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Dreizehnte Auflage F Keys

Dresden g der Druckerei Glöß wien

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| ie Geſchichte liebt die Wahrheit und hält ſie feſt, auch wenn der Haß oder die Liebe den Schleier der Legende über die Begebenheiten breitet. Die Geſchichte vom Sturze Bismarcks entbehrt noch der Klarheit, und doch kann dieſe

Geſchichte, unparteiiſch und offen dargeſtellt, nicht allein das

Urtheil über die Vergangenheit klären, ſondern auch den ſicherſten Anhalt bieten für die Bewerthung der Gegenwart. Mit ſchwülſtigen Begeiſterungsartikeln über Feſtreiſen

und Feſtreden iſt es heute nicht gethan. Herabgeſtürzt von

der glänzenden Höhe, auf welcher Deutſchland unter Kaiſer Wilhelm I. und ſeinem Kanzler ſtand, treiben wir in das Meer einer unſicheren Zukunft. Es iſt eine ſtarke Autorität, die ſondergleichen war, zerſchmettert worden, aber keine neue iſt an ihre Stelle geſetzt. Das mögen die gegen— wärtigen Machthaber verkennen, weil der Jubel der Inter— nationalen ihr Ohr täuſcht, während die Trauer der Patrioten ſtumm bleibt; aber es mag doch Stunden geben, in welchen es den Männern, die an der Spitze ſtehen, bange wird um

ihr Heil: das ſind ſolche Momente, die ſich in der Oeffent—

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lichkeit als unfaßbare, in ihren Gründen nicht zu begreifende Schwankungen darſtellen. Der Erfolg iſt der ſicherſte Werth— meſſer der Geſchichte. Bismarck hat uns das Reich geſchaffen,

er hat uns das Recht gegeben und die Pflicht auferlegt, f

national zu denken und zu fühlen. Bismarck hat Kelle auf Kelle zum Reichsbau herbeigeſchleppt; wären die, die

des Lebendigen Erbe antraten, ihm gleich, ſo müßten wir

uns beſcheiden. Aber fi e find es nicht, Keiner von ihnen; darum bleibt das Wort des getreuen Ekkard klingen in unſeren Ohren, daß man bereits beginne abzubröckeln an ſeiner Schöpfung. Es iſt ein ſchweres Werk, dies offen feſtzuſtellen, ſchwer beſonders für den, der in der Kraft des

monarchiſchen Gedankens das Heil unſeres Volkes erblickt; es

iſt ein trübes Amt, aber geboten in Zeiten, wo die Stimme

des Warners nothwendig iſt wie heute. Eines allerdings er leichtert dieſes Amt: Kaiſer Wilhelm ſelbſt iſt ſo oft hinabgeſtiegen

in den Kampf der Parteien, daß er den Kritiker ſelbſt aufgerufen hat und daß er es ertragen muß, wenn die Thaten ſeiner Regierung auf der Waage der Unparteilichkeit gewogen werden. 1

Dieſe Unparteilichkeit wird aber nur dort ſein, wo Liebe zur Monarchie ſich mit freiem Blick für die Schwächen der Menſchen vereint und wo der Haß nicht das Auge trübt.

Heute finden wir ſolche Unparteilichkeit kaum. Wenn zwei

Ringer gegen einander ſtehen, jo iſt es billig, daß. Sonne und Licht gleichmäßig vertheilt ſind; heute, wo der neue Kurs gegen den alten ringt, iſt dies nicht der Fall. Schutz⸗ los ſteht Fürſt Bismarck gegen alle Geſchoſſe, er ſteht nicht einmal unter dem völkerrechtlichen Schutze gegen vergiftete

Kugeln. Nur der Schild bewährter Tüchtigkeit deckt den

ehrwürdigen Leib des greiſen Helden.

Man hat anfangs verſucht, ſich über die Schmerzlichkeit des Anblicks, wie man einen Bismarck ſchändet, damit zu tröſten, daß ein wirklicher Gegenſatz zwiſchen dem Kaiſer, den Männern des neuen Kurſes und dem Altkanzler nicht beſtehe. Wen in dieſer Hinſicht noch nicht die Ereigniſſe belehrten, der denke daran, daß am 1. April 1891 in Friedrichsruh ſelbſt von den Miniſtern des Auslandes und zahlloſen Fürſten Europas Glückwünſche eintrafen, während die Nachfolger des größten deutſchen Staatsmannes den Tag vergaßen. Gerade darum aber, gerade weil der Gegenſatz hiermit auf das Schärfſte betont iſt, begehrt das deutſche Volk dringend, daß die denkwürdige Schrift, mit der Bismarck vom Amte ſchied, der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten werde. Denn es heißt, daß ſie in ausführlicher Begründung den ſachlichen Gegenſatz zwiſchen dem Einſt und dem Später hervorhob. Es wäre Pflicht des Parlamentes geweſen, die Bekanntgabe der Schrift zu ver— langen, und dringend erwacht die Hoffnung, daß dies noch jetzt geſchehe. Es ziemt ſich nicht, daß vor der Nation noch heute als Grund des verhängnißvollſten Ereigniſſes unſerer neueren Geſchichte der leidende Zuſtand des einſtigen Kanzlers gilt, heute, wo man es weiß, daß er gerade damals ſich des höchſten Wohlbefindens erfreute.

Der Jude Jakoby glaubte einſt, die Löſung eines 708 Räthſels auszuſprechen, als er dem vierten Friedrich Wilhelm entgegenrief, es ſei das Unglück der Könige, daß ſie die Wahrheit nicht hören wollten. Das größere Unglück iſt es, daß den Königen Niemand die Wahrheit ſagt. In den Händen des Königs liegt die Macht, Gnaden zu erweiſen, zur Höhe emporzuheben und zu zerſchmettern. Wohl mag es ſelten ſein, wenn dieſe reiche Fülle in den Händen der

Jugend ruht, daß nicht der Irrthum fein unwillkommenes Spiel treibt; gerade deshalb aber mußte im Rathe der Jugend die bewährte Tüchtigkeit, welche die Oppoſ ition nicht ſcheut, zu Worte kommen. Fürſt Bismarck war ein ſolcher Opponent,

er hat keinen Nachfolger erhalten. Er war Opponent, auch

wenn er unbequem ward, und er war um ſo unbequemer,

weil ſich ſeinem Worte das Gewicht der Erfahrung und des

Erfolges geſellte. Er hat Leuten Platz gemacht, welche die

Unfehlbarkeit des katholiſchen Kirchenhauptes auch auf den

oberſten Biſchof der lutheriſchen Kirche gern übertragen möchten. So folgten dem 1 von Eiſen die Männer der Koch'ſchen Lymphe.

Es iſt nicht zu leugnen, daß die Perſönlichkeit unſeres Kaiſers im Vordergrunde jeder Darſtellung des gegenwärtigen politiſchen Syſtems ſtehen muß, nicht weil ihm vor der Nation irgend eine Verantwortung zukommt, ſondern weil er die perſönliche Initiative in allen drängenden Fragen ergreift.

Und doch iſt es ein beklagenswerther Irrthum, die Perſon des Herrſchers zum Gegenſtande einer oft wenig ehrerbietigen Kritik zu machen. Nie und nimmer trifft den Monarchen der

Tadel, ſondern die Männer, welche vor Gott und den Menſchen die Verantwortung tragen. Billigen ſie die Initia⸗ tive des Monarchen, ſo haben ſie für die Folgen zu haften;

billigen ſie dieſelbe aber nicht, ſo müſſen ſie ihr Portefeuille

niederlegen in die Hände ihres kaiſerlichen Herrn. Fürſt Bismarck iſt ſchweren Herzens gegangen, aber er ging, als er glaubte, vor ſeinem Volke nicht die Verantwortung für be⸗ ſtimmte Dinge tragen zu können. Maybach, Scholz und Lucius folgten ſeinen Spuren. Wenn Herr von Caprivi und

die Seinen nicht übereinſtimmen mit den Thaten des Monarchen,

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fo iſt es ihre Pflicht, zu gehen. Die Geſchichte Goßlers darf nicht zum Paradigma in der Geſchichte Deutſchlands werden. Wehe dem Volke, deſſen Miniſter willenloſe Werkzeuge würden!

Es iſt kaum zu leugnen, daß alle hervorſtechenden Züge der neuen Machthaber bisher in einem großen Theile des Volkes tiefen Mißmuth erregten. Nur im Zentrum und bei den Polen finden die Thaten des neuen Kurſes merkwürdige Zuſtimmung, bei Parteien alſo, die wir bisher am wenigſten verſucht waren, als die Vertreter einer wahrhaft nationalen Politik anzuſehen. Nicht die Ehren allein, die einſt Windthorſt und Frankenſtein erwieſen wurden, nicht allein der Umſchwung des von ſchutzzoͤllneriſchen Bauern gewählten Zentrums zu den Handels— vertägen, ſondern tauſend andere Thatſachen deuten darauf hin, daß der neue Kurs der Kurs des römiſchen Zentrums iſt. Es iſt nicht zu verkennen, daß Miquel die Seele des ganzen Syſtems iſt, und tiefbegründet iſt die Annahme, daß gerade er ein Anhänger der Lehre Loyolas, ein Jeſuit ſei de courte robe, der in genauer Kenntniß und in kluger Berechnung des Charakters unſeres Kaiſers die Dinge einem unerwünſchten Ziele zutreibt.

Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß ſich bei Hofe zahlreiche Einflüſſe geltend machen, die unter der Maske des reinen Patriotismus dies egoiſtiſche Streben nach Macht zu ver— bergen wiſſen. Gerade unter dem heutigen Regime werden im Allgemeinen ſolche Beſtrebungen am ſicherſten auf einen gewiſſen Erfolg zu rechnen haben, die nicht allzu offenkundig heraustreten. Denn ſelbſtbewußte Perſönlichkeiten dulden keine Stricke an Händen und Füßen; allerdings vermögen ſie es oftmals nicht, gleich Gulliver die feinen Bande der Zwerge zu zerreißen. „Regis voluntas suprema lex“ gilt wohl bei Hofe, aber auch nur ſcheinbar.

Vielfach war man geneigt, alle heimlichen Einflüffe in der Perſon des Herrn Hintzpeter zuſammenzufaſſen, man ſprach ſogar von einer gewiſſen „Verhintzpeterung“ des Hofes und meinte dabei auch Leute wie Douglas, Güßfeld, Herrn und Frau von Bötticher, Herrn und Frau von Marſchall, Herrn und Frau von Koszielsky, Miquel u. A. In gewiſſen Kreiſen gilt die Kaiſerin Friedrich als beſonders einflußreich, doch geht man in dieſer Annahme fehl. Die Tochter der Königin Viktoria iſt viel zu klug, als daß ſie irgend einen direkten Einfluß auf ihren kaiſerlichen Sohn auch nur zu beſitzen wünſchte. Vielleicht aber könnte die Figur des Herrn von Marſchall das Auge nach Baden lenken, von wo der von ſeinem Neffen beſonders verehrte Großherzog die Keime des Liberalismus in dem jungen Herrſcher ſorglich nährt. Welche Ziele die einzelnen Perſönlichkeiten in der Umgebung des Kaiſers verfolgen, das läßt ſich nicht in einem einzigen Worte ausſprechen. Andeutungen im Einzelnen er— geben ſich vielleicht ſpäter. Dieſe Ziele zeigen ſich keineswegs überall ſo klar, wie bei dem Herrn von der Schulenburg, der unmittelbar nach ſeinem tückiſchen Angriffe auf e zum Oberſtlieutenant a. D. avanicrte.

Pſychologiſch wäre eine Einflußnahme des Streber thums nicht ſchwer erklärbar. Man weiß, daß gerade Monarchen, welche die Eigenſchaft des Selbſtvertrauens in beſonderem Maße beſaßen, unter dem ungeahnten Einfluſſe nicht geiſtig übergeordneter, ſondern vollkommen untergeordneter Perſönlichkeiten bis zum Kammerdiener herab ſtanden. Gerade für ſelbſtbewußte Fürſten bilden geſchmeidige Menſchen eine böſe Gefahr; Schönredner können die Tugend zu ihrem Schattenbilde verkehren. Ein ſolcher Schönredner iſt Herr

Miquel. Klug, überaus gewandt, reich an Erfahrung guter und ſchlechter Art, verfügt er über eine glänzende Rhetorik, welche die Zuhörer beſticht. Er iſt, ſo lange er Abgeordneter war, der glänzendſte Redner des Reichstags geweſen, was allerdings nicht heißt, daß er der beſte Redner war. Seine Dialektik iſt meiſterhaft, und da er das Gewicht der Erfahrung zwar beſitzt, dieſelbe jedoch nie geltend macht, ſo mag er wohl einen außerordentlichen Einfluß auf den Kaiſer ausüben. Man glaubt, an vielen Stellen den häßlichen Spuren des früheren Bankiers zu begegnen; wo er überall ſeine Hände im Spiele hat, das weiß außer ihm wohl Niemand. In ſehr vielen Dingen aber gleicht er, wie geſagt, einem Jeſuiten, wenn er auch ſeine Zugehörigkeit zum Orden mit allem Eifer leugnen mag. In den Zeiten des Kulturkampfes trat recht oft die Erſcheinung zu Tage, daß ſich, wenn die Wogen im Zentrum auch noch ſo hoch gingen, dieſelben ſpielend legten, ſobald Herr Miquel, der nationalliberale Kulturkämpfer, mit Windthorſt zu ver— handeln begann. Die Beiden kannten ſich genau, wie zwei Vogelſchauer. Gegen den nationalliberalen Miquel regt ſich im ganzen Zentrum auch jetzt, wo er Miniſter iſt, kein Oppoſitionslüftchen. Bemerkt ſei auch, daß im Jahre 1888, als Miquel in Naſſau in Bezug auf den Fürſten Bismarck ausrief: „Den guten Mann erkennſt du an der Dankbarkeit i gegen empfangene Wohlthaten. Wehe dem Volke, welches dieſe Tugend ſo ſehr verleugnete, an die Stelle der Verehrung zu ſetzen Haß und Erbitterung“ Fürſt Bismarck noch im Amte war. N

Das Vertrauen auf ſeine eigene Kraft mag auch den Anlaß bilden, daß Kaiſer Wilhelm ſolche Männer um ſich zu ſehen liebt, die eventuell von ihm abhängig und daher voraus⸗

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ſichtlich ergebene Vollſtrecker ſeiner Befehle ſind. Der *

Kaiſer ſoll gern ſolche Perſonen heranziehen, die durch Kinderreichthum, durch große Schulden und dergleichen in ihm den Retter ihrer wirthſchaftlichen und moraliſchen Exiſtenz erblicken, die ſich an ihr Amt klammern müſſen, auch wenn ſie einmal unſanfte Szenen erleben. Der Kaiſer hat

ſelbſt einmal geſagt, er werde Jeden zerſchmettern, der

ihm widerſtrebe; Herrn von Bötticher konnte an dieſem

Schickſale nichts gelegen ſein. Herr von Bötticher beſitzt

eine glückliche Eigenſchaft: Er iſt klebrig. Ob alter

Kurs, ob neuer Kurs, ob Hott oder er

klebt. Das Wort, das ihm im Reichstage bei der Berathung über die Quittungsmarken für die Alters⸗ verſorgung von dem Juden Bamberger zugerufen wurde: „Kleben und kleben laſſen!“ ſcheint ſein Wahlſpruch geworden. Angewieſen auf ſein Miniſtergehalt, ohne Privatvermögen, ja, ohne die Munifizenz des Fürſten Bismarck tief verſtrickt in Ver⸗

legenheiten, die nicht bloß finanzieller Art waren, verfügt er

über eine Schaar von etwa neun Kindern und daneben noch über eine leidlich hübſche, ungemein anſpruchsvolle Frau, die denn auch wohl weſentlich den Sporn bei ſeinem Thun und Treiben bilden dürfte. Es wird vielleicht die Betheiligung dieſer Frau an dem Sturze des Fürſten Bismarck und die

Geſchichte ihres Bündniſſes mit der Familie von Marſchall in

künftigen Tagen durchſichtig werden. Jedenfalls iſt für dieſe Dame weniger die pekuniäre Seite maßgebend, als die Etiquettenfrage, und man dürfte nicht fehlgehen in der An⸗ nahme, daß für Deutſchlands Geſchichte die Hartnäckigkeit, die der Beſchränktheit überall in beſonderem Maße eigen iſt und die ſie kitzelte, in den Rang der Feldmarſchallsfrauen zu

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gelangen, von unheilvollſtem Einfluß war. Herrn von Böttichers Klebrigkeit gewann gerade in der Bismarckkriſe ihren ſeltſamſten Ausdruck. Er war zu jener Zeit nichts Anderes, als ein Gehilfe, leineswegs aber ein Kollege des Fürſten Bismarck. Seine Aufgabe war es, ſeinen Chef zu vertreten, eine ſelbſtſtändige Stellung beſaß er nicht. Wenn er hinter dem Rücken ſeines Chefs dem Kaiſer Vorſchläge machte, die den Ideen des Vorgeſetzten widerſprachen, ſo lud er den Ver⸗ dacht der tendenziöſen Konſpiration auf ſich, der allerdings, in Anbetracht des eingetretenen Wechſels in den Neigungen des Kaiſers, mit ſeiner Klebrigkeit vortrefflich ſtimmte. Daß er im Reichstage anders ſprach, als in heimlichen Konferenzen, thut dem Familienvater und Staatsdiener keinen Abbruch. Man hat, ſehr zu Unrecht, den Fürſten Bismarck mit Wallenſtein verglichen; dem Octavio gleicht Bötticher in allen Stücken.“) 5

