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Rosenthal Unter Mitwirkung von Dir KR Goebel, und DrSR Hertwig Prof. der Botanik Prof. der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Stebenunddreissiester, Brand 1917 Mit 68 Abbildungen Leipzig 1917 Verlag von Georg Thieme, [4 . N KRILTEROR BER TEE a: ie 5 # 2, deteter, ; Mer} e E a j ; EN & | A) nrartr h 5 el f = . g > Rn f / s AEE al] N Hör N 10 Hin all h i ZN Zr, j ‚ x ng T: nn ’ e = 2 $: L ne En aa la) dead Ar RN r , j Ju ei Bayer . > } are De ET \ - . ö i i fi e or = ze Te . Kr N DR Funk, AR RLEN Äkbdintet Ki uch. An i% Br Be HROR, 2 2 By > fans) in a EanBTager ri N N FE U a) % har a BE “ P Pre Inhaltsübersicht des siebenunddreissigsten Bandes. O0 = Original; R = Referat. Abel, ©. Paläobiologie der Dr aus der Gruppe der Dibran- chiaten. R. Sat Aus dem Leben und Wirken von old ans. Dura N re ne Bethe, A. Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin und Natur- wissenschaft. 0. - Brehm’s Tierbilder. I. Teil. RR I ur Bresslau, E. Beiträge zur Kenntnis der a unserer Se mieen. (0) Brun, R. Die moderne Ameisenpsychologie — ein anthropomorphistischer Irrtum? — Erwiderung auf H. Henning’s Ausführungen über die Ge- ruchsreaktionen der Ameisen in seiner Monographie „Der Geruch“. 0 Czapek.Fr.. v. Guttenberg, H., Bauer, E., Physiologie und a R Dahl, Fr. Die Asseln oder Isopoden Deutschlands. R. ; 5 Demoll, R. Die bannende Wirkung künstlicher Lichtquellen auf Treekten. 0 Dewitz, J. Die für die künstliche Parthenogenesis angewandten Mittel als Erreger für andere biologische Vorgänge. 0. Doflein, Fr. Der Ameisenlöwe R Be Dürken, B. Über Entwicklungskorrelationen rd Lokaftisien He Rene fusca. O0 BEER. HN Franz, V. Die Zeiträume in BR ) SEES UNE Glaser, Fr. Über die Vermehrungsfähigkeit von len. pipiens.! ON) Goetsch, H. Beobachtungen und Versuche an Hydra. Mit 9 Abbil- dungen. ©. SR SPORE FT EAST SIULSUNENZ, Heikertinger, Fr. Das Scheinproblem von der Zweekmäßigkeit im Orga- nischen. O. . : ER La IE EIERN ID, — Über einige Versuche mit ee EN va = zur selektionistischen „Schutzmittel“‘-Frage. 0. A Hertwig, OÖ. Das Werden der Dani k a Hertwig, R. Bemerkungen zu dem Aufsatz Heikertinger: Das Schein- problem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 0 Seite ark. VI Inhaltsübersicht. Hykes, 0. V. Einige Bemerkungen zu dem Aufsatze Isaak’s „Ein Fall von Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Großschmetterlinge‘. 0 Jordan, H. Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limacina und Aplysia depilans. O0 ' Fa : Berge 0 Re Über besondere Muskeln und Mare EENSE haften bei ass »n mit echtem Hautmuskelschlauch. Ein Beitrag zur physiologischen Charakterisierung von Tiergruppen. O TEN AR I ER EINER Klebs,G. Über das Verhältnis von Wachstum und alt bei den Pflanzen. 0 Kolle, W. und H. Hetsch. Die experimentelle Bakteriologie und die In- fe an R SER RER: Korschelt, G. Lebensdauer, Altern und Tod. R : N Kranichfeld, Hermann. Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Ma- tationslehre von Hugo de Vries und sein Versuch, die bei der Oeno- thera Lamarckiana beobachteten Mutations- und Kreuzungserscheinungen auf den Mendelismus zurückzuführen. O0... 0... Künkel, Karl. Zur Biologie der Lungenschnecken. R Kutter, H. Myrmikologische Beobachtungen. 0. 5 5 Lipschütz, A. Zur Frage des physiologischen Umiericht an is: ni yersität. ZONE 0 echte Das BE STEEL Be es Lutz. H. Physiologische und morphologische Deutung der im Protoplasma der Drüsenzellen außerhalb des Kernes vorkommenden Strukturen. Mit Aoxbbildunsen: ON 2020 see Mitteilungs der AHlerausgebere v..2.0 sa Ener ee Mohr, E. Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Kennuers..Mib. Abbildungen. Oz a ee Naumann, E. Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. II. Über das Neuston des Süßwassers. 0) EN An ze Neuerschienene Bücher . . . . . ER IEREIE 8, 160, 298, Nusbaum- Hilarowiez, J. Studien über die los: der Verdauung ng den Landasseln (/sopoda). Mit 2 Abbildungen. © Pascher, A. Eine Bemerkung über die Zusammensetzung des Phytoplank- tons des Meere. O0 .. 5 a heine? — Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. Mit 7 Abbildungen. ©. har RE FR 3 h — Flagellaten und Rhizopoden in ihren nen Be Habgent Br Rippel, A. Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit des trockenen pflanzlichen Protoplasmas gegen wasserfreien Alkohol, Äther undvandere-Anaesthetika. O7: in Röder, Ferdinand. Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atem- zentrums? OS ae Ss hat Bainee —_ Über die Ursache der Aldicbeserneen On Ss — Der philosophische Grundfehler der konditionalen ER Grbsyreise. 0 Schaxel, Julius. Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. O Schiefferdecker, P. Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere, ihre biologische und rassenanatomische Bedeutung sowie die Muscularis sexualis.;'0: u... Ge N Ne ee Bar. al wc Schmitz, H. Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Mit 7. Abbildungen: Od SyaE hun RI KR ars Inhaltsübersicht. SIotopolsky, B. Die Begriffe der Uytometagenesis und der geschlechtlichen Fortpflanzung und ihre Anwendung in der Biologie. 0 a0: Sokolowsky, A. Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. Mit 2 Abbil- dungen. O0 N RR Stadler. Mirorbäch“ Albertsdesi@roßen. , Bye tar a Stefanski, W. CGontribution A l’ötude de l’exeretion chez les N@matodes libres. Mit 9 Abbildungen. O0 El 0 N ER Steiner, G. Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden zu denen des Süßwassers und des Landes. O0 ; : Stempell, W. und Albert Koch. Elemente der Berphyaiölogid R Stomps, Theo J. Über die verschiedenen Zustände der Pangene. Mit 4 Ab- ee Ba FE. 2,7 a N Szymanski, J.S. Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre der Hand- lung. Mit 4 Abbildungen. ©. — Über taktile Tiere. Mit einer Arbildine. os { — Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit. O0... . Tschermak, A. v. Über das verschiedene Ergebnis reziproker Kreuzung von Hühnerrassen und über dessen Bedeutung für die Vererbungslehre (Theorie der Anlagenschwächnng oder (renasthenie). Mit 12 Abbhil- dungen. OÖ. e EN S A ET >: eZ Verhoeff, Karl W. Fir nn der Grab en OTPRE N: ; — Zur Kenntnis der Atmung und der Atmungsorgane der Teopodas CHI NOR See N Sr Vries, Hugo de. Über monohybride Mutationen. O Se Wasmann, E. Bemerkungen zur neuen Auflage von Calwer's „Käfer- Kir HS Fe a ee a HE MO RE ee Er BREIT TE Wedekind. Über die Grundlagen und Methoden der Biostratigraphie. R Wiesner, J.v. Erschaffung, Entstehung, Entwicklung und über die Grenzen der Berechtigung des Entwicklungsgedankens. R Wünsche, OÖ. Die Pflanzen Deutschlands. R. . TR een Zander, E. Die Zukunft der deutschen Bienenzucht. R. . . .... Zöller, A. Ein chemisch-biologischer Grundriß zur inneren Sekretion. . O0 EEE EEE TR LE SR. Eures sen VII Seite 277 438 210 294 196 322 161 282 416 471 112 461 315 324 r N Er ‘ e + > IR E E ' ri, ; NE e) en 2 7 | re nr fü ru WR; h £ & it ' - Ü q a A 4 “ » “ £ ER ” h 5 « h . ’ ” I 5 y f x t # y i > x Be loin a TRaRER 4 Biologisches. Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr: K) Goebel und BDriR. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. EEE Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 37. Band | Januar 1917 ZN auseereben am 20. Januar Do Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Inhalt: Jordan, Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limarina und Aplysia depilans. — Röder, Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums? — Verhoeff, Zur Kenntnis der Carabus-Larven. — Schmitz, Biologische Beziehungen zwisehen Dipteren und Sehnecken. — Referate: v. Wiesner, Erschaffung, Entstehung, Entwicklung und über die Grenzen der Berechtigung des Entwicklungsgedankens. — Abel, Paläobiologie der Cepha- lopoden aus der Gruppe der Dibranchiaten. — Doflein, Der Ameisenlöwe. — Wedekind, Uber die Grundlagen und Methoden der Biostratigraphie. — Neuerschienene Bücher. Mitteilung der Herausgeber. Unseren Herren Mitarbeitern und Lesern beehren wir uns mit- zuteilen, daß mit dem 1. Januar 1917 Herr Prof. Dr. Ernst Wein- land, Vorstand des physiolog. Instituts in Erlangen, die Gesamt- redaktion des Biologischen Zentralblatts übernommen hat. Wir ersuchen die Herren Mitarbeiter künftig Abhandlungen zoologischen, vergleichend-anatomischen und ent- wicklungsgeschichtlichen Inhalts wie bisher an Herrn Prof. R. Hertwig, München, Zoologisches Institut (Alte Akademie), Abhandlungen botanischen Inhalts wie bisher an Herrn Prof. K. Goebel, München, Botanisches Institut, alle übrigen Arbeiten an die Redaktion des Biologischen Zentral- blatts, Herrn Prof. E. Weinland, Erlangen, Physiologisches Institut einsenden zu wollen. \ Die Herausgeber K. Goebel. R. Hertwig. E. Weinland. 37. Band ] 9 Jordan. Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limacina u. 4A. depilans. Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limacina und Aplysia depilans. Von Hermann Jordan (Utrecht). (Aus der physiologischen Abteilung der zoologischen Station zu Neapel.) Kein Kapitel der vergleichenden Physiologie ist so sehr von geschulten Forschern vernachlässigt worden als das Reaktions- vermögen der niederen Tiere auf sogen. adäquate Reize. Diese Vernachlässigung findet ihre Begründung in gewissen experimen- tellen Schwierigkeiten, die sich entsprechenden Forschungen ın den Weg stellen: Wenn ich einen Nerven reize, so erfolgt die Antwort des Muskels mit Notwendigkeit, und das schon deshalb, weil die Größe des Reizes gänzlich ın meinem Belieben steht. Will ich dahingegen Reize auf das ganze Tier wirken lassen, so muss ich folgendes bedenken: Das zentrale Nervensystem ist eine Einheit; wenn ich Reize von hinreichender Stärke anwende, so versetze ich — wo und wie ich auch reize — das gesamte Zentralorgan in Er- regungszustand. Bei den Wirbeltieren findet diese Tatsache ihren Ausdruck in den Pflüger’schen Reflexgesetzen. Durch derartige Reize kann ich nun freilich eine Reihe von Fragen etwa über Leitungserscheinungen, Hemmung, kurz über die Methoden beant- worten, mit denen ım großen und ganzen innerhalb des neuro- muskulären Systems eines Tieres gearbeitet wird. Allein im täg- lichen Leben des Tieres spielen solche überwältigende Reize nur dann etwa eime Rolle, wenn das Tier von schädigenden Einflüssen getroffen wird, wenn es ın Gefahr kommt. Das Aufsuchen der Nahrung, des anderen Geschlechtes, das Sichorientieren in Bezug auf den Schlupfwinkel u. a: m.; alle diese Ziele werden bei nicht allzu niedrig organisierten Tieren erreicht durch Beantwortung ganz anders gearteter Reize. Es leuchtet ja ohne weiteres ein, dass, wenn auf bestimmte Reizungen hin ganz bestimmte Antwortbewegungen erfolgen sollen, eine Allgemeinerregung des Zentralnervensystems vermieden werden muss: Die Erregung muss sich auf bestimmte Bahnen beschränken, wenn bestimmte Muskeln ın bestimmter Weise in Bewegung ver- setzt werden sollen. Wenn der Experimentator aber an besondere Reizarten, und dazu von geringen genau dosierten Intensitäten ge- bunden ist, so bedeutet das für ihn eine gewaltige Erschwerung der Arbeit: Abgesehen von anderen Schwierigkeiten wird der Er- folg schwacher Reize nur zu leicht durch irgendwelche abnorme Umstände verändert oder vernichtet. Und diese „abnormen Um- stände“ sind unvermeidbar, und — schlimmer noch — unberechen- bar. Hierdurch wird man nur zu leicht auf falsche Fährte ge- bracht. Es ist z. B. bekannt, dass die Arbeiterinnen der Bienen beim Nahrungssammeln sich durchaus spezialisieren. Die Biene, die Jordan, Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limacina u. A. depilans. 3 ihren Stock verlässt um Wasser zu holen, lässt Honig unberührt: sie beantwortet unsere Frage, wie Bienen auf Honig reagieren, in einer für Bienen allgemein nicht gültigen Weise. Ein anderes Beispiel: Ich beobachtete ein Exemplar von (arabus auratus, der in einem Glasgefäß mit seinen Vorderbeinen auf einem Regenwurme stand. Der Regenwurm bewegte sich, allein es erfolgte keinerlei Angriff. Das dauerte eine ganze Weile, während der ein Beob- achter zu der Überzeugung hätte kommen können, dass Carabus einen Regenwurm überhaupt nicht angreift. Dann, mit einem Male, ohne irgendwelche nachweisbare Ursache erfolgte der An- griff und zwar blitzschnell, der Regenwurm wurde ın Teile zerlegt und die Mahlzeit begann. Am schlimmsten sind wir, wie das letzte Beispiel schon zeigt, daran, wenn wir Tiere in der Ge- fangenschaft beobachten müssen, wobei es oft nur nach mühsamen Untersuchungen möglich ıst, ıhnen eine einigermaßen normale Um- gebung zu schaffen: Alles Abnorme wirkt offenbar in der Regel als starker Reiz und verhindert die Wirksamkeit der stets schwachen adäquaten Reize dadurch, dass er sie sozusagen übertönt. All das, und manches andere ıst schuld daran, dass über das Verhalten der meisten niederen Tiere den normalen Reizen gegen- über wenige und zum Teil falsche Angaben vorliegen. Außerordent- lich zeitraubende, mühsame Untersuchungen werden notwendig sein, um diese Lücken auszufüllen. Daher ıst es wohl erlaubt, die Er- gebnisse einer Untersuchungsreihe mitzuteilen, die nicht den An- spruch erheben kann, ein wohlabgerundetes Problem erschöpfend zur Lösung zu bringen, die vielmehr als Nebenergebnis einer anders- gearteten Untersuchung nur Bausteine zur Synthese des ın Frage stehenden Wissenszweiges liefern will. Eine der wichtigsten Aufgaben, die das Nervensystem der Tiere zu leisten hat, ıst das Auffinden der Nahrung. Die Art, wie dies geschieht, hängt ab von der Organisationshöhe der Tiere. Im ein- fachsten Falle ein planloses Suchen, im besten Falle ein Wahr- nehmen der Nahrung ın großer Entfernung und die Fähigkeit, sie aufzusuchen; dazwischen mannigfaltige Übergänge, kompliziert durch Spezialanpassungen wie die bekannten Löb’schen Beispiele von „Tro- pismen“ u. a. m. Will man nun den Platz feststellen, der einem bestimmten Tiere auf solch einer Skala zukommt, so hat man naturgemäß meist die Frage zu beantworten nach dem Vermögen der Tiere, die Nahrung in mehr oder weniger großer Entfernung zu erkennen. Ich habe dies für Aplysia neuerdings in der zoologischen Station zu Neapel zu tun versucht!). In meiner im Jahre 1899 1) Gelegentlich meines Aufenthaltes im Jahre 1915. Ich danke die Möglich- keit dieser Reise dem K. Württembergischen Ministerium des Kirchen- und Schul- wesens sowie der K. Preußischen Akademie der Wissenschaften. 4 Jordan, Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limacina u. A. depilans. ebenda ausgeführten Untersuchung über das Nervensystem von Aplysia hatte ich mich auf die folgenden Angaben beschränkt: „Sie (die Aplysıen) bleiben meist ruhig an einem Platze ohne ausgiebige Bewegungen zu machen. Trotz ihrer Sinnesorgane dauert es lang, bis sıe, selbst ausgehungert, ın der Nähe liegendes Futter (TIva) auffinden ?).* Einige wenige Angaben über das Vermögen von Aplysia (und anderen Opistobranchiaten) auf chemische Reize zu reagieren habe ıch auch ın der Literatur finden können. Veit Graber’) experimentiert nicht mit normalen „Reizen“. Er meint Auskunft über das Geruchswahrnehmungsvermögen von Meerestieren durch die folgende Methode zu erlangen: Die Tiere werden in geeigneten Behältern nur eben mit Wasser bedeckt, untersucht. Als Riech- stoffe kommen zur Anwendung: Ol. rosae, Ol. rosmarini und Asa foetida. „Die Riechstoffe brachte ıch dann“, sagt Graber, „...an mäßıg zugespitzten Glasstäbchen an sie bezw. an das sie bedeckende Wasser heran, und zwar im allgemeinen bis auf 2 bis 5 mm. Wenn einer der angewandten Riechstoffe überhaupt eine sichtbare Reaktion (Zusammenziehung des gereizten Teiles oder des ganzen Leibes — bezw. eine Fluchtbewegung) hervorbringt, so erfolgt diese in der Regel schon wenigstens nach 30 Sekunden; länger als eine Minute ließ ich den Riechstoff im allgemeinen . .. nicht einwirken...“ Bei den opistobranchiaten Schnecken fand Graber folgendes Ver- halten: 1. Ohromodoris elegans Oantr.: „Bei der Annäherung von Rosenöl an die Kopfregion zeigt sich vor allem, dass die großen keulenförmigen Hintertentakel, die vielfach als ‚Riechfühler‘ be- zeichnet werden, stärker und rascher eingezogen werden als die Vordertentakel, dass erstere also gegen manche Riechstoffe in der Tat empfindlicher als die letzteren sind. Gleichwohl vergeht bis zu ihrer Kontraktion eine Zeit von mindestens 5—10 Sekunden... Übrigens sind die sogen. Riechfühler keineswegs die empfindlichsten Hautteile. Als solche erweisen sich vielmehr die gelbgefärbten stark vorgewölbten Bezirke unmittelbar hinter dem Kiemenkranz.“ „Verhältnismäßig rasch trıtt bei diesem Tier eine Abstumpfung gegen die in Rede stehenden Reize ein.“ Im Gegensatz zu diesem Nudibranchiaten erwies sich Aplysia lmacina (leporina L.) „völlig indifferent gegenüber allen angewandten Reizstoffen.“ — In dieser Beziehung war Nagel*) glücklicher. Er schreibt S. 162: „Aplysia 2) Jordan, H., Die Physiologie der Lokomotion bei Aplysia limacina. Zeitschr. Biol. Bd. 41, 1901, S. 196. 3) Graber, Veit, Über die Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riech- stoffe. Biol. Centralbl. Bd. 5, 1880, S. 743—754. 4) Nagel, W. A., Vergleichend physiologische und anatomische Unter- suchungen über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. Zoologiea Heft 1S, 1594, Jordan, Das Wahrnehmen von Nahrung bei Ayplysia limacina u. A. depilans. ) punetata wird von schwacher, Chininlösung am größten Teile des Körpers nur schwach gereizt, es erfolgt lokale Kontraktion der Haut. welche stets auf die Reizstelle beschränkt bleibt. Stärker reizt Chinin am freien Mantelrande, ferner an der Haut des Kopfes, noch stärker an den oberen (hinteren) Fühlern, außerordentlich stark an den unteren Fühlern. Vanillin reizt überall stärker als Chinin. Es scheint, dass bei den letzterwähnten zwei Meeres- schnecken, insbesondere bei Pleurobranchaea, die gesamten Hautsinnes- zellen die chemische Sinnestätigkeit ausüben können, welche bei unseren Süßwasserschnecken auf die Kopfteile und den Fußrand beschränkt ist. Aplysia nähert sich den Süßwasserschnecken einiger- maßen. Ohne Zweifel stellen die Fühler eigentliche äußere Ge- schmacksorgane dar. Tastfunktion ist für einen Teil der Fühler- fläche ohne weiteres auszuschließen, da diese dütenartig eingerollt ist. Dadurch erscheinen die Fühler zu Organen des chemischen Sinnes sehr geeignet, was zu den Versuchen stimmt. Irgend- welche Anziehungsreaktion konnte ich bei Meeres- schnecken nicht erzielen?).“ Ohne auf analoge Arbeiten über andere Schnecken oder eine Kritik des soeben Zitierten mich einzulassen, gehe ich nunmehr zu einer Darstellung meiner eigenen Versuchsergebnisse über. Die großen Aquarien in der neuen physiologischen Abteilung der zoologischen Station zu Neapel ermöglichen eine viel eingehendere Beobachtung der Tiere als dies noch 1899 möglich war. So kann ich jetzt meine oben zitierten Angaben (1901) wesentlich erweitern. a) Hungernde Exemplare von Aplysia (limacina und depilans) sah ich oft an der Seitenwand des Aquariums hängen, derart, dass der Vorderteil des Körpers frei war und, mit dem festgehefteten Teile etwa einen rechten Winkel bildend, mit dem Fuße nach oben, horizontal in das Wasser ragte. Dieses freie, vordere Körperende wurde nun wie tastend hin- und herbewegt (sogen. nutierende Be- wegungen); zumal die Wasseroberfläche wurde abgesucht, vielleicht nach treibenden Stücken von Ulva lactuca, der normalen Nahrung der Aplysien. Berührt man in diesem Zustande ein Tier in der sogleich darzustellenden Weise mit Ulvastücken, so werden diese sogleich angegriffen. b) Die Sinnesorgane. Verfügt man über gut ausgehungerte Tiere, dann gelingt es überraschend leicht, die Tiere durch Be- rührung der geeigneten Körperstellen mit Stücken von Ulva zum Angriff zu veranlassen. Ich komme bei diesen Versuchen zu ähnlichen Ergebnissen wie Nagel, brauche aber wohl nicht auf ihre viel größere Beweiskraft hinzuweisen, die ihnen mit Bezug auf die Auffindung der Organe des AV een 5) Von mir gesperrt. Jordan, Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limaecina u. A. depilans. Nahrungserkennens zukommt. Denn Ulva ıst der einzig ın Betracht kommende adäquate Reiz hierfür. Halte ich ein Stück Ua in die unmittelbare Nähe des Randes der Parapodien, so geschieht gar nichts. Im Augenblicke‘) aber, wo ich diesen Rand mit der Alge berühre, wendet sich der Kopf dem Futter zu, der Angriff beginnt. Dasselbe gilt für die hinteren Fühler. Trotzdem sind die eigent- lichen Organe des Nahrungserkennens die vorderen Fühlerlappen. Sıe sind viel empfindlicher als Parapodıenränder und hintere Fühler, und außerdem müssen sie erst jedes Stück Nahrung berührt haben, ehe der Pharynx vortritt und die Radula ihre eigenartigen Greif- bewegungen ausführt. Über die Beteiligung der übrigen Körperoberfläche, z. B. des Fußrandes, kann ich Bestimmtes nicht aussagen. Zuweilen hatte ich den Eindruck, dass man durch Berührung dieses Körperteils einen Angriff auf Ulvastücke erzielen könne, zuweilen nicht. Ich zıehe es vor, diese Frage offen zu lassen. c) Reaktion auf Nahrung in der Ferne. Für die Reaktion auf Nahrung in der Ferne kommen nur die vorderen Fühler in Betracht. Um Missverständnisse zu verhüten, sei hier sogleich er-- wähnt, dass hierbei nur derart geringe Entfernungen in Betracht kommen, dass wir durch sie nicht bei der Untersuchung der Erregbar- keit etwa der Parapodienränder haben getäuscht werden können. Auch ist die ganze Art der Reaktion viel weniger bestimmt als bei Berührung jener mehr oder weniger empfindlichen Teile. Die Re- aktion auf Futter in der Ferne ist ohne weiteres nicht ganz leicht nachzuweisen. Sie kann bei Hungertieren erfolgen, wenn man Stücke der Futteralge etwa in 2 cm Entfernung von den vorderen Fühlern bringt. Hierbei ist es schwierig sich vor folgender Täu- schung zu hüten. Die Tiere machen wie gesagt im Hunger meist tastende Bewegungen; man muss also darauf bedacht sein, eine zu- fällige Berührung der Fühler mit dem Blatte nicht für eine Re- aktion zu halten. Das lässt sich durch häufiges Wiederholen der Versuche mit einiger Sicherheit erzielen. Größere Entfernungen als etwa 2 cm kommen hierbei jedoch gewiss nicht in Frage. Ich konnte lange eine Aplysia depilans beobachten und mit ihr experi- mentieren und sie erwies sich hierbei als äußerst nahrungsbedürftig: 22 cm von Ihr entfernt befand sich ein Ulvahaufen, den zu finden sie nicht imstande war. Um die Fernwirkung des Futters unter diesen schwierigen Um- ständen mit größerer Sicherheit nachweisen zu können, verfuhr ich wie folgt: Ich nähte ein Stück Ulva auf ein gewöhnliches rundes 6) Die Reaktionszeiten habe ich nicht aufgenommen, sie spielen keine Rolle, da es sich stets um so kurze Zeitspannen handelt, dass an der Tatsache der Re- aktion nicht zu zweifeln ist. Jordan, Das Wahrnehmen von Nahrung bei Aplysia limacina u. A. depilans. Filter, das so groß war, dass es das Algenstückcehen nach allen Seiten reichlich überragte. Das Ganze wurde einer 4. limacina so vorgehalten, dass das Papier sich zwischen Blatt und Tier befand. Sobald die unteren Fühlerlappen das Papier berührten, griff die Schnecke es an, fraß von dem Rande des Filters, bıs das Blatt er- reicht war; nun wurde dieses verzehrt und der Rest des Papieres fallen gelassen. Der Versuch wurde verschiedentlich mit gleichem Erfolge wiederholt; Tränkung des Filters ın Paraffin änderte nichts am Verhalten der Aplysia. Noch einwandfreier ıst folgende Anordnung: Ich faltete 6 Beutel- chen (Umschläge) aus Filtrierpapier und nähte mit Seide die offenen Ränder zu. Die Beutel waren alle gleich groß, 6:4,5 cm. In 3 von diesen Beuteln befand sich ein kleines Stück Ulva, das natür- lich nicht zu sehen war. Alle 6 waren je an ein Stück Kork, als Schwimmer befestigt und blieben dergestalt an der Oberfläche ım Bereiche der suchenden Schnecke. Es wurde Sorge getragen, dass alle 6, wahllos mit dem Kopflappen der dem Experimente dienenden Aplysia limaecina ın Berührung kamen. Die drei Beutel mit Ulva wurden von der Schnecke sofort erkannt. Zwei wurden ın der Mitte des gefalzten, also durchaus geschlossenen, nicht ge- nähten Randes angefressen, bis das Tier das Blatt erreichte, es herausholte und verzehrte; der Rest des Beutels wurde fallen ge- lassen, er befindet sich noch ın meinem Besitze. Der dritte ge- füllte Beutel wurde von der genähten Seite her eröffnet; ım übrigen verfuhr das Tier wıe mit den beiden anderen, nur wurde zugleich mit dem Ulvastück eın Teil der Nähseide mitverschluckt, so dass ein Ende des Fadens der Schnecke zum Munde heraushing. Um die (von Anfang an) leeren Beutel bekümmerte sich unsere Aplysia gar nicht. Vielleicht betastete sıe diese, nachdem sie einige volle Beutel leergefressen hatte, etwas ausgiebiger mit den vorderen Fühlerlappen als vorher; doch kann ich für diese Beobachtung nicht einstehen. d) Abnorme Nahrung. Zu unseren obigen Versuchen muss bemerkt werden, dass sehr ausgehungerte Aplysıen gelegentlich auch reines Filtrierpapier anfressen. Dies geschieht jedoch so selten, dass wir uns daraus keinen Einwand gegen unsere obigen Ergeb- nisse machen können. Übrigens beweist ja schon das Unberührt- lassen der leeren Beutel, dass die zu diesen Versuchen verwandten Exemplare reines Fließpapıer nicht angriffen. Sehr ausgehungerte Aplysien fressen auch Ulvastücke, die 5 Tage in Spiritus gelegen haben; ja es gelang mir sogar, sie in drei Fällen zum Benagen eines Orangenblattes zu bringen. Die Schnecke reagierte auf das stark riechende Blatt in einer Ent- fernung von 2 cm, fraß ein Stück von der Spitze ab und ließ es dann fallen. S Jordan, Das Wahrnehmen der Nahrung bei Aplysia limaeina u. A. depilans. Zusammenfassend ergibt sich folgendes aus meinen Ver- suchen. Aplysia (limaeina und depilans) ıst nicht imstande, Ulven- felder auf nennenswerte Entfernung zu erkennen und planmäßig aufzusuchen. Aplysia verfügt weder über Licht- noch chemische Empfangsorgane, die durch entsprechende Fernreize das Tier zum Aufsuchen der Ulra veranlassen. Ob ım Meere gewisse Erschei- nungen wie Brandung etc. die Schnecken zu den Ulvenfeldern leiten, weiß ich nicht. Nach ihrem Verhalten im Aquarium dürften Aplysıen auf planlose Bewegungen angewiesen sein um das Futter zu suchen. Ihre Sinnesorgane leiten sie erst ın unmittelbarer Nähe des Tang- feldes. Bei diesen Sinnesorganen handelt es sich um ganz spezifische „Ohemorezeptoren“ für die Nahrung: nur durch diese gereizt lösen sie den Angriff auf das Ulveifblatt aus. Dies ergibt sich, wenn man meine Resultate mit denjenigen Nagel’s vergleicht. Andererseits fanden wir, dass eine gelegentliche „Täuschung“ dieser Organe nicht völlig ausgeschlossen ist. Von einer Lokalisierung dieser Sinnesorgane kann streng ge- nommen nicht gesprochen werden. Es handelt sich um die be- kannten primären Sinneszellen der Haut, von denen ein Teil für die Nahrungserkennung spezialisiert sein dürfte. Möglicherweise fehlen diese Spezialzellen keinem Teile der Körperoberfläche; doch sind sie auf alle Fälle ungleich verteilt. Mit absoluter Sicherheit lassen sie sich durch den Versuch nachweisen, da wo sie offenbar besonders zahlreich sind; wie am Rande der Parapodien, an den hinteren Fühlern, am stärksten aber an den großen vorderen Fühler- lappen. Durch diese Verteilung wird die Wahrscheinlichkeit er- höht, dass ein etwa schwimmend (A. lömaecina) erreichtes Ulvenfeld unmittelbar erkannt wird, da zumal die Parapodienränder durch ihre Bewegungen die meiste Aussicht haben, die Blätter zu berühren. So wird das Fehlen der Fernwirkung der Sinneszellen teilweise aus- geglichen. Ob die mangelhafte Fernwirkung der Sinnesorgane durch ıhre hohe Reizschwelle oder durch den Umstand bedingt wird, dass von den Ulvablättern wenig differente Stoffe diffundieren, lässt sich natürlich nicht entscheiden. Wir müssen uns mit der folgenden Feststellung begnügen: Um die Sinneszellen für die Nah- rungssuche zu erregen, bedarf es nicht unbedingt der Berührung mit den Blättern. Stoffe, die aus den Blättern stammend, durch das Fließpapier hindurch oder am paraffinierten Filter entlang diffundierend zu den Sinneszellen gelangen, vermögen den Angriff auf die Nahrung auszulösen. Verdünnung dieser Stoffe, als Folge der Diffusion auf nennenswertere Entfernung (wenige Zentimeter) macht den Reiz unterschwellig, unwirksam. Zum Schlusse sei noch auf den folgenden Punkt aufmerksam gemacht. Man sucht bei niedrigen Tieren, in Analogie mit höheren, so oft nach spezifischen Röder, Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums? 1) Sinnesorganen. Unzweifelhaft gibt es bei ihnen spezialisierte Sinnes- zellen, aber ihre strenge Lokalisierung auf bestimmte Organe dürfte (von den „höchsten“ Sinnen vielleicht abgesehen) die Aus- nahme sein. Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums? Von Dr. Ferdinand Röder. Die Frage, ob Sauerstoffmangel oder die Kohlensäure die Atem- bewegungen verursacht, ıst trotz zablloser zum Zwecke ihrer Be- antwortung unternommener Arbeiten immer noch strittig. Diese Darstellung versucht zu zeigen, dass die Annahme, derzufolge die Kohlensäure oder die Anhäufung von Kohlensäure die Tätigkeit des Atemzentrums bewirkt, Voraussetzungen enthält, die mit gewissen allgemeinen Erfahrungssätzen unvereinbar sınd, und dass sie daher als irrig bezeichnet werden muss. Es ist eine feststehende Tatsache, dass das Blut der Venen stets reicher an Kohlensäure ist als das entsprechende Arterienblut und dass die Kohlensäure aus den Geweben in das Blut wandert. Und es ist ein Grundsatz der Naturwissenschaft, an den wir durch unsere sinnliche Erfahrung gebunden sind, dass ein Körper nur dort wirken kann, wo er sich befindet. Die Annahme einer er- regenden Wirkung der normalerweise im Blut vorhandenen Kohlen- säure hätte daher zur Voraussetzung, dass im Gebiete des Atem- zentrums die Kohlensäure aus den Kapillaren durch die Kapillar- wand in die Nervensubstanz des Atemzentrums eintritt, dass also die Kohlensäure aus dem Blut ın das Gewebe wandert, was zu einer stetig sich steigernden Aufstapelung von Kohlensäure in diesem (sewebe führen müsste. Es ist ausgeschlossen, dass der Kohlensäurestrom unter natürlichen Verhältnissen, .d. ı. bei nor- maler Zusammensetzung der Einatmungsluft und physiologischem Zustand des Organismus in umgekehrter Richtung fließe. Daher kann die Kohlensäure des Blutes nicht in die Ganglien des Atem- zentrums gelangen und daher dort auch keine Wirkungen ent- falten. Dass der normale Kohlensäuregehalt des Blutes die Medulla oblongata errege, ist von Pflüger und in neuerer Zeit besonders von Mosso behauptet worden. Diese Anschauung war nur eine Konsequenz jener, dass Kohlensäureüberschuss erregend auf das Atemzentrum wirke. Letztere Annahme wurzelt in der durch Versuche festgestellten Tatsache, dass Kohlensäureüberschuss der Einatmungs- luft bezw. des Blutes bei unverändertem oder selbst gesteigertem Sauerstoffgehalt der Einatmungsluft bezw. des Blutes die Atem- bewegungen verstärkt. Auf eben dieser Tatsache fußend erkennt die 10 köder, Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums? Mehrzahl der Physiologen nur den Überschuss an Kohlensäure als Atemreiz an und bedient sich zur Erklärung der normalen Erregung der Vorstellung, dass ın jeder Atempause durch Stauung in den Zellen des Atemzentrums eine wenn auch geringfügige Anhäufung von Kohlensäure entstehe, die periodisch die Erregung erzeuge. Die Annahme, dass Kohlensäureanhäufung Ursache der Erregung sei, schließt aber, da chemische Wirkung nur durch Verbin- dung freier chemischer Energien begriffen werden kann, die Behauptung in sıch, dass die Kohlensäure und zwar gerade nur die überschüssige eine chemische Verbin dung eingehe, wobeidie für dieWirkung,die ErregungimAtem- zentrum, erforderliche Energie durch den Übergang der sich verbindenden Substanzen zu größerer Stabilität gewonnen würde. Die Unhaltbarkeit der Voraussetzungen macht auch diese Annahme hinfällig. Auch im Überschuss kann die Kohlen- säure nicht Ursache der Erregung sein. Die vorgetragene Ansicht fordert den Einwand heraus, dass die früher bezeichneten Versuche, bei denen eine Einatmung kohlen- säure- und sauerstoffreicher Gasgemische stattfindet, doch beweisend dafür seien, dass ın diesen Fällen die Kohlensäure die Ursache der Erregung des Atemzentrums sein müsse. Der Beweis reicht jedoch nur gerade so weit wie die Tatsachen. Bewiesen ist bloß, dass in der Atemluft und im Blut der Sauerstoffgehalt unverändert oder gesteigert ist und der Kohlensäuregehalt vermehrt ist; daraus folgt noch nicht, dass in den Nervenzellen des Atemzentrums dieselben Verhältnisse vorliegen und dass daher, da Sauerstoffmangel aus- geschlossen sei, die Kohlensäure die Erregung bewirken müsse. Es kann sein, dass die überschüssige Kohlensäure des Blutes die Oberflächenspannung und mit ihr die Durchlässigkeit der Zellen . ändert, ebenso dass sie im Innern der Zellen das Aufnahmever- mögen der Lipoide für den Sauerstoff herabsetzt, wodurch die Menge des ın die Nervensubstanz des Atemzentrums eintretenden freien Sauerstoffs mehr oder minder verringert wird. Dies würde es erklären, dass eine Verminderung der Kohlensäurespannung in den Alveolen keinen Einfluss auf die Atmung hat, eine Vermehrung erregend wirkt, Einatmung reiner Kohlensäure aber wegen der durch sie erzeugten völligen Sauerstoffnot der Zellen gleich lähmend wirkt, während Änderungen des Sauerstoffgehaltes der Atemluft gerade nur in dem Maße wirksam sind, als sie die Sauerstoffversorgung der Zellen beeinträchtigen. Die Unterschiede der Wirkung ver- änderter Atemluft je nach Variation des Kohlensäure- oder Sauerstoff- gehaltes wären demnach von einem Gesichtspunkt, aus der Beein- flussung der innern Sauerstoffatmung des Atemzentrums zu erfassen. Aber auch auf andere, derzeit unbekannte Weise könnte der Kohlen- säureüberschuss zu Sauerstoffmangel führen, so dass tatsächlich dieser Röder, Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums? {| und nicht jener als Ursache der veränderten Atmung in diesen Fällen fungierte. Für die Entscheidung der hier vorliegenden Frage, ob die Erregung ın diesen Versuchen unbedingt der Kohlensäure zugeschrieben werden müsse, ist die Verfolgung dieser Möglıch- keiten und die Ansicht, die man über sıe hegen mag, ohne Belang. Hier handelt es sich bloß darum, dass aus dem Zustand eines Systems nicht auf den eines angrenzenden, wesentlich von ihm ver- schiedenen geschlossen werden kann, da in diesem neue Faktoren vorhanden sind und wirksam seın könnten. Auch der Nachweis, dass Stillstand der Atembewegungen und Kohlensäureverarmung des Biutes zusammenbestehen, ist, wenngleich er sehr geeignet ist, "die auf anderem Wege gewonnene Überzeu- gung, dass Kohlensäureüberschuss die Atembewegungen verursache, zu festigen, an sich nicht imstande die Wahrheit dieses Satzes zu erweisen, da jene Koexistenz — ganz abgesehen davon, dass Apnoe auch bei hochgradiger Venosität des Blutes bestehen kann, dass andrerseits Kohlensäureverarmung des Blutes, die ja nur die Differenz zwischen Kohlensäurebildung und -auscheidung darstellt, auch ohne Apnoe sich vorfindet, nämlich gerade bei derem Gegenteil, bei der Arbeitsdyspnoe — ebensowohl zu dem Schluss berechtigt, dass die Kohlensäureverarmung Ursache wie dass sie Folge der Apnoe sei, bezw. dass beide einer und derselben bisher nicht entdeckten Ur- sache entspringen. Es ist daher zweifellos, dass ein zwingender Beweis dafür, dass die Kohlensäure eine unmittelbare Ursache der Erregung sein müsse, nicht erbracht worden ıst. Dass sie es nicht sein kann, ist aus dem früher Gesagten hervorgegangen. Welche Umstände sınd diesem Ergebnis hinderlich, welche sınd ihm förderlich gewesen? Die grundlegenden Versuche über die Ursache der Ns gungen wurden zu einer Zeit unternommen, ın der in den anorganischen Wissenschaften die Klärung ihres Grundbegriffs, der Ursache oder der Kraft, durch Robert Mayer, Helmholtz und andere eben durchgeführt worden war. Dieser Begriff, der dann in der geläuterten Form den Namen Energie erhalten hat, war aber damals noch nicht zu allgemeiner Verbreitung und Anerkennung im eigenen, geschweige denn im fremden Gebiete gelangt. Als Typus der Kräfte galt, wie heute noch in unserer Schulzeit und infolge der Zähigkeit der Kind- heitserinnerungen oft auch später, die Schwerkraft, also „eine Ur- sache, welche, ohne selbst abzunehmen, Wirkung hervorbringt“ !). Jene ausgezeichneten Männer, denen wir die ersten Versuche über die Wirkung der Kohlensäure auf die Atmung verdanken, konnten l) Robert Mayer. Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur. (Annalen der Chemie und Pharmacie 1842.) 12 Röder, Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums? daher bei der Geläufigkeit dieser Vorstellung, die ihnen noch ım besondern durch den naheliegenden Vergleich der Atembewegungen mit der Pendelbewegung vorschweben musste, keine Schwierigkeit darin finden, die Kohlensäure als Ursache einer Erscheinung anzu- sehen, deren Beziehung zu ihr sie in ihren Versuchen festgestellt hatten. Die Erscheinung war durch Zurückführung auf Bekanntes begreiflich, aber das Begreifliche war unrichtig, da es auf einem irrigen Begriff von ‘der Wirkung der Schwerkraft beruhte. Hin- gegen wäre es jener Zeit völlig unbegreiflich gewesen, dass eine chemische Substanz anders als auf chemischem Wege wirken könne. Dieses Beispiel erinnert daran, dass das Vorhandensein oder das Fehlen von Analoga nicht als Prüfstein der Wahrheit betrachtet werden soll. Die bahnbrechenden Versuche sind zugleich diejenigen, die die Bahn weisen. Die Autorität der Vorgänger ist sicher ein das Denken der späteren Forscher bestimmendes, aber gewiss nicht das wesentliche Moment. In der folgenden Zeit haben ja die Energie- prinzipien und die durch sie vermittelten Ergebnisse der Physik und Chemie Eingang in die Physiologie gefunden, ihr Grundbegriff aber wurde zur Lösung des Problems, ob die Kohlensäure Ursache der Erregung sei, nicht benützt. Der Grund hierfür liegt in den Entwicklungsgesetzen des wissenschaftlichen Denkens. Jede Wissenschaft formt sich selbst ihre Begriffe nach den Gegenständen, mit denen sie sich befasst. Die Beziehungen zwischen ihren Gegenständen sind der Inhalt ihrer Begriffe An der Vor- stellung, dass die Kohlensäure eine Ursache der Erregung sei, kann die Physiologie nichts Befremdendes finden, da sie sich ja den Begriff der Ursache an den Beziehungen verschiedener Dinge, dar- unter eben auch der Kohlensäure, zur belebten Materie herangebildet hat. Die Kohlensäure bedeutet für sie eine Ursache und ist es daher. Sie hat gar keine Veranlassung ihren Begriff durch jenen zu ersetzen, den sich eine andere Wissenschaft von der Ursache gebildet hat. Nur wer von dort ausgeht, wer an diese Tatsachen der Physiologie mit der Anschauung herantritt, dass eine Ursache, um zu wirken, sich ganz oder zum Teil in die Wirkung verwandeln müsse, der empfindet das Unbegreifliche, das darin liegt, dass die Kohlensäure, die am Ende des Energiewechsels steht, noch che- mische Arbeit leisten soll. Aus demselben Umstande, dass sich nämlich die Bedeutung eines Begriffes je nach den Gegenständen, zu denen er in Beziehung steht, entwickelt, ist es erklärlich, dass die Kohlensäure, die in der Pharmakologie wegen der Übereinstimmung der Wirkungen in die Gruppe der indifferenten Narkotica eingereiht wird und daher dank der Theorie der Narkose von Meyer und Overton mehr physikalisch als chemisch wirkend gedacht werden muss, in der Röder, Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums? 11D Physiologie infolge der gleichen Natur ihrer Beziehungen mit dem Sauerstoffmangel in eine Klasse gestellt und daher hier als chemi- scher Reiz angesehen wird. Das Hauptbollwerk für die Erkenntnis war also die auf dem physiologischen Begriff der Ursache beruhende Vorstellung von der Unmittelbarkeit des Zusammenhanges zwischen Kohlensäure und Tätigkeit des Atemzentrums, während die Ab- hängigkeit nach physikalisch-chemischen Begriffen nur eine mittel- bare sein kann. Die Idee des unmittelbaren Zusammenhanges, die aus den Versuchen über die Steigerung der Atemtätigkeit durch Kohlen- säureüberschuss der Atemluft gewonnen war, musste logischerweise auf die Atmung unter normalen Verhältnissen übertragen werden. Die Sprache, deren Wegen die Gedanken ebenso folgen wie die Worte den Gedanken, legte dieser Anwendung kein Hindernis in den Weg, da der sprachliche Ausdruck für das Gefundene, dass der an Ort und Stelle wirksame Reiz durch die Venosität des im Zentralorgan kreisenden Blutes gegeben ist, das Bild einer räumlichen Scheidung von Blut und Atemzentrum nicht hervorzurufen vermag. Aber auch wenn diese Anschauung sich dem Bewußtsein darbot, so lag logischerseits kein Anlass vor, die dem Gebiet der innern Atmung angehörige Feststellung, daß die Kohlensäure aus den Geweben ın das Blut wandere, hier anzu- wenden, da die hervorstechendste Eigenschaft des Atemzentrums, vom Gasgehalt des Blutes beherrscht zu werden, der infolge der bestehenden Lehre am stärksten betonten Eigenschaft der Gewebe, die Gasspannung zu beherrschen, so völlig unähnlich ist, Ähnlich- keit der Objekte aber die Grundlage und Vorbedingung jeder Ver- gleichung und logischen Einordnung bildet. Um also zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die normale Kohlensäure des Blutes überhaupt nıcht auf das verlängerte Mark einzuwirken vermag, die innerhalb der Zellen des Atemzentrums befindliche die Erregung nicht verursachen, sondern nur mittelbar durch Änderung der physikalischen Eigenschaften des Atemzentrums beeinflussen kann, musste bei der Beschäftigung mit der Frage nach der Ursache der Atembewegungen, die auf experimentellem Wege nicht entschieden worden ist und wegen der Möglichkeit einer Abhängigkeit der Sauerstoffversorgung der Zellen von der Kohlen- säure auf diesem Wege auch nicht entschieden werden kann, zu- nächst die Vorstellung der räumlichen Sonderung von Blut und Atemzentrum im Bewusstsein auftreten, dann das Atemzentrum als Gewehe agnosziert und schließlich der physiologische Ursachen- begriff durch den physikalisch-chemischen ersetzt werden. Ist dies geschehen, dann zeigt sich die Annahme einer unmittelbar erregen- den Wirkung der Kohlensäure mit absoluter Gewissheit als unhalt- bar, da sie jenen zwei Prinzipien widerspricht, die nicht bloß die 14 Verhoeff, Zur Kenntnis der Carabus-Larven. höchsten Verallgemeinerungen der Erfahrung sind, sondern was noch mehr bedeutet, die Voraussetzung jeglicher Erfahrung bilden. Wäre sie wahr, dann müsste der Satz, dass eine Ursache nur wirken kann, wo sie sich befindet, und der Satz von der Erhaltung der Energie falsch sein. Wäre aber dies der Fall, könnte Wirkung durch eine ferne Ursache oder ohne Ursache entstehen, dann wäre jede Voraussagung unmöglich, jede Erfahrung zwecklos und alles Forschen sinnlos. Zur Kenntnis der Carabus-Larven. Von Karl W. Verhoeff in Pasing. Unsere Kenntnisse von den Carabus-Larven sind noch so lückenhaft, sowohl hinsichtlich der vergleichenden Morphologie derselben als auch der Biologie, Entwicklung und Syste- matık, dass ıch heuer an der Hand mehrerer Arten, besonders aber auf Grund des in Oberbayern häufigen Carabus ulrichii einige Fragen zu beantworten suchte. Meine ausführlicheren Mitteilungen nebst Tafeln und Text- abbildungen werden an anderer Stelle veröffentlicht. Einen kurzen Überblick über die Ergebnisse ıneiner Studien möge das Folgende bieten, zumal das Erscheinen der eingehenderen Arbeit infolge der Kriegsverhältnisse verzögert werden dürfte. 1. Embryonale Bewegungen. Durch die schon ziemlich früh pigmentierten 6 +6 Ocellen der älteren Embryonen, welche auffallend durch die Eıhäute hin- durchschimmern, lassen sich embryonale Atembewegungen feststellen, welche hauptsächlich in einer kreisenden Drehung des Kopfes bestehen, die sich anfänglich nur an den Verschiebungen der Ocellen unter den Eihäuten erkennen lässt. Es handelt sıch hierbei nicht um Bewegungen, welche mit der Regelmäßigkeit von Blutgefäßpulsationen einsetzen, sondern um unregelmäßige Rol- lungen, die sehr von Wärme und Feuchtigkeit und guter Erhaltung der einzelnen Eier abhängig sind, zeitweise aber in einem gewissen Rhythmus erfolgen. Auch sind sie nur in einer vorletzten Em- bryonalperiode zu beobachten. Die Kopfrollungen werden durch die Ocellen angezeigt als eine teilweise von hinten nach vorn und teilweise seitwärts sich vollziehende Verschiebung. Die seitlichen Verschiebungen sind die hauptsächlichsten und erreichen etwa die’ dreifache Breite eines Ocellenhaufens. In der letzten Embryonalperiode, welche dadurch angezeigt wird, dass Borsten, Klauen und Mandibelspitzen durch die Eihäute hindurchschimmern, hören die embryonalen Atembewegungen auf, weil das Tracheensystem sich entwickelt hat. Jetzt lassen sich Verhoeff, Zur Kenntnis der (arabus-Larven. 15 jedoch andere Bewegungen beobachten, die als Schlüpfwehen von den Atembewegungen scharf zu unterscheiden sind. Die Schlüpfwehen dauern nicht so lange wie jene und treten zugleich viel unregelmäßiger auf. Sie bestehen darin, dass sich der ganze Embryo zusammenzieht, so dass der Kopf mehrfach in der Richtung der Längsachse des Eies gegen das Abdominalende vor- und wieder zurückgeschoben wird, daher die Ocellengruppen bald vor bald hinter der Mitte bemerkt werden. Hier und da erkennt man als Ausdruck der inneren Zugkräfte an der Oberfläche eine vorübergehend auftretende Delle. Gegen Schluss der Embryonal- zeit konnte ich zuckende Bewegungen bald der ganzen Beine, bald ıhrer Endklauen beobachten, auch seitliche Drehungen des Kopfes und der Hinterhälfte des Abdomens. 2. Schlüpfen des Embryos aus den Eihäuten. Der zunächst noch fast vollständig weiße Embryo arbeitet sich aus den zähen Eıhäuten dadurch heraus, dass bald der Thorax bald das Abdomen wie eın aufgeblähter Blasebalg auf jene drückt. Zieht sıch das Abdomen zusammen, dann werden Kopf und Thorax wie ein Gebilde aus Gummi aufgetrieben und straff gespannt, während umgekehrt der faltıg zusammengepresste Thorax das Abdomen aufbläht. Nur der Kopf wird nıcht zusammen- gepresst, sondern biegt sıch bei der Einknitterung des Thorax unter stumpfem Winkel gegen diesen etwas dorsal empor. Das Hervorschlüpfen des Embryos beginnt mit einem Zerreissen des oralen Teiles der Eihaut und wird sehr begünstigt durch zwei „Ei- zähne“, die ich Frontalstachel nenne. Am Clypeofrons jederseits innen ungefähr neben der Mitte der seitlichen Schrägnäte steht ein mit der Spitze nach vorn gerichteter, kräftiger Stachel, der eine Eigentümlichkeit der noch weiter zu erwähnenden Primärlarve bildet. Die embryonalen Wehen bewirken, dass diese Frontal- stachel von innen her die Eıhäute anritzen und schließlich zerreissen ; aber erst der pumpende Blutdruck kann den Embryo ganz von seinen Hüllen befreien, deren Zähigkeit notwendig ist als Schutz für das frei in der Erde ruhende Eı. Auch am pumpenden Embryo wird das heftige Arbeiten der Muskulatur durch Dellen an den Hüften und Thoraxtergiten ange- zeigt. Das Schlüpfen vollzog sich bei dem von mir beobachteten ulrichti-Embryo in ungefähr 2 Stunden, dürfte aber ın natura, wo das Tier an den Wänden des kleinen Raumes, in welchem das Ei ruht, Halt findet, sich noch schneller vollziehen. 3. Ausfärbung der Primärlarve. Die von ıhren Häuten befreite Junglarve ist noch vorwiegend weıßlich gefärbt, obwohl sich an vielen Stellen schon graue bis 16 Verhoeff, Zur Kenntnis der Carabus-Larven. grauschwärzliche Wische oder Pıgmentschatten bemerklich machen. Die hauptsächlichsten Ausfärbungen vollziehen sich danach in etwa 12—14 Stunden. Am auffälligsten macht sich naturgemäß die all- mähliche Verschwärzung der Tergite bemerklich. Die Mandibeln sınd anfangs nur an den Spitzen gebräunt, im ganzen zunächst schwach gelblich, dann bernsteingelb und werden erst sehr allmäh- lich geschwärzt, ebenso die Pseudocerci und andere Teile. Erst zıemlich spät heben sich die unteren Abdominalsklerite deutlicher ab. 4. Eihaut und Chorion. Während die Eihaut vollkommen strukturlos ıst, wird das Chorion von einem dichten Gitterwerk umspannt, durch welches jene Struktur erzeugt wird, welche unter der Lupe als eine kaum wahrnehmbare Punktierung erscheint, mikroskopisch dagegen wie ein Zellgewebe. Beobachtet man die Ränder abgerissener Chorion- fetzen, dann lässt sich mit Bestimmtheit erkennen, dass einer struktur- losen Membran ein feines Gitterwerk aufliegt, da sich der zarte Membranrand sehr deutlich von den abgerissenen Zweiglein des Gitterwerkes abhebt. Die Eihäute sind überaus elastisch, so dass sıe jedem Druck gummiartig nachgeben, dabei aber doch eine hohe Widerstands- kraft und Zähigkeit besitzen, wie am besten daraus hervorgeht, dass aus einem Eı des Carabus wlrichti, welches mir vom Tische auf den Boden herabfiel, dennoch eine gesunde Larve ausschlüpfte. Die in der Erde ruhenden Eier bedürfen, da sie einzeln abge- legt werden, also weder vom Muttertier noch von einem Neste geschützt werden, gegen Nässe, Stöße und verschiedene kleine Feinde, namentlich auch Schimmelpilze, in der Tat eines sehr wider- standsfähigen Chorions. Die große Leistungsfähigkeit desselben wird am besten dadurch bewiesen, dass ıch etwa die Hälfte der von mir aus der Erde hervorgesuchten Eier habe zur Entwicklung bringen können. Obwohl die Oberfläche des Chorions trocken ist, haften an ihm doch sehr leicht kleine Lehmkrümchen oder Sand- körnchen an, mit denen die hervorgeholten Eier bald mehr bald weniger behaftet sind. Nicht selten bemerkt man an der Öber- fläche der Eier auffallend glänzende Stellen, welche daher rühren, dass daselbst das Gitterwerk des Chorions fehlt. Da nun gleich- zeitig an solchen Stellen die Oberfläche der Eier mehr oder weniger buckelig vorgewölbt ist, so bezeugen dieselben, dass hier Orte des geringsten Widerstandes sind gegen den Druck, welchen der Em- bryo auf die Eıhäute ausübt. Die asymmetrischen Verhältnisse mancher Eier sind ebenfalls auf die ungleichmäßige Ausbildung des Chorions zurückzu- führen. Man kann sich auch bei mikroskopischer Durchsicht des- selben leicht überzeugen, dass das Gitterwerk nicht gleichmäßig Verhoeff, Zur Kenntnis der Carabus-Larven. 47 gebildet ist. Während ein feines Gitterwerk mit größeren Maschen mehr oder weniger rundlicher Form vorherrscht, ıst an manchen Stellen ein gröberes und unregelmäßigeres anzutreffen, in welchem auch die Maschen viel unregelmäßiger und z. T. äußerst klein sind. 5. Postembryonale Dotterperiode. Die Junglarve, auch wenn sie vollkommen ausgefärbt ist, ver- schmäht Veinalhe die ihr gebotene Nahrung. Einer in der Nacht vom 29. zum 30. April geschlüpften und abends 9 Uhr ausgefärbten Larve setzte ich vier Tipuliden-Larven zweier Arten vor, fand aber, dass dieselben bis 3. Maı abends 10 Uhr alle verschmäht wurden. Erst am Morgen des 4. Mai wurde eine dieser Larven, die etwa halb so schwer war wie die Carabus wlrichü-Junglarve, von ihr ausgesogen. Die Aufnahme von Nahrung ist also 3— 3%), Tage nach dem Schlüpfen aus dem Eı verweigert worden. Dasselbe beobachtete ich bei einer anderen der ıch einen kleinen Lumbricıden beigesetzt hatte. Die Lösung dieses scheinbaren Rätsels bringt uns eine Unter- suchung des De der Junglarve, welcher dl einen beträcht- lichen em Dottermasse enthalt. Bei einer 12 Stunden alten, also noch nicht ganz ausgefärbten Larve zeigte sich der Darm prall angefüllt mit einer hellen, gallertartigen Dottermasse. 6. Nahrungsaufnahme. Das stille, enthaltsame Wesen der Junglarven erfährt die größte Veränderung, sobald mit dem Verzehren dieses Dottervorrates der Hunger erwacht. In zahlreichen Fällen konnte ich bei zudrichii und granulatus beobachten, dass solche hungrigen Junglarven den ihnen vorgesetzten Wurm entweder sofort packten oder ın ganz kurzer Zeit. Sobald sich die gewaltigen, noch obendrein mit starken Innenzähnen bewehrten Mandibeln in ıhr Opfer eingeschlagen haben, lassen sie geraume Zeit nicht wieder los; eher lässt sich dıe Larve von einem Wurm, auch wenn er sie an Körpergröße über- trifft und unter heftigen Krümmungen mitreisst, wie ein von einem Pferde geschleifter Reiter umherwerfen. Der Wurm wird nicht nur von den Mandibeln gehalten, sondern auch zerbissen und gepresst und die also zugerichteten, von unten her durch beide Maxillen- paare gestützten und betasteten Teile zur Aussaugung gegen die Mundöffnung gedrückt. ‘. Die erste Häutune. Schon 12--15 Tage nach Verlassen der Eihaut erfolgt die erste Larvenhäutung. Aus der Beschaffenheit der vollkommen weißen, frisch Gehäuteten ergibt sich, dass die schlüpfenden Larven auch weich sein müssen. Kurz nach der Häutung liegt dıe Exuvie 37. Bar 9 »,. Band I 18 Verhoeff, Zur Kenntnis der Carabus-Larven. ın vollständigem Zusammenhang da und lehrt uns, dass beim Schlüpfen der Häutungsbeflissene durch einen dorsomedianen Riss sich hervorarbeiten muss. Dieser Häutungsspalt wird gebildet sowohl von der großen Yförmigen Naht des Kopfes, als auch von einer Sagittalnaht ın Pro-, Meso- und Metanotum. Das Herannahen der Häutung macht sich dadurch bemerklich, dass die Larve träger wird, Nahrung verschmäht und sich in einem aufgetriebenen Zu- stand befindet, so dass zwischen den Tergiten weißliche Intersegmental- streifen sichtbar werden. Letzteres ist jedoch auch nach starker Nahrungsaufnahme der Fall. 8. Die biologisehe Bedeutung der Pseudocerei. Am 9. Abdominaltergit zahlreicher Coleopteren-Larven treten paarige Ausstülpungen mannigfaltigster Gestalt auf, welche häufig als „Cerci“* beschrieben sind. Bald handelt es sich um gelenkig eingefügte zwei- bis mehrgliedrige Anhänge, so z.B. um zweigliedrige bei den Silpha-Larven, bald um Fortsätze, welche gegen das Tergit nicht beweglich sind; letzteres gilt für die Carabus- Larven. Es können aber auch beide Fälle in einen vereinigt sein, d.h. es kann von einem fast mit dem 9. Tergit verwachsenen Fort- satzpaare ein Teil, welcher nach hinten fadenartig ausgezogen ist, mehr oder weniger abgegliedert sein. So haben wır bei den Larven von Nebria brericollis lange, fadenartig ausgezogene „Üerci“, welche trotzdem ungegliedert sind, dagegen bei den Larven von Aba.x striolus sitzt auf dem langen Grundfortsatz eine durch sehr deut- liche Gelenke erzeugte viergliedrige Geißel, so dass antennen- artıge Gebilde vorliegen, welche an die wirklichen Oerci niederer Insekten erinnern, während manche Pierostichus-Larven eine mehr mittlere Beschaffenheit zwischen Abax und Nebria aufweisen. Obwohl es also genug Fälle gibt, in welchen die Auszeichnungen des 9. Tergits mehr oder weniger den echten Öerci ähnlich sehen, ist es doch sehr zweifelhaft, ob sie mit diesen homologisiert werden können, weil a) die wirklichen Cerci entweder dem 10. Abdominalsegment an- gehören oder primär eventuell sogar dem 11. und b) die fraglichen Gebilde der Coleopteren-Larven immer am 9. Abdominaltergit auftreten, c) kommt als sehr bedeutsam die Tatsache in Betracht, dass sich echte Cerci auch bei den /magines der Goleopteren noch niemals haben nachweisen lassen. Um daher diesen wichtigen Gegensatz zu den echten Cerci auch in der Bezeichnung zum Ausdruck zu bringen, spreche ich von Pseudocercı. Die biologische Bedeutung der Pseudocerei der Carabus- Larven, denen stets eine nach oben gekrümmte Endspitze zukommt, Verhoeff, Zur Kenntnis der Carabus-Larven. 19 meistens aber auch noch 1—2 starke Vorspitzen, verteilt sich nach drei Richtungen und bei allen dreien dienen die Pseudocerci als zweı Ankerorgane. 1. klemmen sie sich ın der Höhlung oder Kammer, welche die sich häutende Larve bewohnt, ırgendwie an deren Wandung fest und erleichtern dadurch den sich hervorarbeitenden weichen Wesen das Ausschlüpfen, 2. dienen sie ihnen beim Laufen oder Kriechen in engen Gängen oder Spalten als Halt und 3. werden sie als Bremsvorrichtung benutzt, wenn die Larve ein großes Beutetier gepackt hat. Reıisst z. B. ein die Carabus- Larve an Größe beträchtlich übertreffender Regenwurm sie mit sich fort, wenn sie ihre Mandibeln ın ıhn eingeschlagen hat, dann wird sie nach den verschiedensten Richtungen hin- und herge- schleudert. Kann sich aber die Larve mit den Spitzen der Pseudo- cercı ıwgendwie festhaken, dann wird die Flucht des Wurmes er- schwert und seine Ermattung beschleunigt, was beim Fehlen von Giftdrüsen um so notwendiger erscheint. 9. Die Entwieklungsstufen der Carabus-Larven. Bei (Carabus ulrichii und granulatus finden dreı Häutungen statt, so dass also auch drei Larvenstufen als Primär-, Sekundär- und Tertiärstadium zu unterscheiden sind. Es herrscht ın dieser Hinsicht Übereinstimmung mit den Dytisciden, aber keineswegs mit allen andern Coleopteren, da z. B. bei Cassida veridis fünf Larvenstufen durchlaufen werden. Die Frage, ob und welche Unter- schiede zwischen den drei Stufen der Carabus-Larven bestehen, ist bisher unbeantwortet geblieben. Die interessanteste Eigentümlichkeit der I. Larven besteht in einer Vorrichtung, welche zur Gruppe der sogen. „Eizähne“ gehört, d. h. es finden sich am Kopfe genau ın der queren Verbindungs- linie der beiden Ocellenhaufen zwei nach vorn gerichtete stachel- artige Spitzen, welche ich schon lange vor dem Schlüpfen des Em- bryos als zwei anfänglich dünn und borstenartig erscheinende, später deutlich pigmentierte Gebilde an einer Reihe von Embryonen beobachtet hatte, ehe ıch auf ıhr Vorhandensein bei den I. Larven aufmerksam wurde. Bei diesen sind diese schon als Frontal- stachel erwähnten Gebilde wegen der dunklen Pigmentierung der Larven sehr leicht zu übersehen, wurden aber von mir bei allen Primärlarven beobachtet, während sie den Il. und III. Larven fehlen. Eine weitere und merkwürdige Eigentümlichkeit der Primär- larven findet sich am 1. Abdominalsegment und zwar tritt in den Pleuralgebieten desselben zwischen Epimeron und Episternum ein rundliches Gebilde auf, welches als der Rest von Embryonal- organen unbekannter Bedeutung zu gelten hat, nämlich jener 9% 30 Verhoeff, Zur Kenntnis der (arabus-Larven. schon bei mehreren Coleopteren-Embryonen, z. B. Melolontha beobachteten drüsigen Organe. Diese embryonalen Rudimente scheinen bei allen (arabus-Primärlarven vorzukommen. Tatsächlich beobachtet habe ich sie bei wlrichir, cancellatus, granulatus, nemo- ralis und coreaceus und zwar stets genau an derselben genannten Stelle. Es handelt sich um ein rundliches Feldchen, welches von der feinen Wärzchenstruktur der Pleuralhäute rings umgeben wird. Der Umstand, dass ım Bereich dieses Feldehens die Wärzchen- struktur fehlt und statt ihrer eine unregelmäßige, aber ım ganzen und großen radıäre Fältelung zu bemerken ist, deutet schon darauf hin, dass die Haut des rundlichen Feldchens zu einer besonderen Leistung bestimmt ıst. Im Zentrum des Feldchens ıst meistens ein länglicher, von einem dicken, schwach pigmentierten Wall umgebener Porus zu bemerken, auch kann man an günstigen Objekten er- kennen, dass das rundliche Feldchen hügelig nach außen vortreten kann. Bei der Il. Larve sind diese Feldchen entweder ganz ver- schwunden oder nur noch kleine Knoten zu erkennen, ohne Unter- scheidung von Porus und Strahlung. Wenn nun auch die I. Larven vor den II. und III. schon durch die Frontalstachel und die pleuralen Rudimente des 1. Abdominalsegmentes ausgezeichnet sınd, so gibt es doch noch mehrere andere Charaktere, welche eine Unterscheidung der dreı Larvenstufen ermöglichen. Ich verweise jedoch auf meine ausführ- licheren Angaben und will hier nur kurz erwähnen, dass die charak- teristische Bildung des Vorderrandes des Clypeofrons Verände- rungen erfährt, ebenso der große Innenzahn der Mandibeln. Ferner treten vom Il. Stadium an auf der Kopfkapsel eigentümliche ge- wundene Linien auf, während der Verlauf der oberen Kopfnähte sich teilweise verändert. Endlich findet sich unten am Tarsus aller. Beinpaare vom II. Stadium an eine Vermehrung der Stachelborsten (Grabarbeit der Larven). 10. Zeitliches Auftreten der Carabus ulrichii-Stufen. Im Vergleich mit vielen andern Coleopteren ist die Zahl der Nachkommen der Carabus eine geringe, was schon durch die beträchtliche Größe der Eier (5'/,—6!/, mm Länge bei wlrichii) bedingt wird. Die Aufzucht erfordert die Überwindung einiger Schwierigkeiten, auf welche hier nicht näher eingegangen werden soll. Das Il. Stadium des wlrichii ließ sich ziemlich leicht zur Ver- wandlung ins II. bringen, aber schwieriger war die weitere Aufzucht. Die I. Larven (12'/,—15'/, mm 1g.) beobachtete ich vom 30. IV. bis 29. VI. DL. nn, kewa a0) RTV RN , NUR ” (etwa 25 ET) 5 SER OS VER SERRVATT In dem einzigen Falle, ın welchem ich die Nymphe erzielte, dauerte die Entwicklung vom Schlüpfen aus dem Ei bis zum Verhoeff, Zur Kenntnis der (arabus-Larven. 1 Abwerfen der letzten Larvenhaut (also bis zum Nymphenstadium) 70 Tage, vollzog sıch nämlich vom 3. Mai bis zum 12. Juli. — Bei den kleineren und mehr Wärme genießenden yranulatıs verlief dieselbe Entwicklungsperiode schon in etwa 40 Tagen. 11. Die Carabus-Nymphen. Das einzige Pıgment, welches an der soeben aus der Ill. Larven- exuvie gestiegenen zulrichii-Nymphe zu bemerken ıst, betrifft die 6465 Larvenocellen, welche also ins Nymphenstadium übernommen werden und hinter der Anlage der Komplexaugen sich als schwarze Punkte und davon ausgehende Stränge scharf abheben. Die Carabus ulrichü-Nymphe besitzt keine Pleuralfortsätze, nur am Hinterrand des 9. Abdominaltergites jederseits einen Pseudo- cereusfortsatz, an welchem oben noch eine kleine Vorecke zu sehen ist, entsprechend den larvalen Vorspitzen. Unter dem 10. Ab- dominalring ragen nach hinten und unten zweı zitzenartige Zapfen heraus, als Anlage der Hälften des weiblichen geteilten Genital- sternites. Kopf und Thorax sind nackt, nur am Metanotum stehen zwei kleine quere Borstengruppen. Kräftige, gelbbraune Bürsten aus starken Borsten, mechanische Isolatoren gegen Nässe in der Nymphenkammer, erstrecken sich quer über das 1.—5. Abdo- minaltergit. Die Nymphen sowohl von vlrichii als auch granulatus sınd von weißer Farbe und strömen einen scharfen, stechend-aroma- tischen Wehrduft aus, welcher offenbar denselben Drüsen ent- stammt, mit welchen sich der entwickelte Carabus so energisch zu verteidigen weiß. Wie kräftig die Nymphensäure ist, geht aus folgendem hervor: Unter die auf einem Uhrschälchen liegende, aus ihrem Erdkämmerchen hervorgeholte Nymphe legte ich einen Streifen von blauem Lackmuspapier. In wenigen Tagen wurde der- selbe deutlich gerötet und zwar nicht nur an der Berührungsstelle mit der Nymphe, sondern auch jederseits derselben bis zu einem Abstand von etwa einem Zentimeter. Es ist: bemerkenswert, dass sich die Ausfärbung der Imago größtenteils im Imaginalstadium vollzieht, d. h. die frisch aus- schlüpfende Imago ist größtenteils rein weiß, nur Augen, Schienen, Tarsen, Mandibeln, Taster und der größte Teil der An- tennengeißel sind bei granulatus schon geschwärzt. 12. Zur vergleichenden Morphologie der Mundwerkzeuge. Meine Studien an den Larven von Carabus und anderen Co- leopteren-Gattungen veranlassten mich, im Zusammenhang mit denselben die Mundwerkzeuge der Käfer einer vergleichenden Unter- suchung zu unterziehen, zumal unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet 2, Verhoeff, Zur Kenntnis der (arabus-Larven. sehr viel lückenhafter sind als man das von so hervorragend wich- tigen Organen, noch dazu in der formenreichsten Tiergruppe an- nehmen sollte. Ich habe den Hauptwert darauf gelegt, einerseits die Organe der Larven und Imagines in Einklang zu bringen, anderseits jene Gesichtspun Se konsequent weiter durchzu- führen, welche in meiner Arbeit „Über vergl. Morphologie des Kopfes niederer Insekten, mit rakemilarsı Berücksichtigung der Dermapteren und Thysanuren, nebst biologisch-physiologischen Beiträgen“, Abh. kais. l. k. deutsch. Akad. d. Nat. (Nova Acta), Halle 1904, auseinandergesetzt worden sind. An dieser Stelle gehe ich auf das umfangreiche Thema nicht näher ein, sondern beschränke mich darauf, einige für die Auffassung der Mundwerkzeuge der Carabiden-Larven wichtige Verhältnisse kurz zu besprechen. Für die Beurteilung der Maxillopoden und Labiopoden (1. und 2. Maxillen) ist der Gegensatz von Öoxa und Telopodit (Taster) grundsätzlich bedeutungsvoll. Für eine kon- sequente Auffassung der beiden Maxillenpaare ergibt sich, dass die in zahllosen Fällen verständnislos als „Laden“ bezeichneten Organe, nachdem die Stammteile als Hüften erkannt worden sind, als Hüft- organe zu gelten haben, d.h. als Umwandlungen jener bei Myrıa- poden und Thysanuren so verbreiteten Gebilde, welche namentlich als Hüftsäcke und Styli bekannt sind. Demgemäß unterscheide ich äußere und innere „Laden“ als äußere und innere Hüftorgane oder Coxomerite. Hinsichtlich der Gliederung der Maxillopoden- hüften (Stipes 4 Squama —+- Lobi) in verschiedene Bestandteile, Exo-, Meso-, Endo- und Basocoxit verweise ich auf die Nova Acta 1904. Bei Onlednker en hat man diesen Bestandteilen der Maxillopoden- hüften bisher so wenig Beobachtung geschenkt, dass sie wohl kaum von von irgendeiner Form richtig und vollständig bekannt geworden sind‘ und zwar gerade mit Rücksicht auf die Imagines. Für einen Ver- gleich dieser Gebilde bei Larven und Imagines ist aber ihre genaue Kenntnis der beiden notwendige Vorbedingung. Dass nun bei den Carabiden die Homologie zwischen den Mundwerkzeugen der Larven und Imagines noch nicht vollständig erkannt worden ist, liegt für Maxillo- und Labiopoden namentlich an der unrichtigen Auffassung der als Palparium oder Tasterträger oder squama palpigera bezeichneten Gebilde. Bei den Carabiden besitzen Larven und Imagines übereinstimmend an den Maxillopoden vier Tasterglieder und die bisherige angebliche Ungleichheit erklärt sich dadurch, dass die „squama palpigera“ der Larven und Imagines nichts miteinander zu tun haben, indem fälschlich das Grund- glied der larvalen Maxillopodentaster für einen Taster- träger gehalten worden ist. Diese falsche Homologie entstand aber dadurch, dass man weder den Begriff der Coxite, noch die Ausgestaltung derselben in Abschnitte erkannt hat. Verhoeff, Zur Kenntnis der C(arabus-Larven. 33 Die Maxillopodeneoxite der Carabus-Larven machen zunächst einen entschieden einheitlichen Eindruck und bei vielen Coleop- teren-Larven sind sie auch durchaus einheitlich gebildet. Um so interessanter ıst es, dass sich bei den Carabus-Larven und zwar nach Stadien und Arten bald mehr bald weniger die unzweifelhaften Anzeichen eines Zerfalles ın die bei den Imagines vorkommen- den Abschnitte Endo-, Baso- und Exocoxit nachweisen lassen und zwar besonders deutlich z. B. bei Carabus coreaceus. Aus diesen Absetzungen der Larvencoxite, hinsichtlich deren genauer Beschrei- bung auf die ausführlichere Arbeit und deren Abbildungen verwiesen werden muss, ergibt sich aber mit aller Deutlichkeit, dass ein Exocoxit = Tasterträger bereits in dem anscheinend ein- heitlichen Maxillopoden-Coxit enthalten ist. Mithin ist das bisher als „Tasterträger“ bezeichnete Glied nicht dieses, son- dern das Grundglied der Taster (= Telopodit). Der tiefgreifendste Unterschied zwischen den Mundwerkzeugen der Larven und Imagines der Carabiden (aber auch vieler anderer Käfer) liegt in der Verbindung der Maxillopoden mit dem Kopf. Während dieselben bei den Imagines so dicht an den Schlund gerückt sind, dass ihre Coxite oben innen direkt und breit mıt dem Kopfe verwachsen sind, ein Verhalten, welches ım Hinblick auf die niederen Insekten als primäres zu gelten hat, sehen wir, dass bei den Larven die Maxıllopodenhüften keine direkte Verbindung mit dem Kopfe mehr besitzen, sondern nur mittelst der kurzen, gürtel- oder ringähnlichen CGardines mit ıhm verbunden sind. Diese tiefgreifende Verschiedenheit, mit welcher auch die bei den Larven kurzen und breit aufsitzenden, bei den Imagines längeren und nach grundwärts stielartig verjüngten Cardines harmonieren, entspricht den verschiedenen physiologischen Verhältnissen, namentlich dem engen Schlund und stechenden Mandibeln der Larven einerseits, sowie dem weiten Schlund und den schaufel- bis messerartigen Mandibeln der Imagines anderseits. Dazu kommen noch verschiedene andere hier unberücksichtigt bleibende Gegensätze. Die Anforderungen an die Maxillopodenhüften der Larven sind physiologisch vereinfacht, daher ist auch ihr Bau sekundär einfacher und pseudoprimär geworden. Hiermit harmonieren ferner die Gegensätze der Larven und Imagınes im Bau der Labiopoden: Den Carabus-Larven fehlt das Mentum vollständig, während die Labiopodencoxite zu einem Syncoxit verwachsen sind, welches physiologisch für jenes um so eher einen Ersatz bieten kann, als die Taster nur zwei- gliedrig sind. Bei den Imagines dagegen ist das Mentum sehr stark ent- wickelt und bildet nicht nur ein Widerlager, sondern auch eine 24 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Umfassung für die Labiopoden, deren größere Beweglichkeit so- wohl ın den dreigliedrigen Tastern als auch in den selbständigen Goxiten zum Ausdruck kommt. Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Von H. Schmitz S. J. (Sittard, Holland). Mit 7 Abbildungen. Es gibt eine Anzahl von Dipteren verschiedener Familien, die biologisch von Schnecken abhängig sind. Man kann sie in drei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe umfasst zeitweilige Endo- parasıten, Fliegen, deren Larven im Innern lebender Schnecken hausen. Zweitens finden wir Imagines als Epizoön, bisher nur durch Arten der afrikanischen Phoridengattung Wandolleckia ver- treten. Die dritte, umfangreiche Gruppe benutzt Schneckenkadaver zur Unterbringung der Brut; die betreffenden Dipterenarten sind also im larvalen Zustande Saprophagen mit spezialisierter Nah- rung: Schnecken-Nekrophagen. Diese Beziehungen zwischen Schnecken und Dipteren sind bisher noch nicht zum Gegenstand einer zusammenfassenden Dar- stellung gemacht worden. Auch die vorliegende Arbeit bietet kein vollständiges Material, ihr liegen vornehmlich die persönlichen Er- fahrungen des Verfassers zugrunde. Durch Studium der Literatur, besonders der malakologischen, die noch gar nicht auf diesen Punkt hin durchgesehen ist, ließe sich vielleicht noch einiges finden, was zu dem hier behandelten Thema gehört. Es würde am nächsten liegen, die drei genannten Gruppen der Endoparasiten, Epizoön und Nekrophagen der Reihe nach zu be- sprechen. Aus praktischen Gründen ist dies aber untunlich, weil bezüglich mancher Arten die Zugehörigkeit zu der einen oder andern Gruppe noch diskutiert wird. Darum sei eine andere, zweckmäßigere Stoffgliederung gewählt. l. Onesia cognata Meigen ein echter Schneckenparasit. Vor einigen Jahren unternahm ich es, gegen 600 Larven von Drilus flavescens Fourer. aus dem Ei zu züchten. Die Larven dieses interessanten Käfers nähren sich ausschließlich von Schnecken, die sie in ihrem Gehäuse belagern und bei lebendigem Leibe all- mählich auffressen. Die jüngsten Larven können natürlich nur ganz kleine Häuschenschnecken, etwa von 3--4 mm Durchmesser bewäl- tigen. Unerwachsene Exemplare von Hygromia hispida, Patula rotundata, Hyalinia cellaria u. a. dienen ihnen zur Speise. Ich bedurfte also für die Drilus-Zucht vieler Hunderter von kleinen Häuschenschneeken und verschaffte mir diese sehr einfach Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schneeken. 25 durch Kätschern ım nassen, hohen Grase eines bei Uanne südlich von Maastricht gelegenen Waldes. Besonders an regnerischen Tagen ım Mai und Juni enthielt der Streifsack sehr bald Unmengen von solchen Schnecken. Die geeigneten wurden ausgelesen und daheim haufenweise in die aus Gips verfertigten, oben mittels Glasplatte verschlossenen Behälter geschüttet, in denen sich die Drihıs-Larven befanden. Zu meiner Überraschung fand ich regelmäßig nach ein paar Wochen ın den Zuchtbehältern vereinzelte Exemplare einer blauen Fliege, Onesia cognata Meigen. Diese konnte nur als Larve mit den Schnecken hineingelangt sein, und da die Schnecken alle lebend gewesen waren — denn sie waren an Grasstengeln sitzend ge- kätschert worden — so mussten die Onesia-Larven sich in irgend- einer Weise auf Kosten lebender Schnecken entwickelt haben. So interessant mir dieses Ergebnis erschien, so wagte ich damals doch nicht es zu publizieren, weil ich den exakten Beweis, dass alle Schnecken gelebt und die Onesien sich parasitisch aus ihnen ent- wickelt haben mussten, nicht führen konnte. Infolge einer neuen Beobachtung aus den Monaten Mai und Juni 1916 ıst mir dies jetzt möglich. Am 25. Mai sammelte ich mit meinem Freunde J. Berndsen 8. J. in dem genannten Walde wiederum Schnecken mit Hilfe des Streif- sackes von Brennesseln, Gräsern u. dgl. Pflanzen. Einige wurden auch vom Boden aufgenommen. Die ganze Sammelausbeute kam ın eine Blechbüchse. Am 28. Mai sah ich mir deren Inhalt genauer an. Da traf ich eine junge Helix — ob hortensis oder nemoralis, ließ sich infolge der Jugend nicht entscheiden — tot und etwas angefault in ihrem Gehäuse, und darin eine Fliegenlarve. Diese streckte das Hinterleibsende mit den Stigmen aus der fauligen Jauche hervor, ähnlich wie ich es bei der Larve von Helieobosca muscaria Meig. früher gesehen hatte, war aber viel kleiner. Am 1. Juni ging sie freiwillig in die Erde zur Verpuppung. Ich er- wartete sicher eine Onesia cognata daraus hervorgehen zu sehen. — Aber die Imago, die am 25. Juni 1916 schlüpfte, war eine — Sarco- phaga haemorrhoa Meigen. Für die Enttäuschung wurde ich am gleichen Tage noch ent- schädigt durch das Schlüpfen einer wirklichen Onesia cognata. Ich hatte nämlich am 28. Mai aus dem von Maastricht mitgebrachten Material etwa ein Dutzend lebhaft umherkriechender Schnecken isoliert, die sämtlich mit der Lupe genau betrachtet wurden. Man sah äußerlich nichts Auffälliges an ihnen. Aber am 4. Juni war eine von ihnen, eine Patula rotundata von 6—7 mm Schalendurch- messer, tot und barg in ihrem Innern eine Fliegenlarve. Diese wuchs sehr schnell, wanderte aus dem Schneckengehäuse aus und verpuppte sich bald, um in der Nacht vom 25./26. Juni zu schlüpfen. 26 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Damit ist also der Parasıtismus von Onesia coynata unwiderleglich bewiesen. Es wird behauptet, dass alle echten Onesien larvipar seien!). Auf welche Weise das Weibchen von ©. cognata seine Larven ab- setzt, habe ich nicht beobachtet. Es sind a priori verschiedene Arten denkbar, wie die Larven an oder in die Schnecken gelangen. Durch Townsend (1908) wissen wir, dass larvipare Tachinen auf drei verschiedene Weisen ihre Brut auf die Wirtstiere übertragen: durch Absetzung der Larven auf dıe Haut des Wirtes, durch Einführung derselben unter die Haut des Wirtes und durch Absetzung der Larven auf Blätter, welche das Wirtstier besucht. Aus dem von mir Beobachteten lässt sich nur schließen, dass die Onesia-Larve tatsächlich ins Innere des Schneckenleibes gelangt und dass sie ın 10—12 Tagen den Tod des Wirtes verursacht. Bezüglich der Lebensgewohnheiten der Imago seı noch erwähnt, dass dieselbe dunkle, kühle und feuchte Orte aufzusuchen scheint. Drei Individuen fand ich zu verschiedenen Zeiten im Innern der Maastrichter Kreidetuffhöhlen, in denen es gar keine lebenden Schnecken gibt. Sıe hatten sich also sicher nicht zum Zwecke der Fortpflanzung hinein begeben. 2. Wahre und vermeintliche Schneekenparasiten in der dipterologischen Literatur. Was ist aus der bisherigen Literatur über das parasitische Verhältnis von Dipteren zu Schnecken bekannt? Der „Katalog der paläarktischen Dipteren“ von Becker, Bezzi, Kertesz und Stein kennt drei Arten als Schneckenparasiten: Sarcophaga haemor- rhoa Meıg., Helicobosca muscaria Meıig. und Melanophora helicivora Goureau. Von diesen ist die Sarcophaga-Art ziemlich sicher parasitisch, Melanophora ist zweifelhaft, Helicobosca muscaria sicher kein Parasit, sondern nekrophag. a) Die Angabe bezüglich Sarcophaga haemorrhoa geht auf Mik zurück. In der Wien. entomol. Zeitung (Vol. 9 [1890] p. 153) sagt dieser: „Eine zweite Art, welche ich ebenfalls von Prof. Bertkau erhielt, bestimmte ich als Sarcophaga haemorrhoa Meig. Es war ein Weibehen, das Prof. Bertkau aus einer jungen Helix hortensis gezogen hatte. Er schrieb mir hierüber folgendes: „Die Schnecke saß an einem Blatte, so dass wohl anzunehmen ist, dass die Larve der Fliege an die lebende Schnecke gelegt wurde.“ Es ist also eine Beobachtung ähnlich der oben von mir mit- geteilten. Die Sache lässt offenbar mit großer Wahrscheinlichkeit 1) Nach Schiner, Faun. austr. 1576 von Geoffroy und Robineau-Des- voidy beobachtet. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. 27 auf Parasıtismus schließen. Junge, eines natürlichen Todes ge- storbene Schnecken wird man schwerlich auf Blättern finden. b) Helicobosca muscaria Meig. wurde zuerst von Perris aus Schnecken (Helix pisana) gezüchtet. In seinem Bericht darüber (Mem. Soe. Sc. Nat. Lille 1850, p. 119) gibt Perris selber zu, dass er nicht entscheiden könne, ob Helicobosca ıhr „Ei“ — er wusste also nicht, ° dass sie larvipar sei an Schneckenkadaver ablege oder ob sıe lebende Schnecken infiziere. Im Jahre 1910 habe ich neue Beob- achtungen in dieser Richtung angestellt?) und gefunden, dass das trächtige Helicobosca-Weibchen sich um lebende Schnecken gar nicht kümmert. Es wartet, bis man ıhm einen faulenden Helix zur Brut- ablage anbietet. Während der Sommermonate setzt es ın Zwischen- räumen von etwa 14 Tagen jeweils eine 5 mm große Larve ın je einen Schneckenkadaver ab. Die Gesamtzahl der lebendgeborenen Larven ist gering. Diese wachsen schnell und verwandeln sich nach 4—5 Wochen in ein Puparium. Meist kriecht die Larve zu diesem Zwecke in die Erde; in einzelnen Fällen jedoch haben Rosenberg?) und ich die Puparien in dem Schneckenhaus selbst nahe der Mündung angetroffen. Die Imagines erscheinen meist erst ım nächsten Jahre. ‚Es ist also ein Irrtum, wenn der Katalog der paläarktischen Dipteren (Vol. 3, p. 490) Helicobosca muscaria zum Parasiten von Helix arbustorum, pisana und pomatia stempelt. c) Aber auch der Parasitismus von Melanophora helicivora Goureau ist zweifelhaft. In dem Originalbericht Goureau’s (Annales Soc. ent. France 12,” Vol. 12 11843]... pP. 74, 2.Note sur un Diptere dont la larve vit dans l’Helix conspurcata) wird mit keinem Worte gesagt, dass die Schnecken lebendig gewesen seien; es lässt sich dies nur nach dem ersten Satz, und nur mit großer Unsicher- heit mutmaßen. Dieser Satz lautet: Pendant l’et& de 1842, jaı reeueilli et renferme dans un cornet de papier, sept coquilles de Helix conspurcata, que l’on trouve frequemment fixee contre les murs et les tiges des arbres ä la campagne pendant cette saison. Hat er sie auch so gefunden? Wenn ja, ist das ein sicheres Anzeichen, dass die Schnecken lebten? Falls Goureau lebende Schnecken eingesammelt hat, die in ähnlicher Weise wie in dem von mir beobachteten Falle, mit endo- parasitischen Dipterenlarven infiziert waren, so muss man nach seiner weiteren Darstellung annehmen, dass diese Melanophora- Larven nicht nur den Tod der Schnecken verursachten, sondern auch den Schneckenleib auffraßen. Denn Goureau spricht weiter 2) Zur Lebensweise von Helicobosca muscaria Meg., in: Zeitschr. f. wiss. Insektenbiologie. Vol. 6 [1910], p. 107—109. 3) Rosenberg, Drilus eoncolor, Hunnens Foryandling i Skallen af Helix hortensis in: Fntom, Meddelelser 1909, p. 231. 38 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. immer nur von den coquilles, und diese scheinen, als er die Papıer- düte öffnete, leer gewesen zu sein. Denn er sagt: Sur la fin de janvier 1843, j’aı ouvert ce cornet, et j y aı trouve, outre les coquilles, sıx dipteres de la m&me espece, ou plutöt sıx cadavres de Dipteres. Ferner p. 78: Pour m’assurer si effectivement la larve et la chry- salıde avaient vecu dans Helix, jaı brise une des coquilles, et jai trouve dans le fond du dernier tour de la spire, la place oceupee par la chrysalide... Darum fasst er auch S. 79 seine Beobachtungen folgendermaßen zusammen: „...ce qui me parait certain, c’est que le diptere en question depose ses aufs dans "Heh:x conspurcata, un seul auf dans chaque coquille; que la larve qui en sort devore le mollusque, qu’elle se change en chrysalide dans Vinterieur de la spire a la hauteur du quatrıeme tour, et que Uinsecte parfait en sort dans l’automne.“ Ich kann aber nicht be- greifen, wie eine so kleine Larve eine Xerophila conspurcata voll- ständig leer zu fressen vermag. Die von mir beobachteten, jeden- falls größeren Larven von Sarcophaga haemorrhoa und Onesia cognata vermochten das nicht einmal bei kleineren Schnecken, sondern ver- ließen das Gehäuse lange bevor der Kadaver ganz verzehrt war. Die Angaben «oureau’s bedürfen also wohl einer Nachprüfung. Bis dahin gilt bezüglich des Parasıtismus von Melanophora helei- vora: Non lıquet. d) Aus der entomologischen Literatur kenne ich noch einige Angaben über parasitische Dipterenlarven in Schnecken, die von mir selber stammen. In Zeitschr. f. wiss. Insektenbiologie Vol. 6 (1910), p. 109 be- merkte ich nebenbei: „Es gibt auch Fliegenlarven in lebenden Schnecken; ich habe solche aus Arion empiricorum ın Sıttard und aus Helix adspersa in Luxemburg wahrgenomnien, aber nicht ge- züchtet, weshalb ich über die Art nichts mitzuteilen vermag.“ In Sittard hatte ich 1903 folgendes beobachtet. Etwa im August nahm ich aufs Geratewohl einen auf einem Gartenwege umher- kriechenden roten Arion mit nach Hause und setzte ihn in eine trockene Holzschachtel. Nach einem oder einigen Tagen fand ich ihn sichtlich geschrumpft — wohl nur infolge der Trockenheit — aber noch lebend. Auf der Unterseite des Tieres, mitten ın der Sohle, bewegte sich ein Pünktehen. Ich griff zur Lupe und sah, wie eine Fliegenlarve von mittlerer Größe sich aus dem Innern der Schnecke herausarbeitete. Schon nach ein paar Stunden ver- wandelte sie sich in eine Tönnchenpuppe. In Luxemburg hatte ich 1906 auf einem Dorffriedhof bei Schötter-Marial lebende Heliees von Brennesseln gesammelt. Sie wurden dem Konservator des Luxemburger Museums für Natur- kunde, Herrn V. Ferrant, übergeben, der sıe als Heli.r adspersa bestimmte und die Tiere lebend in eine kleine Flasche steckte. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. 39 Nach einigen Tagen zeigte mir Herr Ferrant etwa !/, Dutzend ziemlich großer Fliegenlarven, die aus den Schnecken hervorgekommen waren. Wir vermuteten, dass es Larven irgendeiner Tachinide seien. In Tijdschr. v. Entomologie (Vol. 51, p. LVII) bezeichnete ich es als sehr wahrscheinlich, lo auch einige Paraspiniphora- Arten wirkliche Schmarotzer von Helix pomatia seien. Ich fand nämlich bei Maastricht im Winter ein Gehäuse, das mit einem Kalkdeckel fest verschlossen war. Man hätte also glauben sollen, es enthielte eine lebende Schnecke. Tatsächlich aber war es voll von Puparien von. Ft uraspiniphora bohemanni Beck. und „exeisa* Beck. Es schien mir damals nicht möglich, die Sache anders zu erklären als durch die Annahme, dass die Schnecke ım Herbst noch lebend von den Phoriden infiziert worden sei und dann noch Zeit und Kraft hatte, ihr Häuschen mit einem Epiphragma zu versehen; erst dann wäre sie von den parasitischen Larven aufgezehrt worden. Heute kann ich diese Ansicht nicht mehr aufrecht erhalten. Es ist viel- mehr zu vermuten, dass die betreffenden Phoridenweibchen den Kadaver der in eingedeckeltem Zustande gestorbenen Schnecke ge- rochen und ihre Eier an dem Rand zwischen Deckel und Schale von außen abgelegt haben. Die auskriechenden Larven werden sieh durch winzige Poren oder Spalten ıns Innere des Gehäuses begeben haben. Ich muss dies annehmen, weil ich seither in zahl- losen Fällen die Paraspiniphora-Arten mit faulenden Schnecken angelockt und zum Eierlegen veranlasst habe. P. bohemanni Becker habe ıch allerdings seither nicht wieder beobachtet, um so öfter P. excisa Becker, welche nichts anderes ist als das J von P. bergen- stammi Mik, wie wir sehen werden. e) Außer den bisher angeführten Dipteren-Arten sind noch folgende aus Schneckenhäusern unter dem Verdacht des Parasitis- mus gezüchtet worden: Salticella (Luecina) fasciata Meigen, von Perris (Mem. Soc. N. Scı. Lille 1550, p. 119) unter den gleichen Umständen wie Helico- bosca muscaria Meigen erhalten. Die Frage, ob die Larve nicht vielmehr Aasfresser seı als Parasıt, ıst bis heute nicht entschieden. Sarcophaga carnaria L. Wird von Mık im Zusammenhang mit S. haemorrhoa (s. oben) nebenbei angeführt: „Ich erwähne hier noch, dass Portschinsky Sarcophaga atropos Meigen aus Helix on und Brischke Sarcophaga carnaria aus Bernstein- schnecken gezogen hat.“ 8. alropos wird jetzt als Synonym zu 8. carnaria gestellt, so dass es sich ın beiden Fällen um dasselbe Tier handelt. Portschinsky hat später selbst Näheres über jene Sar- cophaga-Zucht berichtet (Hor. Soc. Entom. Rossicae Vol. 21 |1887], p. 17), leider nur in russischer Sprache. Ich konnte nicht ent- scheiden, ob die Schnecken nach seinem Bericht lebend oder tot 30 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. waren, als sie von den Fliegen infiziert wurden. Es handelte sich um Schneckenhäuser, die König aus dem Kaukasus mitgebracht hatte. Sarcophaga setipennis Rondanı. Von mir einmal aus einem „leeren“ Schneckenhause aus der Gegend von Zaragoza (Spanien, P. L. Naväs leg.) gezüchtet. Möglicherweise ein echter Parasit. Die Art soll vorzugsweise ın Südeuropa vorkommen; ich habe sie aber auch ın Holland ın der Umgegend von Sıttard festgestellt (Entom. Berichten Vol. 2, Nr. 33 [1907], p. 155). Sarcophaga noverca Rondanı. Von mir einmal am 9. August 1909 aus einer toten Helix ın Maastricht gezüchtet. Diese Art ist neu für die niederländische Fauna. Das Tier wurde von einem Spezialisten, Dr. J. Villeneuve in Rambouillet, determiniert ®). f) Über Helicobia helieis Townsend, eine nordamerikanische Sarcophagıde, siehe die Bemerkung im Nachtrage. 3. Die Dipterofauna abgestorbener Häuscehensehnecken. Sammelt man zu irgendeiner Jahreszeit, vorzüglich aber gegen Ende des Winters, an schneckenreichen Örtlichkeiten „leere“, d.h. scheinbar leere Schneckenhäuschen, so kann man in denselben eine bunt zusammengewürfelte Arthropodengesellschaft antreffen. @ze- dius- und andere Käferlarven, Pseudoskorpione, Milben, isolierte Myrmieca-Königinnen mit ihrer Erstlingsbrut haben sich hier ver- steckt, Lepidopteren- und Dipterenlarven sind in die Sackgasse der immer enger werdenden Windungen hineingeraten. Dazwischen findet man, an der Regelmäßigkeit ihres Auftretens leicht kennt- lich, die Larven und Puppen der gesetzmäßigen Schneckenverzehrer. Nicht minder lehrreich ist es, im Sommer an einer schattigen Waldesstelle eine größere Anzahl von in kochendem Wasser ge- töteten Häuschenschnecken als Köder auszulegen und die Insekten- fauna zu beobachten, die sich ım Laufe der nächsten Wochen dabeı einfindet. Mistkäfern, Staphyliniden, Silphiden und deren Larven, besonders Aasflıegen ın allen Entwicklungsstadien wird man be- gegnen. Unter den letzteren sind die wenigsten ausgesprochene Schneckenliebhaber; die Sepsis-, Borborus-, Sphaerocera und Limosin«- Arten, verschiedene Vertreter der Gattungen Heleomyxa (Leria), Dryomyxa, Pericoma, Aphiochaeta würden sich ebensogut bei jedem andern Aase einfinden, um davon zu schmausen und ihre Eier unterzubringen. Als meines Erachtens zufällige Schnecken-Sapro- phagen nenne ich speziell Aphiochaeta rufipes Meig.’), Philosepedon phalaenoides L. und Homalomyia canicularis L., die von Keilin 4) Herr Dr. Villeneuve hatte auch die Güte, meine Determination von Onesia cognata Meigen zu kontrollieren. 3 5) Auch von mir in Maastricht und Sittard an faulenden Schnecken ange- troffen. Die Larve lebt übrigens saprophag in den verschiedensten Stoffen anima- lischer und vegetabilischer Herkunft. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. 31 (Bull. seient France Belgique (7), Vol. 44 [1911|, p. 30) erwähnt werden und Sceiomyxa einerella Fallen, die ıch einmal aus einem Schneckenhause der Gegend von Zaragoza erzog. Anders liegt die Sache beı Aphrochaeta ruficornis Meıgen. Da diese Phoride trotz anscheinend weiter Verbreitung ziemlich selten ist, so erscheint es sehr auffallend, dass ıhre Larve ın Paris von Keilin ın Mengen aus Schneckenkadavern gezüchtet werden konnte. Zur Verpuppung verlässt das Tier das Schneckenhaus und heftet sich auf Gegenständen der Umgebung an (Bull. Sc. France Belg. (7), Vol. 44 [1911], p. 76—78). Es wäre nicht zu verwundern, wenn diese Aphiochaeta-Art sich später als gesetzmäßige Verzehrerin toter Schnecken herausstellte. . Gegenwärtig müssen als gesetzmäßige Vertilger von Schneckenaas, außer den bereits in Abschnitt 2 als nur vermeintliche Parasiten gekennzeichneten Arten, mit Sicherheit folgende betrachtet werden: die Psychodide Phülosepedon humeralis Meigen und verschiedene Arten der Phoridengattung Paraspiniphora Malloch. Philosepedon humeralis Meigen wurde zuerst von Westwood, dann von Verrall aus toten Schnecken gezüchtet, worüber Eaton‘) berichtet. Nach Schiner’) soll Gimmerthal 1848 die Larve aus faulenden Kartoffeln erhalten haben, eine Angabe, die mir wenig zuverlässig erscheint. Die damals vorhandenen Beschreibungen der Psychoda-Arten waren ungenügend, und so war ein Bestimmungs- fehler gar zu leicht möglich. Es ist kein Zweifel, Ph. humeralis gehört zu der gesetzmäßigen Fauna der Schneckenhäuschen. Ich erzog sie aus solchen, die von Lissabon, Zaragoza und Maastricht stammten. Die Exemplare von der Pyrenäenhalbinsel haben eine viel hellere Flügelbehaarung, die von Lissabon sind außerdem er- heblich größer als die holländischen Stücke. Es ıst möglich, dass sich eine besondere Art darunter verbirgt. Die Larven von Philosepedon humeralis trifft man sowohl im Früh- lıng als ım Herbst. Sie scheinen noch unbeschrieben zu sein°). Von den Phoridenlarven, mit denen sıe öfter in derselben Schnecke zusammen hausen, sind sie als eucephale Mückenlarven natürlich leicht zu unterscheiden. Sie tragen Querreihen von auffallend langen, nach hinten gebogenen Borsten. Die eigentlichsten Totengräber unserer Häuschenschnecken sind unstreitig die Phoriden. 6) In seiner trefflichen Monographie der engl. Psychodiden: A Synopsis of British Psychodidae, in: Entomol. Monthl. Mag. (2),. Vol.4 (1893), p.5—8, 31--34, 120—130.. Vol. 5 (1894), p. 22—28. Vol. 9 (1898), p. 117—125, 154—158. 7) Fauna austr. Dipt. Vol. 2, p. 636. S) Die Beschreibung der Larve von Ps. alternata Say (= sewpunctata Uurt.) s. bei J. A. Dell, The structure and life history of Psychoda sexpunetata Curt. Transact. Ent. Soc. London 1905. p. 293—311. 32 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Es war schon länger bekannt, dass zwei ihrer Arten die Eier regelmäßig an Schneckenkadaver ablegen, Ph. maculata Meigen und Ph. bergenstammi Mık. In neuerer Zeit wurde ıch darauf auf- merksam, dass auch noch andere, zum Teil sehr seltene Phoriden- arten aus Schneckenhäusern gezüchtet werden können. Was nun die Sache besonders interessant macht, ıst, dass alle diese Arten systematisch viel näher verwandt sind, als man bislang vermutete. Sie gehören ausnahmslos ın die Gattung Paraspiniphora Malloch. Es ist dies eine jener Gattungen, welche von Malloch seit 1909 durch Aufteilung der alten Gattung Phora geschaffen worden sind. Die Aufteilung war aus praktischen Gründen ein dringendes Bedürfnis und geschah, so gut es ging, nach gewissen Unterschieden der Flügel- und Schienenbeborstung u. dergl. Merkmalen, die manchen Dipterologen nicht sehr wesentlich erschienen seın mögen; infolge- dessen ıst denn auch diese Nomenklatur noch nicht allgemein an- erkannt. Es ıst aber eine Tatsache, dass die Malloch’schen Gat- tungen, deren morphologische Diagnosen sich übrigens noch ver- bessern lassen, auch durch sehr bemerkenswerte inneranatomische Unterschiede getrennt sind, z. B. im Bau der Malpighischen Ge- fäße?). Dazu kommen nun offenbar noch biologische Eigentüm- lichkeiten !P). Das biologische Merkmal von Paraspiniphora ist sicher die Entwicklung der Larven ın toten Häuschenschnecken. Aus faulenden Helix pomatia, H. hortensis, H. nemoralis und Arianta arbustorum habe ich folgende Paraspiniphora-Arten ge- züchtet: P. maculata Meigen — Maastricht, Sıttard, Lissabon. P. bergenstammi Mık — Maastricht, Oosterbeek b. Arnheim, Nymwegen. [P. exeisa Becker = bergenstammi Mik d — Maastricht.| P. immaculata Strobl = dorsalis Becker — Maastricht. P. bohemanni Becker — Maastricht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch die übrigen europäischen Arten sowohl wie die nordamerikanischen mit der Zeit aus faulen- den Schnecken werden gezüchtet werden. Der Versuch hierzu ist noch zu wenig gemacht worden. Keılin hat in Paris durch 9) Vgl. Schmitz, Wie erklärt sich die Dreizahl der Malpighischen Gefäße bei Termitoxenia Wasm.? in: Anat. Anz. Vol. 49 (1916), p. 329—335. Ich habe neuerdings auch Paraspiniphora immaculata Strobl und Dohrniphora concinna Meigen untersucht. Bei ersterer sind 3 sehr lange, bei letzterer 2 Exkretions- röhren vorhanden. Es tritt also immer klarer hervor, dass jede Gattung ihren be- sonderen Typus hat, der vermutlich allen ihren Arten gemeinsam ist. 10) Alle Arten der Gattung Chaetoneurophora Malloch kann man im Früh- linge unter toten Maulwürfen fangen. Sie halten sich fast nur auf dem Erdboden auf, fliegen ungern u.s. w. Nach Wood sind alle Zrupheoneura-Arten Aasfresser, die im Herbst erscheinen. Bei Dohrniphora Dahl fällt es nachgerade auf, wie viele ihrer tropischen Arten gesetzmäßige Termitophilen sind u. s. w. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. 33 Zuchtversuche P. bergenstammi Mik, P. maculata Meigen (seine Phora Nr. 1) und eine Art von Puparien erhalten, die er Phora Nr. 2 nennt und als möglicherweise zu P. bohemanni gehörig be- trachtet, die aber tatsächlich weder dieser noch sonst einer von den oben genannten Paraspiniphora-Arten angehören können. Das ist also wahrscheinlich schon die fünfte Art dieser Gattung, deren Larven in faulen Schnecken leben. Von einer sechsten Art werde ich weiter unten die Puparien beschreiben, die ıch aus Lissabon erhielt und leider nicht bis zur Imago fortzüchten konnte., Bevor wir die Paraspiniphora-Arten einzeln durchgehen, sei im allgemeinen bemerkt, dass bei ihnen eine direkte morphologische Anpassung an die Brutversorgung vorhanden zu sein scheint ın Form eines besonderen Geruchsorganes auf der Oberseite der Maxillartaster. Es findet sich bei den einzelnen Arten in verschieden starker Entwicklung und dient zur Aufspürung des Schneckenaases. Makroskopisch ist es insofern bemerkbar, als der Taster an der Oberseite wie abgeschnitten oder wie ausgehöhlt aussieht. Bei ge- nauerem Studium stellt es sich dar als eine einfache oder aus Abteilungen zusammengesetzte Mulde, aus der oft Hunderte von farblosen Stiften hervorragen. Bei Färbung z. B. mit Alaunkarınin zeigt sich, dass ein verhältnismäßig breiter Nervenstrang in den Taster eintritt und sich dann ausbreitet; an der Basıs jedes Stiftes wird ein Kern sichtbar. Außerhalb der Gattung Paraspiniphora kommt ein ähnliches Organ bei Phoriden nur ın wenigen Fällen vor, nämlich bei Arten der Gattung Hypocera Lioy, ferner bei Thaumatoxena Breddin et Börner und Kuryphora madagascarensis Schmitz. Die Metamor- phose der meisten Hypocera-Arten ıst unbekannt; aber gerade von einer afrikanischen Art dieser Gattung, bei welcher jenes Riech- organ sehr schön ausgebildet ist, MHypocera molluseivora Schmitz, wissen wir, dass deren Larven ganz wie die unserer Paraspini- phora-Arten ın faulenden Weichtieren ihre Entwicklung durch- machen ''. Bei Thaumatoxena und Keuryphora ıst das betreffende Organ offenbar eine Anpassung an die termitophile bezw. myrme- kophile Lebensweise. Die verschiedenen Paraspiniphora-Arten werden von einem Parasıten aus der Familie der Braconiden heimgesucht, dessen Larve man oft an Stelle der Fliegenpuppe findet, wenn man das Puparium öffnet. Äußerlich erkennt man. die infizierten Puparien oft daran, dass keine Prothorakalkörner hervorstehen. Ein absolut sicheres Zeichen der Anwesenheit des Parasiten ist dies freilich nicht. In 11) Vgl. H. Schmitz, Neue Phoriden aus Belgisch-Kongo, gesammelt von Dr. Jos. Bequaert, in: Zool. Mededeel. (Leiden), Vol. 2 (1916), p. 7—10. Dort ist auch in Fig. 3 die Oberseite des Maxillartasters mit der Sinnesgrube abgebildet. 37. Band 3 >4 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. einzelnen Fällen trıtt der Tod der Puppe erst nach dem Hervor- strecken der Hörner, welches nach Keilin’s Beobachtungen bei P. bergenstammi Mık 50—52 Stunden nach dem Anfang der Nym- phose stattfindet, ein. Anderseits kann auch bei gesunden Puppen das Hervorstrecken der Hörner unterbleiben, indem der Durchbruch an der präformierten Stelle (auf der Grenze zwischen 1. und 2. Ab- dominaltergit) misslingt. Keilin |. e., p. 54. Die Puppe stirbt alsdann den Erstickungstod. Bei der nun folgenden Besprechung der einzelnen Paraspini- phora-Arten lässt sich die Hereinziehung von Momenten, die mehr der deskriptiven Systematik angehören, nicht ganz vermeiden. Sıe wird übrigens andern die Orientierung bei biologischen Beobach- tungen auf diesem Gebiete erleichtern. a) Paraspiniphora maculata Meigen. Die Metamorphose dieser Art ıst bereits von Dufour entdeckt und beschrieben worden '!?). Ich halte sie für die am weitesten verbreitete Art der ganzen Gattung und glaube, dass sie nirgends fehlt, wo es Helix-Schnecken gibt. Sie erscheint aber schon Ende Winter, ın Holland bereits an milden Februartagen und von da bis in den Mai hinein; viel- leicht hat sie nur eine Generation jährlich. Entsprechend ihrer ausgedehnten Verbreitung zeigt sie sich nıcht wenig variabel; der dunkle Fleck an der Gabel der 2. Längsader des Flügels, dem das Tier seinen Namen verdankt, kann gänzlich fehlen. Auch gibt es Exemplare mit nur 1 Paar Dorsozentralen. Das Puparıum von P. maculata ıst ausführlich von Keilın be- schrieben worden (1911), denn zu dieser Art gehört tatsächlich seine Phora Nr.1. Die Hauptmerkmale, dıe Keılin gefunden hat, kommen ın der weiter unten mitzuteilenden Bestimmungstabelle der Paraspiniphora-Puparien vor. b) Paraspiniphora bergenstammi Mık. Nächst P. maculata wohl die am weitesten verbreitete Art. Entwickelt sich vom Frühling bis in den Herbst in mehreren Generationen. Die ganze Ontogenese wurde von Keilin (1911) aufs Genaueste beschrieben. Die Larve zeichnet sich vor allen übrigen der Gattung aus durch Reichtum und Mannigfaltigkeit der kutikularen Bildungen, die meist mit Nervenendigungen in Verbindung stehen. Die Imago ist in verschiedener Hinsicht variabel. Zunächst in der Körpergröße. Die kleinen Exemplare sind wahrscheinlich Hungerindividuen, die als Larven ın einem mit zu vielen Konkur- renten besetzten Schneckenhaus an Nahrungsmangel litten. Die Färbung der Thorax- und Abdomenoberseite schwankt beim Weibh- chen zwischen Rotbraun und Schwarz; beim Männchen ist wenigstens der Hinterleib, außer an der Basis, immer schwarz. Die weißlichen 12) Soc. N. Sei. Lille 1841, p. 420. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. 35 Säume an den Hinterrändern der abdominalen Tergite sind bald breiter, bald schmäler, bisweilen ganz fehlend. Verdunklung der Fühler, Taster, Beine und des Analanhanges beim Männchen kommt öfter vor. Das beste Artmerkmal ist die Beborstung der hinteren Tibien, an welchen ganz konstant 2 lange Endsporne und 4 Einzelborsten vorhanden sind: 1 lange dorsale auf der Mitte, 2 anterodorsale je am Ende des ersten Viertels und unmittelbar vor der Spitze, 1 antero- ventrale. Stärke und Stellung der letzteren sind variabel. Gewöhnlich steht sie nur wenig oberhalb der Mitte; nicht selten findet man sıe aber mehr proximal oder mehr distal eingepflanzt. Sie kann leicht ganz übersehen werden, teils weil sie bisweilen bıs zur Form eines Haares abgeschwächt erscheint, teils weil sie ın einer ihrer Gestalt entsprechenden Rinne der Tibie fest anliegen kann. Auch das Flügelgeäder ıst nicht so konstant, wie man bisher ange- nommen hat. Fig. 1 zeigt den Flügel eines kleinen d, Fig. 2 den eines großen 9. Man sieht, dass die vierte Längsader beı letzterem an der Basis stärker gebogen ist. Be- Fig. 1. Flügel von Paraspiniphora sonders aber fällt es auf, dass der ne kleines S. : ne rom) erste Randaderabschnitt bei Fig. 2 N RS 3 } her‘ anderthall j Fie- 2. Flügel von Paraspiniphora nur etwas über anderthalbma De länger'°), bei Fig. 1 dreieinhalbmal Verer. 15 \ länger ıst als der zweite Der Unterschied ist jedoch kein sekundär sexueller. Es kommen allerdings auch merkwürdige Geschlechtsunter- schiede bei P. bergenstammi vor, wie sie sonst bei Phoriden nicht beobachtet werden. Bereits Malloch hat nachgewiesen, dass das d am Thorax nur 1 Paar Dorsozentralborsten besitzt, während das 0 2 Paar hat (Ann. of Scott. Nat. Hist. April 1910, p. 21). Ich kann dies auf Grund meines umfangreichen Materials nur be- stätigen. Es ist also sicher ein Irrtum, wenn Becker beiden Ge- schlechtern 2 Paar Dorsozentrale zuschreibt. Vielleicht gibt es sogar 13) Fig. 2 ist ganz der Flügel von P. eweisa bei Becker l.c. Taf. I Fig. 19. Das Tier, von dem er stammt, ist aber eine absolut echte P. bergenstammi Mik 2 von Oosterbeek b. Arnheim. co 36 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Weibchen, die nur 1 Paar besitzen; Exemplare, bei denen eine der beiden vorderen Dorsozentralen fehlt, habe ıch mehrfach. Ein anderer Geschlechtsunterschied betrifft die Ausbildung des Prätarsus. Während dieser bei den Weibchen auffallend groß ist!) — die Klauen sind lang und teilweise bandförmig plattgedrückt, das Empodium bildet eine riesige, ım Halbkreis gebogene Borste — ist der männliche Prätarsus klein, an den Hinterfüßen sogar winzig. Ich führe alle diese Unterschiede an, um die oben ausgesprochene Ansicht zu begründen, dass Paraspiniphora exeisa Becker g nichts anderes ist als das J von bergenstammi Mık. Nach dem Gesagten wird es nicht mehr nötig sein, die von Becker angegebenen ercisa- Charaktere einzeln zu diskutieren; ıch erwähne nur noch, dass sich in meiner Sammlung eine Serie von P. bergenstammi gg aus Maastricht befindet, die Becker selbst als excisa determmniert und etikettiert hat. Ähnlich wie Becker hat auch Wood das Z von P. bergen- stammi für eine neue Art gehalten und als Phora domestica ın The Entomol. Month. Mag. (2), Vol. 17 (1906), p. 262 beschrieben. c) P. immaculata Strobl = dorsalis Becker. In den letzten Jahren habe ich diese schöne Art ın zahlreichen Exemplaren beiderleı Geschlechts aus Helix-Häuschen der Maastrichter Gegend gezüchtet und 2 Generationen jährlich festgestellt. Die Larven und Puparien gleichen denen von P. bergenstammt. Das Puparium ıst bald heller bald dunkler gefärbt, bernstein- gelb bis dunkelbraun, lanzettförmig mit abgestutztem Vorderende (vgl. Fig.5, von der Seite: Fig. 6, von oben). Bauchseite (in Fig. 5 nach links gewendet) konvex, Rückenseite flach. Hinterende meist dorsal aufgebogen, nur ausnahmsweise, wie bei den ın Fig. 5 und 6 dargestellten Exemplaren, gerade ausgestreckt. Prothorakalhörner lang. Gesamtlänge des ım Fig. 6 dargestellten Pupariums 8 mm, - größte Breite 2,8 mm. Von den larvalen Körpersegmenten sind Kopf und Prothorax eingestülpt. Meso- und Metathorax oben sehr dünnwandig, fast glasartig (man sieht daher in Fig. 6 ın der Mittellinie des Meso- thorax die Mundhaken der Larve schwarz durchscheinen). Die ersten 6 Abdominalsegmente alle von gleicher Bildung. Jedes ıst durch % feine Querrinnen in 3 hintereinander liegende Abschnitte einge- teilt, von denen der mittlere je 4 Papillen trägt, 2 dorsale und 2 laterale. An der Spitze jeder Papille steht ein Bündel von 4, seltener 5 kräftigen Chitinhaaren, die meist kürzer, selten etwas länger sınd als die Papille selbst. Ähnliche Papillen hat auch Larve und Puparium von Para- spiniphora bergenstammi (Formation e von Keilin). Sie sind aber 14) An den beiden vorderen Beinpaaren; an «den Hinterfüßen ist er oft nur von normaler Größe. Schmitz; Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. a7 bei P. üömmaenlata viel kleiner und viel weniger auffallend. Das- selbe gilt in noch höherem Grade von den anderen Kutikular- anhängen, die Keilin am Integument der bergenstammi-Larve be- schrieben hat. Es bedarf einer genauen mikroskopischen Betrachtung, um bei immaculata die sternförmigen Papillen (a bei Keilin) auf dem 3. Abschnitt der Hinterleibssegmente zu entdecken, während diese, wıe auch die Querreihen langer Chitinhaare (2 bei Keilin) bei bergenstammi so stark hervortreten, dass sie der Larve eın scheinbar ganz anderes Gepräge verleihen. 3. 4. D. 6. Fig. 3. Paraspiniphora bohemanni, leeres Puparium v. d. Seite. Fig. 4. Dasselbe, von oben. Fig. 5. Paraspiniphora immaculata, leeres Puparium v. d. Seite. Fig. 6. Dasselbe, von oben. Das 7. Abdominalsegment unterscheidet sich von den vorher- gehenden dadurch, dass es hinten nicht durch eine Furche vom folgenden abgegrenzt ıst; der auf den papillentragenden mittleren Abschnitt des 7. Tergits folgende Abschnitt ıst mit dem breiteren Vorderteil des 8. und letzten Segmentes verwachsen, wie es Keilin auch von P. bergenstammi angibt. Am 8. Segment lassen sich 3 Abschnitte unterscheiden; der vordere ist breiter als lang, in der Mitte oben stärker chitinisiert, seitlich mit 2 zapfenförmigen wirtelig behaarten Anhängen versehen; er trägt auf der Unterseite die Analöffnung. Der zweite Abschnitt ist röhrenförmig, viel länger als breit und hat am Hinterrande ventral 2 längere, lateral 2 kürzere Zapfen; der dritte ist bei der Puppe größtenteils in den vorhergehenden eingestülpt und trägt an seiner Spitze die beiden Stigmenöffnungen. Der beim Schlüpfen der Imago abgehobene Deckel ist morpho- logisch demjenigen von T. bergenstammi vollständig homolog; er erstreckt sich über 4 Segmente, nämlich Metathorax, 1.—3. Abdo- minaltergit. Während die vordere Grenze mit derjenigen des Meta- lo Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. thorax zusammenfällt, verläuft der hintere Deckelrand quer durch den 3. Abschnitt des 3. Abdominaltergits, aus letzterem ein bogen- förmiges Stück ausschneidend, auf dem sich die diesem Abschnitt eigentümlichen sternförmigen Papillen « befinden. d) Paraspiniphora bohemanni Becker. Eine Phoride, die nur in sehr wenigen Sammlungen vertreten und bisher nur durch Becker’s Beschreibung des 9 (Die Phoriden, Wien 1901, p. 27) bekannt ıst. Malloch stellte sie mit Recht zu seiner Gattung Paraspiniphora; es ıst aber zu bemerken, dass sie von den meisten übrigen Arten dieser Gattung ım Habitus stark abweicht. Besonders auffallend sind die lang behaarten Mesopleuren mit langer Borste am Hinterrand. Diese findet sich auch bei P. erythronota Strobl. Vielleicht bilden bohemanni und erythronota eine eigene Gruppe innerhalb der Gattung. Auch das Puparıum (die Larve fand ıch noch nicht) von P. bohemanni weicht ganz ab (Fig. 3 von der Seite, Fig 4 von oben; bei beiden ohne das beim Ausschlüpfen abgesprengte Deckelchen). Die Form ıst sehr breit und flach, an den Enden ın weitem Bogen abgerundet, das Kopfende flach ausgestreckt, die Abdomenspitze dorsal umgebogen. Bei der gewölbten Oberseite liegt die höchste Stelle in der vorderen Hälfte, im 3. Abdominalsegment; dieses hat auch die größte Breite. Unterseite im Sinne der Medianlinie flach; quer etwas gewölbt, besonders an den ersten 3 Abdominalsegmenten, die Seitenrandlinie erscheint beı lateraler Ansicht (Fig. 3) in einem ähnlichen Bogen geschwungen wie die Rückenmediane, doch schwä- cher. Man kennt diese Form bisher nur von Puparien der Gattung Aphiochaeta Brues. Länge und größte Breite des Pupariums Fig. 4 sind 6,3 bezw. 3,5 mm. Ober- und Unterseite sind ganz verschieden gefärbt, erstere tiefschwarz und glänzend, letztere hell gelbbraun mit schwarzem Saum. Segmentgrenzen sind auf der Oberseite schwieriger zu er- kennen als bei den andern Arten; sie sind aber vorhanden und auch die Dreiteilung jedes Segmentes ist bei günstiger Beleuchtung wahrzunehmen. Auf der Grenze zwischen je 2 Segmenten schiebt sich vom Rande her eine schmale dreieckige ın der Richtung zur Körpermediane hin auskeilende Fazette ein. Die ganze Oberfläche ist ferner fein lederartig gerunzelt. Einige winzige Papillen werden wohl vorhanden sein; ohne das Studium der Larve lässt sich aber über genaue Form und Lage derselben nichts Genaues sagen, außer beim 8. Segment, wo ähnliche Bildungen hervortreten wie beı P. maculata. An der äußersten Spitze des Abdomens liegen neben- einander 2 lang kegelförmige Zapfen, die verhärteten Stigmenträger der Larve. Sie sind rotbraun gefärbt. Die Prothorakalhörner sind ganz kurz und erinnern wieder an die Gattung Aphiochaeta Brues. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. 39 Ganz eigenartig ist das beim Schlüpfen der Imago sich los- lösende Deckelchen. Es umfasst die vordere Hälfte des 3. Ab- dominaltergits, die beiden vorhergehenden Tergite, die Oberseite aller 3 Thoraxsegmente und den Kopf! Weil auch der Kopf abge- löst wird, erscheint am Puparium nach Entfernung des Deckelchens vorn ein Ausschnitt (Fig. 4). e) Paraspiniphora sp. Keılin erhielt aus dem Berner Ober- land Häuschen von Helix nemoralis mit Puparien einer Phoride, die er als Phora Nr. 2 bezeichnet, beschreibt und abbildet. Das Puparium soll dem von Paraspiniphora maeulata sehr ähnlich sein, ist aber kaum 4 mm lang, dorsal ohne Mittelfurche und trägt am Seitenrande jedes Abdominalsegments eine makroskopisch erkenn- bare Papille. Dorsale Papillen werden nicht erwähnt, werden also fehlen. Schon deshalb ıst nicht daran zu denken, diese Phora Nr. 2 mit Para- spiniphora immaculata Stroblzu identifizieren. Es handelt sich offenbar un Paraspiniphora strobli, spinosissima, erythronota, unicalcarata oder cine noch unbekannte Art. Dasselbe gilt auch vom folgenden Falle: f) Paraspiniphora sp. Aus Gampolide bei Lissabon wurden mir April 1910 emige Ge- häuse von Pupiden-Schnecken zugesandt, in ESFWEITEFTSTON TEEN RE denen ich u. a. 4 unbekannte Phoridenpuparien Fig. 7. antraf. Die Aufzucht der Imago misslang, man Paraspiniphora sp. aus darf aber mit großer Wahrscheinlichkeit an- Portugal. Larva pupigera, nehmen, dass sie irgendeine Paraspiniphora- peckelchen entfennt. Art ergeben haben würde. Puparium (Fig. 7), 4,5 mm lang, 2,5—2,5 mm breit, oval, rot- braun gefärbt. Oberseite flach, mit etwas aufgebogenem Rande, Unterseite stark gewölbt, außer in der Nähe des Randes, der breit und flach abgesetzt erscheint. Dorsal sind die Abdominaisesgmente durch Querfurchen auch hier wieder in je 3 Abschnitte gegliedert. Erster Abschnitt ziem- lich glatt, zweiter und dritter mit kielförmig erhabener Querleiste auf bezw. hinter der Mitte. Rand und Unterseite aller Segmente quer gerippt. Dorsale Papillen fehlen; Randpapillen sehr stark, dornförmig, mit ca. 4 kurzen Chitinhaaren an der Spitze. Ventral treten auf jedem Segment 2 warzenartige Gebilde (Keilin’s For- mation s, Perris nennt sie bei Aphiochaeta pusilla „Scheinfüße‘“) stark hervor, dazwischen Querreihen von kräftigen Häkchen. Als kurze Übersicht über die bekannten und neu beschriebenen Puparien folge hier eine 40 Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Bestimmungstabelle der ın Schneckenhäusern vorkommenden Paraspintphora-Puparıen. a: Oberseite ohne Längsfurche. b: Außenrand des Pupariums mit 7 Paar Papillen, der Region des 1.7. Abdominalsegments angehörend. c: Zwei Längsreihen von je 7 Dorsalpapillen vorhanden. d: Rand- und Dorsalpapillen auffallend groß, apıkal mit Büscheln von Chitinhaaren, die meist 2—3mal länger sind als die Papille selbst. Paraspiniphora bergenstammi Mik. dd: Alle Papillen kurz, mıt Haaren, die kürzer oder kaum länger sind als die Papille. Paraspiniphora immaculata Strobl. ce: Dorsalpapillen fehlen. e: Puparium langelliptisch, Randpapillen kurz. Keilıin’s Phora Nr. 2, Berner Oberland. Paraspiniphora Sp: ee: Puparium breitelliptisch, mit sehr kräftigen Randpapillen. Unbekannte Art, s. o. unter f). Paraspiniphora sp. Lissabon. bb: Außenrand ohne Papillen. Form sehr breit und flach. Zweı- farbig: oben schwarz, unten gelbbraun. Paraspiniphora bohemannt Becker. aa: Oberseite mit vertiefter Längsfurche entlang der Körper- mittellinie. Deutliche Papillen fehlen. Farbe dunkelbraun bis schwarz, Größe bis zu 7 mm. Paraspiniphora maculata Meıgen. Gibt es außer der Gattung Paraspiniphora noch andere oblı- gate Verzehrer von Schneckenaas unter den Phoriden, besonders ın südlicheren Faunengebieten ? Etwas sicheres ist darüber bisher nicht bekannt. Aus Afrıka habe ich (1914 und 1916) einige Arten beschrieben, welche Dr. Jos. Bequaert aus „Mollusken“ züchtete; unter „Mollusken“ scheint er aber meistens oder ın allen Fällen Bivalven verstanden zu haben. Bei Hypocera molluscivora Schmitz wird ausdrücklich eine verwesende U/nio als Habitat der Larve genannt. Die bei der gleichen Gelegenheit gezüchteten Phoriden Aphiochaeta zanthina Speiser (= scalaris Loew?) und Pulieiphora spinicollis Schmitz SQ sind omnivor. Das Gleiche gilt vielleicht von Dohrniphora bequaerti Schmitz, deren Larve anderswo in verdorbener Milch beobachtet wurde. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Hl 4. Die epizoische battung Wandolleckia Cook. Die Gattung Wandolleckia ıst unter dem Namen Gook’sche Gattung durch Wandolleck’s viel genannte Arbeit „Die Stetho- pathidae, eine flügel- und schwingerlose Familie der Diptera* (1898) bekannt geworden. Cook hatte die Tiere auf lebenden, großen Landschnecken in Liberia gefunden. Über Einzelheiten ihrer Lebens- weise teilt Wandolleck nur mit: „Sie scheinen sich vom Schleim der Schnecken zu nähren. Sıe sınd sehr gute Läufer; bei Beun- ruhigung verlassen sie sehr schnell ıhren Wirt, um später wieder zurückzukehren.“ Die von Wandolleck näher untersuchte Art erhielt später den Namen Wandolleckia cooki Brues. Seither sind noch zwei andere Arten entdeckt worden. Eine Wandolleckia indomita von nur 0,6 mm Größe hat Brues aus Deutsch Ostafrika beschrieben (Ann. Mus. Nat. Hung. Vol. 5 [1907], p. 412) ohne Angaben über Lebensweise. Wandolleckia biformis wurde von mir Anfang 1916 beschrieben (Zool. Mededeel. Leiden Vol. 2, p- 1-7) nach Exemplaren, die Dr. Jos. Bequaert im belgischen Kongo-Gebiet sammelte. Seine Sammlungsetikette lautete: Phorides vivant sur un gros mollusque (Achatina sp.) vivant, dans la foret vierge. Ces dipteres courrent rapidement sur le pied et sous la coquille; le. mollusque e&tait parfaitement sain. Lesse (sur la Sem- lik1) 25. 3. 1914. Lebensweise und Organisation dieser merkwürdigen Insekten birgt sicher noch unbekannte Geheimnisse. An Dr. Bequaert’s Material konnte ich feststellen, dass die Wandolleckia-Arten eine weitgehende imaginale Entwicklung durchmachen wie die Termito- xeniiden. Wie bei diesen, so gibt es auch hier stenogastre und physogastre Exemplare. Bei den stenogastren ist der Hinterleib noch wenig entwickelt. Die biologische Bedeutung der imaginalen Entwicklung liegt in der Unterdrückung oder Abkürzung des freien Larvenstadiums. Wie zweckmäßig eine solche Unterdrückung ist, ergibt sich sofort, sobald man sich eime normal organisierte Phoridenlarve als Ekto- parasit einer Häuschenschnecke vorzustellen versucht. Sie würde beständig in Gefahr sein, bei Zurückziehung des Schneckenkörpers von diesem abgestreift zu werden. Eine Phoride, die in allen Ent- wicklungszuständen auf Häuschenschnecken ein ektoparasitisches Leben führt, erscheint also nicht möglich. Darum fiel das Larven- stadıum aus. Die Anpassung hätte allerdings auch andere Wege einschlagen können, die Larve hätte eine nicht parasitische Lebens- weise einhalten oder aber besondere Haftorgane erwerben können. Tatsächlich ist es aber hierzu nicht gekommen. Das freie Larven- stadium wurde durch imaginale Entwicklung ersetzt. Die hypothetische Erklärung, welche Wasmann für die Ent- stehung der Ametabolie bei Termitoxenia gibt, geht von ganz anderen ‘ 0) Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. Gedanken aus'’). Sie seı darauf zurückzuführen, dass die Er- nährungsbedingungen dieser ım Innern von Termitenbauten lebenden Tierchen für sich und ihre Brut sehr günstige sind. Daher konnte, entsprechend der allgemeinen Regel, dass die Zahl der Eier eines Insekts im umgekehrten Verhältnis steht zur Zahl der sich glück- lich entwickelnden Eier und Larven desselben, die Anzahl der Ter- mitoxenia-Eier auf ein sehr geringes Maß beschränkt werden. Da- für konnte hinwiederum jeder einzelnen Eizelle eine um so reich- lichere Menge von Nährstoff zugeführt werden, und die Folge davon war eine Beschleunigung der individuellen Entwicklung, die zur Abkürzung und Vereinfachung des Entwicklungszyklus führte. Während also das Resultat der Anpassung bei Wandolleckia und Termitoxenia das gleiche ist: Ausfall des freien Larvenstadiums, und auch die letzte Ursache dieselbe ist, nämlich der Parasıtismus der Imagines, so stellt sich doch die nähere Veranlassung als ın beiden Fällen ganz verschieden heraus. Daraus ergibt sich, dass wir ın demjenigen Teile der Individualentwicklung von Wandolleckia, der noch unbekannt ist, weitere Analogien mit Termito.xenia nicht mit Sicherheit erwarten können. Speziell ist es sehr unwahrscheimlich, dass bei Wandolleckia gesetzmäßiger Hermaphroditismus entdeckt werden wird. Man kennt zwar bis jetzt auch von JVandollechia nur Weibchen. Aber geflügelte oder auch ungeflügelte Männchen werden wohl noch entdeckt werden. Bei Termitoxenia ıst das aus- geschlossen. Auch ist deren protandrischer Hermaphroditismus von Wasmann durch Schnittserien bewiesen; von Wandolleckia cookt dagegen behauptet Wandolleck, außer großen Eiern ein in den Ovidukt mündendes, aus mehreren Schläuchen bestehendes Recep- taculum seminis gesehen zu haben, welches mit Sperma er- füllt war. Eine genauere Erforschung der Biologie der afrikanischen Wan- dolleckia-Arten ist sehr wünschenswert und sei hiermit Forschungs- reisenden und Naturfreunden, die zu Beobachtungen an Ort und Stelle Gelegenheit haben, empfohlen. Hoffentlich wird überhaupt den biologischen Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken in Zukunft mehr Aufmerksam- keit geschenkt werden. Wie viel Interessantes wird sich da noch herausstellen! Besonders schueckenreiche Gegenden sind eingehend zu erforschen, da seltenere Schneckenfresser wahrscheinlich nur dort vorkommen, wo ihre Entwicklung durch günstige Nahrungs- bedingungen in höherem Grade gesichert ist. Es gibt ja Gegenden, wo Häuschenschnecken so überaus zahlreich sind, dass sie geradezu einen Faktor im Landschaftsbilde darstellen, wie Bates (in The 15) E. Wasmann, Die moderne Biologie und die Entwieklungstheorie 1906, p- 388. Schmitz, Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. 13 Ent. Monthl. Magaz. Vol. 12 [1875], p. 259) es von Marokko be- zeugt. Solche Schneckenparadiese werden zugleich ein Dorado biologischer Forschung bilden. Nachtrag. Zu Onesia cognata Meigen. Eine Notiz von v. Pavay- Vajna über ©. cognata als Vogelparasıt in der Zeitschrift Aquıla, Jahrg. XVI, p. 285—290 konnte ich leider nicht einsehen. Ich halte es vorläufig nicht für ausgeschlossen, dass ıhr ein Irrtum in der Bestimmung der betreffenden Diptere zugrunde liegt. Vogel- parasiten kommen in verschiedenen Calliphora-ähnlichen Gattungen vor (vgl. J. Rodhain et J. Bequaert, Materiaux pour une Etude monographique des Dipteres parasıtes de l’Afrique I ın: Bull. Scient. France Belg. [7], Vol. 49 [1916|, p. 236ff.) und es ist bekannt, wie leicht Onesia cognalta mit gewissen Calliphorinen verwechselt werden kann. So bemerkt z.B Hough von Calliphora anthracina Meigen: „This ıs very likely to be confounded with Onesia gentilis (= cognata) unless one studies ıt closely.“ Zu Helicobia helicis Townsend. Die Gattung Helicobra Coquillet wurde für Sarcophaga helieis Townsend errichtet Proc. Ac. Nat. Se. Philadelphia 1895, p. 317. Die Originalbeschreibung der typischen Art, die auch Mitteilungen über die Biologie enthält (Psyche 1892, p. 220, 221) war mir nicht zugänglich. Ebenso die Beschreibung von Helicobia quadrisetosa n. sp. Ent. News Phil. Vol. 12, p. 17. — Eine Übersicht über die Biologie der Sarco- phagiden gibt Patterson in: Dep. Agric. Ent. Washington Tech- nıcal ser. Nr. 19, pp. 25—32 und in: Journ. exper Zool. Vol. 10, pp. 167 —226. Zu Philosepedon humer«alis Meigen. Die Gattung Philo- sepedon wurde mit Recht von Psychoda durch Eaton abgetrennt in: Ent. Monthl. Mag. Vol. 40, pp. 55—59. Zur Systematik und Entwiecklungsgeschichte Monogr. N. Am. Psychodidae Trans. Am. ent. Soc. Vol. 33, pp. 299—333. Ders., Ann. Ent. Soc. Am. Vol. 3, pp- 277—308, tab. 44—48, Larve von Ps. alternata; ferner Zuelzer, Mitt. Prüfungsanst. Wasserversorg. Berlin Heft 12, pp. 213— 224, 2 tab. Referate. J. v. Wiesner. Erschaffung, Entstehung, Entwicklung und über die Grenzen der Berechtigung des Entwicklungsgedankens. Pr. geh. M. 6.—, geb. M. 7.50. Berlin 1916. Verlag von Gebr. Paetel. Das vorliegende Buch ist die letzte Gabe des leider vor kurzem aus dem Kreise der Lebenden geschiedenen ausgezeichneten Wiener Botanikers. Dass dieser sich neben einer ausgedehnten Forscher- tätigkeit auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und der Rohstofl- lehre auch viel mit allgemeinen Fragen befasste, ıst bekannt. Solchen Fragen ist auch das Buch gewidmet, das ich, einem Wunsche des Verstorbenen folgend, hier kurz charakterisieren möchte. Ich schließe mich dabei der Hauptsache nach der vom Verfasser selbst gegebenen Zusammenfassung an, ohne zu dessen Standpunkte mich zu äußern. Zunächst war es ıhm um eine möglichst genaue Begrenzung des Entwicklungsbegriffes zu tun. Er findet, "dass wahre Entwicklung sich nur an einem ıindivi- duell ausgeprägten Wesen vollziehen kann, dass dafür innere Po- tenzen maßgebend sind, dass sie streng gesetzmäßig verläuft und zu einem bestimmten Ziele führt. Eine Pseudoentwicklung, wie sie bei Anorganısmen (z. B. einer Düne, einem Berg u. s. w., — Kristallen schreibt aber W. eine echte Entwicklung zu) sich findet, kann durch fortlaufendes Werden das Bild einer echten Entwicklung vortäuschen. Dem fortlaufenden Werden in diesen beiden Formen stellt W. den Begriff des Entstehens gegenüber, ein Werden, das plötzlich, sprungweise erfolgt. Als dessen Formen werden unterschieden das gewöhnliche Entstehen, dessen Bildung ein Beharren folgt, das Neuentstehen, dem Entwicklung folgt und das Urentstehen, das als durchaus metaphysischer Gegenstand von der naturwissenschaft- lichen Behandlung auszuschließen ist. Das innere Wesen der Entwicklung ıst uns unbekannt. Deshalb kann die Entwicklung als etwas noch Unerklärtes nicht der Schlüssel zur Lösung aller Fragen des Weltenstehens sein. Es werden dann einige Typen von Entwicklungen kritisch be- trachtet, wie die Phylogenie und die Menschheitsgeschichte. In bezug auf Ethik verwirft W. den Versuch Darwin’s, die mensch- liche. Ethik durch sukzessive Ausbildung tierischer Anlagen zu er- klären und schließt sich dem Standpunkte Kant’s an. Er setzt sich auch mit Herbert Spencer auseinander und knüpft dabei nament- lich an die Ideen K. E. v. Baer’s an. Abel, Paläobiologie der Cephalopoden aus der Gruppe der Dibranchiaten. 45 Dieser dürftige Überblick soll nur andeuten, in welcher Rich- tung sich das ıinhaltsreiche Wiesner’sche Buch bewegt. Es wird vielen von Interesse sein, was ein $o ernster Forscher wie Wiesner über eine Anzahl allgemeiner Fragen dachte. Wenn aber ın einem Prospekt der Verlagsbuchhandlung gesagt wird, das Werk sei be- sonders geeignet „in die allgemeine Verwirrung der Köpfe Ordnung zu bringen und uns auf elementare Besinnlichkeit zurückzuführen“, so an man eine solche wenig geschmackvolle Äußer ung nur bei dauern. Goebel. O. Abel. Paläobiologie der Cephalopoden aus der Gruppe der Dibranchiaten. Mit einem Titelbild und 100 Figuren im Text. 281 S. Jena 1916. G. Fischer. Wie der Autor einleitend sagt, stellt das vorliegende Buch die Vorarbeit einer später beabsichtigten „Palä obiologie der Wirbel- losen“ dar. In ähnlicher Weise wie hier die Dibranchiaten nach der ethologischen Methode d. h. der Erforschung ihrer Anpassung an die Bewegungsaıt, den Aufenthaltsort und die Nahrungsweise behandelt sind, sollen allmählich auch die übrigen Gruppen der fossilen Evertebraten durchgearbeitet werden. Der Verfasser, der sich mit großem Fleiß und Gründlichkeit in die Literatur über die lebenden Dibranchiaten eingearbeitet hat, behandelt im ersten Hauptabschnitt die Lebensweise der lebenden Dibranchıaten: ihre Bewegungsart, ihre Futtertiere und Feinde, den Aufenthaltsort, die Körperform, :hr Einzelleben und ihr Auftreten in Schwärmen. Der zweite Abschnitt ist der Lebensweise der fossilen Dibranchiaten gewidmet. Den Kapiteln über die bisherigen Hypothesen über die Lebensweise der Belemniten und die Morpho- logie der Rostralbildungen bei den verschiedenen Dibranchiaten- stämmen folgt eine Erörterung über das Gewichtsverhältnis des Belemnitenrostrums zum Gasbehälter des Phragmokons (die dabei niedergelegten Untersuchungen über die Schwimmfähigkeit der Belemniten haben Ingenieur F. Haffer| zum Verfasser). Die Er- mittlung der Lebensweise der fossilen Dibranchiaten und die Rekon- struktion des Belemnitentieres bilden den Abschluss des zweiten Abschnittes. Im dritten und letzten Abschnitt wird die phylogene- tische Bedeutung der Armzahl der Dibranchiaten be- sprochen und darin die bisherigen Ansichten über die phylogene- tische Stellung der Belemniten, "die bisherigen Angaben über die Armzahl bei den fossilen Dibranchiaten, die Armzahl der Belem- niten und die ontogenetische Entwicklung der Arme bei den leben- den Dibranchiaten erörtert. Diese wenigen Angaben mögen über den reichhaltigen Inhalt kurz orientieren, ın dem das schon Bekannte in planmäßiger Weise durchgearbeitet und verwertet, außerdem aber eine Fülle neuer, 4b Doflein, Der Ameisenlöwe. origineller Beobachtungen und Ideen, besonders bei dem Abschnitt über die fossilen Formen geboten wird, auf die näher einzugehen hier zu weit führen würde — von denen allerdings eine oder andere Meinung, wie z. B. jene über die Beziehungen des Rostrums von Belosepia und Sepia zu dem Rostrum der Belemniten nicht unwider- sprochen bleiben dürfte. Wie in seiner so trefflichen Paläobiologie der Wirbeltiere so hat es auch hier Abel wohl verstanden, durch äußerst glücklich gewählte Textfiguren, von denen eine ganze Reihe Originalabbil- dungen sind, seiner Darstellung und seinen Anschauungen Unter- stützung und Nachdruck zu verleihen, so dass wer immer sich nicht nur mit dem Studium der rezenten und fossilen Dibranchiaten, sondern auch mit der Biologie der Tiere ım allgemeinen befasst, das Abel’sche Buch nieht wird entbehren können. F. Broili. Doflein, Fr. Der Ameisenlöwe. Eine biologische, tierpsychologische und retlexbiologische Untersuchung. Jena 1916. Verlag von G. Fischer. 138 S., 10 Taf., 43 Textfiguren. gr. 8°. Brosch. M.9.—. Die Lebensgewohnheiten des Ameisenlöwen, der bekannten Larve von Myrmeleo, haben schon von jeher das Interesse der Naturforscher erregt und besonders die älteren Beobachter konnten sich über die Schläue, die seinen zweckmäßigen Handlungen zu- grunde zu liegen sehien, nicht genug wundern. Doflein hat sich ebenfalls jahrelang mit dem Objekte befasst und hat seine Lebens- gewohnheiten nicht nur genau beobachtet, sondern einer eingehen- den experimentellen Prüfung unterworfen, daneben aber stets die Anatomie des Tieres berücksichtigt und mit seinem Verhalten in Beziehung gebracht. Das allgememe Ergebnis dieser Untersuchung lautet nun dahın, dass der Ameisenlöwe einen vollkommenen Reflex- automaten darstellt, und dass von höheren psychischen Fähigkeiten sich tatsächlich keinerlei Anzeichen finden lassen; ja die Zahl der Reflexe, aus denen der ganze Lebenslauf der Larve resultiert, ist, wie wir sehen werden, sogar eine sehr bescheidene. Doflein ist aber trotz dieses ihn selbst überraschenden Befundes nicht der Meinung, dass allen niederen Tieren etwa kompliziertere psychische Fähigkeiten fehlten. Er unterscheidet Organismen von regulato- rischem Typus, die nicht nur in morphologischer und physiologischer Hinsicht labil sind, sondern vor allem auch über eın Regulations- vermögen der Handlungen verfügen, und „Lebensspezialisten“, die von Geburt an, was Bau und Fähigkeiten betrifft, ın extremer Weise und sehr fest angepasst sind. Im Ameisenlöwen sieht er nun den letzteren Typus besonders klar entfaltet. Der Bau des Tieres muss als ein für das Graben der Trichter und das Ausschleudern des Sandes wie überhaupt für das Leben in diesem sehr zweckmäßig angesehen werden. Die zahl- reichen Borsten, die den Körper bedecken, sind für das Eingraben von nicht minder großer Bedeutung als die kegelförmige Gestalt nı— Doflein, Der Ameisenlöwe. 47 des Abdomens, da sie einen Widerstand gegen den beweglichen Sand bieten, die Augen sitzen auf Höckern, so dass das Tier sie auch im Sand vergraben wohl benützen kann, die Tracheen sind sinnreich gegen das Eindringen des Sandes geschützt; die Mund- gliedmaßen sınd ebensowohl mächtige Greiforgane als zum Aus- saugen der Beute geeignet. An den Gelenken sind besondere Sperr- vorrichtungen vorhanden. Die wichtigsten Reflexe des Tieres sind der Einbohrreflex, der Schleuderreflex, der Schnappreflex. Der erstere, durch Berührungs- reize auf der Bauchseite ausgelöst, besteht ın zuckenden Bewegungen der Hinterleibsspitze, die durch wechselnde Kontraktion der dor- salen und ventralen Längsmuskulatur des Abdomens herbeigeführt wird. Beim Schleuderreflex wird Kopf, Hals und erstes Thorakal- segment ruckweise nach oben und hinten geschnellt. Die Richtung des Reizes ist für die der Reaktion bestimmend. Er dient nicht nur dazu, nach einer am Kraterrand befindlichen Beute zu schießen, sondern auch dazu, den Trichter überhaupt zu bauen, indem das Schleudern beginnt, sobald das Tier so weıt eingegraben ist, dass Sand auf den Kopf gerät. In der Folge macht es enge Spiral- bewegungen im Zentrum, die Doflein sehr hübsch auf berußtem Papier aufzeichnete, und bohrt sich immer tiefer ein, so dass ganz von selbst der so regelmäßige Bau entsteht. Die Schilderung Rösel's, die in der Literatur immer wiederholt wird, hat den Vorgang ver- wickelter dargestellt, als er ıst. Auch die Angaben von Bonnet und Mc. Cook, dass das Tier sich hierbei größere Steinchen auf- lade und fortschleppe, hat sich nie bestätigen lassen, obwohl der Verfasser den Trichterbau sehr oft ım Freien und in der Gefangen- schaft beobachtete. Der Schnappreflex ıst mit dem Schleuderreflex zumeist verbunden. Die Mundgliedmaßen schließen sich dabei und der Kopf wird etwas aufgerichtet. Zu diesen „Grundreflexen“ ge- sellen sich eine Anzahl weiterer, dıe von geringerer Bedeutung sınd, Putzbewegungen, Lichtreaktionen u. s. w. Näher eingegangen sei nur noch auf die interessante Erscheinung des Sichtotstellens. Nicht nur gröbere Berührungsreize, sondern auch schon geringfügige Änderungen in der allgemeinen Reizsituation (Licht, Fortfall des allseitigen Sanddruckes) lösen sie aus. Sie ıst anfangs von einer starken Muskelkontraktion des auf dem Rücken liegenden Tieres begleitet, später aber werden die Gelenke wieder weich, so dass man dem Tier eine beliebige Stellung geben kann, bis allmählich die Reizbarkeit sich wieder steigert; der Vorgang dauert bald nur Minuten, bald außerordentlich lange und endet mit einer Umdreh- reaktion, bei der eine Mandibel als Hebel dient. Soviel von dem Inhalt des reichhaltigen Buches, dessen Lektüre jedem empfohlen werden kann, dem Physiologen wie dem Zoologen. Es zeigt so recht eindringlich, wie bei solchen Untersuchungen die anatomische und physiologische Untersuchung Hand in Hand gehen muss, um zu einem wirklichen Verständnis der Biologie eines Tieres zu gelangen. Noch sind ja Lücken auch ın der von Myrmeleo vor- handen, neben manchen Punkten im Larvenleben vor allem das AS Neuerschienene Bücher. ganze Sinnesleben der Imago, das mit dem der Larve zu vergleichen von hohem Interesse wäre. Vielleicht rundet Doflein selbst einmal das Bild ın dieser Richtung ab. P. Buchner, München. Wedekind, Über die Grundlagen und Methoden der Biostratigraphie. Mit 15 Abbildungen im Text und auf einer Tafel. Berlin 1916. (Gebr. Born- traeger. 60 8. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Zoologie und Paläonto- logie mehr und mehr auseinandergeraten sind. Es ıst daher zu begrüßen, wenn ın dem vorliegenden Buch von Wedekind der Versuch gemacht wird, neue Brücken zwischen den beiden For- schungsgebieten zu schlagen und insbesondere die Paläontologie durch Anwendung zoologischer Methoden zu befruchten. So ge- winnt diese Arbeit Interesse für weitere Kreise. Vieles ıst naturgemäß rein paläontologisch, aber der Zoologe wird manches anregende darin finden. Von dem Inhalt sei nur einiges angedeutet. Verfasser wendet sich vor allem gegen den kritiklosen Gebrauch des Begriffs der Anpassung und ım Zusammen- hange damit gegen die vorschnelle Annahme der Vererbung erwor- bener Eigenschaften. Er neigt dazu, diese gänzlich abzulehnen, doch erwartet er endgültige Klärung erst von der Zukunft. Be- merkenswert ist der Begriff der Koordination, worunter die ın der Zeit erfolgende Aneinanderkuppelung von Charakteren verstanden wird. Was aber vor allem hervorgehoben zu werden verdient, ist der Versuch durch Anwendung des Quetelet’schen Prinzips und der Mendel’schen Spaltung Ordnung in das paläontologische Material zu bringen und den Artbegriff neu zu umreißen. Gerade hierin erblickt Referent einen bedeutungsvollen Schritt, bedeutungs- voll sowohl für dıe Paläontologie als auch für die Zoologie. F B. Dürken (Göttingen). Neuerschienene Bücher die der Zeitsehrift zugegangen sind. (Eine Besprevhung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Warming. Eng. und Graebner,. P. Lehrbuch der ökologischen D = | 5 Pflanzengeographie. 3. umgearb. Aufl, 2.—4. Lief., Bogen 6—40. 3erlin 1915—16, Verl. v. Gebr. Bornträger. Preis geh. M. 30.80. Wissenschaftliche Meeruntersuehungen herausgegeben v. d. Kommission z. wiss. Unters. d. deutschen Meere in Kiel u. d. Biol. Anst. auf Helgoland. Neue Folge, 11. Bd., Abt. Helgoland, Heft 2, gr. 4°, mit 5 Tafeln u. 183 Fig. im Text, S.67—248. Kiel und Leipzig 1916, Verlag von Lipsius u. Tischer. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biolosisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr.K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 37. Band = Februar 1917 | | "Nr. 2 ausgegeben am 20. Februar Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen J. Nusbaum, Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln (Isopoda). -— F. Röder, Über die Ursache der Atembewegungen. — H. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre von Hugo de Vries und sein Versuch, die bei der Oeno- thera Lamarckiana beobachteten Mutations- und Kreuzungserscheinungen auf den Mendelis- mus zurückzuführen. — E. Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. — O0. V. Hykes, Einige Bemerkungen zu dem Aufsatze Isaak’s „Ein Fall von Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Großsehmetterling“. Referate: E. Wasmann, Bemerkungen zur neuen Auflage von Calwer’s „Käferbuch*. — Wünsche, Die Pflanzen Deutschlands. Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln (Isopoda). Von Prof. Dr. Joseph Nusbaum-Hilarowiez, Dir. d. zool. Inst. d. Universität Lemberg. (Vorläufige Mitteilung.) Seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit der Physiologie der Verdauung bei den Landasseln (Oniscus murarius, Porcellio scaber), wobei ich einige interessante und vom allgemein-biologischen Standpunkte wichtige Tatsachen zu konstatieren vermochte. Da meine ausführliche Arbeit mit zahlreichen Abbildungen, infolge der Kriegszeiten, wahrscheinlich noch eine lange Zeit nicht erscheinen wird, fasse ich hier die wichtigsten Resultate meiner bisherigen Untersuchungen zusammen. Über die Histologie der Verdauungsorgane bei den Isopoden und zwar, was uns in erster Linie interessiert, über die des Mittel- darmes und der hier aus vier Schläuchen bestehenden Mitteldarm- »7. Band A 50 Nusbaum, Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln. drüse, wie auch über die Physiologie der Verdauung bei diesen Crustaceen haben ziemlich viele Forscher gearbeitet, wieM. Weber (2), J. Frenzel(4), B. Rosenstadt(5), Manille Ide(6), L. Huet), P. Mayer (1), A. Guieysse (10), P. Mac Murrich (7), J. Mur- lin(9) und Andere). Trotz so vieler Arbeiten sınd manche Kardinalpunkte bisher vollkommen unaufgeklärt geblieben, worauf schon W. Bieder- mann (11) und H. Jordan (13) die Aufmerksamkeit der Forscher gelenkt haben. Wir wissen ja bisher nicht, ob die Mitteldarmdrüse ein nur die Verdauungssäfte sezernierendes Organ darstellt, oder ob es auch als ein absorbierendes Organ funktionieren kann, wie bei den höheren Urustaceen (Dekapoden). Pl. Mac Murrich war der Meinung, daß der Mitteldarm der Isopoden keine Rolle bei den Absorptionsprozessen spielt, daß er nur als ein Reservoir für dıe Nahrung dient, weil die dicke Chitin- kutikula auf der freien Oberfläche des Epithels den Übergang der Nährsäfte verhindert. Er vermutet deshalb, daß die Absorption hier wahrscheinlich nur ın den Schläuchen der Mitteldarmdrüse zustande kommt, er führt aber gar keine Beweise dafür. Andererseits beweist Murlin, daß diese Kutikula des Mittel- darmepithels porös ist; er beweist auch experimentell, daß Fette und gewisse Eiweißsubstanzen von diesem Epithel absorbiert werden. Aber er läßt vollkommen beiseite die wichtige Frage, ob auch das Epithel der Mitteldarmdrüse absorptionsfähig ist, obgleich er sich mit der Struktur dieses Epithels und mit der Sekretionsfunktion desselben beschäftigt. Er zeigt nämlich ganz richtig, daß die von M. Weber im Epithel der Drüse beschriebenen vollkommen differenten Jıellenarten (sogen. Leberzellen und Fermentzellen Weber’s) nur eine und dieselbe Zellenart darstellen, daß nämlich die „Leberzellen* Weber’s nur ausgewachsene und reife „Fermentzellen“ (M. Weber) darstellen, welche letztere viel niedriger und kleiner als die ersteren sind und eine ganz basale Lage haben, was auch von mir mit voll- kommener Sicherheit konstatiert worden ist und was auch mit Frenzel’s und Rosenstadt’s Anschauung übereinstimmt. Da in letzteren Jahren auch in „Hepatopancreas“ vom Flußkrebs Apäthy und Farkas (1908) zwei histologisch differente Epithelzellen- arten beschrieben haben, von welchen die einen absorbierend, die an- deren sezernierend sind, so könnte man vielleicht meinen (Jordan), daß die von M. Weber bei den Isopoden unterschiedenen zwei Zellen- arten auch der Funktion gemäß voneinander differieren, was jedoch 1) Da während des Krieges manche ausländische Zeitungen mir nicht zugäng- lich waren, weiß ich nicht, ob während dieser Zeit noch irgendwelche andere Ar- beiten über diese Frage veröffentlicht worden sind. Nusbaum, Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln. 51 nicht stattfindet; sowohl die jungen („Fermentzellen* Weber'’s), wie auch die ausgewachsenen großen („Leberzellen“ Weber'’s) können zu verschiedenen Zeiten sowohl absorbieren, wie auch sezernieren, wie es meine Experimente mit voll- kommener Sicherheit gezeigt haben. Was die Sekretionsfunktion der Mitteldarmdrüse anbelangt, so bestätige ich die Beobachtungen Murlin’s, daß dabei ganze Zellen zugrunde gehen, aber nicht nur die großen Zellen, sondern auch dıe kleinen, wobei auch die Kerne degenerieren (gegen Murlin, nach welchem die basalen Teile der Zellen samt den Kernen niemals einem Zerfall unterliegen). Nach meinen Beobachtungen erscheint zuerst eine „blasen- förmige Sekretion“ der Zellen, bald nachher folgt aber ein Zerfall der Zellen. Dies geschieht so, daß ın manchen Partien des Drüsenschlauches die Drüsenzellen, alle ohne Ausnahme, einem vollständigen Zerfall unterliegen (also samt den Kernen) und sich in’ das Sekret verwandeln, welches hier das ganze Lumen des Drüsen- schlauches (bis zu der unter dem Epithel liegenden homogenen Tunica propria) ausfüllt und ungeheuer viel Fettkugeln enthält, welche ım frischen Zustande eine gelbliche Farbe zeigen und kon- serviert sich intensiv mit Überosmiumsäure, wie auch mit Sudan III färben lassen, so daß ihre fettige Natur keinem Zweifel unterliegen kann. Die Fettkugeln entwickeln sich in beiderlei Formen von Zellen, sowohl ın den kleinen wie auch in den großen; während aber in den kleinen die Anzahl von Enzymkörnchen eine über- wiegende ıst und die Fettkügelchen klein sind, sieht man in den großen Zellen viel größere Fettkugeln und in solcher Anzahl ange- häuft, daß das Plasma samt den Mitochondrienkörnchen nur dünne Scheidewände zwischen denselben bildet. Während also in manchen Drüsenpartien alle Epithelzellen einem Zerfall unterliegen und sich in das Sekret verwandeln, sieht man in anderen, benachbarten Drüsenpartien, daß hier nur die großen, meist ın das Drüsenlumen hineinragenden Zellen zerfallen, während die jungen, kleinen, basalen ein neues Drüsenepithel regenerieren, indem sie sich auf direktem Wege vermehren. Das neu gebildete Epithel ıst niedrig, fast ab- geplattet. Später erscheinen bald in demselben, infolge eines un- gleichmäßigen Wachstums, größere und kleinere Zellen, die den zwei Weber’schen Zellenformen entsprechen. Experimentelle Untersuchungen führten mich weiter zum Schlusse, daß die Epithelzellen der Drüse nicht nur die oben beschriebene sekretorische Rolle spielen, vielmehr, daß sie auch eine absor- bierende Funktion in großem Maße auszuüben im- stande sind. Die experimentelle Seite der Untersuchungen bestand darin, daß ich mehrere Tage oder mehrere Wochen hungernden Exem- 4* 52 Nusbaum, Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln. plaren von Oniscus verschiedenartige Nährstoffe gegeben habe: Fette, Leeithin, Fibrin, Pepton, Dextrin, Käse oder Brot mit darin einge- machtem Karmin, Tusche oder Lampenschwarz und endlich Ferrum peptonatum, gemischt mit Pepton. Ferrum peptonatum stellt ein in der Pharmakopöe bekanntes Präparat dar, welches Eisenchlorid enthält. Diese Experimente zeigten mir u.a., daß: 1. flüssige oder halb- flüssige Nahrungssubstanzen in das Lumen der Mitteldarmdrüsen- schläuche eintreten, 2. daß wenigstens Fette, Lecithin und Ferrum peptonatum nicht nur von dem Mitteldarmepithel, sondern auch vom Epithel der Mitteldarmdrüse und zwar sowohl von dessen großen, wie auch von kleinen Zellen absorbiert werden. Einen sehr schönen und unumstößlichen Beweis dafür, dass diese Zellen absorbieren, kann man mit Ferrum peptonatum erreichen. Nachdem das Tier einige Tage mit diesem Präparat ernährt worden ist, wurde es getötet, der Darm samt den intakten Mittel- darmschläuchen wurde auspräpariert, in Alcohol absolutus oder in Sublimat satur. fixiert und ın Paraffin eingebettet. Die 6 « dicken Schnitte (mit 7%, Alkohol am Objektträger angeklebt) wurden durch . Xylol in Alcohol absolutus übergeführt und dann mit 2%, Ferrocyan- kalıum und nachher mit 10% Acıdum hydrochloricum behandelt. Im Epithel des Mitteldarmes und in weit größerer Anzahl im Epithel der Mitteldarmdrüse erscheinen nach dieser Behandlung sehr schöne Sedimente vom Berlinerblau, die sich unter stärkeren Vergröße- rungen als blaue Körnchen rings um gewisse Centra angehäuft dar- stellen. Wie es aus dem Vergleich mit anderen Präparaten (kon- serviert inOhampy'’s Flüssigkeit, Mitochondrienfärbung nach Kull) hervorzugehen schien, bildeten die winzigen Mitochondrien diese Uentra. Mit der wichtigen und interessanten Tatsache, daß die Epithel- zellen der Mitteldarmdrüse absorbieren können, ist eine andere, nicht weniger interessante Tatsache verbunden und zwar, daß während des Absorptionsprozesses die Struktur der freien Oberfläche dieser Epithelzellen einer prinzipiellen Modi- fikation unterliegt, ohne jeden Zweifel im innigsten Zusammen- hange mit der Funktionsänderung. Und zwar, an der freien Oberfläche sowohl der kleinen, wie auch der großen Epithelzellen finden wir in der Ruheperiode einen doppelten Stäbchensaum; einen inneren, direkt an der freien Ober- fläche gelegenen, dünneren Saum und einen äußeren, unter dem ersteren gelagerten, viel dickeren; beide sind voneinander durch ein sehr dünnes homogenes, mit Fuchsin S. intensiv sich färbendes Häutchen abgegrenzt. Während der Absorptionstätigkeit der Zellen erscheint nun außerdem eine Schicht von sehr langen Oilien an der freien Oberfläche der Zellen, die dicht nebeneinander stehen, Nusbaum, Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln. 53 überall gleich dick sind und bei der Anwendung der Kull’schen Mitochondrienfärbungsmethode eine intensiv violette (von Thionin) Farbe annehmen. Diese Cilien sind auch im lebendigen Zustande an Zupfpräpa- raten (in physiologischer Kochsalzlösung) sichtbar und man kann sich an solchen Präparaten überzeugen, daß diese Cilien keine Be- wegung aufweisen. Sie stellen also protoplasmatische cilienähnliche Fortsätze dar, die aber ganz unbeweglich sind. Der Basalteıl einer jeden Cilie dringt in die Tiefe der Zelle zwischen den Stäbchen des inneren Saumes hinein, durchbricht das Grenzhäutchen, dringt zwischen den Stäbchen des äußeren Stäbchensaumes weiter hinein und endigt im Plasma unter diesem letzteren, wo eine größere Anhäufung von Mitochondrien gelagert ist. Jede Uilie geht von einem winzigen Basalkörperchen aus. Gegen das Ende des Absorptionsprozesses fallen die Cilien ab und eine längere Zeit hindurch liegen sie noch ganz frei ın der Nähe der Drüsenwand, als ganze Komplexe, bald unterliegen sie aber einem Zerfall. Wenn die Zelle anfängt zu sezernieren, ver- liert sie ihren inneren Stäbehensaum und bald auch den äußeren, welche ganz abfallen, worauf der Zerfallprozeß der Zelle beginnt, um das Sekret zu bilden. Die Tatsache, daß lange, sehr dicht nebeneinander stehende, wimperartige Fortsätze am Beginn des Absorptionsprozesses auf der freien Oberfläche des Epithels erscheinen, beweist, daß diese Strukturen in irgendwelchem Zusammenhange mit diesem Pro- zesse sind. Ich bin der Meinung, daß dieser dichte Wimperbesatz, in welchem, zwischen den Elementen desselben, eine große Anzahl von äußerst engen Kapillarspalten erscheint, wie ein Fließpapier auf die flüssige Nahrung wirken kann, welche unter dieser Kapillarwirkung in das Innere des Plasmas hineindringt. Wir müssen dabei erwägen, daß die langen Cilien bald herausfallen, indem sie sich von ıhren Basalkörperchen losreißen und somit sehr engen Kapillarspalten, feinen Kapillarkanälchen den Anfang geben, in welche die flüssige Nahrungssubstanz weiter eindringen kann, bis sie in die Tiefe der Zelle gelangt. Meine Hypothese, die sich auf wichtige, direkt zu beobachtende Tatsachen stützt, kann durch das folgende Schema (Fig. 1,.s. Erklärung) erläutert werden. Wie bekannt, ist für uns bisher der Mechanismus des Absorp- tionsprozesses ganz rätselhaft. Prof. H. Jordan(11) charakterisiert ganz zutreffend die betreffenden Schwierigkeiten, indem er sagt (5.39): „Kurz, die eigentliche Mechanik der Absorption, das Durch- lässıgwerden der Zellmembran für bestimmte Stoffe, das Transpor- tieren der Lösungen, müssen wir als durch „physiologische“ (d. h. 54 Nusbaum, Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln. zurzeit rätselhafte) Zellkräfte bedingt ansehen, die, auf physikalisch- chemische Kräfte zurückzuführen, bislang nicht gelingt, die aber jeden- falls komplizierter sind, als man früher glaubte.* Da bekanntlich schon nach den älteren Versuchen von OÖ. Gohnheim, Reid u.a. das Epithel selbst auch bei den höheren Tieren eine wichtige aktive Rolle bei den Absorptionsprozessen spielen muss, weil nach dem Tode oder nach der Schädigung desselben die absorbierende Eigen- Schema zur Erläuterung des Verhaltens der Struktur der freien Oberfläche der Epithelzellen der Mitteldarmdrüse der Isopoden während des Absorptionsprozesses. In A ist der Wimperbesatz noch vorhanden, in 4 ist derselbe schon abgefallen; N — Nahrung, w — Wimpern, i.s. — innerer Stäbchensaum, «as. — äußerer Stäbehensaum, 49 — Grenzhäutchen zwischen denselben, b — Basalkörperchen, n — Zellkern. schaft der Darmschleimhaut wegfällt, so ıst vollkommen begründet die Behauptung Hermann’s (Lehrbuch der Physiologie 1905, S. 620), daß „die Epithelzellen eine noch aufzuklärende aktive Rolle auch bei den einfachsten Resorptionsprozessen spielen“. Es ist nur möglich, daß weitere Forschungen unsere Idee, daß hier u. a. auch kapillare Wirkungen eine nicht unbedeutende Rolle spielen, bestätigen und somit etwas neues Licht auf diese schwierige Frage werfen werden. Es ist aber auch nicht unmöglich, daß das EKr- scheinen von langen Cilien bloß zur Vergrößerung der Absorptions- fläche des Epithels dient. Nusbaum, Studien über die Physiologie der Verdauung bei den Landasseln. 55 Für mich ıst wichtig die Tatsache, daß meine Beobachtungen über das Vorhandensein in den Epithelzellen des Darmes von un- beweglichen Wimpern oder von Wimpern, die zum Abfall fähig sind und nur zeitweise erscheinen, nicht vereinzelt dastehen. So hat z.B. V. Willem (Bull. Acad. Belgique T. 27, 1894, p. 354) in dem Darme der Siphonophoren „Wimperzellen“ beschrieben, deren Cilien lang, zahlreich und unbeweglich sind, wobei diese Zellen zur Nah- rungsaufnahme befähigt sind. In den Darmzellen der Lumbrieiden findet man außer dem Stäbchensaum noch einen Cilienbesatz, wobei nach Greenwood (Journ. Physiol. London, Vol. 13, 1892, p. 239) die Zellen „je nach Bedarf“ Stäbchen oder Wimpern bilden können. Ich meine, daß der für alle Absorptionszellen im Tierreich so charakteristische Stäbchensaum vielleicht auch mit einer kapillaren Wirkung innig verbunden ist. Jeder Stäbchensaum besteht aus starren Stäbchen und einem flüssigen Plasma zwischen denselben. Wir können annehmen, daß am Beginne des Absorptionsprozesses hier unter der Wirkung der flüssigen Nahrung, die als ein Reiz wirkt, ein gewisses Zusammenziehen des Zellplasmas zustande kommt, weshalb momentan auch kapıllare Spalten zwischen den Stäbchen entstehen, die eine kapillare Wirkung auf die Nahrungsflüssigkeit ausüben. Bei der Bildung von langen Wimpern ist nun mög- licherweise eine solche kapillare Wirkung noch viel stärker. Wichtigste Literatur. [N . Mayer, P. Mitteilungen d. Zoolog. Station zu Neapel Bd. I. 1879. . Weber, M. Arch. f. mikroskopische Anatomie. Bd. XVII. 1880. . Huet, L. Nouv. recherches sur les Orustac. Isopodes. Th&ses. Paris 1883. . Frenzel, J. Mitteil. aus d. Zoolog. Station in Neapel. Bd. V. 1884. . Rosenstadt, B. Biolog. Oentralblatt. Bd. VIII. 1888. . Manille, Ide. La Cellule. T. VIII. Fasc. 1er. 1892. . Mae Murrich, Pl. J. Journal of Morphology XIV. 1897. S. Schönichen, W. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 1898. 9. Murlin, J. R. Proceedings of the Academy of Nat. Sciences of Philadelphia. May 1902. 10. Guieysse, A. Arch. Anat. Microscopique T. 9. 1907. 11. Biedermann, W. Physiologie d. Verdauung in Handbuch d. vergl. Physiol. v. Hans Winterstein. ea ww for} ep] 12. Apäthy, St.v. und Farkas, B. Museumi Füz. Kolozsväar. Naturw. Museums- hefte. Klausenburg 1908. Bd. 1. 13. Jordan, H. Vergl. Physiol. Wirbelloser Tiere. Jena 1913. G. Fischer. 14. Nusbaum-Hilarowiez, J. Przyezynki do fizyologii trawienia u röwnonogöw (Isopoda). Sitzungsberichte d. Akad. Wiss, Krakau. Dezember 1916 (polnisch). Kurzer Bericht. 6 Röder, Uber die Ursache der Atembewegungen. Über die Ursache der Atembewegungen. Von Dr. Ferdinand Röder. Auf zweierlei Wegen kann die Naturforschung zur Aufstellung neuer Beziehungen gelangen. Entweder durch das Experiment oder dadurch, daß sie von den durch den Versuch aufgezeigten mittel- baren Beziehungen auf die ın ıhnen enthaltenen unmittelbaren schließt. Die nachstehende Untersuchung betritt diesen Weg, ver- anlaßt durch den Widerspruch, dem eine den Begriffen ihrer Zeit entsprechend formulierte Lehrmeimung bei der Prüfung mit den vornehmlich durch die energetische Betrachtungsweise geläuterten und geschärften Anschauungen unserer Tage begegnen muß. Eine der wichtigsten Beziehungen ın der Lehre von den Atem- bewegungen wird seit ihrer Entdeckung in dem Satze festgehalten, daß Sauerstoffmangel eine Ursache der Erregung des Atemzentrums sei. Da Mangel gleichbedeutend ist mit Fehlen oder Abwesenheit, so steht diese Aussage ın Widerspruch mit einer klaren Vorstellung von der ursächlichen Beziehung, da etwas Negatives nicht wirken noch auch als wirkend begriffen werden kann. Eine nähere Be- trachtung lehrt, daß diese Formel den Tatsachen, aus denen sie geschöpft wurde, nicht angepaßt ist. Diese nahmen ihren Ausgang von der elementaren Beobachtung, daß Fehlen von Sauerstoff ın der Einatmungsluft die Atembewegungen verstärkt. Besteht dem- nach zwischen der Abwesenheit von Sauerstoff und Steigerung der Atemtätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang? — Die Grundlage zur Feststellung eines Kausalverhältnisses ıst das Zusammenvor- handensein, das Kriterium die Größenbeziehung der miteinander verglichenen Objekte. Jenes setzt Vorhandensein, diese Größen- änderungen im Vorhandensein voraus. Zwischen der Abwesenheit von Sauerstoff und der Tätigkeit des Atemzentrums lassen sich nicht die einem ursächlichen Zusammenhang entsprechenden Be- ziehungen herstellen. Was zueinander in Beziehung tritt, ist aber gar nicht Atemzentrum und Einatmungsluft, sondern Atemzentrum und Blut, ın diesem aber ıst selbst in dem extremen Fall der Er- stickung immer noch Sauerstoff, wenn auch in sehr verringerter Menge, enthalten, die Stärke der Atemtätigkeit steht erfahrungs- gemäß ın einem Verhältnis zu der Menge des im Blute befindlichen Sauerstoffs. Koexistenz und Größenbeziehung bestehen daher zwischen der Tätigkeit des Atemzentrums und dem vergleichsweise verminderten Sauerstoff. Daher ist folgerichtig dieser und nicht der Sauerstoffmangel als die Ursache der gesteigerten Erregung zu bezeichnen. Der Satz von der erregenden Wirkung des Sauerstoffmangels stimmt auch mit später ermittelten Tatsachen nicht überein, die, wie dies bei der Apnoe unter bestimmten Bedingungen der Fall Röder, Über die Ursache der Atembewegungen. 517 ist, Sauerstoffmangel des Blutes ohne Erregung des Atemzentrums aufweisen und dies bis zu dem Grade, daß der Apnoe unmittelbar die Erstickung folgen kann. Diese Erscheinung wird damit begründet, daß ın diesen Fällen die Erregbarkeit des Atemzentrums herabgesetzt sei. Ist sie damit wirklich erklärt? Sıe scheint erklärt, da sie auf eine aus der Er- fahrung geläufige Tatsache, die Herabsetzung der Erregbarkeit der Muskeln und Nerven oder das psychische Phänomen der Ermüdung zurückgeführt wird. Sıe ist es aber nicht, da, abgesehen davon, daß diese Tatsachen selbst noch der Aufklärung bedürfen, diese Erklärung auf der logisch unzulässigen Identifizierung des Dasein, Größe und Beziehung negierenden Begriffs des Sauerstoffmangels mit den gewöhnlichen physiologischen Reizen beruht, da weiters eine Erregbarkeitsherabsetzung des Atemzentrums diesen letzteren gegenüber nicht nachgewiesen ist, aus welchem Grunde die Bei- legung dieser Eigenschaft nur eine Umschreibung der Tatsache, eine versatio in loco darstellt, indem die Unwirksamkeit des als Reiz angesprochenen Sauerstoffmangels auf die herabgesetzte Erreg- barkeit, diese aber wieder nur auf die Unwirksamkeit gegründet ist, und weil schließlich nicht erklärt ıst, warum in diesen Fällen die Erregbarkeit herabgesetzt ist. Diese Hilfshypothese hat somit weder logische Berechtigung noch wissenschaftlichen Wert. Derselbe Vorwurf trifft aber auch die Grundannahme, zu deren Stütze sie aufgestellt worden ist. Mit den Widersprüchen, die sie enthält, könnte man sich abfinden, wenn sie Verdienste aufzuweisen hätte. Diese werden danach bemessen, ob die Annahme jene Tat- sachen, über die sie Aufschluß geben soll, zur Gänze erklärt, und ob sie der Entdeckung neuer Tatsachen die Wege bahnt. Weder das eine noch das andere ist der Fall. Wir können uns nicht ver- hehlen, daß die in Frage stehende Annahme zur Erklärung der normalen Erregung, der sie vornehmlich dienen sollte, nicht ver- wertbar ist, da, wie schon Rosenthal betont, es kaum glaublich ist „anzunehmen, daß der Sauerstoffgehalt des Blutes, welches durch die Capillaren der Medulla oblongata Nießt, in der kurzen Zeit von einem Atemzug zum andern seine Beschaffenheit so ändert, daß er abwechselnd zur Entstehung der Erregung Anlaß gibt und wieder nicht“. Auch die moderne Physiologie ist nicht imstande, die Ent- stehung des Sauerstoffmangels begreiflich zu machen und dies um so weniger, als einer ihrer Grundsätze besagt, daß die normale tierische Zelle selbst die Intensität des Sauerstoffstroms reguliert. Hängt der Nachschub einzig und allein vom Verbrauch ab, dann ist, bei dem großen Vorrat des Blutes an Sauerstoff, das Auftreten eines Mangels unter normalen Verhältnissen ganz undenkbar. Auf die normale Erregung ist somit die erörterte Annahme in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht anwendbar. Und daß sie der zweiten 58 Röder, Über die Ursache der Atembewegungen. Forderung, Resultate der experimentellen Forschung vorauszusagen, nicht nachkommen kann, ıst von vornherein ersichtlich, da aus dem Begriff des Mangels, der jede Beziehung verneint, nicht neue er- schlossen werden können. Gehen wir hingegen davon aus, daß die Ursache der Erregung vergleichsweise verminderter Sauerstoff ist, so gelangen wir auf kurzem Wege zu ganz bestimmten Ergebnissen. Zunächst ıst, da nur freie Energie wirken kann, der begriffliche Inhalt der genannten Ursache durch das Merkmal des Freiseins zu bereichern und daher einfach gelöster, vergleichsweise verminderter Sauerstoff als Ur- sache der Erregung anzusehen. Ist aber das, was wirkt, derart charakterisierter Sauerstoff, so folgt weiter, da chemische Wirkung nur durch chemische Verbindung begriffen werden kann, daß das- jenige, worauf gewirkt wird, nur etwas sein kann, worauf der Sauerstoff chemisch zieit, womit er sich verbindet, also nicht das Atemzentrum selbst, sondern wieder nur freie im Atemzentrum befindliche Energie, Stoffe, die, insoferne sie sich mit dem Sauer- stoff verbinden, gemeinhin als oxydable Substanzen bezeichnet werden. Für das Zustandekommen der Erregung ist vergleichs- weise verminderter Sauerstoff ebenso nötig wie die ım Vergleich zu ihm im Überschuß vorhandenen, wirksamen oxydablen Substanzen. Daher haben beide ın gleicher Weise als Ursachen der Erregung zu gelten. Bedingung der Erregung ist das Mißverhältnis der ın einem Zeitmomente innerhalb des Atemzentrums zur Wirkung ge- langenden Mengen des Sauerstoffs und der Brennstoffe, das Mıß- verhältnis zwischen Sauerstoflangebot und Sauerstoffnachfrage oder, wie wir jetzt auch sagen können, relativer Sauerstoffmangel, nachdem die beiden Vergleichsobjekte, ohne die ein relativer Be- griff keinen Sinn ergibt, bestimmt worden sınd. Die nächste Frage ist die nach der Ursache des relativen Sauerstoffmangels, d. h. nach der Ursache derartiger Größenände- rungen von Sauerstoffangebot und -nachfrage, daß daraus ein Miß- verhältnis zwischen beiden resultiert. Da die Erregung periodisch- rhythmisch erfolgt, so muß auch die Ursache der Erregung periodisch- rbhythmisch eintreten. Rhythmik der Wirkung kann nur durch Rhythmik der Ursache entstehen. Dies ist analytisch absolut sicher, da ja die konstante Größenbeziehung der Prüfstein des ursächlichen Zusammenhanges ist. Kraft dieser analytischen Wahrheit können wir nicht nur folgern, daß die gefundene, unmittelbare Ursache der Erregung, der relative Sauerstoffmangel, rhythmisch sein muß, sondern auch, daß die uns unbekannte Ursache dieser Ursache das Kennzeichen der Rhythmik tragen wird. An ihrer Rhythmik also werden wir sie erkennen und aus der Rhythmik auf die Ursache schließen. Daß man nicht rhythmische Größen als Ursache der Atembewegungen ansieht, beruht auf dem eingewurzelten Irrtum, Röder, Uber die Ursache der Atembewegungen. 59 als ob eine Konstante Wirkungen und noch dazu solche rhythmischer Art zu erzeugen vermöchtet). Die entferntere Ursache der Erregung des Atemzentrums und somit der Atembewegungen kann nur ein im selben Rhythmus wie diese sich ändernder Faktor sein, dessen eigener Rhythmus, wollen wir ihn nicht von einem sich selbst be- stimmenden ersten Rhythmus ableiten, auf natürliche Weise nur begreiflich ist, wenn die Kette rhythmischer Ursachen in sich ge- schlossen ist, d.h. wenn die gesuchte Ursache der Atembewegungen und des relativen Sauerstoffmangels selber wieder durch diese ver- ursacht wird. Diesen Bedingungen entsprechen unserer Erfahrung nach nur die Atemschwankungen des Blutdrucks, die zeitlich streng mit der Atmung koinzidieren und teils durch die mechanische Ein- wirkung der Atembewegungen auf den Kreislauf, teils durch die gleichzeitige und gleichartige Erregung des dem Atemzentrum be- nachbarten Gefäßnervenzentrums hervorgerufen werden. Wir werden daher den Mut zu der Korsequenz haben müssen, diese als die Ursache des rhythmisch eintretenden relativen Sauerstoffmangels anzusehen, also anzunehmen, daß die Atemschwankungen des Kreis- laufs auf Sauerstoffangebot und Sauerstoffnachfrage in dem Sinne einwirken, daß sie abwechselnd ein mehr oder minder großes Miß- verhältnis zwischen beiden erzeugen und wieder nicht. Dieses vor- wiegend deduktive Ergebnis wird durch mehr auf induktiven Wegen gefundene Zusammenhänge ergänzt, die im besonderen das Sauer- stoffangebot von der Bewegungsenergie des Blutes?), die Sauerstoff- nachfrage vom Seitendruck?) abhängig erscheinen lassen. Mit Zu- hilfenahme dieser Beziehungen gelingt es, wie sich unschwer nachprüfen läßt, die Tatsachen der Lehre von den Atembewegungen, ihre Regulierung, die Änderung des Atemtypus unter pathologischen Verhältnissen, die Dyspnoe und Apnoe in widerspruchsloser und ausreichender Weise zu erklären. Daß diese Zusammenhänge zwischen chemischer Energie und Energien des Raumes, deren Bedeutung weit über das hier behan- delte Gebiet hinausreicht, sich an der belebten Materie anders äußern als an der unbelebten, wird bei der nicht wegzuleugnenden Verschiedenheit beider und bei der Relativität alles objektiven Ge- schehens, derzufolge jede Wirkung ebensosehr von der Natur dessen 1) Vgl. die Abhandlung: „Ist die Kohlensäure Ursache der Erregung des Atemzentrums?‘“ DBiolog. Zentralbl. Bd. 37, Nr. 1. 2) Vgl. Röder: „Über eine engere Beziehung zwischen Atmung und Kreis- lauf.“ Zentralbl. f. Phys. Bd. XXII, Nr. 23. „Über die Verschiebung des chemischen Gleichgewichtes durch Bewegungs- energie.‘‘“ Biochem. Zeitschr. 40. Bd., 3. u. 4. Heft. „Zur Regelung der Lebensvorgänge“, Biolog. Zentralbl. Bd. 34. Nr. 5. 3) Vgl. Röder: „Über den Zusammenhang der Energien in der belebten Natur.“ Biolog. Zentralbl. Bd. 35, Nr. 10, 1010) Röder, Über die Ursache der Atembewegungen. abhängt, was wirkt, wie dessen, worauf gewirkt wird, nicht nur nicht befremden dürfen, sondern im Gegenteil erwartet werden müssen. Es seı daran erinnert, daß der beim Vergleich von Dingen uns geläufige Maßstab, die Messung auf Grundlage der Schwere, nur eine Folge der Frühentwicklung der Mechanık ıst, daß von zwei Massen, die auf Grund der Schwere als gleich bezeichnet werden, die mit dem höheren Molekulargewicht chemisch die kleinere Masse hat, da die Molekulargewichte die chemisch äquivalenten Massen darstellen, und daß daher bei Zufuhr gleicher Beträge von Energie die Substanz mit dem höheren Molekulargewicht auch ein entsprechend höheres Potential aufweisen wird. Und die harmo- nische Verkettung, die die Energien in der belebten Natur gegen- über der bloßen Verwandtschaft ın der unbelebten darbieten, wird begreifbar durch ein sukzessiv-harmonisches, nachbarliches Ver- hältnıs der Massen der räumlich miteinander verbundenen Energie- arten, das ihre Potentiale zu jenen Akkorden zwingt, die die Mannigfaltigkeit und die Eigenart der Lebenserscheinungen aus- machen. Im übrigen kann nicht nachdrücklich genug betont werden, daß auch die experimentelle Feststellung der Unabhängigkeit der che- mischen Energie der lebendigen Substanz von der Bewegungs- und Volumsenergie, deren Abhängigkeit hier postuliert wird, eine Er- weiterung unseres Wissens bedeuten würde, da hiermit etwas be- wiesen würde, wovon man vorher keine auf Versuche gegründete Kenntnis hatte, zu dessen Annahme man sich vielmehr nur durch eine unvollständige Induktion für berechtigt hielt. Ein negatives Ergebnis würde uns anspornen, andere Abhängigkeiten ausfindig zu machen, da wir uns unter gar keinen Umständen bei einem ver- kappten Vitalismus beruhigen dürfen, der die Tatsachen des Lebens dadurch zu erklären vermeint, daß er den Zellen oder Zellverbänden gewisse Fähigkeiten zu- oder aberkennt. Möchten doch auch in der Lebenswissenschaft die Worte Newton’s*) beherzigt werden: „Uns zu sagen, daß jede Art von Dingen mit einer besonderen geheimen Eigenschaft begabt ist, durch die sie wirkt und offen ersichtliche Wirkungen hervorbringt, heißt so viel wie uns gar nichts sagen. Aber zwei oder drei allgemeine Prinzipien der Bewegung aus den Erscheinungen abzuleiten und hernach zu zeigen, wie die Eigen- schaften und Wirkungen aller körperlichen Dinge aus diesen offen- kundigen Prinzipien sich ergeben, würde einen sehr großen Fort- schritt in der Philosophie bedeuten, wenn auch die Ursachen dieser Prinzipien noch nicht entdeckt wären.“ 4) Optics, 4. Aufl., S. 377. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 61 Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutations- lehre von Hugo de Vries und sein Versuch, die bei der Oenothera Lamarckiana beobachteten Mutations- und Kreuzungserscheinungen auf den Mendelismus zurückzuführen’). Von Hermann Kranichfeld. Nach Hugo de Vries haben wir in den Mutanten der Oeno- thera Lamarckiana den Fall einer gruppenweisen Artbildung vor uns und zwar den einzigen Fall, den man bisher entdeckt hat. Ähnliche Erscheinungen schienen allerdings auch bei Rubus vor- zukommen. Lidforss fand bei Rubus suberectus, Rubus plicatus, Rubus polyanthemus und anderen Rubus-Arten zahlreiche Neuheiten — bei Rubus polyanthemus z. B. 1—-15%, —, die durchaus den Eindruck neuentstandener, selbständiger Arten machten. Darunter waren Gigas- und Nanella-Formen. Die Abänderungen umfaßten alle Organe und gingen nach allen Richtungen. Auch ihre Kon- stanz konnte festgestellt werden. Es erfolgten jedenfalls keine Rückschläge in die Mutterart. Aber für Rubus hat Lidforss selbst seine anfängliche Ansicht, daß die neuen Formen Mutanten ım Sinne von Hugo de Vries seien, aufgegeben. Er hielt sie in seiner letzten Veröffentlichung nur noch für Abspaltungen von Hybriden. Was ihn zu dieser Meinungsänderung bestimmte, war vor allem der Umstand, daß die Rubus-Arten, welche die Neuheiten hervor- brachten, allem Anschein nach Bastarde sind. So können die Rubus- Mutanten bis auf weiteres nicht mehr zur Unterstützung der Auf- fassung von Hugo de Vries herangezogen werden. Im Gegenteil sieht es so aus, als erhielte durch das Ergebnis der Lidforss’schen Untersuchungen die Annahme mancher Forscher, daß auch die Mutanten der Oenothera Lamarckiana auf Kreuzungen zurückzuführen seien, eine Bestätigung. Sie ist in verschiedener Form gemacht worden. Nach den einen sollte die O0. Lamarckiana ein Bastard sein und die Mutation in einer Abspaltung von Kreuzungskomponenten bestehen. So urteilen in der Hauptsache Bateson und Saunders, Plate, Leclere du Sablon, Davis u. a. In seinem Vortrag: Die Mu- tation und die Erblichkeit (1912) hat Hugo de Vries sich mit dieser Auffassung auseinandergesetzt und die Tatsachen, welche gegen sie sprechen, vorgebracht. Wir brauchen daher hier nicht von neuem auf sie einzugehen?). Von einem anderen Gesichtspunkt 1) Heribert Nilsson, Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana und das Problem der Mutation. Zeitschr. für induktive Abstammungs- und Vererbungs- lehre. 8. Bd., 1912, S. 87 ff. 2) Einen neuen Gegenbeweis auf experimenteller Grundlage enthält der Auf- satz von de Vries: Oenothera gigas nanella a Mendelion mutant. Bot. Gaz. 62 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. aus betrachtet Heribert Nilsson dıe Zamarckiana-Mutanten. Auch er hält sie für Kreuzungsprodukte. Aber er sieht die O. Lamarckiana nicht als einen Bastard, sondern als eine Kollektivart an, die zahl- reiche Biotypen in sich schließt. Die Mutanten sind nach ihm be- sondere Formen, die aus den kaleidoskopartig wechselnden Kombi- nationen der sich kreuzenden Biotypen auftauchen. Es bestehen so nach ihm die Mutationen nicht in Abspaltungen einzelner Kreu- zungskomponenten, sondern in Neukombinationen verschiedener Biotypen. Diese Auffassung hat, soviel ich sehen kann, weitgehende Zustimmung erfahren. W. Johannsen bezeichnet ın seinen Ele- menten der exakten Erblichkeitslehre (S. 645ff.) die Ergebnisse Nilsson’s geradezu als grundlegend und entscheidend für die Be- urteilung der Mutanten der 0. Lamarckiana. Eine Gegenkritik von Hugo de Vries ıst nicht erfolgt. In dem oben erwähnten Vor- trag konnte er die Nilsson’schen Untersuchungen noch nicht be- rücksichtigen. In seiner gruppenweisen Artbildung (1913) führt er sie nur an, ohne sich über sie zu äußern. Vielleicht geht man mit der Annahme nicht fehl, daß Hugo de Vries glaubte, nachdem er in seinem letzten Werke die besondere Stellung der ganzen Gruppe der Onagra-Oenotheren eingehend erörtert und durch Ver- suche festgestellt hatte, von einer weiteren Rechtfertigung seines Standpunktes gegenüber der Nilsson'schen Auffassung zunächst absehen zu können. Bei der Aufnahme, welche letztere gefunden hat, dürfte es sich jedoch empfehlen, ihre kritische Prüfung nicht zu unterlassen?). Sie liefert derselben mancherlei Angriffspunkte. Denn wenn Nilsson auch, wie besonders W. Johannsen hervor- hebt, unsere Erfahrungen hinsichtlich der Mutationen der ©. La- marckiana nach verschiedenen Richtungen hin erweitert hat, so reichen doch die von ıhm gewonnenen Versuchsresultate zu einem zwingenden Beweis für seine Auffassung der Oenothera-Mutanten nicht aus. Sie liegt ın der Forschungsrichtung des neueren Men- delismus und hat diesem Umstand zum Teil den Beifall, welchen sie gefunden, zu verdanken, aber in dem Bestreben, das isolierte Erscheinungsgebiet der Lamarckiana-Mutationen den Gesetzen des Mendelismus unterzuordnen, ist Nilsson offenbar der Gefahr nicht entgangen, die mendelistischen Prinzipien zu überspannen. Gerade Vol. LX, Nr. 5, 1915. Vgl. auch den in der Zeitschr. f. ind. Abst.- u. Vererbgsl. demnächst erscheinenden Aufsatz desselben Verf. „Gute harte und leere Samen von Oenothera“. 3) Wie mir Herr Professor Hugo de Vries mitteilt, wird er in seinem dem- nächst in der Zeitschr. f. ind. Abst.- u. Vererbgsl. erscheinenden Aufsatz über „Gute harte und leere Samen von Oenothera“ auch seine ‚Auffassung der schwe- dischen Oenothera von Nilsson darlegen. Er hatte gleichzeitig die Güte, mir die Fahne des betreffenden Aufsatzes zu übersenden und mich dadurch in den Stand zu setzen, die Ergebnisse seiner Untersuchung schon in meiner Arbeit zu berück- sichtigen bezw. die Leser in Anmerkungen auf sie hinzuweisen, Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 63 von seiten der Mendelianer ist davor gewarnt worden, die Theorie mit Hilfe unkontrollierbarer Hypothesen auf immer weitere Ge- biete anzuwenden und so jene wunderbar erfolgreiche, exakte Me- thode zum Werkzeug der Spekulation zu machen. H. Nilsson hat in Widerspruch damit zur Unterstützung seiner Auflassung eine ganze Reihe beweisloser Hypothesen aufgestellt, ohne auch nur seinen Zweck zu erreichen und den besonderen Üharakter der Lamarckiana-Mutanten eliminieren zu können. An sich läßt sich bei kollektiven Arten, d. h. Arten, welche zahlreiche Biotypen in sich vereinigen und bei allogamer, d.h. bei auf Fremdbestäubung beruhender Fortpflanzung sehr wohl der Fall kon- struieren, daß diskontinuierliche, konstante Neubildungen entstehen, die, wie es bei den Mutanten nach Nilsson der Fall sein soll, nur zu- fällige Kombinationen von Erbeinheiten der verschiedenen Biotypen sind. Infolge der Vermischung sind bei solchen Kollektivarten die meisten Erbeinheiten heterozygot. Bei der Fortpflanzung müssen daher fortwährend neue Kombinationen entstehen. Wenn nun auch diese in ununterbrochenem Fluß auftauchenden Kombinationen im allgemeinen allmähliche Übergänge zeigen und schnell wieder ver- schwinden, so können doch auch sprunghafte konstante Abände- rungen auftreten, die durch keine Zwischenstufen mit den elter- lichen Formen verbunden sind. So haben wir nach den Unter- suchungen von Erwin Baur bei der allogamen Kollektivart des Löwenmauls eine große Anzahl von Biotypen, deren Erbeinheiten verschiedene Farbennüancen der Blüte bestimmen. In der Nach- kommenschaft gehen diese Nüancen in der Regel ineinander über. Es treten rot und gelb in der verschiedensten Mischung und Ver- teilung auf. Es können aber auch ohne jeden Übergang einzelne konstante weiße Individuen erscheinen, selbst wenn bei den Eltern und Voreltern von Weiß nichts zu sehen war. Nach E. Baur haben wir nämlich bei dem Löwenmaul eine Erbeinheit anzunehmen, deren Vorhandensein erst die anderen, eine bestinmte Farbe be- dingenden Erbeinheiten aktiv werden läßt. E. Baur bezeichnet diese Erbeinheit mit B. Wo sie fehlt (bei bb), entsteht Weiß. Setzen wir nun den Fall, daß in einem Bestand von Löwenmaul die meisten Individuen hinsichtlich des Faktors B homozygot sind, also der Konstitutionsformel BB entsprechen. und nur eine ver- schwindend kleine Zahl von Individuen den Faktor Bb besitzt, so werden der Wahrscheinlichkeit nach ganz selten sich Individuen, die beide den Faktor Bb haben, miteinander kreuzen. Ist dies aber einmal zufällig geschehen, so müssen in der Nachkommenschaft konstante weiße Individuen mit dem Farbenfaktor bb auftreten. Ebenso gelingt die Konstruktion diskontinuierlicher, konstanter Kombinationen mit Hilfe der Hypothesen der Faktorenverkoppelung bezw. der Faktorenabstoßung, der Polymerie u. s. w. 64 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß solche ın der Population einer kollektiven Art auftreten können. Damit ist aber selbstverständlich noch nicht gesagt, daß auch die Mutanten der O. Lamarckiana Kombinationen sind. Wir können dies vielmehr nur dann annehmen, wenn sich dıe Mutationen der 0. Lamarckiana tatsächlich wie Spezialfälle der Kombinationen allogamer Kollektiv- arten verhalten und Mutationen und Neukombinationen von Bio- typen in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen. Es ist die durchgehende Übereinstimmung beider nachzuweisen. Das ıst Nilsson nicht gelungen. Nilsson’s Auffassung der Oenothera-Mutanten. Fragen wir zunächst, wie nach Nilsson der Vorgang der Mutantenbildung verläuft. Nilsson entwickelt seine Auffassung auf analytischem Wege. Sie tritt uns daher nur stückweise im Verlaufe seiner Untersuchung entgegen. Zur Erleichterung ihres Verständnisses wird es sich empfehlen, hier einen anderen Weg einzuschlagen und sie, kurz zusammengefaßt, unseren Darlegungen vorangehen zu lassen. Wir werden dabeı zugleich einige ihrer von Nilsson nicht besonders erwähnten Konsequenzen hervorheben. Nach der Voraussetzung von Nilsson ist die ©. Lamarckiana, wie bereits gesagt, eine Kollektivart, die ähnlich wie unser Garten- Löwenmaul aus zahlreichen mendelnden Biotypen zusammengesetzt ist. Ist dies der Fall, dann müssen beständige Kreuzungen zwischen den Biotypen stattfinden, durch welche die mendelnden Erbein- heiten auf die einzelnen Individuen einer Population in verschie- dener Weise verteilt werden, so daß sie in ihnen bald ın homo- zygot- oder heterozygot-positivem,‘: bald in homozygot-negativem Zustand vorhanden sind. Oenothera-Mutanten entstehen nun nach Nilsson dann, wenn bestimmte Erbeinheiten homozygot-negativ werden. Nehmen wir also für die Individuen der O. Lamarckiana- Populationen die Konstitutionsformel ABCDEF...UVWan, wobei die Buchstaben A bis W ihre verschiedenen, bald positiven, bald negativen mendelnden Erbeinheiten bezeichnen sollen — nach Nilsson müßte allerdings ihre Anzahl wohl noch größer sein als hier vorausgesetzt wird —, so würde beispielsweise die eine Mu- tante auf der Bildfläche erscheinen, wenn die ersten vier Erbein- heiten zufällig einmal negativ würden, eine zweite und dritte, wenn dies mit der 8.—10. oder mit der 11.—13. Erbeinheit der Fall wäre, Wenn die erste der so entstandenen Mutanten nun der ©. lata, die zweite der O. nanella, die dritte der O. rubrinervis ent- spräche, so hätten wir für diese die folgenden Konstitutionsformeln: O. lata aalihbb;; Heer add ER O. nanella hh ı kk (XXjım. O. rubrinervs = 1 mm nn (XXjreb, Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 65 wobei die kleinen Buchstaben die für die betreffende Mutante spe- zifischen negativen Erbeinheiten, die in Klammern gesetzten Buch- staben (XX) die Summe aller anderen mendelnden Erbeinheiten oder — nach dem Ausdruck von Johannsen — den „Rest“ be- deuten sollen‘). Während die spezifischen negativen Mutanten- Erbeinheiten bei Reinzüchtung konstant bleiben müssen, wechseln die in dem Rest zusammengesetzten Erbeinheiten — bei dem Rest (XX)t beispielsweise die Erbeinheiten E bis W — beständig ihren Charakter und werden bald homozygot- oder heterozygot-positiv, bald homozygot-negativ, doch bleibt der „Rest“ jeder Mutante von den „Resten“ der anderen wenigstens in einer Erbeinheit unter- schieden. Ich habe die verschiedenen „Reste“ darum mit einem besonderen Index versehen. Die Mutanten sind so nach Nilsson „nicht progressive oder regressive Neubildungen, entstanden durch spontanes Hinzukommen oder spontanen Verlust einer einzigen Elementareigenschaft, d. h. durch Mutation im Sinne von de Vries, sondern Minuskombina- tionen, d. h. entstanden durch Neukombinationen bereits ın der Stammart vorhandener und auf verschiedene Individuen verteilter mendelnder Eigenschaften“ und zwar sollen diese Neukombinationen, wie gesagt, Minuskombinationen oder „absenege-Kombinationen, d.h. absence-Kombinationen in mehreren Eigenschaften“ sein (Nilsson xe..29..218): Als Ausnahme wird zunächst dıe Mutante O0. gigas genannt. Sie ist nach Nilsson eine Pluskombination. Wır werden die Gründe, die ihn zu dieser Annahme bestimmen, unten (5. 80) näher kennen lernen. Auch die oben für die Mutante ©. rubrinervis an- gegebene Konstitutionsformel kann nur für die von Nilsson auf- gefundene weißnervige Nebenform der O. rubrinervis gelten, da die gewöhnliche Form nach Nilsson den Erbfaktor der Rotnervigkeit besitzt, der in einzelnen Biotypen kumuliert sein soll und darum positiv sein muß. Wir erhalten dann für die rotnervige und weib- nervige Form der ©. rubrinervis die beiden Konstitutionsformeln: ll mm nn RR (XX)ror- und 1 mm nn rr (XX)P-, wenn wir den Erbfaktor der Rotnervigkeit durch R bezeichnen. Die größten Schwierigkeiten macht unter den Nilsson’schen Voraussetzungen die Konstruktion der Konstitutionsformeln für die Mutanten, welche andere Mutanten aus sich hervorgehen lassen. So müßte eine O. nanella, die sich unter den Nachkommen der O. lata zeigte, wenn die oben (S. 64) aufgestellten Konstitutions- formeln gelten, notwendig eine Doppelmutante Zata-Nanella sein. Ihre Konstitutionsformel wäre, da der Faktorenkomplex der Data aa bb ce dd konstant ist: (aa bb ce dd) (hh ii kk) (RX lets nanelia, 4) Nilsson läßt in seinen Konstitutionsformeln den „Rest“ (XX) weg. 37. Band 5 66 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. Wir finden nun aber unter der Nachkommenschaft der Mutanten Leptocarpa, Oblonga, Nanella, Seintillans und Sublinearis verschiedene einfache Schwestermutanten. Es bringt z. B. Nanella die Oblonga, ferner Oblonga die Albida, Elliptica und Rubrinervis; Leptocarpa die Nanella hervor. Nilsson sagt darüber: „Dieses scheint zu zeigen, daß die Mutanten nicht ın allen „Eigenschaften konstant sind, sondern spalten“ (l. c., S. 195). Daß die Nilsson’schen Minus- kombinationen nicht in allen Eigenschaften konstant sind und jeden- falls nicht alle mendelnden Erbeinheiten der O0. Lamarckiana bei ihnen negativ sein können, ist selbstverständlich, da in letzterem Falle nur eine einzige Minusmutante möglich wäre. Doch ist mit einer solchen Annahme für die Lösung der ın Frage stehenden Schwierigkeiten nichts gewonnen. Es läßt sich aber auch keine andere Annahme, die denselben wirklich gerecht wird, finden. Wenn O. nanella die O. oblonga aus sich hervorgehen läßt, so könnte man für die O. oblonga vielleicht die Konstitutionsformel (hh u kk) fg (XX °P! aufstellen und meinen, daß die O. oblonga aus der O. nanella entstehe, wenn zufällig auch die Faktoren F und G negativ werden. In analoger Weise müßten dann aber auch die spezifischen Erbein- heiten der O. oblonga den Kern der O. albida, der O. elliptica und der O. rubrinervis, die aus ihr hervorgehen, bilden. Es gäbe das außerordentlich komplizierte Konstitutionsformeln, um so mehr, als man ja auch die inkonstanten Mutanten Sein- tillans und Sublinearis mit in Betracht zu ziehen hätte. Vor allem müßte aber bei solcher Konstitution die O. nanella häufiger als die 0. oblonga, die Oblonga häufiger als die Albida, die Leptocarpa häufiger als die Nanella sein, was nicht der Fall ist. Nilsson sagt nicht, wie er sich die Lösung dieser Schwierigkeiten denkt. Er begnügt sich bei Darstellung seiner theoretischen Auffassung überhaupt vielfach mit Andeutungen. Versuche Nilsson’s mit der Oenothera von Almaröd und seine Deutung ihrer Ergebnisse. Für seine Auffassung macht Nilsson in erster Linie die Re- suliate der Versuche geltend, die er mit seiner Oenothera La- marckiana anstellte, die aus einem Garten von Almaröd im süd- lichen Schonen stammte. Von ihr erhielt er, als er sie in „reinen“ Linien kultivierte, nicht weniger als neun neue Mutanten. Ein Teil derselben gelangte allerdings nicht über das Entwicklungsstadium der Rosette hinaus, doch konnte er ihren Charakter auch in diesen Fällen noch er- kennen. Im allgemeinen waren sie den von H. de Vries beschriebenen Mutanten ähnlich, liefen ihnen aber nur parallel, ohne sich in sie Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 67 einordnen zu lassen. In den weißnervigen Linien°) traten vor allem lata-ähnliche Formen auf. Nur eine von ihnen stimmte jedoch mit der O. lata von Hilversum ganz oder fast ganz überein. Stärkere Abweichungen zeigten folgende Mutanten: Mutante 5°). Sie vereinigte neben einigen selbständigen Cha- rakteren die Verästelung von ©. rubrinervis bei pigmentarmen Knospen, Früchten und Stengeln, gewisse Blattmerkmale von ©. seintillans und Blütenknospen- und Früchtemerkmale von 0, lata. Mutante 6. Sie war rubrinervis-ähnlich; doch hatte sie, ab- weichend von der O. rubrinervis von Hilversum, weiße Blattnerven. Im übrigen war sie typisch einjährig und stark pigmentiert. In letzterem Punkte stimmte sie mit der von Gates beobachteten Mutante ©. rubricalyx überein. Die Blüten waren kleiner als beı O. rubrinervis von Hılversum, auch die Verästelung war eine andere. Vor allem fehlte ihr dıe Brüchigkeit der O. rubrinervis. Mutante 7. Im Gegensatz zu Mutante 6 typisch zweijährig. Nilsson faßt sie als ©. gegas auf. Sie unterscheidet sich aber von der O. gigas von Hilversum durch eine große Anzahl von Einzelcharakteren. Ihre Blattnerven sınd rot (statt weiß), die Blätter dunkelgrün (statt blaugrün), abstehend (statt hängend), dıe Stamm- glieder kürzer, die Nebenstengel zahlreicher, die Blütenknospen stärker gefärbt und spitzer zulaufend (nicht tonnenförmig, sondern kegelförmig), die Blüten heller und größer, die Griffel und Früchte länger als bei O. gigas von Hilversum. Die meisten Unterschiede sind quantıtativer Natur und schon an einzelnen Individuen der Stammart zu beobachten, doch treten sie durchweg stärker als in der Stammart auf. Mutante 8. Auch sie ist nach Nilsson eine O. gigas. Sie hat ım Unterschied zu Mutante 7 wie die O. gigas von Hilversum weiße Blattnerven. Die übrigen Gigas-Charaktere sind bei ihr schwach ausgeprägt. Nilsson schloß aus dem Auftreten dieser von ihm ent- deckten neuen Formen, daß man es bei ıhnen nicht mit neu- entstandenen Arten zu tun haben könne. Dazu sei einerseits ihre Anzahl zu groß, anderseits ıhre Abgrenzung von den schon be- kannten Mutanten zu unbestimmt. Man könne bei ihnen nicht mehr von diskontinuierlichen Formen sprechen. Dasselbe gelte wenigstens zum Teil auch von den neuen Formen, die von anderer Seite auf- gefunden wurden. Man hatte solche schon vor Nilsson — be- sonders in Amerika — entdeckt. Mac Dougal fand 9, von denen 4 in Kulturen aus dem Samen von Hilversum, 5 ın Kulturen aus dem Samen von Oenotheren des 5) Vgl. unten S. 73. 6) Die beigesetzten Ziffern entsprechen der Zählung von Nilsson. Er be- zeichnet übrigens, wie erwähnt, die Mutationen als Kombinationen. Hr 58 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. botanischen Gartens in New York entstanden; Schouten erhielt 1, Gates 2 neue Mutanten. Übrigens erwähnt Hugo de Vries selbst außer den 13 von ihm beschriebenen Mutanten noch eine nicht unbedeutende Anzahl von besonderen Formen, „die für den Kampf ums Dasein nicht geeignet waren und darum frühe zugrunde gingen“”). Diese von verschiedenen Forschern erhaltenen Mutanten stehen nach Nilsson ebenso wie die von ıhm selbst aufgefundenen den de Vries’schen zum Teil nahe, ohne jedoch mit ihnen ıdenti- fiziert werden zu können. Man habe es so mit Sammelbegriffen zu tun, die man als O. rubrinervis, O. lata, O. gigas u. s. w. bezeichnen könne. Letztere entsprächen aber nicht einheitlichen Typen, sondern vereinigten verschiedene erbliche Modifikationen in sich. So umfasse der Sammelbegriff O. rubrinervis die Formen ©. rubrinervis von Hilversum, O. rubricalye von Gates, die Mutante 6 von H. Nilsson, die beiden Rubrinervis von Mac Dougal und die O. blanda von Schouten. Die Nilsson’sche Theorie soll nun für beide Erscheinungen, sowohl für die große Anzahl der neuen konstanten Formen, wie für ihre wenigstens teilweise Parallelität mit den de Vries’schen Mutanten eine Erklärung geben. Wenn unter den Kombinationen der von ihm vorausgesetzten verschiedenen mendelnden Erbeinheiten nur die als besondere Phänotype in die Erscheinung treten, bei welchen eine größere Anzahl bestimmter Erbeinheiten negativ ge- worden ist, so werden diese Formen nur selten vorkommen, sie werden ferner konstant sein und können je nach den Gruppen, in welchen die negativen Erbeinheiten auftreten, sehr verschiedene Gestalten zeigen. Damit würden ın der Tat die wesentlichen Be- stimmungen der Mutanten: ihr seltenes Erscheinen, ihre Konstanz und ıhr Formenreichtum gegeben sein. Auch die eigentümliche Erscheinung der parallelen Mutanten, d. h. der Mutanten, welche wohl dem gleichen Typus angehören, aber eine verschiedene Ausprägung desselben repräsentieren, ver- sucht Nilsson aus seiner Hypothese abzuleiten. Sie soll bei den von ihm aufgefundenen Formen auf seiner Kulturmethode der „reinen Linien“ oder, richtiger ausgedrückt?), der isolierten Stamm- linien beruhen. Greift man nämlich aus einer allogamen Kollektivart zwei Indi- viduen heraus, die ja der Wahrscheinlichkeit nach verschiedene Genotypen haben werden, and bildet aus ihnen besondere Stamm- linien, indem man die auf dem Wege der Selbstbefruchtuug er- 7) Die Anzahl der neuen Mutanten ist seit der Veröffentlichung der Nilsson’- schen Arbeit noch gewachsen. Hugo de Vries gibt eine Übersicht derselben im Biologischen Centralblatt, 1916, S. 3ff. 8) „Reine Linien“ kann es in einer allogamen Population, wie sie Nilsson bei der ©. Lamarckiana voraussetzt, nicht geben. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 69 haltene Nachkommenschaft jedes der beiden Individuen gesondert weiter kultiviert, so müssen sich die betreffenden Stammlinien in bestimmten Erbeinheiten dauernd unterscheiden. Denn die in den Ausgangsindividuen zufällig vorhandenen homozygoten positiven und negativen Erbeinheiten bleiben bei Kultivierung in gesonderten Stammlinien unverändert. Tritt daher in den beiden Stammlinien etwa eine OÖ. nanella auf, so wird unter den Nilsson’schen Voraus- setzungen die eine die Konstitutionsformel hh u kk (XX)r@- I, die andere Konstitutionsformel hh u kk (XXjr@- I haben. Es sind verschiedene Biotypen mit verschiedenen Genotypen. Aber sie müssen auch verschiedene Phänotypen zeigen. Denn auch in dem Falle, wo die spezifischen negativen Erbeinheiten hh ii kk unver- ändert bleiben, ist ihre Erscheinungsweise mit durch die Natur der übrigen Erbeinheiten (XX)rar- ! und (X X)rar-!! mit welchen sie in der Zygote kombiniert ist, bestimmt. Da Nilsson annimmt, daß Hugo de Vries nicht mit isolierten Stammlinien gearbeitet hat, glauht er auf diese Weise die Tatsache erklären zu können, daß in seinen Kulturen Mutanten mit einem von den de Vries’schen Mutanten abweichenden Gepräge erschienen sind. Gegen diese Nilsson’schen Aufstellungen erheben sich nun, so einleuchtend sie auch zum Teil zu sein scheinen, sehr gewichtige Bedenken, und zwar sowohl gegen ‘die von ihm gemachten Voraus- setzungen, wie gegen die Erklärungsversuche selbst. Nach der Hauptvoraussetzung soll die O. Lamarckiana wie manche unserer Kulturrassen (Löwenmaul, Stiefmütterchen, Sommer- flor u. s. w.) eine aus zahlreichen Biotypen bestehende Kollektivart sein. Bei den letzteren spiegeln aber auch die Phänotypen die Kombinationen der verschiedenen mendelnden Erbeinheiten wieder. Ein Beet mit Löwenmaul oder mit Stiefmütterchen zeigt, so lange man’ die verschiedenen Biotypen nicht isoliert, die den betreffenden Erbeinheiten entsprechenden Eigenschaften in buntestem Gemisch. Das ıst bei der ©. Lamarckiana nicht der Fall. Sie ist abgesehen von den selten auftretenden Mutanten monotyp. Die einzelnen Eigenschaften, welche für die Mutanten charakteristisch sind, treten bei ihr ım der Regel nicht auf. Nilsson versuchte z. B. die am meisten ausgeprägte Eigenschaft der O. lata, das Fehlen des Pollens, bei der ©. Lamarckiana aufzufinden und durchmusterte deshalb daraufhin alle seine blühenden Pflanzen, konnte aber bei keiner einzigen eine Abnahme des Pollens entdecken. Um diesen Wider- spruch seiner Hypothese mit dem tatsächlichen Befunde zu heben, machte er die Annahme, daß die für die Mutanten spezifischen negativen Erbeinheiten, wenn sie vereinzelt vorkommen, bei der 0. Lamarekiana kryptomer bleiben. Es würde also nach dieser Hilfshypothese nur die Kombination aa bb ee dd (XX)l* als O. lata erscheinen; eine Kombination Aa bb ce dd (XX) dagegen keine 70 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. Eigenschaft der O. /ata zeigen, sondern vollständig mit dem Phänotyp der O0. Lamarckiana übereinstimmen. Das hat nun nicht nur für eine, sondern im großen und ganzen für alle negativen Mutanten zu gelten. Wird die Mutante O. nanella von den negativen Erb- einheiten hh ıı kk (XX jr gebildet, so werden nach Nilsson auch diese im allgemeinen kryptomer bleiben, wenn nur eine von ihnen positiv ist, wenn also etwa die Kombination hh ıı Kk (XX) vor- liegt. Das Analoge müßte man für die O. oblonga, O. lata u. Ss. w. voraussetzen®). Eine solche komplizierte Hilfshypothese kann nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Dazu kommt, daß auch die Haupthypothese sehr schwach be- gründet ist. Man kann wohl annehmen, daß die O0. Lamarekiana im Laufe der Zeit eine größere Anzahl von Mutanten hervorgebracht hat. Denn die ganze Oenothera-Untergattung Onagra. zu welcher die ©. Lamarckiana gehört, befindet sich seit einer Zeit, die noch hinter ihre Einführung nach Europa zurückgeht, in einer Periode der Mutation !%). Dessenungeachtet sprechen, auch abgesehen von ihrem einförmigen Phänotyp, entscheidende Gründe dagegen, daß die O. Lamarckiana eine aus solchen, auf dem Wege der Mutation entstandenen Biotypen zusammengesetzte Kollektivart ist. Denn ein solches Gemisch verschiedener Biotypen mit mendelnden Eigen- schaften finden wir nur in dem Bestand von Kulturrassen, nicht bei den wilden Arten, zu denen wir die 0. Lamarckiana rechnen müssen. Der Grund dieser ganz allgemein beobachteten Erschei- nung liegt offenbar darin, daß die gewöhnlichen Mutationen sich im Freien nieht durchsetzen können. Erliegen die meisten schon im Kampf ums Dasein, ehe sie überhaupt zur Fortpflanzung kommen"), so müssen die zufällig erhalten gebliebenen durch die Kreuzung mit der Stammart, selbst wenn sie über dieselbe dominieren, in wenig Generationen ausgetilgt werden. Bei Kreuzung der domi- nierenden Mutante (D) mit der Stammart (R) erhält man beı n-Kindern aus jeder Paarung in den aufeinanderfolgenden Gene- rationen folgende Anzahl an DR- und RR-Kindern: 9) Die Auffassung Nilsson’s kommt besonders bei seiner Besprechung des verschiedenen Verhaltens der 0. Lamarckiana und der O. giyas während des Kom- binationsprozesses zum klaren Ausdruck. Derselbe geht nach Nilsson „innerhalb des Gigas-Typus morphologisch sichtbar vor sich, während er innerhalb des La- marckiana-Typus kryptomer mit nur sichtbarem Schlußresultat vor sich geht“. Erst wenn alle Eigenschaften „zusammentreffen“, erhalten wir innerhalb des Lamarckrana- Typus eine Mutante (l. c., 8. 219). Einzelne Biotypen sollen allerdings, wie wir gleich sehen werden, auch bei der O0. Lamarekiana sichtbar sein. 10) Hugo de Vries, Die endemischen Arten von Ceylon. Biolog. Central- blatt; 1916, S. 3ft. E 11) H. Kranichfeld, Die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung und der Kon- tinuität günstiger Varianten in der kritischen Periode. Biolog. Centralblatt, 1905, S. 657 ff. