80. (Handbuch der mikroskopischen Technik, V. Teil.) Flesch, Prof. Dr. Max, Die Entstehung der ersten Lebensvorgänge. Vortrag gehalten in der wissenschaftlichen Vereinigung der Sanitätsoffiziere zu Lille am 20./V. 1915. 8°, 27'S., Jena 1915. Verlag von G. Fischer. Preis Mk. —.60. Ostwald. Priv.-Doz. Dr. W., Leipzig. Die Welt der vernachlässigten Dimensionen. Eine Einführung in die moderne Kolloidchemie mit be- sonderer Berücksichtigung ihrer Anwendung. Mit 33 Abbildungen. Gr. 8°, X, 219 S., Dresden 1915. Verlag von Theodor Steinkopff. Preis geb. Mk. 5.75. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Uniy.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München. Verlag von Georg Thieme in Leipzig. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr.’ Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Bd. XXXVI. 20.Mail9i6 a5 Inhalt: Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. — Kronfeld, Zur Biologie der Doppelbeere von Lonicera alpigena L. — Lotsy, Die endemiselen Pflanzen von Ceylon und die Mutationshypothese. — Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. — lsaak, Ein Fall der Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Großschmetterling. — Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschiehte der Zoologie. — Maignon, Recherches sur la toxieit&6 des matieres albuminoides.. — Steinmann und Bresslau, Die Strudelwürmer (Turbellaria),. — Buchner, Praktikum der Zellenlehre. — Goldschmidt, Die Urtiere, — Neuerschienene Bücher. Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllium. Von K. Goebel. Mit einer Abbildung im Text. In Band 60 (Oktober 1915) der „Botanical Gazette* erschien eine Abhandlung von Jacques Loeb „Rules and mechanism of inhibition and correlation in the regeneration of Bryophyllum calycinum*. Da die Arbeiten eines so hervorragenden Physiologen in weiten Kreisen das Interesse auf sich ziehen, so mag hier erörtert werden, inwieweit in dieser botanischen Abhandlung neue Tatsachen und neue Anschauungen sich vorfinden. Zunächst aber sei der Stand des Bryophyllum-Problems vor Erscheinen der Loeb’schen Abhandlung kurz dargelegt. Dryoph. calyeinum (lange Zeit die einzige in Kultur befindliche Art) hat seit seinem Bekanntwerden das Interesse von Naturforschern wie Laien dadurch erregt, dass die von ihm abgefallenen oder abge- XxXVl. 13 194 Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. trennten Blätter aus den Kerben des Blattrandes neue Pflanzen entwickeln!). Die entwicklungsgeschichtliche Untersuchung ergab schon längst, dass es sich dabei nicht um eine wirkliche Neubildung, d. h. um eine Aktivierung von Dauergewebe handelt’). Die Knospen, aus denen die Pflanzen hervorgehen, sind vielmehr am Blatt schon vor dessen (natürlicher oder künstlicher) Abtrennung vorhanden, sie sind nur zunächst im Ruhezustand. Die Frage ist nun: warum treiben sie nicht an der Pflanze aus??). Diese Frage wurde zuerst von Wakker*) zu beantworten gesucht. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass es nicht darauf ankomme, ob ein Blatt mit der Endknospe des Sprosses in Verbindung sei oder nicht, sondern darauf, dass die Anwesenheit der Wurzeln am Stengel die Entwicklung der blattbürtigen Knospen verhindere. Und zwar sei es nicht die organische Verbindung mit den Wurzeln, sondern deren Funktion „die van de worteldrukking en de dienten- gevologe plaatshebbende waterbeweging“ (a. a. ©. p. 91), welche dabei ın Betracht komme. Wakker’s Lehrer, H. de Vries?°), vertrat dieselben Anschauungen. Der Verf.°) konnte dagegen speziell bei dem reaktionsfähigeren Br. erenatum zeigen, dass die Verhinderung der Entwicklung der blattbürtigen Bryophyllum-Knospen auch von den Sprossvegetations- punkten ausgehen kann. Entfernt man alle Sprossvegetationspunkte, so treiben die Knospen auch an den festsitzenden Blättern aus — ebenso wenn man die Verbindung dieser Knospen mit den Vege- tationspunkten unterbricht, ohne die Blätter abzuschneiden. Eine Korrelation mit den Wurzeln ist gleichfalls vorhanden, aber nicht bedingt durch deren Tätigkeit, sondern durch deren Wachstum. Soweit das bisher Bekannte. Im folgenden soll nun nach den einzelnen Abschnitten der Loeb’schen Abhandlung untersucht werden, inwiefern diese Neues bieten oder die schon bekannten Tatsachen bestätigen bezw. frühere Angaben oder Anschauungen berichtigen. In der Einleitung hebt Loeb hervor, man müsse, um die Er- 1) Bekanntlich hat Goethe dieser Wachstumserscheinung zwei kleine Ge- dichte gewidmet. 2) Unrichtige Darstellungen finden sich aber immer noch in der Botan. Lite- ratur, so z. B. bei Wiesner, Biologie der Pflanzen, 3. Aufl., p. 151. 3) In Ausnahmefällen kann das geschehen. 4) J. H. Wakker, Önderzoekingen over adventieve Knoppen, Akademisch Proefschrift, Amsterdam 1885. 5) H. de Vries, Über abnormale Entstehung sekundärer Gewebe, Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XXII (1890). 6) Goebel, Über Regeneration im Pflanzenreich, Biol. Centralbl. Bd. XXI (1902). (Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. 495 scheinungen der „Inhibition und Korrelation“ ”) einigermaßen ver- stehen zu können, die Gesetze und Regeln kennen lernen, die bei der normalen Pflanze Auswachsen der Organanlagen oder Regene- ration verhindern. Es sei ihm bei Bryophyllum calyeinum gelungen, einige Regeln für die Erscheinungen der „Inhibition und Korrelation des Wachstums“ zu finden. Die meisten früheren Experimente hätten nicht zu so einfachen Regeln geführt. Nach einigen Bemerkungen über Pryophylium und der Hervor- hebung der bekannten Tatsache, dass die Entwicklung“ der blatt- bürtigen Knospen dieser Pflanze nicht durch „Wundreiz“ bedingt wird, betrachtet er zunächst die „Isolierung als Ursache der Regene- ration“. Er findet, dass die „Isolierung“ als solche nicht wirksam sei. Denn wenn an einem isolierten Blattpaar die Achselknospe des einen Blattes (durch dessen Entfernung) zum Auswachsen ge- bracht wird, so unterbleibt an dem andern Blatt die Entwicklung der blattbürtigen Knospen. Damit bestätigt Loeb zwei bekannte Tatsachen: einmal die, dass die Entfernung eines Blattes, dessen Achselspross (wenn er nicht in die „Mittelruhe* übergegangen ist) zum Austreiben veranlasst°) und die, dass die Entwicklung der blattbürtigen Bryophylium-Sprosse durch die Sprossvegetationspunkte gehemmt wird. Das hatte — was Loeb nicht anführt — Verf. für Br. erenatum ja auch ohne die Blätter abzutrennen nachweisen können. Die Loeb’schen Versuche bieten dafür also eine erwünschte Bestätigung, aber nichts Neues. Neu dagegen ist die Angabe (p. 235), „that a stem whose buds are removed has still an inhibiting influence upon the formation of roots in the notches of a leaf“. Vorausgesetzt, dass diese An- gabe richtig ıst, kann sie auf der Versuchsanstellung Loeb’s be- ruhen. Er tauchte die Blätter mit der Spitze in Wasser, während das Stammstück, an welchem das Blatt befestigt war, in feuchter Luft war. Wenn diese Luft nicht mit Wasserdampf gesättigt war, musste das Stammstück transpirieren. Es könnte also dessen hin- dernder Einfluss auf einer relativen Wasserarmut gegenüber den nicht mit Stammstück versehenen Blättern beruhen. Im übrigen dürfte die Versuchsanstellung nicht besonders zweckmäßig gewählt sein. Durch das Eintauchen der Blattspitze in Wasser kommen die apıkalen Knospenanlagen in andere Bedingungen als die andern. Es sind aber die einzelnen Knospenanlagen nicht alle gleich ent- 7) Nach bisherigem Sprachgebrauch liegt kein Grund vor, die „Inhibition‘“ nicht unter den Korrelationsbegriff einzuordnen. Vgl. Goebel, Organographie der Pflanzen, 2. Aufl. (1913), p. 439. 8) Loeb spricht p 256 von einer Analogie zwischen der Wirkung der Nicht- entfernung des gegenständigen Blattes und der Entfernung von dessen Achselknospe. Beides ist aber dasselbe. Denn das gegenständige Blatt wirkt nur, insofern es das Austreiben seines Achselsprosses hindert. 13-5 196 Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. wicklungsbereit. Es ist jedenfalls sicherer, alle Knospenanlagen in gleiche Bedingungen zu bringen. E Um diese Frage zu prüfen, wurde folgendermaßen verfahren: Es wurden 4 Stammstücke mit je einem Blatte ın Glasdosen mit feuchtem Sand gelegt und die Stammstücke in den Sand vergraben. Das andere Blatt wurde abgeschnitten und daneben gelegt, da es von Wichtigkeit erschien, genau vergleichbare Blätter zu benützen. Denn zweifellos wird die Geschwindigkeit der Knospen- und Wurzelent- wicklung beeinflusst durch das Alter des Blattes. Die Stammstücke wurden so lange gewählt, als es möglich war, um eine Anzahl hintereinandergelegener Knoten verwenden zu können. Das Ergebnis war, dass bei allen 4 Stücken (im ganzen also 8 Blättern) nach 11 Tagen die Wurzelentwicklung in den Knospen begann, ohne dass eine zeitliche Verschiedenheit zwischen den vom Knoten abgetrennten und den richt abgetrennten Blättern wahr- nehmbar war. Um größere Zahlen zu haben, wurde der Versuch am 14. Dezember mit 13 Blattpaaren wiederholt, die, je ein Blatt abgetrennt, das andere mit dem Knoten und Stammstück ın Zusammenhang, auf feuchten Sand ın einen geschlossenen Glaskasten ausgelegt wurden. Ergebnis am 25. Dezember: Zahl der Adventivsprosse, die Wurzeln getrieben haben, a am abgeschnittenen, b an dem mit dem Stammstück in Verbindung stehenden Blatte: a b 1: 13 10 IR 4 13 111. 3 1 IV: 0 ) N 0 5 VI. 4 3 VIE 4 2 VII. 10 3 IX. ®) 11 (Stammstück seitlich verletzt) X. 3 3 XI. 3 7 XI. 3 B) RAIT: 0 2 50 65 Selbst wenn wir IX wegen der Stammverletzung ausschalten, ergibt sich kein wesentlicher Unterschied, also keine Bevorzugung der vom Stammstück abgetrennten Blätter. Ich glaube deshalb annehmen zu dürfen, dass Loeb’s abweichendes Ergebnis entweder zufällig oder in der Art seiner Versuchsanstellung begründet war. In beiden Fällen kann aber der von Loeb aufgestellte Satz nicht Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. 197 als zutreffend betrachtet werden, bezw. er beruht auf einer Ver- änderung der Außenbedingungen für die Wurzelbildung, nicht auf solchen, die schon im Bau der Pflanzen gegeben sind. Denn wenn ein innerer Grund für die inhibierende Wirkung des Stamm- stückes auf die Wurzelbildung vorhanden gewesen wäre, müsste er auch bei meiner Versuchsanstellung hervorgetreten sein. Leider hatte ich keine älteren Pflanzen mehr, um den Versuch in feuchter Luft wiederholen zu können, wo nach Loeb die isolierten Blätter lange Wurzeln und Sprosse, die mit einem Stammstück in Ver- bindung stehenden höchstens sehr kurze Wurzeln bilden sollen (p. 255). Eine Fortsetzung dieser Versuche (1V. Abschnitt) fand mit Stammstücken, die 2 oder 3 Internodien umfassten, statt. Es ergab sich auch hier das nach dem von Br. erenatum her zu erwartende Ergebnis, dass wenn an einem solchen Sprosstück die Seitenknospen rasch auswachsen (was durch Entfernung der Blätter namentlich am apikalen Ende leicht erfolgt), ihr Wachstum das der blatt- bürtigen Knospen und deren Wurzeln verhindert oder verzögert. Eigentümlich und näher zu untersuchen ist die Beobachtung (p. 258), dass das Auswachsen der Achselknospe eines Blattes auch verhindert wird, wenn .nur der Stiel des Blattes stehen bleibt. Man wird diese Beobachtung nur dann als sichergestellt betrachten können, wenn sie in einer größeren Zahl von Fällen zutrifft. Im V. Abschnitt behandelt Loeb den hindernden Einfluss der Wurzeln auf die blattbürtigen Knospen. Er führt zunächst aus, dass ein isoliertes oder abgeschnittenes Blatt von Br. calyeinum nicht die Fähigkeit habe, Wurzeln zu bilden. Wenn Loeb die botanische Literatur befragt hätte), würde er gefunden haben, dass dieser Satz längst nicht mehr allgemein gilt. Tatsächlich sind bewurzelte Bryophyllum-Blätter nicht gerade selten. Ich erhielt auch bei meinem letzten Versuche in 4 Fällen bei Br. calyceinum solche Blätter — auch bei solchen, welche Rand- knospen ausgetrieben hatten. Es entstanden in einzelnen Fällen auch basale Adventivsprosse an solchen Blättern, wie dies a. a. O. p. 148 für Br. erenatum abgebildet ist. Überhaupt sind die Kor- relationsverhältnisse bei Bryophyllum keineswegs immer dieselben, was. die Untersuchung wesentlich erschwert. Es wäre festzustellen, ob sie etwa mit dem Alter des Blattes sich ändern. Ich verwendete meist alte Blätter. Im übrigen führt Loeb in diesem Abschnitt einige Versuche von Wakker und de Vries an. Im VI. Abschnitt seiner Abhandlung behandelt Loeb die Frage, wie die Tatsache zu verstehen sei, dass die Wurzelbildung das 9) Z. B. Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie p. 149, wo auch Mathuse’s Arbeit zitiert ist, 1498 Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Pryophyllum. Auswachsen der blattbürtigen Knospen verhindere. Wakker und de Vries waren, wie oben erwähnt, der Meinung, dass nicht die Wurzelbildung, sondern die Wasserbewegung in den Wurzeln in Betracht komme. Erinnern wir uns zunächst der Tatsachen: An einem bewurzelten, mit Blättern versehenen Steckling von Bryophyllum treiben die blattbürtigen Knospen nicht aus, wohl aber an einem wurzellos bleibenden. Nun hatte sich ferner ergeben !P), dass die Seitensprosse von Bryophyllum normal keine Wurzeln erzeugen, dies aber tun, wenn unter ihnen ein ringförmiger Rindenstreifen entfernt wird. Die Wasserbewegung im Holzkörper wird durch die Ringelung (nach der gewöhnlichen Annahme) nicht tiefgreifend beeinflusst. Wohl aber kann durch Entfernung des Rindenstückes keine Ernährung der Wurzeln aus dem über der Ringelungsstelle gelegenen Spross- stück erfolgen. Diese und andere Tatsachen veranlassten mich zu der Annahme, dass die Wurzelbildung, nicht die durch die Wurzeln vermittelte Wasserbewegung in Betracht komme. Loeb (a. a ©. p. 261) beobachtete an ın feuchter Luft gehal- tenen Sprosstecklingen, dass zunächst an der Sprossbasis Wurzel- bildung eintrat, dann aber trotzdem das Austreiben der blattbürtigen Knospen erfolgte. „This eontradiets Goebel’s assumption, but is in harmony with the view of de Vries, since these roots in the air were not able to give rise to ‚root pressure‘.“ Ich kann dieser Folgerung nicht beipflichten. Wenn man die Loeb’schen Figuren 14 und 15 ansieht, sieht man, dass die aus der Sprossachse erwachsenen Wurzeln R höchst kümmerlicher Natur waren. Es ıst das kein Beweis gegen meine Ansicht. Wenn solche Wurzeln sich zunächst bildeten, dann aber stehen blieben, ist eine korrelative Wirkung auf das Austreiben der Achselknospen nicht zu erwarten. Man kann z. B. an einer Hauptwurzel von Wieia Faba auch ohne Entfernung der Wurzelspitze und ohne diese einzugipsen, durch Wachstumshemmung die Entwicklung der Seitenwurzeln korrelativ fördern — das ist aber, trotzdem die Hauptwurzel vorhanden ist und langsam weiter wächst, kein Beweis gegen die Korrelation zwischen beiden. In einem anderen Versuch war das Blatt in feuchter Luft, das Sprossende in Wasser. Es bildeten sich dann „enormous roots“ am basalen Ende des Stecklings und der austreibenden Achsel- knospe, nur wenige und kleine an einem blattbürtigen Spross. Loeb zieht daraus den Schluss, dass die funktionierenden Wurzeln des 10) Goebel, a.a.O. p. 421. Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. 199 Stecklings die Regeneration am Blatt verhinderten. Dieser Schluss ist aus verschiedenen Gründen nicht gesichert: 1. entwickelte sich ja am Steckling ein Achselspross, der an sich schon die „Regeneration“ am Blatte hindert (vgl. oben p. 195), 2. befanden sich Blatt und Sprossachse unter verschiedenen äußeren Bedingungen, ıhr Verhalten ist also nicht direkt ver- gleichbar, 3. angenommen, die Korrelation sei vorhanden, so kann sie ebenso- gut durch das Wachstum der stammbürtigen Wurzeln ver- anlasst sein als durch ihre „Funktion“. Loeb hat das Vor- handensein eines „Wurzeldrucks“ übrigens nicht nachgewiesen. Der Satz (p. 203) „roots formed on the stem have as a rule, therefore, an inhibiting effect on the growth of a leaf if they can produce a root pressure, that is, if they are in water“ ist also für Br. calyeinum nach wie vor nicht erwiesen, für Dr. erenatum sicher nicht zutreffend. Im übrigen ist die „Hemmung“ der blattbürtigen Sprossanlagen nicht nur bei verschiedenen Bryophyllum-Arten, sondern auch bei einer und derselben Art eine verschiedene. Bei Br. prolificum z. B. fand ich an jüngeren Pflanzen nie ein Austreiben der blattbürtigen Knospen. Bei älteren blühenden waren nicht nur zahlreiche vege- tative Knospen in den Inflorescenzen’ entwickelt, auch die blatt- bürtigen hatten in großer Zahl ausgetrieben, selbst an der Basis der Fiederblättchen fanden sich Sprosse. Mit Dr. erenatum wurden folgende Versuche ausgeführt. 1. Wiederholung des Versuches von 1904, Durchschneidung des Blattnerven nahe dem Blattstiel. Ergebnis: Austreiben der Knospen nach 10 Tagen. 2. Ringelung der Sprossachse, 3 Pflanzen. Ergebnis: Austreiben der blattbürtigen Knospen an den Blättern oberhalb der Ringelungsstelle nach 11 Tagen. An einer Pflanze trieben auch die Knospen an den ersten Blättern unter der Ringe- lungsstelle aus. Es steht das alles in Übereinstimmung mit den a. a. O. p. 421 mitgeteilten Erfahrungen. 3. Doppelte Ringelung oberhalb und unterhalb eines Blattpaares bedingte gleichfalls Austreiben der Knospen. Wie die Figur zeigt, bildeten sich auch lange Wurzeln oberhalb der beiden Ringelungsstellen. Diese traten auf, obwohl die Funktion der Erdwurzeln in keiner Weise unterbrochen war! Es handelte sich dabei um kräftige blühende Pflanzen. Ver- gleichspflanzen, die unter denselben Bedingungen gezogen waren, zeigten kein Austreiben. In diesen Fällen handelt es sich um eine Unterbrechung der Leitungsbahnen zu den Wurzeln (in der Rinde), während die Wasserleitungsbahnen nicht unterbrochen waren. Die 200 Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. Sache verhält sich ebenso wie bei einem Salöx-Sprosstück, das in feuchtem Raum aufgehängt durch Ringelung einen neuen „Wurzel- pol“ erhält — obwohl der Holzkörper unversehrt bleibt. Das stimmt ganz mit der von mir vertretenen Auffassung, nicht aber mit der von Wakker-de Vries-Jacques Loeb. Ebenso behandelte Br. calyeinum _ (nichtblühende Pflanzen) zeigten in der an- gegebenen Zeit noch keine Reaktion, die Wurzeln sind hier viel empfindlicher für Trockenheit als bei Br. crenatum, und die Ringe- lung ist schwieriger auszu- führen als bei letzterer Art. Es ıst aber wahrscheinlich, dass die Korrelationsverhält- nisse bei beiden überein- stimmen. Sollten aber in beiden Pflanzen Verschie- denheiten obwalten, so wäre Loeb’s Schluss von Br. calycinum auf Br. erenatum jedenfalls nicht berechtigt. VII. Die Bedingungen, welche das Wachstum der ET RE Achselknospen hindern und fördern. Bryophyllum erenatum. Geringelt; blattbürtige In diesem Abschnitt Knospen entwickelt. Wurzeln oberhalb und unter- L ET h ar halb der Ringelstelle. Dez. 1915. omm oe au 1e bekannte'!!) Erfahrung zu- rück, dass „jedes Blatt die Entwicklung seiner eigenen Achsel- knospe hemme“. Dass dies nur unter bestimmten Umständen der Fall ist, ıst auch bekannt, man vergleiche z. B. die a. a. O. über „Stockausschläge“ mitgeteilten Tatsachen. Ferner: Wenn ich z. B. einen Spross oberhalb eines Blattpaares köpfe, treiben dessen Achselknospen aus, trotzdem die Blätter noch vorhanden sind, die von diesen ausgehende Hemmung wird überwunden. Dass sie es bei einem abgeschnittenen Internodium ebenfalls, nur viel lang- samer tun, ist nicht zu verwundern. Loeb fügt aber als neu hinzu, dass bei einem abgeschnittenen, der Länge nach gespaltenen Internodium die Achselknospen austreiben und schließt daraus, dass die vom Blatt auf seine Achselknospe ausgeübte Hemmung nur 11) Vgl. z. B. Goebel, Organographie der Pflanzen, 2. Aufl. (1913), p. 97. Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. 201 vorhanden sei „if the other leaf or the opposite bud are in con- nection with the first leaf“. Dass die Achselsprosse einander be- einflussen können, ist sicher und bekannt. Dass aber das Austreiben der Achselknospen an halbierten Internodien beruhe auf dem Weg- fall der Hemmung durch das gegenüberliegende Blatt scheint mir nicht bewiesen. Es kann hier nicht nur der Wundreiz (welcher z. B. die Atmung steigert und andere chemische Veränderungen bedingen kann), sondern auch Wasseraufnahme an der Wunde in Betracht kommen. Außerdem: Dass durch Längsspaltungen Regenerationsprozesse ausgelöst werden, die ohne diese unterbleiben, ist seit lange be- kannt. Wenn man ein Scorzonera-Wurzelstück feucht hält, so ent- stehen neue Sprosse gewöhnlich nur am apikalen Ende. An Längs- gespaltenen treten sie auch auf der Schnittfläche auf'?). In diesem Fall kann es sich doch wohl ebensowenig um den Wegfall einer durch eine Knospe bedingten Hemmung handeln als bei Coleus, wo Lundegärdh!°) fand, dass die Längsspaltung eines Internodiums als Reiz auf die malt: wirkt. Loeb’s Erklärung p. 265 „We may anticipate that all these experiments indicate that the growth of the bud depends upon the flow of certain substances from the leaf to the bud. That bud which receives these substances first wıll grow out first, and there- by prevent the flow to the other bud whose growth is thereby inhibited“ steht im Widerspruch mit der Tatsache, dass die Weg- nahme der Blätter gerade das Austreiben der Knospen veranlasst! Diese brauchen (wenn es sich nicht um ganz kleine Sprosstücke handelt) dazu kein Material von den Blättern, wenngleich sie unter Umständen das in diesen gespeicherte Wasser zu ihrem Wachstum verwenden können. Im Gegenteil, die Knospen erhalten eher von den Blättern das Austreiben hemmende, nicht begünstigende „substances“. | Im VIII. Abschnitt werden die „rules and mechanism of inhibı- tion in regenerätion“ untersucht. Folgende Regel wird aufgestellt: „Wenn ein Element a das Wachstum in einem Element b hindert, so beschleunigt oder er- möglicht b sehr häufig das Wachstum von a.“ Beispiel: Wenn man einen einzelnen Knoten nahe dem apikalen Ende des Hauptstammes von Bryophyllum abschneidet, die zwei Blätter entfernt und ihn in einem luftfeuchten Raum aufhängt, so wachsen die zwei Knospen „in der Regel“ nicht aus. Lässt man sie aber am Stamm, so treiben sie aus und verhindern dabei das 12) Goebel, a. a. O. p. 492, Fig. 16. 13) H. Lundegärdh, en Untersuchungen über die Wurzelbildung u. 8. w. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 37 (1913), p. 53Öff. 2302 Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. Auswachsen der unteren Knospen. — Sehr erklärlich! Die isolierten weichen jungen Sprossteile, dieauch wenig Reservematerial (nament- lich Wasser) haben, gehen leicht zu Grunde, ehe sie ihre Knospen entwickeln können, während das natürlich nicht eintritt, wenn man sie mit dem Stamm in Verbindung lässt, der ihnen auch das zum Austreiben nötige Material liefert. Das rechtfertigt aber den Schluss Loeb’s nicht. Sein Satz ist nur eine mühsame und höchst über- flüssige Umschreibung der Tatsache, dass der Knoten („Element a“) sich isoliert in anderen Verhältnissen befindet als in Verbindung mit dem Stammstück („b“). Zweites Beispiel: Wenn man einem solchen isolierten oberen Knoten ein Blatt lässt oder auch nur ein Stück davon, so kann die dem Blatt gegenüberliegende Knospe in feuchter Luft aus- wachsen. Gewiss, zum Auswachsen gehört unter anderem Wasser, wie Loeb selbst (a. a. OÖ. p. 266) hervorhebt, Wasser ist sowohl im Blatt als im Blattstiel. Aber er meint, das Wasser sei nur indirekt notwendig, „to render the flow of material in the conducting vessels possible“ — eine Vermutung, die, lediglich durch tierische Analogie gestützt, wenig wahrscheinlich erscheint. Denn wenn ich denselben isolierten Knoten in Wasser lege, so treiben — falls er nicht fault — seine Knospen aus! Loeb’s Satz scheint mir durchaus kein klarer Ausdruck der Beobachtungstatsachen zu sein. Das Element „a“ sind in einem Sprosstück die apikalen Knospen (von denen Loeb meint, man könne sie in der Terminologie Reinke’s „Dominanten“ nennen; Reinke versteht darunter aber etwas anderes!). Element b ist die Sprossachse mit Knospen oder ein Blatt oder ein Blattstiel. Das „Wachstum“ wird in diesem aber keineswegs durch a verhindert (bei einem entknospten Blatte, das ebenso das Austreiben der Stammknospe durch seinen Wassergehalt begünstigen würde, auch nicht). Der Satz würde also einfacher lauten: Das zum Austreiben notwendige Wasser kann, wenn sonst die Bedingungen zum Aus- treiben gegeben sind, entweder von außen oder von einem andern Teil der Pflanze entnommen werden. Dass die apikalen Knospen das Austreiben der weiter basalwärts gelegenen verhindern, ist ja allgemein bekannt. Was die Frage nach der Belassung des Blattstiels (nach Ab- trennung der Blattspreite) betrifft, so wurde zunächst festgestellt, dass eine bemerkenswerte Verschiedenheit zwischen abgeschnittenen und bewurzelten Knospen stattfindet. Wenn ich einen bewurzelten Spross köpfte und an dem obersten Blattpaar die Spreite des einen Blattes entfernte, so vergilbte der Blattstiel bald und wurde abge- worfen. Bei den abgeschnittenen Sprossen war das nicht der Fall. Offenbar ist das eine Korrelationserscheinung, beim abgeschnittenen Spross fehlten zunächst die aktiven Vegetationspunkte, denen die Goebel, Zu Jacques Loeb’s Untersuchungen über Regeneration bei Bryophyllum. 203 Nährstoffe zuströmen, deren Wegschaffung das Abstoßen der Blatt- stiele am bewurzelten Spross bedingt. IX. Isolierung, Inhibition und der Nahrungsstrom in der Pflanze. Loeb nimmt an, dass „a flow of certain (possibly specific) substances (or formed cells!*)) from the places where the dormant buds are ready to grow, or the prevention of such a flow toward these dormant buds“ stattfinde. Diese Idee leite uns leicht durch die Menge von Tatsachen, für welche die Ausdrücke „Isolierung ‘ oder „Inhibition“ nur einen bildlichen Wert habe. Gewiss, aber auch die „substances“* und ıhr „Fluss“ sind derzeit nur Bilder. p. 268 erwähnt Loeb, dass an abgeschnittenen Blättern nicht alle Knospenanlagen austreiben. Er stellt die Frage: „Why do not all grow out?“ Auch diese Frage war früher schon beant- wortet!?). „Offenbar entwickeln sich die Knospen zuerst, die schon an der Mutterpflanze kräftiger waren, speziell die in den tieferen Knoten sitzenden. Man kann aber auch ganz schwache Anlagen zu kräftigerer Entwicklung bringen, wenn man die anderen weg- schneidet.“ Wenn also Loeb sagt, dass man nach seinen früher mitgeteilten Versuchen eıwarten konnte, dass das Wachstum ein- zelner der blattbürtigen Sprosse das anderer hemme, so ist das ge- wiss richtig, aber schon längst bekannt, übrigens verhalten sich die einzelnen Blätter ziemlich verschieden. Loeb hat einzelne blatt- bürtige Knospen abgetrennt, die auswuchsen, während dies bei den am Blatt gelassenen nur teilweise der Fall war. Er meint, es sei bemerkenswert, dass die Wachstumsgeschwindigkeit bei Sprossen, die aus einem ganzen Blatt sich entwickeln, größer sei als die der aus isolierten Blattstückchen hervorgegangenen. Jeder Botaniker würde es wohl merkwürdiger finden, wenn das Gegenteil der Fall wäre! Wenn ich einer Keimpflanze einer Bohne die Kotyledonen abschneide, wächst sie auch langsamer als eine unverletzte! Er erwähnt dann noch einige Versuche, die zeigen, dass an einem Stammsteckling das Stück oberhalb der austreibenden Knospen vertrocknet und abgestoßen wird — was bei vielen anderen Pflanzen auch geschieht, und dass (was wohl neu, aber wenigstens für br. calyeinum sicher nicht zutreffend ist) die blattbürtigen Knospen von Dryophyllum ohne Licht nicht auswachsen. Ein X. Abschnitt gibt die theoretischen Bemerkungen. Da sie im wesentlichen die oben erwähnten Auffassungen des Verf. wieder- holen, so kann auf das Original verwiesen werden. Es geht aus dem oben Mitgeteilten hervor, dass Loeb’s Ver- suche dem Bryophyllum-Problem keine wesentlich neue Seite ab- 14) Wie diese ‚fließen‘ sollen, wird leider nicht erläutert. 15) A.a. O. Biol. Oentralblatt Bd. XXII, p. 395. 204 Kronfeld, Zur Biologie der Doppelbeere von Lonicera alpigena L. gewonnen haben. Wir begrüßen es aber mit Freuden, wenn Tier- physiologen sich an den Untersuchungen an Pflanzen beteiligen, wobei dann freilich eine eingehende Berücksichtigung der schon vorhandenen Literatur erwünscht wäre. Und wenn Ref. auch nicht allen Ausführungen Loeb’s beistimmen konnte, so war es ihm doch erfreulich, darin nicht das schreckliche Wortgeklingel anzutreffen, das in den Ausführungen einiger „Entwicklungsmechaniker“ dem Fernerstehenden den Eindruck ungemeinen Tiefsinns erweckt, wäh- rend die Gedanken, um die es sich handelt, meist alte Bekannte sind. Zur Biologie der Doppelbeere von Lonicera alpigena L. Von Dr. E. M. Kronfeld (Wien). (Mit einer Abbildung.) An den Beerenfrüchten der mitteleuropäischen Flora herrscht bezüglich der Farbe weitaus die rote vor!). Weiß, die Farbe der meisten Blumen, tritt an den Beeren am seltensten auf. Rot, die grellste Farbe, ist ganz besonders zur Anziehung der Vögel ge- eignet. Rot in seinen verschiedenen Nuancen sticht auch vom welken Laube ım Herbste und vom Hintergrunde der schneebedeckten Zweige und der ganzen Schneelandschaft wirkungsvoll ab. Bei der einzigen einheimischen Pflanze mit weißen Beeren, der schma- rotzenden Mistel, ist gerade während der winterlichen Fruktifikations- zeit für einen lebendig grünen Blätterhintergrund Sorge getragen. Durch verschiedene Mittel erreicht die Natur analoge Zwecke bei nahe verwandten Pflanzen. Wenn Viscum album die Augenfällig- keit der Beeren erst durch Beihilfe des Blattwerkes erzielt, so ist mir schon im Jahre 1837 gerade eine Lonicera mit weißen Beeren bekannt geworden, bei welcher durch einen von der Frucht als solcher ausgehenden Farbeneffekt jene Wirkung zustande kommt. Die Beeren einer im Wiener botanischen Garten kultivierten Lonicera sind kugelrund, von der Größe der Wegdornfrüchte und matt-weiß, fast opalartig gefärbt. Sie sind mit einem fadenziehenden, zähen Safte angefüllt und erinnern hierdurch unwillkürlich an die Mistel- beeren. Indes finden sich anstatt eines Kernes mehrere,- zum min- 1) Von den in Neilreich’s „Flora von Wien“ aufgezählten 1374 Phanero- gamen sind 93 mit Beeren oder beerenartigen Früchten in des Wortes weitester biologischer Bedeutung begabt. Da einige dieser Pflanzen (so die Weinbeere) kulti- viert verschiedene Farben zeigen, kommen im ganzen 103 Beerenpfrüchte in Rechnung, davon sind rot 42, blau 9, schwarz 26, braun 2, grün 11; weiß 2. gelb 11, Da die Summe 103 gibt, so drückt jede der Zahlen zugleich den ungefähren Pro- zentsatz aus. Kronfeld, Zur Biologie der Doppelbeere von Lonicera alpigena L. 205 desten zwei, gegeneinander abgeflachte und facettierte Samen. Auch sind diese nicht wie bei der Mistel weiß, sondern intensiv blau- schwarz gefärbt. Deshalb schimmern sie durch die opalartig-weiße Hülle und es wird ein außerordentlich schöner Farbeneffekt erzielt, der offenbar zur Augenfälligkeit der Beeren in besonderem Maße beiträgt. Diese merkwürdigen Lonicera-Früchte lassen sich treffend mit gewissen vom Glaskünstler aus zweierlei Material — einem dunklen inneren Kern und einer Schale aus Milchglas — herge- stellten „Perlen“ vergleichen. Es sei noch erwähnt, dass die Farbe der Lonicera-Samen vom Blumenblau (Anthocyan) herrührt, dessen Vorkommen in einer Samenschale an und für sich von Interesse ist. Durch Anstreichen der Kerne gegen Papier vermag man blau- schwarze Striche hervorzurufen und es lässt sich der Farbstoff mit einer Spur destillierten Wassers ın einem Porzellanschälchen förmlich anreiben. (Vgl. Biologisches Oentralblatt, Bd. VII, 1887, S. 459.) Doppelbeere von Lonicera alpigena L. im reifen Zustande. (Halbschematisch.) Das satte glänzende Rot der aus der vollständigen Verschmel- zung der beiden unterständigen Fruchtknoten von Lonicera alpi- gena L. zu einer ellipsoidischen zweinabeligen Sammelbeere hervor- gehenden Frucht bildet mit den elliptischen bis eilanzettförmigen, oberseits glänzend grünen, 7—10 cm langen, 4—5,5 em breiten, mit 5—10 mm langen Stiel versehenen Laubblättern einen um so kräf- tigeren Kontrast als durch eine bemerkenswerte Anpassung die Doppelbeere (bibacca) im reifen Zustande gerade über der Median- linie des Blattes festgehalten wird. Es geschieht dies mittels des in der Blattachsel entspringenden straff gespannten Fruchtstiels, der bis etwa 1 cm unterhalb der Blattspitze, direkt über dem Haupt- nerven die Doppelbeere förmlich hinhält?). Aus einiger Entfernung, die den grünen Fruchtstiel im Grün des Blattes verschwinden lässt, wird ein Phyllokladium vorgetäuscht und man könnte von einem biologischen Schein-Phyllokladium sprechen. Haben bio- logische, bezw. ökologische Momente bei der morphologisch sehr 2) Die Abbildung des Fruchtzweiges von Lonicera alpigena in Jacquin’s „Flora Austriaca“, III, 274, zeigt die gleichsinnig über der Medianlinie. des Blattes orientierten Fruchtstiele weit kürzer als der Verfasser es im August 1915 an Exemplaren auf dem natürlichen Standorte bei Bad Einöd in Obersteiermark ge- sehen hat. 206 Kronfeld, Zur Biologie der Doppelbeere von Lonicera alpigena L. komplizierten Entstehung der Phyllokladien®) fraglos ihre Rolle gespielt, so könnte das Schein-Phyllokladium der fruchtenden Lonicera alpigena einen Fingerzeig für eine der Möglichkeiten geben, die zur Phyllokladienbildung den Anstoß geben. Dass es sich bei der Alpen-Heckenkirsche, oder wie sie im Volksmund heißt: Teufels- kirsche, um eine Anpassung handelt, die die möglichste Augen- fällıgkeit der reifen, nicht viel über kirschengroßen Doppelbeere sichern soll, erkennt man auch ın der Art, wie die noch unreifen, grünen Früchte, als Nachfolger der paarweise auf gemeinsamem blattwinkelständigen Stiele verteilten Blüten, auf ıhren schlanken Stielen in einem weit größeren Winkel von der Blattfläche entfernt gehalten werden als die ausgereiften Früchte. In diesem Stadium sind übrigens die noch grünen, später nur durch die zwei die früheren Ansatzstellen der Blumenkronen bezeichnenden schwarzen Punkte am Scheitel der dunkelroten Doppelfrucht?) erkennbaren Teilfrüchte oberhalb der Mitte noch mehr oder weniger getrennt. Seiner Verbreitung nach ıst Lonicera alpigena, welche meist als niedriger, 1—2 m erreichender Strauch und häufig als Unter- holz vorkommend, besonderer Vorkehrungen bedarf, um ihre Dis- semination durch Vögel auf endozoischem Wege zu sichern, „ein alpınes Element, ein Produkt des Rückgrates von Europa, von den Pyrenäen über die Auvergne durch die ganzen Alpen nebst Jura und Schwarzwald (fehlt den mitteldeutschen Gebirgen) und durch die Balkanländer bis nach Griechenland (fehlt aber den Karpathen und dem Kaukasus)“ °). Durch fließendes Wasser wird der Strauch, den auch die Gärtner wegen der ungemein früh eintretenden freudig- grünen Belaubung schätzen, manchmal aus dem Gebirge weit ins Vorland hinabgeführt. Durch Schwimmvermögen der Doppelbeere oder der Kerne, die beide sofort im Wasser untersinken‘), kann dieser Transport nicht unterstützt werden. Bleibt also als einziger Verbreitungsmodus von Lonicera alpigena der endozoische, dem das Schein-Phyllokladium der reifen Frucht direkt angepasst erscheint. 3) Vgl. Wettstein, Handbuch der Systemat. Botanik, 2. Aufl., Wien 1911, S. 798. — Herrn Geheimrat Professor Dr. von Goebel dankt der Verfasser zu den obigen Phyllokladium-Bemerkungen den lehrreichen Zusatz: „Aus der Ver- wachsung des Infloreszenzstiels mit dem Deckblatt würde übrigens höchstens eine epiphylle Infloreszenz hervorgehen (wie z. B. bei Helwingia ruscifolia u. a.), aber kein „Phyllokladium“. Brief aus München vom 30. I. 1916). 4) Gute Abbildungen bei Wettstein, a. a. O., S. 763 und Beck-Mana- getta, Handwörterb. d. Naturwissensch., IV., Jena 1913, S. 401. 5) ©. Schroeter, Pflanzenleben der Alpen, Zürich 1908, S. 243. 6) Während beispielsweise beim verwandten Symphoricarpus racemosus aus Nordamerika, bei den heimischen Cornus-Arten, bei Berberis vulgaris u. s. w. die für sich untersinkenden Kerne durch das Fruchtparenchym über Wasser gehalten werden. Uber die Schwimmfähigkeit der Beerenfrüchte, bezw. Beerenkerne über- haupt behält sich der Verfasser eingehende Mitteilungen vor. Lotsy, Die endemischen Pflanzen von Ceylon und die Mutationshypothese. 207 Die endemischen Pflanzen von Ceylon und die Mutationshypothese. Von J. P. Lotsy. Die Mutationshypothese hat zur Aufstellung einer Evolutions- theorie geführt, die, wie alle Evolutionstheorien, nach Stützen für ihre Berechtigung sucht und gerne solche Stützen, die von anderer Seite beigebracht werden, entgegennimmt. Darunter gibt es sonderbare, ja wie ich schon 1906 auf S. 669 meiner Vorlesungen über Deszendenztheorien sagte, direkt humo- ristische. Ich sagte damals: „So empfiehlt Willis die Mutanten als besonders günstiges Evolutionsmaterial, weil... sie so selten sind und ihre Merkmale nutzlos sind im Kampf ums Dasein, wie aus folgenden Sätzen her- vorgeht.“ „Lhis being so one must suppose that they have been evolved by mutations rather than by natural selection of infinitismal varia- tions, and this would also explain why most of them are so rare, the mutations not having proved specially useful, and why they affeet mountain tops, the conditions there being perhaps sufficiently different to cause a tendency towards mutation. In general they have characters which are so far as one can conceive, useless in the struggle for existence!); they oceur ın places where that struggle can not have been very keen, or between very large numbers.“ Ich bezeichnete es damals als geradezu humoristisch, eine Evo- lutionstheorie aufzubauen, basiert auf Mutationen „useless ın the struggle for existence*“. Aus dem Aufsatze von de Vries „Die endemischen Pflanzen von Ceylon und die mutierenden Oenotheren“ (diese Zeitschrift, 1916, Nr. 1, S. 1) geht nun hervor, dass diese Seite der Sache den Autor der Mutationshypothese keineswegs humoristisch berührt, sondern dass auch de Vries in diesen endemischen Arten von Oeylon, trotz deren Wertlosigkeit im Kampf ums Dasein, eine Stütze für seine Auffassung über Evolution erblickt. Darüber sagt er: „Die sichtbaren Eigenschaften der lokalen endemischen Pflanzen Ceylons weisen nirgendwo bestimmte Beziehungen zu der Umgebung auf und stellen offenbar keine Vorzüge im Kampfe ums Dasein dar. Die von Willis gegebenen vergleichenden Beschreibungen zeigen dies klar. Wesentlich ist aber die Tatsache, dass es den endemischen Formen nicht gelungen ist, ihre Vor- - 1) Von mir gesperrt. 208 Lotsy. Die endemischen Pflanzen von Ceylon und die Mutationshypothese. fahren zu verdrängen und sich an deren Stelle auszu- breiten!). Dass dies die Berechtigung, diese Endemismen als Stützen für eine Evolutionstheorie zu verwerten, erhöht, dürfte wohl von den wenigsten zugegeben werden. Einige Zeilen weiter fährt de Vries fort: „Sie sind also offenbar nicht unter dem Einflusse einer natür- lichen Auslese von kleinen nützlichen Abweichungen durch deren allmähliche Anhäufung zum Vorteil der sie tragenden Pflanzen aus- gebildet worden.“ Dieser Schluss ıst entschieden besser berechtigt als die Auf- fassung, dass solche Formen, „denen es nicht gelungen ist, ihre Vor- fahren zu verdrängen und sich an deren Stelle auszubreiten“, ein gutes Material für Evolution abgeben; zwingend ist er aber nicht; denn sie könnten auch die letzten Reste einer größeren Gruppe von Arten darstellen, welche einst wohl imstande gewesen sind, die, damals, an der jetzt von ihnen okku- pierten Stelle, wachsenden Arten zu verdrängen und später wieder sekundär vonandern Arten zurückgedrängt wurden, bis auf ihren jetzigen kleinen Bestand. Aber nehmen wir einmal an, dass sie — und dies scheint auch mir wahrscheinlich — ıhre Entstehung nicht einer allmählichen Anhäufung nützlicher Abweichungen verdanken, dann lässt sich ge- wiss vieles für den daraus von de Vries gezogenen Schluss sagen: „Es bleibt keine andere Möglichkeit übrig als die Annahme von Sprüngen, mittels deren die neuen Arten mit einem Schlage und in voller Ausbildung aus ihren Vorfahren entstanden sein müssen.“ Daraus folgt aber keineswegs, dass dies durch Mutation ge- schehen sein muss, sondern es kann dies ebensogut durch eine Kreuzung geschehen sein, da bekanntlich durch Kreuzung neue Formen in großer Anzahl entstehen können, und diese Endemismen ein im Kampf ums Dasein stark reduzierter Rest eines solchen Kreuzungsresultats sein können. De Vries’ anschließender Satz: „Bei den Oenotheren aber lehrt die unmittelbare Beobachtung die Mutationen als solche kennen“, ist also nicht nur in Verbindung mit dem vorangehenden irreführend, sondern auch an sich unberechtigt. Es steht doch keineswegs fest, im Gegenteil, es wird von den meisten Forschern jetzt wohl aus guten Gründen bezweifelt, dass die Tatsache, dass gewisse Oeno- theren neue Formen in die Welt setzen, beweist, dass dieser Vor- gang auf Mutation beruht. Da de Vries mit keiner Silbe die gehegten Zweifel an der Beweiskraft von Oenothera für die Existenz von Mutationen er- 1) Von mir gesperrt. Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. 209 wähnt, schien es mir am Platze, hier gleich gegen diese Schluss- folgerung zu protestieren; ich komme darauf in einem in Bear- beitung befindlichen Buche bald zurück. Haarlem, 9. Februar 1916. Spermiozeugmen bei Libellen. Von E. Ballowitz in Münster i. Westf. Mit 13 Textfiguren. Bei manchen Insekten!) kommen ın den Ausführungsgängen des Genitalapparates eigenartige Verkuppelungen von Spermien zur Beobachtung, welche ich als Spermiozeugmen’?) bezeichnet habe. Charakteristisch für sie ıst, dass sich ın ıhnen die Köpfe der fadenförmigen Samenkörper zusammengelegt und fest vereinigt haben, während die Geißeln nach außen vorragen und frei beweg- lich bleiben. Zur Befestigung der Spermien dient nicht selten eine besondere Substanz, der die Köpfe eingelagert sind. Meist sind sehr viele Samenkörper miteinander verkuppelt und können durch den Schlag ihrer Geißeln die Spermiozeugmen vor- wärts bewegen. Hierdurch unterscheiden sich die letzteren von den eigentlichen Spermatophoren oder Samenpatronen, bei welchen außer Zusammenhang bleibende Spermienmassen durch äußere Kapseln und Hüllen umschlossen, oder durch Kittsubstanz bewegungs- los unter sich verklebt werden. Die Aufgabe der Spermiozeugmen und Spermatophoren ist wohl die gleiche, nämlich die Übertragung größerer Spermamengen vom Männchen auf das Weibchen zu erleichtern. Zuerst wurden diese höchst merkwürdigen Bildungen von von Siebold°®) im Receptaculum bestimmter Heuschrecken (Locu- stinen) aufgefunden und zutreffend beschrieben. Sie stellen hier lange federförmige und bewegliche Körper dar, „wallenden Straußen- federn vergleichbar“, welche dadurch gebildet werden, dass sich die 1) Auch bei Würmern (Oligochaeten) sind ähnliche Bildungen beschrieben worden, vgl. hierüber Korschelt und Heider, Lehrbuch der vergleichenden Ent- wicklungsgeschichte der wirbellosen Tiere. Allgemeiner Teil. Jena 1902, S. 427. 2) Vgl. Meine Untersuchungen über die Struktur der Spermatozoen, zugleich ein Beitrag zur Lehre vom feineren Bau der kontraktilen Elemente. Die Sperma- tozoen der Insekten (I. Coleopteren.) Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 50, Heft 3, 1890, S. 356. Ich habe die Bildungen hier noch als ‚„Spermatozeugmen‘“ benannt. Da für das Wort „Spermatozoon“ sich im Laufe der Jahre das kürzere „Spermium“ eingebürgert hat, empfiehlt es sich, auch „Spermiozeugma‘“ zu sagen (von ro ledyua, Zusammenjochung). 3) ©. Th. von Siebold, Über die Spermatozoen in den Heuschreckenweibchen. Amtlicher Bericht über die 20. Versamml. d. Gesellsch. deutsch. Naturf. u. Ärzte zu Mainz 1843, 8. 223. Derselbe, Über die Spermatozoen der Locustinen. Nov. Act. Acad. Caes. Leopoldino-Carolinae. Vol. XXI, 1845, S. 251. XXXVI. 14 210 Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. winkelförmigen Anhänge der Köpfe dicht aneinander legen, während die flimmernden Geißeln in zwei Reihen frei nebeneinander stehen. von Siebold stellte fest, dass diese federartigen Gebilde in größerer Zahl ın chitinösen Kapseln von etwa Stecknadelkopfgröße liegen und so vom Männchen auf das Weibchen über- tragen werden. Man findet diese Kap- seln im Receptaculum des Weibchens. Hier sind also Spermiozeugmen und echte Spermatophoren gleichzeitig *% vorhanden und werden die ersteren von den letzteren umschlossen. Die Textfiguren 1—3 sind getreue Kopien der von Sıebold’schen Ab- bildungen. Textfigur 1 zeigt 5 lange freibewegliche Spermiozeugmen bei schwacher Vergrößerung, Textfigur 2 führt ein solches straußen- Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. 1 De federartiges Gebilde mit den zweizeilig angeordneten Samenkörpern bei stärkerer Vergrößerung vor. In Textfigur 3 erblicken wir einen ım optischen Durchschnitt bei schwacher Vergrößerung gezeichneten Spermatophor mit den zahlreichen ın seinem Innern befindlichen Spermiozeugmen. Auch bei den Üoleopteren hat von Siebold*) höchstwahr- scheinlich schon solche Verkuppelungen ausgereifter Spermien ge- sehen und als „blumenstraußartig“ bezeichnet. Fr. Stein?) machte sodann über ıhr Vorkommen bei Ooleop- teren weitere Angaben und berichtete über fadenförmige und strauß- artige Bildungen, die er bei bestimmten Carabiden antraf. Im Jahre 1884 hat schließlich Gilson®) diese Gebilde besonders von Coleopteren sehr umfänglich beschrieben und abgebildet. Wie ich I. c. schon angeführt habe, benennt er sie sehr mit Unrecht als Spermatophoren und unterscheidet: „Spermatophores en bouquet* und „Spermatophores filamenteux“. er] re Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Die erstere Form wird dadurch gekennzeichnet, dass eine An- zahl von Spermien mit ihren Köpfen straußartig der Oberfläche eines abgeplatteten, zungen- oder schüppchenförmigen Körpers auf- sitzt; sie wurde bei bestimmten Oarabiden, z. B. Carabus auratus, auronitens, purpurascens, Procrustes coriaceus und Calosoma inquisitor beobachtet. Die „Spermatophores filamenteux“ Gilson’s werden von einer zylindrischen, fadenförmigen, oft beträchtlich langen Achse und zahlreichen Samenkörpern gebildet, welche mit ihren Kopfenden an der Oberfläche der Achse ın ihrer ganzen Länge befestigt sind. Gilson fand diese Form bei Feronia anthracina, Helops und Loricera. Die Textfig. 4-6 geben nach den Gilson’schen Abbildungen’) Beispiele der straußförmigen Spermiozeugmen bei einer Carabus-Art. 4) C. Th. von Siebold, Über die Spermatozoen der Crustaceen, Insekten, Gastropoden und einiger anderer wirbelloser Tiere. Müller’s Archiv, Jahrgang 836,8. 31. 5) Fr. Stein, Vergleichende Anatomie und Physiologie der Insekten. Erste Monographie. Die weiblichen Geschlechtsorgane der Käfer. Berlin 1847. 6) G. Gilson, Etude comparede de la spermatogene®se chez les Arthropodes. La Cellule, Tome I, 1884. 7) L. e. Planche IV., Fig. 95, 96 und 98 von Carabus purpurascens. 14 * 919 Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. Außer bei den genannten Öoleopteren sind Spermiozeugmen von Gilson nur noch bei einem Hymenopter, einer nicht weiter bestimmten Ichneumonide, beobachtet worden, und zwar von der straußartigen Form. Textfigur 7 gibt sie von diesem Hymenopter nach Gılson?°) wieder. Bei allen übrigen von ihm untersuchten Insektenfamilien, darunter auch den Libellen, konnte der Autor keine Verkuppelung, sondern nur isolierte Spermien auffinden. Fig. 8. Fig. 9. 8) L. ec. Planche VI., Fig. 228. Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. Dil Nach älteren noch nicht bestätigten Angaben von Dujardın’) und Leydig!®) scheinen Spermiozeugmen auch bei Hemipteren vor- zukommen. Ich selbst!!) habe die beiden Spermiozeugma-Typen unter den Coleopteren mehrfach angetroffen, ganz besonders in der Familie der Carabiden. So fand ich die straußförmigen Bildungen regel- mäßig bei Calosoma sycophanta, Procrustes, Chaelocarabus intricatus, Megadontus axurescens und allen Carabus-Arten, die fadenförmigen dagegen, außer bei Loricera pilicornis, 7. B. bei Feronia und Calathus. Bei einer Dytiscidengattung, Colymbetes, entdeckte ich '!?) andere stabförmige Spermiozeugmen, bei welchen die dütenförmigen Köpfe der Reihe nach ineinander gesteckt sind und so bewegliche lange Stäbe bilden, an denen die Geißeln einseitig herunterhängen, wie Textfigur 8 illustriert. Man sieht bei « und b zwei von diesen sonderbaren, fahnen- artigen Körpern, welche sich durch den Schlag der langen Geißeln in ein Gewebsstück F einbohren. Ä ist der von den Spermien- köpfen gebildete Stab. Als erster Anfang dieser Spermiozeugma-Bildungen können wohl die paarweisen Vereinigungen von Spermien aufgefasst werden, welche ich bei anderen Dytisciden (Dytiseus, Hydaticus, Aecilius) beschrieben und als Syxygie benannt!?) habe. Vgl. Figur 9 von Dytiscus. Bei meinen ausgedehnten Untersuchungen über die Samen- elemente der Libellen entdeckte ich nun auch bei dieser Insekten- gruppe eigenartige Verkuppelungen von Spermien, die dem strauß- förmigen Typus zuzurechnen sind. Die Figuren 10—13 lassen ıhre Gestalt erkennen, Figur 10— 12 bei schwacher Vergrößerung, Figur 13 bei etwas stärkerer. Figur 11 und 12 sind nach Präparaten ge- zeichnet, welche dem Vas deferens von Aeschna eyanea entnommen waren, Figur 10 und 13 stammen von Gomphus. Sie gleichen flach ausgebreiteten Sträußen. Von der Fläche gesehen erscheinen sie radartig und von kreisrunder Begrenzung. Die Mitte ist bei gewisser Einstellung hell. Um sie herum grup- pieren sich radiär dicht nebeneinander die langen Köpfe und ver- 9) Dujardin, Nouveau manuel de l’observateur au microscope Pl. XI, Fig. 18 u. 19 (nach Gilson zitiert). 10) Fr. Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Tiere, 1557, p. 534, Fig. 261 B. INDIE... 384. 12) E. Ballowitz, Zur Lehre von der Struktur der Spermatozoen. Anatom. Anzeiger. I. Jahrgang 1886, Nr. 14. Derselbe, Die Doppelspermatozoen der Dytisciden. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 60. 13) Ebendort. Vgl. auch E. Ballowitz, Zu der Mitteilung des Herrn Prof. L. Auerbach in Breslau über „Merkwürdige Vorgänge am Sperma von Dytiscus marginalis“. Anatom, Anzeiger. VIII. Jahrgang 1893, Nr, 14 u. 15. 914 Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. ursachen um die helle Mitte einen dunkleren Kreis. Von den Köpfen strahlen die lebhaft schlagenden Geißeln aus und bilden ın ihrer Gesamtheit eine hellere peripherische Zone. In den mikro- skopischen Präparaten lagern sich diese Spermiozeugmen alsbald so, dass ihre Oberflächen parallel den Glasflächen gestellt sind und man nur die geschilderte Kreisform sieht. Untersucht man aber die Bildungen in Kantenstellung, wie die Textfigur 12 bei schwacher Vergrößerung zeigt, so erkennt man, dass aus der Mitte des flachen Straußes nach der einen Seite hin ein ganz kurzer Stiel, der den zusammen- gelagerten Köpfen entspricht, gleich dem Stiel eines Blumen- straußes, herausragt; bei Aeschna grandis war der Stiel oft etwas länger. Diese Spermien- verkuppelungen kom- men ın sehr großer Zahl ın dem Vas de- ferens der Männchen vor und können hier schon mit einer schwa- chen Lupe als kleine weiße Pünktchen sehr deutlich erkannt wer- den. In dem weib- lichen Genitalapparat habe ich sie nach der Kopulation vermisst, es fanden sich dann nur noch isolierte Samenkörper. Sie scheinen mithin ausschließlich der leichteren Übertragung einer größeren Spermamasse auf das Weibehen zu dienen, wie zu Anfang dieser Mitteilung schon hervor- gehoben wurde. Die geschilderten Bildungen fand ich unter den Inbellen aus- schließlich bei der Familie der Aeschniden und zwar bei den Gat- tung Aeschna und (Fomphrs;, nur hier allein kommen Spermiozeugmen vor, bei den Familien der Agrioniden und der Libelluliden fehlen überhaupt derartige Verkuppelungen von Samenkörpern. Wahr- scheinlich hängt diese Tatsache mit der Verschiedenheit der Sper- mien bei den genannten Familien zusammen. Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen, 215 Meine Untersuchungen führten nämlich zu dem interessanten Resultat, dass jede der drei Libellenfamilien eine besondere, für sie charakteristische Spermienform besitzt. Dies ist um so be- achtenswerter, als die Samenkörper der Libellen an sich nur klein sind und im Vergleich mit den oft sehr langen Samenelementen anderer Insekten nur relativ kurze Fäden darstellen. Bei den Aeschniden (Aeschna und Gomphus) besitzen die Sper- mien einen langen, geraden, nadelförmigen Kopf und eine Geißel, die nicht viel länger als der Kopf ist. Die letztere setzt sich aus drei parallel nebeneinander liegenden, leicht isolierbaren Fasern zusammen, von denen die eine etwas blasser ist und sehr häufig in zahlreiche feinste Elementarfibrillen zerfällt. In einer 1894 aus meinem Greifswalder Laboratorium hervorgegangenen Arbeit!*) ist auf Tafel X Figur 17 schon ein in seine drei Fasern zerlegtes Spermium von Aeschna grandis dargestellt worden. Ganz anders sind die Samenkörper der Agrioniden (Calopteryx, Agrion) strukturiert. Hier ist ein ausgesprochener spiraliger Auf- bau festzusiellen, was sonst bei den Insektenspermien nur selten’) beobachtet wird. Der Kopf ist in einigen Windungen spiralig ge- bogen. Noch auffälliger wird die spiralige Struktur der Geißel, welche sich aus drei Hauptfasern aufbaut. Eine davon ist dünner als die andern beiden, wickelt sich in Spiralwindungen um die beiden andern herum und löst sich von ihnen leicht ab; sie zerlegt sich wiederum sehr oft in drei sehr feine Fäserchen. Die andern beiden Fasern erscheinen wesentlich dieker, sind spiralig umeinander gedreht und lösen sich etwas schwerer voneinander ab. Eine Aus- nahme unter den Agrioniden macht die Gattung Lestes, deren Sper- mien einen geraden nadelförmigen Kopf besitzen und auch an den Fasern der Geißel eine spiralige Anordnung nicht so deutlich her- vortreten lassen. Die merkwürdigste und von den Spermien der übrigen Libellen wiederum sehr abweichende Spermienform weisen die Libelluliden (Libellula und Cordulia) auf. Sie ist auffällig klein, stecknadelartig und besteht aus einem Kopf und einem sehr kleinen Geißelanhang, der kaum so lang als der Kopf ist. Der letztere besitzt eine lang- gestreckte schmale Walzenform. Sein vorderes Ende wird von einem ansehnlichen Spitzenstück gebildet, welches in einem kugeligen Aufsatz endigt. Ein Spitzenstück besitzen übrigens auch die Sper- mien der anderen Libellengattungen, nur ist es dort wesentlich 14) Vgl. Karl Ballowitz, Zur Kenntnis der Samenkörper der Arthropoden. Internat. Monatsschrift f. Anatom. u. Physiol., Bd. XI, Heft 3, 1894. 15) Vgl. E. Ballowitz, Über eigenartige, spiralig strukturierte Spermien mit apyrenem und eupyrenem Kopf bei Insekten, Archiv f. Zellforsch., XII, Bd., Heft 1, 1914. 216 Isaak, Ein Fall von Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Großschmetterling. kleiner. Die sehr unansehnliche Geißel lässt sich in zwei ungleich lange differente Fäden zerlegen. In betreff alles Näheren verweise ich auf meine demnächst erscheinenden ausführlichen Abhandlungen. Es sei nur noch erwähnt, dass Gilson'!®) die kleinen steck- nadelartigen Spermien der Gattung Libellula bereits gesehen und bei schwacher Vergrößerung abgebildet hat. Ir neuerer Zeit, ım Jahre 1909, hat auch G. Retzius!”) die Samenelemente einiger Libellen untersucht und auf Tafel XXI des 14. Bandes seiner wundervollen „Biologischen Untersuchungen“ zur Darstellung gebracht. Wie es ım Text auf Seite 61 und 62 heißt, berücksichtigte dieser Autor drei Arten, nämlich Aeschna grandis, „eine kleine Libellula* und Lestes sponsa. Die Figuren 10— 19 der genannten Tafel zeigen nun die typischen stecknadelförmigen Spermien, wie sie für die Familie der Libellu- liden überaus charakteristisch sind. Trotzdem werden sie als Aeschna grandis zugehörig bezeichnet und ım Text genau beschrieben. Ich kann nun auf das Bestimmteste versichern, wie auch aus meiner obigen Schilderung hervorgeht, dass dies keinenfalls die Spermien der Aeschna grandis sind, vielmehr gehören sie irgendeiner Spezies der Gattung ZLibellula an. Der Samenkörper einer Aeschnide ist über- haupt auf der ganzen Retzius’schen Tafel nicht zur Darstellung gekommen. Ebensowenig ist eszutreffend, dass die in den Figuren 1—5 dargestellten Spermien von einer Art der Gattung Zibellula stammen. Dagegen zeigen sie die typische Form und Struktur der Agrioniden und sind wahrscheinlich einer der zahlreichen Arten der Gattung Agrion entnommen. Ich bedauere sehr, feststellen zu müssen, dass die diesen Retzius’schen Figuren und Beschreibungen zugrunde gelegten Insekten nicht richtig bestimmt worden sind. Dass die Figuren 6—9 der Tafel von einer Lestes-Art stammen, mag zutreffen. Ein Fall von Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Gro/sschmetterling. Von J. Isaak. (Mit einer Textfigur.) Die Leuchtfähigkeit der Insekten lässt sich ın ihrer biologischen Bedeutung entweder als Schutzmittel gegen Feinde oder aber als Erkennungszeichen für die Geschlechter während der Hochzeits- periode auffassen'). 16) L. ce. Planche VI, Fig. 209—213 von Libellula depressa. 17) G. Retzius, Biologische Untersuchungen. Neue Folge, Bd. XIV, 1909. I) Vgl. Reuter, Lebensgewohnheiten und Instinkte der Insekten. 1913, p- 146—147 und 171ff. Isaak, Ein Fall von Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Großschmetterling. 217 Fälle, in denen das reflektorische Erleuchten als Schutzmittel aufzufassen ist, sind nicht viele bekannt. Deshalb möchte ich auf eine Erscheinung, die ich bei einer einheimischen Schmetterlingsart beobachtet habe, hierdurch aufmerksam machen, zumal als ich in der mir zugänglichen diesbezüglichen Literatur keine Beschreibung dieses Falles gefunden habe. Der Schmetterling (Arctia Caja L.), der nachts fliegt, bleibt in der Ruhestellung derart sitzen, dass die Längsachse des Kopf- abschnittes in einer Ebene mit der gleichen Achse des Brust- bezw. Bauchabschnittes liegt. Die zwei ersten Brustringe sind von einem Kragen überdeckt; dieser, der dem Prothorax entsprießt, besteht aus einem Schopf von kaffeebraunen Haaren, welche parallel zur [329258 a a % Abe a = as ee ERST Fig. 1—3. Trotzstellung und Leuchtphänomen bei Aretia Caja L. l. Die Ruhestellung, 2. der Effekt einer schwachen Reizung (Trotzstellung), 3. der Effekt einer starken Reizung (in den Mittelpunkten der „Eulenaugen“ sind die Tropfen des leuchtenden Sekretes zu sehen). longitudinalen Körperachse verlaufen; nach hinten ragt derselbe frei heraus. Etwaige Leuchtphänomene lassen sich nicht wahr- nehmen (Fig. 1). Das Bild ändert sich mit einem Schlag nach der mechanischen Reizung des Kopfabschnittes. Es genügt die leiseste Berührung des ruhenden Tieres, um das- selbe zu veranlassen, den Kopf und den Prothorax gegen den Bauch hin zurückzuziehen (unverkennbare Trotzstellung), wodurch der mit- gezogene Kragen in eine vertikale Stellung zum Brustabschnitte kommt und zugleich die vordem kaum sichtbare (grellrote) „Brille“ bloßgelegt wird. Diese Brille, die am Vorderteil des Mesothorax liegt, besteht aus zwei gleichen, symmetrisch gelegenen Teilen, von denen jeder durch die roten, rosettenartig angeordneten Haare ge- bildet wird. Das Zentrum jedes Gebildes, das mit dem Eulenauge gewisse Ähnlichkeit hat, bildet ein kleiner, schwarzer, kreisrunder 918 Isaak, Ein Fall der Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Großschmetterling. Fleck; dies sind die Stellen, wo sich die Mündungen der ein leuch- tendes Sekret ausscheidenden Drüsen befinden (Fig. 2). Lässt man nun auf das ruhende Tier bezw. auf ein solches, das durch eine vorhergehende leichte Reizung in die oben be- schriebene Trotzstellung gebracht war, einen Reiz von genügend starker Intensität einwirken (z. B. einen Stoß auf die Stirn u. s. f.), so kann man wahrnehmen, zumal wenn der Versuch in einem dunklen Raum stattfindet, dass, während das Tier in der Trotz- stellung immer noch verharrt, die schwarzen Zentralkörper der „Eulenaugen“ plötzlich zu leuchten beginnen (Fig. 3). Das grün- liche Licht wird durch das Sekret, das aus den darunter liegenden Drüsen als Folge der Reizung ausgetreten ist, erzeugt. Das Leuchten dauert bei kräftigen Individuen wohl 10 Sekunden; daraufhin wird das Sekret wieder eingesogen und das Leuchten hört auf. Das Tier verharrt indessen noch einige Zeit (bis über eine Minute) in der Trotzstellung. Das lichterzeugende Sekret kann man auch ohne aktive Tätig- keit des Tieres rein passiv austreten lassen; man braucht bloß das Tier künstlich in die oben erwähnte Trotzstellung zu bringen (also den Kopf gegen die Unterseite zu drücken!) und daraufhin einen starken Druck auf den Kopf auszuüben. Es tritt aus beiden Drüsen- mündungen je ein Tropfen des bei Tageslicht hellgelb gefärbten Sekretes heraus. Das Phänomen des Leuchtens, das sich gleich gut bei beiden Geschlechtern beobachten lässt, habe ich bei vielen Individuen und nach Belieben wiederholt hervorrufen können. Dass es sich in diesem Falle der Leuchtfähigkeit wahrschein- lich um ein Schutzmittel gegen Feinde der Art und nicht um ein Erkennungszeichen für die Geschlechter während des Hochzeits- fluges handelt, möchte ich daraus schließen, dass man einen starken mechanischen Reiz applizieren muss, um das Erleuchten hervor- rufen zu können. Ich habe ferner bisher das Phänomen des Leuch- tens nie spontan, aus inneren Impulsen auftreten sehen. Hingegen tritt, wie die Beobachtungen eines amerikanischen Forschers an Leuchtkäfern (beschrieben im Journal of animal Behavior) ver- muten lassen, das Erleuchten, das als Erkennungszeichen für die Geschlechter während der Hochzeitsperiode dienen soll, rhythmisch und ohne wahrnehmbare äußere Reize auf. Allerdings habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, die Tiere während des Hochzeitsfluges zu beobachten. Sollte es mir gelingen, bei der nächsten Zucht von Arctia Caja den Hochzeitsflug beobachten und Näheres über die eventuelle Bedeutung des Leuchtphänomens für das Zusammenfinden der Geschlechter erheben zu können, so werde ich gerne an diesem Ort darüber berichten. Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 219 Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. Von Hermann Jordan, Utrecht. (Nach einer Antrittsvorlesung.) In der Einleitung seiner bekannten Geschichte der Zoologie!) sagt Carus: „Dürfen wir den Ursprung einer Wissenschaft in die Zeit des ersten Bekanntwerdens mit dem Gegenstande derselben setzen, dann ist die Zoologie, wenn nicht die älteste, doch eine der ältesten Wissenschaften. Freilich enthält sie zunächst nichts als Kenntnisse einzelner Tierformen, welche unverbunden und nur zu- fälligen Erfahrungen entsprungen waren.“ Diese Kenntnisse kann man sich wie folgt entstanden denken. Vielgestalt und Mannigfaltigkeit fallen dem Beobachter der Tierwelt an dieser zuerst ins Auge. Der Ausgangspunkt jeder Wissenschaft ist neben Wissensdrang sicherlich Herrschsucht: Man will irgend- eine Gruppe von Gegenständen umfassend kennen lernen, dem Gefühle folgend, dass man dadurch und nur dadurch zu einer geistigen Herrschaft über diese Gegenstände gelangt. Die Mannig- faltigkeit der Tierwelt jedoch stellt dem „herrschsüchtigen Wissens- drang“ Aufgaben, denen der primitive Mensch noch ın keiner Weise gewachsen ist. So beschränkt sich denn auch dasjenige, was Carus im obigen Zitat als den Anfang der zoologischen Wissenschaft be- zeichnet, darauf, diejenigen Tiere kennen zu lernen, mit denen man als Hirt, Jäger u. a. m. zu tun hat, d. h. man lernt diejenigen Eigenschaften an ihnen kennen, die für den Menschen irgendwelche Bedeutung haben. Als Waffe aber gegen die sinnverwirrende Viel- gestalt bedient man sich einer Methode, die nicht so sehr für Wissenschaft als für das menschliche Denken ganz allgemein cha- rakteristisch ist und Jie das Kind anwendet, ehe es noch dazu übergeht, dem Einzelgegenstand die ıhm gebührende Beachtung zu schenken: Man bildet Begriffe Man spricht nicht von diesem oder jenem Tierindividuum, sondern von Fischen, Vögeln u. s. w., größere oder kleinere Gruppen zusammenfassend. Wer die ersten Begriffsbildungen bei einem Kinde beobachtet hat, der weiß, dass diese keineswegs auf guter Beobachtung gemeinsamer Merkmale der verschiedenartigen Einzelindividuen beruht (sogen. Abstraktion). Vielmehr beruht die Leichtigkeit, mit der dieser Vorgang stattfindet, darauf, dass das Kind die vielen Merkmale, durch welche jene Indi- viduen voneinander sich unterscheiden, garnicht beachtet. Nicht anders dürfte es beim primitiven Menschen gewesen sein: Mag man in den Ursprachen Worte finden, die an modernere zoosystematische 1) Carus, J. Vietor: Geschichte der Zoologie bis auf Joh. Müller und Charles Darwin. München 1872, R. Oldenbourg. 390 Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. Namen erinnern, so gibt uns das noch kein Recht, hierin den Be- ginn wissenschaftlicher Zoologie zu erblicken. Schopenhauer?) sagt: „Nur wer sich die Aufgabe macht, über irgendeine Art von Gegenständen vollständige Erkenntnis in abstracto zu erlangen, strebt nach Wissenschaft.“ „Wollte die Wissenschaft die Kenntnis von ihrem Gegenstande dadurch erlangen, dass sie alle durch den Begriff gedachten Dinge einzeln erforschte, bis sie so allmählich das Ganze erkannt hätte, so würde teils kein menschliches Gedächtnis zureichen, teils keine Gewissheit der Voll- ständigkeit zu erlangen sein.“ Dahingegen ist es unsere Aufgabe, einzelne Individuen lediglich als Vertreter einer Gruppe, diese Gruppe wiederum als einen Teil einer umfassenderen Gruppe zu untersuchen. Wenn nun die Wissenschaft das Verhältnis solcher Gruppen zueinander bestimmt hat, so „ist eben damit auch alles in ihnen Gedachte im Allgemeinen mitbestimmt und kann nun mittels Aussonderung immer engerer Begriffssphären, genauer und genauer bestimmt werden. Hierdurch wird es möglich, dass eine Wissen- schaft ihren Gegenstand ganz umfasst.“ Nach diesen Worten musste die Zoologie so lange eine Samm- lung unzusammenhängender Tatsachen bleiben, bis man imstande war, folgenden Anforderungen zu genügen. Man musste einsehen lernen, dass alle Tiere eine ideelle Einheit darstellen und zwar auf Grund gleichartiger Organisation. Man musste ein System der Be- ziehungen besitzen, welche sich, auf Grund ihrer wichtigsten Eigen- schaften, zwischen allen Tieren feststellen lassen. Ohne solch ein, wenn auch primitives natürliches System, konnte man ja die Einzel- tatsachen nicht in den von jeder echten Wissenschaft geforderten Zusammenhang bringen. Hierzu aber war vor allem eine hin- reichende Kenntnis jener wichtigeren Eigenschaften der Tiere not- wendig. Ich hoffe mit diesen Worten angedeutet zu haben, dass nicht nur in den ersten Anfängen, auf die sich obiges Zitat von Carus bezieht, sondern auch später, als schon Forscher das Chaos tierischer Vielgestalt zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht hatten, von echter wissenschaftlicher Zoologie noch keine Rede sein konnte: /u Anfang der Bearbeitung eines so weiten Feldes, wie das der Zoologie, kann man noch keinerlei System erwarten, es fehlt an Material hierzu. Andererseits wird kaum je ein Forscher in solchen Zeiten hinreichend kühn und einsichtsvoll sein um seine Lebens- arbeit dem zielbewussten Sammeln solchen Materials zu widmen, und täte er es, was bedeutete bei solcher Aufgabe die Arbeit eines Einzelnen? Und weil ein System fehlt, so ist der Forscher, 2) Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, Buch 1, $ 14. Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 221 der nicht nur Wissen, sondern Wissenschaft gewinnen will, hierzu außerstande. Dergestalt verstehen wir das Unstäte, das Fehlen jeden Zielbewusstseins bei den ersten zoologischen Forschungen: Es war eine Wissenschaft ohne Probleme. Denn Probleme sınd die leer bleibenden Räume im Netzwerk unseres Wissens, Lücken also, die in ganz bestimmter Beziehung stehen zu unserem zu Wissen- schaft systematisierten Wissen. Wenn der Mensch einer Mannigfaltigkeit gegenüber geistige Herrschaft zu gewinnen sucht und er dies auf dem Wege des Syste- matisierens noch nicht zu tun vermag, dann verfügt er noch über eine primitivere Methode: Er sammelt. Hat er derart ein ge- wisses Material wahllos zusammengetragen, dann versucht er dieses übersichtlich, aber willkürlich zu ordnen. Für die Zoologie ist Aristoteles der erste und wichtigste Vertreter dieses Stadiums. „Ein System der Tiere im heutigen Sinne des Wortes“, sagt Rädl?) (Bd. 1, S. 17), „hat Aristoteles nicht entworfen; und wenn von einem natürlichen System bei ihm die Rede ist, so muss darunter nur verstanden werden, dass Arı- stoteles die angeführten Gruppen der Tiere, wenn er auf sıe zu sprechen kam, als solche unterschied. Eine Übersicht der Tiere nach ihrer Verwandtschaft findet sich bei Aristoteles nicht.“ Carus aber drückt den Unterschied zwischen arıstotelischer Ein- teilung und dem modernen System wie folgt aus (S. 76): „Es macht sich der Unterschied zwischen der Systematik der Alten, auch des Aristoteles, und der Jetztzeit zunächst darin geltend, dass die letztere nicht so sehr ein fein logisch gegliedertes Gebäude, sondern die Form ist, in welcher die Kenntnis der Tiere, welche so unend- lich an Zahl zugenommen haben, am übersichtlichsten geordnet und am bequemsten dargestellt werden kann, mit anderen Worten, dass das System gewissermaßen der Gesamtausdruck von dem darstellt, was man von den Tieren weiß, während die Systematik der Natur- forscher des Altertums mehr oder weniger nichts anderes ist als ein besonderer Teil einer angewandten Logik.“ So blieb es bis in die neuere Zeit, man beschrieb, was man hier oder da zufällig sah, und wer keine Gelegenheit hatte, etwa auf Reisen, neue Tierarten zu entdecken, der schrieb Monographien; was ja auch heute noch manche Autoren tun, denen es an Pro- blemerkemntnis fehlt. Die Periode der Zoologie, die durch eine der- artige Auffassung der wissenschaftlichen Tätigkeit ausgezeichnet ıst, nennt Carus „die Periode der enzyklopädischen Darstel- lungen“. „Unter den nun zunächst zu schildernden allgemeinen Werken sind zwei Richtungen zu unterscheiden. Zu der ersten 3) Rädl, Em.: Geschichte der biologischen Theorien seit dem Ende des sieb- zehnten Jahrhunderts. Leipzig 1905, W. Engelmann. 329 Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. gehört eine einzige Schrift (nämlich von Watton 1492—1555), welche bei engerem Anschluss an Aristoteles sofort in die Mannig- faltigkeit der Tierwelt Ordnung zu bringen sucht. Die andere um- fasst Darstellungen, welche unter Herbeiziehung eines zuweilen ungeheuern Materials von Gelehrsamkeit und mit Berücksichtigung eigener Beobachtungen, sich vorzüglich die Schilderung der ein- zelnen Formen zur Aufgabe stellten und erst ın zweiter Linie an eine zweckentsprechende Ordnung dachten“ (Oarus, S.265). Wat- ton’s Werk fand keine Beachtung; die enzyklopädischen Bearbei- tungen behaupteten das Feld, als habe man instinktiv gefühlt, dass die Zeit für echte Systematik noch nicht reif war und dass das Sammeln von Material für künftige Zeiten die eigentliche zoologische Aufgabe dieser Periode sei. Noch im Jahre 1682 erschien das „Regnum animale* von Emanuel König, welcher „noch einmal nach alter Weise alles Wissbare und Nichtwissbare von den Tieren zusammentrug und so die Reihe der letzten Ausläufer der Enzy- klopädiker schließt“ (Carus, S. 449). Auf diese Weise wurde — wenn auch ohne Zielbewusstsein und ohne inneren Zusammenhang — das Material für die „Periode der Systematik“ zusammengetragen. Dies gilt in erster Linie für die äußere Gestalt der Tiere; doch würde solch ein Wissen nicht genügt haben. Das System musste ein Ausdruck werden von mög- lichst vielen Beziehungen zwischen allen Tieren. Wie konnten aber überhaupt solche Beziehungen für die Wissenssystematisierung fruchtbar sein, so lange man noch glaubte, dass ein Säugetier auf- zufassen sei „als eine aus einer bestimmten Anzahl von Organen !) bestehende Maschine“ (Rädl, S.57) und das niedere Tier als eın Klumpen undifferenzierten Stoffes? Man hatte schon ım Altertum einige anatomisch-physiologische Kenntnisse besessen. Die Anatomie und sogar die Physiologie einzelner höherer Tiere war bis zu einem gewissen Grade erforscht worden. Die Probleme zu solchen Untersuchungen waren durch die medizinische Wissenschaft gestellt worden: Säugetiere dienten den Anatomen an Stelle von menschlichen Leichen; die Rätsel, welche die Leistungen des mensch- lichen Körpers dem Arzte aufgeben, suchte schon Galen (131—200 n. Chr.) durch folgerichtige Versuche an Tieren aufzulösen. Noch bis in die neuere Zeit stehen Anatomie und Physiologie der (höheren!) Tiere durchaus unter dem Einfluss der ärztlichen Wissenschaft: Wenn die vergleichende Anatomie auch gewiss mancherlei z. B. an Vesalzu danken hat, so führte dieser Forscher jene Untersuchungen doch lediglich aus, um die Ursachen von Galen’s Fehlern zu ent- decken’). 4) Organe nämlich, die man mit den homogenen Rädern eines Uhrwerks verglich. 5) Andreas Vesalius, geb. zu Brüssel 1514, gest. 1565: „Das Werk Vesal’s Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 2253 wu) Die Verbesserung des Mikroskops brachte hierin eine Ver- änderung. So lange einer Wissenschaft Probleme, also ihre echten Führer, fehlen, lässt sie sich oftmals durch neue Methoden leiten. „Der Zeitpunkt der Entdeckung des Mikroskops*, sagt Rädl (S. 56), ist nicht genau bekannt, fällt aber bestimmt in die Jahre 1590— 1600. Das Mikroskop, auch wenn man die unvollkommenere Form, ın welcher es zuerst angewendet wurde, beachtet, hatte anfangs bis- weilen nicht die Bedeutung, welche es heute hat. Die Arbeiten der ersten Mikroskopiker waren meistens auch keine histologischen Arbeiten; es waren gewöhnlich überhaupt keine bestimmten wissen- schaftlichen Probleme, welche mit Hilfe des Mikroskops gelöst wurden, sondern man untersuchte damit ohne Wahl alles, was sich untersuchen ließ, und das Beobachtete diente mehr als Beweis für die Vergrößerungskraft des Mikroskops, denn als Ziel der Unter- suchung selbst. So haben sich nicht nur Biologen von Fach, wie Malpighi, sondern auch Dilettanten wie Leeuwenhoek und Physiker wie Huijghens mit der Mikroskopie befasst.“ Der bedeutendste Fortschritt, den die Zoologie solchen mikroskopischen Untersuchungen zu danken hatte, war die Überwindung des Vorurteils, dass ein prinzipieller Unterschied zwischen höheren und niederen Tieren bestehe Noch Harvey (1578—1657) sah ausschließlich die Vertebraten für echte Tiere an — ganz ım Sinne von Arıstoteles. Niedere Tiere, zumal die In- sekten, waren Zufallsprodukte der Natur. „Der Glaube an das Herauskristallisieren derselben aus faulenden Substanzen ıst nur ein Ausdruck ihrer Geringschätzung,* sagt Rädl (S. 62). Zweı For- scher traten als Gegner dieser Meinung auf. Malpıghı(1628—1694) beschrieb als erster, auf Grund seiner Untersuchungen an der Seidenraupe, den inneren Bau eines Insektes. Er kommt auf Grund seiner Erkenntnis zur Meinung, dass „die vollkommeneren Tiere zur Erklärung ihres anatomischen Verhaltens des Analogismus der einfacheren bedürfen“ (Carus, S. 396). Nicht anders Swammer- dam (1637— 1680). In seiner „Bibel der Natur“®) sagt er: „Bei der Vergleichung von Art und Bau der allergeringsten Geschöpfe mit Art und Bau der allergrößten, wurde ich gezwungen, jene nicht nur mit diesen gleichzustellen, sondern jenen sogar den größeren Wert (für die Forschung) zuzuerkennen.“ Die Meinung, als ent- stünden niedere Tiere durch Zufall aus faulenden Stoffen, weist er denn auch von der Hand. erhält aber ferner noch dadurch besonderen Wert, dass es, um die Quellen der von Galen begangenen Fehler darzulegen, fortwährend auch den Bau der höheren Tiere ins Auge fasst. Es enthält deshalb nicht unwichtige Beiträge für die ver- gleichende Anatomie“ (Haeser, Heinrich: Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten. Jena 1857, G. Fischer, Bd. 2, S. 40). 6) Johannis Swammerdamii Biblia Naturae. Ausgabe von Hermannus Boer- haave, Leiden 1737, Bd. 1, 8. 1. 994 Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. Die Periode der Systematik erreicht ihren Höhepunkt in Karl von Linne (1707—1778). Mit Linne& hört die Zoologie auf, lediglich eine Sammlung unzusammenhängender Beschreibungen zu sein. Es ist nicht meine Aufgabe, die Leistungen Linne@'s hier darzustellen. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass er die Not- wendigkeit und die Möglichkeit eines natürlichen Systems er- kannte. Er sah ein: „die verschiedenen Arten sind mit verschie- denen anderen durch ıhre Eigenschaften so verknüpft, dass sie etwas wie ein Netz oder wie eine geographische Karte bilden ’).“ Dieses Netz, durch Linne& entworfen, wurde die Grundlage der zoologischen Probleme der Zukunft: mit den leeren Räumen der Maschen im Netze unseres Wissens verglichen wir ja oben die Probleme. Nun- mehr kann der Naturforscher Bausteine, die an eine bestimmte Stelle eines bestimmten Bauwerkes passen, suchen und finden. Die neuen Tatsachen, die unter diesem Gesichtspunkt gesammelt werden, sind von anatomisch-morphologischer Natur. Denn die Er- fahrung lehrt, dass nur solche zoologische Systeme konsequent sind, die auf morphologischen Beziehungen fußen. Während also bis zur Periode der Systematik die zoologische Wissenschaft durch das Fehlen jeglicher Forschungsrichtung charakterisiert war, be- ginnt nunmehr ein ausgesprochen morphologischer Abschnitt der Zoologie. In erster Linie müssen wir hier Cuvier nennen (1769—1832), seines Bestrebens wegen, die Beziehungen der einzelnen Tiergruppen zueinander nicht lediglich auf Grund einiger auffälliger Eigen- schaften, sondern des gesamten „Bauplanes“ festzustellen. Wieder ist es nicht meine Aufgabe, die Entwicklung der Mor- phologie durch und nach Cuvier zu schildern. Nur auf einen Umstand muss ich aufmerksam machen: Durch Theodor Schwann (geb. 1810) wurde die Zellenlehre auf das Tierreich übertragen. Hierdurch wurde das große Werk vollendet, alle Tiere zu einer Summe von kommensurablen Größen zu machen. Die „Regel-de- tri* Rechnung bedient sich, wie bekannt, der Einheit, um zwei verschiedenartige Werte miteinander zu vergleichen; in gleicher Weise dient die Einheit „Zelle“, um dem Forscher vor Augen zu führen, dass das Reich des Lebens aus vielerlei, aber gleichartigen Elementen zusammengesetzt und daher zu jedweder wissenschaft- lichen Vergleichung und Systematisierung geeignet ist. Dass die Zoologie mehr und mehr in morphologische Bahnen gedrängt wurde, ist einem besonderen Umstande zuzuschreiben. Rein ideell waren bislange die Beziehungen gewesen, die man als zwischen den einzelnen Tiergruppen bestehend annahm. Die Frage nach der Ursache der Ähnlichkeit „verwandter“ Formen beant- 7) Rädl, Bd. 1, S. 137 nach Linne&. Philos. botan. p. 27. Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 295 wortete jeder Forscher je nach dem philosophischen System, dem eranhing. Naturwissenschaftliche oder auch nur naturphilosophische Grundlagen gab man den ersten zoologischen Systemen nicht. Dies wurde anders durch die Entwicklungslehre, die mehr und mehr an Boden zu gewinnen begann: Die Tiere sind nicht erschaffen, so, wie wir sie kennen, sie sind vielmehr durch einen langen Ent- wicklungsprozess das geworden, was sie jetzt sind. Zuerst — nahm man an — gab es nur einige wenige, außerordentlich primitive Arten, ja vielleicht sogar nur eine einzige Art. Hieraus sind dann die zahlreichen, komplizierten Formen — wie gesagt durch Ent- wicklung — entstanden. Von den Hypothesen, die über die Mög- lichkeit solch einer Artenbildung und Vervollkommnung durch Ent- wicklung veröffentlicht wurden, fand bekanntlich diejenige von Darwin die größte Anerkennung. Die Lehre Darwin’s dankt meiner Meinung nach diese Anerkennung nicht so sehr dem Um- stande, dass er zum ersten Male die Entwicklung selbst durch Tat- sachen zu beweisen suchte: Was der damaligen Forscherwelt be- sonders willkommen war, war eine mechanistische Erklärung der Tatsache, dass die Entwicklung Hand ın Hand geht mit einer Zu- nahme an Kompliziertheit der Organisation und an Zweckmäßigkeit. Das Bekanntwerden von Dar wın’s Lehre fällt ın das Zeitalter des Materialismus. „Kraft und Stoff“ waren die Prinzipien, aus denen das Weltganze erklärt werden musste. Die Organisation der Lebe- wesen, die so auffallende Übereinstimmungen aufweist mit den Maschinen, den Produkten menschlichen Geistes, menschlicher Fähig- keit der Zwecksetzung, bereitete naturgemäß der materialistischen Weltanschauung große Schwierigkeiten. Eine Lehre, die sich zur Aufgabe stellte, das Entstehen der Organisation auf Prinzipien zu- rückzuführen, die in keinem Widerspruch stehen zu der Allein- herrschaft von „Kraft und Stoff“, musste Beifall finden. Kurz angedeutet erklärt (wie hinreichend bekannt) Darwin die Ent- stehung „zweckmäßiger“* Organisation wie folgt: Viele Individuen einer Art weichen, was den Bau des einen oder des anderen Organes betrifft, vom Durchschnitt der Art ab. Wenn nun zufällig solch eine Abweichung nützlich für das Tier ıst, dann wird es hierdurch für den „Kampf ums Dasein“ geeigneter als seine Mitbewerber gleicher Art. Das Leben des betreffenden Tieres bleibt erhalten und hierdurch auch die nützliche Abweichung oder „Variation“, die den folgenden Generationen durch Vererbung übertragen wird. Die neue Struktur entsteht also ganz zufällig; ihr ist eine neue Leistung zu danken, und da diese für das Erhaltenbleiben des Tieres nützlich ist, so entsteht eine neue Tierart, die durch jene Struktur und ihre Leistung als solche ausgezeichnet ist. Die Struktur also erzeugt die Leistung. In anderen Systemen, 7. B. in demjenigen von Lamarck, ist das umgekehrt: Neue Lebens- XXXVI. 15 396 Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. bedingungen z. B. erfordern neue Funktionen. Und diesen An- sprüchen wird Genüge getan durch Erzeugung einer neuen, die Funktion ermöglichenden Struktur. Hier schafft die Funktion also die Struktur. Darwin hat mit anderen Worten der Entwicklung die denkbar morphologischste Erklärung gegeben. Er hat hier- durch die Aufmerksamkeit der Naturforscher durchaus von der Funktion abgelenkt: Morphogenese und Morphologie waren von nun an die einzigen Probleme für die Zoologen. Vor Cuvier hatte man die Organe lediglich als Maschinen be- trachtet, berufen zu einer bestimmten Leistung. Selbst Cuvier baut seine „Typenlehre* durchaus auf dem Studium der Organe als solche (also als Substrat der Leistung) auf. Dergestalt kann Rädl dem „Vater der vergleichenden Anatomie“ den Vorwurf machen, recht eigentlich kein Morphologe gewesen zu sein. „Ou- vier“, sagt er (S. 201), „hat die Morphologie der Theorie nach im allgemeinen recht verstanden und gewürdigt, in der Praxis blieb er aber Physiologe.*“ Durch Darwin’s Einfluss wurde das nun ganz anders. Das einzelne Organ wird zum Glied einer Kette, zum Stadium einer Entwicklung, einer Reihe von Veränderungen mor- phologischer Natur. Man bekümmert sich nicht darum, dass bei- spielsweise das Hyomandibulare das Kiefergelenk der Fische trägt; was diesen Knochen interessant macht, ıst die Tatsache, dass aus ıhm ım Laufe der Phylogenese die Columella des Mittelohrs ent- steht. Man lernt bei der Vergleichung scharf zu unterscheiden zwischen Übereinstimmungen aufGrund gleicher Leistung (Analogien) und solchen auf Grund gleicher Abstammung (Homologien). Aber nur um die letzteren bekümmert man sich. Was war nun während dieser ganzen Zeit das Schick- sal der vergleichenden Physiologie? Wir hörten schon von manchen physiologischen Untersuchungen an Tieren, in alter und neuerer Zeit, die jedoch durchweg unter dem Einflusse medizinischer Probleme ausgeführt worden waren. So konnte — obwohl man sich verschiedenartiger Tiere bedient hatte — von einer Wissenschaft, deren Gegenstand die Mannig- faltıgkeit der Lebenserscheinungen ist, noch keine Rede sein. Für diesen Teil der zoologischen Wissenschaft gilt dasjenige in gleicher Weise, was wir für den anatomischen Teil hörten: Die Beziehungen der Tiere untereinander waren noch unbekannt, es fehlte die Mög- lichkeit wissenschaftlicher Systematisierung, und hierdurch wiederum fehlte es an Problemen; denn Probleme sind ja Lücken in einem System. Ohne Probleme aber kann keine Wissenschaft entstehen. Hier und da wurden mehr zufällig einzelne zoo-physiologische Tatsachen entdeckt. So untersuchte beispielsweise Jakob Wolff°) 8) Wolff, Jakob: De insectis in genere. Lipsiae 1669. Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 997 aus Naumburg ım Jahre 1669, unter dem Einflusse von Harvey’s Ent- deckung des Blutkreislaufes bei Säugetieren, die Körperflüssigkeiten der Insekten. Man rechnete damals noch die Insekten nach Aristoteles zu den „blutlosen Tieren“. Wolff fand, dass die Insekten zwar kein rotes Blut besitzen, er nennt aber nichtsdestoweniger ihre weißlich oder anders gefärbten Körpersäfte Blut, das er als „vehicu- lum vitae“ definiert (Carus, S. 372). Dass die Stigmata und Tracheen der Insekten der Atmung dienen, zeigt Malpighi, aller- dings ohne diese Feststellung experimentell zu belegen. Auf Be- obachtungen hingegen beruhen die Angaben über das Leben der Bienen, de man Swammerdam und noch mehr Reaumur (1683 — 1757) verdankte: So überzeugte sich Reaumur z. B. davon, dass die Bienenkönigin aus den nämlichen Eiern hervorgeht wie die Arbeiterinnen, dass die königliche Larve jedoch in einer be- sonders gearteten Zelle und bei besonderem Futter aufwachse. Er entdeckte die Ambulakralfüßchen der Seeigel und Seesterne und erkannte ıhre Funktion. Und was dergleichen mehr ist. Als man endlich so weit war, das Wissen von den Tieren systematisieren zu können, da erwies sich das System, wie wir schon hörten, als geeigneter, anatomische als physiologische Unter- suchungen anzuregen. Nichtsdestoweniger war nun auch für eine Vergleichung innerhalb des physiologischen Geschehens der Weg geebnet?). So finden wir denn auch ın der Periode, die mit Linn& beginnt und etwa bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reicht, manche vortreffliche vergleichend-physiologische Arbeit über Blut, Exkretion, Verdauung u. a. m. von niederen Tieren. Viele Re- sultate dieser Untersuchungen sind noch heutigentags zu brauchen. Ihren Höhepunkt erreichte diese Wissenschaft in Johannes Müller (1801—1858). „Mit der vergleichenden Physiologie“, sagt Max Verworn!®), „hat Müller eine neue Wissenschaft zur Aner- kennung gebracht, angeregt durch die ungemeine Fruchtbarkeit, welche die vergleichende Methode in der Anatomie in jener Zeit zu entfalten begann... Müller vertrat sein ganzes Leben hin- durch den Standpunkt, es könne ‚die Physiologie nur eine ver- gleichende sein‘, und es gibt unter der schier erdrückenden Zahl seiner physiologischen Arbeiten wenige, in denen das vergleichend- physiologische Prinzip nicht mehr oder weniger deutlich zum Aus- druck käme.“ Auch in seinem „Handbuch der Physiologie“ wendet Müller häufig die vergleichende Methode an'!!). Fügen wir hierzu 9) John Hunter (1728—1793) machte sogar den Versuch, das zu dieser Zeit vorliegende zootomische Material nach physiologischen Gesichtspunkten zu systematisieren. Das dergestalt gewonnene System benützte er zur Ordnung seines Museums. 10) Verworn, Max: Allgemeine Physiologie. Jena 1903, G. Fischer, 4, Aufl., S. 22. 11) Einige Beispiele vergleichend-physiologischer Dissertationen in Berlin er- 35* 338 ‚Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. noch Namen wie Claude Bernard, der im Jahre 185312) seine berühmten Untersuchungen über Glykogen auch auf wirbellose Tiere ausdehnte, und Milne-Edwards'°), dann ist es schwer verständ- lich, dass damals die vergleichende Physiologie nicht zur Blüte gelangte. Allerdings benutzten alle diese Physiologen die Mannig- faltigkeit der Lebenserscheinungen, anstatt ein Problem aus ıhr zu machen, mehr zur Vergleichung mit ihren eigentlichen Objekten, den Säugetieren. Doch hätte unter ihrem starken Einflusse auf diesem Umwege die echte Schwesterwissenschaft der vergleichenden Ana- tomie entstehen müssen. Nichts dergleichen geschah. Der Einfluss Johannnes Müller’s, auf diesem Gebiete, erlischt. Gewiss fehlt es nicht an einzelnen, zusammenhangslosen Arbeiten auf dem Ge- biete der Physiologie niederer Tiere. Aber zur Synthese einer ver- gleichenden Wissenschaft kommt es nicht. Warum? Wir haben schon weiter oben die Antwort gegeben: Weil die herrschende Hypothese über die Entstehung der Mannig- faltigkeit der morphologische Erklärungsversuch von Darwin war. Freilich Darwin, selbst ein vortrefflicher Experimentator, würde dem vergleichenden Physiologen Arbeit genug übrig gelassen haben. Darwin äußert ja überhaupt keine Meinung über das Entstehen primitivster Organismen: Die Frage, wie kommen Lebenserschei- nungen überhaupt zustande und was ist hierzu mindestens an Organisation nötig, rührt er nicht an. Ganz anders Häckel, der einsieht, dass die Beantwortung dieser Fragen zur Lösung der bio- logischen „Welträtsel“ ebenso wichtig ist als die Erkenntnis, dass die Mannigfaltigkeit aus primitiven Organismen durch Abstammung hervorgegangen sei. In seiner „Generellen Morphologie der Orga- nismen“!*) versucht er denn auch jene Frage zu beantworten. Allein ihre physiologische Seite wird nur angedeutet. Denn Häckel ist überzeugt, dass, wenn Organismen zu finden sind, in denen unsere Hilfsmittel keinerlei Struktur mehr erkennen lassen, die spontane, natürliche Entstehung dieser Organismen erklärbar ist. Er vergisst, dass, wenn in solch einem einfachsten Wesen das Mikroskop vergebens nach Struktur gesucht hat, die vergleichende Physiologie hätte beweisen müssen, dass die Leistungen dieses Organismus ebenso einfach seien als seine (sichtbare) Struktur. schienen zu der Zeit, als J. Müller daselbst Professor der Physiologie war: J. F.W. Schlemm: De hepate ac bile Crustaceorum et Molluscorum quorundam. Diss. 3erolini 1844. — Lindner: Nonnulla de hepate et bile Evertebratorum. Diss. Berolini 1844. 12) Bernard, Olaude: Ann. Sc. nat. Zool. (3), T. 19, 1853, p. 282. 13) Milne-Edwards: Lecons sur la physiologie et l’anatomie comparees de l’homme et des animaux. Paris 1859. 14) Häckel, Ernst: Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen Formenwissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformierte Deszendenztheorie. Berlin 1866. Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 299 Denn ob Kompliziertheit Bau oder Leistung betrifft, tut nichts zur Sache; komplizierte Systeme, als welche die Erfahrung uns bislang alle Lebensformen kennen gelehrt hat, sehen wir nirgends durch zufällige physikalisch-chemische Vorgänge entstehen. Häckel jedoch und viele andere mit ıhm, erkannten offenbar unter dem morpho- logisierenden Einflusse von Darwin die Bedeutung dieser physio- logischen Seite des Problems nicht, so kamen denn beı Bearbeitung der von Darwin offen gelassenen Fragen fast ausschließlich mor- phologische Methoden zur Anwendung. Wir müssen es daher durch- aus, unmittelbar oder mittelbar, Dar wın's Einfluss zuschreiben, dass es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine vergleichende Physiologie gibt! In der gleichen Zeit blüht die medizinische Physiologie. Zahl- reiche Forscher weihen ihr Leben der Beantwortung jener Frage: „wie kommen die Lebenserscheinungen zustande?* Sie benützen jedoch selten hierzu das Material der vergleichenden Physiologie, und fast niemals ihre Methode. Alle Forscher aber, die sich ge- rade die Mannigfaltigkeit des Tierreiches zum Problem wählten, standen unter Darwin’s Einfluss, der wie niemand vor ıhm, ıhr Chaos zum Verschwinden gebracht hat. So bleibt die Physiologie, als Physiologie der Säugetiere, ein Bestandteil der medizinischen Wissenschaft; die Notwendigkeit einer Zoophysiologie, als Bestand- teil der zoologischen Wissenschaft, sieht man nicht ein®°). Rädl sagt in der Einleitung seiner „Geschichte der biologischen Theorien“ (Bd. ı, S. 2), „dass eine allgemeine Lehre nicht durch eine andere, ihr nachfolgende, sachlich überwunden wird, sondern dass sie sich. überlebt, in Vergessenheit gerät, durch Agitation, welche nur das Oberflächliche an derselben kritisiert, unterdrückt wird, überhaupt, dass eine solche Lehre nicht darum verlassen wird, weil man ihre Unrichtigkeit erkennt, sondern aus anderen, nicht einfach logischen Gründen“. Gilt dieser Satz für den Dar- winismus, oder haben die Grundlagen der Zuchtwahllehre, nach ge- 15) Auf die Entstehungsgeschichte der Pflanzenphysiologie kann ich hier nicht eingehen. Nur so viel sei gesagt: Sie wurde unmittelbar den übrigen Teilen der Botanik zugezählt. schon deswegen, weil für den Pflanzenphysiologen in der medi- zinischen Fakultät kein Platz ist. Nichtsdestoweniger stand auch die Systemati- sierung ihres Materials zu einer Wissenschaft unter dem Einflusse der medizinischen Physiologie. J. v. Sachs, dem wir diese Systematisierung verdanken, fasste den Entschluss, sich der Pflanzenphysiologie zu widmen, als Assistent des Physiologen Purkinje (vgl. P. Hauptfleisch: Julius v. Sachs, Münch. med. Wochenschr. 1897, Nr. 26). In der Tat brachte Sachs weder in seinen Vorlesungen noch in seinem Buche: „Vorlesungen über Pflanzenphysiologie“ (Leipzig 1857, W. Engel- mann, 2, Aufl.,) vergleichende Gesichtspunkte zur Anwendung. So verlief in jenen Zeiten die Entwieklung der Pflanzenphysiologie viel eher parallel mit derjenigen der medizinischen als der zoologischen Physiologie. Darum halte ich mich für be- rechtigt, die Pflanzenphysiologie unberücksichtigt zu lassen, 330 Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. nauerer Untersuchung des tatsächlichen Verhaltens nicht genügt? Entsprach die Variabilität nicht den Erwartungen Darwin’s, oder ergab es sich, dass die zu erklärende Organisation komplizierter ist als man dies ursprünglich gedacht hatte? Wir wissen es nicht und wollen auch nicht trachten, diese Fragen zu beantworten. Dass jedoch der Selektionismus seine, die wissenschaftliche Welt beherr- schende Allgewalt verloren hat, das ließe sich mit Statistik be- weisen! Während jedoch dergestalt die Zuchtwahllehre einen Teil ihrer Macht einbüßte, ıst uns nichtsdestoweniger die Entwicklungs- lehre geblieben. Wir wollen nunmehr sehen, welchen Einfluss diese Tatsache auf die Entwicklung der vergleichenden Physio- logie gehabt hat!*). In früheren Zeiten maß man der Frage: „wie kommt Leben zustande?“ nicht den ihr gebührendeu Wert zu. An die Stelle des Forschertriebes trat hier Theologie. Das Zeitalter der Natur- philosophie und der Entwicklungslehre räumte mit derartigen Vor- urteilen auf. Aber dabeı blieb es nicht. Eın halbes Jahrhundert lang hatte man gearbeitet, um die scheinbare Übereinstimmung zwischen der Organisation der Tiere und der zweckmäßigen Ein- richtung der Maschinen zu erklären. Das Resultat aller dieser Arbeit befriedigt uns nicht. Das Bedürfnis nach solch einer Erklärung, geweckt durch die Bestrebungen von Männern wie Darwin und Häckel, bleibt und wird nun um so fühlbarer. Endlich sind jene Bestrebungen nicht nutzlos für uns gewesen, wir haben folgendes durch sie gelernt: 1. Die prinzipielle Einheit aller Organisation: für alle Orga- nismen gelten im Grunde die gleichen Probleme. 2. Es bestehen ganz bestimmte Beziehungen zwischen der Organisation der niederen und derjenigen der höheren Tiere: Die 16) Wir müssen in diesem Zusammenhange daran erinnern, dass Lamarck’s Lehre — wie bekannt älter als diejenige Darwin’s — in neuem Gewande wiederum eine wichtige Rolle spielt. Wir hörten, dass diese Lehre, umgekehrt wie die Zucht- wahllehre, die Entstehung der Funktion nicht aus der Entstehung der Form er- klärt: Die Leistung oder richtiger die Notwendigkeit einer Leistung schafft die Form. Die Leistung ist das Wichtigere; um ihretwillen wird die Form überhaupt erst ins Leben gerufen. Nun ist es ja wohl richtig, dass die meisten Neolamarckisten sich vornehmlich mit der Bearbeitung solcher Probleme beschäftigen, die das Ent- stehen der Form, der Struktur zum Gegenstande haben, oder mit der für dieses Lehrgebäude so wichtigen Erblichkeitslehre. Nichtsdestoweniger jedoch hat der Neolamarckismus die Aufmerksamkeit wieder mehr auf die Funktion gelenkt. La- marck selbst war ja — wie Rädl (l.c. Bd. 1, S. 297) sagt, „seiner wissenschaft- lichen Bildung nach, Systematiker und Physiologe, nicht Morphologe“. Den Ein- fluss, den der Neolamarckismus auf die Entwicklung der vergleichenden Physiologie ausgeübt hat, kann ich nicht feststellen. Ich glaube übrigens nicht, dass nach dem allmählichen Schwinden des Einflusses des Darwinismus, die Forscher noch des La- marckismus bedurften, um auf eine ganze Gruppe von Problemen aufmerksam gemacht zu werden, die mit Gewalt nach Auflösung verlangen: die Probleme, deren (regenstand die Mannigfaltigkeit der Lebenserscheinungen ist! Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 231 komplizierten Formen sind durch Entwicklung aus den einfacheren entstanden. 3. Die auffallenden Beziehungen zwischen der Organisation und den Anforderungen der Umwelt sind allmählich entstanden. Wir wollen kurz skizzieren wie die vergleichende Physiologie ihr wıssenschaftliches System auf diese drei Grundsätze aufzubauen vermag und dass sie dergestalt die Grundlagen ihrer Probleme (so weit sie eine vergleichende Wissenschaft ist) gerade derjenigen Richtung verdankt, deren Einfluss ihr seinerzeit feindlich im Wege stand. Gerade an der Hand der drei Leitsätze sind wır imstande, die Mannigfaltigkeit der Lebenserscheinungen zum Gegenstande unserer Untersuchungen zu machen. 1. Die prinzipielle Einheit aller Organisation erlaubt uns, die einzelnen Funktionen da zu studieren, wo sie am einfachsten sind, nämlich am niederen Tiere: so lernen wir verwickelte durch die Erkenntnis einfacherer Einrichtungen verstehen. 2. Die Beziehungen zwischen der Organisation der niederen und derjenigen der höheren Tiere. Wir verfolgen jede Funktion von Tiergruppe zu Tiergruppe, mit der niedrigsten anfangend bis zu den Säugetieren. Wir finden dergestalt, dass jede Funktion ıhre Geschichte hat, vergleichbar einer jeden Maschinenart. In ıhrer niedrigsten Form genügen Ma- schinen und Organe den geringsten Anforderungen, die man an sie stellen kann. Von Stufe zu Stufe lassen sich bei beiden Verbesse- rungen nachweisen. Als Beispiel mag der Darm dienen. Bei den Coelenteraten ist dieses Organ nichts als ein Sack, der eine einzige Öffnung besitzt, die zugleich als Mund und als After dient. Der Sack ist, schon der doppelten Funktion der Öffnung wegen, nicht hinreichend von dem umgebenden Wasser abgeschlossen: Wenn — wie im Wirbel- tiermagen etwa — Verdauungsfermente in diesem Sacke anwesend wären, sie würden in großen Mengen weggeschwemmt, verloren gehen oder allzusehr durch eindringendes Wasser verdünnt werden. Hier findet denn auch die Verdauung nicht im Raume des Sackes, vielmehr im Protoplasma der Zellen statt, die die Wand des Sackes bilden. Wenn wir nun diese Funktion von Tiergruppe zu Tier- gruppe verfolgen, mehr und mehr höhere Gruppen als Beispiel wählend, dann können wir feststellen, dass langsamerhand alle jene primitiven Merkmale verschwinden. Der Verschluss des Verdauungs- raumes, nach außen, wird besser. Mehr und mehr kann die Ver- dauung innerhalb dieses Raumes stattfinden. Hierdurch wird erreicht, dass viel größere Mengen Nahrung in viel kürzerer Zeit aufgelöst werden können. Der After entsteht an demjenigen Ende des Darmes, das dem Munde entgegengesetzt ist: Die Abfallprodukte nehmen nun- mehr der unverdauten Nahrung den Platz nicht mehr fort. Endlich wird die primitive Form der Verdauung, nämlich im Innern des 232 Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. Protoplasmas der Darmzellen, fallen gelassen; an die Stelle der Arbeit einzelner Zellindividuen kommt sozusagen Massenarbeit ım Innern des Darmrohres. Ich kann hier nicht eine jede Verbesserung andeuten, die uns auf unserem vergleichenden Gange vom Verdauungsapparat einer Hydra bis zu demjenigen der Säugetiere entgegentritt. Allgemein gesagt zeichnet diese Entwicklung sich aus durch zunehmende Ar- beitsteilung und dadurch, dass an Stelle der summarischen Form, in der bei niederen Tieren der Verdauungsapparat den an ihn ge- stellten Anforderungen genügt, mehr und mehr komplizierte Regu- lation tritt. So finden wir innerhalb des Bereiches der einzelnen Funktionen durchgehende Beziehungen; Beziehungen, die aus der Mannigfaltigkeit niederer und höherer Leistungsformen ein großes Ganze, eine Einheit machen; Beziehungen, die uns zeigen, dass auch die Natur nicht vollkommenste Organismen hervorbringt, sondern klein anfängt, tastend verbessert, stets jedem Organismus dasjenige an Kompliziertheit gebend, was er innerhalb der für ıhn charakteristischen Lebensumstände nötig hat, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn der Vollkommenheitsgrad einer jeden Funktion ist den Bedürfnissen des Tieres angepasst, diese sind wiederum ab- hängig von der Umwelt des Tieres: Hydra, die meist festsitzend in einem Tropfen Wasser lebt und daselbst nach kleinen Organismen angelt, hat naturgemäß einen geringeren Stoffwechsel und verbraucht zum Leben weniger Energie als etwa ein Raubtier, das sich ın aus- gedehnten Wäldern seiner starken Beute durch schnellen Lauf und kräftigen Angriff bemächtigt. Organisation und Ansprüche der art- eigentümlichen Umwelt gehen stets Hand in Hand; je höher ein Tier, desto weiter und anspruchsvoller ist seine Umwelt ’”). 3. Die Beziehungen zwischen spezieller Umwelt und spezieller Organisation. Die Umwelten der Tiere lassen sich nicht lediglich in be- schränktere und weitere einteilen. Die „Tierreihe* ist keineswegs eine einzige ansteigende Linie, eine einzige Kette von höher und höher werdenden Formen. Man muss die Tiere vielmehr nicht nur übereinander, sondern auch nebeneinander ordnen. Dies ist genau wie in der menschlichen Gesellschaft: Wır können von höheren und niederen Berufen reden. Allein es gibt auch viele Berufe, zu deren Ausübung gleichwertige Vorbildung notwendig ist, die daher gleich „hoch“ sind. Doch kann es sich dabei um recht verschiedenartige Berufe handeln, insofern als sie Gebrauch machen von verschiedenartigen Möglichkeiten, um die Lebensbedürf- 17) Aus dem Gesagten ergibt sich eine weitere Art von Beziehungen: nämlich diejenige der einzelnen Funktionen eines Organismus untereinander. Jch will aber auf diese Beziehungsart in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Jordan, Die Vergleichende Physiologie in der Geschichte der Zoologie. 233 nisse der sie Ausübenden zu befriedigen. Dies ist bei den Tieren nicht anders. Ein Tier sucht seine Nahrung in der Luft, ein anderes im Wasser oder auf dem Lande; diese Art nährt sich von Pflanzen, jene von Fleisch u. a. m. Die Mannigfaltigkeit, die durch Aus- nützung jeder nur denkbaren Existenzmöglichkeit durch diese oder jene Tierart entsteht, ist unerschöpflich. Allein auch diese Mannig- faltigkeit bedeutet für unsere junge Wissenschaft keine Gefahr mehr, ist vielmehr eine ihrer größten Reize. Wieder suchen und finden wir die Beziehungen: Jede Art besitzt an spezieller Organı- sation, was sie für die speziellen Ernährungsbedingungen, unter denen sie lebt, nötig hat. Also wiederum Beziehungen zwischen Organisation und Umwelt. Hier jedoch steht die Organisation nicht unter dem Einflusse von quantitativen, als vielmehr von qualitativen Merkmalen der Umwelt. Ich wähle als Beispiel die Stechmücke. Ihre Mundteile weichen weitgehend ab von denjenigen anderer Insekten, soweit sich diese etwa von fester Nahrung ernähren. An Stelle von Lippen und Kiefern finden wir längliche Stechborsten. Zusammen bilden sie einen Rüssel, den wir mit der Nadelkanüle einer Morphinspritze vergleichen können. Es ist dies demnach ein Organ, das außer- ordentlich geeignet ıst, um bei Sängetieren eine Wunde zu verur- sachen und durch den Kanal der Kanüle Blut einzusaugen. Be- stehen nun in der Tat feste Beziehungen zwischen diesem Organe und seiner Leistung, Blut zu saugen, oder ist der Rüssel zufällig entstanden und wird lediglich in der geschilderten Weise verwendet, weil er nun einmal hierzu geeignet ist? Nehmen wır an, die letzt- genannte Erklärungsweise träfe zu; eine Mücke, ausgerüstet mit solch einem Rüssel, versuche Blut zu saugen, dann würde das Tier hierbei keinerlei Erfolg haben. Das Insekt muss noch über eine Reihe von anderen Einrichtungen verfügen, soll es imstande sein, als Blutsauger zu leben: Eine Scheide muss vorhanden sein, die das Umbiegen der Stechborsten beim Stiche verhindert; nur so können sie die feste Haut eines Säugetieres durchbohren. Die Mücke muss weiterhin Säfte zu erzeugen imstande sein, die, durch einen besonderen Kanal aus ihrem Körper in die Wunde ge- langend, die Blutgefäße des Wirtes reizen, so dass diese mehr Blut in sich aufnehmen als in der Norm, Säfte ferner, welche die Ge- rınnungsfähigkeit des Blutes vernichten. Wunde und Saugrohr würden sonst in kurzer Zeit verstopft sein. Fügen wir noch hinzu eine komplizierte Saugpumpe und eine hermetisch abgedichtete Leı- tung des Blutes innerhalb der Mundteile der Mücke, dann können wir uns eine Vorstellung machen von den wichtigsten Einrich- tungen, die zum Blutsaugen notwendig sind. Die Tatsache, dass alle diese Einrichtungen bei der Mücke nachzuweisen sind, zwingt uns dazu, einen festen Kausalzusammenhang anzunehmen, zwischen 234 Maignon, Recherches sur la toxicit@ des matieres albuminoides. der Ernährung durch Blutsaugen einerseits und der Organisation der Mücke andererseits Ein Leugnen solchen Zusammenhanges würde gegen jedes, auf die Gesetze der Wahrscheinlichkeit ge- gründete Denken verstoßen. Wir wissen nichts über die Ursache der Entstehung solchen Zusammenhanges. Wir sind jedoch — wie schon gesagt — davon überzeugt, dass die Organisation unter dem Einflusse der Lebensweise (der Umwelt) allmählich entstanden ist. Daher erlangen wir dıe Gewissheit, dass durch das Studium jener Beziehungen wir imstande sind, kennen zu lernen, wie die Natur ihre kompliziertesten Aufgaben löst. Eine weitere Gruppe von Beziehungen ergibt sich auf Grund von folgender Tatsache: Alle Tiere, die gleich der Mücke Blut saugen (um bei unserem Beispiel zu bleiben), besitzen auch eine entsprechende Organisation. Werkzeuge, geeignet, die Haut des Wirtes zu durchbohren und Blut zu saugen, Säfte, um die Blut- gefäße zu reizen und Blutgerinnung zu verhindern. Trotzdem aber stets das gleiche erreicht wird, die Mittel, durch welche dies ge- schieht, sind fast in allen Fällen verschieden. Die Natur bedient sich mannigfaltiger Mittel, um ein und dasselbe Ziel zu erreichen. Aber gerade das Studium dieser Mannigfaltigkeit lehrt uns das Können der Natur ın seinem vollen Umfange kennen. Das Material, mit dem die Natur arbeitet und die Art und Weise, wie sie es umformt, lernen wir durch die vergleichende Anatomie kennen. Was aber die Natur hiermit erreicht, uns dies zu zeigen, ist Aufgabe der vergleichenden Physiologie. Francois Maignon, Prof. de Phys. a l’Ecole nationale veterinaire de Lyon. Recherches sur la toxicite des matieres albuminoides. Akademie der Wissenschaften in Paris. Preis Montyon (2500 Fr.) für 1915. Berichterstatter: Chauveau und Dastre. In seinem Bericht führt der erstgenannte Berichterstatter aus: Er fühle sich deshalb veranlasst, die Arbeit von Maignon vorzu- schlagen, weil er von Anfang an die Versuche verfolgt habe, über deren Wert und die große Arbeitsleistung des Autors gut unter- richtet sei. Außerdem sei es für ihn eine gewisse Pflicht gewesen, da er auf Grund früherer Untersuchungen anfangs der Arbeit ab- lehnend gegenüber gestanden habe. Ergänzende Untersuchungen, welche M. begonnen hatte, seien leider durch den Krieg unter- brochen worden. Vor Antritt seiner Stellung in der Armee habe M. nicht die Zeit gehabt, seine Aufsätze weiter auszuarbeiten, so dass, obgleich drei Abhandlungen in Betracht kämen, nur eine vor- gelegt werden konnte. Im Verlauf seiner Untersuchungen verglich M. die verschiedenen Eiweißstoffe miteinander bezüglich ihrer Be- Maignon, Recherches sur la toxieite des matieres albuminoides. 235 deutung, welche sie als Träger des unentbehrlichen Stickstoffes für die Ernährung hätten. M. erkannte, dass in der Tat die ersten Ergebnisse von einer wesentlichen Giftigkeit der Kiweißkörper das Richtige getroffen hätten. Die Art der Giftigkeit aber sei eine ganz andere als jene der Ureide, in welche sich aller Nahrungs- stickstoff umwandle, nachdem er durch direkte oder indirekte Um- wandlung der Nahrungskörper frei geworden sei. Er wolle gleich bemerken, dass es sich nicht um Zufälligkeiten handle, wie das Hineingelangen in den Verdauungskanal von Eiweißkörpern, die sich schon verändert hätten und infolgedessen Gelegenheit zur Eı- weißvergiftung (Botulismus) gäben. Wurde der Nahrung, welche aus Protein bestand, ein geringer Teil von ternären Nahrungs- körpern (Kohlenwasserstoffverbindungen oder Fette) zugesetzt, So blieb bei den Kontrolltieren jede schlimme Folge aus, und keinerlei Vergiftung trat ein. Sie konnten sich lange Zeit im Nahrungs- gleichgewicht halten. Wurden die ternären Komplemente aber weggelassen, so konnte das Nahrungsgleichgewicht nicht aufrecht erhalten werden. Alle Eiweißkörper zeigten sich als unbefähigt dazu; ohne die ternären Komplemente sind die Eiweißkörper durch- aus nicht imstande, das Nahrungsgleichgewicht aufrecht zu erhalten. Es hatte dies schon bezüglich der Gelatine Magendie in seinen grundlegenden Versuchen nachgewiesen, aber zu dieser Unfähigkeit kämen noch außerdem in gewissen genau bestimmten Fällen Zeichen einer mehr oder minder schweren Vergiftung. Bei den Versuchen des Autors erfolgten sie im Verlaufe des regelmäßigen Stoffwechsels und unterschieden sich scharf von den toxischen Wirkungen, die sich infolge der Retention von Zersetzungsprodukten zeigten, die während des Stoffwechsels im Organismus selbst gebildet waren. Als Versuchstier diente die weiße Ratte. Zuerst wurde EKıer- eiweiß als Nahrung gegeben; es zeitigte dies Verfahren die inter- essantesten Ergebnisse; dieselben seien ganz besonders geeignet, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. An erster Stelle seien die zahlreichen Versuche zu nennen, welche M. dazu führten, eine Stufenleiter der Proteinsubstanzen aufzustellen, je nach ihrer Fähigkeit, das Leben der weißen Ratte als einzige Nahrung längere oder kürzere Zeit zu unterhalten. Das Hühnereiweiß wurde in Pulverform, so wie es in den Handel kommt, ohne jede weitere Vorbereitung verfüttert. Das Fleischpulver (Muskeleiweiß) wurde vorher mit Wasser, Alkohol und Äther nacheinander ausgezogen, mit letzterem allein das Fibrin und das Casein. Neben der Verabreichung jeder Substanz in Pulverform, wurden kleine Kügelchen gegeben. denen Mineralsalze beigemischt waren, um einer Verarmung des Organismus an Salzen vorzubeugen und doppelt kohlensaures Natron, um überschüssige Säure zu binden. Es wurde nicht jedem Tier eine bestimmte Menge Nahrung zuge- messen, vielmehr konnte jedes Tier fressen so viel es wollte. Keine der vier Arten von Eiweißproteinen war, wie oben gesagt, ım Stand, das Nahrungsgleichgewicht zu erhalten, dagegen blieben die ein- 2356 Maignon, Recherches sur la toxicit& des matieres albuminoides. zelnen Versuchstiere sehr verschieden lange Zeit am Leben, je nach der Art der Eiweißnahrung, welche sie erhielten. 1. Die Ratten, welche mit Hühnereiweiß gefüttert wurden, lebten durchschnittlich 8'/, Tage; der Gewichtsverlust betrug im Durchschnitt 31%. 2. Die mit Fleischpulver gefütterten lebten 19 Tage bei einem (Gewichtsverlust von 39%. 3. Bei der Fütterung mit Fibrin war die Lebensdauer 21 Tage; der Gewichtsverlust 41%. 4. Bei der Fütterung mit Casein endlich lebten die Tiere bei- nahe 38 Tage; ihr Gewichtsverlust betrug 35%. Es ergibt sich daraus, dass bei ausschließlichem Eiweißregime das Eiereiweiß die weißen Ratten viel rascher zugrunde gehen lässt, als alle anderen Proteine, und zwar ist das Albumin doppelt so schädlich als das Muskeleiweiß und das Fibrin, viermal so schädlich als das Casein. An diese Konstatierung der wichtigen Tatsache ist eine Tabelle angeschlossen, welche erläutert, wie in den verschie- denen Jahreszeiten die Fütterung im ganzen mit 30 Rationen Albumin vertragen wurde: sie reicht von Mai 1913 bis Mai 1914. Es geht daraus hervor, dass die Maximalzeiten des Überlebens sowohl in den Sommer wie in den Winter fallen; im August waren es 20 Tage, ım Januar 22 Tage. Ebenso fällt das Minimum in den Frühling sowohl wie in den Herbst. Es betrug 4°/, Tage im Mai, im, Ok- tober 5 Tage. Man ıst überrascht zu sehen, wie kurz die Über- lebensdauer bei reiner Eiweißkost im Frühjahr und im Herbst aus- fällt. Es lässt diese Erscheinung der auffallenden Verkürzung der Lebensdauer ohne weiteres an eine Vergiftung denken. Diese An- nahme wurde leicht bestätigt, als man die Dauer des Lebens bei reiner Eiweißdiät und Wasserdiät, bei welch letzterer dıe Todes- ursache Erschöpfung war, miteinander verglich. In jedem Fall ergab sich, dass die Kontrolltiere, welche nur Wasser erhielten und schließlich an Erschöpfung zugrunde gingen, viel länger lebten als die mit reinem Eiweiß gefütterten Tiere. Die Folgerung, dass eine Vergiftung vorläge, fand ihre weitere Bestätigung in der Symptomatologie. So zeigten die Beobachtungstiere während der genannten Frühjahrs- und Herbstperioden ein durchaus normales Verhalten fast während der ganzen Zeit ihres Lebens. Plötzlich aber geriet das Tier in Erregung und verfiel sodann in ein brüsk einsetzendes Komä; die Atmung wurde ganz unregelmäßig und der Tod trat in durchschnittlich 5—6 Stunden ein. Die Eiweißvergiftung betraf also das Zentralnervensystem. Die Vergiftung endigte so rasch mit dem Tod, dass anatomische Merkmale der Vergiftung durch die Nahrung nicht zur Ausbildung kamen, weder in der Leber noch in den Nieren. Sie fehlten indes nicht gänzlich. M. will später die hauptsächlichsten Fakta wiedergeben; er sammle eben die Degenerationserscheinungen, welche sich an der weißen Ratte und am Hund zeigten, wenn dieselben ausschließlich mit Muskelprotein ernährt wurden, im Vergleich zu den Tieren, welche nur Eiereiweiß erhielten, Steinmann und Bresslau, Die Strudelwürmer (Turbellaria). 231 Mit seinen Ausführungen führe M. einen bemerkenswerten Fortschritt in die Lehre von der Ernährungsphysiologie ein. Der Beweis dafür, dass die reinen Proteine geeignet sind, Erscheinungen der Vergiftung hervorzurufen, zeige, wie sehr man sich davor hüten müsse, dem Organismus allzuviele einförmige Stoffwechselprozesse zuzumuten. Selbst in wissenschaftlichen Kreisen sei man zu sehr geneigt, den Wert der Eiweißnahrung zu überschätzen. Die vor- liegenden Studien hätten gegenwärtig deshalb noch einen besonderen Wert, weil man sie bei der Festsetzung der Nahrungsration des Soldaten mit Nutzen berücksichtigen könne. Dr. L. Balbacner Steinmann, P. und Bresslau, E. Die Strudelwürmer (Turbellaria). Monographien einheimischer Tiere. Herausgeg. von H. E. Ziegler u. R. Wolter- eck. Bd. 5, S°, 380 S., 2 Taf., 156 Textf., Leipzig 1913, Klinkhardt, geh. 9 Mk., geb. 10 Mk., Die verdienstvolle Sammlung von kleinen handlichen Einzel- darstellungen leicht zugänglicher, meist einheimischer Tiere ıst durch diesen Band in glücklicher Weise vermehrt worden. Bisher sind von berufenen Händen außerdem Monographien des Frosches, Kaninchens, der Hydra und Hydroiden, der Weinbergschnecke und der Tintenfische erschienen. Das Buch stellt, den Absichten der Herausgeber entsprechend, zwei Typen in den Vordergrund, von denen Steinmann die Süßwassertrikladen, Bresslau Mesostom«a behandelt. Beide vorzügliche Kenner ihres Stoffes haben sie zahl- reiche bisher unveröffentlichte Beobachtungen ın die Darstellung mit eingeflochten, die das Buch nicht nur für den Unterricht, son- dern auch für den Fachmann wertvoll machen. Besonders gilt dies für die Behandlung der Biologie der Tiere. Auf die Untersuchungen Bresslau’s, die hier zum Teil niedergelegt sind, sei mit einigen Worten eingegangen. Von allgemeinerem Interesse, auch ım Hın- blick auf phylogenetische Spekulationen, ist, dass der stabförmige Darm von Mesostoma bei reichlicher Mästung eine große Anzahl Blindsäcke treibt; bei fortgesetztem Hunger dagegen entstehen stark reduzierte Tiere, die aber bıs zuletzt "noch frische Dauereier bilden können, während die Trikladen den Geschlechtsapparat zu- gunsten des übrigen Organısmus hierbei einschmelzen. Nahrungs- aufnahme und Liebesspiele werden anschaulich geschildert; vor allem aber eingehend die Frage nach dem Wechsel von Dauereiern und Subitaneiern studiert. Hier liegt bekanntlich ein den Verhält- nissen bei Daphnien und Aphiden ähnlicher Wechsel vor. Die Pro- duktivität der Sommertiere ist jedoch keineswegs so enorm gesteigert wie bei diesen, und zur Parthenogenese gehen” dieselben nicht über. Aus einem überwinterten Dauerei schlüpft in der Mehrzahl der Fälle, selbst schon zu Beginn des Sommers, ein Tier, das Sommer- eier in sich entwickelt, aus denen Tiere entstehen, die sogleich wieder Wintereier legen: aus einem Teil der Eier jedoch entstehen 255 Steinmann und Bresslau, Die Strudelwürmer (Turbellaria). Tiere, deren Nachkommen erst eine Anzahl Sommereier bilden, bevor sıe zur Dauereierzeugung übergehen, oder auch solche, die nur Sommereier erzeugen. So werden in einem Jahr unter Um- ständen nur zwei Generationen erzeugt, eventuell drei, vier und fünf. Sechs Generationen sind nur in zwei von Hunderten von Zuchten, die sich über Jahre erstrecken, aufgetreten und wohl nur dadurch zu erklären, dass im Versuch die klimatischen Einflüsse ausgeschaltet sind. Die verbreitete Deutung für das Auftreten der Dauereier, dass sie der Art die Über winterung ermöglichen, lehnt Bresslau ebenso wie die Hypothese, dass sie auf eine Art mimetische Anpassung zurückzuführen sind, ab. Der Wert der Einrichtung beruht in der möglichst raschen und großen Ausbreitung der Art durch die Sommertiere. Zeit spart das Tier, indem die Subitaneier sich schon in sehr jungen Tieren und stets an einem Tag entwickeln, auch wenn es 50-60 Stück sind, eine geringere Masse Dotterzellen zu verarbeiten und eine dünnere Schale zu sprengen ist. Bei manchen Formen sind diese Vorteile nur zum Teil erlangt, ja bei Bothro- mesostoma gehen beide Eitypen, was Größe, Dotter, Schale betrifft, ganz ineinander über, so dass sich sehr wohl ein Bild von den all- mählichen Neuerwerbungen rekonstruieren lässt. Bresslau hat nun auch entsprechend den ın den Jetzten Jahren so viel diskutierten Versuchen an Cladoceren und auch an Phythoplithieren experimentell die Frage der Ursachen des Wechsels von Sommer- und W intergenerationen untersucht und ıst hierbei zu ganz den gleichen Ergebnissen gekommen, die man schon auf jenen Gebieten erhalten hatte. Die Annahme, dass hier Selbst- befruchtung bezw. Wechselbefruchtung der hermaphroditen Tiere bestimmend wirke, hat sich als nicht zutreffend erwiesen; vielmehr hat sich auch hier gezeigt, dass ın erster Linie innere Faktoren ausschlaggebend sınd, äußere Einwirkungen aber modifizierend wirken können. So gehen unter keinen Umständen aus Dauereiern stammende Tiere sogleich wieder ın Dauereibildung über, anderer- seits aber lässt sich das schließliche Auftreten wohl hinausschieben, aber nie hintanhalten. Interessante Stammbäume illustrieren dies. Hunger und Kälte verlangsamt die Bildung der Subitaneier und schränkt ıhre Zahl ein, Wärme und gute Ernährung beschleunigt und steigert dieselbe. Der Vergleich zweier Kulturen, einer bei 24— 26° und einer bei 10,5 16°, die gleichmäßig g gefüttert wurden, ergibt dabei, dass die Beziehungen zwischen Temperatur und Fort- pflanzungsgeschwindigkeit auffallend genau der van t’Hoff-Ar- rhenius’schen Regel über die Schnelligkeit des Ablaufs vieler Reaktionen entsprechen, indem die Entwicklungsdauer der Subitan- eier und der Eintritt der Reife für beide Eisorten durch Er- niedrigung der Temperatur um etwa 10° ungefähr verdoppelt wird. Das stützt die an sich naheliegende Annahme, dass nicht die Kälte oder Wärme unmittelbar wirken, sondern wesentliche chemische Prozesse beeinflussen. Buchner, Praktikum der Zellenlehre. 3934 Dazu kommt, dass auch zur Biologie der Planarien Stein- mann viel Originelles mitteilt, eingehend die Sinnestätigkeit, Auto- tomie, Regeneration, die Missbildungen und Okologie der Tiere ab- handelt, so dass das Buch wirklich zu einem lebendigen Abbild der kleinen Gruppe wird und ihm eme weite Verbreitung nur zu wünschen ist. P. Buchner (München). P. Buchner. Praktikum der Zellenlehre. (Sammlung naturwissenschaftlicher Praktika. Bd. 5. Oktav, 336 S. mit 160 Abb. Berlin 1915. Gebr. Bornträger.) Der vorliegende Band behandelt die „Allgemeine Zellen- und Befruchtungslehre“ ; ein späterer soll die Zelle in ihren somatischen Funktionen zum Inhalt haben. Der Verfasser hat ein Gebiet gewählt, das ım letzten Jahrzehnt vielfach eine völlig neue Beleuchtung erfuhr, wobei eine Fülle wichtigster Fragen auftauchte. Zellteilung; Entwicklung von Ei und Spermatozoon; typische und atypische, olıgopyrene und apyrene Spermien; generative und somatische Nährzellen des Eies; Reife- teilungen, Besamung und Befruchtung; zytologische Vorgänge in den Geschlechtszellen bei physiologischer und beı künstlicher Par- thenogenese; zytologische Grundlagen der Geschlechtsbestimmung; Fiplasma und Vererbung; Keimbahnbestimmung durch das Plasma und durch Diminution — davon handeln die 20 Kapitel des Buches. Die Literatur über diese Gegenstände wächst mit enormer Schnelligkeit, sie ist schon jetzt für den Nichtspezialisten unüber- sehbar; sehr viele Fragen sind noch in lebhaftem Fluß. — In diesem Labyrinth von Problemen die wichtigsten Fäden zu spannen, so dass auch der. Anfänger sich daran zurechtfinden kann — das war die Aufgabe. Es gehörte Mut dazu, sie zu übernehmen! Aber B. besaß durch eigene, ergebnisreiche Forschungen und durch mehr- jährige Lehrtätigkeit die nötige Erfahrung, und wir dürfen ihm dankbar sein, dass er nicht zurückschreckte. Aus der Praxis ergab sich die Anordnung: in jedem Kapitel wird der Stand der Frage kurz dargelegt, mit Hilfe vieler, hervor- ragend schöner Abbildungen; ein Viertel davon, und zwar die besten, sind Originale. Dann folgen eingehende Ratschläge zur Beschaffung und Behandlung des Materials. Aus allen Tierkreisen werden die Beispiele gewählt; wo es möglich war, wird auf Leicht- erhältliches Bezug genommen, wozu ja auch manche marine Tiere gehören, die von Meeresstationen ins Inland verschickt werden können. Gerade dieser Teil des Buches zeigt deutlich, dass es lebendiger Erfahrung entsprungen ist und dass es berechtigt ist, sich ein Prak- tikum zu nennen. Es wird dem Arbeitenden zeitraubende Um- und Irrwege ersparen und ihn von vornherein in die Richtungen lenken, in denen weitere Forschung ersprießlich erscheint. Wir hoffen, dass dadurch manche tüchtige Kraft dem hoch- interessanten Gebiet gewonnen werden wird und — dass der relativ I40 Neuerschienene Bücher. hohe, nicht durch den Umfang des Buches, wohl aber durch die Vortrefflichkeit der Abbildungen gerechtfertigte Preis (Mk. 18) seiner Verbreitung nicht im Wege stehen wird. M. Plehn. R. Goldschmidt. Die Urtiere. Eine Einführung in die Wissenschaft vom Leben. (Aus Natur und Geisteswelt.) Aufl. Kl. 8°, 96 S, 44 Textfiguren. Leipzig-Berlin 1914, B. G. Teubner. Das Bändchen, vor einer Reihe von Jahren aus Volkshochschul- vorträgen entstanden, ist für die zweite Auflage neu durchgesehen und auf den augenblicklichen Stand unserer Kenntnisse gebracht worden. Dabei ist es aber durchweg gemeinverständlich geschrieben und nicht nur geeignet, dem Fernstehenden die grundlegenden Lebensvorgänge der Einzelligen zu vermitteln, sondern in eine Reihe allgemeiner biologischer Fragen einzuführen. P. Buchner. Neuerschienene Bücher die der Zeitsehrift zugegangen sind. (Eine Besprevhung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Birkner. Prof. Dr. F., München. Der diluviale Mensch in Europa. Mit 2 Tafeln und 186 Fig. im Text. 2. vermehrte Auflage. München 1916. Verlag von Natur und Kultur. 