Zu den Repräſentanten der Böttcherei gehörte auch Herr von Goßler, deſſen Schickſal tragiſch zu nennen wäre, wenn der Begriff der Tragik anwendbar wäre bei Männern von ſeiner Bedeutung. Er iſt immerhin mit großen Gewiſſensſkrupeln daran gegangen, ſich ſelbſt zu verleugnen, und iſt wohl zu ſeiner famoſen Stellung in der Sperrgelderfrage nur bewogen worden, um ſich die Möglichkeit weiterer Verwendung im Staatsdienſte aufzu—

) Man hat von freiſinniger Seite mit gewohnter Frechheit dem Fürſten Bismarck inſinuirt, er habe die Dotirung des ſchwer bedrängten Herrn von Bötticher durch den Welfenfonds an die Oeffentlichkeit ge— zogen. Für Jeden, der es weiß, daß die bekannt gewordenen Zahlen der Schuldſummen der Herren Berg und Bötticher nur einen kleinen Theil der thatſächlichen Summen angeben, iſt die Inſinuation durch—

ſichig

ſparen. Zum Marquis Poſa ift er weniger geeignet, als zum Polonius, deſſen unfreiwillige Komik er erreichte, als er, ein Fläſchchen Lymphe in der Hand, den „ſchönſten Tag“ ſeines ſchon durch die Schulkonferenz verſchönten Lebens feierte. Er hätte ſich Maybach und Scholz als Vorbilder nehmen ſollen, die ſich nie aus der Axe ihres perſönlichen Willens drängen ließen. Die Herren von Berlepſch und von Heyden haben ſich wohl in ihren kühnſten Träumen für nichts Anderes angeſehen, als für Strohmänner eines höheren Willens. Herr von Heyden hat ſeine Anſchauungen von der Nützlichkeit der landwirthſchaftlichen Zölle ganz in den Dienſt ſeines kaiſerlichen Herrn geſtellt und wird im Reichstage das für ein Wieſel erklären, was er bisher für ein Kameel ge— halten hat. Kollege Berlepſch gab die Ueberſchrift für ein neues Kapitel; nie hat die Judenpreſſe einem Manne mehr. zugejubelt, als ihm, den man für den erſten Sturmbrecher gegen die Machtfülle des Fürſten Bismarck anſah. Seit ſeiner Ernennung iſt nichts weiter von ihm verlautet. Herr Herr— furth iſt ein in der Wolle gefärbter Liberaler, der ſich in der Landgemeindeordnung trefflich mit Herrn Miquel zuſammen— ſchirren ließ. Er hat wenigſtens Anſichten, wenn dieſelben auch nichts taugen. Mit ſeinem früheren Vorgeſetzten und jetzigen Untergebenen, Herrn von Puttkamer, verbindet ihn nichts, als die Strebſamkeit, das allgemeine Kennzeichen der Böttcherei. Am Geburtstage des Kaiſers erhielt er den Haus— orden für ſeine Thätigkeit. 8 Mit den genannten Herren Miniſtern theilen ſich in die Portefeuilles und ſonſtigen maßgebenden Stellungen die Militärs. Der Kaiſer liebt Uniformen um ſich, die den militäriſchen Gehorſam bedeuten. Schon die Anfangsſzene nach der Ent⸗

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laſſung oder vielmehr während der Entlaſſung Bismarcks 5 deutete darauf hin, daß der neue Kanzler keine andere Aufgabe erhalten ſolle, als zu gehorchen und Unterſchriſten herzugeben. Aus ſeinem eigenen Kopfe ſcheint nur eine einzige Handlung entſprungen zu fein: daß er es ſich in den Räumen des Reichskanzleramtes bereits bequem machte, ehe noch ſein Vor— | gänger, der doch wohl das Anrecht auf einige Rückſicht beſaß, ſeine privata zu entfernen die Zeit beſaß. Herr von Caprivi befand ſich in keiner beneidenswerthen Situation, als er damals das Antlitz des Mannes wiederſah, den erſetzen zu können er ſich ſelbſt außer Stande erklärte. Ueber die auswärtige Politik des Herrn Caprivi iſt wenig zu ſagen, da er nie, außer in Chile, eine ſolche hervorgekehrt hat. Er iſt naturgemäß Dilettant in derſelben, ohne das Glück zu haben, das manchmal gerade den größten Dilettanten folgt. Er hat ſich und ſeine ſogenannte Politik, ja, den ganzen neuen Miniſterkurs in ſeiner Osnabrücker Rede treffend gezeichnet: „Es giebt gute Tage, es giebt ſchlechte Tage, man muß ſie nehmen, wie ſie kommen.“ Daß er hiermit ſich einem Bismarck gegen— über karrikirte, hat er nicht bemerkt. Im Uebrigen ſchläft er ſicherlich ruhig, ſo ruhig wie ein Feldwebel, der dem Kompagniechef gegenüber ſeine Initiative zuſammenfaßt in den Worten: „Zu Befehl.“ Rühmenswerth allerdings iſt es, daß er ſich durch den Weihrauch, der ihm, ehe er den Mund aufthat, geſtreut wurde, nicht irre machen ließ, ſondern ruhig bei der Ueberzeugung blieb: Der Weib: rauch wäre jedem anderen Nachfolger Bismarcks geſtreut worden.

Noch eine Erſcheinung mag an dieſer Stelle Erwähnung finden, die auf die gleiche Wurzel zurückgeht. In die wichtig⸗

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ſten Staatsämter werden Männer berufen, denen die Aus⸗ füllung derſelben ihrer ganzen Entwicklung nach fremd ſein muß. Herr von Zedlitz hat keine andere Anwartſchaft auf das wichtige Amt eines Kultusminiſters, als die Ablegung des Fähnrichsexamens und allenfalls noch die Namens— vetterſchaft mit dem Beſchützer Kants; er hätte ſich trefflich zum Miniſter des Innern geeignet und ſich in dieſer Stell⸗ ung auch wohl gefühlt. Als Kultusminiſter kann er im Reichstage kaum Erſprießliches leiſten. Herr von Caprivi, der vorzügliche Eignung zum Kriegsminiſter oder Generalſtabs⸗ chef beſitzt, kann als Miniſter des Auswärtigen nur eine überaus unglückliche Rolle ſpielen. Man denke ſich ihn gegen- über einem ſo mit allen Hunden gehetzten Politiker wie Lord Salisbury oder Giers. Zum erſten Gehilfen hat er nicht etwa einen Mann von Erfahrung, ſondern Herrn von Marſchall, welcher, wie ſchon angedeutet, die Wurzel der Dinge nach Baden zu leiten die angenehme Aufgabe beſitzt. Die Rechts— zuſtände unter Herrn von Schelling laſſen nicht die Ver— muthung zu, daß er zum erſten Beamten der deutſchen Rechts- pflege von der Vorſehung beſtimmt ſei. Der Eifer der Beamten unter ihm ſcheint ſich weniger auf die Beſtrafung von Mein⸗ eiden zu richten, als auf die Sühnung kleiner Preßvergehen und ſorgfältig behandelter Majeſtätsbeleidigungen. Allerdings fallen die Affairen Paaſch, Mandl, Bleichröder nicht ihm allein, ſondern der ganzen Böttcherei zur Laſt.

Bei all' ſolchen Erſcheinungen iſt nun ein Ding beſonders ſchlimm. In der Menge fragt man ſich: Iſt es denn fo leicht, Miniſter zu ſein? Wozu dann das lange Studium, wozu die Arbeit? „Streben“ wir, ohne Arbeit hinauf zu ges langen. Herr von der Schulenburg macht Schule. Der

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ſchönredneriſche Levetzow, ein recht witterungskundiger Herr, vergaß feine lateiniſchen Brocken ſämmtlich, als er im Reichs⸗

z tage Kunde von Bismarcks Entlaſſung gab. Und doch hätte

er viel beſſer als bei einer früheren Gelegenheit rufen können: „Morituri te salutant, Caesar!“ Denn erſtens war der Begrüßte dem Julius Caeſar gleich, zweitens „erſtarb“ er und ſeine Kollegen wirklich und drittens paßte die Situation nicht ſchlecht mit jener zuſammen, bei welcher die im Waſſer ſchwimmenden Sklaven dieſen Ausruf thaten. Wie die ganze Nation, jo werden vor Allem die Beamten ſtutzig, die ſich plötzlich unter Vorgeſetzten ſehen, deren abſolute Unkenntniß ihres Faches ihnen nicht unbekannt ſein kann. Die Herren Geſandten ſpeziell faſſen die Sache von der angenehmen Seite Rauf, aber gerade unſer tüchtiger Beamtenſtand im Inlande iſt

tief verletzt. Sachlich aber iſt die Folge des Syſtems ein ganz koloſſaler Dilettantismus, ein Dilettantismus, der, ſelbſt unklar und ſchwankend in ſeinen Zielen, naturgemäß auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens Unklarheiten und Schwank— ungen zeitigen muß. Er drückt ſich- ängſtlich nach jeder Meinungsäußerung herum und tritt in totale Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung. Man trifft Maßregeln, ſchafft Geſetze, nicht weil fie als nothwendig erkannt werden, ſondern . weil ſpeziell die Judenpreſſe darum lärmt und damit man Zeitungslob ernte. Dieſer Dilettantismus wird noch weſent— lich gefördert durch den Umſtand, daß die Männer, ſo gegen— wärtig an der Spitze ſtehen, ſich außerhalb jedes Zuſammen— hanges mit dem realen Leben befinden. Sie find im beiten” Falle Bureaukraten, die vom grünen Tiſch aus die Welt be— trachten, mit Ausnahme vielleicht des Herrn Miquel, der vom: Börſenthum allerdings ſehr viel verſteht.

