F—— nn ——— a > % 3% REN x F Ber r ” a iH- we A . 2 x. 0* S In der Buchhandlung von Carl Gerold & Sohn in Wien ist zu haben: Dietl, Ferd. Adolf, Taschenbuch zur leichten und schnellen Namensb« - stimmung sämmtlicher im Kronlande Steiermark kultivirten Reben- sorten, nebst erschöpfender Nachweisung über jede ein: Ine Sorte, mit Benützung der besten Werke des In- und Anuslandes und eigner 10jährigen Beobachtungen und Erfahrungen. Mit 4 Ste.n "ı ıcktafeln. 8. 1850. geh. dee; 9 Ngr. Dolliner, G., Enumeratio plantafum phanerogamicarum in A» erescentinm. 8. maj. 1842. br. 1. 1.28 rt Endlicher, Stephan, Catalogus horti academiei Vir: "es 12. maj. 1834 br. 2 8, ICE —. — die Medizinal- Pflanzen der österre:chischen ‚> rLırıc, Handbuch für Aerzte und Apotheker. gr. 8. 1842. br. 58. — — und Franz Unger, Grundzüge der Botanik. 5 fl. Höss, Fr., gemeiufassliche Anleitung, \ie Bäume und Ströu 1 er aus den Blättern zu erkennen. Zum Selbstunterr'chte en Mit 10 Kupfertafeln. 16. 1830. geb. 2 fl. 30 kr. — Rh. — -—— das Nöthigste über den innern Bau der Organe un] ı e tigere Verrichtungen in Holzgewächsen. gr.8. 1833. 30kr. — 6 Linnaei, Caroli, epistolae ad Nicolaum Josephum Jacqun ex au edidit Car. Nie. Jos. Eques a Schreibers C.F. Prae” “us esı adjecit Stephanus Endlicher. 8. maj. 1841. br. In Aseckr — Rı ua Lindley, John, Theorie der Gärtnerei, oder Versuch, di vcız Verrichtungen in der Gärtnerei nach physiolog. Grundsätzen =. e klären. Aus dem Englischen übersetzt von C.G. Mit einer Vorredı Anmerkungen und einem Anhange versehen von einigen Freundei der Hortikultur. 2. Aufl. gr. 8. 1847. br. 2 fi. 40 kt. — 2 Rt ı Paradisus Vindobonensis. Auswahl von seltenen und schönblühenden Pflanzen der Wiener Gärten und verschiedenen andern interessanten Naturgegenständen in naturgetreuen Abbildungen von A. Hurtiger, erläutert von St. Endlicher und Ed. Fenzl. 1. Band mit 60 colorirten Kupfertafeln. Imp.-Fol. 1847. 80 Rth. 2. Band. 1.—4. Heft a 4 Rth. ee ‚in asnocohr Ro SR G N SON / N \ IIAITAMNAY GD , 2) Dil Vf -W —Iı dä I Botanische Briefe. Von D" FE UNGER. LIBRARY NEW YORK BOTANKAL WIEN. Verlag von Carl Gerold & Sohn. 1852. An meinen Freund S. L. in 2. "LIBRARY NEW YORK BOTANKCAL Lieber Freund! GaRD: Auch im geistigen Leben herrschen, wenn ich auch nicht sagen will — Instinkte, wenigstens Nöthi- gungen, denen man sich vergeblich zu entschlagen sucht, wenn ihre Reife eingetreten ist. Eine solche Nöthigung ist es unter andern, die uns von Zeit zu Zeit antreibt, nachdem wir in ver- schiedenen Richtungen mit unseren Gedanken vorwärts gedrungen, und uns in Einzelheiten verloren haben, wieder umzukehren, und das auf mannigfaltigen We- gen Gewonnene zu sammeln, es zurecht zu legen und uns darüber zu erfreuen. Dieses Bedürfniss fühlend, bin auch ich wieder einmal von vereinsamten Pfaden der Wissenschaft, die A ich, unbekümmert um das Nebenliegende, verfolst habe, zurückgekehrt, um zu sehen, wo ich mich ei- gentlich befinde, und wie weit ich wohl in dieser oder jener Richtung vorgedrungen sein mochte. Das Er- gebniss dieser wissenschaftlichen Selbstschau liegt hier vor Dir. Tausend Dinge haben sich seit einer Reihe von Jahren daran geknüpft, sind damit verwachsen, so dass ich wohl sagen kann, es ist mir dieser mehr durch Zufall als durch Absicht herbeigeführte Erguss nicht blos zu einer Verstandes-, sondern zugleich zu einer Herzensangelegenheit geworden. Du bist es, lieber Freund, der von manchem meiner erfolgreichen Schritte im Gebiete der Natur- wissenschaften Zeuge war, der vielleicht unbewusst dazu meine Kräfte anfeuerte und unterstützte, — Du bist es, ich mag es nicht verhehlen, dem auch meine Irrfahrten nicht unbekannt geblieben sind. An wen andern könnte ich wohl diese Blätter richten, als an Dich, — wer wird sie besser verstehen, milder beur- theilen, als Du? ‚Ich habe zwar in einer Weise zu Dir gesprochen, die man vielleicht unphilosophisch nennen könnte, und Dir gegenüber am allerwenigsten passend ist; allein da ich an diesem Gespräche auch Andere Theil neh- VII men lassen wollte, namentlich solche, die nicht mit dem Zunftnamen eines Botanikers prunken, so habe ich mich einer Ausdrucksweise bedient, die keinem Gebildeten fremd sein wird, und ihn gewisser Massen tändelnd in die Esoterik der Pflanzenkunde f einzuführen gesucht. Wärest Du wie in einer früheren glücklichen Zeit um mich, so hätten wir das, wie es so oft geschehen, in peripatetischer Weise abgethan. Die Entfernung von Dir, und das Bestreben, dieselbe wenigstens für Augenblicke zu nichte zu machen, haben mir die Fe- der in die Hand gegeben. Im Schatten traulicher Wälder, zwischen den Blu- men der Felder, auf freundlichen Höhen, fluthen die Gedanken und Gefühle anders, als zwischen den been- genden Mauern und im Geräusche zerstreuender Be- schäftisungen, daher Du in diesen Briefen manches vermissen wirst, was eine tiefere Fülle und einen hö- heren Schwung der Gedanken beurkundet. Dass aber auch manches zu leicht berührt, zu aphoristisch be- handelt und daher der gemeinsamen Auffassung viel- leicht sogar entzogen ist, könnte mir allerdings zum Vorwurfe gereichen, wenn ich überhaupt hierbei die Absicht verrathen hätte, ein Compendium der Pflan- zenkunde zu schreiben, als vielmehr eine Skizze dieser VII Wissenschaft zu entwerfen, wie sie in diesem Augen- blicke vor meinem Geiste schw t. — | Welche erfreuliche Hof zen ich von den Na- turwissenschaften überhaupt für die allgemeine Bil- dung des Menschcı.‚2schlechtes hege, mag der ab- strakte Denker dem vorzugsweise mit der sogenannten materiellen Seite der Natur Vertrauten ‘u Gute halten. Dies Bestreben, was ich als eines von der Zeit her- vorgerufenes betrachte, verdient jedenfalls Beachtung, ja selbst die Unterstützung des Philosophen. Auf welchem Wege wir aber immerhin fertschreiten wollen, wird es an Selbsttäuschungen noch lange nicht fehlen, und wenn auch der Naturforscher eher geneigt ist, das Ufer des unbegrenzten Oceans dort zu suchen, wo sich auch nur ein Nebelstreifen zeigt, so hat ja der Philosoph nur zu oft dasselbe Schicksal mit ihm ge- theilt, wähnend einen festen Ankergrund erfasst zu ha- ben, wohin ihn bloss der Drang seines Schmerzes trieb. Im Februar 1852. INHALT. Seite Erster Brief. — Bestimmung der Botanik ......... se. snecceece 1 Zweiter Brief. — Die Flementartheile der Pflanze... ..........» 8 Dritter Brief. — Genesis der Zelle...........--.ecncenereenuee 22 Vierter Brief. — Verkittung der Zellen, Veränderungen in Folge res Wachsthumes’ .. ir se.eocdstessone some nun eeanaeiee ns a hne 29 Fünfter Brief. — Chemismus der Pflanze ......-.srseeeucnuennns 38 Sechster Brief. — Aufnahme und Vertheilung der Nahrungsstoffe, Ausscheidung des Wassers ......o-.sssesseoenennnnsunrnne nenn 48 Siebenter Brief. — Assimilationserscheinungen ........rrr 4.0: . 96 Achter Brief. — Gestaltung der Pflanze. Grundorgane... .....+: 62 Neunter Brief. — Die Pflanze als beblätterte Achse ........ , Zehnter Brief. — Blattformationen ......+.....-.urne=-rnenanere 75 Eilfter Brief. — Architektonik. Phyllotaxis..........-- RR RER 84 Zwölfter Brief. — Fortpflanzung ........2rrerensserneencnnnene 96 Dreizehnter Brief. — Sprossbildung. Generationswechsel........ 109 Vierzehnter Brief. — Einheit der Gattung und der höheren Ka- a us nn nen nn ae en ne ei 119 X Fünfzehnter Brief. — Das Pflanzenreich in seiner räumlichen Aus- dehnung. (Geographie der Pflanzen)... .....ocrocoooscoonuss . 128 Sechzehnter Brief. — Das Pflanzenreich in seiner zeitlichen Er- scheinung. (Geschichte der Pflanzenwelt) ........2.cecccoene0on 139 Siebenzehnter Brief. — Wesen der Pflanze. — Anknüpfung an | die »Schöpfunesideesp seen. Bee Are ee naeleteseie Aa PER. ERSTER BRIEF. BESTIMMUNG DER BOTANIK Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass die Naturwissen- schaften sich dermalen vor allen andern auf der Arena intel- lektueller Fähigkeiten in den Vordergrund drängen und vor- zugsweise die Richtung des Weges bezeichnen, den der menschliche Geist in seiner Entwicklung einzuschlagen ver- sucht. Diese Wissenschaften hängen dabei so innig an einan- der, unterstützen und durchdringen sich so vielfältig, und vergrössern auf solche Weise ihr Kraftmoment so sehr, dass man wahrlich Mühe hat zu zweifeln, sie würden in ihrer Ver- einigung und auf der betretenen Bahn nicht eher zu einem erheblichen Resultate gelangen, als es nach anderen Richtungen hin bisher der Fall war. Die Erforschung der Natur und ihrer Wirksamkeit ist überdies ein so erhabenes Feld geistiger Gymnastik, dass es dem frischen, unverdorbenen Sinne die angemessenste Uebung und die zweckmässigste Vorschule erhöhter Kraftanwendung ist. Wenn die Menschheit auf ihrem bisherigen Gange der Kultur die Naturwissenschaften mehr abseits liess, oder wo sie dieselben aufnahm mit vielen fremdartigen Elementen durch- webte, so liegt das vielleicht eher in der Hast, womit sie Botanische Briefe, 1 2 das Ziel ihres Denkens und Trachtens zu erreichen suchte, als in dem Mangel der Ueberzeugung, dass die Lösung schwie- rigerer Probleme jener der einfacheren weichen müsse. Indess haben sogar auch jene Kenntnisse, die sich mit der allereinfachsten Auffassung der Natur nach ihrer körper- lichen Seite befassten, dasselbe Loos mit allen übrigen Natur- wissenschaften getheilt, so dass man gestehen muss, dieselben seien nicht weniger denn diese als Kinder der jüngsten Zeit zu betrachten. Mineralogie, Botanik und Zoologie stehen diesfalls ganz auf gleicher Stufe. Was sie sind, sind sie erst in letzterer Zeit geworden. — Möge es mir erlaubt sein die zweite der genannten Wissenschaften, nachdem mehrere andere Natur- wissenschaften vor dem grösseren Publikum bereits ihre Ver- treter fanden, zu besprechen, sie nach ihrem dermaligen Ge- halte etwas näher zu prüfen, und zu zeigen, wie sie sich im Verbande nicht nur ihrer nächsten Stammverwandten, sondern selbst im Kreise aller übrigen Naturwissenschaften ausnimmt. Die Theilnahme, welche man allenthalben der scientia amabilis von jeher schenkte, mag es entschuldigen, wenn ich dieselbe — natürlich in ihrem neuesten Sonntagsgewande — vorzufüh- ren mir erlaube. Wenn man der Bestrebungen gedenkt, welche vorzüglich in den letzten Decennien eine Menge von Naturforschern be- seelten, sich über den Umfang und die Ausdehnung des Be- reiches der Gewächse, über ihren Gestaltenreichthum, über das organische Getriebe, ja selbst über ihre verschiedenen Schö- pfungsphasen Aufklärung zu verschaffen, so kann man den Fortschritt der botanischen Wissenschaft nicht anders als einen 3 sehr erfolgreichen bezeichnen. Zu diesem günstigen Resultate haben allerdings nicht bloss Botaniker im engeren Sinne des Wortes beigetragen, sondern gewiss eben so viel Physiker, Chemiker, Geognosten, Geologen u. s. w. Von vielen Seiten haben sich nicht bloss neue Fragepunkte herausgestellt, an die man früher gar nicht dachte, sondern sie haben auch theil- weise ihre Lösung gefunden, oder dieselbe ist doch wenigstens auf das Zweckmässigste eingeleitet worden. Die bescheidenen Anforderungen, die man ehedem an einen Pflanzenkundigen stellte, haben sich bedeutend erweitert, und die alleinige Be- kanntschaft mit der Coiffure, Uniform, Rang und Würde der Nachkommenschaft der fruchtbarsten Göttin Griechenlands, die noch zu Linnde’s Zeiten den Schlussstein aller botanischen Erudition bildete, ist bei dem vielfältigen Umbaue dieses wis- senschaftlichen Gebäudes eher bei Seite geschafft oder für die fundamentalen Anlagen, und das nur im beschränkten Sinne, benutzt worden. Das Pflanzengebäude der Neuzei- ist daher nach einem ganz veränderten Plane ausgeführt und hat daher auch eine von der früheren ganz verschiedene Richtung und Bestimmung erhalten. Wenn auch die Anforderungen an die nominelle Kennt- niss der Pflanzen vorläufig dieselben geblieben sind, wenn die Unterscheidung derselben bei dem fort und fort wachsen- den Materiale und immerwährend vor sich gehenden Ent- deekungen neuer Formen ohne Einhalt fortgeführt und die Enrolirungsregister in gutem Stande erhalten werden müssen, so hat doch diese Beschäftigung seit geraumer Zeit nicht aus- schliesslich alle Thätigkeit der Botaniker in Anspruch genom- 1* 4 men. Durch zweckmässige Vertheilung der Arbeit ist es so- gar möglich geworden, dass einige derselben wohl gar daran denken konnten, was es denn mit den Dingen, die man Pflan- zen nennt, eigentlich für Bewandtniss habe, worin ihr Leben und Weben bestehe, was sie an die Aussenwelt knüpfe und was endlich ihre Bestimmung im grossen Haushalte der Na- tur wohl sein dürfte, — Fragen, die weit über den bisherigen Horizont der Botanik lagen. So wie man sich aber diesen Untersuchungen über die Natur der Pflanzen hingab, war auch der Uebertritt in ein anderes Gebiet von selbst erfolgt. Allein so lange diese Fra- gen in ihrer Allgemeinheit gestellt blieben, waren die Ant- worten darauf nicht viel mehr als abstrakte, unsichere Träu- mereien; erst nachdem man angefangen hat, sie in ihre ein- zelnen Probleme aufzulösen, das Allgemeine von dem Beson- deren zu trennen, konnte ein günstiger Erfolg nicht lange auf sich warten lassen. Diese glückliche Wendung der Botanik gehört erst der jüngsten Zeit an, und der Erfolg ihrer Bestre- bungen ist in dem Masse gesichert, als sie eine Physik des Pflanzenorganismus zu werden trachtet. Wie weit man noch von diesem Ziele entfernt ist, zeigt auch schon die flüchtigste Durchmusterung der botanischen Literatur, in der es zwar nicht an voluminösen Werken, einen ganzen Bibliothekssaal auszutäfeln, dabei aber an einem Büch- lein fehlt, in welchem auch nur die gewöhnlichsten Erschei- nungen des Pflanzenlebens auf eine einigermassen befriedigende Weise erklärt wären. Was Tausende von Pflanzenfreunden aller Zonen, was Reisende aus den entlegensten Winkeln der Erde an Pflanzenschätzen nicht selten mit Aufopferung ihres Lebens, in Museen, Pflanzengärten u. s. w. zusammenge- schleppt, was der sorgsame Fleiss gesichtet und geordnet, alles das kann immerhin nur als ein Material für eine erst zu unternehmende wissenschaftliche Erforschung betrachtet wer- den. Nicht anders ist es mit den Erfahrungen, welche die Beschäftigung mit der Kultur der Pflanzen, sei es nach dieser oder jener Richtung, bisher erworben hat. Weder die Land- wirthschaft noch die Forstkultur, weder Obstzucht noch Gar- tenbau ist bis jetzt über die dürftigste Empirie hinausgekom- men, und nehmen leider noch Zeit und Kräfte in Anspruch, die einer vortheilhafteren Verwendung fähig wären. Doch wa- rum wundern wir uns hierüber, da wir uns doch eingestanden haben, selbst über die einfachsten Vorgänge im Pflanzenleben noch im Dunkeln zu sein. Seit wann wissen wir denn, und das nur beiläufig, wie sich die Pflanze ernährt, wie sie wächst, sich vermehrt und fortpflanzt? Kennen wir auch nur von einem einzigen Gewächse die schrittweise Veränderung ihrer Form und Beschaffenheit von dem Anfangspunkte ihres Wachs- thumes bis zur Vollendung ihrer Dauer? Ist nicht auf die- sem grossen Felde wissenschaftlicher Erkenntniss für den Bo- taniker eben so viel zu thun, als für den Geographen im In- nern Afrika’s und Australien’s ? Doch wir wollen bei dem, was wir vor uns liegen sehen, nicht mit Verachtung nach rückwärts blicken, wir wollen nicht undankbar sein gegen unsere Vorgänger, sondern uns ihrer Vorarbeiten, so mangelhaft sie auch sein mögen, er- freuen, und dabei bedenken, dass wir nur durch dieselben einen sicheren Schritt weiter zu thun im Stande sind. Ohne Zweifel ist schon viel gewonnen in einer unbekannten Gegend 6 auch nur orientirt zu sein, nicht weniger ist es eine Erspar- niss an Zeit und Kraft, dort nicht einen Ausweg versuchen oder erzwingen zu wollen, wo er nicht möglich ist. Alles dies ist bereits geschehen. Wir stehen durch die Gewältigung der Masse auf freiem Boden. Sind wir dabei auch wieder zu dem Punkte zurückgekehrt, von dem wir ausgingen, so ist doch das drückende Gefühl einer unbezwingbaren Macht vor- über, und wir sind nun im Stande mit erneuter Kraft an das vorgesetzte Ziel zu gehen. In diesem Vor- und Rückblicke auf das bereits Errungene und das was unserem Geiste auf diesem Felde noch zu er- obern bevorsteht, will ich nun versuchen, Ihnen meine geehr- ten Leser das Pflanzenleben, sowohl im Einzelnen, als in sei- ner ganzen Ausdehnung, in der es einen Theil der Lebens- erscheinungen unseres Planeten bildet, zu schildern. Die Pflanze als das künstlichste chemische Laboratorium, die sinnreichste Einrichtung für das Spiel physischer Kräfte, als den einfachsten und dennoch grossartigsten Bau, den je ein Architekt ersonnen und ausgeführt, so wie die Ausdeh- nung und Verbreitung dieses aus unendlich vielen Theilen bestehenden Bauwerkes im Grossen, die Einheit des Styles und seine Entwicklung in der Zeit, dies alles sind Gegen- stände, welche ich nach und nach in einzelnen Briefen Ihnen vorzuführen mir erlaube. Mit dem. Einfacheren beginnend soll die Zurückführung dieses komplicirten Baues auf die einzelnen Elemente den Aus- gangspunkt aller unserer Betrachtungen bilden, von welchen aus wir die Konstruktion der Objekte, die ihrer Mannigfaltig- keit zum Grunde liegenden Pläne verfolgen wollen, und in- T dem wir überall dieselbe Einheit wieder treffen, zuletzt in einer höheren Auffassung wieder zu dem Elementaren zurück- kehren. Mögen Sie Lust und Ausdauer genug besitzen, mir auf dem eben bezeichneten Gange, der zwar zu den vielbetretenen aber leider zu den wenig bekannten gehört, zu folgen, und dabei nicht ermüden, wohl aber an geistiger Kraft gewinnen, ZWEITER BRIEF. DIE ELEMENTARTHEILE DER PFLANZE. Keiner, der auch nur einigermassen sein geistiges Auge bei Betrachtung von Naturgegenständen geübt hat, wird die Pflanze als ein blosses Haufwerk von Blättern, Stengeln, Blü- then u. dgl. ansehen, in welchem der Zufall Gestalt, Farbe, Beschaffenheit der Substanz u. s. w. hervorgebracht und hie- her und dorthin vertheilt hat. Eine regelmässige Aufeinander- folge der einzelnen Theile, eine gewisse Norm ihrer Au bil- dung und Einheit der Form und des Kolorits muss Jedem auffallen, der auch nur eine einzige Pflanze aufmerksam be- trachtet und ihre Theile unter einander verglichen hat. Es kann ferner nicht fehlen, dass er von selbst zur Ueberzeugung einer Planmässigkeit gelangt, die allen dem zum Grunde liegt und dass er diese ohne weitere Anleitung sehr treffend schon in der Anordnung der kleinsten Theile suchen wird, die am Ende alle Pflanzen zusammensetzen. Lassen Sie mich nun, meine Leser, bevor wir weiter in der Betrachtung gehen, ein wenig bei diesen kleinsten Thei- len der Pflanze, bei diesen Bausteinen verweilen, wodurch sie sich selber aufbaut, die ihr Festigkeit und Dauer, Zweck- 9 mässigkeit und Schönheit verleihen, und ohne welche ihr Be- stehen durchaus unmöglich wäre. Diese kleinsten Theile, die wir hier berücksichtigen wol- len, sind indess nicht von der Art, dass sie etwa in das Bereich kaum wahrnehmbarer Massentheilchen, in das Reich der Atome gehören, im Gegentheile sind dieselben stets von einem bestimmten Umfange, von einer wohl zu unterscheiden- den Gestalt, und obgleich nicht immer dem freien Auge er- reichbar, doch mit dem bewaffneten gar wohl ja selbst bis auf die kleinsten untergeordneten Einzelheiten zu erkennen. Aber nicht bloss in der Anordnung und Zusammenfügung die- ser Elementartheile liegt die grosse Kunst und Meisterschaft, die wir an dem Pflanzenbau bewundern, sie liegt noch viel- mehr in diesen Mitteln selbst. Was kann es wohl Künstliche- res, tiefer Durchdachtes, im kleinsten Raume Grossartigeres geben als eine Zelle. Ein zartes, dem freien Auge unsicht- bares Bläschen über einen Kern von halb flüssigen halb festen Substanzen in einem Falle ('), und ein hohler Bis von einer zuweilen fast steinharten Haut um- schlossenen Raum im anderen Falle, eines aus dem anderen allmälig hervorgehend. Wie leicht wird es der Pflanze, durch zweck- mässige Vertheilung dieser an Festigkeit so ungleichen Elemente die einen da- die ande- ren dorthin zu verwenden, wo sie dieselben eben bedarf, und wie leicht ist es nicht eben dadurch einer- seits Festigkeit und Dauer, anderseits einen stetigen Fort- — \ 1. Fig. 1. Eine rundliche etwas abgeplattete Zelle mit ihrem Inhalte, der durch die zarte, durchscheinige Haut derselben zum Theile bemerkbar ist, stark vergrössert. 