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 71 BR —=mDR, R-=:m8DR+ 4! n’Rk, E,—=1n®DR-+ 2 n’RR, F,— 1 nDR-+ 4 n!RR, Bl 22.n2DR- 215 n>Rm2): Die Anzahl der RR-Kinder nähert sich daher in den aufeinander- folgenden Generationen immer mehr dem Werte n®, wenn m die Anzahl der Generationen ist, die Anzahl der Bastarde DR mit dem Habitus der dominierenden Mutante wird dagegen ein immer ge- ringerer Bruchteil [(4)"—!] von n". Nach wenigen Generationen muß die Stammart die Mutante verdrängen. So ist es kein Zufall, wenn wir jenes Gemisch verschiedener allogamer Biotypen nur bei Kultur- rassen finden und hier auch nur hinsichtlich der gerade gezüchteten Eigenschaften — bej den Gartenblumen z. B. nur hinsichtlich der Blütenfarben und -formen, während die zu einer Art gehörigen Pflanzen sich außer der Blütezeit gleichen —, da die betreffenden Mutationen nur bei künstlicher Zucht erhalten bleiben können. Sie müssen ebenso wie bei ihrem Entstehen verschwinden, wenn die Kulturrasse verwildert und wieder den Kampf mit der an Zahl überwiegenden Stammart aufzunehmen hat!?). Es sind das Über- legungen allgemeiner Art, die gegen die Nilsson’sche Haupthypo- these geltend gemacht werden müssen, aber freilich nicht ins Ge- wicht fallen würden, wenn es ihm gelungen wäre, den Charakter der ©. Lamarckiana als Kollektivart exakt zu erweisen. Einen solchen Beweis finden wir aber bei Nilsson nicht. Sind auch die für die Mutanten spezifischen negativen Erbeinheiten nach der Hilfs- hypothese Nilsson’s bei der O. Lamarckiana im allgemeinen kryp- tomer, so müßte man doch erwarten, daß, ım Falle die 0. Lamarckiana wirklich so zahlreiche Biotypen umfaßte, wie Nilsson annımmt, neben den kryptomeren auch manifest werdende vorkämen. Nilsson hat nach ihnen gesucht und glaubt sie bei seiner Zamarckiana von Almaröd entdeckt zu haben. Er will hier Linien mit graugrünen bezw. gelbbunten Blättern, ferner solche mit verschiedener Statur der Pflanzen und mit verschiedener Neigung zur Polymerie der Narben aufgefunden haben. Diese Annahmen sind jedoch ganz unsicher. Die gelbfleckige Varietät scheidet als Beweis für die Nilsson’sche Auffassung schon darum aus, weıl es sich beı ıhr auch nach Nilsson nicht um einen 12) Nach der allgemeinen Formel: F „= (H)""-n"DR-+ [1 — (H"T]n®RR. Vgl. H. Kranichfeld, Wie können sich Mutanten bei freier Kreuzung durch- setzen ? Biolog. Centralblatt, 1910, S. 593 ff 13) Das ist auch der Fall, wenn die Biotypen der Kollektivart nicht Mutanten, sondern mendelnde Lokalrassen sind, welche von den Gärtnern zusammengebracht und gemeinsam kultiviert werden. 72 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. in der ©. Lamarckiana schon vorhandenen Biotyp, sondern um eine neu auftretende Mutante handelte. Hinsichtlich der anderen Eigenschaften fehlt ein ausreichender Nachweis ıhrer Erblichkeit. Nilsson scheint durchweg nur eine zweite Generation gezogen zu haben. In dieser war es nun nach ıhm schon „unmöglich“, die beiden angeblichen Linien mit graugrünen und dunkelgrünen Blättern bei Selbstbefruchtung „morphologisch nach dem Grün ihrer Blätter zu unterscheiden“. Auch der hinsichtlich ihrer Assımilationskraft von Nilsson beobachtete physiologische Unterschied war abge- schwächt. Noch unzulänglicher ist der Nachweis seiner Biotypen mit verschiedener Statur. Nilsson kreuzte Individuen zweier Linien von ungefähr gleicher durchschnittlicher Höhe. Die ın 8 bezw. 3 Individuen bestehende Nachkommenschaft der beiden ım gleichen Jahre vorgenommenen Kreuzungen war durchschnittlich etwa 10 cm höher als die Eltern. Da Mendel sowie Honing ın zwei Fällen beobachten konnten, daß die Bastarde der Kreuzung von zwei genotypisch verschiedenen Linien eine höhere Statur be- saßen als die Eltern, schließt Nilsson hier umgekehrt aus der höheren Statur der Nachkommenschaft auf das Vorhandensein von zwei genotypisch verschiedenen Linien. Eine solche Umkehr eines Schlusses ıst logisch nicht ohne weiteres zulässig. Die Nilsson’sche Annahme ıst jedenfalls nicht „höchst wahrscheinlich“, sıe müßte, um überhaupt in Betracht gezogen werden zu können, erst durch weitere Versuche sichergestellt sein. Der nächstliegende Schluß ist, daß wir es bei der von Nilsson beobachteten Erscheinung mit einer bloßen, durch die klimatischen Verhältnisse des betreffenden Jahres bedingten Somation zu tun haben. Er selbst erwähnt eine auf Somation beruhende Differenz in der Höhe der O. Lamarckiana von mehr’als 30 em. Ähnlich verhält es sich mit dem Nachweis einer besonderen Linie mit stärkerer erblicher Polymerie der Narben. Die Blüten der Zamarckiana-Pflanzen haben nach de Vries ım allgemeinen eine Neigung zur Polymerie der Narben, deren Zahl zwischen 4 und S schwankt. Sie bilden ın betreff dieser Anomalie eine halbe Kurve mit dem Scheitelpunkt über der Vierzahl. Nilsson erhielt nun bei 6 Individuen einer seiner Linien im Jahre 1910 auflällig viele Blüten mit überzähligen Narben. Die Anzahl der Narben eing bei den einzelnen Blüten zwar nıcht über 8 hinaus, aber die Anzahl der anormalen Blüten war so groß, daß eine normale Kurve mit dem Scheitelpunkt über der Sechszahl entstand. Nilsson schließt aus dieser einen Beobachtung, daß die betreffende Linie ein besonderer Biotyp sei. Das ist jedoch auch hier ganz unwahr- scheinlich. Die Halbrassen, zu denen die O0. Lamarcktana hinsicht- lich der Polymerie der Narben gehört, sind nach de Vries von äußeren Faktoren stark abhängig. Die halben Kurven werden unter Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 75 ihrem Einfluß zu normalen Kurven. Daß die äußeren Faktoren auch in dem betrefienden Falle im Spiele waren, geht noch daraus hervor, daß nach Nilsson die normale Kurve im Herbst unter den ungünstigeren klimatischen Verhältnissen in die halbe Kurve zurückging. Ist so die Erblichkeit der besprochenen Varianten durchaus zweifelhaft, so hat Nilsson die Frage, ob es mendelnde Eigenschaften sind, überhaupt nicht untersucht. Nur in einer Form mit rotnervigen Blättern, die auch bei seiner O. Lamarekiana von Almaröd vorkommt, liegt ein besonderer men- delnder Biotyp vor. Sie ist zweifellos erblich und unterscheidet sich bestimmt von der gewöhnlichen weißnervigen O. Lamarckiana. Letztere wird bei Selbstbefruchtung abgespalten. Es spalten dabei alle rotnervigen Biotypen. Konstante Rotnerven hat Nilsson nicht auffinden können. Die Weißnerven, welche selbst konstant sind, treten in Verhältniszahlen auf, die zwischen 1:3 und 1:8 schwanken. Da nun aber weder Hugo de Vries noch Mac Dougal, Gates, Schouten, Davis u. a. eine ähnliche Poly- morphie bei der ©. Lamarchiana beobachtet haben, sind die Ver- hältnisse wahrscheinlich anders zu deuten, als es von Nilsson geschieht. Die Oenotkera von Almaröd, die einem Bestand von etwa 50 Pflanzen angehörte, „die alle einen gemeinsamen Typus reprä- sentierten und aus zwei ursprünglichen im Garten gepflanzten Rosetten abstammten“ (Nilsson |]. c., S. 94) unterschied sich nach Nilsson von den O. Lamarckiana von Hilversum dadurch, daß sie nicht zwei-, sondern ausgesprochen einjährig ist, einen niedrigeren Wuchs, größere Blüten, stark braun pigmentierte Knospen und Früchte mit vier breiten tiefroten Pıgmentlinien hat. Sie dürfte daher gar nicht als O0. Lamarckiana, sondern als eine Mutante der- selben aufzufassen sein, die in dem Garten von Almaröd isoliert wurde. Zu ihren Eigenschaften gehörte dann neben den oben er- wähnten auch die Rotnervigkeit der Blätter'®). Daß es sich übrigens bei dem Biotyp der Oenothera von Almaröd auch nicht um eine einfache mendelnde Varietät, wie sie ın den Kollektivarten des Löwenmauls, des Stiefmütterchens u. s. w. ver- treten sind, sondern um eine progressive Mutation handelt, beweist der Umstand, daß die Abänderung eine Habitusänderung ist und sich 14) Nach dem schon erwähnten, in der Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre erscheinenden Aufsatz von Hugo de Vries handelt es sich bei ihr nicht um eine mendelnde Mutante, sondern um eine dimorphe Rasse, die ähnlich wie die 0. seintillans bei Selbstbefruchtung zum Teil in die Stammart (die weißnervige Linie) zurückschlägt. Hugo de Vries hat solche dimorphen Rassen oder inkonstanten Mutanten in letzter Zeit mehrfach entdeckt. Er nennt noch die O. cana, O. pallescens und O. liquida. Daß die O. Lamarckiana von Almaröd keine wildwachsende Form ist, geht nach Hugo de Vries übrigens schon daraus hervor, daß sie wegen des teilweisen Rückschlages aller rotnervigen Individuen, sich selbst überlassen, in wenigen Generationen verschwinden müßte. 74 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. nicht nur auf ein einzelnes, sondern auf mehrere Organe der Pflanze erstreckte (Nilsson I. c., S. 105); daß sie ferner auch einen Hem- mungsfaktor in sich schließen muß, da aus ihr keine ©. lata und scintillans hervorging, und es auch bei der von ihr abstammenden rotnervigen O. gigas „für all die zahlreichen Varianten, welche uns bei der weißnervigen Gigas in Güigas-lata und Gügas-seintillans be- gegnen, keine einzige Parallele gab*. Auf die S. 71-—-73 angeführten Variationen der Oenothera von Almaröd bin ich deswegen näher eingegangen, weil sie neben den Mutationen derselben (S. 66—67) mit eine Hauptstütze der Nilsson’- schen Auffassung sind. Sind nämlich die von mir geltend gemachten Bedenken be- rechtigt, so ist der von Nilsson vorausgesetzte Kombinationsvor- gang bei der ©. Lamarckiana, soweit es sich um die negativen Mutanten handelt — von der O. gigas werden wir noch zu sprechen haben — durchaus kryptomer. Die Annahme, daß die O. La- marckiana eine Kollektivart ist, bleibt darum zunächst noch rein hypothetisch. Was zweitens die Erklärungsfähigkeit derselben betrifft, so sahen wir, daß mit ihr die Seltenheit, die Konstanz und der Formenreichtum der Mutationen in Einklang stehen würde, doch ver- sagt sie anderen Erscheinungen gegenüber. Wir werden auf diesen Punkt unten noch näher eingehen. Hier möge nur darauf hinge- wiesen werden, daß sich jedenfalls die Tatsachen, welche zu ihrer Aufstellung die nächste Veranlassung gaben, die parallelen Mu- tantenformen der Oenothera von Almaröd, aus ihnen nicht ableiten lassen. Wenn die Nilsson’sche Hypothese richtig wäre und die be- sondere Prägung der parallelen Mutanten durch den Komplex von Erbeinheiten bestimmt würde, durch den sich dauernd eine reine Stammlinie von den anderen unterscheiden soll, so müßten alle Mutanten eine fluktuierende Variation in weiten Grenzen zeigen. Es geht das aus einer einfachen Überlegung hervor. Setzen wir in die der Nilsson’schen Theorie entsprechend konstruierte Kon- stitutionsformel der O. nanella (S. 64) statt des XX für die dauernd homozygoten Erbeinheiten der reinen Stammlinien die betreffenden Buchstaben ein, während wir die anderen (heterozygoten) Erbein- heiten nur durch Punkte andeuten, dann erhalten wir für zwei parallele Nanella-Mutanten etwa die Konstitutionsformeln: hh. ii. kk (AA Cbb CB ee nz und. hh,,u kky(.u2 ... Dana a 2 UOEN Vo Bei Selbstbefruchtung bleiben bei ©. nanella T außer den spezi- fischen Erbeinheiten der Mutante hh ii kk auch die Erbeinheiten AA bb CC konstant, während die heterozygoten Erbeinheiten D Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 75 bis W fortwährend ihren Zustand ändern. Das Analoge gilt von Nanella II. Wird nun der Mutantentypus durch die Erbeinheiten AA bb CC bezw. UU VV ww mitbestimmt, so ist kein Grund vor- handen, warum er nicht auch durch die sich fortwährend ändern- den Erbeinheiten beständig modifiziert werden soll. Es müßten daher alle Mutanten der fluktuierenden Variation wenigstens ın der Schwingungsweite der parallelen Mutanten unterworfen sein. Das ist jedoch nicht der Fall. H. de Vries hat in dieser Hinsicht die sorgfältigsten und ausgedehntesten Versuche angestellt. Er hat ganze Beete in blühendem Zustande mit Abkömmlingen der be- treffenden Mutante verglichen und auch mit seinem durch die langjährige Übung geschärften Auge bei genauester Durchsicht keine Unterschiede entdecken können. Noch eine zweite Tatsache steht mit der Erklärung der parallelen Mutanten durch die Nilsson’sche Hypothese in Widerspruch. Nach ihr müßte auch Hugo de Vries in den von ihm kultivierten einzelnen Familien der ©. Lamarckiana parallele Mutanten erhalten haben. Man findet jedoch in seinen Schriften keine dahingehende Andeutung. Nilsson geht nun zwar von der Annahme aus, daß Hugo de Vries überhaupt nicht mit reinen Stammlinien gearbeitet habe. Doch ist diese Voraussetzung nach der Beschreibung, die de Vries in der „Gruppenweisen Artbildung“ (1913) von seiner Kulturmethode gibt, falsch. Hugo de Vries hat die Methode der „reinen Linien“ lange Zeit vor Johannsen in seinen Kulturen eingeführt’). Auf das Vorhandensein paralleler Mutanten hat Stomps zuerst hingewiesen. Sie sind zweifellos vorhanden und auch von anderen vielfach beobachtet worden. Auch in dem Punkt herrscht Überein- stimmung, daß der Phänotyp einer Mutante nicht ausschließlich durch ihre spezifischen Erbeinheiten, sondern auch durch die be- nachbarten Erbeinheiten, die „alle in einem lockeren oder festeren Verband miteinander stehen und sich gegenseitig mehr oder weniger beeinflussen“ (de Vries), mit bestimmt wird. Nur muß dieser mit- bestimmende Faktor wegen der Konstanz der parallelen Mutanten selbst konstant sein. Nach de Vries entstehen sie dann, wenn bestimmte Mutanten nicht in der ©. Lamarckiana selbst, sondern bei anderen Arten der Onagra-Oenotheren oder bei Mutanten der O. Lamarckiana auftreten. So geben nach de Vries'‘) O. La- 15) In betreff der beiden hier berührten Punkte hatte Herr Professor Hugo de Vries die Güte, mir schriftlich mitzuteilen: Nach meiner Erfahrung kommen solche Biotypen bei 0. Lamareck’ana nicht vor. Jedes Exemplar, falls es keine Mutante ist, gibt, wenn man eine reine Stammlinie von ihm ableitet, im wesent- lichen dieselben Mutanten. Wenigstens auf dem Stammort unweit Hilversum. — Seit 1895 habe ich nur Reinkulturen benutzt oder „reine Linien“, wie sie Johannsen später genannt hat (von mir durch Druck hervorgehoben). 16) H. de Vries, Die endemischen Arten von Ceylon. Biolog. Centralbl., 1916. 76 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. marckiana, O. stenomeres, O. pratincola, O. Reynoldsii und O. biennis die Mutante O. gigas; ferner O0. Lamarckiana, O. biennis, O. Rey- noldsii, O. grandiflora, ©. suaveolens die Mutante O. nanella und O0. Lamarckiana, O. biennis und O. suaveolens dıe Mutante O. lata. Schon längst wußte man auch, daß die Mutanten der O. Lamarekiana zum Teil wieder ihre Schwestermutanten hervorbringen, wie z. B. die Mutante ©. gigas dıe Mutante O. nanella. Die besondere Ausprägung des Mutantentypus in den parallelen Mutanten ist danach nach de Vries auf den Einfluß, welchen der Genotyp der Mutterart auf ihre Bildung ausübt, zurückzuführen. Dieser Einfluß kann sich eventuell nur auf den Phänotyp beziehen. Die parallelen Mutanten unterscheiden sich dann nicht durch Zahl und Art ihrer spezifischen Erbeinheiten, sondern nur durch ihre Erscheinungsweise. Es kann aber auch anders sein. Zunächst können die Mutanten zum Teil unterscheidende Erbeinheiten ihrer Mutterart beibehalten. Das ist z. B. der Fall bei der von der Oenothera von Almaröd abstammenden @igas-Mutante. Dann aber beruhen auch die Mutationen nicht immer nur auf einem Mutations- vorgang. Die Mutanten entstehen bisweilen, wie Stomps nachge- wiesen hat, durch eine Reihe aufeinanderfolgender Mutationsvor- gänge. Von dem Genotyp der Mutterart hängt es dann mit ab, ob diese Reihe vollständiger oder unvollständiger ist. So sind die parallelen Mutanten zum Teil gleiche Biotypen mit verschiedenem Phänotyp, zum Teil verschiedene Biotypen, bei denen auch der Genotyp abweicht. Immer wird man, wenn man nicht willkürliche Gruppen, wie Nilsson, aufstellen will, als solche nur die sich nahe- stehenden Mutanten bezeichnen, bei welchen ein bestimmter Mu- tantentypus durch den Genotyp der Mutterart modifiziert ist. Hugo de Vries schlägt daher für sie die doppelte Nomenklatur vor. Für die Nanella-Gruppe z. B. die Bezeichnung: O. biennis mut: nanella, ©. Lamarckiana mut: nanella, ©. gigas mut: nanella, O. Reynoldsii mut: nanella etc. Die so gebildeten de Vries’schen Gruppen der parallelen Mu- tanten erhalten, das möchte ich hier noch kurz erwähnen, eine ganz besondere Bedeutung dadurch, daß sie eine experimentelle Be- stätigung der neueren von Koken, Steinmann u. a. Paläonto- logen vertretenen Auffassung sind, nach welcher die systematischen Gruppen einen polyphyletischen Ursprung haben. Die experimen- telle Bes’ätigung beschränkt sich zwar auf einen engen Kreis von Formen, ihre prinzipielle Bedeutung scheint mir aber weitreichend zu sein. Der schlagendste Beweis, den Nilsson für die Abhängigkeit der Mutantenform von dem Ausgangsmaterial anführt, steht übrigens noch aus. Wie wir wissen, hat die Gigas-Mutante 7 von Nilsson (S. 67), wie die 0. von Almaröd, rote Blattnerven. Sie spaltet bei Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 77 Selbstbefruchtung weißnervige Formen im Verhältnis 1:15 bezw. 1:3 und 1:63 ab. Bei den weißnervigen Abkömmlingen geht nun der Typus der Gigas-Mutante 7 in den Hauptcharakteren ın den Typus der Gigas von Hilversum über. Umgekehrt ıst es bei der Kreuzung einer weißnervigen O. gigas mit einer rotnervigen 0. La- marckiana. Aus der Dominanz der rotnervigen Linie folgt, daß die entstehenden Bastarde rot sein müssen. Dieser Schluß erwies sich als richtig. Der so erzeugte rotnervige O. gögas-Bastard glich aber zugleich der Gigas-Mutante 7 von Nilsson. Die Form der beiden parallelen Gigas-Mutanten ist daher von der Rotnervigkeit und Weißnervigkeit abhängig. Die Abhängigkeit ist gewissermaßen durch das Experimentum crucis erwiesen. Es fragt sich nur, ob wir es bei den bestimmenden Ausgangsformen mit speziellen Cha- rakteren von Einzelarten oder, wie es die Nilsson’sche Theorie voraussetzt, mit Biotypenkomplexen zu tun haben. Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. So würde die ziemlich weitreichende Zustimmung, welche die Nilsson’sche Theorie gefunden hat, Schwer verständlich sein, wenn er nicht noch anderes Tatsachenmaterial zu ihrer Begründung bei- gebracht hätte. Zum Teil ist die Beweiskraft desselben allerdings auch nur gering. Es soll zunächst aus dem Zahlenverhältnis; in welchem die Mutanten von Hugo de Vries in den verschiedenen Jahren beob- achtet werden konnten, hervorgehen, daß ihr Auftreten von dem für die analytische Variation geltenden Gesetz beherrscht wird. Johannsen hat zur Unterstützung dieser Nilsson’schen An- sicht in seinen Elementen der exakten Erblichkeitslehre folgende Tabelle zusammengestellt: Stammbaum einer O. Lamarckiana-Familıe. Die Individuen jeder Generation sind Nachkommen von Individuen der vorigen Generation. 2.5 = Anzahl der gefundenen Oenothera-Mutanten. Generation | ee E20) Fr a WR EEE TEN und je a A le Jahreszahl |SS= SS 95 an BE s38888 Be ANen 1. Gen. 1886-87 | 0) | | | | | 2. Gen. 1888—89 15000 | 5 Bu | I = 10,07 3. Gen. 1890-91 | 10000 | 3 3 1 —- |. —- I — | — | 007 Gen 11805 1114000) Eizaeıı eo| us: izer 1), 015 1071) 2,89 5. Gen. 1896 8000) KIA ago. 1357, 1 1250| 6,1 A 6. Gen. 1897 | 1800| 5 9 San 20) re it ae ee 7. Gen. 1898 ı 8000 | — ii I Ol 2067 8. Gen. 1899 1200 I Male I Ir BE. 1,65 Im ganzen: ||53500 | 229 |ı58 | 2 |350 | ı | 56 | 8 | 1,56 18 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. Nach der Tabelle ändert sich die relative Anzahl der Mutanten von Jahr zu Jahr. Dieser Wechsel kann sehr verschiedene Gründe haben. Nach de Vriıes sind die äußeren Verhältnisse nicht ohne Einfluß auf das Hervortreten der Mutanten. Es geht dies schon aus den Mac Dougal’schen Experimenten hervor, der durch Be- handlung der Fruchtknoten der 0. Lamarckiana mit chemisch und physikalisch wirkenden Stoffen das Auftreten der gewöhnlichen Lamarckiana Mutanten auslöste. Ebenso konnte de Vries aber auch durch einfache Kulturversuche den Prozentsatz der Mutanten verstärken. Dagegen läßt sich ım der Johannsen’schen Tabelle von einem Gesetz der analytischen Variation nichts entdecken. Von einem solchen könnte doch nur dann die Rede sein, wenn die Mutanten ın den bestimmten Zahlenverhältnissen, wie sie die Theorie feststellt, auftreten würden. In Widerspruch mit ihm steht die Tatsache einer Beeinflussung der relativen Zahlenverhältnisse der Mutanten durch äußere Bedingungen. Auch die eigene Beobachtung Nilsson’s, daß aus der weıß- nervigen 0. Lamarckiana mehr Mutanten hervorgehen als aus der rotnervigen. würde, wenn sie bei einem größeren Beobachtungs- materiale als das war, welches Nilsson zu Gebote stand, Be- stätigung fände, nur beweisen, daß das Ausgangsmaterial nicht nur für die Art der Ausbildung, sondern auch für die Häufigkeit des Auftretens der Mutanten mit entscheidend ist. Das ıst aber sowohl bei der Mutations- wie bei der Kombinationshypothese von vorn- herein anzunehmen. Wenn ferner Nilsson aus den de Vries’schen Ergebnissen schließt, daß der Mutationskoöffizient mit der Annäherung an die Reinkultur sinke, so geht er dabei von der schon oben als irrig erwiesenen Voraussetzung aus, daß de V ries nicht mit gesonderten Stammlinien gearbeitet habe. Versuche Nilsson’s mit der Oenothera gigas von Hilversum. Wichtiger sind die Versuche, die Nilsson mit der Mutante O. gigas gemacht hat. Sie haben Tatsachen ans Licht gefördert, die allerdings zu einer erneuten Diskussion der Frage, ob man es bei den Mutanten der ©. Lamarckiana wirklich mit Mutationserschei- nungen zu tun habe, Veranlassung geben müssen. Die Nachkommenschaft der 0. gigas zeigte, besonders wenn man die verschiedenen Linien miteinander kreuzte, nicht nur eine große Variabilität, sondern es scheinen bei ıhr auch gerade die Ab- änderungen aufzutreten, welche man erwarten muß, wenn die Mu- tanten eine Kombination aus verschiedenen bereits vorhandenen Erbeinheiten sind. Nilsson stellte seine Versuche sowohl mit Samen der O. gigas von Hilversum, den er von Hugo de Vries erhalten hatte, wie Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 79 mit der von ihm selbst aufgefundenen Gigas-Mutante 7 an (vgl. S.267)) Die letzteren sind von geringerem Interesse, da die betreffende (igas-Mutante nach den Untersuchungen von Fräulein Anna Lutz zweifellos eine Semi-Gigas ıst und die bei ihr auftretenden Spal- tungen darum als Bastaıdspaltungen aufzufassen sind. Dagegen ergaben die Versuche mit der ©. gigas aus dem Samen von Hil- versum sehr interessante Resultate. Als Nilsson denselben in reinen Stammlinien kultivierte, er- hielt er zwar keine sicheren neuen Mutanten, wohl aber eine größere Anzahl unbeständiger Formen, bei welchen die Merkmale der ©. gigas mit einzelnen Merkmalen anderer Zamarckiana-Mutanten kom- biniert waren. Er beschreibt a) eine G’gas kombiniert mit dem Zwergmerkmal der Nanella (Zwergwuchs von 55 cm), der Blattform der 0. scintillans, den kleinen halboffenen Blüten der O. albida, der Pollen- sterilität der O. /ata, und den verkürzten Griffeln der ©. brewi- stytis: eine @igas, schmalblättrig und kombiniert mit dem Zwerg- merkmal der Nanella (60 cm Höhe), annähernd steril; c) und d) zwei Gigas kombiniert mit einem Merkmal der ZLa- marckiana (blaßgelbe Blüten); e) und f) zwei @igas kombiniert mit einem Merkmal der O. La- marckiana (horizontal abstehende Blätter); g) eine Gigas mit polymeren, deformierten Narben. b u Es waren Jas wahrscheinlich keine neuen Mutanten; denn die besonderen Merkmale erhielten sich .nicht. Bei den am meisten abweichenden Aberranten a) und b) ıst H. Nilsson allerdings die Selbstbefruchtung nicht gelungen. Bei ihrer Befruchtung mit der OÖ. Lamarckiana und mit der normalen O. gigas blieb aber bei den Nachkommen nur eine auch sonst bei der ©. gigas nicht selten auftretende Schmalblättrigkeit und Pollensterilität erhalten. Wichtig erscheint besonders, daß die Kreuzung der Aberranten a) b) c) e) unter sich und mit der normalen O. gigas, ebenso wie die Kreuzung der verschiedenen reinen O. gigas-Linien untereinander, wieder zahl- reiche neue Aberranten, welche die allerfrappantesten Abänderungen des Habitus zeigten, ergab. Es waren zum Teil morphologisch neue Typen, zum Teil zeigten sie Eigenschaften der O. gögas mit einzelnen Eigenschaften der O. lata und der O. srintillans in ver- schiedenen Kombinationen und Abstufungen verbunden. Manche näherten sich auch der ©. elliptica und der O. nanella. Während also bei der O. Lamarckiana inkonstante Zwischen- stufen zwischen ihr und der O, lata, der O. seintillans u. s. w. nicht aufgefunden wurden, treten uns hier solche zwischen O. gigas SO Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. und den betreffenden Mutanten entgegen. Es zeigten sich z. B. bei den Zata-Gigas-Zwischenformen die Eigenschaften der Zata beı dem einen Gigas-Individuum nur ın den Blättern oder ın gewissen Teilen derselben, bei dem anderen nur ın gewissen’ Teilen der Blüten. Die Zata-Eigenschaften treten also nicht korrelativ ver- bunden auf. Das beweist nach Nilsson, daß der Zata-Typus selbst aus mehreren voneinander unabhängigen Erbeinheiten gebildet wird. Dasselbe gilt nach de Vries für seine ©. gigas-nanella und nach Nilsson für diese und Gigas elliptica. Nilsson glaubt, daß man die Vorgänge, die er bei der O. La- marckiana nur voraussetzt, ım Phänotyp der O. gigas direkt ver- folgen könne. Bald vereinigen sich nach ihm alle Eigenschaften, welche eine negative Lamarckiana-Mutante bilden, mit der ©. gigus, scheinbar eine Doppelmutante darstellend, bald trennen sie sich und treten als Teileigenschaften der negativen Mutante in Kom- bination mit der O. gigas auf. So muß es in der Tat sein, wenn die Voraussetzungen Nılsson’s gelten. Wie sich die Teileigen- schaften der negativen Mutanten zur ©. gigas verhalten, verhalten sich nun aber auch nach Nilsson die Teileigenschaften der O. gegas zur ©. Lamarckiana. Oder mit anderen Worten: Wie die Teil- eigenschaften der Mutanten O. lata, seintillans u.s. w. vereinzelt in Verbindung mit der O. gigas erscheinen, so treten die Teileigen- schaften der letzteren bei der 0. Lamarckiana auf. Wenigstens deutet Nilsson seine Gigas-Mutanten so. Bei seiner Gigas-Mutante 8 sollen nur einige wenige Teileigenschaften der normalen Gigas mit der ©. Lamarckiana verbunden sein. Mehr nähern sich jener schon die Gigas-Mutante 7 (vgl. S. 67). Ihr fast gleich seien deren weiß- nervige Abspaltungen. Nilsson sieht daher die ©. gigas ebenso wie die anderen Mutanten als eine Kombination vorhandener Bio- typen an. Er verkennt nicht den besonderen Charakter der Gigas- Mutation. Man erhalte wohl den Eindruck, als ob man es beı ıhr mit einer neuen Grundlage zu tun habe, „auf der sich derselbe Variationsprozeß wie innerhalb der O. Lamarckiana wiederhole*, nur daß er bei der ©. gigas sichtbar verlaufe. Doch beruht dieser Unterschied von den anderen Mutanten nach Nilsson nur auf einer etwas anders gearteten Kombination. Sie ist anders sowohl hinsichtlich des Zustandes ihrer spezifischen Erbeinheiten, wie hin- sichtlich deren Erscheinungsweise. Während die ©. lata, O. rubri- nervis, O. nanella u. s. w. Minuskombinationen seien, da sie sich bei Kreuzungen mit der Stammart rezessiv verhielten — sie treten in einem kleineren Prozentsatz als die O0. Lamarckiana auf und bauen bei Kreuzungen untereinander die Stammart wieder auf —, soll die O.gigas entstehen, wenn zufällig in dem kaleidoskopartigen Wechsel der Kreuzungen eine größere Anzahl bestimmter posi- tiver Erbeinheiten zusammentreffe. Es seien etwa die positiven Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. S1 Erbeinheiten T U V W nötig, um ın allen Teilen der Pflanze die Gigas-Eigenschaften zu erzeugen. Eın zweiter Unterschied von den anderen Mutanten bestehe darın, daß beı ıhr die einzelnen Erbein- heiten der @iöyas ım Phänotyp der 0. Lamarckiana sichtbar werden, daß also dıe obengenannten Zwischenformen zwischen O. Lamarckiana und ©. gigas möglich seien. Die Beobachtungen, welche Nilsson bei der Kultur der O. gigas machte, scheinen in der Tat für seine Theorie zu sprechen und in ıhr aufzugehen. Nichtsdestoweniger ist auch bei seinen Gigas-Versuchen der Beweis jedenfalls unvollständig geführt. Zunächst könnte es sich bei den Variationen der ©. göigas und ebenso beı den ın der Rich- tung der Gigas-Eigenschaften liegenden Variationen der O. La- marckiana, welche nach Nilsson erbliche Teileigenschaften der negativen Mutanten bezw. der O. gigas sein sollen, ja auch um Somationen handeln. Wie solche zu denken wären, werde ich weiter unten darlegen. Nilsson versucht nun wohl nachzuweisen, daß mit der ©. Lamarckiana und der O. gigas verschiedene Bio- typen mit erblichen Eigenschaften vereinigt sind. Die Biotypen, die er bei der ©. Lamarckiana gefunden haben will, haben wir schon oben besprochen (S. 71—75). Bei der O. gigas sollen es Biotypen mit verschiedener Knospen-, Griffel- und Früchtelänge sein, die er bei seiner Gigas-Mutante 7 (S. 67) beobachtete. Auch hier sind aber seine Schlüsse nicht zwingend. Nilsson berücksichtigt nicht, daß die betreffenden Erscheinungen auch durch die sogen. „schein- bare Vererbung“ der Somationen erklärt werden können. Die Frage, ob auch den anderen ın Verbindung mit der O. gigas auftretenden Teileigenschaften der negativen Mutanten und den in Verbindung mit der O. Lamarekiana auftretenden Teileigenschaften der O. gigas Erbeinheiten entsprechen, oder ob sie nur Somationen sind, hat er überhaupt nicht angerührt. Und hier hätte doch vor allem die Untersuchung einsetzen müssen. Er selbst sagt: „Nur Isolierung gewisser Typen und Beobachtung der Nachkommenschaft kann natürlich Klarheit in die Vererbungsverhältnisse bringen“ (]. e., S. 146). Wir müssen noch weiter gehen. Auch wenn Nilsson die Erblich- keit jener Teileigenschaften nachgewiesen hätte, wäre der Haupt- punkt nicht erledigt gewesen. Denn der Streit geht gar nicht, wie Nilsson meint, darum, ob die Mutafiten auf einer oder auf mehreren Erbeinheiten beruhen — de Vries und Stomps nehmen ja an, daß sie zum Teil durch verschiedene, aufeinanderfolgende Mutationen zustande kommen —, sondern, ob die Erbeinheiten, welche eine Mutante bilden, beim Auftreten der Mutante erst durch Mutation entstehen, oder ob schon vorhandene Erbeinheiten nur in besonderer Weise kombiniert werden. Es ist klar, daß ein solcher Nachweis in den Fällen, wo feststeht, daß die Mutante aus mehreren erb- 37. Band 6 82 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. lichen Teileigenschaften besteht, nach beiden Seiten hin schwer zu führen ist. Einige Beobachtungen hat de Vries dafür geltend ge- macht, daß es sich bei den Mutanten um neuentstandene Erbein- heiten handelt. Nach der Mutationstheorie muß eine in einer Nanella mutierte Geschlechtszelle mit einer nicht mutierten Gigas- Geschlechtszelle zusammengebracht, einen Bastardmutant ergeben, der wegen der Dominanz der Gögas-Erbeinheit den Phänotyp der @igas hat und von den reinen Gigas-Individuen nicht unterschieden werden kann, der aber, da die Gigas-Nanella mendelt, bei Selbst- befruchtung 25%, Nanella hervorbringen muß. Eine Bestätigung der Mutationslehre würde es daher sein, wenn man bei Selbst- befruchtung von Gegas-Individuen auch auf solche @Gigas-Bastarde stoßen würde. De Vries, Schouten und Gates haben nun mehrfach Gigas-Individuen gefunden, in deren Nachkommenschaft bei Selbstbefruchtung bis 18% Zwerge auftraten. Noch eine andere Tatsache weist darauf hin, daß auch O. gigas nicht aus einer Kombination schon vorhandener Erbeinheiten ent- standen ist, sondern als ein Neues erscheint. Nach den Unter- suchungen von Gates, Geertz, Fräulein Anna Lutz u.a. besitzt sie nämlich die doppelte Anzahl von Chromosomen. Allerdings sind die Eigenschaften der O. gigas nur zum Teil durch die Ver- doppelung der Chromosomen repräsentiert. Nach Stomps und de Vries soll ein anderer Teil derselben auf weitere Mutationen, die gleichzeitig mit der Verdoppelung der Ghromosomenzahl ein- traten, zurückzuführen sein. Für sıe könnte Nilsson daher immer noch seine Theorie geltend machen. So muß man, um zu einer definitiven Entscheidung zu kommen, die Frage noch von einer anderen Seite anfassen. Der Widerspruch der Nilsson’schen Auffassung mit den Kreuzungserscheinungen der negativen Mutanten und der relativen Konstanz der 0. gigas. Der ausschlaggebende Einwand, den man gegen die Kombi- nationstheorie Nilsson’s erheben muß, besteht darin, daß sie in Widerspruch mit den Kreuzungserscheinungen der Lamarckiana- Mutanten steht. Es genügt in dieser Hinsicht, die Punkte hervorzuheben, hin- sichtlich deren Nilsson eine Deutung in seinem Sinne versucht hat. Nilsson mußte vor allem drei Kreuzungserscheinungen er- klären: 1. die Dimorphie in der ersten Bastardgeneration (F,) bei der monohybriden Kreuzung von Mutante und Mutterart; 2. die Trimorphie der ersten Bastardgeneration bei der dihybriden Kreuzung von Mutante und Mutante; Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 83 3. die relative Konstanz der ©. gigas und der aus den Kreuzungen der ©. gigas hervorgehenden Bastarde. Bei der monohybriden Kreuzung der meisten Mutanten mit. der Mutterart erhält man in der ersten Bastardgeneration als Bastarde dıe beiden gekreuzten Eltern, also die O0. Lamarckiana und die betreffende Mutante wieder. Die Verhältniszahlen, in welchen sie auftreten, kommen bei einigen Mutanten im Durchschnitt dem Verhältnis 1:3 nahe. Bei der Kreuzung der Mutante O. lata mit der ©. Lamarckiana fand Hugo de Vries in einer Versuchsreihe 4—40%, (im Mittel 21%) ©. lata und 96—60°%, (im Mittel 29%) O0, Lamarckiana'°). In einer anderen Versuchsreihe, bei welcher die Mutante ©. nanella mit O. Lamarckiana gekreuzt wurde, fand er 1—48%, (im Mittel 17%) O. nanella und 99—52%, (im Mittel 83%) 0. Lamarckiana. Doch läßt sich eine feste Regel für die Zahlenverhältnisse nicht aufstellen. Bei anderen Mutanten wich auch der Durchschnitt stark ab. Um das Auftreten von Mutante und Mutterart in der 1. Bastard- generation zu erklären, macht Nilsson nun verschiedene Annahmen. Nach ihm sind, wie wir wissen, dıe Mutanten, außer der O0. gigas, Minuskombinationen. Bei Selbstbefruchtung bleiben dann die homo- zygoten negativen Einheiten erhalten. Die Mutante ıst also kon- stant. Für die Selbstbefruchtung der Mutante genügt also die für die Mutanten gemachte Nilsson’sche Annahme. Anders ıst es, wenn die Mutante mit einer Lamarckiana gekreuzt wird. Soll da dıe Theorie mit dem Kreuzungsergebnis übereinstimmen, soll also nach ihr neben der O. Lamarckiana auch die Mutante erscheinen, so müssen hinsichtlich der Konstitution der O0. Lamarckiana noch weitere Hypothesen aufgestellt werden. Wäre die 0. Lamarckiana auch nur in einer der den spezifischen negativen Einheiten der ©. lata entsprechenden Einheit homozygot positiv, lautete also etwa die Konstitutionsformel der O. Lamarckiana AA Bb ce Dd (XX ram. so könnte in der 1. Bastardgeneration keine O. lata erscheinen; denn alle Nachkommen würden dann die positive Erbeinheit A besitzen. Sie wären also sämtlich 0. Lamarckiana. Eine Mutante kommt ja nach der Hauptvoraussetzung nur zustande, wenn die betreffenden spezifischen Erbeinheiten ohne Ausnahme homozygot negativ sind. Für die ©. Lamarckiana, welche mit der ©. lata in obiger Konstitution gekreuzt, ın der 1. Bastardgeneration neben der ©. Lamarckiana auch die Mutante ©. lata ergibt, haben wir daher nach Nilsson eine der folgenden vier Konstitutionsformeln anzu- nehmen. 18) Zu O. Lamarckiana sind hier auch die 1—2% der zufällig auftretenden anderen Mutanten gerechnet. 6* 84 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 1." Aacbbreen da X 2. Aa Bbiee dd (XXL 3. Aa, Bb2@er dd AXme 4. ‚Aa, Bb/Ce DI (XXL): Je nachdem die Konstitution der O. Lamarckiana der einen oder der anderen dieser Formeln entspricht, erhält man die Za- marckiana und die Mutante in verschiedenen Zahlenverhältnissen. Es verhält sich die Individuenzahl der Mutante zu der der ©. Lamarckiana, wenn eine der diesbezüglichen Erbeinheiten der O0. Lamarckiana heterozygot ist, wie 1:1, bei zwei heterozygoten Einheiten wie 1:3, bei drei heterozygoten Einheiten wie 1:15. Da bei den Kreuzungsversuchen von Hugo de Vries Mutante und O0. Lamarckiana meist im durchschnittlichen Verhältnis von 1:3 auftreten, so steht, unter der Voraussetzung, daß die Mutante durch- schnittlich 2—3 spezifische Mutanten-Erbeinheiten enthält, die Nilsson’sche Theorie bei Annahme der Hilfshypothesen auch in dieser Hinsicht in Einklang mit den Tatsachen ?°). Soweit hat Nilsson also seine Theorie in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der monhybriden Kreuzungen zu bringen ge- wußt. Dagegen treffen wir bei ihnen auf einen unlöslichen Wider- spruch, sobald wir die Konstanz der als Bastard erscheinenden O. Lamarckiana ın Betracht ziehen. Die Bastard-Lamarckiana müßte nämlich nach der Theorie von Nilsson bei Selbstbefruchtung regel- mäßig die Mutante abspalten. Sie tut dies aber nicht, sondern ist konstant. Aus der von Nilsson |. ce. S. 202 mitgeteilten Tabelle ersieht man ohne weiteres, daß die für die Entscheidung der Frage ın Betracht kommenden positiven Erbeinheiten der 0. Lamarckiana durchweg heterozygot sind. Wir finden dort zunächst O. Lamarckiana- Bastarde mit der Konstitutionsformel?!) Aabb cedd.... ; aaBb ce dd? „5 aavbb: Ce dd’rs „:raarbbices Dir = :7also verschiedene Lamarckiana-Bastarde, bei welchen nur eine der betreffenden Erb- einheiten heterozygot-positiv ist. Schreiben wir die Formeln, wie in dem Nilsson’schen Schema: Aa[bb ce dd|..; Bb[aa cc dd]...; Ce[aabb dd]... ; Ddfaa bb ce] ..., so springt in die Augen, daß der ın Klammer gesetzte Teil der Erbeinheiten bei Selbstbefruch- tung unverändert bleibt. Die heterozygote Erbeinheit Aa muß da- gegen mendeln und ergibt in der Generation F, die Formen AA 19) Nilsson läßt bei seinen Konstitutionsformeln den „Rest“ (XX)Lam. weg. 20) Darauf, daß nach der Berechnung die Anzahl der Mutanten nie größer werden kann als die der ©. Lamarck.aua, während in Wirklichkeit bisweilen die Mutanten überwiegen und H. de Vries z. B. bei einer Kreuzung 0. lata X,nanella 55% O. nanella, 24% O. lata und nur 21% ©. Lamarckiana erhielt, kann kein Gewicht gelegt werden, da ausnahmsweise Verschiebungen der Zahlenverhältnisse leicht eintreten können. 21) Der „Rest“ (XX) ist bei Nilsson weggelassen. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. 85 3Aa, aa. Wir erhalten daher eine 0. Lamarckiana mit der Kon- stitutionsformel AA bb ce dd, zwei O. Lamarckiana mit der Kon- stitutionsformel Aa bb ec dd ... und eine Mutante mit der Kon- stitutionsformel aa bb ce dd .... Das Analoge gilt von den Indi- viduen mit den heterozygoten Erbeinheiten Bb.. bezw. Ce.. De... Bei ihnen allen muß in F, das Verhältnis der Mutanten zur ©. La- marckiana wie 1:3 sein. Andere ZLamarckiana-Bastarde haben nach dem Nilsson’schen Schema die Konstitutionsformeln: Aa Bb[ce dd]..., Bb Celaa dd]..., Aa Ce [bb dd) u. s. w. Das Verhältnis der Mutanten zur O. La- marckiana muß in diesen Fällen in F, 1:15 sein. Ähnliche Über- legungen zeigen, daß bei den Zamarekiana-Bastarden mit drei hetero- zygot-positiven Erbeinheiten — eine größere Anzahl von spezifischen Mutanteneinheiten ist nach der Bemerkung S. 84 ım allgemeinen nicht anzunehmen — in F, eine Mutante auf 63 O. Lamarckiana kommt 2). Eine Abspaltung der Mutanten in Verhältnis von 1:3, 1:15 und selbst 1:63 ist nun aber bei den Zamarckiana-Bastarden nicht beobachtet worden. Die als Bastard erscheinende ©. Lamarckiana gleicht vielmehr- vollständig der ©. Lamarckiana von Hilversum. Sie ist wieder imstande, Mutanten aus sich hervorgehen zu lassen. Es geschieht das aber stets nur in dem gleichen kleinen Prozent- satz wie bei dieser. Bei den dihybriden Kreuzungen, d. h. bei der Kreuzung von Mutante mit Mutante ist die erste Bastardgeneration ın der Regel trimorph. Sie wird gebildet von den beiden elterlichen Mutanten und der Stammart O. Lamarckiana. Bei der Kreuzung der Mutante von O.lata mit der Mutante 0. nanella erhielt Hugo de Vries z. B. in einer Versuchsreihe in der 1. Bastardgeneration 9—55% O. nanella, 24—32%, O.lata und 21—-59%, ©. Lamarckiana. Direkt geht Nilsson auf diesen Tatbestand nicht ein. Er bespricht nur den Ausnahmefall, in welchem nebenbei als Kreuzungsprodukt die Doppelmutanten Lata-Nanella, Seintillans-Nanella u. Ss. w. er- scheinen. Doch läßt sich sein Erklärungsprinzip für die mon- hybriden Kreuzungen auch auf die dihybriden Kreuzungen anwenden. Um das Wiedererscheinen der ©. Lamarckiana neben den beiden Mutanten verständlich zu machen, muß man für die letzteren Kon- stitutionsformeln annehmen, in welchen den negativen spezifischen Mutanteneinheiten der einen jedesmal in der anderen heterozygot- positive Einheiten entsprechen. Bezeichnen wir also die spezifischen negativen Einheiten der O. Zata wieder mit aa bb ce dd... ., die spezifischen negativen Einheiten der O. nanella mit gg hh ii ...., 22) Die Verhältniszahlen sind hier andere als in dem Nilsson’schen Schema, da es sich dort um Kreuzung, hier um Selbstbefruchtung handelt. S6 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. so müssen die Konstitutionsformeln der O. lata bezw. der O. nanella folgende Erbeinheiten enthalten: 0. lata =. .aaibb nech dd Frei Ti: O. nanella = Aa Bb Ce Dad... gg hh u Würde in den unterstrichenen Stellen eine einzige Einheit homozygot-positiv sein, so könnte die betreffende andere Mutante nicht auftreten. Dagegen können wie in dem S. 84 gegebenen Schema die Einheiten bis auf eine homozygot-negativ sein. Die Formel kompliziert sich noch weiter dadurch, daß ja nicht nur die Kreuzung Lata X Nanella, sondern ebenso die Kreuzung Lata X Rubrinervis u. Ss. w. eine trimorphe erste Bastardgeneration geben. Sind die spezifischen negativen Erbeinheiten der Rubrr- nervis ..|| mm nn..., so müssen die Konstitutionsformeln lauten: O. lata Saar ibbireer dd 2.4.62 Hk 122 2] Mm O. nanella - — Na Bb Ce Dd :.. eg hh ir... BI-MmNnr OÖ. seintillans — Na. Bb Ce Dd,...,./Gs57Hh7hr2r I Zmm mer Bei den dihybriden Kreuzungen müßte nun zunächst die in der ersten: Bastardgeneration auftretende 0. Lamarckiana wieder ın allen Mutanteneinheiten heterozygot sein; und deswegen beide Mu- tanten in den oben angegebenen Verhältnissen abspalten, was hier ebensowenig wie bei den monhybriden Kreuzungen der Fall ist. Ferner müßten hierbei häufiger, als es der Fall ıst, als Spaltungs- produkte Doppelmutanten auftreten ?). Endlich tritt uns hier die Willkürliclikeit der Nilsson’schen Voraussetzung, daß bestimmte Erbeinheiten der ©. Lamarckiana und der Mutanten bei den ge- kreuzten Individuen jedesmal zufällig heterozygot-positiv gewesen sein sollen, während sie an sich ebensogut homozygot-positiv oder -negativ hätten sein können, noch schärfer als bei den monhybriden Kreuzungen hervor. Auch das Verhalten der Mutante ©. gigas bei Selbst- befruchtung und Kreuzung bietet unter den Nilsson’schen Voraussetzungen große Schwierigkeiten und nötigt Nilsson zu einer Reihe von Hilfshypothesen, die er nicht weiter zu begründen vermag. Nach Nilsson sind, wie oben bereits gesagt wurde, die spezi- fischen Erbeinheiten der O. gigas positiv. Sie sollen außerdem ın der Regel heterozygot sein. Bei der Konstitutionsformel .. . Tt Uu Vv Ww .... könnte nun aber das Auftreten von O. gigas ın der sich bei Selbstbefruchtung ergebenden Nachkommenschaft nur ein Ausnahmefall sein. Denn jede der spezifischen Erbeinheiten variiert selbständig. Die Erbeinheit Tt gibt unter vier Fällen einmal tt. Das Entsprechende gilt von den Erbeinheiten Uu, Vv und Ww. 23) Nilsson erklärt (l. c., S. 206) das Auftreten der Doppelmutanten. Auf das mit seiner Auffassung offenbar in Widerspruch stehende regelmäßige Er- scheinen der beiden einfachen Mutanten geht er nicht ein. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 87 Man müßte daher erwarten, daß bei den meisten Individuen der Generation F, wenigstens eine spezifische Erbeinheit homozygot- negativ wäre. Dann repräsentierten sie aber nicht mehr den reinen (Gigas-Typus. Wenn nun auch Nilsson bei der ©. gigas zahlreiche Aberranten aufgefunden hat, so geht doch auch nach seinen Beob- achtungen ihre Inkonstanz nicht so weit, daß die Konstanz zum Ausnahmefall würde. Um diesem Einwand zu begegnen, hat Nilsson die Hypothese aufgestellt, daß bei den @igas-Erbeinheiten in der Regel eine Kumulation gleicher Faktoren stattfinde. Nach ihm ist wohl bei der Konstitution des Genotyps ... TUVW schon eine OÖ. gigas gegeben, doch nur eine solche mit schwach aus- geprägten Gigas-Eigenschaften. Stärker soll der Gigas-Charakter erst hervortreten, wenn mehrere gleichsinnige Faktoren zusammen- wirken, wenn also die Konstitutionsformel etwa T,T, U,U,U,U, YVV, WW, ... lautete, "Auch dann varıeren ar Selina Faktoren selbständig, eine homozygotische negative Erbeinheit er- scheint aber viel seltener und die intermediären Kombinationen treten im Übergewicht auf. Soll aber diese Hypothese den Tat- bestand erklären, so muß man eine Faktorenkumulation für alle Gigas-Erbeinheiten annehmen. Würde sie nur bei einigen fehlen, so wäre ein Vorherrschen der Konstanz, wie es z.B. Hugo de Vries gefunden hat, unmöglich. Eine solche Voraussetzung muß jedoch als ganz willkürlich abgelehnt werden. Die ganze Hypothese ist Ja überhaupt nur ad hoc gemacht. Daß für die Rotnervigkeit der O. gigas 2 bezw. 3 gleichsinnige Faktoren anzunehmen sind, ergibt sich mit großer Sicherheit aus den Spaltungsverhältnissen. In 4 Linien wurden bei Selbstbefruch- tung der rotnervigen Individuen weißnervige Nachkommen im Ver- hältnis von ungefähr 1:15, in je einer Linie im Verhältnis von 1:3 bezw. 1:63 abgespalten. Für die spezifischen @Gögas-Erb- einheiten fehlt es aber an jedem derartigen exakten Nachweis. Es wäre unter der Nilsson’schen Voraussetzung, daß seine (rigas- Mutanten 7 und S weniger Faktoren als die O. gigas von Hilversum enthalten, durch Kreuzung zu erbringen gewesen (Johannsen, Ele- mente der exakten Erblichkeitslehre, 1913, S. 553ff.), wenn über- haupt eine Kumulatıon stattfände. Dazu kommt, daß die de Vries’sche Beobachtung, nach welcher die Nanella von dem Gigas-Nanella- Bastard im Verhältnis von 1:3 abgespalten wird, direkt gegen die Nilsson’sche Annahme spricht. Nilsson’s Einwände gegen die de Vries’sche Auffassung der Oenothera Lamarckiana. So kann der Versuch Nilsson’s, die Mutations- und Kreuzungs- erscheinungen der ©. Lamarckiana auf den Mendelismus zurück- zuführen, nicht als eine Lösung des Problems gelten. Die Vor- SS Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. gänge müssen, soweit wir sie analysieren können, andere Ursachen haben. Hugo de Vries hat sie in besonderen Gesetzen, welche für die Organismen während einer Mutationsperiode gelten sollen, gefunden. Es fragt sich nun, ob die von Nilsson hervorgehobenen Tatsachen, wenn sie auch nicht ausreichen, seine eigene Theorie zu begründen, doch Instanzen gegen die Mutationslehre von Hugo de Vries bilden. Die betreffenden angeblich mit der Mutationslehre von de Vries in Widerspruch befindlichen Tatsachen bestehen: 1. in einzelnen Abweichungen von den von Hugo de Vries aufgefundenen Gesetzen oder Regeln. So erhielt Gates bei der Kreuzung von O. Lamarckiana und der O. rubrinervis in F, statt der reinen Mutante und der reinen Lamarckiana intermedıiäre Formen, und bei der Kreuzung ©. lata X Lamarckiana auf 15 Individuen außer O. lata und O. Lamarckiana eine „Mosaik*-Hybride. Ferner verhielt sich nach Honing beı der Kreuzung von ©. biennis X Rubri- nervis der Laeta-Typus in den folgenden Generationen nicht kon- stant; es trat vielmehr der Rubrinervis-Charakter von Generation zu Generation schärfer hervor. Nach E. Baur gab ferner O. biennis X muricata keine einheitlichen Generationen F, u. s. w. In diesen Fällen scheinen tatsächlich Abweichungen von den de Vries’schen Regeln vorhanden zu sein. Bei anderen Einwänden Nilsson’s dürfte dagegen nur ein Miß- verständnis der de Vries’schen Auffassung vorliegen. So meint er**), daß nach Hugo de Vries nie eine reine Mutante O. gigas, sondern immer nur der Bastard Lamarckiana-@igas entstehe, dessen Verhalten bei der Kreuzung mit der O0. Lamarckiana dann nicht den de Vries’schen Voraussetzungen entspreche. Das ist jedoch nicht die Auffassung von de Vries. Nach ihm ist nur die Semi-Gigas ein solcher Bastard. Nilsson bestreitet ferner, daß man bei der doppelt reziproken Kreuzung das reine Bild des be- treffenden Stammelters wieder erhalten könne, wenn das hetero- game Pollen- bezw. Eibild nicht für alle Eigenschaften gelte. Aber auch das behauptet Hugo de Vries nicht. Er hebt vielmehr ausdrücklich hervor, daß die Übereinstimmung der Nachkommen aus den doppelt reziproken Kreuzungen mit den betreffenden Groß- eltern sich nur auf die vegetativen Merkmale beziehe und zwar nicht einmal notwendigerweise auf alle vegetativen Merkmale, wie namentlich O. biennis Chicago und O. eruciata lehrten. Bedeutungs- voller als die einzelnen Einwände erscheint 2. die von Nilsson nachgewiesene Variation der O. gigas. Sie geht tatsächlich über die Schwingungsweite der gewöhnlichen fluk- 24) Nilsson 1! c., S. 180. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 89 tuierenden Variabilität hinaus und bedarf einer besonderen Erklä- rung, wenn die de Vries’sche Theorie festgehalten werden soll. Gegenüber den von Nilsson geltend gemachten Einwänden muß nun zunächst hervorgehoben werden, daß sie die Mutations- lehre von de Vries selbst nicht tiefer berühren. Denn diese be- ruht nicht allein auf der bei der Oenothera gemachten Beobach- tung, sondern ist „ganz unabhängig von ıhnen aufgestellt worden“ (de Vries). Aber auch die Auffassung, daß es sich bei der O. La- marckiana um Mutationsvorgänge handle, können wenigstens die einzelnen vorgebrachten Einwände nicht erschüttern. Dazu besitzt auch sie eine zu breite Basis. Gerade in der letzten Zeit hat es sich immer mehr herausgestellt, daß in der ganzen Oenotheren- Gruppe, welche die O0. Lamarckiana mit umfaßt und als Onagra- Untergattung bezeichnet wird, Mutationen wie bei der Ö. Lamarckiana auftreten. Von den 50 Arten der betreffenden Untergattung hat man schon jetzt bei nicht weniger als 8, also bei 16%, mehr oder weniger zahlreiche Mutationen aufgefunden, während für andere Arten Andeutungen eines Ähnlichen Verhaltens vorliegen”). Indem nun de Vries die Arten der Onagra-Untergattung mit in den Kreis der experimentellen Versuche einbezog, konnte er nachweisen, daß tatsächlich die ganze Gruppe eine ähnliche Sonderstellung, wie er sie der ©. Lamarckiana zuschrieb, einnimmt). Der Grund der verschiedenen Auffassung der 0. Lamarckiana beruht wohl zum Teil mit darauf, daß die meisten Forscher immer nur einen kleinen Ausschnitt der betreffenden Erscheinungen in Betracht zogen, während de Vries sie in ihrem ganzen Umkreis und bis in die feinsten Verzweigungen verfolgte und in ihrer Gesamtheit allgemeinen Gesetzen oder Regeln unterzuordnen suchte. Einen je größeren Tatbestand aber eine Hypothese umfaßt und erklärt, desto größer wird ihre Wahrscheinlichkeit und desto weniger können sie einzelne Abweichungen gefährden. Hinsichtlich der Oenotheren der Onagra-Gruppe steht im Mittel- punkt der Auffassung von Hugo de Vries die Annahme einer Mutationsperiode, in welcher sich die Erbeinheiten (Pangene, Deter- minanten, Gene) zum Teil in einem Jlabilen Zustand befinden. Während die Gene einer Art sonst bei Selbstbefruchtung dauernd aktıv oder inaktiv sind und diesen Zustand von Geschlecht zu Ge- schlecht vererben, kann bei einer labilen Erbeinheit der aktive Zu- stand durch irgendwelchen Anstoß in den inaktiven, wieder erb- lichen Zustand übergehen und umgekehrt der inaktive in den aktiven. Von der herrschenden Presence- und Absence-Theorie unterscheidet sich die de Vries’sche Theorie, wie sie in seiner Mutationslehre ausgeführt ist, weiter noch dadurch, daß für sie der inaktive Zu- 25) Hugo de Vries, Die Gruppenweise Artbildung. 1913. 90 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. stand nicht gleichbedeutend ıst mit einem Fehlen der betreffenden Erbeinheit, sondern nur mit einer Wirkungslosigkeit derselben ?*®). Wır haben daher nach de Vries einen vierfachen Zustand der Erbeinheiten anzunehmen: A. bei äußerlich sichtbarem Vorhandensein der fraglichen Eigen- schaften a) den maktiven Zustand; b) den labilen Zustand; B. bei änscheinendem Fehlen der betreffenden Eigenschaften c) den ınaktiven Zustand; d) das Fehlen der betreffenden Erbeinheit. Das Auftreten der regressiven und degressiven Mutanten er- klärt sich ohne weiteres durch die Annahme der labilen Erbeinheiten. Es können aber auch alle in der ganzen Onagra-Gruppe beobachteten Kreuzungserscheinungen bei den de Vrıes’schen Voraussetzungen unter die folgenden empirischen Regeln gebracht werden: Ist die betreffende Erbeinheit ın beiden Eltern entweder ım aktiven oder ım ıinaktıven oder ım labilen Zustand, so bleibt die Eigenschaft ın dem Kreuzungsprodukt unverändert. Dasselbe ist wenigstens scheinbar der Fall, wenn sie ın dem einen Elter aktıv, ın dem anderen Jabil ist. Sie ändert sich jedoch in folgenden drei Fällen: i. Ist dıe Erbeinheit ın einem Elter aktıv, in dem anderen inaktiv, dann folgt die Kreuzung den Mendel’schen Gesetzen und wir erhalten in der 2. Bastardgeneration eine Spaltung in Indı- viduen mit homozygoten positiven, heterozygoten und homozygoten negativen Erbeinheiten im Verhältnis von 1:2:1. 2. Ist die Erbeinheit in dem einen Elter labil, in dem anderen inaktiv, so tritt die eigentümliche Mutationsspaltung in der 1. Bastard- generation in die beiden Eltern ein. 3. Ist endlich die Erbeinheit in dem einen Elter aktıv, in dem anderen aber überhaupt nicht vorhanden, haben wir also eine „uni- sexuelle“ Kreuzung, so tritt keine Spaltung ein. Wir erhalten einen ımonotypen, intermediären, konstanten Bastard. Je nachdem die Mutanten der einen oder der anderen Regel folgen, können wir sie ın folgende Gruppen einteilen: A. die Brevistylis-Gruppe. Zu ihr gehört nur die Mutante 0. brevistylis und die O. gigas-nanella. Die Spaltung erfolgt bei ihr stets nach den Mendel’schen Gesetzen. Man hat anzunehmen, daß das Brevistylis-Merkmal sich in der O. brevistylis ım inaktiven, 26) Hugo de Vries: „Die Presence- und Absence-Lehre von Bateson ist aus meiner Ansicht über ‚Aktiv und Inaktiv‘ entstanden und eigentlich nur eine empirische (oder unrichtige) Fassung dieser. Sie ist durch die neueren Unter- suchungen Morgan’s endgültig widerlegt, da dieser den Ort in den Chromosomen ebenso genau bestimmen kann für anwesende wie für ‚fehlende‘ Eigenschaften.“ Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. Of in der O. Lamarckiana und ihren Mutanten ım aktıven Zustand befindet. B. Die Nanella-Gruppe. Zu ıhr gehören die O. nanella und die O. rubrinervis. Die Spaltung erfolgt hier zum Teil in der 1., zum Teil in der 2. Bastardgeneration. So muß es sich unter der Voraussetzung verhalten, daß die betreffende Erbeinheit in der O. nanella und O. rubrinervis ınaktıv ıst, sich dagegen ın dem anderen Kreuzungskomponenten entweder ım labilen (0. Lamarckiana und ihre meisten Mutanten) oder ım aktiven Zustand befindet. Durch Kontrollkreuzungen wurden diese Voraussetzungen bestätigt. Es stellte sich heraus, daß die Arten und Varietäten, welche beı einer Kreuzung mit der Nanella oder der Rubrinervis eine Spaltung in der 1. Bastardgeneration ergeben, die Statur-(Nanella)- und Festig- keits(Rubrinerris)-Erbeinheit ım labilen Zustand enthalten, während sie in den Arten und Varietäten, bei denen der Kreuzung erst in der 2. Bastardgeneration eine Spaltung folgt, im aktiven Zustand vorhanden ist. C. Die Zata-Gruppe. Sie umfaßt dieO. /ata, O. seintillans und wahr- scheinlich einen großen Teil der noch nicht untersuchten Mutanten. Spaltung findet hier in der 1., niemals erst in der 2. Generation statt. Die verschiedenen Kreuzungen beweisen, daß sich die Lata- Erbeinheit in der ZLata im labilen, in der Lamarckiana und den anderen Mutanten im inaktiven Zustand befindet. Das Entsprechende gilt von der ©. seintillans und der O, cana. D. Die Gigas-Gruppe. Ihr einziger Vertreter ist die O. gigas. Wir müssen hier noch etwas näher, als es oben geschehen ist, auf sie eingehen, da die von Nilsson bei der Gögas beobachteten Erschei- nungen das dritte Hauptargument für seine Auffassung bilden. Die Untersuchungen von H. de Vries haben nun mit großer Sicher- heit ergeben, daß O0. gigas eine selbständige Art ist. Bei ihr be- findet sich die Erbeinheit der O. gigas im aktiven Zustande, während sıe in allen anderen Arten, Varietäten und Mutanten fehlt. Wir haben es daher bei der O gigas nicht mit einer regressiven oder degressiven, sondern mit einer progressiven Art zu tun. Darauf, daß es so ist, weisen zahlreiche Beobachtungen hin. Zunächst die schon erwähnte zytologische Feststellung, daß O0. gigas die doppelte Anzahl der Chromosomen besitzt, nämlich 28 statt 14 bei der O. Lamarckiana ?"). 27) Die von Geerts auf Grund einer von ihm gemachten Beobachtung, nach welcher die Chromosomenzahl der Semi-Gigas auf die normale Zahl der O0. La- marckiana reduziert wurde, ohne daß die @/g.s-Eigenschaften des betreffenden Individuums ganz verloren gingen, ausgesprochene Ansicht, daß die Verdoppelung der Chromosome mit den G@igas-Merkmalen nichts zu tun habe, beruht nach Herrn Professor de Vries auf einem Irrtum. Er schreibt mir darüber: „Geerts hat nur die Chromosomenzahl eines Exemplars einer von mir gewonnenen und kultivierten Rasse bestimmt. Diese Bastardrasse entstand aus der Befruchtung eines Individuums 99 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre etc. Ferner äußert sich der besondere Artcharakter der 0. gegas darın, daß die Kreuzungen derselben mit anderen Arten und Varie- täten, wie es bei unisexuellen Kreuzungen die Regel ist, meist ein- förmige, intermediäre Bastarde ergeben. Dazu kommen noch zwei wichtige Punkte. Wir finden bei den Gigas-Bastarden durchweg eine herabgesetzte oder ganz fehlende Fertilität, deren hoher Grad aus dem allgemeinen Charakter der Lythraceen nicht zu erklären ist. Die Bastardierungen gelingen in der Regel nur schwierig; die Bastarde selbst aber sind nur ın ganz wenigen Fällen fruchtbar. Da die gleichen Arten mit der 0. Lamarckiana oft ausreichend fruchtbare Bastarde ergeben, muß man annehmen, daß die syste- matische Distanz zwischen ihnen und der O. gigas eine größere ist, als zwischen ihnen und der O. Lamarckiana. Hugo de Vries hat die O. gigas zunächst mit den älteren Arten der Onagra-Gruppe (0. Hookeri, O. Cockerelli, O. biennis u.s. w.) gekreuzt. Die Bastarde waren stets intermediär und monotyp; dabei so unfruchtbar, daß sich von keinem Bastard eine 2. Generation gewinnen ließ. In etwas geringerem Grade trat die Sterilität bei den Bastarden mit der O. Lamarckiana und ihren Mutanten auf. Die Kreuzungen ge- langen leichter und die Bastarde zeigten bisweilen eine gewisse Fruchtbarkeit. Eine wirklich fertile Bastardrasse gewann H. de Vries jedoch nur aus einem einzigen Bastardindividuum einer Kreuzung von OÖ. gigas und ©. Lamtırekiana®®). Die zahlreichen Versuche, welche Hugo de Vries in 5 Generationen mit dieser fertilen Bastardrasse vornahm — er erzog im ganzen 526 dieser (rgas- Lamarckiana-Bastarde —, beweisen, daß auch der zweite für die Auseinandersetzung mit H. Nilsson wichtige Punkt hier zutraf. Die Giyas-Lamarckiana-Bastarde waren in hohem Grade konstant. Abgesehen von zwei Gigas-Nanella-Mutationen und einigen schmal- blättrigen Individuen, die auch in den reichen Kulturen von O. gigas nicht selten auftreten, waren sie einförmig. Sie standen der O. gigas sehr nahe. Auch bei einer Rückkreuzung der 0. gigas- Lamarckiana mit der reinen 0. bezw. der reinen ©. gigas blieben die Bastarde intermediär, sie näherten sich aber der großmütterlichen Form, mit welcher sie neu gekreuzt wurden, wie es bei den Artbastarden der Fall ist. Die Bastarde können daher mit O. Lamarckiana zu '|;-, \/g-, ?/,-Bastarden u. s. w. ausgebildet sein. einer Gigas-Kultur mit dem Pollen von O. Lamarckiana. Die Rasse hat seitdem in allen Generationen 14 Chromosomen gehabt. Ich vermute, daß sie aus einer in dieser Richtung mutierten Gigas-Eizelle meiner damaligen Kultur entstanden ist. Sie war von Anfang an einförmig und konstant. Sie führte einige Eigenschaften von O. semi-gigas, aber bei weitem nicht alle.“ 28) Nach einer Mitteilung von Herrn Professor H. de Vries hatte die be- treffende fertile Rasse nur 14 Chromosomen und nur einen Teil der Eigenschaften von O. gigas (vgl. auch die Anmerkung auf voriger Seite). Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 93 Auch das Auftreten der @zgas-Mutanten entspricht vollständig der de Vries’schen Auffassung, daß wir es bei der O. gigas mit einer Mutation und zwar mit einer Mutation anderer Art wie bei den negativen Mutanten zu tun haben. Nimmt man mit de Vries an, daß die einzelnen Sexualzellen vor der Befruchtung mutieren, so muß in der Regel eine in die Gigas mutierte Geschlechtszelle der Lamarckiana bei der Befruchtung mit einer Lamarckiana- Geschlechtszelle zusammentreffen, sie muß ferner, vorausgesetzt, daß die O. gigas eine progressive Art ist, mit ıhr einen konstanten intermediären Bastard, eine Semzi- Gigas, bilden. Nur in seltenen Fällen werden sich zwei mutierte Grgas-Geschlechtszellen einmal miteinander verbinden und eine reine @Gigas-Mutante entstehen lassen. Damit stimmt nun der Befund überein. Fräulein Anna Lutz und Stomps fanden die Semi-Gigas mit 14— 7 —= 21 Chro- mosomen in 0,6%, der untersuchten Zamarckiana-Individuen. Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung treffen, wenn man diesen Prozent- satz als Durchschnittsverhältnis ansieht, ın 0,0009%, der Fälle zwei mutierte Gigas-Geschlechtszellen aufeinander. Es ist daher nicht zu verwundern, daß Fräulein Lutz und Stomps unter ihrem be- schränkten Material keine normale Gigas entdeckt haben. Hugo de Vries hat unter 50000 Zamarckiana-Individuen ein einziges Mal eine solche gefunden ?°). Von Bedeutung ist es auch, daß der Unterschied, der hin- sichtlich ihres Auftretens zwischen der ©. gigas und den anderen Mutanten stattfindet, sich aus den de Vries’schen Vorstellungen ableiten läßt. Auch bei letzteren mutieren der Wahrscheinlichkeit nach die Geschlechtszellen vor der Befruchtung. Da sich aber nach de Vries bei deren Zusammentreffen mit den Geschlechtszellen der O. Lamarckiana labile und inaktive Erbeinheiten miteinarder ver- binden, so tritt hier die sogen. Mutationsspaltung ein. Es erscheinen in der Nachkommenschaft reine ©. Lamarekiana und reine Mutanten und brauchen sich daher zur Bildung einer reinen Nanella nicht zwei mutierte Sexualzellen zu vereinigen. Dem entspricht nun die Tatsache, daß die reinen rezessiven Mutanten außerordentlich viel häufiger als die reine O. gigas beobachtet werden. Selten müssen dagegen wieder Doppelmutanten erscheinen, denn sie können nur entstehen, wenn zufällig einmal mutierte Geschlechtszellen, die zwei verschiedene rezessive Mutanten repräsentieren, zusammentreffen. Auch hier wird die theoretische Ableitung durch das Versuchs- ergebnis bestätigt. So stehen alle wichtigen Mutations- und Kreuzungserscheinungen der ©. Lamarekiana und ihrer Mutanten mit der de Vries’schen 29) Unter 20000 Lamarekiana-Individuen fand er 19 Semi-gigas (mit 21 Chro- mosomen), 04 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. Theorie ın Einklang. Durch die Heranziehung der anderen Arten der Onagra-Gruppe ist nun, wie wir schon oben hervorgehoben haben, die Basıs für die Anwendung der Theorie noch verbreitert und die Theorie selbst besonders nach drei Richtungen hın geklärt und erweitert worden. Es ıst zunächst eın Teil der älteren Onagra-Arten hinsichtlich der vegetativen Eigenschaften heterogam d. h. die männlichen und weiblichen Geschlechtszellen übertragen bei ihnen ganz verschiedene erbliche Eigenschaften. Es können daher an diesen Arten die Ge- setze der Heterogamie aufgesucht werden — es kommen dabeı be- sonders die Arten O. biennis und ©. muricata ın Betracht — und, da die Heterogamie auch bei einigen Derivaten der ©. Lamarckiana eine wichtige Rolle spielt, zur Erklärung der betreffenden Erschei- nungen dienen. Eine weitere große methodologische Bedeutung haben die Onagra-Arten ferner bei Hugo de Vries für die Klarstellung der Verhältnisse der ©. Lamarckiana und ıhrer Mutanten dadurch ge- wonnen, daß sie die meisten Erbeinheiten, welche den Mutanten der Lamarckiana eigentümlich sind, auch besitzen, daß sie sich aber bei ihnen in der Regel nicht ın labilem Zustande befinden. Da wir in allen Fällen, wo beı einer Kreuzung der ©. Lamarckiana mit einer Mutante eine Spaltung ın der ersten Bastardgeneration ein- tritt, wohl nach der Theorie annehmen müssen, daß die betreffende Erbeinheit in dem einen Kreuzungskomponenten labil, in dem anderen inaktiv ist, es aber oft zunächst zweifelhaft bleiben kann, in welchem der beiden Komponenten das eine oder das andere der Fall ist, kann die Kreuzung mit der älteren Art Gewißheit bringen. Ist die Erbeinheit in dieser inaktiv, so muß die Kreuzung mit dem labilen Komponenten in der 1. Generation Spaltung ergeben; ist die Erb- einheit in der älteren Art aktıv, so muß bei der Kreuzung mit dem inaktiven Komponenten in der 2. Generation Spaltung eintreten. Eine Erweiterung der Theorie haben endlich drittens die Ver- suche mit den älteren Onagra-Arten dadurch gebracht, daß wir durch sie erfahren haben, daß es auch labile inaktive Erbeinheiten gibt. Sind diese inaktiven labilen Erbeinheiten in der Lamarckiana und allen ihren Mutanten vorhanden, so bleiben sie bei den Kreu- zungen dieser unter sich (labil X labil) unverändert. Sie werden aber ans Licht gebracht durch die Kreuzung mit den älteren Onagra- Arten, in denen sie inaktiv sind. Es tritt dann eine Spaltung ein, bei der die betreffenden Erbeinheiten in dem einen Spaltungspro- dukt aktiv, in dem anderen inaktiv sind. Hugo de Vries hat auf diesem Wege zwei neue Erbeinheiten, die Zaeta und die Densa aufgefunden °°). 30) Renner will mit Schiemann das Hervortreten der Zwillingsfaktoren so erklären, daß er den Laeta- Velutina-Faktor als heterozygot (Ll) und die bei Selbst- ET Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson's gegen die Mutationslehre ete. 95 So ist die Theorie von Hugo de Vries zu einem großen, wohlgefügten Gebäude geworden, in dem wohl manches noch un- fertig erscheint, das aber im großen und ganzen einen geschlossenen Charakter aufweist. Auf die Einzelheiten der Ausführung kann ich an dieser Stelle nicht eingehen. Es sollte nur die Tatsache hervor- gehoben werden, daß H. de Vries ım Gegensatz zu seinen Gegnern das ganze Erscheinungsgebiet ıns Auge gefaßt und auf gemeinsame Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt hat. Einzelne Abweichungen von den von de Vries aufgestellten Regeln können dabei die de Vries’- sche Theorie nicht widerlegen. Sie haben hier eine andere Bedeu- tung als bei der Nilsson’schen Auffassung. Denn beim Mendelis- mus handelt es sich um Gesetzmäßigkeiten, die auf festen konstanten Beziehungen beruhen und darum wirkliche Ausnahmen nicht zu- lassen°!). Bei der de Vries’schen Mutationslehre muß man aus der Theorie selbst auf das Vorhandensein von Abweichungen von den aufgestellten Regeln schließen. Nach ıhm befinden sich nicht nur die einzelnen Erbeinheiten in emem Übergangsstadium. Es ist auch ihr gegenseitiger Verband geändert. Infolgedessen müssen vielfach Assoziationen von Erbeinheiten auftreten, welche besonders die Zahlenverhältnisse verdunkeln. Ferner ıst die Labilität der Erb- einheiten eine verschiedene. Die Zustände derselben scheinen sich bisweilen schon durch die Kreuzung zu ändern. So kann man gar nicht die wunderbare Konsequenz der Vorgänge, welche die den Mendel’schen Gesetzen folgenden Gruppen zeigen, erwarten. Ver- folgt man die Untersuchungen von H. de Vries, so hat man das Gefühl eines, der auf dünner Eisdecke wandelt und fürchten muß, jeden Augenblick einzubrechen. Desto überzeugender wirkt dann die relativ so große Geschlossenheit der Vorgänge. Der Wahr- scheinlichkeitsbeweis wird noch verstärkt, wenn in den Abwei- chungen wieder besondere Gesetzmäßigkeiten hervortreten. Ge- lingt es, solche nachzuweisen, so wird damit die eigenartige Stellung der Onagra-Gruppe noch offensichtlicher. So will mir scheinen, daß die noch in der Mutationsperiode befindlichen Individuen bei Kreuzungen auch hinsichtlich der Erbeinheiten, bei welchen wir die Verbindung aktıv X inaktiv anzunehmen haben, insofern nicht den Mendel’schen Gesetzen folgen, als bei ihnen in der Generation F, neben den Zygoten aa nur noch die Hybriden Aa auftreten, die Zygoten AA aber ausfallen. Hugo de Vries führt das Fehlen der befruchtung entstehenden homozygoten LL und ll als nicht entwicklungsfähig an- nimmt; mit anderen Oenotheren gekreuzt soll man dann mit den L-Zygoten die Laeta, mit den l-Zygoten die Velutina erhalten. Dagegen: Hugo de Vries in dem in der Zeitschr. f. indukt. Abst.- u. Vererbungsl. erscheinenden Aufsatz Gute, harte und leere Samen von Oenothera. 31) Auch bei der Renner’schen Annahme würde es sich nicht um Ausnahmen vom Gesetz handeln. Die LL-Zygoten und ll-Zygoten werden nach ihr gebildet, wenn sie auch nicht lebensfähig sind. 06 Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson's gegen die Mutationslehre etc. Zygoten AA im einzelnen Fall auf die zu kleine Anzahl der Ver- suche zurück, doch wiederholt sich die Erscheinung bei den ver- schiedensten Kreuzungen. Auch Nilsson fand bei seiner rot-weiß- nervigen Rasse nur homozygote weißnervige Individuen, während die rotnervigen ausnahmslos heterozygot waren. Eine besondere Gesetzmäßigkeit muß auch hinsichtlich der Konstanz der ©. giyas vorliegen. Nach Hugo de Vries ist die O. gigas\konstant. Daß Nilsson bei der Gigas-Mutante 7 andere Resultate erhielt, hat geringere Bedeutung, da sie aller Wahrschein- lichkeit nach ein @igas-Bastard ist ??), immerhin hatte Hugo de Vries auch für die Gigas-Bastarde, wie wir sahen, Konstanz gefunden. Noch auffallender ıst dıe Tatsache, daß auch die O. gigas von Hil- versum in den Nilsson’schen Kulturen eine starke Variabilität zeigte. Und wenn es sich auch bei dieser Variabilität nicht um eine völlige Aufsplitterung der Mutante handelte, wie wir sie er- warten müßten, wenn die O. gigas wirklich eine Kombination heterozygoter Erbeinheiten wäre, sondern nur um das Auftreten einer Anzahl von Aberranten, so sind sie doch zu zahlreich, als daß sie als bloße Ausnahmeerscheinungen betrachtet werden könnten. Ebenso kann man sie nicht unter die gewöhnlichen somatischen Variationen subsummieren, dazu ist ıhre Schwingungsweite zu groß. Soweit sie nicht erblich sınd und als besondere Mutationen ın Be- tracht kommen können, kann man vielleicht zu ihrer Erklärung auf einen früher von Plate ausgesprochenen Gedanken zurückgreifen. Neben der Bastardtheorie stellte dieser auch die Hypothese auf, daß die Mutationen von de Vries als Formen der de Vrıes’schen Zwischenrassen angesehen werden könnten. So gefaßt ıst der Ge- danke nicht richtig. Denn damit hätte man zwar das unvermittelte Auftreten der Mutanten, aber keine ihrer anderen Eigenschaften erklärt. Vor allem sind die Mutanten von de Vries wohl ım- stande, andere Mutanten zu erzeugen, sie schlagen aber nicht wieder ®?), wie es die umschlagenden Zwischenrassen stets tun, in die Mutter- form zurück. Doch findet sich der weite Ausschlag der Variabilität der O. gigas bei den Zwischenrassen wieder. Und das ist ein Ver- gleichspunkt, der zur Aufklärung der betreffenden Gügas-Eigen- schaft dienen kann. Der weite Ausschlag beruht bei den Zwischen- rassen nach H. de Vries darauf, daß sich hier zwei antagonistische Eigenschaften in einer pangenetischen Lage befinden, in welcher äußere und innere Umstände das Hervortreten bald der einen, bald der anderen verursachen, ohne daß der pangenetische Zustand selbst dabei geändert wird. In ähnlicher Weise können wir uns vor- 32) Vgl. Fräulein Anna Lutz, Triploid Mutants an Oenothera. Biolog. Centralblatt, 1912. Dazu Referat von H. Nilsson in der Zeitschr. f. indukt. Abst.- u. Vererbungslehre. e 33) Mit Ausnahme der wenigen inkonstanten Mutanten. Kranichfeld, Die Einwände Heribert Nilsson’s gegen die Mutationslehre ete. 9% stellen, daß bei der O. gögas die Erbeinheiten, deren fester Verband gelockert ist, durch äußere und innere Umstände zu weitergehender Aktivierung kommen können, ohne daß dabei eine Mutation, d. h. eine neue Festlegung des pangenetischen Zustandes stattfindet. Voraussetzung ist wohl, daß die Art, bei der es geschieht, sich selbst nicht mehr in mutabelm Zustande befindet, also gewisser- maßen eine feste, selbst unveränderliche Basıs für diese vorüber- gehenden Abänderungen bietet — das ıst bei der O. gigas der Fall — und daß starke äußere Einwirkungen stattfinden. Sie können wir bei den Kulturen Nilsson’s ın dem ungünstigen nordischen Klıma annehmen. Dann wäre es auch erklärlich, wenn die Beobachtungs- resultate Nilsson’s hinsichtlich der O. gigas von denen von Hugo de Vries ın der Tat abweichen sollten, was übrigens von letzterem in Abrede gestellt wird °*). Zusammenfassung. 1. Die Hauptvoraussetzung Nilsson’s, nach welcher die O. Za- marckiana eine Kollektivart ıst, die sich aus zahlreichen mendelnden Biotypen zusammensetzt, muß als unwahrscheinlich abgelehnt werden, da solche Kollektivarten bisher nur bei Kulturrassen beobachtet wurden und es Nilsson nicht gelungen ist, weder bei der OÖ. La- marckiana noch bei der ©. gigas das Vorhandensein erblicher men- delnder Biotypen mit Sicherheit festzustellen. Die Oenothera von Almaröd ist eine neuentstandene Mutante. 2. Die Ausgangsformen, auf welche Nilsson seine parallelen Mutanten zurückführt, können nicht die von ihm angenommenen besonderen Biotypenkomplexe reiner Stammlinien sein, da dann auch de Vries, der seine Lamarckiana-Familien durchweg in reinen Stammlinien kultivierte, parallele Mutanten gefunden haben würde und letztere bei Nilsson ıinkonstant sein müßten. Parallele Mu- tanten entstehen unter dem Einfluß des Genotyps der Stammart, aus welcher sie hervorgehen, und ist für sie dementsprechend die doppelte Nomenklatur anzuwenden. Die parallelen Mutanten sind ein experimenteller Beweis für den polyphyletischen Ursprung der Arten. 3. Die Gesetze der analytischen Variation lassen sich ın den Zahlenverhältnissen, ın welchen die Mutanten auftreten, nicht er- kennen. 4. Die ©. gigas ist nach den von de Vries dafür geltend ge- machten Gründen zweifellos eine progressive neue Art. Die große Variabilität derselben, welche Nilsson für seine Auffassung geltend macht, ist einerseits darauf zurückzuführen, daß die O0. gögas nicht 34) Herr Professor de Vries schreibt mir: Ich finde nicht, daß die Beobach- tungsresultate Nilsson’s von den meinigen wesentlich abweichen. Im Gegenteil scheinen sie mir meine Auffassung in allen Einzelheiten zu bestätigen. Nur die Betrachtungen und Berechnungen Nilsson’s weichen von meiner Ansicht ab. 37. Band 7 us Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. durch eine einzige Mutation zustande kommt und darum partielle Mutanten auftreten können; andererseits, daß bei ıhr Somationen wie bei den Zwischenrassen vorkommen. 5. Die Nilsson’sche Auffassung steht nicht ın Einklang mit den Kreuzungserscheinungen der Mutanten. Die zahlreichen Hypo- thesen, welche Nilsson aufstellt, lösen die Widersprüche nur zum Teil. 6. Die von Nilsson gegen die de Vries’sche Auffassung er- hobenen einzelnen Einwände können gegenüber der Tatsache, daß es de V ries gelungen ıst, das ganze Erscheinungsgebiet der Onagra- Gruppe als ein einheitliches nachzuweisen und im großen und ganzen den von ıhm aufgestellten Mutationsregeln unterzuordnen, nicht ins Gewicht fallen. Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. IL!) Über das Neuston des Süßwassers. Von Einar Naumann in Lund, Schweden. (XIX. Mitteilung der süßwasserbiologischen Station Aneboda bei Lamhult in Südschweden?)). Im Leben des Süßwassers werden bekanntlich im allgemeinen 3 Regionen unterschieden: das Ufer, der Boden und das Pelagial, in welch letzterem sıch das Plankton entfaltet. So lange als es sich nur um die zentrale Fläche größerer Gewässer handelt, ist dies auch im allgemeinen ganz richtig; für kleinere aber oft gar nicht, und zwar hauptsächlich dort, wo das Heloplankton die pelagische Zone beherrscht. Mit abnehmender Größe der Gewässer vollzieht sich näm- lich immer mehr der Aufmarsch der Organismen in noch eine Zone: Die Oberfläche selbst wird von einer mehr oder minder reichhaltigen Lebensgemeinschaft aus Tieren und Pflanzen besiedelt. Dieselbe im Bereich des eigentlichen Planktons einzureihen, wäre ganz un- richtig: Sie treibt ja gar nicht im freien Wasser willenlos herum, „schwebt“ auch nicht im Wasser, vielmehr darauf; oder, richtiger gesagt, sie hat — jedenfalls zum Teil — eine ganz eigenartige Anpas- sung durchgemacht, um sich vom Leben ım Pelagial loszulösen und die eigentlich viel bequemeren Wohnplätze der Wasseroberfläche selbst einnehmen zu können. Es gibt somit oft in kleineren Ge- wässern — von den größeren Teichen ab — ebenso wie ım Litoral größerer Gewässer nicht nur ein Plankton. sondern auch eine ganz eigenartige Biocönose der Wasseroberfläche, die eben in dem Öberflächenhäutchen selbst ihre eigentlichen Lebensbedingungen findet. Es scheint mir deshalb zweckmäßig, 1) Mein erster diesbezüglicher Beitrag erschien im Biol. Centralbl. Bd. XXXIV, Leipzig 1914. 2) Die XVIII. Mitteilung erschien in den Publikationen der Schwedischen Geolog. Landesanstalt, Stockholm 1916. Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. 99 jedenfalls für derartige Gewässer von der Oberfläche als einer be- sonderen Region zu sprechen. Als kurze wissenschaftliche Bezeichnung dieser Lebensgemein- schaft möchte ıch hier — dazu von meinem Kollegen Herrn Kon- servator Otto R. Holmberg ın Lund freundlichst beraten — das Wort Neuston?°) vorschlagen. Über die Notwendigkeit neuer Fremd- wörter kann man allerdings ımmer mit Recht streiten. In diesem Fall glaube ich mich doch für das Einführen eines derartigen ohne Be- denken entschließen zu können — in erster Hand, weıl in Anbetracht auf die Gleichmäßigkeit des Sprachgebrauchs ein Fachausdruck nebst Plankton u. s. w. erwünscht erscheinen dürfte. Deutsch sollte es wohl eigentlich als die „Lebensgemeinschaft des Oberflächen- häutchens“ bezeichnet werden. Dies scheint allerdings etwas um- ständlich und dürfte auch, wie es mir Herr Prof. Dr. R. Kolkwitz einmal vorgeschlagen hat, etwas latinisiert als die „Häutchen- Formation“ verkürzt werden können. Als wissenschaftlichen Begriff möchte ıch indessen die kurze Bezeichnung Neuston ohne weiteres vorziehen. Die anderen Bezeichnungen dürften indessen damit um- wechselnd sehr wohl in Betracht kommen können. Das Neuston, das somit erst hier seinen Begriff erhalten hat, ist ındessen schon oftmals in der wissenschaftlichen Literatur be- handelt. Wenn es auch gewiß in ihrer alltäglichen Produktions- höhe der Aufmerksamkeit der Forscher ganz und gar entgangen ist, hat doch das Neuston in Hochproduktion in großer Aus- dehnung das Interesse der Botaniker erregt. Ich erinnere dazu nur an die zahlreichen Mitteilungen über durch Algen und Flagel- laten grün oder rot gefärbten Wasseroberflächen, oder die schillernden Häutchen aus Bakterien in Sümpfen und die rötlichen Anhäufungen der Purpurbakterien; oder den leuchtenden Anflug der Chromu- iinen in kleinsten Gewässern u. s. w. Es wiederholt sich also auch hier dieselbe Geschichte, wie in der eigentlichen Planktologie: Jahr- hunderte bevor man von einem Plankton sprach und sich über- haupt irgendeine Vorstellung von dem freien Wasser als einer Region des Lebens gemacht hatte, wurden wertvolle Erfahrungen über die Vegetationsfärbungen des Süßwassers gesammelt und publiziert ®). Die Hochproduktion, der man auch in der jetzigen Hydrobiologie, Jedenfalls ın deren angewandten Zweigen, das größte Interesse zu- erkennen muß, ist somit auf beiden Gebieten das historisch zuerst bekannte, und erst die Forschungen unserer Tage haben sich auch 3) Aus v£o in Übereinstimmung mit Pleuston aus io gebildet. Als Pleuston wird bekanntlich die höhere Schwimmflora mit ihrer eigenartigen An- passung für sowohl das Leben im Wasser wie aber z. T. auch in der Luft bezeichnet. Das Neuston faßt hingegen nur diejenigen Mikroorganismen ein, die eine ganz besondere Anpassung für ein mehr oder minder andauerndes Leben in dem Ober- flächenhäutehen selbst durchgemacht haben: sie sind somit echte Wasserorganismen. 4) Vgl. besonders die bibliographischen Zusammenstellungen bei Ehrenberg, ©. G., Die Infusionstiere als vollständige Organismen. — Leipzig 1838. y* 100 Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. dem Studium der geringeren Produktionen und dem Milieu des Lebens, woraus sie beide hervorgesprossen sınd, zugewandt. Das Neuston kann erstens in ein Phyto- und in ein Zoo- neuston eingeteilt werden. Je nach den wechselnden physio- logischen Voraussetzungen baut sich das erstgenannte in verschie- denen Abstufungen der Auto- bezw. Heterotrophie weiter aus, weshalb es zweckmäßig erscheinen dürfte, auch hier eine ernährungsphysio- logische Einteilung im Sinne des saprobökologischen Systems von R. Kolkwitz und M. Marsson?°) durchzuführen, und somit die Gruppen des kataroben, a- und f-mesosaproben ebenso wie poly- saproben Lebens unterscheiden. Weitere Unterabteilungen, mit denen der Begriff des Planktons bekanntlich eigentlich gar zu reich- lich ausgestattet ıst®), scheinen mir indessen hier — jedenfalls vorläufig — so ziemlich unnötig. Es ist indessen erforderlich, mit einigen Worten das Verhältnis zwischen Neuston und einigen anderen Begriffen zu besprechen. Es sind dies die Bezeichnungen Seston und Tripton. Der erstgenannte Begriff ist hauptsächlich um eine streng natürliche Definition des Planktons zu ermöglichen, von R. Kolkwitz”) eingeführt worden; und zwar wird Seston als der Haupt-, Plankton als der Teilbegriff festgestellt. Seston ist somit das vom Wasser überhaupt absiebbare, ob lebend oder tot, groß oder klein, Organismen oder Detritus. Die erstgenannten stellen allein das Plankton dar; für den letztgenannten hat J. Wilhelmi°) später die Bezeichnung Tripton eingeführt. In Anbetracht des rein tech- nischen Inhalts des Begriffes Seston dürfte es als geeignet er- scheinen, dasselbe unter allen Verhältnissen als den Hauptbegriff beizubehalten. Als Unterbegriffe kommen dann Plankton sowie Neuston und Tripton verschiedener Herkunft. Wir erhalten somit die folgende Einteilung: a) Neustisches Seston: Das Neuston, die Lebensgemeinschaft des Oberflächenhäutchens, nebst unbelebten Beimischungen. Die letztge- Das Seston nannten stellen das neustische Tripton dar. des Wassers b) Pelagisches Seston: Das Plankton, die Lebensgemeinschaft des freien Wassers, nebst unbelebten Beimischungen. Die letztgenannten stellen das planktonische Tripton dar. —— 5) Ökologie der pflanzlichen Saprobien. — Berichte der Deutschen Bot. Ges., Berlin 1908. 6) Vgl. z.B. F. A. Forel’s Darstellung „Griechische Terminologie“ in seinem Handbuch der Seenkunde. — Stuttgart 1901. Auch J. Wilhelmi’s unten näher angeführte Auseinandersetzungen über Plank- ton und Tripton gibt hierzu ein sehr belehrendes Beispiel. 7) Plankton und Seston. — Berichte der Deutschen Botan. Ges., Berlin 1912. 8) Plankton und Tripton. — Archiv für Hydrobiologie und Planktonkunde, Stuttgart 1916. Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. 101 Als Beispiele der Mitglieder der neustischen Biocönose sınd unter den Pflanzen in erster Hand die folgenden anzuführen: Bakterien. Verschiedene farblose Formen, ın mehr oder minder saprobilisierten Gewässern als Oberflächenzooglaeen graue bis schillernde Häutchen bildend. Purpurbakterien z.B. in ver- krauteten Tümpeln saproben Charakters als rote Oberflächenfor- mationen. — In manchen Gegenden in Blau oder Rot gefärbte eiserne Häutchen, kolloiden oder bakteriellen Ursprungs. Flagellaten. In hoch saprobilisierten Gewässern ver- schiedene farblose Formen. In den Regionen des Mesosapro- bions besonders Euglenen, entweder grün oder rot. Von den letzteren kommt hauptsächlich E. sanguinea ın Betracht; die allge- meine Bezeichnung „E. viredis*“ für die grünen Formen dürfte jeden- falls sehr oft — ın Anbetracht des bekannten Reichtums dieser Formen — etwas schematisiert sein. — Als rein katarob dürften hierunter die Chromulinen anzuführen sein. Chlorophyceen. Es kommen hier besonders die Chlamy- domonaden in Betracht. Betreffs ihrer Nutritionsphysiologie sınd sie wahrscheinlich ungleichwertig, da sie in den verschiedensten (sewässern von der Reinwasserzone an bis zu einem jedenfalls sehr ausgesprochenen Mesosaprobion vorhanden sind. Die Hochpro- duktion tritt als Grünhäutchen ohne weiteres zutage. Das Zooneuston dürfte sich wohl hauptsächlich ın den mehr saprobilisierten Zonen entwickeln. Hiervon kommen besonders die Amöben und Infusorien in Betracht. Von derartigen Formen erbaut sich somit die eigentliche Neuston- formation. Es ıst indessen hierzu noch zu bemerken, daß bekannt- lich eine ganze Reihe verschiedener Insektenformen eben auf der Wasseroberfläche selbst ıhren Wohnsitz genommen haben. Ihrer relativen Seltenheit wegen können sie selbstverständlich nicht als dem Neuston angehörend bezeichnet werden, gleichwie man ja nicht die Fische dem Plankton einzureihen braucht. Da indessen die Insekten der Wasseroberflächen zum großen Teil ihre Nahrung eben von den Organismen des Neustons erhalten dürften — gleichwie es sich ja in der anderen Region mit Plankton und Fischen ver- hält —, so dürfte es wohl eben in dieser Beziehung eine Reihe eigenartiger Anpassungen geben, sowohl betreffs der Ernährungs- verhältnisse der Tiere, wie auch betreffs der gegenwirkenden Schutz- mittel der Neustonorganismen. — Ob es noch höhere Tiere gibt (z. B. Vögel), die einen Teil ihrer Nahrung vom Neuston holen, bleibt aber noch zu untersuchen. Zum Plankton steht das Neuston in sehr auffallendem Ver- hältnis; und zwar in erster Hand dadurch, daß die Organismen- gruppen des Oberflächenhäutchens von denen des freien Wassers gewissermaßen rekrutiert werden — direkt oder indirekt, denn eben 102 Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. auf diesem Weg müssen ja zum großen Teil die Formen einwandern, durch deren ausgiebige Fortpflanzung sich das Neuston dann weiter erbaut. So wandern z. B. die Euglenen, Chlamydomonaden u. s. w. vom Schlamm durch das Wasser an die Oberfläche auf und beginnen dort eine rege Teilung, wodurch sich binnen kürzester Zeit eine schon für das freie Auge — wegen der bald eintretenden Vegetationsfärbung des Oberflächenhäutchens — erkenntliche Palmella entwickelt. Das Leben ın der Oberflächenregion gestaltet sich für diese Formen selbstverständlich weit mehr ökonomisch als im freien Wasser: Die Assimilationsbedingungen sind hier viel günstiger — ja bisweilen so gut, daß wir möglicherweise bisweilen sogar von ver- schiedenen Schutzmitteln gegen Licht und Wärme sprechen können’). Es geht weiter noch keine Kraft durch die aktıve Bewegung der Organismen verloren; dazu sind dıe Pflanzen gewiß — wegen der reichlichen Schleimhüllen der Palmella — zum großen Teil ihren tierischen Feinden unter dem Plankton gänzlich entkommen. Zwar sind sie allerdings in das Jagdgebiet anderer Tiere gekommen; daß sie aber auch von Seiten der oberflächlich lebenden Insekten u. s. w. einer so fürchterlichen Auffressung, wie ich dies z. B. bei frei ım Wasser umherschwimmenden, also planktonischen Chlamydomo- naden und Euglenen — und zwar durch Larven der Mücken u.a. Tierformen — beobachtet habe, unterliegen könnten, muß schon aus rein statistischen Gründen garz und gar bezweifelt werden: denn die Menge der Produzenten ist hier im Vergleiche der Konsumenten zu überwältigend. Wenn somit die Oberflächenregion den Organismen, die dort ihre besten Lebensbedingungen finden, ganz beträchtliche Vorteile dar- bietet, so sind aber auch gewisse Nachteile damit verbunden, die wiederum das Leben der eigentlichen Planktonformen ım allge- meinen kaum oder gar nicht stören. In erster Hand sind hierunter die Gewitter anzuführen: denn wenn der Sturm die Wasserober- fläche in Bewegung setzt oder wenn der Regen daran peischelt, dann zerreißt auch das zarte Häutchen und die mit Bewegungs- organen ausgestatteten Formen beginnen einen eiligen Rückzug nach den ruhigeren Regionen des freien Wassers und des Bodens, — um aber von da aus bei sonnigem Wetter wiederum den Auf- marsch zu beginnen. Es ist hieraus ohne weiteres ersichtlich, daß man bei vielen Mitgliedern der Neustonformation eine interessante reizphysiologische Regulationsmechanik voraussetzen muß. Von meinen diesbezüglichen Untersuchungen !°), die ich erst später 9) Vgl. z.B. Klausener, C,, Die Blutseen der Hochalpen. — Int. Revue der Hydrobiologie u. s. w., Leipzig 1908. 10) Von älteren Schriften, die sich besonders mit den Organismenformationen des Oberflächenhäutchens beschäftigen, möchte ich hier ganz besonders auf die treffliche Arbeit M.Woronin’s hinweisen: Ohromophyton Rosanoffi. — Bot. Zeitung, Leipzig 1580. Es wird hier eine ausführliche Darstellung der ganz eigenartigen Anpassung, Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. 103 ausführlich zu publizieren beabsichtige, mag ich hier besonders auf die auffällige Bedeutung der bei den niederen Pflanzen sonst sehr wenig bekannten Geotaxis, und zwar in deren positiven Form, hinweisen: dank derselben schlägt auch der Organismus ohne weiteres den richtigen Weg ein, wenn sich die eilige Flucht von der gestörten Ruhe aus der Häutchenformation vollzieht. Diese Feststellungen beziehen sich zwar ın erster Hand auf die Kuglen«a sanguinea;, inwieweit sie verallgemeinert werden können, wird hoffent- lich aus der Erweiterung meiner diesbezüglichen Untersuchungen bald näher ersichtlich. Was aber den Aufmarsch betrifft, so wird er jedenfalls für die Kuglena sangwinca nur durch Phototaxis ge- leitet; um eine Umstimmung handelt es sich hier gar nicht. Es mag übrigens hier noch bemerkt werden, daß ich bei Untersuchungen über die verschiedenen Taxien des Teichnannoplanktons überhaupt eine derartige positive Geotaxis — gewissermaßen als Fluchtreaktion bei Stören der Ruhe — sehr oft habe feststellen können. Es scheint wohl aus dem Gesagten ziemlich wahrscheinlich, daß sie ın der Tat besonders für die Formen des Neustons von größter Be- deutung sein dürfte. Was die quantitativen Verhältnisse des Neustons anbetrifft, so habe ich dieselben zum ersten Male einer genauen Analyse unter- worfen; und zwar mit der Kuglena sanguinea als Material!!). Diese Form tritt in der Oberflächenpalmella als sphärische Bildung von einem Diameter auf durchschnittlich ca. 50 « auf. Nimmt man bei der Statistik das Quadratmillimeter als Einheit, so gehen zwar — theoretisch genommen — hierauf bei einer durchgeführten Kon- taktlage von 4 bezw. 6 Tangentpunkten höchstens 400 bezw. 462 derartige Körper. In der Natur habe ich indessen die Kuglen«a noch nicht in dieser Menge gefunden. Vielmehr liegt die Frequenz pro qmm Wasserfläche ım allgemeinen weit geringer: Eine ausge- sprochene Färbung der Oberfläche tritt schon bei einer Frequenz von ca. !/, des theoretischen (höheren) Maximums ein und auch in den dichtesten Häutchen steigt die Anzahl kaum bis zur Höhe des ersten (niederen) Maximums an. Nachdem diese Feststellungen einmal gemacht worden sind, kann man sich auch, wie leicht ersichtlich, ohne weiteres eine ziem- lich anschauliche Vorstellung von den Produktionsverhältnissen des Neustons überhaupt rein theoretisch machen und zwar in der ein- fachen Weise, daß man die höchsten Frequenzzahlen verschiedener die für Chromophyton (= Chromulina Rosanoffi der jetzigen Nomenklatur) das Leben in dem Oberflächenhäutchen ermöglicht, gegeben; auch wird die Biologie desselben, wie sie sich in der freien Natur bei verschiedener Witterung gestaltet, in trefflicher Weise geschildert. Es ist dies somit eine ganz klassische Unter- suchung, dazu in einer Zeit durchgeführt, als die moderne Limnobiologie noch nicht begründet war. 11) Vgl. meinen diesbezüglichen Aufsatz in der Int. Revue der Hydrobiologie u. 5. w., Leipzig 1915. 104 Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. Körper in deren Flächenproduktion auf einem Quadratmillimeter ermittelt. Man erhält dann z. B. für sphärische Körper die folgenden Zahlen, die ich einer von mir früher in ganz anderem Zusammen- hang publizierten tabellarischen Darstellung entnehme'?). Tabelle I. Höchste Frequenzzahlen pro 1 qmm Fläche | | | Diameter in 50% | Dom OR. ld ID DEU — f =—— — T — = ——— — — m nn = == nn 4 bezw. ı 400 100000 2,900 4 444 10 000 40 000 6 Tang.-Punkte 462 | 1848 2 888 5132 | 11550 | 46200 Legen wir die früher besprochenen, bei der Kuglena sanguinea tatsächlich festgestellten Verhältnisse als Grund, so läßt sich somit ohne weiteres berechnen, daß wir z. B. für mehrere Chlamydo- monaden des Neustons, wenn sie in einer Hochproduktion auftreten, die ohne weiteres als eine auffällige Grünfärbung der Wasseroberfläche zutage tritt, mit einer Produktion pro qmm von höchstens (bei einer Diametergröße von 10 «) 10000 zu rechnen haben; für gewisse Chromulinen, die in der Oberfläche als Rundbildungen von einem Diameter auf nur 5 « auftreten, dürfte somit die Produktion die gewaltige Höhe von ca. 40000 pro qmm Wasseroberfläche erreichen können. Gehen wir weiter, so werden wir z. B. für die kleinsten der Bakterien, wie leicht ersichtlich‘), Produktionen von nicht minder als Millionen pro qmm voraussetzen müssen. Es sind dies zwar ganz beträchtliche Produktionen, die besonders im Vergleich mit den eem-Produktionen des Planktons sonderbar hoch aussehen möchten. Ihre Bedeutung für das Gesamtleben des Wassers ist aber nichtsdestoweniger oft eine ziemlich geringe; denn wird die Häutchenproduktion als gleichmäßig im Wasser verteilt gedacht, so ergibt sich doch hieraus in der Tat eine oft ziemlich geringfügige cem-Produktion. Eben auf einer derartigen Umrechnung muß sich selbstverständlich jeder Vergleich zwischen diesen verschiedenen Produktionstypen gründen. Es ist von diesen Gesichtspunkten aus auch ohne weiteres ersichtlich, daß die Bedeutung des Neustons im Stoffhaushalt der Gewässer mit deren abnehmender Tiefe zu- nimmt; in den seichtesten Pfützen auf berieselten Wiesen u. Ss. w. erreicht somit die Produktion an Häutchenorganismen Werte, die in der Tat auch vom Gesichtspunkte des Kubikzentimeters 12) Die Brauchbarkeitsgrenzen der Planktonkammer nach Kolkwitz be- treffend. — Schwedisch mit deutschem Resume, in den Bot. Notizen, Lund 1914. ” r ” a .. . ” 13) Beim Übergang von dem Größentypus a « bis pe x) ändert sich die Besetzung ja nicht um x, sondern vielmehr um x’. Die ursprüngliche Frequenz habe ich schon früher in einem Aufsatz in den Bot. Notizen näher auseinandergesetzt. Naumann, Beiträge zur Kenntnis des Teichnannoplanktons. 105 aus ganz riesenhaft erscheinen. Das läßt sich am einfachsten durch eine tabellarische Darstellung vorführen, woraus die bei ver- schiedener Wasserhöhe den schon (Tab. I) ermittelten Flächen- maxima entsprechenden cem-Produktionen ohne weiteres ersichtlich sind. Als Beispiele wählen wir dabei die Tiefen von 1m — was ja bei einer Fläche von 1 qmm einem Volumen von gerade 1 cem ent- spricht —, weiter 1 cm, 2,63 mm — was die Sedimentierhöhe der cem-Kammer nach Kolkwitz entspricht; somit 9 mm-Produktion x Sedimentierfläche der Kammer unmittelbar die cam-Produktion ergebend — und endlich 1 mm. Wir erhalten dann die folgende tabellarische Darstellung über die bei einer gegebenen Tiefe der maximalen Flächenbesetzung entsprechenden eem-Produktionen. Tabelle I. Die cem- 1\-Äquivalente der maximalen Flächenproduktionen bei e verschiedener W assertiefe. Diameter | 50 u 2 Mn 20 u | 15 u | IK) He 0200 1600 | 25001 444 | 10000| 40000 Abe. sn P) 462 sas’| 2888| 5132| 11.550: 2,46.200 rn nn L ST —————— De cem-Äqui- | er: | 400 1 600 2 500 4444 10.000 | 40.000 Wassertiefe von | 162 | 1848 | nn Re a er lm | | | | u | 40 000° 160.000 | 250 000 | 444 400 | 1.000 000 | 4 000 000 46200 | 184800 288800 513200 | 1 155.000 | 4620 000 | 152000 608.000 | 950 000 | 1688 720 3800 000 , 15 200 000 l 175 560 | 702 240 | 1097 250 | 1 50 471 = 383 000 | a 556 000 _ — | = — en nn | 400 000 | 1 600 000 | 2 500 000 4 444 000 10 000 000 40 000 000 | 462 000 | 1848000 2888000 5 132.000 | 11550 000 | | 46 200 000 2,63 mm Die Tabelle dürfte das oben Gesagte ohne weiteres näher be- gründen. Es ergibt sich übrigens, wie leicht ersichtlich, daß die cem-Äquivalenten ganz allgemein für verschiedene Tiefen aus der einfachen Formel V=F:- _ — wobei V die ccm, F die maximale Flächenfrequenz bedeutet; H ist die betreffende Wassertiefe in cm ausgedrückt — berechnet werden können. Es ist wohl fast über- flüssig, nochmals hervorzuheben, daß jede produktionsbiologische Diskussion dieser verschiedenen Lebenstypen des Planktons und des Neustons eben von dieser Voraussetzung der Äquivalente ihren Ausgangspunkt finden muß. Zum Plankton zeigt das Neuston, wie ich dies hier schon mehrmals ‘ hervorgehoben habe, in mehreren Hinsichten eine enge Beziehung. (6 Hykes, Einige Bemerkungen zu dem Aufsatze Isaak’s etc. ) a 8 8 Zwar stellt das Neuston eine sehr wohl abgegrenzte Zone dar. Mit dem Gesamtleben des Wassers — und besonders mit dem des Planktons — ist es aber ın vielfacher Weise verkettet. Es trifft dies nicht am wenigsten für den Ursprung der Neustonorganismen zu; denn immer sınd es doch hauptsächlich die Formen des freien Wassers — oder auch indirekt des Bodens —, die ın die Wasser- oberfläche einwandern und dort durch eine ausgiebige Fortpflanzung die eigentliche Häutchenbiocönose ausbilden. Zwar dürfte es Formen geben, für die das Leben ın Neuston etwas ziemlich zufälliges ist; anderseits ist aber auch darüber nunmehr gar kein Zweifel, daß es wirklich auch Organısmen (z. B. u.a. Euglena sanguinea) gibt, die eben als Neuston ıhr eigentliches Dasein finden und für welche das Leben im freien Wasser — als Heloplankton — überhaupt nur als etwas Abnormes in Frage kommen kann. Ich habe es deshalb hier als geeignet gefunden, die Organismengruppen des Oberflächen- häutchens als eine besondere Region, im Leben der mikrosko- pischen Wasserorganismen, aufzustellen. Es dürfte dies kaum da- durch beschränkt werden können, daß sich die Formen des Neustons zwar zum großen Teil eben von dem Region des Planktons rekrutieren; denn niemand hat noch das freie Wasser als eine Zone eigenartiger An- passungen zu erkennen versucht, obgleich es nunmehr doch eine sehr wohlbekannte Tatsache ıst, daß zumal das Plankton selbst von den Formen des Ufers und des Bodens in weitestem Maße belebt wird. In einer eigentümlichen Schärfe zeigt aber das Neuston das Bestreben der Natur, alle Möglichkeiten so ergiebig wie möglich für die Besiedelung des Lebens auszunützen. Besonders in dieser Beziehung dürfte aber das Neuston eine ganze Reihe interessanter Beispiele der Anpassungserscheinungen darstellen, bei deren näherem Studium auch für die eigentliche Planktologie manche Fragen von Interesse und Bedeutung werden dürften. Lund, Botan. Institut der Universität, ım Herbst 1916. Einige Bemerkungen zu dem Aufsatze Isaak’s „Ein Fall von Leuchtfähigkeit bei einem europäischen Grofsschmetterling‘“. Von ©. V. Hykes (Prag). In Nr. 5 (S. 216) dieser Zeitschrift hat Herr Isaak eingehend die Trotzstellung uud mit ihr verbundenes Au stretenund Leuchten des Sekrets am Mesothorax von Arctia caja L. beschrieben. Er bemerkt ausdrücklich, dass er keine Beschreibung dieses Falles ın der Literatur ausfinden konnte. Sofern es sich um das Leuchten handelt, scheint dies wirklich der Fall zu sein; aber bezüglich des Austretens des Sekrets bei der Auslösung der Trotzstellung überhaupt sei es mir gestattet an dieser Stelle einiges aus der diesbezüglichen Literatur anzuführen. Hykes, Einige Bemerkungen zu dem Aufsatze Isaak’s ete. 10% Im ersten Hefte des V. Bandes der Zeitschrift für wissen- schaftliche Insektenbiologie (herausg. von Dr. Chr. Schröder, Berlin) finden wir auf S. 29 einen kleinen Beitrag K. Uffeln’s'), wo er unter anderen Beobachtungen aus seiner Praxis auch das Verhalten eines beunruhigten frisch ausgeschlüpften Weibchens von Arctia caja L. schildert. Als er den Schmetterling durch leisen Druck von unten zu kriechen veranlassen wollte, spreitzte derselbe den Halskragen nach vorn, so dass die auf dem Prothorax befind- liche und bisher kaum sichtbare karmoisinrote Grundbehaarung deutlich hervortrat; in dieser roten Behaarung zeigten sich dabei zwei querstehende Öffnungen, aus denen ein öliges gelblich wasser- helles Sekret ausfloss. Das Leuchten dieser Flüssigkeit beobachtete Uffeln allerdings nicht, er bringt dieselbe mit einem Geruch in Verbindung, das er mit demjenigen der Nessel vergleicht. In diesem Geruch sollte auch nach seiner Meinung die ökologische Bedeutung dieser Erscheinung liegen (Abschrecken des Feindes oder Anlockung des anderen Geschlechtes). Auch dieser Autor hatte über das Vorhandensein dieses bei Trotzstellung entleerten Sekretes in der Literatur nichts gelesen, aber auf seine Aufforderung veröffentlichte schon im Doppelhefte 7/5 derselben Zeitschrift A. Dampf eine Reihe von Angaben?) aus älterer Literatur über diesen Gegenstand und fügte eigene nach einem lebenden Exemplar gemachte Skizzen von zwei Trotzstellungs- phasen hinzu; die dritte beigefügte Figur ist eine Zeichnung des von Schuppen entblößten Pro- und Mesothorax zur Veranschaulichung, wie das Aufklappen des braunen Halskragens vor sich geht. Das Auftreten von zwei Flüssigkeitstropfen soll nach ihm aber bereits Degeer beobachtet und 1752 in seinen Abhandlungen zur Geschichte der Insekten verzeichnet haben. — Eine weitere, sehr anschau- liche Veröffentlichung über dieses Thema machte in Oken’s Isis Zeller, der darüber ausführlich auf Spalte 115 des Jahrganges 1840 schreibt?); auch ihm war nur der Geruch des emporsteigen- den Sekretes auffallend und so schreibt er, wie ähnlich fünfzig Jahre später Portschinsky‘), dass der fragliche Saft wie der der Coc- einellen rieche und auch so scharf schmecke. Der russische Autor hat auch in seiner Arbeit (Horae Soc. Ent. Ross. V. XXVI, 1892) seine Beobachtung der Trotzstellung des genannten Falters zeichnerisch (Tab. III, Fig. 1) dargestellt. — Endlich finden wir zwei englische Arbeiten über Bau und Funktion der beiden Drüsen am Mesothorax von Arctia: von G.C. Griffith und von W.Reid, beide in Entomological Record Vol. I, 1890 (p. 238, 304). 1) K. Uffeln. Aus der entomologischen Praxis 1907. 2) A. Dampf. Über die Trotzstellung von Arctia caja L. 3) K. Zeller. Lepidopterologische Beiträge. 4) J. Portschinsky. Lepidopterorum Rossiae biologia. 108 Wasmann, Bemerkungen zur neuen Auflage von Ualwer’s „Käferbuch‘“. Allen diesen Autoren, auch Dampf selbst, blieb allerdings das Leuchten des hervorquellenden Sekretes unbekannt, so dass die Erkenntnis dieser Erscheinung noch fernerhin Isaak gehört. Bei der Möglichkeit sich leicht das betreffende Material zu besorgen, werden wir wahrscheinlich bald mehr über die physiologischen resp. physikalischen und chemischen Eigenschaften dieses Leuchtsekretes erfahren — worüber bisher überhaupt leider so wenige Angaben vorliegen. Referate. Bemerkungen zur neuen Auflage von Calwer’s „Käferbuch‘“'). Von E. Wasmann S. J. (Valkenburg). Wenn ein akademischer Zoologe das Wort „Käferbuch“ hört, so ıst er geneigt, mitleidig die Achseln zu zucken und zu denken: das ıst wohl wieder etwas für Kinder oder für Käfersammler aus der Laienwelt, nicht für wirklich wissenschaftlich gebildete Zoologen. Mag dieses Urteil auch für manche Werke gelten, die jenen Titel führen, so gilt es wenigstens nicht für die vorliegende, von ©. Schau- fuss bearbeitete 6. Auflage von Calwer’s Käferbuch. Auch im Vergleich zu früheren Auflagen desselben Werkes ist ein sehr großer Fortschritt zu verzeichnen. Der Umfang ist von einem Bande der 5. Aufl. von ca. 750 S. auf zwei Bände mit zusammen über 1400 S. gewachsen. Die schwarzen Tafeln sind nur um eine (Taf. II) ver- mehrt, welche hauptsächlich Figuren zur Bionomie enthält. Die Zahl der Farbentafeln (48) ist die frühere geblieben; auch in ıhrer Ausführung kann kaum von einer neuen Auflage die Rede sein. Die Verbesserung der Tafeln hat mit jener des Textes nicht Schritt gehalten, wie wır namentlich in bezug auf die Staphyliniden-Tafeln noch zu bemerken haben werden. Die Vermehrung des Textes auf das doppelte des früheren Umfangs ist nicht bloß eine quantitative sondern auch eine qualı- tative. Sie hat nicht nur in der Vermehrung des systematischen Inhalts ihren Grund, sondern namentlich in der Bereicherung und Verbesserung des biologischen Inhalts. Hierin liegt der größte Vorzug der neuen Ausgabe. Dem Bearbeiter, 0. Schaufuss, gebührt volle Anerkennung für den außerordent- lichen Fleiß und die kritische Sorgfalt, mit welcher er viele Tau- 1) Calwer’s Käferbuch. Einführung in die Kenntnis der Käfer Europas. 6. Auflage, verfasst von Camillo Schaufuss. Zwei Bände, Lex. 1478 S. mit 254 Textfiguren sowie 3 schwarzen und 48 farbigen Tafeln. Preis geb. Mk. 38. Schweizerbarth’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1916. Wasmann, Bemerkungen zur neuen Auflage von Calwer's „Käferbuch“. 109 sende bionomischer Angaben gesammelt und in möglichst gedrängter Form bei den einzelnen Gattungen eingearbeitet hat. Dadurch ist in der Tat Calwer’s Käferbuch zu einem neuen, wissenschaft- liyo ungleich wertvolleren Werk geworden als die früheren Auf- lagen. Schon im Allgemeinen Teil, der 68 Seiten umfasst, sucht die neue Auflage engeren Anschluss an die wissenschaftliche Zoo- logie und insbesondere an die Fortschritte der Bionomie d. h. der Biologie im engeren Sinne zu gewinnen. Die Einleitung gibt eine Übersicht über das zoologische System und dann über die Klasse der Insekten, in welcher 22 Ordnungen unterschieden werden. Auch die Paläontologie der Insekten wird gestreift, wobei wir jedoch den Hinweis auf A. Handlirsch’s klassisches Werk „Die fossilen Insekten“ (1906 — 1908) vermissen. Dann folgt der umfang- reiche Abschnitt „Allgemeines von den Käfern“, wo der Körperbau, die Entwicklung, die Lebensweise, die Abhängigkeit der Art in ihrer Erhaltung und Umbildung von Fortpflanzung, Klıma, Boden- beschaffenheit und Feinden, die geographische Verbreitung, Fang und Zucht der Käfer, Einrichtung und Aufbewahrung der Samm- lungen u. s. w. nacheinander behandelt werden. In dem Kapitel über die Lebensweise sind auch die Myrmekophilie und Termito- philie (S. 30-—31) gebührend berücksichtigt; am Schluss des allge- meinen Teils wird sogar zur besseren Kenntnis der einheimischen Myrmekophilen ein kurzer Bestimmungsschlüssel der häufigsten Ameisenarten beigefügt (S. 65ff.). In dem folgenden Abschnitt über die Käfer des paläarktischen Gebietes, die den eigentlichen Gegenstand des Werkes bilden, wird zuerst ein Bestimmungsschlüssel der Familien gegeben. Dann folgen die einzelnen Familien in ihrer systematischen Reihenfolge nach der neuen Ausgabe des Catalogus Coleopterorum Europae und Caucasi von Reitter, also im wesent- lichen nach Ganglbauer’s System. Bei den einzelnen Familien sind für die Unterfamilien, Gattungen und Untergattungen ebenfalls Bestimmungsschlüssel gegeben. Von den Arten werden nur die wichtigsten beschrieben, die übrigen bloß aufgezählt, mit Angabe des Vaterlandes und manchmal auch der Lebensweise. Am Schlusse des II. Bandes findet sich ein „Nachwort“ (S. 1347ff.), ın dem manches Theoretische und Praktische aus der modernen Bionomie der Käfer nachgetragen wird. Daselbst ıst auch ein bionomischer Fragebogen als Schema für die Abfassung einer wissenschaftlichen Beschreibung der Lebensgewohnheiten, der Entwicklung u. s. w. des betreffenden Käfers beigefügt, was jedenfalls als eine sehr nützliche Anregung zu begrüßen ist. Es folgen dann ein ausführliches sach- liches Inhaltsverzeichnis mit einer nicht bloß für Anfänger schätzens- werten Erklärung der Fachausdrücke und endlich ein alphabetisches Verzeichnis der lateinischen Familien- und Gattungsnamen. Um eine Probe zu machen auf die Verbesserung des Werkes in bionomischer Beziehung, wählte ich mein Fachgebiet, die Ameisen- gäste, die in den früheren Auflagen sehr stiefmütterlich behandelt worden waren. Ich schlug daher im Sachregister das Stichwort „Myrmekophilen“ auf und fand dort außer der schon erwähnten S. 30 des allgemeinen Teils noch 40 weitere Seiten zitiert. Diese {10 Wasmann, Bemerkungen zur neuen Auflage von Oalwer’s „Käferbuch‘. schlug ich nach, um zu erfahren, was dort über die Lebensweise der betreffenden Gattungen und Arten gesagt wird. Außerdem sah ich aber auch die im Inhaltsverzeichnis nicht zitierten Seiten des Werkes durch und fand, dass überdies noch auf wenigstens 20 Seiten Dolon == Angaben über Myrmekophilen stehen, so S. 211, 212, 226, 227, 228,235, ,246, 241,7 268, 298, : 308, 309, Slave, Ds 3 manche andere Seiten sind mir wahrscheinlich noch ent. gangen, zumal die betreffenden Notizen großenteils im Kleindruck bei der Aufzählung der Arten am Schlusse der Gattungen verborgen sind. Die Angaben über dıe Lebensweise der myrmeko- philen Koleopteren sind also sehr zahlreich. Sie sind aber auch, und das ıst die Hauptsache, fast ausnahmslos richtig, kritisch zuverlässig und bei gedrängter Kürze oft sehr reichhaltig. Ich muss gestehen, dass ich hierdurch sehr angenehm überrascht wurde. Besonders gut gelungen ist die Behandlung der Lebensweise von Lomechusa und Atemeles (231 ff.) und der P aussiden (145), wo auch die symphilen Exsudatorgane und die mutmaßliche Phylogenie kurz erwähnt werden. Einige kleine Ergänzungen und Berichtigungen seien hier für eine neue Auflage noch beigefügt. Für die Entwicklung und Fortpflanzung von Lomechusa und Atemeles (S. 231) und für ihre verschiedenen Larvenstadien sei auf meine Arbeiten „Neue Beiträge zur Biologie von Lomechusa und Atemeles“ (Nr. 205)in: Ztschr. f. wıss. Zool. 1915, CXIV, Heft2, und „Viviparität und Entwicklung von Lomechusa und Atemeles® (Nr. 216) in: Wien. Ent. Ztg. 1915, Heft VIII—-X, S. 382ff. verwiesen. Die psychologische Bedeutung der Doppelwirtigkeit von Atemeles (5. 232) ist gut dargestellt, aber die erwähnte Schlussfolgerung gegen die Intelligenz der Ameisen wurde nicht von Escherich zuerst ge- zogen, "der dafür zitiert wird, sondern von mir?). Dass als Sommer- und Larvenwirt von Atemeles emarginatus (5. 233) außer Formica fusca „die von ıhr als Sklaven gehaltenen Formica sanguinea und Polyergus rufescens“ angegeben werden, ist offenbar ein Schreib- fehler; es muss heissen: „Formica fusca m ıhren selbständigen Kolonien und in den gemischten Kolonien von F. sanguinea bezw. Polyergus rufescens, wo sie als Sklavin gehalten wird.“ Bei Ate- meles pubicollis (3. 233) ist noch die subsp. truncieoloides Wasm. bei Formica trumeicola Nyl. (Westfalen) einzutragen; siehe meine Arbeit „Die Anpassungscharaktere der Atemeles* (Nr. 179) ın: Congr. I. Intern. d’Entom. 1910, S. 265ff. Bei Homoeusa acuminata (S. 239) sollte dıe zu der vichtigen neueren Wirtsangabe beigefügte ältere „auch bei Formica nufabanbıs und cumiculina* künftig fort- fallen, da sie wahrscheinlich auf einer Verwechslung von Lasius (brunmneus Ltr.?) mit Formica beruht. Es muss übrigens rühmend hervorgehoben werden, dass die sonstigen unzuverlässigen älteren Wirtsangaben in der vorliegenden Auflage 0 durch kritisch zuverlässige neuere ersetzt sind. Ferner wird (S. 239) nach der 2) Zur Verschiedenheit meiner Anschauungen über das echte Gastverhältnis vgl. „Über Wesen und Ursprung der Symphilie (Nr. i73) in: Biolog. Centralbl. 1910, Nr. 3—5. Wasmann, Bemerkungen zur neuen Auflage von Calwer’s „Käferbuch“. 111 Gattung Homoeusa die südeuropäische Gattung Chitosa mit dem Vermerk „Hierher“ beigefügt. Sie gehört aber nicht hierher sondern an den Schluss der folgenden Gattung Dinarda; wır begegnen ihr tatsächlich nochmals auf derselben Seite bei der Bionomie der Dinarda-Formen. Beı Paussus turcicus muss die Wirtsameise Phei- dole pallidula Nyl. (nicht „pallida“) heissen. Zur Lebensweise von Olaviger (5. 256) wäre noch beizufügen, dass Olaviger testaceus nach meinen Beobachtungen oft auch an den großen weiblichen Larven von Lasius frisst, die dadurch braune Flecken bekommen; ferner dass die mutmaßliche Larve von Olawiger longicornis von Donis- thorpe (in Entomologists Record 1913, Nr. 12) beschrieben worden ist. Bei Coceinella distineta Fald. (S. 552) ıst nichts über myrme- kophiles Vorkommen beigefügt, obwohl diese Art nach den Beob- achtungen von Donisthorpe und mir sicher eine besondere Vor- liebe für die Nachbarschaft von Ameisennestern hat, wo sie wahr- scheinlich den Aphiden derselben nachstellt. Vgl. „Neue Beiträge zur Kenntnis der Myrmekophilen und Termitophilen* (Nr. 192) ın: Ztschr. wiss. Zool. 1912, Ol, Heft 1—2, S. 112ff. In den Angaben über den Fang der Myrmekophilen (S. 45) ist die Methode des Durchsiebens der Nester und des Aussuchens der Beute teils direkt auf einem weißen Tuch teils zu Hause mit Hilfe des Photelectors speziell für die Nester von Formica rufa und Verwandten nicht genügend berücksichtigt. Dort wird auch be- hauptet, „der braunrote, in Baumstämme lebenden Lasius fuliyinosus“ sei „wegen seines Bisses einigermaßen zu fürchten“. Da muss wohl eine Verwechslung vorliegen. Lasius fuliginosus ıst nämlich glänzend schwarz — die stechenden Myrmica sınd dagegen braun- rot — und selbst beim Durchsieben volkreicher uligimosus Kolonien ist nicht der Bıss dieser Ameise sondern höchstens ıhr starker Ge- ruch mir unangenehm geworden. Beim Durchsieben der Haufen von F. rufa und Verwandten muss man allerdıngs durch Zubinden der Armel u. s. w. gegen die Bisse der Ameisen sich zu schützen suchen, namentlich aber den Hals gut umwickeln; ich hatte beı meiner Statistik der sangwinea-Kolonien von Exaten trotzdem oft wochenlang eiternde Wunden am Halse. Bei der Untersuchung der Erdnester von Lasius flavus u. s. w. nach Olariger tut ein großes (särtnermesser sicherlich bessere Dienste als der empfohlene „Lee- löffel“. Die von Gärtnern benutzten, als Pflanzenstecher bekannten kleinen Schäufelchen sind ebenfalls für das Durchsuchen der ver- schiedensten Ameisennester sehr zu empfehlen. Ein Druckfehlerverzeschnis fehlt; übrigens ıst die Zahl der Druckfehler, soweit ich bemerken konnte, nur sehr gering. S. 15 wird der kleine schwarze Trichterwickler Rhynchites betulae iwrtüm- lich Bytiscus genannt. S. 18 würde für das dort vorgeschlagene Wort „Vivipartus“ wohl besser „Viviparie“ oder „Viviparität“ gesetzt. Dem Bearbeiter der neuen Auflage von Calwer’s Käferbuch kann man wirklich zu seiner Arbeit gratulieren. Das Buch ist durch ihn viel mehr geworden als ein bloßes Bestimmungsbuch für Käfersammler. Es bietet auch für den wissenschaftlichen Zoologen eine außerordentlich reiche Fundgrube zur Orientierung über die 1193 Wünsche, Die Pflanzen Deutschlands. Lebensweise der Koleopteren. Nicht bloß die auf die Myr- mekophilen bezüglichen Angaben, die in vorliegender Besprechung besonders berücksichtigt wurden, sondern auch die übrigen biono- mischen Bemerkungen über die Käfer sind ungemein reichhaltig und kritisch gut gesichtet. Als Beispiel hierfür sei die S. 1258 —1261 gegebene vortreffliche Übersicht über die Lebensweise der Scara- baeiden genannt. Hoffentlich wird eine künftige Auflage auch bezüglich der Tafeln ähnliche Fortschritte aufweisen, wie sie jetzt den Text aus- zeichnen. Wie bereitsoben bemerkt, ist zu den bisherigen 2 schwarzen Tafeln nur eine neue hinzugekommen. Die 48 Farbentafeln sınd im wesentlichen geblieben, was sıe früher waren; neben vielen guten Abbildungen finden sich auch manche minderwertige, nament- lich auf den Staphylinidentafeln. Auf letzteren sind wiederum die myrmekophilen Arten auf Taf. 8 sehr reformbedürftig. Atemeles, Dinarda u.s. w. sind ın bezug auf dıe Zeichnung nicht verbessert; sie werden immer noch mit eingeschrumpftem Hinterleib abgebildet und sınd überhaupt schwer kenntlich. Das Kolorit ist im Vergleich zu dem Abzug derselben Tafel der 5. Aufl. noch etwas verdunkelt und dadurch verschlechtert. Die Verantwortung hierfür trifft aber wohl nicht den Bearbeiter, dem volle Anerkennung dafür gebührt, dass er den Text der neuen Auflage auf eine in derartigen Werken bisher unerreichte wissenschaftliche Höhe gebracht hat. Die den Bestimmungsschlüsseln beigefügten zahlreichen schematischen Text- abbildungen der neuen Auflage sind jedenfalls auch ein Fortschritt in der Illustration des Werkes. O. Wünsche. Die Pflanzen Deutschlands. II. Die höheren Pflanzen. 10. neubearb. Aufl. her. von Joh. Abromeit. B. G. Teubner, Leipzig u. Berlin 1916. Kl. 8°. XXIN. u. 764 S. Bildnis O. Wünsches. Geb. 6 Mk. Das Werk Wünsche’s war mit seiner'7. Bearbeitung im Jahre 1897 eine der brauchbarsten und bequemsten Taschenfloren von Deutschland, besonders ausgezeichnet durch die sehr gut dicho- tomisch nach dem natürlichen System, aber mit unsystematischen, den naheliegenden Irrwegen entsprechenden Doppelhinweisen aus- gearbeitete Bestimmungstafeln. Es wurde in jeder Neuauflage be- reichert durch weitere Standortsangaben und ist so, ursprünglich hauptsächlich für das mittel- und ostdeutsche Gebiet ausgearbeitet, nun eine überall in gleichem Maße zuverlässige deutsche Flora ge- worden. Auch in der neuen Bearbeitung ist es im dieser Hinsicht ergänzt und in bezug auf die Nomenklatur berichtigt worden. Ein einziger Übelstand muss bei diesen Vorzügen in Kauf genommen werden, nämlich dass der Umfang nun nicht mehr erlaubt, es in einer Kleidertasche unterzubringen. W. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr.K..Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig _ März 1917 | EN ausgegeben am 28. März 37. Band Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen Inhalt: W. Verhoeff, Zur Kenntnis der Atmung und der Atmungsorgane der /sopoda-Oniscoidea. B. Dürken, Über Entwieklungskorrelationen ınd Lokalrassen bei Rana fusca. H. de Vries, Über ımonohybride Mutationen. V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. Referate: O. Hertwig, Das Werden der Organismen. — Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang. — Neuerschienene Bücher. Zur Kenntnis der Atmung und der Atmungsorgane der Isopoda-Oniscoidea. (Über Isopoden 20. Aufsatz.) Von Karl W. Verhoeff in Pasing bei München. Die Landasseln sind ın verschiedener Hinsicht so hervor- ragend merkwürdige und zum Teil sogar einzigartige Lebewesen, daß man meinen sollte, sie wären bereits der Gegenstand sehr aus- gedehnter und zahlreicher Untersuchungen geworden, zumal eine ganze Reihe deutscher Arten sehr leicht zu beschaffen ist. In der Tat hat das Interesse für dieselben in den beiden letzten Jahr- zehnten erheblich zugenommen, wenn auch nicht in dem Maße, wie es diese merkwürdigen Tiere verdienen. /u den originellsten Erscheinungen in der Organisation und ım Leben der Landasseln gehören die Atmungsorgane und die Atmung derselben, einerseits weil viele Formen Kiemen und Trachealsysteme zugleich besitzen, anderseits weil die vielen Abstufungen dieser Organe uns eine vortreffliche Handhabe dazu 37. Band 8 114 K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. /sopoda-Oniscoirea. bieten, uns über die allmähliche Umbildung von Meerestieren zu Landtieren genauer zu unterrichten. Träger der Atmungsorgane sind bekanntlich die Spaltbeine oder Pleopoden des Hinterleibes oder Pleons und zwar sind die Innenäste oder Endopodite meistens als Kıemen ausgebildet, während sich die Außenäste oder Exopodite verschiedenartiger be- tätigen, indem sie bisweilen auch teilweise als Kiemen ın Betracht kommen, in der Hauptsache aber als die Träger der verzweigten, luftenthaltenden Trachealsysteme. Diese erinnern uns nach Bau und Leistung in hohem Grade an die Trachealsysteme der Insekten, Chilopoden und Diplo- poden. So verschieden bei diesen Klassen auch die Ausbildung der Tracheensysteme ist, so treten sie uns doch selbst bei den primitivsten Gruppen derselben als scharf abgesetzte und fast immer mit paarigen Öffnungen am Rumpfe mündende Kanalsysteme ent- gegen, die auch meistens durch spiralige Wandverdickungen aus- gezeichnet sınd. Bei den Landasseln dagegen ıst die Verzweigung viel un- regelmäßiger, spiralige Wandverdickungen treten niemals auf, die Mündungen besitzen niemals Verschlußeinrichtungen und die Zahl der Öffnungen ist nach Gattungen, Arten und bisweilen sogar Seg- menten und Individuen eine verschiedene. Alle diese Umstände ım Verein mit der verschiedenartigen Ausprägung der Tracheal- systeme nach Größe und Zahl weisen uns darauf hin, daß diese Organe phylogenetisch noch jung sınd und eben deshalb eine gute Aussicht eröffnen, ın die allmähliche Entstehung derselben sinblicke zu gewinnen. Es sind jetzt ungefähr hundert Jahre verflossen, seit La- treille als erster über „Die weißen Körper“ an den Exopoditen der Landasseln berichtet und sie auch richtig als Atmungsorgane aufgefaßt hat, wenn er natürlich auch nur oberflächlich über sie unterrichtet war. Obwohl eine Reihe von Forschern ın demselben Sinne sich geäußert haben und unsere Kenntnisse der Atmungsorgane ver- mehrt, wie Lereboullet, v. Siebold, Leydig, Wagner und Weber, so hat sich doch H. Bepler in seiner Arbeit „Über die Atmung der Oniscoideen“ (Greifswalder Dissertation 1909) zu der Behauptung verstiegen: (S. 4£) „Die weißen Körper haben keinerlei Bedeutung für die Atmung.“ In seinen „Beiträgen zur Anatomie und Physiologie einiger Land-Isopoden“, Zool. Jahrbücher, 55. Bd., 4. H., 191%, hat sich Herold dagegen ausgesprochen und erklärt (S. 522) „Ich halte die weißen Körper für das Luftatmungsorgan der Landasseln, neben dem sie noch mehr oder weniger gut entwickelte (aus der Zeit ihres Wasserlebens ererbte) Kiemen besitzen.“ Da aber Herold K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda-Oniscoidea. AA selbst von einem „Versagen des direkten Nachweises“ spricht, so hat man jetzt allen Grund zu fragen, was ist das Richtige, sind die „weißen Körper“ Trachealorgane oder nicht? — Diese. immer noch herrschende Ungewißheit, sowie der Um- stand, daß ich von verschiedenen sonstigen Mitteilungen, über die Pleopoden der Oniscoideen bei mehreren Forschern durchaus nicht befriedigt war, veranlaßten mich zu einer näheren Beschäf- tigung mit der Atmung und den Atmungsorganen jener. Hierbei legte ich den Hauptwert einerseits auf physiologische Versuche, anderseits auf verschiedene bisher unberücksichtigt gebliebene Bau- verhältnisse der Pleopoden. Sodann aber ergaben sich verschie- dene ganz neue Gesichtspunkte, namentlich durch die Entdeckung des Wasserleitungssystems, womit zugleich manchen bisherigen Unklarheiten ein Ende gemacht werden konnte. Meine eingehen- dere Arbeit (nebst Tafeln) wird in der Zeitschr. f. wiss. Zool. ver- öffentlicht, doch will ich über einen Teil meiner Untersuchungen das Folgende berichten: Bewegungen der Pleopoden im Wasser. Die bisherigen Kennt- nisse von den Bewegungen der Pleopoden sind so kümmerlich, daß sie sich fast allein auf die falsche Annahme beschränken, jede ins Wasser gebrachte Landassel setze ihre Pleopoden in fächelnde Be- wegungen, ähnlich dem Asellus aquaticus. Daß ein solches Fächeln zum Zwecke der Kıemenatmung bei den meisten Formen stattfindet, ist allerdings richtig, aber meine Versuche ergaben, daß sich die verschiedenen Oniscoideen-Gattungen höchst verschieden ver- halten, ein Umstand, welcher für die Beurteilung der Kiemenatmung von größter Wichtigkeit ist. Wenn bei Ligidium oder Hyloniscus das Pleopodenfächeln im Wasser aufgehört hat, dann sind diese Asseln stets als tot zu be- trachten. Bei Oniscus dagegen und allen mit Trachealsystemen ausge- rüsteten Formen tritt nach dem Aufhören des Fächelns eine mehr- stündige ÖOhnmachtsperiode ein, innerhalb welcher die auf Fließ- papier gebrachten Tiere sich meistens wieder erholen. Vor allen Dingen zeigt aber das Pleopodenfächeln selbst sehr große Verschiedenheiten, denn die Zahl der Schwingungen in einer Minute ist sowohl nach den Arten als auch nach der Dauer des Wasser- aufenthaltes verschieden. Ich will nur erwähnen, daß ich an Por- cellio scaber bei 14° R. nach 2—3!/,stündigem Wasseraufenthalt 60 Pleopodenschwingungen, nach 6°/,stündigem dagegen nur noch 40 in einer Minute beobachtete. Die Armadillidien zeigen im Vergleich mit Oniscus und Porcellio viel langsamere und kürzer dauernde Pleopodenschwingungen. So zählte ich an A. portofinense Verh. bei 14°R. während des Anfangs des Wasseraufenthaltes in einer Minute nur 6 Pleopodensehwingungen. Endlich bei Arma- w 116 K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda-Ontscoidea, dillo offieinalis finden ım Wasser überhaupt keine Pleopoden- bewegungen mehr statt, entsprechend dem recht eigenartigen Bau der Pleopoden. (segen das Wasser verhalten sich die Oniıscoideen aber auch insofern sehr verschiedenartig, als Kugler wie Cylistieus und Arma- -illidium, wenigstens so lange sıe eingerollt sind, an der Wasser- oberfläche schwimmen, während Armadillo stets wie ein Stein untersinkt. Sehr verschiedenartig ist die Menge der Luft- bläschen, welche die einsinkenden Asseln mit sich nehmen. Wäh- rend man an den Ligidien kaum Luftbläschen bemerkt und ihre Zahl bei Oniscrs bescheiden bleibt, wird von Armadillidiemn und Armadillo und auch von Porcellio scaber und pietus ein so beträcht- liches Quantum Luft mitgenommen, daß diese Asseln ım Wasser meistens umherflottieren, also zeitweise ungefähr das spezifische Gewicht des Wassers besitzen. Bewegungen der Pleopoden in der Luft. Da den Pleopoden- bewegungen im Wasser die Bedeutung zukommt, durch fortgesetztes Schlagen immer frische, gelöste Luft enthaltende Wasserteilchen den Kiemen zuzuführen, so könnte man vielleicht zur Annahme geneigt sein, solche Bewegungen wären innerhalb der Luft über- flüssig. In der Tat wırd man an Landasseln, namentlich wenn sie ruhig dasitzen, ın der Regel keine Pleopodenbewegungen wahr- nehmen können. Trotzdem finden solche statt und zwar einmal namentlich bei Ortsveränderungen durch Drehungen des ganzen Pleons oder der hinteren Segmente desselben, sodann infolge von Wasseraufnahme, welche die natürlichen Verhältnisse verur- sachen, sei es die Nässe des Untergrundes oder der Pflanzen, oder Tautropfen oder Regengüsse. Bei Wasseraufnahme gelangen die Pleopoden wieder ın Verhältnisse, welche denen des Aufenthalts im Wasser ähnlich sind. Setzt man einer Landassel, z. B. einem Porcellio, mıt einem spitzen Pinsel einen Wassertropfen auf den Rücken, so kann man in kurzer Zeit, also etwa nach einer Minute, beobachten, auch wenn das Wasser am vordersten Trunkustergit abgesetzt wurde, daß es plötzlich zwischen den Pleopoden angelangt ıst und diese zu schwingenden Bewegungen veranlaßt. Ist der Sauerstoff des Wassertropfens verbraucht, dann wird derselbe beseitigt und zwar teilweise durch Aufnahme ın den Enddarm, der sich bekannt- lich zwischen den Uropodenpropoditen öffnet, teilweise durch die Uropodenendopodite, welche unter wiederholten wippenden Be- wegungen des Pleons kleine Tröpfchen an den Untergrund abgeben, wobeı sie selbst dieht zusammengelegt gehalten werden. Um festzustellen, obauch aktıv von den Landasseln selbst Wasser aufgenommen werden kann, brachte ich mehrere Porcellio scaber 12 Stunden lang in eine trockene Glaskapsel, damit K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda-Oniseoidea. 17 sie für Feuchtigkeit empfänglich würden. Als sie dann am andern Tage auf Fließpapıer gesetzt wurden, welches durch einige Wasser- tropfen reichlich befeuchtet war, sogen sıe das Wasser begierig auf und zwar nicht etwa mit den Mundwerkzeugen, sondern ver- mıttelst der zusammengelegten Uropodenendopodite, welche unter wıppenden Pleonbewegungen ihre Enden oftmals ın die Feuchtigkeit eintauchten. Als Folge dieser Aufsaugung des Wassers trat dann nach kurzer Zeit wieder ein schwingendes Wogen der Pleopoden ein. Die genannte Tätigkeit der Uropoden ist für das Leben der meisten Landasseln eine so wichtige, daß man ruhig sagen kann, so lange diese physiologische Bedeutung derselben unbekannt war, mußte ein beträchtlicher Teil der Lebenserscheinungen der Asseln rätselhaft bleiben und es mußten dann Urteile zustande kommen, wie dasjenige Beplers a. a. OÖ. S. 19: „Eine direkte Aufnahme von Wasser von außen halte ich für gänzlich ausgeschlossen.“ Ebenso falsch ist die Meinung: „Ähnliches gilt für den Aufenthalt der Tiere ım Freien, wo man sie niemals (!) an eigentlich nassen Stellen sitzen sieht.“ — Schon durch die Literatur hätte Bepler vor solch irrigen Äußerungen bewahrt werden können, hat doch schon Carl in seinen schweizerischen Isopoden mitgeteilt, daß „Trichoniscus pusillus mit lebenden Insektenlarven ım Bachwasser unter einem Stein gefunden wurde“. Leben der Landasseln im Wasser. Mehrere Autoren machten bereits Versuche über den Aufenthalt der Landasseln ım Wasser, erzielten aber durchaus keine befriedigenden Ergebnisse, aus Gründen, über welche ich bereits in meiner ausführlicheren Arbeit gesprochen habe. Bepler machte namentlich den Fehler, daß er die Tiere vorwiegend in unnatürliche Verhältnisse versetzte. Auf verschiedene Vorsichtsmaßregeln habe ich an anderer Stelle ebenfalls hingewiesen. Aus meinen Experimenten ergab sich, daß wir die Ligiiden und Triehonisciden als amphibische Isopoden von den eigentlichen Landasseln zu unterscheiden haben, denn die Ange- hörigen dieser Familien können eine oder gar mehrere Wochen im Wasser aushalten, ohne mit der Luft in Berührung kommen zu müssen. Alle wirklichen Landasseln dagegen bringen es noch nicht auf drei Tage Wasserleben, doch können sie sämtlich (Oniscus, Porcellio, Cylistieus, Armadillidium und Armadillo) wenig- stens zehn Stunden im Wasser aushalten ohne zu sterben. Somit besitzen alle Landasseln, einerlei ob ihnen echte Kiemen zukommen oder nicht, die Fähigkeit, sich aus stehendem oder langsam fließen- dem Wasser auch bei mehrstündigem Aufenthalt in demselben, leicht wieder in die Luft emporzuarbeiten. Stärker bewegtes Wasser dagegen ist den Oniscoideen verderblich, weil sie keine Organe besitzen, um sich gegen Strö- 115 K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda-Oniscoidea. mungen halten zu können. Deshalb trifft man sie auch selten in sandigen und kiesigen Ufergebieten der Flüsse und Bäche. Versuche, welche ich mit einer von Wasser umgebenen Stein- insel unternahm, ergaben, daß Ligidien ohne Scheu das Wasser aufsuchten und wiederholt Wasser und Land wechselten, während Armadillidium und Cylisticus dauernd auf der Insel blieben und Armadkllo nur ım Anfang, also vorübergehend und auch nur teil- weise ins Wasser marschierte. Pleopodenamputationen. Auch Pleopodenamputationen sind von verschiedenen Forschern unternommen worden, um dadurch ein Mittel zu gewinnen zur Beurteilung der Bedeutung der Exo- podite für die Atmung. Schon Duvernoy und Lereboullet waren in dieser Hinsicht zu wichtigen Ergebnissen gekommen, worüber Gerstäcker 1882 in Bronn’s Klassen u. O. d. Tierreichs (4.—-6. Lief.) also berichtet: „Werden die vier vorderen mit den weißen Körpern versehenen Decklamellen einem Porcellio abgeschnitten, so erfolgt stets sehr bald der Tod. Einen geringeren Einfluß hat die Wegnahme der drei hinteren Paare der Decklamellen, während die beiden mit den Luftkammern versehenen vorderen erhalten bleiben.“ Neuere von Bepler und Herold unternommene Amputations- versuche haben keinen Fortschritt gebracht, im Gegenteil eher Zweifel erweckt, ob die älteren Angaben richtig seien. Die Ver- suche sind weder in der genügenden Anzahl noch mit‘ der not- wendigen Vorsicht ausgeführt worden. Über die Amputations- weise und einige Vorsichtsmaßregeln bei meinen Versuchen findet man Näheres in der eingehenderen Arbeit. Die Stärke der bei den Amputationen der Exopodite eintreten- den Blutung ist sehr verschieden. Im allgemeinen konnte ich. feststellen, daß, je breiter die Exopodite angewachsen sind, desto mehr Leibesflüssigkeit aus der Wunde hervorquillt und zugleich, daß die Exopodite um so breiter angewachsen sind, je stärker bei der betreffenden Form die Trachealsysteme entwickelt sind. Während bisher nur von Porcellio im allgemeinen oder von Porcellio scaber alleın die Rede gewesen ıst, haben meine Experi- mente den Beweis erbracht, daß sich innerhalb der bisherigen Gattung Porcellio sehr große Gegensätze vorfinden. Während nämlich meine Versuche mit Porcellio scaber die vollständige Übereinstimmung mit Duvernoy und Lereboullet ergaben, zeigte sich P. baltieus sehr abweichend. Bei Porcellio scaber hat auch nach meinen Ver- suchen die Entfernung der 1. und 2. Exopodite stets den Tod zur Folge, beweist also die wesentliche Bedeutung der Trachealsysteme für das Leben dieser Asseln. Dagegen kann man bei Oniscus mu- rarius und Porcellio balticus sämtliche Exopodite entfernen, ohne daß sich eine Benachteiligung der Tiere wahrnehmen ließe. Viel- K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Zsopoda-Oniscoidea. [19 mehr habe ich solche Operierte monatelang beobachtet und voll- kommen gesund gefunden. Da Porcellio baltieus fünf, scaber aber nur zwei Paar Trachealsysteme besitzt, scheint hier ein rätselhafter Widerspruch vorzuliegen. In meiner Hauptarbeit habe ich jedoch durch die Besprechung der Unterschiede im Bau der Pleopoden beider Arten gezeigt, daß dieser Widerspruch nur ein scheinbarer ist, der sich durch die verschiedene Beschaffenheit der Exo- und Endopodite vollkommen erklären läßt. Durch eine Reihe von Experimenten habe ıch ferner bewiesen, daß der Tod, welcher bei bestimmten Arten wie P. scaber nach Entfernung der 1. und 2. Exopodite eintritt, nicht auf die starke Blutung zurückgeführt werden kann. Amputationen von Arma- dillidium portofinense ergaben im wesentlichen dasselbe wie bei Porcellio scaber. Armadillo offieinalis ist bemerkenswert, weil diese Assel im Gegensatz zu den übrigen die bei einer Amputation aus- quellende Leibesflüssigkeit mit den Mundwerkzeugen aufschlürft. Dagegen hatte eine zweimalige Blutung, die ebenso stark war wie bei P. scaber nach Entfernung der 1. und 2. Exopodite, keine vitale Schädigung zur Folge, so lange noch zwei (von den fünf) Paar Trachealsystemen erhalten blieben. Das Wasserleitungssystem. Nichts ist für die Atmung und die Atmungsorgane der Landasseln bezeichnender als derjenige Komplex von Einrichtungen, welchen ich unter der Bezeichnung Wasserleitungssystem zusammengefaßt habe. Merkwürdigerweise sind aber gerade diese Zusammenhänge allen bisherigen Forschern so völlig verborgen geblieben, daß sich schon daraus einige grund- falsche bisherige Anschauungen leicht erklären lassen. Es gibt ein höchst einfaches Mittel, um das Wasserleitungssystem sozusagen ad oculos zu demonstrieren. Man bringe nämlich mit einem spitzen Pinsel einige kleine Tröpfehen einer roten Flüssigkeit auf die vor- dersten Trunkustergite und zwar möglichst an die Grenze des 1. und 2. Tergites und man wird meistens schon nach einer Minute beobachten können, wie die Flüssigkeit zwischen den Tergiten ein- sinkt und bald darauf zwischen den Pleopoden angelangt diese zum Fächeln veranlaßt. Hat man nun das Beobachtungsobjekt auf den Boden einer Glaskapsel gesetzt und betrachtet diese von unten her, dann ergibt sich das merkwürdige Schauspiel, daß z. B. bei einem Porcellio nicht nur die Pleopoden gerötet sind, sondern auch zwei Längsstreifen, welche sich neben den Gelenken der sieben Beinpaare unten am ganzen Trunkus entlang ziehen. Dasselbe Schauspiel ergibt sich bei Oniscus und Arma- dillidium. Wie kann eine am 1. und 2. Tergit angebrachte Flüssigkeit nach so kurzer Zeit sich an den Pleopoden befinden? — 120 K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. /sopoda- Oniscoidea. Auf den Seitenteilen der Trunkussternite ziehen sich zwischen den Grundgelenken der Dasahia der sieben Beinpaare eigentümliche Streifen hin, die ich in ihrer mehr oder weniger starken Ausprägung bei zahlreichen Landasseln beobachtet habe und für Armadillo offi- cinalis zum ersten Male auf S. 383 in meinem 15. Isopoden-Aufsatz erwähnte (Archiv f. Biontologie, Bd. II, Berlin 1908). Auf die in diesen Streifen stehenden Blättehenreihen von Armadillo habe ich das pfeifende Sausen dieser Kugler zurückgeführt. Bei Arma- dillo haben wir es jedoch mit einer sekundären Verwertung der Streifen-Blättchenreihen und überhaupt mit einer Ausnahme- Funktion zu tun, während die primäre Hauptbedeutung derselben erst jetzt durch das Wasserleitungssystem klargestellt wird. Zwischen sämtlichen Einlenkungsstellen der Basalia treten bei den Landasseln Längsrinnen auf, welche ich als interbasale be- zeichnen will. Sie werden im allgemeinen von vorn nach hinten länger, sind also in den Seitenteilen des 5. bis 7. Sternites am stärksten ausgeprägt. Jede Längsrinne stellt aber nicht nur eine Vertiefung vor, sondern sie wird jederseits von einem aus zahlreichen Kutikularfortsätzen gebildeten Längsfelde flankıert. (Abbildungen findet man in meiner Hauptarbeit.) Das innere Längsfeld besteht größtenteils aus Blättchenreihen und zwar ist die innen dicht an der Längsrinne entlang ziehende Blättchenreihe die wichtigste, da sie aus länglichen, zungen- förmigen Fortsätzen besteht, welche so angeordnet sind, daß sie mit ihren schmalen Seitenrändern sich dicht aneinderschließen. Weiter nach innen folgen noch mehrere Reihen kürzerer und nach innen immer kürzer werdender, schuppenähnlicher Fortsätze, die schließlich in eine wellige Struktur übergehen. Die zungen- förmigen Fortsätze (Zungenblättchen) der größten Blättchenreihe sınd so dicht angeordnet, daß sie sich mit ihren Rändern be- rühren oder oft auch noch etwas übereinandergreifen. Die Längs- rinnen selbst, welche sich nach vorn verengen und nach hinten allmählich erweitern, sind teilweise durch bogige Querriefen aus- gezeichnet. Das äußere, die Längsrinnen begleitende Längsfeld enthält keine regelmäßigen Blättchenreihen, sondern besteht aus zahlreichen zerstreuten Spitzchen und Höckerchen, welche nicht die Größe der Zungenblättchen erreichen. An einem mit roter Flüssigkeit behandelten Oniscus oder Porcellio läßt sich leicht feststellen, daß dieselbe überall von den Längsfeldern und besonders den Blättcehenreihen auüfge- sogen worden ist, während die Nachbarschaft außen und innen nicht imstande ist, die Flüssigkeit aufzunehmen. Da die Längs- felder und Blättchenreihen vorn und hinten bis an die inter- segmentalen Falten und an die Beingelenke reichen und K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. /sopoda-Oniseoidea. 121 die äußeren Längsfelder sich auch noch um die Beingelenke fort- setzen, so entstehen zwei die intersegmentalen Falten ver- bindende Längsfluren. Jede intersegmentale Falte, ın welcher dıe Flüssigkeit aufgenommen wird, wirkt als ge- bogene Kapillarröhre, während von diesen aus die Längs- felder und namentlich die Blättchenreihen durch Adhä- sıon die Flüssigkeit in sich aufsaugen, unterstützt durch die in ıhren Gelenken sich drehenden Beine. Die Flüssigkeit geht aber von den Gelenken des 7. Beinpaares auf die Pleopoden über und wırd von deren Zwischenräumen, welche ebenfalls kapillare Spalten darstellen, aufgesogen. Somit bilden die intersegmentalen Falten, die Längs- felder und die Pleopoden ein einziges zusammenhängen- des Kapillarsystem oder eine Wasserleitung für die Tropfen, mit welchen die Asseln beı irgendeiner Gelegenheit be- haftet werden. Dieses kapıllare Wasserleitungssystem dient teils der Abführung des unerwünschten Wassers, teils der Nutzbarmachung desselben zu vorübergehender Kiemenatmung. Die ab- und zuführende Tätigkeit der wassersaugenden, innen abgeflachten oder ausgehöhlten und durch ıkr Zusammentreten ebenfalls eine Kapillarröhre bildenden Uropodenendopodite wurde schon besprochen. Eine vermittelnde Rolle zwischen den 5. Pleopoden- und den Uropodenendopoditen einerseits, sowie dem aufsaugenden Enddarm anderseits bilden die behaarten Ränder der Uropodenpropodite. Behaftet man Landasseln, welche Trachealsysteme besitzen, mit roter Flüssigkeit, dann heben sich diese auch bei starker Be- pinselung der Tergite stets rein weiß von dem übrigen unten roten Pleon scharf ab, ein Beweis dafür, daß die Flüssigkeit die Eingänge der Luftkanäle nicht erreicht. Wird auf dem Rücken eine größere rote Flüssigkeitsmenge angebracht, dann tritt nicht nur ein starkes Pleopodenfächeln ein, sondern die Flüssigkeit gelangt auch an die Mundwerkzeuge un« da auch diese rhythmische Bewegungen vollführen, wird ein Teil der Flüssigkeit durch Mund und After aufgenommen. Für Kiemenatmung ist die im Wasser gelöste Luft maßgebend, deren Menge aber von der reichlichen Durchlüftung des Wassers abhängig ist. Das Wasserleitungssystem bewirkt nun vermittelst der Längsfluren durch die Stäbehenreihen eine reichliche Be- rührung von Wasser- und Luftteilchen und ist somit auch imstande, die geringe Wassermenge, welche sich zwischen den Pleo- poden bewegen kann, an Sauerstoff zu bereichern und damit die Abnutzung dieses Wasserquantums zu verzögern, 122 K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda-Oniscoideu. Das ım Vorigen besprochene Wasserleitungssystem kommt nur solchen Landasseln zu, welche mit leitungsfähigen Uropoden- endopoditen versehen sind, es fehlt daher den Ligiiden und Triehonisciden, weil diese Asseln, die schon als amphibische hervorgehoben wurden, stets in so feuchten Gebieten leben, daß sie einer besonderen Einrichtung zur Wasseraufnahme nicht be- dürfen. Aber auch die Gattung Arnadillo verhält sich abweichend. Bei ıhr beruht das jedoch nicht auf ihrem Leben in feuchter Umgebung, sondern sıe kann ım Gegenteil an recht trockenen Orten exi- stieren. Meine wiederholten Versuche mit Armadillo offieinalis, an den Tergiten abgesetzte rote Tröplchen an die Pleopoden ge- langen zu lassen, hatten stets ein negatives Ergebnis, denn die Flüssigkeit wırd von den intersegmentalen Spalten überhaupt nicht aufgenommen. Daß auch bei Armadillo interbasale Längsfelder und Stäbchenreihen vorkommen, erwähnte ıch schon. Wenn also die Flüssigkeit trotzdem nicht fortgeleitet wird, so liegt das an beson- deren, die Aufsaugung verhindernden Strukturverhältnissen der Ter- gite. Dem Mangel des Wasserleitungssystems bei Armadillo ent- sprechen aber verschiedene wichtige Verhältnisse, nämlich die Dicke des Hautskelettes, welche die Austrocknung verhindert, aber das Sınken im Wasser bewirkt, ferner die schwache Ausbildung der Uropodenendopodite und schließlich die besonders reichliche Ent- wicklung der an allen Exopoditen vorkommenden Tracheal- systeme, welche eine so ausgiebige Atmung verbürgen, daß auf dıe Kiemenatmung ganz verzichtet werden konnte. Die Arma- dıllos sind also der vollendete Typus ausgesprochenster, reiner Landasseln. Trotzdem kommen auch ıhnen wie allen Oniscoideen an den 3. bis 5. Pleopoden gut entwickelte Endopodite zu. Da diese aber normalerweise mit Wasser nicht mehr in Berührung kommen, so bilden sie Blutsäcke, welche den Sauerstoff der Luft dieser un- mittelbar entnehmen wie die Coxalsäcke der Tracheaten. Bepler, welcher das Wasser sozusagen als ein Gift für die Pleopoden der Landasseln betrachtete, war damit von der richtigen Auffassung der Atmung derselben unter allen Autoren am weitesten entfernt. Nach ihm sollte der Sauerstoff lediglich durch den Saft der Pleopodendrüsen den Atmungsorganen „in gelöster Form zuge- führt“ werden. Wenn auch die fortgeschrittene Kenntnis der Trachealsysteme und die Entdeckung der Wasserleitung die beste Ablehnung der Anschauungen Bepler’s sind, so muß doch zugleich betont werden, daß der ölartige Saft der Pleopodendrüsen, welcher nur als ein zeitweiser Schutz der zartesten Pleopodenteile dienen kann, überhaupt in einem viel zu spärlichen Quantum abgeson- dert wird, um die ihm zugedachte Rolle spielen zu können. K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. /sopoda-Oniscoidea. 123 Die Kräfte, welche bei der Wasserleitung der Landasseln mitwirken, sind also 1. die Schwerkraft, welche das auf die Tergite gelangende Wasser in die Intersegmentalspalten einsickern läßt. Viel wichtiger aber sınd 2. Adhäsion und Kapillarıtät, indem sie das Wasser zur schnellen Verteilung bringen, während 3. die Muskelkraft der Pleopoden und Uropoden für Zu- oder Ableitung und Ausnutzung des Wassers sorgt, 4. die aufsaugende Tätigkeit des Enddarms und eventuell auch der Mundwerkzeuge, die bei Bedarf einen Teil des Wassers aufnimmt. Die Reusen der 5. Exopodite. An der oberen (inneren) Fläche der 5. Exopodite treten eigentümliche zerschlitzte Kutikulargebilde auf, welche in eine quere Flur angeordnet sind. Herold, welcher diese „Schuppen mit härchenartigen Fortsätzen“ zuerst beobachtete, hielt sie für einen „Reusenapparat gegenüber den Exkreinenten*. Auch nach meinen Untersuchungen sind diese aus Strahlen- haaren zusammengesetzten Schranken fraglos Reusen, jedoch nicht oder wenigstens nicht in erster Linie zur Abhaltung von Kot- teilchen, zumal ja die Fäces bekanntlich in großen, festen Stückchen abgegeben werden, sondern zur Durchsiebung des von hinten nach vorn fließenden Atemwassers, welches namentlich vom Boden her kleine Fremdkörperchen enthalten könnte, die den zarten Pleopodenteilen schädlich sind. Da sich also diese Reusen ebenfalls als ein notwendiger Bestandteil des Wasserleitungssystems herausgestellt haben, folgt schon daraus, daß ihre Ausbildung nach den Arten eine recht verschiedene sein muß, wie ich tatsächlich festgestellt habe. Genaueres findet man in meiner eingehenderen. Abhandlung, doch will ich wenigstens so viel hervorheben, daß die Reusen so- wohl den amphibischen Isopoden als auch Armadillo vollständig fehlen, desgleichen dem xerothermischen Porcellio pruinosus B. L., während sie z. B. bei Oniscus und Porcellio ratzeburgii sehr schön und langstrahlig ausgeprägt sind. Durch ihre verschiedenartige Ausprägung werden die Reusen geradezu ein Maßstab für die Beurteilung des Feuchtigkeitsbedürfnisses der einzelnen Arten der Landasseln. Über die Oniscus-Exopodite. Zwischen den Formen ohne Trachealsysteme und denjenigen, bei welchen sie gut ausgeprägt sind, nehmen die Oniseus insofern eine interessante Mittelstel- lung ein, als an ihren Exopoditen Gebilde auftreten, welche ich als die primitivste Vorstufe zu Trachealröhren anspreche. Stoller glaubte in seiner Arbeit „On the organs of respiration of the Onis- eidae“ (Biblioth. zool. Vol. 10, H. 25, 1899) wirkliche Luftkanäle 124 K- Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda- Oniscoidea. ın den Exopoditen des Oniseus murarius aufgefunden zu haben. Mit Bepler und Herold stimme ich jedoch darın überein, daß sich Stoller geirrt hat und wirkliche Luftkanäle nıcht vorhanden sind. Trotzdem sınd die „lebhaft sılbern glänzenden Streifen“ der Exopodite nicht lediglich „Reflex flacher, aber kantiger Rippen der Kutikula“, sondern der Ausdruck von radıär angeordneten, mit Wülsten abwechselnden Furchen, an der Oberlamelle der Außen- lappen, durch welche die Luft an den Blutstrom der Exopodite näher herangeführt wird. Die Luft haftet ın diesen Furchen so be- trächtlich, daß sie auch an in Wasser getauchten Individuen noch etwa 5 Minuten lang beobachtet werden kann. Diese luftführenden Furchen der Oniscus betrachte ıch als eine phylogenetische Vor- stufe zu den Außenlappen-Trachealröhren, welche bei den Por- cellionen mit fünf Paar Trachealsystemen vorkommen. Anpassungen der Exopodite an die Endopodite. Während bei den amphibischen Oniscoideen des Landes auffallende An- passungen der Exopodite an die Endopodite nicht zu bemerken sind, trıfft man sie um so deutlicher bei allen Formen mit Wasser- leitung und es ergibt sıch hieraus wiederum der Schluß, daß auch diese Anpassungen mit dem Wasserleitungssystem zu- sammenhängen. Man hätte sie zwar schon längst berücksichtigen sollen, aber tatsächlich sind sie bisher ebensowenig beobachtet worden wie die Wasserleitung erkannt wurde. Die physiologische Bedeutung der Anpassungen der Exo- an die Endopodite liegt darin, daß beide möglichst nahe aneinander gedrängt wer- den und dadurch die Austrocknung möglichst verhindert wird, auch wenn sich die betreffenden Formen nicht an besonders feuchten Orten aufhalten. Bei den Formen mit Wasserleitung bemerkt man an den 93. bıs 5. Exopoditen, wenn man sie von oben (innen) her betrachtet, leicht, daß sie ein mehr oder weniger breites Stück weiter nach außen reichen als die Endopodite. Sie sind nämlich oben zur Auf- nahme des Endopodit tellerartig ausgehöhlt, während die äußere Grenze dieser Aushöhlung von einer gebogenen Kante ge- bildet wird, die ich Muldenfalte nenne. Die Muldenfalte legt sich also an den Außenrand des Endopodit und teilt das Exopodit ın zwei Abschnitte. Der größere innere ıst ausgehöhlt durch die Kiemenmulde, während der größere äußere oder Außenlappen stets eine höhere Lage einnimmt. Bei den Porcellionen mit fünf Paar Trachealsystemen und zwar ın der Hauptgruppe der mit rathkei verwandten Formen treten an den 3. bis 5. Exopoditen oben (innen) zweierlei Leisten auf, von welchen die inneren Muldenfalten sind, die äußeren dagegen als Trachealfeldleisten zu unterscheiden sind. weil sie die innere Grenze jener Gebiete der Außenlappen bilden, innerhalb K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda-Oniscoidea. 125 welcher stets dıe Trachealsysteme münden und welche ich deshalb als Trachealfelder bezeichne. Die Unterscheidung von Mulden- falten und Trachealfeldleisten ist vergleichend-morphologisch schon deshalb wichtig, weil sie uns ermöglicht, die an den 1. und 2. Exopediten (denen bekamntlich bei Porcellioniden keine Kiemenendopodite zugesellt sind) allein auftretenden treppigen Ab- setzungen mit Sicherheit als Trachealleisten anzusprechen. Zwei Arten von Atemöffnungen. Diejenigen Mündungen der Trachealsysteme, welche bisher allein bekannt geworden sind, be- finden sich (wenn wır von Tylos und Syspastes absehen) stets unter den eben genannten Trachealfeldleisten und zwar handelt es sich um den breiten Austritt des Schaftes der baumartig verzweigten Atmungskanäle, wobei an jedem Exopodit nur eine derartige Mün- dung vorkommt, wie z. B. bei Porcellio scaber, oder mehrere wie bei den Armadillidiem-Arten. Grundsätzlich verschieden hiervon sind Ausmündungen der Trachealsysteme, welche ich bei den mit fünf Paaren derselben ausgerüsteten Porcellio-Gruppen nachgewiesen habe. Hier öffnet sich das einzelne Trachealsystem nicht mit dem aus der Vereinigung der einzelnen Verzweigungen entstehenden Hauptrohr unter der Trachealfeldleiste, sondern es ziehen mehr oder weniger feine Trachealrohre quer durch die Außen- lappen ganz bis an deren Außenrand und münden hier ın sehr kleinen Mikrostomata, die ich sowohl mikroskopisch als auch experimentell, d.h. durch direkte Austreibung der Luft nach- gewiesen habe. Die Mikrostomata und ihre Ausführröhrehen lassen sich mit Sicherheit nur an frisch amputierten Exopoditen nach- weisen. Die Wandungen sınd so überaus zart, daß sie an konser- vierten Objekten um so weniger bemerkt werden, als die Beobach- tung durch Gewebe, Blutkörperchen und Struktur des Tracheal- feldes u. a. behindert wird. Die Zahl der Mikrostomata, deren ich z. B. an den 1. Exo- poditen von Porcellio balticus Verh. 12—13 beobachtete, ist nicht nur nach den Pleopodensegmenten, sondern auch nach Arten recht verschieden. Während die bisher bekannten Atemöffnungen der Landasseln den Charakter von zentralen Organmündungen haben, müssen die Mikrostomata der Porcellionen mit fünf Paar Tracheal- systemen als peripherische Öffnungen aufgefaßt werden. Die Armadillidium-Arten schließen sich hinsichtlich der Mün- dungen der Trachealsysteme an die Porcellionen mit zwei Paaren derselben. Während aber diese mit den letzteren auch in der Zahl der Systeme übereinstimmen, besitzt Armadillo wieder fünf Paar Trachealsysteme, die in tiefen, taschenartigen Spalten der Außen- bezirke münden. Trotzdem entsprechen die Mündungen derselben denen von Armadillidium. 126 K. Verhoeff, Zur Kenntnis d. Atmung u. d. Atmungsorgane d. Isopoda-Oniscoidea. Die Entstehung der Landasseln. Nach ihren Atmungsorganen zerfallen die Oniscoidea ın drei natürliche Superfamilien, nämlich 1. Hypotracheata (Tylos und Syspastus) mit frei ın der Unter- lamelle der Exopodite mündenden Trachealsystemen, 2. Atracheata (die amphibischen Asseln) ohne Trachealsysteme und ohne Wasser- leitung und 3. Pleurotracheata mit Wasserleitungssystem und meistens auch mit Trachealorganen. Diese drei Hauptgruppen sind alle unter denjenigen vertreten, welche ıch als Halopetrophile zusammenfasse und für welche ich als Vertreter nenne die Gattungen ZLigia, Tylos, Stenophiloscia, Halophiloscia, Armadilloniscus, Stenoniscus, Parastenoniscus u.a. Die Halopetrophilen, d. h. die nur an felsigen Meeresgestaden, an vom Meere bespülten oder wenigstens befeuchteten Orten vor- kommenden Oniscoideen betrachte ich als die phylogenetische oder biologische Vorstufe für die zahlreichen vom Meere emanzipierten amphibischen oder echten Landasseln. Eine Ausnahme macht die Gattung Tylos insofern, als sie die einzige halopetrophile ist, welche Trachealsysteme besitzt. Da sie nun auch durch ihr Kugelvermögen sich scharf von den übrigen Halopetrophilen unterscheidet, so betrachte ich sie als eine von Landformen abstammende Gruppe von Rück wanderern, deren Entstehung man sich als durch sinkende Inselgruppen be- günstigt vorstellen kann. In den Halopetrophilen haben wir es also mit amphi- bischen Meeresküstenbewohnern zu tun, die sich zwar mehr oder weniger auf dem Lande bewegen und wie Zigia und Halo- philoscia sogar zeitweise im Sonnenschein tummeln können, von der feuchten salzigen Seeluft und der Meereswasser- nässe aber trotzdem so abhängig sind, daß sie sich nicht ın die von Landpflanzen besiedelten Gebiete hineinwagen. Durch ihr teilweises Landleben liefern sie aber die natürliche Grundlage zur Entstehung wirklich terrestrischer Isopoden und bilden daher die biologischen Übergangsformen vom Meeresleben zum Land- leben. Das Auftreten mehrerer Gattungen der Pleurotracheaten unter den Halopetrophilen, die aber sämtlich der Tracheal- systeme entbehren (auch Armadilloniscus besitzt dieselben durchaus nicht und Budde-Lunds gegenteilige Angabe beruht auf einem Irrtum), führt zu dem Schlusse, daß die Wasserleitung bereits an den Meeresküsten entstanden ist und lange vor dem Auftreten der echten Trachealsysteme sich als wertvoll er- wiesen hat. Auf die amphibischen Halopetrophilen lassen sich zwar die amphibischen Landasseln zurückführen, aber es ist kein /weifel, daß ohne den vorherigen Erwerb der Wasserleitung wohl nur wenige echte Landasselgattungen wie Syspastos entstanden sein B. Dürken, Uber Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. 127 würden. Auch Armadillo ıst nur denkbar unter der Voraussetzung einer Ableitung von Formen mit Wasserleitung, die bei diesen sekundär in Wegfall kam. So sehr nun die Oniscoideen mit Wasserleitung durch diese für ein Landleben begünstigt worden sind, so muß ein wirklicher Übergang zu demselben dennoch er- schwert gewesen sein, da wir unter den Arten der genannten halo- petrophilen Gattungen keine einzige kennen, welche ganz terrestrisch geworden wäre. Dagegen sind umgekehrt Formen bekannt, welche wie z.B. Trichoniseus omblae Verh. zu ausgesprochen amphibischen Landgattungen gehören und trotzdem halopetrophile Lebens- weise besitzen. Wichtig ist es ferner, daß wir eine Anzahl von Landasseln kennen, welche zwar die eigentlichen Strandzonen und die direkte Berührung mit dem Meere vermeiden, aber die ıhnen zunächst benachbarten, also noch vom Salzgehalt der Luft beeinflußten Küstengebiete mit oder ohne Landpflanzen aufsuchen, wie nament- lich mehrere Arten der Porcello-Untergattung Nasigerio V erh. so Porcellio moebiusii, rhinoxeros und gerstäcker? V erh., dıe man schon als parhalopetrophile unterscheiden kann. Über Entwicklungskorrelationen und Lokalrassen bei Rana fusca. Von Bernhard Dürken (Göttingen). In den Jahren 1909—1916 habe ich eine Anzahl von Abhand- lungen veröffentlicht, welche sich mit Entwicklungskorrelationen bei Rana fusca Rösel befassen. Gegen einen Teil der darin ent- haltenen Ergebnisse hat A. Luther (1916) Einsprüche erhoben. Dieser Einspruch geht zurück auf eine ungenaue Kenntnis meiner Arbeiten und auf die Betrachtung eines isolierten, aus dem Zu- sammenhange gerissenen Ergebnisses, das zudem unzutreffend formu- liert ist, wie schon aus Luther’s Überschrift „Über die angebliche ‚echte Entwicklungskorrelation‘ zwischen Auge und Extremitäten bei den Anuren ...“ erhellt. Zum Verständnis des folgenden dürfte ein kurzer Bericht über die in Frage kommenden Arbeiten am Platze sein. Die erste Untersuchung (1911) ging aus von der Frage nach der Gleichwertigkeit des Kleinhirns beı den verschiedenen Wirbel- tiergruppen (vgl. auch Referat in Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 79, 1912). Bei den Säugern ıst das Kleinhirn mächtig entwickelt und funktioniert als Koordinationsorgan für die Bewegung der Extremi- täten. Sehen wir hier ab von allen anderen Wirbeltieren und be- trachten wir der Kürze halber nur die Verhältnisse bei den Anuren. Bei diesen ist das Kleinhirn nur eine kleine Platte, seine Ausbildung steht in gar keinem Verhältnis zur Bedeutung der Extremitäten. 125 DB. Dürken, Uber Entwieklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. Es erhebt sich daher (auch noch aus anderen Erwägungen) die Frage: ıst wirklich der gemeinhin als Kleinhirn bezeichnete Ab- schnitt bei allen Wirbeltieren gleichwertig? Ist es überall als Koordinationsorgan anzusehen? Zur Lösung dieser Fragen mußten zunächst bei einem niederen Wirbeltier diejenigen Hirnteile festgestellt werden, welche über- haupt zu den Extremitäten ın Beziehung stehen. Als Untersuchungs- objekt wurde Rana fusca Kösel (Umgebung von Göttingen) ge- wählt. In der Voraussetzung, daß der, wie die morphologische Untersuchung lehrt, mit dem Bedeutungs- und Ausbildungsgrad eines peripheren Organs korrespondierende Ausbildungsgrad des zugehörigen Nervenzentrums auf Entwicklungsbeziehungen während der Ontogenese beruht, wurde die Hypothese aufgestellt, daß nach dem Fortfall einer embryonalen Extremitätenanlage alle zu der späteren Extremität ın Beziehung stehenden Zentren des Zentral- nervensystems eine Entwicklungshemmung erfahren müßten. Diese Voraussetzung und damit diese Hypothese haben sich bestätigt. Im folgenden haben wır es nur mit dem Zustandekommen dieser Hemmungen zu tun. Als Versuchsmethode ergab sich somit die embryonale Esstir- patıon. Die jungen Extremitätenanlagen wurden in verschiedener Kom- bination und ın verschiedenem Alter exstirpiert. Besonders ein- gehend wurde bearbeitet die Exstirpation einer Beinanlage, und zwar entweder des linken Hinter- oder des linken Vorderbeins. Zunächst seien möglichst zusammengedrängt die Hauptergeb- nisse der Versuche gegeben. 1. Der rein äußerliche Befund: Bei mäßig frühzeitiger Exstirpation nur einer oder mehrerer Gliedmaßenanlagen bei Rana fusca (Serie 0) und Verhinderung einer Regeneration fehlt nur die in der Anlage exstirpierte Extremität; die übrıgen Beine sind normal entwickelt; bei sehr frühzeitiger Exstirpation einer Beinanlage (Serien I und II) und der dadurch erzielten völligen Unterdrückung des betreffenden Beines zeigen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die drei anderen Extremi- täten schwere Mißbildungen ın der Form von Entwicklungshem- mungen. In einzelnen Fällen kann diese Hemmung bis zur gänz- lichen Unterdrückung eines nichtoperierten Beines gesteigert sein. 2. Befund bei der anatomischen Untersuchung: a) Verhalten des Skeletts: Nach frühzeitiger Exstirpation (Serie 0) einer Hinterbeinanlage und dem dadurch bedingten Fehlen eines Hinterbeines fehlt stets die zugehörige Beckenhälfte vollständig; auch der zugehörige Quer- fortsatz des Sakralwirbels ıst dann schwächer als normal entwickelt; nach entsprechender Exstirpation des Vorderbeines fehlt die zuge- B. Dürken, Uber Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Kana fusca. 129 hörige Hälfte des Schultergürtels nie vollständig; sie ist stets als ungenügend entwickelte Knorpelspange vorhanden; der zugehörige (uerfortsatz ist ebenfalls weniger ın Mitleidenschaft gezogen als der entsprechende Fortsatz des Sakralwirbels. Den verkrüppelten Gliedmaßen der Serien Il und II entsprechen mangelhafte Extremitätengürtel und Querfortsätze. Also zeigen freie Gliedmaßen, Gürtel und zugehöriger Teil des Achsenskeletts einen wechselseitig entsprechenden Ausbildungsgrad, der auf Entwicklungsrelationen zwischen diesen Teilen beruht. b) Verhalten des Nervensystems: Nach mäßig frühzeitiger Exstirpation einer Beinanlage (Serie 0) zeigen in günstigen Fällen am Ende der Metamorphose peripheres und spinales Nervensystem, Mittel- und Vorderhirn anormale Asym- metrien; der histologische Zustand dieser Teile ist stets normal, d. h. es finden sich keine Degenerationen. Im Mittelhirn wird die Asymmetrie hervorgerufen durch die Minderung der mit der Exstir- pation gleichseitigen Hälfte. Im Vorderhirn ist die Formreaktion bei Exstirpation eines Hinterbeines und eines Vorderbeines ungleich lokalisiert; im ersteren Falle zeigt sich die Reaktion vorwiegend, jedoch nicht ausschließ- lich, in der gleichseitigen, ım letzteren vorwiegend ın der gekreuzten Hemisphäre. Nach sehr frühzeitiger Exstirpation einer Beinanlage und da- mit verbundener Mißbildung der drei anderen Beine (Serien I und II) bleibt im Nervensystem die Entwicklungshemmung nicht beschränkt auf die Nerven und Zentren des exstirpierten Beines, sondern greift über auf die nervösen Zentren der nicht operierten Extremitäten. Die Hemmung äußert sich ın dem Ausfall bestimmter Faser- schichten und Zellgruppen. Hand in Hand damit geht die unvoll- kommene Entwicklung der nicht operierten Gliedmaßen und ihrer Gürtel. Aus den gesamten, experimentell erzielten Mißbildungen geht hervor, daß einerseits das periphere und zentrale Nervensystem durch die Entwicklung peripherer Organe oder durch deren primäre Unterdrückung in ihrer eigenen Formgestaltung beeinflußt werden, daß andererseits aber die normale Formbildung der nervösen Zentren Voraussetzung ıst für eine normale Entwicklung der Extremitäten. In diesen wechselseitigen Beziehungen treten echte Entwicklungs- korrelationen zutage. Die neurogenen Mißbildungen der Gliedmaßen zeigen eine Be- einflussung der Embryonalentwicklung durch das Nervensystem, die aber nicht auf einer diesem spezifischen morphogenetischen Funktion beruht, sondern auf Entwicklungskorrelationen, wie vor allem aus der umgekehrten Beeinflussung der Gehirnentwicklung durch die Beinentwicklung hervorgeht. 37. Band 9 130 B. Dürken, Über Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. Von besonderem Interesse ıst hier nun noch (ganz kurz gesagt) folgende Feststellung (1911, S. 308). „Es ist kein Fall beobachtet worden, in dem etwa das Mittelhirn eine Entwicklungshemmung zeigt, ohne daß eine solche auch ım Rückenmark aufgetreten wäre. Das zeigt also, daß die Hemmung von Station zu Station fort- schreitet und daß die Beeinflussung der Hirnentwicklung durch die Beinentwicklung wahrscheinlich eine mittelbare ıst. Für das vor- liegende Beobachtungsmaterial läßt sich mit anderen Worten die Regel aufstellen, daß bei primärem peripherem Eingriff ein höheres Nervenzentrum nie Formreaktion zeigt, wenn ein niedrigeres reak- tıionslos ıst.“ Ferner sind in der zentrifugalen Reihe der Mißbildungen (d.h. Beeinflussung der Extremitäten vom Nervenzentrum aus, vgl. 1911, S. 312ff.) Fälle zur Beobachtung gekommen, in denen „nur eine asymmetrische Entwicklung des Rückenmarks, zugleich aber eine symmetrische des Mittelhirndaches vorliegt. Daraus geht also her- vor, daß zunächst offenbar das Mittelhirn die Übertragung der Hemmung von der einen Seite auf die andere zeigen kann, ohne daß das Rückenmark es ebenfalls tut, mit anderen Worten, daß der Weg der absteigenden Entwicklungshemmung über das Mittel- hirn zum Rückenmark geht“. So ergibt sich eine Korrelations- kette, deren wichtigste Stationen, um es gedrängt zu sagen, sind: Extremität — spinales System — cerebrales System der zuge- hörigen Seite — cerebrales System der Gegenseite — spinales System — Extremität. Diese Kette hat durch meine Untersuchung über Augenexstir- pation (1913) eine Vervollständigung und Erweiterung zum Korre- lationskomplex erfahren. Ganz kurz mögen die für das Folgende wichtigen Ergebnisse _ auch dieser Untersuchung hier erwähnt werden. Wird jungen Froschlarven (Rana fusca Rösel) frühzeitig ein Auge exstirpiert, so atrophiert nicht nur der zugehörige Opti- cus, sondern es tritt vorab im Mittelhirn (von anderen kann hier abgesehen werden) eine korrelative Entwicklungshemmung auf, wovon u. a. der gekreuzte Lobus opticus betroffen wird. Bei jüngerem Ausgangsmaterial bleibt bei rechtsseitiger Augenexstir- pation die anormale Ausbildung des Mittelhirns nicht auf die linke Seite beschränkt, sondern kann auch auf die rechte übergreifen. Diese symmetrischen Ausbildungsminderungen zeigen sich in erster Linie im Dachteil der Lobi optici; bestimmte Faserschichten fehlen. Es ergeben sich dann die gleichen Bilder wie nach sehr früh- zeitiger Beinexstirpation, wo auch beide Lobi optiei in solcher Weise betroffen sind (vgl. dazu 1913, Taf. XVI, Fig. 24 u. 25). Zugleich zeigt das spinale Nervensystem im Bereich der Hals- und Lendenanschwellung eine sehr starke Formreaktion (Verkleine- B. Dürken, Über Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. A531 rung des Rückenmarkquerschnittes und der zu den Extremitäten gehörigen Spinalganglien). In Übereinstimmung damit wiederum weisen die Extremitäten außerordentlich starke Entwicklungshemmungen auf. Das unverletzte linke Auge ıst meist normal gebildet, doch können Entwicklungsstörungen besonders in der Retina beobachtet werden. Daß sie nicht regelmäßig vorkommen, geht unzweifelhaft darauf zurück, daß auf dem ÖOperationsstadium das Auge schon relativ weit entwickelt und dadurch der korrelativen Beeinflussung schon mehr entzogen ıst als dıe Extremitäten, welche eben erst angelegt werden. Fassen wir das Gesagte kurz zusammen unter Berücksichtigung der Untersuchung 1911 und des stationsweisen Fortschreitens der korrelativen Entwicklungshemmungen, wofür sich Belege auch in den Versuchen über Augenexstirpation finden, auf deren Anführung hier aber verzichtet sei, so erklären sich die Befunde folgender- maßen. Es bestehen Entwicklungskorrelationen zwischen Auge und zu- gehörigen Hirnzentren, zwischen diesen Zentren der einen Seite und den Augenzentren der anderen Seite, ferner zwischen letzteren Zentren und dem unverletzten Auge. Die Augenzentren stehen in engster Beziehung zu den Bein- zentren des Mittelhirns, die vorab ın dessen Dachteil liegen. In der Ontogenese äußern sich diese Beziehungen in Korrelationen zwischen Augenzentren und Beinzentren. Die Entwicklungshemmung der ersteren greift über auf letztere. Die Beinzentren beeinflussen ihrerseits korrelaltiv die spinalen Zentren und diese wiederum die Extremitäten. So erhält die obengenannte Korrelationskette Ab- zweigungen, wodurch ein verwickelter Korrelationskomplex entsteht, der sich stark abgekürzt schreiben läßt: Auge Auge Mittelhirn Vorderbein — spinale Zentren \ Spinale Zentren — Vorderbein \ Spinale Zentren Spinale Zentren Hinterbein Hinterbein. Wie schon ein Vergleich mit obigen Ausführungen ergibt, ist der Komplex bei weitem weniger einfach und wird noch durch g' 132 B. Dürken, Uber Entwieklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. andere hier gar nicht aufgeführte Korrelationen bedeutend ver- wickelter. Für den vorliegenden Zweck mag aber die unvollständige Wiedergabe genügen. Wegen weiterer Einzelheiten muß auf meine früheren Arbeiten verwiesen werden. Luther wendet sich nun namentlich gegen meine Arbeit üver die einseitige Augenexstirpation und setzt mich von vornherein da- durch ıns Unrecht, daß er mir durch völlig unzutreffende Formu- lierung der Frage die Behauptung unterschiebt, bei den Anuren beständen echte Entwicklungskorrelationen zwischen Auge und Extremität. Das zu behaupten ist allerdings recht falsch, wıe ich hier gern noch einmal erkläre. Auch ıst die Verallgemeinerung auf die Anuren mehr als verwerflich. Es widerstrebt mir, darüber noch viele Worte zu verlieren. Ich habe des öfteren Gelegenheit genommen zu betonen, daß meine Ergebnisse zunächst nur für kKana) fusen. gelten (z.B. 1911,.3: 33951913, 82.2355 11916%92120)} Ferner habe ıch des langen und breiten auseinandergesetzt, nicht daß echte Entwicklungskorrelation besteht zwischen Auge und Ex- tremität oder zwischen den einzelnen Extremitäten, sondern zwischen peripherem Organ und dem zunächst übergeordneten nervösen Zen- trum 1. Ordnung, zwischen diesem und den Zentren höherer Ord- nung u. 8. f. Es ıst das ein wesentlicher Punkt der ganzen Frage. Ich verzichte aber darauf, hier alles früher Gesagte zu wiederholen. Was ıch behauptet habe, geht zur Genüge hervor aus den oben gemachten Andeutungen über die Korrelationsketten und aus der 1913 S. 234 gegebenen Definition: „als echte Entwicklungskorre- lation ıst die formbildende Beeinflussung eines Organes durch ein anderes dann zu bezeichnen, wenn diese Beeinflussung unmittelbar durch spezifische, morphogenetische Reize geschieht, nicht durch ein drittes Moment, wie etwa in den sogen. chemischen Korre- lationen, bei denen etwa ein in dem einen Organ gebildetes inneres Sekret die Formbildung eines entfernt liegenden Organs beeinflußt.“ Echte Korrelation ist es nach dieser Definition — nur diese ist für meine Arbeiten maßgebend — auch nicht, wenn zwischen den frag- lichen Organen das Nervensystem lediglich als reizleitendes Moment gedacht wird; eine Reizleitung in diesem Sinne haben meine Ver- suche eben auch gar nicht ergeben, im Gegenteil. Nach meinen Ergebnissen besteht bei Aana fusca echte Korrelation zwischen Auge — Augenzentren; Augenzentren — gewisse Beinzentren; Bein- zentren — Extremität. Doch genug davon; es genügt, um die Frage in die richtigen Grenzen zurückzuweisen. Das Verhalten des Nervensystems hat Luther ganz vernachlässigt, und aus dieser Vernachlässigung des Kernpunktes entspringt sein Hauptirrtum. Eine weitere Quelle des Irrtums liegt in der irrtümlichen Auf- fassung und falschen Darstellung meiner Operationsmethode. Luther gibt, an, ich habe bei der Operation das Auge bezw. die Beinanlage B. Dürken, Uber Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Kaua fusca. 135 „ausgebrannt“, und durch die wohl unbeabsichtigte alleinige Ver- wendung des Wortes „brennen“ für meine Methode erweckt er unbewußt ın dem unbefangenen Leser seiner Abhandlung die Sug- gestion, daß meine Versuchstiere schwere Brandwunden gehabt haben, welche eine starke allgemeine Schwächung nach sich zogen, in deren Folge die Extremitäten verkümmerten. Diese ganz unzu- treffende Auffassung mag allerdings durch meine etwas summarische Schilderung der Methode mitveranlaßt sein. Ich komme darauf noch zurück. Nehmen wir zunächst einmal an, daß meine Versuchstiere — was tatsächlich nicht der Fall war — Verbrennungen besaßen. Nach Luther könnte dann einmal die physikalische Schädigung benachbarter Organe durch Hitze, das andere Mal chemische Schädi- gung des Organısmus durch giftige Verbrennungs- bezw. Zerfalls- produkte eine allgemeine Schwächung und Entwicklungshemmung bedingt haben, so daß die Koustatierung der Korrelationen ledig- lich auf Täuschung beruhte. Wie aber, muß man da doch fragen, ist es durch eine solche allgemeine Schwächung möglich, daß stets ganz bestimmt lokalı- sierte Entwicklungshemmungen auftreten, die keineswegs einfache Größenminderungen darstellen? Wie ist es dann möglich, daß bei relativ älteren Versuchstieren die Hemmungen im Nervensystem nicht bloß — je nach Art der Versuchsreihe — stets übereinstim- mend lokalisiert sird, und nicht nur nicht das ganze Nerven- system betreffen, sondern auch nur einseitig im Nervensystem stets an derselben Stelle auftreten, während bei relativ jüngeren Tieren kongruente beiderseitige Hemmungen angetroffen werden? Wie ıst es dann möglich, daß bei einseitiger Beinexstirpation die Extremitäten der Gegenseite nur dann gehemmt werden, wenn die Hemmung des Nervensystems beiderseitig vorhanden ist? Wie ist es dann ferner möglich, daß je nach dem Alter der Versuchstiere entweder nur Hemmungen in dem der entfernten Extremität zuge- hörigen Teil des Spinalapparates — die Zugehörigkeit ist erwiesen durch anatomische und funktionspbysiologische Untersuchungen! — oder stufenweise fortschreitend auch im Cerebralteile vorkommen ? Warum verkümmert bei allgemeiner Schwächung nicht das ganze noch unfertige Nervensystem, sondern nur Teile, die nach den ver- schiedensten Untersuchungen als zu den Extremitäten gehörig an- zusehen sind? Warum verkümmern dann nicht alle noch nicht fertigen oder noch gar nicht in geformten Anlagen vorhandenen Organe? Wie ist es dann möglich, daß beispielsweise nur der zum fehlenden Hinterbein gehörende (@uerfortsatz des Sakral- wirbels gehemmt wird, nicht aber der Querfortsatz der Gegen- seite, obwohl beide zur Zeit der Operation noch gar nicht ange- legt sind? 154 B. Dürken, Uber Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. Ich könnte noch lange mit solchen Fragen fortfahren und ent- sprechende über die Augenexstirpation anfügen, aber die gestellten genügen wohl. Die Antwort auf sie ergibt sich von selbst: Der Grund für die beschriebenen Entwicklungshemmungen liegt nicht in einer allgemeinen Schädigung der Tiere durch Verbrennungen und Vergiftungen, sondern ın Entwicklungskorrelationen, allerdings nicht in der Weise, wie Luther sich die Sache vorstellt. Der Grund für die Hemmungen ist auch nicht zu finden in der Schädigung benachbarter wichtiger Organe. Es genügt hier zu fragen, ob ın der Nähe der Hinterbeinknospe bei Froschlarven ein lebenswichtiges Organ liegt. Die Antwort möge der Leser selbst geben. Über die Augenexstirpation vergleiche man unten. Zum Überfluß zunächst noch zwei tatsächliche Feststellungen. Erstens: Meine Versuchstiere waren bei der Untersuchung kräftig entwickelt, sie zeigten keine allgemeine Schädigung. Ich verweise dazu auf meine früheren Beschreibungen. Die zum Teil beobachtete große Sterblichkeit hat ihren Grund nicht so sehr in der operativen Verletzung der Tiere, als vielmehr ın lokalen Be- dingungen der Wasserversorgung der Versuchsbecken, was ich früher noch nicht so klar erkannt hatte; auch bei nichtoperierten Larven ist infolgedessen die Sterblichkeit groß (vgl. z. B. meine Bemerkung 1911, S. 194). Zweitens: Die Forderung Luther’s, daß die Beeinflussung der Extremitätenentwicklung durch das Nervensystem noch durch neue Experimente ermittelt werden müßte (S. 9), ist bereits erfüllt durch meine Untersuchung über Transplantation der Beinanlage bei Rana fusca 1916. Ich habe dieser Feststellung nichts weiter hinzuzu- fügen. Nun hat Luther selbst Versuche mit Verbrennungen angestellt, um die von mir ermittelten Korrelationen abzutun. Soweit sie nicht an Rana fusca vorgenommen wurden, kommen sie hier gar nicht in Frage, ebensowenig die Bezugnahme auf Versuche anderer Autoren, die an anderen Objekten gearbeitet haben. Völlig neben- sächlich ist Luther’s Hinweis auf die Folgen von Verbrühungen und Verbrennungen bei Warmblütern und beim Menschen. Es handelt sich dabei doch um ganz andere Sachlage als in meinen Versuchen. Luther hat bei jungen Larven von Rana fusca aus der Um- gegend von Rostock folgende Versuche mit Verbrennungen unter- nommen: 1. Jungen Larven wurden angebrannte Gewebsstückchen gleich- alter 'Tiere in das Körperinnere gebracht; 2. den Larven wurden Brandwunden am Schwanz beigebracht; 3. einer Anzahl Tiere wurde ein Auge ausgebrannt; 4. das rechte Labyrinth wurde durch Brennen zerstört; B. Dürken, Über Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Hana fusca. 135 5. mit der heißen Nadel wurde die rechte Vorniere in verschie- dener Ausdehnung zerstört. Und das Ergebnis? Keines der zahlreichen Versuchstiere zeigte eine Verkümmerung der Extremitäten, abgesehen davon, daß in der Serie 5 einige Exemplare vorkamen, denen das rechte Vorderbein fehlte, weıl seine Anlage mitzerstört war, und daß zwei Tiere der gleichen Serie Verkümmerungen der rechten Vorderextremität auf- wiesen, sicherlich nur infolge Verletzung der Anlage bei der Ope- ration, da dieselbe ja unmittelbar der Vorniere auflıegt. Die Schlußfolgerung ist selbstverständlich: Vergiftung durch Verbrennen kann nicht die Ursache sein für die von mir beobach- teten Entwicklungshemmungen. (Wenn Luther diesen Schluß selber zieht, wozu dann seine ganze Polemik gegen meine Arbeiten?) Über die Beschaffenheit des Nervensystems der Versuchstiere schweigt Luther sich aus. Wir haben bis jetzt angenommen, daß meine Versuchstiere bei Ausführung der Operation Verbrennungen erlitten hätten. Daß das nicht der Fall gewesen ist, geht am besten aus einer etwas ein- gehenderen Schilderung der Exstirpationen hervor, als ich sie in meinen früheren Arbeiten gegeben habe. Beschränken wir uns zunächst auf die Exstirpation der Hinter- beinanlage und des Auges. Diese Operationen wurden ausgeführt mit einer feinen in der Flamme kurz erhitzten Präpariernadel, nicht wie Luther meint, mit der sogenannten Roux’schen Nadel, da die Anwendung dieser, wie mich Versuche lehrten, tatsächlich zu Ver- brennungen führt. Außerdem benutzte ich eine feine Galvanokauter- nadel. Damit läßt sich sehr wohl selbst bei sehr kleinen Objekten eine genaue Operation ausführen, es kommt nur auf die Hand- habung an. Verschiedene andere Exstirpationsmethoden brachten den Tieren viel schwerere Verletzungen. Die Spemann’sche Haar- schlinge ist zur Exstirpation einer Beinknospe ungeeignet, wie jeder ohne weiteres beurteilen kann, der sich Beschaffenheit und An- heftungsart einer solchen Knospe einmal angesehen hat. Luther geht von der Annahme aus, die fraglichen Organe seien von mir ausgebrannt worden. Das ist vollkommen unzu- treffend. Ich habe (1911, S.212; 1913, S. 197) ausdrücklich betont, daß nur geringe Hitzegrade angewandt wurden und daß Verbren- nungen zu vermeiden sind. Die Exstirpation einer Hinterbeinanlage gestaltet sich folgender- maßen: Die Nadel wird nur soweit erhitzt, daß die Knospe, welche durch Absaugen mit Fließpapier von Wasser möglichst befreit ist, leicht an die äußerste Spitze der Nadel antrocknet. Durch eine etwas drehende Bewegung löst man dann die Knospe gut und eng ‚ umschrieben aus ihrer Umgebung los. Das gelingt um so leichter, als die Umgebung noch aus sehr lockerem Gewebe besteht, während 136 B. Dürken, Über Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. die Beinanlage sich schon mehr verdichtet hat. Die ganze Operation nımmt 1—2 Sekunden ın Anspruch. Die Annahme, daß sich dabei „erhitzte Körpersäfte innerhalb des Körpers bewegen können, be- vor sie abgekühlt werden und dadurch etwas entferntere Stellen schädigen“ (Luther, S.4), ist, um einen gelinden Ausdruck zu ge- brauchen, einfach absurd. Bei einer eventuellen Nachoperation (nach Tagen!) wurde ebenso verfahren. Bei der Augenexstirpation (1913) war das Vorgehen ähnlich. Die kalte Kauternadel wurde mitten auf das Auge gesetzt, so daß dieses nur leicht berührt wurde. Dann wurde der Strom sekunden- lang geschlossen, so daß nur eine kräftige Erwärmung, nicht Er- hitzung der Nadel eintrat. Infolgedessen klebt das Auge an deren Spitze an und wird durch einen leichten Zug unter gleichzeitiger schwacher Drehung aus der Orbita entfernt. Die Augenmuskel- anlagen lösen sich ohne weiteres vom Bulbus ab; der Opticus wird nicht ausgerissen, sondern distal von seiner Mitte durchtrennt (vgl. 1913, Taf. XIV, Fig. 1). Auch diese Operation dauert nur Sekunden. Dabei von Ausbrennen des Auges zu reden, würde die Tatsachen auf den Kopf stellen. Benachbarte Organe wurden nicht be- schädigt. Um mich von der Beschaffenheit der Wunde zu überzeugen, habe ich sowohl bei Bein- als auch bei Augenexstirpation frisch operierte Tiere konserviert und mikroskopisch untersucht. Die Wunden zeigen keine Spur nekrotischer Zellen. Daß gleichwohl vielleicht im Verlaufe der Heilung einzelne Zellen zugrunde gehen ınögen, wird wohl für alle Operationsarten zutreffen. Für die Exstirpation einer Vorderbeinanlage hatte ich ausge- führt (1911, S. 214), wie durch Schnitte die Kiemenhöhle der Larve geöffnet wurde, und daß dann die Exstirpation der Anlage entweder mit dem Galvanokauter oder mit der Schere erfolgte. Das erstere Instrument wurde dabei nur für die Versuchsreihe C° angewandt (Exstirpation des Hinter- und Vorderbeines der linken Seite). Diese Operation habe ich nur ım ersten Versuchsjahr 1909 vollzogen, später aber fallen gelassen und nicht für meine Abhandlung ver- wendet (s. 1911, S. 204 und S. 254). Sıe kommt also auch hier gar nıcht in Betracht. Dagegen habe ich die Versuchsreihe D (Exstirpation der linken Vorderbeinanlage, Reihen D°, D!, D") in weitgehendem Maße heran- gezogen. Ich stelle nun ausdrücklich fest, daß bei dieser Operation weder Nadel noch Galvanokauter benutzt wurden, sondern daß die Exstirpation der Vorderbeinanlage ausschließlich mit der Schere erfolgte, wie ich bei erneuter Durchsicht meiner sehr genauen Arbeitsprotokolle unter dem 21. VI. 09, 24. VI. 09 und 12. IV. 10 bestätigt finde. B. Dürken, Über Entwicklungskorrelationen u. Lokalrassen bei Rana fusca. 19% Diese Art der Exstirpation der Vorderbeinanlage hatte aber ganz entsprechende Erfolge wie die bei der Hinterbeinanlage ge- schilderte. Es ist somit vollständig unmöglich, daß meine Methode mir Korrelationen vorgetäuscht hat. Diese sind vielmehr durchaus eın- wandfrei und sicher ermittelt worden. Ein Teil derselben hat ja 1916 ihre Bestätigung gefunden. Die von Luther erhobenen Ein- wände sind damit erledigt. Übrigens werde ich in Bälde Gelegenheit nehmen, an anderem Orte auf die erwähnten Entwicklungskorrelationen zurückzukommen. Nun ist aber noch etwas anderes zu erwähnen. Luther hat nach der Zerstörung der Vorniere einige Frösche erhalten, denen die rechte Vorderextremität vollständig fehlte. Diese neun Exemplare besaßen aber drei normale Extremitäten. Nach den Ergebnissen meiner Versuche wäre hier eine korrelative Hem- mung der nicht operierten Gliedmaßen zu erwarten gewesen. Immer- hin könnte das für sich betrachtet als Zufall angesehen werden, da auch in meinen Versuchen solche normale Tiere vorkamen, aller- dings nur bei relativ älterem Ausgangsmaterial, während bei jüngerem Versuchsmaterial (Reihen B!', D! 1911) nach Exstirpation einer Beinanlage alle zur Metamorphose gekommenen Frösche Mißbil- dungen der übrigen Extremitäten aufwiesen (1911, S. 227). Aber Luther hat an Larven von Rana fusca auch die einseitige Augen- exstirpation wiederholt und dabei in zusammen 271 Fällen mit einer Ausnahme nur normale Extremitäten beobachtet. Diese Aus- nahme kommt nach Luther’s Darstellung für einen Vergleich mit den von mir erzielten Hemmungsmißbildungen nicht ın Frage, da es sich um Polydaktylie handelt. Auch beiderseitige Augenexstir- pation hatte das gleiche negative Ergebnis. Über den Zustand des Nervensystems aller dieser Versuchstiere erwähnt Luther nichts, obwohl es gerade das Wesentliche ıst. Nur bezüglich des einen Exemplars mit Polydaktylie wird gesagt (S. 31), daß „das Nerven- system, soweit ich (Luther) erkennen kann, bis auf den Ausfall der gekreuzten optischen Bahnen normal ist“. Das gibt allerdings schon zu denken. Ich konnte feststellen, daß nach Fortnahme des Auges unter Schonung der Conjunktiva die Aufhellung und Verdünnung der- selben bezw. der Cornea unterbleibt (1916; vgl. Taf. IV, Fig. 12a, b). Die Cornea bleibt opak und undurchsichtig, sie besitzt reichlich Pigment, wenn auch etwas weniger als die umgebende Kopfhaut entsprechend ihrem Zustand auf dem ÖOperationsstadium. Luther berichtet, daß nach einseitiger Augenexstirpation schon nach wenigen Tagen „die Cornea sehr durchsichtig geworden ist, so daß an den lebenden Tieren eine Kontrolle der Operation vor- genommen werden konnte“ (S.6). Das einer näheren Untersuchung 135 B. Dürken, Über Entwicklungskorrelationen u. l.okalrassen bei Kana fursca. unterworfene Exemplar mit Polydaktylıe wıes nichts besonderes auf, auch an der Cornea nicht, so daß sıe jedenfalls auch normal, d. h. durchsichtig gewesen ist. Es ergibt sich also ein grundsätzlich anderes Verhalten der Luther’schen Versuchstiere: sie zeigen im Gegensatz zu den meinigen weder am Nervensystem, noch an den Extremitäten, noch an der Cornea korrelative Einwirkungen der Operationen. Der einzige Schluß, der aus dieser Gegenüberstellung gezogen werden kann, ist der, daß die Grasfrösche (R. fusca) aus der Um- gegend von Göttingen einerseits und aus der Umgebung von Rostock andererseits zwei sich verschieden verhaltende Lokal- rassen bilden. Das braucht an sich nicht zu verwundern, denn es ist längst bekannt. daß bei Fröschen in weitgehendem Maße Lokalrassen- bildung vorkommt. Es sei nur hingewiesen auf die nach der Ört- lichkeit verschiedenen Geschlechtsverhältniszahlen, wie sıe von ver- schiedenen Autoren ermittelt wurden. Insbesondere konnte R. Hert- wig (1912; dort auch weitere Literaturangaben) bei Rana esculenta in der Umgebung Münchens mehrere Lokalrassen nachweisen, deren jede bezüglich der Differenzierung des Geschlechts ein anderes charakteristisches Verhalten aufweist, derart, daß bei der einen eine sehr frühzeitige Bestimmung des Geschlechts eintritt, bei der anderen aber lange Zeit ein indifferenter Zustand vorherrscht, so daß wir es mit einer ungleichen Potenz der Geschlechtsbestimmungsfaktoren zu tun haben. Näher braucht hier nicht darauf eingegangen zu werden; es genügt festzustellen, daß innerhalb der Anurenspezies biologisch verschiedene Lokalrassen vorkommen. Daß solche Rassen — biologisch, d. h. hier entwicklungsmecha- nisch verschieden — nach dem oben Gesagten bei Rana fusca auf- treten, zudem in sehr weit auseinander liegenden Örtlichkeiten, ist demnach auch nichts auffallendes, wenn auch etwas sehr wichtiges. Wenn einerseits daraus hervorgeht, daß man bei Verallgemeine- rungen sehr vorsichtig sein muß, so auch andererseits, daß eine Schematisierung des entwicklungsmechanischen Verhaltens in Selbst- differenzierung und abhängige Differenzierung nicht angängig ist. Jedenfalls aber liegt der Wert der Luther’schen Arbeit ın der Beibringung des Materials für die Bestimmung einer Lokalrasse, abgesehen von dem zweiten Teil, der über Polydaktylie handelt, und dadurch wird die irrtümliche Polemik des Verfassers gegen die Entwicklungskorrelationen wohl aufgewogen. Literatur. 1910. B. Dürken, Über das Verhalten des Nervensystems nach Exstirpation der Extremitätenanlagen beim Frosch. Nachr. d. K. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen. Math.-phys. Kl. H. de Vries, Über monohybride Mutationen. 139 1911. B.Dürken, Über frühzeitige Exstirpation von Extremitätenanlagen beim Frosch. Ein experimenteller Beitrag zur Entwicklungsphysiologie und Morpho- logie der Wirbeltiere unter besonderer Berücksichtigung des Nerven- systems. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 99. 1912. , Über einseitige Augenexstirpation bei jungen Froschlarven. Nachr. d. K. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen. Math.-phys. Kl. ‚ Über die Transplantation junger Beinknospen in die Augenhöhle bei Froschlarven. Nachr. d. K. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen. Math.- phys. Kl. ‚ Über einseitige Augenexstirpation bei jungen Froschlarven. Ein Bei- trag zur Kenntnis der echten Entwicklungskorrelationen. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 105. 1916. —, Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca und die Vertretbarkeit der Quelle des formativen Reizes. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 115. 1912. R. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Versuchen. Biol. Centralbl., Bd. 32. 1916. A. Luther, Über die angebliche „echte Entwicklungskorrelation“‘ zwischen Auge und Extremitäten bei den Anuren und über einen Fall von Beinmißbildung und Polydaktylie beim Frosch. Öfversigt af Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar. Bd. 48. Afd. A. Nr. 18. Hel- singfors. 191:3°a. 1913 b. Über monohybride Mutationen. Von Hugo de Vries. Monohybride Mutationen nenne ich solche, deren Hauptcharakter in Kreuzungen, sei es mit der Mutterart, sei es mit einer ver- wandten Art der Mendel’schen Spaltungsregel für monohybride Verbindungen folgt. Sie haben den großen Vorzug, daß ihre erb- lichen Eigenschaften verhältnismäßig einfach sind, und mit denen nichtmutierender Arten in deutlicher Weise verglichen werden können. Zu den monohybriden Mutationen von Oenothera Lamarckiana rechne ich namentlich ©. nanella und ©. rubrinervis, obgleich die letztere eine Reihe von sekundären Merkmalen besitzt, welche sich der Regel nicht fügen. Die hier in Betracht kommenden Eigen- schaften sind für O. nanella die Zwergstatur und für die andere Mutante die Sprödigkeit. Oenothera Lamarckiana mut. gigas bringt seit ihrer Entstehung im Jahre 1897 in fast jeder Generation als zweite Mutation Zwerge hervor, welche wie sie, 238 Chromosomen in ihren Kernen führen. Ich habe früher gezeigt, daß die Kreuzung dieser Zwerge mit der Gigas der Mendel’schen Regel für die Monohybriden so genau folgt, wie man es nur wünschen kann. Jedenfalls kommen keine . Abweichungen vor, welche zu ihrer Erklärung spezieller Hypothesen bedürfen würden). I) Oenothera gigas nanella, a Mendelian mutant. Bot. Gaz. T. 60, S. 357, 1915. 140 H. de Vries, Über monohybride Mutationen. Von manchen Autoren ıst die Vermutung aufgestellt worden, daß die Mutationen von O. Lamarckiana nach den Mendel’schen Regeln abgespalten werden, und somit auf eine Bastardnatur dieser Art hinweisen dürften. Allerdings ist es bis jetzt niemanden ge- lungen, eine solche Bastardnatur auch nur wahrscheinlich zu machen, noch auch anzugeben, zwischen welchen Formen sie etwa eine Hybride sein könnte?). Die Mutationskoöffizienten weichen zumeist nicht weit von 1%, ab, oder sind sogar noch kleiner. Eine Ab- spaltung in so geringen Verhältnissen würde das Zusammenwirken von vier oder mehr, voneinander unabhängigen Faktoren fordern, falls das Gesetz von Mendel Anwendung finden sollte. Aus diesem Grunde scheinen mir nun die monohybriden Mu- tationen von hervorragender Wichtigkeit zu sein. Bei ihnen ist die Wahl der Mendel-Formel, mit der man sie vergleichen will, keine willkürliche, wie in den sonst beliebten Beispielen. Sie werden nach Kreuzungen zu etwa 25%, von mutierenden Arten aber zu etwa 1%, abgespalten, und diese Differenz läßt sich aus den Mendel- Gesetzen nicht erklären. Sie zeigt, daß Bastardspaltungen und Mutationen grundverschiedene Vorgänge sind. Zu den am ausführlichsten studierten Mutationen von ©. La- marckrana gehören dıe Zwerge. Ihre. beiden Merkmale, die niedrige Statur und die Empfindlichkeit für gewisse Bodenkrankheiten, haben sich bis jetzt nicht voneinander trennen lassen, weder ın den Mu- tationen verwandter Arten (O. biennis), noch wmittelst Kreuzungen. Sie verhalten sich wie eine Einheit. Das Verhältnis, in welchem O. nanella fast alljährlich aus O0 Lamarckiana hervorgeht, ist 0,5 -1%°). Es war deshalb wichtig zu erfahren, ob sie auch eine monohybride Mutation ist, wie O. gigas nanella. Allerdings sprechen manche frühere Versuche dafür, aber es schien mir doch unerläß- lich, wenigstens einen Fall in allen erforderlichen Einzelheiten nachzuforschen. Mit O0. Lamarckiana selbst gibt O0. Lam. mut. nanella eine Spaltung in der ersten Generation, welche je nach Umständen etwa 22%, Zwerge oder deren viel mehr liefert (70 --90 %)*). Hier liegen die Verhältnisse somit durchaus anders als bei den Mendel’schen Kreuzungen. Mit anderen Arten liegen sie günstiger, weil die Ab- spaltung von Zwergen erst in der zweiten Generation stattfindet, aber ın den meisten untersuchten Fällen deuten die Zahlen doch wohl auf andere innere Vorgänge hin. Ich habe nun in den Kreuzungen von O. suaveolens Desf. mit 0. Lam. mut. nanella eine völlige Übereinstimmung mit der Regel 2) Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. Berlin 1912, S. 30ff. 3) Die Mutationstheorie I, S. 261 und Gruppenweise Artbildung, S 313. 4) Uber amphikline Bastarde. Ber. d. d. bot. Gesellsch. 1915, Bd. XNXXIIT, S. 465. H. de Vries, Über monohybride Mutationen. 141 für die Monohybriden gefunden. Dadurch glaube ich den Satz, daß es sich bei der Entstehung dieser Mutante um eine einzige Merkmalseinheit im Sinne Mendel’s handelt, ausreichend begründen zu können. Meine Kreuzungen wurden 1913 gemacht und die drei folgenden Generationen, deren Studium zu diesem Beweise erforder- lich ist und ausreicht, wurden 1914—-1916 kultiviert. Die Zwerge entnahm ich meiner früher beschriebenen Rasse, während die O. suareolens von einem reinen Fundorte ım Forste von Fontainebleau herrührte. Die betreffende Kultur wurde aus einem Samen von 1912 hergeleitet und als sogenannte reine Linie bis jetzt fortgesetzt. Über die Reinheit dieser Linie und die in ihr beobachteten Mu- tationen habe ich bereits an anderer Stelle berichtet’). Ich habe die beiden reziproken Kreuzungen ausgeführt und dabeı ausreichend parallele Ergebnisse bekommen. Den einfachsten Fall bildet die Verbindung: O. Lamarckiana mut. nanella X O. suaveolens. Die erste Gene- ration umfaßte 120 Exemplare und enthielt keine Zwerge. Mitte Juni, als die Stengel eine Höhe von 5—10 cm erreicht hatten, war solches völlig klar; alle Individuen waren für ıhr Alter sehr stark mit dicken Stämmen und langen am Grunde verschmälerten Blättern. Die Kultur war durchaus einförmig; 25 Exemplare wurden beibe- halten und bis zur Blüte und Fruchtreife weiter gezogen. Die Pflanzen waren ın jeder Hinsicht intermediär zwischen O. Lamarckiana und ©. suareolens und glichen den Bastarden dieser beiden Arten genau. Eine Pflanze wurde mit dem eigenen Pollen rein befruchtet und gab ım Jahre 1915 eine Kultur von 60 Individuen, unter denen 19 oder 31 %, Zwerge waren. Die Zwerge blieben niedrig, erreichten Mitte September nur 10—20 cm, die meisten entwickelten aber ihre Blütenrispe. Sechs von ıhnen haben geblüht; von drei von diesen gelang es mir unter Selbstbefruchtung einige Samen zu ge- winnen. Die Blätter waren kurz und breit, ähnlich gebaut wie beı O. Lam. mut. nanella. Die übrigen Pflanzen erreichten eine Höhe von 1'/,—2 m und glichen der vorigen Generation in allen Hin- sichten. Es handelte sich nun um die Frage, ob die Zwerge in ihren Nachkommen konstant sein würden, und ob es unter den hohen Bastarden zwei Gruppen gab, deren eine, größere, die Spaltung wiederholen würde, die andere aber nicht. Zu diesem Zwecke habe ich von zehn hohen Bastarden unter künstlicher Selbstbefruchtung Samen gewonnen. Ich erhielt eine Aussaat ohne Zwerge und neun mit wechselnden Anzahlen von solchen. Die erstere umfaßte Mitte 5) Die endemischen Pfianzen von Oeylon und die mutierenden Oenotheren, Biolog. Zentralbl. Bd. 36, S. 1, 1916, yıh 142 H. de Vries, Über monohybride Mutationen. Aprıl 100 Sämlinge, zu einer Zeit, als in den übrigen Kulturen die Zwerge deutlich und scharf von den anderen zu erkennen waren. Anfang Mai hatten diese letzteren langgestielte Blätter von 6—8 cm Länge, während die Zwerge kleine flache Rosettchen mit kleinen breiten ungestielten Blättern bildeten. Dann wurde alles ausgezählt und ausgepflanzt. Anfang August, als die Pflanzen blühten, zeigte es sich, daß sie alle einjährig geworden waren und daß die Zwerge nur 15—25 cm, die andern aber nahezu 2 m an Höhe erreichten. Die Zählung im Anfang des Mai ergab die folgenden Ver- hältnisse: Anzahl der Pflanze Keimlinge % Jiwerge Nr» s0 4 2 s0 11 > 1) 20 4 13 21 5 80 21 6 s0 27 t 74 31 fe) 75 ol 9 60 35. Im Mittel also 22%, Zwerge. Die drei selbstbefruchteten Zwerge der zweiten Generation ergaben nur eine geringe Nachkommenschaft von 28 -+ 24 + 20 — 72 Exemplaren. Diese waren ausnahmslos Zwerge und erreichten ım August, während der Blüte, höchstens 15—25 cm an Höhe. Wir finden also eine einförmige erste Generation, eine zweite (seneration mit 31 %, Zwergen, deren Nachkommenschaft konstant war, und mit zwei Typen von hohen Bastarden, deren einer ferner- hin auch konstant war, während der andere wiederum Zwerge, und zwar deren 22%, abspaltete. Das Verhältnis dieser beiden Gruppen sollte 1:2 sein, war aber 1:9, wohl wegen der geringen Zahl (10) der untersuchten Samenträger. Die Übereinstimmung mit der Mendel’schen Formel für die Monohybriden ist also so vollständig als beim gegebenen Umfang der Versuche erwartet werden darf. O. suaveolens X ©. Lamarckiana mut. nanella. Die Befruch- tung von O0. suaveolens mit dem Pollen von O. Lamarckiana liefert die beiden Zwillinge ZLaeta und Velutina, ähnlich wie bei den ent- sprechenden Kreuzungen von O. biennis und O. syrticola (muricata) mit O. Lamarckiana. Die Laeta sind den reziproken Bastarden äußerlich gleich, die Velutina gleichen den gleichnamigen Zwillingen aus den beiden anderen, namhaft gemachten Kreuzungen. Sie sollen an anderer Stelle beschrieben werden. Nach allen sonstigen Er- fahrungen muß sıch der Pollen von O. nanella in dieser Beziehung H. de Vries, Über monohybride Mutationen. 