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Es iſt natürlich, wenn die Volksmeinung, und vor Allem

die Herren Miniſter ſelbſt die Anſicht nähren, daß ſie gewiſſer⸗ maßen der Verantwortlichkeit überhoben ſeien. Das häufige perſönliche Hervortreten des Kaiſers zu Kundgebungen, die für die Miniſter ſelbſt den Reiz der Ueberraſchung tragen, mag dieſen Glauben ſtärken; die Fingerfertigkeit, mit welcher von ihnen Vorlagen eingebracht, umgeändert, in ihr Gegen⸗ theil verkehrt werden, mag als ein Ausfluß jenes M angels an Verantwortlichkeitsgefühl anzuſehen ſein. Die Zuſtimmung des Freiſinns zu allen perſönlichen Kundgebungen des Kaiſers gilt weniger dem Inhalt dieſer Kundgebungen, als dem perſönlichen Momente. Man hofft dort, daß ſich,

wenn auch zunächſt nicht formell, jo doch ſachlich ein ver=

antwortliches Kaiſerthum konſtituirt, und ſieht bereits

den antimonarchiſchen Weizen hoch in die Höhe ſchießen. Aus dieſer Wahrnehmung mag andererſeits die Stellungnahme zahlreicher Monarchiſten reſultiren, die namentlich für die Lage eines zukünftigen Herrſchers von geringerem Selbſtbewußt⸗

ſein fürchten und daher ſchon jetzt das Werk unternehmen,

die Monarchie gegen ſich ſelbſt zu ſchützen. Im Jahre 1863 hat Herr von Bismarck im preußiſchen Herrenhauſe prophetiſch auf die Gefahren des „hoc volo, sic jubeo“ hingewieſen.

In ein beſonders ſcharfes Licht ſtellt die durch das

Münchener Kaiſerwort geſchaffene Lage folgender Artikel der

konſervativen „Dresdner Nachrichten!?

„Der Wille des Herrſchers iſt das höchſte Geſetz.“ Als die Kunde in die Oeffentlichkeit drang, daß der deutſche Kaiſer dieſe Worte in lateiniſcher Sprache in das Fremdenbuch der Stadt München eingetragen, da erhob ſich dringender Zweifel an der Wahrheit der wunderſamen Meldung. Es entſprach

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dem Gefühle der Loyalität, ein beglaubigtes Zeugniß abzu— warten, ehe man ſich zur Kritik entſchließen durfte. Die Be⸗ ſtätigung iſt von allen Seiten gekommen, und ſo ſtehen wir abermals vor einem Kaiſerwort, das nur mit tiefer Sorge erfüllen kann. Denn es dürfte nicht ein momentaner Einfall ſein, der ſich hier wiederſpiegelt, ſondern in jenem Worte ſcheint überhaupt der Ausdruck der Weltauffaſſung zu liegen, wie ſie den Enkel des erſten Kaiſers erfüllt. Es brauchte gar nicht bekannt zu werden, daß der Spruch bereits vor Monden dem gleichen Munde entfloh, als ein Abgeordneter \ der Provinz Sachſen der Ehre eines Geſpräches, theilhaftig wurde; eine ganze Reihe von Worten ähnlicher Art kurſiren längſt in den Schichten des Volkes, und nirgends war der Beifall ungetheilt. Man wird mit dem lebhaften Bedauern darüber nicht zurückhalten dürfen, daß Worte, die der Miß— deutung in beſonderem Grade fähig ſind, Beunruhigung und Verwirrung immer von Neuem erregen, und dieſes Bedauern wird dort um ſo lebhafter erwachen, wo man ein ſtarkes Monarchenthum, gegründet auf dem Felſen der Verfaſſung, als feſteſtes Bollwerk betrachtet gegen diefluthenden Wogen des heutigen Tages. Nicht eine willkürliche Interpretation erſt legt einer Reihe kaiſerlicher Sprüche unwillkommenen Sinn unter, ſondern ſie ſtehen vor uns in elementarer Nacktheit, und es bedürfte erſt der Kunſt der Sophiſtik, ſie in Einklang zu e mit dem, was wir ſonſt zu meinen gewohnt ſind.

Als der ſcheidende Miniſter von Goßler das Bild ſeines kaiſerlichen Herrn als Dank für die bewieſene Nachgiebigkeit erhielt, jenes Bild, an deſſen Fuße das vielberufene Wort als Juvenal prangte: „Hoc volo, sie jubeo“, da konnte man

zur Noth aus dem Zitat eine ſcharfe Satyre heraushören auf Bismarck und der Hof. 2

Eee eine bisher nicht gekannte Rückgratsloſigkeit preußiſcher Staats⸗ diener. Ueberlegene Naturen empfinden Freude daran, dem Schwächling im Spiegel das eigene Geſicht zu zeigen. Der grimmige Humor Hamlets feiert ſeinen höchſten Triumph, als er Polonius mit der Peitſche feines Witzes antreibt. Aber Wort für Wort kehrt in neuer Form immer und immer wieder. In Brandenburg und Düſſeldorf wurde bei feſt⸗ lichem Mahle der Grundſatz proklamirt, daß nur Einer Herr im Lande ſei, der Kaiſer, daß er keinen Andern neben ſich dulde; da wurde gedroht, daß Jeder zerſchmettert werden ſolle, der ſich der Arbeit des Monarchen entgegenſtelle. Es wurde ein anderes Mal an das Volk die Mahnung gerichtet, dem Herrſcher durch Dick und Dünn zu folgen. Den Worten zur Seite ging eine Reihe von Maßnahmen, die den gleichen Stempel an ihrer Stirn tragen und die im Volke den Ein⸗ druck erweckten, daß die oberſten Vertreter der einzelnen Aemter ſich nür als Marionetten fühlten in der lenkenden Hand des Kaiſers. So entſpann ſich eine langdauernde, ſtets erneute Diskuſſion über die neue und eigenartige Erſcheinung, daß in wichtigen Fragen über die Köpfe der Miniſter weg ſich Kund⸗ gel ungen des unverantwortlichen Herrſchers direkt an die Merge richteten, ohne daß auch nur formell die Theilnahme— eines Beamten erfordert wurde. Könige haben ihr Amt von oben, aber auch Könige irren. Aus dieſer Erkenntniß heraus hat ſich das moderne Staatsleben entwickelt, das den Schleier der Romantik und der mittelalterlichen Myſtik zerriß und mit den Dingen rechnete, wie ſie ſind. Die Unfehlbarkeit des Papſtes ſachte vergeblich das eiſerne Seil der Wahrheit zu turcherechen. Das proteſtantiſche Bewußtſein hat im Kon⸗ ſtitutienalis nus feine Beſtätigung gefunden. ?

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Es iſt nicht erfreulich, wenn dem Münchener Kaiſerwort ein Ausſpruch des, großen Friedrich entgegengeſtellt werden muß: „Der Fürſt iſt nichts, als der erſte Diener des Staates.“ Dieſes hochherzige Geſtändniß des größten Ver— treters des aufgeklärten Abſolutismus war nicht der Ausfluß ſpontaner Aufwallung, ſondern die Richtſchnur eines ereigniß— und thatenreichen Lebens, das die kleine Monarchie zu dem Range einer Großmacht erhob. Das Wort findet ſich in einem der Briefe an König Karl II. von Württemberg, einen Mann, der gerade als ſeinen Wahlſpruch betonte, daß der Wille des Herrſchers das höchſte Geſetz ſei. Es dringt das Wort des zweiten Friedrich wie eine ernſte Mahnung herüber aus der Welt der Gräber. Und ein anderes Wort, das noch ſchärfer den Gegenſatz zu heute betont, wird angeführt: „Das höchſte Geſetz iſt das Wohl des Staates.“ Die Rechte eines Monarchen ſind unzweifelhaft geheiligte Rechte, aber auch ſie

ſind nur ertheilt, damit ſie zu Gunſten des Volkes und in

8 Unterordnung unter den großen Zweck der Geſammtheit aus— geübt werden. Als Ludwig XVI. vor ſeinem Ende ſtand, da ſagte er die denkwürdigen Worte: „Ich empfehle meinem Sohne, wenn er das Unglück haben ſollte, König zu werden, er möge ſich erinnern, daß man das Wohl des Volkes nur ſchaffen kann, wenn man nach den Geſetzen regirt.“ Das Reſultat feines prüfungsreichen Lebens war die Erkenntniß,

daß nicht der Wille des Königs das höchſte Geſetz ſei.“ Die Aeußerungen, welche dem neuen Kurs den Schein einer abſolutiſtiſchen Richtung verleihen, mögen den Anlaß geboten haben, daß Fürſt Bismarck in Kiſſingen, in der ein⸗ zigen öffentlichen Rede ſeit ſeinem Rücktritte, die Mahnung ausſprach, daß man die Reichsverfaſſung ſchützen ſolle.