10 bau, d. i. das Wachsthum, möglich zu machen. Die Fa- sern, die wir zur Leinwand und zu Geflechten verwenden, das Holz der Bäume, die harten Schalen mancher Früchte bestehen aus solchen alten, hartgewordenen Bausteinen der Pflanze, während die jüngeren noch zarten Zellen mit ihrem saftigen und körnigen Inhalte Thieren und Menschen häufig zur Nahrung dienen. Nicht weniger bewunderungswürdig ist die Form, die diese kleinen Partikelchen des Pflanzenleibes in den verschiedenen Theilen der Pflanze und in den verschiedenen Pflanzen selbst an sich tragen. Während ein Theil derselben bei der ursprünglich kuge- ligen Gestalt verharrt, platten sich JIN andere ab und gleichen in der That ll AHNINIIINIINITONIRRIIN HIEREIIRNNNKUNTIITDTTN N ll Quadern und andern von ebenen Flä- ) chen mehr oder minder regelmässig I) begrenzten Gestalten (*). Es war da- NN N N N NS N Q Q N N NS N NS: N Ni = ZZ ZZ ZR ZN ZZ ZN ZZ her verzeihlich, in diesen integrirenden Theilen der Pflanzen Krystallgestalten I] zu erblicken, und sie wohl gar auf dieselbe Weise entstanden zu erklären, III I) HN wie die Würfel des Kochsalzes, des HLERRKTIINNRETRRTNTN 1) Flussspathes oder die zwölfflächige Gestalt des Granates. Ba N - Mehr abweichend von der Bläschen- gestalt sind die gestreckten eylinderförmigen od. säulenförmigen (°) Fig. 2. Eine nach allen Seiten vollkommen abgeplattete Zelle mit der nur noch an den Ecken wahrnehmbaren ursprünglichen Kugelfläche. Der halb- flüssige Inhalt schimmert durch die dünnen Zellwände hindurch. Fig. 3. Eine säulenförmige Zelle. 11 und die verbreiterten tafelförmigen Formen. Was uns als Holz- faser, als Bastfaser u. s. w. von so grosser Brauchbarkeit für allerlei Bedürfnisse des Lebens erscheint, sind Fig. 4. nichts anderes als solche säulenförmige, an den Enden zugespitzte Pflanzenzellen, die an einander geschweisst eben jene zähen biegsa- men, elastischen Fasern (*) bilden. Es würde viel zu weit führen, wenn ich noch alle jene Abweichungen der ursprünglichen Zellenform beschreiben wollte, die bald bekannten Ge- stalten ähnlich bald ganz und gar unregel- mässig als mannigfaltig gestreckte, erweiterte und verzweigte Schläuche an der Zusammen- setzung des Pflanzenleibes Theil nehmen. Ei- ner Form muss ich jedoch immerhin noch ge- denken, weil sie zu den zierlichsten Gestal- tungen im kleinsten Raume gehört, der soge- nannten Pflanzengefässe, Während alle Zellen, und wenn sie auch langgezogenen Schläuchen und Cylindern glei- chen, dennoch an ihren Endtheilen geschlossen sind, gibt es eylindrische Zellen, die an ihren Enden , wo sie mit ähnlichen Zellen in Ver- bindung treten, aufbrechen und Oeffnungen erlangen. Dadurch entstehen mehr oder we- niger lange Röhren, die von andern Zellen eingeschlossen, ein System in einander mün- . Fig. 4. Mehrere an einander liegende und mit einander verbundene cylin- derförmige Zellen mit zugespitzten Enden. Ihre dieken Wände machen sie fest und zähe und eben dadurch den Bast, den sie zusammensetzen, zu einem festen, zähen Körper. 12 dender Schläuche bilden und Gefässe genannt werden (°). In der Regel stehen solche Gefässe in Mehrzahl neben einan- der, zwar von ähnlichen aber im Ganzen doch verschiedenen ‚Zellschläuchen umgeben und durchwirkt, und stellen in ihrer Vereinigung das dar, was man Gefässbündel genannt hat. Fig. 5. N SD N Indess die Zellen je nach ihrer Form bald ein dichteres bald ein lockeres Mauerwerk bilden, woran bald grössere bald kleinere, bald rundliche (°), bald quadratische, säulen- (”) Fig. 5. Ein Pflanzengefäss, das nach der netzförmigen Zeichnung an seinen Wänden ein netzförmiges Gefäss (vas reticulatum) genannt wird, oben und unten abgeschnitten. Fig. 6. Ein Zellgewebe aus rundlichen , ellipsoidischen und birnförmigen Zellen zusammengesetzt, die sich gegenseitig nur berühren ohne sich ab- 13 und plattförmige Steine Antheil nehmen und das die Anato- men in ihrer Kunstsprache Zellgewebe nennen, sind die Gefässbündel (®), da sie gewöhnlich auch fester als jenes erscheinen mit einem Knochengerüste zu vergleichen, an wel- chem sich die weiche- ren und lockeren Theile anlegen, in der That ERAAHRSUNER STAR aber nichts weniger als diesen halb leblosen Theilen des thierischen Organismus gleichen, wenigstens nicht zu je- ner Zeit als sie sich noch in voller Thätigkeit be- finden. Bedenkt man wie eben die Gefässbündel in ihrer Form, Zusam- f zuplatten, und daher ein lockeres Gewebe (Merenchyma) bilden. Bei der Durchsichtigkeit der Zellhaut sicht man allenthalben den aus grünen und andern ungefärbten Bläschen bestehenden Inhalt durchscheinen. Fig. 7. Ein Zellgewebe aus mehrflächigen Zellen zusammengesetzt (Paren- chyma), oben und an einer Seite durch Schnitte blosgelegt. Die einzelnen Zellen sind etwas in die Länge gestreckt und von 12 Flächen begrenzt. Ihr Inhalt ist eine wasserhelle Flüssigkeit (Zellsaft) ohne alle feste Substanzen. Fig. 8. Ein Stück aus einem Palmenstamm mit drei Gefässbündeln , wovon die vorderen zwei nicht bloss der Quere, sondern auch der Länge nach durchschnitten erscheinen. An dem grösseren derselben bemerkt man bei a dünnwandige Holzzellen, bei b ein einfaches, bei ec ein netzförmiges Spiralgefäss, bei d einen Bündel so genannter eigener Gefässe, bei e dick- wandige Bastzellen, die’sich auch im kleineren Gefässbündel wiederholen. Alle diese Gefässbündel sind von parenchymatischen Zellen f f umgeben. 14 mensetzung, Ausbildung und Zusammenhang massgebend bei allen Anlagen des Zellengewebes erscheinen, so möchte man eben in ihnen die Skizzen erkennen, nach welchen die Details aller Pflanzengestaltung ausgeführt sind. Die blosse Betrach- tung des Netzwerkes der Rippen eines Blattes könnte einen schon auf diesen Gedanken führen. Wenn das eben Vorgebrachte einen flüchtigen Blick in den Bau vegetabilischer Körper gewährt hat, so wird es mir wohl erlaubt sein, noch auf einige andere Eigenthümlichkeiten aufmerksam zu machen, die in der Anordnung dieser Elemen- tartheile leicht wahrzunehmen sind. Durch die Bezeichnung Zellgewebe, welche man dem Mauerwerke des Pflanzenbaues gegeben hat, könnte bei Jenen, die noch nicht Gelegenheit hatten, dasselbe mit Hilfe vergrössernder Sehwerkzeuge zu be- trachten, leicht die irrige Ansicht Wurzel fassen, dass das- selbe wirklich mehr einem Gewebe als einem Mauerwerke gleiche. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Bekanntlich liegt die Eigenthümlichkeit des Gewebes darin, dass viele nach einer Richtung verlaufende fadenförmige Theile durch ähnliche diese in der Quere durchsetzende Theile verbunden werden, Nicht irgend ein Bindemittel, sondern einzig und allein die Verschlingung der mehr oder mindere Unebenheiten darbietenden Fasern bedingen die Dichtigkeit und Festigkeit des Gewebes. Eine solche Einrichtung finden wir keineswegs in den Pflanzengeweben. Die Elementartheile ohne Ausnahme, alle mikroskopisch klein, liegen einfach neben- und übereinander, sie umschlingen sich nicht, ja nicht einmal die röhrenförmigen (nur bei Flechten, Algen u. s. w. zuweilen); sie bilden daher wirklich mehr ein Mauerwerk als ein Gewebe. 15 Dies macht aber etwas anderes unumgänglich nothwendig, damit das Ganze einen Halt bekommt, nämlich eine Verkit- tung der einzelnen Elemente unter einander. Dieser Kitt oder Mörtel ist etwas sehr Merkwürdiges, worauf wir noch später zurückkommen werden, da wir hier nur auf seine Unentbehr- lichkeit hinweisen wollten. Aber finden sich denn in dem häufig aus Myriaden von Zellen zusammengesetzten Pflanzenbaue nicht solche Einrich- tungen, welche sowohl die Verbindung einzelner Theile als den festen Anschluss grösserer Massen unterstützen? Fast will es mich bedünken, dass beinahe jede Pflanze, will sie sich auch nur auf eine kurze Zeit gegen äussere mechanische Eingriffe erhalten, dergleichen nothwendig bedürfe. Allerdings ist es auch so. Die Pflanze mauert ihre ge- heimen Gemächer und schliesst Gewölbe darüber so kunst- reich, sie wendet im Baue des Stammes, auf den sie alles lastet, solche Grundschwellen, Widerlager, Streben und Anker an, dass ein Baumeister nicht zweckmässiger verfahren würde. Sind nicht die festen oben dünneren unten dickeren Gefäss- bündel, welche zerstreut oder in Kreisen geordnet dem Stamme entlang verlaufen, als wahre Strebepfeiler gegen Sturm und Wetter, die der schlanke Pflanzenstamm zu bekämpfen hat, anzusehen? Sind es nicht die zweckmässigsten Verankerungen, welche in den sogenannten Markstrahlen oder Spiegelfasern die Längenfasern des Holzes verbinden? Bringt man über- dies noch die Biegsamkeit und Elastizität der Elementartheile in Rechnung, so wird es begreiflich, wie ungeachtet der fort und fort auf Vernichtung sinnenden Elemente der Natur hier die Eiche, dort das schwanke Rohr trotzig ihr Haupt in den Lüften schütteln. 16 Ich habe von den geheimen Gemächern gesprochen , wel- che sich im Innern der Pflanze finden und fast überall eine besondere Form annehmen. Diese Gemächer, bald grösser, bald kleiner, regelmässigen Kammern oder abenteuerlichen Höhlen, ja wohl gar verfallenen Ruinen gleich, nennt der Pflanzenanatom Lufthöhlen, Luftgänge, (?) Lücken u. 8. w. Die regelmässigen Gemächer, die, wie obige Benen- Fig. 9. nungen deutlich angeben, nicht etwa durch etwas anderes als durch Luft erfüllt sind, sind meist schön gewölbt, mit zier- lichen Steinen konstruirt, und stellen in der That mikrosko- pische Grüfte, Tempelräume von Pfeilern gestützt, mitten im dichten Pflanzenzellgewebe dar. Andere grössere Räume tra- gen in ihrem Innern das Bild der Zerstörung nur zu deutlich an sich. Jeder Grashalm kann diesfalls zur Belehrung dienen. Fig 9. Stück aus dem Blatte von Calmus (Acorus Calamus). Die Luft- gänge a, a, a sind hier von dem zierlichsten Zellgewebe begrenzt. 17 Das Merkwürdigste von allen diesen leeren mit Luft er- füllten Räumen ist, dass sie meist durch viel kleinere Gänge mit einander in Verbindung stehen, die zuletzt in unzähligen Verzweigungen nach Aussen münden. Das Mundloch dieser unendlich kleinen Stollen und Schächte, die durch mannigfal- tig unter einander verbundene Gesenke in das Innere führen, ist stets zierlich gebaut und meist zum Verschlusse geeignet, so dass die äussere Luft mit der inneren kommuniziren oder auch von derselben abgeschlossen werden kann. Solche Mund- löcher, die man Spaltöffnungen nennt, sind so zahlreich, dass man z. B. auf einer einzigen Quadratlinie der Oberfläche Fig. 10. oo cos 050 c° 7 We ‚€ © des Blattes von Eisenhütlein nahe an 1000 zählen kann, die mehr als den 90sten Theil derselben unbedeckt lassen (9). Es Fig. 10. Ein Stück aus dem Blatte des Eisenhütlein (Aconitum Chamarum), etwa 200 mal im Durchmesser vergrössert. a die äusserste Zellschichte Botanische Briefe, 2 18 wird dadurch begreiflich, wie die atmosphärische Luft bis in das Innerste aller Pflanzentheile gelangt und Stoffe von ihnen empfängt, so wie andere dahin abgibt. Alle diese luftführen- den Gänge und Räume würde man indess vergebens in jenen Pflanzentheilen suchen, die eben im Aufbau begriffen sind. Sie bilden sich erst später aus, stehen mit den Neubauten in keiner nothwendigen Verbindung, und sehen eher wie De- positorien, oder um mich eines bergmännischen Ausdruckes zu bedienen, wie Verhaue aus, in welche nicht selten Dinge, welche‘! keiner weitern Verwendung mehr fähig sind, Bau- schutt, taubes Trümmergestein u. s. w. abgelagert werden. Solche Dinge sind z. B. Harz, Gummi, ätherische Oele u. dergl., die wir gleichwohl, wenn auch nicht die Pflanze, zu verwerthen im Stande sind. So leben wir häufig von dem Ueberflusse der Natur, und ahnen nicht, dass wir ihr einen Gefallen thun, von ihren Schüsseln auch etwas für uns zu nehmen. Wie in allen eine grössere Genauigkeit erfordernden Bau- werken jeder Stein wohl bemessen, für die Stelle, die er ein- zunehmen hat, eigens zugerichtet und geformt wird, so ist es auch nicht minder bei dem Pflanzenbaue. Keine Zelle findet sich hier, die nicht nach ihrem Umfange und nach ihrer Form genau abgezirkelt, mit Winkelmass und Senkblei hergestellt wäre, so dass jede nur für diese Stelle, wo sie sich eben befindet und der Oberseite aus plattenförmigen Zellen bestehend, b die äusserste Zell- schichte der Unterseite, zwischen deren Zellen sich die Spaltöffnungen befinden. An den durchschnittenen Theilen sieht man, wie diese von zwei halbmondförmigen Zellen gelassenen Oeffnungen in Hohlungen e münden, die durch das ganze Zellgewebe des Blattes mit einander kom- muniziren. d eine Schichte eylindrischer Zellen der Oberseite, e eine mehrfache Schichte unregelmässiger Zellen, welche darauf folgt. 19 für keine andere passt, und in die Vertiefungen und Erhöhun- gen der nachbarlichen Zellen genau eingreift. Betrachtet man ein Zellgewebe was immer für eines Pflanzentheiles, so muss man staunen über das wohlausgeführte schliessende Mauerwerk, wo nicht blos die passenden Elemente neben und übereinander gelegt, sondern auch so verbunden sind, wie sie nach den Re- geln der Baukunst nicht besser hätten verwendet werden kön- nen. Wie schön passen und fügen sich z. B. nicht die Säu- len und Cylinder mit ihren an beiden Enden befindlichen Zu- schürfungen in die Leeren, die durch die Zusammenfügung ähnlicher darüber und darunter befindlichen Elemente gelassen werden, um die Holz- und Bastbündel zu bilden, wie knapp schliessen sich die aufgestellten Ziegeln gleichen Zellen nicht, die jenes Mauerwerk bilden, das wir früher mit den Schlau- dern verglichen haben, und. den Zweck hat, das säulenförmige Mauerwerk gegen den Seitendruck zu unterstützen, ohne wel- chen jene Basaltmauern keineswegs die Festigkeit besässen, die sie überall zeigen. Endlich über alles dieses der schü- tzende musivische Estrich, der die Pflanze an ihrer ganzen Oberfläche überzieht. Lässt sich ein mit genauer schliessen- den Platten konstruirtes Dach, ein zierlicheres Mosaikpflaster denken, als die äusserste Zellenschichte jeder Pflanze, die man in der Kunstsprache Oberhaut (Zpidermis) nennt, besitzt ? Hier findet weder Staub noch Regen Eingang, kein Atom Feuchtigkeit kann durch diesen Verschluss durchdringen und man sieht wohl klar, dass die Pflanze sich besser gegen die Atmosphärilien zu schützen weiss, als wir in unseren schön- sten und dauerhaftesten Bauten (''). 2% == ai S [> 2 = < ei I Mm Ungeachtet die Pflanze durch diese Einrichtung ihre In- tegrität möglichst zu erhalten strebt, will sie sich doch an- dererseits nicht ganz und gar von der Aussenwelt abschliessen, von der sie, wie wir später erfahren werden, am Ende doch alles erhält, was zu ihrem Sein nothwendig ist. Wem fallen dabei nicht sogleich die Luftlöcher bei, die sie allenthalben an ihrer Oberfläche besitzt, durch deren Verschluss und Oeff- nung sie nach Bedarf aufnimmt und abgibt, ohne dass ihre Existenz dabei im mindesten gefährdet ist. Dass bei einem so zierlichen und wohlgeordneten Bau je- der Theil einen besonderen Zweck und eine bestimmte Bedeu- tung erhält, wodurch eben ein Zusammenwirken aller einzelnen Theile möglich ist, lässt sich wohl denken, dass sich aber diese Zweckmässigkeit selbst bis auf die einzelnen Bauelemente erstreckt, kann nicht anders als mit Nothwendigkeit gefolgt wer- den. Erst wenn man weiss, wie jeder einzelne Stein in dem grossen Werke seinen Platz erfüllt, ist man im Stande über Fig. 11. Stück von einer Oberhaut (Epidermis) aus tafelförmigen, eng an einander schliessenden Zellen zusammengesetzt. Von mehreren ist die obere Seite durch das Messer weggenommen worden, um in das Innere derselben hineinblicken zu können. 