143 genau so verhalten wie derjenige der Art, und so finden wir ın der ersten Generation unserer 1913 gemachten Kreuzung diese beiden Zwillinge, mit: denselben Eigenschaften, zurück. Meine Kultur umfaßte Ende Juni 75 Pflanzen, von denen 50 Laeta und 19 Velutina waren, während die übrigen 6 sich als zum Typus /utescens ge- hörig herausstellten®). Diese letzteren hatten breite Blätter von gelblichgrüner Farbe, sıe entstehen aus O. suaveolens sowohl nach Selbstbefruchtung als nach Kreuzungen. Die Verhältniszahlen waren also: 66% ZLaeta, 26%, Velutina und 8%, ZLutescens. Ich hatte die Kreuzung ım Jahre 1913 noch auf einer zweiten Pflanze gemacht und hatte daraus ım Jahre 1915 ım Juli, beim Anfang des Blühens 55 Pflanzen, mit 52%, Laeta, 28%, Velutina und 20%, Lutescens. Auch habe ich die Verbindung nochmals, und zwar 1915, ausgeführt, und erhielt 1916 dieselben dreı Typen, aber ın etwas abweichenden Verhältnissen, da die Kultur auch jetzt nur kleın war und Ende August nur 66 Exem- plare umfaßte. Von diesen waren 83%, Laeta, 10%, Velutina und 7%, Lutescens. Im ganzen habe ich somit für die erste Generation etwa 200 Exemplare gehabt, und im Mittel 67%, Laeta, 21%, Velutina und 12%, Lutescens gefunden. Aus der Kreuzung von 1913 habe ich i915 und 1916 die zweite und dritte Generation gezogen, und zwar von den drei Typen des ersten Jahres (1914). Eine Abspaltung von Zwergen wurde nur unter den Nachkommen der Zaeta beobachtet. Es gab 1915 unter 63 Exemplaren 16, oder 25%, Zwerge von derselben Höhe und mit denselben Merkmalen wie bei der reziproken Verbindung. Die übrigen Pflanzen hatten hohe Statur und glichen der ersten Gene- ratıon, mit Ausnahme einiger weniger Individuen, welche Zutescens waren. Von den Zwergen gelang es mir nicht Samen zu gewinnen, doch war es auch wohl ohne dies sicher, daß sie in ıhrer Nach- kommenschaft konstant sein würden. Von der Zutescens befruchtete ich zwei Exemplare und erhielt 1916 eine einförmige, den Eltern gleiche Nachkommenschaft von 60 +64 —124 blühenden und nahezu blühenden Pflanzen. Sie erreichten alle eine Höhe von über 1'/, m. Zwerge gab es nicht. Von den ZLaeta-Pflanzen habe ich neun künst- lich mit dem eigenen Pollen befruchtet. Drei von ihnen gaben eine einförmige Kultur von hoher Statur, wie die Eltern; Zwerge fehlten hier durchaus. Es waren 70 +70 +56=196 Pflanzen. Die sechs übrigen spalteten Zwerge ab, und zwar in den folgenden Verhältnissen: 6) Biolog. Zentralbl. Bd. 36, S. 7, 1916. 0} 144 H. de Vries, Über monohybride Mutationen. Samenträger Anzahl d. Pflanzen % Zwerge 0 Nr. 1 70 3 2 70 10 > 71 13 4 et 20 5 65 34 6 65 48 Im Mittel also 21%, Zwerge. Die übrigen hatten hohe Statur und waren /Zaeta mit Ausnahme von einigen wenigen Exemplaren von Lutescens. Velutina gab es auch hier nicht. In der zweiten Generation (1915) habe ich dann eine Velutina und eine Zadescens selbstbefruchtet Ihre Nachkommen waren ein- förmig und der Mutter gleich in SO bezw. 70 Individuen. Von den Velutina blieben viele den ganzen Sommer über im Stadium von Rosetten von Wurzelblättern, während die Lutescens alle einjährig waren und blühten. Die Velutina waren den anderen gleichnamigen Kulturen gleich; die Zutescens zeigen aber mannigfach sekundäre Unterschiede, welche sıch dann in ihren Nachkommen deutlich aus- prägen; sie deuten auf weitere Spaltungen hin. Umgerechnet auf die erste Generation haben wir somit für die Laeta 25%, Zwerge und 75% hohe Pflauzen, von denen !/, oder 25%, ın ıhren Nachkommen konstant waren und ?/, oder 50%, wiederum Zwerge abspalteten und zwar ım Verhältnis von 21%. Die Zahlen genügen den Forderungen der Formel für die Mono- hybriden genau. Im Sommer 1913 hatte ich die Kreuzung auf zwei Individuen ausgeführt, wie oben bereits mitgeteilt wurde. In der ersten Gene- ration der zweiten Kreuzung, 1915, befruchtete ich eine Laeta, eine Velutina und eine Lutescens. Die erste ergab unter 70 Nach- . kommen 21 Zwerge oder 30 %,; die beiden anderen gaben einförmige Kulturen, welche 71 Velutina bezw. 47 Lutescens umfaßten. Fast alle haben geblüht. Die Ergebnisse bestätigen somit jene des Hauptversuches. Endlich habe ich auch die Samen einer Velutina zweiter Gene- ration und einer gleichfalls einer zweiten Generation von Lutescens entnommenen Pflanze ausgesät. Auch hier waren die Nachkommen- schaften einförmig und den Eltern gleich, und zwar ın 60 und 70 Exemplaren, von denen die /edtescens nahezu alle blühten, während es den meisten Velutina nicht gelang Stengel zu bilden. Diese beiden Bastardtypen erhalten sich somit durch wenigstens zweı aufeinanderfolgende Generationen konstant. Wir gelangen somit zum Schluß, daß dıe Zaeta aus der Kreuzung O. suaveolens X O. Lam. nanella dıe Zwerge ge- nau nach der Mendel’schen Formel für dıeMonohybriden abspalten, daß aber der andere Zwilling, Velutina, und die Zutes- H. de Vries, Über monohybride Mutationen. 145 cens in ihren Nachkommen keine solche Spaltung aufweisen. Die ersteren verhalten sich somit wie die Bastarde der rezi- proken Verbindung, denen sie ja auch äußerlich gleichen. In den beschriebenen Versuchen waren die Zwerge stets sehr empfindlich für die Bodenkrankheit, welche auch in O. Lam. mut. nanella, ©. biennis mut. nanella und ©. gigas mut. nanella die be- kannten Störungen ın der Entwicklung mancher Blätter und einiger Blütenknospen bedingt’). Ganz gesunde Zwerge wurden nicht ge- funden, daher auch ihre geringen Ernten. Allerdings gab es unter den hohen Bastarden mehrfach kranke Exemplare, aber ob diese durch dieselbe Krankheit befallen waren, gelang es mir nicht zu entscheiden; jedenfalls war das Bild der Krankheit in ihnen ein ganz anderes. Wären die Zwergstatur und die erwähnte Empfind- lichkeit voneinander unabhängige Eigenschaften, so müßte bei den Kreuzungen die Formel für die Dihybriden gelten und gesunde Zwerge somit zahlreicher sein als kranke. Dieses war gewiß nicht der Fall. Vielleicht ist die Empfindlichkeit eine Folge der Zwergstatur und handelt es sich nur um eine einzige Merkmalseinheit; viel- leicht sind es deren zwei, welche in bisher unbekannter Weise ver- bunden sınd. Mutanten, welche sich durch zwei oder mehrere Merkmale von der Mutterart unterscheiden, sind nicht gerade selten. Sie können succedan oder simultan entstanden sein, d. h. die einzelnen Eigen- schaften können nacheinander oder gleichzeitig aufgetreten sein. Der erstere Fall ıst bei den Gartenpflanzen ein ganz gewöhnlicher; unter den Oenotheren war der 1903 in meinen Kulturen aufgetretene Zwerg aus 0. biennis eruciata eines der ersten Beispiele®). Seitdem sind mehrere bekannt geworden, und O. gigas nanella wurde seit 1897 ausführlich studiert. Als Beispiel von simultanen Mutationen habe ich in meiner Gruppenweisen Artbildung 0. Lam. mut. gigas eingehend analysiert und ferner 0. Lam. mut. rubrinervis be- schrieben, da ın dieser nicht nur die Stengel spröde geworden sind, sondern auch die Eigenschaft, in Kreuzungen mit Zwergen dem Mendel’schen Gesetze zu folgen, aufgetreten ist. Dieses Vermögen fehlt bekanntlich der Stammart 0. Lamarckiana. Das Studium der Merkmalseinheiten, welche den Charakter einer Mutante zusammenstellen, wird mehrfach durch den Umstand erschwert, daß man nicht weiß, welche äußeren Erscheinungen einer gemeinschaftlichen inneren Ursache zugeschrieben werden müssen, bezw. können. Den Durchschlag gibt in der Regel die theoretische 9 H. H.Zeylstra, Biol. Zentralbl. Bd. 31, 1911, S.129—138 und de Vries, Gruppenweise Artbildung, 1913, S. 209—213, Fig. 92—95. 8) Gruppenweise Artbildung, 1913, S. 293, Fig. 108. 37. Band 10 .. 146 H. de Vries, Uber monohybride Mutationen. Erwägung, ob man wenige oder zahlreiche Faktoren annehmen will. Anfänglich war ich geneigt, möglichst wenige Faktoren ın jedem einzelnen Falle anzunehmen, da mir das regelmäßige Zusammen- gehen zahlreicher Eigenschaften unwahrscheinlich schien. In der letzten Zeit scheint mir eine Analyse der Mutationsvorgänge aber doch mehr Aussicht auf Erfolg zu bieten, namentlich seitdem W ıllıs gezeigt hat, daß die Mutationen, durch welche Arten ın der freien Natur entstehen, oft sehr komplizierter Natur gewesen sein müssen). In dieser Richtung hat sich in jüngster Zeit N. Heribert Nilsson große Verdienste erworben '!°), indem er versucht hat, für die aus seiner schwedischen Mutante der 0. Lamarckiana durch succedane Mutationen entstandenen neuen Typen ausführliche Merk- malsanalysen aufzustellen. Seine Untersuchungen bringen auf diesem Gebiete eine wichtige Bereicherung und scheinen mir meine Auf- fassung der Mutationserscheinungen bei den Oenotheren und deren Übereinstimmung mit den Vorgängen der Artbildung in der Natur wesentlich zu stützen. Allerdings ıst Nılsson selbst dieser Meinung micht!!). Er benutzt im Gegenteil seine ausführlichen Merkmalsanalysen um eine Übereinstimmung mit den Mendel’schen Spaltungen wahrschein- lich zu machen. Die Unhaltbarkeit dieser Ansicht wurde zuerst von Gates dargetan‘?). Ihre experimentelle Widerlegung durch die monohybriden Mutationen habe ıch dann an dem Beispiele von 0. gigas mut. nanella versucht, und an diese Kritik schließen sich die oben beschriebenen Kreuzungsversuche an’). Auch Bartlett hat die Unhaltbarkeit der Behauptungen Nilsson’s auf Grund seiner neuen Untersuchungen über Massenmutation ın Einzelheiten nachgewiesen !?). Hier möchte ich aber hervorheben, daß der Nachweis einer komplizierten Natur der Mutationen gar kein Argument darstellt für den Satz, daß diese nach den Mendel-Gesetzen abgespalten werden. Daß Mutationen bisweilen einfach, bisweilen aber mehr 49) J. ©. Willis, The endemie flora of Ceylon. Phil. Trans. Roy. Soc. Lon- don, T. 206, S. 307—342 und de Vries, Die endemischen Arten von Ceylon, Biol. Zentralbl., Bd. 36, S. 1, 1916. 10) H. Nilsson, Die Spaltungserscheinungen der Oenothera Lamarckiana, Lunds Universitets Arsskrift N. T. Bd. 12, Nr. 1, 1915. 11) De Vries, Gute, harte und leere Samen von Oenothera, Zeitschr. f. ind. Abst.- u. Vererbungsl., Bd. XVI, S. 284—289, 1916. 12) R. R. Gates, The mutation factor in Evolution. 13) Gute, harte und leere Samen von Oenothera, Zeitschr. f. ind. Abst.- u. Vererbungsl., Bd. 16, 1916. Siehe auch ©. gigas nanella, a Mendelian mutant, Botan. Gazette, a. a. 0. 14) H.H. Bartlett, Mass mutation in Oenothera pratincola, Bot. Gaz. T. 60, S. 425, 1915. Vgl. namentlich S 452—455. H. de Vries, Über monohybride Mutationen. 447 oder weniger zusammengesetzt sind, darüber sind wohl alle Autoren einig. Wie weit man die Analyse durchführen .kann, ist einstweilen gleichgültig. Wahrscheinlich gibt es unter den Mutanten von O0. Lamarckiana mehrere, welche von der Mutterart in mehr Fak- toren abweichen als die von Nilsson beschriebenen, aber eine experimentelle Trennung der einzelnen Faktoren ist bis jetzt in den meisten Fällen nicht gelungen. Die Mendel’schen Spaltungsgesetze lehren in der Hauptsache, daß für jede Eigenschaft in der zweiten Generation drei Typen entstehen, von denen zwei konstant sind und der dritte sich wiederum spaltet. Die numerischen Verhältnisse dieser Typen sind bekannt- lieh 1:2:1. Die Entstehung dieser drei Typen im Mutationsvor- gange wäre also nachzuweisen, wo dieses nicht gelingt, kann von einem Beweise des Nilsson’schen Satzes keine Rede sein. Die Mutanten bilden bekanntlich den einen konstanten Typus, die Mutterart den spaltenden, aber der dritte Typus fehlt stets. Sie müßte z. B. eine Lamarckiana ohne Mutationsvermögen sein, und eine solche wurde bis jetzt nicht aufgefunden. Allerdings hat Nilsson sich, in dem einzigen genau von ihm untersuchten Bei- spiel, große Mühe gegeben, diese dritte Bastardform zu entdecken, aber trotz zahlreicher Versuche ist dieses ihm nicht gelungen. Es handelt sich um seine inkonstante rotnervige Mutante, welche in jeder Generation konstante weißnervige Individuen abspaltet, da- neben aber nur sich spaltende Rotnerven. Die Formel von Mendel fordert auch konstante Rotnerven und zwar im Verhältnis von 25%. Sıe entstehen aber nicht. Andere Beispiele werden von Nilsson nicht angeführt. Die zusammengesetzte Natur mancher Mutationen wird von Nilsson benutzt um zu berechnen, welche Mendel-Formel eine Abspaltung des ganzen Charakterkomplexes in etwa 1%, der Nach- kommen erklären könnte. Er findet, daß man dazu tetrahybride Spaltungen annehmen muß. Sind die Koeffizienten niedriger, so muß die Zahl der einzelnen Faktoren entsprechend größer ange- nommen werden. Diese Argumentation ist aber zwei schwerwiegenden Einwänden ausgesetzt. Der eine ist die Forderung, daß untersucht werden müßte, ob der betreffende Charakter sich wirklich so verhält wie die Mendel’schen Merkmale in tetrahybriden und höheren Kreu- zungen. Der zweite ist die Aufgabe, die übrigen, sich aus den Formeln ergebenden Kombinationen nachzuweisen. Auf beide Punkte hat Nilsson verzichtet. Daß im ersteren Punkt seine Auf- fassung unrichtig ist, haben meine Zwergkreuzungen gelehrt, und damit fällt wenigstens für diese der zweite Punkt von selbst hinweg. Tetrahybride und höhere Kreuzungen lassen aber das Auftreten sehr zahlreicher Kombinationen der vier oder mehr Merkmale er- 10° 148 V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. warten, und zwar in den bekannten, aus den Formeln abzuleitenden numerischen Verhältnissen. Nilsson hat hierüber sehr anziehende graphische Darstellungen gegeben. Alle diese Kombinationen entstehen aber tatsächlich nicht, und, da die meisten unter ihnen viel zahlreicher sein müßten als die abgespaltenen konstanten Bastarde, so könnten sie der Beob- achtung wohl nicht entgehen. Auch hat Nilsson kein einziges Beispiel anführen können. Er sucht sich zu retten mit der Annahme, daß alles, was nach der Mendel-Formel entstehen sollte, aber nicht entsteht, einfach nicht existenzfähig wäre. Man könnte dieses mit den Worten von Mephistopheles so ausdrücken, daß man sagte: Alles was nicht ent- steht, ist wert, daß es zugrunde geht. Die Annahme ist aber eine rein willkürliche und nur zum Zweck der Erklärung aufgestellt. Sie wird durch nichts gestützt, und es läßt sich nicht einmal er- warten, daß eine einzige Hypothese die Nichtexistenzfähigkeit aller einschlägigen Kombinationen erklären könnte. Übrigens würde sie den beabsichtigten Beweis auch dann nicht bringen, wenn sie richtig wäre. Denn wenn in der tetrahybriden Formel alle Kombinationen bis auf zwei wegfallen sollten, so würde sich das prozentische Ver- hältnis der beiden anderen weit über 1%, hinaus steigern, und somit würde die gesuchte Erklärung des Mutationskoöffizienten von 1%, doch nicht erreicht werden. Aus den beschriebenen Versuchen und den daraus abgeleiteten Folgerungen ergibt sich: 1. daß O. Lamarckiana mut. nanella in Kreuzungen mit O. saa- veolens Desf. der Mendel’schen Spaltungsregel für die Mono- hybriden folgt, 2. daß das Verhältnis von 0,5—1°%, in welchem sie durch Mutation alljährlich von ihrer Mutterart hervorgebracht wird, somit nicht als eine Mendel-Spaltung aufgefaßt werden kann, 3. daß es auch für andere Mutationen keine stichhaltigen Gründe für eine solche Auffassung gibt. Die Zeiträume der Phylogenesis. Von Dr. V. Franz. Zu großes Vertrauen setzte man in negative Auskünfte der Paläon- tologie, wenn man einst die rund 30000 m mächtigen archäischen Formationen, den Urgneiß und Urschiefer oder kristallinen Schiefer, als azoisch bezeichnen wollte und annahm, erst seit dem Paläozoıkum oder doch nicht seit viel früherer Zeit habe das Leben bestanden und sich von da an, wie die Fossilien beweisen, an Menge und Formen- reichtum ständig zunehmend entwickelt. Mit der Zeit wird die V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. 149 Einsicht, daß das Leben schon lange vor dem Paläozoıkum be- standen haben muß, zum wissenschaftlichen Allgemeingut. Klar erkannt hat es Friedrich Ratzel, und zwar wesentlich aus der Betrachtung der vorzeitlichen Lebewesen, ihrer allgemeinen Organı- satıonsart. „Die Geschichte des Lebens auf der Erde ist uns nur in seinem allerletzten Abschnitt bekannt; wir halten nur das kleine Ende eines sehr langen Fadens in der Hand, der aus ganz nebensächlichen Gründen plötzlich von der Basis der paläozoischen Ablagerungen abgerissen ist“, schrieb Ratzel 1903!). „Für die Geschichte des Lebens auf der Erde an und für sich bedeutet dieses Abgerissen- sein nichts, unserem Wissen baut es allerdings eine Mauer. Ge- lingt es aber, über das dahinterliegende Leben Gedanken von irgend- welcher Begründung zu bilden, so würden diese in keiner Weise von dem Dasein dieser Mauer beeinflußt sein. Das sind sie aber lange gewesen und sind sie zum Teil noch heute, denn man ge- wöhnt sich schwer, den zufälligen, unbedeutenden Charakter dieses Abschnittes zu erkennen. Man möchte so viel Unterschiede wie möglich zwischen jetzt und damals finden, die Ein- und Gleich- förmigkeit des wirklichen Lebensverlaufes entspricht aber nicht den Vorstellungen, die wir davon mitbringen.“ Und weiterhin: „Der Reichtum kalk- und kieselschaliger Orga- nismen in den kambrischen Ablagerungen und die Häufigkeit solcher Ausscheidungen in den niedersten Gruppen des Tier- und Pflanzen- reiches von den Protozoen und Algen aufwärts läßt die Ansicht, daß die präkambrischen Formen alle weich, vergleichbar etwa den Larven lebender Echinodermen o. dgl., gewesen sein möchten und deshalb spurlos verschwunden seien, als ganz unglücklich erscheinen. Nichts rechtfertigt sie als der Wunsch nach einer Erklärung. Die Tatsachen des Lebens deuten zum Teil klar auf den umgekehrten Gang: bei Korallen, Cephalopoden, Schnecken sehen wir die schalen- losen Formen aus schalen- oder gehäusetragenden sich entwickeln, den Kalkreiehtum abnehmen. Die Cölenteraten der paläozoischen Schichten sind mit Kalk überladen; je näher wir der Gegenwart kommen, um so dünner werden bei ihnen die Lamellen und die Säulen.“ „Das Aussterben und Neuentstehen von Hunderttausenden von Gattungen und Arten macht nur den Eindruck endloser Variationen: über ein ganz beschränktes Thema. Das deutet auf äußere Umstände, die nicht sehr verschieden gewesen sein können von den heutigen, und sollten wir Altersstufen der Erde annehmen, so würden die Lebewesen l) Fr. Ratzel: Die Zeitforderung in den Entwicklungswissenschaften. I. Ostwald’s Annalen der Naturphilosophie Bd. II, 1903, S.092—95. Auch in Ratzel, „Raum und Zeit in Geographie und Geologie“, Leipzig 1907, S. 169—173. 150 V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. der Gegenwart und der kambrischen Periode einer und derselben verhältnismäßig jungen zuzuweisen sein. Aus der Zeit, aus der die ersten wohlerhaltenen Reste des Lebens stammen, kennen wir keine einzige fossile Pflanzen- oder Tierform, die nicht auch ın der Gegenwart leben könnte, vielleicht an anderer Stelle, aber jeden- falls auf derselben Erde.“ Trotz aller Armut des Kambriums an Fossilien fordert sein Typenreichtum doch schon, „mit Gaudry?) zu reden, ‚un laps de temps immense‘ zwischen dem Auftreten der ersten Lebewesen und dieser ‚Primordialfauna‘*“. „Mit anderen Worten hat dasselbe schon Ramsay°) 20 Jahre früher von dem, erdgeschichtlich gesprochen, ganz modernen Charakter der ältesten Fauna gesagt: ‚Im Vergleiche mit dem, was vorhergegangen sein muß, sowohl in der Erde als im Leben, kommen mir alle Erscheinungen dieser alten Zeit (der kambrischen) ganz modern vor, und das Klıma des Landes und Meeres muß dasselbe gewesen sein wie heute.‘ So bezeugt denn auch der allgemeine Bau oder, wenn man so sagen kann, der Stil der Lebensformen nichts Anfängliches und verrät kein Tasten oder Irregehen. Ein geistreicher Paläontolog wie Gaudry bekennt, daß er erstaunt gewesen sei über die ‚Eleganz‘ der Geschöpfe des Sılur- zeitalters.“ Hätte man solche Äußerungen, wie namentlich die letzten, ganz wörtlich zu nehmen, so könnte das heißen, gegenüber der durch die Fossilien belegten Geschichte des Lebens müsse seine Vorgeschichte unerdenkbar lang, fast unermeßlich oder gar un- endlich lang gewesen sein. Eine solche Vorstellung mag in der Tat eine Zeitlang befriedigen. Man fragt sich aber doch wieder einmal nach den zahlenmäßigen Zeitschätzungen, von denen Ratzel wenig hielt. Der Biologe geht beim Geologen und Geophysiker zu Rate, beansprucht aber auch die Würdigung der biologischen Argu- mente. Wie wenig klar mitunter die bloße Fragestellung aufgefaßt er- scheint, mag ein Beispiel lehren. Svante Arrhenius, der in seinem „Lehrbuch der kosmischen Physik“, Leipzig 1903, Bd. I, S.288 selber sagt, „man ist allgemein der Ansicht, daß der vor der Silurzeit oder richtiger vor der kambrischen Zeit vergangene Zeit- raum, in welchem organisches Leben auf der Erde existierte, be- deutend viel größer ist als der nachher kommende“, teilt dort unter den Berechnungen des „Alters der Erde“ auch eine mit, die mit der Abkühlungshypothese, der Zusammenziehung der Erde und ihrer Oberflächenschrumpfung seit der Silurzeit (!) arbeitet. Nach ıhr 2) Essai de Pal&ontologie philosophique, 1896, S. 47. Erwähnt nach Ratzel. 3) On the comparative Value of certain Geological Ages considered as items of Geologieal Time. Proceedings R. Society, 1870, S. 334. Erwähnt nach Ratzel. V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. 151 wären seit der Sıilurzeit bereits 2000000000 Jahre vergangen, eine Zahl, die in ıhrer Größenordnung allerdings mit anderwärts ge- fundenen Werten für das Alter der Erde übereinstimmt, aber nicht mit solchen für das Alter der Silurzeit. Ich erwähne diese Berechnung zugleich als ein Beispiel für solche, die wir ablehnen möchten, ohne ihnen ım einzelnen nachzugehen, einfach deshalb, weil ihr Ergebnis aus dem Rahmen der Mehrzahl und der verhältnis- mäßig am zuverlässigsten erscheinenden weit herausfällt. Denn, wie wir sehen werden, nach Milliarden von Jahren kann das Alter der Sılurzeit noch nicht zählen. Ist diese Zahl zu hoch, so sind diejenigen von Th. Arldt#), die alles sagen würden, was wir wissen wollen, wohl teilweise zu klein. Unter der Annahme, daß die untersten Schichten des Gneiß noch bei 100° Temperatur zur Ablagerung kamen, was ihm jedoch selber eher zu hoch gegriffen erscheint, und daß das Diluvium 500000 Jahre, die übrigen Formationen je nach der maximalen Mächtigkeit ihrer Schichten entsprechend lange gedauert haben, verlegt Arldt, S. 544 und 553, den Anfang des Känozoıkums, also des Tertiärs, . um 3600000 Jahre zurück, den des Mesozoikums um 10000 000 Jahre, des Perm um 17,5, Karbon 28,75, Devon 45, Sılur 61,25, des Kambriums 68,75, Präkambriums oder Algonkiums 85, den des Urschiefers um 105 und des Urgneiß um 180 Millionen Jahre. Diese Zahlen mögen etwa bis zum Präkambrium, also soweit die Ge- schichte des Lebens reicht, angängig erscheinen, denn so weit stehen sie, wie wir sehen werden, anderweitig gefundenen nicht gar zu fern; darunter hinab aber scheint Arldt mit seiner Formel, je weiter zurück, um so mehr zu kurz zu rechnen, wie er denn auch folgert;s erst vor 302,5 Millionen Jahren habe ein Urozean von 550 m mittlerer Tiefe bei einer Erdkrustentemperatur von 364,3 ° und hohem Atmosphärendruck bestanden, die Erdkruste selber habe sich vor 397,5 Millionen Jahren bei rund 1000° durch Erstarrung gebildet, und Sonnenoberflächentemperatur, 5000—15000°, habe die Erde noch gehabt vor rund einer halben Milliarde von Jahren: das wäre zu einer Zeit, die nach anderen bereits etwa mitten in die Bildung der archäischen Sedimente fallen könnte. Sehr übersichtlich sind die Zeittafeln bei Arldt, S. 400 und 556, in denen er den Lebens- anfang in untere Schichten des Gneiß verlegt und damit das Ver- hältnis der Vorgeschichte zur Geschichte des Lebens rund wie 1:1 annımmt; offensichtlich will auch dies nicht gut den ungeheuren, obschon nicht in Zahlen ausgedrückten Zeitforderungen Ratzel’s entsprechen. Die Heranbildung einer Orthoceratiden z. B., wie er im Kambrium und wahrscheinlich auch im Algonkıum schon da 4) Th. Arldt: „Die Entwicklung der Kontinente und ihrer Lebewelt“, Leipzig 1907. 152 V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. war, aus dem Unbelebten muß wohl wesentlich längere Zeit gebraucht haben als die Umwandlung seiner Gestalt in die des heutigen Nautilus. Ein zwar Punkt für Punkt schwankendes, aber in den Grund- strichen sich gleichbleibendes Bild von den Zeiträumen und ihren Verhältnissen erhalten wir aus folgenden Zahlenangaben: Nach Edgar Dacque&, „Grundlagen und Methoden der Paläonto- logie“, Jena 1905, S. 278 wird die Länge der Postglazialzeit aus dem Rückschreiten des Niagarafalles von zehn verschiedenen Autoren auf 3500—70000 Jahre berechnet, am wahrscheinlichsten von Spencer auf 39000 Jahre. Den Beginn des Quartärs, also des Diluviums, berechneten, laut gleicher Quelle, S. 273 und 274, meist aus der Mächtigkeit der Schichten und der jetzigen Abtragungs- oder Sedimentbildungs- geschwindigkeit, vier Autoren, Upham (1895), Wallace (1881), Sollas (1900) und Penck (1908) als 100000—500000 Jahre hinter der Jetztzeit zurückliegend. Den Beginn des Tertiärs verlegt Penck (1908) um eine Million, Walcott (1895), Dana (1874) und Upham (1893) um 2,9—3,1 Millionen, Wallace (1881) um 4,2 Millionen und Sollas (1900, 1909) um 4,2—6,38 Millionen Jahre hinter heute zurück. Der ungefähre Mittelwert, 3 Millionen Jahre, was Dana fand, würde übrigens derselbe sein, den Blytt mit seiner kosmisch be- gründeten Zyklentheorie erhielt, nach der jedesmal bei größter Exzentrizität der veränderlichen Erdbahnellipse die größten Strand- verschiebungen und sonstigen tellurischen Veränderungen eintreten und ihre Spuren zurücklassen sollen. Tertiär, Mesozoikum und Paläozoıkum sollen sich, laut Dacque, nach Dana verhalten wie 1:3: 12, nach Walcott wie 2:5:12. oder 1 :2,5 :6; nach Arldt würde sich 1: 2,3 :20 ergeben. Wal- cott berechnete weiterhin ungemein sorgfältig aus Mächtigkeit und jetziger Abtragung der Schichten die ganze postarchäische Zeit, also die, aus welcher allein wir Fossilien haben, als je nach den Voraussetzungen 25—70 Millionen Jahre alt. Die absoluten Zahlen erhöhen sich, aber die Verhältnisse können dieselben bleiben, wenn man Altersbestimmungen von Mineralien nach ihrem Heliumgehalt und ihrer jährlichen Heliumproduktion zugrunde legt. Damit findet man Werte, die zwar, laut Dacque, S. 274, nur Minimalwerte sind, aber als solche ziemlich sicher sein dürften. Königsberger?) meint, daß sie bis jetzt mit einem Fehler bis zu 50%, behaftet seien, was bei den größeren Schwankungen sonstiger erdgeschichtlicher Altersberechnungen nicht viel wäre. 5) Joh. Königsberger: Berechnungen des Erdalters auf physikalischer Grundlage. Geologische Rundschau, Bd. I, 1910. V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. 155 Nach der von Königsberger in Anlehnung an Strutt gegebenen Tabelle wären re posttertiäre Gesteine als bis 1 Million Jahre alt bestimmt worden, ein pliozänes 2 Millionen, ein miozänes 6 Mil- lionen Jahre alt, für ein olizogänes fand Strutt nach Dacque 8,4, für ein eozänes 31, für eins zwischen Oberdevon und Jura nach Königsberger 50, für ein paläozoisches 140 Millionen Jahre. Diese mineralogischen Altersbestimmungen mögen rund Ver- fünffachungen der in den geologischen enthaltenen Zahlenwerte sein; wenn wir daher als wahrscheinlich betrachten, wir hätten auch den Wert Walcott’s für den Beginn des Paläozoikums, somit des Prä- kambriums oder anne zu verfünffachen, so kämen wır auf 125—350 oder, als Mittelwert, rund 240 Millionen Jahre als das Alter der die ältesten Fossilien führenden Schicht. Jetzt steigen wir ın die Zeiträume hinab, von denen die Palä- ontologie Selina, Das Alter rare archäischer Minerallagerstätten wurde von Strutt nach Königsberger auf dem angedeuteten Wege als 200—600 Millionen Tohre en, Königsberger hält davon 200 Millionen Jahre für den wahrscheinlicheren Wert. Da ich nach dem Beginn des Urgneiß frage, wird hierfür der Wert 600 Millionen Jahre nicht zu hoch gegriffen sein. Der Vergleich dieser Zahl mit denen für das Alter des Algon- kıums ergibt schon so viel, daß, wenn das Leben ım Anfang der Urgneißperiode begonnen hätte, seine Vorgeschichte mindestens ebenso lang wie seine Geschichte gewesen sein müßte, wahrscheim- lich einige Male länger. Aber vermutlich haben schon vor dem Urgneiß Bedingungen bestanden, unter denen Leben möglich war, denn allgemein erblickt man heute im sogen. „Urgneiß* der Hauptsache nach stark meta- morphosierte Sedimente, und daß diese der hypothetischen Er- starrungskruste der Erde auflägen, glaubt wohl heute kaum jemand mehr, beweisen kann es niemand. Wir müssen daher suchen, noch tiefer ın die Zeit hinabzu- steigen. Wir fragen uns daher nach Angaben über das Alter der Meere, das doch höher sein muß als das archäischer Gesteine. Nach Arrhenius S. 286—288 und Ratzel S. 120 schätzte Joly aus der Tatsache, daß die Flüsse dem Meer jährlich ein Neunzig- milliontel seines Salzgehaltes zuführen, das Alter der Meere auf wohl nicht mehr als 95 Millionen Jahre; Mellard Reade kam ın ähnlicher Weise auf 166 Millionen Jahre, was Arrhenius wegen unberücksichtigter kolossaler auskristallisierter Salzlager, z. B. bei Staßfurt, vervielfältigen möchte. Als Minimalwert für das Alter der Meere betrachtete, laut Ratzel S. 121—125, Mellard Reade die Zahl von 600 Millionen Jahren, die er fand auf Grund des Kalk- gehalts der Flüsse, des gelösten und des vermutlich jährlich nieder- 154 V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. geschlagenen im Ozean und desjenigen der Erdrinde, deren sämt- licher Kalkstein sich ja ım Meere gebildet haben muß. Nach Arrhenius fand E. Dubois in ähnlicher Weise wenigstens einige 10 Millionen und möglicherweise mehr als 1 Milliarde von Jahren, Archibald Geikie aus der mit 30000 m wohl gering angenommenen Dicke sämtlicher sedimentären Schichten und ihrer mutmaßlichen Bildungsgeschwindigkeit S7—680 Millionen Jahre, Sederholm auf ähnlichem Wege wiederum 1 Milliarde. Diese Angaben erscheinen meist etwas niedrig neben den Alters- bestimmungen der Mineralien, und so dürfen wır wohl ganz gut das „Alter der Meere“ nach Milliarden von Jahren rechnen. Im übrigen ıst dies weniger die Frage, die uns interessiert, sondern gerade davor möchten wır uns hüten, das Alter von Meeren, denen Ströme Sinkstoffe und Salze zuführten wie heute, mit der Existenz- zeit von Organısmen auf unserer Erde zu identifizieren, wie Arrhe- nıus dies tut. Das Leben kann und wird wohl, selbst als ein Eiweißleben, das aus einem anderen allmählich hervorgegangen sein mag, früher da gewesen sein als Meere ın diesem Sinne, und um wieviel früher, dafür gewinnen wir einen sehr unsicheren Anhalts- punkt in dem mutmaßlichen Zeitpunkte der Erstarrung der Erd- kruste, den zuerst Lord Kelvin aus der Abkühlungshypothese berechnete. Lord Kelvin u. a. gewannen für das „Alter der Erde“, also der erstarrten Erdoberfläche, nur 20—680 Millionen Jahre, was schon Ratzel’s Kopfschütteln erregte. Königsberger führt physi- kalische Gründe dafür an, weshalb 30 Millionen Jahre, was G. F. Becker errechnete, viel zu wenig sei. Perry aber, der die Kel- vin’sche Rechnung mit anderen, ihm mehr naturgemäß erscheinen- den Daten wiederholte, kam nach Arrhenius schon auf 9,6 Mil- liıarden von Jahren, und wenn man nicht von einer gleichmäßigen Anfangstemperatur, sondern von einer nach außen abnehmenden, im Erdzentrum 100000° betragenden Temperatur ausgeht, erhält man mit Eckholm sogar 65 Milliarden Jahre. Jede derartige Rechnung ist und bleibt eine große und gefähr- liche Extrapolation, denn wir kennen die in ihrem Ansatz ent- haltene geothermische Tiefenstufe nur für winzigste Bruchteile des Erdhalbmessers, und wer sagt uns denn sicher, daß die zunehmende Erdwärme in ihr wirklich bloß der Rest der ehemaligen Hitze des flüssigen Erdballes ist? Wenn sie zum Teil auf anderen Quellen beruhte, wofür es viele Hypothesen gibt und genügenden Spielraum für ihre Verwendung, dann sind alle Kelvin’schen und ähnlichen Berechnungen zu knapp; ihre Ergebnisse sind also wiederum Minimal- werte. Darum darf ich einen hohen Wert von den verschiedenen angegebenen zur weiteren Betrachtung verwenden, ohne das Ver- hältnis zwischen Geschichte und Vorgeschichte des Lebens über Ge- V. Franz, Die Zeiträume der Phylogenesis. 155 bühr zugunsten der letzteren zu verschieben, und schließe: das Alter der Erdkruste mag sich auf rund 65 Milliarden Jahre belaufen. Ein nach Zehnern von Jahrmilliarden zählender Zeitraum steht also zur Verfügung, in welchem sich irgendwo die Uranfänge des Lebens herausgebildet haben und — wenn das etwas anderes ist — Örganısches aus Anorganischem entstand. Diese Zahl halbiert, würden immer noch Zehner von Jahrmilliarden als ungefähres Alter des Lebens bleiben, eine Zahl, die das Alter der ältesten Fossilien rund um das Hundertfache übertrifft. Übrigens erhält man das- selbe Verhältnis, wenn man in unseren ganzen Betrachtungen niedrige möglich erscheinende Werte annimmt. Der Übersicht- lichkeit halber stelle ich in folgender Tabelle die etwa in Betracht kommenden niedrigeren und die wahrscheinlicheren höheren Werte nebeneinander. Beginn von Niedrig gerechnet Hoch gerechnet Postglazialzet . . | 10 000 70 000 Jahre Dilwium „... | 300 000 500 000 Känozoikum . . . | 3000000 | 15 000 000 Mesozoikum . . 7 500.000 37 500.000 Paläozoikum | 48 000 000 240 000000, Archaikum . | .200.000 000 600 000 000 Meere . 2 2... | 1.000.000.000 5.000 000.000 Bebenyi-l hr. tie 4 800 000 000 30 000 000 000 ,, Brdkruste 2 2, | 9 600 000 000 | 65 000 000 000 Unser Ergebnis ist also: Die Vorgeschichte des Lebens mag rund 100mal so lang gewesen sein als die Geschichte des Lebens, von der die Fossilien reden. Das ist wohl kein übertriebenes Ergebnis, es ist weit entfernt von „unendlichen“ Zeitforderungen und scheint gerade genügend, um es zu erklären, daß das Kambrium und, nach den spärlich über- lieferten Resten, auch wohl das Algonkium schon Algen, Protozoen, Cölenteraten, Würmer, Echinodermen, Mollusken und Crustaceen birgt, scharf getrennt und reich gegliedert fast wie heute. 156 Oskar Hertwig, Das Werden der Organismen. Referäte. Hertwig, ©. Das Werden der Organismen. Eine Widerlegung von Darwin’ Zufallstheorie. 115 Abb., 710 S., gr. 8°, Jena 1916, G. Fischer. Brosch. M. 18.50, geb. M. 20.—. Oskar Hertwig hat schon ın vielen seiner Schriften seine Stellungnahme zum Darwinismus eingehend festgelegt; obwohl er als Student und junger Forscher unter dem anregenden Einfluß und in steter Fühlung mit Häckel stand, war er doch nie dessen Anschauungen blindlings gefolgt, sondern hat sich stets Kritik übend eine selbständige Stellung in den Grundfragen der Darwin’schen Lehre bewahrt. Vor allem waren es die extremen Vertreter der- selben, an ihrer Spitze August Weismann, die ihn immer wieder zum Widerspruch herausforderten, und uneingeschränkte Zustimmung fand OÖ. Hertwig eigentlich nur für den Entwicklungsgedanken an sich, aber nicht für das Darwinistische im engeren Sinn. In der Einleitung teilt er uns mit, daß es schon lange sein Plan war, in einer zusammenhängenden Darstellung seine Stellung zu den Theorien vom Werden der Organismen zu behandeln und damit seine reiche Lebensarbeit zum Abschluß zu bringen. Dieses Werk liegt nun, dem Kriege zum Trotz, als stattlicher Band vor, ja der Verfasser hält die Zeit zur Veröffentlichung geradezu für eine glückliche, da er der Überzeugung ist, daß bei den Umwer- tungen, die der Krieg auch auf wissenschaftlichem (Grebiete nach sich ziehen wird, auch Darwin’s Lehren einer tiefer schürfenden Richtung Platz‘ machen werden. Zu diesem Wandel möchte das Buch sein Teil beitragen und stellt daher in erster Linie ein kri- tisches Werk dar, ın das aber auch ein so reiches Tatsachenmaterial verarbeitet ist, daß der Fernerstehende sich sehr wohl orientieren kann über die Gebiete der Deszendenztheorie, die seit Dar win’s Tagen neu entstanden sind oder gänzlich umgestaltet wurden, wie die morphologischen Grundlagen der Vererbung, die Mendelforschung, die Variationsstatistik, die Mutationstheorie und andere. Auf einige Abschnitte des Buches sei noch etwas näher ein- gegangen. Weitere Kreise wird vor allem das Kapitel interessieren, das die Kritik der Selektionstheorie betrifft; ist sie ja dank ihrer verblüffenden Einfachheit Allgemeingut der Gebildeten geworden und nur zu sehr von vielen für eine feststehende wissenschaftliche Tatsache gehalten worden. ©. Hertwig’s Kritik hat hier so zahl- reiche Vorgänger, wie Nägeli, Driesch, Ed. v. Hartmann, Pauly, daß man im Gegenteil eher von einer Krisis dieser eigent- lich Darwin’schen Lehre sprechen kann, wenn auch immer ihr Urheber die gelegentliche artbildende Wirkung anderer Faktoren, wie Gebrauch und Nichtgebrauch, im Auge behielt. Sie führt aus, Oskar Hertwig, Das Werden der Organismen. 157 wie gerade die Beobachtungen, von denen Darwin seinerzeit aus- ging, die Erfolge der künstlichen Zuchtwahl, durch die moderne Erblichkeitsforschung entkräftigt werden, die gelehrt hat, daß der Züchter bei der Auswahl der vielen ım Gefolge der Bastardierung auftretenden neuen Kombinationen keine akkumulative Tätigkeit im Sinne Darwın's ausüben kann, daß Mutationen unabhängig von Selektion aus inneren Gründen entstehen, daß der Züchter, der eine Zeitlang extreme Varianten auswählt, nur reine Linien aus einer Population isoliert und daß diesen gegenüber die Selektion machtlos wird. Es folgen eine ganze Reihe weiterer Einwände gegen die Übertragung der Hypothese der künstlichen Zuchtwahl auf die freie Natur, die zumeist schon von anderen Kritikern ins Feld geführt wurden, aber hier, übersichtlich geordnet, durch die /ahl und das Gewicht erdrückend wirken. Der fehlende Selektions- wert kleinster, wenn auch nützlicher Varianten, die vielen syste- matischen Uharaktere, die sich überhaupt nicht unter dem Gesichts- punkt der Nützlichkeit oder Schädlichkeit betrachten lassen, die ungeheuren Schwierigkeiten, ein kompliziertes Organ, wie das Wirbel- tierauge, als ein Produkt des Zufalls anzusehen, der dann in so völlig "konvergenter Weise bei den Cephalopoden gespielt hätte, die Existenz fundamentaler Gesetzmäßigkeiten ın der Organisation der Lebewesen, wie der Zellteilung, der bilateralen Symmetrie, der Metamerie, die sich nimmer durch Auswahl zufälliger Organisations- vorteile erklären lassen, sondern im Wesen der lebendigen Substanz begründet sein müssen, sind die wichtigsten unter ihnen. Weiterhin wendet sich O. Hertwig überhaupt gegen die tief- eingewurzelte Vorstellung vom monophyletischen Aufbau des Stamm- baumes. Tatsächlich ist "das Individuum das Produkt einer ganzen Anzahl von Vorfahren und sein Stammbaum stellt sich in Form eines genealogischen Netzwerkes dar. Eine Neuerwerbung, die von einem oder einigen wenigen Individuen gemacht wird, kann sich infolgedessen — geschlechtliche Fortpflanzung vorausgesetzt -— nicht ın allen Abkömmlingen erhalten, sondern wird allmählich wieder untergehen müssen. Nur Änderungen in den erblichen Grundlagen einer Art, die sehr viele Individuen gleichzeitig treffen, können sich erhalten, und eine polyphyletische Deszendenz gewinnt sehr an W ahrscheinlichkeit, Überlegungen, denen 0. Hertwig vor kurzem auch eine selbständige Darstellung gewidmet hat. So ziemlich alles, was Weismann den Darwin’ schen Hypo- thesen zugefügt hat, wird in dem Werk verworfen, nicht nur der extreme Ausbau der „allmächtigen“ Selektion, besonders auch der Gedanke einer Germinalselektion, sondern auch die Weismann’sche Determinantenlehre überhaupt. Daß im Keimplasma eines Eies auf einzelne kleinste Stoffteile oder Determinanten, etwa in Form der Chromiolen des Kernes, gesondert die Eigenschaften des künftigen Organısmus bereits wohlgeordnet vorhanden sein sollen, erscheint O. Hertwig zu präformistisch gedacht. Er ist vielmehr der An- sicht, daß sich die Eizelle von vornherein nur durch erbgleiche Teilungen in eine Reihe Zellen von gleichem Charakter zu ver- 158 Oskar Hertwig, Das Werden der Organismen. mehren vermag und setzt die verschiedenen Eigenschaften des fertigen Tieres erst auf Kosten dieser „Potenzierung der Anlage“. Die hierbei notwendig sich eiustellende gegenseitige Beeinflussung der Zellen ergibt eine „Quelle stetig und gesetzmäßig wachsender Mannigfaltigkeit“, dıe zur Differenzierung der Gewebe und Organe führt. Die Einzelheiten dieses mit fortschreitender Entwicklung sich immer mehr komplizierenden Kausalverhältnisses, korrelative Beziehungen, Wachstumsreize und ähnliches, sind uns aber zum allergrößten Teil noch unbekannt. Sie zu erforschen, ist eine wesentliche Aufgabe der modernen Entwicklungsgeschichte. Natür- lich muß auch O.Hertwig zugeben, daß die sich jeweils von Fall zu Fall verschieden gestaltenden gegenseitigen Beziehungen im Idio- plasma der Art bereits festgelegt sind. Um ein gutes Stück Prä- formation kommt man hier eben doch nicht herum. Auch hat die Determinantenlehre Weismann’s in den Chromosomenforschungen und deren Beziehungen zu den Mendelregeln eine nicht zu unter- schätzende Stütze gefunden; auf die Präformation der Organe im Plasma etwa eines Cynthia-Eies, in das doch tatsächlich eine spätere Konstellation der Zellen mit aller Deutlichkeit schon hineinprojiziert ist, geht der Verfasser nicht ein. In einem interessanten Kapitel behandelt OÖ. Hertwig auch ausführlich seine Auffassung vom biogenetischen Grundgesetz. Er verschließt sich bekanntlich seiner Bedeutung nicht, vertritt aber seine teilweise Umwertung, wie er sie schon früher wiederholt dar- gelegt hat, so daß wir uns hier mit diesem Hinweis begnügen können. — Man hat O. Hertwig wiederholt einen Vertreter des Vitalısmus genannt (Verworn), er weist dies ım vorliegenden Werk ausdrücklich zurück und umschreibt seine Stellung mit den folgenden Worten: „Zwischen der vitalistischen und der mecha- nistischen Richtung in der Lebensforschung besteht noch eine dritte Richtung, welcher ich mich anschließe und welche ich als die biologische bezeichnen will. Indem diese die Unterschiede zwischen der unbelebten und der belebten Körperwelt, wenn sie auch nur graduelle sind, nicht übersieht, betont sie die Eigenart bio- logischer Aufgaben und betrachtet die Morphologie und Phy- siologie der Lebewesen als selbständige, der Chemie und Physik koordinierte Grundwissenschaften.“ OÖ. Hertwig’s Werk bedeutet, wie er selbst sagt, den Ab- schluß seiner Lebensarbeit; für dıe Lehre vom Werden der Orga- nismen stellt es eher eine Programmschrift dar, die sicher bei der künftigen Erforschung des Problems ıhren Einfluß ausüben wird. Auch Weismann’s Vorträge, die mit dem Hertwig’schen Buch auf jeder Seite im Widerspruch stehen, nennen sich in der Vor- rede das Resultat eines Forscherlebens. Beide Werke aber stellen Etappen des Fortschrittes dar, aus beiden wird die Zukunft das Dauernde auszuwählen haben, denn immer mehr wird klar, daß die Frage der Entstehung der Arten sich nicht durch eine Zauber- formel lösen läßt, sondern auch von Fall zu Fall verschiedene Fak- toren heranziehen muß. ©. Hertwig’s Buch aber, das so ge- Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang. 159 schrieben ıst, daß es auch dem gebildeten Laien zugänglich ist, wird jeder lesen müssen, der sich für allgemeine Biologie ernstlich interessiert, der Forscher wird die darin enthaltenen Hypothesen an seinen Befunden messen müssen, und die Geschichte der Ab- stammungslehre wird das Werk zu ıhren wertvollsten zählen. P. Buchner, Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang. Dem Andenken des Freundes und Lehrers gewidmet. Mit einem Titelbild und 11 Tafeln, 285 S. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. /u den vielen schmerzlichen Verlusten, welche die deutsche Zoologie ım Lauf der letzten Jahre durch das allzufrühe Hin- scheiden hervorragender Forscher erlitten hat, gehört auch der Tod Arnold Lang’s, Professor für Zoologie und vergl. Anatomie an der Universität Zürich, eines Mannes, "dem an vielseitiger, mit be- wundernswerter Gründlichkeit gepaarter wissenschaftlicher Forschung nur wenige sich ebenbürtig zur Seite stellen können. Hervor- gegangen aus der Schule Ernst Haeckel's, dem er dauernd tiefe Verehr ung und Dankbarkeit bewahrt hat, hat er sich eifrig an phylo- genetischer Forschung beteiligt. In seinem Lehrbuch der vergleichen- den Anatomie der wirbellosen Tiere hat er, gestützt auf vielfältige eigene Untersuchungen, ın mustergültiger "Weise das umfassende Gebiet selbständig und eigenartig geistig durchgearbeitet und damit ein grundlegendes Werk geschaffen. Im letzten Jahrzehnt seines lebens hat er sich ganz der experimentellen Erblichkeitsforschung gewidmet, teils durch eigene Experimente unser Wissen bereichernd, teils das in kurzer Zeit riesig angewachsene Forschungsmaterial in seinem Sammelwerk: Die experimentelle Vererbungslehre in der Zoologie seit 190) kritisch sichtend. Unter diesen Umständen wird das Erscheinen des oben genannten Werkes vielen Verehrern, Freunden und Schülern des Verstorbenen eine höchst willkommene Gabe sein. Wir verdanken dieselbe drei Männern, die Lang in seinem Leben besonders nahegestanden sind, seinem Lehrer Ernst Haeckel, seinem Freunde Hugo Eisig und seinem Schüler Karl Herscheler. Der erstere entwirft ein anschauliches Bild von dem wissenschaftlichen Entwicklungsgang, den Lang während seines langjährigen Aufenthalts in Jena, zunächst als Student, später als Ritter-Professor, genommen hat, sowie von den innigen Beziehungen, in denen er dauernd zu seinem Lehrer und zur Universität Jena geblieben ıst. Eisig behandelt die Zeit, welche Lang als Forscher und später als Assıstent an der zoologischen Station in Neapel verbracht hat. Es war die Zeit, in welcher sich die Station zu ihrer glänzenden Blüte entfaltete. Die Eisig’sche Darstellung er- weitert sich daher zu einem interessanten Bild von dem Leben und Treiben, welches sich damals an dieser hervorragenden Stätte wissen- schaftlicher Forschung entwickelte. Herscheler gibt eine Dar- stellung von Lang’s Jugendzeit und seinem späteren Wirken an der Universität dh. eis: er Abschnitt hat ein ganz besonderes Interesse. Während Lang’s Tätigkeit als Forscher und Lehrer 160 Neuerschienene Bücher. in den Kreisen seiner Fachgenossen genügend bekannt und aner- kannt ist, lernt der Leser ihn hier von einer ganz neuen Seite kennen; er gewinnt Bewunderung für die rastlose und von reichem Erfolg 'gekrönte Tätigkeit, welche Lang zur Förderung des Uni- versiti äts- und Schulunterrichts entfaltet hat, letzteres namentlich in seiner Eigenschaft als mehrjähriger Vizepräsident und Präsident der Schulsynode des Kantons urch. Besonders eingehend werden mit Recht die ganz außerordentlichen Verdienste gewürdigt, welche sich Lang um die Universität und die technische Hochschule Zürich durch die Energie erworben hat, mit welcher er eine völlige Re- organisation des Verhältnisses der kantonalen Universität zur eid- genössischen Schwesteranstalt durchsetzte. Dieselbe fand ihren Ausdruck in dem großartigen Erweiterungsbau der wissenschaft- lichen Anstalten, dessen Planung und energische Durchführung ihm den unauslöschlichen Dank aller am Gedeihen der Wissenschaft beteiligten Kreise eingetragen und für alle Zeiten gesichert hat. Und so gewinnen wir aus dem vorliegenden Buch das Bild eines Mannes, welcher nicht nur in seinem engeren Beruf, sondern auf den verschiedensten Gebieten menschlichen Wirkens eine reiche und er folgreiche Tätigkeit entfaltelt hat. R. Hertwig. Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sind. (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Stempell. Walter und Koch, Albert. Elemente der Tierphysiologie. 8°, 577 8. mit 360 Abbildungen. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Preis geh. M. 16.—. Legahn, A. Physiologische Chemie I. Assımilation. 2. neubearbeitete Auflage, kl. 8°, 123 S. mit 2 Tafeln. Sammlung Göschen. Berlin u. Leipzig 1916, Göschen’s Verlagshandlung. Preis M. 1.—. Haberlandt, Ludwig. Über Stoffwechsel und Ermüdbarkeit der peripheren Nerven. Vortrag. 8°, 22 8. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Löhner, Leopold. Die Exkretionsvorgänge im Lichte vergleichend- physiologischer Forschung. Vortrag. S°, 26 S. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. Asher. L. Praktische Übungen in der Physiologie, eine Anleitung für Studierende. 8°, 200 S. mit 21 Textfiguren. Berlin 1916, Verlag von Julius Springer. Preis geh. M. 6.—. Künkel. Karl. Zur Biologie der Lungenschnecken. Ergebnisse viel- jähriger Züchtungen und Experimente. S°. Mit 48 Textfiguren u. 1 Tafel. Veröffentlicht mit Unterstützung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Heidelberg 1916, Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung. Preis M. 16.—. Voigt. Max. Das Winterplankton unserer Binnengewässer. Eine Anleitung zum Fange und zum Studium des Winterplanktons. 8°. Mit 75 Abbildungen. Leipzig 1916, Verlag von Ph. H. Fischer u. Co. Preis M. —.50. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 37. Band | ö April 1917 Nr. 4 ausgegeben am 30. April Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen Inhalt: Th. J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. 8. 161. E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. S. 177. J. Schaxel. Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. S. 188. G. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden zu denen des Süß- wassers und des Landes. S. 196. Referate: E. Wasmann, Die Neuausgabe des „Tierbuches“ Albert des Großen. 8. 210. — Brehm’s Tierbilder. S. 215. — Dahl, Fr., Die Asseln oder lsopoden Deutschlands. S. 216, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. Von Theo J. Stomps, Amsterdam. $ 1. Einleitung. Es ist gegenwärtig Gemeingut unseres Wissens geworden, daß man sich die einzelnen erblichen Eigenschaften der Organismen an bestimmte stoffliche Teilchen ın deren Protoplasten, Pangene genannt, gebunden denken muß. Eine einzige sichtbare Eigenschaft kann von einem einzigen solchen Teilchen getragen werden, aber auch mehrere Eigenschaften können durch die Anwesenheit eines einzigen Pangens hervorgerufen werden, und schließlich ist es auch möglich, daß, manchmal in sehr verwickelter Weise, mehrere Pan- gene zusammen das Auftreten einer einzigen sichtbaren Eigenschaft bedingen. Es ıst das große Verdienst von de Vries, daß er, zu- erst durch seine „Intracellulare Pangenesis“ (1889), dann durch „Die Mutationstheorie“ (1901-1903) diesen Satz, „daß die Eigen- schaften der Organismen aus scharf voneinander unterschiedenen 37. Band 11 162 J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. Einheiten aufgebaut sind“), zur allgemeinen Anerkennung geführt hat. Die Ausarbeitung, durch zahlreiche Forscher, der Mendel- schen Bastardlehre in den letzten Jahren hat dann namentlich manches ans Licht gebracht über die Art und Weise, wie man sich vorstellen soll, daß verschiedene Eigenschaften von einzelnen Pangenen oder von Pangenkombinationen, zum Vorschein gerufen werden. Weniger allgemein bekannt ist es, daß die stofflichen Träger der erblichen Eigenschaften, die Pangene, in sehr verschiedenen Zuständen vorkommen können. Es ıst hierüber, daß ıch in diesem Aufsatz einiges mitteilen möchte, und zwar beabsichtige ich im be- sonderen, auf einen neuen, bis jetzt übersehenen Zustand die Auf- merksamkeit zu lenken. Schon ın seiner „Intracellulare Pangenesis“ weist de Vries darauf hin, daß man neben dem aktiven oder normalen einen ınaktiven Zustand der Pangene unterscheiden muß. Wenn aus dem rotblütigen Ribes sangwineum plötzlich ein weißblühendes Indi- viduum entsteht, so muß man nach de Vries annehmen, daß die Eigenschaft für rote Blütenfarbe in dieser sogen. retrogressiven Mutation plötzlich inaktıv oder latent geworden ıst. Zwar nimmt die von einigen Forschern gewürdigte Presence- und Absence-Theorie an, daß die Eigenschaft für rote Blütenfarbe hier gänzlich verloren geht. Aber diese Auffassung ist nicht haltbar, wie man in den letzten Jahren immer mehr eingesehen hat und wie z. B. sofort die weiße Jtibes-Pflanze lehrt. Diese erzeugt nämlich hier und da wieder Zweige mit roten Blüten. Man kann sich nun sehr leicht vorstellen, daß eine latent anwesende Eigenschaft gelegentlich aktiv wird, aber kaum, daß bei vegetativen Zellteilungen eine gar nicht mehr vorhandene Eigenschaft wieder zum Vorschein gerufen werden könnte. Latente Eigenschaften sind nach de Vries ım Pflanzen- reiche weit verbreitet. In Zamium album darf man z. B. die An- wesenheit eines inaktiven Pangens für rote Blütenfarbe voraussetzen, denn die nächsten Verwandten von Lamium album blühen rot, und ein Individuum dieser Art mit rosa Blüten, wıe ıch es einmal gefunden habe, muß zweifellos nicht als progressive, sondern als degressive Mutation aufgefaßt werden, in der somit die Eigenschaft von latent wieder aktıv wurde. Kreuzt man Arten mit ihren retro- gressiven oder degressiven Mutationen (Varietäten), m. a. W. Typen, die sich nur in Varietätsmerkmalen voneinander unterscheiden, so erhält man in der zweiten Generation des Bastards die bekannte Mendel-Spaltung. Auch bei Kreuzungen zwischen guten Arten, die sich nicht nur in Varietätsmerkmalen, sondern auch in Art- merkmalen voneinander unterscheiden (etwa Melandryum album und 1) Siehe die Einleitung der Mutationstheorie. J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. 163 rubrum), wird man in der zweiten Generation für die ersteren eine Mendel-Spaltung feststellen können, so weit wenigstens nicht der Artbastardeharakter eine zu große Sterilität mit sich bringt, um eine größere Anzahl von Nachkommen zu züchten. Die Zahlenver- hältnisse, nach denen die Spaltung stattfindet, sind von den Lebens- umständen der betreffenden Pflanzen unabhängig. In der Mutationstheorie weist de Vries dann zu wiederholten Malen auf zwei weitere Lagen der Pangene hin, nämlich die semi- latente und die semiaktive. Diese werden bei den sogen. Zwischenrassen, welche bekanntlich in Halbrassen und Mittelrassen unterschieden werden können, angetroffen. Eine Halbrasse nennt man eine Rasse, aus deren Samen regelmäßig zu einem geringen Teile Individuen hervorgehen, die in geringerer oder bedeutender Ausbildung irgendeine Anomalie zur Schau tragen. Selektion ist imstande, aber nicht sehr wesentlich, den Charakter der Rasse in die Richtung der Anomalie zu verschieben. Eine Kultur einer Mittelrasse besteht unter Durchschnittsumständen etwa zur Hälfte aus normalen und zur anderen Hälfte aus abweichenden Exem- plaren. Durch Selektion „sieht man die Anomalie, sowohl im Grade der Entwickelung, als auch ın der Anzahl der Individuen rasch und stark zunehmen“. Auch gute Ernährung begünstigt sie. Nach de Vries muß man sich vorstellen, daß in der Halbrasse ein die Anomalıe verursachendes Pangen ın einem solchen Zustande an- wesend ist, daß die abnormale Eigenschaft sich nur in wenigen Exemplaren und Organen äußern kann und er nennt diese Lage die semilatente. In der Mittelrasse wäre die Eigenschaft in höherem Grade aktıv und deshalb spricht de Vries hier von einem semi- aktiven Zustande. Um von einer normalen zu einer Halbrasse, dann zu einer Mittelrasse und zuletzt zu einer, die Anomalie kon- stant zeigenden Rasse zu kommen, ist jedesmal eine Mutation er- forderlich. Kreuzungen von Halb- und Mittelrassen scheinen sich den Mendel’schen Gesetzen zu fügen, doch ist hierüber noch wenig bekannt. Vorläufig ın der Mutationstheorie?), namentlich aber in seinem Werke „Gruppenweise Artbildung“ hat de Vries schließlich die Existenz eines Zustandes der Pangene verteidigt, den er als die labile Gleichgewichtslage bezeichnet. Äußerlich unterscheidet der labile Zustand sich in der Regel nicht vom aktiven. Geringe Ein- flüsse vermögen ihn in den aktiven oder inaktiven überzuführen und rufen in dieser Weise eine Mutation hervor. Letztere bleibt uns verborgen beim Übertritt vom labilen Zustande in den aktiven, wird aber sichtbar beim Übergang in die inaktive Lage. Die An- wesenheit einer größeren Anzahl von labilen Pangenen bedingt 2) Die Mutationstheorie, Bd. I, 1901, S. 423. 11* 164 J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. einen hohen Grad von Mutabilität, so z. B. bei der Oenothera La- marckiana. Das Mittel, labile Pangene aufzufinden, bilden die Kreu- zungen. „Haben beide Eltern für dieselbe Eigenschaft labile Pan- gene, so bilden sie in bezug auf diese eine konstante Rasse°).“ Ebensowenig tritt Spaltung ein, „wenn aktive Pangene mit Anta- gonisten im labilen Zustande zusammentreffen, beide Eltern somit äußerlich gleich, aber innerlich verschieden sind*)“. Beim Zu- sammentreffen von labilen Pangenen mit antagonistischen im inak- tiven Zustande aber erhält man, und zwar bereits ın der ersten Generation des Bastards, eine Spaltung ın zwei Typen, welche den beiden Eltern ähnlich sind, falls keine weitere Unterschiede zwischen diesen existieren. Kreuzt man z. B. Oenothera Lamarckiana mit der Mutation nanella, ın der das sogen. Statur-Pangen von Jabil inaktiv wurde, so wird man in der ersten Generation wieder ZLa- marckiana- und Nanella-Pflanzen zum Vorschein treten sehen. Das Verhältnis zwischen den Anzahlen der Individuen beider Typen ist nicht konstant, sondern, und dies ıst besonders wichtig, in hohem Grade von den äußeren Umständen abhängig, unter denen die Eltern lebten. | Zweck der vorliegenden Mitteilung ıst es nun, darzutun, daß man neben den bis jetzt besprochenen Zuständen noch wenigstens einen weiteren Zustand der Pangene unterscheiden muß. Ich be- zeichne ihn als den perlabilen. Er ist am besten dem labilen vergleichbar. Aber, während das Zusammentreffen von antago- nistischen inaktiven und labilen Pangenen zum Auftreten von zwei Typen von Individuen Anlaß gibt, führt das Verschmelzen von Keimzellen mit antagonistischen inaktiven und perlabilen Pangenen nur zu gleichartigen Pflanzen, welche indessen ungefähr in. der- selben Weise aus zwei Typen von Zellen aufgebaut sind, wie eine Kultur von 0. Lamarckiana X 0. nanella aus zwei Typen von Pflanzen. Ich bin zu diesem Schluß gelangt durch das Studium eines albomarginaten Individuums von Oenothera biennis. Es sei mir deshalb jetzt gestattet, meine Beobachtungen an dieser Pflanze zu beschreiben. $ 2. Beobachtungen über das albomarginata-Bunt von Oenothera biennis. Vor einigen Jahren erhielt ich in einer Kultur einer reinen Linie von Oenothera biennis plötzlich ein schönes albomarginates Individuum. Ich entschloß mich sofort, das hier unter meinen Augen durch Mutation entstandene Bunt näher zu studieren. Uber 3) Gruppenweise Artbildung, 1913, S. 112. 4) Ibidem, S. 283. J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene, 165 das albomarginata-Bunt ist ja nur noch verhältnismäßig wenig be- kannt. De Vries läßt es in seiner Mutationstheorie fast gänzlich außer Betracht und erwähnt bloß kurz, daß es bei /lex beobachtet wurde. Einige ältere Mitteilungen von Morren?°), Reutter°’) und dem Grafen von Schwerin’) berichten über Aussaatversuche mit Samen weißrandiger Rassen resp. von Ilex aquwifolium, Quercus peduneulata und Acer Negundo, die als Ergebnis hatten, daß immer nur rein weiße und somit nicht lebensfähige Keimpflanzen in die Erscheinung traten. Dann haben wir aus den späteren Jahren noch die wichtige, wenigstens einen Fall gründlich behandelnde Arbeit Baur’s®) über das Randbunt von Pelargonium zonale, welche indessen auch noch manche Frage offen läßt. Damit dürfte so ungefähr alles genannt sein, was in dieser Beziehung von Wichtig- keit ist. Es leuchtet ein, daß ich somit die Gelegenheit nicht vor- übergehen lassen konnte, einen neuen und dazu noch durch Mu- tation entstandenen Fall besser kennen zu lernen. Ich darf vielleicht schon jetzt feststellen, daß meine Erfahrungen sich in allen wesent- lichen Punkten mit denen Baur’s über Pelargonium xonale decken. Die Arbeiten ergänzen sich gegenseitig, wie aus dem folgenden hervorgehen wird. Namentlich aber glaube ich imstande zu sein, die zutreffende Erklärung zu geben für die eigentümliche vegetative Aufspaltung in weiße und grüne Zellenkomplexe in Pflanzen, die aus der Vereinigung von „grünen“ und „weißen“ Keimzellen her- vorgingen. Die Annahme eines neuen, bis jetzt verkannten Zu- standes der Pangene ist dazu unumgänglich, wie wir im letzten Paragraphen sehen werden. Zunächst beschreibe ich meine weißrandige Pflanze. Sie trat also auf in einer Aussaat einer reinen Biennis-Rasse. Sämtliche Blätter waren anfangs weißrandig. Infolgedessen sah die Pflanze ein wenig krüppelhaft aus. „Die mangelhafte Ernährung macht die bunten Blätter häufig kleiner als die grünen. Fehlt der Farbstoff namentlich in den Randpartien, so werden diese zu klein für die mittleren Teile der Spreite, und es wölbt sich das Ganze’).* Selbst- verständlich bedingte die ungenügende Kohlensäureassimilation auch ein weniger kräftiges Wachstum der ganzen Pflanze. Sie lief da- durch Gefahr, von den benachbarten Biennis-Individuen überwachsen und ın dieser Weise in noch ungünstigere Bedingungen gebracht zu werden. Ich habe sie deshalb mit der größten Vorsicht ver- 5) Morren, Heredit€ de la Panachure, Bull. Acad. Roy. de Belg., 2e ser., 18, 1865, S.224. Reutter, Monatschrift Beförd. Gartenbaues, 1878, S.184. Graf von Schwerin, Mitt. d. d. dendrol. Ges., 1896, S. 93. Zit. nach: 6) E. Baur, Das Wesen und die Erblichkeitsverhältnisse der ‚Varietates albomarginatae hort“ von Pelargonium zonale. Ztschr. f. ind. Abst.- u. Vererbgsl., Bd. 1, 1908/09. ‘) Die Mutationstheorie, Bd. 1, 1901, S. 604. 166 J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. pflanzt und ihr auf einem freien Beete ın der vollen Sonne die Gelegenheit geboten, sich so gut wie möglich zu entwickeln. Sie wuchs dadurch zu einer ziemlich kräftigen normal blühenden Pflanze heran, welche reichlich Samen getragen hat. Dabei erzeugte sie noch, und zwar etwa ın mittlerer Höhe, einen durchaus grünen, normal aussehenden Seitenzweig, welcher sich dauernd grün erhielt. Wır sehen somit, daß unsere Pflanze sich nicht anders aufführte als die Pelargonium-Pflanzen Baur’s: ebenso wie diese steckte sie ganz in einer farblosen Haut, nämlich der durch farblose Uhromatophoren scharf kennbaren äußersten Zellschicht oder den äußersten Zell- schichten des Periblems oder der Rinde, und ebenso wie diese war sie imstande, grüne Rückschläge zu erzeugen. Ich komme jetzt zu den Bestäubungsversuchen und zwar kann ich über die Resultate der Selbstbestäubung von den weißrandigen und grünen Zweigen, sowie der Kreuzung von weißrand X grün berichten. Die Kreuzung grün X weıßkrand habe ich zu meinem Bedauern nicht gemacht. In Baur’s Versuchen ergaben die rezi- proken Kreuzungen weißrand X grün und grün X weißrand ja die nämlichen Resultate. Aber wegen der inzwischen von de Vries nachgewiesenen Heterogamie der Oenothera biennis*®) hätte vielleicht in meinem Falle die reziproke Kreuzung ein anderes Resultat er- geben. Die Samen säte ich Anfang März des vorigen Jahres, und zwar am selben Tage. Ungeachtet dessen, daß sie schon mehrere Jahre alt waren, keimten sie ın reichlicher Menge, zuerst diejenigen, welche ich vom geselbsteten grünen Zweige gewonnen hatte, dann die durch Selbstbestäubung der weißrandigen Zweige erhaltenen. Der Bastardtypus verhielt sich in dieser Beziehung intermediär. Wir wollen ıhn vorläufig außer Betracht lassen. Die Keimpflanzen, welche aus den durch Selbstbefruchtung innerhalb der weißrandigen Äste gewonnenen Samen hervorgingen, waren sämtliche rein weiß. Infolgedessen konnten sie nur kurze Zeit am Leben bleiben. Nie kam auch nur eine einzige Keimpflanze dazu, das erste Laubblatt nach den Cotylen zu entfalten. Hunderte von diesen Keimpflanzen habe ich kommen und sterben sehen, Wochen, Monate nach der Aussaat, keimten noch immer weitere Samen, und nur rein weiße Keimlinge traten in die Erscheinung. Man vergleiche hierzu die oberen Hälften der Textfiguren 1 und 2, welche nach Photographien derselben Keimschüssel, die ich resp. Anfang April und Anfang Mai aufgenommen habe, hergestellt worden sind. Die unteren Hälften beziehen sich auf eine jedesmal zu gleicher Zeit photographierte Keimschüssel, mit aus der Bestäu- bung grün X grün hervorgegangenen Pflanzen. Alle Keimlinge, 8) Gruppenweise Artbildung, 1913, S. 61 u. f. J. Stomps, Uber die verschiedenen Zustände der Pangene. 167 welche ich aus den Samen des geselbsteten grünen Zweiges erhielt, gleichfalls Hunderte, waren rein grün. Sie wuchsen schnell heran und mußten bald pikiert werden. So führt uns die Textfigur 1 Oenothera biennis albomarginata. Fig. 1. Keimschüssel mit aus durch Selbstbefruchtung innerhalb der weißrandigen Äste (obere Hälfte) und des grünen Seitensprosses (untere Hälfte) gewonnenen Samen aufgegangenen Keimpflanzen. Phot. am 7. April. 168 J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. untere Hälfte eine Keimschüssel mit pikierten, einen Monat alten Pflänzchen vor. Ich kultivierte sie bis spät in den Sommer und stellte fest, daß sie dauernd grün blieben, wie schon die Textfigur 2 Fig. 2. Wie vor., phot. am 1. Mai. untere Hälfte wahrscheinlich vorkommen läßt. Man sieht: die hier mitgeteilten Resultate stimmen genau mit den von Baur erreichten übereir, aber doch wage ich zu behaupten, daß sie eine Ergänzung J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. 169 der Beobachtungen Baur’s bilden und zwar wegen der großen Zahl der von mir studierten Keimpflanzen. Um dies deutlich zu machen, muß ich gleich der Frage näher treten, wie unsere durch Mutation entstandene weißrandige Dbiennis- Pflanze genau aufgefaßt werden muß. Offenbar gibt es hier drei Möglichkeiten. Erstens könnte sie eine konstante weißrandige Mu- tation darstellen. Zweitens wäre die Möglichkeit zu erwägen, daß die Pflanze ein erster Repräsentant einer bunten Zwischenrasse wäre, und endlich die, daß die Mutation, welche sicher stattge- funden hat, sich nicht auf die ganze Pflanze, sondern nur auf einen Teil derselben bezog, m. a. W. daß die weiße Schicht durch eine vegetative Mutation hervorgerufen wurde. Sollte die zuerst genannte Voraussetzung zutrelfen, so müßten aus den Samen der weißrandigen Zweige nur wieder Individuen ınit weißberandeten Blättern hervorgehen. Wir haben gesehen, daß dies nicht geschieht, und somit kann unsere Pflanze unmöglich die erbliche Eigenschaft mitbekommen haben, weißrandig zu sein. Eine geringe Anzahl von Keimlingen würde genügen, um über diesen Punkt Klarheit zu verschaffen. Dies gilt nun nicht für die Entscheidung zwischen den beiden zuletzt genannten Möglichkeiten. Falls unsere Pflanze einer bunten Zwischenrasse angehören würde, dürfte man erwarten, aus den Samen zum Teil grüne, zum Teil bunte Keimlinge hervorgehen zu sehen. Letztere könnten unter Umständen sogar sehr bunt oder weiß ausfallen. Bekanntlich haben ja mehr oder weniger vorteilhafte Lebensbedingungen in der Regel einen sehr großen Einfluß auf die Kultur einer Zwischenrasse und vermögen, namentlich bei den Mittelrassen, günstige Umstände die Anomalie in hohem Grade zu fördern. Es ist deshalb nicht als gänzlich ausgeschlossen zu betrachten, daß ın einer kleinen Aussaat, unter geeigneten Kulturbedingungen, sogar sämtliche Keimlinge weiß werden würden. Will man somit zwischen der Möglichkeit, daß das Weißrandbunt als Zwischenrassenmerkmal aufgefaßt werden muß, und der, daß das weiße Gewebe durch eine vegetative Mu- tatıon entstand, entscheiden, so ist das Studium einer größtmög- lichen Nachkommenschaft der weißrandigen Zweige erforderlich. Meine zahlreichen weißen Keimlinge erlauben mir, einen Schluß mit Bestimmtheit zu ziehen und zu behaupten, daß meine O. biennis albomarginata auf keinen Fall als erster Repräsentant einer bunten Zwischenrasse betrachtet werden darf. Die weiße Schicht ist sicher infolge einer vegetativen Mutation hervorgerufen worden und des- halb geben die aus ihr hervorgehenden Keimzellen nur Anlaß zu der Entstehung einer gänzlich weißen Nachkommenschaft. Die 42 weißen Keimlinge, die Baur aus Samen isolierter weißrandiger Zweige seiner Pelargonium-Pflanzen erhalten hat°?), beweisen für DebsBaur, !. c, 8.088 170 J. Stomps, Uber die verschiedenen Zustände der Pangene. sehr kritische Forscher vielleicht nicht ganz so gut, daß das Pelar- yontum xonatum albomarginatum gleichfalls keine Zwischenrasse dar- stellt und auch hier das weiße Gewebe durch eine vegetative Mutation entstand. Aus der Tatsache, daß man mit Bestimmtheit sagen kann, daß die weiße Schicht unter der Epidermis unserer weißrandligen Diennis-Pflanze durch eine vegetative Mutation herbeigeführt wurde, ergibt sich ein wichtiger Schluß. Dadurch doch wird es ganz selbst- verständlich, daß alles weiße Gewebe genetisch zusammenhängt und von einer einzigen Zelle des Vegetationspunktes der jungen Pflanze abgeleitet werden kann. Somit erfahren wir etwas über das Wachs- tum der Sprosse. Eine einzige Zelle des Vegetationspunktes zeigt sich imstande, zu der Entstehung der ganzen äußeren Schicht der Rinde Anlaß zu geben. Diese Erkenntnis nötigt zu einer kurzen Betrachtung unserer jetzigen Anschauungen über das Sproßwachstum. Allgemein nimmt man an, daß dieses Wachstum sich bei den Phanerogamen nicht mittels Scheitelzellen vollzieht, wie man diese bei den Kryptogamen kennt. Doch haben verschiedene Forscher mitgeteilt, auch bei den Phanerogamen Scheitelzellen beobachtet zu haben. So fand Dingler'®) sie bei vielen Gymnospermen und namentlich der französische For- scher Douliot!!) bei sehr zahlreichen Angiospermen der verschie- densten Gruppen. Die Ausführungen Doulıiot’s sind von außerordentlichem Inter- esse. Er behauptet nicht, daß eine angiosperme Pflanze eine einzige Scheitelzelle besitzt, wie der Kryptogamenstengel, sondern daß zwei oder drei Scheitelzellen vorhanden sind, je nach der Gruppe, zu der sie gehört, und zwar eine für das Dermatogen und eine für Peri- blem und Plerom, oder je eine für die drei genannten Meristem- schichten!?). Seine auf anatomischem Wege erzielten Resultate haben meiner Meinung nach eine schöne physiologische Bestätigung gefunden durch die von Hans Winkler eingeleiteten Unter- suchungen über Periklinalchimären der letzten Jahre. Diese scheinen mir zu lehren, daß, wenn sich in einem Callus ein neuer Vegetations- punkt differenzieren wird, es darauf ankommt, daß zwei oder drei Zellen sich in eine Reihe anordnen und zu den Scheitelzellen für Dermatogen, Periblem und Plerom werden, wobei es eventuell gleichgültig ist, ob diese Zellen zwei verschiedenen Arten angehörig sind, was an einer Pfropfstelle leicht vorkommen kann. Einen besseren Begriff von den an den Vegetationspunkten stattfindenden Zellteilungen, namentlich von den antiklinen Teilungen der Scheitel- zellen, wird man sich jetzt schon für einzelne Fälle durch ein ge- 10) Dingler, Ber. d. d. Bot. Ges.. Bd. IV, 1886. 11) Douliot, Ann. d. Se. nat., 7e. Ser., T. XI, 1890. 12) Vgl. Belzung, Anatomie et Physiologie vegetales, Paris 1900, Fig. 203. J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. 7 £ ( naues Studium der sektorialen Variation und der Sektorialchimären machen können. Auf dieses Thema werde ich mich jetzt weiter nicht einlassen, möchte aber wohl noch nachdrücklich darauf hin- weisen, daß die Beobachtungen Baur’s an Pelargonium und die meinigen an Oenothera biennis zeigen, daß die Scheitelzelle für das Periblem sieh wenigstens in diesen Beispielen periklin teilt, bevor die antiklinen Teilungen anfangen und zwar möchte man nament- lich für Pelargoninm schließen, daß sie sich in zwei Zellen teilt. Baur hat nämlich einige Male das Auftreten von rein weißen Seitenzweigen aus seinen weißrandigen Pelargonium-Pflanzen beob- achtet !?). Da Plerom, Periblem und Dermatogen immer in gleicher Weise an der Entwicklung der Seitensprosse beteiligt sind, kann ich mir das Auftreten dieser weißen Zweige nicht anders vorstellen als durch eine erneute Mutation, jetzt der Scheitelzelle der inneren Periblemschicht des Seitenzweiges. Baur beschreibt auch einen Seitenzweig, dessen innere Rindenschicht weiß, während der äußere grün war"). Offenbar darf man annehmen, daß hier zufälligerweise eine gleichzeitige Mutation der beiden Periblemscheitelzellen stattfand. Das Auftreten eines grünen Zweiges, sowohl bei meiner Oenothera- Pflanze als bei Pelargonium, vermag ich nicht anders zu erklären als durch Zurückmutieren der Scheitelzelle für die äußere Periblem- schicht der betreffenden Sproßanlage. Baur erblickt die Ursache in Störungen am Vegetationskegel, die zur Folge hätten, daß der grüne innere Teil der Pflanze durch ein Loch in der weißen Haut zum Vorschein treten würde!*}, aber ich glaube nicht, daß man das Recht hat, eine solche Entstehungsweise anzunehmen und halte sie für höchst unwahrscheinlich, wiewohl das Studium der Periklinal- chimären gezeigt hat, daß das Dermatogen vom Periblem durch- bohrt werden kann, und zwar wegen der größeren Dicke der hier zu durchbohrenden Schicht. Zum Schlusse widme ich einige Worte der oben schon er- wähnten Kreuzung weißrand X grün. Im Gegensatz zu Baur, der nicht weniger als 244 Keimlinge aus Samen dieser und der, die nämlichen Resultate gebenden reziproken Kreuzung aufgehen sah'”), hatte ich von ihr nur wenige Samen. Immerhin habe ich, ebenso wie Baur, feststellen können, daß in der F,-Keimpflanze eine vege- tative Aufspaltung in kleinere und größere rein grüne und rein weiße Zellkomplexe erfolgt. Man vergleiche die Textfigur 3, die sich auf einen Keimling bezieht, den ich am 30. April, also zwei Monate nach der Aussaat, photographiert habe. Im Zusammenhang mit der Erklärung, die Baur für diese sonderbare Aufspaltung er- sonnen hat und auf die ich im nächsten Paragraphen zurückkommen I9)kE., Baur leer 303: IA)EBr Baur ITeS2 245: Vale: 9.,339: 172 J. Stomps, Uber die verschiedenen Zustände der Pangene. werde, untersuchte ich mikroskopisch mehrere junge, wie Baur treffend sagt, grün-weiß-marmorierte Blättchen. Immer fand ich Fig. 3. Gescheckter Keimling aus der Kreuzung Oenothera biennis albomarginata weißrand X grün Phot. am 30. April. grüne und weiße Zellkomplexe scharf gegeneinander abgegrenzt und nie Zellen mit gleichzeitig grünen und farblosen Ohromatophoren. Sehr wich- tig ist die Frage, ob die Aufspaltung in die zwei Zellkategorien einmal oder öfter erfolgt. Baur untersuchte diese Frage genau und stellte fest!‘), daß „eine ganze Anzahl von weißen Inseln vorhanden sein kann, die rings von grünem Gewebe umschlossen sind und genetisch untereinander nicht zu- sammenhängen“. Somit kam er zum Schluß !%), „daß die Differenzierung von rein weißen Zellen, die dann beı allen ihren weiteren Teilungen nur weiße Zelldeszendenz haben, wiederholt er- folgt und zwar müssen diese weißen Zellen entstehen aus grün aussehenden Zellen“. Ich kann diese theoretisch wichtigen Beobachtungen nur bestätigen: offenbar kann noch längere Zeit nach Eizelle eine solche Her- ausdifferenzierung von weißen Zellen erfolgen, bis schließlich das Auf- spaltungsvermögen er- löscht. Was die weitere Entwicklung der Bastard- sämlinge anbetrifft, so können auch hier, ebenso wie beı Pelargonium, Blätter erzeugt werden, die zur Hälfte weißem, zur Hälfte grünem Ge- webe aufsitzen und des- halb halb weiß, halb grün werden, auch Blätter, deren innerer Teil weiß und deren äußerste Schicht unter der Epi- dermis grün ist, u. Ss. w. 16) E. Baur, I. c., 8. 349, der ersten Zellteilung der befruchteten Fig. 4. Wie vor., ältere Pflanze, phot. im August. Man achte auf die halb weiß, halb grünen Blätter und auf den dunklen Saum der Blätter rechts unten und oben, -ı) J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. | Man wolle hierzu die Textfigur 4 vergleichen, die eine Rosette darstellt, welche ich im Sommer photographierte, die infolge ıhrer Schwäche nicht zur Blüte kam und die ıch zu überwintern versucht bın. $ 3. Über den perlabilen Zustand der Pangene. In diesem Paragraphen wollen wir nun die höchst eigentüm- liche Aufspaltung in grüne und weiße Zellenkomplexe, welche uns die aus der Vereinigung von „grünen“ und „weißen“ Keimzellen hervorgehenden Keimlinge, sowohl bei Pelargonium xonale albomar- ginatum wie bei Oenothera biennis albomarginata darbieten, zu er- klären suchen. Wir werden sehen, daß die Annahme eines neuen, bis jetzt verkannten Zustandes der Pangene, für den sich der Name perlabil eignet, dazu unumgänglich ıst. Vielleicht wırd man diese Betrachtungen etwas hypothetischer Natur finden. Ich habe sie deshalb auf einen besonderen Paragraphen verschoben. Wie oben schon angedeutet wurde, hat auch Baur eine Erklärung für die betreffende Aufspaltung ersonnen, auf die er indessen allzu- großen Wert nicht legen wıll!’). Es kommt mir zweckdienlich vor, diese Hypothese mit einigen Worten ın die Erinnerung zu bringen. Baur macht im wesentlichen zwei verschiedene Annahmen. Erstens die, daß ın den Zellen der weißen subepidermalen Schicht der albomarginaten Pflanzen die Chromatophoren mißbildet, nicht ergrünungsfähig sind. Zweitens die, daß die Chromatophoren in der befruchteten Eizelle, von denen schließlich alle Chromatophoren einer Pflanze abstammen, zum Teil vom Vater, zum Teil von der Mutter herrühren. Baur sagt nun, die befruchtete Eizelle, die entstanden ist durch Vereinigung einer „grünen“ und einer „weißen“ Sexualzelle, enthält danach zweierlei Chromatophoren, ergrünungs- fähıge und nicht ergrünungsfähige. Teilt diese Eizelle sich, so werden die beiderlei Chromatophoren sich ganz nach den Zufalls- gesetzen auf die Tochterzellen verteilen. „Trifft es sich hierbei, daß eine Zelle nur weiße Chromatophoren bekommt, dann werden alle Zellen, die durch weitere Teilung aus ıhr hervorgehen, weiß sein. Ebenso wird eine Zelle, die nur grüne Öhromatophoren abbe- kommen hat, weiterhin nur grüne Zellen aus sıch entstehen lassen. Zellen dagegen, die beiderlei Chromatophoren enthalten, werden bei weiterer Teilung aus sich immer wieder grüne und weiße und „gemischte“ Zellen hervorgehen lassen!®)“. Auf die Dauer „müssen die rein grünen und die rein weißen Zellen rasch relatıv immer häufiger werden, die Zahl der gemischten Zellen dagegen relativ kleiner. Wir werden daher erwarten müssen, daß in den 17), E: Baur, Les Ss, 3497 ur LT: 18) E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre, 2. Autl., Berlin 1914, S. 183. 174 J. Stomps, Uber die verschiedenen Zustände der Pangene. Vegetationskegeln nach einiger Zeit ım allgemeinen nur noch weiße und grüne Zellen, aber keine mit beiderlei Chromatophoren mehr enthalten sind. Mit anderen Worten, derartige Bastarde müssen früher oder später vegetativ aufspalten in grüne und weiße Zellen- komplexe !”)“. Sollte die herrschende Ansicht zutreffen und „stammen die Chromatophoren wirklich immer nur von der Mutter her, dann liegen hier sehr merkwürdige Erblichkeitserscheinungen vor. Es müßte dann bei der Kreuzung weıß 9 X grün g ein Teil der weißen Chromatophoren der Eizellen unter dem Einfluß des männlichen Sexualkerns zu grünen Uhromatophoren werden und in der rezi- proken Kreuzung müßte ein Teil der grünen Chromatophoren der Eizelle unter dem Einfluß des von einer weißen Pflanze stammenden männlichen Sexualkerns zu weißen Chromatophoren werden !?)“. Es kommt mir vor, daß ın der Tat eine sehr merkwürdige Erblichkeitserscheinung vorliegt, aber noch eine etwas andere, als Baur sie sich in dem zuletzt zitierten Satz vorstellt. Betrachten wir die erste Annahme, dıe Baur macht, um zu seiner Hypothese zu gelangen, die, daß in den Zellen der subepidermalen Schicht der weißrand-Pflanzen die Öhromatophoren mißbildet sınd. Somit müßte ich annehmen, daß in der äußeren Periblemscheitelzelle meiner weißrandigen Biennis-Pflanze plötzlich gleichzeitig alle Chromato- pboren krank geworden wären? Weiter, daß beı der Entstehung des oben beschriebenen grünen Seitenzweiges sämtliche kranke Chromatophoren der äußeren Periblemscheitelzelle in der jungen Anlage dieses Sprosses gleichzeitig wieder gesund wurden? Das sieht, mindestens genommen, nicht sehr wahrscheinlich aus. Für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß ın der äußeren Periblem- scheitelzelle, die die weiße Schicht hervorrief, eine für die Aus- bildung des Chlorophylifarbstoffes unentbehrliche Eigenschaft plötz- lich in den ınaktiven Zustand übertrat. Bei der Entstehung des grünen Seitenzweiges kehrte diese Eigenschaft ebenso plötzlich zu dem alten Zustande zurück. Was die zweite Annahme Baur’s anbetrifft: diese halte ich für unberechtigt. Es sind ja schon Unter- suchungen angestellt worden — es sei in dieser Beziehung be- sonders an die hervorragenden mit Hilfe der verschiedensten Farb- methoden durchgeführten Studien Strasburger’s über die Be- fruchtung bei Zilium Martagon erinnert — mit der speziellen Absicht, zu erfahren, ob die männlichen Befruchtungskerne von Uhromato- phoren begleitet werden oder nicht. Diese Untersuchungen haben zu einem negativen Resultat geführt. Weshalb dann noch einmal angenommen, daß wohl Chromatophoren aus dem Pollenschlauch in die Eizelle übertreten? Die Tatsache, daß in den mosaikartig zusammengesetzten Keimlingen Zellen mit gemischten weißen und 19) E. Baur, 1. c., 1908, S. 350. be » .. .— J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. 175 grünen Chromatophoren nie gesehen wurden, spricht gleichfalls nicht für die Baur’sche Auffassung. Und schließlich zeugt Baur’s eigene, von mir bestätigte Beobachtung, dass in den Keimlingen noch längere Zeit nach der ersten Teilung der befruchteten Eizelle eine Herausdifferenzierung von weißen Zellen aus grünem Gewebe stattfindet, gegen seine Hypothese. Ich komme jetzt zu meiner eigenen Auffassung. Für mich steht es also, wie gesagt, fest, daß die weiße subepidermale Schicht unserer weißrandigen Pflanzen dadurch hervorgerufen wurde, daß eine für die Entwicklung des Chlorophylis unentbehrliche Eigen- schaft plötzlich inaktiv wurde. Die Frage ıst nun: in welchem Zu- stande befindet sich diese Eigenschaft ım grünen Gewebe? Der aktive kann es nicht sein, sonst müßte dıe Kreuzung weißrand X grün zu einer Mendelspaltung Anlaß geben. Von den bis jetzt unterschiedenen Lagen der Pangene käme noch am ehesten die labile in Betracht. Wäre diese aber ım Spiel, so müßten aus der Kreuzung weißrand X grün zum Teil grüne, zum Teil weiße Kein- linge, in wechselnden Verhältnissen, je nach den Umständen, her- vorgehen. Wir kommen somit zum Schluß, daß die Annahme eines neuen Zustandes für die betreffende Chlorophylleigenschaft unum- gänglich ist, um die vegetative Aufspaltung der Keimpflanzen der Kreuzung weißrand X grün ın weiße und grüne Zellenkomplexe zu erklären. Dieser Zustand ist am besten dem labilen vergleichbar. Ebenso wie der labile tritt auch er leicht ın den inaktiven über und gibt auch er beim Zusammentreffen mit dem aktiven Anlaß zu einer Spaltung ın der ersten Generation. Hier treten aber nicht zwei Typen von Pflanzen in die Erscheinung, sondern zwei Typen von Zellen, und die Spaltung findet nicht einmalig bei der Befruch- tung statt, sondern zu wiederholten Malen noch längere Zeit nach der Befruchtung in jeder Pflanze. Daher sich der Name perlabil wohl für den neuen Zustand eignet. Die Spaltung scheint, zu ur- teilen nach den am Ende des vorigen Paragraphen beschriebenen Beobachtungen, tatsächlich auf eine Abspaltung von weißen Zellen aus grünem Gewebe zu beruhen. Nicht uninteressant ist es vielleicht, in dieser Beziehung darauf hinzuweisen, daß de Vries die Kreu- zung zwischen Oenothera Lamarckiana, mit labilem Staturpangen, und OÖ. Lamarckiana nanella, ın der das Staturpangen inaktiv wurde, erwähnend, von einer Abspaltung von Zwergen in der ersten Gene- ratıon spricht ?P). Die Erkenntnis, daß wenigstens im männlichen Sexualtypus der heterogamen Oenothera biennis eine wichtige Chlorophylleigen- schaft sich in einem perlabilen Zustande befindet, ist vielleicht im- stande, einiges Licht zu werfen auf die Tatsache, daß de Vries?') 20) Gruppenweise Artbildung, S. 345. 21) Gruppenweise Artbildung, S. 365, 366. 176 J. Stomps, Über die verschiedenen Zustände der Pangene. aus Kreuzungen zwischen 0, strigosa, O. Cockerelli und O. erueiata Nuth (0. atrovirens Shull und Bartlett) einerseits und O. biennis anderseits zum Teil zu einer konstant grünen Nachkommenschaft führende grüne, zum Teil mehr oder weniger bunte, und zum Teil ganz weiße Keimlinge hervorgehen sah. Dieses Resultat stimmt ja in höchst auffälliger Weise mit dem namentlich von Baur bei den Kreuzungen weißrand X grün und reziprok erzielten überein. Offen- bar darf man aber nicht ohne weiteres annehmen, daß die betreffende Chlorophylleigenschaft sich in O. strigosa, O. Cockerelli und O. eru- ciata ım inaktiven Zustande befindet und sind weitere Untersuchungen notwendig, um die Sachlage hier vollständig aufzuklären. Vielleicht dürfte auch der Weg zu einem richtigen Verständnis der nur gelbe, früh absterbende Keimlinge liefernden Kreuzungen von 0. Hookeri, O. Cockerelli und O. biennis Chicago einerseits mit O. erxeiata Nuth und unserer ©. muricata anderseits??) durch die vorliegende Mit- teilung angebahnt sein. Inwieweit sıe das bıs jetzt über Mosaikbastarde Bekannte be- einflußt, wollen wir dahingestelit sein lassen. Es genügt, hier fest- zustellen, daß das Resultat des Zusammentreffens inaktiver und perlabiler antagonistischer Pangene treffend mit der vegetativen Aufspaltung, welche uns die Mosaikbastarde darbieten, übereinstimmt. Zusammenfassung der Resultate. 1. Ein aus einer reinen Linie von O. biennis durch Mutation entstandenes albomarginates Individuum führte sich genau so auf, wie Baur’s Pelargonium zonatum albomarginatum; es erzeugte einen grünen Seitensproß, welcher sich dauernd grün erhielt; aus durch Selbstbestäubung von den weißrandıgen Zweigen gewonnenen Samen gingen ausschließlich ganz weiße, bald absterbende, aus den Samen des grünen Seitensprosses ausschließlich grüne Keimlinge auf; die Kreuzung weißrand X grün führte zu einer vegetativen Aufspaltung der F,-Keimpflanze in grüne und weiße Zellenkomplexe, u. s. w. 2. Die gänzlich weiße Nachkommenschaft der weißrandigen Zweige zeigt, daß dieses Individuum weder eine konstante neue Form, noch einen ersten Repräsentanten einer bunten Zwischen- rasse darstellte, sondern durch eine vegetative Mutation hervor- gerufen worden war. 3. Die Behauptung Douliot's, daß das Wachstum der Angio- spermen sıch mittels zwei (eine für das Dermatogen und eine für Plerom und Periblem) oder drei (je eine für die drei genannten Meristemschichten) Scheitelzellen vollzieht, hat durch die von Hans Winkler eingeleiteten Untersuchungen über Periklinalchimären der letzten Jahre eine schöne Bestätigung gefunden. Ein genaues 22) Gruppenweise Artbildung, S. 76, 79. E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. 177 Studium der sektorialen Variation und der Sektorialchimären ver- mag über die antiklinen Teilungen der Scheitelzellen zu belehren. Das Pelargonium xonale albomarginatum und die Oenothera biennis albomarginata zeigen, daß die Scheitelzelle, welche Douliot für das Periblem annımmt, sich periklin teilt, bevor die antiklinen Tei- lungen anfangen, und die äußere der Tochterzellen dann allein im- stande ist, den äußeren Teil der Rinde zu erzeugen. 4. Die albomarginate Mutation entstand dadurch, daß in der allerersten Jugend unserer Pflanze in der äußeren Periblemscheitel- zelle eine für die Entwicklung des Chlorophyllfarbstoffes unent- behrliche Eigenschaft plötzlich latent, inaktiv wurde; der grüne obenerwähnte Seitensproß wurde durch Zurückmutieren dieser Eigen- schaft in der äußeren Periblemscheitelzelle der Anlage dieses Sprosses hervorgerufen. 5. Die eigentümliche vegetative Aufspaltung der aus der Kreu- zung weißrand X grün hervorgehenden Keimlinge in grüne und weiße Zellenkomplexe kann nur erklärt werden durch die Annahme, daß die betreffende Chlorophylleigenschaft sich im grünen Gewebe in einem besonderen, wohl am besten mit dem Namen perlabil anzudeutenden Zustande befindet. 6. Der perlabile Zustand der Pangene ist dem labilen ver- gleichbar, tritt ebenso wie der labile leicht in den ınaktiven Zu- stand über und gibt gleichfalls beim Zusammentreffen mit dem inaktiven Anlaß zu einer Spaltung in der ersten Generation, aber jetzt einer vegetativen Aufspaltung in jeder Pflanze. Über das ‚„Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. Von E. Mohr, Hamburg. Es ist eine allen Tiergärtnern und den aufmerksamen Tier- gartenbesuchern wohlbekannte Tatsache, daß die Renntiere beim Laufen eigentümlich knisternde oder knackende Geräusche hervor- bringen, die viele Meter weit zu hören sind. Dieses Knistern oder Knacken, von den Jägern „Schellen“ genannt), ist nicht nur zu hören, wenn das Tier geht und läuft; auch geringe Verlagerungen des Gleichgewichts, z. B. durch Drehen des Halses hervorgerufen, können das Knacken im Gefolge haben, brauchen es allerdings nicht. Andererseits tritt diese Erscheinung durchaus nicht bei jedem Schritt ein, den das Tier macht. Völlig lautlose Schritte kommen selten vor; im übrigen wird, zum Teil bei vorsichtigen Schritten, 1) Der gebräuchliche Ausdruck ist „Knistern“, trotzdem „Knacken“ entschieden der bessere ist, da man sich unter Knistern im allgemeinen eine Geräuschfolge vor- zustellen pflegt, während tatsächlich nur ein einziger kurzer Knack zu hören ist. 37. Band 12 17S E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. ein Geräusch hervorgebracht, das der Hamburger lautmalend als „Gnurksen“ bezeichnet. Brehm gibt an (3. Aufl.), daß die sonder- baren Geräusche enden, wenn die Tiere im tiefen und weichen Schnee waten. Daß dies nicht immer der Fall zu sein braucht, hatte ich von Januar bis März 1917 zu beobachten Gelegenheit. Auch hörte ich das Knacken, wenn die Tiere auf von Wasser und Regen aufgeweichtem Boden liefen. Hilzheimer dagegen be- hauptet in dem von ihm bearbeiteten 4. Band der Säugetiere der 4. Auflage von Brehm’s Tierleben, das Knistern höre unter diesen Umständen auf. Falls er es wirklich selbst beobachtet haben sollte, wird er etwas dabei übersehen haben, wie ich später auszuführen haben werde. Über das Zustandekommen des Knackens ist man sich bisher nie recht klar gewesen. Brehm schreibt (3. Aufl.): „Ich habe mir viele Mühe gegeben, die Ursache dieses Geräusches kennen zu lernen und bin zahmen Renntieren stundenlang nachgegangen, habe auch einige niederwerfen lassen und alle möglichen Beugungen ihrer Fußgelenke durchgeprobt, um meiner Sache sicher zu werden, bin aber heute noch so unklar wie ich es früher war. Nachdem ich das Tier so genau als möglich längere Zeit beobachtet hatte, glaubte ich annehmen zu dürfen, daß das fragliche Geräusch von dem Zu- sammenschlagen des Geäfters herrühre, und wirklich konnte ich durch Aneinanderreiben der Füße ein ähnliches Knistern hervor- bringen; allein die Renntiere, die ich in den Tiergärten beobachtete, belehrten mich, daß meine Ansicht falsch sei, denn sie bringen auch dasselbe Knistern hervor, ohne daß sie einen Fuß von der Erde erheben; sie knistern, sobald sie sich, auf allen vier Füßen feststehend, ein wenig nach vorn oder zur Seite beugen. Daß bei solchen Beugungen das Geäfter nicht an die Hufe schlägt, glaube ich verbürgen zu können. Und so bleibt nur dıe Annahme übrig, daß das Geräusch im Innern des Gelenkes entsteht, ähnlich wie wenn wir einen Finger anziehen, bis er knackt. Mit dieser Ansicht er- klärt sich auch Dr. Weinland einverstanden; diese Ansicht ver- fochten die Lappen, welche ich in Norwegen befragen ließ, und endlich die norwegischen Forscher. Ein Versuch, welchen man gemacht hat, spricht freilich dagegen. Man wickelte einem Renn- tier Leinwand um Hufe und Afterklauen und vernahm dann nicht das geringste Geräusch mehr. Dieser Versuch würde freilich noch nicht beweisen, daß, wie der betreffende Naturforscher annahm, das Knacken nur ein Zusammenschlagen des Geäfters mit den Hufen sei; denn solches Zusammenschlagen müßte man wahrnehmen können, und dies ıst nicht der Fall.“ Soweit Brehm, als der einzige, bei dem ich fand, daß eine Erklärung dieser Erscheinung versucht wurde. Ich halte es des- halb auch durchaus nicht für einen Gewinn, daß Hilzheimer diese E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. 479 — wenn auch zum größten Teil negativen — Angaben ın der Neu- bearbeitung den hat. Es ıst eg zu beobachten, ob das Knacken der Renntier- füße beim Aufsetzen oder Aufheben geschieht; aber ich glaube doch, nachdem ich monatelang mehrere Tiere daraufhin beobachtet habe, mit Sicherheit das letztere annehmen zu müssen. Im Verhältnis zu anderen Hirschen bilden beim erwachsenen Renntier die Phalangen mit dem Metacarpus einen weniger stumpfen Winkel, wodurch das Tier tiefer gestellt, kurzbeiniger erscheint als andere Hirsche. Die Klauen klaffen weit auseinander, was dem Tier von Vorteil sein mag bei dem Begehen der Schnee-, Sumpf- und Tundraflächen seiner Heimat, insofern, als die eigen- tümliche Klauenstellung das Einsinken erschwert. Die Senkung der Füße geht so weit, daß bei den Vorderfüßen, die am meisten gesenkt sind und die die längsten Afterklauen haben, diese regel- mäßig mit in der Spur abgezeichnet werden. Natürlich wurde zunächst versucht, die von Brehm angeführten Beobachtungen zu wiederholen. Das Ergebnis war, daß tatsächlich von einem Reiben der Afterklauen aneinander oder an den Hufen nicht die Rede sein kann. Dagegen war man mit dem Versuch, dem Tiere Leinwand um die Gelenke zu wickeln, zweifellos auf dem richtigen Wege, nur daß die Ergebnisse nicht richtig verwertet worden sind. Beim Niedersetzen des Fußes werden die Phalangen gegen den Metacarpus so weit gebogen, daß zwischen letzterem und den Phalangen durch Überspannung der Synovialhaut ein luftleerer Raum entsteht. In dem Augenblick, in dem das Tier den Fuß wieder zu heben beginnt, entspannt sich die Synovialhaut, durch den äußeren Luftdruck wird das Synovialfett plötzlich gegen die Hartteile des Gelenkes gepreßt und verursacht so durch das Auf- schlagen des Fettes das Geräusch; also bei der Entspannung tritt das Geräusch ein. Je nach der Heftigkeit der Bewegung pflegt auch das verur- sachte Geräusch verschieden stark zu sein. Besonders beim Traben und beim Umwenden wird das eigentliche Knacken hörbar, während, wenn das Tier langsam und vorsichtig schreitet, häufig das bereits erwähnte „Gnurksen“ eintritt, was ich auf Sehnenbewegungen bei den sehr fesselweichen Tieren zurückführen möchte. Zu diesen Erörterungen läßt sich auch Brehm’s Bemerkung verwerten, daß das Knacken aufhört, wenn man dem Tiere Lein- wand um die Füße wickelt. Ich lege mir die Beobachtung so aus, daß durch den Verband einerseits der Fuß im Gelenk so weit ein- geengt, gefestigt und steil gestellt wird, daß er sich nicht so weit senken kann, um einen luftleeren Raum entstehen zu lassen, anderer- seits aber auch die Weichteille um das Gelenk so eingeengt und 12% ISO E. Mohr, Über das ‚‚Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. zusammengepreßt werden, daß diese gleichfalls die Funktion nicht auszuüben imstande sind, die das Knacken beim Renntierfuß her- vorrufen. Jede dieser Wirkungen des Verbandes genügt, um ein Knacken nicht eintreten zu lassen; wo beides wirkt, unterbleibt das Geräusch natürlich erst recht. Hier läßt sich auch Hılzheimer’s Bemerkung einreihen, daß das Knacken des Renntieres aufhören soll beim Gehen auf weichem Grunde. Ich muß annehmen, daß er nur selten ein Renntier auf aufgeweichtem Boden hat laufen sehen und hören, und daß das Tier da beim langsamen und vorsichtigen Gehen die Hufspitzen steil aufsetzte und in einer Weise in den Boden einsank, daß der Fuß nicht in die zum Knacken nötige Stellung kommen konnte. Daß dies zutreffen kann, habe ich auch beobachtet, es ist aber keines- wegs die Regel. Als weitere Stütze zu der Ansicht, daß wirklich die durch die Senkung des Fußes geschaffenen Verhältnisse die Ursache des Knisterns sind, sei eine Beobachtungsreihe am Renntierkalb mit- geteilt. Im Zoologischen Garten zu Hamburg wurde am 19. Mai 1916 ein Renntierkalb geworfen, das sich sehr gut entwickelte Es machte, wie das die Jungen aller Huftiere tun, anfangs einen sehr hochbeinigen Eindruck. Da ich gleichzeitig bemerkte, daß dieses Kalb völlig geräuschlos lief, wurde am 15. Juni, als das Tierchen etwa einen Monat alt war, die Fußstellung gezeichnet (Fig. 1). Die Zehen- glieder setzten fast ın gerader Linie an den Meta- carpus an und die Klauen waren fest geschlossen. Die Afterklauen waren noch sehr kurz und noch um etwa das Vierfache ıhrer Länge vom Erdboden entfernt. Beim Niedersetzen des Fußes wurde der Winkel zwischen Phalangen und Metacarpus nur unwesentlich spitzer. Es war also gar keine Ge- legenheit, die für das Knacken erforderlichen Vor- bedingungen zu schaffen, und das Tierchen lief ei lautlos. Fio. ee, Ein Vergleich der Figuren 1 und 5, von denen Renntier.1 Monat letztere den Fuß eines erwachsenen Renntiers dar- alt. stellt, zeigt, daß das junge Tier tatsächlich höher steht, also langbeiniger als ein erwachsenes ist. In der Literatur fand ich, soweit ich nachkommen konnte, nur beı Brehm, 3. Aufl., eine Bemerkung darüber, daß die Renntier- kälber nicht knistern. Brehm begnügt sich aber mit der Erwäh- nung dieser Tatsache, gibt also auch nicht an, wann das Knistern einsetzt. Um diese Beobachtungen nachzuholen, besuchte ich das Kalb des Hamburger Zoologischen Gartens mehrere Male in der Woche, E. Mohr, Über das „Knacken‘“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. {S1 Fig. 2 zeigt Vorderfuß (a) und Hinterfuß (b) desselben Tieres am Ende des zweiten Lebensmonats, am 16. Julı 1916. Der Winkel zwischen den Phalangen und dem Metacarpus ist bereits merklich weniger stumpf, die Klauen des Vorderfußes klaffen bereits etwas die vorderen Afterklauen sind länger und nur noch etwa um ihre eigene Länge vom Erdboden ent- fernt. Die Klauen des Hinterfußes waren noch fest geschlossen und die Afterklauen nur wenig ge- wachsen. Überhaupt machte der Vorderfuß im ganzen den Ein- druck, als sei er weiter entwickelt als der Hinterfuß, so daß die Vermutung nicht ganz ungerecht- fertigt war, daß das Knistern zu- erst vorne auftreten würde. Tat- sächlich hieß sich auch am 29. Juli vorne ganz vereinzelt ein leichtes Geräusch hören, das zwar selten (etwa fünfmal während einer Fig. 2. a Vorderfuß, d Hinterfuß von halben Stunde), aber doch deut- Renntier, 2 Monate alt. lich hörbar war. Nun tauchte dıe Frage auf, wıe es kommt, daß die Vorderfüße weiter entwickelt sind als die hinteren. Es ıst naheliegend, daran zu denken, daß es eine Folgeerscheinung der stärkeren Belastung sein könnte. Schon allein durch Kopf und Hals ist das Gewicht des Körpers vorne vergrößert und kann sich daher sehr wohl in der Zehenstellung ausdrücken. Da außerdem zu dieser Zeit bei dem kleinen Renntier das Geweih sich zu entwickeln begann — die Stirnzapfen hatten am 16. Juli eine Länge von 1!/, cm — war auch von dieser Seite her ein Faktor gegeben, der eine schnellere Entwicklung der Vorderfüße unterstützen konnte. Selbstredend ist dieser Faktor zunächst noch sehr gering in seiner Wirkung. Wenn es stimmt, daß durch den Einfluß des Körpergewichts die Fußstellung mit beeinträchtigt wird, müßte sich bei Tieren mit starkem Becken eine Senkung der hinteren Füße zeigen. Tatsäch- lich läßt sich beim indischen und ägyptischen Büffel, der ein sehr starkes Becken besitzt, ein stärkeres als die Mehrzahl der Huftiere, wenigstens gleiche, oft deutlich größere, normalerweise aber nie eine geringere Senkung der Hinterfüße feststellen. Mit der Zeit senkten sich die Füße des Renntierkalbes immer mehr,- besonders fingen auch die Klauen des Hinterfußes zu klaffen an, wenn auch noch nicht in dem Maße wie vorne. Fig. 3 zeigt bei « den Vorder-, bei 5 den Hinterfuß am 19. August. Auch nun noch, nach einem Vierteljahre, war nur selten ein Geräusch beim Laufen zu hören, {S? E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. Anfang September war ich verhindert, regelmäßig in den Garten zu gehen. Als ich am 6. September wieder hinkam, war bei den Füßen des Kalbes das schon von dem erwachsenen Tier erwähnte „Gnurksen“ zu hören und ebenfalls gelegentlich leises aber deutliches Knistern. Wäh- rend der folgenden Tage (vom 7.—9. September) salı man das kleine Renntier häufig die Füße nach- a schleifen in der mit Fig. 4 bezeichneten Weise. Da es, wenn es aufgescheucht wurde, ebenso ge- wandt und sicher traben konnte wie sonst, glaube ich nicht, daß es sich irgendwie verletzt oder ge- zerrt hatte, sondern daß das ganze Gebaren mit b der Entwicklung des Fußes in Zusammenhang stand. Fig. 3. a Vorder- je Afterklauen des Vorderfußes wurden noch nicht fuß, 5 Hinterfuß EEE \ - om Benni, tegelmaßie,ın der Spur abgesetzt, sondern nur beı 3 Monate alt. besonders heftigen Bewegungen; junge Renntiere scheinen allerdings die Füße immer verhältnismäßig energisch aufzusetzen. Das unregelmäßige Geweih war um diese Zeit etwa 10 cm lang. Nach und nach trat das eigentliche Knacken mit immer größerer Häufigkeit auf und erreichte im Oktober die- Fig.4. Hinterfuß vom Renn- Fig. 5. Vorderfuß vom er- tier, im 4. Monat nachge- wachsenen Renntier. schleppt. selbe Regelmäßigkeit wie beim erwachsenen Tiere. Die ganze Ent- wicklung des Fußes hat also etwa fünf Monate gedauert. Von größtem Interesse war es natürtich, auch andere knisternde Tiere zum Vergleich heranzuziehen. Dabei ging ich nun zum Teil an der Hand von Abbildungen, zum Teil durch Beobachtungen in den Tiergärten auf die Suche. Das erste Tier, das so hinzugefunden wurde, war der Elch. Leider sind Elche jetzt sehr spärlich in den Tiergärten vorhanden; in den mir bekannten und erreichbaren ist E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. 185 nirgends einer, Aber alle befragten Tiergärtner sagen übereinstimmend aus, daß ihnen ein Knistern der Elche wohlbekannt sei. Auch Brehm (3. Aufl.) führt das Knistern der Elche an, sagt aber, daß das Geräusch durch Zusammenschlagen der Afterklauen zustande komme. Ich kann das jetzt allerdings nicht nachprüfen, bin aber vorläufig noch geneigt, für das Knistern der Elche dieselben Ur- sachen anzunehmen wie für das der Renntiere. Schon nach den Abbildungen (Fig. 6) konnte man vermuten, daß der Elch ein knisterndes Tier sei, denn die Phalangen zeigen einen ähnlichen Winkel zum Metacarpus und die Afterklauen reichen ebensowohl bis zur Erde und zeichnen sich ın der Spur ab wie beim Renntier. Leider aber hat Hilzheimer auch diese interessanten Beob- achtungen in der schon mehrfach erwähnten Neubearbeitung fort- gelassen. Fig. 6. Junger Elch, aus dem Zoolog. Garten in Dresden. Ein weiterer stark knisternder Hirsch ist der sehr seltene, erst seit kurzem bekannte und von einigen Seiten schon wieder für ausgestorben erklärte Davidshirsch oder Milu (Hlaphurus davidianus A.M.-E.) aus Nordchina, der kürzlich eine Zeitlang im Berliner Zoologischen Garten und bei Hagenbeck vertreten war. In seiner Heimat, wo er auch nur in den kaiserlichen Gärten gelebt haben soll, soll dieser merkwürdige Hirsch während des Boxeraufstandes ausgerottet worden sein, so daß die letzten Vertreter des eigen- artigen Tieres — die beiden Exemplare der oben genannten Gärten sind vor einiger Zeit eingegangen -—- im Park des Herzogs von Bedford zu finden sein dürften, wo 1914 nach freundlicher Mit- teilung des Herrn Fritz Wegner-Stellingen, der die Tiere dort gesehen hat, noch eine Herde von etwa 20 Stück anscheinend rein- blütiger Tiere gehalten sein soll. Da Fußstellung und Afterklauen in hohem Maße an Eleh und Renntier erinnern, legt schon die Be- {84 E Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. trachtung der Bilder die Vermutung nahe, daß es sich um einen knisternden Hirsch handelt. Der Milu des Berliner Zoologischen Gartens erzeugte mit einem Rottier einen interessanten Mischling. Nun ist auch, wie das gleich aufgeführt werden wird, der Rothirsch eines von den vielen Tieren, die beim Laufen knisternde Geräusche hervorbringen, aber merk- würdigerweise ıst bei diesem Bastard auch nicht das Geringste zu hören. Die Stellung seiner Vorderfüße entspricht mehr derjenigen des Rothirsches, wenn er auch sonst nicht viel mehr von diesem hat als die Farbe. Die vorderen Afterklauen dagegen sind milu- artig lang. Der Phalangenwinkel bei den Hinterfüßen hält etwa die Mitte zwischen beiden Hirscharten, und die Afterklauen sınd viel kürzer als beim Milu. Im übrigen ist er besonders hinten nicht sehr gut gebaut. Diese drei Hirsche, Renntier, Elch, Milu, bieten in Fußstellung und Ausbildung der Afterklauen alle das gleiche Bild: beim erwach- senen Tier ıst der Fuß zwischen den Phalangen und dem Meta- carpus soweit eingeknickt, daß die ohnehin schon sehr langen After- klauen vorne fast stets mit ın der Spur abgesetzt werden. Der Hinterfuß ist nicht ganz so tief gestellt, und die hinteren After- klauen sind nicht regelmäßig ın der Spur zu sehen. Das Knacken ıst auf weitere Entfernung hörbar. Außer den vorgenannten laut knisternden Hirschen gibt es noch eine ganze Anzahl, bei denen in der Nähe ähnliche Geräusche zu hören sind. Zu diesen gehören meiner Erfahrung nach folgende sechs Arten der Rusa-Hirsche: Rusa axıs Erxl.,, R. hippelaphus Cuv., R. malaccensis Cuv., R. philippinus H. Smith, R. equwinus Cuv. und R. aristotelis Cuv. Bei den Azis-Hirschen ist das Knacken sehr deutlich und regelmäßig hörbar, bei den andern Rusa-Hirschen nur wenig und vereinzelt, ıst aber immerhin vorhanden. Von den mir vorgekommenen Rusa-Arten liefen nur A. porcinus Zimm. und R. alfredi Sel. lautlos. In derselben Weise wie die Hauptmasse der Ae«sa-Hirsche knistert noch eine weitere indische Hirschart, der Barasıinga (Rucer- raus duvauceli Ouv.). Auch unter den Cervas-Arten ließen sich mehrere mit sehr deutlichem Knistern feststellen. Mir sind als solche bekannt der Rothirsch (Cervus elaphus L.), der Wapitı (©. canadensis Erxl.) und der Kaukasus-Maral (©. maral Ogilb.). Auch der allbekannte Damhirsch (Dama dama L.) knistert, wenn auch nur in ganz ge- ringem Grade. Daß das Knistern bei den Cervus-Arten auffällig ist, wird mir dadurch bewiesen, daß in Stellingen Besucher, die ganz sicher nicht zu diesem Ende an die Hirsche herangetreten waren, es beim Maral selbständig gehört haben und Bemerkungen darüber austauschten. Merkwürdigerweise scheinen bei allen Cervus E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. [85 und bei Dama die Weibchen eher stärker als schwächer zu knistern als die Männchen. Es ıst das auffallend, weıl ja die Hirsche ım allgemeinen viel mehr belastet sind als die Weibehen, von denen nur das Renntier, das hier nicht ın Betracht kommt, normalerweise ein Geweih trägt. Ein Tier mit weithin hörbarem Knistern ist die Elenantilope. Im Juni 1916 wurde in Hagenbeck’s Tierpark ın Stellingen ein Elenkalb geworfen, das sich ın allen Stücken ebenso verhielt wie das kleine Renntier des Hamburger Gartens. Es war anfangs eben- falls steiler gestellt als das erwachsene Tier und lief völlig ge- räuschlos. Mit der Zeit senkte sich auch hier der Fuß. Aber da die Tiere für derartige Beobachtungen ungünstig aufgestallt waren — im Stall war viel Stroh, das seinerseits bei jeder Bewegung der Tiere raschelt, und die besorgte Mutter drängt das Kalb fast stets zurück, wenn ein Beschauer hinter dem Gitter steht — und da viel Zeit dazu gehört, den außerhalb der Stadt gelegenen Tierpark regel- mäßig zu besuchen, mußte auf eine Beobachtungsreihe, wie sie für den Fuß des Renntierkalbes nun vorliegt, vorläufig verzichtet werden. Es wäre aber jedenfalls interessant, festzustellen, ob das Alter, in dem die Elenantilope zu knistern beginnt, ungefähr mit dem beim Renntier festgestellten übereinstimmt, was an und für sıch natür- lich nicht notwendig ist, da bei der Elenantilope das Knacken auf andere Ursachen zurückgeführt wird. Ich habe ın der Literatur nichts über das Knistern der Elen- antılope finden können, abgesehen von folgender Bemerkung ım Brehm, 4. Aufl.: „Roosevelt sagt von der Riesen-Elenantilope (Taurotragus derbianus gigas Hgl.) ausdrücklich, daß die Tiere nicht grasten, sondern Blätter und Samenkapseln bestimmter Bäume ästen. Sıe brachen dabeı Zweige bis zu 3 Zoll Durchmesser mit ihrem Gehörne ab, die sich 7—8 Fuß über dem Boden befanden. ‚Das Knacken der Zweige war ein Laut, dem wir beständig lauschten, wenn wir der Fährte eines Rudels folgten‘.“ Aus der ganzen Darstellung scheint mir hervorzugehen, daß Roosevelt, wenn er einem Rudel folgte, die Tiere nicht vor Augen gehabt hat, sondern sich nur nach den vernommenen Geräuschen vorstellte, was die Tiere taten. Wenn diese wirklich Zweige abge- schlagen haben, um sie zu verzehren, werden das sicher solche gewesen sein, an denen auch etwas zum Fressen war, nämlich Laub. Das Geräusch des zusammenschlagenden Laubes beim Brechen der Zweige muß aber mindestens ebenso hörbar gewesen sein wie das Knacken der Zweige selbst und das Anschlagen der Gehörne daran. Davon berichtet Roosevelt aber nichts. Mir erscheint es dagegen viel wahrscheinlicher, daß er zum Teil vielleicht das Zertreten von am Boden liegenden Zweigen, zum größeren Teil aber das Knacken der Fußgelenke gehört hat, denn dies Geräusch 186 E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. läßt sich bei der Elenantilope sehr wohl mit dem Brechen von Zweigen vergleichen. Mehrere Tiergärtner, die ich dieserhalb be- fragte, waren mit meiner Auslegung der Roosevelt’schen Beob- achtungen durchaus einverstanden. Ein ähnliches Geräusch wie bei den Füßen der Elenantilope, nur um einiges schwächer, läßt sich beim Mähnenschaf (Ammotragus lervia Pall.) feststellen. Bei diesen Tieren, die ich in Leipzig und in Stellingen zu beobachten Gelegenheit hatte, zeigte sich sehr deutlich, daß das Geräusch um so stärker war, je größer und schwerer die Tiere waren. Alte Böcke knacken am lautesten. Auch ist bei alten Böcken besonders gut zu beobachten, wıe durch den Einfluß des schweren Vorderteils die Vorderfüße bedeutend mehr durchge- drückt sind als die hinteren (Fig. 7). Der Vollständigkeit hal- ber seı noch erwähnt, daß die meisten Zebus der großen Zeburassen nicht wie andere 2 Rind äuschlos gel LIE = ınder gerauschlos genen Fig. 7. Mähnenschaf. ler 7 leise =. t (Aus Brehm’s Tierleben, 4. Aufl., Bd. 15, SONGErDIEIU Ei Bibliogr. Institut Leipzig.) vernehmen lassen. Das- selbe hörte ıch bei einer Kaffernbüffelkuh (Bubalus redeliffi Thos.) des Berliner Gartens. Außer diesen anscheinend regelmäßigen Vorkommen von Gelenk- geräuschen bei Huftieren sei noch ein Fall erwähnt, in dem zwar auch ein Knacken auftrat, jedoch nur ein einzelnes Individuum be- obachtet wurde und dieses zweifellos nieht normal war. Es handelt sich um eine als Burchelli-Zebra bezeichnete Quagga-Stute des Ber- liner Zoologischen Gartens. Die Zebras sind durchgängig sehr fesselweich und neigen dazu, besonders bei den hinteren Fesseln, durchzudrücken. Meist sind dabei die Hufe erheblich verlängert und können unter Umständen schon allein eine unnormale Fußhaltung veranlassen. Das genannte Quagga des Berliner Gartens hat nur unwesentlich verlängerte hintere Hufe, steht aber hinten sehr tief und knackt mit den hin- teren Füßen sehr stark, etwa wie das Mähnenschaf. Hier haben wir also einen Fall, wo tatsächlich bei Verringerung des Phalangen- winkels das Knacken auftritt, also ähnlichen Ursachen entspringt _ wenn auch abnormerweise —, wie das Knacken des Renntiers, E. Mohr, Über das „Knacken“ bei einigen Paarhufern, besonders beim Renntier. 157 Übrigens scheint bei den Pferden die Verlängerung der Hufe und damit die Verringerung des Phalangenwinkels nicht notwendig immer auch ein Knacken im Gelenk zur Folge zu haben, denn das Berg- zebra des Hamburger Gartens läßt in bezug auf Hufmonstrosität nichts zu wünschen übrig, aber ein Knacken ist beim Gehen nicht zu hören. Umgekehrt ist es allerdings auch nicht immer nötig, daß ein Huftier mit starker Biegung zwischen Metacarpus und Phalangen zu knacken braucht, wie die ungewöhnlich gesenkt stehenden .Idenota Cobus leche Gray und Limnotragus gratus Sel. Alle eben erwähnten Tiere außer Renntier, Elch, Milu und dem anormalen Quagga, vielleicht auch den Cervus-Arten, stehen zu steil, als daß für ihr Knacken die beim Renntier erörterten Verhältnisse zu- treffen könnten. Hier muß ein anderer Erklärungsversuch gemacht werden, den ich vorläufig außerstande bın zu Ben Daß es sıch hier um etwas anderes handeln muß, lehrt neben der Überlegung auch die Beobachtung, denn bei Renntier, Elch, Milu ee) er- tönt das Geräusch, wie eingangs gesagt, beim Heben des Fußes, während es bei den anderen Tieren schon beim Aufsetzen einzu- treten scheint. Ich bin hiermit einstweilen am Ende der mitzuteilenden Beob- achtungsreihen. Was sich aber aus dem Knistern ableiten läßt und welche Bedeutung es für das Tier hat, ist mir noch völlig unklar. „Zweckmäßig“ dürfte es kaum sein, denn zum Teil tritt es nicht in einer Stärke auf, daß man es EL Aufmerksamkeit und Übung hört, während es bei einem andern Teil stark genug sein dantte um die Tiere zu verraten. Bei Renntier, Elch und Milu ist es zweifellos Begleiterscheinung zur Anpassung ans Gehen auf weichem Grunde, und es ist bei gleicher Fußstellung nicht bei den Tieren zu finden, die rasch Saleppzeren, wie z.B. Adenota und die Limno- Bo Nsten während die nicht galoppierenden, aber einen gut fördernden Trott machenden drei Hirsche weit hörbar knacken. Bei der anderen Gruppe weisen die Beobachtungen an der Elenantilope, am Zebu und besonders am Mähnenschaf darauf hin, daß diese Art Geräusch eine Folge der Belastung ist. Die Körper- last läßt die Hufe etwas auseinanderklaffen und größere und sicherere Stützflächen gewinnen, und je nach Größe des Körpergewichtes ist auch die Stärke des hervorgerufenen Geräusches verschieden stark. Diese Überlegungen zeigen aber auch, daß wir normalerweise am ehesten bei den Paarhufern ein Knistern erwarten müssen, denn bei den Equiden ist das Körpergewicht auf je eine Zehe eines Fußes beschränkt, und ein Übergewicht kann nur eine Biegung im Gelenk hervorrufen und ein Geräusch, das wie beim Renntier ent- steht, aber nicht eine solche Spreizung wie bei den Paarhufern. Ich glaube sicher, daß sich die Zahl der knisternden Tiere bei 188 ‚J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. weiteren Beobachtungen noch vergrößern wird, wie sich ja über- haupt nach den obigen Darlegungen zeigt, daß es sich hierbei um eine Erscheinung handelt, die viel weiter verbreitet ist, als bisher bekaunt war und die aller Wahrscheinlichkeit nach auch in ihren Ursachen von größerer Mannigfaltigkeit sein wird. Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. Von Julius Schaxel, Jena. 1. Kurze Bemerkungen. Meine Polemik mit H. Driesch um die tatsächlichen Grund- lagen des Neovitalismus droht ın fortgesetzte Selbstberichtigungen und Irrtumsbezichtigungen auszuarten, die weder allgemein inter- essieren noch uns selbst nützen. Ich freue mich über die Aner- kennung aus dem gegnerischen Lager, daß ich mich „mit größter Gründlichkeit und Objektivität mit den Resultaten Driesch’s aus- einandergesetzt“ habe, um so mehr als Driesch P. Flaskämper’s Beitrag zum Vitalısmus „angelegentlich dem Leser“ empfiehlt. Immerhin scheint über kleinen Bemängelungen die Gemeinsamkeit des Zieles vergessen zu werden. Driesch gebührt die Ehre, eine neue Periode der Biologie eingeleitet und gefördert zu haben, die die Wissenschaft vom Leben auf Begriffe gründen will. Auch mir ist an kritischer Besinnung alles gelegen, wie ich zu wiederholten Malen betont habe. Aber Driesch’s und meine Wege sind ver- schieden, und wir haben ungleiche Strecken zurückgelegt. Er ıst am Ende, ich stehe am Anfang. Unerquicklich sind Dinge von der Art folgender Beispiele: Mir wird der Vorwurf gemacht (Driesch 1916b, p. 474), ich. verwende durchgehends zur Stütze meiner Argumentationen einen besonderen logischen Kunstgriff: ich nenne jede künstlich ge- setzte Veränderung des Furchungstypus, aus der doch Normales hervorgeht, „unwesentlich“. Ein so unbestimmter Ausdruck kommt ohne weitere Erklärung weder auf S. 377 meiner Gegenschrift (1916a, wo ihn Driesch gefunden haben will) noch sonst irgendwo bei mir vor. Er entstammt vielmehr einem von mir angeführten Satze Driesch's. Ferner: An drei Stellen (Driesch 1915, p. 553; 1916a, p. 16; 1916b, p. 474) finde ich Driesch’s Berufung auf zwei Zeugen seiner Meinung, die er, wie ich glaube, nicht mit vollem Rechte anführt. Er nennt zwei Redner aus einer Diskussion, die sich an meinen Vortrag in der Freiburger Versammlung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (1914) anschloß und von der er nur die p. 145 der Verhandlungen ganz unvollständig abgedruckten Bemerkungen kennt. Wie Driesch, Herbst und Spemann bin ich selbst der Meinung, ‚J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. 189 daß man bei dem gegenwärtigen Stand der Kenntnisse für die Knospenanlage von Clavelina den Namen harmonisch-äquipotentieller Systeme anwenden kann (1914, p. 143; 1916a, p. 381) — allerdings ohne das Wesen der Sache zu treffen. Wenn wir einmal die Ent- stehung der dreiblätterigen Knospen ım Körper und Stolo kennen werden, dürfte vielleicht auch das nicht mehr angehen. Vorläufig mag es sein; sollte aber doch wohl nur dann geschehen, wenn man nicht nur den Namen erhalten, sondern seinen theoretischen Kon- sequenzen folgen will. Herbst tut das nur zögernd: Wenn er „seine eigene Meinung aussprechen darf, so sei kurz bemerkt, daß er bis jetzt die Entelechie nicht als Naturfaktor ansieht, der uns positive Einsichten in dıe Entstehungsursachen der Organismen ge- währt, sondern der alles das zusammenfaßt, was an den organischen Formen zu entschleiern der exakten Naturwissenschaft überhaupt verschlossen ist“ (1912, p. 593). Spemann sagt aber von dem Begriff des harmonisch-äquipotentiellen Systems und den Schluß- folgerungen, die Driesch daran knüpft: „Man kann die letzteren ablehnen und doch in dem ersteren ein Grundproblem der Entwick- lungsphysioloögie erblicken.*“ Das kann man eben nicht! Ich glaubte im Sinne und Interesse Driesch’s zu handeln, wenn ich gegen dergleichen den zweiten Absatz auf p. 130 meines Buches von 1915 schrieb. Zum vorläufigen Abschlusse des Streites dürfte es dienlich sein, meine von der Driesch’'s abweichende Wertschätzung einer Theorie der Ontogenesis darzulegen. Daran schließen sich wenige Worte über die Methode, kritische Biologie zu treiben. 2. Maschinentheorie, Entelechielehre und Forschung. Driesch und mit ihm Flaskämper behaupten, daß der Ver- zicht auf den Elementarfaktor „Entelechie“ für das ontogenetische Geschehen eine alles umfassende Prädestination als notwendige Annahme fordere. Wenn nicht das Spezifische der Formbildung das Werk eines unräumlichen Agens, eben der das Räumliche ordnen- den Entelechie sein solle, dann könne es nur die von der Deter- minationsmaschine geleistete Mosaikarbeit geben. Die Determinationsmaschine ‘ist der nach dem Vorbilde der ausgeführten Gestaltung erdachte Anlagenkomplex. Den typisch im Raume einander zugeordneten Teilen des ausgebildeten Organismus, der Gesamtheit der Determinaten, entsprechen in seinem jüngsten Stadium die ebenfalls typisch einander zugeordneten Determinanten. Der Anlagenkomplex wird dadurch entfaltet, daß er sich in be- stimmter Folge selbst zerlegt. Die Entwicklung endet mit der voll- zogenen Verteilung aller Anlagen. Die Determinationsmaschine be- stimmt einen Entwicklungsverlauf, in dem alles Einzelne von Anfang 190 J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. an festgelegt ist und der zu einem in allen Stadien vorbestimmten Ende kommt!). Solcher mechanistischer, prädeterminierter Evolution wird gegenübergestellt die vitalistische Epigenesis. Die Formbildung geschieht als Differenzierung des harmonisch-äquipotentiellen Systems mit dem Charakteristikum, „daß aus jeder seiner Zellen jeder ein- zelne Organisationsbestandteil werden kann. Da nun aber Form- bildung ganz wesentlich von chemischen und aggregativen Umwand- lungen abhängt, so heißt das, daß in jeder Zelle eines harmonischen Systems dieselbe Zahl und Art von chemisch-aggregativen Reak- tionen möglich ist. Nur ein Teil dieser möglichen Reaktionen wird in jeder Zelle wirklich, und diese wirklichen Reaktionen sind jeweils mit der relativen Lage der Zelle verschieden. Eben in dieser Um- wandlung von Möglichkeit in Wirklichkeit besteht der Entelechie fundamentale Leistung, begründet in ihrem elementaren Vermögen, mögliches Geschehen zu suspendieren und freizugeben, je nachdem es nötig ist“ (Driesch 1909, Bd. II, p. 192). Die Ontogenesis soll zu einem konstanten typischen Effekte führen, entweder als in ıhrer Entfaltung vorbestimmte Evolution oder bei freiem Wege als zielstrebiges Geschehen — Prädestination oder Äquifinalität. Flaskämper (1916, p. 489) sagt: „entweder Determinationsmaschine oder Entelechie, tertium non datur!“ Fragen wir, wie sich die Ergebnisse exakter Forschung in beide Theoreme einfügen. Von einem Typus kann im ÖOrganischen des- halb gesprochen werden, weil das ontogenetische Geschehen in sich determiniert ist und sich daher bei gleichbleibender Realisation in immer unveränderter Weise wiederholt. Wie kommen nun die- typischen Bildungen zustande? Wer leistet die Determination? Die Determinationsmaschine ist vor aller Untersuchung als mechanistisches Programm ersonnen, das durch analytische Experi- mente seine Verwirklichung und bei deren entsprechendem Ausfall theoretische Bedeutung gewinnen soll. Gehen aus dem Teilgebilde eines frühen Stadiums weiterhin typische Teilgebilde hervor, so ist bewiesen, daß die Determinationsmaschine in der angenommenen Weise durch Selbstzerlegung fungiert und andere Ereignisse als die ursprünglich in Rechnung gezogenen nicht vorkommen. Es ist dann über Sitz und Wirkungsweise dieses Mechanismus alles Einzelne zu ermitteln. Als Ausschaltungsversuche am jungen Froschkeim zunächst typische Teilgebilde ergaben, schien sich die Arbeit der jungen Entwicklungsmechanik programmgemäß zu vollziehen. Weitere ein- 1) Ausführlicheres darüber in: Schaxel 1915, p. 197 ff. J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. 191 fache Bestätigungen waren aber ihrer Gründungshypothese nicht beschieden. In den allermeisten Fällen gehen aus Keimteilen keine typischen Teilgebilde, sondern ın sehr verschiedener Weise defekte und improportionierte, atypische Gebilde (Atypien) hervor. Die frühen Stadien einiger weniger Arten erlauben eine Zerlegung in Teile, die nach Substanzbestand und Zuordnung der Konstituenten mit einem typischen Stadium der ungestörten Entwicklung überein- stimmen. Solche liefern typisch proportionierte Ganzgebilde aus Eiteilmasse. Bei eben denselben Arten ist es möglich, aus zwei oder vier ganzen Eiern typische Stadien, wie sie normalerweise durch Teilungen entstehen, aufzubauen und so typisch proportio- nierte Einheitsbildungen aus der Masse mehrerer Eier zu erhalten. Aus ganzen Eiern werden durch Deformationen, die in Rücksicht auf die Achsenverhältnisse vorgenommen werden, typische Teil- gebilde aus Ganzeimasse erzeugt. Nur die typischen Teilgebilde aus Teilmasse entsprechen den Leistungen der hypothetischen Determinationsmaschine. Die Ganz- gebilde aus Teilmasse lassen sich durch die Annahme von Reserve- determinationskomplexen von freilich unabsehbarer Kompliziertheit zur Not in den einmal gewählten Rahmen einfügen. Die Einheits- bildungen aus mehr als einem Eı und die Teilgebilde aus ganzen Eiern können nicht als vorbestimmte Evolutionen betrachtet werden. Vollends die Atypien aus Keimteilen sind Gebilde, die in der fixierten Entwicklung der Determinationsmaschine überhaupt nicht vorgesehen sind; denn es fehlt ıhnen nicht irgend etwas zum typischen „Ganzen“, sondern sie sind eher etwas anderes, Atypisches. In der Ontogenesis geschieht bald mehr, bald weniger, jeden- falls zuweilen Anderes, als die erdachte Determinationsmaschine leisten kann. Wir kennen auch keinerlei objektive Kriterien für die angenommenen differentiellen Teilungen, die noch immer in ihrer Erscheinung unvorstellbare Annahmen sind. Versuchen wir an dem Forschungsergebnisse die Entelechie- lehre zu messen, so empfinden wir es als mißlich, daß für den analysierenden Forscher die Entelechie nur „ein bloßes System von Negationen“ bleiben muß. „Wir wissen von diesem Agens, daß es nicht irgendwie räumlich ist, daß es keinen Sitz ım Raum hat und keine Ausdehnung, daß es nur in den Raum hineinwirkt; mit einem Wort: es ist nicht in der räumlichen Natur, sondern wirkt nur in bezug auf sie.“ „Entelechie ist nicht Energie, nicht Kraft, nicht Intensität und nicht Konstante, sondern — Entelechie* (Driesch 1909, Bd.II, p. 263 und 207). Sie zeigt sich nur beı ge- störter Entwicklung in ihren Wirkungen als „das individualisierende Agens“, als die in das Geschehen eingreifende äquifinale Regulation, die trotz zeitweiligen, variablen atypischen Zustandes die endgültige 192 J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. Harmonie des konstanten Typus herstellt. Von Regulation, Äqui- finalität, harmonischem Ganzen und konstantem Typus hat daher der Vitalist viel zu reden als von Dingen, die sich auf dem Wege zum Totalergebnis und im Endstadium bei künstlich beliebig irgend- wie veränderten Vorstadien zeigen sollen. Die typisch proportionierten Ganzgebilde aus Keimteilen und mehreiugen Einheitsbildungen scheinen sich zunächst mit den Aus- drücken der Entelechielehre darstellen zu lassen. Freilich sind sie nur Eigentümlichkeiten gewisser Spezies, durchaus nichts allgemein Verbreitetes, aber immerhin einmal da. Nur in einer Hinsicht passen die Tatsachen durchaus nicht zu der theoretischen Formu- lierung: Beliebig beschaffene atypische Vorstadien ergeben niemals typische Endstadien! Hat es dann aber Sınn, von Regulation und Äquifinalität zu sprechen? Die typischen Teilgebilde aus Keim- teilen sind zwar typisch, aber nicht „ganz“. Soll man ferner die typischen Teilgebilde aus umgestalteten ganzen Eiern „harmonisch“ und „ganz“ nennen? Endlich die allerhäufigsten, defekten und improportionierten Atypıen lassen entelechiales Wirken überhaupt vermissen. Sie sind, was es nicht geben soll, Durchbrechungen des konstanten Typus. Dem Forscher bleibt die Entelechie nur Negation und die ıhr zugeschriebenen Leistungen findet er ın seinen Experimentalergeb- nissen nicht. Er vermag die Tatsachen in dem allenthalben unzu- länglichen Theorem nicht unterzubringen und kann dessen tönende Namen nicht mit Inhalt erfüllen. Unsere vorhin gestellte Frage haben wır dahin zu beantworten, daß weder die Hypothese der Determinationsmaschine noch die Entelechielehre mit den Tatsachen der Onto-. genesis ın Einklang gebracht werden kann. Weder die erste ist trotz aller Hilfsannahmen von Reservedeterminationskomplexen ausbaufähig genug, noch die zweite bei immer enger gezogenen Grenzen des entelechialen Wirkens so zu formulieren, daß sıe das, was bei der Formbildung geschieht, wirklich umschriebe. Es gibt keine durch Prädetermination im ganzen Umfange fixierte Entwick- lung. Es gibt aber auch keine organischen Systeme, die, auf be- liebigen Wegen von einer zielstrebigen Richtkraft geleitet, mannig- fache, nur in ihrem Endgebilde sich gleichende Möglicheiten entfalten. Der geforderte Entscheid: „entweder Determinationsmaschine oder Entelechie — tertium non datur!“ ist unbegründet. Beide Lehren sind vorzeitig aufgestellt. Sie wollen schon die Gesamtheit der ontogenetischen Erscheinungen umfassen, wo wir eben anfangen, einen Teil davon kennen zu lernen. Wir sollen begreifen — fast vor aller eindringenden Erfahrung. Daß die For- meln angesichts der Dinge versagen, ist da nicht zu verwundern. J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. 195 Die Determinationsmaschine hat ursprünglich programmatısche Bedeutung. Die Ausführung des Programms zeigt aber, daß es sich als zu eng nicht einhalten läßt. So lange nicht abzusehen ist, welche endgültigen Prinzipien die Entwicklungsphysiologie haben wird, geht ihre Arbeit so vor sich, daß eine gedankliche Eventual- Analysıs der tätigen Experimental-Analysıs vorausgeht. Dabei stellen sich oft Probleme als nur scheinbare heraus. Sie werden nicht gelöst, sondern durch neue Fragestellungen ersetzt. Die Entelechie wird uns jetzt als logische Forderung ım Rahmen eines aprıorischen Kategoriensystems gelehrt. Driesch's Vitalısmus will als Denknotwendigkeit gelten, der sich unsere Auffassung von den Dingen zu fügen habe (Driesch 1914, p. 187ff.).. Das war nicht immer so, wie ich schon einmal gezeigt habe (1915a). Ver- dächtig sind solche Denknotwendigkeiten, die erst als gelegentliche Annahme im Hinblick auf einzelne Erschemungen auftreten und die dann ein längerer Gebrauch zwangsläufig werden läßt! Von dem fast quälenden Wechselspiel zwischen undefinierter Norm, Granzheit, Harmonie des Organischen und unanschaubarer Entelechie als seinem Wesen soll lieber ım einzelnen nicht geredet werden. Es genügt zu wissen, daß diese Ausdrücke in Achtung vor dem Lebensrätsel entstehen. Von typischen Gebilden wird angenommen, daß sie auf atypischem Wege zustande kommen können. Da imponiert Ziel- strebigkeit. Die unverkennbar bleibenden Atypien gelten leichthin als Annäherungen, die das Ziel nicht erreicht haben. Harmonie und Regulation spielen als zunächst nicht eben scharf gefaßte Vor- stellungen eine leitende Rolle bei der Aufstellung der Theorie, die dann als induktive, mehr noch als deduktive Lehre an prägnanter Formulierung nichts zu wünschen übrig läßt. Die Forschungsergeb- nisse halten aber ihrer Theoretisierung nicht stand. Ich wiederhole: Nie wird das typische Ende bei atypischem Beginne oder auf atypischem Wege erreicht. Der gegenteiligen Behauptung liegen Irrtümer der Beobachtung zugrunde. In meinem Buche über die Leistungen der Zellen bei der Entwicklung werden als die in sich geordneten Systeme, die in der Ontogenesis die typischen Bildungen zustande bringen, die Zellen gezeigt. Ihre Ordnung ist ihre Kon- stitution. Soweit sie sich durch zytomorphologische Indizien offen- bart, sehen wir sie bei typischen Effekten immer typisch, bei atypischen immer atypisch. Und von Strukturen zu handeln, die jenseits dieser Indizien liegen, besteht keine Nötigung. Wir sagen weder Determinationsmaschine noch Entelechie und fordern damit Freiheit von theoretischem Ballast. Statt einer abschließenden Theorie, zu der uns noch die Mittel fehlen, können nur vorläufige Einsichten in das Entwicklungsgeschehen versucht werden, wie ich sie als zellulare Determination der Onto- genesis (1915a, p. 28Ö ff.) vorgetragen habe. Es läßt sich erstens 37. Band 13 194 J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. zeigen, was die Ontogenesis nicht ist, z. B. nicht Leistung der Determinationsmaschine oder der Entelechie, zweitens, wodurch sie auf gewissen Strecken ıhres Verlaufs bewirkt wird, zwischen denen beträchtliche Lücken des Unbekannten sich ausdehnen. Die Fur- chung überblicken wir als Teilungsgeschehen, in dem sich die Deter- minatıion der Teilungen aus der Konstitution des reifen Eies und der Blastomeren ergibt. Hier wird das Gesamtgeschehen als Re- sultante aus Einzelereignissen besonders klar und Prädetermination wie Zielstrebigkeit sind unmögliche Annahmen. Von der Bildung der Organanlagen aus dem typisch geordneten Zellenaggregat des Furchungsendes wird das Wachstum durch Teilung und Volumen- veränderung von Zellen nur teilweise, kaum noch die Zellbewegungen durchschaut. Die histogenetische Differenzierung der Urgewebe zu funktionsfähigen Organgeweben kennen wir in ihrem zytomorpho- logischen Rahmen. Die die Qualität der Differenzierung bestimmen- den Konstitutionseigentümlichkeiten chemischer Natur sind unseren Forschungsmitteln noch unzugänglich. Von der funktionalen Aus- gestaltung des präfunktional Vorgebildeten, der Funktion, dem Altern und dem Tode der Zellen wissen wır nur, daß es sich um einsinnige Vorgänge handelt, die ın der Fortsetzung der ursprüng- lichen Determination liegen und ihre Grenzen nicht überschreiten. Die Restitutionen sind Leistungen in der typischen Ontogenesis reservierter Anlagen, dıe durch Auslösungen zu Bildungen schreiten. Reservation totipotenter Zellen versichert auch die Folge der Gene- rationen, die noch das Rätsel der Sexualität in sich schließt. Die (senerationsfolge selbst führt zu dem Problem der Geschichte des Lebens ?). Wenn wir angesichts dieser vielen und großen Unbekannten von Mechanismen sprechen, so mag zugegeben werden, daß es als Fortführung traditioneller Fragestellungen geschieht. So lange wir aber nichts als Analysıs treiben — und anderes wird ın absehbarer Zeit nicht möglich sein —, huldigen wır damit keinem Dogma; denn ein Theoriengebäude richten wir nicht auf. Wir sammeln nur Materialien. Zum Bau sınd die Grundlagen noch nicht sicher genug und es fehlt vor allem der Plan. 3. Kritische Biologie. In diesen Ausführungen habe ich wohl deutlich genug gezeigt, daß ich mich nicht auf einen Standpunkt festlege und sozusagen aus Gewissenszwang den Vitalısmus schlechthin bekämpfe. Der- gleichen ist für jemanden, der sich um eine kritische Sichtung von Voraussetzungen, Wegen und Zielen der Biologie bemüht, gar nicht möglich. Er weiß nämlich, daß Mechanismus und Vitalismus keine 2) Darüber Näheres in: Schaxel 1916 b. J. Schaxel, Mechanismus, Vitalismus und kritische Biologie. 195 in schroffem Gegensatz stehende Lehren sind — es nicht sein können, weil überhaupt nur eine Biotheorie den Anspruch begrifflicher Be- gründung erhebt, eben Driesch’s Bioautonomie. Mechanistisch läßt sich ihr nichts Gleichwertiges gegenüberstellen. Ich glaube nicht zu viel zu wagen, wenn ich Mechanismus und Vitaliısmus als Stimmungen und traditionelle Neigungen betrachte, die bisher mit der genannten Ausnahme nie eine theoretische Durchbildung ge- funden haben, so oft sie auch, zuweilen recht temperamentvoll, als Forderungen zum Ausdruck gebracht wurden. Sie finden ihre histo- rısche Erklärung ın der Person ihrer Autoren. Letzte Entschei- dungen können heute weder prinzipiell noch sachlich gefällt werden. Die kritische Sichtung vermag Driesch’s Lehre nicht einfach hinzunehmen. In voller Anerkennung des Verdienstes, daß Driesch schon vor 25 Jahren der Biologie zur Selbstbesinnung geraten hat, muß doch sein Neovitalismus abgelehnt werden. Er ist eine sehr rasch errichtete und fast sogleich fertige Theorie, dıe sich als De- duktion aus nachträglich eben dazu gefügter Logik ın Anlehnung an unsichere Forschungsergebnisse präsentiert. Wir gehen andere Wege. Die Probleme der heutigen Lebensforschung sind ım einzelnen keine zufälligen oder gar willkürlich gestellten Fragen. Wenn auch der Spezialist von der Selbstverständlichkeit seines Tuns überzeugt ist, so arbeitet er doch ın der Fron von Traditionen, deren Existenz er allerdings nicht kennt. Was ın der Biologie geschieht und wie man gerade dazu gekommen ist, lehrt die Geschichte ıhrer leiten- den Ideen im letzten Jahrhundert, insbesondere jenes biologischen Evolutionismus eigentümlicher Art, der, nachdem er in raschem Aufschwung die Grenzen der Fachwissenschaft weithin überschritten hatte, um die Jahrhundertwende Reaktion und Krısis hervorrief. Die Fachwissenschaft selbst ıst seither in ein Stadium innerer Un- sicherheit getreten. Vielleicht noch niemals schienen ihre Grund- lagen und Ausführungen zweifelhafter als jetzt. Die Forderung kritischer Prüfung wird daher mit gutem Grund gestellt und ihren Ergebnissen wird sich niemand verschließen können. Wie weit in solcher Hinsicht eigene Versuche gekommen sind, soll mitgeteilt werden, sobald die äußeren Umstände dem Betriebe reiner Wissen- schaft nicht mehr so ungünstig sind wie in der Gegenwart. Jena, Dezember 1916. Literaturnachweise. Driesch, H., 1909. Philosophie des Organischen. Leipzig, W. Engelmann, Bd. I Bell, 333 0, 401 8. — 1914. The History and Theory of Vitalism. London, Mac Millian and Co., 239 S. — 1915. Gibt es harmonisch-äquipotentielle Systeme?, in: Biolog. Zentralbl., Bd. 35, S. 545-555. L3* \96 @. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. Driesch, H., 1916a. Leib und Seele. Leipzig, G. Reinicke, 109 S. — 1916b. Noch einmal das „Harmonisch-äquipotentielle System“, in: Biolog. Zentralbl., Bd. 36, S. 472—475. Flaskämper, P., 1916. Beitrag zum Problem des Vitalismus, in: Naturw. Wochen- schrift, Bd. 31, p. 481—491, 1 Textfig. Herbst, C., 1912. Entwicklungsmechanik oder Entwicklungsphysiologie der Tiere, in: Handw. d. Naturw., Bd. 3, S. 542—634, 64 Textfig. Oehler, K., 1916. Das äquipotentiell-harmonische System, in: Naturw. Wochen- schrift, Bd. 31, S. 623—624. Schaxel, J., 1914. Rückbildung und Wiederauffrischung tierischer Gewebe, in: Verhandl. deutsch. Zoolog. Ges. 24. Versamml. Freiburg, S. 122—145. — 1915a. Die Leistungen der Zellen bei der Entwicklung der Metazoen, ‚Jena, G. Fischer, 336 S., 49 Textfig. — 71915b. Induktiver und deduktiver Vitalismus, in: Naturwissensch. Bd. 2, S. 718—719. — 1916a. Namen und Wesen des harmonisch-äquipotentiellen Systems, in: Biolog. Zentralbl., Bd. 36, S. 374—383, 3 Textfig. — 1916b. Über den Mechanismus der Vererbung, Jena, G. Fischer, 31 8. Über das Verhältnis der marinen freillebenden Nematoden zu denen des Sülswassers und des Landes. Von Dr. 6. Steiner, Thalwil-Zürich. Die Nematoden besitzen eine außerordentlich große Anpassungs- fähigkeit an die verschiedensten Medien. Sie gehören dem Geobios, Limnobios, Halobios, Diplobios und Entobios an. Von den Para- siten wollen wir hier absehen. Die freilebenden verteilen sich auf die drei großen Lebensräume Land, Süßwasser und Meer. Ent- gegen einer in Lehrbüchern und Abhandlungen weitverbreiteten Anschauung machen sie nicht bloß einen Bruchteil der parasitischen aus. An Artenzahl kommen sie diesen mindestens gleich, an Indi- viduenzahl übertreffen sie dieselben bei weitem. Cobb'!) berechnete vor kurzem ihre Zahl annäherungsweise für eine 40 Aren große, mit Graswuchs besetzte, aus Alluvialboden bestehende Fläche. Er nahm nur eine Wohntiefe bis zu einem Fuß an und kam auf eine Populationsziffer von 3000000000. Der Erdboden, so weit er mit Pflanzenwuchs, sowohl phanerogamischem als kryptogamischem oder mit Detritus bedeckt ist, ist ein eng mit freilebenden Nematoden besetzter Wohnraum. Sie folgen den Wurzeln bis tief in den Erd- boden hinein, bevorzugen aber die oberflächlichen Humusschichten und namentlich die den Erdboden fast überall bedeckende Detritus- schicht. Daneben trifft man sie in Pflanzenpolstern, in Moos- und Flechtenrasen auf Dächern, Mauern, Felsen, Bäumen u. s. w. als ständige Bewohner, und als semiparasitische Pflanzenschädlinge dringen sie mit Stamm, Stengel, Blatt, Blüte und Frucht in den 1) Cobb, N. A, Nematodes and their relationships.. Yearbook of the United States Departement of Agriculture 1914. G. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden etc. 197 Luftraum vor. Sıe gehören so in und auf der Erde zu den domi- nierenden Organismen, und wo gar Fäulnisherde sich finden, sind sie auf kleinem Raum zu Millionen gehäuft. Mit Algenüberzügen, Moos- und Flechtenrasen dringen sie nach den beiden Polen und in den Gebirgen bis zu den äußersten Punkten vor, wo Leben mög- lieh ist. Aurıvillius?) fand in rotem Schnee der Arktis seinen Aphelenchus nivalis. Ich selbst hatte Gelegenheit, Moos- und Flechten- rassen vom Gaußberg und von Viktorialand in 77° s. Br., von den Kerguelen, der Possession-Insel, von Grönland, Jan Mayen, der Bären-Insel, Franz-Josefs-Land, Spitzbergen, Nowaja-Sem]ja u. s. w. zu durchsuchen; überall fand ich Vertreter unserer Tiergruppe. Längst ist ıhr Vorkommen in Süßwasserbildungen aller Art be- kannt; Linstow?°) beschrieb sogar eine Form, den Dorylaimus atratus aus Thermalwasser von 40—50° C. von Montegrotta bei Padua. Und Joseph*) hat bereits 1879 mehrere Arten in den unterirdischen Höhlengewässern des Karstes beobachtet. Der Merk- würdigkeit halber seı auch noch die dem Essigälchen nahestehende und alte Bierfilze bewohnende Angwillula Silusiae de Man’) er- wähnt. Die Meere sınd ın ihren Literalzonen überall, von den Polen bis zum Äquator äußerst reich an freilebenden Nematoden. Über ihr Vorkommen in der Tiefsee ıst leider noch nichts Bestimmtes bekannt. Vanhöffen‘) erwähnt das Vorkommen von Desmos- coleciden in 3000 m Tiefe; dies ıst alles, was wir heute wissen. Pelagisch scheinen sie wenigstens als aktive Planktonten ganz zu fehlen; doch trifft man einzelne Formen häufig passiv in Algen- polstern frei treibend. Diese außerordentlich große Anpassungsfähigkeit an die ver- schiedensten Lebensmedien, drängt einem geradezu die Frage auf, ob dann sekundär der Wohnraum nicht auch wieder in der Mor- phologie und Systematik dieser freilebenden Nematodenformen zum Ausdruck komme, wie ja auch der Parasitismus in seinen verschie- denen Formen eine Anzahl Nematodenfamilien hat erstehen lassen. Diese Frage hat Charlton Bastian’), der früheste Mono- 2) Aurivillius, Carl W. S., Eine Anguillulide aus der Schneefauna Spitz- bergens. K. Svenska Vet.-Akad. Handlingar, Bd. 8, 1883. 3) Linstow, ©. v., Dorylaimus atratus n. sp. Boll. Mus. Zool. Anat. Comp. Genova, Bd. 5. e 4) Joseph, Über die in den Krainer Tropfsteingrotten einheimischen frei- lebenden Rundwürmer. Zool. Anz., Bd. 2, 1879. 5) Man, J. G. de, Auguillula silusiae, ein neue, in den sogenannten Bier- filzen lebende Art der Gattung Anguwillula Ehrb. Ann. Soc. roy. Zool. Malacol. Belgique, Bd. 48, 1914. 6) Vanhöffen, J., Einige zoogeographische Ergebnisse der deutschen Süd- polarexpedition. Verh. deutsch. Geographentages in Danzig, 1905. ‘) Bastian, Ch, MJnosgraph oa th> Aryuillwtida: etz, Tewrs. Lionyan Soe. London, Vol. 25, London 1866 . {98 G. Steiner, Uber das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden etc. graphist der freilebenden Nematoden als erster berührt. Er teilt dieselben nach ihrem Wohnbezirk in zwei Gruppen ein, ın die marinen einerseits, in die des Süßwassers und des Landes anderer- seits. Da er die älteren Systeme von Dujardin, Diesing und Eberth nicht anwendbar fand und selber noch kein befriedigendes aufzustellen vermochte, bildete er nur Genera, die er nach dem eben erwähnten Gesichtspunkt in zwei Gruppen teilte. Er ver- mochte freilich keine, die beiden Gruppen charakterisierenden und scheidenden Diagnosen aufzustellen, war aber gleichwohl überzeugt, daß die Gruppierung in marine Nematoden einerseits und ın Süß- wasser- und Landnematoden andererseits, den tatsächlichen Ver- hältnissen entsprechend in einem später aufzustellenden System präzis zum Ausdruck kommen werde. Seine Anschauungen gipfeln darin, daß auf dem Lande und im Süßwasser ım allgemeinen die- selben Genera vorkommen, diejenigen des Meeres aber von jenen durchaus verschieden seien. Freilich kennt er auch schon vier Fälle, die sich diesem Schema nicht fügen wollen. Seine Rhabditis marina schien ihm bestimmt zu dem sonst nur dem Lande und Süßwasser zukommenden Genus Rhabditis zu gehören. Er hält dies für den einzig sichern Ausnahmefall. Zwei andere Formen, die Monohystera ambigua und die M. disjuneta bringt er nur vorläufig in dem Land- und Süßwassergenus Monohystera unter. Die andern marinen Vertreter, die wir heute zu demselben Genus rechnen, vereinigte er zu zwei typisch marinen Genera, nämlich Tachyhodytes und Theristus. Dann erwähnt er noch, Dujardın hätte eine marine Spezies des sonst ebenfalls nur dem Süßwasser angehörenden Genus Dorylaimus gefunden. Seit Bastian hat niemand mehr diese Frage diskutiert; es mag dies damit zusammenhängen, daß außer on Schmeuler und v. Linstow, die beide sich auf die Parasiten versteiften, kein For- scher mehr den ernsthaften Versuch machte, ein auch die frei- lebenden Formen richtig würdigendes System aufzustellen. Frei- lich hat sich Bütschli bereits gegen eine scharfe "Trennung der marinen freilebenden Nematoden von denen des Landes und Süß- wassers ausgesprochen, ohne aber weiter auf die Frage einzugehen. Spätere Forscher, vor allem de Man und Cobb haben in ihren systematischen Arbeiten ein umfangreiches Material zur Frage ge- liefert, dıese selbst aber nie. berührt. Nun sind gerade die freilebenden Nematoden vermöge ihrer allgemeinen Verbreitung in den drei Medien Meer, Süßwasser und Land und vermöge ihrer besonderen Organisation ein ausgezeich- netes Objekt zum Studium der Wechselbeziehungen der Faunen dieser Medien. Freilich muß man sich hüten, die Verhältnisse hier gleich zu verallgemeinern; denn was für die eine Tiergruppe ver- möge ihrer morphologisch-biologischen Struktur paßt, gilt nicht (G. Steiner, Uber das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. 199 immer für eine andere, wo diese Voraussetzungen für ein gleich ablaufendes Geschehen fehlen. Morphologisch zeigen die freilebenden Nematoden aller drei Medien eine große Einheitlichkeit. Wir wüßten heute kein Organ und keine morphologische Eigentümlichkeit zu nennen, die für sämt- lıche nur ın demselben Medium lebenden Formen spezifisch wäre. Es gibt allerdings einige Besonderheiten auch morphologischer Natur, die nur bei marinen oder Land- und Süßwasserformen vor- kommen, ohne sich aber bei sämtlichen Vertretern in jenem Medium zu finden. So gehören unsere Tiere in der äußeren Gestalt durchgehends dem spindelförmigen bis fadenförmigen Formtypus an, der ebenso- gut zum Leben ın der Erde, ım Wasser, ın und auf Schlamm und Detritus als in Polstern von Pflanzen geeignet ist. Derart herrscht trotz der Verschiedenheit der Lebensräume eine ausgeprägte Ein- heitlichkeit der äußeren Form, die verbunden mit fast vollständigem Mangel von 'äußeren Körperanhängen viel dazu beigetragen hat, dieser Tiergruppe den Stempel des Langweiligen aufzudrücken. In der Gliederung der Hautdecke und in ihren besonderen Bil- dungen zeichnen sich ım allgemeinen die marınen Formen durch besonderen Reichtum aus. Bei den Land- und Süßwasserarten ist ganz glatte oder wenig ausgeprägte geringelte Haut eine weit ver- breitete Erscheinung; aber durchaus nicht Gesetz. Borsten treten bei marımen Formen viel häufiger in Erschei- nung und erreichen in einigen Fällen (Monohystera horrida, M. pilosa, M. polychaeta, Chaetosomatiden, Trichoderma u. s. w.) auffallende Größe, wie wir sie bei terrikolen und Süßwasservertretern bis jetzt nicht beobachtet haben. Die Haut ist bei einigen marinen Formen stark verdiekt und dann gegliedert, eine Erscheinung, die bis heute nicht bekannt war und für die Beurteilung des Verhältnisses der Nematoden zu den Echinoderiden sehr wichtig ist (Monoposthia, Euehromadora, Rhabdogaster u. s. w.). In einigen Fällen sind diese Ringel mit Punkten, kreisrunden, ovalen stäbchen- und biskuit- förmigen Bildungen reich ornamentiert. Aber auch typisch terri- kole und Süßwasserformen können ganz besondere Hautstrukturen aufweisen, wie z. B, Schuppenbildungen bei Jota, Krusten- und Warzenbildungen bei Craspedonema und Bunonema, Längsrinnen bei Atylenchus. Die eigenartigen sogenannten tubulösen Ventralanhänge sind nur den hochspezialisierten marinen Chaetosomatiden eigen. Da- gegen sind Kopfanhänge wieder häufiger bei einigen Landgenera wie Wilsonema, Bunonema, Oraspedonema, Diploscapter, Cephalobus u. S. w. Trotz dieser Besonderheiten besitzt doch die Hauptmasse der ‚ freilebenden Nematoden in den drei Medien in bezug auf das Inte- gument einheitliche Verhältnisse, 300 G. Steiner, Uber das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. Lichtsinnesorgane in Form von einfachen Pigmentflecken oder Pigmentbecherchen mit Linsenkörperchen sind am häufigsten beı marinen Formen, im Süßwasser sind sie viel seltener, den Land- formen fehlen sıe ganz. Muskulatur und Verdauungstraktus zeigen ebenfalls beı keiner der drei biologischen Gruppen ein für dieselbe spezifisches Ver- halten. Organe, die bei den Vertretern der verschiedenen Medien recht interessante Verhältnisse zeigen, sind die bis heute von der Mehr- zahl der Forscher als Exkretionsorgane gedeuteten Bildungen. Bei den Parasiten sind es in der Mehrzahl der Fälle die sogenannten Seitenkanäle, die paarig oder unpaar sein können und vorn ventro- median im sogenannten Exkretionsporus nach außen münden. Auch bei zahlreichen Land- und Süßwasserformen finden wir noch diese Kanäle, dagegen scheinen sie bei den marinen Nematoden mit wenig Ausnahmen zu fehlen. An ihre Stelle treten hier die sogenannten Ventraldrüsen, oder die nach Jägerskıöld als Homologa derselben zu betrachtenden Seitenfelddrüsen. Nun ist es sehr interessant, daß diese Ventraldrüsen sich auch bei einer ziemlichen Zahl von Land- und Süßwasserformen vorfinden, aber immer nur beı solchen, die sicher oder vermutlich marine Immigranten sind. Es scheint als ob die Ventraldrüse ein durch marines Leben erworbenes Organ sei. Jedenfalls ist bei Aufstellung eines Systems und eines Stamm- baumes dieses Verhalten besonders zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhange wären auch noch die Schwanzdrüsen zu erwähnen, die Bastian als allgemeines Attribut der marinen Genera hält, was aber nicht ohne Ausnahmen zutrifft. Wohl aber sind sie bei den marinen Arten häufiger und vielfach auch größer als bei den Land- und Süßwasserformen, wo sie bei einer großen Zahl ganz fehlen. Ja es läßt sich eine gewisse Parallelität zwischen . Vorhandensein und Fehlen von Ventraldrüsen einerseits und Schwanz- drüsen anderseits erkennen. Doch ist das Fehlen der Schwanz- drüsenzellen bei zahlreichen terrikolen Formen möglicherweise eine sekundäre Anpassungserscheinung an die Lebensweise, indem Nicht- gebrauch das Schwinden derselben bewirkt. So einheitlich der Bau der Geschlechtsorgane bei sämtlichen Nematoden ist, zeigt sich doch im männlichen Kopulationsapparat bei den marinen Genera wieder ein größerer Reichtum der Form und in einzelnen Fällen eine äußerst komplizierte Gestaltung, z. B. bei den Genera Euchromadora, Thoracostoma, Enoplus, Enoplolaimus, Oncholaimus, Anticoma u. a. m. Eine weitere interessante Erschei- nung ist, daß die bei den Männchen der parasitischen Nematoden so häufigen Bursabildungen, bei den freilebenden des Landes und süßen Wassers viel seltener und bei denen des Meeres nur noch in einzm einzigen Fall bzobuchtet sind. Ba>i fast sämtlichen marinen G. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. If und bei zahlreichen Land- und Süßwassernematoden wird das Schwanzende des Männchens bei der Kopulation spiralig um den Körper des Weibehens geschlungen. Dies wird ermöglicht durch eine größere oder kleinere Zahl von Muskeln, die vor der männ- lichen Geschlechtsöffnung jederseits ventrosubmedian ansetzend schief nach vorn dorsosubmedian ziehen. Alle mit einer Bursa versehenen Formen heften sich mit Hilfe derselben und einer ab- gesonderten Kittsubstanz einfach dem Weibchen flach auf. Es sind dies Verhältnisse, die zur Beurteilung der verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Nematodengenera von großer Bedeu- tung sind, bis jetzt aber vernachlässigt wurden. Auch in ihrer Biologie scheinen sich die Vertreter in den drei Medien nicht wesentlich voneinander zu unterscheiden. Allerdings sind unsere Kenntnisse in dieser Beziehung heute noch sehr dürftig. Zystenbildung scheint nur bei Landformen vorzukommen, wie über- haupt die Erscheinungen der Anabiose. Oviparität ist bei den meisten Formen der drei Medien Usus, Viviparität die Ausnahme, aber doch auch Vertretern aus den drei Lebensräumen eigen. Wie allgemein bekannt, sind Hermaphroditismus und Par- thenogenese bei freilebenden Nematoden eine recht häufige Er- scheinung. Beide sind eigentümlicherweise bei Landnematoden am häufigsten, bei Süßwasserformen schon seltener und für marine Arten noch ın keinem Falle sicher nachgewiesen. Bei letzteren sind die Männchen im allgemeinen ebenso häufig als die Weibchen, was bei den meisten zweigeschlechtigen Land- und Süßwasser- nematoden nicht der Fall ıst. Man könnte annehmen, die Ursache für diese Erscheinung läge darin, daß bei terrikoler Lebensweise das Sichaufsuchen der Geschlechter schwierig sei und allzusehr vom Zufälligen abhänge; doch scheint dies nicht den Tatsachen zu ent- sprechen, da ja beispielsweise viele fäulnisbewohnende Rhabdi- tiden in Unmengen gehäuft vorkommen und doch sehr oft herma- phroditisch und parthenogenetisch sich vermehren. Eine scharfe Trennung der Land- und Süßwassernematoden von den marinen ist also weder morphologisch noch biologisch begründet. Vergleichen wir nun zunächst die Land- und Süßwasser- nematoden-Fauna miteinander. Beide Faunen, wie sämtliche bisherige Untersuchungen zeigten, haben ein durchaus einheitliches Gepräge. Mehr als die Hälfte der bis jetzt aus dem Süßwasser Mitteleuropas beschriebenen Spezies lebt ebenfalls terrikol, gehört also auch zur Landfauna. Die Zahl der typischen Süßwasser- bewohner unter den freilebenden Nematoden ist relativ gering. Viel größer ıst die Zahl der typischen Landbewohner, also der- jenigen Formen, die nur terrikol vorkommen. Wir können hier folglich drei Gruppen unterscheiden: W)2 G. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. 1. rein limnobiontische Spezies; sie machen den kleinsten Bruchteil aus. 2. geobiontische Spezies; ihre Zahl ist weit beträchtlicher als die der ersten Gruppe. 3. Spezies, die sowohl dem Limnobios als dem Geobios an- gehören; auch deren Zahl ıst eine ganz beträchtliche. Was für die Spezies gilt, besteht in noch weit höherem Grade für die Genera zu recht. Mit ganz wenigen Ausnahmen (z. B. Aphanolaımus) kommen sämtliche Süßwassergenera auch auf dem Lande vor. In etwas geringerem Grade gilt dies auch um- gekehrt, d.h. von der Mehrzahl der auf dem Lande lebenden Genera finden wir auch Vertreter im Süßwasser. Die Durchmischung der beiden Faunen ist in bezug auf unsere Tiergruppe eine sehr weitgehende. Es ist dies eine neue Bestätigung der alten Tatsache von dem innigen Verhältnis der Lebewelt der beiden Medien zueinander. Für die freilebenden Nematoden liegt die Ursache zu diesem Verhalten einerseits in der großen Anpassungsfähigkeit einzelner Genera und Arten, anderseits darin, daß auch die Landnematoden eine Art semiaquatiles Leben führen, indem sie Örtlichkeiten be- wohnen, die wenigstens zeitweise mehr oder weniger feucht sind, also Wasser in Tropfenform besitzen. Wenn man nun die marinen Nematoden in den Vergleich em- bezieht, ıst die Stellungnahme Bastians einigermaßen zu begreifen. Bis heute kennen wir noch keinen sicheren Fall für das Vorkommen einer marınen Nematodenspezies auch auf dem Lande oder im Süß- wasser; umgekehrt sind Land- oder Süßwasserformen bis heute noch nie in reinem Meerwasser gefunden worden. Doch scheint Brackwasser je nach dem Salzgehalt neben spezifischen Brack wasser- formen auch manchen sonst typisch marinen oder typisch geo- resp. limnobiontischen Formen zugänglich zu sein. Sichere An- gaben und Untersuchungen in dieser Richtung fehlen aber bis heute noch fast völlig. Es gibt allerdings eine im Süßwasser lebende Art, die von einigen Forschern als identisch mit einer marin vorkommenden an- gesehen wird, nämlich Bütschli’s®) Monohystera dubia, die nach Hofmänner und Menzel’) mit Monohystera setosa Bütschli!°) 5) Bütschli, O., Beiträge zur Kenntnis der freilebenden Nematoden. In: Nova Acta Ksl. Leop. Carol. Deutschen Akad. d. Naturforscher, Bd. 36, p. 65, Tab. V Fig. 26 a—b, 1873. 9) Hofmänner und Menzel, Die freilebenden Nematoden in der Schweiz. In: Rev. Suisse zool., Vol. 23, p. 130. 10) Bütschli, O., Zur Kenntnis der freilebenden Nematoden, insbesondere der des Kieler Hafens. In: Abhandl. d. Senckenberg. naturf. Ges., Bd. 9, p. 29, Tab. 2 Fig. 11a, Tab. 3 Fig. 11 b, 1874. G. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden etc. 205 synonym ist. Ich halte aber die Sache noch nicht für abgeklärt genug, um mich zu derselben Ansicht bekennen zu können. Bütschlı hat beide Formen aufgestellt; die dabia fand er zuerst und zwar im Süßwasser; sie ist später von Daday!!) ım Plattensee und merkwürdigerweise von Guido Schneider"?) ım Finnischen Meer- busen gefunden worden, allerdings in Wasser mit nur 0,5%, Salz- gehalt. Neuerdings wurde dieselbe Art dann von Hofmänner und mir") in den großen subalpinen Seen der Schweiz beobachtet. Die dieser nahestehende M. setosa hat Bütschli aus der Kieler Bucht beschrieben; de Man gibt später eine sehr gute Darstellung von Vertretern derselben aus einem Meerwasser führenden Kanal der Insel Walchern, und Guido Schneider fand sie merkwürdiger- weise neben der M. dubia in jenem schwach salzhaltigen Wasser des Finnischen Meerbusens. Sowohl Bütschli als auch Guido Schneider, von denen jeder beide Arten gesehen hat, halten sıe für nicht synonym. Doch rechtfertigen die vorliegenden Beschrei- bungen und Zeichnungen einigermaßen das Vorgehen Hofmänner's. Beide Formen gleichen sich außerordentlich stark; die marine M. setosa scheint allerdings eine viel stärkere Beborstung des Kör- pers zu besitzen. Möglicherweise ist auch der männliche Kopu- lationsapparat leicht verschieden. Ich selbst habe bis jetzt nur die M.dubia zu sehen das Glück gehabt und möchte deshalb mit einem definitiven Urteil noch zuwarten. Vielleicht handelt es sich in der Tat um ein und dieselbe Art, die dann nach Prioritätsregeln als M. dubia zu nennen wäre. Diese Art würde im Meerwasser eine viel stärker beborstete Varietät setosa bilden. Wir hätten es hier in diesem Falle mit einer Erscheinung zu tun, die ja von anderen Tierklassen bereits bekannt ist, z. B. bei den Fischen, wo marin lebende Vertreter einer Art sich von solchen des süßen Wassers ebenfalls durch geringe somatische Abweichungen unterscheiden. Die Lösung der vorliegenden Frage würde jedenfalls ein sehr inter- essantes Resultat zeitigen. Denn wenn es sich auch um zwei ver- schiedene Arten handelt, ist ihr gleichzeitiges Vorkommen ın stark ausgesüßtem, brackischen Wasser bemerkenswert. Es mag dies zeigen, wie wünschenswert das Studium der Nematodenfauna brackischen Wassers ist. 11) Daday, E. v., Nematoden. In: Resultate d. wiss. Erforsch. d. Platten- sees, Bd. 2, 1. Teil, p. 86, Fig. 55—57. — Ders. Die freilebenden Süßwasser- Nematoden Ungarns. In: Zool. Jahrb. Syst., Bd. 10, 1898. 12) Schneider, Guido, Beitrag zur Kenntnis der im Uferschlamm des Fin- nischen Meerbusens frei lebenden Nematoden. In: Acta Soc. pro Fauna et Flora Fennica, Bd. 27, p. 11 u. 12, 1906. — Ders., Süßwasser-Nematoden aus Estland. In: Zool. Anz., Bd. 29, 1906. 13) Steiner, G., Ein Beitrag zur Kenntnis der Tierwelt des Zürichersees. In: Arch. f. Hydrobiol. u. Planktonkunde, Bd. 8, p. 452, 1913. )4 G. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. Sicher ıst bis heute also das Vorkommen ein und derselben freilebenden Nematodenspezies sowohl marin als auch im Süßwasser noch keineswegs; aber es ıst möglich, daß die weiter dringende Forschung solche Formen namhaft machen wird. Bastıan’s Anschauung von der Verschiedenheit der marinen Nematodenfauna von derjenigen des Landes und Süßwassers besteht in bezug auf die Spezies heute noch zu recht. Dagegen ist seine Anschauung sicher insofern falsch, als er glaubte, daß auch die Genera fast durchgehends andere seien. Daß dies nicht zutrifft, wird die nachfolgende Darstellung zeigen. Damit soll freilich nicht behauptet werden, daß es nıcht auch noch ausschließlich, d.h. typisch marine Genera gibt; ihre Zahl ist sogar eine sehr beträchtliche; als Beispiele seien nur die folgenden genannt: Anticoma, Oylicolarmus, Oxystoma, Monoposthia, Leptosomatum, Kuchromadora, Thoracostoma, Desmodora u. v.a. m. Sie bilden zum Teil sogar Formengruppen, die ın einem künf- tigen System als Familien oder noch höhere systematische Kate- gorien figurieren werden. Demgegenüber gibt es ebenfalls eine ganze Anzahl Genera, die nur dem Lande, oder diesem und dem Süßwasser eigen zu sein scheinen, so beispielsweise Teratocephalus, Dunonema, Diplogaster, Jota, Mononchus, Ironus u. S. w. Craspedonema, Für uns sind nun natürlich von besonderem Interesse die (senera, die ın allen drei Medien oder doch marin einerseits und auf dem Lande oder im Süßwasser andererseits vertreten sind, wie beispielsweise Rhabditis, Uyatholaimus, Dorylaimus, (hromadora, Tylenchus, Sptlophora Oncholaimus, Microlaimus u.a. m. Monohystera, Bei diesen lassen sich deutlich zwei Gruppen unterscheiden, nämlich: 1. Genera, die den Schwerpunkt ihrer Verbreitung auf dem Lande haben, 2. solche, deren Verbreitungsschwerpunkt ım Meere liegt. s. » . r Pr (+. Steiner, Uber das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. 205 Ein Beispiel für die erste Gruppe ist das Genus Rhabditis. Wohl 80%, seiner Vertreter gehören dem Lande an, der Rest mit einer einzigen Ansnahme lebt ganz oder teilweise im Süßwasser, während die bereits mehrfach erwähnte Rhabditis marina Bast. marin ist. Schon dies und noch eine ganze Anzahl anderer Tat- sachen sprechen dafür, daß dieses Genus ursprünglich auf dem Lande zu Hause war, sich aber dann sekundär das Süßwasser und das Meer als Wohnraum eroberte. Rhabditis marina ıst als terri- koler Immigrant zu betrachten. Die Form wurde bis jetzt nur noch von Bastian!*) an der britischen, von Ditlevsen'°) an der dänischen und von mir an der Barentssee-Küste!‘) und bei Oro- tava!’) auf Teneriffa gefunden, stets in Algenwatten. Wie die Verhältnisse liegen, scheint es sich hier um direkte Einwanderung und Anpassung von der Küste, d. h. vom Lande aus zu handeln, und nicht auf dem Wege über das Süßwasser. Ein zweites ähnliches Beispiel liefert das Genus Dorylaimus. Dasselbe ıst von typischen Landformen herzuleiten und hat zudem den Schwerpunkt seiner Verbreitung auf dem Lande. Auch hier sprechen eine ganze Anzahl Tatsachen dafür, daß sich dasselbe erst sekundär das Süßwasser und vielleicht gleichzeitig oder später auch das Meer als Wohnraum eroberte. Wie bereits erwähnt, fand Dujardin!?) eine erst marine Spezies, Stewart!®) an der indischen Küste eine weitere, Ditlevsen?®) an der grönländischen Küste eine dritte und ich selbst neulich in Algenrasen bei der Landungsbrücke bei Vietoria eine vierte. Sicher handelt es sich auch hier um terrikole Immigranten, die ebenfalls den direkten Weg von der Küste aus einschlugen. Leicht ließen sich die Beispiele für das gleiche Geschehen noch vermehren. Die Gruppe derjenigen Genera, die ihren Schwerpunkt im Meere haben, aber auch Vertreter auf dem Lande und im Süßwasser be- sitzen, zeigt nun das umgekehrte Verhalten. 14)7 Bastian Chr... 1\.se., Nr. 7. 15) Ditlevsen, Danish freeliving Nematodes. In: Vid. Medd. fra den Naturh. Foren. Kobenhavn 1911, Bd. 63, p. 240, Tab. 2, Fig. 1—5 u. 7. 16) Steiner, G., Freilebende Nematoden aus der Barentssee. In: Zool. Jahrb. Syst., Bd. 39, p. 518, Tab. 18, Fig. 1a—g. 17) Steiner, G., Beiträge zur Kenntnis mariner Nematoden. In: Zool. Jahrb. Syst. (im Drucke!). 18) Dujardin, Felix, Histoire naturelle des Helminthes ou vers intestinaux. Paris 1845, p. 231, Tab. 3, Fig. D. 19) Stewart, F. H., Report on a collection of free-living nematodes from the Chilka Lake on the East of Indian. In: Records of the Indian Museum, Bd. 10, p- 247, Tab. 30, Fig. 5—7. 20) Ditlevsen, H., A marine Dorylaimus from Greenland waters, Dory- laimus maritimus n. sp. In: Danmark-Ekspeditionen til Grenlands Nordestkyst 1906—1908, Bd. 3, p. 429, Tab. 18, Fig. 1—5. In: Meddelser om Grenland, Bd. 43, 1913. 306 G. Steiner, Uber das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. Nehmen wir das Genus Oncholaimus. Vertreter desselben sind an allen Küsten äußerst häufig. Neuerdings hat aber Cobb?!) in einem Süßwassertümpel auf Kap Breton Island eine hierher ge- hörende Süßwasserform, den O. punctatus gefunden. An der Küste der Nordsee ist als typisch marıne Form der ©. fuscus Bast. sehr häufig. Nun hat de Man°?) ım gleichen Gebiet zwei demselben sehr ähnliche und verwandtschaftlich sehr nahestehende Spezies, O. thalassophyas de Man und ©. lepidus de Man gefunden, die aber nicht mehr marın vorkommen, sondern die von brackischem Wasser durchfeuchtete Erde der Küste bewohnen. Durch Dit- levsen?) und Guido Schneider°*) sind diese Beobachtungen de Man’s bestätigt worden. Hier ist der Hauptschritt zur a wanderung aufs Tand mit dem Übertritt in brackische Erde getan. Das Genus Kurystoma verhält sich ähnlich; es ist typisch marin; doch fand de Man?°’) auch hier eine Spezies, die F. terricola, die bereits den ersten großen Schritt zur Einwanderung aufs Land und Anpassung an die terrikole Lebensweise gemacht hat. Sie bewohnt nämlich ebenfalls die von Brackwasser imbibierte Erde der hollän- dischen Küste. Ihre Gattungsverwandten im Meer besitzen Augen- flecken; sie scheint dieselben in Anpassung an die terrikole Lebens- weise verloren zu haben. Ein Genus, das in allen drei Medien sehr verbreitet ist, ist Monohystera. Auch hier müssen wir marinen Ursprung annehmen. Da gibt es nun Spezies, für die sicher direkte Einwanderung vom Meere aufs Land anzunehmen ist und vermutlich hat außerdem noch ein Austausch zwischen Land- und Süßwasser stattgefunden. Auch für Chromadora und Spilophora lässt sich ähnliches nach- weisen und leicht ließen sich auch hier die Beispiele noch ver- mehren. Hat ın den eben dargestellten Fällen bereits ein Austausch stattgefunden, so ıst derselbe ın vielen andern auf halbem Wege stehen geblieben oder überhaupt nur noch halb gediehen. Eine große Zahl von typisch terrikolen Nematoden geht an der Wasser- kante auch noch in die mit Brackwasser durchtränkte Erde. So z. B. Cephalobus nanus de Man, B oxyuroides de Man, k “ elongatus de Man, 21) Cobb, N. A., North American freeliving fresh-water Nematodes. In: Trans. American Microscop. Soc., Bd. 33, p. 57, Tab. 5, Fig. 14. . 22) Man, J.G. de, Über zwei in der feuchten Erde lebende Arten der Gat- tung Oncholaimus Duj. In: Tijdschr. Ned. Dierk. Vereen. (2) II, 3—4, 1889. Da)MDiitlevisienknligeseNTl: 24) Schneider, Guido, |. c., Nr. 12. 25) Man, J.G. de, Sur quelques espices nouvelles ou peu commes de nema- todes libres habitant les cotes de la Zelande. In: M@m. Soc. Zool. France, Vol. 20, p. 81, Tab. 4, Fig. 17, 1907. G. Steiner, Uber das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. 207 Plectus geophilus de Man, r longicaudatus Bütschli, u. s. w., alles Formen, die spezifische Erdbewohner sind. Die resistente Hautdecke wird sie einigermaßen unempfindlich machen gegen ge- ringe Schwankungen im Salzgehalt. Im Gegensatz dazu scheinen die marınen Einwanderer ins Brack- wasser auf die Verminderung im Salzgehalt in den meisten Fällen mit morphologischen Umbildungen zu reagieren. Eine weitere interessante Gruppe von Genera sind diejenigen, die ich als Parallelgenera bezeichnen möchte. Schon in der Namen- gebung kommt zum Ausdruck, daß wir auf dem Lande und im Süßwasser einerseits, im Meere anderseits öfters sich sehr nahe- stehende Genera finden, ohne daß bis jetzt Spezies der einen im Medium der andern gefunden worden wären. So haben wir auf dem Lande und im Süßwasser marin. Alatmus, Thalassoalaimus, Halalaimus, Aegroalaimus, Plectus, Haliplectus, Aplectus, Tripyla, Tripylordes, Choanolaimus, Halichoanolaimns. Das Genus Alaimus mag hier als Beispiel dienen. Es sind nur einige wenige Arten von demselben bekannt, die hauptsächlich auf dem Lande, aber auch ım Süßwasser leben. Das Genus ist höchstwahrscheinlich aus dem marinen Genus Thalassoalaimus ent- standen durch völlige Reduktion der Kopfborsten, der Schwanz- drüsen und des akzessorischen Stückes beim Männchen. Es sind dies Rückbildungen, die sich leicht als Anpassungserscheinungen an die terrikole Lebensweise erklären lassen. Die Einwanderung aufs Land brachte hier morphologische Umbildungen mit sich, denen wir den Wert von Genuscharakteren beilegen. Aus dem Voranstehenden ergeben sıch trotz der auf den ersten Blick nicht unbedeutenden Unterschiede recht innige Beziehungen zwischen Meeresbewohnern einerseits und Land- und Süßbewohnern anderseits. Gewiß hat zwischen den Nematodenfaunen der beiden Wohnbezirke ein steter Austausch stattgehabt; zukünftige For- schungen werden freilich dieses Geschehen erst noch in seinem Umfang und in seiner ganzen Bedeutung festzustellen haben. Die zwei in ihrem Chemismus so verschiedenen Lebensräume wurden von den Nematoden nicht so erobert, daß nach einem einzigen Austausch hier wie dort eine besondere Entwicklungsrichtung ein- geschlagen wurde und zur Entstehung je einer spezifischen syste- matischen Gruppe führte, wie Bastian anzunehmen schien. Ein reiches Netzwerk genetischer Beziehungen verknüpft vielmehr die 208 G. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. scheinbar so verschiedenen Faunen. Dieser Austausch ist auch heute noch im Gang. Für die spätere Aufstellung eines Systems und namentlich für die Feststellung der stammesgeschichtlichen Be- zıehungen der einzelnen Formen und Gruppen wird die Berück- sichtigung dieser Verhältnisse von größter Wichtigkeit sein. Daß die Einwanderung vom Lande ins Süßwasser oder umge- kehrt vom Süßwasser aufs Land für den Nematodenorganismus keine einschneidende Änderung im Chbemismus des Lebensraumes bedeutet, ist ohne weiteres klar. Auch in physikalischer Beziehung gilt dies, da ja nicht das freie Wasser, sondern der Grund be- wohnt wird. Ganz anders aber bei der Einwanderung vom Land oder Süß- wasser ins Meer, resp. vom Meer aufs Land oder ins Süßwasser. Hier ändert sich der Chemismus des Wohnraumes stark. Die Folge dieser Verhältnisse ist die weitgehende Überein- stimmung der Land- und Süßwasserfauna selbst bezüglich der Spe- zıes, dagegen aber ein früheren Beobachtern so einschneidend er- schienene Unterschied der Meeresnematoden von denen des Landes und des Süßwassers. Ein Wechsel zwischen Land und Süßwasser oder umgekehrt scheint keine oder nur geringe somatische Änderungen zu bewirken, während Einwanderung ins Salzwasser, resp. Auswanderung aus diesem, starke somatische Umbildungen hervorruft. So ist es nicht ausgeschlossen, daß einige heute als verschiedene Spezies taxierte Formen sich später als marine, resp. limnobiontische oder geobion- tische Varietäten ein und derselben Spezies entpuppen werden. Soweit wir die Tatsachen heute überblicken können, scheint bei der Entstehung neuer Arten bei den Nematoden der Wasser- kante eine große Bedeutung zuzukommen, und zwar ıst es mehr die direkte Küste, die Kontaktzone zwischen Land und Meer als die Berührungszone zwischen Süßwasser und Meer. Es sind dies Tatsachen, die sich aus der Lebensweise der Tiere gut verstehen lassen. Ein Übergang vom Meeresboden in die mit Brackwasser imbibierte Erde und von dort in von Süßwasser durchtränkten Boden bietet viel allmählichere, weniger plötzlichen Wechseln aus- gesetzte Übergänge als die direkte Wasserstraße vom Meer ins Süßwasser. Dasselbe gilt natürlich auch für den umgekehrten Weg. Dabei hat sich eine, wie es scheint, nicht unbeträchtliche typische Brackwasserfauna ausgebildet mit zahlreichen spezifischen Brackwasserarten, ja selbst Genera. Dieser letztere Punkt ist eine weitere Bestätigung dafür, daß gerade der Nematodenkörper trotz der relativ starken Körperdecke auf den Chemismus des Wohn- raumes stark reagiert. Schließlich wäre hier auch noch die Frage zu berühren, welchen Lebensraum die ursprünglichsten, die primitivsten Nematoden be- (+. Steiner, Über das Verhältnis der marinen freilebenden Nematoden ete. 209 wohnen. Kine diesbezügliche Antwort ist heute noch sehr schwer zu geben. Auf meinen Studien fußend, glaube ich mich aber sehon jetzt dahin äußern zu dürfen, daß von den heute lebenden und be- kannten Nematoden unzweifelhaft einige terrikole, resp. auch limno- biontische Genera die primitivsten Charaktere zeigen. Wie die Verhältnisse liegen, scheint das Exkretionssystem für die Beur- teilung der Phylogenese recht wichtig zu sein; da glaube ich aber ın den Formen mit Seitenkanälen einen primitiveren Typus zu sehen als in jenen mit ein bis mehreren Ventraldrüsen oder gar mit Seitenfelddrüsen. Die marinen Formen sind dann als die abge- leiteten zu betrachten. Ein weiteres nicht zu verachtendes Argument für diese Stellung- nahme bietet dıe Art der Kopulation. Bekanntlich gibt es Nema- toden, bei denen die Männchen eine sogenannte Bursa besitzen, d.h. mit Rippen gestützte Hautsäume um die männliche Geschlechts- öffnung, mit Hilfe derer sich das Männchen dem Weibchen an der Vulva flach aufheftet. Einer zweiten Gruppe von Nematoden fehlt diese Bursa, da- gegen kann das Männchen mit Hilfe besonderer Muskeln, der soge- nannten Bursalmuskeln, das Schwanzende spiralig um das Weibchen rollen, dieses also in der Gegend der Vulva mit dem Schwanze umschlingen und so zur Kopulation festhalten. Vieles spricht dafür, daß der erste Typus der ursprüngliche, der zweite der jüngere ist; den ersteren treffen wir hauptsächlich bei terrikolen Formen, den letzteren fast durchgehends beı allen marinen Arten. Freilich müssen zur richtigen Beurteilung der stammesgeschicht- lichen Beziehungen noch zahlreiche andere Organe in Betracht ge- zogen werden, wie der Bau des Vorderdarms, der Geschlechtsorgane, der Haut, ferner das Fehlen oder Vorhandensein von Schwanz- drüsenzellen u. s. w. Soweit ich aber heute diese Verhältnisse über- blicken kann, scheinen sıe nicht gegen die oben geäußerte Ansicht zu sprechen. Vom Lande aus haben sich die freilebenden Nematoden das Meer erobert, hier eine reiche Formenfülle erreicht und sind dann sekundär teilweise wieder aufs Land und ins Süßwasser zurück- gewandert, letzteres ın einigen Fällen sogar auf dem Wege über das Land. Fassen wir nochmals kurz zusammen. Die freilebenden Nematoden der drei Lebensräume Meer, Land und Süßwasser besitzen entgegen der Bastian’schen Darstellung einen durchaus einheitlichen Charakter. Land und Süßwasser besitzen in großer Zahl dieselben Spezies, fast durchgehends dieselben Genera. »7. Band 14 210 E. Wasmann, Die Neuausgabe des „Tierbuches“ Albert des Großen. Das Meer einerseits, Land und Süßwasser andererseits scheinen dagegen keine gemeinsamen Arten zu besitzen, weisen wohl aber eine ganze Anzahl gemeinsamer Genera auf. Die Mehrzahl der Süßwasserarten ist von terrikoler Herkunft, eine geringere Zahl von mariner. Zwischen Land und Süßwasser fand ein ständiger Austausch der Formen statt; ebenso zwischen Süßwasser und Meer und Land und Meer. Es gibt ım Meere eine ganze Anzahl Immigranten terrikoler, vielleicht auch limnobiontischer Herkunft. Umgekehrt ist die Zahl der Immigranten mariner Herkunft auf dem Lande und im Süßwasser beträchtlich. Als Austauschstraße hat das Ufer, die direkte Küste über- wiegende, die Kontaktzone zwischen Meer und Süßwasser geringere Bedeutung. Dem Berührungsgebiet zwischen Meer und Süßwasser und Land scheint ein nicht unbeträchtlicher Anteil an der Schöpfung neuer Arten, ja selbst Genera zuzukommen. Wir kommen also bezüglich der Nematoden zu Ansichten, die Simroth?°*) bereits 1591, wenn auch nicht speziell für diese Tier- gruppe geäußert hat. Referate. Die Neuausgabe des „Tierbuches“ Albert des Grolsen. Besprochen von E. Wasmann S. J. (Valkenburg). Hermann Stadler, Albertus Magnus de AnimalibusLibriXXVI. Nach der Cölner Urschrift. I. Bd., Buch I—XII enthaltend. (Beiträge zur Ge- schichte der Philosophie des Mittelalters, herausgegeben von Cl. Baeumker, Bd. XV.) Münster i. W. 1916. Aschendorff’sche Verlagsbuchhandlung. Uber die Vorgeschichte des Werkes berichtet der Verf. ın der Einleitung. Stadler hatte schon 1905 auf Einladung R. v. Hert- wig’s im Verein für Naturkunde in München einen Vortrag ge- halten über „Albertus Magnus als selbständiger Naturforscher“ !!). Da eine kritische Ausgabe der Tiergeschichte des Albertus bisher 26) Simroth, H., Die Entstehung der Landtiere. Ein biologischer Versuch. Leipzig 1891. 1) Gedruckt in Döberl-Reinhardstöttner, Forschungen zur Geschichte Bayerns XIV SIE E. Wasmann, Die Neuausgabe des ‚Tierbuches“ Albert des Großen. 9 p} f« E iQ fehlte, entschloss sich Stadler auf Zureden R. v. Hertwig’s und des Referenten, die Gölner Handschrift derselben neu herauszugeben, um jene Lücke in der zoologischen Literatur des Mittelalters aus- zufüllen. Das schwierige, mit langwieriger Arbeit und vielen Kosten verbundene Werk wurde ermöglicht durch die Unterstützung der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften ın München, der Görresgesellschaft und der Rheinischen Gesellschaft für wissen- schaftliche Forschung. So konnte Stadler schon 1908 auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Oöln in seinem Vortrage „Albertus Magnus von Cöln als Naturforscher und das Cölner Autogramm seiner Tiergeschichte“?) das Erscheinen der Neuausgabe in sichere Aussicht stellen. In seinen „Vorbemerkungen zur neuen Ausgabe der Tiergeschichte des Albertus Magnus“, welche Stadler 1912 veröffentlichte’), behandelte er eine Reihe text- kritischer Fragen und führte vor allem den eingehenden Nachweis, dass die Cölner Handschrift wirklich als Urschrift des Werkes an- zusehen sei; daher konnte er sich in der Einleitung seines Werkes bezüglich dieser Fragen kürzer fassen. Der Druck des jetzt vor- liegenden I. Bandes, der über 900 Seiten umfasst, hatte schon ım Herbst 1913 begonnen, war aber wegen der Kriegsverhältnisse ver- langsamt worden. Dass die Neuausgabe der Tiergeschichte des Albertus Aufnahme fand ın die von Cl. Baeumker herausgegebenen „Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters“, beweist wohl, dass das Interesse der Freunde der mittelalterlichen Philo- sophie an diesem Werke nıcht geringer ist als jenes der Freunde der modernen Naturwissenschaft. Ebenso wıe für Aristoteles so ist ja auch für Albertus die gesamte Biologie nur ein Zweig der Naturphilosophie. Die strittige Entstehungszeit des Tierbuches des Albertus und überhaupt seiner naturwissenschaftlichen Arıstoteleskommentare be- handelt Stadler kurz in der Einleitung. Während Jessen und andere ältere Autoren die Ansicht vertraten, dass dieselben erst nach 1262 entstanden seien, glauben einige neuere, wie J. A. En- dres, beweisen zu können, dass Albertus bereits um die Mitte der fünfziger Jahre des 13. Jahrhunderts mit der Hauptarbeit seiner Kommentare des Stagiriten fertig gewesen sei. Stadler kann kein endgültiges Urteil darüber abgeben, scheint jedoch der letzteren Ansicht zuzuneigen. Für das Verhältnis der naturwissenschaftlichen Schriften Alberts zu jenen des Thomas von Chantimpre ıst diese Frage übrigens von Wichtigkeit. Von den etwa 40 Handschriften des Tierbuches Albert des Großen, welche M. Weiss 1905 auf- zählt, gehören 3 (?) dem XIlI., 10 dem XIV., die übrigen dem XV. Jahrhundert an. Den ersten Rang unter allen nimmt der Codex Coloniensis als Urschrift des Werkes ein. Den Text des Neudrucks hat Stadler nach Jessen’s Vorgang buchweise in Para- 2) Verhandlungen I, Leipzig 1909, S. 29—37. 3) Sitzungsber. d. K. Bayer. Akad. d. Wissensch., philosophisch-philologische und historische Klasse, 1912, I. Abhandlung. 14* 912 E. Wasmann, Die Neuausgabe des „Tierbuches‘‘ Albert des Großen. graphen von ungefähr 20 Zeilen eingeteilt und zugleich durch senk- rechte Zwischenstriche, deren Erklärung ın der Einleitung (S. XI) gegeben ist, kenntlich gemacht, was von Albertus selber stammt und was er seinen Quellen entnommen hat. Die wichtigste der- selben ist die arabisch-lateinische Übersetzung des Aristoteles durch Michael Scottus, ferner die Canones und das Aristoteles-Exe erpt de anımalıbus von Avicenna, und endlich Galenus, der meist indirekt aus Avicenna zitiert wird. Übri igens wird die von Albertus be- nutzte Literatur am Schlusse der Neuausgabe ın einem „Index autorum“ zusammengestellt werden, während der „Index rerum“ die Tiere des Albertus behandeln wird. Es wäre sehr dankenswert, wenn Stadler bei letzterer Arbeit auch auf die „Physica Hilde- gard’s von Bingen (1098— 1179) sein Augenmerk richten würde namentlich wegen der zahlreichen deutschen Tiernamen, welche Hildegard’s volkstümliche Naturgeschichte enthält®). Dass Albert der Große als selbständiger Forscher in vielen Punkten über seine Vorgänger hinausging, hat Stadler bereits ın seinen erwähnten Vorträgen zu München 1905 und zu Cöln 1908 zur Genüge gezeigt. Albertus hat nicht bloß das deutsche Volks- wissen seiner Zeit in seinem Tierbuch zusammengefasst, sondern hat es auch durch viele eigene Beobachtungen bereichert und manche deutsche Tiere zum erstenmal beschrieben. Stadler nennt ihn deshalb „einen Beobachter allerersten Ranges“ und fügt bei: „wäre die Entwicklung der Naturwissenschaften auf der von Albertus eingeschlagenen Bahn weitergegangen, so wäre ıhr ein Umweg von drei Jahrhunderten erspart geblieben.“ Wenn die Stadler’sche Neuausgabe der Oölner Urschrift samt der Deutung seiner Tiernamen vollendet vorliegt, wird hierüber ein allseitiges Urteil möglich sein. Aus dem vorliegenden I. Band sei hier nur ein Beispiel zur Veranschaulichung der Biologie des Albertus angeführt, nämlich seine Schilderung der Ameisen im VII. Buch „de moribus anıma- lium (S. 627). Hier zeigt sich wiederum, wie er als selbständiger Beobachter über Aristoteles weit hinausgeht. Von den 32 Zeilen, die er den Ameisen widmet, sind nur 4 dem Stagiriten entlehnt, und diese werden noch durch Zwischensätze ergänzt. Die übrige Schilderung ist Original eines naiven Beobachters unserer ein- heimischen Emsen und speziell unserer Waldameise, die den volks- tümlichsten Typus bildet. Neben manchen Irrtümern finden wir hier bei Albertus auch viele auffallend zutreffende Wahrnehmungen. Die Fühler der Ameise haben seine besondere Aufmerksamkeit er- regt als eigentümliche Anhänge, „die nach Art zweier Haare vom Kopf ausgehen“; aber er hält sie irrtümlich für Augenstiele. Da- gegen hat er ihre hohe biologische Bedeutung für das Orientierungs- vermögen der Ameisen richtig eingeschätzt, und zwar auf Grund 4) Vgl. mein Referat: Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin (Biol. Centralbl. 1913, Nr. 5); ferner: Die hl. Hildegard von Bingen als Natur- forscherin (Festschr. f. v. Hertling, 1913). E. Wasmann, Die Neuausgabe des „Tierbuches“ Albert des Großen. 9215 der Beobachtung und des Experiments. Denn er sagt, wenn man der Ameise die Fühler abschneide, irre sie ziellos umher: „tunc vadıt ervando nesciens quo vadat“, und beisse sich an der ersten besten ihrer Gefährtinnen fest, die ihr begegnet, und lasse sich von ıhr nicht leicht losreißen; er meint. auf diese Weise lasse sich die fühlerlose Ameise nach Hause geleiten, während ın Wirklich- keit mit dem Verlust der Fühler auch das Unterscheidungsvermögen der Ameise für Freund und Feind verloren gegangen ist, und sie sich deshalb an die ıhr begegnenden festbeisst. Kälte, Regengüsse und Stürme sollen die Ameisen nach Albertus vorherfühlen, weil sie sich vor dem Ausbruch derselben in ihre Nester zurückziehen. Die Puppen der Ameisen hat er nur in Gestalt von Kokons ge- sehen, die er natürlich für Eier hält, jedoch in ihrer fast walzen- förmigen Gestalt und der Pflege, die ihnen zuteil wird, richtig beschreibt; und wenn man den Bau der Ameisen öffne, so würden diese Eier von ihnen eiligst fortgetragen. Irrtümlich ıst seine An- schauung, dass bei den Ameisen die Männchen und Weibchen ge- meinsam arbeiten; dass die Arbeiterinnen eine besondere Kaste des weiblichen Geschlechtes sind, ist ihm verborgen geblieben; die ge- flügelten Geschlechtstiere hat er offenbar nicht gesehen, auch nicht die eierlegenden Königinnen. Aber er bemerkt richtig, dass die Ameisen bei ihrer gemeinschaftlichen Arbeit und bei ihren Aus- zügen keinen „König“ zu haben scheinen, der sie leitet. Hierauf zıeht er einen fast modernpsychologisch klingenden Vergleich zwischen dem Staatswesen der Bienen und der Ameisen, indem er dem letzteren ım (Gregensatz zu ersterem einen republikanischen, ıdealsozialistischen Charakter zuschreibt: „et ıdeo civilitas earum non est sicut apum, sed potius sicut eivilitas eorum quorum nullus quidem optinet principatum, sed omnes simul ex affeetu virtutis et bonı naturalis gratia ın unum habıtant et in commune operantur.“ Dass bei den Ameisen die Gemeinschaftlichkeit der Arbeit durch den Nachahmungstrieb bewirkt wird, indem die eifrigsten Ar- beiterinnen gleichsam den Ton angeben für die Tätigkeit der übrigen, ist in diesen Worten vortrefflich zum Ausdruck gebracht. Aller- dings spielt auch bei den Bienen der Nachahmungstrieb eine große Rolle. Aber die einzige Königin des Stockes tritt hier nach außen in viel auffallenderer Weise als der soziale Mittelpunkt des ganzen (Gemeinwesens hervor, weshalb dem Bienenstaate von altersher ein vergleichsweise monarchischer Charakter zugeschrieben wurde. Zweifellos waren es die Waldameisen (Gruppe der Formica rufa L.), die Albertus hauptsächlich beobachtet hat. Dies geht aus seiner Angabe hervor, dass die Ameisen zur Verteidigung „einen scharfen ätzenden Saft ausspritzen“, der auf der menschlichen Haut Blasen zieht. Wenn er beifügt, den anderen Tieren schade dieser Saft nichts, so hat er allerdings die tödliche Wirkung derselben Ameisensäuresalven auf Frösche und Kröten nicht gesehen. Auch der eigentümliche aromatische Geruch der Waldameisenhaufen war ıhm bekannt; er nennt ihn „acutum quendam ponticum odorem 214 E. Wasmann, Die Neuausgabe des ‚„Tierbuches“ Albert des Großen. delectabilem“. Wenn man frische Bretter von Weinfässchen auf diesen Haufen reibe und sie darauf liegen lasse, so nehme später auch der Wein, der in jene Gefäße gegossen wird, den Geruch und Geschmack des Ameisennestes an; deshalb nenne man diesen Wein „Ameisenwein“ (vinum formicatum). Dass die Waldameisen großen- teils von der Zucht der Blatt- und Schildläuse leben, ist ihm ent- gangen. Er nennt als ıhre Nahrung „den Saft von Früchten und Fleisch und manchmal auch saftige Kräuter)“ und berichtet, dass sie auch kleine Teile dieser Nahrungsmittel zu ihrem Neste tragen. Die Anfänge einer richtigen Beobachtung des Ameisenlebens sind in diesen Schilderungen wohl nicht zu verkennen, und zwar auf Grund von Wahrnehmungen an unseren nordischen Ameisen, die dem Aristoteles unbekannt waren. Wenn man die Überschriften der Bücher der Tiergeschichte des Albertus liest, ıst man vielfach überrascht über die "Anklänge an modern wissenschaftliche Auffassung auf Aristotelischer Grund- lage, wıe folgende Beispiele zeigen. Das Werk beginnt mit der vergleichenden Morphologie: „Liber I quı est de membris animalium et praecipue perfectissimi anımalis quod est homo.“ „Liber II in quo agitur de comparatione aliorum anımalium ad hominem secun- dum convenientiam et differentiam.“ Neben der äußeren Morpho- logie wird in diesen beiden Büchern auch die Anatomie der Sinnes- organe, des Skelettes, des Muskelsystems und der „innern Organe* behandelt. Das II. Buch, „qui est totus de origine similium mem- brorum quae sunt in animalibus“ enthält weitere Betrachtungen der vergleichenden Anatomie und Physiologie des Blutumlaufsystems, des Nervensy stems u. s.w. Dass dabei mannigfache Irrtümer unter- laufen, braucht kaum bemerkt zu werden. So verteidigt Albertus hier die Ansicht des Aristoteles, dass das Herz auch das Zentral- organ des Nervensystems sei und wendet sich gegen Galenus, der in manchen Punkten bereits richtigere Anschauungen hatte als Aristoteles. Mit der vergleichenden Fortpflanzung und Entwicklung der Tiere beschäftigen sich das V. Buch „de generatione animalium in communi“ und das VI. Buch „de natura et anathomia et gene- ratione ovorum“, Das VII. und VIII. Buch bieten eine vergleichende Bionomie und Psychologie der Tiere, letztere besonders ım VIII Buch, „qui est de 'moribus animalium“. Hier wird die Handlungsweise der Tiere in mehreren Abschnitten „secundum prudentiam et stultitiam ipsorum“ verglichen, zuerst bei den Landsäugetieren und den Vögeln, dann bei den Meerestieren und dann bei den Gliedertieren. Der letztere Traktat, „in quo agitur de astutia et operibus anulosorum“, ist von besonderem Interesse; hier werden besonders die Spinnen und die geselligen Insekten, die Ameisen, Bienen und Wespen be- rücksichtigt. Dann folgt ein Abschnitt „de moribus quadrupedum“ 5) „Succositas herbarum“, eigentlich „Kräutersaft“. Wenn Albertus die Be- leekung der an Pflanzen saugenden Blattläuse durch die Ameisen beobachtet hätte, würde das Wort eine richtige Deutung gefunden haben, Be 3rehm’s Tierbilder. 315 und endlich eine theoretische Erörterung über die psychischen Fähigkeiten der Tiere. In diesem Traktat (Liber VIII, Tractatus VI, Cap. I, p. 666—671) geht Albertus sehr selbständig voran, ohne einen Text des Aristoteles zu kommentieren, und sucht die tierischen Seelenfähigkeiten aus ihren Äußerungen unparteiisch zu erschließen. Wie weit er davon entfernt ıst, dıe Tiere zu „von Gott geleiteten Maschinen“ zu machen, wıe man der mittelalterlichen Scholastik immer noch vorwirft, geht namentlich aus dem $ 235 hervor, wo er seine Ergebnisse kurz zusammenfasst. Denjenigen Tieren, welche gut entwickelte Sinnesfähigkeiten haben, schreibt er auch ein sinn- liches Assoziationsvermögen und ein sinnliches Urteil zu, jenen, welche ein Gehör besitzen, auch Gedächtnis und Lernfähigkeit. Ein Vermögen der Abstraktion, welches die allgemeinen Beziehungen (die „Universalia“) erfasst, kann er bei den Tieren jedoch nicht finden und deshalb auch keinen Verstand und Vernunft (intellectus et ratio). Im $ 236 äußert er seine Ansicht über das Wesen des sogenannten Staatenlebens bei den Tieren und über die Art und Weise, wie die Glieder einer solchen Gemeinschaft ihre Zusammen- gehörigkeit wahrnehmen, und vergleicht sodann die Tierstaaten mit den Menschenstaaten. Der Mensch erkennt sıch wirklich als Glied eines Gemeinwesens, weil er durch seinen Verstand die allgemeinen Beziehungen erfasst. Auch hier zeigt sich der kritische Blick des Albertus und sein Bestreben, in der Beurteilung des tierischen Seelenlebens die richtige Mitte zu halten. Hoffentlich wird auch der zweite Band der Neuausgabe der Tiergeschichte Alberts des Großen bald auf den ersten folgen. So- wohl die Naturforscher wıe die Philosophen werden Stadler für seine verdienstvolle Arbeit Dank wissen, durch die er das Ver- ständnis der Geistesarbeit des „Doctor unıversalis“ der modernen Welt näher gerückt hat. Brehm’s Tierbilder. I. Teil. Die Kaltblüter. 60 farbige Tafeln aus Brehm’s Tierleben von Paul Flau- duky, Josef Fleischmann, Walter Heubach, Wilhelm Kuhnert, Hein- rich Morin und Georg Mützel. Mit Text von Dr. Vietor Franz. Leipzig und Wien 1916. Bibliograph. Institut. Es ist ein verdienstliches Werk, daß das Bibliographische In- stitut sich entschlossen hat, die farbigen Tafeln von Brehm’s Tierleben in gesonderter Ausgabe mit kurzem erläuterndem Text erscheinen zu lassen. Denn die meisten Tafeln sind von so hervorragender Schönheit, daß sıe verdienen, einem weiteren Kreis zugänglich ge- macht zu werden. Sie werden nicht nur die Freude des Biologen und des biologisch interessierten Laien erregen, sondern auch das Interesse der Künstler, welche in den Bildern wohl reiche Anregung finden werden. Ich habe wiederholt gerade von hervorragenden Künstlern den Wunsch äußern hören, es möchten die Naturobjekte ihnen nicht in ornamentaler, stilisierter Weise, als „Kunstformen 216 Dahl, Fr., Die Asseln oder Isopoden Deutschlands. der Natur“ dargebracht werden, sondern in möglichst getreuer Nach- ahmung ihrer natürlichen Erscheinungsweise. Diesen Wünschen ist in den vorliegenden Tafeln, welche ja bestimmt sınd, ein natur- wissenschaftliches Werk zu illustrieren, ın hohem Maße entgegen- gekommen worden. Unter dem gemeinsamen Namen „Die Kaltblüter“ faßt der der Besprechung zugrunde liegende 1. Teil nicht nur die Wirbellosen zusammen, sondern auch von den Wirbeltieren die Fische, Amphı- bien und Reptilien. Wissenschaftlich läßt sich diese Zusammen- fassung nicht rechtfertigen, wohl aber vom Standpunkt des Laien und des Künstlers; sie umfaßt die Tierformen, welche ihnen weniger unter die Augen kommen wie die in unserer Lebewelt mehr ın den Vordergrund tretenden Vögel und Säugetiere. Gerade dieser Umstand wird es mit sich bringen, daß der Beschauer der Tafeln besonders reiche Anregung empfangen wird. In hervorragender Weise gilt das Gesagte von der Tierwelt des Wassers und hier wieder speziell von der mikroskopischen Tierwelt. Die Darstellung derselben — ich verweise namentlich auf die Tafeln Süßwasserinfusorien und Moostierchen — zeigt einen bisher nicht erreichten Grad der Vollendung. Stehen dem Charakter des Werks entsprechend die Abbildungen im Vordergrund, so wird es den Benutzern desselben doch sehr willkommen sein, daß ein erfahrener Zoologe zu jeder Tafel eine Seite eines kurzen erläuternden Textes hinzugefügt hat. R. Hertwig. Dahl, Fr. Die Asseln oder Isopoden Deutschlands. VI u. 90 S. mit 107 Abbildungen im Text. Jena 1916, Verlag von G. Fischer. Preis M. 2.80. Für die Land- und Meerestiere der Deutschen Fauna fehlt uns noch, von wenigen Ausnahmen, so den Vertebraten und den häufiger gesammelten Insekten abgesehen, das, was die Heftchen der Brauer'- schen Süßwasserfauna für Süßwassertiere sind, nämlich Bestim- mungsschlüssel, die alle Arten der behandelten Gruppe umfassen. Es ist mit Freude zu begrüßen, daß das vorliegende Werk einen Teil dieser empfindlichen Lücke schließt. Es werden in systema- tisch-analytischen Tabellen alle Isopoden (auch die Meeresasseln) der deutschen Fauna behandelt unter Angabe der Verbreitung, des Vorkommens, der Synonymik und wichtigsten Literatur. Beigefügt ist eine Zusammenfassung über die geographische Verbreitung der Asseln in Deutschland und eine analytisch-biologische Tabelle des Vorkommens. C. Zimmer (München). Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisehes Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr. Ru Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen ae von ge Thieme in ST 7. Band Mai 1917. Nr. 5 auzpereren am 30. Mai Der Jährliche ee: (12 Hefte) Bez 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen Inhalt: A. v. Tschermak, Über das verschiedene Ergebnis reziproker Kreuzung von Hühnerrassen und über dessen Bedeutung für die Vererbungslehre (Thevrie der Anlagenschwächung oder Genasthenie). 8. 217. B. Slotopolsky, Die Begriffe der Cytometagenesis und der geschlechtlicehen Fortpflanzung und ihre Anwendung in der Biologie. S. 277. J. S.Szymanski, Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. S$. 232. — Neuerschienene Bücher. S. 258. Über das verschiedene Ergebnis reziproker Kreuzung von Hühnerrassen und über dessen Bedeutung für die Vererbungslehre (Theorie der Anlagenschwächung oder Genasthenie). Von A. v. Tschermak, Prag. (Mit 12 Textfiguren.) I. Eigene Beobachtungen. Meine im Winter 1911/12 begonnenen Versuche über den Ein- fluß, welchen die Bastardierung auf die Eischale von Hühnerrassen besitzt!), führten naturgemäß auch zur probeweisen Erbrütung von 1) Vgl. A. v. Tschermak, Über die Verfärbung von Hühnereiern durch Bastardierung und über Nachdauer dieser Farbänderung (Farbxenien und Färbungs- telegonie). Biolog. Zentralbl. Bd. 35 Nr. 1, S. 46—63 (20. Januar 1915); Gibt es eine Nachwirkung hybrider Befruchtung — sogenannte Telegonie? Deutsche landw. Presse (Berlin), Juni 1915, Nr. 54 (8.A. S. 1-8); Über die Wirkung von Bastar- dierung auf die Vogeleischale. Xeniodochie und Telegonie. Prager Mediz. Wochen- schrift Bd. 40, Nr. 22, 1915 (S.A. S. 1-9). 37. Band 15 918 A v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Bastarden aus beiderseitiger Verbindungsweise gelbeiiger und weibß- eliger Hühnerrassen. Da schon die ersten dieser Proben ein deut- lich und regulär verschiedenes Ergebnis reziproker Kreuzung zu- tage treten ließen, wurden die bezüglichen Versuche ausgedehnt und speziell dıe Vererbungsweise in einer Folge von 3—4 Gene- rationen studiert (1912—1916). Allerdings begegnete die Fort- führung und Ausdehnung solcher Versuche gar während der Kriegs- zeit erheblichen Schwierigkeiten. Obzwar mein Zuchtmaterial die Gesamtzahl von 161 Bastarden?) umfaßt, wäre zur Prüfung, be- ziehungsweise Sicherung der gegenwärtig ableitbaren Schlußfolge- rungen und zur Beantwortung mancher unsicher oder ungelöst ge- lassener Spezialfragen ein Arbeiten in größerem Maßstabe wünschens- wert. Dazu sind jedoch nur biologische Forschungsinstitute be- fähigt und berufen. Immerhin scheint mein bescheidenes und zum Teil fragmentarisches Material manche Beobachtungsdaten von all- gemeinerem Interesse zu bieten und einige theoretische Ableitungen zu gestatten, welche unsere Anschauungen auf dem Gebiete der Vererbungslehre ergänzen und umgestalten könnten. Angesichts des noch regen Flusses derselben erschien es mir geboten die mühe- vollen tatsächlichen Beobachtungen und ıhre theoretische Zusammen- fassung oder Verwertung scharf voneinander zu trennen — schon damit die ersteren auch dann ihren Wert behalten, wenn ihre Deutung abgelehnt oder durch eine bessere ersetzt werden sollte. Meine nun fünfjährigen Kreuzungsversuche betrafen folgende reine?) Rassen), beziehungsweise Rassenkombinationen: Gruppe la. Cochinchina gelb 9 X Minorka (alt) weiß, mit breitem, sogenanntem Rosenkamm d, Gruppe Ib. Minorka (alt) weiß, mit breitem, sog. Rosenkamm 2 X Cochinchina gelb d‘, Gruppe Ila. Italiener Rebhuhnfarben 9 X Plymouth Rock d, Gruppe Ilb. Plymouth Rock @ X Italiener Rebhuhnfarben dJ. 2) Davon wurden 110 bis zum erwachsenen Alter beobachtet, 51 starben als Kücken — zumeist bei Verwendung eines Brutapparates.. Von diesen 161 Ba- starden gehören zur ersten Bastardgeneration F, (= filii primi ordinis) 21, zu F, 38, zu F, 62, zu F'‘, (abgeleitete Bastarde und zwar Nachkommen von F,-Bastarden mit reinen Rassen) 26, zu F‘, 5, zu F‘, 9 Individuen. 3) Die von mir verwendeten Rassetiere haben bei Inzucht eine tadellos kon- stante Nachkommenschaft geliefert, sich also als „züchterisch oder phaenotypisch rein‘ erwiesen. Auch bei Kreuzung hat sich kein Grund dafür ergeben, sie für in- konstant anzusehen. Aber nicht bloß nach der äußeren oder scheinbaren Ver- erbungsweise, sondern auch nach ihrem Anlagen- oder Faktorengehalte scheinen die verwendeten Rassetiere — wenigstens soweit die speziell herausgehobenen Eigen- schaften, beziehungsweise Faktorenkomplexe in Betracht kommen — homozygotisch, also auch „faktoriell oder genotypisch rein“ zu sein. 4) Die zu meinen Versuchen benützten Individuen wurden durchwegs im Herbste 1911 von der bestbewährten Geflügelzuchtanstalt Kleinmünchen (Ober- A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 219 er Zur Ergänzung wurde auch Anpaarung solcher Bastarde mit fremden Rassen’) — andere Minorka (neu) weiß mit einfachem Kamm, Langshan, Braune Island ohne Schopf, Braune Island mit Schopf, graue Landrasse —, sowie Paarung von Bastarden ver- schiedener Herkunft untereinander vorgenommen. Jedes einzelne Tier, speziell jedes erwachsene, wurde nach folgender, 32 Punkte umfassender Tabelle, also in bezug auf 31 Körperregionen mehrmals genau untersucht und durch Schlag- worte auf einem Vormerkblatt charakterisiert. Die Beschreibung einer Körperregion umfaßt wiederholt eine ganze Anzahl von Einzel- merkmalen derselben. Die gelegentlich in den folgenden Über- sichten angeführten Nummern beziehen sich auf folgende Körper- regionen, beziehungsweise Merkmale (Gefiedereinteilung wesentlich nach Reichenbach). Merkmalsübersicht. NET WLUCHSSN ned ei ra 17. Steißtedern?. 2. 2... u. 2m Schmabelt UN u See 18: Nackentedern# Am SERIEN On. SI Kammer ie ee ee le 19H Rückentedern a. 2. m : Aulidsesendah E20 Keen en. 20%, Schulterfitiet. 2.45... Se rose. 2: DROhrdeekelii nu 2 a 0 eine ac 21% Sehnlterfedern...........43 are). BOhrlappchene. en ne ne 22. Deckfedern des Flügels ....... mekchllappeny sa... 2 00. Mes or a 23 Akterflügelli. nur een aaa 8. Ausbreitung und Farbenton der Ge- 24. Handschwingen ......... Ser. samtfärbung des Gefieders....... 25. Armschwingen (Fächerfedern) . . IDSLIENTEdeENER AL. eh ern ee edel 26. Deckfedern des Schwanzes ..... 10% Scheitelfedern 2.0. ek e ou. 27. Steuerfedern des Schwanzes .... . Ei9>Plinterhauptfedern. . ..2........ 28. Befiederung der Schäfte ....... 122» Zuigeltederne ven sl ae, P9ABarberder Schalte, u... nee. I3Kehilfederat. wa. Seattle 30. Zehenentwicklung ..... ...».. 14 Wangenfedern) ss... sonen 31. Spornentwicklung‘ m... ran. 15% Brustfederng a... ots clesra 32. Bisehalenfärbung rn 2. 220.2. 16°. Bauchfedern.... - "ea. ons 2: Eine Wiedergabe der Vormerkblätter, in die ich Interessenten gerne Einsicht gewähre, ja auch nur eine Statistik über alle einzeln studierten Merkmale würde hier zu weit führen. Ich beschränke mich in dieser Darstellung im allgemeinen darauf, 4 Merkmale, beziehungsweise Merkmalgruppen — unter Punkt 3, 8, 28, 29 der Tabelle —, nämlich Form des Kammes, Ausbreitung und - Farbenton der Gesamtfärbung des Gefieders, Befiederung der Schäfte, Farbe der Beine, daneben noch Punkt 32 (Ei- schalenfärbung) — herauszuheben und ihre Vererbungsweise zusammen- Österreich) als garantierte Rassetiere bezogen. Durchwegs kam nur je 1 Individuum als Vater beziehungsweise Mutter zur Verwendung. 5) Diese waren verschiedener Provenienz. Für deren Reinheit kann ich — weder in züchterischer noch in faktorieller Hinsicht — eine Garantie übernehmen. Immerhin ließen auch diese beschränkten und mehr nebensächlichen Versuche be- züglich der gerade herausgehobenen Eigenschaften keine Heterozygotie erschließen. 192 290 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. fassend, ohne Anführung des Verhaltens der Einzelindividuen dar- zustellen. (Auch die bezüglichen Spezialtabellen stehen Interessenten zur Verfügung.) In dieser Art und Weise seien zunächst Versuchsgruppe la und Ib einander gegenübergestellt (Tabelle I, II, III), weiterhin Versuchsgruppe IIa und IIb (Tabelle VI). Im Anschlusse an die Versuchsgruppen I und Il wird in gesonderten Tabellen über An- paarung reiner Rassen mit der 1. Bastardgeneration von Cochinchina 9 X Minorka weiß alt 5 (Tabelle IV), sowie von Plymouth Rock 9 X Italiener Rebhuhn g (Tabelle VII) berichtet, sowie über kom- plexe Bastardierungsfälle von Minorka, Cochinchina und Langshan (Tabelle V). Unter den analysierten Merkmalen bedarf nur die Eischalen- färbung (Punkt 32) einer besonderen Charakteristik. Dieselbe wurde grob empirisch in der Weise vorgenommen, daß aus der Eisamm- lung für jeden einzelnen Fall die Färbungsextreme herausgesucht wurden, um den Schwankungsbereich zu bezeichnen‘). Die so aus- gewählten 60 Extrem-Eier wurden nun auf Grund sorgfältigen Ver- gleiches in eine Reihe geordnet, in welcher Nr. 1 das schwächst gefärbte bezw. weißeste, Nr. 60 das stärkst gefärbte bezw. braunste Ei bezeichnet. Der Ausdruck Eifärbung 4—8 in den Tabellen charakterisiert demnach ein Schwanken der Färbung von der 4.—8. empirischen Stufe, ohne daß der wahre Mittelwert gerade in der „Mitte“, z. B. bei 6, liegen müßte. Die gemachten Sättigungs- unterscheidungen erschöpfen durchaus nicht die überhaupt mög- lichen, so daß die einzelnen Stufen durchaus nicht gleichmäßig ver- schieden sind — bildlich gesprochen, durchaus nicht gleiche Höhe besitzen. Eine vollkommenere zahlenmäßige Charaklenı isierung ist mir gegenwärtig nicht möglich, da schon vor dem Kriege in Öster- reich wie in Deutschland kein geeignetes Chromometer zu erlangen war, und ein von mir projektiertes seitens des Zeißwerkes hai des Krieges nicht in Ausführung genommen werden konnte. 6) Ich weiß sehr wohl, daß — um mit W. Johannsen (Elemente der exakten Erblichkeitslehre 2. A., S. 19, Jena 1913) zu sprechen — die Bestimmung der Variationsweite als das unvollkommenste, ja als ein zu verwerfendes, unbrauch- bares Maß der Variabilität zu bezeichnen ist; solange jedoch, wie bei meinem Material, die Möglichkeit einer Messung überhaupt fehlt, bietet die obige Stufen- numerierung und die Angabe der beobachteten Stufenextreme einen nicht zu ver- achtenden Notbehelf. Natürlich bleibt eine messende Ergänzung meiner Be- obachtungen über Xeniodochie, Telegonie und Bastardverhalten der Eischalenfärbung dringend zu wünschen. ir A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 221 Tabelle 1. Verhalten der 1. und 2. Bastardgeneration der Rassen Cochinchina gelb X Minorka (alt) weils bei reziproker Kreuzung. Versuchsgruppe la. Mutter: Cochinchina gelb 9 Kamm: einfach Gefieder: braungelb mit Spuren Schwarz (in 22, 27) Schäfte: sehr stark befiedert, sowohl an der Außen- wie an der Vorder- seite, einschließlich der 4. und 3. Zehe Beine: orange Eifarbe: Stufe 52—57 Stufe 37—60 bei 1. Reinzucht bei 1. Bastardzucht bei 2. Reinzucht bezw. Isolierung Stufe 58--59 bei 2. Bastardzucht Stufe 45—56 darunter neben rötlich- braun auch gelbbraun, z. T. an beiden Polhälften verschieden oder etwas dunkler punktiert Versuchsgruppe Ib. Mutter: Minorka (alt) weiß 9. Kamm: breit Gefieder: reinweiß Schäfte: völlig nackt Beine: grau Eifarbe: bei Inzucht Stufe 4—16 bei Bastardzucht Stufe 5—39 Vater: Minorka (alt) weiß g' Kamm: breit Gefieder: reinweiß Schäfte: völlig nackt Beine: grau Vater: Cochinchina gelb g' Kamm: einfach Gefieder: braungelb mit Spur Schwarz (in 22, 27) Schäfte: sehr stark befiedert, sowohl an der Außen- wie an der Vorder- seite, einschließlich der 4. und 3. Zehe Beine: orange 1. Bastardgeneration. F, (Cochin £ X Minorka g') ex 1913 u. 14, in 14 Individuen beobachtet, da- von 5 nur als Kücken. breit (ähnlich $) — jedoch niedriger, gröber (an 12 Ind. festgestellt) Gefieder: gelb bis braun mit mehr oder weniger z. T. grünschimmern- dem Schwarz (ähnlich 2) — im Kückenstadium zunächst schwarz (14 Ind.) mittel bis stark befiedert, spe- ziell an der Außenseite, ein- schließlich der 4. Zehe (ähn- lich — an 12 Ind. festgestellt) Kamm: Schäfte: 1. Bastardgeneration: F, (Minorka 9 X Cochin Z) ex 1913, in 2 Individuen beobachtet. einfach (wie 5‘) Gefieder: weiß mit vereinzelten schwarzen Strichen (ähnlich 9) absolut nackt (wie 9) rötlichgrau (wie 9) Kamm: Schäfte: Beine: 999 A. v. Tschermak, Über das versch Beine: orange 1 schwarzbraun 2 graugelb 1 grau 4 — teils wie 9, teils wie ad‘ — (an S erw. Ind. festgestellt). Ausnahmsfall: 1 Individuum (f F,J,) Kamm: einfach (2) Gefieder: fuchsbraun mit viel z. T. blau- schimmerndem Schwarz und etwas Weiß (in 15, 16, 22, 24) Schäfte: völlig nackt (j') Beine: gelbbraun Eifarbe: A. QF,J,X d F\J, anfangs (I. bis Ende III. 1915) Stufe 27—51 später (ab IV.1915) Stufe 19—41 B. @F J„ X F},J, anfangs (I. bis Ende 111. 1915) Stufe 25--43 später (ab IV.1915) Stufe 22—24 C. 2F,J,X d' FıJ, anfangs (I. bis Ende 171915) Stufe 18—30 später (ab IV.1915) Stufe 34—50 . Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Eifarbe: bei 1. Inzucht (5. II. bis 26. TV. 1914) Stufe 8-29 bei Bastardzucht (26. IV. bis 2. VII. 1914) mitLangshanhahn (char. Langshan- Eifarbe Stufe 47—55) Stufe 14—21 bei 2. Inzucht (14. VII. bis 23. IX. 1914) h Stufe 9—20 bei 3. Inzucht (30. XII. 1914 bis 29. III. 1915) Stufe 15—28 2. Bastardgeneration. (F, Cochin 2 X Minorka g') ex 1915, in 16 Individuen beobachtet, davon 5 nur als Kücken. (F, aus 2 F,J, und FJ,X JRJ,). Kamm: breit 15 einfach 1 Gefieder: Vollpigmentiert 9, und zwar 3 schwarz 5 gelbbraun mit schwarz (1 mit fraglicher Spur weiß in 26 — F,J,) 1 gelb mit wenig schwarz. Teilpigmentiert 4 und zwar l braun mit weiß (Unter- seite) 2 weiß mit wenig schwarz 1 weiß mit wenig schwarz und braun (in 22, 26) Reinweiß 3 2. Bastardgeneration. F, (Minorka 2 X Cochin f') ex 1914 und 1915, in 22 Individuen beobachtet, davon 13 nur als Kücken. breit 1 einfach 15 Gefieder: Vollpigmentiert O0 Teilpigmentiert 15 Kamm: Schwarz Braun und zwar u. Weiß u. Weiß a) über Hälfte pigmentiert 2 0 (davon1 nur sehr wenig weiß) b) Hälfte pig- mentiert 4.*) 1 [) hiervon 1 ge- sperbert wie grober Plymouth Rock] c) etwas pigmen- tiert (Flecken) 0 d) Spurpigment. 4 1 ON Sa Reinweiß ee A. v. Tschermak, Über das versch. Schäfte: Befiedert 14 und zwar stark 5 mittel 5 schwach 1 Spur 3 völlig nackt 2 Füße: gelb bis braun 11 grau bis schwarz 5 Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 293 Schäfte: Befiedert 0 völlig nackt 22 Füße: gelb > graurosa ti Beobachtete Spaltungsverhältnisse: Breit : Einfach Kamm: en IE | =. 143913 Vollpigmentiert : Teilpigmentiert : Reinweiß Gefieder: =. 314: :-3 =>0r DR Befiedert : Völlig nackt Schäfte: — JE 2 | —-0: 22 Gelb : Grau Beine: 145 | =;H.2,14 Tabelle II. Verhalten der 3. Bastardgeneration der Rassen Cochin gelbXMinorka (alt) weifs bei reziproker Versuchsgruppe la. 1. F,-Reihe. Mutter (2F,) Kamm: breit (F,J,) Gefieder: hellgelb mit we- nig schwarz (in 18, 19, 24, 27) Schäfte: Beine: stark befiedert orange Eifarbe bei Inzucht: RIEDL ee N) Stufe 11—35 Kreuzung (durchwegs 1916). Versuchsgruppe Ib. 1. F,-Reihe. Mutter: Kamm: einfach (F,J,) Gefieder: reinweiß Schäfte: nackt Beine: graurosa Eifarbe bei Inzucht: OB Stufe 3—26 B.SEL N ZRT Stufe 2—38 VORN CEET Stufe 1-31 Vater (fJ'F,) Kamm: breit (F,J,) Gefieder: gelbbraun mit et- was schwarz (in 19—27) u. fragl. Spur weiß (in 26) Schäfte: Außenseite stark befiedert Beine: grünlichgelb Vater: Kamm: einfach (homozygotisch) (F,J,) Gefieder: weiß mit Spur braun (in 22) Schäfte: nackt Beine: graurosa F,-Individuen: 10 Individuen beobachtet, davon nur 2 als Kücken. 8 breit 2 einfach (f wohl heterozygotisch!) Kamm: F,-Individuen:: 20 Individuen beobachtet, davon 4 nur als Kücken. 0 breit 20 einfach (d homozygotisch) Kamm: 224 Gefieder: 8 vollpigmentiert 2 teilpigmentiert (mit wenig | weiß) und zwar 5 braun mit schwarz 3 braun mit wenig schwarz 2 braun mit schwarz und weiß O0 reinweiß 10 befiedert, und zwar 1 recht stark 5 stark 4 mittel 0 Spur (Stiftenreihe) OÖ nackt 4 orange 6 graugelb Schäfte: Beine: A. v. Tschermak, Über das versch. erheblich | Ergebnis reziproker Kreuzung ete. Gefieder: O0 vollpigmentiert 3 teilpigmentiert mit wenig Pigment (wie g), und zwar 2 mit schwarzen Strichen ]l mit Spur braun 17 reinweiß Schäfte: 0 befiedert 20 nackt Beine: 2 gelborange 14 graurosa 2. F,-Reihe. Mutter (?F,) Kamm: breit (F,J,) Gefieder: schwarz m. Grün- schimmer Schäfte: sehr schwach be- fiedert und zwar nur oben Stifte Beine: braunsch warz Eifarbe bei Inzucht; (2E5I, X Eur) Stufe 7—10 2. F,-Reihe. Mutter: Kamm: einfach (F,J,) Gefieder: braungrau mit weiß ge- sperbert Schäfte: nackt Beine: graurosa Eifarbe bei Inzucht: SEITE EI Stufe 24—54 teilweise dunkler punktiert. Vater (fJ F,) Kamm: breit (wohl homo- (F3J,) } zygotisch) Gefieder: gelbbraun mit schwarz (bes. in 24, 27) Schäfte: sehr schwach be- fiedert, nur Stiftenreihe Beine: gelb einfach (diesbezüglich offenbar homozygotisch, da dieser Hahn 20 +18 — 38 einfachkammige Nachkommen zeugte) Vater: Kamm: (F,J;) Gefieder: weiß, mit Spur braun (in 22) Schäfte: nackt Beine: graurosa F,-Individuen: 6 Individuen beobachtet. Kamm: 6 breit 0 einfach Gefieder: 6 vollpigmentiert, und zwar 4 vorwiegend schwarz mit wenig braun 2 vorwiegend gelbbraun mit wenig schwarz 0 teilpigmentiert 0 reinweiß F,-Individuen: 18 Individuen beobachtet, davon 3 nur als Kücken. Kamm: 0 breit 18 einfach Gefieder: 0 vollpigmentiert 9 teilpigmentiert, und zwar weiß mit schwarzen Flecken, in 4 Fällen daneben Spuren von braun; 1 Ind. mit deut- lichem Braun neben Schwarz im Weiß 6 reinweiß A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Schäfte: 6 befiedert, und zwar Schäfte: OÖ recht stark 0 stark 2 Federıeihe außen bis mittel — stärker als 9 und Q'! 4 nur Stiftenreihe O0 nackt Beine: 5 braun Beine: 1 grau 225 1 befiedert, und zwar Feder- reihe außen! (? F,J,) — Fall von sog. Atavismus!) 17 nackt 1 gelb 14 graurosa. Versuchsgruppe Ia, 3. F,-Reihe. Kamm: breit Gefieder: schwarz mit Grünschimmer und Spur rotbraun (in 9, 14) Schäfte: nackt Beine: schwarz Eifarbe bei Inzucht: RI. SE Stufe 12—13 Vater (' F;) (F,J,) Kamm: breit (wohl homozygotisch) Gefieder: gelbbraun mit schwarz (bes. in 24, 27) Schäfte: sehr schwach befiedert, nur Stiftenreihe Beine: gelb F,-Individuen: 3 Individuen beobachtet. Kamm: 3 breit 0 einfach 3 vollpigmentiert, und zwar 3 braunschwarz (?) mit wenig braun O teilpigmentiert 0 reinweiß 1 befiedert, und zwar nur Spur 2 nackt 2 braun bis gelb 1 grau Gefieder: Schäfte: Beine: Mutter (2 F,) (F,J;0) Versuchsgruppe la, 4 F,-Reihe. Kamm: breit Gefieder: weiß mit Spur braun und schwarz (in 22, 26) Schäfte: schwach befiedert Beine: orange Eifarbe bei Inzucht: (2 Ba ee) Stufe 23—32 (vergleiche damit Eifarbe von 2 F,J,, weiß mit Spuren schwarz und stark befiederten Schäften X g' F,J, weiß mit Spuren schwarz und schwach befiederten Schäften Stufe 6-33) Vater (fd F,) (F,J,) Kamm: breit (wohl homozygotisch) Gefieder: gelbbraun mit schwarz (bes. in 24, 27) Schäfte: sehr schwach befiedert, nur Stiftenreihe Beine: gelb 996 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. F,-Individuen: 5 Individuen beobachtet, davon 1 nur als Kücken. Kamm: 5 breit 0 einfach Gefieder: 0 vollpigmentiert 0 teilpigmentiert 5 reinweiß (noch mehr als 9) Schäfte: 4 befiedert 2 mittel (und zwar mehr als ? und 5) 2 Spur 1 nackt Beine: 5 gelb 2 graurosa Tabelle III. Kreuzung von 1. und 2. Bastardgeneration von Cochin 2 X Minorka y (1916). F,' (2 F, [Cochin 2 X Minorka] X g' F, [Cochin 2 X Minorka Z))). Mutter (F,J.) Kamm: breit Vater (F,J,) Kamm: breit Gefieder: braungelb (Kopf) Gefieder: gelbbraun mit et- mit schwarz was schwarz (in (Rumpf) \ 19—27)und fragl. Schäfte: stark befiedert Spur weiß (in 26) Seay ea Schäfte: Außenseite stark befiedert Beine: grünlichgelb F‘,-Individuen: 3 beobachtet, davon 1 nur als Kücken. Kamm: 2 breit O0 einfach Gefieder: 3 vollpigmentiert, und zwar Kopf und Hals braun, Rumpf schwarz 0 teilpigmentiert 0 reinweiß Schäfte: 1 befiedert und zwar stark 2 nackt (Heterozygotie beider Eltern!) Beine: 2 orange 1 bräunlichgelb A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. uneIgqzıemyds :ourog Sqauayng ‘(Porn yaıl -ugp) Sungopayag ands :0JeyaS ZIBMUDS -uneIg SIgBWIDTTS :.70PaL9H) Suparu “5 9m) yourur zB} ne wnnprampuf 5 IT ul (Pe eqoum X 5 ungoog| EBK & osseıpur’] onwı2) “A (P) qm (Pam yıruge) uosgme oyroa -19P9 I IIOPILJOA YIBMyOs (98 ‘38 ‘6T ST ar) uneag grw — pusswwıyosunıd som -]199 -- ZIEAMydsuneig moypyru 5) ypezur ‘Joggdegoag wunnprAmpuT all 2 wyıoum x \ "goog] "A :otLLog] :OyeoS :19P91J9%) :wwe? en PX gt jdoyas ouyo purwjs] »ungıd) (ussyoemAs) neISg[9d [ (uoyany) 4ıayou gyaıı (uoyony) I20wu [ UISYDBM -19 — (uUANB HURAIPIT) (PM) JIOP9LJ9g yYoBmyds (uoyOny) Moporjoq (5 Im) giamura Z ‘uowusrd]Lo} J9map9suR — ydITg[23 a9po yaıpneaa L'Zz Pam) JIOM (UOSYORMIO) [ om Oosyoneg 'zZıemyds posusgony T :a9paıjon) | (P Im) Zrapaıu "youzuw :wwe‘ 'P mo [ (uoyony spe an g ‘Oyydegoag usnpIArpu] p ul (LP ae eyaoum X g 5 unpog| a 9 X & nou eyaoum) ‚SA Belere - ri -9)7EU95 — :ou1ogl (j) Pppwu :oyjeyog JIOM SOSToneg ‘ZIBMUDS HYLOSUoYOny "Az 'n orruousıdjlol Z :aoparyox) — :mWue/7 "uoyony spe ınu yoop ‘JOygdegoag uenpraıpu] zZ uf {LP me sone x 5 angoog] 9duwIo :9urag 3a9P91J994 YaRyspoyyprw :97By2S ZIEMYOg wopuwwıgosundd °L "zZ gu uneıqsyony SIq -PJo2 :1Pparjor) Zupora org :wwme‘] Se u irkeo) 9° xX 5 nou eyrou) ‚Sa uneıggpa :oureg ()) Ppeu :oyyeyog JIO M SENP pun zIeMUOg WOPUIIWUTISUNID "L 'z [PLA Jım uneıgsgony :a9Po1fo%) (j) YeJuom :wwey egswygeusny (Pe gion eyaou (ed) "9AJISIOCT :19y8 A "9ATISIHCT :109B A -IW x & eurgurgoog) "I 9 :ı9yeA |-ım X 5 eumpurmoy) !T 9 :ı0ye A NEAIDJOL :9urag | 32Peu :0978y9S gqp3 :eupmg| (28—28 '6T ‘ST) Sung peu :9Fegog | -9yusıdgspe pun (67 ‘ST) (cz ‘ST ur 'soq) uozyıdsıopa J ur ZIBmyDs :9rırog NEISIOM :9togl Jopurqad ” 018 ‘JIOM SEMII TU UNBIAIOASIA JOD :19P9LJOL) RR :9978g9S yy98u :0978yag -9[95 Im UNBIGZIEAUIS :19P9TJOL) moyjppyru ‘yoezurm :wwuey? IH :19P9140%) OMU :19POLJOH woypaygm ‘goezum :mwey doyag :mwwe‘ y2oy ‘yoejur :wwey?f OSSBIPUBTT 9nBıaS :1oyynp |PUuygo pugjsT ounwıq :ıoynm| "eyAIOULlM AJTOA onou :Pyny |'eNAOUIM AgIomM anou :oynpl (ET6T) yansıaA (FI6T) :O yansıaA (FIET) :q yansıoA (FI6T) :v yansıa A :P eyaıouım X 5 UIYD09 UOA UOIJEISUHSZPAEISBT "I AOP Tu UOSSBH uouTeı uoaA Zunaeeduy NN SEEN, 998 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Tabelle V. Bastardierung von Minorka, Cochinchina und Langshan, Stamm-Mutter: Minorka alt weiß 9. Kamm: breit Gefieder: reinweiß Stamm-Vater: Cochinchina gelb g'- Kamm: einfach Gefieder: gleichmäßig braungelb mit Spur Schäfte: völlig nackt schwarz (in 22, 27) Beine: grau Schäfte: sehr stark befiedert Beine: orange Versuchsgruppe I. Versuchsgruppe II. Mutter (Bastard erster Ordnung): Mutter: 2 Langshan. 2 F, (Minorka 2 X Cochin g‘) ex 1913. Kamm: einfach, niedrig (F,J,) Kamm: einfach, mittelhoch (wie ) Gefieder: weiß mit vereinzelten schwarzen Streifchen (ähnlich wie 2) nackt (wie 9) rötlichgrau (wie 2) Schäfte: Beine: Eifarbe bei Inzucht: (PO F,J, X Jg F,J,) anfangs Stufe 8—29 später 9—20 bezw. 15 —28 Gefieder: gleichmäßig schwarz mit grünem Schimmer nackt bräunlichgrau Schäfte: Beine: Eifarbe bei Reinzucht: Stufe 47—55 öfters dunkel punktiert Vater: g' Langshan. Kamm: einfach, relativ niedrig Gefieder: gleichmäßig schwarz mit grünem Schimmer nackt braungrau Schäfte: Beine: Vater (Bastard erster Ordnung): d F, (Minorka 2 X Cochin g') ex 1913. (F,J) Kamm: einfach, hoch (wie 5‘) Gefieder: weiß mit vereinzelten schwarzen Strichen (ähnlich wie 9) nackt (wie 9) rötlichgrau (wie 2) Schäfte: Beine: Abgeleitete Bastarde zweiter Ordnung (F,;‘): F,' (@ F, [Minorka 2 X Cochin Z] X Langshan 54‘) ex 1914, in 7 Individuen beobachtet, davon 3 nur als Kücken. Kamm: 4 (erw.) einfach, mittelhoch bis hoch Gefieder: 2 (Kücken) Rückenseite schwarz, Augenumfassung u. Bauchseite weiß 4 (erw.) graulich (9) weiß (wie 2) mit einzelnen schwar- zen Strichen und Flecken 1 (Kücken) reinweiß teilpigmentiert: reinweiß=6:1 Schäfte: 4 (erw.) nackt Beine: 2 (erw.) orange (wie Stamm- vater) 2 (erw.) grau F,' (9 Langshan X g' [Minorka 2 % Cochin g]) ex 1914, in 5 Individuen beobachtet, davon 4 nur als Kücken. Kamm: 1 (erw.) einfach, mittelhoch Gefieder: 1 (erw.) gleichmäßig schwarz mit grünem Schimmer (2) 3 (Kücken) Rückenseite schwarz, Bauchseite weiß 1 (Kücken) reinweiß vollpigmentiert : teilpigmen- tiert : reinweiß —=1:3:1 Schäfte: Beine: 1 (erw.) nackt 1 (erw.) bräunlichgrau (wie 2) A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 299 Eifarbe bei Inzucht: ' Eifarbe bei Isolierung: A.D2 F,J, X d FJ, Stufe 17--42 | anfangs(I.bisEndeIIl.1915) Stufe36—46 anfangs dunkler als | später (ab IV. 1915) Stufe 18—49 später, mitunter dun- mitunter dunkel kel punktiert punktiert BD. BI, IORSEE; I, Stufe 40 —53 mitunter dunkel punktiert Angepaarter Bastard erster Ordnung. d& F, (Cochin 2 X Minorka). (F,J,) Kamm: breit Gefieder: braungelb mit schwarz (in 24 —27) Schäfte: stark befiedert und zwar vorwiegend an der Außenseite Beine: graugelb Abgeleitete Bastarde dritter Ordnung. F, (2 F,' (2 F, (Minorka $ X Cochin Z) X Langshan Z] X d F, [Cochin 2 x. Minorka |) ex 1915, in 2 Individuen beobachtet. Kamm: (1 breit) l einfach Gefieder: weiß mit Brauneinsprengung, speziell in 19, 20, 22 Schäfte: (1 mittelstark befiedert) 1 nackt Beine: 2 gelb Das nicht durch Klammern bezeichnete g'-Individium wurde weiter zur Paarung mit seiner Mutter @ F,' (? F, [Minorka @ X Cochin g] X Langshan 5) verwendet zur Produktion von F;‘. Abgeleitete Bastarde vierter Ordnung. EB, IOE FR, 2]Minerka 2 X Cochm 1 x <: Langsban) X Sg. BE! (OR, [2 F, (Minorka @ X Cochin 5‘) X Langshan |] X g F, (Cochin 2 X Minorka )j ex 1916 — in 9 Individuen, davon 1 nur als Kücken, beobachtet. Kamm: 9 einfach Gefieder: 7 weiß mit braun eingesprengt — wie g' F,' (2 daneben noch Spuren von schwarz) 2 weiß mit braunschwarz grob gesperbert (ähnlich grobem Ply- mouth Rock) Schäfte: 9 nackt Beine: 8 orange 1 grau. Mu 230 A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. Tabelle VI. Verhalten der 1. Bastardgeneration der Rassen Plymouth Rock (grau gesperbert) X Italiener Rebhuhnfarben bei reziproker Kreuzung (1913). Versuchsgruppe Ila. Mutter: Plymouth Rock 2. Kamm: einfach, niedrig Gefieder: weiß fein gesperbert Schäfte: nackt Beine: bräunlichgrau und bräunlichschwarz, | Versuchsgruppe IIb. Mutter: Italiener Rebhuhn- farben 2. einfach, sehr hoch Gefieder: ungesperbert braun mit schwarz gekielt und gesprenkelt Schäfte: nackt Kamm: Beine: orange Vater: ItalienerRebhuhnfarbeng.. Kamm: einfach, sehr hoch Gefieder: braun, z. T. mit grünschim- merndem Schwarz gekielt und mit wenig weiß (in 24) Schäfte: nackt Beine: gelb Vater: Plymouth Rock g. Kamm: einfach, niedrig Gefieder: grauweiß mit braunschwarz gröber gesperbert Schäfte: nackt Beine: rötlichgrau F, (Plymouth Rock 9 X. Italiener Reb- huhnfarben 5‘) in 2 Individuen (S') beobachtet. Kamm: 2 einfach, hoch (wie g') Gefieder: 2 grau bis gelbweiß mit braun- schwarz grob gesperbert (ähnlich wie 2) in 22, 26, Grünschimmer (wie g') — an 1 Ind. daneben gelbbraune Mosaikstücke (entsprechend dd) Schäfte: 2 nackt Beine: 2 braungelb (wie 5‘) F, (Italiener Rebhuhnfarben 2 X Ply- mouth Rock /) in 3 Individuen be- obachtet, davon 2 nur als Kücken, 1 er- wachsen (9). 1 (erw.) einfach, sehr niedrig (wie g') Gefieder: 3 ungesperbert, braun u. zwar l (erw) braun mit viel schwarz (in 18, 24 - 27) und etwas weiß (in 10, 11, 24, 25 — ähnlich wie 9) Kamm: Schäfte: 1 (erw.) nackt Beine: 1 (erw.) braungrau (wie 5‘) das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. .. v. Tschermak, Über A. aposneıd I :9u1og] | peu T :9JFEUOS | (2 puogoaıds -1u9) yfoyusadsod nei gOnaposur oduBıo g :Puog uorZalpyıp zz pın GT ur — a9muıgos yyoeu g :9eypg -unIE) Jr °L 'z zwagdsuneag Fee (P) ayongsyresom Sq[pSIfey wunnptaA E= :9urog] -919]8 ‘Dungopugggaawqugouıgem ougo :a9paLjor) | -IpPuf T UB — ziemydsungig Yıuu gyaeu 2 :Oyeydg (5 am) ydoyag nesgom ‘(P) MOPuRgdB g018 zued E :.1EPa1JoH) (5 Im) oyusıdsaes asyumgep 5 9m) Srıpora (5 aım — (P se aodtıparu pun Y[o199 zıemyos gr uneag % :10parjor) wo J-A) yjpoddop usyurg ‘yoezurs 9utaA :wweyy | [PIA) Toprw sıq Ztıporu ‘yoejum g :wwey yeup g :wwey] ‘JoIgdugoag ummprampuf 5 I ul ayyoegoaq (PT ‘5 zZ) uampıampuf g ur "I09DBIO9A uayony se nu ‘uonprampu] Z ul “LP ugynygay aouorey] X 5 oy ymowkgg] «LP uyaygoy aus] X 5 Poy ymowATg| “LP ugynygoy zus] g rw puefsf 9unw.ıg :a199ynW doy>g auyo puw[s 9ungag :1oyyu , uoqiejugnggoy Aauaıegf :aoyynm QD yansıoA "I yansıaA (Sunasrpaegsegqypny) :y yansıa A "(FIET) P usqaeJuynygoy A9usle4T X & J00g yINoWAÄII UOA UOIIBIEUSFPABISB IT AOP JIW uosseg uauTeı uoa uodunaerduy TIASSTSHET 939 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Das in den vorstehenden Tabellen auszugsweise zusammen- gefaßte Versuchsmaterial, das zwar — mit 161 Bastarden — schon ziemlich umfangreich ist, das ich aber noch immer an bestimmten Stellen (so in der F,-Beobachtung vou Minorka weiß alt 9 X Cochin- china gelb $) erweitert wissen möchte, gestattet zunächst eine Reihe, rein empirischer Schlußfolgerungen. A. Einflufs des „Geschlechtes‘ bei reziproker Kreuzung in der 1. Bastardgeneration. 1. Analyse der eigenen Versuchsergebnisse. Bei Betrachtung jeder einzelnen Versuchsgruppe ergibt sich die Regel, daß bei Kreuzung der von mir gewählten reinen Hühnerrassen und bei den von mir gewählten Rassenkombinationen in der 1. Bastardgeneration im allgemeinen der Muttertypus be- stimmend ist für die Ausbreitung (Vollpigmentierung oder Vollpigmentlosigkeit, Teilpigmentierung), die Verteilung (Zeich- nung) und den Farbenton des Pigments im Federkleide — ebenso für die Befiederung oder den Federmangel der Schäfte. Hingegen erweist sich ım allgemeinen der Vatertypus als entscheidend für die Beschaffenheit des Kammes. Be- züglich der Beinfarbe ist keine solche Regel zu erkennen. — Aller- dings hat jener bestimmende Einfluß in FF — mit Ausnahme von Fall Ia und IIb — nicht notwendig den Charakter voller, reiner Alleinausprägung oder Dominanz. Vielmehr ıst in Fall Ib und Ila am Gefieder eine gewisse andeutungsweise Beimengung des väter- lichen Typus unverkennbar im Sinne von Mischung oder von Ein- sprengung (Mosaikbildung — so speziell bei FalllIa und andeutungs- weise im F,-Ausnahmsfall von la). Umgekehrt tritt in F, des Falles Ia eine „Verstärkung“ und Ausdehnung des bei der Mutter- rasse kaum angedeuteten Besitzes von schwarzem Pigment, ein sog. Kreuzungsnovum auf; ähnlich findet sich in Fall Ib der an- deutungsweise väterliche Besitz von schwarzem Pigment etwas „ver- stärkt“ und ausgedehnt ın F, wieder. Eine gewisse Zurückhaltung ım Urteil erfordert der Umstand, daß die Versuchsgruppe lla (Tabelle VI) nur zwei männliche F,-Individuen, die Versuchs- gruppe IIlb (Tabelle VI) nur drei F,-Individuen, darunter nur ein erwachsenes Individium und zwar ein Weibehen umfaßt. Über die Möglichkeit einer geschlechtsbeschränkten Vererbung in diesen Fällen wird unten gehandelt werden (S. 243ff.). Bezüglich der Befiederung der Schäfte besteht ın F, bei Fall Ia — abgesehen von einem sehr interessanten Ausnahmsindividium (JS F,J,), welches der Vaterrasse analog nackte Schäfte aufweist — eine gewisse Abschwächung des mütterlichen Merkmales bezw. Mittelstellung, hingegen bei Fall Ib reine Dominanz des Mutter- typus. — Bezüglich des Kammes sei bemerkt, daß dessen Be- A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 933 schaffenheit augenscheinlich eine Mehrzahl selbständiger Elementar- eigenschaften umschließt. Zieht man bloß die Qualitäten Breite bezw. Mehrreihigkeit und Einfachheit in Betracht, so zeigt F, in Fall la den Vatertypus in der Höhe und Modellierung (abgeschwächt), der allerdings an einem Individuum (S F,J,) mit einem sozusagen verdoppelten einfachen Kamm (mit seitlichen Wärzchen) eine ge- wisse Beimengung des Muttertypus erkennen läßt und an einem anderen Individuum (Z F,J,) gar glatt dem einfachen Mutterkamm Platz macht. In Fall Ib sowie Fall Ila und Ilb (hoher und niedriger einfacher Kamm) ist die Dominanz des Vatertypus eine vollkommene. Bezüglich der Färbung und Zeichnung des Gefieders ist das Urteil in gewissen Fällen dadurch erschwert, daß die Hy- briden geradezu neue Eigenschaften aufweisen, welche beiden Eltern fast oder ganz fehlen. So wurde als sog. Kreuzungsnovum beı der Bastardierung Cochin © X Minorka d (Versuchsgruppe Ia — Tabelle I, II, III) das Auftreten von schwarzem Pigment an geradezu allen Körperteilen (selbst an Kamm, Schnabel, Beinen) beobachtet. Im Kückenstadium ıst die Schwarzfärbung so gut wie allgemein; allmählich treten zuerst um die Augen und am Halse immer mehr gelbbraune Federn auf. Im erwachsenen Zustande überwiegt, speziell bei den Hähnen, die gelb- bis fuchsbraune Färbung des Gefieders, obzwar die Schwingen und die Steuerfedern durch- wegs vorwiegend schwarz bleiben, zum Teil grünen Schimmer auf- weisen. Bei dem einen Ausnahmsindividuum (Z F,J,) der ersten Bastardgeneration (Öochin © X Minorka 5), welches die einfache Kammform der Mutter und die nackten Schäfte des Vaters trägt, war diese Reifungsumfärbung’) des Gefieders nicht im typischen Umfange erfolgt, so daß sehr viel Schwarz — vereint mit Spuren von väterlichem Weiß (in 15, 16, 22, 24) — dauernd erhalten blieb. Bei F,-Bastardhennen erfolgt überhaupt die Umfärbung in ge- rıngerem Ausmaße und beschränkt sich vorwiegend auf Kopf und Hals (F,J,, F,J., F,J, auf Tabelle I, ebenso zwei erwachsene 9 F,‘- Individuen auf Tabelle III). Auch bei den fast oder ganz gleich- mäßig braunschwarzen F,-Individuen (2 F,J, und 92 F,J, von Ver- suchsgruppe la, 2. und 3. F,-Reihe auf Tabelle II) handelt es sich um Persistenz der schwarzen (im erwachsenen Zustande teilweise grünschımmernden) Kückenfarbe. Dieses Novum wurde beı Kreuzung mit einem vorwiegend gelbbraunen F,-Hahn (Z F,J,) mit folgendem Ergebnis vererbt: 7 braunschwarz mit wenig braun, 2 vorwiegend gelbbraun mit wenig schwarz (2. und 3. F,-Reihe). 7) Nach den Untersuchungen von R. Pearl und A. M. Boring (Some physiological observations regarding plumage patterns. Science N. S. Vol. 39, Nr. 995, p- 145—144. 23. Jan. 1914) erfolgt die Produktion der reifen Federn, und zwar auch jener, welche sekundäre Sexualcharaktere beim Männchen aufweisen, von den- selben Follikeln, welche die Kückenfedern produzieren. 37. Band 16 FE A. 015 Tachermnk ir ‚Über: ‚das „yeusch4] Ergebnis -zezipyoker Kreuzung etc. } 5 PasıS&hwarznortunlin Versuchsgruppe balıst, schen.sn deriveinen;- Matiteisttasset ;Gochinchinad gelb. ‚durch » weremzelte,. Spuren! an, „den;-, Flügeldeeksundt Stenerfedenn: angedeutet: Immerhin; ist, diely, Verz, stärkungfi: und „Ausbneitürgfiveine; ganz außerordentliche; zu. ‚nennen, währendsvsiesich in. der Hreziproken; Vensuchsreihe ‚Ib. in. engen;| hält» \-(seräde an! leer Hinsicht besteht ‚eine; w eitgehende, , Verschiedenheit; beider Reihen, also ein \.differentes, ‚Veı halten der, vonder Mutter undi-der vom ı IMäben ae hasse beigebrachten; « Anlagenin bass sodod) dil la telasco stel4 ‚su Wohl analog ist: das; en um ie teilweise; grün“ schimmernd,) ins dem Fälen, E sund.;D von Anpaarung ‚den, Rassen braune, Island mit;:Sehopf, bezw. ohne. Schopf.mit--einem! F,-Bastand+-; hahn von sGochinigo% „Minorvka,.d. lnisdens Pällen A, sund-B ‚dermo selbeni„Versuehsgruppes(Babelle IV bitnitt, schwarz \,als ‚sog: Novum; weniger! hervongsihdem /die zwei.d'y'+Indwiduen: da, 'Versuch, A, nur: anı der, Rückeifläche: schwaiz;von Be drei. FR, Individuen ini Versuch, Br zwei veiiiweißlsind,andnur;eines: schwarz an.den- Rückenseite,aufweists. In; allen: diesen ‚Fällen; ‚dürfte (die; spezifische, ‚Grundlage für, das, Schwärzpignient auf ‚den; Vaterbastard. bezw, die sVoehinstammutter |, zurückzuführen sein. „Allerdings ergibt braune, Island .mit/Schopf gu: auch nit Guy (Plymouth..Rock:@ Italiener Rebhuhn, J) braun-!;; schwarz, ‚teilweise, wit, Grünschimmer),an den, Rückenfedern, und) |, Flügeldeckfedern angedeutetigrau gesprenkelt (Versuch, Tabelle,V Al); ,, sotAds zweites Kreuzungsnoyum sen idas Auftreten vom Spen base r wrigibezeichnet,. (Nolchesiwurde ameinem 9, Ky-Individuum ( vom Minorka oO x Coaching beobachtet, ‚das ‚allerdingsi, mit; einem) niehti-gesperbenten „(weiß mib Spur braun in; den. Flügeldeckfedern) ,, Par Individuum: 6EyJ,) unter, AS F,-Deszendenten keine, gesperberten ergabl (vgl Tab;-Il,, eos na Di. 2..F,-Reihe)y/ Die; Möglichz, keit, eines «solchen. N euauftretens|.den; wohlbekannten Obar akterei besi1 kannter, ‚Hühnerrassen;; ‚71850 der. Produktion Langshan- ähnlicher, und; Plymouth. Rock-ähnlicher „Formen ‚aus '.der ‚Kreuzung, Gochinehina | | x Minerkaıs- ist, speziell; anteressant, für die Lehre: Shmden Bassenul genese, ‚die gewiß mielfach! peubabndsgene a dies..‚bereits,.; G.iMendelh betonte; sllsdeT Yves Sılad- I 9GWT2: done ‚„»Wurich die, zegmäre Prävalenz des Mutterty oe im er des, ,, ee im! Kamm ‚ergibt siehi(in „ıneimen: Fällen, von, Kreuzung... reinen,BRassen, eine‘ sanziaruffallende äußere, Verschiedenz.. heit»den Pr odukite, weripr okar Kuabzungd T :dıoıov eindogıl Eine besonders, ‚praktisch: wiehtige Helge, .dieses,V erhaltens, üshyu die weitgehende Verdeckung der erfolgten bastardiven „Verun- reinigung* eines Hühnerstämmies: Besteht: nicht zufällig’ eine’deut- liche "Verschledenhäit‘ in den’ Ei igenschaften des’ ae S, 0 Kön nte" | — "zumal. bei nur oberflächlicher Betrachtung — eB a sta ‚dierun, En in F, unbemerkt bleiben. so ‚speziell,in, a In, aber; auch .. Ol busd ‚SE A..v. Tschermak,; Über das versch. | Ergebnis reziproker Kreuzung ete:" 935 in. Fall-Ila. »ANerdings gibt selbst bei reiner Dommanz des’Mutter- ' typus »(in..der Zeiehnung und Färbung des ’Gefieders) noch‘ die: Färbung der Eischale einen ‘wertvollen diagnostischen Behelf ab zur! Erkennung „larvierter “: Bastarde, wie’ ich dies 'schon’ bei früherer: ‚Gelegenheit (1914) betont ‚habe. So ist'F, (Minorka' 9 x. Gochin g‘).zwar- schon: durch Spuren von schwarz von der reinen Mutterrasse Minorka weıß alt unterschieden, “deutlich aber auch dureh die, stärker. varıierende, ım Mittel mehr, gelbliche Eifärbe (Stufe, 829 gegen 4-16 der reinen Rasse). Fbbnsd gleicht 'F, (Italiener Reblnuhn 2% Plymouth) Rock S) zwar ım' Gefieder dollie der Mutter, weicht jedoch durch stark gelbliche: Eifarbe deutlich davon ab, Für den praktischen Füdhterv ergibt ‘sich ‘hieraus die wichtige Regel, daß die zufällig eingetretene Verunreinigung‘ einer Reinzucht ‚sich nicht mwotwendig am Aussehen, speziell 'an’ der (refiederfärbung der nächsten Generation verraten muß; daß jedoch‘ eine Veränderung des Spielraumes wie des Variationsmittels''der Eischalenfarbe schon ın derselben Generation (Xeniodochie) wie ın . der nächsten: Generation (erste Bastardgeneration, F,). den’ unter--' laufenen ‚Fehler im: Zuchtbetriebe verraten kann! —- Der seinerzeit detailliert ‚als -Eischalenxeniodochie geschilderte Einfluß von! Bastardierung auf: die Varıationsbreite: und ’den Mittelwert’ der Ei!" farbe. sei: hier, nut! ‚durch. ein. paar) Zahlenwerte' illustriert. So'ber wirkte ‚bei, ‚der. brauneiigen 'Rasse Cochinchina gelb 9|-= mit den Reinzuchtswerten! Stufe 52-57, schematisches' Mittel?) 54,5 (Rem-'" zucht..I) bezw. 58-59, Mittel 58,5 (Reinzucht II) — Kreuzung mit der. weißeligen Rasse ı Minorka weiß alt mit’ Reinzuehtswert “' Stufe 4-16! (schematisches Mittel’ 10): eine’ Abänderung auf Stufe” 37--60 (schematisches Mittel! 48,5) — Bastardzucht I): bezw. 45-56" (schematisches: ‚Mittel 50,5: +: Bastardzucht H). ' Es erfolst''also in diesem Falle ein Ablassen durch Fremdkreuzung! von ‘der )'Dureh-. schnittsstufe ‚54,5. aufıStufe 48,5) bezw. von 58,5 >auf!!50)5.> Im /um- gekehrten Falle (Minorka alt weiß‘9 X Gochinehina gelb S) erfolgt eine Auffärbung vonder Durchschnittsstufe 10 (Reinzueht' von Stufe 4 bis: 16) bis zur Durchschnittsstufe 22 uch von u De bis. 39).: | rl: |, Die oben Sernuliarde Bere ‚von Prüvslenk des Wirkterunb typus im Gefieder, des: Vatertypus im:Kamm erfährt sofort erhebliche Einschränkungen und Komplikationen, wenn nicht absolut reine Rassen, sondern Hybriden bezw. Hybriddeszendenten zun Kreuzung ver wendetiwerden. Ich meine’ damit natürlich nicht--die „bloßen: ‚Folgen von’ Heterozygotie 'bezw/ Produktion un: gleich veranlagter ‘&eschlechtszellen seitens des Erbe lan Rlters' 8) bi Ermittelung eines sölchen Wertes ist nach dem oben 82 20 Anm, 6) nn Ban an sich ganz ubrbertchtigt: d und dient bloß der Anschaulichkeit ‚der Dar- . stellung.‘ 150991 mol oh 16* 936 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. zID > } fe) Folgen, wie sie beispielsweise in F,' auf Tabelle V zutage treten. Zum Belege sei auf die Anpaarungsversuche verwiesen, über welche die Tabellen IV, V und VII berichten. Bezüglich des Kammes könnte in den Versuchen B, Ü, D auf Tabelle IV die Einfachheit (wie bei 9) zwar auf Bee des hybriden breitkammigen Vaters bezogen werden, so daß die Über- einstimmung mit der eenlaselnenen an. der Mutter eine bloß schein- bare wäre; doch ist dies nicht gerade für alle drei Fälle (6 Individuen) wahrscheinlich. In Versuch C auf Tabelle VII ıst der dominierende Einfluß der Y-Form des Kammes (der anscheinend reinen Mutter- rasse !) unbestreitbar. — Andererseits ıst auf Tabelle IV ın Versuch A, ferner an zwei Individuen von Versuch B, wohl auch ın dem braun- schwärzen „Novum“ in Versuch C und D, sodann auf Tabelle V ın dem Graustich von vier sonst weißen (wie 0) F,'-Individuen sowie in der Brauneinsprengung (wie d) der sonst weißen (wie 9) der F,- und F,'-Individuen, endlich auf Tabelle VII ın Versuch B ın der Banden ung der F,' Individuen mit Sicherheit ein bestimmender Einfluß des iin "Vaters auf die Gefiederfarbe zu erkennen. — Bezüglich der Befiederung der Schäfte ergab sich, wie erwähnt, in meinen Beobachtungen Stellung zwischen Mutter- und Vater- form (jedoch näher der Mutterform) in Beobachtung la, alleiniger Einfluß der Mutterform in Beobachtung Ib (Tabelle Il. Hingegen ist in den Anpaarungsversuchen B, ©, D auf Tabelle IV von reinen nacktbeinigen Rassen mit einem befiedertbeinigen Hybriden ein ge- ringer Einfluß der Vaterform klar ersichtlich. Besonders interessant ist es, daß in Versuch B Tabelle IV die Anpaarung von Minorka weiß „neu“ — d. h. anderer Herkunft als Minorka weıß „alt“ — nicht bloß nackte Deszendenten (wie F, von Minorka weiß alt 9 x Cochinchina S in Tabelle I), sondern auch zwei schwachbefiederte F,‘-Individuen lieferte. Was endlich die Beinfarbe anbelangt, so ergaben auch die Anpaarungsversuche keine Regularität: bald ist die Mutter, bald der Vater bestimmend, bald besteht Mittelstellung. Aus meinen im vorstehenden kurz mitgeteilten Beobachtungen ist jedenfalls zu entnehmen, daß es für die Valenz (um diesen Aus- druck hier einzuführen) und Ausprägung einer Anlage ın der ersten Bastardgeneration wenigstens in gewissen Fällen durchaus nicht gleichgültig ist, ob sie von der weiblichen oder von der männlichen Gamete in die F,-Zygote eingebracht ist. Vielmehr zeigt das ver- schiedene „Sexualmilieu“, in welchem sich prinzipiell gleich- geartete Anlagen vor der Zygotenbildung befanden, in gewissen Fällen einen später noch näher zu erörternden charakteristischen Einfluß auf den schließlichen Ausprägungsgrad dieser Anlagen. Die äußere Folge hievon ist in gewissen Fällen eine reguläre Prävalenz oder Dominanz der einen, eine reguläre Rezessi- en ee A v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 937 vität oder Schwächung der anderen Rasseneigenschaften in der ersten Bastardgeneration. Mit dieser Aufstellung sei natürlich keineswegs bestritten, daß — entsprechend der Mendel’schen Lehre — den Anlagen oder Faktoren, welche korrespondierend dasselbe Organ betreffen, also verschiedene Differenzierungsmöglichkeiten bedeuten, in vielen Fällen eine ungleiche absolute Wertigkeit oder Valenz im Sinne von äußerlicher Dominanz oder Prävalenz und von Rezessivität bezw. von Epistasie und von Hypostasie der Faktoren zukommt, die an sich unabhängig ist vom Geschlechte des sogenannten Überträgers. Vielmehr betrachte ich diese Ungleichwertigkeit als das primäre und nehme nur an, daß in gewissen Fällen ausgesprochenermaßen das „Sexualmilieu“ jene Valenz bezw. den schließlichen Ausbildungs- grad sekundär irgendwie zu beeinflussen vermag. 2. Vergleich der eigenen Beobachtungen mit bisher vor- liegenden Angaben. Analoge Beobachtungen über die F,-Produkte reziproker Kreu- zung von Hühnerrassen liegen bisher nur ın bescheidener Zahl vor, obzwar Bastardierungsstudien in diesem Formenkreise vielfach an- gestellt wurden. Es sind mir folgende experimentelle Daten bekannt. Zunächst sei hingewiesen auf die Doppelversuchsreihe Nr. VI (Italiener weiß Zwerg X. Brahma dunkel) in ©. B. Davenport’s älteren Ver- suchen’). Obzwar seine anderen 12 Versuchsreihen nicht reziproke Kreuzungen betreffen, seien sie doch zum Vergleiche herangezogen. Die eher: Tabelle bietet een amlh einen Auszug aus Davenport’s Bericht, wobei ich mich auf die von mir speziell studierten Merkmale der Kammesbeschaffenheit, der Gefiederfarbe und der Schaftbefiederung beschränke (s. Tabelle VII). Die in jener Tabelle zusammengefaßten Ergebnisse sind aller- dings vielfach dadurch kompliziert, E die en (Pleio- typie) in der ersten Generation teils sicher, teils wahrscheinlich nicht auf bloße individuelle Abstufung der Dominanz oder Prävalenz der Eigenschaften des einen Elters gegenüber jenen des anderen zurückzuführen ist, sondern auf Heterozygotie des einen oder beider Eltern beruht — also wahre Spaltung darstellt (in Versuch VIa, VIb, VII, VIII, IX, XID. Das gilt speziell von den benützten Individuen der Rassen Italiener Weiß Zwerg (Versuch Nr. VIa und _VIb, VII, VIII, XII), welche schon bei „Reinzucht“ Spaltung er- gaben (Davenport, 1. c. p. 37, 39—40 — unter 9 Jungen 4 rein- weiß, 3 weiß mit Spuren von schwarz, 1 weiß — schwarz ge- sperbert, 1 fast rein schwarz), ebenso Minorka schwarz mit Rosen- 9) ©. B. Davenport, Inheritance in poultry. Washington, Carnegie Insti- tution 1906, spez. pag. 36—39 und 9. 2938 »A- wu: Tschermak, Über das’ versch.! Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Tabelle VMILIL. 501019--.1l ombns Kurze'Übersicht der Kreuzungs- ı I F nu | f : I Pr } © Nr, ic ‚soßırlabd ‚(Farbe !und' Befiede: a [1 Farbe und =,&|,«) Mutter- /, Kamm _|_ Zeiehnung, ‚tung der _, \., Kamm ‚| Zeichnung Rt rasse. | ‚desGefieders | Schäfte Vaterrasse des Gefieders Soals|| ‚NSENSTIPBO sat) Sd193226D PIS1S 1104 Sal solle 1913 I 19 } ra ! ) li ’ l ’ ne | supra- | | schwarz mit,;| nackt ‚Minorka . | einfach .,,, schwarz C hopf- | nasale weißem schwarz mit na (anfangs mit DZ Bunny! “Papillen!)’ ’ ScHöpfX 19" eihfachem | a) ns ib ‚Jereleehdimenshotile® ‚7 H Kasam bils sienderde / 9% Ti tärer } l J 6) Io Kamm) IE U jr 1 ! 19 019qe982 263 -zechublidau A] asdsılägıldse sb „489 ‚or "ualtlunisuxde sb OHHTIISVY MIS2ZHAI39A DIN SIWDAILT ISDENASFE 6I2 „Ih Malanen einfach, 4% | uw 35.0 nackt; | „Houdan; |, Yı-förmig, schwarz und weiß N x weiß gefleckt I b ) | I89 PH i il J N uU ‚rov| IrlaN sodsbradsesk sa addard fi 132281 IJ AN IV OEEDS -nıe \dastleiv IbarsılnshrioH ws2esib mi asıbutesgnwuarbisiesd Iswsdo .BSDIU 7 IgT290 { tadakon N ddnsdad ob baselol dr bau ir! Hotidan‘ Yang] chwarz und nackt 1 Minörkas einfach | schwarz 19V assstlä 2'310 4 weiß sgefleckt eu schwarz miti\ 51) x | (anfangs mit lorqiss hrlbret 193 lshedar gYy N 1319 .'„ einfachem. ya! 5 JWEB) 2 ale Kamm, x Dan en mus dJohb se Aoise ‚ualtsıjsd nsgahıugıA N Ka rn. f Bee veinfach Tiweißsicn, (nackt). vMinorka | Rosen-i |1 > schwarz f sdımtroB) ob ‚tibdrsAsdoeadleoınensdl SEhrara rih 1 KamMsshsihn Tr tt.ior Rosenkamm (III ’ LIEB A e) Sal sıda2sc LNHNIODII IISA9G OD II ai brite aka ssidstsenlsmmeany slladeT das ar grü -onli) N ) oda M r{ alsıo, rl N f | I gi 10 th RERINT (7 lo [rag gi Ins nalara Tab near Vai Den einfach schwarz |. ‚nackt, ‚ Brahma | Pfauen- | schwarz mit SHOP dehkchri O0 SEES anfangs’ mi! O9 dunkel’''' |>>kamm "| strohgelb bis - sarah einh| Honor 1b ie IstlH nofııs 29! teren ‚706 Laie m j ö Re 1 19D Ruh esb srtbgysonsiaH NTPDNOL I |ASTAUIDISA Jınıtı _darAssV ar) lstareh Be pe r o@le tefosakl_ erst! acl Vila) Italiener.|b einfach bins weiß io #dackt! | X „Brahmhal / |. Pfauen-| schwarz mit bes eig”, dans Y) grawN AiofW onoilstTdnakel. sr | Iamm .Iatyohgglb bis ,.,|‚rot und mit -19 helled ce "forscfofl „sad mbdse “ 9w (IIZ AHV IV IR ‘ ) | SIYFIK! III f iY | kodrsvstll| madsz -39 vıswh HOW SIBEWEL I0Y Isa“ Il Aw < Saw > { ejlroreM o200ds (niewia2 us rs 1a31t; *) Nach W. Bascon und E.R. Saunders Br und C. C Hurst(1905) besteht für fachen! Kamm»'von „Italiener /Weißatluog ui soowirmodı 9 [E39 **) Nach W. Bateson und E. R. SB aumdepan [RE ‚die Dominanz, des; Pfauen- Game @ X Italiener Weiß d. ‚s1A.ovu Vsehdrmakyı Über das >verschl>Brgebnis ireziproker Kreukung. ste. 0339 ‚ergebnisse ve von C.B. Da venport (bis is 1906). «oH | | | | | | | 61 Je- Sn niotoR mr r a Tr Tilhpt anadoioN ae? -1sttuM =E5 Beftellering | NEN u De PhD iind Zeich- | Befieterung-der der Schäfte BELEN au nung des Gefieders |- Schäfte elta w iostuio ‚Aiow fronsilsıl lisa tl suswiloe | -uonstd] | emderd |.dIV a7 > 5 T15H3119d4 a ota | ImImRE | Tsd nackt IFRL 88 Ind 7 Y-förmig "36 'Ghrlz'schwarz nackt (Stufenreihe) BNIEN schwarz u. weiß l einfach (als | Grenzfail der | Serie) | | 'F, 101 Ind. einfach: Y-Form:-| 24 reinschwarz a nacht — diow Hoslnio Nov kam; damen) ‚2 sehwarz u. weiß) | uidooD | .IIV ib RT 30: dstlussre sısw .doa | aromnico | BR EEN ZEN | | | © a ee a TE | B | | nackt | F, 41lInd.| 40 Ye 39 weiß mit nackk I) | (Stufenreihe) Schwarzspuren Kl | . 1 rudimentäre Pa- 2. reinweiß FE z ‚asdıstlsttnd | || atdooO yillen A980 Alavr dostnis) | soasilesl | .IIIY -siası 19ds | | aodtetllstiid elta ansıdasin | |F, 55 Indd!®ärfach: Y-Form: | 9 schwarz Sekt I | kammlos (Papillen), 41 „weiß“ u. zwar: | | — 1m: 23 22153 weiß u, schwarz| | u = nn = nt oder rernwellgse] 1 u m aa EZ —atewdaa | Ndaeteta | Is2oT Sedo Aiswrrten | — id- 1010 XI -idggelkes | |F, 20 a ge alle schwarz (an- Alone el tim ‚baoon | (zasodT Sftifenreihe) fangs mit weiß) Sem ISJOLIIKIG 2 einfach (als || ar agtisıd Grehzfall der | | loss usb | Serie) | fr’ are ll | | (d iod | | | nackt FR, 83 Ind.) 40 Rosenkamm *) 74 weiß, 2. T. mit | nackt || 40 einfach schwarz | | d.h. Vater heterozy- 9dunkel,sog.blau, | | gotisch d.h. weiß mit | schwarz über- 5 T = Eee} laufen | = ‚sıew go dostais 820] Jısta | Diem STewlDe D: | -n9rrt suderd |. ig: a0)1e || Rs toFot) | {113 ‚br Sttsd | Pıd dtogrortz MITTE food sn befiedert tF, 41 Tadudda ‚Pfanenkamm * “)hid&l ine warz mit 41 befiedert (Stufen- ed (nicht vollkommen 8puren von weiß reihe; unyoll- ni msi? dominant) | ev. auch von kommen | domi- -[ogilH asb | strohgelb nant) ırabstdosb | | | © IGJoB] | + | - starl befiedert 128 20 Ind. 19 Pfauenkamm — ik 4-9) see mit 16 alle) mäßig be- Alow rHostııio | adahdasbia? 3lasa hien u ae N, 8 an ‚A. zwar: alcy ’8 a | | Ar an ‚mit ai S spurweise | | schwarz und rot | gesperbert 14 fast reinweiß — „len Rosenkamm, von ‚Wyandotte und White Dorking reine Dowinanz „gegenüber, dem ein- kammes (2) gegenüber dem einfachen Kamm (g) unvollkommen in der Kombination Indian 940 A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. g S 2 Farbe und | Befiede- | & ı Farbe und 23 | Mutter- | Kamm Zeichnung | rung der __ Kamm Zeichnung E 3 rasse des Gefieders | Schäfte | Vaterrasse des Gefieders _ | | VIb.|| Brahma | Pfauen- | schwarz mit stark Italiener weiß einfach | weiß dunkel kamm |strohgelb bis | befiedert Zwerg rot und mit weiß VII.|| Cochin — schwarz, befiedert Italiener weiß, einfach weiß schwarz grünlich Zwerg Zwerg schimmernd VIII. | Italiener , einfach weiß nackt Cochin — büffelfarben, weiß büffelfarben eher kasta- Zwerg Zwerg nienbraun IX.| Cochin _ reinweiß stark Tosa einfach schwarz, weiß befiedert | (Jokohama grünschim- Zwerg oder Phoenix) mernd, mit braunrotem Streifen in den Flügel- deckfedern (bei 9) X.| Brahma | Pfauen- | schwarz mit | stark Tosa einfach schwarz, dunkel kamm |strohgelb bis | befiedert | (Jokohama grünschim- rot und mit oder Phoenix) mernd, mit weiß braunrotem Streifen in den Flügel- deckfedern (bei ) XI. || Locken- | Rosen- | schwarz mit | nackt Seidenhuhn | einfach weiß huhn kamm gelb und weiß schwarz braun *) ©. C. Hurst (1905) fand bei analoger Kreuzung alle 60 F,-Individuen mittel- i ’ 4 A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. 24 | | . . Befiederung £ 7 Farbe und Zeich- | Befiederung der der Schäfte | un nung des (refieders Schäfte nackt IF, 31 Ind.| 27 Pfauenkamm 5 fast reinschwarz 27 (alle) deutlich be- 3 @ schwarz mit) fiedert (Stufen- rot und weiß reihe) wie 2 Brahma 5 gesperbert 2 weiß mit viel schwarz und rot 16 fast reinweiß nackt Br 726 Ind: = 7 schwarz, z. T.26 (alle) deutlich be- mit weiß fiedert (Stufen- S weiß u.schwarz| reihe) gesperbert 11 weiß, z. T. mit schwarz stark befiedert FR 31 Ind. — 15 weiß mit kasta-, 28 befiedert *) | nienbraun (mittel) 13 weiß u. schwarz 2 nackt mit kastanien- | braun I nackt (doch |F, 7 Ind.| — 7 schwarz, grün- 7 befiedert (mittel) kommen spur- lichschimmernd, befiederte In- und braunrot u. dividuen vor) zwar männliche Hybriden mit weiß gesperbert Pr, 23% Ind. _ 41 pigmentiert 48 befiedert, u. zwar: 16 weiß 8 stark 27 mittel 13 schwach 7 nackt nackt (doch |F, 21 Ind.) 21 Pfauenkamm 21 schwarz mit 21 befiedert (mittel) kommen spur- weißer Rände- befiederte In- rung d. Nacken- dividuen vor) u. Schwanzdeck- federn,mit rotem Streifen in den Flügeldeck- federn (bei () nackt F, 32 Ind.) 32 Rosenkamm 25 dunkel alle nackt | 7 weiß stark befiedert, 1949 A. SW. Pschermak)' Über das versch. ’Ergebhis reziproker' Kreuzung -ete. ze zu z Ta Pr ZUe E | m Timm Ser abganlırıa Heino dsioN brRarbe,und | Befiede- | d „Farbe, und 2 SotlkMutter- , Kamm Zeichnung | rung'dert _ 'is!Kamm |, Zeichnung CH= rasse des Gefieders| Schäfte | Vaterrasse its Geffäders Va | If: Yrah (alf ( rl Kae fa 1 2 BSH Italien r| einfach 1" "yeiß HUERE Pl I roten DI — rot mit weiß, a | Er schwanzloses schwarzer Zwerg en Kämpferhuhn Brust REN (Rumpless loiv TreL ar Game) Io Das Sıswdo ET 7 1 mellSW ERS. dB Öko mem —— — - — XIH. | Cochin — schwarz, | befiedert rotes 3 _ | __rot mit d doiltlyoschwarz ; 71 \2ygrünlich Sch Pen Pr all ı schwarzer -asiıraa)| AMSE S,schimmernd Kämpferhu n | rust (dis sıswiclsa In Aisw < (Rumples | | Fi9119429% Game) | tion 1 ‚dieow II kamm (4 — Versuch" NY IV). In anderen Fällen ist ein solches Ver- harten ‚nur als wahrscheinlich zu bezeichnen; ‚eine sichere Ent- Sc heidung. könnte, ‚nun,, durch gesonderte Nachatelt der Einzelnen’ versenedenenF}: Typon gewonnen werden. Im Gegensätze" zu Neinen eigenen an reinen Rassen erhobenen Befunden ıst aus den rn. von Davenport keine reguläre (on Oman der aa bezüglich des Kammes ,zu, ent nehmen: ın Versuch! Erresultiert Y-Kamm als hynthetischtademunap 3 ın Versuch TI BOBIERAPE zwar der Y-Kamm von Houdan- Vater, ebensö jedoch ın Versug hi, derY- Kamm von Houdan-Mutter, ın ve = zwar der Rosenkamm von Minorka schwarz -Vater (heter ozygotisch!), ebenso; in Mersuch, V und Mla zwar der Pfauenkamm von Brahma dunkel. „Vater, jedoch sim De VIb und X der Pfauenkamm von Bi dunkel -Mutter. Daraus ist zu entnehmen, daß die Valenz oder Neri Ügkeit- des Y-Kammes beı der Rasse Houkarı und des Pfauen- % ne "bei Brahma nicht vom Geschlechte des sog. Überträgers ab- (lot .khängty sondern eine absolute ist — und zwaxıim Sinne von Dominanz: Eine Dominanz "oder" Prävalenz des Muttertypus bezüglich"der" Gefiederfarbe. könnte. ‚wohl aus Versuch II und IV (edbAh, neben, 74 weiß, zum: Teil: mith schwarz, noch 9 dunkel, sog. blau) heraus- gelesen werdäh, : nieht "al er aus Versuch IX. Andererseits scheint ın den Ve and VIb, VII, VII, XI, XII wenigstens der eine Elter betreffs Feed esezveoklah zu sein, so daß bereits:in der F,-Generatiön wahre«Spaltung: vorliegt. los Die Befiederun® Er Schäfte zeigt in Davenport's Ver- suchen (1906) V, VIa a: befiedert), VIb, VII, XIII (Mutter be- fiedert) eine vom Geschlechte des sog. Überträgers unabhängige Prävalenz der Befiederung gegenüber Nacktheit; in Versuch VII und IX (Mutter befiedert) war die F,-Generation mehrgestaltig,»viels'- leicht bestand Spaltung infolge von Heterozygotie. Zwischen den ED ni 3 A. vi Tsehermak, Uber das versch! ‚Ergebnis reziproker Kreuzung -ete. 345 — 71 SI9osSt, Befiederung | ‚Faybe und Zeieh Befiederung der Ip Y | — | + astard | Kamm | | SER Rn der Schäfte | Bastı 5 | | ‚nung des Gefieders Schäfte ll epuzrf N / Cha NEE stem doA.n sıralta V un 1 ser re } el — = te Ö„m an | 2er (r Is - cn > | DO), x Be =” nackt IE) Pod Aid. — 12 teils schwarz u alle nackt Io dlseblo | sasıletl [A u weiß gesperbert on, scadrsıd A 101 „wsscd -nduddaA ı 7 oder schwarz. Anıb IM IB29% aadırt rot | ar ı 12 vorwiegend weiß ee | oder reinweiß nackt F, 24 Ind. — 24 vorwiegend 124 (alle) befiedert, | schwarz — da- untermittel von 8 mit etwas (Stufenreihe) rot Fällen von reziproker Kreuzung (Versuch VIa und VIb) besteht ein gewisser Unterschied, indem die F,-Generation eine höhere Durchschnittsvalenz der.\S&haftbefiederungsanlages"erkennensiHäßt; Wenn diese Seitens der Eizelle als went sie seitehg, ler Spertiölle in die Zygote eingebracht wurde (l.c. p. 93). Dieses Ergebnis legt — wenn auch nur andeutungsweise — in derselben Richtung wie mein extremes Resultat in Beobachtung Ia und Ib. Vollkommener ist das Ergebnis einer 2. Versuchsgruppe O.Daven- port’s!P) (1912), welche das Problem der geschlechtsbeschränkten Vererbung betraf (s. Tabelle IX auf S. 244 und 245). In der typischen regulären Verschiedenheit der Resultate reziproker Kreuzung bei Davenport prägt sich kein metrogener Einfluß auf die Valenz der Färbungsanlagen aus; sie gehört vielmehr einem ganz ande- pen eBrscheihuhssgehiete kn > bEn mer EhklärungaeKlieht Ser PAVEh- Span desoHypotheserderzeschldehtsbeschriinktun sabr"seschleäökts- korrelativen Vererbung an. Dementsprechend macht et die Aritälftie, stdaßsldie »Hähne der Rass® Brahınazingleieher'sankahl Zweierlei Arten "von'Spärmazelen 'piöduzieren! deren eine den W:Faktor "für © die’ Haudsehwingfedern' is Fj’hesitztl derer andere (dessem’ ertbehrt und onat 'den>Rofhkter "besitzt, EU Ternerıldaß von den" Eizellen beider! "Rassen jene mit! weiblicher! Bestimmitng, welehe ‚nach! er "Hypothese My von “ToH. Morgan (19109 1911 TE nach Beobäch- tungen ah der Paufliege Dhosdphila umpeloprer2) and’Er Bı Wilson (1911) das’ Gesehlechtsehirömeoson! enthalten) des WS- berw. GS- ne affozpen .IZoslöky.13p N, Kirpidsi18,ndulyar912., (Ngahd AucbsgProteed:sSociety for Exp. Biology and Medecine 9, p. 19— 20} 211% .saqe ‚EIEL sasl, „iuk .C ‚sıdaletisi 11) Vgl. die ausführlicherDavstelluhg beiRı@oldst havedts «Einführung in die Meterbungswissenschaft: usLeipzig 1911dspezu iS. 88ER IA .19dossH.V (Öl Iin2 „2129 Mgkxdiesbezüglich auch AxH> Stir teiv an; down. ofiesplZool(d44, p. 43, 1913 and Seienee. N.S. 3% p. 990, 1913. ‚ASeI .3 .soga ‚DIEI nulısd Tabelle IX. Nacken- 944 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. Nacken- federn NF Eh. federn NF un Mutterrasse (u. Schwanz- en an ne Vaterrasse (u. Schwanz- ns ” ne ERS edern SF E ; federn SF deckfedern hei deckfedern hei SDF bei d) beizg) SDF bei d) (bei 9) a) Brahma weißgesäumt weiß Italiener golagelb rot dunkel WS Ww Rebhuhn- bezw. rot R farben gesäumt GS bei 2 RS bei b) Italiener goldgelb- rot Brahma weißgesäumt weiß Rebhuhn- gesäumt R dunkel Ws W farben GS Faktors für die Nacken- und Schwanzdeckfedern entbehren. Zahlen- mäßıg bewährt sich diese Annahme einer sexualen Heterozygotie vollständig ?). Zu analogen Vorstellungen, denen zufolge die eine oder die andere Gametenform einer Rasse durchwegs oder zu einem be- stimmten Teil einer als typisch betrachteten Rassenanlage völlig entbehren soll, ist schon vor Davenport eine Reihe von Autoren '*) gelangt, deren Arbeiten ich hier nur ganz kurz anführe und zwar unter Hinweis auf Davenport (l.c.1912) selbst sowie auf die zu- sammenfassenden Darstellungen bei R. Goldschmidt (a. a. O. S. 384ff.), V. Haecker!’), W. Johannsen (a. a. O. S. 588 ff.), E. Baur!‘). Hier seien vermerkt die Beobachtungen von L. Don- 13) Näheres siehe speziell bei W. Johannsen, Elemente der exakten Erblich- keitslehre. 2. Aufl., Jena 1913, spez. S. 588 ff. 14) Die botanische Literatur bleibe hier unerwähnt. 15) V.Haecker, Allg. Vererbungslehre. 2. Aufl., Braunschweig 1912, spez. S. 280. 16) E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. 2. Aufl. Berlin 1914, spez. S. 197ff. A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 945 Nackenfedern _ NF (und nd { Bastarde Schwanzdeck- f \ S theoretisch erwartet N edern SF federn SDF as bei Q) \ 2 BONN IR EIS. O9 ws = e 2 WS n 5 230.68 = n 268 et OT ES gW n EWS SW U, 7e. RS 21 R Orca Rs Ina BR 10 2 w8 2 > 2 Ws = 79268 ar 3 0.68 = F, Y m 7 r n EN oO 8 Jg WS 9 dW Ne, OS W f ne 4G RS 1% SR ZERS ndgR IROXBG 49 WS & n Q WS _ x 8968 ze 8 268 = : 2 8 WS 8 gW ng WS 8 Jg W & SO RS 6CR 8 gRBRS ngR ro n ra 2 9 WS a 5 ews = ® 29268 er 5 29.68 er al ag ws 18 W ngWS I gW @& JS RS idR 9 Rs gm caster und G. H. Raynor (1906 — an dem Stachelbeer- spanner Abraxas grossulariata X var. lacticolor), von R. ©. Punnett und W. Bateson (1908 — betreffs Melanogenese an schwarzem Seidenhuhn X Italiener Rebhuhnfarben), von F. M. Durham und D.C. E. Marryat (1909, ähnlich C. L. W.Noorduyn 1908 — betreffs Irisfarbe an zimmtfarbener Kanarıe mit blauer Iris X grüngelber Ka- narie mit schwarzer Iris), von W. G. Spillmann (1909 — betreffs Sperberung an den Hühnerrassen Plymouth Rock X Indian Game; bestätigt und ausgebaut von H.D. Goodale [1909, 1910, 1911] an Plymouth Rock Weiß X Buff Rock bezw. Italiener Rebhuhnfarben sowie besonders von R.Pearlund F.M. Surface (1910) an Plymouth Rock X Indian Game), von A. L. Hagedoorn!') (1909 betreffs Streifung an Brown red Game X Black red Game), von A.H. Sturte- 17) Weitere, noch unveröffentlichte Beobachtungen A. L. Hagedoorn’s an den Farbentypen „golden“ und „silbern“ der Assendelver-Hühnerrasse teilt E. Baur mit (a. a. O., spez. S. 201—204). 2460 A...y- Tschermak, ‚Üben das versch Ergebnis. zeziproker ‚Kreuzung te. vant (1911 — betreffs Gefiederfarbe an Weiße W yandotte X Italiener Rebhuhnfarben) '°). Aus dem eben erwähnten Material Selena Versleiche mit meinenweirgehen"Beobachtungen. (auf, Tabelle»Vysund VII) speziell herausgehoben die Versuchsergebhißse von Spillimann!®), Pearl und Surface®®),. Goodale°'). Diese Beobachter, fanden. bei syste- matischer Bee: yo az a. 9 Besperbeau x d unsesb ser} ) AN F, Ada 4 5 alle 9 ungesperbert, 7 ei alle f gesperbert N = E \N F ! S 2 + A 5 ®) gesperbert BWu-— WM am 58 | ® NE ae ungesperbert en eis : Ipf oh | Er d gesperbert ANNE 0 aw.Q 1! HAxXoOal u EZ Ss: ungesperbert E We 2Wh.a Wu%® N b. 9,ungesperbert , X d gesperbhert ) 2 ' N alle 9 und S gesperbert eW92 - EV g “a Keen ne gesperbert | Si f ei WE A a\W {1 Whn | 7 ) ungesperbert TR > € Ad © a ö alle d gesper Ye dee ee wohl vereinbar ist der Befund von. P.;Holdetileiß#°)bei Kueuzung von Plymouth Rock. 9 Kultalionen- Rebhuhnfayben dd neo: 2OLIE loM zdstad — 8UPr) noastsd .W bu - Dig MS wen ie H aov aber uehelueid n Een Mn x ndseuabrse 48) ‚vgl. auch « aben über /geschleshfsbeschränkte Meyat ung „bei Tauben (| (L. ae Krar 36. on Han Done Ri: Fi AuaR ne EN: 88; | io eg end ade Sbiondd N! DCTE 34, ala u Foren! KEN 3, Po ad13 sowie Idas Sunmelbterit in Veildehttöf/ el Abst.E ee a ja rile a 9051 disorylI seasrısudshl ob 18 gunmsdısge adı 6 ep ma | Barring, PREn TENeS ‚Bngkah 1 Ponliu Yös.d ns. us N Ba I EIRR Nat, 4 ei Per OB , nos] eis (1 vl‘ | 1 n the Herta ce 01 arred, color nad ” Ködhehy; Arch. f. Entw. Mech do u Lb, 1otval. He Ann. Report.“ MainkoAlgnie. Exp. Stat. "Mayorobo) a siL- 116 uhd Seienco BR Pi 8r044874,1Deo: a 42, Hk Di Goodiale/,s Sex Jand- iss, aBlätion ste) the |barring factor: in opoultry: ie Science N. 8. 29, p. 1004, 1005, June 25, 1909 (vgl. auch ibidem 33, p. 939—940, June 16, 1911 and Proceed. Soc. for Exp. Biology and Medeeine 7, p. 178S—179, 1910). ae 22)aRobloldefleiß, a und Vererbungsgedetze) bei der: Kreuzung von. Hühnera.ı Berichte/. auld. (Phykiol. Iuaborı>des.. danuipgli Inst;’lquob Univ. Halle. Heft 20. Hannover 1911, S. 1—-20. .(LÜC—IO8 .A .saga „OÖ .e .e) Yu 19 A. .v., Tschermak,, Über, das ‚versch-, ‚ Ergebnis, rezi proker ‚Kreuzung ( etc. ı 2Ke .2 gesperbert, (P. R.) % eh ungesperbert (J. R.) De 1.9 (2 Ind) gleichmäßig‘ SChWAZ RT Grünschimmer a I 1911106 ii Pnd} gesperbertisinigıs‘ mu 'i bau si soggn gezumndy ungesperbört, gleichmäßig." a nie: 5b - (dis rs 'schwärz j alag Sa Ind. )'gesperbert.) (I sıHsiılmsdusß ur "Vergleicht man damit meine Versuchsergebnigse Tahelle‘ in | die allerdings nur bescheidenen Umfang haben, ‚so entspricht iwar hi Versuchsgruppe la. en gesperbert 5% ö ngesperbeitt hit. a ge- sperbert der obigen Regel, nieht aber‘ Versuchsgruppe Ib B' unge- sperbert x Ri sesperbert mit SP, (davon sicher 1 9) ungespetbert braun (wie die Mutter), al die "obige "Regel alle F,-Indi-! viduen ‚als .gesperbert bezeichnet. Knderätkels dar laut Tinte vi der gesperberte F,-Hahn aus Q gesperbert. x g’ ung gesperbert' nit der ungesper en Stammrasse 2 ungesperberte P,-Küeken "unbe. kannten Geschlechtes, mit“ einer fremden uhgesperbörten 'Rässe 3 gesperberte ir Individuen (2 2 und 1%), mit (einer änderen 1 schwarze F,' elanıe ohne wahrnelimbare Bänderung ergeben. "Bei - den kleinen. "Zahlen ist dies mit der "obigen. Hagel vereitibar, nach welcher Biebei gleichviet gesperberte und Üngesperbörte 9 wieg resultieren sollten. — Jedenfalls ist aus tem’ angeführten" weichenden Ergebnis 'meiner " Versüchsgruppe" 11h “die” Dehre | entnehmen, daß nicht Alle’ 'gesperberteh Rassen "Sich" gleich’ ei halten, ja "daß Wahn seheinlich” sogar Verschiedene’ Stämme’ bezw. Elementärförnen gleicher Rässe "ein versehiedenes Verhältens anf: weisen "Können! a EN DL EN ‚wsod Ol dl domaro\ ‚Infolge dieser Einschränkting/ in der mich) inter Andereher‘ Vergleich von (Mindrka weiß alt! oO x Coehiithina 2) auf’ Tabe m 2 mit F,' ‚(Minöhka' Weil heira EFF, [Oöchih 8'% Minorka weiß’ alt! 2]y auf Tabeiie' {y bestärkt, kann une Wiederhölting“ eines’ Versuches" mit denselben Rassch;” iedöch versehiedenen 'Stä Himen‘ 'ein recht diffeentes’ Resultat TIAEHTE Tech 'kanıi daher "aueh nicht dafür garantieren, daß eine ea sehr wünschenswerte’Wiederholung’der’ in Tabelle P Yarkeichhetet? Verstrche mit anderen 'Ausgangsindividuen sicher 'zu ‘denselben Ergebnissen führen’ werde 9b guwidoam U "Dieselbe NVefnlitel? 'vor’schemäatisierender Veralgeimeinsrung' der“ Bastärdierungsergebnisse gerade'an Hühnerrassen ist!wöhl auch 'abzu- | leiten aus vaen Abwerchtilgehl ’ wie sie) zum Teil wenigstens; awischen®® den Ergebnissen meiner eigenen Beobachtungen m jenen der oben erwähnten. sehr umfängreichen Kreuzungsstudien GB! Dawen- port’s (1906) Merten au "Dusdssıgainsab Br, ‚ei a | Se Be: ld 101 navy u Us dIsı na V gt ddaiwar) morsltli E77 uoänborynd Sid doussaV/ 1sbnsz2sın 1allsisage 3213 1sdirısid alistıJ insu Bl GN iIr) Ul f ! ET n»ılasnı3 aA] IUUNTISI UL 191191 948 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. B. Vererbungsweise in der Generationenreihe (F,, F,, F,') nach reziproker Kreuzung. Ein Vergleich meiner beiden im Sommer 1916 bis ın die 3. Generation fortgeführten Versuchsgruppen Ja und Ib (Cochin gelb x Minorka weiß alt) ergibt, daß nicht bloß ın F, eine etwa nur äußerliche Differenz besteht, sondern daß ein tiefer greifender Unterschied auch in der Vererbungsweise ın den folgenden Gene- rationen (F, und F,) obwaltet. In der einen Versuchsgruppe (la, Oochin 2 X Minorka 4) zeigen nämlich alle herausgegriffenen, klar differenten Merkmale ein allgemeines unzweifelhaftes Mendeln, d.h. ein Auf- spalten in der F,-Generation, ferner ein teilweises Konstantbleiben, teilweises Fortspalten in der F,-Generation. In der reziproken Versuchsgruppe (Ib, Minorka 9 X Cochin 5) zeigt gleichfalls die Mehrzahl der herausgegriffenen Merkmale ein Mendeln, so speziell die Kammform (Nr. 1), die Pigmentierung bezw. der Farbenton des Gefieders (Nr. 3), die Färbung der Beine (Nr. 5), jedoch unter Umkehrung des Spaltungsverhältnisses oder wenigstens mit merklicher Tendenz zur Inversion — eine Tendenz, welche im allgemeinen einer Begünstigung des F,-Typus der be- treffenden Gruppe entspricht. Gewisse stammelterliche Merkmale (Nr. 2 und 4) end- lich, welche in der einen Gruppe sichtlich mendelten, wurden in der reziproken Gruppe trotznicht unerheblichen, in beiden Gruppen etwa gleich großen Umfanges des Materiales von F, (Versuch la 16, Versuch Ib 16 bezw. 22 Individuen) und trotz der nachweisbaren Aufspaltung anderer (Nr. 1, 3, 5) vermißt?). So erscheint Voll- pigmentierung und Beinbefiederung in F, der Versuchsgruppe Ib verschwunden, während in F, der Versuchsgruppe la Spaltung be- steht. Dieses Verschwinden erscheint sichtlich als Grenzfall, zu dem die Umkehrung des Spaltungsverhältnisses hinleitet. Für diese Auffassung ließ sich sogar, wie gleich später darzulegen sein wird, der exakte Beweis erbringen. Die Feststellung von vollständiger oder angedeuteter Umkehrung der Spaltungsverhältnisse, ja von Ver- schwinden gewisser stammelterlicher Merkmale bei rezi- proker Kreuzung erscheint von besonderer Bedeutung sowohl für die deskriptive als für die kausal-theoretische 23) Es besteht ferner der Anschein, als ob der hohe, starke, für Cochinchina charakteristische Wuchs und dementsprechend auch das hohe Gewicht in FA F, und F, der Versuchsgruppe Ia allgemein wäre, umgekehrt der mittlere Wuchs mit mittlerem Gewicht in Versuchsgruppe Ib allgemein vorkäme. Doch bedürfte es zu einem Urteile hierüber erst spezieller messender Versuche. Die Eiproduktion war ferner in Gruppe Ib erheblich besser als in Gruppe la. [2 r F - 2 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 94 Vererbungsforschung. Ein solcher Nachweis ist hier meines Wissens zum ersten Male erbracht°*). Das bezügliche Detail erhellt aus Tabelle I und Il; zur besseren Übersicht sei hier noch ein zusammenfassender Auszug gegeben (Tabelle X und Anhang). Tabelle X. Auszugsweise Übersicht der Vererbungsweise gewisser Merkmale bei reziproker Kreuzung von Cochin und Minorka (vgl. Tab. I und II). la. Cochin 2 X Minorka Jg | Ib. Minorka @ X Cochin Z gelb weiß alt weiß alt gelb F, 1. Kamm: breit (wie |) einfach (wie 4) 2. Ausbreitung der Gefiederfärbung: | teilpigmentiert vollpigmentiert (wie 9) 3. Farbenton des Gefieders: gelbbraun | weiß (wie 9), mit wenig schwarz (Novum) (wie 9), mit viel schwarz (Novum) 4. Schaftbefiederung: mittel (wie 2 | fehlend (wie ?) — abgeschwächt) 5. Beinfarbe: gelbbraun (wie 9) grau (wie 9) F, 1. Kamm: breit: einfach =15:1 breit.: einfach = 1:15 schematisch 15:1 schematisch 1:15 2. Ausbreitung der Gefiederfärbung: | VP:TP: reinweiß | VP : TP : reinweiß —R Bee AR RER Ze —— 13 15 schematisch = 36 : 12: 16 ı schematisch 45 : 19 bezw. 48:16 = 3:1 3. Farbenton des Gefieders: | unter schwarz braun bis gelb schwarz | unter schwarz braun —- schwarz VP 3 6 I ONE & © unter S-TW Br+S+-W Br-.W unter Sh+W Br+S+-W Br+W sur 2 1 1 IT 10 0 ) 5 7 1 Hi 10 o 5 —- | m —— 12 10 schematisch 45:3 = 15:1 schematisch 27:18 = 3: 2 4. Schaftbefiederung: befiedert : nackt — 514332 | befiedert : nackt = 0: 22 u. zw. stark 5 | schematisch 0:16 mittel 5 schwach 1 Spur 3 schematisch ns 5. Beinfarbe: gelb: grau = 11:5 gelb:grau = 5:11 schematisch 11:5 schematisch 5:11 24) Es gilt als Regel, daß reziproke Kreuzungen dasselbe Resultat ergeben. Doch wurde bereits gelegentlich „Dominanzwechsel“ als scheinbar geringfügige Aus- nahme vermerkt. Über die Verschiedenheit reziproker Artbastarde vgl. speziell R. Goldschmidt, Einführung in die Vererbungswissenschaft. Leipzig 1911, spez. S. 324ff. 37. Band 17 250 A. v. Tschermak, Über das versch. F, 1. Kamm: A. breiter Kamm teils konstant teils spaltend B B | N B BE beob. Br7=18r2 schematisch wohl 3:1 B. einfacher Kamm konstant E | E (nicht beobachtet) Ergebnis reziproker Kreuzung ete. A. breiter Kamm nicht wieder aufgetreten bei | einfach X einfach (? F,J, X 2 F,J, [1.2 Bz-Reihe] und 7OFE,I x SE [2. F,-Reihe]) B. einfacher Kamm durchwegs konstant 38 F,-Individuen 2. Ausbreitung der Gefiederfärbung: teils konstant teils spaltend IV VI VP | VA SE EN VP VIESBBEZSVIESTRAW: nicht beob. beobachtet VP:TP = 8:2 schematisch wohl Sen Vollpigmentierung fehlt in F,, in F, nicht wieder aufgetreten Teilpigmentierung teils konstant, teils Spaltung (vermutet) (allein beobachtet) u. zw. reinweiß © F,J, X spurw. teil- pigm. & F,J, (1. F,-Reihe) TEESWe teilpigm. g F,), X spurw. teil- pigm. d F,J, (2. F,-Reihe) TP%: WW —29!:X6 3. Farbenton des Gefieders: A. betr. schwarz teils konstant teils spaltend S Ss S | N 0d./ IN Ss S Br S Br W vermutet nicht be- obachtet beobachtet S: Br = 4:2 schematisch wohl ae B. betr. braun ergibt nicht mehr schwarz voll- pigmentiert teils konstant, Br teils Br doch ab- | spaltend IN gestuft Br (vermutet) Br W C. Betreffs weiß nicht beobachtet, Konstanz vermutet A. und B. betr. schwarz und braun | a) braungrau gesperbert © F,J, X spurw. braun d F,J, Spur schwarz“) : —3920:16 *) Davon 1 deutlich, 4 angedeutet nebenbei braun. (2. braun : F,-Reihe) reinweiß b) spurweises Auftreten von Sin 1.F,-Reihe zeinweiß 9 F,J, X spurw. braun SF3J, Spur schwarz : Spur braun : rein- weiß —= 2:1 17 C) betreffs weiß nicht beobachtet, Konstanz vermutet 4. Schaftbefiederung: A. Befiederung teils konstant, doch abgestuft Bef. | Bef. beob. teils spaltend Bef. E Bef. nackt beob. Bef.:N=4:1 schematisch 3:1 B. Nacktheit nicht beobachtet, Konstanz vermutet | A. Befiederung fehlt in F,, in F, an 1 Individuum (2 F,J,) 17 nackten — aus nackt 2 F,J, X nackt Z F3J, (2. F,-Reihe) — wieder aufgetreten! B. Nacktheit bei nackt 9 F,J, X nackt Z F,J, kon- stant (20 nackt) (1. F,-Reihe) neben A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung’ ete. 95 5 g 49) 5. Beinfarbe: A. Orange A. Orange nicht beobachtet nur Spaltung beobachtet | B. Grau orange | teils konstant, teils spaltend (braun bis gelb) : grau = 14 : 10 (vermutet) (allein beobachtet) schematisch wohl 9:79) 1. F,-Reihe gelborange : grau — 2:14 teilweise Konstanz vermutet 2. F,-Reihe gelb "gran = 1.14 B. Grau Summe gelb : grau = 3:28 nicht beobachtet. | schematisch wohl 1:15 Anhang zu Tabelle X. Detail des F,-Materials von Versuchsgruppe Ia. 1. Kamm: A. breiter Kamm F, teils konstant, teils spaltend, so ergab S F,J, mit @ F,J, (2. F,-Reihe) so ergab J F,J, mit 9 F,J, (1. F,-Reihe) F, breit: einfach = 6:0, F, breit :einfach = 8:2, mit © F,J, (8. F,-Reihe) mit 2 F,J, (Tab. III) F, breit : einfach = 3:0, R,# breit einfach = 22.0 mit © F,J,. (4. F,-Reihe) F, breit: einfach = 5: 0, in Sunma breit : einfach = 14:0 B. einfacher Kamm F, konstant (zu entnehmen aus Tabelle V), einfach & Fy (@ Fy [9 F, (M PX C G) X Langshan | XS FCQXMQ)) mit einfach @ F, (@ FR,|M 2 X C 8] X Langshan Q) ergab F,' 9 Individuen einfachkammig. 2. Ausbreitung der Gefiederfärbung: A. Vollpigmentierung F, teils konstant, teils spaltend, so ergab d F,J, mit @ F,J, (2. F,-Reihe) so ergab Z F,J, mit 9 F,J, (1. F,-Reihe) Es V Br RD WI 6,2.070, BL VB=STP.SWI=482 70 mit @ F,J, (3. F,-Reihe) BeVP.2TB= We 3.3050, ne SummasViE2sRPESWE—#970:.0 B. Teilpigmentierung so ergab vollpigm. (!) d F,J, mit spurweise teilpigm. 2 F,J,, (4. F,-Reihe) EB, VBP.2 TR ZRWI = 0.3085: {D) 3. Farbenton des Gefieders: A. Schwarzpigmentierung schwarz 2 F,J, (2. F,-Reihe) und schwarz ® F,J, (3. F,-Reihe) mit.schwarzbraunem Sg F,J, ergaben schwarz mit wenig braun : braun mit wenig schwarz : weiß —-4:2:0 bezw. 3:0:0. tler 359 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. B. Braunpigmentierung hellgelb (mit wenig schwarz) 2 F,J, (1. F,-Reihe) mit braun (mit etwas schwarz) 5 F3J; ergab schwarz : braun : weiß = 0:10:0 und zwar braun mit viel schwarz : braun mit wenig Enarze braun Bit S+-W — : 3 s 2 C. Weißfärbung (nicht beobachtet). 4. Schaftbefiederung: A. Befiederung teils konstant teils spaltend a) stark befied. © F,J, X stark befied. schwach befiedert ? F,J,, x spurw. bef. d F:J, (1. F,-Reihe) d F.J, (4. F,-Reihe) 10 befiedert : 0 nackt befiedert : nackt FREE nl recht stark : stark : mittel 2 u la 2 mittel b) spurweise befied. @ F,J, X spurw. bef. 2 spurweise d F.J, (2. F,-Reihe) 6 befiedert : 0 nackt mittel bis Federreihe 2 Stiftenreihe (Spur) 4 B. Nacktheit (nicht beobachtet). 5. Beinfärbung. A. Orangefärbung spaltend a) orange © F,J, X grünlichgelb 3 F,J, (1. F,-Reihe) orange : graugelb = 4 : 6 b) braunschwarz @ F,J, X gelb Z F,J, (2. F,-Reihe) braun : grau =5:1 c) schwarz © F,J, X gelb & F,J, (8. F,-Reihe) braun bis gelb : grau = 2:1 d) orange @ F,J,, X gelb g F,J, (4. F,-Reihe) gelb : grau = 3:2 in Summe braun bis gelb : grau = 14 : 10 schematisch 9: 70%) B. Graufärbung (nicht beobachtet). Bezüglich der Umkehrung der Spaltungsverhältnisse in der F,-Generation bei reziproker Kreuzung seien die Zahlen gegenüber- gestellt. Tabelle XI. Übersicht der F,-Spaltungsverhältnisse in Versuchsgruppela und Ib. Versuch Ia Versuch Ib 1. für Kamm breit : einfach = beobachtet 15:1 1:15 theoretisch abgeleitet 49:9 1:15 2. für Ausbreitung der Gefiederfärbung vollpigmentiert : teilpigmentiert : weiß ’ beobachtet 9:4:3 0:15: bezw. 2, 14 theoretisch abgeleitet 36:12:16 0:45:19 =19°.73:2 bezw. 2, 36 A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 255 Versuch Ia Versuch Ib Pigmentiert : weiß beobachtet 13:3 = 43:1 157 bezw. 2,14 theoretisch abgeleitet 48: 16 45:19 a} bezw. 2,36 ’ 3. für Farbenton des Gefieders schwarz (allein oder mit braun) : braun allein : reinweiß — beobachtet 12:1:3 10.2°5::7 ee theoretisch abgeleitet 45:3:16 27:18:19 = 15:1:5,3 =1,5: 1:1,05 schwarz (allein oder mit braun) : braun allein — beobachtet 12:1 10:5 theoretisch abgeleitet 45:3 = 24:10 — 15:1 3:2 4. für Schaftbefiederung befiedert ; nackt —= beobachtet 14:2 0:22 theoretisch abgeleitet 45:9 O:n 5. für Beinfarbe gelb : grau — beobachtet 11:5 Dil theoretisch abgeleitet 9:5 5:1 Hieraus ist für drei der speziell herausgehobenen Merkmale mit Sicherheit eine bifaktorielle, für zwei eine trifaktorielle Natur zu erschließen. Nur erweist sich die Wertigkeit oder Valenz der Faktoren für Umwandelung des einfachen Kammes in den breiten Rosenkamm, für Ausbreitung der Gefiederfärbung, für Schwarzfärbung, für Schaftbefiederung und für Gelbfärbung der Beine in der zweiten Reihe als abgeschwächt gegenüber der ersten Reihe. Was die Herkunft der betreffenden stammelterlichen Faktoren anbelangt, so gehören in der 2. Reihe die abgeschwächten Kamm- faktoren der mütterlichen Stammrasse Minorka weiß alt, die übrigen abgeschwächten Faktoren der väterlichen Stammrasse Cochin gelb an. Man kann sagen, daß die in der F,-Generation beobachtete Überwertigkeit der Vaterrasse bezüglich Kamm, der Mutterrasse bezüglich Gefiederfärbung, Beinbefiederung und Beinfarbe auch in den F,-Spaltungsverhältnissen zum Ausdruck kommt. Es ist gewiß berechtigt, die in der Versuchsgruppe Ib merkliche Beeinträchtigung gewisser Anlagen in F, und die nachdauernde Beeinträchtigung der- selben in F, auf dieselbe Ursache zu beziehen. Über dieses kausale Problem wird später gesondert zu handeln sein. Auch darüber, daß der äußere Anschein, als ob die im Versuch Ia „dominierenden“ Merkmale im reziproken Fall einfach zu „rezessiven“ wurden und umgekehrt — oder ein einfacher „Dominanzwechsel*“ stattfand, gewisser Einschränkungen bedarf. 354 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. Die Weiterverfolgung ın der F,-(und F,'-)Generation lehrt zu- nächst die teilweise Konstanz, teilweise Spaltung des dominierenden Breitkammes, der dominierenden Vollpigmentierung, der domi- nierenden Schaftbefiederung, ferner die (teilweise) Konstanz der braunen Gefiederfarbe sowie die (teilweise) Spaltung der „domi- nierenden“* Orange-Beinfarbe in Versuchsgruppe la. Die ange- nommene Konstanz der „rezessiven“ Merkmale: Einfachkamm, Weißfärbung, Nacktheit der Schäfte konnte mangels geeigneter erwachsener (weiblicher und männlicher) Tiere noch nicht er- wiesen werden. Zu diesem Behufe ist die Bastardierung der einfachkammigen 9 F,-Individuen mit fremden konstant einfach- kammigen Formen (speziell F,-Deszendenten von Minorka 9 X Cochin 5), sowie die analoge Anpaarung der einen F,-Henne und der einen F,-Henne mit nackten Schäften ım Gange. — In der reziproken Versuchsgruppe Ib wurde bezüglich des einfachen Kammes in den zwei F,-Versuchsreihen nur Konstanz beobachtet. In anderen Fällen wäre Hervorgehen von breitkammigen Induviduen nicht ausgeschlossen. Die Vererbungsweise des in F, an einem Individuum aufgetretenen Breitkammes konnte nicht geprüft werden, da dieses als Kücken verendete. — Betrefis Teilpigmentierung kam nur Spaltung in teilpigmentiert und weiß, nicht in voll- pıgmentiert zur Beobachtung; aus braungrau gesperbert X Spur braun wurde nur Spur schwarz, Spur braun und reinweiß erhalten. — An der Grau-Beinfarbe wurde Spaltung in orange und grau festgestellt. Von ganz besonderem Interesse ıst ın der F,-Generation der Versuchsgruppe Ib das Wiederauftreten von Schaftbefiederung an einem Ausnahmsindividuum (2 F,J,), nachdem jenes Merkmal in derF,- (Generation verschwunden und ın der gesamten F,-Generation trotz einer Individuenzahl von 22 nicht wiedergekehrt war. Es liegt hier ein sehr wichtiger Fall von sog. Atavismus vor, der alsbald seine theoretische Erklärung finden wird. Für diesen Fall ist Konstanz zu erwarten; zur Probe wird die betreffende schwach- befiederte Schäfte aufweisende Henne mit dem erwiesenermaßen konstant-schwachbefiederten F,-Hahn aus Gruppe Ia (FyJ, [Cochin 9 x Minorka |) gepaart werden. — Dieser Fall gibt ferner einen gewichtigen Beweisgrund dafür ab, daß der beobachtete Ausfall von Schaftbefiederung und ebenso wohl von Vollpigmentierung in F, nur den Grenzfall der an anderen Merkmalen konstatierten Um- kehrung der Spaltungsverhältnisse darstellt. Es liegt in Gruppe Ib augenscheinlich eine Schwächung gewisser in Gruppe la „domi- nierender* Anlagen vor, welche zu deren anscheinender „Rezessi- vıtät“, ja zum Teil zu deren nachdauerndem äußerlichem Ver- schwinden führen kann, ohne daß — wenigstens in gewissen Einzel- fällen — ein Wiederauftreten in der Generationenreihe völlig aus- geschlossen wäre. A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 255 II. Theoretische Erklärung: Theorie der Anlagenschwächung oder Genasthenie. Die zunächst rein deskriptiv dargestellten Ergebnisse meiner Vererbungsversuche nach reziproker Kreuzung gestatten eine recht befriedigende theoretische Erklärung durch die Faktorenlehre und die von mir vorgeschlagene Theorie der Anlagenschwächung oder Genasthenie. A. Faktorenanalyse. Die in der F,-Generation zum Teil beobachtete Serienaufspaltung, sowie die tatsächlich festgestellten Spaltungsverhältnisse führen, wie bereits oben kurz erwähnt wurde, zur Erschließung eines bifaktoriellen Unterschiedes der Rassen Cochinchina und Minorka, was Kammform, Schaftbefiederung und Beinfarbe anbelangt — hin- Fig. 1. ABCAbE ABCABC U) (1) AbCAbC ABCaBßC AbCabC aBCaBC =» abCabl aBlabC Schema der Vererbungsweise nach Zygotenformeln bei bifaktorieller Verschieden- heit und Übereinstimmung in einem dritten Faktor. Elternform A: Elternform B: ABCABC abCabC oder AbCAbC oder aBCaBC gegen einer trifaktoriellen Differenz für Ausbreitung und für Farbenton der Gefiederfärbung. Es gelten allem Anscheine nach folgende allgemeine Schemata der Vererbungsweise nach Zygoten- 256 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. formeln (Fig. 1 und 2 — nach der sehr zweckmäßigen Darstellung von E. v. Tschermak)). Fig. 2, 7 D- “aBC aBl 2 aBClaße \ aBc aße Schema der Vererbungsweise nach Zygotenformeln bei trifaktorieller Verschiedenheit. Elternform A: Elternform B: ABCGABC abcabe oder ABeABe oder abCabC oder AbCAbC oder aBceaBe oder AbeAbe oder aBCaBC Den Faktorenzeichen?®) (A, B, C Vorhandensein bedeutend; a, b, e Fehlen bezeichnend) kommt abwechselnd folgende Spezial- bedeutung zu. 1. Faktorenanalyse einfacher Kamm breiter Kamm betreffs Kamm bei Cochinchina bei Minorka abU ABC Faktor C bewirkt einfachen Kamm; jeder einzelne der beiden gleichsinnig wirkenden oder kunmulativen Faktoren A und B modifiziert 25) E.v. Tschermak, Bd. IV der Züchtung der landwirtschaftlichen Kultur- pflanzen von ©. Fruwirth. 2. Aufl., S. 96 und 100, Berlin 1910. Ferner: E. v. Tschermak, Über die Vererbungsweise der Blütezeit bei Erbsen, Bd. 49 (Mendel-Festschrift) der Verh. des Naturf.- Vereines in Brünn, 1911, 8. 169—191: E. v. Tschermak, Bastardierungsversuche an Levkojen, Erbsen und Bohnen mit Rücksicht auf die Faktorenlehre. Zeitschr. f. indukt. Abstammungs- und Ver- erbungslehre, 7 (2. Heft), S. 81—234, 1912. 26) In den nachstehenden Abschnitten 1—5 bedeutet A, ebenso B oder C, selbstverständlich jedesmal einen anderen Faktor. A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 2957 bei Vollwertigkeit die C-Anlage zu „breitem oder Rosenkamm“‘. Je nach dem einfachen oder mehrfachen Vertretensein des A- und B-Faktors resultiert in gewissem Grade eine Stufenreihe der Aus- bildung des Rosenkammes. Äußere „Konstanz“ von Hybriden be- züglich Breitkamm besagt noch nicht volle Homozygotie (speziell von der Formel ABCABC); vielmehr sind auch dann zwei ver- schiedene Typen von weiterer Stufenaufspaltung (ABCAbB und ABCaBC) möglich. Ebenso sind zwei Typen (AbUabC und aBCabC) mit Aufspaltung in Breitkamm : Einfachkamm = 3:1 zu erwarten, wie dies in Versuch la, 1. Reihe (0 F,J, X d FyJ,) tatsächlich beobachtet wurde (vgl. Tab. X — empirisches Spaltungsverhält- nis 8:2). 2. Faktorenanalyse Vollpigmentierung Nichtpigmentierung betreffs Ausbreitung bei Cochinchina bei Minorka der Gefiederfärbung AbC aBe Faktor A bewirkt bei Vollwertigkeit in Vereinigung mit Bund © oder auch nur mit C Vollpigmentierung, hingegen bei Vereinigung mit B oder alleın für sich Teilpigmentierung, während die Faktoren B und © ob vereint oder einzeln ohne A wirkungslos sind, ebenso wie das Fehlen aller drei Faktoren Pigmentlosigkeit bedingt. In der vollpigmentierten Stammrasse Cochinchina seien nur die Faktoren A und C, ın der Stammrasse Minorka alleın der an und für sich unwirksame Faktor B angenommen. Teilpigmentierung tritt bei Vollwertigkeit der Faktoren erst in der F,-Generation auf und zwar anscheinend im Verhältnis vollpigmentiert : teilpigmen- tiert: weiß =9:3:4, was zunächst den Anschein eines bloß bıi- faktoriellen Unterschiedes erweckt. Bei der F,-Spaltung müssen konstante Teilpigmentierte und spaltende Teilpigmentierte resul- tieren, welche aber nur mehr teilpigmentiert und weiß ergeben. An Weißen resultieren viererlei Typen (aBC, aBc, abC, abe) — bezw. drei neue neben dem Minorkatypus (aBe). Gewisse davon — nämlich aBC und abC — tragen äußerlich unwirksame Faktoren in sich, welche Teilpigmentierung (ABe oder Abe) zu Vollpigmen- tierung ergänzen würden; andere weiße, des Faktors © entbehrende Deszendenten (speziell abe) würden bei neuerlicher Kreuzung mit Teilpigmentierten keine Vollpigmentierten mehr ergeben. Die Summe aller ABC oder AbÜ enthaltenden Kombinationen, ferner die Summe aller ABce oder Abe enthaltenden Kombinationen, endlich die aller aBC-, aBe-, abÖ- und abce-Kombinationen stehen bei der Aufspaltung in der F,-Generation im Verhältnisse von (27 +9):(9+3):16 = 5>02.12216, = Yan 255 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Reinweißton bei Minorka Braungelbton mit Spur schwarz bei Cochinchina AbC aBe Analog wie bezüglich der Ausbreitung der Gefiederfärbung muß auch bezüglich des Farbentones ein trifaktorieller Unterschied an- genommen werden, wobei — Vollwertigkeit vorausgesetzt — Vor- handensein des Faktors A braungelbe Pigmentierung, Fehlen Pig- mentlosigkeit bezw. weiß bedingt. Hinzutreten von Ö zu A ver- anlaßt spurweise Schwarzpigmentierung neben gelbbraun (wie bei der Stammrasse), von Bzu A stärkere, von B und © zu A vollständig schwarze Pigmentierung, während die Faktoren B und C ohne A wirkungslos sind, d. h. weiß bestehen lassen. Das „Kreuzungs- novum‘“ Schwarz wird somit auf Zusammentreffen oder Synthese bisher verteilt gewesener Faktoren zurückgeführt. Es folgt hieraus nachstehendes Spaltungsverhältnis: 3. Faktorenanalyse betreffs Farbenton des Gefieders i ABCABC 1 Abe Abe 1 aBCaBC 2 ABCAbC 2 Abcabe 2 aBCaBe 1 AbCAbC 1 aBcaBe 2 ABC ABe 2 aBCabC 2 AbCAbe 1 abCGabÜ 1 ABeABe 2 abCabe 2 ABcAbe 2 aBcabe 4 ABC Abe 1 abcabe 2 ABCaBC 4 aBCabe 4 ABCabC 2 AbCabC 4 ABCabC 4 ABCaBe 2 ABcaBe 4 ABeabe 8 ABCabe 45 schwarz alleın 3 braun allein 16 reinweiß oder mit braun Dementsprechend kam in F, wie zum Teil in F, eine Reihe verschiedener Stufen von reinschwarz über schwarz mit Spur braun, bezw. mit viel braun und über braun mit Spur schwarz bis zu reinbraun zur Beobachtung. 4. Faktorenanalyse Befiederung Nacktheit betreffs Schaft- bei Cochin bei Minorka befiederung AB ab Die Faktoren A und B wirken gleichsinnig, kumulativ und zwar A wohl stärker als B, so daß bei Vollwertigkeit in F, mit A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 259 der Zygotenformel ABab Mittelstellung, ın F, Serienaufspaltung mit dem Spaltungsverhältnis befiedert (in verschiedenem Ausmaß): nackt = 15:1 resultiert. Im Detail wäre am ehesten die Relation stark : mittel : schwach befied@rt = 3 :6:6 zu erwarten. Kreuzung von zwei schwachbefiederten Individuen von verschiedener Faktoren- formel (Ab Ab bezw. Abab und aBaB bezw. ABab kann mittelstark Befiederte ergeben — wie dies ın F, (9 F,J, X J‘ F,J, wohl ent- sprechend Abab X aBaB) -- vgl. Anhang zu Tabelle X) tat- sächlich beobachtet wurde. Andererseits resultieren heterozygotische Befiederte, welche eine zwar durchwegs befiederte Nachkommen- schaft liefern (ABaB oder ABAb — vgl. die Beobachtung 9 F,J, x d F,J, — Anhang zu Tabelle X). Ebenso sind konstant bleibende schwach Befiederte (AbAB und aBaB) zu erwarten (so Zd F,J,). 5. Faktorenanalyse Orange Grau betreffs Beinfärbung bei Cochin bei Minorka ABO abU Gehen wir von dem Spaltungsverhältnis 11:5 aus, so erscheinen die beiden kumulativen Faktoren A und B für orange nur wirk- sam, wenn in der Zygote mindestens die Faktorenanzahl 2 erreicht ist — sei es durch Nebeneinandervorkommen von A und B, sei es durch Doppeltvorkommen von A oder B für sich. Beı bloßer Ein- zahl des Faktorengehaltes oder bei Fehlen beider Gelbfaktoren ge- langt der den beiden Stammeltern gemeinsame Faktor © für graue Beinfarbe zur Wirkung. Allerdings müßten hiebei die beiden neuen, heterozygotischen Grau-Typen (aBCabC und AbCabC) bei Inzucht in F, neben graubeinigen auch gelbbeinige Deszendenten (aBÜaBC, AbC AbC) liefern. B. Faktorieller Vergleich beider Versuchsgruppen. Der Vergleich der beiden Fälle reziproker Kreuzung ergibt nun folgendes Bild. ad 1. Vergleich der Vererbungsweise des Kammes. Versuchsgruppe la Versuchsgruppe Ib Cochin 9 X Minorka Minorka 9 X Cochin Er: abU ABC (A) (B) CabC?”) In der Versuchsgruppe Ib erscheinen die Faktoren für Breit- oder Rosenkamm A und B so weit abgeschwächt, daß nur ihr Doppelt- vorkommen — also nur die Zygote ABCABO — breiten Kamm in Erscheinung treten läßt, während in allen anderen Kombinationen 27) Die Einklammerung von Buchstaben bedeutet Abschwächung der damit bezeichneten Faktoren in der Zygote. 260 A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. der Faktor © für einfachen Kamm durchschlagende Wirkung hat. Für die breitkammigen Individuen ist volle Konstanz, für gewisse einfachkammige (ABCAbC, ABCaBC, ABCabC) Spaltung der Des- zendenz in breitkammige und einfachkammige zu erwarten. Die Ab- schwächung von Faktoren in den Zygoten von Versuchsgruppe Ib wird später zusammenfassend analysiert werden. Fig. 3. Fig. 4. Schema der Vererbungsweise des Kammes Schema der Vererbungsweise des Kammes nach Zygotenformeln inVersuchsgruppela nach Zygotenformeln inVersuchsgruppe I b Cochin © X Minorka Minorka © X Cochin Z einfach (E) breit (B) breit (B) einfach (E) abU ABC ABC abC F, abCABC F, (A)(B) CabC m#BR, ’BeiE'= 15-41 in‘E, BE =115 ad2. Vergleich der Vererbungsweise betreffs Ausbreitung der Gefiederfärbung. Versuchsgruppe la Versuchsgruppe Ib Cochin @ X Minorka £ Minorka 2 X Cochin Z Kr: AhCaBe aBc(A)b(C) Die Abschwächung der Faktoren A und OÖ geht in Versuchs- gruppe Ib anscheinend so weit, daß weder das Zusammenwirken von A und C, noch selbst das Zusammentreffen aller drei Faktoren A, B, 6 Vollpigmentierung hervorzubringen vermag. Vielmehr resul- tiert in allen Kombinationen, welche neben A noch einen Neben- faktor B oder C, sei es doppelt sei es einfach, enthalten nur mehr Teilpigmentierung. Infolge von Schwächung ist der Faktor A, seı er einfach, sei er doppelt vorhanden, äußerlich ebenso unwirksam, wie es die des Faktors A. entbehrenden Faktorenkombinationen aBC, aBe, abC und abe sind. Als Folge dieser extremen Änderung der Faktorenvalenz resultiert das schematische Spaltungsverhältnis 45:19 = 2,36 :1, während 15:7 = 2,14 faktisch beobachtet wurde, A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 261 Immerhin wäre es keineswegs unmöglich, daß in der beobachteten F,-Generation infolge des beschränkten Umfanges von 22 Individuen gewisse Kombinationen, speziell die Kombination ABC ABC, fehlten, welche doch Vollpigmentierung ergeben hätten. Zutreffenden Falles wäre dann keine maximale Abschwächung, sondern bloß eine solche wie bezüglich der Kammfaktoren anzunehmen. Im Prinzip würde es sich um keinen andersartigen Vorgang handeln. Das in F, der Versuchsgruppe Ib an einem Individuum beobachtete Novum Sperberung von Weiß mit bräunlichem Schwarz wurde als „teilpigmentiert“ klassifiziert. — Im Ausmaß der Teilpigmentierung wurde eine weitgehende Abstufung beobachtet — wohl entsprechend der verschiedenen Zahl, in welcher die Faktoren A und B bezw. A, B und © in den einzelnen Kombinationen vorkommen. Schema der Vererbungsweise der Aus- Schema der Vererbungsweise der Aus- breitung der Gefiederfärbung nach Zy- breitung der Gefiederfärbung nach Zy- gotenformeln in Versuchsgruppe la gotenformeln in Versuchsgruppe Ib Cochin 2 X. Minorka Minorka @ X Cochin vollpigmentiert (V_P) weiß (W) weiß (W) vollpigmentiert (VP) AbC aBc aBc AbC F, AbCaBe F, aBe(A)b(C) ine, VP- A RELAW= 36.212:216 ine BR, VETE 3We=:;0,34592719 ad 3. Vergleich der Vererbungsweise des Farbentones der Gefiederfärbung. Versuchsgruppe la Versuchsgruppe Ib Cochin @ X Minorka f Minorka © X Cochin S I: AbCaBe aBc(A)a(0) Das Spaltungsverhältnis pigmentiert : reinweiß scheint sich von Versuchsgruppe la zu Versuchsgruppe Ib aus 48:16 —=3:1 ın 45:19 zu ändern, indem infolge von Schwächung des Faktors A auch die in Versuch Ia reinbraun ergebenden Kombinationen 2 Abcabe und 1 AbeAbe in Versuch Ib reinweiß erscheinen, 262 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. Ebenso führt Schwächung der Faktoren A und C dazu, daß von den 45 noch pigmentiert erscheinenden Zygoten nur 27 (alle Kombinationen, welche alle drei Faktoren — A,B, © — gleich- gültig ob einfach oder doppelt enthalten) schwarz allein oder mit braun — durchwegs nur in Form von Teilpigmentierung, also regional vorkommend! — aufweisen. Hingegen liefern 18 (alle Kombi- nationen mit mindestens 1 Faktor, also B oder C, neben A — ABe oder AbC) nur reinbraun ohne schwarz und zwar auch nur regional. Fig. 7. Schema der Vererbungsweise des Farben- tones des Grefieders nach Zygotenformeln in Versuchsgruppe Ib Minorka 2 X Cochin braun weiß weiß braun AbC aBe aBc AbC Schema der Vererbungsweise des Farben- oO tones des Gefieders nach Zygotenformeln in Versuchsgruppe la Cochin 2 X Minorka F, aBe(A)b(C) F, AbCaBe insR, 182 BaaW =127 E18 in F, S (schwarz) : B (braun) : W (weiß) —=,45£ 3216 ad4. Vergleich der Vererbungsweise betreffs Befiederung der Schäfte. Versuchsgruppe la Cochin 9 X Minorka $ ABab Versuchsgruppe Ib Minorka © X Cochin d ab(A)(B) In analoger Weise, wie bezüglich der Ausbreitung der Ge- fiederfärbung, scheint betreffs Befiederung der Schäfte in Versuchs- gruppe Ib eine extreme Schwächung der Valenz der Faktoren A und B vorzuliegen, so daß überhaupt in keiner Kombination mehr Befiederung hervortritt, vielmehr 9 Typen von Nacktheit, darunter S neue, resultieren. Allerdings besteht die Möglichkeit, daß hier in F, die Kombination ABAB trotz einer Individuenzahl von 22 zufällig nicht zur Beobachtung gelangte, und daß gerade diese A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 263 Kombination schwache Befiederung gezeigt hätte. Jedenfalls ıst dem in F, beobachteten Ausnahmsfall von Schaftbefiederung die Formel ABAB zuzuschreiben. Sein Auftreten ist entweder regulär, d. h. als Realisierung einer ın F, zufällig fehlenden Kombination bei nicht-extremer Abschwächung der Faktoren A und B, oder irregulär zu erklären, d.h. als zufälliges Wiedererstarken der ın F, extrem abgeschwächt gewesenen Faktoren A und B. Big. 9. Fig. 10. Schema der Vererbungsweise der Schaft- Schema der Vererbungsweise der Schaft- befiederung nach Zygotenformeln in Ver- befiederung nach Zygotenformeln in Ver- suchsgruppe Ia suchsgruppe Ib Cochin © X Minorka Minorka © X Cochin befiedert (B) nackt (N) nackt (N) befiedert (B) AB ab ab AB F, ABab F, ab(A)(B) in EN BroNI=aly ol in, BiN — Or 1l6rev. 215 ad 5. Vergleich der Vererbungsweise betreffs Beinfarbe. Versuchsgruppe la Versuchsgruppe Ib Cochin 2 X Minorka Minorka 9 X. Cochin $ Br ABCabC abC(A)(B)C Die glatte Umkehrung des Spaltungsverhältnisses von gelb und grau bei Vergleich der Versuchsgruppe Ia und Ib findet aus 11:5 in 5:11 eine volle Erklärung durch die Annahme einer Schwächung der Faktoren A und B. Infolgedessen weisen im zweiten Falle — Zutreffen des Spaltungsverhältnisses 5 : 11 vorausgesetzt — nur jene Kombinationen gelb auf, welche an A und B mindestens die Faktorenanzahl 3, also den einen Faktor doppelt und den anderen mindestens einfach enthalten (1 ABCABC, 2 ABCAbC, 2 ABCaBtC). Hier würde bei Fortzucht der Heterozygoten aus gelb in F, noch grau (AbCAbC, aBOCaBC) hervorgehen können. Das Spaltungsverhältnis in F, grau : gelb = 15:1 könnte auf abermalige Genasthenie in der F,-Zygote bezogen werden. Die weitere Vererbungsweise von gelb wird in einem laufenden Ver- suche geprüft. 264 A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. Fig. 12. Schema der Vererbungsweise der Bein- Schema der Vererbungsweise der Bein- farbe nach Zygotenformeln in Versuchs- farbe nach Zygotenformeln in Versuchs- gruppe Ta gruppe Ib Cochin 2 X Minorka Minorka 2 X Cochin gelb (Ge) grau (Gr) grau (Gr) gelb (Ge) ABC abC abO ABC F, ABCabC F, abC (A)(B)C IoE, "Ge Gr’ = BlN35 in EsiGer Gr =5:11 Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in meinen Be- obachtungsfällen von reziproker Kreuzung, welche in der Valenz der Faktoren deutlich differieren, eine deutliche Tendenz zur Um- kehrung der Spaltungsverhältnisse besteht. Je nach dem Grade Valenzminderung sind bei der äußerlichen F,-Spaltung sehr ver- schiedene Relationen möglich. So kann sich bei bifaktoriellem Unter fortschreitende Anlagen- schied das äußerliche Verhältnis von dem Ausgangswert: . Form A: Form B= 15: 1 (beobachtet) | = über eine Reihe von Zwischenstufen um- = wandeln, speziell über die Relationen: ®© (2. Form A: Form B=12: 4 S |3. Form A:Form B=11: 5 (beobachtet) ©5174: Horm Ar>Horm Br 960 7 © 105. BKorm 7A 2Rorm Bra 9 3 |6. Form A: Form B= 5: 11 (beobachtet) ep | 7. Form A: Form B= 4:12 = bis zu dem Spaltungs-Grenzwert: S 8. Form A: Form B= 1:15 (beobachtet), E ja darüber hinaus unter äußerlichem Fehlen © von Form A zum Grenzfall: 9. Form A: Form B= 0: 16 (beobachtet). Bei trifaktoriellem Unterschied ist die Stufenzahl noch weit größer. Hier seien nur folgende herausgehoben: A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 265 Eorm' A : Eorm B : Form GC = 631 Form A: Form B: Form C 48:15: 1 (beob.) u I | [0 us Q I 9. Borm’ A: Form B:: Form 0:45:19 (beob.) 8 | = 16 == 3. Horme :Borm Bi: RKorm 0 =45. 437216 (beob:) = & 4-/Rorm Ar: Borm’ BB Korm U =1367712':16 '(beob.) Marz 52 Homme; Dorme bi: Form C —21921°:116 55 | 6. Form A: Form B: Form © = 27:18:19 (beob.) a 772 Korn Norm br: Born C = 217223116 = a 8. Korm A’2Form 'B: Eorm C = 17744219 2 63 SE EN C. Theorie der Anlagenschwächung oder Genasthenie. Durch die dargelegten Beobachtungsergebnisse und ıhre theo- retische Auswertung, welche zum Teil bereits ın ihren Konsequenzen experimentell geprüft und bestätigt ıst, glaube ıch die Annahme einer ganz charakteristischen Schwächung oder Valenz- minderung bestimmter Faktoren oder Gene, welche in den Folgegenerationen nachdauert, in gewissen Kreu- zungsfällen begründet zu haben. Diese Vorstellung sei kurz als „Lehre von der Anlagenschwächung oder Faktorenbeein- trächtigung“, als „Theorie der Genasthenie* bezeichnet. Die Genasthenie betrifft in Versuchsgruppe Ib einerseits gewisse stammmütterliche Faktoren (Breitkamm), andererseits gewisse stamm- väterliche Faktoren (Gefiederfärbung, Schaftbefiederung, Beinfarbe) — ist also nicht an das Geschlecht eines bestimmten Stammelters geknüpft. Andererseits hat es den Anschein, daß auch in Versuchs- gruppela eineAÄndeutung von Genasthenie — verglichen mit dem Verhalten bei Reinzucht — nicht völlig fehlt, wenn sie auch unvergleichlich geringer ıst als in Versuchsgruppe Ib. So schien mir an allen Deszendenten nicht bloß ın F,, sondern auch in F, und F, und zwar auch an solchen, welche bereits konstant den Bireit- kamm oder die Beinbefiederurg vererbten, der Ausbildungsgrad dieser Merkmale wenigstens etwas geringer zu sein als bei der be- treffenden reinen Stammrasse. Kein Hybriddeszendent scheint einen so fein differenzierten, relativ hohe Papillen aufweisenden Kamm zu besitzen wie die reine Minorka weiß alt, keiner eine so starke Befiederung der Schäfte wie die reine Cochinchina gelb. Aller- dings wären zur Sicherung dieses Eindruckes genauere messende Beobachtungen erforderlich. Auch könnte gegen den Anschein einer andeutungsweisen Genasthenie in Versuchsgruppe la eingewendet werden, daß in- 37. Band 15 966 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. folge relativ beschränkten Materialumfanges zufällig die der Stamm- form entsprechende Kombination ABCABU bezw. ABAB nicht zur Beobachtung gelangt sei; allerdings spricht die gute Über- einstimmung von beobachtetem und theoretisch erschlossenem Spaltungsverhältnis einigermaßen gegen eine solche immerhin mög- liche Unvollständigkeit. — Einen speziellen Beweisgrund für das Bestehen oder wenigstens für die Möglichkeit des Eintretens von Genasthenie auch in Versuchsgruppe I. liefert der in der F,-Gene- ration von Cochinchina 0 X Minorka J beobachtete Ausnahmfall (d F,J, — vgl. Tabelle I), an dem weder dıe Faktoren für Breitkamm (J') — mach jene für Schaftbefiederung (9)' zur Äußerung gelangten. Sie waren wohl in diesem Falle ausnahmsweise stark geschwächt worden. — Gewiß könnte der Einwand erhoben werden, daß die beiden Eltern- individuen (9 Cochin, d Minorka) heterozygotisch gewesen seien, wogegen aber das reguläre Verhalten aller anderen F,-Individuen spricht. Die Genasthenie war übrigens in jenem Ausnahmsfall an- scheinend eine nachdauernde, da der betreffende Hahn beı An- paarung an die reine nacktbeinige Rasse Minorka weiß neu (vgl. Tabelle IV, Versuch A) zwei gleichfalls nacktbeinige F,'-Kücken er- zeugte. — Obzwar in der F,-Generation der Versuchsgruppe la an Ausbildung des Breitkammes und der Schaftbefiederung eine ge- wisse Abstufung oder Intermediärstellung besteht (mitunter in Form von Doppelkamm mit schwachen Papillen auf den Flächen), kann man jenen Ausnahmsfall doch nicht einfach als einen Grenzfall in einer kontinuierlich abgestuften Reihe bezeichnen; ıst er doch von den anderen F,-Individuen durch einen erheblichen Abstand scharf getrennt! Ursachen, Natur, Eintrittszeitpunkt und Nachdauer der Genasthenie. Während die Schlußfolgerung auf nachdauernde Genasthenie in meinen Beobachtungsfällen, bezw. in Versuchsgruppe Ib, m. E. durchaus zwingend und klar ist, bietet die Beantwortung der Frage nach den Ursachen, der Natur, dem Eintrittszeitpunkte und der Nachdauer der Anlagenschwächung noch manche Unklarheiten und Unsicherheiten. Auch kann die Frage, ob dem Vorgange der Genasthenie eine weitgehende, allgemeine Bedeutung zukomme, oder ob er nur in gewissen Spezialfällen, wie sie gerade hier zur Darstellung gelangt sind, eine Rolle spiele, heute noch recht verschieden beantwortet werden. Frage einer Gametengenasthenie. Zunächst sei das Pro- blem erörtert, ob die Schwächung oder Valenzminderung gewisser Faktoren sehon in den nal Sala Zeugungszellen oder Ga- meten gegeben ist, oder ob sie erst in der hybriden Befruchtungs- zelle, in der F,-Heterozygote, eintritt. Die erstere Vorstellung A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 267 einer gegebenen Anlagenschwäche in den Zeugungszellen, einer primären, prästabiliertten Gameten-Genasthenie würde zur Annahme führen, daß schon regulär in den Spermatiden der Cochinrasse die Faktoren für Gefiederfärbung, Schaftbefiederung, Beinfärbung geringere Valenz besäßen als in den Eizellen derselben Rasse. Umgekehrt müßten in den Eizellen der Minorkarasse die Breitkammfaktoren in einem schwächeren Zustande gegeben sein als in den Spermatiden derselben Rasse. Für. die einen Anlagen wären die weiblichen Gameten, für die anderen die männlichen Gameten die „besseren“ Überträger. Eine solche Annahme hätte eine gewisse Verwandtschaft mit der oben (S. 243 ff.) erwähnten Theorie der geschlechtsbeschränkten oder geschlechtskorrelativen Vererbungsweise. Dieselbe nımmt an, daß eine Elternform — als ein Heterozygot — zwei im Faktorenbesitze verschiedene Arten von Spermazellen (Bryoniatypus) oder Eizellen (Abraxatypus) in gleicher Anzahl und zweierlei, je nach männlicher oder weiblicher Peruns faktoriell verschiedene Eizellarten (und zwar die erstere Art vollveranlagt oder hologen, die andere Art teilveranlagt oder merogen) produziere (sexuelle Heterozygotie). In unserem Falle würde die nicht qualitative, sondern nur quantitative Differenz die gesamten Spermatiden gegenüber den gesamten Ei- zellen derselben Art betreffen. Bei einer solchen Annahme bliebe allerdings die im allgemeinen nur angedeutete Genasthenie auch bei reziproker Kreuzung (wie oben in Versuchsgruppe la) oder gar ein Ausnahmsfall von sichtlicher Genasthenie (wie d F,J, in Ver- suchsgruppe la) unerklärt. Im letzteren Falle käme man gar zur Hilfsannahme, daß bei Fortpflanzung gewisser reiner Rassen regulär und deutlich die Spermatiden, mitunter aber auch die Eizellen eine Schwäche bestimmter Rassenanlagen aufweisen. — Gewiß bleibt die Möglichkeit einer solchen Erklärungsweise aufrecht, doch er- scheint sie mir — zunächst wenigstens — gekünstelt und unbe- friedigend, schon von allgemein-biologischen Gesichtspunkten aus nicht ansprechend. Idee einer hybridogenen Zygoten-Genasthenie. Wenn wir — zunächst wenigstens — von einer Erklärung der Genasthenie durch eine prästablierte Veranlagungsdifferenz der reinrassigen Ga- meten absehen, so eröffnet sich die sehr fruchtbare Hypothese eines sekundären Verschiedenwerdens der Zygoten. Da- mit wird an die Stelle einer nicht weiter erklärlichen primären Schwäche eine nicht unerklärliche sekundäre Schwächung gesetzt. An die Stelle einer prästabilierten Gameten-Genasthenie tritt die Vorstellung einer nachträglichen Anlagenschwächung in den Be- fruchtungszellen infolge von Kreuzung, also die Idee einer sekun- dären, Irma aenen Zygoten-Genasthenie. Zufolge dieser Annahme einer bastardıven Faktorenbeeinträchtigung sind die Ga- 15* 368 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. meten in der Veranlagungsweise, ım Faktorenbesitze gleichwertig; erst in der Heterozygote tritt eine Ungleichwertigkeit ein, je nach der Natur der einzelnen Faktoren Tal je nach en Geschlechte oder Sexualmilieu der Gamete, von welcher sie in die F,-Zygote eingebracht wurden. Die Ursache dieser sekundären Schwächung gewisser Anlagen — wie sie zunächst bei bi- und trifaktorieller Verschiedenheit beobachtet wurde — kann man darin erblicken, daß jene Faktoren, in welchen zwei gekreuzte Formen differieren, in der Zygote einfach oder haplogametisch°) vertreten sind (ABC ab©) und im einschichtigen, gewissermaßen „unbefruchteten“ Zustande verharren, während die zwiefach oder dichogametisch vertretenen Anlagen (ABCabC) eine Befruchtungsverschmelzung eingehen. Der haplogametische Zustand mag nun die Valenz der Gene gefährden und bei nicht erheblicher Resistenz so abschwächen, daß sie zunächst am F,-Individuum nicht zur Äußerung gelangen, aber auch in der Reihe der Folgegenerationen sich nur abgeschwächt äußern. Speziell gilt dies dann, wenn sie auch in deren Zygoten wieder haplo- gametisch vertreten sind (ABab, Abab, aBab) — aber auch dann, wenn nur der eine von zwei gleichsinnig, kumulativ wirkenden Faktoren dichogametisch vertreten ist und der andere fehlt oder haplogametisch vorhanden ist (AbAb, aBaB, ABAb, ABaB). Ja, im Grenzfall mag die in der F,-Zygote durch Haplogamese oder Heterozygotie erfolgte Schwächung eine so hochgradige sein, daß — wenigstens in F, — selbst die dichogametische oder homo- zygotische Kombination von zwei kumulativen Faktoren (ABAB) die betreffende Eigenschaft nicht hervortreten läßt. Ob und in welchem Grade in einem bestimmten Bastardierungs- fall an bestimmten Faktoren merkliche hybridogene Genasthenie eintritt, dürfte vom Grade der Beeinträchtigungstendenz und von einer absoluten Widerstandsfähigkeit oder Resistenz des einzelnen Faktors abhängen. Die Höhe der Gefährdung der Genenvalenz mag von dem Fremdheitsgrade des Sexualmilieus abhängen. So scheint Genasthenie der väterlichen Cochinchina-Faktoren für Schaftbefiede- rung in hohem Maße ın dem relativ fremden Sexualmilieu der Minorka-Eizelle einzutreten, nicht jedoch ın dem verwandten Milieu der Eizelle, welche einem Deszendenten aus der Kreuzung Cochin- china 0 X Minorka S entstammt. Über die Grundlage der Widerstandsfähigkeit oder Empfind- lichkeit, der Resistenz oder Sensibilität des einzelnen Faktors ist 28) Die hiemit in Vorschlag gebrachten neuen Bezeichnungen „haplogametisch“ und „dichogametisch“ erscheinen mir für die obige Darstellung ganz praktisch, wenn man auch mit den üblichen Ausdrücken „homozygotisch“ und „heterozygotisch“ im wesentlichen dasselbe sagen kann. Vgl. auch die Bezeichnungen „Monolepsis“ und „Amphilepsis“ bei y: a Mendel’s Vererbungstheorien. Übers. von A. Winck- ler. Leipzig 1914, S. 252. A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung etc. 269 zunächst keine Aussage möglich — auch kann über die Mo- mente, welche darauf Einfluß nehmen, vorläufig nichts vermutet werden. Allerdings zeigt in meinen Beobachtungsfällen das Ge- schlecht oder Sexualmilieu der Gamete, welche den betreffenden Faktor in die F,-Zygote einbringt, entscheidenden Einfluß auf die Resistenz bezw. Sensibilität gegenüber dem valenzmindernden Einfluß der Fremdkreuzung. So scheinen in meiner Versuchsgruppe la und Ib die Breitkammfaktoren der Minorka-Eizelle zwar an sich keine ver- schiedene Valenz zu besitzen gegenüber jenen der Minorkaspermatide, wohl aber in der F,-Zygote, also im haplogametischen Zustande eine sehr deutliche hybridogene Schwächung zu erfahren, während die Breitkammfaktoren aus der Minorkaspermatide in der F,-Zygote ın der Regel (vgl. den Ausnahmsfall F,J, auf S. 266 und 267!) keiner er- heblichen Genasthenie unterliegen. Analoges gilt bezüglich der Faktoren für Gefiederfärbung, Schaftbefiederung und Beinfarbe der Cochinspermatide, während jenen der Cochin-Eizelle erhebliche Re- sistenz zukommt. Ob die angenommene Erklärung einer verschiedenen Resistenz gegen hybridogene Genasthenie auch für andere Fälle von Ver- schiedenheit der Produkte reziproker Kreuzung zutrifft, bedarf erst der genaueren Analyse. Doch ist es mir — wenigstens für gewisse in der Literatur vorliegende Beobachtungen — ziemlich wahrschein- lich. Gewiß war es ein glücklicher, sofort methodisch ausgewerteter Zufall, daß ich gerade zwei Rassen mit höchst sinnfälliger Differenz der Produkte reziproker Kreuzung in die Hand bekam. Frage der Nachdauer der Genasthenie. Ob die hybrido- gene Genasthenie im einzelnen Falle eine ausnahmslose und un- begrenzte Nachdauer auch nach Wiederherstellung von Dicho- gamese (Homozygotie) aufweist oder nicht, kann nur genaue Be- obachtung an umfangreichem Material und experimentelle Sicher- stellung der Zygotenformel durch planmäßige Wiederkreuzung mit anderen Hybriddeszendenten sowie durch Anpaarung reiner fremder Rassen lehren. Gewiß ist zunächst mit der Eventualität zu rechnen, daß — wenigstens in einzelnen Fällen — allmählich oder sprung- haft ein Wiedererstarken der einmal geschwächten Valenz gewisser (Gene vorkommt, so daß die betreffende Eigenschaft ın alter, rasse- typischer Stärke oder wenigstens überhaupt wieder in Erscheinung tritt (vgl. das unten über Atavismus und Mutation Bemerkte). Andererseits könnte in extremen Fällen einmalige Fremdkreuzung nicht bloß zu einer nachdauernden Schwächung gewisser Faktoren, sondern zu einem andauernden Verschwundenbleiben gewisser Eigen- schaften auch an den reinen, homozygotischen Nachkommen, also zu einer dauernden Inaktivierung (ja vielleicht sogar zum Unter- gang gewisser Faktoren — zu sog. Genophthise oder Geneklipse) führen. Ein Verhalten dieser Art scheint in solchen Fällen vorzu- 370 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. liegen, ın welchen trotz sehr großen Umfanges des Beobachtungs- materiales Vertreter einer stammelterlichen Eigenschaft bei der F,-Spaltung und weiterhin überhaupt fehlen. (Allerdings wäre ein analoger Effekt infolge von Dissoziation bisher assoziierter Faktoren — im Sinne von E. v. Tschermak?’) — möglich.) Genasthenie und Mendelismus. Ein nachdauerndes äußeres Verschwinden von gewissen Merk- malen der einen oder der anderen Elternform, also Dominanz und völliges Konstantbleiben des einen Typus (bei Übereinstimmung mit einem der Elterntypen: sog. Metro- oder Patroklinie der Hy- briden) und Fehlen von F,-Spaltung bezüglich bestimmter Merk- male ist bekanntlich in gewissen Bastardierungsfällen — wenig- stens für bestimmte Merkmale — angegeben worden?®) (zuerst von (+. Mendel an Hieractum — von Ostenfeld und Rosenberg auf Parthenogenese bezogen —, dann speziell von Macfarlane, Millardet, H. de Vries,.E. v. Dschermak)zusasada es ist versucht worden, ein solches „Nicht-Mendeln“ als eine Vererbungsweise besonderer Art, als Ausdruck von Speziesver- schiedenheit — im Gegensatze zum Mendeln bei bloßer Rassen- verschiedenheit zu deuten (H. de Vries). — Meine Beobachtungen von Umkehrung der Spaltungsverhältnisse bis zu eventuellem äußerem Fehlen des einen Typus — im Gegensatze zum reinen allgemeinen „Mendeln“ im reziproken Kreuzungsfalle bestimmter Hühnerrassen — zeigen zunächst die Unhaltbarkeit einer solchen Unterscheidung. Dieselbe ist ja schon mehrfach mit guten Gründen bestritten, aber wohl noch nicht in so direkter Weise widerlegt 29) E. v. Tschermak, Bastardierungsversuche an Levkojen, Erbsen und Bohnen mit Rücksicht auf die Faktorenlehre. Zeitschrift f. indukt. Abstammungs- und Vererbungslehre, Bd. 7 (2. Heft). S. 81—234, spez. S. 228, 1912. 30) Die allgemeine These von W. Johannsen (Elemente der exakten Erb- lichkeitslehre, 2. Aufl., Jena 1913, S. 622), daß kein sichergestelltes Beispiel von Nichtspaltung eines Bastardes mit normaler sexueller Fortpflanzung vorliegt, ist wohl zu weitgehend. Übrigens bemerkt der Autor selbst (S. 628): „Ob Fälle vor- kommen, in welchen ein „genealogischer Bastard“ nicht heterozygotisch ist, bleibt noch auszufinden — wir denken an die Möglichkeit einer gänzlichen Verdrängung des Genotypus, bezw. Abtötung der lebenden Elemente der einen Gamete als Folge der Kreuzung.“ Man kann in diesen Worten eine Andeutung der oben entwickelten Genasthenie- bezw. Genophthisevorstellung erblicken. — Bezüglich des Vorkommens nicht spaltender Bastarde vgl. auch die kritische Stellungnahme von E. Baur, Ein- führung in die exp. Vererbungslehre, 2. Aufl., Berlin 1914, spez. S. 169, 229, 231. R. Goldschmidt (Einführung in die Vererbungswissenschaft. Leipzig 1911, spez. S. 321) äußert sich dahin, es sei wohl nicht zu zweifeln, daß es überhaupt nicht- spaltende Bastarde gibt. Vgl. auch W. Bateson, Mendel’s Vererbungstheorien. Übers. von A. Winckler, Leipzig 1914, 8. 248ff. 31) E. v. Tschermak, Weitere Kreuzungsstudien an Erbsen. Levkojen und Bohnen. Zeitschr. f. d. landw. Versuchswesen in Österreich. 1904. 8. 1—-106, spez. 8. 87—88. A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 271 worden. Zudem beweisen meine Versuchsergebnisse die Möglichkeit eines schrittweisen Überganges vom „Mendeln“ zum „Nicht-Mendeln‘“. Ein Verhalten letzterer Art erscheint eben als bloßer Grenzfall, zu dem eine Reihe von Abschwächungsstufen hinführen kann. Durch die Vorstellung der Genasthenie erfährt das mitunter zu beobachtende Nicht-Mendeln bezw. Nichtspalten eine voll- befriedigende Erklärung. Das „Mendeln“ erscheint als allgemein gültig; nur kann extreme Genasthenie den äußeren Anschein einer Ausnahme erwecken, innerlich oder faktoriell erfolgt auch in diesen Fällen Spaltung. Die Möglichkeit eines praktischen Verschwindens von Merk- malen — sei es in allen Faktorenkombinationen oder nur in deren überwiegender Mehrzahl, sei es ferner auf die Dauer oder nur auf eine beschränkte Generationenzahl — legt gewiß den Gedanken nahe, daß auf diesem Wege auch pathologische Anlagen ver- schwinden könnten. So könnte in gewissen Fällen die hybridogene Genasthenie zur Selbstheilung pathologisch veranlagter Familien führen. Die hier formulierte Theorie der Genasthenie befindet sich durchaus im Einklang mit den Prinzipien der Mendel’schen Lehre und der modernen Faktorentheorie, speziell mit der Annahme einer Bildung aller möglicher Kombinationen zahlreicher unabhängiger Gene. Die hier vertretene Vorstellung verwertet ferner vielfach die Annahme einer kumulativen Wirkung gleichsinniger Faktoren, bezw. einer Abhängigkeit des Ausbildungsgrades einer Eigenschaft von der „Anzahl“ bezüglieher Faktoren in der Zygote (Nilsson- Ehle, East, Shull). Meine Versuchsergebnisse liefern zugleich wiederum eine Stütze für diese Lehre selbst. — Meine obigen Auf- stellungen gehen ferner von der Grundvorstellung’?) aus, daß die für die Vererbungsweise bedeutsame Verschiedenheit der einzelnen Formen ın Vorhandensein oder Fehlen gewisser Faktoren bestehe (Besitz — Mangeltheorie von Cuenot, Correns, Bateson, Punnet). Danach tritt in den Zygoten keine Konkurrenz zwischen einer korrespondierenden Anlage hüben und einer anderen positiven solchen drüben ein. Dementsprechend wurde auch oben kein Wett- streit zwischen konkurrierenden Genen mit dem eventuellen Resul- tate einer „Genophagie“* angenommen, sondern eine rein passive Schwächung gewisser Gene bei haplogametischem Dasein, also in Heterozygoten, aufgestellt. — Ein Grund zur Annahme einer Bil- dung „unreiner Gameten“ hat sich in meinen Beobachtungen und in deren theoretischer Auswertung nicht ergeben. — Die Theorie 32) Siehe deren Kritik bei W. Johannsen, Elemente der exakten Erblich- keitslehre, 2. Aufl., Jena 1913, spez. S. 581, sowie bei E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre, 2. Aufl., Berlin 1914, spez. S. 150. 272 A. v. Tschermak, Uber das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. der Genasthenie führt zu keiner Aussage über die Natur der Gene selbst. Mit H. Driesch, C. Detto, W. Johannsen, V.Haecker, M. Heidenhain erblicke ich in denselben „Entwicklungsmittel“ im weitesten Sinne, die sich weitgehend unabhängig voneinander verhalten, — nicht morphotische Organellen der Gameten bezw. der Zygote, etwa gar granuläre Bauelemente der Kernschleifen oder dergleichen. Meine Beobachtungen betreffen zunächst Fälle von bi- und trifaktorieller Verschiedenheit. Die eben formulierte Vorstellung gestattet aber natürlich auch die Anwendung auf Fälle von unifaktorieller Differenz. So könnte man den sog. Zea-Typus der äußeren oder scheinbaren Vererbungsweise — wie ihn zuerst Correns unterschieden hat?) — auf Genasthenie beziehen. Die dafür charakteristische „Intermediärstellung“ aller heterozygotischen Individuen, also aller F,-Individuen (Aa) und der weiterhin noch spaltenden Hälfte der F,-Individuen (Aa und aA) — im Gegensatze zu den weiterhin schon konstanten, homozygotischen F,-Individuen — ließe sich auf Schwächung des Faktors A infolge von Haplogamese zurückführen. (Mit der Erörterung einer solchen Möglichkeit sei aller- dings die bisher übliche Zurückführung auf kumulative Faktoren- wirkung in Homozygoten (AA > Aa) nicht abgelehnt!) Es wäre nun sehr interessant zu untersuchen, ob nicht — analog wie ich dies in Fällen von bifaktoriellem Unterschied nachweisen konnte — auch in gewissen Fällen von unifaktorieller Differenz der Stammeltern eine nach- dauernde Schwächung des betreffenden Faktors selbst an den homozy- gotischen Deszendenten (AA) feststellbar ıst. Natürlich bedürfte es dazu eines genauen messenden Verfahrens, welches auch die fluk- tuierende Variabilität der Stammeltern (speziell den Mittelwert und die Standardabweichung nach Johannsen) berücksichtigt. — Speziell liegt der Verdacht auf Genasthenie ın solchen Fällen nahe, ın denen zufolge der äußeren Vererbungsweise der Mangel über den Be- sıtz eines Merkmales zu dominieren, bezw. zu prävalieren scheint. In solchen Fällen fehlt eine positive Eigenschaft in F, oder bleibt wenigstens unter dem Mittel beider Eltern und in F, überwiegen die unter dem Mittel stehenden Individuen, oder es fehlen sogar trotz erheblichen Beobachtungsumfanges Vertreter der positiven Elternform. Hier ist zwar zunächst auch eine Erklärung durch Annahme eines Hemmungsfaktors°*) (z. B. AHAH gegenüber Ah Ah) möglich. Doch dürfte sich bei genauerer Untersuchung, wenigstens in gewissen Fällen dieser Art, ein unifaktorieller Unterschied der Elternformen von der Art AA und aa, also ohne Hemmungsfaktor 33) Und zwar gegenüber dem Pisumtypus mit reiner Dominanz in F, und Spaltung in F, in dominantmerkmalige Individuen : rezessivmerkmalige = 3:1. 34) Auch ein solcher könnte der Genasthenie unterliegen, wodurch der An- schein einer positiven Mutation erweckt würde. A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 275 ergeben — vielmehr mit erheblicher hybridogener Genasthenie bei Haplogamese ((A)a). Die Folge davon wäre ein Unwirksamwerden des Faktors A in der F,-Heterozygote sowie ın den F,-Heterozygoten, während er nur bei Dichogamese, d. h. an der F,-Homozygote AA wieder in Erscheinung treten würde — allerdings möglicherweise nachdauernd abgeschwächt. Genasthenie, Mutation, Atavısmus. Durch die Theerie der Genasthenie wird ferner die Entstehung, bezw. das Vorkommen gewisser latentveranlagter oder „kryptomerer“ (nach E. v. Tschermak) Formen verständlich, welche bestimmte Faktoren ohne Manifestation ın sich tragen, die beı anderen Formen bestimmte sinnfällige Merkmale bewirken, hier jedoch inaktiv zu sein scheinen. Es liegt nahe eine solche Inaktivität auf nach- dauernde Genasthenie zu beziehen. Solche genasthenisch-kryptomere Formen erscheinen zu gelegentlichem „Atavismus“ — ohne Fremd- kreuzung, bezw. ohne Zufuhr neuer spezifischer Gene — veranlagt. I © Kann doch entweder ein sog. spontanes Wiedererstarken der bloß geschwächten Anlagen oder irgendein äußerer Umstand die latente Anlage zum Hervortreten bringen. Analoges gilt von Hpybrid- deszendenten, welche eine Stammeseigenschaft äußerlich zwar nicht völlig verloren haben, dieselbe jedoch abgeschwächt an sich tragen. — Solche Formen befinden sich sozusagen ın einer Prämutationsperiode (im Sinne von H. de Vries) und können unter gewissen Umstän- den scheinbar neue Sprungvarıanten oder positive Mutanten liefern. Die Genasthenie kommt demnach m. E. als Quelle von an- scheinendem Atavismus und von anscheinender Mutation in Betracht. — Die genasthenisch-kryptomeren Formen haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den dissoziativ-kryp- tomeren Formen (nach E. v. Tschermak). In den letzteren sind gewisse Faktoren vorhanden, welche bei Eintritt von Wechsel- wirkung oder Assoziation eine bestimmte äußere Eigenschaft be- wirken würden, zunächst jedoch getrennt, dissozuert bleiben (A..B) und daher eines äußeren Effektes entbehren. Doch können sie, so- bald Assoziation (AB) eintritt, also ohne Zufuhr anderer ergänzen- der Faktoren — sei es spontan oder infolge gewisser äußerer Ein- flüsse — eine sprunghafte Abänderung in Erscheinung treten lassen. Ein solcher Vorgang mag dann als Atavismus oder als Mutation erscheinen. Allgemein-biologische Ausblicke. Die hier kurz dargelegte Theorie der hybridogenen Genasthenie führt noch zu biologischen Ausblicken allgemeinerer Art. Von dem Boden dieser Vorstellung aus können wir die Bedeutung der rein- 74 A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. züchtigen, d.h. diehogametischen oder homozygotischen Befruchtung darın erblicken, daß sıe die Erbanlagen in voller, typischer Valenz erhält und eine haplogametische Schwächung derselben ver- hütet. Hingegen gefährdet jede heterozygotische oder Fremd- befruchtung die nur einseitig beigebrachten Anlagen, in- dem dieselben während des haplogametischen Zustandes, d.h. in der Heterozygote — je nach ihrer absoluten, eventuell ge- schlechtsbeeinflußten Resistenz — einer nachdauernden Genasthenie unterliegen können. Dieselbe kann sowohl an den heterozy- gotischen als auch an den homozygotischen Deszendenten merk- lich sein. Von diesem Gesichtspunkte aus hat man ın der fortschreitenden Mendel’schen Abspaltung von Homozygoten nach Hy- bridisation auf Grund der Bildung aller möglicher Kombinationen selbständiger Gene ın den Gameten, bezw. Zygoten einen biologi- schen Schutz gegen weitere Gefährdung und eventuelle Beeinträchtigung der Genenvalenz zu erblicken. Die gene- rationenweise Abspaltung von Homozygoten führt zudem zu einer fortschreitenden Zunahme ihrer relativen Zahl ın der Gesamt- deszendenz°’). Der Hybridismus hat nach der Genasthenievorstellung nicht bloß eine anreichernde, sondern auch eine ausmerzende Be- deutung für die Formenwelt; er erscheint nicht bloß als Quelle neuer Elementarformen — seien sie bloße Neukombinationen mani- fester Elterneigenschaften oder eigentliche Kreuzungsneuheiten —, sondern auch als Faktor, welcher eine Reduktion gewisser Merk- male °*) und eventuell auch Anlagen bewerkstelligt. Mag auch manche der angedeuteten Folgerungen heute noch zu weitgehend erscheinen, ja vielleicht später einmal sich als un- zutreffend erweisen, jedenfalls darf die hier erstmalig vertretene Theorie der Genasthenie — und zwar speziell die Vorstellung einer hybridogenen Genasthenie bei Haplogamese — als fruchtbar und zu weiteren experimentellen Vererbungsstudien anregend bezeichnet werden. Ich hoffe damit einen bescheidenen Baustein zur Weiter- führung des Gebäudes der modernen experimentellen Vererbungs- lehre zu liefern, dessen Grundfesten G. Mendel gelegt hat, das aber trotz der schätzbaren Beteiligung so vieler Kräfte noch lange nicht fertig genannt werden darf. — Selbst wenn sich die Theorie der Anlagenschwächung oder Genasthenie und speziell die Vor- stellung einer Anlagenschwächung infolge von Kreuzung, einer hybridogenen Genasthenie als unvollkommen, ja als unzutreffend erweisen sollte, .behielte auch dann mein Beobachtungsmaterial über 35) Näheres siehe bei W. Johannsen, Elemente der exakten Erblichkeits- lehre, 2. Aufl., Jena 1913, S. 496 ff. 36) Zunächst handelt es sich um eine „retrogressive Abänderung des Phaeno- typus“ im Sinne von W. Johannsen, A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. 275 reziproke Kreuzung reinen empirischen Wert; schon darum wurde dasselbe zunächst ohne theoretische Einkleidung rein beschreibend zusammengefaßt. Übersicht der Ergebnisse. Schließlich sei eine kurze Übersicht der experimentellen und theoretischen Ergebnisse meiner Untersuchung gegeben. 1. 5. Bei Verfolgung von 32 Merkmalen und spezieller Heraushebung von 5 solchen an 161 Bastarden von bestimmten reinen Hühner- rassen ergab sich eine charakteristische Verschiedenheit der Produkte reziproker Kreuzung. Es zeigte sich ein deutlicher Einfluß des Geschlechtes der Stammeltern auf die Ausprägung der Erbanlagen. Im allgemeinen erwies sich in der ersten Bastardgeneration der Muttertypus als bestimmend für die Ausbreitung und Verteilung des Pigments, bezw. Zeichnung und für den Farbenton des Federkleides, ebenso für die Be- fiederung oder den Federmangel der Schäfte. Hingegen war der Vatertypus entscheidend für die Beschaffenheit des Kammes. Als Kreuzungsnova kamen gleichmäßige Schwarzfärbung sowie Sperberung des Gefieders zur Beobachtung. Die bisher formulierten Regeln für die Vererbung von Sper- berung und ihre Erklärung durch geschlechtsbeschränkte Ver- erbung gelten anscheinend nicht allgemein für alle Rassen und Rassenkombinationen. Andererseits gelten analoge Ein- schränkungen für die unter 1. ausgesprochene Regel. Bei Vergleich der zwei hauptsächlichen reziproken Versuchs- gruppen (Cochinchina X Minorka) zeigen in der zweiten Gene- ration gewisse Merkmale beiderseitig eine unzweifelhafte Mendel’sche Aufspaltung, jedoch unter Umkehrung des Spal- tungsverhältnisses oder wenigstens mit merklicher Neigung hiezu. Es gilt dies von der Kammform, dem Farbenton der Gefiederfärbung und der Beinfärbung. Andere Merkmale mendeln zwar in der einen Versuchsreihe, lassen hingegen in der anderen die eine stammelterliche Eigenschaft völlig ver- missen; so die Vollpigmentierung des Gefieders und die Be- fiederung der Schäfte. Es können also im Anschlusse an Bastardierung gewisse stammelterliche Merkmale nicht bloß in der ersten, sondern auch in der zweiten Generation ver- schwinden, um eventuell in späteren Generationen wiederauf- zutreten (sog. Atavısmus). Dieses Verhalten läßt sich vollbefriedigend nach der Faktoren- lehre und nach der Theorie vom Vorhandensein oder Fehlen einzelner Elementaranlagen, Gene oder Faktoren darstellen. Der Unterschied von breitem und einfachem Kamm, von Be- fiederung und Nacktheit der Schäfte, von Gelbfärbung und 276 1 10. Lit A. v. Tschermak, Über das versch. Ergebnis reziproker Kreuzung ete. Graufärbung der Beine erweist sich als bifaktoriell, jener von Vollpigmentierung und Pigmentlosigkeit, von schwarzem, bezw. braunem und weißem Farbenton des Gefieders als trifaktoriell — bei guter Übereinstimmung der beobachteten und der theoretisch erwarteten Spaltungsverhältnisse. Der Vergleich der Vererbungsweise in den beiden reziproken Versuchsgruppen führt zur Annahme einer ganz charakteristi- schen Schwächung oder Valenzminderung bestimmter Faktoren oder Gene, zur Theorie der Anlagenschwächung oder Gen- asthenie. Die Vorstellung einer primären, prästabilierten Valenzver- schiedenheit der männlichen und der weiblichen Zeugungs- zellen, also die Annahme einer Gameten-Genasthenie wird als weniger befriedigend bezeichnet. Hingegen vermag die Annahme einer nachträglichen Anlagen- schwächung in der Befruchtungszelle infolge von Kreuzung, die Theorie einer sekundären, erst in der Heterozygote ein- tretenden Genasthenie (hybridogene oder Zygoten-Genasthenie) alle Versuchsergebnisse befriedigend zu erklären. Nach dieser Vorstellung hat die Bastardierung an sich schon einen Ein- fluß auf die Valenz der Erbanlagen und zwar zeigt der haplo- gametische Zustand die Tendenz, die nur einseitig eingebrachten Anlagen abzuschwächen. Die Anlagen der männlichen und der weiblichen Zeugungszelle können verschiedene Resistenz oder Sensibilität gegenüber dieser Gefährdung ihrer Valenz aufweisen. Vermutlich gestatten andere Fälle von merklicher Verschiedenheit der Produkte reziproker Kreuzung eine ana- loge Erklärung. Zudem bietet die Vorstellung einer hybridogenen oder Zygoten- Genasthenie, welcher einseitig gegebene Faktoren gerade in- folge ihres haplogametischen Zustandes mehr oder weniger unterliegen können, zahlreiche fruchtbare Anregungen zu wei- teren Experimenten sowie zu Problemen der Vererbungstheorie. So werden manche Fälle von anscheinendem Atavismus oder von anscheinender Mutation auf genasthenisch-kryptomere Ver- anlagung der betreffenden Formen zurückgeführt. Auch er- scheint ein allmählicher Rückgang der Genasthenie im Laufe homozygotischer Folgegenerationen nicht ausgeschlossen. — Andererseits ergibt sich die Möglichkeit eines Verschwindens pathologischer Anlagen im Anschlusse an Fremdkreuzung. Dureh die Theorie der Anlagenschwächung oder Genasthenie erfahren ferner die Fälle von scheinbarem „Nicht-Mendeln“ oder Nichtspalten gewisser Bastardnachkommen eine voll- befriedigende Aufklärung, nämlich als Grenzfälle, in denen B. Slotopolsky, Die Begriffe der Cytometagenesis etc. IT extreme Genasthenie die tatsächlich erfolgende innerliche Spal- tung äußerlich verdeckt. 12. Endlich erscheint die Bedeutung reinzüchtiger Befruchtung darin gelegen, daß sie durch Dichogamese die Erbanlagen in voller typischer Valenz erhält, während jede Fremdbefruchtung die nur einseitig, haplogametisch beigebrachten Anlagen ge- fährdet. Dementsprechend stellt die fortschreitende Mendel'- sche Abspaltung von Homozygoten nach erfolgter Hybridisation einen biologischen Schutz dar gegen weitere Gefährdung und Beeinträchtigung der Genenvalenz. Der Hybridismus gewinnt neben seiner anreichernden, produktiven Bedeutung für die Formenwelt zugleich eine ausmerzende, reduktive Bedeutung. Die Begriffe der Cytometagenesis und der geschlecht- lichen Fortpflanzung und ihre Anwendung in der Biologie. Von Benno Slotopolsky, Zürich. Daß mit der Vermehrung unserer materiellen Kenntnisse auch deren begriffliche Verarbeitung gleichen Schritt halte, ist eine be- rechtigte Forderung, sei’s, weil unsere wissenschaftlichen Vor- stellungen und Problemstellungen durch die Terminologie beeinflußt werden, sei’s, weil eine logische Untersuchung auch Daseinsberech- tigung hat um ihrer selbst willen. Ein sehr dankbares Feld für begriffliche Reinigungsarbeiten bietet zurzeit die Zeugungslehre, und hier sind es vor allem die Begriffe des Generationswechsels, genauer gesagt, der Uytometa- genesis, sowie der geschlechtlichen Fortpflanzung, die der Klärung dringend bedürfen. In der modernen Terminologie versteht man unter Generations- wechsel im allgemeinen den regelmäßigen Wechsel mindestens zweier durch ihre Fortpflanzungsweise voneinander verschiedener Generationen in der Folge der Vermehrungsvorgänge der betreffenden Art. Die miteinander abwechselnden Generationen können auch noch in anderer Hinsicht, morphologisch und physiologisch different sein, ohne daß jedoch diese Differenzen als integrierende Merkmale zum Begriff des Generationswechsels gerechnet würden — von einer bestimmten abgesehen, von der gleich zu reden sein wird. Man unterscheidet fernerhin folgende Arten des Generationswechsels: I. Wechsel zwischen echter geschlechtlicher Cytogonie (Fort- pflanzung durch auf Befruchtung eingerichtete Geschlechts- zellen) und vegetativer Propagation: „Metagenesis“. II. Wechsel zwischen echter geschlechtlicher Cytogonie und Parthenogenese: „Heterogonie“, 278 B. Slotopolsky, Die Begriffe der Cytometagenesis etc. Ill. Wechsel zwischen echter geschlechtlicher Cytogonie und un- geschlechtlicher Cytogonie: „Uytometagenesis“. Wir wollen uns hier nur mit der Cytometagenesis befassen. Die eben gegebene Definition ist nicht die aller Biologen. Während die einen einfach den Wechsel der Fortpflanzungsweise als das Kriterium des Begriffes betrachten, erblicken andere dieses in einer morphologischen Differenz der beiden Generationen, in ihrer verschiedenen Ühromosomenzahl, indem sie eine X und eine 2 X Generation unterscheiden. Je nachdem wir uns auf den Boden der einen oder der anderen Definition stellen, kommen wir naturgemäß auch zu anderen Resultaten über die Verbreitung der Cytometagenesis. Es ist klar, daß man eine solche sämtlichen Tieren mit geschlechtlicher Fortpflanzung nur dann zusprechen kann, wenn man definiert: Cytometagenesis ist Wechsel einer X und einer 2X Generation. Setzt man zu dieser Definition nur noch hinzu, daß die X Generation einem kamonten.,. die2 X Gene- ratıon einem Agamonten entspricht, so kann man bei den Meta- zoen von einem Generationswechsel im Sinne der Cytometagenesis bereits nicht mehr reden, weil hier die 2X Generation Gameten hervorbringt, also ein Gamont ist, die X Generation aber einzig und allein aus den G@ameten besteht. Man könnte dann höchstens unter Zuhilfenahme einer phylogenetischen Hypothese sagen: Die Metazoen haben durch die totale Reduktion des Gamonten die Agamogonie und damit auch die Uytometagenesis sekundär ver- loren. Verzichtet man nun überhaupt auf das Moment der wech- selnden Ohromosomenzahl bei der Definition der Uytometagenesis, so heißt es einfach: Die Metazoen haben keine Cytometagenesis. Wenn wir uns nun fragen, welchen von diesen drei Auf- fassungen der Vorzug zu geben ist, so ıst zunächst klar, daß wir bei der Feststellung eines allgemeinen biologischen Begriffes, wie es die Öytometagenesis ıst, den Verhältnissen sämtlicher Lebewesen Rechnung zu tragen haben, namentlich aber denen der mono- energiden Lebewesen und ıhrer nächsten Verwandten, die uns als die ursprünglichsten Formen erscheinen. Hier sind aber die Tat- sachen, besonders auf pflanzlichem Gebiete, gegenwärtig noch viel zu wenig erforscht, als daß eine sichere Entscheidung heute mög- lich wäre. Hinzuweisen ist immerhin auf das Vorkommen von Apogamie und Aposporie bei Farnen, also von Fällen, in denen der Gametophyt diploid bezw. der Sporophyt haploid ist, was für eine ursprüngliche Unabhängigkeit von Generationswechsel und Wechsel der Chromosomenzahl zu sprechen scheint. In jedem Falle werden wir uns schwerlich dazu verstehen können, die Definition der Cyto- metagenesis ausschließlich auf den Wechsel der Chromosomen- zahl als Kriterium zu bauen und demgemäß von einer Cytometa- genesis bei Metazoen zu reden. B. Slotopolsky, Die Begriffe der Cytometagenesis etc. 279 Von derartigen Erwägungen ganz unberührt behauptet Grassi in seiner Monographie über die Malaria, die Cytometagenesis komme den Metazoen ın gleicher Weise zu, wie den Malariaparasiten, den übrigen Sporozoen und den höheren Pflanzen. Wie bei den Plas- modien auf eine amphigonische Generation immer zahlreiche mono- gonische folgen, bis periodisch eine Befruchtung und damit wieder eine amphigonische Generation auftrete u. s. f., so sei das auch bei den höheren Pflanzen und Tieren der Fall, nur daß hier die ein- zelnen Mononten alle zusammenblieben und das Soma des viel- zelligen Tier- oder Pflanzenkörpers bildeten. Grassi faßt also jede somatische Zellteilung als Fortpflanzungsakt, als Monogonie auf. Die Zellen, aus denen die Gameten hervorgehen, bilden die gameto- gene Monontengeneration seiner protozoologischen Nomenklatur. Das befruchtete Eı ıst der Amphiont, die erste Furchungsteilung die Amphigonie; auf dem Zweizellenstadium haben wir die amphi- gonische Generation vor uns. Abgesehen von der Unhaltbarkeit der Grassi'schen Fortpflanzungsterminologie, die leicht nachzu- weisen wäre, beruht die skıizzierte Auffassung auf der grundfalschen mit dem Begriff der Fortpflanzung logisch unvereinbaren Voraus- setzung, daß die Wachstumsteilungen der Metazoen und Metaphyten Fortpfilanzungsakte sind. Fortpflanzung führt zur Vermehrung der Individuenzahl; mag nun auch phylogenetisch das polyenergide Metazoon durch eine immer inniger werdende Assoziation einzelner Energiden entstanden sein, als polyenergides Individuum wächst es durch die Teilungen der es aufbauenden einzelnen Energiden. Eine Fortpflanzung findet dabei nicht statt. Grassi’s Auffassung führt zu der gewaltsamen Gleichstellung der Sporulation eines Farnkrautes mit jeder beliebigen somatischen Zellteilung ın ıhm oder einem Metazoon. Beide bezeichnet er als Monogonie. Für uns ist jene eine Agamogonie, diese ein Wachs- tumsvorgang. Also auch dieser Versuch, den Begriff der Cytometagenesis auch auf die Metazoen auszudehnen, wird wohl abgelehnt werden müssen. Wir haben gesehen, daß die Formulierung des Begriffes Cyto- metagenesis als einer Form des Generationswechsels und ebenso seine Anwendung mit Schwierigkeiten verknüpft ist. Dabei haben wir aber noch gar nicht berücksichtigt, daß auch von den Begriffen, aus denen sich der Terminus Generationswechsel aufbaut, einer, nämlich der der geschlechtlichen Fortpflanzung, nicht einwandsfrei und einer Analyse sehr bedürftig ist. In der Geschichte der Wissenschaften ist es eine häufige Tat- sache, daß mit dem Fortschritt der Forschung gewisse Begriffe ihre Existenzberechtigung verlieren. Natürlich bleiben sie als solche bestehen. Eine Beobachtung, eine Theorie kann als irrtümlich 280 B. Slotopolsky, Die Begriffe der Oytometagenesis etc. erwiesen werden, ein Begriff selbst kann kein Irrtum sein, wohl aber kann seine Einführung ın die Wissenschaft auf einem Irrtum beruht haben. Damit ist dann aber auch der Begriff hinfällig ge- worden. Wenn wir die Berechtigung der Anwendung des Begriffes der geschlechtlichen Fortpflanzung auf die Vermehrungsvorgänge der Lebewesen prüfen wollen, so ist es selbstverständlich notwendig, zunächst den fraglichen Begriff selbst genau zu definieren. Man sollte glauben, daß die Bedeutung eines in der Biologie so oft ge- brauchten Ausdruckes von der Wissenschaft bereits längst scharf und klar und allgemeinverbindlich festgestellt sei. Das ist aber keineswegs der Fall. Meistens bekommt man in den gangbaren Werken die höchst unklare Begrifisbestimmung zu lesen: „Das Charakteristische der geschlechtlichen Fortpflanzung besteht in der Vereinigung zweier Geschlechtszellen, der Befruchtung.“ Nun ist es klar, daß die Befruchtung selbst durchaus kein Vermehrungs- vorgang ist, und sofort erheben sich die Fragen: In welchem Ver- hältnıs stehen bei der geschlechtlichen Fortpflanzung Fortpflanzung und Befruchtung? Ist eine kausale Beziehung zwischen ıhnen vor- handen ? Wer ist es überhaupt, der sich geschlechtlich fort- pflanzt; sind es die Deshlechienellen. sind es diejenigen Zellen, aus denen sie hervorgingen, oder ist es gar das poly energide Soma, das sie beherbergte? Was die erste Frage betrifft, so hat bereits im Jahre 1899 Richard Hertwig ın seinem De ürdigen Vortrag: „Mit welchem Recht unter ars man geschlechtliche und lee) ee Fort- pflanzung?* betont, man dürfe von geschlechtlicher Fortpflanzung nur dort sprechen, wo Fortpflanzung und Befruchtung in einer realen Beziehung zueinander stünden. Selbstverständlich ist jede - Begriffsbildung willkürlich, und man könnte einfach erklären: „Unter geschlechtlicher Fortpflanzung verstehen wir Fortpflanzung mit Be- enmas) gleichgültig, ob zwischen beiden ein Zusammenhang be- steht oder nicht.“ Es hat aber die Willkür bei der Prägung von Begriffen eine Grenze. Es hat gar keinen Sinn zwei Erscheinungen, die aufeinanderfolgen, zwischen denen aber eine reale Beziehung nicht nachzuweisen ıst, allein durch die Terminologie miteinander zu verbinden. Mit dem Nachweis, daß einZusammenhangzwischen Fortpflanzung und Befruchtung im ganzen Reiche der Lebe- wesen nirgends zu finden ist, wäre die Ausmerzung des Be- griffs der geschlechtlichen Fortpflanzung unbedingt ge- boten. — Was nun die eventuelle Beziehung betrifft, so spricht Hertwig von einer kausalen. Diese kann natürlich eine zweifache sein: 1. Die Befruchtung beeinflußt die Fortpflanzung (im Sinne einer gesteigerten Vermehrung der Individuenzahl). II. Die Fort- B. Slotopolsky, Die Begriffe der Cytometagenesis etc. 381 pflanzung beeinflußt die Befruchtung (indem diese nur eintreten kann, wenn auch jene stattfindet). — Von einer Unmöglichkeit der Befruchtung ohne Fortpflanzung ist bei Protozoen keine Rede. Eine Steigerung der Fortpflanzungsenergie nach vollzogener Befruchtung kommt bei einigen Protozoen vor, da wir aber durchaus keinen Grund haben in diesen vereinzelten Fällen ein propter hoc anzu- nehmen, wo wir nur ein post hoc beobachten, so komme ich, und wie mir scheint, ebenso Hertwig, zu dem Resultat: Bei den Protozoen gibt es keine geschlechtliche Fortpflanzung. Wenn nun Hartmann, der sich durchaus auf dem Boden der Hertwig’schen Anschauungen stellt, doch von einem Generationswechsel und dem- gemäß von einer geschlechtlichen Fortpflanzung bei Sporozoen redet, und das, indem er hier durchweg die Vermehrungsvorgänge vor der Befruchtung als geschlechtliche Fortpflanzung bezeichnet, so sieht es fast aus, als ob er eine Beeinflussung der Fortpflanzungs- vorgänge durch die zeitlich folgende Befruchtung, also eine tele- ologische Beziehung annehme — eine Denkweise, deren Berechti- gung hier nicht erwogen werden soll, die aber ın jedem Falle mit der von Hartmann gebilligten Definition Richard Hertwig’s nicht übereinstimmt. In voller Konsequenz seiner Begrifisbestimmung glauben wir uns dagegen auf den ersten Blick mit Hertwig be- rechtigt, bei den Metazoen und Metaphyten von geschlechtlicher Fortpflanzung zu reden, indem hier angesichts deren polyenergider Zusammensetzung eine Verschmelzung von Ahnenplasmen nur bei der Cytogonie möglich ist. — Ich sagte: „Auf den ersten Blick“. — Daß die Metazoen und Metaphyten sich geschlechtlich fortpflanzen, kann nur solange gelten, als wir annehmen, daß sıe sich überhaupt fortpflanzen, d. h. daß sie durch Wachstum über das individuelle Maß hinaus die Anzahl der Indi- viduen vermehren'). Es sind nun aber in neuerer Zeit bei Metazoen eine ganz beträchtliche Zahl von Beobachtungen gemacht worden, aus denen hervorzugehen scheint, daß nicht das Soma die Ge- schlechtszellen absondert, genau gesagt, daß diese nicht durch Teilung von Somazellen entstehen, sondern umgekehrt sie es sind, die das Soma, d. h. das polyenergide Individuum erzeugen. Dieses gibt nur den Aufenthaltsort für die Geschlechtszellen ab, die sich, wie Protozoen vermehren, ungeschlechtlich, also durch fortgesetzte Zweiteilung, wie die Amöbe oder das Paramäcıum. Periodisch werden Befruchtungsakte in die Folge der Keimzellenteilungen ein- geschaltet. Jedesmal, wenn eine Befruchtung erfolgt ist, spaltet die Cygote ın einigen Teilungsschritten Zellen ab, aus denen ein Soma, ein polyenergides Individuum sich entwickelt. 1) Von der vegetativen Propagation sei hier abgesehen, 37. Band 10 952 J.S. Szymanski, Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. Sollten daher diese neueren mit der Weißmann’schen Keim- plasmalehre so schön übereinstimmenden cytologischen Beobach- tungen bei sämtlichen Lebewesen bestätigt werden können, so wäre damit dem Begriff der geschlechtlichen Fort- pflanzung unbedingt das Grab geschaufelt. Es ist klar, daß damit auch der Begriff des Generationswechsels in seiner gegen- wärtigen Fassung in sich zusammenfallen würde. Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. Von J. S. Szymanski, Wien. (Mit 4 Figuren.) Bei der Betrachtung der verschiedenen Handlungen der Tiere und Menschen von der effektorischen Seite her fällt eine Regel- mäßigkeit auf, auf die ich hiermit aufmerksam machen will. Wenn man die verschiedenen Arten der Handlungen beobachtet, gewinnt man den Eindruck, daß ebenso die Tiere wie auch die Menschen in der Mehrzahl der Fälle!) derart handeln, als ob der Ablauf der Handlung auf der kürzesten Bahn geschehe?). Diese Tatsache läßt sich nicht ohne weiteres ergründen, wenn man bloß eine Handlung bei einem Individuum untersucht. Erst durch Vergleichen einer Handlung bei verschiedenen Tierarten bezw. verschiedenen Individuen im Verlaufe der Zeit läßt sich diese Regel- mäßigkeit erschließen. Um diese Regelmäßigkeit klar einzusehen, kommt insbesondere die Beobachtung folgender Fälle in Betracht: 1. Beobachten gleicher instinktiver Handlung bei abweichend ge- bauten Arten der gleichen Tierklasse. 2. Beobachten gleicher instinktiver Handlung bei den Individuen der gleichen Art in verschiedenen Zuständen des Organismus. 3. Beobachten gleicher instinktiver Handlung bei gleichem Indi- viduum und der Einwirkung von verschiedenen Reizintensi- täten gleicher Reizqualıtät. 4. Beobachten verschiedener Ausbildungsgrade einer neu zu er- werbenden Gewohnheit bei gleichen Individuen im Verlaufe des Lernvorganges. 5. Beobachten der Ausführung der gleichen rationellen Handlung bei den Individuen im verschiedenen Lebensalter, 1) Die Ausnahme würden z. B. die Liebesspiele der Tiere, die gekreuzten Re- flexe (Luschinger), das Putzen der Fühler bei Küchenschaben bilden. 2) Also in der ökonomischesten Weise, J. S. Szymanski, Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. 285 Wenn ich nun jeden dieser Fälle in Hinsicht auf die uns inter- essierende Frage näher ins Auge fassen möchte, so muß ich zunächst hervorheben, daß die anatomisch abweichend gebauten Arten einer gleichen Tierklasse eine gleiche instinktive Handlung derart aus- führen, daß sie auf der kürzesten Bahn arbeiten können. Um bloß ein Beispiel anzuführen, putzen die Insekten ihre Fühlhörner „in der mechanisch einfachsten Weise“. Diese Behaup- tung findet in der folgenden Beobachtung ihre Begründung: Lange Fühler werden im großen und ganzen bei den Arten mit kauenden Mundwerkzeugen mit den letzteren geputzt; kurze Fühler werden bei den Arten mit kauenden Mundwerkzeugen mit den Vorderbeinen geputzt. Bei den Arten mit nicht kauenden Werkzeugen werden ebenso kurze wie auch lange Fühler mit den Vorderbeinen geputzt. Wenn aber die kauenden Mundwerkzeuge klein und schwach ausgebildet sind bezw. wenn die Fühler recht steif und wenig bieg- sam sind, so putzen auch die Arten mit kauenden Mundwerkzeugen ihre relativ langen Fühlhörner mit den Beinen. Aber auch relativ kurze Fühlhörner können mit den Mund- werkzeugen geputzt werden, wenn die Fühler am Ende Anschwel- lungen haben, bezw. wenn die Beine recht kurz ausgebildet sind. Diese Beispiele sind geeignet zu zeigen, daß die gleiche Hand- lung bei verschiedenen Tierarten stets mit Hilfe jener Organe, die diese Handlung auf der kürzesten Bahn bewerkstelligen können, ausgeführt wird. Wenn wir nun uns dem Beobachten der gleichen Handlung bei den Individuen der gleichen Art in verschiedenen Zuständen des Organismus zuwenden, so sehen wir zunächst, daß, wenn man einen für die Ausführung einer Handlung normalen Effektor ent- fernt,” der Organismus in vielen Fällen imstande ist, die gleiche Handlung mit einem Ersatzeffektoren ausführen zu lassen. So wischt z. B. ein Frosch die mit einer Säure betupfte Körper- seite mit dem gleichsinnigen Hinterbein ab. Schneidet man nun dieses Bein ab, so wischt er die Säure mit dem gegenüberliegenden Hinterbein ab (Pflüger). Oder z. B. putzt die rote Waldameise ihr Fühlhorn mit dem gleichsinnigen Vorderbein. Ist das rechte Vorder- bein amputiert worden und will sich nun die Ameise das linke Fühlhorn putzen, so dreht sie den Kopf gegen die linke Seite und faßt das linke Fühlhorn mit dem Putzsporn des rechten, also gegen- überliegenden Vorderbeines, mit dem sie dann das Fühlhorn durch- kämmt. Es braucht nicht erst erklärt zu werden, um zu beweisen, daß diese vikariierenden Bewegungen nicht wie die normal verlaufenden auf der kürzesten Bahn erfolgen. 19* 284 J.S. Szymanski, Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. Es bedarf indessen nicht der Entfernung eines der Effektoren, um die Ausführung der Handlung mechanisch beeinträchtigen zu lassen; es genügt schon eine Schwächung des ganzen Organismus bezw. der Sinnestätigkeit, um die Ausführung der Handlung auf der kürzesten Bahn zu verhindern. So ließ sich z. B. zeigen, daß, wenn ein Tier bezw. verschiedene Vertreter derselben Art, die „Probierbewegungen“ auszuführen vermögen, sich unter dem Ein- flusse äußerer oder innerer Faktoren im Zustande einer erhöhten allgemeinen Beweglichkeit befinden, sie sich mit relativ großer Durchschnittsgeschwindigkeit mehr oder weniger geradlinig zu bezw. von der Reizquelle fort bewegen, wobei sie sich nur auf wenigen Stellen aufhalten, um „Probierbewegungen“ auszuführen. Wenn hingegen dasselbe Tier bezw. verschiedene Vertreter derselben Art sich unter dem Einfluß äußerer oder isnerer Faktoren ım Zustand einer verminderten allgemeinen Beweglichkeit befinden, bewegen sie sich mit relativ geringerer Durchschnittsgeschwindigkeit auf mehr oder weniger krummen Bahnen zu bezw. von der Reizquelle fort, wobei sie an vielen Stellen stehen bleiben, um Probierbewe- gungen auszuführen. Flügelabwischreflex bei einer Fliege (Eristalis tenax). Die Betrachtung der gleichen Handlung, die einerseits durch normale, andererseits durch geschwächte Individuen gleicher Art nenne: wird, beweist, daß der Organismus ım normalen Zustande auf der rien Bahn a im an arbeitet. Der Eindruck, daß der Organismus auf der kürzesten Bahn arbeitet, wird durch Beobachten der gleichen instinktiven Handlung bei dem gleichen Individuum und der Einwirkung von verschiedenen Reizintensitäten gleicher Reizqualität weiter bekräftigt. Wenn man z.B. den Flügel einer Fliege (Eristalis tenax) ein oder wenige Male mit einem Faden leicht streicht, so hebt das Tier das gleichsinnige Hinterbein und wischt den Flügel mit demselben ab, als ob die Fliege etwas vom Flügel abstreifen möchte?) (Fig. 1). Wenn man aber mit den Berührungen fortfährt (Summation der überschwelligen Reize!) bezw. deren Intensität erhöht, so fliegt dr Fliege davon. 3) Sen allen von mir in der Weise untersuchten Fliegenarten zeigte bloß Erisialis diesen Reflex. Am leichtesten ist es, sich an diese Fliege heranzuschleichen, wenn infolge der Witterungsverhältnisse (Regentag) bezw. Tageszeit (Dämmerung, d. h. Anfang der Nachtruhe) die Fortbewegungsreflexe herabgesetzt sind. € J.S. Szymanski, Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. 285 Dieses Beispiel veranschaulicht, daß das ganze Tier erst dann den Platz im Raume wechselt, um sich der Reizwirkung zu ent- ziehen, wenn der lokale Abwehrreflex nicht zum Ziele führt. Ein weiteres Beispiel für dieselbe Erscheinung liefern die Raupen vieler Schmetterlinge (Vanessa-Arten, Pieris brassicae). Wenn man den Rücken einer ruhenden Raupe dieser Arten mit einem Stäbchen leicht berührt, so krümmt die Raupe den Vorderleib nach rück- wärts und fährt mit dem Mund, aus dem ein Bluttropfen heraus- tritt, gegen die Reizquelle hin. („Schlagreflex des Typus B.“) Bei der fortdauernden Reizung des Rückens beginnt die Raupe entweder sich fortzubewegen oder aber es geht der Schlagreflex ın einen unvollkommenen Einrollereflex über und die Raupe fällt von der Unterlage herab (Fig. 2). Fig. 2. Der Übergang des Schlagreflexes in den Einrollereflex. Schlagreflex des Typus B (= lokaler Abwehrreflex). Bei der fortdauernden Reizung richtet sich der Körper immer mehr auf, die Beine lösen sich von der Unterlage los, der Vorderleib biegt lateralwärts um (3.) und die Raupe fällt herab. Beim Herabfallen dreht sich die Raupe entlang ihrer Längsachse um einen Winkel von 90° derart, daß die Bauchseite nach innen zu liegen kommt. DD — Auch dieser Fall, in dem ein lokaler Abwehrreflex ın einen allge- meinen Fluchtreflex übergeht ist geeignet zu zeigen, daß der Orga- nismus zunächst versucht auf der kürzeren Bahn sich einem schä- digenden Faktor zu entziehen; und erst wenn dies nicht vom Erfolg begleitet sein sollte, verrichtet das Tier eine andere Arbeit. Besonders anschaulich zeigt sich diese Regelmäßigkeit bei dem Lernvorgang. Das Beobachten der verschiedenen Ausbildungsgrade einer neu zu erwerbenden Gewohnheit bei dem gleichen Individuum im Ver- laufe des Lernvorganges zeigt, daß die Tiere bezw. Menschen mit dem Fortschreiten der Vollendung in Ausführung der betreffenden Handlung stets auf die kürzere Weise arbeiten, bis sie schließlich diese Handlung nach vollzogenem Lernvorgang auf dem kürzesten Weg vollführen. Darin liegt eben das Prinzip des Lernens durch Eliminieren überflüssiger Bewegungen („dropping of useless move- ments“ der Amerikaner). 286 J. 5. Szymanski, Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. Als Beispiele dafür möchte ich bloß den Lernvorgang des Pickens bei Kücken (Morgan, Breed) und das Verhalten der Tiere bei entstehender Labyrinthgewohnheit anführen (Fig. 3). Fig. 3. .- a M ß c an 2] 5 En] I. Verhalten des Goldfisches im Labyrinth zu Beginn einer ganzen Versuchsserie («), im weiteren Verlaufe (b) und zum Schlusse (ce). (= — gesperrter, 4 — offener Ausgang). II. Verhalten der Ratte im Labyrinth zu Beginn der ganzen Versuchsserie (a), im weiteren Verlaufe (d)) und zum Schluß (ec). (Bei A — Wohnkäfig und Futter; 2y 2 w der kürzeste Weg vom Vorhof |B] bis zu A). IlI. Verhalten der Hunde im Versuchsraum A B, zu Beginn der ganzen Ver- suchsserie (a), im weiteren Verlauf (b, c) und zum Schluß (d). (Bei « — Vor- hof, bei y — Futter.) (In sämtlichen Figuren bedeuten die stark ausge- zogenen Linien die Wege des Tieres.) A Das Lernen durch Eliminieren überflüssiger Bewegungen ist besonders geeignet, anschaulich zu zeigen, daß die Ausführung der Handlung nach dem vollendeten Lernvorgang sich auf der kürzesten Bahn vollzieht. Wenn wir uns zum Schluß dem Beobachten der Ausführung der gleichen rationellen Handlung bei den Individuen im verschie- denen Lebensalter zuwenden, so ist es ersichtlich, daß in früheren Lebensjahren diese Handlungen nicht rationell, d. h. nicht auf der kürzesten Bahn ausgeführt werden. Erst mit fortschreitendem Alter kommt man darauf, wie gegebenenfalls rationell, d. h. auf der kürzesten Bahn zu handeln wäre. Um nun ein Beispiel anzuführen, möchte ich auf die Resultate der „Labyrinth-Auskehren-Probe* hinweisen. Diese Probe besteht im Hinauskehren von Kieselsteinchen aus einem schneckenartigen Labyrinth (Fig. 4A. ” PT J. S. Szymanski, Das Prinzip der kürzesten Bahn in der Lehre von der Handlung. 287 Es stellte sich heraus, daß erst die 9jährigen Kinder rationell handelten, d.h. das Auskehren bei « begannen; die 5 bis einschließ- lich Sjährigen handelten nicht rationell, indem sie das Auskehren bei c bezw. b begannen. Bloß die rationelle Handlung ist eine voll- endete Handlung, denn ıhr Ablauf geschieht auf der kürzesten Bahn. Fig. 4. I Bi I 8 35 + aA Jo + e 25 r 0 ur NETTER Io m) I. Das schneckenartige Labyrinth. II. Die Kurve soll die Fähigkeit zum rationellen Handeln nach der Labyrinth- Auskehren-Probe veranschaulichen. Auf der Ordinate sind die Fälle (in °/,), in denen das Kind rationell handelte, d. h. das Auskehren bei « begonnen hatte, auf der Abszisse sind die Lebensjahre eingetragen. Wie dieses Beispiel zeigt, geht die Entwicklung des rationellen Verhaltens mit fortschreitendem Lebensalter in der Richtung der Ausführung der betreffenden Handlung auf der kürzesten Bahn vor sich. In der gleichen Richtung bewegt sich die Vervollkommnung der Handlungen bei erwachsenen Menschen und der aufeinander- folgenden Generationen. Denn durch die wissenschaftlichen For- schungen, d.h. durch Lernen, eliminierten die aufeinanderfolgenden Generationen die irrationellen Handlungsweisen der Vorahnen (vgl. z. B. die psychotechnischen Grundlagen der wissenschaftlichen Be- triebsführung). Hier spielt sich sozusagen ein ähnlicher Vorgang ab, den wir beim Lernen durch Eliminieren überflüssiger Bewegungen beobachtet haben. Demnach ist diese Regelmäßigkeit bei allen Typen von Hand- lungen anzutreffen! 988 Neuerschienene Bücher. Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sind. (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Verhandlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. Jahrgang 1916, 66. Bd., 6.—10. Heft, ausgegeben am 15. Februar 1917. Inhalt: Bericht der Sektion für Botanik (Mit 12 Figuren im Texte.) S. (117). — Bericht der Sektion für Lepidopterologie. (Mit 2 Figuren im Texte.) S. (137). -— Bericht der Sektion für Zoologie. S. (153). — Bericht über allgemeine Versammlungen. S. (155). — Referate (160. — Tschusi zu Schmidhoffen, Viktor Ritter v., Ornithologische Literatur Österreich- Ungarns 1915. S. 467. — Schawerda, Dr. Karl, Zehnter Nachtrag zur Lepidopterenfauna Bosniens und der Herzegowina. (Mit einer Farbentafel III.) S. 481. — Demelius, Paula, Uber einige neue Hyphomyceten und eine neue Varietät des Rhizopus nigricans Ehr. (Mit 5 Figuren im Texte.) S. 489. — Demelius, Paula, Konidienbildung bei Polyporus lucidus Leyss. (Ganoderma lucidum.). 8.494. — Schuster, Prof. Adrian, Monographie der Koleopterengattung Laena Latreille. S. 495. — Alphabetische Inhalts- übersicht. S. 630. Hans Günther. Das Mikroskop und seine Nebenapparate. 8°, 94 8. mit 108 Abbildungen. Stuttgart, Franck’sche Verlagsbuchhandlung. Preis Mk. 1.80. R. Heise. Über die Einwirkung: von Ozon auf Mikroorganismen und künstliche Nährsubstrate (als Beitrag zur Kenntnis der Ozon- wirkung in Fleischkühlhallen). 2. Mitteilung: die Einwirkung von Özon auf künstliche Nährböden und auf verschiedene Bakterien, Hefen und Schimmel- pilze. Arbeiten a. d. kais. Gesundheitsamte, Bd. 50, Heft 4, 1917. Erich Becher. Die fremddienliche Zweckmäßigkeit der Pflanzen- zellen und die Hypothese eines überindividuellen Seelischen. 8°, 148 S., Leipzig 1917, Verlag von Veit u. Comp. Preis Mk. 5.—. Adolf Naef. Die individuelle Entwicklung organischer Formen als Urkunde ihrer Stammesgeschichte. (Kritische Betrachtungen über - das sogenannte „biogenetische Grundgesetz“.) 8°, 77 S. Jena, Verlag von Gustav Fischer. Preis Mk. 2.40. Robert Pilger. Die Algen. 3. Abteilung, die Meeresalgen (Kryptogamen- flora für Anfänger. Bd. IV,3). 8°, 125 S. mit 183 Figuren. Berlin 1917, Verlag von Julius Springer. Preis Mk. 5.60. A. Lingelsheim. Die Fluorescenz wässeriger Rindenauszüge von Eschen in ihrer Beziehung zur Verwandtschaft der Arten. Berichte d. deutsch. botan. .Ges. Jahrgang 1916, Bd. 34, p. 665—673 mit 1 Abbildung. > Max Hartmann und Claus Schilling. Die pathogenen Protozoen und die durch sie verursachten Krankheiten. Zugleich eine Ein- führung in die allgemeine Protozoenkunde für Mediziner und Zoologen. 8°, 462 S. mit 337 Textabbildungen. Berlin 1917, Verlag von Julius Springer. Preis Mk. 22.—. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr>-Re Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 37. Band Juni 1917 ji Nr. 6 ausgegeben am 30. Juni Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut. einsenden zu wollen Inhalt: F. Röder, Der philosophische Grundfehler der kunditionalen Betrachtungsweise. S. 239. W. Stefanski, Contribution ä l’ötude de l’exerdtion chez les Nematodes libres. 8. 294. A. Pascher, Eine Bemerkung über die Zusammensetzung des Phytoplanktons des Meeres. S. 312. A. Zöller, Ein chemisch-biologischer Grundriß zur inneren Sekretion. 8.315. Referate: Fr. Czapek, H. v. Guttenberg, E. Baur, Physiologie und Ökologie. 8. 320. — W. Stem- pell u. A. Koch, Elemente der Tierphysiologie. 8. 222. — Neuerschienene Bücher. 8. 323. — Zoologe gesucht. S. 524. Der philosophische Grundfehler der konditionalen Betrachtungsweise. Von Dr. Ferdinand Röder. Max Verworn tritt seit etwa einem Jahrzehnt dafür ein, daß es nötig sei, den unklaren Ursachenbegriff aus dem wissenschaft- lichen Denken zu entfernen und die kausale Betrachtungsweise durch die konditionale zu ersetzen. Seine Lehre!), die er Kon- ditionismus nennt, hat sich, wie aus seiner eigenen Angabe und aus den Äußerungen anderer Forscher hervorgeht, bereits auf ver- schiedenen Gebieten Anhänger erworben. Es dürfte daher nicht unangebracht sein, die Gründlagen seiner Weltanschauung einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Verworn geht davon aus, daß kein Vorgang oder Zustand in der Welt von einem einzigen Faktor allein abhängig sei. Daraus 1) Vgl. Verworn, Kausale und konditionale Weltanschauung. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1912. 37. Band 20 390 F. Röder, Der philosoph. Grundfehler der konditionalen Betrachtungsweise. entspringt für ıhn die Frage, ob wır berechtigt sind, unter den Faktoren, welche einen Vorgang oder Zustand bestimmen, dem einen eine größere Bedeutung einzuräumen, als den anderen, und ihn als „Ursache“ den „Bedingungen‘ gegenüberzustellen. Da er ın dem Umstand, daß einer der Faktoren als letzter zu den anderen hinzutritt, keinen Grund findet, diesem für das Zustande- kommen des Vorganges eine größere Bedeutung zuzumessen, so be- streitet er die Berechtigung, der Ursache unter den Bedingungen eine Sonderstellung einzuräumen. Der zuletzt hinzutretende Faktor seı eine Bedingung wie die anderen Faktoren, von denen der Vor- gang abhängig ist. Von der Richtigkeit des daraus geschöpften Urteils über die Gleichwertigkeit der Bedingungen überzeugt er sich noch durch den Nachweis, daß das Moment’ der Notwendig: keit, das der Begriff der Bedingung zum Ausdruck bringe, kein steigerungsfähiger Begriff seı und schließt dann seine Beweisführung mit dem Ergebnis ab: „Insofern die Bedingungen eines Vorganges oder Zustandes alle notwendig sınd, sind sie also auch sämtlich gleichwertig für sein Zustandekommen oder Bestehen. Das ist ein durchaus klarer und einwandsfreier Schluß.“ Da die Klarheit und Einwandfreiheit eines Schlusses von der Klarheit und Wahrheit der Prämissen und von der Gültigkeit des Schlußverfahrens abhängt, so fällt dem Untersucher eine dreifache Aufgabe zu. Um ihr ın jeder Hinsicht gerecht zu werden, ist’ es zweckmäßig, sich die Voraussetzungen jenes Schlusses in einer den Regeln logischen Schließens entsprechenden Form und Anordnung nochmals vorzulegen. Ich wiederhole daher den Gedankengang Verworn’s in der übersichtlichen Form einer Schlußkette, deren einzelne Glieder durch die oben skizzierten Ausführungen und durch andere Bemerkungen Verworn’s unzweideutig bestimmt sind. Sie lautet: Die Bedingungen eines Vorganges oder Zustandes sind alle notwendig für sein Zustandekommen oder Bestehen. Da sie nicht in verschiedenem Grade notwendig sein können, sind sie in gleichem Grade notwendig. Insofern die Bedingungen gleich notwendig sind, und ihre Bedeutung für das Zustandekommen des Vorgangs in der Notwendigkeit liegt, haben sie gleiche Bedeutung für sein Zustande- kommen. Was in irgendeiner Hinsicht gleiche Bedeutung hat, ist in dieser Hinsicht gleichwertig. Daher sind die Bedingungen eines Vorganges oder Zustandes sämtlich gleichwertig für sein Zustande- kommen oder Bestehen. Die logische Entwicklung ist einwandfrei. Wir wenden uns daher zur Betrachtung der Voraussetzungen. Der erste Satz, dessen Prädikat nur hervorhebt, was ım Begriff des Subjektes enthalten ist, ıst vollkommen klar und gewiß. Die zweite Behauptung, die die gleiche Notwendigkeit der Bedingungen besagt, gilt allgemein als unmittelbar evident und ist sowohl von Roux, dem schärfsten F..Röder, Der philosoph. Grundfehler der konditionalen Betrachtungsweise. 9 Gegner Verworn’s, als auch von Mill2), der die Beweisführung Verworn's antızıpiert hat, ausgesprochen worden. Untersuchen wir die Gedanken, auf die sie sich gründet. Verworn sagt: „Das Moment der Notwendigkeit ıst kein steigerungsfähiger Begriff. Ein Faktor kann nicht in verschiedenem Grade notwendig sein. Ent- weder er ist notwendig, oder er ist es nicht, eine dritte Möglich- keit existiert nicht.“ Sıe existiert tatsächlich nicht. Mit der Ver- neinung einer dritten Möglichkeit wird auch die der gleichen Not- wendigkeit ausgeschlossen. Aus demselben Grunde, aus welchem die Faktoren nicht in verschiedenem Grade notwendig sein können, aus eben diesem Grunde können sie auch nicht in gleichem Grade notwendig sein, weil nämlich die Notwendigkeit keinen Grad kennt, weil notwendig und gleich unvereinbare, disparate Begriffe sind, zwischen denen sich keine gedankliche Verbindung herstellen läßt. Dies wird noch deutlicher, wenn wir auf den Ursprung des Begriffs der Notwendigkeit zurückgehen. Er stammt aus der häufigen Wiederholung der Beobachtung, daß das gewohnheitsmäßig erwartete Uonsequens regelmäßiger Folgeerscheinungen (der Effekt) nicht zu- stande kommt, wenn eines der regelmäßigen Antezedentien nicht vorhanden ist. Die Auffassung dieser Identität erzeugt den Begriff der Notwendigkeit, diese Gemeinschaftlichkeit im Nichtvorhanden- sein bildet seinen ganzen Inhalt. Der Begriff entsteht ohne Rück- sicht auf und unabhängig von Grad und Größe und weder Grad noch Größe können sich nachträglich mit ihm verbinden. Die Not- wendigkeit ist kein in oder zwischen den Sinnesobjekten befind- liches, sinnlich erfaßbares und meßbares Ding, sondern ein ab- strakter Begriff, der nur ein einziges Merkmal, die eben dargelegte Beziehung, besitzt. Die Notwendigkeit in dem einen Fall ist nicht unterscheidbar von der in einem anderen Fall, denn die Unterschiede quantitativer, qualitativer und räumlicher Art liegen nicht in ihr, sondern in den Dingen. Was nicht unterscheidbar ist, ist auch nicht vergleichbar. Die Behauptung der gleichen Notwendigkeit der Bedingungen hat daher gar keinen reellen Sinn. Durch die Verneinung dessen, was ungereimt und undenkbar ist, durch die Verneinung einer verschiedenen Notwendigkeit, entsteht nicht etwas Wahres, sondern wieder nur „ein vollkommner Widerspruch“. Der Satz, daß die Schwere nicht blau ist, ist ebenso sinnlos und ver- kehrt wie der, daß sie blau ist. Die Notwendigkeit ist weder un- gleich noch gleich, sie ist stets dieselbe. Wir müssen uns fragen, wieso dieser Irrtum, auf dem Verworn seinen Schluß aufbaut, verborgen geblieben ist. Es spielt sich hier im Gebiete des Denkens Ähnliches ab, wie bei der Entstehung der 2) Vgl. John Stuart Mill, System der deduktiven und induktiven Logik, Leipzig, Fues’ Verlag, 1884, IIT. Buch, Kap. V, S. 16. 20° 399 F. Röder, Der philosoph. Grundfehler der konditionalen Betrachtungsweise. Sinnestäuschungen im Gebiete der Empfindungen. Ebenso wie wir gelernt haben, bestimmte Empfindungen mit der Vorstellung von Licht zu verbinden und diese beständige Verbindung zwischen optischem Zeichen und Vorstellung sich auch dann herstellt, wenn gar kein Licht vorhanden ist, wofern nur das Zeichen auftritt, das ausnahmsweise einmal durch Druck aufs Auge erzeugt sein mag und in diesem Fall eine ganz andere Bedeutung hat, ebenso nötigt uns die Gewohnheit, die das ganze Geistesleben beherrscht, das sprachliche Zeichen einer Eigenschaft mut der Vorstellung eines Grades derselben auch dort zu verbinden, wo gar kein Grad be- steht. Unterstützt wird diese Täuschung durch die ungenaue An- wendung des Wortes notwendig, das ım gewöhnlichen Sprach- gebrauch mit wichtig, dringend, erforderlich, geeignet etc. synonym ist, welcher Mehrdeutigkeit der Komparativ „notwendiger“ sein Da- sein verdankt, während es niemand einfallen wird, etwas für existierender oder identischer zu erklären. Die Täuschung hält un- verändert an, wenn statt dem Eigenschaftsworte sich das Haupt- wort dem Geiste darstellt, da ja Worte zur Zeit, wo wir unsere eigene Sprache lernen, sich stets nur auf Dinge beziehen, die zu vergleichen und von denen irgendeine Eigenschaft auszusagen wir gleichfalls erlernt haben. Das gilt von der Notwendigkeit, — aber ebenso auch von der Bedingung. Und damit haben wir zugleich das Wesen des Irrtums der ganzen Betrachtungsweise erfaßt, das darin liegt, daß die Bedingungen mit den Dingen identifiziert werden, zu welcher Vermengung Verworn durch die Betrachtung konkreter Einzelfälle verleitet wird. Bedingung aber ist, worüber keine Un- klarheit herrschen darf, nicht etwas, wovon unsere Sinne einen unmittelbaren Eindruck haben, sie ist keine unterscheidbare Realı- tät, kein sinnlich wahrnehmbares und vorstellbares Ding, sondern ein abstrakter Begriff, sie ıst nichts mehr als der begriffliche Aus- druck für das Glied einer Beziehung, nämlich der Notwendigkeit, als deren Zeichen sıe fungiert und ohne die sie keine Existenz hat. Ohne diese Verwechslung von Bedingung mit Ding wäre Verworn überhaupt nicht dazu gelangt, die Bedingungen miteinander zu ver- gleichen und aneinander zu messen. Denn nur als Dinge sind sie unterscheidbar und vergleichbar, nur als Dinge sind sie „spezifisch“ und gruppiert, nach Qualität und Quantität, sowie räumlich unter- schieden. Nur wer in ihnen Dinge sieht, kann von ihrer gleichen oder verschiedenen Bedeutung, ihrem gleichen oder verschiedenen Wert für das Zustandekommen eines Vorgangs sprechen, wer sie hingegen als abstrakte Begriffe auffaßt, für den haben sie nur eine und dieselbe Bedeutung, für den ist die entdeckte „Gleichwertig- keit“ nichts anderes als ihre begriffliche Identität, auf Grund deren sie eben als Bedingungen klassifiziert werden. Da Verworn von dieser unbewußten, noch vor allem Urteilen F. Röder, Der philosoph. Grundfehler der konditionalen Betrachtungsweise. 295 und Schließen erfolgenden Identifizierung der Bedingungen mit Dingen keine Kenntnis hat, weil er eben die Bedingungen unter dem Bilde der Dinge anschaut und von vorneweg, wenn er das Wort Bedingungen ausspricht, darunter die Dinge meint und ver- steht, so unternimmt er es ım weitern Verlauf seiner Darstellung, geleitet von der Absıcht, sich über den Wert der konditionalen Betrachtungsweise Rechenschaft abzulegen, sich das Verhältnis der Bedingungen zu den Dingen an einem Einzelfall klar zu machen und findet naturgemäß ıhre Identität und damit die Eignung der Be- dingungslehre für eine Erkenntnis der Welt. Er fragt sich: „Was sind denn die Bedingungen im Verhältnis zum „Wesen“ der Dinge? Das „Wesen“, das „Quale“ der Dinge bilden doch eben die Dinge selbst. Die Bedingungen aber sind nichts anders als Dinge. Die Salzsäure, das Natriumkarbonat, das Wasser u. Ss. w., die ich sämtlich als Bedingungen für die Kohlensäureentwicklung kennen gelernt habe, sind ja selbst wieder Dinge. Das gilt für alle Vorgänge und Zustände.“ Und dies führt ihn weiterhin zur Auf- stellung des Identitätssatzes, daß jeder Vorgang oder Zustand identisch ist mit der Summe seiner Bedingungen. Die Argumen- tation Verworn’s ist durch seine eigenen Aussagen widerlegbar. Wenige Seiten vorher ıst zu lesen, daß nicht die Salzsäure als solche eine Bedingung für den Vorgang der Kohlensäureentwick- lung darstellt, sondern lediglich der Zutritt einer stärkeren Affinität. Aus einer Wiederholung des Beispiels an einem anderen Orte?) er- fahren wir ferner, daß eine gewisse Temperatur und ein bestimmter Druck ebenfalls Bedingungen sind. Affinität, Druck und Temperatur aber sind nicht Dinge, sondern Abstraktionen, die verschieden- artige Beziehungen zwischen den Dingen zum Ausdruck bringen. Daß Verworn dies übersehen hat, darf uns nicht sonderlich ın Erstaunen setzen. Denn die Quelle der ausdrücklichen Identifizierung ist eben jene unbewußte Vertauschung von Bedingung und Ding. Ihre Identität ist da, ehe Verworn seine Überlegung über den Wert des konditionalen Denkens beginnt, Ding und Bedingung sind ihm identisch, bevor er sie kritisch vergleicht, ihre Identität ıst in der Form seiner Anschauung enthalten, derem Zwange er sich nicht zu entziehen vermag. Der Grundfehler der konditionalen Betrachtungsweise liegt also in der Betrachtungsweise, in der Identifizierung eines abstrakten Begriffs mit dem Ding, auf das er angewendet wird. Aus dieser unklaren, der Erfahrung nicht angepaßten Auffassung der Be- dingungen — die sinnliche Erfahrung zeigt uns niemals Bedingungen, sondern nur Dinge, die zueinander im Verhältnis der notwendigen Beziehung stehen — aus dieser Vermengung von Abstraktem mit . 3) Allgemeine Physiologie, 5. Aufl., S. 37. 304 WW. Stefanski, Contribution A V’etnde de l’exerötion chez les Nematodes libres. 234 Konkretem ıst das Scheinproblem von der Wertigkeit der Bedin- gungen entstanden. Die Frage, ob wir berechtigt sind, der einen unter den Bedingungen eine größere Bedeutung zuzumessen als der anderen, ıst auf Grund einer irrıgen Anschauung gestellt und kann daher überhaupt nıcht beantwortet werden. Die Frage kann nur lauten, ob wır berechtigt sind, den Ursachenbegriff vom Bedingungsbegriff zu unterscheiden und die Antwort hierauf er- gibt sich aus einer vergleichenden Analyse beider Begriffe. Ist die Bedeutung eines Begriffes unklar, so gibt dieser Umstand nicht das Recht, den Begriff zu verwerfen, sondern macht es zur Pflicht, die Unklarheit aus ıhm zu entfernen. Um ebensoviel als ein klarer Ursachenbegriff mehr bedeutet, mehr Merkmale in sich begreift als der Bedingungsbegriff, um ebensoviel bedeutet die Ermittlung von Ursachen mehr als die von Bedingungen, eine um so viel höhere Stufe des Denkens und der Erkenntnis stellt jene dieser gegenüber dar. Dies zu zeigen, bleibt einer folgenden Abhandlung vorbehalten. Contribution a l’etude de l’excretion chez les Nematodes libres. Note preliminaire. par Dr. Witold Stefanski, privat-docent et assistant a l’Institut de Zoologie ä Greneve. Introduetion. Dans tous les traites classiques de zoologie on ne tient compte, losqu’on deerit le systeme excreteur chez les Nematodes, que de celui de l’Ascarıs. Encore ne cherche-t-on pas ä determiner quelle est la portion active de cet organe. Et pourtant nombre de travaux concernant ce systeme chez d’autres parasites meritent d’etre pris en consideration. On voıt alors que le type du syst@me excröteur de l’"Ascarıs ne se retrouve que chez un nombre restreint de N&ma- todes et que la plus grande partie de ceux-ci s’eloigne notablement, en ce qui concerne l’anatomie de ce systeme, du type Ascaris. Les Nömatodes libres ont &te a cet egard passablement delaisses et il subsiste beaucoup de eontradietions relativement ä leur systeme exereteur. La presente note est preliminaire et n’a pas la preten- tion de trancher definitivement la question. Elle apporte cependant une contribution nouvelle et semble avoir le merite de demontrer exp6erimentalement le röle exereteur des organes decrits ci-dessous. Un bref resume de la question permettra de saisır plus facile- ment la signification de nos recherches. Ce qui parait commun A la grande majorite des Nematodes parasiıtes, de meme qua un nombre considerable de Nematodes W. Stefanski, Contribution & l’etude de l’exerätion chez les N@matodes libres. 295 libres, c’est la position constante des canaux exeröteurs dans les lignes laterales et d’autre part „die median-ventrale Ausmündung in der Nähe des Nervenrings, ferner die Umschließung des kapil- laren Exkretionskanälchens durch eine einzige große Zelle“ (kauther 1907). Il fallait cependant trouver un organe remplacant dans sa fonction l’appareil exereteur chez ceux des Nematodes de mer, d’eau douce et de terre humide (et e’est la majorite!) qui en sont depourvus. On a attribu& tout d’abord des fonctions exceretrices a la glande dite ventrale, speciale a un grand nombre d’especes de N&matodes marins. Üette hypothese a et& developpee tout partieuli&rement dans le travail de Jägerskiöld (1901). La glande ventrale est impaire et composee d’une cellule. Dans sa forme la plus simple, elle se presente comme une cellule piriforme, plus ou moins grande, qui se prolonge en un long canal exereteur, debouchant sur la ligne mediane ventrale. Sa forme peut du reste varier. Ainsi chez Enoplus communis Bast. sa forme est celle d’un H portant de chaque cöte un lobule secondaire (De Man 1856). Le contenu de la glande est toujours finement granuleux et incolore; il rappelle par son aspect le mucus. On observe parfois sur Y’animal vivant les fines particules chariees dans un canal. La glande ventrale est-elle exerötrice ou seulement seeretrice? Disons tout de suite que la d&emonstration experimentale n’a pas ete donnee nı dans un sens ni dans l’autre. Cependant, m&me parmi les Nematodes marins, ıl y en a chez lesquels la glande ventrale fait defaut. Jägerskiöld (1901), en examinant ces especes, a trouv& qu’elles sont munies de glandes situdes dans les champs lateraux, debouchant & l’exterieur par un court canalicule (Hautdrüsen). Laissons du reste la parole A Jägerskiöld (1901): „Wie wir gesehen haben, ermangeln viele Nematoden des typischen Exkretionsorgans. So unter den Meeres- nematoden sicher Oylcolaimus magnus und Thoracostoma acuticau- datum, wahrscheinlich auch die meisten T’horacostoma-Arten, unter den Cheirocanthus-Arten, wenigstens Cheirocanthus radula, weiter Trichosomum, Trichocephalus und Trichina und wahrschemlich deren noch mehr. Sollte es da nur auf einem Zufall beruhen, daß bei- nahe sämtliche eben aufgezählte — mit Ausnahme von Ichthyonema und Triehina — durch sehr zahlreiche oder wenigstens sehr volu- minöse Hautdrüsen ausgezeichnet sind? Ich glaube es nicht, viel- mehr neige der Ansicht zu, daß bei den Nematoden Hautdrüsen und Exkretionsorgane einander physiologisch vertreten können.“ Jägerskiöld reconnait du reste lu m&me, „daß wir wenigstens einige Nematoden kennen, die kein Exkretionsorgan besitzen und dennoch keine Hautdrüsen haben sollen, z. B. Ichthyonema.“ 9965 W. Stefanski, Contrikution A l’&tude de V’exerötion chez les Nematodes libres. Mais le manque d’organes excreteurs et de glandes de la peau ne se limite pas ä& de rares exceptions, comme ıl semble ressortir de la phrase de Jägerskıöld. Le distingu& helminthologue n’a pas tenu compte des N&ematodes d’eau douce et de la terre humide. La majorıte de ceux-cı est en effet depourvue d’organes que l’on puisse considerer comme excreteurs, c’est a dire qu’elles n’ont nı canal excreteur, nı glandes de la peau, nı glande ventrale. En ce qui concerne la glande ventrale, Rauther (1907) est d’avis que la glande en question correspond, quant a sa fonction, aux glandes caudales. Voici ce qu'il dit A cet sujet: „Das Sekret der Ventraldrüse ist von schleimiger Beschaffenheit und entspricht „weifellos genau dem der Schwanzdrüsen; wie dieses zieht es sich an langen hellen Fäden aus und dient wahrscheinlich zum Ver- binden von Detrituspartikelchen zu einer vergänglichen Schutzhülle des Wurms, andrerseits wohl auch zu einer Festheftung am Grunde. Leydig (in Arch. Anat. physiol. 1854) und A. Schneider (1866) bezeichnen die Schwanzdrüsen geradezu als „Spinndrüsen“. Auch die Seitenfelddrüsen gewisser Urolaben sind Schleimdrüsen, und die Tatsache ıhres Vikariierens für die Ventraldrüse findet ebenso- gut wie durch die angenommenen exkretorischen Aufgaben eine Erklärung in ıhrer Bestimmung zur Produktion einer schützenden Schleimhülle.“ Jägerskiöld cite du reste lui-meme Bastian qui eerit: „In some few species, the integument appears to be glutinous. Thus Oncholaimus vulgaris, from marine mud, has always adhering to its surface, minute particles of sand and Diatomacean.* Jägerskiöld se sert de cette observation de Bastian pour conclure A lexistence de glandes de la peau chez l’espece en question. Il cite encore Bastian: — „Some few species too of the Genus Chromadora, from marine mud, have been found enclosed in a tube like that of the Sabella, composed of agglutinated sand-particles“ — et conclut: „Wenn diese „sand-particles“ wirklich miteinander zusammengeklebt waren — und daran zu zweifeln wir haben keinen Grund — müssen die Tiere doch Drüsen besitzen, die das Klebmittel liefern, wenn sie nämlich nicht alte verlassene Häuser anderer Tiere in Besitz nehmen, was ja kaum sehr wahrscheinlich ist.“ Nous voyons donc que la question de savoir sı la glande ven- trale ou les glandes de la peau peuvent remplir la fonetion exer6trice est loin d’ötre resolue. A cet ögard, je pencherais plutöt pour l’opinion de Rauther qui considere les glandes en question comme seeretant le mucus qui sert & agglutiner des particules de sable protegeant la cuticule du ver, comme par exemple Desmolex (Steiner 1916) dont la cuticule est toute recouverte de corps etrangers. Il reste donc A expliquer de quelle maniere s’effectue l’exeretion chez les Nömatodes depourvus de ces organes excreteurs. W. Stefanski, Contribution A l’etude de Vexerdtion chez les Nematodes libres.. 247 Rauther en se basant sur les r6sultats, obtenus A l’aide de n6öthode classique de Kowalewsky, c’est aA dire en mettant les Nematodes marins dans une solution de carmın d’indigo ou de carmın ammoniacal, a emis une nouvelle hypothöse d’apres laquelle c’est l’oesophage qui serait charge de l’exeretion. Il s’agirait done icı de l’exerötion non @emonctorielle. Les essais de nutrition avec l’enere de chine et le carmin en poudre n’ont donne & lauteur aucuns re6sultats. Pour comprendre le mode d’exeretion de l’oesophage, il est nöcessaire de dire auparavant quelques mots sur l’absorption des matieres colorantes par les N&matodes. Le principal organe de l’absorption de l’eau et des matieres dissoutes est selon Rauther la peau; le tube intestinal ne joue dans ce phenomene qu’un röle tout ä& fait secondaire. En effet, en ajoutant a l’eau du bleu de methylöne, on verrait en premier lieu se colorer d’une maniere intense les minuscules vacuoles de la couche hypodermique. La coloration s’6tendrait ensuite rapidement aux cellules graisseuses de la cavit& coelomique. Que l’absorption de la matiere colorante s’effeetue en effet par la peau, l’exp6rience le prouverait. Sı on etrangle la bouche et l’anus au moyen d’un cheveu de maniere a empecher toute communication avec le milieu exterleur, on voit que rien n’est change dans l'intensite de ’absorption du colorant dissout: ce dernier pendtrant aussi vite par la peau qu’auparavant. Sı on transporte un Nematode marin (Enoplus, Oncholaimus, Cylcolaimus et Thoracostoma) dans la solution de carmin d’indigo dans une goutte d’eau pure, on observe a cöt& de la coloration päle des bourrelets lateraux, la coloration bleue ou verte de l’oeso- phage; ou outre, le plus souvent le colorant se concentre dans la partie anterieure et posterieure de l’intestin moyen. Un examen attentif montre que le colorant se localise sur les parois de l’oeso- phage, oü les amas de pigment sont tr&s nombreux. Ce pigment ne fait jamais defaut A l’oesophage des especes marines. Ües experiences conduisent Rauther ä cette conelusion: „Da sich das Indigkarmin nach allen an anderen Tieren gemachten Erfahrungen, in den Geweben analog den Endprodukten des Plasmaabbaues, der Harnsäure etc., verhält, so liegt es nahe anzunehmen, daß eben diese körnigen Konkrementmassen selbst als Exkrete, als exkre- torisches Pigment, aufzufassen sind.“ Il est & remarquer que, d’apres les experiences de Guido Schneider (1906) avec la poudre de carmin et le dahlia, ces matieres colorantes seraient rejet6es par les trois glandes oeso- phagiennes. L’absorption de carmın ammoniacal est beaucoup moins önergique et ne fournit aucun renseignement sur l’exeretion. 298 W. Stefanski, Contribution A l’ötude de l’exerätion chez les N@matodes libres. Öes exp6riences physiologiques, de meme que l’examen des coupes, amenaient Rauther äla conclusion que: „das durch Haut- resorption eingeführte Indigkarmin nicht in Drüsen irgendwelcher Art zur Ausscheidung, sondern es sammelt sich einesteils im Sarko- plasma bezw. zwischen den radiären Fibrillen der Schlundmuskulatur, hauptsächlich in den durch die Einlagerung von Pigmentkügelchen bezeichneten Bezirken an, andernteils im vordersten und hintersten Abschnitt des Mitteldarms. Es färben sich im lebenden Tier nie die Kerne, sondern nur vakuoläre oder granuläre Plasmaeinschlüsse. In die Ösophagusmuskulatur gelangt der Farbstoff (ebenso wie die normalen gelösten exkrementellen Stoffe) mit der die basale Fläche der Epithelmuskelzellen umspülenden Leibeshöhlenflüssigkeit. Die Abgabe dieser, mit Ausnahme der als ‚Pigment‘ zurückgehaltenen regressiven Stoffwechselprodukte, erfolgt durch besondere bei den einzelnen Gattungen sehr verschieden beschaffene ‚Schlundporen‘, die stets in den Ösophagus oder die Mundhöhle münden ‚Durch die Schlundporen gelangt die Flüssigkeit in den Nahrungs- kanal, wo die in ihr noch enthaltenen nutzbaren Stoffe von den Darmzellen resorbiert (assimiliert) werden; für die ihr beigemengten Exkretstoffe (wie für das sich ihnen ähnlich verhaltende Indigo) kann es zunächst dahingestellt bleiben, ob sie total refüsiert oder ebenfalls resorbiert, aber in Vakuolen abgelagert und aus diesen flüssig oder in Form von Konkrementen ins Darmlumen zurück entleert werden. Die Fortschaffung der im Darm sich ansammelnden Exkrete erfolgt durch den After.“ Une certaine activite exeretrice est attribuece par les auteurs a lintestin moyen (Schneider 1902, Schimkewitsch 1894, Rauther 1907, Metalnikoff 1897). La ne s’arrete pas encore l’enumeration des organes pouvant prendre part ä l’exeretion. On a trouve en effet (Ascaris, Sclerostomum) le long des champs lateraux des formations unicellulaires (cellules ötoilees, büschelförmiger Körper) qu’il faut considerer comme „Hilfs- apparate der Emunktorien“ (Burian 1913). Les prolongements de ces cellules 6toildes possedent des mouvements amiboidaux tres lents et leur fonction consiste en l’absorption par phagocytose des excreta solides du coelome; ceux-ci apres dissolution sont trans- mis aux tissus des champs lateraux (Burianl. c.). Nous voyons par ce eourt resume que l’6tat actuel de nos connaissances sur l’exeretion chez les N&ömatodes libres est tout ä& fait rudimentaire et surtout que les opinions sont completement contradietoires. Technique. Bien que mes experiences aient porte sur plusieurs genres de Nematodes d’eau douce, principalement du Löman, je laisserai la W, Stefanski, Contribution A l’ötude de l’exer@tion chez les Nömatodes libres. 299 plupart de ceux-ci de cöte pour ne parler que de l’espece qui m’a fourni des resultats positifs, c'est a dire KRhabditis tenwicau- data n. Sp. Les Rhabditis et Diplogaster s’obtiennent facilement et en grande quantit6 par Ja methode, indiquee deja par Schneider (1886) dans sa Monographie. J’humectais avec un peu d’eau de source du fumier, plac& a la chaleur au voisinage d’un radiateur; jy ajoutais un petit morceau de viande, nöcessaire, semble-t-il, pour attirer les N&ma- todes. Certaines espöces, en quelques jours, se developpent en une quantite telle qu’il suffit de tremper le morceau de viande dans un verre de montre, renfermant de l’eau, pour obtenir une quan- tit6 prodigieuse d’individus. Je sais quelle est l’importance dans toutes les experiences biologiques de la determination exacte de l’espece et c’est pourquoi je me permets ici d’en donner la descrip- tion sommaire. Rhabditis tenwicaudata n. sp. (Menzel et Stefanski)!). La femelle de notre espece ne sa distingue par aucun trait saillant de celle d’autres especes de Rhabditis. La cavıte buccale est, entourde de six lövres, portant chacune une petite papille visible seulement A limmersion. La cavite buccale est typique, dest ä dire eylindrique; elle se termine par deux petits crochets (Fig. 5) et sa longeur atteint äpeu pres !/,, de la longueur de l’oesophage. Öe dernier est musculeux et muni de deux bulbes, dont le poste- rieur porte un fort appareil valvulaire. L’intestin ne presente rien de particulier, sauf que son lumen est elargi dans sa partie ante- rieure en une vaste cavite. La vulve est situ6e en avant du milieu du corps. La queue est longue et filiforme; elle commence & se rötrecır A peu de distance en arriere de l’anus et est perc&e en cet endroit par les canaux des glandes exceretrices qu’on pourrait prendre pour des papilles. O’est la queue du mäle qui fournit les caracteres le plus sürs pour la determination de l’espece (Fig. 1 et 4); elle porte une papille au niveau de l’extremite superieure de spieule, deux en avant de l’anus et quatre r&unies en un seul groupe en arrıere de l’anus; on voit en outre au niveau de ce dernier groupe une papille sur chacune des deux lignes laterales. Le spicule est robuste et sa piece accessoire arquee. Les dimensions varıent beaucoup suivant la nourriture. Voici les dimensions moyennes des ıindividus bien nourris: 9. .Longe#1278 mm a — 27:9 d Long. 1.206 mm a = 28; ß III ay 1) Mr. le Dr. Menzel, auquel j’ai soumis cette nouvelle espece m’eerit qu'il l’a deja trouvee dans le fumier de cheval. Je le remereie vivement d’avoir bien voulu se charger de cette examen. 300 W. Stefanski, Contribution A l’ötude de l’exer&tion chez les N&matodes libres. Notre espece se rapproche beaucoup de Zrhabditis paraelongata Micol. L’arrangement des papilles pr6öanales et la forme de la piece accessoire, qui est droite chez cette derniere espece, suffisent cepen- dant pour reconnaitre ces deux formes. En revanche l’arrangement des papilles de notre espece est semblable a celu de Rh. graeili- cauda de Man. Chez ce dernier cependant, la bourse s’etend plus loin en avant de l’anus et la queue du mäle se rötrecit plus regu- lierement; ces deux especes different en outre par la structure de l’oesophage. L’absorption. La facult& qu’ont certains N&matodes de vivre dans lleau distill6ee pendant quelques jours (3 a 4) m’a permis d’etudier le phenomene d’absorption dans une solution de rouge neutre totale- ment dissout. On sait, en effet, que ce colorant est precipite plus ou moins vite par les sels basiques de l’eau de source; la formation de eristaux abaisse la proportion de la substance en solution. Du reste, les essais faits avec de l’eau de source ont donne des r6sul- tats presque identiques. Pour l’experience faite sur Rhabditis tenuicaudata, 3 gouttes de rouge neutre (1:2000) ont et& ajoutees a 7 cm? d’eau distillce. La coloration commence toujours par la cavite buccale et non pas par la euticule. La vitesse de penetration du colorant varie un peu suivant les individus. En general, apres 10 minutes la region oesophagienne devient rose-brique; la coloration est diffuse. Un peu plus tard, quelques granulations en dehors de l’oesophage se colorent; le contenu de tout le Jumen intestinal devient violet. On y distingue des gouttes et des granules (probablement les restes de la nourriture), egalement colores. Une heure apres, les granules des cellules epitheliales de l’intestin commencent a se colorer et dans l’espace de 3 heures environ ils sont tous colores. Üe n’est que plusieurs heures apres que le colorant penetre dans le coelome et arrive jusqu’ä l’hypoderme en colorant des granules (noyaux de syncytium?) et de petites vacuoles. Les experiences faites sur d’autres Rhabditis, sur Diplogaster rivalis, Trilobus gracilis, Cylindrolaimus aberrans, Ironus ignavus, Plectus parvus et Dorylaimus stagnalis m’ont toutes donn& les m&mes resultats, c’est A dire que la coloration commence toujours par la bouche et non pas par la ceutieule. La vitesse de la penetration du colorant varie beaucoup suivant les esp@ces. Chose curieuse, c'est Dorylaimus stagnalis qui absorbe le colorant le plus lentement. Je suis port A croire que l’absorption de rouge neutre et de la substance dissoute en general, est en rapport d’une part avec la structure de la bouche, et d’autre part, avec la force de succion. On sait, en effet, que l’oesophage des Nömatodes peut agir comme W., Stefanski. Contribution A l’&tude de l’exer@tion chez les N@matodes libres. 