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Es ift nur natürlich, daß ſich Fürſt Bismarck nicht der neuen Auffaſſung mehr anbequemen konnte. Sein Rücken iſt

zu ſteif geworden. Er würde im Unglücke der letzte Bedient des greifen Kaiſers Wilhelm geweſen fein, aber er hat nicht ge=

lernt, ſich ohne Noth zu bücken. Er war ſeinem Kaiſer zu treu, als das er blindlings gehorchte. Leszseinsky, Walderſee, Berchem nahmen theil an der Flucht der Befähigten. Dies iſt aber um ſo bedauerlicher, als wir nicht reich ſind an Männern, die ſich zu Miniſtern oder zu Heerführern eignen. Bis zum Unter⸗ ſtaatsſekretär oder zum Oberſten haben wir . verzügliches Material, darüber hinaus fehlt es am Beſten, an der Fähig⸗

keit, eigene Gedanken zu haben. Selbſt der vielgewandte

Herr von Bötticher iſt, um einen Vergleich zu brauchen, nur im Stande, einen Tauſendmarkſchein umzuwechſeln gegen kleine Münze und dabei hübſch zu „ſchmuſen“, recht ausgiebig zu reden, aber wie man dieſen Schein erwirbt, das dürfte er ſchwerlich wiſſen. Darum war es wohlverdient, daß ihm in Dingen der ſozialen Frage ein Kuratorium, beſtehend aus Hintz⸗ peter, Douglas und dem Landſchaftsmaler Heyden, geſetzt wurde.

Es iſt nun nicht zu leugnen, daß die kraftlos e Stellungnahme des deutſchen Parlaments ſchwere Gefahren bringt. Sieht man ab von Sozialiſten, Zentrum und Freiſinn, die in ihrem Thun aus— ſchließlich von der Beſorgniß vor etwaiger Wiederkehr des Fürſten Bismarck beherrſcht werden, ſo muß es doch auffallen, daß ſich unter den übrigen Parteien Niemand findet, der den

unheimlichen Lauf des deutſchen Reichswagens zu bremſen.“

unternähme. Man kann die gegenwärtige Politik doch ſicher— lich nicht als eine ſolche anſehen, die vom Standpunkte des

quieta non movere ausgeht; fie wühlt Alles auf, bohrt in alle Verhältniſſe und beginnt Dinge, deren Endziel gar nicht

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abzuſehen iſt. Trotzdem zeigen die Konſervativen, die ſich ſyſtematiſch zur Oppoſition gedrängt fühlen müßten, nur dort Muth, wo er, wie bei der Landgemeindeordnung und bei den Handelsverträgen, nichts ſchaden kann. Das Stichwort für dieſes Verhalten hat Dieſt-Daber prophetiſch ſchon 1868 ausgeſprochen: „Es ſind zu viel Streber in der Partei.“ Nur einen kleinen Theil dieſer Partei darf man ausnehmen. Herr von Helldorf und Herr von Manteuffel ſind die traurigen Paradigmata einer Geſellſchaft, die ſich j elbſt in Kurzem ans Meſſer liefern muß. Denn „gouvernemental“ ſein bei einer ſprungweiſe arbeitenden, in allen Farben ſchillernden Regierung heißt, ſich ſelbſt bankerott erklären. Dazu gehören nicht einmal Farcen, wie ſie ſich verſchiedentlich in unrühmlichſter Weiſe abſpielten. Die Nationalliberalen möchten ſchon, aber ſie riskiren es nicht. Selbſt ihr Verhalten in der Geeſtemünder Wahlſache war überaus „klötrig“. Sie erſchraken davor, daß fie Mannesmuth zeigen könnten. Auf

dem Berliner Parteitage ließen ſich die wackeren Süddeutſchen einfach mundtodt machen, als es hieß, Farbe zu bekennen. Am ſympathiſchſten iſt noch ihr Funcke aus Weſtfalen, der die ganze Hintzpetrigkeit des neuen Kurſes mit köſtlicher Ironie an den Pranger ſtellte, als er darauf hinwies, wie Herr Dr. Hintzpeter ſich einen halben Tag in irgend einem Bezirk aufhielt und dann ſeine ausſchlaggebenden Berichte abfaßte. Und Herr Funcke iſt kein Parlamentarier. Es dürfte unter ſothanen Umſtänden für den Fürſten Bismarck überaus ſchwer ſein, wenn er in den Reichstag eintritt, eine Stellung zu den Parteien zu finden. Zu den Konſervativen mag ihn ja alte Neigung ziehen aber, wie geſagt, er hat nicht gelernt, mit gekrummtem Rücken durch die Welt zu laufen. Gerade dieſe

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Thatſache aber verurtheilt Konſervative und Nationalliberale indem ſie ſich von ihm loslöſten, löſten ſie ſich auch von den Verdienſten ſeiner Vergangenheit los. Bei der Beſchaffenheit des „neuen Kurſes“ wäre es ihre Pflicht noch heute, mit aller Lungenkraft zu rufen: „Fort mit dem Miniſterium Caprivi!“ 8 8

In früheren Zeiten wurden in den ſtädtiſchen Republiken ſolche Leute, die anders ſtimmten, als es ihre Pflicht war, einfach aufgehenkt. Jetzt leben wir im Zeitalter milderer Sitten, jetzt wird als Andeutung nur ein ſeidenes Band ver— liehen. Es wäre ein Wunder, wenn in dem jungen Monar⸗ chen nicht bald jene Empfindung das Uebergewicht gewänne, welche der Fürſt Bismarck in ſo e Grade beſitzt: Menſchenverachtung.

Der Beſchaffenheit des Parlaments entſpricht im All⸗ gemeinen die Preſſe, nur daß für dieſe ein Milderungsgrund darin liegt, daß ſie nicht über die gleiche Wortfreiheit verfügt, wie Reichstag und Landtage. Man findet Ausnahmen, die frei und ehrlich ausdrücken, was die Patrioten empfinden, aber bezeichnender Weiſe hat gerade die Berliner Preſſe ſich in den Lakaiendienſt begeben. Wenn man erwägt, daß der größte Theil der Preſſe in Judenhänden ſteckt, wenn man erwägt, daß das Judenthum in ſeiner ganzen Entwickelung revolutionär und antimonarchiſch iſt, ſo kann man den Kaiſer zu der ſchmeichelnden Zuſtimmung ſo zahlreicher Preßorgane nicht beglückwünſchen. Die innige Verbindung des Herrn Miquel mit der Preſſe bis tief zum „Berliner Tageblatt“ hinab mag in dieſem Zuſammenhang nur angedeutet ſein. 5

Sicherlich iſt unter den Faktoren, welche der jetzige Miniſter des Aeußeren als beſonders wirkſam für ſeine Politik

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in Rechnung ſtellt, die perſönliche Galanterie des Kaiſers der bedeutſamſte. Herr von Caprivi giebt ſich der Ueberzeugung hin, daß alle Schwierigkeiten der Situation ſofort gelöſt ſind, wenn ſein junger Herr perſönlich erſcheint und die Herzen der Fürſten, der Miniſter und der Völker gewinnt. Wäre er N nicht dieſer Anſicht, ſo wäre es ſeine Pflicht geweſen, dieſe Reiſen zum größten Theile zu widerrathen, denn die Hiſtorie lehrt, daß Herr von Caprivi ſich recht oft getäuſcht hat. Die Intereſſen der Völker ſchreiten über jede noch ſo große Liebens— würdigkeit hinweg. Ja, es iſt ſogar möglich, daß das herz— liche Entgegenkommen eine gegentheilige Wirkung ausübt, als beabſichtigt war. Darüber darf man ſich nicht im Unklaren bleiben, daß der neue Kurs in der auswärtigen Politik zu den entſcheidenden Urſachen für den Rücktritt des Fürſten Bismarck gehörte. Die zweite Reiſe nach England und ihre Folgen in Kronſtadt und Portsmouth ſind ein Beweis dafür, daß es in der Politik weniger auf edelherzige Ab⸗ ſichten, als eine klare und ſelbſt peſſimiſtiſche Auffaſſung der Menſchen ankommt. Politik heißt Menſchenkenntniß. Von annähernd gleicher Bedeutung iſt die Entrevue in Rohnſtock geworden, die das Reſultat hatte, den Kaiſer von Oeſterreich bei guter Laune zu erhalten. Der Beſuch des Erzherzogs Franz Ferdinand in Petersburg war hierbei nicht vorausgeſehen worden. Auch die jüngſte Fahrt nach der „Reichsſtadt“ München hat zu mancherlei Mißver— ſtändniſſen geführt. Die Miniſter hätten die Pflicht gehabt, den Kaiſer, ehe er ſein Eintreffen am bayriſchen Hofe anzeigte, um die Truppen zu inſpiziren, daran zu erinnern, daß dies nicht völlig im Sinne der Verfaſſung liege. Man hätte es dann vermieden, daß erſt eine nachträgliche Einladung des

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Prinzregenten das richtige Verhältniß wieder herſtellte, nach welchem der er lediglich als deſſen Gaſt angeſehen werden konnte.