21 die Stabilität, über die Zweckmässigkeit, über die Harmonie des Ganzen zu urtheilen, und so lange die Pflanzenkunde sich diese Einsicht nicht zu verschaffen sucht, wird sie wohl über Zweckmässigkeit und Schönheit u. s. w. des Pflanzenbaues im Allgemeinen faseln können, nie aber nach Gründen der Wissenschaft und Kunst auch nur den Bau eines Blattes, ja nicht einmal den eines Haares zu würdigen im Stande sein. Desshalb kann man die Bestrebungen für eine wahre wissen- schaftliche Begründung der Architektonik des Pflanzenbaues nicht genug preisen, und in der Kenntniss der elementaren Zusammensetzung den Schlüssel zu allem, was für uns gegen- wärtig noch ein Geheimniss ist, erblicken. Der Mann, der bisher noch am weitesten in diesem dunkeln Gebiete vorge- drungen ist, der es versucht hat, Stein für Stein nach Ent- stehung und Verwendung zu prüfen, der uns von einigen Pflanzenbauten sowohl Grund- als Aufrisse gegeben hat, auf welchem jedes Element mit der Nummer verzeichnet ist, die ihm sein Baumeister vorgezeichnet hat, dieser Mann ist Karl Nägeli. Ohne Zweifel haben wir von ihm die Enthüllung nicht blos der einfachsten Bauten, sondern auch noch grösse- rer Bauwerke des Pflanzenorganismus zu erwarten, die wir bisher nur anstaunen, ohne sie zu begreifen. DRITTER BRIEF. GENESIS DER ZELLE. Bisher hat die Hinweisung auf die Aehnlichkeit der ma- teriellen Zusammensetzung der Pflanze mit verschiedenen Ein- richtungen der Bauwerke die Erklärung derselben vielfältig unterstützt und anschaulich gemacht; nun aber fängt das Gleichniss an zu hinken, indem wir die Frage nach dem Ur- sprunge des Baumateriales, nach der Bildung der einzel- nen Elemente aufwerfen. Jeder Baumeister schafft sein Material aus grösserer oder geringerer Ferne herbei; Steine, Ziegel, Kalk, Sand, Wasser und was er sonst noch bedarf, wird an die Baustelle hingebracht und nur mit diesen Mitteln ist er im Stande, sein Werk auszuführen. Wo nimmt die Pflanze ihre Bausteine, ihren Mörtel u. s. w. her, ohne denen eben so wenig wie dort ein Aufbau aus gleichen und ähnlichen Elementen möglich ist? Hier tritt das Wundervolle der Einrichtung der Pflanze so recht eigentlich hervor, wenn wir bedenken, dass dieselbe, obgleich sie das Materielle zu allem dem, was sie braucht, von Aussen her holt, doch die Zubereitung und Verarbeitung keineswegs andern Kräften überlässt, sondern ihre Steine selbst fabrizirt, ihren Kalk selbst brennt und löscht und ihn zum Mörtel rührt, kurz Ziegelschläger, Steinmetz, Mörtelmacher u. 5. w., so wie Baumeister alles in einer und derselben Per- son, ja am Ende noch Stein und Werkmeister zugleich ist. Man hat lange Zeit der Pflanze noch mehr zugetraut, als sie wirklich zu leisten im Stande ist und sie für eine wahre Taschenspielerin und Hexenmeisterin gehalten. Man glaubte nämlich gefunden zu haben, dass diese nur Luft und Wasser von Aussen hernehme und alles Uebrige, was sie sonst noch bedarf, wie z. B. einige fixe Laugensalze, Erden, Phosphor, Schwefel u. s. w. durch ein blosses Zauberwort aus Nichts hervorrufe. Diese Ansicht spukt noch immer in den Köpfen einiger selbst sogenannter intelligenter Landwirthe, welche äl- teren chemischen Analysen mehr Werth zutrauen, als sie ver- dienen. Heutige Chemiker meinen, dass es gar nicht möglich sei, dass ein Ding wie eine Pflanzenzelle, die allerdings, wie wir später erfahren werden, eine mächtige chemische Werk- stätte ist, aus Sauerstoff oder Wasserstoff und Kohlenstoff auch nur Ein Atom von Phosphor oder Schwefel hervorbrin- gen könne. Abgesehen jedoch von dem, wollen wir unser Augenmerk zuerst darauf richten, wie die Pflanze inmitten ihres begonne- nen Aufbaues fortwährend neue Bausteine zu Stande bringt, sie an Ort und Stelle schiebt und mit Mörtel befestiget und erst nachdem wir uns von diesem wunderbaren Vorgang Ein- sicht verschafft haben, unsern Blick auch auf die Bereitung der Stoffe richten, die sie eben zur Bildung von Bausteinen und von Bindematerial nöthig hat, und so mit dem tieferen Blick des Chemikers verfolgen, was wir vorerst nur mit dem Auge des Anatomen auflassen. 21 Die Einsicht in die Bildung der Baurequisiten hat den Anatomen viel Schweiss gekostet und manche Kontroversen hervorgerufen. Die Sache ist allerdings nicht so offen dage- legen, dass man nur Augen zu besitzen brauchte, um es los zu haben. Die Pflanze macht es zwar nicht wie Bauherren, die alle ungebetenen Gäste von der Einsicht in den Vorgang der Arbeiten abhalten; sie thut alles offen und frei. Wenn wir aber trotzdem gar manches nicht sahen oder verkehrt sa- hen, so lag es mehr darin, weil wir eben vor Verwirrung nicht wussten, wohin wir eigentlich sehen sollten, so wie an unserem subjektiven Auffassen, also an unsern Augen, die das Zauberlicht, das uns die Pflanze vorhielt, noch nicht er- tragen konnten. Kurz, erst nach vielen Mühen und rastlosem Lauschen und Spähen ist es uns endlich gelungen, zur Kennt- niss der so einfachen Manipulation zu gelangen, die die Pflanze allenthalben bei ihrer Bauführung in Anwendung bringt, so dass wir jetzt, nachdem wir die Sache kennen, fast mehr über unsere Blödigkeit als über jenen höchst einfachen Vor- gang staunen müssen. Das ganze Geheimniss der Erzeugung der Bau- steine liegt darin, dass die Pflanze jeden derselben, den sie verwendet, aus einem schon vorhandenen hervorbildet. Dabei muss dieser selbst sich bis auf einen gewissen Grad vergrössert haben, denn sonst würde das Bauwerk zwar an Zahl der Steine aber nicht an Umfang zunehmen, was jedoch nichts weniger als zweifelhaft ist, wie jede Vergleichung einer jungen und alten Pflanze zeigt. Betrachten wir nun diese Fabrikation der Bausteine etwas genauer. Wie wir bereits wissen, sind die Bausteine der 25 Pflanze eigentlich keine Bausteine, d. i. keine soliden, gleich- artigen Massen, sondern verschieden geformte häutige Blasen, Schläuche u. s. w., die von weichen Substanzen und von Flüs- sigkeiten aller Art erfüllt sind. Jede Blase, jeder Schlauch, der beim Aufbau der Pflanze verwendet wird, bildet sich ohne Ausnahme im Innern einer schon vorhandenen Zelle, wird, wenn sie fertig ist, ohne weiteres herausgeschoben und an die Stelle hingelegt, wo sie nach dem Plane eben hinkommen soll. Weder Winde noch Flaschenzug ist dazu nothwendig, es geht dieses so leicht, wie von selbst, dass man darüber staunen möchte, wie es nur möglich ist. Geben Sie Acht, meine Le- ser, wie das zugeht. Erst schwillt der alte schon vorhandene Baustein, d. i. die Zelle, ungewöhnlich an, nimmt an Umfang zu, wächst, aber merken Sie wohl, es ist nicht ein blosses Wachsen, was hier vorgeht. Wie in einem trächtigen Thiere bilden sich in ihrem Leibe neue Bausteine, neue Zellen aus, Sind diese endlich so weit, dass sie alle Theile, die zu ihrer Selbststän- digkeit erforderlich sind, besitzen, so treten sie frei hervor, und die Mutterzelle, die während diesen Vorgängen nicht nur ihren Inhalt ganz für die Bildung ihrer Brut, d. i. ihrer Tochterzellen, verwendet, sondern auch in ihrer häutigen Umgrenzung bei der zunehmenden Vergrösserung fort und fort konsumirt wird, führt nur mehr ein Scheinleben, eine Schein- existenz, und endlich ist durch Verwendung ihrer letzten Reste fast gar nichts mehr übrig geblieben ('?). Die Tochterzellen entstehen also rein auf Kosten der Mutterzellen, ihr Dasein beruht auf dem Tod dieser. Ganz etwas Aehnliches bieten einige Insekten bei ihrer Fortpflanzung dar; die trächtigen 26 Weibchen schwellen allmählig so an, dass sie nur mehr als Bauch, als Blase erscheinen. Alle Organe, alle Funktionen des Fig! 19: Mutterthieres gehen nur auf die Hervor- bringung der Jungen hinaus, und mit der Geburt derselben ist von jenem fast nichts mehr übrig, als eine trockene, zerrissene Hülle. Lässt sich demnach die Bildung der Zellen bei den Pflanzen nicht eben- falls eine Zeugung nennen? und ist der ganze Pflanzenbau mit seinen Myriaden von Zellen etwas anderes, als das Resultat fort- gesetzter Zeugung seiner Elementartheile ? — Wie ganz anders erscheint uns nach dieser Einsicht in die Bildungsgeschichte der Bausteine das Mauerwerk der Pflanze, — das fort und fort sich verjüngende, — das gleichsam aus sich herauswachsende. Hier verschwindet nun jeder Vergleich und wir sehen kein Werk der Menschen- hände und der Menschenerfindung vor uns, das dem Bau- werke des Pflanzentempels auch nur von ferne ähnlich wäre. Eine unsichtbare Hand ist es, welche an seine Wände eben so geheimnissvolle Worte zeichnet, wie einst an die Mauer des Königspalastes.. — Doch wir verfolgen den Bildungsprozess der Zellen weiter. Schon in der Mutterzelle wird die Lage bestimmt, welche die Tochterzellen in der Folge einzunehmen haben, daher nach Fig. 12. Eine ungewöhnlich grosse schlauchförmige Zelle zwischen kleinen parenchymatischen Zellen, welche sich nicht mehr vergrössern. Jene Mutterzelle enthält fünf Tochterzellen, wovon die oberste den übrigen vier an Ausbildung vorausgeeilt ist. — Aus der Samenknospe der zwei- jährigen Pippau (Crepis biennis). ihrer Auflösung keine weitere Verschiebung nothwendig ist. Würde jedwede Zelle mit der Fähigkeit, neue Zellen aus sich hervorzubringen, auch die hinlängliche Kraft dazu besitzen, so würde nur ein unregelmässiges Haufwerk von Zellen ent- stehen, und je nach der Produktionsfähigkeit der einen oder ler anderen, würde stellenweise eine grössere Anhäufung von Zellen entstehen, und das Ganze jedenfalls ein ungestaltiges Aussehen erlangen. Nur durch den einzigen Umstand, dass diese Produktionsfähigkeit limitirt ist, kommt wie von selbst Regel und Ordnung in das unbestimmte Haufwerk. Das Eine, was wir hierbei wahrnehmen, und das wie eine feste Norm zu gelten scheint, ist, dass fast alle Produktion an und für sich auf das Minimum beschränkt ist, welches darin besteht, dass jede Mutterzelle nur zwei Tochterzellen zu erzeugen im Stande ist, — das andere, dass diese beiden Tochterzellen, wenn auch nicht in den ersten, so doch in den letzten Generationen fast durchaus ein verschiedenes Naturell haben, so dass während die eine frisch und lebenskräftig in Kurzem sich als Mutter einer neuen Generation erweiset, die andere in Bescheidenheit zurücktretend nur ihr Dasein fristet. Da letztere nicht für die Vergrösserung des Pflanzenbaues, wohl aber an seinen Bestand eben durch ihre Dauer Theil nimmt, während sich die andere Schwesterzelle bald in ihrer eigenen Lust verzehrt, so sind es eigentlich nur jene Dauer- zellen, aus welchen die Pflanzen zusammengesetzt sind. Die Anordnung derselben, die Festhaltung dieses Charakters oder das zeitweilige Aufgeben desselben, das in erneuerter Produk- tivität ausschlägt und ins Unendliche fortgehen kann, bedin- gen das, was als Umfang und Form der Gewächse in die Er- 28 scheinung tritt. Noch sind diese Generationsreihen keineswegs genau verfolgt, in ihrer Abhängigkeit von einander erforscht und auf bestimmte Gesetze zurückgeführt, aber es steht zu erwarten, dass jene Forschungen, welche bereits so viel Licht in diese dem menschlichen Auge verborgenen Vorgänge der Pflanzengestaltung gebracht haben, die Fackel ihrer Aufklä- rung auch in jene Labyrinthe hineintragen werden, die bisher noch kein sterbliches Auge durchschaut hat. Nur so viel wissen wir schon jetzt, dass die Bildungs- zellen vorzüglich an den äusseren Theilen der Pflanze ihr Spiel treiben, sowohl an der Spitze als am ganzen Umfang, wodurch eben sowohl eine stetige Verlängerung als ein An- wachsen in die Dicke möglich wird. Diese Stellen sind es, wo in rascher Aufeinanderfolge von Generation zu Generation ein solches Leben und Weben herrscht, wie es selbst in den Riesenbauten, die wir Menschen ausführen, an dem Gewimmel der Arbeiter nur als ein schwa- cher Abglanz jenes lebensvollen, heiteren Vorganges erscheint. So wächst denn die Pflanze sich fort und fort verlängernd, so umschlingt das Holz der Stämme eine neue Schichte von Elementen um die andere; dass sie sich aber weder in die Weite unendlich auszubreiten noch in den Himmel zu erheben vermag, ist, wie schon Goethe bemerkt, Sorge getragen. Wie? dies soll uns später beschäftigen. VIERTER BRIEF. VERKITTUNG DER ZELLEN, VERÄNDERUNGEN IN FOLGE IHRES WACHSTHUMES. Das künstliche Bauwerk der Pflanze mit den fort und fort sich verjüngenden Nymphen, die es ausgeführt haben, steht nun als ein vollendetes Ganzes vor uns. Alles ist wohl geordnet, jeder Stein an seinen Platz hingesetzt, aber Eines fehlt noch, wenn es ein festes dauerhaftes Werk sein soll, nämlich der materielle äussere Zusammenhang der einzelnen Theile. Dadurch, dass jede Zelle ein Ganzes für sich ist, die trotz ihrer Entstehung aus ähnlichen Elementen dennoch ein selbstständiges Dasein zu führen berufen ist, würde ohne äusseren Zusammenhalt das Band der Blutsver- wandtschaft sicher nicht hinreichen, dass nicht bei dem leise- sten Anstosse der künstliche Bau gleich einem Kartenhause wieder aus einander ginge, zusammenbräche und sich gleich- sam von selbst vernichtete. Diesem für immer zu begegnen, hat hier die Natur auf eine Verbindung gedacht und die freie unbeschränkte Zelle so an die Nachbarzelle gefesselt, dass wenn auch Differenzen entspringen sollten aus ungleichem Na- turell und Zweck, eine solche dennoch nicht zum Nachtheil des Ganzen ausfallen kann. Die Pflanzenzellen sind daher in 30 der That dort, wo sie stehen, wie angemauert, — ja es fehlt auch nicht an dem passendsten Mörtel, der sie be- festiget. Aber nicht blos die Steine, sondern auch das Bindemittel bereitet die Pflanze selbst und es ist wiederum die Zelle, die- ses Factotum, die sich dabei nicht blos geschäftig erweiset, sondern zugleich als die einzige Quelle erscheint, woher das- selbe bezogen wird. Schon mit der Bildung und Sonderung der Zellen geht ihre Wiedervereinigung, ihre Verkittung fast Hand in Hand, so dass die kaum fertige Zelle auch schon nicht mehr von der Stelle weichen kann, und obgleich mit Leben und Kraft für Tausende von Generationen ausgerüstet, doch nur einem gefesselten Prometheus gleicht, der für die ganze Zeit seines Daseins an dem Blocke der Nachbarzelle angeschmiedet bleibt. Ben Dies geht dadurch von Statten, dass in der Zelle selbst der Leim gekocht, der Mörtel abgearbeitet wird, der durch die Wand der Zelle hindurchdringend, geradezu an die Stelle gelangt, wo er hin soll, und seine Wirkung auf die benach- barten Zellen ausüben kann. Dieser Leim oder Kitt ist bald reichlicher bald sparsamer und eben dort, wo er fast gar nicht vorhanden ist, oder nie hinkommt, treten die Quadern auseinander und bilden jene Höhlen, Gewölbe und zwischen den Zellen verlaufenden Irrgänge (Intercellulargänge), von denen bereits die Rede war. Es ist natürlich, dass man diesen zwischen den einzelnen Zellen vorhandenen Stoff mit einem eigenen technischen Ausdrucke und zwar mit dem Worte In- tercellularsubstanz bezeichnete und ihn für den wahren Mörtel im Baue des Pflanzenorganismus hält ('?). Aber bei der fortwährenden Vermehrung, Aufbringung und Versetzung der Elementartheile bleibt es nicht stehen. Nicht blos die Bildungszellen, sondern auch die Dauerzellen, Fig. 13. also diejenigen, welche nach da ihrer Erzeugung allein Bestand haben, und dem Pflanzenbau eine Dauer sichern, sind wei- “ tern Veränderungen unterwor- fen. Anfänglich kleine zarte Bläschen werden sie nach und nach immer grösser und stär- ker, und nehmen dabei erst jene Gestalt an, die sie für die Folgezeit behalten, und die wir bereits als würfelför- mige, vielflächige, tafelförmige, säulenförmige u. s w. kennen gelernt haben. Die Zunahme an Umfang hat in den meisten Fällen auch eine Verdickung ihrer äusseren häutigen Grenze, d. i. ihrer Wand zur Folge, und in diesem Vorgange besteht denn ganz eigentlich das Wachsthum der Pflanzen, während die Zunahme durch Zellenvermehrung nur als Folge der Generationsthätig- keit zu betrachten ist. So durchdringen sich diese beiden Pro- zesse gegenseitig, und so wie die Zellenvermehrung nicht ohne Fig. 13. Mehrere gestreckte parenchymatische Zellen mit ihrem Inhalt durch deutliche Intercellularsubstanz «.a.. mit einander zu einem unzertrennlich festen Gewebe verbunden. 32 gewisse Vorgänge des Wachsthumes möglich wird, so er- scheint auch das Wachsthum durch vorausgegangene Zellen- bildung bedingt. Beide Prozesse aber sind es, die zuletzt die Vergrösserung der Pflanze nach sich ziehen, und wenn auch die Zellenvergrösserung sich nur bis auf eine gewisse (immer- hin in der Regel noch mikroskopische) Grösse erstreckt, so hat, wie wir in der Folge sehen werden, auch die Zellenver- mehrung ihr bestimmtes vorgesetztes Mass und Ziel. Eine Erscheinung, die für die Dauer der Pflanze sowohl als für ihre zuweilen nicht unbeträchtliche, ja man kann sa- gen, massenhafte Grösse (man denke an die Kastanie dei cento cavalli, den Drachenbaum auf Orotava, an den Baobab ('*), die Cypresse von Oachaca u. s. w.) mehr als alles andere berech- net ist, und dieselben mit den ältesten Baudenkmälern wett- eifern lässt, ist die weitere Ausbildung der Zellhaut, nachdem sie ihre Ausdehnung erreicht hat, oder doch nahehin zu die- sem Ziele gelangt ist. Wenn auch die ursprüngliche Grenze der Zelle immerhin ein dünnes, homogenes Häutchen ist, so wird dasselbe später doch häufig dick und fest, und da es sich in diesem Zustande nicht mehr auszudehnen im Stande ist, so geschieht jede wei- tere Verdickung durch Anlagerung der verdickenden Substanz an der Innenseite der Zellwand. Dadurch muss aber noth- wendig der Zellraum selbst fort und fort beengter und endlich wohl gar auf ein Minimum reduzirt werden. Solche Zellen, welche man diekwandige nennt, sind hie und da im Pflanzenbaue vertheilt, und finden sich gewöhnlich dort am häufigsten ein, wo es etwas zu stützen und zu schützen gibt. Dergleichen Zellen sind daher nicht blos gute Eck-, Sockel - und Pflastersteine, sondern sie werden ganz besonders zu den Pfeilern verwendet, als da vorzüglich der Stamm und seine Fig. 14. Ber) En Rennen. ge nn al Do oT = =. — Aeste — dies in der Pflanzenwelt so mannigfach ausgebildete Pfeilersystem —- ist. Fig. 14. Eine nach dem Zeugnisse der Kenner richtige Darstellung eines alten Baobab (Adansonia digitata) dem Dietionnaire pittoresque d’histoire naturelle entnommen, Botanische Briefe. 