301 une pompe aspirante; la structure de ce dernier etant differente chez les diverses especes, sa force doit varıer nöcessairement. Si on observe, en effet, Rhabditis tenwicaudata ou d’autres Rhabditis dans une solution de peptones, par exemple, on assiste ä des mouvements tres energiques de l’appareil valvulaire du bulbe oeso- phagien et, si le contenu de lumen est color&, on constate tres bien la succion. Par leurs mouvements les levres jouent aussı dans cette succion un röle actif. Je n’insiste pas maintenant sur le me6canisme de la suceion, esperant y revenir prochainement dans un travail sur la nutrition. C’est ce qui explique pourquoi Doryy- laimus stagnalis, dont la cavite buccale est remplac6e par le stylet avec un fin orifice et dont l’oesophage est depourvu de l’appareil valvulaire, n’aspire pas le colorant d’une maniere sı Energique. On voit que je suis en contradiction avec I’hypothese de Rauther (l.c.) qui veut que la peau soit le prineipal organe de l’absorption. Je n’aı pas eu l’occasion de faire des experiences avec les Ne@ma- todes marins et il se peut tr&es bien que ces phenomenes se passent autrement chez ces derniers. On sait, en effet, que les conditions osmotiques dans l’eau de mer peuvent avoir une grande influence sur l’absorption et l’exeretion chez les anımaux. Üette hypothese impliquerait alors comme consequence cette seconde hypothese que les Nömatodes marins se nourrissent principalement de la matiere organique dissoute dans l’eau, ce qui est loin d’etre prouve. En ce qui concerne les N&matodes d’eau douce, je crois quil n’en est rien et sans entrer dans les details ıl me suffira de faire remarquer que chez Monohystera dubia j'aı pu compte une soixantaine de Diato- ındes dans l’intestin. Dans lintestin de Trxlobus gracilis des Fla- gelles non plus ne sont pas rares (voir A ce sujet Cobb 1914). J’ai tenu aussi & contröler l’absorption du rouge neutre de la manıiere suivante. On sait qu’en faisant agir l’ammoniaque sur la solution de rouge neutre ou obtient la base libre de ce colorant completement insoluble dans l’eau. On obtient ainsi, en dessechant le precipit& une masse cristalline rouge-brique (Przesmycki 1915). Les anımaux sur lesquels ont porte les experiences de Przes- myceki mis au contact avec les cristaux en question, se colorent aussi vite et de la m&me maniere que par la solution de ce colorant, ce qui fait supposer un röle actif jou& dans ce phenomene par les cellules vivantes. Il n’en est rien avec les Nematodes. Ües derniers laissös en contact avec ces cristaux, r&unis en masse compacte, ne se colorent pas. Ce n’est que la troisi&me journde que l’on con- state une legere coloration dans l’intestin, düe probablement aux particules de la base avalees par l’anımal. La couche hypodermique ne prend done pas une part active dans l’absorption. Le bleu de methylene penötre dans l’anımal par la meme voie que le rouge neutre. 309 W. Stefanski, Contribution & V’ötude de l’exeretion chez les N@matodes libres. Üe qui prouve encore que la bouche n’est pas un organe secondaire pour l’absorption, c’est la rapidite avec laquelle le carmin en poudre y est absorbe. Un quart d’heure suffit souvent pour que le lumen intestimal soit rempli de poudre de carmin. L’hypo- these de l’absorption par la peau doit etre dans ce cas complete- ment ecartee. En resume, nous eroyons que la bouche, tout au moins pour les N&ömatodes de la terre humide et d’eau douce, non seulement ne constitue pas un organe secondaire d’absorption mais peut etre, au contraire, en est-elle l’organe principal. Aussı la direction de la diffusion du colorant ou des matieres alımentaires se fait-elle dans un sens contraire A ce que Rauther a suppose. Exeretion. Mettons Zthabditis tenwicaudata dans une solution de carmın d’indigo et voyons comment ce dernier est «evacu& de l’anımal. Comme le rouge neutre, Je carmin d’indigo penetre par la bouche. Le colorant semble &tre inofiensif pour l’anımal et les Nematodes peuvent sejourner quelques jours dans la solution assez concentree sans perir. Il vaut mieux du reste employer une forte concentration (bleu tres fonce), l’absorption se fait alors plus vite et les resultats sont plus nets. De la cavit&e buccale le colorant se repand dans le lumen de l’oesophage et de la une partie penetre dans ses parois musculeuses. Je n’ai pas jusqu’a present reussı A faire des coupes de ces petits anımaux, difficiles a preparer, c’est pourquoi il m’est impossible de dire dans quels elements de l’oesophage le colorant se concentre. Il est probable que le sarcoplasme constitue un lieu d’absorption. Le carmın d’indigo y est depose en taches de forme irreguliere; on les trouve surtout en grande quantit&e dans les deux bulbes. Jamais je n’aı constate le colorant se precipitant en cristaux ou en grains; ıl formait toujours ces taches bleues a contour irregulier. Le lumen de l’intestin est rarement colore; sı on fournit cepen- dant a l’anımal une solution saturee, on trouve le lumen intestinal bourr& de ceristaux de carmın d’indigo qui peuvent virer du bleu au violet?). Dans le cas oü l'intestin est rempli de carmın d’indigo, on peut assister a l’&vacuation de cette matiere par l’anus. Mais sı la concentration est moindre le carmın d’indigo est &evacue en outre par une autre vole. 2) Il est interessant de constater que cette reaction peut avoir lieu m&me dans la cavit@ buccale, c’est ainsi que j’ai trouv& le contenu du stylet de Dorylaimus stagnalis eolor@ en violett. La reaction acide serait done propre & tout le tractus intestinal. Des recherches s’imposent pour reconnaitre si cette reaction est constante ou si elle est seulement determinde par les differents stades de la digestion. W. Stefanski, Contribution ä l’@ötude de l’exeretion chez les Nematodes libres. 303 On se souvient des deux papilles, situdes sur la queue, A l’endroit ou cette derniere se retröcit un peu. Ces papilles auxquelles je n’attribuais d’abord aucune signification speciale, en ont pris une, lorsque jaı mıs Rhabditis tenwicaudata dans la solution concentree de carmin d’indigo. J’ai remarque en effet dans cette region deux masses bleues. Un examen attentif m’a revele l’existence de deux glandes exeretrices, absorbant avidement le carmin d’indigo. Chaque glande de forme plus au moins spherique (Fig. 2e) est munie d’un canal chitineux d’un diametre tr&s petit. Le diamötre de la glande est 7,2 u et la longueur du canal est 7,2—9 «. Si on examine animal par la face ventrale les deux glandes se presentent avec une forme plus ou moins ovale et se rapprochent de la ligne medio- ventrale. Leur contenu est finement granuleux et non vacuolıs6; la cellule est limitee par une mince membrane propre, distincte. Je n’ai pas pu observer le noyau. Les deux canaux se recourbent vers les lignes laterales et y debouchent en percant la cuticule par un fin pore. Ce dernier se voit surtout nettement lorsqu’on examine l’anımal lateralement (Fig. 3e). On voit alors que la forme de la glande est plus arrondie et elle est öchancree a l’endroit d’oüu part la canal chitineux. Oe dernier s’est probablement forme, comme c’est le cas pour les N&ematodes parasites, par invagination de la cuticule. Sans l’aide du carmın d’indigo, il est assez difficıle de trouver ces glandes vu leur refringence egale ä celle des tissus environants. Une fois averti, on les retrouve cependant plus facile- ment. Il etait alors interessant de les chercher chez les mäles. Chez ces derniers, elles sont situees dans la partie inferieure de la bourse copulatrice et leurs canaux debouchent juste a lendroit oü la queue filiforme sort de la bourse (Fig. 4e). Les deux glandes excerötrices remplissent admirablement la fonction d’epuration de llorganısme du carmın d’indigo et par extension naturellement de l’uree?). Lorsque la solution est tres concentree, les glandes s’en chargent &normement au point qu’on ne voit plus le plasma. Elles sont alors insuffisantes et le carmın d’indigo est alors elimine par l’anus et, en outre, par les organes dont nous parlerons plus loin. Les glandes elles-m&mes sont color6es en bleu tr&es fonc& et le colorant peut alors se precipiter sous forme d’aiguilles; les gouttes exeretees sont en revanche teintdces en vert päle (reaction alcalıne). En nourrissant notre N&ömatode avec le carmin en poudre, le carmin ammoniacal ou le carmin d’indigo, ai toujours remarque deux taches ovales rouges ou bleues des deux cötes de la cavıte buccale (Fig. 5b). Et c’est seulement dans de bonnes conditions que jai pu me rendre compte qu’il s’agissait ici de deux glandes plus grandes 3) La fuchsine acide est @galement expulsee par ces glandes, 304 W. Stefanski, Contribution ä l’&tude de l’exeretion chez les Nematodes libres. que celles que je viens de deerire. Ües deux glandes (Fig. 5b) sont ovales et plus allong6es (13 «) mais leur structure est la m&me que celle que jai decrite. Elles sont munies chacune d’un canal de 7 u de long., debouchant dans les levres a cöt& des papilles buccales. Leur forme varıe un peu suivant leur activite. L’extremite du canal, de m&me que la partie de la levre qui l’environne, est teintee en vert par le carmın d’indigo (reaction alcaline) comme c’6tait le cas pour les glandes situces dans la region de la queue. Con- trairement a ce que l’on constate chez ces dernieres, qui sont indigo- philes, les glandes cephaliques sont indigo — et carminophiles. A remarquer que le carmin en poudre est aussi exerete par ces glandes. Le carmın en poudre est absorbe facilement par notre Nematode. Souvent au bout de peu de temps deja le lumen du tube digestif en est rempli. Rarement le carmın y reste en grains epars et le plus souvent ces derniers s’entassent en formant de gros paquets, sorte de bols alimentaires, dilatant le Jumen, s’entourant d’une sorte de mucilage. Par les contractions de l'anımal, la plus grande partie du carmın est evacude par lT’anus. Mais sı on le laisse quelques jours dans la goutte d’eau contenant le carmin, on voit que ce dernier penetre dans les paroıs musculeuses de l’oeso- phage. Il n’y a pas de regle generale quant & l’endroit de l’oeso- phage oü les grains de carmin s’aceumulent. Tantöt on les voit dans la portion musculeuse de l’oesophage — entre la cavite buccale et le bulbe moyen — tantöt entre ce dernier et le bulbe posterieur. Les grains sont alors ranges dans ce dernier cas suivant une ligne (Fig. 7g). Mais ce sont surtout les deux bulbes et spe- cialement le posterieur qui constituent le siege de l’accumulatıon. Les grains de carmın s’y amassent en abondance entre les fibres. En outre, an voit souvent des vacuoles colorees en rouge et contenant les grains de carmin. Ües vacuoles peuvent souvent etre constatees dans le bulbe posterieur de l’oesophage, lorsque les Nematodes sejournent dans la solution de peptones et me&me dans l'’eau pure. Le carmin passe cependant de l’oesophage dans la cavite du corps. De quelle facon, nous en parlerons plus tard, bornons nous pour le moment aux faits. Souvent apres un söjour de 3 & 4 jours dans l’eau pure contenant du carmin en poudre, on voit apparaitre chez Rhabditis un peu au-dessus de bulbe moyen une cellule ovale, pointue A ses deux extremites, contenant quelques grains de carmin; une autre cellule identique contenant &galement du carmin apparait a cöte du bulbe terminal (Fig. 5 et 7a). Sans laıde du carmın, je n’aı pu les observer qu’une seule fois; la cellule superieure con- tenait alors trois vacuoles minuscules. Malgre une observation attentive et prolongee, il m’a &te malheureusement impossible de voir ce qu'elles deviennent. W. Stefanski, Contribution & V’&tude de l'exerdtion chez les N@matodes libres. 305 Fig. 1. Rhabditis tenuicaudata n. sp. Queue du mäle. Ch. el. IV/9 Reichert. Reduit d’un tiers. Queue de la femelle vue par le face ventrale; e — deux glandes exerätrices avec leurs canaux. Ch. el. IV /immersion !/,, Zeiß. Fig. 3. Fig. 4. Eig.rD: Glande exeretrice vue lateralement(e) avec son canal et pore. Ch. cl. IV/immersion !/,.. Queue du mäle; e — glandes excrötrices, d@ebouchant A l’endroit ou la queue sort de la bourse copulatrice. Ch. el. IV/immersion !/,.. Animal nourri de carmin en poudre; b — deux taches ovales rouges, formees de grains de carmin; a — deux cellules ovales avec des grains de earmin. Ch. cl. IV/immersion '/,,; r@duit d’un tiers. . Band 21 306 W. Stefanski, Contribution A l’etude de l’exer@tion chez les N@matodes libres. Dans le coelome, entre F’oesophage et l'anse que fait l’ovaire ou le testicule (le mäle est plus propice ä l’observation), se trouvent deux cellules flottantes, spheriques, de diametre varıant entre 8—15 u. Ces cellules, ordinairement fortement vacuolisees, renfer- ment un noyau central (3 «) qui ne se laisse que difficilement distinguer. Generalement A cöt& de deux ou trois grandes vacuoles, se trouvent encore des nombreuses petites vacuoles. Une troisieme cellule, identique, mais generalement plus grande (jusqu’a 18 u) se trouve ä l’endroit oüı l’anse de la glande genitale se termine, et une quatrieme au commencement du tiers posterieur du corps de og Fig. 6. Fig. 7. Fig. 6. Partie anterieure de l’animal; 5b — glande d&ebouchant & cöte d’une papilie buccale. Ch. cl. IV/immersion ?/,.. Fig. 7. Region oesophagienne d’un animal nourri de carmin en poudre; a — cellules ovalaires; y — grains de carmin. IV/9 R. ’anımal. Leur position est constante bien qu’on ne voie pas des fibres conjonctives les rattachant aux parois du corps ou de lin- testin. Une compression, resultant des mouvements du N&matode, est exercee par l’intestin sur les cellules en question; de ce fait, celles-cı peuvent changer plus ou moins leur forme. Uhez le Rhabditis provenant du fumier mais non encore deter- mine, les quatre cellules decrites ci-dessus presentent absolument la möme forme, mais elles ont ceci de particulier qu’elles sont colorees en jaune-verdätre. J’ai toujours soupgonne que ces cellules ont la valeur des athrocytes, mais jamais je n’aı remarque ä leur interieur P’accumu- W. Stefanski, Contribution A l’&tude de V’exer&tion chez les N&matodes libres. 307 lation du colorant. Ce n’est qu’une fois, en examinant le mäle d’un Rhabditis qui m’est inconnu et qui se trouvait parmi les Rhabditis tenwicaudata, que j’ai vu nettement ces quatre cellules remplies des grains bien distinets (Fig. $v). Je ne perds pas l’espoir de retrouver l’espece en question. Le carmin en poudre peut en outre ötre absorbe, probablement d’une maniere tout A fait accidentelle, par les glandes anales. Il m’est arrive, en effet, de le trouver en paquet une seule foıs dans une de ces glandes, pres de noyau. INO= 1 o- 2 | ° 9) | ® oc | °a0 © \ © o*®a | / [\ \ & EEE EN Q . [ [ \ rer hr Re Sell so I N) °& | / oc o.@ I Q \ o% le -—)l--d, & ) \ > SE || \ © / e | & | | 7 7 e NEE: | IEN /©7 en © N = \| 5 vl Fig. 8. Fig. 9. Fig. 8. Partie moyenne d’un individu nourri de carmin en poudre; ® — cellules dans les vacuoles desquelles se trouvent les grains du carmin; i — intestin; t — testicule Ch. cl. IV /immersion- !/,.- Fig. 9. Region oesophagienne d’un animal nourri avec le carmin ammoniacal; g — eristaux de carmin ammoniacal; v» — deux cellules vacuolisdes avec le noyau; d — vacuole avec des cristaux de carmin ammoniacal; d, — vacuole coloree par le carmin ammoniacal; t — testicule. Ch. el. IV/immersion !/,.; reduit d’un tiers. Passons aux resultats que nous avons obtenus avec le carmın am- niacal. Il est Eevident que ce dernier colorant passe comme les precedents par la bouche et non pas par la peau. Üependant les Nematodes l’absorbent en quantit& moindre que les deux autres. En general on ne le rencontre pas en dehors de la cavit&e de l’in- testin moyen. D’autre fois, le carmın ammoniacal se röpand dans le bulbe oesophagien posterieur et s’y concentre en vacuoles et en grains (Fig. 9g et d). J’ai souvent observ& aussı la coloration des deux vacuoles qu’on trouve quelquefois dans les deux premieres cellules de l’intestin moyen (Fig. 9d). On remarque en outre que Balls 308 W. Stefanski, Contribution & l’&tude de l’exer&tion chez les N@matodes libres. dans la cavit& du corps, entre l’intestin et les parois du corps, de nombreuses petites cellules apparaissent, colorces ägalement en rouge par le carmın ammoniacal. Oes cellules (Fig. 9r), examindes A Pimmersion sont spheriques et contiennent une ou deux vacuoles minuscules; leurs cytoplasme est granuleux. Ces cellules sont tres nombreuses et disposees irregulierement dans tout le coelome. Le Diplogaster rivalis Leydig se comporte autrement vis-ä- vis des colorants. Le carmın d’indigo et le carmin ammoniacal sont facilement absorbes. Ces deux colorants se deposent dans l’oesophage: le premier sous la forme de taches irregulieres dans la partie posterieure de l’oesophage, tandıs que l’autre se concentre de preference dans le bulbe moyen sous la forme de cristaux. Rien en dehors de l’oesophage ne se colore. ÜChose curieuse, le canal exereteur facıle a observer chez cette espece, ne se colore ni par le carmin d’indigo nı par le carmın ammoniacal. Rempli-t-il done vraiment le röle d’un organe excereteur? Mes observations sur les autres N&matodes libres sont encore trop incompletes pour que je m’y attarde. Notons cependant que chez Dorylaimus stagnalis le carmin d’indigo se concentre sous forme de vacuoles dans les champs lateraux. Comment en est-ıl evacue, je ne suis pas encore en mesure de le dire. Conclusions. Il me semble etabli que, au moins en ce qui concerne les Nematodes libres non marins, l’organe principal de l’absorption est la cavit& buccale et non pas la peau. Malgre les experiences de Rauther des doutes sont m&me permis en ce qui concerne les Nematodes marins. L’hypothese de l’absorption par le peau en impliquerait une autre, celle de Pütter, d’apres laquelle la princi- pale source de nourriture des animaux aquatiques serait la sub- stance organique dissoute dans l’eau. On sait que les travaux de Loh- mann (1909, voir aussi Biedermann 1913) sont en desaccord avec les donndes de Pütter. D’autre part, l’experience de Rauther qui parait concluante au premier abord peut egalement soulever des objeetions. Il est possible, en effet, que l’etranglement de la bouche et de l’anus du N&matode ne soit pas suffisant pour fermer com- pletement ces orifices. Un cheveu, ä cause de son &lasticite, peut facilement se denouer lorsqu’il enserre un corps &Elastique tel que le Nömatode et laisser ainsi un orifice permettant la penetration du colorant. Mes experiences semblent demontrer l’existence chez Rhabditis tenuicaudata de trois modes d’exeretion: emonctorielle, athro- ceytaire et excr&tophore. Les &monctoires sont representes icı par les deux paires de protonephridies, leur valeur physiologique etant cependant diffe- W. Stefanski, Contribution A l’etude de l’exeretion chez les Nematodes libres. 309 rente. Il me semble interessant d’attirer l’attention sur le fait que, chez les Nömatodes, un organe excr6teur, represente par deux glandes distinetes, debouchant chacune a part dans les deux champs late- raux, est signal& pour la premiere fois. Les analogies avec les autres organes excreteurs sont diffieiles a etablir, par la raison qu'il n’est pas prouv& que les „Hautdrüsen“ de Jägerskiöld ou la glande ventrale soient de veritables organes excereteurs. Il ya m&me des raisons de croire le contraire. Une question qui pour moi reste obscure c’est la signification des athrocytes chez notre Nömatode. En effet, les cellules ovalaıres que jaı signalees dans les environs de l’oesophage, tantöt a cöte de bulbe posterieur, tantöt au-dessus de bulbe moyen, n’apparaissent, sauf dans une seule observation, que losqu’elles sont chargees de grains de carmin (le carmin ammoniacal n’est jamais absorbe par ces cellules). Il est possible que la methode des coupes, sans autre artifice, aurait pu reveler leur existence constante, mais lirregu- larıte de leur apparition (il peut y en avoir tantöt deux, tantöt trois, seulement au-dessus de bulbe moyen ou bien a cöte de bulbe posterieur) pourrait s’expliquer aussi par leur faculte de migra- tion, quoique je n’aie jJamais pu observer des pseudopodes ni des onremenie En acceptant cette derniere &ventualite, je serais porte A croire qu’elles döposent leur contenu dans les glandes excretrices des levres. Les quatre cellules vacuolisces, sıtudes dans le coelome n’ont probablement pas la meme valeur athrocytaire chez toutes les especes de Rhabditis. Ainsi celle de Rhabditis tenuicaudata n’absor- bent jamais le carmin, tandıs que celles de Rhabditis sp.? Tabsorbent energiquement. En ce qui concerne les petites cellules spheriques, dissemindes dans le coelome, il est ä remarquer qu’elles n’absorbent que le carmin ammoniacal, mais qu’elles ne le reprecipitent pas en cris- taux, le laissant en solution. L’examen de la Fig. A. du travail de Schimkewitsch (1899), sur les cellules speciales du coelome des Nömatodes me fait supposer que les cellules en question pourraient &tre assimildees aux miennes. Elles ne sont cependant pas disposdes aussi sym6triquement que le deerit cet auteur pour Oncholaimus (?) sp. et, d’autre part, le bleu de methylene ne les colore pas. Je crois neamoins qu’elles remplissent la möme „blut- reinigende Funktion“ que les cellules de Schimkewitsch. L’ab- sorption du carmın ammoniacal le prouve. ÜCes trois categories d’athrocytes sont carminophiles, trait qui les reunis physiologique- ment. Il est plus diffieile de reconnaitre quelle est la valeur de l’oeso- phage au point de vue de l’exerötion. C’est un exeretophore, sı on emploie cette expression dans le sens de tissusabsorbants les excereta du >10 W. Stefanski, Contribution A l’ötude de l’exeretion chez les Nematodes libres. liquide coelomique, Iymphe ou sang, et les accumulant provisoirement sous forme de vacuoles ou d’amas de cristaux. Sur ce point, je ne peux que confirmer l’opinion de Rauther (l. e.) qui attribue une grande importance excerötrice ä cet organe chez les N&matodes libres. Je peux m&me ajouter que le carmın en poudre et le carmın ammoniacal qui n’ont pas donne de resultats a Rauther, sont vivement absorbes, surtout le premier, et retenus sous forme de grains et de vacuoles. Le Nematode, mis dans une solution con- centr‘ee de carmin d’indigo, montre apres un certain temps les paroıs de son oesophage fortement charg6es de cette matiere; cette derniere n’est cependant pas concentree dans les vacuoles, mais se trouve A l’stat diffus. On se souvient que les m&mes resultats ont et6 obtenus chez Diplogaster rivalis. Chez Rhabditis, l'oesophage color& par le rouge neutre se debarasse de cette substance au bout d’un jour, m&me losque l’anımal sejourne dans le colorant. Le fait que chez les Oylcolaimus aberrans Micol. que nous avons observes et qui proviennent du lac de Gen£ve, l’oesophage est pigmente en jaune-verdätre, le reste du tube digestif etant incolore, me parait egalement significatif. Sur un point cependant, mon opinion diverge de celle de Rauther. Puisque cet auteur attribue ä la peau la principale fonction dans l’absorption de l’eau et de la matiere dissoute, ıl en conclut que l’oesophage retire ces matieres directement du liquide coelomique sans qu’elles aient prealablement passe par les cellules intestinales. Or l’experience avec le carmin en poudre suffit deja a elle seule a refuter cette opinion. Üelui-cı est rapidement pre- cipit& entre les fibres de l’oesophage et ıl est inconcevable de sup- poser quil a traverse la cuticule. Voicı done comme je me represente provisoirement le fonc- tionnement de cet organe. Lorsqu’il s’agit d’une substance solide, du carmın en poudre par exemple, celle-ci, introduite par la bouche, traverse l’oesophage oü elle peut deja etre en partie dissoute (r6action acıde dans l’experience avec le carmin d’indigo). La partie dissoute peut traverser alors la euticule dont l’oesophage est tapisse, peut-etre par les pores (?) sıgnalös par Rauther, et le colorant est alors repröcipite ou dans les vacuoles que j’aı vues souvent en effet colorees en rouge ou entre les fibres musculaires. L’autre partie est dissoute dans le lJumen intestinal et, traversant les cellules @pitheliales, elle se depose dans les athrocytes, c’est ä dire, les quatre cellules dans le coelome, entre l’oesophage et le rectum et les cellules ovalaires de la region de l’oesophage. Exceptionnellement le carmin peut etre reprecipite, comme nous l’avons vu dans les glandes anales, ce qui ne doit pas nous W. Stefanski, Contribution A l’ötude de l’exer@tion chez les N&matodes libres. 311 etonner outre mesure, toutes les glandes seeretrices pouvant jouer dans certaines conditions le röle des glandes excretrices. Evidemment la plus grande partie de la masse du carmın est expulsce directement par l’anus; le mecanısme de cette @vacuatıon se laisse tres bien observer. Pour les substances solubles, cela se passe de maniere analogue. Le sort du carmin ammoniacal, qui se comporte, ainsı qu’on sait, comme l’eau et les sels facılement solubles, se dıstingue icı aisement de celui du carmin d’indigo qui correspond, lui, ä lurde et aux urates. Le premier ne se distingue du carmin en poudre que par son affinit& pour les petites cellules dispersces dans le coelome et sa non — affınitö pour les cellules ovalaires et les quatre cellules vacuoliseces. Le carmin d’indigo est au contraire expuls& princıi- palement par la voie emonctorielle, c'est a dire par les deux glandes se trouvant dans la queue de Rhabditis. Dans l’expulsion de ces trois colorants pronnent part en autre deux organes: l’oesophage et les deux glandes debouchant dans les levres. L’oesophage agit probablement seul chez les Nematodes depourvus des emonctoires et des athrocytes. Bibliographie. 1865. Bastian, H. Charlton, Monograph on the Anguillulidae ete. Trans. Linn. Soc. London. Vol. 25. 1910. Biedermann, Die Aufnahme, Verbreitung und Assimilation der Nahrung. Handb. d. vergl. Physiol. Bd. II. Vermes. 1913. Burian, Die Exeretion. Handb. d. vergl. Physiol. Bd. II. Vermes. 1914. Cobb, N. A., Nematodes and their relationships. From Yearbook of Depart- ment of Agriculture. 1901. Jägerskiöld, Weitere Beiträge z. Kenntnis der Nematoden. Kongl. Sv. Vet. Akad. Handl. Vol. 35. 1909. Lohmann, H., Über die Quellen der Nahrung der Meerestiere und Pütter’s Untersuchungen hierüber. Int. Rev. Hydrobiol. u. Hydrogr. 2, 10—30. 1886. de Man, J. G., Anatomische Untersuchungen über freilebende Nordsee- Nematoden. Leipzig. 1897. Metalnicoff, S., Über die Exkretionsorgane von Ascaris megalocephala (en russe). Bull. de l’Acad. Imper. des Sc. de St. Petersbourg, Sers am le: 1915. Przesmyceki, A. M., Sur la coloration vitale du noyau. Comptes rendus Soc. Biol. T. LXXVIN. 1894. Schimkewitsch, Besondere Zellen in der Leibeshöhle der Nematoden. Biol. Centralbl. vol. 19. 1886. Schneider, A., Monographie der Nematoden. Berlin. 1906. Schneider, G., Beitrag zur Kenntnis der im Uferschlamm des finnischen Meeresbusens freilebenden Nematoden. Acta Soc. Fauna Flora Faunica vol. .2,. Nr. 2. 1916. Steiner, G., Neue und wenig bekannte Nematoden von der Westküste Afrikas. Zool. Anz. Anz. Bd. XLVIN. 312 Pascher, Uber die Zusammensetzung des Phytoplanktons des Meeres. Eine Bemerkung über die Zusammensetzung des Phytoplanktons des Meeres. Von A. Pascher, Prag. Nach der geläufigen Annahme wird das pflanzliche Plankton des Meeres und des Süßwassers so ziemlich von denselben Gruppen niederer Pflanzen gebildet und nur wenige Gruppen sind nach unserer derzeitigen Kenntnis auf das Meer beschränkt: als solche werden gerne die Coecolithophoraceae, die Silicoflagellatae, die Ptero- spermateae angegeben. Die übrigen gefärbten Flagellaten und Algen- reihen sind beiden Planktonreihen gemeinsam, wenn auch natur- gemäß einzelne im Meere an Artenzahl wie Individuenmenge viel reicher auftreten. So stellen die Dinoflagellatae an Arten wie Indi- viduen im Meere ein Hauptbestandteil des Phytoplanktons dar, während es im Süßwasser nur eine Art (Ceratium hirundinella) zu ausgiebigerer Planktonentwicklung bringt. Ähnliches gilt auch, wenn auch nicht so gegensätzlich, für die Baeillariales. Inwieweit ein solch verschiedenes Verhalten im Meer- und Süßwasserplankton auch für die Flagellaten (mit Ausnahme der skelett- und schalen- führenden Coccolithophoraceae und Sikcoflagellatae) zutrifft, ıst schwer zu sagen, da gerade die nackten Flagellaten durch die gebräuch- lichen Fixierungsmittel jämmerlich entstellt werden und meist ganz verloren gehen; andererseits aber die Deutung der lebend beob- achteten Formen, infolge der mangelhaften Beobachtung und der oft verblüffend schematisierten Darstellung meist eine völlig aus- sichtslose Sache ist. Hier sei auf einen ganz charakteristischen Unterschied in der Zusammensetzung des Meeres und des Süß- wasserphytoplankton hingewiesen oder vielmehr den marinen Plankto- logen zur Nachprüfung empfohlen. Das Phytoplankton des Süß- wassers fällt durch seinen enormen Reichtum an planktontischen Grünalgen (Chlorophyceen) auf. Und wer sich auch nur oberfläch- lich über die Süßwasserchlorophyceen orientiert, ist überrascht, welch große Zahl einzelliger oder koloniebildender Chlorophyceen, fast der größte Teil der Gruppe der Protococcales, Planktonten sind. Es sei nur hier auf das Heft V der Süßwasserflora Deutschlands, Öster- reichs und der Schweiz verwiesen. Dazu werden noch immer wieder neue Formen aufgefunden. Fast all das, was beim marinen Phyto- plankton durch die braunen Planktonten verschiedenster Verwandt- schaft an Formenreichtum geleistet wird, findet sich im Süßwasser- plankton in der einzigen Chlorophyceen-Gruppe der Protococcales verwirklicht, wobei zunächst ganz abgesehen ist von der Rolle, die die Desmidiaceen im Süßwasserplankton spielen. Jedenfalls sind die Chlorophyceenplanktonten die am meisten charakterisierenden Typen des Süßwasserplanktons. Pascher, Über die Zusammensetzung des Phytoplanktons des Meeres. 315 D 2 ) Es ist nun auffällig und wurde auch bereits von anderer Seite betont, daß diese charakterisierende Rolle des Chlorophyceenplank- tons im Phytoplankton des Meeres nicht zu erkennen ist! Wir kennen — es sei hier abgesehen von den Planktonflagellaten — nur sehr wenige grüne Planktonten des Meeres. Eigentlich sind es nur die Gattungen Halosphaera und Meringo- sphaera. Daneben kommen auch noch 1 oder 2 Oocystis-Arten — ich vermag nicht sicher zu sagen, ob als echte Planktonten, ım Brackwasser — nicht aber im Meere vor. Pelagoeystis, von Lohmann nach konserviertem Materiale beschrieben, von Wille bei den Tetrasporales eingestellt, ist gewiß keine Chlorophycee. Grünfärbung der Chromatophoren bei konser- viertem Materiale besagt gar nichts. Halosphaera und Meringosphaera werden zu den echten Grün- algen, den Chlorophyceen, gestellt. Nun haben meine Untersuchungen für diese beiden grünen Meeresplanktonten eine ganz andere Auffassung ergeben. Für Halosphaera‘) konnte ich Membranverkieselung, Mangel an Pyre- noiden in den scheibehenförmigen Chromatophoren, das Fehlen von Stärke, Schwärmer mit zwei ungleichen Geißeln, zweischalige ver- kieselte Aplanosporen, und ähnliche große Cysten nachweisen: Merk- male, die den echten Chlorophyceen nicht zukommen. Für Meringo- sphaera wies Schiller ?2)Membranverkieselung, pyrenoidfreie, scheib- chenförmige Chromatophoren ohne Stärke, ich?) aber endogene zweischalige Kieseleysten nach. Auch Meringosphaera ist keine Chlorophycee. So kennen wir derzeit überhaupt keine marine Plank- tonalge, die zu den Grünalgen gehört, und ich meine, daß ein wesentlicher Unterschied in der Zusammensetzung des Phytoplanktons des Meeres und des Süßwassers darin liegt, daß dem marinen Phytoplankton Grünalgen, Chloro- phyceen, ganz fehlen, während sie im Süßwasserplankton eine dominierende Rolle haben. Ist schon diese wahrscheinlich gemachte Tatsache, daß zelluläre Chlorophyceen dem Phytoplankton des Meeres fehlen, bedeutsam, so gewinnt der Umstand, daß Halosphaera und Meringosphaera keine Chlorophyceen sind, bei Betrachtung des tatsächlichen Ver- wandtschaftsverhältnisses ganz besonders an Interesse. 1) Pascher, A. Über Halosphaera (Ber. d. deutsch. bot. Ges. |1916]. Einen Teil der morphologischen Eigentümlichkeiten fand auch Ostenfeld, der darüber in der Bot. Tidsskrift ein kurzes Referat gibt. 2) Schiller, J. Uber neue Arten und Membranverkieselung bei Meringo- sphaera (Arch. f. Protistenk., Bd. XXXVII, S. 198). 3) Pascher, A. Von der grünen Planktonalge des Meeres Meringosphaera (Ber. d. deutsch. bot. Ges. 1917, Heft 2. 9314 Pascher, Uber die Zusammensetzung des Phytoplanktons des Meeres. , g yto} Durch die Untersuchungen Luthers*) und Bohlins’) wurde gezeigt, daß unter den Chlorophyceen, den Grünalgen, Organismen aufgenommen wurden, die zwar grün (allerdings meist gelbgrün) sınd, aber einen hohen Gehalt an Karotenen und Xanthophyll, nie- mals Stärke, sondern immer Öle und Fette haben, und außerdem Schwärmer, die nicht apikale, gleiche Geißeln haben, sondern zwei ungleiche (oder eine), die etwas schief seitlich ansıtzen. Ich konnte später feststellen *), daß diese Merkmale nicht die einzigen sind, daß diese Organismen auch meistens verkieselte, oft zweischalige Membranen an den vegetativen Zellen, endogen gebildete zwei- schalige Aplanosporen oder auch ebenfalls zweischalige, einzeln endogen gebildete Cysten, Aplanosporen und Cysten mit Kiesel- membranen, haben. Durch diese Summe von Merkmalen ist die Algengruppe der Heterokontae umrissen, die sich ganz analog zu den Chlorophyceen, aus Flagellatenformen bis zu fädigen Zellver- bänden entwickelt. Zu diesen Heterokonten gehören nun, nach ihrer ganzen Mor- phologie und Reproduktion, Halosphaera und Meringosphaera, samt einer ganzen Reihe ähnlich gebauter Gattungen des Süßwassers. Es wäre nun unrichtig, zu meinen, als seien diese Heterokonten nur eine bestimmte Untergruppe der echten Grünalgen der Chloro- phyceen. :Im Gegenteil, sie stehen mit diesen in gar keinem Zu- sammenhang. Ich habe bereits 1914 in meiner Studie „Über Flagellaten und Algen“ (Ber. d. d. bot. Ges. [1914], Bd. XXXI, S. 166) gezeigt, daß wir die Heterokonten, wegen ihrer Kieselmembran, der Zweischaligkeit der Zellhaut, der endogen gebildeten, zwei- schaligen Kieseleysten, des großen Gehaltes an Karotenen und Xantho- phyll, mit ganz anderen Organismen in Zusammenhang bringen müssen, die ebenfalls verkieselte, oft zweischalige Membranen, eben- falls endogene Kieseleysten mit zweiteiliger Membran haben, nie- mals Pyrenoide besitzen und niemals Stärke haben: mit den Baecıl- lariales (Diatomeae) und den Chrysomonaden und deren Verwandte oder Deszendenten. Nicht in dem Sinne, als ob Chrysomonaden, Baecillariales den Heterokonten eingeordnet werden müßten oder umgekehrt, sondern vielmehr so, daß die drei genannten Gruppen zusammen einen recht einheitlichen Algenstamm bilden, den ich als Ohrysophyta bezeichnete und dessen drei bee gewordene Äste sie sind. Und der Hauptunterschied liegt eigentlich nur darin, daß bei den Heterokonten die braunen Nebenfarbstoffe der 1 Luther, Über Chlorosaccus ete. Bih. till Kongs. Svensk. Vet. Ak. Handl., Bd. XXIV, Afd. III, Nr. 13, S. 1—22 5) Bohlin, K. Studien öfver nägra Seägten af alggruppen Confervales Dorzi. Bihang till Kongs. Svensk. Vet. Ak. Handl. 1897, Bd. XXXII, Abt. III, Nrx 3; S. 1-56. 6) Pascher, A. Zur Gliederung der Heterokonten. — Hedwigia LIT, SKUR, Pascher, Über die Zusammensetzung des Phytoplanktons des Meeres. 315 monaden und Bacillariales, verloren gegangen sind, was bei diesen beiden Gruppen nur hin und wieder, aber doch auch vorkommt. Mehr kann ich auf diese Dinge hier nicht eingehen, es sei auf meine oben angegebene Abhandlung verwiesen. Übrigens finden die einzelnen Algenreihen noch anderorts eine ausführliche Be- sprechung. Wenn aber Meringosphaera und Halosphaera erwiesenermaßen zu den Heterokonten und damit gleich den Bacillariales und den Chrysomonadinen (inkl. Silicoflagellatae und den Coecolithophoraceen) zu den Chrysophyta, gewiß aber nicht zu den Chlorophyceen, den Grünalgen gehören, dann ist das Phytoplankton des Meeres relativ wenig verschiedenartig zusammengesetzt. Es wird dann, abgesehen von den Spaltpflanzen, nur von den zwei Stämmen der braunen Algen gebildet: den Chrysophyta (Chrysomonadinae im weiteren Sinne, Pferospermaceae, Baeillariales, Heterokontae), Pyrrhophyta (Desmomonadales, Oryptomonadales und den Dino- und (Cystoflagellatae). Wozu eventuell die Volvocales (Phytomonadinae), falls darunter echte Meeresplanktonten sind, kommen. Daß zelluläre Grünalgen, echte Chlorophyceen, dem Meeres- plankton anscheinend völlig fehlen, ist um so verwunderlicher, als die Chlorophyceen dem Meere nicht fremd sind, hier allerdings nur fast ausschließlich als ursprünglich (ontogenetisch — wie phylogene- tisch) festsitzende Formen entwickelt sind und fast alle Reihen ver- treten haben: Ulotrichales, Siphonales, Siphonocladiales, wobei zu bemerken ist, daß speziell die beiden letzten Reihen in ganz außer- ordentlicher Formenfülle und Zahl ausschließlich im Meere entwickelt sind und diesen marinen Formen nur ganz wenige und auch nur wenig „hoch“ entwickelte Süßwassertypen gegenüberstehen. Prag, Mitte Februar 1917. Ein chemisch-biologischer Grundriss zur inneren Sekretion. Von Oberstabsarzt a. D. Dr. Ad. Zöller, Berlin-Grunewald. Die Lebenserscheinungen beruhen auf chemischen Vorgängen, und „wie die Physik und die Chemie auf die Moleküle und die Atome zurückgehen, so haben die biologischen Wissenschaften zu diesen Einheiten durchzudringen, um aus ihren Verbindungen die Erscheinungen der lebenden Welt zu erklären“, sagt de Vries. Und Spenzer folgert weiter: „Es scheint nichts anderes übrig zu bleiben, als anzunehmen, daß die chemischen Einheiten sieh zu Einheiten unendlich viel komplizierterer Art zusammentun, als sie 316 A. Zöller, Ein chemisch-biologischer Grundriß zur inneren Sekretion. selbst sind, so kompliziert sie auch sein mögen, und daß ın jedem Organısmus die durch eine solche weitere Verbindung hoch zu- sammengesetzter Moleküle erzeugten physiologischen Einheiten einen mehr oder weniger verschiedenen Charakter besitzen.“ Auch andere Forscher wurden zur Annahme derartiger elementarer Lebensein- heiten geführt!); wir wollen sie mit OÖ. Hertwig „Bioblasten* nennen und auf ihrer Grundlage aufbauend dem Problem des Ur- sprungs und Wesens der inneren Sekretion nähertreten. Als solcher sei hierbei nicht nur der von Organ zu Organ, sondern auch von Zelle zu Zelle stattfindenden stofflichen Wechselbeziehungen ge- dacht, für deren Vorhandensein wir Beweise genug aber keine Er- klärung besitzen. Je nach dem Aufbau ihres chemischen Gefüges wohnt den Bio- blasten eine verschiedenstarke gegenseitige Anziehungskraft oder Wertigkeit inne, sozusagen eine mehr oder weniger große Zahl chemischer Hände, mit denen sie sich gegenseitig erfassen. Der- jenige, der die größte Wertigkeit, die meisten freien Hände besitzt, vermag auch die meisten ıhm von anderen Bioblasten entgegen- gestreckten Hände zu erfassen. Dadurch, daß zum Erfassen freier Hände bereits erfaßte wieder losgelassen werden, ergibt sich ab ovo beginnend das stets wechselnde Zusammensetzspiel aller Bio- blasten, insofern sich jedem höherwertigen, als Leistungskern und Träger der Haupteigenschaft eine wechselnde Zahl minder- wertiger, als Seitenketten und Träger der Nebeneigenschaften angliedern?) und mit diesem zu einem biologischen Gefüge oder Zellsystem sich zusammenschließen, dessen chemische Gefüge ın stofflichen Wechselverkehr treten, chemische Reaktionen eingehen. Derartige Zellsysteme haben das Bestreben sich zu vermehren und Zellen zu bilden so zwar, daß die weitaus meisten Zellen einen spezialisierten Charakter erhalten und nur eine geringe Minderheit sıch den universalen Charakter der befruchteten Eizelle bewahrt. Eine genauere Vorstellung dieses Vermehrungs- und Umwandlungs- prozesses werden wir im Verlauf unserer Ausführungen erhalten. Wenden wir zunächst unsere Aufmerksamkeit den spezialisierten, aus einer Summe gleichartiger Zellsysteme zusammengesetzten Zellen zu, so ist der Fall denkbar, daß einzelne Zellsysteme aus dem Zell- innern in die Gewebsflüssigkeit (Lymphe) übertreten, sich in ihr verbreiten und auf dem Wege des Lymphstroms unter sich und von einer Zelle zur andern verkehren). Dabei werden Zellsysteme je nach Wertigkeit ihrer Leistungskerne auf- oder abgebaut. Letz- teres wird dann der Fall sein, wenn bei der Aneinandergliederung zweier Leistungskerne soviel Affinitäten (Hände) gebunden werden, daß deren Rest beiderseits nicht mehr genügt, sämtliche zuvor an- gegliederte Seitenketten gebunden zu halten. Binden sich beide Leistungskerne mit ihrer Gesamtaffinität, so verlieren sie sogar 1) Siehe die Literatur bei O. Hertwig, Allgem. Biologie, Kap. 3. V. u. 31. IT, 2) Ahnlich dem Benzolkern gedacht. 3) Die „Transporthypothese* Da rwin’s. A. Zöller, Ein chemisch-biologischer Grundriß zur inneren Sekretion. 317 sämtliche Seitenketten. Wird ein Teil der Affinität des einen Leistungskerns an den andern gebunden, dem trotzdem die Kraft verbleibt, seine seitherigen Seitenketten sich zu erhalten, so wird nur der erstere eine seinem Affinitätsverlust entsprechende Zahl von Seitenketten verlieren). Da der in der Zeiteinheit zwischen den Zellsystemen zweier Zellen auf dem Wege des Bioblastenaustauschs erfolgende Stoff- umsatz gleich ist dem Umsatz in der einen Richtung vermindert um den in der andern Richtung, so ist bei ungleicher Reaktions- geschwindigkeit die Menge der Stoffzufuhr der einen Zelle auf Kosten der andern gesteigert, bei gleicher Reaktionsgeschwindigkeit beiderseits gleich. Aus der Differenz der Reaktionsgeschwindigkeit ergibt sich die stoffabbauende „parasitäre“ Tätigkeit oder Para- sitose der einen Zelle gegenüber der anderen, aus der Gleichheit der Reaktionsgeschwindigkeit die beiderseitige Erhaltung des quantıi- tativen Stoffbestandes oder Symbiose zweier Zellen. Der Parasitose sucht die geschädigte Zelle durch Umgestaltung ihrer chemischen und biologischen Gefüge zu begegnen, nach dem Prinzip des beweglichen Gleichgewichts: wird die Existenz eines aus einer Anzahl Stoffe zusammengesetzten Körpers durch einen äußeren Einfluß bedroht, so entstehen Wirkungen, welche diesem Einfluß entgegenarbeiten (Le Chatelier-van’t Hoff). Das Resultat ist die Verschiebung der Reaktionsgeschwindigkeit derart, daß sie zwischen beiden Zellen gleich wird — Herstellung des dynamischen Gleichgewichtszustands — und führt zur symbiontischen Bindung (Haptation) der beiderseitigen Zellsysteme. Wenn dann die ent- stehenden Reaktionsprodukte als Ausgangsmaterial für andere Re- aktionen verbraucht oder als hierzu unbrauchbar aus dem Körper ausgeschieden werden, so verläuft die Reaktion bis zu Ende — Herstellung des statischen Gleichgewichts- oder Ruhezustands — 5). Hiermit erlöschen die zwischen den beiden Zellen bestehenden stofflichen Wechselbeziehungen, erfolgt „autositäre“ Gewöhnung (Adaptatıon) der einen Zelle an die andere. Erst wenn beiderseits Leistungskern und Seitenkette infolge neuauftretender stofflicher Wechselbeziehungen mit anderen Zellen sich wieder trennen und ihr chemisches Gefüge umgestalten, erwerben sie sich gegenseitig von neuem parasıtäres Reaktionsvermögen, finden sich über kurz oder lang erneut zusammen, haptieren, adaptieren und trennen sich wieder u. s. f., solange bis endlich einmal das Riesengetriebe aller im Körper nebeneinander und nacheinander verlaufenden Reaktionen im statischen Gleichgewicht zum Stillstand gelangt. Zweck der Herstellung des dynamischen Gleichgewichts ist die Erzielung der „Immunität“ der an Stoff und Umfang verlierenden, 4) Eine derartig dominierende Stellung möchte ich den Geschlechtszellen gegen- über den Somazellen zuerkennen. 5) Andernfalls haben die Reaktionsprodukte in dem Maße, wie sie sich bilden, das Bestreben die Ausgangsstoffe wiederherzustellen, und die Reaktion verharrt im dynamischen Gleichgewicht (Gesetz von Guldberg und Waage). 318 A. Zöller, Ein chemisch-biologischer Grundriß zur inneren Sekretion. in rückschreitender Entwicklung befindlichen Zelle gegenüber der parasitären Einwirkung der an Stoff und Umfang gewinnenden, ın fortschreitender Entwicklung begriffenen, wachsenden und sich vermehrenden Zelle. Wenden wir uns jetzt zurück zu der befruchteten Eizelle, so müssen alle in ihr aufgespeicherten Bioblasten isoliert sein, ein Zustand, der nur herbeigeführt werden kann dadurch, daß die heterosexuellen Leistungskerne bei der Befruchtung sich mit ihrer (Gresamtaffinität aneinandergliedern. Erst auf dieser Grundlage kann das Zusammensetzspiel der Bioblasten erneut beginnen. Wächst hierbei die Zahl der Leistungskerne durch die bald auf dieses bald auf jenes Zellsystem übergreifende Parasitose, so wächst auch die Zahl der Zellsysteme, entstehen an Umfang stets zunehmende Zell- systemgruppen, die entsprechend den günstigsten Bedingungen für das Zustandekommen und den Verlauf der — hier noch intra- zellulären — inneren Sekretion ihre Stellung zueinander stets wechseln, sich bald aneinanderlagern, bald wieder zerstreuen. Dieser Stellungswechsel setzt innerhalb gewisser Grenzen konstante Größenverhältnisse zwischen Zellsystemgruppen und Eizelle voraus, denn er vollzieht sich mit Hilfe der auf einem Gemisch von Diffusions- und Osmoseerscheinungen beruhenden inneren Sekretionsströmungen, die an und für sich schon sehr langsam verlaufen. Wachsen Zell- systemgruppen und Eizelle, so ist daher die Teilung und Verteilung aller Zellsystemgruppen auf zwei Zellen mit entsprechend kleineren räumlichen Ausmessungen die naturnotwendige Folge. Wenn dann innerhalb der beiden ersten Furchungszellen eine oder mehrere Zellsystemgruppen dem intrazellulären Reaktions- getriebe entzogen werden, dadurch, daß sie günstigeren Reaktions- bedingungen folgend, von Zelle zu Zelle stoffliche Wechselbeziehungen eröffnen, und wenn dieser Vorgang sich bei jeder weiteren Furchung wiederholt, so muß einmal die Zeit kommen, wo die intrazelluläre innere Sekretion durch die interzelluläre vollständig verdrängt ist. Je nachdem die letztere auf die sich in die Unzahl vermehrenden Zellen übergegriffen hat, haben diese ihre gegenseitige Stellung ständig gewechselt, bald zu Verbänden sich zusammengeschlossen, bald ein- zelne Zellen, ja ganze Zellverbände wieder abgestoßen, schließlich aber in festgefügten Geweben und Organen zueinander dauernd Stellung genommen. Innerhalb und zwischen diesen Zellkomplexen stehen die ein- zelnen Zellen in ganz bestimmtem stofflichem Wechselverkehr, wird in jeder Zelle die innere Sekretion nur einer bestimmten Zell- systemgruppe in extremer Weise ausgebildet, während die der übrigen Zellsystemgruppen und damit diese selbst verkümmern, womit jede Zelle ıhren Spezialcharakter erhält‘). Dem weiteren Verlauf der inneren Sekretion der verschiedenartig spezialisierten Zellen haben wir zuvor zu folgen gesucht. Wohl dadurch, daß 6) Nach dem Gesetz „der physiologischen Arbeitsteilung“. Vgl. O. Hertwig, l. ec. pX50ar A. Zöller, Ein chemisch-biologischer Grundriß zur inneren Sekretion. 319 stets einzelne Zellen ihre Freizügigkeit behalten, sich nicht zu Ver- bänden zusammenschließen, wird deren Spezialisierung aufgehalten. Auf die Bedeutung dieser sogenannten embryonalen Zellen für den ausgewachsenen Kör per soll hier nicht eingegangen werden. Mit zunehmender Organisation und Größe des Körpers haben sich allerdings die der inneren Sekretion zur Verfügung stehenden Verkehrswege immer mehr kompliziert und ın die Länge gezogen, dafür haben sich aber auch die „halbdurchlässigen“ Zellw ände immer mehr vermehrt und die von ihnen ausgehenden osmotischen Strö- mungen und Gegenströmungen sich verstärkt, die in unzähligen Variationen sich gegenseitig kreuzend, die ınnere Sekretion zwischen den entlegensten Körperregionen sicherstellen. Die wahre Be- deutung der in gewissen Grenzen sich stets gleich bleibenden Zell- größe liegt demnach darin, den immer ferneren Regionen zu- strebenden Lebensströmungen der inneren Sekretion das hierzu erforderliche Gefälle zu geben. Von vorstehenden Gesichtspunkten aus erkennen wir, wie die abwechselnd bald auf diese bald auf jene Körperzelle übergreifende Parasitose das Wachsen des Gesamtorganismus zur Folge hat, wie dagegen die zwischen den Körperzellen zunehmende Haptation das Wachsen und die zunehmende Adaptation das Leben des Gesamt- organısmus erlahmen läßt. Wir erkennen ferner die Bioblasten und die aus ihnen zusammengesetzten Zellsysteme als die zwischen den Körperzellen und Körperzellkomplexen auf dem Wege des Lymphstroms aus nah und fern verkehrenden „Hormonen“träger, in deren stets wechselndem Zusammensetzspiel der harmonisch in- einandergreifende Chemismus des Gesamtorganismus sich vollzieht. Endlich erkennen wir die „Hormone“ als die in Reaktion tretenden chemischen Substanzen im einfachsten Fall zweier Bioblasten bezw. zweier aus ihnen erbauter Zellsysteme und aus diesen zusammen- gesetzter Zellen und die „innere Sekretion“ als chemisch-bio- logische Dynamik. 3 Fr. Özapek, H. v. Guttenberg, E. Baur, Physiologie und Ökologie. Referate. Fr. Czapek, H. v. Guttenberg, E. Baur, Physiologie und Ökologie. Il. Botanischer Teil. In „Die Kultur der Gegenwart“, III. Teil, IV. Abteilung, III. Band. 338 Seiten, 119 Figuren im Text. Leipzig und Berlin 1917. Verlag von B. G. Teubner. Die Aufgaben, die die drei an dem Band beteiligten Autoren sich gestellt haben, sind recht ungleich nach dem Umfang, nach der Klarheit der Begrenzung und nach den schon vorliegenden Mustern für die Behandlung. Am glattesten liegt die Sache bei dem Beitrag von F. Czapek, „Die Ernährung der Pflanze“ (S. 11—125). Ein riesiger, aber schon vielfach zusammenhängend bearbeiteter Stoff ıst in vorbildlicher Klarheit und mit erstaunlicher Gleich- mäßigkeit, ohne Bevorzugung oder Vernachlässigung einzelner Gegen- stände, in großen Linien dargestellt. Die Anordnung ist ungefähr dieselbe wie in dem bekannten großen Werk des Verfassers „Bio- chemie der Pflanzen“. Der Gang der ohnehin schon fesselnden Darstellung wird allenthalben durch historische Hinweise belebt. Für chemisch und physikalisch geschulte Leser ist diese Zusammen- fassung von CGzapek eine glänzende Einführung in den Stoff. — Die Eröffnung des ganzen Bandes bildet ein kurz gefaßter aber ge- dankenreicher Abschnitt von demselben Verfasser „Zur Einleitung in die Pflanzenphysiologie“ (S. 1—10), in dem die allerallgemeinsten’ Fragen, wie Methoden der Biologie, Zeitverhältnisse, Reizbarkeit, Erblichkeit, Tod in äußerster Kürze umrissen werden. Ebenfalls eindeutig umgrenzt und in sich natürlich geschlossen ist der von H. v. Guttenberg verfaßte Abschnitt „Die Be- wegungserscheinungen im Pflanzenreich“ (S. 153—280). Er handelt in der Hauptsache von den Reizbewegungen, anhangsweise sind die Bewegungen toter Pflanzenteile mitgeteilt. Im Gegensatz zu der Stoffwechsellehre von UÜzapek sind gewisse Gegenstände sehr aus- führlich behandelt, so vor allem Geotropismus und Phototropismus, andere nur in Umrissen skizziert. Gewisse allgemeinere Probleme, wie das der Reizleitung, das der Beziehung zwischen Reizgröße und Reaktionsausmaß, werden nur an der Hand von Einzelfällen, nicht im Zusammenhang dargestellt, wie es bei dem Zweck des ganzen Hinneberg’schen Unternehmens wohl wünschenswert wäre. Mit großer Ausführlichkeit und Zuversicht werden die Haberlandt’schen Hypothesen von den verschiedenen Sinnesorganen für Schwere-, Fr. Özapek, H. v. Guttenberg, E. Baur, Physiologie und Ökologie. 321 Licht- und mechanische Reize vorgetragen. Dafür kommt die ex- perimentelle Methodik verschiedentlich etwas kurz w eg; z. B. wären die Methoden der Beobachtung und Registrierung periodischer Be- wegungen und die höchst instruktiven mit den Pfeffer’schen Appa- raten zu gewinnenden Kurven für den Leserkreis, auf den das Buch berechnet ist, sicher von Interesse. Etwas gewaltsam und durch die Einschiebung der „Bewegungs- erscheinungen“ noch schärfer hervorgehoben ist die Trennung der Kapitel „Wachstum und Entwicklung der Pflanze“ von v. Gutten- berg (S. 126— 152) und „Physiologie der Fortpflanzung im Pflanzen- reich“ von E. Baur (S. 281—329). Was Guttenberg zu geben hat, ıst Physiologie des Wachstums und experimentelle Morphologie mit Ausschluß der Fortpflanzungserscheinungen. Die Bearbeitung ıst nicht entfernt so ausführlich wie in gewissen Teilen der „Be- wegungserscheinungen“, z. B. sind Chemomorphosen und Gallen- bildungen mit wenigen Sätzen abgehandelt. Die Abgrenzung des von E. Baur gewählten Stoffes ıst un- gewöhnlich, aber eben darum in dem Band vielleicht das didaktisch Interessanteste. Baur bringt von der experimentellen Morphologie das, was in Guttenberg’s Anteil übergangen ist, nämlich die Ab- hängigkeit der Fortpflanzungserscheinungen von äußeren und inneren Bedingungen, aber außerdem behandelt er das ganze Gebiet der Fortpflanzung in morphologischer, physiologischer und ökologischer Betrachtung. Besonders wertvoll sind die kurzen, präzisen Aus- führungen über die Ergebnisse der experimentellen Vererbungs- forschung zu den Problemen der Geschlechtsbestimmung, der Heterostylie, der Selbststerilität u. s. w. Ziemlich ausführlich ist das Generationswechselproblem nach allen Seiten abgehandelt. In manchen Teilen herrscht naturgemäß die ökologische Betrachtungs- weise vor. Die Einrichtungen für Fremd- und Selbstbestäubung, für Keimverbreitung u. a., die in der popularisierenden Literatur bis zum Überdruß breitgetreten worden sind, werden in wohl- tuender Kürze, aber klarster Gliederung behandelt. Auch diese Dinge nehmen eben in den Augen des physiologisch Geschulten ein anderes Aussehen an als ın denen des Nur-Okologen. In den übrigen Hauptabschnitten des Bandes tritt die ökologische, finale Ansicht der Probleme gegen die physiologische, kausale sehr zurück. Die Reizphysiologie ist noch so sehr Laboratoriumswissen- schaft, daß über die Bedeutung und spezifische Ausgestaltung der Reizbarkeiten unter den natürlichen Standortsbedingungen nicht recht viel zu sagen ist. Aber dazu kommt noch, daß die exakte Physiologie gegenwärtig wenig geneigt ist, der endlosen Mannig- faltigkeit der Anpassungserscheinungen einen breiteren Raum zu- zugestehen; vielleicht zum Teil aus dem unbehaglichen Gefühl heraus, daß wir dem grundlegenden Problem der Anpassung, von der kausalen Seite betrachtet, noch so hilflos gegenüberstehen. Kurze Hinweise auf die ökologische Seite der Erscheinungen finden sich in unserem Band natürlich auf Schritt und Tritt. Vorw iegend ökologisch ist die Orientierung aber, außer den schen erwähnten 37. Band 22 3939 Stempell und Koch, Elemente der Tierphysiologie. Abschnitten in dem von Baur bearbeiteten Teil, nur noch bei der Schilderung von Symbiose, Parasitismus, Insektivorie, mit der Czapek die Ernährungslehre beschließt. 0. Renner, München. Walter Stempell und Albert Koch. Elemente der Tierphysiologie. Ein Hilfsbuch für Vorlesungen und praktische Ubungen an Universitäten und höheren Schulen sowie zum Selbststudium für Zoologen und Mediziner. Jena 1916. Gustav Fischer’s Verlag. Preis Mk. 16.—. Das vorliegende Werk ist ın vieler Hinsicht ein erstmaliger Versuch und verdient schon deshalb besondere Anerkennung. Die Verfasser haben auf knapp 600 Seiten eine sehr fleißige Zusammen- fassung des vom zoologischen Standpunkt aus wichtigsten Tat- sachenmaterials aus dem Gebiete der Tierphysiologie unternommen. Sıe haben dabei die morphologischen Angaben, wie dies bei diesem äußerst wechselreichen Gebiet sehr nahe liegt, wohl etwas bevor- zugt, aber doch auch die physikalischen und chemischen Befunde zum Teil eingehend berücksichtigt, wie schon die Kapitelüberschriften beweisen, die ich hierher setze: 1. Protozoen, Bewegungs- und Reiz- reaktionen, Lichtreaktionen, Stoffwechsel, Schalenbau, Nahrungs- aufnahme, Fortpflanzung und Befruchtung. 2. Stoffliche Zusammen- setzung und Stoffwechsel der Protozoen und Metazoen: Kohlehydrate, Fette, Eiweißkörper, Stoffaufnahme und Nahrung, Verdauung der Eiweißkörper, Fermente. 3. Stoffwechsel der Metazoen, Stofftransport (Körperflüssigkeit, Blutbewegung), Stoffausnützung und Energie- umsatz (Atmung, Gärung, Temperaturregulation, Salzstoffwechsel etec.), Stoffabscheidung (Exkretion, Sekretion, Vitalfärbung, Defekation, Stützsubstanzen ete.). 4. Produktion mechanischer Energie (Be- wegung) und elektrischer Energie bei Metazoen (inkl. passive Be- wegungsapparate). 5. Reizreaktionen der Metazoen: Nervennetze, zentrales und peripheres Nervensystem (inkl. chromatischer Funktion Nesselkapseln ete.), Reaktion auf optische Reize, thermische, che- mische und mechanische Reize. 6. Tonproduktion, Lichtproduktion und Fortpflanzung der Metazoen. Bei diesem sehr großen Stoff ıst ın den einzelnen Kapiteln meist viel an Material herangezogen und so finden wir, um ein Beispiel zu nennen, auch die neueren Vererbungslehren im wesent- lichen berücksichtigt. — Neben der Darstellung des Wissensgebietes ın Form eines Lehrbuchs haben die Verfasser den Stoff noch in einer zweiten Gestalt auf Ubungen verteilt in Form von Ver- suchen zusammengestellt. Auch hier ist viel Material vereinigt und als erste derartige Sammlung ist das Werk sehr zu begrüßen und wird es viele Anregung bringen. Für ein näheres Studium wird freilich der Umfang des Werkes ın vieler Hinsicht durch eingehendere Darstellungen zu ergänzen sein, Neuerschienene Bücher. 2393 auch wird der Mediziner z. B. nicht alles finden, was ıhm physio- logische Übungen bieten sollen. Vielleicht empfiehlt es sich, ın einer späteren Auflage die beiden Bestandteile, das Lehrbuch und den Leitfaden der Übungen zu trennen; es dürfte dadurch der Gebrauch erleichtert werden und auch die Darstellung kann dabei an Übersichtlichkeit gewinnen. Das Werk ist reichlich mit Abbildungen ausgestattet, zum Teil vielleicht etwas mehr als reichlich. Als Anhang ıst ein Schlagwörterverzeichnis beigegeben, das die meisten der im Text erwähnten physikalischen und chemischen Be- griffe kurz erläutert. Weinland. Neuerschienene Bücher die der Zeitsehrift zugegangen sind. (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) Hermann Swoboda. Das Siebenjahr, Untersuchungen über die zeitliche Gesetzmäßigkeit des Menschenlebens. Ba. I, Vererbung. 8° 579 S. Wien und Leipzig 1917, Orion-Verlag. E. Korschelt. Lebensdauer, Altern und Tod. 8°, 170 8. Jena, Verlag von Gustav Fischer. Preis M. 5.—. Hugo Arnhaus. Über die Biologie der Suceulenten. 8°, 488. Neu- damm 1916, Verlag von J. Neumann. Preis M. 1.60. Richard Hess. Der Forstschutz, Ein Lehr- und Handbuch. 4. Auf- lage von R. Beck. 2. Band: Schutz gegen Menschen, Gewächse und atmo- sphärische Einwirkungen. 461 S. mit 135 Abbild. u. 1 Tafel. Leipzig und Berlin 1916, Verlag von B. G. Teubner. Preis M. 14.—. Hans Fitting. Die Pflanze als lebender Organısmus. 8°, 448. Jena 1917, Verlag von Gustav Fischer. Preis M. 1.50. Franz Doflein. Die Fortpflanzung, die Schwangerschaft und das Gebären der Säugetiere. Eine zoologische Feldvorlesung für meine im Feld stehenden Studenten. S°, 54 S. u. 25 Abbild. Jena 1917, Verlag von Gustav Fischer. Preis M. 1.50. Harry Plotz, Peter K. Olitzky und George Baehr. Die Ätiologie des Fleckfiebers. Autoris. Übers. a. d. Englischen von Dr. Friedrich Schwarz, k. k. Reg.-Arzt. 8°. 80 S. u. 1 Tafel. Berlin und Wien 1917, Verlag von Urban u. Schwarzenberg. Preis Mk. 4.—. Upsala Läkareförenings Förhandlingar. Neue Folge. 22. Band. 1917. Hammarsten, O., Über die proteolytischen Enzyme des Ventrikels. — Boström, ©. G., Göthlin, G. F. und Oehrvall, Hj., Ein Vorschlag zur Veränderung der Bestimmungen bei der Untersuchung von Farbenblindheit. — Nilsson, N. O., Blutzuckerbestimmungen bei einem Fall von infantilem Myxödem. — Wallgren, A., Ein Beitrag zur Kavernendiagnostik, Para- kavernenrasseln. -- Wedholm, K., Über den Einfluß der Säuglingsernährung auf Ernährungszustand und Entwicklung der Muskulatur im späteren Kindes- alter. — Gyllenswärd, Curt, Die Wirkung kleiner Alkoholdosen auf das Orientierungsvermögen des Armes und der Hand. Nutritionsversuche an überlebenden Skelettmuskeln des Frosches. — Kylin, Eskil, Ein Beitrag zur Kenntnis der sogen. aceidentellen Herzgeräusche. — Troell, Abraham, Zur Behandlung der traumatischen Schädeldefekte und der traumatischen 394 Zoologe gesucht. Epilepsie. — Nyström, Gunnar, Klinische Beiträge zur Kenntnis der trauma- tischen Milzrupturen. Uber den Schmerzsinn des Skelettsystems. Uber den Schmerz durch indirekten Druck als Fraktursymptom. — Nilsson, N. O., Über stickstoffarme Diät bei Nephritis. — Wallgren, Arvid, Uber die Optochinbehandlung der Pneumonie. Archives N6erlandaises de Physiologie de ’homme et des animaux redigdes par W..Einthowen, H. J. Hamburger, C.:A. Pekelharing, G. van Rijnberk et H.Zwaardemaker, formant la Serie III © des Archives Neer- landaises des Sciences exactes et naturelles publiees par la Societ@ Hollandaise des Sciences ä Harlem et redigees par J. P. Lotsy. Bd. I, Lieferung 2 und 3. 8°. p. 129—614. Haag 1917, Martin Nijhoff. & Band 15 holl. fl. G. van kijnberk, Vesale comme physiologiste experimentateur. — Mlle. L. Kaiser, Mouvement et bruit de deglutition. — H.G. Rümke, Sur quelques electrogrammes de lambeaux du muscle cardiaque de la grenouille. — Mlle. J. A. de Jonge. L’activation de la lipase pancreatique par des cholates. — G. van Rijnberk, Röle et organisation du syst&me nerveux. — Victor Willem, Observations sur la eirculation sanguine et la respiration pulmonaire chez les araigndes. — G. van Rijnberk, Recherches sur le tonus muscu- laire et son innervation. — S. de Boer, Recherches pharmaco-physiologiques sur Ja contraction rhythmique du ceirur de la grenouille. I. L’action de la veratrine. — H. Zwaardemaker Cz., Le phenomene de la charge des brouillards de substances odorantes. — Th. Wassenaar, L/illusion tactile d’Aristote. — J. Temminck Groll, Phenomenes periodiques pre6- sentes par le ferments. — H. Litwer, Sur la physiologie du sommeil. — E. C. van Leersum et J. Munk, Sur la valeur nutritive du pain de farine non blute. — C. E. Benjamins et G. E. Rochat, Contribution A la connaissance de la physiologie des voies lacrimales. — S. de Boer, Recherches pharmaco-physiologiques sur la contraction rhythmique du ci: ur de la grenouille. II. L’action de la digitale. Zoologe gesucht. Die türkische Staatsschuldenverwaltung sucht für ihre Fischereiabteilung einen Assistenten. Der Bewerber soll möglichst schon als Biologe an einem: Fisehereiinstitut oder an einer ähnlichen Anstalt gearbeitet haben und auch Kenntnisse in der praktischen Fischerei besitzen. Er muß ein Colleg über Hydro- biologie und spezielle Biologie der Fische zur Ausbildung von Frschereibeamten abhalten können, und zwar möglichst in französischer Sprache, da die Kenntnis des Deutschen unter den türkischen Schülern noch zu wenig verbreitet ist. Als Gehalt wird 500 bis 600 Mk. monatlich geboten. Bewerbungen sind an den Unter- zeichneten, technischen Leiter der Fischereiabteilung der Staatschuldenverwaltung und Direktor des geplanten fischereibiologischen Instituts zu richten, der zu näherer Auskunft gern bereit ist. Dr. Victor PBauer Administration de la Dette Publique Ottomane Service des Pecheries Konstantinopel. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer, Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von DrR. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E.:-Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 37. Band Juli 1917 RENT ausgegeben am 30. Juli Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Inhalt: A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin und Naturwissenschaft. 8. 325. F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweekmäßigkeit im Organischen. S. 333. R. Hertwig, Bemerkungen zu dem voranstehenden Aufsatz: Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 8. 353. R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie. S. 357. Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin und Naturwissenschaft. Von Albrecht Bethe, Frankfurt a./M. Im zoologischen Anzeiger sind Reisinger!) und nach ıhm Jordan!) und Stempell') dafür eingetreten, daß an den natur- wissenschaftlichen bezw. philosopischen Fakultäten Lehrstellen für Physiologie errichtet und Zoologen anvertraut werden. Dasselbe Verlangen hat Lipschütz?) ın einem Vortrag aufgestellt. Der Augenblick ist zwar für eine derartige Forderung so ungeeignet wie nur möglich, da wohl in keinem europäischen Lande zurzeit Geld für ihre Durchführung flüssig zu machen sein wird; aber wenn sie einmal aufgestellt ist, kann man sie wenigstens theoretisch erörtern. Die grundsätzliche Berechtigung des Wunsches nach Begrün- dung derartiger Stellen kann wohl kaum in Zweifel gezogen werden. 1) Zoolog. Anzeiger Bd. 46, 1916, S. 231; Bd. 47, S. 132; Bd. 48, 1917, a 2) Physiologie und Entwicklungsgeschichte. Jena 1916, Fischer. 37. Band 23 =) 26 A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin u. Naturwissenschaft. Wenn die wissenschaftliche Bearbeitung der Lebenserscheinungen der Tiere bisher ganz den Physiologen der medizinischen Fakultäten und der tierärztlichen Hochschulen überlassen wurde, so liegt dies allein daran, daß die nächst Berufenen, die Zoologen, sich ganz in morphologische Fragen verloren hatten und fast vergessen zu haben schienen, daß die Tiere leben. Ehe man aber alles daran setzt, die Staaten zu der sehr kostspieligen Neubegründung derartiger Lehr- kanzeln und Institute zu veranlassen, sollten eine Reihe von Fragen ernstlich erörtert werden: 1. Ist die Entwicklung der Lehre von den Lebenserscheinungen der Tiere dadurch wesentlich gehemmt worden, daß sie fast ausschließlich von Medizinern bearbeitet wurde ? 2. Gibt es eine genügende Anzahl geeigneter Kräfte, um die neuen Lehrstellen zu besetzen ? 3. Welche Fragen sollen von den neuen Professoren bearbeitet werden? 4. Was und für wen sollen sie lehren? Ad 1. Wenn manche der oben genannten Autoren durch- blicken lassen, die bisherigen Physiologen betrieben eigentlich nur Physiologie des Menschen und einiger höherer Tiere, so befinden sie sich in einem großen Irrtum. Die Physiologie des Menschen wird eigentlich recht wenig bearbeitet; vielmehr wird meistens auf den Menschen nur nach Analogie der Verhältnisse bei anderen Tieren geschlossen. Die Mehrzahl der Physiologen hat sich sogar vorzugsweise mit Fragen recht allgemeiner Natur beschäftigt, die der praktischen Medizin höchstens mittelbar Nutzen brachten. Von ihrem Standpunkt mit Recht haben sich die Praktiker oft hierüber beklagt. Besonders die Physiologen der klassischen Periode aber auch späterer Zeiten haben bei der Auswahl ihrer Objekte durchaus nicht an den Grenzen des Stammes der Wirbeltiere Halt gemacht, sondern auch geeignete Vertreter unter den Wirbellosen und sogar den Pflanzen zum Vergleich herangezogen und eingehend untersucht. Ich erinnere nuran.Johannes Müller, Kühne, Engelmann,Rollet, Bieder- mann, Exner, Beer, Loeb und Verworn und von physiologi- schen Chemikern an Hoppe-Seyler, Krukenberg und Hof- meister. Aber auch unter denen, die ihre Objekte vorzugsweise unter den Wirbeltieren suchten, finden wir viele, die wir unter die allgemeinen Biologen rechnen müssen, wie Du Bois Reymond, Pflüger, Hermann, Heidenhain, Goltz, Hering, Ewaldu.a.). 3) Eine Abneigung gegen eine weite Fassung der Probleme und gegen eine Ausbreitung des Studiums auf die ganze Tierreihe hat sich nur zeitweise in der un- ausbleiblichen Periode des Epigonentums breitgemacht. A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin u. Naturwissenschaft. 397 Wenn man alles zusammenfaßt, so ist im Laufe der Jahre ein recht bedeutendes Tatsachenmaterial über die Physiologie der nie- deren Tiere zusammengebracht worden. Daß dabei eine Reihe von wichtigen Fragen, die den Medizinern ferner liegen, fast unbear- beitet geblieben ıst, kann natürlich nicht wundernehmen. Darum habe ich auch immer der Hoffnung gelebt, daß es einmal zur Be- gründung eigens für die Untersuchung solcher Fragen berufener Institute kommen würde. Die Hoffnung hat sich bei uns nicht er- füllt. Der einzige Versuch der an einer der größten deutsch- sprachigen Universitäten vor etwa zehn Jahren gemacht worden ist, wurde durch eine Intrigue vereitelt. Unter diesen Umständen waren es wieder jüngere Physiologen der medizinischen Fakultäten, von denen allerdings einige aus der Zoologie übergetreten waren, die sich, unbekümmert darum, ob ihnen das für ihr späteres Fortkommen nützlich sei, solcher Fragen annahmen. Besonders in der zoologischen Station zu Neapel wurde eine Reihe wichtiger neuer Tatsachen auf diesen Gebieten auf- gedeckt. Später wurde es dann Mode, wenigstens einmal dort ge- wesen zu sein, und so sind auch Arbeiten entstanden, die das nötige Verständnis auf zoologisch-physiologischem Gebiet vermissen lassen ; aber im allgemeinen war doch ein neuer frischer Zug unter die Jüngeren Physiologen gekommen, und es hatte in den letzten Jahren vor dem Kriege allen Anschein, als ob wir eine wirkliche, allge- meine Tierphysiologie erhalten würden. Jedenfalls konnte man nicht mehr sagen, daß diese Richtung wirklich zu kurz käme. Ad. 2. Das Gebiet der Physiologie ist im Laufe der Zeit zu groß geworden, als daß es noch von einem einzelnen übersehen werden könnte. Auch in der medizinischen Fakultät macht sich schon das Bedürfnis geltend, den Stoff zu teilen. An manchen Universitäten ist dies schon geschehen (Straßburg und Frankfurt), und es ist nur eine Frage der Zeit und der Geldmittel, daß es überall dazu kommen wird. Ob die Trennung nach der Art der hauptsächlich angewandten Methoden (physikalische und chemische) oder nach einem anderen Gesichtspunkt zu geschehen hat (etwa nach Organsystem — vegetative und animalische), muß die weitere Erfahrung lehren. Wünschenswert ist es zweifellos, der Physio- logie auch eigene Stätten in der naturwissenschaftlichen Fakultät zu geben, denn es ist eigentlich nicht Sache der Mediziner, allzuweit über das hinauszugehen, was mit der medizinischen Wissenschaft in Zusammenhang steht. Wenn sie es taten, so lag dies eben daran, daß niemand anders die Probleme bearbeitete, die sie zum Vergleich brauchten. Auf die Dauer würden die praktischen Ziele, die nun einmal die Medizin in der Hauptsache verfolgt, dabei zu kurz kommen. Andererseits ist es für die freie Entfaltung einer Wissenschaft gut, wenn sie von allen praktischen Fesseln befreit 237 398 A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin u. Naturwissenschaft. ist. Daher hat mir selbst eine solche freie Professur für Physiologie stets als erstrebenswertestes Ziel vorgeschwebt ®). Wer soll nun diese Stellen, wenn sie einmal begründet würden, bekommen? Sicherlich kommt es ja nur darauf an, daß die Be- treffenden geeignet sind, d.h. physiologisches Verständnis haben und die physiologischen Methoden beherrschen und andererseits zoologisch genügend gebildet sind, um die Objekte zu kennen und die neuen Probleme zu sehen. Es kann sich also nur um „Zwitterexistenzen“ handeln, um „zoologische Physiologen“ oder um „physiologische Zoologen“. Daß es die ersteren gibt, wurde schon vorher erwähnt. In den letzten Jahren haben sich nun auch endlich junge Zoologen — meist nebenher — mit physiologischen Fragen beschäftigt, ohne ihren Hauptberuf als Zoologen aufzugeben’). Es sind auch einige recht bemerkenswerte Arbeiten von solehen geliefert worden, aber die Mehrzahl dieser Arbeiten hat doch etwas mehr oder weniger Dilettantisches an sich. Physiologie kann man zurzeit nur bei den Physiologen der medizinischen Fakultäten und der tierärztlichen Hochschulen lernen, und in der klaren Einsicht dieser Tatsache haben sich schon früher vereinzelte junge Zoologen für dauernd in den medizinisch-physio- logischen Instituten niedergelassen und sind ganz und gar Physio- logen geworden. Zweifellos ist dies der richtige Weg. Mit einem kurzen gelegentlichen Aufenthalt ın einem physiologischen Institut, wie er jetzt meist geübt wird, können nur die oberflächlichsten Kenntnisse erworben werden. Das genügt nicht, denn dazu ist die ım Laufe von fast einem Jahrhundert aufgehäufte theoretische und technische Erfahrung zu groß. Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem physiologisch wenig ausgebildeten Zoologen und einem zoo- logisch nicht sehr kenntnisreichen Physiologen, so würde ich für eine derartige Stelle immer als dem kleineren Übel dem letzteren den Vorzus) geben. (sewiß gıbt es besonders begnadete Leute, die über alle Schwierig- keiten en Ich erinnere nur an Helmholtz, der aus 4) Es wäre auch denkbar, derartige Professuren den schon bestehenden physio- logischen Instituten anzugliedern. Damit würde die Einheitlichkeit gewahrt, und es könnte viel gespart werden. Aus demselben Grunde würde es vor allem auch zweckmäßig erscheinen, neu zu begründende Lehrstühle für pathologische Physio- logie den physiologischen Instituten anzugliedern und nicht, wie von seiten patho- logischer Anatomen gewünscht wird, den pathologischen Instituten. 5) Dies zeigt sich schon darin, daß sie meistens ihre Arbeiten in zoologischen Zeitschriften erscheinen lassen. Da die Autoren es meistens auch unterlassen, Separate der Arbeiten an Physiologen zu versenden, so gehen sie für diese fast ganz ver- loren. Die von einem Autor geäußerte Meinung, man müßte auf diese Weise die Physiologen zwingen, die zoologische Literatur zu berücksichtigen, ist wohl nicht ganz der richtige Standpunkt. Vorläufig würden bei der Nichtbeachtung dieser Literatur die Zoo-Physiologen der leidtragende Teil sein, A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin u. Naturwissenschaft. 329 einem Mediziner ohne eigentliches zünftiges Fachstudium ein Phy- sıker, ein Mathematiker und ein Philosoph geworden ist. Aber der- artige Naturen sind ja leider so selten, daß man nicht mit ihnen rechnen kann. Unter den jetzigen physiologisch arbeitenden Zoo- logen scheinen mir nur wenige zu sein, denen man vertrauensvoll die Leitung eines os ee phrsiolbgischön Instituts anvertrauen könnte. — Im allgemeinen halte ich es für wünschenswert, daß die Entwicklung der Bewerber um solche — wohl in weiterer Zukunft zu erwartender — Stellen aus der Zoologie heraus stattfindet. Aber diese Anwärter müssen sich nach eingehendem Studium der Zoo- logie für viele Jahre ganz an die alten Stätten physiologischen Arbeitens, d. h. zu den medizinischen Physiologen begeben. Erst wenn es Enke Zeit eigene zoologisch-physiologische Institute gibt, erst dann ana m Direktoren daran denken, ihren eigenen Nachwuchs groß zu ziehen. Eine gewisse Beschäftigung mit den Problemen der Medizin wird aber auch dann noch zweckmäßig, wenn nicht notwendig, sein. Besonders die Pathologie gibt für den Physiologen so viel Anregungen, ja für manche Fragen den Schlüssel des Verständnisses, daß ihr Studium mit zur Ausbildung jedes Physiologen gehören sollte. Ad 3. Eine weitere Frage ıst die nach der Aufstellung eines klaren Arbeitsprogramms. In Jordan’s Forderung von Lehrstühlen für vergleichende Physiologie — er hat den ersten dieser Art in Utrecht inne — ist zwar ein Programm eingeschlossen ; mir scheint diese Bezeichnung aber nicht besonders glücklich. Vergleichend ist schließlich jede Naturwissenschaft; aber weder die Chemie, wenn sie die chemischen Eigenschaften der Elemente miteinander ver- gleicht, noch die Physik, wenn sie etwa die magnetischen Kräfte der Körper gegeneinander abwägt, nennen sich vergleichend. Dieses Beiwort hat nur dann etwas Bezeichnendes, wenn — wie ın der vergleichenden Anatomie — damit eine leitende Grundidee von programmatischer Bedeutung verbunden ist. Davon kann aber bei der Physiologie wohl kaum die Rede sein. Die funktionellen An- passungen wechseln hier oft schon so erheblich innerhalb einer Tierordnung, daß die Aufstellung eines einheitlichen Systems nach funktionellen Gesichtspunkten unmöglich erscheint. Wie in jeder Naturwissenschaft ıst man auch in der Physiologie seit jeher ver- gleichend vorgegangen. Daher hat es kaum etwas Bezeichnendes, wenn man dieses Beiwort einem bestimmten Teil der Physiologie als Trennwort beifügt und damit ein Arbeitsprogramm aufzustellen sucht. Lipschütz scheint sogar die neu zu begründende Wissenschaft unmittelbar in den Dienst morphologischer Stammesentwicklungs- lehre stellen zu wollen, wenn die starke Betonung der Beziehungen der Physiologie zur Entwicklungslehre nicht nur als Köder für 330 A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin u. Naturwissenschaft. widerstrebende Morphologen von ihm ausgeworfen ist. Ein der- artiges Programm würde mich geradezu veranlassen, gegen die Be- gründung solcher neuer Lehrstühle aufzutreten. Die morphologische Betrachtungsweise überwiegt an und für sich schon viel zu sehr in den biologischen Wissenschaften, und jede Bestärkung derselben würde ich als einen Schaden ansehen. Gewiß muß Morphologie in ausgiebiger Weise getrieben werden, aber eine allzu starke Be- tonung derselben führt dazu, das funktionelle Denken zu erschweren. Wir sehen das bei den jungen Medizinern oft nur allzu deutlich. Die Gestalt ist das Substrat an dem sich die Funktion abspielt; das Wesent- liche ist aber die Funktion. Das Denken in Formen wird nun an und für sich den meisten Menschen leichter als das Denken in Vorgängen. Wird dies auch noch künstlich gefördert, so bildet sich allmählich eine so am Gestaltlichen klebende Auf- fassungsweise heraus, daß ein Verständnis funktioneller Dinge kaum noch möglich ist. Es kommt zu einem — ich möchte sagen — morphologischen Denken, das sich vom physiologischen Denken prinzipiell unterscheidet und das häufig eine Ver- ständigung zwischen Morphologen und Physiologen ganz außerordentlich erschwert®). Viel schlimmer als dies ist, daß die morphologische Auffassung weite Kreise der praktischen Mediziner vollkommen beherrscht und so die Heilkunst von dem fern- hält, was ihr allein Nutzen bringen kann. Dem neuen Wissenschaftszweig ein allzu eng umschriebenes Programm zu geben, würde verfehlt sein. Darum sollte man vorläufig auch keine eingrenzenden Bezeichnungen wählen, sondern schlecht- hin von Lehrstühlen für Tierphysiologie sprechen und sich etwa auf folgenden Standpunkt stellen: Die allgemeine Physiologie wird ein gemeinsamer Gegenstand der Bearbeitung für Physiologen der medizinischen Fakultät und der naturwissenschaftlichen Fakultät sein müssen. Die menschliche Physiologie wird hier nicht auf die Mitarbeit verzichten können, denn z. B: die Fragen über das Wesen der Erregungsprozesse, die Grundlagen der Kontraktion, die allge- meinen Eigenschaften der Fermente u. s. w. gehen sie ganz un- mittelbar an. Im übrigen wird sie sich wieder mehr speziellen Problemen der Medizin zuwenden können, wenn ihr von den zu- künftigen Physiologen der naturwissenschaftlichen Fakultät ein Teil der ihr bisher notwendig erscheinenden Arbeit abgenommen wird. Als besondere Aufgaben würden der Tierphysiologie zufallen: Die Erforschung des funktionellen Bauplans verschiedener Tier- typen, die Aufdeekung neuer und die genauere Durchforschung schon bekannter Lebenserscheinungen, die den höheren Tieren fehlen, oder bei ihnen nur andeutungsweise vertreten sind (Leuchtorgane, Farbenwechsel, Anaerobiose u. s. w.), das funktionelle Zusammen- wirken verschiedener Tierarten, die Ökologie und vieles andere. — 6) Es wäre nur ein scheinbarer Einwand, wenn man mir entgegenhalten würde, daß die funktionellste aller Naturwissenschaften, die Physik, schon lange angefangen hat, vielen der elementarsten Vorgänge eine strukturelle Deutung zu geben. A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin u. Naturwissenschaft. 331 Übergriffe des einen Physiologen in das Gebiet des anderen werden sich aber nicht vermeiden lassen, sind sogar wünschenswert. Unsere Wissenschaft wird daraus ebenso Vorteil ziehen, wie sie oft ge- fördert wurde, wenn sich Physiker oder Chemiker von Fach mit physiologischen Problemen befaßt haben. 4. Schließlich: Was soll von den erstrebten neuen Lehrern ge- lehrt werden und für wen sollen sie lehren? Lipschütz wünscht, daß allgemeine Physiologie gelehrt werden soll und zwar „unge- bunden durch Rücksichten auf ein anderes Fach“ für Lehramts- kandidaten und angehende Forscher. Er tritt aber auch dafür ein, daß die Mediziner diese allgemeine Physiologie — die eigentlich für Lehramtskandidaten bestimmt ist —, als Einleitung mit anhören. Auch Stempell spricht sich ähnlich aus, nur spricht er nicht von allgemeiner Physiologie, sondern von vergleichender. Mir scheint es wenig wünschenswert, diesen Wunsch in die Praxis zu übersetzen, wenn er auch gewissermaßen bereits die staat- liche Sanktion durch den Paragraphen 12 der Prüfungsordnung für Ärzte gefunden hat, wo dem Zoologen aufgetragen wird, auch ın „vergleichender Physiologie“ zu prüfen. — Im Grunde gibt es ebensowenig eine besondere Physiologie für Lehramtskandidaten, angehende Forscher und Mediziner, wie es eine besondere Chemie und Physik für Mediziner, Zahnärzte, Chemiker, Mineralogen u. s. w. gibt. Alle hören dieselbe Physik und Chemie, weil es nur eine Wissenschaft dieser Art gibt. Natürlich kann man jede der allge- meinen Wissenschaften mehr mit Rücksicht auf den einen oder den anderen Teil der Hörer lesen. Das wird aber ım Falle der Phy- siologie allein für die Mediziner angebracht sein. Sie müssen, so lange es noch wirklich wissenschaftliche Physiologen ın den medizinischen Fakultäten gibt, in diesem Lehrfach ganz und gar von ihnen unterrichtet werden. Würde der Unterricht ın der allge- meinen oder der sogenannten vergleichenden Physiologie zur natur- wissenschaftlichen oder philosophischen Fakultät abwandern, dann würde das den ersten großen Schritt bedeuten, die medizinische Fakultät zur Fachschule herabzudrücken, ein Bestreben, das sich leider schon oft bemerkbar gemacht hat. \ Gewiß: Der Mediziner soll Zoologie hören. Es wird ıhm auch gut sein, wenn er dabei neben einem Überblick über die Tierklassen, die Stammesgeschichte und Deszendenztheorie auch etwas über das Leben der Tiere und die Ökologie hören kann, also über das, was man im engeren Siune unter Biologie verstanden hat. Für eine wirkliche Belehrung in der allgemeinen oder vergleichenden Physio- logie ist aber die für den Unterricht in Zoologie dem Mediziner zu (Gebote stehende Zeit zu kurz bemessen. — Die Zoologen, die bisher über die Frage der Errichtung besonderer Lehrstühle für Tierphysio- logie geschrieben haben, sind sich offenbar, wenn sie jene Forderung 332 A. Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zu Medizin u. Naturwissenschaft. aufstellen, nicht recht über die Interessen der Studenten der Medizin und über das, was die modernen Physiologen im Unterricht bringen, ım klaren. Die meisten Physiologen werden da, wo es zum Ver- ständnis notwendig ıst, auf die Verhältnisse der niederen Tiere und selbst der Pflanzen hinweisen, oder sogar bei jedem großen Kapitel eine allgemeine und vergleichende Einleitung bringen. Besondere (Gegenliebe findet dies Bestreben aber nur bei den nicht sehr zahlreichen Studenten, welche ein allgemeines naturwissenschaft- liches Interesse besitzen. Die große Mehrzahl der Mediziner will von den theoretischen Fächern leider nur das lernen, was praktisch wichtig ist. Ich meine, daß die Physiologen an den naturwissenschaftlichen Fakultäten einfach wissenschaftliche Physiologie lesen sollen, ohne Rücksicht auf besondere Fachstudien, also auch ohne besonderes Eingehen auf die Bedürfnisse der Lehramtskandidaten. Die allge- meine Physiologie muß dabei in den Vordergrund treten. Vorder- hand wird sich aber der Stoff und die Behandlung desselben noch zıemlich wenig von dem unterscheiden, was auch die Physiologen der medizinischen Fakultäten bieten, nur daß die besonderen Hin- weise auf die medizinische Nutzanwendung in den Hintergrund treten werden. Das bringt schon die Tatsache mit sich, daß 99 Pro- zent unseres heutigen Wissens über die Lebenserscheinungen der Tiere von Medizinern gefunden sind. — Ein Blick auf die beiden bisher vorliegenden Leitfäden zum praktischen physio- logischen Unterricht für Naturwissenschaftler bestätigt dies. Bei weitem die meisten Aufgaben sind dem Unterricht für Mediziner entlehnt”). Nur werden hier zahl- reiche Versuche als Kursaufgaben beschrieben, welche die Physiologen — oft in sehr viel besserer Form — als Vorlesungsexperimente bringen. Was als neu aus- gegeben wird, gehört mit wenigen Ausnahmen zu der großen Zahl von Experi- menten, die zwar nie beschrieben sind, sich aber auf Grund mündlicher Überliefe- rungen von einem Institut auf das andere forterben. Auch die angeführten Experi- mente an niederen Tieren stammen meist von den bisherigen Physiologen und werden hier und dort auch in Kursen und Vorlesungen vorgeführt. Bei der jetzigen Lage der Dinge wäre es daher ein schwerer Fehler, die Studenten der Medizin auch in der naturwissenschaft- lichen Fakultät in Physiologie zu unterrichten. Die Einheitlichkeit des Unterrichts in diesem wichtigen Fach würde dabeı verloren gehen, und sie würden im Verhältnis zur aufgewandten Zeit nur verschwindend geringe Vorteile daraus ziehen. ‘ Ich komme zu dem Schluß, daß die Forderung nach freien Lehrstühlen für Physiologie in der naturwissenschaftlichen Fakultät im Prinzip berechtigt ist. Ich halte auch schon im Augenblick die 7) Die besondere Auswahl derselben hat wohl mehr mit Rücksicht auf ein geringes und billiges Instrumentarium als aus sachlichen Gründen stattgefunden. Daß beide Bücher vermeidbare Fehler enthalten, mag nebenbei erwähnt sein, F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweekmäßigkeit im Organischen. 335 Gründung einzelner solcher Lehrstühle an größeren Universitäten für wünschenswert. Ehe man aber daran geht, die Tierphysiologie zu einer allgemeinen Einrichtung aller Universitäten zu machen, müßte diese Wissenschaft etwas mehr Selbständigkeit erlangt haben, und es müßte eine Reihe von wichtigen Vorfragen geklärt sein, über die die Ansichten vorläufig sehr weit auseinandergehen werden. Das Scheinproblem von der Zweckmälsigkeit im Organischen. Ein Beitrag zur Kritik selektionstheoretischer Probleme. Von Franz Heikertinger, Wien. Oscar Hertwig’s bedeutsames Werk „Das Werden der OÖrganısmen — Eine Widerlegung von Darwins Zufalls- theorie“ hat die unablässig, aber halb im Verborgenen glimmende Kritik des Selektionismus wieder zur vollen, weithin sichtbaren Flamme. entfacht. Wir danken es Oscar Hertwig, daß er den Überzeugungen, die in einer Reihe kritischer Forscher lange feststanden, an denen sich der Hauptstrom biologischer Forschung aber annoch vorüber- wälzt, zu rechter Stunde ein rechtes Wort geliehen hat. Wir mögen vielleicht nicht in aller Einzelheit gleichen Sinnes mit ihm sein, den Grundzug seiner Kritik aber begrüßen wir freudig. Wir hoffen, daß jene sachliche Kritik Gemeingut der nächsten Forschergene- ration werde, Arbeitsgrundlage einer wirklich vorurteilslosen Biologie der Zukunft. Die vorliegende Abhandlung war niedergeschrieben, ehe Hert- wig’s Buch in meine Hand geriet. Sie weicht in Einzelheiten von Hertwig’s Meinung ab. Worin sie jedoch bedingungslos an seiner Seite steht, das ist die Kritik von Darwın’s Zufallstheorie als eines Erklärungsprinzips der Artenentstehung. Oscar Hertwig konnte so wenig wie seine zahlreichen Vor- gänger seine Kritik in jene Form fassen, in der sie die Gesamtheit der Forscher zu überzeugen vermöchte. Vielleicht ist er auch nicht überall bis an jene Grenzen gegangen, die uns erreichbar dünken. Da nun der Sieg einer neuen Auffassung, nach einem bekannten Worte, niemals durch eine Bekehrung der alten Meister errungen wird, sondern stets nur durch Heranwachsen einer neuen Gene- ration, die jene alten Meister in dem in Betracht kommenden Be- langen nicht mehr versteht, so muß die neue Auffassung so viel- seitig und so zwingend klar vorgeführt und mit so vielen Gründen anschaulich belegt werden, daß sie für eine Generation noch Unbe- fangener zur Selbstverständlichkeit, ihr Gegensatz zur Unbegreif- lichkeit wird. 354 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. In den Dienst dieses Gedankens stellt sıch eine zwanglose kleine Reihe von Abhandlungen über selektionstheoretische Pro- bleme, die ich mit dem vorliegenden kritischen Versuche über die Vorfrage des Selektionismus, die organische Zweckmäßigkeit, er- öffnen will. In der vorliegenden Abhandlung habe ich auf alle Bezug- nahme zur Literatur verzichtet und alle komplizierte Terminologie des mechanistisch-vitalistischen Hypothesenstreites vermieden. Ich betone zum voraus: Mir schwebt nichts anderes als der Gedanke an eine wirklich vorurteilsfreie Naturforschung vor. Vorurteilsfrei ıst jedoch nicht nur frei vom Vorurteile irgend eines dıktatorischen Glaubens, sondern auch frei vom Vorurteile aller jener Hypothesen, die nicht zwingend klare Wahrscheinlichkeits- folgerungen aus Erfahrungstatsachen sind, von schematischen Scha- blonen, die nicht nur die Forschung, sondern auch deren Ergeb- nisse lenken. Die Forderung nach der Befreiung der Forschung von Vor- urteilen führt uns unmittelbar zur m Welche allgemeine Methode ist im Kampf gegen Vor- urteile anzuwenden? Werfen wir einen kritischen Blick auf jene Vorurteile, um deren Bekämpfung willen der Selektionismus erstanden ist, werfen wir einen Blick auf den Selektionismus selbst und seine Tochter- hypothesen, so wird uns ein tiefer Grundfehler in der Kampfweise auf beiden Seiten nicht entgehen. Wer ein metaphysisches Vorurteil — und jede Hypothese, ist ein solches — für verfehlt hielt und zu bekämpfen gedachte, machte sich fast immer daran, die Hypothese zu widerlegen und einen anderen Erklärungsversuch an ihre Stelle zu: setzen. Die Methode ist bedingungslos verfehlt. Keine Hypothese, kein metaphysisches Vorurteil kann widerlegt werden. Denn die exakte Naturwissenschaft muß auf dem Boden der erfahrungsmöglichen Tatsachenforschung bleiben, jede Hypothese aber liegt außerhalb dieses Bodens auf metaphysischem, an Tatsachen unerweisbarem Gebiete. Sie kann durch Folgerungen aus Tatsachen mehr oder minder wahrscheinlich gemacht — exakt bewiesen oder exakt wider- legt kann sie nie werden. Wer einer Hypothese aber eine andere, ersetzende entgegenstellen zu müssen glaubt, der versucht den Teufel durch Beelzebub auszutreiben, und sein Erfolg wird nichts sein als ein endloser Wortstreit um unbeweisbare und unwider- legbare Meinungen, deren größere oder geringere Wahrscheinlich- keit in allen Fällen persönliche Anschauung bleibt. Theoretisch ist dies seit Kant jedermann klar; in der Praxis indes vermeidet F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweekmäßigkeit im Organischen. 35) kaum ein Forscher die Falle. Das ist der Grundzug des unablässig wogenden Gezänks, das füllt ungezählte Bände der Literatur. Man gestatte uns, dieses Wesen der Hypothese an einem Gleich- nis augenfälliger zu machen. Wir rehmen an, in der Schöpfungsmythe eines Indianerstammes finde sich der Satz, die Welt sei aus der geballten Faust Manittus entstanden. Dieser Satz werde der Naturforschung als Erklärung des Weltwerdens vorgewiesen. Die Naturforschung kann den exakten Nachweis der Unrichtigkeit dieses Satzes nie erbringen; sie vermag nie an Tatsachen nachzuweisen, daß die Welt nicht aus der Faust Manittus entstanden ist. Der Satz liegt außerhalb, die Natur- forschung innerhalb des Gebietes der möglichen Erfahrung. Die Naturforschung kann den Satz aber auch nicht durch eine natur- wissenschaftliche, d.h. an Tatsachen nachweisbare Darstellung des Schöpfungsvorganges ersetzen. Das Problem der Schöpfung ist naturwissenschaftlich unlösbar. Muß die Naturforschung nun das naive Hirngespinst, das sie weder widerlegen noch ersetzen kann, annehmen? — Die Aufnahme einer Hypothese in die exakte Naturforschung wird nicht von der Unmöglichkeit ihrer Widerlegbarkeit oder Er- setzbarkeit abhängen, sondern einzig davon, ob die Hypothese eine zwingende, nahe an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeitsfolge- rung aus einer langen Reihe primär festgestellter Erfahrungstat- sachen darstellt, ob sie mit allen vergleichbaren Erfahrungstat- sachen in unmittelbarem, nicht erst durch geistvoll erdachte Hilfs- hypothesen künstlich hergestellten Einklang und mit keiner Er- fahrungstatsache in Widerspruch steht. Zeigt die aufgestellte Behauptung gar keine Relation zu Erfahrungstatsachen (Faust Manittus), so kommt sie für die Naturforschung überhaupt nicht in Betracht. Als Beispiel einer durch Erfahrungstatsachen wohlbegründeten, aus ihnen erstandenen Hypothese nennen wir den Gedanken an eine Entwicklung. Fassen wir die anzuwendende Methode klar: Uns liegt es nicht ob, den Selektionismus zu wider- legen oder zu ersetzen. Uns liegt lediglich ob, die Tafel alles Theoretischen rein zu löschen und dann mit unbe- fangener, wachsamer Logik auszublicken, was die Tatsachen der Naturforschung uns zeigen, welche allge- meinen Folgerungen und an Gewißheit streifenden Wahr- scheinlichkeiten sich aus Beobachtungs- und Versuchs- reihen uns aufzwingen, ob aus ihnen zwingend von selbst ein Selektionismus emporsteigt. Dieser Grundsatz der Kritik wird uns immer und überallhın begleiten’ müssen, auf ihn soll eine Reihe folgender Einzelheiten aufgebaut sein. 336 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. Nur so darf eine Hypothese entstehen — zwingend aus Tat- sachen heraus. So ist auch der Abstammungsgedanke geboren worden. Welches aber ist die Herkunft der Selektionstheorie? Hiemit geraten wir an das Spezialthema dieser Abhandlung, an die organische Zweckmäßigkeit und ıhr Verhältnis zum Evolutionis- mus. Denn die Wurzel der Selektionshypothese liegt ım Problem der organischen „Zweckmäßigkeit“. % In den Tagen vor dem Emportauchen des wissenschaftlich be- gründeten Abstammungsgedankens war die Zweckmäßigkeit im Baue der Organismen für die Allgemeinheit kein Problem. Die Naturauffassung jener Zeit setzte als Urgrund aller Dinge einen persönlichen Schöpfer, der mit vorausschauendem Willen alles zweckmäßig gebaut hatte, damit es zweckmäßig sei. Man konnte seine Weisheit bewundern, seine Werke studieren — wie es beı- spielsweise der fromme Ch. K. Sprengel, der Begründer der späterhin sachlich getreulich in seinen Bahnen gebliebenen Blüten- ökologie, tat — ein Problem blieb nirgends. Das Problem erstand mit dem Abstammungsgedanken. Der rasche Fortschritt der Naturwissenschaften zu Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte Naturgesetze er- wiesen, nirgends aber das Eingreifen persönlicher Willkür eines Weltenlenkers. Die exakte Wissenschaft konnte nur mit dem ar- beiten, was sie sah, und sıe sah nur Naturgesetze. Vergleichende Organismenforschung hatte aus Erfahrungstat- sachen die Wahrscheinlichkeit einer Entwicklung gefolgert. Man nahm an, die Arten seien entstanden, nicht fertig geschaffen, und sie entstünden noch. Eine persönliche Intelligenz und ein anthro- pomorphistischer Lenkerwille fehlten — es blieb nichts auf dem Plan als Naturgesetze. Das ergab eine matersalistisch-mechanistische Naturauffassung; unabänderliche Gesetze regierten alles. Als Mecha- nistik weitesten Sinnes wollen wir alle nichtteleologischen und nicht- agnostizistischen Naturauffassungen bezeichnen, in denen ein Selek- tionismus von der gestaltenschaffenden Bedeutung, wie ihn Darwin und seine Schule annımmt, Platz findet. Die Frage, inwieweit diese Naturauffassung hinsichtlich des Problems vom Werden der Organismen ihre Aufgabe verkannte, kann hier nur kurz gestreift sein. Wir wollen sie an einem Bei- spiel beleuchten. Wenn wir das Ei eines Kohlweißlings vor unserem Auge zur Raupe, die Raupe zur Puppe, die Puppe zum Falter werden sehen, kommt. uns wohl niemals der Gedanke, dieses greifbar vor uns F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 3537 statthabende ontogenetische Werden rein mechanistisch, ektogene- tisch aus chemisch-physikalischen Einflüssen der Umwelt heraus verstehen und erklären zu wollen. Wir nehmen wie selbstverständ- lich eine innere Gesetzmäßigkeit des Wachsens als Werdeursache des Falters an. Wenn es jedoch das phylogenetische Werden des Kohl- weißlings, seines dreigeteilten Leibes, seiner vier Flügel, seiner zwei Fühler und sechs Beine, seines Kopfes, seiner Augen, seines Rüssels, zumindest jedoch der Färbung seiner Flügel gilt — dann sind wir ohne Zögern bereit, eine mechanistische Erklärung dieser Dinge zu fordern oder doch hinzunehmen. Sollte hier nicht ein tiefer Widerspruch liegen ? Wir wollen im voraus einem möglichen Einwande begegnen. Man könnte darauf hinweisen: Ontogenese ist Wiederholung, eine mehr oder minder mechanisch sich abwickelnde Reproduktion einer irgendwo aufbewahrten Erinnerung an bereits (zewesenes. Phylo- genese aber ıst Entstehung eines Neuen, noch nicht Gewesenen. Doch uns dünkt, der Einwand treffe das Wesen der Sache nicht. Das phylogenetische Werden des Leibes, der Fühler und Beine, der vier weißen Flügel eines Kohlweißlings und der gesetz- mäßig verteilten schwarzen Flecken auf ıhnen dünkt uns seinem letzten Wesen nach nicht erklärbarer und nicht unerklärbarer als das ontogenetische Werden derselben Form. Es sind letzten Endes dieselben Grundlagen auf die wir treffen: Woher stammt das Material, woher stammen Formen, Farben, Leben, Vererben, Gesetzmäßigkeit, wie tritt dies alles zusammen — woher stammt der „Gedanke“ Schmetterling? Hat ihn Selektion ersonnen? Erstand der Typ „Schmetter- ling“ durch schrittweise Auslese aus zufälligen, blinden Variationen richtungslos schwankenden lebenden Plasmas, amöbenartiger Schleim- klümpchen, ausgerüstet allein mit den primitiven Eigenschaften des „Lebens“ und richtungslosen „Variierens“? Wie entstand — um nur eins aus vielen herauszugreifen — die dem formlosen Urplasma fehlende „Elementareigenschaft“ der bilate- ralen Symmetrie des Schmetterlingskörpers durch natürliche Auslese? Der Selektionismus tut uns unrecht, wenn er uns für Teleo- logen oder Vitalisten hält. Wir sind so wenig Teleologen, wie wir — wenigstens in der Frage des Werdens der Organismen — Mechanisten sind. Wir sind hier nichts als bewußte Nichtwisser. Wir unterscheiden uns von allen Parteien, die „ja“ oder „nein“ sagen, ohne etwas zu wissen, dadurch, daß wir weder „ja“ noch „nein“ sagen, daß wir bloß erfaßt haben, daß wir weder „ja“ noch „nein“ sagen dürfen, weil wir nichts wissen. 338 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der /weckmäßigkeit im Organischen. Wir sehen eine Welt um uns, vieltausendfältig in anorganischen und organischen Gestalten — ıhr Wesen und Werden aber ist un- erforschlich, unfaßbar. Ist man Teleologe, wenn man die Unfähigkeit der Mechanistik zur Erklärung des Wesens- und Werdeproblems der Dinge klar erfaßt hat? — Wenn man sich emen Schmetterling nicht restlos aus rein physikalisch-chemischen Einflüssen einer blinden Außen- welt auf lebende, lediglich rıchtungslos varıierende Schleimklümpchen entstanden vorstellen kann? — Ist man Teleologe, wenn man sagt: Niemand weiß, wieso und warum es eine Welt gibt und Dinge darin, deren eines ein „toter‘‘, immer wieder symmetrisch erstehen- der sechsstrahliger Schneekristall und deren anderes ein „lebender“, immer wieder symmetrisch erstehender sechsbeiniger Kohlweißling ist? Jedenfalls kann ıch mir das Entstehen eines Kohlweißlings, seiner Raupe und Puppe, durch Auslese aus variierenden lebenden Schleimklümpchen mechanistisch nach dem blanken Nützlichkeits- prinzip so wenig vorstellen, wie ich mir das Entstehen eines Schneekristalls aus richtungslos erhärtendem Wasser irgendwie mechanistisch vorstellen kann. Es bleibt ın beiden Fällen eine vor- bestimmte Gesetzmäßigkeit übrig, die ich mechanistisch nicht er- fassen kann. Wir kommen mit unbefangen klarem Denken ohne Ausweg auf eine letzte, unbegreifliche Quelle der Gestalten zurück, in welcher Phylogenese und Ontogenese gleich unerforschlich nach Gesetzen des Werdens der Gestalten, der anorganischen wie der organischen, ihren Ausgang nehmen. Der Ausweg aus der Sackgasse der Forderung ist indes leicht gefunden: Die Phylogenese jedes Organismus ist selbst eine Gesetzmäßigkeit, ist ein mechanistisches „Naturgesetz“ für sich. Gesetze selbst aber müssen hingenommen, können fest- gestellt, aber ıhrem Wesen und Werden nach nicht „erklärt“ werden. Man könnte uns hier mißverstehen. Maßgebende Forscher haben mit Recht betont, die Naturwissenschaft könne nur mecha- nistisch forschen, sie könne nur an Tatsachen in physikalisch- chemischer Methode die Bedingungen feststellen, unter denen Zu- stände und Vorgänge zustande kommen. Weshalb verwerfen wir dann die Mechanistik ? Wir verwerfen sie nicht. Wir schalten sıe nur dort aus, wo sie verfehlt ist: in allen Problemen der Metaphysik. Das Arbeits- gebiet der Naturwissenschaften, jenes der Tatsachen der Erfahrung, kann nur mechanistisch bebaut werden. Teile des Seinsproblems aber können mit Mechanistik nie gelöst werden. — Greifen wir nach dieser Abschweifung den Faden unserer Dar- legung wieder auf. F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 539 Wäre die neue, die nichtteleologische Naturauffassung von An- beginn an am Steuer der Wissenschaften gestanden, man hätte sie für selbstverständlich erachtet. Aber den Platz am Steuer nahm die Lehre vom zweckbewußten persönlichen Schöpfer und der Kon- stanz der Arten ein. Eine jahrtausendalte Lehre, auf mächtigen Pfeilern außerhalb der Wissenschaft fußend, nicht gewillt, sich von etlichen wissenschaftlich klaren Gedanken kurzer Hand ver- drängen zu lassen. Die alte Lehre hatte besonders eine mächtige Waffe zur Ver- fügung: die ans Wunderbare streifende Zweckmäßigkeit in Bau und Lebensführung der Organismen. Wenn kein zweckbewußter Wille sie geschaffen, wie kam diese Zweckmäßigkeit dann zustande? Das Problem stand da, von der alten Teleologie der jungen Mechanistik gestellt: Es ıst darzulegen, wie Zweckmäßiges ohne Zwecksetzung entstehen kann. Verweilen wir hier einen Augenblick kritisch, so tritt uns das Ungerechtfertigte dieser Problemstellung unmittelbar ıns Bewußtsein. Die alte Naturauffassung wurzelte in einem Schöpfer, dessen Existenz sie naturwissenschaftlich nicht beweisen konnte. Er stand außerhalb aller Erfahrung, auf metaphysischem Gebiet. Mit seiner Annahme hatte die alte Lehre den Boden der exakten Erfahrungs- forschung endgültig verlassen; sie konnte naturwissenschaftlich weder Beachtung fordern noch Probleme stellen. Die neue Lehre mußte dies feststellen und das Problem ab- lehnen. Sie konnte Erfahrungen sammeln, gesetzmäßige Zusammen- hänge von Tatsachen nachweisen; die metaphysischen Ursachen dieser Tatsachen spekulativ zu ermitteln fiel nicht in ihre Kom- petenz. Sıe mußte formulieren: s Erfahrungstatsachen veranlassen uns zur Annahme der Wahr- scheinlichkeit einer stattgehabten Entwicklung. Die Ursachen der Entwicklung sind ein der Erfahrung unzugängliches, metaphy- sisches Problem, gleich dem Problem des Seins der Organismen und des Seins der Dinge überhaupt. Wir wollen die Zusammen- hänge der Tatsachen erforschen, vielleicht führen sie uns einmal auf irgendeinen gangbaren Weg. Für Hypothesen aber, die Speku- lation errichtet hat und für die nachträglich Tatsachenbelege benötigt werden, haben wir keine Verwendung. Ein Vorgang dieser Art widerspricht exakten Forschungsprinzipien, lockt in Schein- beweise und Scheinerkenntnis, führt über die Grenzen möglichen Naturerkennens hinaus in Nebel und Phantasie. Diese Ablehnung wäre gerechtfertigt gewesen, logisch begründet — opportun wäre sie nicht gewesen. Wie die Dinge damals lagen, 340 F. Heikertinger, Das Scheinproblem- von der Zweckmäßigkeit im Organischen. wäre die organische Zweckmäßigkeit immer das Skelett im Hause der Deszendenzlehre geblieben, ein ungelöster Widerspruch mit der Annahme mechanistischen Geschehens. Es war nunmehr Ehren- sache der neuen Lehre, das Entstehen der organischen Zweckmäßig- keit ohne Teleologie glaubhaft zu machen. An einen allgemeinen Sieg war ohne Erfüllung dieser Bedingung nicht zu denken. Die alte Lehre hatte sıch ın voller Kraft erhoben, und die junge, frisch und wagemutig, griff das Problem auf, ın froher Siegeshoffnung und ohne viel Gedanken daran, daß sie sich damit auf fremdes, metaphysisches, ihr durch ihr eigenes Programm ver- botenes Gebiet begab. Und sie erfocht auf fremdem Gebiete einen glänzenden Sieg. Keinen Sieg der Naturwissenschaften; es stand ja Metaphysik gegen Metaphysik, unbeweisbare Teleologie gegen unbeweisbare Mecha- nistik. Ein solcher Sieg konnte jener Auffassung, auf deren Seite die Tatsachengrundlagen der Annahmen gesünder waren, dıe Herr- schaft über die Allgemeinheit der Geister bringen. Der Sieg an sich aber machte die siegende Metaphysik nicht zum Gegenstande naturwissenschaftlicher Tatsachenforschung. Das ıst das Bild nach dem Siege des Abstammungsgedankens, den dieser mit der mächtigen Waffe Darwın's, der Theorie von der natürlichen Auslese, dem Selektionismus, errang. Die Deszen- denzlehre hatte die Alleinherrschaft angetreten — das Ziel des Feldzuges war erreicht. Den sıeghaften Selektionsgedanken, die metaphysische Waffe, hielt die neue Lehre noch in der Hand. Man könnte einwenden, die Scheidung von Abstammungslehre und Auslesegedanken ın Hinsicht auf Metaphysik sei unbegründet. Auch die Abstammung seı an Erfahrung unbewiesen, sei dieselbe Hypothese wie die Auslese. Demgegenüber ist zu wiederholen: der Abstammungsgedanke ist eine primär aus Erfahrungstatsachen emporgestiegene hohe Wahr- scheinlichkeit, mit allen Tatsachen ım Einklang, mit keiner im Widerspruch. Der Auslesegedanke indessen ist primär Spekulation, ist der spekulative Lösungsversuch eines unrichtig gestellten Pro- blems, ıst ein Vorurteil, das erst sekundär, erst nachträglich mit Erfahrungstatsachen zu belegen stand. Wie es nun zugeht, wenn eine Hypothese, also ein an sich nicht exakt beweisbares Metaphy- sisches nachträglich an Tatsachen wahrscheinlich zu machen gesucht wird, ist bekannt genug. Die unendliche Fülle verschiedenartiger Erscheinungen des Naturlebens, nach Bedarf besprochen, nach Be-: darf verschwiegen, gibt uns das Material, an dem mit Raten und Deuten, mit sanftem Zwang und unbestimmten Worten, mit Hilfs- hypothesen und fernhergeholten Annahmen, auch das haltloseste Phantasiegebilde gestützt werden kann. Eine Theorie, die als Spe- kulation entstand, ist im tiefsten Grunde immer unwissenschaftlich. F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 341 „Beweise“, die nachträglich mühsam zusammengesucht werden, bleiben stets verdächtig, vorgefaßte Wünsche zu Vätern zu haben. Wir wollen in den späteren Arbeiten ausführlich hievon handeln. An dieser Stelle seı bloß der tiefe grundsätzliche Wertunterschied zwischen Abstammungs- und Selektionstheorie betont, sei motiviert, weshalb wir speziell vom Auslesegedanken als von tatsachenferner, spekulativer Metaphysik sprechen. Man könnte einwenden, diese Darstellung zeichne vielleicht den Ideengang einer nachträglichen historischen Wertung des Selektionis- mus richtig, entspreche jedoch den tatsächlichen Werdeumständen dieser Lehre nicht. Darwın seı eben nıcht durch Spekulation, sondern durch eine Fülle primär festgestellter Erfahrungstatsachen auf den Gedanken der natürlichen Auslese geführt worden. Ich teile diese Meinung nicht. Mich dünkt, Darwin sei durch Tatsachen nur auf den Gedanken der Entwicklung, der Abstammung gelenkt worden. Erst als er über die Ursachen oder Bedin- gungen der Entwicklung nachsann, geriet er an die Theorie von Malthus und kam er auf den Gedanken, dıe künstliche Zuchtwahl könnte ein brauchbares Prinzip der Erklärung der Entwicklung zum „Zweckmäßigen“ hin liefern. Das primär Hypothetische des Aus- lesegedankens tritt vielleicht am klarsten in Darwin’s erster, vor- läufiger Veröffentlichung desselben (Journ. Linn. Soc. London, 1858) hervor, wo es von sachlichen Beispielen — denen laut Darwin’s eigenen Worten ebensoviel Beispiele entgegengestellt werden könnten, die zu gerade entgegengesetzten Folgerungen führen — noch nicht, wie in Darwın’s Hauptwerk, erdrückt wird. Und wenn Darwin es auch in seiner Abneigung gegen philosophische Darstellungen nirgends betont, daß nur das Problem einer nichtteleologischen Erklärung des Entstehens der „Zweckmäßigkeiten“ einen berech- tigten Grund zur Aufstellung der Auslesehypothese abgeben konnte, so lag es doch unausgesprochen im Grunde seines Denkens und Fühlens. Ich zitiere aus der Einleitung seiner „Entstehung der Arten“: „... Wenn ein Naturforscher, über den Ursprung der Arten nachdenkend, die gegenseitigen Verwandtschaftsverhältnisse ‘der Organismen ... erwägt, so ist es wohl begreiflich, wenn er zu dem Schlusse gelangt, daß die Arten nicht selbständig erschaffen worden sind, sondern gleich den Varietäten von anderen Arten ab- stammen. Eine solche Schlußfolgerung würde jedoch, selbst wenn sie wohlbegründet wäre, unzulänglich sein, wenn nicht nachgewiesen werden könnte, auf welche Weise die zahllosen Arten auf unserer Erde die jetzige Vollkommenheit des Baues und der gegenseitigen Anpassung (Coadaption) erlangten, welche mit Recht unsere Be- wunderung erregen ...“ und aus dem dritten Kapitel: „... Aber das bloße Vorhandensein individueller Variabilität und einiger wohl- ausgeprägter Variabilitäten hilft uns wenig, um zu begreifen, wie 37. Band 24 342 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. Arten in der Natur entstehen. Wie sind alle jene vortrefflichen gegenseitigen Anpassungen der Teile im Organismus, die Anpassungen an die äußeren Lebensbedingungen, die Anpassungen organischer Wesen an andere bewirkt worden? ... .“ Man sieht, Darwin hatte das Problem der Entstehung der „Zweckmäßigkeiten“ voll erfaßt. Er hatte bloß, wie seine ganze Schule, übersehen, daß es ein Scheinproblem war... Hier liegt die zweite Wende, an der die neue Naturauffassung das Problem von der organischen Zweckmäßigkeit hätte ablehnen, die Metaphysik des Selektionismus hätte aus der Hand legen müssen. Daß ihre Verfechter auch nach dem Siege ihren Fehlgriff nicht merkten, daß sie mit Metaphysik in den Händen Naturforschung trieben, mußte bald jene charakteristischen, endlosen, nichtigen Streitigkeiten zur Folge haben, die überall dort auftreten, wo Un- beweisbares mit Unbeweisbarem, Hypothese mit Hypothese kämpft. Ein fruchtloser Streit der Meinungen entbrannte, der als Neben- produkt allerdings eine Reihe wissenschaftlich schätzenswerter Er- gebnisse lieferte, dafür aber den exakten Gang der Erkenntnis auf- hielt und uns um die wertvolleren Ergebnisse einer zielklar exakten Forschung brachte, die jene Zeit über hätte arbeiten können. Es entstanden „Gesetze“, Stammbäume, es entstand der Glaube, die Natur erhalte nichts „Unzweckmäßiges“, es wachte die alte Irrlehre von der lex parsimonıae auf, man redete von der „All- macht der Naturzüchtung‘“, und August Weismann krönte das (sebäude mit einer kunstvollen Hypothesenkuppel, die ungeachtet der Kunstfertigkeit ihres Baues nur das befremdete Staunen der Nachwelt erregen wird. Vielleicht wird uns mancher Forscher hier nicht ganz verstehen. Vielleicht wird er zurückgehen und die Frage so fassen: Die teleologische „Zweckmäßigkeit‘“ ist ja nun freilich lange tot. Aber dasjenige, was der Selektionismus mit dem Wort „Zweck- mäßıgkeit‘“ meint, nämlich die erhaltungs- oder funktionsgemäße Bauart der Organismen, ist doch eine gegebene Tatsache, die wir unablässig vor Augen haben. Und da wir finden, daß sich alles Geschehen nach Naturgesetzen abspielt, weshalb sollte dem Forscher der Versuch verwehrt sein, zu finden, wie viel von dieser empirisch ermittelten Funktionsmäßigkeit mit Hilfe empirisch ermittelter Naturgesetzlichkeiten zu begreifen ıst? Wir müssen hierzu dem Begriffe der nichtteleologischen, der selektionistischen „Zweckmäßigkeit‘“ kritisch näher treten. Als erstes ist hiebei festzustellen, daß das Wort „Zweckmäßig- keit“ ın einer nichtteleologischen Naturauffassung an sich ein Unding ist. Die ımmer wiederholte Erklärung, es bedeute in der Selektionstheorie nichts anderes als Erhaltungsmäßigkeit, Funktions- eignung, Vorteilhaftigkeit, Gutausgestattetsein o. dgl., es könne gar F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 343 nichts anderes bedeuten als dies, ist allerdings für den Kenner selbst- verständlich, nimmt aber dem Worte nichts von seiner Unzulässig- keit. Ein Wort muß klar und für jedermann verständlich dasjenige ausdrücken, was gemeint ist. Da in keiner Sprache Mangel an klaren Worten für klare Begriffe sein kann — wir sind der Mei- nung, daß jede klar erfaßte Tatsache auch in klare Worte gefaßt werden kann und daß die vielfach zu beobachtende komplizierte Dunkelheit mancher wissenschaftlicher Darstellung ein lediglich im Verfasser liegender schwerer Mangel ist —, erscheint es unbegreif- lich, weshalb der Selektionismus das falsche, seiner Naturauffassung geradewegs widersprechende, irreführende oder doch zumindest jede Unklarheit fördernde Wort „Zweckmäßigkeit“ unablässig gebrauchte und noch gebraucht. Nehmen wir nun die empirisch gegebene Tatsache dieser Er- haltungsmäßigkeit, Funktionsanpassung, Gutausstattung oder wie immer man es nennen mag, kritisch vor. Aus rein praktischen Gründen wollen wir diese funktionsmäßige Gutausstattung der Organısmen in zwei Begriffe zerlegen, die aller- dings einer inneren Begründung entbehren und die uns nur als Hilfskonstruktionen dienen sollen, um dasjenige, was wir vorzuführen beabsichtigen, anschaulich klar und jedes gegnerische Ausweichen unmöglich zu machen. Wir unterscheiden: 1. Eine zum Leben unumgänglich notwendige „Zweckmäßig- keit“, die wir als „Erhaltungsmäßigkeit“ oder „Erhaltungs- notwendigkeit“ bezeichnen wollen. 2. Eine zum Leben nicht notwendige „Zweckmäßigkeit“, die wir „Gelegentliche Verwendungseignung“ oder „Fakul- tative Funktionsgemäßheit“ nennen wollen. Wir betonen: innere Gründe zur Scheidung dieser Begriffe be- stehen nicht. Sie sind theoretisch klar scheidbar; in der Praxis indes wissen wir kaum je, ob eine uns nebensächlich dünkende Bildung unter gegebenen Umständen nicht doch lebensnotwendig ist. Wir wissen ja über den Komplex der Bedingungen, die die Existenz einer Art sichern, nichts. Ursächlich sind die Erscheinungen Jedenfalls identisch, d. h. sie entstammen im Prinzipe derselben unbekannten Quelle allgemeiner organischer Gestaltung. Der ersterwähnte Begriff, jener der „Erhaltungsmäßigkeit“, ist eine einfache Selbstverständlichkeit. Jedes seiende Tier muß erhaltungsmäßig sein, sonst könnte es nicht sein. Mit dem Begriffe des Seins des Tieres ist der Begriff seiner Erhaltungsmäßigkeit bereits gegeben, untrennbar verknüpft. Tritt ein Säugetier in Erscheinung, so müssen auch seine Lebens- notwendigkeiten, seine Sinnesorgane, sein Verdauungsapparat, sein Atmungssystem u. s. w. u. s. w. in Erscheinung treten. Das Blut- 24* 544 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Örganischen. kreislaufsystem beispielsweise ist ein wundersam kompliziert „Zweck- mäßiges“, aber es fällt als Existenznotwendigkeit mit dem Daseins- begriff des Säugetiers zusammen. Es ist keine andere Frage, warum, wieso und woher ein Säugetier eın Blutkreislauf- system besitzt, als warum, wieso und woher es überhaupt Säugetiere gibt. Beide Fragen liegen im metaphysischen Seins- problem, sind identisch und für die Erfahrungsforschung unlösbar. Die letztere kann nichts tun, als sie für ıhr Gebiet klar als inhalt- lose Scheinprobleme zu erkennen und abzulehnen. Damit ist bereits die eine Hälfte der organischen „Zweckmäßig- keit“, die „Erhaltungsmäßigkeit“, als Problem gelöscht. Es könnte nun sein, daß der Selektionismus hinsichtlich der grundsätzlichen Vernichtung dieses Problemteiles nicht eines Sinnes mit uns ist und vermeint, wir hätten ihm eine Erscheinung, an der er seine Erklärungskraft zu erweisen vermocht hätte, unter den Händen weggenonmmen. Wir legen ihm darum das Blutkreislaufsystem, den Fortpflan- zungsapparat, das Verdauungs- und das Nervensystem eines Säuge- tiers mit ihrem komplizierten Bau und ıhrer wundersamen Arbeits- fähigkeit in Hinsicht auf Energieverwandlungen vor und ersuchen ıhn, uns darzulegen, wie diese Erscheinungen durch blind-mecha- nisches Zusammentreten richtungslos varııerenden organischen Plas- mas, ausgelesen durch Selektion, entstanden sein können ... Der Unbefangene wird nicht übersehen, daß er an einer Grenze menschlicher Erkenntnis steht. Ein riesenhaftes, unlösbares Problem steigt vor uns auf. Das Werden der Materie, der Kristallgestalten, der chemischen Affini- täten, der kosmischen Energien, der Pflanzen- und Tierbaupläne, der Lebensenergien — es ist ein Problem. Wie wir es nennen wollen, ıst gleichgültig — übersehen dürfen wir es nie. Der Fehler des Selektionismus war, daß er es aus den Augen verlor, — daß daß er ein abgerissenes Stück davon, dessen Zusammenhänge er übersah, erklären zu können vermeinte. Wenden wir uns nun der anderen „Zweckmäßigkeit“ zu, der nicht lebensnotwendigen, gelegentlichen, läßlichen Verwen- dungseignung einer Erscheinung. Wir haben schon betont, daß ihre Wurzel so gut wie jene der Lebensnotwendigkeiten ım Seinsproblem liegt. Sie ist geworden wie das Tier selbst, das mit ıhr ausgestattet ist — wieso, warum, woher, das wissen wir nicht. Wer das Prinzip der einen nicht er- gründet, bemüht sich auch um die andere vergebens. Wir haben auch betont, daß sie nur ın der Theorie sicher trennbar von der Lebensnotwendigkeit ıst. Wır können die Streifenzeichnung des Segelfalters als lebensunwichtig ansprechen, bei der verbergenden F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 545 Färbung eines Wüstentieres werden wir indes bereits in Zweifel hinsichtlich der lebenerhaltenden Wichtigkeit der Färbung geraten. Wir stoßen hier auf das Problem der Möglichkeit oder Unmög- lichkeit der isolierten Wertung jener Einzelfaktoren, welche als ein Komplex gemeinsam die Existenzfähigkeit einer Art ausmachen. Es ıst ein — unbeachtetes — Grundproblem des Selektionismus. Jede Existenzfähigkeit ıst das ungeheuer komplizierte Produkt, die Resultante aus tausendfach ineinandergreifenden, von tausend Zufälligkeiten abhängigen äußeren und inneren Faktoren, die wir weder einzeln noch ın ihrem Zusammenspiel kennen und auch nicht annähernd abzuschätzen vermögen. Die Veränderung eines einzigen, uns völlıg wertlos dünkenden Faktors kann den Untergang der Art nach sich ziehen, die Veränderung hunderter uns wichtig dünkender Faktoren kann vielleicht durch eine kleine Verschiebung, etwa ein leichtes Abändern der Lebensweise, ohne Schaden für die Existenz- möglichkeit der Art paralysiert werden. Wir wissen es eben nicht, weil wir das Zusammenspiel des ganzen Komplexes nicht kennen, weil wir nicht die neuen Gleichgewichtsmöglichkeiten kennen, deren ein Organismus fähig ist, wenn er aus seinem jetzigen Gleich- gewichte geworfen wird. Ein einziger Nachweis steht uns zu Gebote für die Lebensnot- wendigkeit eines Faktors: wenn er, ausgeschaltet, den unaus- bleiblichen Tod nach sich zieht. Vernähen wir einem Säugetiere den Mund, dann muß es sterben. Der Mund ist hier lebenerhaltend. Ist der Nachweis in dieser positiven Form indes nicht zu er- bringen, dann fehlt uns jede Grundlage und damit jedes Recht, den betreffenden Faktor irgendwie zu werten, ıhn als lebensnot- wendig oder als lebensunwichtig zu bezeichnen. Nie dürfen wir einer Eigenschaft, die nicht nachweislich lebensnot- wendig ıst, dıe nicht, ausgeschaltet, nachweislich den unvermeidlichen Tod bewirkt, irgendwelchen Selektions- wert zuschreiben. Denn Selektion ist Auslese, und Auslese ıst Vernichtung, ist Lebensunfähigkeit des anders Ausgestatteten, Lebensnotwendigkeit des so Ausgestatteten. Wir werden zwingend darauf hingewiesen: Eine Auslese ıst nur denkbar, sofern es sich um die Scheidung von Erhaltungsmäßigkeit und Erhaltungsunfähigkeit unter jeweils bestimmten gleichen äußeren Bedingungen handelt. Eine inner- halb des Erhaltungsmäßigen noch wirksame Auslese anzunehmen, ist ein Widersinn, denn jede Auslese kann nur das unter jeweils gegebenen Lebensumständen Lebensunfähige ausmerzen, nicht aber unter dem unter eben diesen Umständen Lebensfähigen noch eine positive engere Auswahl treffen. Sie kann niemals lebensunnot- wendige „Zweckmäßigkeiten“ auslesen. Welche Mittel ständen ihr für eine solche Auslese zu Gebote? 346 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. Wir wollen nun dem Selektionismus Gelegenheit bieten, seine Künste praktisch vorzuführen. Wir legen ihm einige „Zweckmäßigkeiten“ vor und lassen ihm selber die Wahl, ob er sie als lebensnotwendige oder als unnötige auffassen will. Die Grabbeine des Maulwurfs, die Winterfärbung des Hermelins, die Zunge des Spechtes, den Giftstachel der Wespe, die mimetische Ähnlichkeit zweier Schmetterlinge. Will er alle oder einige von ihnen für lebensnotwendig nehmen, so wollen wir ihm nicht widersprechen, da wir offen gestehen, daß wir es nicht wissen. Wir verweisen ıhn dann aber auf die bereits dargelegten Lebensnotwendigkeiten und ihre Quelle im Seinsproblem. Grabschaufel, Weißfärbung, Schnellzunge und Giftstachel sind letzten Endes um nichts wunderbarer als Beine, Färbungen, Zungen und umgebildete Legeröhren überhaupt, und sind viel, viel weniger wunderbar als Nervensystem und Blutkreislauf. Sie wegen ihrer Augenfälligkeit für besondere Probleme zu halten erinnert an Kinder, für welche eine Frau mit einem Barte das größte Wunder dar- stellt, und die keine Ahnung haben, daß Entstehung und Dasein des menschlichen Bartes und noch mehr Entstehen und Dasein des Menschen überhaupt unendlich größere Rätsel sind, vor denen ihr vermeintliches Wurder zur unwesentlichen Nebensache wird. Will der Selektionismus für einige dieser Erscheinungen, etwa für die Winterfärbung des Hermelins, Selektion beanspruchen, so billigen wir auch diese ihm gerne zu. Wir geben zu, es könnte neben winterweißen dereinst auch winterbraune Hermeline gegeben haben und letztere könnten als unangepaßt ausgestorben sein. Doch wir machen den Selektionismus aufmerksam, daß Selektion hier keine Gestalten geschaffen, sondern lediglich das bereits Geschaffene vermindert (um die winterbraune Hermelinform vermindert) haben kann. Das hat aber mit der Entstehung der Tiergestalten, die der Selektionismus erklären will, nichts zu tun. Vermeint er aber, winterweiße Hermeline könnten durch allmähliche Umwandlung im Wege der Auslese aus braunen entstanden sein, so wollen wir über die Möglichkeit derartiger Vorgänge an anderer Stelle ausführlicher mit ihm sprechen. Keinesfalls dürfen wır ıhm verhehlen, daß auch mit dem über- zeugenden Nachweise eines durch Selektion durchgeführten ein- fachen Vertauschens zweier gebräuchlicher Färbungen das Rätsel des Entstehens des ganzen Hermelins mit seinem Kreislauf-, Ver- dauungs- und Nervensystem um keinen Schatten der Lösung näher gebracht wäre. Und Selektionismus wollte doch die „Entstehung der Arten“ erklären, nicht das zwar hübsche, aber für das Werden der Organısmen schließlich doch recht belanglose Taschenspieler- kunststück des Vertauschens einer gewöhnlichen Färbung mit einer anderen gewöhnlichen. Auch mit dem voll gelungenen Nachweise, F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 347 daß Selektion ım Wege allmählicher Auslese wirklich aus Maul- würfen mit einfachen Vorderbeinen solche mit Grabschaufeln, aus normalzüngigen Vögeln solche mit Spechtzungen, aus stachellosen Wespen bestachelte und aus unähnlichen Schmetterlingen mimetische gemacht habe, würde lediglich die Herausbildung relativ sehr ge- rıngfügiger Abänderungen von Beinen, Zungen, Legeröhren und Schmetterlingsfärbungen dargelegt, nicht aber die Entstehung der Maulwürfe, Vögel, Wespen oder Schmetterlinge und ihrer Beine, Zungen, Färbungen u. s. w. irgendwie erklärt sein. Daß indessen dem Selektionismus selbst der Nachweis der Wahrscheinlichkeit des selektionistischen Entstehens der erwähnten Abänderungen nicht gelingt, soll an anderer Stelle anschaulich gemacht werden. Der Annahme, die Grabschaufel des Maulwurfs, der Stachel der Wespe u. s. w. seien Lebensnotwendigkeiten, steht übrigens eine Reihe von Erfahrungstatsachen gegenüber, die diese Annahme er- schüttert. Die Spitzmäuse graben gleichfalls, jagen Insekten, besitzen keine (Grabschaufel und sind dennoch erhaltungsfähig. Der Zobel nımmt keine weiße Winterfärbung an und besteht dennoch; tausende von Vogelarten leben von fast denselben Tierarten wie die Spechte — die übrigens zum Teil fast ausschließliche Ameisenfresser sind — und besitzen keine Schnellzunge; stachellose Insekten aller Größen und Färbungen bestehen zu Hunderttausenden, und die Schmetter- lıingsarten sehen einander in der Mehrzahl durchaus nicht täuschend ähnlich. Angesichts dieser Tatsachen die bezüglichen Eigenschaften nur gerade für die hier genannten Tiere als lebensnotwendig anzu- nehmen, dazu besteht für den vorurteilsfreien Forscher kein Anlaß. Diese Eigenschaften fehlen ungezählten nächstverwandten Arten ohne Schaden für deren Erhaltungsmäßigkeit. Es liegt somit wohl näher, zu vermuten, daß sie auch bei den genannten Arten fehlen könnten, als daß sie lebensnotwendig seien. In jedem Falle könnte die positive Behauptung einer Erhaltungsmäßigkeit dieser Merkmale nur unter experimentellem Nachweis aufgestellt werden: sie müßten, ausgeschaltet, den Untergang der Art bewirken. Da ein Nachweis in dieser Form nicht tunlich ist — wir können ja nicht Maulwürfe mit einfachen Beinen herstellen, um an ihnen die Nicht-Lebensnotwendig- keit der Grabschaufel zu erweisen — so dürfen diese Eigenschaften auch nie positiv als Erhaltungsnotwendigkeiten bezeichnet werden. Will der Selektionismus aber diese Dinge als läßliche Funktions- eignungen ohne lebenerhaltende Bedeutung auffassen, dann stellt er sie damit von vornherein außerhalb des Kreises seiner Wirkungs- möglichkeit. Dann läge eine Auslese innerhalb des Lebensfähigen vor, eine Ausmerzung jenes Erhaltungsfähigen, das nicht erhaltungs- fähig ıst, also eine Undenkbarkeit. 348 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. Versuchen wir die lebensunnötigen Verwendungseignungen unter einen gangbaren Begriff des Alltags zu bringen, so dürfte dies für den Unbefangenen kaum Schwierigkeiten bieten. Unter Millionen von Erscheinungen wird sich immer ein Prozentsatz finden, der zu irgendeiner Verwendung zufällig, d. h. ohne für sie gebaut zu sein, geeignet ist, ja oft geradezu „dafür wie geschaffen“ scheint. Und er wird sekundär verwendet werden, ohne primär mit der Verwen- dung in irgendeiner Beziehung zu stehen. Fast jedes Ding läßt sich ja schließlich zu irgend etwas gebrauchen. Wenn neben zahl- reichen Verwendbarkeiten ebenso zahlreiche Unverwendbarkeiten stehen — und ein unbefangener Blick ins Naturleben zeigt dies —, wenn bedacht wird, daß es sıch stets nur um — oft recht schwache — Modifikationen von an sich unerklärt bleibenden Allgemeinerschei- nungen, nicht aber um prinzipiell Neues handelt, und daß zweifellos die primäre Bauart, d. h. die aus irgendwelchen unbekannten Be- dingungen heraus eingeschlagene Wachstumsrichtung, lenkend für die spätere Lebensführung sein muß, daß beispielsweise ein Tier, dessen Vorderbeine sich aus unbekannten Wachstumsbedingungen verkürzten und verstärkten und damit zum Laufen ungeeignet wurden, sekundär zu einer subterranen Lebensweise hingezwungen wurde, wenn wir uns klar werden, daß wır niemals wissen, was und wie viel früher da war: die Bauart, welche die Lebensweise schuf, oder die Lebensweise, welche die Bauart modifizierte, ja, daß die sekundäre Abhängigkeit der Lebensweise von der primär gegebenen Bauart allein dasjenige ıst, was ohne Hypothese selbst- verständlich erscheinen muß — dann werden wir einer unbefangeneren Anschauung über diese Dinge näher gebracht und von der heute so vielgebrauchten Schablone befreit, die der Forschung von vorn- herein die Auffassung ın den Mund legt, jede funktionsgemäße Bauart müsse restlos mechanistisch aus der Lebensweise verstanden: werden. Innerhalb der Erhaltungsmäßigkeit kann ein Organısmus ein Superplus von zufällig verwendbaren Eigenschaften besitzen, die die Erhaltungsfähigkeit nicht berühren, mithin auch fehlen könnten und die oft schon bei den Nächstverwandten, die eine übereinstimmende Lebensweise führen, tatsächlich fehlen. Solche überschüssige „Zweck- mäßıgkeiten“ können aber auch nicht vorhanden sein, ja es können Erscheinungen am Organısmus auftreten, die menschlichem Er- messen nach — und alle Überlegungen ruhen ja auf menschlichem Ermessen — für ıhn schädlich sind. So lange diese Schädlichkeit indes die Grenze der Erhaltungsunfähigkeit nicht erreicht, bleibt sie für Existenz und Auslese ebenso unwirksam wie das Superplus an Verwendungseignungen. Das ist das Bild, das die organische Natur dem wirklich un- befangenen Betrachter bietet. Es ist gekennzeichnet durch eine F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 349 harmonische Widerspruchslosigkeit und durch das Fehlen eines der Tatsachenforschung gestellten Problems der Entstehung der „Zweck- mäßigkeiten“. Von „Zweckmäßigkeit“ kann nur im Sinne Kant’s die Rede sein, nur im Sinne einer menschlichen Betrachtungsweise, eines subjektiven Orientierungsmittels, dem kein in der Natur objektiv Gegebenes entspricht. „Zweckmäßigkeit“, um Kant’s Worte zu verwenden, ist nicht ein Prinzip der bestimmenden, sondern bloß ein Prinzip der reflektierenden Urteilskraft. Damit ist die dieser Abhandlung gestellte Aufgabe erschöpft. Das erhaltungsmäßig Gebaute ıst jener Spezialfall des ın der unerforschlichen Werkstätte der Natur Entstandenen, der allein da sein, allein zu unserer Beobachtung kommen kann. Erhaltungs- unfähiges kann nicht da sein, nicht da bleiben, kann uns niemals begegnen. Es ist außerordentlich „zweckmäßig“ (oder wie immer man es sonst nennen mag), daß ein neugeborenes Kind einen Kopf besitzt — aber ein Problem für sich, außerhalb des Seinsproblems des Kindes, ıst es nicht. Die Herkunft des Erhaltungsmäßigen liegt dort, wo die Herkunft des ganzen Kindes liegt. Ob die Werkstätte der Natur nur Erhaltungsmäßiges allein oder ebenso zahlreich oder zahlreicher auch Erhaltungsunmögliches, das durch Auslese erst ausgemerzt werden muß, dauernd liefert, bleibt offene Frage. Die Nachkommenschaft jedes Organismus ent- steht bereits als ein Erhaltungsmäßiges. Die Variabilität der Orga- nısmen bringt normal Lebensfähiges zutage; lebensunfähige Miß- geburten sind Ausnahmen. Die Annahme, daß hier der Selektion nach Lebensfähigkeit eine weite Rolle zukomme, findet keine Tat- sachenstütze. Das „Zweckmäßige“ entsteht bereits als solches: Wieso, warum, woher — das wissen wir nicht, und darüber ist jede Spekulation müßig. Wir stehen an der Grenze menschlicher Naturerkenntnis. Das Wort des Selektionismus, er müsse angenommen werden, bewiesen oder unbewiesen, da er die einzige wissenschaftliche Er- klärungsmöglichkeit für das Dasein der „Anpassungen“ sei, kann ebensowenig ernst genommen werden wie die beliebte Phrase: ihn abzulehnen hieße auf jede Erklärung verzichten. Die leise Ver- ächtlichkeit, die der Selektionismus in den letzten Satz legt, um den Verzicht auf „jede Erklärung“ als der Wissenschaft unwürdig zu stempeln, gewinnt einen fast heiteren Zug. Hängt es denn von uns ab, wo die Grenzen des Erkennens liegen, wo unentrinnbar der Verzicht beginnt? Kann denn der Selektionismus diesem Verzicht entgehen oder ihn auch nur um Haaresbreite hinausschieben? Löst er das Seinsproblem? Wir denken, der Appell an Gefühlswerte, an das Erklärungs- bedürfnis der Menschheit, sei stets verfehlt gewesen. Der Menschen- geist wollte jederzeit das zuerst wissen, was niemand wissen kann, 350 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. und er ıst Zeit seines Bestehens an Scheinproblemen verblutet. Er hatte zu allen Zeiten zu wenig vom unbefangenen Agnostizismus in sich. Der Klarblick des echten Naturforschers liegt unseres Erachtens gerade darin, daß er zur rechten Zeit zu verzichten weiß, genau an jener Stelle, wo die Grenze der Erkenntnis ragt, wo jene un- zugänglichen Probleme des Werdens und Seins hineinzuspielen be- ginnen, die jenseits aller möglichen Erfahrung liegen. Der Grund- fehler des Selekfionismus war es, daß er die Grenzen der Erkenntnis überschritt. Ihm ıst im Eifer des Erklärenwollens unvermerkt die sokra- tische Tertianerweisheit abhanden gekommen: „Ich weiß, daß ich nichts weiß.* — Man wird uns nach diesen unseren dargelegten Anschauungen vielleicht als Menschen bezeichnen, die sich auf ein Nichtwissen etwas zugute tun. Mit Unrecht. Wir betonen unser Nichtwissen nicht stärker als unbedingt nötig, Wir bleiben Du Bois-Reymond’s „Ignora- bimus“ ferne — nicht weil uns das Gegenteil wahrscheinlicher dünkt, sondern weil ein „Ignorabimus“ unser Wissen überschreitet, weil wir nicht wissen, ob wir es nie wissen werden. Vielleicht werden wir es doch einmal erfahren, wenn es uns auch der Selek- tionismus nicht sagen kann. Zumindest wollen wir eifrigen Gegnern keine Handhabe zu leerem Wortstreit reichen. Die Zeit wird richten. Wir freuen uns über das mutige „Impavidı progrediamur!* Doch nur dort, wo es wirklich vorurteilsfreier Tatsachenforschung gilt. Gegen metaphysische Glaubensdogmen und schablonenstarre Hypothesen, die beide gleich schwer die Freiheit der Wissenschaft bedrohen, wollen wır mit der am sichersten tödlichen Waffe auf- treten, die uns zu Gebote steht: Wir wollen zeigen, daß sie über Dinge sprechen, von denen sie nichts wissen! * Fassen wir das Wesentlichste des Dargelegten kurz in zehn Thesen zusammen: 1. Eine wirklich vorurteilsfreie Forschung hat gleich frei vom Vorurteile eines diktatorischen Glaubens wie vom Vorurteile spekulativer Hypothesen zu sein. Jedes Vorurteil führt irre. 2. Die Kritik spekulativer Hypothesen hat weder auf deren Widerlegung, noch auf deren Ersatz abzuzielen. Metaphysisches kann durch Erfahrungstatsachen weder bewiesen, noch widerlegt, noch ersetzt, sondern nur mehr oder minder wahrscheinlich gemacht werden. Die Kritik hat die Hypothese wegzuwischen und zu untersuchen, F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. 391 ob für die Wissenschaft zwingende Gründe zu ihrer An- nahme vorliegen. Fehlen die Gründe, dann hat die Hypothese keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche Be- achtung. 3. Die Annahme einer Entwicklung im Organischen ist eine primär aus Erfahrungstatsachen emporgestie- gene, mit aller Erfahrung im Einklang, mit keiner ım Widerspruch stehende Wahrscheinlichkeit — das Bei- spiel einer wissenschaftlich berechtigten Hypothese. 4. Die Frage nach Wesen und Ursachen der Entwick- lung ist metaphysisch, ist mithin kein Problem der exakten, erfahrungsgemäßen Naturforschung. Des- gleichen die Frage nach dem Entstehen der Funktions- mäßigkeit im Organismenbau!). 5. Die Funktionsmäßigkeit kann hilfsweise in zwei Begriffe zerlegt werden: In eine lebensnotwendige Er- haltungsmäßigkeit und eine nicht lebensnotwendige Ver- wendungseignung. 6. Die Erhaltungsmäßigkeit ist ein unlösbarer Be- standteil des Seinsproblems. Es ist kein anderes Pro- blem, daß ein Säugetier Kopf und Beine besitzt, als daß es überhaupt Säugetiere gibt. Sind Säugetiere, dann müssen sie erhaltungsmäßig sein, sonst könnten sie nicht sein. Selektion hat im Problem der Erhaltungsmäßig- keit wie im Seinsproblem nichts zu erklären. 7. Die nicht lebensnotwendigen Verwendungs- eignungen können einer Selektion nicht unterworfen sein. Die letztere merzt das unter bestimmten gegebenen Bedingungen Erhaltungsunfähige aus, innerhalb des eın- mal Erhaltungsfähigen aber kann sie nicht mehr aus- wählen. 8. Nachweisbar ist lediglich eine Auslese nach Er- haltungsunfähigkeit und Erhaltungsfähigkeit — eine Selbstverständlichkeit, die auf die Frage vom Werden beider Erscheinungen kein Licht wirft. Daß nur Erhal- tungsfähiges dableiben kann, erklärt nicht, woher das Erhaltungsfähige kommt. (Hinsichtlich der selektio- nistischen Meinung, das eine Spur besser Ausgestattete werde öfter ausgelesen, die schwach vorteilhaften Eigen- schaften würden vererbt, durch fernere Auslese erblich 1) Nach Kant (Kritik der Urteilskraft) ist der Begriff der „Zweckmäßig- keit“ lediglich eine Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur verfahren müssen, um mit dem Gebrauche unseres Verstandes’ eine zusammen- hängende Erfahrung zu erwerben. Wir schreiben damit der Natur weder ein Ge- setz vor, noch lernen wir eines von ihr. 352 F. Heikertinger, Das Scheinproblem von der Zweckmäßigkeit im Organischen. gesteigert, ist auf Oscar Hertwig’s ausführliche Dar- legungen zu verweisen.) 9. Der Selektionismus Darwin’scher Fassung, der die Artentstehung zu erklären strebt, ging spekulativ aus dem verfehlten Problem einer geforderten mechanisti- schen Erklärung der Ursachen der organischen „Zweck- mäßigkeit* hervor. Das Problem ist zweifach falsch gestellt: Fürs erste ist die Forderung nach einer Mecha- niıstik, die die unleugbar vorhandenen, unbekannten, inneren Wachstumsgesetze übersieht, unzulässig; fürs zweite sind die Ursachen der „Zweckmäßigkeit“ ein außerhalb des Gebietes der Erfahrungsforschung liegen- des, also metaphysisches Problem, dessen Wurzel im unlösbaren Problem der Ursachen des Seins überhaupt liegt. 10. Der Selektionismus Darwin’scher Fassung hat im Augenblicke der Ablehnung des mechanistischen Zweck- mäßıgkeits- und der Vorführung des unlösbaren Seins- problems sein Daseinsrecht bedingungslos verloren. * * * Versuchen wir, noch einen Schritt weiter gehend, das Aller- wesentlichste unserer Darlegungen in wenige Sätze zu pressen, so müßten die etwa lauten: Es ist kein anderes Problem, daß ein Organismus „zweck- mäßig“, d.h. erhaltungsmäßig ist. als daß er überhaupt da ist. Ein anderes Sein als ein erhaltungsmäßiges ist nicht denkbar. Das Erhaltungsmäßigkeitsproblem ist nur gemeinsam mit dem Seinsproblem zu lösen. Die Selektionshypothese hat die Lösung des Problems der niehtteleologischen Entstehung der „ZweckmäRßigkeiten“ (Funk- tionsgemäßheiten) zum Ziel. Da dieses Problem indes gar kein Problem für sich, sondern nur ein Teil des Seinsproblems der Organismen ist. da dieses letztere metaphysischer Natur ist. außerhalb der &renzen menschlicher Erkenntnis liegt. kann das Problem der Entstehung der Funktionsgemäßheiten gar kein Problem der exakten Naturforschung als Erfahrungsforschung sein und alle Versuche zu seiner Lösung — unter ihnen die Selektionshypothese — sind als in der Grundlage verfehlt ad acta zu legen. Wir halten diese Sätze für ein Prinzip von fundamentaler, in seinen Folgen unübersehbarer Tragweite. Es löst, wıe wir andern- orts an Einzelbeispielen darzulegen gedenken, den drückenden Alp der gesamten "biologischen arten R. Hertwig, Bemerkungen zu dem Aufsatz: Das Scheinproblem etc. 353 Bemerkungen zu dem voranstehenden Aufsatz: Das Scheinproblem von der Zweckmälsigkeit im Organischen. Von R. Hertwig, München. Den Aufsatz Heikertinger’s: Das Scheinproblem ete. möchte ich nieht zum Druck geben ohne zu einigen Punkten desselben Stellung zu nehmen; ich bin der Ansicht, daß der Verfasser in ihm Angriffe gegen die Selektionstheorie, ihre Urheber und ihre Anhänger richtet, welche den tatsächlichen Verhältnissen nicht ganz entsprechen. Wer die Auseinandersetzungen des Herrn Verfassers liest, muß den Eindruck gewinnen, als ob die Selektionstheorie zurzeit die herrschende Macht nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen, sondern auch in den Kreisen der Laien sei. Das ist eine Auffassung, die sich noch vor 20—30 Jahren hätte verteidigen lassen, die aber die derzeitige Sachlage nicht richtig wiedergibt. Wie in vielen theo- retischen Fragen so ist es auch mit dem Darwinismus gegangen. Auf eine Hochflut begeisterter Zustimmung ist in den letzten Jahr- zehnten eine wachsende Ernüchterung eingetreten. Seitdem die Galton’sche Lehre von der Erblichkeit der fluktuierenden Varia- bilität einerseits durch die Mutationstheorie, anderseits durch die moderne Variabilitätsforschung eine einschneidende Kritik erfahren hat, ıst das Zünglein der Wage in der entgegengesetzten Richtung ausgeschlagen. Fast möchte man sagen, daß es zurzeit in den Kreisen der Biologen zum guten Ton gehört, abfällig über die Selektionslehre zu sprechen und ihr für die Neubildung der Arten jegliche Bedeutung abzusprechen. Jedenfalls ist die Zahl der Bio- logen, für welche wie seinerzeit für Weismann die Lehre vom Kampf ums Dasein ein unantastbarer Glaubenssatz ist, zu einer verschwindenden Minderheit geworden. Auch die Auffassung, daß die Lehre vom Kampf ums Dasein aus- gedacht worden sei, um eine mechanistische Lösung des Zweckmäfßig- keitsproblems zu geben, entspricht wohl kaum den historischen Tat- sachen. Wie Darwin zur Aufstellung der Zuchtwahllehre gekommen ist, das ıst zur Genüge bekannt und von ihm ausführlich besprochen worden. Es waren keine theoretischen Spekulationen, sondern müh- same Einzelstudien, die ihn zu ihr führten. Durch seine reichen Erfahrungen über die Tierwelt eines großen Teils der Erdoberfläche wurden in ıhm Zweifel bezüglich der Konstanz der Arten wach- gerufen; so wurde er zum Studium der Variabilität geführt, wie sie sich ganz besonders bei den Haustieren und Kulturpflanzen offen- bart. Bei diesen Untersuchungen wurde er mit dem Verfahren der Pflauzen- und Tierzüchter bekannt, mit der künstlichen Zuchtwahl, die im weiteren Verlauf seiner Arbeiten ihn zur natürlichen Zucht- 354 NR. Hertwig, Bemerkungen zu dem Aufsatz: Das Scheinproblem ete. wahl führte. Ebenso ıst es bekannt, daß Wallace aus der Fülle der Beobachtungen lebender Tiere auf seiner malayischen Reise die Anregungen zu seinem historisch so bedeutsamen Aufsatz empfing, der seinerzeit Darwın veranlaßte, auch seinerseits zur Veröffent- lichung seiner Ansichten zu schreiten. Erst ım Lauf der durch das Werk „Über den Ursprung der Arten“ hervorgerufenen ERr- örterungen ist man darauf geführt worden — soweit ich mich ent- sinne, hat kein Geringerer als Helmholtz den Gedanken zuerst geäußert — daß in der Lehre vom Kampf ums Dasein ein Prinzip zur mechanistischen Erklärung der Zweckmäßigkeit gegeben sei. Die Selektionstheorie ıst somit nicht das Produkt philosophischer Erwägungen, sondern das Resultat empirischer Forschung; sie ıst nicht am „grünen Tisch“ entstanden, sondern aus der Fülle der Tatsachen herausgewachsen. Wohl aber muß zugegeben werden, daß die mechanistische Richtung, welche um dıe Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Naturwissenschaften die Oberhand gewann, nachdem die alte vitalistische Auffassung überwunden war, daß diese mechanistische Richtung in der Selektionslehre einen will- kommenen Bundesgenossen fand und ihrerseits zur Verbreitung der Theorie wesentlich beigetragen hat. Heikertinger sucht die Ansicht zu vertreten, daß die Er- klärung des Zweckmäßigen und demgemäß auch die von der Selek- tionstheorie angestrebte Erklärung der zweckmäßigen Anpassung außerhalb des Gebiets naturwissenschaftlicher Forschung falle und ın das Gebiet der Metaphysik gehöre. Mir ist diese Auffassung unverständlich; konstruiert sie doch einen prinzipiellen Unterschied zwischen künstlicher und natürlicher Zuchtwahl, welcher kaum zu rechtfertigen ist. Wie Darwin, so haben ın der Neuzeit Galton, de Vries, Johannsen u. A. dıe Methodik der Tier- und Pflanzen- züchter einer exakten Prüfung unterzogen, sie sind dabei zu erheb- lich anderen Resultaten gelangt als Darwin; sie kamen zu dem der Selektionstheorie ungünstigen Resultat, daß die Züchter Muta- tionen benutzen, erbliche Varianten, welche plötzlich entstanden sind, nachdem sie aber einmal entstanden sind, sich unverändert erhalten, wenigstens auf lange Zeit hinaus, während Darwın annahm, daß kleine erbliche Abänderungen in den folgenden Generationen eine allmähliche Steigerung erführen. Nach de Vries soll eine Kulturrasse gleich beim ersten Variabilitätsvorgang in allen ihren Merkmalen fertig gebildet sein, während nach Dar- wın sie erst allmählich durch die Kunst des Züchters durch Addierung kleinster Abänderungen ins Leben gerufen werde. Es ist nicht einzusehen, warum es nicht möglich sein sollte, Experi- mente, wie sie jede künstliche Züchtung darstellt, auch auf die ım Naturzustand lebenden Pflanzen und Tiere zu übertragen. In der Tat sind auch Experimente und genaue Analysen von Vorgängen, R. Hertwig, Bemerkungen zu dem Aufsatz: Das Scheinproblem ete. 355 die als Naturexperimente angesehen werden konnten, ausgeführt und damit die ersten Versuche zu einer exakten Untersuchung der Wirkung der natürlichen Zuchtwahl gemacht worden. Derartige Untersuchungen stoßen allerdings auf große Schwierigkeiten; vor allem sind große Geldmittel nötig, um Tiere und Pflanzen unter sonst natürlichen Bedingungen so zu züchten, daß sie unter der Einwirkung eines bestimmten veränderten Faktors gehalten werden. Aber ın neuerer Zeit sind so viele früher unmöglich erscheinende Untersuchungen durchgeführt worden, daß wir keine Veranlassung haben, eine einseitige Beeinflussung von Tieren und Pflanzen, welche im übrigen im Naturzustand leben, für unausführbar zu halten. Eine jede Überführung von Pflanzen und Tieren in ein neues Wohn- gebiet von abweichender, genau studierter Beschaffenheit würde ein solches Experiment sein. Bei seiner Polemik gegen die Selektionslehre hat Heiker- tinger ferner zwei Begriffe eingeführt, deren Unterscheidung er große Bedeutung beimißt, den Begriff der „Erhaltungsnotwendig- keit“ und der „fakultativen Funktionsgemäßheit“. Im ersteren Fall soll es sich um Lebensbedingungen vitaler Natur handeln, von deren Erfüllung die Existenz oder Nicht-Existenz einer Art geradezu ab- hängt, im zweiten Fall um Bedingungen, welche die Entwicklung der Art begünstigen. Wie es mir scheint, will der Verfasser selbst mit dieser Unterscheidung keine absoluten Unterschiede machen, indem er betont, daß sie nur in der Theorie voneinander sicher trennbar sind, daß „innere Gründe zur Scheidung dieser Begriffe nicht bestehen“. Gleichwohl mißt er ihnen bei seinen Auseinander- setzungen absoluten Wert bei. Als Erhaltungsnotwendigkeiten be- zeichnet er das Blutgefäßsystem, das Nervensystem, den Mund der Säugetiere, hochkomplizierte Organisationen, die jeder Anhänger der" Abstammungslehre, zu der auch Heikertinger sich bekennt, als das Endresultat einer ungeheuer langen phylogenetischen Ent- wicklung betrachtet. Daß solche Charaktere für die selektionistischen Fragen gar nicht in Betracht kommen und bei der Erörterung des Problems ohne weiteres ausscheiden, ist so selbstverständlich, daß es keiner Auseinandersetzungen bedarf. Die Bedeutung der fakul- tativen Funktionsgemäßheit für die Selektion schaltet Heikertinger mit dem von ihm besonders unterstrichenen Satz aus: „Nie dürfen wir einer Eigenschaft, die nicht nachweislich lebensnotwendig ist, die nicht ausgeschaltet nachweislich unvermeidlich den Tod bewirkt, irgendwelchen Selektionswert zuschreiben.“ Der Fehler, den hier Heikertinger macht, besteht darin, daß er den Leser vor ein „Entweder — Oder“ stellt, welches den in der Natur vorhandenen Bedingungen nicht entspricht. Hier gehen Er- haltungsnotwendigkeit und fakultative Funktionsgemäßheit je nach der mannigfach abgestuften Beschaffenheit der Individuen einer Art 356 NR. Hertwig, Bemerkungen zu dem Aufsatz: Das Scheinproblem ete. und nach den lokal und temporär ebenfalls abgestuften äußeren lebensbedingungen ineinander über. Ein schönes Beispiel hierfür ist das Verhalten der einer und derselben Art angehörigen Orga- nısmen Infektionskrankheiten gegenüber. Viele Menschen sind einer bestimmten Infektionskrankheit gegenüber immun, andere erkranken an ıhr tödlich, dritte in mehr oder minder gefährlicher Weise. Was im einzelnen Fall eintritt, wird zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten in verschiedener Weise zum Austrag kommen, da sowohl die Konstitution der einzelnen Menschen, als auch die Bösartigkeit der Epidemie nach zeitlichen und lokalen Verhältnissen schwankt. Darwin hat über diese Fragen, über das ungeheuer verwickelte Gewebe der Liebensbedingungen, welche über die Exi- stenzmöglichkeiten der Varianten entscheiden, und über den Wechsel derselben ganz vortrefllich geschrieben. Ich möchte dies ganz be- sonders hervorheben, um auch nicht den Schein aufkommen zu lassen, als ob er über diese schwierigen Verhältnisse leicht hinweg- gegangen wäre. Bei der Hochflut unserer wissenschaftlichen Lite- ratur ist es ja der jüngeren Generation nicht immer möglich, auf die Darwin’schen Schriften selbst zurückzugreifen und sich ein Urteil zu bilden. Nach meiner Ansicht ist es ein vergebliches Beginnen, in Ab- rede stellen zu wollen, daß der Kampf ums Dasein in der Natur ein ganz gewaltiger Faktor ist. Die Frage, um die es sich bei seiner Benutzung zur kausalen Begründung der Deszendenztheorie handelt und über die allein gestritten werden kann, verlangt eine ganz andere Formulierung: sie lautet, ob die natürliche Auslese eine sich über viele Generationen ausdehnende, kumulierende ver- ändernde Wirkung ausüben kann, wie sie Darwin angenommen hat und wie sie angenommen werden muß, wenn man mit ihrer Hilfe die Bildung neuer Arten und deren im wesentlichen wunder- volle Anpassung an ihre Lebensbedingungen erklären wıll. Diese kumulierende Wirkung setzt Erblichkeit der das Selektionsobjekt bildenden Varianten voraus, setzt ferner voraus, daß diese erblichen Varianten, oder wie man jetzt sie bezeichnet, kleinen Mutanten in genügender Zahl vorhanden sind, so daß unter unbrauchbarem, weil ungeeignetem Material auch vorteilhafte Eigenschaften sich zur Auslese bieten. Das scheint ja in der Tat der Fall zu sein. Die neueren Untersuchungen haben in vielen Fällen ergeben, daß es bei varıabelen Arten ganz geringfügige, in großer Zahl vorhandene Mutanten gibt, nicht nur die erheblichen sprungweisen Abände- rungen, welche Darwın „single Variations“ genannt hat und die äußerst selten beobachtet werden. Aber auch diese Forderung ge- nügt nicht, um die Selektionstheorie zu begründen. Es wäre weiter notwendig, daß die anfänglich geringfügige Mutante ım Lauf vieler (renerationen eine Steigerung erfährt und dadurch die Mutanten R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. 357 sich zu gut charakterisierten Arten entwickeln. Das setzt eine gleichsinnige Variationstendenz voraus, welche sich über viele Gene- rationen erstreckt. Damit sind wir an dem Punkt angelangt, wo die moderne Erblichkeits- und Variationsforschung für die Kritik der Selektionstheorie ihre große Bedeutung gewonnen haben. Die Vertreter derselben sind im allgemeinen durch ihre Untersuchungen dahin geführt worden, die Selektionstheorie abzulehnen. Mir will es verfrüht erscheinen, jetzt schon, wo wir erst am Anfang einer neuen Forschungsrichtung stehen, ein abschließendes Urteil abzu- geben. Wie sehr Vorsicht geboten ist, hat uns der Entwicklungs- gang der Mutationstheorie gelehrt, in deren Verlauf der Begriff der Mutation doch eine erhebliche Modifikation erfahren hat. Immerhin scheint mir durch die neuen Methoden der Untersuchung ein Weg geschaffen zu sein, auf dem man über die artumbildende Bedeutung des Kampfes ums Dasein sicherere Unterlagen gewinnen kann, während ich mir von theoretischen Erörterungen keine Förderung erwarte. Die moderne Ameisenpsychologie — ein anthro- pomorphistischer Irrtum? Erwiderung auf H. Henning’s Ausführungen über die Geruchs- reaktionen der Ameisen in seiner Monographie „Der Geruch“, Leipzig 1916. Von Dr. med. Rud. Brun, Zürich. Die Lehre von den psychischen Fähigkeiten der Insekten, be- sonders der sozialen Hymenopteren (Ameisen, Bienen, Wespen) hat bekanntlich eine Reihe von Schwankungen durchgemacht, die sich vom naivsten Anthropomorphismus bis zum gänzlichen Nihilismus, d. h. bis zur Abläugnung aller „psychischen Qualitäten“ bewegten. Die erstgenannte Betrachtungsweise ist von den Vertretern der wissenschaftlichen Insektenkunde wohl niemals ernst genommen worden und dürfte daher nur bei Laien Anklang gefunden haben. Eher schon hatte die ernste Forschung sich mit dem zweiten Extrem zu befassen, da diese Richtung seinerzeit von namhaften Physio- logen mit allem Scheine wissenschaftlicher Gründlichkeit vertreten wurde, — am konsequentesten wohl von Albrecht Bethe, der in seiner bekannten Arbeit einfach alle, auch die verwickeltsten Er- scheinungen des Ameisen- und Bienenlebens rundweg als Äuße- rungen blinder Reflextätigkeit erklärte. Da die Bethe’schen Schluß- folgerungen sich teilweise auf recht hübsche und originelle Versuche stützten, vermochten sie die öffentliche Meinung in foro biologico wohl anfänglich zu blenden oder doch zu verblüffen; — allein nach- dem dann die Argumente Bethe’s von gründlichen Kennern der 37. Band 25 358 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. Ameisen und Bienen unter die kritische Lupe genommen und der Reihe nach als grobe, auf ganz ungenügender Kenntnis der Bio- logie dieser Tiere sowie der Literatur beruhende Irrtümer widerlegt worden waren, da verlor auch die „Reflextheorie‘ sehr bald wieder jenen Nimbus der Wissenschaftlichkeit, der ihr eine Zeitlang ange- haftet hatte und geriet allmählich in Vergessenheit. Seit jenem denkwürdigen Streit (der jazum Teil auch in diesem Zentralblatte ausgefochten wurde) hat namentlich die Ameisen- psychologie bedeutende Fortschritte gemacht und ist nach mehr- fachen Richtungen erfolgreich ausgebaut worden: Indem mit dem Auftauchen zahlreicher neuer, vor 10 Jahren noch kaum geahnter Probleme sich auch die experimentelle Technik zusehends ver- feinerte, ist es gelungen, die Struktur der Ameisenpsyche mehr und mehr in ıhrer ganzen relativen Kompliziertheit zu erfassen und zu einer planmäßigen Analyse derselben fortzuschreiten. So ıst dieser Zweig der experimentellen Biologie heute zu einer eigent- lichen Spezialwissenschaft emporgewachsen, deren Beherrschung nicht nur die Vertiefung in eine umfangreiche Literatur, sondern vor allem auch eine gründliche Vertrautheit mit den verwickelten Lebensgewohnheiten dieser Insekten aus langjähriger eigener Er- fahrung zur Voraussetzung hat. Man hätte daher denken sollen, daß ein Versuch, zu den An- schauungen Bethe’s zurückzukehren, auf diesem Gebiete kaum je wieder unternommen würde. Dennoch ist dieser Versuch kürzlich gemacht worden, und zwar blieb es diesmal einem Psychologen, nämlich dem Frankfurter Privatdozenten Dr. Hans Henning vor- behalten, auf dem Ödlande Bethe’scher Reflexphysiologie nach neuen Lorbeeren zu grasen: In einer umfangreichen Monographie über den Geruch!) behandelt nämlich Herr Henning auf ungefähr 40 Druckseiten anhangsweise auch die Geruchsreaktionen und die psychische „Reaktionsstruktur* der Ameisen und kommt dabei auf Grund einiger eigener (übrigens größtenteils nicht neuer) Versuche bezüglich der psychischen Fähigkeiten dieser Insekten zu ganz ähn- lich negativen Ergebnissen, wie sie seinerzeit Bethe formuliert hatte: Seine Beobachtungen hätten ihn zu der Ansicht gedrängt, „daß die Reaktionen der Ameisen in der Literatur nicht zutreffend geschildert würden“. Ein Mitteilungsvermögen der Ameisen exi- stiere nicht. Die räumliche Orientierung dieser Tiere beruhe, ‚wie ihr gegenseitiges Erkennen, im wesentlichen auf einer positiven Reaktion auf Ameisensäure; beide Vorgänge seien „peripherer‘, nicht zentraler Natur. Überhaupt sei die Ameise völlig einseitig 1) Henning, Hans, Der Geruch. — Leipzig (J. A. Barth) 1916. Anhang 1: Künstliche Geruchsfährte und Reaktionsstruktur der Ameise (S. 455—496). — Henning, H., Künstliche Geruchsspuren bei Ameisen. — Naturw. Wochenschr. 15, Nr. 52, S. 744, 1916. R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie ete. 359 an ganz bestimmte „Bereichsbedingungen“ angepaßt und gänzlich unfähig, auf neuartige, innerhalb dieses ihres physiologischen Be- reiches nicht vorgesehene Situationen mit einer zweckmäßig abge- änderten Reaktion zu antworten, m. a. W. also: aus Erfahrung zu lernen. Sie „erlebe‘‘ ferner weder Empfindungen noch Wahr- nehmungen und besitze somit auch kein Assoziationsvermögen und kein Gedächtnis („Ich konnte die Mneme beim Tiere nicht vor- finden“ [!]); — ja, sogar die angeblichen „sozialen Instinkte‘“ der Ameisen seien bei näherem Zusehen weiter nichts als unmittelbare „periphere“ Reizbeantwortungen! Das sind, kurz zusammengefaßt, Henning’s Ansichten über das psychische Leben der Ameisen, — wie man sieht, im wesent- lichen eine ziemlich unveränderte Neuauflage der Bethe’schen Reflextheorie. In einer Beziehung aber läßt Herr Henning selbst seinen Vorläufer Bethe weit hinter sich, nämlich in der Art und Weise, wie er seine Gegner zu behandeln beliebt und wie er sich über die gesicherten Ergebnisse hundertjähriger Forschungsarbeit hinwegsetzt: So, wenn er beispielsweise Forscher wie Forel (und die Anhänger der Semon’schen Mnemelehre überhaupt) kurzweg als. „naive Anthropomorphisten“ hinstellt oder gar die exakten Ex- perimente dieser Autoren einfach als „unsaubere Arbeit“ verdäch- tigt, während er selbst sowohl bei seinen Versuchsanordnungen als in seinen Urteilen durchweg eine Kritiklosigkeit an den Tag legt, die um so erstaunlicher ist, als er im übrigen mit dem ganzen Rüstzeug scheinbarer Sachkenntnis zu Werke geht und z. B. die betreffende Literatur in zahlreichen Fußnoten ziemlich vollständig anführt. Dieser letztere Umstand ist es auch vor allem, der mich veranlaßte, den Ausführungen Henning’s an dieser Stelle entgegen- zutreten (denn in sachlicher Hinsicht würde sich eine Entgegnung wohl kaum lohnen): Mußte ich mir doch sagen, daß seine Arbeit eben wegen ihrer äußerlichen Wissenschaftlichkeit in Kreisen myrme- kologischer Laien, zumal von den Fachkollegen des Autors, mög- licherweise doch ernst genommen werden und so zu einer neuen Verwirrung der Geister führen könnte. Natürlich kann es nicht meine Aufgabe sein, die zahllosen Fehlschlüsse und Irrtümer Hen- ning’s hier im einzelnen zu widerlegen, — denn dazu müßte ich ein Kompendium der Ameisenpsychologie schreiben —; vielmehr dürfte es für den gegenwärtigen Zweck genügen, die wesentlichsten Gedankengänge des Verfassers einer kurzen Kritik zu unterziehen und seine Arbeitsmethoden an einigen typischen Beispielen zu er- läutern. T Beginnen wir mit dem Orientierungsproblem, dem auch Herr Henning in seiner Arbeit am meisten Aufmerksamkeit ge- OIAF 279] 360 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. schenkt hat. Wie seinerzeit Bethe, so begeht aber auch er den großen Fehler, daß er von vornherein nur die geruchliche Seite dieses Problems ins Auge faßt und die übrigen Komponenten der Fernorientierung der Ameisen außer acht läßt: Er erwähnt zwar allerdings in seiner Einleitung u. a. auch ganz beiläufig die Licht- versuche von Forel, Lubbock, Wasmann, Santschi, Brun, doch hält er es ım folgenden nicht mehr für nötig, sich mit den durch die Entdeckungen dieser Autoren eröffneten neuen Frage- stellungen irgendwie auseinanderzusetzen und schließt seinen ein- leitenden „kritischen Überblick“ mit der Behauptung, „daß optische Faktoren der Ameise zwar unter Umständen in Kleinigkeiten weiterhelfen, daß aber eine durchgehende optische Erklärung sowohl die Fährte als den Kern der Orientierung unbesprochen lasse.“ Nun dürfte es aber Herrn Henning bekannt sein, daß gerade die von ihm genannten Forscher von jeher für die komplexe Natur des Orientierungsvorganges bei den Ameisen eingetreten sind; es ist somit auch eine Ungereimtheit, von einem „Kern der Orien- tierung“* zu sprechen und der Vorwurf Henning’s, ein „durch- gehendes Erklärungsprinzip“ für diesen Vorgang in Anspruch ge- nommen zu haben, kann also nur auf ıhn selbst zurückfallen. Wie einseitig Henning — trotz wiederholter Versicherung des Gegenteils — nur die Geruchskomponente der Raumorientierung der Ameisen berücksichtigt, geht ferner aus seinen Bemerkungen zum Bonnet’schen Spurunterbrechungsversuch hervor. Es war ihm nicht entgangen, daß dieser Versuch gerade bei der Art, mit welcher er experimentierte, nämlich bei Formica rufa, meist gänz- lich versagt. Allein diese Tatsache macht ihm weiter kein Kopf- zerbrechen, denn, so sagt er sich, die Waldameise verbreite einen so intensiven Ameisensäuregeruch, daß dieser durch bloßes Abwischen des Bodens nicht völlig ausgetilgt werden könne: „Auf diesem Irr- tum aufbauend wurde die Raumorientierung der Ameise immer mehr ihrem Gesichtssinn zur Last gelegt.‘‘ — Herr Henning scheint somit anzunehmen, daß die Lehre von der optischen Orientierung der Ameisen auf das Versagen des Bonnet’schen Versuches beı F. rufa gegründet sei. Er vergißt also (für den Augenblick wenigstens) nicht allein jene unmittelbar nachher von ıhm selbst erwähnten Lichtversuche, sondern er vergißt vor allem auch jene große Reihe positiver Tatsachen, durch welche einwandfrei bewiesen wird, daß zahlreiche Arten in vielen Fällen überhaupt nicht auf Geruchsspuren gehen, wie das nament- lich für die sogenannten Einzelreisen zutrifft, deren Gesetze in neuerer Zeit bekanntlich von Cornetz eingehend studiert worden sind. Daß Herr Henning diese hochwichtige Tatsache, durch deren Entdeckung das Orientierungsproblem bei den Ameisen auf eine ganz neue Basıs gestellt wurde, in seiner Arbeit über- R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. 361 » PSy 8 haupt mit keinem Worte erwähnt, zeigt deutlich, wie wenig tief er in die hier vorliegenden Schwierigkeiten einge- drungen ist. Nicht viel besser steht es mit seiner Kritik des Richtungs- problems auf Geruchsspuren: Die Art, wie der Verfasser hier beispielsweise mit meinen Experimenten umspringt, beweist zum mindesten, daß er dieselben zum größten Teil mißverstanden hat, denn von meinen sechs Hauptergebnissen zitiert er nicht weniger als vier falschh um sodann mit überlegener Gebärda diesen angeblichen „Tatsachen“ seine „Erklärung“ in Klammern beizufügen! Es würde zu weit führen, wenn ich versuchen wollte, die hierdurch natürlich bewirkte hoffnungslose Verwirrung im einzelnen klar zu stellen; da aber dieser Teil der Henning’- schen Ausführungen für seine ganze Arbeitsweise sehr bezeichnend ist, so möchte ich mir erlauben, hier wenigstens auf einen Haupt- punkt ganz kurz einzugehen: Ich soll nämlich unter anderem ge- funden haben, daß larventragende Ameisen sich um Vertauschungen von Teilstücken der Fährte nicht kümmern. In Wirklichkeit sage ich aber an der von Henning angeführten Stelle?) (Alinea 1) etwas ganz anderes, nämlich, daß meine Ameisen auf der sogenannten „Larvenspur“ (d. h. auf einer Fährte, über welche längere Zeit Brut getragen wurde) Drehungen und Vertauschungen von Teil- abschnitten der Fährte nicht mehr wahrzunehmen vermögen, daß also, m. a. W., das Bethe’sche Spurdrehungsphänomen auf solchen Brutfährten, im Gegensatz zur „Futterfährte‘“‘, vollständig negativ ist. Und zwar für alle Ameisen, ganz gleichgültig, ob sie zu- fällig leer gehen oder eine Larve tragen! Diese Entdeckung bil- dete aber den Ausgangspunkt nicht allein meiner ganzen Analyse des Bethe’schen Phänomens, sondern im weiteren auch meiner experimentellen Prüfung der Forel’schen Theorie, deren Ergebnisse ich 1916 in diesem Zentralblatte veröffentlicht habe. Wenn nun Herr Henning schon dieses Grundergebnis meiner Studien miß- verstanden hat, so mag man hieraus ermessen, wie es erst mit seinem Verständnis der übrigen, ungleich schwierigeren Probleme der Geruchsorientierung bestellt sein mag. Ich gebe zu, daß meine Ausführungen nicht immer leicht zu lesen sind; — das liegt aber nicht an mir, sondern an der Kompliziertheit der tatsächlichen Ver- hältnisse, welche eine gründliche Vertiefung in den Gegenstand er- fordern. Da aber Herr Henning, wie wir noch sehen werden, von der vorgefaßten Meinung einer einfachen Reaktionsstruktur der Ameise ausging, so mochte er freilich wenig Bedürfnis empfinden, sich zuvor erst einmal mit den hier vorliegenden verwickelten Fragestellungen vertraut zu machen. So ist es auch nicht ver- 2) Die Raumorientierung der Ameisen. — Jena 1914. (S. 101.) 362 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. wunderlich, wenn er meinen Versuchsanordnungen völlig verständ- nıslos gegenübersteht und dieselben kurzweg als ein „Herumkünsteln an der Larvenspur‘“ bezeichnet. Noch schlechter kommt bei Henning die Forel’sche Theorie des topochemischen Geruchssinnes weg; — sie wird, wie die sonstigen Ansichten dieses Autors über das psychische Leben der sozialen Hymenopteren, einfach mit dem Schlagworte „naiver Anthropomor- phismus“ abgetan: Da nämlich seiner Ansicht nach zentrale asso- ziative Vorgänge bei Insekten überhaupt nicht vorkommen, eine topochemische Formdifferenzierung im Sinne Forel’s aber ein solcher zentraler Akt sei, so könne auch etwas dergleichen bei den Ameisen nicht existieren. Von der mächtigen Entwicklung einer vierfach gewundenen Assoziationsrinde (in Gestalt der Dujardin’schen Corpora pedunculata) im Gehirn dieser Insekten scheint Herr Hen- ning somit nichts zu wissen; — dafür glaubt er, Forel, den großen Hirnforscher und Psychiater über den Unterschied zwischen zentralen und „peripheren‘‘ Vorgängen belehren zu müssen! Allein er geht noch weiter: Er leugnet sogar den peripheren Vorgang: Eine ständige Kontaktnehmung der Tiere mit der nächsten Umgebung habe er nicht beobachten können! Sehr begreiflich!, denn seine Beobachtungen beziehen sich ja ausschließlich auf Formica rufa (und ihre Rasse pratensis), welche bekanntermaßen hinsichtlich ihrer räumlichen Orientierung vorwiegend Gesichtstiere sind und als solche, wie Forel zuerst zeigte, sogar die größte Mühe haben, ihre Straße ausschließlich mit Hilfe der Antennen zu verfolgen. Es war daher auch eine recht unglückliche Idee Henning’s, gerade diese Art zu Versuchenüber Geruchsorientierung zu wählen; — hätte er beispielsweise mit Lasius fuliginosus experimentiert, so wäre er wohl zu wesentlich anderen Ergebnissen gelangt. So aber sind natürlich seine Einwände gegen den topochemischen Geruchssinn von vornherein gegenstandslos. Daß übrigens Herr Hen- ning in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse meiner letzten Arbeit (dieses Zentralblatt 1916) mit keinem Worte eingeht, ist um so auffallender, als er diese nämliche Arbeit an anderer Stelle ın einer Fußnote ausdrücklich zitiert. In derselben habe ich nämlich die Forel’sche Lehre mit Hilfe einer neuen physiologisch exakten Versuchsanordnung peinlich genau nachgeprüft und ın allen Einzel- heiten bestätigt. Doch sehen wir uns nun die Henning’schen Experimente an. Dieselben bestanden im wesentlichen darin, daß er durch Aufpinseln wässeriger Ameisensäure- oder Formaldehydlösungen an Baum- stämmen „künstliche Geruchsfährten“ zu erzeugen suchte. Er ließ beispielsweise an dem Baume, an welchem die Ameisen auf- und ab- stiegen, einen Formaldehydstrich von der Heerstraße schräg nach oben abzweigen. Die Folge war, daß in der Tat regelmäßig eine große Zahl R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. 365 der leer von unten aufsteigenden Tiere auf diese „künstliche Fährte‘ abgelenkt wurden, ja, sie stürzten sich sogar mit einer gewissen Gier auf den noch feuchten Strich und begingen denselben eifrig bis zu seinem blinden Ende, worauf sie, nachdem sie eine Zeitlang vergeblich nach einer Fortsetzung gesucht hatten, wieder umkehrten. Ließ Henning aber den Strich schräg von oben nach unten abzweigen, so wurde er (bezeichnenderweise!) nur von leergehenden Ameisen begangen, während Individuen, die von oben mit Beute beladen kamen, an der Gabelungsstelle regelmäßig zurückfuhren oder sich sogar wie vor Schreck fallen ließen. Und nun zieht Henning folgenden Schluß: Wenn die Ameisen sich durch Striche aus künstlicher Ameisensäure oder Derivaten derselben in so grober Weise täuschen lassen, daß sie dieselben gleich ihren natürlichen Heerstraßen begehen, so ist anzunehmen, daß auch die natürliche Ameisenspur aus weiter nichts als Ameisen- säure besteht. Die Orientierung der Ameise beruht also im wesent- lichen auf einer positiven Geruchsreaktion auf Ameisensäure und erklärt sich somit sehr einfach als ein rein „peripherer“ (sollte wohl heißen: reflektorischer!) Vorgang, ohne Inanspruchnahme irgendwelcher assoziativ-mnemischer Fähigkeiten. Da Henning ferner in anderen Versuchen gefunden hatte, daß (bei F\. rufa) zur Bildung einer natürlichen Fährte auf Papier der Übergang von durchschnittlich 66 Ameisen notwendig ist, während eine feine menschliche Nase schon nach 10— 12 Überquerungen deutlich Ameisen- säure riechen soll, so schließt er weiter, daß die Ameise für ıhr eigenes, spurbildendes Sekretionsprodukt sogar eine höhere Reiz- schwelle als der Mensch besitze!; — eine scheinbar paradoxe Ein- richtung, die aber biologisch deshalb notwendig sei, damit nicht jeder zufällige Irrweg einzelner Individuen zu einer zwecklos be- gangenen Heerstraße werde. Man wird zugeben müssen, daß die Geruchsorientierung der Ameisen schwerlich auf eine noch einfachere Formel gebracht werden könnte; — die Frage ist nur, ob die Deutung, die Henning seinen Beobachtungen gibt, einer strengeren Kritik standzuhalten vermag. Meines Erachtens geht aber aus denselben doch wirklich nur so viel hervor, daß Ameisensäure (und deren Derivate) auf F. rufa eine gewisse Anziehungskraft ausübt, nicht aber, daß die Ameisen die Henning’schen Formaldehydstriche für natürliche Fährten hielten. Gegen eine $olche Deutung spricht ja allein schon der von Herrn Henning selbst hervorgehobene Umstand, daß beladene Individuen die angebliche ‚künstliche Fährte‘“ niemals begehen wollten, sondern im Gegenteil vor der- selben erschrocken zurückwichen; — sie merkten also doch wohl einen sehr deutlichen Unterschied! Da nun beladene Ameisen ım freien Gebrauch ihrer Antennen stark behindert sind und daher 364 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. auf feinere Geruchsunterschiede eher schwächer reagieren als leer- gehende Tiere, so folgt hieraus a fortioriı, daß die letzteren das fragliche Unterscheidungsvermögen in noch viel höherem Grade besitzen mußten; — wenn diese also den Henning’schen Formal- dehydstrich trotzdem begingen, so konnte das unmöglich daran liegen, daß sıe denselben für eine natürliche Spur hielten. Daß der Geruch der Ameisensäure auf Ameisen eine anziehende, unter Umständen sogar rauschartig erregende und insbesondere den Kampf- ıinstinkt anfachende Wirkung ausübt, ist eine jedem Ameisenforscher längst bekannte Tatsache: Man braucht nur, um sich hiervon zu überzeugen, in der Nähe einer Ameisenstraße einige Tiere mit einem Stein zu zerquetschen, so wird man sehen, wie sofort zahl- reiche Genossen von allen Seiten mit erhobenen Antennen witternd nach der Unglücksstätte herbeieilen. Andererseits ist es richtig, daß viele Ameisen ihre Spur aktıv mit Hilfe eines dem After (oder genauer gesagt: der Kloakenspalte) entstammenden Sekretes markieren (Santschı) und Henning glaubt dies auch für F. rufa bestätigen zu können. Ob aber dieses Sekret gerade aus Ameisensäure besteht, ist eine andere Frage; nach Santschi würde es sich eher um ein Produkt der Analdrüsen handeln. Aber selbst wenn dem so wäre, d. h. wenn wirklich das solide „Grundgerüst‘“ der Ameisenspur durch Ameisensäure gebildet würde, so steht andererseits doch nıcht minder fest, daß die Ameisen auf ıhren Fährten neben diesem Grundgerüst noch eine ganze Reihe anderer Geruchswahrnehmungen machen: So sind sie z. B. (auf Futterfährten) zweifellos imstande, die beiden Richtungen der Spur (nach welcher Seite es zum Nest, nach welcher es zum Futter geht) unmittelbar durch den Geruchssinn zu unterscheiden ?), — eine Tatsache, die mit der von Henning behaupteten Homogenität der Ameisenspur in direktem Widerspruch steht. Übrigens scheint ja Herr Henning selbst diese Tatsache, sowie meine Deutung der- selben, anläßlich der Besprechung meiner Experimente ohne weiteres zuzugeben; — um so unverständlicher ist es mir aber, wie er wenige Seiten später dieses nämliche Faktum mit folgenden Worten wieder ın Abrede stellen kann: „Demnach muß ich es als hinfällig be- zeichnen, daß die Ameise ihre Spur der Richtung nach (etwa positiv oder negativ polarisiert, oder nach zu- resp. abnehmendem Nest- und Futtergeruch unterschieden) kennt.“ Um aber die Verwirrung voll zu machen, hebt er diese Aussage gleich im nächsten Satze durch die folgende Einschränkung wieder auf: „Wird die Mit- 3) Bekanntlich ist mir 1914 der Nachweis gelungen, daß dieses sogenannte Bethe’sche Phänomen (das Stutzen der Ameisen vor einem um 180° gedrehten Teilstück der Spur) nur auf Honigfährten positiv ist und auf einem quantitativen Intensitätsgefälle des Honig- bezw. Nestgeruches auf der Fährte beruht. R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. 365 wirkung visueller Faktoren ausgeschaltet, so vermag die Ameise nur auf solchen Fährten Fehlgänge zu vermeiden, deren Geruchs- konzentration vom Neste nach außen kontinuierlich abnimmt.“ — Welcher dieser beiden Sätze soll nun eigentlich gelten? Aber wahrscheinlich hat sich Herr Henning hier nur unklar ausge- drückt: Er wollte vermutlich nur so viel sagen, daß die von ihm untersuchte Art (F. rufa) nach Ausschaltung allfällıger visueller Richtungszeichen nicht ımstande sei, auf ihren Heerstraßen die relativen Richtungen zu unterscheiden. Nach Henning ist es nämlich ein leichtes, die visuelle Orien- tierung sogar unter natürlichen Verhältnissen im Freien ohne äußere Eingriffe auszuschließen: Man brauche zu diesem Zwecke nur ein Nest zu wählen, das, wie so häufig, an einem Waldrande gelegen ist und nach links und rechts je eine Heerstraße in entgegengesetzter Richtung entsendet. Denn unter solchen Bedingungen, meint er, seien die Gesichtsbilder, die die wandernde Ameise auf jeder dieser Straßen von den dahinter stehenden Bäumen gewinnen müsse, jederseits ganz ähnliche, so daß die Tiere zur Bestimmung der Richtung ausschließlich auf den Geruchssinn angewiesen seien. Und nun macht Herr Henning — offenbar ohne eine Ahnung von seinem Plagiat zu haben! — zum Beweise jener angeblichen Un- fähigkeit ganz einfach das — Pi6ron’sche Transportexperiment, d.h. er versetzt Ameisen, die auf der Straße a nestwärts wandern, rasch auf die Straße b. Was geschieht? Die Tiere laufen natür- lich alle — in virtueller Liehtorientierung weiter und be- weisen eben durch diese Reaktion, daß ihre optische Orientierung durch die naive Versuchsanordnung Henning’s nicht im geringsten „ausgeschaltet“ war! Wie Herr Henning trotz seiner scheinbar so ausgebreiteten Literaturkenntnis diesen hochwichtigen Orien- tierungsfaktor übersehen konnte, ist mir schlechterdings ein Rätsel, — die Tatsache, daß er es tat, ist aber wieder ein Beispiel für die Urteilslosigkeit, mit welcher der Autor an die Diskussion der ver- wickelten Probleme der Ameisenpsychologie herantrat. — Daß Herr Henning übrigens auch darin im Irrtum ist, wenn er sich einbildet, durch seise Versuchsanordnung wenigstens die differen- zierte visuelle Orientierung seiner Ameisen (nach den Gesichts- bildern der nebenstehenden Bäume) ausgeschaltet zu haben, sei hier nur nebenbei erwähnt; denn es bedarf doch keines besonderen Scharfsinns, um einzusehen, daß diese Sinneseindrücke gerade infolge ihrer gleichartigen Beschaffenheit und sinnlichen Lokalisation die Ameisen auf der Straße b in ganz ähnlicher Weise wie der „Lichtkompaß“ täuschen und somit ebenfalls im Sinne einer Beibehaltung der früheren Reiserichtung, unter Ver- nachlässigung allfälliger olfaktorischer Richtungszeichen, wirken müssen. M. a. W.: Anstatt die optische Orientierung ausgeschaltet 366 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie ete. zu haben, hat Herr Henning dieselbe durch seine Versuchsanord- nung (Schaffung gleichsinniger Gesichtseindrücke für beide Straßen) ım Gegenteil noch verstärkt! Es gibt indessen in der Tat ein Mittel, um die visuelle Orientierung (auch den Lichtkompaß) ohne äußeren Eingriff mit absoluter Zuver- lässigkeit auszuschalten und dieses Mittel besteht in der Schaffung eines optischen Orientierungsdilemmas, wie ich es in meiner Versuchs- anordnung der bipolaren Beleuchtung in der Dunkelkammer verwirklicht habe. Allerdings — so einfach wie Herr Henning will, ist die Sache nicht zu bewerkstelligen und ohne die von ıhm so geringschätzig behandelten „Zimmerversuche“ wird es dabeı kaum abgehen. Das Prinzip besteht nämlich darın, daß man durch Anbringung zweier Lichtquellen zu beiden Seiten der Straße spiegelbildlich symmetrische Lichteindrücke erzeugt: Dann ist die Orientierung jeder vom Zentrum dieses Systems abgehenden Ameise hinsichtlich dieser Lichteindrücke offenbar zweideutig determiniert, m. a. W., die Tierchen werden jetzt — aber erst jetzt — zur Bestimmung der relativen Richtungen ihrer Fährte in der Tat ausschließlich nur noch auf den Geruchssinn angewiesen sein. — Alle diese Dinge habe ich in meinen von Herrn Henning zitierten Arbeiten eingehend erörtert. IUE Noch viel schwächer als seine Experimente zum Orientierungs- problem sind die Ausführungen des Verfassers über das gegen- seitige Erkennen der Ameisen; — sie laufen im wesent- lichen auf eine Wiederholung der alten Bethe’schen Badeexperi- mente hinaus, nur mit dem Unterschiede, daß Henning seine Ameisen nicht im Blute zerquetschter fremder Ameisen badete,. sondern daß er sie mit stark duftenden chemischen Substanzen (ätherischen Ölen u. dgl.) einpinselte. Der Erfolg ist aber natürlich ein ganz ähnlicher: Die Tiere, deren Eigengeruch durch die fremde Essenz mehr oder minder maskiert wird, werden von ihren früheren Koloniegenossen entweder gemieden oder feindlich angegriffen, während zwei mit dem gleichen Riechstoff behandelte Ameisen ver- schiedener Kolonien sich (zunächst wenigstens!) nichts tun, sich also ähnlich verhalten, wie Individuen, die der Antennen beraubt wurden. Und nun ist Herrn Henning alles klar: Er hat entdeckt, daß die Staatenbildung der Ameisen „eine Angelegenheit der An- tenne‘ sei, — denn: „Durch Amputation der Antennen, durch Über- tönen des Ameisensäuregeruches mit anderen Gerüchen, durch künst- liche Beeinflussung mittels anderer Aromatika läßt sich der angeb- liche ‚soziale Instinkt‘ und die ‚Staatenbildung‘ aber auch sofort und unweigerlich lahmlegen.“ Die Staatenbildung der Ameisen beruhe R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. 367 somit auf einer positiven Reaktion auf Ameisensäure, einer Reaktion, die wie die übrigen Massenreaktionen dieser Tiere, rein „periphe- rıschen Ursprungs“ sei. Die Annahme komplizierter Instinkte zur Erklärung aller dieser Vorgänge seı daher ebenso entbehrlich wie die Zurückführung derselben auf mnemische Prozesse! Was soll man nun zu dergleichen sagen? Es ist mir unbegreif- lich, wie heute, beinahe 20 Jahre nach Bethe, ein Psychologe aus den Bethe’schen Badeexperimenten wieder Kapital gegen die psychische Natur des gegenseitigen Erkennens der Ameisen schlagen kann!*) Es soll in diesem fürchterlichen Kriege vorgekommen sein, daß feindliche Abteilungen, entgegen den Bestimmungen der Haager Konvention, sich in Uniformen der andern Partei hüllten und so von dieser anfänglich für Freunde gehalten wurden: Nach Henning würde also z. B. die Erkennung der eigenen Partei auf einer „positiven (natürlich peripherischen!) Reaktion auf Feldgrau‘ beruhen! Noch viel naiver ist es aber, sich zum Beweis der peripheren Natur des Erkennungsprozesses auf die Tatsache zu berufen, daß derselbe nach Entfernung der betreffenden Sinnesorgane, in unserem Falle also der Antennen, unterbleibt: Ein Blinder sieht nichts mehr, folglich ıst das Sehen ein „peripherischer‘‘ Vorgang! Daß natür- lich auch die Instinkte zu ihrer Auslösung der adäquaten Sinnes- reize bedürfen, ist eine Selbstverständlichkeit, die kaum noch aus- drücklich erwähnt zu werden brauchte. Doch es hieße die Geduld des Lesers mißbrauchen, wollte ich auch nur eine Minute länger bei solchen Gemeinplätzen verweilen! Auf einen Widerspruch muß ich aber hier noch ganz kurz eingehen, da derselbe die völlige Unhaltbarkeit der Henning’schen Ansicht, das soziale Gefüge des Ameisenstaates beruhe auf einer positiven Geruchsreaktion auf Ameisensäure, mit einem Schlage dartut: Wenn dies nämlich richtig wäre, und wenn andererseits die Henning’sche Behauptung zutreffen würde, daß die Ameisen für diesen Riechstoff sogar eine höhere Reizschwelle als der Mensch besitzen, so daß sie sich sogar durch künstliche chemische Derivate desselben in grober Weise täuschen lassen; — wie kommt es dann, daß diese selben Ameisen wieder so feine Nüancen dieses Geruchsstoffes wahrzunehmen vermögen, daß sie auf Grund derselben Freund und Feind unterscheiden und mit Wut nicht nur über art- oder rassen- fremde Individuen, sondern sogar über koloniefremde Ameisen der gleichen Art und Rasse herfallen? M. a. W.: Wir sehen, daß 4) Es sollte doch wirklich nachgerade kein Wort mehr darüber zu verlieren sein, daß durch die Methode der künstlichen Sinnestäuschung lediglich nach- gewiesen werden kann, ob der betreffende Sinn bei einer bestimmten Reaktion mit im Spiele ist oder nicht, daß dagegen die Methode über die eigentliche Natur dieser Reaktion natürlich gar keinen Aufschluß gibt! 368 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie ete. die Henning’sche Theorie, weit entfernt, das Phänomen des gegenseitigen Erkennens der Ameisen zu ,„er- klären“, ım Gegenteil geradezu auf eine Leugnung der Grundlagen der Staatenbildung dieser Insekten hinaus- läuft. Nun hat aber Henning diese letzte Konsequenz seiner Theorie tatsächlich gezogen, denn auf S. 478 seines Buches lesen wir zu unserem Erstaunen, daß Individuen der gleichen zoologischen Art sıch niemals töten! ‚Wenn in der Literatur immer wieder das Gegenteil behauptet wird, .... so wurde vermutlich nicht sauber gearbeitet [!| (was überhaupt ein Hauptfehler der Zimmer- und Gartenversuche ist), indem Individuen von außen einen mensch- lichen oder anderen Geruch annahmen.“ — Herr Henning wirft also mit dieser Behauptung die übereinstimmenden Ergebnisse hundertjähriger Ameisenforschung einfach über den Haufen! — Doch wir können uns trösten: Wenn Henning in seinen 247 Versuchen, wobei er Angehörige fremder Kolonien zusammenbrachte, angeblich niemals einen „Totbiß“ beobachtet hat, so ist dabei dreierlei zu beachten: Erstens und vor allem wieder, daß auch diese Beobachtungen des Autors sich ausschließlich auf F. rufa beziehen, also auf eine Art, die bekanntlich überhaupt leicht zu Allianzen mit ihresgleichen neigt. Zweitens spricht Herr Henning dabei immer nur vom Nichttotbeißen, ohne sich im mindesten um das genauere Ver- halten der Tiere zu kümmern. Bekanntlich wenden aber diese Ameisen bei Konflikten unter sich meist eine ganz andere, weniger dramatische Kampfesweise an, als bei Kämpfen mit fremden Arten, nämlich die sogenannte „Execution a froid“ (Forel), indem sie sich gegenseitig an den Kiefern fassen und herumziehen oder indem sie jeden Feind zu mehreren an den Fühlern und Füßen fest- halten und ıhn dann langsam, ım Laufe von Stunden, allmählich verstümmeln. Sehr häufig enden aber bei Rufa auch diese ge- mäßıgten Feindseligkeiten früher oder später mit einer friedlichen Allianz. Andere Arten dagegen, z. B. Polyergus, bekämpfen sich bei zufälligen Zusammenstößen unter allen Umständen bis zur Ver- nichtung der schwächeren Partei. — Drittens endlich hat Herr Henning vollkommen übersehen, daß auch bei F. rufa nicht so selten spontane Schlachten zwischen verschiedenen Kolonien, in freier Natur, vorkommen, wobei sich also die Tiere unter Um- ständen bekämpfen, unter welchen der Einwand, sie könnten zu- fällıg einen fremden Geruch angenommen haben, von vornherein hinfällig ist. — Il. Zum Schluß noch einige Bemerkungen zu den allgemeinen An- sichten Henning’s über die „psychische Reaktıonsstruktur“ R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. 369 der Ameise. Wır können uns dabei um so kürzer fassen, als die Antwort auf die hier noch zu erörternden Fragen eigentlich größtenteils schon in den vorstehenden kritischen Erwägungen ent- halten ist. Henning leugnet die Mneme der Ameise; die Tiere sollen nach ıhm lediglich generelle Reaktionen an den Tag legen, wobei sie an von vornherein festgelegte biologische Bereichsbedingungen „ganz einseitig angepaßt“ seien; „die Reproduktion von individuellen Erinnerungen (oder analoge Ekphorie von Engrammen) liegt ihrem gesamten Verhalten nicht zugrunde‘. Es ist mir natürlich nicht möglich, die unzähligen in der Lite- ratur niedergelegten Beispiele für das Vorhandensein eines Indi- vidualgedächtnisses bei den Ameisen hier aufzuführen, dieselben finden sich auf jeder Seite der zahlreichen Arbeiten aller der Autoren, die auf diesem Gebiete gearbeitet haben. Nur auf einen Widerspruch möchte ich Herrn Henning an dieser Stelle aufmerk- sam machen: Wenn er selbst im Laufe seiner Ausführungen wieder- holt betont, daß die Ameise „unter abnormen Umständen“ (d. h. besonders bei künstlicher oder natürlicher Ausschaltung der Ge- ruchsfährte) neben dem Geruchssinn auch optische Zeichen zu ihrer räumlichen Orientierung benutze, wie stellt er sich dann dieses Nebeneinander geruchlicher und optischer Wegzeichen eigentlich vor? Wenn auch die Verfolgung der Geruchsspur zur Not noch auf einen peripheren „Osmotropismus“ zurückgeführt werden könnte, so versagt diese Erklärungsweise bei der optischen Orientierung von vornherein, denn hierbei richtet sich ja die Ameise nach ganz bestimmten (also nicht generellen!), in jedem Einzelfalle und für jedes Individuum je nach Umständen verschiedenen Gesichts- eindrücken. Und zwar gilt dies nicht etwa nur für die Orien- tierung nach neben der Straße befindlichen visuellen Einzelkom- plexen, wie Bäumen u. dgl., sondern offenbar ebenso auch für die allgemeine Lichtorientierung vermittelst des sogenannten Licht- kompaßsinnes, indem doch auch hier von der jeweiligen Lage der Lichtquelle in jedem Einzelfalle ein individuell verschieden lokalisiertes Lichtengramm aufgenommen werden muß! Daß dieser Vorgang statthat, ist durch Santschi’s und meine Versuche über jeden Zweifel erwiesen. Sobald aber die Fähigkeit der Ameisen, individuelle (d. h. nicht erblich vorgebildete) Engramme zu fixieren, auch nur in einem einzigen Falle nachgewiesen ist, so muß die Existenz der Mneme bei diesen Insekten unbedingt und ohne jeden Vorbehalt be- jaht werden. Daß das Verhalten der Tiere „für gewöhnlich“ und „unter normalen Umständen“ vorwiegend durch erbliche Artreak- tionen auf ein für allemal festgelegte „Bereichsbedingungen“ geregelt wird, tut dabei gar nichts zur Sache. Die „Komplexstruktur“ der 370 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie ete. Ameisenseele ist an sich schon ein Beweis für die Mneme der Tiere, denn eine simultane oder gar sukzessive Assoziation verschiedenartiger Sinneseindrücke zu einem Gesamtkomplex ist ohne zentrale Gedächtnis- tätigkeit schlechterdings nicht denkbar. Allerdings behauptet Herr Henning, daß die Ameisen auf diese Komplexe lediglich als „Ge- samtsituationen“ reagieren und bezeichnet die begriffliche Zerlegung derselben als „veraltete Psychologie“; er vergißt aber dabei, daß diese Zerlegung keineswegs nur eine begrifflich theoretische ist, sondern durch exakte experimentelle Methoden über jeden Zweifel sichergestellt wurde. Wenn er ferner sagt, dass die Ameise unfähig sei, auf zwei gleichzeitig vorliegende komplexe Rei- zungen mit einer kombinierten Reaktion zu antworten, so spricht er damit nur ein jedem Nervenphysiologen bekanntes Gesetz aus, das eine ganz allgemeine Gültigkeit bis zum Menschen und bis zu den höchsten psychischen Leistungen hinauf besitzt: Das Gesetz der „reziproken Hemmung“ (Sherrington), nach welchem Reize, welche gleichzeitig zwei antagonistisch arbeitende Neuronkomplexe treffen, stets nur den einen derselben ın Erregungszustand versetzen, in dem andern dagegen eine Hemmung, einen refraktären Zustand erzeugen. Jedes andere Verhalten würde das Märchen von dem Esel zur Wahrheit machen, der, in gleichem Maße hungrig und durstig, zwischen einem mit Wasser und einem mit Heu gefüllten Trog elendiglich verhungern und verdursten muß. — Ebenso un- haltbar ist Henning’s Behauptung, daß Ameisen sich niemals an „feindliche Gerüche“ gewöhnen, d. h. also nicht durch Erfahrung zu lernen vermögen. Ich brauche, um ihn hierin zu widerlegen, nur an die von ıhm selbst zugegebene Tatsache der Erzeugung von Allianzen zwischen verschiedenen Arten, sowie an die schönen Be- obachtungen Wasmann’s zu erinnern, der bei Ameisen nicht allein eine Gewöhnung an fremde, bei der betreffenden Art normaler- weise nicht vorkommende Ameisengäste erzielte, sondern sogar ein- zelne Individuen dazu brachte, daß sie ıhm den auf der Finger- spitze dargereichten Honig ganz manierlich gleichsam „aus der Hand fraßen“, während die gleichen Individuen früher bei jeder Annäherung des Fingers wütend in denselben hineingebissen hatten. Daß Herr Henning seine Ameisen nicht an die von ihm verwen- deten gänzlich unphysiologischen künstlichen Riechstoffe zu ge- wöhnen vermochte, die für die Tiere niemals das geringste biologische Interesse haben konnten, ändert an der Tatsache der Gewöhnbar- beit der Ameisen an fremde Gerüche natürlich gar nichts. Was endlich die allgemeinen Bemerkungen Henning’s über die Mneme und seine Ausfälle gegen die Anhänger Semon’s be- trifft, so beweisen dieselben nur, daß der Verfasser die hervor- ragende Bedeutung dieser Lehre als Arbeitshypothese für die vergleichend-psychologische Wissenschaft in bedauerlicher 2 R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie ete. 3 -; m Weise verkennt. Indem nämlich die Mnemetheorie auf Grund des überzeugenden Nachweises durchgehender Gesetzmäßigkeiten des Reaktionsablaufes eine innere Wesensverwandtschaft aller bio- logischen „Reproduktionsphänomene“ postuliert und diesen Ge- dankengang zugleich mit Hilfe einer einheitlichen und neutralen Terminologie konsequent durchführt, gibt sie uns eigentlich zum ersten Male die so notwendigen festen Kriterien an die Hand, um uns in der verwirrenden und bisher vielfach so vieldeutigen Fülle psychischer Reaktionen zuverlässig zurechtzufinden. Einer der entscheidendsten Fortschritte ın dieser Richtung ist meines Er- achtens die endgültige Ersetzung der veralteten Instinktdefinitionen durch den klaren und eindeutigen Begriff der hereditär-mnemischen Komplexekphorie, eine Definition, durch welche die früher oft so willkürliche Annahme psychischer Manifestationen ausschließlich an den bestimmten Nachweis eines Individualgedächtnisses geknüpft wird. Auf dem Boden dieser Definition dürfte übrigens selbst mit Herrn Henning eine Einigung bezüglich der Instinktfrage zu erzielen sein, denn seine „einseitigen Anpassungen der Ameisen an ganz bestimmte Bereichsbedingungen‘ und seine „generellen Reaktionen“ der Tiere auf solche Bereichsbedingungen sind doch eben nichts anderes als die von ihm geleugneten Instinkte, ebenso, wie seine „Bekanntheitsqualität‘“ der hereditär-mnemischen Homophonie ent- sprechen dürfte. Da nun dank den Semon’schen Kriterien der Nachweis, ob bei einer bestimmten Komplexreaktion nur erbliche oder auch, bezw. vorwiegend, erworbene Engrammekphorien beteiligt sind, heute mit einem hohen Grad von Sicherheit auf analytischem Wege erbracht werden kann, so erscheint damit die vergleichende Psycho- logie ihres früheren problematischen Charakters enthoben und auf die objektive Basis einer vergleichenden Physiologie der indi- viduellen Mneme gestellt. Nichts ist dabei weniger berechtigt als der Vorwurf Henning’s, „daß vornehmlich die Anhänger der Seımon’schen Mnemelehre einem Anthropomorphismus verfallen“; — das gerade Gegenteil trifft vielmehr zu. Ich wenigstens kann das Urteil darüber ruhig dem Leser überlassen, wer von uns anthro- pomorphistischer denkt: Ob Herr Henning, der trotz seines Negativismus unbedenklich die Ausdrücke der introspektiven Schul- psychologie auf niedere Organismen wie Ameisen anwendet und beispielsweise von Reaktionen auf „bekannte oder unbekannte gefühlsbetonte Komplexe“ spricht), oder ich, der ich mich dar- 5) Was ihn allerdings nicht hindert, drei Seiten weiter unten wieder zu behaupten: „Auf keinen Fall erlebt die Formica rufa Empfindungen mit Ge- fühlstönen oder Wahrnehmungen, sondern sie reagiert auf die Bekanntheit und Unbekanntheit von psychischen Komplexen oder Gesamtsituationen,“ ...u.8. w. 37: R. Brun, Die moderne Ameisenpsychologie etc. A auf beschränke, die Komplexreaktionen der Tiere physiologisch zu analysieren und mit Hilfe der nichts präjudizierenden Se- mon’schen Terminologie begrifflich klar zur Darstellung zu bringen. Daß bei solcher Analyse die peripheren Reize zu kurz kommen, ist eine ebenso unrichtige Behauptung Henning’s, wie seine wiederholt mit so großem Nachdrucke vorgebrachte Ent- deckung des „peripheren Ursprungs der Massenreaktionen der Ameisen“ — eine selbstverständliche Binsenwahrheit ist. Wie sehr die moderne Ameisenpsychologie auf der Sinnesphysiologie fußt, beweisen ja gerade Lehren wie die Forel’sche Theorie des topo- chemischen Geruchssinnes und Santschi’s Lichtkompaßtheorie, welche beide ıhre Hauptargumente aus dem Bau und den daraus abzuleitenden Funktionen der betreffenden Sinnesorgane schöpfen. — Fassen wir alles Gesagte zusammen, so muß unser Schlußurteil dahin lauten, daß die Henning’schen Angriffe gegen die moderne Ameisenpsychologie und seine Anschauungen über die psychische Reaktionsstruktur dieser Insekten in allen Teilen unbegründet sınd und teils auf falschen Verallgemeinerungen und falschen Deutungen an sich richtiger Tatsachen, zum größeren Teile aber, ähnlich wie seinerzeit bei Bethe, auf mangelhafter Kennt- nıs der Biologie der Ameisen, sowie auf ganz ungenügen- dem Eindringen des Autors in die in der neueren Literatur zur Diskussion gelangten Probleme und Frage- stellungen zurückzuführen sind. Die moderne Ameisen- forschung darf daher über diesen neuen Versuch einer Rückkehr zu den Anschauungen der Reflextheorie ruhig zur Tagesordnung schreiten, überzeugt, mit ihrer gegen- wärtig allgemein anerkannten Grundthese auf dem rich- tigen Wege zu sein: Daß die komplizierten biologischen Reaktionen der Ameisen zwar in der Hauptsache auf erb- lichen Engrammekphorien beruhen, daß aber bei der Realisation dieser hereditär-mnemischen Komplexe, bei der Erreichung der durch sıe vorgezeichneten biologi- schen Ziele (und ganz besonders bei der räumlichen Orientierung), auch individuell erworbene Engramme (Gedächtnis und Erfahrung) in bescheidenem Maße mit- wirken. Zürich, ım Mai 1917. — Wie man nach Leugnung von Empfindung und Wahrnehmung noch von „psy- chischen‘ Reaktionen sprechen kann, ist mir allerdings ein Rätsel! Aber solche Widersprüche finden sich bei Henning fast auf jeder Seite. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, "Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hot- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Zentralblali Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 7. Band August 1917 EOHENDS ausgegeben am 30. August nn bene ea «2 Hefte) heirägt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Inhalt: 6. Klebs, übe das Verh: Allen von Ww lan a Bach Ruhe bei Een Paansen! S. 373. J. S. Szymanski. Über taktile Tiere. 8. 416. Referate: W. Kolle u. H. Hetsch. Die experimentelle Bakteriologie und die Infektionskrankheiten. S. 418. — K. Künkel, Zur Biologie der Lungenschneeken. S. 420. — Neuerschienene Bücher. S. 420. Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. Von Georg Klebs. In einer Arbeit über die Buche (1914) habe ich den Nachweis geführt, daß die Winterknospen, die in der freien Natur von Herbst bis Frühjahr ruhen, im Winter durch Belichtung mit Osramlicht zum Treiben und auch zu einem längeren lebhaften Wachstum unter Neubildung von Blättern gebracht werden können. Daraus ging hervor, daß die noch immer verteidigte Anschauung, nach der die Ruhe der Winterknospen eine erblich fixierte Erscheinung sei, ebenso unrichtig ist wie die Meinung, daß ein Trieb der Buche aus „rein inneren Gründen oder autonom“ zur Ruhe übergehen müßte. Unter den Bedingungen der freien Natur wachsen tatsächlich die im Frühjahr austreibenden Knospen nur wenige Wochen (in Heidel- berg meist im April); sie vermögen außer den ım vorhergehen- den Jahre angelegten Laubblättern nicht sofort neue zu bilden. Vielmehr entstehen bei äußerst beschränktem Streckungswachstum zuerst zahlreiche Knospenschuppen, später im Juli kleine Blatt- 37. Band 26 zu 374 G:. Klebs, Uber das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. anlagen — es bildet sich die Winterknospe aus. Diese Tatsachen führen zu der Frage, welche Umstände die sehr auffällige Ände- rung der Entwicklung eines solchen Triebes bedingen — ein Problem, das um so rätselhafter erscheint, als der Übergang zur Bildung der Winterknospe sich unter den anscheinend günstigsten Wachstums- bedingungen im Mai, Juni und Juli vollzieht. Gewiß ıst es einfacher und bequemer zu sagen: die Pflanze macht es nun einmal so, es wird ıhr Verhalten von der Erblichkeit bestimmt. Aber dazu ist man doch Naturforscher, daß man solchen Umschreibungen des Problems jede Bedeutung abspricht und nach einem Wege sucht, in das Problem irgendwie einzudringen. Ich habe als Hypothese den Gedanken ausgesprochen, daß bei dem starken Verbrauch von Nährsalzen durch das erste Treiben, dann durch die intensive C-Assımilation der Blätter und wohl auch durch die Tätigkeit des Kambiıums relativ zu wenig Nährsalze dem Vegetationspunkt zu- strömen. Sein Wachstum wird dadurch verlangsamt, der Verbrauch an organischer Substanz vermindert. Infolgedessen speichern sich die Assimilate mehr und mehr in der Umgebung auf; der ver- änderte Stoffwechsel wird schließlich so eingeschränkt, daß nach der Bildung der Winterknospe die Ruhe eintritt. Diese Hypothese bedarf neuer Nachprüfung. Aber auch die von mir vertretene allgemeine Anschauung über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe muß immer wieder der Prüfung unterworfen werden, besonders deshalb, weil meine Anschauung von der Mehr- zahl der Botaniker, die sich mit der gleichen Frage beschäftigen, durchaus abgelehnt wird. Ich wıll in dem ersten Abschnitt einen Bericht über neue Untersuchungen geben, in einem zweiten mich mit meinen Gegnern auseinandersetzen. 1. Experimentelles. Die Untersuchungen sind an verschiedenen Baumarten ausge- führt worden, da gerade auf das Verhalten solcher Bäume sich die Behauptung stützt, daß eine erbliche Ruhe und eine erblich fest- gesetzte Zeit kurzen Treibens existiert. 1. Die Buche (Fagus silvatica). Als die im Lieht der Osramlampe während des Winters wachsen- den Bäumchen in das Tageslicht gebracht wurden, gingen sie zu- nächst zur Bildung der Ruheknospen über. Es stellte sich die Frage ein, ob dieses Verhalten unter allen Umständen einträte oder ob es nicht doch möglich wäre, das Treiben im Tageslicht fortgehen zu lassen. Ich benutzte ein Exemplar (in meiner Arbeit 1914 Nr. I), das ım Lichtraum vom 23. IX. bis 10. X. 1913 ausgetrieben hatte. Am @. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 375 10. X. in das Gewächshaus versetzt, hörte die Pflanze in kurzer Zeit mit dem Wachstum auf — es bildeten sich neue Ruheknospen aus. Am 25. XII. wurde die Pflanze von neuem in den Lichtraum gebracht, wo sie wieder austrieb und bis zum 30. III. 1914 fortwuchs. An diesem Tage in das Gewächshaus übergeführt, kam die Pflanze zur Ruhe. Nachdem sie ım Mai ins Freie gestellt worden war, erfolgte nach einigen Wochen ein neues Austreiben, das dann durch die Bildung von Ruheknospen abgeschlossen wurde. Am 19. XI. 1914 wurde das Bäumchen in frische Erde versetzt und in den Lichtraum (wie früher eine Lampe von ca. 1000 H. Kerzen) gebracht; nach 23 Tagen begann das Aufbrechen der Knospen. Ich entfernte jetzt alle jungen Triebe bis auf einen einzigen und schnitt auch die später erscheinenden treibenden Sprosse ab, die sich aus schlafenden Knospen entwickelten, so daß die Nährsalzmenge der Erde nur dem einzigen Trieb (ohne Konkurrenten) zugeführt wurde. Das Wachstum der Blätter wurde täglich gemessen; ich gebe hier nur kurz die aufeinanderfolgenden Perioden der Blatt- bildung an, zugleich die Längen der ausgewachsenen Blätter (in cm), geordnet nach ihrer Stellung von der Basis des Triebes ab bis zur Spitze. I. Periode 12. XII. —25. XI.: 1,2; 6,7; 10,4; 10,5. m: n 23ER]. 1901: BEN 10ER: TE P Bar = 103 11122020: FERNEN 2EMEIS: 6.5 6.9:56.97°4.0:°2.8: IV. 5 AH — 2621 .2.21:29:,0.53: 09407, V. R 8. IV. SaVe 2,0: 5. den 2347 3.0: Am 5. V. 1915 wurde das Bäumchen aus dem Osramlicht ın Tageslicht auf einen Balkon gebracht, wo es von Mittag bis gegen Abend von der Sonne direkt beleuchtet wurde. In den 5 Monaten (weniger 7 Tage) des fortdauernden Wachstums hatte die Pflanze nach Entfaltung von 4 vorher angelegten Blättern 25 neue Laubblätter gebildet. Während des 3. und 4. Treibens hatten an dem Trieb 4 eben gebildete Achselknospen sofort ein deutliches Streckungswachstum gezeigt — eine für die Buche ganz unge- wöhnliche Erscheinung (Klebs 1914, S. 24). Ich ließ diese Seiten- triebe stehen, obwohl ihr Wachstum wohl das des Haupttriebes verzögern half. VI. Treiben 5.V.—23.V.: 3,8; 4,95 5,25 554,65 3,4; 2,8. IVTE 23. Va EV 22,6, '355: Im Tageslicht waren die Laubblätter durchschnittlich kleiner als im Osramlicht. Seit dem 19. VI. nach einem Wachstum von 6 Monaten und 7 Tagen, einer Neubildung von 34 Laubblättern, 26* 376 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. entstand langsam die Ruheknospe. Die Seitentriebe schlossen eben- falls in den folgenden Tagen ıhr Wachstum ab. Ich hatte in der letzten Zeit einen 2. Trieb stehen lassen, aus dessen Basis eine Seitenknospe sich entwickelte, die bis zum 4. VIII. fortwuchs. Hätte ich Gelegenheit gehabt, das Bäumchen rechtzeitig in den elektrischen Lichtraum zu bringen, so hätte höchstwahrscheinlich das Treiben noch sehr viel länger gedauert. Ich machte noch einen zweiten Versuch mit einem anderen Buchenbäumchen (Nr. IX, 1914, S. 35), das während des Jahres 1914 in einem gut gedüngten Beet frei ausgepflanzt worden war. Nach Versetzung in einen Topf wurde das Bäumchen am 23. III. 1915 in den Lichtraum gebracht. Nach 5 Tagen waren bereits die Knospen aufgebrochen. Die Triebe belaubten sich und gingen dann zur Neubildung von Blättern über. Am 3. V. wurde die Pflanze auf dem Versuchsbalkon dem Tageslicht ausgesetzt. Das Wachs- tum und die Bildung von Laubblättern ging auch im Tageslicht fort bis zum 9. VI. Dieses Bäumchen schloß das Wachstum früher ab als das erste; es war auch nicht beschnitten worden, sondern be- stand aus zahlreichen Trieben. Die Versuche erweitern und be- stätigen die Resultate, die ın meiner früheren Buchenarbeit ange- geben worden sind. Während in der freien Natur ein einzelner Trieb nur 2—3 Wochen im Frühjahr wächst, hat ein solcher in meinen Ver- suchen 6 Monate ununterbrochen Streckung und Neubil- dung von Blättern gezeigt. Selbst ein größerer Baum schließt sein Wachstum innerhalb 4 Wochen ab; mein Bäumchen hat SMo- nate fortdauernd getrieben. Jeder Unbefangene muß doch zu der Einsicht kommen, daß das Verhalten der Buche ın der freien Natur nicht auf einem erblich übertragenen Mechanismus beruht, sondern daß das Verhalten nur die notwendige Folge bestimmter Außen- bedingungen in unserem Klıma ist. Zugleich stützen die Versuche meine Hypothese, daß den Nährsalzen, die bei Buche I nur einem Triebe zugeführt wurden, eine große Bedeutung zukommt. 2. Die Eiche (Wuercus pedunculata). Die Eiche verhält sich unter den Bedingungen unseres Klimas wesentlich wie die Buche, indem die ım Frühjahr austreibenden Winterknospen die in ihnen angelegten Laubblätter entfalten und dann zur Bildung der neuen Winterknospen übergehen. Nur ein Teil der neugebildeten Knospen kann um Johanni herum ebenso wie bei der Buche zum zweiten Male treiben (Johannistrieb). Unter sehr günstigen Verhältnissen kann nach Späth (1912, S. 19) im Sommer ein dritter oder gar vierter Trieb zur Ausbildung kommen. Aus den Versuchen von Späth, der selbst ein überzeugter An- hänger der Lehre von der erblichen Periodizität ist, ging hervor, G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. el. daß sich die Eiche von der Buche in einem wesentlichen Punkt unterscheidet. Ins Dunkle gestellte Eichenbäumchen zeigten an manchen Trieben ein kontinuierliches Wachstum, so daß vom 19. IV. bis 24. VI. 26 Internodien gebildet worden waren, während die höchste Internodienzahl bei normalen Trieben nur 15 beträgt (Späth 1912, S. 60). Auch Lakon (1915, S. 431) hat durch Verdunklung ein zweites Treiben (Johannistrieb) hervorrufen können. In der früheren Arbeit (1914, S. 92) teilte ich mit, daß ein Eichenbäumchen, das im Oktober ın das Gewächshaus ausgepflanzt worden war, vom 28.X. bis 31.I., also während 3 Monate zur Zeit der tiefsten Ruhe der Baumarten ununterbrochen fortwuchs. Ich machte mit zwei meiner früheren Versuchspflanzen neue Ver- suche, um das Wachstum während eines ganzen Jahres bei Wechsel von Licht und Dunkelheit zu verfolgen. Eines der Eichenbäumchen wurde am 18. III. 1914 in ein gut gedüngtes Beet versetzt; es blieb darın ein volles Jahr. Am 15. III. 1915 wurde die Pflanze in einen Topf gesetzt und ın das Gewächshaus gebracht, wo das Treiben bald begann. Ich bezeichne im folgenden als Treibperioden die Zeit, in der das Bäumchen im Licht wuchs. I. Treiben vom 26. IIL.—13. IV. 1915. An einem der obersten Triebe wurde das Wachstum gemessen, es entstanden bis 13. IV. 12 Laubblätter. An diesem Tage wurde die Pflanze in einen feuchten warmen Dunkelraum des Gewächs- hauses gestellt. Das Wachstum der Triebe ging weiter, es ent- wickelten sich vergeilte Sprosse mit kleinen Blättern; am 24. IV. wurde die Pflanze hell gestellt. IR Treiben vom 247 IV 26V. Das Wachstum eines der vergeilten Triebe wurde gemessen, es entfalteten sich 12 neue Blätter bis 1. V., andere Triebe waren noch im Wachstum begriffen. Die Pflanze wurde am 16. V. dunkel gestellt. Es entwickelten sich die noch kaum angelegten Knospen zu jungen Trieben; am 29. V. hell gestellt. Ill. Treiben vom 29. V.—27. VI. Die Blätter des ersten Treibens waren abgefallen, die des zweiten noch frisch. Die vorhin genannten jungen Triebe entfalteten ihre Laubblätter, schlossen ihr Wachstum am 19. VI. ab, während andere Knospen noch weiter trieben. Am 27. VI. verdunkelt; es zeigten sich Anfang Juni neue treibende Knospen; am 13. VI. hell gestellt. IV. Treiben vom 13. V1.-7. VIH. Das neue Treiben wurde besonders von Seitenknospen ausge- führt; ältere Blätter aus früheren Treibperioden fielen allmählich 78 G. Klebs, Uber das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. ab. Die Knospen streckten sich und entfalteten ihre Blätter bis 7. VlII. An diesem Tage wurde die Pflanze ins Freie gestellt und wegen einer Reise von mir sich selbst überlassen. Das Bäumchen wurde am 7. 1X. in den Dunkelraum gebracht und begann in den nächsten Tagen mit dem neuen Treiben; am 18. IX. hell gestellt. VeTreiben vom 18IDRE 6X. Die Knospen entfalteten sich im Laufe des Septembers, einige bis zum 3. X., andere bis 5.X. Am 6.X. wurde die Pflanze in frische Erde versetzt und verdunkelt. Bereits am 13.X. sah man deutlich sich streckende Knospen; an diesem Tage hell gestellt. VF.’ Treiben vom 13. 95XE Nach den Messungen an einer Knospe erfolgte das Aufbrechen am 21. X., es entfalteten sich bis zum 11. XI. 6 neue Laubblätter, andere Triebe wuchsen langsam fort bis zum 25. XI. Von diesem Tage ab verdunkelt, zeigte die Pflanze nicht gleich neues Treiben; erst nach 3 Wochen traten die Knospen deutlicher hervor. Am 19. XII. hell gestellt. VII. Treiben vom 19. XIIL.—3. I. 1916. Eine Knospe wurde gemessen, sie entfaltete sich am 22. X11. und bildete ıhre Blätter bis zum 3.1. Das Wachstum auch der anderen Triebe nahm ab. Ich ließ die Pflanze ruhig stehen bıs zum 2. 1II.; dann wurde sie verdunkelt. Im Laufe des Februar verlängerten und entfalteten sich Knospen ım Dunkeln bis 14. IIl.; an diesem Tage hell gestellt. VIII. Treiben vom 14. 1Il.— April 1916. Die neuen Triebe wuchsen im März bis ın den April hinein. Der Versuch wurde, nachdem er ein Jahr gedauert hatte, abge- brochen. In dem gleichen Jahre machte ich dieselben Versuche mit einem zweiten Eichenbäumchen und brachte es durch Wechsel von Licht und Dunkelheit zu einem siebenmaligen Treiben. Die Versuche beweisen, daß die Eiche, die wie die Buche unter den Bedingungen der freien Natur meist nur ım Frühjahr 3—4 Wochen treibt, zu jeder Jahreszeit, auch während des ganzen Winters, zu wachsen vermag. Unter günstigen Lichtverhältnissen während des Sommers kann ein solches Bäumchen über 4 Monate un- unterbrochen wachsen; aus dem Versuch von 1914 ging her- vor, daß das Wachstum auch während des Winters 3 Mo- nate fortgehen kann. Man würde zweifellos das Wachstum noch viel länger dauernd erhalten, wenn man die Versuchspflanzen vorher noch viel besser .. G. Klebs, Uber das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 379 ernährte und nur eimige wenige Knospen treiben ließe. Während bei der Buche die Bestrahlung mit Osramlicht die Ruheknospen zu neuem Treiben erweckt und die Pflanze gar nicht zur Ruhe kommen läßt, bewirkt bei der Eiche gerade die Dunkelheit den gleichen Vorgang der Auflösung der gespeicherten Stoffe, wodurch die Ruhe beseitigt wird. Der Unterschied in der spezifischen Struktur von Buche und Eiche offenbart sich hier ın auffälligster Weise. Beide Baumarten zeigen ın ıhrem Verhalten in der freien Natur eine weitere Übereinstimmung, indem bei beiden ein Teil der jungen Ruheknospen Ende Juni austreibt, es sind die bekannten Johannistriebe, die Späth (1912, S. 22) als besonders schlagenden Beweis für eine von äußeren Bedingungen durchaus unabhängige innere Periodizität annimmt (vgl. meine Kritik 1914, S. 76). Für die Buche läßt sich eine gewisse Einsicht in die Gründe gewinnen, wenn man daran denkt, daß das Licht eine speziell fördernde Wır- kung auf das Austreiben der Knospen ausübt. Zur Zeit der größten Lichtmenge um Johannı herum wirkt das intensive Licht auf die obersten freistehenden Knospen und erregt den Stoffwechsel, so daß die eben entstandenen Knospen wieder austreiben. Aber für die Eiche fällt dieser Grund anscheinend fort; er ist jedenfalls noch nicht nachgewiesen worden. Der fördernde Einfluß der Dunkelheit kann ebenfalls nicht herangezogen werden. Wohl wissen wir, daß eine relativ starke Nährsalzzufuhr das Treiben begünstigt (vgl. Lakon 1912, S. 575, Versuche mit Eichentrieben; Klebs 1914, S. 92, Versuche mit ausgepflanzten Bäumchen). Aber es ıst nicht klar einzusehen, warum gerade ım Juni die Nährsalze zu einem Teil der Knospen besonders lebhaft zuströmen sollten. Hier wirken möglicherweise noch andere äußere Bedingungen mit, die bisher nicht deutlich erkannt worden sind. 3. Sympodial wachsende Baumarten. Eine Anzahl der Baumarten unseres Klimas zeichnet sich durch die Eigentümlichkeit aus, daß die Jahrestriebe nach lebhaftem Wachstum ım Laufe des Sommers zur Ruhe kommen, wobei der Vegetationspunkt abstirbt. Eine Seitenknospe übernimmt im nächsten Jahre die Verlängerung des Systems, wir sprechen in solchen Fällen von einem Sympodium (vgl. Büsgen 1897, S. 3). Zu dieser Gruppe gehören 2 von mir genauer untersuchte Baumarten: Avlanthus glandulosa und Robinia pseudacacia. Bei beiden Bäumen erfolgt das Absterben meist im Juli, und dabei werden nicht bloß die Vege- tationspunkte getötet, sondern auch vielfach junge noch in der Ent- faltung begriffene Blätter oder Stücke der Sprosse selbst. Wır haben es hier eigentlich mit einer „normalen Krankheit“ zu tun. Der Gedanke, daß dieses Absterben eine erblich fixierte Erscheinung >80 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. sei, war so unwahrscheinlich, daß schon früher Hypothesen ausge- sprochen wurden, den Vorgang physiologisch zu erklären. So hat bereits Decandolle, wie Goebel (1913, S. 434) hervorhebt, die Ansicht vertreten, daß die Blätter den Knospen den Saft entziehen. Die ersten experimentellen Untersuchungen sind von Wiesner (1889) ausgeführt worden. Wiesner beobachtete, daß bei Sträu- chern wıe Rhamnus cathartica das Absterben der Triebspitzen, die dornig werden, verhindert werden kann durch frühzeitige Entfernung von Seitenknospen. Ferner kann durch anhaltendes Begießen die Spitze sich wieder erholen und neue Blätter bilden. Wiesner führt das Absterben in solchen Fällen wie überhaupt bei sympo- dialen Bäumen auf die Entziehung des Wassers durch die tran- spirierenden Blätter zurück, ohne allerdings bei diesen Bäumen be- sondere Versuche gemacht zu haben. Goebel (1913, S. 440) weist mit Recht darauf hin, daß noch andere Faktoren in Betracht kämen, er denkt an die Abwanderung der Baustoffe nach den stehenbleibenden Teilen hin. In einer neueren Arbeit hat Mogk (1914) sehr eingehend die Korrelationen von Haupt- und Seiten- sprossen bei verschiedenen Pflanzen, darunter auch sympodialen Bäumen, z. B. Tihia, untersucht, indem er die Wirkung mecha- nischer Hemmung mit Hilfe eines Pfeffer’schen Gipsverbandes prüfte. Mogk (l. c., S. 627) bestreitet, daß das Absterben der obersten Knospen auf mangelnder Wasserversorgung beruhe und nımmt an (l. c., S. 627), daß es sich vielmehr um die Folgen gegenseitiger korrelativer Beeinflussung handele. Später sagt er (l. c., S. 664) dann allgemein: „Im Gegensatz zu der Anschauung, die die Sproß- korrelationen als eine Folge der Aufteilung der dısponiblen Materialien ansieht, scheinen vielmehr die korrelativ beeinflußten Triebe infolge des in der Änderung der Konstitution bedingten Wachtums- abschlusses die Fähigkeit zu verlieren, die vorhandene Nahrung zu verwerten.“ Sehen wır ab von dem unverständlichen Begriff der Änderung der Konstitution, so ergibt sich als rein negatives Re- sultat, daß bei den Korrelationen keine Ernährungseinflüsse eine Rolle spielen. Worin denn eigentlich die Korrelationen bestehen, bleibt ganz im Dunkeln. Die folgenden Versuche, von denen ich nur einen kurzen Bericht gebe, bahnen doch vielleicht einen Weg zur tieferen Einsicht an. A. Arllanthus glandulosa. Dieser ursprünglich aus Ostasien stammende, bei uns häufig kultivierte Baum mit gefiederten Blättern, bildet keine besonderen Winterknospen wie die Buche oder Eiche, sondern begnügt sich, in den Achseln der Blätter kleine Knöspchen zu bilden, die von den Blattbasen mehr oder weniger eingeschlossen sind. Unter den (. Klebs, Uber das Verhältnis von Ruhe und Wachstum bei den Pflanzen. 381 gewöhnlichen Bedingungen der freien Natur treiben die im Sommer angelegten Knospen im nächsten Frühjahr aus; der aus ihnen ent- stehende Jahrestrieb kommt ım Laufe des Juli, sofern er nicht Blüten und Früchte bringt, zur Ruhe, wobei die Spitze abstırbt. Diese Achselknospen besitzen keine irgendwie ausgesprochene Ruhe- periode. Denn an abgeschnittenen Ze lassen sich im Sommer wie Winter die Knospen ohne besondere Schwierigkeiten zum Aus- treiben bringen. Bei meinen Untersuchungen über die Vegetationsperiode der Bäume (1914, Kap. XII) fiel mir auf, daß einzelne Triebe an einem Jüngeren Baum meines Gartens im Juli nicht abstarben, sondern bıs in den Herbst hinein wuchsen. An einem daneben stehenden älteren Baum waren alle Zweige, die in erreichbarer Höhe waren, ım Juli ruhend. Ich untersuchte die beiden nebeneinanderstehenden Bäume, von denen der junge sehr wahrscheinlich als Wurzelsproß des älteren entstanden war, ım Herbst 1914; der jüngere Baum wurde ebenso Herbst 1915 und 1916 untersucht. Ich bestimmte die durchschnittliche Länge der Jahrestriebe, die Zahl ihrer Blätter, die Länge der Blätter (beim jüngeren Baum 1914 nicht bestimmt) Tabelle I. Messungen und Zählungen an einem alten Baum (Herbst 1914) und einem jungen Baum (1914—1916) von Adlanthus, glandulosa. 3 Bea = re | = IE lem Yo ee Yu IS ı BEE essen las rim Ira EMIr gen NS HEN Beh een ee NER Te io El EEE ENT EEE HR ARMEE ENEs a ser een ren Vale ıN|5 SS IN | 8 SIE ESS BEE Se — — dei : u a = . M Älterer Baum 1914 |100| 217 12001 10 |500| 302 11500) 5,5 (4,2—46,2)| | (2—18) 59) (1—9) Junger Baum 1914 4| 53,5 | 32) 23 — — 600 Q (17110) | | (15—39) | | | (3—9) A „4 1915,022 90 2 245. |280| 608 .280|...8,3 (29-211) (ine N 2 2102) (3—13) | ji h 1916 | 4| 1445 | a 32 | 60|. 873 66| 11,5 0,22 | eı—a)| |(25-130) (614) und die Zahl der Fiederpaare. Bei dem älteren Baum nahm ıch 1914 nur eine gewisse Anzahl von Trieben, bei dem jüngeren (1914—1916) sämtliche Triebe zur Untersuchung. Aus Jer Tabelle ersehen wir zunächst, daß ım Herbst 1914 der Jüngere Baum im Vergleich zu dem älteren längere Triebe mit einer >82 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen, größeren Anzahl Blätter und Blattfiedern besaß. Von besonderer Bedeutung ist das Verhalten des gleichen jüngeren Baumes in den 3 aufeinanderfolgenden Jahren. Da ich 1914 sämtliche Jahrestriebe entfernte, entstanden 1915 am gleichen Stamm nur die Hälfte und nach deren Entfernung ım Jahre 1916 nur 4 Triebe. Unter den im wesentlichen sehr gleichartigen Bedingungen des Standortes und des Klımas für den gleichen Baum, beı etwas vergrößertem Wurzelsystem und Stammesquerschnitt war die Zahl der um das Wasser und die Nährsalze konkurrierenden Jahrestriebe sukzessive verringert. Der Einfluß davon war ın allen Erscheinungen des Wachstums sehr auffällig. In bezug auf die Wachstumsdauer, die ın der Tabelle nicht angeführt wird, ließ sich feststellen, daß unter den 44 Trieben im Oktober 1914 nur ein einziger sich vorfand, der an der Spitze noch lebende junge Blätter besaß, an allen übrigen war die Spitze schon längst abgestorben. Im Herbst 1915 waren unter den 22 Trieben 3 wachsende: 1916 hatten alle 4 Triebe eine noch wachsende Spitze. Mit der Abnahme der Zahl der Triebe hatte zugenommen: 1. die Länge der Jahrestriebe — es fanden sich schließlich (1916) Triebe vom 222 cm Länge —, 2. die Zahl der Blätter (Max. 1916 43) pro Jahrestrieb, 3. die Länge der Blätter (Max. 1916 130 cm), 4. die Zahl der Blattfieder-Paare pro Blatt (Max. 1916 14). Ich hätte das Gleiche auch für die Länge und Breite der Blattfiedern, für die Länge der Internodien nachweisen können, wenn ich genauere Mes- sungen angestellt hätte. Diese Zahlen liefern einen klaren überzeugenden Beweis für die entscheidende Bedeutung, die die Verteilung des Wassers und vor allem der Nährsalze auf eine kleinere oder größere Anzahl von Trieben des gleichen Baumes besitzt. Diese Verteilung kann unter bestimmten Bedingungen auch über Wachstum und Ruhe der Zweige eines Baumes entscheiden. Auf die Bedeutung dieses Fak- tors für die tropischen Bäume habe ich früher (Klebs 1911, S. 49) hingewiesen; experimentelle Belege finden sich in der späteren Ar- beit (1915, S. 786). Es ergab sich die Aufgabe, die äußeren Be- dingungen für Wachstum und Ruhe von Ailanthus durch Versuche genauer festzustellen, bei denen nicht bloß der Nährsalzgehalt, sondern neben Temperatur und Feuchtigkeit vor allem das Licht berücksichtigt werden mußte. Die Versuche wurden mit kleinen Adlanthus-Bäumchen angestellt. Im Frühjahr 1914 besorgte ich mir zweijährige Azlanthus- Pflanzen, die im Garten in kleinen Töpfen während des Sommers stehen blieben. Die Bäumchen gingen Ende Juli oder Anfang August zur Ruhe über, abgesehen von einigen Exemplaren, die durch besondere Bedingungen zum weiteren Wachstum veranlaßt @. Klebs, Uber das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 38;) werden konnten. An 6 der ruhenden Pflanzen machte ıch Herbst 1914 Messungen: Durchschnitts-Länge der Triebe — 24,4 cm (20— 25,3). Durchschnitts-Zahl der Blätter pıo Trieb = 12,6 cm (10—19), Durchschnitts-Zahl der Fiederpaare pro Blatt = 6,9 cm (3—11). Die Zahlen waren ein wenig größer als die entsprechenden bei dem älteren Baum. Eine der jungen Pflanzen war am 1. April 1914 in ein gut gedüngtes Mistbeet versetzt worden und wuchs im Sommer bis zum Oktober mit sehr großer Intensität. Es hatten sich an ıhr 2 Jahrestriebe entwickelt: Länge 127 cm und 135 cm, Zahl der Blätter pro Trieb 27 und 31, Durchschnitts-Länge der Blätter 78,7 cm (42—96), Durchschnitts-Zahl der Fiederpaare 11,4 (3—18). Wir erkennen die enormen Unterschiede bei allen Wachs- tumsvorgängen bloß infolge der besseren Bodenernährung, vor allem der Steigerung des Nährsalzgehaltes, da die Topfpflanzen mit Wasser ebenso reichlich versehen worden waren wie das ausgepflanzte Exemplar. Eine wichtige neue Tatsache zeigte sich darin, daß die Zahl der Fiederpaare, die einen guten Maßstab für die Intensität des Gesamtwachstums abgibt, selbst im September noch keine Ab- nahme aufwies. Die höchsten Zahlen fanden sich an den zuletzt gebildeten Blättern — es fehlte der bei der großen Wachstums- periode der Regel nach eintretende Abfall. Die Tatsache ist unbestreitbar, daß ein Vegetationspunktvon Ailanthus ununterbrochen fortwächst so lange die Wachs- tumsbedingungen einigermaßen günstig sind. Er zeigt nicht die geringste Neigung zur Ruhe überzugehen oder sogar abzusterben. Wenn Jahrestriebe an den Bäumen absterben, so kann das nur daran liegen, daß gewisse Wachstumsbedingungen für den Vegetations- punkt ungünstig werden und zwar in einem solchen Grade, daß er getötet wird. Diese Wirkung ungünstig veränderter Lebensbedin- gungen auf das Wachstum macht sich vor allem im Winter be- merkbar; in unserm Winterklima befindet sich die Pflanze in einem schweren Lebenskampf, dessen Resultat gewöhnlich der Tod des Vegetationspunktes ist. An und für sich kann ein Aölanthus-Bäumchen zu jeder Zeit des Winters ebenso wie Buche und Eiche wachsen, vorausgesetzt, daß es vorher eine Zeitlang kräftig ernährt worden ist. Aber man bemerkt bald, daß das Wachstum des Triebes abnimmt, der Vege- tationspunkt abstirbt. Man kann ein neues Treiben der oberen Achselknospe hervorrufen durch den Einfluß eines warmen und feuchten Dunkelraumes, oder man kann durch Versetzung in frische Erde oder durch kontinuierliche Beleuchtung (Osramlicht) das Wachstum erwecken. Doch geht das Bäumchen wieder nach einiger 784 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. Zeit ın Ruhe über — wir haben ein typisches Beispiel eines periodischen Wechsels von Wachstum und Ruhe. Aber der Wechsel kann ebenso im Sommer eintreten bei Pflanzen in Töpfen mit begrenzter Erdmenge. Ich gebe als Belege die Beob- achtungen an einem Bäumchen (Nr. ]). Im August 1914 ruhend, Spitze tot; am 16. VIII. frische Erde Gewächshaus; sofort Streckung einer Knospe. I. Treiben vom 20. VIIL.—10. X. 1914, 51 Tage; dann Ruhe, Spitze tot; 20. XI. elektrischer Liehtraum; langsame Streckung einer Knospe. ll. Treiben (Osramlicht) vom 2. XI1.—3. II. 1915, 63 Tage; Ruhe (Spitze tot) bis 18. Il; an diesem Tage Dunkelraum; 2 Knospen sich allmählich streckend, 19. III. hell, Tageslicht. Ill. Treiben (Tageslicht) vom 19. III.—8. VIII. 1915, 142 Tage; seit 15. V. war der Topf ins Freie gesetzt; Ruhe (Spitze tot); 23. IX. Dunkelraum, in wenigen Tagen Streckung einer Knospe; 29. IX. hell, Gewächshaus. IV.,„ Treiben. vom. 429; IX. — 31. X..,1915; 32, Tagez7a3m 34% neue Erde, Spitze tot; am 20. XI. 2 neue Knospen gestreckt. V. Treiben vom 5. XIl.—1.11. 1916, 57 Tage; währenddessen eine neue Knospe wachsend. VI. Treiben vom 1. II.—12. III. 1916, 40 Tage. Das periodische Wachstum ıst genau ebenso wie das kon- tinuierliche eine Reaktion auf bestimmte Kombinationen äußerer Bedingungen. Im Winter wirkt die geringe U-Assimilation allmäh- lich hemmend ein und um so mehr als bei der relativ hohen Tem- peratur des Gewächshauses die Dissimilation (Atmung u. s. w.) ge- steigert ist. Im Sommer bewirkt die allmähliche Abnahme der Nährsalzmenge im Verhältnis zur intensiven C-Assimilation die Hemmung des Wachstums; es können auch Verminderung des Lichtes und der Nährsalze kombiniert wirken (Klebs 1915, S. 788). Doch mußte man sich fragen, ob es nicht möglich wäre, das Wachs- tum während des Winters längere Zeit hindurch zu erhalten, und besonders interessierte mich die Frage, ob bei der Ruhe der Vege- tationspunkt lebend bleiben könnte. Meine Versuche beantworten beide Fragen ım positiven Sinne. a) Längeres Wachstum eines Vegetationspunktes. Das Bäumchen Nr. VIII zeigte ım August 1914 ein sehr schwaches’ Wachstum; ım September in frische Erde versetzt und ins Gewächs- haus gebracht, verlor die Pflanze ihre Spitze. Indessen entwickelte sich sofort. (11. X.) eine neue Knospe, die bis zum 9. XII. wuchs. Nach dem Absterben der Spitze 25. XII. blieb die Pflanze eine Zeitlang in Ruhe, bis ich sie am 18. Il. 1915 in den Dunkelraum G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 385 versetzte. Hier wuchs allmählich eine Knospe heran, die nach Überführung in das Licht sich entfaltete. Am 1. IV. wurde das Bäumchen in ein gedüngtes, während des Aprıl und Mai geheiztes Beet versetzt und trieb ununterbrochen bis Mitte Oktober. Beim Umsetzen ın einen Topf (20. XI. 1915) starb der Vegetationspunkt ab. Im Gewächshaus trat bald eine neue Knospe hervor, dıe vom 15. XII. ab gemessen wurde. Infolge der ausgezeichneten Ernäh- rung im vorhergehenden Sommer trieb die Pflanze den ganzen Winter fort. Als ım Februar das Blattwachstum sich verlangsamte, nahm ich die ausgewachsenen Blätter fort. Der Vegetationspunkt trieb weiter und wuchs ununterbrochen bis zum 1. X. 1916, an welchem Tage ich die Pflanze ın das Gewächshaus des Gartens aussetzte; hier starb der Vegetationspunkt ab. Am 4. VIII. war die treibende Pflanze ohne Störung ın frische Erde versetzt worden: Die Spitze hatte demgemäß 9'/, Monate ununterbrochen ge- trieben, sogar ınden Monaten Dezember, Januar, Februar. Nach den Messungen war je nach der Jahreszeit das Blattwachs- tum bald stärker bald schwächer. b) Erhaltung des Vegetationspunktes während der Ruhe. Die Pflanze Nr. VI, die im August 1914 kaum mehr wuchs, wurde in Nährsalzlösung, später ın Sand mit Nährsalzen, am 20. XI. in Erde kultiviert. Das Wachstum ging sehr langsam im Sep- tember vor sich und wurde erst am Ende des Monats lebhafter, um gegen Ende November wieder abzunehmen. Die Pflanze wurde am 1. XI. verdunkelt, wo der alte Vegetationspunkt langsam weiter trieb. Am 22. XII. hell gestellt, entfaltete das Bäumchen neue Blätter bis zum 10. I, an welchem Tage es von neuem ver- dunkelt wurde. Das Wachstum wurde lebhafter und besonders nachdem die Pflanze am 7. III. 1915 hell gestellt und am 22. Ill. frei in die wärmere Abteilung des Gewächshauses ausgepflanzt worden war, in der die tropischen Bäume kultiviert werden. Das Wachstum unter Neubildung von 37 großen Blättern ging ununter- brochen fort bis 15. X. 1915, wo ıch zufällig beim Messen den Vegetationspunkt abbrach., Er war vom Frühjahr 1914 bis Herbst 1915, also während zweier sommerlicher Vege- tationsperioden und ebenso während des Winters, wenn auch ın langsamerem Tempo tätig gewesen. Die Pflanze ruhte bis 26. III. 1916, wo ein neues Wachstum einer oberen Knospe deutlich wurde. Es ging ununterbrochen unter Neubildung von 47 Blättern bis zum 17. X. fort (7 Monate des Wachstums). Der Vegetationspunkt starb unter den Bedin- gungen des Gewächshauses nicht ab, die jungen Blattanlagen erhielten sich den ganzen Winter über lebendig und begannen be- reits am 12. I. 1917 zu wachsen. Das Wachstum hörte aber am >86 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 17. II. auf, wohl ım Zusammenhang mit der langen Frostzeit und dem Kohlenmangel, infolgedessen das Haus durch Jalousien lange Zeit bedeckt war. Am 12. IV. begann am gleichen Vegetations- punkt das Blätterwachstum von neuem; seit der Zeit geht es den ganzen Sommer ungestört weiter. Diese Erhaltung des Vegetationspunktes während der Ruhe wurde auch bei Versuchen mit anderen Ailanthus-Pflanzen beob- achtet, Ich will auf die Versuche mit den 8 anderen Bäumchen an dieser Stelle nicht ausführlicher eingehen, sondern will nur die wesentlichen Resultate der dreijährigen Forschungen kurz zusammen- fassen. Eine junge Pflanze von Arlanthus kann: 1. ununterbrochen viele Monate lang fortwachsen mit dem gleichen Vegetationspunkt, 2. periodisch starkes und schwaches Wachstum mit dem gleichen Vegetationspunkt zeigen, 3. periodisch wachsen und ruhen bei Erhaltung des gleichen Vegetationspunktes, 4. periodisch wachsen und ruhen unter Absterben des Vegetations- punktes, zur Ruhe übergehen a) beı allmählich verminderter C-Assımi- latıon, b) bei allmählicher Abnahme des Nährsalzgehaltes des Bodens, c) bei der Kombination von verminderter Nährsalz- menge mit schwachem Licht (Winter) oder mit starkem Licht (Sommer), 6. aus der Ruhe erweckt werden a) durch Überführung in warme feuchte Dunkelheit, b) durch Versetzung ın frische nährsalz- reiche Erde, c) durch Dauerbelichtung mit Osramlicht. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, daß irgend jemand es noch wagen würde, angesichts dieser Tatsachen zu behaupten, daß die Ruhe bezw. das Absterben der Spitze bei den Trieben ein erblich fixierter autonomer Vorgang sei. Dagegen bleibt es ein schwieriges und heute noch nicht klar lösbares Problem, welche Änderungen der inneren Bedingungen durch die äußeren hervorgerufen werden, z.B. zu erkennen, was in den einen Fällen den Tod, in den anderen die Erhaltung des Vegetationspunktes bewirkt. B. Robinia pseudacaeta. Im wesentlichen das gleiche Verhalten wie Ailanthus zeigt die verbreitete Robinia, deren Triebe, soweit sie nicht zur Frucht- bildung übergehen, meist im Juli (bei Heidelberg) zur Ruhe kommen, wobei der Vegetationspunkt samt den jungen Blattanlagen abstirbt. Die Achselknospen für das nächste Jahr sind sehr klein und bleiben (+. Klebs, Uber das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 387 eingeschlossen in den alten Blattbasen (Büsgen 1897, 5.41). Ab- geschnittene Zweige lassen sich zu allen Zeiten des Jahres, vor allem auch des Winters zum Austreiben der Knospen bringen; be- sonders geeignet dafür ist die Dauerbelichtung mit einer Osram- lampe. Junge Pflanzen, die im Frühjahr in nährsalzreiche Erde eingesetzt werden, wachsen sehr üppig bis in den Herbst hinein. Viel schwieriger als bei Ardlanthus gelingen die Versuche, Robinia während des Winters lange wachsen zu lassen. Zweifellos kann die Pflanze zu jeder Zeit des Winters lebhaft treiben, sofern der Stamm sich vorher mit reichlichen Reservestoffen versehen hat. Robinia hat aber ein stärkeres Lichtbedürfnis als Arlanthus, so daß die Triebe im Gewächshaus vergeilen und schließlich durch Erschöp- fung absterben. Es gelang mir, ein länger dauerndes Wachstum zu beobachten in Verbindung mit der Dauerbelichtung: Ein kleines Bäumechen, im November 1914 ruhend, wurde am 19. XI. ın den Lichtraum gebracht; vom 7. X1I. an erfolgte lebhaftes Treiben, das fortging bis zum 2. ll. 1915, wobei die zuerst gebildeten Blätter infolge der Trockenheit der Luft ihre Fiedern abwarfen. An diesem Tage wurde die Pflanze in das Gewächshaus gebracht; sie trieb weiter und wurde dann am 30. IV. ins Freie gestellt, wo das Wachstum andauerte bis in den Herbst 1915. Der gleiche Vege- tationspunkt hatte 10 Monate unaufhörlich getrieben, so- gar während des ganzen Winters. C. Ficus geocarpa. Raciborski hat in einer wichtigen Arbeit über die Verzweigung (1911, S. 54) darauf aufmerksam gemacht, daß das sympodiale Wachstum bei tropischen Bäumen anscheinend weniger verbreitet ist als bei den Bäumen der temperierten Zone. Es wäre von In- teresse, durch statistische Beobachtungen zu erfahren, wie groß der Prozentsatz der sympodialen Bäume in den beiden Zonen ist; es ist wahrscheinlich, daß die häufigen Fälle in der temperierten Zone mit den extremen Bedingungen ihres Klimas im Zusammenhange stehen. Unter den von Raciborskiı erwähnten Beispielen findet sich auch die strauchartige Orossandra infundibuliformis. Winkler (1906, S. 48) hat die interessante Tatsache festgestellt, daß die Triebe von Orossandra ın schwächerem Licht vegetativ und mono- podial wachsen, daß bei intensiverer Beleuchtung die Triebe zur Bildung der Infloreszenz übergehen, wobei der Vegetationspunkt zugrunde geht und die Fortsetzung des Systems durch eine Seiten- knospe bewirkt wird. Hier ist sympodiales Wachstum aufs engste mit der Infloreszenzbildung verknüpft. Als ein Beispiel sympodialen Wachstums einer Tropenpflanze soll Fieus geocarpa dienen. In einer Arbeit (diese Zeitschrift 1912, 388 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. S. 260) habe ich die Pflanze als ein Beispiel für ununterbrochenes Wachstum während eines ganzen Jahres angeführt. Ich machte die täglichen Messungen an einem aus Java mitgebrachten Steck- ling vom 24. VI. 1911 bis 10. VII. 1912. Für die Messungen benutzte ich seit 24. VI. einen Trieb; ich beobachtete, daß sein Wachstum im Oktober abnahm und am 23. X. stillstand, worauf der Vegetationspunkt abstarb, während gleichzeitig ein Seitentrieb das Wachstum weiter führte. Das Wachstum von diesem ging bis zum 9.1. 1912, dann hörte es auf, der Vegetationspunkt starb auch hier ab. Ich machte die Messungen an dem neuen Seitentrieb, der bis zum 10. VII., dem Abschluß des Ver- suches fortwuchs; ich hatte in der letzten Zeit die neu entstehenden Seitenknospen entfernt. An den anderen Trieben der Pflanze voll- zog sich der gleiche Vorgang des sympodialen Wachstums, so daß ein reich verzweigtes cymöses Triebsystem zur Ausbildung gelangte. Ein Steckling von der gleichen Pflanze wurde am 1. VII. 1914 in einen Topf mit guter Erde versetzt. Ich wollte versuchen, an Stelle des sympodialen ein rein monopodiales Wachstum herbeizu- führen, indem alle neu sich bildenden Seitenknospen frühzeitig ab- geschnitten wurden. Die Messungen des Blattwachstums wurden in den ersten beiden Jahren täglich mit Ausnahme des August, später alle 2 Tage ausgeführt. Die Pflanze wurde am 1. IX. 1914, 30. Il. 1916, 13. Ill. 1917 in neue Erde versetzt. Der Vegetations- punkt des ursprünglichen Stecklings hat seit 1. VIII. 1914 3 Jahre hindurch ununterbrochen Blätter gebildet. Die einzige Zeit, wo das Wachstum kaum merklich war, betrug 4 Tage, vom 26. XI. bis 30. XII. 1916. Wir erkennen, daß ein so kleiner Eingriff wie die Entfernung der Seitensprosse genügt, das monopodiale Wachs- tum zu erhalten, obwohl die Pflanze sich in einem Topf mit relatıv kleiner Erdmenge befand, so daß nicht alle Wachstumsbedingungen : gleichmäßig optimal waren. 4. Coniferen (Nadelhölzer). Über das Treiben unserer Nadelhölzer ist wenig mehr bekannt als daß sie eine scharf ausgeprägte Rhythmik in unserem Klıma aufweisen; sie wachsen wesentlich im Frühjahr bezw. Frühsommer und bilden dann ihre Winterknospen aus. Indessen beobachtete Späth (1912, S. 6) bei einigen Arten von Pinus und Larix, daß an jüngeren Exemplaren neue Seitenknospen ın der Zeit von April bis Oktober ununterbrochen austreiben; das spricht dafür, daß auch bei den Nadelhölzern die Ruheperiode ein je nach den Außen- bedingungen sehr variabler Vorgang ıst. Einen deutlicheren Be- weis dafür liefert eine Arbeit, die von Frl. Müller in meinem In- stitut über das Treiben des bekannten japanischen Baumes @injko @. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 389 biloba ausgeführt wurde und später veröffentlicht werden soll. Ab- geschnittene Zweige von Ginjko lassen sich in relativ kurzer Zeit, 6-14 Tage, mit Hilfe verschiedener Methoden jederzeit auch in den Wintermonaten treiben. Junge Bäumchen wuchsen im Winter bei Dauerbelichtung mit der Osramlampe monatelang fort und zeigten auch Neubildung von Blättern wie die Buche. Meine eigenen Untersuchungen beziehen sich auf einige ausländische Bäume, deren Wachstum während langer Zeit unter den Bedingungen meines Gewächshauses beobachtet wurde. A. Podocarpus Manni. Ein junges Exemplar dieser aus Kamerun stammenden Pflanze wurde am 5. 111. 1914 ın einen Erdhügel frei ausgepflanzt. Die terminale Hauptknospe streckt sich beim Treiben, und an der Basis ihrer Achse entstehen zuerst meist 3 Paare kleiner Schuppen, dann 3—6 Paare schmal-bandförmiger Blätter; es können aus den Achseln von ihnen auch Seitenzweige hervorgehen. Das Wachstum des aus- gepflanzten Bäumchens vollzog sich während 5 Monaten ın 4 un- mittelbar aufeinanderfolgenden Perioden bis 22. VII., wo die Mes- sungen aus zufälligen Gründen aufhörten. Die Pflanze wurde am 22. III. 1915 ın einen neuen Erdhügel gesetzt und wieder gemessen. Wachstumsperioden des Hauptsprosses 1915. I. Treiben vom 22. I1l.—3.IV.; Endknospe sich streckend, 27. II. bereits 1,6 em; II. £ „. 27. 1Il.—-18. IV.; neue Knospe 0,6 cm; II. E „. 18. 1IV.—18.V.; neue Knospe, am 7.V. 0,2, am 152V71,9.cnt: Iyr, S „ 15. V.—6. VI.; neue Knospe, am 25. V. 0,2, am 2O-W1. 0,6 cm; N. e » .20. VI.—Mitte August; VE „ von Anfang August—14.1IX.; neue Knospe, am 7. IX. 0,7 cm; VI. „vom AR EX, Die Pflanze war zu groß für das Gewächshaus geworden; ich schnitt ihren oberen Teil fort. Im Laufe des November ent- wickelten sich mehrere Knospen an der Basis des letzten Triebes. Die Messungen begannen erst am 29. 1. 1916. Das erste Treiben dauerte bis 28. II.; das folgende vom 28. IL.—11. III.; bereits am 3. IV. war die Knospe des dritten Treibens sichtbar. Ich hörte aber mit den Messungen auf. Nur stellte ich weiter fest, daß das Wachstum den ganzen Sommer weiter fortging. Podocarpus wächst demgemäß lange Zeit ununterbrochen fort: 7—9 Monate, wahrscheinlich unter günstigen Bedingungen noch »7. Band 7: 390) (. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. länger. Das Wachstum verläuft insofern stets periodisch als am Anfang jeder Treibperiode zuerst Niederblätter, dann Laubblätter gebildet werden. Versuche, eine ununterbrochene Bildung von Laubblättern hervorzurufen, sınd bis jetzt noch nicht gemacht worden. B. Arauearia Bidwilliti. Die verschiedenen Araucaria-Arten, die bei uns ın den Ge- wächshäusern kultiviert werden, treiben gewöhnlich im Frühjahr und Frühsommer und ruhen bereits vom Hochsommer ab. Genauere Angaben sind mir nicht bekannt, wie sich die auf der südlichen Erdhälfte (Australien, Südamerika) verbreiteten Arten unter den Bedingungen des dortigen Klimas verhalten. Ein junges Exemplar der Araucaria Bidwillii wurde in einem Topf mit frischer Erde seit 1. 1. 1913 kultiviert. Das Wachstum, das stets sehr langsam vor sich gehi, war an den Seitenzweigen in Tätigkeit. Die Knospe des Hauptsprosses regte sich am 1. II. Ich trenne die Messungen von Hauptsproß und Seitenzweigen: _ Hauptspr. ob Seitenspr 0Sse. Il. Treiben vom 2. IT. _ 8.IL, N Sen prob 2. , vn neue Knospe Ken am 1. III. 0,8 cm. II. Treiben 1. IIL.—Ende April | Einer der neuen Seitensprosse von 3 neue Seitensprosse. ı Mitte April—5. VIII, zweiter von Mitte Aprıl—30. VII. selbst wieder Seitensprosse bildend. Ill. Treiben 18. Vl.—18. VIl. Seitentrieb fortwachsend wäh- rend des Augusts, neue Triebe bildend, bis in den November treibend. IV. Treiben 11. XI.—26. II, 3 neue Seitentriebe bildendl Das Bäumchen war am 11. xı. in frische Erde versetzt worden. Es hatte während des ganzen Jahres ununterbrochen ge- trieben, aber mit der Besonderheit, daß die Spitze des Haupt- triebes zeitweise ruhte, während die Seitenzweige weiter wuchsen. Volkens (1912, S. 23) hat für Dammara ein ähnliches Verhalten beschrieben. Es bedarf neuer Versuche, durch reichliche Ernährung vom Boden aus und Entfernung der Seitensprosse das Wachstum des Hauptsprosses zu einem kontinuierlichen zu machen. G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 394 5. Gnetum Gnemon. Diese Gnetaceae, ein Baum des tropischen Asiens, zeigt die sehr seltene Eigentümlichkeit, daß bei jedem Treiben meist nur ein Blattpaar gebildet wird. Volkens (1912, S.21) hat das Treiben des Baumes im Garten von Buitenzorg (Java) beobachtet. Einer der Bäume trieb an den allermeisten Trieben im März aus, worauf Ruhe eintrat. Vereinzelt geschah ein Austreiben ım April, etwas häufiger im Mai; dann setzte völlige Ruhe ein bis zum Oktober, wo ein allgemeines Treiben erfolgte. Der Baum scheint demnach wie viele andere tropische Bäume hauptsächlich zwei Treibperioden im Laufe eines Jahres zu haben. Eine junge Pflanze wurde am 26. ll. 1912 frei ın einen Erd- hügel des Gewächshauses gesetzt. Der Regel nach entsteht ın den Achseln des einzigen Blattpaares eines Triebes je ein Seitensproß. Die Achselsprosse des letzten Haupttriebes waren im Wachstum begriffen. An der Spitze des Haupttriebes begann das deutliche Wachstum am 14. 11l.; ich berücksichtige zunächst den Hauptsproß alleın und gebe dıe Länge des ausgewachsenen Triebes, sowie die eines Blattes jedes Paares an. I. Treiben vom 14. 1II.—Mitte April; Achse 4,4 cm, Blatt 12,3 cm, I: von Mitte Apzrıl 19. Ver. m. 0 de nn ar neue Knospe sichtbar am 19. V Ill. „. vom 20. V.—20. VI.; BER, Or neue Knospe 23. VI., IV. „.. vom 23. VI.--22,. VII; a 10H ass tar lee Während einer zweimonatlichen Reise wurden keine Messungen gemacht, aber festgestellt, daß der Haupttrieb zweimal getrieben hatte. V. Treiben im August; Achse 13,7 cm, Blatt 15,2 cm, NL ee im September ; ee ee E23, am 4.X. neue Knospe, DI; vom 4. X.—14. XI; REITER VERDIENT 14. XI. neue Knospe, MI... ;, vom 4. XI.—16. XIL; BET EEE EB. 13. XII. neue Knospe, N 4 vom 13. XII.—16.1. 1913; „ 4,8 18.1. neue Erde, Knospe sehr langsam wachsend, 2 RR vom 17. I. —15. IV.; „award 22. III. neue Knospe, 5392 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. XI. Treiben vom 22. IIL.—30.IV.; Achse 5,3 cm, Blatt 11,3 cm, 30. IV. neue Knospe, ER: vom. 30. 1V.—24.V.; a neue Knospe bereits 14. V., XI, vom 14. V.—1.VL; one, Br 26. V. neue Knospe, RING vom 26. V.—27. VI.; Pa PA RE El A N, neue Knospe 23. VL, 2 vom 23. VI.—9. VIIL; Ende der Messung. Der Hauptsproß des Bäumchens hatte in der Versuchszeit vom 14. III. 1912—9. VIII. 1913 (nicht ganz 17 Monate) 15mal getrieben. Die Treibperioden folgten unmittelbar aufeinander; nur von Mitte Januar bis Mitte Februar stand das Wachstum still, sehr wahrscheinlich, weil mit dem Ersatz der alten Erde Wurzelver- letzungen nıcht ganz vermieden werden konnten. Während dieser Zeit wuchsen aber die Seitenzweige; ein solcher trieb vom 1.1. bis 14. Il. und bildete sofort eine neue Knospe, die bis zum April weiterwuchs. Das Bäumchen als Ganzes hatte also ununter- brochen während der ganzen Versuchszeit getrieben. So lange am Haupttrieb die Streckung der Achse und ihrer Blätter vor sich geht, kann man an der Spitze nur ein kleines Grübchen sehen, in dem der Vegetationspunkt verborgen ist. Gegen Ende des Triebwachstums tritt langsam die Knospe des neuen Triebes hervor. In erster Linie sind es wohl die Blätter, die an- fänglich das Wachstum des neuen Triebes hemmen. Das ging aus dem weiteren Verhalten des Bäumchens hervor, das infolge des lebhaften Wachstums so groß geworden war, daß die Spitze schon vom April 1913 ab an das Glasdach anstieß. Durch die allmählich wirkende mechanische Hemmung wurde die Streckung der Achse und ebenso des Blattpaares behindert (s. die Zahlen für Periode XIHI—XIV). Die Folge davon war, daß der Vegetationspunkt des folgenden Triebes auffallend früh die deutlich sichtbare Knospe bildete, ın Periode XIII nach 14 Tagen, in Periode XIV sogar nach 7 Tagen. Der obere Teil des Hauptsprosses hatte sich dann umgebogen, so daß die Spitze das Glasdach nicht mehr berührte, die neue Knospe trat bei lebhaftem Wachstum des nächst älteren Blattpaares erst nach 35 Tagen hervor. Die hemmende Wirkung des sich entwickelnden Hlitipasues auf den Vegetationspunkt ging auch klar aus einigen Versuchen mit Seitentrieben hervor. Im allgemeinen gehen diese nach dem Treiben eine Zeit in Ruhe über. Ein Seitentrieb war am 16. V. G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 393 ausgewachsen und wurde dann entblättert; am 30. V. war er wieder ım Treiben begriffen. Der gleiche Seitentrieb wurde später, 18. XI., nach dem Übergang zur Ruhe wieder entblättert; am 13. XI. be- gann bereits die neue Knospe sich zu zeigen. Am 31. XII. wurde der Trieb noch einmal entblättert, die neue Knospe zeigte sich am 16. I. und wuchs bis zum 26. II. Schon bei meinem Aufenthalt in Buitenzorg (Winter 1910/11) hatte ich an einem Exemplar von (netum Gnemon den gleichen Entblätterungsversuch mit demselben Erfolg ausgeführt. ll. Theoretisehes. Die ım ersten Teil besprochenen Pflanzen gehören den ver- schiedensten Gruppen der Phanerogamen an; bei allen gelingt es mehr oder weniger, ein lange andauerndes Wachstum hervorzurufen, während unter den Bedingungen der freien Natur das Wachstum nur kurze Zeit, oft nur 1—2 Monate anhält und dann Ruhe eintritt. Ebenso gelingt es bei solchen Bäumen, ein periodisches Wachstum hervorzurufen, sei es ein Wechsel von stärkerem oder schwächerem Wachstum, sei es ein Wechsel von Wachstum und Ruhe. Die Periodizität kann durch periodische Änderung der Außenfaktoren, z. B. den Wechsel von Licht und Dunkelheit, nährsalzarmen und nährsalzreichen Boden bedingt sein, oder sie kann erfolgen auch ohne solehe Änderungen, dann, wenn einer der wesentlichen Fak- toren, z. B. Licht oder Nährsalzgehalt, sich der unteren für das Wachstum entscheidenden Grenze nähert. Das Wachstum nimmt ab, die organischen Stoffe speichern sich auf, der gesamte Stoff- wechsel wird träge, die Ruhe tritt ein. Je nach dem vorhergehen- den Ernährungszustand, je nach der Art und Intensität der Außen- faktoren, je nach dem Zeitpunkt ihres Eingreifens kann die Ruhe sofort oder nach kürzerer oder längerer Zeit beseitigt werden. Überläßt man die Pflanze sich selbst, so erwacht sie je nach den waltenden Außenbedingungen früher oder später auch ohne beson- deren Eingriff, weil bei günstigen Verhältnissen der Temperatur u.s. w. der langsam aber unaufhörlich arbeitende Stoffwechsel ın den Knospen wie in den sie tragenden Achsen lösliche organische Stoffe herbeischafft, Nährsalze aus näherer oder weiterer Umgebung herführt und dadurch sich selbst steigernd, das Wachstum erregt. Der entscheidende Punkt für das Gelingen der Versuche bei einer bestimmten Pflanze liegt in der möglichst genauen Kenntnis ihres Verhältnisses zur Außenwelt; je länger man sich damit beschäftigt, um so besser wird man durch die Mannigfaltigkeit von Kombina- tionen der äußeren Bedingungen die in der spezifischen Struktur der Pflanze schlummernden Potenzen zur Verwirklichung bringen. Schon jetzt bei der noch spärlichen Kenntnis wird man sagen ” 394 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. können, daß das Verhalten unter den Bedingungen der freien Natur das sogen. „normale“ nur ein kümmerlicher Ausschnitt aus dem Reiche der Entwicklungsmöglichkeiten darstellt. Die von mir auf Versuchen begründeten Anschauungen über die Rhythmik der Pflanzen haben bis jetzt viel mehr Gegner als An- hänger gefunden. Einer der wenigen, die auf Grund eigener Er- fahrung zu übereinstimmenden Ansichten gelangten, ist Lakon, der ın dieser Zeitschrift (1915) eine eingehende und eindringliche Zusammenfassung über das Problem der Rhythmik gegeben hat. Ich verweise auf seine Darstellung, ın der die Einwände und gegen- sätzlichen Anschauungen besprochen werden. Ich beschränke mich hier auf die Einwendungen, die in neueren Arbeiten von Kniep (1915) und Fr. Weber (1916 I, II, III) gegen meine Auffassung gemacht worden sind und die alle wesentlichen Fragen berühren. Ich werde zuerst das allgemeine Problem der Rhythmik, dann das besondere Problem von der Wirkung der Außenbedingungen be- handeln. 1. Das allgemeine Problem der Rhythmik. Kniep hat in einer objektiv gehaltenen interessanten Abhand- lung (1915) über den rhythmischen Verlauf der Lebensvorgänge auch meine Versuche besprochen und er kommt zu dem Resultat, daß sie die Annahme einer „autonomen Periodizität“ nicht er- schüttern können. Einer der Einwände bezieht sich auf das Ver- halten der Buche. Die Bäumehen wuchsen in dem elektrischen Licht mehrere Monate; ich wies darauf hın, daß unter den Be- dingungen des Lichtraumes infolge Überwiegens der Dissimilation über die Assimilation allmählich eine Erschöpfung eintrat. Kniep meint, daß die Versuche für die Frage nicht entscheidend sein können, weil das angewandte Mittel kein dauerndes Gedeihen der Pflanzen gestattet. Die Versuche bewiesen aber jedenfalls die Unrichtig- keit der Annahme, daß nach der Entfaltung der vorher angelegten Blätter „autonom“ Ruhe eintreten müßte. Die neuen Versuche (s. S. 375) mit der Buche lehren, daß ein Trieb auch unter „nor- malen“ Bedingungen monatelang fortwachsen kann. Außerdem paßt der Einwand nicht, wie Kniep selbst zugibt, auf meine Be- obachtungen von Tropenpflanzen (1915). Von prinzipieller Bedeutung erscheint ein anderer Einwand Kniep’s, der auf einer bestimmten Voraussetzung beruht. Nach dieser lassen sich zwar die Holzgewächse zum fortgesetzten Treiben veranlassen, aber es seien zu verschiedenen Jahreszeiten verschiedene äußere und innere Bedingungen nötig, um das zu erzielen. „Das kann dann nur darauf beruhen, daß in der spezifischen Struktur @. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 395 die Ursache für die periodischen Änderungen liegt, welche es nötig machen, daß zur Erzielung des gleichen Resultates die Außen- und Innenbedingungen verschieden angreifen müssen. Wenn daher auch gezeigt ist, daß ın der spezifischen Struktur keine Notwendig- keit dafür vorliegt, daß eine Pflanze abwechselnd treibt und ruht, so ıst damit das Nichtvorhandensein einer Periodizität nicht er- wiesen. Beides scheint mir bei Klebs nicht genügend auseinander- gehalten zu sein“ (l. c., S. 15). Kniep meint dann weiter, daß das Ausbleiben der periodischen Reaktion auch beı konstanten Außen- bedingungen wohl zu erzielen wäre. „In diesem Falle könnte man sich das Eingreifen der Außenbedingungen so vorstellen, daß sie die eine der periodisch miteinander abwechselnden Reaktionen völlig unterdrücken, obwohl ın der Pflanze die Tendenz zur Realı- sierung derselben fortbesteht.“ In der Tat habe ich an diesen Einwand nicht gedacht, und ich denke auch heute nicht daran ihn anzuerkennen, weil er rein theo- retisch konstruiert ıst und das, was erst bewiesen werden soll, be- reits in der Voraussetzung als vorhanden angenommen wird. Die Voraussetzung enthält die Annahme, daß infolge einer Eigentüm- lichkeit der spezifischen Struktur, also einer durch Erblichkeit fixierten Eigenschaft das Wachstum der gleichen Pflanze zu ver- schiedenen Jahreszeiten durch verschiedene äußere und innere Be- dingungen hervorgerufen wird. Wo findet sich irgendeine Erfahrung, die diese Annahme auch nur wahrscheinlich macht? Alles was wir von der Wachstums-Physiologie wissen, widerstreitet dieser An- nahme. Das Wachstum innerhalb des ganzen Pflanzenreiches er- scheint in seinem Verhältnis zur Außenwelt auffallend gleichartig. Sowie ich die Wachstumsbedingungen für eine bestimmte Pflanze einigermaßen kenne und sie auch technisch herstellen kann, ist die Jahreszeit völlig gleichgültig; zu jeder Zeit des Jahres kann ich eine Vaucheria, eine Chlamydomonas, eine Saprolegnia oder sonst einen Pilz, ein Moos, ein Farnkraut, eine krautige Pflanze wie (rlechoma, ein Holzgewächs wie Ficus geocarpa, Allanthus u. Ss. W. zu ständigem Wachstum bringen. Für viele Gewächse kenne ich noch nicht die richtige Kombination und Intensität der Außen- bedingungen; vor allem scheitert man vielfach bei Versuchen mit grünen Pflanzen im Winter an der technischen Schwierigkeit der richtigen Beleuchtung. Trotz meiner Bemühungen ist es mir noch nicht gelungen, eine Lichtquelle aufzufinden, die bei genügender Intensität die günstige spektrale Zusammensetzung des Sonnenlichtes, vor allem die richtige Intensitätsverteilung der schwächer und stärker brechbaren Strahlen besitzt, oder die vielleicht die Sonne sogar in diesen Beziehungen übertrifft. Man kann diese Schwierig- keit in einzelnen Fällen überwinden, indem man in den Pflanzen 396 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. durch sehr gute Kultur im Sommer eine sehr reichliche Aufspeiche- rung organischer Substanzen herbeiführt. In einer Beziehung hat Kniep recht, wenn er sagt, daß meine Beobachtungen die Annahme einer erblichen Rhythmik nicht absolut widerlegen können. Das gilt aber aus erkenntnistheoretischen Gründen für jede aus rein empirischen Erfahrungen hergeleitete Regel, ja sogar für ein Gesetz. Es gibt immer Denkmöglich- keiten, die die allgemeine Gültigkeit bestreiten. Daher kann ich es nicht verhindern, daß Kniep statt wie ich es tue, von einer Potenz zur Ruhe von einer Tendenz spricht, die auch unter günstigsten Wachstumsbedingungen geheimnisvoll und unsichtbar in den Zellen waltet, wohl zeitweilig unterdrückt wird, aber schließlich doch — wer weiß aus welchen Gründen — das Wachs- tum überwindet und Ruhe schafft. Aber man kann doch den Versuch machen, von einer allgemeinen Betrachtung des Problems ausgehend, zu einer in sich selbst einleuchtenden Schlußfolgerung zu gelangen. Das Problem von Wachstum und Ruhe ıst nur ein Sonderfall des viel allgemeineren Problems, warum überhaupt irgendeine Änderung der Entwicklung bei Pflanzen eintritt. Meine Unter- suchungen an Algen und Pilzen führten mich zu dem Resultat, daß, so lange die Bedingungen für das Wachstum günstig sind, keine Änderung der Entwicklung eintritt (Klebs 1900, S. 71). Eine Alge oder ein Pilz können weder ungeschlecht- liche noch geschlechtliche Fortpflanzung zeigen, sie können weder ruhen noch absterben, sie müssen wachsen. Eine Saprolegnia habe ich kontinuierlich 6 Jahre wachsen lassen, ein Plasmodium von Didymium 3 Jahre. Die Versuche mit Pilzen sind von meinen Schülern immer wieder mit gleichem Erfolg durchgeführt worden. Zur Zeit meiner Untersuchungen erregten die Arbeiten von Mau- pas großes Aufsehen; er wollte nachgewiesen haben, daß bei Infu- sorien nach einer gewissen Zahl von Teilungsgenerationen der Tod notwendig einträte. Ich machte aufmerksam (1900, S. 81), daß die Versuche von Maupas nichts bewiesen, weil seine Methode, in kleinen Mengen von Kulturflüssigkeit die Infusorien längere Zeit zu halten, zu Schädigungen führen müsse. Auf der anderen Seite stimmten die Versuche von Maupas mit den meinigen an Algen und Pilzen darin überein, daß eine Konjugation niemals eintritt, so lange die Zellen sich unter günstigen Wachstumsbedingungen befinden. Ich habe selbst Versuche mit Paramaecium aurelia ge- macht, indem ich von einem Exemplar ausgehend, Kulturen ın größeren, bei schwächerer Vergrößerung kontrollierbaren Gefäßen anlegte. Niemals trat eine Konjugation ein; ich beobachtete sie erst nach Entfernung des Nährmateriales. Ebensowenig habe ich G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 397 den Tod eintreten sehen.. Ich schloß daraus, daß die Infu- sorien sich wesentlich wie die Algen und Pilze verhalten (1900, Ss1). Diese Auffassung ıst durch neue zoologische Arbeiten durch- aus bestätigt worden. Nachdem schon Enriques (1907, S. 273) durch eingehende Untersuchungen von Infusorien zu dem gleichen Schluß wie ich selbst kam, ist durch die sehr genauen Kultur- und Zählmethoden von Woodruff(1911) der Nachweis geliefert worden, daß Paramaecium aurelia Jahre hindurch nach Tausenden von Tei- lungen bei sicherem Ausschluß der Konjugation ununterbrochen und lebensfrisch wächst. Bei der weiteren Untersuchung zeigte sich aber eine merkwürdige Erscheinung. In dem Makronukleus der Infusorienzellen treten komplizierte Prozesse einer Umwandlung hervor, die Richard Hertwig als Parthenogenesis bezeichnet hat. Dieser Prozeß verläuft nach den Untersuchungen von Woodruff und Erdmann (1914) periodisch, was nach den beiden Verfassern durch rein innere Gründe bewirkt wird. In seiner neuesten inter- essanten Arbeit hat Jollos (diese Zeitschrift 1916) experimentell bewiesen, daß diese Parthenogenesis in jedem Zeitpunkt des Lebens durch äußere Faktoren herbeigeführt werden kann. Jetzt bleibt nur die Frage übrig, ob diese Parthenogenesis nicht auch ausge- schlossen werden kann. Jollos vermochte zwar den Prozeß aul- zuschieben, nicht aber völlig zu verhindern, und so neigt er zu der Ansıcht, daß der Makronukleus aus inneren Gründen erneuert werden müsse. Ob das richtig ist, darüber werden erst neuere Untersuchungen entscheiden. Jollos betrachtet diesen Vorgang als eine Stütze für die Anschauung von Weismann, daß soma- tische Teile absterben müssen. Bei den Pflanzen ist die Kontinuität des Lebens, wie Sachs (1882, S. 942) klar erkannt hat, durch die embryonalen Zellen des Vegetationspunktes gewährleistet; von ihm stammen auch die Ge- schlechtszellen ab. Es würde sich nach diesen Untersuchungen bei Infusorien fragen, ob bei jahrelangem Wachstum der Spitzen einer Alge, eines Pilzes oder einer Phanerogame auch irgendwelche Veränderungen des Zellkerns erfolgen. Aber auch wenn das nach- weisbar wäre, so würde das Hauptresultat: doch nicht verändert werden, daß eine solche Spitze aus rein inneren Gründen weder abstirbt noch eine Änderung der Entwicklung erfährt. Der von Weismann u. a. angewendete Ausdruck „Unsterblichkeit“ ıst zwar populär und bequem, aber wissenschaftlich zu wenig genau. Ohne an dieser Stelle auf die ganze Frage näher einzugehen, will ich nur betonen, daß der Begriff der Unsterblichkeit zu enge mit dem Be- griff der Individualität verknüpft ıst, und gerade dieser Begriff für die vorliegende Frage vermieden werden sollte. Nach meiner Auf- 398 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. fassung liegt das Wesentliche in der Dauer des wachstums- fähigen Zustandes der lebenden Substanz. In einer früheren Abhandlung (diese Zeitschrift 1904, S. 489) habe ich die Vegetationsspitze betrachtet als ein dynamisches Gleich- gewichtssystem nach der Definition von Van’t Hoff. Es ist besser, heute im Sinne der physikalischen Chemie von einem stationären Gleichgewicht zu reden, oder um jedes Mißverständnis auszu- schließen, von einem exodynamischen (nach einem Vorschlag von Trautz s. Klebs 1917, S. 114). Damit soll der wesentliche Charakter eines solchen Systems bezeichnet werden, daß es von außen erzwungen ist, im Gegensatz zu dem thermodynamischen (oder endodynamischen), welches sich von selbst, nach völligem Ab- schluß von der Außenwelt, einstellt. So lange bei einem chemischen System — man denke an die Gasflamme — die nötigen Stoffe von außen zugeführt, die Reaktionsprodukte nach außen abgeführt werden, müssen die chemischen Prozesse dauernd fortgehen. So lange den wachsenden Zellen die Nahrungsstoffe in richtiger Qualität und Quantität zuströmen und die Möglichkeit besteht, die Reaktions- produkte abzuscheiden, sei es direkt durch Ausscheidung, sei es durch Abtrennung von Zellen bei den weiteren Teilungen und Differenzierungen, so lange geht das Wachstum, wie die Erfahrung in sicheren Fällen beweist, unaufhörlich weiter. Das Dauernde ist der von außen erzwungene Gleichgewichtszustand in Form des Wachstums, bei ständigem Wechsel des Materiales der lebenden Substanz. Dieser Zustand muß dauernd sein. Ebensowenig wie ich mir vorstellen kann, daß eine Flamme unter den genannten Bedingungen von selbst ausgeht oder etwa zu ganz anderen chemischen Prozessen übergeht, ebensowenig kann ich mir denken, daß eine Vegetationsspitze unter den ent- sprechenden günstigen Wachstumsbedingungen je von selbst zu einer Änderung der Entwicklung oder zur Ruhe oder sogar zum Absterben übergeht. Das was ursprünglich rein induktiv gefunden worden war, erschien mir und erscheint mir heute noch als eine notwendige Deduktion aus den beiden Hauptsätzen der Energielehre. Die Tatsachen der Entwicklung bei den höheren Pflanzen standen zu dieser Folgerung anscheinend im schärfsten Widerspruch. Daraus ergab sich die notwendige Aufgabe einer eingehenden Prü- fung der Entwicklung höherer Pflanzen. Meine Untersuchungen über Glechoma, Ajuga u. s. w. (1903), über Sempervivum (1904, 1905, 1906, 1910), über Wachstum und Ruhe von Bäumen (1910, 1912, 1914, 1915), sie führten immer wieder zu dem gleichen Er- gebnis, daß die Vegetationspunkte unter den geeigneten Bedingungen wachsen müssen, daß jede Änderung des Entwicklungsganges eine Änderung der Außenbedingungen voraussetzt. Rosetten von Sem per- C. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 399 vivum Funküi, die normalerweise im dritten Jahre blühen und ab- sterben, wachsen in meinen Kulturen seit 10 Jahren vegetativ ohne zu blühen oder abzusterben; man kann sie aber immer wieder durch andere Bedingungen zum Blühen bringen. Der Einwand von Kniep steht nicht bloß im Widerspruch zu den Tatsachen, sondern auch zu der eben dargelegten Deduktion. Kniep ist auf seinen Einwand nicht auf Grund bestimmter Be- obachtungen an wachsenden Pflanzen, sondern auf Grund eines Ver- gleiches mit den periodischen Bewegungen von Blättern und Blüten gekommen. Aus Beobachtungen an diesen Vorgängen soll sich er- geben, daß das Ausbleiben der Periodizität unter gewissen kon- stanten Außenbedingungen noch kein zwingender Beweis gegen die Autonomie sei. Die Blüten von Calendula zeigen bei konstanter Dunkelheit einen 12: 12stündigen Rhythmus, der infolge Unkenntnis der ihn veranlassenden Faktoren als autonom bezeichnet wird. Der Wechsel von Licht und Dunkelheit ruft eine zweite periodische Bewegung hervor: bei 6: 6stündigem Beleuchtungswechsel entsteht ein entsprechender Rhythmus. Werden die Blüten einem 4: 4- oder 2:2stündigem Beleuchtungswechsel ausgesetzt, so macht sich die 12: 12stündige autonome Periodizität deutlich bemerkbar. Im Dauerlicht verschwindet überhaupt jede Periodizität. Aber wie die genauen Versuche von Stoppel und Kniep (1911) zeigen, sind bei dieser Beleuchtung die rhythmischen Vorgänge „quasi in un- sichtbarer Form“ erhalten (Kniep 1915, S. 21--23); sie lassen sich bei bestimmter Anwendung von Übergangsreizen nachweisen. Wir wollen hier die Richtigkeit der Kniep’schen Darstellung voraussetzen und nur hervorheben, daß sie nicht imstande ist, neues Licht auf das Verhältnis von Wachstum und Ruhe zu werfen. Wir haben bei Calendula 2 auf verschiedenen Ursachen beruhende Bewegungen, die aufeinander wirken. Wollen wir diese Schlaf- bewegungen mit dem Wachstum vergleichen, so können wir wohl sagen, daß jeder Bewegung als ihrer Gegenreaktion Ruhe entspricht und daß sowohl bei Culendula wie bei den Bäumen diese Ruhe durch äußere Bedingungen hervorgerufen wird. Wir haben aber nicht das Recht, die zwei verschiedenen Bewegungszustände bei Calendula mit dem Wechsel von Wachstum und Ruhe zu ver- gleichen. Ich würde daher den von Kniep gemachten Vergleich weniger für spitzfindig halten, wie er selbst meint, als für logisch nicht zulässig, da ein falscher Vergleichspunkt gewählt worden ist. Der wesentliche Inhalt der Arbeit von Kniep liegt ın der Verteidigung der Meinung, daß beı Pflanzen autonome Vorgänge existieren. Der Begriff ist in der Botanik durch Sachs (1874, S. 853) zur Anerkennung gebracht worden. Pfeffer (1875, S. 2) hat ihn in seiner grundlegenden Arbeit über die periodischen Be- 400 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. wegungen der Blätter übernommen und im Gegensatz dazu die- jenigen Bewegungen, die von außen veranlaßt werden, paratonisch genannt. In der 2. Auflage seiner Pflanzenphysiologie "hat Pfeffer (1904, S. 82, 161) die Be erweitert, indem er sie auch auf die Änderungen der Entwicklung übertrug. Er bezeichnete die von äußeren Be imgungen hervorgerufenen Änderungen als aitionom, diejenigen, die bei Konstanz der äußeren Bedingungen auftreten, als autonom. Nachdem ich nachgewiesen hatte, daß alle Merk- male, auch die anscheinend konstantesten, durch äußere Faktoren verändert werden können, kam ich (1904, S. 297) zu dem Resultat, daß der prinzipielle Unterschied von aitionom und autonom hin- fällıg ist. Später habe ich (1913, S. 20) mich ausführlicher gegen den Begriff des Autonomen ausgesprochen. In seiner Arbeit wirft Kniep (1915, S.11) mir vor, es liege bei mir „offenbar ein Mi$- verständnis“ vor. Wenn Kniep wirklich glaubt, durch diesen Vor- wurf die sachlichen Bedenken aus der Welt zu schaffen, so hat er sich die Sache doch zu leicht gemacht. Das Richtige ist: der Be- griff der Autonomie, wie er ın der Botanik noch heute verwendet wird, ıst widerspruchsvoll und zweideutig. Knıep beruft sich darauf, daß eine Modifikation des Ver- laufes der autonomen Vorgänge durch die Außenwelt von Sachs, Pfeffer u. a. nachgewiesen worden ist; mir war das selbstver- ständlich genau bekannt. Was aber Kniep übersieht, ıst die ent- scheidende Frage nach der Entstehung des ne Bei den aitionomen liegt die Sache klar, die Antwort lautet: mit Hilfe der Außenwelt. Wie entstehen aber die autonomen? Pfeffer (l. c., S. 161) antwortet: Durch das selbstregulatorische innere Walten und Verstellen, unabhängig von den Außenbedingungen. Also würde die Außenwelt die Veränderung nicht hervorrufen; vielmehr würde diese ausschließlich durch innere Faktoren bewirkt werden. Man erinnere sich jetzt, daß mit dem Ausdruck Autonomie in der Philosophie ein bestimmter Begriff verbunden ıst. Soviel ich weiß, hat Kant in seiner Kritik der praktischen Vernunft (11 $8) zuerst den Begriff der Autonomie für den besonderen Fall der menschlichen Willenshandlung definiert. Aus der Voraussetzung, daß im Menschen ein allgemein gültiges Sittengesetz existiert, folgert Kant die Autonomie, das ist die Freiheit des Willens. Der wesent- liche Charakter des Sittengesetzes liegt in der Unabhängigkeit von allen rein empirischen Motiven „von aller Materie des Gesetzes (nämlich ein begehrtes Objekt)“. Wir brauchen hier nicht auf den endlosen und anscheinend unlösbaren Streit über die Willensfreiheit einzugehen. Es ist aber wichtig zu betonen, daß Kant sich immer wieder dagegen verwahrt, das rein „praktische* Prinzip der Autonomie auf die Dinge der sinnlichen Erfahrung zu (+. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 401 übertragen, weil das den Prinzipien der Kritik der reinen Vernunft widerspricht. Trotzdem ist dieser Schritt von den Naturforschern und Philosophen nach Kant gemacht worden. Sie wenden aller- dings andere Ausdrücke an wie Bildungstrieb, Lebenskraft u.s w., setzen aber ein selbständiges, von der Außenwelt unabhängiges Prinzip im Organismus voraus. In neuerer Zeit hat der Vitalismus durch Driesch seine eingehendste und klarste Begründung erhalten; er verwendet den Ausdruck Autonomie insbesondere für die Form- bildung (1909, S. 144) und nımmt einen rein inneren Faktor, die Entelechie, an, die auch bei Konstanz der Außenbedingungen die ganze Entwicklung lenkt, die physikalisch chemischen Kräfte nur als „Mittel“ benutzend. Der Wortlaut der Definition und die Art der Begründung, die Betonung des Gegensatzes zu den aitionom veranlaßten Vorgängen lassen den Begriff des Autonomen ın der Botanık von dem in der Philosophie jedenfalls nicht klar und ein- deutig unterscheiden. Jedoch hebt Pfeffer ausdrücklich hervor, ebenso Kniep, daß „es eine von der Außenwelt unabhängige Periodizität niemals gibt.“ Folglich steckt in der Definition eine auf- fallende Zweideutigkeit. Man kann doch nicht mit dem gleichen Ausdruck zwei sich direkt widersprechende Dinge bezeichnen. Daher kommt es, daß Kniep (l.c., S. 11), ebenso auch Weber (1916, III, S. 36) sich genötigt sehen zu erklären: wenn sie den Begriff autonom anwenden, so meinen sie nicht seinen eigentlichen Sinn, sondern das gerade Gegenteil. Für alle, die wie Pfeffer, Kniep u.a. den Obersatz aner- kennen: alle Lebensvorgänge sind in letzter Linie durch die Außen- welt mit bedingt (aitionom), gibt es kein Ausweichen, kein Ent- rinnen ; die einzige logisch richtige Folgerung besteht darin zu sagen: die einen Vorgänge sind unmittelbar von der Außenwelt abhängig, die anderen nur mittelbar, wobei die Kette der vermittelnden Prozesse kürzer oder länger sein kann. Der Begriff der Autonomie hat jeden Sinn verloren, wenn Küster (1913, S. 105), ebenso neuer- dings Weber (1916, Ill, S. 35) ihn auf physikalisch chemische Vor- gänge anwenden, z. B. auf die Entstehung der Liesegang’schen Ringe. Hier läßt sich auf das Deutlichste nachweisen, daß der periodische Vorgang die notwendige Folge bestimmter, vor und bei dem Versuch gegebener Außenbedingungen ist (Klebs 1915, S. 7). Wenn ich eine Steinkugel an einen Faden hänge und ihr einen Stoß gebe, so bewegt sie sich periodisch bei konstanten Außen- bedingungen: wenn ich die gleiche Kugel an die Küste eines branden- den Meeres lege, so rollt sie periodisch auf und nieder bei Wechsel der Bedingungen. Man wird gewiß diese Vorgänge unterscheiden; aber ich möchte die Frage stellen, ob irgendein Physiker das Bedürfnis emp- finden wird, diese Vorgänge mit autonom und aitionom zu bezeichnen, 402 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. Diese Überlegungen führen gerade zu der wesentlichsten Frage, wie bei einer Pflanze eine Veränderung unter konstanten Bedin- gungen eintreten könne. Denn das von Pfeffer u. a. immer wieder hervorgehobene tatsächliche Vorkommen solcher Vorgänge ıst der einzige objektive Grund für die Annahme einer Autonomie. In einer theoretischen Schrift (1913) babe ich versucht die Frage für gewisse Fälle zu beantworten. Wır wollen zuerst von der Voraus- setzung ausgehen, daß wirklich sämtliche Faktoren der Außenwelt während des Vorganges einigermaßen konstant seien. Ich kam zu dem Resultat (l. e., S. 22): Die bloße Konstanz der Außenbedingungen ıst nicht als Beweis der Auffassung anzuerkennen, daß irgendein Entwicklungsvorgang wirklich unabhängig von der Außenwelt ver- läuft. Die Außenfaktoren wirken entweder zeitlich vor- her oder durch ihren Intensitätsgrad. Für den ersten Fall ıst es charakteristisch, daß die äußeren Bedingungen die inneren in bestimmter Weise so verändern, daß auf Grund dieser vorbereiteten Veränderung der Entwicklungsprozeß gleichsam automatisch abläuft und dabei ım hohen Grade und in weiten Grenzen von der während des Verlaufes herrschenden Außen- welt unabhängig erscheint. Als Beispiel nehme ich die Rosette von Sempervivum Funkü, die infolge der Wirkung des Sommers ım Herbst blühreif geworden ist, d. h. alle wesentlichen Substanzen der Qualität und Quantität nach für den Prozeß besitzt. Durch Dauerbelichtung mit einer Osramlampe kann ich in kurzer Zeit die letzten Veränderungen in der Rosette bewirken, die den aller- ersten Beginn der Infloreszenzbildung bedeuten. Dann vollzieht sich der ganze sehr verwickelte Bildungsprozeß nicht bloß unter konstanten Außenbedingungen, sondern auch — und das ist viel ‘ merkwürdiger — unter solchen Bedingungen, die aller Erfahrung nach den Prozeß verhindern sollten. Bei den allermeisten Blüten- - pflanzen, selbst typischen Wassergewächsen, verhindert die Umgebung von Wasser die Bildung von Blüten; das gilt erst recht für einen Xerophyten wie Sempervivum. Dennoch gelingt es bei der vor- behandelten Rosette, die ganze Entwicklung der Infloreszenz innerhalb des Wassers hervorzurufen, ebenso auch bei sehr großer Trocken- heit, völliger Dunkelheit u.s.w. Die von der Außenwelt ver- anlaßten Veränderungen der inneren Bedingungen sind demgemäß auffallend stark „fixiert“; man könnte sich kein besseres Beispiel für die anscheinende Autononue oder Selbst- regulation oder Selbstdifferenzierung denken. Natürlich gelingt es doch durch die geeigneten Kombinationen von Außenbedingungen die mannigfaltigsten Veränderungen der Blütenbildung hervor- zurufen; aber die Tatsache der auffallenden Fixierung bleibt be- stehen. G. Klebs, Uber das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 403 Wir können heute nicht wissen, wie häufig solche durch die Außenwelt vorbereiteten, dann automatisch ablaufenden Lebens- vorgänge bei den Pflanzen sich finden. Es wäre denkbar aber nicht durchaus notwendig -—, daß die Bildung von Wurzel und Sproß oder von Kotyledonen des Embryo auf Grund der in der Eizelle vorbereiteten inneren Bedingungen geschähe. Es würde sich da- bei nicht um eine „erbliche Fixierung“ handeln; denn nach meiner Auffassung besteht die Erblichkeit in erster Linie in der Über- tragung der spezifischen Struktur mit ihren zahllosen Potenzen, d. h. Fähigkeiten, auf bestimmte Bedingungen in bestimmter Weise zu reagieren. Vielmehr würde es sich um eine gewisse Fixierung der inneren Bedingungen durch die vorbereitende Außen- welt handeln (Klebs 1904, S. 656—57). Der Nachweis würde da- mit zu liefern sein, daß man durch geeignete Vorbehandlung der Mutterpflanze die Entwicklung des Embryo in andere Bahnen leitet. Die Änderung der Entwicklung unter konstanten Außenbedin- gungen kann auch auf einem ganz anderen Wege durch die Außen- welt bewirkt werden, nämlich durch den Intensitätsgrad des einen oder des anderen Außenfaktors. Ich will als Beispiel die von mir (1916/1917) untersuchte Entwicklung der Farnprothallien nehmen. Läßt man die Sporen eines Farns, z. B. Pteris longifolia, auf einem nährsalzreichen feuchten Substrat keimen in bestimmter Entfernung von einer dauernden Lichtquelle (Ösramlicht oder das ganz kon- stante Quecksilberlicht), so vollzieht sich unter einigermaßen kon- stanten Bedingungen in der Tat die ganze Entwicklung bis zur Erzeugung der Geschlechtsorgane und der Keimpflanzen. Die Spore bildet einen quergeteilten Keimfaden, geht dann über zur Bildung einer Zellfläche, später zu der eines Zellkörpers, erzeugt Antheridien, Archegonien, schließlich junge Pflanzen. Welches ist hier der ent- scheidende Grund für diese regelmäßige Aufeinanderfolge von Form- veränderungen? Pfeffer (1901, S. 250) würde sagen, daß hier eine spezifische Ontogenese bei voller Konstanz der Außenbedingungen „in selbstregulatorischer Weise durch die inneren Wechselwir- kungen erzielt wäre“. Man könnte sich vielleicht auch heute so ausdrücken; aber es fehlt das eigentlich Entscheidende, daß die Ontogenese gebunden ist an eine bestimmte Intensität der Lichtquelle. Konstante Bedingungen vorausgesetzt, aber bei einem Licht von geringerer Intensität, wird die Entwicklung verändert. Es zeigt sich, daß jede der Entwicklungsstufen von einer anderen Lichtintensität abhängt als die vorhergehende oder nachfolgende, und zwar verlangt durchschnittlich die höhere Stufe mehr Licht als die nächst niedere. Infolgedessen gelingt es die Stufen voneinander AO4 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. zu trennen; man kann die keimende Spore als langen Schlauch, als vielgeteilten Keimfaden, als flächenförmiges Gebilde u. s. w. fort- wachsen lassen. Ein physiologisches Verständnis läßt sich schon heute erreichen, wenn man daran denkt, daß die durch die C-As- similation erzeugte organische Substanz: Zucker u. a. bei längerer Wirkung des gleichen intensiven Lichtes sich allmählich anhäuft und dadurch notwendig den Organismus von der niederen zu der höheren Stufe der Entwicklung überführt. Dabei wirken noch andere Faktoren mit, worauf ich hier nicht näher eingehen will. Man kann sich die Vorgänge durch ein Beispiel aus der Physik veranschaulichen. Wenn man ein Stück Eis in einen Raum mit konstanter Temperatur von 100° und bei konstantem Luftdruck bringt, so wird das Eis unter konstanten Außenbedingungen eine Aufeinanderfolge von Veränderungen erfahren, indem das Eis durch die allmählich sich ın ihm steigernde Temperatur in Wasser und dieses in Dampf umgewandelt wird. Die Darlegung beweist deutlich genug, daß die bloße Tat- sache einer Entwicklungsänderung unter konstanten Außenbedingungen in keiner Weise zu einer Aussage über die Ursache der Entstehung des Vorganges berech- tigt. Dieser Vorgang wird sicher in genauer analysierten Fällen ebenso durch die Außenwelt hervorgerufen (aitionom), wie es bei der leichter erkennbaren Abhängigkeit ähnlicher Vorgänge von wechselnden Bedingungen zutrifft. Der Ausdruck „autonom“ ist als Gegensatz zu aitionom auch aus diesen Grühden durchaus abzu- lehnen, ganz abgesehen von seiner begrifflichen Zweideutigkeit. Wir sind bei diesen Betrachtungen von der Voraussetzung einer Konstanz der Außenbedingungen ausgegangen. Da unser Wissen über diese Dinge doch sehr beschränkt ist, so bleibt meist bei den als autonom bezeichneten Vorgängen die Frage offen, ob nicht die In- konstanz eines bisher nicht berücksichtigten oder ganz unbekannten Faktors für den Vorgang wesentlich ıst. Wenn so viele Forscher wie Treub, Haberlandt, Schimper, Volkens, Simon u.s. w. auf Grund des gleichmäßig feuchten, warmen und hellen Klimas von West-Java die Ruheperiode tropischer Bäume als eine autonome erblich fixierte Erscheinung auffassen, so begehen sie damit den Fehler, daß sie einen der wesentlichen Faktoren für Ernährung und Wachstum: die qualitative und quantitative Beschaffenheit des Erdbodens, einfach als konstant voraussetzen. Mag man sich zu den Resultaten meiner Forschungen stellen wie man will, es zeugt jedenfalls von einem Mangel an wissenschaftlicher Kritik, wenn heute noch jemand, ohne Versuche, bloß auf Grund der vorhin- genannten Tatsache den tropischen Bäumen eine solche autonome Ruheperiode zuschreibt, trotzdem der sichere Nachweis vorliegt, G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 405 daß der Nährsalzgehalt des Bodens jedenfalls eine Bedeutung für die Dauer des Wachstums besitzt. Es ist von besonderem Interesse und bestätigt die hier ver- tretenen Anschauungen, daß in neuester Zeit durch eine wertvolle Arbeit von Rose Stoppel (1916) der Einfluß eines bisher unbekannt gebliebenen äußeren Faktors auf die als autonom geltenden Schlaf- bewegungen der Blätter von Phaseolus nachgewiesen worden ist. Es handelt sich um die elektrische Leitfähigkeit der Atmosphäre. die eine regelmäßige Tagesperiode, daneben auch eine Jahres- periode aufweist. Die tägliche Leitfähigkeitskurve stimmte auf- fallend überein mit der Tagesperiode der Blattbewegungen. Rose Stoppel (1916, 5.663) konnte durch Versuche nachweisen, daß die Blätter auf Störungen des elektrischen Gleichgewichts der Pflanze mit Bewegungen reagieren. Nach ihrer Auffassung sind es „Vorgänge elektrischer Natur, die die Blattbewegungen tages- rhythmisch regulieren. Es muß also ein tagesrhythmischer sich ver- ändernder elektrischer Reiz auf die Pflanzen wirken. Dieser be- steht in den periodischen Veränderungen der atmosphärischen Leit- fähigkeit“. Aus dieser Untersuchung ergibt sich, daß die Bewegungen der Blätter, die von Pfeifer, Kniep u.a. gerade als entscheidendes Beispiel für das Vorkommen autonomer Vorgänge hervorgehoben werden, in Wirklichkeit doch durch bestimmte Außenfaktoren be- dingt sind. Damit ıst die Autonomie auch für diese Fälle erledigt oder mindestens höchst zweifelhaft. Es bleiben übrig die periodischen Bewegungen der Blüten, z. B. von Calendıla, da nach R. Stoppel in ıhnen bisher keine elektrischen Ströme nachweisbar waren (l. c., S. 677). Aber gerade für diese rasch vorübergehenden und erst spät beı der Entfaltung der Blüten auftretenden Bewegungen ist es doch sehr unwahrscheinlich, daß der Mechanısmus dafür bereits ın der Eizelle fixiert vorliegt. In sehr anregender Weise hat R. Stoppel auf die Möglichkeit hingewiesen, daß Änderungen der Leitfähigkeit der Atmosphäre auf die verschiedensten Lebensvorgänge von Einfluß sein können. Nach ihrer Meinung käme auch der Einfluß der Jahresperiode bei jenen tropischen Bäumen in Betracht, die ın unserem Winter nach meinen Beobachtungen schwächer wachsen oder direkt ruhen. Denn im Dezember erreicht die Leitfähigkeit bei uns ıhr Minimum. Es entzieht sich meinem Urteil, ob diese Leitfähigkeit überhaupt da- für von Bedeutung sei. Jedenfalls kann sie keinen entscheidenden Einfluß gegenüber dem Lichtmangel ausüben. Denn an und für sıch können alle die Pflanzen wıe Eiche, Buche, Adlanthus, Robinia, tro- pische Baumarten auch im Dezember wachsen, sobald nur genügende Reservestoffe vorhanden sind; bei manchen Bäumen wie Buche, 37. Band 28 406 G- Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. Arlanthus, Robinia wirkt eine größere Lichtmenge (Dauerbelichtung) gerade im Dezember sehr günstig auf das Wachstum ein. Überbliekt man die gesamte Darstellung, so kann sie vielleicht doch dazu dienen in der Botanik zur Anerkennung zu bringen, daß die Entwicklungsvorgänge Reaktionen der ee Struk- tur auf bestimmte Andehunsen der Außenwelt sind. Seit meiner ersten Arbeit (diese Zeitschrift 1889) habe ich den Gedanken ständig verfolgt und geprüft. Die Versuche mit Algen und Pilzen sind in ihrer theoretischen Bedeutung wenig beachtet worden. Als ich die Richtigkeit der Anschauungen auch bei den höheren Pflanzen nach- wies, hat sich von allen Seiten Widerspruch erhoben, trotzdem ein Forscher wie Goebel ganz unabhängig durch zahlreiche erfolg- reiche Versuche ın der experimentellen Morphologie vielfach zu ent- sprechenden Anschauungen gelangt ist (vgl. seine zusammenfassende Darstellung 1908). Ich vertraue auf die Zukunft, daß sie uns in den wesentlichen Punkten Recht geben wird; ich vertraue um so mehr darauf, als ım letzten Grunde die Versuche nur das beweisen, was sich als notwendige Folgerung aus dem Kausalprinzip ergibt. 2. Das Problem von dem Verhältnis der äufseren und inneren Bedingungen. Da unsere Kenntnisse über die inneren Stoffwechselprozesse der Zellen sehr mangelhaft sind, so läßt sich auf die Frage nur hypothetisch antworten, in welcher Weise die Außenwelt eine Änderung der ame z. B. den Übergang aus Wachstum zur Ruhe Oder umgekehrt bewirkt. Man kann heute nicht anders vor- gehen, als solche Überlegungen zu machen, die durch gewisse Tatsachen gestützt und durch Versuche weiter geprüft werden können. In mehreren Arbeiten (1916, I, II, III) hat Fr. Weber meine Anschauungen bekämpft. Dieser Forscher hat eine neue wich- tige Methode entdeckt, Ruheknospen unserer Bäume im Winter zum Treiben zu bringen, indem er die Zweige oder auch kleinere Bäumchen 2 age einer Luft mit Acetylengas aussetzt. Dieses Verfahren scheint auch (Weber 1917) praktische Bedeutung zu gewinnen, wie das Äther-Verfahren von Johannsen oder die Warmbadmethode von Molisch, Weber gelang es auch die Buche Ende Dezember zum Austreiben zu veranlassen. Diese Be- obachtung, die meine Ansicht über die stets zu beseitigende Ruhe der Knospen nur bestätigt, nımmt Weber zum Anlaß einer Kritik meines Ausspruches, daß das Winterlicht nicht genügend sei für das Treiben der Buche ım Gewächshaus. Das ıst nur ein Ausdruck für die Tatsache, daß die Buche austreibt, sobald ich sie im Winter einer größeren, allerdings auch spektral etwas veränderten Licht- menge aussetze. Die Versuche mit Acetylen ändern doch daran @G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 40% nichts. Wenn ich sage: das Wasser siedet bei uns bei 100°, so kann mir doch niemand einwerfen, das seı falsch, weil im Gebirge es bei viel niederer Temperatur siedet. Das hängt eben von der Ge- samtheit der Bedingungen ab. Weber macht dabei den Fehler, mir den Gedanken zuzuschieben, als wäre das Licht absolut not- wendig (1916, 1, S. 11). Ich habe doch selbst nachgewiesen (1914, S. 52), daß Zweige sogar im Dunkeln austreiben können, sobald man in ihnen vorher durch Licht die ersten Vorbereitungen erweckt hat. Also erregt das Verhalten der Buche nach Acetylenbehandlung nicht die geringste Überraschung. Da das Licht, wie ich mir vor- stelle, wesentlich dazu dient den Stoffwechsel in den Knospen an- zuregen, also nur indirekt wirkt (l. c., S. 62), so ergibt sich daraus die Frage, ob es nicht durch andere Mittel ersetzt werden könnte. Ich versuchte das ganze Treiben im Dunkeln mit Hilfe von Aspa- ragın oder Zuckerlösung herbeizuführen; es gelang mir nicht, was nichts dagegen beweist, daß es nicht später ın irgendeiner Weise gelingen wird. Weber hat nicht einmal den Versuch gemacht, ob seine Acetylenmethode auch bei völligem Lichtabschluß wir- kungsvoll sei; selbst wenn es der Fall wäre, würde es meine Auf- fassung doch nur bestätigen. Wenn Webrer trotz meines Nach- weises der Bedeutung der Lichtmenge für die Buche, es vorzieht von einem „Lichtreiz“, ebenso später von einem Nährsalzreiz zu sprechen, so ist das eine rein subjektive Meinungsäußerung. Ich lehne den Ausdruck Reiz für die Wirkung der Außenbedingungen auf die Entwicklung ab, weil nach der bekannten P feffer’schen Definition von der „nur auslösenden Wirkung des Reizes“ die entscheidende Bedeutung des Quantitativen nicht klar hervortritt (Klebs 1917, S. 116). Wenn andere Gelehrte den Ausdruck Reiz als einen Kautschuk-Begriff verwenden und über alles und jedes dehnen und spannen, so kann ich darin allerdings keinen besonderen Vorzug erblicken. Das Problem von der Wirkung der äußeren Bedingungen auf die Rhythmik der Pflanzen kann ın zwei Fragen zerlegt werden, indem man einerseits die Bedingungen untersucht, die den Eintritt der Pflanze in die Ruhe, andererseits diejenigen, die den Austritt aus der Ruhe herbeiführen. Nach meiner Auffassung (1911, S. 47; 1915, S. 31) gehen die wachsenden Triebe allmählich in den Zustand der Ruhe über, so- bald irgendein wesentlicher äußerer Faktor wie Wärme, Feuchtig- keit, Nährsalzgehalt, Licht so vermindert wird, daß das Wachstum eingeschränkt wird. Mit der Abnahme des Verbrauches ist eine Zunahme der Speicherung organischer Stoffe verbunden; je stärker diese Speicherung erfolgt, um so mehr wirkt sie hemmend auf den Stoffwechsel, besonders die fermentative Tätigkeit ein; die Knospe Ig* 408 6. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. geht zur Ruhe über, d.h. einem äußerst beschränktem Stoffwechsel. Die Tatsachen, die dieser Auffassung zugrunde liegen, sınd folgende: 1. eine Einschränkung des Wachstums führt je nach den Bedin- gungen bald früher bald später bei einer Alge, einem Pilz, einem Farnprothallium, einer Phanerogame zu einer direkt festzustellen- den Aufspeicherung von Stärke oder Fett u. dgl.; 2. die Ansamm- lung der Reaktionsprodukte schränkt die weitere fermentative Tä- tigkeit stark ein. Weber geht auf diese Begründung meiner Auffassung nicht weiter ein, bekämpft sie, indem er sich an den Sonderfall hält, daß Verminderung des Nährsalzgehaltes zur Ruhe zwingt. Weber (1916 Il, S. 34) bestreitet, daß die Ruhe der Knospen ein Zwangszustand infolge Nährsalzmangels der Umwelt sein könne. Sein wichtigster Gegenbeweis besteht in der Folgerung: wenn ein unterminimaler Nährsalzgehalt die Ruhe herbeigeführt hätte, so wäre es nicht ver- ständlich, warum irgendeine andere Bedingung wie z. B. das Ace- tylen die Knospe aus der Ruhe erwecken könnte. Weber hat bei seinen Überlegungen zwei wesentliche Dinge nicht beachtet, die seinen Einwand hinfällig machen. Ein absoluter Nahrungsmangel ım Boden kann und muß, wie meine Versuche z. B. mit Pithe- colobıum zeigen, zur Ruhe führen; dann wird Zufuhr von Nähr- salzen die beste Methode sein die Ruhe aufzuheben. Aber wo hätte ich behauptet, daß eine Buche im Juni aus absolutem Nah- rungsmangel ihre huheknospen ausbildet? Weber unterscheidet nicht absolut und relativ. Ich habe ausdrücklich in meiner Buchen- arbeit auf vier verschiedene Möglichkeiten hingewiesen, wie die Ruhe eintreten kann (1914, S. 68): 1. eine zu geringe Lichtmenge bei genügender Menge von Nährsalzen und C-Assımilaten, 2. eine absolut ungenügende Zufuhr von Nährsalzen bei genügender Licht- menge und reichlicher C-Assımilation, 3. eine relativ zu geringe Menge von Nährsalzen bei sehr intensiver U-Assimilation, 4. eine zu geringe Menge von Kohlenstoff-Assimilaten nach Erschöpfung des Reservemateriales bei ungenügender C-Assımilation trotz großer Lichtmenge. Wenn also ım Mai-Juni die Blätter bezw. das Uam- bıum die begrenzte Menge von Nährsalzen ın Beschlag nehmen, so kommt von ihnen so wenig zum Vegetationspunkt, daß sein Wachstum beschränkt wird, und das ıst um so mehr der Fall, je ge- rınger die Menge ist ım Verhältnis zu den organischen Substanzen, besonders den Kohlehydraten, die durch ihr Überwiegen das Wachs- tum noch weiter einschränken. Deshalb braucht ein absoluter Nähr- salzmangel gar nicht einzutreten. Dazu kommt noch der zweite ent- scheidende Punkt, daß meine Angaben sich auf den Vegetationspunkt beziehen, aber nicht auf die Zweige und den ganzen Stamm, die im Laufe des Sommers doch größere Quantitäten der Salze in sich G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 409 aufsammeln können. Der neu erregte Stoffwechsel betrifft doch nicht die Knospen alleın, sondern auch den sie tragenden Zweig, und selbst wenn ın der Knospe zu wenig Nährsalze vorhanden wären, so würden ıhr diese Stoffe von den Stammteilen zuströmen. Es gelang mir nicht (1914, S. 54) isolierte :Buchenknospen oder Knospen mit einem kurzen Stammstück (bis zu 10cm) zum Aus- treiben zu bringen; das Stammstück mußte länger (25—-35 cm) sein (vgl. auch über den Vorteil längerer Stammstücke Portheim und Kühn 1914, 5.11). Frl. Müller konnte dagegen bei Winterknospen von Ginjko mit sehr kurzem Stammstück (1 cm) das Treiben erzielen, während ganz isolierte Knospen bisher versagten. Das verschiedene Verhalten hängt wohl mit der verschiedenen chemischen Zusammen- setzung der Knospen zusammen. Meine Auffassung über die inneren Veränderungen beim Ein- tritt der Ruhe stellen doch nur einen Versuch dar, eine vorläufige Einsicht anzubahnen; sie kann später sehr wohl durch eine richtigere ersetzt werden. Immerhin fragt es sich, ob denn die von Weber ausgesprochenen Ideen wirklich besser begründet sind. Weber (1916, 11, S.24) befürwortet den Gedanken von Simon (1914, S. 179), daß eine Anhäufung von Spaltungsprodukten, z. B. des oxalsauren Kalkes, das Wachstum des Vegetationspunktes einschränkt. Man erkennt, daß der Gedanke sich in der von mir vorgeschlagenen Richtung bewegt. nur daß Simon es vorzieht, ein Nebengeleise ein- zuschlagen, indem er an Stelle der Aufspeicherung der lebenswich- tigen Reservestoffe diejenige eines Nebenproduktes annımmt. Ich habe zunächst nichts dagegen, daß auch dieses Nebenprodukt eine Rolle spielen könnte, vorausgesetzt, daß mindestens der Nachweis für die Auflösung des Nebenproduktes bei dem Erwachen aus der Ruhe geliefert wird. Von einer solchen Auflösung des oxalsauren Kalkes ist bis jetzt nichts bekannt. Simon spricht auch von der Möglichkeit von „Ermüdungstoxinen“. Weber greift diesen Ge- danken auf und überträgt einfach die von Verworn (1913, S. 914) ausgesprochene Ansicht über den Eintritt des Schlafes bei den Men- schen auf den Eintritt der Ruhe bei den Pflanzen. Wie der Schlaf so sei auch die Ruhe ein „langhingezogenes relatives Refraktär- stadium“. Die Ermüdungsstoffe: Milchsäure, Fettsäuren, komplexe Produkte des anoxydativen Stoffwechsels setzen bei den Elementen der Großhirnrinde die Erregbarkeit stark herab (Refraktärstadium), bis diese bald schneller bald langsamer gegen das Erwachen hin die normale Höhe erreicht. Die kurzen Andeutungen Weber’s geben kein klares Bild davon, was er mit diesem etwas abenteuer- lichen Vergleich für die Physiologie der Ruhe von Vegetationspunk- ten gewinnen will. Wie soll auch ein so komplizierter selbst un- genügend analysierter Vorgang in unserem Hirn uns Aufschluß 410 GG. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen, über dıe wachsenden Pflanzenzellen geben! Dann wäre es schon besser, den Analogien mit dem Winterschlaf von Tieren nachzu- gehen (vgl. die ablehnende Bemerkung von Johannsen 1913, S.519). Der einzige Vergleichspunkt der verschiedenartigen Vorgänge ist die Herabsetzung des Stoffwechsels, die auf sehr verschiedenem Wege erreicht werden kann. Wenn Weber aus Analogie mij dem Schlaf besondere Ermüdungsstoffe in den Knospen annımmt — für die sympodialen Bäume müßte er Tötungstoxine annehmen —, so muß man ıhn auffordern, auf irgendwelche tatsächlichen Stützen hinzuweisen. Setzen wir einmal voraus, es gäbe die Ermüdungs- toxine, so müßte man also annehmen, daß eine Buchenknospe nach 2—3 wöchentlichem Treiben durch Anhäufung von ihnen zur Ruhe, eine solche von Arlanthus nach 2—3 monatlichem Trei- ben zum Absterben verurteilt wird. Tatsächlich gelingt es, eine solche Knospe der Buche zu 6 monatlichem, diejenige von Ailanthus zu 9'/, monatlichem Wachstum zu bringen. Das könnte doch nur geschehen, ındem durch die Außenbedingungen die Toxine immer wieder zerstört werden. Da es sehr leicht ge- lingt, durch äußere Faktoren die wachsenden Triebe jederzeit in Ruhe überzuführen, so würde man also beliebig die Anhäufung der Toxine bewirken können. Folglich liegt die eigentliche Ent- scheidung in der Macht der Außenwelt. Während meine Anschau- ung uns den nicht wegzuleugnenden Zusammenhang von Außen- und Innenwelt wenigstens ahnen läßt, bleibt er bei den ad hoc er- fundenen Ermüdungsstoffen bis jetzt wenigstens unverständlich. Die zweite wichtige Frage bezieht sich auf die inneren Ver- änderungen, die die Knospen aus dem Zustande der Ruhe in den des Wachtums überführen. Da nach meiner Auffassung die Ruhe durch Lähnung des Stoffwechsels infolge starker Aufspeicherung von Reservestoffen und durch die damit verbundene Einschränkung der fermentativen Tätigkeit beruht, so ergibt sich als nächste Folge- rung, daß die Aufhebung der Ruhe durch eine Steigerung des Stoft- wechsels, vermittelt durch eine Steigerung der fermentativen Tätig- keit, bedingt ist. Alle die verschiedenartigsten Mittel, die die Ruhe [früher oder später aufheben: Wärme, Feuchtigkeit, das Warmbad (Molısch), Nährsalze (Lakon, Klebs), das Licht (Jost, Klebs), Frost und Trockenheit (Howard), Verwundungen (Weber), Nar- cotica(Johannsen), Acetylen(Weber), Radium (Molisch), Tabak- rauch (Molisch) u. s. w., bewirken eben die notwendige Steigerung des Stoffwechsels. Man muß sich gewiß hüten zu schematisch die Sache aufzufassen. Denn die einzelnen Mittel wirken durchaus nicht gleichmäßig; man muß für jede Pflanze das für ste beste Mittel aussuchen. Selbst für die gleiche Pflanze gibt es kein Allheilmittel, weil ihr Verhalten immer abhängig ist von den vorhergehenden G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 411 Wirkungen der gesamten Außenbedingungen, die den jeweiligen Ernährungszustand bestimmen. Wenn ©. Kühn (1916) mit Nähr- salzen wenig günstige Erfolge bei der Aufhebung der Ruhe von Winterknospen gehabt hat, so ändert das an der Bedeutung der Tatsache nichts, daß durch nährsalzreichen Boden bestimmte Pflanzen gerade zur Zeit der tiefsten Ruhe zum Wachstum zu bringen sind. Ich verweise auf meine Beobachtungen an der schwer treibbaren Eiche und Esche ın jenen Versuchen, ın denen die Bäumchen Anfang des Winters im Gewächshaus in frischer Erde ausgepflanzt wurden (Klebs 1914; Kp. X). Die allerersten Veränderungen im Innern der Knospen brauchen bei Anwendung der verschiedenen Mittel nicht immer die gleichen zu sein; nur besteht die Wahrscheinlich- keit, daß sie schließlich in der gleichen Richtung wirken, indem durch die Umwandlung des Reservematerials die genügende Menge löslicher Stoffe in dem für das Wachstum geeigneten Konzentra- tionsverhältnis erzeugt wird. Schon Sachs (1882, S. 425) hat an die Möglichkeit gedacht, daß in der ruhenden Kartoffel allmählich das Ferment der Diastase entstünde, das dann bei der Aufhebung der Ruhe wesentlich mit- wirkte. In seinen sorgfältigen chemisch physiologischen Arbeiten hat Müller-Thurgau (1885) die Anschauung begründet, daß die Zu- nahme an Gehalt von löslichem Zucker sowohl bei der Kartoffel wie auch bei den Baumknospen das Wachstum herbeiführt. In neueren Arbeiten haben Müller- Thurgau undSchneider-Orelli (1910, 1912) den Einfluß des Äthers, des Warmbades auf ruhende Organe untersucht; sie führten den Nachweis, daß durch diese Mittel die Atmung gesteigert wird und sehen in dieser Steigerung den Grund für die Aufhebung der Ruhe. Das stimmt vollständig mit den vorhin geäußerten Anschauungen überein und stützt sie wesent- lich. Wenn die beiden Verfasser (1912, S. 442) sich der üblichen Annahme anschließen, daß eine gewisse erbliche Fixierung der Ruhe vorhanden sei, so muß man daran erinnern, daß ihre sehr dankens- werten Versuche doch über diese Frage keinen Aufschluß geben können. Sämtliche Forscher, mit Ausnahme von Späth, begnügen sich immer nur mit Versuchen über die Aufhebung der einmal er- folgten Ruhe; die Versuche berechtigen nicht zu einem Urteil wie die Ruhe entstanden ist. Darüber können nur solche Versuche, wie ich sie angestellt habe, entscheiden, in denen die Bedingungen erkannt werden, die den Vegetationspunkt nicht zur Ruhe kommen lassen. In seiner Arbeit über die Wirkung des Acethylens lehnt sich Weber (1916, II, S.20) an die Verworn’sche Theorie an, nach der die Narkose auf einer Hemmung der Atmung beruht, also ein Erstickungsphänomen ist. Äther, ebenso auch Acetylen, sollen in A{2 G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. der ruhenden Knospe eine vorübergehende Hemniung der Sauer- stoffatmung beı gleichzeitig fortdauernder anoxydativer Spaltung bewirken und dadurch die Ruheperiode abkürzen. Denn es häufe sıch leicht oxydables Material an, was nach Aufhebung der Narkose zu einer Steigerung der Atmung führe, oder es könnten auch in der Narkose Reızstoffe entstehen, die dıe Wachstumsintensität steigerten (l. e., S. 25). Eine solche Hemmung der Atmung ist bis jetzt nicht nachgewiesen worden. Eine Stütze aber für die An- schauung liegt in der von Weber festgestellten Tatsache, daß der Aufenthalt in O-freien Gasen, z. B. Stickstoff, ferner die Behand- lung mit atmungshemmenden Substanzen wie Ammoniak und For- maldehyd eine gewisse Verkürzung der Ruheperiode bei Syringa be- wirkt. Würde sich diese Auffassung bestätigen, so würde sıe doch ganz ın den allgemeinen Rahmen meiner Auffassung hineinpassen. Weber meint, daß auch die Wirkung des Warmbades von Mo- lisch, ebenso die von Kälte und Trockenheit, sogar von höherer Temperatur (gegen 40°!) ın einer ähnlichen Hemmung der Atmung bestehe. Dagegen weist er selbst darauf hin, daß Verwundungen, die die Ruhe abkürzen können, anders wirken müssen, indem durch sie direkt eine Steigerung der Atmung hervorgerufen wird. Die Erstickungstheorie paßt gar nicht auf die Wirkung feuchter, warmer (25—30°) Dunkelheit, wie bei der Eiche, bei Adlanthus, oder auf die Wirkung der Versetzung ın frische nährsalzreiche Erde, oder auf die des Lichtes. Wir werden uns vorläufig mit der Vorstellung begnügen müssen, daß all die verschiedenen Außenfaktoren in ihren Wirkungen das Gemeinsame haben, den in der Ruhe trägen Stoff- wechsel so zu steigern, daß das Wachstum möglich wird. Aufs Engste hängt damit die Frage zusammen, wie die Faktoren auf die fermentative Tätigkeit wirken. In seiner neuesten wichtigen Arbeit hat Howard (1915, V) diese Frage experimentell untersucht. Zunächst stellte Howard fest, die Resultate von Müller- Thurgau und Schneider-Orelli bestätigend und erweiternd, daß Zweige, die mit Frost oder Trockenheit oder Äther behandelt wurden, gegenüber unbehandelten Kontrollzweigen eine deutlich gesteigerte Atmung aufwiesen. Diese Steigerung war am auf- fälligsten in der Zeit von Dezember und Januar, ın der die Be- handlung auch die Ruheperiode abkürzte, während am Anfang oder gegen Ende der Ruheperiode kein merklicher Einfluß auf die Atmung beobachtet werden konnte. Howard untersuchte dann weiter, wie sich die Fermente nach der Behandlung verhalten. Nach einer solchen mit Frost, Trockenheit, mit dem Warmbad, mit Äther, einem Alkoholbad, verdünnter Salzsäure, nach mechanischen Verletzungen zeigte sich allgemein eine deutliche Steigerung der diastatischen Tätigkeit im Vergleich zu den nichtbehan- G. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. 415 delten Zweigen (l. c., S. 56). Ebenso ließ sich das Gleiche für die proteolytischen und fettspaltenden Fermente nachweisen, und es heß sich auch eine deutliche Zunahme von Oxydasen feststellen. Ferner wurde eine Zunahme an reduzierenden Stoffen (Zucker) beobachtet. Wenn auch, wie Howard selbst hervorhebt, die Bestimmungen von Fermenten mit mancherlei Unsicherheiten verbunden sind, so sprechen doch die von ıhm gefundenen Tatsachen in ıhrer Gesamt- heit für den Gedanken, daß bei der Aufhebung der Ruhe eine Steigerung der fermentativen Tätigkeit wesentlich beteiligt ist. Howard hat sich seit einer Reihe von Jahren mit der Ruhe- periode beschäftigt und in mehreren Arbeiten (1910, 1915, I—V) die Resultate seiner ausgedehnten Versuche über amerikanische Pflanzen: Bäume, Sträucher, Knollen- und Zwiebelgewächse ver- öffentlicht. Es gab viele Arten unter diesen Pflanzen, deren Ruhe- periode trotz der angewendeten Mittel relatıv spät oder gar nicht aufzuheben war. Ich kenne aus zahlreichen Erfahrungen, wie solche Versuche an manchen Pflanzen mißlingen. Wie vorsichtig man in der Bewertung solcher negativer Resultate sein muß, zeigt das Verhalten unserer Buche, bei der ich, ebenso wie zahlreiche andere Forscher, vergeblich versucht hatte, die Ruhe aufzuheben, bis es schließlich doch gelang. Ein neues, sehr lehrreiches Beispiel für die Unrichtigkeit von Schlüssen, die aus negativen Resultaten gefolgert werden, ist die Keimung der Samen unserer Mistel ( Viscum album). Ein so vortrefflicher Physiologe wie Wiesner hatte sich seit Jahren mit der Keimung dieser Samen, die nur ım Licht stattfindet, be- schäftigt. Er konnte die Ruhezeit etwas abkürzen, aber doch so wenig, daß er von einer erblichen Ruhe sprach. Heinricher (1912), der seit längerer Zeit die Kultur und Entwicklung der Mistel verfolgt hat, konnte nach mancherlei Versuchen die Samen während des Winters zu lebhafter Keimung bringen, ohne aber die Ruhe ganz aufzuheben. Endlich gelang es diesem Forscher doch (1916, 5.174), durch geeignete Kombination von Feuchtigkeit, Licht und Temperatur die Keimung der Samen sofort nach der Reife herbeizuführen. Man erkennt daraus, wie es oft jahrelanger Arbeit, zahlloser Versuche mit allen nur denkbaren Kombinationen der äußeren Be- dingungen bedarf, um zum Ziele zu kommen. Man kann nicht wißtrauisch genug sein gegen alle die noch heute in Lehr- und Handbüchern oder ın sonstigen Arbeiten der Botanik angeführten Behauptungen über erblich fixierte oder autonome Lebensvorgänge. Erblich fixiert ist die spezifische Struktur mit allen ihren zahllosen Potenzen; alles was sich tatsächlich entwickelt, d.h. verwirklicht wird, geschieht unter der notwendigen unmittelbaren oder mittelbaren Einwir- A414 @. Klebs, Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen. kung der Außenwelt. Das ist die von allem überflüssigem Bei- werk gereinigte Lehre wahrer Epigenesis, deren Bedeutung weniger darin liegt, jetzt schon für irgendeinen Lebensvorgang eine fertige Erklärung zu liefern, die doch nur hypothetisch sein kann, als viel- mehr den richtigen ungemein aussichtsreichen Weg zu bereiten für die allmähliche aber sichere Bewältigung des Problems. Aller- dings, wenn man denkt an die Formbildungen, deren unerschöpf- liche Mannigfaltigkeit durch die Morphologie, die Anatomie offen- bart wird, wenn man denkt an alle die physiologischen Vorgänge, die damit verknüpft sind, so kann man wohl erschreckt und ent- mutigt werden vor der erdrückenden Fülle des noch Unerforschten, Unverständlichen und Geheimnisvollen. Der Einzelne, ja eine ganze Generation, kann auf diesem Wege nur sehr langsam vorrücken, aber die Wissenschaft hat unbegrenzte Zeit für sich, unbeirrt durch vieles vergebliche Bemühen sich doch dem Ziele zu nähern, die Pflanzen in ihrer ganzen Entwicklung so zu beherrschen wie Chemie und Physik die Welt des Anorganischen. Literatur. Büsgen, M. Bau und Leben unserer Waldbäume, Jena 1897. Driesch, H. Philosophie des Organischen, Bd. I, Leipzig 1909. Goebel, K. Organographie der Pflanze, 2. Aufl., I, Jena 1915. — Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen. Leipzig 1908. Heinricher, E. Samenreife und Samenruhe der Mistel und die Umstände, welche die Keimung beeinflussen. Sitz. Wiener Akad. I 121, 1912. — Über den Mangel einer durch innere Bedingungen bewirkten Ruheperiode bei den Samen der Mistel, Sitz. Wiener Akad. I 125, 1916. Howard, W.L. An Experimental Study of the Rest Period in Plants, I Report 1910; II, III, IV, V Report 1915, Research Bull. Univ. Missouri, Agric. 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Man unterschied bisher zwei Tiertypen in bezug auf die über- wiegende bionomische Bedeutung der optischen bezw. der osmati- schen Rezeptionen; man sprach demnach von optischen und osma- tischen Tieren. Die tiefere Überlegung zeigt indessen, daß, wenn man nicht bloß die höhere, sondern auch die niedere Tierwelt in Betracht zieht, diese Einteilung nicht genügt. Denn es gibt Tiere, welche ihre Umgebung und deren Ver- änderungen hauptsächlich mittels des Tastsinnes erkennen. Schon a priori lassen sich die. Vorbedingungen aufzählen, die erfüllt sein müssen, um derartigen Tieren, welche ıch als taktile ım Gegensatz zu optischen und osmatischen bezeichnet habe), das Dasein überhaupt zu ermöglichen. Es handelt sich vorwiegend um Tiere, welche seßhaft bezw. wenig beweglich sind, ın einer homo- genen Umgebung leben und sich durch das Zusammenrollen bezw. das Zurückziehen ın das Wohnrohr vor dem Feind schützen können und schließlich ihre Nahrung entweder dem Boden entnehmen oder ein durch Zufall an ıhr Wohnrohr gebrachtes Beutetier zu erwischen trachten. Die taktilen Tiere müssen seßhaft bezw. wenig beweglich sein, denn die beweglichen Arten, welche den Schutz vor dem Feind ın Flucht suchen, können nicht der Rezeptionen entbehren, die durch die auf eine mehr oder weniger große Entfernung wirksamen Reize bewirkt werden. Sie müssen in einer homogenen Umgebung leben, um durch eine gleichmäßige Verschiebung von annähernd gleich- . großen Sand- bezw. Wasserpartikelchen, die in Form von Wellen bezw. Stößen ihren Körper mechanisch reizen, doch ein Fernsignal von einer unmittelbar drohenden Gefahr zu erhalten und sich recht- zeitig und in der Regel blitzschnell in ihr Wohnrohr zurückziehen zu können. Sie müssen schließlich wegen ihrer Seßhaftigkeit an die Nahrung angewiesen sein, die sie direkt dem Medium, in welchem sie leben, entnehmen; oder aber müssen sie in ihren Wohnröhren auf der Lauer liegen, um ein vorüberziehendes Beutetier mit den Mundwerkzeugen ergreifen zu können. Wenn man nun im Leben einer Tierart alle diese Vorbe- dingungen vorfindet, so kann man durch ein einfaches methodisches 1) Vgl. die „Untersuchungen über das Verhalten des Borstenwurmes Tubifexw“ in meinen „Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von den Handlungen der Tiere“ (Separatband in Pflüger's Archiv). J. S. Szymanski, Über taktile Tiere. 417 Verfahren entscheiden, ob man es tatsächlich mit einem taktilen Tier zu tun hat, Dies letztere ist nämlich der Fall, wenn man bei der Analyse der Wirksamkeit der einzelnen Reizqualitäten feststellt, daß die mechanischen Reize sich entweder als einzig wırksame oder min- destens als wirksamer als alle anderen erweisen. Um nun an einem Beispiel das Leben und das Verhalten eines taktilen Tieres zu erläutern, will ich auf Tubifex hinweisen’). Fig. 1. Überwiegen des positiven Stereotropismus über den negativen Phototropismus bei Tubifex. Die linke Hälfte einer Schale wurde mit einer so dünnen Sandschicht, daß sie zwischen den einzelnen Körnern das Licht durchließ, gefüllt (punktiert); in der Dunkelkammer wurde die Schale von links mit 32 Kerzen X 0.5 M. beleuchtet (die Pfeile zeigen die Richtung der Lichtstrahlen an). Der Wurm wurde auf den äußersten Rand der Sandschicht in der Mitte der Schale (bei X) mit der der Sandschicht parallel verlaufenden Längsachse gesetzt. Die Wassertemperatur betrug 16° C. Die stark ausgezogenen Linien markieren die Wege der Tiere. Die Würmer krochen also gegen die Lichtquelle hin und zwischen die Sandkörner; die anziehende Kraft des taktilen Reizes (des Sandes) machte sich demnach stärker als die sonst ab- stoßende Kraft des Lichtes geltend. Diese seßhaften einheimischen Borstenwürmer leben auf dem schlammigen, fauligen Grunde von Gräben und Bächen; sie stecken mit dem Vorderleib im Wohnrohr; der Hinterleib ragt heraus. Bei der leisesten Erschütterung des umgebenden Wassers zieht sich der letztere blitzschnell ins Wohnrohr zurück. Sie ernähren sich aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Schlamm, in dem sie buch- stäblich mit dem Kopf stecken. Die Analyse der Wirksamkeit der einzelnen Reize hat gezeigt, daß die Würmer auf die verschiedenen Modalitäten der mechanischen Reizqualität prompt und lebhaft reagieren. Alle übrigen unter- suchten Reize, mit alleiniger Ausnahme einer Modalität der optischen Reizqualität (Beleuchtung von der Seite mit 32 Kerzen X 0.5 bezw. 1 M. ın der Dunkelkammer), erwiesen sich als unwirksam. Bei der simultanen Einwirkung beider wirksamen Reizqualitäten stellte sich ferner heraus, daß der positive Stereotropismus in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Oberhand über den negativen Phototropismus gewonnen hat (vgl. Fig. 1). 2) V gl: 0.'c. 418 W. Kolle u. H. Hetsch, Die experimentelle Bakteriologie ete. Sowohl die Lebensweise der Tubifex, wie auch die Resultate der Analyse berechtigen zum Schluß, daß wir in diesem Falle ein taktıles Tier vor uns haben. Als weitere Vertreter der taktilen Tiere wären vielleicht, inso- fern sich dies wenigstens auf Grund ihrer Lebensweise beurteilen läßt, seßhafte Wasserbewohner, Maden und seßhafte Larven (Larve des Sandläufers u. a.), vieler Insektenarten und dergl. aufzufassen. Um jedoch die Frage definitiv entscheiden zu können, ob ein Tier tatsächlich taktıl genannt werden darf, genügt die alleinige Betrachtung der Lebensweise nicht; es muß noch, wie oben er- wähnt, die analytische Untersuchung der einzelnen Reaktionen aus- geführt werden. An den weiteren Untersuchungen, die unter diesem Gesichts- punkte unternommen worden wären, fehlt es noch fast völlig. Bloß von dem Ameisenlöwen, dessen Lebensweise bereits auf ein taktiles Tier hindeutet, wissen wir, daß „nach dem Ergebnis der ....... Ver- suche die Thigmotaxis sich als wırksamer als alle übrigen Reız- qualitäten erwies“ (Doflein), so daß man dieses Insekt ebenfalls als taktıl ansehen darf. Referate. W.Kolle u. H. Hetsch. Die experimentelle Bakteriologie und die Infektionskrankheiten. 4. erweit. Aufl., 2 Bd. gr. 8°, 1222 S., 61 mehrfarb. Taf., 170 Abb. im Text u. 5 Kartenskizzen. Berlin u. Wien 1916—17. Urban u. Sehwarzenberg. Das vortreffliche Lehrbuch, dessen frühere Auflagen an dieser Stelle schon rühmend besprochen waren, ist während des Krieges in wesentlich vermehrter Gestalt erschienen — ein Umstand, der ebenso bemerkenswert wegen der buchhändlerischen Leistung wie besonders wegen der Arbeitskraft der Verf. ist, die beide als Hygieniker Felddienst leisten. : Das Werk ist durch die Ergänzungen schon ein Mittelding zwischen Lehrbuch und Handbuch geworden, aber die Form von nunmehr 69 Vorlesungen wahrt ihm die Vorzüge des leichtverständ- lichen Lehrbuches. Die einzelnen Kapitel behandeln meistens eine Krankheit oder eine Krankheitsgruppe — so überschreiten sie großen- W. Kolle u. H. Hetsch, Die experimentelle Bakteriologie etc. 419 teils die Stoffmenge, die sich in Wirklichkeit in einer einzigen Vor- lesung von 1—2 Stunden Dauer behandeln ließe. Die Neuerungen, die für die Leser dieser Zeitschrift von Be- deutung sind, finden sich hauptsächlich ım 2. Bande, in dem nicht nur Protozoeninfektionen, und zwar neben den menschlichen auch die wichtigsten der Haustiere, sondern auch die Krankheiten durch bıs- her noch nicht systematisch genügend bekannte Erreger behandelt werden. Während bei den durch Bakterien erregten Infektions- krankheiten die Behandlung dem Titel „experimentelle Bakteriologie* entspricht und die klinisch-ärztliche Betrachtung der Krankheits- erscheinungen ganz beiseite gelassen ist, sind bei diesen Erkrankungen alle für das Wesen und die Erkennung wichtigen Einzelheiten be- rücksichtigt. Ganz neu sind die Abschnitte über die Weil’sche Krankheit (unter den Spirochätenkrankheiten eingereiht), über Fleck- fieber und über Poliomyelitis acuta (unter den: filtrierbaren Krank- heitserregern eingereiht). Hier sind die Erfahrungen und Entdeckungen der letzten Jahre, ja der Kriegszeit selbst kritisch gewürdigt und in klarer verständlicher Form dargestellt; ähnlich aber auch an zahl- reichen anderen, nur weniger umfangreichen Stelleı;. Es sind Muster- beispiele für die Wertung der Erfahrungs- und Versuchsergebnisse, um den Zusammenhang zwischen geringfügigen histiologischen Ver- änderungen, bestimmten blutsaugenden Insekten und den Krankheits- erscheinungen aufzuklären. Ein Vorzug, der schon den früheren Auflagen eigen war, ist die eingehende und klare Berücksichtigung der Immunitätslehre ; dementsprechend ist jetzt eine Vorlesung eingefügt: Allgemeine Betrachtungen über die chemotherapeutischen Probleme, mit beson- derer Berücksichtigung der Chemotherapie der Syphilis, in dem die so fruchtbare Betrachtungs- und Forschungsweise Ehrlich’s dargestellt wird. Die Kapitel über Morphologie und Biologie der Protozoen und über Flagellateninfektionen werden dem zoologischen Fachmann frei- lich nichts Neues bieten, aber auch sıe sind vortreffliche Einführungen in die Probleme. Der Biologie im engeren Sinne gehört die neu- eingefügte Vorlesung über Darmbakterien an, die auf Grund der neuesten, vornehmlich im Freiburger Institut durch Schottelius und seine Schüler durchgeführten Versuche über die keimfreie Aufzucht von Hühnchen zu dem Ergebnis kommt, daß die Darm- bakterien zur vollständigen Ausnützung der Nahrung notwendig seien. So kann das ganze Buch jedem, der sich ım allgemeinen oder unter besonderem Gesichtspunkt über die menschlichen In- fektionskrankheiten und die von ärztlicher Seite entwickelten An- schauungen über Parasitismus orientieren oder das wichtigste über eine menschliche Infektionskrankheit erfahren will, auf das wärmste empfohlen werden. Werner Rosenthal (Göttingen). 420 K. Künkel, Zur Biologie der Lungenschnecken. Karl Künkel, Zur Biologie der Lungenschnecken. Ergebnisse vieljähriger Züchtungen und Experimente. Heidelberg 1916. C. Winter’s Verlag. Künkel hat in diesem Band seine langjährigen systematischen mühevollen und gewissenhaften Untersuchungen über die Lebens- weise der deutschen Lungenschnecken, besonders der Gattungen Helix, Arion, Limax, die zum Teil schon an anderer Stelle veröffent- licht waren, zusammengefaßt. Er behandelt einmal den Wasser- haushalt der Tiere, der bei den Mollusken eine äußerst wichtige Einrichtung bildet, deren Leistung in vieler Hinsicht über das was bei anderen Tieren zustande kommt, hinausgeht, so z. B. bei der Frage nach den Ruhezuständen der Schnecken (die Tiere können monatelang, ja ein Jahr und länger ohne Nahrung aushalten und weitgehend eintrocknen). Es wird hier insbesondere die Frage der Wasseraufnahme durch die Haut, durch den Verdauungskanal sorgfältig untersucht und beantwortet, die Frage, ob gesonderte Porı für die Wasseraufnahme bestehen, ob dieses durch die Haut ins Blut aufgenommen werden kann oder nicht u. a. behandelt, weiter die Frage, unter welchen Bedingungen und wie Wasser ab- gegeben wird und in welchen Mengen. Auch die Bedeutung des Wassers für die geographische Verbreitung der Landpulmonaten finden wir erörtert und das Wasser als äußerst wichtiger Faktor dabei erkannt. Dann hat der Verfasser, dem seine Gattin größtenteils bei der mühsamen Arbeit zur Seite gestanden ist, Züchtungsversuche bei Nackt- und Gehäuseschnecken vorgenommen, die Vorgänge bei .der Selbstbefruchtung der zwitterigen Tiere beobachtet, die Kopulation, den Zeitpunkt des Eintritts der Geschlechtsreife, festgestellt und sichere Angaben über das Lebensalter verschiedener Arten gemacht, das zwischen nur einem und sieben Jahren schwankt. Auch Fragen der Vererbung endlich hat der Verfasser an seinem Beobachtungs- material verfolgen können. Das vorliegende Werk ist eine bleibende Grundlage für weitere biologische und physiologische Untersuchungen an diesen Tieren, und schon aus diesem Grunde sehr wertvoll. Es wird von vielen, die auf diesem Gebiete arbeiten, mit großem Dank begrüßt werden, vielleicht mehr als manche Theorien über Probleme, die zurzeit noch nicht mit Erfolg angegriffen werden können. Weinland. Neuerschienene Bücher die der Zeitschrift zugegangen sınd, (Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) H. Schroeder. Die Hypothesen über die chemischen Vorgänge bei der Kohlensäureassimilation und ihre Grundlagen. s’. 188 8. Jena 1917, Verlag von Gustav Fischer. Preis Mk. 4.50. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße ER Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Mi: von SE Thieme in wre 37: Band ER September 1917 | Nr. 9 auperseheh am 30. ‚September Der - jährliche En a2 Hefte) beträgt 20 ask Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Inhalt: A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. S. 421. H. Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. S. 429. A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. $. 438. F. Heikertinger, Uber einige Versuche mit ZLytta vesicatoria L. zur selektionistischen „Schutzmittel‘'-Frage. S. 446. Referate: E. Zander, Die Zukunft der deutschen Bienenzucht. — Zeitgemäße Bienenzucht. $. 461. Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten, Von Adolf Pascher. (Mit 7 Abbildungen im Text.) Wie der Vogel an den Federn so wird die Flagellate an der Geißel erkannt und beide sind charakteristische Bewegungsorgane, die ihre charakterisierende Bedeutung auch dann nicht verlieren, wenn sie in ihrer Funktion um- oder ausgeschaltet werden und z. B. bei einzelnen Flagellaten die Geißeln nicht mehr zum Rudern, sondern zum Schreiten benützt werden und als Gehwerkzeuge dienen. Oder wenn neben der Geißelbewegung eine Art der Orts- veränderung sich ausbildet, die vielleicht zunächst noch neben der Geißel vorkommt, bis schließlich diese als Bewegungsorgan ausge- schaltet wird und funktionslos ist. Im Jahre 1877 beschrieb R. Hertwig eine neue, den Nokti- luken verwandte Flagellate: Leptodiscus medusoides. Sie erreicht ziemliche Größe und hat die Form einer 1-1!/, mm im Durch- 37. Band 29 499 A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. messer messenden dünnen Scheibe, die nach dem Rande hin ver- dünnt ist und einer nicht sehr tiefen Schale gleicht, deren Boden zentral etwas unvermittelt verdickt ist. Hier ıst das „Zentral- plasma“, in dem auch der Kern liegt und von dem aus strangartiges Netzwerk die Schalenwand durchzieht. Die Geißel inseriert ın be- stimmter Weise am konvexen Teile der Schale und kommt für die Bewegung des Organısmus kaum mehr in Betracht. Vielmehr schwimmt die Flagellate völlig nach dem Muster einer Schirmqualle: an der Hohlseite der Schale verlaufen feine Myoneme, durch deren Tätigkeit sich der schalenartige Protoplast der Flagellate wie der Schirm einer Qualle zusammenzieht und wieder erweitert. Durch dieses rhythmische Auf- und Zusammenziehen der Schale kommt die Bewegung zustande. So soll sich nach Kofoid (1905) auch Oraspedotella verhalten, die im Prinzipe Leptodiseus gleich gebaut ist, im Gegensatze dazu aber eine ringförmige zarte Lainelle be. sitzt, die über die weite Mündung der gewölbten Protoplastenschale gespannt ist und nur zentral in der Achse ein Loch frei läßt. Diese Gattung ist einer kleinen Meduse noch viel mehr ähnlich Fig. 1. OraspedotellaK ofoid, schirmquallenartig gebaute Cystoflagellate — nach Kofoid aus Doflein. Lehrb. d. Pro- tistenkunde, 4. Aufl. und Kofoid nennt mit großem Recht diesen Organismus ein Beispiel für Kon- vergenz. Diese merkwürdige Bewegung, hervor- gerufen durch rhythmisches Kontrahieren der schirmartigen Protoplasten ist aber bei den Flagellaten, wie zwei neue Fälle beweisen, die hier beschrieben werden sollen, noch weiter verbreitet, und zwar nicht nur bei jener Fla- gellatenreihe, der die Uystoflagellaten, die mit den Dinoflagellaten im engen Anschlusse stehen, angehören, sondern auch bei einer anderen Flagellatenreihe, für die man für gewöhnlich keine be- sondere Formenfülle innerhalb der einzeln lebenden Typen vermutet. In der Ostsee bei Warnemünde am Übergang zum Breitling war in kleinen, mit faulenden Algen ausgefüllten Lachen eine kleine grüne Monade mit ganz abweichendem Bau zu finden. Die Zelle hatte die Form einer schalenförmigen, ziemlich stark gebogenen Platte, die annähernd wohl einem Hohlkugelabschnitte entspräche, aber gegen die Ränder mehr flach und weniger gewölbt war. In der Mitte, am Pole, war sie am stärksten, gegen die Ränder verdünnte sie sich allmählich. Der Rand selber war nicht kreisförmig, sondern ausgesprochen viereckig, wobei die Ecken leicht vorgezogen waren. Die Zelle hatte also die Form einer ziemlich gewölbten Schale mit viereckigem, nicht rundem Rande. Der konvexen Seite der Schale A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegüngsweise einiger Flagellaten. 495 lag ein großer grüner, an den muldenförmigen Rändern unregel- mäßıg gelappter Chromatophor an, der aber die Schalenwand ın einem breiten Rıng frei und klar ließ. Der Öhromatophor hatte kein Pyrenoid, wohl aber Stärke in Form kleiner Körnchen; ein großes Stigma war immer zu finden. In der Nähe der Mitte des muldenförmigen Chromato- phoren war der Zellkern. Eine diffe- renzierte Hülle wie bei Chlamydomonas z. B. war nicht nachzuweisen; der Protoplast war sehr metabolisch, kon- traktile Vakuolen fehlten wie fast immer bei nackten Flagellaten des Meeres, so auch hier. An jeder Ecke der Zelle saß eine zarte Geißel, die merkwürdig schlaff war und nicht jene eigenwillige be- stimmte Form hatte wie es sonst bei Fig. 2. Medusochloris Pascher, = . . pP eine Volvocale mit ausgebreiteten, Flagellaten der Fall ıst. Die Geißeln Schirm nern plasien, yon waren auffallend lang, 2—3 mal länger der Seite gesehen. als der Querdurchmesser der Zelle be- trug. Die Monade vermehrte sich durch Längsteilung, der Protoplast spaltete sich direkt in zwei Hälften auf. Damit ergibt sich mit Sicherheit die systematische Stellung der Monade, sie gehört zu den Polyblepharidinen, den nackten Volvocalen. Eine ganz ähnliche Zellform hatte eine andere farblose Flagel- late, die in alten Kulturen mit Meeresalgen wuchs. Sie hatte die Form eines sehr flachen geraden Kegels, der annähernd in der halben Höhe eine deutliche Querfurche hatte; an einer Stelle aber verbreiterte sich die Querfurche bis zu der Basis des Kegels und bildet hier eine ziemlich breite Längsrinne aus, die sich bis zum Rande fortsetzte. Dadurch war der Umriß der Kegelbasis nicht kreisrund, sondern sehr breit nierenförmig. In der Querfurche schwang eine Geißel in kleinen Wellen. Die Monade ist daher jedenfalls als eine Peridinee anzusprechen, bei der der Teil unter der Querfurche sich aber sehr bedeutend verbreitert hat. Die schwingende Geißel ist die Quergeißel der beiden Peridineengeißeln, die von der Querfurche zur Kegelbasis ziehende Rinne eben die Längsfurche, die aber keine Geißel mehr hat. Die Längsgeißel der Peridineen ist hier allem Anscheine nach verloren gegangen. Nun besitzt dieser Zellkegel keine solide Grundfläche, sondern die Geißel- fläche ist stark eingedrückt wie der Boden einer Weinflasche und besitzt wie dieser axial eine kleine Vorwölbung. Die Zelle ist daher 29 63 424 A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. nur im oberen Teil ein massiver Kegel, hier ist auch der Zellkern; der Teil unter der Querfurche entspricht einem Hohlkegel, dessen BR @ ee; ® 9 Er Fig. 3. a. Clipeodinium Pascher, eine Peridinee mit gleichfalls schirmartigen Protoplasten, b. in zusammengezogenem Zustande, c. halb zusammengezogen, von der Längsfurchenseite her gesehen, d. halb zusammengezogen, von oben, @ = die Querfurche, L —= Längs- furche, e. optischer Querschnitt von Olspeodinium in halber Höhe der hohlkegel- förmigen Basalteile geführt; Längsfurche deutlich. Wände sich gegen den Rand verdünnen. Damit bekommt die ganze Zelle ebenfalls die Gestalt einer muldenförinig gebogenen Schale, deren Querdurchmesser vielleicht 2—3 mal so groß ist als die Höhe. Beide Monaden, die grüne und diese farblose Dinoflagellate, haben also die gleiche Zellform. Und bei beiden ist die Geißel kaum noch das hauptsächliche Loko- motionsorgan. Beide werden durch die rhytbmischen Kontraktionen des schirmförmigen Protoplasten bewegt, genau so wie Craspodetella oder Leptodiscus oder die Schirmquallen. Bei beiden geht der Schirm mit der konvexen Seite voran. Es ist dies aber nicht der- selbe Pol bei beiden Monaden. Bei der grünen Monade — ich nenne sie Medusochloris phiale — werden die vier Geißeln nachgezogen. Medusochloris ist aber eine Volvocale resp. eine Polyblepharidine. Bei diesen sind die Geißeln immer am Vorderende angefügt, wie z. B. bei Chlamydomonas oder Carteria, nur ist hier bei Medusochloris das Vorderende ganz uner- hört verbreitert und die Geißeln sind dadurch sehr weit voneinander gerückt. Das morphologische Vorderende ist bei Medusochloris die A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. 495 Konkavseite und stellen wir Medusochloris auf wie eine Chlamydo- monas mit nach oben gerichteten Geißeln, dann kommt die Konkav- seite nach oben wie auch die Geißeln nach oben gerichtet sind. Tatsächlich bewegen sich auch fast alle einzeln lebenden Volvo- calen mit dem morphologischen Vorderende nach vorne. Bei der Schwimmbewegung von Medusochloris infolge der rhythmischen Kontraktionen des Schirmprotoplasten geht aber das Hinterende voran und das Vorderende hinten und die Geißeln werden nach- geschleppt. Die Kontraktionen erfolgen sehr rasch, ungefähr 4 auf 5". Diese Verhältnisse variieren gewiß sehr nach äußeren Umständen, dabei ist die Monade mit ihrer Längsachse nicht genau in die Be- wegungsrichtung eingestellt, sondern steht etwas schief dazu. a b Fig. 4. Medusochloris. a in aufgeklapptem, b in zusammengeklapptem Zustande. Nun ist bei Medusochloris die Einfügung der Geißeln an den Ecken der Platten erfolgt. Es muß ein bedeutender Reibungs- widerstand da sein, was sich daraus leicht ersehen läßt, daß zu Beginn dieser Klappbewegung der Schirmes, nur der proximale Teil der Geißeln mit hin- und herbewegt wird, die distalen Enden aber diese Bewegung nicht mitmachen. Erst wenn die Lokomotion ein- gesetzt hat, dann nehmen die nach rückwärts gerichteten Enden der Geißeln eine Lage ein, einerseits durch die passiven rhyth- mischen Bewegungen der unteren Geißelhälften, andererseits durch die Vorwärtsbewegung des Organismus im Wasser hervorgerufen, wozu noch die Rotation der Protoplasten in seiner Längsachse kommt. Im allgemeinen ist während der Bewegung an den Geißeln nur eine leichte Schlängelbewegung zu bemerken und da der Orga- nismus während der Bewegung um seine Längsachse rotiert, läge es nahe, diese Rotation auf die Schlängelbewegung der Geißeln zurückzuführen. Ich kann dies aber nicht bestimmt behaupten, es 426 A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. läßt sıch die Rotation um die Achse auch bei bloßer rhythmischer Kontraktion begreifen. Während der Kontraktion ist der Schirm von Medusochloris fast kugelig, von unten wie auch von der Seite ist leicht zu bemerken, daß die vier Ecken, die den vier stumpfen Radiarkanten des Protoplasten entsprechen, auch während der Kontraktion zwar un- As ZETSR deutlich geworden, dennoch aber erkenn- bar sind. ea Medusochloris scheint mir keine glück- liche Lösung des Problems einer Verbin- dung der Klapp- mit der Geißelbewegung zu sein, die vier an die Ecken so weit aus- einander gestellten Geißeln, stellen eben eine durch ihre Reibung ım Wasser bedeu- tende Hemmung für jede einzelne Kontrak- tion der Schirmes dar. Mechanisch vorteil- hafter, mit geringerer Reibung im Wasser verbunden wäre die Insertion der Geißeln ım Zentrum der Oberfläche, dann kämen Fig. 5. Medusochloris. die Geißeln von vornherein in die Längs- a zusammengeklappt, d auf- achse der Zelle zu stehen. Diese zentrale geklappt (b mit zu regel- Einfügung ist ja bei den Volvocalen üblich, mäßigem Umriß, in Wirk- auch bei vorn verbreiterten Typen (Pyra- lichkeit sind die Seiten nicht yonas, Asteromonas ete.). Doch sınd auch immer gleich lang). BE EN = R : : weit auseinandergerückte Geißeln, wie hier, bei den Volvocalen nicht unvermittelt, es gibt Typen, bei denen die 2 oder 4 Geißeln auch bei birnförmigen Protoplasten weit: von- einander abgerückt sind (Gloeomonas, Tetratoma und einige neue Gattungen). as Der schirmartige Protoplast der erwähnten farblosen Peridinee, sie sei Olipeodinium medusa genannt, arbeitet. genau so wie der von Medusochloris phiale. Hier ist aber nicht der ganze Protoplast an der Klapp- bewegung beteiligt, sondern das ver- breitete, basale Hohlkegelstück unter der Querfurche (die Spitze des Kegels als „oben“ angesehen). Nur dieser Teil kontrabiert sich, der obere solide kegel- Fig. 6. Olipeodinium in den förmige Teil ändert kaum seine Form, extremen Stellungen. während der basale im Momente der stärk- sten Kontraktion mehr oder weniger die Form einer kurzen, bauchig erweiterten Röhre, oder die einer unten offenen Hohlkugel annımmt. Während aber die Meduso- chloris verkehrt zur Bewegungsrichtung orientiert ist und mit dem A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. 427 morphologischen Basalende vorangeht, steht bei Olipeodinium Be- wegungsrichtung und Orientierung der Protoplasten ım Einklang: bei Clhipeodinium geht das nach der landläufigen Aufstellung der Peridineen obere Ende voraus. Allerdings stellt sich die Kegel- achse der Protoplasten auch nicht genau ın die Bewegungsrichtung, so wenig wie die Achse von Medusochloris, sondern steht ein wenig schief dazu. Auch bei Olipeodinium rotiert die Zelle um ihre Kegel- achse, was bei der schlängelnden Bewegung der erhalten gebliebenen Quergeißel leicht verständlich ist. Übrigens ist die Tourenzahl der Protoplasten höher als bei Medusochloris. Es wäre auch anzunehmen, daß das Fehlen der Längsgeißel eine Anpassung an die Klappbewe- gung des Protoplasten, für welche sie jedenfalls hinderlich wäre, sei. Fig. 7. Bewegung von Medusochloris und Clipeodinium. Die Achsen stehen schief zur Bewegungsrichtung, zugleich erfolgt Rotation um die Längsachse und schraubige Rotation um die Bewegungsrichtung. Bei Medusochloris geht das morpho- logische Hinterende, bei Olipeodinium das Vorderende voran. Bei beiden Organismen kommt auch Lokomotion mittels der Geißeln allen ohne diese Klappbewegungen der schirmförmigen Protoplasten vor. Bei (lipeodinium ıst es dann die Quergeißel, die Rotation und sehr unbeholfenes Hin- und Herschaukeln ohne wesentliche Ortsveränderung erzeugt. Bei Medusochloris ıst aber dann eine wesentliche Ortsveränderung zu bemerken; bemerkens- wert ıst, daß dann der Körper anders zur Bewegungsrichtung orien- tiert ist: bei der Medusenbewegung geht das konvexe Basalende voran, die Geißeln werden nachgezogen, bei der Geißelbewegung aber gehen die Geißel und die Hohlseite des Protoplasten voran. Der Organismus schwimmt dann, wie eine andere einzeln lebende 428 A. Pascher, Von der merkwürdigen Bewegungsweise einiger Flagellaten. Volvocale; nur rudern die Geißeln nicht ın gleichmäßigen Schlägen wie bei diesen, sondern schlängeln mehr, es kommt dadurch ein langsames, wackelndes Vorwärtsschrauben zustande. Es ist nicht abzuweisen, daß die Geißeln (sie sind sehr auffallend schlapp, be- reits nicht mehr auf ganzer Funktionshöhe) durch die Einstellung auf die andere Bewegungsweise bereits gelitten haben. Bewegungsrichtung und Körperachse fällt während der Bewegung, wie bereits erwähnt, nicht zusammen, sondern stehen sehr schief zueinander, wobei der Winkel ziemlich beibehalten wird. Infolge der Rotation der Zelle um die eigene Achse, die immer bei der Bewegung vorhanden ist, nimmt der Körper auch nicht immer die- selbe relative Lage zur Bewegungsrichtung ein, sondern er rotiert außerdem um die Bewegungsrichtung als Achse, so daß er bei konstanter Rotation des Zellkörpers um seine eigene Achse lang- gezogene Schraubengänge um eine Linie, die mit der Bewegungs- vıchtung zusammenfällt, beschreibt. Die Klappbewegungen sind jedenfalls als eine Spezialisation der sonst bei nackten oder mit differenzierten Protoplasten ver- sehenen Monaden so sehr verbreiteten Metabolie anzusehen. Der zähflüssige Protoplasmakörper der meisten Flagellaten steckt ja förm- lich in einem fast muskulär ausgestalteten Beutelchen, das oft sehr wohl gegen den Inhalt abgegrenzt ist. Bei den meisten Formen sind nun feinere Strukturen kaum nachzuweisen, obwohl sie vor- handen sind. Bei den derben Uryptomonaden und Eugleninen aber kennen wir bestimmte Streifensysteme, die bestimmten kontraktilen und starren Strukturen entsprechen, wie sie speziell für Euglene in schöner Weise von Klara Hamburger aufgezeigt wurden. Diese Periplaststruktur, bestehend aus kontraktilen und elastischen Komponenten, bewirkt bei vielen Euglenen die Metabolie, bei den Cryptomonaden aber eine Lokomotion, die völlig ohne Geißelbewe- gung vor sich geht, durch starke Kontraktionen dieser Hautschicht hervorgebracht wird und sich in einem ruckartigen Springen äußert (vgl. Oryptomonas, Cyathomonas, besonders aber Chroomonas pulex). Bei den Polyblepharidinen, zu denen Medusochloris gehört, ıst Metabolie sehr häufig. Aber auch bei den Dinoflagellaten. Hier konnte ich aus faulenden Süßwässern eine farblose Gymmodinrum studieren, deren obere Hälfte ebenfalls kegelig ist, dessen Basal- partie aber ebenfalls ungemein formveränderlich ist und hier mit die Aufnahme organischer Körperchen besorgt, wobei es sich um Metabolie und nicht um Amoeboidie handelt. Gerade dieses @ym- nodinium läßt es aber verstehen, wie es bei Ausnützung dieser basalen Metabolie für die Bewegung zu Formen wie (lpeodinium gekommen sein mag. Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. 429 Im Prinzipe müßten zwei mechanische Systeme vorhanden sein, ein radiär dilatorisches und ein peripheres, kontraktiles. Ersteres könnte starr sein und elastisch dem peripheren, kontraktilen entgegenwirken. Das scheint nun bei Medusochloris der Fall zu sein, hier scheinen die vier Partien, die den vier Ecken entsprechen, entschieden weniger geschmeidig, steifer zu sein als die Zwischenpartien, diese Stumpf- kanten sind auch im zusammengeklappten Zustande noch sehr deut- lich und es genügt; bei Medusochloris ringförmige Kontraktions- fasern, sei es in der Form eines geschlossenen, oder durch die vier Kanten in vier Abschnitte zerlegten Ringes anzunehmen. Da bei Medusochloris die Hautschicht sehr körnig ist, führte die Beob- achtung in vivo zu keinem Ergebnisse. Und zu Färbungen lag zu wenig Material vor, ganz abgesehen davon, daß gerade solche Struk- turen nicht einwandfrei eindeutig durch Färbungen erhältlich sind. Bei Clipeodinium konnte ich von radiären Systemen nichts be- merken, dagegen schien es mir, als ob der hohle basale Halbkegel im Längsschnitte seines Mantels deutlich Verdichtungen aufwiese, die sich durch andere Lichtbrechung erkennbar machten und Quer- schnitten zirkulärer Kontraktionssysteme entsprechen könnten. Auch hier gebrach es an Material, außerdem erschien mir das lebende Objekt wichtiger als das gefärbte Präparat. Prag, 5+Main1917; Literatur. Hamburger, Kl. (1911). Studien über Zuglena Ehrenbergii, speziell über die Kristalle. Sitzber. Heidelb. Akad. Wiss. Hertwig, R. (1877). Uber Leptodiscus medusoides, eine neue, den Noktiluken verwandte Flagellate. Jen. Zeitschr. f. Naturw. XI, S. 307. Kofoid, ©. A. (1905). COraspedotella, a new genus of Oystoflagellatae, an example of convergence. — Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. XLVI, S. 163. Pascher, A. (1914). Süßwasserflora Bd. II, Uryptomonadinae (Fischer, Jena). Ulehla, W]. (1911). Die Stellung der Gattung Cyathomonas im System der Flagellaten. — Ber. d. deutsch. bot. Ges., XXIX. Myrmikologische Beobachtungen. Von Heinrich Kutter (Zürich). 1. Zur Biologie und Psychologie einiger Formica-Arten. In seiner Arbeit: „Zur Kenntnis der Ameisen und Ameisen- gäste von Luxemburg,“ III. Teil, spricht Wasmann auf S. 12 die Vermutung aus, daß „beim Brutparasitismus von Formica die Königin der Hilfsameisenart gelegentlich durch die Königin der adoptierten Art beseitigt werden könnte“!). Diese Vermutung nachzuprüfen 1) Wasmann hatte auch Gelegenheit, durch eigene Beobachtung diese Ver- mutung zu bestätigen; siehe hiezu: Wasmann, „Über den Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myrmikophilie bei den Ameisen“. Biolog. Zentralblatt, Bd. 29, 1909, S. 663 u. 683 ff. 430 Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. war der Grundgedanke einer Reihe von Experimenten, welche, obschon ihre Resultate zum größten Teile negativ ausfielen, trotz- dem nichts gegen die ausgesprochene Vermutung Wasmann’s be- weisen, sondern vielmehr als reine Beobachtungen Interesse finden dürften. Durch starke anderweitige Inanspruchnahme war es mir leider unmöglich, mich mit der nötigen Sorgfalt der Frage widmen zu können. Um zum erwünschten Ziele zu gelangen, handelte es sich vor allem darum, durch die Anordnungen für die künstliche Beobach- tungsweise den natürlichen Verhältnissen im Freien möglichst nahe zu kommen. Dazu verwendete ich ein ziemlich großes Brett, welches rıngsherum einen erhabenen, durch Vogelleim für Ameisen unüber- schreitbaren Holzrand besaß. Diese „Holzarena“ wurde nun mit mehreren, untereinander getrennten, frsca-Kolonien ın Verbindung gebracht, so daß die Tiere wie im Freien ıhre Nester verlassen konnten, um ım Gras, welches ich in der Arena angepflanzt hatte, nach Nahrung zu suchen; anderseits aber auch, damit die in die Arena versetzten rufa-Königinnen ungestört, ohne Gewalt, zu den fusca gelangen konnten. Am 3. Mai 1915 setzte ich 12 rufa-Weibehen der gleichen Kolonie ın die Arena. Damals standen 4, untereinander feindliche fusca-Kolonien mit der Arena in Verbindung und zwar: Kolonie a mit 2 Weibchen und ca. 100 Arbeitern, & Bl n N) e Ä ” C ” 3 er] ” ” 6 ” ’ 2 ds Ad x »„ keinen n Am selben Tage schon war ein rufa-Weibchen in die fusca- Kolonie b eingedrungen. Am 4. Mai lag es tot in einer Ecke des Apparates. Merkwürdigerweise starb aber auch das fausca-Weibchen wenige Stunden nachher, aus einer mir unbekannten Ursache. Ich hatte leider keine Zeit gefunden, den ganzen Vorgang verfolgen zu können. Ob es zum Kampfe zwischen den 2 Königinnen ge- kommen war, konnte somit nicht festgestellt werden; auch ist es unwahrscheinlich, da die fusca-Königin nicht enthauptet wurde, von dem fremden r«fa-Weibchen, wie es, nach Wasmann’s eigener Beobachtung, sonst der Fall zu sein scheint?). Tags darauf befand sich wiederum ein r«fa-Weibehen in der Kolonie b. Diese Königin wurde am 6. Mai eifrig beleckt und gefüttert und konnte deshalb als adoptiert betrachtet werden. Am 8. Mai befanden sich 4 wei- tere rufa-Weibehen ın der weisellos gewordenen Kolonie b, welche sämtliche nach kurzer Fixierung seitens der fusca adop- tiert wurden. 2) Siehe Anm. 1. Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. 431 Diese Beobachtung erinnerte mich sehr an einige meiner früheren Experimente?), während deren es mir mit Leichtigkeit gelungen war, 16 rafa-Königinnen bei einer weisellosen fusca-Kolonie zur Adoption zu bringen. Damals war es mir aber, trotz mehrfacher Wiederholung des Versuches, niemals gelungen, auch rufa-Arbeiter der nämlichen Kolonie wie die adoptierten rufa-Weibchen bei den fusca zur Adoption zu bringen. Ich brachte nun versuchsweise am 15. Maı auch 3 rufa-Arbeiter zu den fusca. Diese wurden aber, wider Erwartung, beinahe ohne irgendwelche Störung von den fusca adoptiert. In wie großem Widerspruch auch dieses Resultat mit dem obenerwähnten stehen mag, so läßt es sich doch vielleicht durch folgende Tatsachen erklären, indem nämlıch: 1. die fusca-Kolonie, welche 16 rufa-Weibchen bei sich auf- genommen hatte, ca. 7mal volksreicher war als unsere Kolonie b, und dadurch zugleich auch das „Bewußtsein“, wenn man so sagen darf, einem fusca-Staate anzugehören, bei den einzelnen Individuen noch viel stärker zur Geltung kam als bei den Bewohnern der kleinen Kolonie b. 2. Indem die prozentuale Verteilung der adoptierten rufa- Königinnen bezüglich der Zahl der fusca-Arbeiter der erwähnten 2 Kolonien, in der Kolonie b zweimal größer war als in der anderen Mischkolonie. Unterdessen waren aber auch rwfa-Königinnen in die anderen fusca-Kolonien der Arena gelangt. So fand ich am 5. Mai abends ein solches in der Kolonie a, heftig angegriffen und am Morgen des folgenden Tages tot ın einer Ecke liegend. Nicht besser erging es 2 weiteren rufa-Weibchen, welche am 7. Mai in diese Kolonie gerieten. Auch sie wurden ohne weiteres gepackt und nach kurzem Kampfe getötet. Ebenso eine weitere r«fa-Königin, welche am 15. Maı in die fusca-Kolonie eindrang. Ich glaube die Ursache dieser negativen Resultate zu einem großen Teile den unnatürlichen Bedingungen, welchen nun einmal Kolonien ın künstlichen Nestern unterliegen, zuschreiben zu dürfen, indem nämlich die r«fa-Königinnen sich nicht allmählich immer näher an die fusca heranmachen können, um dieselben langsam mit sich vertraut zu machen, sondern durch ein enges Glasröhrchen plötzlich mitten ın das Nestzentrum gelangen, wo sie um so leichter gepackt werden können, je größer die Individuenzahl der über- raschten und dadurch aufgeregten Kolonie ist. Die übrigen 2 von den 12 in die Arena versetzten rufa-Weibchen vermochten während einer Nacht den Leimgürtel zu überschreiten 3) Biolog. Zentralbl. Zur Biologie von F. rufa und F. fusca i. sp. Bd. 33, Nma2r 1913. 4329 Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. und mir zu entwischen, nachdem zuvor eines derselben in die Kolonie e eingedrungen war, um jedoch bald wieder in die Arena hinaus zu entfliehen. Ich brachte nun versuchsweise am 11. Mai eine r«fa-Königin aus der nunmehr gemischten Kolonie b zu den 4 isolierten fusca- Weibchen der Kolonie d. Es entspann sich sofort ein interessanter Kampf zwischen den verschiedenen Tieren. Die r«fa-Königin, auf- geregt und erschreckt durch den gewaltsamen Transport und die neue Umgebung, suchte sich möglichst schnell in irgendeinem sicheren Winkel des Nestes zu verstecken. während ein fusca- Weibchen mit sichtbarem Zorn dasselbe unaufhörlich verfolgte und anzugreifen versuchte, indem sie mit geöffneten Mandibeln blitzartig gegen die r«fa-Königin vorschnellte, um sich jedoch sofort wieder in Verteidigungsstellung zurückzuziehen. Allmählich änderte sich aber die Situation, indem nun das r«fa- Weibchen seinerseits offensiv vorzugehen begann, und zwar ın ganz ähnlicher Weise wie die fusca-Königin. Am 14. Mai erlag das rufa-Weibehen der Übermacht, nachdem es während der 3 vergangenen Tage mit den fusca- Königinnen in beständiger Fehde gestanden hatte. Im Gegensatz zu den eben beschriebenen Versuchen wollte ich nun einmal das Verhalten der Hilfsameisen von Adoptionskolonien beobachten gegenüber den fremden, aufgenommenen Weibchen, nachdem ihnen ihre ursprünglichen Königinnen wiederum zurück- gegeben worden waren. Dazu beraubte ich am 8. April 1916 eine fusca und eine cinerea- Kolonie ihrer Königinnen und brachte hierauf in jede der nunmehr weisellos gewordenen Kolonien ein rufa-Weibchen, welche ich einem stattlichen, volksreichen Neste ım Walde entnommen hatte. Dies führte ich so lange fort, bis die Ameisen die ihnen fremden rfa- Weibchen als neue Königinnen adoptierten. Die fusca töteten im ganzen 4 rufa-Weibchen, welche ich ihnen hintereinander gegeben hatte. Erst die 5. r«fa-Königin gelangte zu vollständiger Adoption, während dies bei den eönerea schon beim 3. rufa-Weıibcehen, welches ich zu ıhnen setzte, der Fall war. Ich möchte noch erwähnen, daß jede der beiden Kolonien un- gefähr 60 Individuen zählte. Am 6. Mai gab ich nun meinen 2 gemischten Kolonien ihre ursprünglichen Königinnen, welche bis dahin, voneinander getrennt, ın Kristallisierschalen gefangen gehalten worden waren, wiederum zurück. Das Verhalten der rufa-Königinnen in meinen 2 Kolonien war ein grundverschiedenes! Während das von den fusca adop- tierte rufa- Weibchen beim ersten Zusammentreffen mit der ihm noch fremden fusca-Königin erschrocken zurückfuhr, um aber bald in aller Freundschaft neben demselben bei den Eiern zu sitzen, Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. 433 wurde das r«fa-Weibchen der cinerea-Kolonie je länger je aufge- regter und ängstlicher. Weder fusca- noch cinerea-Königin schienen beı ihrer Rückkehr ins alte Nest von den vorhandenen r«fa-W eibehen irgendwelche Notiz nehmen zu wollen. Beide wurden mit sichtbar großer Freude von ıhren „Untertanen“ empfangen. Jedes Tierchen suchte das andere zu verdrängen, um die wıedererhaltene Nest- mutter zu liebkosen. Wie schon erwähnt, befand sich bei den fusca das rufa-W eibchen sehr bald wieder mitten unter ihren Hilfsameisen neben der neuen Rivalın. Ich hoffte mit Recht, nun endlich Zeuge eines ähnlichen Königinnenmordes zu werden, wie ihn Wasmann im Biolog. Zentral- blatt 1909 beschrieben hat), ındem nämlich dort ein von fusca adoptiertes rufa-Weibchen die Königin ıhrer Hilfsameisen nach Art der Polyergus-Weibchen enthauptete, um auf diese Weise die fusca- Arbeiter ganz allein für die Aufzucht der eigenen Brut zu gewinnen. Entgegen meinen Erwartungen jedoch fingen die fusca-Arbeiter an, eine stets wachsende, feindselige Haltung ihrem rufa-Weibchen gegenüber einzunehmen, trotzdem dieses ohne allen Zweifel von ihnen adoptiert worden war. Dieselbe Erscheinung, und zwar ım noch viel ausgesprochener Weise, war auch bei den cinerea zu konstatieren. Schon am 9 Mai lag ıhr rufa-Weibchen tot in einer Ecke des Apparates. Die zsca ließen ihr rafa-Weibchen viel länger am Leben. Es wurde zwar beständig an Fühlern und Beinen herum- gezerrt, doch war bei den fusca nicht diese rapıd wachsende Feindseligkeit zu beobachten wie bei den cinere«. Ende Mai erlag endlich die rufa-Könıgin den stets heftigeren Angriffen und Mißhandlungen seitens der fusca-Arbeiter. Somit waren aus meinen 2 gemischten Kolonien rufa-fusca und rufa-cinerea wiederum reine Kolonien hervorgegangen. Dies Resultat hat seinen Grund wohl zum großen Teile darın, daß die rufa-Weibchen keine jungen, erst kürzlich befruchteten Tiere waren, deren ganzes „Sinnen und Trachten“ ja dahin gerichtet ist, Hilfsameisen zu finden, um neue Kolonien zu gründen; sondern ältere Tiere, welche dieses Verlangen wohl schon längst nicht mehr so ausgeprägt fühlten wie junge Tiere, und deshalb auch nicht mehr so sehr darauf bedacht waren, bei Hilfsameisen zu Adoption zu gelangen. Anderseits aber zeigt das erhaltene Resultat u. a. wiederum deutlich, wie sehr die Arbeiter solcher Adoptionskolonien eigene und fremde, wenn auch adoptierte Königinnen, zu unter- scheiden wissen, m. a. W., daß von einem reizphysiologisch homo- genen Mischgeruch, der sich etwa zwischen den verschiedenen 4) Siehe Anm. 1. 434 Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. Ameisenarten hätte bilden sollen, nicht die Rede sein kann, sondern daß vielmehr die rufa-Weibcehen ihren heimatlichen Nestgeruch treu bewahrt hielten. Eine weitere künstliche Adoptionskolonie fusca-pratensis steht gegenwärtig nech unter meiner Beobachtung. Ich möchte jedoch schon hier die bisherige Geschichte derselben kurz skizzieren. Am 12. Mai 1917 brachte ich in eine kleine fusca-Kolonie von ca. 20 Arbeitern und einem Weibchen eine pratensis-Königin mit ziemlich ausgeprägter truncicola-Färbung, welche von Dr. R. Brun und mir mit noch vielen anderen Weibchen einer pratensis-Kolonie in der Nähe von Zürich entnommen worden war. Für die folgenden Versuche wurden stets pratensis-W eibchen gewählt, welche der eben erwähnten Kolonie entstammten. — Diese Königin wurde von den fusca-Arbeitern a froid getötet. Am 21. Mai isolierte ich das fusca-Weibcehen in einem Ein- machglase. 3 Tage darauf brachte ich nun eine zweite pratensis- Königin zu meinen fusca-Arbeitern. Schon am folgenden Tage lag sie tot in einem Winkel des Apparates. Ein drittes pratenses- Weibchen, welches ich in meine weisellose fusca-Kolonie versetzte, starb ebenfalls, allerdings erst nach 3 Tagen. Ich brachte sofort wieder eine neue pratensis-Königin in meine Kolonie. Anfangs wurde sie noch ziemlich heftig verfolgt, doch verwandelte sich diese offene Feindschaft bald in teilnahmslose Duldung. Während der folgenden Tage war ich abwesend. Bei meiner Rückkehr am 7. Juni herrschte unter meinen Tieren völlige Ein- tracht. Das pratensis-Weibchen hatte einige Eier gelegt und wurde von den fusca-Arbeitern abwechselnd beleckt. Es konnte deshalb mit Recht als völlig adoptiert betrachtet werden. Nun gab ich den fusca-Arbeitern ihre alte Königin wiederum zurück und verfolgte mit Spannung das Weitere. Das fusca-Weibehen wurde im Triumph ins Nest gezogen und dort wieder einmal einer gründlichen Reinigung seitens der Arbeiter unterzogen, welches sich jene mit großem Wohlbehagen gefallen ließ. Von der anwesenden pratensis-Königin schien sie gar keine Notiz nehmen zu wollen. Diese aber benahm sich höchst aufgeregt, indem sie Verteidigungs- stellung annahm und sich mit geöffneten Mandibeln drohend gegen ihre Nebenbuhlerin wandte. Auch gegen die fusca-Arbeiter wurde sie viel mißtrauischer; kurz sie benahm sich gerade, als ob es ihr nicht mehr recht geheuer wäre unter den neuen Verhältnissen. Vor allem interessierten mich aber die fusca-Arbeiter. Ich verfolgte deshalb mit der Lupe genau jede einzelne Bewegung der- jenigen Tiere, welche mit der pratensis-Königin zusammentrafen, nach- dem sie vorher die wiedererhaltene Nestmutter liebkost hatten. Da sah ich nun deutlich, wie einige Tiere, gerade als ob sie wieder viel On a a H. Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. 435 mutwilliger geworden wären, das pratensis-Weibchen zu belästigen anfingen, indem sie es entweder an den Fühlern oder Beinen packten und umherzupften, oder mit geöffneten Mandibeln an seinem Hinterleib sich zu schaffen machten. Ein fusca-Arbeiter krümmte sogar sein Abdomen gegen die pratensis-Königin. Offenbar war diese wieder in Ungnade gefallen. Ich fürchtete, daß der Versuch ähnlich verlaufen werde wie bei den oben beschriebenen Experimenten, indem ja dort die rufa- Weibchen von ihren Wirtsameisen, den fusca resp. einerea, getötet wurden, nachdem diese ihre eigenen Königinnen wiederum zurück- erhalten hatten. Um einen ähnlichen Ausgang des Versuches zu vermeiden, nahm ich den fusca ihre eigene Königin wieder weg und isolierte dieselbe wie vorher. Noch am gleichen Tage gab ich meiner /usca- Kolonie, welche noch aus 12 Arbeitern bestand (die übrigen ver- mochten während einer Nacht ins Zimmer zu entkommen, von wo sie den Rückweg nicht mehr fanden), eine zweite pratensis-Königin. Dieselbe wurde von den fasca beinahe gar nicht beachtet, während sie selbst, voller Aufregung, gegen die fusca-Arbeiter losfuhr, bis sie auf ihre schon vorhandene Kameradin stieß, von welcher sie mit rührendem Eifer von oben bis unten beleckt wurde. Am 8. Juni brachte ich noch ein drittes pratensis-Weibchen in meine Kolonie. Ich beobachtete genau dasselbe Verhalten der ver- schiedenen Tiere wie beim vorigen Experiment. Nachdem nun die 3 pratensis-Königinnen einige Tage bei den fusca-Arbeitern zugebracht hatten und von diesen gepflegt und ge- füttert wurden, gab ich am 13. Juni den fusca ihre ursprüngliche Königin zum zweiten Male zurück. Diese schien von den 3 vor- handenen, ihr noch unbekannten pratensis-Weibchen keine Notiz zu nehmen, sondern ließ es sich lieber unter den liebkosungen der frsca-Arbeiter wohl sein. Die 3 adoptierten pratensis-Königinnen dagegen gerieten beim ersten Zusammentreffen mit dem ungebetenen fusca-Weibchen in große Aufregung, welche einige Zeit andauerte. Es stellte sich jedoch bald wieder die gewohnte Ruhe her. Die fusca-Arbeiter schienen sich nun endlich doch so an die beständige "Anwesenheit von pratensis-Königinnen gewöhnt zu haben, daß sie, abgesehen von kleinen Belästigungen der fremden Weibchen, die- selben nicht mehr mit dem offenen feindseligen Benehmen be- drohten, wie sie es während der vorhergegangenen Versuche getan hatten. Am 17. Juni starb eine pratensis-Königin aus einer mir unbe- kannten Ursache. Ich glaube jedoch nicht, daß sie von den fusea- Arbeitern gewaltsam umgebracht wurde. Heute den 21. Juni besteht meine Kolonie demnach aus 12 fusca-Arbeitern mit 1 fusca-Königin und 2 pratensis-W eibehen, 436 H. Kutter, Myrmikologische Beobachtungen. Daneben befinden sich noch bei den Tieren eine ansehnliche Zahl von Eiern, deren Herkunft nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, und das dritte, tote pratensis-Weibchen, welches von den fusca enthauptet wurde und nun der Ernährung dient. Die leben- den pratensis-Königinnen werden ebenso wie das fusca-Weibchen ge- füttert und beleckt. Von einer regungslosen, zusammengekauerten Haltung des fusca-Weibchens, wie es Wasmann beobachtete, konnte ich bis jetzt nie etwas bemerken °). Zum Schlusse möchte ich nur noch darauf aufmerksam machen, daß solche Experimente im künstlichen Apparate, wie ich sie eben beschrieben habe, nicht vornehmlich auf biologischem Werte be- ruhen, sondern in weit größerem Maße von psychologischem Interesse sein dürften. Daß ein rufa-W eibchen gelegentlich die Königin ihrer Hilfsameisen gewaltsam umbringt, ist sicherlich anzunehmen; doch mag dieser Fall nur sehr selten und unter bestimmten Be- dingungen vorkommen, wobei wahrscheinlich die psychologischen Verhältnisse auch sehr mit ins Gewicht fallen. Anläßlich einer Gebirgswanderung bei Fully ım Wallis fand ich auf der Rückkehr an einer kurzen Wegstrecke, in der Höhe von 2000 m am 21. Juli 1915, unter Steinen nacheinander zwei junge rufa-fusca-Kolonien 1. Stadiums. Die beiden fusca-Kolonien besaßen keine eigenen Königinnen. Ganz in der Nähe davon fand ich dagegen eine dritte fusca-Kolonie mit eigener fusca- Königin und zwei toten rufa-Weibcehen mitten im Nest. Hätte ich noch Zeit gehabt, so wären sicherlich noch mehr solcher Kolonien gefunden worden, denn die 5 erwähnten Kolonien wurden sämtlich am Wegrand gefunden beim raschen Steinumdrehen während des Marschierens. — Die eben erwähnten Beobachtungen scheinen wiederum deutlich zu beweisen, wie viel schwerer es rufa-Weibchen. fällt, in fusca-Kolonien mit eigener Königin zur Adoption zu ge- langen, als in weisellosen Kolonien. Jedenfalls gelingt dies einem rufa-Weibchen nur sehr selten, und zwar erst dann, wenn schon mehrere andere r«fa-Weibchen vor ıhm vergeblich in der betreffen- den fasca-Kolonie Aufnahme gesucht hatten. 2. Formica picea Nyl. als Alpenbewohnerin. Mitte August 1916 fand ich mehrere Nester dieser schönen Moorameise bei Tschamut (Oberalppaß Kanton Graubünden) am Abhang des Calmot in einer Höhe von ca. 1800 m. Der Fund er- regte um so mehr meine Aufmerksamkeit, als die Tiere von ihrer sonst üblichen Lebensweise dadurch abwichen, daß sie sich ausge- sprochene Erdnester gebaut hatten, deren Gänge bis 30 cm tief 5) Siehe Anm. 1. H. Kutter, Myrmikologische Untersuchungen. 437 in den Alpenweidenboden hinabreichten. Äußerlich verrieten sie sich allerdings sogleich durch die kleinen, zarten, aus sehr feinem Material aufgetürmten Kuppeln, auf welche mich Prof. Forel an- läßlich einer Exkursion ın die Sümpfe von Roche bei Yvorne auf- merksam gemacht hatte. Die Böschung, auf welcher die Kolonien gefunden wurden, war etwa um 30° gegen die Horizontale geneigt, zudem schaute sie nach Süden. Um so mehr mußte das Vorkommen von Formica picea an solcher, der Sonne ausgesetzten Halde auffallen. Es konnte jedoch nach genauester Betrachtung der Tiere mit der Lupe und Vergleichung derselben mit Exemplaren von Roche nicht mehr daran gezweifelt werden, daß es sich wirklich um pecea handelte. Der Boden, in welchen die Tiere ihre Nester gegraben hatten, wurde zwar durch einen benachbarten Bach stets ziemlich feucht gehalten, doch konnte von einem eigentlichen Sumpfe nicht die Rede sein. Vielleicht daß die große Regenmenge, welche dort jährlich niederfällt (ca. 1180 mm), die Erde weniger zum Austrocknen bringt, als man es bei einer nach Süden gelegenen steilen Halde, wie die unsrige, erwarten würde. Wie ich aus Arbeiten von Bönner und Wasmann) ersehe wurde Formica picea schon früher in den Alpen gefunden, so z.B. von Förster auf der Seißer Alp ım Tirol. Leider konnte ich über diesen Fund nichts näheres erfahren. In der Schweiz wurde sie bis jetzt erst einmal gefunden und zwar von Forel in den Sümpfen von Roche bei Yvorne im unteren Rhonetal’). Die Vermutung Wasmann’s, daß Formica picea in den süd- lichen Gegenden auf die alpıne und subalpine Region beschränkt sei, wird nicht nur durch meinen Fund direkt neuerdings be- stätigt, sondern auch indirekt dadurch, daß es mir bis jetzt, trotz mehrfachem, genauestem Suchen niemals gelungen ist, das Tier auch in den großen Sümpfen der Umgebung von Zürich zu finden. 6) Bönner-Wasmann: Formica fusca picea eine Moorameise. Biolog. Zentralbl., Bd. 34, Nr. 1, 1914, und Bönner: Die Überwinterung von Formica picea und andere biologische Beobachtungen. Biolog. Zentralbl., Bd. 35, Nr.2, 1915. 7) Forel: Die Ameisen der Schweiz. Beilage zu Heft 7/8 des XII. Bandes der Mitteil. der Schweiz. Entomol. Gesellsch. 1915. 37. Band 30 438 A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. Von Dr. Alexander Sokolowsky, Hamburg. Direktorial-Assistent am Zoologischen Garten in Hamburg. Als die wissenschaftlich interessantesten Formen der Flossen- füßer oder Pınniıpedier können die Rüsselrobben oder See- Elefanten (Macrorhinus F. Cuvier) angesehen werden. Ihre Natur- geschichte ist noch nicht ın dem Maße erforscht, wie das von anderen Robbenformen behauptet werden kann. Von diesen gewaltigen, bis zu neun Meter langen Meeressäugetieren werden zwei Arten unter- schieden: der die Kerguelen, Crozet-Island, Maquaris-Island, sowie dıe Küsten Tasmanıens und Süd-Georgiens bewohnende Macrorhinus leoninus L. und der früher an der Küste Kaliforniens häufige Macrorhinus angustirostris, Gill. Während noch vor zirka 60 Jahren dieser nördliche See-Elefant in großen Herden längs der Küsten von Mexıko und Kalıfornien zu finden war, galt er bereits ım Jahre 1869 als fast, wenn nicht völlig, ausgestorben. Dem Direktor des Newyorker Aquarıums, Oharles Haskıns Townsend, ge- lang es im Jahre 1911 die einzige noch vorhandene Herde von See-Elefanten im Stillen Ozean aufzufinden. Er traf eine Herde von 150 Stück an einer versteckten Stelle der unbewohnten Insel Guadelupe, 140 englische Meilen von der Küste Kalıforniens entfernt. Die großen Männchen, die die Weibchen mit ihren Jungen begleiteten, wurden nach dem Bericht des genannten Forschers häufig von alleinstehenden Männchen angefallen und in heftige Kämpfe verwickelt, wobei sie sich mit den Eckzähnen nicht unbe- trächtliche Wunden beibrachten. In der Wut lassen sie einen starken schnaufenden Ton hören, von den bellenden Tönen, die für die antarktische Art des See-Elefanten bezeichnend sein sollen, wurde nichts gehört. Die männlichen See-Elefanten besitzen bekanntermaßen als Eigentümlichkeit, der sie ihren Namen verdanken, einen breiten fleischigen Rüssel, der bis gegen neun Zoll lang ist und sich diek und schwer über den Nasenlöchern erhebt. Wenn das Tier sich bewegt, ıst der Rüssel schlapp und hängend, wenn es schläft, ruht er in einer formlosen Masse auf dem Sand. Wenn aber das Tier aufgeregt wird, dann richtet sich der Rüssel auf. Die schon erwähnten Eckzähne werden bei den Bullen vier bis fünf Zoll lang; die Augen dieser gewaltigen Robben sind auffallend groß und weit vorstehend, was von der großen kugelförmigen Linse herrülırt. Früher nahm man an, daß der Rüssel durch Luft aufgeblasen werden könnte, es hat sich aber erwiesen, daß er durch und durch fleischig ist, so daß seine Form nur infolge der Muskelwirkung ver- ändert werden kann. Im zusammengezogenen Zustand läßt er drei A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. 439 Querfalten erkennen, hängt bogig herab und trägt an seiner Spitze die dann nach unten sich öffnenden Nasenlöcher. Es fragt sich nun, welches der Zweck dieser eigenartigen Rüsselbildung ist. Als Tast- organ kann er keine große Rolle spielen, denn es wurde keineswegs beobachtet, daß diese Tiere damit Tastversuche anstellten. Auch als Greiforgan kommt er nicht in Frage. Als schwerwiegendster Faktor bei der Beurteilung des Zweckes dieser sonderbaren Organbildung muß die Tatsache hervorgehoben werden, daß sie nur den erwachsenen Männchen zukommt. Mithin kann es sich dabei nur um einen Sexualcharakter handeln. Das wird nur verständlich, wenn man die Lebensweise dieser Tiere ins Auge faßt. Sie führen ein ausgeprägt geselliges Leben, obwohl % BT PS- Fig. 1. Kopf eines ausgewachsenen männlichen See-Elefanten (Maerorhinus angustirostris Gill... Unter Benutzung einer Photographie vom Autor gezeichnet. sich innerhalb der Herde die Familien sondern und in intimem Zusammenhang miteinander leben. Die größte Zeit des Jahres leben sie im Meere und verlassen dieses nur zu bestimmten Zeiten, um sich zu paaren, das Haar zu wechseln und Junge zu werfen. Das Gesellschaftsleben bringt es mit sich, daß die geschlechtsreifen Männchen um die Weibchen miteinander kämpfen, wobei sie sich mit den Zähnen gehörige Schrammen beibringen. Selten passiert es jedoch, daß ein solcher Zweikampf mit dem Tod eines Gegners endigt. Dieser Sexualkampf um den Besitz der Weibchen hat nun meines Erachtens die Entwicklung des Rüssels hervorgerufen und befördert. Werden die Männchen gereizt, so strecken sie den in der Ruhe schlapp herunterhängenden Rüssel durch seine Muskel- wirkung aus und damit dem Feinde entgegen. Die dadurch erzielte 30" 440 A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. Wirkung ist bei schwächeren Gegnern abschreckender, bei eben- bürtigen dagegen anreizender, zum Zweikampfe auffordernder Natur. Es geht daraus hervor, daß bei kräftigen, großen Männchen diese Bildung besonders ausgeprägt und entwickelt sein muß, was in der Tat der Fall ıst. Man hat bisher besondere sexuelle Bildungen bei Säugetieren, wie sie z. B. die Hırsche durch den Besitz ihres Geweihes, die Wildschweine durch die Ausbildung ihres starken Gebreches u. a.m. erkennen lassen, mit Recht als Angriffs- und Verteidigungs- waffen aufgeführt. Damit sind aber die sexuellen männlichen Bil- dungen bei Säugetieren keineswegs erschöpft, vielmehr zeigt diese Rüsselentwicklung die Entstehung eines Organs, das nicht als An- griffs- und Verteidigungswaffe dient, sondern lediglich den Zweck hat, in den Augen des Gegners die Kraft und Wehrfähigkeit seines Gegners zu erhöhen resp. dadurch die Nebenbuhlerschaft zum Ver- nichtungskampf anzureizen. Von solchen Gesichtspunkten aus ist auch die Entstehung der eigenartigen Mützen- oder Kopfblasenbil- dung der männlichen Klappmütze (COystophora cristata, Erxl.) zu betrachten. Auch bei dieser Robbenart handelt es sich um eine sexuelle Schreck- resp. Anreizbildung. In diesem Falle kann aber das Organ mit Luft willkürlich gefüllt werden, während, wie ich schon hervorhub, die Formveränderung des Rüssels des See-Elefanten nur durch Muskeltätigkeit verursacht wird. Bei beiden Tieren ist die Wirkung des ın Funktion gesetzten Organs die gleiche: der Kopf nimmt dadurch einen drohenden Ausdruck an. In Einklang mit diesem Sexualcharakter steht beim See-Elefanten auch der enorme Größenunterschied zwischen Männchen und Weibchen, welch letzteres nur '/, der Größe des ersteren erreicht. Alle diese Merk- male sind aber unter dem Einfluß des Herdenlebens, der geselligen Lebensweise, entstanden. Erhöht wird noch der Gesamteindruck der Kraft durch die Fähigkeit dieser Robben, ihren Vorderkörper hoch aufzurichten. Da aber diese auch den weiblichen Tieren zu- kommt, so ist anzunehmen, daß die Entstehung und körperliche Ausbildung zur Ausführung dieser Lebensgewohnheit besonders auf das Herdenleben zurückzuführen ist. Die Tiere sind dadurch in die Möglichkeit versetzt, weit Umschau zu halten, um ihre Art- resp. Geschlechtsgenossen zu erspähen. Wenn demnach auch in sexueller Hinsicht damit ein Erfolg resp. Nutzen erzielt wird, so ist das eine sekundäre Erscheinung. Bei den im Hagenbeck’schen Tierpark in Stellingen lebend gehaltenen jungen See-Elefanten konnte ich diese eigenartige Körperaufrichtung wiederholt beobachten. Der Hinterkörper wırd dabei ın die Höhe gehoben, so daß der ganze Körper wie eine Schaukel erscheint. Dadurch entsteht eine sonder- bare Gestalt dieser Tiere. In „Herrn von Buffon’s Naturgeschichte der vierfüßigen Thiere“, übersetzt von Bernhard Christian Otto, Berlin 1789, A, Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. 441 finde ich interessante Angaben aus der Biologie des See-Elefanten oder „der großen Robben mit runzeliger Schnauze“, wie diese Tiere von dem Autor genannt werden, die durch die moderne Forschung in ihrer Richtigkeit volle Bestätigung erhalten. Danach „richten sie sich auf die Vorderfüße und öffnen den Rachen, welcher so groß ist, daß eine Kugel von einem Fuß im Durchschnitt bequem hinein- geht. Zugleich blasen sie den Kamm auf und brüllen.“ Auch bildet der Autor eine solche Robbe ab, die die von mir geschilderte und bei den Hagenbeck’schen Exemplaren wiederholt beobachtete Stel- lung naturgetreu vor Augen führt. Von besonderem Interesse war für mich die Notiz Buffon’s, die sich auf die, allerdings noch irrtümlicherweise durch Aufblasen verursachte, Formveränderung des Rüssels bezieht: „Die Oberlippe ragt sehr über die Unterlippe hervor, deren Haut beweglich, run- zelig und längst der Schnauze aufgeblasen ist; und man kann diese Haut, die das Tier nach Gefallen aufschwellen kann, der Gestalt nach mit dem Fleischlappen eines Kalekutschen Hahns vergleichen.“ Die Lappenaufblähung des Truthahns ist als ein sexuelles Anreiz- mittel zur Begattung aufzufassen, indem das Männchen vor dem Weibchen „schön tut“. Es ıst daher die Vermutung gerechtfertigt, auch bei dem See-Elefanten durch die Formveränderung der Rüssel- bildung einen erregenden Einfluß auf die Sexualität der weiblichen Exemplare anzunehmen. Mithin käme dieser eigenartigen Bildung noch eine dritte Bedeutung zu. Die mächtige Rüsselbildung in der Ruhelage zeigt die um- stehende Abbildung des Kopfes eines erwachsenen See-Elefanten, während ich in Abbildung 2 den Versuch machte, den Schädel ın die Umrißzeichnung der Kopfform des Tieres hineinzuzeichnen. Es geht daraus das Verhältnis von Schädel und Weichteile ohne lange Beschreibung deutlich hervor. Bei der gewaltigen Größe und dem mächtigen Umfang dieser Tiere, werden doch die erwachsenen Männchen auf mehr als 3000 kg Gewicht geschätzt, muß es auffallen, daß die Vorderfüße zwar stark und kräftig, aber nur verhältnismäßig kurz gebildet sind. Sie sind mit kurzen, aber starken und stumpfspitzigen Krallen bewehrt. Die Hinterfüße sind ebenfalls fünfzehig und teilen sich in zwei große und lange, seitlich gelegene und drei kleine und kürzere, mittlere Lappen. An den Hintergliedmaßen fehlen die Krallen vollständig. Die Hintergliedmaßen werden, wie bei den übrigen seehundartigen Robben, nach hinten gestreckt und dienen als Steuer beim Schwimmen, sind aber bei der Fortbewegung auf dem Lande als Bewegungs- organe nicht zu gebrauchen, da sie nicht wie die der Walrosse als Gehwerkzeuge benutzt werden können. Vielmehr geschieht die Fort- bewegung auf dem Laude nach Seehundsart, indem die See-Elefanten ihren schweren Körper krümmen und strecken und sich bald vorn, 442 A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. bald hinten aufwerfen, um weiter zu kommen. Daß diese Fort- bewegungsart eine nur langsam fördernde sein kann, ist einleuch- tend, dennoch bringen diese schweren und massigen Tiere es fertig, ihre gewaltige Körpermasse auf eine beträchtliche Höhe auf das Land hinaufzuarbeiten. Da aber die schweren Kolosse beim Fort- bewegen auf schrägem, glattem Boden leicht zurückgleiten würden, bedarf es einer Vorrichtung, die dieses verhindert. Ich konnte nach- weisen, daß bei den See-Elefanten das Haarkleid als Verhinderungs- mittel gegen das Zurückgleiten in Anwendung kommt. Fig. 2. Kopf eines erwachsenen männlichen See-Elefanten mit eingezeichnetem Schädel, um das Verhältnis zwischen Kopfskelett und Weichteilen (Rüsselbildung) zu zeigen. Original-Entwurf des Autors. Ihre Behaarung besteht aus kurzen und straffen, glänzenden und beträchtlich steifen Haaren, welche flach und plattgedrückt sind und die Form eines gleichschenkeligen Dreiecks haben. Die Haare stehen sehr dicht nebeneinander und sind schräg nach hinten gerichtet, ihre Länge beträgt etwa 5 mm bis 1 em. Es sind aus- schließlich Grannenhaare, Wollhaare fehlen gänzlich. Fährt man mit der Hand mit dem Strich über das See-Elefantenhaarkleid, so fühlt es sich glatt an; gegen den Strich mit der Hand überfahren, er- weist es sich als äußerst rauh und widerhaarig, so daß es bei festem Aufdrücken Mühe macht, die Finger weiter zu bekommen. Dadurch . entsteht eine rauhe Fläche, die aus Tausenden von Haaren gebildet wird, die sich beim Zurückgleiten gegen die Unterlage stemmen und durch ihre Massenwirkung den Körper in seiner Lage erhalten. Von den im Hagenbeck’schen Tierpark in Stellingen befindlichen jungen See-Elefanten konnte ich während des Haarwechsels, bei A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. 443 welchem das Haarkleid in Fetzen und größeren Stücken abgeworfen wird, zwecks Untersuchung Haarmaterial einsammeln. Diese führte zu dem Resultat, daß es sich tatsächlich um einen Haarschutz gegen das Zurückgleiten handelt, das auf dem Wege der Anpassung ent- standen ist. Mit dieser zweckmäßigen Vorrichtung sind Männchen und Weibchen dieser Robbenart ausgerüstet. Dieser Anpassungscharakter ermöglicht es den schweren, mas- sigen Tieren in Absätzen von zwanzig bis dreißig Schritten kriechend und sich wälzend nach Art der Seehunde schräge Dünen und Fels- wände zu erklimmen. Die schwere Fettmasse ihres Körpers ist dabei nach den Angaben und Beobachtungen amerikanischer Forscher ın zitternder Bewegung, als fehlte ıhr ganz der feste Knochenbau. Trotzdem eine solche Bewegungsart für die Tiere sehr anstrengend sein muß, ändern sie dennoch zwischen Schlafen und Wachen ıhren Platz beständig. Das Land suchen sie auf, um das Haar zu wech- seln, um sich zu paaren und um ihr Junges zu werfen. Sie wan- dern bis zwei Meilen weit in das Innere des Landes hinein, um in grubenförmigen Löchern den Haarwechsel durchzumachen. Chun traf die See-Elefanten auch auf den Kerguelen in solchen Lagern, die hier mit der in Polstern wachsenden Acaenapflanze ausgekleidet waren. Nach Goodridge sollen die alten Männchen die Jungen, welche von den Müttern verlassen werden, mit auf die Reise ins Innere nehmen und mit ihnen dort einen Monat lang ohne Nahrung bleiben. Wenn die des Haarwechsels wegen an die Küsten gekom- menen See-Elefanten nicht gestört werden, so bleiben sie am Lande, bis das alte Haarkleid völlig abgefallen ist. Während dieser Zeit, welche die Tiere viel mit Schlafen zubringen, verlieren sie die Hälfte ihres Fettes. Vor kurzem war es mir vergönnt, durch die freundliche Ein- ladung des Hamburger Naturalienhändlers Herrn Johannes Um- lauff eine von ihm durch dermoplastische Kunst präparierte See- Elefantengruppe, bestehend aus großem erwachsenen Männchen, erwachsenem Weibchen und Jungem, die für das Bremer Museum für Natur- und Volkskunde bestimmt war, zu besichtigen und zu untersuchen. Von besonderem Interesse war dabei für mich die Behaarung des Jungen. Dieses zeigte keineswegs die für die erwachsenen See-Elefanten gegebene Art der Behaarung. Vielmehr war der ganze Körper der- selben mit dunkelschwarzbraungefärbten gekräuselten Wollhaaren bedeckt. Diese aus kurzen und gewellten Haaren bestehende Körper- bedeckung halte ich für das Embryonalkleid dieser Robbenart, das demnach erst nach der Geburt dem Jugendhaarkleid, welches beı den See-Elefanten aus silbergrauen Haaren bestehen soll und erst beim späteren Haarwechsel die definitive Färbung der Alten erhält, Platz macht. 444 A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. Wie wir von den Untersuchungsresultaten über das Haarkleid der Seehunde wissen, wird bei diesen das Embryonalhaarkleid be- reits im Mutterleibe abgestreift. Bei gefangenen Exemplaren wurde wiederholt beobachtet, daß dasselbe gleich nach der Geburt ım Wasser auf der Oberfläche schwimmt, oder aber auch auf dem Lande als ein „nicht unbedeutender Haufen seidenweicher, kurzer, aber gewellter Haare, die sämtlich auf einer Stelle von geringem Um- fang liegen“, gefunden wird. Der junge Seehund wird demnach mit einem Haarkleid geboren, das mit dem der erwachsenen Exem- plare identisch ist. Nur stimmt es nicht in der Farbe mit diesem überein, da es bei manchen Arten reinweiß, bei anderen lichtsilber- grau gefärbt ist und erst später nach erfolgtem Haarwechsel die definitive Farbe der Körperbedeckung seiner Eltern erhält. Bereits im Jahre 1868 berichtete die Zeitschrift „Der Zoologische Garten“, daß am 9. Juni des gleichen Jahres im Zoologischen Garten zu London ein Seehund (Phoca vitulina) geboren wurde, der anfangs reichlich mit feinem seidenartigen Haar bedeckt war. Als er sich auf dem Boden wälzte, wurde das Haar ganz abgeworfen und bil- dete eine Decke, auf welcher das Tier lag. Noch vor Ablauf von 3 Stunden ging der junge Seehund in das Wasser, schwamm lebhaft umher und versuchte zu saugen, wenn sich die Mutter auf die Seite legte. Ich selbst konnte mehrmals beobachten, daß gleich nach erfolgter Geburt, die bei gefangenen Seehunden wohl meistens im Wasser vor sich zu gehen scheint, die Oberfläche des Wassers von lichten, gewellten Haaren bedeckt ist. Die Jungen kommen dann mit glattanliegendem Haarkleid auf die Welt, das ihnen für ihren Wasseraufenthalt kein Hindernis bietet. In der Freiheit scheinen in dieser Hinsicht örtliche Verschiedenheiten, die auf die abweichenden Verhältnisse der Umwelt zurückzuführen sind, nach- zuweisen sein. So berichtet Brehm, daß die jungen Seehunde ım hohen Norden das diehte Haarkleid, mit welchem sie geboren werden, später als im Süden verlieren. Da es sich bei dem Em- bryonalhaarkleid um Wollhaar handelt, würde ihnen dessen Besitz beim Schwimmen und Tauchen hinderlich sein. Auf der anderen Seite leistet es ihnen dagegen bei einem längeren Landaufenthalt als warme Schutzdecke gute Dienste. Dies dürfte, nach dem ge- nannten Forscher, der Grund dafür sein, daß die alten Weibchen im hohen Norden nach Art der Ohrenrobben wochenlang am Lande bei ihren Jungen verweilen und diese demnach erst später zu Wasser geführt werden, nachdem sie das glatte definitive Haarkleid erlangt haben. Das Wollhaarkleid ist demnach ein Schutzmittel für den Landaufenthalt. Bei dem Wollhaarkleid des jungen See-Elefanten handelt es sich meiner Auffassung nach um eine Konvergenzerscheinung. Diese 1,3—1,5 m langen und ca. 40 kg schweren Geschöpfe werden A. Sokolowsky, Beiträge zur Biologie der See-Elefanten. 445 nach Sceammon etwa 8 Wochen lang von der Mutter gesäugt und sorgfältig gehütet. Während dieses Zeitraumes bleibt die ganze Familie auf dem Lande, ohne irgend etwas zu fressen, härt sich, das Weibehen und jüngere Tiere früher als alte Männchen. In der 7. oder 8. Woche ihres Alters werden die Jungen in das Meer ge- führt. Der ganze Haufe entfernt sich langsam vom Ufer und rudert täglich weiter und weiter ın das Meer hinaus. Von bio- logischem Interesse ist noch die Angabe des gleichen Autors, daß schon nach 8 Tagen die Säuglinge um 1 m länger und um die Hälfte schwerer geworden sind. Daraus geht hervor, daß sich bei den jungen Tieren die Speckschicht vergrößert und als Ersatz für den nun bald verlustig gewordenen Wärmeschutz, den das wollige Embryonalkleid bot, eintritt. Wır haben es demnach hierbei mit einem Austausch zweier Schutzmittel, deren Entstehung auf die An- passung an die jeweiligen Lebensverhältnisse zurückzuführen ıst, zu tun. Auffallen muß aber die tiefschwarzbraune Farbe des Em- bryonalkleides der See-Elefanten, während doch dasjenige der See- hunde wenn nicht ganz weiß, so doch licht grau gefärbt ist. Dieser Gegensatz läßt sich meines Erachtens wiederum aus dem Verhältnis dieser Tiere zur Umwelt ableiten: Während die Seehunde im Polarbären und in vielen Gegenden ihres nordischen Verbreitungs- gebietes auch im Polarmenschen gefährliche Feinde haben, führen dagegen die See-Elefanten ein feindloses Leben, da es in ihrer Heimat weder Raubtiere noch dort ansässige menschliche Bewohner gibt. Ein Kleid, das seinen Träger in Übereinstimmung mit der Farbe der Umgebung bringt, um aus Schutzrücksichten nicht gesehen zu werden, wäre demnach für die jungen See-Elefanten zwecklos. — Erst nachdem die Jungen das Alter erreicht haben, in welchem sie von der Mutter in das Wasser geführt werden, erwächst für sie das Bedürfnis nach einem glattanliegenden, beim Schwimmen nicht hindernden Hautschutz, der zugleich, wie ich dieses oben beschrieben habe, bei ihren Gleit- und Kletterbewe- gungen auf Eis und Fels ihren massig und schwer gewordenen Körper die nötige Stützkraft verleiht. So lassen sich bei diesen Robben in der Entwicklung und Beschaffenheit ihres Haarkleides biologische Merkmale nachweisen, die in ihren Lebensgewohnheiten und in ihren Beziehungen zur Umwelt ihre Begründung finden. 446 F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. etc. Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. zur selektionistischen „Schutzmittel“-Frage. Von Franz Heikertinger, Wien. Lytta vesicatoria, ein weit öfter besprochener als — wenigstens in Mitteleuropa — gefangener Käfer, ist in der Meinung der Allge- meinheit wohl der typischeste Träger jenes scharfen, in der Volks- heilkunde eine so große Rolle spielenden Giftes, des Kantharidins. Von der Wirksamkeit dieses Giftes, eines speziell nierenreizenden Phlogotoxines, gibt die Angabe ein Bild, daß 1 g Kantharıdın die tödliche Menge darstellen soll für: 20000 kg Mensch, 500 kg Kaninchen, 7 kg Igel!). Zugleich zeigt diese Angabe augenfällig die Relatıvität des Be- griffes „Gift“ und die Unzulässigkeit, von einem Stoffe, der ın hohem Maße tödlich auf den Organismus des Menschen wirkt, mit Allgemeingültigkeit für andere Tiere als von einem „scharfen Gifte“ zu sprechen. Was für den Menschen ein in geringer Dosis tödliches Gift ist, kann auf dieses oder jenes Tier völlig ohne Wir- kung bleiben. So fressen beispielsweise verschiedene Vögel ohne Schaden die für den Menschen giftigen Früchte von Daphne, Atropa, Strychnos u. Ss. w.; zahlreiche Insekten leben von Pflanzen, die für den Menschen „giftig“ sind?) u. s. w. Hieraus ergibt sich für den unbefangenen Forscher die kritische Einsicht, daß es wissenschaftlich nicht angängig sein kann, bei Vorliegen einer für den Menschen giftigen Pflanze oder eines für den Menschen giftigen Tieres ohne weiteren prüfenden Versuch. anzunehmen, daß das bezügliche „Gift“ ebenso irgendeinem Tiere gegenüber wirksam sein müsse. Es ist wissenschaftlich nicht an- gängig, ohne vorangegangene Versuchsreihen die — leider so sehr beliebte — Formel anzuwenden, diese oder jene Pflanze, dieses oder jenes Tier seien durch ihre (nur für den Menschen oder für einige der „Haustiere“ physiologischer Institute, als da sind: Hund, Kaninchen, Ratte u. s. w. festgestellte) „Giftigkeit“ gegen ihre natür- lichen Feinde „geschützt“, oder hätten diese „Giftigkeit“ als „Schutz- mittel“ im Wege natürlicher Auslese „erworben“. Eine voreilige 1) Ich entnehme diese und die folgenden Angaben über das Kantharidin der außerordentlich interessanten Abhandlung von Dr. F. Netolitzky: Insekten als Heilmittel (Pharmazeut. Post. Wien 1916). — Daselbst ist auch einige Literatur zitiert. 2) Man vergleiche die Angaben bei J. H. Kaltenbach, Die Pflanzen- feinde aus der Klasse der Insekten. Stuttgart 1874, F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. ete. 447 Urteilsfällung solcher Art wäre ein Anthropomorphismus, den kein exakter Forscher billigen könnte. Es ıst darum als erstes zur Berücksichtigung zu stellen: Der Begriff „Gift“ ist ausschließlich relativ, seine Gültigkeit muß für jede einzelne Tierart gesondert fest- gestellt werden. Einen Begriff „Gift“ mit Allgemein- gültigkeit gibt es nicht. Was rm Alltag mit diesem Worte bezeichnet wird, ist „Gift“ in Bezug auf den Menschen, das auf andere Tiere nicht zu wirken braucht. So ıst beispielsweise das Kantharidin (nach Netolitzky) so gut wie ohne Wirkung auf Igel, Frosch, Huhn, Ente, Schwalbe, Fledermaus und Kuckuck, dagegen — wenn auch in verschiedenem Maße — wirksam für Mensch, Kaninchen, Hund und Pferd’). Die Erklärung findet Netolitzky mit Recht darin, daß typische Insektenfresser gegen Kantharıdin, bezw. gegen alle phlogotoxin- artigen scharfen Insektenstoffe relativ unempfindlich sein müssen, um sich überhaupt von Insekten dauernd ernähren zu können. Denn Giftstoffe von der Art des Kantharıdins, vielfach auch Kantharıdin selbst, finden sich nicht bloß ın Zytta, Meloe und anderen diesbezüglich bekannten Käfern, sondern sind in der ganzen Insektenklasse weit verbreitet; sie sind — nach den allerdings nur sehr spärlichen Untersuchungen — in verschiedenem Maße in einem Großteil der Insekten vorhanden. Schon nach alten Berichten sollen Heuschreckenesser das 40. Lebensjahr selten erreichen und in der Volksmedizin finden wir eine ganze Reihe von Insekten ver- schiedener Ordnungen als Heilmittel, zumeist auf innerliche und äußerliche Reizwirkungen begründet, in Verwendung. Netolitzky extrahierte alte, mit Exkrementen der Käfer und Larven von Tenebrio molitor durchsetzte Mehlwurmkleie mit Äther. Der Rückstand durch Verdunstung des Äthers wurde mittels eines Pflasters auf der Innenseite des Armes befestigt und verursachte dortselbst eine Brandblase gleich den durch Kantharıdin bewirkten Blasen. Ich möchte gerade zu diesem Versuche hervorhebend be- merken, daß die Tenebrio-Larven, die „Mehlwürmer“, die beliebteste Nahrung gefangener insektenfressender Tiere (Vögel, Reptilien, Amphibien) sind. Die Normalnahrung gefangener Insektivoren ist also eine ähnlich der Zytta auf den Menschen mit sehr starkem Reiz wirkende! Wäre ein Insektenfresser gegen so weit verbreitete Stoffe dieser Art empfindlich, dann könnte er nicht als Insektenfresser leben. Tatsächlich ergaben nun Versuche, die ich unter steter Be- rücksichtigung des Normalnahrungskreises etlicher mir zu Gebote 3) R. Heymons in Brehm’s Tierleben nennt auch noch Katzen und Rinder, 448 F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. ete. stehender Insektenfresserarten vorgenommen habe, daß alle zu den Versuchen verwendeten Insektenfresser die kantharidinhaltige Lytta bereitwillig annahmen und ohne Schaden in Anzahl verzehrten, soferne Käfer dieser Form und Größe überhaupt in den natürlichen Geschmacksrahmen der betreffenden Entomophagenart fielen. Davon, daß die Zytta speziell durch ihren Kantharidingehalt vor jenen Tieren, die als natürliche Feinde für sie überhaupt in Betracht kommen, irgendwie „geschützt“ sei, zeigte das Experi- ment nichts und die in der wissenschaftlichen Biologie vorfindliche Meinung, das Kantharidin sei ein „Schutzmittel“ gegen Feinde, stellt sich meines Erachtens als ein Irrtum dar. Nachstehend der Bericht über die näheren Umstände der durch- geführten Versuche. Mitte Juni d. J. lieferten mir Hecken von Zigustrum vulgare in einer städtischen Anlage zu Mistelbach in Niederösterreich eine größere Anzahl von Zytta vesicatoria. Die Tiere lebten, in einem geräumigen Zuchtzylinder gehalten und täglich mit frischen Blättern von Ligustrum vulgare — ausnahmsweise auch mit frischem Blatt- werk von Syringa vulgaris — versehen, über einen Monat, fraßen ihre charakteristischen, raupenfraßähnlichen Randfraßbilder in die Blätter, begatteten sich, legten ihre ungemein zahlreichen, sehr kleinen Eier ab und boten mir Gelegenheit zu einigen Verfütterungs- versuchen, die ich allerdings widriger Verhältnisse halber (das vierte Kriegsjahr zog auch hier seine Kreise) nicht ın jenem Umfange durchführen konnte, in dem ich sie ursprünglich plante. Wie ich an anderer Stelle eingehender darlegen möchte, haben nur solche Versuche Wert, die mit zielklarer Fragestellung unter- nommen werden. Im gegebenen Falle konnte diese Fragestellung je nach dem gesteckten Ziele eine weiter oder enger gefaßte sein. Es kann zur Untersuchung gestellt werden: 1. Von welchen Tieren überhaupt die kantharidinhaltige Lytta gefressen und von welchen sie verschmäht wird. 2. Ob das Verschmähtwerden in jedem Falle überzeugend als spezifische Wirkung des Kantharıidins nachweisbar ist oder ob der betreffende Insektenfresser Käfer von Größe, Habitus, Härte u. Ss. w. der Zytta, auch wenn sie nicht oder nicht im Ausmaße der Lytta kantharidinhaltig sınd, überhaupt nicht beachtet. 3. Ob die Zytta und der Insektenfresser in der gleichen Gegend und an übereinstimmenden engeren Lokalitäten (Buschwerk, Bäumen) vorkommen, ob sie Glieder der gleichen Biozönose sind. Denn nur ın diesem Falle hat die Untersuchung eine Bedeu- tung für die Hypothese von der natürlichen Auslese, weil eine natürliche Auslese doch nur von solchen Feinden F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Zytta vesicatoria L. etc. 449 besorgt werden kann, die mit der Zytta ständig zusammen- treffen und sie bewältigen können. Was die Fragestellung 1, die allgemeinste Fassung, anbelangt, so ist sie, weil sie das Grundprinzip der natürlichen Geschmacks- spezialisation der verschiedenen Insektenfresserspezies noch voll- kommen außer acht läßt, für einigermaßen sichere wissenschaft- liche Schlüsse unbrauchbar. Ihr positives Ergebnis (Gefressenwerden der Zytta) erweist allerdings klärlich die Unwirksamkeit des Kan- tharidins; das negative Ergebnis (Verschmähtwerden der Zytta) läßt indes die Frage offen, ob dieses Verschmähtwerden irgendwie mit einer Wirksamkeit des Kantharidins ursächlich zusammenhänge oder ob andere Umstände dieses Verschmähtwerden bedingen. Lediglich eine Ablehnung nach vorangehendem Ver- kosten würde auf die Möglichkeit einer Kantharidinwirkung hin- weisen. Die Fragestellung 2 schaltet kritisch bereits jene Tiere aus, welche voraussichtlich die Zytta auch dann nicht fressen würden, wenn sie kein Kantharidin enthielte. Diese Versuche trachten vor- erst klarzustellen, ob der zum Versuche verwendete Insektenfresser überhaupt Käfer von dem ungefähren äußeren Bilde und dem Vor- kommen einer ZLytta annimmt oder ob er sie von vornherein ins- gesamt unbeachtet läßt. Sind alle nichtkäferfressenden oder nicht- solchkäferfressenden Räuber kritisch ausgeschaltet, ist erwiesen, daß der betreffende Insektenfresser andere Käfer vom ungefähren Bilde und Vorkommen einer Zytta gerne annımmt, daß sie in seinen natürlichen Normalnahrungskreis fallen, dann erst ist — falls allein die Zytta abgelehnt wird — eine Berechtigung zur Vermutung ge- geben, daß die Zytta eine ganz spezifische, dem betreffenden In- sektenfresser widerwärtige Eigenschaft besitzen müsse. Der Beweis, daß diese Eigenschaft gerade der Gehalt an Kantharidin sei, ist allerdings auch damit noch nicht erbracht; es kann auch eine andere Eigenschaft (Geruch, Geschmack) der ZLytta dem Insektenfresser widerwärtig sein. Hiermit wäre das negative Versuchsergebnis (Abgelehntwerden der Zytia) kritisch differenziert. Das positive Versuchsergebnis (Gefressenwerden der Lytta) erweist wie immer so auch hier die Unwirksamkeit des Kantharidins im betreflen- den Falle. Die Fragestellung 2 läßt uns das Vorhandensein einer spezi- fischen Eigenschaft des Beutetieres erweisen, die dem betreffenden Insektivoren (doch nur der betreffenden Insektenfresserart, ge- gebenenfalls sogar nur dem zum Versuche verwendeten Individuum dieser Art) unangenehm ist. Ökologisch ist indes auch Frage- stellung 2 noch wertlos, weil die natürlichen Beziehungen der Arten im Freileben, das tatsächliche Zusammentreffen derselben ın der Natur, noch unberücksichtigt bleiben. 