8°, 102 S., Preis Mk. 2.50. Küpfer, M., Zürich. Die Sehorgane am Mantelrande der Pecten- Arten. Entwicklungsgeschichtliche und neuro-histologische Bei- träge mit anschließenden vergleichend-anatomischen Betrach- tungen. Mit 18 Abbildungen im Text und 8 Tafeln. Jena 1916. Verlag von G. Fischer. Gr. 8°, V, 312 S., Preis Mk. 20.— j kiüster, Prof. Dr. E., Bonn. Pathologische Pflanzenanatomie. In ihren Grundzügen dargestellt. Mit 209 Abbildungen im Text. 2. völlig umgearbeitete Aufl. Gr.8°, XI, 4478. ‚Jena 1916. Verlag von G. Fischer, Preis Mk. 14.—, geb. Mk. 15.20. Nusbaum, Prof. Dr. J., Lemberg. Der Krieg ım Lichte der Biologie. Vortrag. 8°, 30 8. Jena 1916. Verlag von G. Fischer. Preis Mk. —.75. Sommer. Dr. G. Geistige Veranlagung und Vererbung. (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 512.) KI. 8°, 118 8. Leipzig 1916. Verlag von B. G. Teubner. Preis Mk. 1.—, geb. Mk. 1.25. Thormeyer. Dr. P., Hannover. Philosophisches Wörterbuch. (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 520.) KI. 8°, 96 8. Leipzig 1916. Verlag von B. G. Teubner. Preis Mk. 1.—, geb. Mk. 1.25 Pfeffer, W. Beiträge zur Kenntnis der Entstehung der Schlaf- bewegungen. Des 34. Bandes der Abhandlungen der mathematisch-phy- sischen Klasse der kgl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Nr. I. Mit 36 Fig. im Text. Gr. 4°, VI, 1548. Leipzig 1915. Verlag von B. G. Teubner. Preis Mk. 6.— Verlag von n Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung ‚geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München. Verlag von Georg Thieme in Leipzig. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. EINZRXYI 10. Juli 1916.) Inhalt: Leiek, Uber Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. — Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. — Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. — Levy, Sur les toxines des araigndes et partieuliörement des Tögenaires. — Boveri, Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. — Hertwig, Die Elemente der Entwicklungslehre des Menschen und der Wirbeltiere: An- leitung und Repetitorien für Studierende und Arzte. — Steinmann, Praktikum der Süß- wasserbiologie. — Landsberg-Günthart und Schmidt, Streifzüge durch Wald und Flur, — Schlemmer, Untersuchungen über den Mechanismus der Ambozeptor- und Komplement- wirkung. — Neuerschienene Bücher. I Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. Von Erich Leick, Konstäntinopel. Alles Leben stellt sich als eine fortlaufende Verkettung von Stoff- und Kraftwechselvorgängen dar!). Die fundamentalen kos- mischen Gesetze von der Erhaltung des Stoffes (Lavoisier 1789) und der Erhaltung der Energie (Robert Mayer 1842, Helmholtz 1847) beheı rschen auch die Ökonomie der Organismen. Der Lebensprozess bedingt eine ununterbrochene Aktivierung potentieller Energie, wie sie uns vornehmlich in der Wärmeproduktion und in der Lei- stung mechanischer Arbeit entgegentritt. Die bei diesen Transfor- mationen in der Zelle resultierenden Energieformen sind fernerhin nicht mehr imstande, zur Aufrechterhaltung des Lebensbetriebes zu dienen. Es müssen also in der Zelle fortwährend neue Energie- 1) Ich verweise für die nachstehenden Ausführungen hauptsächlich auf W. Pfeffer: Studien zur Energetik der Pflanzen. Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss. Bd. 18 (Bd. 31 d. ges. Abhandl.), Leipzig 1892, p. 151 —276. XXXVI. 16 949 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. potentiale geschaffen werden. Wenn auch zuzugeben ist, dass der- artige Potentiale in recht mannigfacher Weise herbeigeführt werden können (z. B. durch Osmose, molekulare Umlsestasen U.5. w. so muss doch letzthin stets eine Energiezufuhr von außen her nach- weisbar sein. Die von den Tieren durch. Nahrungsaufnahme erworbene chemische Energie entstammt in letzter Linie der organıschen Sub- stanz des Pfianzenkörpers. Diese Substanz ıst ausnahmslos durch den Assimilationsprozess geschaffen worden, dessen Eigenart darın besteht, dass durch ıhn die eingestrahlte Sonnenenergie in chemische Energie umgewandelt wird?). Obgleich die Assımilation ın ihrem Endstadium einer Synthese (Bildung von Kohlenhydraten) gleich- kommt, d. h. also einem Vorgange, bei dem ın der Regel Energie in Freiheit gesetzt wird?), so werden doch in der vorausgehenden Spaltung der CO,- und H,O-Moleküle viel stärkere Affinitäten ge- trennt als später zur Vereinigung kommen. Als Summe dieser antagonistischen Transformationen muss sich naturgemäß ein be- trächtlicher Energieverbrauch — eben der Verbrauch von Sonnen- energie — ergeben*),,. Während die Erzeugung organischer Sub- stanz und die mit ihr verknüpfte Gewinnung potentieller Energie eine spezifische Eigentümlichkeit der grünen Pflanzen ist°), sind die Stoffwechselvorgänge, dıe auf eine Umwandlung der potentiellen Energie ın kinetische durch Zertrümmerung komplizierter Verbin- dungen ®) abzielen, als ein notwendiges Attribut aller lebenden Protoplasten zu betrachten. Wir fassen alle hierher gehörigen Um- setzungen, mögen sie mit einem Sauerstoffverbrauch verknüpft sein (aörobe oder oxydative Atmung) oder nicht (anaörobe Atmung, Spal- tungsatmung, intramolekulare Atmung), unter dem physiologischen Begriff der Atmung zusammen’). Chemisch sowohl wie energetisch 2) Die Bezeichnung ‚„Assimilation“ wurde von J. Sachs (Experimentalphysiol. 1865, p. 15) nur für die Produktion organischer Substanz im Chlorophyllapparat verwendet. Heute fasst man den Begriff weiter und versteht unter Assimilation alle Vorgänge im Organismus, : die der Herstellung plastischer Stoffe dienen. Wir hätten also an dieser Stelle richtiger von einer photosynthetischen Assimilation zu sprechen. 3) Man vergegenwärtige sich als Beispiel die Synthese von H,O aus H und O, bei der beträchtliche Energiemengen entbunden und in Wärmebewegung transfor- miert werden. 4) Vgl. Max Verworn: Allgemeine Physiologie. 4. Aufl., Jena 1903, p. 228 ff. ) Die Purpurbakterien mögen hier unberücksichtigt bleiben. 6) In besonderen Fällen kann es sich auch um die Oxydation chemisch ein- facher Körper (z. B. NH,, H,S) handeln, wie das Beispiel der Nitrit- und der Schwefelbakterien lehrt. Diese Spezialerscheinungen brauchen hier nicht näher erörtert zu werden. 7) Atmung wird also hier — ebenso wie in der gesamten neueren Literatur — nicht in dem engeren Sinne von Julius Sachs gebraucht, der unter Atmung aus- schließlich a&robe Atmung versteht. Vgl. Julius Sachs: Handb. d. Experimental- physiolog. d. Pflanzen. Leipzig 1865, p. 263. Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. 243 zeigen die Atmungsvorgänge einen entgegengesetzten Verlauf als die entsprechenden, der Energiespeicherung dienenden Umsetzungen, die sich — wenigstens in den chlorophyliführenden Pflanzen — stets in Form von CO,-Assimilation abspielen. Die Sauerstoff- atmung ist durch die Zertrümmerung, die Dissimilation (Destruktion) der hochmolekularen Kohlenhydrate charakterisiert, wenngleich auch hier das Endstadium in einer Synthese (Bildung von CO, und H,O) besteht. Es werden aber stärkere Affinitäten gebunden .als durch die vorausgegangene Analyse getrennt wurden, so dass ein erheb- licher Überschuss an aktueller Energie resultieren muss. Diese in Freiheit gesetzte Energie hat die Aufgabe, das Innengetriebe des Protoplasmakörpers aufrecht zu erhalten. Da wir aber bisher einen recht unvollkommenen Einblick sowohl in die feineren Strukturen der protoplasmatischen Substanz als auch in ihre spezifischen Lei- stungen bei der Erhaltung des Lebens besitzen, so sind wir nicht an- nähernd imstande, eine Bilanz für die vielleicht recht mannigfaltigen Energietransformationen aufzustellen. Unsere Sinnesorganisation bedingt es, dass wir nur die Endresultate, die uns als mechanische Arbeit, Wärmeentwicklung, Lichtentwicklung®) oder schließlich als neue chemische Verbindungen entgegentreten, wirklich wahrnehmen können. Es muss ferner in vielen Fällen dahingestellt bleiben, ob diese Außenleistungen wirklich unmittelbar auf den Atmungsprozess zurückgehen, oder ob sie anderweitig — man denke nur an den durch die Osmose erzeugten Turgor — zustande gekommen sind). Weiter muss unentschieden bleiben, ob die entbundene chemische Energie ohne Zwischenglied zu mechanischer Arbeitsleistung ver- wendet werden kann, oder ob zunächst die ganze Energiesumme in Wärmebewegung verwandelt wird. Nur das Eine lässt sich mit völliger Sicherheit sagen, und das ist für unsere Betrachtungen ge- rade das Ausschlaggebende: unter allen Umständen muss ein er- heblicher Teil der im Atmungsprozess erzeugten chemischen Energie in Form von Wärme in die Erscheinung treten. „Wärme entsteht bei allen Energieumwandlungen innerhalb der lebendigen Substanz als Nebenprodukt, aber während Elektrizität und Licht nur in äußerst geringen Mengen als Nebenprodukte irgendwelcher stofflicher Um- wandlungen auftreten, nimmt die Wärme einen sehr bedeutenden Anteil an den gesamten Umwandlungen !’).“ Wenn es gestattet 8) Vgl. Hans Molisch: Leuchtende Pflanzen. Jena 1904. — Beijerinck (Mededel. Akad. Amsterdam. Natuurk. II,7, 1890) konnte zeigen, dass die Leucht- bakterien nur bei Sauerstoffgenuss Licht aussenden. — Elektrische Ströme in Pflanzen wurden nachgewiesen durch die Untersuchungen von Kunkel(1878), Munck (1876), Burdon-Sanderson (1888), Haacke (1892) und Potter (1911). 3) „Für bestimmte physiologisch wichtige Vorgänge wird also die Betriebskraft nicht durch chemische Energie (d. h. also nicht durch Atmungsenergie!) geliefert.“ W. Pfeffer: Studien zur Energetik der Pflanze. Leipzig 1892, p. 165. 10) Vgl. August Pütter: Vergleichende Physiologie. Jena 1911, p. 494. IH” 944 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. ist, nach Analogie unserer Wärmekraftmaschinen von einem Nutz- effekt der Zelle zu sprechen, so beträgt dieser in der Regel sicher- lich weniger als 50%, der aufgewendeten Energie. Eine restlose Umwandlung der Atmungsenergie in Wärme, wie sie sich aus Bon- nier’s Versuchen'!!) (1893) scheinbar ergibt, würde mit der bis- herigen Auffassung von der Bedeutung der physiologischen Ver- brennung nicht in Einklang zu bringen sein. Dass die chemische Energie in Wirklichkeit keine vollständige Umwandlung in Wärme- bewegung erfährt, geht schon daraus hervor, dass die Atmung nie- mals durch äußere Wärmezufuhr ersetzt werden kann ?). Wo Sauerstoffatmung vorhanden ist — und das ıst bei den weitaus meisten Pflanzen der Fall —, da muss notgedrungen auch eine Wärmeproduktion stattfinden. Damit ist aber noch durchaus nicht gesagt, dass die erzeugte Wärmemenge unter allen Umständen oder auch nur ın der Mehrzahl der Fälle wirklich dazu ausreicht, eine für unsere Messinstrumente wahrnehmbare Temperaturerhöhung zustande zu bringen. Bevor wir auf die für die erzielten Resultate maßgebenden physiologischen oder auch rein physikalischen Ver- hältnisse näher eingehen, müssen wir mit einigen Worten auf die Forschungsergebnisse über die eigentliche Mechanik der oxydativen Atmung zu sprechen kommen. Der Sauerstoffverbrauch grüner Pflanzen während der Nacht wurde von J. Ingenhousz") nach- gewiesen. Derselbe Forscher erkannte bereits, dass ein gleich- sinniger Gaswechsel auch am Tage vorhanden ıst!*), dass er wäh- 11) Gaston Bonnier: Recherches sur la chaleur vegetale. Ann. d. sc. nat. (7.) Bot. Bd. 18, 1893, p. 1—34, 2 Tafeln. — Vgl. auch: Erich Leick: Über das ther- mische Verhalten der Vegetationsorgane. Sep. a. d. Mittl. d. naturw. Vereins f. Neuvorpommern und Rügen, Bd. 45, 1911, p. 11. 12) Vgl. L. Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 3. Aufl., Jena 1915, P-7329! 13) J. Ingenhousz: Über Ernährung der Pflanzen und Fruchtbarkeit des Bodens. Übers. von G. Fischer. Leipzig 1798, p. 57. — Vgl. auch Julius Sachs: Handb. d. Experimentalphysiol. d. Pflanzen. Leipzig 1865, p. 289—290. 14) Dass Assimilation und Dissimilation am Tage nebeneinander verlaufen, lässt sich in der Weise demonstrieren, dass man grüne Pflanzen narkotisiert. Die Assimilation wird dann vorübergehend sistiert, während die Atmung fast ungestört ihren Fortgang nimmt. Vgl. die Untersuchungen von Cl. Bernard (1878), Adolf Mayer (1879), Bonnier und Mangin (1886) und Ewart (1896). — Vgl. ferner: W. Pfeffer: Die vorübergehende Aufhebung der Assimilationsfähigkeit in Chloro- phylikörpern (Untersuchungen von Ewart). Ber. d. Kgl. Sächs. Ges. d. Wissensch. Math.-naturw. Klasse, Bd. 48, 1896, p. 311—314. — Auch die während der Assi- milation sich ungehindert vollziehenden Protoplasmaströmungen, die nur bei Sauer- stoffzufuhr möglich sind, können als Beweis für das Vorhandensein der Atmung neben der Assimilation dienen. W. Pfeffer äußert hierüber: „Aus der Fortdauer des Wachsens und der Protoplasmaströmung geht ferner hervor, dass jede grüne Zelle während der Kohlensäureassimilation unausgesetzt a@robiotisch atmet. Vgl. W. Pfeffer: Handb. d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl, Bd. 1, 1897, p. 524. — Erich Leick: Über das thermische Verhalten der Vegetationsorgane. Sep. a. d. Mittl. des naturwiss. Vereins f. Neuyorpommern und Rügen, Bd. 43, 1911, p. 8. Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. 245 rend dieser Zeit aber durch einen vom Licht bewirkten umgekehrten Stoffwechselvorgang verdeckt wird. Eine völlige Klarheit der Sach- lage wurde erst später durch die Arbeiten von H. J. Dutrochet, H. v. Mohl und Julius Sachs!?) angebahnt. Heute wissen wir, dass jede aörobe Atmung eine Oxydation darstellt!®). Ist auch die chemische Natur des Vorganges sicher erkannt, so ıst damit doch noch nichts über das eigentliche Zustandekommen der Atmung aus- gesagt. Die von mehreren Forschern experimentell festgestellte Tatsache, dass die Atmungsintensität mıt der Steigerung der Außen- temperatur ununterbrochen wächst!”), scheint zwar einer rein che- mischen Auffassung Vorschub zu leisten, es ıst aber andererseits schwer verständlich, wie die verhältnismäßig niederen Temperaturen zur Einleitung einer ergiebigen Oxydation ausreichen können '°). Der Auffassung der Atmung als eines glatt verlaufenden chemischen Oxydationsprozesses widerstreitet auch die Tatsache, dass die Inten- sıtät der physiologischen Verbrennung innerhalb weiter Grenzen von der vorhandenen Sauerstoffmenge und von der Menge des in der Zelle befindlichen Atemmaterials unabhängig ist!?). Julius Wiesner äußert sich hierüber wie folgt?®): „Es darf nicht über- sehen werden, dass die zur Veratmung dienlichen Pflanzenstoffe, die Kohlehydrate, Fette etc., dem atmosphärischen Sauerstoff gegen- über sich völlig oder doch lange indifferent verhalten. Die Oxy- dation dieser Körper ın der lebenden Pflanze (die sogen. „physio- logische Oxydation“) ist also nicht so einfach, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen möchte. Es muss vielmehr angenommen werden, dass noch andere Prozesse in den Atmungsvorgang ver- flochten sind. Entweder werden durch die Einwirkung von Fer- menten (Oxydasen) die zu veratmenden Substanzen ın einen Zustand 15) Eine scharfe Scheidung zwischen Assimilation und Atmung finden wir zuerst bei J. Sachs, von dem auch die jetzt gebräuchlichen Bezeichnungen an Stelle der früheren „nächtlichen“ und „täglichen Atmung“ gesetzt wurden. — Vgl. Julius Sachs: l. c. Leipzig 1865, p. 289. 16) H. Möller (Ber. d. deutsch. bot. Ges. Bd. 2, 1884, p. 35ff.) hat durch seine Versuche endgültig die Behauptung widerlegt, dass an Stelle von O auch N,O durch die Pflanzen verarbeitet werden könnte. — Vgl. auch Julius Wiesner: Anatomie u. Physiolog. d. Pflanzen. 5. Aufl., Wien 1906, p. 260. 17) Zu einem ganz anderen Resultate gelangten Ziegenbein (1895), Kunst- mann (1895) und Stoklasa (1903), die auch für die Atmung ein Optimum an- nehmen. — Vgl. Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., Jena 1913, p. 263. 18) Vgl. W. Pfeffer: Untersuchungen a. d. bot. Inst. zu Tübingen. Bd.1, 1885, p. 677 ff. — W.Pfeffer: Handb. d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Leipzig 1897, Bd. 1, p. salft. 19) Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., Jena 1913, p- 264. 20) Julius Wiesner: Anatomie und Physiologie der Pflanzen. 5. Aufl, Wien 1906, p. 264. 946 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. versetzt, in welchem sie leichter oxydierbar sind, oder es werden durch den Chemismus des lebenden Protoplasma fortwährend Sub- stanzen erzeugt, welche den Sauerstoff begierig an sich ziehen und denselben, wie bei der intramolekularen Atmung, sauerstoffreichen organischen Substanzen entziehen.“ In ähnlicher Weise kommt Johannes Reinke?') auf Grund seiner Untersuchungen zu der Überzeugung, dass in der Zelle Substanzen gebildet werden, die schon bei sehr niedriger Temperatur der Oxydation durch den atmo- sphärischen Sauerstoff anheimfallen. Solchen autooxydablen Körper glaubt er in dem von ihm aus den Zellen der Zuckerrübe isolierten Rhodogen ??) vor sich zu haben. Bei der Verbrennung dieser Sub- stanz soll zugleich eine Aktivierung von Sauerstoff erfolgen, wo- durch dann die Oxydation der hochmolekularen Kohlenhydrate er- möglicht wird ??). Eine wichtige Unterstützung erhält diese Auffassung durch die von G. Brenstein nachgewiesene Tatsache, dass sich auch in abgetöteten Pflanzenteilen Oxydationsvorgänge abspielen, die ebenfalls von der Höhe der Außentemperatur abhängig sind **). Allerdings ist der numerische Wert dieser letztgenannten Oxy- dationen fast durchweg geringer als bei lebenden Zellen. W. Pfeffer spricht sich mit Entschiedenheit gegen eine Aktivierung des Luft- sauerstoffes aus, da sonst die nicht zur physiologischen Verbren- nung bestimmten Substanzen des Zelleibes in Mitleidenschaft ge- zogen werden müssten’). Jedenfalls haben wir anzunehmen, dass Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureabgabe nicht unmittelbar auf- einander folgen, sondern durch eine mehr oder weniger große Zahl von intermediären Reaktionen verbunden sind?). Wenn also ın den abgetöteten vegetabilischen Substanzen Oxydationen vor sich 21) Johannes Reinke: Die Autooxydation in der lebenden Pflanzenzelle. Bot. Ztg. 1883, Nr. 5 u. 6. 22) Johannes Reinke: Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 6, p. 263. 23) Johannes Reinke: Zur Kenntnis der Oxydationsvorgänge in der Pflanze. Ber. d. deutsch. bot. Ges. Bd. 5, 1887, p. 216-220. — Ein ähnlicher Standpunkt wird übrigens in neuerer Zeit von Bach und Chodat (Biochem. Zentralbl. Bd. 1, 1903, p. 417; Botan. Zentralbl. Bd. 96, p. 452; Botan. Ztg. Bd. 63, II, p. 141) vertreten. Nach ihnen soll ein als Oxygenase bezeichnetes Enzym als autooxydabler Körper wirken. — Vgl. auch Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., Jena 1913, p. 281. 24) Es muss allerdings noch unentschieden bleiben, ob die hier angeführten Resultate Brenstein’s nicht auf Versuchsfehler zurückzuführen sind. W. Pfeffer und andere Forscher gelangten zu gegenteiligen Ergebnissen. — Vgl. W. Pfeffer: Handb. d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 1, 1897, p. 554. — Vgl. V. Grafe: Studien über Atmung und tote Oxydation. Sitzungsber. d. K. Wiener Akad. d. Wissensch. Math.-naturw. Kl. Bd. 114, Abt. I, 1905, p. 183. — Hans Molisch: Über hochgradige Erwärmung lebender Laubblätter. Bot. Ztg. Bd. 66, Abt. I, 1908, p. 211—233. 25) W. Pfeffer: Handb. d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 1, 1897, p. 552. 26) Vgl. Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., ‚Jena 1913, p. 257. Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. DAT gehen, so ist damit noch nicht gesagt, dass die Reihenfolge, Ver- kettung und Intensität der einzelnen Phasen dieser chemischen Reaktion die gleiche ist wie in der lebenden Zelle. Wir müssen es demnach unentschieden lassen, ob sich der Betriebsstoffwechsel aus- schließlich zwischen den Teilchen der protoplasmatischen Substanz vollzieht, oder ob er diese selber unter fortwährender Zertrümme- rung und Regeneration mit in seinen Kreislauf hineinzieht?”). Da bei Sauerstoffabschluss die Atmung durchaus nicht zum völligen Stillstande kommt, sondern mit starker Intensitätseinschränkung als intramolekulare Atmung fortbesteht, müssen wir annehmen, dass wenigstens vorübergehend das Minimum des notwendigen Sauerstoffes anderen Verbindungen entzogen werden kann ?*), Dann aber liegt es auf der Hand, dass eine generelle Verknüpfung von intramolekularer Atmung und normaler Sauerstoffatmung in der Weise, dass die erstere die Vorbedingung für das Zustandekommen der letzteren ist, sehr viel für sich hat?®). Viele Beobachtungen der neuesten Zeit (z. B. Albert 1901, Buchner 1903, Maximow 1904, Palladin 1905) machen es wahrscheinlich, dass die Atmung auf der Tätigkeit zweier Enzyme, eines spaltenden (Zymase) und eines oxydierenden (Oxydase), beruht. Die Untersuchungen hier- über sind aber noch nicht als abgeschlossen zu betrachten °®). Sehen wir von diesen vorläufig noch ungelösten Fragen ab, so ıst als feststehend erwiesen, dass in der lebenden Pflanzenzelle — ebenso wie in der Tierzelle — ohne Unterbrechung chemische Umsetzungen vollzogen werden, bei denen notwendig eine beträcht- liche Energiemenge in Wärme verwandelt wird. Inwieweit noch 27) Die Erfahrungen, die Gregor Kraus (Abhandl. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. 16, 1885, p. 322—327) bei den Blütenständen der Araceen gemacht hat, und die dafür sprechen, dass die Eiweißstoffe während der Atmung nicht wesentlich in Mitleidenschaft gezogen werden, haben zunächst nur für das Wärmephänomen bei der oben genannten Pflanzenfamilie Gültigkeit. Da wir es aber bei den Araceen mit einer Erscheinung ganz spezieller Art zu tun haben, so lassen sich keine allge- meinen Schlüsse auf die Mechanik des Atmungsprozesses ziehen. — Julius Wiesner äußert sich über den strittigen Punkt folgendermaßen (Anat. u. Phys. d. Pflanzen. 5. Aufl., Wien 1906, p. 262): „Indes werden dennoch stickstoffhaltige Körper in den Respirationsprozess hineingezogen, und zwar die Eiweißkörper des Protoplasma und des Aleuron.“ 28) Die intramolekulare Atmung zeigt meistens nur '/, bis ?/, der Intensität der normalen Atmung. Vgl. Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., Jena 1913, p. 265. 29) W. Pfeffer: Handb. d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1897, p. 555—562. — J. Wortmann: Über die Beziehungen der intramolekularen zur normalen Atmung. Arbeiten d. botan. Inst. zu Würzburg. Bd. 2, p. 500ff. — W. Pfeffer: Wesen und Bedeutung der Atmung in der Pflanze. Landwirtsch. Jahrb. v. Nathusius u. Thiel. Bd. 7, p. 8SO5ff. — Godlewski: Beiträge zur Kenntnis der Pflanzenatmung. Pringsheim’s Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. 13, p. 524ff. 30) Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., Jena 1913, p- 279—282, 348 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. andere Energieformen dabei resultieren, muss unentschieden bleiben. Da nun das Experiment lehrt, dass in den meisten Fällen Kohlen- hydrate oder nahe verwandte Stoffe veratmet werden, ferner, dass die veratmeten Substanzmengen oft nicht unbeträchtlich sind, und schließlich, dass die Verbrennungswärme des Kohlenstoffes 8000 Ka- lorıien beträgt, so ıst als sicher anzunehmen, dass in den Zellkom- plexen, ın denen eine lebhafte Oxydation erfolgt, nicht unerhebliche Temperatursteigerungen erzielt werden. Ob dadurch aber der Tem- peraturzustand ganzer Pflanzenteile wesentlich gesteigert wird, das hängt von zahlreichen anderen Faktoren ab, von denen weiter unten die Rede sein soll. Der von Pflüger geäußerten Vermu- tung, es würden hierbei einzelne Moleküle der lebenden Substanz blitzartig auf mehrere tausend Grad erwärmt°!), können wir nicht beipflichten; denn wir haben Wärme als Molekularbewegung auf- zufassen, und es ist demzufolge nicht zulässig, von der Tempe- ratur kleinster Massenteilchen zu sprechen. Außerdem kann von einem messbaren Temperaturzustand nur dann die Rede sein, wenn die Möglichkeit besteht, die vorhandene Molekularbewegung dem Messapparat wirklich zu übermitteln. Das setzt aber immer eine Masse voraus, die tatsächlich die Schwingungen ihrer Moleküle ohne erhebliche Einbuße der Eigenbewegung auf die messende Substanz. zu übertragen vermag. Schließlich ıst auch wohl kaum anzunehmen, dass selbst im kleinsten Zeitintervall ein einzelnes Molekül imstande ist, das der gesamten entbundenen Energiemenge entsprechende Schwingungsmaximum zu erreichen, ohne schon bei der Bewegungs- steigerung einen erheblichen Energieverlust an die Nachbarmoleküle zu erleiden. Die Atmung ist unzweifelhaft die wichtigste Quelle der an Tieren und Pflanzen beobachteten Eigenwärme. Das beweisen uns zahlreiche Experimente, bei denen man die messbare Temperatur- erhöhung durch Sauerstoffentziehung zum Schwinden brachte °?). Da sich neben dem Atmungsstoffwechsel im Lebensgetriebe der Pflanze auch noch mannigfache andere chemische und physikalische Veränderungen und Umsetzungen vollziehen, ist mit Sicherheit an- ) Max Verworn: Allgemeine Physiologie. 4. Aufl., Jena 1903, p. 273. ) Der Zusammenhang zwischen Sauerstoffatmung und Wärmeproduktion der Pflanzen wurde zuerst von Th&eodore de Saussure, später von L. Garreau nachgewiesen. Th. de Saussure: De l’action des fleurs sur l’air et de leur chaleur propre. Ann. de chim. et de phys. Bd. 21, Paris 1822, p 279ff. — L. Garreau: Memoires sur les relations qui existent entre l’oxigene consomm& par le spadice de ’Arum italicum en &tat de paroxysme et la chaleur qui se produit. Ann. d. sc. nat. (3.) Bot. Bd. 16, 1851, p. 250— 256. — Eingehende Studien über die Bedeutung der intramolekularen Atmung für die Wärmeproduktion verdanken wir J. Eriksson. — J. Eriksson: Über die Wärmebildung durch intramolekulare Atmung der Pflanzen. Untersuchungen a.d. bot. Inst. zu Tübingen. Bd. I, 1881—1885, p. 105—133. — Vgl. auch die Arbeiten von Vrolik und W. H. de Vriese, Huber, G. Kraus u.a. 31 32 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. 4) zunehmen, dass auch hierbei gelegentlich eine positive Wärmetönung zustande kommen kann. Als physikalische Ursachen, die eine Wärmesteigerung bedingen können, seien hervorgehoben die Ab- sorption von Gasen, die Imbibition (Quellungswärme der Stärke !), die Diffusionsströmungen, die diosmotischen Vorgänge, die Flüssig- keitsbewegung in Capillaren®®), die Gasverdichtung an der Öber- fläche und die Taubildung im Holzkörper *). Andererseits ist aber ohne weiteres zuzugeben, dass sich im Verlaufe des Stoffwechsels auch Prozesse mit negativer Wärmetönung vollziehen werden. So ist es z. B. eine bekannte Tatsache, dass sich alle von der Pflanze aufgenommenen Salze — eine Ausnahme machen nur die Eisen- salze — in ihrer höchsten Oxydationsstufe befinden’). Werden diese Salze also im Körper zersetzt, wie das für die Sulfate und Nitrate nachgewiesen ist, so kann nur eine Reduktion, d. h. also ein wärmebindender Prozess, eintreten. Inwieweit die Gesamt- energetik des Individuums durch diese gegensätzlichen Transfor- mationen beeinflusst wird, lässt sich nicht einmal schätzungsweise angeben. Nur so viel steht fest, dass die möglicherweise aus ihnen resultierende Wärmeproduktion gegenüber der Oxydationswärme des Atmungsprozesses sehr gering sein muss ?°), Ziehen wir schließlich in Betracht, dass auch für den Assimilationsvorgang, dessen einzelne Phasen noch nicht aufgeklärt sind, keine sichere Energiebilanz aufgestellt werden kann?”), so leuchtet wohl zur Ge- 33) Vgl. Jacob Schmitz: Über die Eigenwärme der Pflanzen. Inaug.-Diss. Jena 1870, p. 27. 34) Vgl. W. Schumacher: Die Physik der Pflanze. Ein Beitrag zur Phy- siologie, Klimatologie und Kulturlehre der Gewächse. Berlin 1867, p. 383 ff. — Auf solche, nicht mit der Atmung genetisch verknüpfte Arbeitsleistungen hat besonders W. Pfeffer (Energetik d. Pflanzen. Leipzig 1892. — Handb. d. Pflanzenphysiol., 2. Aufl., Leipzig 1897— 1904) hingewiesen. Ludwig Jost unterscheidet folgende Energieformen, die neben der Atmungsenergie in Betracht kommen: osmotische Energie, Oberflächenenergie, Formenenergie und Kristallisations- oder Ausscheidungs- energie. Vgl. L. Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., Jena 1913, p. 334. ’ 35) Vgl. Jakob Schmitz: 1. c. p. 29. 36) „Der Atmungsvorgang ist es auch, in welchem der einzige‘ — soll heißen: der einzig in Betracht kommende — „Herd der Pflanzenwärme zu suchen ist.“ Jacob Schmitz: l.c. p. 32. — „Die empirischen Erfahrungen lassen aber keinen Zweifel, dass die Wärmeproduktion zumeist in überwiegender Weise dem Betriebs- stoffwechsel — der Sauerstoffatmung oder dem anaeroben Umsatz — zufällt.“ W. Pfeffer: Handb. d Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 2, 1904, p. 830. — Nach den Untersuchungen G. Bonnier’s (Vergleich zwischen kalorimetrischen Messungen und den aus der eingeatmeten O-Menge und der ausgeatmeten CO,-Menge berech- neten Kalorien) sollen allerdings manche Samen die doppelte Wärmemenge ent- binden als durch die Sauerstoffatmung entstanden sein kann. Gaston Bonnier: Ann. d. sc. nat. (7.) Bd. 18, p. Iff. — Es muss aber noch dahingestellt bleiben, ob diese Ergebnisse sich tatsächlich bestätigen. 37) Wird die Lichtenergie direkt in chemische Energie transformiert? — Ist diese Transformation eine restlose? — Erfolgt eine teilweise Umwandlung in Wärme- 950 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. nüge ein, wie weit wir vorläufig davon entfernt sind, die Energetik des Stoffwechsels zu spezifizieren. Aus den vorstehenden Erwägungen geht auch hervor, dass selbst durch die genauesten kalorimetrischen Messungen nur komplexe Größen ermittelt werden können, nicht aber numerische Werte für die einzelnen Faktoren, die zur Er- reichung des Endresultates zusammenwirkten °*°). Wir wenden uns jetzt der Frage zu: welchen Einfluss übt die Wärmeproduktion auf den realen Temperaturzustand des Pflanzen- körpers aus? Im vorstehenden lernten wir die Wärmeproduktion als eine notwendige Begleiterscheinung des Energiewechsels aller aöroben Organismen kennen”). Sprechen wir von Wärmeproduktion schlechthin, so handelt es sich dabei um die tatsächlich entbundenen, in Kalorien auszudrückenden Wärmemengen °°). Eine völlig andere Frage ıst die: wie verändern unter bestimmten äußeren Bedingungen die entbundenen Wärmemengen den thermometrisch messbaren Temperaturzustand eines bestimmten pflanzlichen Individuums, eines Organes, eines Zellkomplexes? — Kalorimetrische Messungen sind quantitativer Natur und geben ein Bild von den tatsächlich vorhandenen Energieeinheiten. Bei der Angabe von Temperaturen dagegen handelt es sich immer nur um Zustandsmessungen, die zwar auch zahlenmäßig ausgedrückt werden, die aber für die Beurteilung der Wärme- produktion nur relative Bedeutung haben, da sie sich als Resul- tanten aus den wirklich erzeugten Wärmemengen und den physi- kalıschen Verhältnissen der Umgebung darstellen. So kommt es, dass man weder aus kalorimetrischen Messungen ohne Berücksich- tigung zahlreicher ineinandergreifender physikalischer Faktoren auf den Temperaturzustand eines Objektes schließen kann, noch umge- kehrt aus thermometrischen Messungen auf die erzeugten Wärme- mengen. Rückschlüsse sind nach beiden Richtungen hin nur dann gestattet, wenn nach Möglichkeit alle physikalischen — und da wir es mitlebenden Wesen zu tun haben, auch physiologischen — Kon- energie? — Werden die anderweitig erzeugten Wärmebewegungen durch den Assi- milationsprozess beeinflusst? u. s. f. 38) Vgl. W. Pfeffer: Handbuch d. Pfianzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 2, 1904, p- 832. 39) Die Anaerobionten sind mit Absicht übergangen worden, da ihr Stoff- wechsel wesentlich anders verläuft Dass auch bei der sogen. Spaltungsatmung eine Wärmeentbindung erfolgen kann, ist eine experimentell sichergestellte Tatsache. J. Eriksson fand bei gärender Hefe bis zu 4° Temperaturüberschuss. Bei der größeren Ökonomie dieser Organismen erscheint es aber sehr wahrscheinlich, dass ihre Stoffwechseltätigkeit nicht notwendig mit einer positiven Wärmetönung ver- knüpft ist. — Die intramolekulare Atmung bringt in zusammengehäuften Pflanzen- massen, die bei Luftzutritt 5—16° Temperaturüberschuss zeigten, noch Erwärmungen von 0,1—0,3° zustande. — Vgl. W. Pfeffer: Handbuch d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 2, Leipzig 1904, p. S44—S47. 40) Das Wort „Wärme“ wird im täglichen Leben manchmal fälschlich im Sinne von „Temperatur“ gebraucht, Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. YH1 stanten und Variablen in Rechnung gesetzt werden‘t). In Wirk- lichkeit ist es nun aber nicht möglich, alle Komponenten zahlenmäßig zu fixieren. Infolgedessen kann allen derartigen Schlussfolgerungen nur eine sehr bedingte Gültigkeit zugesprochen werden. Eine wirk- liche Klarheit gewinnen wir nur dann, wenn es uns gelingt, die erschlossene Größe durch tatsächliche Messung zu kontrollieren. Während Temperaturmessungen bei einer ausreichend großen Masse leicht durchführbar sind, zeichnen sich die kalorimetrischen Mes- sungen — wenigstens soweit sie sich auf pflanzliche Organismen beziehen — durch sehr große experimentelle Schwierigkeiten aus. Demzufolge sind wir vorläufig in den allermeisten Fällen darauf angewiesen, aus thermometrischen Feststellungen ein ungefähres Bild von den sich vollziehenden Energieumsetzungen zu gewinnen. Die Schwierigkeit und Unsicherheit solcher Kalkulationen liegt da- mit klar zutage. Machen wir einmal den Versuch, auf Grund kalorımetrischer Messungen einen Einblick in die Temperaturverhältnisse des ge- samten pflanzlichen Individuums zu gewinnen! Alle lebenden Zellen, aus denen der Organismus besteht, weisen Atmung auf. Sie sind also alle Wärmeproduzenten, aber sicherlich nicht alle zu jedem Zeitpunkte in gleich hohem Maße. Dadurch entstehen notgedrungen Temperaturdifferenzen, die einen Ausgleich anstreben. Da im Ver- laufe des Lebensprozesses die Atmungsintensität bald an dieser Stelle steigt, bald an jener sinkt, so erfahren diese Differenzen schneller oder langsamer eine Verschiebung. Wir bedenken ferner, dass häufig ein sehr wesentlicher Anteil des Pflanzenkörpers aus toten Zellen besteht, dass außerdem an der Körperoberfläche un- unterbrochen eine Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung an das umgebende Medium stattfindet. Dann sehen wir sofort, dass die Schnelligkeit des Temperaturausgleiches und die aus ihm resul- tierende Gesamttemperatur hauptsächlich abhängig ist von der Höhe der vorhandenen Differenzen, von der Masse der den Körper auf- bauenden Substanzen, insonderheit von der Masse des toten Materials, von der physikalischen Beschaffenheit dieser Substanzen, vornehm- lich von ihren Aggregatzuständen und ihren Wärmekapazitäten, von der gegenseitigen Anordnung des Materials, von der Größe der Oberfläche, der Beschaffenheit der Oberfläche (ob adiabatisch oder nicht!) und von der Temperatur der Umgebung. Zur Vereinfachung wollen wir annehmen, die äußere Temperatur wäre vollkommen konstant. Trotzdem muss die Körpertemperatur sich als eine variable 41) „Die reale Körpertemperatur ergibt sich natürlich immer aus der (resamt- heit aller physiologischen und physikalischen Vorgänge, die auf Erwärmung und Abkühlung hinarbeiten.“ W. Pfeffer: Handbuch d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl, Bd. 2, Leipzig 1904, p. 829. — Vgl. auch W. Pfeffer: Studien z. Energetik d. Pflanzen. Leipzig 1892, p. 171 u. 199. 359 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. Größe darstellen, da neben der wahrscheinlichen Veränderung der Wärmeproduktion in der Zeiteinheit und neben ihrer wechselnden Lokalisierung noch die durch den Stoffwechsel bedingten Verände- rungen in dem Aggregatzustande, ın der chemischen Zusammen- setzung und damit auch in dem physikalischen Verhalten der einzelnen Stoffe und schließlich die Massenveränderungen durch Assımilation und Dissimilation bestehen bleiben. Außer den eben kurz skizzierten unmittelbar physikalischen Einflüssen sind vor allem die mit dem Lebensgetriebe aufs engste verknüpften Erscheinungen der Transpiration und Wasserbewegung ın Betracht zu ziehen. Von ihnen ist der Temperaturzustand in sehr hohem Grade abhängig. Zunächst die Transpiration! Sie geht ununterbrochen an der gesamten Körperoberfläche und ım Innern der Zellularräume von statten und vernichtet dabei unter Umständen sehr erhebliche Wärmemengen. Die Verdunstungsgröße ist einmal von der Beschaffenheit des Pflanzenkörpers abhängig, zum anderen von den Außenbedingungen. Das sehr verschiedenartige Wärme- leitungsvermögen der oberflächlichen Schichten, auf das schon oben hingewiesen wurde, wollen wir ganz aus dem Spiele lassen. Dann bleiben noch immer die Differenzen bestehen, die die stomatäre wie die kutikuläre Transpiration je nach der besonderen Beschaffen- heit der Pflanzenart, des Individuums, des Entwicklungsstadiums der einzelnen Organe und ihres anatomischen Baues aufweisen. Zur vollen Geltung gelangen diese Verschiedenheiten allerdings erst durch die in der unmittelbaren Umgebung verwirklichten physi- kalischen Zustände. Maßgebend sind hier in erster Linie die Tem- peratur der Atmosphäre, ihr Feuchtigkeitsgehalt und die der Wurzel gespendete Wassermenge, dann aber auch die Belichtung, die Luft- zusammensetzung und die Windbewegung. Die Verknüpfung ist etwa folgende* je wärmer die Luft, um so größer ihr möglicher Wasser- dampfgehalt, je geringer ihr Sättigungsdefizit, um so geringfügiger die Verdunstungsgröße, je beträchtlicher die der Wurzel zugeführte Wassermenge, um so ansehnlicher der Turgor und die durch ıhn bedingte Öffnung der Stomata. Schwanken die Außenbedingungen, so hat das fortwährende Umgestaltungen in der Wirkungsweise und dem Effekt der einzelnen Faktoren zur Folge. Diese Umge- staltungen sind um so bedeutender, je größer die Schwankungen sind, und je schneller sie aufeinander folgen. Die Wasserbewegung schließlich ist bestrebt, den Ausgleich der Temperaturen zu be- schleunigen, und verschafft vor allem auch der ganz anderen Be- dingungen unterworfenen Bodentemperatur Gelegenheit, auf den Temperaturzustand des Organısmus einzuwirken. Diese summarische Übersicht mag genügen, um eine ungefähre Vorstellung zu geben von der Kompliziertheit der Gesamterscheı- nung und von der völligen Unmöglichkeit, alle Komponenten auch Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. 253 ne nur mit annähernder Sicherheit zahlenmäßig in Rechnung zu setzen. Rückschlüsse von einzelnen Beobachtungen — seien es kalori- metrische oder thermometrische — auf die Temperatur, bezw. auf die Wärmemenge, sind in jedem Falle als völlig unsicher zu be- zeichnen. Das einzige, was allenfalls erreichbar ist, ist eine relative Vergleichung von Beobachtungsdaten, die in ununterbrochener Reihenfolge an demselben Objekt unter möglichst konstanten äußeren Bedingungen gewonnen sind. Schon Überlegungen rein physi- kaliıscher Natur machen es uns schwer verständlich, wie man so häufig Temperaturkurven, die bei wechselnden Außenverhältnissen gewonnen wurden, zum Ausgangspunkte weitreichender Folgerungen machen konnte. Man misst eine Variable, die mit vielen anderen ungenau bekannten Variablen aufs innigste verknüpft ıst, und willdann — unter völliger Vernachlässigung aller anderen — aus der einen numerisch festgestellten Variablen Schlüsse ziehen auf eine uns völlig unbekannte, ebenfalls variable Größe. Nur in den Fällen, wo die zu erschließende Größe ein solches Übergewicht über alle anderen Komponenten der komplexen Erscheinung besitzt, dass die anderen ihr gegenüber nicht schwer ins Gewicht fallen), kann man zu einigermaßen annehmbaren Resultaten gelangen. Um bei längeren Versuchsreihen brauchbare Vergleichsresultate zu erhalten, müssen wir — soweit irgend möglich — dahin streben, unser ganzes System auf zwei Variable (messbare Temperatur und produzierte Wärme- menge) und auf eine beliebige Anzahl von Konstanten zu bringen. Von einer Ermittlung absolut gültiger Werte kann natürlich auch so nicht die Rede sein. In keinem Falle ist es bisher gelungen, bei Gewächsen Regu- lierungsvorrichtungen nachzuweisen, die, infolge einer Reizperzeption von seiten der protoplasmatischen Substanz in Tätigkeit gesetzt, auf die Erhaltung eines gleichmäßigen Temperaturzustandes hinarbei- teten ®°). Wenn auch nicht zu leugnen ist, dass auf rein physikalischem Wege — z.B. durch Transpirationssteigerung bei erhöhter Außen- temperatur, durch schlechtes Wärmeleitungsvermögen epidermaler 42) Das gilt z. B. von der Wärmeerzeugung mancher Araceen und der Victoria regia. — Vgl. hierüber: E. Leick: Untersuchungen über die Blütenwärme der Araceen. Greifswald 1910. — Erich Leick: Beiträge zum Wärmephänomen der Araceenblütenstände. I. Teil. Mitt. d. naturwiss. Vereins f. Neuvorpommern und Rügen. 45. Jahrg. 1913. — Erich Leick: Studien über Wärmeentwicklung bei Blütenständen und Einzelblüten (mit Ausschluss der Araceenblütenstände). Bibl. botanica (im Druck). 43) „Aus der Erfahrung, dass die Temperatur des Pflanzenkörpers im wesent- lichen in analoger Weise der Außentemperatur folgt wie die einer toten Masse, er- gibt: sich ferner, dass in der Pflanze durch die Erhöhung und Erniedrigung der Außentemperatur keine selbstregulatorischen Prozesse ausgelöst werden, die (analog wie bei den warmblütigen Tieren) durch Modifikation der Wärmeproduktion oder der Wärmeabgabe auf die Erhaltung der bisherigen Körpertemperatur hinarbeiten.“ W. Pfeffer: Handbuch d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 2, 1904, p. 830, 954 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. Schichten u. s. w. — innerhalb gewisser Grenzen eine Temperatur- beeinflussung von außen her verzögert werden kann, so bleibt doch die Temperatur der Umgebung der maßgebende Faktor. Dieser Satz wird auch durch die selbsttätige Wärmeproduktion im Innern der Zellen nicht in Frage gestellt, da auch diese zu einem guten Teile eine Funktion der von außen zugeführten Wärme ist. Ja, die Wärmeentbindung durch den Atmungsprozess begünstigt sogar sehr häufig die Temperaturextreme; denn sie erreicht in der Regel ihr Maxımum beim höchsten Stande der Außentemperatur, ihr Minimum dagegen beim nıedrigsten‘**). Dass auch die Transpiration durchaus nicht ın jedem Falle eine Nivellierung herbeizuführen braucht, geht daraus hervor, dass sie letztsinnig nicht von der Höhe der Außentemperatur, sondern vielmehr von dem Sättigungs- defizit der Luft abhängig ist. Es kann also bei trockener, niedrig temperierter Luft eine für alle Lebensfunktionen ungünstige Tem- peraturerniedrigung durch sie bewirkt werden, während umgekehrt bei feuchter, heißer Luft die Transpiration auf ein Minimum herab- sinkt, obgleich jetzt vielleicht eine Temperaturerniedrigung des Pflanzenkörpers aus physiologischen Gründen wünschenswert er- scheinen möchte. Die ım Verhältnis zum Volumen meist sehr be- trächtliche Oberfläche der pflanzlichen Organismen sowie der oft hohe Wassergehalt der Gewebe werden es in der Mehrzahl der Fälle mit sich bringen, dass der Wärmeverbrauch durch Verdunstung den Wärmegewinn der Atmung überragt. Demnach können wir den Satz aufstellen: die Temperatur des Pflanzenkörpers folgt in der Hauptsache der Temperatur des Außenmediums, sinkt und steigt mit ıhr, kann sie in besonderen Fällen bei erheblicher Wärmeproduktion und bei Verhältnissen, die einer Wärmestauung günstig sind, mehr oder weniger übertreffen, wird aber meistens durch das Übergewicht der Transpiration etwas unter die Außen- temperatur herabgedrückt®’). Eine physiologisch bedeutsame Wärme- 44) Knospen von Aesculus hippocastanum, die bei 5—6° Außentemperatur keinen Temperaturüberschuss aufwiesen, erreichten bei ca. 20° Außentemperatur einen solchen von 0,63°. Weizenkeimlinge ergaben bei 11° Lufttemperatur 1,1% Über- schuss, bei 15° Lufttemperatur dagegen 1,4°. Nach den Angaben von Oskar Hoppe zeigte Colocasia odora bei ca. 20° Lufttemperatur eine Eigenwärme von 2,7°. Als die Pflanze in einen Raum von ca. 12° gebracht wurde, sank die Eigen- wärme im Verlaufe von 2 Stunden auf 1,05°. — Vgl. Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl, Jena 1913, p. 327—328. — Jakob Schmitz: Über die Eigenwärme der Pflanzen. Inaug.-Diss., Jena 1870, p. 20—22. — Oskar Hoppe: Beobachtungen der Wärme in der Blütenscheide einer Colocasia odora (Arum cordifolium). Nova Acta d. K. Leop.-Carol. Deutsch. Akad. d. Naturforscher. Bd. 41, Teil I, Nr. 4, Halle 1879, p. 199—252. 45) Zutreffend bemerkt Julius Sachs (Handbuch d. Experimentalphysiol. d. Pflanzen. Leipzig 1865, p. 49): „Obwohl in jeder Pflanze beständig durch Auf- nahme von Sauerstoff und Bildung von Kohlensäure in den wachsenden Geweben Wärme frei wird und zur Temperaturerhöhung des Gewebes beitragen muss und Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. 255 regulation findet bei den Gewächsen nach keiner Richtung hin Statt *°). Die vorstehenden Erwägungen führen uns notgedrungen auf die Frage, welche Bedeutung dann überhaupt der Wärmeentbindung im Pflanzenkörper zuzuschreiben ist. Nach dem, was wir oben aus- geführt haben, kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, dass die Wärmeproduktion niemals eine auch nur einigermaßen konstante Tem- perierung herbeiführen kann, und dass daher der Atmung auf keinen Fall eine wärmeregulatorische Wirkung zuzuschreiben ist. Besonders scharf tritt das in dem Verhalten der physiologischen Oxydation gegen- über einer gleichsinnigen Steigerung der Außentemperatur zutage. Würde die Wärmeproduktion völlig wegfallen, so bedeutete das für den gesamten vegetativen Pflanzenkörper durchschnittlich nur eine Temperaturerniedrigung von ungefähr 0,1—0,2°*”). Es ist demnach völlig abwegig, die Wärmeentbindung etwa als ein Schutz- mittel gegen die Frostwirkung des Winters auffassen zu wollen, wie das ın früheren Zeiten hier und da geschehen ıst*®). Wir können wohl kaum umhin, das ganze Phänomen als etwas physio- logisch Nebensächliches zu betrachten, das nicht als Selbstzweck auftritt, sondern als eine Begleiterscheinung der oxydativen Stoff- wechselvorgänge ®). Entweder haben wir uns vorzustellen, dass die in manchen Fällen wirklich in auffallendem Grade beiträgt, so ist doch im allge- meinen die Ausgiebigkeit dieser Wärmequelle so überaus gering, dass sie gegenüber den anderen Ursachen, welche die Temperatur im Innern der Pflanze bestimmen, ganz übersehen werden darf.“ 46) Vgl. Erich Leiek: Über den Temperaturzustand verholzter Achsenorgane. Mitt! d. naturw. Vereins für Neuvorpommern und Rügen. 44. Jahrg. 1912. — Erich Leick: Über das thermische Verhalten der Vegetationsorgane. Mitt]. d. naturw. Vereins für Neuvorpommern und Rügen. 43. Jahrg. 1911. 47) In dampfgesättigter Atmosphäre zeigen grüne Sprosse eine um etwa 0,3° höhere Körpertemperatur. — Vgl. H. J. Dutrochet: Recherches sur la temp£ra- ture propre des vegetaux. Ann. d. sc. nat. (2.) Bot. Bd. 12, 1839, p. 77—82. — H. J. Dutrochet: Recherches sur la chaleur propre des £tres vivants ä basse tem- perature. Ann. d. sc. nat. (2.) Bot. Bd. 13, 1840, p. 1—49 und 65—85. 48) Vgl. Erich Leick: Über den Temperaturzustand verholzter Achsenorgane. Mittl. d. naturw. Vereins für Neuvorpommern und Rügen. 44. Jahrg. 1912. — Die in vielen Büchern (z. B. Kerner v. Marilaun: Pflanzenleben. 3. Aufl., Bd.i, 1913, p. 433; R. Kolkwitz: Pflanzenphysiologie. Jena 1914, p. 45) mitgeteilte Tatsache, dass die Blüten der Soldanellen eine dünne Eisdecke zu durchschmelzen vermögen, hat — wie neuere Untersuchungen gezeigt haben — mit ihrer Wärme- produktion nichts zu schaffen. 49) „Die Wärmeproduktion ist also bei den Pflanzen nicht Selbstzweck, sondern nur eine Begleiterscheinung der Zertrümmerungen im Betriebsstoffwechsel, die derart sind und auch wohl derart sein müssen, dass bei ihrer Realisierung chemische Energie in Wärme transformiert wird.“ W.Pfeffer: Handbuch d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 2, 1904, p. 831. — „Die Wärme kann nur Nebenprodukt sein — ja sie muss geradezu als ein Verlust an verwendbarer Energie bezeichnet werden.“ — Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Jena 1908, p. 291. — „Bei der Mehrzahl der Organismen ist die Produktion von Wärme eine funktionell 956 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. bei dem Atmungsprozess frei werdende chemische Energie zunächst restlos in Wärme umgewandelt wird, um dann teilweise in mecha- nische Arbeit transformiert zu werden, oder aber, dass die chemische Energie zum Teil unmittelbar zur Arbeitsleistung herangezogen wird, während ein anderer Teil notwendig als Wärme in die Er- scheinung tritt. Wie der Vorgang auclı verlaufen mag, sein End- resultat ist auf jeden Fall ein „Wärmegewinn“. Wir haben uns vorzustellen, dass die Eigenart der vorliegenden Energietransfor- mationen es mit sich bringt, dass jedesmal ein Teil der disponiblen Energie als Wärmebewegung verloren geht. So überflüssig die nicht zu umgehende Wärmeproduktion in der Regel sein mag, so kann man sich doch nicht verhehlen, dass ıhr unter Umständen auch ein gewisser Wert zugesprochen werden kann. Das feucht-heiße Tropenklima bringt die Gefahr mit sich, dass die Transpiration ins Stocken kommt. Es wäre nun sehr wohl denkbar, dass die gering- fügige Eigenwärme ausreicht, um wenigstens noch etwas Wasser- dampf in die Atmosphäre zu pressen und die Pflanze so vor einer schädlichen Injektion ihrer Interzellularen zu bewahren’). Wie aber steht es mit den überraschend hohen Temperaturen bei Uyca- deen und Palmen’°!), bei Victoria regia??) und bei vielen Araceen °?)? Es hieße den Tatsachen Gewalt antun, wollten wir auch hier, wo in wenigen Stunden bis zu 75 %,°*) der Trockensubstanz veratmet werden, von einer völlig nebensächlichen, für die Lebenserhaltung der Pflanze bedeutungslosen Erscheinung sprechen. Gregor Kraus und Federico Delpino°>) haben zuerst den Versuch unternommen, bedeutungslose Erscheinung, die im allgemeinen nur durch besondere Methoden nachweisbar ist, da meist die rasche Wärmeabgabe an das Medium eine wirkliche Erwärmung der Tiere oder Pflanzen über die Temperatur ihrer Umgebung ver- hindert.“ August Pütter: Vergleich. Physiol. Jena 1911, p. 494. 50) W. Pfeffer: Handbuch d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd. 2, Leipzig 1904, p. 831—832. 5l) Gregor Kraus: Physiologisches aus den Tropen. III. Über Blüten- wärme bei Cycadeen, Palmen und Araceen. Ann. du jardin bot. de Buitenzorg, Bd. 13, 1896, p. 217—275. 52) Eduard Knosch: Untersuchungen über die Morphologie, Biologie und Physiologie der Blüte von Vietoria regia. Bibliotheca botanica. H. 47, Bd. 9, Stuttgart 1899. 53) Gregor Kraus: Über die Blütenwärme bei Arum italicum. Abhandl. d. Naturforsch. Ges. zu Halle. Bd. 16, 1883—18S6, 1. Teil, p. 37—76; 2. Teil, p. 259—358. — Erich Leick: Untersuchungen über die Blütenwärme der Araceen. Greifswald 1910. — Erich Leick: Beiträge zum Wärmephänomen d. Araceen- blütenstände. 1. Teil. Mittl. d. naturw. Vereins für Neuvorpommern und Rügen. Bd. 45, 1913. 54) Vgl. Gregor Kraus: |. c. 55) Federico Delpino: Ulteriori osservazioni e considerazioni sulla dico- gamia nel regno vegetale. Atti della societä italiana di scienze naturali. Bd. 11 u. 12, 1869. — Federico Delpino: Sugli apparecchi della fecondazione nelle piante autocarpee (Fanerogame). 1. c.: Bd. 16 u. 1%. — Referat über die Unter- Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. 957 die hohen Eigenwärmegrade bei Arum italieum als eine blütenbio- logische Anpassung zu deuten. Die gleiche Erklärung für die Wärmeproduktion in den Blüten von Victoria regia wurde 1899 von Eduard Knoch’*) glaubhaft gemacht. Ich selber habe in einer Reihe von Arbeiten den Beweis zu erbringen versucht, dass bei den Araceen das Wärmephänomen eine schrittweis entwickelte Sonderanpassung darstellt, die die engste Beziehung zu dem Blüten- bau und dem Bestäubungsmechanismus der betreffenden Pflanzen zeigt?”). Die Atmung gehört zu den Elementarfunktionen der protoplas- matischen Substanz. Da diese Elementarfunktionen in der tierischen Zelle die gleichen sind wie in der pflanzlichen, so müssen auch die aus ihrem Zusammenwirken resultierenden Erscheinungen ın beiden Reichen manche Übereinstimmung aufweisen. Es sei hier gestattet, mit wenigen Worten die wesentlichen Analogien zwischen Tier und Pflanze klarzulegen. Durchweg ist der Tierkörper für eine An- häufung der Atmungswärme geeigneter als der Pflanzenkörper; denn er besitzt — von wenigen Ausnahmen abgesehen — ein viel gün- stigeres Verhältnis zwischen Volumen und Oberfläche. Ferner kommt dem Tierkörper ın den allermeisten Fällen eine bedeutend geringere Transpiration zu, die hier in keiner wichtigen Beziehung zur Ernährung steht. Wenn wir schließlich bedenken, dass wir bei den Tieren sehr viel häufiger adiabatische Umhüllungen als bei den Pflanzen antreffen, dass die Flüssigkeitsbewegungen ım Innern ihres Körpers in keiner unmittelbaren Beziehung zur Außenwelt stehen, und dass in der Regel ihre Atmungsintensität eine größere ıst als bei der Pflanze — schon weil sie infolge der Ortsverände- rung mehr mechanische Arbeit zu leisten haben —, so ist ohne weiteres verständlich, dass das Wärmephänomen im Tierreiche meist deutlicher hervortritt. Es ist übrigens durchaus nicht gesagt, suchungen Delpino’s an Arum italicum: F. Hildebrand: F. Delpino’s weitere Beobachtungen über die Dichogamie im Pflanzenreich (mit Zusätzen und Illu- strationen). Bot. Ztg. Bd. 28, Leipzig 1870, p. 589—591. — Vgl. ferner F. Lud- wig: Lehrb. d. Biologie d. Pflanzen 1896. p. 261. — Hermann Müller: Be- fruchtung der Blumen p. 72. — W. Pfeffer: Handbuch d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Bd.2, Leipzig 1904, p. 831. — Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzen- physiol. 3. Aufl., Jena 1913, p. 330. 56) Eduard Knoch: Untersuchungen über die Morphologie, Biologie und Physiologie der Blüte von Victoria regia. Bibl. botanica, H. 47, Bd. 9, Stuttgart 1899. — Erich Leick: Studien über Wärmeentwicklung bei Blütenständen und Einzelblüten (mit Ausschluss der Araceenblütenstände). Bibl. botanica (im Druck). 57) Erich Leick: Untersuchungen über die Blütenwärme der Araceen. Greifs- wald 1910. — Erich Leick: Die Temperatursteigerung der Araceen als blütenbiol. Anpassung. Greifswald 1911. — Erich Leick: Beiträge zum Wärmephänomen der Araceenblütenstände. 1. Teil. Mittl. d. naturw. Vereins für Neuvorpommern und Rügen. Bd. 45, 1913. — Erich Leick: Die Erwärmungstypen der Araceen und ihre blütenbiologische Deutung. Ber. d. deutsch. bot. Ges. Bd. 33, 1915, p. 518S—536. XXXVl. 17 258 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. dass die physiologische Verbrennung unter allen Umständen bei den animalischen Wesen lebhafter verlaufen muss als bei den vegetabi- lischen, ja, man hat sogar festgestellt, dass bei einigen pflanzlichen Organismen — es handelt sich namentlich um Bakterien und Schimmelpilze — die auf die Einheit des Körpergewichtes bezogene Sauerstoffatmung 4—100mal so erheblich sein kann als bei höheren Tieren °°). Trotz der für den Wärmehaushalt günstigen körperlichen Organi- sation der Tiere reicht die Wärmeproduktion bei den meisten von ihnen ebenfalls nicht aus, um die Körpertemperatur unter normalen Verhältnissen wesentlich über die Temperatur des umgebenden Mediums hinauszuheben. Die Außentemperatur ist also auch bei ihnen maßgebend für die Körpertemperatur. Nur bei Zusammen- häufung, Verringerung der Verdunstungsgröße und adiabatischer Umhüllung lässt sich eine erhebliche Temperatursteigerung nach- weisen°®). Im Gegensatz zu diesen poikilothermen Organismen, zu denen — wie wir oben sahen — auch die Pflanzen zu rechnen sind, stehen die homoiothermen, die ihre Körpertemperatur auf einer konstanten Höhe zu erhalten vermögen. Homoiotherm sind ausschließlich die höchsten Wirbeltiere, nämlich Vögel und Säuger. Die Konstanz der Temperatur wird bei ihnen durch komplizierte Regulierungsvorrichtungen ermöglicht. So kommt es, dass sich die Homoiothermen durch em scheinbar paradoxes Verhalten gegen- 55) W. Pfeffer: Handbuch d. Pflanzenphysiol. 2. Aufl., Leipzig 1897 — 1904, Bd. 1, p. 526; Bd. 2, p. 829. — W. Pfeffer: Oxydationsvorgänge in lebenden Zellen. 1889, p. 475. Der Mensch produziert in 24 Sumden etwa 1,2% seines Körpergewichtes an Kohlensäure, Schimmelpilze dagegen 6%. — Vignal: Revue generale d. Bot. Bd. 2, 1890, p. 510. Der Sauerstoffverbrauch, bezogen auf das nn Körpergewicht als Einheit, ist bei virulenten Bakterien bis 200mal so groß als beim Menschen. — Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiol. 3. Aufl., Jena 1913, p. 249. Ein Pilz kann im günstigsten Falle aus 1 g kohrzucker 2 g Trockensubstanz gewinnen. Wenn wir statt dessen nur ca. 0,4 g Trockensubstanz finden, so muss die übrige verbrauchte Zuckermenge der Atmung anheimgefallen \ h R BERRY: Verbrauchter Zucker © sein. Der ökonomische Koeffizient GebilHEISTRIl ae ‚ der normal 0,5 betragen en wird häufig zu 1,13—6,1 ermittelt. — W. Pfeffer (l. e Bd. 1, p. 527) gibt 1, dass das Trockengewicht der Pilzernte meist nur !/, bis !/,, der verbrauchten beträgt. Wird durch hohe Außentemperatur die Was der Kultur emporg geschraubt, so fällt die Produktion der Trockensubstanz noch viel ge- ringer aus. — Vgl. über diesen Gegenstand: Kunstmann: Über das Verhältnis zwischen Pilzernte und verbrauchter Nahrung. Inaug.-Diss., Leipzig 1895. — W. Pfeffer: Pringsheim’s Jahrb. f. wissensch. Bot. Bd. 28, p. 257. — Flügge: Mikroorganismen. 3. Aufl., 1896, Bd. 1, p. 152. 59) So vermag z. B. ein Bienenschwarm die Temperatur im Innern des Korbes auf 30—40° zu steigern. Vgl. Max Verworn: Allgemeine Physiol. 4. Aufl., Jena 1903, p. 274. — August Pütter: Vergleichende Physiol. Jena 1911, p. 495. — H.R.Göppert (Über Wärmeentwicklung in der lebenden Pflanze. Vortrag. Wien 1832, p. 26): „Bei einzelnen Mollusken und Insekten beobachten wir keine freie Wärme, wohl aber, wenn sie in Haufen vereint sind.“ Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. 2959 über den äußeren Temperaturschwankungen auszeichnen. Eine Steigerung der Außentemperatur hat eine Verringerung der Ver- brennungsintensität in ihrem Innern zur Folge, ein Sinken der Außentemperatur dagegen eine Erhöhung der Verbrennungsintensität. Diese auffällige Erscheinung stellt sich als eine Wirkung des Nerven- systems dar, das infolge veränderter Reizzustände wechselnde Dis- positionen schafft, die die physikalischen Faktoren zu modifizieren imstande sind‘). So kommt es, dass die homoiothermen Orga- nismen innerhalb weiter Grenzen die Temperaturschwankungen des Außenmediums paralysieren und infolgedessen die mannigfachen Umsetzungen stets mit gleicher Intensität bewerkstelligen. Das be- deutet ohne Zweifel einen großen Vorzug, der allerdings nur durch einen großen Aufwand an Atemmaterial erkauft wird®!). Die spar- samer arbeitenden Poikilothermen sind dem gegenüber ein „Spielball der Umgebung“. Allerdings bedarf dieser Satz, wie die wertvollen Untersuchungen von L. Krehl und F. Soetbeer gezeigt haben °%2), einer beträchtlichen Einschränkung. Zunächst ist die Intensität der physiologischen Zertrümmerung keine ausschließliche Funktion des thermischen Zustandes der Zelle, sondern hängt ebensosehr von der spezifischen Protoplasmastruktur ab“). Nur so ist es zu er- klären, dass nicht nur unter gleichen äußeren Bedingungen und bei gleicher Temperierung der Umgebung die Atmungsgröße je nach der Spezies erheblich differiert, sondern dass auch die Wärme- produktion „bei gleichem Anwachsen der Temperatur in ganz ver- schiedenem Grade steigt“). Von den beiden genannten Forschern wurde nachgewiesen, dass die tierischen Lebewesen gewissermaßen auf eine ihrem Standorte entsprechende Maximaltemperatur einge- stellt sind. Bringt man z. B. Lacerta viridis in eine Umgebung von mehr als 30°, so tritt ein derartig schnelles Anwachsen der Atmungskurve ein, dass der Organismus dadurch schwer geschädigt wird. Tropentiere dagegen zeigen bei gleicher Temperatur eine durchaus normale Dissimilation. Die letzteren haben eben, ihren Lebensbedingungen entsprechend, ihre vitale Tätigkeit auf höhere 60) Wird das Nervensystem durch Zerstörung des Rückenmarks oder durch Giftwirkung ausgeschaltet, so ist damit auch die chemische Wärmeregulation (Rubner) vernichtet. Vgl. L. Krehl und F. Soetbeer: Untersuchungen über die Wärmeökonomie der poikilothermen Wirbeltiere. Archiv f. d. gesamte Physiol. Bd. 77, 1899, p. 615. 61) Vgl.W. Pfeffer: Handbuch der Pflanzenphysiol. 2. Aufl, Bd.2, Leipzig 1904, p. 831. 62) L. Krehl und F. Soetbeer: |. c. p. 611—638. — Vgl. auch Bohr: Zentralbl. f. Physiol. Bd. 17, 1903, p. 526. 63) „Vielmehr ist die Zelltemperatur nur der eine für die Intensität des Ver- brennungsprozesses maßgebende Faktor, die Eigenart des individuellen Protoplasmas aber der zweite.“ L. Krehl und F. Soetbeer: ].c. p. 616. 64) L. Krehl und F. Soetbeer: l.c. p. 619. 175 960 Leick, Über Wärmeproduktion und Temperaturzustand lebender Pflanzen. Temperaturgrade eingerichtet‘). „Das Protoplasma der Tropentiere hat sich der Umgebungstemperatur angepasst, es arbeitet auch bei den höchsten für die vitalen Funktionen günstigen Temperaturen äußerst sparsam *®).“ Schließlich haben Krehl und Soetbeer noch dargetan, dass wenigstens die poikilothermen Wirbeltiere auch sonst nicht vollkommen der Außentemperatur preisgegeben sind, sondern ihr durch Farbenwechsel, Hautbeschaffenheit und Wasserverdunstung entgegenarbeiten können. Wir hätten uns demnach vorzustellen, dass die Kluft zwischen Homoiothermen und Poikilothermen durch Übergänge ausgefüllt wird. Wir widmeten den vorstehenden Betrachtungen einen so breiten Raum, weil sie sich bis zu einem gewissen Grade auch auf die Pflanzenwelt anwenden lassen. Die Beobachtung lehrt nämlich, dass auch hier zahlreiche Anpassungen an bestimmte klimatische Zu- stände vorliegen. Baeillus calfactor fühlt sich wohl in Heumassen, die er bis auf 70° erhitzt hat, Dacterium phosphoreum dagegen zeigt Wachstum und ungeminderte Leuchtkraft bei 0,07). Die Zyngbya thermalis hat ıhren Wohnsitz ın heißen Quellen aufgeschlagen, während Sphaerella nivalis auf den arktischen Schneemassen vege- tiert®®). Trumboa Bainesii erträgt den Glutbrand der Wüste, wäh- rend Cochlearia fenestrata der nordischen Kälte trotzt. Wie ist es möglich, dass so verschiedenartige Temperaturen ertragen werden ? Muss die Atmungsintensität bei 70° nicht eine lebenvernichtende Höhe erreichen, bei 0° aber auf ein kaum noch merkliches Minimum herabsinken? Beides ıst nicht der Fall. Die vitalen Funktionen, unter ihnen auch die Dissimilation und die durch sie bedingte Wärmeproduktion, hängen eben nicht nur von den Außenbedingungen ab, sondern ebensosehr von der Eigenart des protoplasmatischen Substrates, an das sie geknüpft sind. Wır kommen also zu dem Schlusse, dass sich die Pflanzen durchaus analog den poikilothermen Tieren verhalten, dass sie jeder spezifischen Selbstregulation ent- behren, dass sie aber trotzdem nicht ausschließlich ein „Spielball ihrer Umgebung“ sind, sondern durch Anpassung ihrer protoplas- 65) Für 1° Temperatursteigerung zwischen 25 und 30° wächst die Wärme- produktion für das Kilo: | Lacerta um 0,6 Kal., ! Frosch um 0,5 Kal., ı Alligator um 0,18 Kal., ! Uromastix um (0,14 Kal. Vgl. L. Krehl und F. Soetbeer: I.c. p. 619. 66) L. Krehl und F. Soetbeer: I. c. p. 618. 67) Vgl. H. Miehe: Die Selbsterhitzung des Heus. Jena 1907. — Hans Molisch: Leuchtende Pflanzen. Jena 1904. — Ludwig Jost: Vorlesungen über Pflanzenphys. 3. Aufl., Jena 1913, p. 327. 68) Vgl. Kerner v. Marilaun: Pflanzenleben. 3. Aufl., Leipzig 1913, Bdr4, p. 31: Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 261 matischen Individualität an bestimmte Außenbedingungen erst die Konstellation ergeben, innerhalb derer sich die physikalischen Kräfte frei betätigen können. Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. Von Dr. med. Rud. Brun in Zürich. Inhalt: I. Kritische und experimentelle Untersuchungen über den topochemischen Fühlersinn (Kontaktgeruchssinn) und die topochemische Orientierung im Sinne Forel’s. — II. Versuche über Registrierung kinästhetischer Rich- tungszeichen (sogen. „Winkelsinn“). — III. Uber topographische Orien- tierung. — IV. Komplizierte polygonale Einzelwanderungen. Die folgenden Untersuchungen bilden die Fortsetzung und den vorläufigen Abschluss einer Reihe experimenteller und kritischer Studien, die ich ım Jahre 1913 begann und deren bisherige Ergeb- nisse ich in einer 1914 erschienenen Monographie!) im Zusammen- hang niedergelegt habe. Eine kurze Zusammenfassung der wich- tigsten Versuchsanordnungen und Resultate habe ich auch in diesem Centralblatte?) gegeben. Indem ich diese Ergebnisse zum Aus- gangspunkte neuer Fragestellungen machte und die betreffenden Versuchsanordnungen entsprechend ausbaute, habe ich mich ım folgenden bemüht, eine Reihe weiterer unaufgeklärter Einzelfragen, auf deren exakte experimentelle Prüfung ıch damals nicht mehr eingehen konnte, einer vorläufigen Beantwortung näher zu bringen. — Einige weitere Beobachtungen von mehr kasuistischem Wert seien am Schlusse beigefügt. 1 Kritische und experimentelle Untersuchungen über den topochemischen Fühlersinn (Kontaktgeruchssinn) und die topochemische Orientierung im Sinne Forel’s. 1. Kritische Vorbemerkungen. Zum Verständnis der folgenden Versuchsreihen ist eine kurze Darstellung der Forel’schen Theorie, ihrer Voraussetzungen und bisherigen Grundlagen erforderlich. Der Geruchssinn der Insekten ist bekanntlich vor dem der Wirbeltiere dadurch ausgezeichnet, dass seine Endapparate ober- flächlich an nach außen gekehrten und meist sehr beweglichen 1) Brun, R., Die Raumorientierung der Ameisen und das Orientierungsproblem im allgemeinen. — Gustav Fischer, Jena 1914. 2) Brun, Das Orientierungsproblem im allgemeinen und auf Grund experi- menteller Forschungen bei den Ameisen. — Biolog. Oentralbl. Bd. XXXV, 1915, Sl902Ur 225, 362 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. Organen (den Antennen) angebracht sind?). Schon die deutsche Bezeichnung dieser Organe als „Fühler“ weist aber darauf hin, dass dieselben nicht lediglich dem Riechen dienen, sondern (wenigstens bei den meisten Insekten) gleichzeitig die Tastfunktion ausüben. Am vollkommensten ist diese Doppelfunktion zweifellos bei den Formiciden ausgebildet, deren flügellose Arbeiterkaste ja ohnehin auf ständigen engsten Kontakt mit der Scholle angewiesen ist, und in der Tat ıst für die Angehörigen dieser Familie die Gewohnheit geradezu typisch, dass sie auf Schritt und Tritt fast unausgesetzt den Boden und alle Gegenstände ihrer nächsten Umgebung mit den Fühlern abtasten. Ohne einen solchen ständigen Bodenkontakt wäre ja schon die einfache Fähigkeit so vieler Arten, einander auf der Spur zu folgen, ganz unverständlich. Auf diese Tatsachen hat bekanntlich Forel*) seine geistreiche Kontaktgeruchstheorie oder Theorie des „topochemi- schen Geruchssinnes“ gegründet, deren wesentlichen Inhalt wir kurz ın folgenden Sätzen zusammenfassen können: 1. Die Ameisen rezipieren die von den verschiedenen Gegen- ständen der Außenwelt ausgehenden Gerüche nicht, wie wir, ın diffuser Mischung, sondern — infolge des unmittelbaren Kontaktes mit den Objekten — in scharfer räumlicher Trennung, d.h. ın Form umschriebener Geruchsfelder. Gleichzeitig rezipieren aber die Tasthaare der Fühler beim Abtasten eines Objektes auch dessen körperliche Form, sowie die sonstigen taktilen („haptischen“) Eigen- schaften desselben (Aggregatzustand, Härte, Viskosität u. s. w.). 2. Da beide Qualitäten — die olfaktorische und die taktıle — synehron rezipiert werden und zudem (unter gewöhnlichen Um- ständen) sich sinnlich decken, so müssen sie sich schon primär, bei der Rezeption, zu einem einheitlichen „Tastgeruchseindruck (topochemischen Eindruck, Geruchsform)“ assoziieren. 3. Falls nun die beim Vorwärtsschreiten im Raume nach- einander angetroffenen „Geruchsformen“ ım Gehirn der Ameisen entsprechende topochemische Engrammsukzessionen hinter- lassen, so müssen diese Tiere eine mehr oder minder umfassende topochemische Raumkenntnis gewinnen. So werden sie bei- 3) Neuerdings hat Mc. Indoo (Journ. of experimental Zool. 1914, S. 265) bei Bienen allerdings auch Porenplatten an den Coxen nachgewiesen, welche nach seinen Experimenten zweifellos ebenfalls Geruchsempfindungen vermitteln. Doch kann es sich dabei meines Erachtens nur um Ferngeruchsapparate handeln, die an der fundamentalen Tatsache nichts zu ändern vermögen, dass die zur Auslösung (Ekphorie) der sozialen Instinkte in erster Linie wichtigen Kontaktgeruchs- empfindungen auch bei den Bienen an den Antennen lokalisiert sind. 4) Forel, A., Experiences et remarques critiques sur les sensations des insectes. — Rivista di biolog. Como 1900—1901. — Forel, A., Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, mit einem Anhang über die Eigentümlichkeiten des Geruchssinnes bei jenen Tieren. — 2. Aufl., München (Reinhardt) 1902. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 263 spielsweise von solchen Wegstrecken, welche sie häufig ın beiden Richtungen begangen haben, allmählich eine förmliche „Geruchs- karte“ aufnehmen, mit deren Hilfe sie jederzeit imstande sind, zu erkennen, was vorn und hinten, was rechts und links ist u. s. w. — Prüfen wir nun die anatomischen, physiologischen und experi- mentell-biologischen Tatsachen, auf welche diese Theorie sich stützen könnte. a) Die anatomischen Tatsachen. Die geknieten — und dadurch ungemein beweglichen — Ameisen- fühler erscheinen schon aus diesem Grunde ganz besonders geeignet, die umgebenden Objekte in allen Ebenen des Raumes abzutasten. Ganz abgesehen von diesen grob-morphologischen Verhältnissen, stimmt aber auch die feinere Anatomie des Antennenorgans sehr wohl mit Forel’s Theorie zusammen: Die keulenförmige Anschwel- lung der Endglieder der Fühlergeißel gerade bei denjenigen Arten, welche mit über das feinste Kontaktgeruchsvermögen verfügen, — die enorme Zahl von Nervenendigungen und Sinneszellen in dieser Endkeule5), die diehte und feine Behaarung derselben: All das weist darauf hin, dass wir es da mit einem hochdifferenzierten und offenbar mit sehr feinen Erregungsformen arbeitenden Sinnesapparat zu tun haben. Damit sind aber erst die peripheren Bedingungen des Zu- standekommens topochemischer Eindrücke erfüllt. Der zweite, mindestens ebenso wichtige Akt dieses verwickelten Prozesses ist der psychologische, und dieser setzt ein relativ hochorganisiertes Zentralnervensystem voraus: Hier müssen die betreffenden suk- zessiven Erregungen zunächst eine geordnete Projektion erfahren; sodann aber müssen sie sich untereinander — sowohl synchron als namentlich sukzessiv — assoziieren und entsprechende topo- chemische Engrammkomplexe hinterlassen. Und endlich müssen diese Engrammsukzessionen sich noch mit den bezüglichen Ziel- engrammen (den „Zielvorstellungen“ Nest, Futter u. s. w.) zu einem nach seiner Ablaufsriehtung eindeutig ekphorierbaren Rich- tungsengrammkomplex verbinden. Der Bau des Ameisengehirns 5) Forel (Sinnesleben der Insekten, München 1910, S. 237) gibt für Lasrus fuliginosus £ beispielsweise folgende, nach Krause zusammengestellte Zahlen: Tasthaare | Riechkolben | Flaschen- | Champagner | organe | pfropforgane Am Fühlerschaft. . . . 492-543 | 0 | 0 | 0 Am 1. Geißelglied . . . || 138—203 | 158 12.Glied: 1—3| 2. Glied: 1 Am letzten (Keulen-)Glied | 302—412 359 7—10 7—10 264 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen, lässt nun meines Erachtens auch die Möglichkeit solcher zentraler assoziativ-mnemischer Vorgänge im Prinzip durchaus zu, wenn auch natürlich nur in sehr bescheidenem Umfange. Denn das Ober- schlundganglion der weiblichen und der Arbeiterameisen enthält nicht allein ziemlich kompliziert gebaute primäre olfaktorische Zentren (Lobi olfactorii), sondern es weist auch eine verhältnismäßig mächtige (vierfach gefaltete) Assoziationsrinde (die Corpora peduneulata von Dujardin)auf. Auch konnte ich mich an selbstverfertigten Serienschnitten ohne weiteres von dem Vorhandensein eigentlicher „Riechstrahlungen“, d.h. zentraler Verbin- dungen der Riechlappen mit den Corpora pedunculata (bezw. mit deren Stielen) in Gestalt zweier ziemlich kräf- tiger Bündel, überzeugen. — Dass wir aber allen diesen Strukturen, angesichts der absoluten Kleinheit des Ameisengehirns, natürlich nur ein äußerst bescheidenes Maß plastisch-assoziativer Leistungsfähigkeit zuschreiben dürfen, hat Forel selbst zu allererst nachdrücklichst betont. b) Die physiologischen Grundlagen. Wenn wir irgendeinen Gegenstand, z. B. einen Schlüssel, auf die flach ausgestreckte Hohlhand gelegt bekommen, so unterscheiden wir nur annähernd das Gewicht, die Temperatur und eventuell die ungefähre Größenausdehnung desselben. Um das Objekt als solches zu „erkennen“, d. h. dessen gesamten Engrammkomplex von der Tastsphäre aus zu ekphorieren, ist es bekanntlich notwendig, dass wir es in den Fingern „manipulieren“, nach allen Seiten ab- tasten u. s. w. Die sogen. „Stereognosis“ der Hände ist somit nichts weniger als ein einfacher taktiler Erregungsvorgang, sondern vielmehr ein kompliziertes Assoziationsprodukt zahlreicher dyna- mischer Einzelvorgänge, wobei die sukzessive gewonnenen Eindrücke der exterozeptiven Sinnesqualitäten (der Ober- flächensensibilität) sich ausgiebig mit propriozeptiven Wahrnehmungen (Muskelsinn) kombinieren. Bei der Ge- winnung exakterer Vorstellungen von der Form, Dicke und Größe der Objekte fällt dem Muskelsinn sogar zweifellos die Hauptrolle zu, — man denke nur an die durch die Opposition des Daumens vermittelten kinästhetischen Empfindungen. Es dürfte nun einleuchten, dass die fragliche topochemische Raumwahrnehmung der Fühler, falls sie wirklich existiert, im Prinzip an ganz ähnliche physiologische Bedingungen geknüpft sein muss. Um also ein Objekt topochemisch zu „erkennen“, werden auch die Ameisen sich nicht mit bloßem „betrillern“ begnügen dürfen, sondern werden genötigt sein, dasselbe nach allen Rich- tungen — und zwar mit beiden Antennen kombiniert — abzutasten. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 265 Diese theoretische Vermutung wird durch die Beobachtung be- stätigt. Denn wir sehen in der Tat, dass dıe beim Untersuchen eines Objektes oder des Terrains ausgeführten Orientierungs- bewegungen der Antennen von allen übrigen, — namentlich von den beim sozialen Fühlerverkehr üblichen —, deutlich und wesentlich verschieden sind: Bei der sogen. „Fühlersprache“, wobei es sich um vorgebildete Automatismen im Dienste einer instinktiven Übertragung subjektiver Erregungszustände handelt, sind es meist zahlreiche regelmäßige und oft in sehr raschem Tempo geführte Trillerschläge, welche mit kleiner Exkursion auf ganz bestimmte Kopfpartien der Gefährtin abgegeben werden. Die tastenden Orientierungs- bewegungen der Fühler dagegen erfolgen verhältnismäßig lang- sam, ganz unregelmäßig und oft weit ausholend unter ausgiebiger Zurkumduktion des Fühlerschaftes, indem die jeweiligen Bewegungs- folgen durch die Form des untersuchten Gegenstandes bedingt er- scheinen. Wer einınal einer Ameise beim Aufnehmen eines Gegen- standes, z. B. einer Larve zugesehen hat, wird dies ohne weiteres bestätigen. Die Larve lag beispielsweise quer auf dem Weg der herankommenden Ameise; sie muss also, um transportiert werden zu können, zunächst in die richtige Lage (Längsachse parallel zu der des Trägers, Bauchseite nach oben) gedreht werden. Diese Manipulation wird nun ganz methodisch mit Hilfe der Kiefer und der Vorderbeine vorgenommen, wobei die beiden Fühlerkeulen unaufhörlich über die gesämte Oberfläche des hilflosen Paketes hin- tasten und so die Bewegungen der Kiefer und Beine sukzessive leiten und kontrollieren. Bekanntlich spielt sich ja auch die Brut- pflege der Ameisen, mit allen ihren oft so komplizierten Einzel- heiten, wie Fütterung, Umbettung je nach den Witterungsverhält- nissen, Separation der verschiedenen Altersklassen u. s. w., rein unterirdisch, also unter Ausschluss des Gesichtssinnes ab, — eine Tatsache, in welcher Wheeler‘) mit Recht einen Beweis für die tatsächliche Existenz des topochemischen Fühlersinnes erblickt. Da- bei ist allerdings nicht zu vergessen, dass es sich bei diesen letzteren Manipulationen im wesentlichen um hereditär fixierte und an ganz bestimmte Objekte angepasste Erregungs- und Bewegungskombi- nationen (sog. „komplizierte Reflexe“) handelt. Die individuelle topo- chemische Differenzierung der Außenwelt dagegen, wie Forel sie sich denkt und die zur Gewinnung orientierender Wegzeichen führen soll, bezieht sich auf ursprünglich indifferente Objekte und setzt somit eine weitgehende Betätigung der plastisch-assoziativen Mneme voraus. Noch auf einen Punkt muss ich hier kurz eingehen. Derselbe betrifft einen Einwand, den Forel”) sich selbst gemacht und treffend 6) Wheeler, W. M., Ants. — New-York 1910, S. 69. X) Forel, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, 2. Aufl, München 1902; Anhang S. 53, 266 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. beantwortet hat. Man könnte nämlich sagen, dass der Tastsınn der Fühler für sich allein vollkommen genügen würde, um den Ameisen die besagten Raumvorstellungen zu vermitteln, indem ein Kontaktgeruch nicht viel mehr geben könnte als ein feines, in den Fühlerspitzen lokalisiertes Tastvermögen. Das ıst, wenn schon etwas wahres daran sein mag, in dieser Form sicher nicht zutreffend. Denn erstens ıst es eine altbekannte Tatsache, dass durch kom- biniertes Zusammenwirken zweier Sinne für eine bestimmte Funktion stets ungleich mehr geleistet wird als durch jeden der betreffenden Sinne allein. So mag es beispielsweise vorkommen, dass mehrere Objekte sehr ähnliche Formverhältnisse aufweisen (z. B. verschie- dene Ameisenarten der gleichen Gattung), während sie durch verschiedenen Geruch — und nur durch diesen — sofort und sicher unterscheidbar sınd. Aber auch das Umgekehrte kommt natürlich vor, — so bei Larven oder Puppen verschiedener Alters- stufen. Auf jeden Fall wird also eine Kombination beider Qualı- täten die Zahl der gegebenen Differenzierungsmöglichkeiten erheb- lich steigern. Und was nun die topochemische Raumorientierung betrifft, so ist es doch Tatsache, dass die meisten Objekte, welche die Ameisen in ihrer Miniaturwelt antreffen, nicht allein der Form, sondern auch ihrem Geruche nach verschieden sind und es ist mit Forel anzunehmen, dass die Ameisen diese verschiedene Geruchs- qualität mindestens ebensosehr, wenn nicht mehr, beachten werden. Man könnte daher den obigen Satz auch ebensogut umkehren und behaupten, dass die chemischen Kontakteindrücke allein für die räumliche Orientierung ausreichen würden, da sich dieselben ja ebenfalls auf räumlich scharf umschriebene „chemische Felder“ beziehen. So wäre es z. B. denkbar, dass eine Ameise sich sogar auf spiegelglatter Glasfläche zurechtfinden würde, falls auf derselben qualitativ verschiedene Geruchsfelder vorhanden wären®). Die Ver- folgung einer schmal-strichförmigen Geruchsfährte ist ja nichts anderes als ein solcher Orientierungsmodus in seiner einfachsten Form. Man hätte demnach nicht weniger als drei verschiedene Unter- formen der antennalen Raumorientierung zu unterscheiden; nämlich 1. eine „thigmoolfaktive“, 2. eine stereotaktile und 3. die eigentliche (kombinierte) topochemische Orientierung im engeren Sinne. Ob alle diese Formen tatsächlich vorkommen und wie weit die be- treffenden Differenzierungen gehen, ist a priori natürlich nicht zu sagen; — jedenfalls aber wird man gut tun, bei der Aufstellung neuer Versuchsanordnungen an alle diese Möglichkeiten zu denken. 8) Ein ähnlicher Gedankengang lag der bekannten Wasmann'schen „Fuß- spurentheorie“ zugrunde, nach welcher die Ameisen die beiden Richtungen ihrer Geruchsfährten an den verschieden gerichteten und verschieden duftenden Fuß- abdrücken der hin- und herwandernden Gefährten unterscheiden sollten. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 267 c) Die experimentell-biologischen Grundlagen. Eine experimentelle Bestätigung seiner Theorie hatte Forel früher vor allem in der Tatsache erblicken wollen, dass die Ameisen imstande sind, die beiden Richtungen ihrer Heerstraßen (vom Nest weg und zu ihm hin) zu unterscheiden. Den Nachweis dieser Tat- sache hatte Forel?) selbst zuerst erbracht, und zwar auf folgendem Wege: Er fing auf einer Pratensis-Straße einzelne auf der Heim- kehr begriffene Ameisen ab und setzte sie nach einigen Minuten an einer anderen Stelle des Weges wieder hin: Sie liefen ausnahmslos in der früheren Richtung weiter. Nach dem heutigen Stande unseres Wissens müssen wir indessen die Beweiskraft dieses Experimentes für sehr gering anschlagen: Dasselbe zeigt lediglich, dass die Ameisen im Besitze einer relativen Richtungsangabe waren, nicht aber, durch welchen Sinn dieselbe vermittelt wurde. Die grund- legenden Untersuchungen Santschi’s!®) haben nun gezeigt, dass diese Richtungsgewissheit fast überall, wo sie zutage tritt, in erster Linie auf virtueller Liehtorientierung beruht, d. h. auf der Aufnahme eines Engramms von der relativen Lokalisation der Licht- quelle (der Sonne bezw. der hellsten Stelle des Firmamentes) ım Fazettenauge. Alle übrigen sinnlichen Hilfsmittel kommen hier wohl erst in zweiter Linie in Betracht. Ich selbst!!) habe die Licht- orientierung sowohl auf den Heerstraßen der Formica rufa als auf den Geruchspfaden von Lasius fuliginosus nachgewiesen; — ander- seits fand ich in Übereinstimmung mit Wasmann’s!?) Angaben, dass die Formica-Arten sich auf sogen. „Durchgangsstrecken“ (und wohl z. T. auch auf Einzelwanderung) vorzugsweise sogar mit Hilfe diffe- renzierter Gesichtseindrücke orientieren (nach den mehr oder minder verschwommen wahrgenommenen Gesichtsbildern bestimmter großer entfernter Objekte, wie Bäume, Häuser u. dgl.)'?). Nun hat allerdings wiederum Forel!*) gefunden, dass eine der Antennen beraubte F. r«fa vollständig unfähig ist, sich zum Neste zurückzufinden, während sie dies nach Ausschaltung des Gesichts- sinnes (durch Lackieren der Augen) zur Not noch vermag und dabei sogar die beiden relativen Richtungen noch ganz gut unterscheidet. Der negative Ausfall des ersten Versuches (Amputation der An- tennen) beweist aber meiner Ansicht nach sehr wenig gegen das 9) Forel, Etudes myrmeeologiques. — Ann. Soc. Ent. Belg. Bd. 30, 1886. — Vgl. auch Sinnesleben der Insekten 1910, S. 279. 10) Santschi, F., Revue Suisse de Zoologie 1911 und 1913. KIA ON AESTRHF Runde Ss. IHM: 12) Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, 2. Aufl., 1909, S. 33ff. ENENEALOIITANS 137,158, 175, 183, 196, 215. 14) Forel, Experiences et remarques critiques sur les sensations des insectes. — Rivista di Biologia generale, Como 1900--1901. — Sinnesleben der Insekten, S. 143ff, — München 1910, 268 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen, Wegfinden mittelst der Augen. Denn der Geruchssinn der Ameisen dient ja nicht lediglich der Orientierung im Raum, sondern er ist zugleich auch von fundamentaler Bedeutung für die Ek- phorie fast aller lebenswichtigen und sozialen Instinkte dieser Tiere. Kein Wunder daher, wenn der plötzliche Ausfall dieses Hauptsinnes eine schockartige schwere Hemmung der gesamten Spontaneität des betreffenden Individuums nach sich zieht!?). Da- gegen ist das zweite Experiment Forel’s (Firnissen der Fazetten- augen) allerdings in dem Sinne beweisend, dass sogar F\ rufa im Notfall imstande ıst (wenigstens auf ihren Heerstraßen) die Weg- richtung ausschließlich mit Hilfe der Antennen zu unterscheiden. Ob nun aber diese Richtungsunterscheidung wirklich auf dem Vor- handensein einer topochemischen Engrammsukzession (d.h. auf dem Wiedererkennen bestimmter topochemischer „Wegmarken“) beruht, ıst damit meines Erachtens noch immer nicht bewiesen; — denn der Vorgang lässt sich, wie wir gleich sehen werden, ebenso- gut auch auf viel einfachere Weise erklären. In zweiter Linie wurde als Beweis für die Richtigkeit der Kon- taktgeruchstheorie Forel’s noch das „Spurdrehungsphänomen“ Bethe’s!®) mit herangezogen: Wenn man eine Lasiws-Spur über eine schmale drehbare Brücke leitet und nun diese Brücke plötz- lich um 180° dreht, so beobachtet man an den beiden Grenzen des Drehstückes gewöhnlich eine Verkehrsstockung, als ob die Spur unterbrochen wäre. Da bei diesem Versuch alle übrigen sinn- lichen Faktoren sich gleichgeblieben sind, so kann die Wahrnehmung der Umkehrung des Terrains hier ın der Tat nur auf dem Wege des Antennensinnes erfolgt sein. Die Erklärung des Phänomens nach Forel ist nun folgende: Es seien die verschiedenen „Geruchs- formen“, welche die Ameisen Iinks und rechts der Spur sukzessive angetroffen und engraphiert haben, mit Nr BIC DEE ae arıb) ic de # geh u.s. w — Blattläuse bezeichnet. Dreht man nun das Mittelstück der Fährte (zwischen den beiden senkrechten Strichen) plötzlich um 180° so ıst klar, dass jetzt die Reihenfolge und räumliche Anordnung der auf diesem Mittelstück angetroffenen Geruchsformen sich nicht mehr in Über- einstimmung befindet mit der obigen, im Gedächtnis der Ameisen engraphierten Sukzession: 15) Übrigens scheint auch dies keineswegs allgemein der Fall zu sein, denn Santschi (l.c. 1911, S. 317; 1913, S. 393) fand bei der Gattung Cataglyphis (einer gut sehenden und schnellfüßigen Saharajägerin) die Orientierung nach Am- putation der Antennen kaum nennenswert beeinträchtigt. 16) Bethe, A., Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben ? — Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 70, 1898, S. 45 ff. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 269 u.8. w. — Blattläuse Die Ameisen werden also an den beiden Grenzen eine „plötz- liche Umkehrung des Raumes verspüren, die sie notwendig des- orientieren muss* (Forel, a.a. O. 1910, S. 282). (regen diese Erklärung des Spurdrehungsphänomens hatte seiner- zeit schon Ulaparede!’) den Einwand erhoben, dass bei den künst- lich vereinfachten Verhältnissen der Bethe’schen Versuche, wo die Spur über drei ganz glatte homogen beschaffene Streifen aus Zink- blech führte, eine Wahrnehmung topochemischer Einzelheiten doch außerordentlich unwahrscheinlich wäre. Als ich 10 Jahre später anfing, mich mit dem Problem zu beschäftigen, kam ich unabhängig von Claparede zu dem gleichen Schlusse. Doch war mir dabei noch eine andere Überlegung maßgebend, die sich sofort aufdrängt, sobald man sich die psycho-physiologischen Bedingungen vergegen- wärtigt, unter denen ein Kontaktsinn arbeiten muss. Es ist näm- lich klar, dass der dırekte Wirkungsbereich eines solchen Kon- taktgeruches naturgemäß nur ein sehr beschränkter sein kann und zumal bei so kleinen Tieren wie Ameisen kaum über einen Umkreis von mehr als 1 cm hinausreichen dürfte. Nach dem Gesetze der sukzessiven Assoziation (Semon) können sich aber sukzessiv er- zeugte Engramme nur dann zu einem Komplex assoziieren, wenn die betreffenden Originalerregungen kontinuierlich ineinander über- gegangen sind (d.h. wenn sie sich gegenseitig innerhalb ıhrer Abklingungsphasen berührten). Da nun das Bethe’sche Phänomen anscheinend an jeder beliebigen Strecke einer selbst sehr ausge- dehnten Fährte zu erzeugen ist, so würde daraus folgen, dass jede Ameise von einer solchen Fährte eine ganz gewaltige Zahl topochemischer Einzelengramme fixiert haben müsste, — eine An- nahme, die wie wir gesehen haben, mit der absoluten Kleinheit des Ameisengehirns ganz unvereinbar ist. Eine genauere Analyse, die ich daraufhin mit dem Spur- drehungsphänomen vornahm!®), hat denn auch mit Sicherheit er- geben, dass die Erscheinung (wenigstens auf homogen beschaffenem Boden) nicht auf einem topochemischen Gedächtnis ım Sinne Forel’s beruht. Es zeigte sich nämlich: Erstens, dass das Bethe’sche Ex- periment nur auf sogen. „Futterfährten“ positiv ausfällt, wogegen es auf Fährten, über welche längere Zeit Brut getragen wurde, vollständig versagt. Man kann dann auf solchen „Brut- fährten“ beliebige Spurabschnitte um 180° drehen bezw. sogar in gedrehtem Zustande miteinander vertauschen, ohne dass die Ameisen 17) Clapar£&de, Ed., La facult& d’orientation lointaine. — Arch. de Psycho- logie II, 1903, p. 133. 18) A. a. ©. 1914, S. 83ft. 270 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. von der dadurch bewirkten „Umkehrung des Raumes“ die geringste Notiz nehmen. Und zweitens stellte es sich heraus, dass — auf der Brutfährte — auch solche Ameisen die Richtungen zu unterscheiden vermögen, welche die betreffende Fährte nachweislich früher noch nie begangen haben, und die somit unmöglich Engramme von derselben besitzen können. — Da die neuen Versuchsreihen, welche ich im folgenden zu schildern habe, unmittelbar auf die genannten Tatsachen (bezw. auf die betreffende Versuchsanordnung) als auf ihre Voraussetzungen gegründet sind, so müssen wir hier auf diese früheren Experimente nochmals ganz kurz eingehen. Meine Versuchsanordnung war folgende (Fig. 1): Ein Lubbock- nest N mit einer Kolonie von Lasius fuliginosus Latr. mündet auf den Anfangsteil einer 95 cm langen, schmalen Papierbrücke, welche geradlinig durch den Mittelpunkt des großen kreisrunden Experi- mentiertisches zu einer kleinen Plattform Pl führt. Auf dieser Plattform reichte ich den Ameisen nach Belieben Honig oder Larven, welche sie ins Nest abzuholen hatten. Der „Lichtkompassinn“ von Santschi (vgl. S.267) wurde in einfacher Weise dadurch aus- geschaltet, dass statt einer Lichtquelle deren zwei verwendet wurden: Zwei Kerzen, die ich an diagonalen Punkten am Rande des Tisches, quer oder parallel zur Längsachse der Brücke aufstellte. Dann ist klar, dass jede von der Mitte der Brücke abgehende Ameise spiegelbildlich gleiche Lichteindrücke haben wird, ob sie nun in der Richtung N oder in der entgegengesetzten Richtung marschiert (Prinzip der bipolaren Beleuchtung). Um ferner auch die Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 271 Möglichkeit einer Orientierung nach allfälligen differenzierten Ge- sichtsbildern (Gegenständen im Zimmer) auszuschalten, baute ich um den Experimentiertisch ein Dunkelzelt, dessen tiefschwarze Wände keinerlei visuelle Anhaltspunkte bieten konnten. Und end- lich ist noch zu sagen, dass ich meine Fuliginosus-Kolonie vor Einrichtung dieser Versuchsanordnung in zwei Hälften A und B geteilt hatte: Nur die Abteilung A kam in das mit der Brücke kommunizierende Lubbocknest; wogegen dıe Ameisen 2 vorläufig in einer Forel’schen Gipsarena untergebracht wurden. Mein Experimentum erucis gestaltete sich nun folgendermaßen: I. Auf der „Honigspur“: a) Ich fing Ameisen, die gerade vom Honig heimkehren wollten, bei Pl vermittelst eines Bleistifts ab und ließ sie genau auf die Mitte der Brücke, und zwar in der falschen Richtung, also Pl-wärts, wieder absteigen. Re- sultat: Alle behielten diese falsche Richtung zunächst noch eine Strecke weit bei; dann aber schienen die meisten zu merken, dass sie falsch gingen, denn sie stutzten plötzlich, schwankten einige Male zwischen beiden Richtungen hin und her und wandten sich endlich entschlossen nestwärts. b) Genau ebenso benahmen sich aber auch Ameisen der Abteilung B (aus der Gips- arena), die ich mit einer Larve!?) auf die Mitte der Brückenspur gesetzt hatte. Diese Richtungsanzeige beruhte somit sicher nicht auf Registrierung einer topochemischen En- grammsukzession, wie man auf Grund der Resultate a vielleicht voreilig zu schließen geneigt gewesen wäre („Mnemischer Ver- such‘). Il. Ganz anders fiel der mnemische Versuch auf der „Brut- fährte* aus, d. h. nachdem die Ameisen einige Stunden lang Larven von der Plattform abgeholt hatten: Jetzt behielten alle Ameisen, die ich in der falschen Richtung auf die Brücke absteigen ließ, diese falsche Richtung unentwegt bis PI bei, ohne unterwegs zu zögern oder gar umzukehren. Und als ich nunmehr eine Anzahl Larven auf die Mitte der Brücke legte, da gingen ungefähr 50%, aller mit Lar- ven aus der Mitte abgehenden Ameisen nach der falschen Seite (und zwar bis zum falschen Ende Pl), d. h. es gingen ungefähr ebensoviele falsch wie richtig und gaben uns so- mit die Probe aufs Exempel, dass jetzt die sinnlichen Bedingungen auf beiden Seiten genau die gleichen waren und dass jene olfak- torische Richtungsanzeige, wie sie auf der Futterfährte bestanden hatte, auf der Brutfährte nicht mehr vorhanden war. Was nun die eigentliche Natur jener geruchlichen Richtungs- indikation auf Futterfährten, bezw. die Natur des Bethe’schen 19) Larventragende Ameisen können selbstverständlich nur ein Ziel haben: Das Nest. 272 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. Spurdrehungsphänomens betrifft, so bin ich auf Grund weiterer Versuchsreihen (auf deren Schilderung hier nicht mehr eingegangen werden kann) zu der Überzeugung gekommen, dass diese Erschei- nung auf einem sukzessiven Intensitätsgefälle gewisser auf der Fährte deponierter Geruchsstoffe beruht. Von der Nestseite her verschleppen die Ameisen den Nestgeruch an den Füßen und Fühlern in sukzessive abnehmender Stärke in der Richtung des Zieles, wo- gegen sie von der Futterseite her den Honiggeruch in abnehmender Intensität nestwärts verschleppen. Wenn also eine Ameise durch unser Bleistiftmanöver veranlasst wird, die Spur zunächst nach der falschen (d. h. von ihr nicht erstrebten) Richtung zu verfolgen, so wird sie ihren Irrtum an der stetigen Intensitätsabnahme dieses ihres „Zielgeruches* alsbald gewahren und umkehren. Beim Bethe’- schen Versuch dagegen ist es wohl die plötzliche Intensitäts- schwankung der betrefienden Geruchskomponenten, was die Ameisen an den beiden Grenzen der um 180° gedrehten Teilstrecke stutzig macht. Das vollständige Fehlen dieser quantitativen olfak- torischen Richtungsindikation auf der Brutfährte dürfte sich somit am einfachsten so erklären, dass hier — infolge des Transportes der Larven — der Zielgeruch sich allmählich allen Abschnitten der Fährte in originärer Stärke und völlig gleichmäßig mitgeteilt hat, so dass ein merkliches Intensitätsgefälle nicht mehr besteht. Wenn somit auch die Richtungsunterscheidung auf Geruchsspuren an sich unabhängig ist von der topochemischen Engraphie im Sinne Forel’s, so ist damit doch keineswegs gesagt, dass diese letztere Fähigkeit nicht existiert oder dass sie für die räumliche Orientierung der Ameisen belanglos ıst. Denn meine Analyse des Bethe’schen Phänomens bezog sich ja auf künstlich vereinfachte Fährten, welche über eine ganz homogen beschaffene Papierbrücke verliefen; — die im Freien etablierten Geruchspfade werden aber kaum jemals auf längere Strecken so einfache Bodenverhältnisse aufweisen. Es lassen sich denn auch zahlreiche Tatsachen anführen, welche dafür sprechen, dass die Ameisen wenigstens die allgemeine topische und chemische Beschaffenheit derjenigen Bodenflächen,. über welche sie auf ıhren Reisen nacheinander gewandert sind, engraphieren. Vor allem geht dies aus der bemerkens- werten Tatsache hervor, dass das bekannte Pi6ron’sche Phänomen ?°): Der Parallellauf der isoliert wandernden Ameise nach seitlichem Transport®'), meist nicht eintritt, wenn der Transport auf einen von dem früheren wesentlich verschiedenen Boden 20) Pi@ron, H., Du röle du sens musculaire dans l’orientation des fourmis. — Bull. Inst. gen. Psych. 1904, p. 168. 21) Santschi (Revue Suisse de Zool. 1911) hat bekanntlich. als erster den Nachweis erbracht, dass die Erscheinung auf virtueller Lichtorientierung beruht. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 273 stattfand??), wenn er z. B. von Sandboden auf eine Wiese er- folgte. In einem meiner Fälle??) weigerten sich die Ameisen (Myr- mica) sogar trotz Transport auf gleichartiges Terrain, eine vir- tuelle Orientierung einzugehen, weil ich die Sukzession der topochemischen Einzelkomplexe, welche sie beim Hinweg durch- laufen hatten, durch Umdrehen der ganzen Unterlage in die um- gekehrte verwandelt hatte. Desgleichen habe ich gezeigt?*), dass isoliert wandernde Ameisen durch gröbere Terrainverände- rungen, welche man ihnen vor der Rückreise zubereitet hat, nicht selten vorübergehend schwer beirrt werden; — dabei lässt sich mit Leichtigkeit zeigen, dass solche Einzelwanderer nicht etwa auf einer (Geruchsspur gehen. Sie mussten somit auf der Hinreise die Boden- beschaffenheit irgendwie beachtet haben, denn sonst hätten sie auf der Rückreise unmöglich einen Unterschied wahrnehmen können. Diese generelle (oder „globale“) topochemische Engraphie — wie ich sie bezeichne — ist aber etwas ganz anderes, viel primitiveres als diejenige, welche Forel bei seiner Theorie im Auge hatte, denn die bezüglichen sukzessiven Engramme betreffen augenscheinlich keine einzelnen „Geruchsformen“, sondern haben einen ganz allge- meinen Charakter: Die Ameisen merken sich beispielsweise wohl, dass sie jetzt über einen Kiesweg, dann über einen Sandplatz und schließlich über ein Ackerfeld oder durch eine Wiese gewandert sind, ob der Boden hier und dort trocken oder feucht war u.s. w., — doch geht ihnen eine feinere Detailkenntnis dieser relativ aus- gedehnten Bodenflächen (im Sinne eines echten „differenzierten“ Ortsgedächtnisses) offenbar ab. Ob nun neben dieser allgemeinen topochemischen Engraphie auch jene feinere Formenwahrnehmung, wie sie Forel annimmt, tatsächlich vorkommt, und welche Bedeu- tung dieselbe für die Fernorientierung der Ameisen haben kann, dies festzustellen, soll die Hauptaufgabe der folgenden Versuchsreihen sein. 2. Versuche. A. Versuchsanordnung. Meine allgemeine Versuchsanordnung ist die auf S. 270 Fig. 1 geschilderte, also die nämliche, die bei der Analyse des Bethe’schen Phänomens zur Anwendung kam. Versuchstier: Zasius fuliginosus Latr. Großer Experimentiertisch im Dunkelzelt. 2cm breite, 95 cm lange auf Stecknadeln montierte gerade Papierbrücke von N bis Pl. Bipolare Beleuchtung quer zur Längsachse der Brückenfährte. Als Lichtquelle dienten zwei elek- trische Glühlampen von je 25 Kerzen Lichtstärke. 22), Brun, 19148. 175; 1915 S. 244, 23) Brun, 1914, S. 160ff. 24) Brun, 1914, S. 120 und 153. XXXVI. 1S 274 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. Wir haben gesehen, dass die Ameisen bei dieser Versuchs- anordnung auf der Larvenfährte in keiner Weise mehr imstande waren, die beiden Richtungen der Brückenspur zu unterscheiden, denn beim „Versuch des Larvenabholens aus der Mitte“ gingen ungefähr ebensoviele Ameisen falsch wie richtig und be- hielten ihre falsche Orientierung unentwegt bis zur Plattform bei. Es liegt nun nahe, diese letztere Tatsache zur Prüfung des topochemischen Unterscheidungs- bezw. Engraphie- vermögens zu benutzen. Man hätte zu diesem Zwecke nur die bisher homogene Papierbrücke durch eine solche zu ersetzen, auf welcher verschiedenartige Bodenarten und eventuell verschiedene Einzelgeruchsformen in einer bestimmten Aufeinanderfolge abwechseln, beispielsweise so, dass die Strecke vom Nest bis zur Mitte eine andere topo- chemische Beschaffenheit aufweisen würde als die Strecke von der Mitte bis zur Plattform. Dann wäre — beı vorhandenem Unterscheidungsvermögen — zu erwarten, dass beim Larvenabholen aus der Mitte das früher-äquale Verhält- nis der richtiggehenden zu den falschgehenden Ameisen sich merklich zugunsten der ersteren verschieben würde, indem jetzt von den 50% falsch abgegangenen Ameisen eine ganze Anzahl ihren Irrtum nachträglich bemerken und umkehren müssten. Würden dagegen auch bei dieser Ver- suchsanordnung nach wie vor alle aus der Mitte falsch abgegangenen Ameisen ihre falsche Richtung bis Pl beibehalten, so wäre man allerdings zu dem Schlusse gezwungen, dass die betreffenden topochemischen Komplexe nicht engraphiert worden sind und dass folglich ein topochemischer Fühlersinn im Sinne Forel’s nicht existiert. — Eine selbstverständliche Vorsicht, die dabei noch zu beobachten sein wird, besteht darın, dass man den Ameisen die nötige Zeit geben muss, ihre topochemischen Erfahrungen zu sammeln. Ich habe daher die Versuche jeweilen erst 24-48 Stunden nach Einrichtung der betreffenden Versuchsanordnung ausgeführt). B. Vorversuche. Da die nachfolgenden Hauptversuche auf die eine Voraussetzung der vollkommenen „Apolarıtät“ der Larvenfährte gegründet sind und mit der Richtigkeit dieser Voraussetzung stehen oder fallen, so schien mir eine nochmalige Nachprüfung meiner früheren Befunde auf der homogenen Brücke dringend erwünscht. Es 25) Um Missverständnissen vorzubeugen, bemerke ich noch, dass in Wirklich- keit die einzelnen Versuche nicht in der Reihenfolge ausgeführt wurden, wie sie hier, nach Gesichtspunkten geordnet, im Zusammenhang aufgeführt werden. Dieser Umstand kann aber nur dazu beitragen, die Sicherheit und Beweiskraft meiner Resultate zu erhöhen. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 275 wird ja dadurch, ganz abgesehen von der Kontrolle unserer allge- meinen Versuchsanordnung (Zuverlässigkeit der bipolaren Beleuch- tung u. Ss. w.), auch eine gute Vergleichsbasis für die Beurteilung der späteren Hauptversuche gewonnen. Versuch 1. Das Bethe’sche Experiment auf der Futterfährte. 9. Oktober 1915 abends. Etablierung einer homogenen Brücken- fährte N-Pl (glattes weißes Kartonpapier). Honig auf die Plattform gegeben. 10. Oktober 9% a. m. Das 25 cm lange Mittelsegment (Fig. 1, S. 270) auf der Nestseite der Brücke wird um 180° gedreht. Resultat: Sehr starke Verkehrsstörung auf beiden Seiten. Versuch 2. Das Bethe’sche Experiment auf der 4 Stunden alten Brutfährte. 10° 15 a.m. Die Plattform wird durch eine neue saubere er- setzt und mit zahlreichen Larven (aus der gleichen Fuliginosus- Kolonie) beschickt. Es beginnt sofort ein lebhafter Transport. 2" 20 p. m: Neuer Larvenschub auf PI gegeben, bipolare Be- leuchtung eingeschaltet. 32 20 p. m. Das Mittelsegment der Brücke wird um 180° gedreht. Resultat: Keine Verkehrsstörung. Versuch 3. Larvenabholen aus der Mitte. Ich entferne alle noch übrig gebliebenen Larven von der Platt- forın und schütte sie auf die Mitte der Brücke. Die Reaktionen der ersten hundert Larventräger, welche nacheinander aus der Mitte abgingen, waren folgende: Es gingen unmittelbar richtig: 58 es gingen falsch: 42. Von diesen kehrten vor Erreichen der Plattform um: Keine! (somit waren alle bis Pl falsch gegangen) ?°). Wir hatten oben das Verhältnis der bei diesem Versuch richtig- und falschgehenden Ameisen grob schätzungsweise auf 3% angegeben. Dieses Verhältnis hat sich, wie die obigen Ziffern zeigen, bei ge- nauerer Prüfung nicht ganz bestätigt, indem die Zahl der unmittel- bar richtig gegangenen Individuen über die Falschgänger immerhin deutlich überwog. Es fragt sich nun, was die Ursache dieses 26) Zur Vermeidung von Verwechslungen wurde sowohl bei diesem wie bei allen folgenden Versuchen jede falsch gegangene Ameise von der Brücke herunter- geworfen, sobald sie bei Pl angekommen war. Wenn ich also bei diesem Vorgehen einen Larventräger auf der Plattformhälfte nestwärts wandern sah, so war ich sicher, es mit einem Individuum zu tun zu haben, welches unterwegs, d.h. vor Erreichung der Plattform, umgekehrt war. 18° 376 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. leichten Überschusses an richtigen Reaktionen ist. Ein allenfalls noch vorhandenes Intensitätsgefälle des Honigduftes kann nicht ın Frage kommen, da das Bethe’sche Phänomen vollständig negativ war und da von den 42 falsch gegangenen Ameisen des Versuches 3 keine einzige unterwegs stutzte oder gar korrigierte. Beobachtet man aber das Verhalten der vom Nest her bei den Larven ankommenden Ameisen etwas genauer, so sieht man folgendes: Die meisten Ameisen steigen längere Zeit auf dem Larvenhaufen herum und untersuchen zahlreiche Larven sorgfältig mit den Fühlern, bevor sie sich end- lich entschließen, eine auszuwählen um sie fortzutragen: Diese wählerischen Individuen werden dann natürlich nicht mehr wissen, aus welcher Richtung sie gekommen sind, so dass es allerdings gänzlich vom Zufall abhängt, ob sie richtig oder falsch gehen. Nun gibt es aber auch einige wenige Ameisen, die einfach die erste beste Larve ergreifen, worauf sie sich umdrehen und ohne weiteres in der Richtung, aus der sie gekommen sind, wieder forteilen: Die Rich- tungsgewissheit dieser wenig wählerischen Ameisen beruht höchst- wahrscheinlich auf kinästhetischer Reversion ihrer abso- luten Lage und Bewegung im Raume, — einer Reversion, zu der sie deshalb befähigt sind, weil sie während ihres kurzen Aufenthaltes bei den Larven die kınästhetische Kontinuität ihrer Reise gewahrt haben. So dürfte es sich erklären, weshalb man trotz sorgfältigster Ausschaltung aller exterozeptiven Richtungszeichen immer noch einen kleinen Überschuss richtig gehender Individuen zu verzeichnen hat. Wir können diese auf kinästhetischer Richtungsreversion be- ruhende Fehlerquelle als den „kinästhetischen Richtungs- koöffizienten* (oder kurzweg als „kinetischen Koöffizienten‘) bezeichnen und also aussagen, dass derselbe im vorliegenden Falle 13, betrug. Man kann nun leicht beobachten, dass Ameisen, die irgendwo eine Beute abzuholen haben, ım allgemeinen um so wählerischer sind, je geringer die Zahl der abzuholenden Beutestücke (und pro- portional damit auch die Zahl der abholenden Ameisen!) ist. Ich versuchte daher, den kinetischen Koöffizienten dadurch herabzu- setzen, dass ich jeweilen nur wenige (5—10) Larven gleichzeitig auf die Mitte der Brücke gab; auch beunruhigte ich die bei den Larven weilenden Ameisen von Zeit zu Zeit mit einem Pinsel, wo- durch sıe veranlasst wurden, einige Augenblicke wütend durch- einander zu rennen. Der Erfolg entsprach, wie die folgenden Re- sultate beweisen, durchaus meinen Erwartungen, denn in Versuch 4 (10. Oktober 6" 30 p. m., 34 Abgänge aus der Mitte) zählte ich nacheinander Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. DT, 17 richtig gehende und 17 falsch gehende Ameisen (alle bis P/ falsch). Kinetischer Koöffizient: I;,- Versuch 5. Ein weiterer Kontrollversuch, den ich am 16. Oktober, 10" p. m. auf einer 5 Stunden alten Larvenfährte ausführte, ergab folgende Zahlen: Zahl der nacheinander beobachteten Abgänge: 100, es gingen unmittelbar richtig: 3 es gingen falsch: 47, (alle unentwegt bis PI), kinetischer Koöffizient: re C. Hauptversuche. Erste Versuchsreihe: Prüfung auf rein stereotaktile Formenwahrnehmung. Versuch 6. 10. Oktober 10% 30 p. m. Die gesamte Oberfläche der Plattformhälfte der Brücke wird in der Weise rauh ge- macht, dass von der Unterseite her zahlreiche kreisrunde Erhabenheiten (von 1- 1!/,mm Durchmesser) in das Papier eingestanzt werden (Fig. 2). 12. Oktober 10" 15 a. m. Zahlreiche Larven auf die Plattform geschüttet (Herstellung der Larvenspur). 2" 15p. m. Zweiter Larvenschub. . 5% p. m. Dritter Larvenschub. Einschaltung der bipolaren Beleuchtung. 6" p.m. Versuch des Larvenabholens aus der Mitte. Resultat (100 aufeinander folgende Reaktionen): Es gehen insgesamt richtig: 67, (alle unentwegt bis N), es gehen insgesamt falsch: 49. Von diesen stutzen unterwegs (meist schon nach wenigen Zentimetern) und kehren um: 16, (= 32,6%, aller falsch gegangenen), es gehen unentwegt bis P! falsch: 33 Wir haben somit eine reichliche Zweidrittelmehrheit richtiger Orientierungen. Dass dieses Resultat nicht auf Zu- 978 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. fall beruht, sondern in der Tat auf die topische Verschiedenheit des Bodens auf der Pl- und XN-Seite zurückzuführen ist, ergibt sich ohne weiteres aus der Vergleichung der obigen Zahlen: Zieht man nämlich die Zahl der nachträglich aus der falschen Richtung um- gekehrten Individuen von der Gesamtzahl der richtigen Reaktionen ab, so erhält man als Summe der primär (d.h. unmittelbar) richtig gegangenen Ameisen nur 5l, d.h. wieder ungefähr so viel als der Wahrscheinlichkeit !/, entsprochen hätte, wenn die Fährte eine homogene gewesen wäre, plus einem kinetischen Koöffizienten Von +4r- Versuch 7. Eine zweite Beobachtung, die ich um 7 Uhr abends machte, ergab nahezu identische Werte: Es gingen insgesamt richtig: 68, es gingen insgesamt falsch: 48, davon kehrten unterwegs um: 16, (= 33,5%, der falsch gegangenen), es gingen unentwegt bis P! falsch: 32, kinetischer Koöffizient: +87 Versuch ®8. 1. November 2" 30 p. m. Einrichtung einer differen- zierten stereotaktilen Sukzession: Die 50 cm lange Mittel- brücke wird jederseits durch Einstechen von Punkten (von der Unterseite her) nach Art der Blindenschrift in folgender Weise differenziert (Fig. 3). Fig. 3. M Es bestehen somit folgende Sukzessionen: a) Von N bis zur Mitte: Glattes Papier + längsgerichtete Punktstriche (5—8 mm lang) + glattes Papier; b) Von der Mitte bis Pl: Punktierte Vierecke (2—3 mm breit) 4 quere Punktstriche + punktierte Vierecke + glattes Papier. 2. November 2t p. m. Herstellung der Larvenspur. 7"30 p. m. Neuer Larvenschub. Bipolare Beleuchtung. 9b 30 p.m. Larvenabholen aus der Mitte. Resultat (100 Reaktionen): Es gingen insgesamt richtig: 68, es gingen insgesamt falsch: 46, von diesen kehrten unterwegs um: 14, (= 30%, der falsch gegangenen Ameisen). Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 279 Bei allen erfolgte die Umkehr bevor die queren Punktstriche erreicht waren. Es gingen unentwegt bis P! falsch: 32, kinetischer Koöffizient: ir: Zweite Versuchsreihe: Prüfung auf rein thigmo-olfaktorische Formenwahrnehmung,. Versuch 9. 29. Oktober 2! p.m. Glattes Papier”). Die 50 cm lange Mittelbrücke wırd, beiderseits 5 cm von der Mitte be- ginnend, mit stark duftender öliger Veilchenessenz be- strichen, und zwar ın der Weise, dass auf der Nestseite eine Anzahl querer Striche (1 cm lang, 3 mm breit), auf der Plattformseite kreisrunde Flecken (3—4 mm Durch- messer) aufgepinselt werden (Fig. 4). Fig. 4. M N> ee] A Nach erfolgter Eintrocknung ist diese Zeichnung nur bei schrägem darüber Hinsehen sehr blass gelblich sichtbar. Der Veilchen- geruch ist nach meinem Geruchsempfinden auf beiden Seiten gleich intensiv und völlig diffus. Die Ameisen zeigen anfänglich starken Widerwillen gegen den fremdartigen Duft; nach Verabreichung von Honig auf der Plattform stellt sich aber doch schließlich eine Fährte her. 30. Oktober 12" 30 p. m. Herstellung der Larvenspur. (Der Veilchenduft ist auf der Brücke noch sehr deutlich wahrnehmbar.) 2"p.m. Neuer Larvenschubk. 5" p.m. Neuer Larvenschub. Bipolare Beleuchtung. 6" p.m. Larvenabholen aus der Mitte (100 Reaktionen). o Es gehen insgesamt richtig: 58, es gehen insgesamt falsch: 50, von diesen kehren unterwegs um: 8 (= 16%, aller falsch gegangenen); alle auf der Mittelbrücke ım Bereich der runden Flecken. Es gehen unentwegt bis Pl falsch: 42, kinetischer Koöffizient: 0. 27) Es versteht sich von selbst, dass für jede neue Kategorie von Versuchen wieder neues, ungebrauchtes Papier verwendet wurde, 2850 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. Dritte Versuchsreihe: Prüfung auf kombinierte topo-olfaktorische Formen- wahrnehmung (topochemische Orientierung im Sinne Forel’s). Versuch 10. 12. Oktober 11" p.m. Einrichtung einer allgemeinen (nicht differenzierten) topochemischen Sukzession (Fig. 5). Riem. Strecke « = Papier mit aufgeklebtem Sand. Strecke b = ein 2 cm breiter, 25 cm langer Streifen eines Schwertlilienblattes. Strecken c—+d= rauh gestanztes Papier wie in den Versuchen 6 und 7. 11"15p. m. Herstellung der Larvenspur. 13. Oktober 10% 15 a. m. Neuer Larvenschub. Bipolare Be- leuchtung. Die mit Larven beladenen Ameisen haben große Mühe, das glatte Lilienblatt zu überschreiten, viele kommen am Seiten- rande desselben ins Rutschen und stürzen ab. 11"15a.m. Larvenabholen aus der Mitte (100 Reaktionen). Es gehen insgesamt richtig: S6, es gehen insgesamt falsch: 45, von diesen kehren unterwegs wieder um (meist schon nach weniger Zentimetern): 31, (= 69%, aller falsch abgegangenen), es gehen unentwegt bis Pl falsch: 14, kinetischer Koöffizient: 44- Versuch 11. 13. Oktober 2° 30p.m. Einrichtung einer differenzierten topochemischen Sukzession (Fig. 6). Fig. 6. Strecke «a = Papier mit aufgeklebtem Sand. Strecke 5 = Papier mit ziemlich dicht ın der Längs- richtung aufgeklebten welken Tannennadeln. Strecke ce = Papier mit ziemlich dicht ın der Quer- richtung aufgeklebten Tannennadeln. Strecke d = rauh gestanztes Papier. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. IS1 14. Oktober 10" a.m. Herstellung der Larvenspur. 11" 30 a.m. Zweiter Larvenschub. 2" p.m. Dritter Larvenschub. Bipolare Beleuchtung. 3bp.m. Larvenabholen aus der Mitte (100 Reaktionen). Es gingen insgesamt richtig: 74, es gingen insgesamt falsch: 48, von diesen kehren unterwegs um: 22, (= 45,8%, der falsch abgegangenen Indi- viduen); und zwar auf ce: 17, (= 35,4%, der falsch gegangenen); erst auf d: h, (= 10,4%, der falsch gegangenen), es gehen bis Pi falsch: 26, kinetischer Koöffizient: an Versuch 12 (Kontrolle). 14. Oktober 4" p.m. Versuchsanordnung wie in 11. Ich schütte eine Anzahl Larven auf die Brückenmitte und warte, bis sich eine größere Menge von Ameisen bei dem Haufen eingefunden hat. Dann drehe ich den zentralen Kreis des Tisches mit dem 50 cm langen Mittelstück der Brücke rasch um 180°, so dass jetzt die Strecke b mit den längsgerichteten Tannennadeln plattformwärts, die Strecke e mit den queren Tannennadeln nestwärts sieht. Die Strecke b wird außerdem für sich nochmals um 180° gedreht. Die Verbindungen mit a und d werden unterbrochen. Um Verwechs- lungen zu vermeiden wird jede mit einer Larve abgegangene Ameise von der Mittelbrücke heruntergeworfen, sobald sie eines der beiden Enden erreicht hat. Nachdem alle Ameisen, die sich ursprünglich bei den Larven befanden, abgegangen sind, fange ich weitere Indi- viduen, die eben aus dem Nest gestürzt sind um neue Larven zu holen?®), beim Nesteingang ab und setze sie zu den Larven auf die Brückenmitte und zwar wiederhole ich dies so oft, bıs die Zahl von 50 Abgängen erreicht ist. Resultat: Es gingen insgesamt nestwärts: 23, davon kehrten vor Erreichen des blin- den Endes der Mittelbrücke um: 12, (= 52%, der virtuell falsch gegangenen), es gingen bis zum blinden Ende nestwärts: 7, es gingen insgesamt plattformwärts: 39, davon kehrten vor Erreichen des blinden Endes um: Keine! 28) Es darf angenommen werden, dass von diesen ausgehenden Ameisen die meisten schon ein- oder mehrmals bei den Larven waren. 282 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. Das im Versuch 11 gefundene Zahlenverhältnis zwischen den reell richtig (d. h. nestwärts) und den reell falsch (d. h. plattform- wärts) wandernden Ameisen hatte sich somit umgekehrt. Dieser Reaktionsumschlag kann nicht durch ein allenfalls noch vorhanden gewesenes Intensitätsgefälle des Nestgeruchs — eine „quantitative Polarisation“, die durch unser Drehungsmanöver natürlich gleich- falls eine Umdrehung erlitten haben müsste —, bedingt sein. Durch die Annahme eines solchen würde zwar allerdings der Umstand er- klärt, dass über 50% der nestwärts wandernden Ameisen unter- wegs wieder umkehrten. Nun hatte ich aber, in Voraussicht dieses Einwandes, die plattformwärts gerichtete Teilstrecke 5 (welche ur- sprünglich nestwärts sah) ausdrücklich nochmals für sich um 180° gedreht: Es wäre daher zu erwarten gewesen, dass unter den 39 auf diesem Teilstück plattformwärts wandernden Ameisen mindestens eine gewisse Anzahl abermals umkehren würden, indem die aber- malige Intensitätsabnahme des von ihnen erstrebten Nestgeruches sie von neuem hätte stutzig machen müssen. Da dies nicht der Fall war, da vielmehr sämtliche P/-wärts wandernden Ameisen diese ihre reell falsche Orientierung unentwegt bis zum blinden Ende des Mittelstückes beibehielten, so bleibt schlechterdings keine andere Erklärung übrig als die, dass es sich hier tatsächlich um eine virtuelle topochemische Orientierung gehandelt hat, welehe durch die Umkehrung der topochemischen Suk- zession hervorgerufen war). Versuch 13 (Kontrolle). Ausschaltung des Gesichtssinnes: Es ist zu beweisen, dass die verschiedene Bodenbeschaffenheit von den Ameisen tat- sächlich vermittelst der Fühler und nicht etwa mit den Augen wahrgenommen wird. 23. Oktober 3° p.m. Gleiche Versuchsanordnung wie in Ver- such 11. 3"45. Etablierung der Larvenspur. 24. Oktober 10" 30 a.m. Neuer Larvenschub. 2" p.m. Dritter Larvenschub. Bipolare Beleuchtung. 3" p.m. Ich fange eine Anzahl Ameisen, die eben im Begriffe waren zu den Larven zu eilen, beim Nesteingang ab und schwärze ihnen die Fazettenaugen mit undurchsichtigem Lack (aus einer rasch trocknenden Mischung von chinesischer Tusche, Gummi arabicum und Äther hergestellt). Sodann setze ich sie auf die Mitte der Brücke, die ich vorher mit einigen Larven beschickt habe. 29) In dem S. 273 erwähnten Beispiel jener Myrmica kam eine virtuelle topo- chemische Orientierung (nach Umkehrung der betreffenden topochemischen Hinweg- sukzession) deshalb nicht zustande, weil die Richtung derselben mit der durch das Lichtengramm bestimmten Reiserichtung im Widerspruch stand. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 283 Die Verbindung mit « und d wird unterbrochen. (Ich gedachte, mindestens 50 Ameisen in dieser Weise zu prüfen; doch erwies sich die Manipulation des Firnissens der Augen als so schwierig, dass ich schließlich froh sein musste, wenigstens 10 Exemplare zu haben, bei denen die Nachkontrolle mit der Lupe ergab, dass die Operation gelungen war.) Die Ameisen versuchten zuerst vergeb- lich, den Lack von den Augen zu entfernen; als ihnen dies nicht gelang, ergriffen sie aber doch schließlich eine nach der andern eine Larve und machten sich auf den Weg, und zwar marschierten sie ziemlich sicher, wenn auch viel langsamer und vorsichtiger als gewöhnlich. Die Reaktionen waren folgende: Es gingen richtig: (is es gingen zunächst falsch: 6, davon kehrten vor Ankunft am blinden Ende wieder um: 3, (= 50%, der falsch gegangenen Ameisen), es gingen bis zum blinden Ende der Strecke falsch: % Es hatten sich somit nicht weniger als 70%, der geblendeten Ameisen richtig orientiert, und zwar trotzdem sie nicht einmal eine aktuelle Hinreise ausgeführt hatten. Aus diesem letzteren Umstand (der ja teilweise auch beim Versuch 12 zutraf), muss geschlossen werden, dass diese Ameisen bei ihrer topochemischen Rückorien- tierung nicht allein die während einer aktuellen Hinreise gewonnenen Erfahrungen verwerten, sondern dass sie dabeı auch ältere, auf früheren Reisen erworbene Engrammschichten reek- phorieren, oder, m. a. W.: dass sie ımstande sind, ihre topochemischen Eindrücke während längerer Zeit festzu- halten. Versuch 14. Gegenkontrolle: Ausschaltung des Antennengeruchs- sınns. 24. Oktober 5" 15 p.m. Versuchsanordnung wie oben. Ich fange nacheinander 12 Ameisen beim Verlassen des Nestes ab, amputiere ihnen die Antennen und setze sie zu den Larven auf die Mitte der Brücke. Sie zeigen sich anfänglich sehr erregt; nach einigen Minuten aber werden sie umgekehrt auffallend apathisch. Sie drehen sich fortwährend innerhalb eines ganz engen Raumes im Kreise herum, mit. schleichender Langsamkeit. Einige machen schließlich sichtliche Anstrengungen, nach Hause zu kommen, doch kommen sie nur sehr allmählich vorwärts, da sie fortwährend zwischen beiden Richtungen hin- und herpendeln, wobei sie aller- dings jedesmal etwas weiter nach der Peripherie vorrücken. Nach 284 PBrun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 1 Stunde finde ich 3 von den 12 Ameisen noch immer genau in der Mitte, 2 auf der falschen, 1 auf der richtigen Seite in der Nähe der Mitte; 3 haben das falsche, 3 das richtige Ende der Mittelbrücke erreicht. Keine einzige hat eine Larve aufgenommen. Dieses Resultat war vorauszusehen; ich habe den Versuch auch mehr der Vollständigkeit halber gemacht. Er bestätigt ım Verein mit dem vorhergehenden Versuch aufs neue die Angaben Forel’s?°), welcher fand, dass selbst gut sehende Ameisen ohne ihre Antennen vollständig verloren sind, während sie sich ohne Augen noch ganz ordentlich zu orientieren vermögen. 3. Zusammenfassung und Besprechung der Ergebnisse. Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, eine experimentelle Nach- prüfung der Theorie des topochemischen Geruchssinns der Ameisen vorzunehmen. Bevor ich an diese Aufgabe herangehen mochte, erschien es mir jedoch zweckmäßig, die Grundlagen, auf welche die geistvolle Lehre Forel’s sich bisher stützte, einer kritischen Revision zu unterziehen. Ich kam dabei zu dem Ergebnis, dass diese Lehre zwar theoretisch sowohl vom anatomischen wie vom physiologischen Gesichtspunkt aus sehr wohl begründet erscheint und dass ıhr somit (gewisse selbstverständliche Einschränkungen vorausgesetzt) ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit nicht abzu- sprechen ıst, — dass aber auf der andern Seite keiner der bisher zu ihren Gunsten vorgebrachten experimentell-biologischen Tatsachen eindeutige Beweiskraft zuerkannt werden kann: Denn in allen diesen Fällen waren außer den topochemischen Komplexen stets noch andere sinnliche Faktoren mit im Spiele, welche möglicherweise die Orientierung vermittelt hatten. Es handelte sich also zunächst darum, eine Versuchsanordnung zu finden, bei welcher die Ameisen bei der Bestimmung der rela- tiven Wegrichtungen wirklich ausschließlich auf ihre allfälligen topo- chemischen Wahrnehmungen angewiesen sind. Diese Vorbedingungen schienen mir erfüllt beim „Versuch des Larvenabholens aus der Mitte“ auf der vollkommen geradlinigen (und horizontalen) „apo- laren“ Brutfährte, im Dunkelzelt und unter bipolarer Beleuchtung. Denn ich hatte gefunden, dass bei dieser Versuchsanordnung unge- fähr ebensoviele Ameisen falsch wie richtig gehen und dass sie ihre falsche Richtung bis zum Endpunkt der Fährte beibehalten, — ein Beweis, dass die sinnlichen Bedingungen auf den beiden Seiten spiegelbildlich gleiche sind, so dass den Ameisen unter diesen Um- ständen eine Richtungsunterscheidung nicht mehr möglich ist. Eine genauere prozentualische Durchzählung der einzelnen Reaktionen (Versuch 3) hat nun allerdings ergeben, dass selbst unter den ge- 30) Forel, a. a Q., Anm. 14. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 255 nannten Umständen immer noch etwas mehr Ameisen richtig gehen; es gelang aber durch Anwendung gewisser Kautelen (Versuche 4—5, sowie alle folgenden), diese Fehlerquelle, die nach ıhrer wahrschein- lichen Ursache als der „kinetische Koöffizient* bezeichnet wurde, auf einen verhältnismäßig sehr kleinen Bruch (m Maximum ,3,) zu reduzieren. Bis dahin hatte ich stets auf einer vollkommen einförmigen Papierbrücke experimentiert. Jetzt ersetzte ich diese „homogene Fährte“ durch solche, die auf ihren verschiedenen Abschnitten eine verschiedene topochemische Beschaffenheit aufwiesen und wiederholte sodann — jeweilen 24—48 Stunden nach Einrichtung der betreffenden Versuchsanordnung — den Versuch des Larven- abholens aus der Mitte. Die Resultate dieser Versuche stimmten alle in folgenden Punkten überein: Erstens überstieg die Zahl der richtig gehenden Ameisen in allen Fällen erheblich 50%; sie betrug nämlich 58%, im ungünstigsten, 86% im günstigsten Falle. Eine nachträg- liche Umkehr der Ameisen aus der „guten“ Richtung fand dabei so gut wie niemals statt. Zweitens: Dessenungeachtet gingen nach wie vor gegen 50% aller aus der Mitte abgehenden Individuen falsch: Von diesen zunächst falsch abgegangenen Ameisen wurde aber regelmäßig eine gewisse (je nach Umständen wechselnde) Anzahl unterwegs stutzig und kehrte wieder um, — ein Verhalten, das auf der homogenen Brutfährte niemals beobachtet wurde. In den Fällen, wo nur bestimmte Teil- abschnitte der beiden Brückenhälften topochemische Verschieden- heiten zeigten (so in Versuch 8 die ganze Mittelbrücke, in Ver- such 9 nur die peripheren Abschnitte derselben), da erfolgte auch die Umkehr aus der falschen Richtung ausschließlich auf diesen topochemisch differenten Strecken der Fährte, und niemals auch auf den homogenen Strecken. Drittens: Zieht man die Zahl der in jedem Versuch auf der falschen Seite nachträglich umgekehrten Individuen von der Summe der richtigen Abgänge ab, so erhält man stets wieder annähernd 50%, plus einem kleinen Bruchteil (höchstens ‚3,), welcher dem kinetischen Koöffizienten entspricht. Daraus folgt unmittelbar, dass der bedeutende Überschuss an richtigen Abgängen fast ausschließ- lich durch die nachträglich aus der falschen Richtung umgekehrten Ameisen geliefert wird. Die neue Versuchsanordnung hatte also, um es vorläufig ganz allgemein auszudrücken, die Wirkung, dass jetzt regelmäßig eine gewisse Anzahl der zunächst falsch gegangenen Ameisen ıhren Irr- tum bemerkten, d. h. imstande waren, die beiden Richtungen der „neutralen“ Brutfährte zu unterscheiden. Dass diese Richtungs- 256 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. unterscheidung tatsächlich auf der Walırnehmung, bezw. mnemischen Engraphie der Bodenverschiedenheit auf den beiden Seiten beruhte, wird nach allem Gesagten wohl nur ein Hyperskeptiker bezweifeln wollen. Die letzten Bedenken, die man gegen die genannte Deu- tung allenfalls noch geltend machen könnte, müssen aber weichen vor dem Resultate des Kontrollversuches 12, in welchem es gelang, durch Umkehrung der betreffenden topochemischen Sukzession eine regelrechte virtuelle Orientierung zu erzeugen, — derart, dass jetzt die große Mehrzahl (78°%,) der aus der Mitte abgehenden Ameisen sich nach der falschen Richtung wandte, indem von den zufällig richtig abgegangenen Individuen über 50%, auf halbem Wege wieder umkehrten°®'.. Ein „Intensitätsgefälle“ des Nestgeruches kann hier schon deshalb nicht in Frage kommen, weil ja der ver- tauschte (d. h. jetzt plattformwärts gewendete) Komplex der Nest- seite nochmals für sich um 180° gedreht worden war; es hätten also mindestens einige von den 78%, plattformwärts wandernden Ameisen abermals stutzig werden und umkehren müssen. Im wei- teren müsste man sich dann doch fragen, weshalb denn das besagte Intensitätsgefälle niemals auf der homogenen Larvenfährte vor- handen war, sondern gerade nur auf den nicht homogenen Brut- fährten sämtlicher Hauptversuche, und weshalb es sich hier nur auf die topochemisch differenten Abschnitte ausdehnte. Man konnte sich ferner fragen, vermittelst welchen Sinnes die Ameisen die verschiedene Bodenbeschaffenheit wahrnehmen. In Betracht kamen von vornherein nur zwei Sinnesorgane: die Augen und die Antennen. Ich schaltete also in den Kontrollversuchen 13 und 14 erst die Fazettenaugen, dann die Fühler aus und setzte eine Anzahl der so vorbereiteten Ameisen zu den Larven auf die Mitte der Brückenfährte. Der Erfolg war der erwartete: Im ersten Fall (Lackierung der Augen nach Forel’s Methode) gingen von 10 Ameisen 7 richtig, davon 3 nach anfänglichem Falschgehen; im zweiten Experiment waren sämtliche 12 Ameisen, denen die Fühler amputiert waren, gänzlich unfähig sich zu orientieren. Die be- treffenden Wahrnehmungen werdenalso zweifellos durch den Kontaktsinn der Fühler vermittelt. — Der erste Ver- such (Nr. 13) beweist zugleich, dass bei diesem Wegfinden mittelst des Kontaktsinnes der Fühler auch ältere, auf früheren Reisen erworbene Engramme ekphoriert werden können, so dass nicht einmal unter allen Umständen eine aktuelle Hinreise erforder- lich ist. 31) Der Eintritt einer virtuellen Orientierung in der entgegengesetzten Rich- tung des Raumes nach Umkehrung bestimmter sinnlicher Reizkomplexe ist wohl der zuverlässigste Beweis dafür, dass die betreffenden Komplexe engraphiert worden sind und dass sie es waren, die in dem speziellen Falle die Orientierung vermittelt hatten. 2. Ne ee ee PN Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 987 Über die feinere Physiologie dieses Antennenkontakt- sinnes können wir unsern Versuchsreihen mit Sicherheit folgendes entnehmen: Man erinnert sich, dass wır ım kritischen Teil dieser Arbeit aus theoretischen Gründen drei verschiedene Modalitäten eines solchen Kontaktsinnes als ım Prinzip möglich annahmen, nämlich 1. eine rein stereotaktile, 2. eine rein thigmo-olfaktorische (topo- chemischer Geruchssinn im engeren Sinne) und 3. eine kombinierte topochemische Formenwahrnehmung (topochemischer Geruchssinn im weiteren Sinne). Die experimentelle Prüfung dieser theoretischen Vermutung wurde nun sehr einfach ın der Weise durchgeführt, dass den Ameisen in einer ersten Versuchsreihe nur stereotaktile, in einer zweiten nur thigmo-olfaktorische (reine „Geruchsflächen“), in einer dritten Versuchsreihe endlich kombinierte topochemische Unterscheidungsmerkmale auf ihrer Fährte dargeboten wurden. Da alle diese Versuche ausnahmslos (wenn auch in sehr ver- schiedenem Grade) positiv ausfielen, so darf füglich ge- schlossen werden, dass die Ameisen alle drei genannten Formqualitäten wahrzunehmen vermögen und dass sie auch imstande sind, die betreffenden sukzessiven Form- unterschiede mit den bezüglichen relativen Richtungen ihrer Fährte zu assozileren. Im weiteren geht aus unsern Versuchen hervor, dass sich das besagte topochemische Unterscheidungsvermögen keineswegs nur auf die Wahrnehmung allgemeiner topischer, chemischer oder topochemischer Eigenschaften des durchwanderten Terrains be- schränkt, die wir oben S. 271 als „globale“ topochemische Kom- plexe bezeichnet haben, sondern dass neben dieser globalen (allge- imeimen) topochemischen Orientierung tatsächlich auch eine weit- gehende Differenzierung und Engraphie einzelner „Geruchsformen“ vorkommt; — ganz so wie sie Forel auf Grund rein theoretischer Überlegungen mit genialem Scharfblick schon vor bald zwanzig Jahren postuliert hatte. Denn unsere Zasius unterschieden nicht allein rauhes Papier von glattem, die Oberfläche eines Schwertlilienblattes von Papier- boden u. s. w., sondern sie waren sogar imstande, so feine Einzel- heiten wie strichförmig punktierte Erhabenheiten von quadratischen, länglichen Veilchenduft von rundem, queren Tannennadelgeruch von längsgerichtetem durch die Antennenbetastung zu differenzieren! Wenn nun auch — wie leicht verständlich — die globalen Kom- plexe im allgemeinen besser (d. h. von zahlreicheren Individuen) engraphiert wurden als die differenzierten, so muss doch, in An- betracht der verhältnismäßig sehr beschränkten plastischen Fähig- keiten der Gattung Lasius, dieses Formendifferenzierungsvermögen als ein hervorragend feines bezeichnet werden. Bei der stereotak- 288 DBrun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. tilen Orientierung war ja übrigens jener Unterschied zwischen der Auffassung der globalen und der differenzierten Komplexe ein auf- fallend geringer (52—33°%, im ersten Falle, Versuche 6—7, gegen- über 30 %, ım zweiten Falle, Versuch 8), wogegen bei der kombinierten topochemischen Orientierung die Zahlen allerdings bedeutender differieren, indem hier das Verhältnis ungefähr 70% (Versuch 10) zu 50% (Versuche 11—13) bestand. Die genannten Zahlen liefern zugleich eine gute experimentelle Bestätigung der schon einleitend (S. 266) ausgesprochenen Vermutung, dass ein kombiniertes Zusammenwirken zweier verschiedener Sinnesmodali- täten ım allgemeinen höhere Leistungen hervorbringen dürfte, als wenn jeder dieser Sinne allein funk- tioniert. Auffallend war demgegenüber die verhältnismäßig geringe Leistungsfähigkeit des Kontaktgeruchssinnes sens. strict. in unserer zweiten Versuchsreihe (Versuch 9), indem hier eine rein „thigmo- olfaktorische* Formenwahrnehmung anscheinend nur bei 16%, der falsch abgegangenen Ameisen nachweisbar war. Da aber die hier angewendeten Reize doch ziemlich unphysiologische und den Ameisen antipathische waren, so wird man, glaube ich, gut tun, dieses schlechte Resultat vorläufig nicht zu verallgemeinern und es bis auf weiteres dahingestellt sein zu lassen, ob die Fähigkeit zur Diffe- renzierung reiner „Geruchsflächen“ bei den Ameisen wirklich so viel schlechter ausgebildet ist als z. B. die taktile Stereognosis der Fühler. Noch auf einen Einwand müssen wir hier kurz eingehen. Man könnte sich nämlich fragen, weshalb denn dieses von uns erschlossene topochemische Orientierungsvermögen nie bei sämtlichen, sondern immer nur bei einem Teil (und vielfach nicht einmal bei der Mehr- zahl) der aus der Mitte falsch abgegangenen Ameisen in Erschei- nung trat? Diese Tatsache hat aber nichts befremdendes, wenn man bedenkt, dass unter den vielen Larven abholenden Ameisen doch zweifellos auch manche die betreffende Fährte erst ein- oder wenige Male begangen hatten, so dass die topochemische Engramm- sukzession bei ihnen noch nicht in dem Maße fixiert war wie bei ihren erfahreneren Kameraden. Man muss ferner berücksichtigen, dass sogar Ameisen der gleichen Art, Rasse und Kolonie gewisse indi- viduelle Schwankungen in bezug auf plastisch-mnemische Leistungs- fähigkeit aufweisen, dass es, m. a. W., eben auch hier „dümmere“ und „ıintelligentere“ Individuen gibt. Es ist auch sehr wohl mög- lich, dass der Antennenkontaktsinn bei psychisch höher stehenden Ameisen, wie z. B. Formica, trotz der hier wesentlich geringeren Ausbildung seiner peripheren Endorgane für die Orientierung im Raum noch mehr leisten würde als bei den Lasius, so dass man bei solchen Arten vielleicht von einem eigentlichen topochemischen Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 289 Ortsgedächtnis zu sprechen berechtigt wäre°?). Dabei darf man sich aber nicht etwa vorstellen, dass die Ameisen nun ihre Auf- merksamkeit „bewusst“ auf die Einprägung der betreffenden topo- chemischen Formen und ihrer Sukzession wenden würden; es ist vielmehr anzunehmen, dass die individuelle Mneme bei diesen niederen Tieren selbst in den kompliziertesten Fällen noch rein automatisch arbeitet. Zeigt uns doch auch unsere Selbstbeobachtung, dass dieser Vorgang der unbewussten, gleichsam nebensächlichen Engraphie (und selbst Assoziation) komplizierter sinnlicher Tat- bestände sogar bei uns Menschen noch in weitestem Umfange vor sich geht! Schlussergebnisse. 1. Die Ameisen sind befähigt, die taktilen und chemischen Eigenschaften derjenigen Bodenflächen, über welche sie auf ihren Reisen wandern, durch Abtastung vermittelst der Antennen wahr- zunehmen. Sie engraphieren die gewonnenen Kontakteindrücke nach Maßgabe ihrer plastisch-mnemischen Fähigkeiten simultan und suk- zessiv und assoziieren die betreffenden Engrammsukzessionen mit den zugehörigen Zielengrammen (Nest, Futter, Beuteplatz u. s. w.) zu einem nach seiner Ablaufsrichtung eindeutig ekphorierbaren Richtungsengrammkomplex. 2. Die durch Antennenkontakt gewonnenen Raumeindrücke sind im wesentlichen von zweierlei Art: a) Generelle Eindrücke, welche sich auf die allgemeinen tak- tilen und chemischen Eigenschaften der sukzessive durchwanderten Bodenflächen beziehen (Resistenz, Glätte, Rauhigkeit, Feuchtigkeits- gehalt, Wärmegrad, Geruch): Globale topochemische Orien- tierung. b) Einzeleindrücke, im Sinne einer weitgehenden Differenzierung der besonderen Form und räumlichen Anordnung der abgetasteten Einzelobjekte: Differen- zıerende topochemische Orientierung. 3. Diese Formendifferenzierung kann in drei Modalitäten vor- kommen: a) Als reine stereotaktile Formdifferenzierung. Beispiel: Unterscheidung längspunktierter Erhabenheiten von punktierten quadratischen Erhabenheiten. b) Als reine thigmo-olfaktorische Formdifferenzierung (Unter- scheidung der Formen bestimmt konturierter „Geruchsflächen“. Kontaktgeruch im engeren Sinne). Beispiel: Unterscheidung eines länglichen Veilchenduftes von rundem. 32) Globale topochemische Komplexe werden von F. rufa und sanguwinea sicher mindestens ebenso beachtet und engraphiert wie von Lasius, Myrmica und anderen vorwiegenden „Geruchstieren“, XXXVI 19 390 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. c) (Am häufigsten.) Als kombinierte topochemische Formdiffe- renzierung (Kontaktgeruch im Sinne Forel’s). Beispiel: Unterscheidung längsgerichteter Tannennadeln von quergerichteten. Die nämlichen Modalitäten des Antennenkontaktsinnes können, ins allgemeine übersetzt, auch bei der globalen Orientierung vor- kommen. 4. Die globalen topochemischen Komplexe gelangen (unter gleichen Bedingungen) im allgemeinen leichter zur Engraphie bezw. Ekphorie (bei der „Wiedererkennung*) als die differenzierten Kom- plexe. Von den letzteren wiederum werden die kombinierten topo- chemischen Formkomplexe viel leichter engraphiert als die rein stereotaktilen oder olfaktorischen, und die stereotaktilen anscheinend leichter als die thigmo-olfaktorischen (?) Komplexe. 5. Die Forel’sche Lehre vom topochemischen Fühler- sinn wird durch die vorstehenden Ergebnisse einer exakten experimentellen Analyse in allen Einzelheiten bestätigt. DR Versuche über Registrierung kinästhetischer Richtungszeiehen (sogenannter Winkelsinn). Die Mitwirkung innerer, propriozeptiver Registrierungen (kine- tischer Winkel- oder Richtungsengramme) bei der Fernorientierung der Ameisen wurde bisher von den meisten Autoren nicht genügend berücksichtigt, von andern wieder, wie Pıeron®?) und Öornetz°*), sicherlich überschätzt. Die bis heute vorliegenden experimentellen Beobachtungen sind spärlich und widerspruchsvoll. In erster Linie wäre hier der Ablenkungsversuch Szymanskıss®®) zu nennen. Szymanski lenkte Ameisen (Formica rufa) vermittelst eines un- übersteigbaren Hindernisses von ihrer Straße rechtwinklig zur Seite ab; er fand, dass die Tiere nach Umgehung des Hindernisses stets in der Diagonale auf die Heerstraße zurückkehrten und zwar betrug der Winkel zwischen dem Ablenkungslot und der Rückkehr- linie stets ziemlich genau 75°. Der Autor schloss hieraus auf das 33) H. Pi@ron (Du röle du sens musculaire dans l’orientation des Fourmis. — Bull. Inst. gen. Psychol. 1904) wollte seinerzeit das von ihm entdeckte „Phä- nomen der virtuellen Orientierung nach seitlichem Transport“ auf ein minutiöses kinästhetisches Gedächtnis zurückführen, durch welches die Ameisen befähigt seien, sämtliche während einer Hinreise ausgeführten Körperdrehungen bei der Rückkehr in der umgekehrten Folge wieder abzuwickeln. 34) V. Cornetz hat zwar die Pi@ron’sche Hypothese durch sorgfältige Beob- achtungen widerlegt; das hinderte ihn aber nicht, das Pi&ron’sche Phänomen durch ein noch viel mystischeres Prinzip, nämlich durch die Annahme eines absoluten kinetischen Richtungssinnes, zu „erklären“! 35) Szymanski, Ein Versuch, das Verhältnis zwischen modal verschiedenen Reizen in Zahlen auszudrücken. — Arch. f. d. ges. Physiologie 138, 1911, S. 481. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 991 Vorhandensein eines kinetischen Winkelengramms, welches die Re- sultante zweier mnemischer Kräfte, nämlich des „Skalarreizes“ der geraden Reiserichtung auf der Heerstraße und des „Vektorreizes“ der Ablenkungsrichtung, darstellen soll. Nun hat aber Santschı °*) das Experiment Szymanskı’s mit einer schlechtsehenden Art (Messor) wiederholt und ist dabei zu ganz anderen Resultaten ge- kommen. Die Messor strebten zwar nach der Umgehung des Hinder- nisses ebenfalls wieder auf ihre Heerstraße zurück, doch erfolgte die Rückkehr nur selten in der Diagonale, sondern meist in ganz unregelmäßiger und individuell verschiedener Weise: Die einen Ameisen nahmen sofort Gegenrichtung, andere verfolgten die Ab- lenkungsrichtung auch nach dem Verschwinden des Hindernisses noch eine Strecke weiter, noch andere liefen zuerst längere Zeit parallel der Heerstraße, bevor sie wieder in dieselbe einbogen, ja, einige wenige verirrten sich sogar gänzlich. Diese auffallenden Unregelmäßigkeiten im Rückkehrmodus der schlecht sehenden Messor legten Santschi die Vermutung nahe, dass der von Szymanskiı beobachtete regelmäßige Diagonallauf der Aufa nicht sowohl durch die Registrierung kinetischer Richtungszeichen, sondern wohl in erster Linie durch das gute Sehvermögen dieser Ameisen bedingt ist. Ich bin auf Grund der Resultate meiner „Zwangs- laufexperimente“?”) geneigt, dieser Ansicht beizupflichten, nur glaube ich nicht, wie Santschi, dass die Rufa direkt ihre Heer- straße sahen, sondern vielmehr, dass sie irgendein entferntes großes Objekt wahrnahmen, das ihnen für den betreffenden Sektor ihrer Straße als Richtungspunkt gedient hatte. Auch die Möglichkeit der Entstehung eines „optischen Winkelengramms“ (als Resultante der beiden sukzessiven Lokalisationen der Lichtquelle im Fazetten- auge) ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen: Kurz und gut, man wird nach dem Gesagten das Experiment Szymanskı’s kaum als einen hinreichenden Beweis für die Existenz eines kin- ästhetischen Richtungssinnes bei den Ameisen betrachten können. Dagegen schien mir der „Versuch des Larvenabholens aus der Mitte* — unser mit so gutem Erfolg bei der Analyse des topochemischen Geruchssinnes angewendetes Standartexperi- ment — bei entsprechender Modifikation geeignet, auch über die Frage der Engraphie kinästhetischer Richtungszeichen einigen Auf- schluss zu geben. Die Versuchsanordnung, die ich am 14. Oktober 1915, abends 6 Uhr einrichtete, war folgende. Großer Experimentiertisch, Dunkelzelt, bipolare Beleuchtung, Brückenfährte N— Pl wie in den vorhergehenden Versuchsreihen. 36) Santschi, F., Revue Suisse de Zoologie 1913, S. 410ff. 37) Brun, 1914, 8. 184ff., 1915, 8. 248#t. 19* 292 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. Die aus glattem weißem Papier bestehende (homogene) Brücke zeigt jederseits 4 cm von der Mitte beginnend, eine winklige seit- liche Ausbiegung (Fig. 7a, b), und zwar sind beide Ausbiegungen nach der gleichen Seite (vom Nest aus gesehen nach links) ge- richtet. Im weiteren sind ihre beiden winkelförmig von der Längs- achse der Brücke abgehenden Schenkel nicht genau rechtwinklig gestellt, sondern etwas schief, nämlich so, dass ihre Achsen genau auf die linksseitige Lichtquelle zentriert sind. Durch diese letztere Anordnung soll erreicht werden, dass die Ameisen bei der Links- bezw. Rechtswendung sowohl auf a als auf b jedesmal genau die Fig. 7. gleichen Lichteindrücke (nämlich „Wendung gegen das Licht“, bezw. „Abwendung vom Licht“) empfangen, so dass also die Ent- stehung eines für « und b verschiedenen „optischen Winkelengramms“ verhindert wird. Die Wegstrecken M—N und M—P! bieten somit vollkommen gleiche sinnliche Bedingungen dar, mit alleiniger Ausnahme der propriozeptiven kinästhetischen Eindrücke, welche die Ameisen beim Passieren der Winkelausbiegung in der Richtung N und in der Richtung Pl! empfangen müssen: Auf der Strecke vom Nest bis zur Brückenmitte hat jede Ameise, kurz bevor sie das /iel erreicht, eine Sukzession von Drehungen ihrer Körperachse auszuführen, die sich im vorliegenden Fall aus einer annähernd rechtwinkligen Linksdrehung, zwei ebensolchen Rechtsdrehungen Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 293 und einer nochmaligen Linksdrehung zusammensetzt. Bei der Rückkehr von M nach N muss diese kinetische Sukzession natür- lich in der umgekehrten Folge wieder abgewickelt, oder, wie wir sagen können, revertiert werden, d.h. es wird die kinästhetische Hinwegsukzession links— rechts—rechts—Iınks sich in eine Rück- wegsukzession rechts—lıinks—lınks— rechts verwandeln müssen. Wenn also, wie zu erwarten steht, beim Versuch des Larvenabholens aus der Mitte wieder ungefähr 50% aller Ameisen nach der falschen Seite abgehen, so werden diese falsch gegangenen Ameisen, falls sie die kinästhetische Sukzession M— N engraphiert haben, bei der Biegung 5b stutzig werden müssen und um- kehren, da diese Biegung statt der obigen kinetischen Reversion eine Reiteration der Hinwegsukzession bedingt. 1. Hauptversuch. 15. Oktober 6" p. m. Etablierung der Larvenfährte (zahlreiche Larven auf Pl! geschüttet). Die Ameisen haben anfänglich große Mühe, ihren Weg über die beiden Ausbiegungen nach PI zu finden; sie rennen oft blindlings geradeaus, verfehlen an den Ecken die Fortsetzung der Spur und kehren wiederholt um. Um 8 Uhr abends, zu welcher Zeit der Larventransport nahezu beendigt ist, hat sich diese Erscheinung indessen schon ziemlich verloren und man sieht jetzt die Ameisen ihren Pfad mit großer Sicherheit über die beiden Krümmungen nach Pl und zurück verfolgen. 16. Oktober 10% 30 a. m. Neuer Larvenschub auf PI gegeben. 2" p. m. Dritter Larvenschub. Einschaltung der bipolaren Be- leuchtung. Die Ameisen verfolgen ihre Spur mit vollkommener Sicherheit. 3tp.m. Versuch des Larvenabholens aus der Mitte (100 aufeinander folgende Reaktionen). Resultat: Es gehen insgesamt richtig: 80, es gehen insgesamt falsch: 49 von diesen kehren schon bei der ersten Biegung vondb oder spätestens aufdem parallelen Schen- kel derselben wieder um: 29, (= 64,4%, der falsch gegangenen Ameisen), es gehen bis Pl falsch: 20, (davon 7 zögernd nach wiederholter Umkehr auf der Krümmung D), kinetischer Koöffizient: {d0: Von den 29 endgültig umgekehrten Ameisen war keine ein- zige über die letzte Wegkrümmung von b hinausgekommen; die überwiegende Mehrzahl kehrte schon bei der ersten Linkskrüm- mung um, nachdem sie längere Zeit vergeblich versucht hatten, nach rechts auszubiegen. Nur wenige Ameisen legten 294 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. noch die erste Rechtsbiegung auf den parallelen Schenkel der Aus- biegung b zurück, um erst bei der zweiten Rechtskrümmung end- gültig umzukehren. Hatte ein Individuum auch diese zweite Krüm- mung zurückgelegt, so ging es meist ohne fernerhin zu stutzen bis Pl weiter (mit Ausnahme von 7 Individuen, die noch schwankten). Es hatten somit nach 4östündigem Bestehen der obigen Versuchsanordnung über 64% der primär falsch abgegangenen Ameisen die ziemlich komplizierte kin- ästhetische Sukzession des Hinweges N—M, bezw. die Reversion dieser Sukzession, engraphiert. 2. Kontrollversuch. 27. Oktober 11® p. m. Die beiden Winkelausbiegungen werden spiegelbildlich symmetrisch angeordnet, so dass die kinästhe- tische Sukzession von M nach Pl! die Reversion der Sukzession N—M darstellt (Fig. 3). Fig. 8. 28. Oktober 2" p. m. Herstellung der Larvenspur. 730. Neuer Larvenschub. Bipolare Beleuchtung. 9" p.m. Larvenabholen aus der Mitte (100 aufeinander- folgende Reaktionen). Es gehen insgesamt richtig: 92, es gehen insgesamt falsch: 48, alle bis Pl! | kinetischer Koöffizient: . Brun, Weitere Untersuchungen über die’ Fernorientierung der Ameisen. 295 Es kam wohl auch hier vereinzelt Umkehr auf b vor, doch war dieselbe, wie die obigen Zahlen beweisen, niemals definitiv und beruhte somit nicht auf einer Reorientierung, sondern darauf, dass viele Ameisen sich noch nicht genügend an die Krümmungen des Weges gewöhnt hatten. Auch kam es nicht etwa nur auf der falschen Seite zu solcher vorübergehender Umkehr, sondern ganz ebensowohl auf der Ausbiegung der Nestseite. I. Über topographische Orientierung. Wenn eine Ameisenkolonie am Fuße einer Mauer liegt, wie das beispielsweise häufig bei Formica cinerea vorkommt, so pflegen die Ameisen bei ihren Ausgängen zunächst eine Strecke weit dieser Mauer entlang zu wandern, bevor sie sich nach verschiedenen Rich- tungen in ihre Jagdgründe zerstreuen. Es liegt nahe, anzunehmen, dass sie dabei die Richtung ihres Weges in erster Linie auf den einseitig wahrgenommenen globalen Komplex der Mauer beziehen, dass sie sich, m. a. W., topographisch orientieren. Haben sie beispielsweise beim Hinweg die Mauer mit dem rechten Fazetten- auge gesehen und mit dem rechten Fühler betastet, so werden sie sich beim Rückweg automatisch so einstellen, dass sich diese ständig rechtsseitig empfangenen Eindrücke jetzt auf die entsprechenden Organe der linken Körperhälfte revertieren, — ein Vorgehen, das sie mit Sicherheit wieder zum Neste zurückführen muss. Das Vorkommen einer solchen Orientierungsweise ist von ver- schiedenen Autoren experimentell nachgewiesen worden: Cornetz°®) fand unter dem Randstein eines Trottoirs ein Nest von Messor barbarus, von welchem eine Fährte nach rechts abging. Dieselbe folgte zunächst dem Randstein noch ungefähr 2 m, um sodann die Straße in schräger Richtung zu überqueren. Cornetz fing nun eine Anzahl Ameisen beim Nesteingang ab und setzte sie links vom Nest auf die Chaussee. Die Tiere liefen zunächst in virtueller Orientierung (d. h. parallel zu ihrer weiter rechts hın- ziehenden Fährte) zum Randstein zurück und dann sofort diesem entlang nach links (genau so, als ob sie sich auf ihrer Fährte befinden würden), obschon sie ja ın diesem Falle geradewegs von ihrem Neste wegliefen. Sie hatten also eine virtuelle topo- graphische Orientierung nach dem Randstein ausgeführt. Ähnliches beobachtete Santschi°®) bei Individuen von Aphaeno- gaster splendida, deren Nest am Fuß einer Mauer etabliert war; er überzeugte sich dabei durch Fegen des Bodens noch besonders 38) Cornetz, V., Trajets de fourmis et retours aux nid. — Mem. Inst. gen. Psychol. 1910, p. 36ff. 39) Santschi, F., Observations et remarques critiques sur le mecanisme de l’orientation chez les fourmis. — Revue Suisse de Zoologie 1911, p. 317 ff. 396 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen, davon, dass die Ameisen beim Wandern neben der Mauer nicht etwa einer Geruchsspur folgten. Auch virtuelle Lichtorientierung konnte nicht vorliegen, denn sobald Santschi die Ameisen einige Meter von der Mauer entfernte, so zeigten sie sich vollständig des- orientiert. An sich ist dieser Erfolg gar nicht selbstverständlich, denn man sollte eigentlich annehmen, dass die Ameisen, während sie der geraden Mauer entlang wandern, zugleich auch ein Engramm von der Lokalisation der Lichtquelle im Fazettenauge aufnehmen, welches später ihre Reiserichtung mitbestimmen würde. Einen interessanten Fall von topographischer Orientierung be- obachtete ich anlässlich meiner experimentellen Analyse der Ge- ruchsorientierung bei Lasius fuliginosus*’). Man erinnert sich aus den vorhergehenden Kapiteln, dass auf der homogenen „Larven- fährte“, unter bipolarer Beleuchtung, beim „Versuch des Larven- abholens aus der Mitte“ ungefähr gleichviele Ameisen falsch wie richtig gingen und dass die falsch abgegangenen Individuen unter diesen Umständen ihre irrtümliche Richtung bis zum falschen Ende der Fährte unentwegt beibehielten. Als ich aber die linke Seite meiner Papierbrücke mit einer 5 mm hohen Brüstung aus steifem Papier versehen hatte und nun, 3 Tage später, den Versuch des Larvenabholens aus der Mitte wiederholte, da kehrten von den falsch gegangenen Ameisen gut drei Viertel augenblick- lich um, sobald sie zufällig mit dem linken Fühler an dieses Geländer stießen! Jetzt drehte ich das geländertragende Mittelstück der Brücke um 180°, so dass sich das Geländer, vom Nest aus gesehen, nun rechts befand. Die Folge war eine vir- tuelle topographische Orientierung, indem jetzt umgekehrt drei Viertel der nestwärts, also richtig abgegangenen Ameisen wieder umkehrten, wenn sie zufällig das Geländer mit dem Fühler be- rührten. Sie hatten somit den Eindruck des beim Heimweg ständig rechts wahrgenommenen Geländers in der Tat assoziativ mit der Heimkehrrichtung verknüpft. Einen weiteren hübschen Fall von topographischer Orientierung hat Chr. Ernst*'!) beobachtet. Er ließ Lasius niger (in einer Forel’schen Gipsarena) einem Walle kleiner Steinchen entlang vom Nest zum Honig wandern. Nach einiger Zeit schob er diesen Steinchenwall in toto einige Zentimeter parallel zur Seite. Der Erfolg war der, dass die Ameisen von der Bruchstelle an nicht mehr der nunmehr freiliegenden Geruchsfährte folgten, sondern „den gewohnten räumlichen Wegmarken“®°?) 40) Brun, 1914, S. 92#£. 41) Ernst, Chr., Kritische Untersuchungen über die psychischen Fähigkeiten der Ameisen. Arch. f. d. ges. Psychol. Bd. 31, 1914, S. 64. 42) Ein ganz ähnliches Experiment wurde schon von Lubbock (Ants, Bees and Wasps, 17th Ed. 1906, p. 259) ausgeführt, jedoch mit negativem Erfolg. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 297 Im folgenden möchte ich nun kurz über ein ähnliches Experi- ment berichten, das ich im Juni 1914 bei Myrmica laevinodis aus- führte. Ich hatte eine Kolonie dieser psychoplastisch schwach begabten Art in einem Lubbocknest auf meinem großen Experimentiertisch in meinem Zimmer (Fig. 9, N). Die Tiere, denen ich freie Bewegung auf dem Tische ließ, waren gewöhnt, ihr Futter (Honig) auf einem rechteckigen Papierblatt (P) aufzusuchen, welches schräg nach links vom Nest in der Richtung des (in der Zeichnung durch ein Kreuz markierten) Fensters lag; doch besuchten sie diese Nahrungsquelle jeweilen nur einzeln, so dass sich keine eigent- Fig. 9. liche Geruchsfährte aus- bildete. Es bestand somit von N nach P eine sogen. „Durchgangsstrecke* und zwar wurde die Rich- tung von den Ameisen vermittelst des Licht- kompassinnes einge- halten, — eine Tatsache, die ich mit Hilfe des Drehungsexperiments leicht nachweisen konnte. Drehte ich nämlich den Experimentiertisch, wäh- rend gerade eine Ameise unterwegs war, so ant- wortete das Tier sofort mit einer entsprechenden Gegendrehung im umge- kehrten Sinne; und wenn ich nun den Tisch, sagen wır um 90° nach links, gedreht ließ, so verschob sich die Orientierungsachse sämtlicher zum Honig wan- dernden oder vom Honig heimkehrenden Ameisen um den gleichen Winkel nach rechts, — auch solcher Ameisen, die während der Drehung beim Honig stillgesessen hatten: Dieselben brachen dann in virtueller Lichtorientierung auf und gelangten an einen ganz falschen Punkt des Tisches. Am 1. Juni verband ich den Ausgang der Neströhre mit dem korridorartigen Ausgang des Honigpapiers durch ein 30 cm langes schwarzes Lineal, das ich links neben die Durchgangsstrecke legte. Die Durchgangsstrecke ist somit jetzt linksseitig kanalisiert. In der Tat schienen sich die Ameisen rasch daran zu gewöhnen, das Lineal als Richtungslinie zu benutzen, denn man sah sie nun 298 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. demselben meist dicht entlang gehen, wobei sie viel rascher und sicherer vorwärts kamen als früher auf der freiliegenden Durch- gangsstrecke. Nach diesen Vorbereitungen machte ich am 5. Juni den folgen- den Versuch: Während gerade 5 Ameisen beim Honig saßen, drehte ich das Lineal um 45° nach links (Fig. 9, LI) und wälzte es zugleich um 180° um seine Längsachse, so dass eine allfällıg an seiner Seite haftende Geruchsspur von der Durchgangsstrecke ab- und nach links oben gedreht wurde. Um während der Dauer des Versuches den Austritt neuer Ameisen zu verhindern, verstopfte ich den Nesteingang mit Watte. Mittlerweile hat die erste Ameise den Honig verlassen und den Heimweg angetreten. Am Lineal angekommen, folgt sie dem- selben etwa 10 cm, stutzt dann lang und kehrt wieder zum Honig um. Nach einigen Minuten zweiter Heimkehrversuch; diesmal folgt sie dem Lineal bis zu drei Viertel seiner Länge, wird dann plötz- lich unsicher und kehrt abermals um. Während sie von neuem beim Honig sitzt, drehe ich das Lineal weiter, bis 90° von seiner ursprünglichen Richtung ab (Fig. 9, 72). Die erste Ameise macht einen dritten Versuch heimzukehren: Sie folgt dem Lineal bis zum freien Ende, sucht dort lange nach dem verschwundenen Nesteingang und kehrt dann hinter dem Lineal nochmals zum Honig zurück. Der vierte Heimkehrversuch gelingt endlich, indem sie diesmal dem Lineal nur 10 cm weit folgt und dann, dasselbe endgültig verlassend, in sehr mangelhafter Lichtorientierung (durch den Drehversuch festgestellt) mit einem ziemlich starken Richtungs- fehler gegen N traversiert. Lange Suche nach dem Nesteingang. Die zweite und dritte Ameise verlassen das (um 90° abge- drehte) Lineal schon nach wenigen Zentimetern und folgen sodann der Lichtindikation, allerdings sehr zögernd, unsicher und mit merk- licher Tendenz nach rechts, als ob sie durch das Lineal gleichsam magnetisch angezogen würden. Dagegen folgen die vierte und fünfte Ameise dem Lineal wiederum bis zum Ende, wobei sie allerdings wiederholt nach links abbiegen, doch immer wieder zu der topischen Führungslinie zurückkehren. Ich drehe das Lineal wieder in seine frühere Lage zurück. Am 10. Juni wiederhole ich sodann den gleichen Versuch, das Lineal um 90° nach links gedreht. Es befinden sich 4 Ameisen beim Honig. Alle 4 folgen beim Heimweg dem Lineal ohne Zögern bis zum Ende, woselbst die erste Ameise in exzentrischer Kurve das Nest zu suchen beginnt; — die andern 3 können sich anscheinend nicht entschließen, die Führung zu verlassen, sondern wandern beständig längs derselben hin und her bezw. steigen ratlos auf dem Lineal herum. Zuletzt verfallen sie in ein planloses Herumirren (immerhin mit deutlicher Tendenz vom Licht weg- Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 99 zukommen) und gelangen so erst nach langer Zeit rein zufällig zum Neste zurück. Bei der Erläuterung dieser einfachen Versuche können wir uns kurz fassen: Wır hatten auf unserm Experimentiertisch eine Durchgangs- strecke N—P, die von den Ameisen (Myrmica) ursprünglich allein mit Hilfe des Lichtkompassinnes verfolgt wurde. Zu diesem glo- balen optischen Engrammkomplex gesellte sich dann später noch ein zweiter, topographischer und diese beiden simultanen Orien- tierungskomplexe wirkten mit Bezug auf die durch sie bestimmte Richtungsachse (den „Vektor“) völlig gleichsinnig: oder, wie ich diesen Tatbestand früher bezeichnet habe: Sie befanden sich in „homologer Deckung“). Indem wir nun das Lineal um einen bestimmten Winkel aus seiner ursprünglichen Richtung abdrehten, haben wir die Vektoren der beiden Orientierungskomplexe künstlich divergent gemacht, die homologe Deckung derselben aufgehoben. Das Resultat musste, falls beide Komplexe mit annähernd gleicher Deutlichkeit engraphiert worden wären, notwendigerweise ein Dilemma sein, aus welchem weiterhin eine Orientierung in der Resultante der beiden divergenten Richtungskräfte hätte erfolgen sollen, wie ich das in einem früheren ähnlichen Fall gesehen habe. Statt dessen folgten die meisten Ameisen, zunächst wenigstens, ohne weiteres der topographischen Wegleitung; ein Beweis, dass dieser Engrammkomplex den optischen schon nach 5 Tagen an Vividität weit übertraf. Dass aber trotzdem auch das optische Richtungsengramm noch in den Ameisen weiterlebte, zeigte sich alsbald, nachdem der topographische Komplex versagt hatte, indem jetzt plötzlich die Tendenz nach links sich wieder manifestierte. Demgegenüber zeigt der zweite Versuch aufs schönste, wie die Gewohnheit der Ameisen, sich nach dem einfachen topographischen Merkmal zu orientieren, sich mit der Zeit derart befestigte, dass die Licht- und vollends die Geruchsindikation des Weges schließlich vollständig vernachlässigt wurden. I Komplizierte polygonale Einzelwanderungen. Zum Schlusse möchte ich noch die Kurven zweier spontaner Einzelreisen vorführen, die ich im Sommer 1915 bei Formica rufa und sangwinea, also bei psychisch verhältnismäßig hochbegabten Ameisen, zu beobachten Gelegenheit hatte. Eine ausführliche Analyse dieser hochkomplizierten Kurven würde uns an dieser Stelle zu weit führen; ich beschränke mich daher auf einige prinzipielle Er- 42) Brun, 1914, S. 129£. 300 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. läuterungen zu denselben und verweise bezüglich der Einzelheiten auf die den Figuren beigegebenen Buchstabenerklärungen. In allgemeiner Hinsicht ist zunächst hervorzuheben, dass beide Reisen von auffallend großen Individuen #?) und in sehr bedächtigem Tempo, mit häufigen längeren Aufenthalten sowie kleinen seitlichen Abschweifungen (die der Einfachheit wegen nicht gezeichnet sind) ausgeführt wurden. Es handelt sich also wahrscheinlich um sogen. „Forschungsreisen“ (Cornetz), deren Zweck im ersten Falle wohl die Auffindung einer ergiebigen Nahrungsquelle oder eines neuen Nistplatzes, im zweiten Falle vielleicht auch die Entdeckung Fig. 10. Formica rufa L. 9. V. 15 2—3htp.m. N=Nest, p= Sandplatz, Bl — Blumenbeet, L = Gartenlaube (z. Zt. nicht begrünt!, 8b = Salatbeet, H = Himbeerpflanzung, St — Einfassteine, Z = Garten- zaun. J — Johannisbeerpflan- zung, 7’ —= Tanne. — Das Terrain beim Gartenzaun liegt ungefähr 1 m unter dem Niveau des Sandplatzes, eines Sklavennestes war. Beide Reisen dauerten ungewöhnlich lange, die der Rufa ungefähr 1 Stunde, die der Sanguinea sogar über 1!/, Stunden. Schon dieser Umstand lässt vermuten, dass hier der Lichtkompassinn von Santschi für die genauere Rich- tungsbestimmung jedenfalls nur von untergeordneter Bedeutung sein konnte, denn bei so langer Zeitdauer hätte der genannte Mecha- nısmus, in Anbetracht der relativen Ortsveränderung der Sonne und der bedeutenden Entfernung des Endpunktes der Reise, doch wohl zu sehr erheblichen Richtungsfehlern führen müssen. Zu alledem kommt noch die ungewöhnlich unregelmäßige Form der beiden Kurven, mit ihrem wiederholten Richtungswechsel u. s. w. Von dem größten Interesse ıst in dieser letzteren Hinsicht nament- lich die erste Reise (Fig. 10), in deren Verlauf ein ausgedehntes Polygon beschrieben und auf dem kürzesten Wege direkt geschlossen wurde, also entgegen der Cornetz’schen Regel, laut welcher die Ameisen nach einer ın mehreren sukzessiven Haupt- richtungen erfolgten „Hinreise“ diese Richtungen bei der Rückreise stets in der umgekehrten Reihenfolge nacheinander revertieren 43) Die Angabe von Öornetz, dass die großen Individuen einer Kolonie im allgemeinen mehr Initiative und plastische Begabung als die kleinen Exemplare verraten, kann ich auf Grund zahlreicher eigener Beobachtungen bestätigen. Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. 301 sollen“). Ich habe an der unbedingten Gültigkeit dieses Gesetzes (welches nichts anderes als eine Spezialanwendung des bekannten „loi du contre-pied“ von Reynaud ist) zu zweifeln begonnen, nach- dem ich gesehen hatte, dass psychisch höherstehende Arten, wie Formica, nach künstlichem zweiachsigem „Zwangslauf“ selbst aus großen Entfernungen ausnahmlos in der Diagonale zurückkehren und ich sprach auf Grund dieser Erfahrung damals die Vermutung aus, dass solche polygonale Fernreisen bei den genannten Arten gelegentlich auch wohl spontan vorkommen dürften ®’). Diese Ver- mutung hat sich nun, wie man sieht, bestätigt. High. Formica sangwinea Latr. VII. 15, abends 5!/,— Th, N = Net, Sp = Sandplatz, Bl = Blumenbeet, L = Gartenlaube, Bh — Buchshecke, Aw = Kiesweg, W= Wiese, Rb = Rosenbeet, B = Birn- baum, 7 = Tanne. Die Wiese liegt ungefähr 70 cm höher als der Sandplatz. Beim Zwangslaufexperiment habe ich mir die direkte diagonale Heimkehr seinerzeit so erklärt, dass sich die Ameisen auf Grund visueller Fernwahrnehmungen orientieren, nämlich nach den verschwommen wahrgenommenen Gesichtsbildern bestimmter großer Gegenstände (Bäume, Häuser u. s. w.) neben oder hinter dem Nest, deren relative Stellung im Raume mit der Lage des Nestes asso- zuert wird. Im vorliegenden Fall scheint aber diese Erklärung aus dem Grunde kaum anwendbar, weıl das Johannisbeerfeld bezw. der Gartenzaun, von dessen Fuß aus die Rufa ıhre so genau nach N gerichtete Heimkehr begann, um mehr als 1 m tiefer liegt als das Niveau des großen Sandplatzes, an dessen Ostrand das Nest gelegen ist. Sehr merkwürdig ist aber in diesem Zusammenhang, dass die Rufa, bevor sie ihren Weg durch die erwähnte Johannis- beerpflanzung aufwärts nach N nahm, wiederholt meterhoch an verschiedenen Latten jenes Gartenzauns emporge- klettert war, — ein Benehmen, das mir unwillkürlich den Ver- 44) Cornetz’ kategorische Verneinung des Vorkommens polygonaler Fernreisen bei Ameisen ist um so sonderbarer, als Cornetz selbst mehrere solche Reisen be- schrieben hat (Album faisant suite aux trajets de Fourmis, avec texte explicatif. — Inst. Gen. Psychol. M&m. 1910, Fig. 30, 36, 39ter). 45) Brun, 1914, S. 187ff., 195. 302 Brun, Weitere Untersuchungen über die Fernorientierung der Ameisen. gleich mit einem Menschen aufdrängte, der, nachdem er sich ver- irrt hat, eine freiliegende Höhe zu gewinnen trachtet, um dort Um- schau übers Land zu halten. So anthropomorphistisch eine solche Deutung auf den ersten Blick erscheinen mag, so ist sie meines Erachtens doch nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, denn ich habe gerade bei Formica, die sich in einer Wiese oder in dichtem (restrüpp verirrt hatten, schon wiederholt ähnliches beobachtet. Es scheint mir auch durchaus im Bereich der Möglichkeit zu liegen, dass bei diesen relativ weitsichtigen Arten, deren Orientierung eine vorwiegend visuelle ist, eine solche Gewohnheit, im Verirrungsfalle hochgelegene Punkte mit freier „Aussicht“ aufzusuchen, im Laufe der Stammesentwicklung instinktiv zur Ausbildung gekommen wäre, — etwa ın ähnlicher Weise, wie das bekannte „Vorspiel“, der Orientierungsflug der Bienen. Ich bemerke ferner, dass im vorliegenden Falle wenige Meter hinter dem Neste eine mächtige Tanne stand, deren Wipfel von der Höhe jenes Gartenzaunes aus — die Richtigkeit der visuellen Theorie vorausgesetzt — den Augen der Ameise sehr wohl sichtbar war und ıhr also möglicherweise als Richtpunkt gedient hatte. Man darf ferner nicht vergessen, dass die betreffende Ameise möglicherweise schon früher ein- oder mehrmals in dieser Gegend war, so dass sie sehr wohl auch näher gelegene, intermediäre visuelle Anhaltspunkte für die Richtung nach N besessen haben konnte, — also einen Engramm- schatz, wie er ım Prinzip dem visuellen Ortsgedächtnis der höheren Tiere entsprechen würde. Für diese letztere Möglichkeit wäre etwa der Umstand anzuführen, dass an dem gleichen Tag, an dem ich jene merkwürdige Reise beobachtete, noch zahlreiche andere Ameisen von N aus Exkursionen in das bewusste Johannisbeerfeld unter- nommen hatten. Ich habe nun auch versucht, der Frage dieses rätselhaften Polygonschlusses durch das Experiment beizukommen, indem ich meine Rufa, nachdem sie den großen Sandplatz glücklich wieder erreicht hatte, bei x abfing und nacheinander auf verschiedene Punkte (x I und x 3) der soeben von ihr zurückgelegten Reisekurve zurückversetzte. Sie lief von beiden Orten aus ohne wei- teres inder ungefähren Richtung nach N (punktierte Kurven). Also keine „virtuelle“ Orientierung (etwa Richtung z—N entsprechend), sondern jedesmal eine ganz andere absolute Richtung des Raumes, die ungefähr der Visierlinie auf jene riesige Tanne (bezw. auf jene Baumgruppe) entsprach, welche hinter dem Neste stand. Es ist zuzugeben, dass diese Ergebnisse wiederum sehr zugunsten unserer ersten Annahme sprechen, dass der direkte Polygonschluss ım vorliegenden Falle (wie wahrscheinlich immer in ähnlichen Fällen) auf assoziierten visuellen Fern- wahrnehmungen beruhte — Es wird künftigen Forschungen Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 303 vorbehalten sein, die hier nur kurz angedeutete Theorie der visuellen Fernorientierung bei den Ameisen *%) auf eine festere experimentelle Basıs zu stellen und dieselbe näher zu begründen; — an dieser Stelle müssen wir uns vorläufig damit genügen lassen, auf diese Möglichkeiten aufs neue hingewiesen und dieselben an Hand der vorgeführten interessanten Kurven zu größerer Wahrscheinlichkeit als bisher erhoben zu haben. Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. (Elsafs-Lothringen und das schweizerische Mittelland.) Von Dr. K. Bretscher (Zürich). In meiner Arbeit: „Der Vogelzug im schweizerischen Mittelland in seinem Zusammenhang mit den Witterungsverhältnissen“ (Neue Denkschriften der Schweiz. Naturf. Ges. Bd. 51, Abh. 2, 1915) kam ich bezüglich des Einflusses der Lage der barometrischen Depressionen und des Luftdruckes zu anderen Ergebnissen als die ungarischen Ornithologen. Auch im übrigen, so hinsichtlich der Wärmeansprüche der Zugvögel zur Zeit ihrer regelmäßigen Wanderungen im Früh- ling und Herbst zeigten sich einige bemerkenswerte Resultate, die hier nicht anzuführen sind, da die vorliegende Arbeit Gelegenheit genug gibt, sie zu erwähnen. Wie ich erst nach dem Erscheinen meiner Arbeit feststellen konnte, stehen allerdings meine Schlüsse aus dem Beobachtungsmaterial der Schweiz in sehr guter Überein- stimmung mit dem, was die amerikanischen Ornithologen in ihrem Gebiete gefunden haben (Cooke, Bird migration. Bull. 26. S. De- Part. or Apvic, Nr. 185, 17. 4. 15). Nun ist das Material aus der Schweiz für Untersuchungen solcher Art, wie ıch sie durchführte, nicht besonders einwandfrei. Da die Vornahme der Zugsbeobachtungen durchaus Sache der Frei- willigkeit und des persönlichen Interesses sind, irgendwelche staat- liche Organisation hierfür nicht besteht, so spielt dabei offenbar der Zufall eine große Rolle. Weil zum mindesten viele dieser Freunde der Vogelwelt durch ihren Beruf an das Haus gebunden sind, ist ihnen die freie tägliche Beobachtung unmöglich. Hierfür stehen ihnen hauptsächlich die Sonn- und Festtage zur Verfügung. Ich war daher einigermaßen überrascht, in einer Zusammenstellung der Zugsbeob- achtungen vorgängig der eigentlichen Untersuchungen diesen Ein- fluss nicht erkennen zu können. Trotzdem ist es gewiss nur richtig, wenn ich in meiner Arbeit öfters auf den provisorischen Charakter der nach der statistischen Methode gezeitigten Ermittelungen hin- wies und auf die Verarbeitung eines späteren, umfassenderen Ma- 46) Als Urheber dieser Theorie ist Santschi zu bezeichnen. 304 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. teriales abstellte. Denn in sehr vielen Fällen handelte es sich bei unseren Angaben nicht um Zugserscheinung, sondern es wurde ein- fach die Anwesenheit einer Vogelart oder ıhr Fehlen festgestellt. Immerhin wird dies kaum je vermieden werden können; bei uns aber mag das verhältnismäßig häufig vorgekommen sein. Daher war es mein Wunsch, an einem anderen, womöglich zu- verlässigeren Material die Richtigkeit meiner Ergebnisse nachzu- prüfen. Der Zufall führte mir nun solches in die Hände, das allen billigen, ja auch weitgehenden Anforderungen an Genauigkeit ge- nügen dürfte. Da es gegen 4000 Beobachtungen umfasst, ıst es für eine Untersuchung nicht zu klein; sie sind in der überwiegenden Mehrzahl von Förstern gesammelt, die Gelegenheit haben, täglıch ihr Gebiet zu begehen und als im allgemeinen gute Beobachter die Veränderungen in der Natur wahrzunehmen. Weiter handelt es sich dabei nur um Zugsangaben, indem von jeder Art so weit mög- lich je das erste Eintreffen und der Hauptzug angegeben sind. Auch erstrecken sich die Beobachtungen über eine genügende Reihe von Jahren, von 1885—97 und sie stammen aus einer großen Zahl von Orten in verschiedenen Höhenlagen. Die Publikation, um die es sich handelt, ist: „Ornithologische Beobachtungen aus Elsaß- Lothringen,“ Ornis, Bull. du comite orn. intern. 8 und 9, 1896/97 und 1897/98, von Landesforstmeister Freiherr von Berg in Straß- burg. Sie darf in der Vollständigkeit aller Angaben über die be- gleitenden Umstände geradezu als mustergültig bezeichnet werden, ebenso auch in der genauen Ortsbezeichnung. Hätte man von recht vielen Gegenden ein so gutes Beobachtungsmaterial, so wäre es möglich, viele Fragen des Vogelzugs befriedigend zu beantworten. Herrn Freiherr von Berg bin ich überdies zu herzlichem Dank verpflichtet für die liebenswürdige und zuvorkommende Art, in der er die vorliegende Arbeit, so weit es in seinen Kräften war, unter- stützte. Ohne seine gütige Mitwirkung hätte sie nicht in befrie- digender Weise durchgeführt und abgeschlossen werden können. Im folgenden will ich mich an den (Gang meiner angeführten Arbeit halten, da es sich um eine Vergleichung der neuen mit ihren Ergebnissen handelt. 1. Der Frühjahrszug und die Depressionen. Wie in meiner eingangs erwähnten Arbeit habe ich auch hier die Lage der Depressionen übersichtlich zusammenzustellen gesucht und mich hierzu eines Kreuzes bedient, dessen Linien in der Rich- tung der Längen- und Breitenkreise verlaufend so angenommen wurden, dass ihr Schnittpunkt in die Mitte der barometrischen Minima zu liegen kam. Die entstandenen 4 Felder numerierte ich mit 1—4, indem ich mit dem Feld oben links zu zählen begann und nach oben rechts, unten rechts und unten links weiterging. Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 305 Die Zwischenlagen erhielten die Bezeichnungen 1—2, 2—3 u. S. w. Wenn nun bei einem Zugsdatum Elsaß-Lothringen in das Feld 1 zu liegen kam, wurde hierfür diese Zahl eingesetzt und ebenso bei den anderen Lagen verfahren. Lag die ungefähre Mitte der De- pression über Elsaß-Lothringen selber, so erhielt diese Lage die Bezeichnung „ec“ (central) und mit „?“ wurde sie versehen, wenn nicht ersichtlich war, nach welcher Seite hin die Luft aus dem Ge- biete abfloss. Das ist hauptsächlich bei beständig gleichem Luft- druck und schönem Wetter der Fall; daher diese Lage verhältnis- mäßig häufig zu verzeichnen war. Die folgende Zusammenstellung gibt nun für jede Lage die Tage, die ıhnen zufallenden Beobach- tungen und das daraus sich ergebende Mittel für Elsaß-Lothringen und das schweizerische Mittelland an und gestattet so eine rasche Übersicht und Vergleichung. Lage | Elsafs-Lothringen Schweiz. Aue end der Zahl der | - Zahl der | Depres- Zahl der | Beobach- | Mittel Zahl der Beobach- Mittel : Tage Tage sionen tungen > tungen 1 SDERN| 85 2—3 21 169 3 s0 289 3—4 1—2 5 16 3 31 169 5—6 13 41 3—4 2 123 421 3—4 73 353 5 334 1272 3—4 2—3 16 33 2 14 85 6 41 136 3—4 3 74 212 3 31 171 5—6 276 932 3—4 34 10 54 5—6 = — = 15 12 4 4 47 LIOw N 23 39 259 | 6-7 119 308 2—3 | 4d—1 16 64 4 14 74 5—6 31 115 3—4 c 12 38 3 2 14 Q 25 sl 3—4 7 42 142 3—4 21 104 5 155 536 3—4 In dieser Tabelle verzeichnet bei jeder Lage der Depressionen die obere Zahl die Angaben aus Elsaß-Lothringen, die aus den Jahren 1885—89, die untere dagegen die von 1885 —97; im schweize- rischen Mittelland rühren sie aus den Jahren 1908—11. Sie zeigen in auffälliger Weise, wie mit der Größe des in Betracht gezogenen Zeitraumes die Mittel sich ausgleichen; denn in den oberen Elsäßer Zahlen geht der Unterschied von 2 bis 5—6, in den unteren nur XXXVI. 20 306 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel, von 2—3 bis 4. Dasselbe lässt sich erkennen, wenn wir die Elsäßer mit den Zahlen aus der Schweiz vergleichen. Die große Übereinstimmung in den ‚Durchschnittszahlen zeigt uns, dass von einer Bevorzugung irgendeiner Lage der barome- trischen Minima durch die Vögel bei ihrem Frühlingszug nicht die Rede sein kann. In den Jahren 1890—97 hat ım Elsaß die Lage 1 das höchste Mittel, 1885—89 dagegen die Lage 3—4. c ist sicher ein Verhältnis, bei dem man wenig Zug erwarten möchte, und doch erscheint es in der Schweiz mit recht hohem Durchschnitt. Dass hier die Lage 3—4 gar nicht vertreten ist, muss als zufällig bezeichnet werden; für Elsaß hat es das höchste Mittel, das ın der Schweiz auf 1 liegt. Wir können die Zahlen prüfen, wie wir wollen, sie gestatten nur einen Schluss: Die Vögel ziehen nicht, weil ihnen diese oder jene Lage der Depressionen zu Gebote steht und dann diese benützend, sondern sie wandern bei jeder ihrer Lagen, wenn die Zeit für ihre Wanderungen gekommen ist. 2. Der Vogelzug und der Luftdruck. Während für die Depressionen, gestützt auf die täglichen Wetter- karten der schweizerischen meteorologischen Zentralstation das ganze Beobachtungsmaterial zu Rate gezogen werden konnte, war das beı der Prüfung der Barometerstände im Elsaß nicht möglich, da die Ver- öffentlichungen der meteorologischen Landesanstalt in Straßburg nur von 1390 an datieren. Aber die so für die Jahre 1890 —97 gezeitigten Ergebnisse genügen vollständig, um auch da wieder den Nachweis zu liefern, wie gleichgültig den Vögeln der Luftdruck bei der Ab- wicklung ihres Zuges ist. Das geht aus folgender Zusammenstellung unzweifelhaft hervor, für die die Angaben der Barometerstände ın Straßburg zugrunde gelegt sınd. Die erste Zahlenreihe enthält diese; sie gehen demnach von 621—667 mm und sind ın 5 Gruppen zusammengefasst. Die zweite Reihe gibt die Zahl der Zugstage, die dritte die der zugehörigen Beobachtungen und die letzte die Durchschnitte der letzteren auf den Zugstag berechnet an. mm —- 600 Tage Beobachtungen Mittel 21—32 41 144 3—4 33—42 220 840 3—4 43—48 202 01 3—4 49—57 202 714 3—4 58—67 28 114 4 Es ist sogleich ersichtlich, wie der Zug weder bei den höchsten noch bei den niedrigsten Barometerständen aussetzt und wie gleich- mäßig die Mittelzahlen wiederum ausgefallen sind, was eben nichts anderes sagt, als dass die Erscheinung bei jeder Größe des Luft- druckes in gleicher Stärke zu beobachten ist, Dass die höchste Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 307 Durchschnittszahl nun gerade beim höchsten Luftdruck liegt, ist sicher nur zufällig, übrigens ist der Unterschied gegenüber den anderen so gering, dass er nicht in Betracht fallen kann. Nach Prozenten, die auf die Tage mit unter mittlerem, mittlerem und über mittlerem Luftdruck entfallen, berechnet, haben wır 38, 29 und 33%, also ein kleines Überwiegen der Tage mit niedrigerem Luftdruck. Dieselbe Rechnung für die Zahl der Beobachtungen durch- geführt, ergibt 39, 28 und 33%. Ob wir also die Zugsstärke an der Zahl der Zugstage oder der der Beobachtungen messen, wir er- halten dasselbe Resultat. Für das schweizerische Mittelland haben wir Barometerstand Jahre unter Mittel über Mittel Tage Beobachtungen Tage Beobachtungen 1908 37 106 19 53 1909 39 114 14 55 1910 23 209 32 262 aan 32 253 22 222 1912 17 56 33 74 148 738 120 666 Durchschnitte: 5 5—6 Also hier wie dort gleich hohe Durchschnittszahlen auf den Zugstag berechnet. Für diese Tabelle ergeben sich 48%, sowohl der Zugstage als der Beobachtungen unter mittlerem Barometer- stand und 52%, über diesem. Diese Zahlen gehen so nahe zu- sammen, weil hier die mittlere Höhe nur auf 1 mm, nicht auf deren 6 wie bei Straßburg sich bezieht. Scheint nun für Elsaß-Lothringen eine leichte Bevorzugung geringeren Luftdruckes zu bestehen, so schlägt das in der Schweiz zugunsten höheren Luftdruckes aus; aber beide Male in so geringem Grade, dass daraus nur die oben angegebene Folgerung möglich ist, auch wenn die beiden Ergebnisse in gleichem Sinne sprächen. Da sie dies aber in entgegengesetztem Sinne tun, so erhält der Schluss erst volle Berechtigung. Die Tabelle aus dem schweizerischen Mittelland kann ebenfalls nur so ausgelegt werden, dass die Vögel bei den ihnen gerade zur Verfügung stehen- den Verhältnissen des Luftdruckes wandern, das eine Jahr bei niedrigem, das andere Jahr bei hohem. Demnach gestattet erst die Vergleichung durch eine längere Reihe von Jahren den richtigen Einblick in seinen Einfluss auf den Vogelzug. 3. Der Vogelzug, der Wind und das Wetter. Schwächere Luftströmungen beeinträchtigen den Vogelzug nicht; sie sind nicht imstande, den Vogel in seinem Fluge zu hindern; das lehrt die Beobachtung zur Genüge. 20* 308 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. Da die Windrichtung bei den meisten Angaben über den Zug in Elsaß-Lothringen vermerkt ist, war es möglich, auch hier- über eine vergleichende Zusammenstellung zu machen. Sie sieht folgendermaßen aus: Windrichtung: N. NO. Ö. So. S. SW... WEPZENIWE Beobachtungen: 315 183 206 157 270 447 361 205 Wir sehen, dass jedem Wind eine erhebliche Anzahl von Be- obachtungen zufallen. Die Reihe in der Häufigkeit ist SW., W., N., S., O©., NW., NO., SO. und wird wohl ungefähr den Verhältnis- zahlen entsprechen, die überhaupt den einzelnen Windrichtungen zufallen. Eine Vergleichung in dieser Hinsicht ist nicht gut möglich, da ın Elsaß-Lothringen wie im Mittelland der Schweiz die Winde nach Zeit und Ort außerordentlichem Wechsel unterworfen sind. Zwischenhinein die Bemerkung, dass in der Schweiz auch der Föhn auf den Vogelzug keinen nachweisbaren Einfluss ausübt (Bretscher, Der Föhn und der Vogelzug im schweizerischen Mittelland. Ornithol. Monatsschr. XL, S. 306—310). Dass aber auch bei heftigem Wind, sogar bei Sturm, der Vogelzug nicht notwendig unterbrochen wird, dafür liefern die Be- obachtungen aus Elsaß-Lothringen eine große Zahl von Belegen und nicht nur für eine, sondern für alle beobachteten Arten der Wanderer. Sie einzeln anzuführen, hat keinen Zweck; einzelne Beispiele mögen genügen. Mehr als 5mal ist starker Wind ange- geben bei der Rauchschwalbe und dem Storch, mehr als 10mal bei der Mehlschwalbe, weißen Bachstelze und der Feldlerche. Alle sind auch bei Sturm auf dem Zug ein- oder mehrmals gesehen worden. Es ist schade, dass die Windstärken nicht genauer bestimmt wurden, was ja allerdings bei den Ornithologen noch nicht üblich ist. Nach der Beaufort’schen Skala ließen sich diese mit Hilfe der Bewegung von Blättern und Zweigen leicht wenigstens an- nähernd in absoluten Werten angeben und würden dann sich viel genauer vergleichen lassen, als es so möglich ist. Bei Regen und Schnee hat Zug nicht selten stattgefunden; sogar bei Nebel ist er wiederholt ausdrücklich festgestellt; also bilden derartige, sicher ungünstige Bedingungen für ihn ebenfalls kein unbedingtes Hindernis. 4. Der Vogelzug und die Temperaturverhältnisse. Wie für die Schweiz, so habe ich auch hier die Tempera- turen der Zugstage zusammengestellt und zwar einerseits die von morgens 7!, um wenigstens annähernd die niedrigsten Wärme- grade zu erhalten, die ın die Zugszeit fallen; anderseits die Mittel- temperaturen, um die Ansprüche der Vögel auch in dieser Be- Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 309 ziehung festzustellen. Hierbei wurden die Angaben von Straßburg und Rothan zugrunde gelegt und zu jenem Orte alle Beobachtungs- stationen bis 250 m ü. M., zu diesem alle übrigen genommen. Da nun die meisten in jeder Gruppe höher liegen als Straßburg oder Rothan, die Temperaturen tatsächlich also etwas niedriger sind als die hier verzeichneten, so wurde durch Weglassung aller Bruchteile von Graden die Annäherung an die Wirklichkeit zu erreichen ge- sucht. Rothan schien mir deshalb am geeignetsten, weil seine Tem- peraturen etwas tiefer liegen als andere von gleicher Höhenlage. Temperaturen der Zugstage morgens 7". Elsaß-Lothringen. = SRETUN : i . ; 2 > 28 © SO El Fa le] SC iin Me Bar Me ir ÄSäs |s DJ ke ESIDS Sue RES SESI ES Sir SI -35|52 2 IS. SS. ale sasa8Ssesas 8 585 S 5 SES 8885 2 SS 8885 Ber us: 5° 3 S5.385383 38285588 8585558 38 | .ScH BIeS Ss 2535865, 5 8858” ass sas5seslasistciese Easaserzsesgsasäses Sosesmsiasls,5slsete® mei seseses 3, S|ı S| 32) Sas Sese © e |s SileikSi @ES ES Zen Ss As Selle —15 1 | 1 = | —13 e =19 —: 1 =] 1051 Zul ale =10 | 1 T u et e9 | 1| a ae I sa ar e; | Darst es 3 FRE —7 2 31.6205 5 |.A\ I EL 2 A u 2 um-30789 Sale et — 3 1:38 45 je I 2 a 1 ea a ee = le —3 2 3 6110| 9 Fer 6| =D 50530 —, = 8 1226204 15° 10 | 6 172557 92163 ei 1 Er 220 8 14 | 13 | 13 6 7 si non 58 er 2| 4 2 En ER 2,610, 18 142 11572 7 13010702 Era 2178| ala) tal) Al 9| | 10 |89 za, 2, 5/10|6| 3/10) 8)10I1—-—| 9 | 5| 2116| 3| 359 Zee 1a) Small LT) 5 9 65 7 Al 12) 8135| 5127 |15| 6) 2) 16 | 10| 2120| | 7)Aa0 0752122 10er 22 | 911015 | | 5A es 5 2 5 55er 5 | 9 1ajıı) TI 528 nun 85ite lloltal lol 5lauaiia)| 12) #120 as 655 5 lo ale 2 | 9| 613 Ernesto rs | allg] 3-12 ZZ zazzeısiı zer ıynzakılın) ı| 121 | 9 a At eaeeee a elzia ml 1r) 2 | 2 21 4 i2| 1 el °2- 1 1 19.0 le 10.7 ir 60,1 en Br ı1ı/-|ı|)ı]Jı | | 6 | 3 | — | 14 13 | 7 | 9 le | +15 — | 2 | 2 Ir I— | +16 1 m A I) IE 1) +17 = 1 02 al | +18 zen | | | | 119 = | +20 j! | | | 310 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. Für die Berechnung der Morgentemperaturen kamen nun bloß die Zugstage der Jahre 1890 —97 in Betracht, weil ich die meteoro- logische Landesanstalt nicht zu sehr bemühen wollte, die mir in sehr verdankenswerter Weise die fehlenden Angaben von Rothan für diese Zeit und die mittleren Tagestemperaturen von Straßburg für 1885—89 mitteilte und sich dadurch eine nicht unbedeutende Arbeit auflud. Nur solche Arten sind aufgeführt, die mindestens 50 Beobach- tungen aufweisen. Es zeigt sich nämlich, dass die Wärmelisten jeder Art bei einer gewissen Morgen- oder mittleren Tagestempe- ratur die höchste Zahl erreichen und von dieser aus nach unten und oben allmählich kleiner werden. So ordnen sie sich in eine Galton’sche Kurve ein, die um so deutlicher wird, deren Gipfel- Mitteltemperaturen der Zugstage. Elsaß-Lothringen. | | | 8 on li | al=|2e.| |s 2|28|3 = 8 Grade | |= 8 ses2 25 22 2: 525 83855 =. Bee see elaı a | 2 |.) 219 Se o|E le a8 ad EICH Zuzlals ca E an =, FF | * aa ale] Slalelsl le u | | | | | 0 | | I 1 og) || | | | 11— a! —8 | I" &| | ul ih ei Kal ja ra | ME 3 56 | Alan Bars Be 2 —5 | 21 2 76161] 5, 6| 3] 2172| 316 N | 5| 2.110, 234 1 ou 7: 61 81 01@ —; 100 222210 218748 9| 3| 5| z| 6|46 2 = BL wa ma | lan | 6] 3) 4124 — 1 1 6 Staa zZ 2 16 | 2122] 1811028 0| 1 3 12 92214127 712823217 12300 6| 8|17 33 Er | 2 es 2 8| 4|13| 50 2|—| 3) ı| a | 2 24] 129)25|5) 124/161 — 20| 6,11| 80 Ba A 7 6. | 7012511 2:120116:20| a Sagt 15| 5 13| 81 4 | 213.) 4,127 |7:2|21| 1288| 1724| 1222974 | 1220) DO sea BEI I Erde ut; 8 128 5leo|ıs 12 — |23|18| 3| 1 33/1110) & +6 | 2|27| 9| 21 | 23 [25 12|24/21|16| 2|20|22| 6|3 |18| 7 12 © 7 | 2|31| 6| 31 | ı7 [21] z|s1)22|17| 4 2919| 8| 2 |31| 8|18| 5 +8 | 8/45|10| 27 | 24 116| 15 126| 10° 4|10)23 13) 9) 2129| 376720 79 | 5125|41|17 16 | Al 11) 7| 9| 41418) 5| 8226| 219122 9, 2181240 15: [1427215 11 3) A| 1412| 7109,23. ,16 Size EM | 226102129 1.20: 7717| 3] 5 2113| 7) 0932 75 23 9 232919 el zu 2 28 3.3 223 || 812 610er 162 Ver 14,1 9119| 5| 8 10 1,2118) — | .1| 1|31| 3.) 11.120 22er +15 |10|19| 9) 9 ı8 |—-|14| ı 14 | — |%22| 7.1 An) 16, 222 et | ee ee 5l ıl 110|7|— 9 a |. Bi A 8 1 10 En Een +18 |—| 2|— —| 1| 12) Bl a 12 5 | a ee 3| 1 420 | ı | 2| ıla | | | | Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 311 punkt um so auffallender hervortritt, je größer die Zahl der ver- wendeten Angaben ist. Offenbar stellt der Wärmegrad, auf den die höchste Zahl von Zugsangaben entfällt, die für den Zug gün- stigste Wärmelage dar. Von den zwei vorhergehenden Tabellen (S. 309 u. 310) enthält nun die erste die Zusammenstellung der Wärmegrade an den Zugstagen morgens um 7%, die andere gibt deren mittlere Tagestemperaturen an. Die Wachtel hat vor 1890 keine Morgentemperaturen für Rothan und findet sich darum nur auf der zweiten Liste. Die Höchstzahl liegt nicht überall in der ungefähren Mitte jeder Reihe, wie wohl zu erwarten wäre. Auch sind die Unter- schiede in den Optima jeder Art ın den beiden Tabellen nicht überall gleich; ja, diese lassen ganz erhebliche Schwankungen er- kennen. Also wird den einzelnen Arten noch besonders nachzu- gehen sein an der Hand der folgenden Tabelle, ın der die Haupt- zahlen aus den Tafeln über die Wärmeansprüche besonders, und zwar aus Elsaß-Lothringen und der Schweiz vergleichend neben- einander gestellt sind. Tabelle über die Wärmeoptima. r Schweizerisches Elsaß-Lothringen need | Mittlere ittler ozeenterop: Tassstemp- onen: | es Grade Grade Grade | Grade Wendehals . 6 159 — — Kuckuck . Be RR N 8—9 9_—_7 | hl Biedehopf. 4... u. 6 ) | — In lass Rauchschwalbe . . . . 5 7—8 4 [6 Mehlschwalbe . 6 8—10 | 2 11 Singdrossel . BE 1 5 | 1 | 4 Bachtieall . . 210.10. 2] 52 3-11, 1, 8 ll Bachstelzern:. so... 14. .. 41 Zi | 0) Na! Bieldierchee rar er ae) 2 | 1 a) Sieg 1 OS Do per 1 | 2 | — | 0 — Koldamselo ud... 6% 9 | 10-2 | = | = Ringeltaube . en. 4—1 7—5 — — Eiohltaube . . 2... 1 4 — = Turteltaube . BAER EN. g 12 | — I Wachtel 0.9 £ ul. — I AR | = | — Mäldschnepfe . . .. . . 4 5 — — En a se A 5 — — Storch { | 02 DA _ — Nehmen wir die Tabelle über die Morgentemperaturen vor, so erscheint 5° bei der Höchstzahl 30 für den Kuckuck etwas niedrig; 6, sogar 7° würde eher dem Mittel der Reihe entsprechen; darum sei diese Zahl dort noch eingesetzt. Bei der Nachtigall liegt ebenso die Höchstzahl tief; die mittlere Temperatur darf füglich um 1—2° 342 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. höher gerückt werden, wenn sie wirklich den mittleren Platz in der Reihe einnehmen soll. Dagegen sind 4° bei der Bachstelze entschieden zu hoch; 1° entspricht den Verhältnissen gewiss besser; ferner 0° bei der Feldlerche. Bei der Ringeltaube darf das Mittel füglich bei 1° angenommen werden; beim Kibitz und Storch dürfte mit 2° das Richtige getroffen sein. Wenn wir in gleicher Weise in der entsprechenden Tabelle über die Wärmeverhältnisse im schweizerischen Mittelland Ände- rungen anbringen, so müssen wir beim Kuckuck 7° (12 Beobach- tungen) statt 9° (13 Beob.) einsetzen; jene Zahl bezeichnet die Mitte der Reihe besser. | In ähnlicher Weise vorgehend, dürfen wir in der Tabelle über die mittleren Tagestemperaturen beim Wendehals 9° statt 15° — was entschieden falsch wäre —, bei der Rauchschwalbe 8° statt 7°, bei der Nachtigall 11° statt 13°, bei der Bachstelze 4° statt 7°, bei der Goldamsel 12° statt 10° bei der Ringeltaube 5° statt 7° und beim Storch 4° statt 7° als das zutreffendere einsetzen. In der Tabelle aus der Schweiz wäre nur bei der Nachtigall 11° statt deren 13° anzunehmen. Dieses Vorgehen ist sicher angezeigt, da die den einzelnen Temperaturen zufallenden Zahlen sicher mehr Sache des Zufalls als die Mitte ihrer Reihe; übrigens weichen beide Punkte nur wenig voneinander ab; jedenfalls nicht mehr als von vornherein zu er- warten war. Die Höchstzahlen der Tabellen über die Morgen- und die mitt- leren Tagestemperaturen ergeben nun bei derselben Art Unter- schiede von 1° (Star, Waldschnepfe), 2° (Kuckuck, Lerche, Storch), 3° (Wendehals, Rauchschwalbe, Wiedehopf, Bachstelze, Goldamsel, Hohl-, Turteltaube, Kibitz), bis 4° (Mehlschwalbe, Singdrossel, Nachti- gall, Ringeltaube). Sie entsprechen den Unterschieden in den Monatsmitteln der Morgen- und den mittleren Monatstemperaturen, die von 2—6° gehen, wie ich aus den Tabellen über Straßburg aus den Jahren 1890—95 entnommen. 1° ist dabei nicht vorgekommen. Die obigen Zahlen beweisen, dass der Zufall eine ziemlich große Rolle spielt und Abweichungen von den meteorologischen Tabellen bedingt. Von besonderem Interesse ist nun die Vergleichung der Optima der Schweiz mit denen von Elsaß-Lothringen. Leider kann sie sich nur über 7 Arten erstrecken, von denen die Feldlerche für die Schweiz hier neu hinzukommt und auf den hiesigen Tabellen figuriert, da die Angaben über sie erst im letzten Jahr in der Lieferung XI des „Kataloges der schweizerischen Vögel“ erschienen sind. Die Übereinstimmung in den Ergebnissen aus beiden Ländern ist zu auffällig, als dass sie nicht noch besonders hervorgehoben werden dürfte. Für die Morgentemperaturen haben wir in beiden Ländern Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 313 0° Unterschied beim Kuckuck und der Singdrossel, 1° bei der Rauchschwalbe, Mehlschwalbe, Nachtigall, Bachstelze und Lerche. Die Mitteltemperaturen zeigen 0° Unterschied bei der Rauchschwalbe, Nachtigall und Bachstelze; 1° bei der Mehlschwalbe, Singdrossel und Lerche, 2° beim Kuckuck. Von den 14 Vergleichszahlen laufen 13 auf O0 und 1° Differenz, 1 auf 2°. Mithin besteht eine ın beiden Ergebnissen völlige oder sehr gute Übereinstimmung. Das recht- fertigt doch sicher den Schluss, dass die Vögel mit den Linien gleicher mittlerer Tagestemperaturen — oder wenn man will, auch gleicher Morgentemperaturen — ziehen. Nachdem das an zwei Gebieten unabhängig voneinander sich ergeben hat, wäre es wertvoll, wenn die Frage an weiteren Arten und von anderen Ländern nachgeprüft und verfolgt werden könnte. In dem weiteren Studium des so gewonnenen Ausblickes ergäbe sich vielleicht ein Mittel, die geographische Verbreitung der einzelnen Arten der Vögel unserem Verständnis näher zu bringen. — Selbstverständlich geht es nicht an, die Wärmelinien, mit denen die Vögel auf ihrem Zug vorrücken (oder vorzurücken scheinen), als Isothermen zu be- zeichnen, da dieser Begriff sich auf mittlere Jahres-, und wohl auch Monats-, nicht aber auf mittlere Tagestemperaturen bezieht. Wenn und soweit die obige und wie mir scheint, nicht un- wichtige Schlussfolgerung richtig ist, so hätten wir weiter zu folgern, dass der Vogel auf seinem Zug auf eine Zeit eingestellt ist, in der die ihm zusagende mittlere Tagestemperatur wahrscheinlich eintritt. Zu frühes Eintreffen kann, wie vielfach beobachtet, den Wanderern verhängnisvoll werden; zu spätes die Zeit der Aufzucht der Nach- kommenschaft zu sehr abkürzen. Die Erstlinge und die Verspäteten werden durch die natürliche Auslese zum Teil wenigstens ausge- schaltet. So erklärt sich das jährliche, instinktmäßige Eintreffen zu ungefähr gleicher Zeit. Indem jedes Jahr ausnahmsweise frühes wie spätes Einrücken vorkommt, die ganze Frühlingswanderung sich überhaupt bei jeder Art über einen längeren Zeitraum erstreckt, ist jeder Art Gelegenheit geboten, mit Hilfe der Vererbung und der Selektion den allfälligen Änderungen im klimatischen Charakter eines Landes sich anzupassen; um so mehr, als diese auch nur langsam erfolgen; ebenso wird ihnen dadurch aber auch ermöglicht, in neuen Gebieten sich anzusiedeln. Über den Zusammenhang zwischen dem ersten Eintreffen der Zugvögel und den Temperaturverhältnissen gibt wiederum eine Übersicht Aufschluss, in der je das früheste und späteste Eintreffen der einzelnen Arten in den Jahren 1890 — 97 eingetragen ist. Aus diesen beiden Zahlen ist darunter das Mittel eingesetzt und zu unterst endlich die mittlere Temperatur des Zugs- monates, oder der in Frage kommenden Monate verzeichnet. Sie wurde den Angaben über Rothan entnommen, weil dieser Ort eine 344 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. or 08 'Gaz or or ol ol ol 606 6 76 6 GG (Ba GE 8'G 9 @ 5 'G 6 16 e He—I a Be | Re || RE ensz —zun E18 2 8E FE 7268| 80626 ST * 92[94sydeg 08 09 06 oOL oOL ol 06 oOL vl r 06 rm 7 °'9T 7 61 vr '2l 776 7 "86 r Ice ori | 12 le | li lt Cr er) nee eu Rz jedgypeN 0oG 06 06 od 09 ol ol ol 6% 6 6 Bl! G "86 & GT E°ı Ga 6 86 9 RL | Re ” or a ir Cal GL ee ae er || 3 Re Ol | ar ea j9ssoapsu1g 06 06 oOL 06 oOL oV 09 ol 7 "66 r '6L rvı v8 7'8 8 r'G r' y'G ve 7'6 v TI 7 °'0OT ze 6 ir do a We (Gene 7 TIERE | He HF. 97 T2 808 | FUTTTS| °segopuo A n Deal 26 96 °6 #6 &6 26 16 06 Say ıngeaodwo], aıp pun SuniıopurMmulmg 94819 Old 3ld Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel]. & Gl 8 & 61 ,' Bachstelzer ! .. >... Terme Er AD 208% DD INeldlerchea an... ee ae AB, 215% al Starr An, EEE SE FE A3e, Dan Due Goldamsel'.. 2 a A EIER En 185% A Bingeltaubes. 2. m 507, 195, 35 „ Hohltaube./." RR ee Er 3 21%, 36.5, Turteltaube ." SE a er ien. BI 45 ,, 187, Tun Wiachtele: vn. Be tee AB 7a 26, Wealdschnepfens sr wesen 387, 28 „ 34, Kibitz.” . 2 TOR SHE RN. SR wEe WOR 16 „, BAR Storek 1. BER ee EEE HTARN, 14, 427% Straßburg März und April 1890-1900 | 47% pa 5% liegt hier kein genügendes Vergleichsmaterial vor. In der Schweiz sind 6%, der Zugstage wärmer als die Vortage, entsprechend der täglichen Wärmesteigerung in den Monaten März und April. Über diesen Betrag hinaus, der im Elsaß (Straßburg) 10 %, aus- macht, gehen zum Teil recht erheblich der Wendehals, der Wiede- hopf, die Rauchschwalbe, die Singdrossel, die Nachtigall, die Feld- lerche, die Ringeltaube, die Wachtel, der Kibitz, also die Hälfte der in Vergleich gesetzten Arten. Die obenerwähnte Schlussfolge- rung trifit also auch für dieses Gebiet zu. Das Schweizer Material zeigte schon große Unterschiede bei nur 1° höherer Wärme des Zugstages gegenüber dem Vortag und schien so auf eine große Wärmeempfindlichkeit der Vögel hinzu- deuten. Dieses Verhältnis ist aus den Elsässer Beobachtungen nicht herauszulesen. Es kann also hier nur gesagt werden, dass die Tem- peratur des Zugstages weit mehr die Zu- und Fortwanderung be- stimmt als die des vorangehenden Tages; die andere Frage ist im Auge zu behalten. Die Vergleichung der beiden Verhältnisse be- weist, wie eine Frage, die am einen Ort scheinbar eindeutig und fertig gelöst vorkommen möchte, denn doch immer noch weiterer Belege und Nachforschung bedarf, um endgültig erledigt zu sein. Das Hauptergebnis hat durch dieses neue Material immerhin eine nicht unwichtige Bestätigung erfahren, wenn auch noch weitere Prüfung aus anderen Gebieten sicher angezeigt ist. Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 319 5. Die erste Ankunft der Zugvögel und die Höhenlage. Die Elsässer Beobachtungen gaben auch Gelegenheit, dem Ein- fluss der Höhenlage auf die erste Ankunft der Zugvögel nachzugehen. Er geht deutlich aus folgender Zusammenstellung hervor, in der die in Frage kommenden Orte in 3 Gruppen ge- ordnet sind. Die erste geht von 120—180, die zweite von etwa 220-250 mü.M., die letzte umfasst alle höher gelegenen Stationen, also von 303—671 m. Bei einigen Arten mussten die beiden ersten Gruppen vereinigt werden, weil die eine oder andere einzeln ge- nommen zu wenig Beobachtungen hatte. Dies ıst durch die Stel- lung der zugehörigen Zahlen zwischen den ersten beiden Reihen angedeutet. Die Daten sind aus den Zugsangaben als Mittelzahlen herausgerechnet und zwar so, dass nur die Orte in Betracht ge- zogen werden, die aus mindestens 5 — nur ausnahmsweise 4 — Jahren Beobachtungen aufwiesen; dadurch sollte der Zufall nach Möglich- keit ausgeschaltet werden. Die klein gedruckte Zahl neben jedem Datum gibt die Zahl der Angaben an, die jedem dieser Zugsmittel zugrunde gelegt werden konnten. Die hinterste Kolonne endlich verzeichnet, welche Verspätung im ersten Eintreffen durch 100 m größerer Erhebung ü. M. verursacht wird. | & - n Verspätung Art | 120—180 m | 220—250 m 303—671 m Auf 00 R: | | Turteltaube . . . 21.4 22.4 » _ | 1 Tag Nachtigall... . =. 19. 4 sı 20. 4 63 — er Kirekuck )%...4j5,% 8.4 % 9.4 13 15.4 a2 1-2 ,„ Mehlschwalbe . . 12.4» | 14.4 23 19.4 34 Den Bachstelze . Sr 6.3 181 14.3 56 2—3 ,„ Wiedehopf. . . . 184 ns A208 18 —_ 128,105 Rauchschwalbe . . D.4 6 7.4 36 16.4 ı4 | Bu, Wendehals. . .„ . 7.4 20.4 » | A: BEABENU 15.2738 || 21.2 28.2 9 ie Singdrosel . . . 28.2 4s 192348 4—5 ,,„ Waldschnepfe . . 12.3220 70,221. 30 78 27.3 2 4—5 ,„ Feldlerche . . . . 28.2 10 26.3.5 6—7 ,„ Hiohltaube:. . .: 28.2 es — 22.3 24 LAS; Ringeltaube . . . 17.2 ı5 24.2 08 20.3 37 10% Goldamsel . . . . 23.4 2 2.5 sı _ 1022, Waehtel . . . . 4.5 20 1l3..5°3 — 10) 23% Storch arr.. 1.00%. 2.3 30 24.2 8 — KARL Die Prüfung der Tabelle legt sofort nahe, dass schon der ge- ringe Höhenunterschied zwischen der ersten und zweiten Kolonne eine deutliche Verspätung ım Eintreffen nach sich zieht. Entsprechend der größeren Differenz in den Höhen der 2. und 3. Reihe ist auch die mittlere Ankunft der letzteren zurückgeschoben; der Unter- schied beträgt hier 5—24 Tage. Weiter zeigt die Tabelle, dass die später eintreffenden Arten rascher ın die Höhe steigen als die früh 320 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel, einrückenden; als Ausnahmen hiervon erscheinen die Goldamsel und die Wachtel, welche beiden Arten überhaupt sich an niedrige Lagen halten. Im Gegensatz zu diesen beiden besiedeln die Turteltaube und die Nachtigall ihr ganzes Wohngebiet zu gleicher Zeit. Die größere Wärmeempfindlichkeit der Pırols und der Wachtel drückt sich auch darin aus, dass sie für den Zug die höchste Mitteltempe- ratur verlangen und ihre mittleren ersten Ankunftsdaten die spätesten sind: jener hat den 28.4, diese den 8.5 (der geringen Zahl von sie betreffenden Angaben wegen ist sie nicht auf allen Tabellen aufge- führt). Der Storch zeigt hier in höheren Lagen eher früheres Ein- treffen; er fügt sich nicht in die Ordnung der anderen Zugvögel ein. Die gefundenen Zahlen sind wohl darauf zurückzuführen, dass er schon längere Zeit vor der eigentlichen Ansiedelung gewöhnlich da und dort eintrifft, weil er durch vorzeitige Ankunft oft zu einem Wanderleben gezwungen ist, um seine Nahrung zu finden. Gewiss ist die Liste und namentlich das verschieden rasche Vorrücken in höher gelegene Gegenden nicht ohne Interesse und es wäre wert- voll, es mit dem Verhalten an anderen Orten vergleichen zu können. — Die Zahl der den einzelnen Daten als Grundlage dienenden Angaben ist meist so beträchtlich, dass die gefundenen Zeitpunkte als zuverlässig bezeichnet werden können. Jedenfalls lehrt die Ta- belle, dass größere Höhe eine spätere Ankunft bedingt und die einzelnen Arten nicht gleich rasch sich höher gelegenen Orten zu- wenden. Zum erstenmal sei hier der Versuch gemacht, die Zugsangaben der Schweiz in gleicher Weise und nach derselben Rücksicht zu untersuchen. Auch hier sollen hauptsächlich die Beobachtungs- stationen in erster Linie Berücksichtigung finden, die über min- destens 5 Jahre Angaben aufweisen, andere nur ausnahmsweise. Letzteres muss nun leider ganz besonders für die Alpengebiete und die höheren Juralagen zutreffen. Es wäre nämlich offenbar un- richtig, wenn für das ganze Gebiet der Schweiz die Höhenstufen für den Vogelzug durchgängig angenommen würden. Die topo- graphische Gliederung: Jura im Westen, Mittelland, endlich Alpen im Osten, verlangt entschieden, dass jedes Gebiet so weit als mög- lich für sich dargestellt werde. Nach der Tabelle haben im Jura wie in den Alpen mit größerer Höhe eine spätere Ankunft der Kuckuck, die Rauchschwalbe, der Hausrötel, der Steinschmätzer, die Bachstelze und die Feldlerche. Unregelmäßigkeiten in dieser Beziehung, d. h. teilweise frühere Ankunft ın höheren Lagen sehen wir bei dem Mauersegler, dem Rotkehlchen, dem Gartenrötel, dem Wiesenschmätzer, dem Schwarzkopf, der Gebirgsstelze.. Aber auch da tritt die Tendenz der Verspätung mit größerer Höhe wie da, wo die Angaben un- vollständig sind, deutlich hervor. Am abweichendsten zeigt sich Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 321 Vogelzug und Höhenlage in der Schweiz. BE Verspätung | Jura u De auf 100 m bis 480 bis über 375 bis bis 600 bis über A | ‘480 m | ©00 m | 900 m | 550 m | 600m | 1000 m | 1000 m |Schweiz| Elsaß | | | | Berckuckt 2 za 19) —: ) 14,4 | 18,400 270.4 | 123.47) 125) 12 Binserseplenit 3.7023.43|07 525: |.:8:5.128:8 04:52 2224 | 74:51 1052, 10 BRauchschwalbe . | 11.4| — | 15.4| 2.4| 3.4| 94|18.4| 2 | 3 Mehlschwalbe N a Singdrossel . . | 28.2 | 12.3 | 15.3 1.3 — 27.3| — 4 | 4-5 Erotkehlchen, 2.2 alas 12230211. 3: | 10.3.1: 182321730232 242 42,45: een > Blaukehlchen . | 28.3 = - AA 2753 — 205 24 N Gartenrötel . . A Hr BO AR | 13.:4: 1798.42 114047169624 EN Eensrotel ge 08232 1 21842 4158451205341 31.8:-| Hd) Zara Sar— Wiesenschmätzer, | | | braunkehliger. | 25.4 | 30.4 | 7.5 | 20.4128.4125.4|194| 1. | — Steinschmätzer, | | | erauer - . .ı|| —. .16.42|722,4,|16.4 |, 7.4.) — | 27.4 2 _ Schwarzkopf . . | 30.3 | 14.4 | 6.4 | 28.3 | 18.4 ,184|17.4| ? — Gartengrasmücke | a a ee 5 2 se 7 — Dorngrasmücke.. | 21.4 | 23.4| — 21.4 25.4 | 2.4 — ? — Zaungrasmücke. | 19.4 | 11.4 |. — | 1.4 — | — | — ? — Fitislaubvogel | 5.4 — - 1.4 4.4 — ? E= Weidenlaubvogel | 17.3| — 1, 3 203 2 | ? - Bachstelze, weiße | 9.3 | 11.3 22.43, 02.23, 21093,116.23 | 2623 2 2—3 erbimesstelze. .. 020.2. 1493 17) — | 1323 124,3 | . 2.3 | 15.4 23202 Feldlerche. | a ee a ee der Schwarzkopf, der am frühesten im Mittelland, nachher im Jura und am spätesten in den Alpen und zwar hier überall fast gleichzeitig einzurücken scheint. Im Jura sind entschieden früher als in den Alpen das Rotkehlchen, der Schwarzkopf, der Weiden- laubsänger, während alle anderen so ziemlich überall zur gleichen Zeit ihren Einzug halten. Doch verlohnt es sich nicht, den Zahlen weitere Ergebnisse zu entnehmen, da sie zum Teil mehrfach nur auf vereinzelte Beobachtungen sich stützen, also mehr zufälliger Natur sind. Man sieht nur, dass weitere Beobachtungen wohl ge- eignet sein könnten, die Frage der befriedigenden Klärung zu nähern. In der hintersten Kolonne ist die ungefähre Verspätung ım Eintreffen für je 100 m größerer Höhe eingesetzt, einerseits für die Schweiz, anderseits für Elsaß-Lothringen. Beider Zahlen sind selbst- verständlich völlig unabhängig voneinander gewonnen worden; um so auffallender ist die große Übereinstimmung beider überhaupt und bei den Arten, die die Vergleichung gestatten. Auch hier ist deut- lich erkennbar, wie die am frühesten eintreffenden Arten am lang- samsten in die Höhe steigen, die späteren dies aber rascher tun. Offenbar spielen dabei die Wärmeverhältnisse die entscheidende Rolle, da von ihnen die Bedingungen der Ernährung in erster Linie abhängen. Ferner fällt auf, wie die Arten im Anstieg an XXXVI. 2] 392 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. beiden Orten sich gleich verhalten und er sogar hier und dort die gleiche Zeit erfordert, um gleich hoch zu gehen. Auch da wäre es sehr wünschenswert, wenn die Frage an weiterem und umfang- reicherem Material geprüft werden könnte. 6. Die Zugsrichtungen. Eine weitere wichtige Frage, die sich an Hand des Materials aus dem Elsaß beantworten lässt, ist die nach der Richtung des Frühlingszuges. Über diesen liegen nämlich über 700 Angaben vor, also etwa 20%, aller Beobachtungen überhaupt. Auch hier ist es am einfachsten, sich mittelst einer übersichtlichen Darstellung einen Einblick in die Verhältnisse zu verschaffen. Die hierfür be- stimmte Tabelle enthält die betreffenden Angaben für jede Vogel- - art, so dass aus ihr ersichtlich ist, welche Zugsrichtungen hauptsäch- lich inne gehalten wurden. Die Zugsrichtungen. | | m. |so.| o. |so | & |sw. | w. INw. l | | | FERR Wendehals.. .’. 2. 3 Kr - — Kuckuck. 02 Ne 6 Be a ur -- — — 2 1 Wirdehopf 22 ..2 ze 5 102 I il — —_ — — Rauchschwalbe . . . |ı 15 2. 116 3 2 5 2 Mehlschwalbe. . . . || 18 ) 15 2 2 2 5 2 Singdrosselm re, ana. Zu 5 2 — |), = 3 — Nachtisall . . . . . ee ee a en Bachstezes 2 2 2 ae We el) — 2 > 5 Feldlerche . . . . . 24 020 re a 1 1 Starr Br 1. 365 al al 1 — 11 2 Ringeltaube . ... 20 22 23 1 a Ya 15 3 Hohltaube . . . .. usa 1| — 3 3 ) — Nuneltaube re | > 3 1 1 Waldsehnepfe.: 2... 17 4 ad 21 2 5 ala LO 6 Storch ......|j 32 | 7 | 2 2 Zt 2 1 Durchschnitt auf die | 2»: |ı0 | | no | slo|le|n Richtung. 2, 185 3 Verhältniszahlen (ohne Nuckzüge), A... 27% 50% 20% Fassen wir zunächst die Gesamtzahlen ins Auge, so fällt so- gleich auf, dass 3 Richtungen ganz besonders überwiegen: die nörd- liche, nordöstliche und östliche. Von den rund 720 Beobachtungen entfallen auf diese 555, der Rest auf die übrigen 5 Richtungen. Der Durchschnitt für jene 3 beträgt 185, für diese 5=33. Da ın den letzteren auch die später zu erwähnenden Rückzüge enthalten sind, ıst das Verhältnis im ganzen genommen und die eigentliche Zugsrichtung betreffend noch etwas günstiger, nämlich 80% und 20%. Denn gegen die Auffassung der 80% als 3 Hauptrichtungen Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 325 des Frühlingszuges wird sich wohl kein stichhaltiger Grund an- führen lassen, während die Richtungen von SO. bis NW. dann folgerichtig als zufälliger Natur, Nahrungssuche und kleinere Orts- veränderungen, zu gelten haben. Daraus geht hervor, dass es ganz wohl möglich ist, die Zugsrichtung durch unmittelbare Beobachtung festzustellen. Interessant ist ferner zu verfolgen, wie jede Art für sich dem Verhalten im ganzen entspricht: fast durchweg ein leichtes Über- wiegen der N.-Richtung gegenüber der östlichen, während die nord- östliche im Vergleich zu beiden zurücktritt. Bei den übrigen Rich- tungen sind die Zahlen zu klein, als dass sie irgendwelche Schlüsse gestatteten. Beim Star u. a. handelt es sich in den Zahlen unter S. und W. auch um mehrere Rückzüge. Man kann also sagen, dass offenbar der Frühjahrszug der Vögel, so weit es seine Richtung betrifft, eine recht einheitliche Erscheinung ist. Nun können diese Verhältnisse auch noch in geographischer Hinsicht verglichen werden. Da sich östlich vom Wasgenwald die Rheinebene, westlich die Senke der Mosel erstreckt, so zerfällt Elsaß-Lothringen naturgemäß in 3 Gebiete, für welche die Zu- sammenstellung der Angaben über die Zugsrichtungen folgendes übersichtliche Bild ergibt. 11 | | N. |N0.| 0. |so.| 8. |sw.| w. |NwW Ber | | | Rheinebene. . 2... 1 196 | 95 Isle 2 e|lao|ıa Hohenzug ... . . . 19 az 2 3 Ben Be 2232 0256 Moselniederung . . . 10 | 21 | 14 1 | = | 5 | 1 Die Vergleichung der Zahlen in dieser kleinen Tabelle führt zu wertvollen Hinweisen über die Zugsrichtung im Gebiete von Elsaß-Lothringen. In der Rheinebene fällt das starke Auftreten der O.-Richtung auf; sie herrscht auch auf dem Höhenzug vor, im Moselgebiet dagegen die nordöstliche. Aus ersterem Verhalten können wir schließen, dass der Schwarzwald vom Rhein her einen bedeutenden Zuzug erhält, während die übrigen Vögel in der Haupt- sache nach N. und NO. wandern. Der Wasgenwald Würfte ın gleicher Weise von der Mosel her in östlicher Richtung (41 ©.) sehr oft überflogen werden, aber wie die Zahl 40 W. beweist, auch vom Rheingebiet her, also in gerade entgegengesetzter Richtung. Offen- bar geht der Zug dann in gleichem Sinne weiter — 23 W. — dem Moseltale zu. Dieser Zug nach W. übertrifft in der Höhe sogar den nach N. und NO. Geringer ist hier die Zahl derer, die von SW. kommen (14 NO.); sie reisen aus dem Moselgebiet (21 NO.) weiter. Wir haben demnach in den Höhenlagen nicht nur ent- 21* 324 DBretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. gegengesetzte, sondern auch sich kreuzende Zugsrichtungen, da die nordwestliche hier und vom Rhein noch mit ansehnlichen Zahlen vertreten ist (16 und 6), während ın der Moselniederung dieser Zug nicht fortgesetzt wird (1). Endlich hat die Höhe einen solchen, der seinem Rücken entlang sich zieht, was bei der geringen Er- hebung wohl verständlich ist. Diese Verhältnisse sollen durch nebenstehende Skizze veranschaulicht werden, die zeigt, wie im Kiel. 4! 7/37 /3 6 Moselgebiet Höhe Rheintal Richtungen des Vogelzuges in Elsaß-Lothringen (die beiden Hauptrichtungen jedes Gebietes kräftiger gehalten). Rheingebiet, das überhaupt als Zugstraße die größte Rolle zu spielen scheint, der Strom der einwandernden Vögel in der Hauptsache nach N. weiter geht, während die kleinere Zahl nach O. und eine noch kleinere nach NO. abschwenkt. Geringer ıst das Abfluten nach W. und NW. — In der Höhe haben wir außer der östlichen die westliche Richtung am stärksten vertreten; schwächer ist die nach N. und unbedeutend der Zug nach NO. und NW. Der Zug nach W. und ©. spielt hier die Hauptrolle. — Im Moselgebiet überwiegt die NO.-Richtung gegenüber der östlichen; also haben wir hier wieder hauptsächlich Zug von SW. und W. her. Die N.-Richtung fällt gegenüber der westlichen stark ins Gewicht. — Die übrigen Richtungen können hier füglich unberücksichtigt bleiben. Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 325 Die Skizze sagt weiter, dass das ganze Gebiet als Zugstraße in jeder der 3 Hauptrichtungen anzunehmen ist. Die Palm en’sche Auffassung von verhältnismäßig eng begrenzten und inne gehaltenen Wegen besteht für dieses Gebiet und für die genannten Vogelarten nicht. Das hat sich auch ergeben, als ich für jede Beobachtungs- station, von der Zugsrichtungen verzeichnet sind, diese auf der Karte anmerkte: sie alle sind überall vertreten, wo überhaupt eine größere Zahlenangabe vorhanden ist. Ein Unterschied besteht nur, wenigstens zum Teil, in dem Verhältnis, in dem die einzelnen Rich- -tungen an den verschiedenen Orten erscheinen. Das ist nament- lich auffallend, wenn wir z. B. Straßburg, mit dem die übrigen recht gut übereinstimmen, mit Ernolsheim vergleichen, das allein in seinen Zahlen abweicht. Straßburg hat nämlich für N. 37, NO. 16 und ©. 16 Beobachtungen; das nordwestlich von ihm gelegene Ernolsheim in gleicher Reihenfolge deren 17, 15 und 55. Das deutet darauf hin, dass hier eine ganz besonders bevorzugte Über- gangsstelle von W. her über den Höhenzug besteht. Ich erkläre mir diese Tatsache daraus, dass dieser Ort nördlich vom Marne- Rheinkanal, im Hardt und also niedriger gelegen ist als der Rücken des Wasgaus, der bei etwa 1000—1400 m Höhe dem Zug schon einigermaßen hinderlich wäre. Vielleicht spielen auch besondere örtliche Verhältnisse mit. Wenn endlich das Rheingebiet mit viel größeren Zahlen vertreten ist als die beiden andern, so ist damit nicht gesagt, dass in diesen letzteren der Zug nun im Verhältnis der Zahlen geringer sei. Die beiden westlichen Gebiete sind, und namentlich das der Mosel, mit weniger Beobachtungsstationen ver- treten. Es kamen nämlich bei obiger Zusammenstellung für das Rheingebiet 23, für den Höhenzug 14 und für die Moselniederung 9 Beobachtungsorte in Frage. Ferner scheint es, als ob in ersterem die fleißigsten Beobachter gewesen wären, wenn auch tatsächlich der Zug im Rheintal stärkere und deutlichere Entfaltung zeigen mag als in den beiden anderen Gegenden. — Möglich ist offenbar auch, dass die hier vorgeführten Ergebnisse zum Teil auf besondere Verhältnisse zurückgeführt werden könnten, die aus der Ferne nicht abzuschätzen sind. Hier ist der Ort, noch eine Frage zu berühren, die oft aufge- worfen und verschieden beantwortet wird; ob nämlich der Zug mit dem Wind oder gegen ihn stattfindet. Eine Zusammenstellung der bezüglichen Angaben aus Elsaß-Lothringen aus den Jahren 1893 —97 sieht folgendermaßen aus (s. S. 326): Wir sehen, dass bei Zug nach N. der N.-Wind 18-, der NO. 3-, der O. 15mal festgestellt wurde u. s. w. und dass bei den Haupt- zugsrichtungen N., NO. und O. alle Windrichtungen vertreten sınd. Man hat überhaupt in der Tabelle beinahe alle möglichen Kombı- nationen und Zugs- und Windrichtungen vertreten und somit auch 395 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. Zugs- und Windrichtung. Wind: Zug | Ip: nach | N. NO. O. So. S. SW. W. NW. a En Zn _ Leere er N. NE) a 15 20 en 18 NO. 5 5 | 2 4 | 7 5 @: en 3 20 6 11 a 4 SO ie 1 w 1 18 UT 1 St | et 1 — 2 2. = Se age: 2 = = Ne = W. 4 2 4 — 1 19. |. 11 7 NW | 1 1 1 re 8 1 Il | hier wieder den Hinweis, wie unabhängig der Zug, der bei keiner Wıindlage aussetzt, von dieser stattfindet. Leider sind die Angaben über die Zugsrichtungen aus der Schweiz nur spärlich und gestatten dann keinen Schluss auf die vorstehende Frage. Die Ergebnisse dieser Betrachtung sind nun wohl derart, dass auch hier die induktive, statistische Methode, die allen diesen Unter- suchungen zugrunde liegt, geeignet erscheinen dürfte, befriedigende Auskunft über diese Seite des Vogelzuges gewinnen zu lassen. Leider liegen für die Schweiz bezügliche Beobachtungen in nur ungenügendem Maße vor. Soweit solche vorhanden sind, betreffen sie nur wenige und nahe beisammen liegende Orte. Hoffentlich mehren sie sich aber binnen kurzem so, dass in absehbarer Zeit auch diese Lücke in der Erkenntnis ausgefüllt werden kann. 7. Die Rückzüge. Die Rückzüge verdienen auch eine besondere Erwähnung. Sie sind von den Beohbachtern des Vogelzuges in Elsaß-Lothringen mehrfach und z. B. festgestellt worden bei der Waldschnepfe, dem Storch, dem Star, der Singdrossel, der Lerche und der Ringeltaube. Demnach betrifft es hauptsächlich Arten mit frühem Zug. Ferner finden wir meistens Schneesturm, Schnee und Kälte als begleitende Umstände angegeben, oder es ist wohl richtig, sie als die Ursache des Rückzuges anzusehen. Immerhin kommt es auch vor, dass die Temperatur zur Zeit derartiger Beobachtungen über 0° war und andere äußere Gründe dieses ausnahmsweise Verhalten nicht erklär- lich finder lassen. Auch anderwärts, z. B. in Bayern, hat man die gleiche Erscheinung beobachtet, so dass an der Tatsache des Rück- zuges nicht zu zweifeln ıst. Offenbar spielen dabei Nahrungssorgen die ausschlaggebende Rolle. Es ist daher wohl denkbar, dass dann gar nicht ein eigentlicher Rückzug vorliegt, bei dem der Vogel das Gefühl oder die Absicht hat, wieder südwärts zu wandern, wo ihm Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 397 größere Wärme und genügende Nahrung zu Gebote stehen, sondern vielmehr um einen Flug aufs Geratewohl, der ihn zur gesuchten Nährquelle führen kann. Würde es sich dabei um eine beabsichtigte Rückkehr handeln, so hätte die Sache theoretisch großes Interesse. Dann wäre näm- lich die Ansicht, dass die Zugserscheinung eine reine Instinkthand- lung sei, wenigstens nicht ganz zutreffend; denn zu einer solchen gehört der immer gleiche und ununterbrochene Ablauf, während bei tatsächlicher Rückkehr dieser zum Teil in sein Gegenteil ver- wandelt wäre und der Vogel ıhn wieder teilweise von vorn be- ginnen müsste. Aufenthalt infolge widriger Umstände und spätere Weiterwanderung ist bei Schwalben nicht selten zu beobachten und auch eher verständlich als Um- und spätere Wiederkehr. Aber gerade bei diesen hat man Rückkehr meines Wissens noch nicht oder wenig bemerkt, trotzdem sie leider nur zu oft das Opfer zu frühen Eintreffens bei uns werden. So lange nicht eingehendere Beobachtungen vorliegen, ist es wohl schwer möglich, die Frage abschließend zu beantworten. Übrigens sei darauf aufmerksam gemacht, dass sie dem Experi- ment zugänglich wäre. Vor einigen Jahren ist beim Schwalbenzug in der Schweiz so schlechtes und kaltes Wetter eingetreten, dass die Tierchen keine Nahrung mehr fanden und vor Mattigkeit nicht mehr zu fliegen vermochten. Man hat sie ın Luzern in größeren Mengen gesammelt und mit der Gotthardbahn wieder nach dem sonnigen Süden befördert, wo sıe freigelassen wurden. Wenn nun bei ähnlichen wiederkehrenden Fällen die Schwalben vor dem Rück- transport beringt würden und allenfalls später eine Anzahl davon wieder nördlich der Alpen getroffen werden könnten, so wäre das ein sehr wertvolles Material zur Beurteilung, inwieweit der Vogelzug Instinkt- oder Verstandeshandlung ıst. Für einen solchen Versuch müsste man natürlich eine größere Anzahl von Ringen bereit halten; denn nur im großen ausgeführt, bietet sich Aussicht auf Erfolg. Zugvögel, die sowieso dem Tode verfallen wären, für einen der- artigen Versuch zu bestimmen, hätte nıchts zu Beanstandendes an sich, während man Bedenken tragen müsste, ıhn mit normalen Tieren, die in der Zugslinie zurückbefördert würden, auszuführen. Diese könnten so unter Umständen nutzlos, wenn auch für die Wissenschaft geopfert werden. Bei dem vorgeschlagenen Versuch ıst ganz wohl möglich, dass nichts herauskommt, da die Schwalben in Luzern nicht notwendig über den Gotthard und das Reußtal hingekommen sein müssen. Aber ob sie ım Süden verblieben oder doch noch irgendwohin weiter zögen, wäre immerhin eine interessante Feststellung. 398 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 8. Die Ankunftszeiten. Wenn wir die mittleren Ankunftsdaten der Vögel ın Elsaß- Lothringen und im schweizerischen Mittelland miteinander ver- gleichen wollen, so stoßen wir auf einige Schwierigkeiten, da die beiden Gebiete in ihrer Höhe nicht übereinstimmen. In letzterem gehen sie von Genf, 380 m, bis Bern, 540 m, wenn wir hier wieder das Mittelland in seinem engsten Sinne fassen. Auch hier vermittelt eine kleine Tabelle den raschesten Über- blick über die beiderseitigen Verhältnisse. Selbstverständlich kann es sich dabei nur um die Arten handeln, die an beiden Orten genügende Angaben aufweisen, und es seien aus dem Elsaß die mittleren An- kunftszeiten der Höhen von 120—250 m, also im Mittel 180 m, denen aus 480 m mittlerer Höhe gegenübergestellt und mit denen der Schweiz, Mittel 460 m, verglichen. Höhenlage und Ankunftszeiten. Schweiz Elsaß-Lothringen 460 m 180m 480 m Kürckucker 14.4 8.4 15.4 Rauchschwalbe . . DA 6.4 16.4 Mehlschwalbe. . . 19. 4 dl 19.4 Singdrossel : 1.3 28.2 19.3 Naehtieall=.27, 5 27. 25.4 19.4 Bachstelze . . i 28 6.3 1a, Reldlerche 2 22 28.2 28.2 2623 Hier hat das schweizerische Gebiet gegenüber dem elsässischen der tieferen Lagen eine Verspätung von 6 Tagen bei dem Kuckuck, der Mehlschwalbe und der Nachtigall, von 1 Tag bei der Sing- drossel; dagegen ist ersteres um 4 Tage früher bei der Rauch- schwalbe und der Bachstelze; gleichzeitig trifft die Feldlerche an beiden Orten ein. Während die höheren Durchschnittstemperaturen der Zugsmonate in der Rheinebene ein früheres Eintreffen der Zug- vögel von vornherein erwarten lassen, ist der Befund bei der Lerche und namentlich bei der Rauchschwalbe und Bachstelze weniger verständlich. Wenn nicht Zufälligkeiten in den Beobachtungen mitspielen, kann aus den Zahlen wieder geschlossen werden, dass die einzelnen Arten sich nicht gleich verhalten, und das Verhalten der einen sich nicht ohne weiteres auf die andere Art übertragen lässt. Vergleichen wir die erste und dritte Reihe miteinander, so finden wir entsprechend der ungefähr gleichen Höhenlage gleich frühes Eintreffen beim Kuckuck und der Mehlschwalbe; dagegen ist es ım Wasgau entschieden später: für die Rauchschwalbe = 14 Tage, für die Singdrossel = 18 Tage, die Bachstelze = 12 Tage und die Feldlerche gar 26 Tage. Dazu ist zu sagen, dass der Wasgenwald entschieden ein rauheres Klima hat als das schweizerische Mittel- Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. 329 land; dann passen aber wieder der Kuckuck und die Mehlschwalbe nicht in den anscheinend normalen Stand der Verhältnisse hinein. Die Nachtigall endlich zeigt in der Schweiz Verspätung, auch wenn wir berücksichtigen, dass ihre Beobachtungsstationen hier höher liegen als in der Rheinebene. Hier ist ganz wohl möglich, dass Basel wenigstens seinen Bestand an Nachtigallen aus dem südlichsten Elsaß erhält, während im übrigen die Zahlen der Tabelle darauf hinweisen, dass der Zug in jedem der beiden Gebiete gewiss fast durchweg unabhängig vom andern von statten geht, wie übrigens auch die Darstellung der Zugsrichtung lehrt. 9. Das Experiment im Vogelzug. Schließlich möchte ich noch einen Gedanken äußern, wie das Experiment zur Beantwortung einer Frage des Vogelzuges dienstbar gemacht werden könnte. Der nämlich, welche inneren Verände- rungen als auslösende Ursache der Erscheinung angesprochen werden können. Die vorliegenden Untersuchungen bestätigen aus beiden Gebieten übereinstimmend die alte Ansicht, dass der Vogelzug sehr wenig abhängig ist von den äußeren Verhältnissen, von Wind und Wetter. Also ist er eine Instinkthandlung; der Vogel tritt seine Wanderung an, wenn die Zeit hierfür gekommen ist. So wenig wir uns im allgemeinen den Beginn des Herbstzuges aus den dann herrschenden Ernährungs- und Witterungsverhältnissen erklären können, so wenig wird dies auch für den Frühlingszug möglich sein, auch wenn wir die Winterstationen unserer Zugvögel genau kennten. Gewiss kann man geltend machen, dass sie uns verlassen, wenn die Nahrung spärlicher zu werden beginnt, doch wird sich ander- seits schwerlich behaupten lassen, ihr Tisch sei im Frühling bei ihrer Rückkehr besser gedeckt als es bei der Abreise der Fall war. Beweisender als dergleichen Überlegungen ist das Verhalten der Zugvögel im Käfig, dass der Zug ein Trieb ist, der durch im Vogel selbst liegende Vorgänge und Veränderungen veranlasst und aus- gelöst wird. Wo sind diese zu suchen? Im zentralen Nerven- system; in den Geschlechtsorganen; in inneren Drüsen, die durch ihre Ausscheidungen im Tiere bestimmte Bedürfnisse wecken und entsprechende Reize zur Geltung bringen oder anderswo? Diesen Fragen nachzugehen, wäre sicher nicht ohne Interesse. Das könnte etwa in folgender Art geschehen. Da auch ganz junge Vögel ziehen, könnte untersucht werden, in welchen in Betracht kommenden Organisationsverhältnissen sie mit den alten übereinstimmen, und die allenfalls den Standvögeln abgingen. Ferner kann meines Wissens — gezüchtet habe ich nie — durch geeignetes Futter die geschlechtliche Entwicklung befördert, bezw, hintangehalten werden. So könnte man zwei Gruppen von 330 Bretscher, Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. Zugvögeln gleicher Art bilden, die jede für sich gefüttert, aber unter sonst genau gleichen Umständen in verschiedenen Räumen gekäfigt würden. Jede Gruppe erhielte die entsprechende Nahrung. Wenn nun der Zugstrieb wirklich auf dem Geschlechtstrieb beruht, so müsste bei der einen Gruppe sich das Zugsfieber früher geltend machen als bei der andern. Vielleicht liegen derartige Beobach- tungen schon irgendwie vor. Angesichts der außerordentlich um- fangreichen und zerstreuten ornithologischen Literatur hält es eben sehr schwer, sich darüber Gewissheit zu verschaffen. Aber die berührte Feststellung dürfte noch nicht genügen; sondern es sollten dann genaue histologische Untersuchungen der beiden Gruppen wenigstens je in einzelnen Exemplaren einsetzen, um so herauszubringen, in welchen organischen Veränderungen der Reiz zur Zugshandlung liegen könnte — denn solche werden doch wohl angenommen werden dürfen, auch wenn wir noch keine Ahnung haben, welcher Art und wo sie seien. So könnte u. a. vielleicht herausgebracht werden, warum einzelne Individuen ausnahmsweise früh, andere sehr spät ıhre Reise ausführen, und solche könnten als Kontrollexemplare der gleichen genauen Untersuchung unter- worfen werden. Diese anatomischen Untersuchungen wären zu behandeln wie die Eingaben bei einer Preisbewerbung; man hätte sie mit nichts- sagenden Bezeichnungen zu versehen, und erst nach festgestelltem Ergebnis wäre nachzusehen, welcher Gruppe der betreffende Vogel angehörte. So bliebe jede vorgefasste Meinung ohne Einfluss. Es möchte freilich dem Züchter schwer fallen, von seinen Lieb- lingen zu opfern; doch müsste es sich wohl nur um wenige Indi- viduen jeder Art handeln, und die Resultate dürften ein solches Opfer ın den Kauf nehmen lassen. 10. Ergebnisse. Schließlich mögen noch die Ergebnisse der vorliegenden Unter- suchung kurz zusammengefasst werden: 1. In Elsaß-Lothringen wie im schweizerischen Mittelland erfolgt der Frühjahrszug unabhängig von der Lage und Tiefe der Depressionen, vom Luftdruck, von der Richtung des Windes, ferner unabhängig vom Wetter, sofern es sich nicht um förm- liches Unwetter handelt und der Wind nicht allzu heftig weht. 2. Bezüglich der Temperatur ist zu sagen, dass jeder Vogel inner- halb weiter Wärmegrenzen den Zug vollzieht, aber jede Art eine besondere und besonders günstige Wärmelage hierfür erkennen lässt. Aus den Temperaturverhältnissen der Zugs- monate jedes Jahres lässt sich weder auf das mehr oder weniger zeitige Eintreffen, noch auf kürzere oder längere Zugsdauer schließen. Hierbei zeigen die einzelnen Arten ein ganz ver- Levy, Sur les toxines des araignees et particulierement des Tegenaires. 331 schiedenes Verhalten. Auch die Lebhaftigkeit des Zuges ent- spricht nicht durchaus der jeweiligen Wärmelage. 3. Die Temperatur des Zugstages ist für den Zug in erster Linie maßgebend. 4. Die meisten Arten rücken in höher gelegene Orte später ein; die früh eintreffenden steigen langsamer in die Höhe als die späteren. Schon ein Höhenunterschied von 100 m zeigt meist eine deutliche Verspätung. . In Elsaß-Lothringen ist die Hauptrichtung des Zuges nach N., NO. und OÖ. Für einzelne Arten kommt auch die O.—W.- Richtung in Betracht. Das ganze Gebiet ist Zugsstraße. Die wichtigsten Ergebnisse stützen sich auf etwa 10000 Einzel- beobachtungen. Trotzdem wäre es erwünscht, wenn noch weitere Gebiete zur Vergleichung herangezogen werden könnten. Das schweizerische Material hat auch die Behandlung des Herbstzuges nach denselben Gesichtspunkten gestattet und zu den gleichen Schlüssen geführt. Leider sind die bezüglichen Angaben aus Elsaß- Lothringen zu spärlich, als dass sich in dieser Hinsicht etwas zu- verlässiges damit anfangen ließe. Hoffentlich führen weitere Beob- achtungen dazu, die nötigen Ergänzungen beizubringen, sei es da- selbst oder aus andern Ländern. Oo A. Levy, Sur les toxines des araignees et particulierement des Tegenaires. Akademie der Wissenschaften in Paris. Berichterstatter: A. Dastre. In zwei früheren Mitteilungen hatte A.Levy bezüglich des Arachnolysins, eineshämolytisch wirksamen und toxischen Körpers in der Kreuzspinne (Kpeira diademata Clerek) nachgewiesen, dass dasselbe nur im weiblichen Tiere vorkommt. Mit den Eiern ver- schwindet es wieder aus dem Körper und findet sich in dem jungen Tier nur so lange, als dasselbe noch Eidotter enthält, um erst wieder neu zu entstehen, wenn sich die Eierstöcke in ıhm entwickeln. L. dehnte seine Forschungen über die Natur des Spinnengiftes auch auf andere Kreuzspinnenarten aus, sowie auf zwei Arten der zur Familie Agalenidae gehörigen Gattung Tegenaria Walck., T. atrica C. Koch und 7. parietina Fourcroy. (C. R. Ac. sc. Paris Nr. 2, 1916.) Er fand, dass bei vier anderen Arten von Kreuzspinnen sich genau das gleiche Gift findet, wie bei Epeira diademata, nämlich bei Epeira cornuta Clerck, E. umbratica Clerck, E. redii Scop. und Zilla X-notata Clerck. Außer in den fünf Arten Kreuzspinnen fand sich das gleiche Arachnolysin noch bei einer anderen Epeiride, Synga hamataQlerck, und bei einer Waldspinne, Theridion lineatum Clerek. Ein Komplement vergleichbar jenem in den Eiern von Meta wurde bei zwei anderen Kreuzspinnenarten, nämlich bei Man- gora acalypha Walck. und Tetragenata montana E. Sim., sowie bei 339 Levy, Sur les toxines des araignees et particulierement des Teg£naires. drei Arten von Linyphia, L. tetrangularis Clerck, L. montana Clercek und 2. hortensis Sundev. gefunden. Auch in einer anderen Spinnenfamilie, den Trichterspinnen (Agalenidae), fand L. eine Art, Tegenaria atrica C. Koch, deren Eier dieselben hämolytischen Eigen- schaften hatten wie das echte Arachnolysin. Das Toxin verhielt sich indes in anderer Beziehung gänzlich davon verschieden. Wie dieses kommt es überhaupt nur in den Eierstöcken vor. Wie L. schon früher gezeigt hatte, wird das Gift der Kreuz- spinne durch Erhitzen auf 62°, sowie durch Säuren unwirksam ge- macht. Das so inaktivierte Gift kann aber auf zweierlei Weise wieder wirksam gemacht werden: 1. durch Zusetzen einer Mazerationsflüssigkeit gleichartiger Eier, welche so stark verdünnt ist, dass sie allein nicht mehr wirksam sein kann und 2. durch Hinzufügen einer Aufschwemmung der Eier von Meta segmentata Clerck, die allein genommen, keine hämolytischen Eigen- schaften haben. Aus der neuen Mitteilung erfährt man, dass das Arachnolysin nicht allein hämolytisch wirkt, sondern auch eine Allgemeinvergiftung herbeiführt. Ein Ei wiegt 1—-1,3 mg; der vierte Teil davon hämolysiert 1 ccm einer Emulsion von 5%, igem Ochsenblut bei 37° in 1 Stunde. Die Eier wirken ferner hämolytisch auf die Blutkörperchen von Mensch, Rind, Kaninchen, Maus und Ratte; keine Wirkung dagegen haben sie auf das Blut von Pferd, Schwein, Hund, Ente und Huhn. Das Arachnolysin wirkt im Gegensatz dazu auf das Blut von Ente und Huhn. Im trockenen Wärmekasten verlieren die Eier von Tegenaria atriea nach einer Mazeration in physiologischer Kochsalz- lösung (10 Eier auf 1 cem) ihre Wirksamkeit nach einer Erhitzung von 10 Min. bei 60—62°: nach 30 Min. bei 50°. Es handelt sich also um eine sehr labile Verbindung, während das Arachnolysin unter den- selben Bedingungen durchschnittlich 6—8 Stunden der Temperatur von 62° ausgesetzt werden muss, ehe es seine hämolytische Wirk- samkeit verliert. Das Hinzufügen von Salzsäure macht dagegen beide Arten von Toxin unwirksam. Die Eier von Tegenaria atriea sind ebenso wie das Arachnolysin sehr giftig. für das Kaninchen (bei intravenöser Injektion) und für die Maus (bei intraperitonealer Applikation). Dagegen rufen sie im Gegensatz zum Arachnolysin keine lokale Erscheinung hervor. Das Krankheitsbild ist ferner beim Kaninchen nach intravenöser Injektion ein anderes. Die Stö- rungen in der Atmung sind geringer, die in der Bewegung da- gegen viel ausgesprochener. Durch Hitze oder Säure unwirksam gemachtes Toxin konnte nicht wieder aktiviert werden. Der Ver- such, dies durch das Hinzufügen von gleichartigem diluiertem Toxin zu erreichen, missglückte völlig. Das Toxin von Tegenaria atrica gehört also zu den einfachen Giften, während das Arachnolysin zu den komplexen Toxinen zu gehören scheint. Das Gift von Tegenaria atrieca ist also durchaus verschieden von dem Toxin der Epeira-Arten. L. studierte die Eigentümlich- Boveri, Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. 333 keiten der Eier einer anderen Tegenarien-Art, nämlich der von Tegenaria parietina Foucroy. Ihre Eier entbehren einer jeden hämolytischen Substanz und wirken durchaus nicht toxisch. Auch konnte darin keine komple- mentäre Eigenschaft gefunden werden, vergleichbar jener der Eier von Meta, weder gegenüber dem inaktivierten Arachnolysin, noch gegenüber dem inaktivierten Gift von Tegenaria atrica selbst. Es ist sehr sonderbar, dass sich zwei Spinnenarten derselben Gattung so durchaus verschieden verhalten bezüglich ihrer Toxine. Dieses Verhalten erinnert an die von M® Physalıx nachgewiesene Eigen- tümlichkeit des Hautgiftes von Fröschen und gewissen Fischen. Die schleimigen Hautsekrete von Rana esculenta Lac&p. sind außer- ordentlich giftig, während das gleiche Sekret von Rana temporaria Lac6&p. nur eine rein lokale Wirkung ausübt, dagegen keinerlei Allgemeinvergiftung hervorruft. Nach Physalix würde diese phy- siologische Eigentümlichkeit allein zur Aufstellung von zwei ver- schiedenen Arten berechtigen. Mit demselben Recht wird man auf Grund der physiologischen Verschiedenheit hier die beiden Spinnen- arten von Tegenaria atrica und T. parietina voneinander trennen können. Dr. L. Kathariner. Th. Boveri. Zur Frage der Entstehung maligner Tumoren. 8°, 64 S., 2 Abb. Jena 1914. Gustav Fischer. Die Hypothese, die Verfasser entwickelt, gipfelt im wesent- lichen in dem Satze, dass das abnorme Verhalten einer Zelle durch Störungen im Kern hervorgerufen wird und zwar durch Abwei- chungen des Chromosomenbestandes von der Norm. Nicht nur der Zahl nach, denn nicht die Quantität entscheidet sondern die Qualität. Verfasser denkt sich also, dass in den Zellen eines malignen Tumors Chromosomen fehlen, denen eine besondere Eigen- schaft innewohnt und dass nach dem Ausfall die Zellen auf irgend- welche Reize (Traumen, Bakterien) leichter mit Teilung reagieren, so dass jenes rapide Wachstum zustande kommt, das den malignen Tumoren eigen ist. Eng verknüpft mit dieser Hypothese ist die Überzeugung des Verfassers, dass jeder maligne Tumor seinen Ur- sprung von einer einzigen in oben beschriebenem Sinne entarteten Zelle nimmt, die dann eben als Tochterzellen nur solche produziert, die auch den abnormen Chromosomenbestand besitzen. Verfasser führt dann verschiedene Tatsachen aus der Geschwulstlehre an, die mit seiner Hypothese übereinstimmen oder sich durch dieselbe er- klären lassen. Andererseits werden einige Einwände oder schein- bare Widersprüche entkräftigt. M. S. 334 Hertwig, Die Elemente der Entwicklungslehre des Menschen etc. Hertwig, Oskar. Die Elemente der Entwicklungslehre des Menschen und der Wirbeltiere: Anleitung und Repetitorien für Studierende und Ärzte. 5. Auflage. 8°. 464 S., 416 Fig. Jena 1915. Gustav Fischer. Die weitverbreitete und schon altbewährte gekürzte Ausgabe des Hertwig’schen Lehrbuchs der Entwicklungsgeschichte erscheint neu aufgelegt und vermehrt. Die Entwicklungsgeschichte des Men- schen wurde noch eingehender gewürdigt, vor allem der Abschnitt über die Eihüllen umgearbeitet. Auch zahlreiche Figuren sind ein- geschoben worden. Wie kein zweites ist das Buch infolge seiner klaren und knappen Darstellung als Einführung für den Studenten geeignet, für dessen Bedürfnisse auch die jedem Kapitel ange- hängten Repetitorien berechnet sind; so wird auch diese Auflage unter den Studierenden der Naturwissenschaften und insbesondere der Medizin sich zahlreiche neue Freunde erwerben. P. Buchner. Steinmann, Paul. Praktikum der Sülswasserbiologie. 1. Teil: Die Organismen des fließenden Wassers. Mit Beiträgen von R. Siegrist- Aarau und H.Gams-Zürich. 8°, 184 S. mit 118 Textfig. Berlin 1915, Bornträger. Das Ziel des Verfassers ist, die Ökologie der Süßwasser- organismen in den Vordergrund der Darstellung zu rücken. Des- halb gliedert er den Stoff nach den Organismengesellschaften, nicht nach systematischen Gesichtspunkten. Der zunächst vorliegende Teil behandelt die Tiere des fließenden Wassers, also eine Gruppe, an der sich besonders leicht und eindringlich darstellen lässt, wie das extreme Bedürfnis den tierischen Körper umgestaltet. So stellt das Buch nicht nur ein treffliches Hilfsmittel dar, die bei der Exkursion gesammelten Tiere zu erkennen und in Bau und Lebens- weise zu verstehen, sondern regt den Leser auch zum Nachdenken über die Probleme der Anpassung und der Entstehung neuer Arten an. Ein Kapitel über Kryptogamen (mit Ausnahme der Moose) hat H. Gams beigesteuert, die Moose und Phanerogamen R. Siegrist behandelt, wobei er beı letzteren vor allem die Beobachtungen von Glück eingehender behandelt. Dem Anfänger besonders wird auch das Kapitel über das Sammeln, Transportieren und Kultivieren recht willkommen sein, mancher wird es sich allerdings noch etwas ausführlicher wünschen. Jedem, der sich mit der Lebewelt unserer süßen Gewässer ver- traut machen will, dem Zoologen ebenso wie dem Fischereikundigen oder Abwasserbiologen, kann das Praktikum empfohlen werden und wenn es einmal abgeschlossen ıst, wird es eine willkommene Ergänzung zu Lampert’s altbewährtem „Leben der Binnen- gewässer“ sein. P. Buchner. Landsberg-Günthart u. Schmidt, Streifzüge durch Wald und Flur. & [d} ] Landsberg-Günthart u. Schmidt, Streifzüge durch Wald und Flur. 5. Aufl., Leipzig 1916, B. G. Teubner, geb. M. 5.40. Ein auf Ausflügen in Wald und Flur gewonnenes reiches Be- obachtungsmaterial bildet die Grundlage zur Einführung in die ökologischen Probleme des Tier- und Pflanzenreiches. Die sorgsam abwägende, mit den Ergebnissen exakter Versuche vergleichende Beurteilung der Beobachtungen, verbunden mit der schlichten, aber frischen und leichtverständlichen Sprache macht das Buch für den Laien zu einem vorbildlichen Belehrungsmittel, für den Fach- mann, der selbst Studenten- oder Schülerexkursionen zu leiten hat, zu einem oft willkommenen Wegweiser für Zeit, Ziel und Einrich- tung der Exkursion. Bemerkenswert ist, dass die Verfasser neben den ökologischen Anpassungen überall auch die systematischen Er- kennungsmerkmale behandeln. In einem zusammenfassenden Rück- blick wird erörtert, dass an der Tatsache der Deszendenz kein Zweifel mehr ist, dass aber eine befriedigende Erklärung derselben noch nicht vorliegt. Die Selektionstheorie versagt vor allem bei der Erklärung der Entstehung der meisten systematischen Er- kennungsmerkmale, welche für den Daseinskampf ıhrer Träger völlig bedeutungslos sind und dennoch durch ganze Familien, Klassen und Stämme hindurch wiederkehren (z. B. Dreizähligkeit der Monokotylen- blüte, Fünfzahl der Finger der Wirbeltiergliedmaßen). Neben der Betonung der Systematik erscheinen dem Referenten als haupt- sächlichste Verbesserungen gegenüber der 4. Auflage die Zusammen- fassung der Exkursionen zu einem einzigen Jahreszyklus und der vorzügliche, teilweise neue Bilderschmuck. Wünschenswert wäre für den Gebrauch des Fachmannes die Wiedereinführung der lateı- nischen Namen im Inhaltsverzeichnis. Bremerhaven. Otto Stocker. Schlemmer, Untersuchungen über den Mechanismus der Ambozeptor- und Komplementwirkung. Sonderabdr. a. d. Arb. a. d. Kais. Gesundheitsamt, Bd. L, H. 3, 4°, 20 S., Berlin 1916, Jul. Springer. Aus den zahlreichen und systematisch angeordneten Arbeiten des Kais. Gesundheitsamts zur Immunitätslehre, die wohl durch den Krieg in ihrer Fortführung unterbrochen wurden, verdient diese vor ıhm abgeschlossene eine kurze Wiedergabe des Ergebnisses. Es war von Scheller beobachtet worden, dass zwischen den Wır- kungsgesetzen des Ambozeptors und des Komplements bei der Hämolyse durch spezifische Antisera ein grundsätzlicher Unterschied bestehe, indem die Wirkung des Ambozeptors von seiner absoluten Menge, die des Komplements vom Grade seiner Verdünnung ab- hänge. Daraus hatte Scheller geschlossen, dass letzteres nach Art eines Katalysators wirke. Im Anschluss an Untersuchungen von Neufeld und Händel und Ungermann und Kandiba über die Wirkungsweise verschie- 396 Neuerschienene Bücher. dener antibakterieller Immunkörper bearbeitete der Vf. nun die Verhältnisse von spezifischem Ambozeptor und Komplement im bakteriziden Plattenversuch, d. h. bei der Abtötung von Bakterien ım Glase und der Feststellung des Ergebnisses durch Aussaat. Er findet, dass das bakteriolytische Komplement wie das hämo- lytische nicht nach seinen absoluten Mengen, sondern annähernd nach dem Grade seiner Verdünnung wirkt. Aber der bakterio- Iytische Ambozeptor verhält sich nicht so wie der hämolytische, sondern die Wirksamkeit ist nicht nur von seiner absoluten Menge, sondern auch vom Grade der Verdünnung abhängig. Dieser Unter- schied ist aber bedingt durch die andersartigen Versuchsbedingungen: denn einmal vermehren sich die abzutötenden Bakterien während des Versuches, was die aufzulösenden roten Blutkörperchen doch nicht tun, andererseits sind die aufeinander wirkenden Stoffe bei den Baktericidieversuchen in viel höheren Verdünnungen vorhanden und ist die Bindungsgeschwindigkeit der Ambozeptoren schon des- halb viel geringer. Danach erörtert der Vf. ım Anschluss an Liefmann die Be- deutung der Bindungsgeschwindigkeit auch für das Komplement und kommt mit diesem zu dem Schluss, dass für den Komplement- bedarf die die Hämolyse und Bakteriolyse begleitenden und ihr folgenden komplementbindenden Nebenreaktionen wesentlich sind. Dadurch wird der Anschein hervorgerufen, alb ob die Wirkung nicht durch eine Bindung äquivalenter Mengen bedingt sei, sondern es sich um eine Wirkung nach der Konzentration handle. Die Ehrlich’sche Auffassung von einer chemischen Bindung des Kom- plements an den Ambozeptor kann durch diese Beobachtungen nicht widerlegt werden. WB: Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sind. (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Landsberg, Bernh., Streifzüge durch Wald und Flur. Eine An- leitung zur Beobachtung der heimischen Natur in Monatsbildern. 5. Auflage neu bearbeitet von Dr. A. Günthart und Dr. W. B. Schmidt. Mit zahl- - reichen Originalzeichnungen und Abbildungen. X, 251 S. Leipzig 1916, Verlag von B. G. Teubner. Geb. M. 5.40. Kerner von Marilaun. Pflanzenleben. 3. Aufl. bearbeitet von Dr. Adolf Hansen. III. Bd. Die Pflanzenarten als Floren und Genossenschaften (Ab- stammungslehre und Pflanzengeographie). Mit 63 Abbildungen im Text, 9 farbigen Tafeln, 29 doppelseitigen schwarzen Tafeln und 3 farbigen Karten. Gr. 8°, XII, 555 S. Leipzig 1916. Bibliograph. Institut. Geb. M. 14. Forbät, Dr. A., Die Immunitätslehre und deren praktische Anwen- dung im Kampfe gegen die Kriegsseuchen. Schutzimpfung, Serum- therapie, Vakzinetherapie. Mit 5 Textabbildungen. Berlin und Wien 1916, Verlag von Urban und Schwarzenberg. Preis M. 2.50. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von DIeK Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München. Verlag von Georg Thieme in Leipzig. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Bd. XxXXYI 20. August 1916. A 8. Inhalt: Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. — Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. — Hess, Der Forstschutz. Ein Lehr- und Handbuch von Dr. R. Hess. — Forbät, Die Iımmunitätslehre und deren praktische Anwen- dung im Kampfe gegen die Kriegsseuechen, Schutzimpfung, Serumtherapie, Vakzinetherapie. — Neuerschienene Bücher. Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. Von ©. Renner. Als die größte Tat der botanischen Morphologie muss unstreitig Hofmeister’s Entdeckung der Homologien in den Entwicklungszyklen der Moose, Farne und Samenpflanzen gelten. Organismenstämme, die wie getrennte Welten nebeneinander zu stehen schienen, waren mit einem Schlag als vergleichbar erkannt, insofern als ein ohne Ausnahme durchgreifendes Prinzip der Entwicklung in einem Gene- rationswechsel nachgewiesen wurde. Bis ein solcher Organismus von einem beliebigen Punkt seiner Entwicklung an den ganzen Kreis des Werdens und der Verjüngung bis zum Ausgangspunkt durch- läuft, geht er in weitem Abstand zweimal durch den einzelligen Zustand, den Zustand der Keimzelle hindurch, nämlich durch das Ei, das zu seiner Entwicklung des Anstoßes der Befruchtung be- darf, und die Spore, die ohne Befruchtung entwicklungsfähig ist. Eine Erscheinungsform, die geschlechtliche Fortpflanzungszellen er- zeugt, wechselt ab mit einer Erscheinungsform, deren Keimzellen als ungeschlechtliche Sporen auftreten. Jede der beiden Erschei- nungsformen vermag aus den Fortpflanzungszellen, die sie erzeugt, nicht sich selber zu reproduzieren, sondern nur die andere: aus XXXVI 22 338 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. dem befruchteten Eı geht die sporenerzeugende, ungeschlechtliche Generation, der Sporophyt hervor, aus dessen Keimzellen, den Sporen, entwickelt sich die Geschlechtsorgane tragende Generation, der Gametophyt. Das befruchtete Eı stellt den Übergang vom Gametophyten zum Sporophyten dar, in der Spore kehrt der Sporo- phyt zum Gametophyten zurück. In welch tiefgreifender Weise die Struktur der Zelle bei diesen beiden Übergängen von einer Generation zur anderen sich ver- ändert, darüber hat die zytologische Forschung lange nach Hof- meister erst Klarheit gebracht. Im Befruchtungsvorgang, dessen Wesen wır in der Paarung und Verschmelzung der beiden Ge- schlechtszellkerne sehen, mischen sich nicht zwei homogene Flüssig- keitstropfen, sondern zwei Körper von komplizierter Struktur treten in Vereinigung: jeder Zellkern bringt Chromosomen in be- stimmter Zahl mit, von denen keines verloren geht. Das befruchtete Ei besitzt also doppelt so viel OÜhromosomen als das unbefruchtete, und ebenso alle Abkömmlinge des Eies, alle Zellen des Sporophyten. Das dauert bis zur Sporenbildung; erst ın den Reduktionsteilungen der Sporenmutterzelle wird die Chromosomenzahl wieder herunter- gesetzt, die Sporen erhalten die einfache Zahl der Chromatinelemente, und diese Zahl bleibt im Gametophyten beibehalten bis zur Bildung der Geschlechtszellen, der Gameten, der Eier und Spermazellen. Mit dem Wechsel der äußeren Erscheinungen geht also im Hof- meister’schen Generationswechsel eine Alternanz der Kernstruktur Hand in Hand: der Gametophyt hat haploide, der Sporophyt diploide Zellkerne. Man stellt gewöhnlich den Sporen dıe Gameten gegenüber und nennt gelegentlich die einen wie die anderen Keimzellen. In Wirk- lichkeit entspricht aber dem Ei und der Spermazelle, die noch haploıde Zellen des Gametophyten sind, die Sporenmutterzelle, in- sofern sie noch diploide Zelle des Sporophyten ist; und dem be- fruchteten Ei, der Zygote, als der ersten Zelle des Sporophyten, entsprechen die Sporen, als erste haploıde Zellen der Gametophyten. Was den Ausdruck Keimzelle betrifft, so ist er gegenwärtig be- sonders in der Vererbungslehre gebräuchlich, und zwar für die Pro- dukte der Reduktionsteilung, die sowohl Sporen sein können (wie bei den meisten Pflanzen) als auch Gameten (wie bei den Tieren). Im folgenden soll unter Keimzelle jede keimfähige Fortpflanzungs- zelle verstanden sein. Das Eı ist dann eine Keimzelle erst nach der Befruchtung, als Zygote, und zwar eine auf geschlechtlichem Weg erzeugte Keimzelle, im Gegensatz zu der Spore, die eine un- geschlechtlich erzeugte Keimzelle ist. Die Gameten sind nicht Keim- zellen, falls sie sich nicht parthenogenetisch entwickeln, sondern nur Fortpflanzungszellen, und zwar geschlechtliche, d. h. mit Ge- schlechtsfunktion begabte; ob sie geschlechtlich differenziert sind, Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 339 ist gleichgültig. Als Fortpflanzungszellen betrachtet sind die Sporen als ungeschlechtlich zu bezeichnen; wesentlich ıst das Fehlen der unmittelbaren Geschlechtsfunktion, geschlechtliche Differenzierung kann ihnen sehr wohl zukommen (z. B. bei allen Samenpflanzen). Für die Darstellung des Gegenstandes, mit dem wir uns beschäf- tigen, ist es jedenfalls zweckmäßig, so zu definieren, weil wir dann z. B. bei den Moosen die beiden einander wirklich entsprechenden Formen von Fortpflanzungszellen, nämlich Zygote und Spore, mit dem kurzen Wort Keimzellen bezeichnen. Missverständnisse können sich aus diesen Anwendungsgrundsätzen, die von dem Gebrauch in der Vererbungsliteratur etwas abweichen, kaum ergeben. Die zytologische Forschung ıst nun ein unschätzbar wichtiges Hilfsmittel für die Klarlegung der Entwicklungszyklen bei den Thallophyten geworden, bei den Algen und Pilzen. Bei gewissen Formen, z. B. einigen Braun- und Rotalgen, wäre die Kenntnis der Kernverhältnisse an und für sich keineswegs nötig zur Aufdeckung des hier vorhandenen Generationswechsels, so wenig wie Hofmeister seinerzeit bei der Betrachtung der Moose und Farne von den Zell- kernen etwas zu wissen brauchte. Aber bei diesen Meeresorganismen stößt die Verfolgung des ganzen Entwicklungsringes vom keimenden Ei bis wieder zur befruchteten Eizelle auf unvergleichlich größere Schwierigkeiten als bei einem Moos oder einem Farn. Für die allerwenigsten Florideen z. B. ist es durch unmittelbare Beobach- tung nachgewiesen, dass die Tetrasporenpflanzen, die man mitunter in derselben Jahreszeit neben den Geschlechtspflanzen findet, ein notwendiges Glied des Entwicklungszyklus der betreffenden Arten sind. Das Studium der Kernzustände hat aber ergeben, dass von den Abkömmlingen des befruchteten Eies, den Karposporen, un- möglich ein anderer Weg zu den Geschlechtspflanzen zurückführen kann als der über die Tetrasporenpflanze, deshalb, weil die Karpo- spore diploid ist und nirgends Reduktionsteilungen vorkommen als in den von diploiden Pflanzen gebildeten Tetrasporangien. Ähnlich steht es mit noch einfacheren Algen und Pilzen: wir kennen den Generationswechsel in seinen äußeren Zügen, sobald wir wissen, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Keimzellen auftreten und welche von diesen Keimzellen notwendig sind zur Schließung des Ringes von Zygote zu Zygote und welche nicht. Wo die unmittel- bare Beobachtung versagt, das Kulturexperiment nicht glückt, kann die Feststellung der Kernverhältnisse auf dem Weg des Analogie- schlusses zu einem so gut wie sicheren Urteil führen. Und für ein Unternehmen ist die Kenntnis dieser Verhältnisse ganz unerlässlich: für den Vergleich des Entwicklungsganges, gegebenenfalls des Gene- rationswechsels, eines Thallophyten mit dem der Moose und Farne. Es war von jeher ein dringender Wunsch der Systematiker, unter den verwirrend mannigfaltigen Sporenformen der Pilze mit Sicher- 225 340 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. heit die zu erkennen, die den Sporen der Archegoniaten „homolog* seien, d. h. die im Entwicklungsgang des Pilzes dieselbe Stelle bezeichnen wie die Sporen im Lebenszyklus eines Mooses, soweit sich so verschiedene Lebensformen überhaupt vergleichen lassen. Die neueren Forscher sind größtenteils dahin übereingekommen, als die wichtigsten Einschnitte im Lebensgang eines Organismus die Zygotenbildung und die Reduktionsteilung anzusehen, die Zusammen- fügung zweier Elementarwesen zu einem Doppelwesen und die Trennung des Doppelwesens in seine Elemente. Allerdings ist diese Festsetzung nicht ganz frei von Willkür, und unter den Führern der Algenforschung hat sich Oltmanns dieser Wertung der Chromo- somenvorgänge noch immer nicht ohne Vorbehalt angeschlossen. Bei den folgenden Ausführungen wird die Vergleichung nach den angedeuteten Gesichtspunkten so konsequent wie möglich durch- geführt werden. Die zytologische Durcharbeitung der Thallophytenstämme ist noch lange nicht abgeschlossen, aber schon jetzt sind die hier gewonnenen Ergebnisse an Bedeutung mit der Entdeckung Hofmeister’s wohl zu vergleichen. Der Unterschied ist nur der, dass entsprechend den technischen Schwierigkeiten die neuen Erfahrungen langsam und tropfenweise durch eine große Zahl von Forschern zusammen- gesteuert werden, während Hofmeister’s Werk so mit einem Schlag vor die Öffentlichkeit trat wie die gewappnete Pallas aus dem Haupt des Zeus springt, reif und ausgewachsen, klar und glänzend, unan- greifbar und niemals angefochten. In gewissen Stämmen leuchtet die Übereinstimmung mit dem Generationswechsel der Archegoniaten ohne weiteres ein, besonders bei Outleria und den Dietyotaceen unter den Braunalgen, aber auch bei den höheren Ascomyceten unter den Pilzen. Hier sind eine geschlechtliche, haploide und eine ungeschlechtliche, diploide Gene- ration, beide wohl ausgebildet, ohne Zwang zu unterscheiden. Dass bei den Ascomyceten nach der Befruchtung zunächst nur Kern- paarung eintritt und die Kernverschmelzung bis zu dem der Reduk- tionsteilung dicht vorangehenden Stadium hinausgeschoben ist, hat wohl wenig Gewicht. Ob der doppelte Chromosomensatz in eine einzige Kernmembran eingeschlossen wird oder die beiden Chromo- somensätze in zwei Kernen nebeneinander leben, dürfte für die Funktionen der vegetativen Zelle wenig bedeuten. Die konjugierten Mitosen der Kernpaare zeigen, dass das Kernpaar (das Dikaryon) physiologisch eine ähnliche Einheit darstellt wie der diploide Kern (das Synkaryon). Immerhin ist bemerkenswert, dass wir noch keinen Pilz kennen, dessen diploide Kerne Äquationsteilungen ausführen; die Verschmelzungskerne im Ascus und in der Basidie scheinen ebenso wie die Zygotenkerne der Phycomyceten und der Grün- algen nur meiotischer Teilung fähig zu sein. Das ist nicht ohne Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 34 Wichtigkeit für die Mutmaßungen über die Verwandtschaftsverhält- nisse zwischen den Algen und den höheren Pilzen. Auch die innige Vereinigung der diploiden (dikaryotischen) Generation, der ascogenen Hyphen, mit dem haploiden, geschlechtlichen Thallus in der Frucht- körperbildung kaun mit der Art verglichen werden, wie das Moos- sporogon vom Gametophyten lange eingehüllt bleibt und ernährt wird. Die Bildung der sonderbaren Haken (bei den Ascomyceten; und ebenso der nach Kniep den Haken genau entsprechenden Schnallen bei den höheren Basidiomyceten) im Zusammenhang mit den konjugierten Mitosen stellt wohl nichts anderes dar als ein sicheres Mittel zur Trennung der Bruderkerne. Die Versuchung lag nahe, allen pflanzlichen Organismen, soweit sie geschlechtliche Fortpflanzung besitzen, einen Generationswechsel zuzusprechen. Wenn die niederen Algen und Pilze einen haploiden Vegetationskörper besitzen und die Reduktionsteilung gleich bei der Keimung der Zygote eintreten lassen, so kann man natürlich sagen, die diploide Generation sei hier durch die Zygote repräsentiert. Mit demselben Recht kann man dann ins Tierreich hinübergreifen, die haploiden Geschlechtszellen als Repräsentanten einer haploiden Gene- ration ansprechen und auch den Tieren einen Hofmeister’schen Gene- yationswechsel zuerkennen. Die Zoologen sind aber wenig geneigt, auf diese Verallgemeinerungsgelüste vieler Botaniker einzugehen !). Unter den Botanikern stellt sich Goebel auf die Seite der Zoologen, wenn er schreibt?): „Von einer ‚Generation‘ kann man eigentlich nur reden, wenn es sich um einen wenigstens einigermaßen selb- ständig für sich bestehenden Entwicklungsabschnitt handelt, also einen solchen, bei welchem der Bildung der Fortpflanzungszellen vegetative Teilungen vorangehen, oder doch — wie aus vergleichen- den Gründen angenommen werden muss — ursprünglich voran- gegangen sind.“ Das ist ziemlich genau der Standpunkt, der im folgenden ausführlicher vertreten werden soll. Die Einbeziehung der niedersten Kryptogamen und der Tiere in das Generations- wechselschema hätte nur dann eine gewisse Berechtigung, wenn Grund zu der Annahme vorhanden wäre, dass die jeweils durch die minimale Zellenzahl repräsentierte „Generation“ durch Reduk- tion in den rudimentären Zustand gekommen sei. Diese Annahme hat aber noch niemand wahrscheinlich gemacht. Ohne Beziehung auf höhere Formen würde niemand in dem Entwicklungsgang einer Grünalge wie Oedogonium, um bei den Pflanzen zu bleiben, einen „antithetischen“ Generationswechsel entdecken, und wenn wir eine tatsächliche phylogenetische Beziehung im absteigenden Sinn leugnen, müssen wir sagen: Oedogonium hat keinen, oder wenn wir wollen, 1) Vgl. z.B. „Die Kultur der Gegenwart“, 4. Abt., 1. Bd., Allgemeine Bio- logie, 1915. M. Hartmann (S. 293) gegen P. Claußen (S. 479). 2) Organographie, 2. Aufl., S. 415. 342 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. hat noch keinen Generationswechsel. Ebensowenig wissen wir von den pennaten Diatomeen, wie sie zu ihrem diploiden Vegetations- körper gekommen sind, der wie ein Tier nur haploide Gameten erzeugt, und so lange wir nicht urteilen können: Surirella hat keine ausgebildete haploide Generation mehr, so lange wenigstens müssen wir sagen: auch Surirella besitzt keinen Generationswechsel. Was aber jeder auf geschlechtlichem Weg sich fortpflanzende Organismus mit den Vertretern des Hofmeister’schen Generations- wechsels gemein hat, das ist der Wechsel der Zellkernstruktur, der Wechsel eines diploiden und eines haploiden Zustandes. Bei den Archegoniaten u.s. w. fällt der Wechsel der Kernstruktur allerdings mit dem Generationswechsel zusammen. Wir haben uns aber dafür entschieden, dass die beiden Erscheinungen nicht notwendig ıden- tisch sind, und brauchen deshalb für den abgetrennten Begriff einen kurzen Terminus. Verschiedene Autoren haben schon das Bedürfnis gefühlt, in solchen Fällen, in denen Generationen sich schwer unterscheiden lassen, statt von Generationen von Phasen zu sprechen; besonders die bequemen Ausdrücke Haplophase und Diplophase sind schon ziemlich gebräuchlich geworden. Danach wäre Gene- rationswechsel eine gewisse Form des Phasenwechsels. Es dürfte sich aber empfehlen, die beiden Begriffe anders zu definieren. Phasenwechsel soll nur soviel sein wie Wechsel des Kernzustandes, also Kernphasenwechsel, oder in internationaler Prägung Alter- nanz der Karyophasen. Einen Kernphasenwechsel besitzt jeder mit Sexualität begabte Organismus. Generationswechsel dagegen ist eine Erscheinung der äußeren Morphologie, ein Wechsel der Zeugungs- art, und Generationswechsel und Kernphasenwechsel bedingen ein- ander keineswegs notwendig. Wir haben schon gesehen, dass ein Kernphasenwechsel vorhanden sein kann, ohne dass ein Gene- rationswechsel ausgebildet ist. Wir werden sehen, dass ein Gene- rationswechsel sich auch innerhalb einer Kernphase abspielen kann, unabhängig von einem ebenfalls vorhandenen Kernphasenwechsel. In zweifellos abgeleiteten Fällen finden wir einen typischen Gene- rationswechsel erhalten, aber den Kernphasenwechsel durch Ge- schlechtsverlust ganz unterdrückt. Weitaus am häufigsten ist im Pflanzenreich allerdings die Erscheinung, dass der Kernphasenwechsel zusammenfällt mit einem Generationswechsel. Was alle neuen Untersuchungen bestätigen, ist das Vorhanden- sein eines Kernphasenwechsels bei sexueller Fortpflanzung. Wo Zygotenbildung ist, muss Reduktionsteilung sein. Das Gesetz folgt mit Notwendigkeit aus der Eigenschaft der Zellkerne, individualı- sierte Chromatinelemente zu besitzen, und es ist zuerst von Weis- mann ausgesprochen worden. Wenn Claußen (1915, S. 479) meint, die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes sei ein Beweis für die univer- selle Reichweite der von Hofmeister aufgedeckten Gesetzmäßig- Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 343 keiten, so ist dem entschieden zu widersprechen. Hofmeister’s Werk ist heute noch herrlich wie am ersten Tag, ohne dass wir ıhm fremdes Verdienst zuzuteilen brauchen. Die Geschichte lehrt sogar, dass Hofmeister’s Tat für die erste Zeit der Zytologie gar nicht lebendig war. Als die Botaniker, immer getreulich im Kiel- wasser der Zoologen, die ersten Entdeckungsfahrten in das Reich der Zellkerne unternahmen, wurde schon 1888 die Reduktionsteilung bei der Bildung der Sporen, nicht der Gameten der Blütenpflanzen gefunden. Aber nun schlug nicht etwa wie ein Blitz die Ahnung ein, dass, was im Hofmeister’schen Generationswechsel homolog ist, auch ın der Kernstruktur gleichartig sein müsse. Trotzdem die Sporen der Moose und Farne ebenso wie die der Blütenpflanzen immer zu vieren aus einer Mutterzelle hervorgehen, sprach erst 1893 E. Overton die Vermutung aus, dass die Spore allgemein die Grenze zwischen dem diploiden und dem haploiden Zustand bedeute. Nun bedurfte es nur noch der leichten Mühe geschäf- tiger Techniker, um die Richtigkeit des Königsgedankens zu. be- stätigen. Die Zahl der Phasen oder Glieder im Kernphasenwechsel ist immer zwei, entsprechend dem Wechsel eines haploiden und eines diploiden Kernzustandes. Bei den Angiospermen pflegt wohl eine triploide (seltener polyploide) Phase vorzukommen, das Endosperm, das nur in Ausnahmefällen diploid ist wie der Sporophyt. Aber das Endosperm steht außerhalb des Ringes der Phasen, die Ent- wicklung endigt mit dem Endosperm blind und biegt nicht wieder zu einer anderen Phase zurück, während haploide und diploide Phase zum ewig sich schließenden Ring verknüpft sind. Die diploide Phase reicht von der Zygote bis zu den noch diploiden Zellen bezw. Energiden, in denen die Reduktionsteilung stattfindet, bis zu den Gonenmutterzellen oder Gonotokonten (Lotsy). Zur haploiden Phase gehören sicher die mindestens in Vierzahl auftretenden Zellen bezw. Energiden, in denen die haploide Chromosomenzahl nach den meiotischen Teilungen hergestellt ist, die Gonen (Lotsy); nach dem Urteil wohl der meisten Zytologen schon die beiden Zellen bezw, Ener- giden, die das Produkt der ersten, heterotypischen Teilung im Gono- tokonten sind. Die letzten Zellen bezw. Energiden der Haplophase sind die Gameten. — Die Gonen sind, nebenbei bemerkt, die „Keim- zellen“ der Vererbungsliteratur. Das Wesen des normalen Hofmeister’schen Generationswechsels in seiner uns jetzt bekannten Gänze besteht, wie schon ausge- sprochen, darin, dass er mit dem Kernphasenwechsel sich deckt. Es ist nur noch hervorzuheben, dass die Keimzellen der unge- schlechtlichen Generation, die mit der diploiden Phase identisch ist, die Sporen, vom Standpunkt des Kernphasenwechsels als Gonen zu bezeichnen sind. Zur Unterscheidung von anderen Sporenformen 344 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. können wir sie schon jetzt Gonosporen?) nennen. Sie treten bei den Archegoniaten, Samenpflanzen, Dietyotaceen in Vierzahl aus dem Gonotokonten hervor, als Tetrasporen. Nach der Ansicht der meisten Zytologen würde eigentlich zur Ausführung der Chro- mosomenreduktion eine einmalige Teilung des Gonotokontenkerns schon genügen, tatsächlich finden wir (fast?) immer zum mindesten zwei aufeinander folgende Teilungen, also vier Gonen. Eine dritte Teilung erfolgt beinahe immer bei den Ascomyceten, deren Gonoto- kont, der Ascus, normal acht Sporen bildet; in der Gattung Taph- rina u. a. vermehren sich die acht Ascosporen im Schlauch durch hefeartige Sprossung auf eine unbestimmte, oft sehr beträchtliche Zahl; bei sehr vielen Gattungen werden die Ascosporen im Ascus zu mehrzelligen Körpern (zusammengesetzten Sporen, de Bary). Zu 8-32 gehen die Zoosporen aus dem Gonotokonten der Braun- alge Aglaoxonia hervor, die als diploide Generation zu Cutleria ge- hört. Den Komplex der Gonen dann, wenn ihre Zahl die Vierzahl übersteigt, als eine erste kleine haploide Generation aufzufassen scheint mir unnötig. Maire allerdings sieht in der Phase der Re- duktionsteilungen, also in dem Entwicklungsausschnitt vom Gonoto- konten bis zu den Gonen, allgemein eine besondere Generation, den „Protogametophyten“ (vgl. unten S. 367). Aber die Vierteilung des Gonotokonten ist, soviel wir sehen, der kürzeste Weg, der überhaupt vom diploiden Zustand zum haploiden führt, und es heisst die Darstellung und Vergleichung der komplizierteren Erscheinungen nur unnütz erschweren, wenn man auf diesen Durchgangszustand den Generationsbegriff anwendet. Auch wenn die Gonen sich im Gonotokonten durch Äquationsteilungen über die minimale, die Vierzahl hinaus vermehren, werden wir davon absehen, diesem Vor- gang bei der Betrachtung der so viel auffälligeren Generations- wechselerscheinungen besonderes Gewicht beizulegen. Gonosporen, die zu mehr als vier gebildet werden, können wir Polysporen nennen, nach dem Vorgang von Nägeli, der diesen Namen für ge- wisse, den Tetrasporen wahrscheinlich homologe Sporen von Flori- deen (s. unten S. 361) gewählt hat. Wie das Endosperm der Angiospermen nach seiner triploiden Kernbeschaffenheit eine dritte Phase darstellt, so bezeichnet es nach 3) Klebs (Handwörterb. d. Naturw., 4. Bd., 1913, S. 276) fasst unter Gono- sporen eine entwicklungsphysiologisch, nicht morphologisch einheitliche Gruppe von Sporenformen bei den Thallophyten zusammen, nämlich „alle Sporen, die infolge eines verwickelten Bildungsprozesses, häufig vermittelt durch einen geschlechtlichen Vorgang. ... entstehen, wie die Zygoten der Mucorineen, Oosporen von Saprolegnien, Sporen der Ascomyceten- und Basidiomycetenfrüchte“. Die Gruppe umfasst genau die Sporentypen, die de Bary als Karposporen bezeichnen wollte; denn nach unseren heutigen Kenntnissen sind die Basidiosporen, anders als de Bary glaubte, den Ascosporen homolog. Der Ausdruck Gonospore ist zur Kennzeichnung der- jenigen Sporen, die Gonen sind, unentbehrlich. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 345 seinen morphologischen Verhältnissen gegenüber dem Gameto- und dem Sporophyten eine Art von dritter Generation, die noch weniger differenziert ist als der Gametophyt und, soweit bis jetzt bekannt, auch in abgeleiteten Fällen niemals in den Gametophyten zurück- oder zum Sporophyten hinüberführt. Dass bei Dalanophora der apogam erzeugte Embryo aus dem Endosperm entsteht, hat sich ja nicht bestätigt. Viele Ascomyceten besitzen neben ihren „Ascusfrüchten“ eine „Nebenfruchtform“, nämlich Sporen, die ohne vorhergehenden Be- fruchtungsvorgang von dem haploiden Mycel abgegliedert werden. Bei manchen Schimmelpilzen, z. B. Penieillium, Aspergillus, kommt es vor, dass man gewöhnlich nur die Träger dieser „Konidien“, selten einmal die Ascusfrüchte zu sehen bekommt. Man hat das vielfach so dargestellt, dass einerseits der uns schon bekannte Wechsel zwischen der haploiden geschlechtlichen, Ascogone er- zeugenden und der diploiden ungeschlechtlichen, Sporenschläuche bildenden Generation stattfinde („antithetischer“ Generationswechsel), andererseits innerhalb der haploıden Phase ein Wechsel von ge- schlechtlichen und ungeschlechtlichen Generationen *), wobei meistens auf eine geschlechtliche Generation eine größere, mitunter sehr große, aber immer unbestimmte Zahl von ungeschlechtlichen Gene- rationen kommt („homologer“ Generationswechsel). Im gewöhn- lichen, entwicklungsgeschichtlichen Sinn sind allerdings die Mycelien jeweils zwischen Ascosporen und Konidien oder zwischen Konidien und Konidien eine Generation. Aber der Unterschied zwischen den nur Konidien tragenden und den Ascusfrüchte erzeugenden Mycelien hat mit einem Generationswechsel im Sinn der vergleichenden Mor- phologie nichts zu tun. Ein und dasselbe Mycel bildet oft, z. B. bei den Mehltaupilzen ganz regelmäßig, erst Konidienträger und dann Ascogone; die Konidien sind also ein Vermehrungsmittel der geschlechtlichen Generation. Von der Gonospore, der Ascospore, führt der Weg wieder zu den Geschlechtsorganen keineswegs not- wendig über’ den Konidienzustand. Es müssen keineswegs not- wendig einige ungeschlechtliche haploide „Generationen“ durchlaufen werden, bis eine Erscheinungsform auftritt, die endlich wieder Ge- schlechtsorgane bildet. Jedes Konidien tragende Mycel ist, auch wenn es keine Geschlechtsorgane bildet, als potentieller Gameto- phyt anzusehen, und hei geeigneter Wahl der Lebensbedingungen wird es immer gelingen, das aus der Ascospore hervorgegangene Mycel gleich wieder zur Bildung von Geschlechtsorganen zu bringen’). 4) Über die Ablehnung dieser Auffassung vgl. Klebs, Über den Generations- wechsel der Thallophyten, Biolog. Centralbl. 1899, 14. Jahrg, S. 209. 5) Sehr fraglich erscheint das allerdings bei der parasitischen Selerotinia heteroica, bei der eine regelmäßige Alternanz eines Konidienzustandes und einer Ascusfrüchte erzeugenden Generation im Zusammenhang mit einem obligaten Wirt- wechsel, also sicher in einer sehr stabilen Form, vorliegt; vgl. unten S. 365. 346 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. Das Mycel braucht, um den wichtigsten zyklischen Lebensvorgang, den Kernphasenwechsel, durchzumachen, nur zwei Keimzellstadien zu durchlaufen, nämlich die Zygote (im befruchteten Aseogon) und die Gonospore. Diese beiden Keimzellstadien sind für die Abwick- lung des Kernphasenwechsels notwendig, die Konidien sind über- flüssig. Vergleichen wir nur die beiden Sporenformen, so können wir die Ascosporen vom Standpunkt des Generations- und Kern- phasenwechsels als obligate, die Konidien als fakultative unge- schlechtlich erzeugte Keimzellen bezeichnen. Wir werden dem- selben Unterschied zwischen den Sporenformen auch bei anderen Thallophyten wieder begegnen, und nach den bis jetzt vorliegenden Erfahrungen können wir sogar sagen: ungeschlechtlich erzeugte Keim- zellen, die genau die erzeugende Erscheinungsform reproduzieren, sind immer fakultativ, stehen außerhalb des Ringes der Kernphasen und der Generationen. Dass auch der Sporophyt eines archegoniaten Gewächses ein „potentieller Gametophyt“ sein kann, zeigen die Marchal’schen Laubmoose und Goebel’s Prothalliumregenerationen an den Primär- blättern von Farnen. Aber die morphotische Induktion der Er- scheinungsformen im regulären Generationswechsel ist doch außer- ordentlich, wenn auch nicht absolut stabil, während die geschlecht- lichen und ungeschlechtlichen „Generationen“ vieler Thallophyten in den Händen von Klebs wie Wachs geworden sind. Es erscheint nun im Interesse einer leicht zu handhabenden, den neuen Erkenntnissen Rechnung tragenden Terminologie dringend nötig obligate und fakultative Sporenformen verschieden zu be- nennen. Nach de Bary soll Sachs‘) vorgeschlagen haben, Sporen nur diejenigen Keimzellen der Thallophyten zu nennen, die den Sporen der Archegoniaten homolog sind, alle anderen als (Gonidien zu bezeichnen; dass das nicht ganz die Umgrenzung des Sporen- begriffs im Sınn von Sachs wiedergibt, wird unten bei der Aus- einandersetzung über die Termini Oospore u. s. w. zu erörtern sein (S. 359). De Bary’) hat den Vorschlag, wie er ıhn auffasst, haupt- sächlich deshalb abgelehnt, weil es zu seiner Zeit noch nicht mög- lich war, die Homologien ausfindig zu machen; immerhin stellt er innerhalb des weit gefassten Sporenbegriffs die Gonidien den Karpo- sporen (und den Basidiosporen, die nach unserer jetzigen Kenntnis seinen Karposporen zuzurechnen sind) gegenüber. Wir Heutigen sind in diesen Fragen in einer viel besseren Lage und haben die Pflicht, die Bezeichnungen zeitgemäß zu reformieren. Als allge- meinste, im einzelnen Fall provisorische Benennung für sämtliche Formen ungeschlechtlich erzeugter Keimzellen wird Spore wohl bei- 6) Sachs, Lehrbuch der Botanik, 4. Aufl., 1874, S. 237. 7) De Bary, Vergleichende Morphologie und Biologie der Pilze, 1884, S. 139, Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 347 behalten werden können. Sporen ım engeren Sinn sollen aber, um einen Vorschlag zu machen, alle obligaten ungeschlechtlich er- zeugten Keinizellen heißen; darunter fallen nicht nur die uns schon bekannten Gonosporen, sondern auch andere Fortpflanzungszellen, die wir bald kennen lernen werden. Gonidien sollen alle fakul- tativen Fortpflanzungs- bezw. Keimzellen genannt sein; sie sind selbstverständlich immer ungeschlechtlich und damit ohne weiteres keimfähig, weil die Gameten bezw. Zygoten überall als oblıgat zu gelten haben. Die Sporen führen nach dieser Definition immer von einer Generation (im Sinn der vergleichenden Morphologie) zu einer anderen hinüber, oder beim Fehlen eines Generationswechsels wenig- stens von einer Kernphase zu der anderen (und zwar immer von der diploiden zur haploiden). Die Gonidien reproduzieren nur die Erscheinungsform, von der sie selber gebildet sind, sie finden sich deshalb auch bei geschlechtslosen Thallophyten, denen Sporen sensu stricto durchaus abgehen. Die Wahl des Wortes Gonidium (Neutrum bei Sachs wie bei den älteren Autoren) bedarf keiner Rechtfertigung. Es sagt was es sagen soll, nämlich Fortpflanzungszelle, es ist alt, und es ist neuerdings besonders von den Florideenforschern wieder aufgegriffen worden. Als Bezeichnung für die Algenzellen im Flechtenthallus sollte das Wort endgültig verschwinden, weil es hier nur einen historisch gewordenen Irrtum konserviert. Paraspore (nach Schmitz) würde den Begriff der fakultativen, der Nebenfruchtform unmittelbar zum Ausdruck bringen, würde aber in der Handhabung (bei Zusammen- setzungen) zu schwerfällig. Die leider viel zu ähnlich klingende Vokabel Konidium wird sich kaum mehr außer Gebrauch bringen lassen. Die Trennung der Sporenformen in oberflächlich abgeschnürte „Konidien“ und in eigentliche Sporen, die im Innern von Sporangien entstehen, ist für unsere heutigen Kenntnisse allerdings so oberflächlich wie nur möglich. Soll die Art der Entstehung ausgedrückt werden, so kann man die „Konidien“ von Penieillium Ektogonidien nennen, die „Sporangiosporen“ eines Meucor entsprechend Entogonidien®). In beiden Fällen handelt es sich außerdem um Haplogonidien. Der Hofmeister’sche Generationswechsel kann nun in abge- leiteten Fällen unter völliger Ausschaltung des Kernphasenwechsels ablaufen; diese Erfahrung allein zwingt schon zu einer Trennung der beiden Begriffe. Der Kernphasenwechsel wird beseitigt durch Verlust des Geschlechtsvorgangs. Die verschiedenen Modalitäten des Geschlechtsverlustes sind von Winkler’) mit sehr klarer und kon- 8) Sachs sagt Endogonidien. Vuillemin (Progr. Rei Botan. 1908, 2. Bd., S. 104) wählt aber Entospore als Gegensatz von Ektospore, weil Endospore zu sehr an Endosporium (Gegensatz Exosporium) anklingt, vor allem für den Franzosen. 9) Winkler, Über Apogamie und Parthenogenesis im Pflanzenreiche. Progr. Rei Botan., 1908, 2. Bd. Ebenso im Handwörterb. d. Naturw., 1913, 4. Bd., 8. 265. 348 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. sequenter Begriffsbildung, aber mit einer für unsere jetzige Kenntnis der Pilze nicht mehr recht passenden Wahl der Termini dargestellt worden. Geschlechtsverlust im allgemeinen Sinn nennt Winkler Apomixis; diese wird gegliedert in Parthenogenesis, das ist apomik- tische Entwicklung einer (bei vielzelligen Formen morphologisch diffe- renzierten) Geschlechtszelle!°), und Apogamie, das ist apomiktische Entstehung eines Sporophyten aus vegetativen Zellen des Gameto- phyten (besonders bei Farnen). Nun sagt Gamie aber so viel wie Paa- rung, Mixis ist Mischung, Verschmelzung. Wir wissen, dass bei den höheren Pilzen allgemein der Geschlechtsvorgang zunächst in einer Kernpaarung besteht, auf die ganz spät erst die Kernverschmelzung folgt. Dieser zweite Schritt bleibt sogar ganz aus bei gewissen Uredineen (Arten von Endophyllum), bei denen entweder die Kern- paare der Diplophase in der keimenden Äcidiospore zum Zweck der Gonenbildung einfach in ihre Elemente zerlegt werden, ohne vorher zum diploiden Kern verschmolzen zu sein, oder immer ein Kern des Dikaryon zugrunde geht; die denkbar einfachste Art der Meiose. Wir finden hier Gamie ohne Mixis, oder, um mit Maire!t) zu sprechen, Apomixis. Auf das Ausbleiben der Mixis wird logischerweise nur dann hingewiesen, wenn Gamie vorhanden ist; dass die Mixis fehlt, wenn nicht einmal das vorbereitende Stadium durchlaufen wird, versteht sich von selber. Sehen wir in der Gamie den eigentlichen Geschlechtsvorgang, so bleibt für den Geschlechts- verlust kein anderes Wort als Apogamie; der Terminus wird also in seine alten Rechte von de Bary’s Gnaden wieder eingesetzt. Apomixis (nach Maire) hat mit Geschlechtsverlust nichts zu tun und scheint eine sehr seltene Erscheinung zu sein. Partheno- genesis ist ein Unterbegriff von Apogamie, im übrigen so zu definieren wie oben zu lesen. Bei der Erscheinung, die Winkler Apogamie nennt, fehlt wie bei der Parthenogenesis allerdings die Gamie, aber zum besonderen Ausdruck soll das Fehlen differen- zierter Geschlechtszellen, Gameten kommen. Diese letztere Eigen- tümlichkeit könnte hervorgehoben werden durch die Bezeichnung Apogametie, und dass es sich dabei zugleich um Apogamie han- delt, ist durch den Gleichklang wohl genügend deutlich gemacht. 10) Winkler sagt apomiktische Entstehung eines Sporophyten aus einem Ei. Parthenogenesis kommt aber auch bei solehen Formen vor, denen wir einen Gene- rationswechsel absprechen. Die Zygote, und entsprechend auch die Parthenospore, von Spirogyra z. B. erkennen wir nicht als Sporophyten an. Auch Eier besitzt Spirogyra nicht. 11) Maire, in Progr. Rei Bot., 1913, Bd. 4, S. 118. — Fast noch weiter als Winkler geht in der Unterordnung des Begriffs der Gamie unter den der Mixis M. Hartmann, in „Autogamie bei Protisten“; Archiv f. Protistenkunde, 1909, Bd. 14; auch Jena 1909. — In verschiedenen Punkten weicht von der Winkler’- schen Terminologie auch die von Guilliermond ab, in Progr. Rei Bot. 1913, Bd. 4, S. 461. N Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 349 Die normale Form des Geschlechtsvorgangs nennt Winkler ım Anschluss an die Zoologen Amphimixis!?), und von hier aus ist er dazu gekommen den Geschlechtsverlust als Apomixis zu bezeichnen. Dagegen ist geltend zu machen, dass bei den höheren Pilzen die ganze Diplophase mit Ausnahme der Gonotokonten dikaryotisch, nicht synkaryotisch ist, d. h. dass sie Kernpaare besitzt, ın denen die Mixis noch nicht eingetreten ıst; das System der ascogenen Hyphen von Pyronema, der Sporophyt, entsteht durch Amphi- gamie, nicht durch Amphimixis. Bei der Amphigamie sind diffe- renzierte Geschlechtszellen bezw. Geschlechtsorgane vorhanden, die Paarung eingehen; folgt der Gamie gleich die Kernverschmelzung, was ja der gewöhnliche Fall ist, so steht der Anwendung des Wortes Amphimixis nichts im Weg. Bei gewissen Ascomyceten paaren sich die Kerne eines mor- phologisch als weiblich differenzierten, vielkernigen Organs. Es liegt vermutlich Parthenogamie vor, nicht Parthenomixis, wie Winkler sagt. Denn bis die Kernpaare — und um solche, nicht um diploide Kerne wird es sich wohl auch hier handeln — eines höheren Ascomyceten endlich zur Mixis kommen, haben sie ver- gessen, ob sie aus einem oder aus zwei Geschlechtsorganen stammen. Am Prothallium des Farnes Polystichum pseudomas geht der Sporophyt aus verschmolzenen vegetativen Zellen hervor, nicht aus dem befruchteten Ei. Die Entdecker haben die Erscheinung Pseud- apogamie genannt, was einen guten Sinn hat, weil man die Form zunächst natürlich für apogam (nach unserer Ausdrucksweise ge- nauer für apogametisch) hielt. Winkler macht daraus Pseudomixis; das Wort ist unglücklich gewählt, weil keineswegs die Mixis unecht ist, nur die verschmelzenden Zellen keine echten Gameten sind. Entsprechende Vorgänge sind bei den Pilzen (Ascomyceten, Ure- dineen) nicht selten; hier liegt natürlich Gamie, nicht Mixis vor. Weil die differenzierten Gameten bezw. Gametangien durch gewöhn- liche vegetative, somatische Zellen vertreten sind, können wir die Anomalie am besten Somatogamie nennen. Bei den Farnen ist es dann möglich, von Somatomixis zu reden, weil die Kerne gleich verschmelzen, doch versteht sich das bei einem archegoniaten Ge- wächs von selbst. Die allerrudimentärste Art der Herstellung des diploiden Zu- standes treffen wir bei Basidiomyceten wie Hypochnus (nach Kniep). Die Gonospore wird hier durch Kernteilung zweikernig, und die sämtlichen Zellen des Mycels bleiben paarkernig bis zur Mixis in der jungen Basidie. Mixis ist hier vorhanden, aber zu Beginn des diploiden Zustandes keine eigentliche Gamie, nicht die Paarung ge- 12) Der Terminus gehört ursprünglich der Vererbungs- und Abstammungs- theorie, nicht der Morphologie an. 350 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. trennt gewesener Kerne. Hier liegt nichts als eine Verdoppelung des Chromatinbestandes der Zelle vor, das eigentliche Gegenstück zur Meiose, also wenn wir wollen die Diplose. Als ganz neutraler Ausdruck, eben als Korrelat von Meiose, ist: der Begriff der Diplose vielleicht auch brauchbar, wenigstens für die Darstellung des Kernphasenwechsels. Der diploide Zustand wird ja, wie wir gesehen haben, nicht immer durch eine der Formen der Gamie hergestellt. Im engeren Sinn kann dann Diplose für den Typus Hypochnus — ob der Vorgang in der Spore oder ın späteren Zellen des Mycels, wie vielleicht bei anderen Basidio- myceten, sich abspielt, ist natürlich nicht von Belang — verwendet werden. Apodiplose für Verlust der Ohromosomenverdoppelung ist überflüssig, weil wir diesen Verlust von der Gamie herleiten — ebenso wie die Diplose sensu strieto — und deshalb als Apogamie be- zeichnen. Mit Rücksicht auf den Generationswechsel unterscheiden wir innerhalb der Apogamie zunächst Parthenogenesis und Apogametie. Die erstere lässt den Generationswechsel ganz unberührt, wo er vorhanden ist, und kann auch beim Fehlen eines solchen eintreten (Spirogyra, Chara). Die letztere kann nur vorkommen, wo ein Generationswechsel ausgebildet ist, und verwischt die Grenze des Gametophyten gegen den Sporophyten. Für den Kernphasenwechsel ist es gleichgültig, ob differenzierte Gameten vorhanden sind oder nicht, wesentlich ist aber, mit welcher Chromosomenzahl bei Apogamie die Entwicklung, also gegebenen- falls der Generationswechsel durchgeführt wird, ob mit der haploiden oder mit der diploiden. Winkler unterscheidet innerhalb der Par- thenogenesis und innerhalb seiner Apogamie (unserer Apogametie) je eine somatische Form, wenn die Chromosomenzahl diploid ist, und eine generative Form, wenn die Zahl haploıd ist. In diesem Gebrauch des Begriffes Soma kommt die umgekehrte Tendenz zum Ausdruck wie die, welche einer Spirogyra und einem Metazoon einen Generationswechsel zuerkennen möchte. Denn hier wird der Entwicklungsgang eines Mooses auf das Schema der Metazoenent- wicklung gebracht, dem Moosstämmcehen deshalb, weil es haploid ist, ein Soma abgesprochen. Schon in der oben getroffenen Wahl des Ausdrucks Somatogamie ist ausgesprochen, dass wir Winkler hierin nicht folgen können; ein Soma, einen Leib, einen aus früher oder später ausgewachsenen Zellen bestehenden Vegetationskörper im Gegensatz mindestens zu den Fortpflanzungszellen (Pfeffer ver- wendet somatisch sogar als Gegensatz zu embryonal, ebenso Jost) kann auch eine haploide Erscheinungsform haben. Hartmann hat diesen Teil der Winkler’schen Nomenklatur ebenfalls abgelehnt, und wir sprechen mit ihm von diploider und haploider Apo- gamıe. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 351 Das Unterbleiben der Reduktionsteilung, das bei habitueller Apogamie notwendig eintreten muss, ist, soviel mir bekannt, noch nicht mit einem kurzen Terminus belegt worden. Das Wort, das sich für den längst vorhandenen Begriff von selber einstellt, ist Apomeiose. Die Keimzellen, d. h. die Sporen, können bei Apo- meiose noch vollkommen ausdifferenziert werden, wie z. B. bei der habituell parthenogenetischen Marsilia Drummondi, wo sie sich von normalen Gonosporen durch nichts als durch die diploide Kern- beschaffenheit unterscheiden, auch in Tetraden aus den Sporen- mutterzellen hervorgehen. Ebenso zerlegt sich bei den partheno- genetischen Alchemillen die Embryosackmutterzelle, wenn auch auf apomeiotischem Weg, in vier Megasporen'?), von denen eine zum diploiden Embryosack, also zum Megaprothallium wird. In anderen Fällen tritt aber die Apomeiose als Sporenverlust auf, als Apo- sporie, wobei der Gametophyt aus vegetativen Zellen des Sporo- phyten hervorgeht, ohne den Umweg über die Spore. Die Apo- sporie steht also zur apomeiotischen Sporenbildung im selben Verhältnis wie die Apogametie zur Parthenogenesis; die Aposporie verwischt die Grenze des Sporophyten gegen den Gametophyten. Bei experimentell erzeugter Aposporie an Farnprimärblättern kommen sogar ausgesprochene Mittelbildungen zwischen Blatt und Pro- thallıum vor. Bei habitueller Ausbildung sind Apogamie und Apomeiose natürlich immer miteinander verknüpft. Wenn aber festgestellt werden kann, ob die vorhandene Chromosomenzahl die haploide oder die diploide ist, lässt sich mit aller Sicherheit darauf schließen, auf welchem Weg die Anomalie erworben worden ist. Bei diploider Apogamie ist augenscheinlich primär die Meiose ausgefallen, und die Apomeiose hat Apogamıe ım Gefolge gehabt. Bei haploider Apogamie ist der primäre Verlust der las (samie, und auf die Apo- gamie ıst die Apomeiose gefolgt. Eine besonders diese Abwandlung des Generations- wechselschemas ist von Miss Allen und von Steil für einige Farne beschrieben worden. Der Sporophyt der betreffenden Formen ent- wickelt sich apogametisch, aus vegetativen Zellen des Prothallium, und zwar mit der haploıden Chromosomenzahl. In den jungen Sporangien sollen aber die Zellen, die sonst den sporogenen Kon:- plex darstellen, paarweise kopulieren, und die so gebildeten Zygoten sollen als Sporenmutterzellen fungieren, unter Reduktionsteilung die Sporen liefern. Hier ist nicht bloß der Generationswechsel, sondern auch der Kernphasenwechsel bewahrt, aber das Verhältnis zwischen den beiden zyklischen Vorgängen ist gegenüber dem nor- 13) In Deutschland ist noch immer das falsch gebildete Wort Makrospore ‚als Gegensatz von Mikrospore gebräuchlich. 352 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. malen tief verändert. Der „Sporophyt* ıst ja noch haploid wie der „Gametophyt“ und erzeugt auf dem Weg der Somatogamie die Gonotokonten, die allein die diploide Phase repräsentieren. Das Prothallium ist apogam geworden, die Gamie ist auf die Farnpflanze übergegangen, die aber zugleich als echter Sporophyt die meiotische Sporenbildung bewahrt. Das Fehlen eines Generationswechsels bei normalem Kernphasenwechsel und diploidem Soma ist das typische Verhalten der Metazoen. Die Gonen, die hier Gameten sind — also wenn wir wollen die Gonogameten —, als Repräsentanten einer haploiden Generation hinzustellen ıst gezwungen. Der Gonotokont stellt die Gameten, die notwendig haploid sein müssen, auf dem, wie wir gesehen haben, kürzesten Weg her, der überhaupt möglich ist, und diese haploiden Elemente fallen mit der Befruchtung gleich wieder auf den diploiden Zustand zurück. Ebenso scheinen sich unter den einzelligen Algen (denen ein eigentliches Soma natürlich fehlt) die pennaten Diatomeen zu verhalten. In den zur Kopulation sich anschickenden Zellen macht der Kern die Reifeteilungen durch. Ein Fall, in dem alle 4 Gonenzellen ausgebildet werden und als Gameten fungieren, ist noch nicht bekaunt; er wäre das Gegenstück zu der grünen Konjugate Cylindrocystis (vgl. unten). Zwei Gonen bleiben als Gameten erhalten bei Rhopalodia (Gegenstück die grüne Konjugate Closterium). Eine einzige funktionierende Gone endlich findet sich bei Surzrella (Gegenstück Spirogyra). — Unter den Hymeno- myceten sind hier die Formen zu nennen, bei denen wie bei Hy- pochnus das Mycel von der zweikernigen Basidiospore an paarkernig ist; dass die haploide Generation hier durch Reduktion verloren gegangen ist, unterliegt kaum einem Zweifel. Bei den Fucaceen unter den Braunalgen finden wir die Besonderheit, dass die Game- tangien des diploiden Vegetationskörpers, welche Gonotokonten sind, nicht vier Gonen erzeugen, sondern mehr. Die Oogonien bilden acht Eier, die Antheridien gar 64 Spermatozoiden (bei Fucus). Die Wahrscheinlichkeit, dass die haploide Phase bei Fucus und seinen Verwandten in reduziertem, nicht in primitivem Zustand vorliegt, ist nach verschiedenen Anzeichen recht groß; die Zahl der fertig ausgebildeten Eier ist bei den meisten Gattungen auf 4, 2 oder 1 reduziert, während die S Kerne noch überall gebildet werden (Rich- tungskörper!), und ım Oogonium tritt nach der Tetradenteilung, vor der letzten, dritten Mitose, eine Pause ein. Aber in dem Zustand, wie wir ihn jetzt vor uns sehen, finden wir eben keinen Generations- wechsel, und wenn wir alle phylogenetischen Phantasien beiseite lassen, können wir die Vermehrung der Gonen über die Vierzahl hinaus ungezwungen mit der Bildung der Polysporen von Cutleria- Aglaoxonia in Parallele setzen. Sporen fehlen bei den Fucaceen natürlich, desgleichen, was sich nicht von selber versteht, Gonidien. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 353 Fehlen eines Generationswechsels bei normalem Kernphasen- wechsel und haploidem Vegetationskörper finden wir bei vielen grünen Algen und bei den Phycomyceten. Die diploide Phase ist allein durch die Zygote dargestellt, die bei der Keimung gleich in Reduktionsteilung eintritt. Die Mucorineen unter den Algen- pilzen haben polyenergide Gameten und ebensolche Zygoten; man hat deswegen hier von Cönogameten und Uönozygoten gesprochen, während wir Gonen im a des Kernphasenwechsels in den haploiden Energiden des aus der Zygote hervorgehenden Keim- mycels zu ‚sehen haben, Gameten in den haploiden Energiden der kopulierenden Myceläste, und Zygoten in den diploiden Energiden der Cönozygote. Weil die Zygote aller dieser Thallophyten sich unmittelbar in den Gonotokonten umwandelt, können wir sie Toko- zygote (statt Gonotokozygote) nennen. Die Formen, deren Tokozygote bei der Keimung gewöhnliche vegetative Zellen liefert, erscheinen als das genaue haploide Gegen- stück zu den diploiden Diatomeen. Die Zygote der grünen Meso- täniaceen (z. B. Cylindrocystis) gibt als Gonen vier vegetative Einzel- zellen, die wir zum Unterschied von Gonogameten und Gonosporen als Gonocyten bezeichnen können. Die Zygote von Spirogyra dagegen keimt zu einer einzigen Fadenzelle (Gonocyte) aus, in der von den vier Gonenkernen nur einer am Leben bleibt. Vaucheria und Chara verhalten sich äußerlich ähnlich wie Spirogyra. Einen wesentlichen Unterschied gegenüber diesen Formen wollen aber Oltmanns'*) und Wille in der Keimungsweise der Zygoten von Oedogonium und Bulbochaete sehen. Die Zygote zerlegt sich hier nämlich in vier Schwärmsporen, und diese sollen eine vegetative Zwerggeneration darstellen, eine Art winzigen Sporophyten, wenn auch haploider Natur. Es würde ein Generationswechsel innerhalb der haploiden Phase bestehen, wobei die Schwärmertetrade die obligat unge- schlechtliche, der aus einem Schwärmer hervorgehende Zellfaden die (wenigstens potentiell) geschlechtliche Generation repräsentierte. Mit genau demselben Recht müssten wir aber dann die Sporen- tetrade eines Mooses als selbständige Zwischengeneration zwischen Sporophyt und Gametophyt gelten lassen, und das haben wir oben aus Gründen der Zweckmäßigkeit abgelehnt. Die vier Schwärmer sind, wenn wir konsequent sein wollen, nicht als Komplex zu be- trachten, sondern einzeln; jeder für sich ist die erste Zelle eines haploiden, potentiell geschlechtlichen Thallus. Sie entsprechen, so genau als das möglich ıst, den Sporen der Moose und sind nach unserer Definition echte Sporen, insofern sie als Gonen von der diploiden Phase zur haploiden hinüberleiten. Vermutlich ist die Keimungsart der Zygote von Oedogonium (desgleichen von Hydro- 14) Noch im Handwörterbuch d. Naturw., 4. Bd., 1913, S. 178. XXXVI. > wo 354 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. dietyon, Sphaeroplea), wobei zwei Keimzellformen, nämlich Zygote und Gonosporen, dicht aufeinander stoßen, ebenso primitiv wie die Keimungsweise von Cylindrocystis, bei der entsprechend der Ein- zelligkeit des Vegetationskörpers nur die Gonosporen durch Gono- cyten ersetzt sind. Abgeleitet dagegen dürfte das Auftreten eines einzigen Keimlings sein. Es scheint mir deshalb nicht angängig, nach dem Vorgang von Sachs mit Oltmanns!?) zu sagen, dass der Prozess der Schwärmerbildung bei Oedogonium u. s. w. sich „als Einschaltung eines neuen Gliedes in den Entwicklungsgang der fraglichen Algen“ darstellt. Die Ausbildung der Gonen in Schwärmer- form ist irrelevant; wir sehen ja, dass bei Oedogonium so ziemlich jede Fadenzelle, selbst der Inhalt des noch einzelligen, eben aus einer ungeschlechtlichen Schwärmzelle gebildeten Keimfadens als Schwärmer ausschlüpfen kann. Bei Ulothrix sollen die Gonen (nach Klebs) als vier unbewegliche Zellen aus der Zygote kommen; ob man in diesen Keimlingen Gonocyten oder Gonosporen sehen will, ist Geschmackssache. Wesentlich ist die allem Anschein nach ur- sprüngliche Vierzahl. Von dem primitiven Typus Cylindrocystis führt die Reduktion zunächst zu Closterium mit zwei Keimlingen und zwei zugrunde gehenden Gonenkernen, und weiter hinunter zu Sperogyra mit einem einzigen funktionierenden Gonenkern. Von dem ebenfalls primitiven Typus Oedogonium führt die Amplifikation hinauf zu Coleochaete, von der noch die Rede sein wird. Das dürfte wohl die einfachste Art sein, die betreffenden Formen untereinander zu verknüpfen. — Das Verhalten des Zygotenkerns von Vaucheria, Dasycladus, Chara u. s. w. kennen wir noch nicht, aber wenigstens für die zwitterigen Arten von Vaucheria erscheint es nicht un- möglich, dass der später sicher vielkernig werdende Keimschlauch gleich von Anfang an alle vier Gonenkerne in teilungsfähigem Zustand ın sich aufnimmt; dass bei der diözischen Vaucheria dichotoma mehr als ein Gonenkern funktioniert, ist allerdings sehr unwahrscheinlich (vgl. unten die Ausführungen über Phycomyces, S. 357). | Wille!) erkennt Oedogonium noch eine zweite Form von Gene- rationswechsel zu, nämlich die Alternanz von geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Fadengenerationen, wie sie auch bei anderen Grünalgen weitverbreitet ist. Ebenso spricht Hartmann !”) bei Volvox von einem „primären Generationswechsel“, der mit dem Hofmeister’- schen Generationswechsel der höheren Pflanzen identisch sein soll. Für diese Erscheinungen wäre das zu wiederholen, was oben über die ungeschlechtliche Vermehrung von Penieilhium u.s. w. gesagt 15) Oltmanns, Morphologie und Biologie der Algen, 2. Bd., S. 270. 16) „Natürliche Pflanzenfamilien“, Nachträge zum 1. Teil, 2. Abt., 1911, S. 14. 17) M. Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Biol. Centralbl. 1904, 24. Jahrg., S. 32. — Vgl. aber hierzu die Nachschrift S. 371. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 355 worden ist!?). Es handelt sich hier nur um Vermehrung der (po- tentiell oder manifest) geschlechtlichen Erscheinungsform. Die Keimzellen, die diese Vermehrung vermitteln, sind demnach als Haplogonidien zu bezeichnen; bei Volvox hat man schon von „Par- thenogonidien* gesprochen. Bei Oedogonium und vielen anderen Grünalgen treten sie als Schwärmer, als Zoogonidien auf. Vazucheria hat große polyenergide Schwärmer, die wir, nach Analogie von Cönogamet u. s. w., Uönozoogonidien nennen könnten. — Volvox soll übrigens nach M. Hartmann (l. ec. S. 37) bei der Eibildung Reifungserscheinungen erkennen lassen, also einen diploiden Vege- tationskörper besitzen. Eine genauere Beschreibung dieser Vor- gänge scheint aber nicht teuilieh) worden zu sein, und für den Botaniker, der in Volvox eine Grünalge, nicht ein Protozoon zu sehen gewohnt ist, klingt die Angabe nicht sehr wahrscheinlich. Wo der ganze Vegetationskörper einzellig ist, wie bei den Des- midiaceen, finden wir unter normalen Bedingungen immer eine größere oder kleinere Zahl von ungeschlechtlichen Zellgenerationen zwischen den Gonen und der Zygote. Dass besonders die Gonen selber, etwa bei (Cylindrocystis, einer Kopulation stark abgeneigt sind, ist recht wahrscheinlich; sie könnten ja durch ihre Nach- barschaft mit der Zygote irgendwie physiologisch induziert sein, ähnlich wie die Primärblätter eines Farns, wohl infolge der Nach- barschaft mit dem Prothallium, ein anderes Regenerationsvermögen besitzen als die entfernteren Folgeblätter. Aber ebenso wahrschein- lich ist, dass es durch geeignete Behandlung glücken wird, diese Induktion zu beseitigen. Es geht also wohl an, alle diese haploiden Einzelzellen als potentielle Gameten, oder wenn wir sie als Indi- viduen respektieren, als potentielle Gamonten!”) anzusehen. Sollte das Experiment nie gelingen, so können wir die Individuennatur der Zellen in den Hintergrund schieben und das obligate Auftreten von Agamonten vor den Gamonten mit der Differenzierung der Zellen im Thallus einer vielzelligen Alge ın Parallele setzen. Auf jeden Fall ist es ganz unzweckmäßig, ein solches, in der Zahl der Schritte nie streng geregeltes Abwechseln von ungeschlechtlich und geschlechtlich sich verhaltenden, im übrigen morphologisch iden- tischen Individuen dem Begriff des Generationswechsels, wie wir ihn bisher gebraucht. haben, als der streng gesetzmäßigen Alternanz gegensätzlicher Erscheinungsformen, unterzuordnen. — Ganz analoge 18) Vgl. auch hier die oben zitierte Arbeit von Klebs, 1899. 19) Der Ausdruck Gamont (Hartmann, 1904, S. 25) ist sehr bequem für ein geschlechtliches Individuum, das wir nicht Gametophyt nennen wollen oder können. Es ist ja üblich und auch empfehlenswert, Gametophyt nur als Korrelat von Sporo- phyt anzuwenden, also zu vermeiden beim Fehlen eines Generationswechsels. Aga- mont ist das ungeschlechtliche Individuum, das aber in vielen Fällen als potentieller Gamont angesehen werden muss, IN >56 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. Erscheinungen treffen wir in der diploiden Phase bei den pennaten Diatomeen, und unter den Protozoen z. B. bei den Infusorien. Während Korschelt?®) hier wie Hartmann von Generationswechsel spricht, lehnt Doflein*!) die Bezeichnung ab. Einen echten Generationswechsel, allerdings ganz besonderer Art, besitzen aber gewisse Spezies von Oedogonium und die nächstver- wandte Gattung Bulbochaete im männlichen Geschlecht. Die männlichen Gameten werden hier nämlich nicht von den gewöhnlichen Zell- fäden gebildet, sondern diese erzeugen neben den Oogonien zunächst bewegliche „Androsporen“, die sich, meist in der Nähe der Oogonien, festsetzen und zu Spermatozoiden erzeugenden Zwergmännchen aus- wachsen. Diese Androsporen sind obligate Haplosporen. Der zwit- terige Vegetationskörper erzeugt nur die weiblichen Gameten auf dem geraden Weg, statt der männlichen Gameten bildet er aus besonderen Keimzellen männliche Gamonten, die selbständig werden und dem potentiell zwitterigen, der Funktion nach weiblichen Mutter- faden als gleichgeordnet gegenübertreten, so wie sonst männliche und weibliche Individuen, die aus verschiedenen, gleichgeordneten Keimzellen hervorgegangen sind, nebeneinander stehen. Wir stoßen damit auf das Problem der Geschlechtsdifferen- zierung, dem wir bis jetzt aus dem Weg gegangen sind, aber in dem besonderen Fall nicht ausweichen können. Es spielt im Gene- rations- und Kernphasenwechsel der Pflanzen nirgends entfernt die- selbe Rolle wie bei manchen Tieren, und es wird bei der Darstellung des pflanzlichen Generationswechsels häufig gar nicht berührt ??). Tatsächlich werden bei allen diözischen Gewächsen die zyklischen Erscheinungen gegenüber denen bei den zwitterigen erheblich kom- pliziert. Außer dem Hintereinander der Phasen und Generationen gibt es bei den Diözischen noch ein Nebeneinander der gleichgeord- neten Zustände von Männchen und Weibchen, dıe Kette verzweigt sich streckenweise, oder es laufen gar, bei den auch ım diploiden Zustand streng diözischen Formen, zwei Ketten dauernd getrennt nebeneinander her, um nur die Gameten kreuzweise auszutauschen ?°), Gegenüber den tiefgreifenden Unterschieden zwischen haploider und diploider Kernstruktur, zwischen geschlechtlicher und unge- 20) Korschelt, Handwörterbuch der Naturw., 4. Bd., S. 307. 21) Doflein, Lehrbuch der Protozoenkunde, 3. Aufl., S. 223, 225. 22) Anders z. B. bei J. Bonnet (Reproduction sexuee et alternance des gene- rations chez les Algues, Progr. Rei Bot. 1915, 5. Bd., 1. Heft), der in seinen gra- phischen Schemata auch die Geschlechtsverhältnisse berücksichtigt. 23) In nicht sehr glücklicher Weise sind diese Verhältnisse bei Burgeff dar- gestellt, in „Untersuchungen über Variabilität, Sexualität und Erblichkeit bei /hy- comyces nitens“. Habilitationsschrift, Jena 1915, S. 74ff. Auch Flora 1915, Bd. 108, S. 426ff. — Auf gewisse terminologische Vorschläge (z. B. Definition des Gameten- begriffs) einzugehen, dürfte nicht nötig sein, weil sie schwerlich Zustimmung finden werden. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 357 \ schlechtlicher Fortpflanzungsweise erscheint aber der Gegensatz der Geschlechter so geringfügig, dass er bei der Vergleichung weit ver- schiedener Organisationstypen mit Fug und Recht vernachlässigt wird. Bei den „gynandrosporischen* Ödogoniaceen drängt sich dagegen die Geschlechtsdifferenzierung in die einfache Kette der Fortpflanzungs- erscheinungen ein. Das kollaterale Verhältnis zwischen Männchen und Weibchen entsteht durch Umformung des serialen Verhältnisses zwischen Erzeuger und Erzeugtem **). So kommt es, dass der Weg von Zygote zu Zygote notwendig über eine ungeschlechtlich erzeugte Keimzelle, eine Spore führt. Die Erscheinung verliert freilich etwas von ihrer Merkwürdigkeit, wenn wir uns daran erinnern, dass jede Fadenzelle von Oedogonium als Schwärmer ihren Ort wechseln kann. Die Androsporen sind mit Oltmanns (Algen, Bd. 2, S. 273) „am leichtesten als vorzeitig ausgeschlüpfte Spermatozoid-Mutterzellen zu verstehen, welche an anderer Stelle ihre Entwicklung fortsetzen“. Die Verhältnisse bei den Phycomyceten stimmen mit den bei den Grünalgen geschilderten so nahe überein, dass wir sie nicht eigens zu behandeln brauchen. Die Bildungsweise der Gonidien ist sehr mannigfaltig. Vielkernige, behäutete Entogonidien in großen Gonidangien bilden Mucor und seine Verwandten. Nackte Zoogoni- dien, die natürlich immer in Gonidangien entstehen, finden sich bei den wasserbewohnenden Saprolegniaceen. Ektogonidien treffen wir bei den parasitischen Peronosporaceen. Und endlich werfen manche Vertreter der letztgenannten Gruppe kleine Gonidangien ab, aus denen bei der Keimung Zoogonidien austreten. — Viele in der ungeschlechtlichen Form weitverbreiteten Mucorineen zeigen selten Zygotenbildung, weil die Mycelien getrennt-geschlechtig sind; von einem Generationswechsel ist natürlich keine Rede. Die Cönozygote keimt allerdings gewöhnlich zu einem Faden aus, an dem sich gleich ein Gonidangium bildet. Aber dieses „Keimsporangium“ muss nicht notwendig durchlaufen werden, bevor wieder Zygotenbildung mög- lich ist. Die Zygote von Sporodinia z. B. lässt sich leicht dazu bringen, in gewöhnliches, verzweigtes Nährmycel auszukeimen, an dem gleich wieder die kopulierenden Cönogameten auftreten. Es gibt also auch hier keine obligaten Sporen. Dasselbe gilt merkwürdigerweise sogar für den heterothallischen (diözischen) Phycomyces nitens (nach Burgeft 1. c. S. 63). Der Keim- schlauch der Zygote enthält zahlreiche diploide Kerne, die normaler- weise erst in dem jungen „Keimsporangium“ in Reduktionsteilung eintreten, ohne vorher Äquationsteilungen durchgemacht zu haben. Bei der Reduktionsteilung scheint auch die Trennung der Ge- schlechtsqualitäten zu erfolgen, und weil die Gonenkerne auf ver- 24) Ein popularisierender Schriftsteller würde sagen: Die Schuld des Ödipus zum Gesetz erhoben, 358 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen (Grenerationswechsels. schiedene „Sporen“ verteilt werden (in denen sie sich erst weiter teilen, so dass die reife Spore mehrkernig ist), können die aus den „Ursporen“ hervorgehenden Mycelien geschlechtlich bestimmt sein; teilweise sind sie allerdings aus noch nicht sicher aufgeklärten Gründen geschlechtlich neutral, nicht kopulationsfähig. Wird nun die Zygote gezwungen, zu einem verzweigten Mycel statt zu einem Keimsporangium auszukeimen, so scheint die Reduktionsteilung der Kerne an morphologisch nicht besonders gekennzeichneten Stellen des Mycels vorgenommen zu werden, wie bei Sporodinia. Während aber das homothallische, zwitterige Sporodinia-Mycel, sobald es haploide Kerne besitzt, Geschlechtsorgane zu bilden vermag, ist der getrenntgeschlechtige, heterothallische Phyeomyces dazu nicht ohne weiteres imstande. Die geschlechtlich verschieden determinierten Gonenkerne bleiben ja in dem polyenergiden Mycel in einer und derselben Plasmamasse vereinigt, das Mycel ist dazu verurteilt, ge- schlechtlich inaktiv, neutral zu bleiben. Dieses a priori zu erwar- tende Verhalten hat Burgeff mehrfach beobachtet, aber auffallender- weise fand er fast ebenso oft das Keimmycel der Zygoten sexuell aktiv. Es muss hier also irgendwie eine Trennung, Entmischung der mit verschiedenen Geschlechtsqualitäten begabten Kerne eingetreten sein. Bei dem komplexen Charakter des Zygotenkeimschlauchs, der nicht nur zahlreiche Zygotenkerne, sondern auch die sämtlichen Gonen- abkömmlinge dieser Zygotenkerne einschließt, wäre es nicht zu ver- wundern, wenn wenigstens bei den heterothallischen Formen die in „Keimsporangien“ gebildeten „Ursporen“ obligat wären; das Auf- treten solcher als echte Sporen zu bezeichnenden Keimzellen stünde eben ın Zusammenhang mit der Geschlechtsdifferenzierung, ähnlich wie das Vorkommen der Androsporen bei Oedogonium. Burgeff’s Beobachtungen zeigen aber, dass selbst bei Phycomyces das „Keim- sporangium“ entbehrlich, ein Gonidangium ist. — Burgeff bezeichnet den Keimschlauch von Phycomyces als diploide Generation, als Sporophyten. Die dıploide Phase hat hier allerdings, mit den Grün- algen und mit anderen Algenpilzen verglichen, eine ungewöhnliche Ausdehnung, aber weil im diploiden Zustand keine Kernteilung eintritt und der Übergang vom diploiden zum haploiden Zustand während des nur in Streckung bestehenden vegetativen Wachstums eintreten kann, sehe ich keinen Zwang, hier von Generationswechsel zu sprechen. Noch sind einige Worte über die „Oosporen“ und „Zygo- sporen“ der Algen und Algenpilze zu sagen. Für Sachs ist schon das befruchtete Eı von Fueus, sobald es sich mit einer Membran umgeben hat, eine Oospore. Nach dem gegenwärtig landläufigen Usus bezeichnen die Namen nur solche Zygoten, die sich mit einer derben Haut umkleiden und längere Zeit ruhen. Sonst gehören aber die Derbhäutigkeit und das Ruhebedürfnis keineswegs zum Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 359 alten Begriff der Spore; es genügt an die Zoosporen zu erinnern. Neuerdings kommen die beiden Termini immer mehr außer Gebrauch; Öltmanns und Wille z. B. vermeiden sie fast grundsätzlich. Dem ist entschieden beizustimmen, denn in einem nach modernen Bedürf- nissen rationell umgrenzten Sporenbegriff hat eine Zygote unmög- lich Platz. Das Paradigma pflanzlicher Entwicklung ist und bleibt uns der Hofmeister’sche Generationswechsel, der Prototyp der Spore dementsprechend die Gonospore der Moose. Die Zygote als die geschlechtlich erzeugte Keimzelle ist hier der genaue Gegenpol der Spore als der ungeschlechtlich erzeugten Keimzelle. Die älteren Autoren legen allerdings Gewicht darauf, dass der Bildung der Moosspore ein Befruchtungsvorgang vorangeht. Sachs z. B spricht sich dafür aus”), „dass wir als Sporen (wenn dieses Wort in dem- selben Sinne wie bei den Muscineen und Gefäßkryptogamen gelten soll) nur solche Fortpflanzungszellen bei den Thallophyten bezeichnen sollen, welche so wie die Sporen der Museineen und anderer Kryptogamen erst infolge eines Befruchtungsaktes entstehen, sei es unmittelbar, sei es vermittelt durch Vegetationsvorgänge, welche eine zweite Generation nach der Befruchtung darstellen, und so den gesamten Entwicklungslauf der Pflanze abschließen“. Damit ist aber die Vorstellung des Generationswechsels bei den höheren Formen, als der Alternanz geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Individuen zugunsten der Vorstellung eines einheitlichen Entwicklungsganges, wie er etwa bei Fhreus vorliegt, in den Hintergrund geschoben, während sonst auch bei Sachs die entschiedene Tendenz hervor- tritt, umgekehrt den Entwicklungsgang von Fucus und Spirogyra dem Generationswechselschema einzuordnen. Diese Inkonsequenz beruht auf nichts anderem als der historisch notwendigen Verken- nung der Zygote von Spirogyra u. Ss. w., die, trotzdem sie Gonoto- kont ist, einen einzigen Keimling, ebenso wie eine Moosspore, er- zeugt. Bei der Darstellung des uns jetzt als ursprünglich erscheinenden Typus von Oedogonium kommt Sachs mit seiner Definition schon in die Enge. Er sagt (l.c. $. 239): „Eine Oospore, welche in Schwärmzellen zerfällt, lässt sich mit einer Moosfrucht vergleichen, an welcher alle übrigen Teile, ausgenommen die Sporen, unterdrückt sind... In diesem Fall ist also die Oospore eigentlich eine mehr- sporige Frucht in demselben Sinne wie die Mooskapsel; die von ihr erzeugten Schwärmsporen sind als echte Sporen im Sinne der Museineen und Farne zu deuten.“ Man sieht, wie nahe Sachs daran war, die „Oosporen“ aus seinem Sporenbegriff auszuschließen. Wir Heutigen können gar nicht anders als so verfahren, wenn wir auf Grund unserer zytologischen Erfahrungen das Wesentliche vom Un- wesentlichen sondern. Ob eine Zygote sich frei entwickelt wie bei 25) Lehrbuch der Botanik, S. 237. 360 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. Fucus und den Desmidiaceen, oder aber innerhalb einer lebenden Hülle wie schon bei Coleochaete und weiter vollends bei den Flori- deen, Ascomyceten, Moosen, erscheint uns als ein ganz unwesent- licher Unterschied. Wir bezeichnen ja auch umgekehrt den Em- bryosack von Pinus als Megaspore, trotzdem er nicht wie eine normale Spore aus dem Gewebeverband ausgestoßen wird. Dass kaum ein Bedürfnis besteht die früher als Oo- bezw. Zygo- sporen bezeichneten Zygotenformen besonders zu benennen, zeigt die moderne Algenliteratur. In gewissen Fällen, vor allem bei par- thenogenetischer Entwicklung der Gameten zu Dauerzellen, sollten wir aber doch einen Ersatz für das verworfene Wort Spore haben. Nun ist für derbhäutige Ruhezustände bei Botanikern wie bei Zoo- logen seit Jangem der Ausdruck Cyste im Gebrauch, und zoologische Autoren haben auf gewisse Formen von Zygoten schon die Bezeich- nungen Oystozygote und Oocyste angewandt”). Dem könnten wir uns anschließen. Der Begriff der Cyste hat im Sprachgebrauch der Biologen noch keine feste Umgrenzung erfahren, und es dürfte sich empfehlen, mit dem Wort habituelle und physiologische Eigentüm- lichkeiten, nicht den morphologischen Wert eines Gebildes anzu- deuten, also unter Cyste jede keimfähige Ruhezelle mit derber Membran zu verstehen: Gemmen, Akineten, „Ohlamydosporen“, derbhäutige echte Sporen wie die der meisten Farne, derbhäutige Hypnozygoten. Wir könnten dann bei Oedogonium und Saprolegnia von Oocysten, bei den konjugaten Grünalgen von Zygocysten, bei den Mucorineen von Öönozygocysten sprechen, wenn wir die Ent- stehung und Form der Zygote spezifizieren wollen. Vor allem könnte das, was man bis jetzt Parthenospore bezw. Azygospore nennt, als Parthenocyste bezw. Azygocyste bezeichnet werden. In gar keiner Hinsicht haben mit Sporen etwas zu tun die „Auxosporen“ der Diatomeen. Sie sind vergrößerte vegetative Zellen, Auxocyten, die bei den pennaten Formen in ursprünglichen Fällen als Zygsten, in abgeleiteten parthenogenetisch entstehen, bei den zentrischen Formen keinen Zusammenhang mit den Geschlechtsvor- gängen haben. — Wenn die „Mikrosporen“ der zentrischen Dia- 26) Vgl. Hartmann, 1904, S. 34, 45. —- Vuillemin (Progr. Rei Bot. 1908, Bd. 2, S. 104) nennt die Sporangien der Pilze Sporocysten; Oyste ist ihm ein ein- zelliger Sporenbehälter im Gegensatz zu den vielzelligen der Farne u. s. w. — Davis (Bot. Gaz. 1904, Bd. 48, S. 241) hat diese Bezeichnungsweise auf die Game- tangien übertragen; das Oogon von Vaucheria ist für ihn eine Oocyste, das Antheri- dium derselben Alge eine Spermatocyste. Der Vorschlag von Vuillemin scheint sonst nicht viel Anklang gefunden zu haben. Der Autor selber behält das Wort Cyste auch bei für sporenartige Dauergebilde, nur schreibt er es in diesem Fall Kyste (S. 128, 130; ebenso enkystement S. 131, mit Beziehung auf die derbe Umhüllung der Teleutospore der Uredineen). Eine ideale Terminologie ist das sicher nicht, die dasselbe Wort in etwas verschiedener Schreibweise für grundverschiedene Begriffe verwendet. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 361 tomeen überall Gameten sind, dürfen sie natürlich auch nicht länger als Sporen bezeichnet werden. Während der Kernphasenwechsel immer zweigliedrig ist, kann der Generationswechsel mehr Glieder enthalten. Dreigliedrig ist er z. B. bei den tetrasporenbildenden Florideen. Die Haplophase ist wie im Hofmeister’schen Generationswechsel der Gametophyt, die Diplophase besteht aber aus zwei ungeschlechtlichen Generationen, nämlich dem auf dem Gametophyten parasitierenden Gonimoblasten und der frei lebenden Tetrasporenpflanze. Der Gonimoblast ver- dient zweifellos die Wertung als besondere Generation: er hat einen bald mehr bald weniger ausgedehnten Vegetationskörper, an dem besondere Keimzellen, die Karposporen, gebildet werden. Innerhalb des Generationswechsels haben Karposporen und Tetra- sporen insofern eine ähnliche Bedeutung, als sie beide den Über- gang von einer Generation zu einer anderen vermitteln, also oblı- gate, in unserem Sinn echte Sporen sind. Für den Kernphasenwechsel bedeuten die beiden Sporenformen etwas sehr Verschiedenes. Die Tetrasporen sind wie sonst Gonen. Die Karposporen von Polysi- phonia und den sich ähnlich verhaltenden Florideen dagegen be- zeichnen keine Veränderung des Kernzustandes; wır können sie nach der Kernphase, der sie angehören, Diplosporen nennen. — Vermehrung der Gonosporen dürfte bei Pleonosporium Borreri vor- kommen, dessen „Polysporen“ (Nägeli) wohl den Tetrasporen der übrigen Formen entsprechen. Der Kernphasenwechsel der einfacheren Florideen, der Mehr- zahl der Nemalionales, hat kürzlich durch Svedelius?’) eine über- raschende Aufklärung gefunden. Nach früheren Angaben nahm man bisher an, dass der Gonimoblast auch hier diploid sei, dass aber bei der Bildung der Karposporen die Reduktionsteilung eintrete. Denn die Karposporen liefern gleich wieder Geschlechtspflanzen, Tetrasporenpflanzen fehlen. Nach den Untersuchungen von Sve- delius ist aber die Zygote von Seinaia Gonotokont, wie bei den Grünalgen, und der Gonimoblast ist schon haploid. Wahrscheinlich verhalten sich Batrachospermum, Nemalion u. s. w. ebenso. Wäre der Gonimoblast der Nemalionales dıploid, so würde sich niemand bedenken, ihn als eigene Generation, als Sporophyten, anzusprechen und ihn mit dem Sporogon der Moose zu vergleichen. Dass er nun sich als haploid entpuppt, kann ihm seinen Anspruch darauf, als Generation und als Sporophyt anerkannt zu werden, nicht nehmen. Man hat von einem Generationswechsel, von Gametophyt und Sporophyt gesprochen, lange bevor man etwas von einem Kern- phasenwechsel wusste. Dass der Generationswechsel in den aller- 27) Svedelius, Zytologisch-entwicklungsgeschichtliche Studien über Seinaia fureellata. Nova Acta Reg. Soc. Seient. Upsal. Ser. IV, Vol. 4, Nr. 4, 1915. 362 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. meisten Fällen nach dem Hofmeister’schen Typus mit dem Kern- phasenwechsel zusammengelegt wird, sichert dem Pflanzenreich die außerordentliche Gleichförmigkeit des Entwicklungsmodus. Aber Ausnahmen sind da, und die Entdeckung von Svedelius hat uns mit einer besonders interessanten Abweichung bekannt gemacht. Wir haben hier einen zweigliedrigen Generationswechsel innerhalb der haploiden Phase, unabhängig vom Kernphasenwechsel, entfernt ähnlich dem, wie ıhn die Zoologen seit lange als Metagenesis ın der diploiden Phase kennen. Die Karposporen sind wieder echte Sporen, als Bindeglieder zwischen zwei Generationen, aber diesmal Haplosporen; Gonosporen fehlen ganz. — Biologisch entsprechen die haploiden Karposporen von Scinaia ganz den diploiden von Polysiphonia u. Ss. w., wenn wir weiter gehen wollen auch den Gonosporen der Moose: ist die Zygotenbildung einmal geglückt, so wird die Zygote, deren Ernährung durch ihre dauernde Verbindung mit dem Gametophyten sichergestellt ist, zur Erzeugung einer größeren Zahl von Keimzellen verwendet. Dass die Aussichten für das Aufkommen von Sporenkeimlingen z. B. bei unserem Batracho- spermum gar nıcht günstig sind, geht daraus hervor, dass die Be- stände oft sehr klein und dünn sind und sich in Jahren nicht merkbar vergrößern, trotzdem die Alge zu jeder Jahreszeit unzählige Karposporenhaufen trägt. Ob die Meiose gleich bei der Zygoten- keimung erfolgt wie bei Seinaia, oder erst in den Gonotokonten wie bei den Moosen, ist für die Spore gleichgültig. Ob allerdings der haploide oder diploide Zustand für die vegetativen Elemente des Sporophyten ganz gleichgültig ist, wissen wir nicht. Bei Poly- siphonia und den anderen „diplobiontischen“ (Svedelius) Florideen ist der Zyklus gegenüber der „haplobiontischen“ Seinaia und ihren Verwandten nur noch dadurch kompliziert, dass aus den Sporen des parasitischen Diplosporophyten der freilebende Tetrasporophyt hervorgeht statt des Gametophyten. Die Bekanntschaft mit Seönaia kann uns dazu Mut machen, auch die viel besprochene Grünalge Ooleochaete auf einen etwaigen Generationswechsel hin zu untersuchen. Der Fall liegt ganz ähn- lich wie der der Nemalionales. So lange man glaubte, der 16—32 Zellen starke, aus der Zygote hervorgehende Zellkörper sei wenig- stens in seinen Anfängen diploid, so lange war er als eigene Gene- ration, als Sporophyt, als „Vorläufer“ des Moossporogons hochwill- kommen. Es hat sich herausgestellt, dass die erste Mitose in der keimenden Zygote eine Reduktionsteilung ist; der Schwärmzellea liefernde Körper ist also haploid, ebenso wie die freilebenden Ooleo- chaete-Scheiben, die sich aus den Schwärmern entwickeln. Wir werden ihn trotzdem mit Oltmanns?®) als ungeschlechtliche Gene- 28) Algen, 2. Bd., S. 270. — Wenn allerdings Oltmanns später (Handwörter- buch d. Naturw., 4. Bd., S. 178) „von einer wenn auch kleinen 2x-(diploid)Generation Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 363 ration gelten lassen. Die beträchtliche Zahl der Schwärmer genügt allein noch nicht zu dieser Einschätzung; wir erinnern an die acht Gonen im Askus und an die vielen Spermatozoiden in Antheridium von Fucus. Aber die Schwärmer von Coleochaete entstehen nicht durch freie Zellbildung, wie es sonst bei den Gonen der Algen all- gemein üblich ist, sondern die Zygote zerlegt sich durch solide Wände in die betreffende Zahl von Zellen, aus denen die Schwärmer ausschlüpfen. Es lässt sich deshalb rechtfertigen, wenn wir m dem Zellkörper die erste haploide, obligat ungeschlechtliche Generation sehen, die Schwärmer Haplosporen statt Gonen nennen und der Coleochaete einen zweigliedrigen, in der haploiden Phase sich ab- spielenden Generationswechsel zusprechen, der natürlich mit dem Hofmeister’schen Typus nichts zu tun hat. Die Unterschiede zwischen dem Sporophyten von Seinaia und dem von Coleockaete sind nicht gering. Einmal sind dort, anders als bei Coleochaete, auch sterile, vegetative Zellen vorhanden, die nicht in der Karposporenbildung aufgehen. Zweitens bleibt in dem Gonimoblasten der Seinaia von den vier Gonenkernen nur einer am Leben, wie in der keimenden Zygote von Sperogyra, während der Keimkörper der Coleockaete alle vier Gonen als gleichwertig enthält. Der Gonimoblast von Seinaia ist einem Oedogonium- Thallus zu vergleichen, der Sporophyt der Coleochaete ıst einer Vier- heit solcher Thallı gleichwertig?); wollen wir den letzteren mit einem sinngemäßen Attribut schmücken, so drängt sich dafür das Wort syngon auf. Der komplexe Charakter dieses „Sporophyten“ könnte uns darin schwankend machen, ob wir die Schwärmzellen nicht doch ver- mehrte Gonen nennen sollen. Aber eine ganz andere, zweifellos einheitliche Bildung hat dieselbe Genese, nämlich der achtkernige Embryosack von Tulipa u. s. w., der das Äquivalent von vier Mega- sporen einschließt, weil die Tetradenteilung in den Embryosack hinein verlegt ist. Das Megaprothallium hat ganz normale Ausbildung, der Generationswechsel ist also nicht beeinträchtigt, aber es ist eine Art Aposporie ohne Apomeiose eingetreten; wenn wir wollen meiotische Aposporie im Gegensatz zu der gewöhnlicheren apo- meiotischen. Der Gonotokont hat unter Überspringung der Sporen einen syngonen Gametophyten erzeugt, der sich seiner Entstehung nach von dem achteiigen Gametangium von Fucus nicht unterscheidet. Dass irgendwo auch noch die Zahl der Kerne in einem derartig reden“ will, so kann ich ihm hier nicht zustimmen. Diploid ist ja nur die Zygote selber, die ganze aus ihr hervorgehende „Generation“ ist von ihren ersten Anfängen an haploid. 29) Ausnahmsweise soll die Zygote von Oedogonium mit einem Zelltaden keimen, der, wie es scheint, die vier Gonen als Glieder enthält. Über die Weiter- entwicklung sind mir keine Angaben bekannt, 364 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. entstandenen Embryosack auf das für die Gonenbildung mögliche Minimum heruntergedrückt wird, war bis vor kurzem theoretisches Postulat jedes über Generationswechsel Lesenden. Jetzt ist dieses letzte Glied der Reduktionsreihe in dem vierkernigen, syngonen Embryosack von Plumbagella Ereignis geworden (nach Dahlgren). Die „apospore* Entstehung trifft in allen diesen Fällen natürlich nur den weiblichen Gametophyten; die Pollenkörner sind normale Sporen und müssen solche sein. Syngon ist auch der vierkernige Embryosack von Cypripedilum, aber nicht in der extremen Art wie bei Tulipa und Phumbagella, weil nur zwei Gonen statt vier sich an seiner Bildung beteiligen. Bis zur Sporenbildung kommt es auch hier nicht, doch wird wenigstens die heterotypische Teilung außer- halb des Gametophyten abgemacht: meiotische Hemiaposporie. Chamberlain®®) steht allerdings nicht an, zu sagen, dass im Embryosack von Plumbagella „eine Megaspore geradewegs als Ei fungiert“. Die tatsächlich gegebene Einheit ist aber hier wie bei Tulipa doch der Embryosack, der Gametophyt, und wenn wir in dem achtkernigen Embryosack schlechterdings keine Sporen mehr unterscheiden können, so dürfen wir das ın dem vierkernigen von Phumbagella nicht. Der letztere enthält vier Gonen, die vom Standpunkt des Kernphasenwechsels betrachtet den Megasporen gleichwertig sind, aber ebensowenig mehr Sporen sind wie die Eier von Fucus oder Pelxetia. — Auch die diploiden Embryosäcke, die bei habituell parthenogenetischen Angiospermen wie Antennaria alpina aus der ungeteilten Embryosackmutterzelle hervorgehen, werden, genau betrachtet, ohne den Umwe eg über die Spore gebildet. Die Aposporie — sie ist hier apomeiotisch — ist nur nicht auf- fällıg, weil die, meiotisch oder apomeiotisch gebildeten, Megasporen der Angiospermen sich nicht aus dem Gewebeverband lösen. Aber wo wir noch typisch ausgebildete diploide Sporen finden, wie bei der parthenogenetischen Marsilia Drummondi, werden diese noch unter Tetradenteilung, wenn auch apomeiotisch, erzeugt, und so lange wir keine freie Pteridophytenspore kennen, die geradewegs aus der ungeteilten Sporenmutterzelle hervorgeht, so lange müssen wir den Embryosack von Antennaria alpina mit dem von Tulipa vergleichen und seine Entstehung apospor nennen. Von den bisher allein als apospor bezeichneten Hieracien unterscheidet sich der Antennaria-Typus allerdings insofern, als bei Antennaria wenigstens das Archespor zur Bildung des Gametophyten herbeigezogen wird, während bei den Zlieracien Zellen der Megasporangienwand (des Nucellus und des Integuments) eintreten. Taraxacum entwickelt seinen Embryosack ähnlich wie Oypripedihlum aus zwei Gonen, also hemiapospor, aber dazu apomeiotisch. 30) Bot. Gazette, 1915, Bd. 60, S. 326. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels, 36! , c ı) Batrachospermum und einige verwandte Florideengattungen zeigen mit den Laubmoosen auffallende Ähnlichkeit darin, dass aus der Spore nicht gleich die morphologisch hoch gegliederte Geschlechtspflanze hervorgeht, sondern ein unregelmäßig verzweigtes Fadengebilde, dort die Chantransia, hier das Protonema. In Gestalt stärkerer Äste entwickelt sich dann auf der „Jugendform“ erst die „Folge- form“ (Goebel). Als eigene Generation kann die Jugendform nicht angesprochen werden, weil sie ohne Keimzellbildung in die Folge- form übergeht. Fakultative Organe der ungeschlechtlichen Ver- mehrung finden sich allerdings an den Gametophyten der genannten Florideen wie der Moose, bei Chantransia und Batrachospermum als „Monosporen“, bei den Lebermoosen und Laubmoosen (wie auch an gewissen Farnprothallien) als Brutzellen oder mehrzellige Brut- körper. Soweit die Brutorgane einzellig sind, fallen sie ohne wei- teres unter den Begriff der Haplogonidien. Die mehrzelligen Brut- körper können als auf der Mutterpflanze gekeimte Gonidien angesehen werden, ähnlich wie wir im Sporogon des Lebermooses Pellia ge- keimte Sporen finden. Unter den Ascomyceten hat einen dreigliedrigen Generations- wechsel die schon erwähnte wirtwechselnde Selerotinia heteroica (vgl. oben S. 345, Anm.5). Die Diplophase ıst hier wie sonst der Kom- plex der ascogenen Hyphen, die Haplophase zerfällt aber in zwei Generationen, eine ungeschlechtliche, die aus der Ascospore hervor- geht und den Haplogonidien der übrigen Ascosporen entsprechende, hier aber obligat gewordene Haplosporen („Konidien“) erzeugt, und eine geschlechtliche, die von der Haplospore ihren Ausgang nimmt und mit der Ascogonbildung abschließt. Dass die Haplosporen aus Gonidien hervorgegangen sind, ist nicht zu bezweifeln. Aber der Umstand, dass sie auf der ersten Wirtpflanze, auf der sie selber entstehen, nämlich auf Vaceinium uliginosum, nicht zu keimen ver- mögen, sondern auf die Narben von Ledum palustre übertragen werden müssen, und dass die Geschlechtsorgane erst auf dem zweiten Wirt zur Ausbildung kommen, stempelt die „Konidien“ zu echten Sporen. Ohne sie kann der Kernphasenwechsel nicht abgewickelt werden. Bei den Basidiomyceten treffen wir auf Erscheinungen, die sich teilweise recht schwer in das Schema des Generationswechsels ein- fügen lassen. Bei denjenigen Hymenomyceten, deren haploide Phase noch verhältnismäßig gut ausgebildet ist — von weiter ab- geleiteten Formen haben wir oben, S. 349, schon gesprochen —, scheint die Diplose in einer Form zu erfolgen, dass haploide und diploide Phase kaum mehr als Generationen zu unterscheiden sind. Das morphologisch definierte Ende einer haploiden Generation, die Geschlechtszellen, oder was dasselbe sagt, der markierte Beginn einer diploiden Generation, die differenzierte Zygote, scheint zu 366 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. fehlen. Die Rückkehr vom diploiden zum haploiden Zustand ist so scharf lokalisiert wie nur irgendwo, in der Basidie, die vier Ektogonosporen erzeugt. Gonidien kommen an beiden Phasen vor, zweikernige Diplogonidien z. B. bei Daeryomyces neben den Basidien, Haplogonidien sehr früh bei der Keimung der Basidiosporen. — Tritt Apogamie ein, wie bei Hygrophorus conicus, so bleibt von einem Generationswechsel natürlich keine Spur übrig, weil schon bei den diplotischen Formen die Phasen sich kaum mehr als Gene- rationen erkennen lassen. Etwas günstiger für die Schematisierung steht es bei den Usti- lagineen (Brandpilzen). Nach Rawitscher sind zwei recht ver- schiedene Typen zu unterscheiden. Der eine, durch Ustilago Maydis repräsentiert, besitzt haploides parasitisches Mycel, die Brandsporen sind allein diploid, sie sind Zygocysten und (wohl ziemlich sicher) zugleich Gonotokonten. Ein Hofmeister’scher Generationswechsel fehlt also. Die Gonotokonten erzeugen ein haploides „Promycel“, in dem die Gonocyten zu einem Zellfaden angeordnet sind. Ge- wöhnlich vermehren sich die Gonen durch Sprossung, sie können saprophytisch leben und eine große Zahl von „Sporidien* oder „Konidien“ erzeugen. Es ist aber kaum zu bezweifeln, dass schon die Gonen unter geeigneten Bedingungen zu parasitischem Leben übergehen können, was gewöhnlich erst die Produkte der Sprossung tun. Ob man das Promycel als erste, ungeschlechtliche syngone Generation und damit die Sporidien als Haplosporen auffassen, oder in den Sporidien vermehrte Gonen sehen will wie in den Ascosporen von Taphrina, ıst Geschmackssache. Der zweite Typus, zu dem Ustilago carbo und die Gattung Til- letia gehören, hat ebenfalls diploide „Brandsporen“, die wohl auch Gonotokonten sind, und ein haploides Promycel. Die Zellen dieses Promycels oder die daran gebildeten „Sporidien* kopulieren aber paarweise, sie sind also Gameten. Wenn das Promycel nur ein vierzelliger Keimfaden ıst und je zwei Gonen, die demselben oder verschiedenen Promycelien angehören können, miteinander in Ver- bindung treten, zu einer paarkernigen Zelle verschmelzen, können wir in Konsequenz mancher früheren Deutungen das Promycel nicht gut als haploide Generation gelten lassen. Eher ist das möglich bei Tilletia; hier entstehen die „Sporidien“, gewöhnlich zu acht, als Kranz an der Spitze eines kurzen Keimschlauchs, und dieser Träger bleibt als plasmaloser Rest der haploiden Phase übrig, wenn die Sporidien kopuliert haben. In beiden Fällen wird das parasitische Mycel von den Zygoten erzeugt und ist paarkernig bis zu den Brandsporen, in denen die Kernverschmelzung erfolgt. Das Auf- fallendste an dem Entwicklungsgang ist, dass die diploide Phase die Gonotokonten in Oystenform abgliedert, nicht erst wie gewöhn- lich die Gonen. Wenn wir das Promycel von Tilletia eine haploide, Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 367 syngone Generation nennen wollen, haben wir einen Generations- wechsel vor uns, der mit dem Hofmeister’ schen große Ähnlichkeit hat, aber mit ihm doch nicht identisch ist. Der Sporophyt von Tilletia erzeugt ja als Keimzellen noch diploide Organe, wenn wir wollen Tokosporen, nicht wie das Sporogon eines Mooses haploide Gonosporen. Mit Rücksicht auf den Kernphasenwechsel allein, ohne ein Urteil über einen etwa vorkommenden Generationswechsel — nur in einem solchen haben diploide Sporen einen Platz —, können wir die Brandsporen aller Ustilagineen Tokocysten nennen. — Die nicht eystenförmigen Gonenmutterzellen, wie wir sie gewöhnlich antreffen, könnten statt der etwas schwerfälligen Bezeichnung Gono- tokont den Namen Tokocyte erhalten. Unter den Uredineen (Rostpilzen) hat Erdophyllum noch einen verhältnismäßig einfachen Entwicklungsring. Das parasitische Mycel ist haploid, die daran gebildeten Zygoten werden aber nicht abge- gliedert, sondern sie liefern je eine Kette von paarkernigen Öysten, von Äcidiosporen, die durch sterile Zwischenzellen getrennt sind; der aus einer ganzen Schichte von Zygoten hervorgehende Komplex von Sporenketten ist das Äcidium. Die Äcidiosporen sind Gonoto- konten, sie liefern bei der Keimung einen haploiden, normal vier- zelligen Faden, das Promycel (auch Basidie genannt), an dem vier Ektosporen („Sporidien“, Basıdiosporen) entstehen. Diese geben wieder dem parasitierenden Mycel den Ursprung. Die Sporidien sind Gonosporen, und das gesamte Plasma des Promycels wird ın sie übergeführt. Nach der Fertigstellung der Gonen ist vom Pro- mycel infolge seines Schrittwachstums nur noch ein leeres Membran- gerüst übrig, ähnlich wie von dem „Sporophyten“ der Coleochaete eh dem Ausschlüpfen der Zoosporen, aber wır können das Pro- mycel doch als eigene Generation gelten lassen. Hier ist der „Proto- gametophyt“ von Maire einmal wirklich gut entwickelt; tatsächlich ist Maire°!) zur Aufstellung des Begriffs Protogametophyt nur durch das Studium der Uredineen gekommen. Das von Maire gewählte Wort ist aber nicht glücklich; das Gebilde erzeugt ja Sporen. Weil es sich in der Bildung von Gonosporen ganz erschöpft, kann es als Gonophyt bezeichnet werden, wenn es um jeden Preis einen den wesentlichen Charakter wiedergebenden Namen haben soll. Außer- dem lässt sich dem Äcidium der Wert einer diploiden Generation nicht absprechen. Nehmen wir diese Wertung der Abschnitte an, so haben wir einen dreigliedrigen Generationswechsel vor uns. Das parasitische Mycel entspricht dem Gametophyten im Hofmeister’schen Generationswechsel, das Äcidium ist ein diploider Sporophyt, der nicht haploide Gonospar en, sondern diploide Tokosporen abgliedert, 31) Maire, L’evolution nueleaire chez les Endophyllum. Journ. de bot. 1900, Bd. 14, S. 96. 368 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. und damit ist die Gelegenheit gegeben, noch den Vegetationskörper einer haploiden Zwischengeneration vor der Abgliederung der Gonen einzuschieben. Bei den meisten Uredineen, wie Puceinia, ist der Entwicklungs- ring noch um einen Abschnitt reicher, der Generationswechsel ist viergliedrig, haploide und diploide Phase zerfallen in je zwei Generationen. Die Acidiosporen werden nämlich nicht Gonoto- konten, sondern sie liefern als Diplosporen ein paarkerniges Mycel, das gewöhnlich auf einem anderen Wirt schmarotzt als das haploide, zygotenbildende Mycel und das Äcidium. Diese zweite, diploide Mycelgeneration vermehrt sich oft durch Diplogonidien („Uredo- sporen“) und bildet zuletzt immer Gonotokonten in Üystenform, also Tokosporen, die „Teleutosporen“. Aus diesen geht bei der Keimung gewöhnlich ein gut entwickeltes vierzelliges und vier- sporiges Promycel hervor (besonders stattlich z. B. bei G@ymno- sporangium juniperinum); selten (z. B. bei Coleosporium) teilt sich die Teleutosporenzelle selber durch Querwände in vier Zellen, die je auf einem besonders langen und dicken Sterigma eine Gono- spore (Basidiospore, Sporidie) bilden. Von der Sporidie zum Äei- dium führt derselbe Weg wie bei Endophyllum. Die Basidiomyceten im allgemeinen haben die nur ihnen zu- kommende Eigentümlichkeit, dass wenigstens die Gonen als Ekto- sporen aus dem Gonotokonten (der einzellig bleibenden oder sich teilenden Basidie) herausgeschoben werden, statt wie sonst überall sich in dessen Innern auszubilden; so bei den Hymenomyceten, bei Coleosporium unter den Uredineen. Dieses Ausdehnungsbestreben des mit der Meiose beschäftigten Gonotokonten erscheint, durch dessen Cystennatur und Reichtum an Reservestoffen begünstigt, noch weiter gesteigert bei den Ustilagineen und den typischen Ure- dineen; der Inhalt der Tokocyste wächst zu einem veritabeln, mehr- zelligen, syngonen Mycelfaden aus, der dann wie eine Basidie die Nach der Betrachtung der einzelnen Typen sind wir jetzt im- stand zu definieren, was wir unter Generationswechsel und Gene- ration verstehen. Ein Generationswechsel ist da vorhanden, wo außer der Zygote mindestens eine zweite obligate Keimzellenform, eine echte Sporenform, vorhanden ist, die nicht unmittelbar bei der Kei- mung der Zygote entsteht. Eine Generation ist ein von zwei ver- schiedenen obligaten Keimzellformen eingefasster Entwicklungsaus- schnitt, der einigermaßen ansehnliches vegetatives Wachstum zeigt. Die Zahl der Generationen, der Glieder im Generationswechsel, ist gleich der Zahl der obligaten Keimzellformen, oder, weil die Zygote immer eine von diesen Keimzellen ist, um 1 größer als die Zahl der Sporenformen, falls keine von diesen gleich bei der Zygoten- Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 369 keimung auftritt; die höchste bis jetzt bekannte Zahl von Gene- rationen ist 4, die höchste Zahl von Sporenformen 3. Ein Gene- rationswechsel fehlt, wo Sporen ganz fehlen oder wo zwischen der Zygote und den Sporen kein vegetatives Stadium liegt. Ein Rückblick über die unterschiedenen Formen selbständiger Generationen wird nicht ohne Nutzen sein, A. Der Gametophyt beginnt allermeistens mit der Gonospore und endigt mit den Gameten; bei Selerotinia heteroica nımmt er seinen Ursprung von der Haplospore. Der syngone Gametophyt (gewisse Embryosäcke von Angiospermen, Promycel von Tilletia) geht statt von der Gonospore vom Gonotokonten aus. B. Sporophyten sind zu unterscheiden: 1. Haploide, deren Keim- zellen immer Haplosporen sind; a) der Haplosporophyt von Selero- tinia heteroica geht aus einer Ascospore (Gonospore) hervor; b) der Gonimoblast der Florideen vom Scinaia-Typus geht aus von der einzigen Gone, die von der keimenden Tokozygote übrig bleibt; c) syngon ist der Keimkörper der Zygote von Üboleochaete. 2. Di- ploide, deren Keimzellen haploide oder diploide Sporen sein können; a) der Gonosporophyt (meistens Tetrasporophyt) geht aus von der Zygote und erzeugt haploide Gonosporen (meistens Tetrasporen); b) der Tokosporophyt geht aus von der Zygote (Acıdium von Endo- phyllum, Mycel von Tilletia) oder von einer Diplospore (Teleuto- sporenmycel von Pueceinia) und erzeugt diploide Tokosporen; c) der Diplosporophyt (Äcidium von Puceinia, Gonimoblast der diplobion- tischen Florideen) geht aus von der Zy gote und erzeugt Diplosporen. C. Weder Gametophyt noch Sporophyt (wenn wır wollen Gono- phyt) ist das Promycel der Uredineen. Es geht aus von der Toko- spore und liefert nichts als vier Gonosporen. Etwas vergrößert, vielsporig erscheint dieselbe Bildung in dem Promycel von Us stilago Maydis, das von der Zygote seinen Ursprung nimmt. Als Amplı- fikation des Gonophyten kann auch der syngone Haplosporophyt von Üoleochaete angesehen werden. Damit sind die bis jetzt bekannt gewordenen Typen des Gene- rations- und Kernphasenwechsels erschöpft. Auf die angewandten Termini lege ich natürlich wenig Gewicht, wenn schon der Versuch gemacht wurde, die Nomenklatur so einfach und konsequent wie möglich zu gestalten. Wesentlicher scheint mir die Bildung ge- wisser Begriffe, von denen kaum einer wirklich neu ist, de prä- zise Formulierung aber doch für die Hervorhebung der uns Modernen wichtig erscheinenden Gemeinsamkeiten im Soselkmi der Kern- zustände fruchtbar gemacht werden kann. — Dass Gebilde, die nach ihrem jetzigen Ort im Kernphasenwechsel einander entsprechen, keineswegs immer „homolog“, d.h. nachbarlichen Ursprungs in der Phylogenie sind, braucht kaum betont zu werden. Augenscheinlich XXXVI. 24 370 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. hat in verschiedenen recht natürlich aussehenden Gruppen gerade der Kernphasenwechsel bei gewissen Vertretern tiefgreifende Wand- lungen erfahren, während in den äußeren Zügen die Formenzyklen sehr konservativ zu sein scheinen. Dass die Sporidien von Ustilago Maydis und von U. carbo ganz verschiedenen Ursprungs sind, wird niemand glauben, trotzdem jetzt die einen (noch?) Sporennatur, die anderen Gametencharakter haben. Darum ist es auch fraglich, ob die konjugaten Grünalgen und die pennaten Diatomeen deshalb als verwandtschaftlich weit entfernt angesehen werden dürfen, weil die einen haploide, die anderen diploide Vegetationszellen haben. Wenn es sich bestätigt, dass die zentrischen Diatomeen haploıd sind, würden sogar schon innerhalb des so natürlich erscheinenden Diatomeen- stammes in Beziehung auf den Kernphasenwechsel dieselben tiefen Gegensätze bestehen wie bei den Ustilagineen. Während die Erscheinungen des Kernphasenwechsels eindeutig sind, wird die Definition von Generation und im Einzelfall die Ab- grenzung der Generationen immer willkürlich bleiben. Die einzige Norm kann hier sein, dass die zu wählenden Festsetzungen für die Verständigung zweckmäßig sind. München, März 1916. Nachschrift. Nach Abschiekung des Manuskriptes sind zwei Mitteilungen über den Kernphasenwechsel von Algen erschienen: F. Öhlker’s?2) berichtet, dass bei Chara (vgl. oben S. 139) die Reduktionsteilung in der keimenden Zygote stattfindet und dass dabei, wie zu erwarten war, von den vier Gonenkernen nur einer am Leben bleibt; also ganz wie bei Spirogyra. H. Kylin°?) hat die Kernverhältnisse der Floridee Nemalion studiert, die mit Seinaia (vgl. oben S. 146) nahe verwandt ist, und ermittelt, dass auch hier die Zygote die einzige diploide Zelle darstellt. Die erste Kern- teilung in dem befruchteten Karpogon ist heterotypischer Art, die homöotypische Mitose wird nur in der einen der beiden Tochter- zellen der Zygote ausgeführt, so dass nur zwei Gonen fertig aus- gebildet werden, die sich aber, wenn ich den Autor recht verstehe, in gleicher Weise zu entwickeln scheinen. Liegen die Gonenzellen übereinander, was in Ausnahmefällen vorkommt, so entstehen zwei deutlich gesonderte Gonimoblasten. Gewöhnlich stoßen die Gonen aber seitlich aneinander, und dann entsteht ein scheinbar einheitlicher Gonimoblast, der als Produkt zweier Gonen mit den oben (S. 149, 150) als hemiapospor bezeichneten Embryosäcken verglichen werden kann. 32) Beitrag zur Kenntnis der Kernteilungen bei den Characeen, Berichte der Deutsch. botan. Ges. 1916, Bd. 34, S. 223. 33) Über die Befruchtung und Reduktionsteilung bei aan multifidum, Ebenda S. 257. Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. a7 In einer schon vor zwei Jahren erschienenen, mir aber leider erst während der Drucklegung der vorliegenden Ausführungen bekannt gewordenen Arbeit setzt sich M. Hartmann°*) neuerdings mit dem Generationswechselproblen: auseinander. Von Tatsachen- material, das dort mitgeteilt und für uns wertvoll ist, seien folgende Angaben hervorgehoben. Bei der Volvocacee Stephanosphaera hat es Hartmann erreicht, „dass aus den befruchteten Zygoten (so) direkt wieder Geschlechtsformen hervorgingen“ (S. 32). Das ist wohl so zu verstehen, dass die 8 Gonen (für solche halten wir die Keimlinge der Zygote) sich gleich wieder in Gameten zerlegten, doch nicht etwa selber als Gameten fungierten. Die Beobachtung sagt aber doch so viel, dass die Einschaltung agamer Kolonien zwischen die geschlechtlichen beseitigt werden kann. Ähnlich sind bei In- fusorien „Fälle von Wiederkonjugation von Exkonjugaten beobachtet worden“; das ist ungefähr dasselbe, wie wenn die Auxocyten einer pennaten Diatomee unmittelbar wieder zur Reduktionsteilung und Gametenbildung übergingen. Vermehrung der Gonenkerne über die Vierzahl hinaus (vgl. oben S. 129, 138) ıst die Regel bei den typischen Infusorien; hier teilt sich einer der Gonenkerne noch mindestens einmal in „Wanderkern“ und „stationären Kern“, bevor die Wanderkerne von den konjugierenden Individuen kreuzweise ausgetauscht werden; bei Opalina sollen sogar 5-6 Teilungen an den Gonenkernen sich abspielen (S. 45, 46). Hartmann unterscheidet drei Formen von Generationswechsel (mit Ausschluss von Metagenesis und Heterogonie). Der „ob- ligatorısch-antithetische“ Generationswechsel „entsteht durch eine...korrelative Verknüpfung von Reduktion mit einer besonderen ungeschlechtlichen, festgelegten Generation“ (S. 46). Das heißt in unserer Ausdrucksweise, er ist gekennzeichnet durch das Zusammenfallen mit dem Kernphasenwechsel, er entspricht also unserem Hofmeister’schen Generationswechsel. Der „obligatorisch- homologe“ Generationswechsel entsteht „durch eine ... korrelative Verknüpfung durch Festlegung einer oder mehrerer besonderer agamen Generationen neben der geschlechtlichen Fortpflanzung“, das heißt, er spielt sich, unabhängig vom Kernphasenwechsel, inner- halb einer Phase ab. Bei Pflanzen wird er also vermittelt durch obligate . Sporen, die nicht Gonosporen sind; er kann die einzige Form von Generationswechsel sein, wie in der Haplophase der Nemalionales unter den Florideen, oder in den Hofmeister’schen Generationswechsel eingeschaltet sein, wie bei den tetrasporen- bildenden Florideen. Der „fakultativ-homologe*“ Generations- ‚wechsel besteht in dem nicht streng festgelegten Wechsel von 34) Der Generationswechsel der Protisten und sein Zusammenhang mit dem Reduktions- und Befruchtungsproblem. Verhandl. d. Deutsch. Zoolog. Ges, 24. Jahresversamml. zu Freiburg i. Br. 1914, 8.15. 94* 312 Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Individuen, natürlich inner- halb derselben Phase, wie bei der Grünalge Oedogonium; in den Hofmeister’schen Generationswechsel eingeschaltet ist er z. B. bei vielen Ascomyceten. Wir haben für diese Erscheinung die Be- zeichnung Generationswechsel abgelehnt, für die Keimzellen, die die ungeschlechtliche Vermehrung vermitteln, die Benennung fakultative Sporen oder Gonidien gewählt. So weit decken sich die von Hartmann und die von mir unterschiedenen Gruppen von Erscheinungen. Gegenüber dem fakultativren Wechsel von Gamonten und Agamonten sind unsere Standpunkte etwas verschieden. Für Hartmann ist der Geschlechtsvorgang hier ebenso fakultativ wie die ungeschlechtliche Vermehrung, weil die Befruchtung sich im Ex- periment oft fast unbeschränkt lange hinausschieben läßt. Da- gegen ist von der Seite der Entwicklungsphysiologie nichts ein- zuwenden; doch ist dann auch der Hofmeister’sche Generations- wechsel z. B. eines Mooses als fakultativ zu bezeichnen, weil auch der Moosgametophyt verhindert werden kann, sich anders als auf vegetatirem Weg fortzupflanzen. Für die im wesentlichen ver- gleichend-morphologischen Betrachtungen unseres Versuchs bedeutet aber die Fähigkeit zu geschlechtlicher Fortpflanzung alles, und unter den zyklischen Entwicklungsvorgängen haben wir, eingestandener- maßen willkürlich, den Kernphasenwechsel als obligat par excellence festgesetzt. Die Befruchtung ist in diesem Sinn unentbehrlich, als fakultativ erscheint uns die ungeschlechtliche Vermehrung der potentiellen Gamonten. Wir haben in Bezug auf die Fortpflanzungsverhältnisse einen Unterschied zwischen der einzelligen Spirogyra und dem vielzelligen Oedogonium nicht gemacht. Hartmann streitet der Sperogyra eine geschlechtliche Fortpflanzung überhaupt ab — sie hat für ihn nur Befruchtung — und erkennt ihr deswegen auch den fakultativ- homologen Generationswechsel nicht zu. Fortpflanzung und ebenso (Generation (als Abstraktum) ist für ıhn so viel wie Vermehrung, und wenn zwei Zellen, die Individuen der Spezies darstellen, zu einer Zygote sich zusammentun, so wird die Zahl der Individuen ja zunächst vermindert, nicht vermehrt. Dagegen läßt sich ver- schiedenes einwenden. Fortpflanzung hat nach dem landläufigen Gebrauch und nach dem Sinn des Wortes nicht notwendig etwas mit Vermehrung zu tun; z. B. wird Fortpflanzung der Art als Synonym von Erhaltung der Art angewendet. Ob die Be- fruchtung ursprünglich mit Vermehrung etwas zu tun hat oder nicht, ist eine andere Frage, die uns hier nicht beschäftigt. Weiter: Bei den einzelligen Algen hängt die Befruchtung dicht mit der Reduktionsteilung zusammen; die Meiose kann dabei metagam sein, wie bei den Grünalgen, oder progam, wie bei den pennaten Dia- Renner, Zur Terminologie des pflanzlichen Generationswechsels. 373 ı tomeen. Bei den Mesotäniaceen, die sämtliche vier Gonocyten ausbilden, führt die Befruchtung notwendig zu einer Verdopplung der Individuenzahl, wenn auch auf einem Umweg und mit beträcht- licher Verzögerung gegenüber der gewöhnlichen Zweiteilung. Bei Olosterium allerdings bleibt die Zahl der Individuen gleich, und bei Spirogyra ıst sie tatsächlich auch nach der Reduktionsteilung vermindert. Bei den durch progame Reifeteilung ausgezeichneten Diatomeen finden wir nur Gegenstücke zu den beiden letzten Fällen, weil jedes der kopulierenden Individuen entweder zwei Gameten liefert oder gar sich ganz zum Gameten umwandelt. Die Zahl der gebildeten Gonocyten (Konjugaten) oder Zygoten (Diatomeen) ist augenscheinlich von ganz geringer Bedeutung, und die Bo- tanıker werden es sich kaum nehmen lassen, auch bei Spirogyra und Surirella von geschlechtlicher Fortpflanzung zu sprechen. Einen „fakultativ-homologen“ Generationswechsel im Sinne von Hartmann scheinen uns deshalb die Konjugaten sämtlich zu haben, auch die Formen, deren Zygote bei der Keimung nur ein einziges haploides Individuum liefert. Einen „antithetischen“ Generationswechsel haben wir den Konjugaten aber abgesprochen (S. 138), weil die Zygote sich nicht im diploiden Zustand teilt; desgleichen den diploiden Diatomeen, weil hier nur die Gameten haploid sind. Es ist bei genauer Betrachtung nicht zu leugnen: wenn wir, wie es oben geschehen ist, für Spirogyra überhaupt die Frage er- örtern, ob sie einen „antithetischen“ Generationswechsel besitzt, wenden wir Begriffe an, die für die Vielzelligen geschaffen sind und auf die Einzelligen gar nicht passen. Ein wesentliches Kenn- zeichen des Hofmeister’schen Generationswechsels liegt darin, dass der geschlechtliche Entwicklungsabschnitt vom ungeschlechtlichen als selbständiges, neues Individuum und nicht als Glied erzeugt wird und ebenso der Agamont vom Gamonten. Wesen des Indi- viduum wieder ıst, dass es von einer Keimzelle ausgeht, ohne auf dem einzelligen Zustand stehen zu bleiben; von den nichtzellulären, polyenergiden Formen brauchen wir nicht besonders zu reden. Bei den Einzelligen fällt der Unterschied zwischen Individuum und Zelle weg, es gibt nur Zellgenerationen, nicht die höheren Körper- generationen, und deshalb kann es auch keinen Wechsel von solchen Generationen höherer Ordnung, wie etwa bei den Archegoniaten, geben. Bei Fadenalgen wie Oedogonium tritt wenigstens die haploide Phase als Körpergeneration in Erscheinung, die diploide dagegen bleibt Zellgeneration; bei den Fucaceen, Metazoen ist nur die Stellung der beiden Kernphasen gegenüber den Grünalgen vertauscht. Sobald wir bei den Einzelligen von Generationen reden, kann es sich, streng genommen, nur um Zellgenerationen handeln. Und dann stellt natürlich die Zygote von Spirogyra ebensogut eine diploide Generation dar, wie die vegetative bezw. Gametenzelle 374 Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. eine haploide. In Wirklichkeit haben aber die Botaniker von Sachs bis auf Claußen augenscheinlich bei der Erörterung der Generations- wechselfrage die Individuennatur der vegetativen Zellen der Ein- zelligen ignoriert, den Komplex der Zellgenerationen zwischen Zygote und Zygote als mehrzelliges Individuum, etwa wie den Oedogonium-Faden, aufgefasst und 1 einzellige Diplophase der aus- gedehnteren Bones gegenübergestellt. — Par die im vegetativen Zustand diploiden Diatomeen gilt mit der entsprechenden Modifikation dasselbe. Die Auslöschung der Individualität des aus einer Zygote hervorgehenden one ist es auch, die — zusammen mit der rudimentären Form der Diplose — den Generationswechsel bei den Hymenomyceten so sehr verwischt. An dem einkernigen, aus einer Spore hervorgehenden Mycel entstehen zahlreiche paarkernige Zellen als Initialen der zuletzt Basidien bildenden Hyphen. Eine ganze Zahl von „Zygoten“ baut also mit einander den Fruchtkörper auf, der einem Komplex von Gonosporophy ten entspricht. Wenn wir wollen, können wir darin eine entfernte Ähnlichkeit mit den syngon gebildeten Gametophyten und Haplosporophyten sehen. Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. Von Julius Schaxel. Mit 3 Abbildungen im Text. Durch äußere Umstände verspätet erhalte ich erst jetzt Kenntnis von einer Äußerung H. Driesch’s!) zu dem Kapitel „Regulation“ meines Buches über die Leistungen der Zellen bei der Entwicklung der Metazoen (Jena 1915, G. Fischer). Ich hatte dort einen Teil der tatsächlichen Grundlagen des Neovitalismus einer kritischen Erörterung unterzogen und musste daher eine Erwiderung des be- deutendsten vitalistisch orientierten Biotheoretikers erwarten. Nun, da ich sie vor Augen habe, kann ich das Gefühl der Enttäuschung nicht unterdrücken; denn ich vermag aus ihr keine neue Einstellung zu Driesch’s Lehre zu gewinnen. Trotz sorgfältigster Selbstprüfung kann ich dem Vorwurf, dass ich mir „selbst unbewusste theoretische Deutungen von vornherein in die Beurteilung der Sachverhalte hineinbringe“ (p. 552), nicht recht geben, und Driesch sagt auch nicht, unter dem Drucke welcher „uneingestandener Theorien“ (p. 551) ich stehe. Ich verdanke also Driesch’s Erwiderung nicht mehr als den Hinweis auf eine übersehene Publikation (p. 550) und einen stehengebliebenen Druckfehler (p. 554). 1) H. Driesch, Gibt es harmonisch-äquipotentielle Systeme?, in: Biolog. Centralbl., Bd. XXXV, p. 545—555, 1915. Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. 375 Unter diesen Umständen scheint mir die Verstrickung in eine aussichtslose Polemik der Worte mit dem von mir sehr hoch ge- schätzten Autor um so eher vermeidbar, als sich Anlässe sachlicher Auseinandersetzungen mit ıhm mir in Bälde mehrfach bieten werden. Die weitere Behandlung entwicklungsmechanischer Fragen ergibt sich bei der Mitteilung neuer experimenteller Untersuchungen, die zum Teil bereits abgeschlossen, längst erfolgt wäre, wenn nicht der Krieg dem deutschen Zoologen den Zugang zum Mittelmeer ver- schlossen und ihn so der seinen Zwecken am besten dienenden Objekte beraubt hätte. Ferner werde ich vom Vitalismus zu handeln haben bei der Darstellung einer vorbereiteten Theorie des tierischen Verhaltens. Endlich wird später einmal die von seiten der Bio- logen einstweilen etwas allzu leichten Herzens Driesch allein über- lassene Erörterung der Grundbegriffe der Biologie in den Bereich allgemeiner Diskussion gerückt werden müssen. Bei einer antivitalistischen Auseinandersetzung mit Driesch messen sich vorläufig ungleiche Kräfte. Driesch beschränkt sich ın der Festung seines fertigen Theoriengebäudes auf die Gebärde der Abwehr. Dem Angreifer fällt die schwierigere Aufgabe zu, die Fundamente des imponierenden Baues zu erschüttern, um den Zu- sammenbruch der tiefere Einsichten versperrenden Scheinerklärung allmählich anzubahnen. Mit der Zerstörung einhergehen muss ein neuer Aufbau, dem wenigstens der augenblickliche Gegner nichts anhaben kann. Freilich schwebt uns nie und nimmer ein von den Einzelleistungen sich ablösendes, endgültiges System der Erkennt- nisse vor, in dem wir bestenfalls immer nur einen in der Person seines Autors begründeten Abschluss des Erkennenwollens zu sehen vermögen. 1. Harmonie und Regulation. Wie oft schon wirft auch diesmal Driesch hinsichtlich der die ontogenetische Entwicklung bewirkenden Kräfte die Frage auf: „Kann man irgendwie auf maschineller Basis begreiflich machen, dass Zellensysteme auch in beliebigen, und zwar nach Größe und nach Herkunft beliebigen Bruchstücken, das harmonische Ganze leisten?“ (p. 555). Und ich muss wiederum seiner Antwort zu- stimmen, dass man das in der Tat nicht könne. Auch ich glaube nicht, dass die Denkbarkeit einer Maschine, die harmonisch-äqui- potentielle Differenzierung leistet, jemals gezeigt werden kann. Aber ich halte an meiner, durch neue Untersuchungen bestätigten Er- fahrung fest, dass solches Geschehen in der Natur nicht vorkommt. Die Behauptung ist durchaus ungerechtfertigt, dass irgendwie be- liebige Bruchstücke organischer Systeme überhaupt oder auch nur einiger Systeme zu gewissen Zeiten die Eigentümlichkeit hätten, harmonische Ganzgebilde zu liefern. Dem Analytiker begegnet immer nur die notwendige Zuordnung von Ausgang, Weg und Ende aller 376 Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. ontogenetischen Bildungen und er sieht die Gesamterscheinung aus den Einzelereignissen resultieren. „Harmonisches“ aus beliebig Ver- ändertem, also Disharmonischem, schließlich hervorzubringen, ist meines Erachtens bisher keinem Experimentator gelungen. Täuschung oder Missdeutung der Beobachtung zusammen mit der Unkenntnis dessen, was eigentlich wirkt, mögen manchen an seine oder der Natur Zauberkraft glauben gemacht haben. 2. Veränderung des Furchungstypus. Ausführlich genug habe ich das Vorstehende in meinem Buche dargetan. Driesch’s Antikritik hebt meine Kritik der empirischen Basis seiner vitalistischen Lehre keineswegs auf. Auf meine posi- tiven Ermittelungen über die Determination der Ontogenesis geht er nicht ein. Dafür will er einerseits frühere Behauptungen trotz meiner Zweifel an ihrer Richtigkeit aufrecht erhalten, andererseits meint er, auch mir wären, wenn auch unbewusst und wider meinen Willen, harmonisch-äquipotentielle Systeme als Sachbefund begegnet. Durch Versuche über Alteration des Furchungsmodus ohne Veränderung des Substanzbestandes des Keimes habe ich festgestellt, dass typische Gebilde nur unter folgenden bestimmten Bedingungen zustande kommen: Die irgendwie erzeugte atypische Lagerung der an sich typisch konstituierten Blastomeren wird aus physikalischen Ursachen wieder ausgeglichen, indem die Zellen nicht in der lockeren Fügung des Derangements verharren, sondern sich zu einem Kom- plex kleinster Oberflächen zusammenschließen. Da die aneinander gleitenden Blastomeren eine bestimmte Größe, in vielen Fällen auch eine bestimmte Form haben, so bestehen nur wenige Möglichkeiten der Zusammenlagerung, zu denen auch die typische Anordnung gehört. Dass aus dem Derangement etwas Typisches wird, ist demnach in vielen Fällen wahrscheinlich, nie aber eine innere Notwendigkeit. Es kann auch etwas Atypisches entstehen. Ist im Gegensatz zu der bisherigen Annahme der Erhaltung typischer Zellkonstitution diese selbst verändert und bleibt sie verändert, so wird die Aufteilungsweise irregulabel alteriert und die Bildung einer endgültigen Atypie ist die Folge davon. Die experimentell erzeugte Konstitutionsänderung kann nur bemerkt werden, wenn die typische Zellkonstitution bekannt ist. Dass es etwas Derartiges wie die Konstitution in der besonderen Bedeutung für die Determination der Zelleistungen gibt, haben erst meine Arbeiten ergeben. Das ist eben das wesentlich Neue, was ich außer Berichtigungen zu den Ergebnissen früherer Untersuchungen hinzugefügt habe. Driesch sagt freilich wieder: „Angaben über irgendwelche Körnchen im Protoplasma oder Ähnliches scheinen mir recht gleichgültig zu sein... .“ (p. 547). Er verkennt, dass die „Körnchen“ und überhaupt alles eytomorphologisch Fassbare wich- Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. 377 ’ pP y (Äd tige Indizien dafür sind, dass die Zelle aus differenten Komponenten in bestimmter räumlicher Zuordnung zusammengesetzt ist, eben die typische räumliche Ordnung der Maschine besitzt, als die sie bei den Gestaltungsvorgängen fungiert. Driesch’s Frage: „Ist der Furchungstypus überhaupt wesent- lich veränderbar? Und wird trotzdem etwa die Larve normal?“ (p- 547) muss ich entschieden verneinen. Wesentliche, d. h. die Konstitution des Eies oder der Blastomeren betreffende Verände- rungen werden nicht reguliert. Sie sind Determinationsänderungen mit atypischen Folgen. Ich habe bisher Erfahrungen an Echino- dermen, Anneliden und Gastropoden gesammelt. Driesch’s Objekte, die Seeigelgattungen Strongylocentrotus, Echinus und Sphaerechinus, sind für das Studium der Konstitutionsänderungen wegen der ge- ringen Mannigfaltigkeit des cytomorphologischen Bildes ihres Zell- inhaltes wenig geeignet. Immerhin werde ich für Strongylocentrotus Determinationsweise und Bildungsmöglichkeiten der frühen Stadien eingehend darlegen. Will Driesch trotz allem bei seinen alten, wenn auch mehr und mehr eingeschränkten Behauptungen bleiben, so steht eben seine der äußeren Erscheinung vertrauende Erfahrung gegen meine nach den Ursachen des Vorgangs fahndende, und die Zukunft wird zu entscheiden haben, ob ihn die Lockung einer ab- schließenden Theorie oder mich Missgeschick im Experimentieren getäuscht hat. Nur einen Sonderfall möchte ich zur Kennzeichnung unserer Kampflage hier für sich beliandeln. In meinem Buche suchte ich aus Driesch’s eigenen Angaben und Abbildungen nachzuweisen, dass auch er trotz mancher scharf formulierter gegenteiliger Ver- sicherung nur dann vollkommen typische Endstadien erhalten hat, wenn die vorübergehend atypisch gelagerten, der Zellkonstitution nach aber typisch beschaffenen Vorstadien im Sinne des Typus umgelagert wurden. Aus solchen Beispielen greift Driesch das folgende, einen Echinus-Keim betreffende heraus und sagt darüber: „Das Ergebnis des wichtigen Versuches, ın dem die Zellen des Mikromerenpols beieinander geblieben, die Makromeren aber völlig, und zwar, wie mit ganz besonderer Sorgfalt festgestellt war, irregu- label voneinander getrennt waren, und doch ein normaler Pluteus resultierte, referiert Schaxel in folgender Form: Driesch sagt nun: Es sind also in den letztgeschilderten Ver- suchen die Elemente mit einziger Ausnahme des beieinander ge- bliebenen Mikromerenpols (und der Makromerengruppe! Schx.) wirk- lich in ganz durchgreifender Weise definitiv verlagert worden, ohne dass die Bildung eines normalen Produktes irgendwie gestört worden wäre. Durch den Zusatz: und der Makromerengruppe! glaubte Schaxel meine zusammenfassende Darstellung zu berichtigen und dadurch 378 Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. in ihrer Bedeutung aufzuheben. Er sieht aber nicht, dass der Zu- satz falsch ist: der mit besonderer Sorgfalt festgestellte Sachverhalt war ja gerade, dass die Makromerenverlagerung definitiv blieb! Diese Versuchsart hat also Schaxel geradezu gänzlich unrichtig aufgefasst. In diesen Fällen gab es eben keine nachträglichen phy- sikalisch-regulatorischen Verlagerungen im weiteren Furchungsver- lauf“ (p. 549). Fig. 2. Typisches 16-Stadium von Echi- 16-Stadium von Echinus mit verlagerten Meso- nus, seitlich von unten gesehen, meren, seitlich von unten gesehen (Hauptachse um die Anordnung der Mikro- schief zur Ebene der Zeichnung). Nach Driesch, und Makromeren zu zeigen. Arch. Entw.-Mech., Vol. 14, p. 521, Fig. 14b. Fig. 3. ge er er) we 16-Stadium von Echinus mit verlagerten Mesomeren, Blick auf den vegetativen Pol. Nach Driesch, ibidem, Fig. 14 b‘. Diese Auslassung zeigt bloß, dass Driesch in seinen eigenen alten Sachbefunden nicht mehr Bescheid weiß. Fig. 1 ist das Schema des typischen 16-Stadiums von Echinus. In Fig. 2 ist eines der fraglichen Objekte nach Driesch in seitlicher Ansicht, in Fig. 3 ein anderes mit dem Blick auf den vegetativen Pol dargestellt. Immer befinden sich Mikromeren und Makromeren, offenbar in sich typisch konstituiert, in typischer räumlicher Zuordnung. Die Meso- meren sind in zwei Gruppen nach außen abgedrängt. Es bestehen also Atypien der Lage. Wer die Determination der Aufteilung bei Seeigeln kennt, erwartet aus solchen Keimen deformierte Blastulae, von denen Driesch auch berichtet, mithin ebenfalls leicht atypische Gebilde. Die mit der Gastrulation einhergehenden Zellverschie- bungen sind eine Sache für sich. — Was soll ich da „gänzlich un- richtig“ aufgefasst haben? Was in Ordnung ist, braucht nicht reguliert zu werden. Alles verläuft so, wie es meiner Meinung nach gehen muss. Nur Driesch bringt unerfindliche Geheimnisse hinein — oder verwechselt der Philosoph Makromeren und Mesomeren? Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. 379 3. Isolation von Keimteilen. Meine Erwägung, ob es einen Sinn habe, bei der Entwicklung von Ganzgebilden aus isolierten Keimteilen von der Differenzierung harmonisch-äquipotentieller Systeme zu reden, will Driesch nicht verstehen; denn er meint: „Schaxel greift keine einzige meiner Angaben über die Ganzentwicklung isolierter Blastomeren und Blastomerengruppen an, findet, wo er nachuntersucht hat, ganz das- selbe wie ich ....* (p. 550) Sn „Schaxel gibt hier .... Alles Tat- sächliche, so wie es von mir ne maden wurde, zu“ (p. 551). Driesch beurteilt seine eigenen Arbeiten im Verhältnis zu den meinigen recht optimistisch. Eine sorgfältige Lektüre meiner Dar- legungen über Ausschaltung und Isolation von Keimteilen lässt aber doch wohl keinen Zee darüber, dass die erfreuliche Über- einstimmung zwischen Driesch und mir leider nur eine recht äußerliche und oberflächliche ist. Der fundamentale Unterschied, dessen Verwischung ich nicht dulden kann, ist kurz folgender: Driesch hat gezeigt, dass manche Keimteile Ganzes bilden. Er sprieht dann von beliebigen Teilen und kommt zu seinen bekannten vitalistischen Folge- rungen. Ich zeige die Determination der Entwicklung in ihren einzelnen Faktoren, insbesondere was aus jedem Keimteil je nach seiner Konstitution Be- stimmtes und warum nur eben dieses Bestimmte wird. Auf Grund des in das Ursachengetriebe gewonnenen Einblicks wird die voreilige vitalistische Folgerung zurückgewiesen. Freilich kann man die Tatsache, dass sich experimentell aus den 2- oder 4-Stadien von Asterias 2 oder 4 typisch proportionierte Ganzgebilde von !/, oder !/, Masse herstellen lassen, mit dem „kurzen (?) terminologischen Ausdruck“ belegen, dass „harmonisch: snipotentielle Systeme® vorliegen. Allein, da es nicht mehr an- geht, von Harmonie, nenn. Äguifinalität zu sprechen, sobald die Determination der Vansinde hinreichend durchschaut ist, so wird praktischerweise auch ar es aufgegeben, der doch nur geprägt worden ist, um gewisse Theorien vorzubereiten, die sich als hinfällig erweisen. Mit der Aussage, dass harmonisch-äquipoten- tielle Systeme sich differenzieren, wird nicht das Wesen der Ent- wieklung gekennzeichnet, sondern nur die Begleiterscheinung ge- wisser Furchungsmodi namhaft gemacht. Das Unzutreffende der Bezeichnung zeigt folgendes Beispiel: Das längs der Apikalanalachse halbierte S-Stadium von Asterias setzt sich aus 2 kleinen Apikal- über 2 größeren Analzellen zusanımen. Bleiben die Zellen in dieser etwas labilen Lage, bis die nächste Teilung erfolgt ıst, so kommt dadurch ein typisches 4-Stadium von !/, Eimasse zustande, von 380 Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. dem aus die Entwicklung in den typischen Proportionen weiter geht und das eine typische Bipinnaria liefert. Gleiten nach der Isolation, was infolge der allgemeinen Lockerung des Zellverbandes häufig der Fall ist, die 2 Apikalzellen so, dass sie sich zu den 2 Analzellen quer stellen, wobei die Apikalzellen ziemlich tief in die Furche zwischen den Analzellen einsinken, so kommt es zu der Bildung einer durchaus irregulablen atypischen Stereoblastula, aus der nie und »immer etwas Typisches wird. Aus den stofflich gleichen Hälften eines Stadiums können ganz verschiedene Gebilde resultieren, je nachdem zufällige Momente den Furchungstypus wahren oder nicht. Soll hier etwa im ersten Fall von Harmonie und Äquipotentialität geredet werden? und von was das andere Mal? Die strenge Zuordnung von Ausgang, Weg und Ende, die jede organische Bildung kennzeichnet, wırd offenbar, und damit hat sich der Biotheoretiker abzufinden. Der radiäre und der bilateral- symmetrische Furchungsmodus bringen es mit sich, dass ın einer beschränkten, jeweils speziell bestimmbaren Anzahl früher Stadien Blastomerengruppen auftreten, die nach Konstellation und Konsti- tution im isolierten Zustande aus physikalischen Ursachen die Pro- portionen typischer Stadien erhalten. Bei dem Spiralmodus ist dergleichen nicht möglich. Infolge der besonderen Aufteilungsweise kann hier nach Isolation derselbe physikalische Faktor nur atypische Bildungen einleiten. Die sach- und sinngemäße, allgemein gültige Problemstellung ist bei dieser Lage der Dinge die Frage: Unter welchen Bedingungen wird Typisches oder Atypisches gebildet? Die Antwort lautet: Typische Bildungen kommen nur bei typischem Beginne auf typischem Wege zustande. Ein nach Art des Metazoenkörpers sich entwickeln- des System muss, um zu bestimmter Endordnung zu gelangen, von bestimmter Anfangsordnung ausgehen, und die Umbildungen müssen sich im Rahmen bestimmter Ordnung abspielen. Nie wird das typische Ende bei atypischem Beginne oder auf atypischem Wege erreicht. Nie werden ungeordnete Systemteile von einem geheimnis- vollen Agens der endlichen Ordnung des Systemganzen entgegen- geführt. Oder anders gesagt: Die relative Proportionalität der zu- sammenwirkenden Teile bleibt vom Beginne bis zum Ende durch die Folge der Stadien gewahrt, wenn auch die absoluten Größen in verschiedenen Fällen verschieden sein mögen. Was nie geschieht, ist die Leistung, die Driesch bei der Differenzierung harmonisch- äquipotentieller Systeme der Entelechie zuschreibt. Warum also einen Terminus beibehalten, der oft schlecht passt und nie seinem Zwecke dient? Etwa aus Gründen historischer Pietät für einen zeitweiligen Zustand biologischen Theoretisierens? Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. 381 4. Restitution. Auch in meinen Versuchen an COlavelina sieht Driesch nur Ergänzungen und Bestätigungen seiner Vorarbeiten. Er irrt aller- dings, wenn er glaubt, ich hätte „den für das theoretische Resultat bedeutungsvollsten Versuch, die Aufzucht kleiner Ganzbildungen aus beliebigen Bruchstücken des Kiemenkorbes nicht ausgeführt“ (p. 552). Ich habe sogar aus zerstückelten Kiemenkörben jeweils mehrere Ganzgebilde aufgezogen und dasselbe Experiment durch einige Generationen wiederholt. Aber auf diese Dinge will ich luer kein Gewicht legen. Von den Versuchen an Clavelina und in- zwischen auch an anderen Objekten ist mir vor allem die Erfahrung wertvoll, dass sich die Leistungen jeder Gewebszelle auf eine be- stimmte, nicht umkehrbare Folge von Ereignissen beschränken, also eine strenge Einsinnigkeit ihrer Lebensgeschichte besteht. Wo immer perpetuelle, repetierende oder accidentelle Restitutionen ge- leistet werden, nehmen sie ihren Ausgang von Anlagereservaten, die in der typischen Ontogenesis hergestellt worden sind und durch besondere Auslösungen in Tätigkeit gesetzt werden. Der Organis- mus leistet nie mehr, als seine ursprüngliche Determination in sich begreift. Die Grenzen des Typischen werden nicht überschritten, so lange nicht Atypisches als Endgültiges erscheint. Nennt Driesch weiterhin die Knospenanlage von (Clavelina „ein System dreier har- monisch-äquipotentieller Systeme“ (p. 552), so möge ıhm und den zitierten (p. 553) Freiburger Diskussionsrednern der angeblich kurze und harmlose Terminus gegönnt sein. Seine verfänglichen Kon- sequenzen sind jedenfalls dadurch beseitigt, dass nach der Auf- klärung über den eigentlichen Tatbestand das Problem in seiner alten Form gar nicht mehr besteht. 5. Determination und Potenz. Da Driesch, wie wir sahen nur zum Teil mit Recht, eine große Übereinstimmung zwischen seinem und meinem Sachbefund annimmt, so suchte er ein „grundsätzliches Missverstehen* meiner- seits in „Fragen der Deutung“ und schickt sich an, die Diskussion in das Gebiet der Logik zu verlegen. Wenn auch ich ihm nach Richtigstellung des Tatsächlichen gern dahin folgen würde, so hätten die engeren Fachgenossen, vor denen wir uns hier streiten, kaum Verständnis für eine solche Exkursion. Ich begnüge mich daher mit einer Erörterung von Driesch’s unzulänglicher Auffassung meiner Aussagen zum Determinationsproblem. Meine Kennzeichnung der ÖOntogenesis als eines seiner Art nach in sukzessiven Akten bestimmten Geschehens (sukzessive Deter- mination) macht nach Driesch „alle ontogenetischen Theorien von Leibniz und Bonnet bis zu Weismann, Roux und ihm selbst zu überflüssigen, weil auf falscher Fragestellung beruhenden Ver- 382 Schaxel, Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems. suchen“ (p. 554) — zu Unrecht allerdings; denn ich hätte eben nach dem Vorbereitetsein der Endergebnisse zu fragen vergessen: „Wer hier nach dem Vorbereitetsein der nicht durchaus unmittel- baren Ergebnisse nicht fragt, der übersieht eine naturlogisch bedingte Frage, welche er hätte stellen müssen“ (p. 554). Also was gemein- hin Potenz, Vermögen heisst, soll ich nicht hinreichend berück- sichtigt haben. „Und den Begriff des Vermögens brauchen wir hier eben aus ganz zwingenden naturlogischen Gründen, trotz Rhumbler (der sich einmal ähnlich äußerte wie ich — Schx.) und Schaxel. Seine, des Vermögensbegriffs, Zergliederung ist es, die hier dann weiter, und zwar, wie wir nach wie vor für erwiesen halten, zwingend zum Vitalismus führt“ schließt Driesch (p. 555). Ich bin der Meinung, in meiner Analysis der Entwicklungs- vorgänge über die Bildungsmöglichkeiten der Stadien eine dem Stand unserer gegenwärtigen Erfahrung entsprechende Aufklärung gegeben zu haben. Und von der Potenz im allgemeinen, dem Vor- bereitetsein der späteren Stadien in den früheren, eine Theorie zu gewinnen, ist ja der Zweck meiner um die ontogenetische Deter- mination bemühten Untersuchungen. Ich glaube in der Tat nichts umgangen oder für selbstverständlich gehalten zu haben, was mir als Problem hätte gelten müssen. Dass ich dabei. zu Resultaten gelange, die von denen Driesch’s ganz abweichen, veranlasst eben das Wiederaufflammen des Vitalismusstreites. Die Aussage, dass die ontogenetische Determination in suk- zessiven Akten geschieht, schließt ein allgemeines Urteil über die entwicklungsmechanischen Potenzen organischer Systeme in sich. Wo immer gestaltende Leistungen vollbracht werden, ist nicht für jeden Systemteil das Schicksal in alle Zukunft eindeutig festgelegt. Es gibt keine irgendwie durch Prädetermination fixierte Entwick- lung. Es gibt aber auch keine Entwicklungssysteme, die, auf be- liebigen Wegen von einer zielstrebigen Richtkraft geleitet, mannig- fache, nur in ihrem Endgebilde sich gleichende Möglichkeiten ent- falten. In jedem ontogenetischen Stadium ist eindeutig nur bestimmt das unmittelbar Folgende. Die aktuelle Eindeutigkeit schließt vir- tuelle Mehrdeutigkeiten in sich, die in schrittweisem Vorrücken verwirklicht werden. Zum typischen Ende führt aber nur ein Weg vorbei an atypischen Möglichkeiten. Weil die Determination in sukzessiven Akten geschieht, vermag die geänderte Realisation eines Aktes diesen zu ändern und damit eine geänderte Deter- mination für die Folgeakte zu schaffen. Die eigenartige Beschaffenheit der ontogenetischen Deter- minationsweise bedingt es, dass über die Potenz, über die Möglich- keiten eines Entwicklungssystems und seiner Teile weder eine feste Hess, Der Forstschutz. 