Im Fürſten Bismarck ſind gerade alle jene Eigenſchaften vereint, welche ſeine Epigonen nicht beſitzen, und da die letzteren den Beifall des Kaiſers haben, ſo mußte nothwendiger Weiſe ein Bismarck von der Bildfläche verſchwinden. Auch der Hergang des letzten Aktes kann darnach nicht mehr be— fremden. Es muß an dieſer Stelle darauf eingegangen werden, weil die Verantwortung für die Kataſtrophe vom März 1890 ſeinen Nachfolgern verfaſſungsmäßig aufzuerlegen iſt. Die einzelnen Momente des Entlaſſungsaktes hängen abſolut folgerichtig zuſammen: Die ſchon angedeutete Meinungsver— ſchiedenheit über die ruſſiſche Reiſe, der Gegenſatz in der ſozialen Frage, die Differenz wegen des Beſuchs Windthorſts und die vom Kaiſer erſtrebte Beſeitigung der Kabinetsordre, welche die Befugniſſe des Miniſterpräſidenten feſtſetzt. +

Der Kaiſer glaubte, gegen Bismarck und Moltke, die Sozialdemokraten durch allerlei Zugeſtändniſſe gewinnen zu können. Das iſt thatſächlich ſeine An- und Abſicht geweſen. Er glaubte ferner, des Sozialiſtengeſetzes entrathen zu können. Dieſe letztere Anſicht ſetzte ſich in ihm jedoch erſt feſt, als er ſich bereits thatſächlich von der ſozialen Auffaſſung ſeines Großvaters und ſeines Kanzlers losgeſagt hatte. Wie aber gelangte der Kaiſer zu ſeiner neuen Anſchauung? Die Frage dürfte noch nirgends richtig beantwortet worden ſein. Den mechaniſchen Anlaß hierzu gab wider Willen kein Anderer, als in einer guten Abſicht König Albert von Sachſen. In Sachſen beſtehen ſeit geraumer Zeit zahlreiche ſoziale Wohlfahrtseinrichtungen, welche den dortigen In—

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duſtriellen gewiſſe Laſten auferlegten und ihnen die Kon— kurrenz erſchwerten. Dieſe wandten ſich mit einer Eingabe an die ſächſiſche Regierung um Beſchränkung ihrer Opfer oder doch um die Vermittelung dafür, daß auch in den übrigen Bundesſtaaten gleiche Einrichtungen getroffen würden. Der König von Sachſen wandte ſich deshalb an den deutſchen Kaiſer, der den Gedanken mit Feuereifer aufgriff, alle Hinder— niſſe durch ein Machtwort beſeitigte, das Sozialiſtengeſetz als eine Gefahr erkannte und eine neue Löſung der ſozialen Frage gefunden zu haben glaubte. Da Fürſt Bismarck die lebhafteſte Befürchtung hegte, daß hiermit Bahnen in unbe⸗ kannte Länder beſchritten würden, und namentlich auch aus ſeinen praktiſchen Erfahrungen als Landwirth ſich gegen eine Verallgemeinerung an ſich wünſchenswerther Einrichtungen erklärte, ſo wandte ſich der Kaiſer an Herrn von Bötticher, der auch eilends alle feine bisherigen Ueberzeugungen über den Haufen warf und lundabiliter se subjecit, ſich löblich duckte. Als Bismarck in Berlin eintraf, hat ihn der Kaiſer zu bekehren geſucht. Fürſt Bismarck warnte und mahnte; um nach ſeiner Auffaſſung größeres Unheil abzuwenden, übernahm er die Redaktion der bekannten beiden Februar-Erlaſſe, in denen er die urſprünglichen Aufſtellungen die mit den Anſichten Hintzpeters übereinſtimmten weſentlich abſchwächte. Er fand halb unerwartet die Zuſtimmung des Monarchen, konnte ſich aber nicht entſchließen, die Erlaſſe ſofort zu veröffentlichen, ſondern legte ſie vorläufig in den Tiſchkaſten. Fürſt Bismarck hat noch einmal flehentlich den Kaiſer gebeten, die Erlaſſe lieber ins Feuer zu werfen oder ſie ewig in ſeiner Schublade zu belaſſen. Ohne Gegenzeichnung erſchienen ſie endlich am 4. Februar im „Reichsanzeiger“.

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Es iſt bekannt, daß Fürſt Bismarck, nach deſſen Idee wohl urſprünglich der Staatsrath nur durch einige inter— nationale Delegirte verſtärkt werden ſollte, ſich in ſeiner Be— rechnung inſofern getäuſcht hat, als er die Majorität deſſelben für Männer von feſter Ueberzeugung hielt. Er hatte gehofft, daß Gründe ſtärker wären, als die heimlichen Wünſche des Streberthums. Der Staatsrath aber floß hinüber in die Böttcherei. Herr Buchholz, das ſozialiſtiſche Mitglied deſſelben, wurde allerdings nicht bekehrt. Um die Verantwortung für Maßregeln, die er für unheilvoll anſah, nicht tragen zu müſſen, gab der Kanzler das Handelsminiſterium an Herrn von Berlepſch ab. Die merkwürdige Erſcheinung, daß die Schweiz bereits eine ähnliche Konferenz berufen hatte, hat in Manchem den Eindruck gemacht, als wenn die Berliner Kon— ferenz nur den Zweck eines Schauſtückes hätte. Nach dem Berichte des Herrn Marocchetti, des italieniſchen Botſchafters in Petersburg, ſprach Giers ſeine Befriedigung darüber aus, daß „Rußland ſolchen Projekten fernbleibe, deren Reſultate ſich nicht vorausſehen laſſen.“ „Zeigt die Konferenz,“ ſagte er, „nicht den Sozialiſten, daß mit ihnen wie mit einer wirf- lichen Macht gerechnet werden muß? Iſt es etwa weiſe und angezeigt, mit ſolchen Elementen gleichſam in Verhandlung zu treten?“ Herr Giers hat ſich noch ſtets als umſichtiger und kluger Staatsmann bewieſen. Das Reſultat der Konferenz in poſitivem Sinne war gleich Null, das Reſultat in negativem Sinne ſchon deshalb bedeutend, weil das Beſtreben der Sozialiſten, ſtaatliche Grenzen zu ignoriren, autoritativ An— erkennung und Nachahmung fand. Bismarck nannte die Kon⸗ ferenz eine einzige Phraſeologie. Der diametrale Gegenſatz, der in dieſer Beziehung zwiſchen Kaiſer und Kanzler zu

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Tage kam, läßt ſich dahin ausdrücken: Der Kaiſer wollte neue Bahnen, ohne ſich um Löcher und Unebenheiten in den— ſelben zu kümmern. Er glaubte, der Staatskarren werde leicht darüber hinwegkommen. Fürſt Bismarck wollte nur einen Weg entlang fahren, den er genau kannte, und jedenfalls erſt Schritt für Schritt unterſuchen, ob er fahrbar ſei. Dann allerdings wollte auch er vorwärts kutſchiren.

Den latenten Gegenſatz brachte ein akuter Fall zum Ausbruch. Hier aber ift es, wo wir demjenigen Faktor be= begegnen, den wir bis jetzt vermißten: dem Juden. Der Name des Juden, der hier ſeinen ganzen Volksſtamm repräſentirt oder vielmehr deſſen Auftrag ausführte, lautet Bleichröder. Fürſt Bismarck hatte wiederholt geäußert, daß er es für ſeine Amtspflicht halte, jeden Abgeordneten, der ihm ſeinen Beſuch

anmelde, zu empfangen. Als Windthorſt ihn am 13. März

aufſuchen wollte, wurde ein großer Apparat in Bewegung geſ etzt. Trotzdem Windhorſt die Gepflogenheit des Fürſten Bismarck kannte, wurde Bleichröder als Vermittler gewählt, und derſelbe Mann dürfte es denn auch geweſen ſein, der auf direkteſtem Wege die Thatſache des Empfanges ſofort an den Hof be—

richtete. Gleichzeitig dürfte derſelbe Mann über den Inhalt der

Unterredung Mittheilungen gemacht haben, die das als That- ſache geben, was er und Windthorſt gern als Thatſache

erſcheinen laſſen wollten. Der Kaiſer gewann die Anſicht, als habe Fürſt Bismarck mit Windthorſt konſpirirt.

Thatſache iſt, daß das Geſpräch, das von Herrn Windthorſt nur herbeigeführt war, um den angedeuteten Zweck zu erfüllen, nämlich um denunzirt zu werden, ſich um Herrn von Caprivi drehte, über den ſich Fürſt Bismarck ſehr wohl⸗ wollend ausließ.