3 3 Ohne dass die Zellen des Holzes dicke Wände hätten, würde selbst der umfangreichste Baum, der grösste Pflanzen- koloss durch jedes Lüftchen wie ein dürrer Strohhalm abge- knickt werden können, ja die Existenz solcher Pflanzenmassen wie die Bäume würde ohne diese Beschaffenheit der Zellen durchaus unmöglich sein. Sehr wohl angebracht sind die dickwändigen Zellen auch an der Grenze des Pflanzenbaues selbst, und wenn sie da, wie es häufig geschieht, sogar unter einander verwachsen und mit einem Firniss überzogen werden, so gibt das für die Dauer mehr als die beste Makadamisirung, Asphaltirung u. dgl. aus. Dasselbe findet auch bei der Bildung der hartschaligen Hül- len der Früchte und der Samenhäute, die die Keime zu schü- tzen haben, statt. Würde wohl die Pflanze bei der äusserst zarten Einrichtung ihrer Elementartheile auch nur auf die Dauer der kürzesten Zeit hinausreichen, wenn sie nicht auf diese Weise Festigkeit und Schutz erhielte? Bei diesem Bestreben der Pflanze oder vielmehr der Zelle, sich gegen Einwirkungen aller Art zu kräftigen und so Be- stand und Dauer zu erlangen, durften jedoch die Rücksichten, denen sie ihre Entstehung und Ausbildung zu danken hat, nicht ausser Acht gelassen werden. Darunter gehört vor allem andern der leichte rk Bezug der materiellen Mittel, wodurch sie eben existirt und sich fortzubilden im Stande ist. Während die Zelle durch die übermässige Wandbildung sich gleichsam von der Aussenwelt abzuschliessen sucht, muss sie anderseits darauf Bedacht neh- men, dass dieser Abschluss zu keinem vollständigen wird, denn sie würde dabei nothwendig ihrer ferneren Wirksamkeit ein 35 Ziel setzen. Dass die Kommunikation, welcher Art sie immer beschaffen sein mag, durch dicke, feste Wände beschwerlicher sein mag, als durch eine leichte dünne Breterwand, ist für sich klar. Wenn nun die Pflanze in der That hie und da ge- zwungen ist, solche dicke Wände zu bauen, — das ist — ihre in der Regel leichten Bausteine massiv zu machen, so wird sie gewiss nicht ausser Acht lassen, hie und da Oeffnungen zu lassen, oder wenigstens die ursprüngliche Dünnwandigkeit stellenweise beizubehalten, Dass das nun wirklich auch so geschieht, haben wir bei der Betrachtung der äussersten Zellenschichte der Pflanze be- reits erfahren, — aber auch bei den Zellen selbst, diesen klei- nen schon ursprünglich ‚verschlossenen Räumen, findet etwas Aehnliches Statt. Mögen sich die Zellen bei der Verdickung ihrer Wände noch so sehr von einander und von der Aussen- welt abschliessen, einzelne, wenn gleich verschlossene Fenster bleiben doch immerhin zurück, und wenn sje auch manchmal wie Kerkerfenster aussehen, tief in der Wandung stehend, durch die die Freiheit nur mit Einem Auge hineinsieht, so beleben sie doch den stillen Raum und scheuchen den Tod zurück. Solche kleine Kerkerfensterlein, so winzig, dass auch ein tausendfach verschärftes Auge kaum hineinzusehen ver- möchte, durch die aber unser grosser Pflanzenanatom Hugo v. Mohl zuerst hineinblickte, sind in jeder Zelle in mehr- facher Zahl vorhanden. Nicht blos ihr seltsamer Bau, noch viel mehr ihre Richtung und Kommunikation mit andern Lug- löchern ist merkwürdig und beurkundet auffallend, - wie im Pflanzenleib eine Zelle ohne der andern nicht bestehen könnte, wenn sie sich vollkommen unabhängig machen wollte. ('°) 3% Es ist nämlich die wunderbare Einrichtung getroffen, dass, wo von einer Kerkerwand ein Fenster hinausgeht, an der an- stossenden Wand des nebenstehenden Kerkers ein gleiches Fenster hineingeht, so dass beide Fensterchen an einer und derselben Stelle zusammentreffen und also die einzelnen Ker- ker- oder Zellenräume in der That eine wahre Kommunika- tion mit einander haben, obgleich sie auf das Festeste von einander geschieden sind. Wir werden später noch erfahren, was die Zelle, und daher die Pflanze dieser fürsorglichen Ein- richtung zu danken hat, und dass ein solches Zellensystem Fig. 15. Dickwandige Zellen durch Intercellularsubstanz vereiniget. Aus einer Palmenfrucht. Man sieht auf der oberen Durchschnittsfläche nicht blos die schichten- weise Anlagerung der die ursprüngliche Zellwand aa von Aussen nach Innen bedeckenden Verdickungssubstanz bb, sondern auch letztere nach allen Richtungen durchsetzenden Tüpfelkanale c, welche in den verengten Raum der Zellen d münden, nach Aussen aber den Schein von Durch- löcherungen — Tüpfel — e hervorbringen. 37 wahrlich dort nicht zu empfehlen wäre, wo es sich um voll- ständige Abschliessung handelte. Aber wo die Zelle einmal so weit fortgeschritten ist, dass sie weder Raum für ein Hochzeitsbett noch für die Werk- zeuge chemischer und physikalischer Thätigkeit, für Retorten, Schalen, Pumpen u. s. w. hat, lässt sich wohl denken, dass sie wenig mehr als ein Sarg ist, in welchem Liebe und Leben für immer regungslos begraben liegen. So ist es in der Wahr- heit im Pflanzenkörper, und alle seine integrirenden Theile, und namentlich jene, die die Lust des Lebens bereits im vol- len Masse empfunden haben, legen sich zum Todesschlaf nie- der, ohne je wieder zu erwachen. In Mitten des schönen grünen Tempels bricht nach und nach ein Balken um den an- dern ein; es stürzt eine Säule um die andere um, und noch lange hebt oft der stolze Bau sein Laubdach fröhlich in die Luft, während im Innern längst der Todeswurm (Kernfäule) nagt. Endlich bricht das Ganze zusammen und geht eben so spurlos vorüber, wie es sich unmerklich aufbaute, und eine Welt voll Leben von seinem Dasein abhängig machte, FÜNFTER BRIEF. CHEMISMUS DER PFLANZE. Das Wunderbarste bei der Bildung der Pflanze ist und bleibt immer die Kunst, wie sie aus einigen wenigen Elemen- ten, die sie aus der Luft und dem Boden schöpft, das ganze Material ihres Baues, das, wie bekannt, von der mannigfaltig- sten Beschaffenheit ist, zu erzeugen im Stande ist. Das Ganze wird noch seltsamer, wenn man bedenkt, dass alles, was her- vorgebracht wird, von den Zellen ausgeht, und dass daher von diesen ausserordentlich kleinen, mikroskopischen Körper- chen, von dem was in ihnen und an ihnen vorgeht, die ver- schiedenartigsten Stoffe ihren Ursprung nehmen, die wir in der Pflanzenwelt wahrnehmen. Wer möchte in diesen kleinen chemischen Laboratorien diese Kraft und Energie suchen, die wir bei all’ unserer Kunst in den Laboratorien und chemischen Fabriken nur theilweise und kaum halb so präzise zu Stande zu bringen vermögen. Lassen Sie mich nun die Pflanze oder vielmehr die Pflan- zenzelle als geschäftigen, ja ich möchte sagen, als nie feiern- den, bei Tag und Nacht, Winter und Sommer, wenn gleich stets in anderer Weise beschäftigten Spagiriker*) betrachten. *) Der Name Spagiriker wurde im Mittelalter dem Chemiker (Achemisten) als einem der die Stoffe zu lösen, zu trennen (or«eıv) und zu binden, zu vereinigen (@yeigsıv) vermag, gegeben. 39 Was die Pflanze von Aussen erhält, sind nur einige we- nige Grundstoffe, die sich fast nur auf Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff beschränken, denn die Antheile von Schwefel, Phosphor, Chlor, Jod, so wie von Kali, Natron, Kalk-, Bitter- und Kieselerde u. s. w., die sie noch benöthi- get, sind gegen den Verbrauch der ersteren Stoffe als ver- schwindend klein zu betrachten. Am meisten bedarf sie Wasser, nicht weil mit demselben alle übrigen Stoffe eingeschmuggelt werden müssen, sondern weil sie ihre ganze Schwarzkunst nur auf dem sogenannten nassen "Wege zu treiben im Stande ist, d. h. es nur mit wässerigen Auf- lösungen zu thun hat. Wenn man durch Versuche, die man mit vieler Genauigkeit über den Verbrauch von Wasser angestellt hat, erfährt, dass ein Morgen Wiesen - oder Getreidefeld 6 Mil- lionen Pfund Wasser und ein eben so grosser Fleck Waldes eher mehr als weniger für die Vegetationszeit bedarf, so muss man wahrhaftig über die Mengen staunen und fragen, ob denn wirk- lich auch so viel Wasser für einen so kleinen Raum und in so kurzer Zeit aufgebracht werden kann. Wir sehen wohl, dass die unerschöpfliche Quelle, diese Goldader der Prosperität der Pflanzen nur in den himmlischen Gaben des Regens, des Thaues u. s. w. liegen kann, und dass dort, wo der Himmel dieses Füllhorn seiner Gnade nicht ergiesst, auch kein Ge- deihen, ja nicht einmal das Vorhandensein einer spärlichen Vegetation möglich ist. Nicht weil die Sahara, die lybische Wüste, das Sandmeer Schamo, die Westküste von Bolivia u. a. m. sandige und felsige Gegenden sind, kann da keine Vegetation aufkommen, sondern weil es an Regen und wäs- serigen Niederschlägen überhaupt fehlt, denn wie bekannt 40 regnet es da nur alle zwölf Jahre einmal, und das nicht immer. | Nächst dem Wasser und den Bestandtheilen desselben ist der Kohlenstoff der wichtigste, denn wir mögen was im- mer für einen Pflanzentheil auf seine elementare Beschaffen- heit untersuchen , so spielt der Kohlenstoff fast immer eine Rolle dabei, in den meisten Fällen sogar die Hauptrolle. Wo- her nimmt aber die so weit verbreitete Pflanzenwelt ein so grosses (Juantum eines Stoffes, der sich bei weitem nicht so häufig auf der Erde findet als das Wasser. Fast möchte es uns bedünken, dass die kleine Quantität von Kohlensäure, welche in der Atmosphäre vorhanden ist, (Yooo Ihres Gewich- tes oder %,o-000 DIS 0.000 Ihres Volumens) nicht ausreicht, wenn uns die Chemiker nicht berechnet hätten, dass daraus die ganze lebende und abgestorbene Vegetation leicht ihren Bedarf decken konnte und diese Quelle dabei noch lange nicht erschöpft sei. Der vierte Stoff endlich, der zu den unentbehrlichsten gehört, ist der Stickstoff. Wenn die drei erstgenannten Stoffe auch vorzugsweise das Leibliche der Pflanze ausmachen, und namentlich zur Bildung der Zellwand verwendet werden, so scheint doch bei dem ganzen Bauunternehmen ein Stoff nothwendig zu sein, der das Ganze so zu sagen in den Gang bringt, es unterhält und für seine Vollendung Bürgschaft lei- stet. Dieser Archaeus, dieser Bürge, der den nöthigen Kredit leistet, ist der Stickstoff. — Der Stickstoff beginnt die Arbeit, macht die Bildung jeder einzelnen Zelle erst möglich und ist überhaupt dort zu treffen, wo es etwas zu thun und zu schaf- fen gibt. Während Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff 41 vorzüglich ihre Wirksamkeit auf das Grenzgebiet des Zellle- bens beschränken, waltet der Stickstoff im Innern, im Kern der Zelle und leitet alle Vorgänge ein ('°). Welche Bedeu- tung die übrigen oben angeführten Stoffe ha- ben, ist vor der Hand noch nicht leicht zu errathen, obgleich ihr Antheil: an gewissen Bestrebungen bei dem umfassenden Bauunter- nehmen nur zu deutlich hie und da bemerkt werden kann. Sind diese einfachen Stoffe nun aus der Aussenwelt in den Organismus, in die Zelle eingeführt, so sind sie noch keineswegs das, was sie werden sollen. Schon ihre Einfüh- rung ist nur unter gewissen Rücksichten, nämlich den ihrer Natur und Wirkungsweise entsprechenden Umständen möglich, um wie viel mehr ihr Verhalten gegen einander, sobald sie Bestandtheile der Zellen selbst geworden sind. Noch ist ein dichter Schleier über jene Vorgänge gezogen, durch die einfache Stoffe zu jenen neuen Verbindungen zu- sammentreten, wodurch sowohl der Inhalt der Zelle als das Grenzgebilde ihrer Thätigkeit, die Zellenmembran , gebildet wird; und wenn wir auch die Affinitätsgesetze kennen, nach welchen sie nur allein auf einander zu wirken im Stande sind, so ist es uns bisher doch immer noch nicht gelungen, diesen geheimnissvollen Vorgang der Natur in der Art abzulauschen, dass wir im Stande wären, denselben in unseren chemischen Fig. 16. Sowohl der Zellkern (Cytoblastus), nämlich das runde, linsenför- mige Bläschen mit dem Kernkörperchen, als die ihn umgebende und durch den ganzen Zellraum vertheilte körnige Substanz (Protoplasma) besteht vorzüglich aus stickstoffhaltigen Substanzen. 42 Laboratorien zu wiederholen. Die chemische Wirksam- keit der Zelle ist, wenn gleich nicht in ihren Produkten, so doch in ihrer Synthesis ein Räth- sel, und die Pflanze für uns in diesem Anbetrachte noch im- ıner die einzige Goldmacherin, die es gibt. Berücksichtigen wir die chemische Wirksamkeit der Zelle in ihren Produkten, so lässt sich Folgendes wahrnehmen. Die durch die Verbindung jener einfachen Stoffe hervorgehenden Körper sind mannigfaltiger Art, sowohl rücksichtlich ihrer Zu- sammensetzung als in Bezug auf ihre physikalischen Eigen- schaften und ihre Bestandform. Doch kann man sie füglich in vier grosse Gruppen bringen; diese sind 1) indifferente stickstofffreie Körper; 2) indifferente stickstoffhaltige Körper ; 3) Pflanzensäuren und 4) Körper, welche die Rolle von Alka- lien spielen (Pflanzenalkaloide). Von diesen vier grösseren Gruppen, die eine zahllose Menge untergeordneter verschiedener Körper in sich fassen, gehören nur die beiden ersten unter die verbreitetsten und auch darunter nur einige wenige, welche an der Struktur fast aller Pflanzen Theil nehmen und fast nirgends zu fehlen schei- nen, während die anderen sich von mehr oder weniger unter- geordneter Natur zeigen und häufig eine sehr beschränkte, oft nur einer gewissen Abtheilung von Gewächsen zukommende Verbreitung besitzen. Zu den allgemein verbreiteten stickstofffreien Bestandthei- len der Pflanzen gehören : 1) der Zellstoff oder Membranstoff, die ehemals sogenannte Holzfaser, 2) das Stärkemehl (Amy- lum) (u. '®), 3) der Zucker, 4) das Gummi, 5) die Pflan- zengallerte und noch mehrere, die in den verwandtschaftlich- +43 sten Verhältnissen zu einander stehen und obgleich in ver- schiedenen äusseren Eigenschaften erscheinen, doch ihrer che- mischen Natur nach eins und dasselbe sind. Der Chemiker, der von Hermes Trismegistos an in Zauberformeln zu reden gewohnt ist, ruft mit der Beschwö- rungsformel C,, H,, O,, Alle diese Körper hervor, d. h., wenn ihm einer oder der andere davon gegeben ist. Ein Bischen Salpetersäure oder Schwefelsäure, ein Laugensalz zu diesem oder jenem gebracht, und flugs ist es ein anderer, Stärke in Zucker, Holzfaser in Stärke u. s. w. zu verwandeln, ist ihm eine Kleinigkeit. Dies beweiset aber nur so viel, dass es der Pflanze ebenfalls sehr leicht sein mag, aus eigenen Mitteln solche Verwandlungen vorzunehmen, und in der That ist sie auch zu bewundern, wie sie bald dies, bald das, je nach ih- rem Bedarfe zu erzeugen vermag. Ein Beispiel mag dies erläutern. Keine Pflanze hat, wenn sie sich aus dem Samenkorn entwickelt, noch jene Organe, die ihr später die Nahrungsstoffe zuführen. Sie bedarf dersel- ben anfänglich aber so gut wie nachher, ja noch mehr, da Fig. 17. Eine Zelle aus der Kartoffel mit Stärkemehl (Amylum) fast ganz erfüllt. u Fig. 15. Drei Stärkekörner aus derselben Zelle stark vergrössert. Man ge- wahrt überall einen kleinen Kern als Grundlage, über welchen sich con- eentrische Schichten von Stärke abgelagert haben. 44 sie eben im Begriffe steht, ihre Substanz nach allen Richtun- gen zu vermehren, mit einem Worte Zellen zu erzeugen. Um dies wichtige Geschäft, von welchem allein ihre fernere Er- haltung abhängig ist, vollführen zu können, ist die Einrich- tung getroffen, dass der Keim eine grosse Menge für ihn überflüssigen Zellstoff unter der Form von Amylum, Oel u. s. w. ' von der Mutterpflanze als einen Zehrpfennig mitbekommt. So wie der Same zu keimen anfängt, hat er nichts Angelegent- licheres zu thun, als diese Zehrpfennige in gangbare Münze umzutauschen, und wie von selbst entsteht aus Amylum Zucker, aus Zucker Pflanzengallerte und aus dieser endlich die Zellwand, wodurch die Integrität der Zelle vollendet und der Pflanzenbau damit einen Stein um den andern gewinnt. Solche Beispiele liessen sich noch mehrere anführen, denn es gehört gar. nicht zu den Sonderbarkeiten im Pflanzenleben, einen Stoff in den andern übergeführt zu sehen. Das Wun- der von Chanaan ist etwas Alltägliches. Der Chemiker nennt alle diese Körper von jener und die- ser ähnlichen Formel Kohlehydrate, was so viel sagen will, als Verbindungen von Kohlenstoff und Wasser oder eigentlich Kohlenstoff (C.) mit den Bestandtheilen des Wassers (H O.). Nun lässt sich wohl denken, dass in manchen Fällen noch ein Ueberschuss von Wasserstoff (H.) oder ein Ueberschuss von Sauerstoff (O.) zu Stande kommt, was in dem einen Falle fette Oele, im andern die Pflanzensäuren, wie z. B. die Apfel- säure, Citronensäure, Gerbsäure, Gallussäure u. a. m. hervor- ruft. Das Wohlschmeckende und Nahrhafte mancher Pflanzen- theile liegt eben in der Kombination dieser mit jenen Pflan- zenstoffen, worin insbesondere die Früchte eine so grosse Aus- wahl darbieten.- 49 Die stickstoffhaltigen Bestandtheile sind ebenfalls entwe- der indifferent, oder sie tragen am häufigsten die Natur einer Base. Alle jungen Pflanzentheile, die Samen, Knospen u. s. w. besitzen die stickstoffhaltigen indifferenten Stoffe in verhält- nissmässig grösster Menge. Der Kleber, das Eiweiss, das Le- gumin der Pflanzen gehört dahin. Man fasst sie alle mit dem gemeinsamen Namen der Proteinstoffe zusammen, Sie sind nicht nur für den Betrieb des Pflanzenbaues von grösster Wichtigkeit, regen und bewegen alles, sind die wah- ren Hebel und Aufzugsmaschinen, ohne welche alles stille stehen würde, sondern sie sind zugleich jene Stoffe, ohne welche ein Thierleben nicht gedacht werden kann, indem Fleisch, Blut, Milch u. s. w., wodurch sich eben das Thier vor allen andern Wesen so auszeichnet, ihrer Wesenheit nach nicht im Thiere selbst bereitet, sondern als bereits gebildet von der Pflanze hergeholt wird. Diese bedeutungsvolle Be- ziehung zwischen zwei scheinbar so differenten Wesenreihen deutet ohne Zweifel auf eine nähere Verbindung beider, als man anzunehmen gewohnt ist. Wenn daher Liebig sagt: der Thierorganismus sei eine höhere Pflanze, deren Entwick- lung mit denjenigen Materien beginne, mit deren Erzeugung das Leben der Pflanze aufhöre, so ist dies nichts mehr, als was die lauterste Erfahrung an die Hand gibt. So wie die Pflanzensäuren, so sind auch die stickstoff- haltigen Alkaloide weniger als nothwendige Bestandtheile, als vielmehr als Nebenprodukte im chemischen Laboratorio der Zelle zu betrachten und mögen so wie die anorganischen Ba- sen, welche von Aussen aufgenommen werden, nur den Zweck haben, bald hier bald dort etwas auszugleichen (neutralisiren), 46 was nicht ohne schärfer hervortretende Differenzen hervorzu- bringen möglich war. Wo das nicht thunlich ist, wo jene Differenzen, ohne ins Gleichgewicht gebracht zu werden, sich vielmehr steigern und anhäufen, da ist auch der Fortbestand des Ganzen gefährdet. Die Pflanze ohne diese stetige Selbst- versöhnung müsste sich im Kampfe ihrer Elmente und Stoffe von selbst aufreiben. Wird dies dort und da zuweilen unmöglich oder nur theilweise möglich gemacht, so ist die nothwendige Folge Er- krankung und Tod. Ein solches bleibendes Siechthum aus dieser Quelle finden wir nur zu häufig an unseren Kultur- pflanzen, daher dem Gartenbau sowohl als dem Feldbau noch viel zu thun bleibt, um diese Fehlerquelle in der Behandlung ihrer Schützlinge zu vermeiden. Was Liebig in dieser Be- ziehung als. Diätetiker und Prophylaktiker gethan, weiss die ganze Welt. Um noch einmal einen Blick in das Innere der Pflanze zu thun und die verschiedenen Vorgänge, die sich da im Stillen fortspinnen, zu betrachten, so können wir nicht genug unser Erstaunen darüber ausdrücken, welche Reihenfolge der verschiedensten chemischen Vorgänge in einem und demsel- ben mikroskopischen Laboratorio vorgehen, und wie selbst in dem Gewebe von Zellen einer und derselben Pflanze, eines und desselben Pflanzentheiles, ja oft ganz nachbarlichen Zel- len die verschiedenartigsten chemischen Produkte zum Vor- schein kommen, Hier eine Zelle voll mit wässerigem Pflanzen- saft, in welchem Gummi oder Schleim aufgelöset ist, dort eine, in welcher noch Zucker zur Lösung hinzutritt, diese mit Amylumkörnern erfüllt, jene voll Oeltröpfchen, — hier ganze .e 47 Gruppen von Zellen mit grünen, dort mit rothen, gelben, blauen Farbestoffen erfüllet; hier Bündel, dort Drusen von Krystallen einschliessend. ('?) Etwas Mannigfaltigeres lässt sich kaum sehen, als das, was jeder Durchschnitt was immer für eines Pflanzentheiles durch das Mikroskop betrachtet, dar- bietet. Wie verändert erscheint nun das bisher durchgeführte Bild eines Mauerwerkes aus gleich- artigen Massen, womit wir die Pflanze verglichen, bei der je- der Stein nicht blos ein Haus für sich darstellt, sondern in dem sogar die verschiedensten Geschäfte abgethan werden. Wahrlich ein Blick in dieses seltsame Bauwerk, wo man von Stufe zu Stufe in neue unbekannte Räume geräth, wo man mit aller Schärfe des Auges kaum über die Vorhalle des er- sten vorzudringen im Stande ist, gewährt nicht viel anderes als ein Blick in die Tiefe des Sternenhimmels, in dem die Nebelstreifen der Welteninseln uns eben so verbergen, was hinter ihnen vor sich geht. Fig. 19. Parenchymatische Zellen mit grünen Farbebläschen (Chlorophyll- bläschen) 5), — mit Kıystallen e und Krystallgruppen d erfüllet. In einigen derselben findet sich noch der Zellkern e. SECHSTER BRIEF. AUFNAHME UND VERTHEILUNG DER NAHRUNGSSTOFFE, AUSSCHEIDUNG DES WASSERS. Wenn wir uns den Bau der Zelle noch einmal recht ver- gegenwärtigen, so können wir sie nicht anders als eine von allen Seiten verschlossene Kammer denken. Soll diese beste- hen, soll sie sich vergrössern und in sich sogar neue Kammern zimmern, so muss sie den Bedarf dazu von Aussen beziehen. Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und was sie sonst noch an Alkalien und Erden bedarf, kann unter diesen Umständen nur in luftförmiger oder flüssiger Form in sie ge- langen: der Kohlenstoff also nur als Kohlensäure, der Stickstoff als Ammoniak, die Erden und Alkalien nur als Salze, — alles vom Wasser aufgelöset. Die mit einer grös- seren oder geringeren Menge von Flüssigkeiten erfüllte Zelle kann diese Rohstoffe, ihre Nahrung, ferner nur aufnehmen, wenn sie mit diesen in unmittelbaren Kontakt tritt. Hierin beruht das ganze Geheimniss der Aufnahme der Nahrungs- stoffe, hierin auch die ganze Weiterbeförderung in dem Falle, als die Pflanze aus mehr als Einer Zelle besteht. Zu dem ganzen Vorgange bedarf es weder eines Pumpwerkes noch einer Hebmaschine. Alles geschieht aber doch so präcise wie 49 in der besten Maschinerie und dabei so unmerklich, dass in der That nicht die geringste Kraftanstrengung dabei nöthig ist, als jene, welche Flüssigkeiten von ungleicher Dichte oder Körpertheilchen überhaupt auf einander ausüben. Auch hier erweiset sich von Neuem die grosse Meisterschaft des Pflan- zenarchitekten, der allen Apparat verschmäht, und doch schnel- ler und sicherer zum Ziele gelangt, als die Erbauer aller un- serer grossen Bauwerke. Haben wir früher die Pflanze als Chemiker zu bewundern Gelegenheit gehabt, so wird das nicht minder in Anbetracht ihrer physikalischen Tüchtigkeit und Vollendung der Fall sein, Das erste und wichtigste Geschäft für den Betrieb des Lebens bleibt die Zufuhr der Nahrungsflüssigkeit, mit der die Pflanze durch ihre unteren im Boden stehenden Theile fast immer in Berührung kommt. Das mit kleinen Mengen von Kohlensäure, Ammoniak und einigen Salzen geschwängerte Wasser kommt da mit den äussersten Zellen der Pflanze in Berührung, die natürlich von ganz anderen Säften, immerhin aber mit concentrirten Flüssigkeiten erfüllet sind. Zufolge des Gesetzes des Austausches ungleichartiger Flüssigkeiten können dieselben keinen Augenblick neben ein- ander existiren, ohne auf einander einzuwirken. Wenn wir ein zur Hälfte mit Wasser gefülltes Glas lang- sam mit rothem Weine voll machen, so werden zwar eine Zeit lang beide Flüssigkeiten durch scharfe Grenzen von einander geschieden bleiben; nach und nach werden sie sich aber zu vermischen anfangen und zuletzt wird es keinen Flüssigkeits- theil mehr geben, der nicht Wein und Wasser zu denselben Theilen vermischt darstellte. Diess geschieht auch, obgleich Botanische Briefe, 4 50 etwas langsamer, wenn beide Flüssigkeiten durch eine Haut von einander getrennt sind, oder wenn eine derselben in eine Blase gefüllt mit der andern in Berührung kommt. Die Blase hindert die Einwirkung der Flüssigkeiten auf einander nicht, da sie dieselbe durchdringend immer wieder zusammentreffen und sich ins Gleichgewicht setzen müssen. Ist die koncen- trirtere Flüssigkeit von der Blase eingeschlossen, so wird mehr von der minder koncentrirten in diese übergeführt, als von derselben nach Aussen austreten. Die Blase wird sich füllen und endlich sogar bersten; ist jedoch umgekehrt die koncentrirtere Flüssigkeit ausserhalb der Blase, so wird ihr Inhalt vermindert und dieselbe nach und nach zusammenfal- len. Von diesen beiden Verhältnissen findet nur das erstere bei der Pflanzenzelle statt, die mit der überall verbreiteten verdünnten Nahrungsflüssigkeit in Berührung tritt; es kann nicht anders als ein Eintritt derselben in die Zelle erfolgen, oder wie es die Physiker nennen, eine Endosmose statt- finden. Bei dem gewöhnlich vorkommenden Koncentrationsgrade des Zellinhaltes lässt sich sogar berechnen, dass dieser Ein- tritt der Flüssigkeit in den Zellraum mit einer Kraft geschieht, welcher dem Drucke von anderthalb Atmosphären das Gleich- gewicht hält, somit auf einem ganz gewöhnlichen physikali- schen Vorgang beruht, der sich schätzen und messen lässt. Allein nicht bloss die Aufnahme, sondern auch die Wei- terförderung und Vertheilung der Säftemasse erfolgt bei der Pflanze, welche aus einer Mehrheit solcher Saugapparate be- steht, auf dieselbe Weise, vorausgesetzt, dass die verschie- denen Zellen, woraus sie besteht, Flüssigkeiten von verschie- denen Koncentrationsgraden und Quantitäten enthält, was auch der Fall ist. Gummilösungen, Zuckerlösungen und Proteinsubstanzen nehmen hierin einen sehr verschiedenen Antheil, und jene Zellen werden unter übrigens gleichen Umständen immer mehr Säfte an sich ziehen, in welchen sich die meisten Proteinstoffe befinden. Da diess die jungen eben in der Entwicklung be- griffenen Zellen sind, so muss eben dahin der Saftstrom ganz vorzugsweise geleitet werden. Dieser Umstand führt aber einen andern herbei, der mit der Ausbildung der Zellen selbst in direktem Zusammenhange steht, und der darin besteht, dass, wenn die Richtung des Saftstromes durch diese Um- stände bedingt ist, auch die Ausbildung der Zelle sich dar- nach richten muss. Es wird die anfänglich rundliche Zelle, durch welche fort und fort der Saftstrom eine und dieselbe Richtung befolgt, eben in derselben eine stärkere Ernährung und dadurch einen grösseren Zuwachs erhalten, so dass man aus der ungleichen Vergrösserung derselben auf die Richtung des Saftstromes schliessen kann. Alle verlängerten Zellen, alle schlauchartigen, cylindrischen und prismatischen Formen haben offenbar hierin ihren Ursprung und die früher erwähn- ten Gefässe sind nichts anders, als solche früh altgewordene und abgestorbene Cylinderzellen, in welchen der Saftstrom auf das Lebhafteste vor sich ging, und selbst in der ausge- bildeten Pflanze bezeichnen eben die Bündel solcher Zellen und Gefässe (Gefässbündel) die früher vorhandene und theil- weise noch stattfindende Richtung des Saftstromes (*°). Es geht aber aus dieser Einrichtung von selbst hervor, dass die Pflanze keine solchen Kanäle bedarf, in welchen die 4* 92 Fig. 20. Nahrungsflüssigkeiten weiter befördert wer- den, wie sie die Thiere nöthig haben, wo die Ermährung und Wie- dererzeugung der Sub- stanz ganz andern Be- dingungen unterworfen ist, als wie ın der Pflanze. Die ganze Auf- nahme und Verthei- lung der Säfte der Pflanzen und als Folge == davon die Emährung = und das Wachsthum = hängt sonach von der = DDDDDDDDDNDDDIN I & Beschaffenheit der Zell- membran und von den in den Reihen der Zellen selbst fort und fort zunehmenden Koncentrationsgrade des flüssigen In- Fig. 20. Wenn man eine weissblühende Hyacinthe, ohne sie aus dem Topfe zu nehmen, mit dem geklärten Safte der Kermesbeere (Phytolacca decan- dra) begiesst, so gewahrt man schon nach einigen Stunden eine röth- liche Färbung der Blüthen, was nur daher rühren kann, dass der inten- siv rothe Saft der Kermesbeere unverändert von den Wurzeln aufgenom- men, durch den Schaft weitergeführt und bis in die farblosen Zellen der Blüthenhülle geleitet wird. Indem man alle diese Theile von oben bis unten anatomisch untersucht, lässt sich ganz augenfällig der Weg nach- weisen, auf welchem die Saftleitung geschah. Ein Stückchen aus dem untern Theile der Blüthenhülle, welches Fig. 20 darstellt, zeigt, dass alle mit Pfeilen bezeichnete Zellen den rothen Saft der Kermesbeere ent- hielten und auch weiter nach aufwärts nach der Richtung der Pfeile ge- führt haben. Es zeigt sich ferner, dass bei dieser Saftführung sich we- der die Spiralgefässe «a. «a, noch die Luftgänge b.b betheiligten. 5 haltes ab. Ohne der Eigenschaft der Cellulose oder des Mem- branstoffes für wässerige Flüssigkeiten durchdringlich zu sein, ohne von denselben aufgelöset und verflüssiget zu werden, würde überhaupt kein Bestand der Zelle im Konflikte mit - Wasser und Feuchtigkeit, und überdies keine Aufnahme der- selben in das Innere möglich sein. Ohne reihenweise zuneh- mende Koncentration der Säfte in den Zellen, würde eben so wenig eine Mittheilung von einer in die andere erfolgen können. Um das Letztere zu bewirken, sind zwei Vorgänge un- umgänglich nothwendig, wovon der eine das nöthige Mass der Koncentration unabhängig von aller chemischen Veränderung fort und fort regulirt, der andere die Umwandlung der auf- genommenen Flüssigkeit einleitet und auf chemischem Wege zu demselben Zwecke gelangt. Beide Prozesse, oft in ihren gegenseitigen Wirkungen gestört, bringen doch in ihrer Kom- pensation hervor, dass nie ein Stillstand in der Bewegung eintritt und daher auch jeder Pflanzentheil zu allen Zeiten den nöthigen Bedarf von Bildungsstoffen erlangt. Der eine Vor- gang ist der der Verdunstung, der andere jener der As- similation. Mit alleiniger Ausnahme der Wasserpflanzen sind alle Gewächse, und wenn sie auch nur aus einer einzigen Zelle bestehen, theilweise der Luft ausgesetzt, die nicht ohne Ein- wirkung auf sie bleiben kann. Die auffallendste Wirkung da- von ist die Verdunstung des Wassers, welches die Zellhaut stets erfüllt, und welches daher immer wieder von Innen aus ersetzt werden muss. Es kann nicht anders kommen, als dass zuletzt die Säfte im Innern der Zelle nach und nach > ärmer an Wasser, somit koncentrirter werden, und die wei- tere Folge davon ist, dass der Saftstrom dahin gerichtet sein wird, wo sich das Bedürfniss von Wasser am meisten zeigt. Würden bei mehrzeiligen Pflanzen die Zellen der äusse- ren Schichten gleich jenen der inneren Schichten gebaut sein, so wäre nicht abzusehen, warum der Ersatz von Flüssigkeit nicht bei allen in gleichem Masse erfolgen, und warum der Saftstrom nicht gleichmässig nach der ganzen Peripherie der Pflanze stattfinden sollte. Dem ist aber nicht so, da gerade die peripherischen Zell- schichten so manche Einrichtung haben, wodurch die Verdun- stung erschwert und verlangsamt wird, in Folge dessen es ge- wissen andern Theilen des Zellgewebes möglich wird, den Saft- strom an sich zu ziehen. Nur durch diese sinnreiche Einrich- tung gelingt es der Pflanze, den von Zelle zu Zelle fortschrei- tenden Strom der Säfte an jene Stellen zu ziehen, wo vor- zugsweise Neubildungen stattfinden. Indess gibt es nicht wenige Theile der Pflanze, die der Verdunstung des Wassers ganz besonders unterworfen sein müssen, und das sind alle jene, welche bedeutende Flächen darbieten, also die Blätter. Man kann sagen, dass diese Organe, indem sie die Verdun- stung befördern, ganz vorzugsweise die Erneuerung des Zell- inhaltes und den Stoffwechsel überhaupt begünstigen und da- her als die wichtigsten Hebel des Wachsthumes angesehen werden müssen. Wenn man bedenkt, dass ein Blatt von mittelmässiger Grösse täglich im Durchschnitt 1—2 Gram- men Wasser ausdünstet, und dass dies für die ganze Pflanze und für einen Morgen Landes berechnet in dem ersteren Falle wenigstens 50 Grammen, im anderen 60,000 Pfund be- 55 trägt, so ist der oben für die ganze Vegetationszeit ange- führte Bedarf eines Morgen Landes von 6 Millionen Pfund wohl ganz begreiflich. Von dieser enormen Menge kommt indess kaum ein Drittel für die verschiedenen Stoffbildungen der Pflanze zu Gute. SIEBENTER BRIEF. ASSIMILATIONS- ERSCHEINUNGEN Ich darf wohl voraussetzen, dass keiner meiner Leser bei der Erzählung der Vorgänge, welche die Wasseraufnahme sowohl als die Wasserabgabe durch die Verdunstung beglei- ten, sich diese so gedacht haben wird, als ob das Wasser da- bei eine rein transitorische Rolle spielte. Es ist zwar wahr, dass das durch den Pflanzenorganismus durchströmende Was- ser ganz eigentlich das Mühlrad der Betriebsamkeit in Be- wegung setzt, allein es ist eben so wahr, dass es in den aufgelösten Nahrungsmitteln der Kohlensäure, des Ammoniak’s u. s. w. zugleich das zu Verarbeitende mitführt und sich da- bei selbst dadurch betheiliget, dass es wenigstens zum Theile aufhört Wasser zu bleiben, und so in die Verwandlung der Stoffe mit eingeht. Es würde gegenwärtig noch ein sehr ver- messenes Beginnen sein, das Wasser sowohl als die übrigen darin aufgelösten Stoffe auf ihren Wanderungen sowohl als in ihren Metamorphosen zu verfolgen, doch so viel ist gewiss, dass dieselben in die Zellen eingedrungen, bald ihren ur- sprünglichen Charakter verlieren, und nur das, was der Ver- änderung, d. i. der neuen Kombination nicht zusagt, mehr oder weniger in der primitiven Form von Zelle zu Zelle fort- 57 zieht und nicht selten so wie es aufgenommen wurde, wieder ausgeschieden wird. Die Säfte der Pflanzen, aus welchen Theilen wir sie immer nehmen, enthalten, mit wenigen Aus- nahmen weder Kohlensäure noch Ammoniak, noch humus- saure Salze, sondern fast durchaus andere Verbindungen der Elementarstoffe, und beweisen daher, dass sie bereits mehr oder minder zu Assimilationsprodukten umgeschaffen wurden. Von der Energie, womit diese Verwandlung betrie- ben wird, die aber natürlich ganz vorzüglich von Aussenver- hältnissen, namentlich von der Temperatur und dem Licht- einflusse abhängig ist, sind mehrere Erscheinungen abzuleiten, die nicht unwichtig, sowohl für die Pflanze selbst, als für den Haushalt der gesammten Natur sind. Zu diesen Erschei- nungen gehört vor allen andern das Verhältniss der Pflanzen zur umgebenden Atmosphäre. Aber auch hierin dürfen wir keine andern Vorgänge erwarten, als die sind, welche sich aus chemischen und physikalischen Gesetzen als nothwendig ergeben müssen. Es lässt sich aus dem, was die Pflanze von Aussen auf- nimmt, und was sich in der Folge eben daraus hervorgebil- det hat, sehr deutlich entnehmen, dass sie dabei keine geringe Menge von Sauerstoff erübriget. Dieser Sauerstoff muss ab- geschieden werden, und da die Pflanzensäfte selbst nur eine geringe Quantität aufzunehmen im Stande sind, so muss aller Ueberschuss an die Atmosphäre abgegeben werden. In der That findet sich dies auch durch die Erfahrung bestätiget, und namentlich bemerken wir unter jenen Umständen, welche eine raschere Umwandlung der Stoffe, also einen grösseren Verbrauch von rohen Nahrungsmitteln herbeiführen, die Aus- 38 scheidung von Sauerstoff in einem bedeutenden Masse gestei- gert. Es ist wohl begreiflich, dass bei direkter Einwirkung der Sonne und des Lichtes überhaupt die Geschäftigkeit der Pflanze sichtlich zunimmt. Wir sehen desshalb auch die Ent- wicklung von Sauerstoffgas aus der Pflanze unter die- sen Umständen bedeutend vermehrt. Blätter und grüne Pflan- zentheile überhaupt unter Wasser gebracht und dem Sonnen- lichte ausgesetzt beschlagen sich bald dicht mit Luftbläschen, die gesammelt und untersucht sich als Sauerstoffgas zu er- kennen geben. Die Quantitäten von Sauerstoffgas, welche sich in heiteren Sommertagen auf Wiesen und in Wäldern entwickeln, kann daher nicht unbedeutend sein. Der schat- tige Baum wirkt nicht blos durch seine Kühle einladend auf uns, sondern ohne dass wir es merken, auch noch durch das Wohlbehagen, das mit der Einathmung einer sauerstoffreiche- ren Luft nothwendig verbunden ist. Die raschere Konsum- tion der Nahrungsmittel und namentlich der durch das auf- genommene Wasser eingeführten Kohlensäure reicht unter die- sen Umständen sogar nicht einmal aus, und die ihrer Koh- lensäure ganz und gar beraubten Pflanzentheile suchen, da die eine Quelle nicht mehr genügt, sie auf was immer für eine Weise zu erhaschen. Hierzu sind aber alle peripheri- schen Pflanzentheile, die mit der Luft in Berührung stehen, ganz geeignet. Die in ihnen enthaltenen Säfte werden ihrer ganz auf dieselbe Weise habhaft, wie ein jedes Wasser, das der Luft ausgesetzt wird, sich mit Kohlensäure schwängert. Die Pflanze empfängt dabei dem Volumen nach oft eben so viel, als ihre ganze Flüssigkeitsmenge beträgt. Wir schen also, dass mit der Ausscheidung von Oxygen zugleich 59 eine Aufnahme von Kohlenstoff stattfindet, und dass beide Prozesse ganz und gar von den chemischen und physikali- schen Vorgängen in der Pflanze und um die Pflanze abhängig sind. Es darf uns daher keineswegs Wunder nehmen, wenn unter veränderten Verhältnissen, wo das Licht nicht einwirkt und alle Prozesse der Assimilation verlangsamen , auch ein ganz anderes, dem ersteren fast entgegengesetztes Resultat zu Tage kommt. Betrachten wir dieselbe Pflanze, die bei Tage Sauerstoff- gas entband und Kohlensäure aus der Luft aufnahm, bei der Nacht. Da die Thätigkeit der Aufnahmsorgane bei hinrei- chender Nahrung zu allen Zeiten fast dieselbe erscheint, die Assimilation und der Verbrauch aber sich vermindert, so kann es nicht anders kommen, als dass Kohlensäure im Pflanzen- safte sich dergestalt anhäuft, dass sie in demselben nicht mehr aufgelöset erhalten werden kann, und wie nur immer Gelegen- heit dazu ist, unverdaut wieder abgegeben wird. Dazu sind nun wieder die peripherischen Pflanzentheile, die mit der Luft in Berührung stehen, am geeignetsten, und dieselben Organe, die bei Tage ein Bedürfniss zur Aufnahme selbst der geringen in der atmosphärischen Luft enthaltenen Kohlensäure zeigen, sind es, die bei Nacht die Abgabe noch viel grösserer Quantitäten derselben vermitteln. Dabei kommt es nun ganz natürlich, dass wegen Mangel des freien Sauer- stoffes in den Pflanzensäften, ein Uebertritt desselben aus der Luft, mit andern Worten eine Absorbtion nothwendig statt- finden muss; doch ist derselbe immerhin nur sehr gering und beträgt nach den hierüber angestellten Versuchen höchstens 60 4.5 Procent bis 6.5 Procent des Volumens