385 Bestimmung noch unbestimmt Beliebiges ausgemacht, sondern nur die Sonderfälle unter Berücksichtigung aller Bedingungen beschrieben werden können. Weil es eben keinen ıdealen konstanten Typus gibt, weder durch unveränderbare Erhaltung eines kontinuierlichen, alles prädeterminierenden Keimplasmas, noch als Werk der Ente- lechie, lässt sich keine Entwicklungsgesetzlichkeit ableiten, ın der der Potenzbegriff eine bedeutsame Rolle spielen würde, sondern die Entwicklungsmechanik löst sich auf in Historie. Nicht evolu- tive, sondern kumulative Geschehnisse begegnen uns und wir sehen die organische Welt der anorganischen eingefügt. Im Schlusskapitel meines Buches über die Leistungen der Zellen und in meinem Aufsatze über den Mechanismus der Vererbung?) ist bereits von diesen Dingen die Rede —- freilich mit keinem anderen Anspruch als dem an Stelle einer Theorie des Lebens, die noch nicht versucht werden soll, vorläufig zu gelten. Unsere Experimentalergebnisse bahnen einen Einblick in das organische Werden an. Schon jetzt zeigt sich, dass das, was der Neovitalismus statt eines solchen Einblickes bot, wie andere Biotheorien auch keine Geltung behält. Wohin wir schließlich gelangen, ist nicht ausgemacht; aber von vorzeitig errichteten Sperrungen wollen wir den Weg freihalten. Die „ganz bestimmten theoretischen Postulate‘“, von denen Driesch behauptet, dass sie meine „Begriffsbildung lenken“, bestehen nur in der Unbestechlichkeit in sich noch so wohlgefügten Gedankengebäuden gegenüber, denen die Fundamente der Tatsachen entzogen sind. So ist es uns auch ein Gebot der Vorsicht, nicht mehr von harmonisch-äquipotentiellen Systemen zu reden, nachdem alles, was dieser Terminus an ideellem Gehalt birgt, seine Geltung verloren hat. Dem Direktor des Zoologischen Instituts der Universität Zürich, Herrn Prof. Hescheler, habe ich für die mir gewährte Gastfreund- schaft meinen verbindlichen Dank abzustatten. Zürich, April 1916. Der Forstschutz. Ein Lehr- und Handbuch von Dr. R. Hess. 4. Auflage, vollständig neu bearbeitet von R. Beck. 1. Band. Schutz gegen Tiere. Mit einem Bildnis, 250 Abb. und einer bunten Tafel. Leipzig und Berlin 1914. Verlag von B. G. Teubner. Preis geb. 16 Mk. Das Hess’sche Buch ist durch seine Gründlichkeit und Voll- ständigkeit seit langer Zeit bekannt und geschätzt. Auf die neue Bearbeitung sei um so mehr hingewiesen, als bei dem Schutz des 2) Wird im Herbst 1916 bei G. Fischer, Jena erscheinen, 384 Neuerschienene Bücher. Waldes gegen Tiere eine Menge allgemein interessanter biologischer Probleme in Betracht kommen. In den zoologischen Lehrbüchern ist aber die Art und Weise, wie Tiere Pflanzen angreifen und schä- digen, nicht zu finden. In dem vorliegenden Werke findet sich darüber ein reiches Material, das z. B. auch von Bedeutung für die Frage nach den natürlichen Schutzmitteln der Pflanzen ist, während die künstlichen Schutzmaßregeln ja Sache der forstlichen Praxis sind. Die zahlreichen Abbildungen erleichtern auch dem Laien die Erkennung der wichtigsten Baumbeschädigungen und ihrer tierischen Urheber. Goebel. Alexander Forbät: Die Immunitätslehre und deren praktische Anwendung im Kampfe gegen die Kriegsseuchen. Schutzimpfung, Serumtherapie, Vakzinetherapie. Gr. 8°, VI u. 64 8, 5 Abb. Berlin und Wien 1916, Urban und Schwarzenberg. Preis M. 2.50. Das Heft will den zahlreichen Ärzten, die im Kriegsdienst an der Seuchenbekämpfung mitwirken, ohne die wissenschaftlichen Fortschritte sich angeeignet zu haben, auf denen die erfolggekrönten Anordnungen der Sanitätsbehörden beruhen, sowohl die Grund- lage für das Verständnis der Maßnahmen wie Anleitung zu ihrer Aus- führung geben. Dieser Aufgabe wird es gerecht; das wichtigste aus der Immunitätslehre ist in leicht verständlicher und übersichtlicher Form gegeben. Es sind nur wenige unwesentliche Unrichtigkeiten durchgeschlüpft und auch die Darstellung der unvermeidlichen Hypo- thesen lässt trotz der Kürze eben den hypothetischen Charakter unserer Anschauungen erkennen. Es ist also, auch abgesehen vom praktischen Zweck, als allererste und kürzeste Einführung brauchbar. Werner Rosenthal. Neuerschienene Bücher die der Zeitsehrift zugegangen sind. (Eine Bespreehung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Kolle, Prof. Dr. W., und Öberstabsarzt Dr. Hetsch, Die experi- mentelle Bakteriologie und die Infektionskrankheiten mit be- sonderer Berücksichtigung der Immunitätslehre. Ein Lehrbuch für Arzte, Studierende und Medizinalbeamte. 4. erweiterte Aufl. Bd. I. Mit 46 mehrfarbigen Tafeln, 113 Abbildungen im Text und 7 Kartenskizzen. Berlin und Wien 1916, Verlag von Urban und Schwarzenberg. Preis M. 18.—, geb. M. 20.50. Pfaundler, M., Körpermaß-Studien an Kindern. Mit 5 Textabbildungen und 8 Tafeln. Berlin 1916, Verlag von Julius Springer. Preis M. 4.80. Haeckel, Ernst, Fünfzig Jahre Stammesgeschichte. Historisch-kritische Studien über die Resultate der Phylogenie. Jena 1916, Verlag von G. Fischer. Preis M. 2.— Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von Dr-RnGolebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Bd.XXXVI. 20. September 1916. 29. m benennen — = = Inhalt: Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. — Haecker, Reizphysio- logisches über Vogelzug und Frühgesang. — Miehe, Allgemeine Biologie. — Kraepelin, Die Beziehungen der Tiere und Pflanzen zueinander. — Neuerschienene Bücher. Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. Von Dr. Th. Bokorny. Ernährung mit Kohlehydraten. r Schon vor 30 Jahren teilte J. Böhm (Über Stärkebildung aus Zucker, Bot. Ztg. 1883) mit, dass Blattabschnitte gewisser Pflanzen (z. B. Feuerbohnen), wenn sie entstärkt in 10— 20 Y/,ıge Zuckerlösung gelegt werden, innerhalb 1—14 Tagen (im Dunkeln) reichlichen Stärkegehalt in den Chlorophyllapparaten ansammeln. Rohrzucker und Traubenzucker gaben positives Resultat. 1—5%,ıge Lösung wirkte viel schwächer als 20 %,ige. Freilich manche Blätter (z. B. von Allium, Asphodelus) bilden niemals Stärke, weder bei der normalen Kohlensäureassimilation noch bei vieltägigem Einlegen in 20 %\ige Zuckerlösung. Der Zucker wird hier vermutlich direkt zur Eiweißbildung ver- wendet (oder zur ÜOellulosebildung). A. Meyer erhielt positives Resultat, d. h. ersichtliche Stärke- neubildung bei fast allen geprüften Blättern mit Lävulose, nicht ganz so reichlich mit Dextrose. Während beı der Gärung die Dextrose der Lävulose über ist, soll hier bei der Assimilation die Lävulose besser geeignet sein. Da die Stärke bei der Spaltung XXXVI. 25 86 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. Dextrose liefert, stehen wir hier vor einem Rätsel. Indes ist eine quantitative Bestimmung der Stärke von A. Meyer nicht gemacht worden, jene Annahme beruht also auf einer mikroskopischen Schätzung. Rohrzucker kann fast bei allen (geprüften) Pflanzen zur Stärkebildung verwendet werden; nur Juglans und Gypsophila ergaben A. Meyer ein negatives Resultat. Letzterer Forscher vermutete, dass die Pflanzen, innerhalb welcher eine Zuckerart vorkommt, auch besonders befähigt sind, aus derselben Stärke zu bilden. Das stimmt aber wenig zu dem Rohrzucker, der ın den Pflanzen viel weniger vorkommt als die Dextrose; er wird trotzdem von fast allen Pflanzen leicht assımiliert. Der RKohrzucker ist ein Disacharid. Es kommt hier zunächst darauf an, dass das Rohrzuckermolekül, das doch wohl als Ganzes nicht zur Stärke umgewandelt werden kann, gespalten wird in Dextrose und Lävulose; weiterhin, dass diese assimiliert werden. Letzteres dürfte meist der Fall sein, da die Blätter ja in der Regel aus Dextrose und Lävulose Stärke zu bilden vermögen. Indes scheint auch die Spaltung des Rohrzuckermoleküls meist keine Schwierigkeiten zu machen, da ja nach genannten Forschern, zu denen etwas später auch E. Laurent mit übereinstimmenden Re- sultaten hinzukam, die meisten geprüften Pflanzen aus Rohrzucker Stärke bilden können. Es ist also in den meisten Pflanzen entweder ein Rohrzucker spaltendes Enzym vorhanden, oder das Protoplasma der betreffenden - Zellen ist imstande, die Rohrzuckermoleküle zu spalten. Die Formel der hier einschlägigen Kohlehydrate ist nach E. Fischer folgende: CHO ‚CH. CH,OH CH,OH EILOH / 6HoH ne b=0o HOCH X HOH CHOH HOCH Con CE. 0% eo Con HIOOH CHOH VCH HÖOH CH,OH CH,OH CH,OH C1L,oN Dextrose. Rohrzucker. Lävulose. Es bedarf der Aufnahme von einem Molekül Wasser, um die Spaltung des Rohrzuckermoleküls in ein Dextrose- und ein Lävulose- molekül herbeizuführen. Wasser ist in der Zelle genug vorhanden Ob ein Ferment oder das Protoplasma selbst die Spaltung bewirkt, müsste in den einzelnen Fällen untersucht werden. Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 387 Die Stärke, welche tatsächlich entsteht, kann wohl direkt aus den Monosachariden gebildet werden. Wasserabspaltung muss natür- lich eintreten, damit (C,H, ,O,)n wird. Welche Umwandlungen sonst geschehen, ob vielleicht eine Zerspaltung in kleinere Moleküle dem Aufbau vorausgeht, kann nicht gesagt werden. Da auch Stoffe von sehr kleinem Molekül, wie CH,OH und CH,O, zur Stärkebildung dienen können, ist diese letztere Annahme nicht ganz von der Hand zu weisen. Eine andere Hypothese, die in dem steten Vorhandensein eines protoplasmatischen Stärkebildners eine Stütze findet, ist die, dass zuerst Eiweiß gebildet und aus diesem durch Abspaltung bestimmter Gruppen und Zusammentritt derselben das Stärkekorn allmählich entsteht. Das gilt natürlich auch von der Stärkebildung aus anderen Stoffen als Kohlehydraten (siehe später). Ein den Pflanzenzellen fremdes Kohlehydrat ist der Milchzucker. Können die Pflanzen auch hieraus Stärke bilden? Nach der Anschauung, dass dieselben nur aus solchen Kohle- hydraten Stärke bilden, die auch normal in der Pflanze vorkommen, muss man hier ein negatives Resultat erwarten. Tatsächlich erhielt A. Meyer bei Versuchen mit diesem Kohle- hydrat keine Stärkebildung. Hingegen gelingt nach E. Laurent die Stärkebildung aus Milchzucker an Kartoffelsprossen. Der Milchzucker ist bekanntlich ebenfalls ein Disacharid. Er zerfällt bei der Hydrolyse in Dextrose und Galaktose. CHO CHO HCOH HCOH HOCH HOCH } G,H,0;, E HCOH HOCH HCOH HCOH CH,0H CH,0OH Dextrose. Milchzucker. Galaktose. Ist ein Milchzucker spaltendes Enzym in dem Kartoffeltrieb enthalten oder bewirkt das Protoplasma die Spaltung? Ersteres ist, nicht wahrscheinlich, da nicht einmal die gewöhn- lichen Hefen Milchzucker spalten, die doch wahre Fundgruben für Enzyme sind. Der Milchzucker wird von der Mehrzahl der Hefen nicht angegriffen; nur die spezifischen Milchzuckerhefen, wie S. kefir, S. fragilis, S. lactis, S. acidi laetiei, bilden hiervon eine Ausnahme. 25* 388 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. Es bleibt dann nur die Annahme übrig, dass das Protoplasma selbst die Spaltung bewirkt. Ist die Spaltung vollzogen, so kann die Dextrose zur Stärke- bildung dienen. Sogar die Galaktose kann eventuell in Betracht kommen. Denn A. Meyer fand, dass einige (allerdings nur wenige) Blätter aus Galaktose Stärke bilden. Die sich widerspreehenden Ergebnisse der Versuche A. Meyer’s und E. Laurent’s veranlassten mich neuerdings (Pflüg. Arch. 1915, Bd. 163), an Spirogyra eine Probe zu machen. Die Spirogyra (eine kleine Art) wurde zuerst entstärkt, dann in kleinen Portionen in zwei kleine gut verschlossene Gläschen von 50 ce Inhalt gebracht. Dieselben enthielten je 25 ce Flüssigkeit. Beide Proben wurden nebeneinander in gutes Tageslicht gestellt. Das Gläschen a enthielt 1%,ige Milchzuckerlösung, Gläschen b (Kontrollversuch) ag. dest. In beiden Fällen war das Wasser aus- gekocht worden (zur Entfernung der gelösten Kohlensäure). Die Abkühlung erfolgte in den luftdicht verschlossenen Gläschen, um zu verhüten, dass von neuem Kohlensäure in die Flüssigkeit geriet. Der Ausfall des Versuches war bei a sehr deutlich positiv. Die mikroskopische Untersuchung der Fäden ergab schon ohne Jodproben die Anwesenheit von reichlich Stärke in den Spirogyren (wie auch in den beigemischten Zygnemen). Mit Jodlösung trat eine intensive Blauschwarzfärbung in den Chlorophylikörpern ein. Hingegen ließ sich in dem Kontrollversuch keine Stärke er- kennen. Die Verwenduug dieses tierischen Zuckers, Milchzucker, zur Ernährung von Algen ist nicht ohne Interesse. Ein Ernährungsversuch, den ich mit Galaktose, dem einen Spaltungsprodukt des Milchzuckers und Spiroyyra, anstellte, fiel ebenfalls positiv aus. Nach 24stündigem Liegen (siehe vorige bei Milchzucker angewandte Methode) der Algen in der 1%igen Lösung ergab, nachdem bald direktes Sonnenlicht bald Wolkenlicht einge- wirkt hatte, die mikroskopische Untersuchung reichlichen Stärke- gehalt, während im Kontrollversuch die Stärke fehlte. Es ist von Interesse, dass auch diese Glykose bei Spirogyra nicht versagt; sie ist eine Aldose wie die Glukose, die ja auch positives Resultat ergibt. Leider standen mir andere Aldosen nicht zu Gebote. Die Raffinose, C,H.,0,, + 5H,0, ist eine Hexotriose [3C,H,,0,—2H,0 = (,,H,,0,,];: Dieselbe enthält nach Haedicke, (Gaus und Tollens drei Glykosen, und zwar je ein Molekül Dextrose, Galaktose, Lävulose, denn sie gibt mit Salpetersäure sowohl Schleim- säure als Zuckersäure, und es lässt sich ein fast wie Lävulose links drehender Zucker daraus abscheiden. Bei kurzem Erwärmen mit Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 389 Säure wird Lävulose daraus abgespalten, indem nach Scheibler und Mittelmeier Melibiose entsteht. Bei längerem Erhitzen wird auch die Melibiose in Dextrose und Galaktose zerlegt (Tollens, Kohlehydrate II, S. 192). Eine solche Zerlegung scheint nun auch die Spirogyrenzelle fertig zu bringen. Denn bei einem ganz gleichen Versuche, wie der bei Milchzucker beschriebene, ergab sich, dass die Raffinose Stärke in den Spirogyren erzeugt. Die Raffinoselösung war 1%,1g. I. C.H501: -- H,O = C,H,,O, = C,H,0n- Raffinose. Lävulose. Melibiose. II. 0,H,0,+H,0 = 6,H,,0,+ GH,,0,. Melibiose. Dextrose. Galaktose. Dextrose und Galaktose können zur Stärkebildung in Spirogyren dienen. Hingegen konnte ich mit meiner Spirogyren-Art bei Lävu- lose kein positives Resultat erzielen (siehe unten). Dextrose und Lävulose haben sich bei den Versuchen der oben genannten Forscher als brauchbar zur Stärkebildung beı zahl- reichen Pflanzen gezeigt. Meine eigenen Versuche an diesen beiden Glykosen, die mit der gleichen kleinen Spirogyra-Art angestellt wurden, ergaben bei Dextrose positives, bei Lävulose auffallenderweise negatives Resultat. Das unerwartete Resultat mit Lävulose veranlasste mich, den- selben Versuch mehrmals, auch mit neuen entstärkten Algenportionen zu machen; ich erhielt immer dasselbe abweisende Ergebnis. Dieser sonst so gute Nährstoff versagte also hier; ein neuer Beweis nicht bloß für die Wichtigkeit der Konfiguration des Mole- küls für die Ernährung, sondern auch für das verschiedene Ver- halten verschiedener Untersuchungsobjekte; man darf nicht verall- gemeinern. Die Dextrose ist eine Aldose, die Lävulose eine Ketose. Die Aldose Galaktose ergab, wie schon erwähnt, bei meinen neuen Versuchen ebenfalls positives Resultat. Wie verhalten sich Pentosen? Zu letzteren gehört die Arabinose. Sie wird aus den Pentosanen verschiedener Kleien, wie Gersten-, Weizen-, Roggenkleie, gewonnen. Auch im Harn wurde sie gefunden. Nach Cremer gibt jeder oder fast jeder menschliche Harn nach dem Klären mit Blutkohle die Pentosenspektralreaktion, wenn man ihn mit Phlorogluein und Salzsäure erwärmt. Meine Versuche über die Verwendbarkeit der Arabinose zur Stärkebildung in Spirogyren fielen negativ aus. 390 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. Auch X ylose hat (bei meinen früheren Versuchen) ein nega- tives Resultat an Spirogyra ergeben. Ebenso Rhamnose, sie ist eine Se (©,H,0;-530): OH OH H OHOHH CE SCHON GC’ CC COH CH,OH C. C.302608 LP IEROF H H Ol. Rhamnose (Isoduleit, Methylpentose). l-Arabinose (gewöhnliche Arabinose). Cremer und Verf. haben mit Arabinose an Kartoffeltrieben keine Stärkebildung erhalten können. Es ist sehr merkwürdig, dass die Spirogyren, die doch sonst eine große Reihe von Stoffen (Methylalkohol, Methylal, Formaldehyd, Essigsäure ete.) zur Stärkebildung gebrauchen können, mit den Pentosen nichts anzufangen wissen. Mag sein, dass hier die Zahl der C-Atome im Molekül eine Rolle ni Rhamnose und Arabinose sind auch durch Hefe nicht ver- gärbar! Dieses Zusammentreffen ıst recht bemerkenswert. Endlich sei nun noch ein eine Tetrose bei gelinder Oxydation liefernder Awertiger Alkohol, der Erythrit, CH,OH-CHOH-CHOH.-CH,0OH erwähnt. Mit Erythrit erhielt sowohl E. Laurent als A. Meyer beı Phanerogamen negatives Resultat. Das stimmt überein mit dem, was ich an Spirogyren beobachtete. Spirogyren zeigten keinen Stärkeansatz, als sie in Erythrit- lösung von 1:500 bis 1:100 gebracht wurden, weder nach 10 noch nach 24 noch nach 48 Stunden. Das Resultat ist auffallend, nachdem Weinsäure (als saures Caleiumsalz) ein positives Resultat bei Spirogyra ergibt (B. Uhem. Ztg. 1894, Nr. 2). Erythrit steht ja nach seiner Zusammensetzung den Kohle- hydraten so nahe wie Weinsäure: COOH -CHOH-CHOH- COOH. Ersterer ist zu arm, letztere zu reich an Sauerstoff. Es scheint, dass die grünen Pflanzen leichter Reduktionen aus- führen als Oxydationen. Ersteres sind sie von der Kohlensäureassimilation her gewöhnt. Freilich das positive Resultat mit Methylalkohol und grünen Pflanzen (auch Spirogyren) weckt wiederum Zweifel an dieser Auf- fassung. Verf, hat gefunden, dass z. B. Wirsingpflanzen, im Topf gezogen, den Methylalkohol assimilieren können (Pflüger’s Archiv Bd. 165). Derselbe muss ja auch oxydiert werden, um zur Kohlehydrat- synthese tauglich zu sein. Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 331 Freilich entsteht damit ein direkt taugliches Produkt CH,O, während im Falle Erythrit erst eine Zerspaltung des Moleküls ein- treten musste. Die Übereinstimmung, welche Arabinose und andere Pentosen in bezug auf Unbrauchbarkeit zur C-Ernährung und auf Nichtvergärbarkeit aufweisen, möge Veranlassung sein, um auf den chemischen Gärungsvorgang kurz einzugehen und dann die Assimilation von Kohlehydraten (und einigen anderen Stoffen) durch Hefe kurz zu streifen. A. v. Baeyer hat (Chem. Ber. Bd. 3) angenommen, dass bei der Vergärung des Zuckers folgende Atomverschiebung im Zucker- molekül stattfindet: 1 II. 180€ Vz V. @ILOH 0 CH,-:0H CH, CH, CH, | | | | | CHOH COH-—H CH-OH CH(ON) ‚en, | | | 0 CHOH € 0E=-1H; ı,€(OH), ‚60 nc0 | | Or 0L CHOH COH-—-H C(OH), co >c0 | | | ex CHOH COH—H C(OH), CHOH \CH, | | | | OE(OH), CH=(OH), CH, CH, CH, Man sieht hier, wie die Alkohol- und Kohlensäuremoleküle all- mählich vorbereitet werden. Das ist ja auch ohne weiteres einleuchtend, dass Alkohol (Äthyl-) und Kohlensäure nicht sofort durch Spaltung aus dem Trauben- zuckermolekül hervorgehen können. Es müssen zuerst Atomver- schiebungen stattfinden. Dieselben sind gar nicht sehr einfacher Natur. Man muss sich auch füglich wundern, wie die Hefe imstande ist, gerade diejenigen Atomverschiebungen fertig zu bringen, welche zur Bildung von Alkohol und Kohlensäure führen. B. schildert die Veränderung selbst folgendermaßen: „Die erste Formel ist die des unveränderten Zuckers. In der zweiten sind die austretenden Wasserelemente durch vorgesetzte horizontale Striche angedeutet, in der dritten ist schon so viel Wasser hinzuaddiert als ausgetreten ist, aber die OH und H sind in anderer Verteilung hinzugefügt... In der dritten Formel befindet sich nun aller Sauerstoff an einem Punkte des Moleküls angehäuft, eine Erscheinung, die man Akkumulation nennen kann. Die Folge der Akkumulation des Sauerstofls ist die Sprengung der Kohlenstoffkette, die bei der Milchsäuregärung einmal, bei der Alkoholgärung dreimal stattfindet. 392 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. Die Formeln IV und V stellen das Produkt der Gärung als Anhydrid der Milchsäure und als Anhydrid der Äthylkohlensäure dar.“ Alkohol- und Milchsäuregärung sind hier nebeneinander berück- sichtigt, obwohl sie durch verschiedene Enzyme bewirkt werden, was freilich zur Zeit der Aufstellung dieser Hypothese noch im Unklaren lag. Gegenwärtig trennen wir die beiden Vorgänge scharf. Hier interessiert nur der alkoholische Gärungsvorgang. Es ist klar, dass zu einem so komplizierten Vorgang, der sich nach B. in mehreren Phasen abspielt, mehrere Enzyme zusammen wirken müssen. Faktisch sind die Gärungsphysiologen der An- schauung, dass dies der Fall sei. Was dann den Zusammenhang der Gärfähigkeit mit der Assı- milationsfähigkeit anlangt, auf den schon mehrere Forscher auf- merksam geworden sind, so scheint derselbe doch ein recht loser zu sein. | Denn es ist kaum anzunehmen, dass der Assimilation eine Ver- gärung vorausgeht, um so weniger, als ja Alkohol dann nachweis- bar sein müsste, weil er nicht verbraucht wird. Die grüne Pflanze, welche Dextrose assimiliert, wird kaum den komplizierten Vorgang der Gärung einschlagen, um dann die Kohlen- säure zu assimilieren. Dasselbe gilt auch von der Wohl’schen Hypothese der Alkohol- gärung. In neuerer Zeit stellte Wohl auf Grund von Beobachtungen der rein chemischen Umwandlung der Hexosen und ihrer Spalt- produkte ein Gärungsschema auf, in welchem Glyzerinaldehyd, Methylglyoxal und Milchsäure auftreten: Methyl- Milch- glyoxal säure CH CHO CHO CHO COOH | | | | | CEIGEN 00H 0 co CHOH | a | | | CHOH CH CH, CH, CH, | | = CHOH CHOH CHOH CHO CHO CHO | | | | | | CHOH CHOH CHOH CHOH— Op COH 7 CO | | | | CH,OH CH,OH CH,OH CH,OH . CH, CH, Glyzerin- Methyl- aldehyd glyoxal Aus den angegebenen Produkten soll dann Alkohol und Kohlen- säure werden. Auch dieser Weg ist recht kompliziert. Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 395 Man hat kaum ein Recht zu glauben, dass die Zucker assimi- lierenden grünen Pflanzen diesen Weg einschlagen und dass sie eine Art Gärungsenzym besitzen; dass ferner die andern Kohle- hydrate (welehe nicht assimiliert werden), von der Zelle nicht ver- goren werden und darum nicht zur Assımilation dienen können. Der Zusammenhang muss, wenn überhaupt ein solcher da ist, wo anders liegen. Vielleicht dass bestimmte Kohlehydrate infolge gewisser stereo- chemischer Verhältnisse von Anfang an widerstehen, dass also die Stereokonfiguration des Moleküls des Enzyms oder des Plasmas in manchen Fällen schon den ersten Angriff unmöglich macht. Daher kommt es wohl auch, dass oft von nahe verwandten Organismen der eine einen Stoff zu assimilieren vermag, der andere nicht. Ein gutes Beispiel hierfür liefern die Sprosshefe-Arten. Die Hefenart muss immer in Betracht gezogen werden bei Assımilationsfragen. Für Sacharomyces Zopfü z. B. ıst nach Artarı die Zitronen- säure und die Weinsäure eine besonders gute, die Milchsäure und die Apfelsäure hingegen eine weniger gute Nahrung, während Wein- säure und Zitronensäure für Bierhefe von mäßiger Nährkraft sind. Apfelsäure ist in einem Falle sehr zuträglich, in einem anderen Falle wieder fast wertlos. Weinsäure ist bei manchen Heferassen beliebt. Sie wurde schon von Naegeli und Loew als Kohlenstoffquelle für Hefen benützt. Wie sehr selbst bei den Zuckerarten vor Verallgemeinerungen gewarnt werden muss, geht aus der Beyerinck’schen Feststellung hervor, dass der von ihm zuerst auf Korinthen gefundene Schrxo- sacharomyces octosporus eine Ausnahme von der Laurent’schen Regel macht. Er vermag zwar Maltose, Glukose und Fruktose, nicht aber auch Sacharose, Laktose, Raffinose, Arabinose, Duleit, Quereit, Erythrit und Inosit zu assimilieren. Eine Parallele hierzu liefert der Sacharomyces Zopfü. Er kann seinen Kohlenstoffbedarf aus der Sacharose, Glukose, dem Mannit decken. Nicht deckt er ihn aus der Maltose, Laktose, Galaktose, dem Inulin und dem Melampyrit. Der Sacharomyces Kefyr und der Sacch. acetäthylicus von Beye- rınck assimilieren Glukose, Fruktose, Maltose und Sacharose, ersterer aber nicht Laktose, während letzterer diese Zuckerart assimiliert. Ob auch Pentosen von Hefe assimiliert werden, unterlag schon öfters der Erörterung. Es ist dies auch praktisch wichtig, weil nach B. Tollens und H. Glaubitz ungefähr ein Viertel der Malzpentosane in die Würze 394 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 1 Y» fe} übergeht und zwar zum Teil nicht mehr als Pentosane selbst, sondern in Gestalt von Pentosen. Pentosane finden sich nach diesen Forschern ın Gerste zu 8,0%, im Malz zu 11,2%, im Weizen zu 8,7%, im Roggen zu 11,1%, im Mais zu 5,5%, der Trockensubstanz. Ob die Pentosane der Gerste bei der Keimung hydrolysiert werden, ist ungewiss. Jedenfalls vollzieht sich aber dieser Vorgang beim Darren des Malzes. Von da gelangen die Pentosen in die Bierwürze. In noch größerer Menge werden die Pentosen in den Maischen der Rohfruchtbrennereien sein, welche das Rohmmterial einer mehr- stündigen Dämpfung unter 3—4 Atmosphären Druck unterziehen (Lafar, Bd. 4, p. 95). Die Pentosen sind zwar unvergärbar, sollen aber unter günstigen äußeren Verhältnissen als Kohlenstoffquellen für Hefe dienen (H. v. Laer, J. fed. inst. brewing 1898 und Cross und Bevan in J. fed. inst. brewing 1897). Hingegen wird nach Beyerinck die Arabinose von Schixo- sacharomyces octosporus nicht oder sehr schwer verwendet. Ich stehe der Assimilierbarkeit der Pentose durch Hefe vor- läufig noch skeptisch gegenüber. Denn meine Versuche an Algen haben negatives Resultat er- geben (ebenso Versuche an Bierhefe?). In l-Arabinose-Lösungen setzten Spirogyren bei Kohlensäure- ausschluss ım Lichte keine Stärke an. Desgleichen nicht in Xylose. Ferner nicht in Rhamnose (einer Methylpentose. Siehe B. in Pilüg: Arch: Bd. '163,p! 69). Auch nach den früher vom Verf. gemeinschaftlich mit Prof. Öremer ausgeführten Ernährungsversuchen an Kartoffeltrieben liefern die Pentosen stets negatives Resultat. Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, dass auch hier verschiedene Hefeorganısmen sich verschieden verhalten. Beyerinck ist so weit gegangen, dass er eine Zerlegung der Gattung Sacharomyces in Untergattungen Glucomyces, Maltomyces, Lactomyces, Raffinomyces, Dextrinomyces, Polysacharomyces nach ihrem Verhalten gegen Kohlehydrate vorschlug. Dextrine werden von Kulturhefen schlecht assımiliert, auch nur wenig vergoren. Für wilde Hefen sınd dagegen nach P. Lindner (W.-Schr. f. Br. Bd. 20, S. 511) Dextrine gute Nährstoffe. Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 330 Ernährung mit Alkoholen. Bevor ich auf die Verwendung von Glyzerin als Hefenahrung eingehe, sei noch der Äthylalkohol erwähnt. Derselbe wurde von mir schon öfters als unbrauchbar für ©- Ernährung der Bierhefe bezeichnet. Man darf aber auch hier wiederum nicht verallgemeinern. Denn nicht nur, dass Äthylalkohol eine C-Quelle für manche Schimmelpilze und Bakterien ist, derselbe kann nach P. Lindner von verschiedenen Hefepilzen sogar als ausgezeichnete Kohlenstoff- quelle verwendet werden (W.-Schr. f. Br. Bd. 29, S. 1). Das Wachstum mancher Hefen soll in Äthylalkohol kräftiger sein als in Zucker. Ehrlich (Bioch. Zeitschr. Bd. 36, S. 47), welcher Tyrosin- lösungen in Gegenwart verschiedener Stoffe vergären ließ, erhielt bei Anwendung wilder Hefen mit Äthylalkohol auffallend gute Hefe- ernten. Wieder ein Fingerzeig, wie vorsichtig man mit Übertragung einer an einem Pilz gemachten Beobachtung auf andere Pilze sein muss. Von vornherein ist es übrigens schon nicht recht wahrschein- lich, dass der Äthylalkohol eine C-Nahrung für Bierhefe sei. Denn sonst hätte man ja doch bemerken müssen, dass der durch die Gärung entstandene Alkohol zum Teil verbraucht wird und somit im Lauf der Zeit abnimmt. Im großen und ganzen muss man die Erfahrung machen, dass die Bierhefe in bezug auf organische C-Nahrung ziemlich wähle- risch ist. Will man die Bierhefe praktisch im großen heranzüchten, so darf der vergärbare Zucker als Gär- und Nährmaterial nicht fehlen, schon deswegen, weil sonst immer Bakterien des Nährsubstrates sich bemächtigen, oder auch Schimmelpilze. Durch den rasch entstehenden Alkohol wird das Emporkommen anderer Pilze glücklich verhindert oder doch sehr verzögert. Wir haben hier eine bewundernswerte chemische Ausrüstung eines Organismus gegen sonst übermächtige Feinde vor uns. Ohne den Alkohol wird der Hefepilz sicher unterliegen. Das hat auch jeder, der mit Hefe gearbeitet hat, zur Genüge erfahren. Versuche ohne Zuckerzusatz gehen meist zugrunde. Nimmt man Reinkulturen (bakterienfreie), so geht ohne Zucker die Ernährung immer langsamer, weil die Hefe sich absetzt und nicht viel mit den Nährstoffen der Lösung in Berührung kommt. Der Zucker ist also für die Hefeaufzucht unentbehrlich. Dabei wird derselbe nicht einmal viel zur Ernährung ver- braucht. Weitaus der größte Teil wird vergoren. 3b Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. Da der Zucker einen auch sonst wertvollen Nährstoff darstellt, der bei der Hefefabrikation in großer Menge verbraucht wird, so ist es am Platze, wenigstens teilweise nach einem Ersatz zu sehen. Vielleicht ist es doch möglich, den Zuckerverbrauch einzu- schränken, wenn man dabei eine andere Kohlenstoffquelle noch darbietet, welche als Nährstoff für Tiere nicht in Betracht kommt. Ich habe zunächst an Methylalkohol und dann an Glyzerin gedacht. Indes scheint die Hefe von Methylalkohol wirklielh nicht viel Gebrauch machen zu können (siehe Verf. in Pflüg. Arch. Bd. 16, 8 36H.) Eher scheint das Glyzerin Aussicht zu bieten. Das Glyzerin als Nährstoff für Hefe. Von allen Seiten wird zugegeben, dass das Glyzerin ein Nähr- stoff für gewisse Hefearten sei, hingegen soll es gerade der Bier- hefe nach Ehrlich nicht zur Nahrung dienen können. Letzteres widerspricht aber wiederum den Erfahrungen früherer Forscher. Darum und weil das Glyzerin auch praktisch von Bedeutung werden kann für die Hefeerzeugung, möge hier näher auf diese Frage eingegangen werden. Das Glyzerin ist bekanntlich ein Stoff, der von der Hefe bei der Gärung ausgeschieden wird. Bei jeder Vergärung von Zucker durch Sacharomyces cerevisiae u. a. wird in der Gärflüssigkeit auch etwas Glyzerin neben Alkohol und Kohlensäure vorgefunden, Woher stammt dasselbe ? Zunächst bietet sich die Herkunft aus dem Hefefett als plau- sıble Annahme dar. Das Hefefett besteht teils aus freien Fettsäuren, teils aus Neutral- fett. Unter den freien Fettsäuren wurden Stearin- und Palmitin- säure gefunden, auch Säuren der Ölsäurereihe kommen vor (ferner Buttersäure in kleiner Menge). Die Neutralfette enthalten Fettsäuren an Glyzerin gebunden. Durch Spaltung der Fette können Glyzerinmengen frei werden und dann durch die Gärung (resp. durch den auftretenden Alkohol) infolge der nun eintretenden größeren Durchlässigkeit der Plasma- haut nach außen treten. Gelegentlich kann es wieder aufgesaugt und verbraucht werden. Das ist der eine Modus, um den Glyzeringehalt der gegorenen Flüssigkeit zu erklären. Eine zweite Art der Glyzerinentstehung wäre die als Gärungs- zwischenprodukt. Man hat ja auch lange Zeit das Glyzerin für ein direktes Gärungsprodukt gehalten. Durch den Zerfall des Zuckers sollte es neben Alkohol und Kohlensäure entstehen, Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 397 Müller Thurgau hat das freilich 1584 in Abrede gestellt, weil die Menge des Glyzerins zu sehr schwankt; nämlich bei Wein von 9—15 pro 100, bei Bier von 2,5—5 pro 100, wobei 100 die Alkoholmenge bedeutet. Er sprach das Glyzerin als ein Stoffwechselprodukt der Hefe an. Neuerdings aber tritt man dem Gedanken wieder näher, dass das Glyzerin ein Gärprodukt seı. Es wurde nämlich von Buchner und Meisenheimer im Hefepressaft bedeutend mehr Glyzerin vorgefunden als der gleich- zeitig anwesenden freien Fettsäure entsprach. Sıe zogen daraus den Schluss, dass die Hauptmenge des bei der Gärung auftretenden Glyzerins nicht dem Fett entstammt, sondern aus Spaltprodukten des Zuckers entstanden ist, und „es ist a priori wahrscheinlich, dass das Glyzerin durch Reduktion des Dioxyacetons oder Glyzerinaldehydid entsteht“. Freilich ıst dieser Schluss nicht zwingend. Denn es kann ganz gut sein, dass die Fettsäure nach der ge- schehenen Fettspaltung rascher (zur Verbrennung) verbraucht wird als das Glyzerin. M. Oppenheimer soll aber einen Beweis für das Glyzerin als Gärungsprodukt erbracht haben (H. 89, S. 65, 1914; zitiert von Euler in Uhemie der Hefe S. 70). Leider konnte ich diese Abhandlung nicht selbst einsehen. Immerhin wollen wir damit rechnen, dass das Glyzerin in der Hefezelle auch durch Gärung entstehen kann. Wird dasselbe nachher als Nährstoff verbraucht? Zwar hat die Bayer’sche Hypothese davon abgesehen, dass Glyzerin bei der Gärung entsteht. Diese geht davon aus, dass Alkohol und Kohlensäure nicht direkt aus dem Zucker entstehen können; es müssen Zwischen- produkte angenommen werden. Innerhalb des Zuckermoleküls gehen hiernach Atomverschie- bungen vor sich unter wechselnder Addition und Subtraktion von Wasser, etwa in oben beschriebener Weise (Chem. Ber. Bd. 3, S. 63; 1870). Jedenfalls ist die Ernährungsmöglichkeit von Hefe mit Glyzerin von besonderem Interesse. Ehrlich hat diese Möglichkeit besonders geprüft und gefunden, dass nur sogen. wilde Hefen das Glyzerin assimilieren, nicht aber unsere Kulturhefen (bei Anwendung von Tyrosin als Stickstoff- quelle). Hingegen führt Naegeli das Glyzerin als gute Kohlenstoff- nahrung für Bierhefe an. Bei einem von mir aufgestellten Versuch ergab sich, dass binnen wenigen Tagen in 0,2%,iger Glyzerinlösung auf Zusatz einer Spur 598 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. (Brauerei-)Presshefe eine Pilzvegetation eintritt, welche sich unter dem Mikroskop als zusammengesetzt erweist aus zahlreichen Spross- verbänden jener Sacharomyces-Art (daneben traten auch andere Pilze auf). Der Stickstoff wurde als schwefelsaures Ammoniak, die Phosphorsäure als Monokaliumphosphat zugegeben. Es besteht in den Resultaten, wie ersichtlich, ein Widerspruch, der noch aufgeklärt werden muss. Ernährung grüner Pflanzen mit Glyzerin. Schon vor geraumer Zeit ist die Möglichkeit einer Glyzerin- ernährung grüner Pflanzen nachgewiesen worden. Quantitative Versuche mit Glyzerin hat Verf. im Arch. d. ges. Physiol. Bd. 89, S. 467 veröffentlicht. Dieselben seien hier etwas ausführlicher erwähnt, weil die früher bekannt gewordenen Versuche mit Glyzerin und grünen Pflanzen meist sich mit dem qualitativen Nachweis, nämlich mit der Beobachtung eines Stärkeansatzes in den Chlorophyllapparaten begnügten und dieser Beweis einer Anfechtung ausgesetzt ist. Es wurde eine Lösung hergestellt, die 5 Tropfen reines Glyzerin auf 250 cem Wasser enthielt und außerdem 0,05%, Monokalıiphos- phat und 0,05%, Chlorkalıum. Die Lösung wurde mit 10 g Spirogyra nitida versetzt und 24 Stunden stehen gelassen. Hierauf wurde mit Permanganat titriert, d.h. an einem kleinen Teil der Flüssigkeit der Reduktionswert festgestellt. Die Algen gediehen sehr gut in der Lösung und häuften Stärke in den Chlorophylibändern an. Nach 10 Tagen wurde das Reduktionsvermögen der Nähr- flüssigkeit gegen Kaliumpermanganat abermals festgestellt; es hatte bedeutend abgenommen, nämlich um 66,2%. Die Algen hatten also ungefähr zwei Drittel des Gly- zerins, etwa 0,16 g (wenn 5 Tropfen Glyzerin = 0,25 g gerechnet werden) binnen 10 Tagen verbraucht. Bei einem zweiten ähnlichen Versuch ging der Gehalt an redu- zierender Substanz (Glyzerin) binnen 5 Tagen um 25,4%, zurück. Ohne Algen (im Kontrollversuch) fand eine Abnahme der orga- nischen Substanz nicht statt. Die Rechnung ergab, dass 10 g Spirogyra nitida (feucht gewogen')) in ersterem Falle binnen 10 Tagen 168 mg Glyzerin, in letzterem binnen 5 Tagen 66,4 mg desselben verbrauchten. Auch Trockensubstanzvermehrung konnte an den Algen festgestellt werden. Die betreffenden Versuche mögen in der zitierten Abhandlung nachgesehen werden. 1) Etwa 1 g Trockensubstanz entsprechend. Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. ) Erwähnenswert dürfte noch sein, dass der Sauerstoffzutritt zur Assımilation des Glyzerins durch Spirogyren nicht unbedingt nötig ist; sie setzen auch in einer Wasserstoffatmosphäre Stärke an, frei- lich erst nach längerer Zeit als sonst (nicht nach 6 Stunden, wohl aber nach 3 Tagen). Siehe Verf. im Arch. f.d. ges. Physiol. 125, 480, und Th. B. und Cremer, Chem.-Ztg. 1896, Nr. 101. Andere quantitative Versuche wurden vom Verf. auch au: Wirsingpflanzen mit Glyzerin angestellt und hatten positiven Erfolg (Biochem. Zeitschr. 1915, 71. Bd.). Ernährung mit Aldehyden. Formaldehyd: Die Ernährung von Algen mit freiem Formal- dehyd misslang früher immer wegen der starken Giftigkeit dieses Stoffes. Endlich gelang diese Ernährung doch, als ich Spirogyren gas- förmigen Formaldehyd in ganz kleiner Menge stetig zuführte, dann auch noch auf andere Weise (siehe unten). Es wurde aus reinem arsenfreien Zink und 1] verdünnter Schwefelsäure, die durch Auskochen luftfrei gemacht worden war, unter Zusatz einiger Kubikzentimeter 40 %,igen Formaldehyds, Wasser- stoffgas entwickelt, das dann natürlich immer kleinere Quantitäten Formaldehyd in Gasform mit sich führte. In der vorgelegten Wasch- flasche, die ebenfalls ausgekochtes Wasser enthielt, wurde selbst- verständlich ein beträchtlicher Teil des Formaldehyddampfes absor- biert, so dass nur minimale Quantitäten Formaldehyd mit jeder Gasblase ; ın das die Spirogyren enthaltende Glasfläschchen gelangten. Auf diese Weise gelang es, binnen 3 Tagen bei abw nl guter und schlechter Beleuchtung eine beträchtliche Anhäufung von Stärke in den zuerst entstärkt gewesenen Spirogyren zu erzielen. Die Zellen machten dabei den Eindruck völliger Gesundheit, der Zell- kern zeigte keine Störung, das Chlorophyliband war reich gezackt und von rein grüner Farbe. Mit Jodlösung ergab sich an den Stärkeherden eine beträchtliche Blauschwarzfärbung; die Stärke- körnchen in denselben hatten schon eine ziemliche Größe erreicht. Also können Spirogyren aus freiem Formaldehyd Stärke bilden. Übrigens konnte ich mich bei weiteren Versuchen davon über- zeugen, dass selbst ruhiges Liegen in einer sehr verdünnten Formaldehydlösung, wenn es nur lange genug dauert, doch zu einem reichlichen Stärkeansatz in Spirogyren führt. Spirogyren, die im Herbst gesammelt worden waren und den Winter über in einem Raume mit 3—10’ C. am Fenster in einer sehr verdünnten Mineralsalzlösung verweilt hatten, wurden zunächst durch Zusatz von 0,1 % Caleiumnitrat und Dunkel- stellen entstärkt, dann zu den Formaldehydversuchen verwendet. In einer Lösung von 0,001 % Formaldehyd + 0,02 % Monokaliumphosphat + 0,01 % Caleium- 6 400 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. nitrat + 0,005 % Magnesiumsulfat setzten die entstärkten Spirogyren binnen 9 Tagen sehr reichlich Stärke an. Mit Jodlösung färbte sich das Plasma so intensiv blauschwarz, dass eine Unterscheidung nicht blauer Stellen häufig nicht mehr mög- lich war. Bei einem gleichzeitig und unter denselben Bedingungen aufgestellten Kontrollversuch ohne Formaldehyd zeigten sich Hungererscheinungen. Die Spirogyren hatten sich zu parallelen Bündeln vereinigt; unter dem Mikroskop er- wiesen sich die Zellen als vollkommen stärkefrei; auch die Jodprobe ließ nirgends Stärke erkennen. Der Gegensatz war also so stark wie nur möglich. Macht man denselben Versuch bei Lichtzutritt, so ergibt sich, trotzdem nun Kohlensäureassimilation möglich ist, doch ein deut- licher Unterschied zugunsten der Formaldehyd-Algen. Letztere er- weisen sich nach 9 Tagen als überreich an Stärke, die des Kontroll- versuchs als mäßig stärkeführend. Die genannten Algen (Spirogyren) geben also, mit 0,001 %, Formaldehyd ernährt, einen sehr kräftigen positiven Erfolg; es tritt sehr reichliche Stärkebildung ein (Verf. im Arch. f. d. ges. Physiol. 128, 568). Die Formaldehydernährung grüner Blütenpflanzen wurde vom Verf. in letzter Zeit noch mittels formaldehydabspaltender Sub- stanzen durchgeführt (Biochem. Zeitschr. 71. Bd., 1915). Es ergab sich, dass Kohl mit Methylallösung begossen fast das doppelte Gewicht von der Kontrollpflanze (ohne Methylal) erreichte. Erwähnt sei noch, dass bei gleicher Versuchsanstellung mit Methylalkohol an Kohl ein starker positiver Ausschlag erhalten wurde, ebenso an der Feuerbohne. Kann die Hefe mit Formaldehyd und anderen Aldehyden ernährt werden? Aldehyde sind meist ungünstig, da sie leicht giftig wirken. Da aber mit Formaldehyd und mit Formaldehyd abspaltenden Substanzen schon positive Resultate an grünen Pflanzen erhalten wurden (Pflüg. Arch. Bd. 163), so‘ machte ich einige Versuche an Hefe. In erster Linie interessierte mich der Formaldehyd, weil der- selbe bei der Assimilation der Kohlensäure durch grüne Pflanzen wahrscheinlich als Zwischenprodukt gebildet wird, das freilich so rasch verschwindet, dass der Nachweis seiner Anwesenheit nicht gelingt. Kann die Hefe diesen merkwürdigen Stoff assimilieren ? Es wurden folgende Lösungen hergestellt: a) Formaldehyd 0,1 8 (d.ı. 1 pro mille) Schwefelsaures Ammoniak nr Monokaliumphosphat Vayr Magnesıumsulfat 0.05”, Wasser (destilliert) 100,00 „ Spur Hefe (so dass keine Trübung entstand). 2 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. 40] b) Formaldehyd 0,01 g (d. ı. 0,1 pro mille) Schwefelsaures Ammon Va, Monokalıiumphosphat or, Magnesiumsulfat 0.05 Wasser (destilliert) 100,00 „ Spur Hefe. Bei Versuch a trat keinerlei Vegetation auf. Bei Versuch b zeigte sich erst nach 6 Wochen ein Pilzräschen auf dem Grunde der Versuchsflüssigkeit, anscheinend aus Sacharo- myces bestehend, das nach Bildung einiger Sprosszellen ın Mycel ausgewachsen war. Die Vegetation war so gering, dass sie vielleicht auf flüchtige organische Substanzen, die aus der Luft hineingeraten waren, zu- rückgeführt werden kann. Aber selbst wenn sie auf den Formaldehyd zurückzuführen ist, so ist das ein so verschwindender Erfolg, dass man den Formaldehyd jedenfalls zu den schlechtesten Nährstoffen rechnen müsste. Da der freie Formaldehyd ein solches Pilzgift ıst, dass er gegenwärtig in großem Maßstabe als Desinfektionsmittel gebraucht wird, so ist der negative Erfolg vielleicht auf die Giftigkeit zurück- zuführen. Anders aber könnte sich der Ernährungsversuch gestalten, wenn man den Formaldehyd nicht im freien Zustand, sondern in Form einer leicht Formaldehyd abspaltenden Verbindung anwenden würde. Eine solche ist das formaldehydschwefligsaure Natron: OH CH,l za ö SO,Na Wie man sieht, wird neben Formaldehyd auch saures schweflig- ) ie) saures Natron frei, welches den Hefezellen schaden könnte. Aus diesem Grunde wird bei folgenden Versuchen als Phos- phorsäurequelle nicht Monokaliumphosphat, sondern Dikalıum- phosphat zugesetzt, welches eine schwach alkalische Reaktion hat und auf saures Salz neutralisierend wirkt. Ich stellte folgende Lösungen auf (im Dunkeln bei 25° C.): + H,0=CH,0 + HS0,Na-+H,0. 1. Formaldehydschwefligsaures Natron 1,00 8 Dikalıumphosphat 025, Magnesıumsulfat 0,059, Ammoniumsulfat Ok Spur Hefe (so dass keine Trübung entstand) Wasser 100.02. Nach 3 Tagen schon war eine beträchtliche Trübung und außer- dem Rasenbildung am Grunde zu sehen. XXXVI. 26 402 Bokorny, Neues über die Kohlenstoffernährung der Pflanzen. Die mikroskopische Untersuchung lehrte, dass sich stäbchen- förmige Spaltpilze und Beggiatoen ähnliche Fäden in großer Menge eingestellt hatten. Keine Hefesprossung war sichtbar; die Hefe hatte sich nicht vermehrt, sondern machte, so weit sie noch vor- handen war, den Eindruck des abgestorbenen Zustandes, Wahrscheinlich hat die Hefe das formaldehydschwefligsaure Natron gespalten und ist durch den freien Formaldehyd getötet worden. 2. Formaldehydschwefligsaures Natron 0,5 g Dikalıumphosphat 020: Magnesiumsulfat 0,05 Ammonsulfat 0,1, Wasser 100:0, Spur Hefe. Auch dieser Versuch endete ohne positiven Erfolg bezüglich der Sprosshefe; sie wuchs in dieser Lösung nicht. Ebenso waren auch Versuche mit Methylal, einer leicht ın Formaldehyd und Methylalkohol zerfallenden Substanz, erfolglos. Es gelingt mit einem Worte nicht, den Formaldehyd in irgendeiner Form zur Ernährung der Hefe zu verwenden. Auch mit Äthylaldehyd (CH,-CHO) bekam ich negatives Resultat. In einer Nährlösung, welche Äthylaldehyd von 0.07 9, als einzige Kohlenstoffquelle enthielt, trat nach 8 Tagen Spaltpilztrübung ein. In einer ähnlichen Lösung mit 0,02%, Äthylaldehyd stellten sich etwas später Schimmelpilze ein, welche als Rasen in der Flüssig- keit schwammen und an der Wand festsaßen. Bei 0,1%, Äthylaldehydgehalt trat lange keine Pilzvegetation ein. Erst, als die Flüssigkeit durch Oxydation eines beträchtlichen Teiles des Aldehydes zu Essigsäure saure Reaktion angenommen hatte, nach 20 Tagen, stellte sich eine Schimmelpilzvegetation ein, welche bald sehr mächtig wurde. Auch bei direkter Hefeaussaat stellt sich niemals eine Hefe- vegetation ein. Wie vorhin erwähnt, wächst in einer 0,1%,igen Aldehydlösung nicht einmal ein Schimmel- oder Spaltpilz (so lange die Substanz unverändert vorhanden ist), geschweige denn ein Hefepilz. Paroxybenzaldehyd (C,H,OH-CHO, 1,4) erwies sich in 0,1 %ıger Auflösung als Kohlenstoffquelle für Schimmel, nicht aber für Hefe. Binnen 3 Wochen war ein mächtiger Schimmelrasen in der Lösung gewachsen. Für Hefe scheinen sich also Aldehyde nicht als Kohlenstoff- quellen zu eignen. Ks ist das jedenfalls zum Teil auf ihre giftige Beschaffenheit zurückzuführen. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 405 Bei den aromatischen Aldehyden kommt hinzu, dass die Hefe offenbar den Benzolkern nicht zu zertrümmern vermag. Schimmelpilze .scheinen dazu eher fähig zu seın. Denn, wenn auch die Ernährung von Schinimel mit Oxybenz- aldehyd nicht unbedingt so gedeutet werden muss, da ja möglicher- weise die angehängte Aldehydgruppe allein zur Ernährung dient (nach Abspaltung derselben), so ist doch das Wachsen von Schimmel in Hydrochinon-Lösungen ein Beweis dafür, dass für Schimmel sogar der Benzolkern zur Ü-Ernährung tauglich gemacht werden kann. Eine Zertrümmerung desselben muss selbstverständlich eintreten. Bei giftigen Stoffen ıst natürlich stets die Grenze der Giftig- keit festzustellen. * Wenn dieselbe nicht allzu hoch liegt, dann kann man unter Umständen durch Verdünnung des Giftes noch etwas erreichen. Das ist auch in den obigen Fällen immer geschehen. Der Formaldehyd erfordert eine sehr starke Verdünnung, um unschädlich zu werden. Darum bietet er ernährungsphysiologisch so große Schwierig- keiten dar. Weiterhin wäre nun noch zu beschreiben das Verhalten orga- nıscher Säuren als O-Nahrung von Pflanzen. Doch ist hierüber wenig Neues bekannt geworden. Im allgemeinen sei zum Schlusse noch hinsichtlich der orga- nischen Ernährung grüner Pflanzen angeführt, dass dieselbe nach den bisher vorliegenden Arbeiten weit mannigfaltiger und verbreiteter ist als man gewöhnlich anzunehmen scheint. Wir müssen mit einer beträchtlichen organischen Ernährung auch der grünen Pflanzen neben der Kohlensäureassimilation rechnen. Doch möchte ıch dabei nicht versuchen, das bessere Gedeihen der grünen Pflanzen auf gutem Humusboden ausschließlich auf die organische Nahrung dieses Bodens zu schieben, wie man wohl früher tat. Ebensowenig möchte ich der neuerdings aufgestellten Behaup- tung zustimmen, dass die gute Wirkung des Humusbodens auf den größeren Kohlensäuregehalt des Humusbodens zurückzuführen seı. Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. Von V. Haecker (Halle a.!S.). (Mit 4 Tabellen.) Seit längerer Zeit habe ich meine Aufmerksamkeit solchen tierischen Lebensäußerungen zugewandt, bei welchen die reflex- und instinktmäßige Grundlage eben im Begriff ist, von psychischen Ele- menten höherer Ordnung gewissermaßen überdeckt zu werden. Es schien mir damit eine Möglichkeit gegeben, die Beziehungen zwischen 96: 404 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. den beiden Hauptstufen des psychischen Lebens der Tiere etwas näher kennen zu lernen. Als ein sehr geeignetes Objekt für Unter- suchungen dieser Art haben sich die Axolotl (Amblysioma) erwiesen, bei welchen die besondere Frage nach der Erblichkeit der indi- viduellen Variationen psychischer Natur den Ausgangspunkt für eine Anzahl von Experimenten gebildet hat!). Auch bei meiner seit früher Jugend fortgeführten Beschäftigung mit der einheimischen Vogelwelt bin ich immer wieder auf Fragen dieser Art hingedrängt worden, und da hier nur in sehr beschränkter Weise auf experimentellem Wege vorgegangen werden kann, so habe ich es mir angelegen sein lassen, seit etwa zwei Jahrzehnten alles Vergleichsmaterial zusamınenzutragen, welches sich bei regel- mäßigen Spaziergängen und bei besonderen, zu diesem Zweck unternommenen Frühjahrsreisen der direkten Beobachtung darbot. Das eine der hier besonders in Betracht kommenden Probleme ist das des Frühjahrs- und Herbstzuges. Durch die bekannten Ring- oder Markierungsversuche, die ın größerem Maßstabe und mit bestem Erfolge von J. Thienemann auf der Vogelwarte Rossitten in Ostpreußen ausgeführt worden sind, ist ein Weg beschritten worden, auf welchem wenigstens die Frage nach der Zugrichtung und Zuggeschwindigkeit einiger Vögel, besonders des Storches, ın überraschender Weise gefördert werden konnte. Dagegen sind wir bezüglich der Ursachen, welche den Aufbruch veranlassen und die Richtung des Zuges bestimmen, zunächst noch auf die ein- fache Beobachtung angewiesen. In einem auf der Tübinger Zoologenversammlung 1904 ge- haltenen Vortrag habe ich nun zu zeigen versucht, 1. dass ın Süd- westdeutschland bestimmte Vogelarten immer gleichzeitig erscheinen, dass z. B. Rotkehlchen (Erithacus rubeculus) und Weidenlaubvogel {Phylloscopus rufus) und ebenso Gartenrotschwanz (Rutieilla phoeni- cura) und Fitislaubvogel (Phylloscopus trochilus) sich stets um die nämliche Zeit bei uns einfinden; 2. dass die betreffenden Arten in den einzelnen Jahren zu sehr verschiedenen Zeiten ankommen, so dass die ersten Ankunftsdaten Unterschiede von etwa 4 Wochen aufweisen können; 3. dass die Ankunft der genannten Vögel und wahrscheinlich auch einiger anderer in Württemberg und Bayern stets bei föhniger Wetterlage erfolgt. Aus diesen Beobachtungen leitete ich die Hypothese ab, dass für die genannten Vögel der Föhn den Reiz zum Aufbruch aus Öberitalien und das Vehikel beim Passieren der Alpenkämme und -pässe bildet, und dachte mir, dass die Luftfäden und Luftsäulen, die bei Eintritt der Föhnlage am Südabhang der Alpen in immer I) Uber Lernversuche bei Axolotln. Arch. ges. Psychol., Bd. 25, 1912. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 405 stärkerem Maße aufsteigen, von den aus Afrika angekommenen Vögeln empfunden und als Signal zur Weiterreise benützt werden. Auch in den folgenden Jahren fand ich meine Beobachtungen immer wieder bestätigt. Wiederholt kam auch der Fall vor, dass die Rotkehlehen- und die Fitis-Welle?), wie ich die beiden oben er- wähnten, in der Regel Mitte März und Ende März oder Anfang April in Süddeutschland eintreffenden Staffeln nennen möchte, durch besondere Witterungsverhältnisse auf einen späteren Termin zu- sammengedrängt worden sind. Besonders häufig konnte ich die Wahrnehmung machen, dass andauerndes sonniges Wetter in der zweiten Hälfte des März oder in der ersten des April den Vogelzug nicht fördert, wofern es von Ostwind beherrscht und von kalten Nächten begleitet ist, dass aber der Eintritt südlicher Luftströmungen das Bild sofort ändert. So lagen z. B. die Verhältnisse im Jahre 1907?), wo nach länger dauerndem kühlem, wenn auch sonnigem Wetter ein am 12. und 13. April von SW. heraufziehendes Minimum Föhnstimmung brachte und die Wälder von Stuttgart mit einem Schlage mit den Vögeln der Rotkehlchen- und Fitis-Welle besiedelte. Es lag mir daran, ein ausgiebigeres Material in die Hand zu bekommen und mit Unterstützung der K. Württ. Forstdirektion wurden 1906 und 1908 von mir und 1910 und 1911 von Herrn Kollegen H. E. Ziegler an die Oberförstereien Württembergs Fragebogen versandt, die sich auf die ersten Ankunftsdaten mehrerer Vögel, u. a. von Haus- und Gartenrotschwanz (im Anfang auch von Rotkehlehen und Weidenlaubvogel*)) bezogen. Das Material ist z. T. durch Vermittlung der bayerischen ornithologischen Ge- sellschaft von W. Gallenkamp?°), z. T. von Anna Lampert‘) bearbeitet worden. Sichere Ergebnisse bezüglich des Zusammen- hangs von Vogelzug und Witterung konnten bei der Lückenhaftig- keit und Ungleichwertigkeit des Materials nicht zutage gefördert werden, doch ist nach Gallenkamp nicht zu verkennen, dass in Württemberg, ebenso wie in Bayern, im allgemeinen zuerst die Niederungen, dann die Höhenlagen besiedelt werden und dass m beiden Ländern ein gewisser Parallelismus zwischen dem Vorrücken der Wärmewellen und der Frühlingsbesiedlung besteht, was ja ın einen gewissen Einklang mit meinen eigenen Erfahrungen und An- nahmen gebracht werden kann. Noch ausdrücklicher hebt A. Lam- 2) Zur Rotkehlehen-Welle gehören außer dem Weidenlaubvogel auch Haus- rotschwanz und Braunelle, zur Fitis-Welle der Gartenrotsch wanz. 3) Auch W.Gallenkamp (Verh. Orn. Ges. Bayern, Bd.9, 1908 [1909 für Bayern die ganz abnorm späte Zugszeit des Jahrgangs 1907 hervor. F 4) Das Rotkehlehen wurde wegen der Unsicherheiten, die sich infolge der Überwinterung einzelner Individuen, der Weidenlaubvogel, weil er sich als unge- nügend bekannt erwies, fallen gelassen. 5) Verh. Orn. Ges. Bayern, Bd. 7, 1906, und Bd. 9, 1908 (1909). 6) Jahresh. Ver. Vaterl. Naturk. Württ., Bd. 70, 1914. ) hebt 406 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgerang. pert hervor, dass bei der Frühjahrsbesiedelung Württembergs die warmen Süd- und Südwestwinde — also föhniges Wetter — das Eintreffen der Zugvögel günstig beeinflussen. Auf Grund sehr ein- gehender Untersuchungen über die Rotkehlchen-Wanderung an der deutschen Ostseeküste ıst auch Hübner’) zu dem Schluss ge- kommen, dass die Rotkehlchen, durch den Wärmesinn geleitet, bei der allmählichen Frühjahrserwärmung des europäischen Kontinents gleichzeitig mit der fortschreitenden Wärmewelle langsam vom Mittelmeer nach Norden vorrücken. Auf die Einwände, welche gegen meine Beobachtungen und gegen die daraus abgeleitete Föhnhypothese erhoben werden können, bin ich schon 1904 eingegangen. Da aber in den 12 seither ver- lossenen Jahren manches Neue hinzugekommen ist, so will ich hier nochmals auf das Für und Wider zurückkommen. Ein erster Einwand, der gegen die Stichhaltigkeit der Beobach- tungen selbst gerichtet werden könnte, ıst der, dass die Vögel, die vielleicht schon vorher unbemerkt dagewesen sind, erst durch das warme, sonnige Föhnwetter zum Singen aufgemuntert werden und also verspätet zur Beobachtung gelangen. Möglicherweise könnte auch, wie Bretscher‘) vermutet, eine Fehlerquelle darın liegen, dass bei Föhnwetter die Naturforscher durch die Wärme und den Sonnenschein mehr ins Freie gelockt werden, während sie bei rauhem Wetter weniger beobachtungseifrig sind. Beide Einwände erledigen sich dadurch, dass ich in den in Frage kommenden, in die Osterferien fallenden Zeitabschnitten regelmäßig und bei jedem Wetter die mir vorher bekannten Standplätze und Strichstraßen abgesucht habe und zwar mit der bewussten Ab- sicht, die Vögel aufzufinden. Es ıst auf diese Weise nahezu un- möglich, so häufige und wenig scheue Vögel, wie esz. B. Rotkehlchen und Weidenlaubvogel sind, zu übersehen, sie hätten vielmehr auch bei rauhem Wetter und trotz geringerer Lebhaftigkeit zur Beobach- tung gelangen müssen, falls sie schon vor Eintritt der Föhnlage dagewesen wären. Ich glaube also kaum, dass in dieser Richtung erhebliche Fehler- quellen vorliegen. Vielmehr bin ich noch mehr als vor 12 Jahren überzeugt, dass die Annahme eines Zusammenhangs von Frühjahrs- zug und Föhnlage wenigstens für Süddeutschland und die genannten Vögel gut begründet ist, und nach meinen Beobachtungen bei Halle und ım Brockengebiet halte ich sogar den weiteren Satz für be- rechtigt, dass auch ın Mitteldeutschland südliche, südwestliche und wohl auch südöstliche Luftströmungen einen ähnlichen Einfluss auf 7) E. Hübner, Wetterlagen und Vogelzug. Abh. Kais. Leop.-Carol. Ak., Bd. 84, 1905, 4°. 8) K. Bretscher, Der Föhn und der Vogelzug im schweizerischen Mittel- land. Ornith. Monatsschr. Bd. 40, 1915. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 40% den Zug dieser Vögel haben, wie die Föhnströmungen in Süd- deutschland. In der langen Reihe von Jahren, während welcher ich in Süddeutschland (Stuttgart, Tübingen, Freiburg) die Ankunft der Vögel verfolgte, habe ich den Ein- druck gewonnen, dass das Föhnwetter, welches einen großen Teil der Vögel zu uns zurückführt, sich während des März und April deutlich auf drei Perioden zusammendrängt, die verhältnismäßig häufig auf die Tage 15.—18. März, 2.—6. und 20.— 24. April fallen. Ich hatte die Absicht, auf Grund der Aufzeichnungen der Stuttgarter meteorologischen Zentrale zu prüfen, ob etwa während eines Zeit- raumes von mehreren Jahrzehnten die Föhntage tatsächlich auf diese Perioden, die ich mir als Weiden-, Fitis- und Waldlaubvogelperiode (rufus-, trochilus- und sibilatrix-Periode) gemerkt hatte, besonders häufig fallen, und ob hier ähnliche, vielleicht in periodischen Veränderungen der oberen Schichten der Atmosphäre be- gründete Unregelmäßigkeiten sich widerspiegeln, wie dies für die bekannten ‚,‚Eis- heiligen“ in der ersten Maihälfte gilt. Ich habe diesen Plan leider nicht mehr aus- führen können, halte mich aber für berechtigt, an dieser Stelle das Interesse der Meteorologen auf diesen Punkt zu lenken. Es war schon lange mein Wunsch gewesen, in den eigentlichen Heimatgebieten des Föhns ım Frühjahr Beobachtungen anzustellen, ich konnte aber diesen Plan nicht ausführen. Nun hat vor kurzem Bretscher?°) versucht, allerdings offenbar weniger auf Grund direkter, eingehender Beobachtungen an geeigneten Lokalitäten, sondern auf statistischem Wege die Frage zu prüfen, ob auch im schweizerischen Mittelland, also in den den Alpen nördlich vorge- lagerten Gebieten, ein Zusammenhang zwischen Vogelzug und Föhn nachweisbar ist. Bretscher hat die Angaben, die sich im Katalog für schweizerische Vögel und im ornithologischen Beobachter für die Jahre 1902—-1912 für etwa 20 Arten von Zugvögeln vorfinden, zusammengestellt und untersucht, ob auf die Föhntage eine durch- schnittlich größere Zahl von Zugbeobachtungen fällt als auf die übrigen Tage des März und April. Er fand, dass im März der Tagesdurchschnitt der Beobachtungen bei Föhn um einiges höher ist als an den übrigen Tagen, dass aber im April eher das Gegenteil herrscht. Bretscher meint, dass die Übersicht immerhin so aus- gelegt werden könne, dass der Föhn den Vogelzug fördert, es könne aber jedenfalls keine Rede davon sein, dass der Zug in der Schweiz stets bei Föhn erfolge. Auch könne vielleicht das Plus, das die Föhntage im März aufweisen, mit dem schon erwähnten Umstand zusammenhängen, dass bei sonnigem Föhnwetter die be- treffenden Beobachter regelmäßiger ins Freie gingen. Der Widerspruch, der zwischen meinen Beobachtungen und den auf statistischem Wege erzielten Ergebnissen Bretscher’s be- steht, ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sich vielleicht unter jenen etwa 20 Vogelarten manche befinden, deren Frühlings- zug durch ganz andere Faktoren bestimmt wird und deren Zugs- und Ankunftsdaten daher die Ergebnisse in entgegengesetzter Weise Pelle: 408 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. beeinflussen, als die Beobachtungen, die sich auf Rotkehlchen, Weidenlaubvogel und deren Genossen beziehen. Auch geht aus den Angaben Bretscher’s nicht hervor, inwieweit unter Zug- beobachtungen die Rückkehr der ersten Ankömmlinge, das Ein- treffen der Hauptmasse oder Durchgangserscheinungen zu verstehen sind, während es sich bei meinen Daten stets um die erste An- kunft handelt. Jedenfalls sind also die beiderseitigen Ergebnisse nicht gut miteinander zu vergleichen. Aber selbst wenn sich herausstellen sollte, dass tatsächlich alle, also auch die von mir berücksichtigten Vögel in der Schweiz un- abhängig vom Föhn an ihren Wohnplätzen ankommen, so wäre trotzdem der Widerspruch kein unlösbarer. Es wäre z. B., wie ich schon 1904 in anderem Zusammenhang ausgeführt habe, möglich, dass die Vögel, die den Föhn als Transportmittel benützen, zu- nächst nicht da anlanden, wo der Föhn noch mit voller Gewalt von den Bergen herabstürzt, sondern erst da, wo er als milder Südwind allmählich abflaut und seine treibende Wirkung ein Ende nimmt. In diesem Falle müssen natürlich etwaige Abhängigkeits- verhältnisse in Süddeutschland deutlicher zutage treten als im un- mittelbaren Vorlande der Alpen. Größere Unregelmäßigkeiten wären auch dann in der Schweiz zu erwarten, wenn die durch den Föhn herbeigeführten Vögel nicht über die Alpen, sondern von Südwesten her in die Schweiz und nach Süddeutschland gelangen und dabei ähnlich, wie dies in Bayern und Ungarn beobachtet wurde, zuerst die tiefer und allmählich erst die höher gelegenen Landesteile besiedeln. Dann müssen natürlich in der Schweiz mit ihren bedeutenden örtlichen Höhenunterschieden auf verhältnismäßig kleinem Raume erheblich größere Schwankungen in den Ankunftsdaten auftreten, als beispielsweise in Stuttgart, wo trotz der bergigen Lage der Höhenunterschied zwischen den beim Schloss gelegenen Parkanlagen und ım Tal (242,5 m) und den um- liegenden Höhen (400—485 m) höchstens etwa 250 m beträgt. Ich werde auf die Frage nach der Zugrichtung unten nochmals zurück- kommen, hier sei mir zuvor gestattet, einige allgemeine Bemer- kungen über die Methode der Zugbeobachtungen einzufügen. Wie auf jedem anderen biologischen Gebiete können natürlich wissenschaftlich brauchbare Ergebnisse von mehr als ganz allge- meinem und vorläufigem Charakter nur dann erlangt werden, wenn die Einzelbeobachtungen ein möglichst hohes Maß von Sicherheit bieten. Erste Voraussetzung hierfür ıst aber, dass der Beobachter in bezug auf Kenntnisse und methodische Schulung wohlvorbereitet und über die wissenschaftlichen Zwecke ım Klaren ist. Ich war bei meinen Umfragen von der Annahme ausgegangen, dass bei den Forstleuten diese Bedingungen wenigstens, was die einfacheren systematischen Kenntnisse anbelangt, erfüllt sind. Aus den Ein- Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 09 sendungen ging aber hervor, dass dies keineswegs zutrifft und dass z. B. eine so häufige und auffallende Erscheinung, wie der Weiden- laubvogel (Phylloscopus rufus), vielen Forstmännern ganz unbekannt ist. Die alten Überlieferungen aus der Zeit der Vogelstellerei sind ja in der jetzigen Eemernor fast vollkommen den und selbst in den klassischen Gegenden des Vogelfangs, im Harz und in den Mansfelder und Saalgebieten, wird man nur sehr selten noch einen älteren Mann treffen, dem die Singvögel, ihre Namen und Lebensgewohnheiten einigermaßen geläufig sind. Ich habe es vor zwei Jahren als einen besonderen Glücksfall angesehen, als ich in Schierke im Brockengebiet einen alten Schuhmachermeister kennen lernte, der noch sämtliche Drossel-, Finken- und Meisenarten unter- scheiden und mit ihren, z. T. mehrfachen, alten Bezeichnungen be- nennen konnte!°). Fast noch schlimmer liegen nach meinen Er- fahrungen die Verhältnisse in Württemberg, im badischen Schwarzwald und in der Schweiz. So sind auch den Forstmännern die ormitho- logischen Kenntnisse großenteils abhanden gekommen und es fehlen also, wie ich mich nachträglich überzeugte, vollkommen noch die breiteren Unterlagen, auf denen sich eine statistische Untersuchung mit befriedigendem Erfolge aufbauen könnte. Günstigere Verhält- nisse werden erst dann eintreten, wenn im Laufe vieler Jahre auf dem Wege über Hochschule, Mittel- und Volksschule das Interesse für Ornithologie und die ausreichenden Kenntnisse wieder in breitere Schichten der Bevölkerung zurückgeflossen und wirkliche Beob- achter in genügender Zahl gleichmäßig über das ganze Land ver- teilt sind. Auch gegen die spezielle Hypothese, dass der Föhn die Vögel über die Alpenpässe zu uns führt, können verschiedene Einwände erhoben werden, und in der Tat musste es früher als zweifelhaft betrachtet werden, ob überhaupt kleinere Vögel auf dem Zuge Höhen von 2000 und mehr Metern überschreiten. Im Jahre 1904 waren mir nur die Zugbeobachtungen von P. Blasius Hanf!) in Steyermark, die sich aber auf eine bedeutend niedrigere Pass- schwelle zwischen dem Mur- und Draugebiet bezogen, sowie ein- zelne bei Naumann-Hennicke gefundene Angaben über das Vor- kommen von Singvögeln auf Alpenpässen bekannt. Aber noch im gleichen Jahre hat Fatıo'!?) beim Internationalen Zoologenkongress in Bern festgestellt, dass wenigstens auf dem anbaiae lie be- 10) Die sprachgeschichtliche Forschung ist durch das schöne Werk von H. Suolahti, Die deutschen Vogelnamen, Straßburg 1909, gerade noch zur rechten Zeit auf die alten Bezeichnungen hingewiesen worden. Auch jeder Biologe findet in diesem Buche reiche Belehrung. 11) P. Blasius Hanf, Die Vögel des Furtteichs und seiner Umgebung. Mitt. Naturw. Ver. Steiermark 1882. 12) V. Fatio, Principales lignes de passage des Oiseaux & travers la Suisse et les Alpes. ©. R. 6me Congr. Int. Zool. Berne, Geneve 1905. 410 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. kannteren, in der Höhenlage von 1700—2500 gelegenen, von der Nord- zur Südabdachung der Alpen führenden Pässe der Schweiz benützt werden und dass, abgesehen von den geschwaderweise und sehr hoch fliegenden Kranichen, Störchen und Gänsen, speziell auch die „mittleren Flieger“, welche in lockeren Verbänden und in ge- rıngerer Höhe ziehen, wie die Krähen, Stare, Schwalben und Tauben, Pässe von der angegebenen Höhe überfliegen. Auch die kleinsten Wanderer, welche einzeln, paar- oder truppweise den Tälern, Wald- rändern und unbedeutendsten Wasserrinnen entlang ziehen, können auf diese Weise die nämliche Höhe erreichen. Die meisten in der Schweiz brütenden oder die Schweiz passierenden Vögel über- schreiten allerdings nach Fatıo die Alpen nicht, sondern sie strömen durch die zwischen Jura und Alpen gelegenen, die Schweizer Hoch- ebene durchschneidenden Flusstäler, wie durch einen großen Trichter, gegen den Genfer See und das Rhonetal zusammen. Neuerdings hat sodann Bretscher") eine Zusammenstellung aller Vögel gegeben, die auf dem Zug die schweizerischen Alpen- pässe benützen. Unter den überraschend vielen Arten — auf dem St. Gotthard allein wurden 108 angetroffen — befinden sich auch das Rotkehlchen, welches auf dem großen St. Bernhard und Luk- manier, und der Weidenlaubvogel, der auf der Furka und den Glarnerpässen beobachtet wurde, dagegen fehlen gegen Erwarten Buch- und Bergfink (Fringilla coelebs und montifringilla), trotzdem sie in Oberitalien auf dem Frühjahrszug häufig sind, vollkommen. Am höchsten geht die weiße Bachstelze (Motaecilla alba), die mehr- mals sogar auf dem Theodulpass (3322 m) gefunden wurde. Bis jetzt sind allerdings, wie auch Bretscher hervorhebt, die Angaben noch nicht ausreichend, um bestimmte Schlüsse über die Rolle der genannten Pässe als Zugstraßen zuzulassen. Auch ist aus den Daten meist nicht ersichtlich, ob es sich jeweils um den Frühjahrs- oder Herbstzug handelt. Für die Frage, ob der Föhn die genannten Vögel wirklich über die Alpen zu uns führt, kommen auch die Beobachtungen der bayrıschen Ornithologen ın Betracht, nach welchen eine Reihe von Arten, darunter auch Haus- und Gartenrotschwanz, nicht von Süden oder Südwesten, sondern im allgemeinen von Nordwesten, von den milden Maingegenden aus Bayern besiedeln und allmählich nach Osten und Südosten gegen die Höhenlagen des Böhmerwalds und der bayrıschen Alpen vordringen '%). Auch für Württemberg scheimen nach Gallenkamp und A. Lampert z. T. wenigstens ähnliche Verhältnisse zu bestehen, und speziell für die beiden Rotschwänze kann aus den Zusammen- 13) Vierteljahrsschr. Naturf. Ges. Zürich, Bd. 59, 1914. 14) Vgl. Gallenkamp, 1908, S. 205. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. All stellungen und Karten ein Einrücken von Nordwesten oder Westen her erschlossen werden. Doch wird der Gesamteindruck durch zahlreiche Unregelmäßigkeiten gestört und die Verhältnisse sind besonders deswegen schwer zu beurteilen, weil für Oberschwaben nur wenige Angaben vorliegen. Am wenigsten stimmen die Beob- achtungen über Rauchschwalbe und Kuckuck mit den Ergebnissen der Bayern überein, indem für erstere verhältnismäßig frühe Daten von der rauhen Alp (dem schwäbischen Jura) und aus Oberschwaben, für den Kuckuck solche von der rauhen Alp und dem württem- bergischen Schwarzwald vorliegen, was eher auf eine südwestliche Einbruchspforte hinweisen würde. Ich selbst habe nur ein einziges Mal Gelegenheit gehabt, eine diesbezügliche Beobachtung zu machen, indem ich am 31. März 1906 bei Immerdingen an der oberen Donau einige feuerköpfige Goldhähnchen (Regaulus ignicapillus) beobachtete, die am Rande einer Fichtenschonung von Südwest nach Nordost strichen und zweifellos auf dem Zug befindlich waren. Leider fehlen, soviel mir bekannt ist, genauere Beobachtungen für den Bodensee, dessen Ufergebiete eine sehr günstige Gelegenheit für die Untersuchung des Vogelzugs bieten müssten. Für den Breis- gau kann es wohl kaum zweifelhaft sein, dass eine Haupteinbruchs- stelle das südwestlich gelegene Belforter Loch darstellt. So bestehen also auch jetzt noch bezüglich des ganzen Pro- blems große Unsicherheiten und speziell die Frage, ob und inwie- weit die hauptsächlich von mir berücksichtigten kleinen Singvogel- arten durch die föhnigen Luftströmungen auf dem Wege über die Alpenpässe oder auf einem mehr südwestlich-nordöstlichen Reise- wege nach Baden und Württemberg geführt werden, harrt noch ihrer Lösung. Hier ist zunächst nur von einer ganz regelmäßigen und ein- gehenden, auf bestimmte Lokalitäten und bestimmte Vogelarten konzentrierten Beobachtung durch geschulte, mit allen in Betracht kommenden biologischen und meteorologischen Verhältnissen ver- traute Personen eine allmähliche Klärung zu erwarten, eine An- schauung, der auch Bretscher zuneigt. Vorläufig kann für den Frühjahrszug nur so viel gesagt werden, dass die regelmäßige, durch den Massenfang'’) erwiesene Ansammlung und Anstauung zahl- reicher Singvögel in Oberitalien mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine teilweise Benützung der Alpenpässe hinweist und dass tatsäch- lich auch eine beträchtliche Anzahl von kleinen Singvögeln auf den Pässen beobachtet wurde, dass aber andererseits der schweizerische „Lrichter“, der von Fatio als eine Hauptstraße des Herbstzuges 15) Vgl. die von Giglioli gegebenen Zahlen, die sich auf den Frühlings- massenfang der Pieper (Anthus trivialis, pratensis und spipoletta) in der Provinz Como beziehen (Naumann-Hennicke, Bd. 3, S. 93). 412 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. nachgewiesen wurde, auch für den Frühjahrszug eine große Bedeu- tung haben dürfte. Zusammenfassend möchte ıch meine Meinung dahin äußern, dass der Föhn für die genannten Arten allerdings das Signal und ein wichtiges Treib- und Beförderungsmittel bildet, dass aber die Wege, die sie einschlagen, nicht immer die nämlichen sind, sondern vermutlich durch verschiedene Faktoren bestimmt werden. Wie heute allgemein anerkannt wird, ziehen bei einer Reihe von Arten die jungen und alten Individuen nicht zu gleicher Zeit. Es werden also mindestens in vielen Fällen die ersteren nicht durch die letzteren geführt, im Gegensatz zu den Kranichen und Saat- gänsen, bei welchen nach Naumann jeweils ein besonders starkes, also älteres Individuum die Spitze des Geschwaders einnimmt. Es kann daher bei den jungen Vögeln vieler Arten weder das Beispiel der Alten, noch die eigene Erfahrung eine Rolle spielen und die Wanderung wird bei ihnen in viel höherem Maße eine rein instinkt- mäßıge, durch meteorologische Faktoren eingeleitete und überwachte Erscheinung sein, als bei den erwachsenen, d. h. sie werden sich mindestens bei der ersten Ausreise im Herbste, vielleicht auch noch bei der ersten Frühjahrsreise durch Wind und Wetter passiv treiben lassen, während man bei den Erwachsenen, wie wir sehen werden, eher von einem aktiven Wegfinden sprechen kann. Demgemäß sind auch die Reiserouten der jungen Vögel noch un- bestimmter und sie werden sich bei der ersten Rückreise nicht not- wendig, vielleicht nur in seltenen Fällen nach der engeren Heimat zurückfinden. Sie verteilen sich also bei ihrer Heimkehr auf größere Räume und erfüllen damit die besondere Aufgabe, die Art gleich- mäßig auszubreiten oder, wie J. Schenk!‘) ausgeführt hat, eine andauernde Blutmischung herbeizuführen, während die älteren Indi- viduen infolge ihrer Heimattreue den sicheren Grundstock des Vogelbestandes einer Gegend bilden. Bei den Erwachsenen spielen ohne Zweifel höhere, über dem Instinktmäßigen stehende psychische Faktoren eine Rolle, min- destens müssen ihnen ein gutes Ortsgedächtnis, vielleicht auch Spuren eines Heimatgefühls zugeschrieben werden. Durch die Ring- versuche, welche J. Thienemann, v. Szeöts und v. Tschusi ausgeführt haben!”), ıst ja erwiesen worden, dass alte Individuen der Rauchschwalbe, der Hausschwalbe und des Mauerseglers zu ihrem vorjährigen Nest zurückkehren. Auch stößt jedermann, der den Vogelbestand seiner Umgebung genau kennt, immer wieder auf die Tatsache, dass Jahr für Jahr ganz bestimmte, eng um- schriebene Örtlichkeiten von Vögeln derselben Art besetzt und dass 16) J. Schenk, Das Experiment der Vogelzugsforschung 1890 (zitiert nach F. Knauer, Naturw. Wochenschr., Bd. 11, 1912, S. 186). 17) Vgl. F. Knauer, 1. c., &. 181. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 4153 an denselben Standorten Gesänge mit charakteristischen Strophen gehört werden, Erscheinungen, die mindestens z. T. ebenfalls auf der Heimattreue der alten Individuen beruhen müssen. Die Heimat- treue kann aber doch wohl kaum anders gedeutet werden, als dass die alten Vögel auf Grund eines Ortsgedächtnisses wahrscheinlich visueller Art immer wieder den Weg zurückfinden. Vermutlich werden sie diesen Weg mit zunehmender Sicherheit und immer direkter zurücklegen, ähnlich wie bei den bekannten Ameisenver- suchen die auf der berußten Unterlage gezeichneten Spuren eine immer größere Vereinfachung und Streckung des zwischen Nest und Nahrungsquelle gelegenen Weges erkennen lassen. Besteht nun irgendwelche Aussicht, auf diesem, bereits zur Tierpsychologie gehörigen Gebiete mittelst des Experimentes weiter- zukommen? und lässt sich wohl einmal endgültig feststellen, dass die alten Vögel nicht bloß heimattreu sind, sondern zu ihren Reisen immer wieder den nämlichen Weg benützen, also ein Ortsgedächtnis besitzen? Durch die Ringversuche könnte wohl nur beim Zu- sammentreffen besonders glücklicher Zufälle Entscheidendes geleistet werden, z. B., wenn es einmal gelingen sollte, dasselbe Individuum oder die Gatten eines Paares nicht bloß einmal, sondern verschie: dene Male und zwar während des Zuges selbst unter die Hände zu bekommen. Auch aus Beobachtungen bei Brieftauben wird man Analogieschlüsse ziehen können. Indirekt kann man aber zur Lö- sung der Frage beitragen, indem man das Gedächtnis und speziell das Ortsgedächtnis auf andere Weise prüft. Im Hinblick auf die erstaunlichen Gedächtnisleistungen, die neuerdings von Pferden und Hunden bekannt geworden sind und ausgehend von den Be- obachtungen bei Axolotin!°®), bei welchen in einem Fall eine über 20'/, Monate sich erstreckende Nachwirkung von Erfahrungen nach- gewiesen werden konnte, habe ich auch Untersuchungen über das Vogelgedächtnis geplant. Von diesen konnte infolge des Krieges nur einer ausgeführt und beendet werden, es ist aber durch ıhn in eindeutiger Weise wenigstens für eine Vogelart bewiesen worden, dass die Erinnerung an bestimmte Erfahrungen beinahe 2 Jahre, also weit länger, als der Zwischenraum zwischen zwei gleichgerichteten Wanderungen beträgt, fortbestehen kann. Der Versuch bezieht sich auf ein Pärchen Halsbandkraniche (Grus col- laris), welches sich im Halleschen zoologischen Garten zusammen mit einem Mönchs- kranich, zwei Mandschurenkranichen, einigen weißen Störchen, Sporengänsen, Mantel- und Silbermöven in einem Gehege befindet. Ich habe im Jahre 1912 die beiden Halsbandkraniche, indem ich täglich gegen 10 Uhr an dem Gehege vorbeiging und sie mit etwas Weißbrot, hartem Ei u. a. fütterte, so an mich gewöhnt, dass sie schon bei meiner Annäherung und später, ehe ich noch um die Ecke bog, auf einen mehrmaligen Pfiff (b—eis) vom Futterplatz schräg durch das ganze Gehege und am Teich vorbei an eine bestimmte Ecke heraneilten, während die übrigen Vögel 414 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. sehr bald merkten, dass sie nichts bekamen und ruhig an ihrem jeweiligen Platz stehen blieben. Ich lasse zunächst einen kurzen Auszug aus dem Tagebuch folgen: 7. VI. 12. Erstmals angelockt. 11. VI. Der eine kommt bei meiner Annäherung von jenseits des Teiches sehr rasch um die Ecke, der andere folgt halb fliegend. 13. VI. Beide trabend angelaufen. 18. VI. Trotz aufgespannten Regenschirms und Überziehers von den Kranichen sofort erkannt. 17. IX. Bei der kückkehr nach 6 wöchentlicher Abwesenheit sofort unzweifelhafte Reaktion; die Störche und anderen Kraniche kommen ebenfalls wieder heran, nachdem sie vor der Reise längst nicht mehr reagiert hatten. Im weiteren Verlauf allmähliche Angewöhnung an den Pfiff, im Jahr 1913 und 1914 regelmäßige Pfiffreaktion in der oben beschrie- benen Weise. Die übrigen Vögel vollkommen teilnahmslos. Vom 1. VIII. 14 an zunächst mehrere Monate vom zoologischen Garten ferngeblieben, auch später keine Fütterung mehr. Bei gelegentlichem, später wieder häufigerem Passieren des Geheges (ohne Pfiff) bleiben sehr bald sämtliche Vögel vollkommen ruhig. Am 13. V. 16, morgens !/,10 Uhr, nach 21'/, Monaten, Gedächtnisver- such. Beide Vögel am Futterplatz hinter dem Teich in bequemer Haltung. Ich nähere mich verdeckt, während Präparator Haug Aufnahmen macht. Beim ersten Pfiff reckt der eine, beim dritten der andere den Hals. Alsbald nicht sehr rasche, aber gleichmäßige Bewegung auf dem früheren Weg am Teich vorbei nach der alten Ecke. Ganz unzweifelhafte und eindeutige Reaktion. Alle anderen Vögel bleiben ruhig stehen, nur eine Sporengans betrachtet die Kraniche. Die photographischen Aufnahmen, welche die verschiedenen Phasen des Versuches darstellen, eignen sich leider wegen etwas zu langer Exposition nicht zur Wiedergabe. Die Frage nach dem Erinnerungsvermögen ist nicht die einzige, die uns bei den Zugvögeln über das eigentlich reizphysiologische Gebiet hinausführt. Nehmen wir an, ein Vogel sei bei der Herbstreise ins obere Rhonetal gelangt und von hier durch ein südliches Quertal gegen den Gebirgskamm der Walliseralpen vorgedrungen, dann aber sei er durch den hereinbrechenden Föhn oder durch Schneetreiben am Überschreiten des Kammes verhindert worden. Er wird dann im Seitental selber warten oder ins Haupttal zurückgehen, um diesem weiterhin zu folgen oder durch ein anderes Quertal aufs neue gegen das vorliegende Joch vorzudringen. Auf alle Fälle wird er eine Handlung, die durch Zwischenfälle sehr varıabeln Charakters unter- brochen worden war, sei es in der nämlichen, sei es auf verschie- dene Weise wieder aufnehmen. Derartige Wiederholungen können sich ja noch im ganzen im Rahmen des Reflex- und Instinktmäßigen abspielen, aber es dürfte wohl kaum zu bezweifeln sein, dass sıe mindestens sehr nahe an der Schwelle derjenigen psychischen Lei- stungen stehen, bei welchen wir von der Wahl neuer, uner- probter Mittel, von einer psychischen Anpassung an die wechselnden äußeren Umstände oder etwas Ähnlichem reden. Solehe Vorgänge sind aber ım Vogelleben sehr häufig. Sie treten uns z. B. entgegen bei der Wahl des Nistortes und des Nist- materials oder, wenn ım Frühjahr ein Pärchen Höhlenbrüter das im Vorjahr benützte Astloch oder Nistkästchen von andern Vögeln besetzt findet und nach mehrfachen Versuchen, die alte Brutstätte wiederzugewinnen, nach einer neuen sich umsieht. Auch bei der Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 415 Frühjahrswanderung kann man Ähnliches beobachten, so bei der allmählichen, durch Schneefall oder sonstige ungünstige Witterungs- verhältnisse Verzögerten oder mehrfach unterbrochenen Besiedlung eines höheren, ie Umgebung überragenden Berges. Ich habe seit mehreren Jahren, früher am Feldberg im Schwarzwald, später am Brocken ım Harz, gerade diese Verhältnisse möglichst genau zu verfolgen versucht, in der Hoffnung, dadurch neues Material zur Belang dieser physio- erakellesshhen Grenzfragen zu gewinnen. Wenn nach einem normalen Winter etwa zu Anfang April warme, südliche oder südwestliche Luftströmungen über die een Kuppen der deutschen Mittelgebirge streichen, so beginnt die Schnee- decke unter der Wirkung sehr verschiedener Faktoren zu weichen und streckenweise treten, zuerst an der Sonnenseite, kleinere und größere schneefreie Stellen auf. Schon vorher hatte vielleicht der Ostwind an vorspringenden Bergnasen und über einzelnen Boden- wellen den Schnee weggefegt, jetzt aber entstehen in dem feuchter werdenden und sich senkenden Schnee, zunächst über den kleinen Quellen und infolge ihrer lösenden Wirkung, da und dort Löcher, die sich rasch vergrößern und die vom Schmelzwasser überströmte Grasnarbe hervortreten lassen. An anderen Stellen, besonders auf einzelstehenden Steinblöcken, verdunstet der Schnee auch ohne Beteiligung des Wassers und gleichzeitig bilden sich um die Stämme freistehender Fichten unter der Wirkung der vom Baume aus- strahlenden Wärme Schneetöpfe, an deren Grund ebenfalls der Boden zutage tritt. Das sind die Stellen, welche unmittelbar darauf von den Vögeln besiedelt werden, die sich ın den tiefer gelegenen, bewohnten Tälern — am Feldberg z. B. ım Bärental, am Brocken bei Schierke ım Tal der kalten Bode — angesammelt und auf günstigeres Wetter gewartet hatten. Diese Ansammlungen kann man überall beobachten. Schon Blasıus Hanf hat darauf aufmerksam gemacht, dass Hausrot- schwänze in den Niederungen auf das langsame Weichen des Schnees warten, bis sie ihre höher gelegenen Brutplätze beziehen können, während vielfach andere Individuen bereits auf ıhren Eiern unter schützendem Dache sitzen. Ähnliches hat Hanf bei Steinschmätzern (Saxicola oenanthe) und Wasserpiepern (Anthus spipoletta) beob- achtet, und ebenso verhalten sich in unseren Mittelgebirgen Buch- finken, weiße und schwefelgelbe Bachstelzen, Wiesenpieper, Lerchen und Drosseln. Die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Arten die Vorstöße nach oben ausführen, ist anscheinend eine ziemlich regelmäßige. So beobachtete ich im Jahre 1906 am Seebuck, einer 1450 m hohen Kuppe des Feldbergmassivs und auf der tiefer gelegenen Jäger- matte (1200 m) am 3. April Mistel- und Ringdrossel, am 6. Feld- lerche, Wiesenpieper und Singdrossel, am 7. die Heidelerche. Schon 416 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. vorher waren auf dem schneefreien Platz vor dem Gasthaus (1279 m) eine Schar von etwa 20 Buchfinken, mit einer Ausnahme lauter Männchen, eingetroffen. Kommt ein Rückschlag mit erneutem Schneefall, so ziehen sich die Vögel alsbald wieder in die Täler zurück. So waren im Jahre 1911 ım Brockengebiet Buchfinken und Braunellen (Accentor modıu- laris) bereits am 31. März beinahe bis zum Gipfel und am 1. April ebenso wie der Wiesenpieper, bis zur Höhe selbst vorgedrungen, nachdem am 28. März föhniges Wetter eingetreten war. Am 3. und 4. April kamen N.- und NW.-Winde mit erneutem Schneefall auf und nun war auf dem Brocken nicht einer der genannten Vögel mehr zu beobachten. Erst vom 8. bis 11. April, nach Eintritt milderer Witterung, begannen die Vögel aufs neue gegen den Gipfel vorzurücken und am 11. fand ich den letzteren wieder mit Buchfinken und Wiesenpiepern besetzt. Es dürfte wohl kaum eine ausreichende Erklärung sein, wenn man versuchen wollte, diese Hin- und Herbewegungen, die manch- mal nur den Anschein von kürzeren Orientierungsflügen erwecken, ein anderes Mal ohne weiteres den Eindruck von wirklichen Be- siedlungsversuchen machen, auf die abwechselnde Wirkung des Föhns als eines treibenden und des Neuschnees als eines ab- schreeckenden Momentes zurückzuführen, vielmehr habe ich immer mehr die Überzeugung gewonnen, dass hier mehr als eine einfache reizphysiologische Erscheinung vorliegt und dass höhere psychische Faktoren der oben angedeuteten Art mit im Spiele sind. Eine längere, systematische Beobachtung gerade dieser Vorgänge würde hier noch manche Beiträge zur Aufklärung des gesamten Zug- und Besiedlungsproblems liefern können, auch glaube ich, dass auf einem so eng umgrenzten und übersichtlichen Gebiet, wie es eine über- ragende unbewaldete Bergkuppe ist, nicht bloß die Ringversuche, sondern auch andere einfachere Experimente — Maskierung der vorjährigen Brutstätten, künstliche Schaffung schneefreier Plätze an abgelegenen Stellen — mit Erfolg ausgeführt werden können. In viel eindeutigerer Weise als für die Wanderung lässt sich für den Frühgesang der Vögel der Nachweis erbringen, dass wir im wesentlichen eine reizphysiologische Erscheinung vor uns haben. Es liegt hier einer der seltenen Fälle vor, in welchen die Natur selbst in nahezu vollständiger Weise die Rolle des Experimentators ausfüllt, indem sie die verschiedenen, voneinander unabhängigen physikalischen Faktoren, die als Reize möglicherweise in Betracht kommen können, in messbaren Abstufungen und in den mannig- fachsten Kombinationen hintereinander auf den Organismus ein- wirken lässt und bei ihm messbare Reaktionen hervorruft. Da eine und dieselbe Kombination sich mindestens im Laufe der Jahre immer - Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 417 aufs neue wiederholt, so sind nicht bloß Kontrollen der Beobach- tungen, sondern auch sehr bestimmte Voraussagen möglich, so dass auch in dieser Hinsicht die an das künstliche Experiment zu stellen- den Anforderungen erfüllt werden. Die Tatsache, dass die Singvögel morgens zu bestimmten Stunden ihr Lied beginnen, ist den Ornithologen nicht entgangen und be- sonders A. Voigt gibt in seinem vortrefflichen Exkursionsbuch !?) eine ganze Reihe von Daten, welche zeigen sollen, dass jede Vogel- art zu einer bestimmten Zeit mit dem Frühgesang beginnt, dass aber die „Vogeluhr“, d. h. die Reihenfolge, in welcher die ver- schiedenen Arten mit dem Gesang beginnen, von Woche zu Woche andere Zeiten angibt. Voigt geht nicht auf die Frage ein, welcher spezielle äußere oder innere Faktor eigentlich den Beginn des Vogelgesanges aus- löst, ferner, ob, abgesehen von den Jahreszeiten, Abweichungen von den frühesten Terminen wahrzunehmen und wodurch diese be- dingt sind. So viel mir bekannt ist, ist auch von anderer Seite der Gegenstand noch niemals vom Standpunkt der Ursachenforschung und speziell der Reizphysiologie aus geprüft worden. Wenn man das erste Schilpen und das gleich darauf einsetzende erste Frühkonzert des Haussperlings, das auch im Winter nicht unterbrochen wird und nur in der Mauserzeit weniger regelmäßig ist, Tag für Tag verfolgt, so kann man feststellen, dass bei voll- kommen wolkenlosem Himmel der Vorsprung des Anfangstermins vor dem Sonnenaufgang im Winter 10, im Sommer 20 Minuten beträgt. Mitte und Ende Juni beginnt also hier in Halle (51'/,° N., 12° O.), da die Sonne um die Zeit der längsten Tage um 3 Uhr 39-40 Minuten aufgeht, das Sperlingskonzert bei klarem Himmel 3 Uhr 20 Minuten (mitteleuropäische Zeit). Für die Amsel oder Schwarzdrossel (Turdus merula), sowie für die Zippe oder Singdrossel (7. musicus), welche sich, wie die erstere, seit ein oder zwei Jahrzehnten auch in den Gärten der Städte ein- zubürgern beginnt, beträgt in der Zeit der Sommersonnenwende der Vorsprung 50 Minuten, so dass für unsere Gegend der früheste Termin bei klarem Wetter auf 2 Uhr 50 Minuten fällt. Die hier angegebenen Zahlen gelten, wie gesagt, für vollkommen klaren, wolkenlosen Himmel. essen der Himmel im allgemeinen klar, der Horizont aber stark dunstig, oder ist, was in unseren Breiten im Sommer sehr häufig zutrifft, der Himmel zur Zeit des Sonnenaufgangs von einer ganz dünnen Wolkendecke überzogen, die sich vom Osten oder vom Zenith her allmählich auflöst oder auch in mehr unregelmäßiger Weise von immer größer werdenden Löchern durchsetzt wird, so verschiebt sich der Beginn um 5—10 19) Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen. 6. Aufl. Leipzig. Serlime XXXVI. 2 418 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. Minuten. Damit erklärt sich auch, wie gleich hier erwähnt werden soll, der Befund, dass der früheste Anfangstermin des Spatzen- konzerts im Winter näher dem Sonnenaufgang liegt als im Sommer, denn im Winter ist die Atmosphäre im allgemeinen dunstiger als im Sommer. Ist der Himmel von dichteren Wolken umhüllt und regen- drohend oder regnet es, so tritt eine weitere Verzögerung ein, jedoch so, dass die Verschiebung vom frühesten Termin gegen die Zeit des Sonnenaufgangs hin nicht mehr als 15—20, allerhöchstens 22 Minuten beträgt. Selbst ein vor Sonnenaufgang einsetzendes Morgengewitter veranlasst die Amsel nicht, diesen äußersten Termin zu überschreiten. Sie beginnt noch, während der Donner rollt und der Regen fortdauert, ihren Gesang, und ähnlich verhalten sich andere Vögel, wie z. B. die Gartengrasmücke. Stark leuchtende Morgenröte ist durch große Dunstmassen be- dingt, und so kann es nicht auffallen, dass, bei im übrigen ähn- lichen Verhältnissen, der Vogelgesang bei stärkerem Morgenrot später als bei schwachem beginnt. Eine Schneedecke am Boden und ebenso der Schein des Vollmonds haben, soweit meine Beob- achtungen reichen, keinen merklichen Einfluss auf den Anfangs- termin. Temperatur und Windstärke spielen, wenn überhaupt, nur eine sehr geringe Rolle. So fand ich im Juni den Anfangstermin der meisten Sänger bei rauhem Nordwind nur um wenige Minuten ver- schoben, wobei aber wahrscheinlich die größeren, bei Nordwind auftretenden Dunstimengen den Ausschlag gegeben haben. Nur einige Vögel, so die Kohlmeise (Parus major) scheinen, wie noch gezeigt werden soll, durch stärkere, rauhe Winde verstimmt zu werden. Unregelmäßige Geräusche haben auf den Beginn des Gesangs keinen Einfluss. So werden die Hausrotschwänze, Amseln und Singdrosseln unserer Nachbarschaft durch die zeitlich weniger ge- bundenen Tierstimmen aus dem benachbarten zoologischen Garten, so durch den durchdringenden Ruf der Pfauen und die gellenden Schreie der Sckakale und Esel, weder zu früherem Singen aufge- muntert, noch vom rechtzeitigen Beginn abgehalten. Dass der Vogel- gesang überhaupt von fremden Geräuschen aller Art unabhängig ist, geht ja auch aus zahlreichen Beobachtungen von der Front hervor, wonach viele Vögel mitten im Kanonendonner und Gewehrfeuer ıhre Lieder fortsetzen?®). Einen Gegensatz bilden bekanntlich die auch sonst in ihrem Triebleben aberrierten Kanarıenvögel, die bei lJautem (Gespräch, beim Kohlenaufschütten, bei Wagenlärm und anderen 20) Vgl. z.B. Naturw. Woch. Bd. 15, 1916, Nr. 15, S. 44; Nr. 19, 8.258 und die zahlreichen anderen, in der Tagespresse mitgeteilten Beobachtungen. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 419 Geräuschen besonders laut singen. Auch möchte ich es dahingestellt sein lassen, ob nicht die drei vorhin genannten drosselartigen Vögel, die den Frühgesang ungefähr gleichzeitig beginnen — wobei bald der eine, bald der andere einen Vorsprung von 1 oder 2 Minuten oder von Bruchteilen einer solchen hat — sich gegenseitig den letzten Anstoß geben können. Schon aus dem bisher Gesagten lässt sich der Schluss ableiten, dass das Sonnenlicht denjenigen Reiz darstellt, welcher den Früh- gesang auslöst und dass es sich dabeı offenbar nicht um die direkten Strahlen der aufgehenden Sonne, sondern um das am Firmament reflektierte diffuse Licht handelt. Die genauere Begründung dieses Satzes findet sich in einer Anzahl Tabellen, welche Ausschnitte aus den Jahreskurven verschiedener Vögel enthalten, in welchen aber nur diejenigen Daten wiedergegeben sind, bei welchen keine der in Betracht kommenden Fehlerquellen eine Rolle spielen konnte. Fehlerquellen sind ja in verschiedener Richtung möglich. Mit Rücksicht auf die Anforderungen meiner übrigen Tages- arbeit musste ich mich darauf beschränken, die Beobachtungen statt im Freien vom offenen Erkerfenster des Schlafzimmers aus anzu- stellen. Sie beschränkten sich daher in den einzelnen Sommern jeweils auf bestimmte Männchen, deren Revier oder spezieller Iieb- lingsplatz sich ın der unmittelbaren Nachbarschaft des Hauses be- fand. Die Daten geben daher nicht, was richtiger wäre, die Durch- schnittszeiten oder auch die extremsten Termine, die man bei Be- rücksichtigung sämtlicher Individuen desselben Bezirks findet, sondern nur individuelle Vorkommnisse an, und man kann also den Eın- wand erheben, dass in den Tabellen das Spezifische nicht genügend zum Ausdruck kommt. Indessen ließen häufige Kontrollbeobach- tungen erkennen, dass die Anfangstermine der verschiedenen Indi- viduen derselben Art innerhalb eines weiteren Bezirkes sehr genau übereinstimmen, so dass die Abweichungen vom Durchschnitts- oder auch vom allerfrühesten Termin kaum mehr als höchstens 1—2 Mı- nuten betragen können. Die Beobachtungen sind ferner nur dann vollkommen rein, wenn der Beobachter schon längere Zeit vor dem Anfangstermin wach war. Nicht selten wachte ich aber erst mit dem Einsetzen des ersten Gesanges auf, und, obwohl ich allmählich so eingestellt bin, dass falls ich nicht schon vorher wach bin, bei offenem Fenster die ersten Töne der Amsel und Singdrossel meinen Schlaf unter- brechen, so waren in solchen Fällen immerhin Täuschungen mög- lich und alle derartigen Angaben mussten daher unberücksichtigt bleiben. Andere Fehlerquellen ergeben sich daraus, dass manche Männchen in regelmäßiger oder unregelmäßiger Weise ihren Standort wechseln und so vielleicht während des Singens von einem für die Beobach- 97 * al 420 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. tung günstigeren nach einem ungünstigeren Platz übersiedeln oder umgekehrt erst einige Zeit nach Beginn des Gesanges deutlich ver- nehmbar werden ?!). Ferner kommt es häufig vor, dass eine in der Nähe singende Amsel, Singdrossel oder Nachtigall die später ein- setzenden kleineren Vögel vollkommen übertäubt, so dass die Fest- stellung ihrer Anfangstermine unsicher wird. Auch in allen diesen Fällen war besondere Vorsicht geboten und die betreffenden Daten konnten daher in den Tabellen nicht aufgenommen werden. Die erste Tabelle gibt alle ganz einwandfreien Daten wieder, die ich im Laufe mehrerer Jahre bezüglich des Anfangstermins der Amseln und Singdrosseln meiner Nachbarschaft während eines Mo- nats (20. April bis 20. Mai) gesammelt habe. Die obere Linie gibt die Sonnenaufgangskurve für das nahe gelegene Leipzig (51° 20° n. Br., 12° 20° ö. L.), die einfachen Ringe die Anfangstermine für die Amsel, die Ringe mit schwarzem Zentrum diejenigen der Sing- drossel an. Die Ringe ohne senkrechte Schraffierung bedeuten vollkommen oder beinahe klares Wetter zur Zeit der Ge- sangseröffnung, die Ringe mit zwei senkrechten Linien geben an, dass der Himmel stärker dunstig oder von einer sehr dünnen, aufgelockerten Wolkendecke umhüllt war, die Ringe mit voller Schraffierung, dass der Himmel mit dichteren Wolken gleichmäßig bedeckt war oder dass es regnete. Jedem Zeichen ist die betreffende Jahreszahl beigefügt. Auf den ersten Blick kann man erkennen, dass die Anfangs- termine bei dunstigem Wetter oder bei leichter Bewölkung ım all- gemeinen etwas später liegen als bei klarem Himmel, und dass bei trübem Wetter oder bei Regen die Verschiebung 15—22 Minuten beträgt. Um die Übersichtlichkeit der Tabelle zu erhöhen, sind die Zeichen für die verschiedenen Abstufungen der Dunstbildung und Bewölkung nicht weiter differenziert worden, sonst wäre in der Tabelle eine weitere Schichtung deutlich hervorgetreten. Denn auf Grund der Tagebuchnotizen kann gezeigt werden, dass in den meisten Fällen auch die kleineren Verschiebungen der Anfangs- termine auf verschiedenen Abstufungen der Dunst- und Wolken- bildung zurückzuführen sınd. So war z. B. im Jahre 1915 der Anfangstermin von Amsel und Drossel am 27. IV. bei beinahe klarem, im Osten aber von einem Wolkenfächer überzogenen Himmel ziemlich stark gegenüber dem frühesten Anfangstermin verschoben, am 28. IV. 15 war die 21) Auch im Laufe einer einzelnen Singperiode kommen Verlegungen des Lieb- lingsplatzes vor. So hat in diesem Sommer eine Singdrossel einen Monat lang die Spitze einer gerade gegenüber meinem Fenster stehende Birke eingenommen. Dann begann sie mehr und mehr einen für diese Vogelart ungewöhnlichen Standort, den Kamin eines kleinen Häuschens, zu bevorzugen, und schließlich siedelte sie auf eine hinter meiner Wohnung gelegene Akazie über. zunt Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 491 Tabelle I. Amsel b. vollk. klaren, bei dunstigem oder leicht Ö 0) bewölktem, © Singdrossel „ n ® O » » „ Ai) bei regner. Wetter, n 3.20 : : : : TW.2.2.224.233827223299V123456789101.17.%3.14 15.16.17 18.19 20 Verschiebung bei klarem Himmel mit etwas dunstigem Horizont nur gering, dagegen am 1. V. 15 bei lockerer Bewölkung wieder stärker. Warum an einzelnen „klaren“ Tagen, nämlich am 8. un 493 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 12. V., der Beginn des Gesangs verhältnismäßig stark verzögert war, kann ich nachträglich nicht feststellen. Da ich aber von meinem Beobachtungsorte aus nur einen Teil des östlichen Horizontes über- sehen kann, so sind Fehler in der Abschätzung der Dunstmengen nicht ganz auszuschließen. Jedenfalls waren im übrigen die Abhängigkeitsverhältnisse deut- lich zu erkennen und Ser an dem besonders klaren Morgen des 8. V.1916 wurde, was im Mai ein ungewöhnliches Vorkommnis ist, der maximale Vorsprung von 45 Minuten erreicht. Wie außerordentlich empfindlich die Vögel auf die Schwan- kungen des Tageslichts reagieren, geht in besonders deutlicher Weise dlemas hervor, dass die Verschiebungen, welche der- Anfangstermin bei einer Vogelart an irgend einem Tage zeigt, sich in entsprechender Weise auch bei den anderen Arten äußert, wofern nur die Witte- rung während der Morgenstunden die emails bleibt. Zwei Beobachtungsreihen, die eine im Frühjahr 1916 in Wer- nigerode im Harz, die Indem: im Sommer 1913 in Halle aufgenommen, sollen zunächst diesen Parallelismus veranschaulichen. Die Tab. II gibt zunächst die Sonnenaufgangskurven für den Brocken an, der in der Luftlinie nur etwa 12 km westsüdwestlich (9 westlich) von dem Beobachtungsort Wernigerode auf 51° 48‘ nördl. Br. und 10° 37° östl. Länge gelegen ist??). Sodann folgen die Frühgesangskurven von Haussperling (+), Buchfink (*), Kohl- meise (&) und Amsel (0), und zwar waren es die nämlichen Indi- viduen, für welche Tag für Tag die Daten eingetragen wurden. Das Wetter war unfreundlich, z. T. regnerisch und vielfach windig. Im großen Ganzen sind auch hier die Kurven der lokalen Sonnenaufgangskurve parallel; es zeigt sich aber außerdem, dass auch die kleineren Hebungen und Senkungen der vier Linien unter- einander eine weitgehende Übereinstimmung aufweisen. So folgt dem anfangs gleichmäßigen, namentlich bei Buchfink und Amsel beobachteten Kurvenabfall, der durch die andauernd trübe Witte- rung der ersten Tage bedingt war, am 11. April bei allen vier Vögeln eine mehr oder weniger deutliche, dem vollkommen klaren Morgen dieses Tages entsprechende Einsenkung, während am 12. infolge regnerischen Wetters überall eine Verschiebung gegen die en gangslinie zu beobachten ist. Das aufhellende Wetter der beiden folgenden Tage stellt im ganzen den ursprünglichen Verlauf der Kurven wieder her. Auf einige Unregelmäßigkeiten im Parallelismus sei noch auf- merksam gemacht. Die Überkreuzung der Sperlings- und Buch- finkenkurve am ersten Tag mag auf einem Irrtum beruhen, wıe 22) Ich bin Herrn Observator M. Müller auf dem Brocken für die Mitteilung der Sonnenaufgangsdaten und für manches in früheren Jahren gezeigte Entgegen- kommen zu Dank verpflichtet. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 425 solche an einem erstmals benützten Beobachtungsort im Anfang leichter vorkommen können. Bemerkenswerter ist die starke Ab- weichung, welche die Kohlmeisenkurve (®@) am 10. April zeigt. An diesem Morgen herrschte unfreundliches Wetter mit teilweise be- decktem Himmel und starkem NW.-Sturm. Tabelle II. Während nun bei den 5% übrigen Vögeln die An- 3% fangstermine durchaus den Lichtverhältnissen entsprechen und ein Ein- 5.30 fluss des Windes nicht 2 zu beobachten war, scheint die Kohlmeise, 2 worauf auch andere Be- 9.20 obachtungen hinweisen, gegen den rauhen Wind besonders empfindlich zu 2% sein. Für mich war dieses 9." Ergebnis insofern nicht überraschend, als ich 4 schon lange aus verschie- _ 2 denen Verhältnissen — in- 3 tensive lipochromatische 5 Gelbfärbung der Unter- 3 seite??), stärker ausge- ns sprochener Zugvogelcha- "5 rakter — die Anschau- 46 ung abgeleitet habe, dass 4 die Kohlmeise, minde- R- stens im Vergleich mit 3 andern Meisen, verhält- 3 nismäßig spät aus dem * Mittelmeergebiet in Mit- 4 teleuropa eingedrungen 2 sein muss. 4.% Schließlich sei nch p 7 g oa on m» 4 % auf die Divergenz der vier Kurven an den beiden letzten Tagen hingewiesen. Diese ist darauf zurückzuführen, dass am Morgen des 14. die Bewölkung eine rasch wechselnde war und am 15. der Himmel sich erst kurz vor 23) Die Reihe Ultramarinmeise — Blaumeise — Lasurmeise (Parus ultramarinus, caeruleus, eyanus) zeigt, dass speziell bei den Meisen nicht bloß das lipochroma- tische Gelb, sondern auch das Melanin. welches der blauen und grünen Farbe zu- grunde liegt, von Süden nach Norden abnimmt. 124 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 5 Uhr zu umziehen begann, so dass die Anfangstermine der später beginnenden Vögel mehr und mehr verzögert wurden. Das von mir beobachtete Kohlmeisenmännchen begann ganz regelmäßig mit dem mehrmals wiederholten Lockruf: sit, worauf einmal der sogenannte Warnruf (Naumann’s zi trärrärrärrär) folgte. Unmittelbar darauf begann der eigentliche Gesang und zwar regelmäßig mit den öfters wiederholten, dringend und hell klingenden Trochäen: diehwe diehwe. Einige Zeit nachher ging der Vogel zu dem bekannten, ebenfalls zweisilbigen, zierlichen Glöckchenruf: bidje bidje (Naumann’s britti britti) über, dann folgten einige andere Strophen, und erst etwa 10 Minuten nach dem Beginn des Gesangs, manchmal noch später, setzte das bekannte dreisilbige zizizäg ein. Die dritte Tabelle gibt einen Ausschnitt aus den Aufzeichnungen vom Juli 1913. Was zunächst die Kurve der Amsel (0) anbelangt, so begann diese am 11. Juli bei aufklärendem Wetter mit einem Vorsprung von 40 Minuten genau um 3 Uhr 12 Minuten, sie blieb also hinter dem frühesten Anfangstermin um 10 Minuten zurück. Am 13., 14. und 15. Juli herrschte wolkenloses, aber dunstiges Wetter mit teilweiser starker Morgendämmerung: der Vorsprung der Amsel betrug hier nur 36—37 Minuten, während z. B. am 13. Juli 1914 bei vollkommen klarem Wetter ohne Morgenröte der Vorsprung von 44 Minuten nur wenig hinter dem maximalen Vor- sprung zurückblieb. Die beiden folgenden Tage, der 16. und*17., brachten bedeckten Himmel und damit eine weitere Verschiebung, die jedoch am 16. wegen vorübergehender Aufhellung im Zenith verhältnismäßig geringer war als am 17., wo der Vorsprung auf 32 Minuten verkürzt wurde. Der klare, etwas dunstige Morgen des 18. vergrößerte den Abstand wieder auf 37, während der regnerische 19. ıhn auf 26 Minuten verringerte. Die Kurve des Haussperlings (+) zeigt, wie ohne weiteres er- sichtlich ist, im wesentlichen den nämlichen Verlauf. Namentlich sind die beiden Kniee am 17. und 19. und die Sättel am 18. und 21. deutlich zu erkennen. Nur am ersten und letzten Tag der Reihe zeigt sich zwischen den beiden Kurven eine größere Abweichung, was am 11. mit einer nicht notierten Veränderung der an diesem Morgen herrschenden leichten: Bewölkung, am 25. mit der ausdrück- lich vermerkten veränderlichen Bedeckung zusammenhängen mag. In der gleichen Tabelle III ist ferner, abgesehen von einigen auf die Singdrossel bezüglichen Daten (©), eine eigentümliche Laut- äußerung der Nachtigall (N) angegeben, welche bisher, wenigstens als regelmäßiges Vorkommnis, den Beobachtern entgangen zu sein scheint. Die Nachtigall lässt nämlich, nachdem sie etwa Ende Juni ihre Gesangsperiode beendet hat, während des Juli zu einer, wie die Tabelle zeigt, ziemlich genau bestimmbaren Zeit ein paarmal kurz hintereinander ihren bekannten pfeifenden Lockton und das ebenso bekannte Knarren hören, ein Gesangsrudiment, welches, so- viel ich sehe, während des ganzen übrigen Tages nicht mehr wieder- holt wird. Die betreffende Kurve ist unregelmäßiger als die Amsel- Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. Tabelle IM. an 2» us ı % 1 20. 2. 22 2. 24 20. 426 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. und Sperlingskurve, ist aber ebenfalls in unverkennbarer Weise von den Lichtverhältnissen abhängig. Endlich ist durch den Buchstaben P ein mehrfacher Schrei des Pfauhahns vermerkt, den dieser kurz vor der Amsel in ziemlich regelmäßiger Weise hören lässt. Auch schon in viel früheren Nacht- stunden hört man in größeren Abständen immer wieder den Pfauen- ruf. Ich besitze wegen der ungünstigen Beobachtungszeit keine zusammenhängende Reihe von Daten, möchte es aber als möglich hinstellen, dass die Abstände und also der Rhythmus, in dem sich diese Schreie wiederholen, nicht ganz unregelmäßig sind. So scheint mir z. B. das in der Tabelle rechts unten eingetragene Datum, zu- sammen mit einigen andern, die auf der Tabelle keinen Platz ge- funden haben, einer Phase anzugehören, die etwa 20 Minuten vor der durch die punktierte Linie bezeichneten Phase gelagert ist. Es muss besonderen Untersuchungen die Entscheidung der Frage über- lassen werden, ob dem Pfauengeschrei tatsächlich eine derartige Periodizität zugrunde liegt. Die Tabelle IV soll schließlich zeigen, dass beim Haussperling auch in den Wintermonaten der Anfang des Konzerts den allge- meinen Regeln folgt. Die Eintragungen beziehen sich auf 2 Jahre und tragen die Vermerke: /r (trüb), r (regnerisch), b.%. (beinahe klar) und Al (klar), wobei daran zu erinnern ist, dass im Winter auch bei „klarem“, d. h. wolkenlosem Himmel die Atmosphäre in der Regel stark dunstig ist, also die Lichtverhältnisse bei „klarem“ und diejenigen bei trübem Wetter keine so großen Unterschiede zeigen wie im Sommer. Die Tabelle zeigt nun ohne weiteres, dass die Anfangstermine an klaren und beinahe klaren Tagen durchweg diesseits, dagegen die an trüben und regnerischen Tagen aufgenommenen Daten ın der Nähe oder jenseits der Sonnenaufgangskurve gelegen sind, was den Erwartungen vollkommen entspricht. Nur am 8. Februar 1915 be- steht ein Widerspruch, insofern trotz weniger günstigen Wetters („starker W.-Wind, regnerisch, zeitweise etwas Morgenröte“) der Anfangstermin verhältnismäßig früh gelegen ist. Möglichörweise ist der frühe Gesangsbeginn durch eine Auflockerung des Gewölkes in den für mich nicht sichtbaren Teilen des Himmels bedingt worden. Es wird wohl kaum bezweifelt werden können, dass durch die Gesamtheit der Beobachtungen der oben aufgestellte Satz, wonach der Anfangstermin vieler Vögel durch die Lichtverhältnisse bestimmt wird, eine so sichere Unterlage erhält, als dies bei einer nur auf Naturexperimenten beruhenden Beobachtungsreihe überhaupt mög- lich ist. Die vereinzelt vorkommenden Ausnahmen sind zu einem großen Teil höchstwahrscheinlich durch irgendwelche Beobachtungs- fehler bedingt, jedenfalls ist ihre Zahl so gering, dass sie, auch Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 427 wenn der Versuch einer nachträglichen Erklärung nicht gemacht werden kann, die Gültigkeit des Satzes nicht erschüttern können. Tabelle IV. Pe 0, RB Ro‘ Ich hatte die Absicht, durch genaue photometrische Unter- suchungen diesem Satz eine streng-mathematische Formulierung zu geben, und habe zunächst versucht, mittelst eines einfachen Appa- rates?*) relative, für die besonderen Zwecke und die besondere Fig. 1. uiN | Ortlichkeit ausreichende Lichtmaße zu gewinnen. An einem eisernen Stabe (vgl. Fig. 1) wurde an dem einen, leicht aufgebogenen Ende eine Brille (5) mit Plangläsern, auf dem geraden, mit einer Gradierung ver- 24) Bei der Ausführung des Apparates hat mich Herr Optiker Unbekannt in Halle in freundlicher Weise unterstützt. 425 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. sehenen Hauptteil eine verschiebbare Tafel (t) mit gedruckten Buch- staben von bestimmter Größe angebracht. Ich hielt nun, den Rücken gegen die sichtbare Himmelsfläche gerichtet, die Brille dicht vor die Augen und verschob die Tafel so weit, dass die Buchstaben durch die Brille eben noch deutlich zu lesen waren. Die Entfernung der Tafel ließ sich dann ın Zentimetern angeben, so dass das gewünschte relative Maß gewonnen werden konnte. Die Versuche ergaben nun aber, dass an meinem Standort weder auf diese Weise noch mittelst anderer Instrumente exakte Werte zu erhalten waren, da nur ein kleinerer Teil des Firmamentes sichtbar ist und außerdem durch eine neben dem Haus befindliche Laterne, welche bald brannte, bald ausgelöscht war, Unregelmäßigkeiten hervorgerufen wurden. Ich habe daher darauf verzichtet, mit vollkommeneren Instrumenten, z. B. dem Relativphotometer von L. Weber?°), welches sich speziell zu Lichtmessungen im Freien eignet, weitere Versuche anzustellen, und muss die Aufstellung einer exakten Formel späteren Unter- suchungen vorbehalten sein lassen. Man kann sich noch fragen, ob nicht doch vielleicht neben dem Lichte andere periodische Erscheinungen, die mit dem Laufe des Tagesgestirns zusammenhängen, wirksam sein können, etwa die Tagesschwankungen des Luftdrucks, der Luftfeuchtigkeit und der Luftelektrizität, von welchen mindestens die beiden ersteren zur Zeit des Sonnenaufgangs ein Minimum zeigen. Indessen scheint mir einerseits der sehr verschieden große Abstand, welchen die Anfangstermine der einzelnen Vogelarten vom Sonnenaufgang zeigen, andererseits die zweifellose Unabhängigkeit, welche der Gesangs- beginn der meisten Vögel gegenüber Windrichtung und Windstärke aufweist, dagegen zu sprechen, dass der Vogelgesang durch die ver- hältnismäßig geringfügigen regelmäßigen Tagesschwankungen von Luftdruck und Luftfeuchtigkeit in erheblicher Weise beeinflusst wird. Die Möglichkeit, dass bei eingehenden, auf diesen speziellen Punkt gerichteten Untersuchungen dennoch eine modifizierende Wirkung von Luftdruck und Luftfeuchtigkeit zutage treten könnte, liegt übrigens deshalb nahe, weil nach einer weitverbreiteten Mei- nung eine ganze Reihe von Vogelstimmen durch Faktoren dieser Art, insbesondere durch Regen- und Gewitterstimmung beeinflusst werden. Der bekannte Regenruf der Buchfinken ?*), gewisse Laute der Nebelkrähe, welche besonders bei bevorstehender Änderung der Witterung vernommen werden?”), das fleißige Rufen des Kuckucks bei heranziehendem Regenwetter?*) und das laute Wesen der hegen- 25) Zu beziehen bei F. Schmidt und Haensch, Berlin S, Prinzenstr. 16. 26) Naumann-Hennicke, III, S. 335. 27) Ebenda, IV, S. 103. 28) Ebenda, IV, S. 400. Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. 429 pfeifer (Charadrius) bei Gewitterschwüle?®) sind nur einige Beispiele. Auch vom Pfau habe ich den allgemeinen Eindruck gewonnen, dass er bei Regenstimmung besonders viel schreit. Was die Tagesschwankungen der Luftelektrizität anbelangt, so besitze ich zurzeit zu wenig Anhaltspunkte, um die Möglichkeit eines diesbezüglichen Abhängigkeitsverhältnisses beurteilen zu können. Schwerlich wird aber einem der hier aufgezählten Faktoren eine mehr als sekundäre Wirkung zukommen, vielmehr darf man, auch ohne dass zunächst genauere photometrische Messungen oder physiologische Experimente vorliegen, die Menge und wohl auch die qualitative Zusammensetzung des Frühlichts als den für den ersten Morgengesang maßgebenden Reiz betrachten. Ich glaube auch, dass bei Anwendung exakter physikalischer Methoden nur noch deutlicher als bisher diese besondere Form der Reizbar- keit hervortreten und dass sich dann der Frühgesang als eine ebenso auffällige und zuverlässige Reaktion herausstellen wird, wie z. B. die Schlafbewegung der Sinnpflanze. Bemerkenswert scheint mir nun weiter zu sein, dass nicht bloß die Individuen einer Art auf die gleiche Reizstärke eingestellt sind, sondern dass näher verwandte Arten im allgemeinen um die gleiche Zeit oder wenigstens in nicht zu großen Abständen voneinander beginnen, also ungefähr die nämliche Reizbarkeit zeigen. So eröffnen, wie schon erwähnt, Amsel, Singdrossel und der gleichfalls zu den drosselartigen Vögeln gehörige Hausrotschwanz fast um die näm- liche Zeit den Frühgesang, und nur etwas früher liegt nach V oigt’s und meinen Beobachtungen der Anfangstermin des Gartenrotschwanz. Ebenso zeigt die Tabelle II, dass Buchfink und Haussperling ın nicht zu großen Abständen voneinander, der erstere etwas früher als der letztere, munter werden, um die nämliche Zeit aber, wie der Buchfink, beginnt auch der Grünfink oder Grünling (Zigu- rimus chloris). Noch früher als die genannten Vögel fangen die drei einheimischen Lerchenarten zu singen an und ebenso bilden die Rohrsänger nach den Angaben Voigt’s eine sehr frühe Gruppe. Man wird also sagen können, dass in vielen Fällen die Empfäng- lichkeit für einen bestimmt abgestuften Lichtreiz nicht bloß spezi- fisch, sondern zu den physiologischen Gattungs- oder Familien- charakteren zu rechnen ist. Es ist nun weiter von Interesse, dass gerade zu den früh- singenden Gruppen auch eine Anzahl Nachtsänger gehören. Abge- sehen von der Nachtigall sind nämlich gerade die Lerehen und Rohrsänger mehr oder weniger ausgesprochene Nachtsänger. Die Feldlerche singt nach Naumann bis etwa eine Stunde nach Sonnen- 29) Ebenda, VIII, S. 20. 430 Haecker, Reizphysiologisches über Vogelzug und Frühgesang. untergang, die Heidelerche des Nachts zu jeder Stunde, . und auch die Haubenlerche lässt sich zuweilen des Nachts hören. Unter den Rohrsängern sind der Buschrohrsänger (Heuschreckenrohrsänger, Schwirl, Zoeustella naevia) und der Flussrohrsänger (L. fluwiatilis) ausgesprochene Nachtsänger. Auch den Schilfrohrsänger (Bruch- weißkehlehen, Calamodıs schoenobaenus) kann man oft in hellen Nächten, namentlich zu Anfang der Begattungszeit, schön und an- haltend singen hören und von den Aecrocephalus-Arten sind der Sumpf- und Drosselrohrsänger (A. palustris und arundinaceus) fleißige Nachtsänger, während der Teichrohrsänger (4A. streperus) mitten in der Nacht nur selten singt. Bei allen diesen Vögeln scheint also das sonst allgemein gültige Abhängigkeitsverhältnis zwischen Licht und Frühgesang nicht zu bestehen. Nun liegen aber mehrere Anzeichen dafür vor, dass hier zwei verschiedene Erscheinungen ineinandergreifen. Der ausgesprochene Frühgesang der Feldlerche, der im Gegensatz zum Verhalten der Heidelerche noch scharf von dem etwa. eine Stunde über den Sonnenuntergang fortgesetzten Abendgesang getrennt ist; die von Naumann mitgeteilte Beobachtung, dass der Buschrohrsänger gegen Mitternacht immer eifriger singt, dann aber eine gute Stunde pausiert; das Gesangsrudiment, das die Nachtigall im Juli kurz vor Sonnenaufgang hören lässt, und andererseits — falls einer nach Naumann „abergläubischen“ Volksmeinung etwa doch ein Wahr- heitskern zugrunde liegt — das mitternächtliche Pausieren mancher Nachtschläger, alle diese Momente sprechen, wie ich glaube, dafür, dass man bei diesen Vögeln einerseits einen ursprünglich an be- stimmte Lichtreize gebundenen Frühgesang, andererseits den in die Nacht fortgesetzten Abendgesang zu unterscheiden hat. Man könnte also der Gesamtheit der Beobachtungen die Deutung geben, dass manche sehr früh beginnende Gattungen im Begriffe sind, sich von dem Einfluss des Lichtreizes, der ja in den sehr frühen Morgen- stunden ohnedies einen weniger bestimmten Charakter hat, als ın der Zeit kurz vor Sonnenaufgang, vollends loszulösen und dass im Zusammenhang damit die Abhängigkeit, in welcher auch der Abendgesang von der vorhandenen Lichtmenge zu stehen scheint, eine losere geworden ist, so dass sie den Gesang auch in der Nacht fortsetzen. Mit der Annahme, dass es sich hier um einen Entwick- lungsprozess handelt, würde auch im Einklang stehen, dass bei der Nachtigall der Nachtgesang nicht allgemein verbreitet ist, sondern ein erbliches Merkmal bestimmter Rassen zu sein scheint, und dass er wohl auch bei einigen andern unter den genannten Vögeln als eine mehr individuelle Eigenschaft anzusehen ist. Bei dieser Loslösung des Frühgesangs von seiner ursprüng- lichen Gebundenheit spielen nun offenbar auch psychische, über dem rein Instinktmäßigen stehende Faktoren eine Rolle. Wie ich Miehe, Allgemeine Biologie. 431 früher) ausgeführt habe, darf man mindestens bei dem das eigent- liche Fortpflanzungsleben überdauernden und bis zur Mauser fort- gesetzten „Sommergesang“ und beim Wiederaufleben des „Herbst- gesangs“ vieler Vögel annehmen, „dass Rudimente von höheren, über das Instinktmäßige hinausgehenden psychischen Regungen mitspielen, sei es auch nur das psychische Wohlbefinden, welches durch die Ausübung der physischen Tätigkeit oder indirekt durch die Wirkung des Gesangs auf das eigene Ohr erzeugt wird, sei es die Freude am Können (K. Groos) oder etwas Ähnliches. Der Gesang ist dann der Ausdruck einer „Spielstimmung‘, wie auch K. Groos°!) und neuerdings B. Hoffmann?®”) annehmen. Man wird nun sagen dürfen, dass, ebenso wie der Sommer- und Herbst- gesang, so auch der über die ganze Nacht sich ausdehnende Nacht- gesang nicht bloß eine einfache Reflex- oder Instinkthandlung ist, welche den ursprünglichen Zwecken der Anlockung und Erregung dient, sondern dass auch bei ihm sekundäre, durch das Herein- spielen der erwähnten psychischen Faktoren weitergebildete Ver- hältnisse vorliegen. So führt uns also der Frühgesang der Vögel ın die Grenzgebiete hinein, welche zwischen den rein physiologischen und den tier- psychologischen Erscheinungen gelegen sind. Ehe aber die psycho- logischen Fragen, die uns hier entgegentreten, mit einiger Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden können, müssen die näher liegenden reizphysiologischen Aufgaben, auf welche in diesem Auf- satz hingewiesen worden ist, mit vollkommener ausgebildeten Me- thoden der Lösung näher gebracht werden. H. Miehe, Allgemeine Biologie. 2. Auflage. (Aus Natur und Geisteswelt. 130. Bändchen. Mit 52 Abb. Leipzig und Berlin 1915. Verlag von B. G. Teubner.) K. Kraepelin, Die Beziehungen der Tiere und Pflanzen zueinander. I. und II. 2. Auflage. (Dieselbe Sammlung. 426. und 427. Bändchen.) 0) V. Haecker, Der Gesang der Vögel. Jena 1900, S. 59. 1) K Groos, Die Spiele der Tiere. Jena 1896. 2. Aufl. Jena 1907. 2) B. Hoffmann, Kunst und Vogelgesang. Leipzig 1908. 439 Neuerschienene Bücher. bespricht, wird gerade das letztere Thema in den beiden Bändchen des leider vor kurzem verstorbenen Hamburger Zoologen eingehender erörtert. Kraepelin war bekanntlich ein Meister in populärer Dar- stellung. Er bringt auch ın diesen kleinen Bänden ein reiches und interessantes Material über die Beziehungen der Geschlechter zu- einander, Brut, Pflege und Familienleben der Tiere, Vergesellschaf- tung, Parasitismus, Symbiose, dann (der zweite Teil) über die Be- zıehungen der Pflanzen zueinander und zur Tierwelt, Schutzmittel, Bestäubung, Frucht, Verbreitung, Symbiose von Pflanzen und Tieren u. a. Kleine Ungenauigkeiten lassen sich bei solchen zu- sammenfassenden Darstellungen natürlich kaum vermeiden. So haben z. B. die Kornblumen keinen Schleuderapparat (Abb. 54) und die Amphigastrien von Frullania keine „Rädertierurnen“, auch wächst Dionaea nicht in Südamerika (p. 57 u. s. w.). Goebel. Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sind, (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Wünsche, O., Die Pflanzen Deutschlands. Eine Anleitung zu ihrer Kenntnis. II. Die höheren Pflanzen. 10. neubearbeitete Aufl. Herausge- geben von Prof. Dr. J. Abromeit. Mit einem Bildnis O. Wünsche’s. XXIX, 764 S. Leipzig 1916, Verlag von B. G. Teubner. Preis geb. M. 6.—. Abderhalden, E., Neuere Anschauungen über den Bau und den Stoffwechsel der Zelle. Vortrag. 2. Aufl., 37 S., Berlin 1916, Verlag von J. Springer. Preis M. 1.— Haberlandt, Dr. G., Uber Pflanzenkost ım Krieg und Frieden. Vortrag. Sonderabdruck aus der Internat. Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik. 42 S. Leipzig 1916, Verlag von B. G. Teubner. (Sonder- abdr. aus Internat. Monatsschrift.) Sikora, H., Beiträge zur Anatomie, Biologie und Physiologie der Kleiderlaus (Pedieulus vestimenti Nitzsch). I. Anatomie des Ver- dauungstraktus. (Aus „Archiv f. Schiffs- und Tropenhygiene Bd. 20, Beiheft 1.) Mit 24 Abbildungen im Text und 3 farbigen Tafeln. 76 S. Leipzig 1916, Verlag von Joh. Ambr. Barth. Einzelpreis M. 8.—, Subskriptionspr. M. 6.40. Doflein, Dr. Fr., Der Ameisenlöwe. Eine biologische, tierpsychologische und reflexbiologische Untersuchung. Mit 10 Tafeln und 43 Abbildungen im Text. 8°, 138 S. Jena 1916, Verlag von G. Fischer. Preis M. 9.—. Boruttau, Prof. Dr. H., Fortpflanzung und Geschlechtsunterschiede des Menschen. Mit 39 Abbildungen im Text. Kl. S°%, 104 S. Leipzig 1916, Verlag von B. G. Teubner, Preis M. 1.—, geb. M. 1.25. (Aus Natur und Geisteswelt Bd. 540). Doflein, Dr. Fr., Zell- und Protoplasmastudien II. Untersuchungen über das Protoplasma und die Pseudopodien der Rhizopoden. Mit 4 Tafeln und 9 Abbildungen im Text. 8°, 50 S. Jena 1916, Verlag von G. Fischer. Preis M. 6.—. (Abdruck aus Zoologische Jahrbücher. Abt. f. Ontogenie und Anatomie der Tiere Bd. 36.) Preis brosch. M. 6.—. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von Di’ RK. Goebel und Dr. R,Hertwie Professor der Botanik Professor der Zoologie in München. Verlag von Georg Thieme in Leipzig. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Bd.XXXYVI. 