450 F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. etc. Denn wenn wir das Gesamtproblem der selektionistischen „Anpassungen“ einen Augenblick weitblickend überschauen, dann muß uns klar werden, daß alles Nichtgefressenwerden, und ge- schähe es auch ausschließlich um des Kantharidins willen, ohne jede Bedeutung bleibt, insolange die ökologischen Beziehungen der Arten zueinander fehlen. Wenn ein australischer Vogel eine ZLytta nach Verkosten ver- schmähen würde, so wäre diese Tatsache selbst dann, wenn das Kantharidin als hierbei allein wirksame Substanz nachgewiesen würde, keine Stütze für die Hypothese von den durch natürliche Auslese herausgezüchteten „Schutzmitteln“. Denn der australische Vogel ist mit der europäischen Zytta nie zusammengetroffen und kann daher unter ihren Eigenschaften nie eine Auswahl getroffen haben. Ja, die hiemit gekennzeichnete Forderung geht noch weiter. Auch die Tatsache, daß ein heimatlicher Wasser- oder Taufrosch oder eine heimatliche Eidechse die /,ytta allen um ihres Kan- tharidingehaltes willen verschmähte, wäre keinerlei Stütze für die Ausloschypailiese Denn Frösche wie Eidechsen leben an Örtlich- keiten, bezw. auf einem Substrat, auf dem die Zytta in der Regel nicht zu finden ist. Sie sind Glieder anderer natürlicher Lebens- gemeinschaften. Soll aber ein Räuber eine wirksame Auslese unter Beutetieren veranlassen, so muß er mit ihnen regelmäßig und zahl- reich im Freileben zusammentreffen, muß mit ihnen nicht nur die Heimat, sondern auch die ganz enge gefaßte Örtlichkeit (feuchte oder trockene Formation, Steppe oder Wald, Strauch oder Erd- boden u. s. w., kurz gesagt: die Biozönose) und auch die Zeit des Vorkommens teilen. Diesen Umständen trägt allein Fragestellung 3 kritisch Rech- nung. Fragestellung 3 ist mithin die einzige, die Ver- suchsergebnisse liefern kann, welche für die Auslese- hypothese in stützendem Sinne in Betracht kommen könnten. Das muß eine Fundamentalerkenntnis aller Versuche zur selektionistischen Schutzmittelhypothese werden. Die Erwähnung so selbstverständlicher Dinge mag überflüssig scheinen. Wer a die Literatur, nie) die ee der Poulton’schen Schule, durchzusehen sich die Mühe nımmt, der wird Berichte über Versuche finden, welche diesen selbstverständ- lichen Einsichten geradezu Hohn sprechen und welche dennoch als Grundlage wissenschaftlicher Schlüsse Verwendung gefunden haben. Werfen wir diesbezüglich einen wertenden Blick auf die nach- folgend verzeichneten Versuchsergebnisse, so finden wir zumindest stets der Fragestellung 2 Rechnung getragen. Nur wenige Ver- suche konnten mit heimatlichen baum- und strauchlebenden Insekten- fressern, also nach Möglichkeit der Fragestellung 3 gerecht werdend, unternommen werden en. Laubfrosch, Laubheuschrecke). F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. ete. 451 Da die trächtigen Zytta-Weibchen übrigens zur Eiablage den Boden aufsuchen, ist die Möglichkeit gegeben, daß sie, wenn auch selten, dafür aber gerade unter Verhältnissen, die für die Fort- une bedeutsam sein könnten, mit terrikolen Insektivoren (z. B. Igel, Eidechsen, Kröten, Laufkäfern) zusammentreften. Da indes schon die Versuche nach Fragestellung 2 erweisen, daß das Kantharidin keinesfalls irgendwelchen beliebigen Insekten- fressern gegenüber als schützendes „Gift“ bezeichnet werden kann, zerstören schon die Versuchsergebnisse nach dieser Fragestellung die allzu anthropomorphistische Grundlage, auf der die Annahme einer selektiv schützenden auslesenden Bedeutung des Kantharıidins ruht. Wenn das Kantharidin einer Anzahl heimischer Insekten- fresser gegenüber nicht als abwehrendes Gift wirkt, so wäre die Annahme, es wirke gerade den mit der Zytta an genau gleicher Örtlichkeit lebenden are: gegenüber als or völlig willkürlich und damit unbegründet und unzulässig. Das Kantharidin in der Zytta muß nach den Versuchsergebnissen vorläufig als ein auf Insektenfresser unwirksamer oder fast unwirksamer Stoff gelten, und jenem Forscher, der eine gegenteilige Meinung als Grundlage weitgehender Hypothesen nehmen will, dem liegt die Pflicht ob, vorerst eine tatsächliche abwehrende Giftwirkung an solchen Insektenfressern, dıe nach Fragestellung ın Betracht kommen, nachzuweisen. Nur mit vollem, kritischem Klarblick in diese Grundlagen können Versuche zu den Schutzfärbungshypothesen unternommen und wissenschaftlich gewertet werden. Ehe ich über die Versuchsergebnisse berichte, möchte ich etliche kurze Bemerkungen über einige Eigenschaften der Zytta geben, Die ZLytta mit den parallelseitigen, wenig harten Flügeldecken und dem hinter diesen etwas vorragenden Hinterleib mag für den gemeinen Mann eine gewisse „Fliegen“-Ähnlichkeit besitzen, worauf auch ihr Vulgärname „Spanische Fliege* hindeutet. Sie tritt ın Mitteleuropa nicht häufig auf, erscheint aber, wenn sie auftritt, zumeist scharenweise. So war sie auch auf jenen Ligusterhecken, auf denen ich sie fand, in sehr großer Individuenzahl vertreten. Sie lebt zumeist auf baum- oder strauchförmigen Eschen (Fraxinus), Liguster (Liyustrum), Flieder (Syringa), deren Blätter sie vom Rande her bis zu den Blattrippen befrißt, wobei sie eine ausgiebige Freß- lust entwickelt. Ihre Färbung, ein lebhaft metallisches, oft goldiges oder etwas erzbräunliches Grün, kann recht wohl als verbergende Schutzfärbung, nicht gut aber als Warnfärbung gelten, obwohl ein angeblich durch so scharf giftige Säfte „geschütztes“ Tier der Hypo- these nach eigentlich eine weithin auffällig warnende Buntfärbung — etwa wie sie die nahen Verwandten der Zytta, die Mylabris- (Zonabris-)Arten, besitzen — zeigen sollte. 452 F. Heikertinger, Uber einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. etc. Der Geruch der Zytia ist für das menschliche Geruchsorgan scharf und durchdringend, aber meines Erachtens kaum als eigent- lich unangenehm, sicherlich nicht als widerwärtig oder ekelhaft zu bezeichnen. Bei dem großen Mangel an Worten und Begriffen, den die menschliche Sprache für Geruchsqualitäten aufweist, läßt er sich schwer charakterisieren. Er erinnert sehr an den oft recht starken Geruch der Rinde frischen Backwerks, ıst aber allerdings schärfer. Einem Menschen mit normaler Geruchsempfindung und -Wertung wird vor einer ZLytta wohl nicht ekeln; es ist hierdurch also nicht einmal von dem beliebten anthropomorphistischen Stand- punkt aus ein Grund gegeben, anzunehmen, daß einem Insekten- fresser, den die uns widerlich dünkenden Gerüche von Wanzen, Laufkäfern u. s. w. nicht abhalten, der Zytta-Geruch ein Mahl ver- derben könnte. Im übrigen ıst naturgemäß ohnehin jeder Anthropomorphismus ın diesen Fragen auszuschalten. Es hat keine Bedeutung, wie die Lytta auf den Menschen wirkt. Zusammenstellung der Versuchsergebnisse. Erinaceus europaeus, Igel. Ein junges Exemplar, Mitte Julı im Garten gefangen. Der Igel nahm lebende Zytta sofort und fraß sie mit dem für ıhn typischen Schmatzen. Geschadet haben sie ihm nicht, wovon ich mich durch eine mehrwöchentliche Gefangenhaltung des Tieres überzeugte. Der Igel, als nächtliches, bodenlebendes Tier, dürfte in der Natur mit der Zytta nur selten zusammentreffen. Gallus domesticus, Haushuhn. Ende Juni, drei Hühner. Die Hühner, die einen noch teilweise gefüllten Futternapf in ihrem abgegrenzten Gartenraum stehen hatten, also nicht hungrig waren, machten sich mit Eifer über die vorge- worfenen Zytta her und fraßen sie. Nur wenige von diesen wurden verstreut und blieben liegen. Eine halbe Stunde später neuerliche Fütterung mit Zytia; gleiches Ergebnis. Eine weitere Stunde später nochmalige Fütterung derselben Hühner; die Zytta wurden mit Eifer genommen und vollzählig gefressen. Eine schädliche Wirkung wurde nicht beobachtet. Der Versuch wurde noch zweimal (Juli) mit anderen Hühnern andernorts wiederholt. Die Zytta wurden beide Male gefressen. Ein andermal ließ ein Hahn eine Zytta von vornherein unbeachtet. Ökologisch ist dieser Versuch ohne Interesse, da das Huhn ein Haustier und vorwiegend Körnerfresser ist*). 4) Gleiche Ergebnisse lieferten etliche Versuche (Anfang Juli) mit exotischen Hühnervögeln, z. B. mit Penelope jacucaca Spix. (weißstirniges Schakuhuhn, F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. ete. 453 Hypolais hypolais, Gartenlaubvogel, Gelbspötter. Ein nicht seltener, heimischer, typisch insektenfressender Sing- vogel, der besonders Gärten, Parkland, Auen u. s. w. bewohnt, also die Aufenthaltsorte mit der Zytta teilt. Zum Versuch standen mir 3 Stück zur Verfügung, die ein hiesiger Vogelliebhaber hielt. Die Tiere, die im Frühjahre, also nach Überwinterung, eingefangen waren, lebten seit 1912, 1916 bezw. 1917 in Gefangenschaft und wurden sorgfältig ernährt, fraßen also keinesfalls im Hungerzwang. Der Gartenlaubvogel nahm (Ende Juli) die Zytta ohne Zögern eifrig an, schlug sie, seiner Gewohnheit gemäß, etlichemale an die Sitzstange und verschluckte sie dann mit allen Zeichen des Be- hagens. Geschadet hat sie ihm nicht. Im gegebenen Falle sind die Bedingungen der Fragestellung 3 erfüllt: Einem den Aufenthaltsort mit der Zytta teilenden Vogel gegenüber hat sich das Kantharidin als wirkungslos erwiesen. Sylria atricapilla, Mönchsgrasmücke, Schwarzplättchen. Häufiger, heimischer, besonders Jungwald und Buschland be- wohnender insekten- und beerenfressender Singvogel. Versuchs- stellung unter den bei Hypolais gekennzeichneten Bedingungen. Vogel seit 1914 in Gefangenschaft. Eine tote, ziemlich starre Lytta — es standen leider lebende Stücke davon nicht mehr zur Verfügung — wurde (Ende Juli) von dem Vogel angenommen, doch nur teilweise gefressen. Der Vogel befand sich vor dem Federwechsel; seine Freßunlust bezeugte der volle Futternapf. Im übrigen benahm er sich der toten Lytta gegenüber ebenso, wie er sich ansonsten toten und halbstarren In- sekten (und zwar denselben Arten, die er in lebenden Stücken gerne fraß) gegenüber stets benahm. Eine Ablehnung liegt keinesfalls vor°). Brasilien) und Orax globicera L. (Tuberkelhocko, Mittelamerika), die die Unwirk- samkeit des Kantharidins dartun, ökologisch aber ohne Bedeutung sind, da die betreffenden Vögel jedenfalls nie in ihrem Leben einer europäischen Lytta be- gegneten. Laut freundlicher Mitteilung des Herrn E. Csiki, Kustos am Ungar. National- museum in Budapest, fanden sich im Mageninhalt einer einzigen erlegten Großtrappe (Otis tarda) nicht weniger als 30 Exemplare des kantharidinhaltigen Olkäfers Meloe hungarus. K. Escherich fand Meloe proscarabaeus im Magen eines Würgers (Lanius minor). F- E. L. Beal (Food of the Woodpeckers of the United States, U. S. Dept. of Agrie., Biol. Surv., Bull. 37, Washington 1911) fand Epicauta.sp. im Magen des amerikanischen Rotkopfspechtes (Melanerpes. erythrocephalus) und erwähnt andernorts, daß er 14 Meloiden im Mageninhalte eines einzigen Vogels fand. Auch von anderer Seite werden Meloiden als Vogelnahrung genannt. 5) Daß kleinere insektenfressende Vögel auch im Freileben die Zytta nicht verschmähen, beweist die Tatsache, daß E Csiki im Mageninhalte eines grauen 37. Band 31 454 F. Heikertinger, Über einige Versuche mit ZLytta vesicatoria L. etc. Lacerta agils, Zauneidechse, Im Terrarium bei drei seit kurzer Zeit gefangen gehaltenen, noch nicht gefütterten Zauneidechsen erregte die Zytta die Auf- merksamkeit einer Eidechse. Vielleicht trieb letztere der Hunger, vielleicht hielt sie ım ungünstigen Gegenlicht das Tier für eine Heuschrecke od. dgl. Die ZLytta wurde gepackt, geschüttelt, nach etlichen Sekunden indes fallen gelassen und nicht mehr beachtet. Bei allen späteren Versuchen wurde der Käfer von den Lacerten -— auch von den zwei Exemplaren, die ihn niemals gepackt hatten — nicht beachtet. Auch Exemplare der Zytta mit abgenommenen Flügeldecken, die eher an eine Fliege oder Wespe erinnerten, blieben nach einem Augenblick des Betrachtens von den Eidechsen unbeachtet. Dieses Ergebnis — als solches vorläufig nur der Fragestellung 1 entsprechend — bedurfte einer differenzierenden Untersuchung. Es war zuvörderst festzustellen, ob die Eidechsen überhaupt Käfer an- nehmen. Es wurde ihnen daher eine Reihe von Käfern verschie- dener Körperform, Farbe, Festigkeit und Herkunft geboten. Ich nenne davon): Carabus Scheidleri, Harpalus aeneus, Philontus sp. (eine größere Art), Ablattaria laevigata, Amphimallus solstitialis, Oxythyrea funesta, Rhagonycha fulva, Adonia variegata, Coccinella septempunctata, Mela- notus rufines, Oteniopus sulphuripes, Orypticus quwisqurlius, Dorcadion aethiops, Uhrysomela fastuosa. Sämtliche genannte Käfer, unter denen sich auch solche finden, die mit Lacerta agilis ın gleicher Lebensgemeinschaft auftreten, wurden entweder von vornherein gar nicht beachtet oder aber einen Augenblick von den Eidechsen näher angesehen und sodann unbe- achtet gelassen. Gepackt und gekostet wurde nicht ein einziger Käfer, obwohl die Auswahl ebensowohl zarte weichdeckige als auch gleich der Eidechse typisch bodenbewohnende Käferarten um- faßte und obwohl hungrige — wenn auch nicht ausgehungerte — Eidechsen verwendet wurden. Zur Prüfung, ob bei den vorge- nommenen Versuchen nicht eine grundsätzliche, allgemeine Nah- rungsverweigerung vorlag, wurden stets Kontrollversuche mit Heu- Fliegenschnäppers (Muscicapa grisola) zwei Exemplare dieses Käfers fand. Die- selbe Vogelart verspeist laut Mageninhaltsuntersuchungen u. a. auch Cicindela ger- manica, Malachius bipustulatus, Otiorrhynchus ovatus, Leptura cerambyeiformis, Clytus varius, Hippodamia 13-punetata, Formica und Camponotus, Vespa vul- garis und gallica, Apis mellifica. (Positive Daten über die Nahrung unserer Vögel. „Aquila“, Budapest 1904, Bd. XD. Eine hübsche Lese von Insekten, die die wirksamsten der in der Biologie gangbaren „Schutzmittel“ aufweist. 6) Die Benennungen folgen dem Catalogus Coleopterorum Europae etc., v. Heyden, Reitter et Weise, ed. 2, 1906. F. Heikertinger, Uber einige Versuche mit Zytta vesicatoria L. ete. 455 schrecken (Stenobothrus sp.), der Iaeblingsnahrung der Eidechsen, vorgenommen. Diese Tiere wurden den Eidechsen nach den Käfern vorgelegt und ın allen Fällen gierig angenommen. Damit erscheint genügend erwiesen, daß die Zytia als Käfer schon ıhren äußeren Eigenschaften nach überhaupt nicht ın den Normalnahrungskreis der Lacerta agilis fällt und von dieser ohne Rücksicht auf innere Eigenschaften normal unbeachtet bleibt (zwei von drei Eidechsen beachteten die Zytta ja von vornherein gar nicht). Die Ablehnung erweist mithin nichts für eine Schutzwirkung des Kantharidins. Dennoch habe ıch die Untersuchungen auch noch über diesen Punkt hinausgeführt. Außerhalb der Schutzmittelfrage konnte die Frage für sich aufgeworfen werden: Wären innere Eigenschaften der Zytta abwehrend wirksam auf die Zaceria agilis, wenn die La- certa die Lytta überhaupt angreifen würde? Würde z. B. ein von der Lacerta sonst gierigangenommener Stenobothrus, der die inneren Eigenschaften der /,ytta besäße, von der Lacerta gefressen werden oder nıcht:? Das Experiment war leicht durchzuführen. Ich bestrich zwei lebende Stenobothrus über und über mit dem Leibesinhalt einer Lytta und setzte sie ıns Terrarium. Mit gewohnter Gier schossen die Eidechsen auf sie los, faßten sie ım Genick — aber nun ge- schah etwas, das ich mit Heuschrecken, auch mit solchen, welche mit Wanzen- oder Coccinellen-Blut, welches das menschliche Geruchs- organ weit stärker irritierte als Zytia-Blut, bestrichen waren, noch nicht beobachtethatte: die Stenobothrus wurden nach dem ersten Schüt- teln fallen gelassen und blieben ungefressen. Die Eidechsen leckten sich mit der Zunge den Mund — was sie übrigens stets nach einem Mahle tun und was bei ihnen durchaus nicht immer anthropomor- phistisch als besondere Befriedigung über den Wohlgeschmack des Bissens gedeutet werden darf —, und eine derselben wischte sich den Mund etlichemal am Sande des Bodens ab. Hierauf zur Kon- trolle verfütterte unbehandelte Stenobothrus wurden gierig gefressen. Der Versuch, der wiederholt wurde und stets das gleiche Er- gebnis zeigte, erweist, daß die Zytta eine innere Eigenschaft be- sitzen dürfte, die unserer Eidechse unangenehm ist und abwehrend auf sie wirkt. Welcher Art diese Eigenschaft ıst und in welcher Weise die Sinnesorgane des Reptils davon berührt werden, ob das ‚Kantharıdın oder ein anderer Stoff den wirksamen Faktor darstellt, diese Fragen hellt auch dieser Versuch nicht auf. Über die Bedeutungslosigkeit des Versuchsergebnisses in öko- logisch-selektionshypothetischer Hinsicht kann kein Zweifel bestehen. Die früheren Versuche zeigten ja, daß ‚die Zytta von den Eidechsen auch ohne Geschmacksprobe verschmäht wurde, der Geschmack (oder die sonstige Kantharıdinwirkung) also nicht die Ursache des Unbeachtetbleibens sein konnte. Zudem gehören ZLytta und Eid- Sl: 456 F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. ete. echse nicht der gleichen Biozönose an, treffen im Freileben keines- falls so oft zusammen, daß Eigenschaften der einen durch die andere ausgelesen werden könnten. Eine Auslese kann nur dort statt- finden, wo es sich um einen steten Existenzkampf auf Leben und Tod handelt. Die festgestellte Tatsache, daß eine innere Eigen- schaft der Zytta abwehrend auf die Eidechse wirkt, ist somit von keiner höheren selektionistischen Bedeutung als die etwa festge- stellte Tatsache, daß eine innere Eigenschaft der Apfelfrucht oder des Steinkohlenteers der Eidechse unangenehm sei. Aus dem Verhalten von ZLacerta agilis gegenüber ZLytta vesi- catoria aber allgemeine Schlüsse auf andere Eidechsenarten und andere Meloidenarten, die vielleicht in einer Biozönose leben könnten, ziehen zu wollen, wäre inexakt und wissenschaftlich unzulässig. Jede Tierart hat ihre ganz besonderen Eigenschaften, jeder Räuber hat seine ganz besondere Geschmacksrichtung, und die Spezial- geschmacksrichtungen sind bei nahe verwandten Tierarten oft un- gemein stark verschieden. Jedes Beutetier muß Art für Art jedem Räuber Art für Art in klarer Versuchsanordnung gegenübergestelt werden, ehe mit wiıssenschaftlicher Sicherheit von einer Ablehnung gesprochen werden darf. Hyla arborea, Laubfrosch. Käuflich erworben Ende Juni. Eine Stunde nach Unterbringung im Käfig wurde eine Zytta vorgelegt. Sie wurde anfänglich nicht beachtet; als sie indes nach etwa einer halben Stunde dem Frosche mundgerecht kam, erschnappte und verschluckte er sie (Hunger?). Geschadet hat sie ihm nicht; er lebte hierauf noch monatelang im Käfige. Später, bei normaler Verpflegung, kümmerte er sich um vorgesetzte Lytia so wenig wie um andere Käfer dieser Größe. Er nahm die Zytta auch dann nicht, wenn ıhr die Flügeldecken abge- nommen waren. Sein Benehmen gegenüber vorgelegten Insekten zeigt deutlich, daß sein Normalnahrungskreis speziell fliegende Kerbtiere, besonders Dipteren, umfaßt. In dieselbe Erregung, ın welche die Zauneidechse vor einer Heuschrecke geriet, kam der Laubfrosch angesichts einer in seinem Käfige summenden Fliege, wogegen er zur Annahme einer Heuschrecke, welche die Eidechse in Aufregung versetzt hatte, schwer zu bewegen war. Hartschalige, kriechende Insekten (Wanzen, Käfer) nahm er im allgemeinen sehr ungern. Daß die Zytta vor ihm durch ihre Käfergestalt und nicht durch ihre inneren Eigen- schaften relativ sicher ist, beweist die Nichtbeachtung anderer Käfer und die Tatsache, daß er die einmal angenommene ZLytta nicht ausspie, sondern verschluckte und daß sie ihm nicht schadete. Hyla und Lytta mögen in der freien Natur ab und zu zu- sammentreffen. Keineswegs aber wird dieses Zusammentreffen mit F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesieatoria L. ete. 45% jener Häufigkeit stattfinden, daß selbst dann, wenn die ZLytta vor dem Frosch „geschützt“ wäre (was sie tatsächlich nicht ist), an eine über Leben und Tod der Zytta entscheidende Auslese durch den Frosch gedacht werden könnte. Selektionistisch-ökologisch ist der Fall ohne Bedeutung. Rana esculenta, Wasserfrosch. Der in Gefangenschaft gehaltene Frosch nahm die vorgesetzte Lytta sofort an und verschlang sie ohne Zeichen irgendwelchen Unbehagens. Gleiches gilt von den nachfolgend genannten Frosch- arten: Rana agilis, Springfrosch und Rana arvalis, Moorfrosch. Von diesen fraß ein Moorfrosch zwei, einer der Springfrösche sogar fünf Zytia nacheinander. Geschadet haben die Zytta keinem der Frösche. Bufo vulgaris, Erdkröte. Nachdem ein großes Weibchen der Kröte einen großen Lauf- käfer (Carabus Scheidleri), einen Junikäfer (Amphimallus solstitialis), etliche Rhagonycha fulva, Polistes gallicus und anderes „geschütztes“ Getier verzehrt hatte, verschlang sie mit Behagen auch noch die Lytta. Geschadet hat ihr die Mahlzeit nicht. Bombinator pachypus, Berg- Unke. Die Zytta wurde, in kleineren Stücken, gerne und ohne Schaden gefressen. Die Versuche mit sämtlichen vorgenannten Arten von Rana, Bufo und Bombinator fanden im 1. Zoologischen Institut der Uni- versität Wien statt, wobei Herr Professor Dr. Franz Werner, der bekannte Spezialkenner der Amphibien- und Reptilien, die Vor- lage der Insekten selbst vornahm. Ich nehme die Gelegenheit wahr, ihm auch an dieser Stelle für sein liebenswürdiges Entgegenkommen und seine rege Anteilnahme an meinen Versuchen meinen beson: deren Dank abzustatten. Die Versuchstiere waren hungrig, doch nicht ausgehungert. Eine besondere Geschmacksspezialisation trat bei den Fröschen, Kröten und Unken nicht ın Erscheinung. Dieser Umstand wird vielleicht verständlich, wenn wir in Betracht ziehen, daß Frösche und Kröten nächtliche Jäger sind, die wohl kaum ıhre Beute genau zu betrachten vermögen, sondern ihre Zunge nach allem sich im un- bestimmten Lichte Bewegenden — und nur nach sich Bewegendem — auswerfen und die ein außerordentlich großes Nahrungsbedürfnis haben. Eine Reihe von Versuchen mit anderen Insekten ergab, daß von den genannten Amphibien wohl alle Kerbtierordnungen z s “1, ‘ .- IR ERt ER f P - 458 F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Zytta vesicatoria L. ete. ohne Wahl angenommen werden dürften und daß übler Geruch und scharfe Säfte (menschlicher Beurteilung) unbeachtet bleiben. Es werden Laufkäfer, Marienkäfer, Wanzen u. s. w. bereitwillig ge- nommen. Die Zytta mundet den genannten Lurchen offenkundig; sie ist nicht vor ihnen „geschützt“. Aber wenn sie ihnen auch nicht munden würde, könnte der Fall dennoch nicht von selektionistisch- ökologischer Bedeutung sein, weil Frösche, Unken und selbst Kröten der Zytta ım Freileben viel zu selten begegnen, als daß sie als ein über Leben und Tod derselben entscheidender auslesender Faktor angesprochen werden könnten. Locusta viridissima, Laubheuschrecke. Dieser Ende Juli hierorts gefangene fleischfressende 'Gerad- flügler fraß über Nacht eine abends lebend in seinen Käfig ge- gebene Z,ytta bis auf eine Flügeldecke auf. Schaden trug er nicht davon. Die große Laubheuschrecke kann recht wohl als ein Feind der Lytta, deren Wohngebiet sie teilen kann, ın Betracht kommen, wenngleich auch eine Auslese durch die Locusta schwer denkbar wäre. Einen „Schutz“ gegen die Locusta besitzt die Lytta jeden- falls nicht; es konnte somit auch das Kantharidin nicht als solcher durch die ZLocusta ausgelesen werden. Carabus Scheidlerti. Der Mitte Juli gefangene Laufkäfer, der eine Raupe von Phalera bucephala gierig anfiel und fraß, kümmerte sich um die in seinen Käfig gebrachten ZLytta ebensowenig wie um andere Käfer und um Wanzen. Auch der abgerissene, geöffnete Hinterleib einer Zytta fand keine rechte Beachtung. Der Käfer ıst ein bodenlebender Raupen-, Wurm- und Schnecken- verzehrer, der kleineren Käfern in der Regel keine Beachtung schenkt. Ökologische Beziehungen zwischen ihm und der Zytta sind überdies kaum vorhanden). Die ım Vorangehenden vorgeführten Proben kritischer Versuche und deren wissenschaftlicher Wertungen wollen in erster Linie eine Anregung sein für alle jene, denen der Zufall Gelegenheit zu Ver- fütterungsversuchen darbietet. Diese Proben wollen den Faktor 6) Interessant und nachahmenswert sind R. Heymons’ in den Steppen Tur- kestans angestellte Beobachtungen an den Meloiden Mylabris (Zonabris) eineta und großen, räuberischen Walzenspinnen (Galeodes caspius Bir.), welche die ge- nannten ‚Käfer verschmähten. (Brehm’s Tierleben, 4. Aufl., Insekten, S.438.) Doch wäre auch hier eine noch weitere Differenzierung der Versuche, sowie eine noch genauere Untersuchung des Spezialgeschmacks der genannten Spinnen und der ökologischen Beziehungen der Tiere zueinander wünschenswert. F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lytta vesicatoria L. ete. 459 „Spezialgesehmacksrichtung“, den der zeitgenössische Selektionismus leider so oft übersieht, in jene Beleuchtung rücken, die ihm ge- bührt; sie wollen eine klare Fragestellung aufzeigen, ohne die die Natur niemals eine klare Antwort geben kann. Das sachliche Ergebnis der Proben ist, in wenige Worte gefaßt: Keiner der Versuche hat das Kantharidın als ein als selektiv erhaltender Faktor wirksames „Schutzmittel“ erwiesen. Entweder es fand aus Spezialgeschmacksgründen seitens des Räubers normal überhaupt kein Angriff auf die Zytta statt, dann war auch der Be- griff „Schutz“ nicht anwendbar. Oder aber es fand normal ein Angriff statt, dann wirkte das Kantharidin niemals als „Schutz*. Es ist somit nicht zulässig, das für den Menschen giftige Kan- tharıdin als ein „Schutzmittel“ der Zytta gegen ihre Feinde zu be- zeichnen. Das Kantharidin ist ein Stoff, der auf den Menschen (und eine Anzahl bestimmter Tiere) zufällig — ich stehe nicht an, dieses Wort zu verwenden — als scharfes Gift wirkt, ökologisch aber zum Menschen (und zu jenen bestimmten Tieren) so wenig ın irgendwelcher Beziehung steht, wie das Gift der Tollkirsche oder der anorganischen Bleiverbindungen. Keines dieser „Gifte“ ist um des Menschen oder irgend eines Tieres willen ent- standen oder ihretwegen erhalten geblieben. Wenn aber das für den Menschen so scharf giftige Kantharidin als selektionistisches „Schutzmittel gegen Feinde“ versagt, um wie- viel eher werden jene weit schwächer giftigen, scharfen oder „übel- riechenden“ (d. h. für den Menschen übelriechenden) Stoffe als „Sehutzmittel gegen Feinde“ versagen müssen, um wieviel nötiger wird erst bei diesen der experimentelle Nachweis einer tatsächlichen Schutzwirkung — der aller Hypothese vorangehen müßte — sein! — Man kann mir mit vollem Rechte einwenden, diese Versuche seien viel zu wenig umfangreich, um eine erdrückende Beweiskraft zu ergeben. Ich gebe dies gerne zu, wenngleich das hier Dar- gelegte nur einen Ausschnitt aus einer größeren Versuchsreihe, über die ich andernorts berichten möchte, darstellt. Nicht zugeben aber kann ich, daß dieser Einwand des zu geringen Umfanges von Versuchen zur Stütze einer Meinung mißbraucht werde, die auf gar keinen Versuchen, sondern lediglich auf willkürlichen, ganz ungeprüften Annahmen ruht. Einer auf nichts ruhenden An- nahme ist jede auf noch so wenigen exakten Versuchen basierende Anschauung bedingungslos überlegen. Wir alle sind aus dem Zeitalter hervorgegangen, da der Selektionismus die herrschende akademische Lehrmeinung war und ist. Wir haben ihn als Abwehr dunkler Lehren, die sich einer freien Forschung entgegenstellten, mit Begeisterung aufgenommen, haben in ihm gelebt, für ihn gesprochen, geschrieben. Er ist mit 4650 F. Heikertinger, Über einige Versuche mit Lyttia vesieatoria L. ete. unserer wissenschaftlichen Entwicklung, mit unseren Gefühlen, mit unserem Leben tief verwachsen. Und dennoch darf uns die alte Liebe zu ihm die Augen nicht verschließen gegen das, was uns die Wirklichkeit zeigt. Wir müssen, wenn es die Wirklichkeit fordert, auch bereitwillig einen Schritt zurücktreten, den wir schon getan haben, wir müssen um einer klareren Einsicht willen ohne Sträuben dasjenige fallen lassen, was wir bislang für richtig gehalten und mit Wort und Schrift vertreten haben. Ich schließe mit der im Namen der exakten Biologie aufge- richteten Forderung: Wer immer irgendeine Eigenschaft am Organısmen- körper als „Schutzeinrichtung“ gegen Feinde bezeichnen will, dem liegt ob: 1. Vorher mit Beobachtung und Versuch einwandfrei nachzuweisen, daß die bezügliche Eigenschaft (und nur spezifisch sie) gegenüber wirklichen Feinden der Art wirklichen Schutz gewährt. 2. Nach dem Nachweise wirklichen Schutzes über- zeugend darzulegen, daß und wie sich diese Eigenschaft allein aus der schützenden Wirkung heraus durch Aus- lese herausgebildet haben könne. Insolange diese Forderungen nicht voll erfüllt sind, insolange auf bloßen hypothesenfreundlichen Annahmen mit schematischer Schablone ganz allgemein das hypothetische Walten einer Auslese vorgeführt wird, insolange wird jeder exakte Forscher ein jedes wohlgemeinte Wort der Polemik zugunsten der uns allen so lieb gewesenen „Schutzmittel im Daseinskampfe“ für müßig erachten müssen. Die Zeit der hypothetischen Schablone muß von einer Zeit des unbefangenen Experiments abgelöst werden. E. Zander, Die Zukunft der deutschen Bienenzucht, 461 Referate. Enoch Zander. Die Zukunft der deutschen Bienenzucht. Berlin 1916. Preis: 1.50 Mk. Zeitgemälse Bienenzucht. I. Bienenwohnung und Bienenpflege. Mit 28 Textabbildungen. Berlin 1917. Preis: 1.850 Mk. Il. Zucht und Pflege der Bienenkönigin. Mit 29 Text- abbildungen. Berlin 1917. Preis: 1.30 Mk. — Heft 2, 5 und 6 der Flugschriften der Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie. Verlag von P. Parey. Die Bienenzucht nımmt heute im deutschen Wirtschaftsleben bei weitem nicht den Platz ein, der ihr gebührt. Daß ihre volks- wirtschaftliche Bedeutung noch vielfach unterschätzt wird, hat seinen Grund wohl hauptsächlich darin, daß sie oft ın ganz unrationeller Weise betrieben wird. Den Inkern fehlt nur zu häufig jegliche, zu einer nutzbringenden Imkerei unbedingt erforderliche theoretische Grundlage, die einfachsten Tatsachen aus der Biologie der Honig- biene sind ihnen oft fremd. „Die geringe Fühlung mit der Wissen- schaft“, sagt Zander, „ıst immer noch der Krebsschaden, an dem die Bienenzucht seit Jahrzehnten leidet“. Aufgabe der vorliegenden Flugschriften Professor Zander’s, des verdienstvollen Leiters der Kgl. Anstalt für Bienenzucht ın Erlangen, ist es, die Bedeutung einer auf wissenschaftlicher Grundlage betriebenen Bienenzucht für die Volkswirtschaft ın das rechte Licht zu rücken und die Wege zu weisen, die eine gedeihliche Entwicklung gewährleisten. Gerade Institute wie dıe Erlanger Anstalt sind ja in erster Linie dazu be- rufen, die Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis her- zustellen und dafür Sorge zu tragen, daß letztere aus den ge- sicherten Ergebnissen der Wissenschaft den größtmöglichen Nutzen zieht. Im Mittelalter erfreute sich die Imkerei, so führt Zander ein- leitend aus, ın ganz Deutschland wesentlich größerer Wertschätzung als in der Gegenwart. Sıe wurde hauptsächlich als Wald-Bienen- zucht betrieben, so ın „de, Deutschen Reiches Bienengarten“, den Reichswäldern um Nürnb rg. Honig, Wachs und Met waren be- “gehrte Erzeugnisse der Bisnenzucht, deren Ausübung das Vorrecht der „Zeidler“ bildete. Die Ursachen des allmählichen Niedergangs der Bienenzucht sind nicht klar ersichtlier. Sicher ist ım Laufe der Zeit der Wert der Bienenerzeugnisse gesunken. An die Stelle 462 E. Zander, Die Zukunft der deutschen Bienenzucht. der Metbereitung, die man heute kaum noch kennt, trat die Gersten- bierbrauerei. Die Einfuhr von Rohrzucker und die steigende Pro- duktion von Rübenzucker setzten den Honigverbrauch herab und machten aus dem einst notwendigen Nahrungsmittel ein entbehr- liches Genußmittel. Der infolge der Reformation eingeschränkte Wachsverbrauch in der Kirche soll ebenfalls zum Rückgang der Bienenzucht beigetragen haben. Außerdem machte überseeischer Honig und überseeisches Wachs der einheimischen Produktion scharfe Konkurrenz. Nach Zander sind indessen alle diese Gründe nur sekundärer Natur. Als Hauptursache für den Verfall des mittel- alterlichen Zeidelwesens betrachtet er die Verringerung der Wald- flächen und die Bekämpfung der Heide. Durch die mit fortschrei- tender Kultur immer mehr sich ausdehnende Feldwirtschaft wurden die natürlichen Nahrungsquellen der Bienen stark eingeschränkt, und da gerade die Anpflanzung schwach honigender Pflanzen oft bevorzugt wird, wurde ın manchen Gegenden die Möglichkeit einer erfolgreichen Imkerei geradezu genommen. Hier liegen auch die künftigen Gefahren für die deutsche Bienenzucht. In gesteigertem Maße sucht man jetzt während des Krieges Moore, Heide- und Od- ländereien der Landwirtschaft nutzbar zu machen, um hinsichtlich der Versorgung mit Gemüse vom Ausland mehr und mehr unab- hängig zu werden, die Produkte der Moorflächen werden nach Mög- lichkeit industriell verwertet, die für die Bienen so wichtigen Ge- treideunkräuter werden energisch bekämpft. Und gerade die Gegenden werden durch diese Maßnahmen besonders betroffen, in denen die Bienenzucht bisher noch am meisten in Blüte stand. So werden z. B. jedes Jahr während der Heideblüte ca. 400000 Bienenvölker in die Heide gebracht, von denen jedes im Durchschnitt 12—15 kg Honig einträgt. Vergleichen wir mit den der deutschen Bienenzucht drohenden Gefahren ihre volkswirtschaftliche Bedeutung, so kann kein Zweifel darüber sein, daß Mittel und Wege gefunden werden müssen, um nicht nur diesen Gefahren zu entgehen, sondern auch der Imkerei wieder zu dem ihr im deutschen Wirtschaftsleben gebührenden Platz zu verhelfen. Die Zahl der Bienenstöcke betrug in Deutsch- land im Jahre 1912 weit über 2'/, Millionen, es steckt in der deutschen Imkerei ein Anlagekapital von ungefähr 65 Millionen Mark. Der Handel mit Honig, Wachs und Bienen wirft trotz des ausländischen Wettbewerbes noch 20—30 Millionen Mark jährlich ab. Von den direkten Erzeugnissen der Bienen, Honig und Wachs, abgesehen, hat indessen die Biene als Blütenbestäuberin die aller- größte Bedeutung für unsere Volkswirtschaft. Uber 90%, aller blütenbesuchenden Insekten sind Hymenopteren, und unter diesen wiederum spielt die Honigbiene die weitaus bedeutendste Rolle. So stellte man auf den Blüten eines Obstgartens 88% Honigbienen fest. Die Blütenbeständigkeit macht die Bienen zu besonders wert- vollen Blütenbestäubern. Die Samenbildung der von Bienen be- flogenen Pflanzen wird vermehrt, der Fruchtansatz erhöht. Den Gewinn, den Obstbau, Feld- und Gartenwirtschaft Jahr für Jahr E. Zander, Die Zukunft der deutschen Bienenzucht. 463 aus der Bienenzucht ziehen, berechnet Zander auf fünfmal so hoch wie den jährlichen Ertrag aus Wachs und Honig, also auf 100 bis 150 Millionen Mark. Für die bayerische Imkerei alleın kann der jährliche mittelbare und unmittelbare Gewinn auf 17 Millionen ver- Enschlast werden. Mit der Förderung der Obstbaumkultur und anderer Nutzpflanzen muß also eine Förderung der Bienenzucht Hand ın Hand gehen. Wie in Zukunft das Gedeihen der Bienenzucht am besten ge- fördert werden kann, ergibt sich bereits teilweise aus dem Gesagten. Für die durch die bessere Bodenkultur verschwindenden Bienen- nährpflanzen in Feld, Wald, Moor und Heide muß vollwertiger Ersatz geschaffen werden. Dazu genügt nicht die Steigerung des Obstbaues. Als Straßenbäume sollte man von Bienen stark be- suchte Pflanzen bevorzugen, wie Akazie und Roßkastanie. Zahl- reiche Heckensträucher sind gute Bienenpflanzen und dienen zugleich dem Vogelschutz. An Bahndämmen, Kanal- und Straßenböschungen lassen sich manche, den Bienen sehr willkommene Futtergewächse, so die verschiedenen Kleesorten, mit Vorteil anpflanzen. Auch unter den technischen Pflanzen, den Ölfrüchten, Gemüsen, Gewürz- und Heilkräutern, den Stauden und Zwiebelgewächsen für den Blumengarten sowie den einjährigen Sommerblumen finden sich viele für die Bienen wertvolle Arten. Zu berücksichtigen ist jedoch immer, daß die Honigbildung der meisten Pflanzen von der Boden- beschaffenheit abhängig ıst. Neben der Verbesserung der Honig- tracht muß auch für den Anbau pollenspendender Pflanzen Sorge getragen werden. Die Pflege der Bienenweide sollte eine der vor- nehmlichsten Aufgaben der zahlreichen Bienenzuchtvereine sein. Werden von den Landwirten, Gärtnern, Forstbeamten und ebenso von staatlichen und städtischen Behörden beim Anbau von Futter- gewächsen, bei der Anlage von Baumgängen, Stadt- und Haus- gärten, Vogelschutzgehegen, Wildfutterpflanzungen etc. sachver- ständige Imker befragt, so können die aus der gesteigerten Boden- kultur der Bienenzucht drohenden Gefahren vollständig vermieden werden. Mit der Verbesserung der Bienenweide allein ıst indessen das künftige Gedeihen der heimischen Imkerei noch nicht gewährleistet. Es gilt, die Ertragsfähigkeit der Bienenzucht zu steigern. Bereits eingangs wurde hervorgehoben, daß die theoretische Schulung der Imker vielfach noch manches zu wünschen übrig läßt. „Das Ge- heimnis einer erfolgreichen Zucht‘, sagt Zander, „beruht allein auf der genauen Beachtung des natürlichen Verlaufes aller Lebensvor- gänge ım Bienenstock“. Wie die moderne Bienenwohnung einge- richtet sein soll, und wie die Völker in solchen Wohnungen zu be- handeln sind, das schildert Zander auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen ausführlich in der zweiten seiner Flugschriften, während die dritte ein nicht weniger wichtiges Thema, die Zucht und Pflege der Bienenkönigin, behandelt. Die Auslese der Bienenköniginnen und der zur Begattung verwandten Drohnen gibt uns die Möglıch- keit, die Leistungen der Bienenvölker mehr und mehr zu steigern 464 E. Zander, Die Zukunft der deutschen Bienenzucht. und damit die Rentabilität der Bienenzucht überhaupt zu heben. Hier eröffnet sich der wissenschaftlichen Forschung noch ein weites, für die Vererbungsforschung ebenso interessantes wie für die imke- rısche Praxis wichtiges Arbeitsfeld. Auf wissenschaftlicher Grund- lage angestellte Vererbungsexperimente mit Bienen fehlen bisher fast vollständig. Gerade die Biene ist aber — wie die Hymenop- teren überhaupt — infolge der generativ-parthenogenetischen Ent- stehung des einen Geschlechts, der Männchen, ein für den Mende- lismus besonders interessantes Objekt!). Schon Mendel selbst hat diese Tatsache erkannt und Vererbungsexperimente mit Bienen aus- geführt. Leider sind seine diesbezüglichen Aufzeichnungen nicht erhalten geblieben. Wenn auch exakten Vererbungsstudien mit Bienen mannigfache Schwierigkeiten im Wege stehen, so sind diese doch nicht unüberwindlich, und es ist zu hoffen, daß nach dem Kriege auf breiter Basıs derartige Untersuchungen begonnen werden. Mögen diese Experimente mit dazu beitragen, "die Bienenzucht, um mit Zander zu sprechen, „ihres Aschenbrödelgewandes zu ent- kleiden und ıhr den Platz ım deutschen Wirtschaftsleben zu be- reiten, den sie ihrer Bedeutung nach einzunehmen berufen ist“. Nachtsheim, München. 1) Siehe Armbruster, L.,. Nachtsheim, H. und Roemer, Th. Die Hymenopteren als Studienobjekt azygoter Vererbungserscheinungen. Experimentum crueis theoriae mendelianae. Zeitschr. f. indukt. Abstammungs- u. Vererbungsl., Bar 197: Veran von AT Thieme in Paper ae 15: — Drdek der I) u Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. oSisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und DIE/R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. BE: Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 37. Band Oktober 1917 Nr. 10 ausgegeben am 30. Oktober Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter, werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Inhalt: W. Goetsch, Beobachtungen und Versuche an Hydra. 8. 465. J. S. Szymanski, Das Prinzip der raumansfüllenden Rezeptionsfähigkeit. 8. 47). A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit des trockenen pflanz- liehen Protoplasmas gegen wasserfreien Alkohol, Ather und andere Anästhetika. S. 477, J. Dewitz, Die für die künstliche Parthenogenesis angewandten Mittel als Erreger für andere biologische Vorgänge. 8.48. R. Demoll, Die bannende Wirkung künstlicher Lichtquellen auf Insekten. S. 503. Beobachtungen und Versuche an Hydra. (Vorläufige Mitteilung.) Von Dr. Wilh. Goetsch, Assistent am Zoolog. Institut Straßburg. Ende Juni 1914 setzten die Hydren in den Aquarien des Straß- burger Zoologıschen Instituts plötzlich ın großen Mengen Geschlechts- organe an. Die reiche Menge der Hoden oder Ovarien besitzenden Tiere veranlaßte mich zu einigen Versuchen, deren Ergebnisse ich nach längerer Unterbrechung im Sommer 1916 ın München und dann wieder ın Straßburg unter weniger günstigen Umständen fort- setzen und erweitern, leider bis jetzt aber noch nicht soweit be- enden konnte, wie ich es wünschte. Da eine endgültige Fertig- stellung und Ausarbeitung auch für die nächste Zeit nicht zu erhoffen ıst, will ich die bisherigen Resultate hier kurz veröffent- lichen; die ausführliche Beschreibung der Beobachtungen und der mikroskopischen Feststellungen sowie die daraus sich ergebenden theoretischen Ausblicke behalte ich mır vor. >37. Band 3 466 Goetsch, Beobachtungen und Versuche an Hydra. Die Hydren, die ich untersuchte, erwiesen sich als Aydra fusea. Brauer u. a. haben diese Art geteilt und unterscheiden die ge- trenntgeschlechtliche A. oligactis von der hermaphroditischen H. poly- pus. Da ich an allen meiner Exemplare, sei es an solchen mit beiden Geschlechtscharakteren oder nur mit einem, die gleichen Beobachtungen zu verzeichnen habe, behalte ich nach dem Beispiel von Hertwig und seinen Schülern den Namen Hydra fusca vor- läufig bei. In all den Becken, ın denen die Produktion der Gonaden vor sich ging, war überall reichlich Nahrung vorhanden, so daß Futter- mangel nicht vorlag und diese Ursache zur Anregung der geschlecht- lichen Vorgänge daher auszuschließen ist. Dagegen war zu der Zeit, als die Geschlechtsorgane entstanden, auf eine längere Periode warmer Tage eine kältere Witterung gefolgt. Wie Hertwig, Koch u.a. in Versuchsreihen feststellten, wird Aydra fusca ge- schlechtsreif, wenn sie nach wärmerer Temperatur ın kältere kommt (5—10°), nach Koch aber nie in Zimmertemperatur. Meine Beob- achtungen zeigen, daß dies doch auch vorkommen kann. Eigene Versuche, durch Herabsetzung der Temperatur die Tiere zur Ge- schleehtsorganbildung anzuregen, mißlangen stets, ich fand vielmehr, daß in allen Kulturen, den warm gehaltenen sowohl wıe den kühl gestellten, die Anzahl der Geschlechtstiere prozentual ziemlich gleich war, und daß man sicher sein konnte, auch ın den unter anderen Bedingungen gehaltenen Behältern Hydren mit Gonaden zu finden, wenn man in einem derselben Tiere mit Hoden oder Ovarien ge- funden hatte. Es müssen also noch andere Gründe vorhanden seın, die eine Entwicklung der Geschlechtsorgane bedingen. Die von Koch und Frischholz beschriebenen Depressions- erscheinungen, anzutreffen bei Tieren ohne Hoden- oder Eibildung in Kulturen, in denen die Geschlechtsorganbildung eingesetzt hatte, konnte auch ich beobachten. Meist erholten sich diese Tiere wieder, ohne daß jedoch festzustellen möglich war, daß aus ıhnen später Geschlechtstiere wurden. An Tieren, die reichlich Hoden ausgebildet hatten, machte ich einige Regenerationsversuche, deren Resultate ich hier geben will. Zunächst wurden Schnitte zwischen mehreren Hodenanlagen gemacht. Es entstanden also dann zwei Teile, ein oberes mit Ten- takeln, ein unteres mit Fußscheibe; durch Schließung der Wunde kamen die Hoden meist an die Stelle zu liegen, an der die Regene- ration vor sich gehen mußte. Es begann nunmehr eine Reduktion der Geschlechtsorgane, und zwar wurden die Geschlechtsorgane, die an der Stelle der neuzubildenden Fußscheibe bezw. Tentakeln lagen, zuerst eingeschmolzen. Bei unteren Stücken war nach ca. 18 Stunden eine Mundöffnung gebildet wie bei einem normalen Tiere, Tentakeln dagegen noch nicht vorhanden. Statt dessen sah Goetsch, Beobachtungen und Versuche an Hydra. 467 man um die Mundöffnung herum die Reste der Hoden liegen, die Tentakeln vortäuschen konnten, aber sich schon bei geringer Ver- größerung durch ihr ektodermales Aussehen als Hoden darstellten, was durch Schnitte bestätigt werden konnte. Die Reduktion ging dann weiter, und nach 2—3 Tagen war von den Hoden nichts mehr zu sehen, dagegen Tentakeln in Entwicklung begriffen. Bei oberen Teilen ging die Reduktion und besonders die Regeneration noch schneller vor sich. Wurde der Schnitt dieht unterhalb den letzten Geschlechts- organen gemacht, so trat auch Reduktion der Hoden ein, aber viel langsamer, und zwar begann die Einschmelzung bei den der Schnitt- stelle näher liegenden Anlagen rascher als bei den entfernteren. — Die Regeneration ging nach den ersten raschen Einschmel- zungen und Neubildungen weıt langsamer vor sich; es traten meist Depressionserscheinungen auf, bei denen die neuentstandenen Ten- takeln wieder rückgebildet wurden. Doch erholten sich die Tiere auch hiervon zum Teil. An Övarien gelangen die Versuche nur, wenn das Ei noch klein war. Ich gebe hier ein Beispiel aus meinen Protokollen. Ein Hydra mit klenem Ovar wurde am 9. XI. 17 über dem Ovar so durchschnitten, daß dasselbe am Stielteil unmittelbar unter- halb der Schnittstelle verblieb (Fig. 1). Nach 1 Stunde bot der Stiel das Bild der Figur 2. Die Wunde war geschlossen, das Ovar lag unmittelbar an der Wunde, zum Teil sogar auf ıhr. Am 10. XI, war das Ovar bereits kleiner geworden; der Stumpf hatte sich über das Ovar hinaus eswas vergrößert, ein Verhalten, das fast immer beobachtet wurde. Am 11. XI. war das Ovar nur noch als kleiner Rest zu sehen, Tentakeln dagegen noch nicht zu beobachten. Ihre erste Anlage war erst am 12. XI. sichtbar, aber nur an der einen Seite: hier fand sich ein mittlerer größerer Tentakel flankiert von zweı kleineren. Diese Unregelmäßigkeit wurde ın den nächsten Tagen ausgeglichen und es entstand eın vollständig normales Tier. Bei etwas vorgeschrittener Eibildung wurde das Ovar nicht wieder eingeschmolzen. Auch hierfür ein Beispiel. Durch eine Aydra mit größerer Eianlage wurde am 8. XI. ın derselben Weise ein Schnitt gelegt wie bei dem soeben beschrie- benen Versuch. Am Tage nach der Operation war das Ovar kaum verändert, eher kleiner als größer. Am Stumpf hatte sich ober- halb des Ovars eine Wachstumszone gebildet, so zwar, daß die Ei- anlage sich etwas oberhalb des unteren Stumpfendes befand, wäh- rend sie nach dem Schnitt bis unmittelbar an die Wunde gereicht hatte. Am 2. Tage war das wachsende Stück oberhalb des Ovars größer geworden; es begann die Tentakelentwicklung, aber nur an der dem Ovar abgewandten Seite (Abb. 3). Im Verlauf der nächsten Y)K \ fo y/ 468 (soetsch, Beobachtungen und Versuche an Hydra. Tage entwickelte sich das Ei immer mehr und durchbrach am 14. XI. die Epidermis. Tentakeln bildeten sich an der Seite des Ovars nıcht, so lange sich das Ei noch in Entwicklung befand. Die vorgeschrittene Eibildung mit ihrer weitgehenden Differenzierung besaß also das Übergewicht gegenüber den rein regenerativen Vor- gängen. Es zeigt sich bei diesen Untersuchungen, daß unter bestimmten Bedingungen die Geschlechtsorgane eingeschmolzen und zum Auf- bau der regenerierenden Teile verbraucht wurden, und daß diese Regeneration innerhalb weniger Tage vor sich ging. Steinmann machte ähnliche Versuche an Turbellarıien und beschreibt ähnliche Vorgänge. Auch dort wurden Geschlechtsorgane zur Regeneration verbraucht. / 2 EN N N MH a IN \\ l R a I. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Überall wurde also das Muttertier wieder hergestellt auf Kosten der nachfolgenden Generation, wenn die Differenzierung nicht schon zu weit fortgeschritten ist. Das Umgekehrte tritt dagegen ein bei Hydra mit Knospen und Knospenanlagen. Hier ist es immer die Knospe, die bevorzugt wird, auch wenn es sich um ganz junge Anlagen handelt, die noch keine Differen- zierung erkennen lassen. Größere Knospen, die schon vor der Ab- lösung stehen, werden durch das Zerstückeln des Muttertieres nicht beeinflußt, auch nicht wenn der Schnitt unmittelbar oberhalb oder unterhalb von ihnen geführt wird. Sıe vollenden vielmehr ihre Entwicklung und lösen sich ab. Aber auch jüngere Anlagen ent- wickeln sich unbedingt weiter, und zwar auf Kosten der Mutter, bei der die Regeneration dann unterbleibt. Werden die jüngeren Tiere gefüttert, dann lösen sie sich vom Stumpf ab; läßt man sie dagegen ohne Nahrung, so bleiben sie in Verbindung mit dem Rest (ioetsch, Beobachtungen und Versuche an Hydra. 469 des mütterlichen Tieres, wie viele Versuche zeigten. So wurde z. B. einer Hydra mit junger Knospenanlage der Kopfteil etwas oberhalb der Knospe abgeschnitten (17. VI. 16). Nach 2 Tagen begannen die Tentakeln hervorzuwachsen, während der oberhalb der Knospe verbleibende Teil etwas kleiner geworden war (Abb. 4). Diese Verkürzung dauerte an, so daß nach weiteren 2 Tagen die Knospe am Ende des Stielteils zu stehen, mit ıım zu verwachsen und dann ein einziges Tier zu bilden schien. Dies trat aber nicht ein, vielmehr begann die Knospe eine Fußscheibe auszubilden (Abb. 6), die am 27. 16 so weit hergestellt war, daß sie sich mit ihr anheften konnte. Der Stielteil des Muttertieres war inzwischen bedeutend verkleinert, besaß aber immer noch eine funktionsfähige Fußscheibe: Das Ganze stellte also ein Tier dar mit zwei Fußscheiben, und es konnte sich sowohl mit beiden zu gleicher Zeit anheften (Abb. 6) wie auch nur mit einer allein, der alten sowie der neugebildeten (Abb. 6 u. 7). Dieser Zustand dauerte so lange, bis der Rest des Muttertieres zu klein wurde, um noch zu funktionieren (15. V11.), er war dann nur noch als kleine knopfartige Verdickung erkennbar, die nach einigen Tagen schließlich ganz verschwand. Auch wenn ich das Experiment so anordnete, daß der Stumpf recht groß und die Knospenanlage noch ganz klein und indifferen- ziert erschien oder wenn überhaupt noch nicht die Spur einer Knospenanlage zu sehen war, machte ich die Beobachtung, daß eine Regeneration unterblieb und vielmehr Knospen entstanden oder sich weiter entwickelten. Zerschneidet man z. B. ein Tier mit größerer Knospe, die auf Grund ihrer vorgeschrittenen Entwicklung zur Ablösung fähig ist, so tritt nach erfolgter Abtrennung statt der erwarteten Regeneration 40 (roetsch, Beobachtungen und Versuche an Hydra. eine neue Knospe auf, die in der eben beschriebenen Weise sich den mütterlichen Stumpf zunutze macht. Es muß für die neuen Knospen also eine Art von „Vegetationspunkt“ in der Zone, in der die Knospenentwicklung vor sich geht, schon vorhanden gewesen sein. Es geht dies so weit, daß ein herausgeschnittenes kleines Stück dieser Knospungszone seitlich ein oder mehrere Knospen ent- wickeln kann, die dann den Rest des Elterntiers unter sich auf- teilen. Die Abbildungen 8 und 9 geben hierfür ein Beispiel. In diesem Fall war ein kleines Stück aus der Mitte emer Hydra herausgeschnitten, an dem sich eine große und eine mittelgroße Knospe befanden, die ihre Entwicklung in einigen Tagen vollendet hatten. Nach ihrer Ablösung bildeten sich an beiden Seiten des or ® = \ > | \ \ f \ ” > Big, 9. N! DOERNUEET a die — NW / f I Se / / \ 2 | Br > / \ NEN =, nn D NS ü = ” \\ N Sa Seren verbliebenen kleinen Restes neue Knospen, die den Stumpf nach und nach aufbrauchten und sich dann trennten. Die Abb. 9 zeigt die Tiere einige Tage vor der Trennung. Auch hier ist eine Art von präformierten Vegetationspunkt anzunehmen, der die Entwicklung von neuen Köpfchen bestimmt und die Regenerationskraft überwindet. Dafür spricht auch ein weiterer Versuch, bei dem einer Hydra mit größerer Knospe der Kopfteil sowohl des Mutter- wie des Tochtertieres abgeschnitten wurde. Die Wirkung dieser Operation war die, daß sich neue Knospen entwickelten, Regeneration irgendwelcher Art dagegen unterblieb, auch bei dem Tochtertier, bei dem doch noch junges Gewebe genug vorhanden war. Wie oben erwähnt, ließ sich der Verbrauch des Muttertieres durch die Knospe nur dann beobachten, wenn die Tiere nicht ge- füttert wurden. Bekamen dagegen die jungen Knospen zu fressen, sowie sie zur Nahrungsaufnahme fähig waren, so lösten sie sich +). S. Szymanski, Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit. 471 früher oder später ab. Die ın diesem Fall verbleibenden Stümpfe bildeten wonl manchmal neue seitliche Knospen, regenerierten aber nicht. Manchmal kam es allerdings vor, daß die Stücke mit fehlender Fußscheibe eine Art Anheftung an die Unterlage erkennen hießen, ein Wiederaufbau zu vollständigen Tieren dagegen fand niemals statt. Versuche endlich, aus abgelegten Eiern Junge zu erzielen und die Muttertiere zu Knospenbildung oder neuer geschlechtlicher Tätig- keit anzuregen, wurden nach vielversprechenden Anfängen durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen und heßen sıch bis jetzt noch nicht wieder aufnehmen. So viel ıst aber gewiß, daß die Weibchen nach der Eiablage keineswegs immer sterben, sondern nach einigen Depressionserscheinungen sich völlig erholen, so daß sie wieder Nahrung aufnehmen können. Aus Eiern konnte ich einige Junge erzielen, die Entwicklung dauerte nach der Eiablage ca. 14 Tage. Die gerade ausgeschlüpften Tiere besaßen vier Tentakeln; sie blieben mit ihrer Fußscheibe immer einige Zeit noch ın der Eischale, die durch einen Rıß sich öffnete. Literatur. Frischholz, E. Zur Biologie von Hydra. Biol. Zentralbl., Bd. 29, 1909. Hertwig, R. v. Die Knospung und. Geschlechtsentwicklung von Hydra fusca. Biol. Zentralbl., Bd. 26, 1906. Koch, W. Über die geschlechtliche Differenzierung und den Gonochorismus von Hydra fusca. Biol. Zentralbl., Bd. 31, 1911. — Mißbildungen bei Hydra. Zool. Anz., Bd. 39, 1912. Krapfenbauer. Einwirkung der Existenzbedingung auf die Fortpflanzung von Hydra. Dissertation. München 1908. Steinmann, P. Untersuchungen über das Verhalten des Verdauungssystems bei der Regeneration der Tricladen. Arch. f. Entwicklungsmech., Bd. 25. Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit. Von J. S. Szymanski, Wien. Die Rezeptionsfähigkeit der Distanzsinnesorgane!) eines Lebe- wesens ıst unter anderem eine Fähigkeit zum Erkennen des Raumes, in dem dieses Wesen lebt, also seiner Umgebung bezw. der Außen- welt. Um sich demnach Rechenschaft über die Art der Rezeptionen, die ein Lebewesen empfängt, geben zu können und, wenn möglich, zu einem allgemeinen Prinzip, dem die Rezeptionsfähigkeit der Lebe- wesen unterworfen ist, zu gelangen, muß man zunächst versuchen, sich den Raum, in dem ein Organısmus lebt, vorzustellen. 1) Da ich bloß die Distanzsinnesorgane in Betracht ziehe, bleibt hier der statische Sinn, der zur Orientierung über die Körperlage dient, unberücksichtigt. 172 J.S.Szymanski, Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähiekeit. +i2 N & Der Raum, ın dem ein Organısmus lebt, wird für denselben augenscheimlich durch seine Bewegungsart und Bewegungsgeschwin- digkeit bestimmt ?). Der Anteil dieser beiden Faktoren an der Lebensraumbestim- mung eines Organısmus ist derart, daß die Fortbewegungsgeschwin- digkeit den Raumumfang, die Lokomotionsart, die Raumform be- stimmt. Der Lebensraumumfang eines flinken bezw. mäßıg beweg- lichen Lebewesens, das große Entfernungen ın einer relativ kurzen Zeit durchmessen kann, muß naturgemäß anders ausfallen als der Lebensraum eines sesshaften bezw. trägen Organismus, dessen Ex- kursionen in der Regel in einem Auf- und Niedergleiten in seinem Wohnrohr oder ım äußerst langsamen Kriechen ın der nächsten Umgebung bestehen. Damit steht in Zusammenhang, daß die flinken Organısmen der Fernrezeptionen nicht entbehren können; hingegen genügen die Kontaktrezeptionen den seßhaften Arten völlig. Die Lokomotionsart der mit freier Beweglichkeit ausgestatteten Organısmen bestimmt ihre Lebensraumform und zwar derart, daß jene Lebewesen, die sich in allen drei Dimensionen fortzubewegen vermögen, auch ın der Regel in einem Raum leben müssen, dessen alle drei Dimensionen unbestimmt größer als die Dimensionen ihrer Körper sind; diese Organısmen können als echte „Raumtiere“®) be- zeichnet werden. Hingegen sind jene Lebewesen, die sich bloß auf einer Fläche bewegen können, in der Regel an das Leben in einem Raume angewiesen, dessen zwei Dimensionen unbestimnit größer als die Dimensionen ihrer Körper sind und dessen dritte Dimension der Körperhöhe dieser Organısmen gleich ist; die hierher gehörigen Organismen können mit dem Namen „Flächetiere“ belegt werden. Schließlich leben die seßhaften Organismen, deren ganze Loko-. motion in der Regel in einem Auf- und Niedergleiten in ihrem Wohnraum besteht, ın einem Raum, dessen zweı Dimensionen an nähernd gleich der Höhe und Breite ıhrer Körper sind und dessen dritte Dimension der Länge des maximal ausgestreckten Leibes gleich ist. Wenn man nun die physikalischen Eigenschaften des Raumes der Raumtiere — und als solcher kommt nur in Betracht Luft- raum und Wasserraum — näher ins Auge faßt, so fällt es zunächst auf, daß beide dieser Lebenssphären homogen gestaltet sind. 2) Daß die Beweglichkeit eines Tieres und die Ausbildung der Sinnesorgane eine weitgehende Abhängigkeit voneinander aufweisen, ist allgemein bekannt (vel. R. Demoll, Sinnesorgane der Arthropoden, 1917, S. 213). Was ich hier bezwecke, ist das Bestreben, dieses Problem genauer und allgemeiner zu präzisieren. 53) Wenn ich mich nicht täusche, so bin ich bereits diesem Terminus in der Literatur begegnet; indessen wo und in welchem Sinne kann ich mich leider nicht erinnern. J. S. Szymanski, Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit. 475 Die beiden lassen bis zu einer gewissen Grenze die Licht- strahlen durch, so daß das einfallende bezw. zurückgeworfene Licht wegen seiner immensen Fortpflanzungsgeschwindigkeit der beste Wegweiser im Luft- bezw. Wasserraum sein muß. Es ıst einleuchtend, daß die Raumtiere sich auch von optischen Reizen leiten lassen müssen, um ihre Exkursionen, die sich gleich- falls in die Länge, Breite wie auch in die Höhe ausdehnen, aus- führen zu können. Denn die optischen Reize sind in einem ho- mogenen Raum zum Ausfüllen dieses Raumes mit den Sinnes- rezeptionen, die zur raschen Orientierung bei einer in der Regel bedeutenden Fortbewegungsgesch windigkeit der Raumtiere besonders geeignet sind, am leichtesten und einfachsten zu verwenden. Damit in Zusammenhang steht, daß die Raumtiere in der Regel monophasische *) Tagtiere sind. In der Tat entspricht die Rezeptionsfähigkeit und das Leben der Hauptvertreter der Luft- und Wasserorganismen diesen Forde- rungen. Ich erinnere bloß an die Vögel, gut fliegende Insekten °) und Fische, die ihren Raum hauptsächlich mit dem Auge, diesem Raumsinnesorgan®) zart’ ?£oy1jv erkennen. Aber auch die anderen Lebewesen, deren Organisation und Lokomotionsart (Klettern, Springen) sie zum Leben wenigstens teilweise in der Luft prädisponieren, müssen ihren Raum mit den optischen Rezeptionen ausfüllen, um eine zu überspringende Distanz bezw. zu erkletternde Höhe durchmessen zu können. Tatsächlich sind solche Organismen, d. h. Baum- und Felsentiere, ausgesprochene Augentiere (Affen, Reptilien)”). Der Mensch gehört ebenfalls zu dieser Organismengruppe. Dank seiner aufrechten Haltung lebt er, wie dies bereits von anderer Seite hervorgehoben wurde, mit dem Kopf in der Luft; 4) Als monophasisch bezeichnete ich in meinen früheren Arbeiten jene Tierarten, die in einem 24stündigen Zyklus bloß eine Ruhe- und eine Aktivitätsperiode durch- leben. (Vgl. meinen Aufsatz „Die Haupttiertypen in bezug auf die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden im 24stündigen Zyklus“ Biol. Zentralbl. 36, 1916. S. 537.) 5) Die Nachtschmetterlinge und die Fledermäuse würden eine Ausnahme bilden; indessen sind unsere Kenntnisse über das Orientierungsvermögen (Tastsinn?) noch recht mangelhaft. Die Nachtvögel (Eulen, Humboldt'’s Guacharo) orientieren sich wahrscheinlich mit dem Auge, das wie bei den Eulen vortrefflich an eine schwache Lichtintensität angepaßt ist. Gwuacharo verlassen ihre Höhle „besonders bei Mond- schein“ (Humboldt, Reise, Bd. I, S. 266). Vgl. hierzu auch R. Demoll, Sinnes- organe der Arthropoden, 1917, S. 91. 6) Die Rolle, die das Auge bei der Entstehung der Raumvorstellungen bei dem Menschen spielt, hat die experimentelle Psychologie genügend gewürdigt. 7) Es ist möglich, daß die überwiegende optische Rezeptionsfähigkeit der Amphibien dadurch bedingt wird, daß diese Tiere ihre erste Lebenszeit im Wasser verbringen. 414 J. >. Szymanski, Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit. auch seine Fähigkeit zum Springen, Klettern, Schwimmen und Tauchen ließ ıhn die Welt hauptsächlich durch das Auge kennen lernen °). Wenn man sich nun zu den „Flächetieren“ d.h. den Tieren wendet, die wegen ıhrer Bewegungsart — im wesentlichen das Laufen, — auf das Leben auf der Erdoberfläche (bezw. unter der Erdoberfläche) angewiesen sind, so sieht man sofort ein, daß ihre Lebenssphäre, die eben eine „Fläche* ist, anders gestaltet sein muß. Die optischen Reize können schon deshalb nicht vorwiegen, weil die Erdoberfläche keine homogene Lebenssphäre ist; sie ist mit allerlei Unebenheiten besäet, mit Bäumen, Gras, Gestrüpp be- wachsen u.s. f. Sie stellt also keine günstigen Bedingungen für ein gleichmäßiges Durchdringen der Lichtstrahlen dar. Ein inmitten dieser Hindernisse herumlaufendes Tier mit dem gegen dıe Bodenfläche gesenkten Kopf würde, selbst wenn es dies tun könnte, kaum einen größeren Raum zu übersehen imstande sein; wegen Mangel an genügender Orientierung würde dasselbe stark ın seiner zweidimensionalen Lokomotion gehemmt sein. Es konnte also nicht das von den Objekten zurückgeworfene Licht einem auf der Erdoberfläche, geschweige unter der Erdober- fläche, lebendem Organımus zur Rezeption seiner „Lebensfläche“ dienen; seine Stelle mußte eine andere Reizqualıtät ersetzen. Diese neue heizqualität, die auf der Eigenschaft der Objekte, flüchtige Stoffe von sich abzustoßen, beruhte, war recht geeignet, für die Flächetiere zum Rezipieren ihrer Lebenssphäre. Denn die Organismen, die laut ihrer Bewegungsart auf einer Fläche leben müssen, brauchen auch bloß jene Reize zu empfangen, deren Quelle auf dieser Fläche selbst zu suchen ist, um ihre Lebenssphäre mit den Rezeptionen ausfüllen zu können. Solche Reize liefern eben dem Lebewesen die dasselbe umgebenden Gegenstände in Form von Geruchsstoffen. Auch die geringe Fortpllanzungsgeschwindigkeit der Geruchs- stoffe”) konnte nicht die Orientierung der Flächetiere, selbst bei der schnellen Fortbewegung beeinträchtigen aus dem Grunde, weil die Flächetiere sich niemals in einer bedeutenden Entfernung von den zu rezipierenden Objekten befinden. Da die Geruchsreize keinen großen und regelmäßigen Schwan- kungen ın einem 24stündigen Zyklus unterworfen sind, so könnte S) Dem Menschen fehlt die Fähigkeit zu fliegen, die für die Raumtiere be- sonders charakteristisch ist. Ob nicht ein uralter Traum, künstlich fliegen zu können, ein psychologischer Ausdruck für seinen Lebensraum und seine optische Rezeptionsfähigkeit ist? 9) „Die Fortpflanzung der Gerüche geschieht in zylindrischen Räumen oder Kanälen, wenn die Diffusion allein wirkt, mit gleichmäßiger Geschwindigkeit, z. B. von 1—10 cm in der Sekunde“. (H. Zwaardemaker, Die Physiologie des Ge- ruches, 1895, 8. 39—40). J.S. Szymanski, Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit. 475 die Polyphasie !’) für die Flächetiere, die keine Tagtiere zu sein brauchen, als besonders charakteristisch gelten. Tatsächlich füllen diese Organısmen (die meisten bodenbewohnen- den Säugetiere, Insekten u. s. f.) ihre „Lebensfläche“ zunächst mit den osmatischen Rezeptionen !!) aus; sie erkennen ihre „Lebens- fläche“ ın der ersten Linie durch das entsprechende Geruchsorgan, 7. B. die Nase bei den Säugetieren, d.h. ein Sinnesorgan, das be- sonders geeignet zum Rezipieren der auf einer Fläche zerstreuten Gegenstände durch ein inmitten dieser Gegenstände mit dem ge- senkten Kopf herumlaufendes Lebewesen zu sein scheint. Außer den beiden Kategorien der frei beweglichen Organismen (kaum- und Flächetiere) gibt es noch in der Natur seßhafte Tiere. Die Lokomotion dieser Tiere, die in der Regel in Wohnröhren leben, beschränkt sich auf das Auf- und Niedergleiten entlang den Rohrwänden; sie besteht mit anderen Worten in der Hauptsache in einem mehr oder weniger gradlinigen Ausstrecken und Zurück- ziehen des — je nach der Tierart — Vorder- bezw. Hinterkörpers. Diese Tiere leben in einem stark eingeengten Raum, der ihnen eine partielle Bewegungsmöglichkeit bloß in einer Dimension ge- währt. Sie müssen bloß jenen Raum rezipieren, den unmittelbar ihre Körperoberfläche berührt. Dies kann aber am leichtesten und einfachsten geschehen, indem ihre ganze Körperoberfläche das Hauptsinnesorgan für die Rezeptionen ihrer Lebenssphäre darstellt. Tatsächlich sind auch die seßhaften Arten vorwiegend taktile Tiere !?). Aus diesen Betrachtungen ergibt sich, daß tatsächlich ein Zu- sammenhang zwischen dem Raum, in dem ein Organismus lebt und der durch seine Lokomotionsart und Fortbewegungsgesch win- digkeit bestimmt wird, und der Rezeptionsfähigkeit besteht. Denn, wie dies oben kurz auseinandergesetzt wurde, rezipieren die Raum- tiere, d. h. die Tiere, die sich in allen drei Dimensionen fort- bewegen können, ihren Lebensraum mit dem Auge, diesem echten Raumsinnesorgan ; die Flächetiere, d. h. die Tiere, die sich bloß in zwei Dimensionen bewegen können, rezipieren ihre Lebensfläche mit dem Geruchsorgan, dem wahren Flächesinnesorgan, das besonders geeignet zum einfachsten und leichtesten Rezipieren der mit allerlei optischen Hindernissen besäten Erdoberfläche zu sein scheint '?). 10) Als polyphasisch bezeichne ich jene Tiere, die in einem 24stündigen Zyklus mehr als eine Ruhe- und eine Aktivitätsperiode aufweisen (o. c.). 11) Das Hervorheben der vitalen Bedeutung der osmatischen Rezeptionsqualität will nicht besagen, daß den anderen Rezeptionsqualitäten überhaupt kein Wert zu- kommt. 12) Vgl. hierzu meinen Aufsatz „Über taktile Tiere“ (Biol. Zentralblatt). 13) Die Einteilung in Raum- und Flächetiere ist rein schematisch. In Wirk- lichkeit ist jedes Raumtier zeitweise ein Flächetier und umgekehrt jedes Flächetier 476 J. S. Szymanski, Das Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit. Und schließlich rezipieren die seßhaften Tiere, deren ganze Loko- motion sich in der Regel auf das Ausstrecken und Zurückziehen einer Körperspitze beschränkt, ihre Lebenssphäre, die sich ziemlich genau mit dem ihre Körperoberfläche unmittelbar umgebenden Stoff deekt, mit dieser ganzen Fläche, die ein taktıles Hauptsinnesorgan darstellt '®). Diese Tatsachen ''’) lassen ein ihnen zugrunde liegendes Prinzip erkennen, dasich nun versuchen will, zu präzisieren. Dieses Prinzip, das ich als Prinzip der raumausfüllenden Rezeptionsfähigkeit bezeichnen möchte, besteht darin, daß der Organısmus jene Rezeptionen, die er zur Ausfüllung seines Raumes am notwendigsten haben muß, auch hauptsächlich empfängt und verwertet. Und noch eine Regel- mäßigkeit folgt aus diesen Betrachtungen; sie besagt, daß jene Reize, die im Raume eines Tieres am leichtesten und einfachsten auf die an seine Geschwindigkeit angepaßte Entfernung rezipiert werden, sich als hauptsächlich wirksam erweisen. Diese beiden Regelmäßigkeiten gestatten uns, auf Grund der Kenntnis der Bewegungsart und der Bewegungsgeschwindigkeit (seßhaft? frei beweglich?) eines Organısmus, Schlüsse auf seinen Raum und auf die Art seiner Rezeptionen zu ziehen; hiemit er- lauben sie weiter die besonders wirksamen Reize, die die Hand- lungen dieser Lebewesen bewirken, vorauszusehen. ein Raumtier. Es ist für die Auffassung eines Tieres als Raum- bezw. Flächetieres bloß der Umstand maßgebend, ob das betreffende Trier sich vorwiegend in dem dreidimensionalen Raume oder auf einer Fläche aufhält bezw. bewegt. 14) Es sei gestattet, hier eine kleine Bemerkung einzuschalten. Bloß ein ver- nünftiger Organismus, der seiner Lokomotionsart nach sich in allen drei Dimensionen bewegen kann und dessen Hauptsinnesorgan Auge ist, konnte die Stereometrie schaffen. Ein vernünftiger Organismus, der seiner Lokomotionsart nach auf einer - Fläche leben müßte und ein osmatisches Wesen wäre, hönnte seine geometrischen Kenntnisse bis zur Planimetrie hinauf aufbauen. Schließlich ein vernünftiger, seß- hafter und taktiler Organismus, der bloß in seinem Wohnrohr auf- und nieder- gleiten könnte, würde sich höchstens bis zum Begriff der graden Linie empor- arbeiten. 15) Wenn ich bei diesen Betrachtungen die akustischen Reize außer acht ließ, so geschah dies aus dem Grunde, daß, wie mich die früher ausgeführten Versuche belehrt haben, diese Reize hauptsächlich nicht zum näheren Erkennen des Raumes, sondern als bloße Sign le für die anderen Sinnesorgane dienen. (Vgl. meinen Auf- satz „Einige Bemerkungen über die biol. Bedeutung der akustischen Reize“ Pflügers Archiv.) 7 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 477 Bemerkungen über die vermeintliche Widerstands- fähigkeit des trockenen pflanzlichen Protoplasmas gegen wasserfreien Alkohol, Äther und andere Anästhetika. Als Beitrag zur Kenntnis der kolloidalen Eigenschaften pflanzlicher Membranen. Von Dr. August Rippel. (Aus der Großh. Badischen landwirtschaftl. Versuchsanstalt Augustenberg.) Übersicht. Seite I. Allgemeines . Sn En ES E> aNe RE LLT 1I. Kritik der Brecbed, von "Rurzw le SEAP, x. 479 III. Das Nichteindringen von absolutem Alkohol und in ihm 'gelöster Stoffe in die Zelle durch wasserarme Membranen . . 454 IV. Die kolloidalen Eigenschaften celluloseähnlicher Membranen; ine denes Verhalten der übrigen Membranen . . » 2.22 2.2.02....488 Verpıel Hartschahskeit von Samen rn 0. en an u 2. 499 NialZusammenfassuneun, WU JE IBABN. HER) ARTEN INA, 1494 VER literatun TR a TUR k Dre, Sa ekar ZHap>"zata” derst496 If Die vorliegenden Betrachtungen sind vornehmlich kritischer Natur und durch einige kleine vorläufige Versuche ergänzt. Sie bezwecken hauptsächlich, auf gewisse Eigenschaften kolloidaler pflanz- licher Membranen, wie sie in Cellulose- oder celluloseähnlichen Membranen bei Samen. Pilzsporen, Bakterien u. a. vorliegen, gegen- über wasserfreien Flüssigkeiten — Alkohol, Äther, Chloroform und anderer Anästhetika — aufmerksam zu machen. Diese Eigenschaften haben bisher, allein auf der weiter unten aus diesem Grunde aus- führlich zu besprechenden Arbeit von Kurzwelly fußend, eine sicherlich nicht richtige Auffassung in der maßgebenden botanischen Literatur gefunden. Von den hier vertretenen Gesichtspunkten aus werden sich wohl noch manche interessante Ergebnisse erwarten lassen; auch für das Studium der Diffusionsverhältnisse durch solche Membranen in wässerigen Flüssigkeiten bei Gegenwart dieser Anästhetika dürften sich manche Anhaltspunkte — und nicht alleın für die Pflanzenphysiologie — gewinnen lassen. Von einem anderen Gesichtspunkte aus hat diese Frage von medizinischer Seite bereits eine eingehende Bearbeitung erfahren, da sie hier vor allem von praktischem Interesse war ın Hinsicht auf die Verwendung von Alkohol, Äther und anderer Anästhetika zur Desinfektion. Ich nenne hier die Arbeiten von Krönig und Paul, Epstein, Minervi, Wirgin, Beyer. Es ergab sich daraus, daß absoluter Alkohol, wasserfreier Äther u. s. w. durchaus nicht imstande sind, Bakterien abzutöten; vor allem sind, 478 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. wenn auch die vegetativen Formen zugrunde gehen, doch die Sporen vollkommen resistent (Minervı). Auch von botanischer Seite hat man sich mehrfach mit der Frage nach der Widerstandsfähigkeit von Samen gegen die er- wähnten Medien, diese auch in dampfförmiger Form angewendet, beschäftigt. Die Analogie der beiden Erscheinungen: wasserarme, ruhende, von einer derben Membran umschlossene Zellen bezw. Zellkomplexe, liegt auf der Hand. Die Berücksichtigung der beiden ersteren Eigenschaften mag denn auch der Grund gewesen seın, weshalb man dem ruhenden trockenen Protoplasma diese Wider- standsfähigkeit zuschrieb. Doch ist eben auch noch die dritte Eigenschaft, die derbe wasserarme Membran, ein gemeinsames Merkmal; und gerade das von Kurzwelly geschilderte Beispiel der Hefe (s. S. 484) zeigt, daß diese Widerstandsfähigkeit auch vege- tativen Formen, und zwar in sehr ausgeprägtem Grade, zukommen kann. Von medizinischer Seite hat man erst die Frage offen gelassen, von welchen Ursachen diese zunächst wohl auffällige Erscheinung bedingt sei; doch heben Krönig und Paul (S. 33) hervor, daß sicher der Membran ein großer Einfluß bei der Diffusion von Giften (und somit auch der Desinfektion) zukomme. Beyer sieht es allerdings als selbstverständlich an, daß dıe Widerstandsfähigkeit nur eine Eigenschaft der Membran sei (S. 228): „dem Alkohol, der eine stark austrocknende Wirkung hat, muß das Eindringen in die Bakterien, d.h. die Möglichkeit, baktericid zu wirken, durch Gegen- wart von Wasser geschaffen werden.“ Und von Botanikern hat Schmid beı seinen Versuchen mit Samen’eine Ähnliche Ansicht sehr entschieden ausgesprochen, wonach diese Widerstandsfähigkeit nicht durch die Beschaffenheit des Proto- plasmas bedingt sein könne (S. 74): „Es wird zwar nicht be- stritten werden, daß das Plasma trockener Samen wie gegen Hitze und Kälte, widerstandsfähiger auch gegen Gifte ıst: und so wird wohl eine größere Menge bezw. eine längere Einwirkungsdauer von Chloro- formdampf nötig sein, um dieselbe Zelle zu töten, wenn das Plasma ruht, als wenn die Zelle sich ım Zustand lebhafter Streckung be- findet. Aber es wird sich doch hier nur um graduelle Unterschiede handeln können, und ich glaube kaum, daß ein Stoff sich finden läßt, welcher dem Plasma derselben Pflanze gegenüber ın ihren verschiedenen Lebensstadien ein prinzipiell verschiedenes Ver- halten aufweist, vorausgesetzt, daß dieser Stoff ein ausgesprochenes Gift ıst.* Vgl. auch Schroeder (S. 495) und Schubert (S. !14ff.) Ähnlich haben sich schon früher Wiesner und Molisch über die Rolle der Membranen für den Gasdurchtritt ausgesprochen (5. 712): „Die Erhaltung des Lebens ruhender Pflanzenteile wird durch das Verhalten der trockenen Zellhäute den Gasen gegenüber A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 479 offenbar in hohem Maße begünstigt. Sporen und Samen vieler Gewächse,: manche Moose und andere Gewächse erhalten sich ın trockenem Zustande durch Jahre lebend und entwickeln sich von dem Augenblick an weiter, ın welchem ihnen — sonst günstige Vegetationsbedingungen vorausgesetzt — Wasser zugeführt wird. Wohl muß dem Protoplasma dieser Pflanzen oder Organe eine be- sondere Resistenz zugeschrieben werden, allein einen großen Schutz erfährt ıhr latentes Leben durch den Umstand, daß durch die trockenen Zellhäute die Luft nicht oder wohl erst nach langen Zeiträumen in Spuren eindringt. Mit der Wasserimbibition der Zellhäute solcher latent lebender Organe oder Pflanzen sind die Bahnen für die Gase und andere Nährstoffe geöffnet und nun kann die Lebenstätigkeit wieder beginnen.“ Man wird sich im weiteren Verlaufe der Besprechung dieser Zitate zu erinnern haben. dl Gleichwohl erschien es, wıe gesagt, bestechend, ın dieser Wider- standsfähigkeit eine Eigenschaft des ruhenden, trockenen Proto- plasmas zu erblicken. Diese Ansicht ıst denn auch ın der ersten, eingehenden botanischen Arbeit über dieses Thema, von Kurz- welly, vertreten werden und bisher noch unwidersprochen ge- blieben. Zwar hat Schubert in einer späteren Arbeit weit mehr Wert gelegt auf dıe Feststellung, daß den Membranen die Haupt- funktion bei der Resistenz gegen Alkohol u. s. w. zukomme (z. B. S. 1191, ohne dies aber auf gewisse gemeinschaftliche Membran- eigenschaften zurückzuführen und mit der nötigen Konsequenz durchzuführen. Es dürfte nun, bevor weiter auf diese Frage ein- gegangen wird, eine gründliche Widerlegung der Kurzwelly’schen Arbeit angebracht seın. Es erscheint das um so notwendiger, als die dort vertretene Anschauung auch restlos Eingang in die größeren botanischen Handbücher (Pfeffer, Bd. II, S. 324; Czapek, Bd. II, S. 921) gefunden hat. Die Betrachtung soll dabei vorerst auf das Verhalten von Samen beschränkt sein; diese dürften auch vor allem zur endgültigen Entscheidung dieser Frage wichtig sein, da es sich um Material handelt, mit dem bequem gearbeitet werden kann; auch ıst es bei der ım Vergleich zu einzelnen Zellen großen Masse verhältnismäßig leicht, ein Eindringen oder Herauslösen der betreffenden Medien und Inhaltsstoffe zu beobachten, und es lassen sich schließlich auch die schützenden Membranen leicht entfernen. Allerdings wird man sich hüten müssen, die hier erhaltenen Ergebnisse ohne weiteres zu verallgemeinern; doch wird man zu wertvollen Analogieschlüssen gelangen können. 480 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. Von Kurzwelly wurden folgende Samen eingehender geprüft: Pisum, Triticum, Lepidium sativum, Helianthus annuus. Über nıcht geschälte Samen braucht nichts eingehenderes erwähnt zu werden: Sie zeigen eben die bekannte Resistenz gegen wasserfreien Alkohol, Ather u. s. w., wenn auch Pisum und Triticum in den mit- geteilten Fällen noch vor Jahresfrist abgestorben waren, wobei sich exsikkator-trockene Samen offenbar widerstandsfähiger zeigten. Wichtig ist für uns dagegen die Frage nach dem Verhalten geschälter Samen. Es soll nun ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß es hierbei natürlich sehr darauf ankommt, ob es sich bei dem Schälen um das Abschälen der Frucht- oder der Samenschale handelt. K. hält das überhaupt nicht auseinander. (Siehe dazu auch S. 488 dieser Abhandlung, wo auf den Unterschied zwischen verholzten und nicht verholzten Membranen ın dieser Hinsicht hin- gewiesen ist.) Nachfolgend das Zitat (S. 315): „Das Schälen war bei Helianthus leicht; Pisum und Tritieum hieß ich einige Zeit in Wasser weichen, worauf die Schale leicht abzulösen war. Die Samen wurden nachträglich abgetupft und im Exsıkkator über Chlorcalecium schnell getrocknet. Diese Prozedur vertrugen sie, wie Kontrollaussaaten bewiesen, ohne jedwede Schädigung. „Geschälte Samen von Pisum und Tritieum wurden durch flüssiges sowie dampfförmiges Chloroform sehr rasch abgetötet. Bereits nach 24stündigem Aufenthalt in den Medien trat Keimung nicht mehr ein. Die Samen fingen zwar zu quellen an, wurden aber schnell breig und faulten. Sie boten dasselbe Bild wie keimungs- unfähıge Samen von Erveum lens. Zu denselben Resultaten ıst übrigens schon B. Schmid gelangt * „Wie sich ungeschältes Pisum und Tritieum dem Chloroform gegenüber verhalten, möchte ıch erst an späterer Stelle besprechen. Vorläufig seı daher nur gesagt, daß sie weit mehr Widerstand leisten, daß demnach die Frucht- respektiv Samenschale einen nachhaltigen Schutz bietet.“ „Anders gestalten sich die Verhältnisse bei Helianthus insofern, als hier die geschälten Objekte relativ sehr lange den Aufenthalt ın den Medien zu überstehen vermögen.“ Man ersieht also daraus, daß es sich ın den beiden ersten Fällen, beim Schälen von Pisum und Triticum um eine Entfernung der Samenschale, also eine Entfernung auch der ınnersten und oft nur, wie bei diesen beiden, alleın vorhandenen Schutzhülle handelt. Bei Hebanthus dagegen, bei der jeder Samen auch noch eine Fruchtschale besitzt, wurde nur diese Fruchtschale entfernt, dagegen verblieb die, wenn auch sehr zarte, Samenschale an den Samen. Eine Verletzung dieser Samenschale, wie sie bei den weiter unten erwähnten Versuchen durch das Ausbrechen eines der beiden Keimlappen eintrat, wirkte aber auch hier ın kurzer Zeit tödlich. A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. 481 Nun zu den Versuchen mit diesen Hekanthus-Samen, die ein- gehender dargestellt sind: Durch die Prozedur des Schälens darf vor allem bei der sehr zarten Beschaffenheit der Samenschale eine Verletzung derselben wohl nur schwer vermieden werden können, wodurch ein Eindringen des betreffenden Mediums dann sehr er- leichtert bezw. erst ermöglicht wird. Außer einem gewissen Schutz, den die Fruchtschale gegen das unmittelbare Eindringen des Me- dıums bildet, kann sie eben auch indirekt wirken: dadurch, daß sie die (sehr zarte) Samenschale des eingeschlossenen Samens vor Ver- letzungen bewahrt. Und wenn K.’s Beobachtungen (S. 316), wo- nach die Flüssigkeiten nach wenigen Tagen durch die Schale zum Samen vorgedrungen sind, richtig sind, wäre dieser indirekte Schutz sogar wahrscheinlich der alieın wirksame. Und zweifellos bildet die verbolzte und poröse Fruchtschale keinen derartigen Schutz gegen chemisch wirkende Agentien wie die lückenlos gefügte Samen- schale (siehe dazu auch wieder S. 488 dieser Abhandlung). Wenn nun das Medıum ın das Sameninnere eintreten kann, so muß natürlich in diesen fetthaltigen Hekanthus-Samen das Fett gelöst werden und zwar, wenn unsere Anschauung richtig ist, nur das Fett derjenigen Samen, in die das Medium eindringen und die es abtöten konnte, während aus den unversehrt gebliebenen Samen nichts herausgelöst wurde, weil das Lösungsmittel eben nicht ein- dringen konnte. Bis zu einem gewissen Grade könnte allerdings auch hier schon einiges ın Lösung gegangen sein, da es nach dem weiter unten erwähnten Fall offenbar stets einige Zeit dauert, bis das Medium zum Keimlingsgewebe vorgedrungen ist. Jedenfalls aber muß eine Beziehung zwischen nicht gekeimten Samen und herausgelöstem Fett nachzuweisen sein. Die Tabellen VIII—IX der K.’schen Arbeit ließen eine Berech- nung ınöglıch erscheinen, wobei aus den weiter unten angeführten Gründen die Alkoholreihe weggelassen wurde, ebenso die Wirkung der dampfförmigen Medien, da hier nur eine ganz geringe Extrakticı möglich war. Zugrunde gelegt wurde das bei König angegebene Gewicht entschälter Sonnenblumen-Samen (S. 794: 100 entschälte Samen wiegen 3g) und ıhr Fettgehalt (S.S01: bei den entschälten Samen 44,31%). Bei den Schwankungen im Wassergehalt, Ge- wicht u. s. w. der Samen kann es sich natürlich nur um rohe An- näherungswerte handeln: un so überzeugender dürfte aber die gefundene Übereinstimmung sein. Nach dem von K. ın den Tabellen angegebenen Gewicht der zu jedem Versuch verwendeten Samen wurde nun nach Umrech- nung auf Grund der König’schen Zahlen die Anzahl der zu dem Versuch verwendeten Samen bestimmt, ferner wurde die Anzahl der nicht gekeimten, also wohl abgetöteten Samen nach den Ta- bellen ermittelt, wobei für den Rest der nicht eingekeimten Samen 99 37. Band 33 189 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 402 PI E die zuletzt, bei Abbruch des Versuches zwecks Extraktbestimmung, gefundene Keimungszahl benutzt wurde. Für den jeweiligen Keı- mungsversuch wurden 25 Samen genommen nach K.’s Angabe S. 304. Es konnte auf diese Weise die Zahl der im ganzen bei jedem Versuch nicht gekeimten Samen ermittelt und in Beziehung zu den gefundenen Extraktzahlen gesetzt werden. In der Tabelle ist das Ergebnis der Umrechnung zusammengestelit. Umrechnung der Fettextraktion aus den von Kurzwelly mitgeteilten Tabellen (entschälte Samen von Helianthus annuus L.). Gefundener Extraktgehalt Hi o/ A I | mM; SAalın) y In ae in % der nicht | Mittlerer Fettgehalt gekeimten Samen nach König EM Äther aude | 65,78 Bei Kurz- | | welly Benzol 28,45 | 48,18 | Tab. VIII | Ba | | k Schwefelkohlenstoff 33,94 | 43,74 44,31 IX ! Äther 323, | 49,26 | X} Chloroform sel } 48,52 Wie die Gegenüberstellung zeigt, stimmt der gefundene Extrakt- gehalt sehr gut überein mit dem Fettgehalt, den die nicht ge- keimten, also wohl abgetöteten Samen, besitzen müssen. Die Rech- nung stimmt, wie man sieht, für alle vier verwendeten Medien: allerdings verhält sich die erste Ätherreihe abweichend, während die zweite gut übereinstimmt. Man muß eben auch noch beachten, daß das betreffende Medium offenbar doch einige Zeit braucht, bis es zu dem eigentlichen Keimlingsgewebe vorgedrungen ist, wie der von K. S. 317 mitgeteilte Versuch zeigt, wonach bei Helianthus- Samen der eine Samenlappen entfernt wurde und die Samen erst nach einiger Zeit abgestorben waren. Man muß also annehmen, daß stets etwas mehr Fett herausgelöst wurde als dem Fettgehalt der bereits abgetöteten Samen entspricht. Um so auffallender ist die Parallelität zwischen dem tatsächlich gefundenen Extraktgehalt und der Zahl der nicht gekeimten Samen. Eine solche kann K. merk würdigerweise nicht erblicken (S. 317): „Vergleicht man ın Tabelle VIII Aid Keimkraft der Samen mit der Menge des herausgelösten Reservematerials (hier speziell fettes Öl, so wird man ah daß der Rückgang in der Keimfähigkeit der Samen mit dem Ölverlust nicht gleichen Schritt hält. Denn Äther hat ca. 4g (= 37,4%) entzogen, und der Alkohol noch nicht 0,5 g (ri Benzol etwas über 2,5 g (= 28,45 %,), Behwelcikonlen A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. 485 stoff ca. 3,5 g (= 33,34%). Gleichwohl ist in den drei ersten Fällen die Schädigung der Samen ungefähr dieselbe, im vierten Falle eine unverhältnismäßig schwere.“ ü Dazu muß erstens bemerkt werden, womit wır auf den Grund des oben erwähnten Weglassens der Alkoholreihe zu sprechen kommen, daß Öl und Fett in kaltem, selbst absolutem Alkohol nahezu unlöslich sind (siehe z. B. Molisch S. 107: nur das Rizinusöl macht nach ihm eine Ausnahme; und Tunmann S. 155/156). Es ist dieses Argument also ohne weiteres hinfällig. Zweitens zeigt die von mir gegebene Umrechnung, daß die Parallelität zwischen herausgelöstem Fett und nicht gekeimten, d. h. doch wohl abge- töteten, Samen in Wirklichkeit sehr wohl besteht. Wenn K. S. 317/318 meint, „daß der Ölverlust primär gar nicht so sehr in Frage kommen kann, sondern die spezifische Wirkung des Mediums in erster Linie ausschlaggebend ist“, so ist das Ja allerdings richtig (siehe im Anschluß daran die Betrachtungen Pfeffer’s S. 324), aber wir haben hier an dem Prozentsatz des herausgelösten Fettes und Öles die einzige Handhabe für die Entscheidung der Frage, ob das Medium in den Samen eingedrungen ist und müssen denn auch die aus diesen Beobachtungen gezogenen Schlüsse beachten. Und diese sagen uns eben, daß nicht gekeimte, also wohl abgetötete, Samen und herausgelöstes Fett in konstantem Verhältnis zueinander stehen, das fast genau dem normalen Fettgehalt dieser Samen ent- spricht. Und die ganze Ausführung zeigt ja auch, welchen Wert K. selbst auf dieses Argument legt. Von diesem Standpunkt aus ist denn auch folgender Fall be- sonders wichtig: Bei voller Keimfähigkeit eines ölhaltigen Samens innerhalb der Zeit, die er in einem der fraglichen Medien verbracht hat, muß also der Extraktgehalt gleich Null sein: das ist eben der von K. für Lepidium sativum mitgeteilte Fall (Tab. XIII): Die Samen hatten nach etwa 1 Jahr fast ihre volle Keimfähigkeit behalten. Dazu bemerkt Verf. S. 321: „In den Tabellen XI—XIII spielt die Frage des Herauslösens keine besondere Rolle, da die bei diesen verwendeten Objekte wenig oder keine Stoffe enthalten, die ın Chloroform sich lösen. In der Tat sind die Flüssigkeiten mit Aus- nahme derer, die über Piswm gestanden haben, fast farblos und hinterlassen keinen wesentlichen Rückstand.“ Es braucht dazu wohl nur erwähnt zu werden, daß Lepidium eine typische Ölfrucht mit 50—-60 %, Gehalt an fettem Öl (Scehädler, S. 697/698) ist. Es ist hier also nichts herausgelöst worden, d. h. das Medium ıst nicht eingedrungen und die Samen blieben infolgedessen am Leben. Aus- drücklich soll noch darauf hingewiesen werden, daß es sich dabeı um Chloroform, also ein sehr gutes Fettlösungsmittel, handelte. Ruft man sich nochmals alle hier mitgeteilten Einzelheiten ıns Gedächtnis zurück, so ergibt sich doch wohl folgendes Bild: 2% Jo 484 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. Frucht- und Samenschale vorhanden: längste Lebensdauer, nur Samenschale vorhanden: ebenso lange oder kürzere Lebensdauer, Samenschale fehlt: nur ganz kurze Lebens- dauer ın eimem der fraglichen Medien. Das heißt doch mit anderen Worten: Je intensiver und vollkommener der Membran- schutz, um so widerstandsfähiger der Samen; ohne Mem branschutz keine Resistenz des Samens. Für eine Wider- standsfähigkeit des Protoplasmas ist auch nicht der geringste Be- weis erbracht. Ile Ich will nun die strittige Frage von einigen anderen Gesichts- punkten aus beleuchten. Zunächst sei auf einige unmittelbare von Kurzwelly mitgeteilte mikroskopische Beobachtungen eingegangen, indem wir gleichzeitig unsere Betrachtung wieder auf alle in Frage kommenden Pflanzen, also auch Pilze und Bakterien ausdehnen. K. hat niemals eine unmittelbare Veränderung der verwendeten Pilzsporen beim Aufenthalt ın dem betreffenden Medium gesehen: S. 325 sagt er von Sporen von Aspergillus niger und Phycomyces nitens: „Ebensowenig war durch das Mikroskop eine Veränderung an den Organısmen zu sehen.“ S. 330: „Mikroskopisch ließ sich bei keinem der Objekte eine Veränderung feststellen.“ Und von Hefe, die 15 Stunden lang ın siedendem Alkohol war, ohne abgetötet zu sein, sagte er S. 338: „Derartige stundenlang in Alkohol gekochte Hefezellen gleichen dem exsikkator-trocknen Material durchaus und sind nicht weiter alteriert. Die Membran erscheint unverändert. der körnig aussehende Zellinhalt ist infolge des Wasserverlustes stark zusammengezogen und gewöhnlich zum Teil von der Membran abgehoben. In Wasser übertragen nehmen die Zellen ihre normale (sestalt wieder an.“ Es ıst also hier bei den Hefezellen ganz deutlich Plasmolyse ın dem absoluten Alkohol eingetreten, und die einzelnen Zellen zeigen genau das Aussehen der in wasserfreier Luft eingetrockneten. Es stimmt diese Beobachtung durchaus mit unserer Kenntnis von der Wirkung des Alkohols auf plasmolytische Erscheinungen (OÖver- ton, 9.180): Bekanntlich ruft danach (verdünnter) Alkohol keine Plasmolyse hervor, wenn auch eine solche nach dem plasmo- lytischen Wert der betreffenden Alkoholkonzentration längst ein- treten müßte, da er offenbar zu schvell ın das Plasma eindringt (allgemein gehören nach Overton, S. 185 die allgemeinen Anästhe- tikazu den am schnellsten eindringenden Körpern; sieheauch Nernst, S. 134 und Jost, S. 15). Aus dem Eintreten der Plasmolyse müssen wir also schließen, daß der Alkohol nicht in die Zelle ein- A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 485 gedrungen ist, da sonst keine Plasmolyse hätte stattfinden können. Absoluter oder auch 96 iger Alkohol ist ja auch ein viel verwendetes Fixierungsmittel für Protoplasma (Straßburger, S. 52), was ın Ergänzung dieser hier interessierenden Eigenschaft des Alkohols noch erwähnt seı. Naturgemäß wäre diese ganze Frage restlos und einfach zu lösen, wenn es gelänge, das betreffende Medium unmittelbar in dem betreffenden Samen u. s. w. nachzuweisen, gleichzeitig aber auch nachzuweisen, daß eben dieser noch nicht abgestorben ist. Geruchs- und Geschmacksfeststellungen (Kurzwelly, S. 317) sınd dazu natürlich wertlos; sie können von toten Samen herrühren oder auch von Spuren des Mediums, die sich natürlich stets in den äußersten Membranschichten finden werden. Außerdem handelt es sich dort um ein Eindringen durch die Fruchtschale, das wie schon 5. 480 hervorgehoben, keinen Schluß auf das Verhalten der Samenschale zuläßt. Ich betrachte nunmehr zur Lösung dieser Frage das Verhalten von in Alkohol gelösten Stoffen (Farbstoffe u. a., z.B. Subli- mat). Wie in den bereits erwähnten Arbeiten von Krönig und Paul, Minervi, Epstein und auch von Kurzwelly festgestellt wurde, hat: die Zugabe von weiteren Desinfektionsmitteln wie Sublimat, Phenol, Chromsäure, Karbol, Silbernitrat u. s. w. zu wasser- armem Alkohol durchaus keinen fördernden Einfluß auf die Ab- tötung der in ihm liegenden Bakterien, Samen u.s.w. Es ist nun wohl kaum anzunehmen, daß das trockene Plasma nicht durch diese Stoffe vergiftet würde, wenn sie bis zu ıhm vorgedrungen wären. Wenn man schließlich auch annelımen wollte, daß eine Schädigung unterbliebe, so lange das Protoplasma sich eben noch in einge- trocknetem Zustande befindet, so müßte doch eine Vergiftung mit beginnender Wasseraufnahme stattfinden, da man kaum annehmen kann, daß das Gift derartig schnell ausgewaschen würde. Einige Schwermetallsalze (u. a. Silbernitrat) bewirken eben irreversible Fällungen der Eiweißkörper (Zsigmondy, S. 245). Eine Schädi- gung hat man aber, wie gesagt, nicht gefunden. Ähnliches gilt für das Verhalten von im Medium gelösten Farb- stoffen. Einige kleine von mir gemachte Beobachtungen decken sich mit denen von Schubert (S. 94ff.). Legt man völlig unverletzte Samen (Sinapsis alba, Vieia Faba) in wasserfreien oder -armen Alkohol, dem man irgendeinen Farbstoff, beispielsweise Fuchsin, zugegeben hat, so kann man beobachten, daß der Farbstoff nicht durch die Samenschale durchzudringen vermag: nur die Cuticula und der äußerste Teil der Pallisaden bei Vicia zeigen sich gefärbt, alles übrige ist farblos; die Keimfähigkeit der so aussehenden Samen ist ungeschwächt. Bringt man einen feinen Nadelstich an, natür- lieh an einer das Keimlingsgewebe nicht verletzenden Stelle, so 486 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. kann man bemerken, daß sich das Sameninnere färbt; diese Samen zeigten sich nicht mehr keimfähig. Das gleiche gilt von Samen, deren Schale durch unbeabsichtigte Verletzung beschädigt ist. Folgender Versuch zeigt diese Verhältnisse noch anschaulicher: 62 Samen von Vicia Faba wurden 3 Monate in absoluten Alkohol, dem 1%, Sublimat beigefügt war, und der intensiv mit Fuchsin gefärbt war, aufbewahrt. Nach diesem Zeitraum hatten sich sehr viele in dieser Flüssigkeit dunkel gefärbt. Von diesen gefärbten Samen wurden 35 in Wasser eingekeimt: es keimte kein einziger. Von den farblos gebliebenen wurden 13 eingekeimt, davon keimten 10 bereits am zweiten Tage. Weitere 12 gefärbte und 12 unge- färbte Samen wurden mit konzentrierter Schwefelsäure nach gründ- licher Abspülung mit Kochsalzlösung und Wasser wie bei einer Kjedahl’schen Stickstoffbestimmung aufgeschlossen und in der klaren mit Wasser verdünnten Lösung Schwefelwasserstoff zum Ausfällen des eventuell vorhandenen Quecksilbers eingeleitet: Bei der von den gefärbten Samen stammenden Lösung intensiver schwarzer Niederschlag, bei der von den ungefärbten stammenden nur eine kaum erkennbare leichte Bräunung der Flüssigkeit, ent- sprechend einer chemisch nicht faßbaren geringen Menge Queck- silbers. In demselben Sinne fällt die Prüfung auf Alkohol aus (siehe weiter unten). Es steht also zweifellos fest: Samen, bei denen aus emer Lösung in absolutem Alkohol Farbstoff und Sublimat eingedrungen ist, sind abgetötet, diejenigen, bei denen das nicht der Fall ıst, sind noch lebend und keimfähig. Man muß wohl ein gleiches auch für den Alkohol annehmen; doch könnten hier Bedenken geäußert werden, auf die ich gleich zu sprechen komme. Zunächst sei noch auf einige Erscheinungen aufmerksam ge- macht, die im Zusammenhang mit der eben angeschnittenen Frage Erwähnung finden müssen: Günther berichtet (S. 125) über das Verhalten von Bakterien gegen in Alkohol gelöste Farbstoffe: „Rein alkoholische Lösungen der basischen Anilinfarbstoffe sind also voll- kommen unfähig, Bakterien sowohl wie tierische Gewebe zu färben, und andererseits ist der absolute Alkohol unfähig, den Farbstoff aus gefärbten Bakterienzellen und aus gefärbten Zellen tierischen Gewebes zu extrahieren.“ Und nach der S. 100 von Buchner mitgeteilten Beobachtung tritt in Farblösung Plasmolyse ein, wobei zwischen dem kontrahierten Protoplasten und der Zellwandung eine ungefärbte Stelle sichtbar wird. Wir sehen also auch hier das Unvermögen von Farbstoff, in alkoholischer Lösung durch die Mem- bran von Bakterien hindurchzudringen. Es muß nun noch die Möglichkeit erörtert werden, ob in dem erwähnten Fall, während in den nicht abgetöteten Samen Farbstoff und Sublimat nicht in den Samen eingedrungen sind, doch der A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 487 Alkohol dies vermocht hätte, daß hier also gewissermaßen ein ähn- lich semipermeables Verhalten der Membranen gegen Alkohol und in ihm gelöste Stoffe vorliege, wie wir es in dem Verhalten von Membranen gegenüber dem Wasser und gewisser in ihm gelöste Stoffe kennen. Doch ist das wohl durchaus unwahrscheinlich; es handelt sich hier bei den wasserfreien Membranen um ganz andere Verhältnisse wie bei den Diffusionserscheinungen wasserdurchtränkter Membranen). Gleichwohl müßte diese Annahme erst noch be- wiesen oder widerlegt werden. Auf ziemlich grobe Weise läßt sich zeigen, daß in Samen, die in absolutem Alkohol liegen und keimfähig bleiben, kein Alkohol eingedrungen ist, wohl aber in die abgetöteten: wenn man von Samen, die wie in dem oben erwähnten Versuch in gefärbtem Alkohol liegen, je etwa 20 ungefärbten, deren Keimfähigkeit durch Kontrollversuche erwiesen wurde, und gefärbte, deren Abtötung ebenso durch Kontrollversuche bewiesen wurde, nach gründlicher Abspülung mit Wasser mit wenig Wasser überdestilliert, das De- stillat in einem Reagenzglas auffängt, bis dieses etwa zur Hälfte voll ist, und dann auf Alkohol vermittels der Jodoformprobe prüft (wenig Natronlauge zugeben, erwärmen, Lösung von Jod in Jod- kalıum bis zu bleibender Gelbfärbung zugeben), so erhält man in dem Destillat der gefärbten Samen einen sofortigen inten- siven Niederschlag von Jodoform, während man in dem De- stillat der ungefärbten lediglich Geruch nach Jodoform be- merken kann; erst nach Stehen über Nacht scheidet sich ein äußerst minimaler Niederschlag von Jodoform ab, entsprechend einer (bei der außerordentlichen Empfindlichkeit der Reaktion) ganz ge- ringen Alkoholmenge, wie sie sich auch bei diesen Samen ın den äußersten Membranpartien oder in einem zufällig darunter geratenen nicht ganz intakten Samen finden wird. Für die Ausführung der Reaktion ist zu beachten, daß man die Samen nicht einkeimen und dann die Reaktion ausführen kann, so daß man die Gewißheit hätte, daß auch wirklich die unbeschädigten Samen und nur diese keinen Alkohol aufgenommen hätten, da bekanntlich bei der Keimung durch intramolekulare Atmung Alkohol erzeugt werden kann (Jost, S. 234). Es zeigt sich also, daß entsprechend dem Eindringen von ın Alkohol gelösten Stoffen auch das Eindringen des wasserarmen Alkohols selbst in unbeschädigte Samen nicht stattfindet, daß dagegen Samen, 1) Es erscheint nicht überflüssig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß bei dem von Nernst (S.132/133, auch Jost, S. 17) mitgeteilten Versuch, wonach ein durch eine mit Wasser durchtränkte Schweinsblase abgeschlossenes Äther-Benzol-Gemisch, das in reinen Ather tauchte, in dem aufgesetzten Steigrohr anstieg, außer der Durchtränkung der Schweinsblase mit Wasser auch alle Flüssigkeiten mit Wasser gesättigt waren, somit für unsere Frage natürlich nicht in Betracht kommt; es ist bei Jost darauf nicht hingewiesen und könnte zu Mißverständnissen Anlaß geben. ASS A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. bei denen nennenswerte Mengen Alkohol in den Samen eingedrungen sind, abgetötet sınd. In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eine Arbeit von Kodama hinweisen, nach der die antigenen Eigenschaften von frischem und getrocknetem Pferdeeiweis in wasserarmen Alkohol allmählich verschwinden, in wasserfreiem Alkohol und bei trockenem Fleisch allerdings am langsamsten, aber schließlich doch vollständig. Es könnte das ein Hinweis darauf sein, daß das Eiweiß, auch in trockenem Zustande in Alkohol seine typischen Eigenschaften völlig verliert. Natürlich können für das Eiweiß pflanzlicher Dauerformen wiederum besondere Gesetze gelten. Die weiter unten von Oster- hout und Joel mitgeteilten Ergebnisse, wonach stärkere Gaben von Anästhetieis in wässeriger Lösung ein nicht reversibles Sinken der Permeabilität der Protoplasmahaut, also zweifellos eine schwere Schädigung verursachen, kommen, da für wässerige Lösungen ge- funden, hier nicht in Betracht, dürften aber auch vielleicht Anhalts- punkte geben für die vorliegende Frage. IV. Ich wende mich nunmehr zu den Eigenschaften der Membranen, auf Grund derer wir diesen die schützende Funktion gegen das Eindringen von absolutem Alkohol u.s. w. zusprechen können. Wir betrachten zu diesem Zweck OCuticula, verholzte Membranen, Schleim- schichten und Cellulose- bezw. celluloseähnliche Membranen; dazu muß endlich noch die Protoplasmahaut berücksichtigt werden; wir werden sehen, daß wir auch bei dieser ähnliche Erscheinungen gegen diese Anästhetika antreffen wie bei den Öellulose-Membranen. Der kolloidale Zustand beider ist, wie wir sehen werden, die Ur- sache dieser Übereinstimmung. Der Cutiecula dürfte der geringste Anteil zukommen: Einmal fehlt sie den in Frage kommenden Zellen, soweit diese nicht Samen höherer Pflanzen sind. Auch die oben bereits erwähnte Beobach- tung, wonach sich bei in Alkohol liegenden Samen die Cutieula und die äußerste Schicht der Pallısaden gefärbt zeigten, deutet darauf hin. Endlich läßt sich an Samen von Sinapis alba die Cuticula durch kurzes Quellen der Samen zersprengen; nach dem Trocknen sind die Samen jedoch nach wie vor widerstandsfähig gegen Alkohol. Vermutlich hängt die Eigenschaft der Cuticula, wasserfreien Alkohol leichter durchtreten zu lassen, mit ihrer schweren Quellbarkeit in Wasser und umgekehrt dann auch mit der Unmöglichkeit der Koa- gulation in wasserentziehenden Medien zusammen: auch gegen Gase ist ja die Cuticula bekanntlich ziemlich permeabel. Sie verhält sich ın dieser Hinsicht offenbar ganz wie verholzte Membranen. Ähnliches dürfte für verkorkte Membranen gelten. A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 489 VerholzteMembranen, wie sie beispielsweise ın den Frucht- schalen (siehe dazu das S. 480 über die Früchte von Helianthus annus Gesagte) verhalten sich ähnlich. Durch die Versuche von Sonntag wissen wir, daß verholzte Membranen im Querschnitt in Wasser kaum quellen, und beim Trocknen nicht koagulieren, eine Eigenschaft, die nach Entfernung der die Verholzung bewirkenden Stoffe wieder verschwindet, so daß sie jetzt quellbar und koagu- lierbar werden. Übereinstimmend damit ist nach den Versuchen von Wiesner undMolisch die verholzte Membran ın trockenem Zustande durchlässiger für Gase als ın feuchtem, genau umgekehrt wie die Cellulose-Membran, worauf wir gleich zu sprechen kommen. Auch hier also würden die kolloidalen plastischen Eigenschaften der Membran fehlen: das Gefüge ist durch die chemischen oder physikalischen Änderungen bei dem als Verholzung bezeichneten Vorgang starr geworden, so dass die dispersen Teilchen sich beim Trocknen nicht mehr zusammenschließen und so den Durchtritt von Stoffen verhindern können. Das ıst z.B. auch bei den Versuchen Straßburger’s (S. 611, 613, 629, 659, 672) über den Aufstieg von Alkohol ın Pflanzenteilen zu beachten: bei der dort beobachteten leitung von Alkohol handelt es sich eben um Leitung in verholztem Gewebe. Man könnte dann also auch nicht erwarten, daß die Tüpfel- schließhäute dem aufsteigenden Alkohol in trockenem Zustande den Weg versperren würden. Die hier betrachtete Übereinstimmung im Verhalten von Outi- cula und verholzten Membranen hebt, ın Hinsicht auf den Gas- durchtritt, auch Pfeffer (Bd. I, S. 165) hervor: „Dem Wesen nach verhält sich also die Zellhaut wıe Leimgallerte, deren Durchlässigkeit für Gase mit dem Austrocknen mehr und mehr herabgemindert wird, während in der nicht quellenden Gipsplatte mit dem Wasserverlust Poren trocken gelegt werden, durch welche die Gase nunmehr durch freie Diffusion oder Massenströmung leichter ihren Weg finden. Offenbar ıst die Imbibition mit Fettstoffen die Ursache, daß die Durchlässigkeit der Cuticula und des Korkes mit dem Austrocknen nicht so weit zurückgeht; dagegen ıst noch nicht ermittelt, wodurch die verholzte Wand ähnliche Eigenschaften gewinnt.“ Schleimschichten finden sich vielfach bei Cruciferen, auf die schon Schmid hinweist. Linum, Hefe, deren schützende Wirkung, ebenso wie die der Cruciferen, auch Kurz welly (S. 299) hervorhebt u. s.w. Ihnen dürfte da, wo sie vorhanden sind, eine erhebliche Schutzwirkung gegen das Eindringen der wasserfreien Flüssigkeiten zukommen. Als allen widerstandsfähigen Samen, Sporen, vegetativen Zellen zukommende Membranen finden wir nun Oellulose bezw. cel- luloseähnliche Stoffe, deren genauere chemische und physi- kalische Zusammensetzung allerdings in den meisten Fällen noch 490 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. fast unbekannt ist. Man möge mir daher auch gestatten, an dieser Stelle einfach von Cellulose zu sprechen, womit nicht ausgedrückt sein soll, daß darunter stets eine typische Baumwollcellulose ver- standen sein soll. Doch läßt sich das eine wohl übereinstimmend aussagen, daß alle diese Membranen kolloidale Körper sind, eine Eigenschaft, der wir die schützende Funktion gegen das Eindringen der wasserfreien Anästhetika zuschreiben müssen. Über die Auf- fassung der Üellulose als Kolloid siehe besonders Schwalbe, ferner Zsigmondy, S.3, Müller, S. 11 u. s. w. Ganz allgemein lassen sich bekanntlich Kolloide aus ihren wässerigen Lösungen durch Alkohol ausfällen: z. B. fällt Cellulose aus der Kupferoxydammoniaklösung durch Alkohol quantitativ aus. Die Pflanzenschleime lassen sich aus ihren wässerigen Lösungen ebenfalls durch Alkohol ausfällen. Auch Äther, Chloroform u. s. w. fällen Kolloide aus ihren wässerigen Lösungen aus. Weiterhin ist festgestellt, daß die Durchlässigkeit von Gelatine- und Agar-Gallerten für Farbstoffe und Elektrolyte u. a. durch Al- kohol vermindert wird (Ostwald S.206). Ähnliche Ergebnisse haben sich für die Permeabilität der (wenigstens teilweise) kolloi- dalen Protoplasmahaut gezeigt: Osterhout hat durch Beigabe von Anästhetieis zu Seewasser wenigstens in geringer Konzentration bei Zaminaria eine Erhöhung des Leitungswiderstandes gefunden, die reversibel ıst und auf Permeabilitätsänderungen der Proto- plasmahaut beruhen soll; merkwürdigerweise trat bei stärkerer Kon- zentration eine irreversible Verminderung des Leitungswiderstandes ein; es ist das jedoch offenbar eine in den eigentümlichen Bau der Protoplasmahaut gegründete Eigenschaft. wodurch sie sich in völligen Gegensatz zu dem Verhalten der Cellulose-Membran stellt und auf die wır gleich nochmals zurückkommen werden. Dasselbe . hat Joel?) und Höber für Versuche mit roten Blutkörperchen und verschiedene Narkoticis festgestellt. Auch Winterstein hat für tierische Membranen (Froschmuskeln) festgestellt, daß durch Zugabe von Alkohol (5°/,) zu Kochsalzlösung eine bedeutende Her- absetzuug der Permeabilität der Muskelmembranen für Wasser statt- findet. Zwar gelten diese Versuche nur für wässerige Lösungen; sie müssen jedoch in diesem Zusammenhang angeführt werden, um die Wirkung dieser Anästhetika in wasserarmen und wasserfreien Medien zu erläutern. Jedenfalls zeigt sich, daß unter ihrem Einfluß eine Koagulation der kolloidalen Membranen stattfindet, ein Vorgang, der ın konzentrierten, wasserfreien Flüssigkeiten offen- bar vollkommen werden muß bis zu völliger Undurch- 2) Dort auch eingehendere Literaturverarbeitung dieser Frage. . A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 491 dringlichkeit dieser Membranen. Angaben darüber konnte ich nirgends finden). Versuche liegen allerdings vor über das Verhalten trockener kolloidaler Membranen, von Cellulose und Gelatine, gegen die Dif- [fusion von Gasen. Wiesner und Molisch haben gezeigt, daß Gase, wie Kohlensäure, wohl durch durchfeuchtete, nicht aber durch trockene Cellulose-Membranen durchdiffundieren können. Wenn sie S. 702 sagen: „In der trocknen Zellhaut liegen die festen Massen- teilchen zweifellos zu nahe beieinander, als daß der Durchtritt der Gasmoleküle durch dieselbe direkt möglich wäre,* und wenn sie S. 703 von „Quellung durch Wasser und Entfernung der Massen- teilchen voneinander“ sprechen, so würde man das jetzt eben als den kolloidalen Zustand dieser Zellhäute definieren !). Die Undurchdringlichkeit kolloidaler Membranen gegen Alkohol läßt sich durch einfache Versuche zeigen: Klebt man auf ein am Ende mehrfach durchbohrtes Reagenzglas Gelatine auf, läßt diese ein- trocknen und stellt dann das Rohr in ein weiteres Gefäß mit absolutem oder auch 96°/,igem Alkohol, so daß dieser äußerlich beträchtlich über dem durch die Gelatinemembran abgeschlossenen Bodenstück . steht, so kann man sich überzeugen, daß in das Reagenzrohr keine Spur von Alkohol einzudringen vermag. Übrigens vergleichen Wiesner und Molisch S. 701 die pflanzliche Zellhaut mit einer Leim- oder Gelatineschicht, allerdings in Hinsicht auf die von ihnen untersuchte Undurchdringlichkeit gegen Gase in trockenem Zu- stande; Pfeffer zieht in dem oben erwähnten Zitat ebenfalls diesen Vergleich. Auch für Cellulose-Membranen läßt sich die Undurchlässigkeit gegen Alkohol zeigen: Zu dem Versuche benutzte ich das gleiche Material, wie es Wiesner und Molisch für ıhre Versuche ver- wendet haben: die Markscheiben aus den Ästen von Juglans regia. Sie werden einfach auf ein Glasrohr von etwa demselben Durch- messer wie die Markscheibe mit Gelatine und einer warmen Nadel so aufgeklebt, daß ın der Mitte ein beträchtliches Stück frei von Gelatine ist; wurde das Rohr in Alkohol gestellt, so konnte auch hier kein Eindringen durch die trennende Cellulose- (und Gelatine-) Membran beobachtet werden. Auch für künstliche Cellulose-Mem- bran, die durch Eintauchen des einen Endes eines Glasrohrs ın Kollodium und Trocknenlassen hergestellt wurde, konnte das gleiche festgestellt werden. Und schließlich wurde dasselbe noch für Schalen- 3) Traube sagt allerdings (S. 534), daß bei dem System Wasser, Oellulose, Alkohol die Osmose in der Richtung vom Wasser zum Alkohol erfolge, doch scheint das lediglich aus der Resistenz von Samen gegen Alkohol geschlossen zu sein. 4) Diese Versuche haben sicher den größten Anspruch auf Wahrscheinlichkeit; Pfeffer (Bd. I, S. 165) schließt sich ihnen an, ebenso in einer neueren Arbeit Mylius (8. 22). 492 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. stücke von Vieia Faba, die in derselben Weise aufgeklebt wurden wie die Markscheiben von Juglans, gezeigt. Es erübrigt noch, auf das oben erwähnte merkwürdige Ver- halten der Protoplasmahaut zurückzukommen, bei der sich ın geringer Konzentration des Anäthetikums Erhöhung, in stärkerer Verminderung des Leitungswiderstandes und der daraus geschlos- senen Permeabilitätsänderungen bemerkbar machte. Joel (S. 36/37) und auch Höber nehmen das als einen Ausdruck für den zugleich kolloidalen proteiden und lipoiden Aufbau der Protoplasmahaut (Mosaiktheorie Nathansons): Auf der Oberfläche der Membran würde eine Verdichtung das Narkotikums stattfinden, unter deren Einfluß eine geringere Konzentration koagulierend auf die Kolloide wirken würde; bei stärkerer Konzentration des Narkotikums würde die Konzentration an der Membranoberfläche aber so stark werden, daß nunmehr eine Auflösung der lipoiden Bestandteile und infolge- dessen eine nun irreversible Permeabilitätsänderung der Proto- plasmahaut stattfände. In einer Fußnote wird S. 36 geradezu darauf hingewiesen, daß es sich bei der Protoplasmamembran um keine reine Eiweißmembran handeln könne, da dann entweder nur Sen- kung der Permeabilität, infolge Entquellens der Kolloide (Entziehung von Bindungswasser) o der Erhöhung stattfinden könnte. Wie man sich zu dieser Frage auch stellen mag: Jedenfalls zeigen Gellulose- Membranen einen ganz eindeutig kolloidalen Charakter, der nur ın einer Permeabilitätssenkung bei steigender Konzentration der Narkotika besteht. Es war der Hinweis auf diese Frage deshalb geboten, weil nach Vorstehendem auch der Einwand, daß zwar die Membran bei Sporen, Samen u. s. w durchlässig gegen die Anästhetika sei, diese aber durch die Protoplasmahaut zurückgehalten würden, der vielleicht auch erhoben werden könnte, nach Vorstehendem zum mindesten sehr unwahrscheinlich ist. Bezüglich der hier in Frage kommenden schützenden Mem- branen muß noch darauf hingewiesen werden, daß hier offenbar nur solche Membranen in Betracht kommen, die in sich lückenlos gefügt sind, also z. B. nicht von Plasmaverbindungen durchsetzt, was bei solch abschließenden Membranen offenbar nicht der Fall ist: Bei Membranen, in denen solche vorkommen, also beispielsweise beim Studium. der Aufnahme von Alkohol, in ihm gelöstem Farb- stoff u.s. w. in trockene Zellen aus dem Innern eines Gewebes, müßte darauf natürlich entsprechend Rücksicht genommen werden; das ist z.B. bei den bereits erwähnten Versuchen Straßburger’s der Fall, wenn es sich um die Aushreitung von alkoholischer Farblösung seit- wärts der Leitungsbahnen in Gewebe mit Oellulose-Membranen (bei trockenem Material) handelt. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb diese Flüssigkeiten bei Samen, deren Samenschale verletzt ist, langsam zu dem Keimlingsgewebe vordringen und diese abtöten können. A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. 495 V. Schließlich sei hier noch auf eine Erscheinung hingewiesen, die in dem hier dargestellten Zusammenhang ebenfalls Interesse bietet — die Hartschaligkeit, wie sie bei vielen Leguminosen-Samen vorkommt. Bekanntlich können einige Leguminosen-Samen manch- mal jahrelang ım Wasser liegen, ohne zu quellen, was, wie Nobbe nachgewiesen hat, darauf beruht, daß die Samenschale kein Wasser aufzunehmen, nicht zu quellen vermag. Wır finden einige deut- liche Berührungspunkte mit der Frage, die uns beschäftigt hat und die ın dem kolloidalen Zustand dieser Membranen begründet ist. Ein künstliche Hartschaligkeit konnte Hıltner (S. 30) durch vorhergehendes trockenes Erhitzen auf 105° erzielen, auch durch längeres, weniger intensives Erwärmen; auch beim Trocknen über Schwefelsäure trat diese Erscheinung, wenn auch weniger stark, auf. Dasselbe konnte ich durch Behandeln von Samen von Sinapis alba mit siedendem absolutem Alkohol erzielen, worüber die Tabelle Auskunft gibt: Von 20 Samen von Sinapis alba keimen 1'/, Stunde in siedendem absolutem Alkohol normal Nach I Tag s 0 Dam: 19) 0) SNER 0 | Ar 2 7 Dee; 0 4 ots 0 2 ” 7 „» | 0 4 Eee | 0 1 Zuammen: 19 795,9 | II — 95% Es zeigt sich also eine ganz bedeutende Verzögerung der Kei- mung durch diese Behandlung mit siedendem Alkohol. Kleesamen vertrugen merkwürdigerweise diese Behandlung nicht: die Samen waren fast alle aufgeplatzt und tot,nur eiınunbeschädigter keimte noch. Eine solche Verzögerung der Keimung findet auch nach sehr langem Liegen ın kaltem konzentriertem Alkohol statt. Das hat auch Kurzwelly (S. 314) beobachtet. Nur dürfte es sehr fraglich sein, ob wir hier, wıe K. meint, ın allen Fällen eine „Schwächung“ der Samen vor uns haben (siehe auch Schubert S. 116). Vielmehr dürfte ın der Wasserentziehung, der Austrocknung der Samenschalen, das wirksame Moment zu erblicken sein. Mit intensiverer Austrocknung wird auch eine stets weiter fortschrei- tende Koagulation der kolloidalen Membranen stattfinden. Von großem Interesse in dieser Hinsicht wird sich vermutlich die soge- nannte Lichtlinie in den Pallisadenzellen der Samenschale der Legu- 494 A.Rıppel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. minosen und noch anderer Pflanzenfamilien erweisen: Soweit sich aus der bei Harz (S. 369) zusammengestellten Literatur ersehen läßt, handelt es sich bei dieser um keine morphologisch oder chemisch verschiedene Schicht, sondern durch physikalische Be- schaffenheit, dichtere Lage der Moleküle, geringeren Wassergehalt hervorgerufene Modifikation der normalen Üellulose-Membran der Palliısaden. In Zusammenhang damit steht auch die von Kurz- welly (S. 311 ff.) mitgeteilte Tatsache, daß sich exsickkatortrockene Samen durchweg resistenter zeigten als lufttrockene. Dabei wird dieser Vorgang offenbar bis zu einem gewissen Grade irreversibel, wie man an dem Unvermögen der jahrelang ohne zu quellen ın Wasser liegenden hartschaligen Samen sieht. Einen analogen Vorgang finden wır allgemein beı Kolloiden (Ost- wald, S. 384/385): „Bleiben dıe Systeme längere Zeit z. B. unter Alkohol, so verlieren sie allmählich ihre Quellbarkeit. Hiermit im Zusammenhang steht auch dıe Tatsache, daß eine zu weit gehende Entwässerung ebenfalls schädlich auf das Quellungsvermögen des festen Körpers einwirkt.“ Ob mit dieser weitgehenden Entwässe- rung bei Üellulose-Membranen schließlich auch noch sonstige Ver- änderungen stattfinden, wie eventuell Übergang derselben in kri- stallinischen Zustand, wıe es bei anorganischen Kolloiden der Fall ıst, und womit natürlich auch die Permeabilitätsverhältnisse durch- greifende Veränderungen erfahren würden, sei dahingestellt. v1. Wenn zum Schluß nochmals die ın dieser Abhandlung ange- schnittenen Fragen zusammengefaßt werden, so ergibt sich: Ein Be- weis für die Immunität des trockenen pflanzlichen Pro- toplasmas gegen wasserfreien (oder auch wasserarmen) Alkohol, sowie gegen wasserfreien Äther, Chloroform und andere Anästhetika und wasserfreie organische Flüssigkeiten ıst bisher noch nicht erbracht. Dagegen ıst dıe Cellulose und ihre mehr oder weniger stark ver- änderten Modifikationen, aber mit Ausschluß der ver- holzten Membranen, vermöge ıhrer Eigenschaften als koloidaler Körper ın trockenem Zustande für diese wasserfreien Flüssigkeiten impermeabel, womit diese vermeintliche Resistenz des pflanzlichen Protoplamas eine ganz grob mechanische Erklärung fındet. Es mag nochmals hervorgehoben werden, daß hier nicht alle Punkte ım einzelnen kritisch gesichtet und behandelt werden sollten und, bei unseren bisher noch sehr lückenhaften Kenntnissen der einzelnen Fragen, auch nicht behandelt werden konnten, sondern daß lediglich das Grundprinzip der vorliegenden Frage herausge- A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 495 arbeitet werden sollte, wie es in der Zusammenfassung nochmals dargestellt ist. Insbesondere seı hier noch auf einen beachtenswerten Punkt hingewiesen, der schon oben behandelt wurde: Die betreffenden Medien, deren Zahl sich noch vermehren läßt (es sind ja bisher nur die gebräuchlichsten unter ıhnen geprüft), werden sich natür- lich nicht ın allen Punkten übereinstimmend verhalten; bei dieser Betrachtung ist hauptsächlich nur Rücksicht genommen auf ihr Verhalten Cellulose-Membranen gegenüber. Schon das oben er- wähnte verschiedene Verhalten der Protoplasmahaut zeigt offenbar, daß diese Resultate nicht auch auf diese ausgedehnt werden dürfen. Insbesondere dürfte die schwere Löslichkeit bis Unlöslichkeit fett- artiger Stoffe in Alkohol für diesen eine Sonderstellung vermuten lassen, die ja auch ın dem oben erwähnten Verhalten bezüglich des Herauslösens von Fett aus dem Innern von Samen hervorgetreten ist, wenn auch die Wirkung gleich war. So hat denn auch Oster- hout gefunden, daß die irreversible Erhöhung der Protoplasmahaut- Fermeabilität, wıe sie bei stärkerer Konzentration von Anästhetizis in wässeriger Lösung eintritt, bei Alkohol erst bei einer bedeutend höheren Konzentration eintritt als bei Äther, Chloroform u.s. w., ein Unterschied, der allerdings nach der Auffassung dieses Autors nur graduell sein soll. Das Verhalten gegen die typischen Cellu- lose-Membranen dürfte dagegen ım allgemeinen übereinstimmend sein. Wenn man schließlich noch nach der biologischen Bedeutung der hier betrachteten Vorgänge fragt, so kommt eine Widerstands- fähigkeit trockener Samen, Sporen u.s. w. gegen diese Anästhetika unter natürlichen Verhältnissen selbstverständlich nicht ın Betracht; wohl dürfte aber dem verhinderten Gasdurchtritt durch die trockene Membran eine erhebliche Bedeutung, vielleicht in dem oben (8. 478) von Wiesner und Molisch zitierten Sinne zukommen; interessant wäre auch in Hinsicht auf die hier dargestellten Tatsachen das Verhalten nackter Protoplasten, beispielsweise der Schwärmsporen von Plasmopara u.s.w; doch dürfte gerade ıhre geringe Widerstands- fähigkeit gegen Austrockung ihre Verwendung als Versuchsmaterial in diesem Sinne unmöglich machen. Nachtrag. Im Anschluß an die vorstehenden Betrachtungen dürfte noch auf die Semipermeabilität, wie man sie bei verschiedenen Gramineen-Samen gefunden hat (Brown, Schroeder, Gassner u.a.) hingewiesen werden. Schroeder bemerkt (S. 201), ın Hinsicht auf die Undurchdringlichkeit trockener Membranen für absoluten Alkohol, die er nach der oben (S. 490) von Traube mitgeteilten Notiz zitiert: „Es wäre aber nicht undenkbar, daß die selektiv per- meable Schicht auch in diesem Falle die ausschlaggebende Rolle spielt.“ Das scheint mir in der Tat sehr wahrscheinlich zu sein. 496 A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit etc. Doch muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß eine Semi- permeabilität merkwürdigerweise nur für Grassamen bekannt ist, nach Schroeder soll sie z. B. bei Erbsen fehlen: Das würde dann allerdings darauf hindeuten, daß doch andere Schichten die Semi- permeabilität bedingen als die für absoluten Alkohol undurchlässigen. (Schroeder denkt |S. 194] an kutinisierte oder verkorkte Mem- branen), doch müßte sich diese Beobachtung erst bestätigen. Es wäre z. B. nicht ausgeschlossen, daß die mit beginnender Quellung eintretende Rißbildung in der Samenschale der Leguminosen die semipermeabilen Schichten zerstören würde. Da aber nicht gewiß ist, daß wirklich die gleichen Schichten es sind, die einmal die Semipermeabilität bedingen, und anderer- seits in trockenem Zustande permeabel sind für absoluten Alkohol u.s. w., würde das weitere Eingehen auf diese Frage für unsere besondere Betrachtung zu weit führen; ich hoffe an anderer Stelle später darauf zurückkommen zu können. v1. Vornehmleh benutzte Literatur. 1. Beyer, A.: In welcher Konzentration tötet wässeriger Alkohol allein oder in Verbindung mit anderen desinfizierenden Mitteln Entzündungs- und Eite- rungserreger am schnellsten ab? (Zeitschrift f. Hyg. u. Infekt. LXIX. Bd., p. 225—272, 1911). . Czapek, F.: Biochemie der Pflanzen (Jena, Gustav Fischer, 1905). . Epstein: Zur Frage der Alkoholdesinfektion (Zeitschrift f. Hyg. u. Infekt. XXIV. Bd., p. 1—21, 1897). 4. Günther, C.: Einführung in das Studium der Bakteriologie (Leipzig, Georg Thieme, 5. Aufl. 1902). 5. Harz, ©. V.: Landwirtschaftliche Samenkunde (Berlin, P. Parey, 1885). 6. Hiltner, L.: Die Keimungsverhältnisse der Leguminosensamen und ihre Be- einflussung durch Organismenwirkung (Arbeiten aus der Biologischen Abtei- lung f. Land- u. Forstwirtschaft am kaiserl. Gesundheitsamte, III. Bd. p. 1—102, 1903). . Höber, R.: Neue Versuche zur Theorie der Narkose (Deutsche Medizinische Wochenschrift, 41. Bd., p. 273—274, 1915). 8. Joel, A.: Über die Einwirkung einiger indifferenter Narkotika auf die Perme- abilität roter Blutkörperchen (Pflüg. Arch. f. d. ges. Physiologie, 161. Bd., p- 5—44, 1915). 9. Jost: Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 2. Aufl. (Jena, Gustav Fischer, 1908). 10. Kodama, H.: Über die Wirkung von Alkohol in verschiedener Konzentration auf die antigenen Eigenschaften von Pferdefleischeiweiß (Zeitschr. f. Hyg. u. Infekt. LXXIII. Bd., p. 30—44, 1912). 11. König, J.: Die menschlichen Nahrungs- und Genußmittel. 4. Aufl., 20. Bd. (Berlin, J. Springer, 1904). 12. Kurzwelly, W.: Über die Widerstandsfähigkeit trockener pflanzlicher Orga- nismen gegen giftige Stoffe (Pringsh. ‚Jahrb. für wissenschaft. Botanik. XXXVIII. Bd. p. 291—541, 1903). ww DD 13. 14. A. Rippel, Bemerkungen über die vermeintliche Widerstandsfähigkeit ete. 497 Krönig, B. und Th. Paul: Die chemischen Grundlagen der Lehre von der Giftwirkung und Desinfektion (Zeitschr. f. Hyg. u. Infekt. XXV. Bd., p. 1—112, 1897). Minervi, R.: Über die bakterizide Wirkung des Alkohols (Zeitschr. f. Hey. u. Infekt., XXIV.Bd., p. 117—147, 1898). . Molisch, H.: Mikrochemie der Pflanze (Jena, Gustav Fischer, 1913). . Müller, A.: Allgemeine Chemie der Kolloide (Leipzig, J. A. Barth, 1907). (Als Bd. VIII in Handb. d. angew. physik. Chemie). . Mylius: Das Polyderm (Bibliotheka Botanika, Heft 79, 1915). . Nernst, W.: Theoretische Chemie (Stuttgart, Friedrich Enke, 6. Aufl. 1909). . 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Schubert, W.: Über die Resistenz exsikkatortrockener pflanzlicher Organismen gegen Alkohol und Ohloroform bei höheren Temperaturen (Flora, C. Bd., p- 68—120, 1910). 28. Schwalbe: Die Chemie der Cellulose (Berlin, Gebr. Bornträger 1911). 29. Sonntag: Die Beziehungen zwischen Verholzung, Festigkeit und Elastizität vegetabilischer Zellwände (Landw. Jahrb. 21. Bd., p. 839—869, 1892). 30. —: Verholzung und mechanische Eigenschaften der Zellwände (Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 19. Bd., p. 138—149, 1901). 31. Straßburger, E.: Über den Bau und die Verrichtungen der Leitungsbahnen in den Pflanzen (Jena, Gustav Fischer, 1891). 32. —: Das botanische Praktikum, IV. Autfl., Jena, Gustav Fischer, 1902). >53. Traube, J.: Die Theorie des Haftdrucks (Oberflächendrucks) und ihre Be- deutung für die Physiologie (Pflüg. Arch. f. d. ges. Physiologie, 132. Bd., p. 511—538. 1910). >34. Tunmann, ©.: Pflanzenmikrochemie (Berlin, Gebr. Bornträger, 1913). 35. Wiesner, J. und Molisch H.: Untersuchungen über die Gasbewegung in der Pflanze (Sitzungsber. d. K-is. Akad. d. Wissensch. Wien, LXXXXVIIT. Bd., Abt. I, p.670— 713, 1889),. , Winterstein, H.: Die Untersuchung der osmotischen und kolloidalen Eigen- schaften tierischer Gewebe (Wiener medizin. Wochenschr. 66 Bd., p. 551—554, 1916). ‘. Wirgin, G.: Vergleichende Untersuchung über die keimtötendeu und die entwicklungshemmenden Wirkungen von Alkoholen der Methyl-, Äthyl-, Propyl-, Butyl- und Amylreihen (Zeitschr. f. Hyg. u. Infekt. XXXXVI. Bd., p- 149—167, 1914). . 4Asigmondy, R.: Kolloidehemie. Ein Lehrbuch. Leipzig, ©. Spamer, 1912). 37. Band 34 498 J. Dewitz, Die für die künstl. Parthenogenesis angewandten Mittel etc. 39. Brown, A. J.: On the Existence of a Semi-permeable Membrane enclosing the Seeds of some of the Gramineae (Annals of Botany. Vol. XXI, p. 9 —87, 1907). 40. Gassner, G.: Beiträge zur Frage der Lichtkeimung (Zeitschr. f. Botanik, VII. Bd., p. 609—661, 1915). 41. Schroeder, H.: Über die selektiv-permeable Hülle des Weizenkorns (Flora N. F., II. Bd., p. 186 —208, 1911). Die für die künstliche Parthenogenesis angewandten Mittel als Erreger für andere biologische Vorgänge. Von J. Dewitz, St. Martinsbann b. Metz. In einem vor einiger Zeit in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsatz!) führt Methodi Popoff aus, „daß die Mittel für künst- liche Parthenogenesis keine spezifischen, nur auf die Geschlechts- zellen beschränkten Stimulantien sind, sondern daß sie den obigen theoretischen Auseinandersetzungen gemäß als allgemeine Zell- stimulantien aufzufassen sind“ (p. 191). Hierzu möchte ich bemerken, daß ich bereits vor nun fünf- zehn Jahren demselben Gedanken Ausdruck gegeben habe, soweit die Ruhe von Organismen und Organen tierischen oder pflanzlichen Ursprungs und die Aufhebung dieser Ruhe in Frage kommt. Ich führte damals aus, daß die Erreger für die Entwicklung unbefruch- teter Eier auch Erreger für die Weiterentwicklung von in ein Ruhestadium verfallenen Organismen und Organen sind. Da meine Ausführungen von früher (1902) dem Autor und vielleicht auch andern Personen entgangen sein dürften, so möchte ich sie hier zusammenfassen. Ebenso wie Popoff es jetzt tut, habe ich damals ausgeführt, daß sich der Zustand der Ruhe, d. h. des Stillstands der Weiter- entwicklung durch dieselben Erreger aufheben läßt, die auch die Entwicklung unbefruchteter Eier veranlassen. Ein solcher Still- stand in der Weiterentwicklung zeigt sich bei Knospen, Sporen, /wiebeln der Pflanzen, bei Larven, Eiern, Puppen, ferner bei Stato- blasten und Gemmulae. Durch Temperaturerhöhung kann die einmal eingetretene Ruhe nicht beseitigt, die unterbrochene Entwicklung nicht wieder in Gang gebracht werden. Natürlich muß nach Be- endigung des Ruhezustandes die umgebende Temperatur einen solchen Grad haben, daß eine Weiterentwicklung überhaupt mög- lich ist. Ist eine solche Temperatur nicht vorhanden, so muß die Weiterentwicklung auch trotz der Beendigung der Ruhe unter- bleiben, bis die umgebende Temperatur wieder günstiger ist. Die erwachsenen Larven der Fliege Lueilia Caesar verwandelten sich 1) Methodi Popoff. Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. Biolog. Zentralbl. Bd. 36, p. 175—191, 1916. J. Dewitz. Die für die künstl. Parthenogenesis angewandten Mittel ete. 499 > b x =! bei mir im Herbst nieht mehr und aus der eingetretenen Ruhe vermochte sie auch nicht Erwärmen zu befreien. Dasselbe stellte Weismann für Daphniden fest. Bei den Fliegenlarven war die Ruheperiode beendet und trat die Verwandlung ein erst Mitte oder Ende Dezember. Ebenso verfallen die Eier des Seidenspinners (B. mori), bei denen die Entwicklung bereits begonnen hat, plötz- lich mitten im Sommer in ein Ruhestadıum. Die Aufhebung der Ruheperiode von Organısmen oder Organen kann zunächst durch vorübergehende stärkere Abkühlung veranlaßt werden. Schon an den Pilanzen der kalten Gegenden sehen wir, daß Kälte die Entwicklung anregt. Denn in den alpinen und polaren Gegenden verläuft die Entwicklungsperiode der Pflanzen sehr schnell und die Pflanze legt hier im Sommer in der gleichen Zahl von Wochen den Entwicklungsgang zurück, zu dem sie an andern Orten die gleiche Zahl von Monaten braucht. In der Gärtnerei wendet man Frost als Mittel zum Treiben von Sträuchern an. Über das Keimfähigwerden von Pilzsporen durch die Behandlung dieser mit Kälte macht J. Erickson Mitteilungen. Auch für Tiere liegen Beobachtungen über die entwicklungserregende Wirkung von niederen Temperaturen vor. Nach Weismann wird die Ruheperiode von Daphnideneiern durch vorübergehende Abkühlung abgekürzt. Durch Duclaux ist bekannt geworden, daß bei den Eiern des Seiden- spinners, die im Sommer in einen Ruhezustand verfallen, diese Ruhe gleichfalls durch Abkühlung der frischen Eier aufgehoben wird. Ein anderer Entwicklungserreger ist Austrocknen. Es ıst zunächst bekannt, daß sich Eier von Apus und Branchipus erst dann entwickeln, wenn sie vorher ausgetrocknet waren. Sodann wird nach Weismann die Ruheperiode von Daphnideneiern durch Austrocknen abgekürzt. Für die Aufhebung der Ruhe des Seiden- spinners hat ferner nicht nur Kälte, sondern auch Eintauchen in Säuren, Bürsten, Schütteln und anderes gedient. Sodann ist das Treiben von Sträuchern durch Ätherdampf durch Johannsen ein- geführt worden. „Die Abkürzung der Latenzperiode der Eier des Seidenspinners durch Eintauchen in Säuren und das mechanische Verfahren (Bürsten, Schütteln), fuhr ich in meinen damaligen Ausführungen fort, führt uns auf einen andern interessanten Gegenstand, der mit dem er- wähnten eine große Ähnlichkeit zeigt. Schon an anderer Stelle?) habe ich auf die Analogie, welche zwischen Ruheperiode bezw. der Aufhebung derselben und der Befruchtung besteht, hingewiesen. Das unbefruchtete Ei befindet sich, wie es scheint, in einem Zu- stand von gleicher Ordnung wie die in Ruhe befindlichen Entwick- lungszustände von Organismen oder Organen. Die Vorgänge, welche 2) Arch. Anat. Physiol. Physiol. Abt. 1902, p. 66. 500 J. Dewitz, Die für die künstl. Parthenogenesis angewandten Mittel ete. sıch bei dem Anstoß zur Entwicklung des Eies und bei der Auf- hebung der Ruheperiode abspielen, scheinen in ein und dieselbe Kategorie zu fallen. Diese Ansicht erhält dadurch Bestätigung, daß Tichomiroff durch die gleichen Mittel (Schwefelsäure, Bürsten) aus unbefruchteten Eiern des Seidenspinners Embryonen erhielt (1886), durch die das in der Entwicklung stillstehende, befruchtete Ei (des Seidenspinners) aus seiner Latenzperiode gebracht wird.“ „Ich habe gesagt, daß die Faktoren, welche unbefruchtete Eier zur Entwicklung anregen, und andererseits die Faktoren, welche die Ruheperiode der in Entwicklung begriffenen Organismen aufzu- heben imstande sind, in die gleiche Kategorie zu gehören scheinen.“ „Die Ruhe von in der Entwicklung begriffenen Organismen aufzuheben, sind, wie gesagt, nach den bisherigen?) Erfahrungen imstande, das Austrocknen, das Frieren, das zeitweise Eintauchen in Salzlösungen oder in Säuren, das Ätherisieren und das mecha- nische Verfahren (Bürsten, Schütteln, Stoßen). Von diesen haben bisher unbefruchtete Eier zur Entwicklung angeregt die Anwendung des mechanischen Verfahrens, das Eintauchen in Salzlösungen und in Säuren und das Ätherisieren (A. P. Mathews; vgl. auch Häcker, 1900).* „Alle diese Mittel scheinen auf die Entziehung von Wasser aus den Geweben hinauszulaufen. Für die Salze, das Austrocknen und auch für das Gefrieren und stärkere Abkühlen ist dieses ver- ständlich. Gleiches scheint aber auch für die Wirkung des Äthers und anderer anästhesierender Mittel zu gelten (Raph. Dubois). Daß Schütteln u. s. w. Wasseraustritt aus den Geweben veranlaßt, zeigen die herabhängenden Blätter und zarten Sprossen der Pflanzen, welche unsere Hand oder der Wind heftig gerüttelt hat. Ein solcher Wasserverlust wird aber nur der entferntere, nicht der unmittelbare Grund sein, indem er den Chemismus des Eies, Organes oder Organismus zu beeinflussen imstande ist.“ Diese Beeinflussung sah ich darin, daß die Erreger Einfluß auf die enzymatischen Vor- gänge (die Oxydationsvorgänge durch oxydierende Enzyme) hätten. Schließlich wies ich bei der Anregung der Entwicklung des Seidenspinnereies durch Schütteln und Bürsten darauf hin, daß durch dieses Verfahren durch Weismann auch Varietäten von Schmetterlingen veranlaßt wurden. „Ich wıll bemerken, daß Weis- mann durch Stoßen und Rütteln aus der Sommerform (Schmetter- ling) Prorsa die Winterform Levana erhielt und will mit Rücksicht hierauf daran erinnern, daß verschiedene Experimentatoren durch vorübergehende stärkere Abkühlung der Puppen für die Schmetter- linge Farbenvarietäten (Formen nördlicher Gegenden, Winterformen) erzielt haben und daß wir andererseits sahen, daß sich die Färbung von Insekten (melanotische Verfärbung) unter dem Einfluß von 3) D. h. nach den Erfahrungen von 1902! J. Dewitz, Die für die künstl. Parthenogenesis angewandten Mittel ete. 501 Enzymen (Oxydasen) vollziehen kann.“ Ich möchte jetzt nachträg- lich diese Worte dahın vervollständigen, daß nicht allein mecha- nische Erregung (Schütteln) und Kälte, sondern auch die andern Erreger (Wärme, Narcotica), welche die Entwicklung unbefruchteter Eier und die Fortentwicklung von ım Ruhezustande befindlichen Organısmen und Organen veranlaßten, von Experimentatoren mit Erfolg für die Erzeugung von Farbenvarietäten von Schmetter- lingen benutzt werden. Bezeichnend ist es hierbei, daß nach E. Fischer bestimmte Kälte- und Wärmegrade dieselben Farben- varietäten bei Schmetterlingen bewirken. Dieser scheinbare Wider- spruch wird dann verständlich, wenn man bedenkt, daß Kälte sowie auch Wärme Wasserverlust verursachen. Man kann daher annehmen, daß auch die künstliche oder natürliche Bildung der Farbenvarietäten bei Schmetterlingen unter den einheitlichen Gesichtspunkt des Wasseraustritts aus den Geweben der betroffenen Puppe fällt. Dieser Vorgang würde dann auf die Oxydations- verhältnisse einwirken. — Ein Vergleich meiner vor fünfzehn Jahren (1902) gemachten Ausführungen mit den jetzt (1916) von Popoff gemachten zeigt, daß ich bereits damals ausgeführt habe, daß die genannten Erreger nicht allein für die Entwicklung unbefruchteter Eier Geltung haben, sondern auch für andere, somatische Entwicklungsarten. Ich führte ferner aus, daß alle jene Erreger das Gemeinsame besitzen, daß sie Wasseraustritt aus den Geweben der behandelten Objekte ver- ursachen. Meine hierhergehörigen Veröffentlichungen waren: Der Apterismus bei Insekten, seine künstliche Erzeugung und seine physiologische Erklärung. Arch. Anat. u. Physiol. Physiol. Abt. 1902, p. 61-67. Untersuchungen über die Verwandlung der Insektenlarven. Das. p. 327340, Weitere Mitteilungen zu meinen „Untersuchungen über die Verwandlung der Insektenlarven“. Das. p. 425-442. Im Anschluß an die voraufgehenden Ausführungen ist es nötig zu sagen, daß die Erkenntnis der allgemein biologischen Bedeutung des Wasseraustritts aus den Geweben unter Einfluß von Narcotica und Kälte weit zurückreicht und auf die Arbeiten des französischen Physiologen Raphaöl Dubois zurückgeht. Da diese Arbeiten in der deutschen Literatur wenig oder gar nicht bekannt sind, so möchte ich mit Rücksicht auf das oben Gesagte hier an sie erinnern. Schon Claude Bernard (Lecons sur les pheromenes communs aux animaux et aux vegetaux, T. 1, 1878) hatte sich mit der Wirkung der Narcotica auf Pflanzen und Tiere beschäftigt. Aus seinen Beobachtungen schloß er, daß die Veränderungen, die die 502° J. Dewitz, Die für die künstl. Parthenogenesis angewandten Mittel ete. Gewebe unter dem Einfluß des Äthers erfahren, darin bestehen, daß ın ıhnen eime Art Koagulation eintritt. Behandelt man einen Muskel mit Äther, so erscheint der Inhalt der Muskelfaser opak, im Zustande einer Koagulation. In seinen Arbeiten bezieht sich Raph. Dubois auf die Untersuchungen von Ölaude Bernhard über die Narcotica. Seine eigenen Untersuchungen reichen bis 1870 (Bull. de la Soc. de Biologie 1870) zurück, sind dann 1883 und 1884 in den Compt. Rend. Soc. Biolog. und später bis ın die Gegenwart in den Compt. Rend. Acad. Sc. Parıs sowie in verschie- denen andern Veröffentlichungen niedergelegt. Die meines Wissens neueste zusammenfassende Mitteilung befindet sich in den Compt. end. Acad. Se. Parıs, 1. 2153,2p:41180,,1911,210%derrdergAyukor auch den größten Teil seiner Veröffentlichungen über den Gegen- stand zitiert. Die Wirkung der Dämpfe der Narcotica (von Chloroform zu Äther, zu Alkohol in abnehmender Wirkung) auf die Organismen besteht nach dem Autor in dem Austritt von Wasser aus den Ge- weben. Legt man Birnen unter eine Glocke, unter der sich eine Schale mit Äther, Chloroform oder Alkohol befindet, und unter eine zweite Glocke, unter der sich eine Schale mit Wasser befindet, so tritt in dem ersten Fall Wasser auf der Oberfläche der Birnen aus. Unter Wasserabgabe wird die Substanz dieser dichter. Sie sind auch sonst verändert, denn sie sind braun und transparent geworden und haben das Aussehen von gekochten oder gefrorenen Früchten angenommen. Werden Pflanzen mit saftigen Blättern (Orassulaceen, Echeveria glabra) in die Ätherdämpfe gebracht, so tritt gleichfalls Wasser aus und die Blätter hängen herab, als ob sie gefroren wären. Das ausgetretene Wasser ist aber nicht reines Wasser, sondern enthält auch andere Bestandteile. Bei Orangen dringt der Saft des Endocarps unter Einfluß der Ätherdämpfe in das Mesocarp, das sich wie ein Schwamm vollsaugt. Der Saft kann auch auf der Oberfläche der Orange heraustreten. Zellelemente werden dabei nicht zerrissen, weshalb man den Vorgang als Osmose bezeichnen muß. Der Ätherdampf fixiert und kondensiert sich in den Embryonen der Orangekerne. Das Gleiche tut er in dem Gelb des Hühnereis (in den an Lipoiden reichen Geweben). Dieselbe Erscheinung von Wasseraustritt nimmt man an tierischen Geweben wahr®). Wenn man ein Stück Muskel in eine Flasche, die Ätherdampf einschließt, hängt, so fällt von ihm Tropfen für Tropfen eine Flüssigkeit ab, die unter andern Dingen zum größten Teil Wasser enthält. In- folge der Bewegung von Flüssigkeit in den Geweben kann es ge- schehen, daß vorher getrennte Stoffe zusammengeführt werden und 4) Die Chitinhaut frischer Fliegenpuppen war bei meinen Versuchen in einer Atmosphäre von Ather häufig eingefallen, was auf einen osmotischen Vorgang weist (Dewitz, Arch. Anat. u. Physiol. Physiol. Abt. 1902, p. 435). R. Demoll, Die bannende Wirkung künstl. Lichtquellen auf Insekten. 505 sonst nicht vorhandene Verbindungen entstehen. Bringt man Samen von schwarzem Senf unter eine Glasglocke mit Ätherdampf und unter eine andere mit Wasser, so entsteht ın der ersten Glocke ein starker Geruch nach Senf. Durch das gleiche Verfahren erhielt man Blausäure mit den Blättern des Kirschlorbeers und Bitter- mandelöl mit bittern Mandeln. Das osmotische Wasser muß dem- nach Stoffe mit sich führen, durch deren Vereinigung Bittermandelöl bezw. Senföl oder Blausäure entsteht. Auch ın andern Fällen führt das Bewegungswasser Stoffe mit sich, so Kristalle, bisweilen Kolloide, Fermente. Die gleiche Wirkung wie die Dämpfe der Nareotica hat die Kälte, die gleichfalls Austritt vom Wasser aus den Geweben ver- anlaßt. „Depuis longtemps &galement, j’aı montr&e experimentale- ment que le mode d’action du froid et des anesthesiques generaux est identique et qu’il consiste principalement dans une deshydra- tation du bioproteon“ (lebende Substanz). Raph. Dubois C. R. Ae. 18e,, 141847 p%.1250! Den osmotischen Austritt von Flüssigkeit unter Einfluß der Dämpfe von Nareotiea (Äther, Chloroform, Alkohol) bezeichnet R. Dubois als Atmolyse (von gr. atmos — Dampf). Die Dämpfe der Nareotica sind um so mehr atmolysierend für Wasser als ıhre spezifische Wärme kleiner und ihr Atomgewicht größer ıst. R. Dubois stellt schließlich fest, daß er seit einem Viertel- jahrhundert seine Theorie über den osmotischen Wasseraustritt aus pflanzlichen und tierischen Geweben unter Einfluß von Narcotica und Kälte aufgestellt hat. In neuerer Zeit seien von verschiedenen Seiten Anwendungen dieser theoretischen Grundlage gekommen, die dann als neue Entdeckungen bezeichnet worden sind, so das Treiben von Sträuchern durch Äther, die Herbeiführung der Ent- wicklung unbefruchteter Eier durch Narcotica und Kälte (©. R. Ac. Seıul. 1342unda1 36ER. 50c Biologe, T:57), Die Art der Wirkung der Narcotica auf einzellige Organismen behandelt auch Micheline Stefanowska (Ü. R. Soc. Biol., T. 54, p. 545—547). Die Wirkung der Narcotiea auf Vorticella besteht nach der Verfasserin darin, daß sie der Zelle bedeutende Mengen Wasser entziehen, das sich ın zahlreichen entstandenen Vakuolen anhäuft. Metz, August 1917. Die bannende Wirkung künstlicher Lichtquellen auf Insekten. Von Prof. Reinhard Demoll, Konstanz. Es handelt sich in dieser Untersuchung nicht etwa um eine nähere Erörterung des Wesens der heliotaktischen Erscheinungen ganz allgemein. Nur ein besonderer und schon dann und wann 504 R. Demoll, Die bannende Wirkung künstl. Lichtquellen auf Insekten. besprochener Fall soll hier näher untersucht werden. Es soll den Fragen nachgegangen werden, warum so viele Insekten, wie die Kleinschmetterlinge, Eulen, aber auch tagfliegende Insektenarten von künstlichen Lichtquellen angezogen und häufig in einem bis zur Er- schöpfung führenden Flug in nächster Nähe festgehalten werden. Es soll im Anschluß daran gezeigt werden, warum der Mond und die Sonne auf diese Tiere nicht dieselbe anziehende Wirkung aus- übt, derart, daß sıe versuchen, sich von der Erde zu entfernen und diesen Lichtquellen zuzustreben. Diese Fragen sind schon des öfteren aufgeworfen, aber nie befriedigend beantwortet worden. Nicht alle Insekten verhalten sich ın dieser Hinsicht gleich. Zunächst ıst ein fundamentaler Unterschied zu machen, zwischen Tieren, die, wenn sıe aufgescheucht werden, auch in vollständigem Dunkeln wenigstens kurze Strecken fliegen und solchen, dıenur dann fliegen, wenn sie die Umgebung erkennen können. Zu den letzteren gehören unter den Schmetterlingen allein die Schwärmer. Sıe entschließen sich im Dunkeln nıe zum Flug. Läßt man ein Tier im Zimmer umherfliegen und schaltet plötzlich die den Raum erhellende Lampe aus, so fällt es momentan zu Boden. Beleuchtet man das Zimmer durch zwei Lampen, die beide stark, aber in verschiedenem Maße stark verhängt sind, so daß ein Dämmerlicht entsteht, ın dem die Tiere gern fliegen, und setzt man nun während des Fluges die Intensität durch Ausschalten der weniger stark ver- hängten Lampe noch weiter herab, so fallen die Sphingiden wieder momentan wie ein Sack zu Boden. Hier machen sie wohl noch Flugbewegungen, ohne aber die Fähigkeit zu besitzen, sich wieder vom Boden zu erheben. In keiner Weise sınd sie wieder zum Fliegen zu bewegen. Bei diesen Versuchen war die für die Tiere schon zu ge- ringe Helligkeit immer noch so groß, daß ich das Tier am Boden. finden konnte, wenn ich gehört hatte, wo es etwa herunterfiel. Diese Versuche lehren also, daß die Schwärmer nur dann fliegen, wenn sie die Umgebung noch erkennen können. Es mag dies mit der großen Geschwindigkeit dieser Tiere zusammenhängen, dıe ein Anstoßen verhängnisvoll werden ließe. In dieser Eigenart der Schwärmer liegt die Ursache, warum es auch nicht gelingt, diese Tiere künstlich an das Licht zu bannen. Häufig sieht man gerade in den Schwär- mern die Haupttypen der nach Laternen etc. fliegenden Insekten. Dies ıst durchaus ırrıg. Läßt man Schwärmer in einem großen Raum fliegen, der durch mehrere auf einem Leuchter vereinigte Birnen erleuchtet wird, so sieht man die Tiere regellos im Zimmer hin- und herfliegen, ohne besondere Vorliebe für die Lichtquellen zu zeigen. Setzt man das Licht mehr und mehr herab, so hat dies keine Veränderungen im Benehmen der Tiere zur Folge. Setzt R. Demoll, Die bannende Wirkung künstl. Lichtquellen auf Insekten. 505 man die Tiere längere Zeit intensivstem Licht aus, so daß nicht nur das Pigment in Hellstellung übergeht, sondern auch weiter- gehende adaptative Erscheinungen angenommen werden dürfen, die schon als Blendung zu bezeichnen sind, auch dann ist das Ver- halten der Tiere immer noch dasselbe: entweder sie vermögen die Umgebung noch zu erkennen, dann fliegen sie normal, ab und zu nach der Lampe, ohne aber bei dieser zu verweilen oder eine be- ‘sondere Tendenz für diese Flugrichtung zu zeigen. Oder aber die Tiere erkennen infolge der Blendung die Umgebung nicht mehr, und dann fliegen sie auch nicht mehr. Wir greifen schon etwas vor, wenn wir erklären: Die Schwärmer sind nicht an das Lieht zu bannen. Denn die Vorbedingung hierfür ist, daß die Tiere die Umgebung nicht mehr erkennen. Tritt dies aber bei den Schwärmern ein, so fliegen sie über- haupt nıcht mehr. Lassen wir Tagschmetterlinge ın einem taghellen Zimmer fliegen, so vermag die stärkste künstliche Lichtquelle keinen anzıehenden Einfluß, auf die Tiere auszuüben. Sie fliegen an jeder Lampe vor- bei dem Fenster zu, auch wenn dieses nach Norden liegt. Wird das Zimmer nur durch die künstliche Lichtquelle erleuchtet, so zeigen die Falter um so mehr Neigung dem Licht zuzustreben, je dunkler die Tapeten sind und je schwächer die Lichtquelle ıst. Ein mattes Licht in der Dunkelkammer gibt diesen Schmetter- lingen schon ziemlich zwingend die Richtung an. Doch in all diesen Fällen ereignet es sich meist, daß die Tiere sich damit begnügen, die Nähe der Lichtquelle aufzusuchen und sich hier zur Ruhe zu setzen. Wieder aufgescheucht, kann sich dasselbe oftmals wiederholen. Gelangt aber ein Tier einmal „zufällig“ auf die Birne selbst oder sonst in die allernächste Umgebung derselben, so daß eine Blendung eintreten kann, so ıst dieses Tier nun bei neuem Flug unfähig, sich wieder von der Lichtquelle zu entfernen. Es tanzt um die Birne bis zur Erschöpfung. Hieraus folgt: So lange die Tiere die Umgebung deutlich erkennen können, üben künstliche Lichtquellen keinen Einfluß auf sie aus. Und weiter: An das Licht festgebannt werden die Tiere erst dann, wenn für sie infolge Blendung die Um- gebung vollständig verschwindet. Dies läßt sich experimentell leicht feststellen. Man bringt mehrere Tagschmetterlinge!) ın eine Dunkelkammer, die durch eine Birne erleuchtet wird. Einige der Tiere werden 5 Sekunden in einem Abstand von wenigen Zentimetern an die Birne gehalten, 1) Ich habe vornehmlich mit Tagschmetterlingen gearbeitet, da ein Blenden bei diesen Tieren viel schneller erreicht wird als bei Eulen. Denn bei den Tag- schmetterlingen sind bei starkem Licht bereits nach 3 Sekunden die regulatorischen Pigmentverschiebungen abgelaufen. 506 R. Demoll, Die bannende Wirkung künstl. Lichtquellen auf Insekten. und zwar so, daß sie ins Licht sehen. Dann läßt man alle fliegen. Die geblendeten stürzen sich auf das Licht und tanzen um die Birne, die übrigen benehmen sich wie oben beschrieben. Kommt eines der letztgenannten Tiere bei seinem ersten Flug zufällig auf der Birne zur Ruhe und wird nun wieder aufgescheucht, so verhält es sich wie die anfangs Geblendeten. Meist aber sitzen sie in größerer Entfernung zerstreut und halten sich auch bei neuem Aufscheuchen nur ın größerem Umkreis der Lichtquelle Maßgebend ısteben immer, wie weit sie noch die Umgebung zu erkennen vermögen. Verwendet man zu diesen Versuchen Eulen, so läßt sıch eine bestimmte Beleuchtungsintensität finden, bei der Tiere, deren Pig- ment sich ın Dunkelstellung befindet, relativ wenig Notiz von der Lampe nehmen, während solche, deren Pigment durch Bestrahlung vorher in Hellstellung übergeführt wurde, sich schon ziemlich ängst- lich an dıe nähere Umgebung der Lichtquelle halten. Es läßt sich jetzt die Frage leicht beantworten, warum die Nachtinsekten nicht versuchen in den Mond zu fliegen. So lange der Mond scheint ıst auch die Erde, also auch ıhre Umgebung hell genug, um einen anziehenden Einfluß des.Mondes nicht aufkommen zu lassen. Befindet sich jedoch ein Tier beim Mondschein in dich- testen Gestrüpp oder sonst an einem sehr dunkeln Ort, so wird es auch durch den Mond angezogen, aber nur so lange, bis es eine freie, helle Umgebung gewonnen hat. Dasselbe gilt aber auch für das Versagen der Sonne als Lichtmagnet. Wir sehen, daß ım taghell erleuchteten Raume auch die stärkste künstliche Lichtquelle keinen anziehenden Einfluß auszuüben imstande ist, auch nicht auf geblendete Tiere. Aber auch die stärkste natürliche Licht- quelle, die Sonne, vermag die Tiere nicht zu verlocken, ihr zuzustreben, da durch ihr Licht die Umgebung opti- mal erkannt wırd. Diese Beobachtungen geben uns jedoch nicht nur Aufschluß. über diese schon vor Jahrzehnten aufgeworfene Fragen, sie lehren uns zugleich die Art der Lichteinwirkung etwas anders aufzufassen. Wenn dieselbe Lichtquelle bei Tageslicht (oder unter passenden Bedingungen auch in weiß gestrichenem, nur durch dieses Licht erhelltem Zimmer) keine Anziehung auf einen Schmetterling aus- übt, in der Dunkelkammer jedoch eine Anziehung sehr deutlich wird, so muß man hieraus schließen: Für das Aufsuchen der Lichtquellen, sowie für das „Sich-ins-Licht-stürzen“ ge- blendeter Insekten ist nicht das Licht, sondern die Dunkelheit der Umgebung maßgebend. Man kann sagen: Die Tiere suchen Umgebung, die ihnen in der Dunkel- heit fehlt. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kegl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Zentralblatt Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel undal Dr. . R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr EB. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen ns von See Thieme in DR 37. Band ; November 1917 Nr. 11 ee am 30. November Der jährliche Rennen (12 Hefte). en 20 ar Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Insiitut, einsenden zu wollen. Inhalt: E. Bresslau, ‚Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Seeunueken: 8 Fr. Glaser, Über die Vermehrungsfähigkeit von Culer pipiens. 8. 531. P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säuge dere: ihre biologische und rassenanatomische Bedeutung sowie die Muscularis sexualis. 8. 534. Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. Herausgegeben von E. Bresslau, Strafisburg, Els. Vorbemerkung. Wie in einem gleichzeitig an anderer Stelle!) erscheinenden Aufsatz mitgeteilt, haben militärhygienische Erwägungen den An- laß gegeben, im Elsaß, vor allem ın der Rheinebene, planmäßig gegen die dort seit langem bestehende Schnakenplage vorzugehen. Die Organisation und Leitung der Arbeiten wurde mir übertragen, für die technische Beaufsichtigung der umfangreichen Maßnahmen, die in die Wege geleitet werden mußten, gelang es, Hauptlehrer Glaser-Mannheim, den langjährigen Schriftführer der Vereinigung zur Schnakenbekämpfun g, zu gewinnen; außerdem wurde mir noch Dr. F. Eckstein-Straßburg als Assistent beigegeben, da der größte Teil meiner Zeit durch andere Dienstverpflichtungen in Anspruch genommen war. 1) E. Bresslau und Fr. Glaser, Die Sommerbekämpfung der Stechmücken. Zeitschr. f. angew. Entomol. 4, 1917, S. 290— 296. 37. Band 3) 508 E. Presslau, Beiträge zur Kenntnis der. Lebensweise unserer Stechmücken. Schon bald nach Beginn der Arbeiten im Frühjahr 1915 stellte uns die Praxis vor eine große Reihe wissenschaftlicher Fragen. Wir machten die Erfahrung, daß es, von einigen wenigen Arten abgesehen, nicht möglich war, unsere einheimischen Culiciden an der Hand der gebräuchlichen systematischen Werke zu bestimmen ; nur von verhältnismäßig wenigen Formen waren die verschiedenen Entwicklungsstadien richtig bekannt, ganz im argen vollends lagen unsere Kenntnisse von der Lebensweise der Schnaken, wenigstens soweit die uns zunächst zugängliche deutsche Literatur in Frage kam. So ergab sıch von selbst die Notwendigkeit zu eingehenden Untersuchungen über die Systematik und Biologie der einheimischen Stechmücken, wenn wir für unsere praktischen Arbeiten die richtige Grundlage gewinnen wollten. Diese Untersuchungen haben jetzt einen gewissen Abschluß erreicht, vor allem in systematischer Hinsicht. Man kann bisher nach der Literatur, soweit nach den Beschreibungen ein Urteil möglich ist, 19 oder 20 deutsche Arten von Stechmücken unter- scheiden: wir haben 18 von ıhnen bei Straßburg aufgefunden, dazu ferner eine neue Art, und wır kennen bei fast allen diesen 19 Spezies sämtliche Stände, vom Ei an bis zu den Imagines. Die Bearbeitung der Systematik hat Dr. Eckstein übernommen; er wird binnen kurzem anderenorts eine vorläufige Übersicht über das Ergebnis seiner Untersuchungen veröffentlichen. An dieser Stelle möchte ıch mit meinen Mitarbeitern ın einer Reihe kleiner Abhandlungen, die unabhängig voneinander in zwangloser Folge erscheinen sollen, einzelne Kapitel aus der Lebensweise der Schnaken besprechen und die Beobachtungen mitteilen, die wir darüber an- stellen konnten. In allen diesen Aufsätzen, auch wenn nur einer von uns da- für verantwortlich zeichnet, steckt stets ein gutes Stück gemein- samer Arbeit. Es liegt mir am Herzen, meinen beiden Mitarbeitern für ihre freundliche Unterstützung auch hier zu danken. Nur ihre Hingabe ermöglichte bei meiner sonstigen dienstlichen Gebunden- heit die Durchführung unserer Untersuchungen. Insbesondere verdanke ich dem unermüdlichen Eifer von Herrn Glaser viel von dem Feldmaterial, das ich ın meinen Niederschriften ver- wertet habe. Um in den folgenden Abhandlungen Auseinandersetzungen über die Systematik der zu besprechenden Stechmückenarten unnötig zu machen, möchte ich hier ein Verzeichnis der von uns bei Straß- burg gefundenen Schnaken vorausschicken, aus dem zugleich die von uns für richtig gehaltene systematische Anordnung zu er- kennen ist: E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 509 Liste der Stechmücken von Straßburg und Umgebung. Anopheles maculipennis Meig. 5 bifurcatus UL. R nigripes Staeger DD Anopheles-Gruppe(Anophelini) Culex pipiens L. „ territans Walk. Theobaldia annulata Schr. 8. 5 glaphyroptera Sehin. 9. a theobaldi de Meijere 10. Culieella morsitans Theob. a Oulex-Gruppe (Oulicini) 11. Aödes cinereus Meig. Mansonia richiardi Fıcalbı a \ | 12. Oulicada vexans Meig. 131 5 cantans Meig. 14. A dorsalis Meig. 15, nigrina nov. spec. Eck- ı ,.. ‚U=2 ü Sean ( Aödes-Gruppe (Aedıni) 16. E nemorosa Meig. 17, S diversa Theob. 18. P lateralis Meig. 19. E ornata Meig. Die Begründung für die gewählte Gruppierung, worin wir fast ganz mit der Auffassung übereinstimmen, die Martini (1915) neuestens vertreten hat, wird Dr. Eckstein in seiner oben er- wähnten systematischen Arbeit geben. I. Mitteilung. Über die Eiablage der Schnaken. Von E. Bresslau, Strafsburg, Els. (Mit 1 Figur.) Nach der landläufigen Ansicht, die sich durch zahlreiche Zitate belegen ließe, sind unsere Stechmücken bei der Eiablage an das Wasser gebunden. Wo man nachschlägt, sei es ın Lehrbüchern, sei es in Abhandlungen von Spezialisten, findet man angegeben?), daß die Eier einzeln oder in zusammenhängenden, napf- oder kahn- förmigen Gelegen auf die Wasseroberfläche abgesetzt werden. 2) So z.B. von Grünberg in seiner Bearbeitung der Dipteren (1910) für die Brauer’sche Süßwasserfauna Deutschlands, oder von Sack (1912) in der 2. Auflage seiner weitverbreiteten Schrift „Aus dem Leben unserer Stechmücken.‘“ Letzterer macht allerdings die Einschränkung, daß ausnahmsweise, falls kein offenes Wasser vorhanden ist, die Eier „zuweilen auch“ auf feuchten Schlamn: abgesetzt werden und entwicklungsfähig bleiben können, sofern der Schlamm einen gewissen Grad von Feuchtigkeit behält. Als Beleg aus allerjüngster Zeit kann Schilling’s Malaria- 35° 510 RE. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. Und doch ıst seit langem bekannt, — allerdings nicht in der deutschen Literatur —, daß nur ein Teil der Stechmücken zur Eiablage das Wasser aufsucht, viele Arten dagegen hierzu gerade nicht von Wasser bedeckte Plätze wählen. Das harte Urteil, das Martini (1915) vor kurzem ausgesprochen hat: es ist „kein gutes Zeichen für die deutsche Entomologie, daß ihr bisher die grundlegenden neueren Arbeiten über die Einteilung der Ouliciden völlig entgangen zu sein scheinen“, gilt leider auch für die Bio- logie der Stechmücken! Auch da ist Vieles, was von anderer Seite geleistet worden ist, bisher spurlos an uns vorübergegangen. Von deutschen Forschern hat lediglich Eysell (1902), dem wir so viele ausgezeichnete Beobachtungen über das Leben unserer Schnaken verdanken, einige Andeutungen darüber gemacht, daß die Eier nicht immer aufs Wasser abgelegt werden müssen. So sah er z.B, daß Weibchen von Aödes fuscus ıhre Eier „auf die feuchten, algenüberzogenen Glaswände ihrer Aquarien“ klebten. Auf ihn geht ferner die Feststellung zurück, daß die Eier vieler Arten in ausgetrockneten Tümpeln den Winter überdauern können (1902, 1907). Ungefähr gleichzeitig mit Eysell haben in der Schweiz Gallı- Valerio und Rochaz de Jongh (1902, 1906), die sich schon seit langem erfolgreich um die Mehrung unserer Kenntnisse über das Vorkommen der Schnaken und ihre Bekämpfung bemühen, darauf hingewiesen, daß manche Culiciden ihre Eier auch auf Blätter legen, die sich in ausgetrockneten Gräben und Tümpeln finden, und ebenso an den Rand oder gar auf den Boden dieser ausgetrockneten Wasserstellen selbst. „Häufiger als man es denkt“, besonders im Herbst, soll dies selbst dann geschehen, wenn die Gräben noch Wasser enthalten. Nach der Überwinterung gehen aus diesen Eiern bei den Frühjahrsüberschwemmungen die ersten Larven hervor. Sowohl bei Eysell wie bei den Schweizer Forschern, denen sich später noch Schneider (1913) in seiner Dissertation über die Bonner Mücken anschließt, handelt es sich nur um kurze und mehr gelegentliche Angaben. Weit eingehender sind die Dar- legungen nordamerikanischer Entomologen, deren gleichfalls um die Jahrhundertwende begonnene Untersuchungen die Kenntnis von Lebensweise und Systematik der Stechmücken auf eine uns bisher ganz unbekannt gebliebene Höhe gehoben haben. Was hier seit 15 Jahren über die Biablage der Schnaken ermittelt worden ist, weicht wesentlich von der bisher bei uns herrschenden An- schauung ab, kapitel in Hartmann und Schilling, Die pathogenenProtozoen (Berlin, Springer 1917) dienen, wo es auf 8.303 heißt: „Die Culiciden legen ihre Eier ausnahmslos auf die Oberfläche des Wassers ab.“ BE CE: WE E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 511 Die wichtigsten Beobachtungen rühren von Smith (1902) her. Smith gelangte, nachdem er und seine Mitarbeiter von der New Jersey State Agricultural Experiment Station lange Zeit vergeblich in allen möglichen stehenden und fließenden Gewässern der dortigen Gegend nach den Eiern und Larven von Oulex (Culicada) sollicitans Walk., der gemeinsten Stechmücke New-Jerseys gesucht hatten, zu der überraschenden Feststellung, daß die Eier statt im oder auf dem Wasser überall mehr oder minder zahlreich auf dem grasbewachsenen Boden des Marschlandes längs der dortigen Küste zu finden waren. Diese Mitteilung erregte zunächst ebenso viel Aufsehen wie Wider- spruch. In den Verhandlungen der 15. Jahresversammlung der amerikanischen Gesellschaft für angewandte Entomologie erklärten Morgan und Dupree (1903) kategorisch: keine Schnakenart setze ihre Eier anders als auf das Wasserab. Smith seı dadurch getäuscht worden, daß die Eier von (. sollieitans hoch am Rande der Wasser- stellen abgelegt würden und so beim Austrocknen oder Rückgang des Wassers aufs Trockne gerieten. Als jedoch bald danach Smith (1904) die Ergebnisse seiner Beobachtungen und der von ihm ver- anlaßten Versuche seines Mitarbeiters Viereck ausführlich ver- öffentlichte?), war an der Tatsache, daß €. sollieitans seine Eier nicht aufs Wasser, sondern auf festen Boden absetzt, kein Zweifel mehr möglich. In der gleichen Arbeit konnte Smith (1904) bereits berichten, daß die Gewohnheit der Eiablage aufs Trockne nicht allein auf ©. sollicitans beschränkt ist*). Die Beobachtungen hierüber wurden 3) Viereck’s Versuche, soweit sie hier für uns in Frage kommen, umfassen 4 Reihen. Zunächst wurden gravide 2 von (, sollieitans in '|, 1-Gläser gesetzt, deren Boden dünn mit Wiesengrund bedeckt war. Nach 6 Tagen wurden schwarze Eier gefunden, die nach Übergießen mit Wasser Larven ergaben. Bei der 2. Ver- suchsreihe wurden die legereifen ® in '/, l-Gläser gesetzt, deren Boden a) mit feuchtem Leinen und b) mit Leinen, das mit sterilisiertem feuchtem Wiesenboden bedeckt wurde, ausgelegt war. Die 2 konnten hier bei der Eiablage beobachtet werden. Die Eier waren unmittelbar nach der Ablage weiß und wurden in etwa 1'/, Stunden allmählich schwarz. Viereck verteilte dann die Eier in Gläser mit Süß- wasser, Mischungen von Süß- und Seewasser, sowie reinem Seewasser und erhielt überall Larven; jedoch mußten die Eier erst einige Zeit trocken gelegen haben. Das Ausschlüpfen erfolgte meist sehr rasch, in einem Falle schon nach 3 Minuten. In der 3. Versuchsreihe wurde festgestellt, daß auf vollkommen trockenes Leinen keine Eier abgesetzt wurden, in der 4. das Gleiche bei trockenem Sand. Auf leicht feuchten Sand wurden dagegen die Eier ebenso abgelegt wie auf feuchtes Leinen. In einem Zuchtglase der 4. Versuchsreihe war das Leinen so feucht, daß es fast vom Wasser überdeckt war; hier setzten die Schnaken ihre Eier an den Seiten des Glases etwa 1 Zoll über dem Boden ab. 4) Ebenso wie C. sollieitans verhalten sich nach Smith (1904) von Aödinen noch (©. tueniorhynchus Wied., eanadensis Theob. und cantator Coqg. Bei einer Anzahl weiterer Arten (©. sylvestris Theob. u.a.) wird Eiablage auf feuchten Boden als möglich angenommen, 512 E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. in den folgenden Jahren erheblich erweitert und nach und nach auf die meisten amerikanischen Arten der Aödiını ausgedehnt. Howard, Dyar und Knab fassen daher ın dem I. Bande ihrer großen Monographie über die Moskitos von Nord- und Zentral- amerika und Westindien (1912--1915) das Verhalten der Aödini bei der Eiablage folgendermaßen zusammen: „Bei diesen Formen werden die Eier einzeln oder ın kleinen Gruppen abgelegt, aber niemals zu Schiffehen untereinander verbunden und nıemals, wenigstens bei den meisten Arten, auf das Wasser. Daß sıe nicht aufs Wasser gelegt werden, geht daraus hervor, daß, wo lange Zeit kein Wasser war, die Larven prompt erscheinen, sowie sich Pfützen bilden... Die Eier werden im Sommer abgelegt, die Larven schlüpfen erst im folgenden Frühjahr aus, wenn sie nach der Schneeschmelze vom Wasser bedeckt werden. Die Weibchen müssen ıhre Eier auf den Boden ablegen, zum mindesten in den meisten Fällen, weil zur Zeit, wo sie ihre Eier entwickelt haben, die Brutstellen gewöhnlich ausgetrocknet sind“ s Wie steht es nun hinsichtlich der Eiablage mit den einheimi- schen Stechmücken, unter denen ja die Hälfte aller Arten (s. die Liste S. 509) zu den Aödini gehört? Ich wende mich damit zur Besprechung unserer eigenen Er- fahrungen, indem ich zugleich vorausschicke, daß diese ganz un- abhängig von den zuvor geschilderten Beobachtungen gewonnen wurden. Bei der Art, wie unsere Untersuchungen zustande kamen — veranlaßt durch praktische Bedürfnisse und durchgeführt unter Verhältnissen, die den Hauptteil der Arbeitskraft für ganz andere Dinge in Anspruch nahmen, — war bis vor kurzem für umfassendere Literaturstudien keine Zeit vorhanden gewesen. Erst ım Laufe dieses Jahres (1917) erhielt ich die Möglichkeit dazu und sah mit Erstaunen, je mehr ich mir die weit zerstreute, zum Teil recht schwierig aufzutreibende ausländische Literatur zugänglich machen konnte, daß vieles von dem, was wir gefunden hatten, in Amerika schon ähnlich gesehen worden war. Immerhin sind die Beobach- tungen, um die es sich handelt, für unsere Gegenden völlig neu und so eigenartig, daß ıhre ausführliche Darstellung gerechtfertigt sein dürfte. Unsere Untersuchungen knüpfen an Beobachtungen an, die wir seit dem Frühjahr 1915 an den auf den Wiesen des Breusch- tales bei Straßburg vorkommenden Schnaken machen konnten. Diese Wiesen finden sich im Tal der Breusch, dem unmittelbar oberhalb Straßburgs mündenden Nebenfluß der Ill, wenige Kilo- meter westlich vor den Toren der Stadt, auf den ausgedehnten Niederungen zu beiden Seiten des Flusses. Sie werden zur Meh- rung des Grasertrages alljährlich zweimal — im Frühjahr und ım E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 513 Sommer — von dem etwas höher als die Breusch selbst liegenden Breuschkanal aus gewässert. Da die Entwässerungsgräben schlecht angelegt und obendrein seit langem nicht mehr ordentlich in Stand gehalten worden waren, da außerdem unter den Wiesen undurch- lässiger Letten liegt, pflegte sich das Wasser nicht, wie es sein sollte, innerhalb weniger Tage nach der Überschwemmung zu ver- lieren, sondern bildete in den tiefer liegenden Teilen der Wiesen zahlreiche, z. T. recht ausgedehnte, seichte Lachen, die wochenlang bestehen blieben und so Schnakenbrutstellen abgaben, die geradezu unvorstellbare Massen von Stechmücken zur Entwicklung brachten. In der Hauptsache handelt es sich dabei um Cnlicada vexans, da- neben ist massenhaft die neue Art, (. nigrina Eckstein vertreten; ferner findet sich in geringerer Zahl (©. dorsalis. Ganze Wolken dieser Schnaken konnte man 1915 aufscheuchen, wenn man in den ersten Wochen nach der Wässerung die Wiesen durchschritt. An warmen, windstillen Soemmertagen waren diese Wolken bisweilen — ich übertreibe nicht! — so dicht, daß man vor Schnaken das Gras nur undeutlich sehen konnte. Schon 1915 kamen uns Zweifel, ob diese Schnaken aus Eiern entstanden seien, die auf das Wasser abgelegt waren. Im An- schluß an die Arbeiten zur Beseitigung dieser Schnackenbrutstellen, die ich im Frühjahr 1916 und 1917 in dem Straßburg zunächst ge- legenen Wässerungsgebiet bei Eckbolsheim und Wolfisheim durch- führen ließ, wurde dann die Entwicklung der hier fliegenden Schnaken genauer verfolgt. Zunächst wurde im April 1916 während mehrerer Wochen durch sorgfältige Kontrolle festgestellt, daß vor der ersten Wässe- rung im Frühjahr keine Schnaken in dem fraglichen Gebiet flogen. Auch nach der Wässerung, die Ende April begann’), waren zu- nächst keine Stechmücken zu sehen, ebensowenig konnten auf der 5) Die Angabe der genauen Daten nach unseren Protokollen würde zu weit führen. Es werden nämlich nicht alle Wiesen im Bereiche der verschiedenen Wässe- rungsgenossenschaften, zu denen die Wiesenbesitzer vereinigt sind, auf einmal ge- wässert, da sonst dem Breuschkanal zuviel Wasser entzogen würde. Das Gebiet jeder Genossenschaft ist vielmehr in Unterabschnitte zerlegt, die in bestimmten Abständen nacheinander überflutet werden. Genaue Zeiten lassen sich daher nur für einzelne Wiesenflächen mitteilen, während in der Schilderung hier das ganze Gebiet zusammen betrachtet wird. Bei der Wässerung wird so verfahren. daß man jeweils das Wasser für etwa 36 Stunden aus dem fischreichen und daher von Schnakenlarven ganz freien Breuschkanal in einem Wiesenabschnitt einströmen läßt. Dann werden die zu- führenden Schleusen geschlossen und dafür die Schleusen der Entwässerungsgräben, die das Wasser in die Breusch abfließen lassen, geöffnet. Dank den neuangelegten Entwässerungsgräben und der Reinigung der alten Gräben verzieht sich das Wasser seit 1916 in den meisten Gebieten sehr rasch, so daß es in der Regel binnen 12 Stunden — also etwa 48 Stunden nach Beginn der Wässerung — bis auf wenige, besonders tiefliegende Stellen wieder verschwunden ist. 514 E.Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. Oberfläche des Wassers Eier oder Eigelege gefischt werden. Da- gegen stellten sich bald nach der Überflutung die ersten Larven ein, und nach etwa 45 Stunden, als die Wiesen wieder betreten werden konnten, wimmelte es überall, wo noch etwas Wasser stehen ge- blieben war, von Schnakenbrut. Die Larven entwickelten sich dann bei einer durchschnittlichen Tagestemperatur von 20—25°C in 14—18 Tagen bis Mitte Mai zum flugfertigen Insekt. Da ım Interesse unserer Untersuchungen von einer Vernich- tung der Schnakenbrut, die auf den gut entwässerten Wiesen ein Leichtes gewesen wäre, abgesehen wurde, bevölkerten auch 1916 während des Maı und Juni gewaltige Massen von Schnaken die W olfisheimer Wiesen. Trotzdem bildete sich ın den kleinen Wasser- lachen, die, soweit sie nicht austrockneten, dauernd unter Beobach- tung gehalten wurden, beide Monate hindurch keine neue Larvengeneration. Auch bei Beginn der zweiten Wässerung, die Ende Juli, etwa 14 Tage nach der Heuernte, durchgeführt wurde, gelang es nicht, frische Eigelege auf dem Wasser zu finden. Da- gegen entwickelten sich, genau wie im April, alsbald nach der Über- flutung der Wiesen große Mengen von Larven, aus denen bei der hohen Wassertemperatur (bis 30° C) schon innerhalb S Tagen die Imagines hervorgingen. Allmählich trockneten in der heißen Zeit, die folgte, auch die letzten Wasserstellen aus. Nach dem zweiten Schnitt des Heues nahmen die Mücken an Zahl stetig ab, um einige Zeit darauf ganz zu verschwinden. Im Herbst und Winter waren die Wiesen schnakenfrei. Aus diesen Beobachtungen des Jahres 1916 ergab sich zu- nächst, daß dıe nach der ersten Wässerung auf den Wolfisheimer Wiesen aufgetretenen Schnaken nur aus Eiern stammen konnten, die seit dem Vorjahre auf dem Boden der trockenen Fluren über- wintert hatten. Aus dem Breuschkanal stammten sie nicht (s. Anm.4). Schnaken, die die Eier sofort nach der Wässerung hätten ablegen können, waren nicht vorhanden. Ein Zweifel an der Fest- stellung, daß die Eier vor der Wässerung auf dem Trockenen ge- gelegen hatten, war daher nicht möglich. Nicht so eindeutig zu beantworten war jedoch die weitere Frage, wohin die Eier seiner Zeit abgelegt worden waren? Zwar sprach vieles für die Vermutung, daß die Wiesen selbst nach dem Ablaufen des Wassers dazu gedient hatten, insbesondere das Ver- halten der zwischen der ersten. und zweiten Wässerung auf den Wiesen stehen gebliebenen Wasserlachen. Wenn die Schnaken zur Eiablage Wasser benötigten, hätten sie doch gerade hier die bequemsten Brutplätze gehabt. Tatsächlich aber zeigten sich diese Lachen zwischen den beiden Wässerungen dauernd frei von Schnakenbrut, und erst die zweite Überflutung der Wiesen selbst brachte das Erscheinen der zweiten Larvengeneration. Immerhin, E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 515 unbedingt erwiesen war jene Vermutung damit noch nicht. Die- selben Einwände, die, wie ich später aus der Literatur ersah, schon Smith zunächst entgegengehalten worden waren, drängten sich da- mals auch uns auf. Die Eier konnten aufs Wasser gelegt und nach einiger Zeit zu Boden gesunken oder aber auch ans Ufer ge- trieben bezw. beim Siınken des Wasserspiegels aufs Trockne ge- raten sein. So geringe Wahrscheinlichkeit diese Erklärungsmög- lichkeiten auch besaßen, um sie vollständig abzuweisen, reichten die Beobachtungen des Jahres 1916 nicht aus. Es wurde deshalb 1917 der ganze Sachverhalt noch einmal genau geprüft, mit dem Ergebnis, daß unsere Erfahrungen aus dem Vorjahre während der beiden Wässerungsperioden®) auf den Wiesen selbst vollkommen wiederholt und bestätigt wurden. Wir er- gänzten und erweiterten sieaber ferner noch nach folgenden Rich- tungen hin: 1. Vor Beginn der ersten Wässerung wurden auf den Wolfis- heimer Wiesen, die seit Herbst trocken lagen, Rasenstücke ausge- stochen und nach Straßburg ins Zoologische Institut verbracht. Hier wurden sie trocken aufbewahrt und nur alle paar Tage leicht mit Wasser übersprüht. Von Zeit zu Zeit wurden kleine Stücke von ihnen abgetrennt und in Aquarien unter Wasser gesetzt. Da- bei erschienen regelmäßig nach kurzer Zeit — bisweilen schon nach wenigen (12—15) Minuten — junge Larven. Manche Rasen- stücke waren dadurch ausgezeichnet, daß sie binnen kurzem un- geheure Massen von Schnakenbrut lieferten. Hinsichtlich der Auf- bewahrungsdauer ist zu sagen, daß wir noch heute (September 1917) jederzeit durch Übergießen mit Wasser die in den Resten der im April geholten Rasenstücke ruhende Schnakenbrut, deren Entwicklung normalerweise schon durch die erste Wässerung hätte veranlaßt werden sollen, ins Leben rufen können. 2. In den trocknen Rasenstücken mußten somit die Schnaken- eier enthalten sein, und ich beauftragte daher Dr. Eckstein, nach ihnen zu suchen. Er konnte mir nach kurzer Zeit schwärz- liche elipsoidische Gebilde zeigen, die zwar gar nicht an die uns bis dahin allein bekannten Eier von Cklex pipiens, annulatus oder Anopheles erinnerten, aber auf dem Objektträger nach Wasserzusatz alsbald Larven ausschlüpfen ließen und damit den sicheren Identitäts- nachweis erbrachten. 3. Nachdem wir so die Bekanntschaft der Eier gemacht hatten, galt es sie draußen, in der freien Natur wiederzufinden. Auch dies glückte bald. Die Wiesen im Wässerungsgebiet sind dadurch charakterisiert, daß zwischen dem Gras massenhaft Moospolster, 6) Die erste Wässerung fand 1917 Ende April bis Anfang Mai statt, die zweite Ende Juni bis Anfang Juli. 516 E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. hauptsächlich Hypnaceen, entwickelt sind. Reißt man eine Anzahl Grashalme und Moosbüschel aus und zerkrümelt die ıhnen an- haftende Erde über der hohlen Hand, so lernt das Auge leicht die schwarzglänzenden Schnakeneier von den übrigen Erd- und De- tritusbröckchen unterscheiden. Ein geübter Beobachter kann mit dieser einfachen Methode jederzeit rasch feststellen, ob eine Wiese als Schnakenbrutstelle dient oder nicht. Besonders reich an Eiern sind, wie wir auf diese Weise ermittelten, die Böschungen leiıcht- vertiefter Stellen auf den Wiesen, nicht etwa, wie man vielleicht vermuten könnte, Jie tiefsten Stellen selbst. 4. Jedesmal nach den beiden Wässerungen wurde das Verhalten der dabei erzeugten Stechmücken genau verfolgt. Unter den ausschlüpfenden Schnaken überwog in den ersten Tagen regelmäßig die neue Schnakenart (. nigrina, später hatte C. vexans weitaus die Überzahl. Das Ausschlüpfen begann nach der ersten Wässerung etwa Mitte Mai und dauerte bis Ende des Monats an. Die ausgeschlüpften Schnaken hielten sich zunächst auf den Wiesen, nahe den Wasserstellen, denen sie entstiegen, auf”). Die umliegenden Ortschaften waren daher anfangs schnaken- frei. Allmählich zogen sich die Stechmücken jedoch mehr und mehr nach den Dörfern hin, um sich hier Blutnahrung zur Eiproduktion zu suchen. Als Nahrungsquelle diente ihnen hauptsächlich das Vieh, weswegen sie in riesiger Zahl die Stallungen bevölkerten. Der Mensch wurde erst in zweiter Linie angefallen. Wo kein Vieh gehalten wurde, drangen jedoch große Massen von Schnaken auch in die menschlichen Wohnungen ein. In der zweiten Hälfte des Mai konnte man überall in den Dörfern des Wässerungsgebietes die mit Blut vollgesogenen Weibchen von (. nigrina und vexans fangen. Dann verschwanden sie allmählich von dort, um sich wieder auf die Wiesen zu begeben. Von Anfang Juni an waren die mit üppigem Gras bestandenen Fluren in der Nähe der tiefer liegenden Teile überall von Massen legereifer Stechmücken be- völkert. Wasserlachen waren um diese Zeit nur noch an ganz wenigen Stellen vorhanden; daß sie etwa zur Hiablage benutzt wurden, ließ sich nicht beobachten. Dagegen genügte kurzes Ab- streifen des Grases mit dem Netz auf den trockenen Wiesen, um regelmäßig Hunderte legereifer Weibchen zu erbeuten. Ihr Lege- drang war meist so groß, daß viele von ihnen schon auf dem Transport nach Straßburg ihre Eier in den Sammelgläsern ab- setzten. Die gleichen Vorgänge wiederholten sich nach der zweiten Wässerung, nur daß sie sich wegen der hohen Temperatur zeitlich 7) Es ist anzunehmen, daß hier sofort oder doch nur kurze Zeit nach dem Ausschlüpfen die Befruchtung der Weibchen vor sich geht, wenngleich Näheres darüber nicht beobachtet wurde, Te E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 517 mehr zusammen drängten. Mitte Juli befiel die dabei erzeugte zweite Schnakengeneration die Ortschaften, von Ende Juli an er- schienen die legereifen Weibchen auf den Wiesen, um hier ihre Eier abzusetzen. Nach diesen Beobachtungen konnte nicht mehr daran gezweifelt werden, daß die Schnaken der Breuschwiesen zur Eiablage nicht nur kein Wasser benötigen, sondern normaler- weise dieses sogar verschmähen. 5. Nach dem Erscheinen der Imagines wurden von Ende Maı ab im Laboratorium eine größere Anzahl Zuchten angesetzt, um das Benehmen der Weibchen bei der Eiablage zu beobachten und die Merkmale und Unterschiede der Eier bei den verschiedenen Schnakenarten kennen zu lernen. Sie waren aber auch für das uns hier beschäftigende Problem von einigem Wert, obwohl die Schnaken dabei natürlich unter ganz abnormen Bedingungen ge- halten werden mußten, wenn der Beobachtungszweck erzielt werden sollte. Die Versuche wurden zunächst als Einzelzuchten®) angesetzt, und zwar nicht bloß mit Oubcada vexans und nigrina der Breusch- wiesen®), sondern gleichzeitig auch noch mit ©. cantans, lateralis und Aödes einereus. Das Ergebnis war im wesentlichen überall das gleiche, so daß hier auf eine Beschreibung der einzelnen Versuche verzichtet werden kann. Es zeigte sich, daß die Eier bei allen Arten in mehreren Portionen nacheinander abgesetzt wurden, wobei die Schnaken öfters den Platz wechselten, oder sogar dauernd in Bewegung blieben. Die Eier, deren Aussehen u. s. w. in einer anderen Mitteilung näher beschrieben werden soll, liegen daher schließlich über größere Strecken des Bodens verteilt, bald in 2 bis 3 oder mehreren un- regelmäßig angeordneten Gruppen, bald mehr vereinzelt, je nach- dem es der Schnake behagte, längere oder kürzere Zeit an einem Ört zu verweilen. Oftmals fanden sich die Eier nur auf den vom 8) Als Zuchtgefäße dienten Einmachgläser von 1—31 Inhalt. Ihr Boden wurde, um die Eier rasch zu finden, mit Fließpapier ausgelegt. Dann wurde so- viel Wasser eingefüllt. daß sich peripher ein Wasserring bildete, die gewölbte Bodenmitte dagegen nicht von Wasser bedeckt war. Auf die erste Fließpapier- unterlage wurde stets noch ein zweites unregelmäßig zerknittertes Stück Fließpapier gelegt, um verschiedenartige Niveau- und Feuchtigkeitsverhältnisse zu erzielen. Außerdem wurde in jedes Glas noch ein Pflanzenstengel hineingestellt. Als Ver- schluß diente eine Gazekappe, aus deren Mitte ein Loch von etwa 2 cm Durch- messer herausgeschnitten war, das mit einem Wattestopfen verschlossen wurde. Die Gläser wurden je nachdem mit einem oder mehreren (bis zu 6) Schnaken- weibchen beschickt, die nach Bedarf gefüttert wurden, indem wir sie an uns Blut saugen ließen. 9) Auch mit C. dorsalis wurden Zuchten angesetzt, Eiablage jedoch nicht erzielt. 518 E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. Wasser nicht bedeckten Teilen des Fließpapiers, bisweilen!’) war ein Teil von ihnen auch auf dem Wasser abgesetzt. Mit Rücksicht auf die letztere Tatsache wurden die Versuche mit ©. vexans zweimal ın der Weise wiederholt, daß eine größere Masse legereifer Schnaken in einem Terrarium von 0,2 qm Boden- fläche untergebracht wurde, das ın folgender Weise hergerichtet war: Der Boden war durchschnittlich 10 em hoch mit feuchtem Sand bedeckt (jedoch so, daß für Erhebungen und Vertiefungen gesorgt war) und darüber mit Fiießpapier ausgelegt. Eine mit Wasser gefüllte größere Glasschale war so ın den Sand einge- baut, daß ıhr Rand ın der Höhe des Bodens abschnitt. Pflanzen- stengel verschafften den Schnaken noch weiter bequemen Zutritt zum Wasser. Durch mehr oder minder versteckt ın den Sand eingelassene Glasröhrchen wurden den Schnaken ferner verschiedene mit Wasser gefüllte Schlupfwinkel dargeboten. Nach einigen Tagen zeigte sich, daß das Fließpapier überall reichlich mit Schnaken- eiern bedeckt war. Gleichzeitig waren aber auch auf den meisten Wasserstellen eine Anzahl Eier abgelegt, besonders in der großen Glasschale. Das Ergebnis dieser Versuche scheint dem Ergebnis der unter 4. mitgeteilten Beobachtungen bis zu einem gewissen Grade zu wider- sprechen. Wir müssen uns aber klar machen, daß, wie schon oben erwähnt, die Versuche 5 wegen der unvatürlichen Bedingungen, unter denen die Schnaken dabei gehalten wurden, für die Ermitte- lung des Ortes der Eiablage nur beschränkte Bedeutung besitzen. Am besten auswertbar sind hierfür die Versuche in der zuletzt ge- schilderten Anordnung. Hierbei hatten die Schnaken genügend Raum und reichlich Wasser zur Verfügung, sie hätten daher ihre Eier sämtlich aufs Wasser ablegen müssen, wenn dies ıhrer Ge- pflogenheit entsprochen hätte. Daß den Schnaken bei den Ver-- suchen statt. des natürlichen Bodens lediglich Fließpapier dargeboten wurde, hätte die Eiablage aufs Wasser nur begünstigen müssen, ed es andererseits nicht verwundern darf, daß ein Teil der Schnaken ein so heterogenes Substrat wie das Fließpapier nicht annahm. So betrachtet bestätigen also auch diese Versuche, daß die Aödınen beı der Eiablage unter keinen Umständen ans Wasser gebunden sind, und bedeuten keinen Widerspruch gegen die aus den Beobachtungen im Freien folgende Tatsache, daß zum mindesten die Breuschtalschnaken unter natürlichen Verhältnissen ihre Eier nicht aufs Wasser ablegen. 10) Es gilt dies für alle obengenannten Arten mit Ausnahme von (Ü. cantans. In 3 Versuchen legten die Weibchen dieser Art ihre Eier nur aufs Trockne, d.h. auf die höchsten und demgemäß trockensten Stellen des Fließpapiers. Während der Niederschrift dieser Mitteilung ist es uns gelungen, auch C. ornata zur Eiablage zu bringen, mit demselben Ergebnis wie bei ©. cuntans. Die Eier wurden stets einige Zentimeter über dem Wasser auf das Fließpapier abgesetzt. E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 519 6. Zur Ergänzung der unter 3. und 4. mitgeteilten Beobach- tungen wurden Ende Juni kurz vor Beginn der zweiten Wässerung die Versuche 1 in folgender Weise wiederholt. Es wurden von zweı Stellen der uns jetzt in jeder Beziehung genau bekannten Wiesen Rasenstücke geholt, und zwar a) von der Böschung eines bereits ım Frühjahr 1916 ange- legten Entwässerungsgrabens, die infolge der Drainierung bei beiden Wässerungen 1916 und hei der Frühjahrswässerung 1917 höchstens 48 Stunden unter Wasser gestanden hatte und also längst wieder trocken gewesen war, als sich die ersten Schnaken zur Eiablage auf den Wiesen einfanden, und b) von einer hochgelegenen Stelle eines Wıesenabschnittes, die bei der Wässerung nicht überschwemmt zu werden pflegte, und wo also außer bei Regen überhaupt kein Wasser hin ge- kommen war. Einige Stunden nachdem die Rasenstücke unter Wasser ge- setzt worden waren, wimmelte es in dem Aquarıum mit dem Rasen- stück a von Hunderten, wenn nicht Tausenden von Larven, aber auch aus dem Rasenstück b hatten sich einige Dutzend Larven entwickelt. Auch hieraus geht hervor, daß die Breuschtalschnaken ihre Eier auf den trockenen Wiesen absetzen. Versuch 6 b zeigt aber weiter, daß sich einzelne Weibchen in ihrem Legedrang sogar auf Wiesenstellen verirren, die bei der Wässerung gar nicht über- flutet werden. Es ist anzunehmen, daß die dorthin abgelegten Eier nur zur Entlassung der ın ihnen sich entwickelnden Larven ge- langen, wenn ungewöhnlich reichliche Regengüsse sıe auf günstigeres (Gebiet schwemmen. Um das Ergebnis unserer Beobachtungen nochmals kurz zu- sammenzufassen, so hat sich gezeigt, daß bei den einheimischen Oulicada- und Aödes-Arten hinsichtlich der Eiablage ganz ähnliche Verhältnisse bestehen, wie sie von den Aödini der Neuen Welt schon seit Jahren beschrieben sınd. Der Satz, daß die Stechmücken ihre Eier ausnahnılos aufs Wasser legen, stimmt daher nicht, und er wird auch dadurch nicht richtig, daß man, wie z. B. Sack (1912, s. oben Anm. 1), die Einschränkung macht, die Eier könnten bei Fehlen offenen Wassers auf feuchten Schlamm abgesetzt werden. Vielmehr scheiden sich die Stechmücken nach ihrem Verhalten bei der Eiablage in 2 Gruppen, deren Grenze zugleich den systemati- schen Gruppen parallel geht: a) die eine Gruppe ist bei der Eiablage an das Wasser ge- bunden und zwar unbedingt (d. h. ein anderes Substrat, wie etwa feuchter Schlamm, kommt für die Eiablage nicht in Frage). Hierher gehören die Vertreter der Anopheles- und Culex-Gruppe, 590 E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. b) dıe andere Gruppe setzt ıhre Eier normalerweise auf nicht vom Wasser bedeckten Boden ab. Hierher gehören die Formen der Aödes-Gruppe''), die 9 von unseren 19 bei Straßburg gefundenen Stechmückenarten und zwar die nächst C. pöpiens verbreitetsten Schnaken umfaßt. | Natürlich sind aber auch die Schnaken der Aödes-Gruppe bei der Auswahl ıhrer Brutplätze nicht vollkommen unabhängig vom Wasser, wenngleich sıe diesem ihre Eier ‚nicht anvertrauen. Auch bei ihnen vollzieht sich, wıe bei allen Oulieiden, die Ausbildung der Larven und Puppen nur ım Wasser; für ıhre Brutplätze gilt daher notwendigerweise die Bedingung, daß sie, — von Zeit zu Zeit vorübergehend unter Wasser gesetzt werden müssen. Diese Bedingung ist es, die die Verbreitung der Aödını beherrscht Daher sind ın unserer Gegend die Wiesen und Wälder der Rheinniede- rung mit ihrer Unzahl temporärer Wasseransammlungen der verschiedensten Art, die während der wärmeren Jahreszeit nach größeren Regenfällen, beim Steigen des Grundwassers, bei Über- schwemmungen u. s. w. entstehen und je nachdem bald rascher, bald langsamer wieder vergehen, das Reich dieser Schnaken. Das Anpassungsverhältnis, das hier vorliegt, scheint ganz fest zu sein. Soweit unsere Beobachtungen reichen, bringt keine Art der Aödes-Gruppe ıhre Larven in permanenten Gewässern !'?) zur Entwicklung. Was man in den dauernd Wasser führenden Tüm- peln, toten Rheinarmen u. s. w. unseres Auwaldes und sonstigen stationären Wasseransammlungen der Rheinebene an Schnaken- brut antrıfft, gehört stets zu anderen Stechmückenarten, sei es der Qulex-, sei es der Anopheles-Gruppe. Damit erhebt sich die Frage, von welchem biologischen Gesichtspunkt aus diese An- passung wohl zu verstehen ist? Auch die Amerikaner haben sich, wie es scheint, diese Frage bereits vorgelegt. Jedenfalls unterscheiden auch Howard, Dyar 11) Wenigstens soweit wir sie bisher daraufhin untersuchen konnten. Viel- leicht kann es bei der einen oder anderen Art als Ausnahme vorkommen, daß die Eier gelegentlich auch einmal aufs Wasser gelegt werden, ein Fall, der somit ge- rade umgekehrt läge, wie bei der von Sack gemachten Einschränkung. Doch be- ruht diese Annahme lediglich auf den Wahrnehmungen bei unseren Versuchen 5. Verhältnisse in der freien Natur, die darauf hinweisen, wurden nicht beobachtet. 12) Unter permanenten Gewässern verstehe ich dabei nur Gewässer mit wesentlich gleichbleibender Wasseroberfläche, d. h. 1) Gewässer, deren Wasserstand keinen beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist, und 2) Gewässer mit Steilufern, bei denen also auch bedeutendere Schwankungen des Wasserstandes keine erheblichen Veränderungen in der Ausdehnung der Wasseroberfläche zur Folge haben. Die im Rheinwald so häufigen Wasseransammlungen in relativ flachem Gelände, die sich bei Hochwasser weit ausbreiten, bei niederem Wasserstande aber auf eine oft nur wenige Quadratmeter betragende oder noch kleinere Fläche zu- sammenziehen, rechne ich dagegen zu den temporären Gewässern, auch wenn sie schließlich nicht ganz und gar verschwinden. E. Bresslau, Beiträge zur Erkenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 594 und Knab zwischen den Brutstellen in stationären nnd temporären Gewässern, welch letztere sie als charakteristisch für die Aödını bezeichnen: „Those species of mosquitoes which appear in the greatest abundance develop in transient deposits of water. This is the case with the mosquitoes of the genus Aödes wich are so troublesome in our northern woods and in the arctie regions in early summer. The eggs of these mosquitoes are deposited upon the ground during the summer. There the eggs lie until the fol- lowing spring; although they are repeatedly wetted or even im- mersed in water they will not hatch until the following spring. Then, with the melting of the snows, the eggs promptly hatch and the larvae appear in the pools of snow-water in immense numbers. The previous freezing appears to be a necessary stimulus to their development“ (1912, S. 146)!?). Ich lasse es dahingestellt, ob Howard, Dyar und Knab mit diesem Hinweis eine Antwort auf die oben gestellte Frage zu geben versuchen, kann aber einerlei, ob dies der Fall ist oder nicht, ihrer Schlußfolgerung nicht beipflichten. Entgegen der von ihnen und ebenso von Eysell®?) vertretenen Anschauung erzeugen nach unseren Beobachtungen viele der ein- heimischen Aedes- und Culicada-Arten alljährlich zwei bis mehrere (Generationen. Die im Sommer zur Ausbildung gelangende Brut — ich erinnere z. B. nur an die nach der zweiten Wässerung ent- stehende Generation der Breuschwiesenschnaken — beweist aber ohne weiteres, daß Kälte kein für die Entwicklung der Eier der Aedes-Gruppe notwendiger Faktor ist. M.E. ergibt sich die Antwort auf unsere Frage, wenn wir gewisse morphologische Tatsachen ın Erwägung ziehen, nämlich den Bau, den die Eier der Aödıni zeigen. Während alle Arten der oben (S. 519) in Gruppe a zusammen- gefaßten Schnaken besondere Einrichtungen besitzen, um die auf dem Wasser abgesetzten Eier am Untersinken zu verhindern — 13) Noch an einer anderen Stelle äußern sich Howard, Dyar und Knab ähnlich: ‚It appears that the hibernating eggs, although they may be repeatedly submerged, will not hatch before they have been subjected to freezing tempera- tures. Thus these mosquitoes appear in one great annual brood, in spite of the fact that the eggs are not all laid at one time. With a few species of these northern Aödes, for example A. fuscus and A. canadensis, larvae appear in small numbers at intervalls during the summer, after heavy rains. These larvae are undoubtedly from hibernated eggs, which failed to hatch in the spring, and not from freshly laid ones. Eysell, who observed species whith similar habits in Germany, suggested two ways in which such subsequent appearence of larvae might be ac- counted for. Eggs which were not submerged in the early spring might be washed into the pools by heavy rains. Orthe water in the pools might be raised to a higher level and reach eggs until then submerged“ (1912, S.144). Eysell (1907) spricht es an der angezogenen Stelle „fast als Gewißheit“ aus, daß nur die im Imaginal- zustand überwinternden Stechmücken mehrere Generationen in einem Jahr zu er- zeugen vermögen. 529 E. Bresslau, Beiträge zur Keuntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. sei es, daß die z. T. noch mit besonderen Schwimmbechern aus- gestatteten Eier zu sogen. Schiffehen untereinander verbunden werden wie bei den Arten der Gxlex-Gruppe (einschl. der Gatt. Mansonia), sei es, daß jedes einzelne Ei wie bei den Anophelini mit einem lufthaltigen Schwimmapparat versehen ist, — fehlt den Eiern der Aödes-Gruppe, auf deren Bau ich in einer der folgenden Mitteilungen zurückkommen werde'!#), jede derartige Ausrüstung. Bringt man Aödes- oder (ulicada-Eier auf Wasser, so schwimmen sie zwar einige Zeit auf der Oberfläche, je nachdem an ihrem Exochorion mehr oder weniger Luftbläschen haften, aber schon verhältnismäßig geringe Erschütterungen des Wassers, Anblasen u. s. w. genügen, um sie zum Untersinken zu bringen. Aus der Ausstattung der Anopheles- und Oulex-Eier mit der- artigen Schwimmeinrichtungen kann ohne weiteres entnommen werden, daß sie nicht geeignet sind, sich unter Wasser zu ent- wickeln. Auch die Larven und Puppen der Culieiden sind ja nicht so weitgehend an das Wasserleben angepaßt, wie die Larven an- derer aquatiler Insekten, die sich dauernd unter Wasser aufhalten. Während beispielsweise für den Gasstoffwechsel der Libellen- und Ephemeriden-Larven der ım Wasser absorbierte Sauerstoff aus- reicht, genügt er für unsere Schnakenlarven und -puppen nicht; sie bedürfen vielmehr hierzu stets eines Zuschusses atmosphärischen Sauerstofis, dessen Quantum allerdings bei den verschiedenen Arten verschieden groß ıst!?). Noch unbedingter gilt dies für die Eier von Oulex und Anopheles. Ihre Entwicklung erfolgt nur an der Luft; die vorhandenen Schwimmapparate sind so vorzüglich, daß sie ein Untersinken der unzerstörten Eier ın der Natur vollkommen aus- schließen. Die gleiche Abhängigkeit von der atmosphärischen Luft ist aber jedenfalls auch für die Eier der Aödinen anzunehmen. Ent- wicklungs- und Lebensweise stimmen bei diesen Schnaken — trotz aller Verschiedenheit ın Einzelheiten — so weitgehend mit denen der Culex- und Anopheles-Gruppe überein, daß auch bezüglich der Atmung der Eier kein prinzipieller Unterschied zu erwarten ist. Wir brauchen uns aber nicht bloß auf diesen Analogieschluß zu beschränken; die Frage ist vielmehr ohne weiteres der experi- mentellen Prüfung zugänglich. Eine solche hat nun schon bei den oben in Anm. 2 mitgeteilten Versuchen Viereck’s stattgefunden, wenn auch nicht im Zusammen- hang mit der hier erörterten Fragestellung. In der 2. und 4. Reihe seiner Versuche brachte Viereck Eier von (. sollieitans alsbald 14) Von Abbildungen begleitete Angaben über den Bau dieser Eier finden sich in der deutschen Literatur bei Eysell (1902, S. 341) und Galli-Valerio und Rochaz-de Jongh (1908, S. 133). 