der in der ganzen Pflanze enthaltenen Flüssigkeit. Die Ausscheidung der Kohlensäure bei Nacht hält der Aufnahme derselben bei Tage keineswegs das Gleichgewicht. Es wird also immerhin von der Pflanze mehr konsumirt, als an die Atmosphäre zurückgegeben. Diess hat denn die Folge, dass die Luft in den Thälern und auf mässigen Gebirgshöhen, die mit einer reichen Vegetation bedeckt sind, allerdings zeit- weilig etwas ärmer an Kohlensäure ist, als jene höherer Re- gionen, allein hier hilft die Bewegung der Luft sogleich wie- der das gestörte Gleichgewicht in den Bestandtheilen derselben in Ordnung zu bringen. So sehen wir denn, wie selbst unter allen Verhältnissen für das Gedeihen der Pflanze gesorgt ist, wie sie fast überall das, was sie bedarf, findet, und ihre Existenz daher nicht im Mindesten Zufälligkeiten anheimgestellt ist. Obwohl wir noch Laien sind, und uns kaum die allerein- fachsten Prozesse, die bei der Entstehung der Pflanzensub- stanz stattfinden, zu erklären vermögen, so sehen wir doch, wie nichts ohne Gesetze vor sich geht, und die Bildung auch nur Eines Atomes Zucker oder Zellsubstanz von Tausend ein- leitenden Prozessen vorbereitet wird und eben so viele weitere Vorgänge der Lebensthätigkeit der Pflanze zur Folge hat. Wie aus den aufgenommenen kohlensauren Salzen nach und nach oxalsaure, andere pflanzensaure, pektinigsaure Salze, endlich nach anderweitiger Bindung der Basen, Zucker und die verwandten Kohlehydrate daraus gebildet werden können, lässt sich bis jetzt zur Noth noch erklären; aber schon anders ist es mit: den stickstoffhaltigen PfAlanzenbasen und mit den 61 Proteinkörpern selbst, für deren Entstehung wir noch zur Stunde nicht die geringsten Anhaltspunkte besitzen. Das Licht aber, welches ein deutscher Physiolog, M. J. Schleiden, in diese bisher so dunkle, von falschen Vor- aussetzungen wimmelnde Partie der Botanik gebracht hat, die glänzenden Erfolge, die er der Wissenschaft durch die Schärfe seines Verstandes gesichert hat, lässt erwarten, dass die Fin- sterniss von nun an verscheucht ist. Werden es sich die kommenden Pflanzenphysiologen zur Aufgabe machen, Retorte und Phiole selbst in die Hand zu nehmen, und es nicht dem Chemiker überlassen, was er ihnen, nach andern Zwecken trachtend, nebenbei mitgibt, so lässt sich auch für dieses bis- her so sehr in Schatten gestellte Studium eine reichere Ausbeute erwarten, die hinwieder nicht lange brach liegen wird, um das wichtigste Gewerbe, den Ackerbau, zu einer rationellen Kunst zu erheben. — Doch in welche Zukunft führen mich meine schönen Träume! ACHTER BRIEF. GESTALTUNG DER PFLANZE. GRUNDORGANE Mit der Bildung organischer Substanzen aus anorgani- schen Verbindungen der einfachen Stoffe ist für die Pflanze wohl das Gummi, der Zucker, der Zellstoff, das Protein u. s. w. gegeben, allein es fehlt noch sehr viel, dass diesel- ben auch in der Form erscheinen, wie wir sie in der Pflanze als Theile der Zellen wahrnehmen. Die Kraft, die ihnen die bestimmte Form ertheilt, ist jedenfalls von der chemischen Affinitätskraft verschieden und ohne sie näher zu kennen, hat man sie mit dem Namen Bildungstrieb bezeichnet. Dieser ist es nun, welcher die Proteinstoffe zu kugelförmigen Massen zusammenballt, dieser ist es, welcher über sie eine Schichte von Cellulose abscheidet und so den ersten Entwurf der Ge- staltung der Zelle zu Stande bringt. Auch ist es keine an- dere Kraft, als der Bildungstrieb, welcher dies Geschäft un- endliche Male wiederholt und eben dadurch nicht blos die Ausbildung von Zellenkomplexen bedingt, sondern auch für die Vervielfältigung derselben Sorge trägt. Mit einem Worte, der Bildungstrieb, jene zwar in ihren Wirkungen keineswegs, aber in ihrem Wesen bisher bekannte Kraft, der eigentliche 63 Werkmeister der Pflanze ist es, welcher ihr das Dasein gibt, sie erhält und vervielfältiget, und von dem in letzter Instanz ohne Zweifel auch die Verschiedenheit der Form abhängt, in die sich die Idee der Pflanze gekleidet hat und noch fortan kleidet. Wenn wir auch in der Natur manche Vorgänge erblicken, die der Bildung der Elementartheile der Pflanzen ähnlich sind, wie z. B. die Bildung der Krystalle, so ist die Entstehung jener genauer betrachtet, doch himmelweit von dieser ver- schieden und eben darum Zelle und Krystall, Pflanze und Mineral durchaus nicht mit einander zu vergleichen, Doch gehen wir über die Entstehung der Zellen hinaus, so eröffnet doch die Art und Weise ihrer Vereinigung noch so viele Fragen, dass wir gerne länger in diesem zugäng- licheren Gebiete der Forschung verweilen wollen, als in jenen Tiefen, die wir selbst mit der glücklichsten Abstraktion noch kaum zu ergründen im Stande sind. Durchmustern wir die Pflanzen, aus welchen Regionen der Erde, aus welchen Perioden der Schöpfung sie immer kommen mögen, so lässt sich in den so mannigfaltigen Form- unterschieden doch nur eine einzige durchgreifende Grund- verschiedenheit wahrnehmen. Alle Pflanzen ohne Aus- nahme sind entweder nur Zelleinheiten, d.h. sie beste- hen nur aus einer einzigen Zelle oder sie sind Komplexe einer grösseren oder geringeren Anzahl von Zellen. Jene sind einzellige, diese vielzellige Pflanzen. Bei der Vielgestaltigkeit der Zelle lässt sich wohl voraussehen, dass auch einzellige Pflanzen sich sehr mannigfaltig auszubilden im Stande sind, doch wird diese Mannigfaltigkeit immerhin 64 gegen die Reichhaltigkeit zusammengesetzter Formen weit nach- stehen müssen. Da wir bereits aus dem Vorhergehenden wissen, dass die Mehrzelligkeit der Pflanzen nur die Folge der Generations- thätigkeit der ursprünglich Einen Zelle ist, so drängt sich uns zunächst die Frage auf, ob den einzelligen Pflanzen die- ses Vermögen fehl. Wir antworten darauf Ja und Nein. Nein in so ferne, als auch die einzelligen Pflanzen sich fort- zupflanzen vermögen, und Ja in so ferne, als zwischen der Fortpflanzung dieser und jener ein bedeutender Unterschied ist, so dass was jene so zu sagen auf den ersten Streich er- reichen, bei diesen nur durch Reihen von Zeugungen mög- lich ist. Es ist ein tiefsinniger Gedanke, der durch die ganze be- lebte Natur dringt, dass bei der Hinfälligkeit der Einzelwesen, die schon mit ihrer Entstehung gegeben ist, dennoch ihr Bestand in der Zeit dadurch gesichert ist, dass sie mit demselben Ent- wicklungsvermögen ausgerüstete Keime von sich abzustossen vermögen. Nicht blos die Erzeugüng solcher Keime, sondern auch die Abstossung von dem Mutterkörper und ihre Indivi- dualisirung bedingt jenen Vorgang, den man Fortpflanzung zu nennen gewohnt ist. Nur durch die fortwährende Bildung sich sondernder, ablösender und für sich bestehender Zellen bleibt eine Pflanze einzellig; wo das nicht der Fall ist, wo die erzeugten Zellen sich nicht von der Mutterzelle trennen, wo sie sogar aufhören weiter produktiv zu werden (Dauer- zellen), entsteht ein Zellenkomplex. Allein auch in solchen Zellenkomplexen gelingt es, nach Reihen auf einander folgen- der Zellen solche sich ablösende, sich sondernde Zellen, wahre 65 Fortpflanzungszellen hervorzubringen. Die ganze grosse, die Erde umfassende, durch alle Zeiten dringende Pflanzengestal- tung bewegt sich einzig und allein um die frühere oder spä- tere Erreichung dieses Zieles, und die ganze Fluth der Ge- stalten, die tausendfältigen Formen der Gewächse drücken in der That nichts anderes als diese Oscillation zwischen unend- lich weit von einander abstehenden Grenzen aus. Die Er- ringung der Fortpflanzungszelle ist das einzige Bestreben der Pflanze, und wo sie diese nicht rasch erreicht, ist sie genö- thigt die mannigfaltigsten Wege einzuschlagen, die seltsamsten Vorarbeiten ins Werk zu setzen, und so eben das hervorzu- bringen, was wir Pflanze nennen, und das uns in seiner Mannigfaltigkeit so wunderbar anspricht. Es kann hier nicht die Absicht sein, den Bildungstrieb der Pflanzen in allen seinen Phasen zu verfolgen, doch kön- nen wir es nicht ausser Acht lassen, wenigstens das Wesent- liche der Pflanzenformen mit Einem Blicke zu durchspähen. Es ist sehr einflussreich für die Bedeutung der Grund- form des Pflanzenbaues, wenn wir selbst in den einzelligen Pflanzen hie und da eine solche Vertheilung gewisser Bil- dungen wahrnehmen, wie sie bei den meisten Zellenkomplexen erscheinen. Das runde Bläschen der Zelle dehnt sich vorerst nach zwei einander entgegengesetzten Richtungen aus, und wird zu einem der Erde zugekehrten und in die Luft sich verlängernden Schlauch (?'). Die in der Erde vorhandenen Nahrungsstoffe und ihre Gewinnung einerseits, so wie die Hingebung an Luft und Licht für ihre Assimilation anderer- seits, scheinen die vorzüglichsten Momente zu sein, die die Zelle zum auf- und abwärtswachsenden Schlauch, zum Vorbilde Botanische Briefe. 5 66 von Stamm und Wurzel, d. ı. zur Achse be- stimmen. Indess bleibt es dabei nicht stehen. Sowohl von der einen als von der anderen Richtung geht noch ein zweiter Gegensatz aus, gleichsam eine Wiederholung der Achse, — im absteigenden Theile als grössere oder kleinere Aussackungen, — im oberirdischen Theile ebenfalls als Aussackungen, aber von jenen verschieden. Wer erkennt in dieser einfachsten Form, in der die Pflanze so erscheint, nicht alle wesentlichen Organe, die sich selbst im Komplexe von Zellen immer wieder gel- tend zu machen suchen. Eine Achse ist es, die sich vor allen aus den einzelnen Zellenelementen aufzubauen sucht mit dem Bestreben, sich nach den beiden entgegengesetzten En- den zu verlängern, ein lebender Magnet, der an beiden Polen anzieht und abstosst, und sowohl mit der Erde als mit der Luft in einem steten Wechselspiele von Stoffen begriffen ist, durch die er eben nur zu existiren im Stande ist, der nega- tive Pol der Erde, der positive der Luft und dem Lichte zu- gekehrt. Fast nirgends in der Pflanzenwelt bleibt es jedoch bei dieser einfachen Achse. Das Bestreben ihrer Vervielfältigung, — ihrer Entäusserung tritt allenthalben hervor, und so gehen ähnliche Zellenkomplexe aus der primitiven Anreihung als Fig. 21. Eine einzellige Pflanze aus der Klasse der Algen, nämlich Bo- trydium argillaceum "Wallr. — Aus einem runden Bläschen durch Ausdeh- nung nach entgegengesetzten Richtungen entstanden, ist es ein Vorbild der komplizirtesten Pflanzengestalt. 67 sekundäre Achsen hervor, auf der tiefsten Bildungsstufe allerdings noch die Form der primären Achse deutlich wieder- holend, bei weiterer Ausbildung im Pflanzenreiche, von der Achsenform mehr oder minder abweichend. So entstehen auf der einen Seite der Achse jene so mannigfaltig gestalteten Anhangsorgane, die wir Blätter nennen, während nach der andern Seite die ursprüngliche Achsen- oder Cylinderform in den "Ausstrahlungen der Wurzel in wenigen Abänderungen erhalten bleibt. Auf diese Grundform der ausgebildeten Zelle, wie sie in einigen Algen (Botrydium, Valonia, Caulerpa) u. s. w. er- scheint, auf diese Grundform, die sich in den einfachsten Zellenkomplexen zu erkennen gibt, lassen sich alle noch so mannigfaltigen Formen des Gewächsreiches zurückführen, und wenn es auch zuweilen den Anschein hat, als walte nicht das Lineare in der Anordnung der Elementartheile vor, so ist es doch überall versteckt, theils durch das relative Uebergewicht anderer Bildungsrichtungen, theils durch später aufgedrungene mit jenem nicht in ursächlichem Verbande stehender Massen- entwicklung, so dass wir selbst in den ungestaltetsten und in den ausgesprochensten Flächenformen dennoch das ursprüng- lich Lineare nachzuweisen im Stande sind. Wir können daher mit gutem Fug und Recht sagen, die Pflanze sei, entkleidet von allen Zufälliskeiten, der Wesenheit ihrer Form nach nichts anderes als ein System von Ach- sen. Sehr deutlich und in die Augen springend wird dies bei allen nur etwas ausgebildeteren Pflanzen, und von den Mosen bis zu den vollendetsten Pflanzen tritt das Achsige der Pflanzengestalt der Art hervor, dass man dieselben schon 5* 68 längst als Achsenpflanzen bezeichnete und damit den Unter- schied von allen übrigen meist einfacher gebildeten Pflanzen auszudrücken suchte, die man nicht ganz glücklich mit dem Ausdrucke Laubpflanzen (Thallophyta) belegte. NEUNTER BRIEF. DIE PFLANZE ALS BEBLATTERTE ACHSE. Würde sich die Gestaltung der Pflanze auf die Hervor- bringung einer einzigen Achse beschränken, an der sie früher oder später, nach wenigen oder zahlreichen Generationen der Elementartheile endlich zur Ausbildung der Fortpflanzungs- zellen gelangte, so würde ohne Zweifel die grösste Einförmig- keit in der Pflanzenwelt herrschen. Mit der Entäusserung dieser Verschlossenheit, mit dem Hervortreten aus sich selbst ist aber die Produktion neuer Achsen nothwendig gegeben und damit die Möglichkeit der grössten Mannigfaltigkeit. Mit der Erscheinung der sekun- dären Achsen sind die Thore geöffnet, die der entfesselte Bil- dungstrieb nach allen Richtungen und in allen Potenzen ver- folgt. Was uns in der Pflanzenwelt als Gestaltungsverschie- denheit erscheint, die so angenehm auf unsere Sinne als rei- zend für die Einbildungskraft wirkt, es ist in nichts Anderem als zuletzt in der Bildung dieser sekundären Achsen gelegen. Es hat allerdings lange Zeit gebraucht, bis der beobach- tende Verstand, die tiefergehende Urtheilskraft und das einende Kombinationsvermögen sich durch das Labyrinth der zahl- losen Pflanzengestalten Bahn gebrochen, und das unendlich Mannigfaltige der Gestaltung, das das Auffassungsvermögen 70 fast zu erdrücken suchte, in einige wenige leicht fassliche Formen zu vereinigen vermochte. Jetzt, da dies Riesenwerk geschehen, ist es uns ein Leichtes, selbst in den fremdartig- sten und abenteuerlichsten Gestaltungen das ursprünglich Eine Bildungsgesetz zu erkennen. Mit dieser Zauberformel durch- wandern wir nicht blos die Wiesen und Wälder der Heimath, sondern jeden Riesenwuchs so wie die Pygmäen-Kolonien des Gewächsreiches in welchen Ländern, in welchen Höhen oder Tiefen sie immer auftreten mögen, ohne besorgen zu müssen, auf irgend etwas Unfassliches stossen zu können. Spielen nun wirklich die Anhangstheile der Achse eine so wichtige Rolle, so ist es sicher der Mühe werth, ihren Einfluss auf die Gestaltung etwas näher zu beleuchten. Wir bewerkstelli- gen dies aber, indem wir nicht blos die Veränderlichkeit ihrer Gestalt und Beschaffenheit im Allgemeinen, sondern eben so auch die Succession ihrer Erscheinungen in eine nähere Unter- suchung ziehen. Beides wollen wir abgesondert thun. Was zuerst die Gestaltung der sekundären Achsen be- trifft, die in den einfachen Zellenkomplexen sich weniger von der Form der primären Achsen unterscheiden, so ist das bei höheren Pflanzen ganz anders; der Formenreichthum, der hier erscheint, hat fast gar keine Grenzen, die Abänderungen, welche das Blattorgan von der ursprünglich cylindrischen Form erleidet, ist hier in das Mannigfaltigste ausgewirkt. Bei allen dem ist es jedoch die Flächenform, welche nach und nach so die Oberhand gewinnt, dass man sich jedes Blatt fast nur unter dieser Form vorstellt. Die einfache conisch- eylindrische Pflanzenachse wird in der Regel dadurch eine beblätterte Achse. Dieser Ausdruck für die etwas vol- 7 lendetere Pflanzengestalt kann füglich als der allgemeinste, als der umfassendste betrachtet werden. Alles was daher an der Achse erscheint, ist nur Blatt. Im Blatte erschöpft sich die ganze Gestaltung, im Blatte ist aber eben desshalb auch der grösste Formenreichthum der Pflanzenwelt enthalten. Ueber die Blattbildung an der Achse gibt es nichts mehr, und was die Pflanze in dieser nicht erreicht, ist jedenfalls für sie un- erreichbar. So grosse Mannigfaltigkeit wir daher auch an der Achse wahrnehmen, es ist nicht sie, sondern nur das Blatt, die es hervorbringt. Wollen Sie, meine Leser, um sich in diesem Irrgarten der Blattschöpfungen, wie Ihnen das Blattwerk erscheinen mag, zurecht zu finden, an meiner Hand vorerst einen Um- weg machen, um das Ganze einmal von Aussen zu übersehen, und erst dann in denselben eintreten. Ein glücklicher Gedanke unseres grossen Dichterfürsten war es, der, um sich in der so mannigfaltigen Pflanzenge- staltung zu orientiren, ebenfalls nicht in die endlosen ver- schlungenen Irrgänge trat, sondern dieselben sich einmal von Aussen besah. . Dadurch erschien ihm alles ganz anders, — das Wesentlich seheinende wurde zufällig, das Zufällige we- 'sentlich, kurz er erblickte den Wald, während man ihn der Bäume wegen früher nicht sehen konnte. In allen höheren Pflanzen wurden Kraut, Blüthe und Frucht als wesentlich verschiedene Theile betrachtet. Goethe sah zuerst in der Blüthe und in der Frucht das Kraut wie- derkehren, so, dass es also nach dieser Anschauungsweise eine wesentliche Verschiedenheit in diesen drei Hauptstücken des Pflanzenleibes nicht gibt. Fig. 22. (Ideale Pflanze). 72 Fassen wir die Sache etwas geläuterter auf, so ist es aller- dings das Blatt, was in seiner proteusartigen Verwandlungsfä- higkeit, in dem Vermögen sich nach und nach anders zu gestal- ten, erst die unteren dann die obe- ren Theile der Achse einnimmt, endlich an der Spitze zur Blüthen- und Fruchtbildungzusammentritt. Die Theile der Blüthe sowohl, als jene der Frucht sind fürwahrnichts anders als Wirteln von Blättern — von Blättern, die sowohl in . ihrer Beschaffenheit als in ihrer Stellung und Vereinigung sich zwar von den übrigen Blättern unterscheiden, jedoch nicht in an- derer Weise, als etwa in einer gradweisen Verschiedenheit, so dass durch alle Blattformen hin- durch ein stetiger Fortschritt zu bemerken ist. Diese Anschauungs- weise der Pflanze musste für die Erkenntniss der Gestaltung von wesentlichem Einflusse sein. Nicht das Mannigfaltige ist es, was hier- bei in den Vordergrund tritt, son- dern das Einheitliche im Mannig- faltigen (*?). 