20. Oktober 1916. x 10. Inhalt: Schürhoff, Über regelmäßiges Vorkommen zweikerniger Zellen an den Griffelkanälen von Sambucus. — Doflein, Zuckerllagellaten. — Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbel- tierzeichnung. — Driesch, Noch einmal das „Harmoniseh-äquipotentielle System“. — Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. — Kathariner, Die Reaktionszeit. — Kemer von Marilaun, Pflanzenleben. — Boruttau, Fortpflanzung und Geschlechtsunterschiede des Menschen. — v. Caron-Eldingen, Die Vererbung innerer und äußerer Eigenschaften. — Notiz. — Neuerschienene Bücher. Über regelmäfsiges Vorkommen zweikerniger Zellen an den Griffelkanälen von Sambucus. Von Dr. P. N. Schürhoff. In den vegetativen Teilen der höheren Pflanzen kennen wir bisher ein regelmäßiges Vorkommen von zweikernigen Zellen nur in den Tapetenzellen der Antheren. Wir wissen, dass diese Mehr- kernigkeit auf mitotischem Wege entsteht und zum Teil spätere Kernverschmelzungen in den zweikernigen Zellen im Gefolge hat. Es dürfte daher das regelmäßige Vorkommen derartiger zwei- kerniger Zellen in anderen vegetativen Teilen der höheren Pflanzen von Interesse sein, um so mehr, als die Erscheinungen viele Ähn- lichkeit mit dem Verhalten der Kerne in den Tapetenzellen zeigen. Die nachstehenden Beobachtungen wurden an Sambucus race- mosa und nigra gemacht; sie verhalten sich bei beiden Pflanzen völlig gleich, so dass es genügt, sie im einzelnen an einer von beiden zu beschreiben. Zur Untersuchung wurden die Blüten von Sambucus mit Chrom- essigsäure fixiert, in Längsschnitte von 10 u Dicke zerlegt und mit Eisenhämatoxylin oder Safraninwasserblau gefärbt. XXXVL 28 434 Schürhoff, Über regelmäßiges Vorkommen zweikerniger Zellen usw. Auf den Längsschnitten durch den Fruchtknoten (s. Abb. 1) unterscheiden wir das kleinzellige Narbengewebe und zwar ent- spricht jeder Samenanlage ein Narbenpolster; von diesem führt ein Griffelkanal nach der zugehörigen Samenanlage. Der Griffelkanal ist von einer einzelligen Tapetenschicht ausgekleidet, deren Zellen nach dem Kanallumen meistens papillös vorgewölbt sind (Abb. 2). Etwa um die Mitte des Griffelkanals liegen um die Tapetenschicht herum eine Anzahl großer Zellen, die regelmäßig zwei große Zell- kerne führen. In einzelnen Fällen kommt es auch zur Verschmel- zung dieser Kerne; doch scheint dieser Vorgang sehr langsam und relativ wenig häufig vor sich zu gehen, denn einerseits findet man immer verhältnismäßig wenige zu Ende geführte Kernverschmel- zungen gegenüber der übergroßen Anzahl zweikerniger Zellen und andererseits treten die zweikernigen Zellen bereits auf, wenn der Embryosack noch einkernig ist und finden sich fast ebenso häufig vor, wenn der Embryosack befruchtungsreif geworden ist. Von Interesse sind die zweikernigen Zellen auch durch die Art der Degeneration des Phragmoplasten. Während dieser bei den Teilungen im Embryosack, wie sich bequem an Liliaceenmaterial beobachten lässt, verhältnismäßig schnell verschwindet, indem sich die Verbindungsfäden der Tochterkerne restlos im Zytoplasma auf- lösen, bleibt er bei unseren zweikernigen Zellen sehr lange nach- weisbar, da die Verbindungsfäden sehr bald eine körnige Struktur annehmen und als dichte, körnige, stark färbbare Plasmamasse sehr lange die beiden Kerne umsehließen. Gehen wir jetzt zu den Einzelheiten der Entstehung dieser zweikernigen Zellen über, so ist in erster Linie festzustellen, dass sie auf mitotischem Wege entstehen. Diese Mitosen zeigen sich gegenüber den normalen diploiden Mitosen bereits wesentlich ver- größert, was auf ein voraufgegangenes Kernwachstum zurückzu- führen ist. Der Phragmoplast wird ın normaler Weise angelegt, doch kommt es nicht zur Anlage einer Zellplatte; bei der Telophase nähern sich die Tochterkerne einander und der Phragmoplast be- ginnt zu degenerieren. Der degenerierende Phragmoplast färbt sich mit Safranın- wasserblau rein blau, bei der Färbung mit Eisenhämatoxylin findet man zuerst, dass mehrere Fäden des Phragmoplasten sich zu- sammenlegen, ehe die körnige Degeneration durchgeführt wird; man sieht dann verhältnismäßig dicke Spindelfasern bezw. Teile der- selben, die wirr durcheinander verlaufen und sich verfilzen; es scheint mir, dass die von Meves!) in den Tapetenzellen von Nym- 1) Meves: Über das Vorkommen von Mitochondrien bezw. Chondriomiten in Pflanzenzellen (Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 1904, Bd. XXII, Heft 5). Schürhoff, Uber regelmäßiges Vorkommen zweikerniger Zellen usw. 435 phaea alba beschriebenen Mitochondrien ebenfalls nichts anderes vorstellen als den degenerierenden Phragmoplasten der zweikernigen Tapetenzellen. Ganz besonders seine Angabe, dass diese Mito- chondrien an einer oder zwei Stellen zu diehten Knäueln zusammen- geballt seien, stimmt mit den Erscheinungen des degenerierenden Phragmoplasten in unserem Falle vollkommen überein. Wenn Meves betont, dass es sich bei seinen Bildern nicht um Kino- plasmafasern im Sinne Strasburger’s handeln könne, da in seinen Präparaten nur Tapetenzellen mit ruhendem Kern vorgelegen hätten, so ıst auch für unseren Fall typisch, dass Kernteilungen verhältnis- mäßig recht selten auftreten, aber die Degeneration des Phragmo- plasten so langsam fortschreitet, dass fast in jeder zweikernigen Zelle noch in mehr oder minder deutlicher Weise die Reste des Phragmoplasten nachweisbar sind. Zudem spricht bekanntlich die baldige Degeneration der Tapetenzellen sehr gegen eine Ausbildung von Mitochondrien. Aber auch die beiden von Meves gegebenen Bilder lassen eine Deutung als degenerierende Phragmoplaste sehr gut zu, denn die Anhäufungen der Fäden liegen genau an den Stellen, wo sich die Reste der Phragmoplasten vorfinden müssten; seine Fig. 2 zeigt eine zweikernige Zelle in Seitenansicht und Fig. 1 dürfte nur als eine zweikernige Zelle in Polansicht anzusprechen sein. In einzelnen Fällen lässt sich feststellen, dass der Phragmo- plast, bevor er zur körnigen Degeneration übergeht, sich ın der Mitte zwischen den beiden Tochterkernen etwas zusammenschnürt, während bekanntlich sonst der Phragmoplast das Bestreben hat, sich in der Mitte am meisten auszudehnen. Bei Beginn der Degeneration des Phragmoplasten enthält die Zelle in der Mitte die beiden Zellkerne, die durch ein dichtes körniges Plasma verbunden sind; ın diesem Plasma sind weder eine Zellplattenanlage, noch Reste der Struktur des Phragmoplasten erkennbar (Abb. 6). Das übrige Plasma der Zelle ist nur wenig gefärbt und enthält zahlreiche Vakuolen. In späteren Stadien rücken die Kerne noch mehr aneinander und die körnige Zytoplasma- ansammlung verschwindet mehr oder weniger. Die Kerne bleiben meist in diesem Stadium erhalten, bis eine Degeneration nach er- erfolgter Reifung eintritt. Einige der Doppelkerne legen sich auch so dicht aneinander, dass nur mit Mühe zu erkennen ist, dass es sich wirklich noch um zwei völlig selbständige Kerne handelt. Endlich gehen manche Kerne tatsächlich miteinander eine Verschmelzung ein. Ein solches Verschmelzungsprodukt ist sofort an seiner besonderen Größe zu erkennen, ferner an der erhöhten Anzahl der Nukleolen und end- lich daran, dass sich in der sehr großen Zelle nur ein einziger Kern befindet. Im allgemeinen zeigen die großen Schwesterkerne entweder ein besonders großes Kernkörperchen oder zwei etwas 28* 436 Schürhoff, Über regelmäßiges Vorkommen zweikerniger Zellen usw. kleinere, die aber meistens unter sich ziemlich gleich groß sind. Die verschmolzenen Kerne besitzen infolgedessen gewöhnlich vier einigermaßen gleich große Kernkörperchen oder drei, von denen sich eins durch seine besondere Größe auszeichnet. Die Kerne der zweikernigen Zellen teilen sich nicht mehr, auch nicht, wenn sie zu einem Großkern verschmolzen sind. Wenigstens wurde eine derartige Teilung eines syndiploiden Kerns, die an der erhöhten Chromosomenzahl hätte kenntlich sein müssen, bei meinen immerhin recht zahlreichen Präparaten nicht beobachtet. Unwahr- scheinlich wäre dies jedoch von vornherein nicht, da sich bekannt- lich die syndiploiden Kerne der Tapetenzellen gelegentlich teilen. Die Anlage der zweikernigen Zellen erfolgt sehr früh; sie sind bereits fast völlig ausgebildet, wenn sich der Embryosack noch ım einkernigen Stadium befindet und sie bleiben auf ihrer Entwick- lungsstufe stehen, bis der Embryosack entweder befruchtet ist oder zu degenerieren beginnt. Dann sind es allerdings gerade diese zwei- kernigen Zellen, an denen man zuerst diese Degenerationserschei- nungen wahrnehmen kann; der Vorgang äußert sich in der Weise, dass das Zytoplasma dieser Zellen sich verringert, die Kerne nehmen an Größe ab und zeigen eine dichtere Struktur, bis alles Zytoplasma aus der Zelle geschwunden ist und nur noch zwei färbbare kleine Klumpen die Reste der ehemaligen Zellkerne anzeigen. Gerade der Vorgang der Degeneration zeigt uns sehr deutlich, dass in diesen Zellen trotz der verhältnismäßig langen Lebensdauer nur eine sehr geringe Tendenz zu einer Kernverschmelzung besteht. Ein solches Verhalten steht übrigens ganz ım Einklang mit unsern bisherigen Erfahrungen; auch Strasburger betont, dass Kernverschmelzungen in solchen Geweben, die aus irgendwelchem ontogenetisch nicht geregeltem Grunde mehrkernig werden, nur schwer erfolgen; er führt hier u. a. die Tapetenzellen der Antheren, sowie die Endospermzellen der Angiospermen an. Doch haben wir als wesentlichen Unterschied im Auge zu behalten, dass Kernver- schmelzungen in meristematischen zweikernigen Zellen relativ leicht vor sich gehen. Daher erklärt sich auch, weshalb in chloralisierten Wurzelspitzen sich leicht Kernverschmelzungen erzielen lassen und ich?) selbst konnte auch in der Sprosspitze von Asparagus regel- mäßig vorkommende Kernverschmelzungen feststellen. „Die Mehr- kernigkeit ıst selbst an sich ein Anstoß zu Vorgängen, welche zur Kernverschmelzung führen. Wie alle physiologischen Vorgänge sind auch diese Vorgänge von physiologischen äußeren und inneren Be- dingungen der Zelle abhängig. Sie werden am leichtesten in meriste- matischen Zellen realisiert, da man hier die Kerne auch am leich- 2) Schürhoff: Kernverschmelzungen in der Sprosspitze von Asparagus offi- einalis. Flora, Bd. 109, S. 55, 1916. Schürhoff, Uber regelmäßiges Vorkommen zweikerniger Zellen usw. A37 testen verschmelzen sieht. Sie erfordern einen bestimmten physio- logischen Zustand der Beziehungen zwischen dem Kern und dem Zytoplasma, da wir feststellen konnten, dass Kerne, welche sich 458 Sehürhoff, Uber regelmäßiges Vorkommen zweikerniger Zellen usw. zur Teilung eben vorbereiten, sich voneinander abstoßen können und daher nicht verschmelzen, worin jedoch manche spezifische Unterschiede festgestellt werden können?).“ Über die Funktion dieser zweikernigen Zellen bezw. ihre bio- logische Bedeutung lässt sich zwar auf Grund des histologischen Befundes kein endgültiges Urteil fällen, doch scheint es mir außer Zweifel zu sein, dass sie eine in der Hauptsache sekretorische Tätig- keit ausüben. Dafür sprechen ıhr großer Reichtum an Zytoplasma und ihre beiden relativ großen Kerne, sowie vor allem ihre Lage an den Wandzellen des Griffelkanals. Wir können annehmen, dass die sekretorische Tätigkeit dieser Drüsenzellen, wenn wir sie als solche bezeichnen wollen, ın unmittelbarem Zusammenhange mit der Keimung des Pollenschlauches steht; wahrscheinlich wird von den Drüsenzellen ein Sekret geliefert, welches auf den Pollenschlauch positiv chemotropisch wirkt; denn dass nur Schleim produziert werden sollte, wie es ım allgemeinen die Wandzellen des Griffel- kanals tun, können wir kaum annehmen, da kein Grund vorliegt, weshalb die Griffelkanalzellen auf diese sekretorische Tätigkeit ver- zichtet haben sollten. Wie dem auch seı, so viel dürfte ohne Zweifel feststehen, dass den zweikernigen Zellen eine relativ hohe sekre- torısche Tätigkeit zukommt. Im Zusammenhange mit dieser biologischen Bedeutung dürfte auch die Zweikernigkeit eine Erklärung finden. Bekanntlich nımmt in intensiv sekretorisch tätigen Zellen der Kern häufig eine amoeben- förmige Struktur, die auch bei unseren Schwesterkernen häufig vor- kommt, an. „Die Oberfläche mehrerer selbständiger kugeliger Kerne ist jedoch größer als jene eines einzigen ähnlich gestalteten Kerns, der durch ihre Verschmelzung entstanden ist. Daher es möglich wäre, dass durch Kernverschmelzungen die Intensität der Beziehungen zwischen dem Kern und Zytoplasma herabgesetzt wird, so dass durch die Kernvermehrung, Kernverschmelzung und Veränderung der Kernform der Zelle die Möglichkeit gegeben ist, bei gleich- bleibender Kernmasse, eventuell auch bei gleichbleibender Chromo- somenzahl, die Intensität der Kernfunktion (soweit sie durch die Größe der Kernoberfläche bedingt wird) zu regulieren®).“ Es dürfte sich also mit größter Wahrscheinlichkeit bei diesen zweikernigen Drüsenzellen um das Bestreben handeln, das Ver- hältnıs von Kernoberfläche zu Kernmasse und Zellgröße günstiger zu gestalten. Erklärung der Abbildungen. Alle Abbildungen beziehen sich auf Sambucus racemosa. l. Längsschnitt durch den Fruchtknoten; man erkennt zwei Narbenpolster und bei dem linken den Griffelkanal, der zu dem zweikernigen Embryosack führt; 3) Nemece: Das Problem der Befruchtungsvorgänge u. s. w. Berlin 1910, S. 425. 4) Nemee: ]. c., S. 427. Doflein, Zuckerflagellaten. 439 links von der Mitte des Griffelkanals sieht man eine Gruppe der „Drüsen- zellen“. Mikrophotogramm. Vergr. 45 X. 2. Der mittlere Teil des Griffelkanals mit den anliegenden „Drüsenzellen“. Die Tapetenzellen des Griffelkanals zeigen nach dem Kanallumen zu papillenartige Vorwölbungen. In den „Drüsenzellen“ je zwei Kerne von einer dichten Zytoplasmamasse umgeben, die einzelnen Kerne dieser Zellen sind wesentlich größer als die der Zellen ihrer Umgebung. 3. Mitose einer jungen einkernigen Drüsenzelle. Vergr. 1100 X. 4. Zweikernige Zelle; die beiden Kerne lassen erkennen, dass die Teilung des Mutterkerns noch nicht lange vorher ausgeführt wurde, der Phragmoplast ist in dichte Fasern zerfallen, die Mitochondrien vortäuschen könnten. Vergr. 1100 X. . Körnige Degeneration des Phragmoplasten, amöboide Form der Schwester- kerne. Vergr. 1100 X. 6. Degeneration des Phragmoplasten, körniges Zytoplasma zwischen den beiden Kernen, das sonstige Zytoplasma der Zelle nur schwach gefärbt und reich an Vakuolen. 7. Zwei nebeneinanderliegende Kerne einer älteren Zelle, zu beachten ist die Strukturänderung der Kerne gegenüber den jüngeren Stadien. Vergr. 1100 X. 8. Soeben vollzogene Verschmelzung zweier Schwesterkerne. Drei Kernkörperchen, davon ein besonders großes zu erkennen. Vergr. 1100 X. 9. Kernverschmelzung. Auffallend ist die fädige Differenzierung des Kerns; vier Kernkörperchen von gleicher Größe sichtbar. Vergr. 1100 %. 10. Degeneration der „Drüsenzelle“. Alles Zytoplasma ist bereits aus der Zelle verschwunden, die Kerne sind wesentlich kleiner geworden und lassen Zer- fallserscheinungen bemerken. Der Schnitt enthielt ältere unbefruchtete Em- bryosäcke; die Wandzellen des Griffelkanals, sowie die anderen Zellen in der Umgebung der ‚„Drüsenzellen‘“ waren noch völlig intakt. Vergr. 1100 X. or Zuckerflagellaten. Untersuchungen über den Stoffwechsel farbloser Mastigophoren. Von F. Doflein, Freiburg i. Br. Vor kurzem untersuchte ich einen Organismus aus der Gruppe der Phytomonadinen, Polytomella agilis Ar., auf seinen Bau und seine Fortpflanzungsverhältnisse. Es ist dies ein farbloses Mastigo- phor aus der Familie der Polyblephariden. Wie ich im Zoolog. Anzeiger (Bd. 36, 1916) schon berichtet habe, stellte es sich beı meinen Untersuchungen heraus, dass der Beschreiber der Art, Aragao, die Stellung der Form im System nicht richtig erkannt hatte. Sıe ist eine Verwandte der Chlamymonadinen, welche ihre Chromatophoren verloren hat. Sie ist aber in mancher Beziehung primitiver als jene, indem sie vor allem einer ÖGellulosemembran entbehrt. Ihre Beziehungen zu. pflanzlichen Organismen sind aber an ihrem Reservestoff zu erkennen, der aus Stärke besteht. Letztere Tatsache war Aragao ebenfalls entgangen. Ich züchtete die Art längere Zeit in Strohaufgüssen, aus denen ich sie auch gewonnen hatte. Es war sehr auffällig, wie bald das 440 Doflein, Zuckerflagellaten. Flagellat aus den Kulturen verschwand. Offenbar änderten sich die Verhältnisse in den Flüssigkeiten sehr rasch und wurden für das Leben der Art ungünstig. Während dieser Veränderungen gingen sehr viele Individuen von Polytomella in den Cystenzustand über. Andere starben ab und zeigten dabei sehr bemerkenswerte Erschei- nungen. Die gleichen Veränderungen waren an Exemplaren zu beobachten, welche ich aus den Cysten züchtete. Im Anfang gelang es mir nicht, Kulturen aus den Cysten-Exemplaren zu reichlicher Entwicklung zu bringen. Die Cysten, welche mehrere Monate aus- getrocknet gewesen waren, hatte ich in Brunnenwasser gelegt, um, wie ich damals annahm, die natürlichen Verhältnisse möglichst genau nachzuahmen. Ich vermutete, dass die den Cysten anhaf- tenden Partikel der Infusion genügen würden, um, in Wasser ge- löst, den Organismen eine geeignete Nährlösung darzubieten. Es stellte sich aber heraus, dass ich mich ın dieser Beziehung getäuscht hatte. Nachdem in den ersten Tagen nach dem Verlassen der Oystenhülle die Flagellaten gut gediehen, auch gewachsen waren und sich etwas vermehrt hatten, ging ıhre Zahl sehr rasch zurück. Die einzelnen Individuen magerten direkt ab, sie wurden kleiner und schmäler. Das Auffallendste war aber, dass die in ihnen ın Gestalt von Stärke abgelagerte Reservesubstanz sehr stark zu- sammenschmolz. Dasselbe war bei solchen Polytomellen zu beob- achten, welche aus Kulturen ın Brunnenwasser oder in anorganische Nährlösung gebracht wurden. Waren sie im Anfang des Versuchs von Stärkekörnern vollkommen erfüllt gewesen, so sah man diese bald an Zahl abnehmen. Die einzelnen Stärkekörner, welche groß bis mittelgroß gewesen waren, schmolzen geradezu zusammen. Schließlich waren nur ganz wenige kleine Stärkekörnchen übrig, und auch diese wurden aufgebraucht. Dann starben die ganz zu- sammengeschrumpften Flagellaten und verschwanden vollkommen aus den Kulturen, wenn es ihnen nicht gelang, sich vorher noch zu encystieren. Die dann entstehenden Cysten waren aber keine normalen Uysten; denn solche enthalten reichlich Stärke. Solche Oysten bilden sich in einer normal gedeihenden Kultur schon während der normalen Ernährung des Flagellats in Menge. Sie treten auf, noch ehe Erschöpfungszustände bemerkbar sind. Diese normalen Oysten sind mit Stärkekörnern vollgepfropft. Wenn sich aus dem Cysten- inhalt ein neuer Organismus entwickelt, so wird die Cystenstärke zum großen Teil verbraucht. Bei den dabei ablaufenden Stoff- wechselvorgängen tritt reichlich Fett auf. Dieses Fett, welches den Plasmakörper ın der Cyste und das frisch ausgeschlüpfte Mastigophor in großen und kleinen Tropfen erfüllt, ist offenbar ein Umwandlungsprodukt der Stärke. Denn es tritt in dem Maße auf, als die Stärke abnimmt. Auch in den freilebenden Individuen, vor Doflein, Zuckerflagellaten. 441 der Gystenbildung, ist neben den Stärkekörnern und anderen Reserve- substanzen oft ziemlich reichlich Fett nachzuweisen. Wenn die Polytomellen aus ihren Dauercysten ausschlüpfen, enthalten sie in der Regel nur mehr wenig Stärke und ım Ver- hältnis etwas mehr Fett. Diese Stoffe werden allmählich verbraucht und können natürlich nur dann ersetzt werden, wenn in der um- gebenden Flüssigkeit die nötigen Aufbaustoffe vorhanden sind. Dass in meinen Kulturen unter gewissen Umständen die Flagellaten rasch abstarben, war direkt als ein Verhungern zu bezeichnen. Es mussten die für ihre Ernährung notwendigen Substanzen fehlen. Sie gingen in der Regel nach einigen Tagen, manchmal nach einigen Teilungen zugrunde, wobei ihr Stärkevorrat immer geringer wurde. In einigen Kulturen hatte ich vor dem Verschwinden der Poly- tomellen lauter stärkelose Individuen. Der Prozess vollzog sich sehr rasch, wenn Individuen ohne Stärke oder mit ganz geringen Stärkevorräten aus den ÜÖysten geschlüpft waren. Ja, ich hatte sogar den Eindruck, dass solche Polytomellen, welche stärkelos oder mit wenig Stärkekörnchen in die Oysten emgetreten waren, gar nicht zum normalen Ausschlüpfen kamen. Um nun aus den Cysten normale Kulturen zu züchten, und um diese Kulturen längere Zeit am Leben erhalten zu können, suchte ich nach den geeigneten Zusammensetzungen der Nähr- lösungen. Ich fertigte solche in kleinen Glasschälchen an, in denen die Mastigophoren sich sehr gut halten ließen. Es war leicht, sie zu kontrollieren und von einem Gefäß ın das andere überzufangen, da sie einige sehr charakteristische Reizreaktionen zeigen. Die Mehrzahl der Polytomellen sammelt sich, vom Sauerstoff chemo- taktisch angezogen, an der Oberfläche der Lösung. Und da die Organismen noch dazu negativ phototaktisch sind, so fanden sie sich stets an der vom Licht abgewandten Seite des Kulturgefäßes. Ich verwandte zunächst als Kulturflüssigkeit reines Brunnen- wasser und die üblichen für grüne Algen angegebenen anorganischen Nährlösungen, so die Knop’sche und die Molisch’sche Lösung. Ich vermutete natürlich nicht, dass die ın diesen Lösungen ge- züchteten Mastigophoren sich in ihnen würden vollkommen ernähren können. Da in den Polytomellen die Chromatophoren rückgebildet sind, so konnte eine Synthese organischer Substanzen in ihnen un- möglich stattfinden. Als farblose Flagellaten mussten sie auf sapros- inische Aufnahme von organischen Substanzen angewiesen sein. In den anorganischen Lösungen verhungerten die Polytomellen denn auch in kurzer Zeit, wobei man deutlich die allmähliche Ab- nahme ihrer Reservesubstanzen, besonders der Stärke, verfolgen konnte. Die Stärkekörner wurden kleiner, eines nach dem andern schmolz dahin. Auch die ganzen Tiere wurden kleiner und schmäler und verschwanden schließlich vollkommen, ohne Cysten gebildet zu 442 Doflein, Zuckerflagellaten. haben. Verzögerte. sich der Vorgang um einige Tage, so war dies wohl darauf zurückzuführen, dass aus den Ausgangskulturen, also den Infusionen, aus den Pflanzenteilen stammende organische Sub- stanzen in die Versuchskulturen mit herübergenommen waren, die sich nach einiger Zeit verbrauchten. In Erinnerung an die bekannten Kulturversuche mit Euglenen versuchte ich nun die Polytomellen in organischen Nährlösungen, welche Eiweißsubstanzen enthielten, zu züchten. Bekanntlich gelingt es leicht, Euglenen in solchen Nährlösungen auch ım Dunklen zu erhalten. Nach den Untersuchungen von Klebs, Zumstein und Ternetz wachsen Euglenen in organischen Nährlösungen auch im Dunkeln vorzüglich weiter. Sie vermögen ihre Körpersubstanzen auch ohne Photosynthese aufzubauen, wenn ihnen mit den nötigen Salzen Peptone dargeboten werden. So versuchte ich denn zunächst meine Polytomellen in Nährlösungen, welche peptonhaltig waren, zu züchten. Die Lösungen bestanden aus Brunnenwasser oder den oben genannten Salzlösungen mit einem Zusatz von Pepton. In solehen Lösungen blieben die Mastigophoren vielleicht etwas länger am Leben als in den reinen Salzlösungen. Aber nach kurzer Zeit verhungerten sie auch in den Peptonkulturen. Das war auch der Fall, wenn sich außer ihnen in den Nährlösungen keine oder nur wenige Infusorien und Bakterien entwickelten. Vielfach war in den Kul- turen die reichliche Entwicklung solcher Organismen sehr störend. Ihre Stoffwechselprodukte waren offenbar den Polytomellen schäd- lich; denn sie starben ab, wenn jene sich stark entwickelten. Auch Sauerstoffmangel mag in solchen Kulturen zum raschen Verschwinden der Flagellaten beigetragen haben. Aber auch in ziemlich sauberen Kulturen hörte bald das Wachstum und die Vermehrung der Poly- tomellen auf. Sie bauten keine Stärke, scheinbar auch keine anderen Reservesubstanzen auf, vielmehr verbrauchten sie ihre Vorräte. Das rasche Verschwinden der Stärke und die Abmagerung der Indı- viduen waren sehr auffällig. Nach wenig Tagen waren die Kulturen ausgestorben, ohne Oysten zu hinterlassen. Auch andere stickstofl- haltige Substanzen, so z. B. Asparagin, wurden nicht ausgenützt. Es war klar, dass die mir vorliegenden Flagellaten einen andern Stoffwechsel haben mussten als die Euglenen. So lag es nahe, an eine bestimmte Möglichkeit zu denken, und die ersten Versuche, welche ich in dieser Richtung anstellte, haben meine Annahme so- gleich bestätigt. In einer neuen Serie von Versuchen fügte ich zu den anorga- nischen Lösungen verschiedene Zuckerarten hinzu. Ich nehme das Hauptresultat dieser Experimente voraus: Mit diesen Lösungen gelang es mir, nicht nur die aus den Cysten gezüchteten Kulturen am Leben zu erhalten und zu starker Entwicklung zu bringen, sondern auch aus der Natur gewonnene Polytomellen monatelang Doflein, Zuckerflagellaten. 443 weiter zu züchten. Sie wuchsen, speicherten zum Teil außerordent- lich reichlich Reservesubstanzen, vor allem Stärke, auf, teilten sich lebhaft und nahmen sehr rasch zu. Zuerst experimentierte ich mit Traubenzucker und Rohr- zucker, von denen ich 1%,ige Lösungen dem Brunnenwasser oder den Salzlösungen zufügte. Diese beiden Zuckerarten, erwiesen sich als sehr günstig für die Entwicklung von Polytomella. Ja, es zeigte sich, dass dieses Mastigophor von dem Vorhandensein von Zucker in seiner Nährflüssigkeit vollkommen abhängig ist. Nur in zucker- haltigen Lösungen wuchs und teilte es sich; nur in solchen Flüssıg- keiten lagerte es Stärke ab. Aus diesen Erfahrungen musste ich den Schluss ziehen, dass in den Wasseransammlungen, in denen Polytomella in freier Natur vorkommt, auch Zucker enthalten ist. Ich hatte Polytomella nur in solchen Infusionen gefunden, welche mit Stroh aus der Umgebung von Freiburg angelegt worden waren. In ihnen hatte ich im Jahre 1915 zum erstenmal die bis dahin ın Europa noch unbekannte und vielleicht nur gelegentlich gesehene Art entdeckt. Sie war vorher nur von Aragao in Brasilien beobachtet und genauer beschrieben worden. Auf einige Befunde in Europa, die vielleicht auf unsere Art zu beziehen sind, werde ich in meiner ausführlichen Bearbeitung der Form hinweisen. Es ist wohl zu vermuten, dass Polytomella in freier Natur unter den gleichen Umständen vorkommt, wie Polytoma wvella und andere farblose Mastigophoren, nämlich in Tümpeln, in deren Wasser Pflanzenreste faulen. Das Wasser solcher Tümpel muss aber zucker- haltig sein, damit Polytomella in ihnen gedeihen kann. Tatsächlich enthalten wässerige Pflanzenextrakte der verschiedensten Art Zucker in gelöstem Zustande. Es ist längst bekannt, dass z. B. im Strohextrakt sich eine be- sondere Zuckerart findet: Xylose. Es ist dies ein Monosaccharid mit 5 Kohlenstoffatomen, eine sogen. Pentose (C,H,,0,). Xylose wird außer aus Stroh auch aus Holz, aus Samenhüllen, aus Apri- kosenkernen gewonnen. In meinen Strohinfusionen ließ sich in den ersten Tagen eine reduzierende Substanz, vielleicht ein Zucker, durch die Fehling’sche Reaktion nachweisen. Die Reaktion verschwand nach einigen Tagen; das spricht wohl für ihre Erzeugung durch Zucker; denn mittler- weile waren in der Infusion Hefen und Bakterien aufgetreten, welche nach meinen sonstigen Erfahrungen Gärung hervorriefen. In den Zuckerkulturen waren die Polytomellen ganz vorzüglich gediehen, und hatten in großen Massen, mehr als in den natürlichen Kulturen, Stärke gespeichert. Nach dem Resultat der Versuche war eine Deutung der Stoffwechselerscheinungen von selbst gegeben. Es war klar, dass Polytomella einen Stoffwechsel hat, der sich ın seinem aufbauenden Abschnitt direkt an denjenigen grüner Mastigo- 444 Doflein, Zuckerflagellaten. phoren anschließt. Während aber diejenigen Phytomonadinen, welche grüne Chromatophoren besitzen, aus anorganischem Material Zucker aufzubauen vermögen, fehlt diese Basis des Stoffwechsels der Polytomella. Da sie keine Chromatophoren, kein Chlorophyll und keinerlei dieses ersetzende Substanz besitzt, kann sie dıe Sonnen- energie nicht ausnützen und Photosynthese ist bei ihr unmöglich. Es ist aber nicht zu bezweifeln, dass Polytomella von einer grünen Form abstammt. Sie stellt zu einer noch unbekannten grünen Form eine ähnliche Parallelform dar, wie sie Polytoma zu den Öhlamydomonaden und die weiße Carteria zu den grünen Carterien ist. Wie durch viele den Phytomonadinen eigentüm- liche Erscheinungen ihres Baues, so zeigt sie auch durch ıhren Stoffwechsel ihre Abstammung an. Von dem normalen Stoffwechsel einer Phytomonadine fehlt ihr nur der einleitende Teil, die Photo- synthese organischer Substanz. Da sie keine Chromatophoren hat, muss sie diesen entbehren. Bei ihr kann der Aufbau der Körper- substanzen erst mit jenen Verbindungen beginnen, welche bei grünen Organismen das Produkt der Photosynthese sind. Während also ihre grünen Verwandten den Zucker aus anorganischen Bestand- teilen selbst aufzubauen vermögen, ist Polytomella auf Zucker von fremder Herkunft angewiesen. Das Vorhandensein von Zucker ist eine Voraussetzung für das Vorkommen der Art. Sie kann nur in solchen natürlichen Wasseransammlungen gefunden werden, ın denen Zucker, der aus irgendeiner natürlichen Quelle stammt, ge- löst enthalten ist. Diese Quelle wird in der Regel pflanzliches Material sein: Stroh, Heu, Zweige, Äste, Holz und andere Bestand- teile von Pflanzen. So werden wir nur in Tümpeln bei ganz be- stimmter Zusammensetzung der Flüssigkeit die Art zu erwarten haben. Damit erklärt sich wohl ihre relative Seltenheit und die Tatsache, dass sie in Europa bisher noch nicht beobachtet worden war. Mit der Gärungsfähigkeit der meisten in Pflanzen enthaltenen Zuckerarten hängt es wohl auch zusammen, wenn die Polytomellen aus den Infusionen so schnell verschwinden. Sobald der Zucker vergoren ist, fehlt das für sie wichtigste Nahrungsmittel und sie müssen verhungern, wenn sie sich nicht vorher in die schützenden Ruheeysten zurückgezogen haben. Nach den Resultaten meiner ersten Versuche mit Zuckerkulturen lag es natürlich nahe, sich die Frage zu stellen, welche Zuckerarten von den Flagellaten aufgenommen und verarbeitet werden. Da die im natürlichen Medium ihnen dargebotene X ylose eine Pentose ist, so lag es nahe, solche Pentosen in der Nährflüssigkeit zu lösen. Das geschah mit rein dargestellter Xylose, welche ich von Kahl- baum bezog, und mit Arabinose, welche ich in einem reinen von ihm selbst dargestellten Präparat der Güte von Herrn Geheimrat Kiliani verdanke. In diesen Pentosekulturen wuchsen die Polyto- Doflein, Zuckerflagellaten. 445 mellen ganz ausgezeichnet und speicherten enorme Mengen von Stärke. Sie wurden sogar größer als ın den natürlichen Infusionen und waren so voll Stärke vollgestopft, dass sie im durchfallenden Licht schwarz aussahen. Es erhob sich nun die Frage, ob die von mir untersuchten Flagellaten nur die Fähigkeit hatten, bestimmte Zuckerarten aus- zunützen. Ich stellte daher eine Reihe von Versuchen mit ver- schieden zusammengesetzten Zuckerarten an, indem ıch sie den Polytomellen in Lösungen darbot, welche außer dem Zucker nur die notwendigen Salze enthielten. Ich wählte die Zuckerarten nach ıhrer Zusammensetzung aus, um womöglich durch die Art und Weise ihrer Verwertung Einblick in die Wege und Zwischenstufen des Stoffwechsels der Zucker- flagellaten zu gewinnen. Natürlich war ich bei meinen Versuchen auch davon abhängig, welche Zuckerarten gegenwärtig für mich erreichbar waren. Ich erwähnte oben schon bei den Vorversuchen, dass Hexosen von den Zuckerflagellaten vorzüglich ausgenützt werden. Von solchen verwandte ich vor allem ın zahlreichen Versuchen Traubenzucker (d. Glukose) C,H,,0,. Die Massen von Stärke, welche bei Züch- tung in den Traubenzuckerkulturen erzeugt wurden, waren sehr groß. Doch war ım allgemeinen der Umfang der einzelnen Stärke- körner nicht allzu groß. Ähnlich günstig war das Resultat bei Kultur in Lävulose. Auch da wurden große Stärkekörner in großen Mengen erzeugt. Besonders auffallend war die Tatsache, dass die Mastigophoren ebensogut in Rohrzucker als in den Monosen gediehen. Ja, in Lösungen dieses Zuckers kam es sogar zur Aufspeicherung der größten Stärkemassen, zur Bildung der größten Stärkekörner und zum energischsten Wachstum der Individuen. In der Kulturflüssig- keit zeigte sich nach wenig Tagen eine Invertierung des Rohrzuckers. Es ist nun fraglich, ob diese Veränderung des Rohrzuckers auf den Einfluss der Polytomella selbst zurückzuführen ist. Wahrschein- licher ist es, dass an ihr die in der Kultur wachsenden Hefen und Bakterien schuld sind. Doch weist die Tatsache, dass schon kurze Zeit nach dem Einsetzen in die Rohrzuckerkultur vor erfolgter In- vertierung des im Wasser gelösten Rohrzuckers vermehrte Speiche- rung von Stärke auftrat, auf selbständige Ausnützung des Rohr- zuckers durch das Flagellat hin. Entsprechend günstige Resultate wurden mit Lactose und Maltose erreicht. Auch diese Polyosen wurden sehr gut ausgenützt. Ja selbst in Dextrinkulturen erfolgte sehr reichliche Bildung und Speicherung von Stärke. Es wäre natürlich von größtem Interesse, zu erfahren, von welchen Stufen der Zuckerbildung an die Polytomellen die Syn- 446 Doflein, Zuckerflagellaten. these der organischen Substanzen zu beginnen vermögen. Zu diesem Zweck habe ich einige Versuche mit Alkoholen angestellt, so z. B. Mannit und Erythrit. Diese Versuche ergaben noch keine klaren Resultate, wenn auch in diesen Lösungen in den ersten Tagen noch Anreicherung von Stärke stattfand. Es ıst aber ın allen diesen Fällen bisher unmöglich gewesen, die Mitwirkung von Hefen und Bakterien auszuschließen. Infolgedessen kann man über die che- mischen Prozesse ım Flagellatenkörper auf Grund der Experimente nichts Bestimmtes aussagen. Bemerkenswerter ıst die Tatsache, dass auch Glvzerin von den Polytomellen zu Stärke verarbeitet wurde. Diese Versuche sind deswegen einwandfreier, weil das Glyzerin einen offenbar hemmenden Einfluss auf die Entwicklung der zufällig vorhandenen Bakterien und Hefearten aufwies. In den Glyzerinkulturen wuchsen die Fla- gellaten vorzüglich und speicherten reichlich Stärke auf. Doch waren die Stärkekörner bei weitem nicht so groß und ihre Masse nicht so beträchtlich als ın den oben genannten Zuckerarten. Immer- hin können wir vermuten, dass Polytomella schon Glyzerin auszu- nützen vermag. Um über diese Möglichkeit und über die Aus- nützung anderer Substanzen Aufschluss zu gewinnen, wird es not- wendig sein, mit Reinkulturen zu arbeiten. Solche sınd mir bis jetzt noch nicht gelungen. Ich bemühe mich aber, sie zu er- zielen, indem ich zu ıhnen Material aus äußerlich sterilisierten Cysten zu züchten versuche. Aus dem Zucker und anorganischen Substanzen können die Polytomellen offenbar zusammengesetztere Produkte, ihre Körper- substanzen, aufbauen; denn sıe können bei Zufügung von Zucker in reinen Salzlösungen gedeihen. Dabei sind gewisse kompliziertere Stoffwechselprodukte auch mikroskopisch nachweisbar. Zu den stickstoffhaltigen Substanzen des Polytomellenkörpers gehört Vo- lutin, jenes mit der Nukleinsäure in Verbindung gebrachte Stoff- wechselprodukt, welches von A. Meyer und neuerdings von Reiche- now untersucht worden ist. Es tritt in den Polytomellen im Gefolge der Stärkeproduktion in großen Mengen auf. Es ist dasjenige Reserveprodukt, welches in den Hungerperioden am längsten aus- dauert. So ist es denn auch wohl jene Substanz gewesen, welche Aragao als einzige Reservesubstanz ım Körper von Polytomella fand und irrtümlicherweise für Paraglycogen hielt. Zum Aufbau solcher Substanzen genügt unserem Flagellaten außer dem Zucker und den Salzen der Stickstoff, der ıhm durch anorganische Salzlösungen geliefert wird. Es gedeiht in einer Zucker- lösung, welche mit dem bekanntlich sehr salzarmen Brunnenwasser der Freiburger Wasserleitung angesetzt ist. Besser scheint es aller- dings sich zu entwickeln, wenn Stickstoff in besonderer Form zu- geführt wird. In den Infusionen ist solcher normalerweise in Doflein, Zuckerflagellaten. 447 Produkten anderer Infusionsorganismen und in Extrakten aus In- fusionsstoffen sicher immer enthalten. Eine merkwürdige Anregung der Bildung von Stoffwechselprodukten wird durch Zusatz von Spuren von Natriumphosphat zu den Kulturen ausgelöst. Von der Fortsetzung der Untersuchung dieser eigenartigen Flagellaten verspreche ich mir manchen Einblick in die Stoffwechsel- vorgänge bei den Protisten. Vorläufig ist aber schon eine recht interessante Tatsache festgestellt. Wir haben in diesen Zucker- flagellaten eine neue ernährungsbiologische Gruppe von Organismen kennen gelernt. Bisher war diese Form der Ernährung übersehen worden. Es handelt sich um eine saprosmische Ernäh- rung, die unabhängig von organischen stickstoffhaltigen Substanzen ist. Sie ist dagegen abhängig von dem Vorhandensein gelösten Zuckers in freier Natur. Auf dessen Vorkommen hatte man unter den Biologen bisher wenig geachtet. Außer Polytomella scheinen mir zu diesen Zuckerflagellaten noch einige andere Gattungen zu gehören, welche Stärke produzieren. Ziemlich sicher glaube ich dies für Polytoma angeben zu können, welche sehr häufig als zufällige Begleiterscheinung in meinen Kulturen unter denselben Bedingungen wie Polytomella gedieh. Möglicherweise gehört auch Chilomonas nebst einigen anderen Formen in diese ernährungsbiologische Gruppe. Wir können die Gruppe der Zuckerflagellaten als Orga- nismen mit rudimentärem Stoffwechsel bezeichnen. Mit dem Ver- lust der grünen Chromatophoren haben diese Formen die Fähigkeit zum Aufbau organischer Substanzen aus anorganischem Material verloren. Sie haben aber von einer bestimmten Stelle an den Weg des Aufbaues, welcher ihren pflanzlichen Vorfahren eigentüm- lich war, beibehalten. Sie sind imstande, sich mit Zucker in der- selben Weise zu ernähren, wie es schon längst für grüne Algen beim Aufenthalt im Dunkeln nachgewiesen ist. Wie jene durch die Ausschaltung des Lichtes auf den ersten Teil der Synthese ver- zıchten müssen, so die farblosen Flagellaten infolge des Verlustes der Chromatophoren. Dieser Mangel verhindert sie auch im Licht an den ersten Schritten der Synthese. Im übrigen scheint aber ıhr Stoffwechsel vollkommen in den Bahnen geblieben zu sein, welche für die grünen Vorfahren dieser farblosen Zuckerflagellaten charak- teristisch waren. Wie diese Flagellaten chromatophorenlos geworden sind, das ist ein besonderes Problem. Wie das vor sich gegangen sein mag, darauf weisen die vorhin schon erwähnten Untersuchungen von Klebs, Zumstein und Ternetz an Euglenen, und meine eigenen Erfahrungen an Chrysomonadinen hin. 448 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. Die Wachstumsordnung der Axolotl-Haut. Von V. Haecker, (Halle a. S.) I. Unter entwicklungsgeschichtlicher Eigenschafts- oder Rassen- analyse (Phänogenetik) verstehe ich die morphogenetische und entwicklungsphysiologische Untersuchung der Außeneigenschaften und ihre Zurückverfolgung bis auf möglichst frühe Entwicklungs- stadien!).. Rassen- und vererbungsgeschichtlicher Hauptzweck dieser Forschungsrichtung ist es, die Unterschiede der fertigen Rasser- und Arteigenschaften auf Unterschiede in der Beschaffen- heit des jungen Keimes und womöglich der Keimzellen selbst zurück- zuführen und auf diese Weise die Kenntnis von der Natur der „Anlagen“ (Erbeinheiten, Determinanten, Faktoren, Gene) soweit zu fördern, dass man bei der Deutung der kreuzungsanalytischen Ergebnisse statt mit fingierten Einheiten mit wirklichen, morpho- logisch und physiologisch fassbaren Verhältnissen und Werten zu arbeiten im Stande ist. Dass die Methode der rückläufigen Eigenschaftsuntersuchung im Prinzipe einwandfrei ist, und dass ın einzelnen Fällen das End- ziel bereits in schärferen Umrissen hervortritt, habe ich schon früher ausgeführt. Sehr weit sind wir, vor allem durch Willstätter’s Untersuchungen, insbesondere in der chemischen Differenzierung der Blütenfarbstoffe gekommen, so dass die Möglichkeit näher gerückt ist, die Unterschiede der Blütenfärbung auf Verschieden- heiten im allgemeinen Chemismus des Protoplasmas zurückzuführen. Man wird erwarten dürfen, dass auch die Rassen- und Artunter- schiede in der tierischen Färbung, soweit sie auf einer quantitativ und qualitativ verschiedenen Ausbildung der Melanine, Melano- proteide und Lipochrome beruhen, mit Abänderungen im allge- meinen Chemismus des Artplasmas in Verbindung gebracht und also auf chemisch-physiologisch bestimmbare „Anlagen“ bezogen werden können. Einer andern Gruppe von Außeneigenschaften gehört die Zeichnung der Tiere, besonders der Wirbeltiere, an. Es sind bereits verschiedene Versuche gemacht worden, um die spezifischen Zeichnungsmuster entwicklungsgeschichtlich zu erklären. So hat Zenneck die primitive Zeichnung der Schlangen mit dem Verlauf embryonaler Hautvenen, van Rynberk die Querstreifung der Säuger, vor allem der Tigerpferde, mit den Ausbreitungsgebieten der segmental angeordneten Hautnerven, Toldt jun. die Längs- 1) Verh. Dtsch. Zool. Ges. 1912; Zeitschr. Ind. Abst., 8, 1912, S. 36; 14, 1915, S. 260. Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 449 streifen der Katze mit der reihenförmigen Stellung der „Leithaare“ in Verbindung gebracht. Aber wenn auch zweifellos in allen diesen Aufstellungen ein Teil der Wahrheit enthalten ist, so läßt sich doch leicht zeigen, dass keine eine Verallgemeinerung erlaubt, und dass sie, mit Aus- nahme vielleicht der letzten, nicht einmal auf den betreffenden speziellen Gebieten die Erscheinungen in restloser Weise ver- ständlich machen können. Da aber nicht anzunehmen ist, dass die Haupttypen der Wirbeltierzeichnung auf vollkommen verschiedenen entwicklungsgeschichtlichen Grundlagen beruhen, so ist nach einem allgemeineren Erklärungsprinzip zu suchen, und dieses sehe ich in der spezifischen Wachstumsordnung der Haut, speziell der Epidermis (ich wende statt des früher benützten Ausdrucks Wachstumsrhythmus die allgemeinere Bezeichnung Wachstums- ordnung an). Zahlreiche Tatsachen weisen nämlich darauf hin, dass die Bildung autochthonen Epidermispigments und die Anhäufung und Vermehrung der Pigmentzellen des Koriums vor allem an Stellen besonders energischer Teilungs- und Differenzierungstätigkeit stattfindet. Wenn es nun möglich wäre, in der Haut tatsächlich eine ganz bestimmte Wachstumsordnung und demgemäß Abschnitte mit intensiverer und solche mit geringerer Wachstumstätigkeit nachzuweisen, so würde sich ohne weiteres die Entstehung be- sonders der rhythmischen Zeichnungsmuster erklären. Indem ich bezüglich der allgemeinen Begründung dieser Zu- sammenhänge auf eine frühere Mitteilung?), sowie auf die ausführ- liche Darstellung, welche an anderer Stelle erscheinen wird, ver- weise, möchte ich hier zeigen, dass die Haut speziell des Axolotls (Amblystoma) tatsächlich eine bestimmte Teilungs- und Wachs- tumsordnung aufweist und dass bestimmte Zeichnungsmuster damit in Zusammenhang gebracht werden können. 1. Die Axolotl sind wegen der großen Zellen und Kerne für ent- wicklungsgeschichtliche Untersuchungen dieser Art besonders geeignet und sie gewähren andrerseits die Möglichkeit, sehr ver- schiedene Färbungs- und Zeichnungsformen — Melanismus, me- tameroide Scheckung, Akromelanismus, primäre Streifung, diffuse Färbung — mit einander zu vergleichen. Speziell bei schlüpfreifen Embryonen und frischgeschlüpften Larven ist die normale Zeichnung eine „metameroide“, d. h. von der Körpersegmentierung unab- hängige Querbänderung, und zwar sind die Jungen der me- lanistischen Rasse schwarz und grünlich gebändert, ähnlich etwa unserem Flussbarsch, während die weißen Larven an Stelle der 2) 1915, S. 268 ff. XXXVI. 99 450 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. dunklen Binden eine Reihe ziemlich scharf umgrenzter, an der Basıs der Rückenflosse gelegener Punktflecken aufweisen’). Ich untersuchte zunächst, ob in diesen frühen Stadien die Epidermis Stellen besonders intensiver Teilungstätigkeit aufweist, ob diese Stellen eine regelmäßige Anordnung zeigen und etwa den Gebieten stärkerer Pigmentierung und Pigmentzellenbildung ent- sprechen ). vorn Die erste Frage konnte bejaht werden, denn bei mehreren Individuen ließ sich zeigen, dass Kernteilungsfiguren natürlich überall ın der Haut vorkommen, dass aber ın unverkennbarer Weise Nester mit stark gehäuften Mitosen mit Stellen, welche verhältnismäßig 3) Näheres bei F. Pernitzsch, Arch. mikr. An., 82, 1913, S. 155. 4) Die ersten Präparate hat Frl. L. von Mirbach angefertigt. Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 451 arm an Teilungsfiguren sind, abwechseln. Im Allgemeinen sind die Stellen regster Teilungstätigkeit gürtelartig von der Dorsal- zur Ventralseite ausgebreitet und die Breite der Gürtel, sowie ihr gegenseitiger Abstand entsprechen ungefähr der Breite der dunklen Bänder und der hellen Zwischenbinden bei den schwarzen, be- ziehungsweise den Punktflecken und deren Zwischenräumen bei den weißen Larven. So erstreckt sich in Fig. 1, welche den vorderen Rumpfabschnitt einer weißen Larve darstellt, die erste hinter den vorderen Extremitäten gelegene und ebenso die zweite Haupt- teilungszone je auf etwa drei Rumpfsegmente (J— III bezw. V—VIT), während der dazwischen gelegene mitosenarme Strich nur ein Segment (IV) umfaßt. Es entsprechen jene Strecken vollkommen den dichteren Anhäufungen der in der Basis der Rückenflosse ge- legenen Pigmentzellengruppen (Px). Auffallend ist, dass bei einzelnen Individuen ganz überwiegend Aster (Fig. 1, a), sowie die unmittelbar vorhergehenden, bei Urodelen so häufigen Zwischenstadien oder „Übergangsfiguren“ (x)®) gefunden wurden. Bei andern Exemplaren treten die Aster zurück, während die Knäuel, Zwischenstadien, besonders aber die Dyaster und Dispireme häufiger sind. Ich kann diese Verhältnisse nur so erklären, dass ım allgemeinen eine 'Synchronie der Teilungen besteht, so dass bald das länger dauernde Asterstadium, bald die Endstadien der Teilung, sowie die unmittelbar daran sich anschließenden Prophasen des nächstfolgenden Teilungsschrittes angetroffen werden, Verhältnisse, die mich sehr an den Teilungsrythmus des Oyclops-Embryos er- innern.‘°) Im Schwanze der weißen Larven sind die korialen Pigment- zellen in geringerer Zahl vorhanden und außerdem gleichmäßiger verteilt, so dass die metameroide Zeichnung weniger deutlich als am Rumpfe hervortritt. Doch gewann ich den Eindruck, dass die pigmentierten Epidermiszellen an einigen Stellen (Fig. 2, oben und unten) dichter, an anderen (Fig. 2, Mitte) merklich weniger dicht sind und dass die Zahl der Mitosen dementsprechend wechselt (in der Fig. 2 sind die pigmentierten Epidermiszellen durch Kreise angegeben, die Hautsinnesorgane schraffiert gezeichnet). Dass die Teilungshäufigkeit und ihr Zusammenhang mit der Pigmentierung auch zahlenmäßig dargestellt werden kann, soll die folgende Tabelle zeigen, welche für das in Fig. 1 abgebildete Hauptstück die zwischen den Seitenlinien?), sowie die innerhalb der Pigmentzellenzone gelegenen Mitosen und Pigmentzellen angibt. Die Aster und Zwischenstadien der Epidermis, diejenigen der Bindegewebszellen (b), der Blutgefäße (bi), Nerven (rn) und Sinnesorgane sind dabei besonders gezählt. Jedoch sind nur die auf die Epidermis selbst bezüglichen Zahlen als vollständig 5) Haecker, Praxis und Theorie der Zellen- und Befruchtungslehre. Jena 1899, 8. 50. 6) Die Keimbahn von COyclops. Arch. mikr. An., 49, 1897. ‘) v.S1., Hsl., d. S!., ventrale, Haupt- und dorsale Seitenlinie. 29* 459 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. anzusehen, da die subepidermalen Gewebe, einschließlich der Nerven, nur zum Teil an der abpräparierten Hautlamelle hängen geblieben sind. Dasselbe gilt auch für die Pigmentzellen in der Basis der Rückenflosse. Die gerade auf einer Segment- grenze gelegenen Mitosen wurden jeweils dem hinteren Segmente zugeschrieben. Fig. 2. Aus der Tabelle geht hervor, daß in dem einer hellen Querbinde entsprechenden vierten (postbrachialen) Segment die Zahl der epidermalen Mitosen um mehr als die Hälfte geringer ist, als ihre durchschnittliche Zahl in den stärker pigmentierten Segmenten. | Nerven (nr) Bind b Blut und Segment Epidermis | und Sinnes- |" Erg © Blutgefäße organe ) (bl) pigment- j . 2 ; cs Bi : II ( — 1 = zellenreich | II 13 1 urn k® pigmen t- IV | A 3 $) Br zellenarm | t f V 9 1 2 — pigment- )J| r | 7 Be VI ( a 1 _ zellenreich l VII 8) 10 >) (9) 9) S) In der Figur unvollständig gezeichnet. Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 453 Bei den Altembryonen und Larven der schwarzen Rasse liegen die Verhältnisse weniger günstig. Hier kommen auch an den hellen Stellen die korialen und epidermalen Pigmentzellen, sowie die pigmentierten Epidermiszellen, welche nach meinen Beobachtungen bei der dunklen Rasse mindestens zum Teil die Frühstadien der epidermalen Pigmentzellen darstellen®), in sehr großer Zahl vor. Infolgedessen sind genauere Zählungen der Pigmentzellen sehr schwer auszuführen und vollends im mikroskopischen Bild ver- wischen sich die Dichtigkeitsunterschiede vollkommen. Andrerseits sind auch die Mitosen, weil vielfach verdeckt durch die Pigment- zellen, schwer zählbar, so dass mir bisher ein Vergleich der gegen- seitigen Häufigkeitsverhältnisse nicht möglich war. Zum Teil an den gleichen Individuen war Fig. 3. auch festzustellen, dass, abgesehen von diesen Gürteln, Zellteilungen besonders reichlich längs der Seiten- linien, von welchen in diesen Stadien drei Paare vorhanden sind, auftreten und zwar nicht bloß ın den Seitenorganen selbst, sondern besonders auclı in ihrer nächsten Um- gebung und zwischen ihnen. So gibt die Fig. 3 ein symmetrisch zur ventralen Seitenlinie gelegenes (an einer Ecke nicht ganz vollständiges) Hautstück wieder, in welchem durch punktierte Linien drei gleich breite Streifen abgegrenzt sind. Während nun der mittlere, die Seitenlinien umfassende Streif 11 Teilungs- figuren aufweist, finden sich in den beiden äußeren Zonen nur 4, bezw. 5. Auch hier treten Beziehungen zwischen Teilungsintensität und Pigmentierung hervor. Allerdings sind bei den unter normalen Bedingungen lebenden weißen und schwarzen Larven die Seiten- linien kaum stärker pigmentiert als der übrige Körper, dagegen bildet sich bei den in vollkommener Dunkelheit gezogenen „Streifen- schecken“ !") dadurch, dass sich die Pıgmentzellen auf die Umgebung der Hautsinnesorgane konzentrieren, wenigstens am Kopfe eine Zeichnung aus, die wohl ohne weiteres mit der primären Längs- 9) Genauere Untersuchungen sind im Gange. Vgl. auch Schapitz, Arch. mikr. An., 79, 1912, S257f. 10) 1915, S. 279. Diese Tiere sind von E. Keitel gezogen worden. AD Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeicehnung. streifung anderer Wirbeltiere vergleichbar ıst (Fig. 4). Auch ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass bei frischgeschlüpften weißen Larven die ganz jungen, in lebhafter Teilungstätigkeit be- findlichen Seitenorgane an ihrer Außenfläche regelmäßig einige gröbere, unregelmäßige Pigmentbrocken erkennen lassen (Fig. 5). Fig. 4. Bei Individuen mit wenig Teilungsfiguren sind natürlich alle diese Verhältnisse nicht wahrnehmbar, aber bei solchen, welche eine lebhafte Teilungstätigkeit aufweisen, handelt es sich um Gegensätze, welche ohne Mühe er- kannt werden. Ich bin auch überzeugt, dass durch bestimmte Fütterungsmethoden, ähnlich wie bei den Larven von Salamandra maeu- losa!‘), die Zahl der Mitosen wesentlich ge- steigert werden kann und dass dann ihre zonenweise Anordnung und ihr Zusammen- hang mit dem Zeichnungsmuster überall in sofort überzeugender Weise zu Tage treten würde. IM Bei der Untersuchung der Verteilungsverhältnisse der Mitosen stellte sich für die genannten Entwicklungsstadien ein bemerkens- wertes Nebenergebnis heraus: Die Epidermiszellen sind, bei den einen Individuen in deutlicherer Weise und an zahlreicheren Stellen, bei andern in geringerem Grade, ın Reihen angeordnet, und zwar derart, dass bei Oberflächenansicht die Kerne der oberen und unteren Schi°ht in sehr regelmäßiger Weise alternieren und sich mit ıhren Rändern bedecken. An bestimmten Stellen des Körpers haben diese Reihen einen annähernd parallel gerichteten Verlauf, so dass Zellströme oder Zellkolonnen entstehen. Diese Stellen sind die Mitte des Rückens, besonders vor und neben dem Vorder- ende des Flossensaums, sowie die zwischen je zwei Sinnesorganen gelegenen Zwischenstrecken der Seitenlinien. Von diesen Leit- linien strahlen andere Reihen in Form von symmetrisch ange- ordneten Zellsträußen oder mehr unregelmäßigen Zellbüscheln in die zwischen den Leitlinien gelegenen Felder aus. 11) Praxis und Theorie, S. 48. Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 455 So zeigt die Fig. 6, wie bei einem schlüpfreifen Embryo auf der letzten Strecke der über die Knickungsstellen der Myomeren weglaufenden Hauptseitenlinie die Zellen zwischen den Seiten- organen (sg) kolonnenartig angeordnet sind und wie von dieser Leitlinie andere Reihen gegen die Bauchseite auslaufen. In beiden Systemen alternieren in regelmäßiger Weise die Zellen der unteren und oberen Epidermisschicht (die Kerne der ersteren sind in Fig. 6. der Figur mit dickem, die der letzteren mit zartem Kontur dar- gestellt; die Schraffierung deutet den Färbungsgrad des Karyo- plasmas an)'!?). In der Figur 7 sind die im Schwanzende gelegenen, letzten Sinnesorgane der dorsalen Seitenlinie wiedergegeben. Hier zeigt die Leitlinie nicht den Charakter einer wohl abgegrenzten, längs- gerichteten Zellenkolonne, sei es dass die bestimmte Anordnung noch nicht, oder dass sie, im Zusammenhang mit den eben ab- gelaufenen lebhaften Zellteilungsprozessen, noch nicht wieder hergestellt ist. Dagegen erkennt man sehr deutlich die Seiten- sprosse, welche in Form symmetrischer Zellsträuße nach oben und 12) Die Fig. 6 stellt den durch gestrichelte Linien umgrenzten (um einen rechten Winkel gedrehten) Ausschnitt der Fig. 2 dar, 456 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. unten und zwar in der Hauptsache nach hinten zu ausstrahlen und den Eindruck einer in lebhaftem Fluss befindlichen Zellmasse machen. Stoßen die seitlich abgehenden Reihen auf Widerstände in Gestalt früher gebildeter Zellhorste, wie es z. B. die „pigmentierten Epidermiszellen“ mit ihren Hüllzellen sind (Fig. 6, p’. E.), so kommen Ausbiegungen von geschlängeltem Verlauf oder auch wirbelförmige Einrollungen zu Stande. Solche ausschließlich durch Gegendruck erzeugte Wirbel, die ich als Einrollungs- oder Involutions- wirbel den ım Umkreis der Seitenorgane auftretenden, in erster Linie durch den eigenen, spiraligen Teilungsmodus bedingten Aus- dehnungs- oder Evolutionswirbeln (Fig. 5, 6, 10) gegenüber- stellen möchte, kommen auch in der Weise zu Stande, dass die von zwei Leitlinien ausgehenden Zellreihen einander im Zwischen- felde treffen. Dies ist besonders im dorsalen und ventralen Schwanz- flossensaum älterer Embryonen der Fall (Fig. 5), wo ungefähr ın der Mitte zwischen dem Flossenrand und der im hinteren Schwanz- abschnitt allein entwickelten dorsalen Seitenlinie ein Wirbel neben dem andern gelegen ist. Diese Wirbel entstehen dadurch, dass die vom dorsalen oder ventralen Flossenrande (Fr) abgehenden Zell- reihen denjenigen begegnen, welche von der Seitenlinie ausstrahlen. Da bei älteren Embryonen in der wachsenden Schwanzspitze die Kerne so weit auseinanderliegen, dass die in einer Reihe auf- einanderfolgenden oberen und unteren Kerne nicht mit ihren Rändern übereinandergreifen, so sind die Zusammenhänge nicht an allen Punkten mit vollkommener Sicherheit festzustellen, doch kann be- züglich der allgemeinen Verhältnisse, welche im übrigen ım mikroskopischen Bild viel deutlicher in die Augen springen, als in der Kamerazeichnung, kein Zweifel bestehen. So ıst in Fig. 8 bezüglich des durch die Spirallinie gekennzeichneten Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 457 Wirbels W ein Irrtum ausgeschlossen, da sich der regelmäßige Wechsel der oberen und unteren Kerne trotz des geringen Niveau- unterschiedes der beiden Schichten mit Sicherheit nachweisen lässt. Weniger durchsichtig liegen die Verhältnisse beim Wirbel W', doch tritt bei mittlerer Vergrößerung auch hier die Spiralform aufs deut- lichste hervor. Nicht selten entstehen auch beim Zusammentreffen zweier Zell- reihen verschiedenen Ursprungs Doppelwirbel, welche dann mit Ihren zwei, von verschiedenen Leitlinien stammenden und in- ADS Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. einandergreifenden Spiralen an die bekannten photographischen Bilder gewisser Nebelflecke erinnern (Fig. 9). Auch diese Vor- kommnisse sind auf den Druck und Gegendruck zweier entgegen- gesetzt gerichteter Zellenströme zurückzuführen, und speziell in dem in Fig. 9 abgebildeten Fall spielt beim Zustandekommen des Doppel- wirbels offenbar auch die im Zentrum gelegene pigmentierte Epi- dermiszelle eine Rolle. Bei älteren, aber noch großkernigen Embryonen kann weder über die Existenz der Zellströme, Zellbüschel und Zellwirbel, noch darüber ein Zweifel bestehen, welche Zellen einer bestimmten Reihe angehören. Das regelmäßige Alternieren und Übereinandergreifen der Kerne der beiden Schichten, der gleichmäßige Habitus, den die Kerne dieser Reihen gegenüber den außerhalb stehenden Zellen (pigmentierte Epidermiszellen samt Hüllzellen, Ley dig’sche Zellen) aufweisen, sowie die zahlreichen jüngeren und älteren Telophasen, deren Achse im allgemeinen mit derjenigen der Zellreihen zusammen- fällt, lassen den Zug der einzelnen Zellreihen deutlich hervortreten. Schwierigkeiten für die Beurteilung können vor allem dadurch ent- stehen, dass in den Anfangsabschnitten der Zellströme und Zell- büschel die Kerne benachbarter Reihen vielfach in gleicher Höhe liegen und so den Anschein erwecken, als ob die Zellreihen von einem zweiten System orthogonaler Trajektorien durchkreuzt werden und als ob diese beiden Systeme, ähnlich den Periklinen und Antıi- klinen in den Vegetationspunkten der Pflanzen, durch den Wechsel zweier aufeinander senkrechter Teilungsrichtungen entstehen (z. B. Fig. 8, rechts). Eine genauere Analyse zeigt aber, dass, abgesehen von den gleich zu besprechenden Gabelpunkten, innerhalb der Zellreihen die Teilungen zunächst nur nach einer Rich- tung hin stattfinden und dass die Zellreihen daher auf große Strecken hin vollständig selbständig gegenüber ihren Nachbarn sind. Unsicherheiten können auch dadurch entstehen, dass die Zellreihen gelegentlich Gabelungen aufweisen, dass aber natürlich solche Gabelungen nur dann unzweifelhaft als solche festgestellt werden können, wenn sie sich in statu nascendi befinden. Einen solchen Fall zeigt die Fig. 10, welche ein Seitenorgan der dorsalen Reihe und einige sich anschließende, nach hinten laufende Zellreihen dar- stellt!?. Man sieht bei b ein der oberen Schicht zugehöriges Dıi- spirem aus der Linie des Zellenzuges a be herausfallen, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass es zusammen mit dem angrenzen- den, ganz jungen Tochterkernpaar der unteren Schicht die erste Anlage eines Seitenzweiges des Zellenzuges abe bildet. Auch noch während der weiteren Entwicklung eines Seiten- sprosses können an der Gabelungsstelle vom Mutterspross Zellen 13) Hier sind, im Gegensatz zu den meisten anderen Figuren, die Kerne der oberen Schicht mit stärkerem Kontur gezeichnet. Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 45) abgegeben werden. So möchte ich glauben, dass in Fig. 10 von den beiden Kernen des Dispirems e der eine dem Mutterspross def... verbleiben wird, während der andere in den kurzen Seitenspross ey abgeschoben wird. r Überhaupt sind die Teilungsvorgänge am zahlreichsten in den Wurzelstücken der Zellenreihen zu beobachten, was mit der oben (S. 451) verzeichneten Wahrnehmung übereinstimmt, dass in der Nähe der Seitenlinien besonders viele Mitosen gefunden werden. Doch kommen auch auf anderen Strecken der Zellreihen Teilungen Fig. 10. > DEREN r ODE a © | er; ne S aut! Or U vor und man kann dann zuweilen in beiden Zellen eines Paares Mitosen finden, die ungefähr die gleiche Phase aufweisen. So zeigt in Fig. 10 bei e die untere Zelle einen Aster, die obere das ver- hältnismäßig seltene Stadıum der Metakinese. Ob sich ın dem Auf- treten der Mitosen innerhalb der Zellenreihen ein bestimmter Rhyth- mus geltend macht, habe ich bisher noch nicht mit Sicherheit ermitteln können. Wichtig ist noch die Frage nach dem Verhalten der Zellreihen gegenüber den Segmentgrenzen. Es ist hier zu sagen, dass, ebenso wie die Seitenorgane in ihrer Anordnung — vielleicht sekundär — eine ziemlich weitgehende Autonomie gegenüber der segmentalen Gliederung zeigen, auch die von den Zwischenstrecken der Seiten- linien ausgehenden Zellreihen, was ihre Verlaufsrichtung und Aus- dehnung anbelangt, unabhängig von den Segmentgrenzen sind. Bei- 460 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. spielsweise ließ sich in dem in Fig. 11 wiedergegebenen Fall in unzweifelhafter Weise feststellen, dass die von der Hauptseiten- linie nach hinten abgehende Zellreihe abe über die durch das Blütgefäß bl und die |Myoseptenzellen mij ge: kennzeichnete Segment: grenze unbekümmert hin- wegzieht, und ferner, dass die Zellreihe def, deren Anfang nicht mehr mit voller Sicherheit nach- zuweisen ist, nach dem ersten Überschreiten der Segmentgrenze aufs neue gegen diese zurückbiegt und sie vielleicht sogar noch ein zweites Mal (bei f) überschreitet. Schon um die Zeit des Ausschlüpfens wer- den mit zunehmender Zellenzahl die Reihen des Rückens und der Seiten undeutlicher, nach- dem schon einige Zeit vorher an der ganzen Bauchseite alle Spuren einer Regelmäßigkeit ver- schwunden waren. Ob bei diesen Veränderungen außer der zunehmenden Ineinanderschiebung, Schlängelung und Ein- rollung der Reihen auch ein Wechsel der Teilungsrichtung und eine häufigere Bildung von Seitensprossen eine Rolle spielt, ist wohl schwer zu entscheiden. Fig. ir. IV. Nachdem es sıch herausgestellt hatte, dass die Reihen besonders deutlich bei älteren Embryonen sind und um die Zeit des Aus- schlüpfens allmählich verwischt werden, erhob sich die Frage nach ihrem Verhalten ın jüngeren Stadien. Leider ist es ın diesen nicht möglich, an Flemming- und Zenker-Material die Epidermis als Ganzes abzuziehen und auf diese Weise eine Übersicht über größere Flächen der Haut zu gewinnen, vielmehr lassen sich wegen der Brüchigkeit des Materials nur kleinere Hautfetzen abtrennen, und es müssen, um über die Zusammenhänge Klarheit zu schaffen, Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 461 die ganzen Embryonen bei abgeblendetem Lichte in Oberflächen- ansicht untersucht werden. Man darf aber dabei nicht versäumen, die einzelnen Stellen, unter Fixierung des Embryos zwischen den Enden zweier Glasleisten und unter mehrfacher Veränderung seiner Lage gegenüber der Lichtquelle, bei möglichst verschieden ge- richteter Beleuchtung zu untersuchen, da bei einseitiger Betrachtung leicht Täuschungen und Unsicherheiten entstehen. Bei weißem Wolkenlicht und bei Anwendung schwächerer Vergrößerungen (Ob- jektiv A von Zeiß) wurden sehr schöne und unzweideutige Bilder erlangt, dagegen war es mir bei diesem Objekte nicht möglich, mit Hilfe des Vertikalilluminators von Nachet-Zeiß wesentliche Ver- besserungen zu erzielen, da die eigentlichen Voraussetzungen für dessen Gebrauch — vollkommene Undurchsichtigkeit oder voll- kommene Durchsichtigkeit des Objektes — nicht gegeben sind. In sehr frühen Entwicklungsperioden, speziell in den van Bam- beke’schen Stadien VII und VIII), während welcher sich die Medullarwülste allmählich zusammenschließen und der Embryo lang- sam um seine Längsachse rotiert!’), habe ich noch keine Regel- mäßigkeiten in der Anordnung der Zellen wahrnehmen können. Dagegen habe ich sehr deutliche Reihen im Stadium IX gefunden, in welchem der Zusammenschluss der Medullarwülste beendet, die Scheitelkrümmung bereits deutlich erkennbar und eine Anzahl von Ursegmenten gebildet ist. Es ıst dies das Stadium, bis zu welchem nach Scott und Osborne!) keinerlei Wachstumsvorgänge, sondern nur Formveränderungen durch Verlängerung und Abplattung des Embryos festgestellt werden können. Namentlich bei schräger Ventralansicht des Vorderkopfes sieht man schon in den frühen Phasen dieses Stadiums (Fig. 12) zu beiden Seiten des von der Bildung des Neuralrohrs übrig gebliebenen, flachen Längswulstes leicht geschwungene Querreihen ausgehen. In einer wenig späteren, zum nämlichen Entwicklungsstadium gehörigen Phase (Fig. 13), ın welcher bereits die von van Bambeke!”) beschriebene leichte Seitenkrümmung des Kopfabschnittes und außerdem die Abgrenzung von Telencephalon und Diencephalon in Form einer seichten Ein- senkung wahrnehmbar ıst!”), sah ich die Querreihen in besonders deutlicher Weise an der Grenze der beiden genannten Hirnteile ausstrahlen, so dass eine deutliche Sternfigur zustande kommt. 14) Arch. Biol., Bd. 1, 1880. 15) Beim mexikanischen Axolotl zuerst von Joly (C.-r. Ac. sci. Paris, Bd. 70, 1870) und bei Amblystoma punetatum von Clarke (Stud. Biol. Labor. John Hopk. Univ., Bd. 2, 1880) beobachtet (vgl. auch van Bambeke, l. e., S. 325). Ich will diese Rotation nicht unerwähnt lassen, da ich es für möglich halten möchte, dass sie eine gleichmäßige Belichtung des Embryos während dieser Stadien zum Zweck hat und also irgendwie mit den Pigmentbildungsprozessen im Zusammenhang steht, 16), Quart. J.. mier. Sei., Bd. 76, 1879. Ball. ca30..329. 462 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. Auch auf dem Rücken treten in dieser Phase kürzere, ım all- gemeinen senkrecht von der Mittellinie abgehende Querreihen auf, dagegen sind Längskolonnen weder in der Mittellinie des Rückens, noch an der Stelle der späteren Seitenlinien nachzuweisen. Fig. 12. Fig. 13. Es wäre aber voreilig, wenn man aus diesen Befunden schließen wollte, dass die Entstehung und Anordnung der Zellreihen in irgend einer Weise mit der Bildung des Neuralrohrs näher zusammen- hängt. Vielmehr habe ich in diesem Stadium auch innerhalb des großkernigen Feldes, welches die Unterseite der späteren Mandibular-, Hyoid- und Kiemenregion umfasst und nach hinten sehr scharf gegen die von kleinen, unregelmäßigen Kernen bedeckte Bauch- region abgegrenzt ist, schon in früheren Phasen des Stadiums IX Fig. 14. Fig. 15. 0090009 5090000 o° 00000 0.0 oo 000000, 09 0%0, °%o SR 05 ° sehr ausgeprägte Querreihen gefunden, die von einem mittleren, aus unregelmäßig angeordneten Zellen bestehenden Längsstreifen ausstrahlen (Fig. 14). Um zu zeigen, dass es sich hier um Regel- mäßigkeiten handelt, gebe ich von der gleichen Phase ein zweites Bild (Fig. 15), welches die nämliche Anordnung, wenn auch in Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 463 “weniger ausgeprägtem Grade, aufweist. Bemerkenswert ist hier auch die Ansammlung von pigmentierten Epidermiszellen in der Mitte des Feldes. Es ergibt sich also, dass der von der Medianebene durch- schnittene Meridian offenbar die erste deutlich erkennbare Leitlinie für die Bildung von Zellreihen ist. Erinnert man sich nun daran, dass wenigstens beim Wasserfrosch die Median- ebene des Embryos im typischen Fall der ersten Furchungsebene entspricht und dass möglicherweise dieselbe Beziehung, trotz einiger entgegenstehender Funde, auch für die Urodelen gilt!®), so darf man vielleicht den meristematischen oder teloblastischen Charakter der in der Leitlinie gelegenen Zellen, wie er in ihrer hohen Repro- duktionsfähigkeit zum Ausdruck kommt, mit einer besonderen, während und nach der ersten Furchung entstehenden Verteilung des Eiplasmas in ursächlichen Zusammenhang bringen. Fig. 16. Ahnliche Verhältnisse findet man auch in den unmittelbar folgenden Stadien wieder. So zeigt die Fig. 16 bei schräger Rücken- ansicht einen Embryo des Stadiums XI, der zu beiden Seiten der Mittellinie eine größere Anzahl querverlaufender oder leicht ge- schwungener Querreihen aufweist (auch hier sind, wie in allen anderen Figuren nur die unzweifelhaften, bei jeder erneuten Prüfung ohne weiteres wieder zu erkennenden Kernreihen einge- tragen). Schon in diesem Stadium ist es aber nicht ganz sicher, ob alle diese Reihen ausnahmslos von der Mittellinie des Rückens (km) ausgehen, und ob nicht einige von ihnen der Hauptseiten- linie (Hs) entstammen, welche, wie man besonders bei Seitenlage des Embryos deutlich sehen kann, zunächst im Armknospen- (Ak) und in den nächstfolgenden Segmenten durch einen längsgerichteten, ein- bis zweifachen Zellstrang angedeutet ist. Unterhalb dieser 18) ©. Herbst, Art.: Entwicklungsmechanik, in Handwörterb. Naturw., Bd. 3, 1912, S. 546. 464 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. Linie hat die Epidermis den vorhin erwähnten klein- und unregel- mäßıgkernigen Charakter. Im folgenden Stadium XIl, in welchem bereits die Kiemen als getrennte, knospenförmige Anlagen zu erkennen sind, treten die großkernigen Zellreihen auch an den Rumpfseiten auf und zwar gehen sie offenbar beiderseits von einer Längszone aus, welche der künftigen ventralen Seitenlinie entspricht (Fig. 17). Fig. 17. — “ o ö 9% o o y 8 °c6 8 ® °o ö eo oe: [3 ° so [2 o Dseo [0] Y [02 o2 oo & ° ° oo %0 o 8 ° G oo co rn ° 8 888° & ° Do © 8 % onco o 5 @ ° A Bao 9770: ‚Qio: 00% org ce S {e) ° 28% Ne c a = ° R wos % N N ° 0 AIUSD> In dieser Entwicklungsperiode fand ich, ebenso wie schon im vorhergehenden Stadium XI, sehr regelmäßig ausgeprägte Kernreihen, welche von einem medianen, an der nach vorn-unten gerichteten Kuppe des Vorderkopfes gelegenen Felde divergieren (Fig. 17). Weniger regelmäßig scheinen die Kernreihen an den Mandibular- bögen zu sein, doch sah ich wiederholt, dass sie sternförmig um die Kuppe jedes der beiden Mandibularwülste angeordnet waren. Fig. 18. In den folgenden Stadien XIII—-XV wachsen die Kiemen weiter aus und zeigen die ersten Andeutungen von Seitensprossen, während gleichzeitig am lebenden Objekt die Kiemenzirkulation wahrnehmbar wird. Um diese Zeit lassen die Kiemen in sehr deutlicher Weise periklinal verlaufende Kernreihen erkennen, welche an die Verhältnisse bei pflanzlichen Vegetationsspitzen erinnern (Fig. 18). Im Umkreis der zuerst als ganz flache Höcker erscheinenden Seitensprossen treten Unregelmäßigkeiten auf (Fig. 18, 3. Kieme), Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 465 doch erscheinen hier die Kerne nicht selten gleichzeitig radıär und konzentrisch angeordnet, so dass hier auch die Antiklinen der Vege- tationsspitzen eine Art Gegenstück finden. Verwickeltere Verhältnisse finden sich ım Stadium XVI, wo die zweizeilig angeordneten Zweige der Kiemenbäumchen hervor- wachsen, doch kann man auch hier wenigstens am Stamm der Kiemen deutliche Längsreihen erkennen. Mit den zuletzt beschriebenen Stadien ist der Anschluss an die Beobachtungen an schlupfreifen Embryonen (Stadium XVII) gewonnen. Es war mir allerdings bisher nicht möglich, in jenen früheren Entwicklungsperioden innerhalb der einzelnen Kernreihen die Teilungsrichtung der Mitosen und damit die genetische Zu- sammengehörigkeit aller Kerne einer Reihe endgültig festzustellen, aber es kann doch kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Kern- reihen dieser früheren Stadien (IX—XVI) die nämliche Herkunft und den nämlichen Gesamtcharakter besitzen, wie diejenigen der schlupfreifen Embryonen. Man wird also sagen dürfen, dass min- destens von den Stadien an, in welchen wirkliche Wachstums- vorgänge auftreten, das Wachstum durch Bildung interkalarer Zellreihen zustande kommt, welche von bestimmten Stellen größter Reproduktionsfähigkeit, von Leitlinien oder Scheitelpunkten, ihren Ausgang nehmen und sich zwischen die früher vorhandenen ektodermalen Elemente hereinschieben. Es liegt also eine Art von teloblastischem Wachstum vor und man wird in mancher Hinsicht an die bekannten Vorgänge im Keimstreif der Isopoden!?) erinnert, wo ebenfalls von einer Leitlinie, nämlich von der Reihe der ekto- dermalen Teloblasten aus regelmäßige Zellenreihen vorgeschoben werden. Der Unterschied besteht darin, dass in letzterem Fall die Bildung der Zellenreihen von hinten nach vorn erfolgt, und dass sie Hand in Hand mit entsprechenden Vorgängen im Mesoderm geht, während die Zellreihen der Axolotlepidermis im allgemeinen quer zur Körperachse vorwachsen und, wie das Überschreiten der Segmentgrenzen (Fig. 11) beweist, im allgemeinen eine autonome, von den Gliederungsprozessen des Mesenchyms unabhängige For- mation darstellen. V. Noch auf eine andere Art von Reihenstellung sei hier hinge- wiesen. Wiederholt ist im vorstehenden von älteren Zellen und Zellhorsten die Rede gewesen, an welchen sich die von den Leit- linien ausstrahlenden Zellreihen brechen oder vorbeischieben. Zu diesen Elementen gehören auch die mehrfach erwähnten, bereits in den Arbeiten meiner Schüler Schapitz und Pernitzsch be- sprochenen pigmentierten Epidermiszellen. 19) Vgl. Korschelt und Heider, Lehrb. vergl. Entw., Allg. T., S. 354 ff. XXXVI 30 466 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. Es war mir zuerst bei schlupfreifen Embryonen aufgefallen, dass diese Elemente besonders ın der Schwanzregion vielfach ın deutlichen Reihen angeordnet sind, welche im allgemeinen schräg gegen die Längsachse gerichtet sind. Solche Reihen sind z. B. im mittleren Abschnitt der Fig. 2 zu sehen, doch ist zu bemerken, dass bei schwächerer Vergrößerung, welche nur die größten und am stärksten pigmentierten Zellen dieser Art hervortreten lässt, die reihenförmige Anordnung viel deutlicher hervortritt als ın der Fig. 19. Kamerazeichnung, in welcher sämtliche pigmentierte Zellen in allen Abstufungen der Größe und des Pigmentgehaltes eingetragen sind. Ganz entsprechende Bilder finden sich auch bei jüngeren Stadien. So zeigt die Fig. 19 einen Hautfetzen, welcher von einem Embryo des Stadıums XI— XII gewonnen wurde und, soweit sich nachträg- lich feststellen heß, ein sattelförmiges Stück der Rückenhaut dar- stellt (die punktierte Linie gibt die Mitte des Rückens an). Hier ist die Anordnung vieler pigmentierter Epidermiszellen in schwach gebogenen, schräg zur Körperachse verlaufenden Reihen unver- kennbar, und zwar gilt dies in erster Linie für die typischen Zellformen, deren Plasma von einem dichten Gries aus unregel- Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 467 mäßigen Dotterpartikeln und dazwischen gelagerten Pigmentkörnchen erfüllt ıst (Fig. 19, a). Neben diesen typischen Elementen, den Dotter-Pigment- zellen, treten verschiedene Zellen auf, welche hinsichtlich ihrer Plasmaeinschlüsse durch alle Zwischenstufen mit den ersteren ver- bunden, von den (in der Figur nicht gezeichneten) gewöhnlichen Epidermiszellen aber durch ihre Größe und besonders durch ihren rundlichen, sehr scharfen Kontur in unzweifelhafter Weise unter- schieden sind. Die einen, welche zahlreiche, sehr große Dotter- kugeln fast ohne Beimengung von Pigment einschließen und mit Schapitz als embryonale Ektodermzellen oder kürzer als Dotterzellen bezeichnet werden können (Fig. 195) möchte ich als Vorstufen, die anderen, welche nur spärliche, von einer Pigment- körnchenhülle umgebene Dotterschollen enthalten und daher ım Präparat durch ihr blasses Aussehen auffallen (c) als Teilprodukte oder Endphasen der typischen Dotterpigmentzellen ansehen. In der Tat weisen zahlreiche Bilder darauf hin, dass diese blassen Zellen durch äquale oder differenzierende Teilungsakte aus anderen pigmentierten Epidermiszellen entstehen und dass ım Verlauf dieser Teilungen die Dotter- und Pigmentkörner allmählich aufgebraucht werden. Man findet nämlich nicht nur pigmentierte Epidermiszellen im Zustande der Mitose selbst, sondern auch blasse Zellen von flaschenförmiger Gestalt, welche paarweise zusammen- hängen und zweifellos eben erst durch die äquale Teilung einer pigmentierten Epidermiszelle entstanden sind (Fig. 19d). Dann und wann ist eine flaschenförmige blasse Zelle auf die nämliche Weise mit einer gewöhnlichen Epidermiszelle verbunden, was auf einen vorher abgelaufenen differentiellen Teilungsprozess hinweist (e). Durch differentielle Teilungen mögen auch solche blasse Zellen ent- standen sein, welche einer typischen Dotterpigmentzelle flach ange- lagert sind und bereits den Charakter von Hüllzellen haben (bei f). Während aiso auf der einen Seite die Auffassung wohlbegründet ist, dass, namentlich bei der weißen Rasse, viele pigmentierte Epidermiszellen, nachdem sie die Phasen der Dotterzelle und Dotter- pigmentzelle durchlaufen haben, unter Verbrauch ihrer Reserve- stoffe und unter einmaliger oder mehrfacher Teilung zu blassen Zellen und schließlich zu gewöhnlichen Epidermiszellen werden, habe ich, wie früher erwähnt, andererseits die Überzeugung ge- wonnen, dass, wenigstens bei der dunklen Rasse, ein Teil der pigmentierten Epidermiszellen sich zu epidermalen Pıigment- zellen umwandeln kann, die sich, wie zahlreiche Bilder beweisen, ihrerseits weiter teilen können. Im ganzen möchte ich annehmen, dass die unter der Bezeich- nung „pigmentierte Epidermiszellen“ zusammengefassten Zellformen (Dotterzellen, Dotterpigmentzellen, blasse Zellen) zurückgeblie- 30* 468 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. bene, in der Teilung verzögerte Ektodermzellen früher Entwicklungsstadien darstellen ?®°) und also in gewissem Sinne den Charakter von epidermalen Keimzellen haben, womit ja auch ihre, von Schapitz beschriebene äußere Ähnlichkeit mit den Ur- geschlechtszellen im Einklang steht. Ihre reihenförmige Anordnung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die einer früheren Periode der Keimblätterbildung oder Furchung angehörigen Mutterzellen, als deren unverbrauchter Rest oder Grundstock die pigmentierten Epidermiszellen zu be- trachten sind, ihrerseits eine regelmäßige, durch den Ablauf der Furchung bedingte geometrische Anordnung zeigen. Dass in späteren Stadien die Reihenstellung keine vollständige ist und dass sie über- haupt nach und nach an den meisten Körperstellen verschwindet, ist auf die Verschiebungen zurückzuführen, welche durch das Längen- wachstum des Embryos und die Formbildungsprozesse hervorgerufen werden. v1. Für unsere Hauptfrage nach den Zusammenhängen zwischen Hautwachstum und Zeichnung ist nun von besonderer Bedeutung der rhythmische Charakter, der in verschiedenen Phasen der Hautbildung zutage tritt. Es kommt hier erstens ın Betracht die reihenförmige Anordnung der pigmentierten Epidermis- zellen, wie sie besonders in höheren Stadien in deutlicher Weise erkennbar ist. Ein bestimmter Rhythmus macht sich ferner in dem Auftreten gürtelförmiger Zonen größter Teilungsintensität geltend, vor allem aber in der mehrfachen Wiederholung der längsgerichteten Leitlinien und in den aufeinanderfolgenden Teilungsprozessen der Leitlinienzellen, auf Grund deren die seit- lichen Zellsprosse schubweise auswachsen. Ob innerhalb dereinzelnen Zellreihen, die von den Leitlinien ausgehen, noch ein besonderer Teilungsrhythmus besteht, konnte ich bisher nicht mit Sicherheit entscheiden, ebenso war es mir noch nicht möglich, das bei der Bildung der Kiemen und anderer kegelförmiger Organanlagen stattfindende Scheitelwachstum ın zellgeschicht- licher Hinsicht genauer zu analysieren, aber auch hier wird man im gleichen Sinne, wie bei den von den Leitlinien ausgehenden Zell- sprossen, von einem rhythmischen Wachstum sprechen dürfen. Fast alle diese rhythmischen Erscheinungen stehen nun in deut- licher Beziehung zur Pigmentbildung oder zur Anordnung der korialen Pigmentzellen. 20) Schapitz vertrat die Auffassung, dass wenigstens die „embryonalen Ekto- dermzellen‘‘, also die hier ‚„‚Dotterzellen“ genannten Elemente, entweder aufgespartes, einstweilen inaktives Zellmaterial oder Zellen von bestimmter ernährungsphysio- logischer Bedeutung sind (l. e., S.56). Auch nimmt er eine Umwandlung der pig- mentierten Epidermiszellen zu Epidermispigmentzellen an (S. 57). Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 469 Die pigmentierten Epidermiszellen stellen bei Axolotl- embryonen mittleren Alters die Stellen stärkster ektodermaler Pigmentbildung dar und bilden so ein, wenn auch nur mikroskopisch wahrnehmbares, geometrisches Zeichnungsmuster. Beim Axolotl ist diese Zeichnung nur eine vorübergehende Erscheinung, aber viel- leicht ist es erlaubt, mit diesem Zeichnungsrudiment die regel- mäßige Fleckung oder Schachbrettzeichnung anderer Wirbel- tiere, insbesondere vieler Säuger, zu vergleichen und nach gemein- samen entwicklungsgeschichtlichen Ursachen zu suchen. In der Tat möchte ich glauben, dass beide Arten von Vor- kommnissen mit einem zeitweise bestehenden polyzentrischen Wachstum der Wirbeltierhaut zusammenhängen, und zwar mit einer besonderen Form dieses Wachstums, die ich als Schach- bretttypus bezeichnet habe?!). Bei diesem geht das zweiseitige Hautwachstum von Wachstumsfeldern aus, „die in Längs- und Querreihen angeordnet sind und auf Grund einer Differenzierung je einen Wachstumskern mit besonders intensiver Teilungsenergie im Zentrum und einen Wachstumsrand mit geringerer Energie aufweisen“. Im Einklang mit der allgemeinen Erfahrung, dass Stellen mit energischer Teilungs- und Differenzierungsenergie eine besonders starke Neigung zu Pigmentproduktion aufweisen, darf man in solchen Fällen den Wachstumskernen eine größere Potenz zur Pigmentbildung zuschreiben als den Wachstumsrändern, woraus sich eine schachbrettartige Anordnung der Zeichnung ohne weiteres ergeben würde. Speziell beim Axolotl wäre anzunehmen, dass in einem bestimmten sehr frühen Entwicklungsstadium sämtliche Ekto- dermzellen oder wenigstens ein größerer Teil von ihnen den Aus- gangspunkt für die Bildung je eines solchen Wachstumsfeldes dar- stellen, und dass innerhalb dieser Wachstumsfelder jeweils von einer Gruppe zentraler Zellen aus und auf Grund fortgesetzter, ın gewissem Sinne differentieller Teilungen die peripheren Elemente des Wachstumsrandes abgegliedert werden, so wie beim Axolotl von den Leitlinien aus die seitlichen Zellsprossen gebildet werden. Als der letzte Rest dieser Wachstumskerne würden die pigmen- tierten Epidermiszellen mit ihrer starken Neigung, die Reservestoffe in Pigment überzuführen, anzusehen sein, und durch ihre geome- trische Anordnung kommt das erwähnte Zeichnungsrudiment zu- stande. In ähnlicher Weise könnte man sich die Entstehung der Fleckzeichnung der Säuger vorstellen. Dass die metameroiden Querzonen stärkerer Teıilungs- intensität, wie sie bei schlupfreifen Axolotlembryonen vorkommen, mit den breiten Pigmentbanden der jungen Larven ın Zusammen- hang stehen, habe ich oben zu zeigen versucht, auch mögen ähn- 21) 1915, S. 268. +10 Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. liche Verhältnisse für viele Fische mit breiten dunklen Quer- binden (Perciden, Squamıpennes, Scomberiden u.a.) gelten. Inwieweit entwicklungsgeschichtliche Übereinstimmungen mit der schmalbän- derigen Querstreifung z. B. der Säuger bestehen, kann ich zurzeit nicht sagen, dagegen scheint es mir nahe zu liegen, die meta- meroide Scheckung der Säuger (Nager, Rinder u. a.) auf ähn- liche Ursachen wie die breitbindigen Muster der niederen Wirbel- tiere zurückzuführen. Dass die seitlichen Leitlinien und speziell die ihnen ein- gelagerten Sinnesorgane unter besonderen Verhältnissen den Sıtz stärkerer Pigmentbildung, bezw. einen Hauptanziehungsherd für die korıalen Pıgmentzellen bilden, ist oben unter Hinweis auf die Pig- mentierung Junger Sinnesorgane (Fig. 5) und auf die primäre Längs- streifung am Kopfe der „Streifenschecken“ (Fig. 4) gezeigt worden, Der nämliche Wachstumsrhythmus, der so beim Axolotl und wohl auch bei Fischen die Bildung dunkler Längslinien bedingt, mag auch noch bei Reptilien, Vögeln und Säugern, wenigstens andeutungs- weise, fortbestehen und auch hier die eigentliche Wurzel der viel- fach so zäh festgehaltenen pri- mären Längsstreifung bilden. Die genetische Unabhängigkeit, welche Allem nach die primäre Längsstreifung gegenüber dem breitbindigen Zeichnungsmuster be- sitzt, kommt auch darın zum Ausdruck, dass bei Kreuzung von Zahnkarpfen (Oyprinodontiden) im F,-Bastard beide Zeichnungs- formen übereinandergelagert sein können ??). Die Mittellinie des Rückens und des Bauches, von denen die erste beim Axolotl in ıhrem ganzen Verlauf, die letztere min- destens an der Unterseite des Kopfes (Fig. 14, 15) und bei älteren Embryonen am Schwanze als Leitlinie für Zellsprossen dient, ist bei unserem Objekt ım allgemeinen nicht durch besonders dunkle Pigmentierung ausgezeichnet. Doch zeigen ganz junge Larven auf der Oberseite des Kopfes regelmäßig eine dunkle Längslinie, und ferner besitze ich eine jetzt beinahe 3 em lange Larve aus einer DR x RR-Zucht, welche, außer einer leichten Bestäubung längs der Hauptseitenlinie, an Rücken- und Bauchflosse einen dunklen, unregelmäßig begrenzten Saum besitzt (Fig. 20). Man wird an die Möglichkeit denken dürfen, dass, ähnlich wie diese besonderen Zeichnungsformen des Axolotls, auch der dunkle „Aalstrich“ mancher Säuger auf dem Vorhandensein einer medianen Haupt- wachstumslinie oder Leitlinie beruht. 22) Vgl. die Originalbilder von W. Gerschler in Baur’s Vererbungslehre, 2 Au 0220, Haecker, Zur Eigenschaftsanalyse der Wirbeltierzeichnung. 4a Die Beobachtungen über das Scheitelwachstum an jungen Kiemen, sowie am Vorderkopf des Axolotlembryos, werden vielleicht bei weiterer Untersuchung einige Anhaltspunkte für die Ätiologie des auch beim Axolotl verbreiteten Akromelanismus bilden. Die am Scheitel solcher Organanlagen gelegenen Zellgruppen, die Scheitelfelder, dürften dieselbe Rolle als Pigmentierungszentren spielen wie die Leitlinien und Wachstumskerne, und ebenso wie diesen, muss auch ihnen eine gewisse Labilität im Chemismus zu- geschrieben werden, derart, dass das bekannte antagonistische oder vikariierende Verhältnis zwischen extremer Pigmentierung und voll- kommener Pigmentlosigkeit, speziell zwischen Akromelanismus und Akroleucismus, eine Erklärung findet. Beim Axolotl macht sich die in den Zellreihen zutage tretende Wachstumsordnung zuerst am Kopfe, dann in der Nähe der Mittel- linie des Rückens und zuletzt an den Seiten des Rumpfes bemerk- lich. Ein Seitenstück zu dieser chronologischen Aufeinanderfolge bildet die Reihe der Zeichnungsabstufungen, die z. B. bei Castle’s”?) Ratten von Iudividuen mit ausschließlich dunklem Kopfe ihren Ausgang nımmt und durch Formen mit „Kopfhaube“ und Aalstrich zu solchen mit breitem Rückenband und schließlich zu fast einfarbig dunklen führt. Man könnte sich denken, dass in den verschiedenen Gliedern dieser Variationsreihen verschiedene Grade von keimplas- matisch bedingten Störungen der spezifischen Wachstumsordnung ihren Ausdruck finden. Wenn die verschiedenen Folgerungen und Ausblicke, zu welchen diese Untersuchungen geführt haben, wirklich auf der richtigen Linie liegen sollten, so würde sich ergeben, dass die aufgezählten Zeichnungsmuster, deren weite Verbreitung oder Ubiquität inner- halb des Kreises der Wirbeltiere mehr und mehr anerkannt wird, schon in sehr frühen Entwicklungsstadien durch besondere, mit der Furchung, Keimblätter- nnd Organbildung zusammenhängende Wachstumsverhältnisse festgelegt sind. Für die phänogenetische Untersuchung besteht also bei fortschreitenden morphogenetischen und chemisch-physiologischen Kenntnissen die Aussicht, dass auch auf dem Gebiet der Wirbeltierzeichnung der „Gabelpunkt“ zweier divergierender Arten oder Rassen sehr weit zurückverlegt werden kann, so wie dies schon bei einer Reihe von anderen Eigenschaften durchgeführt oder wenigstens angebahnt werden konnte (1915, S. 261). Auch die seit Eimer erörterte Frage nach dem phylo- genetischen Alter der einzelnen Zeichnungsformen wird von neuen Gesichtspunkten aus behandelt werden können (1915, S. 270). Halle a. S., 28. Juli 1916. 23) Vgl. A. Lang, Die experimentelle Vererbungslehre, S. 610, 472 Driesch, Noch einmal das „Harmonisch-äquipotentielle System“. Noch einmal das „Harmonisch-äquipotentielle System“. Von Hans Driesch (Heidelberg). Auf meine kritischen Bemerkungen!) zu seinem Buche Die Leistungen der Zellen in der Entwicklung der Metazoen (Jena 1915) hat Schaxel erwidert. Er hat dabei, unter anderem, eine undeutliche Ausdrucksweise in einer meiner Ausführungen auf- gedeckt. Der Zweck dieser Zeilen soll es vornehmlich sein, diese von ıhm festgestellte Unklarheit meinerseits aufzuhellen; was ich sonst zu seiner Erwiderung zu sagen habe, wird sehr kurz sein. 1. Selbstberichtigung. Auf Seite 377f. seiner Erwiderung sagt Schaxel, ich hätte ın dem kurzen zusammenfassenden Bericht über meine Verlagerungs- ‚versuche auf Seite 549 meines Aufsatzes offenbar Makro- und Mesomeren verwechselt. Das stimmt nun freilich nicht, aber meine Ausdrucksweise ıst ungenau und irreführend, weil sie zu kurz ist, und ich bin Herrn Schaxel dankbar, dass er diese Angelegenheit bemerkt und zur Sprache gebracht hat. Ich habe gesagt, dass in meinen Versuchen „die Makromeren völlig und zwar irregulabel voneinander getrennt waren“, dass „die Makromerenverlagerung definitiv blieb“. Es muss statt dessen besser das erste Mal „die Makromerenabkömmlinge“ und das zweite Mal „die Verlagerung der Abkömmlinge der Makromeren“ heißen, und es wäre gut gewesen, den Zusatz beizufügen: „weil die Mesomeren ursprünglich durchgreifend verlagert waren und in ihrer Verlagerung definitiv verharrten“. Der Wichtigkeit der Sache wegen setze ich zunächst den Ori- ginaltext aus dem Archiv für Entwicklungsmechanik (Bd. 14, 1902, S. 520) her: „Wie Fig. 5 und Ö‘ (seil. der Fig. 14) zeigen, ist der Makromeren liefernde Keimesteil zusammengeblieben, rechts und links von ihm liegen je vier Mesomeren, d. h. je die Hälfte des anımalen Materials.“ Es wird dann weiter geschildert, dass ın 8 Versuchen die Verlagerung sich durch Zellgleiten wieder aus- glich, in 10 Versuchen aber „war es mit Sicherheit nicht so“; es blieb eine „definitive Verlagerung“ bestehen, „ohne dass die Bil- dung eines normalen Produktes irgendwie gestört worden wäre“; noch „an der wurstförmigen Morula umzog ein aus größeren Ele- menten, eben den Makromerenabkömmlingen, bestehender Ring die Mitte des Ganzen wie ein Band“. Also kurz: Die vegetative Keimeshälfte des Sechzehnerstadiums des Seeigelkeimes (4 Makromeren + 4 Mikromeren) lag normal, die animale Keimeshälfte (8 Mesomeren) lag aber infolge der Be- handlung nicht, wie normalerweise, unter der vegetativen als ein l) Diese Zeitschrift Bd. 35, 1915, S. 545. 2) Ebenda Bd, 36, 1916, S. 374. Driesch, Noch einmal das „Harmonisch-äquipotentielle System“. 473 zusammenhängender Zellenhaufen, sondern lag, ın zwei Haufen zu je 4 Mesomeren gesondert, rechts und links von ihr. Und diese Verlagerung blieb im Verlaufe der folgenden Teilungen, wie sie war, es resultierte also nicht eine Blastula, deren eine Kugelhälfte aus Makro- + Mikromerenabkömmlingen, deren andere (die „animale“) aus Mesomerenabkömmlingen bestand, sondern es resultierte eine Blastula mit Makro- + Mikromerenabkömmlingen ım Viertel des vegetativen Kugelpols, mit Makromerenabkömmlingen im Viertel des anımalen Kugelpols und mit Mesomerenabkömm- lingen in den beiden seitlichen Kugelvierteln. Trotzdem: nor- maler Pluteus. Nur die Blastula war wurstförmig verzerrt, schon die Gastrula hatte ihre Form normalisiert?). Es ist klar, dass alle Mesomerenabkömmlinge und die eine Hälfte der Makromeren- abkömmlinge, nämlich die abnormerweise das Viertel des anımalen Kugelpols bildenden, hier eine morphogenetische Rolle gespielt haben, die ihnen in der ungestörten Entwicklung nicht zugekomnien wäre. Also: Regulation durch Leistungsänderung, nicht durch Verlagerung; ferner: Gleiche Vermöglichkeit aller in Betracht kommenden Elemente zu sehr verschiedenen Leistungen; die Ge- samtheit der Leistungen harmonisch in sich; also: harmonisch- -äquipotentielles System. 2. Ein irrtum Schaxel’s. Auf Seite 379 seiner Gegenschrift fasst Schaxel den Begriff des „harmonisch-äquipotentiellen Systems“ ganz unrichtig, was doch eigentlich nicht vorkommen sollte, wenn man ausdrücklich über diesen Begriff und das durch ihn Gemeimte schreibt. Die Tatsache, dass isolierte !/,- und !/,-Blastomeren sich zu ganzen kleinen Larven entwickeln, zieht Schaxel zur Illustration meines Begriffes heran. Diese Tatsache hat nun aber gar nichts mit dem Begriffe har- monischer Äquipotentialität zu tun. Insofern als der vierzellige Keim aus 4 Elementen besteht, von denen jedes gleichermaßen das Ganze liefern kann, könnte man ihn als „komplex-äquipoten- tielles System“ bezeichnen‘). Das Studium der Genese eines 3) Aber nicht durch Zellverschiebungen, sondern durch Druck- und Spannungs- faktoren. Schaxel sagt (S. 378) „Die mit der Gastrulation einhergehenden Zell- verschiebungen sind eine Sache für sich“. Wenn das etwa heißen sollte, es hätten sich während der Gastrulation (die bekanntlich ein am vegetativen Pol geschehender Wachstumsprozess ist, der von Makromerenabkömmlingen ausgeht), die verlagerten Meso- und Makromerenabkömmlinge wieder zur ursprünglichen Lage zurückgeordnet, so wäre es eine sicherlich falsche Behauptung. 4) Der vierzellige Keim ist freilich auch harmonisch-äquipotentiell, insofern auch 2 oder 3 oder alle 4 seiner Konstituenten zusammen ein Ganzes liefern können. Aber davon redet Schaxel nicht. Über die Kennzeichnung belebter Systeme unter beiden möglichen Gesichtspunkten s. Arch. Entw. Mech. Bd. 14, 1902, S. 528; Biol. Centr. Bd. 27, 1906, S. 63 und Phil. d. Organ. I, S. 155. 474 Driesch, Noch einmal das „Harmonisch-äquipotentielle System“. solchen Systems liefert dann, wie ich gezeigt habe, freilich auch einen Beweis für die mechanische Unauflösbarkeit des Lebens- geschehens. Aber Schaxel will doch vom harmonisch-äqui- potentiellen System reden und davon, dass ich auf die Analyse der Differenzierung (nicht Genese!) eines solchen einen Beweis des Vitalismus gründe. Seltsam, wie oft diese Dinge verwechselt werden. Sagen wir also n-mal Gesagtes zum n — I1-ten Mal: Ein harmonisch-äquipotentielles System?) ist eine Gesamt- heit von Teilen belebter Materie, von denen jeder Teil gleicher- maßen jede für ein Ganzes in Frage kommende Einzelleistung vollbringen kann, wobei das von einer künstlich hergestellten be- liebigen Teilgesamtheit gelieferte Totalergebnis ın jedem Falle normal ist. Die mit Rücksicht auf jede Einzelleistung „äqui- potentiellen“ Zellen haben also „harmonisch“ zusammengearbeitet (Beispiele: Die aus etwa 1000 Zellen bestehende Blastula, die Keim- blätter etc.). Ein komplex-äquipotentielles System ®) ist eine Gesamtheit von Teilen belebter Materie, von denen jeder Teil gleichermaßen eine in Frage kommende Ganzleistung vollbringen kann (Beispiele: Der vierzellige Keim, das Cambium, der Eierstock). 3. Verschiedenes. Es ist durchaus unrichtig, wenn Schaxel auf Seite 377 seiner Gegenschrift sagt, ich hätte „nur dann vollkommen typische Endstadien erhalten, wenn die vorübergehend atypisch gelagerten ... Vorstadien im Sinne des Typus umgelagert wurden“. Schaxel verwendet durchgehends zur Stütze seiner Argumen- tationen einen besonderen logischen Kunstgriff: er nennt jede künst- lich gesetzte Veränderung des Furchungstypus, aus der doch Nor- males hervorgeht, „unwesentlich“. Das ist aber eine klare petitio prineipi. — Und endlich Olavellina: Es mag ja sein, dass die Auffrischung des reduzierten Kiemenkorbes oder seiner reduzierten Bruchstücke von „Anlagereservaten“ ausgeht. Aber dann ist eben die Ge- samtheit der „Anlagereservate“ ein harmonisch-äqui- potentielles System“! — Es ist mir nach wie vor vollkommen unverständlich, wie Schaxel sagen kann, er habe keine harmonisch-äquipotentiellen Systeme gesehen, wo er sie doch auf jeder Seite selbst beschreibt. Herbst und Spemann haben bekanntlich ebenso wie ich in dieser Sache geurteilt. Neuerdings tat es P. Flaskämper in seinem sehr klaren Beitrag zum Problem des Vitalismus’), den ich ange- 5) Näheres Phil. d. Org. I, S. 119—150. 6) Näheres Phil. d. Org. I, S. 223—230. 7) Naturwiss. Wochenschrift, N. F. Bd. 15, 1916, 8. 481. Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. 4715 legentlich dem Leser empfehle. Es heißt da u. a.: „Ich lege be- sonders Wert darauf, zu betonen, dass die Ergebnisse Sch.’s nıcht nur Dr. nicht widersprechen, sondern sogar sich dessen Gedanken- gang einfügen“ (S. 490). Anzahl. Einiges über die Hefeenzyme. Von Dr. Th. Bokorny. Die Hefe ist eine Fundgrube für Enzyme. Schon die bisher bekannt gewordenen bilden eine stattliche Nach Euler (Chemie der Hefe, 1915) sind folgende Enzyme in der Hefe vorhanden, wenn sie auch nicht alle isoliert werden konnten: Glykogenase . Dextrinase . . Maltase. . Invertase. ... Waktaserı ns: Zymase Phosphatese . Phosphatase . Karboxylase . Aldehydase Endotryptase Peptase Lipasen Amidase ... Reduktase . . Katalase . von Glykogen zu Glukose führend von Dextrin zu Maltose führend von Maltose zu Glukose führend von Rohrzucker zu Dextrose und Lävulose führend von Milchzucker zu Galaktose führend von Zucker zu Alkohol+ CO, führend von Zucker und Phosphorsäure zu Phosphorsäureester führend von Phosphorsäureester zu Phosphor- säure und Zucker führend von Brenztraubensäure zu CO, und Azetaldehyd führend von 2R-CHO zu R-CH,0H + R-COOH führend (Cannizaro- Reaktion) von Eiweiß zu Aminosäuren führend von Eiweiß zu Pepton führend Dextrose und an Verbrauch und Speicherung von Fett in Hefe beteiligt führt zu Abspaltung von Ammoniak aus Aminosäuren entfärbt Methylenblaulösung führt von H,O, zu H,O + 0 nach A. Koch u. Hosaeus. nach Lindner. 'nach E. Fischer (spaltet über- | haupt die Glukoside). nur in 8. apieul. nicht. in Hefen selten. nach E. Buchner. nach Euler. nach Harden und Joung. nach Neuberg u. Karczag. nach J. Parnas, sowie Ba- telli und Stern. nach Hahn und Geret nach Abderhalden u. Cohn. nach Laxa. nach Effront. nach Hahn. nach ©. Loew. Dazu kommen noch Emulsin und Myrosin, welche beide vom Verf. in der Münchener Bierhefe aufgefunden wurden. Das Hefe-Emulsin und -Myrosin kann auf folgende Weise nach- gewiesen werden (B. in Biochem. Zeitschr., Mai 1916): Man reibe die Presshefe (frisch oder trocken) mit Amygdalın einerseits und mit myronsaurem Kali andererseits zusammen, füge so viel Wasser hinzu, dass ein Brei entsteht, und lasse die Mischungen im warmen Zimmer stehen (event. geht es auch ohne jeden Wasser- zusatz, wenn frische Presshefe angewandt wird). Nach 24--48 Stunden beginnt eine Gärung, man bemerkt dann auch den Geruch nach den Spaltungsprodukten (Bittermandelöl, Senföl....). 16. +“ Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Schon die eintretende Gärung allein weist auf die eingetretene Spaltung hin. Denn zur Gärung gehört Zucker und dieser wird durch die Spaltung frei: Amygdalın, 0,H,,NO,, Bittermandelöl + Blausäure —- Traubenzucker C,H,-CHA-+-NC-H —+C,H,0;: Myronsaures Kali, C,,H,,.K0,NS, + H,O ee u N Allylsenföl 4 saures K-sulfat + Traubenzucker SC:N-C,H,+ KHSO, -+C,H.0:;- Ich habe 1g Amygdalin teils trocken mit 2 g Presshefe zusammengemischt, teils unter Zusatz von 10, 20 oder 40 cem Wasser und habe überall den deutlichsten Bittermandelölgeruch bemerkt. Fäulnis trat bei keinem der Versuche ein, offenbar wegen der fäulniswidrigen Beschaffenheit der Spaltungsprodukte, auch nicht binnen 14 Tagen im warmen Zimmer. Myronsaures Kali ergibt unter ähnlichen Verhältnissen Senfölgeruch, auch ohne jegliche Fäulnıs. Nimmt man dasselbe Experiment an Arbutin, Coniferin, Salicin vor, so ereignet sich nichts Bemerkbares und Bemerkenswertes; weder Gärung noch Geruchsentwicklung tritt auf, obwohl überall Traubenzucker bei der Spaltung entstehen würde. Arbutin, C,,H,,O, “ Hydrochinon —- Traubenzucker C,H,(OH),(1:4) C,H ,0;. Coniferin, C,,H,,0,; + 2H,0 Coniferylalkaloid —- Traubenzucker ‚OH (52:0:: 0,H,=-OCH,(3) Nc,H,-OH(1) ar. | Saltreın 2.2.0: "Saligenin = Traubenzucker (Oxybenzylalkohol) 0:40; H RER CH,OH. Es tritt offenbar an diesen 3 Glucosiden mit Hefe keine Spal- tung ein. Versuche über Amygdalinspaltung durch Hefe (welche? B.) wurden auch von Henry und Auld (on the probable exist. of emulsin in yeast, Proc. r. society, ser. 13, 76) angestellt. Sie fielen positiv aus. Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. 477 Von der Spaltung des myronsauren Kalıiums berichten dieselben nichts, so weit ich das aus dem Zitat von Oppenheimer (Fer- mente I, p. 245) ersehen kann. Da der zerriebene Senfsame die Senfölreaktion viel rascher ergibt und auch viel stärker als die Hefe, ebenso die zerriebene Mandel Bittermandelölgeruch weit intensiver hervorruft, können wir wohl annehmen, dass der Gehalt der Hefe an Emulsin und Myrosin relativ gering ist. Das mag auch z. T. die Ursache sein, warum diese Enzyme der Hefe bis jetzt unbekannt geblieben sind. Immerhin müssen solche Enzyme da sein, weil auch tote Hefe, wenn die Enzyme geschont wurden, jene Fähigkeit, myronsaures Kalium und Amygdalın zu spalten, besitzt. Es fragt sich höchstens, ob nicht irgend eines der bis jetzt bekannten (anderen) Hefefermente dieses Vermögen in sich hat. Doch ist darüber nichts bekannt geworden. Wir sind berechtigt, von einem Hefeemulsin und Hefemyrosin zu sprechen. Verf. hat einige Eigenschaften der beiden neuen Hefeenzyme durch Versuche ermittelt, wobei übrigens dieselben bis jetzt nicht aus der Hefe isoliert wurden (sie sind durch Wasser aus frischer und trockener Hefe nicht extrahierbar). Um einen Vergleich mit Emulsin und Myrosin anderer Her- kunft sowie mit den anderen Fermenten zu haben, möge folgende tabellarısche Zusammenstellung hier Platz finden (s. S. 478—483): Ungemein verschieden stellt sich somit die Empfindlich- keit der Enzyme gegen verschiedene chemische Agentien dar. Dasselbe bemerken wir übrigens auch bei anderen schädlichen Einwirkungen, z. B. beim Austrocknen, beim Erhitzen. Trocknet man Hefe durch Ausbreiten auf einem Fließpapier an der Luft, so kann man sich bezüglich der Invertase leicht überzeugen, dass sie in getrockneter Hefe noch ebenso wirksam ist wie in frischer. Man braucht nur die Trockenhefe in Rohr- zuckerlösung zu bringen. Schon nach 1 Minute langem Stehen gelingt die Fehling’sche Reaktion. Anders bei der Maltase. Sie wird durch das Trocknen unwirksam. Versetzt man die Trockenhefe in Maltaselösung und wartet man selbst 24 Stunden, so ergibt die Lösung beim Kochen mit schwachsaurer Lösung von Kupferacetat keine Abscheidung von rotem Kupferoxydul. Mit frischer Hefe versetzt ergibt Malzzuckerlösung fast augen- blicklich die Reduktionsprobe. Wie sich die diastatische Fermentwirkung der Hefe verhält, wenn man sie austrocknet, wurde durch folgenden Versuch zu er- mitteln versucht. 418 Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Verhalten von Hefeemulsin und -myrosin, sowie von gegen schäd- | 6 5 2 | EM 5 Pepsin Myrosin Emulsin | Invertase | Diastase (Magen-) 1 Säuren. 1 %Xige Mandel- |Hefeinvertase |0,25 % Salz-|Erträgt bis zu Schwefel- emulsin wird durch |säure wirkt| 1% Salz- säure ver- | wird durch 0,5 %ige \schädlich anf säure. nichtet die 0,135 % Schwefel- |die Verzucke- Fermentkraft | Salzsäure säure ge- | rung durch binnen weni- unwirksam. schädigt aber) Speichel- gen Stunden | Hefeemul- Nicht zerstört| diastase . myrosin. | durch 0,5% | Desgleichen Hefen- Schwefel- durch myrosin säure oder | Salzsäure. verhält sich | durch 0,5% |1% Oxal- ebenso, ja so- | Essigsäure | säure scha- gar 0,5% vernichtet. det binnen Schwefel- 01% 24 Std. nicht | säure vernich- | Schwefel- merklich. tet dieses. säure reicht | % Essig- a on nicht aus | säure scha- : zur Ver- det nicht. nichtung. m 01% FH 2 Tage ge- | legene Hefe hat noch In- versions- vermögen. Basen. 1 %ige Alkalien sind Die Ferment- Schon Das Pepsin Natron- |für Mandel-; kraft der schwache Al- (des Magens) lauge tötet emulsin |Hefeinvertase |kalien haben ist gegen Al- das Hefe- schädlich. wird durch einen schäd- kalien sehr myrosin, 1% NaOH | lichen Ein- | empfindlich. 0,5% eben- binnen fluss auf die | Sogar 0,5 bis falls. ı 24 Std. ver- ınichtet, nicht | aber durch 0,5 % binnen 96 Std. Da 0,5% die Hefezelle | tötet, ersieht | man hieran wieder einen Empfindlich- keitsunter- schied \zwischen En- zym und Protoplasma (wie in vielen anderen Fällen auch). Speichel- diastase (z.B. 0,6% oder sogar 0,3% Soda und auch noch DE) 1 %ige Soda- lösung zer- stört das Pepsin sehr rasch. Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. 479 Mandelemulsin, Senfmyrosin, ferner andern Fermenten liche Einflüsse. Trypsin Mark ©a8-) Labferment | Katalase | Maltase Zymase Schon bei 1% starke 1% Salz- | 02% Flussäure einem Säure- Mineralsäure säure oder |tötet binnen 24 Std. gehalt von tötet fast Oxalsäure (0,1 % nicht). 00 NOr- momentan. tötet Hefe- 1% Salzsäure 7 mal soll ht maltase ab. tötet binnen 24 Std. abe re 1% Essig- | Schwefelsäure mehr wirken. säure nicht |tötet bei 1%, schä- ganz. digt bei 0,1—0,5 %. 5% Milchsäure vernichtet binnen 24 Std. nicht ganz. Buttersäure ist schädlich. 2% Essigsäure schwächt nur binnen 24 Std. Wirkt bei 1% Ätz- 1% Ätz- Auf Hefe- 0,5% Ätznatron schwach alka- natron ver- | natron tötet | maltase wirkt schadet binnen lischer Reak- | hindert die fast 0,5% NaOH) 24 Std., vernichtet tion am Auslabung momentan. binnen aber nicht ganz. besten. der Milch. 4 Tagen nicht 0,1% ver- vernichtend, zögert die wohl aber Labgerin- 1%- nung. 0,02% 0,025 % fördert. NaOH ver- nichtet binnen 24 Std. das Labferment bei 15—17°. 0,5 % oder 1% Soda verzögert die Auslabung der Milch. Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. | Myrosin | Invertase Emulsin Diastase Pepsin (Magen-) | | Verschie- 0,1 % Subli- dene Anti-| mat tötet Auf Mandel- 0,1% Subli- emulsin sind, mat hindert Blei-, Zink- und Eisen-) Wird durch geringe septika. Senfmyro- Chloro- die Inversion ' Salze sollen |Mengen Kar- sin binnen | _ form, des Rohr- |sehrschädlich bolsäure in wenigen Äther, Thy- zuckers durch | auf Diastase | seiner Wir- Stunden. mol, Chlo-| Hefe nicht wirken. |kung gestört. Desgleichen | ral unwirk- | ganz, wohl Chloro- Silber- sam (Claude, | aber 0,5%. form hemmt, nitrat. Bernard). 10,1% Silber- nur in grö- 5% Form- nitrat hin Beren Dosen. aldehyd dert ebenfalls, Form- tötet binnen nicht aber aldehyd 24 Std., 1% 0,02%. wird bis zu noch nicht. Form- 5% ertragen 2% Salicyl- aldehyd (2? B): säure ver- zerstört selbst nichtet. bei 5% die Chloral Fermen- | schadet viel tierungskraft | weniger. nicht binnen - 24 Std. ‚Borax ist 2 unter 6% 1% Karbol- wirkungslos. säure eben- Hefenfro: falls nicht. yro ad wareil Thymol und durch 0,5% Terpentin- Formaldehyd öl beeinträch- vernichtet. tigen nicht. | Alkohol. Senf- | 50%iger 20tägige Ein- Alkohol- Alkohol- myrosin Alkohol wirkung abso- fällung (auch| fällung wird | wird ver- zerstört bei| luten Alko- |mit absolutem | bei der Ge- \nichtet durch 24stündiger |hols ist nicht| Alkohol) |winnung des \5% Alkohol , Einwirkung imstande, das| wurde bei der) Fermentes | (in 24 Std.) das Spal- Inversions- | Darstellung | verwendet. Hefe- tungsver- |vermögen der |desFermentes Doch soll myrosin mögen der |Hefe zu ver-| verwendet. | schon 20% verträgt | Hefe gegen nichten. Alkohol jede ı 100 %igen Al- Amygdalin Verdauung \kohol 12 Std., nicht. Ja verhindern. lang. nicht einmal | absoluter | Alkohol bringt das | ganz fertig. Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme, 481 | Trypsin Labferment Katalase Maltase Zymase (Pankreas-) | Thymol, Thymol ist 0,1% Sub- Hefemaltase |0,02% Sublimat Chloro- bei Sätti- limat ist wird durch ferner 0,01% form, gungskonzen- | sehr schäd- | 1% Karbol-|Höllenstein ver- Fluor- tration lich. saure binnen nichtet binnen natrium (1: 1100) töt- 4—54Y | 24 Std. 24 Std.; 0,2% hemmen. lich. Form- dauernd un- Formaldehyd Sehr schäd- Chloro- aldehyd wirksam. ebenfalls; _ lich wirkt form hindert | zerstört Kata- | 0,1% schadet |1% Fluornatrium Form- die Auslabung lase sehr ihr nicht. aber nicht (durch aldehyd. der Milch rasch. Terventin- | 9005 % Gärtätigkeit . k ery o fö :d ‘t Schwer- nicht. Salpetrige ölwasser so zael 2 metallsalze 2,5% Kar- Säure ist schädigt die 1% Ka rbolsäure sind bolsäure sehr schäd- | Hefemaltase vernichtet binnen hemmend. verhindert. lich. binnen 24 Std. 24 Std., ‚0,1% noch 1% Fluor- Größere | stark. 0,1% s nicht. KR natrium Mengen Thymol Mit Terpentinöl verhindert. Wasser- vernichtet. gesättigtes Wasser ny & stoffsuper- Chloro- |macht die Zymase an a OXy a formwasser| binnen 24 Std. J Anderi. schaden. tötet binnen | dauernd unwirksam. 01% Silber 24 Std. nicht. | 0,1% Thymol ‚1% Silber- n% nee Patzer 0,01% Sil- vernichtet binnen ‚ hindert nicht. bernitrat Ei | en tötet, desgl. |0,1% Chloroform- ı 0,5% Form- UYAS 70 e | ee 0,02% Sub-| wasser vernichtet er hi \ : | limat. binnen 24 Std. nl: 0,1% Form-| nicht, wohl aber aldehyd 0,5 %- schädigt, Geringe Blau- 1% tötet. säuremengen schaden nicht (Fiechter). Bei der Dar- Alkohol, Hefemal- 50 Yiger Äthyl- stellung wird selbst abso- tase wird alkohol vernichtet Fällung und luter, un- durch Al- die Gärkraft binnen Reinigung schädlich (wie | kohol sehr 24. Std., 20% noch mit Alkohol lange? B.). leicht ver- |nicht (ähnlich auch verwendet. nichtet. So- Methylalkohol, gar 5 Xiger | höhere Alkohole aber Alkohol schä- sind giftiger). digt schon etwas. | | | XXXVI ol 482 Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Ä Myrosin Emulsin Invertase Diastase Pepsin Aus- Senf- Mandel- Die Diastase In der trocknen. myrosin emulsin kann als trockenen erträgt das | erträgt das trockenes Pul- Hefe ist wirk- Austrocknen | Austrocknen. ver hergestellt sames Pepsin schlecht. Hefe- werden. | enthalten. Trockene emulsin Hefe hat ebenfalls. noch wirk- Mandel- sames emulsin Myrosin in kommt als sich. Trocken- präparat in den Handel. Tempe- Tötungs- Wirkungs- |Hefeinvertase | Malzdiastase 40® ist Opti- ratur. temperatur | optimum für) wirkt nach wirkt am | maltempera- für Senf- | Mandelemul- |A. Mayer am| besten bei tur, bei myrosin sin 45—50°. | besten bei 50—55°, |75—80° hört 85 0 Bei 0° Zerstörungs- 31 Jr 1) ° tötet. die Ferment- unwirksam temperatur 70° tötet. wirkung auf. (Schmidt). 70° (trocken erträgt es 100° mehrere Stunden). 4 80°, ja sogar 50° tötet das Hefe- emulsin. Getrocknete steinharte Hefe wurde mit Wasser zerrieben und dann mit Stärke verschiedener Herkunft (meist aus Üerealien) ver- mischt. Zwar enthält die Presshefe schon von Hause aus Stärke- körner, dieselben sind aber Kartoffelstärke, welche als schwerer angreifbar durch diastatische Fermente geschildert wird; darum wurde andere Stärke zugesetzt. Der Versuch wurde 24 Stunden im Brutofen bei 35° stehen gelassen. Die darauf folgende mikroskopische Untersuchung ergab, dass eine Korrosion ziemlich vieler Stärkekörner stattgefunden hatte. Es war also ein diastatisches Ferment in Wirkung getreten; das- selbe war beim Trocknen der Hefe wirksam geblieben. Malzdiastase wird faktisch aus Malz isoliert und als trockenes Präparat in den Handel gebracht; trocken soll es sogar eine Er- hitzung auf 100° ertragen. Um das tryptische Enzym der Trockenhefe zu beobachten, braucht man nur einen kalt hergestellten Extrakt der getrockneten Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. 483 Trypsin Labferment Katalase Maltase Zymase | Kommt als Das Labfer- Wirksame Hefermaltase Eingetrockneter trockenes ment kommt | Katalasekann | erträgt das | Hefepressaft verliert Pulver in den | als trockenes | als Pulver Aus- | die Gärkraft nach Handel. In Pulver in den | hergestellt trocknen | 3 Wochen der Trocken- Handel. | werden. (mit der Hefe) (E. Buchner). hefe ist wirk- | nicht. sames Trypsin enthalten. Trocken er- 40° ist de Tötungs- Hefemaltase | Bei 25° gelingt die trägt es 100°, Optimal- | temperatur wird durch |Gärung am besten, in Lösung temperatur | 72—75° C. | 25° vernichtet | bei 53° erlischt sie, wird es durch | für das Lab- (je nach Re- | (Lieber und |bei 0° hört sie nicht 55 —57° ver- | ferment der aktion der Kröber, auf. nichtet. | Milch. ı Lösung, An- | Verf), Mais- Hefelab ist | wesenheit von maltase ar- sehr hitze- | Salzen etc.). | beitet nach beständig, | Geduld bei wirkt bei | 35° am | 80° C. (wenn besten. | nicht lange) | am raschesten. Presshefe sich selbst zu überlassen. Jener Extrakt enthält zuerst die löslichen Albuminstoffe der Hefe, wovon in der Presshefe 3,5%, (auf Trockensubstanz berechnet) enthalten sind. Kocht man frischen Extrakt jener getrockneten Hefe mit Zusatz von Spur Essigsäure, so erfolgt eine starke Gerinnung. Wartet man einige Zeit, etwa 24 Stunden, und sucht an einem solchen gestandenen Extrakt die Gerinnung zu erhalten, so bemerkt man, dass die Gerinnungsfähigkeit verloren gegangen ist. Es ıst aber statt des verschwundenen Albumins auch nicht viel Albumose und Pepton da, wie die betreffenden Reaktionen ausweisen. Also ist ein wirksames tryptisches Ferment in dem Extrakt der getrockneten Hefe vorhanden, durch welches die Albu- minstoffe weiter als bis zu Pepton umgewandelt werden. Dass in der getrockneten Presshefe auch wirksames Pepsin enthalten sei, davon kann man sich durch folgenden Versuch über- zeugen: Um die Trypsinwirkung auszuschließen, setzte ich zu der stein- 3 484 Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. hart getrockneten Presshefe 0,5 %ige Salzsäure, und zwar auf’8 g getrocknete Hefe 100 cem dieser Säure. Dazu wurden dann 25 g fein gewiegtes frisches Rindfleisch ge- bracht und bei 30° der Verdauung 2 Stunden lang ausgesetzt. Es stellte sich bald der eigentümliche Verdauungsgeruch ein, den man auch erhält, wenn man rohes Fleisch mit 0,5%,iger Salz- säure und etwas tierischem Pepsin (aus Schweinemagen) versetzt. Das Fleisch löste sich sichtlich auf. Nach 2 Stunden wurde die Flüssigkeit kurz gekocht, dann durch einen Seiher gegossen, um die gröberen ungelösten Bestand- teile zurückzuhalten, dann neutralisiert. Hierbei fielen die noch vorhandenen nicht peptonisierten Eiweißstoffe aus. Im Filtrat war viel Albumose und Pepton, wie die mit einem kleinen Teil der Lösung angestellten Reaktionen ergaben. Das übrige Filtrat wurde eingedampft bis zur Trockne, wobei eine rotbräunliche zerreibliche Masse hinterblieb, die hauptsächlich aus Albumose und Pepton bestand (neben Kochsalz, das auch ın dem Trockenrückstand enthalten sein musste). Die Masse betrug 12%, des angewandten Fleisches, also erstaunlich viel. Der Extrakt trockener Hefe enthält also auch wirksames Pepsin. Bezüglich der Zymase zeigte mir schon der erste Versuch mit getrockneter Hefe, dass in der steinhart getrockneten und zer- riebenen Hefe noch lebende Zymase vorhanden sei. Ich bemerkte beim Ansetzen der 3 Tage lang in warmer Luft gelegenen und völlig trocken gewordenen Presshefe und Rohr- zuckerlösung eine ziemlich kräftige Gärung. Da aber in dieser kurz getrockneten Hefe möglicherweise doch schon ein Absterben der Zymase sich vorbereiten konnte, so ließ ich eine Portion Presshefe 8 Tage lang, eine weitere Portion 8 Wochen lang in trockener sehr warmer Zimmerluft liegen. Beide wiesen dann beim Ansetzen mit Rohrzuckerlösung Gä- rungserscheinungen auf, erstere stärker als letztere. Der Geruch, welcher von ersterer Gärungsflüssigkeit ausging, war ein angenehmer kräftiger Gärungsgeruch, die entwickelte Kohlen- säure hatte starke Schaumbildung hervorgerufen. Auch in der Flüssigkeit mit der 8 Wochen lang getrockneten Presshefe war weingeistiger Geruch wahrzunehmen und auch ziem- lich kräftige Schaumbildung. Die mikroskopische Untersuchung lehrte, dass letztere Hefe ganz abgestorben war. Die Zellen hatten granuliertes Aussehen, Sprossverbände und frische Sprossungen fehlten. Trotz 3tägigem Liegen in der Rohrzuckerlösung hatte sich keine Hefezelle angeschickt, neue Sprossungen zu treiben; alle Zellen lagen isoliert, unverbunden mit anderen. Die Hefe, welche nur 8 Tage lang trocken gelegen war, zeigte nach 2tägigem Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. 485 Aufenthalt in Rohrzuckerlösung manche frische Sprossung, aber doch in der großen Mehrzahl abgestorbene nicht sprossende Zellen. Lufttrockene Hefe enthält also nach 8 Tagen, ja nach 8 Wochen, noch wirksame Zymase. Es steckt also nur ein Enzym in der Hefe, welches durch völliges Lufttrockenwerden der Hefe abstirbt, nämlich die Maltase. Das Hefeemulsin wird durch Austrocknen der Hefe nicht vernichtet. Das Hefemyrosin ebenfalls nicht. Hingegen soll das Senfmyrosin das Austrocknen schlecht er- tragen. Nach H. Euler (Arkiv för Kemi. Bd. 4, Nr. 13) lässt sich freilich auch bei vorsichtiger Entwässerung der Hefe durch Trocknen höchstens !/,„—!/,, der Zymase wirksam erhalten. Hingegen bleibt von der Invertase beim Entwässern etwa die Hälfte erhalten. „Zum Vergleich sei erwähnt, dass die gleiche Hefe bei derselben Trocknung nicht mehr als etwa !/,, ihrer Gär- wirkung behielt “ Zur Erklärung der verschiedenen Empfindlichkeit stellt Euler folgende Hypothese auf: „Die Hefeenzyme sind ursprünglich Bestandteile des Plasmas und werden entweder schon ın der lebenden Zelle vom Plasma abgeschieden und dann am Plasma wieder regeneriert; sie sind dann relativ leicht extrahierbar und sind in relativ großer Menge in den Zellen vorhanden. Oder aber die Abtrennung erfolgt erst (teil- weise) beim Entwässern der Hefe oder durch mechanische Mittel, überhaupt unter den Umständen, unter welchen das Plasma getötet wird. Gegen Antiseptika sind die Hefeenzyme in dem Maße un- empfindlich als sie vom lebenden Plasma befreit sind.“ Eine andere Erklärung der verschiedenen Empfindlich- keit der Enzyme gegen chemische Einwirkungen ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Es ist bekannt, dass verschiedene Stoffe bei recht verschie- denen Verdünnungsgrenzen mit dem gleichen dritten Stoffe reagieren. Das gilt von den echten chemischen Reaktionen, wobei Moleküle zertrümmert und wiederum aufgebaut werden, ganz allgemein; es ist das zu bekannt, als dass Beispiele nötig wären. Auch reagiert ein und derselbe Stoff verschieden leicht mit verschiedenen Stoffen. Ganz ebenso verhält es sich nun mit den verschiedenen En- zymen und Plasmen. Dieselben sind gegen ein und dasselbe Gift sehr verschieden empfindlich. Ferner verhält sich ein und dasselbe Plasma oder Enzym recht verschieden gegen verschiedene Gifte; die tötlichen Konzentrationen der Gifte müssen immer wieder besonders bestimmt werden, 486 Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Versuche über die Eiweißnatur der Fermente. Versuch a: 1 g Diastase wurde mit 20 cem Wasser und Spur Pepsin ver- mischt und dann 24 Stunden bei 20° stehen gelassen. Es zeigte sich nun deutlicher Verdauungsgeruch. Die Lö- sung gab mit Phosphorwolframsäure starken Niederschlag, hingegen keinen solchen mit gesättigter Zinkvitriollösung und nur schwache Opaleszenz mit gesättigter Ammonsulfatlösung. Somit war Pepton gebildet worden. Von der ursprünglich unlöslichen Diastase war das meiste in Lösung gegangen. Nur ein ziemlich kleiner Rest war noch übrig geblieben als feiner Satz. Wegen der geringen Menge unterblieb eine weitere Unter- suchung des Restes. Versuch b: Eine kleine Menge Diastase wurde auf einem Platinblech er- hitzt. Sie verkohlte unter Aufblähen und ergab den bekannten Geruch nach verbranntem Horn. Somit stimmen diese zwei wichtigen Eiweißreaktionen auf die vermutete Eiweißnatur meiner Diastase. Freilich kann immer der Einwand gemacht werden, dass ja die Diastase nicht rein und das Eiweiß nur Beimengung war. Ein Versuch über Farbstoffabsorption (mit Methylviolett) ergab, dass 1 g Diastase aus 20 ccm Farbstofflösung (0,25 %, Methyl- violett) sehr viel Farbstoff wegnimmt, so dass die Diastase tief- gefärbt, die Lösung viel schwächer gefärbt erscheint. Versuche über Basen- und Säurebindung dureh zweifellose Eiweißstoffe. Bei Hefeversuchen habe ich gefunden, dass beträchtliche Mengen von Basen sowohl wie auch von Säuren durch dieselbe gebunden werden. Ich bezog diese Bindung auf das Hefeeiweiß, weil kaum eine andere Auffassung möglich war. Denn in der Hefe kommt sonst kein Stoff in solcher Menge vor, dass man die Bindung von Säuren und Basen, die in so großer (Juantität eintrat, darauf beziehen konnte. Auch binden die Kohle- hydrate diese Stoffe nicht!). Ich prüfte nun zunächst einige Handelspräparate von Protein- stoffen auf das Basenbindungsvermögen (Verf. a. a. O.). I) Die Bindung hochkonzentrierter Säuren, wie starker Salpetersäure, durch Cellulose kann hier nicht als Gegenbeweis gelten, Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. 487 Überblicken wir die mit den Eiweißstoffen erhaltenen Re- sultate bezüglich des Ammoniakbindungsvermögens, so ergibt sich eine durchweg geringere Bindung als bei Diastase. Es ergab sich für Blutalbumin, Pepton, Muskeleiweiß, Hühner- eiweiß, Casein der Reihe nach 3,74—0,00—2,55—4,25—3,9%, Am- moniakbindung berechnet auf den lufttrocknen Eiweißstoff. Diesen Zahlen stehen 10,2%, Ammonıakbindung bei dem Diastase- pulver gegenüber. Woher dieser große Unterschied ? Wenn die Diastase ein Eiweißstoff ist — und darauf weisen doch wohl viele Erscheinungen hin — dann ist es wohl naturgemäß, an das Protoplasmaeiweiß zu denken. Denn aus dem Protoplasma stammen die Enzyme. Sie sind vielleicht Trümmer des hochmole- kularen Plasmaeiweißes. Wie verhält sich nun dies gegen Ammoniak ? Ich habe das an Hefe geprüft. Wenn man 1%ıge Ammoniaklösung auf (Press-)Hefe einwirken lässt, so ergibt sich eine deutliche Bindung des Ammoniaks, indem der Ammoniakgehalt der Lösung abnimmt. Wendet man viel Presshefe und relativ wenig Ammoniaklösung an, so kann man erreichen, dass der Ammoniakgeruch fast völlig verschwindet. Es entsteht durch die Bindung „Ammoniakhefe“, welche nach dem Wegwaschen der anhängenden Lösung völlig geruchlos ist. Etwas Ammoniak bleibt natürlich immer noch in Lösung, da die Reaktionsfähigkeit zwischen Hefeeiweiß und Ammoniak ihre (Grenze hat. Diese Grenze liegt bei lebender Hefe allerdings recht tief, denn 0,017 %,ige Ammoniaklösung wird noch gebunden. Tote Hefe freilich bindet bei dieser Verdünnuug nicht mehr. Mit dieser letzteren hat man zu rechnen, wenn Hefe mit 1 %,ıger Ammoniaklösung behandelt wird. zZ Es stirbt dieselbe sofort ab. Die entstandene Ammoniakhefe kann, nach genügendem Aus- waschen, direkt nicht als ammoniakhaltiıg erkannt werden, weder durch den Geruch noch durch die Lackmusreaktion. Hingegen ergibt sich Ammoniakgeruch beim Kochen mit Kalk- wasser oder mit Kalılauge. Ferner verursachen die Dämpfe braunen Fleck auf Curcuma- papier, braunen Fleck auf Manganvitriolpapier, blauen Fleck auf Kupfervitriolpapier. Also wird durch Kochen mit fixen Alkalien aus der Ammoniak- hefe Ammoniak abgespalten, ähnlich wie aus irgendeinem Am- moniaksalz. 488 Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Was die Menge des gebundenen Ammoniaks anlangt, so habe ich schon vor einiger Zeit (Pflüg. Arch. Bd. 156) festgestellt, dass 20 g Presshefe binnen 24 Stunden ca. 1g Ammoniak aus 100 cem einer 1,7%,igen Ammoniaklösung zu binden vermögen. Das macht 5 g Ammoniak auf 100 g Presshefe und ca. 15 g Ammoniak auf 100 g Trockenhefe, also 15%, berechnet auf Hefe- trockensubstanz. Damit haben wır gefunden, dass die starke Ammoniakbindung wie bei Diastase auch beim Protoplasmaeiweiß, ja noch in gesteigertem Maße, angetroffen wird. Es scheint, als ob bei gewöhnlichem Präparateneiweiß nicht mehr so viele basenbindende Gruppen, die Säuregruppen, vorhanden wären. Weitere Versuche über Fermente haben ergeben: Tabelle über Säure- und Basenbindung durch Enzyme. Name des Enzyms (bezw. | Eigenschaften | Bemerkungen Eiweißstoffes) | Diastase Gelblichgraues Pulver, fast unlöslich | Hefezellen binden aus n- (Pulver) in Wasser; in Normal-(1,7 %)-Ammo- | Ammoniak 15% NH, aus ıniak oder n-Natronlauge nur wenig | n-Natron über 20 % NaOH löslich (die Flüssigkeit wird gelb bis | (berechnet auf Hefetrocken- | rot). In dem ungelösten Teil findet substanz). sich bei der Behandlung der Diastase mit n-Ammoniak oder n-Lauge eine nicht unerhebliche Menge der Base gebunden vor, bis zu O,lg NH, bezw. 0,17 &g NaOH pro 1g Diastase, d.i.10% NH, bezw. 17% NaOH. In n-Schwefelsäure (4,9 %) löst sich | Hefezellen binden bei glei- die Diastase ebenfalls nicht auf. Eine |cher Behandlung gegen 3indung der Säure konnte nicht | 13% Schwefelsäure (be- | festgestellt werden. rechnet auf Hefetrocken- |Die Bindung der Basen in dem substanz). | Diastasepulver ist so fest, dass die Ammoniakdiastase geruchlos ist, nicht alkalisch reagiert, und erst beim Kochen der noch schleimigen, in | Wasser aufgeschwemmten Masse mit | gelöschtem Kalk oder mit Kalilauge Ammoniak entweichen lässt. Die Diastase wird durch Pepsin unter | Reaktion des Pulvers ge- etwas Salzsäurezusatz anscheinend | gen Lackmuspapier kaum verdaut. merklich alkalisch. Sie gibt beim Erhitzen Geruch nach verbranntem Horn. Methylviolett wird davon in starkem Maße absorbiert. Blutalbumin | absorbiert 3,74 % NH, (berechnet auf Reaktion des Pulvers auf (hornige Masse in Trockensubstanz des Eiweißstoffes); | Lackmuspapier deutlich spröden Blätt- | ferner 6,37 % Schwefelsäure. alkalisch. chen) | | Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Name des Enzyms (bezw. Eiweißstoffes) Eigenschaften Bemerkungen Muskeleiweiß (feines Pulver) bindet 2,55 % NH, von seinem Trockengewicht; bindet 4,9% H,SO, von seinem Reaktion schwach sauer. Hühnereiweiß (hornige, aber spröde Masse) Trockengewicht. bindet 4,25% seines Trockengewichtes an Ammoniak; bindet 6,37 % seines Trockengewichtes an Sch wefel- säure. Reaktion des befeuchteten Pulvers gegen Lackmus- papier schwach alkalisch. Casein (feines, bindet 3,9% seines Trockengewichtes Reaktion des Pulvers auf weißes Pulver) an Ammoniak; ferner 10,78% Lackmuspapier ganz Schwefelsäure. schwach sauer. Takadiastase | vermochte 3,74% ihres Gewichtes | Reaktion des Pulvers gegen Ammoniak zu binden. Lackmuspapier schwach alkalisch. Pepsin (Pulver löst sich ganz auf, in Wasser wie | Reaktion gegen Lack- von gelblicher |auch in n-Ammoniak. Bindung von mus deutlich sauer. Farbe) Basen und Säuren nicht nachweisbar; | Geschmack deutlich bitter, von Säuren wurden n-Schwefelsäure und n-Salzsäure mit negativem Er- folge geprüft, von Basen n-Ammoniak. dabei aber auch süß. Trypsin, alt (Pulver) vermochte 3,74% 5,88 % Schwefelsäure zu binden. Ammoniak und | felsäure, Reaktion gegen Lackmus neutral. Mein Präparat war ziemlich schwer löslich in Wasser und in n-Schwe- leichter in n- Ammoniak. Trypsin, frisch (Pulver) Erster Versuch über Säure- und Basen- bindung verunglückt. Ein nachträg- licher Versuch ergab 3,4% Ammoniakbindung, 1,96 % Schwefelsäurebindung. Reaktion gegen Lackmus neutral. "I g° in 10”cem Wasser wenig löslich, dito in 10 ccm n-Schwefelsäure, aber ganz leicht in 10 cem n-NH,. Lab (Pulver) vermochte 3,4% Ammoniak und 2,94 % Schwefelsäure zu binden, beide aus n-Lösung. Reaktion gegen Lackmus sauer. lg Lab in 1Ocem Wasser teilweise sich lösend, mit 10 ccm n-Ammoniak ganz löslich. Emulsin?), durehschimmern- de, grauviolette Stückchen (Kahl- baum, Berlin) | | | Basen und Säuren werden gebunden. Bei n-Ammoniak war eine Bindung von 4,25 % NH, titrimetrisch im Fil- trat nachzuweisen; bei n-Schwefel- säure eine Bindung von 7,55 % H,SO,. In Wasser schwer löslich. In n-Ammoniak etwas mit bräunlicher Farbe löslich; der Rückstand schleimig. In n-Schwefelsäure unlös- lich. Reaktion gegen Lackmus etwas sauer. 