15) Auch hierüber wird eine spätere Mitteilung Näheres bringen. a E. Bresslau, Beiträge zur Erkenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 523 nach der Ablage unter Wasser und ließ sie hier bis zu 18 Tagen liegen. Dabei schlüpften keine Larven aus. In Parallelzuchten mit Eiern, die nach der Ablage „nearly dry* aufbewahrt wurden, er- schienen dagegen bei Wasserzusatz schon am 5. Tage Larven. Aber auch die ersteren Eier waren lebensfähig. Wurde das sie bedeckende Wasser abgeschüttet, so daß der Boden der Zucht- gläser nur noch leicht feucht blieb, so lieferten auch sie Larven, wenn sie nach einigen Tagen erneut mit Wasser überschüttet wurden. Sowohl Viereck wie Smith gelangten danach zu dem Schluß, daß die Eier von (©. sollicitans eine gewisse Zeit!) „trocken oder wenigstens nicht von Wasser bedeckt“ daliegen müssen, wenn sie ausschlüpfen sollen. Auch ich hatte auf Grund der von mir vorhin entwickelten Überlegungen ähnliche Versuche mit Eiern von (. vexans bereits begonnen, ehe ich bei der genauen Lektüre von Smith’s Abhand- lung die darin versteckte Schilderung der Viereck’schen Versuche fand. Meine Versuche; die zum Ziel haben, die eigenartigen Ent- wicklungsbedingungen dieser Eier und den, wie es scheint, breiten Spielraum ihrer Existenzmöglichkeiten genauer zu studieren, sind jedoch noch nicht abgeschlossen, und ihre Darstellung muß einer späteren Mitteilung vorbehalten bleiben. Für jetzt genügt es aber vollständig, in Übereinstimmung mit den amerikanischen Forschern festzustellen, daß die Eier der Aödinen ihre Entwicklung nur voll- ziehen können, wenn ihnen dabei Gelegenheit gegeben ıst, atmo- sphärische Luft zu atmen. Damit ist aber die Auswahl der Örtlichkeiten, an denen die Schnaken der Aödes-Gruppe ihre Eier ablegen, een Perma- nente Gewässer (in dem Sinne der oben, Anm. 11, gegebenen Defi- nition) können bei ihnen für die Eiablage nicht in Frage kommen. Die Eier würden, da sie der Schwimmeinrichtungen ermangeln, infolge der kleinen Erschütterungen der Wasseroberfläche durch atmosphärische Einflüsse, durch irgendwelche Wasserorganismen, die zur Oberfläche aufsteigen, durch Frösche, Vögel oder andere Tiere, die das Wasser aufsuchen, — Erschütterungen, die auch bei dem ruhigsten Wasser nicht ausbleiben — stets binnen kurzem untersinken und so um die Möglichkeit weiterer Entwicklung ge- bracht werden. Ähnliches gilt auch für jene Gelegenheitswasser- ansammlungen oft künstlicher Art in Regenfässern, Konserven- büchsen, ausgefahrenen Wagengeleisen a. dgl., in denen je nach- dem Oulex pipiens oder Anopheles so günstige Brutstellen finden. Dagegen ist die Entwicklung dieser Eier gesichert, wenn sie auf 16) Nach Smith mindestens 24 Stunden. Wieso Smith zu dieser Zeitangabe kommt, wird nicht mitgeteilt. In der Darstellung der Versuche Viereck’s habe ich keinen diesbezüglichen Hinweis finden en Die kürzeste Zeit, die sich hierfür aus Viereck’s Versuchen ergibt, sind 4 Tage. 37. Band 36 594 E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. den trocken gelaufenen, aber stets noch einen gewissen, geringen Grad von Feuchtigkeit bewahrenden Boden temporärer Wasser- ansammlungen abgelegt werden. Der Luft ausgesetzt bilden sich innerhalb weniger Tage in den Eiern die Larven aus; diese können von den schützenden Eihüllen umschlossen wochen- und monate- lang ausdauern, Kälte und selbst starken Frost vertragen. Wird dann der Boden von Wasser überdeckt, so genügen Minuten bis wenige Stunden, um die schon lange zum Ausschlüpfen bereite Brut zum Erscheinen zu bringen. Damit wird auch verständlich, was wir seinerzeit beobachteten, noch ehe wir den Einblick in diese Zusammenhänge gewonnen hatten, daß nämlich nicht die tiefsten Punkte an den Stellen temporärer Wasseransammlungen bei der Eiablage bevorzugt werden, sondern die Böschungen oder Absenkungen, die zu diesen Vertiefungen führten. An den tiefsten Plätzen wird sich zwar am ehesten nach Regengüssen oder wenn sich der Grundwasserspiegel hebt, Wasser einstellen; aber es wird unter Umständen auch rasch verschwinden, ohne daß die Larven, die etwa dadurch zum Ausschlüpfen gebracht worden sind, Zeit gehabt haben, ihre Verwandlung zu vollenden. Steigt das Wasser aber höher, so wächst damit in gleichem Maße die Lebensdauer des Gewässers und auch die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Larven sich zu Imagines ausbilden können. So verstehen wir die so eigenartigen Gewohnheiten der Aödinen bei der Eiablage und die Verbreitung ihrer Brutstätten auf das weite Gebiet temporärer Wasseransammlungen in unserer Gegend. Dabei zeigen die einzelnen Arten unter sich selbst wieder biolo- gische Verschiedenheiten von großem Interesse, die hier nur an- gedeutet werden sollen, zumal Fragen mancherlei Art, die sich dabei erheben, einstweilen noch ungeklärt sind. Während die Mehrzahl der Arten — es wurde schon oben darauf hingewiesen — innerhalb eines Jahres mehrere Generationen zu erzeugen pflegt, scheinen einzelne, wie z. B. C. cantans, nur eine Brut hervor- zubringen. Letztere Art, die „braune Waldschnake* der Ameri- kaner, eine der wenigen Formen, deren Identität mit der unsrigen von den Entomologen der neuen Welt anerkannt wird, ist ın ihren Brutstellen ausschließlich auf Waldtümpel beschränkt; ım wesentlichen ebenso verhalten sich ©. nemorosa, diversa, lateralis und Aedes einereus. Gleichfalls eine Waldform ist ©. ornata, zu- gleich ein schönes Beispiel dafür, wie in der Natur kein Platz, der Existenzmöglichkeiten bietet, ungenutzt bleibt. Sie legt ihre Eier in Baumhöhlen ab, in denen sich Wasser ansammelt, und zwar nach der für die Aödinen typischen Weise, nicht auf das Wasser selbst, sondern einige Zentimeter darüber, an die Wand der Höhle. Weit verbreitet ist dagegen (. vexans, deren Brutplätze sich sowohl in Wäldern wie in offenem Gelände finden, wie bei der (. sylvestris re A u mn U E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 595 Theob. der Amerikaner, die, soweit wır nach den Beschreibungen urteilen können, mit vexans identisch ıst. Nur ın offenem Gelände endlich brüten ©. dorsalis und nigrina, und zwar kennen wir letztere bisher ausschließlich aus dem Wiesenwässerungsgebiet des Breusch- tals. Es ıst sehr auffällig, daß sich diese neue Art gerade in einem Gebiet findet, das nur vom Menschen als Schnakenbrutstätte unter- halten wird. Ich habe mich lange nicht überzeugen lassen wollen, daß hier wirklich eine neue Spezies vorliegt, sondern angenommen, daß es sich nur um eine vielleicht im Zusammenhang mit den be- sonderen Existenzbedingungen der Wässerungswiesen entstandene (Generation oder Variante einer der bereits bekannten Culicada-Arten handelt. Nach den von uns gesammelten Daten, wonach wir nun- mehr die ganze Lebensgeschichte und alle Stände von (X nigrina kennen, ist aber nicht mehr zu bezweifeln, daß diese zeitweise ın Tausenden und Abertausenden von Individuen bei uns fliegende Schnake eine neue Art darstellt. Nur kurz möchte ıch die Frage streifen, welches wohl die ursprünglichere Art der Eiablage ıst, das Verhalten, wie es die Schnaken der Culex- und Anopheles-Gruppe zeigen oder dasjenige, das wir bei den Aödını kennen gelernt haben? Es wäre gewagt, darüber bloß auf Grund der Wahrnehmungen zu urteilen, die wir an der kleinen Zahl einheimischer Arten machen können, wenn- gleich der einfachere Bau der Eier ın der Aödes-Gruppe gegenüber dem so viel spezialisierteren der (nlex- und Anopheles-Eier eher zugunsten der Aödini spricht. Nur ein Überblick über die ganze Gruppe kann vielmehr das Wagnis der Entscheidung einer solchen Frage rechtfertigen. Hierzu liefert nun die Monographie von Howard, Dyar und Knab schönes Material, und es ist inter- essant zu sehen, wie sich diese Autoren selbst zu der Frage stellen. Nach ihrer Ansicht (Bd. IIl, 1915, S. 193) bildet Orthopodomyia Theob., eine an Aödes anzuschließende Gattung „our most genera- lized eulicine“, nicht nur was den Bau des Insekts selber anbetrifft. sondern auch hinsichtlich der Eiablage. Die Eier werden hier, wie bei (€. ornata, einzeln oder in kleinen Gruppen in Baumhöhlen abgelegt, die sich mit Regenwasser füllen, und zwar dicht über der Wasseroberfläche an die feuchte Wand der Höhle. Das Wasser in solchen Höhlen ist im allgemeinen gut gegen Verdunstung ge- schützt, und jeder schwache Regen trägt zu seiner Erhaltung und Vermehrung bei. Schon wenn der Wasserspiegel nur wenig steigt, werden die Eier erreicht und die Larven können ausschlüpfen. Nach den amerikanischen Gelehrten wäre hierin der Ausgangs- punkt für die Brutgewohnheiten der Culiciden zu erblicken. Das würde natürlich die oben ausgesprochene Vermutung bestärken und die Verhältnisse der Eiablage bei den Aödıni als primitiver erscheinen lassen. 526 _E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. Es bleibt uns schließlich noch zu besprechen, wie wertvoll die geschilderten Beobachtungen auch für die praktischen Auf- gaben sind, die den Ausgangspunkt unserer Untersuchungen bildeten. In den Vororten Straßburgs, die sich im Norden, Osten und Süden gegen den Rheinwald zu vorschieben, wird gerade die Be- lästigung durch die aus den Rheinniederungen stammenden Schnaken zeitweise sehr erheblich. An einzelnen Punkten, so ım Stockfeld, hat man schon vor Jahren dagegen anzukämpfen versucht, nach der landläufigen Ansicht über dıe Herkunft der Schnaken aber ohne jede nähere Untersuchung vornehmlich die permanenten stehenden (sewässer der Umgebung petrolisiert. Daß das vergebliche Mühe war, ist klar! Noch deutlicher zeigt dıe von uns begonnene Be- kämpfung der Wiesenschnaken des Breuschtals, wie wichtig gerade die Kenntnis der Brutstätten für die rationelle Durchführung dieser Arbeit ıst. Ich glaube mit Bestimmtheit sagen zu dürfen, daß sich in diesem Gebiet die Schnakenplage, soweit sie von (. vexans, nigrina und dorsalis herrührt, restlos beseitigen läßt. Nötig ist nur, die Entwässerungsanlagen der Wiesen so in Ordnung zu bringen, daß nach den Überflutungen das Wasser überall rascher abläuft, als die Verwandlung der auf den überschwemmten Wiesen aus- schlüpfenden Schnakenlarven vor sıch geht. Allerdings erfordern diese Regulierungsarbeiten beträchtlichen Aufwand an Zeit und (seld, und so werden wohl zunächst noch Jahre vergehen, bis sie ın dem erforderliehen Umfange durchgeführt sein werden. Die Bauern der Gegend sınd an die Schnakenplage gewöhnt und ver- stehen nicht, warum sie Geld für ihre Beseitigung hergeben sollen. Vielleicht wird aber allmählich bei ıhnen der Gesichtspunkt durch- schlagen, daß auch der Grasertrag der Wiesen durch die Regulie- rungsarbeiten steigt. Interessanterweise gibt uns nun die Lebensgeschichte der Breuschwiesenschnaken noch ein weiteres, höchst einfaches Ver- fahren zu ihrer Bekämpfung an die Hand. Es stützt sich auf folgende naheliegende Überlegungen: Da die Eier auf den Boden abgelegt werden, müssen die Wiesen von Ende Sommer an, wo die Weibchen der zweiten Generation zu verschwinden beginnen (s. oben S. 514), bereits alle Eier beherbergen, aus denen im nächsten Jahr nach der Frühjahrs- wässerung die erste Schnakengeneration hervorgeht. Daß die Eier dort so lange liegen bleiben müssen, schien uns aber keine Naturnotwendigkeit zu sein; geht doch auch die Entwicklung der Sommergeneration ohne vorhergehende Überwinterung vor sich. Daher drängte sich uns der Gedanke auf, zu versuchen, ob es nicht möglich sei, die Eier schon vor Eintritt des Winters zur Entwick- lung zu bringen, und zwar dadurch, daß man die Wiesen noch einmal, zum dritten Male ım alten Jahre, wässerte — was bisher E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 527 noch niemals geschehen war. Wählte man nun hierfür einen Zeit- punkt, wo niedere Temperaturen ım Freien nur eine sehr langsame Entwicklung der Larven gestatten, so war zu erwarten, daß das Wasser noch vor vollendeter Verwandlung der Larven wieder verschwinden und somit den Tod der ganzen Brut herbeiführen würde. Auf Grund dieser Erwägungen wurde daher ım Oktober vorigen Jahres (14. 10. 1916) mit Zustimmung der Wässerungsgenossen- schaft eine größere Wiıesenfläche beı Wolfisheim zum dritten Male überflutet. Wie ım Frühjahr und Sommer stellte sich alsbald nach der Wässerung die Brut ein. Da aber die Wassertemperatur nur etwa 10°C erreichte, entwickelten sıch die Larven so langsam, daß sıe bis zum vollständigen Versickern des Wassers nicht das Puppenstadium erreichten, ja zum Teil nicht einmal zur dritten Häutung gelangten. Der Versuch war also geglückt: es waren sicher bedeutende Massen von Schnakenbrut vernichtet, und zwar ohne alle Mühe und ohne besondere Kosten. Wie groß der Erfolg war, konnte sich aber erst zeigen, wenn die Wiesenfläche im Frühjahr 1917 erneut unter Wasser gesetzt wurde. Daß bei der Wässerung im Herbst alle Eier ohne Ausnahme ausgeschlüpft waren, ließ sich nicht erwarten (s. weiter unten); wohl aber hofften wir, daß die betreffende Wiesenfläche im Frühjahr 1917 eine wesentlich ge- ringere Schnakenproduktion zeitigen würde als die angrenzenden Wiesenabschnitte, die nicht zum dritten Male gewässert worden waren. Diese Hoffnnng ging denn auch tatsächlich in Erfüllung. Schon der bloße Augenschein lehrte, daß auf der im Herbst gewässerten Wiesenfläche (in unseren Niederschriften als W. 7 bezeichnet) nach der Frühjahrswässerung 1917 ım Vergleich zu den Nachbarwiesen nur ganz geringe Mengen von Schnakenbrut zum Vorschein kamen. Ein zahlenmäßiger Ausdiuck für den erzielten Erfolg war natür- lich nicht leicht zu finden. Da uns aber viel an seiner möglichst scharfen Präzisierung lag, wurden folgende Daten ermittelt, die immerhin ein gutes Bild davon geben, was auf diese Weise erreicht wurde. Der am 14. 10. 1916 zum dritten Male gewässerte Wiesen- abschnitt W. 7 wurde am 28. 4. 1917 überflutet. Da er seit Früh- jahr 1916 gut reguliert war und bloß eine tieferliegende Stelle auf- wies, aus der das Wasser nicht ablaufen konnte, war hier am 30. 4. nur eine Wasserlache von etwa 80 qm Oberfläche und höchstens 30 cm Tiefe stehen geblieben, deren Temperatur um 4 h. nachm. 22°C. betrug. Am 2.5. war ihre Oberfläche auf etwa 50 qm zurückgegangen bei höchstens 20 cm Tiefe; das Wasser war an diesem Tage 4 h nachm. in der Mitte 24°, am Ufer 26°C. warm. 598 E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. Am 4.5. betrug die Oberfläche nur gegen 20 qm, die Tiefe 10— 15 em. Am 9.5. war das Wasser ganz verschwunden”). Während nach der Frühjahrswässerung 1916 an der gleichen Stelle ungeheure Massen von Brut beobachtet worden waren, ent- zogen sich am 30. 4.17 die hier entwickelten, kleinen, durchsich- tigen Larven noch fast ganz der Wahrnehmung, so gering war ihre Zahl. Am 2.5. wurde versucht, auf ungefähr !/, qm Oberfläche alle Larven zu fangen, die hier vorhanden waren. Die Larven waren durchschnittlich 4 mm lang und ergaben nach der Abtötung mit Formol und Überführung in Alkohol 80°, zum Absetzen in einem Glaszylinder von 24 mm licehter Weite gebracht eine Schicht von 5 mm Höhe. Am 4. 5. wurden an der Stelle, wo sich unter dem Einfluß von Licht und Wind die meisten Larven angesammelt hatten, mit einem Netz von 10 cm Durchmesser 10 Züge auf einer Strecke von 40 cm durch das Wasser getan. Die in der gleichen Weise behandelte Ausbeute an Larven, deren durchschnittliche Länge jetzt 6—-7 mm betrug, ergab in dem Glaszylinder nach dem Absetzen eine 7” mm hohe Schicht. /um Vergleich wurden ähnliche Fänge auf der im Herbst 1916 nicht gewässerten, jenseits des Breuschkanals W.”7 gerade gegen- über liegenden Wiese W.S ausgeführt. Die Wässerung dieser Wiese hatte am 29. 4. begonnen, ihre Regulierung war schlecht, das Wasser blieb daher hier an fünf tieferen Stellen stehen, die noch 8 Tage nach der Wässerung 10—20mal so große Flächen bedeckten wie auf W. 7 und etwa 50 cm tief waren. Die Tempe- ratur des Wassers war wegen der größeren Tiefe und demzufolge geringeren Erwärmung stets 2—3° niederer als auf W.7, die Larven entwickelten sich daher etwas langsamer als dort. Am 4. 5. hatten sie erst 3—-4 mm Länge erreicht; 3 Netzzüge auf 40 cm Länge mit dem gleichen Netz ergaben aber nach der Konservie- rung bereits eine Schicht von 45 mm Höhe in dem zum Absetzen benutzten Glaszylinder. Die Größe des Fanges hätte bei weiteren Netzzügen beliebig vergrößert werden können, während der ent- sprechende Fang vom 2. 5. auf W. 7 alle Larven enthielt, die auf einem halben qm überhaupt erbeutet werden konnten. Am 8. 5., als die Larven auf W.8 die Länge von 6—-7 mm erreicht hatten, wurde an emer günstigen Stelle — es_ war nicht nötig, die am dichtesten besetzte aufzusuchen — die Ausbeute von 10 Netzzügen auf 40 cm konserviert. Sie ergab eine 165 mm hohe Schicht, also mehr als das 23fache der Ausbeute bei dem Vergleichsfang von W.7. Figur 1 bringt das Verhältnis der beiden Fänge und damit 17) Trotz dieses raschen Versickerns hätte die Brut bei der relativ hohen Wassertemperatur in den 12 Tagen doch genügend Zeit zu Verwandlung gehabt. Um dies zu verhindern, wurde die Wasserstelle am 6. 5., als sich die meisten Larven gerade zu verpuppen begannen, mit Larviol abgespritzt. u Zu A E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. 529 den durch die Herbstwässerung auf der Wiese W. 7 erzielten Erfolg deutlich zum Ausdruck. Es ergibt sich aus diesen Beobachtungen, daß es wahrscheinlich gelingen würde, die Breuschtalwiesenschnaken allein dadurch aus- zurotten, daß man das ganze Gebiet ein paar Jahre hindurch kon- sequent zu geeigneter Zeit!) ım Herbst ein drittes Mal wässert. Daß sıch dies Ziel nicht gleich ım ersten Jahre erreichen läßt, hat darın seinen Grund, daß nicht alle Eier derselben Brut ihre Larves auf einmal entlassen, wenn sie unter Wasser gesetzt werden, eine Tatsache, die schon Smith (1904) und Viereck auf- gefallen ıst. Howard, Dyar und Knab erblicken darın eine besondere Schutzanpassung, die das Aussterben der Art verhin- dern soll, wenn nach Regenfällen entstehende Wasseransamm- lungen bei großer Hitze zu rasch austrocknen: ein Teil der Eier bleibt so erhalten, bis sıe aufs neue von Wasser bedeckt wer- IR den. Ich gedenke auch auf dıese Verhältnisse nach Abschluß meiner Versuche über die Ent- Fig. 1. Ergebnis zweier Schnakenlarven- : : 1 Vergleichsfänge:: A vom Wiesenabschnitt wicklungsbedingungen der Aödiı- 7 en ee a en neneier zurückzukommen. Die Mal gewässert), B vom Wiesenabschnitt Eier, die nıcht ausschlüpfen, be- W. 8 (Herbst 1916 nicht gewässert). tragen aber doch nur einen so ge- Die schwarzen Säulen entsprechen der Masse der nach der Konservierung in B ringen Prozentsatz — nach dem \\, 3 = eg elell Glaszylindern von gleicher Weite zum a eye el erten Absetzen gebrachten Schnakenlarven jedes Versuchs höchstens 4—5%, (8. Fanges. Fig. 1) —, daß die Herbstwässe- rung jedesmal eine kolossale Dezimierung der Schnaken herbeiführen und in ein paar Jahren wohl mit ihnen aufräumen würde. Leider 15) Wie sehr es dabei auf die Wahl des Zeitpunkts ankommt, ergibt sich aus einer Beobachtung, die soeben, bei Niederschrift dieser Zeilen, zu meiner Kenntnis gelangt. Durch das Versehen eines Müllers war im Breuschgebiet bei Oberschäffols- heim am 9. 9. 1917 das Wasser eines Grabens auf eine Wiese übergetreten und hatte die dort ruhende, eigentlich zur Überwinterung bestimmte Schnakenbrut zum Ausschlüpfen gebracht. Infolge der warmen Witterung dieses Spätjahres genügten 10 Tage zur Entwicklung der Imagines: Am 18. 9. wurden auf der fraglichen Wiese die ersten C. nigrina- und verans-Schnaken fliegend beobachtet, die dieser unfreiwilligen 3. Wässerung ihre Entstehung verdankten . 530 E. Bresslau, Beiträge zur Kenntnis der Lebensweise unserer Stechmücken. scheitert aber auch dieses so einfache und billige Verfahren der Schnakenbekämpfung auf den Breuschwiesen einstweilen an dem Konservativismus unserer Bauern. Es ıst uns bis jetzt nicht ge- lungen, ıhnen klar zu machen, wie wertvoll die Beseitigung der Wiesenschnaken für die ganze Gegend sein würde. Sie sind gegen Mückenstiche mehr oder weniger immun und scheren sich jedenfalls nicht darum. Wohl aber befürchten sie von einer dritten Wässe- rung eine Schädigung ihrer Wiesen, wenn auch ohne jeden berechtigten Grund: hat doch das Gebiet W. 7 ım Jahre 1917 genau so guten Ertrag geliefert wie die übrigen Wiesenflächen! Aber man hat bis- her immer nur zweimal ım Jahre gewässert, also ist's gut und soll so bleiben. Es wäre vielleicht möglich gewesen, im Anschluß an die Verordnungen, wonach jetzt in unserer Gegend die Schnaken- bekämpfung organisiert ist, auch die Durchführung der dritten Wässerung zu erzwingen. Ich habe aber davon abgesehen, dies den maßgebenden Behörden vorzuschlagen, weil mir eine unbe- dingte Notwendigkeit ım öffentlichen Interesse nicht vorzuliegen schien, und die Zahl der bestehenden Verordnungen bereits groß genug ist. Besser als Zwang wirkt schließlich Belehrung und Auf- klärung, und ıch hoffe, daß ın günstigeren Zeiten freiwillig die Nutzanwendung aus den Beobachtungen gezogen wird, die wir über die Lebensweise der Schnaken der Breuschtalwiesen anstellen konnten. Literatur. Eysell, A., Über das Vorkommen der Oulieidengattung Aödes Hoffmgg. in Deutsch- land. Arch. Schiffs-Tropenhyg. 6, 1902, S. 217/18 und S. 333—343. — Alöues ceinereus Hffmgg. und Aödes leucopygos n. sp. Abh. Ber. Ver. Nat. Kassel 48, 1903, S. 285 — Beiträge zur Biologie der Stechmücken. Arch. Schiffs-Tropenhyg. 11, 1907, Ss. 197 —211. Galli-Valerio, Be & Rochaz-de Jongh, J., Neue Beobachtungen über die Larven von ( ul x und Auopheles im Winter. COentralbl. Bakt. Parasitenkunde. Abt. I, Orig. 32, 1902, 8. 601. — Manuel pour la lutte contre les moustiques. Lausanne u. Paris, 1906, 245 8. — Beobachtungen über Culiciden. Centralbl. Bakt. Parasitenkunde. Abt. I, Orig. 46, 1908, S. 130--134. Grünberg, K., Diptera, in Brauer, Die Süßwasserfauna Deutschlands, Heft 2 A, I, Jena 1910, S. 78—94 (Fam. Culicidae). Howard, L.O. Dyar, H.G., et Knab, F., The Mosquitoes of North and Central America and the West Indies. 3 Bde., Washington 1912—15 '®). Martini, E, Über drei weniger bekannte deutsche Kuliziden: Aödes ornatus Meigen; Manson a r chiardiü Fic. und A.ophe'es ÜCoelodiazesis) nigripes Stäger. Arch. Schiffs-Tropenhyg. 19, 1915, S. 585 —607. 19) Den 4. Band, der speziell die -tedini behandelt, habe ich bisher nicht erhalten können. F. Glaser, Über die Vermehrungsfähigkeit von (ulex pipiens. Il Morgan, H.A. & Dupree, J. W., Development and hibernation of Mosquitoes. Proceed. 15 ann. meeting. assoc. econ. entom. Washington 1903, 8. 88—92. Sack, P., Aus dem Leben unserer Stechmücken. II. Aufl., Jena 1912, 208. Schneider, P., Beitrag zur Kenntnis der Culiciden in der Umgebung von Bonn. Verh. Nat. Verein preuß. Rheinlande und Westfalens 70, 1913, 548. Smith, J.B., The salt marsh Mosquito, Oulex sollieitans WIk. Science, N. S. 16, 1902, S. 391— 394. — Report of the New Jersey State Agrieultural Experiment Station upon the mosquitoes oceuring within the State, their habits, life history ete. Trenton 1904, 482 S. Il. Mitteilung. Über die Vermehrungsfähigkeit von Culex pipiens. Von Fr. Glaser, Mannheim. Jedes Vorkommnis, das uns die Möglichkeit bietet, Einblick ın die Vermehrungsfähigkeit einer Tierart zu erhalten, ist von großem Interesse. Bei den Stechmücken ist verschiedentlich versucht worden, dieses Verhältnis zahlenmäßig zu erfassen. U. a. finden sich in der erst vor kurzem von Prof. Bresslau und mir veröffent- lichten Mitteilung über die Soemmerbekämpfung der Stechmücken !) Beispiele dafür. Einen neuen Beleg für die ungeheure Vermehrungsfähigkeit von Culex pipiens bieten Beobachtungen, die ich im Laufe der letzten Jahre an zwei Abwassergräben einer großen Lederfabrik bei Straßburg anstellen konnte. Während der eine Graben in etwa 1!/, km langem Lauf zum größten Teil Kondenswasser von 23° C. Durchschnittstemperatur in die Ill leitet, führt der zweite Parallel- graben, ungefähr 300 m südlich, vorgeklärtes Abwasser der Leder- fabrıkation und ist bis zur Mündung überaus stark verunreinigt. Die Temperatur dieses Grabens schwankt zwischen 14— 20°, je nach der Tagestemperatur. Beide Gewässer enthalten alle Vorbedingungen zu einer schnellen und sicheren Entwicklung der Schnakenbrut (hohe Temperatur, reiche Nahrung und keine Feinde). Bis zum Jahr 1915 konnte sich hier €. pipiens ungehindert vermehren. Von diesem Zeitpunkt an setzte eine systematische Bekämpfung ein. Die Bespritzung mit Saprol versagte jedoch zu- nächst fast ganz. Es wurde vom Schilf an den Uferrändern weg- gesaugt, und die Larven, namentlich aber die Puppen entwickelten sich ruhig weiter. Darauf wurde das Schilf geschnitten, mit dem Erfolg, daß die Brut eine Zeitlang vernichtet werden konnte. Bald war jedoch das Schilf nachgewachsen, und nun versagte wieder das 1) E. Bresslau und F. Glaser, Die Sommerbekämpfung der Stechmücken. Zeitschr. f, angew. Entomologie, 4, 1917, S. 292. 932 I". Glaser, Uber die Vermehrungsfähigkeit von Oulex pipiens. Öl. Im Frühjahr 1916 wurden beide Gräben gründlich gereinigt, die unterirdischen Ausläufer des Schilfes, welche die fast 2m breiten Gräben durchwucherten, so gut als möglich entfernt. Das Schilf war wohl hierdurch bedeutend verringert worden, aber die Ent- krautung war trotzdem nicht gründlich genug ausgeführt. Bis Mitte Juli waren die Ufer wiederum stark verschilft, zu einer Zeit, wo gerade die Hauptvermehrung einsetzte. Schnakensaprol stand nur in beschränktem Maße zur Verfügung. Es konnte daher nicht ver- hindert werden, daß auch in diesem Jahre viele Schnaken aus- schlüpften. Durch verständnisvolles Entgegenkommen der Fabrikleitung wurde es möglich, ım Jahr 1917 die zwei Wasserläufe dauernd von Schnakenbrut freizuhalten, indem das Schilf und alle Ansamm- lungen von Schmutz an den Ufern ständig entfernt wurden. Durch das fortgesetzte Abmähen verschwand schließlich das Kraut im Wasser vollständig, Schlamminseln bildeten sich nicht mehr; aber in den fast stillstehenden Buchten der Ufer legten die Schnaken der ganzen Umgebung nach wie vor ihre Eierschifichen ab, an ge- wissen günstigen Tagen, besonders vor Gewittern, in ganz unge- heurer Zahl. Da jedoch die Gräben in jeder Woche mindestens zweimal gereinigt werden, wobei besonders die Ufer auf das sorg- fältıgste abgerecht werden, gelingt nur wenigen Individuen die volle Entwicklung. Die ungeheuren Mengen Eierschiffehen und die da und dort vorhandenen Larven geraten nämlich durch das Rechen in die Strömung und werden von ıhr in kurzer Zeit in den die Gräben aufnehmenden Illfluß getrieben. Die Reinigung eines Grabens vom Anfang bis zur Mündung dauert ungefähr 3 Stunden. Während dieser ganzen Zeit schwimmt Schiffehen nach Schiffehen in ununter- brochenem gleichmäßigem Zuge der Ill zu. Die Beobachtung dieser Ströme von Eierschifichen in den ver- hältnismäßig schmalen Gräben gab nun die Anregung zu dem Ver- such, ihre Zahl festzustellen. Am 20. August d. J., einem Reini- gungstage, wurde durch eine etwa 3 m lange Holzleiste die Ober- fläche des einen Grabens unter spitzem Winkel in der Weise ab- gesperrt, daß nur noch eine 30 cm breite Öffnung an dem einen Ufer übrig blieb, die alle schwimmenden Gegenstände passieren mußten. Da aber die Zahl der abschwimmenden Eier zu groß war, um von einem Paar Augen erfaßt und gezählt zu werden, wurde die Öffnung durch einen in den Boden gesteckten Stab noch in zwei Abteilungen zerlegt, so daß wir uns zu zweit in die Arbeit des Zählens teilen konnten. Bei der ersten Zählung, die fünf Minuten dauerte, schwammen durch beide Abteilungen zusammen 1162 Schiffehen. Eine zweite Zählung, als Kontrolle, ergab für den Zeitraum einer Minute 233 Gelege, also fast das gleiche Re- sultat wie die erste Zählung. Zu a el En Du en F. Glaser, Über die Vermehrungsfähigkeit von Uulex pipiens. 533 Rechnen wir als Durchschnittszahl für jedes Schiffehen nur 200 Eier, dann passieren während der dreistündigen Reinigungs- dauer 233 x 200 x60%xX 3= 8388000 Eıer den Graben. Das er- gibt für beide Gräben 16776000 bei einer Reinigung, also ın der Woche?) rund 33!/, Millionen Schnakeneier. Diese ungeheure Zahl ıst dabei nur eine Minimalzahl. Denn ganz abgesehen von etwaigen Fehlern bei der Zählung durch Übersehen einzelner Gelege fließen in der Zwischenzeit zwischen den beiden wöchentlichen Reinigungen zahllose Schiffeben ohne unser Zutun zur Ill ab. Vor 1915 waren, wie mit Bestimmtheit angenommen werden darf, die Gräben noch weit ergiebiger in der Produktion von Schnaken, denn es geschah damals von Menschenhand nichts, um ihre Zahl zu verringern. Man kann sich danach eine Vorstellung von der ungeheuren Zahl von ( pipiens machen, von der die Um- gebung der beiden Abwässergräben heimgesucht wurde. Das ist jetzt anders geworden, wie die Beobachtung des Schick- sals der aus den Gräben zur Ill treibenden Eierschiffehen lehrt. Anfangs war ich der Ansicht, daß die ın der Ill angelangten Schnakeneier an einer ruhigen Stelle des Flusses zum Schlüpfen kommen, daß aber dann die junge Brut alsbald ein Raub der Fische werde. Jedoch nicht einmal diese kurze Lebensfrist wird den Eierschiffehen gegönnt. Stellt man sich an einem Reinigungstage an die Mündung eines der Gräben, so fällt sofort auf, daß etwa 3 m unterhalb, wo das chemisch stark verschmutzte Abwasser, das sich wie eine dunkel- braune Wolke in den Fluß hineinschiebt, schon etwas verdünnt ist, eine ungeheure Zahl von Jungfischen im Halbkreis den Auslauf umschwärmt. Der Grund dafür ist leicht zu erkennen: Jedes an- kommende Eierschiffchen verschwindet alsbald ın einem der hungrigen Fischmäuler. Die Tierchen sind so gierig auf diese anscheinend sehr beliebte Abwechslung ın ihrem Speisezettel, daß sie oft sogar bis zu 1 m in die Abwasserwolke hineindrücken, um nur ja nicht zu kurz zu kommen. 5 m unterhalb dagegen ist kein Gelege von Ü. pipiens mehr zu entdecken, ein Zeichen, daß hier gründliche Vernichtungsarbeit vorgenommen wird. Die dauernde Reinhaltung der Gräben hatte somit einen drei- fachen Erfolg: Schnaken kamen aus diesen früher so gefährlichen Brutplätzen ın kaum nennenswerter Menge mehr aus, an Be- kämpfungsmaterial wurde kaum der vierte Teil verbraucht, dafür aber der Fischbrut in der Ill eine neue vorzügliche Nahrungsquelle erschlossen. 2) Diese Verallgemeinerung ist nach meinen Beopachtungen für die ganze heiße Jahreszeit, sicher aber für die Monate Juli und August zulässig. ADıA 534 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere, ihre biologische und rassenanatomische Bedeutung sowie die Muscularis sexualis. (Vorläufige Mitteilung.) Von P. Schiefferdecker, Bonn a. Rh. Unter dem obigen Titel habe ich mit Unterstützung der Ber- liner Akademie und der Rhein. Ges. f. wissensch. Forschung eine umfangreiche Arbeit verfaßt, die ım Januar 1917 abgeschlossen war, aber infolge der durch den Krieg bedingten Schwierigkeiten noch nicht erscheinen kann. Ich gebe daher ım folgenden als vor- läufige Mitteilung zunächst eine Übersicht über die Hauptergebnisse dieser Arbeit. Einige von diesen Ergebnissen habe ich bereits am 11. Mai 1914 ın einem Vortrage in der Niederrheinischen Gesell- schaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn, Medizin. Abteilung, mit- geteilt. Die eingehende Ausführung meiner Arbeit ıst aber erst später erfolgt. Wegen aller näheren Ausführungen und Beweise muß ich hier natürlich auf die später erscheinende Arbeit verweisen. Die Hautdrüsen der Säugetiere lassen zwei Hauptarten er- kennen: a) die „holokrinen“ Drüsen (die bisher als „Talgdrüsen“ oder „Haarbalgdrüsen“ bezeichneten), b) die „merokrinen“ Drüsen (die bisher als „große“ und „kleine Schweißdrüsen“ bezeichneten). Bis hierhin stimmt meine Einteilung überein mit der von Ran- vier und Eggeling angegebenen. Nach meinen Untersuchungen zerfallen nun aber die „merokrinen“ Drüsen wieder in zwei Unter- arten: a) die „merokrinen-apokrinen“ Drüsen (die bisher als „große Schweißdrüsen“ beim Menschen bezeichneten Drüsen, die Drüsen der behaarten Haut der meisten Säugetiere und die „Milchdrüsen*“ und „Mammardrüsen‘“), b) die „merokrinen-ekkrinen* Drüsen (die bisher als „kleine Schweißdrüsen“ bezeichneten Drüsen des Menschen, die Drüsen der Sohle von Katze und Hund, in der Rüsselscheibe des Schweines u..8..W.): Für den kurzen wissenschaftlichen Gebrauch, auch in meiner Arbeit und zum Teile auch in der vorliegenden Mitteilung habe ich die „apokrinen“ Drüsen als „a-Drüsen“, die „ekkrinen* Drüsen als „e-Drüsen“ bezeichnet. Die beiden genannten merokrinen Drüsenarten unterscheiden sich voneinander ganz scharf durch die morphologischen Vor- gänge bei der Sekretion, durch ihre Entwicklung und durch ihr Vorkommen. nn 3 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 535 Was die Sekretion anlangt, so liegt die Sache so, daß bei den „ekkrinen* Drüsen, den „e-Drüsen“, wahrscheinlich nur eine einfache Ausscheidung von Flüssigkeit aus den Zellen erfolgt, hin und wieder vielleicht auch ein Austritt von kleinen Kügelchen oder Tröpfenen unbekannter Natur, ohne daß dabeı die Zellen ge- schädigt werden oder ihre Gestalt wesentlich verändern. Wie weit dabei leichte Veränderungen des Kernes und der Zelle eintreten, muß erst noch genauer festgestellt werden. Bei den „apokrinen“ Drüsen dagegen zeigen die Zellen sehr wesentliche Veränderungen: es findet sich ein vollständiger Kreis von Sekretionsstadien: das niedrige Zylinderepithel wächst heran, die oberen Enden der einzelnen Zellen wachsen ge- trennt voneinander papillenförmig ın das Innere des Lumens weiter vor und bilden dann Kuppeln, die ın ıhrer Form mehr oder weniger verschieden sein können. Diese werden darauf entweder von dem austretenden Zellinhalte (Teilen des Zellabschnittes zwischen Kern und Lumen) durchbrochen, oder werden ım ganzen abgestoßen („Dekapitationsvorgang“ von R. Heidenhain und seinen Schülern). In jedem Falle findet also ein Austritt statt von Zellplasma und von den in diesem gebildeten geformten Elemente: Kügelchen, Körnchen, Bläschen. Hiermit zugleich können in manchen Fällen auch durch Amitose gebildete Kerne ın verschiedener Zahl aus- treten. Nach diesem Vorgange werden die Zellen niedriger, be- kommen wieder einen scharfen Rand, sezernieren nur noch Flüssig- keit, event. auch noch Fett, bis sıe ganz niedrig und flach geworden sind. Nach kurzer Zeit wachsen sie dann wieder zu Zylinderzellen aus und der Kreis der Sekretionserscheinungen beginnt von neuem. Dabei gehen im Innern der Zellen bestimmte feinere Veränderungen vor sich, bei denen die Mitochondria eine wesentliche Rolle spielt. Was die Entwicklung anlangt, so entsteht die „apokrine“ Drüse zusammen mit dem Haare aus dem „primären Epithelkeime“ (Marks) und wächst dabei von dem Haarbalge aus. Die „ekkrine“ Drüse dagegen entwickelt sich stets direkt von der Epidermis aus und hat mit dem Haarbalge gar nichts zu tun. Im Laufe der weiteren Entwicklung können dabei die Mündungen der „apokrinen“ Drüsen an den Haarbälgen in die Höhe rücken und so später ent- weder ım obersten Teile des Balges liegen, dicht vor oder an der Ausmündungsstelle dieses, oder sogar auf der freien Epidermis selbst in geringer Entfernung von dem Haarbalge. Der einfache Befund einer frei auf der Epidermis ausmündenden Drüse ist daher nicht charakteristisch für die Drüsenart: während die „ekkrinen“ Drüsen stets frei münden, können es auch die „apokrinen“ Drüsen. Was das Vorkommen der beiden Drüsenarten anlangt, so sind die „apokrinen* Drüsen bei den bei weitem meisten Säuge- 556 P. Schiefferdeeker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. tieren ım Zusammenhange mit den Haaren über den größten Teil des Körpers verbreitet, die „ekkrinen“ Drüsen kommen bei diesen Tieren dann nur vor an solchen Stellen, an denen sich keine Haare entwickeln, oder nur solche Haare, an denen sich „apokrine“ Drüsen wohl anlegen, aber nicht völlig entwickeln können (Sinushaare), oder auch in bestimmten Hautdrüsenorganen, in denen sie sich unter Umständen zu sehr mächtigen Drüsenmassen entwickeln können (so in den Carpaldrüsen des Schweines). Bei manchen Affen (ich habe nur erst sehr wenige untersuchen können, weıß also nicht, wie weıt ıch hier generalisieren darf) kommen _ die „ekkrinen“ Drüsen dagegen auch neben den „apokrinen“ Drüsen auf denselben Hautstellen vor und überwiegen dabei teilweise schon. Beim Menschen treten sie auf dem größten Teile der Körperoberfläche nur noch allein auf, während die „apokrinen“ Drüsen auf bestimmte Hautstellen beschränkt sınd, auf denen sie dann mit den „ekkrinen“ Drüsen zusammen vorzukommen pflegen. Die Gleichberechtigung resp. das Überwiegen der ,„ek- krinen“* Drüsen tritt also auf im Primatenstamme. Es erscheint zunächst auffallend, daß von der Epidermis zwei so deutlich verschiedene Drüsenarten auswachsen können wie die „apokrinen* und „ekkrinen* Drüsen. Die Ursache für diese Ver- schiedenheit ist wohl darın zu suchen, daß die „ekkrinen“ Drüsen direkt von der Epidermis abstammen, während sich die „apo- krinen“ Drüsen von den primären Epithelkeimen aus ent- wickeln resp. von den Haarbälgen aus, also von einem schon besonders differenzierten Oberhautepithel aus. Außer den „apokrinen* Drüsen gehen aus dem primären Epithel- keime und zwar wiederum von dem Haarbalge, noch hervor die „Talgdrüsen“. Diese sowohl wie die „apokrinen“ Drüsen sind also „Haarbalgdrüsen“. Daher paßt diese Bezeichnung nicht zu einer besonderen Benennung der „Talgdrüsen“. Auch diese letzteren entwickeln sich also von einem besonders differenzierten Teile der Epidermis aus. Eine gewisse Ähnlichkeit besitzen diese beiden Drüsenarten darin, daß in ihnen beiden bei der Sekretion „Zell- körper“ verloren geht: bei den „Talgdrüsen* der ganze und der Kern: „Holokrine-nekrobiotische*“ Drüsen, bei den „apokrinen“ Drüsen ein mehr oder weniger großer Teil des Zellkörpers und eventuell neugebildete Kerne: „merokrine-nekrobiotische* Drüsen. Diese letztere Eigentümlichkeit soll eben durch die Bezeichnung als „apokrine* Drüsen zum Ausdrucke gebracht werden, da hier das „apo“ das Abstoßen eines Teiles der Zelle hervorheben soll, im Gegensatze zu dem „ek“ bei den „ekkrinen“ Drüsen, das hervor- heben soll, daß nur Stoffe aus den Zellen heraustreten; doch sind die „apokrinen“ Drüsen nur in bezug auf einen Teil ihrer Tätig- keit nekrobiotisch, ın bezug auf einen anderen Teil verhalten u en | P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 557 sie sich ähnlich den „ekkrinen* Drüsen und sondern flüssige Stoffe und eventuell noch Fett ab, ohne besondere Zellveränderungen. Es lassen sich bei ihnen also zweı verschiedene Stadien unterscheiden: das der „nekrobiotischen Abstoßung* und das der „einfachen Sekretion“. Die „Talgdrüsen* und die „apokrinen* Drüsen nehmen beide ihren Ursprung aus dem oberen, distalen. Abschnitte des Haar- balges, dem „Haarbalgtrichter“, dessen Epithel als eine noch ver- hältnismäßig wenig differenzierte Epidermis anzusehen ist. Der darauf folgende, untere oder proxımale Teil des Haarbalges ist speziell für das Haar bestimmt, besitzt in den „Wurzelscheiden“ eine ganz spezifisch differenzierte Epidermis und beginnt dicht unterhalb der Einmündung der Talgdrüse. Man kann daher den Haarbalg zerlegen: in einen „Drüsenteil“ und in einen „Haar- teil“. Der „Drüsenteil* (der „Haarbalgtrichter*) kann augen- scheinlich im Laufe der Entwicklung unter Umständen noch wieder mehr oder weniger weıt in die Epidermis zurückbezogen werden, daher dann die Möglichkeit, daß die eigentlich von dem Haarbalge aus entspringende und daher später in ıhn einmündende „apokrine“ Drüse allmählich mit ıhrer Mündung am Haarbalge entlang nach oben und bis auf die freie Epidermis wandern kann. Immerhin ist diese rückläufige Verschiebung der Epidermis des Haarbalgtrichters auf die freie Epidermisfläche nur eine geringe, wie ich oben schon bemerkt habe, so daß einmal nur die apokrine Drüse nach außen gelangt, niemals die Talgdrüse, und daß zweitens dann die Aus- mündung der apokrinen Drüse entweder in den Umbiegungswinkel des Haarbalgtrichters oder, wenn in die freie Epidermis, so doch ganz nahe an die Ausmündung des Trichters zu liegen kommt. Während also, wie ich oben schon bemerkt habe, die „ekkrinen“ Drüsen stets freı auf der Epidermis ausmünden, können daher auch die „apokrinen“ Drüsen frei ausmünden, und aus diesem Grunde ist die Angabe, daß an einer Hautstelle die Drüsen „frei“ ausmünden, nicht so charakteristisch, daß man aus ihr auf die Art der Drüsen schließen kann. Zur „Einteilung“ der Hautdrüsen kann weder das „Sekret“ benutzt werden, denn dieses ist je nach der Tierart und nach der Körperstelle außerordentlich wechselnd, so daß „Talgdrüsen“ ein Sekret liefern können, welches durchaus nicht mehr an Hauttalg erinnert, und „Schweißdrüsen“ ein solches, welches ebensowenig an Schweiß erinnert, noch die „Form“, denn die meist acinösen Talgdrüsen können auch ganz ähnlich wie tubulöse Drüsen aus- sehen, und die im allgemeinen tubulösen Schweißdrüsen können an Acini erinnernde Formen darbieten, noch die „epitheliale Mus- kulatur“, denn, wenn diese auch den Talgdrüsen stets fehlt, so gibt es doch auch Schweißdrüsen, bei denen sie so schwach 558 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. entwickelt ıst, daß sie kaum noch nachweisbar ist, oder bei denen sie wirklich ganz fehlt. Die einzige sichere und charakteristische Einteilung wuub auf den „ morphologischen Charakteren der Sekretion“ beruhen und eine solche ist daher von mir nach dem Vorgange von Ranvier und Eggeling hier angewendet und, den Ergebnissen meiner Untersuchung entsprechend, gegenüber der Ein- teilung der beiden genannten Autoren erweitert worden. Diese Erweiterung war aber, wie aus den hier mitgeteilten Ergebnissen hervorgeht und wie das die ausführliche Arbeit noch klarer zeigen wird, für das ganze Verständnis der Hautdrüsen von sehr wesent- licher Bedeutung. Sind die hier gewählten Bezeichnungen nun auch als wissen- schaftlich richtig und als für alle Säugetiere gültig anzusehen, so sind sie Boch vielleicht zum Ersatze der jetzt Sbesuehlichen deutschen Bezeichnungen im gewöhnlichen Gebrauche weniger ge- eignet. Da die jetzt benutzten Bezeichnungen den berechtigten Anforderungen nicht mehr genügen und daher besser durch andere ersetzt werden, so möchte ich die folgenden neuen deutschen Be- zeichnungen zu diesem Ersatze vorschlagen: a) Für die „Talgdrüsen“ oder „Haarbalgdrüsen“ die Bezeich- nung „Haardrüsen“, da diese Drüsen augenscheinlich eine ganz de nahe Beziehune zum Haare besitzen. b) Für die „apokrinen“ Drüsen (die bisherigen gr Sen Schweiß- drüsen u. Ss. w.) die Bezeichnung „gemischte Schlauchdrüsen“, da sie eine gemischte Sekretion besitzen („nekrobiotisch* und „ein- fach“), oder auch die Bezeichnung „Kuppel-Schlauchdrüsen“, da sie die „kuppelförmige* Art der Sekretion aufweisen. c) Für die „ekkrinen* Drüsen die Bezeichnung „einfache Schlauchdrüsen“, da sie eine einfache Art der Sekretion be- sitzen. Allerdings wird bei diesen beiden letzten Bezeichnungen wieder die „Form“ der Drüsen mit in die Bezeichnung eingeführt, was ja eigentlich unstatthaft ıst. Da die merokrinen Hautdrüsen, um die es sich hier ja allein handelt, aber in der weit überwiegenden Mehrzahl deutlich schlauchförmig sind, so halte ich diese Ein- führung der Form bei einer zum gewöhnlichen Gebrauche dienenden Bezeichnung nicht für bedenklich. Immerhin würde ich den von mir oben angegebenen wissenschaftlichen Bezeichnungen den Vorzug geben und die hier angeführten deutschen nur als eine Art von Notbehelf betrachten. Wie weit sich die von mir vorgeschlagenen Bezeichnungen einführen werden, muß ich den Herren Kollegen überlassen. Ich bin allerdings der Meinung, daß, wenn man die von mir vorgeschlagenen wissenschaftlichen Bezeichnungen in den Lehrbüchern und im Kolleg konsequent anwendet, sie sich eben nennen P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 539 so rasch einführen und in den allgemeinen Gebrauch übergehen werden, wie viele andere frühere Bezeichnungen, die zu ihrer Zeit auch neu waren. Von den drei Gebilden, die aus einem „primären Epithel- keime“ (Marks) entstehen können, brauchen sich nicht immer alle anzulegen und noch weniger brauchen alle zur völligen Ausbildung zu gelangen, ja es können sogar auch noch im erwachsenen Zu- stande fertig ausgebildete Teile unter besonderen physiologischen Verhältnissen, wenigstens vorübergehend, wieder zugrunde gehen. So können zuerst angelegte „apokrine“ Drüsen während der wei- teren embryonalen, vielleicht auch noch während der kindlichen Entwicklung zugrunde gehen, so können „apokrine“ Drüsen zu einer ı Ausbildung gelangen, während die dazu gehörigen, und hen angelegten oe en der weiteren ah, zugrunde gehen (so Ha den „Milchdrüsen“ und „Mammardrüsen“), so können. vollständig entwickelte Haare der „apokrinen* Warzen- hofdrüsen (der Montgomery’schen Drüsen) bei Frauen zur Zeit der Geburt ausfallen und sich später, nach Absetzen des Kindes von der Brust, wieder neu bilden. So können nach Zugrundegehen der angelegten „apokrinen“ Drüsen oder auch bei Nichtanlage dieser die Haare und Talgdrüsen sich allein weiter entwickeln, wobei die Talgdrüsen im Verhältnisse zu den Haaren bald besonders groß, bald besonders klein sein können (eine bestimmte Regel scheint es dafür nicht zu geben, wie wohl überhaupt für das Größenver- hältnis von Haar zu Talgdrüse, es hängt das augenscheinlich ab von der Tierart und von lokalen Verhältnissen), und wobei die Talgdrüsen unter Umständen eine solche Größe erreichen können, daß die klein gebliebenen Haare dagegen verschwinden und daß so die Talgdrüsen scheinbar „freie“ sind, oder es können auch wirk- lich die kleinen Haare noch ausfallen und die Talgdrüsen als wirk- lich „freie* übrig bleiben. Selbstverständlich ist es dann auch denkbar, daß von vornherein nur Talgdrüsen aus dem „primären Epithelkeime* sich entwickeln, ob das aber wirklich vorkommt, müßte noch erst nachgewiesen werden. Gehen die Haare im Laufe der Entwicklung zugrunde, so können ihre Haarbälge von den übrig gebliebenen mehr oder weniger stark entwickelten „apokrinen“ Drüsen mit als Ausführungsgänge benutzt werden, als Ende derselben. Es ist dies ja auch durchaus verständlich, da, wie schon gesagt, das distale Ende des Haarbalges direkt zu’den Drüsen gehört. Da nach dem Ausfallen der Haare die Talgdrüsen übrig bleiben und sich weiter entwickeln können, so können diese dann scheinbar den Ausführungsgängen der „apo- krinen“ Drüsen ansitzen (so bei den Milchdrüsen, so bei den Schnabeldrüsen von Ornithorhynchus). Auch dies ist leicht ver- 37. Band 37 540 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. ständlich, es fällt nach dem Zugrundegehen des Haares der „Haar- teil“ des Haarbalges fort und es bleibt übrig der „Drüsenteil* mit den beiden Drüsen. Bei der Sekretion der a-Drüsen können in dem sekretorischen Schlauche derselben Drüse, ja sogar auf demselben Querschnitte eines solchen gleichzeitig verschiedene Sekretionsstadien sichtbar sein. Das Bild erinnert daher in dieser Hinsicht an die Hoden- kanälchen, ın denen ja auch gleichzeitig alle möglichen Entwick- lungsstadien vorhanden sind. Man hat aus diesem Grunde bei den Schweißdrüsen von einer „Arbeitsteilung“ gesprochen, da einige Teile der Drüse sıch auf der Höhe der Sekretionstätigkeit befinden können, andere ım Ruhestadium, so daß die einen ausruhten, wäh- rend die anderen tätig waren. Besser ıst es wohl, von einer an- dauernden und mehr gleichbleibenden Tätigkeit der ganzen Drüse zu sprechen, ähnlich wie es bei dem Hoden der höheren Tiere der Fall ıst. Die a-Drüsen können sich aber auch ın dieser Hinsicht sehr verschieden verhalten: es finden sich oft genug Fälle, ın denen man auf einer ganzen Anzahl von Querschnitten durch mehrere Drüsen auf demselben Hautstücke alle diese Drüsen annähernd in einem und demselben Sekretionsstadium vorfindet, oder wenigstens bestimmte Sekretionsstadien in allen vermißt. Es hängt dies augenscheinlich ab von dem „Innervationszustande“, ın dem die Drüsen abgestorben sınd, und dieser kann augenscheinlich unter Umständen für die Drüsen einer ganzen Hautstrecke der- selbe sein. Die a-Drüsen unterscheiden sich, wie schon angegeben, von den e-Drüsen dadurch, daß bei ihnen die „blasenförmige* oder „kuppelförmige* Sekretion vorhanden ist. Diese Art der Sekretion findet sich noch bei zahlreichen anderen Drüsen, so bei Darmdrüsen, Nieren und Anhangsdrüsen der Geschlechtsorgane. Die Sekrete, welche bei dieser Art der Sekretion abgeschieden werden können, sind also außerordentlich verschieden; auch schon allein bei den Hautdrüsen ist ihre Verschiedenheit sehr groß. Die „kuppelförmige* Sekretion kann also nicht charakteristisch sein für eine bestimmte Art des Sekretes, sondern nur für eine bestimmte Art der Bil- dung und Ausscheidung dieses Sekretes. Nach den vorliegen- den Beobachtungen scheint es, daß sie ın Fällen auftritt, wo entweder direkt körperliche Elemente mit abgeschieden werden, wie Teile des Protoplasmas, oder größere Mengen von aus diesem Protoplasma erzeugten Bläschen, Körnchen oder Tröpfchen, was indessen nicht ausschließt, daß bei denselben Drüsen, wie schon oben erwähnt, außer diesem mehr oder weniger „nekrobiotischen“ Stadium der Drüsensekretion noch ein Stadium der „reinen oder einfachen Sekretion“ vorhanden ist (Brouha für Milchdrüse). P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 54 Wie bei den Tieren, bei denen sehr zahlreiche und verschieden- artige „Hautdrüsenorgane* vorkommen, so kann man auch beim Menschen bestimmte solche unterscheiden, so das „Achselhöhlen- organ“, das „Gehörgangsorgan“, das „Circumanalorgan* und vor allem das „Milchorgan“, die Milchdrüse, nach deren Tätigkeit ja die ganze Klasse der Säugetiere ihren Namen erhalten hat. In den Hautdrüsenorganen können die verschiedenen Hautdrüsen in ganz verschiedener Mischung mitwirken, so z. B. beim Menschen in der Achselhöhle hauptsächlich a-Drüsen und e-Drüsen und in geringem Maße auch „Haardrüsen*; so ım äußeren Gehör- gange a-Drüsen (Öhrenschmalzdrüsen) und „Haardrüsen“ (Talg- drüsen), so in der Carpaldrüse des Schweines der Hauptsache nach e-Drüsen, daneben auch a-Drüsen, „Haardrüsen“ minimal; so in den Mammarorganen und Milchorganen a-Drüsen (die eigentlichen Milchdrüsen) und „Haardrüsen“. Es mag an diesen Beispielen genug sein. Durch diese Verschiedenartigkeit der Drüsen- mischung erhöht sich die Menge der möglichen Sekrete der Drüsenorgane, ganz abgesehen davon, daß die einzelnen Drüsen selbst, je nach dem lokalen Zwecke verschieden differenziert sind und daher verschieden funktionieren können. In diesen Hautdrüsen- organen scheinen nun die a-Drüsen und e-Drüsen immer diejenigen zu sein, welche die eigentlich spezifischen Sekrete liefern, die Haar- drüsen liefern im wesentlichen ein Fett, das dazu dient, die Sekrete der spezifischen Drüsen aufzunehmen und haltbar zu machen. In ähnlicher Weise, wie man wirksame Arzneistoffe mit Fetten zu Salben verbindet, so werden hier die spezifisch wirksamen Sekrete mit dem Fette der Haardrüsen zu wirksamen und dauerhaften Mischungen verbunden. In ganz ähnlicher Weise wird sich auch das Sekret der a-Drüsen auf der sonstigen Haut mit dem der Haar- drüsen vermischen und Haar und Haut einfetten. Wie weit sich eine Vermischung des Sekretes der e-Drüsen mit dem der Haar- drüsen auf der Haut ermöglichen wird, entzieht sich vorläufig der Beurteilung. Die Haardrüsen dienen eventuell auch nach dem Aus- fallen der Haare dazu, die Haut einzufetten und dadurch wider- standsfähiger zu machen, wie auf der Warze der Milchdrüse, wobei sie dann zu dem eigentlichen Sekrete keine Beziehung haben. Über die besondere Bedeutung des „Duftes“ der Hautdrüsen werde ich weiter unten noch zu sprechen haben. Das Sekret des Gehörgangsorganes, das Ohrenschmalz, wird einmal zur Einfettung der dort liegenden Haut dienen, dann aber als ein spezifisches Sekret zum Schutze des Gehörganges gegen Insekten und Para- siten. Wenn bei manchen Tieren trotzdem unter Umständen im Ohrenschmalze Milben leben und gedeihen, so kann man diese Tiere als „Spezialisten“ auffassen (nach Gertz. 1915, bei Pflanzen) 315 542 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. entsprechend schmarotzenden Pflanzen im Pflanzenreiche. Diese „Spezialisten“ würden dann zugleich ein schönes Beispiel sein für die Vererbung erworbener Eigenschaften. Auch die nicht ın den Hautdrüsenorganen liegenden, sondern sonst in der Haut verbreiteten Drüsen aller drei Arten, namentlich aber die a-Drüsen und e-Drüsen, können je nach dem Menschen und je nach den Körperstellen verschieden sein. Aus dem bisher (resagten folgt, daß die Hautdrüsen ganz allgemein gefaßt zu den veränderlichsten Organen des Körpers zu gehören scheinen. Auch die „Haardrüsen“ scheinen recht verschiedenartige Sekrete liefern zu können. Man kann das aus den Fällen schließen, in denen sie allein größere Drüsenorgane bilden. Ich verweise dieser- halb auf die ausführliche Arbeit. Im Prinzipe besitzen die a-Drüsen und die e-Drüsen einen in bezug auf das Epithel zweischichtigen Bau, wobei ım Bereiche des Drüsenkörpers die äußere Epithelschicht sich in glatte Muskelzellen umzuwandeln. pflegt, während sie ım Bereiche des Ausführungs- ganges als eine äußere Epithelschicht erhalten bleibt. Die äußere Epithelschicht kann aber auch, sowohl am Drüsenkörper wie am Ausführungsgange, mehr oder weniger verschwinden, so daß man unter Umständen Drüsen finden kann, die in großen Teilen, so z. B. im ganzen Drüsenkörper, nur einen einschichtigen Bau auf- weisen, oder wenigstens nur hin und wieder noch eine Zelle der äußeren Schicht erkennen lassen. Aus diesem Grunde ist die von Brinkmann vorgeschlagene Einteilung der Hautdrüsen ın „musku- löse“ und „nichtmuskulöse“* (Schweißdrüsen und Talgdrüsen) prak- tisch nicht durchführbar. Die a-Drüsen unterscheiden sich von den e-Drüsen, abgesehen von der Art der Sekretion, im allgemeinen auch sonst: a) Die e-Drüsen sind stets schlauchförmig und bilden im erwachsenen Zustande stets deutliche Knäuel, während die a-Drüsen ın ihren einfachsten Formen nur einen Acınus oder einen kurzen, weiten, geraden Schlauch aufweisen, häufig nur leicht ge- schlängelt verlaufen, aber auch sehr umfangreiche Knäuel bilden können. Sie können also augenscheinlich in bezug auf ıhre äußere Form weit stärker variieren als die e-Drüsen. b) Der Sekretionsschlauch der a-Drüsen ıst stets erheb- lich weiter als der Exkretionsschlauch, der „Ausführungsgang“. Die Weite des Sekretionsschlauches kann aber außerdem noch bei derselben Drüse in sehr hohem Grade wechseln, was von dem Sekretionsstadium und dem Grade der Muskelkontraktion abhängt. Es ist mir sehr wahrscheinlich geworden, daß der Grad der Muskel- kontraktion hierbei wiederum abhängt von dem Sekretionsstadium P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. 545 und durch dieses automatisch, vielleicht auf reflektorischem Wege, beeinflußt wird. Bei den e-Drüsen dagegen ist der Sekretions- schlauch nur wenig weiter als der Exkretionsschlauch und von ziem- lich gleichmäßiger Weite in seinem ganzen Verlaufe, mit Ausnahme vielleicht des blindsackartigen Endstückes, das öfters etwas weiter erscheint. Wegen dieser Erweiterung des Sekretionsschlauches gegenüber dem Exkretionsschlauche hat man auch den Sekretions- schlauch im Gegensatze zum „Ausführungsgange“* als „Ampulle* bezeichnet und zwar bei beiden Drüsenarten, obwohl der Name im wesentlichen nur für die a-Drüsen einigermaßen paßt; man hat ja aber bisher überhaupt keinen schärferen Unterschied zwischen den beiden Drüsenarten gemacht: beide waren eben „Schweißdrüsen“. c) Weiter unterscheiden sich die beiden Drüsenarten durch die Art ihrer Knäuelbildung: die a-Drüsen haben meist verhältnis- mäßig lockere Knäuel, in denen dementsprechend verhältnismäßig viel kernreiches Bindegewebe zwischen den Schlauchwindungen liegt, die e-Drüsen dagegen zeigen gewöhnlich eng gewundene Knäuel, in denen infolgedessen weit weniger Bindegewebe enthalten ist, das aber auch kernreich zu sein pflegt. Da nach den vor- liegenden Beobachtungen an verschiedenen Organen das ernährende Gewebe in dem Verhältnisse einer Symbiose zu dem ernährten, spezifischen Organgewebe sich zu befinden pflegt, so ist die Menge des Bindegewebes und seine Beschaffenheit für die hier besprochenen Drüsen ebenfalls von Wichtigkeit. d) Bei der ven mir angewandten Färbung mit Hämatoxylın und Eosin nach Fixierung in Formol zeigten die beiden Drüsen- arten auch einen deutlichen Unterschied in der Färbung der Zellen des sekretorischen Schlauches: die a-Drüsen erschienen deutlich mehr rötlich, die e-Drüsen mehr bläulich. e) Ein weiterer Unterschied ist der, daß in den a-Drüsen das Epithel nach dem Tode in dem sekretorischen Schlauche weit früher abfällt als in den e-Drüsen. Es spricht dies für eine Verschieden- heit des Sekretes. f) Ferner entspringen die e-Drüsen im erwachsenen Zustande stets frei von der Epidermis, resp. münden auf dieser frei aus, die a-Drüsen dagegen in der Regel von einem Haarbalge und nur als Ausnahme direkt von der Epidermis in der Nähe eines Haarbalges. Embryonal angelegt werden die a-Drüsen stets von einem „primären Epithelkeime* aus, die e-Drüsen dagegen direkt von der Epi- dermis aus. g) Endlich treten die e-Drüsen schon früh in Funktion, die a-Drüsen dagegen erst zur Zeit der Pubertät. Allerdings weiß man letzteres bisher nur sicher von den a-Drüsen des Achselhöhlen- 544 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. organes beim Menschen, die weiteren Drüsen müßten daraufhin noch erst genauer untersucht werden, ebenso müßten entsprechende Untersuchungen noch erst bei Tieren angestellt werden. Die Milchdrüse tritt ja erst zur Zeit des Gebärens in Tätigkeit. Im höheren Alter läßt die Tätigkeit der a-Drüsen erheblich nach, was für morphologische Veränderungen dabei eintreten, müßte noch genauer untersucht werden. Wie weit ein solches Nachlassen der Tätigkeit nebst morphologischen Veränderungen auch bei den e-Drüsen eintritt, müßte ebenfalls noch näher festgestellt werden. Bei der Milchdrüse kann eine gewisse Art der Tätigkeit, nämlich die Bildung von Colostrum allerdings nach Gärdlund (1917) auch schon bei nicht-graviden Nulliparae in bis zu etwa 15°, der Fälle vorkommen, zuweilen sogar von typisch milchigem Aussehen (etwa 6%, der Fälle). Unter Umständen findet sich eine solche Sekretion auch bei ganz. jungen Männern und häufiger be- kanntlich bei Säuglingen, bald nach der Geburt. h) Auch die Ausführungsgänge scheinen sich, beim Menschen wenigstens, bei dem ich sie bis jetzt daraufhin genauer untersucht habe, bei den beiden Drüsenarten verschieden zu verhalten: bei den a-Drüsen ist ihr Lumen durchschnittlich weiter und mehr kreis- förmig als bei den e-Drüsen, wo es enger ist und in den engsten Teilen im Corium sehr verschiedene Formen annehmen kann, so sternförmige und spaltförmige. Die Ausführungsgänge der „apokrinen“ und „ekkrinen“ Drüsen haben wahrscheinlich noch eime besondere Bedeutung für die Beschaffenheit des Sekretes. Bei beiden Drüsenarten läßt sich der Ausführungsgang zerlegen in drei Abschnitte: Das „Anfangsstück“, das „Mittelstück* und das „Endstück“. Diese drei Abschnitte sind je nach der betreffenden Drüse verschieden deut- lich ausgebildet, verschieden lang und verschieden beschaffen. Das „Anfangsstück“ pflegt zunächst noch mehr oder weniger weit, zusammen mit dem sekretorischen Schlauche in Knäuel zu liegen und reicht dann in seinem freien Verlaufe verschieden weit in das OCorium hinein; das „Mittelstück“ bildet das Stück des Aus- führungsganges, das nach dem Aufhören des Anfangsstückes noch weiter im Corium verläuft, es pflegt weit enger zu sein und ist das Stück, das gewöhnlich als „Ausführungsgang“ bezeichnet wird; das „Endstück“ endlich bildet den Abschnitt, der in der Epı- dermis liegt, auch noch sehr eng sein kann, sich aber mehr oder weniger früh trichterförmig erweitert. a) Das „Anfangsstück“ tritt im wesentlichen in zwei ver- schiedenen Weisen auf: Einmal zeichnet es sich augenscheinlich P. Schiefferdeeker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. 545 oft aus durch eine bedeutende Dehnbarkeit und besitzt dann ım ausgedehnten Zustande ein sehr weites Lumen, das größer sein kann als das des Sekretionsschlauches und eine sehr dünne Wan- dung. mit gedehnten, abgeplatteten Epithelzellen. Zweitens kann es aber auch nur einen trichterförmig sich verschmälernden, mit- unter ganz kurzen Übergang bilden zwischen dem weiten Sekretions- schlauche und dem engen Ausführungsgange und sich dabeı eventuell auszeichnen durch die eigentümliche Beschaffenheit seines Epithels, die an eine sekretorische Tätigkeit dieses denken läßt. Demgemäß kann man annehmen, daß dieses „Anfangsstück“ je nach der Drüse eine verschiedene Bedeutung haben kann: als „Reservoir“, um bei periodischer Drüsensekretion einen verhältnismäßig gleichmäßigen Austritt des Sekretes zu erlauben, wobei gegebenenfalls das Sekret gleichzeitig physikalisch verändert werden kann, dadurch daß Wasser resorbiert wird, oder physikalisch und chemisch dadurch, daß wässerige Lösungen bestimmter Stoffe resorbiert werden. Das so eingedickte Sekret oder das nur allmählich austretende Sekret würden dann durch das enge Mittelstück weiter befördert werden. Im zweiten Falle würde das Drüsensekret in dem Anfangsstücke durch die Sekretion der hier liegenden Zellen in seiner Beschaffen- heit verändert werden, chemisch oder vielleicht auch physikalisch. Dieses Anfangsstück erscheint demnach als ein für die Drüse recht wichtiger Teil. Der Übergang des Anfangsstückes in das Mittel- stück scheint ın verschiedener Weise erfolgen zu können: bald ziemlich scharf abgesetzt, bald ganz allmählich, mit Übergängen zwischen diesen extremen Formen. Die erste Art habe ich z. B. bei der Karpaldrüse des Schweines in den dortigen e-Drüsen ge- funden, die letztere bei a-Drüsen des Menschen. ß) Ob auch dem „Mittelstücke“ noch eine besondere Funktion zukommt, habe ich bis jetzt nicht ergründen können. Nicolas, Regaud und Favre haben für den ganzen Ausführgang eine sekre- torısche Tätigkeit angenommen, sie haben aber nicht die verschie- denen Abschnitte unterschieden, welche ich hier beschrieben habe. Auch Merkel (1908) nımmt für den Ausführungsgang einer jeden Drüse ganz im allgemeinen, also jedenfalls auch für die Schweiß- drüsen, eine besondere Tätigkeit an. Nach Unna spricht das reiche Kapillargefäßnetz, das um den Ausführungsgang herum liegt, dafür, daß diesem noch eine besondere Funktion zukommt. Für das An- fangsstück habe ıch dies ja hier wahrscheinlich gemacht. y) Das „Endstück“ verhält sich wesentlich anders, als die bisher genannten Abschnitte und bei den beiden Drüsenarten mor- phologisch wesentlich verschieden und dürfte sich daher bei ihnen auch funktionell verschieden verhalten: bei den „apokrinen* Drüsen tritt der Ausführungsgang in diesem Abschnitte einfach 546 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. gerade und sich trichterförnug erweiternd durch die Epidermis- schicht des „Drüsenteiles* des Haarbalges oder durch die Epidermis der Haut hindurch. Es ıst kaum anzunehmen, daß beı dieser Art des Verlaufes und da das Innere dieses Trichters mit einer Horn- schicht ausgekleidet zu sein pflegt, eine besondere Funktion dieses Endstückes vorhanden ıst. Anders bei den „ekkrinen“ Drüsen: hier pflegt dieses „Endstück* ın zahlreichen Windungen und mit engem Lumen durch die Epidermis hindurchzutreten, besitzt infolge- dessen eine verhältnismäßig sehr große Oberfläche und hat keine eigene Wandung. Eine trichterförmige Erweiterung tritt gewöhnlich erst ganz am Ende ein. Ich halte es daher nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlich (mit Unna), daß ın dem Teile dieses Abschnittes, der durch die Keimschicht der Epidermisschicht hin- durchzieht, ein Übertritt des Gewebssaftes aus den Spalten zwischen den Epithelzellen ın das Lumen des Ausführungsganges hinein er- folgen könnte. Hieraus würde dann folgen, daß bei den „ekkrinen“ Drüsen das auf die Haut ausgeschiedene Sekret nicht nur besteht aus dem Sekrete der eigentlichen Drüse, sondern auch aus dem (sewebssafte, der sich diesem in der Epidermis beigemischt hat. Hieraus würde dann zu folgern sein: eine Abhängigkeit der Menge und der Art des Sekretes von der Menge und Art des Gewebs- saftes ın der Keimschicht der Epidermis, von der Höhe des Druckes, unter welchem dieser Gewebssaft steht, und damit schließlich von den Blutgefäßen der Haut und deren Nerven. Aus dem eben Gesagten geht hervor, daß die Sekretion der „ekkrinen* Drüsen wahrscheinlich ein recht komplizierter Vor- gang Ist. Wie sıch diese verschiedenen Abschnitte des Ausführungs- ganges ın der Milchdrüse verhalten, habe ıch noch nicht unter- suchen können. Die „apokrinen“ Drüsen entwickeln sich bei allen Säugetieren und dem Menschen vor den Talgdrüsen, ob hiervon beim Menschen hin und wieder Ausnahmen vorkommen, wie Carossini annimmt, müßte erst noch näher untersucht werden. Die „apokrine“ Drüse legt sich stets nach oben, also distal- wärts, von der „Haardrüse“* (Talgdrüse) an, entsprechend ihrer früheren Differenzierung. Nur bei manchen Hundearten scheint das umgekehrte Verhalten stattzufinden, soweit man aus den Lite- raturangaben über Befunde an erwachsenen Hunden schließen kann; vielleicht auch beim Kalbe (Leydig). Durch weitere entwicklungs- geschichtliche Untersuchungen müßten diese Fälle noch näher auf- geklärt werden. Entsprechend ihrer früheren ontogenetischen Diffe- renzierung aus dem primären Epithelkeime kann man vielleicht an- nehmen, daß die „apokrinen“ Drüsen auch phylogenetisch früher N P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 547 entstanden sind als die „Haardrüsen“ (Talgdrüsen), daß sie also die primitiveren sind und sich vielleicht bald nach dem Haare oder mit diesem zusammen angelegt haben. Die „Haardrüsen* (Talg- drüsen) werden sich wahrscheinlich erst als eine Begleiterscheinung der Haarentwicklung herausgebildet haben (Maurer) und daher würde man ihnen auch eine spezifische Beziehung zu den Haaren zuschreiben müssen. Hierfür spricht auch der Umstand, daß sie fast nie an den Haaren fehlen, selbst bei den Sinushaaren vorhanden sind, während die „apokrinen“ Drüsen nicht nur bei den Sinushaaren, sondern auch sonst vielfach während der Entwicklung verloren gehen. Merkwürdig ist dabei das außerordentlich wechselnde Größenverhältnis zwischen den Haardrüsen und den Haaren, für das sich bis jetzt, soweit ich sehen kann, noch keine bestimmte Regel aufstellen läßt. Man könnte hieraus zu- nächst schließen, daß dieses Verhältnis abhängig ist von der ganzen Körperbeschaffenheit der einzelnen Tierarten. Die „apokrinen“ Drüsen werden nach den Literaturangaben auch an den Sinushaaren entwicklungsgeschichtlich angelegt und gehen erst später verloren. Die a-Drüse und die „Haardrüse“ (Talgdrüse) entstehen schon bei der ersten Anlage regelmäßig auf der „hinteren“ (Pinkus) Seite des Haarbalges, die gleichzeitig bei den schrägliegenden Haar- anlagen auch die „untere“ ist. Auf dieser selben Seite des Haar- balges bleiben sie auch weiterhin liegen. Indessen scheint durch lokale Einflüsse die a-Drüse sich auch so weit herumschieben zu können, daß sie an der rechten oder linken Seite des Haarbalges einmündet oder sogar auf dessen „vorderer* (Pinkus), bei den schrägliegenden Haaren zugleich „oberer“ Seite. Die Drüse würde sich also mit ıhrer Ausmündung um 90—180 Grad um den Haar- balg herumschieben können, also ın einer sehr beträchtlichen Aus- dehnung. Hierbei wäre noch zu untersuchen, ob dieses Herum- wandern um die rechte oder linke Seite des Haarbalges stattfindet, oder um beide. Bei den Cilien der Augenlider ıst die Hautseite die „hintere“ und die Konjunktivalseite die „vordere“, dement- sprechend verhalten sich hier auch die Moll’schen Drüsen, doch scheinen gerade beı diesen verhältnismäßig oft Abweichungen von der Grundanordnung vorzukommen. Vielleicht ıst das darauf zu- rückzuführen, daß hier ım Lide die verschiedenen Gebilde besonders eng aneinanderliegen und sich daher gegenseitig verdrängen können. Hin und wieder scheinen sogar zwei oder sogar drei a-Drüsen zu einem Haarbalge zu gehören. Beim Menschen scheint dies beson- ders häufig ım Lide, bei manchen sonstigen Säugetieren scheint es verhältnismäßig oft an sonstigen Körperstellen vorzukommen. Auch die. „Haardrüse“ (Talgdrüse) kann mehrfach vorkommen, so daß 548 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. eventuell ein Kranz von solchen Drüsen um den Haarbalg herum- liegt. In solchem Falle liegen die verschiedenen Ausmündungen auch an verschiedenen Seiten des Haarbalges. In manchen Fällen scheint sogar nach den vorliegenden Angaben eine obere und eine untere Anlage von Haardrüsen an demselben Haarbalge vorzu- kommen. Die Art der Entstehung einer solchen müßte erst noch genauer entwicklungsgeschichtlich untersucht werden. Sehr merkwürdig ıst es, daß nach den vorliegenden Angaben die Milchdrüsen sich stets an der Seite ıhrer Haare anlegen, die nach dem Zentrum der ganzen Drüsenanlage gerichtet ist. Die Haare mit ıhren Drüsen müssen also hier einen Kreis bilden, und die nach dem Zentrum des Kreises schauende Seite der Haarbälge muß immer die untere sein. Die Ursache für diese eigenartige Anordnung müßte noch gefunden werden. Die a-Drüsen haben schon bei ihrer ersten Entstehung in der Säugetierreihe wohl sicher als „Exkretionsorgane“ gedient, welche daneben vielleicht noch eine besondere funktionelle Bedeutung für das Haar besaßen, eine Bedeutung, die ihnen bei der weiterhin eintretenden Entwicklung der „Haardrüsen“ (Talgdrüsen) in mehr oder weniger hohem Grade von diesen abgenommen worden ist. Außerdem haben sie wohl von vornherein noch Nebenfunktionen gehabt, auf welche ich weiter unten noch zu sprechen kommen werde. Soweit man nach der ontogenetischen Entwicklung beim Menschen urteilen kann, müssen auch die e-Drüsen als sehr alte, primitive Organe angesehen werden. Aus was für Drüsenorganen der Vorfahren der Säugetiere, seien diese nun mehr amphibienartig oder mehr reptilienartig ge- wesen, die a-Drüsen und die e-Drüsen hervorgegangen sind, oder, ob sie mit den Drüsen dieser Vorfahren keinen Zusammenhang haben, sondern neu entstanden sind bei der Bildung des Haar- kleides, läßt sich vorläufig noch nicht sagen. Die hierüber bisher vorliegenden Untersuchungen geben noch zu wenig Anhalt für irgendwelche Schlüsse. Die Entwicklung der a-Drüsen und der „Haardrüsen“ (Talg- drüsen) im Verhältnisse zu der des Haares tritt nach den vor- liegenden Untersuchungen bei den verschiedenen Säugern verschieden früh ein, was wohl veranlaßt worden ist durch die spezifische Diffe- renzierung der einzelnen Tierarten. An sich haben die e-Drüsen gar keine Beziehungen zu den Haarbälgen, eine rein topographische Beziehung kann aber zustande konımen und konımt oft zustande dadurch, daß die Haaranlagen nicht senkrecht, sondern mehr oder weniger schräg in die Haut hineinwachsen. In solchem Falle kann die fast senkrecht in die P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 549 Haut hineinwachsende Anlage der e-Drüse auf die „obere“, nach Pınkus „vordere“ Seite des Haarbalges stoßen. Im erwachsenen /ustande sieht man dann den Knäuel einer e-Drüse auf der ge- nannten Seite dem Haarbalge mehr oder weniger dicht anlıegen, während der Ausführungsgang, sich von dem Haarbalge abwendend, mehr oder weniger cc, zur Hautoberfläche hinzieht. Ebenso ist es möglich und kommt vor, daß eine e-Drüse bei ihrer Anlage dicht neben dem Abtritte einer Haaranlage von der Epidermis in die Haut hineinwächst, dann kann man später bei einer nicht ganz genauen Untersuchung den Eindruck erhalten, daß eine e-Drüse in ähnlicher Weise wie eine a- Uruse: eine Be- ziehung zu dem Haarbalge besitzt. Nicht nur zu den en zıehen beim Menschen Bündel von glatten Muskelfasern hin, die bekannten „Haarbalgmuskeln, sondern es können an bestimmten Hautstellen auch sonst Züge glatter Muskelfasern, unabhängig von den Haaren und Drüsen, in der Haut auftreten. Diese Muskelzüge pflegen ım Corıum und in der Subeutis zu liegen, bald mehr in der einen oder der anderen Schicht, bald nur ın der einen oder der anderen. Sıe verlaufen dabeı gewöhnlich nur in einer bestimmten Richtung und ım allge- meinen ziemlich parallel der Hautoberfläche in mehreren Schichten übereinander, doch können, namentlich in der Subeutis, auch Ver- bindungen der Schichten und Bündel vorkommen, die mitunter so dicht sind, daß sie an Durchflechtungen erinnern. Nach meinen Beobachtungen kommt eine solche Muskulatur mitunter beim Menschen ın der Achselhöhle vor, ın dem von mir untersuchten Falle fand sie sich nur im Corium. In der Achsel- höhle fehlen dagegen vielfach die Haarbalgmuskeln. Eine weitere Körpergegend, ın der diese glatte Hautmuskulatur auftritt, ist die der äußeren Geschlechtsorgane. Die Musku- latur verbreitet sich hier über einen größeren Hautbezirk. Als Mittelpunkt dieses Ausbreitungsbezirkes kann man wohl das Scrotum resp. die Labia majora ansehen. Von diesem Mittelpunkte aus kann sich die glatte Muskulatur verschieden weit und in verschiedener Stärke nach hinten zu auf den Damm fortsetzen, nach vorne zu auf den Penis, namentlich dessen untere Seite, und auf den Mons pubis. Dieser Ausbreitungsbezirk findet sich bei beiden Geschlechtern. Ich schlage vor, diese „Muskelplatte“ oder „Muskelausbreitung* bezeichnen als „Muscularis sexualis*® Eine ganz ähnliche Muskelausbreitung findet sich auch beı beiden Geschlechtern in der Brustwarze und im Warzenhofe und scheint an dieser Stelle zurückzugehen bis auf die Monotremen. Da die Mammardrüsen und Milchdrüsen, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, auch zu dem Geschlechtsapparate gehören, so 550 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc, könnte es in Überlegung zu ziehen sein, ob man diese „Muscu- larıs mamillae et areolae“ nicht auch zu der „Muscularis sexualis* hinzuzurechnen hätte. Man müßte dann allerdings an- nehmen, daß an der Bauchseite des Tieres ursprünglich eine zu- sammenhängende „Muskelplatte“ oder „Muskelausbreitung“ die äußeren Geschlechtsteile und die Milchdrüsen zusammenhängend verbunden hätte, was ja nicht so unmöglich ist, wenn man bedenkt, daß die Milchlinien auf beiden Seiten des Körpers von der Gegend der Achselhöhle bis zu den äußeren Geschlechtsorganen herunter- zıehen. Sollte sich diese Annahme noch weiter begründen lassen, so würde man auch vielleicht annehmen dürfen, daß die von mir ın der Achselhöhle gefundene „Muskelplatte* oder „Muskelausbrei- tung“ ebenfalls ursprünglich noch zu dieser den größten Teil der Bauchseite des Tieres einnehmenden „Museularis sexualis“ ge- hört hat. Damit würde dann gleichzeitig die ganze zwischen den Ursprüngen der vorderen und hinteren Extremitäten gelegene ventrale Haut- fläche des Tieres, nach hinten bis zum Damme hin, als eine „Regio sexualis“ anzusehen sein. Können doch auch in den seitlichen Teilen dieser ganzen „Regio sexualis“ beim Menschen noch Milch- drüsen auftreten. Eine Funktion dieser glatten Muskulatur hat sich bis jetzt beım Menschen mit Ausnahme der Mamilla, des Serotum und viel- leicht der Labia majora nicht auffinden lassen. Welche Bedeutung sie bei unseren tierischen Vorfahren gehabt hat, wissen wir nicht. Jedenfalls würde es wünschenswert sein, daß ıhr Verhalten beı Tieren festgestellt würde. Es hat sich aus meinen und den sonstigen bisherigen Unter- suchungen ergeben, daß die a-Drüsen bei den bei weitem meisten Säugetieren weitaus die vorherrschenden sind, nur an besonderen Stellen der Haut, die entweder haarlos sind oder nur Sinushaare besitzen, oder in Hautdrüsenorganen liegen und hier ebenfalls haarlos sind, finden sich auch e-Drüsen, so an den Sohlen von Katzen und Hunden, so in der Rüsselscheibe des Schweines, so in der Karpaldrüse des Schweines, um nur einige Beispiele anzu- führen. Drei von mir untersuchte Ostaffen (Uynocephalus mormon, Vercopithecus callitrichus und (©. sabaeus var. yriseo-viridis) unter- scheiden sich von den übrigen Säugetieren sehr wesentlich dadurch, daß bei ihnen nicht nur in Hohlhand und Fußsohle, sondern auch an ausgedehnten behaarten Hautgegenden des Körpers e-Drüsen neben den a-Drüsen vorkommen oder auch nur allein vorkommen, wenn die a-Drüsen während ihrer Entwicklung zugrunde gegangen sind. Wie weit diese Verhältnisse auch bei anderen Affen sich P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 551 finden, muß erst noch untersucht werden. Durch dieses Verhalten der Drüsen unterscheiden sich diese Affen scharf von den übrigen mir bisher bekannt gewordenen Säugetieren. Nach den in dieser Arbeit von mir gemachten Feststellungen würden jetzt ın der ganzen Reihe der Säugetiere ausgedehnte Untersuchungen nötig sein, um die Verhältnisse der Hautdrüsen genauer zu erforschen. Bei dem Menschen ist die Verbreitung der e-Drüsen noch viel weiter gegangen als bei den genannten Ostaffen. Bei ihnen besitzt der größte Teil der Körperoberfläche nur noch e-Drüsen, die a-Drüsen sind auf verhältnismäßig kleine Bezirke beschränkt. Sie sind auf dem größten Teile der Haut bei der Entwicklung ent- weder gar nicht mehr angelegt worden oder während der Ent- wicklung zugrunde Sesanenn Versucht man, die Säugetiere nach ıhren Hautdrüsen einzuteilen, so muß nach dem Gesagten der größte Teil der- selben als „Tiere mit apokrınen Drüsen“ oder einfacher und kürzer als „a-Drüsen-Tiere“ bezeichnet werden, der Mensch als „e-Drüsen-Tıier“* und die Affen in mehr oder weniger großer Ausdehnung (wie weit, müßte erst die nähere UnterAuhlion er- geben) müßte man als eine Art von Übergangstypus oder aaa Typus, als „gemischtdrüsige Tiere“ bezeichnen. Es beginnt also die Gleichberechtigung der e-Drüsen mit den a-Drüsen in bezug auf ihre Ver a resp. ihr Überwiegen über die a-Drüsen, im Primatenstamme, der sich dadurch zunächst scharf von den anderen Säugetierstämmen unterscheidet. Über- gangsformen müßten noch gesucht und gefunden werden. Sie würden phylogenetisch natürlich von größtem Interesse sein. Nach Brinkmann besitzen Schimpanse und Gorilla in der Achselhöhle ein ganz ähnliches „Achseldrüsenorgan“, oder, wie ich es hier nach der Lokalität bezeichnet habe, „Achselhöhlenorgan“, wie der Mensch. Bei Orang-Utan und Gibbon finden sich an dieser Stelle nur vereinzelt liegende Drüsen. Bei allen vier Affen aber scheint es sich nach den vorliegenden Angaben nur um a-Drüsen zu handeln. Sollte das richtig sein, so würde es einen wesentlichen Unterschied darstellen gegenüber dem Menschen, bei dem in diesem Organe auch sehr zahlreiche e-Drüsen vorhanden sind. Dieser Unterschied würde „wesentlich“ sein, da dadurch das bei den Anthropoiden auftretende Orga. , den Drüsen nach, ganz den Typus der übrigen Säugetiere zeige würde, d.h. den a-Drüsen- typus. Wie weit die sonstige Haut er Anthropoiden sich mehr menschenähnlich (e-Drüsentypus) odeı mehr tierähnlich (a-Drüsen- typus) verhält, müßte erst noch untersucht werden. Die bis jetzt darüber vorliegenden Angaben lassen sich nicht verwerten, da bisher der Unterschied zwischen „apokrinen“ und „ekkrinen“ 559 P. Schiefferdeeker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. Drüsen nicht bekannt war, als „freie“ Drüsen aber beide auftreten können. Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen könnten von wesent- licher Bedeutung sein für die Erkenntnis der Stellung der Anthro- poiden und der Art ihrer Weiterentwicklung nach dem Abtritte von dem mit den Ostaffen gemeinsamen Stamme. Einige sehr interessante Beobachtungen habe ich noch beim Menschen machen können. Bei dem deutschen Manne finden sich, soweit ich die angegebenen Körperstellen bis jetzt untersucht habe, „apokrine“ Drüsen ın der Achselhöhle und im Warzenhofe, sie fehlen am Scrotum und am Mons pubis; beim deutschen Weibe dagegen kommen sie vor in der Achselhöhle, im Warzen- hofe, an den Labia majora, am Mons pubis und dem unteren Teile der Bauchhaut (Haut unterhalb des Nabels). Die „apokrinen Drüsen besitzen also beim deutschen Weibe eine wesent- lich größere Ausbreitung als beim deutschen Manne. Selbstverständlich sind diese Untersuchungen bei mehreren Per- sonen jedes Geschlechtes ausgeführt worden, wegen des Näheren wird auf die ausführliche Arbeit verwiesen. Ich will hier nur an- führen, daß die bisherigen Ergebnisse derartig waren, daß man den beschriebenen Unterschied als wesentlich ansehen muß. Weiter habe ich die Ausbreitung der „apokrinen* Drüsen beim Menschen, um Rassenverschiedenheiten festzustellen, untersucht bei einem Chinesen und einem Kamerunneger, dessen genauere Stammeszugehörigkeit mir aber nicht bekannt geworden ist. Bei dem Chinesen fanden sich „apokrine* Drüsen in der Achselhöhle, am Mons pubis, und zwar ın recht großer Menge, dann, ın allmählich immer mehr abnehmender Menge, über den ganzen Bauch hin und noch in der Brusthaut, also im wesentlichen über die ganze vordere Rumpffläche hin. Warzenhof und Serotum konnten nicht untersucht werden. An Hals und Kopf waren sie nicht mehr nachweisbar. Bei dem Kamerunneger fanden sıch die „apokrinen* Drüsen in der Achselhöhle, am Mons pubis, und zwar wieder in großer Menge, und auf dem unteren und mittleren Teile des Bauches, auf dem oberen Teile des Bauches und auf der Brust fehlten sie schon. Warzenhof und Serotum konnten nicht untersucht werden, an Hals und Kopf fehlten sie. Von einem Australier konnte ich nur die Haut der Parotiden- gegend untersuchen und fand auch in dieser „apokrine* Drüsen in mäßiger Menge, während solche an dieser Stelle bei den Deutschen (Mann und Weib), dem Chinesen und dem Kamerun- neger fehlten. P. Schiefferdeceker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 555 An den genannten Stellen waren bei den Deutschen wie bei den Exoten neben den „apokrinen“ Drüsen zahlreiche „ekkrine“ Drüsen vorhanden. Wenn bei dem Australier die „apokrinen* Drüsen sogar noch in der Parotidengegend auftreten, wo sie bei den anderen bisher untersuchten Menschen fehlen, bei den Affen aber vorkommen, dann darf man wohl annehmen, daß sie bei ıhm auf der ganzen vorderen Rumpfseite bis zum Kopfe herauf vorhanden sind, wenn- gleich dies natürlich noch einer Feststellung bedarf. Sollte sich diese Annahme bestätigen, so würden wir nach dem Grade der Ausbreitung der „apokrinen“ Drüsen in abnehmender Reihe die folgende Stufenleiter erhalten: sonstige Säugetiere, Affen, Australier, Chinese, Kamerunneger, deutsches Weib, deutscher Mann. Hieraus würde man zunächst schließen können, daß das ausgedehntere Vorkommen der „apokrinen“ Drüsen auf eine tiefere Stufe der Entwicklung hindeuten würde. Ferner deutet die Ver- schiedenheit zwischen dem deutschen Manne und Weibe auf einen Geschlechtsunterschied hin, derart, daß das weibliche Geschlecht durch eine weit stärkere Ausbildung der „apokrinen* Drüsen sich gegenüber dem Manne auszeichnen würde. In der Tat sprechen auch sonstige Angaben ın der Literatur dafür, daß bei dem weıb- lichen Geschlechte die a-Drüsen, vielleicht auch die e-Drüsen eine stärkere Entwicklung besitzen und von dem Geschlechtsleben stark beeinflußt werden. Sollte sich ein solches Verhalten auch bei den niederen Säugern nachweisen lassen, so würde auch die Ausbildung der Milchdrüse besser zu verstehen sein. Sollte der Australier wirklich a-Drüsen ın weiter Ausdehnung besitzen, so würde man für ıhn eine tiefere Stellung annehmen müssen. Die etwas vermehrten a-Drüsen bei dem Chinesen und Kamerunneger zwingen aber wohl noch nicht direkt dazu, diesen Rassen eine tiefere Stellung anzuweisen, sondern könnten auch vielleicht nur der Ausdruck von besonderen Eigentümlichkeiten des Körperbaues und des Stoffwechsels oder vielleicht auch des Ge- schlechtslebens sein. Selbstverständlich würde auch der zwischen dem deutschen Weibe und Manne bestehende Unterschied ın der Drüsenausbildung außer seiner Bedeutung als Geschlechtsunterschied gleichzeitig ein Zeichen sein für die Verschiedenheit des männlichen und weiblichen Körpers im ganzen. Ob dabei der größere Reichtum an a-Drüsen beim Weibe gleichzeitig auch als ein Zeichen für eine tiefere Ent- wicklungsstufe anzusehen wäre, muß vorläufig noch zweifelhaft bleiben. Ausgeschlossen wäre dies ja nicht, da ja auch in mancher anderen Hinsicht das Weib zwischen Mann und Kind steht. Selbst- verständlich würden nun auch weitere Untersuchungen nötig sein, 554 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere etc. um festzustellen, wie sich die a-Drüsen während der kindlichen Entwicklung verhalten, vielleicht läßt sich während dieser noch eine allmähliche Abnahme der a-Drüsen bis zum erwachsenen Zu- stande hin feststellen, als Fortsetzung jener Abnahme dieser Drüsen während der embryonalen Entwicklung bis zur Geburt. Hierbei würden dann wieder beide Geschlechter zu berücksichtigen sein und es würde sicher auch sehr interessant sein, festzustellen, von welchem Zeitpunkte an hierbei ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern in die Erscheinung tritt. Es ist mir wahrscheinlich, daß ein solcher Unterschied schon während der embryonalen Entwicklung nachzuweisen sein wird. Hierzu würden natürlich ausgedehnte Untersuchungen nötig sein. Wie aus dem eben Gesagten hervorgeht, findet die Verbreitung der a-Drüsen bei dem deutschen Weibe, dem Chinesen und dem Kamerunneger in der „Regio sexualis“ statt. Es ıst daher als mög- lich anzusehen, daß die a-Drüsen gerade zu dieser Gegend eine besondere Beziehung besitzen und aus diesem Grunde auch in ihr bei sonstigem Zurücktreten noch am längsten verweilen. Der Um- stand, daß das Sekret dıeser Drüsen, wıe aus dem Weiteren hervor- geht, eine besondere Beziehung zum Geschlechtssinne besitzt, spricht gleichfalls für diese Annahme. Die hier mitgeteilten Befunde fordern dazu auf, weitere ent- sprechende Untersuchungen auszuführen, um festzustellen, wie weit die hervorgehobenen Verschiedenheiten ın bezug auf die Verbrei- tung der Hautdrüsen als Rassenmerkmale verwendet werden können. Sie ermuntern weiter dazu, die Säugetiere daraufhin durchzusichten, wo sonst noch e-Drüsen in beträchtlicherer Anzahl auftreten, um auf diese Weise vielleicht die Vorfahrenreihe der Primaten weiter zu ergründen. Zunächst würden da dıe Halbaffen in Frage kommen, dann noch unbekannte tieferstehende Wesen. Wenn man für ein- gehende derartige phylogenetische Untersuchungen, um sichere Er- gebnisse zu erhalten, auch weit mehr Organe berücksichtigen müßte, womöglich alle, so scheint es mir doch, daß diese Hautdrüsen als ein Leitfaden dienen könnten. Wie ich oben schon hervorgehoben habe, ıst ein wesentliches Kennzeichen des Primatenstammes das Zurücktreten der a-Drüsen und das mehr und mehr sıch verstärkende Hervortreten der e-Drüsen. Die Primaten werden mehr und mehr zu e-Drüsen-Tieren gegenüber den sonstigen a-Drüsen-Tieren und an der Spitze steht auch in dieser Hinsicht der Mensch. Der Grund der Wichtigkeit dieser Hautdrüsen für die Tiere liegt in ihrer Funktion. Aus den in dieser Arbeit mitgeteilten Beobachtungen geht hervor, daß die Hautdrüsen mit dem ganzen Aufbaue der Tiere, mit ihrem Stoffwechsel u. s. w. auf das Innigste P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 555 zusammenhängen. Sie sind wohl ursprünglich, bei den ersten Säugetieren, zusammen mit den ersten Haaren, durch Vermittlung der „primären Epithelkeime“ angelegt worden als „apokrine*“ Drüsen und haben wohl sicher von Anfang an als Exkretionsorgane gedient, daneben wohl gleichzeitig zur Einfettung der Haare und der Haut. Diese letztere Funktion ıst später zum Teile übergegangen auf die sich weiterhin ausbildenden „Haardrüsen“ (Talgdrüsen), welche dann in Gemeinschaft mit den „apokrinen“ Drüsen wirkten, aber für die Fettbereitung spezifisch differenziert waren. Von jetzt an bewirkten die beiden Drüsenarten die Einfettung von Haaren und Haut ge- meinsam. Von einer „Wärmeregulierung“® war damals noch nicht die Rede. Eine solche haben jene niedersten Säuger, welche in den heißen Urwäldern als kleine Tiere herumliefen, ın einer mit Wasserdampf stark erfüllten Luft, auch kaum gebraucht. Eine Wärmeregulierung konnte erst eintreten, als die „ekkrinen“ Drüsen sich entwickelten, welche durch die Beschaffenheit ıhres Drüsen- körpers und wahrscheinlich auch durch den spezifischen Bau ihres Ausführungsganges („Endstück* ın der Epidermis) dazu befähigt waren, unter bestimmten Umständen ein sehr stark wasserhaltiges Sekret in größerer Menge abzuscheiden. Bei manchen Tieren, so bei den Pferden, sind allerdings auch die „apokrinen* Drüsen der- artig gebaut und entwickelt, daß durch sie eine Wärmeregulierung bis zu einem gewissen Grade zustande kommt, aber diese scheint doch nicht den Grad von Vollkommenheit zu besitzen, wie die durch die „ekkrinen“ Drüsen bewirkte. Da nun die Wärmeregu- lierung durch die Hautdrüsen ein für die Säugetiere sehr wesent- licher Vorgang ist, so wurden die Drüsen für das ganze Daseın derjenigen Tiere, bei denen sie sich in größerer Zahl anlegten, von größter Bedeutung. Die Tiere, bei denen das der Fall war, wurden körperlich weit leistungsfähiger, weit widerstandsfähiger und weit geeigneter, sich ın verschiedenen Klimaten und damit in verschie- denen Gegenden der Erde auszubreiten, Tiere, bei denen diese Drüsen eine besonders starke Entwicklungsfähigkeit besaßen, waren es, die sich zum Primatenstamme entwickelten. Inner- halb dieses Stammes waren dann wieder diejenigen Tiere, welche sich zum Menschen entwickelten, die am stärksten mit e-Drüsen versehenen und sie besaßen außerdem wohl die Fähigkeit, noch weitere solche Drüsen bei der allmählichen höheren Entwick- lung entstehen zu lassen. Daß die Menge dieser Drüsen während der weiteren Stammesentwicklung absolut mehr und mehr zuge- nommen hat, ist sehr wahrscheinlich, daß sie relativ im Vergleiche zu den sich dauernd zurückbildenden a-Drüsen zugenommen hat, geht noch jetzt aus der Ontogenese deutlich hervor, da bei der des Menschen eine große Anzahl von angelegten a-Drüsen zugrunde 37. Band »8 556 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. geht, und zwar in einem so späten embryonalen Stadium, daß man wohl annehmen darf, daß sie phylogenetisch erst seit verhältnis- mäßig kurzer Zeit verloren gegangen sind. Man muß hiernach annehmen, daß die nach einer bestimmten Richtung hin allmählich immer vollkommener werdende Körperentwicklung des Menschen, resp. seiner tierischen Vorfahren, die a-Drüsen mehr und mehr überflüssig machte und die e-Drüsen verlangte. Die Gründe hierfür würden noch zu finden sein. Sie liegen sicher im ganzen Baue und werden daher wahrscheinlich nicht so leicht zu entdecken sein. Durch die damit stetig fortschreitende Wärmeregulierung, sowie durch weitere körperliche Anpassungen erlangte der Mensch vor allen anderen Säugetieren die Fähigkeit, immer stärkere körper- liche Leistungen auszuführen und sich den verschiedensten Klı- maten anzupassen. Besitzt doch der Mensch eine Natur, die weit leistungsfähiger ist als eine sogenannte „Pferdenatur*. Infolge- dessen war der Mensch auch fähig, sich über die ganze Erde auszubreiten. Als Folge hiervon trat eine weitgehende Rassen- bildung ein. Daher finden wir dann aber auch wieder bei den verschiedenen Rassen eine verschiedene Verteilung der „apo- krinen“ und der „ekkrinen“ Drüsen als Reste der verschiedenen Differenzierungsstufen. So werden diese „Reste* zu Merksteinen der Entwicklung. Es gibt ja auch Tiere, welche eine solche Wärmeregulierung durch die Haut nicht besitzen und doch eine große Leistungsfähig- keit und eine sehr weite Verbreitung auf der Erde erreicht haben, so der Hund, bei dem die Wärmeregulierung nach den vorliegen- den Mitteilungen durch die Lungen und die Zunge geschieht. Bei dem Pferde sind die „apokrinen“ Drüsen der Haut so modifiziert, daß sie auch der Wärmeregulierung dienen können. Vielleicht wirkt auch die Lunge dabei noch mit. Es beweisen solche Fälle, daß es bei der Entwicklung der Tiere mehrere Wege gegeben hat, um die nötige Wärmeregulierung zu erreichen und um den Tieren so die Möglichkeit zu geben, körperlich möglichst leistungsfähig zu werden und in verschiedenen Gegenden der Erde leben zu können. Wahrscheinlich wird man bei einer genaueren Durch- untersuchung der Säugetiere noch weitere Arten auffinden, als uns jetzt bekannt sind; ist doch der tierische Körper außerordentlich umbildungsfähig und damit anpassungsfähig und besitzt er doch sicher in hohem Grade die Fähigkeit, erworbene Eigenschaften zu vererben, was ja allerdings merk würdigerweise immer noch bestritten wird. Es scheint aber, daß die durch die „ekkrinen“ Drüsen der Haut bewirkte Wärmeregulierung doch die vollkommenste ist, wird durch sie doch auch zugleich wohl die stärkste Entgiftung des Tieres erreicht. P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 557 Außer der Exkretionstätigkeit, zur Entgiftung des Körpers, der Milcherzeugung, zur Ernährung der Jungen, der Schweiß- bereitung, für die Wärmeregulierung und der Fetterzeugung, zur Einfettung von Haaren und Haut, haben sowohl die „apo- krinen“ Drüsen wie die „ekkrinen“ Drüsen noch akzessorische oder Nebenfunktionen, die aber sowohl für die Tiere wie für den Menschen sehr wichtig sein können: so können sie Stoffe erzeugen, welche durch ıhren Geruch Parasiten abschrecken, oder auch vielleicht durch ıhre spezifische Giftigkeit töten, so können sie Duftstoffe bereiten, die die Spur des Tieres kenntlich machen und dabei infolge der Abhängigkeit der Drüsen vom Nervensysteme und dem Stoffwechsel zugleich mehr oder weniger seinen Seelen- zustand andeuten, so können sie endlich Farbstoffe oder Duft- stoffe bereiten, welche ın sexueller Hinsicht als Unterschei- dungsmerkmale und dadurch zugleich als Reize wirken und so auch geeignet sınd, den geschlechtlichen Erregungszustand eines Tieres auf ein anderes zu übertragen. Hierdurch werden sie dann für die Zeugung und Fortpflanzung von der größten Bedeutung. Wegen des Näheren verweise ich hier wieder auf die ausführliche Arbeit. Es ıst mir sehr wahrscheinlich, daß diese Duftstoffe nicht nur be- wußt, sondern auch unbewußt einzuwirken vermögen, vielleicht ist sogar diese letztere Einwirkungsweise die weit wichtigere. Durch eine solche könnte vielleicht auch jenes eigenartige Zuneigungs- und Abneigungsgefühl sich erklären lassen, welches wir so häufig bei der ersten Bekanntschaft mit einem uns fremden Menschen empfinden. Vielleicht wird auch das, was wir „Liebe“ nennen, zum Teile wenigstens, auf diese Weise erregt. Allerdings wird man nach diesen Richtungen hin beim Menschen dem Auge einen großen Einfluß einräumen müssen, ist der Mensch doch aus einem „Ge- ruchswesen“, wie es die meisten Tiere sind, zu einem „Augen- wesen“ geworden. Solche Duftwirkungen können entweder von den „Drüsen einer größeren Hautfläche“ ausgehen oder von be- sonderen, verschieden gestalteten, häufig ın Anschwellungen, Buchten oder Höhlungen liegenden „Hautdrüsenorganen“, an welchen alle drei Hautdrüsenarten beteiligt sein können. Wie ich oben schon bemerkt habe, sind es dann gewöhnlich die „apokrinen“ Drüsen oder die „ekkrinen“ Drüsen, welche das spezifische Sekret liefern. Ein Beispiel für den ersten Fall beim Menschen würden die „apokrinen“ Drüsen der „Regio sexualis“ sein. Für den zweiten Fall würden beim Menschen drei Hautdrüsenorgane anzuführen sein: das „Achselhöhlenorgan“, das „Gehörgangsorgan“ (das „Ohrenschmalzorgan“) und das „Cireumanalorgan“. Man hat diese bis jetzt noch nicht als solche bezeichnet — mit Ausnahme des Erstgenannten (Brinkmann) — ich würde aber vorschlagen, 38: 558 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. sıe als solche anzusehen. Daß diese genannten Organe ganz be- stimmte Funktionen ausüben, ıst wohl zweifellos, doch sind diese bis jetzt noch so gut wie unbekannt. Das Ohrenschmalz könnte möglicherweise als Schutz gegen manche Parasiten dienen. So sind bis jetzt noch niemals Läuse im äußeren Gehörgange gefunden worden. Wenn sich trotzdem beim Menschen niedere Pilze und bei manchen Tieren Milben ın dem Ohrenschmalze finden und in diesem sogar gut zu gedeihen scheinen, so sind diese Tiere und Pflanzen in solchen Fällen, wie ich das oben schon hervorgehoben habe, als „Spezialisten“ anzusehen. Das „Achselhöhlensekret*“ scheint stark sexuell erregend zu wirken. Es wirkt auch wahr- scheinlich mit bei der Erzeugung des „Geschlechtsgeruches*“. Bei diesem werden sicher die „apokrinen“ Drüsen der ganzen „Regio sexualis“ mitwirken, und zu diesen würden ja voraussichtlich die „apokrinen* Drüsen der Achselhöhle ebenfalls zu rechnen sein, haben wir doch auch die glatte Muskulatur der Achselhöhle zu der „Muscularıs sexualis“ gerechnet, und finden sich doch in der Achsel- höhle auch verirrte Milchdrüsen. Vielleicht ıst diese Erzeugung eines Geschlechtsgeruches in verschieden hohem Grade auch der Grund, warum die „apokrinen“ Drüsen in der Achselhöhle, wie es scheint, bei allen Rassen, und in der sonstigen Regio sexualis bei verschiedenen Rassen in mehr oder weniger großer Menge erhalten geblieben sind. Wenn dies aber auch der Fall sein sollte, so würde man doch daneben immer noch annehmen müssen, daß die Körper ler diesen verschiedenen Rassen angehörenden Menschen im ganzen voneinander abweichen. Die von den Drüsen erzeugten Duftstoffe wird man wahrscheinlich ansehen dürfen als die spezifischen Ge- rüche von bestimmten Exkretionsstoffen, wahrscheinlich von äthe- rischen Exkretionsstoffen. Diese Stoffe, die wir ihrem Geruche nach wahrnehmen, würden daher durch die Einatmung der mit ihnen geschwängerten Luft auf den Menschen selbst und auf andere Menschen giftig wirken können und es ist ja auch eine bekannte Tatsache, daß in Räumen, in denen sich viele Menschen befinden, es gerade diese Ausdünstungen sind, welche die Luft so verschlech- tern, daß sie Vergiftungserscheinungen hervorruft und so zum Aufenthalte von Menschen ungeeignet wird. Da die Kleidung eine Anhäufung von solchen Stoffen zu enthalten pflegt, so werden vor- aussichtlich bekleidete Menschen in solchem Falle giftiger wirken als unbekleidete. Daß auch das Sekret des „Milchorganes“, die Milch, einen spezifischen Geruch besitzt, ist zweifellos, und ebenso zweifellos, daß dieser Geruch bei den verschiedenen Tierarten ein verschie- dener ist. Von diesem Geruche wird man natürlich annehmen müssen, daß er nicht schädlich wirkt, wenigstens nicht auf das P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 559 Junge derselben Tierart, wie sich das bei verschiedenen Tierarten verhält, ist noch unbekannt. Hier wäre auch anzuführen, daß ein menschlicher Säugling, welcher Kuhmilch bekommt, deutlich einen ganz anderen Geruch besitzt wie zu der Zeit, da er Muttermilch bekam. Allerdings ist es denkbar, daß ın diesem Falle der Geruch der Fäces und ein aus dem Munde eventuell kommender Magen- geruch mit zu dieser Geruchsänderung beitragen. Dieser spezifische Geruch der Milch und wahrscheinlich auch der Geruch des Sekretes, das von den Warzenhofdrüsen ausgeschieden wird, werden die Ur- sache sein, daß die neugeborenen Tiere die Zitzen des Muttertieres finden. Wie weit auch der menschliche Säugling nach dieser Rich- tung hin dadurch beeinflußt wird, scheint nicht ganz leicht festzu- stellen zu sein. Die starke Abhängigkeit der Sekrete der Hautdrüsen von dem Stoffwechsel des betreffenden Wesens und von seinem Nerven- systeme ergibt sich aus mannigfachen Beobachtungen, unter anderem auch aus den Änderungen, die beim Weibe während der Men- struation, der Schwangerschaft und der Laktatıon beı ihnen eintreten. Ein sehr bekanntes Beispiel bietet ja die Milchdrüse dar, und ein sehr feines Reagenz auf die Veränderungen des Sekretes dieser, der Milch, ist bekanntlich das Kind. Was aber für diese a-Drüse gilt, gilt sicher auch für alle sonstigen a-Drüsen und sehr wahrschein- lich auch für die e-Drüsen. Bei der Milchdrüse sind diese Beob- achtungen am leichtesten zu machen, sie sind aber auch schon an den anderen Drüsen gemacht worden. Ich verweise dieserhalb wieder auf die ausführliche Arbeit. Bei diesem innigen Zusammenhange der Hautdrüsen mit dem Körperbaue und dem Körperstoffwechsel kann man wohl als sicher annehmen, daß die a-Drüsentiere nach beiden Richtungen sıch anders verhalten als die e-Drüsentiere und als die gemischtdrüsigen Tiere, ferner, daß die Angehörigen der verschiedenen Rassen sich ın dieser Hinsicht verschieden verhalten und das Weib anders als der Mann. Die von den Drüsen bereiteten „Duftstoffe“ haben für die Tiere natürlich nur dann Wert, wenn sie von anderen Tieren wahr- genommen werden können. Daher finden wır bei vielen Säuge- tieren eine starke Ausbildung des Geruchsorganes. Dieses Sinnesorgan „für die Nähe“, wie es sehr richtig bezeichnet worden ist, wird zu einem Sinnesorgane für sehr weite Entfernungen, reicht weiter als Auge und Ohr, wenn es die von einem Tiere hinter- lassenen Spuren wahrnehmen kann, die wieder sehr dauerhaft werden können durch das von den „Haardrüsen“ (Talgdrüsen) ge- lieferte Fett, mit dem sich die spezifischen Sekrete zu salbenähn- lichen Massen mischen. Der Geruchssinn des Menschen ist nur 560 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. mäßig stark entwickelt, der Mensch ist „mikrosmatisch“, immerhin genügt er, um in vielen Fällen die von den Hautdrüsen erzeugten „Duftstoffe* wahrzunehmen, so daß diese ihre Wirkung entfalten können. Ich halte es für möglich, daß die Aufrechthaltung des Menschen mit ein Grund ist für die Verminderung der Schärfe seines Geruchssinnes, da der Mensch infolge derselben nicht mehr ın der Lage war, Spuren am Erdboden u. s. w. durch den Geruch wahrnehmen und infolgedessen verfolgen zu können. Er ist mehr in der Lage, Gerüche, dıe von den oberen Teilen des Körpers, allenfalls noch von den Geschlechtsorganen, ausgehen, wahrzu- nehmen. Von diesen Teilen des menschlichen Körpers gehen aber augenscheinlich eine ganze Anzahl von Gerüchen aus, die auf andere Menschen einzuwirken vermögen, und die namentlich sexuelle Be- zıehungen haben. Ich habe das in meiner Arbeit an einer Anzahl von Beispielen vorgeführt. Die Drüsen des Menschen, welche solche Duftstoffe liefern, sind nicht so eingerichtet, daß ıhr Sekret an Gegenständen der Umgebung in größerer Menge haften bleiben kann, wie es bei manchen Tieren der Fall ist. An den Kleidungs- stücken, Betten und Ähnlichem haftet der Geruch aber doch und kann sich zu größerer Stärke anhäufen. An solchen Gegenständen kann ıhn dann gegebenenfalls auch der aufrechtgehende Mensch wahrnehmen. Das gleiche gilt von den Haaren. Der Hund da- gegen vermag auch die Spuren des Menschen auf dem Boden zu verfolgen, woraus hervorgeht, daß minimale Mengen dieser Duft- stoffe auf dem Boden haften bleiben müssen. Da dies auch der Fall ıst bei Menschen, welche Stiefel oder Schuhe tragen, so können diese Duftstoffe nıcht in Salbenform auf dem Boden haften, sondern nur als ätherische Stoffe. Eine Tatsache, die sehr merk- würdig ist. Wir können beim Menschen und dementsprechend wohl sicher bei jedem Säugetiere unterscheiden: „Individualgerüche“, „Ge- schlechtsgerüche“, „Rassengerüche“. Wahrscheinlich wird es auch „Stammesgerüche“ oder „Volksgerüche“ geben, wenn eben Stämme und Völker scharf voneinander getrennt sind. Es ist nach den vor- liegenden Angaben möglich, daß der „Geschlechtsgeruch“ desMenschen nicht nur bei den verschiedenen Menschenrassen derselbe ist, sondern auch dem der sonstigen Säugetiere in gewissem Grade oder ganz entspricht, daß es also einen allgemeinen „Säugetiergeschlechts- geruch“ gibt. Jeder Mensch hat seinen eigenen Körperbau, Stofl- wechsel u. s. w., kurz seine eigene „Konstitution“. Dieser Indivi- dualität entspricht sein „Individualgeruch“. Gruppen von Menschen kann man nach den Eigentümlichkeiten ihres Baues zusammen- fassen, die eine bestimmte „Konstitution“ im gebräuchlichen Sinne dieses Wortes haben. Es ist durchaus möglich, daß diese Gruppen P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. 561 spezifische „Konstitutionsgerüche* besitzen, gerade so, wie es „Rassengerüche“ u. s. w. gibt. Der Geruch eines jeden Menschen würde demzufolge sich zusammensetzen aus einer Anzahl verschie- dener Gerüche, die sich miteinander zu einem Ganzen vermischen würden. Es ist, wie das Correns schon hervorgehoben hat, nicht nötig, zur Erklärung der Individualgerüche „Individualstoffe“ anzu- nehmen, sondern es genügt die Annahme einer in außerordentlich vielen Kombinationen möglichen Mischung von Stoffen, die, wie ich in dieser Arbeit gezeigt habe, sehr wohl von den verschiedenen Hautdrüsen geliefert werden können. Ich habe außerdem noch nachweisen können, daß die Hautdrüsen bei demselben Menschen an verschiedenen Körperstellen verschieden sein können, und ferner, daß sie deutliche Verschiedenheiten aufweisen bei verschiedenen Rassen. Wenn wir zurzeit auch noch nicht in der Lage sınd, solche Gerüche und ihre Verschiedenheiten mit hinreichender wissenschaft- licher Genauigkeit im einzelnen nachzuweisen, so ıst es doch nicht ausgeschlossen, daß dies in Zukunft möglich sein wird. Zunächst würde man ja für diesen Nachweis an Hunde und Parasiten denken können (ich verweise hier wieder auf die ausführliche Arbeit), denen Wattebäuschehen mit dem Körperschweiße oder Achselschweiße u. s. w., je nach der Richtung der Untersuchung, vorzulegen wären, vielleicht gelingt es aber auch, ganz neue Methoden zu finden. Mir ist es durch meine Muskeluntersuchungen gelungen, individuelle Größenverschiedenheiten von Muskelkernen nachzuweisen und außer- dem solche, die ich auf zwei verschiedene Urrassen bezogen habe. Gustav Jäger hat seinerzeit schon die große Bedeutung der Körpergerüche erkannt. Wenn er sie als den Ausdruck der Seele ansah, so war das nur insoweit richtig, als die Körpergerüche ın einem gewissen Grade von dem Seelenzustande des betreffenden Wesens abhängig sind, da sie eben außer von dem Stoffwechsel auch vom Nervensystem abhängen. Als ich vor 14 Jahren bei meinen ersten Muskeluntersuchungen mich für die Möglichkeit aussprach, daß sich viduelle Unterschiede durch dieselben würden nachweisen lassen, handelte es sich ebenfalls nur um eine „Möglichkeit“, die inzwischen aber zu einer Tatsache geworden ist. Dasselbe kann man vielleicht auch für die Erforschung der Gerüche erhoffen. Die Verschieden- heit der Körperdüfte ist aber nur ein Zeichen dafür, daß die Haut- drüsen der Menschen verschieden sind, und diese sind wieder Teile der Körper, die mit dem übrigen Körper auf das Innigste verknüpft sind, so ist der spezifische Körperduft also nur der Ausdruck für die spezifische Beschaffenheit der einzelnen Körper und daher so- wohl für den Arzt wie für die Anatomen, Physiologen und Bio- logen von Bedeutung. Beide Untersuchungsreihen: die der Muskeln und die der Hautdüfte, resp. der Hautdrüsen, werden demnach 562 P. Schiefferdecker, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere ete. wichtig sein für die Feststellung der „Konstitution“. Die Fest- stellung dieser ıst aber zurzeit von verschiedenen Forschern in die Wege geleitet worden. Bei der Untersuchung von Tumoren, die von Schweißdrüsen ausgehen, den verschiedenen Hidradenomata, würde von jetzt an darauf zu achten sein, ob sie von „apokrinen“* oder von „ekkrinen“ Drüsen ausgehen. Tumoren von „apokrinen“ Drüsen würden zu- nächst nur an bestimmten Hautstellen beim Menschen zu erwarten sein, sie würden aber vielleicht auch vorkommen können an Stellen, an denen für gewöhnlich keine „apokrinen“ Drüsen im erwachsenen Zustande vorkommen, da sie ausgehen könnten von den embryo- nalen, die sich normalerweise zurückzubilden pflegen, aber unter Umständen sich auch vielleicht weiter entwickeln können. Ob bei der weiteren Ausbildung von „apokrinen* Drüsen an Stellen des Körpers, an denen sie für gewöhnlich schon während der Entwicklung zugrunde gehen, auch milchdrüsenartige Bil- dungen entstehen können, als Ausnahmebildungen, unter bestimmten abnormen Verhältnissen, muß noch weiter untersucht werden. Da solche Bildungen auch ganz außerhalb der Milchlinie liegend ge- funden worden sind, so am Rücken, so an der Außenfläche und Innenfläche des Oberschenkels — vielleicht könnte man auch noch einen Fund auf der Schulterhöhe hierzu rechnen —, so möchte ich es für möglich halten, daß ın der Tat eine solche Entstehung dieser aberrierenden Milchdrüsen möglich ist. Ich wüßte sonst keinen anderen Weg, um ıhre Bildung zu erklären. Durch die vorliegende Arbeit ıst es mir gelungen, Klarheit zu bringen in das wichtige Gebiet der Hautdrüsen der Säugetiere. Dadurch habe ich eine Grundlage geschaffen für hoffentlich recht viele weitere Arbeiten auf diesem so umfangreichen Gebiete. Wie wichtig dasselbe ist für das ganze Verständnis des tierischen Lebens und der Stammesentwicklung, geht aus dieser Arbeit schon hervor und wird hoffentlich noch immer deutlicher werden mit jeder neuen Arbeit, die auf diesem Gebiete erscheinen wird. Hoffentlich ist es mir nun auch vergönnt, meine ausführliche Arbeit bald erscheinen zu sehen, durch die natürlich vieles weit klarer und wirkungsvoller dargelegt wird, als durch diese kurze Zusammenfassung der Er- gebnisse. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Zentralbla Begründet von J. Rosenthal Unter Mitwirkung von Dr’ RK: Goebel und‘ Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München herausgegeben von Dr. E. Weinland Professor der Physiologie in Erlangen Verlag von Georg Thieme in Leipzig 37. Band Dezember 1917 | Nr. 12 ausgegeben am 30. Dezember Der jährliche Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, die Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik au Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Menzingerstr. 15, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. E. Weinland, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Inhalt: H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung der im Proteplasma der Drüsengellen außerhalb des Kernes vorkommenden Strukturen. S. 563. A. Lipschütz, Zur Frage des physiologischen Unterrichts an der Universität. S. 573. H. Jordan, Uber besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren mit echtem Haut- muskelschlauch. S. 578. Iteferate: A. Pascher, Flagellaten und Rhizopoden in ihren gegenseitigen Beziehungen. S. 584. G. Korschelt, Lebensdauer, Altern und Tod. 8. 586. Physiologische und morphologische Deutung der im Protoplasma der Drüsenzellen ausserhalb des Kernes vorkommenden Strukturen. (Vorläufige Mitteilung.) Von Hildegard Lutz. Zoologisches Institut München. Unter den Ansichten über die Deutung der extranukleären Drüsenstrukturen, die als Mitochondrien, Ergastoplasma, Chromidien, Basalfilamente u.a.m. im Zusammenhang mit der Sekretion be- schrieben wurden, stehen sich hauptsächlich zwei scharf getrennte Richtungen gegenüber. Die eine Gruppe der Cytologen betrachtet den Kern als Ausgangspunkt aller formativen Zelltätigkeit und spricht daher die in der Zelle auftretenden Strukturen als mehr oder minder umgebildete Kernderivate, aus denen das Sekret her- vorgeht, an, die andere Gruppe glaubt die Anfänge der Sekretent- wicklung auf die Tätigkeit des Protoplasmas zurückführen zu können und betrachtet diese Gebilde als Plasmaprodukte. 37. Band 39 564 H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung etc. In meinen Untersuchungen bemühte ich mich, der Entstehung dieser Strukturen, ıhren gegenseitigen Beziehungen und ihrem Ver- hältnıs zum Kern nachzugehen. Da das Archiv für Zellforschung, ın dem die vollständige Arbeit erscheint, bis auf weiteres sein Er- scheinen eingestellt hat, so seien hier die Ergebnisse vorläufig kurz zusammengefaßt. Als günstiges Untersuchungsmaterial diente die Mitteldarm- drüse von Planorbis corneus. Diese Verdauungsdrüse der Mollusken, die gewöhnlich als Leber oder auch als Hepatopankreas bezeichnet wird, ıst sowohl ein resorbierendes wie sezernierendes Organ. Die einzelnen Zellen differenzieren sich gemäß der doppelten Funktion des Organs in Sekretions- und Resorptionszellen. 1. Die Sekretzellen. In der normalarbeitenden Drüse zeigen die Sekretzellen große, rundhich-ovale Gestalt mit breiter Basıs. In einem zartwabig-struk- turierten Plasma liegt in der unteren Hälfte der Zelle der große rundliche Kern mit einem großen Nucleolus und einer sehr deut- lichen Kernmembran. Im Zellplasma finden wır zweierlei Strukturen, die sich nach ihrem färberischen Verhalten unterscheiden lassen und die wir gesondert besprechen wollen: 1. Zarte Körnchen, die beson- ders deutlich bei Anwendung der Bendamethode sich mit Kristall- violett färben, die Mitochondrien; 2. fädıge Gebilde und Wickel, die durchweg basichromatisch reagieren und deshalb von Popoff als Chromidien angesprochen wurden. Dazu kommt noch das Zellpro- dukt: Das Sekret. Diese drei Elemente sind in der Zelle regel- mäßig verteilt, so daß wır von der Basis zur Spitze eine Mitochon- drien-, eine basophile Zone und das Bereich des Sekrets schon bei oberflächlicher Betrachtung unterscheiden können. Je nach dem Funktionszustand der Drüse kann die eine oder andere Struktur überwiegen und die anderen zurückdrängen. a) Die Mitochondrien: In der normalen Zelle zeigt sich an der Basıs ein dichter, dunkler Körnchensaum, der sich besonders in Benda-Präparaten tiefblau mit Kristallviolett färbt und den Bildungsherd der Mitochondrien darstellt (Textfigur 1). Die Körn- chen sind dem Plasma eingelagert und variieren untereinander außer- ordentlich an Gestalt und Größe. Die Körnchen, die ın jungen Zellen und bei erneuter Zellfunktion auftreten, sind zart und punkt- förmig, in älteren Zellen und bei lebhafter Zelltätigkeit zeigen sie einen größeren Durchmesser. Wir dürfen ihnen daher vielleicht die Fähigkeit selbständigen Wachstums zuschreiben. Oft liegen zwei Mitochondrien von mittlerer Größe so nahe aneinander, daß die Vermutung einer Teilung nahe liegt, auch die plumpen Körner sind manchmal biskuitartig vereint. Unter den heranwachsenden H. Lutz, Phvsiologische und morphologische Deutung etc. 565 Formen ‘treten auch ring- und hantelartige Bilder auf, auch er- scheinen größere Körner vorn und hinten fadenartig ausgezogen. Am häufigsten aber zeigen die Körner die Neigung, sich kettenartig meist zu drei oder vieren anzuordnen; die einzelnen Körner sınd von verschiedenem Durchmesser und der Größe nach aneinander gereiht, das dickste, letzte trägt manchmal noch ein kleines schwanz- artiges Fädehen oder ein winziges Körnchen. Solche Kettchen finden sich hauptsächlich im mittleren Teil der Zelle und bilden hier die „Uhondriokonten“, die bei schwächerer Vergrößerung als Fädchen erscheinen, bei stärkeren Systemen aber einen körnigen Aufbau erkennen lassen. Die Chondriokonten scheinen teils durch Streekung der gedrungenen Körnerkettchen, hauptsächlich des Ver- bindungsgliedes, teils durch Aneinanderreihung kleiner Dreikörner- kettchen zu entstehen und legen sich ihrerseits wieder zu längeren, verästelten Fäden zusammen. Im vorderen Abschnitt der Zelle lösen sich die Chondriokonten wieder auf; zunächst zeigen sich kleine Ballen von 4 oder 5 Körnchen, später aber liegen En die Mitochondrien einzeln am un distalen Zellende zwischen den B großen Sekretballen und dem feinkörnigen reifen Sekret ver- teil. Auch ın den Sekret- ballen treten häufig Körnchen auf, die in ıhrem färberischen Verhalten mit Mitochondrien übereinstimmen; sie sind viel- RER leicht Mitochondrienderivate; Abbild. 1. als echte Mitochondrien kann man sie nicht auffassen, da sie mit dem Eintritt in das geformte Sekret ihre Selbständigkeit verloren haben. Wird die Drüsentätigkeit durch Hunger gehemmt, so wird der Mitochondriensaum immer kümmerlicher und schwindet allmählich, während die basophilen Substanzen besondere Formen annehmen, die im nächsten Abschnitt eingehend erörtert werden; vor allem aber staut sich das Sekret in großen Massen an und erfüllt fast die ganze Zelle, indem es die anderen Strukturen immer mehr ver- drängt. Nach 2—3monatlichem Fasten liegen an der Basıs der Drüsenzelle nurmehr einige wenige Körnchen; die Mitochondrien, die in der inneren Zelle im Plasma zerstreut lagen, schließen sich zu Chondriokonten zusammen, die häufig hakenförmig gebogen oder korkzieherartig gewunden erscheinen; sie sind feiner und zarter als in der normalen Drüse (Textfigur 2). Die gleichen Bilder zeigten sich, wenn die Drüsentätigkeit durch Atropineinwirkung gelähmt wurde. An der Zellbasis findet keine Neubildung der Mitochondrien 39* Abbild. 2. »66 H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung etc. mehr statt, der Saum schwindet bis auf wenige Körnchen, ın der übrigen Zelle zeigen die Mitochondrien, ganz wie beim Hungerver- such, die Neigung sich zu schrauben- und häkchenförmigen, gewun- denen und gebogenen Chondriokonten zusammenzulegen. Bei starker Fütterung der Hungertiere vermehrt sich nach Beginn der Nahrungs- aufnahme zunächst die Zahl der vereinzelten Körnchen an der Basıs. Die neu auftretenden Mitochondrien sind zarter als die der normal- funktionierenden Zelle, Doppelkörnchen sind äußerst selten und stets von größerem Durchmesser. Die einzelnen Körnchen verteilen sich rasch über die ganze Zelle und finden sich rings im Plasma verstreut, ehe sie sich noch an der Basıs zu einem dichten Saum zusammengeschlossen haben. Im mittleren und vorderen Teil legen sie sich allmählich kettchenartig hintereinander, erst spät kommt es zur Bildung der Ohondriokonten, so daß die Zelle wieder einer normalen gleicht. Über das Auftreten der Mitochondrien in der embryonalen Drüse konnte ich leider aus Mangel an Material nur wenige Beob- achtungen machen. Zunächst finden wir ın allen embryonalen Zellen reichlich Mitochondrien, anscheinend regellos im Plasma verteilt. Auch in den Zellen des Darms zeigen die Körnchen noch keine spezifische Anordnung. Es scheint, daß bei der Differenzierung der Leberzellen, die ursprünglich regellos im Plasma verteilten Mitochondrien sich zunächst an den Rändern der Zelle, später aber ausschließlich an der Basis anhäufen. Da ich die Verhältnisse jedoch nicht eingehend studieren konnte, möchte ıch diese Andeutungen nur bedingt, vorbehaltlich späterer Untersuchungen, geben. b) Die basophilen Strukturen: Schon ın der lebenden Zelle lassen sich deutlich strangförmige Gebilde erkennen, die sich in der Längsachse der Zelle hinziehen und das gleiche Lichtbrechungs- vermögen wie der Kern besitzen. Auf gefärbten Schnittbildern treten sie durch ihre Verwandtschaft zu Kernfarbstoffen außerordent- lich deutlich hervor und seien deshalb basophile Strukturen genannt. Sie färben sich lebhaft mit Safranın, Heidenhain und Delafield; bei Anwendung der Benda’schen Methode nehmen sie ein braunes Kolorit an. Gegen ihre Umgebung sind sıe nicht scharf abgegrenzt, vielmehr verlieren sich ihre feinen Ausläufer im Plasmagerüst. Oberhalb des Körnersaums treten sıe zahlreich als parallellaufende, feingeschwungene Fäden auf, die scheinbar aus dem Mitochondrien- saum herauswachsen, denn ihre basalen Enden liegen zum Teil noch innerhalb der Mitochondrienmasse und werden bei Benda- Färbung durch die stark violett gefärbten Körnchen verdeckt, so daß erst oberhalb des Saumes die braunen Streifen ım Plasma erkannt werden können; umgekehrt verdecken auf Safranın-Lichtgrün-Bildern die stark basophilen Elemente im umgebenden Plasma das Grün H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung etc. 567 fast völlig und nur ein schmaler grüner Streifen an der Basıs weist auf die Bildungszone der Mitochondrien hin. Sie unterscheiden sıch also vor allem durch ıhr färberisches Verhalten, durch ihre eroße Affinität zu Kernfarbstoffen und das Ablehnen des von den Mitochondrien begierig angesogenen Kristallvioletts, ferner aber auch dadurch, daß sıe ım Gegensatz zu Mitochondrien weder in Essigsäure noch in Alkohol löslich sind. Daraus können wir auf eine weitgehende Verschiedenheit der chemischen Natur der beiden Strukturen schließen. Die Fäden, die zunächst parallel einzeln an der Basıs entspringen, vereinigen sich dann zu Fadenbündeln und Strängen, die nach der Mitte der Zelle sich über den Kern hinaus vorschieben. Da der große Kern ihrer Bewegung ein starkes Hin- dernis entgegensetzt, so müssen sıe sich an ıhm vorbeidrängen und umlagern ıhn ın dichten Strängen. Bei lebhafter Drüsentätigkeit erfüllen die basophilen Stränge oft die ganze Zelle von der Basıs bis zur Spitze (Textfigur 3). Besonders reich sind diese Strukturen nach Pilokarpin- reizung entwickelt, die ein- zelnen Fäden sınd zarter und feiner als beı langsamer Se- kretion und liegen ın der ganzen Zelle so dicht ge- drängt, daß bei schwacher Vergrösserung das Plasma eine vollständig diffuse chroma- tische Färbung zeigt. Wird die Drüsentätigkeit durch Hunger oder Atropin gelähmt, so zeigen die Fäden die Neigung, sich zusammenzuknäueln. Nach einmonatlichem Hunger legen sich die Fadenstränge enger zusam- men und bilden offene Locken. Im zweiten Monat rollen sie sich vollkommen ein und bilden Fadenknäuel oder Wickel (Textfigur 4). Diese eben entstehenden Wickel sind zunächst sehr groß, da die Stränge noch locker und weit voneinander liegen, allmählich schließen sie sich immer fester zusammen, so daß die Wickel kompakter, schärfer konturiert und kleiner werden. Gelegentlich auch sind zwei Locken in einem Wickel vereinigt und zeigen uns das Bild eines zusammengesetzten Wickels. Solche Formen übertreffen sogar den Zellkern an Größe, während sie im allgemeinen hinter ıhm zurückbleiben. Die Wickel liegen meist zwischen Basis und Zell- kern und bilden mit den schraubenförmigen Chondriokonten die typische Hungerstruktur der Drüsenzelle (Textfigur 2). Neue Faden- gebilde treten an der Basıs nicht mehr auf und alle Filamente imi Plasma vereinigen sich ın den Wickeln. Im dritten Hungermonat liegen in allen Drüsenzellen 1-9 Wickel, von dem reichen Sekret BEZ I u Abbild. 4. 568 H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung ete. zıemlich an die Basıs gedrängt. Wenn die Wickel in größerer Zahl auftreten, etwa 6—9, dann sind sie kleiner als bei weniger zahl- reicher Bildung. Beı längerem Hunger werden sie allmählich zu kompakten Klumpen, bis sie schließlich nach über 5monatlichenı Hunger in regellose Brocken zerfallen. In der degenerierenden Zelle eines 6 monatlichen Hungertiers finden sich noch zahlreiche, im Plasma zerstreute basichromatische Klümpehen, die auf solchen Zerfall zurückzuführen sind. Ebenso wie das Bildungsmaterial, die Fäden, reagieren auch die Wickel durchweg basichromatisch. Bei Anwendung der Benda- Färbung zeigen sıe ebenfalls den braunen Farbton des Chromatins, häufig aber äußerlich eine blaue Kontur. In vereinzelten Fällen gewinnt man den Eindruck, daß sich die Chondriokonten den Wickeln sekundär aufgelagert hätten. (Der später erscheinenden Arbeit sind Abbildungen davon beigegeben.) Doch möchten wir derartige, äußerst seltene Verbindungen mehr einem zufälligen Zu- sammenliegen zuschreiben, denn im allgemeinen zwingt uns ja eine blaue Linie keineswegs, diese Form der Fadenstruktur mit der Mitochondriensubstanz zu identifizieren, da die Benda-Färbung durchaus keine spezifische ıst, sondern von den verschiedensten Strukturen, sogar vom Chromatin selbst gelegentlich aufgenommen wird. Wenn die Hungertiere nach ungefähr 3monatlichem Fasten erneut gefüttert werden, so können sich auch die Wickel zur fädıgen Struktur, wie sie an der normalen Zelle beobachtet wurden, zurück- bilden. Die Wickel finden sich im vorderen Teil der Zelle; wir können mit Barfurth annehmen, daß durch den Austritt des Se- kretes in der Zelle eine lebhafte Plasmaströmung entsteht, welche die Wickel nach vorne schiebt und dabei läßt sich auch eine all- mähliche Lockerung der Stränge und Auflösung ın einzelne Fäden erkennen. Nach Abwicklung der Knäuel beobachtet man an der Basis die Neubildung der Mitochondrien und erst wenn der Mı- tochondrialapparat schon reichlich entwickelt ıst und sich zum Körnchensaum zusammengeschlossen hat, treten die ersten neuen basophilen Fädchen an der Zellbasis oberhalb der Mitochondrien- zone auf. In den Embryonen lassen sich die basophilen Strukturen, ım Gegensatz zu den Mitochondrien, erst sehr spät beobachten. Erst in jenen Entodermzellen, die sich durch Eiweißaufnahme stark ver- größern und zu Leberzellen entwickeln, treten an der Basis feine parallele Fädchen auf, die sich bald auch in der Mitte der Zelle und im vorderen Abschnitt über den Kern vorgeschoben finden; das Plasma selbst weist vorne eine feine Körnelung auf, bis sich hier Sekretballen und reifes Sekret bilden. In derartig funktio- nierenden Zellen mit fädiger Struktur konnte nie eine Mitose bhe- a u H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung ete. 569 obachtet werden, so daß wır annehmen dürfen, daß nur undifferen- zıerte Zellen sich teilen und zur Vergrößerung des Epithels bei- tragen. Selbstverständlich fehlen den Embryonen sowohl, wıe später auch den jungen Normaltieren, die Wickel. Erst Ende des Monats Dezember konnte in vereinzelten Zellen der im Maı ausgeschlüpften Tiere, die in natürlichen Bedingungen, d. h. kaltem Wasser und winterlicher Nahrungsbeschränkung gehalten wurden, ein Aufknäueln der Fäden beobachtet werden. Doch traten diese Bildungen keines- wegs so reichlich auf wie ın jenen Tieren, deren Drüsentätigkeit durch vollkommenen Hunger oder durch Atropin einschneidend unterbrochen wurde. Da diese Fadengebilde in ihrem färberischen Verhalten auf- fallend mit dem Kern übereinstimmen, so liegt die Vermutung einer Verwandtschaft beider Strukturen ziemlich nahe. In der Tat zeigen beide auch gegenüber Säuren und Alkalien, Trypsin- und Pepsinverdauung die gleichen chemischen Reaktionen, wie dies in der ausführlichen Arbeit gezeigt werden wird. Der Umstand, daß die basichromatischen Fäden sıch dem Kern- chromatin auffallend ähnlich verhalten, macht es wahrscheinlich, daß sie zum mindesten eine der Nucleinsäure ähnliche Komponente enthalten. Ein genetischer Zusammenhang zwischen Kern und Struktur tritt jedoch nirgends hervor. Glykogen: Veranlassung zur Glykogenfärbung boten die Kem- uıtz’schen Untersuchungen, an Nematoden, in denen der Autor zum Resultat kam, daß die früher als Chromidien gedeuteten meta- chromatischen Stränge der Askariszellen, die in ıhrer Gestalt den basophilen Strukturen der Planorbisleber ähneln, als Stoffwechsel- produkte des Glykogens aufzufassen seien. Es zeigt sıch aber, daß das Glykogen nur in Tröpfehenform in den bindegewebigen Ele- menten auftritt, und weder nach Lage noch nach Gestalt mit den extranukleären Strukturen der Drüsenzelle zu identifizieren ist. 2. Die Resorptionszellen und ihre Beziehungen zu den Sekretzellen. Zwischen die eben beschriebenen Sekretzellen schmiegen sich die feinen, schlanken Resorptionszellen. Ihr schmaler Fuß scheint durch den Seitendruck ganz zusammengepreßkt und läßt sich oft schwer bis an die Membrana propria verfolgen. Erst wenn der schlanke Stiel sich zwischen den Sekretzellen hindurch gewunden hat, dehnt sich die Zelle keulenförmig aus und ragt weit in das Lumen der Drüse vor. Der Kern liegt im schmalen Stiel und ist außerordentlich klein und schmal, länglich, mit punktförmigem Chro- matin-Nucleolus. Der dem Lumen zugewandte Saum der Zelle ist stets dicht mit Mitochondrien besetzt. Von dem Mitochondriensaum der Drüsenzelle unterscheidet er sich nicht nur durch die entgegen- 570 H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung ete. gesetzte Lage, sondern vor allem durch die größere Zartheit seiner Körnchen. Die Mannigfaltigkeit der Formen, die wir bei den Mi- tochondrien der Drüsenzellen beobachten konnten, wird hier voll- kommen vermißt. Durch diesen Körnchensaum diffundiert das Resorptionsmaterial in die Zelle hinein und erfüllt in Gestalt feiner Tröpfehen den vordersten Teil der Zelle. Das Plasma zwischen diesen Tröpfehen ist von feinen Mitochondrien erfüllt. Die morpho- logisch gesonderten Tröpfchen fließen dann zu einer einheitlichen Masse zusammen, die allerdings noch ein feingranuliertes Aussehen besitzt, aber keine Mitochondrien mehr zeigt. Sie ist von der Tröpfchenregion durch eine halbkreisförmige Vakuole getrennt und verliert sich nach unten im Plasma der Zelle. Basophile Fäden und Wickel fehlen vollkommen. Bei den zur Ermittlung der Bedeutung der Strukturen vorge- nommenen Hungerfütterungsversuchen ließ sich in der Gesamtdrüse ein deutlicher Funktionswechsel der einzelnen Zellen, ein Übergang der sezernierenden Elemente in resorbierende, beobachten. Rein zahlenmäßig überwiegen während der Huugerperiode bei weitem die Drüsenzellen. Sie sind reich mit Sekret angefüllt und prall ausgedehnt. Zwischen diese mächtigen Zellen schmiegen sich die schlanken Resorptionszellen, deren vorderer Teil nur schwach in das Lumen vorspringt. Bei darauffolgender längerer Fütterung ver- mehrt sich die Zahl der Resorptionszellen zusehends auf Kosten der Drüsenzellen, die sich schließlich in bedeutender Minderheit be- finden. Erstere sind dann auch bedeutend in die Länge gestreckt, ihr Kolben ragt prall ausgefüllt weit in das Lumen vor. Bei längerer normaler Fütterung läßt sich wieder eine Vermehrung der Sekretzellen beobachten. Neben dieser statistischen Feststellung, die sich auf Übersichtsbildern klar ergibt, können auch in der Zelle selbst Strukturveränderungen wahrgenommen werden, die auf einen ° Funktionswechsel der Zelle schließen lassen. Es läßt sich aus den Präparaten eine Serie von Bildern zusammenstellen, die alle Über- gänge von der schlanken Resorptionszelle zur bauchigen, gedrungenen Sekretzelle zeigt. Dieser Vorgang wird offenbar durch das Auf- treten der Mitochondrien im Stiel eingeleitet. Die neu entstehenden Körnchen sind zunächst äußerst zart und fein, bald lassen sich jedoch größere Gebilde erkennen; die Zelle selbst dehnt sich an der Basis mehr aus und verkürzt ihre Längsachse; gleichzeitig ver- größert sich das Volumen des Kerns, er wird groß und rundlich mit großem Ohromatinnucleolus und das Auftreten der basophilen Fäden oberhalb des Mitochondriensaums vervollständigt das Bild der Sekretzelle. Auf diese Weise lassen sich die Zellverwandlungen in einen geschlossenen Kreis anordnen und bestätigen unsere An- sicht, daß die gleiche Zelle je nach Lebensbedingungen sezernieren oder resorbieren kann. N H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung etc. ya 3. Gbesamtüberblick iiber die Periodizität der Sekretion und ihrer Strukturen. In den verschiedenen Funktionszuständen bietet die Drüsenzelle folgende Bilder: In der normalen Zelle finden wır eine reiche Ent- wicklung der Mitochondrien und der basophilen Fäden, während ım vorderen Teil der Zelle das Sekret nur schwach entwickelt ist. Der Kern ist groß und stark chromatisch. Wenn nun die Funktion der Drüse gestört wird, staut sich das Sekret in der Zelle an und ın gleichem Maße vermindert sich die Masse der Strukturen. Die Mitochondriensubstanz läßt sich hauptsächlich in den gewundenen Chondriokonten nachweisen, die basichromatischen Fäden knäueln sich in Wickel zusammen; Größe und Chromatızıtät des Kerns nehmen ab. Bei Erneuerung der Zelltätigkeit entstehen zuerst die Mitochondrien an dem der Sekretentleerung entgegengesetzten Pol, dann ebenda die neuen basophilen Strukturen und spät erst läßt sich das Sekret beobachten. Im gleichen Rhythmus arbeitet die junge, zum erstenmal sezernierende Zelle. Dem sekretfreien Zu- stand entspricht stets die Höchstausbildung der Strukturen und die reichste Anhäufung an Sekret ist von einer Verminderung der Mı- tochondrien und der basichromatischen Fäden begleitet, oder: die Menge beider Drüsenstrukturen ist der des Sekrets stets umgekehrt proportional. Aus dieser Reziprozität geht deutlich hervor, daß diese beiden Strukturen am Aufbau des Sekrets beteiligt sind, und wir können daher die Ergebnisse der Untersuchung kurz folgender- maßen zusammenfassen: 1. Die Sekretion ist die Folge der ver- einten Tätigkeit von Kern und Protoplasma. Die Beteiligung des Kerns an der Sekretion geht aus seiner wechselnden Größe und Ohromatizität deutlich hervor. Es besteht jedoch keine Kontinuität zwischen Kernsubstanz und Sekret; die Kernmembran ist stets in- takt; es läßt sich kein Substanzaustritt konstatieren; Chromidien- bildung findet nicht statt; daher sind die Beziehungen zwischen Kern und Sekretion morphologisch nicht zu fassen. 2. Die Tätigkeit des Protoplasma findet ihren Ausdruck in zwei Formen: den Mitochondrien und den basophilen Strukturen. 3. Die Mitochondrien sind kein permanentes Zellorgan, sondern entstehen in jeder Arbeitsperiode de novo aus dem Protoplasma. Die jüngsten Mitochondrien treten als einzelne, äußerst zarte, feine Punkte an der Grenze des eben Sichtbaren im Plasma auf. Wir können sie daher eher für eine Differenzierung des Protoplasmas, die vielleicht metamikroskopisch noch viel feiner ım Plasma ver- teilt ist und auf einem späteren Stadium eben für unsere Technik greifbar wird, halten. Die Ubiquität der Mitochondrien spricht da- für, daß es sich hier um eine außerordentlich frühauftretende, all- gemeine, vielleicht die erste und allgemeine Struktur des aktıven 972 H. Lutz, Physiologische und morphologische Deutung ete. Protoplasmas handelt, die der Entwicklung der verschiedensten Dinge: Nerven- und Muskelfasern, Drüsenprodukte, Pigmente, überhaupt vielleicht aller Zellprodukte zugrunde liegt. In ihnen sehen wir die Faktoren, die die allgemeine Tätigkeit der Zelle einleiten und dürfen auch die ersten Anfänge der Sekretion auf sıe zurückführen. Die Bildung eines Körnchensaums am distalen Ende der Resorp- tionszelle, dem Ausgangspunkt der resorbierenden Tätigkeit, steht ebenfalls mit der Ansıcht, daß die Zellfunktion durch Mitochondrien eingeleitet wird, in schöner Übereinstimmung. Ein direkter Über- gang mit Mitochondrien ın Sekret läßt sich jedoch nie beobachten und scheint ausgeschlossen. Wır können die Mitochondrien als allgemeine funktionelle Struktur jeder tätigen Zelle auffassen, deren Beteiligung an der Sekretion indirekt, erst in Verbindung mit den anderen Komponenten sıch äußert. 4. Die an unserem Objekt beobachteten basophilen Strukturen scheinen eine Differenzierung des Protoplasmas zu sein, deren feine Ausläufer ım Gerüstwerk des Plasmas untergehen. Sie entstehen vielleicht durch physikalische Verdichtung und durch chemische Umwandlung der Matrix in eine Substanz, die der Nucleinsäure äußerst nahe steht, wie Lösungs- und Verdauungsversuche zeigten; die basophilen Fadenstrukturen sınd eine spezifische Erscheinung der sezernierenden oder ähnlich funktionierenden Zellen. In den übrigen Zellen jedoch wurden sie selten mit Sicherheit beobachtet und besitzen also keine so allgemeine Verbreitung, wie die Mito- chondrien. Die Fäden sind die Form der tätigen Struktur, die Fadenknäuel sind der Ausdruck der Ruhe. In ihnen wird das Ma- terial, das noch nicht reif genug ist, um in die Hungersekretballen einzugehen, kondensiert bis zur nächsten Arbeitsperiode der Drüse aufgespeichert. 5. Die basophilen Strukturen entsprechen dem Ergastoplasma. Mitochondrien und Ergastoplasma kommen gleichzeitig nebeneinander in der Zelle vor und sind durchaus verschiedene Gebilde. Die ersteren liegen durchaus frei und selbständig im Protoplasma, letz- tere scheinen eine strangförmige Erscheinungsform des Protoplasmas selbst zu sein. Es handelt sich hier um zwei morphologisch wohl- gesonderte Strukturen, die auch in ihrem färberischen Verhalten und in ihrem chemischen Aufbau weitgehende Differenzen zeigen. Diese Unterschiede schließen jedoch keineswegs engere Be- ziehungen zwischen beiden Strukturen aus. Unter den Tatsachen, die auf einen, wenn nicht genetischen, so doch kausalen Zusammen- hang hinweisen, finden wir zunächst den Umstand, daß die Basal- filamente in unmittelbarer Nähe der Mitochondrien, innerhalb oder oberhalb des Saums, sich entwickeln. Wir haben weiterhin beob- achtet, daß bei Hungerfütterung nach dem Auflösen jeglicher Plasma- struktur der in der vorhergehenden Arbeitsperiode der Zelle gebil- A. Lipschütz, Zur Frage des physiologischen Unterrichts an der Universität. 575 deten Wickel zuerst die Mitochondrien auftreten und sich ın der ganzen Zelle verstreuen, ehe es zur Bildung basichromatischer Fäden kommt. Auch ın der embryonalen Zelle sind die Mitochondrien von Anfang an vorhanden, während die Fadenstrukturen erst in der funktionierenden Drüsenzelle oberhalb des Mitochondriensaumes auftreten. Daran dürfen wir die Vermutung knüpfen, daß sich die baso- philen Strukturen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Mito- chondrien als eine besondere Umwandlung des Protoplasmas ent- wickeln. Die Mitochondrien, als allgemeine, ın tätigen Zellen vorkommende Struktur, sind durchaus nicht an die basophilen Elemente gebunden; die zeitliche und topographische Entstehung der basophilen Fäden jedoch unseres Objekts läßt ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis dieser Strukturen von der Mitochondrien- tätigkeit immerhin möglich erscheinen. Figurenerklärung. Fig. 1. Normale Drüsenzelle, fixiert und gefärbt nach Benda- Mitochondrientechnik. Zeiß Apochrom. 2 mm, Okular S. Zeichentisch in Objekttischhöhe. Fig. 2. Drüsenzelle nach 7 wöchigem Fasten, fixiert und gefärbt nach Benda- Mitochondrientechnik. Zeiß Apochrom. 2 mm, Okular 8. Zeichentisch in Objekttischhöhe. Fig. 3. Normale Drüsenzelle, lebhaft sezernierend; fixiert Sublimat (daher Mi- tochondriensubstanz unvollkommen) gefärbt Eisenhämatoxylin-Heiden- hain. Zeiß Apochrom. 2 mm, Okular 8. Zeichentisch in Objekttischhöhe. Fig. 4. Drüsenzelle nach 6 wöchigem Fasten; fixiert Petrunkewitsch (Mitochon- driensubstanz gelöst), gefärbt Eisenhämatoxylin - Heidenhain. Zeiß, Apochrom. 2 mm, Okular $8. Zeichentisch in Objekttischhöhe. Zur Frage des physiologischen Unterrichts an der Universität. Von Alexander Lipschütz, Bern. Der Aufsatz von Bethe!) ım Juliheft dieser Zeitschrift gibt mir den Anlaß, noch einmal auf eine Frage zurückzukommen, die ich schon an einer anderen Stelle behandelt habe’). In meiner Broschüre habe ich darauf hingewiesen, daß die physiologische Forschung und der physiologische Unterricht heute ganz auf die Bedürfnisse der medizinischen Fachschule zugeschnitten sind, und daß darum der angehende Biologe, der in der großen 1) Bethe, Die Physiologie in ihrem Verhältnis zur Medizin und Naturwissen- schaft. Biologisches Zentralblatt, Bd. 37, Nr. 7. (Das Heft ist erst am 16. Oktober in unserer Bibliothek angekommen.) 2) Lipschütz, Physiologie und Entwicklungsgeschichte und über die Anf- gaben des physiologischen Unterrichts an der Universität. . Jena 1910. 574 A. Lipschütz, Zur Frage des physiologischen Unterrichts an der Universität. Mehrzahl der Fälle Lehramtskandidat ıst, beim besten Willen nicht ımstande ıst, Physiologie an der Universität zu hören. Ich habe auch hervorgehoben, daß den Physiologen, die an der medizinischen Fakultät lehren, daraus natürlich kein Vorwurf erwachsen kann, da ja der Unterricht in der medizinischen Fakultät den Anforde- rungen entsprechen muß, die der zukünftige Arzt an den Unter- rıcht stellt. Den Ausweg aus dieser Sıtuatıon, die ich als hemmend für eine sedeihliche Entwicklung sowohl der biologischen Wissenschaft, als des biologischen Unterrichts halte, erblicke ıch nun ın einem geeigneten Ausbau des physiologischen Unterrichts an der natur- wissenschaftlichen Fakultät, wo die Physiologie ganz unabhängig von den speziellen Anforderungen des zukünftigen Arztes gelehrt werden soll. Man darf darum die Phvsiologie, wie sie heute an der medizinischen Fakultät gebracht wird, nicht einfach in der natur- wissenschaftlichen Fakultät neu erstehen lassen. „Aber dıe Phy- sıologie ım Rahmen der naturwissenschaftlichen Fakultät soll auch kein Anhängsel der Zoologie seın*, fügte ıch auf Seite 22 ın Sperrdruck Ka „Denn ech die ee Phv- sıologie, wie sie heute erfreulicher weise IM Anschluß an den zoolo- gischen Unterricht, in mehr oder weniger fester Verbindung mit der Zoologie, getrieben wird, und die Physiologie der Pflanzen, in mehr oder weniger fester Verbindung mit der Botanik, sie erschöpfen noch nicht Gen Inhalt des nen Unterrichts, wie er ın die naturwissenschaftliche Fakultät hineingehört. Die Physiologie ım Rahmen der naturwissenschaftlichen Fakultät soll eine Allgemeine Physiologie sein.“ Die Allgemeine Physiologie soll Gegenstand „eines eigenen Beach sein. „Die Al gemeine Physiologie soll selbständig sein und enden durch Burn auf ein anderes Fach dem Deikämtskindidaten und dem angehenden Forscher als Binführung in das biolo- gische Wissensgebiet schlechtweg geboten werden.“ Ich wies auch auf die Notwendigkeit hin, den Unterricht in der Allgemeinen Physiologie durch praktische Übungen zu ergänzen. In ihnen soll „das Hauptgewicht darauf gelegt werden, die abgeleiteten all- gemein-physiologischen Gesetzmäßigkeiten an der Hand von geeig- neten Beispielen vorzuführen“. Aus meinen Ausführungen geht klar hervor, daß ich mir die Allgemeine Physiologie als ein selbständiges Lehrfach denke, und daß mein Vorschlag gar nicht die Frage berührt, ob an den naturwissenschaftlichen Fakultäten Lehrstellen für Vergleichende Physiologie oder Tierphysiologie errichtet werden sollen. Ebensowenig habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob solche Lehrstellen Zoologen oder Vertretern eines anderen anerkannten l,ehrfaches anvertraut werden sollen. Trotzdem hat Bethe meinen A. Lipschütz, Zur Frage des physiologischen Unterrichts an der Universität. 3 Vorschlag nicht von denjenigen Jordan’s*) und Stempell’s*) aus- einandergehalten, welche die Forderung aufgestellt haben, daß Vergleichende Physiologie oder Tierphysiologie in den biologischen Unterricht eingeführt werden sollen. Mein Vorschlag geht über die Forderung eines tierphysiologischen Unterrichts hinaus, und ich habe ausdrücklich gesagt, daß der Unterricht in Allgemeiner Physiologie für mich etwas anderes bedeutet, als der Unterricht in Vergleichender Physiologie. Den Unterricht in Vergleichender Physiologie der Tiere setze ich als selbstverständlich voraus, wie auch den Unterricht in der Pflanzenphysiologie. Ich lasse in meiner Broschüre keinen /weifel darüber, daß ich die Allgemeine Physiologie als ein eigenes Lehrfach auffasse. Es beruht darum auf einem Mißverständnis, wenn Bethe sagt. ich wolle „die neu zu begründende Wissenschaft unmittelbar in den Dienst morphologischer Stammesentwicklungs- lehre stellen“?). Ich habe die Gelegenheit benutzt, die Frage des allgemein-physiologischen Unterrichts an die Besprechung einiger Beispiele anzuknüpfen, die mir ganz besonders geeignet schienen, die große Bedeutung physiologischer Kenntnisse für die Entwick- lungsgeschichte, d. h. für ein bisher beinahe nur von morphologischen Gesichtspunkten aus behandeltes Gebiet, aufzuzeigen. Gleich zu Anfang meiner Ausführungen habe ich erklärt, daß ich die Ent- wicklungsgeschichte als ein Kapitel der Physiologie auffasse, und aus meinen Ausführungen geht nicht hervor, daß ich die Allgemeine Physiologie „in den Dienst morphologischer Stammesentwicklungs- lehre stellen“ will. Die Beispiele, an denen ich die Bedeutung der Physiologie für die Entwicklungsgeschichte erläutere, sind: 1. die Entwicklung der Psyche, 2. die Entwicklung der Homoiothermie, 3. die biologischen Beziehungen zwischen Milch und Dotter. Keines dieser Beispiele ist ein Problem der „morphologischen Stammes- entwicklungslehre“, alle drei Probleme enthalten vielmehr in sich die Voraussetzung, daß die Probleme der Stammesgeschichte physiologische Probleme sind. Ich habe in meiner Broschüre zu zeigen versucht, daß die vergleichend-anatomische und embryo- logische Betrachtung für die Behandlung der beiden ersteren Probleme nicht genügt und daß beı der Behandlung des dritten Problems die Ergebnisse der morphologischen Betrachtung durch die physiologische Diskusion bestätigt und ergänzt werden. (segen die Behauptung von Bethe, „die starke Betonung der Beziehungen der Physiologie zur Entwicklungslehre“* sei von mir vielleicht „nur als Köder für wıderstrebende Morphologen ... aus- geworfen“, brauche ich mich wohl kaum zu verteidigen. Ich habe 3) Jordan, Zoologie und Physiologie. Zoolog. Anzeiger, Bd. 47, 1916. 4) Stempell, Die Physiologie im zoologischen Unterricht. Zoolog. Anzeiger, Bd. 48, 1917. 5) Bethe, l. e.. Vgl. S. 329. 576 A: Lipschütz, Zur Frage des physiologischen Unterrichts an der Universität. mıt meinen Ausführungen auch nicht den geringsten Anlaß zu einer derartigen Annahme gegeben. Ich werfe gegen Fachkollegen keinen Köder aus, auch wenn es „widerstrebende Morphologen“ sind. Ich will die Morphologen überzeugen, nicht fangen. Wenn die Mor- phologie bisher abseits von der Physiologie gegangen ist, so liegt das ebensowenig an der Schuld der Morphologen, wie an der Schuld der Physiologen, sondern an Momenten, die in der historischen Entwicklung der biologischen Wissenschaft und des theoretischen Denkens schlechtweg begründet sınd. Nachdem Bethe irrtümlicherweise annımmt, daß ich die Physio- logie „unmittelbar in den Dienst morphologischer Stammesentwick- lungsgeschichte stellen“ wıll, führt er den Nachweis, daß ein „der- artiges Programm“ nicht zu unterstützen sei, und hält entgegen, daß die morphologische Betrachtungsweise schon jetzt viel zu sehr in den biologischen Wissenschaften überwiegt, daß eine Bestärkung der morphologischen Betrachtungsweise ein Schaden wäre u.s. w. Ich kann es nur einer ungewollten Verwechslung zuschreiben, wenn Bethe das alles ın einen Gegensatz zu meinen Ausführungen bringt. Ich sage auf der ersten Seite meiner Ausführungen: „Physiologie und Morphologie standen sich früher als selbständige Teilgebiete der biologischen Wissenschaft gegenüber, als Dynamik und Statik in der Biologie. Nachdem aber mit der Entwicklungslehre auch die Morphologie aufgehört hatte, Statik zu sein, um Dynamik zu werden, hat sie, logisch genommen, auch aufgehört, eine der Phy- sıologie koordinierte Wissenschaft zu sein. Sie ıst ein Kapitel der Physiologie geworden“. Auf Seite 21 sage ich wiederum, indem ich auf „die logischen Beziehungen zwischen Physiologie und Mor- phologie* hinweise: „Die Morphologie ist in Wirklichkeit ein Kapitel der Physiologie.“ In meinen Ausführungen läuft ja alles darauf hinaus, zu zeigen, daß die Denkmittel der Morphologie, d. h. die vergleichend-anatomische und embryologische Methode, „alleın für sich nicht genügen, um uns weit genug in der Erkenntnis zu führen“ (Seite 7). Sn Es unterliegt keinem Zweifel, daß die weitgehende Spezialisierung in der physiologischen Wissenschaft die Forscher von den allge- meinen, umfassenden Problemen der Physiologie abführen muß. Es ist aber zum Schaden der ganzen physiologischen Wissenschaft, wenn mit der Spezialisierung in der Richtung auf Probleme, Objekte und Methoden nicht die Tendenz einhergeht, die Verallgemeinerung, die synthetische Verarbeitung des gewonnenen Tatsachenmaterials eben- falls zu einer Spezialität zu machen. Es ist darum zweckmäßig, daß in der Gemeinschaft der biologischen Wissenschaften auch die Allgemeine Physiologie eine selbständige Existenz führe. Aus der A. Lipschütz, Zur Frage des physiologischen Unterrichts an der Universität. D77 synthetischen Verarbeitung des bekannten Tatsachenmaterials er- wachsen ihr die Hinweise, ın welcher Richtung einzelne Probleme experimentell noch weiter zu bearbeiten sind, und in dieser Rich- tung muß sie experimentell forschen. Nicht durch Objekt oder Methode unterscheidet sie sich von den Speziellen Physiologien, sondern durch die Richtung auf allgemeine physiologische Probleme, die in den Speziellen Physiologien in ihrer Allgemeinheit nicht be- handelt werden können. Eine Frage für sich ist es, ob der Allgemeinen Physiologie auch in der Lehre, im Unterricht eine selbständige Stellung ein- geräumt werden soll. Diese praktische Frage muß gesondert be- handelt werden mit Hinsicht auf die Ausbildung der Lehramts- kandidaten und der Mediziner. In meiner Broschüre habe ich auseinandergesetzt, warum ich eimen allgemein-physiologischen Unterricht im Sinne eines eigenen Lehrfaches sowohl für die einen, als für die anderen wünschenswert halte. Zuntz hat sich dieser Forderung angeschlossen und möchte „es auch für den Mediziner für sehr günstig halten, wenn ıhm eine möglichst weitschauende biologische Vorlesung als Grundlage seiner weiteren physiologischen Studien gegeben würde und dafür das doch nur mit geringem Interesse betriebene Studium der speziellen Botanik und Zoologie aus dem präpodentisch-medizinischen Studium gestrichen würde®)*. Wieder eine andere Frage ıst es, ob es besondere Professuren für Allgemeine Physiologie geben soll und ob diese Professuren der medizinischen oder der naturwissenschaftlichen Fakultät ange- gliedert werden sollen. Da die medizinische Fakultät sich mehr und mehr zur medizinischen Fachschule entwickelt, und da diese Entwicklung aufzuhalten ebensowenig möglich sein wird, wie den Charakter der Technischen Hochschulen als Fachschulen abzuändern, so wäre es am zweckmäßigsten, die Allgemeine Physiologie als selbständiges Fach durch eine besondere Lehrkraft vertreten zu lassen und der naturwissenschaftlichen Fakultät anzugliedern, in welcher die Tendenz auf die Fachschule hin in viel geringerem Maße ausgesprochen ist. Der Allgemeinen Physiologie würde dabei dieselbe Stellung in der Organisation der Universitäten zuteil wie der Chemie, der Physik, der Zoologie und Botanik. Allerdings wäre es noch zweckmäßiger, auch die Physiologie des Menschen, und ebenso die Anatomie, also alle vorklinischen Disziplinen, der naturwissenschaftlichen Fakultät anzugliedern’). Doch gebe ich zu, daß diese letzteren Fragen 'nur von Fall zu Fall zu entscheiden sind, 6) Vgl. die Besprechung meiner Broschüre von Zuntz in der Deutschen Medizin. Wochenschr. v. 22. Febr. 1917. 7) Herr Prof. Th. Studer in Bern hat mich auf diese Lösung der Frage hingewiesen. 578 H. Jordan, Über besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren ete. da es in der Praxis nicht möglich ist, Unterrichtsfragen unabhängig von der historischen Entwicklung des biologischen Unterrichts in den einzelnen Ländern oder an den einzelnen Universitäten, ja un- abhängig von schon bestehenden persönlichen Verhältnissen zu be- handeln. Auf alle Fälle müssen wir es sehr begrüßen, daß einige Zoologen, wie Jordan und Stempell, von sich aus den Schritt zu einer Einbeziehung der Tierphysiologie ın den biologischen Unterricht gemacht haben. Das große Interesse, das die Lehrerkreise allge- mein-physiologischen Fragen entgegenbringen, läßt hoffen, daß auch der Forderung eines Ausbaues des allgemein-physiologischen Unterrichts ın absehbarer Zeit entsprochen werden wird. Zum Schluß möchte ich noch folgendes Schema für den physio- logischen Unterricht ın der naturwissenschaftlichen Fakultät ent- werfen: ; Vorlesungen. Praktische Übungen. 1. Allgemeine Physiologie. 1. Kurzes allgemein - physiologi- sches Praktıkum. 2. Physiologie des Menschen. |) 2. Tierphysiologisches Prak- 3. Tierphysiologie. J tıkum. 4. Pflanzenphysiologıie. 3. Pflanzenphysiologisches Prak- tıkum. Über besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren mit echtem Hautmuskelschlauch. Ein Beitrag zur physiologischen Charakterisierung von Tiergruppen. Von H. Jordan, Utrecht. In der Zoologie vollzieht sıch langsam aber deutlich merkbar eine Schwenkung. Vom einseitigen Studium der Abstammung wendet man sich wieder mehr demjenigen der Gesamtorganısation zu. Soll dies aber konsequent geschehen, dann darf man die Lehre von der Leistung der Organe nicht als eine Wissenschaft für sich betrachten: Die Organısation läßt sich ausschließlich durch Er- gründung ihrer anatomischen und physiologischen Elemente ver- stehen: zur zoologischen Charakterisierung eines Tieres gehört auch seine spezielle Physiologie. Ich möchte im folgenden ein Beispiel dafür geben, wie ein be- stimmter Organısationstypus, in seiner Gegensätzlichkeit zu anderen, nur verstanden werden kann, wenn man das mechanische Geschehen bei diesen lebenden Systemen, und in letzter Linie die speziellen Eigenschaften ihrer Muskeln kennt. Diese Muskeleigenschaften “s 1” * 1 * u m H. ‚Jordan, Über besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren ete. 579 gehören genau so gut zur zoologischen Beschreibung der betreffen- den Tiergruppe wie irgend ein anatomisches Merkmal. Aktinien, Holothurien, Schnecken, Ascidien u. a. sind sack- förmige Tiere. Die Wand des Sackes ıst — wie bekannt — muskulös. Dieser „Hautmuskelschlauch“ führt alle Bewegungen aus, deren das Tier als Ganzes fähig ist. Echte lokomotorische Extremitäten fehlen. Nun muß aber andererseits — ich habe, auch ın dieser Zeitschrift, schon darauf hingewiesen — solch eine beweg- liche Blase (z. B. eine Schnecke) eine gewisse Festigkeit besitzen, die sie keineswegs einem Skelett verdanken kann. Mit anderen Worten, es muß dauernd ın der Blase Druck oder Turgor herrschen. Hierzu müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: 1. Das Verhältnis der Oberfläche des Hautmuskelschlauches zum Volumen des Inhaltes (Blut, Organe etc.) muß derart sein, daß der Raum des Sackes vollkommen gefüllt ıst. Wäre dies nicht der Fall, dann würde jede Muskelkontraktion zunächst keine (lokomotorische) Bewegung des Tieres erzielen, sondern nur dazu dienen, daß jene Bedingung (nun erst) erfüllt wird, nämlich der Hautmuskelschlauch sich fest um den Inhalt spannt. 2. Auf der anderen Seite darf nicht eine jede Muskelbewegung Überdruck in der Blase erzeugen, denn dann würde jede Bewegung enorm viel mehr Energie beanspruchen, als zur Bewegung schlecht- hin nötig ist. Denn der Überdruck wäre ein Widerstand gegen die Muskelbewegung selbst, der zunehmen würde, je ausgiebiger dıe Muskelverkürzung wäre. Beide Bedingungen können nur dann erfüllt werden, wenn der Normaldruck ım Innern des Hautmuskelschlauches dadurch er- zeugt wird, daß seine Muskeln ın einem dauernden relativen Verkürzungszustand verkehren. Denn wenn eine Muskelgruppe sich verkürzt, ohne daß Überdruck entstehen soll, so muß der Rest der Muskulatur sich ın entsprechendem Maße dehnen, er darf zuvor also nicht ım Zustande größter Länge verkehren. Nur durch Auf- geben einer zuvor bestehenden Verkürzung kann der Muskel ohne Spannungszunahme gedehnt werden. Darauf aber kommt es an. Um zu verstehen, welcher speziellen Einrichtungen dıe Muskulatur hierzu bedarf, wollen wir uns einmal vorstellen, daß unsere sack- oder blasenförmigen Tiere lediglich Muskeln besäßen, wie etwa eın Krebs oder ein Wirbeltier. Solche Muskeln könnten nämlich die genannten Bedingungen nicht erfüllen: Gewiß sind auch sie einer Dauerverkürzung fähig. Würden sie jedoch ın diesem Zustande durch Überdruck in der Blase passiv gedehnt werden, so könnten sie nur wie ein gespanntes Gummiband, d. h. mit Spannungs- zunahme, diesem Drucke nachgeben. Natürlich kann auch der Arthropoden- und Vertebratenmuskel seine Dauerverkürzung aktiv aufgeben, dann etwa, wenn sein Antagonist sich verkürzt. Hierzu >37. Band 40 580 H. Jordan, Über besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren etc. aber bedarf es einer antagonistischen Innervierung dieser zwei stets alternierend arbeitenden Muskelgruppen, so daß zur rechten Zeit, durch Nervenreiz, die Dauerverkürzung (der „Tonus“) aufgelöst wird. Eine solche „antagonistische* Innervierung fehlt den oben ge- nannten blasenförmigen Tieren völlig. Sie würde ihnen auch wenig helfen, da unter den Muskeln des Hautmuskelschlauches von zwangs- mäßigem Antagonismus bestimmter Gruppen untereinander keine Rede ist: Der auszugleichende Überdruck in der Blase kann einmal durch die Verkürzung ganz beliebiger Muskelelemente entstehen und muß dann durch Dehnung etwa aller anderer Muskeln, also nicht von bestimmten Antagonisten vernichtet werden. Er kann aber auch erzeugt werden durch Aufnahme von Wasser oder Nah- rung unter sehr verschiedenen Umständen, so daß dann von Anta- gonismus ım obigen Sinne gewiß keine Rede sein kann. Daher muß dıe Dauerverkürzung der Muskeln unserer Tiere von beson- derer Art sein: Der Widerstand, den sie bieten, muß durch jeden übernormalen Druck passıv überwunden werden, ohne Zuhilfenahme eines Reflexes. Die Muskeln geben nach, ohne je ihren normalen Widerstand aufzugeben. Allein neuer Widerstand, d. h. elastische Spannung, entsteht in ıhnen durch die Dehnung nicht. Bekanntlich nennt man jede normale muskuläre Dauerverkürzung Tonus. Derjenige Tonus, mit dem wir uns hier zu beschäftigen haben, zeichnet sich aus durch jenes Fehlen elastischer Erscheinungen bei passiver Dehnung. Man kann daher von „plastischem Tonus“ reden!), im Gegen- satz zum elastischen Tonus, wie er bei Arthropoden- und Vertebraten- muskeln vorkommt. Daß es sich ın beiden Fällen um prinzipiell verschiedene Erscheinungen handelt, beweise ich andernorts’). 1) Ich will mich hier der Kürze halber dieses Ausdruckes bedienen, obwohl die Erscheinung bei unseren Tieren nicht ohne weiteres verglichen werden darf mit dem was Langelaan oder gar Sherrington unter plastischem Tonus verstehen. Ich habe mich früher des Ausdruckes „Tonusfunktion‘‘ bedient. 2) Erscheint in Ergebnisse der Physiologie. Hier genügt folgendes: Muskel- verkürzung infolge von Nervenreizung bedingt auch beim Schneckenmuskel elasti- schen Widerstand gegen Belastung. Daß, nun innerhalb des Schneekenmuskels Verkürzung auf Erregung hin, und die Dauerverkürzung, die durch den viskosoiden Zustand des Muskels verursacht wird, (durchaus verschiedene Dinge sind, ergibt sich zumal aus Folgendem: Einmal sind beide Erscheinungen in ihrem Verlaufe im Texte hinreichend beschrieben, um ihre Wesensverschiedenheit deutlich zu machen. Sodann ergibt sich ein prinzipieller Unterschied aus dem Umstande, daß beide durch verschiedene Zentren auf verschiedene Weise reguliert werden. Bei den Schnecken regeln die Gangl. pedalia die Muskelviskosität. Sie haben dahingegen keinen Ein- fluß- auf die Kontraktilität (auch nicht auf den absteigenden Ast der Reizungs- kurvel). Diese Kontraktilität (und somit den elastischen Tonus) vermag lediglich das Gangl. cerebrale zu beeinflussen, welch letzteres hinwiederum auf die Viskosität ohne Einfluß ist. Ähnlich liegen die Dinge bei der Holothurie, bei der — wie ich weiter unten zeige — viskosoider Tonus und Kontraktilität Eigenschaften je besonderer Muskel- H. Jordan, Über besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren etc. 58] Der Schneckenmuskel dehnt sich demzufolge wie eın visköser Stoff. Naturgemäß ist Viskosität eine allgemeine Eigenschaft aller nicht absolut fester Körper, sicherlich daher aller lebender Gewebe. Die biologische Verwertung dieser Erscheinung, sowie die sogleich zu besprechende Tatsache, daß sie dem Einflusse des Nerven- systems untersteht, sind Eigentümlichkeiten der Muskeln unserer blasenförmigen Tiere. Ähnlich liegen die Dinge bei Hohlorganen. Darum habe ich auch jene Tiere „hohlorganartige Tiere* genannt. Dergestalt haben die Muskeln des Hautmuskelschlauches einer Schnecke zweierlei Eigenschaften: 1. Kontraktilität, d. h. sie sind imstande — gleich allen echten Muskeln — sich auf Grund der Erregung, die vom Nerven kommt, zu verkürzen. 2. Plastischen Tonus, d. h. sie vermögen bei jeder be- liebigen Länge viskosoiden Widerstand zu bieten. Wir wollen an- nehmen, daß zwei verschiedene Bestandteile der Muskelzelle beiden Eigenschaften als Substrat dienen. Möglich, daß (in Übereinstim- mung mit Bottazzis bekannter Hypothese) die Fibrillen Träger der Kontraktilität sind, während das Sarkoplasma derjenige der Viskosität ist. Ich kann diese Annahme zweier Muskelbestandteile durch Tat- sachen stützen, die ich bei der Holothurie feststellen konnte °). Diese Tiere besitzen nämlich für jede der beiden Funktionen ein absonderliches Muskelsystem: Die (echten) Längsmuskelbänder und die unter der Haut liegenden Ringmuskeln sind kontraktil®). Die ımnuskelartigen Fasern der Haut, früher als Bindegewebsfasern be- schrieben, sind die Träger des viskosoiden oder plastischen Tonus. Das Nervensystem hat keinerlei unmittelbaren Einfluß auf die Länge dieser Fasern, während der Grad ihrer Viskosität durchaus diesem Einflusse unterliegt. Fast alle Veränderungen der Länge dieser Muskeln sınd passiver Natur: Sie dehnen sich in- folge von Überdruck innerhalb des Hautmuskelschlauches. Um- gekehrt trıtt an «die Stelle aktıver Verkürzung, wie sıe bei echten Muskeln vorkommt, passıves Ineinandergeschobenwerden: Wenn die echten (kontraktilen) Muskeln sich zusammenziehen. wird systeme sind. Das Zentrum des viskosoiden Tonus vermindert normalerweise die Viskosität. Das Zentrum der Kontraktilität hingegen steigert den elastischen Tonus der echten Muskeln. Dies äußert sich denn auch beim echten Muskel durch Verkürzung, während das Nervensystem auf die Länge der Tonusmuskeln ohne Einfluß ist und in ihnen lediglich den Viskositätsgrad zu verändern imstande ist (siehe Text, weiter unten). 3) Jordan, H. Über ‚reflexarme“ Tiere. IV. Die Holothurien. Zool. Jahrb. Abt. allg. zool. Physiol. Bd. 34, 1914, S. 365; Bd. 36, 1916, S. 109. 4) Der Tonus, den man bei diesen Muskeln feststellte, ist elastischer Natur. Viskosoide Erscheinungen fehlen auch hier (wie in jedem Gewebe) nicht, spielen aber keine Rolle, 40* 5892 H. Jordan, Über besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren etc. die visköse Masse der Haut ineinander gedrückt, als bestünde sie aus Modelliermasse oder Teig. Wenn nun dergestalt, durch die Verkürzung der echten Muskeln, die Wasserlunge entleert wird, dann wird die Haut so weitgehend in sich zusammengedrückt, daß sie den (verkleinerten) Inhalt der Leibeshöhle wieder genau um- schließt. Da nun nach Ineinanderschiebung die Hautfasern neuer- licher passiver Dehnung aufs neue viskösen Widerstand bieten (alle elastische Erscheinungen beschränken sich bei diesem muskelähn- lichen System auf ein Minimum), so wird durch die Hautfasern der neu eingetretene Zustand vollkommener Füllung des Hautmuskel- schlauches beibehalten, wie das ja ein für allemal seine Aufgabe ist. Bei den anderen Tieren unserer physiologischen Gruppe und bei Hohlorganen sind beide besprochene Muskelleistungen ebenfalls weitgehend unabhängig voneinander. Daher meine obige Annahme. daß sie je durch einen besonderen Bestandteil der Muskelzelle ver- treten werden. Daß auch bei ihnen der plastische oder viskosoide Tonus eine echte Muskeleigenschaft ist, ergibt sich unter anderem aus der Tatsache, daß bei allen unseren „hohlorganartigen“ Tieren, soweit sie ein zentralisiertes Nervensystem besitzen, ein besonderes Zentrum vorhanden ist, welches den viskosoiden Zustand der Muskeln reguliert. Und zwar geschieht dies stets nach den gleichen Ge- setzen: nıcht die Länge des Muskels, sondern der Grad seiner Viskosität wird beeinflußt. Derartige Zentren sind: Die „Pedalganglien“°) der Schnecken, das einzige Ganglion von (iona intestinalis‘), endlich die Radıalnerven der Holothurien (. e.). Zusammenfassend können wır daher sagen: Alle Tiere, die in Bau und Organisation hohlen Organen ähneln, zeichnen sich aus durch den Besitz einer besonderen Muskelart oder einer besonderen Muskelleistung: Die Muskeln vermögen nämlich dem normalen Innendruck der Leibeshöhle Widerstand zu leisten. Sie geben jedoch jedwedem Überdrucke nach, vergleichbar einer viskösen Masse. Das fast völlige Fehlen elastischer Erscheinungen, d.h. die nahezu reine Viskosität bringt es mit sich, daß diese Muskeln oder Muskel- bestandteile sich jeder Volumenveränderung, jeder Bewegung der kontraktilen Elemente anpassen können. Hierdurch gewährleisten sie stets die Erfüllung der Grundbedingung für die Bewegbarkeit solcher blasenförmiger Tiere: daß der Hautmuskelschlauch_ stets vollkommen durch den Inhalt der Leibeshöhle erfüllt ıst. Aber (nahezu) jedwede Längenänderung ist bei diesen Muskeln (Holothurie) oder Muskelteilen (andere „Hohlorganartige“”)) passiv. 5) Die Versuche beziehen sich auf Exstirpation ete. von Pedal-Pleural-Parietal- sanglien. Siehe Jordan Arch. ges. Physiol. Bd. 106, 1905, S. 189. 6) Jordan. Zeitschr. allg. Physiol. Bd. 7, 1907, S. 85. 7) Man wolle nicht vergessen, daß, wie oben gesagt, die Muskeln etwa einer Schnecke recht wohl kontraktil sind. Daß die erwiesene physiologische Trennung von Kontraktilität und Viskosität auch anatomisch zu recht besteht, ist eine Annahme. H. Jordan, Über besondere Muskeln und Muskeleigenschaften bei Tieren etc. 583 Die Tonuszentra beeinflussen nur ıhren vıskosoiden Zustand. Sie sorgen hierdurch für zweckentsprechende Schnelligkeit und Aus- giebigkeit der plastischen Anpassung. Coelenteraten, Holothurien, Schnecken und Ascıidien sind — wie wir hörten — (blasenförmige) Tiere, denen echter (obligatorischer) Antagonismus bei den Muskeln fehlt. In Übereinstimmung damit finden wir bei ihrem Zentralnervensystem nichts, was an die anta- gonistische Innervierung höherer Tiere wie Anneliden (?), Arthro- oder und Vertebraten hai) (segeben diese (phylogenetisch) niedere reankakand dann ist der Besitz der beschriebenen Muskeln oder Muskeleigenschaften ein Postulat, eine conditio sine qua non für die Möglichkeit, daß ein blasenförmiges Tier bestehen kann. Ohne sie würden unsere Tiere weder Fesügkeit noch praktische Bewegungsmöglichkeit be- sitzen. Hieraus aber ergibt sich, daß das Verständnis und die Be- schreibung der spezifischen Organisation, die wahre Aufgabe der Zoologie, nicht möglich ist, so lange man sich auf die anatomischen Tatsachen beschränkt. Der Hautmuskelschlauch eines Ringelwurmes einerseits und einer Holothurie andererseits, anatomisch ähnliche (ebilde, sind wesensverschiedene Organe. Ihre Beschreibung, in der diese Tatsache nicht zum Ausdrucke kommt, ist wissenschaft- lich unzulänglich. S) Das ist im einfachsten Falle Tonuslösung im Antagonisten zugleich mit der Kontraktionserregung im Agonisten. Bei Tieren mit solcher Organisation finden wir an Stelle des viskösen oder plastischen stets elastischen Tonus! 584 A: Pascher, Flagellaten und Rhizopoden in ihren gegenseitigen Beziehungen, Referate. Adolf Pascher: Flagellaten und Rhizopoden in ihren gegenseitigen Beziehungen. Versuch einer Ableitung der Rhizopoden. Jena 1917, Gustav Fischer, 857 Seiten, 59 Abbildungen im Text. In einer übersichtlichen Zusammenfassung legt Pascher die Ergebnisse seiner zehnjährigen Untersuchungen vor, soweit sie die stammesgeschichtlichen Verhältnisse zwischen Flagellaten und Rhizopoden beleuchten, während er die Systematik der Flagel- laten, ihre Einteilung in mehrere Reihen von teils gefärbten, teils farblosen Vertretern und das Verhältnis jener zu den Algen, an anderer Stelle — Berichte der Deutschen Botan. Gesellsch. XXXII, 1914 und XXXIV, 1916 — behandelt hat. Es handelt sich dies- mal, kurz gesagt, um die Frage, .was ursprünglicher sei, Flagellat oder Amöbe. Nun ist bekanntlich weder diese Frage ganz neu, noch will Pascher durchaus der erste sein, der sie in dem Sinne, daß die Flagellatenorganisation vermutlich die ursprünglichere sei, beantwortet hätte. So spricht denn auch Doflein eine ähnliche Meinung in der Neuauflage seines Protozoenlehrbuches aus, und bei Pascher’s Prioritätsanspruch gegenüber Doflein muß man Doflein zugute halten, daß ein Lehrbuchverfasser oft aus Er- fahrungen spricht, die er zum Teil noch nicht veröffentlicht hat, und doch seine Ansichten nicht unbedingt als eigene in dem Sinne betrachtet, wie es in Spezialarbeiten geschieht. Somit hätte Pascher sich vielleicht mit dem Hinweis begnügen können, daß seine Er- gebnisse in Doflein’s Lehrbuch etwas kurzgekommen sind. Un- bedingt muß man ihm zuerkennen, daß er die Frage so ausführlich wie bisher kein anderer untersucht hat. Namentlich an Chryso- monadinen, aber auch an anderen gefärbten Flagellatenreihen zeigt er, und zwar zum nicht geringen Teil an von ıhm erstmalig beschriebenen, überaus anziehenden Gattungen und Arten, daß rhizo- podiale Organisationen Endglieder von Formenreihen darstellen, an deren anderem Ende gefärbte Flagellaten stehen. Es gibt nicht nur zahlreiche dauernd monadoide, gefärbte Flagellaten mit gleich- wohl animalıscher Ernährungsweise nach Amöbenart, sondern auch solche mit Pseudopodien, ja mit kompliziertem Axopodienapparat; ferner neben der bekannten Chrysamoeba noch zahlreiche gleich ihr zeitweilig unter Verlust der Geißeln völlig rhizopodial werdende ee A. Pascher, Flagellaten und Rhizopoden in ihren gegenseitigen Beziehungen. 585 gefärbte Flagellaten; sodann solche, die die Geißeln nur im Schwärmerstadium besitzen und solche, bei denen auch das Schwär- merstadium unterdrückt ıst, die also, Geißelwesen ohne Geißeln, nur an den Chromatophoren und anderweitigen deutlichen Merk- malen ihre Zugehörigkeit zu den Flagellaten oder zu bestimmten Flagellatenreihen erkennen lassen; darunter solche, die an rhizo- podialer Organisation die Rhizopoden übertreffen. Ähnliche Über- gänge von der Flagellaten- zur Rhizopodenorganisation finden sich bei den farblosen Monaden, die ihrerseits von gefärbten abgeleitet werden; sie führen mit einer die Geißel abwerfenden Mastigamoeba- Art und mit der Gattung Vahlkampfia unmittelbar zu Formen hin, die auch als Amöben beschrieben wurden. Plasmodıal-rhizopodiale Formen leiten etwa zu den Myxophyten hinüber. Der Chromatophorenverlust kann in der Gegenwart plötzlich erfolgen, indem bei einer Teilung das eine Tochterwesen keine Chromatophoren mitbekommt; doch fragt sich, ob diese Störung dauernd ertragen würde und diesem Vorgang phylogenetischer Wert beizumessen sei. Ungleich wichtiger für die Abstammungsfragen ist der vergleichend- morphologisch feststellbare „Chromatophoren- verlust im Sinne einer allmählichen Reduktion“. Es gıbt neben Formen mit großen Chromatophoren solche mit kleinen bıs fast verschwindenden, dann solche ohne Chromatophoren, aber noch mit Pyrenoid, solche ohne Pyrenoid, aber noch mit Stärke, schließlich solche nur noch mit Fetten und Ölen, und im allgemeinen geht mit zunehmender Reduktion des Ci:romatophorenapparates die stärkere rhizopodiale Ausbildung einher. Daher ist diese als das Sekundäre und sind Schwärmerstadien, wo sie bei Rhizopoden auf- treten, im Sinne der biogenetischen Regel zu deuten. Durch Be- tonung der pflanzlichen Ernährung entwickelte sich das Flagellat zur vielzelligen Alge, durch Betonung der tierischen zum Rhizopoden. So stellt Pascher es dar und betont dabei ausdrücklich, daß der Phylogenetiker neben der enthusiasmierten Maske eine skep- tische haben soll. Besonders verwahrt er sich gegen die etwaige Meinung, daß er schlechtweg „die“ Rhizopoden von Flagellaten abgeleitet habe. Er habe vielmehr als Botaniker die Rhizopoden nur an ihrer Grenze berührt, und er meine, auch von einer ganz anderen Seite her sei es zur Ausbildung rhizopodialer Organisation, und zwar fast dauernder, gekommen, was er in einiger Zeit nach- weisen wolle. Auf die allgemeinere Bedeutung seiner Ausführungen weist das bemerkenswerte Schlußwort hin: „Die alte, fast liebge- wordene Annahme, daß zunächst die einfachsten „Ur“tiere, die Amöben, entstanden seien, die also das Erste waren, die Annahme, die uns fast wie ein alter, liebgewordener Kinderglaube anheimelt, sie müssen wir ein für allemal beiseite legen. Sehen wir von den Spaltpflanzen ab, deren Phylogenie wir nicht kennen, und deren einfache Organisation ebensogut auf Reduktion!) zurückgehen kann, I) Arthur Meyer betrachtet die meisten Bakterien als reduzierte Florideen- pilze. F. 586 (+. Korschelt, Lebensdauer, Altern und Tod. so müssen wir an die Basis der derzeit bestehenden Organismen. ob Pflanze oder Tier, eine bereits ungemein hochkomplizierte, orga- nisch fein differenzierte Organisation stellen, die himmelweit über jeder theoretisch angeforderten Lebensurform steht — die Fla- gellate!“ V. Franz. E. Korschelt, Lebensdauer, Altern und Tod. Jena 1917, G. Fischer. S.-A. aus Ziegler’s Beiträge z. path. Anat., 63. Bd., Heft 2. Der Verfasser hat uns hier eine Reihe höchst willkommener Daten vorgelegt, die mit großer Mühe gesammelt, oft gesucht, schwer zu finden sind. Schon allein die Angaben über die Lebensdauer der Tiere sınd von größtem Interesse, und des Verfassers Wort über die Un- sicherheit unserer Kenntnis auf diesem Gebiete wird gewiß für manchen als ein Ansporn wirken, hier endlich auf sichere Grund- lagen hinzuarbeiten, damit die ersten Fragen, die hier an jeder Stelle reichlich sich einstellen, aus dem Bereich des Hypothetischen allmählich in den des Tatsächlichen gerückt werden können. Wir begegnen dann weiter der Frage nach der Lebensdauer der Einzelligen (die in gewissem Sinne unsterblich sind) und der Zellen im Organısmus, der Frage nach dem Einfluß von Regene- ration, Ruhezuständen, Fortpflanzung auf die Lebensdauer und schließlich dem Problem des Todes. Die Vorstellungen über seine Ursachen, seine Notwendigkeit (wenigstens bei den Metazoen) im natürlichen Ablauf des Einzellebens, wie sie heute sıch heraus- gebildet haben, bilden den Schluß der Untersuchung. Eine Ant- wort auf die vielen aufgeworfenen Fragen ist heute begreiflicher- weise noch nicht möglich, aber ıhre hier — vorwiegend vom mor- phologischen Standpunkt aus — gegebene Untersuchung wird vom Leser mit großem Interesse aufgenommen werden und anregend sowie erweiternd für den Blick wirken. E. Weinland. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Antonstraße 15. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. re ee Alphabetisches Namenregister. A . Abel, O. 45. Abromeit, Joh. 112. Albertus magnus 210. Apathy 50. Aristoteles 212. Aldt; Rn. 151: Arnhaus, H. 323. Arrhenius, Svante 150. Asher, Leon 160. Aurivillius 197. Avicenna 212. B. Baehr, G. 323. Barfurth 568. Bartlett, H. H. 146. Bastian, Charlton 197. Bateson, W. 61. 90. 238. Bauer, V. 324. Baur, Erwin 63. 88. 244. 320. Baur 165. Beal, F. E. L. 453. Becher, Erich 288. Beck, R. 323. Becker, G. F. 154. Benjamins, ©. E. 324. Bepler, H. 114. Bernard, Cl. 501. Bethe, A. 325. 357. 574. Beyer, A. 477. 496. Biedermann 308. Blytt 152. Bönner 437. de Boer, S. 32 Bohlin, K. 314. Du Bois-Reymond 350. Bonnet 360. Boring,. A. M. 233. Boström, ©. G. 323. Bottazzi 581. Brauer 466. Breed 286. Brehm, AS 78258 Bresslau, E. 507. Brinkmann 542. 551. Broili, F. 45. Brouha 540. Brown, A. J. 495. #98. Brun, Rud. 357. 434. Buchner, Paul 46. 156. 486. Budde-Lund 126. Buffon 440. Burian 298. Büsgen 379. Bütschli 198. Carl 117. Carossini 546. Chun 443. Cobb, N. A. 196. Cornetz 360. Correns 271. 561. Csiki, E. 453. Cuenot 271. Czapek, Fr. 320. 479. 496. D. Daday 203. Dacque, Edgar 152. Dahl, Fr. 216. Dampf, A. 107. Dana 152. Darwin 333. 340, 444. Davenport, C. B. 237. Davis 61. 73. Decandolle 380. Degeer 107. Demelius, P. 288. Demoll, Reinhard 472. Detto, C. 272. Dewitz, J. 498. Diesing 198. Dingler 170. Ditlevsen 205. Doctor universalis 215. Doflein, Franz 46. 323. 417. 584. Donceaster, L. 244. Donisthorpe 111. Douliot 170. Driesch, H. 188. 272. 401. Dubois, E. 154. Dubois, Raph. 500. Duclaux 499. Dürken, B. 48. 127. Dufour 34. Dujardin 198. Dupree, J. W. 511. Durham, F. M. 245. Duvernoy 118. Dyar 512. 520. 530. 503. 531. E. East 271. Eberth 198. Ecekholm 154. Eckstein, F. 507. Eggeling 534. Eisig, Hugo 159. Endres, J. A. 211. Enriques 397. 588 Epstein 477. 485. 496. Erdmann 397. Erickson, J. 499. üscherich, K. 453 Eysell 510. 521. F Farkas 50. Favre 545. Fischer, E. Fitting, H. 501. 323: Flaskämper, P. 158. Förster 437. Forel 359. 437. Franz, V. 148. 215. 584. Frischholz, E. 466. 471. ix. Galenus 212. AI» Galli-Valerio 510 522. Galton 353. Ganglbauer 109. Gärdlund 544. (rassner, G=495: Oo. Gates, R. R. 67. 73. 146, Gaudry 150. Geertz 82. 91. Geikie, Archibald 154. Gerstäcker 118. Gertz 541. Glaser, Fr. 507. 531. (soebel, Karl 44. 380. Göthlin, G. F. 323. soetsch, Wilh. 465. Goldschmidt, R. 243. Goodale, H. D. 245. Goodridge 443. Goureau 27. Graber,. V. 4. Grassi 279. (Greenwood 55. Griffith, G. C. Grünberg 509. Günther, ©. 486. 4906. (Günther, Hans 288. v. Guttenberg, H. 320. (yllenswärd, ©. 323 107. H. Haberlandt, Ludwig 160. 320. 404. Haeckel, Ernst -156.. 159. Haecker, V. 244. 500.. Hagedoorn, A. L. 245. Hamburger, H. J. 324. Hamburger, Klara 428. Hammarsten, OÖ. 323. Handlirsch, A.. 109. 522. 990, Alphabetisches v. Hartmann, Hartmann 281. Hartmann, Max 288. Harz, C. V. 494. 496. Heidenhain, M. 272. Heidenhain, R. 534. Heikertinger, 446. Heinricher 413. Heise, R. 288. Helmholtz 354. Henning, Hans 557. Herbst 188. Herold 114. Herscheler, Karl 159. Hertwig, Oscar 156. 339. Hertwig, Richard 138. 159. 215. 280. 353. 397. 421. 466. 471. Hess, R. 322. Hetsch, H. 418. Heymons, R. 447. 458. Hildegard von Bingen 212. Hiltner, L. 493. 496. Hilzheimer 178. Höber, R. 490. 492. Hofmänner 202. Holdefleiß, P. 246. Holmberg, Otto R, 9. Honing 72. 88. Howard 410. 412. 530. Humboldt 473 ). Hurst, ©. C. 496. 2 238 Hykes, O. V. 106. 1. Isaak 106. J. Jäger, Gustav „01. Jägerskiöld 200. 295. Jessen 211. Johannsen, W. 62. 218. 354 405. 410. 499. ‚Joel, Jollos 397. Joly 153. de Jonge, J. Jordan, 325. Hd: Joseph 197. Jost 410. 484. 487. A.-324. ) Oo 578. 4196, K. 324. J. H. 446. Kaiser, L. Kaltenbach, Kant 400. Namenre ;eister. Eduard 156. Franz 333. Hlzo 20! A. 488.490. 492. 496. Hermann . 2. 53. v. Kemnitz, G. 7 Kelvin 154. an ne C.102: Klebs, Georg 373 Knab 512. 521. 530. Kniep 391. Koch, Albert 160. 522. Koch, W. 466. 471 Kodama, H. 488. 496. König, J. 496. Königsberger, Joh. 152. Kotoid, ©. A. 422. Koken 76. Kolkwitz, R. 99. Kolle, W. 418. Korschelt, Eugen 323. 556. Kowalewsky 297. Kranichfeld, Hermann 61. Krönig, B. 477. 485. 497. Krapfenbauer 471. Kühn 409. Kühn, ©. 411. Künkel, Karl 160. 420. Küster 401. Kurzwelly, W. 477. 479. 496. Kutter, Hieimuch 429, Kylin, E. 323. 1.. Lakon 377. 394. 410. Langelaan 580. Lang, Arnold 159. Latreille 114. Leelere du Sablon 61. van Leersum, E. C. 324. Legahn, A. 160. Lereboullet 114. Leydig 114. 296. 546. Lidforss 61. Lingelsheim, A. 285, Linstow 197. Lipschütz 325. 575. Litwer, H. 324. Löhner, Leopold 160. Lohmann 308. 319. Lubbock 360. Luschinger 282. Luther, A. 127. Luther 314. Lutz, Anna 79. 96. Lutz, Hildegard. 5632 M. Macfarlane 270. Mac Dougal 67. 7 Mac Murrich, P. Sn de Man, J. G. 197: de Man 295. Malthus 541. Marks 535. Marryat, D. C. E. 245. Marsson, M. Martini 509. 530. Mathews, A. P. 500. Maupas 390. Maurer 547. Mellard Reade 15: Mendel, Gregor 234. 464. Menzel 202. 299. Merkel 545. Metalnikoff 298. Meyer, Arthur 555. Millardet 270. Minervi, R. Mogk 380. Mohr, E. 177. Molisch, H. 405. 410 483. 489. 491. 497. Morgan 90. 286. Morgan, H. A. 511. Morgan, T. H. 243. Morren 165. Mosso 9. Müller; A. 490. 497. Müller, Frl. 388. Müller-Thurgau 411. Munk, J. 324. Murlin 50. 477.4 531. N. Nachtsheim 461. Naef, Adolf 288. Nägeli 156. Nagel, W. 4. Nathanson 492 Naumann, Einar 98. Nernst, W. 484. 487 Netolitzky, F. 446. Newton 60. Nicolas 545. Nilsson, Heribert 61. Nilsson-Ehle 271. Nilsson, e: 0.329. Nobbe, F. 493. 497. ne BTEIW. Nusbaum, Joseph +49. Nystroem, G. 324. 324. ®. Obler, K. 196. Oehrvall, H. 323. Olitzky, P. je 323. Osterfeld 270. Österhout, W. 495. 497. 488. > 124.102. 485. 497. 178. . 49%. 146. 245. 490. Alphabetisches Namenregister. Ostwald, Wo. 490. 494. 497. Overton, E. 484. 497. Pr Pascher, Adolf 312. 5s4. Pekelharing, ©. A. Paul, Th. 477. 485. Pauly 156. Pearl, R. 233. Penck 152. Perris 27 Perry 154. Pfeffer, W. 8321. 483. 489. 491. 497. Pflüger, E. 9. 283. Pilger, Robert 258. Pinkus 547. 324. 497. 245. Plate 61. Sb. Plotz, 112323. Popoff, M. 498. 564. Portheim 409. Portschinsky 29. 107. Poulton 450. Przesmycki 301. Punnett, R. C. 245. Pütter 308. R. Raciborski 387. Ramsay 150. Ranvier 534. Ratzel, Friedrich 149. Rauther 295. Raynor, G. H. Regaud 545. Reichenbach 219. Reid, W. 107. Reisinger 325. Reitter 109. Renner 94. Reutter 165. van Rijnberk, G. Rippel, Aug. 477. Rochat, G. E. i nn 245. 324. Rochaz de Jongh 510. 522. 330. Röder, 289. Rösel von Rosenhof 47. Roosevelt 185. Rosenberg 27. 27V. Rosenthal, J. 57. Rümke, H. G. 324. Rubus 61. Sa D 509. 531. „Scammon 399. 479. Ferdinand 9. 56. >89 Santschi 360. Saunders 61. Saunders, E. R. 238. 445. Schädler, ©. 483. 197. Sehaufuß, Camillo 108. Schaxel, Julius 188. Schiefferdecker, P. 534 Schiemann 94. Schiller, J. 313. Schilling, Claus 258. Schilling 509. Schimkewitsch 298. Schimper 404. Schiner 31. Schmid, B. 478. Schmitz, H. 24. Schneider, Anton 198. Schneider, Guido 203. Schneider-Orelli 411. Sehneider, P. 510. 531. Scehottelius 419. Sehouten 68. 75 Schroeder, H. 478. 497. 498. Schubert, W. 493. 497. Schuster, Adrian 288. Schwalbe 490. 497. Schwarz, F. 323. Schwerda, ©. 288. v. Schwerin 165. Sederholm 154. Semon 359. 370. Shull 271. v. Siebold 114. Simon 404. 409. Simroth 210. Slotopolsky, Benno 277. Smith, J. B. 5l1. 523. 531. Sokolowsky, Alexander 438. Sollas 152. Sonntag 489. 497. Spaeth 376. 411. Spemann 135. 188. Spencer 152. Spillmann, W. @. 245. Sprengel, Ch. K. ns Stadler, H. 210. Stefanowska, Micheline 502. Stefanski, W. 294. Steiner, G. 1%. Steinmann 76. Steinmann, P. 468. 471. Stempell, Walter 160. 322. 325. 575. Sherrington 370. 580. Stewart 205. Stoller 123. Stomps, Theo, J. 76. 161. Stoppel, Rose 399. 405. 189. 497. 296. 495. 478. 479.489. 590 Strasburger, E. 174. 489, 492. 497, Strutt 153. Sturtevant, A.H. 243. 245. Surface, F. M. 245. Swoboda, H. 323 Szymanski, J. ArZale I Temminck Groll, J. 324. Tiehomiroff 500. Townsend 26. Townsend, Ch. H. 438. Traube, J. 495. 497. Trautz 398. Treub 404. Troell, A. 323. Tschermak, A. v. 217. Tschermak, E. v. 256. Tschusi zu Schmidhoffen, V. v. 288. Tunmann, 0. 483. 497. U. Uttfeln, K. 107. Unna 545. Upham 152. Alphabetisches Namenregister. V. Vanhöffen 197. Vant’Hoff 398. Verhoeff, Karl W. 14. Verhoeff W. 113. Verworn, M. 289. 409. Vesalius 324. Viereck ll. 522. Voigt, Max 160. Volkens 390. 404. de Vries, Hugo 61. 139. 161. 270. 354. W. Wagner 114. Waleott 152. Wallace 152. 354. Wallgren, A. 323. 324. \Wasmann, E. 108. 210. 360. 370. 429. Wassenaar, Th. 324. Weber 114. Weber, Fr. 394. 401. 410. Weber, M. 50. Wedekind 48. Wedholm, K. 323. Weinland, D. F. 178. Weinland, Ernst 322. 420, IS6. ; Weismann, August 150. 282. 342. 397.499. Werner, Franz 457. Wiesner, J. 44. 380. 413. 478. 489. 491. 497. Wilhelmi, J. 100. Witte 313. Willem, V. 55. 324. Willis, J. C. 146. Winkler, Haus 170. 387. Winterstein, H. 490. 497. Wirgin, H. 477. 497. Woodruff 397. Woronin, M. 102. Wünsche, ©. 112. 2. Zander, Enoch 461. Zeller 107. Zeylstra, H. H. 145. Zimmer, ©. 216. Zöller, A. 315. /sigmondy, R. 485. 490. 497. Zwaardemaker, H. 324. 474. Alphabetisches Sachregister. A. Abraxas 245. Acer negundo, Randbunt 169. Achselhöhle, glatte Muskeln 549. Achselhöhlenorgan 557. Adenota 187. Aödes 509. Aquifinalität 190. Ather 477. 490. Atherdampf 499. Anguillula 197. Anthropoiden, Hautdrüsen 551. Anthropomorphismus 357. Agamont 278. Ailanthus glandulosa 379. 380. Aitionom 400. Ajuga 398. Alaimus 207. Alkohol 477. 490. Algonkium 151. Allgemeine Physiologie 331. Allogame Fremdbestäubung 63. Altern 586. Ameisen 212. Ameisen, Erinnerungen 369. Ameisengäste 109. Ameisen, gegenseitiges Erscheinen 366. Ameisenlöwe 46. 417. Ameisenpsychologie 357. Ameisensäure 358. 362. Ameisenhirn, Assoziationsrinde ‚362. Ammotragus 186. Amphibische Isopoden 117. Amphigonie 279. Amphiont 279. Anästhetika 477. Anlagenschwächung 217. Anabiose 200. Anopheles 509. Anticoma 204. Aphelenchus 19. Aphysia 2. Apogamie 278. Aposporie 278. Apus, Eier 499. Araucaria Bidwillii 390. Archäische Formationen 148. Arctia caja L., Leuchtsekret 106. Armadillidium 116. Armadillo 115. Armadilloniseus 126. Ascaris 294. Asellus 115. Aspergillus 484. Asseln 216. Assoziationsvermögen 35), Atavismus 273. Atembewegungen, Ursache der 56. Atemeles 110. Atemzentrum 9. 56. Atmolyse 5093. Atmosphäre, elektrische Leitfähigkeit 405. Atracheata 126. Atropin bei Planorbis 565. 567. Atylenchus 19%. Atypien 191. Austrocknen 499. Autonomie 394. Autotrophie 100. B. Bacillariales 312. Basalfilamente 569. Bakterien 585. Befruchtung 280. Biene 2. Bienenzucht 461. Bifaktorieller kassenunterschied bei Hühnern 255. Bilaterale Symmetrie 337. Bioautonomie 195. Bioblasten 316. Biogenetisches Grundgesetz 158. Bionomie 108. Biostratigraphie 48. Biotypen 62. Biozönose 98. 448. Blätter, autonome Bewegungen 405. Blendung, der Insekten durch Licht 506. Blütenökologie 336. Branchipus, Eier 499. Bubalus 156. Buche 374. Büffel, ägyptischer 181. 599 Alphabetisches Sachregister. süffel, indischer 181, Daphniden 499.- Dunonema 199. e Darwinismus 156. Bursa der Nematoden 200. Davidshirsch 183 Depressionserscheinungen (bei Hydra) ©. 466. Calendula 399. 405. Dermatogen 170. Calwer’s Käferbuch 108. Descendenztheorie 156. Co 3. Desmidiaceen 312. Determinanten 89, Determinantenlehre 157. Deutsche Phanerogamen 112, Devon 151. Diatomeae 314. Didymium 39%. Carabus-Larven 14. Carabus, Verhalten gegen Lytta 458. Carpaldrüse (Schwein) 541. Cassida 19. Öellulosemembranen 489. Uephalopoden (Paläobiologie) 45. U £ Cephalobus 199. Diluvium 151. Ceratium 312. Dimorphie 82. Oerei 18. Dinarda 1 Cercopithecus, Hautdrüsen 550. Dinoflagellatae 312. 424. Cervus 184. Diplogaster 204. 299. Chaetosoma 19. Diplopoden 114. Chemomorphosen 321. Dipteren in Schnecken 24. Chlamydomonas 101. 395. 423. Dohrniphora 32. Chlorophyceen 101. 312. Dorylaimus 197. 300. Chilopoden 114. Drüsen, holokrine 534. Drüsen, merokrine 534. Drüsen, merokrine-apokrine 534. Drüsen, merokrine-ekkrine 534. Drüsenzellenprotoplasma 563. Chrysamoeba 584. Chromadora 206. Uhromatopteren (bei Hlagellaten) 584. (der Pflanzen) 172. Chromidien 563. 566. Dytiseidenlarven 19. Chromosomen 90. 91. Ohromosomenzahl 278. E. Chroomonas 428. Eiche 376 Ohromulina 99. 103. siche 3.0. 4 Chrysomonaden 314. 584. Einrollreflex der Raupen 285. : Eisenresorption (Oniscus) 52. ) 314. ageophyea 212 Elaphurus 183. | Circumanalorgan 557. Olavelina 180, Elch 182. 2 Claviger 111. Klenantilope a Ulipeodinium 424. Emunktorien 297. Cobus 187. Endopodite der Isopoden 114. Enoplus 200. 295. Entelechie 189. 401. Eozaen 159. Epigenesis 190. 414. Erbeinheiten 64. 89, Erblichkeit 353. srgastoplasma 563. 572. kiristalis 284. Ervum lens, Samen 480. Euchromadora 200. Oylistieus 116. Eugleaa 101. 428. C 5 tdrüsen 550: Kurystoma 206. en Ss Exopodite der Isopoden 114. Coceinellensekret 107. Coccolithophoraceae 312. Coniferen, Wachstumsperioden 388. Convergenzerscheinungen 422. Oraspedonema 19. Craspedotella 422, Grossandra infundıbnliformis 387. Uulex 509. Oulex pipiens, Vermehrung 531. Cutieula 488. CUystophora 440. Cytogonie 277. FE. Cvtomet sis 277. was: Faktorenabstoßung 63. D Faktorenverkoppelung 63. i x Fagus sylvatica 374. Damhirsch 184. Farne 278. Dammara 390. Farnprothallien 403. Alphabetisches Sachregister. Ficus geocarpa 381. Flächetiere 472. Flagellaten 101. 421. 554. Fliegenpuppen 502. Flügelabwischreflex 284. Formaldehyd 362. lormica 110. Jormica, Biologie und Psychologie 429. Formica rufa 360. Fortpflanzung 280. Frosch, Verhalten gegen ZLuytta 457. Funktionswechsel bei Zellen 570. Fußsohle, Drüsen 550. (rameten 278. (GGametengenasthenie 266. (amont 278. Garteplaubvogel, Verhalten zu Luytta 4553. Gehörgangsorgan 557. (enasthenie 217. (Gene 89. (ienerationswechsel 277. (tenotypen 68. (reotaxis 103. (reruchsorientierung 300. Geruchsreaktionen 357. (reruchsspuren 559. Geschlechtliche Fortpflanzung 277. Geschlechtsgerüche 560. (sesichtstiere 362. Gifte für Mensch und Tier 446. Ginjko biloba 388. Glechoma 395. Gleichgewicht, exodynamisches 598. Glycogen bei Planorbis 569. Gnetum Gnemon 391. Goldfisch (im Labyrinth) 25%. Gorilla, Achseldrüsen 551 Gramineensamen 405. (rünalgen 312. (Gymnodinium 428. Haarbalgdrüsen 534. Haarbalgtrichter 537. Haardrüsen 538. Häutchenformation 99. Halophiloscia 126. Halosphaera 315. Harmonisch-äquipotentielles System 189. Hartschaligkeit 493. Haushuhn, Verhalten zu Lytta 452. Hautdrüsen, Duftstoffe 557. Hautdrüsen, Funktion 554. Hantdrüsen (Mann und Weib) 552. Hautdrüsen des Menschen 534. Hautdrüsen bei Säugetieren und Menschen Hal. 593 Hautmuskelschlauch 578. Hunger (bei Planorbis) 565. 567. 570. Hefe 484. Helianthus-Samen 480. Helicobia 45. Helicobosca 26. Heloplankton 98. Hepatopankreas 50. Hermaphroditismus (der Nematoden) 201. Heterogamie 94. 166. Heterogonie 277. Heterokontae >14. Heterotrophie 100. Hexenmilch 544. Homoeusa 110. Hühnerrassenkreuzung 217. Hund im Labyrinth 286. Hund, Wärmeregulierung 55%. Hydra 465. Hydra, Koospung 468. Hydrobiologie 99. Hyloniscus 115. Hymenopteren, soziale 357. Hypolais hypolais 4593. Hypotracheata 126. Igel, Verhalten zu Lytta 452. ltex aquifolium, Randbunt 165. Immunität 356. Infusorienvermehrung 397. Isopoden 113. 216. Isopoda, Verdauung 49. J. Jota 199. Juglans, Markscheiben 1491. K. Kälte und Entwicklung 49%. Kaffernbüffel 186. Kambrische Periode 149. 150. Kampf ums Dasein 359. Kantharidin 446. Karbon 151. Karoten 314. Keimplasmalehre 282. Kinder, Labyrinthversuch 287. Kleesamen 493. Kohlensäure 491. Kohlweißling 336. Koleopteren 108. Kollektivart 63. 97. Konditionale Betrachtungsweise 289. Kreuzung 61. Kreuzung, reziproke 217. Kritische Biologie 188. Kröte (Verhalten gegen ZLytta) 45T. Kulturrassen 69. 594 L. Labyrinthversuch 256. Lacerta agılis, Nahrung 454. Lacerta agilis, Verhalten zu Lytta 454. Landasseln 114. Landasseln, Entstehung der 126. Landasseln, Verdauung 49. Landasseln, Wasseraufnahme 116. Laminaria 490. Lamium album 162. Lasius 111. 362. Laubfrosch, Verhalten gegen Lytta 456. Lebensdauer 5S6. Lepidium-Samen 480. Leptodiscus 421. Leuchtvermögen 106. Lichtkompaßsinn der Ameisen 369. Lichtorientierung 360. Lichtquelle, künstliche und Insekten 503. Liesegang’sche Ringe 401. Ligidium 115. Ligia 126. Limnotragus 187. Locusta, Verhalten gegen Zytta 458. Löwenmaul 63. Lomechusa 110. Lueilia-Larven 498. Lytta versicatoria 446. M. Maerorhinus 438. Mähnenschaf 186. Makronukleus 397 Malariaparasiten 27%. Mechanismus 188. Medusochloris 423. Meere, Alter der 153. Meernematoden 295. Melandryum 162. Melanophora 2%. Meloe 447. 453. Mendelismus 61. Mendel’s Spaltungsregel 139. Menschenrassen, Hautdrüsen 552. Meringosphaera 313. Meristemschichten 170. Mesozoikum 151. Metagenesis 277. Milchdrüsen 534. 539. 544. 548. Milehdrüsen, aberrierende 562. Miozän 153. Milu 183. Mistel 413. Mitochondrien 563. 564. Mitteldarm (Isopoden) 49. Mitteldarmdrüse (bei Planorbis) 564. Mönchsgrasmücke, Verhalten zu Lytta 453. Moll’sche Drüsen 547, Alphabetisches Sachregister. Monaden 422. Monogonie 279. Monohystera 198. Monophyletischer Stammbaum 157. Monoposthia 199. Montgomery’sche Drüsen 539. Mosaikbastarde 176. Muskelkerne, _ Größenverschiedenheiten 561. Muscularis mamillae 550. Muscularis sexualis 534. 549. Mutationen, monohybride 139. Mutation 157. 162. 273. Mutationstheorie 61. 353. Mylabris 451. Myriapoden 22. Myrmekophilie 109. Myrmeleo 46. N. Nareotica 501. Nematoden, Exkretionsorgan der lebenden 294. Nematoden des Landes 197. Nematoden, marine freilebende 1906. Nematoden des Süßwassers 197. Neovitalismus 188. Neuston 98. [rei- ®. Oenothera 61. 139. 164. Ohrschmalzdrüsen 541. Ohrenrobbe 444. Okologie 320. Oligozän 153. Onagra TO. Oncholaimus 200. Onesia 24. Oniscus 49. 115. Oniscoidea 113. Öntogenese 189. 3306. Oocystis 315. Opistobranchiaten 4. Orientierung der Ameisen 359. Ornithorhynchus, Schnabeldrüsen 539. Orthoceratiden 151. Osramlicht, Wirkung auf Pflanzen 372. Ostaffen, Hautdrüsen 590. Oxystoma 204. r. Paarhufer 177. Paläontologie 148. Paläontologische Zeiträume 155. Paläozoikum 149. Palmella 102. Pangene 89. 161. Paramaecium aurelia 396. Alphabetisches Sachregister. 595 Paraspiniphora 31. Parthenogenese 277. Partheuogenese, künstliche 498. Parthenogenese bei Nematoden 201. Pelagial 98. Pelargonium zonale, Randbunt 165. Pelagocystis 313. Periblem 170. Peridineen 423. Periklinalchimären 170. Berm 151. Pfeffer’scher Gipsverband 380. Pferd, Hautdrüsen 555. Pflanzliche Membranen 477. ASS. Phänotypen 69. Phaseolus 405. Philosenedon 31. 43. Phlogotoxin 446. Phoca 444. Phoridenlarven 31. Phototaxis 103. Phototropismus 417. Phycomyces 484. Phylogenesis 148. 337. Physiologischer Unterricht 573. Phytoneuston 100. Phytoplankton 312. Pieron’s Transportexperiment bei Ameisen 362. Pilokarpin bei Planorbis 567. Pisum-Samen 480. Planorbis corneus 564. Plasmolyse 484. Plasmopara 495. Pleetus 20%. Pleopoden der Oniscoiden 114. Pleopodenamputationen 118. Pleopodendrüsen 122. Plerom 170. Pleurobranchaea 5. Pleurotracheata 126. Pleuston 99. Pliozän 155. Podocarpus Mannii 389. Polyblepharidinen 423. Polyeryus 110. Polymerie 63. Polyphyletische Abstimmung 76. 97. 157. Porcellvo scaber 49. Porcellio 115. Postglazialzeit 152. Prädestination 190. Präkambrische Periode 149. Presence- und Absenee-Theorie 162. Prinzip der kürzesten Bahn 282. . Protococcales 312. Protoplasma, trocken 477. Protoplasmahaut 488. 492. 495. Pteris longifolia 403. Pterospermateae 312. Purpurbakterien 99. 101. 37. Band Pyrenoid 585. Pyrrhophyta 315. Q. QYuagga 150. Quercus pedunculata, Randbunt 165. (Juercus pedunculata 376. R. Rana eseulenta, Verhalten gegen Lytta AN. kana fusca, Entwicklungskorrelationen 97 ci. Rana fusca. Lokalrassen 127. 138. Randbunt 165. Rassengerüche 560. Ratte (im Labyrinth) 286. Raumfüllende Rezeptionsfähigkeit 471. Reziproke Hemmung 370. teflexmaschine 357. Regenerationsversuche (Hydra) 466. Renntier, „Knacken‘“ beim 177. Raumtiere 472. Rhabditıs 195 299. Rhabdogaster 199. Rhamnus eathartica 380. Rhizopoden 584. Rhythmik der Pflanzen 394. Ribes sanguineum 162. Robinia pseudacacia 379. 386. Rothirsch 183. Rüsselrobben 438. Rüsselscheibe (Schwein), Drüsen 550. Rusa-Hirsche 154. S. Säugetiere, Hautdrüsen 534. Samen, Widerstandsfähigkeit 478. Saprobökologisches System 100. Saprolegnia 395. Sarcophaga 26. Scheitelzellen 170. Schimpanse, Achseldrüsen 551. Schlagreflex der Raupen 285. Schlauchdrüsen 538. Schnaken, Eiablage 509. Schneckenparasiten 24. Schutzmitteltheorie 446. Schweißdrüsen 534. See-Elefant, Biologie 438. Seehunde, Haarkleid 444. Seitenkanäle der Nematoden 200. Seidenspinner, Eier 499. Selektionstheorie 156. 333. Semipermeabilität 495. Sempervivum 398. 402. Seston 100. Sılico flagellatae 312. 41 596 Alphabetisches Sachregister. Silur 150. U. Sinapsis, Samen 485. 488. 493, 2 Sinushaare 547. Ulva 5. {eu hi: Sonnenblumen, Samen 480. Unke, Verhalten gegen Lytta 457. Soziale Instinkte 359. Unsterblichkeit 397. Spilophora 206. “= rschiefer 151. Sporozoen 281. Urgneiß 151. Stechmücke, Lebensweise 507. v Sproßwachstum 170. . Stenoniscus 126. Stenophiloseia 126. Stereotropismus 417. Stethopathidae 41. Stiefmütterchen 69. Süßwassernematoden 295. Sylvia atricapılla, Verhalten zu Lyttu 453. Vanessa Levana 500. Variabilität 353. Vaucheria 395. Vegetationspunkt 170. 397. Vegetative Propagation 277. Ventraldrüsen der Nematoden 200. Vergleichende Physiologie 329. Rene: Verholzte Membranen 489. Sy mpodium 3. Vieia, Samen 485. Syringa al2. Viscum album 413. Syspastus 125. Vitalismus 188. Vogeleischale, Bastardierungswirkung T. 917 Volvocalen 423. Talgdrüsen 534. Vortieella 503. Taurotragus 185 Teichnannoplankton 98. W. Telegonie 217. Tenebriv-Larven, Gift 447. Wärmeregulierung und Hautdrüsen 555. Teratocephalus 204. Wachstum der Pflanzen 395. Termitophilie 109. Wachstum und Ruhe 373. 396. Tertiär 151. Wandolleckia 24. 41. Thigmotaxis 417. Wapiti 184. Tiere, optische 416. Warzenhofdrüsen 539. Tiere, osmatische 416. Wasserentziehung 493. Tiere, taktile 416. Wasserleitungssystem der Landasseln 119. Tierphysiologie 330. Wilsonema 199. Tierzüchtung 354. Tilia 380. Tod 586. 2 Tonus 579. Xanthophyll 314. Topochemischer Geruchssinn 362. Xeniodochie 217. Trichoniseus 117. 127. Trifaktorieller Rassenunterschied (bei 2. Hühnern) 255. } Trimorphie 82. Zauneidechse (Verhalten zu Lytta) 454. Tripton 100. Zebra 186. Tripyla 207. Zebu 186. Triticum-Samen 480. Zeiträume der Phylogenesis 148. Trotzstellung 106. Zeugungslehre 277. Tubifex 417. Zooglöa 100. Turbellarien 468. Zooneuston 100. Tylenchus 204. Zuchtwahltheorie 156, Iylos 125. Zweckmäßigkeit 333. ‚ a u an rn ae „ F nn SE iii I. ee pn u Der ee aan tue WH Aueh eyty ee j « RR te AN f A R t ” A aulaiee ee ’ Pt * jr nl Se ” j CAT DL BLM HEHE ji net ee‘ ir air sen ut . de ohoR: . Hat % 3 u « RR Baisieje TE 36 ET 0 MIrR ABI ö j Bo og? Ma An ION REISRRREROE 3,2 A u y BEAT gr ep soylg? j* * » BEEEHR De » ve vr Dry z Ser ee Zur Ni > BER I = he hin aaa fi a aa ei 4 EURE SOREHEHEHLHENAEGETEIEALI EA: BR BE RE BER cy A ‚e d IN P; PRENE) A ans rate i Hedi . ee >... be De a Ds N ah lde ee RR Heusch | Mia MEI RATHERT Rh Br RR nr Ran De + * & Fer NEN 5 De ne See Ne EI” TE EN ” Dar 20 NESESERE IL ISLTENERLIEN MILE HA 3 4 Ban nis oa de ; BR 1 . Bu ae 3 akt Kal 2) EEE aa y; A RN Hunt HR; Au s et ji? raene PueAyE He N ELLE CHE LIKE ARE FR FU AL DENE AL AG? 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