73 Um dieses recht einzusehen, lassen Sie uns bis auf die Entstehung der Blätter zurückgehen. Alle Anlagen von Blättern gehen bald nach der Bildung der Achsenspitze vor sich und folgen ihr fortwährend, so zu sagen, auf dem Fusse nach. Hier treten sie, so wie sich die- selbe verlängert, nach einander seitlich hervor, verlängern sich wie der Stamm an der Spitze, bis sie ihrer Anlage nach fer- tig gebildet sind, und dehnen sich erst hernach in umgekehr- ter Richtung von dem freien Ende gegen den Grund hin aus. Blätter und Achse unterscheiden sich hiernach wesentlich schlechterdings nicht von einander als etwa dadurch, dass bei jenen das Wachsthum begrenzt, bei diesen hingegen un- begrenzt ist. Die ganze Mannigfaltigkeit der Blattformen hängt von der Energie und von den verschiedenen Richtungen ab, wodurch die Zellenmassen erzeugt und vertheilt werden. So lange die Blätter ganz jung sind, sind sie ohne alle Ausnahme einander gleich; ihre Verschiedenheit bildet sich erst in Folge des Wachsthumes und der Zunahme ihrer Masse. Die jungen Blätter der Blüthe und der Frucht sehen ganz so aus wie die Blätter des Stammes; wir sind daher berechtigt, zwischen den Blättern des Stammes und jenen der Blüthe und der Frucht, und somit auch zwischen diesen Regionen der Achse keinen wesentlichen Unterschied zu setzen. Indess ist nicht zu leugnen, dass bei ihrer vollständigen Ausbildung sich graduelle Unterschiede zu erkennen geben. Diese Unterschiede treten oft mehr, oft minder deutlich schon von Blatt zu Blatt ein, auffallender aber erst nach grösseren Absätzen und nach umfassenderen Umschwüngen. In dieser Beziehung gleicht die Pflanze einem aus kleineren LE: und grösseren Abtheilungen über einander gestellten Baue, der bei gleichbleibendem Charakter zwar eine stetige Ver- schönerung und Veredlung der höheren Stockwerke erkennen lässt, nichts desto weniger aber sowohl in der äusseren Form als in der inneren Einrichtung solche Eigenthümlichkeiten zeigt, die auf eine verschiedene Benützung und auf ein schär- feres Geschiedensein der Theile hinwiesen. Gewisse Blattbil- dungen zeigen auch im Pflanzenbau schon äusserlich die die aufeinander folgenden Stockwerke trennenden Gurtgesimse und andere Vorsprünge des Mauerwerks, und eben so offenbart sich im Innern in der Form und im Inhalte der Zellenele- mente ein nicht verkennbarer Unterschied solcher mit der Aussenseite korrespondirender Abtheilungen. Ja man darf sa- gen, erst mit den Blattbildungen und ihrer gegenseitigen Auf- einanderfolge tritt die Aehnlichkeit der Pflanze mit einem Bauwerke deutlich hervor, während die zwischen den Blatt- bildungen fallenden Achsentheile (Interfoliartheile) in ihrer Einfachheit kaum einen in so schöner und geschlossener Folge ausgeführten Aufbau möglich machten. ZEHNTER BRIEF. BLATTFORMATIONEN. Nach dem Vorausgehenden ist es nun das erste, diese Stockwerke des Pflanzenbaues nachzuweisen, ihre Eigenthün- lichkeiten zu bezeichnen und die architektonische Verbindung unter einander gehörig zu berücksichtigen. Soll die Lösung dieser Aufgabe möglich sein, so ist es nothwendig, die ursprüngliche Einheit aller Blattorgane wie- der aufzuheben und dieselben mehr in ihrem verschiedenen Charakter aufzufassen, hiebei aber das offenbar zusammenge- hörige Gleichartige unter einen Gesichtspunkt und unter einen Ausdruck zu bringen. Indem wir auf diese Weise die Blatt- bildungen am Stamme oder an der Achse durchgehen, stellen sich uns sieben solcher grösserer, die Einzelheiten zusam- menfassender Formationen dar. Ich spreche hier nur von den vollendeteren Pflanzen und lasse die weniger ausgebildeten bei Seite, wo sich die Blatt- formationen sicher auf eine geringere Zahl erheben. Diese Blattformationen sind: 1) die Formation der Niederblätter, 2) die Formation der Laubblätter, 3) die Formation der Hoch- blätter, 4) die Formation der Kelchblätter, 5) die Formation der Blumenblätter, 6) die Formation der Staubblätter, und endlich 7) die Formation der Fruchtblätter. 76 Wie der Geognost einen Komplex von Schichten mancherlei Natur als zu einer Formation gehörig bezeichnet, so ferne sie organische Einschlüsse einerlei Charakters, welche Einen grossen Umschwung im Leben des Planeten ausdrücken, ent- halten, so betrachten wir hier unter derselben Bezeichnung eine Reihe ähnlicher Blattformen als ein zusammengehöriges Ganzes, indem wir hierin ebenfalls Einen grösseren Um- schwung in der Bildungsrichtung der Pflanze — die Vollen- dung eines Stockwerkes erkennen. Es dürfte für meine Leser nicht ohne Interesse sein, wenn sie mir von Formation zu Formation, oder von Stockwerk zu Stockwerk folgen wollten, wobei ich mich anheischig mache, Ihnen wie ein unterrichteter Führer Auskunft auf Ihre Fra- gen zu geben, Sie auf Dieses oder Jenes aufmerksam zu ma- chen, und Ihnen überhaupt bei Betrachtung dieses Gegen- standes an die Hand zu gehen. Indess muss ich gestehen, dass ich gerade in diesem Punkte selbst Lehrling bin, und dass ich nur des Meisters Worte wiedergebe, eines Meisters, dessen Namen Sie später erfahren sollen. Zur Formation der Niederblätter, die das unterste Stock- werk einnehmen, gehören alle Schuppen- und Scheidenblätter (Fig. 23 Form. 1I.). Eine breite Basis, geringe Höhe und eine meist streifige Berippung zeichnet sie ihrer Form nach, eine häufig fleischige, knorpelige oder lederartige Konsistenz, so wie eine fahle, gelbliche oder dunkle Farbe ihrer Beschaffen- heit nach aus. Alle diese Eigenschaften geben zu erkennen, dass diese Blätter der Luft und dem Lichte ganz oder theil- weise entzogen sind und gleichsam auf der tiefsten Stufe, der ursprünglichen Form am nächsten stehend, geblieben sind. Sie bezeichnen so recht eigentlich das Souterrain des Pflan- zenbaues, d. i. jenen Theil der Achse, der häufig, obgleich nach aufwärts strebend, in der Erde verborgen liegt, und der Pflanze gleich der Wurzel zur Befestigung dient. Diese Grund- feste der Pflanze ist häufig mit der Wurzel verwechselt wor- den, woran aber hauptsächlich nur die Lage und die auf- fallendere Verschiedenheit von den oberen Stockwerken die Schuld ist. Alle Rhizome, unterirdische Knospen, wie z. B. die Zwiebeln, Knollen u. s. w., selbst noch einige oberirdische ähnliche Stammtheile gehören hieher, nicht selten sind diese auch noch überdies sehr verkürzt, so dass die Niederblätter gedrängt und sich gegenseitig deckend erscheinen. Die zweite Formation ist die der Laubblätter (Fig. 23 Form. U.). Hier sind wir eigentlich erst im Rez-de-chaussee, oder im ersten Stockwerke, einem in seiner Ausdehnung meist sehr umfangsreichen Baue, besonders durch die Mannigfaltig- keit der Blattbildungen ausgezeichnet, die man eigentlich als Blätter bezeichnet. Stärkere Längenentwicklung bei wenig breiter Basis, Verbreiterung am oberen, Zusammenziehung am unteren Ende, eine mehr membranöse Beschaffenheit und grüne Farbe charakterisiren sie. Ueberdies erfolgt durch Thei- lung nach der Länge und Breite hier noch ein solcher Ge- staltreichthum, wie wir ihn fast nirgends wieder finden. Die Theilung der Länge nach gibt Veranlassung zur Entstehung von Mittelblatt und Seiten- oder Nebenblätter, die Theilung nach der Quere zur Bildung der mannigfaltig eingeschnittenen und zusammengesetzten Blattformen. Auch die Berippung zeigt sich der äusseren Form entsprechend als sehr mannig- faltig. Dieses Blattwerk VII. Fruchtblatt- beginnt gleichfalls formation. 2 ni mit sehr einfachen VI. Staubblatt- formation Formen (Cotyledo- V. Blumenblatt- nen), die sich zu- formation weilen kaum von den IV. Kelchblatt- “ Fe formation _ Niederblättern unter- scheiden, erreicht aber bald eine be- III. Hochblatt- x formation deutende Entwick- lung, und geht all- mählig in die nächst- folgende Formation über. Ein grosser . Laubblattfor- . II Laubblattfor- "Tyej] selbst vollkom- mation % mener Pflanzen be- ginnt seinen Bau mit diesem Stockwerke; esfehltihnen dasSou- terrain, aber der Bau I. Niederblattfor- FREE wird dadurch keines- wegs minder haltbar, minder gefällig oder Fig. 23. Ideale Darstel- lung einer vollkomme- nen Pflanze in ihren wesentlichsten Theilen. Die einzelnen Regio- nen der beblätterten Achse in sieben For- mationen gesondert, die obersten sogar künstlich aus einander gezogen. 79 weniger imposant, ja man möchte fast sagen, dass es zur Gross- artigkeit desselben gehöre, unmittelbar mit diesem Stockwerke zu beginnen, und die Befestigung des Grundes der abstei- genden Achse, d. i. der Wurzel, zu überlassen. Es folgt hierauf die Formation der Hochblätter (Fig. 23 III), wie schon der Name besagt ein von den vorigen ge- tragenes erhöhtes Stockwerk. Die Blätter dieser Formation nähern sich in ihrer Form und Beschaffenheit einigermassen wieder den Niederblättern, indem sowohl die Stiele und die Sprei- tenbildung als die grüne Farbe mehr oder weniger verschwin- den, aber sie unterscheiden sich von denselben durch die schmale Basis und durch den zarteren Bau, der sich nicht wenig der folgenden Formation nähert. Die Hüllblätter, Brac- teen und Bracteolen, Spelzen und Spreublätter gehören hier- her. Sie sind eben durch ihre Kleinheit, zuweilen sogar durch ihre Unscheinbarkeit wenig auffallend, haben aber für den Gesammtbau der Pflanze keinen geringen Einfluss, indem sie den Aufbau des folgenden Stockwerkes vermitteln und so ge- wisser Massen die Harmonie zwischen den unteren und obe- ren Theilen des Pflanzenbaues herstellen. Mit der Formation der Kelchblätter (Fig. 23 IV), tritt der mächtigste Unterschied in den Blattformationen ein. Das Blatt erscheint sowohl seiner Form als seiner Stel- lung nach völlig verändert. Obgleich in seiner Substanz der Regel nach den Laubblättern ähnlich, verkleinert es sich doch bedeutend und macht vielleicht eben dadurch eine Annäherung an gleichartige Blätter möglich, die nunmehr in kaum mess- baren vertikalen Abständen auf einander folgen, und daher ihr Zusammengehören deutlicher beurkunden, als dies in den so vorhergehenden Blattformationen der Fall ist. Mit den Kelch- blättern beginnt der grösste Gegensatz in der Pflanzenachse, nämlich der Blüthe und des Krautes, da die Frucht der Blüthe meist untergeordnet erscheint, und auf die Facade des Baues weniger Einfluss nimmt. Die Kelchblätter sind massiger, derber und grüner als die Hochblätter, haben wieder eine breitere Basis, keine oder nur eine geringe Verbreiterung oder Spreite und keinen Stiel, eben so wenig eine Theilung und zeigen dadurch auffallend einen Rückschritt, eine Schwankung, wie dies auch innerhalb der Glieder einer Formation vorkommt. — Einen desto entschiedeneren Fortschritt offenbart die fol- sende Formation der Blumenblätter (Fig. 23 V.). Zartheit des Gewebes, Reinheit und Manmnigfaltigkeit der Farben zeichnen sie vor allen aus. Die Blumenblätter, eben so gedrängt wie die Kelchblätter an einanderstehend, bilden das, was man Blumenkrone genannt hat, wahrhaftig das Preis- würdigste, wo Zartheit und Schönheit herrschen sollen. Neh- met der Blüthe die Blumenkrone und sie sinkt zum unbeachte- ten Kraute herunter, gebt ihr Reichthum und Farbenschmelz und der Liebesgott zieht in sein Gemach ein. | Die Kunst der Gärtnerei besteht einzig und allein in der Erweiterung und Ausschmückung dieses Liebestempels. Die Blumenblätter sind in der Regel länger als die Kelch- blätter, aber an der Basis schmäler, zeigen meist eine starke Spreitung, aber keine entschiedene Stielbildung. Durch strah- lige, gablige und fiederspaltige Theilung erlangen sie eine grosse Formverschiedenheit, eben so durch Eindrücke, Aus- wüchse, Verdoppelungen der Fläche u. dgl., wodurch die so- sı genannten Nebenkronen entstehen. Die beiden Blattformatio- nen des Kelches und der Blumenkrone sind indess nicht im- mer scharf von einander geschieden, sondern zeigen Ueber- gänge, so dass Blumenkronen Kelchen, und umgekehrt Kelche Blumenkronen ähnlich werden. Allein was viel häufiger ge- schieht, ist die gänzliche oder doch bis auf ein Minimum er- folgte Unterdrückung der einen oder der andern Formation oder die Verschmelzung beider zu einer einzigen; dieser letz- tere Fall tritt namentlich in einer grossen Abtheilung der Ge- wächse als Regel auf, und die so zwischen Kelch und Blu- menkrone schwankende Formation wird Decke (Perigonium) genannt. Auf die Blumenkrone folgt nun die Formation der Staub- blätter (Fig. 23 VL), dem Anschein nach ein nicht ganz passend gewählter Ausdruck, da das Blattartige hier gänzlich verschwindet und nur noch der Bedeutung nach zu bestehen fortfährt. Die Staubblätter sind die kleinsten und sonderbarsten Blätter der Blüthe mit entschiedener Stielbildung (Staubfaden) und geringer Spreite, welche zu beutelartigen Anschwellungen der Seitenhälften wird (Staubbeutel). Nur in wenigen Fällen tritt das Blattartige mehr in den Vordergrund, aber dann meist auf Kosten der Bildung der Staubbeutel. Die sogenann- ten gefüllten Blumen, eine Missbildung der Staubblätter, die ihnen das volle Aussehen der Blumenblätter ertheilt, sprechen auffallend hiefür. Wer kennt nicht gefüllte Rosen, Nelken, Ranunkeln u. s. w., deren Vermehrung der Blumenblätter ausschliesslich nur von der Verwandlung der Staubblätter in Blumenblätter abhängt. Botanische Briefe. 6 82 Während die Blätter aller übrigen Formationen einen Be- stand haben, und bei dem Aufbaue der Pflanze so wenig als die vermittelnde Achse eine vorübergehende Erscheinung sind, ist dies bei den Staubblättern umgekehrt als Regel zu betrach- ten. Ihre Existenz ist sehr hinfällig und von der rascheren oder minder schnellen Ausbildung der Staubbeutel abhängig. Dies deutet aber darauf hin, dass in den Staubblättern und namentlich in den Staubbeuteln mit ihrer Ausbildung auch das Ziel der Pflanze wenigstens nach dieser Richtung hin er- reicht sein müsse. Endlich als oberstes Stockwerk der Pflanze erscheint noch eine Blattformation, die der Fruchtblätter (Fig. 23 VII). Auch hier ist das Blattartige weniger in die Augen fallend und zwar meist darum, weil die einzelnen Blätter dieser For- mation gedrängter als alle übrigen beisammen stehen, in der Regel sogar unter sich verwachsen und eine Höhle bilden, in welcher die Achse erschöpft durch die vielfältigen Aus- strablungen ihr Ende erreicht. Die Fruchtblätter sind wieder grösser, mächtiger und grüner als die vorhergehenden Blätter der Blüthe, entspringen aus schmaler Basis, erweitern sich aber sogleich, während der obere Theil sich stielartig zum Griffel zusammenzieht. Diese Blätter haben eine grössere Dauer als alle übrigen und ent- wickeln sich noch wenn diese meist abgestorben sind. Sie sind es, die mit ihrem Einschlusse anfänglich das bilden, was man Fruchtknoten nennt, aus welchem sich in der Folge die Frucht entwickelt. Was über die Fruchtblätter hinaus noch an der Achse erscheint, gehört nur den letzten Ausstrahlungen oder viel- aD} mehr der Auflösung der Achse selbst an; — es sind die Sa- menknospen, an welchen weder bestimmte Achsen noch Blatt- theile mehr nachgewiesen werden können und daher dem mor- phologischen Individuum der Pflanze kaum mehr angehören. Auf diese Weise hat mit dem Stockwerke der Frucht- blätter die Achse und damit die Ausbildung der Pflanze ihr Ende erreicht. Wie sie dabei auch ihr Ziel gefunden, soll eine der nachfolgenden Betrachtungen näher auseinander setzen. 6* EILFTER BRIEF. ARCHITEKTONIK. PHYLLOTAXIS Die Betrachtung des Pflanzenbaues im Ganzen nach den grösseren in die Augen fallenden Abschnitten, nach den Stock- werken, führt nothwendig auf eine Untersuchung der Einzel- heiten und kleineren Abtheilungen, wodurch der gesammte Aufbau zu Stande kommt, so wie der Massverhältnisse, die hiebei nothwendig stattfinden müssen. Es gehört diese Be- trachtung so eigentlich in das Gebiet der Architektur, dass wir nicht umhin können, unsere Anschauungsweise den in derselben geltenden Gesetzen anzupassen. Erst dadurch wird es klar, wie auch in der Pflanzenwelt gleich der übrigen Natur bestimmte Verhältnisse und ein unabänderliches Mass herrscht, von dem alle Erscheinungen, namentlich die Bil- dung und Gestaltung, abhängig sind. Baut die Pflanze, wie wir früher erfahren haben, ihren Leib aus eigenen Mitteln, nach selbstentworfenem Plane, so steht es wohl zu erwarten, dass sie ihn ebenso nach den Gesetzen der Stabilität wie nach jenen der Architektonik auszuführen im Stande ist. Wenn unser Blick hierbei auch noch nicht in die ganze Tiefe der dabei herrschenden Gesetzmässigkeit gedrungen ist, so ist es uns doch nicht verborgen geblieben, wie Winkelmass s5 und Senkblei auch bei der Konstruktion des Pflanzenbaues ihre Anwendung fanden. Lassen Sie mich die Auffassung dieser geometrischen Ver- hältnisse mit den einfachsten Wahrnehmungen beginnen. Zuerst fällt in die Augen, wir mögen was immer für eine Pflanze als Gegenstand unserer Betrachtung wählen, dass die hier herrschende Symmetrie in der Anordnung der einzel- nen Theile von der Symmetrie der meisten Bauwerke dadurch abweicht, dass sie nicht von einzelnen vorherrschenden Rich- tungen abhängig gemacht, sondern nach allen Seiten in gleich- mässiger Entwicklung durchgeführt wird. Dadurch unterschei- det sich der Pflanzenbau sehr auffallend von dem Baue des Thierkörpers, wenige Ausnahmen abgerechnet, in welchen stets Gegensätze von rechts und links, vorn und hinten u. s. w. hervortreten. Die Pflanze hat kein rechts und links, kein vorn und hinten, und wenn dies ja zuweilen in der Zwei- zeiligkeit der Anordnung ihrer Anhangstheile und selbst der Achse erscheint, so ist dies immer nur sehr beschränkt und von der herrschenden Anordnungsweise abgeleitet. Eine gleich- mässige Anordnung der Theile nach allen Seiten nennen wir konzentrisch und eine solche konzentrische Anord- nung ist es, welche durchgängig im Baue der Pflanze, na- mentlich ihrer Achse und in den Ausstrahlungen derselben, den Blättern, ersichtlich ist. Wir können daher die Pflanze in dieser Beziehung weder mit einem Palaste noch mit einem andern kubischen, parallelepipedischen oder pyramidalen, son- dern einzig und allein mit einem runden, nach allen Seiten gleichen Bauwerke, mit einem Tempelgebäude oder Thurme vergleichen. Die in grösseren Abständen aufeinander folgen- 56 den Stockwerke haben wir bereits kennen gelernt. Wir sind nun daran, dieselben in ihren Einzelheiten, ihrer Detailaus- führung noch näher zu betrachten. Schon ein flüchtiger Blick zeigt uns, dass nicht blos ein oder das andere Stockwerk, wie etwa der Kelch, die Blumen- krone u. s. w., sich einer besonderen Regelmässigkeit in der Anordnung der Blätter erfreut, sondern dass dies eben so zu- weilen in der Region der Nieder-, Mittel- und Hochblätter der Fall ist. Ein kleinerer Umfang und eine etwas gedräng- tere Stellung derselben offenbaren nur zu häufig eine eben solche Symmetrie, wie sie in der Blüthe in der Regel statt- findet. Wir können demnach nicht umhin, auch den unteren Regionen dieselbe Regelmässigkeit zuzuschreiben. Als man die Pflanzengestalt noch als ein Ergebniss von Zufälligkeiten aller Art, oder doch wenigstens als ein uner- klärliches Zusammenwirken der verschiedenartigsten Bildungs- richtungen ansah, war begreiflicher Weise nicht daran zu den- ken, in den Elementen der Blätter, die den wirksamsten Aus- druck der Gestaltungs- Verschiedenheit enthalten, und in ihrer Aufeinanderfolge irgend ein bestimmtes Mass zu verkennen. Der Scharfblick