490 Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Um Parallelen für meine Befunde zu erhalten, durchsuchte ich die Enzymliteratur nach Angaben über die Bindung bezw. Adsorption, ferner die elektrochemische Natur der Enzyme, sowie nach Beob- achtungen über die Eiweißnatur. Diastase (in der neueren Literatur vielfach Amylase genannt): Michaölis behandelt in seiner Abhandlung „Absorptionsanalyse der Fermente“ (Biochem. Zeitschr. VI, X, XII, XV) die Absorption der Enzyme durch Kaolin und Tonerde, sowie durch andere Stoffe. Die genannten sind einsinnig geladene Adsorbentien, der Kaolın negativ, die Tonerde positiv. Die Pflanzendiastase wird nach ihm von Tonerde voll- kommen adsorbiert, von Kaolin nicht oder nur in saurer Lösung. Meine Diastase ist vermutlich Malzdiastase gewesen. Denn diese ist am leichtesten zu erhalten und praktisch vom größten Interesse, Meine Takadiastase, vom Aspergillus Oryxae erzeugt und aus Koji-Hefe stammend, war von Grübler bezogen; sie wies ebenfalls die Fähigkeit, Ammoniumhydroxyd zu binden, auf. Es ist nun interessant, dass meine Diastase ebenfalls nur mit basischen, d.i. elektropositiven Stoffen sich zu verbinden vermochte. Speichelamylase freilich wird sowohl von Kaolın als von Ton- erde absorbiert. Malzamylase wandert in reiner wässeriger Lösung überwiegend kathodisch, aber gleichzeitig etwas anodisch. Bei saurer Reaktion wandert sie rein kathodisch, bei alkalischer rein anodisch. Sie ist also nach diesen Versuchen amphoter. Von durchaus einseitiger Bindungsfähigkeit scheint auch die Invertase zu sein. Ich hatte leider kein Präparat zur Hand. Sie wird unter allen Umständen von Tonerde, unter keinen Umständen von Kaolin adsorbiert, hat also den Charakter einer Säure (nach Michaelis). Trypsin: Es zeigte bei den Versuchen von Michaälis einen amphoteren Charakter. In reinem Wasser wandert es zur Anode; durch !/,;,% Essigsäure wird es umgeladen und wandert zur Kathode. Mein Trypsin ergab sowohl Basen- wie auch Säurebindung. Somit ist es amphoter. Die Resultate stimmen also überein. Nach Hammarsten ist das Trypsin ein Nukleoproteid, was ja auch von vielen anderen Enzymen schon behauptet worden ist. Unter Trypsin ist hier wie früher die Pankreastryptase ver- standen; sie ist im Handel leicht erhältlich. Labferment: Auch dieses Enzym erwies sich bei meinen oben beschriebenen Versuchen als basen- und säurebindend. Es verhält sich also amphoter. Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. 491 Sonst gilt das Labenzym als chemisch mit anderen Enzymen übereinstimmend. Es zeigt die üblichen Reaktionen der Enzyme. Seine Lösung in Wasser ist eine kolloidale, d. h. eine Schein- lösung, in Wirklichkeit also eine Suspension feinster Partikel. Es haftet deshalb auch an porösen Niederschlägen, Tierkohle u. s. w. an (Jacoby). Ammonsulfat fällt die wässerige Lablösung bei 80—100%, Sät- tigung aus (Fuld und Spiro). Kochsalz fällt diese Lösung bei 20%, unter Säurezusatz aus (Blumenthal und Lehner). Somit haben wir bei Lab bis jetzt keine Ursache, von der An- nahme seiner Proteinnatur abzugehen. Die systematische Stellung des Labfermentes innerhalb der großen Gruppe der Enzyme ist noch ziemlich unklar. Es wird bei den Proteasen, d.i. den den Eiweißkern angreifen- den Enzymen in der Regel aufgeführt, obwohl die Gerinnung der Eiweißstoffe ein noch ziemlich unbekannter Vorgang ist. Das Lab wird sogar vielfach mit dem Pepsin identifiziert; doch macht das Pepsin schon bei der ersten Untersuchung einen ganz anderen Eindruck. Meine Versuche über Säure- und Basenbindung beim Pepsin führten zu dem bemerkenswerten Resultat, dass Pepsin unter allen bis jetzt geprüften Enzymen das einzige ist, welches weder Säure aus n-Schwefelsäure, noch Base aus n-Ammoniaklösung bindet. Das Labferment bindet beide. Die Natur des Labfermentes erscheint Oppenheimer so zweifel- haft, dass er, um der Hauptfrage nahezutreten, zunächst folgende Teilfragen stellt (O. Fermente II, p. 554ff.): a) Ist das Lab überhaupt eine Protease, d. h. greift es sein Substrat, das Kasein, unter hydrolytischer Spaltung an? Diese Frage beantwortet er zustimmend, da bei der Umwand- lung von Kasein in Parakasein (oder mehrere Parakaseine) eine Verringerung des Komplexes eintritt. Wahrscheinlich geht die Spaltung sogar weiter, so dass dieselbe Protease auch das Para- kasein langsam weiter abbaut. Die Gerinnung bedeutet also einen Abbauprozess des Kaseins. b) Ist das Labferment völlig selbständig oder hängt seine Sekretion untrennbar mit der des Pepsins und anderer Fermente zusammen? Das ist schwerer zu beantworten. Manche haben völlige Übereinstimmung behauptet, so dass Lab und Pepsin ein und derselbe chemische Stoff wäre, nur in ver- schiedenem elektrochemischem Zustande. Tatsächlich hat das Pepsin (in neutraler Lösung) eine Lab- wirkung (Michaßlis). 492 Bokorny, Einiges über die Hefeenzyme. Doch sprechen viele Befunde auch gegen die Übereinstimmung. Nach Rakoczy, um nur eines anzuführen, verschwindet beim Rinde das Lab sehr schnell im Lauf der ersten Lebensmonate, während das Pepsin zunimmt. Auch der reine Magensaft des Kalbes enthält in den ersten Monaten viel mehr Lab als später. Das Lab von neugeborenen Pferden, Schweinen u. s. w. verhält sich genau wie das des Kalbes. Es soll auch Tiere geben, deren Magensaft nur peptische, gar keine Labwirkung besitzt. Auch bei Bakterien findet man keine Parallelität zwischen Lab und Protease. Das sind eine Anzahl gewichtigere Tatsachen gegen die Ein- heitsidee. Vermutlich gibt es im Magen aller Tiere, außer Kalb und Schaf, neben Lab ein Parachymosin, das „chemisch nichts anderes ist als Pepsin und eine relativ geringe labende Komponente besitzt“. Kann man die beiden Enzyme trennen oder doch wenigstens verschieden beeinflussen ? Ja; denn nicht alle Labpräparate enthalten Pepsin. Im Kälber- lab kann man die labende Kraft durch Erwärmen stark schwächen, ohne die (geringe) proteolytische wesentlich zu beeinflussen. Also keine Identität von Lab und Pepsin! Pepsin: ' Mein Präparat löste sich vollständig in Wasser auf (1 g Pepsin in 10 g Wasser), ebenso in n-Ammoniak. Die Lösung färbte Lackmus rot, der Geschmack war etwas bitter. Ein Bindevermögen für Basen oder Säuren war nicht nach- weisbar. Weder n-Schwefelsäure noch n-Salzsäure wurde von meinem Pepsin gebunden, n-Ammoniak wurde auch nicht gebunden. Darin wich das Pepsin von den andern geprüften Enzymen ab. Im übrigen ist die chemische Natur des Pepsins noch wenig erkannt. In manchen neueren Arbeiten wird es als ein Nukleoproteid erklärt. Hingegen gibt Pekelharing an, dass dem Pepsin die Phosphorsäure fehlt, was gegen diese Ansicht spricht. Bei meinen bisherigen Versuchen hat von den geprüften En- zymen nur eines total negatives Resultat ergeben, nämlich das Pepsin, welches weder Säuren noch Basen bindet; eines ferner teilweise negatives Resultat, nämlich die Diastase, welche nur Basen aber keine Säuren bindet. Das Pepsin verhält sich total anders wie das Labferment. Somit findet die Anschauung, dass sie identisch seien, in meinen Versuchen keine Stütze. Die meist vorhandene Fähigkeit der Enzyme, sowohl Säuren als Basen zu binden, spricht für die viel behauptete Eiweißnatur Kathariner, Die Reaktionszeit. 493 derselben. Wenn die Bindung unterbleibt, wie beim Pepsin, so wage ich das nicht als Beweis gegen die Eiweißnatur anzuführen. Es gibt ja auch zweifellos zur Gruppe der Proteinstoffe gehörige Substanzen, wie das Fleischpepton, welche nicht binden. Nicht unwahr- scheinlich ıst es, dass die Größe des Moleküls hier etwas ausmacht. Es war mir leider nicht möglich, alle bekannteren Enzyme in den Bereich der Untersuchung zu ziehen, geschweige denn die selteneren. Meine Versuche hätten sich auch noch auf eine Reihe von anderen Stoffen als Säuren und Alkalien erstrecken sollen. Doch sind die hierfür erforderlichen Enzyme zu teuer zu beschaffen. Die Reaktionszeit. Im gegenwärtigen Krieg hat die rasche Beantwortung eines Sinnesreizes durch eine bewusste Bewegung, die Reaktionszeit, be- sonders für die Bedienungsmannschaft der Maschinengewehre. und der Flugmaschinen, eine besondere Bedeutung. Im Hinblick darauf werden die für diese Dienstzweige in Be- tracht kommenden Leute „soldats mitrailleurs“, in der französischen Armee einer besonderen Prüfung auf die Dauer der Reaktionszeit unterworfen. Man bedient sich dabei eines elektrischen Apparats von d’Arsonval; die Gesichtswahrnehmung wird durch die Be- wegung eines Zeigers und die Gehörsempfindung durch einen Ton hervorgerufen, welchen ein niederfallendes Hämmerchen auf ein Metallplättchen des Apparats erzeugt; durch letzteres kann auch eine Tastempfindung auf der Hand oder im Nacken hervorgerufen werden. Durch einen Hebeldruck gibt der zu Prüfende die Dauer der Reaktionszeit an. In der Sıtzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 10. Juli 1916 berichtet darüber J.-M. Lahy (sur la psycho-physiologie du soldat mitrailleur. ©. R. Ac. sc. Paris Nr. 2, 1916). Die Prüfung erstreckte sich auch auf die „plasticitee fonctionelle“, d. h. darauf, wie lange es dauert, bis der Rhythmus in der Atmung und Zirkulation wieder zur Norm zurückkehrt; bei jeder Bewegung ist nämlich seine Frequenz erheblich gesteigert, und die Dauer dieser Veränderung ıst um so kürzer, je kaltblütiger das Individuum ist. Beiden besten Mitrailleuren fehlen Veränderungen im Rhythmus der Atmung und der Zirkulation fast ganz. Die Reaktionszeit für das Hören darf nicht über '?/,.. Sek. betragen. Da dieselbe gewöhnlich mit !?/,,, Sek. angegeben werde, müsse sıe also für die Mitrailleure kürzer sein. Ch. Richet (Du minimum de temps dans la reaction psycho- Bao plane aux excitations visuelles et auditives. C. R. Ace. sc. Paris Nr. 4, 24 juillet 1916) gibt als die Dauer der Reaktionszeit so Sch. im Durchschnitt für das Sehen 195, Hören 150 und die Tastempfindung 145 an. Nur ein einziges Mal seien bisher niedrigere Zahlen gefunden worden, nämlich 102 von Swift für das Hören. Meade-Beach mache folgende Angaben, die beträchtlich niedriger seien als die bekannten: 494 Kathariner, Die Reaktionszeit. Weiße Indier Neger Hören 146,9 116,3 130,0 Sehen 164,75 135,7 152,9 Er berichtet ferner von einem reinblütigen 14jährigen Indier, dessen Reaktionszeit ausnahmsweise kurz war; sie betrug für das Hören 70 und für das Sehen 119. R. vermutet, dass der Grund für die längere Reaktionszeit für das Sehen gegenüber der für das Hören darauf beruhe, dass die Erregung der Netzhaut einen chemischen Vorgang voraussetze, dessen Übertragung eine um °/,o0o0—"/ıooo Sek. längere Reaktions- zeit erfordere. Jean Oamus und Nepper (Temps des reactions psychomotrices des candidats a l’Aviation. C©.R. Ac. sc. Paris Nr. 4, 24 juillet 1916) ermittelten die Dauer der Reaktionszeit bei Fliegern und Kandidaten für den Flugdienst. Sie waren überrascht, dass die gefundenen Zahlen von den bekannten besten Durchschnittszahlen kaum ab- wichen. Nehme man als Zeiteinheit !/,o0 Sek-, so betrage die Reaktionszeit für das Sehen 196, für das Hören 147 und für die Tastempfindung 150. Abändernd für die Dauer der Reaktionszeit käme außer einer Verschiedenheit des Erregungsreizes, z. B. in seiner Intensität, eine Beeinflussung des Reizempfängers selbst in Betracht; eine Verlängerung werde durch alle Narkotika und den Alkohol herbeigeführt, das Koffein dagegen scheine eine Abkürzung, wenn auch nur um einige !/,.0» Dek. zu bewirken. Zu ganz entsprechenden Resultaten führten im pharmakolo- gischen Institut der Universität Greifswald angestellte Ver- suche (Hugo Schulz, Uber den Einfluss des Aikohols auf das Farbensehen. Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 4., 5. und 6. Heft, Bd. 164, 9. Juni 1916). Es er- gab sich daraus, dass die Uuterscheidungsfähigkeit für Hell und Dunkel bei Grün und Rot durch den Alkohol deutlich beeinflusst wird. Schon verhältnismäßig geringe Mengen von Alkohol (0,25 —12,5 cm?, entsprechend 0,225—11,25 cm? absoluten Alkohols) führten eine deutliche Abnahme der Unterscheidungsfähigkeit von Hell und Dunkel bei Grün und Rot herbei. Bei einer Versuchsperson trat zunächst eine Aufbesserung in der Unterscheidungsfähigkeit von Hell und Dunkel bei Rot nach der Aufnahme von 0,25 cm? Alkohol ein. Dieselbe hielt bis zur Aufnahme von 1,0 cm?, wenn auch mit abnehmender Intensität, an, um dann plötzlich nach Aufnahme von 2,5 em? Alkohol in das Gegenteil umzuschlagen. In einem anderen Versuch trat nach Aufnahme von 5,0 cm? Alkohol sofort eine Ver- schlechterung des Unterscheidungsvermögens ein. L. Kathariner (Freiburg i. d. Schweiz). Anton Kerner von Marilaun, Pflanzenleben. 3. Aufl., bearbeitet von A. Hansen. 3. Bd.: Die Pflanzenarten als Floren und Genossenschaften. Leipzig u. Wien 1916. Bibliographisches Institut. 555 S. mit 63 Abb. im Text, 9 farbigen, 29 schwarzen Tafeln und 3 Karten. Der dritte und letzte Band der neuen Auflage von Kerner’s Pflanzenleben nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sein größter Pringsheim, Anton Kerner von Marilaun, Pflanzenleben. 495 Teil ganz neu geschrieben ist. Er umfasst nämlich neben einer Schilderung der Verbreitungsmittel, die auf der Kerner’schen Dar- stellung fußt, eine ausführliche Behandlung der Abstammungslehre - und der Pflanzengeographie. Die Bearbeitung der Abstammungslehre in ihrer modernen Form, die wohl schwer allgemein verständlich darzustellen ist, scheint dem Ref. an einem gewissen Mangel an Anschaulichkeit zu leiden. So ist z. B. die Erklärung der Pfropfbastarde als Periklinalchimären unverständlich. Auch über die Mutationslehre, ihre Bedeutung und ihre Schwächen kann man aus der Darstellung kaum etwas ent- nehmen. Dafür ıst das Vorkommen der natürlichen Bastarde, ent- sprechend der wichtigen Rolle, die ihnen Kerner zusprach, mit einer gewissen Breite geschildert und recht lehrreich. In erhöhtem Maße scheint dem Ref. dies Verdienst der Pflanzen- geographie zuzukommen, die auf über 400 Seiten behandelt ist. Die Verbreitungsmittel werden vorweg genommen. Nachher spielen ökologische Gesichtspunkte keine große Rolle mehr. Auf sie wird nur hier und da verwiesen, soweit sie ın den früheren Bänden Auf- nahme gefunden haben. Die Verbreitung der Pflanzen über die Erde wird also fast rein geographisch geschildert, nach den ein-, zelnen Erdteilen und deren klimatischen Bezirken. Es werden dabei etwas viel Pflanzennamen aufgeführt, mit denen der Laie keine Vorstellung verbinden kann, soweit sie nicht in den reichlichen und gut gewählten Florenbildern erkennbar sind. Im ganzen machen diese Schilderungen aber doch einen lebendigen Eindruck, da der Verf. vielfach über eigene Anschauung verfügt. Zusammenfassend wäre zu sagen, dass die neue Bearbeitung von Kerner’s Pflanzenleben recht ungleich ın ihrem Wert ıst. Ein Einzelner kann eben heute das ganze Gebiet kaum umfassen, an- dererseits ist aber auch wieder die Einheitlichkeit nicht gewahrt, die Kerner’s Persönlichkeit dem Ganzen verlieh. Pringsheim-Halle. H.Boruttau: Fortpflanzung und Geschlechtsunterschiede des Menschen. Eine Einführung in die Sexualbiologie. Aus Natur u. Geisteswelt 540. Bändchen. Kl. 8%, 99282739. Abb. im Text. Linz aus Wien 1916. B. G. Teubner. Preis 1.25 Mk. Das Büchlein will dem Laien in knapper Form einen Überblick über die wesentlichsten Sexualfragen geben. Dieser Aufgabe wird es in trefflicher Weise gerecht. Besonders in dem Kapitel, das der inneren Sekretion gewidmet ist und in fasslicher Weise eine Ein- führung in diese heiß umstrittenen Fragen gibt. Der erste Teil des Buches behandelt die Anatomie und Physiologie, der zweite be- schäftigt sich mehr mit der Psychologie des Geschlechtslebens — Werbungsvorgänge, Brutpflege, Mutterinstinkt. Zum Schluss fallen Streiflichter auf die hygienischen Fragen der Neuzeit — willkürliche Beeinflussung der Geburtenzahl, Verminderung der Säuglingssterb- lichkeit und zuletzt folgt ein Hinweis auf die eugenischen Be- 496 Neuerschienene Bücher. strebungen der Neuzeit. Das Werkchen ist mit seinem leichtflüssigen, angenehmen Stil und seiner sachlichen Knappheit einem jeden, der sich, ohne fachwissenschaftliche Studien, einen Einblick in diese Fragen verschaffen möchte, warm zu empfehlen. E. R. v. Caron-Eldingen. Die Vererbung innerer und äulserer Eigenschaften. Kl. 4°. 16 S. Berlin 1916. Paul Parey. Der Vf., ein erfolgreicher Züchter kleberreicher Weizenrassen, glaubt aus seinen Erfahrungen den Schluss ziehen zu dürfen, dass die „inneren“ physiologischen Eigenschaften nicht wie die „äußeren“ morphologisch erkennbaren, nach den Mendel’schen Gesetzen ver- erbt werden. Wenn der Ref. seine Ausführungen recht verstanden hat, so beruht dieser Schluss einzig auf einem Missverständnis; v.C. glaubt, dass nach Mendel die Kreuzung A X B regelmäßig andere Eigenschaften haben müsse als die Kreuzung BxX A, was durch seine Erfahrungen widerlegt sei, während doch die ausschließ- lich an ein Geschlecht gebundene Übertragung einzelner sichtbarer Rigenschaften ein Spezialfall Mendel’scher Entmischung ist, auf dessen Vorkommen erst die neueren Erfahrungen aus ausgedehnten Versuchsreihen hingewiesen haben. Er stellt dann ein eigenes Schenia für die Vererbungsgesetze solcher „innerer Eigenschaften“ auf. Aus seinen Ausführungen ist es kaum verständlich und es ıst nicht zu ersehen, durch Erfahrungen welcher Art es über die vage Möglichkeit, sich die Vererbung so vorzustellen, hinausgehoben und zu einer wissenschaftlich begrün- deten Hypothese wird. An Stelle irgendwelcher Versuchsprotokolle oder Beobachtungen steht allein die Versicherung des Vf., dass seine Züchtungserfolge auf dieser Erkenntnis beruhten und sie be- kräftigten. R. Notiz. Fräulein Dr. Rhoda Erdmann, Associate am Rockfeller Institute for medical Research, Department of animal Pathology, teilt mit, dass ihre Adresse vom 1. Oktober ab Princeton, New Yersey, U.S.A. ist. Neuerschienene Bücher dıe der Zeitschrift zugegangen sind. (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Wedekind, Prof. Dr., Uber die Grundlagen und Methoden der Bio- D ) 8 stratigraphie. Mit 15 Abbildungen. 8°, 60 S. Berlin 1916, Verlag von Gebr. Bornträger. Preis M. 3.20. Hertwig, Prof. Dr. O., Das Werden der Organismen. Eine Wider- legung von Darwin’s Zufallstheorie. Mit 115 Abbildungen im Text. 8°, XII, 710 8. Jena 1916, Verlag von G. Fischer. Preis M. 18.50, geb. M. 20.—. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Begründet von J. Rosenthal. In Vertretung geleitet durch Prof. Dr. Werner Rosenthal Priv.-Doz. für Bakteriologie und Immunitätslehre in Göttingen. Herausgegeben von DraR2Golebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München Verlag von BERTE Thieme in Leipzig Dr Roman für 12 Hefte beträgt 20 Mark lan Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Werner Rosenthal, z.Z. Erlangen, Auf dem Berg 14, einsenden zu wollen. Ba. XXXYVI. 20. Dezember 1916. x 11 u.12. ne RE: Die Dane der een Sail die potentielle ai: 3: Ein- zelligen. — Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. — Szymanski, Die Haupt-Tiertypen in bezug auf die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden im 24stündigen Zyklus. — Eichwald, Die Energetik der Organismen. — v. Caron-Eldingen, Er viderung. — Kam- ınerer, Allgemeine Biologie. — Brelim’s Tierleben. — Küster, Pathologische Pilanzen- anatomie in ihren Grundzügen. — Riebesell, Die mathematiselien Grundlagen der Ver- erbungs- und Variationslehre. — Neuerschienene Bücher. — Register. Die Fortpflanzung der Infusorien und die potentielle Unsterblichkeit der Einzelligen. Von Vietor Jollos. Seitdem August Weismann in einer seiner tiefgründigsten Abhandlungen die Frage nach der Notwendigkeit des Ste chem für alles Lebende aufwarf und auf den mersohicd zwischen einzelligen and vielzelligen Lebewesen gegenüber Altern und Tod hinwies, ist die „potentielle Unsterblichkeit“ der Protisten von vielen Forschern behandelt worden Nicht nur in theoretischen Betrachtungen wurde zu den Weismann’schen Gedankengängen Stellung genommen — sehr bald versuchte man auch durch Beobachtung und Experiment ihre Richtigkeit zu prüfen. Die Fragestellung war hierbei eine recht einfache: Gibt es bei genau verfolgten Protistenkulturen mit Not- wendigkeit, also physiologisch auftretende Alters- und Todes- erscheinungen? Und wenn solche nachweisbar sind, welche Eın- richtungen bewahren die gealterten Individuen vorm Tode und da- mit die Art und letzten Endes also alle Protisten vor dem völligen Untergange? (Denn dass dann solche Einrichtungen vorhanden sein müssten, ist ohne weiteres klar, da ja z. B. bei einem sich nur XXXVI. 32 UV 498 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. durch Zweiteilung vermehrenden Organismus die Generationen kon- tinuierlieh restlos ineinander übergehen und alle Individuen also genau genommen gleich alt sind.) Maupas glaubte diese Fragen durch seine Feststellungen an Infusorien eindeutig beantworten zu können. Er fand bei allen längere Zeit geführten Infusorienkulturen allmählich auftretende und sich ständig verstärkende Degenerationserscheinungen, denen schließ- lich alle Infusorien unrettbar erlagen — wenn sie nicht zur Kon- jugation schreiten konnten. Individuen dagegen, die sich gepaart hatten, verhielten sich danach wieder ganz normal und konnten sich von neuem lange Zeit durch Teilung vermehren, bis wieder Konjugation oder, beiihrer Veıhinderung, Degeneration einsetzte. — Maupas kam daher gegenüber Weismann zu dem Schlusse, dass auch die Einzelligen ganz wie die Metazoen altern und natürlichem Tode unterworfen sind. Der Jungbrunnen aber, der sie allein vor dem Untergange retten könne, sei die Paarung. Aus inneren Bedingungen erfolge demnach die Konjugation, so dass der ganze Lebenslauf der Infusorien durch innere Bedingungen festgelegte Zyklen darstellen würde. Damit mündet die experimentelle Prüfung der potentiellen Un- sterhlichkeit der Einzelligen in eine andere viel behandelte physio- logische Frage: Werden die Fortpflanzungserscheinungen in ihrem Wechsel durch innere oder durch äußere Faktoren bedingt? Oder spezieller und schärfer formuliert: Ist die Befruchtung bezw. ein sie ersetzender Vorgang eine für die Lebensvorgänge unbedingte innere Notwendigkeit, oder wird sie durch Außenbedingungen hervor- gerufen und ist vermeidbar ? Überall, wo die experimentelle Forschung den Wechsel von Fortpflanzungserscheinungen aufzuklären suchte, stoßen wir auf diese Frage und zugleich auf eine Scheidung der Ansichten. Erinnert sei nur an die Kontroversen über die Bedingungen der Fortpflanzung von Daphniden und Rotatorien, vor allem aber an die schönen Untersuchungen von Klebs, der für Algen und Pilze dies Problem bis zu einem gewissen Grade klären konnte. Auch bei der Beurteilung der Fortpflanzung der Infusorien finden wir bald die gleichen Gegensätze: Während zunächst Calkins und R. Hertwig auf Grund ausgedehnter Untersuchungen in Über- einstimmung mit Maupas die Konjugation für unbedingt notwendig für die dauernde Erhaltung des Lebens der Infusorien erklären, betont späterhin besonders Enriques im Hinblick auf seine ab- weichenden Züchtungsergebnisse mit aller Entschiedenheit, dass es durchaus möglich ist, Infusorien hunderte von Generationen hin- durch unter Ausschluss von Konjugation zu kultivieren, ohne dass Degenerationen oder Depressionen auftreten. Die von Maupas, Calkıns, Hertwig u. a. nachgewiesenen Depressions- und Aus- Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. 499 sterbeerscheinungen führte Enriques wohl mit Recht auf die von seinen Vorgängern angewandten Kulturmethoden zurück, bei denen es vor allem — zum mindesten zeitweise — zu einer Anhäufung von Stoffwechselprodukten im Kulturmedium kommen konnte. Enriques schließt also, ganz analog den Feststellungen von Klebs an Algen und Pilzen, dass die Infusorien sich beliebig lange durch Teilung vermehren können, ohne zu altern, und somit nicht durch innere, sondern durch äußere Faktoren, speziell die chemische Zu- sammensetzung des umgebenden Mediums zur Konjugation ver- anlasst werden. Durch die sorgfältigen Kulturversuche von Woodruff, die unter Innehaltung der schon von Weismann Maupas’ Versuchs- anordnung gegenüber geforderten Modifikationen durchgeführt wur- den, schienen diese Ansichten endgültig sichergestellt und die inner- lich bedingten Fortpflanzungszyklen im Sinne von Maupas-Calkins widerlegt; gelang es doch Woodruff Jahre hindurch mehrere tausend Generationen von Paramaecium aurelia unter sicherem Ausschluss von Konjugation beı vollster Lebensfrische zu züchten. — Dennoch brachten gerade die Untersuchungen Woodruffs im weiteren wieder einen Umschwung: zwar die Lebenszyklen im Sinne von Maupas-Calkins wurden von ihm verworfen, anderer- seits fand er aber doch bei seinen Kulturen periodische Schwankungen der Teilungsfrequenz. Und diese „Rhythmen“ sind nach Woodruff durch innere Bedingungen hervorgerufen. Mit der Herabsetzung der Teilungsfrequenz parallel gehen nun, wie die von Woodruff und Fräulein Erdmann in den letzten Jahren durchgeführten Untersuchungen ergaben, komplizierte Pro- zesse am Kernapparat der Paramaecien, die offenbar mit der von R. Hertwig vor Jahren auf Grund gelegentlicher Befunde mit- geteilten und inzwischen ausführlicher beschriebenen Parthenogenese identisch sind, von Woodruff und Frl. Erdmann aber als sexu- eller Vorgang sul generis angesehen und mit dem Namen „Eindomixis“ belegt werden. Bevor wir auf die Bedeutung dieser interessanten Feststellungen für das Todes- und Fortpflanzungsproblem eingehen, wollen wir uns die Vorgänge selbst kurz vor Augen führen und kritisch werten: Bekanntlich geht im Verlaufe der Konjugation der Paramaecıen !) der Macronucleus zugrunde, während der Micronucleus durch zwei- malıge Teilung vier Kerne entstehen lässt, von denen drei degene- rieren, während der vierte sich noch einmal in stationären- und Wanderkern durchschnürt. Die Wanderkerne treten wechselseitig in den anderen Konjuganten über und verschmelzen dort mit dem 1) Auf die für diese prinzipielle Betrachtung unwichtigen Unterschiede im Verhalten von Paramaecium caudatum und P. aurelia soll hier nicht eingegangen werden. I)% Ku Zu 500 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien, stationären Kern des Partners. Durch Teilungen des Synkaryons werden alsdann neue Mikronuclei und Makronucleusanlagen ge- bildet. — Sämtliche erwähnten Teilungen des Mikronucleus unter- scheiden sich von den bei der vegetativen Vermehrung zu beob- achtenden nicht unerheblich, erscheinen aber unter sich recht ähnlich. Daher und wegen der großen Zahl der beteiligten chromatischen Elemente or es für Paramaeenım bis jetzt auch noch nicht klar- eestellt werden, welche der drei vor Bildung des Synkaryons nach- weisbar enMikr onueleusdur chschnürungen die Reduktionsteilung ist. — Bei der „Endomixis“ von Woodruff Fig. 1. und Fräulein Erdmann finden in einem wi Infusor ganz ähnliche Vorgänge statt: Der Makronucleus zerfällt (und zwar mitunter auch zunächst in die von der Konjugation be- kannten, aber bei der „Endomixis* bisher vermissten „wurstförmigen Schlingen“ (s. Fig. 1), der Mikronucleus teilt sich zwei- mal, drei der Tochterkerne degenerieren, während aus dem vierten durch wieder- holte Teilung neue Mikronuclei und Makro- nucleusanlagen hervorgehen. Gegenüber den Erscheinungen bei der Konjugation unterbleibt also nur eine Mikro- nucleusteilung und natürlich die Vereinigung zweier Kerne verschiedener Individuen. Über den Charakter der Mikronucleus- Sy teilungen könnte man nach den Angaben von here Ban Der Woodruff und Erdmann bei Paramae- maceium aurelia. Zorfal| um aurelia im Zweifel sein und noch am lea nonn slanatn. runs ehesten eine Übereinstimmung mit den vege- förmige Schlingen“. tativen Vermehrungsdurchschnürungen ver- muten. Aus den Feststellungen von R. Hertwig geht aber klar hervor, dass sie durchaus dem Teilungs- typ bei der Konjugation entsprechen, eine Feststellung, die durch die späteren Befunde von Woodruff und Erdmann für Paramae- cium caudatum und ebenso durch meine eigenen Beobachtungen für beide Arten bestätigt wird?). Damit ist aber auch die Wertung des ganzen Prozesses ge- geben: Es handelt sich um die morphologische Struktur und das Verhalten von Gametenkernen bei Ausschluss einer Kernkopulation, also um eine richtige Parthenogenese, wie dies denn auch schon Richard De der erste Entdecker dieser Vorgänge, von 2) Tatsächlich variieren die zu beobachtenden Teilungsbilder nicht unbeträcht- lich, wie dies schon Hertwig vermutete. Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. 501 vornherein erkannte und ebenso späterhin Popoff, der auf sie bei seinen experimentellen Untersuchungen stieß, allerdings ohne an die Übereinstimmung mit den alten Hertwig) schen End ungen zu denken’). Und zwar handelt es sich offenbar um eine „diploide Partheno- genese“, d.h. um einen unreduzierten Gametenkern, da das Fehlen der einen Mikronucleusdurchschnürung wohl nur als Ausfall der Reduktionsteilung gedeutet werden kann). Woodruff und Fräulen Erdmann sind allerdings anderer Ansicht. Sie geben zwar eine ganz richtige Definition der Partheno- genese im Anschluss an Winkler, die also auch die Entwick- lung eines unreduzierten Gameten berücksichtigt. Im weiteren ver- langen sie aber vor Zurückziehung der Bezeichnung „Endomixis“ merkwürdigerweise immer den Nachweis der Reduktionsteilung und Deeeben dass alle für Paramaecien überhaupt möglichen Kriterien deı - diploiden (= ansehen‘) Parthenogenese gegeben sind; handelt es sich doch bei den Paramaecien, wie bei den meisten Infusorien, nicht um spezifische Gameten, sondern nur um spezi- fische Gametenkerne! Der Name „Endomixis“ ıst also zu streichen. Er wäre auch ohnehin recht unzweckmäßig, da er die ausschließlich für die Ver- einigung von Kernen verwandte Bezeichnung „Mixis“ mit gänzlich hypothetischen Kern-Plasmamischungen verquickte. Läge keine Parthenogenesis vor, so könnte man daher nur von einer Regene- ration des Makronucleus sprechen! — Parthenogenetische Prozesse kommen nun, wie Woodruff und Fräulein Erdmann mit Recht hervorheben, nicht nur bei einzelnen lange geführten Kulturen, sondern offenbar ganz allgemein bei Paramaecium vor. So konnte ich sie bei sämtlichen daraufhin ge- 3) Auch Calkins kommt, wie ich dem Vortrage von Fräulein Erdmann entnehme, zu einer entsprechenden Wertung der Befunde von Woodruff und Erd- mann. Seine Abhandlung war mir bisher infolge der Kriegsverhältnisse leider nicht zugänglich. 4) Es sei aber darauf hingewiesen, dass aus dem Fehlen einer Mikronucleus- teilung bei der Parthenogenesis gegenüber der Konjugation noch keineswegs hervor- geht, dass gerade die dritte, bei der Konjugaticn zur Bildung von stationärem und Wanderkern führende Teilung ausfällt, wie dies Woodruff und Fräulein Erd- mann ohne weiteres annehmen, die damit eben diese dritte Teilung als Reduktions- teilung bewiesen zu haben glauben. Bei der Ähnlichkeit der drei Teilungen bedarf es zur Entscheidung dieser Frage viel genauerer zytologischer Untersuchung, als sie bisher vorliegt. Die experimentelle Forschung hat in diesem Punkte auch noch keine eindeutigen Ergebnisse gebracht (vgl. Jollos 1913a), während die einzigen bisher bei anderen Infusorien vorliegenden exakten Befunde über Zahlenreduktion diese gerade in die zweite resp. erste Teilung des Mikronucleus verlegen! (Prandtl, Popoff, Enriques). Die von Fräulein Erdmann fälschlich zitierte Untersuchung von Mulsow über Stentor lässt dagegen gerade diese Frage ausdrücklich unent- schieden! 302 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. prüften Stämmen — 2 von Paramaecium caudatum und 3 von P.aurelia, von denen zwei dazu aus dem Freien frisch isoliert wurden, — nachweisen. — Und es erhebt sich jetzt für uns gegenüber der Parthenogenese dieselbe Frage, wie sie für die Konjugation durch die Arbeiten von Enriques und Woodruff geklärt schien: Ist sie durch die innere Konstitution der Infusorien oder durch äußere Faktoren bedingt? Ist sie also für die Erhaltung des Lebens der Paramaecien notwendig oder vermeidbar und umgekehrt jeder Zeit auszulösen? — Um gerade auf diesem Gebiete häufigen Missverständnissen und Unklarheiten vorzubeugen, müssen wir zunächst einmal fest- stellen, was unter „äußeren Faktoren“ verstanden werden soll: Wir müssen unterscheiden zwischen unmittelbaren Einwirkungen der Außenwelt, ihren mittelbaren Einwirkungen und der ererbten Konstitution des Organısmus. Wir setzen also der ererbten Kon- stitution als innerem Faktor -—— als äußere Faktoren nicht nur die im Moment vor Eintritt der Konjugation oder Parthenogenesis vorhandenen äußeren Bedingungen gegenüber, sondern daneben auch noch die Summe der Einflüsse der Außenwelt, denen die be- treffenden Infusorien während ihres ganzen vorangegangenen Lebens ausgesetzt waren, und durch die besondere „innere Bedingungen“ ım Sinne von Klebs geschaffen wurden. Der Eintritt der Parthenogenesis oder Konjugation bei Para- maecium hängt z. B. sicherlich nicht nur von einem unmittelbaren äußeren Faktor ab, wie dies nach Klebs bei manchen Algen und Pilzen der Fall ıst und gelegentlich allzu einseitig auch von den Infusorien angenommen wurde; vielmehr ist ıhr Zustandekommen außer von der chemischen Zusammensetzung des Mediums offen- bar auch noch bedingt durch gewisse intracelluläre Veränderungen, vor allem des Makronucleus. Wir stimmen also Richard Hertwig durchaus zu, wenn er es für ein aussichtsloses Beginnen erklärt, innere Bedingungen bei der ursächlichen Erklärung der Befruch- wungsprozesse gänzlich ausschließen zu wollen. Aber die Frage ist nur, ob dies „innere Bedingungen“ im oben definierten Sinne sind, also doch mittelbare Einwirkungen der Außenwelt oder aber, ob sie nur auf der ererbten inneren Konstitution beruhen, also von vornherein festgelegt sind, wie es z. B. ursprünglich für den Gene- rationswechsel der Daphniden angegeben wurde, und wie es wohl auch Fräulein Erdmann vorschwebt, wenn sie sagt, dass die Parthenogenese beı Paramaecium nach einer bestimmten?) Anzahl vegetativer Teilungen eintritt. Eine Prüfung von nach der Methode Woodruff’s geführten Paramaeciumkulturen legt einen solchen Schluss allerdings nahe. 5) Im Original gesperrt. Teilungsfrequenz innerhalb 24 Stunden. Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. 303 In recht regelmäßiger Folge sehen wir auf einer Kurve der Teilungs- frequenz (Fig. 2) Parthenogenesis auftreten, und da ja die äußeren Fig. 2. Kama l Februar td. S innerhalb 24 Zahl der Teilungen + = Parthenogenese. Bedingungen, Temperatur und Medium möglichst gleichmäßig ge- halten wurden und, wie Woodruff’s jahrelange Zuchten beweisen, für die Erhaltung der Infusorien günstig sind, so könnte der Ein- tritt der Parthenogenesis in der Tat durch die ererbte innere Kon- stitution bestimmt festgelegt erscheinen. Ja, wenn man den bei der Kultur der Paramaecien am schlechtesten zu beherrschenden Faktor, die Ernährung, dadurch noch gleichmäßiger gestaltet, dass man die als Medium verwandte 0,025 %, Bouillonlösung aus einer Reinkultur des besonders üppig sich entwickelnden Bacterium proteus Fig. 3 März April Mai SeSESEnrmSEE ERSETERENDELOO Er SS % HH sı nn sıı Ns rm SEIEN EIERN ZEN Br m Ken Sr ln OS Ay ae ba Base re ee ae RE a a a | | I SE — Bro | | ID ee Men scannen | | er een aaa ee Fries FaENENSee l3 ie IL + E 4 H tee zt : | + r zT Tr = =Ir, ls 4 + 4— 4 j>= =r —T Tor la + + + Teilungsfrequenz von Paramaecium caudatum bei Fütterung mit B. Proteus. beimpft, so lassen sich sogar die in den Zuchten sonst noch (ab- gesehen von den Zeiten der Parthenogenese) zu beobachtenden Schwankungen (Fig. 2) häufig für einige Wochen fast ganz besei- tigen (Fig. 3), ohne dass sich an dem periodischen Auftreten der parthenogenetischen Prozesse etwas ändert. Einen Unterschied ergeben diese Beobachtungen allerdings gegenüber den Angaben und besonders der schematischen Dar- stellung (Fig. 4) von Woodruff: Wir finden keineswegs eine wellenförmig verlaufende Teilungsfrequenzkurve, sondern eine recht gleichmäßige Teilungsrate, die zur Zeit der Parthenogenese plötzlich 21—23 504 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. abfällt, um danach wieder ihre alte Höhe zu erreichen. Besonders klar zeigt dies die mit Reinkulturen von Proteus gefütterte Zucht (Fig. 5), sowie die die tägliche Teilungsrate verzeichnende Kurve der Figur 5. Fig. 4. P Parthenogenesis D Fig. 4. Schema des Zusammenhanges von Teilungsfrequenz und Parthenogenese nach Woodruff-Erdmann. Ich kann also auch die Beschleunigung der Teilungsfrequenz über die Norm nach vollzogener Parthenogenese nicht bestätigen, auf die Woodruff und Fräulein Erdmann so großen Wert legen, und die von anderer Seite schon zur Grundlage für ein Hypothesen- gebäude benutzt wurde. Anzahl der Teilungen. Fig. 5. Marz 179476 April 141516417 1871920721 22723724725 26 27 28293073 1ee27 3 225 D&D oO —- Parthenogenesis. An der relativen Regelmäßigkeit des Auftretens von Partheno- genesis unter den genannten gleichmäßigen Außenbedingungen ändert unsere Festellung natürlich nichts; aber andererseits beweist dieses regelmäßige Auftreten noch keineswegs den konstitutionellen Ur- sprung der Parthenogenese; denn die gleichmäßigen Bedingungen können ja auch gleichmäßige sich summierende oder periodisch ein- wirkende Schädigungen enthalten. Dieser Gedanke wird uns nahe gelegt, wenn wir bei ausge- dehnteren Untersuchungen finden müssen, dass gar manche Para- maeciumstämme, sowohl von P. aurelia, wie von P. caudatum, sich unter den von Woodruff gewählten Kulturbedingungen, d. h. auf dem Öbjektträger mit einigen Tropfen einer 0,025 /, Lösung von Liebig’s Fleischextrakt, überhaupt nicht züchten lassen, während Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. 505 andere nach verhältnismäßig kurzer Zeit eingehen‘). Und selbst bei den dauernd oder doch recht lange in dieser Weise kultivier- baren Stämmen treten Störungen auf, sobald man die tägliche I1so- lierung und Übertragung der Paramaecien unterlässt oder die Kul- turen in höhere, aber an sich noch durchaus zuträgliche Temperaturen versetzt. Diese Störungen zeigen sich zuerst ın einer Herabsetzung der Teilungsfrequenz: Paramaecien, die sich bei 21° beı täglicher Isolierung regelmäßig zweimal innerhalb 24 Stunden teilen, weisen dann in 72 Stunden fast immer nur 5 statt 6 Teilungsschritte auf. — Noch auffälliger sind diese Unregelmäßigkeiten bei 30°: So fanden sich bei einem Stamme von Paramaecium aurelia mit sonst täglich 3—4 Teilungen bei Fortfall der täglichen Isolierung nach 48 Stunden meist nur 5, nach 72 Stunden nur 6—7 Teilungs- schritte. Und untersucht man die Paramaecıen aus solchen ohne Trennung gezogenen Kulturen, so stößt man in einem sehr hohen Prozentsatz eben auf parthenogenetische Vorgänge! Bei manchen Stämmen lassen sie sich mit fast absoluter Sıcher- heit auf diese Weise nach 2—3 Tagen erzielen, besonders wenn man die Objektträgerkulturen aus 20 ° unmittelbar in 30° überführt. Bei anderen ist eine noch größere Anhäufung von Infusorien er- forderlich, wie sie sich bei gleicher Versuchsanordnung erst nach 4—6 Tagen einstellt. Auch durch Hinzufügung von stark verdünntem Ammoniak- wasser lassen sich, wenn auch weniger sicher, die gleichen Vorgänge auslösen, wie schon aus den aus anderen Gedankengängen heraus unternommenen Untersuchungen von Popoff hervorgeht. Wesent- lich bessere Erfolge hatte ich dagegen durch Einführung von Kul- turen verschiedener Bakterien, die gelegentlich als Verunreinigungen der normalen Infusorienzuchten aufgetreten waren und sich dabei als schädigend erwiesen hatten’). — Mit der Feststellung der Aus- lösbarkeit der Parthenogenese von Paramaecium ist aber die Mög- lichkeit einer exakten Prüfung der von uns aufgeworfenen allge- meinen Fragen gegeben. Die hierbei gewonnenen Resultate seien mit Hilfe der Fig. 6—8 veranschaulicht: Von einer unter den normalen Bedingungen von -Woodruff bei einer konstanten Temperatur von 21° geführten Hauptkultur 6) Für Paramaecrum candatum haben inzwischen Woodruff und Erdmann (in einer mir infolge der Kriegsverhältnisse leider erst nach Abschluss meiner Unter- suchungen zugänglich gewordenen Arbeit) auf diese Schwierigkeiten der Kultur hingewiesen. Ich möchte aber betonen, dass es nicht nur während der Partheno- genese selbst, sondern auch bei der rein vegetativen Vermehrung zu Störungen u. a. der Zellteilung kommen kann. 7) Genauer soll auf diese verschiedenen Bedingungen der Auslösung der Par- thenogenese in anderem Zusammenhange eingegangen werden. >06 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. Fig. 6. März 1916 Apcıl Mai ee) — — ID SENT EN al ae N | Re) - | | Al il ı j v6 - do) e2 | ©) [as -i N ref To Bar RET BENDER. na Sea ar za \ Gero FARBF SM RET=ERREEREBERENT] — normale Kultur; .... Abzweigungen von der normalen Kultur zur Aus- lösung von Parthenogenese; #8 Parthenogenese. 12—14 1 2 2 fe) l 24—26 & 0 [e frequenz _ Teilungs- von Paramaecium aurelia, deren Teilungsfrequenz in der Zeit vom 13. März bis 5. Mai 1916 die durchgehende Kurve auf Fig. 6 wieder- gibt, wurden andere Zuchten abgezweigt und in die erwähnten, Parthenogenesis begünstigenden Bedingungen versetzt. Dies geschah am 14., 23. und 28. März sowie am 4., 9., 15. und 23. April. Während in der Hauptkultur Parthenogenesis zwischen dem 19. und 21. März und dann erst zwischen dem 18. und 20. April stattfand, wurde sie in sämtlichen Zweigkulturen, sowohl in den unmittelbar nach der Parthenogenese der Hauptkultur wie in den zu einer späteren Periode von dieser abgezweigten, in den nächsten Tagen nach Ver- setzung unter die auslösenden Bedingungen festgestellt, wie dies aus Fig. 6 klar zu ersehen ist. Damit dürfte wohl eindeutig bewiesen sein, dass die Parthenogenesis in jedem Zeitpunkt des Lebens der Para- maecien durch äußere Faktoren ausgelöst werden kann. Ähnlich ist das Ergebnis der in Fig. 7 wiedergegebenen Ver- suchsanordnung: Zum bosseneı Vergleich der ja bei verschiedenen Temperaturen geführten Kulturen bedeutet hier jeder Abschnitt der an Fig. 7. E Parthenogenesis; == Normalkultur; »* Abzweigungen von der Normalkultur zur Auslösung von Parthenogenesis (weitere Erklärung im Text). Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien, 307 Abszisse im Gegensatz zu den anderen Kurvenaufnahmen nicht 3 Tage, sondern 3 Teilungsschritte. Der Eintritt von Partheno- genese ist in gleicher Weise (@) wie oben markiert. Von einer „Normalkultur“ (=) wurde unmittelbar nach Ablauf einer Par- thenogenese eine zweite abgezweigt («) und in Parthenogenese begünstigende Außenbedingungen versetzt. Während in der Aus- gangskultur die nächste Parthenogenese erst nach 56 Teilungs- schritten eintrat, finden wir sie unter den auslösenden Außenbe- dingungen bereits nach 8 Teilungen, dann, bei entsprechender Weiterführung der Abkömmlinge, wieder nach 10, 9, 6, 15 und wieder 6 Teilungsschritten. Sechsmal konnte hier also durch entsprechende Wahl der äußeren Bedingungen Parthenogenesis erzwungen werden, ehe sie auch bei gleicher Gesamtzahl der Teilungsschritte in der nicht be- sonders behandelten Parallelkultur gleichen Ausgangs wieder auf- trat! (Dass dabei durch die Veränderung der Außenbedingungen nicht etwa dauernde Umstimmung in der periodischen Folge der Parthenogenesen bewirkt wurde, zeigt das Verhalten bei Rückver- setzung in die „normalen“ Verhältnisse.) Durch spätere Verbesserungen der Methode und Wahl besonders geeigneter Stämme von Paramaecium konnten noch regelmäßigere Ergebnisse erzielt werden, vor allem infolge Herabsetzung der Sterb- lichkeit der dem Experiment unterworfenen Zuchten. Bei einem Stamme war es schließlich möglich, während mehrerer Wochen jeden dritten Tag d. h. nach durchschnittlich je 5—6 Teilungen Parthenogenese nachzuweisen! Daran dass Parthenogenesis jederzeit durch entsprechende Faktoren der Außenwelt hervorgerufen werden kann, ist somit nicht zu zweifeln. Wie aber müssen wir ihr Auftreten in den nach dem Vorgange Woodruff’s geführten Kulturen beurteilen? Handelt es sich auch hier um äußere Einwirkungen? Auch darüber erlaubt uns die experimentelle vergleichende Untersuchung eine Antwort: Wir bedienen uns dazu der folgenden, in Fig. 8 wiedergegebenen Ver- suchsanordnung: Von einer „Normalkultur“ nach Woodruff werden im be- stimmten Abständen Zweigkulturen abgeleitet, zur Parthenogenese gebracht und dann wieder in die alten normalen Bedingungen zurückversetzt. Man erhält auf diese Weise eine beliebige Anzahl — in unserem Falle vier — unter gleichen Außenbedingungen stehender Kulturen gleichen Stammes, also’ gleicher erblicher Kon- stitution, die aber zu verschiedener Zeit die letzte Parthenogenese vollzogen haben. Ist daher der Eintritt der Parthenogenese ın den nach Woodruff’s Art geführten Kulturen durch die erbliche Kon- stitution veranlaßt, so muss zwischen den einzelnen Zweiglinien der primäre zeitliche Abstand in dem Auftreten der weiteren Par- Teilungsfrequenz in 24 Stunden. DS Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. thenogenesen gewahrt bleiben. Wirken dagegen äußere Kultur- bedingungen Parthenogenese auslösend, so ist ein rascher oder all- mählicher Ausgleich zu erwarten. Fig. 8. Febr. 1916 März April Mai Er SE ZaasS Ra En rar een er ee rel rasen re 2 Ale er | | on oo ae IE es na. eo, Ser ee arena m ana nn nn oo oO rn ma A A Mn 2?]; lösung von Parthenogenesis; —+- Parthenogenesis. Wie Fig. 8 zeigt, kommt es tatsächlich zu einem solchen Aus- gleich der verschiedenen Parallelkulturen: Während ın der Ausgangs- kultur die letzte Parthenogenese vor Beginn der vergleichenden Beobachtung am 24./25. Februar stattgefunden hatte, wurde in den drei Zweiglinien noch am 1./2. März, 7./8. und 13./14. März je eine Parthenogenesis ausgelöst. Dennoch finden wir am 20. März schon gleichzeitig in der Hauptkultur (=) und der ersten Zweiglinie (=) den Beginn parthenogenetischer Prozesse und nur zwei Tage später in der zweiten Abzweigung -—=). Und am 19. April ist die nächste Parthenogenese gleichzeitig in allen vier Parallelkulturen nachzu- weisen! In anderen Versuchsserien erfolgte der Ausgleich etwas lang- samer und allmählicher, und dies dürfte vielleicht die Regel dar- stellen. Aber für die Beurteilung ist die Zeitdauer des Ausgleiches natürlich ohne Belang, da eben alleine durch die stets feststellbare Tatsache seines Zustandekommens bewiesen ist, dass auch in den nach der Methode Woodruff’s geführten Kulturen letzten Endes äußere Faktoren den Eintritt der Parthenogenese bedingen. Und zwar spricht manches dafür, dass es sich hier wenigstens häufig um zweierlei Faktoren händelt: einmal um sich summierende ständige Einwirkungen der Kulturbedingungen, daneben aber auch noch um nur gelegentlich einsetzende Faktoren, die nur dann Partheno- genese auslösen, wenn die sich summierenden ständigen Einwir- kungen bereits einen gewissen Grad erlangt haben. Solche gelegent- lich wirkenden Faktoren (die wir uns als Änderungen der Bakterien- Normalkultur; + > === Abzweigungen von der Normalkultur nach Aus- Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. 509 flora, leichteste Temperaturschwankungen oder dergl. vorstellen könnten) waren offenbar z. B. bei dem ın Fig. S wiedergegebenen Beobachtungsmaterial in der Zeit vom 19.—22. März beteiligt. In dreien der verfolgten Zuchten, bei denen es bereits zu einer hin- reichenden Summierung der Schädigungen durch die allgemeinen Kulturbedingungen gekommen war, finden wir daher in dieser Zeit auch Parthenogenese; nicht dagegen in der vierten («*), die sich da- mals noch nicht lange genug seit ıhrer letzten Reorganisation unter diesen Kulturbedingungen befand. — Und auch die Erfahrungen bei der experimentellen Auslösung der Parthenogenese zeigen, dass es bei den Woodruff’schen Kulturbedingungen zu einer allmäh- lichen Summierung von Veränderungen kommt, die mit den von uns absichtlich erzielten gleichgerichtet sind. Denn nicht nur bedarf es zur Auslösung einer neuen Parthenogenese unmittelbar nach einer eben abgeschlossenen länger dauernder (oder intensiverer) Einwirkungen (vgl. Fig. 6) als zu einer späteren Periode, sondern auch der Prozentsatz der durch einfaches Unterlassen der täglichen Isolierung hervorrufbaren Parthenogenesen steigt mit dem Zeitab- stand von der letzten Parthenogenesis recht merklich. Es liegen demnach bei Paramaecıium in gewisser Hinsicht ähnliche Verhältnisse vor, wie sie die neueren Untersuchungen z. B. für Daphniden ergeben haben, bei denen ja offenbar auch spätere Gene- ratıionen (oder spätere Würfe des gleichen Weibchens) in ıhrer Fort- pflanzungsweise ständig leichter durch experimentelle Bedingungen beeinflussbar sınd. Nur können wir bei den Paramaecien jetzt schon mit größerer Sicherheit in jedem Lebensaugenblicke die Partheno- genese erzwingen als bei den Daphniden die befruchtungsbedürf- tigen Eier. Fassen wir die bisher mitgeteilten Versuche und Beobachtungen über die Parthenogenese von Paramaecium noch einmal zusammen, so wäre nunmehr bewiesen, dass 1. Faktoren der Außenwelt in jedem Lebensabschnitt von Paramaecıum Parthenogenesis hervorrufen können, und dass 2. Faktoren der Außenwelt auch in den nach der Me- thode von Woodruff unter möglichst gleichmäßigen Bedingungen gehaltenen Kulturen den Eintritt der Parthenogenesis bedingen. Nicht bewiesen ıst damit aber noch, dass die erbliche Kon- stitution, die sich ja auch in der verschiedenen Häufigkeit der parthenogenetischen Prozesse bei verschiedenen unter gleichen Bedingungen gehaltenen Linien von Paramaecıum zeigen kann, an sich Parthenogenese überhaupt nicht erfordert und diese also ebenso wie die Konjugation (und ohne wieder umgekehrt durch Konjugation ersetzt zu werden) ganz vermeidhar ist. 510 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. Einen solchen Beweis kann ich auf Grund meiner Beobach- tungen und Versuche auch nicht führen. Es gelang mir zwar wieder- holt, die parthenogenetischen Vorgänge (bei sicherem Ausschluss von Konjugation) erheblich hinauszuschieben; so bei einem in Ob- jektträgerkulturen längstens nach 60 Teilungen zur Parthenogenese schreitenden Stamme von P. aurelia durch Aufzucht in größeren die tägliche genaue Musterung noch gerade zulassenden Gläsern und Verwendung von Salatwasser statt Bouillon bis auf 130-140, in einem Falle sogar bis nach 168 Teilungsschritten. Aber eine dauernde Ausschaltung der parthenogenetischen Prozesse war mir nicht möglich. Die Versuche in dieser Richtung stoßen zunächst einmal auch auf rein technische Schwierigkeiten: Um das Auftreten von Parthenogenese in den Versuchskulturen mit Sicherheit aus- schließen zu können, erscheint vorerst die tägliche genaue Kontrolle jedes einzelnen Individuums erforderlich; dies macht bei längerer Versuchsdauer dıe Aufzucht in verhältnismäßig geringen Flüssig- keitsmengen notwendig Und gerade hierin liegt andererseits ein die Parthenogenese offenbar begünstigendes Moment vor, das wir nicht beseitigen können, ohne uns die erforderliche Übersicht zu nehmen! Vielleicht wird hier die Beobachtung von Dauermodi- fikationen (Jollos 1913) weiterführen, falls es gelingt, Dauermodi- fikationen festzustellen, deren Rückbildung nur bei Parthenogenese (resp. Konjugation) erfolgt. Bisher war mir dies noch nicht möglich, doch werden die Versuche ın dieser Richtung fortgesetzt. Dass unter günstigeren Bedingungen als die Objektträgerkul- turen, wie die Zuchten in beschränkter Flüssigkeitsmenge überhaupt sie bieten, die parthenogenetischen Vorgänge sehr lange ausgeschaltet bleiben können, darf wohl nicht bezweifelt werden; aber mit recht großer Wahrscheinlichkeit können wir doch schon jetzt ferner sagen (wenn auch noch nicht mit Sicherheit beweisen), dass die Reorga- nisation des Makronucleus der Infusorien, denn dies ist ja bei Parthenogenese wie Konjugation mit das wichtigste Moment, sich nicht auf die Dauer vermeiden lässt. Für diese Ansicht spricht nicht nur das von mir gelegentlich, aller- dings trotz jahrelanger Beobachtungen nur sehr selten festgestellte Vorkommen parthenogenetischer Prozesse in großen unter durchaus günstigen Bedingungen gehaltenen Kulturen, sondern vor allem auch der Umstand, dass in derartigen von einem einzelnen Paramaecium nach vollzogener Parthenogenese aus angelegten großen (also nicht mehr in jedem einzelnen Infusor kontrollierbaren) Zuchten bei günstigsten Ernährungs- und Temperaturbedingungen zwar keine neue Parthenogenesis, wohl aber nach einiger Zeit eine merkliche Er- leichterung ihrer experimentellen Auslösbarkeit nachgewiesen werden konnte. Auch unter solchen günstigen äußeren Bedingungen, und somit wohl ganz allgemein, bringen die Lebensvorgänge allmählich Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. 511 sich steigernde Schädigungen des Makronucleus und schießlich die Notwendigkeit seiner Erneuerung mit sich. Der Makronucleus besitzt also nur eine beschränkte Lebens- dauer; nicht so beschränkt, wie es nach den in dieser Hinsicht ungünstigen Kulturbedingungen von Woodruff erschien, wie ja auch die Lebenszeit des Menschen nicht nach dem von, einer be- sonderen Schädigung ausgesetzten, Berufsklasse im Durchschnitt er- reichten Alter allgemein bemessen werden kann — aber Altern und natürlichem Tode ist er offenbar doch unterworfen. —- Ist nun aber damit auch die Entscheidung über Weismann’s Lehre von der potentiellen Unsterblichkeit der Protisten gefallen, von der wir bei unserer Betrachtung ausgingen? Wir müssen dies aufs entschiedenste verneinen. Es ıst merkwürdig, dass die experimentelle Prüfung der Un- sterblichkeitslehre fast immer nur bei der Protistengruppe ansetzte, für die sie von vornherein nur sehr beschränkte Gültigkeit haben kann. Denn was wollte Weismann’s Lehre sagen? Gegenüber der allgemeinen Anschauung, dass der Lebensprozess selbst mit Notwendigkeit stets den Tod mit sich bringe, wıes er darauf hin, dass solche Auffassung eine nicht gerechtfertigte Verallgemeinerung der bei den höheren Lebewesen vorliegenden abgeleiteten Verhält- nisse darstelle. Primär dagegen sei die lebendige Substanz „so ein- gerichtet in ihrer chemischen und molekularen Struktur, dass der Kreislauf des Stoffes, der das Leben ausmacht, immer wieder in sich zurückläuft, somit immer wieder von neuem beginnen kann, so lange als die äußeren Bedingungen dafür vorhanden sind“. Diese primären Verhältnisse glaubte Weismann noch bei den Protisten im allgemeinen vorzufinden. Eine Änderung trat nach seiner An- sicht erst sekundär auf, mit Ausbildung der Mehrzelligkeit, der höheren Differenzierung und Trennung von somatischen und gene- ratıven Elementen: Nur den generativen Zellen verblieb wie den Einzelligen die potentielle Unsterblichkeit, und ihre Kontinuität er- mögliıchte die Erhaltung des Lebens; das Soma aber konnte sich differenzieren, unabhängig davon, ob solche Umgestaltung mit dauernder Funktion vereinbar war. Auf dieser Entwicklungsstufe erst konnte der physiologische Tod entstehen, und er musste es auch, gerade in Konsequenz W eismann’scher Anschauungen, denen zufolge jede für die Arterhaltung überflüssig gewordene Struktur die Vollkommenheit ihrer Ausbildung allmählich verliert! Eine Trennung von somatischem und generativem Material ganz entsprechend wie bei den Metazoen zeigen nun unter den Ein- zelligen gerade die Infusorien infolge der Entwicklung von Makro- und Mikronucleus. Nur der Mikronucleus enthält hier das Keimplasma, — der Makronucleus erscheint als rein somatische Bildung, wie dies Weismann selbst (auf Grund der Arbeiten von R. Hertwig und = 512 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. Maupas) ausdrücklich betonte, und wie auch Richard Hertwig in seiner großen Infusorienarbeit hervorhob - Als somatische Bil- dung aber ist er im Sinne Weismann’s natürlich dem Tode ver- fallen. Wenn also Rh. Erdmann meint, dass Woodruff seine zum Nachweis der potentiellen Unsterblichkeit der Einzelligen unter- nommenen Paramaeciumzuchten nach Feststellung des Auftretens von Parthenogenese aufgeben konnte, so ıst demgegenüber darauf hinzuweisen, dass bei diesen Zuchten ein solcher Nachweis von vornherein unmöglich war, da eben den Paramaecien ım Sinne Weismann’s gar keine allgemeine potentielle Unsterblichkeit zu- kommen konnte. Denn dauernde Ausschaltung von Konjugation würde ja, ohne das Auftreten von Parthenogenese, bei Paramaecıum dauernde Erhaltung des Makronucleus bedeuten, somit nicht die Unsterblichkeit des Keimplasma, sondern darüber hinaus eine poten- tielle Unsterblichkeit des Soma dartun! Gerade der hierin negative Ausfall der Untersuchungen von Woodruff und Erdmann, wie auch der meinigen, entspricht so- mit durchaus den Voraussetzungen Weismann’s, und er entzieht zugleich in den letzten Jahren geäußerten Anschauungen mancher Autoren (Doflein, Lipschütz, im gewissen Sinne auch R. Hert- wig) den Boden, denen zufolge auch die somatischen Zellen der Metazoen an sich potentielle Unsterblichkeit besäßen und nur durch die allein dem Interesse des Ganzen ohne Rücksicht auf das Wohl der Einzelzelle dienende Funktion (Hertwig) oder aber durch die für Regenerationsprozesse ungünstige Zusammensetzung der Körper- säfte an einer Neuordnung verhindert würden und dem Untergange verfielen. Diese Anschauungen übersehen nur, dass den somatischen Zellen der Metazoen die somatischen Strukturen der Infusorien entsprechen, d.h. ın erster Linie der Makronucleus, und gerade diese gehen ja bei den Regenerationsvorgängen zugrunde, und das, wie wir gesehen haben, auch unter den günstigsten äußeren Bedin- gungen und obwohl es sich um einzellige Organismen handelt! Also nicht durch äußere Verhältnisse bedingte Unmöglichkeit eines Re- organisationsprozesses ist das entscheidende Moment, sondern in gleicher Weise sind eben bei Protozoen wie Metazoen die somatisch differenzierten Teile dem Untergange geweiht — ganz wie es Weis- mann lehrte. Und ebenso scheint mir endlich gerade die beschränkte Lebens- dauer des Makronukleus der Infusorien Einwände ganz andere Art zu entkräften, die gegen Weismann’s Anschauung erhoben wurden (Goette, Hartmann u. a) und die darin gipfeln, dass bei den Protisten Tod und Fortpflanzung zusammenfiele, da der Tod Ab- schluss und Auflösung des Individuums bedeute und ein Gleiches bei jeder Protistenteilung stattfände. Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. 513 Gegen diese Auffassung ließ sich schon früher anführen, dass sie durch den häufig nur willkürlich fixierbaren Begriff der „Auf- lösung des Individuums“ die klare Problemstellung Weismann’s wieder verwischt und daher doch auch den Tatsachen nicht ganz gerecht wird: Auch bei den (in diesem Punkte zum Vergleiche schon heranziehbaren) Metazoenzellen haben wir ja Teilungen, also ein analoges Aufhören und Neuentstehen des Zellindividuums. Mit dem Zelltode dagegen haben die Teilungen absolut nichts zu tun, da dieser doch ein daneben vorhandener Vorgang ganz anderer Art ist! — Durch den, allerdings nicht mit absoluter Sicherheit zu führenden, sondern nur wahrscheinlich gemachten, Nachweis der Erneuerungsbedürftigkeit des Makronucleus der Infusorien wird jetzt aber auch die Grundvoraussetzung dieser Anschauung wider- legt, zeigt sie uns doch, dass die Teilungen gar nicht die an- genommene allgemeine „Verjüngung“ mit sich bringen, sondern im Gegenteil, dass die dem Altern überhaupt unterliegenden Strukturen der Protisten trotz aller Teilungen und unabhängig von ihnen fortschrei- tende Alterserscheinungen aufweisen, sterben und erneuert werden. Auch bei den Protisten sind also Tod und Fortpflanzung durch- aus verschiedene Vorgänge! — Auf Grund der Beobachtungen an Infusorien sind die ersten Einwände gegen die Weismann’sche Lehre erhoben worden und werden bis in dıe neueste Zeit immer wieder erhoben. Aber gerade die kritische Sichtung der fremden wie der eigenen Beobachtungen und Versuche an Infusorien zeigte uns, dass die Grundanschauung August Weismann’'s noch heute durchaus zu recht besteht: Der Lebensprozess braucht den Keim des Todes nicht in sich zu ent- halten, denn primär liegt ım der Beschaffenheit der lebendigen Substanz der Einzelligen „kein Grund, weshalb der Kreislauf ihres Lebens, Teilung, Wachstum durch Assimilation und wiederum Tei- lung jemals enden solle ... .* In einem Punkte freilich müssen wır auf Grund unserer in- zwischen erweiterten und vertieften Kenntnisse der Protisten Weis- manns Ansichten modifizieren: Nicht erst mit der Vielzelligkeit setzte der Tod ein, wir finden ıhn vielmehr als Teilerscheinung („Partialtod* R. Hertwig) auch im Reiche der Einzelligen fort- schreitend ausgebildet, sehr sinnfällig wie wir sahen, bei den In- fusorien, aber bald ın dieser, bald in jener Form, bald geringe, bald große Teile der lebendigen Substanz erfassend auch bei den meisten, wenn nicht allen anderen heutigen Protistenformen. Sind doch die Protisten für uns nicht mehr die „einfachsten Orga- nismen“, wie sie es noch für Weismann waren und bei dem da- maligen Stande der Wissenschaft sein mussten, sondern „höchst entwickelte Zellen“. Berlin-Dahlem, Kaiser Wilhelm Institut für Biologie Juli 1916. XXXVI. 33 514 Jollos, Die Fortpflanzung der Infusorien. Literatur. Calkins, G. N. 1902: The life cycle of Paramaecium caudatum. Arch. f. Ent- wieklungsmechanik. Bd. 15. Doflein, F. 1913: Das Unsterblichkeitsproblem im Tierreich. Freiburg. Enriques, P. 1907, 1908: Die Konjugation und sexuelle Differenzierung der In- fusorien. Arch. f. Protistenkunde. Bd. 9 u. 12. Erdmann, Rh. 1915: Endomixis und ihre Bedeutung für die Infusorienzelle. Sitzungsber. Gesellsch. naturf. Freunde Berlin. Hartmann, M. 1902: Tod und Fortpflanzung. München. Hertwig, R. 1889: Über die Konjugation der Infusorien. Abhandl. d. Kel. Bayer. Akad. d. Wissensch. II, 17. — 1906: Über den Ursprung des Todes. Beilage d. Allgem. Zeitung München. — 1914: Über Parthenogenesis der Infusorien und die Depressionszustände der Protozoen. Biolog. Centralbl. Bd. 34. Jollos, V. 1913: Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. Biolog. Centralbl. Bd.33: — 1913a: Über die Konjugation der Infusorien. Arch. f. Protistenkunde. Bd. 30. Klebs, G. 1899: Über die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. Jena, G. Fischer. — 1904: Über Probleme der Entwicklung. Biolog. Centralbl. Bd. 24. Lipschütz, A. 1915: Allgemeine Physiologie des Todes. Braunschweig, F. Vieweg. Maupas, E 1888: Recherches experimentales sur la multiplication des Infusoires cilies. Arch. d. Zool. exper. et generale. t. 6. — 1889: Le rajeunissement karyogamique chez les cilies. ibidem. t. 7. Mulsow, W. 1913: Die Konjugation von Stentor coeruleus und Stentor polymor- phus. Arch. f. Protistenkunde. Bd. 28. Popoff, M. 1908: Die Gametenbildung und Konjugation von (archesium polypinum. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 89. — 1910: Experimentelle Zellstudien III. Arch. f. Zellforschung. Bd. 3. Prandtl, H. 1906: Die Konjugation von Didinium nasutium. Arch. f. Protisten- kunde. Bd. 7. Prowazek, S. v. 1910: Einführung in die Physiologie der Einzelligen. Teubner, Leipzig. Weismann, A. 1881: Über die Dauer des Lebens. Jena, G. Fischer. — 1883: Über Leben und Tod. Jena, G. Fischer. — 1890: Bemerkungen zu einigen Tagesproblemen. Biolog. Centralbl. Bd. 10. — 1902: Vorträge über Descendenztheorie. Jena, G. Fischer. Winkler, H. 1908: Parthenogenesis und Apogamie im Pflanzenreich. Jena, G. Fischer. Woodruff, L. 1911: Two thousand generations of Paramaecium. Arch. f. Protisten- kunde. Bd. 21. — and Baitsell 1911: Rhythms in the reproductive activity of Infusoria. Journ. exper. Zool. vol. 11. — and Erdmann 1914: A normal periodie reorganisation process without cell fusion in Paramaecium. ibidem. vol. 17. Zweibaum, J. 1912: Les conditions necessaires et suffisantes pour la conjugaison de Paramaecium caudatum. Arch. f. Protistenkunde. Bd. 26. Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. ap je or Der Nestbau der Poiydesmiden. Von Dr, Ernst Voges. Ile Zu den verbreitetsten Tausendfüßern gehört Polydesmus com- planatus L. Wie Blaniulus pulchellus ıst er fast zu allen Jahres- zeiten im Garten und Wald anzutreffen. Über seine Lebensweise liegen Beobachtungen aus älterer und neuerer Zeit vor. Unter anderem hat vom Rath!) im Anschluss an frühere Angaben über das Geschlechtsleben und den Nestbau des Tieres berichtet. Und seine Mitteilungen haben wiederum die Veranlassung zu einer inter- essanten biologischen Streitfrage gegeben. i Es handelt sich nämlich darum, ob Polydesmus Nester aus der rohen Erde baut, worin das Tier lebt, oder ob aus einer prä- parierten Erde, welche zu dem Zweck aufgenommen wird und den Darm passiert. Die erstere Ansicht vertritt vom Rath gegenüber v. Schlechtendal?), der zuerst über den Nestbau des Polydesmus berichtete und behauptete, dass dieser Tausendfuß sein Nest mittels des ausgestülpten Afters aus flüssigen Massen des eigenen Kotes herstelle, nachdem die Erde als Baustoff aufgenommen war, während vom Rath erklärt, dass weder bei den Polydesmiden und Juliden, noch bei den Glomeriden die als Baumaterial verwendete Erde zu- erst den Darm passieren muss, sondern dass die Tiere einfach die Erde ihrer Umgebung zur Herstellung ihrer Erdkapseln verwenden und diese Erde bei der Arbeit durch ein Drüsensekret, welches wahrscheinlich aus der Analgegend ausgeschieden wird, erhärtert. Und über die Häutungslager oder Häutungsnester bemerkt vom Rath, dass das Tier sich in der Erde ein Loch wühle, ın welchem es bequem spiralig eingerollt liegen kann. Die Wandungen des Loches werden durch ein Drüsensekret erhärtet, aber kein kamın- förmiger Aufsatz und Luftkanal wie bei den Nestbauten für die Eiablage hergestellt. Es wırd also kein Nest durch allmähliches Auftragen von Baumaterial wirklich gebaut, sondern nur ein Loch gegraben, dessen erhärtete Wandungen ein glockenförmiges Aussehen bekommen, ähnlich einem vom Weibchen für die Eiablage bestimmten. Die gegenteilige Ansicht, wonach die Polydesmiden zu Geo- phagen werden und das zum Nestbau nötige Erdmaterial zunächst den Darm passıert, ehe es verarbeitet wird, findet ihre Vertreter in v. Schlechtendal, Effenberger und Verhoeff. Nach Ver- hoeff?) besteht zwischen der Herstellung der Häutungskämmerchen l) vom Rath, Zur Biologie der Diplopoden. In: Ber. d. naturforsch. Ges. zu Freiburg i. Br., Bd. V, 1891, S. 21. 2) Nach einem Zitat bei ©. Verhoeff, Bau der larvalen Schutzglocken von Polydesmus. In: Zoolog. Anz., Bd. 45, 1915. 3) Verhoeff, Bau der larvalen Schutzglocken von Polydesmus. In: Zoolog. Anz., Bd. 45, 1915, S. 73. = 516 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. der Larven von Polydesmus monticolus mit 17, 18 und 19 Rumpf- ringen und derjenigen der Nestglocken für Eiergelege kein wesent- licher Unterschied, vielmehr werden beide durch Darminhaltmassen aufgebaut. Verhoeff beschreibt dann, wie die Polydesmus-Larve ihr Häutungslager herrichtet. Auch über die Herkunft der Kittsubstanz oder der „Bauflüssig- keit“, welche das feste Baumaterial bindet, herrschen widersprechende Ansıchten. Während nach vom Rath und Effenberger besondere Analdrüsen dieses Bindemittel liefern sollen, vertritt Verhoeff die Ansıcht, dass Darm und Malpighische Gefäße die Bauflüssigkeit hergeben und die angeblichen Analdrüsen, die er bei den Larven überhaupt nicht fand, nur eine akzessorische Bedeutung haben könnten, am ehesten für die besonderen Erfordernisse der Gelege- glocken. Allein, gleich Verhoeff habe auch ich mich nicht von dem Vorhandensein besonderer Analdrüsen überzeugen können. Wie dann Verhoeff meint, so bauen nicht alle Larvenstufen ihre Häu- tungslager mit dem.Enddarminhalte auf, weil den jüngsten Stufen noch nicht die erforderliche Stoffmenge zur Verfügung stehe; der Kämmerchenaufbau durch Faeces stelle sich erst allmählich ein. Einen Darminhaltaufbau habe er nur für die Larven mit 17, 18 und 19 Ringen feststellen können. Aber auch diese Stufen ver- hielten sich verschieden, indem die 17- und 18ringeligen Larven in der Erde arbeiteten, die 19rıngeligen dagegen an der Erdoberfläche; die 19ringeligen Larven allein stellten freie Schutzglocken her und bilden nach Verhoeff den biologischen Übergang zu den nest- bauenden Weibchen. — Dass in beiden Fällen ein gleichartiger Bauinstinkt vorliegt, der sich in seiner primitiveren Ausdrucksform in der Herstellung eines ausgewühlten und mit den Faeces des Tieres geglätteten tonnenförmigen Häutungslagers, in seiner vervollkommneten Aus- bildung bei der Brutpflege, wo alle auf die Erhaltung der Art ge- richteten Instinkte ihre höchste Steigerung erfahren, im Gelegebau offenbart, das ıst wohl zweifellos. Und diese Tatsache ist insofern von biologischer und deszendenztheoretischer Bedeutung, als sie geeignet ist, uns einen Fingerzeig zu geben für die Entstehung und allmähliche Vervollkommnung des Bauinstinktes oder Kunsttriebes der Tiere. Ob aber schon eine ungleich kunstfertige Ausbildung des Bautriebes nach den einzelnen Larvenstadien zu unterscheiden ist, so zwar, dass die 19ringelige Larve allemal geschickter baut als die 1Sringelige, dass also mit dem Mehrbesitz eines Körper- ringes eine höhere Kunstfertigkeit bei der Herstellung des Häu- tungslagers verbunden ist oder ob nicht auch die 1Sringelige Larve ein ebensolches Lager herzustellen vermag wie die 19ringelige und diese wieder ein solches ausführt wie ihre um einen Körperring Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 51 -) verkürzte Genossin — das stehe dahin. Wie die geschlechtsreifen Tiere ungleich sorgfältig ausgeführte Gelegenester bauen, so gilt das auch wohl für die älteren Larven. Und da wird von einem Häutungsstadium und einem Ringzuwachs nicht eine größere Kunst- fertigkeit in der Herstellung des Häutungslagers abhängen! Um hierüber eine einwandfreie Entscheidung zu gewinnen, bedürfte es einer vergleichenden Untersuchungsreihe von zahlreichen Bauten der 1Sringeligen und der 19ringeligen Larven. Was nun die Streitfrage selbst betrifft, so sind die Polydesmiden geschickte Töpfer, die aus bindiger Erde und feuchtem Darminhalte ihre Glockentöpfe formen. Eine solche Bauweise, wo die Um- gebung den Rohstoff und die Ausscheidungen bestimmter Organe der Tiere das Bindemittel liefern, ist bekanntlich weit verbreitet im Kreise der Arthropoden. Die erdige Aufenthaltsstätte der Poly- desmiden bietet das Baumaterial. Die Nahrung der Tiere besteht aus Pflanzenresten. Es sind vornehmlich die weichen, ın Ver- wesung übergehenden Pflanzenreste, an denen man sie nagend findet. Eine besondere Vorliebe zeigen sie für faulende Früchte aller Art. Und zur Herbstzeit trifft man die Polydesmiden vergesellschaftet mit Blaniulus zahlreich an den abgefallenen Obstfrüchten unter den Bäumen. Eine sonderbare Erscheinung wäre es also immerhin, wenn so ausgesprochene Vegetarianer in der Geschlechtsperiode plötzlich Geophagen würden, nur um die Erde für ıhren Nestbau zu präparieren. Sie müssten, wie das auch vom Rath hervorhebt, schon ganz beträchtliche Erdmassen verschlingen, um das nötige Baumaterial zu bekommen. Hierin findet Verhoeff freilich nichts außerordentliches, da der geringe Nährwert ihrer meisten Nahrung ihnen diese Aufgabe schon alltäglich stelle. — Ist solches der Fall, so läge, wenn wir eine anthropomorpho- sierende Vorstellung bei der Beurteilung der Ernährungsweise der Polydesmiden einmal gelten lassen wollen, so läge umgekehrt alle Ursache vor, den Darm nicht noch mehr mit unverdaulichen Erd- massen zu belasten. Der Darm der Tiere enthält nun neben Pflanzenresten, darunter häufig die in der Erde vorkommenden Sporen von Alternaria- und Fusarium-Pilzen, erdige Bestandteile, zumal Silikatsplitterchen. Und mit einem solehen bei der vegetabilischen Nahrungsaufnahme mit unterlaufenden Ballast kann der Darm derart belastet sein, dass er dunkel durch die Körperdecke scheint, wie das bei einer Anzahl 18ringeliger weiblicher Larven, die ich Ende Mai daraufhin unter- suchte, der Fall war. Aber daraus folgt eben nicht, dass diese Erdmassen eigens zu dem Zweck verschlungen seien, um sie für den Nestbau zu verwerten. Denn die Tiere waren noch gar nicht bei voller Geschlechtsreife und noch weit entfernt von dem Zeit- punkt des Nestbaus und der Eiablage. 518 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. Wie gierig die Polydesmiden und Juliden hinter der reinen Pflanzenkost her sind und die mit Erde vermengte Pflanzennahrung tunlichst meiden, das erkennt man bei den Tieren in der Gefangen- schaft. So hatte ich Anfang März eine Anzahl Polydesmus com- planatus und Blaniulus pulchellus in den verschiedensten Entwick- lungsstadien in eine Glasschale (Petrischale) gebracht, welche mit einer humusreichen, lehmigen Gartenerde gefüllt war. Die Ge- fangenen erhielten ferner als Futter gekochte Kartoffeln und ver- moderte Quittenreste. So oft ich nach den Tieren sah, fand ich stets eine Anzahl von ihnen an jenen Nahrungsmassen. Und der Darm der Tiere war nicht dunkel-, sondern hellfarbig, ein Zeichen, dass sie die mit Erdpartikelchen behaftete Pflanzenkost in der Schale mieden. Nach etwa 14 Tagen fand ich die ersten Nestbauten der ge- fangenen Polydesmus, und zwar zunächst als solitäre Erdgehäuse. Der kleine, wie gedrechselte glockenförmige Erdbau lief nach oben in eine Röhre aus, die tatsächlich um so mehr mit einem Schorn- stein zu vergleichen ist, als ıhr Endstück aus einem überstehenden Rande bestand. Allerdings ist nicht jeder Bau gleich kunstvoll. Die Bemerkung vom Rath’s, dass ein Nest genau wie das andere angelegt sei und alle den hohlen, kaminförmigen Aufsatz hätten, trifft nicht zu. Am vollkommensten erweisen sich die solitären Erdnester, während die in Kolonien angelegten Nestbauten, die ich späterhin in der Petrischale fand, die sorgfältige Ausführung ver- missen ließen. Das aus nahe aneinander gedrängten Nestbauten bestehende Erdstück der Kolonie glich einem Wabenstück. Die einzelnen Nester stellten glockenförmige Höhlungen vor, ohne eine ausgesprochen schornsteinartige Erdröhre. Die Krönung des Glocken- baus war mehr eichelförmig, von einem unregelmäßig gestalteten Porus endwärts durchbrochen. Um diese in einer Kolonie ver- einigten Gelegebauten, die mit Eiern belegt waren, machten sich fast ständig mehrere Polydesmus-Weibehen zu schaffen, gleichsam eine Schutzwache ausübend. Sowie die Petrischale jedoch dem Tageslicht ausgesetzt wurde, so verkrochen sich die lichtscheuen Tiere, um bei gedämpftem Lichte alsbald wieder auf den Kolonie- bauten zu erscheinen. Welches sind nun aber die Werkzeuge, womit die Polydesmus- Weibchen ihre zierlichen Erdtöpfe herstellen? Hierüber gewann ich einige Aufklärung, als ich eines Märztages ein Weibchen bei der Arbeit beobachten konnte. Der Nestbau, aus der sandig-lehmigen Gartenerde in der Petrischale ausgeführt, wie der Farbenton des (ehäuses zeigte, war einige Millimeter hoch gediehen. Er glich einer runden, rotgelblichen Erdschale. Und auf ihrem freien Rande bewegte sich das Weibchen hin und her im Kreise, wie das schon vom kath angegeben hat. Der Vorderkörper war aufgerichtet, Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 519 schlangenartig windend unter lebhafter Bewegung der Fühler und Mundwerkzeuge, hierhin und dahin in die nächste Umgebung tastend. Die Analklappen waren weit geöffnet und der Aftersack hervor- gestülpt. Ein Kotballen wurde jedoch nicht ausgestoßen. Wohl aber erglänzte der auf den Rand der kleinen Erdschale geklemmte Aftersack von einer Flüssigkeit. Während das Tier auf dem runden Erdwall sich rückwärts ım Kreise drehte, drückte es die Beine jederseits über den Schalenrand hinweg fest an die Randseiten, gleichsam das zwischen den Beinen befindliche feuchte Erdreich knetend. Als Folge einer solchen knetenden Tätigkeit wird der Erdwall dünner und da er von beiden Seiten zusammengedrückt wird, muss er nach aufwärts emporsteigen, der Rand sich also er- höhen. Infolge einer Störung verließ das Tier sein angefangenes Werk. Am 7. Juni überraschte ich sodann ein Polydesmus- Weibchen bei der Eiablage. Das Tier befand sich dicht unter dem Deckel der Petrischale, so dass sich sein Tun und Treiben mit der Lupe verfolgen ließ ohne es zu stören. Das Nest glich einem Erdnapf, in welchem etwa 25-30 Eier lagen, während das Weibchen ring- förmig auf dem freien Rande saß. Der Vorderkörper war gegen den Eierhaufen gerichtet, die Vulven hervorgestülpt, woraus in kurzen Intervallen einige Eier hervortraten, die mit den benach- barten Beinen abgestreift und gegen den Eierhaufen gedrückt wurden. Darnach, als sei das Legegeschäft beendet, ging das Tier an die weitere Bauarbeit. Eifrig bewegte es sich kreisend um den Nestrand, ruckweise vor- und rückwärts. Die Beine waren dicht dem Rande angeschmiegt, indessen der ausgestülpte Aftersack über- aus beweglich auf dem Erdrande hantierte. Er fungierte als ein gefügiges Werkzeug wie Kelle und Spatel, welche das von den Beinen roh geformte Baumaterial weiter bearbeiteten. Und zwar hantierte das Körperende in einer solch geschickten und dem Auge ungewohnten Weise, dass man bei einem oberflächlichen Hinschauen vermeint, den Kopfabschnitt mit den Mundwerkzeugen in Tätigkeit vor sich zu haben. Der Aftersack, bald aufgebläht ausgestülpt, bald wieder eingezogen, knetete ruckweise seitlich und in der Mitte auf dem freien Rande des Erdnapfes. Der Aftersack wie die letzten Körperringe bewegten sich seitlich hin- und herrüttelnd auf dem Napfrande. Ein Verfahren, das Verhoeff, der das ähnliche Ge- bahren der Larven von Polydesmus monticolus bei der Herstellung ihrer Häutungslager beobachtete, mit den Manipulationen einer flachen Hand vergleicht, die man abwechselnd rechts und lınks gegen eine Unterlage drückt. — Dann wieder betupfte der After- sack den Nestrand, indem sich, anscheinend zur Ausübung eines stärkeren Druckes, die drei letzten Körperringe krümmten und so die Afterspitze aus der wagerechten in die Winkelstellung zum Nest- 5320 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. rande brachten. Zugleich drückten die muskulösen Analklappen, die zur Längsachse des Körpers eine Parallelstellung haben, also bei einem ausgeübten Druck direkt senkrecht auf die Unterlage wirken, fest auf’ den Erdrand. Ebenso stemmten sich die beiden letzten Beinpaare gegen die Seiten des Napfrandes oder sıe fuhren wie glättend darüber hin. Wie denn überhaupt gerade diese Bein- paare bei der Arbeit des Aftersackes recht tätig, besonders formend mitwirkten. Dabei trat in Zwischenräumen aus dem Aftersack ein heller Flüssigkeitstropfen, hin und wieder zugleich mit einem hellen Kotballen. Aber obwohl ich stundenlang die Bauarbeit des Tier- chens bis zur Fertigstellung der Erdkapsel verfolgte, so habe ich doch nicht in solcher schnellen Aufeinanderfolge die Kotballen aus- gestoßen gesehen, dass diese im Hinblick auf die verwendeten be- trächtlichen Baustoffmassen für den Nestbau allein in Frage kämen, sondern mehr als notwendige Kittsubstanz für den verarbeiteten erdigen Baustoff. Der Kotballen ward alsbald über den Rand mittelst des Telson ausgebreitet. Währenddessen bewegte sich das Tier kreisend auf dem Napfrande, so dass, wie schon von den Autoren angegeben, Kopf und Afterspitze dicht genähert waren. Die Mundteile wurden jedoch vorderhand nicht als Werkzeug bei der Töpferarbeit ge- braucht. Hin und wieder sah ich nur, wie sie an der erdigen Um- gebung des Nestbaus, welche der Vorderkörper unter lebhafter Antennenbewegung tastend abfuhr, nagten, wobei eine klare Flüssig- keit aus dem Munde trat. Während anfangs das Eierhäufchen ım Nestnapfe inmitten des kreisenden Körpers noch deutlich zu sehen war, verschwand dieses vor den Augen im Laufe der fortschreitenden Arbeit. Die Spiralen des Körpers wurden stetig enger, so dass nur noch dessen Hinter- teil die kreisende Bewegung am Nestrande ausführte, indessen der vordere Körperteil nach abwärts gerichtet war. Wiederholt machte dann das Tier an dem oberen eingeschnürt zulaufenden Abschnitt des krugförmigen Erdbaus windende Bewegungen, so dass der Polydesmus-Körper wie korkzieherartig gedreht erschien, worauf von neuem die tastenden und tupfenden Bewegungen des ausgestülpten, faltigen Aftersackes an dem Erdkapselrande begannen unter Aus- stoßen von Kotballen und Flüssigkeitstropfen aus dem After, bis schließlich die schornsteinartige Bekrönung des Glockenbaus her- gestellt war. Als ich das Polydesmus-Weibehen ın ringförmiger Lage über dem Erdnapf mit dem Eierhäufchen bei dem Legegeschäft antraf, war es nach 8 Uhr morgens. Mit kurzen Unterbrechungen beob- achtete ich sodann das emsige Tierchen stundenlang bei seiner Arbeit. Und als ich um 12 Uhr mittags wiederum nachsah, war das Töpferwerk hergestellt. Und nun begann eine zweite Art der Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 521 Bautätigkeit, welche in der Verbergung und Unkenntlichmachung des Nestes bestand. Denn anders war die Handlungsweise des Tieres nicht zu erklären. Es schleppte nämlich ın der Nähe liegende Erdbrocken herbei, womit das Nest ringsum zugedeckt wurde. Und dienten vorhin das Telson und die letzten Beinpaare vornehmlich als Werkzeuge für die Modellierarbeit, so waren es jetzt die Mund- werkzeuge und die vorderen Beinpaare, welche die Erdkrümelchen herbeischafften und um die Bekrönung des glockenförmigen Nestes wälzten. Von dem ganzen Bau sah nur das Endstück des Schorn- steins aus der Umkleidung heraus, so dass man sorgsam mit der Lupe die Erdschicht in der Glasschale absuchen musste, um die Nestbauten ausfindig zu machen. Es ıst eine eminente Arbeit, welche das kleine Tierchen mit der Herstellung seines Nestes vollbrachte. Um 8 Uhr morgens traf ich es bei der Arbeit und ununterbrochen fand ich es stundenlang tätig. Um 3 Uhr nachmittags machte es sich an dem mit Erd- bröckeln zugedeckten Neste noch zu schaffen. Es ließ sich durch nichts in seiner Arbeit stören. Mehrfach erschienen Polydesmus- Genossen am Nestbau sowie Blaniulıs und krochen über die fleißige Arbeiterin hinweg, was sie jedoch nicht weiter ablenkte; ebenso- wenig das wennschon gedämpfte Tageslicht, dem ich die Glasschale mit den Gefangenen aussetzte, um sie beobachten zu können. Nachdem der Nestbau verbarrikadiert war, verblieb das Poly- desmus-Weibchen dennoch weiter bei denı Bau. Und als ich anderen Morgens nachsah, fand ich am Nest ein Tier leblos vor; wahr- scheinlich das Weibchen, das tags zuvor die Fiablage und den Nestbau vorgenommen hatte. Aus diesem Befunde folgt nun ge- rade nicht, dass die Tiere nach der Eiablage allemal zugrunde gehen. Andererseits ist die Behauptung vom Rath’s*), dass auf jeden Fall die Weibehen nach der Eiablage keineswegs zugrunde gingen, in dieser allgemeinen Fassung nicht zutreffend. Denn ich fand in den mit Nestern und junger Brut besetzten Glasschalen häufig verendete Weibchen. Ob dieselben Tiere im Frühjahr und im Herbste, also zweimal im Jahre, das Fortpflanzungsgeschäft vor- nehmen, hat vom Rath nicht konstatieren können. Unmöglich wäre das ja nicht; aber es ist wahrscheinlicher, dass die Tiere nach dem ersten Brutgeschäft über kurz oder lang absterben und die Frühjahrsgeneration im Herbste geschlechtsreif ist und eine Gene- ration liefert, die ihrerseits überwintert. Zudem fand ich Larven in den verschiedensten Entwicklungsstadien Ende Juli, aber keine geschlechtsreifen Tiere. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Tiere ausnahmsweise über Jahre hinaus am Leben bleiben. Nach 4) vom Rath, Über die Fortpflanzung der Diplopoden (Chilognathen). In: Ber, d. naturf. Gesellsch. Freiburg i. Br., 1890, S. 7, 529 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. den zahlreichen Polydesmus ın den gleichen Größen, die man im Freien wie in der Gefangenschaft ver is: vorfindet, ist jedoch anzu- nehmen, dass sie in der Regel generationenweise absterben. Um die Eier des beschriebenen Nestes zu untersuchen, ent- fernte ich den schornsteinartigen Nestabschluss und nahm einen Teil der Eier heraus. Und nunmehr zeigte sich, wie angebracht die sorgfältige Schutzarbeit für das Gelege war, das gewöhnlich aus 25—40 Eiern besteht; bis 100 Eier, wie vom Rath angibt, habe ich niemals gefunden. Alsbald erschienen nämlich zwei Poly- desmus sowie ein Blaniulus und eine Milbe, Gamasus crassipes C.L. Koch, die sich alle an dem geöffneten Neste zu schaffen machten. Obwohl die Tiere mehrmals gestört wurden, kamen sie stets wieder. Der Blaniulus reckte den Kopf über den Rand des kleinen Kraters hinab und bewegte eifrig die Mandibeln. Ob er ein Polydesmus- Ei in den Mundwerkzeugen hatte, ließ sich nicht erkennen. Eın an der inneren Nestwand klebendes Ei, wo die Mandibeln sich be- wegten, war späterhin verschwunden. Und ein Polydesmus, der ın dem geöffneten Neste stöberte, riss mit den Mundwerkzeugen ein Eierklümpchen aus der Tiefe des Nestes heraus, so dass es über den Rand nach außen hinabkollerte, während die vorsichtig sich nähernde Milbe nach einigen vergeblichen Versuchen, eines der herausgezerrten Eier habhaft zu werden, schließlich eın Ei mit den Kiefern erwischte und sich hurtig davonmachte. Ob diese Tiere nun die Polydesmus-Eier fraßen oder nicht, jedenfalls zeigte ihr aggressives Verhalten, dass sie das Gelege zu zerstören vermochten. Zweifellos war es der von dem freigelegten Gelege ausgehende Geruch, der sie herbeilockte. Und der spezifische Nestgeruch wieder ist es wohl, der wie bei den Ameisen die blinden Tiere ihren jeweiligen Nestbau wiederfinden lässt, wenn sie davon verscheucht waren’). 5) Wie empfindlich die Polydesmiden gegen die Schwingungen des Lichtes sind, das sieht man schon, sobald die in Dunkelheit gehaltenen Tiere plötzlich dem Tageslicht ausgesetzt werden. Sofort verkriechen sie sich eilig in der Erde. Das- selbe geschieht bei Annäherung eines mit Terpentin benetzten Glasstabes. Ruhig dasitzende, teilweise von der Erde ihres Verstecks bedeckte Polydesmus und wie erstarrt erscheinende Tiere wurden unruhig und krochen rasch davon, sowie ich den terpentinbenetzten Glasstab in Körpernähe brachte, einerlei, ob in die Nähe des vorderen oder des hinteren Körperteils. Sie bekundeten gegen riechende Stoffe das- selbe Verhalten wie dies durch zahlreiche experimentelle Untersuchungen an den verschiedensten Kerfen bekannt ist. Als die perzipierenden Organe für die Geruchs- empfindung und somit auch für den spezifischen Nestgeruch wie für die Ather- schwingungen darf man wohl allgemein die vielgestaltige Borstenbekleidung der Körperdecke ansehen, welche Nervenendigungen besitzt. Zumal die großen spatel- bis lanzettförmigen Borsten an den buckelartigen Seitenflügeln der Körperringe und an den Rändern der Antennenglieder, jene charakteristisch gebauten nervösen End- apparate des Integumentes, die nach ihrem Bau für eine Sinnestätigkeit überaus Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 593 Unter den Gästen, die sich an den Polydesmus-Nestern zu schaffen machen, sieht man ferner recht häufig Nematoden, wie sie ja regelmäßig'in einer humusreichen Gartenerde vorkommen, sowie größere oder kleinere Gesellschaften von Poduriden, die Erdstückchen und faulende Pflanzenreste als willkommene Verstecke aufsuchen. Auch ©. Hennings‘) berichtet darüber, dass mit ın Fäulnis über- gehende @lomeris-Eiern behaftete Erdklümpchen in manchen Fällen einem Nematoden zum Aufenthalt dienen, fast immer aber haben sich Aphoruren in ihnen angesiedelt. Dass diese kleinen Poduriden in irgendeinem Zusammenhange mit dem Absterben der Glomeris- Eier stehen, glaubt aber Hennings bezweifeln zu müssen, jedoch erscheine dies für den Nematoden keineswegs ausgeschlossen zu sein. — All’ diese Befunde über den Besuch der Diplopoden-Nester seitens der verschiedenartigsten Gäste zeigen aber, dass die Her- stellung eines Nestbaus die Befriedigung eines Schutzbedürfnisses für das Gelege war, ein notwendiges Vorgehen als Sicherung zur Erhaltung der Art, das im Laufe der Zeiten ohne Frage auf dem Wege der natürlichen Züchtung erlangt wurde, worauf wir noch zurückkommen werden. Ähnlich wie am 7. Juni konnte ich am 14. Juni ein Polydesmaus- Weibchen beim Nestbau beobachten. Das zierliche Erdnäpfchen in dem nassen Erdreich beherbergte etwa 20—25 Eier, die durch eine Kittmasse aneinander klebten. Auch hier fand ich das Tierchen ununterbrochen tätig, so oft der Nestbau verfolgt wurde. Während das hintere Körperende mit dem hervorgestülpten Aftersack am freien Napfrande den ausgestoßenen flüssigen und breiigen Darm- inhalt knetete und formte, tastete der vordere Körperteil alle Augen- blick die nächste Nestumgebung ab. Die Mundwerkzeuge schienen bald an der einen, bald an der anderen Stelle von dem Erdreich zu fressen, so dass es hier im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Fällen den Eindruck machte, als nehme das Tier den nötigen Bau- stoff aus seiner Umgebung auf, um ihn nach dem Durchmarsch durch den Darm zu verarbeiten. Allein, wäre dem so, dann hätte ich im Laufe der Bautätigkeit viel öfter feste Kotballen austreten sehen müssen, was nicht der Fall war. Wohl sah ich indes, wie in kurzen Zwischenräumen der Aftersack weit hervorgestülpt und ein geeignet erscheinen. Welche der so verschieden gestalteten, über die ganze Körper- oberfläche verteilten Integumentsbildungen nun aber im Dienste eines Tast- oder eines Geruchs- oder Gehörsinns stehen, das ist mit Sicherheit schwer zu entscheiden. Exstirpiert man beispielsweise die Antennen, welche allgemein als die Organe der Geruchswahrnehmung gelten, so reagieren die Tiere nach wie vor auf die in ihre Nähe gebrachten Riechstoffe, wennschon nicht gleich so schnell und empfindlich wie im Besitz der Fühler. 6) Das Tömösvary’sche Organ der Myriapoden. In: Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 76, S. 28, Leipzig 1904. 524 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. Flüssigkeitstropfen, untermischt mit dunklen Kotstückehen, ausge- stoßen wurde. Dass also Exkremente des Tieres als festes Bau- material mit verwandt werden, das ist zweifellos. Um 9 Uhr morgens fand ich das Tier über dem Gelege bei der Nestarbeit. Um ı Uhr mittags war der glockenförmige Bau bis auf eine Öffnung von der Größe eines Insektennadelkopfes ge- wölbt. Und nun begann die Aufmauerung des Schornsteins, eine Arbeit, welche dem Aftersack und den Beinen der letzten Körper- ringe zukiel, Indem der Aftersack während dieser Bautätigkeit ın kurz unterbrochener Folge Flüssigkeitstropfen mit Kotstückchen ausstieß, ward für den schornsteinartigen Aufbau das erforderliche Material geliefert, welches der Aftersack in der schon geschilderten Weise an den zackigen Rand der Glockenöffnung anbackte, wobei die letzten drei Beine der nach der Öffnung zugekehrten Körper- seite in diese hineingriffen, ein Arbeitsverfahren, das sich bis zum Abschluss der Arbeit stetig wiederholte. Ein eigentlicher Schorn- stein wie in dem vorhin beschriebenen Falle kam jedoch nicht zu- stande, sondern nur eine eichelförmige, von einem eckigen Porus durchbrochene Spitze. Es machte ferner bei dieser Sehlussarbeit den Eindruck, als irrte das Tier öfter in der Hinführung des Telson nach der email, Dadurch, dass bis auf die kleine Öffnung die Nestglocke abgeschlossen war, ging die bisherige Orientierung ver- loren, welche der freie Nestrand gegeben hatte, worauf sich das hintere Körperende der Arbeiterin vordem bewegte. Abwechselnd erschien das Kopfende und das Abdomenende an der Glocken- öffnung und wiederholt kam es vor, dass das Tier geringelt rings um die Öffnung lag und die Fühler gegen den Aftersack klopften. Der Aftersack wiederum machte sich ebenso oft in der Nähe des Glockenporus zu schaffen wie an diesem selbst. Und so entstand denn auf der Glockenwölbung ein Ansatz zu einem zweiten schorn- steinförmigen Aufsatz, der aus wenigen Klümpchen bestand und späterhin zugedeckt wurde und so verschwand, da die kleine Töpferin den ganzen äußeren Glockenturm betupfte mit dem Darm- auswurf, worunter sich auch Sandkörnchen befanden. Ein Bedecken und Verstecken des Nestes mit Erdkrümelchen, eine Arbeit, welche sonst die Mandibeln ausführten, fand nieht statt. Der Glockenbau stand frei da. Schon um 3!/, Uhr nachmittags war er soweit fertig, doch immer noch bis nach 5 Uhr war das Tierchen mit kurzen Pausen beschäftigt, worauf es den Bau verließ und sich in die Erde verkroch. Über die Zeitdauer für die Herstellung des Nestbaus gibt vom Rath an, er habe sich wiederholt davon überzeugt, dass der ge- samte Nestbau in 2—3 Stunden beendet wird, was jedoch Ver- hoeff für eine physische Unmöglichkeit erklärt, da schon die Dauer des larvalen Glockenbaus einer 19ringeligen Larve, deren Schutz- Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 525 glockenbau er während 34 Stunden verfolgte, auf mindestens 1'!/, Tage angesetzt werden müsse. Es ıst wohl ohne weiteres anzunehmen, dass die Arbeitszeit für die Anfertigung der Erdkapsel sich in ziemlich weiten Grenzen bewegen dürfte, da nicht alle Tiere gleich schnell und geschickt arbeiten werden. In meinen Fällen, wo ich bereits einen Erdnapf mit dem größten Teil des Geleges vorfand, verwendeten die Weib- chen auf die Fertigstellung des Nestes über 4 bezw. 6 Stunden. Welche Zeit für den ersten Teil der Bauarbeit aufgewandt wurde, lässt sich natürlich nicht bestimmen. Aber auch aus meinen Be- funden ergibt sich, dass die vom Rath’sche Angabe schwerlich den Tatsachen entspricht. Das Polydesmus- Nest selbst ist eine Töpferarbeit von elastischer Konsistenz. Die Erdkapsel zeigt zwar ein brüchiges Gefüge, wenn man ıhre kuppelartige Bekrönung abhebt. Andererseits aber ist die kartonpapierdicke Nestwand gegen einen leichten Druck nach- giebig. Sie hat eine krümelige, sandkörnchenreiche Oberfläche, während die innere Wand der aus der sandig-lehmigen Gartenerde verfertigten Kapsel eine gekörnte Oberflächenbildung besaß, wie sie entsteht, wenn eine feuchte, plastische Masse mit ringförmigen, unterbrochenen Stricheln in bestimmten Zwischenräumen versehen wird. Der Boden der Erdkapsel bestand in dem einen Falle aus einem größeren Sandbrocken, worauf ein Teil der Eier abgesetzt war. Und über diesem Boden war der Nestglockenbau aufgeführt. Je nach der Oberflächenbildung des Bauplatzes, ob plan oder ab- schüssig, je nachdem nahm der Nestbau eine schiefe oder gerade Stellung zur Unterlage ein. Wie die Polydesmiden sich bei ihrem Nestbau auch dem Bau- material anzupassen wissen, lehrt die Tatsache, dass ein stark ver- modertes, mit Erdpartikelchen inkrustiertes Birnblatt von einem Weibchen als Baustoff verwandt wurde, ındem es auf der Blatt- spreite über dem Blattstiel, wo die Modermasse des Blattes am dieksten war, seine Zirkelbewegungen ausführte und in der be- schriebenen Weise den Glockenbau herstellte. Der kaminartige Abschluss war indes unvollständig, wennschon die endständige Ge- häuseöffnung deutlich hervortrat. Dahingegen soll nach vom Rath fein pulverisierte Knochenasche, gemahlener Kaflee, Chokoladepulver, Mehl von den Polydesmiden als Baustoff verschmäht werden, was er daraus schließt, dass Tiere, welche im Begriffe waren, mit dem Nestbau zu beginnen und in jenes Material versetzt wurden, den Bau unterließen. Wenn man ein Polydesmus-Weibchen bei dem Nestbau beob- achtet, so gewinnt man den Eindruck, dass es nicht einzelne be- stimmte Organe wie Aftersack, Telson, Beine oder Mundwerkzeuge sind, die als solche das Arbeitsgerät abgeben für die Herstellung 526 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. des Gelegenestes, sondern dass es ihr Zusammenwirken ist, gleich- sam der ganze Körper des Tieres in der Eigenart seiner Gesamt- organisation, in der Harmonie der Teile, was das kunstfertige Töpferwerk zustande bringt. Der walzenförmige, elastische, geringelte Körper, der sich in den kleinsten Windungen nach allen Rich- tungen ringeln, zusammenziehen und dehnen kann, wirkt auf seine nachgiebige, feuchte Erdunterlage wie eine Schlinge, die um einen Teig gelegt wird. Und die gegliederten Beine in ihren Greif- bewegungen gleichen den Fingern der Hand; die hinteren Körper- ringe mit dem Aftersack dienen als Spatel und Kelle und die Mund- werkzeuge erst stellen ein ganzes Arsenal von Werkzeugen vor wie Säge, Raspel, Meißel, Hobel etc., so dass kein künstliches Werk- zeug ihrer technischen Vollkommenheit und praktischen Verwend- barkeit gleichkommt. Aber welchen größeren oder geringeren An- teil diese einzelnen Organe an der Herstellung des Nestbaus haben, wie etwa eine Arbeitsteilung sich vollzieht bei der Durchführung des Baus, bei der Wahl und Prüfung des Baumaterials auf seine Brauchbarkeit, Konsistenz, Feuchtigkeit, ob diese Aufgabe vielleicht den Mundwerkzeugen oder den Fühlern zukommt, welche Organe es sind, ob Antennen oder Beine, die ein Ausmaß der Größenver- hältnisse des Nestbaus bewerkstelligen — das ist schwer zu ent- scheiden, da wir den blinden Baumeister wohl hantieren sehen, jedoch nicht die Art der Arbeitsleistung jedes einzelnen Organes erkennen. Wenn Verhoeff angıbt, dass er hin und wieder die Larven mit den Mundteilen an der inneren Häutungskammerwand beschäftigt sah und wenn er deshalb die runzeligen Erhebungen der inneren Gehäusewand auf Eindrücke der sich kreisend be- wegenden Mandibeln zurückführt, so können solche Runzeln auch von den Eindrücken der Beine herrühren. 11: Es ist nun gewiss recht lehrreich, ad oculos in ein und der- selben Schale mit Polydesmiden die mens: Vervollkommnung der Bautätigkeit der Tiere an ihren Erzeugnissen für die Häutungs- und Brutzw ek zu verfolgen. Als das nem ihm: wäre, wie bereits bemerkt, das einfache Einwühlen der Tiere in die Erde zu betrachten, um die Häutung vorzunehmen. Wird aus diesem rohen Erdloch ein tonnen- oder glockenartiges Häutungslager, welches mit den Faeces der Tiere ausgekleidet bezw. hergestellt ist, so be- deutet das hierfür angewandte Verfahren eine weitere Ausbildung der ursprünglichen Fertigkeit, die sich in der Herstellung eines der Körpergröße entsprechenden Erdloches oder in dem Einwühlen in die feuchte Erde bezeugte. Ein drittes Stadium in der Entwicklung des Bautriebes der Polydesmiden tritt uns dann in der Anfertigung des Gelegenestes entgegen. Der Unterschied zwischen den ersten Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 597 beiden Bauweisen, zwischen der Herstellung eines einfachen Erd- loches und einer austapezierten Erdkammer erscheint zunächst weit geringer, als der Abstand zwischen der zweiten und der dritten Bauart. Allein, es bleibt bei diesem Vergleiche eins vor allem zu beachten: das ıst der bedeutungsvolle Umstand, dass in der zweiten Art der Bautätigkeit ein vollkommen neues Baumittel ın der Ver- wendung des Darminhalts und eine neue und vervollkommnete Weise der Bauausführung ın der Handhabung des Aftersackes als Werkzeug eingeführt wird. Es ist nur ein Schritt weiter in der gleichen Art und Weise der Bauausführung, wenn ım dritten Sta- dium ein vervollständigter Bauplan und eine technisch vollkommenere Modellierarbeit in dem Gelegebau zutage tritt. Wie aber entstand bei den Polydesmiden überhaupt die Bau- fertigkeit? Welche Umstände, Einwirkungen, Nötigungen und Be- dingungen waren es, die dazu zwangen? Wodurch entstanden die Abänderungen und Vervollkommnungen im Bauplan und in der Bauausführung ihrer Arbeiten? Das alles sind Fragen, welche in das hätselgebiet des Instinktes und der vergleichenden Tierpsycho- logie führen. Und die vorhin geschilderte gradweise Vervoll- kommnung der Bauweise der Polydesmiden könnte ein Beleg für die Anschauung Charles Darwin’s sein, wonach „die meisten In- stinkte das durch natürliche Züchtung angehäufte Resultat leichter und vorteilhafter Abänderungen anderer Instinkte sind”). Bei unserer Zurückführung der gewohnheitsmäßigen kompli- zierten Bautätigkeiten auf gewohnheitsmäßige einfache Handlungs- weisen in Rücksicht auf die Entstehung und Vervollkommnung der Instinkttätigkeiten muss man sich zuvörderst darüber klar sein, was man unter Instinkt verstehen will. Es ist nun nicht unsere Absicht, auf die reiche Literatur über diesen Gegenstand näher einzugehen, sondern nur insoweit, als sie für unsere aufgeworfene Frage ın Betracht kommt. Und da ist es denn an erster Stelle Charles Darwin°), der eine leitende An- schauung über den Instinkt beibrachte, indem er darauf verweist, dass ganz verschiedene geistige Fähigkeiten unter diesem Namen begriffen werden und dass, wenn eine Handlung, zu deren Voll- ziehung selbst von unserer Seite Erfahrung vorausgesetzt wird, von seiten eines Tieres ohne alle Erfahrung ausgeübt wird und wenn sie auf gleiche Weise bei vielen Tieren erfolgt, ohne dass diese ihren Zweck kennen, sie gewöhnlich eine instinktive Handlung ge- nannt werde. Und dass, wenn eine durch Gewohnheit angenommene Handlungsweise auch auf die Nachkommen vererbt werde, dann 7) Nach einem Zitat bei: John Romanes, Die geistige Entwicklung im Tier- reich. Leipzig 1885. S. 291 aus den hinterlassenen Manuskripten Darwin’s. $) Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Übersetzt von H. C. Bronn. VI. Aufl. Stuttgart 1876, S. 287. 528 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. die Ähnlichkeit zwischen dem, was ursprünglich Gewohnheit und dem, was Instinkt war, so groß sei, dass beide nicht mehr unter- scheidbar wären. Eine kleine Dosis von Urteil oder Verstand, wıe Pierre Huber es ausdrücke, kommen oft mit ins Spiel, selbst bei Tieren, welche sehr tief auf der Stufenleiter der Natur stehen. — Mit dieser letzteren Bemerkung gesteht also Darwin schon den Gliedertieren höhere geistige Fähigkeiten zu. Herbert Spen- cer°) wiederum hält jeden Instinkt für zusammengesetzte Reflex- tätigkeit, während John Romanes!’) die Anschauungen Darwin’s teilt und Instinkt definiert als Reflextätigkeit, in die ein Bewusst- seinselement hineingetragen ist. Seine Definition soll einerseits die Reflextätigkeit, andererseits vernünftiges Denken ausschließen. Eine gleiche Auffassung hat E. Haeckel'!), der erklärt, dass er in den "Seelenfragen“ in fast allen Anschauungen und Überzeugungen mit Romanes und Darwın hersians Was nun in Hinblick auf unsere aufgeworfenen Fragen die instinktiven Tätigkeiten der Polydesmiden betrifft, so gilt im wesent- lichen für sıe dasselbe, was zahlreiche Forscher von den Instinkt- handlungen und psychischen Fähigkeiten der Bienen und Ameisen ausgesagt haben, wennschon jene nicht eine solche hohe Ausbil- dung erlangten als bei Ameisen und Bienen. Aber immerhin ist zweifellos, dass sie erbliche Instinkte besitzen, welehe eine vorteil- hafte Abänderung und Weiterbildung erfahren konnten infolge von neuen Erfahrungen und Vorstellungsreihen, die vermöge der Sinnes- empfindungen ni NM IN a ehmarimeren gewonnen wurden. Ob jedoch die Tiere sich ıhrer Een Immesmee bewusst sind und mit Über- legung und Einsicht bei der Wahl der Mittel und Wege zur Er- reichung eines Zweckes vorgehen, ob sie sich bewusst sind, dass durch die schornsteinartige Bekrönung ihres Gelegebaues für die junge Brut der notwendige Luftaustausch in dem Brutgelass und ein Ausweg in das Freie für die Larven hergestellt wird, ob sie ein rn von Ursache und Wirkung haben, darüber können wir keine sicheren Überzeugungen, sondern nur Ver mutungen erlangen. Noch nicht einmal vermögen wir uns mit Hilfe eines Analogie- schlusses darüber Klarheit zu verschaffen, welche Vorstellung die Tiere von ıhrem glockenförmigen Töpferwerk haben könnten, da ihnen das Sehvermögen abgeht und wir von der Art und der Lei- stung der Fühler mit ihren Sinnesborsten als Vermittler eines „topoehemischen“ Sinneseindruckes und als Tastorgane zur Ver- mittlung einer etwaigen räumlichen Vorstellung der Körperformen keine weitere Kenntnis haben. Wie wir denn in das Sinnesleben 9) Nach einem Zitat bei Romanes a.a. ©. 8. 122. ) Die geistige Entwicklung im Tierreiche. Autorisierte deutsche Ausgabe. Leipzig 1885, S. 169. 11) Die Welträtsel.e Bonn 1900, S. 123 \ Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 529 u unserer Tiere nach Umfang und Inhalt nur einen beschränkten Einblick besitzen, um dessen Äußerungen und Sonderheiten zu verstehen. Ist es doch auch nicht ausgeschlossen, dass sie ein Sinnesleben führen, wofür uns zum vollen Verständnis überhaupt das Erkennungs- vermögen fehlt. Wır folgern nur aus dem ähnlichen Verhalten der Tiere, ob Kerfe oder Wirbeltiere, und den ähnlichen Handlungen, aus den Reaktionen gegenüber äußeren Einwirkungen und Sinnes- empfindungen und Bedingungen der Umgebung, dass sie über ähn- liche Empfindungs- und Wahrnehmungsqualitäten sowie über ähn- liche psychische Fähigkeiten verfügen müssen wie wir. Welches Maß jedoch, wie viel oder wie wenig wir ihnen davon zugestehen müssen, das bleibt so ziemlich der Willkür überlassen. Einen ge- wissen Gradmesser hierfür haben wir nur an der Zweckmäßigkeit und dem Nutzen der jeweiligen Handlungsweise für das Individuum und die Art sowie ın dem größeren oder geringeren technischen Geschick, womit die Erzeugnisse ıhrer Kunstfertigkeiten im Dienste der Brutpflege ausgeführt sind. Und ferner in dem Umstande, dass der histologischen Differenzierung des Nervensystems als Vermittler der Sinnesempfindung und Wahrnehmung sowie als Träger der psychi- schen Fähigkeiten, zu dessen fortschreitender Kenntnis uns der Weg nicht versperrt ist, dass, sage ich, dieser Differenzierung die Qualität seiner Funktionen entspricht, dass je differenzierter das Organ, desto höher die Leistung! Wie indes die verschiedenen Gewohnheiten, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die schließlich zu den Instinkthandlungen führten, im Laufe der Zeitäonen unter dem auswählenden Einfluss der Züchtung im Kampfe um das Dasein und die Arterhaltung erworben wurden, dieser Gang der historischen Entwicklung der psychischen Qualı- täten der Polydesmiden bleibt uns dunkel, da uns die direkte Be- obachtung versagt ıst. Nur auf induktivem Wege können wir hier- über einigen Aufschluss erlangen. (sehen wir, wie vorhin, zunächst von der Tatsache aus, dass der ständige Aufenthaltsort der Polydesmiden die Erde ist. Sie bietet ihnen das Schutzgelass und in den verwesenden Pflanzen- resten die Nahrung. Es entspricht nun ihrer ganzen Körperergani- sation, sich hier durch einfache Dreh- und Ringelbewegungen, wie sie die Tiere ständig schon bei der Ortsbewegung ausführen, einzu- graben, sobald sich die Vorboten des Häutungsaktes einstellen. Das ist die äußere Nötigung, die Ortsbewegung aufzugeben und sich einzugraben. Und ın dieser durch den Häutungsreizzustand des Organısmus erzwungenen Gewohnheit, sich in die Erde einzuwühlen und ein Häutungslager herzustellen, darin ist sicherlich der Ur- sprung und Anfang zu einem Bautrieb zu erblicken, der sich in einer unter dem Einfluss der Züchtung erworbenen Kunstfertigkeit bei dem Gelegebau äußerte. War es zunächst nur ein Einwühlen XXXVI. 34 550 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. in die Erde, wodurch ein der Größe des Körpers im geringelten Zustande entsprechendes Erdloch entstand, so wird diese gewohn- heitsmäßige und zweckmäßige Handlungsweise aus dem Schutz- bedürfnis während des gefährdeten Lebensstadiums der Häutungs- starre durch eine „leichte und vorteilhafte Abänderung“ bereits zu einer eigentlichen Bautätigkeit, als bei dem Einwühlen in die Erde in zeitlichen Zwischenräumen Exkremente abgesetzt wurden, welche über die brüchige Erdhöhlenwandung mittelst des hervorgestülpten Aftersacks eine Verteilung fanden, indem jener über seine nächste Umgebung hinwegstrich. Unabsichtlich, wie mechanisch fungierte so der Aftersack als ein Werkzeug! Weiter ging dann diese „vorteilhafte Abänderung“ in eine er- höhte Leistung über, sowie die abgesetzten Exkremente vollständiger und gleichmäßiger an der inneren Erdwand des Häutungslagers verteilt wurden, wodurch es austapeziert ward. Und diese bei dem Einwühlen in die Erde angenommene Gewohnheit der durch die ganze Körperorganisation bedingten ringelnden Bewegung behielt das Tier bei, als es seine Eierhäufchen in die erdige Vertiefung legte und darüber den glockenförmigen Nestbau aufführte. Ebenso die Verwendung der Faeces als Baumaterial und des Aftersackes als Werkzeug. Das tonnenförmige, aus Faeces sorgfältig bereitete Häutungs- lager, das zu irgendeiner Zeit einmal von Polydesmiden hergestellt war infolge der nach dieser Baurichtung hin vorteilhaft abgeänderten Gewohnheit des einfachen Einwühlens in die Erde, bot nun jenen Tieren einen größeren Schutz gegen Gefährdungen während der Häutung, als das von anderen Artgenossen zu dem gleichen Zwecke hergerichtete rohe Erdloch. Und während die letzteren daher leicht dem Untergange ausgesetzt waren, gingen die ersteren unge- fährdet aus den Anfechtungen während der Häutungszeit hervor. So ward denn die einmal erworbene neue Gewohnheit durch die natürliche Züchtung gefestigt und verwertet. Und in einer weiteren vorteilhaften Abänderung und vollkommeneren Ausbildung erscheint sie in ihrer Anwendung dann bei dem Gelegenestbau, wo sie bezüglich der Arterhaltung die gleiche Rolle spielt wie vorhin im Häutungsprozesse des Individuums. Denn diejenigen Polydesmuıs- Weibchen, die am sorgfältigsten und geschicktesten mit den Faeces vermittelst des Aftersackes ihr Gelegenest herrichteten, gaben da- durch ihrer Brut die möglichst größte Schutzgewähr, während jene Weibchen, die ihre Eier einem roh hergestellten Neste anvertrauten, die Nachkommenschaft gar leicht dem Untergange aussetzten. Welchen Lebensgefahren aber die ganze Brut ausgesetzt ıst, das ist vorhin an einem Beispiel dargetan. Wenn wir somit die relativ hoch entwickelte Bautätigkeit der Poly- desmiden aus einfachen Gewohnheiten ableiteten oder richtiger als ein 1 Il Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. Ergebnis aus den nützlichen, durch die natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein ausgelesenen und vererbten Abänderungen jener Gewohnheiten ansprechen, so fragt sich jetzt, wie diese nütz- lichen Abänderungen den inneren Bedingungen nach und in Über- einstimmung mit den Örganisationsverhältnissen des Tieres ent- standen. Auf diese Frage gibt Ch. Darwin!) eine allgemeine Antwort. Er hält es für kaum zweifelhaft, dass, wenn eine instink- tive Handlung durch Vererbung in einer leicht modifizierten Weise überliefert wird, dies durch irgendeine leichte Veränderung ın der Organisation des Gehirns verursacht werden muss. — Wir wissen nun zwar, dass das Nervensystem mit seinem Zentral- organ, dem Gehirn, der Sitz der psychischen Fähigkeiten und der Sınnestätigkeiten ist. Aber worin besteht denn nun die Verände- rung in der Organısation des Polydesmus-Gehirns, welche höhere Leistungen instinktiver Art verursacht? Sind es quantitative oder qualitative Stoffänderungen ım Gehirn, worauf dessen Organisations- veränderung und damit die Leistungserhöhung beruht? Ist es eine veränderte Konstellation der Ganglienzellenmolekel, ihre Umlage- rung und Verschiebung zueinander, womit die kompliziertere In- stinkthandlung verbunden ist? Und wodurch werden diese wiederum hervorgerufen in dem Triebwerk der Reizketten? Welches sind die bestimmenden Kräfte, die das System der veränderlichen Massen in Bewegung setzen? Wenn wir so eime Analyse der kausalen Zusammenhänge der Äußerungen des Instinktes vornehmen, um seinem Werdegange auf die Spur zu kommen, dann sind wir mit unserer Weisheit bald zu Ende. Wer da vermeint, sein Wesen schon begriffen und erklärt zu haben, indem er die Instinkthand- lungen auf die Mechanik von molekularen Bewegungsvorgängen zurückführt, der muss sich doch sagen, dass damit die Erklärungs- schwierigkeiten erst recht beginnen. Nehmen wir dahingegen psychische Fähigkeiten als Grundlagen der instinktiven Fähigkeiten der Polydesmiden als gegeben an; dass die gewohnheitsmäßigen Handlungen sıch nützlich und zweckmäßig ausbildeten unter dem Einfluss der natürlichen Zuchtwahl, indem zufällig auftretende vor- teilhafte Abänderungen vererbt wurden, so ist das alles, selbst der Zufall an sich, der hier als biologischer Faktor ın die Entwicklungs- geschichte der ıinstinktiven Handlungen eingesetzt wird, gerade nichts Unbegreifliches. Es sagt mit Recht Albert Lange, der scharfsinnige Verfasser der „Geschichte des Materialismus“ '?): „Das Zweckmäßige geht aus der Erhaltung relativ zufälliger Bildungen hervor, allein diese Bildungen können nur zufällig genannt werden, sofern wir keinen Grund, anzugeben wissen, warum gerade diese ın 12) Romanes, Die geistige Entwicklung im Tierreich. S. 291. 13) IIB.S. 274. 532 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. diesem Augenblick auftreten. Im großen Ganzen ist alles und so- mit auch das Auftreten dieser Bildungen, welche durch Anpassung und Vererbung zur Grundlage neuer Schöpfungen werden, not- wendig und durch ewige Gesetze bestimmt. Wenn der Darwinismus gegenüber der plumpen, anthropomorphistischen Teleologie als eine /ufallslehre erscheint, so ıst das nur seine durchaus berechtigte negative Seite.“ Eins aber tritt sicher deutlich hervor: Wenn man sieht, wie die Polydesmiden bei ihrem Nestbau verfahren, wie ın den herge- stellten Nestnapf zunächst die Eier abgelegt werden und dann weiter der Aftersack, die Beine, die Mundteile und nicht zum wenigsten der ganze Körper als geschickt und praktisch verwandte Werkzeuge fungieren und einen für die junge Brut recht zweck- mäßıg hergerichteten, Schutz gewährenden glockenförmigen Erdbau schaffen, wenn man sieht, wie durch dessen schornsteinartigen Ab- schluss für die nötige Ventilation im Brutraum und für das spätere Entkommen der ausschlüpfenden Larven durch den kaminartigen Nestausgang ins Freie gesorgt ıst, wenn man erkennt, wie die Tiere sich bei ıhrem Nestbau auch der Umgebung anzupassen wissen, indem sie statt der Erde vermodertes Blattwerk benützen und wo die Umgebung keine Erdbrocken zum Bedecken und Verstecken des Nestbaus in der verwendbaren Weise bietet, diesen mit aus- gestoßenen Kotballen überstreuen, wenn man diese Handlungen in ihrem Zusammenhang überblickt, dann kann man sie unmöglıch als einfache mechanische Reaktionen auf unbewusste Empfindungsakte deuten, die zustande kommen durch Berührung und Druck seitens der jeweiligen Umgebung, man kann, mit anderen Worten, die Tiere nicht als „Reflexmaschinen“ betrachten! Wer es unternimmt, für deren zahlreiche, verschiedenartige Handlungsweisen als Reflexbewegungen die zugehörigen, diese aus- lösenden und ebenso verschiedenartigen wie zahlreichen Reizfaktoren zu bestimmen, der kommt bei diesem Konstruierungsspiel der Phan- tasıe alsbald zu Absurditäten. Wenn H. E. Ziegler'*) mit H. Spencer den Instinkt unter Ausschaltung des Bewusstseins für komplizierten Reflex erklärt und sagt, dass die Reflexe und Instinkte auf vererbten Bahnen (kleronomen Bahnen), des Nervensystems, die verstandesmäßigen Handlungen auf im individuellen Leben erworbenen Bahnen (embion- tischen Bahnen) beruhen, so fragt man sich, was sind denn nun komplizierte Reflexe und wie entstanden sie? Wie Ziegler ferner meint, so sei es wohl denkbar, „dass die Fortsätze, welche die Ganglienzellen untereinander in Beziehung 14) Über den Begriff des Instinktes. In: Verhandle. d. dentschen zoolog. Gesellsch. 1892, S. 123. Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. 535 setzen, infolge des-durch die Erregung der Sinneszellen oder anderer Granglienzellen erzeugten Reizes (also in direkter oder indirekter Folge von Sinneseindrücken) neue Verbindungen eingehen oder vor- handene Verbindungen verstärken (erworbene Bahnen); so erklären sich die auf Grund der Erfahrung entstehenden Assoziationen; die Fähigkeit, solche zu bilden, das seı der Verstand. — Daraus, dass Nervenzellenfortsätze infolge von Reizeinwirkungen neue Verbindungen eingehen, sollen sich die Assoziationen, sollen sich ım weiteren die Verstandeshandlungen erklären? Was wir unter Aufbietung der findigsten technischen Hilfsmittel und der scharfsinnigsten Untersuchungsmethoden in dem Nervensystem er- kennen, das ist weiter nichts als ein grobsinnliches Verhältnis der Materie nach wechselnder Gestaltung, Gruppierung und Bewegung. Wie aber hieraus, aus dem Konkretum, das, was wır Abstraktum nennen, wie aus dem Körperlichen das Geistige entsteht, wie die Verbindungsbrücke zwischen beiden geschlagen wird, das ist uns ganz und gar unerklärlich und unverständlich. Worin bestehen denn die Neuverbindungen der Ganglienzell- fortsätze und Verstärkung durch Reizeinwirkungen? Ist es dort eine durch veränderten Kontakt bewirkte Umlagerung von Nerven- elementen, ein Wechsel in den bisherigen molekularen Spannungs- verhältnissen und hier ein Zuwachs von Nervensubstanz? — Ein Fortschritt auf dem Wege der Erkenntnis in diese rätselhaften Dinge ist es schon, dass uns die Nervenanatomie und Physiologie lehrt, im postembryonalen Leben entständen keine neuen Nerven- zellen, sondern nur ıhre Länge und Verästelung wachse. Und ferner, dass die Nervenzellentätigkeit einmal reproduktiv, das andere Mal plastisch sei. Einmal werden alte bereits durch unzählige Wieder- holungen automatisch gewordene Tätigkeiten identisch oder fast identisch wiederholt. Das andere Mal erscheinen neue und kom- binierte Tätigkeiten, indem verschiedene Nervenwellen aneinander- stoßen und besonders durch äußere neue Sinnesreize oder Reizkom- binationen veranlasst, neue Kombinationen ın den Nervenelementen ausgelöst werden. Die automatisch reproduktiven Tätigkeiten können mit den Nervenelementen vererbt werden, ohne jemals von dem Tiere geübt worden zu sein. Ein Sinnesreiz genügt, um die ganze Kette hervorzurufen. Auch die plastischen Figenschaften der Nervenzellentätigkeit seien erblich, jedoch nur als Anlagen, die das Individuum entwickelt und betätigt, oder nicht entwickelt und betätigt, je nach Umständen (Aug. Forel)®°). Wie jedoch die Reize perzipiert und als molekulare Nerven- bewegung oder Nervenreizwelle (Neurocym nach Forel) ın den 15) Aug. Forel, Gehirn und Seele. Verhandlg. d. Gesellsch. deutsch. Naturf. und Ärzte. 66. Versammlung zu Wien. 1894, S. 82. 534 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. Nervenbahnen fortgeleitet und in den Neuronen (Waldeyer) um- geschaltet, re oder abgeschwächt, abgeändert und wie sie zu einer Neuromuskeltätigkeit führen und EbEorkch dann zum Aus- druck kommen, über diesen Prozess nach seinem Chemismus und Mechanismus wissen wir nichts. Falls nun das, was die Nerven- anatomie und Physiologie als Tatsachen hinstellt, einwandsfrei ist, so ist nicht einzusehen, weshalb nicht die Bautätigkeiten als instink- tive Handlungen der Polydesmiden im Laufe der phylogenetischen Entwicklung als ursprüngliche plastische Nervenzellentätigkeiten an- hoben und schließlich in erbliche Automatismen übergingen. Was heute bei den Bruttätigkeiten der Tiere etwa auf Kosten der eigenen Erfahrung und el, zu setzen ıst, das mag nur gering sein, lässt sich aber schwer feststellen. Ihre instinktiven Handlungen spielen sich nach einem Schema ab, dessen Rahmen andererseits jedoch weit genug ist, um einer abgeänderten Betätigung auf Grund der eigenen Sinneswahrnehmung einen Spielraum zu ge- währen. Inwieweit die instinktiven Handlungsweisen, welche auf einer erblichen Anlage beruhen, durch im Einzelleben erworbene Sinneseindrücke und Vorstellungsassoziationen kontrolliert und regu- liert werden, das ließe sich vielleicht nur erfahren aus daraufhin methodisch angestellten experimentellen Untersuchungen. Wenn wir vorhin nun bei den Polydesmiden aus einer ein- fachen gewohnheitsmäßigen Handlungsweise des Einwühlens in die Erde bei Herannahung des Häutungsprozesses die komplizierten Handlungen der Tiere ableiteten, die sich in dem Nestbau wieder- spiegeln und dabei die natürliche Zuchtwahl im Kampfe um die Arterhaltung als mechanisches Prinzip walten ließen, so folgt daraus noch nicht, dass die Bautätigkeiten nun reine, durch die Zuchtwahl erworbene Mechanismen wären, reine Reflexerscheinungen, die auf bestimmte Reizeinwirkungen ausgelöst werden und ein Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen sowie andere psychische Elemente vollständig ausschlössen. Wer das Gebahren der Polydesmiden in seinen Teilvorgängen verfolgt, wie anstellig und geschickt die Tiere verfahren, wie die einzelnen Handlungen in ihrer Vielseitigkeit den- noch so einheitlich zweckmäßig sind, Handlungen, die nach mensch- lichen Begriffen in einer logischen Verknüpfung stehen und Willens- akte, Gedächtnis, Wahrnehmung, ein Bewusstwerden des Nestbau- beginns, der vorgenommenen Eiablage, des Wiederaufnehmens der unterbrochenen Bauarbeit verraten, ein Erkennen, dass nunmehr der Bau beendet ist, wer diesen Komplex in einer bestimmt ge- regelten Weise aufeinander folgender und ineinander greifender ver- schiedenartiger, planmäßiger Tätigkeiten bis zur Erreichung eines gewissen und dann erkannten Zieles verfolgt, der kann unmöglich darin ein bewusstloses Spiel von Mechanismen auf verflochtenen Nervenbahnen erblicken, ein mechanisches Getriebe von Vorgängen Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. . 535 oder eine Maschinerie, die einsetzt mit ihrem Räderwerk wie die Spieluhr, und, aufgezogen, dann ein bestimmtes Stück bis zu Ende leiert! Würden die Bauten der Ameisen, Bienen und Polydesmiden in den entsprechenden Größenverhältnissen zu ihren Baumeistern von den Menschen aufgeführt, so würde jeder ohne weiteres in diesen ingeniösen Bauten einen größeren oder geringeren Grad von Intelligenz erkennen; die Tiere sollen sie gar ohne die Spur eines Bewusstseins aufführen! Eine Handlungsweise, die beim Menschen eine Intelligenz verrät, die kann bei den Tieren aber nicht be- wusstlos sein. Das ist ein Widerspruch ın sich selber! Und damit kommen wir auf eine prinzipielle Frage ın der Untersuchungs- methode, nämlich, ob wir die Handlungsweisen der Tiere nach einem menschlichen Maßstabe beurteilen dürfen, ob der Analogieschluss vom Menschen auf die Tiere zulässig ist. Vielfach wird ein solcher Analogieschluss verworfen; so auch von H. E. Ziegler!‘). Allein, von verschiedenen Seiten wurde dem schon entgegengehalten, dass wir auf den Analogieschluss als ein Mittel der Erkenntnisgewinnung angewiesen seien. Auf einem anderen Wege können wir uns denn auch von den Lebens- erscheinungen, von den Lebenstätigkeiten und Handlungsweisen in der Tierwelt keine Anschauung und Vorstellung machen. Es ist eben platterdings unmöglich, das Tierleben nicht in einem gewissen, vermenschlichten Sinne aufzufassen. Hieraus folgt durch- aus nicht, dass eine anthropomorphistische Auffassung ins Unge- messene getrieben wird und den Tieren nun eine Überlegung und Motive für ihre Handlungsweisen sowie eine Kombination und Re- flexion und Gefühlsaffekte und Empfindungsqualitäten zuerkannt werden gleichwie beim Menschen. Tatsächlich operieren wir denn auch nur mit Analogieschlüssen in der Tierpsychologie. Und das selbst da, wo man dem psycho-physiologischen Wissensgebiet mit dem Rüstzeug einer schwerfälligen Terminologie beizukommen sucht und vermeint, in griechischen Wortbezeichnungen mit mechanistischen Anklängen die Wünschelrute zum Quell der wissenschaftlichen Er- kenntnis gefunden zu haben. Wenn Ziegler!”) die zutreffende Bemerkung macht, dass das psychische Leben (im menschlichen Sinne des Wortes) das Ge- fühlsleben und das Bewusstsein in der Tierreihe allmählich ent- standen sind, entsprechend der allgemeinen Höherentwicklung des zentralen Nervensystems — so zieht er bei dieser vergleichenden Betrachtung schon selbst einen Analogieschluss. Und wenn unser Autor in dem Herbeieilen der Hühner: auf den Lockruf zum Futter 16) Was ist ein Instinkt? In: Zoolog. Anz. Bd. 32, S. 252. 