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Gerade in letzter Zeit ſind ſpeziell durch den klerikalen Hauptmoniteur, die „Germania“, allerhand Mittheilungen über das Geſpräch Windthorſts mit dem Fürſten Bismarck in die Welt geſetzt worden in der ſpeziellen Abſicht, den Nachweis zu erbringen, daß Windthorſt doch ſchließlich „früher aufgeſtanden ſei“, als ſein großer Gegner. Für den Unbefangenen entſteht der Eindruck, daß das Geſpräch, welches ſicherlich gar keinen poſitiven Inhalt von politiſcher Bedeutſamkeit beſaß, nur herbeigeführt wurde, um denunzirt zu werden. Das Bündniß aber zwiſchen Judenthum und Jeſuitismus wird nur dem Laien auffallend | erſcheinen; es wiederholt ſich in dem Verhältniß von Miquel und der alliance israélite. ü

Der Kaiſer fuhr, wie bekannt, am frühen Morgen beim Kanzler vor von der Unterredung am vorher gehenden Abend muß er noch Nachts erfahren haben und machte demſelben die lebhafteſten Vorwürfe, die darin gipfelten, daß er ſich die Annahme von Beſuchen durch den Kanzler verbitten müſſe. An dieſer Anſicht hielt er auch feſt, als Bismarck bemerkte, daß er ſich nicht das Recht nehmen laſſe, innerhalb ſeiner Schwelle zu empfangen, wen er wolle; das ſei ſein privates Recht als Mann. Fürſt Bismarck mußte auf eine fernere Aeußerung des Kaiſers bemerken, daß er zu alt ſei, um ſich in privaten Dingen unter Vormundſchaft zu ſtellen. Der Kaiſer fuhr in großer Erregung davon. (Ganz nebenbei geſagt, ſtützt ſich die kaiſerliche Regierung nach Bismarcks Entlaſſung hauptſächlich auf das Zentrum; gerade das wird alſo akzeptirt, was man auf ein lügenhaftes Gerücht hin dem alten Kanzler ſo verübelt hatte!) :

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Es iſt behauptet worden, daß damals oder bei ähnlicher Gelegenheit Fürſt Bismarck die Achtung, die er ſeinem Herrn zollte, außer Augen gelaſſen habe; es wurde ſogar von ſehr hochſtehender Seite verbreitet, daß der Kaiſer gefürchtet habe, Fürſt Bismarck „werde ihm das Tintenfaß an den Kopf werfen“. Dieſe Darſtellung iſt eine poſitive Uns wahrheit. Fürſt Bismarck iſt nie auch nur unhöflich ges worden. Ihm ſtand der Vorzug des Alters zur Seite, N das ihn ſeine Worte wägen ließ. f Es vergingen noch einige Tage bis zur Entlafjung. In dieſe fällt die Meinungsverſchiedenheit über die Kabinets⸗ ordre von 1852. Dieſe unterſagt bekanntlich den Reſſort— miniſtern den Vortrag beim Könige ohne Vorwiſſen des Premierminiſters. Die Ordre beſtand zu Recht, es war Bismarcks Pflicht, an ihr feſtzuhalten, zumal fie that- ſächlich die Grundlage bildete für das ganze preußiſche Miniſterialſyſtem“). Der Miniſterpräſident hat als ſolcher kein Reſſort; ſeine einzige Aufgabe iſt es, über alle Zweige der Politik zu wachen; hierin allein beruht die Möglichkeit einer in allen Theilen von gleichen Geſichtspunkten getragenen Staatsleitung. Der Kaiſer verlangte als ſein Recht, jeden Miniſter zum Vortrag zuzulaſſen, auch ohne Wiſſen des Miniſterpräſidenten. Indem Bismarck die einzige Befugniß, die ihm als ſolchem zuſtand, entzogen ward, wurde fein - Amt illuſoriſch, der Kaiſer ſelbſt wurde Miniſterpräſident. Der direkten Forderung des Kaiſers gegenüber deſſen Anſchauung hier mit dem Intereſſe des Herrn von Bötticher

) Dieſe Kabinetsordre iſt auch unter Caprivi nicht aufgehoben worden. RE

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zuſammentraf beharrte Bismarck auf ſeiner Auffaſſung und zog ſich mit den Worten zurück, daß er dann eben auf⸗ gehört habe, Miniſterpräſident zu ſein. 9 ö Hiermit war das Tiſchtuch zerſchnitten, inſofern als der Kaiſer jetzt den formellen Anlaß beſaß, die Entlaſſung des Fürſten Bismarck auf deſſen Initiative zurückzuführen. Nur in dieſem Sinne kann alſo von einem „angedrohten“ Entlaffungs- geſuch des Kanzlers die Rede ſein, zumal die folgenden That— ſachen beweiſen, daß in den gefahrvollen Tagen des März Fürſt Bismarck ſchwere patriotiſche Bedenken beſaß und die Verantwortung nicht tragen wollte, gerade jetzt von ſeinem Platze zu weichen. Kaum aber war die Unterredung beendet, ſo erſchien General von Hahnke bei Bismarck, um mitzutheilen, der Fürſt möge „nun endlich“ das „angedrohte“ Entlaſſungs⸗ geſuch einreichen. Der Kanzler wir entnehmen Alles dies gewiſſen bekannt gewordenen Notizen erklärte, er könne in

dem gegenwärtigen Momente nicht die Verantwortung für fine

Entfernung übernehmen, zum Mindeſten müſſe er in aus⸗ führlicher Weife die Gründe feines Rücktritts darlegen. Uebrigens habe ja der Kaiſer das Recht, ihn in jedem Augenblick ohne Weiteres zu entlaſſen. An demſelben Tage erſchi n bereits Herr ven Lucanus, der Chf des Zieilkabinets, im Palais des Reichskanzlers, um abermals zu drängen. Bismarck hatte die

Denkſchrift noch nicht beendet und gab eine ähnliche Au wort, wie roher. Unmittelbar nach Kenzeption des Schriſtſtückes, entſandte der Kanzler daſſelbe an den Monarchen. Bereits am nächſten Tage erſchienen die Herren Hahnke und Lucanus in der Relle ron Roſenkranz und Eüldenſtern abermals. Jeder von ihnen trug einen blauen Brief. Fürſt Bismarck, ſellte zum Generaloberſten und zum Herzog von Lauenburg

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ernannt werden. Außerdem ward bekanntlich die Abſicht

des Kaiſers angekündigt, vom Reichstage für den

Fürſten eine Dotation von einer Million zu fordern. Fürſt Bismarck lehnte dieſe Dotation ab; er erklärte ferner,

auf den Herzogstitel zu verzichten, den Rang als General—

oberſt könnte er umſoweniger ablehnen, als dieſer zu nichts verpflichtete. Nichtsdeſtoweniger erſchienen bekanntlich die kaiſerlichen Gnadenerweiſe im „Reichsanzeiger“, und zwar, was für die angewandte Eilfertigkeit bezeichnend iſt, da der nächſte Tag ein Sonntag war, in einer Extraausgabe

deſſelben. Bismarck ſelbſt dürfte erſt an dritter Hand den

„Reichsanzeiger“ erhalten haben und damit von der ihm er— theilten, als nicht erwünſcht bezeichneten Gnade unterrichtet worden ſein. Ein weiterer Proteſt war jedoch unmöglich

geworden.

Beneidenswerth iſt gegenüber der Thatſache, daß Bismarck

in ausführlicher, an ſachlichen Gründen reichen Denkſchrift

ſeine Entlaſſung nachſuchte, der Umſtand, daß die Gewährung derſelben ausſchließlich mit der Rückſicht auf des Fürſten Geſundheitszuſtand begründet wurde. Es iſt dies um ſo be— merkenswerther, als ſeinen eigenen Aeußerungen zufolge ſich Bismarck geiſtig und körperlich ſelten friſcher und geſunder fühlte, als in jenen Tagen und als er weder in dem erwähnten Schriftſtück noch ſonſtwo feinen Geſundheitszuſt and auh nur erwähnt hatte. Von dieſem Geſichtspunkt aus ſührte ſich der „neue Kurs“ nicht beſonders glücklich cin. Viell icht wären

auch durch Veröffentlichung des Bismarck'ſchen Entlaſſungs—

geſuches ſpätere, unliebſame Erörterungen in der Preſſe und im Volke vermieden worden. Wie bereits erwähnt, ſand der ſcheidende Kanzler, noch ehe er amtlich von ſeiner Entlaſſang

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erfuhr, Herrn von Caprivi wirthſchaftend und anordnend in den Räumen des Kanzleramtes. Selbſtverſtändlich involvirt dieſe trockene Darſtellung nicht

den geringſten Vorwurf nach irgend einer Seite; immerhin

dient ſie als Illuſtration der Energie, welche im neuen Kurſe zum Ausdruck kam, und kann auch als ein Symptom dafür betrachtet werden, daß das ſchneidige Beamtenthum nicht aus—

geſtorben iſt. Im gewöhnlichen Leben allerdings könnte man

ſein Urtheil hiernach etwa in den Worten zuſammenfaſſen: „Fürſt Bismarck iſt die Treppe hinabgeworfen worden.“

Es ſind nicht überall erfreuliche Dinge, die in dem Vor— ſtehenden berührt worden; aber es iſt beſſer, ſie offen darzu— legen, weil Wunden nur dann geheilt werden, wenn man ſich vor ihrem Anblick nicht ſcheut. Je weniger aber Anlaß zur Freude vorliegt, um ſo wohlthätiger wird man es empfinden müſſen, daß durch die Reichstagswahl des Fürſten Bismarck

die Möglichkeit geboten iſt, in dem Wuſt von Charafterlofige -

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keiten, welche die Gegenwart zeitigt, wieder einen Charakter

zu erblicken. Ob Fürſt Bismarck in den Reichstag eintreten wird? Man wird ſich, wenn man hierauf antworten will, daran erinnern müſſen, daß Bismarck nur auf dringendes Bitten und nach bereits erfolgter Ablehnung id durch die Vorſtellung zur Annahme der Kandidatur in Geeſtemünde be— wegen ließ, daß ſonſt der Wahlkreis den Reichsfeinden ver— fallen ſei. Nach der bisherigen Entwicklung dürfte anzunehmen ſein, daß Fürſt Bismarck jetzt ganz zufrieden iſt, die Möglich— keit des öffentlichen Auftretens zu beſitzen. Er dürfte ſich in der Lage eines Berliners befinden, der ſich ein Terrain in Lichterfelde kauft, nicht um ſofort eine Villa darauf zu bauen, ſondern um die Möglichkeit zu haben, eine ſolche aufzuführen,

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33 wenn er einmal Luſt und Neigung dazu beſitzen follte. Er wird eben, wenn es ihm nöthig ſcheint, den Reichstag mit

ſeinem Beſuch beehren und sine ira et studio Stellung zu

dieſer oder jener Vorlage nehmen. Dieſer Auffaſſung ent⸗ ſprechen die Worte, welche der Fuͤrſt an die Siegener Deputation gerichtet hat. Daß man jenem Augenblicke, und zwar nicht allein unter gewiſſen Mitgliedern des Reichs— tags, mit Beklommenheit entgegenſieht, liefert den traurigen Beweis, daß es Leute giebt, die dem Gründer des Reichs am liebſten nicht mehr unter die Augen treten möchten. Kraft ihrer erſtrebten Machtſtellung bei Hofe dünken ſie ſich hoch erhaben über ihn und fürchten ihn dennoch, wie Sklaven die

Peitſche.

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Bismarck und der Hof. 5 2 3

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Rembrandt und Bismarck. Preis 1 Mark,

Dieſe mehrfach neu aufgelegte Schrift erregt andauernd das allergrößte Aufſehen in politifchen und likerariſchen Rreiſen.

Die „Kölniſche Zeitung“ hält in einer langen Beſprechung der frei⸗ ſinnigen Parteipreſſe entgegen, daß die Schrift zu inhaltsreich und zu geiſtvoll ſei, als daß ſie mit den üblichen Fonds⸗ Witzeleien der frei⸗ ſinnigen Preſſe abgethan werden könne.

Die „Crefelder Zeitung“ ſchreibt, obſchon ſie auf einem anderen politiſchen Standpunkte ſtehe u. A. wie folgt: „Es iſt geradezu ein äſthetiſcher Genuß, die plaſtiſche Sprache Bewers zu hören, ſeinen geiſtvollen, frappanten Vergleichen nachzugehen und das Seil ſeiner in ſchwindelnde Ferne reichenden Gedankenentwickelung für einen Augen⸗ blick zu betreten. Auch wem der Inhalt der Schrift gleichgiltig jein. ſollte, der leſe ſie um ihrer Form, um des wunderbar plaſtiſchen, warm⸗ herzigen, urkräftigen Stiles willen. Alle Leſer wird ſie über den erſten Kanzler des deutſchen Reiches zu einem Urtheil hinführen, in dem nicht der kaltſinnige Parteipolitiker, ſondern der ſchlichte 1 und der gute Deutſche den Ton angiebt.

Bei bis marck. Preis 1 Mark.

In dieſer Schrift erſtattet Max Bewer, dieſer geiſtvolle, politische Schriftſteller, vollſtändigen Bericht über den Beſuch, welchen er in Friedrichsruh abſtatten durfte. Es iſt geradezu erſtaunlich, zu welcher Fülle von tiefen Gedanken und Beobachtungen der Verfaſſer durch ſeine halbtägige Anweſenheit im Hauſe des Fürſten angeregt wurde. In einer packend geſchriebenen Einleitung, welche die von Freund und Feind anerkannte originelle Kraft und Schönheit der Bewer'ſchen Schreibart in beſonderem Maße darbietet, wird Partei für Bismarcks Verhalten ergriffen. Jeder Leſer aber, gleichviel welcher Parteirichtung, wird Bewer für die prächtige Schilderung des Bismarck'ſchen Privatlebens dankbar ſein. 3 Generalanzeiger. =)

Der 1 Oeſterreichs. Preis 50 Pfg.

In dieſer Broſchüre wird der deukſch⸗ österreichische Bandels⸗ verkrag unker eine hiſtoriſch⸗polikiſche Beleuchtung fchärffter Ark geſett, fo daß die Broſchüre in Defferreich ſofork nach Erſcheinen verboken wurde. 8

Bismarck und Rothſchild.

Dierzehnte Auflage. Preis 50 Pfg.

Die „Kreuz-⸗Zeitung“ ſagt u. A.: „In feurigen Worten wendet ſich die durch Geiſt und Form ausgezeichnete Broſchüre gegen das jüdiſche Uebergewicht in Oeſterreich. Fürſt Bismarck würde einen un⸗ geahnten Einfluß wiedergewinnen, wenn er die in dieſer Schrift be— zeichneten Wege beſchreiten wollte.“ N

Hofprediger Stöcker ſchrieb dem Verfaſſer: „. .. Haben Sie

herzlichen Dank für Ihre herzerfriſchende Broſchüre, in deren Geiſt wir

gerne mit dem alten Kanzler zu Pferde ſteigen wollten ...“

Bismarck im Reichskage. Sechzehnke Auflage.

Preis 50 Pfg.

Dieſe Schrift beſpricht die Stellung des Nürſten von Bismarck im Reichsfage zur Krone und den Parkeien auf das Allerſchärfſte. In 14 Tagen waren 10000 Exemplare abgeſehzk und faſt all⸗ wöchentlich werden neue Auflagen ausgegeben.

Die „Freiſinnige Zeitung“ des Herrn Eugen Richter ſchreibt mit tapferem Fortſchrittsmannesmuth: „Die Stellen, in welchen der Verfaſſer gegen die bekannte Düſſeldorfer Rede des

Kaiſers polemiſirt, wagen wir nicht wiederzugeben.

Von demſelben Autor erſchien im Verlage von Felir Vagel

in Düſſeldorf:

Bismarck, Mollke und Goelhe.

Eine brikiſche Abrechnung mik Dr. Georg Brandes.

Preis 1 Mark. Generalfeldmarfchall Graf von Moliße fandte dem Perfaſſer von Berlin nach Ropenhagen einige eigenhändig ge⸗ zeichnete Danßzeilen für Heberfendung der Broſchüre.

Die „Grenzboten“ ſchreiben: „Die Schrift iſt von Anfang bis zu Ende lebhaft und packend geſchrieben; aus ſeinem Zorn ſprudelt der

Verfaſſer eine Menge ſchöner Gedanken und witziger Einfälle hervor.“

In demſelben Verlage erſchien:

Bismarck kommt! Politiſcher Bilderbogen. + Preis 50 Pfennige.

Grabſchriften auf Bismarch. Von Max Bewer. —— Achte Auflage. Dieſe von bitterem Humor erfüllten Grabſchriften find nach dem Uriheile der Preſſe zu gleichen Theilen durch Geiſt und durch Bosheit ausgezeichnet. Preis 50 Pfennige. >—-

Germania irredenta. n 7 Vierte Auflage. 4+-——

Dieſe Broſchüre erörtert zum erſten Male die Frage, wie weit Geſterreich

im Uriegsfalle befähigt ſein werde, das mit Deutſchland eingegangene

Bündniß zu halten, und kommt in der Beurtheilung dieſer Frage zu einem für die Habsburgifche Monarchie ſehr bedenklichen Refultate.

Preis 80 ö OO)

Der RER: Alp.

Von *

Dieſe anonym erſchienene, die ruſſiſchen ue grell beleuchtende Schrift erregt andauerndes Aufſehen und wurde in Rußland verboten.

eo Preis 1 Mark. Se

Nietzſche und feine philoſophiſchen Irrwege. Von Dr. Bermann Türck.

In dieſer Schrift des ausgezeichneten Hamleterflärers Dr. Hermann Türck wird Nietzſches Philoſophie einer vernichtenden Kritik unterzogen.

* Preis 1.50 Mark. x