17) A.a. O. S. 252. 536 Voges, Der Nestbau der Polydesmiden. eine verstandesmäßige Handlung erkennt, so liegt dieser Deutung der Handlungsweise der Tiere ebenfalls der Analogieschluss zu- grunde. Ebenso ist es einzig nur ein Analogieschluss, wenn er das Verhalten der Hüpfspinne Attus arenatus Cl., welche eine Fliege verschmähte, nachdem ihr vorher mit Terpentin betupfte Fliegen vorgelegt waren, mit Dahl als verstandesmäßig bezeichnet. Eine gewisse Verstandestätigkeit gesteht Ziegler übrigens den Spinnen und Insekten zu. Damit ıst aber seine eigene Forderung nicht ın Einklang zu bringen, wonach es grundsätzlich verfehlt sei, die Be- griffe der Tierpsychologie auf Vorgänge der inneren Erfahrung (Bewusstsein, Gefühl u. dgl.) zu gründen®®). Ziegler will das Be- wusstsein aus den Instinkthandlungen ganz ausgeschaltet wissen; Forel'’) erklärt, das Bewusstsein sei eine offenbar ganz allgemeine Eigenschaft der lebenden Neurone, somit auch der tierischen Nerven- systeme, woran die Instinkthandlungen gebunden sind. Wenn wir nunmehr am Schluss unserer erkenntnistheoretischen Betrachtungen über die instinktiven Handlungen der Polydesmiden die Definition des Instinktes, wie sie nach der damals herrschenden Auffassung Charles Darwin und Romanes gaben, mit derjenigen unserer modernen Psychophysiologie vergleichen, so besteht zwischen beiden Definitionen kein wesentlicher Unterschied. Nur die Wort- einkleidung ist eine verschiedene, inhaltlich kommen ihre Umschrei- bungen der Sache so ziemlich auf dasselbe hinaus. Zumal in der ver- suchten Erklärung zeigt sich bei beiden, dass das definierte Phänomen nicht restlos und eindeutig erklärt ist. Nach der ersteren Definition beruhen die instinktiven Tätigkeiten auf gewohnheitsmäßigen, ver- erbten und ihren Zwecken nach unbewussten Handlungen, auf Re- flextätigkeiten, welche ein Bewusstseinselement, eine kleine Ver- standesdosis nicht ausschließen. Nach der modernen Auffassung spricht man von Instinktautomatismen, die sich äußern, indem der primäre Richtungsreiz einen bereits hochdifferenzierten, mehrphasigen hereditären Engrammkomplex ekphoriert, der sich, einmal angetönt, durch alle seine Phasen ın ziemlich autonomer Weise, d. h. unab- hängig von der Fortdauer des primär auslösenden Reizes, wie eine willkürliche Handlung abzuwickeln vermag, wobei jedoch eine ge- wisse Plastizität (individuelle Anpassungsfähigkeit) auftreten kann, die sich darin zeigt, dass die Instinkte sich mit plastischen En- grammen, d. h. solchen, welche erst während des Ablaufes neu erworben wurden, assoziieren und so gewisse Veränderungen ihres Ablaufes erleiden können (R. Brun2®)). Obschon diese Definition an eine mechanistische Auffassung, jene an eine metaphysische anklingt, so führen doch beide die 18) Ar a.0. S. 355. 19)Ar 2.0, 8.80. 20) Das Orientierungsproblem im allgemeinen und auf Grund experimenteller Forschungen bei den Ameisen. In: Biolog. Centralbl. 1915, S. 197. Szymanski, Die Haupf-Tiertypen ete. 537 instinktiven Handlungen auf bestimmte Vorgänge in den Nerven- elementen nach ihren Kausalzusammenhängen zurück. Aber mögen wir nun auch in metaphysischen Gedankengängen an der-Hand des Analogieschlusses bei der Analyse der psychischen Erscheinungen in den instinktiven Handlungen der Tiere noch so weit vordringen von der einfachen Reflexbewegung bis zur bewussten Zwecktätig- keit und die Übergänge zwischen diesen aufzudecken suchen oder nach einer mechanistischen Betrachtungsweise die instinktiven Tätig- keiten auf mnemische Erregungen, Kinästhesien, Engrammkomplexe, Ekphorien oder wie sonst noch die klingenden Worte für ihrem inneren Wesen nach unbegreifbare Dinge lauten: wir wandeln weder mit der einen, noch mit der anderen Methode auf den lichtvollen Pfaden der Erkenntnis, sondern straucheln allemal leicht auf den Irrwegen der Spekulation, sowie wir über eine deskriptive Behand- lung der Lebenserscheinungen und Vorgänge hinausgehen und da- mit den Boden der Empirie verlassen! Die Haupt-Tiertypen in bezug auf die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden im 24 stündigen Zyklus. Von Dr. J. S. Szymanski (Wien). (Mit 2 Textfiguren.) Kein Tier bleibt in einemfort tätig!): Auf Perioden der Ak- tıvität (bezw. Wachperioden) folgen regelmäßig solche der Ruhe (bezw. Schlafperioden). Nicht alle Tiere verhalten sich hinsichtlich der Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden gleich; die einen wachen bei Tag und schlafen ın der Nacht; die anderen umgekehrt; andere wiederum bleiben hauptsächlich in der Dämmerung tätig. Diese von alters her bekannte Eigenschaft der Tiere diente zur Grundlage der längst eingebürgerten Einteilung der Tiere ın Tag-, Nacht- und Dämmerungs- tiere. Bei dieser Klassifikation wurden jedoch stillschweigend bloß jene Tiere, in deren Leben der Gesichtssinn eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielt bezw. allen anderen Sinnesrezeptionen voran- geht, berücksichtigt. Die Lichtverhältnisse zeigen regelmäßige periodische Schwan- kungen; infolgedessen ist es begreiflich, dass auch die Tiere, beı denen eine bestimmte Lichtintensität als aktivitäterregendes Stim- mulans dient, ın Verteilung ıhrer Ruhe- und Aktıvitätsperioden 1) Als die bisher bekannten Ausnahmen von dieser Regel sind Amoeba Proteus (Gibbs and Dellinger, The daily life of Amoeba Proteus. Am. Journ. of Psychol. vol. 19. p. 232. 1908) und einige Seefische und andere Seetiere (Polimanti, Activite et repos chez les animaux marins. Extr. du Bull de Y’Inst. Gen. Psych. 1911, llme an) zu erachten. 538 Szymanski, Die Haupt-Tiertypen etc. diesen Schwankungen folgen. Es wäre jedoch von vornherein fehler- haft zu erwarten, dass auch die Tiere, welche sich in ihrem Ver- halten hawptsächlich von nichtoptischen Reizen leiten lassen und bei denen der Gesichtssinn mehr oder weniger rudimenfär ist, eine der obenerwähnten gleiche Verteilung in ihren Ruhe- und Aktivitäts- perioden zeigen sollten ?). Wenn wir zunächst jene Tiere, in deren Leben der Geruchs- sinn die Hauptrolle spielt und bei denen der Gesichtssinn gar nicht oder nur rudimentär entwickelt ist, berücksichtigen, so ist es evident, dass in diesem Falle die Reizintensität keinen merklichen periodischen Schwankungen — wie etwa die Intensität der Licht- reize (Sonnenlicht) — unterworfen ist. Die Geruchsreize wirken dank der Beschaffenheit der Reizquellen entweder mehr oder weniger konstant (Nestgeruch u. s. f.); oder die Wirkung ist plötzlich aul- tretend, mehr oder weniger kurzdauernd und sich nur in un- regelmäßigen Zeitintervallen wiederholend (Futtergeruch, Feindes- geruch u.s. f.). Es ist also nicht leicht, von vornherein die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei diesen Tieren zu bestimmen. Denn die inneren Zustände des Organısmus, die die Ruhe bezw. Aktivität zu gebieterischem Bedürfnis erheben, können nicht durch die periodischen Intensitätsänderungen des stimulierenden Haupt- reizes geregelt werden. Hier müssen also andere, noch nıcht näher bestimmte Faktoren bei den Ruhe- und Aktivitätsperioden mitwirken. Auf Grund dieser Erwägungen müsste man bei den osmatischen Tieren mit rudimentär entwickeltem Gesichtssinn möglicherweise einen anderen Typus hinsichtlich der Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden, als die oben schon aufgezählten, erwarten. In der Tat konnte ich bei zwei Vertretern osmatischer Tiere und zwar bei weißen und grauen Mäusen einen von den bisher be- kannten abweichenden Typus in der Verteilung der Wach- und Schlafperioden feststellen. In einem eigens konstruierten Apparat (Aktograph) ist es mir gelungen°), die Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weißen und grauen Mäusen auf graphischem Wege genau zu registrieren. Es hat sich herausgestellt, dass die weiße Maus im 24stün- digen Zyklus im Durchschnitt 16 regelmäßig wechselnde Schlaf- und Wachperioden aufweist; die eine Periode dauert also im Durch- schnitt 45 Minuten. In der gleichen Zeit erlebt die graue Maus im Durchschnitt 19 Schlaf- und 19 Wachperioden; je eine Periode 2) Auf die Möglichkeit mehrerer aufeinanderfolgender Schlaf- und Wach- perioden in 24 stündigem Zyklus bei einigen Tieren hat schon Helpach (Die geo- psychischen Erscheinungen 1911) hingewiesen. 3) Vgl. hierzu Szymanski, Eine Methode zur Untersuchung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei Tieren. (Pflüger’s Arch. Bd. 158. 1914. p. 379— 384.) Szymanski, Die Haupt-Tiertypen ete. 2 539 ı dauert im Durchschnitt 37,9 Minuten. Während also ein Augentier ın 24 Stunden bloß eine große Wach- und eine große Schlafperiode erlebt, macht dıe Maus je 16 (bezw. 19) Wach- und Schlafperioden durch. Mit anderen Worten, statt eine „Nacht“ und einen „Tag“ zu erleben wie ein Augentier, macht die Maus 16 (bezw. 19) „Nächte“ und ebensoviele „Tage“ durch). Wir stoßen hier auf einen bisher unbekannten Tiertypus hin- sichtlich der Verteilung der Ruhe- und Aktiviätsperioden. A — Monophasie (Kanarienvögel). b — Polyphasie (graue Maus). Die Verteilung der Ruhe- (der innere Kreis) und Aktivitätsperioden (der äußere Kreis) im 24 stündigen Zyklus; das obere 12 bedeutet die Mittagsstunde, das untere 12 die Mitternachtsstunde. Beide Diagramme nach naturtreuen Aufnahmen im Aktograph gezeichnet. Wenn wir eine Ruhe- und eine Aktivitätsperiode ım 24stün- digen Zyklus als eine Phase im Leben der Tiere auffassen wollen, so ıst man berechtigt, den Tag-, Nacht- und Dämmerungstieren, als den Vertretern der monophasischen Tiere, die polypha- sischen Tiere (Mäuse)5) gegenüber zu stellen. (Fig. 1.) Es scheint hiermit im großen und ganzen eine Abhängigkeit zwischen dem Vorherrschen eines Sinnesorganes und der Verteilung 4) Ich möchte in diesem Zusammenhange auf eine Stelle bei Mojsisovies von Mojsvar hinweisen, wo dieser Forscher die Waldwühlmaus ein „Tag- und Nacht- tier“ nennt (Mojsisovics von Mojsvär, Das Tierleben der österreichisch-ungari- schen Ebenen. 1897. p. 172). 5) Nach den Beobachtungen M6jsisoviecs vonMojsvär scheint es, dass auch der Marder ein polyphasisches Tier ist (Mojsisovies von Mojsvär e. ce. p. 162). Auch Rana graeca scheint ein polyphasisches Tier zu sein, wie dies wenigstens die folgende Bemerkung Mertens’ vermuten lässt: „Rana graeca scheint mir zugleich Tag- und Nachttier zu sein“ (R. Mertens, Naturforscher-Erinnerungen vom Mittel- meer, 1916 s. 29). 540 Szymanski, Die Haupt-Tiertypen ete. der Ruhe- und Aktivitätsperioden zu bestehen: die Tiere mit mehr oder weniger gut entwickeltem Gesichtssinn seien hauptsächlich monophasisch (nach meinen Untersuchungen z. B. Kanarienvogel, Goldfisch, Ringelnatter, dann Mensch ete.), die osmatischen Tiere mit rudimentärem Gesichtssinn hingegen — möglicherweise meistens polyphasısch (Mäuse). Es wären jedoch Fälle wohl denkbar, ın denen ein Tier der ersten Kategorie polyphasisch sein könnte. Fig. 2. A — Laubfrosch: Zwei Perioden der Aktivität (am 14.—15. Juli 1915 aufgenommen). B — Ringelnatter: Eine Hauptperiode der Aktivität zwischen 12 bis 2 Uhr nach- mittags (am 16.—17. September aufgenommen). (Auf dem inneren Kreis sind die Ruhe-, auf dem äußeren Kreis die Aktivitäts- perioden eingetragen. Das obere 12 bedeutet Mittag, das untere 12 Mitternacht.) Beide Diagramme nach naturtreuen Aufnahmen im Aktograph gezeichnet. Einen derartigen Fall ist es mir vor kurzem zu beobachten gelungen. Der Laubfrosch, ein ausgesprochen optisches Tier, muss als eine polyphasische Art erachtet werden. Derselbe erlebt ım 24 stündigen Zyklus zwei Perioden der Aktivität (um die Mittags- zeit und abends), die durch zwei Ruheperioden voneinander getrennt sind. (Fig. 2A.) Es könnten ferner z. B. diejenigen Tiere, deren Augen auf schwache Lichtintensitäten eingestellt sind (Dämmerungstiere), poly- phasisch sein. Sie könnten zwei Ruhe- und Aktivitätsperioden im 24 stündigen Zyklus aufweisen. Die erste Phase wäre: eine Ruhe- periode vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang (Tageszeit) und eine Aktivitätsperiode von der Zeit um den Sonnenuntergang bis zum Auftreten der vollkommenen Dunkelheit (Abenddämmerung); die zweite Phase verliefe so, dass eine Ruheperiode vom Auftreten der vollkommenen Dunkelheit bis zur Zeit vor Sonnenaufgang Szymanski, Die Haupt-Tiertypen ete. 5 (Nachtzeit), eine Aktivitätsperiode von der Zeit vor dem Sonnen- aufgang bis zum Sonnenaufgang (Morgenröte) dauern würde. Weiteren Untersuchungen bleibt es vorbehalten, zu ermitteln, ob dieser oder ein ähnlicher Typus in Wirklichkeit vorkommt. Es wäre weiter möglich, dass bei Tieren mit mehr oder weniger gut entwickelten Augen noch andere Faktoren als Licht mitwirken und die Mono- in Polyphasie umgestalten könnten. Welche Faktoren — abgesehen von den optischen Reizen — es sind, die die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden be- stimmen, wissen wir bisher nıcht (Hunger, Ermüdungsstoffe, Tem- peraturschwankungen u.s.f.?) Bloß ın einem Sonderfalle gelang es bisher, meines Wissens, einen nicht-optischen Faktor aufzudecken, der die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden mit bewirkt. Und zwar, wie dies G. Bohn‘) nachzuweisen vermochte, wirkt neben den optischen Reizen hauptsächlich die periodische Wechselfolge zwischen der Trockenheit und Feuchtigkeit bei einigen ın der Strand- zone lebenden Seewürmern und Seeschnecken mitbestimmend auf die Verteilung von Ruhe- und Aktivitätsperioden ’). Auch die Frage, welche Faktoren, neben den optischen Reizen, es sind, die das Fixieren der Hauptperiode der Aktivität auf nur wenige Tagesstunden bei den trägen, optischen und monophasischen Tieren bewirken, harrt noch immer ihrer Lösung. Immerhin ist eine Beobachtung gemacht worden, die geeignet wäre, uns glauben zu lassen, dass die Temperaturreize in einigen Fällen mitbestimmend wirken könnten. Die Ringelnatter, ein op- tisches, träges und wärmebedürftiges Tier, erlebt bloß eine kurze Aktivitätsperiode im 24 stündigen Zyklus. Diese Periode, die bloß zwei Stunden dauert, fällt mit den wärmsten Tagesstunden (12 bis 2 Uhr nachmittags) zusammen. (Fig. 2 B.) üs liegt der Gedanke nahe, dass ın diesem Falle gleichfalls die optischen wie auch die thermischen Reize die Tageszeit, in der die Aktivität die sonstige Ruhe unterbricht, bestimmen. In der Verfolgung dieser Probleme läge ein weites Feld für künftige Untersuchungen. Es wäre sehr lohnend, die anderen Ver- treter der augenlosen bezw. der Tiere mit rudimentärem Gesichts- sınn zu prüfen, um so weiterhin die Faktoren, welche die Ver- teilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei diesen Tieren bewirken, zu ermitteln. 6) Vgl. hierzu die zahlreichen Arbeiten von Bohn, insbesondere in Bull. de l’Institut psych. g@n. und auch in deutscher Übersetzung („Die Entstehung des Denkvermögens“, 1910 und „Die neue Tierpsychologie“, 1912). 7) Dass wohl auch andere Strandtiere sich ähnlich verhalten können, lässt Forbes’ Beschreibung der Lebensweise der Strandkrabben vermuten. (H.O.Forbes, 9” A naturalist wanderings in the Eastern Archipelago. London 1885. p. 25-26.) 549 Eichwald, Die Energetik der Organismen. Die Energetik der Organismen. Von Egon Eichwald. Allgemeine Bemerkungen). Beim Studium der Energetik der Organismen lassen sich zwei Richtungen unterscheiden, in denen sieh die Forschung bewegt: Die eine Richtung bezweifelt nicht, dass der Hauptsatz der Thermo- dynamik, der Satz von der Konstanz der Energie, für die gesamte anorganische Welt gilt, aber sie hält es für notwendig, durch sorg- fältige Experimente seine Geltung auch für die organische Welt zu beweisen. Klassisch sind hier die Versuche Rubner’s und Atwater’s. Dieser Richtung entgegen steht eine andere, die den Satz von der Konstanz der Energie als ein Naturgesetz a priori im Sinne Kant’s ansieht. Auch für diese Forscher sind die Versuche Rubner’s und Atwater's keineswegs überflüssig, aber sie beweisen für sie lediglich, dass der erste Satz der Thermodynamik empi- risch auf die Organismen anwendbar ist. Auch ohne diese Be- stätigung wäre der Satz gültig. Wohl aber ist durch die Bestätigung erwiesen, dass in der Tat in den zur Untersuchung gebrachten Energieformen ein vollkommener gegenseitiger Austausch sich vollzogen hat, mit anderen Worten keine Energie in irgendeine unbekannte, dem organischen Leben eigentümliche Form eingegangen oder daraus hervorgegangen ist. Es ıst also durch das Experiment zwar nicht die Geltung (dessen bedarf es nicht), wohl aber die Anwendbarkeit des ersten Wärmesatzes auf die Organismen erhärtet worden. Es musste bald Aufgabe der Forschung werden, tiefer ın die Einzelheiten des Energieaustausches innerhalb der Organismen ein- zudringen. Um solche Aufschlüsse zu gewinnen, bedurfte es vor allem einer gewissen Abgeschlossenheit der Organismen gegen die äußere Welt, gegen den dahinfließenden Energiestrom. Physika- lısch gesprochen galt es, den Organismus als geschlossenes System aufzufassen oder wenigstens in ein leicht zu kontrollierendes System einzuordnen. Ohne weiteres ist klar, dass diese Bedingung für den höheren pflanzlichen Organismus kaum realisierbar ıst. Außer der chemischen Energie, die der Pflanze durch die Wurzeln zugeführt wird und die bei der Assımilation und Dissimilation von Bedeutung ist, spielen eine wichtige, aber zahlenmäßig schwer erfassbare Rolle die strahlende Energie des Sonnenlichtes, die osmotische Energie, die beim Säftetransport mitwirkt, ferner Oberflächenenergie bei der Wirkung der Kapillarkräfte sowie bei der Neubildung von Ober- 1) Man vergleiche hierzu: Pfeffer: Energetik der Pflanze. Nr. III des XVIII. Bandes der Abhandlungen d. math.-phys. Klasse der Kgl. Sächs. Ges. der Wissenschaften. Ferner ©. Oppenheimer: Die Fermente. Bd. II, S. 944—945. Eichwald, Die Energetik der Organismen. 543 flächen infolge der Ausscheidung von Stoffwechselprodukten, schließ- lich auch thermische und mechanische Energien. Nur dann, wenn alle diese schwer übersehbaren Energieformen ausgeschaltet sind, kann eine experimentelle Untersuchung Aussicht auf Erfolg bieten. Wir wollen sehen, wann dies der Fall ist. _ Im großen und ganzen kann man sagen, dass dies dann der Fall ıst, wenn Einnahme und Ausgabe die Formen der leicht messbaren chemischen und thermischen Energie haben. Auch mecha- nische Bewegungsenergie darf hinzukommen, da diese ohne Schwierig- keit in messbare Bahnen zu lenken ist. Es werden sich natürlich innerhalb des Organismus genau so wie sonst alle möglichen Energieumwandlungen vollziehen, Verschiebungen der Oberflächen- energie durch Ausscheidungen von Kristallen und Kolloiden, Ände- rungen der osmotischen Energie etc. ete., aber falls wir nur dafür sorgen, dass der Energieaustausch der Organismen mit der Außen- welt sich auf die kontrollierbaren Formen der chemischen und ther- mischen Energie beschränkt, allenfalls auch der gerichteten Be- wegungsenergie, wird ein gewisser vorläufiger Einblick in das Energiegetriebe möglich sein. Man muss sich freilich darüber klar sein, dass feinere Einzelheiten des Energiewechsels auf diese Art kaum zu gewinnen sind. Wann sind nun die geschilderten Bedingungen verwirklicht? Offenbar in besonders einfacher Weise bei der summarischen Betrachtung zahlreicher, in ihre Nährsubstanz eingebetteter Orga- pismen. Hierbei ist es ganz gleichgültig, was in den Organismen selbst vor sich geht. Es genügt, die Veränderung der Gesamt- masse, Organismen plus Nährsubstrat, energetisch zu verfolgen, eine Aufgabe, die, wie wir sehen werden, bei Einzellern sowie niederen Metabionten, vor allem Würmern durchführbar ist. Aber auch beim Individuum ist der Energiestoffwechsel zu ver- folgen. Während die Pflanze, wie wir sahen, in einem ständigen Austausch der verschiedensten Energieformen mit der Umgebung lebt, beschränkt sich der Energieaustausch beim höheren Tier im Zustand der Ruhe fast ausschließlich auf chemische und thermische Energie. Auch hier sind also die Bedingungen zum Experiment günstig, und in der Tat ist die Mehrzahl der energetisch wichtigen Fragen durch Stoffwechselversuche am höheren Tier gewonnen worden. So interessant nun auch die so erhaltenen Ergebnisse sind, wert- vollere Aufschlüsse muss man sich von der Anwendung des zweiten Wärmesatzes versprechen. Die wenigen bisher gemachten Folge- rungen bieten dafür einen hinreichenden Beleg. Der zweite Wärmesatz hat bekanntlich eine Reihe verschiedener Formulierungen gefunden. Allgemein bestimmt er, welcher Teil einer bestimmten Wärmemenge sich beim Sinken von der Tem- 544 Eichwald, Die Energetik der Organismen. peratur T, auf T, in Arbeit umwandeln lässt. Ist A die maximale Arbeit, U die Abnahme der Gesamtenergie des Systems und T die absolute Temperatur, so ist ng dT Durch diese Gleichung ist eine Beziehung hergestellt zwischen den dynamischen Faktoren eines Naturvorganges, repräsentiert durch die maximale Arbeit A, und den thermischen Faktoren U und T. Es lässt sich also durch Auflösung der Differentialgleichung die Änderung des dynamischen Vorganges mit der absoluten Tem- peratur feststellen. Für chemische Reaktionen steht nach van t’Hoff die maxi- male Arbeit in engem Zusammenhang mit der Gleichgewichtskon- stante K des Massenwirkungsgesetzes. van t’Hoff hat daraus folgende Gleichung abgeleitet, deren Entwicklung in jedem Lehr- buch der physikalischen Chemie zu finden ist: almKı @ q 2 BR; Hier bedeutet K die Gleichgewichtskonstante, T die absolute Temperatur, q die Wärmetönung der Reaktion und R die Gas- konstante. In der physikalischen Chemie dient diese Gleichung hauptsäch- lich dazu, um unbekannte Wärmetönungen aus dem Reaktionsverlauf bei verschiedenen Temperaturen zu bestimmen. Es würde zu weit führen, auf dies alles einzugehen. Im biologischer Hinsicht ist die Umkehrung des obigen Gesichtspunktes von Bedeutung, nämlich die Änderung des Gleichgewichtszustandes einer Reaktion mit der Temperatur, wenn die Wärmetönung der Reaktion bekannt ist. Es lässt sich nämlich aus Gleichung a) ableiten SEN REN IE: K, ist die Gleichgewichtskonstante bei T,, K, bei T,. q ist die Reaktionswärme. i Ist nun K,, T, und q bekannt, so kann man, da R eine Kon- stante ist, K, bereehnen. Man findet, dass die Änderung der Gleich- gewichtskonstante mit der Temperatur um so größer ist, je größer die Reaktionswärme ist, ein Ergebnis, das biologisch von höchstem Interesse ist. Augenscheinlich muss nämlich die Abhängigkeit des Gleich- gewichtszustandes einer Reaktion von der Temperatur sehr gering sein, wenn die Wärmetönung gering ist. Dies ıst nun bei der Mehrzahl der hydrolytischen Spaltungen und also auch beı der Mehrzahl der Ferment- reaktionen der Fall. Für dieOrganısmen wird dadurch zweierlei erreicht: Einmal sind zahlreiche fermentative Vorgänge, z. B. alle Verdauungs- prozesse Vorbereitungen, um aus körperfremdem Nährmaterial die In = Eichwald, Die Energetik der Organismen. 54 Bausteine zu körpereigenen Stoffen darzustellen. Aus Eiweiß werden so durch hydrolytische Spaltung die Amidosäuren, aus Fetten Gly- zerin und Fettsäuren gewonnen. Hierbei ist es nun für den Orga- nisınus von Bedeutung, bei diesen Vorbereitungen möglichst wenig der zugeführten Energie zu verlieren, möglichst wenig Energie „ab- zubauen“. Wie erwähnt, ıst dies ın der Tat der Fall. Fast alle hydrolytischen Prozesse, die sich ın der Zelle abspielen, verlaufen mit sehr geringer Wärmetönung. Daraus folgt auf Grund des „weiten Wärmesatzes, dass der Gleichgewichtszustand dieser Hydro- Iysen sich sehr wenig mit der Temperatur verschiebt. Die biologische Bedeutung dieser Tatsache erhellt aus folgen- dem: Setzen wir einmal den Fall, eine der umkehrbaren hydro- Iytischen Spaltungen verliefe mit starker Wärmetönung, z. B. die Spaltung von Eiweiß. Dann würde sich mit einer Änderung der Temperatur das schließliche Gleichgewicht stark verschieben. Nun aber ist jede Zelle sehr genau an ihr „Milieu“ angepasst. Durch die Änderung von K jedoch wären vor allem die Zellen der nicht warmblütigen Organismen gezwungen, sich ständig in ihren Lebens- funktionen an ein anderes „Milieu“ zu gewöhnen, starke Hemmungen würden wahrscheinlich eintreten und die Gleichmäßigkeit des Lebens- prozesses gewiss erheblichen Schwankungen unterworfen sein. Natür- lich kann kein Zweifel sein, dass sich die Organismen auch an solche Reaktionsvorgänge angepasst hätten; sicher ist jedoch, dass die Reaktionen, deren Gleichgewicht wenig abhängig ist von der Temperatur, den Zellen leichtere Aufgaben stellen und deshalb wohl auch „ausgelesene Reaktionen“ sind. Betrachten wir noch kurz einige Zahlen?). Nach den Grund- sätzen der Thermochemie kann man die Wärmetönung einer Ferment- reaktion bestimmen, indem man die Verbrennungswärme der ur- sprünglichen Substanz bestimmt und davon die Verbrennungswärmen der schließlich gebildeten Substanzen abzieht. Die Differenz ent- spricht der gesuchten Wärmetönung der Reaktion. Für die Rohr- zuckerinversion ın Dextrose und Lävulose findet man so folgende Werte: Verbrennungswärme von Rohrzucker . . 1952,7 eal Schmelzwärme von Wasser . . . .. ENG Summe: 13541 cal. Verbrennungswärme von Dextrose . . . 673,7 cal. Verbrennungswärme von Lävulose . . . nz Ir Summe: 1349,6 cal. Differenz: 13541 cal. — 180 4,5 cal. 2) C. Oppenheimer: Die Fermente. Bd. 11, S. 944—945. XXXVl. nt 546 Eichwald, Die Energetik der Organismen. Da bei der Reaktion 1 Molekül Wasser aus dem flüssigen in den festen Zustand übergeht, so muss die dabei frei werdende Schmelzwärme zu der Verbrennungswärme des Rohrzuckers hinzu- gezählt werden. Die frei werdende Wärmemenge ist sehr gering, und das Gleichgewicht der Reaktion demzufolge nur wenig von der Tenperakür. abhängig. Das Gleiche gilt für die Spaltung des Äthylbutyrats durch Lipase: Verbrennungswärme von Äthylbutyrat N las Keil. Verbrennungswärme von Äthylalkohol N FE BEIDE. 2: Verbrennungswärme von Buttersäure . . . ne a N © Verbrennungswärme von Äthylalkohol und Buttersäure: s50,1 eal. Differenz: 851,3 cal. _ 850, zz 1 2 cal. Verbrennungswärme von Leucylglyeylglyein®) . . . . 13345 cal. mal Schmelzwärme von Wasser . . . 2... ... 2,8 er Summe: 13373 ; cal. Verbrennungswärme von Leucin . . ». : 2.2.2.0. 858,1 cal. 2mal Verbrennungswärme von Glyeocoll . . 2.2. . 467.07 5 Summe: : 1325,1 cal. Die Differenz beträgt also: 12,2 „ Hier ist die Wärmetönung schon etwas größer. Ganz erheb- liche Differenzen ergeben sich jedoch bei den eigentlichen Gärungs- reaktionen, bei der alkoholischen und vor allem bei der Essigsäure- gärung. Es berechnen sich nachstehende Wärmetönungen: 1 Essigsäuregärung: Verbrennungswärme von Alkohol . . . . 325,7 cal. Verbrennungswärme von Essigsäure . . . 209,4 Differenz: 116,3 cal. Alkoholische Gärung: Verbrennungswärme von Dextrose . . . .. 675,7 cal. 2 mal Verbrennungswärme von Alkohol LA Differenz: 24,3 cal. Da die Wärmetönung bei Fermentreaktionen von großem bio- logischem Interesse ist, so sind die betreffenden Reaktionen teil- weise auch durch das direkte Experiment bestimmt worden. Be- sonders bei den Eiweißkörpern war dies von Wichtigkeit, da gerade hier eine exakte Formulierung, wie sie für die kalorimetrische Be- rechnung nötig ist, Schwierigkeiten begegnet. Man vermag zwar den Verbrennungswert des Eiweißes selbst genau anzugeben, nicht jedoch den seiner Spaltungsprodukte, die man ihrer Quantität nach bis heute noch nicht genau kennt. Um nun aber trötzdem bei den ) E. Fischer und Wrede. Berl. Akad. 1904, S. 687. Eichwald, Die Energetik der Organismen. 547 Eiweißkörpern die Wärmetönung ihrer fermentativen Zersetzung zu kennen, verfährt man nach Tangl in der Weise, dass man die Verbrennungswärme des Verdauungsgemisches vor und nach der Ver- dauung ermittelt. Die experimentell gefundene Differenz entspricht in erster Annäherung der Wärmetönung der studierten Fermentreak- tion. Tangl weist allerdings darauf hin, dass durch dieses Verfahren kein exaktes Bild über die stattfindenden energetischen Prozesse zu gewinnen ist, hauptsächlich weıl von außen Wärme aufgenommen und zur Erzeugung von nicht chemischer Energie, wie Oberflächen- und osmotischer Energie verwendet werden kann. Damit berührt Tang] einen wunden Punkt aller energetischen Studien an lebender Sub- stanz, auf den schon Pfeffer in seiner Arbeit über die Energetik der Pflanze aufmerksam machte. Vorläufig vermag man diesen Energieformen keine Rechnung zu tragen. Soviel geht jedoch aus den Versuchen der Tangl’schen Schule hervor, dass ebenso wie bei den Polypeptiden, so auch bei den natürlichen Eiweißkörpern die hydrolytische Spaltung mit geringer Wärmetönung verläuft. Bei der Pepsinverdauung von Ovalbumin fand Lengyel folgende Zahlen. | | Nummer Zusammensetzung Dauer Energiegehalt pro 1 g des des der vor nach 7 a > > \ ads a Inr Versuchs (zemisches Verdauung der Verdauung l. 0,6509 & Ovalbumin 0 3746 cal. 0,0140 & Pepsin 0,0675 & Oxalsäure 2 * 2 Tage Sag: 3756 eal. 3 r IN S55S= Jr „ ”„ ) , „ „ | Yloı „ 4. 5 5 Se up 1.373027 ,, D> ” ” 10 „ „ „ | 3726 ’„ Eine nennenswerte Änderung des Energiegehaltes des Ver- dauungsgemisches ıst also nicht konstatierbar. Zu dem gleichen Ergebnis führt die von Häri bei der tryptischen Verdauung durch- geführte Untersuchung. Auch hier ist die hydrolytische Spaltung des Eiweißes ein Vorgang, der ohne oder mit sehr geringer Wärme- tönung verläuft. Die Energetik des Lebens. Nachdem wir uns so die Grundgesetze der Thermodynamik in ihrer Anwendung auf die Organismen verständlich gemacht haben, wollen wır dazu übergehen, experimentell gewonnene Einzelheiten des Energieumsatzes in der Zelle zu studieren. Erst in neuerer Zeit sind hierüber Arbeiten von Rubner und von Tangl veröffentlicht worden. Vorher hatte man die Stoff- wechselprobleme nur bei höher organisierten lebenden Wesen unter- IRA o) - 48 Eichwald, Die Energetik der Organismen. sucht. Die Einzeller zum Gegenstand der Forschung zu machen, war wegen der Unzulänglichkeit der Methoden nicht möglich, bis Rubner hierfür die nötigen Vorarbeiten geleistet hat. Energieumsatz bei Mikroorganismen. Zwei Methoden sind es, die Rubner verwendet bat. Die erste besteht darin, dass er einen einfachen Nährboden vor und nach der Kultur der betreffenden Bakterienart auf seinen Verbrennungs- wert untersucht. Die Differenz ergibt dann den Umsatz an Energie, den die Bakterien zu ıhrem Lebensprozess benötigt haben. Nach der zweiten Methode wird die Bakterienkultur ın ein besonders konstruiertes Kalorimeter gebracht und aus der Temperatur der Kulturflüssigkeit und dem bekannten Wasserwert des Kalorımeters der Verlust an Wärme berechnet, der beim Wachstum der Bak- terien eingetreten ist. Nach beiden Methoden ist es möglich, einen Einblick ın die umgesetzte Energie der Mikroorganismen zu gewinnen. Um jedoch zu klaren Vorstellungen zu gelangen, muss man noch das Wachs- tum der Mikroorganismen kennen, eine sogenannte Erntebestimmung ausführen. Erst dadurch können wir die umgesetzte Gesamtenergie bestimmen, da ja ın den Leibern der Mikroorganismen ein beträcht- liches Quantum von Energie aufgespeichert ist. Solche Erntebe- stimmungen führte Rubner mit befriedigender Genauigkeit aus, indem er die Kulturflüssigkeit mit Eisenacetatlösung fällte und fil- trierte. Es bleiben dann alle Bakterien im Niederschlag und man erhält für ihre Anzahl einen guten Vergleichswert durch Be- stimmung des Stickstoffgehaltes des Niederschlages oder auch durch die Bestimmung seines Kalorienwertes. Beide Größen gehen ziemlich parallel. Auf diese Weise hat Rubner zum ersten Male das Verhältnis von Ansatz zu gesamtem Umsatz des Energiestoffwechsels bestimmt. In allen untersuchten Fällen hat sich ergeben, dass der Kraft- wechsel d. h. der gesamte Umsatz weniger dem Ansatz ein viel- faches des Ansatzes beträgt. So waren in einem Versuch?) ur- sprünglich 19,44 g Nähragar von 3,522 cal. Verbrennungswärme vorhanden. Nachher waren vorhanden 14,12 g Agar von 3,27 cal. und 1,25 g Bakterienmasse von 4,04 cal. Ursprünglich enthält die Kultur also 19,44 X 3,522 — 68,51 cal. Nachher a2 Xen =51.30 ,„ (tesamtenergiewechsel — 17,2 cal. Kaloriengehalt der Bakterien 125% 4,04 —= 5,05 cal. Kraftwechsel: 12,2 cal. 4) Rubner. Archiv für Hygiene 48. 281. 57. 161-192 (1906). Eichwald, Die Energetik der Organismen, 549 Es hat demnach der Kraftwechsel ca. das 2,4-fache des Ansatz- stoffwechsels betragen. Aus den Rubner’schen Versuchen lässt sich auch leicht der Umsatz für 1 g Stickstoff innerhalb 24 Stunden berechnen. Die folgende Tabelle gibt die Umsatzwerte für eine Anzahl von Bak- terienarten: Umsatz pro 1 g Stickstoff und 1 Tag in cal. Diphterie 60,6 Typhus 42,8 Cholera 42,7 Bact. colı 18,1 Thermophilus 34,5 Proteus 19,4 Pyocyaneus 15,6. Weitere Versuche ergaben, daß bei den pathogenen Arten wie A S } a x »1 Aagc< B r yphus- und Cholerabakterien das Verhältnis von Ansatz zu Ge- samtumsatz besonders niedrig ist. re Be | I) Ino: | n y Be IS Rad) Energiegehalt BR en 5 Ss5 h Art | pe- | Tage | stoff- | rien- er le en ; WE LE EN ar satz | und Se ratur | Ernte | Ernte), vor- | nach- | UA EEENER | | | | h * h r | | nsatz (ab) o S -_ | | | | eI | er! | as Hn& Bact. coli | 36,5 7 0,069 | 2,42 | 79,30 | 73,86 | 5,44 7,86 30,8 Thermophilu| 56 | 8 | 0,079| 4,68 | 87,31 | 73,84 | 13,47 | 18,15 24,9 Staphyl. aur.| 37 | — | | 74,74 | 61,76 | 12,98 —_ = Pyocyaneus | 36,5 | 10 | 0.190| 6,84 | 81,17 | 62,72 | 18,45 | 24,70 DU Diphtherie | 37 | 9 0.035, 1,63 | 74,74 | 62,89 | 11,85 | 13,48 12,1 Typhus | 3% 19) 0,042 | 1,30 | 74,74 | 64,86 9,88 | 11,18 11,6 Cholera 87 9 | 0,061| 3,35 | 74.74 | 58,12 | 16,62 | 19,69 | 17,0 Besonders interessant sind die Energieverhältnisse im Leben der Einzeller bei wechselnder Temperatur. Mit der Temperatur steigt der Gesamtumsatz. Dass aber außer der Temperatur auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen, ergibt sich daraus, dass selbst thermophile Bakterien einen der Größenordnung nach gleichen Stoffwechselumsatz haben wie die gewöhnlichen Arten. Auch das Verhältnis von Ansatz zu Umsatz bleibt nahezu das gleiche. Der Ansatz macht bei einer Versuchsreihe mit Proteus bei 36° 21,3%, des Gesamtenergieumsatzes, bei 14,5° 22,6%, aus, ist also der gleiche geblieben, da solche Schwankungen innerhalb der Fehlergrenzen liegen. Rubner erklärt dies so, dass er das Wachstum der Zelle von dem Umsatzstoffwechsel unterscheidet. Zum Wachstum sind vornehmlich Eiweißstoffe notwendig, der Umsatz kann auch durch Fette und Kohlehydrate unterhalten werden. Beide Arten des Stoffwechsels werden aber durch die Temperatur ın gleichem Maße 550 Eichwald, Die Energetik der Organismen. beschleunigt, so dass eine Verschiebung ihres gegenseitigen Ver- hältnisses mit der Temperatur nicht eintritt. Die kalorimetrische Methode. Wenn man Einzelheiten ım Lebensverlauf der Einzeller stu- dieren wıll, so bedient man sich statt der bisher benutzten sum- marischen Methode besser der oben erwähnten zweiten Methode, der kalorimetrischen. Diese besteht in der genauen Verfolgung des Temperaturverlaufs der Kulturflüssigkeit ım Kalorimeter. Daraus lassen sich dann die Energieverluste berechnen, und man gewinnt einen Einblick ın die aufeinander folgenden Stadien, die sich bei dem Wachstum einer bestimmten Bakterienart abspielen. Besonders für die Milchsäuregärung hat Rubner dies genauer verfolgt’). Sie besteht bekanntlich in der Zersetzung von Milch- zucker ın Milchsäure nach folgender thermochemischen Gleichung: C,H,z9, (gelöst) = 2 0,H,O, (gelöst) — 20,0 cal. oder 1g Milchzucker 0,111 kg cal. Bei der Einsaat von Milchsäurebazillen in sterile Milchzucker- lösung ergab sich eine Kurve des Energieverbrauchs, die ein aus- geprägtes Maximum zeigte. Dies beweist, dass nach einem kurzen Latenzstadium eine sehr lebhafte Umsetzung anhebt, die sich schnell wieder verliert. Wenn man dagegen die nicht sterilisierte Milch der Milchsäuregärung überlässt, so ergibt sich ein von dem obigen, der Reinkultur an- gehörigen Bild vollkommen abweichendes. Die Kurve steigt dann ziemlich schnell zu einem Maximum an, sinkt aber dann nur sehr allmählich wıeder hinab. Auch hier ein kurzes Latenzstadium; dann beginnt plötzlich die Wärmeentwicklung und hält sich mehrere Tage auf beträchtlicher Höhe. Im Gegensatz zu dem ersten Bild, das der typischen Rein- kultur entspricht, ıst dies zweite der Energieverlauf einer Misch- ıinfektion. Nach Ablauf der ersten Reaktion, hier der Milchsäure- gärung, treten metabiotische Prozesse auf, die von anderen Mikro- organısmen herrühren. Im Falle der Milchsäuregärung hat Rubner das spätere Mitwirken von Hefearten nachgewiesen. Wir sehen aus dem bisher Dargelegten, dass wir aus der Ge- stalt der Energieumsatzkurve mancherlei Schlüsse auf die den Reaktionsverlauf hervorrufenden Mikroorganısmen tun können. Aber auch über die umgesetzten Stoffe vermag uns die Kurve Aufschluss zu geben. Wir sehen, dass 1 g Milchzucker 0,111 kg cal. ergibt. Nun bildeten sich bei einem Versuch aus 250 g Milch ca. 1,3 g Milchsäure, entsprechend 0,144 cal. Die Messung ergab 5) Rubner. Archiv für Hygiene 57. 266. Eichwald, Die Energetik der Organismen. Dh 0,322 cal., d. h. über das Doppelte mehr als dem umgesetzten Milchzucker entsprach. Es folgt also, dass bei der Milchsäuregärung noch andere Energiequellen als der Milchzucker vorhanden sein müssen. Als solche nımmt Rubner Zersetzungen von Eiweiß oder Fett an. Auch entsteht Wärme durch die Einwirkung der gebil- deten Milchsäure auf die in der Milch vorhandenen Phosphate. Prinzipiell wichtig ist hierbei, dass wir aus der Umsatzkurve der Gärung Folgerungen ziehen können auf die Einzelheiten der bei der Gärung stattfindenden chemischen Prozesse. Die Arbeiten Tangl’s über die Energetik der Ontogenese'°). Die neuere Entwicklung der biologischen Energielehre geht immer mehr darauf hinaus, einzelne Phasen aus dem Lebensprozess herauszulösen und energetisch zu verfolgen. Tangl und seine Mit- arbeiter haben da vor allem die tierische Ontogenese studiert, in- dem sie durch Bestimmung des Kaloriengehaltes den jeweiligen Stand der Entwicklung einer Eiart festlegten. Ihre Versuche am Hühnerei ergaben, dass der Ansatz d. h. der Energiegehalt des reifen Embryos ca. 38 cal. betragen hat, während zur Verrichtung der Entwicklungsarbeit nur 23 cal. verbraucht wurden. Da das Hühnerei ebenso wie die früher untersuchten Mikroorganismen einzellig ist, so ergibt sich hier ein völlig abweichendes Bild des Energieumsatzes einer Zelle. Bei den Bakterien verhielt sich der Ansatz: Gesamtumsatz etwa wie 1:4, beim Hühnerei dagegen wie 38:61. Wir sehen also, dass je nach seinen Funktionen das Protoplasma einen ganz verschiedenen Typus des Energiestofl- wechsels anzunehmen vermag und sich an die von ihm verlangten Leistungen anpasst. In der Ontogenese, wo es sich darum handelt, das vorhandene Nährmaterial möglichst vollständig zum Aufbau des jungen Organismus zu verwenden, finden wir demnach den Umsatzenergiewechsel auf ein Minimum beschränkt, den Ansatz hingegen nahezu doppelt so groß. Bei seinen weiteren Forschungen führt Tangl zwei Begriffe eın, die einen bequemen Vergleich der gewonnenen Zahlen gestatten: Den Begriff der relativen und den der spezifischen Entwick- lungsarbeit. Unter relativer Entwicklungsarbeit versteht er die zur Erzeugung von 1 g lebender Substanz aufgewendete Energie. Unter spezifischer Entwicklungsarbeit die für 1g Trockensubstanz aufgewendete Energie. Beim Hühnerei betrug die relative Entwick- lungsarbeit in den ersten 14 Tagen der Bebrütung etwa 1200 eal.; die spezifische Entwicklungsarbeit (für 1 g Trockensubstanz) betrug gegen 14000 cal. In dem folgenden reiferen Stadıum des Embryos bis zum Ausschlüpfen des fertigen Hühnchens am 21. Tag ist zur 6) Pflüger’s Archiv. 130. 1—55 und 55 folg. 322 Eichwald, Die Energetik der Organismen. Bildung derselben Menge Substanz eine bedeutend geringere Ent- wicklungsarbeit erforderlich. Die relative Arbeit beträgt dann nur 058 cal., die spezifische Arbeit 3426. Nach Rubner’scher Termi- Ansatz Gesamtumsatz. etwa doppelt so groß als ın den ersten 14 Tagen, vorausgesetzt allerdings, dass 1 g angesetzte Substanz zu Anfang und Ende der Bebrütung den gleichen Verbrennungswert hat. Noch mehr in die Einzelheiten des energetischen Umsatzes dringt eine von Farkas ausgeführte Untersuchung über die Onto- genese des Seidenspinners (Bombyx Mori). Die relative Entwick: lungsarbeit der Eier ergibt sich folgendermaßen: Es wurden 33,0 g Eier des Seidenspinners der Bebrütung unterworfen. nologie ıst also der Quotient im reiferen Stadıum Vor der Bebrütung enthielten sıe 71,40 cal. Nach der Bebrütung 54,17 „ Also wurden verbraucht 17,23 cal. Die entwickelten Raupen wogen 19,5 g. Trockensubstanz: 5,51 g. : : 129 \ 3 Also war der relative Energieverbrauch Ts, cal. — 883,6 kleine cal. 2) f 17,23 RER. Der spezifische Energieverbrauch betrug 1 cal. = 3127 kleine cal. )) Beide Zahlen stimmen recht gut mit den oben angegebenen entsprechenden Zahlen beim Hühnerei überein (658 und 3426 cal.). Auch hier finden wir also die für embryologische Prozesse wichtige Tatsache, dass der Ansatz einen weit höheren Prozentsatz des Ge- samtumsatzes ausmacht, als wie dies bei den postembryonalen Lebensvorgängen der Fall ist. Sobald von den Organismen Nahrung aufgenommen wird, sind die energetischen Verhältnisse bedeutend schwieriger zu übersehen als ın den bisher betrachteten Fällen, wo die untersuchten Lebe- wesen ein nach außen abgeschlossenes System bildeten und nur Gase, wie Kohlensäure abgaben, die leicht in Rechnung zu stellen sind. Die Metamorphose. Nun gibt es aber außer den embryologischen Vorgängen noch einen andern Prozess ım Leben der höheren Tiere, in welchem diese von außen keine Nahrungszufuhr erhalten, und in welchem infolgedessen die energetischen Verhältnisse leicht durch Messung zu verfolgen sind. Es handelt sich um die sogenannten Metamor- phosen. Farkas hat beim Seidenspinner einige Messungen gemacht’). Er teilt dabei die Metamorphose ın drei Abschnitte ein. Periode I ‘) K. Färkas. Pflüger’s Archiv. 98 (1903). 49) folg.. Tangl und Färkas. Pfüger’s Archiv. 104. 624—638 (1904). Eichwald, Die Energetik der Organismen. NR) umfasst die Einspinnung und die Metamorphose zur Puppe. Periode Il die Umwandlung der Puppe zum Schmetterling und Periode IIl die Periode der Paarung der geschlechtsreifen Schmetterlinge und der Eierlegung. An nachfolgender Tabelle ist der Energieverbrauch sowie der Verbrauch an Trockensubstanz in Prozenten des ursprüng- lichen Gehaltes der spinnreifen Raupen zu ersehen: Periode | Trockensubstanz Energie I 212.029) 135270, u SER 4102087, I. 990E 12,219, Wie von Tangl ausgeführte Versuche an einer Fliegenlarve zeigten, beginnen bereits vor der Verpuppung Änderungen des Stoff- und des Energiewechsels. Es ist dies ein sehr interessanter Beweis dafür, dass bei den metamorphotischen Umänderungen die chemischen Vorgänge das Primäre sind, und diese erst die mor- phologischen Verwandlungen nach sich ziehen. Wenn man nämlich die Ausscheidung von Kohlensäure verfolgt, die ein Maß für die Größe der Umwandlungen abgıbt, so zeigt sich das folgende Bild: 1000 Tiere produzieren CO, in mg mg 00, Am 5. Tag vor dem Einpuppen als Larven 250 ” a ” ” ” N n n 165 N 3. ” ” ” ” ” ” 138 ” 2 e » ” ” ” ” ” 1 08 ln: h “ a en . 83 ” v. ” ” ” ” ” ” 62 Am 1. Tag nach dem Einpuppen als Puppe 66 DE 2) ” ) % ” ” 60 3% 57 ” ” ” N ” ” Am Tag vor der Einpuppung ist die CO,-Ausscheidung also bereits auf den vierten Teil herabgesunken, d. h. der Stoffwechsel hat bereits ganz den Charakter des Stoffwechsels der ruhenden Puppe angenommen. Besonders interessant ist die Umbildungs- arbeit in der Metamorphose, zumal wenn man sie mit der Ent- wicklungsarbeit der Embryonen vergleicht. A priori kann man bereits vermuten, dass diese Umbildungsarbeit auf 1 g Substanz berechnet geringer sein wird als die gleiche berechnete spezifische Entwicklungsarbeit des Embryo. Handelt es sich doch für die einzelnen Organismen darum, möglichst sparsam mit den aufge- speicherten Energievorräten umzugehen, da ja nur die ökonomisch arbeitenden Lebewesen im Kampf ums Dasein bestehen können. 554 Eichwald, Die Energetik der Organismen. Wir finden dementsprechend als Energieverbrauch für 1 g im Lauf der embryonalen Entwicklung bei der Seidenraupe 2,97 cal.; in der Metamorphose dagegen nur 0,61 cal. Die embryonale Entwicklung beansprucht also einen viel größeren und intensiveren Umsatz von chemischer Energie als die Metamorphose. Dass in den postembryo- nalen Stadien des Lebens der Energieverbrauch noch bedeutend höher ist als beim Embryo, hatten wir bereits früher gesehen. Es ist das leicht verständlich, denn im postembryonalen Leben wird das Wachstum, der „Ansatz“ mehr und mehr eingeschränkt. Die Lebensfunktion selbst ist die Hauptsache, der Energieverbrauch der fertig gebildeten Substanz der „Zweck“ des Lebens geworden. Sehr deutlich tritt dies bei den Tangl’schen Versuchen hervor. Die Erhaltungsarbeit selbst der hungernden Fliege ist bedeutend größer als die Umbildungsarbeit der Puppe. Ja, selbst die unreife Raupe verbraucht bei unfreiwilligem Hungern etwa 4,5mal soviel Energie wie die ausgewachsene Larve kurz vor dem Einpuppen, wieder ein Beweis dafür, dass die histolytischen Prozesse der Metamorphose bereits vor der Einpuppung begonnen haben, da bereits vorher der für die Metamorphose charakteristische Abfall an Energieumsatz einsetzt. Zugleich ergibt sich aus diesen Resultaten des Energie- stoffwechsels, dass die histolytischen Vorgänge mit geringem Energie- verbrauch, also mit geringer Wärmetönung verlaufen. Im Anschluss an die bereits besprochenen Ergebnisse über die Wärmetönung bei Enzymreaktionen läßt sich daraus schließen, dass die histolytischen Vorgänge unter dem Einfluss von Enzymen stattfinden und dabei wahrschemlich hydrolytische Spaltungen und entsprechende Synthesen die entscheidende Rolle spielen. Energetik der Metabionten. Wir hatten bisher den Energiestoffwechsel bei Einzellern unter- sucht, sowie bei Vielzellern den Stoffwechsel der Ontogenese und Metamorphose, bei denen von außen keine chemische Energie zu- geführt wird. Die Energetik der Metabionten ist demgegenüber ungleich schwieriger wissenschaftlich zu verfolgen, da dauernd Stoffe aufgenommen, unnütze Stoffe, die aber noch nicht vollständig verbrannt sind und noch Energie enthalten, ausgeschieden werden. Man kann deshalb den Energiestoffwechsel der Metabionten unter den verschiedensten Gesichtspunkten studieren, je nach den prak- tischen Fragen, die man bei diesen auch volkswirtschaftlich sehr wichtigen Untersuchungen beantworten will. Man kann nach dem Typus des Stoffwechsels fragen, ob er nämlich ein Ansatzstoffwechsel ist, bei dem die lebendige Substanz des Körpers vermehrt wird, oder ein Gleichgewichtsstoffwechsel, bei dem nur der Ausfall an Wärme und Bewegung ersetzt werden muss, oder schließlich ein Hungerstoffwechsel, bei dem von der aufgespeicherten Energie ge- Eichwald, Die Energetik der Organismen. 555 zehrt wird. Andere Gesichtspunkte ergeben sich aus den Fragen nach dem energetischen Wert der einzelnen Nahrungsmittel, aus dem Stoffwechsel ruhender oder arbeitender Tiere, wieder andere, wenn man die Leistungen der einzelnen Organe erforschen will, Fragen, die erst in neuerer Zeit von Tangl sowie von Barcroft ın Angriff genommen sind. Es aa nicht unsere Aufgabe sein, diese Fülle von Problemen auch nur flüchtig zu behandeln. Nur die Besprechung einiger all- gemeiner Gesichtspunkte sei hier kurz hinzugefügt. Mit Rubner unterscheiden wir, ähnlich wie bei den Mikro- organismen zwischen Ansatz und Umsatz, bei den Metabionten zwischen dem Wachstumsstoffwechsel und dem Erhaltungsstoff- wechsel. Wir sahen schon, dass der Quotient von Ansatz zu Gesamtumsatz bei den Metabionten gering ist. Beim Erhaltungs- stoffwechsel ist er theoretisch gleich null geworden, da dann kein Ansatz mehr stattfindet. Dieser Typus des Stoffwechsels ist des- halb so wichtig, weil er uns den klarsten Einblick in die Energetik verschafft, vor allem in die Rolle der einzelnen Nahrungsmittel. Das von Rubner zuerst ausgesprochene Gesetz, das sich aus diesen Versuchen ergeben hat, das Gesetz der Isodynamie, besagt, dass die drei Hauptklassen der Nahrungsmittel, Eiweiß, Fette und Kohle- hydrate im Energiestoffwechsel isodynam sind, d.h. nur nach Maß- gabe ihres Kaloriengehaltes verwendet werden und sich infolgedessen innerhalb weiter Grenzen gegenseitig vertreten können. Dies Ge- setz ist keineswegs etwas Selbstverständliches; denn es ist ohne weiteres durchaus nicht klar, dass diese Stoffe sich gegenseitig im Erhaltungsstoffwechsel vertreten. Für Eiweiß ist dies auch nicht der Fall und hierfür das Gesetz der Isodynamie nicht streng gültig. Ganz ohne Eiweiß vermag keine lebende Substanz auszukommen. Eine geringe Abnutzungsquote ist für jede erforderlich. Nur wenn hinreichend Eiweiß zugeführt wird, gilt das exakte Gesetz der Isodynamie, das den Erhaltungsstoffwechsel beherrscht. Energetik einzelner Organe. Wie gesagt, liegt es hier nicht in unserer Absicht, auf die näheren Einzelheiten dieser Probleme einzugehen. Nur das neueste Stadium der Energielehre in Anwendung a: die lebende Substanz wollen wir noch Kam berühren, nämlich die ım Lebensprozess von den einzelnen Organen geleistete Arbeit. Für das Studium dieser Probleme versagen alle kalorimetrischen Methoden, da es nicht möglich ist, die Wärmeproduktion eines einzelnen Organes gesondert zu bestimmen. Auch die energetische Forschung muss sich deshalb hier der Methoden bedienen, die auf dem Studium des Stoffwechsels, vornehmlich des Gasstofl- wechsels beruhen. Wie dann aus der Kenntnis des Gasstoffwechsels D56b Eichwald, Die Energetik der Organismen. die energetischen Verhältnisse berechnet werden, hat Zuntz ein- gehend gezeigt‘). Kennt man nämlich bei einem Stoffwechselversuch den Re- spiratorischen Quotienten = R.@. und gleichzeitig den Verbrauch an Sauerstoff, so lässt sich der Energieverbrauch ohne Schwierig- keit bestimmen: 1 g Stärke verbraucht 828,8 cem Sauerstoff zu ihrer vollständigen Verbrennung. Da R. @. bei Stärke = 1 ist, so entstehen hierbei ebenfalls 828,8 cem CO,. Die durch diese Ver- brennung gelieferte Wärmemenge hehe 4182,5 cal. 1 ccm OÖ, entspricht also bei Stärkeverbrennung se = 5,047 cal. Ebenso Lerechnet sich für Fett: 1.g tierisches Fett (R. @. = 0,707) braucht 2019,2 ccm 0, liefert 1427,3 ccm CO, und erzeugt 9461 cal. Also 1 ccm O, bei Fettverbrennung (R. Q. = 0,707) — — A4.686real. Für Fleisch (R. @. = 0,793) findet man 1 ccm 0, —= 4,416 cal. Auch bei Verbrennung von zwei verschiedenen Nahrungsmitteln kann man die erzeugte Wärmemenge aus dem Sauerstoffverbrauch und R. @. berechnen, die beide experimentell ın dem jeweiligen Versuche bestimmt werden. R. @. sei z. B. = 0,340. In einer Minute werden 50 cem O, verbraucht. Verbrannt sollen nach der ganzen Sachlage des Versuches nur Fett (R. @. = 0,707) und Kohlen- hydrate (R. Q. = 1) werden. Demnach: 1.ccm. ©, bei h.07 1 entspricht 9,047 cal. l1ccm O0, „ R.Q@. = 0,707 % 4,686 „ Also entspricht der Differenz von R. Q. = 0,293 eine Differenz von 0,361 cal. für 1 cam verbrauchten Sauerstoff. Der Differenz ee RR R. @. = 0,01 entspricht rm — 0,0123 cal. Im Versuch ist die Zu- nahme von R.@. gegenüber Fett 0,840 — 0,71 = 0,13. Dies gibt eine Zunahme von 13. - ( Also 1 cem O, liefert bei R. Q. = 0,840: 4,686 SE 0,16 4, 846 cal. 9461 2019,2 50 cem 0), —=1507xC4846 242 308cal: Mit anderen Worten: Bei einem respiratorischen Quotienten von 0,840 und 50 cem Sauerstoffverbrauch berechnet sich die ent- wickelte Energie zu 242,30 cal. Theoretisch ließe sich dies Resultat auch erhalten, wenn man nicht den Sauerstoffverbrauch, sondern die Kohlensäureproduktion 8) Pflüger’s Archiv 68. 204. on Eichwald, Die Energetik der Organismen. 557 in Betracht zöge. Jedoch ıst zu bedenken, dass die Kohlensäure- ausscheidung nicht schnell genug den Stoffwechselvorgängen sich anpasst, um immer als maßgebend angesehen zu werden. CO, wird leicht in den Geweben zurückgehalten und infolgedessen trotz ver- mehrter Produktion doch die Ausscheidung zu Anfang nicht ent- sprechend erhöht. Für den Sauerstoff ist kein ähnlicher Einwand möglich, nur ist hier von Bedeutung, dass der Sauerstoff beı mangelnder Zufuhr auch durch intramolekulare Prozesse geliefert werden kann, wie dıe Versuche über intramolekulare Atmung lehren. Auf diese Fehlerquelle ıst also bei der Anwendung des Respirations- („uotienten zur Berechnung des Energiewechsels Rücksicht zu nehmen. Bei Warmblütern und ın längern Versuchsreihen auch beı Kalt- blütern ıst der Fehler jedoch ohne Mühe auszuschalten. Die Arbeiten Tangl’s. Unter diesen Einschränkungen ıst es möglich, mit Hilfe des respiratorischen Quotienten den Energieumsatz eines einzelnen Or- ganes zu untersuchen. Tangl verfährt so, dass er zunächst den Gaswechsel des nor- malen Tieres feststellt. Dann wırd das betreffende Organ, dessen Energieverbrauch gesondert bestimmt werden soll, aus dem Stoff- wechsel ausgeschaltet, indem er entweder die Gefäße unterbindet oder das ganze Organ aus dem Körper herausnimmt. Nach einer dieser beiden Operationen wird dann wiederum der Gaswechsel unter- sucht und aus dem Unterschied gegenüber dem normalen Gas- wechsel lässt sich mittels der oben geschilderten Zuntz’schen Me- thode der Energieverbrauch berechnen. So einfach dieses Verfahren im Prinzip nun auch scheint, so enthält es doch mehrere Fehlerquellen, die man nach Möglichkeit ausschalten muss. Vollkommen ist dies zur Zeit noch nicht möglich, und die ganze Methodik kann nicht beanspruchen, mehr als nur vorläufigen Wert zu haben. Vor allem ist es wichtig, Änderungen des Gaswechsels infolge der mehr oder weniger schweren Operationen zu vermeiden. Besonders die Tätigkeit der quergestreiften Mus- kulatur übt einen großen Einfluß auf den Gaswechsel aus, und ge- rade diese kann durch die Operationen erheblich verändert werden. Schmerzen, Unbehagen u. s. w. führen zu Bewegungen, die sich jeder Kontrolle entziehen. Dem hilft man ab, indem man alle Tätig- keiten der quergestreiften Muskulatur durch Vergiftung mit Öurare auf ein Minimum herabsetzt und so vor und nach der Ausschaltung des Organs unter gleichen Verhältnissen arbeitet. Es muss dann für ausreichende künstliche Atmung der kurarisierten Tiere gesorgt werden. Um die Tiere gegen Wärmeverlust zu schützen, werden sie in einen Thermostaten gebracht. Sr Eichwald, Die Energetik der Organismen. Schwieriger aufzuheben ist ein anderer Versuchsfehler, dem wohl bei der Ausschaltungsmethode Tangl’s überhaupt nicht gänz- lich beizukommen ist. Wenn nämlich irgendein Organ durch innere Sekretionen oder auf sonst eine Weise belebend auf die Tätigkeit eines anderen Organes einwirkt, so wird mit dem Energieausfall des untersuchten Organes auch der Energieumsatz des korrespon- dierenden Organes sinken. Da der respiratorische Quotient die Gesamtdifferenz misst, so stellt sich also die berechnete Arbeit als zu groß heraus, da in Wirklichkeit in ihr ein Teil der Arbeitsleistung eines anderen Organes enthalten ist. Ein ähnlicher Fehler wird natürlich entstehen, wenn andere Organe an Stelle des ausgeschal- teten treten und seine Funktionen wenigstens zum Teil zu ersetzen streben, nur dass sich dann umgekehrt eine zu geringe Arbeits- leistung ergibt. Kurz, durch die gewaltsame Ausschaltung eines wichtigen Organes aus dem Lebensprozess werden unter Umständen so tiefgreifende Veränderungen auch in den anderen Organen erzeugt, dass auch diese vor und nach der Operation einen verschiedenen Energieverbrauch zeigen. Hier kann im Prinzip nur eine Methode helfen, die den Gaswechsel des Organes selbst in seiner normalen Tätigkeit zu erforschen strebt. Wir werden bald sehen, dass die Arbeiten Barcroft’s und seiner Mitarbeiter sich nach dieser Rich- tung hın bewegen. Tangl ist sich all dieser Schwierigkeiten wohl bewusst, glaubt aber, dass die Ausschaltungsmethode trotzdem geeignet ist, über die Arbeit einzelner Organe Aufschluss zu geben. Näher studiert hat er die Arbeit der Niere sowie, zusammen mit Verzär, die Arbeit der Leber. Bei der Niere”) findet er als Mittel aus zahlreichen Versuchen folgende Werte: ER | Nach Aus- | Nach Aus- r ' Verbrauchs | CO,-Ausgabe |_pro Minute | pro Minute 2 | = za Vor Aus- | Nach Aus- Co, , ‚schaltung be- schaltung be- Ben schaltung der | schaltung der | 05 ‚trug die Ab- trug die Ab- Te) em \Iera Vier r ae r | r des | £ See Niere Niere |Vor Nach nahme des O,-, nahme der [0 | © EL oO pro Minute pro Minute Ausschaltung m : 2 R | O,-Ver-- CO,-Aus- O,-Ver- CO,-Aus- 6040 & | brauch gabe | brauch gabe | | | 51,9ecem 41,7 cem/47,5 ccm 39,5 ccm|0,808 0,83714,4cem=8,7% |2,2ccm=5,1% | | Immer nahm also der Gaswechsel ab, und die Nieren eines 6kg schweren Hundes verbrauchten pro Minute 4,4 cam Sauerstoff und produzierten 2,2 cem Kohlensäure. Will man aus den mitgeteilten Zahlen nach der Zuntz’schen Methode die Energiewerte berechnen, so ergibt sich folgendes: 7) Biochem. Zeitschrift 34 (1911). 1-41. Eichwald, Die Energetik der Organismen. >59 Bei dem R.Q@. 0,808 entspricht 1 cem O, — 4,811 cal. Energieumsatz OR N Leem 0, 4,849 „ S & Also: Energieumsatzvor der Ausschaltung: 51,9 X 4,811 = 249,7 cal. pro Min. B „ nach, m 41,5 x4, 5492300 5, 5 Demnach die Nierenarbeit p pro "Min.: —_ 19,7 cal.pro Min. oder = Tr — 7,9%, vom gesamten Energieumsatz des Organismus. Bei der Leber ergibt sich folgendes Bild: Die vollständige Unterbindung oder Exstirpation der Leber war nicht möglich, weil hierdurch zu viel andere Organe in Mitleiden- schaft gezogen worden wären, aber durch die Ausschaltung des Portalkreislaufes wurde die Tätigkeit der Leber auf ein Minimum beschränkt. Beeinflusst wird jedoch der Wert der Versuche da- durch, dass die Tiere die Operation nicht lange überlebten, und man infolgedessen allgemeine Störungen des Gasstoffwechsels für wahr- scheinlich halten muss. Wie der nachstehende Versuch beweist ®), sinkt nach Ausschaltung der Leber aus dem Portalkreislauf sowohl der O,-Verbrauch wie auch die CO,-Produktion. |O,-Abnahme CO,-Zunahme) | | I Ra: n | r lol \ entilationsluft | in der Ventilationsluft Meer x C0,-Aus | O. pro Minute | in % | brauch A gabe | O, /9 2 er N AM u Vor der Operation: | 574,4 cem | 2,06 % | 1,92 % 73,49 cem 6 ),DD cem 0, 592 3158,35 „ 299% | 197 % 76.88 „ 165,19 „ |o,sas 3923.91 ),, | 222% | HE 74,855 „ [64,28 „ 10,859 | | | | Nach der Operation: | | 516,7 ccm | 15922% | 1,94% 67,52 ecm 65,3 = cem |0,968 3530,8 | 19% 1,93 % 120,40 „ 165,25 „ 10,927 3587,5 „ ESTER 11.800,00 64,50 „, 6 Pi, 0,953 1} ” I Verzär berechnet, dass im Mittel etwa 12% des gesamten Energieumsatzes des mit Curare gelähmten Organısmus auf die Leber entfallen. Dieser Wert ist ae Zweifel nach zu gering, da ja nicht die ganze Tätigkeit der Leber sistiert wurde. Immerhin zeigt er aber, einen wie großen Anteil am Energieumsatz des Körpers der Arbeit der Leber zufällt. Auffallend ist auch die Erhöhung des Respirations-Quotienten nach Ausschaltung der Leber. Eine ein- deutige Erklärung hierfür ist jedoch zurzeit noch nicht möglich. S) Verzär. Biochem. Zeitschrift 34 (1911). 52—62. 560 Eichwald, Die Fnergetik der Organismen. Die Arbeiten Bareroft’s?). Wir wollen nun noch kurz die Ergebnisse besprechen, die durch die direkte Gaswechselbestimmung der einzelnen Organe erhalten wurden. Es wurden die verschiedensten Organe untersucht und bei einigen, so z. B. bei der Niere sehr wertvolle Daten über den Energieverbrauch der tätigen Organe gewonnen, Daten, die zugleich wichtige Anhaltspunkte für dıe Theorie der Funktion des Organes lieferten. Wir betrachten die einfachsten dieser technisch recht schwierigen Versuche. Gemessen wurde ım Arterien- und im Venen- blute der Gehalt an Sauerstoff sowie an Kohlensäure. Wenn viel 3lut für jede Analyse zur Verfügung steht, so kann man sich der gewöhnlichen Verfahren der Blutgasanalyse bedienen, nach denen mittels einer Quecksilberluftpumpe das Gas aus dem Blut extrahiert, und das extrahierte Gas nach den Methoden der Gasanalyse auf CO, und OÖ, untersucht wird. Bei Versuchen mit kleinen Tieren jedoch und bei Versuchen an kleinen Organen, wie die Speichel- drüsen oder die Pancreasdrüse, bedient sich Barcroft einer anderen Methode. Er befreit nach dem Vorschlag von Haldane das Blut durch Schütteln mit Kaliumferrieyanid von Sauerstoff, durch Schütteln mit Weinsäure von Kohlensäure. Dann misst er an einem feinen Manometer die jedesmal durch Befreiung der Gase stattfindende Druckerhöhung und berechnet daraus den Gehalt des Blutes an CO, und O,. Es genügt für diese Methode 1 ccm Blut. Auch haben vergleichende Bestimmungen mit der Luftpumpe ergeben, dass die erhaltenen Resultate zuverlässig sind, vor allem die für den Sauer- stoff gefundenen Werte. Man wird deshalb vornehmlich Gewicht auf den Sauerstoffgaswechsel legen, eine Auffassung, zu der wir, ab- gesehen von den Methoden der Blutgasanalyse ja auch oben bei der Besprechung des respiratorischen Quotienten gekommen sind. Gegenüber der Tangl’schen Methode ist der große Wert der direkten Bestimmung der Blutgase darın zu suchen, dass die Organe im Zusammenhang mit dem übrigen Organismus bleiben und infolge- dessen auch der Einfluss aller möglichen chemischen oder physi- kalischen Eingriffe auf die Tätigkeit des Organs studiert werden kann. So war der Sauerstoffwechsel des Herzens eines jungen Hundes — 0,018 ccm pro g in der Minute. Nach der Injektion von Adrenalın betrug der Sauerstoffwechsel 0,041 ccm, also mehr als zweimal so- viel. Ebenso ließ sich der hemmende Einfluss des Pilocarpins fest- stellen, wie folgende Tabelle zeigt (s. S. 561 o.): Ganz bedeutend ıst der Einfluss des Chloroforms. Im normalen Zustande betrug der Sauerstoffwechsel 3,0 cem pro Minute. Nach Injektion des Chloroforms 0,57 cem. Gleichzeitig wurde die Ge- schwindigkeit des Blutstromes, die vorher 30 cem ın der Minute 9) Bareroft: Ergebnisse der Physiologie. 7. (1908). 699— 795. Eichwald, Die Energetik der Organismen. 561 Gaswechsel eines jungen Hundeherzens in cem pro Gramm pro Minute. Periode IE | Ju 100% | IV. DEIN E R h Adrenalin Spätere Phase |, /ustand des Herzens | Keine Droge geringe Wirkung |des Adrenalins | Pilocarpin & a Te N er N nr — Lu. O,-Wechsel 0,040 eem | 0,071 | 0,080 0,010 UO,-Wechsel | 0,035 cem | 0,042 0,048 | 0,003 | betrug, auf 9 cem vermindert. Wie man sieht, ist der Sauerstoff- verbrauch durch das Chloroform erheblich vermindert een. Den Einfluss der Reizung des Nervus vagus ersieht man aus nachstehender Zassmarnienenellime: Gaswechsel des Katzenherzens in ccm pro Gramm pro Minute. Periode | 1te ‚ÖR | DIT. | ! Zustand des Herzens normal | Vagus-Reizung | Vagus-Nachwirkung en Su m — — == == — —— —— === = = u = => = I = Sauerstoffwechsel 0,014 cem 0,009 eem 0,022 eem UO,-Wechsel N "OO. | 0,005 0,015 „, Blutstrom OA | 3 0,407 7, Ähnliche Resultate sind von Bareroft, Brodie und deren Schülern auch beı dem Gaswechsel der Spacheldiuen der Pancreas- drüse, des Darmkanals sowie der Niere erhalten worden. Wir be- trachten hier nur noch den Gaswechsel der Niere, der vor allem auch interessant ist für die Theorie der Nierentätigkeit. Zwei Auf- fassungen sind hier von Bedeutung: 1. Die Theorie von Bowmann- Heidenhain, nach welcher die Absonderung des Harns ein Sekre- tionsprozess der Niere ist und 2. die hsone von Ludwig, nach welcher ın den Glomerulis der Nieren zunächst eine Filtration statt- findet, deren Arbeit vom Herzen geleistet wird und nach der dann von den Tubulis aus der filtrierten Flüssigkeit bestimmte Salze zu- rückresorbiert werden. Nur die letztere Arbeit fällt der Niere zu. ‚Es ıst ohne weiteres klar, dass sich sehr wohl durch energetische Untersuchungen ein Überblick über die Berechtigung der einen oder der anderen Theorie gewinnen ließe. Noch sind die Ar- beiten nicht hinreichend weit gediehen, wenngleich Barcroft be- reits jetzt die Heidenhain’sche Auffassung für die wahrschein- lichere hält. Es steht nämlich fest, dass bei größerer Harnabsonderung, durch Verabreichen von Diuretieis u. s. w. eine Steigerung der Nierenarbeit stattfindet, mit anderen Worten, nicht das Herz, sondern die Niere selbst ist es, die bei größerer Harnabsonderung eine er- höhte Arbeit zu leisten hat. XXXVI. 36 562 v. Caron-Eldingen, Erwiderung. Gaswechsel des Harnflusses pro Gramm Niere pro Minute. | Ruhe Diurese ‚S >) re Dee 17 rn MEERE BREI er rg 2. © | Aufgenommener | un | Auf- | 2 er > a nlorr Habsegebene en genommener 0, beeeeben un 0,018 4 0,046 0,064 0,046 | NaCl 2 0,016 0,075 | 0,081 0,111 ‚Harnstoff Sy 0.075 0,032 | 0,095 | 0,067 | “ 4 | 0,008 0,027 | 0,027 0,006 ı Phlorizin > 0,015 0,015 | 0,075 0,033 | Na,SO, | | | | | Falls bei der Harnabsonderung nur eine einfache osmotische ' Arbeit geleistet würde, so könnte man aus den Gefrierpunkts- erniedrigungen des Harns und des Blutserums die Konzentrations- arbeit berechnen. Verglichen mit der aus dem Gaswechsel be- stimmten Arbeit ıst diese Konzentrationsarbeit jedoch viel zu klein, wie man aus folgenden Zahlen ersieht. A= Gefrierpunktserniedrigung. mer Sale y|# Azbeit; 1. Energie ne in ccm pro | / Harn | 1 Blut nach 4 be- nach O, SAL mener 0, Minute | | rechnet | berechnet 3 Normale Periode 0,02 0,642° | '1,346° | 80cmg 1163 000emg\ 0,9 cem Diurese > 4,9 | 0,650° | 0,650° | Ocemg |873000emg, 4,30 cem I | | Während also aus der Gefrierpunktserniedrigung sich eine Arbeit von 0 cmg in dem Diureseversuch ergibt, berechnet sich aus dem Sauerstoffverbrauch eine Arbeit der Niere von 873000 cemg. Klarer kann das Experiment nicht dafür sprechen, dass die Nierenarbeit nicht einfach als Konzentrationsarbeit zu betrachten ıst, sondern dass irgendwelche andere Tätigkeiten hinzukommen. Die Ent- scheidung, ob diese anderen Tätigkeiten ın einer Sekretions- oder nach Ludwig in einer Rückresorptionsarbeit bestehen, bedarf sorg- fältigerer Versuche und eingehenderer Diskussion der Resultate. Dies würde uns hier zu weit führen. Nur soviel sollte gezeigt werden, dass das Studium der energetischen Leistungen einzelner Organe auch für die Funktionstheorie dieser Organe sıch als frucht- bar erweisen kann und hierbei in Zukunft wohl eine große Rolle spielen wird. Ein Ausblick, der zur Genüge zeigt, wie wichtig und vielver- sprechend eine weitere Verfolgung der dargelegten Forschungen ist Erwiderung auf die Besprechung der Schrift „Die Vererbung innerer und äußerer Eigenschaften“. 1. Um innere Eigenschaften in einem neuen Individuum durch Kreuzung zu kumulieren, müssen die Erbwerte der beiden Eltern Kammerer, Allgemeine Biologie. 563 A und B gleichwertig sein, gleichgültig, ob AX B oder BX A gekreuzt wird. 2. Wenn die Erbwerte innerer Eigenschaften ungleich- wertig bei A und B vorhanden sind, so findet keine Kumulierung dieser Eigenschaften statt, ob A x B oder BxX A gekreuzt a Diese beiden Tatsachen haben mit den Mendel’schen (Gesetzen nichts zu tun und sind aus ihnen nicht zu erklären. 3. Diese beiden Sätze treffen nicht für die Vererbung äußerer Eigenschaften zu; folglich ıst die Vererbung innerer und äußerer Eigenschaften verschiedenartiger Natur. 4. Für äußere Eigenschaften gelten die Mendel’schen Gesetze; dass dabei AxX B Emil BICA regelmäßig verschieden sein müsse, beruht auf Missverständnis. Wenn ich nur der Wissenschaft meine Zeit widmen könnte, so würde ich die genauen zahlenmäßigen Aufstellungen und Tabellen meiner Versuche gegeben haben. Als praktischer Landwirt aber, außer wissenschaftlicher Tätigkeit zur „schwerarbeitenden Bevölke- rung“ gehörend, fehlt es mir dafür an Zeit. Darum habe ich für jeden, der sich überzeugen will, den Hinweis auf einfache Nach- prüfung durch Doppelkreuzung gegeben. Hypothesen sind immer vage; es kommt, wie Sachs gesagt hat, nur darauf an, „dass sie fruchtbar sind, dass aus ihnen neue Gedanken, neue Forschungswege gefunden werden“. Das glaube ich, und der Erfolg wird es beweisen. Noy. 1916. v. Caron-Eldingen. Kammerer, Paul. Allgemeine Biologie. Stuttgart und Berlin 1915. Deutsche Verlagsanstalt. 351 Seiten, 86 Textfiguren, 4 bunte Tafeln. gr. 8. Das Buch unterscheidet sich von anderen den gleichen Stoff behandelnden allgemeinen Biologien dadurch, dass es ein ausge- sprochen populäres Buch sein will, das sich nıcht nur an den Studenten, sondern an alle gebildeten Kreise wendet. Kammerer hatsich schon mehrfach um eine gediegene allgemein verständliche Darstellung moderner Forschungsergebnisse der Zoologie erfolgreich bemüht und unter anderem erreicht, dass die österreichische Unterrichts- verwaltung in den Mädchenlyzeen eine „Allgemeine Lebenslehre“ in den Lehrplan eingesetzt hat, wenn er auch mit der Art ihrer Durchführung sich in diesem Buch ganz und gar nicht einverstanden erklärt. Die Auswahl des Stoffes und die Darstellung, die kein Fremdwort unerklärt lässt, ist zweifellos dem Zweck entsprechend durchgeführt. In zehn Kapiteln wird Urzeugung — diese allerdings unseres Erachtens etwas zu ausführlich —, Reizbarkeit, Beweglich- keit, Stoffwechsel, Wachstum, Entwicklung, Fortpflanzung, Ver- erbung und Abstammung abgehandelt und eine Fülle Ergebnisse auch der allerletzten Jahre untergebracht, die wohl geeignet sınd, bei dem Fernerstehenden lebhaftes Interesse und ein berechtigtes Staunen darüber zu erzeugen, was auf dem Gebiet der allgemeinen 36 564 Brehm’s Tierleben. Biologie die letzten Dezennien an positiver Arbeit geleistet haben. Zahlreiche Literaturverzeichnisse weisen dem Wissbegierigen dann weitere Wege. P. Buchner, München. Brehm’s Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. IV. vollständig neubearbeitete Auflage heraus- gegeben von Prof. Dr. Otto zur Strassen. Säugetiere Bd. i—4 neu bearbeitet ‚von Ludwig Heck und Max Hilzheimer. Leipzig und Wien 1912—1916. Bibliographisches Institut. Im Herbst 1916 ıst der 4. Band der Säugetiere von Brehm’s Tierleben ın 4. Auflage erschienen; damit hat dieser für weitere Kreise interessanteste Teil des mit Recht so volkstümlichen Werks seinen Abschluss gefunden. Man kann es nur begrüßen, dass Herausgeber und Verlagshandlung die Neubearbeitung einem so ausgezeichneten Kenner der Säugetiere, wie es Prof. Heck ıst, der durch seine über viele Jahrzehnte ausgedehnte tiergärtnerische Tätig- keit mit den Lebensverhältnissen der Säugetiere besonders vertraut geworden ıst, die schwierige Aufgabe anvertraut hat. Derselbe hat in der Person des Privatdozenten Dr. Max Hilzheimer einen erfahrenen Mitarbeiter gefunden. Beide Herren haben sich in die Arbeit ın der Weise geteilt, dass M. Hilzheimer die Sirenen, Robben, Raubtiere und Paarhufer, L. Heck alle übrigen Ordnungen übernahm. e Im Vergleich zu früheren Auflagen hat das Werk eine völlige Umarbeitung erfahren. Dieselbe kommt schon darın zum Ausdruck, dass der Umfang von 3 auf 4 Bände gewachsen ist. Zu dieser Bereicherung des Materials gesellt sich eine Umgruppierung des Stoffes, welche der modernen Darstellungs- und Auffassungsweise der wissenschaftlichen Zoologie Rechnung trägt. Wie es besonders unter dem Einfluss der Abstammungslehre schon seit längerer Zeit in der wissenschaftlichen Zoologie allgemein üblich geworden ist, beginnt die Darstellung mit den niedersten Formen, den Kloaken- und Beuteltieren und schliesst mit den Affen und Halbaffen ab. Dieser genetischen Betrachtungsweise, welche von den ursprüng- licheren, niedrigstehenden Formen zu den höheren und mehr spe- zıalisierten aufsteigt, entspricht es, dass auch die paläontologischen Formen namentlich da, wo sie zum Verständnis der lebenden Tier- welt nötig sind, ihre Berücksichtigung finden. Um nur einiges hier hervorzuheben, so erhält der Leser orientierende Angaben über die wahrscheinlich aus den Reptilien hervorgegangenen alten jurassischen Urformen der Säugetiere, die Multituberkulatengruppe, über die Stammformen der Waltiere und Elephantiden, die Abstammung der Equiden vom vierzehigen Eohippus, die Riesenfaultiere und Gürtel- tiere Südamerikas. Auch die Funde fossiler Affen, darunter des interessanten Pithecanthropus ereetus sind in die neue Auflage auf- genommen worden. Eine noch ausführlichere Darstellung als das paläontologische Material findet die Frage nach der Abstammung unserer Haustiere. (Ganz besonders wird die Abstammung der Hunde- und Rinderrassen Brehm’s Tierleben. 3b» eingehend besprochen. Seit den grundlegenden Untersuchungen Rütimeyer’s sind zahlreiche Arbeiten auf diesem Gebiet erschienen, deren Resultate nicht nur für den Fachmann, sondern auch für die mit Zoologie sich beschäftigenden Laien von großem Interesse sind. In Übereinstimmung mit den meisten Forschern auf diesem Gebiet wird von dem Verfasser (Hilzheimer) eine polyphyletische Ent- stehung der Hunderassen angenommen. Eine breitere Darstellung als ın früheren Auflagen hat auch die Anatomie und Entwicklungsgeschichte erfahren. In dieser Hin- sicht sind das Skelett, Haar und Haarwechsel, Bezahnung, die Fort- pflanzungsweise besonders hervorzuheben. Man muss den Verfassern zubilligen, dass es ihnen geglückt ist, den „allgemein geäußerten Wunsch nach wissenschaftlicher Vertiefung von Brehm’s Tierleben*“ erfüllt zu haben. Da der gesamte Charakter des Werkes hierbei immerhin eine gewisse Beschränkung in der Auswahl des mitzu- teilenden Stoffes nötig machte, ist es doppelt anzuerkennen, dass durch sorgfältige Wahl der Illustrationen die Verständlichkeit der Darstellung hat gewahrt werden können. Sehr lehrreich sind die Abbildungen, welche die verschiedene Ausdehnung des Fußes und die damit zusammenhängende verschiedene Lage des Sprunggelenks bei einem Affen, einem Raubtier und einem Paarhufer erläutern. Bei allen diesen Neuerungen sind die Verfasser bestrebt ge- wesen, den Charakter des „alten Brehm“, welcher demselben seine ganz außergewöhnliche Volkstümlichkeit verschafft hat, zu wahren. Nach wie vor ist das Hauptgewicht auf die Schilderung des lebenden Tieres, auf das was man „Biologie“ ım engeren Sinne nennt, ge- legt. Auf Grund reicher eigener Erfahrung und eines genauen Studiums der gerade in dieser Hinsicht ungeheuer umfangreichen Literatur schildern die Verfasser die Lebensweise der einzelnen Tierarten, ihre geographische Verbreitung und die mit ihr zusammen- hängende Rassenbildung, die Stellung, welche sie im Haushalt der Natur einnehmen mit besonderer Berücksichtigung der sich hierbei ergebenden Beziehungen zum Menschen. Dem ursprünglichen Cha- rakter des Werks entsprechend erfahren auch die psychischen Lei- stungen und das Sinnesleben der Tiere eine besonders eingehende Darstellung. Aber auch hier kommt der Wechsel der Zeiten zum Aus- druck. Der „alte Brehm“ war mehr vielleicht als irgend ein anderes Werk seiner Zeit ein Vertreter der anthropomorphistischen Auf- fassung des Seelenlebens der Tiere. Nicht selten wurden dabei die Grenzen des Jägerlateins überschritten. Darin war schon in der letzten Auflage ein Wandel eingetreten. Die Verfasser der vierten Auflage stehen in vollem Gegensatz zu dem Begründer des Werks auf dem Boden der modernen skeptischen experimentellen Tier- psychologie, wie sie durch Wundt, Stumpf u. A. vertreten wird. In der Frage der denkenden Tiere vertreten sie daher ganz den Standpunkt wie er durch Pfungst seiner Zeit ausführlicher be- gründet worden ist. Immerhin erkennt Heck in seiner an eigenen Beobachtungen reichen umfassenden Schilderung der menschenähn- lichen Affen die hohen geistigen Fähigkeiten derselben und die 566 Küster, Pathologische Pflanzenanatomie in ihren Grundzügen. außerordentliche Ähnlichkeit ihres Empfindungslebens mit dem des Menschen an. Die Zahl der Arten, welche in den vier Bänden der Säugetiere besprochen werden, ist eine ganz erstaunlich große. In manchen Ordnungen beträgt sie das vierfache der Zahl, welche in der letzten Auflage enthalten ıst. Mit Stolz konnten die Autoren sagen, es werde wohl kaum vorkommen, dass ein Besucher zoologischer Gärten eine in einem Garten vertretene Art in dem Werk vergebens aufsuchen werde. Angesichts dieser Reichhaltigkeit der beschrie- benen Formen ist es doppelt verwunderlich, dass eine biologisch und tiergeographisch so interessante Form wie das südamerikanische Beuteltier Ogenolestes nıcht in das Werk aufgenommen worden ist. Einige besondere Worte verdient schließlich noch der illustra- tive Teil des Werks. Den Schilderungen der Tiere sind 268 Ab- bildungen ım Text beigegeben, ferner 97 zum größten Teil farbige Tafeln und 80 Doppeltafeln, auf denen photographische Aufnahmen lebender Tiere autotypisch wiedergegeben sınd. Die Abbildungen, besonders die farbigen, stammen von unseren besten Tiermalern. Vor allem verdienen aber die 80 Doppeltafeln mit photographischen Aufnahmen uneingeschränktes Lob; sie genügen vollkommen auch den strengsten Ansprüchen, sie stellen eine wahre Fundgrube dar nicht nur für den Laien, sondern auch für den Fachzoologen und hier wieder ganz besonders für den Sammlungszoologen, welcher so häufig bei der Aufstellung biologischer Gruppen um Vorbilder verlegen ist. Hier findet er das Gewünschte in Hülle und Fülle. Dem Gesagten zufolge ıst das umfangreiche Werk eine höchst erfreuliche Erscheinung im deutschen Buchhandel. Es lässt sich erwarten, dass es nicht nur den von dem Werk bisher einge- nommenen Ehrenplatz behaupten, sondern sich und dem Interesse für die Tierwelt neue Freunde gewinnen wird. R. Hertwig. Ernst Küster, Pathologische Pflanzenanatomie in ihren Grundzügen. 447 S. mit 209 Abb. im Text. 2. völlig umgearbeitete Auflage, Jena 1916. Verlag von Gustav Fischer. Die vorliegende neue Auflage des Küster’schen Werkes ist stark umgearbeitet und verbesssert. Auch die Abbildungen sind von 121 auf 209 vermehrt, was der Anschaulichkeit sehr zugute kommt. Die Literaturnachweise sınd etwas vermindert, aber noch zahlreich genug. Es ist auf mancherlei versteckte Angaben hinge- wiesen, die auch für die normale Anatomie und die Physiologie Interesse haben. Überhaupt berührt die physiologische Durch- dringung des Stoffes angenehm. Da uns ein Buch über die experi- mentelle Beeinflussung der Pflanzenstruktur fehlt, muss das vor- liegende diese Lücke mit ausfüllen helfen. Br Buch ıst eingeteilt in einen speziellen und einen allge- meinen Teil. In dem speziellen werden die Panaschierung, das Hitolsmeht, die hyperhydrischen Gewebe, Wundgewebe und Re- Küster, Pathologische Pflanzenanatomie in ihren Grundzügen, 567 generation und die Gallen behandelt, in dem allgemeinen die Histo- genese, die Entwicklungsmechanik und die Okologie der patho- logischen Gewebe. Über Panaschierung und Etiolement kann man sich allenfalls auch an anderen Orten unterrichten; dagegen ist die Behandlung der hyperhydrischen Gewebe, worunter die durch Wasserüberschuss infolge unterdrückter Transpiration zustande kommenden Lentizellen- und Rückenwucherungen, Intumeszenzen und abnormen Trennungs- gewebe verstanden werden, besonders lehrreich und originell. Auch die Zusammenstellung der Wundgewebe, nämlich des Kallus, der Thyllen, des Wundholzes und der Wundrinde, des Wundkorkes, der Gummi- und Harzbildungen und der Regeneration ist reich an Tatsachen, Aufschlüssen und Problemen. Bei der Darstellung der (rallenanatomie bewegt sich der Verf. auf seinem eigensten Gebiet, das er ja an anderer Stelle ausführlicher behandelt hat. Auf das Gallenbuch wird denn auch oft hingewiesen, doch ergibt das vor- liegende Kapitel auch für sich ein deutliches Bild des reichen Tat- sachenmaterials. Die Darstellung der Entstehung der pathologischen Gewebe ım allgemeinen Teil geht aus von der Unterscheidung zwischen Hypo- plasie einerseits, Hypertrophie und Hyperplasie andererseits. Für die Entstehung pathologischer Strukturen spielt die Entwicklungs- hemmung oder Hypoplasie eine besonders große Rolle, indem allerlei Störungen ein Stehenbleiben auf einer sonst nur vorübergehend durchlaufenen Stufe bewirken. Die Unterscheidung zwischen Hyper- trophie oder abnormem Wachstum und Hyperplasie oder Bildung abnorm zellenreicher Gewebe ist weniger klar und durchgreifend, auch in der Disposition wie ım tatsächlichen Vorkommen weniger wichtig. Aus diesem Teil seien die Ausführungen über die che- mischen Veränderungen und die Lösungserscheinungen der Mem- bran, über gleitendes Wachstum und über Degeneration besonders hervorgehoben. „Die Wirkungen der toten Zellen auf die lebende Nachbarschaft“ bieten ein für Versuche verlockendes Thema. Die eingehend behandelte Entwicklungsmechanik der patho- logischen Gewebe ist nach den äußerlich erkennbaren Ursachen der abnormen Gestaltung eingeteilt. Wir hören von Osmo-, Mechano- und Chemomorphosen. Besonders die letzten gewinnen durch die kausal zergliedernde Darstellung eine ubersichtlichkeit, die der Forschung zugute kommen muss. Man stößt dabei allerdings überall auf Unbekanntes, so dass hier noch fast alles zu tun bleibt. Von den „Wirkungen bekannter Stoffe“ bleibt nach Küster’s Kritik so gut wie nichts übrig! F Ahnlich geht es mit der Ökologie der pathologischen Gewebe, wobei der Verf. dem Ref. ın seiner meistenteils durchaus berech- tigten Skepsis gegenüber den vorliegenden Deutungen manchmal zu weit zu gehen scheint. So z. B. in der völligen Ablehnung des Nutzens der Etiolementserscheinungen. Reizphysiologische Bearbei- tung und Beobachtung in der Natur zeigen, wie der Ref. an anderer Stelle gezeigt hat, dass die Überverlängerung der Stengel, die Lage 568 Riebesell, Die mathematischen Grundlagen der Vererbungs- u. Variationslehre. und das Kleinbleiben der Blätter u. a. der Pflanze aus sonst un- heilvoller Lage zu helfen imstande sind. Im übrigen darf bei der ökologischen Wertung dieser und anderer Erscheinungen nicht nur an das im Experiment meist verwirklichte Extrem gedacht werden, sondern auch an all die Zwischenstufen zwischen Schattenstruktur und Dunkelformen. Für den auf dem Boden der Selektionstheorie stehenden Forscher ist überhaupt nicht das „Erstreben“ eimes Nutzens das Ausschlaggebende bei der Bewertung ökologischer Einrichtungen, sondern die Vermeidung lebenvernichtender Schä- digungen. Da wir aber sehen, dass die Organismen, jeder an seinem Platze, den Anforderungen gewachsen sind, die der Kampf ums Dasein an sie stellt, so könnnn wir zwar mit dem Verf. sagen, „auch die normalen Organe und Gewebe der Pflanzen sind zweifellos reich an nutzlosen, gleichgültigen Strukturen, und vielleicht fehlen ihnen solche nicht, die für den Gesamtorganısmus schädlich sind“. Dennoch dürfen wir auch weiter nach der Bedeutung der inneren und äußeren Gestaltung für die Pflanze suchen. Obwohl ein Kraft- wagen einmal einen Unfall hat, weil irgend ein Teil einer besonders starken Beanspruchung nicht gewachsen ist, so bleibt doch das ganze Getriebe sinnreich und im einzelnen zweckmäßig, denn sonst könnte man nicht damit fahren. Aus den Ausführungen des Verf. ist deshalb hauptsächlich die Lehre zu ziehen, dass die Okologie der mikroskopischen Strukturen ebensowenig des Experiments ent- raten kann wie die von der äußerlichen Morphologie ausgehende, will sie nicht in bloßen Vermutungen stecken bleiben, die der Be- obachtung nicht auf die Dauer standhalten. Pringsheim (Halle). Riebesell, Die mathematischen Grundlagen der Vererbungs- und Variationslehre. Leipzig 1916. Verlag von B. G. Teubner. Der Biologe, der sich die mathematischen Kenntnisse zum Verständnis der modernen exakten Vererbungslehre und zu eigener Betätigung auf diesem Gebiete erwerben wollte, musste sich bisher in großen theoretisch-biologischen Büchern und in umfangreichen mathematischen Lehrbüchern Rat suchen. Darum war der Wunsch nach einer kleineren Schrift, die nur den für die Varıations- und Vererbungslehre nötigen Teil des mathematischen Lehrgebäudes darstellen sollte, schon längst allgemein verbreitet. Diesem Be- dürfnis entspricht nun das hier vorliegende Bändchen der mathe- matischen Bibliothek. Die Ursachen des einzelnen Vorganges in der organischen Welt bestehen stets aus Kombinationen von Zufällen, deren Kausalität uns im einzelnen verschlossen ist. Hier lassen sich darum nur mittels der Kollektivmaßlehre und der Statistik allgemein gültige Gesetze ableiten. Die Verarbeitung der Ergebnisse der Statistik erfolgt so- dann durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Der Hauptinhalt des vorliegenden Büchleins bildet demnach eine Einführung in die tegeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung, wobei jedoch überall die Neuerschienene Bücher. 569 Anwendung auf die Erscheinungen der Variation und Vererbung bei Organısmen ım Vordergrunde der Betrachtung steht. Die äußerst klar und übersichtlich gegliederte Schrift be- handelt zunächst die Stellung der Variations- und Vererbungslehre ım System der Naturwissenschaften, im Abschnitte II sodann die zur Verwendung gelangenden wahrscheinlichkeitstheoretischen Grund- lagen: Binomialformel, Urnenschema und Gauss’sche Verteilungs- funktion, im Abschnitt III die Anwendungen der Wahrscheinlich- keitsrechnung auf die zu lösenden biologischen Probleme. Hier wird dargelegt, wie die Theorie nur dann anwendbar ist, wenn die betracheteten Fälle voneinander unabhängig sind. Der bekannte Galton’sche Zufallsapparat, das geeignetste Veranschaulichungsmittel für das Eintreten zufälliger Erscheinungen und ihrer relativen Häu- figkeiten, wird in Wort und Bild dargestellt und das Wesen der Kollektivmaßlehre am Beispiel von Messungen an Körperteilen vor- geführt. Das Ergebnis dieses Abschnittes ist die Herleitung und Erklärung der einfachen Quetelet’schen Regel. Der Abschnitt IV erläutert die praktische Bestimmung der Variationskurven, die Be- griffe des arithmetischen Mittels, des Zentral- und Maximalwertes und der Streuung oder mittleren Abweichung und führt schließlich zur Bestimmung "des Reihenparameters nach” der kombinatorischen oder indirekten, der Maximalwertmethode und der zweckmäßigsten und einfachsten, der physikalischen oder direkten Methode und zu dem Begriff der Dispersion. Im folgenden Abschnitt werden die sogenannten schiefen Varıationskurven und ihre Ursachen besprochen. Der Abschnitt VI behandelt sodann die Komplikationen, die ein- treten, wenn mehrere Veränderliche zu berücksichtigen sind (Mischung von Verteilungen, Korrelation von Reihen, Regressionskoöffizient). Der VII. Abschnitt führt uns schließlich in die mathemathischen Grundlagen der Selektionstheorie und der Abstammungslehre ein und erläutert die fundamentalsten Begriffe der modernen Ver- erbungslehre, wie Phänotypus und Genotypus und „reine Linie“. Der Schlussabschnitt endlich bietet eine” zusammenfassende Dar- stellung der Mendel’schen Regeln für einfachere und kompliziertere Fälle, einen Ausblick auf das Wesen der für die Artentstehung so wichtigen Mutation und eine Schlussbetrachtung über die allgemeine Bedeutung der mathematischen Vererbungslehre. 20. Juni 1916. Dr. Günthart (Leipzig). Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sind. (Bine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Abel, O., Paläobiologie der Cephalopoden aus der Gruppe der Dibranchiaten. Mit einem Titelbild und 100 Figuren im Text. Gr. 8°, VII, 281 S. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Preis M. 8.—, geb. M. 9.20. von Tschermak. A., Allgemeine Physiologie. Eine systematische Dar- stellung der Grundlagen sowie der allgemeinen Ergebnisse und Probleme der >70 Neuerschienene Bücher. Lehre vom tierischen und pflanzlichen Leben. Bd. I. Grundlagen der allge- meinen Physiologie. I. Teil: Allgemeine Oharakteristik des Lebens, physi- kalische und chemische Beschaffenheit der lebenden Substanz. Mit 12 Text- abbildungen. Gr. 8°. Berlin 1916, Verlag von J. Springer. Preis M. 10.—. Kahlfeld. F. A. u. Wahlieh,. Bakteriologische Nährboden-Technik. Leitfaden zur Herstellung bakteriologischer Nährböden. Ratschläge und Winke für alle im Laboratorium vorkommenden wichtigen Hilfsarbeiten. Mit einem Vorwort von Dr. O. Schiemann. Mit 29 Abbildungen. Berlin und Wien 1916, Verlag von Urban und Schwarzenberg. Kl. S°’, XII, 96 S. Preis geb. M. 2.80. Riebesell. P., Die mathematischen Grundlagen der Varıations- und Vererbungslehre. Mit einem Titelblatt und 15 Abbildungen im Text. Kl. 8°, 458. Leipzig 1916, Verlag von B. G Teubner. Preis kart. M. —.80. Schanz, F., Die Lichtreaktion der Eiweißkörper. (Sonderdruck aus Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie) Mit 5 Tafeln, 8°, 14 S. Bonn 1916, Verlag von M. Hager. Feuehtwanger, S., Die Judenfrage als wissenschaftliches und poli- tisches Problem. 8", 80 8S. Berlin 1916, Carl Heymann’s Verlag. Preis M. 2.—. Rüdin. Dr. E., Studien über Vererbung und Entstehung geistiger Störungen. I. Zur Vererbung und Entstehung der Dementia praeco. Mit 66 Figuren und Tabellen. (Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie, Heft 12.) Gr. S°, IV, 1728. Berlin 1916, Ver- Jag von J. Springer. Preis M. 9.—. Schaxel, Dr. J., Uber den Mechanismus der Vererbung. Gr. 8°, 318. Jena 1916, Verlag von G. Fischer. Preis M. —.75. beiträge zur Biologie der Pflanzen. Begründet von Prof. F. Cohn, heraus- gegeben von Prof. F. Rosen. Bd. XIII, Heft 2. Mit 7 Tafeln. Breslau 1916, J. U. Kern’s Verlag. Preis M. 16.—. Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang. Dem Andenken des Lehrers und Freundes gewidmet. Mit einem Titelblatt und 11 Tafeln, IV, 285S. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Preis M.7.—, geb. M. 8.50. Dahl. Prof. Dr. Fr. Die Asseln oder Isopoden Deutschlands. Mit 107 Abbildungen im Text. 90. S. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Preis M. 2.80. Doflein, Dr. F. Lehrbuch der Protozoenkunde. Eine Darstellung der Naturgeschichte der Protozoen mit besonderer Berücksichtigung der parasi- tischen und pathogenen Formen. Vierte stark vermehrte Auflage. Mit 1195 Abbildungen im Text. XI, 1190 S. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Preis M. 35.50, geb. M. 40.—. Lipschütz, Dr. A., Physiologie und Entwicklungsgeschichte und über die Aufgaben des physielogischen Unterrichts an der Universität. Vortrag gehalten auf der Jahresversammlung der natur- forschenden Gesellschaft. 24 S. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Preis M. —.60. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namenregister. A. Abderhalden 432. 475. Abel, ©. 569. Albert 247. Allen 351. Amans 33. 35. 43. Aragao 439. 443. 446. Aristoteles 221. 223. 227. d’Arsonval 493. Artarı 393. Atwater 542. Auerbach 213. Auld 476. B. Baeyer, A. v. 391. Baikell 514. Ballowitz 24ff. 209. Bambeke, van 461. Barcroft 555. 558. 560 ff. Bartlett 3. 6.130. 142. 143. Bary, de 118. 128. 344. 347. Bataillon 177. 187. Batelli 475. Baunacke 43. Baur 133. Beck, R. 383. Beijerinck 243. Bellesme 32. 33. 35. 36. 43. Berg, v. 304. Bernard, Cl. 228. 244. Bert 32. 43. Bethe 42. 43. 268. 269. Bevan 394. Beyerinck 393. 394. Bier 188. Birkner 240. Blaringhem 6. Blumenthal 491. Böhm, J. 386. Bohn, G. 541. Bokorny 386 ff. 47äftt. Bonnet 356. 381. Bonnier 244. 248. Boruttau 432. 495. Borzi 57. Bose 60. Boveri 12. 160 165. 133.333 Bowmann 561. Brehm 564. Bresslau 237. Bretscher 303. 410. Brodie 561. Brongniart 81. Brown-Sequard 189. 406. * Brenstein 246. Brun 261 ff., 536. Buchner, E. 397. 475. Buchner, P. 192. 239. 247. 334. 564. Burdon-Sanderson Burgeff 356. 357. Burmann 52. 243 [9) b5) 58. hl ’® Calkins, G. N. 501. 514. Camus 494. Carrel 160. Caron-Eldingen, v. 496. Carus 219. 221 ff. Castle 471. Chamberlain 364. Chauveau 234. Olaparede 269. Clarke 461. Claussen, P. 341. Cohn 74. 475. Cooke 303. Cornetz 290. 295. 300. 3 Correns 12ff. Cremer 389. 390. Cross 394. Cuvier 224. 226. 175. = 407. 240. 498. daR D. Dahl 536. 570. Dahlgren 364. Dastre 234. Darwin 51. 66. 86. 95. 113. 21902262 2282 2302527 531. Davis 133. Decandolle 96. 97. Delage 177. 178. Delboeuf 9. Dellinger 537. Delpino 256. 257. Demoll 13. 14. Desfontaines 57. Dingler 53. Dotlein 356. 432. 512. 514. 570. Dorquet 188. Driesch 117. 473ff. Dujardin 2 Dutrochet 13 DR : Duval 82. 83. 85. Effenberger 515. Effront 475. Ehrlich, P. 336. 395. 397. Eichwald, E. 542. Eimer 471. Enriques, P. 498. 499. 514. Erdmann 499 ff. Erikson 248. 250. Ernst, Chr. 296. Euler 397. 475. 485. Ewart 244. F. Faber 70. 115. Fabre 167. 168. 174, 439 ff. 128. 374ff. 390. 501. 72 Bärkası Ke7552. Fatio 409. 410. 411. Feuchtwanger 570. Fischer, E. 386. 475. Fischer, G. 244. Fischer, H. 19. Fitting 57. 119. 128. Flaskämper 474, Flesch 192. Flügge 258. Forbät 336. 384. Forbes 541. Forel 261ff. 533. Frickhinger 48. Fuld 491. (“ärtner 190 Gager 5. (Galambos 190. Galen 222. Gallenkamp 405. 410. Gams 334. Garreau 248. Gates 3. 6. 129ff. Gaus 388. (eerts 130. Geret 475. (Gerschler 470. Gervais 167. Giars 177. Gibbs 537 Giglioli 411. Gilson 211. 212. Glatzel 192. (Glaubitz 393. Glück 334. Godlewski 247. 210. Goebel 50 ff. 126. 128.193 £f. 206. 341. 384. 432. (söppert 258. (Goethe 194, Goldschmidt 12. 15. 240. Goureau 43. Gregory 136. Groos, K. 431. (Grünthart 569. Guillermond 348. H. Haacke 243. Haberlandt 104. 110. 117. 118. 119. 128. 432 Haeckel, E. 228 tf. 384. 528 Haecker 156. 403 ff. 448 ff. Händel 335. Haeser 223. Hahn 475. Haldane 560. 546. 160 ff. Alphabetisches Namenregister. Hammarsten 490. Hanf, B. 409. 415. Hausemann, v. 149. Hansgirg 52. 92. Harden 475. Hari 547. Harrison 160. Hartmann, M. 355. 360. 371. Harvey 223. 227. Hase 45 ff. Hasskarl 51. Hauptfleisch 229. Heck, L. 564. Heering 192. Heidenhain 561. Heider 209. Heimstädt 192. Helmholtz 242. 162. Hennings, C. 169. 523. Hertwig, O. 176. 334. 496. Hertwig, R. 14. 175.176: 49Sff. 566. Hescheler 383. Hess, R. 192. 383. Hetsch 384. Henry 476. Hildebrand 257. Hilzheimer 564. Hoffmann, B. 431. Hofmeister 337. 340. Holm 83. Hooker 2. Hoppe 254. Hosaeus 475. Huber 248. Huber, Pierre 528. Hübner, E. 406. Huijghens 223. Humbert 168. 169. Humboldt 110, Hunter 227 1: Ingenhousz 244. Isaak 216ff. J. Jacoby 491. Jennings 191. Jesenko 181. Jessen 87. Johansen 194. Johow 93 94. Jollos 497 ff. Joly 461. ‚Jordan 2198. Jost 244ff. 350. Joung 475. 110. 341. 348. Jouve u. Duval 82 Juel 105 107. RK. Katka 43. Kahlfeld 570. Kammerer, P. Kandiba 335. Kant 542. Karcezag 475. Karsch 168 174. Kathariner 237. Keitel, E. 453. Kerner 97. Kerner v. Marilaun 260. 336. 494. Kirehner 88. 107. Klebahn 4. Klebs 345. 502. 514: Knauer 412. Kniep 74. 111. 341. Knoch 256. 257. Knoll 104. 108. Knosch 256. Knuth 106. Koch, A. 475. König 222. Koernicke 148. Kolbe 43. Kolkwitz 253. Kolle 384. Korschelt 209. 356. Kraepelin 431. Kraeplin 48. Kraus 73. Kraus, G. 247. Krause 263. Krehl 259. 260. Kronfeld 204 ff. Küpfer 240. Küster 240. 566. Kunkel 243. Kunstmann 245. 258. Kuwada 148. 149. Kylin, H. 370. 563. 333. 494. 442. 447. 498. 349. 248. 256 L. Laer, H. v. 394. Lafar 394. Lahi, J. M. 493. Lamarck 225. 230. Lampert 334. Lampert, A. 405. 410 Landsberg 336. Landsberg-Günthart 355. Lang, A. 471. 570. Lange, A. 531. Latzel 169. 174. Laurent, E. 386. 388. 390. 393. Lavoisier 241. Laxa 475. Leeuwenhoek 223. Lehner 491. Leibniz 581. Leick 241 ft. Levy 331. Leydig 213. Liefmann 336. Lindner, P. 228. 394, 393. ER, Linne Linsbauer 117 ff. Lipschütz 512. 514. 570. Locy 44. Loeb 177. 178. 193ff. Loew, ©. 393. 475. Lotsy 207 ff., 343. Lubbock 53. 296. Ludwig 561. 562. Lundegärdh 148. 201. Lutz 129ff. DT acle M. Macfarlane 79. 112. Me Indoo 262. Magendie 255. Maignon 234ff. Maire 344. 348. 36 Malpighi 223. 227. Mangin 244. Mangold 191. Marchal 153. Marey 36. 43. Mathews 177. Mathuse 197. Maupas 175. 498. 514. Maximow 247. Mayer, Adolf 244. Mayer, Robert 242. Meade-Beach 493. Meisenheimer 397. Mertens, R. 539. Meves 434. 435. Meyen 94, Meyer, A. 390. 446. Michaelis 490. 491. Miehe 48. 260. 431. Milne-Edwards 228. Mirbach 450. Mittelmeier 389. Möller, H. 245. IMohlev. 75. 268.112. 245: Mojsizovies v. Mojsvär 539. Molisch 184. 243, Mollow 190. 191. Morgan 132. Morren 74. 184. 186. 386. 387. 388. Alphabetisches Namenregister. Müller, Joh. 227. 228. Müller, M. 422. Müller, v. 192. Müller-Argov 52. Müller-Thurgau 397. Mulsow 501. 514. Munk 243. N. Nägeli 118. 128. 344. 361. 393. 397. Naumann 424. 429. 430. Naumann - Hennicke 412. Navaschin 16. Neibreich 204. Nemet 121. 128. Neuberg 475. Neufeld 335. Neumann 190. Nitardy 44. Noll 102. Nusbaum 240. ®. Öhlker, F. 370. Oltmanns 357. 359. 362. Oppenheimer, C. | Oppenheimer, M. : 491. Osborne 461. Ostwald 192. Överton, E. 343. LE Palladin 247. Palmen 325. Paolo 188. Parnas 475. Pfaundler, M. 384. Pernitzsch 450. 465. Pfeffer 51. 52. Pflüger 248. Pflugstaedt 43. Pfungst 565. Physalix 333. Pieron 272. 290. Plateau 32. 43. Plehn 240. Popoff 175 ff. 5O1tf. 514. Potter 243. Prandtl 501. 514. Pringsheim 90. 495. 568. Prowazek 514. Pütter 243. 256. Purkinje 229. 258, 409. DAUNE3527 394. EEE 128. 240ff. 350. 542. 547. nz —t . R. tadl 221. 222. 224. Rath, vom 169. 170. 172. slsff. Reaumur Reichenow 446. Reinke 73. 202. 246. Renner, ©. 337 ff. Retzius 216. Reuter 216. Reynaud 301. Rhumbler 382. tibbert 48. Riebesell 568. 570, Richet, Ch. 493. Romanes, S. 527. 528. Rosenberg 138. rosenthal, W. 384. Rothert 118. 128. Roux 118. 128. 381. Rubner 259. 542. 549. 555. Rüdin 570. Rütimeyer 515. Rumpf 5lff. Rynberk, van 448. 229 997 caöi. S. 105. 109. 118. 125. 1282 22972222 2344 245. 254. 346. 354. 358. 359. 563. Santschi 267. 268. 272. 291. 295. 300. 303. Saussure 248. Schacht 118. Schanz, E. 570. Schapitz 453. 465. 467. Schaxel 374ff. 472ff. 570. Scheibler 389. Scheller 335. Schenck, J. 412. Schlechtendahl 515. Schleiden 118. Schlemmer 335. Schleip 12. 23. Schlemm 228. Schmidt 3355. Schmitz 249. 254. 347. Schopenhauer 220. Schroeter 206. Schumacher 249. Schürhoff, P. W. 433tf. Schulz, Hugo 494. Schwann 224. Scott 461. Seiler 12. Semon 269. Shull 24. 142. Siebold, v. 209. 210. Siegrist 334, Sachs, J. 974 Siıkora 432. Sımon 123. 124. 128. Soetbeer 259. 260. Sommer 240. Spencer, H. 528. 532. Spiro 491. Sprengel 105. Stahl 52. 68. 72. 93. 95. 109. Steil 351. Stein 211. 475. Steinmann 237. : Stellwaag 30 ff. Stocker 355. Stoklasa 245. Stomps 4. 129ff. Strasburger 19. 134. 435. 436. Strassen, zur 564. Stumpf 565. Syvedelius 361. 362. . Svammerdam 223. 227. Swift 493. Szeöts 412. Szymanski 290. 537 ff. T. Tangl 547. 560. Ternetz 442. 447. Thienemann, J. 404. 412. Thomas 131. Thormeyer 240. 531.555 Tiehomiroff 176. 177. 186. Tischler 16. 131. Tollens 388. 389. 393. Trimen 2. 73. 8 149. Alphabetisches Namenregister. Tschermak, v. 569. Tschirsch 83. 85. Tscehusi 412. U Unbekannt 427. Ungermann 355. Vv. Valle, della 147. Verhoeff 167. 515ff. Verweyen 48. Verworn 192. 227. 242. 248. 258. Verzar 558. Vesal 222. Vignal 258. Voses 515. Voist, A. 417. 429. Volkart 88. Voss 44. Vries, de 1ff. 134ff. 194. 197. 198. 207. 208. Vriese, W. H. de 248. Vrolik 248. Vuillemin 347. 360. W. Wächter 113. Wahlich 570. Wakker 194. 197. 198. Waldeyer 5.4. Walther 188. Wasmann 267. 299 cac.. Watton Weber 181. 184. Weber, L. 428. Wedekind 496. Weinland 32. 44. Weismann, A. 381. 497 ff. Wettstein 206. Wheeler 265. Wiesner 111. 118. 126. 128. 194. 245. Wilhelmi 44. Wille 353. 354. 359. Wılls2282 9 2107 11:8207 Willstätter 448. Winkler, H. 126. 127. 128. 189. 347. 349. 350. 501. 514. Wohl 392. Wolff 226. 227. Woltereck 237. Woodruft 499 ff. Wortmann 247. Wöyeicki 88. 148, Wrede 546. Wünsche 432. Wundt 565. 2. Zarnick 13. Zenneck 448. Ziegenbein 245. Ziegler 237. Ziegler, H. E. 405. 532. 539. Zumstein 442. 447. Zuntz 558. /Zweibaum, S. 514. Alphabetisches Sachregister. A. Abnutzungsquote 555. Acilius 213. Acridier 31. Acidiosporen 367. 368. Aeschna eyanea 31. 2: = grandis L. 3 Aeschynome indiea 7. 116. Aesculus hippocastanum 254. Atherisationsversuche 1S4. Athylbutyrat 546. Agalenidae 331. Aglaozonia 344. 352. Agrion 215. Aerioniden 31. 215. Akromelanismus 449. 471. jl: Aktivierung des Luftsauerstoffes 246. Aktivitätsperioden 537 ff. Aktograph 538. Aldehydase 475. Allium 385. Alpen-Heckenkirsche 206. Alternaria-Pilze 517. Ambozeptorwirkung 335. Ambherstia nobilis 90. 92. Amicia Zygomeris 101. 116. Amidase 475. Amidosäuren 545. Amoeba proteus 531. Amphimixis 349. Analogien 126. Angiostoma 23. 24. BegEouemds lu 12 ff. Ansatzstoffwechsel 554. Antennaria alpina 364. Antheren 18. Anthocyan 205. Anthocyanbildung 69. Anthurium Veitehii 91—94. 1106. Aphaenogaster splendida 295. Aphiden 14. Apis mellifica 1. 35. Apogametie 348. > > 5 Aal; Apogamie 348. 514. Apomixis 349. Apolarität d. Larvenfährte 274. Apomeiose 351. "Aposporie 351. Araceen 247. Arachnolysin 331. Archegoniaten 340. Arctia Caja L. 217. Aroideen 93. Artbildung, gruppenweise 5. 10. Arum italieum 257. Ascomyceten 114. Aspergillus Oryzae 490. Asphodelus 385. Asseln 570. Assimilationsprozess 242. Assoziation, sukzessive 269. Asterias 379. Asterias-Eier 186. Ateuchus 168. Atmung, aörobe, ana@robe 242 ff. " nn RE 2424f., 557 Atmungsintensität 251. Ausdehnungsarbeit 456. Ausschaltungsmethode bei Stoffwechsel- untersuchungen 558. Auxoeyte 360. Auxospore 360. Axolotl 404 ff. 445 IT. B. Bachstelze 308ff. 410. 415. Baeillus calfactor 260. Bac. thermophilus (Energieumsatz) 549. Baet. coli (Energieumsatz) 549. Bacterium phosphoreum 260, Bact. proteus 503. e (Energieumsatz) 549. Bact. pyocyaneum (Energieumsatz) 549. Bakterien Eu 549. Bakteriologie, Technik 57( Balanophora : 345. 7b Alphabetisches Sachregister. Bambusa 83. Batrachospermum 361. 362. 365. Batrachos} 0 361. 362. 36 Befruchtungslehre 239. berberis 104—108. 116. berberis vulgaris 206. Bestäubungsversuche 20. Bewegungen, chemotropische S06. » geotropische S6. 5 phototropische S6. Bildungsgewebe 117. Biophytum sensitivum 51. Biostratigraphie 496. Bipinnariastadium 180. Blaniulus pulchellus DIS FF. Blaukehlchen 321. Blutalbumin 488. Bombyxeier 176. Bombyx mori, Entwicklung 532. Bothromesostoma 238. Braunelle 416. Brownea grandiceps 90. 92. Brutfährten 269. 271. Brutpflege (Ameisen) 265. Bryonia alba 15. us dioica 15. Bryophyllum 193 ff. calyeinum 193 ff. crenatum 194ff. “ prolifieum 199. Buchfink 416. 428. Bulbochaete 353. 350. ’ ” &. Uaenolestes D6b6. Calathus 213. Callandria tetragona 77. 8. 116. Calopteryx 215. Calosoma inquisitor 211. sycophanta 213. Carabiden 211. 213. Carabus auratus 211. T auronitens 211. ” purpurascens 211. Carchesium polypinum 514. Carteria 444. Casein 489. Cassia glauca 68. 99. 103. 116. Cataglyphis 268. Centaurea 106. Cephalopoden 569. Oetonilden 32. Chaetocarabus intrieatus 213. Chantransia 365. Chara 350. 353. 354. 370. Chemomorphosen 567. Uhermes 42. Chilognathen 521. Chrlomonas 447. Chlamymonadinen 439, Choleravibrionen, Energieumsatz 5409. Chorizocerata 167. Chromatophorenstudien 25. Chromosomen 5. 12. 13. 14. Chromosomenzahl 129ff. 338. 436. abnorme 332. Chrysomonadinen 447. Cieuta virosa 89. Ciliaten 514. Cistus 104 SF. Cladoceren 238. Olavellina 381. 474. Closterium 352. 354. Cochlearia fenestrata 260. Cönogameten 352. Cönozygoten 303. Coleochuete 354. 360. 367. Ooleopteren 212. 212. Coleosporium 368. Coleus 201. Coleus elongatus 7. Colocasia odora 254. Cornus 206. Coleopteren 211. Colymbetes 213. Copris 168. Cordulia 215. Creseis 13. Cutleria 340. 344. Cycadaceen 256. Oylindrocystis 352. 359. 354. Uyperaceen 88. Cypripedilum 364. D. Daeryomyces 366. Dalechampia Roezliana 94. 116. Daphniden 509. Dasycladus 354. Dauereier 237. Dauergewebe 117. Dauermodifikationen 510. Degeneration bei Infusorien 498. Depressionen bei Infusorien 498. Depression, physiologische 175. Depressionen und Vogelzug 304. Desmogen 117. Determination 381. Dextrinase 475. Dextrose 385. 389. Diastase 478. 488tf. Dibranchiaten 569. Dikaryon 340. Dionaea 108. 116. Diphtheriebakterien, Energieumsatz 549. Diplopoden 167. 169. Diplose 350. Dipteren 32. Dissimilation 243. Doona 10. Dormideras 110. Dotter-Pigmentzellen 467. Lrosera 108. 116. Alphabetisches Sachregister. Drosera longifolia obovata 138. Drossel 415. 417. Mistel-Dr. 415. Ring-Dr. 415. Sing-Dr. 417. Schwarz-Dr. 417. Drucksteuer 31. 39. Dunkelstarre 71. Dytisciden 212. E. Echinideneier 177. Eehinus 377. Eiereiweiß als Nahrung 235. Einrollungswirbel 456. Einzelwanderungen, polygonale (Ameisen) 29. Jiweißregime 236. Eiweißstoffe 234. 570. 5. Basen + Säurebindung 486. Eiweißvergiftung 235. Elemente, generative und somatische 511. Elephantiden 564. Embryologische Prozesse 552. Emulsin 478. 489. Ektogonidien 347. Endemismen 208. Endomixis 499. Endophyllum 367. Endotryptase 479. Energetik d. Ontogenese 551. n d. Organismen 542. Energie, chemische 542. „ „ mechanische 545. „ „ osmotische 542. „ „ strahlende 542. „ » thermische 543. Energieaustausch 542. Energieformen 542. Energiestoffwechsel 543. 554. Energieumsatz von Bakterien 519. Energieumsatzkurve 550. Energieverluste 550. Engrammkomplexe 263. Engrammsukzessionen, (Ameisen) 262. 268. Entfaltungsoszillationen 95. Entogonidien 347. Entwicklungsarbeit, relative und spezi- fische 551. Entwicklungslehre 230. 334. 370. Entwieklungsmechanik, pathol. Pflanzen- gew. 567. Enzystierung 188 Kohippus 564. Epeira cornuta, diademata, redii, um- bratica 331. Eristalis tenax 40. Ernährungsphysiologie 237. Erntebestimmung in Bakterienkulturen 548. XXXVI. topochemische or I Epilobium hirsutum 18. Equiden 564. Erklärungsversuch, morphologischer 228. Erinnerungsvermögen d. Vögel 414. Ernährung 235. Erythrophoren 24ff. Etiolement 567. Euglenen 442. Kuphorbia 68. Eutaxia myrtifolia 73. 74. 116, E. Farbstoffzellen 24 ff. Farbzellenkombinationen 28. Feldlerche 309 ff. Fermente 542. » „, Eiweißnatur 486. Fermentreaktionen 545. Fernorientierung d. Ameisen 261 ff. Fernwahrnehmung, visuelle, d. Ameisen 301. Feronia 213. ER anthracina 211. Festuca gigantea 88. Feuerbohnen 385. Fibrin 236. Fink, Berg-, Buch- 410. Fitislaubvogel 321. 404. 406. 407. Flug der Bienen, Hummeln 35. Flugfertigkeit 41. Föhn 308. 410. Formenwahrnehmung (Ameisen), stereo- n taktile 277. " ‚ thigmo-olfakto- 5; rische 279. 5 ‚ topochemische 280. Formica cinerea 29. e rufa 267. 268. 288. 300. 55 sanguinea 289. 300. Forschungsreisen (Ameisen) 300. Forstschutz 383. Fortpflanzungszyklen 499 Frühgesang 416 ff. Frühjahrszug d Vögel 305 ff. Iueus 359. 360. 363. Fühlersinn, topochemischer 261 ff. Fundulus gularis 27. Furchungstypus, Veränderungen 376 ff. Fusarium-Pilze 517. Fußspurentheorie, Wasmann’sche 266. (Ameisen) &. Gärungsreaktionen 5406. Galaktose 388. Gallenanatomie 567. Galton’sche Kurve 310. Galton’sche Zufallsapparat 569. Gamasus crussipes D22. Gameten 352. Gametophyt 338. 361. “ 578 Gametophyt, potentieller 345. Gamonten 355. Gans 410. Gartenrötel 321. Gasstoffwechsel 556. Gasteropoden 19. Gaswechselbestimmung 560. von Niere, Pan- creas, Speichel- drüse 561. Gauss’sche Verteilungsfunktion 569. Gebirgsstelze 321. Gedächtnisversuch an Vögeln 414. Geistesstörung (Vererbung) 570. Gelenkpolsterzellen 56. Generationswechsel, antithetischer 345. „ » , Hofmeisterscher 341, 343 „ ‚ pflanzlicher 437 ff. » , potentieller 345. Genotypus 569. Geruchsfelder (Ameisen) 262. Geruchsformen, Differenzierung bei Amei- sen 287. seruchssinn 538. ‚Gervaisia 174. Geschlechtschromosomen 12, Geschlechtszellen 178. 179. 181. Getrenntgeschlechtigkeit 24. Gewebekulturen v. Insekten 160ff. Gewichtssteuer 35. Gleditschia triacanthos 102. 116. Gleichgewichtsstoffwechsel 554. Glomeris connexa 170. m conspersa 170. 173. Re -Eier 523. a -Kopulation 170. Glomeriden-Telopoden 167 ff. Glykogenase 475. Gobiiden 25. 28. (Goldamsel 309ff. Goldhähnchen 411. Gomphus 213ff. Gonen 343. 352. Gonidangien 357. Gonidien 347. Gonimoblast 361. Gonosporen 344. 346. Gonotokonten 343 344. 353. Gramineen S1ff. S6ff. 116. Grasknoten 87. Grasmücke 321. Guaninzellen 27. 28. Gummibildung 567. Guttation 72. Gymnosporangium juniperinum 368. Gypsophila 386. 368. Häutungslager und -nester (Polydes- miden) 515. Alphabetisches Sachregister. Halsbandkranich 413. Haplogonidien 347. Haplosporen 362. Harmonie und Regulation 375. Harmonisch-äquipotentielles System S3TAaff. 472 ff Harnabsonderung 562. Harzbildung 567. Hausrötel 321. Hausrotschwänze 415. 417. Haussperling 324. Haustiere, Abstammung 564. Hefeemulsin 485. Hefeenzyme 475. Hefemyrosin 485. Heidelerche 430. Helianthus 123. Helodea canadensis 20. Helops 211. Helwingia ruscifolia 206. Hemiaposporie, meiotische 364. Hemichromis bimaculatus Gill. 27. 28. Hemipteren 213. Hermaphroditismus 12. 14. Heterochromosomen 156. Heterogametie 12. Hieracien 364. Histolytische Vorgänge d. Verpuppung 554. van t’Hoff-Arrhenius’sche Regel 238. Homogametie 12. 20. Homolögien 226 Hühnereiweiß 235. Hunderassen 564. Hura cerepitans 56. Hydaticus 213. Hydroeotyle bonariensis 94. 116. Hydıa 232. Hydrodietyon 354. Hygrophorus conicus 366. Hymenopteren 31. 38. Hyperhydrische Gewebe 567. Hypochnus 349. Hyperplasie, Hypertrophie, 567. 489. Hypoplasie 1E Tehneumoniden 33. Immunitätslehre 384. Infusorien, Fortpflanzung 497 ff. Infusorienkulturen 498. Insekten, stechende 233. Intramolekulare Prozesse 557. Invertase 475. 478. 485. Iridocyten 28. Iridocytenkapsel 30. Iridosome 29. Impatiens noli tangere 96. 97. 116. Insektivorie 108. Isodynamie 555. Isoetes 23. Isopoden 570. Alphabetisches Sachregister. 3. Judenfrage 570. ‚Juglans 386. Juliden 169. K. Kältestarre 69. Kallusbildung 123. 567. Kapillarkräfte 542. Karboxylase 475. Karpospore 339. 344. _ Karyophasen, Alternanz der 442. Kasein 236. Kastration 19. Katalase 475. 479. Keimteile, Isolation Keimzellen 13. 338 der 379. Keimzelle, fakultative 346. nr , obligate Kernphasenwechsel Kibitz 309 ff. 346. 442, Kinoplasmafasern 455. Kleiderlaus 44. r ‚ Begattungsakt 46. > ‚ Rohrstachel 47. , Speicheldrüsensekrete 47. ’ Knochenfische 24ff Kohlensäureaussche idung 557. Kohlenstoffernährung d. Pflanzen 385 ff. ec mit Aldehyden 399. “ mit Alkohol 395. „ mit Formaldehyd 400. mit Glycerin 397 ff. Kollektivmaßlehre 568. Komplement, bakteriolytisches 336. " ‚ hämolytisches 336. Konidium 347. Konjugation bei Infusorien 514. Kontaktgeruchsinn (Ameisen) 261 ff. Kraftwechsel 548. Kranich 410. Kriegsseuchen 384. Krümmungen, geotropische 59. . ‚ heliotropische 89. Kuckuck 309 ff. 410. 428. L.. Labferment 479. 489. Lacerta viridis 259. Längsstreifung, primäre 470. Laeta-Pangen 156. Lävulose 385. 389 Laktase 475. Lamarekismus 230. Lamellieornier 43. Lamia cecropia 161. Lasius fuliginosus 263. 267. 270. 275. 288. 296. „ niger 2%. Lebenszyklen 499. Lecanopteris carnosa S. Ledum palustre 365. Leersia oryzoides 82—86. 116. Leithaare 449. Lentizellen 567. Lepidopteren 38. Lerche 415. Lestes 215. 216. ee sponsa 216. Leucaena glauca 100. 116. Leuchtfähigkeit eines Großschmetterlings 216. Leucylglyeyl 546. Libellen 34. 39. 209 ff. Libellula 215. 216. Lichtintensität, Steigerung der 69. Lichtkompassinn 270. Lichtorientierung, virtuelle 267. Lichtreaktion (Eiweißkörper) 570. Limnophila heterophylia 73. 116. Linaria vulgaris peloria 7. Linyphia 332. r hortensis 332. R montana 332. % tetrangularis 332. Lipase 475. Lipochrome 25. Locustinen 209. Lokustiden 31. Lonicera alpigena L. 204#f. Loricera 211. » pilicornis 213. Lubbocknest 270. Luftdruck (Vogelzug) 306. Lycehnis dioica 24. Lyngbya thermalis 260. M. Makromere 378. 472. Maltase 475. 479. Mangora acalypha 331. Marsilia 23. = Drummondi 351. 364. © quadrifolia 63. Massenwirkungsgesetz 544. Mastigophoren, Stoffwechsel 43) ff. Mauersegler 321. Mechanomorphose 567. Megadontus azurescens 213. Megachile 31. Meiose 350. Meise 418. Blau-M. 423. Kohl-M. 423. Lasur-M. 423. Ultramarin-M. 423. Melandrium 24. Melanismus 449. Melanophoren 28. Melibiose 389. ale 580 Mendel’sche Dominante 4. MN Gesetze 3. 496. 563. 569. Meristeme 117 ff. allopotente M. 119. 120. Archimeristem 120. 121. 122. 125. Deuteromeristem 122. 125. Folgemeristem 117. 119. 122. Grundmeristem 117. isopotente M. 119. 120. multipotente M. 120. progressive M. Protomeristem 122. 125. regressive M. 123. Mesomere 378. 472. Messor 291. „ barbarus 29. Mesostoma 237. Messungen, kalorimetrische, thermische 250. 251. Meta 331. „ segmentata 332. Metabionten, Energetik der 554. Metabiotische Prozesse 550. Metamorphose 553. Mikromere 378. Mikronukleus 499. Mikroorganismen, Energieumsatz 548. Milchsäurebazillen 550. Milchsäuregärung 550. Milchzucker 387. Mimosa dormiens 110. > intermedia 110. = pudica 63. 69. 96. 98. 100ff. 109ff. 116. ” Spegazzinii 100. 116. Mineralsalze 235. Mirabilis jalapa 16. 17. 2 longiflora 16. 17. Mischinfektion (Energetik) 550. Mitosen, asymmetrische 149. Mnemischer Versuch (Ameisen) 270. Monözist 14. Monophasische Tiere 539. Mullus 25. Multituberculaten 564. Musciden 35. Muskeleiweiß 235. 489. Mutabilität 7. 569. Mutationserscheinungen, Pr Mutanten 132ff. Mutationshypothese 207 ff. Mutationsvorgänge 3. Myerophyllum proserpinaeoides 73. 116. Myriapoden 168. Myrmecodien 87. Myrmica laevinodis 297. Myrosin 478. experimentelle N. Nachtigall 309 ff. Nachtsänger 430. Alphabetisches Sachregister. Nährböden, bakt. 570. Nahrungsgleichgewicht 235. Nahrungsmittel, ternäre 235. Nareissus poeticus 160. Nebelkrähe 428. Nebentelopoden 167 ff. Nematoden 14. Nemalionales 361. 370. Neolamarckisten 230. Neovitalismus 374. Nervus vagus und Herzstoffwechsel 5061. Nestbau d. Polydesmiden 515 ff. Nissen 45. Nuphar 109. Nymphea 109. ss alba 434. ®. Oedogonium 341. 353. 354. 3506. 357. 35394 363: 372. Ökologie pathol. Gewebe 567. Oenotheren, mutierende 1. 207. Oenothera atrwovirens 142. 143. 154. 159. x Bartlett 143. Re biennis 3. 130. 131. „» .bilonga 5. r Chicago 5. eruciata 4. se lata) 22 130: “ leptomeres 4. semigigas 154. ». sulfurea 4. brevistylis 3. 9. cana 4. eruciata 142. debilis 5. formosa 5. gigas Sff. 129 ff. nanella 157. ” ” N „» univalens 137. e grandiflora 3. 6. 7. “ hybrida Hero 144. 154. " Jaenlatrix 7. $ lactua 4. N laeta 11. x laevifolia 4. 9. 5 Lamarckiana 3ff. 129 ff. hr lasiopetala 5. ” lata 4. 5 leptomeres 4. " liqwida 4. ; lorea 6. N lutescens 7. Millersi 143. 154. 159. + murtcata 143. Er nanella 4. 11. n nitida 5. > nummularia 5. ochracea 6. 7. = pallescens 4. = pratincola 3. 130. 2. A Ya Alphabetisches Sachregister. l u Oenothera Reynoldsti 3. 5. " rubricalyx® 3. = rubricentris >. 5 rubrinervis 3. 11. 5 salicastrum D. r saliciflora D. ” saligna D. 5 seintillans 4. 3. 9. e semialta 5. n semigigas 4. 150 ff. y, semilata 131ff. en stenomeres 3. 5. 150. 5 suaveolens 3. 6. 7. > sulfurea 4. 7. . syrtieola 144. 154. 159. Er tortuosa D. > velutina 11. Onagra 3.5. Oligochaeten 209. Olyra guwianensis Sl. Ombrophobie 81. Oosporen 385. Opalina 571. Opisthandria 167 ff. Oplismenus 83. Organfunktion und Energieumsatz 562. Orientierungsbewegungen der Antennen (Ameisen) 265. Orientierung (Ameisen), topochemische 261 ff. : differenzierende 289. E globale 289. Fi topographische 295. Orthopteren 31. Ortsgedächtnis (Ameisen), topochemisches 289. Osmomorphose 567. Oxalis acetosella 74. 75. 95. 96. 116. We stracta 18. 19. 804.116. Oxydase 247. Oxydation 245. P. Paläobiologie 569. Paläontologie 564. Panaschierung 567. Paraglycogen 446. Paramaecium 192. 2 aurelia 499 ff. e caudatum 499 ff. Paraspore 347. Parnassia 105. Parthenocyste 360. Parthenogamie 349. Parthenogenese 499 ff. Rn ,‚ Auslösung der 500. R ‚ künstliche 175 ff. Partialtod 513. Paspalum sp. 83. 116. Pathologie, pflanzl. 566. 51 Pedieulus ecorporis de Geer = westt- menti Nitzsch 44. Pellia 365. Pelvetia 364. Pentose 389. Pepsin 478. 459. Peptase 475. Pereiden 470. Pfau 429. Pflanzenschlaf 52. Pflanzenanatomie, pathol. 560. Pflanzenphysiologie 229. Phänogenetik 448. Phänotypus 569. Pharus 82. Phaseolus 123. Phelloderm 120. Phellogen 119. Phellogenbildung 124. Phelloid 120. Phosphatase 475. Phosphatese 475. Phragmites 83. Phragmoblasten 434. Phycomyces nitens 357. Phyllanthus flaceidus 53. Rn lathyroides 52. 62. 64. 68. 69. 70. 116. er mimosoides 60. 116. 3 Niruri 51. 116. 53 puleherrimus 68. r Urinaria 5OfF. Phylloxera 42. Physiologie, allgem. 569. ” , Unterricht 570. Phythophtieren 238. Pieron’sches Phänomen 272. Pigmentbildung 469. Pigmentströmung 28. Pinus 360. Pisum 149. Pithecanthropus ereetus 564. Planarien 239. Pleoncsporium borreri 361. Piesiocerata 167. Plumbagella 364. Pluteus 473. Poinciana regia 90. 91. 116. Polistes 31. Polistes gallieus L. 35. Polisyphonia 361. Pollenexine 23. Pollenkörner 15. Pollenmutterzelle 15. 19. 148. Pollenschlauch 19. Pollentetrade 18. Polyblephariden 439. Polydesmiden 169. Polydesmus complanatus D15F. a5 montieolus 516. Polyphasische Tiere 539. Polypodium sinuosum ST. 582 Polysporen 344. 361. Polystichum pseudomas 349. Polytoma wvella 443. Polytomella agilis 439 ff. Polysenus 169. Porliera hygrometrica 66. Potenzen, prospektive 117. Primula sinensis 136. Procrustes coriaceus 211. Prokambium 117. Promycel 367. Proterandria 167. Protistenkulturen 497. Protoderm 117. Protogametophyten 344. Protonema 365. Protozoenkunde 570. Pseudapogamie 349. At Psychische Leistungen der Tiere 261 ff. 403ff. 565. Pteropoden 13. Puceinia 368. Putzdrüsen 173. Pyronema 349. 212: Q. (uerbänderung, metameroide 449, (uetelet’sche Regel 569. R. Raffinose 388. Rana esculenta 333. „. graeca 539. „ temporaria 333. Raumkenntnis, topochemische (Ameisen) 262. Raumorientierung d. Ameisen 266. = ‚ stereotaktile 266. 7 ,‚ thigmoolfaktive 266. , topochemische 266. Reaktionswärme 544. Reaktionszeit 493. Reduktase 475. Reduktionsteilung 139. Regeneration 567. Regenpfeifer 429. keizbewegungen Off. ” chemonastische 113. ” hygronastische 64ff. 72. nyktinastische 51. 72. TAff. > photonastische 68. 74. > seismonastische 50. 51. 60 ff. 76FL. > thermonastische 62ff. traumatonastische 75ft. Respiratorischer Quotient 556. Rhabditis nigrovenosa 12. Rhopalodia 352. Rinderrassen 564. Alphabetisches Sachregister. Ringversuche, Vögel 413. Robinia P. keudacacia Ta 99. 116. 171. Rohrsänger 430. Buch-, Drossel-, 430. Rohrzucker 386. Rohrzuckerinversion 545. Fluss-, 76.072291. 98: Schilf-Rohrs. Rotkehlehen 321. 404. 406. 410. Rotzellen 24 ff. Rückresorptionsarbeit 562. Ruheperioden 537 ft. S. Saccharomyces acetaethylieus 393. ® acidi lactiei 397. Fragilis 387. 2 Kefir 387. Zopfiüi 393. Säugetiere 564. Salamandra maculosa 454. Salixspross 100. Salpiglossis variabilis 19. Salvinia 23. Sambueus 433ff. en nigra 433. a racemosa 433. Samenanlagen 16. 19. Samenpatronen 209. Sauerstoffwechsel 560. Schachbrettzeichnung 469. Scheckung, metameroide 449. Scheitelwachstum 471. Schizosaccharomyces octosporus 394. Schlafbewegungen 51. Schreckbewegung 105. Schutzglocken, larvale 515. Schutzimpfung 384. Schwalbe 308ff. Rauch-, Schwarzkopf 321. Schwarzzellen 26 ff. Schwebeflug 40. Schwerpunktslage 30. Schwingkölbcehen 32. 34. Mehl-Schw. 410. Scinatia 361. 362. 363. 370. Scirpus lacustris 83. Selerotinia heteroica 345. 365. Scombereiden 470. Secorzonera-Wurzelstück 201. Seeigel 177. Selaginella 23. Selektionismus 230. Serumtherapie 384. Sesleria eoerulea 83. Singdrossel 309 ff. Sinnesleben 261 ff. 565. Sumatogamie 349. Spaltungen, hydrolytische 544. Spermatophoren 209. Spermatozoen 14. 15. Alphabetisches Sachregister. Spermatozoenbildung 13. Spermatozyte 15. Spermienextrakt, Wundregeneration durch 189. Spermiozeugmen 209 ff. Sperrtriebe 43. Sphaerechinus 377. Sphaerella nivalis 260. Sphaeroplea 354. Sphinx pinastri L. 35. Spinnengift 331. Spiraltracheiden 56. Spirogyra 348. 350. 352. 359. 371. 373. 398. Sporenmutterzelle 338. Sporodinia 357. 358. Sporophyt 338. Spurdrehungsphänomen Bethe’s 268. 272. 276. 8) | Squamipennes 470. Stärkebildung 386. 389. Stärkemais, Chromosomenzahl 148. Star 309 ff. Statocytenfunktion 43. Statistik 568. Steinschmätzer 321. 415. Stemonoporus 10. Stentor 501. coeruleus 514. 2 polymorphus 514. Stephanosphaera 371. Steuerbewegungen 40. Steuerfähigkeit 41. Steuervorrichtungen 30. Stoffwechselprodukte im Kulturmedium von Infusorien 499. Stoffwechselversuche 543. Storch 308£f. 410. Streifung, primäre 449. Strongylocentrotus 377. -Eier 176. Strudelwürmer 237. Subitaneier 237. Süßwasserbiologie 334. Süßwassertricladen 237. Surirella 342. 352. 373. Swietenia latifolia 102. Syringa vulgaris 180. Syrphiden 35. 40. Symphoricarpus racemosus 206. Synga hamata 331. Synkaryon 340. Syzuygie 213. ” Ab Tabaniden 35. Tagesschlaf 65. 78. Takadiastase 489. Tapetenzellen 434. Taphrina 344. 366. Taraxacum 364. 583 Tastborsten 174. Tasthaare 261. Tastgeruchseindruck (Ameisen) 261. Taube 309 ff. Hohl-, Ringel-, Turtel-T. 309 ff. Tegenaria 331. 339. atrica 331. 5 parietina 331. Teilungsfrequenz bei Infusorien 499. Teilungsfrequenzkurve 503. Teilungsspindel, heterotypische 138. Telopoden 167 ff. Telopodenmuskulatur 171. Temperaturzustand d. Pflanzen 241. Temperatursteigerungen d. Pflanzen 248. Temperaturverhältnisse, Vogelzug 308 ff. Tetraden 17ff. Tetragenata montana 331. Tetraspore 339. 344. Thallophyten 339. Theobroma Cacao W. 116 Theridion lineatum 331. Thermochemie 545. Tierpsychologie 565. Thyllen 567. Tierreihe 232. Tilletia 366. Tömösvarysche Organ 523. Tokospore 367. Tokozygote 353. Torenia 12%. Tradescantia virginica 16. Transpiration 252ff. Transpirationsverlust 55. Trennungsgewebe 567. Trevesia palmata 59. Trotzstellung 217. Trypsin 479. 489. Tulıpa 363. 364. Tumboa Bainesii 260. Tumoren, maligne 160ff. 335. Turbellaria 237. Turgorvariation 95. Typhusbakterien (Energieumsatz) 549. U. Ulothrix 354. Umbildungsarbeit 553. Umwelten d. Tiere 232. Unsterblichkeit, potentielle 497 ff. Unsterblichkeitsproblem 514. Ureide 235. Urtiere 240. Irzeugung 563. Ustilago carbo 366. 370. x Maydis 366. Ne Vacceinium uliginosum 365. Vakzinetherapie 384, 584 Alphabetisches Sachregister. Variationsbewegungen ÖU. Variationskurven 569. Variationslehre 568. 570. Vaucheria 353. 354. Verbrennungswärme 549. Verdauungsgemisch 547. Vererbungslehre 568. 570. Verpuppung 553. Vespa crabro L. 35. Vicia Faba 198. Viseum album 204. Vietoria regia 254. 256. 257. Vogelzug, Reizphysiologisches 405 ff. Volutin 446. Volvox 354. 355. W. Wachstumsbewegungen 50. Wachstumsfelder 469. Wachstumskern 469. Wachstumsrand 469. Wachstumsrhythmus 449. Wärmetönung 249. FE , negative 249. ; , positive 249. Wärmeproduktion 241ff. 260. ,‚ Alligator 260. ns ‚ Frosch 260. ,‚ Lacerta 260. s ‚ Uromastix 260. Waldlaubvogel 407. Waldschnepfe 309 ff. Waltiere 564. Wanderkern 49. Wasserpieper 415. Weidenlaubvogel 326. 404. 407. 410. Wendehals 309 ff. Wiedehopf 309 ff. Wiesenpieper 415. Wiesenschmätzer 321. Wind, Wetter (Vogelzug) 307. Winkelsinn (Ameisen) 290. Wirbeltierzeichnung, Eigenschaftsanalvse 448. Wundgewebe, pflanzl. 567. Wundregeneration 181. 157. 189. x. NXanthosoma robusta 94. 2. Zea Mais 87. 121. Zellen, zweikernige 434. Zellenlehre 239. Zellreihen, interkalare 465. Zellstimulantien 175ff. Zilla X-notata (Olerck) 331. Zoophysiologie 229. Zuckermais 148. Zuchtwahllehre 230. Zuckerflagellaten 439. Zugbeobachtung (Vogelzug) 408. Zugsdauer (Vogelzug) 316. Zugsrichtung (Vogelzug) 322. Zugstemperatur (Vogelzug) 316. Zugvögel, Eintreffen 313. Zwangslaufexperimente 291. 301. Zwittertum 12ff. Zygosporen 358. Zygote 346. Zymase 247. 475. 479. BILDER! a ” ” Lt Eaeh et A) + tater a dte Be Iwvyr A ALHE AL te PL ACH: ABS ALDE AG AL ALE HE AUS RC NT re ALDL MN SC, ir ;* ’ Fir inter: ES HNESEH N CYPS ACH DT) DEAD %* * + + tete Hr 2 “nn. EACH ? ’ PP FL AL DL UN “ar rt Hr ie } LASER SAL 3007 "Ana, ' HENKE vr LAN ver . DEE SALAT AL DE) EL D ) er 0 o a AR AD tteiet “ 12 KL IE SAT DE BE AI CAR BC HE AL IE) Mil H RR) rurir ? + ? ; tet AN, . * ” * Tat R AL FALACHE| DCHCH reis! KAEDCHCHCAT a euere VRERER, ® ® * m De, Den Dee ne | te ® ar ac 2 I #* ” eo teen 20% er % * ’ -. AA ACAE, u. ne ee} * * DURE DL, Car} * nd * * ._# . 3 or aiein Ca) „on en en pf ta weine Ernte“ 2Tn,e Kat MR PS DE CME BE MSELNEN * e ef} 2 . “ “u “ * .. ” 2; . * .* “- u... w “ .. rnvit nr. er 14 nt “ ‘ * u © Da * + ® nz 8 3 r} en Fa “ $ BR Pr “ “ u De . “ “ “. ” BE DL FR 4% "re, MACHEN CE Ca .„“% 2 . .“ . .. « ee ”. PArSCHE ” 30 1 ACHTE AL wire „ “ Re 2 - F) te ® - U ? r ieir .. Tr, H Nie era “. ...% Dar E - 4. BD E U E “ 5 .- .. 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