Karl Schimpers hat zuerst den Zauber gelöst, das Fell von den Augen gezogen, das unsere Betrachtung bisher befangen hatte, und die Anordnung der Blätter am Stengel wie in der Blüthe stellte sich von selbst als ein einfaches Gesetz dar, zu dessen Formulirung es wenig mehr bedurfte. Zuerst ergab sich die Wahrheit, dass die meisten Blatt- formationen nicht aus einer Folge unordentlich von einander abstehender Blätter gebildet seien, sondern, dass wenn auch 87 minder in den vertikalen, so doch immer und unabänderlich in den horizontalen Abständen ein bestimmtes Mass herrsche, dass ferner dieses Mass zwar nicht durchaus dasselbe, aber doch erst nach einer bestimmten Reihe von Sätzen einer Ab- änderung fähig sei, und endlich, was das Wichtigste und die Einheit des Gesetzes Verbürgende ist, dass die Abänderungen des Masses unter sich wieder in einem gewissen Verhältnisse stehen. Mit unendlicher Mühe sind diese Gesetze durch Ab- straktion aus einer ungeheuren Menge von Thatsachen, welche die verschiedensten Pflanzenformen darboten, nachgewiesen worden, und gegenwärtig zweifeln wir nicht mehr, dass in der Anordnung selbst der kleinsten Blätter in den verschie- densten Regionen oder Formationen dieselben Gesetze zum Vorschein kommen. Lassen Sie uns diese Gesetze einer aus- führlicheren Betrachtung unterziehen. — Der deutlichste und augenfälligste Schritt, den die Pflanze im Aufbau ihres thurmförmigen Mauerwerkes thut, ist un- streitig das Hervorschieben eines Blattes. Das Blatt ist die Stufe, auf die sie im Fortschritt zur Erreichung ihres Zieles hintritt, und von dem aus sie sofort Stufe um Stufe hervor- schiebend weiter eilt. Dass die Stufen einander nicht gleich sind, sehen wir, dass aber nach mehreren unmittelbar auf einander folgenden Stufen ein Ruhepunkt — ein Absatz er- folgt, und sich auf solche Weise Stufenreihen über Stu- fenreihen bilden, ist minder deutlich zu erkennen und be- durfte viele Beobachtungen, um es als durchgreifendes Gesetz zu erkennen. Wo Reihen von Stufen wie im Grashalm und in vielen andern Stengeln durch Knoten von einander getrennt sind, springt es in die Augen; allein so verhält es sich nicht ss immer und diese Absätze sind oft sehr versteckt und fast wie kontinuirliche Stufenfolgen. Höchst merkwürdig aber dabei ist, dass diese Absätze zuweilen schon nach Einer, öfters Fig. 24 a. nach 2, 3, 5, 8, 13, 21, zuweilen sogar erst nach 34, 55, 89, 144, 233 und 377 Stufen erfolgen. Die Stufen, je zahlreicher in einem Absatze, sind gewöhnlich auch um so niederer, aber Fig. 24 a. Eine Pflanze von Echinopsis multiplex Zucc. in natürlicher Grösse von der Seite gesehen. Die Stacheln sind von den Knospenpolstern ent- fernt, um diese so wie die Rippen, an deren Kanten sie stehen, besser zu sehen. Die Stellung der Knospenpolster, oder was dasselbe ist, die hier unterdrückten Blätter ist nach ®%,, Ordnung, d. i. die in aufsteigen- der Richtung auf einander folgenden Knospenpolster sind so geordnet, dass der 14. genau über den 1., der 15. über den 2., der 16. über den 3. u.8.f. zu stehen kommt. Verbindet man in der beigefügten horizontalen Projection Fig. 24 b die äussersten Zahlen 1. 2, 3, 4 u.s. f. durch eine Linie, zugleich um so breiter, so dass man nur bei einer und zwei Stufen den Absatz mit Einem Umgang um die Achse erreicht, in allen übrigen Fällen 2, 3, 5, 8, 13 u. s. w. Umgänge da- zu bedarf, was da- her für die Breite der Stufen ein ganz bestimmtes archi- tektonisches Mass gibt, das wir am einfachsten durch "> Va; er Yes 5 8/ 13 /3» Tı3> oj U. s. w. ausdrücken können. DieKupst- sprache hat diese Absätze mit dem Ausdrucke Blatt- kreise od. Blatt- cykeln bezeich- Fig. 24 b I 8 NA DE net, und es durch horizontale Projektionen macht, dass der Fortschritt von Blatt zu Blatt in jeder Pflanze und in jedem Pflanzentheile ohne Ausnahme in einer Spirallinie erfolge (?*). Haben die Blätter zahlreiche Blatteykeln, überdies geringe vertikale Abstände, so ergeben sich zwar für den äusse- ZI 7% 2 ZI22 N N 31 % sehr anschaulich ge- so erhält man dadurch eine Spirallinie, welche man die Grundspirale nennt. Sie ist jedoch nicht jene Linie, welche bei Betrachtuug dieser Pflanze leicht auffällt. Ungleich mehr in die Augen fallend sind viel- mehr die Linien, welche einerseits die Zahlen 4. 9. 1. 6. 11. 3. 8. 13. 5. 10.2 u. s. f., oder anderseits die Zahlen 6. 1. 9. 4. 12.7.2. u. f. verbinden, und abgeleitete Spiralen genannt werden. Erstere ist die minder steil ansteigende, letztere die steilere der beiden. ’” ren Anschein spiralige Anreihungen, allein diese sind es nicht, von welchen hier die Rede ist, indem jene Spirallinie viel ver- steckter erscheint. Während man diese als die einzig rich- tige Stufenfolge in der Blattstellung mit dem Namen Grund- spirale bezeichnet, können die anderen füglich abgeleitete oder sekundäre Spiralen genannt werden. Schreitet nun der Aufbau nach dieser oder jener Stufen- folge, die sich am einfachsten mit obigen Reihen von Brüchen ausdrücken lässt, vorwärts, so bleibt es keineswegs immer dabei stehen. In jeder Blattformation aus einem oder meh- reren dergleichen Absätzen oder Blattzykeln bestehend, kann ein Umschlagen von einem Mass in ein anderes erfolgen. Mehrere nach °/, Stellung auf einander folgende Blattzykeln können in %,, und '%,, Stellung, aber auch in minder kom- plizirte, namentlich in %, und °, Stellung übergehen. Ohne Zweifel hängt diese Umsetzung nicht blos von der spezifischen Eigenthümlichkeit des Bildungstriebes, sondern häufig von der Energie desselben ab, dem auch die grösseren oder kleineren vertikalen Abstände und die dadurch entstehenden Interfoliar- theile des Stengels, mit ihrer zwar im Allgemeinen aber nicht im Speziellen bestimmten Mensur zugeschrieben werden müssen. Welcher Reichthum in der Architektonik des Pflanzen- baues herrscht, geht sowohl durch jene Gesetze als durch diese mehr zufälligen Modalitäten hervor! und darf es uns wundern, wenn wir selbst bei ähnlichen und gleichen Blattformen die grösste Mannigfaltigskeit in der Aeusserlichkeit, im Habitus der Pflanze wahrnehmen. Wahrhaftig, hierin gleicht die Pflanze einem Proteus, der sich aus einer Gestalt in die andere um- 91 wandelt, ohne dass man es gewahr wird, wie er seine Zauber- jacke an- und auszieht. Ist die Verwandlung von Absatz zu Absatz eine mehr versteckte, so tritt sie beim Uebergang einer Blattformation in die andere um so deutlicher hervor, und bewirkt eben da- durch einen schärferen Abschnitt, als er sonst durch die Form und Beschaffenheit der Blattelemente hervorgebracht werden konnte. Mit Einem Worte, die Stockwerke der Pflanze schei- ‘den sich dadurch auch äusserlich, und so ändert sich denn über jedem Gesimse die Architektonik, ohne eben eine Aen- derung des Styles zu bewirken. Weniger auffallend ist dies in den unteren Stockwerken, bei weitem in die Augen sprin- gender in den oberen zu verfolgen. Auf einfache Blattstel- lungsverhältnisse in den Niederblättern und Laubblättern tritt oft in den Hochblättern die zusammengesetzteste Ordnung ein, wie das z. B. bei den Kompositen, Dipsaceen, Protea- ceen, Piperaceen, Aroideen u. s. w. der Fall ist. Den grössten Abschnitt bildet jedoch immerhin der Ueber- gang des krautartigen Theiles in die Blüthe; die komplicirtesten Verhältnisse lösen sich hier in die einfachsten Grundrisse auf, und so zeichnet sich sowohl die Kelch-, Blumenkrone -, Staub- blätter- so wie die Fruchtblätter-Formation durch die Ein- fachheit der Ordnung aus, in der ihre Elemente an einander gereiht sind (?°). Nur tritt hier noch eine Eigenthümlichkeit hinzu, die wir in den unteren Blattformationen selten gewahr werden, — ich meine die sogenannte Wirtelstellung. Aller- dings kommen in der eigentlichen Blattregion ebenfalls Wir- telstellungen und zwar Wirtel zu 2, zu 3, zu 4 und 5 und mehr Blätter vor. Die einfache Gegenstellung der Blätter, 92 die Gegenstellung und Kreuzung zugleich bringen 2- und 4-blätte- rige Wirtel hervor; bei allen kann dies aber nur durch die auf das Minimum reduzirten vertikalen Ab- stände hervorgebracht werden, wo- durch statt einer Aufwärtsbewegung eine spiralige Bewegung in dersel- ben Ebene zu Stande kommt. Diese Niederdrückung der Spi- rale in der Blattfolge ist von der Formation der Kelchblätter an, als Regel anzusehen, daher erscheinen alle auf einander folgenden Blatt-. formationen wie eng an einander schliessende Blattkreise, und das Ganze erhält dadurch einen ganz eigenthümlichen Ausdruck. Kommt nun noch hinzu, dass die Zahl der einzelnen Blatteykeln eine sehr geringe ist, und über 2 und 3 selten hinausgeht, so erhalten die oberen Stockwerke der Pflanze dadurch ein von den unteren ganz verschiedenes Aussehen. Nur das durch alles hindurchgrei- fende Gesetz der Blattfolge verbindet den oberen Theil mit dem unteren und lässt in ihm nur eine weitere Ausführung, eine Veredlung des Unterbaues wahrnehmen. Aber auf einen Umstand muss ich meine Leser noch auf- Fig. 25 a. Längenschnitt durch die Blüthe von Steinbrech (Saxifraga) mit beigefügtem Grundriss Fig. 25 b. f Oberstes Laubblatt; c die fünf Kelchhlätter; p die Blumenblätter ; st die 2X 5 Staubblätter, alle nach %, Ordnung; endlich die zwei Fruchtblätter cph (Carpophylla) nach Y, Ordnung an einander gereiht. 95 merksam machen, wodurch die Architektonik der Blüthe eben einen so besonderen Reiz erhält, der keineswegs von der Man- nigfaltigkeit der Form der Blattorgane als vielmehr von ihrer Anordnung herrührt. In den unteren Theilen der Pflanzen- achse folgen die einzelnen Blatteykeln ohne Unterbrechung oft in grosser Anzahl auf einander. Mit jedem Umschwung der Spirale beginnt die nächste genau über dem Anfang der ersten und so fort. Dies muss natürlich zur Folge haben, dass die homologen Glieder jedes einzelnen Cyklus genau über einander zu stehen kommen. Es müssen daraus noth- wendig so viel senkrechte Reihen erscheinen, als eben Ele- mente in einem Cyklus vorhanden sind, also 2, 3, 5, 8, 13 u. s. w. Diese Reihen erscheinen allerdings in manchen Fäl- len deutlicher als in anderen, ganz besonders schön im Stamme der Echinocacten, wo die senkrechten Rippen des Stammes eben aus der Verschmelzung der übereinanderstehenden Blatt- kissen hervorgehen (Fig. 24 a.). Anders ist es in der Blüthe. Selbst wenn nur zwei gleichgliederige Blatteykeln auf einander folgen, eben so in dem Falle, als ungleichgliedrige Cykeln sich begegnen, findet keineswegs ein ununterbrochener Fortschritt statt. Nur auf diese Weise findet bei dem Ineinandergedrängtsein der Cy- keln keine Deckung der Blattelemente statt. Das Mass des Fortschrittes des nächsten Blatteyklus ist gerade so vermehrt, dass die Elemente des folgenden zwischen die Elemente des vorhergehenden hineinfallen, ein Umstand, der die Alternation zur Folge hat, und wie leicht begreiflich, auf den gefälligen Eindruck, den die Blüthe stets verursacht, sicher nicht ohne Einfluss ist. So erscheint denn eben in der Blüthe bei der y4 Fig. 26. grössten Einfachheit derEle- N N . .. Ä mente die schönste Harmo- ? ge ‚|| nie in der Anordnung, wo- durch die Architektonik der- selben zu einer wahrhaft mu- \ GT sterhaften wird, und wie die Geschichte der Baukunst lehrt, von jeher massgebend auf alle menschlichen Werke Einfluss genommen hat (?® und ?”). Von dieser durchgrei- fenden Regelmässigkeit in der Anordnung der Blätter, Fig. 26. Nicht immer tritt diese Einfachheit gleich massgebend hervor. In einigen Fällen sind selbst in der Blüthe komplieirtere Stellungsverhält- nisse vorhanden, namentlich bei solchen, die aus einer grossen Anzahl von Blattelementen zusammengesetzt sind. Ein Beispiel geben die Cac- teen, die Seerosen, die karolinische Kelchblume (Calycanthus floridus) u. a. m. Indess sind diese letzteren ganz vorzüglich geeignet, um aus ihnen die Einheit des Baues der Blüthe und des Stammes zu erkennen. Fig. 26 stellt einen Blüthenast von Calycanthus floridus dar. Der vergrös- serte senkrechte Durchschnitt, Fig. 27 a, mit Beifügung des Grundrisses, Fig. 27 b setzt uns in die Lage, Einsicht in den etwas komplieirten Blü- thenbau zu nehmen. f bedeutet den Ursprung der abgeschnittenen Laub- blätter (fola), — p die gefärbten Blätter der Blüthenhülle (perianthium), — st die Staublätter (stamina), — stab die fehlschlagenden Staubor- gane (stamina abortiva). Ueberdies bedeutet m noch den Markkörper des Blüthenastes und g die auf seiner oberen Ausbreitung sitzenden Samen- knospen (gemulae). — Zur genaueren Einsicht in die Stellungsverhältnisse dient das beifolgende Diagramm Fig. 27 b, in welchem nach den beiden einander gegenüber stehenden Blättern (f.f a Div.), von 1 bis 28 die anfänglich kleineren, dann grösser werdenden, endlich wieder kleineren Blätter der Blüthenhülle (p), darauf von 29 bis 41 die Staubblätter (st), und endlich von 42 bis 55 die fehlschlagenden Stauborgane in der ver- zeichneten Ordnung auf einander folgen. — Während in den ersten 6 Blät- tern noch ein Schwanken nach niederen Blattordnungen bemerklich ist, stehen alle übrigen an ihren bestimmten Plätzen. Fast in jeder Blüthe finden diese Schwankungen in anderer Weise statt. die man mit gutem Fug als Blattordnung (Phyllotawis) bezeichnete, finden sich indess man- cherlei Abweichungen, die jedoch keineswegs das ge- fundene Gesetz aufheben, sondern es vielmehr nur in seiner eisernen Strenge mildern, wodurch die Pflanze eben im Aus- drucke der Freiheit so un- Dahin gehört z. B. die einsei- endlich gewinnt. tige Verschiebung der Blätter bei Verdickung der Stengel- ungleicher seiten, das ungleiche An- wachsen des Blattgrun- des und eine Drehung der Achse selbst, Um- stände, die von unglei- cher Ernährung, unglei- chen Einflüssen äusserer Agentien u. s. w. ab- hängen. 17: SH e R ! N Lau 17 hi P=Wn h) # er = er Er 2 SEN | j f -\ » 85° 8 be) " F \\ \ S Ö 5 30 N a, 38 37 je ! v ö Q-.07 80 BO N ZW(EELFTER BRIEF. FORTPFLANZUNG. Wenn man die Geschichte der Botanik durchblättert, so ersieht man nicht undeutlich, dass über keinen Gegenstand, der in das Gebiet dieser Wissenschaft fällt, bisher so ver- schiedene Ansichten geltend gemacht wurden, als über die Fortpflanzung. Das Verborgene dieses Prozesses einerseits, so wie der Einfluss, den er auf die ganze Bildung und Ge- staltung nimmt, andererseits, haben denselben von jeher als den geheimnissvollsten und zugleich als den bestimmendsten unter allen Vorgängen des vegetabilischen Lebens betrachten lassen, und erklären es, wie er als Ausgangspunkt aller botanischen Kenntniss so vielfältig zur Sprache kommen konnte, und wie leicht dabei ein Irren möglich war. Auch jetzt darf sich die Wissenschaft noch nicht schmei- cheln, den Schleier vor diesem Heilisthume des Pflanzenlebens vollkommen gelüftet zu haben, jedoch gelang es ihr wenig- stens die Hauptmomente der äusseren Erscheinung zu über- blicken, die verschiedenen Phasen, in denen dieser Prozess durch das ganze Gewächsreich hindurch auftritt, zu unter- scheiden, und das Wesentliche von dem mehr Zufälligen daran zu sondern. Schon bei der Betrachtung des Wachsthumes der Pflanze sind wir auf das Feld der Fortpflanzung gerathen. Wir er- kannten alle Massenzunahme als das Resultat von Generatio- nen, die von Zelle zu Zelle stattfinden; der Unterschied aber, . der zwischen jener massenvermehrenden Fortpflanzung und der Fortpflanzung im engeren Sinne, die in der Bildung und Sonderung von Keimen zu neuem individuellen Leben besteht, blieb uns verborgen. Wir wollen nun versuchen, sowohl die Unterschiede der beiden genannten Vorgänge aufzufinden, als die verschiedenen Formen, in der die eigentliche Fortpflanzung im Gewächs- reiche erscheint, ins Licht zu setzen. Wie überall, so werden wir auch hier am besten thun, unsere Betrachtung an den einfacheren Formen anzuknüpfen. Es wird meinen Lesern noch erinnerlich sein, dass wir mehrmals davon sprachen, es gebe Pflanzen, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen. Natürlich ist auch ihre Fortpflan- zung eben so einfach wie ihr Leben. Eine oder mehrere in ihr erzeugte Zellen trennen sich von der Mutterzelle, und diese hat sich dadurch fortgepflanzt. Ist die Mutterzelle rund und nach allen Seiten hin so ziemlich gleich gebildet, so trägt jeder Theil des Individuums gleichen Antheil an der Fort- pflanzung, die Tochterzellen sind schon bei ihrer Trennung der Mutterzelle vollkommen gleich. Hat die Mutterzelle aber eine gewisse Bildungsgeschichte durehgegangen, ist sie grösser geworden, haben sich in ihrer Gestaltung Gegensätze ausgebildet, so treten individuelles oder vegetatives Leben und Fortpflanzung immer mehr aus einan- der. Die Mutterzelle bildet nur nach einer bestimmten Zeit Botanische Briefe, 7 98 und an einem bestimmten Theile Fortpflanzungszellen, und diese selbst gleichen anfänglich noch keineswegs dem Mutterorganismus. Wenn wir für erstere Fortpflanzungsweise als die einfachste mehrere Chroococcaceen als Beispiele an- führen können, so dienen für letztere die Gattungen Ascidium, . Botrydium, noch mehr aber die Gattungen Vaucheria, Cau- lerpa u. 8. w. Unstreitig um eine Stufe höher verhalten sich beinahe eben so einfach gebaute Pflanzen, aber die sich trennenden Fortpflanzungszellen gehen nicht unmittelbar aus der Mutter- zelle hervor, sondern erst durch Vermittlung einer oder meh- rerer Zellengenerationen, die im Gegensatz zur eigentlichen Fortpflanzungsgeneration vegetative Generationen ge- nannt werden. Diese vegetativen oder Theilungsgenerationen erzeugen eine Vielheit von Zellen, die mehr oder weniger familienweise zusammenhängen, bis die letzte oder die Ueber- gangsgeneration folgt, die sich trennt und den neuen Cyklus beginnt. Die Zellen der Uebergangs- generation sind meist anders gestaltet als die Zellen der Theilungsgenerationen, und lassen sich von diesen sehr wohl unter- scheiden. Als Beispiel möge man die kleine Alge Scenedesmus betrachten (?°). Aber selbst diese vermittelnden, vegetativen Grenerationen bleiben sich nicht gleich, sondern zeigen am Anfange und Ende Verschiedenheiten, so dass die Uebergangsgeneration als ein drittes Glied in der Fortpflanzungsweise erscheint. Fig. 28. Scenedesmus acutus Meyen, eine kleine mit freiem Auge nicht er- kennbare Alge, 800mal vergrössert, in der Uebergangsgeneration. 99 Von hier an aber gestalten sich die Fortpflanzungszellen selbst ungleich, und damit ist der erste Anstoss zu einem Dualismus gegeben, der sich bis zu den vollkommensten Gewächsen hindurch spinnt und sicherlich nicht wenig Ein- fluss auf die ganze Gestaltung der Pflanze, und besonders jener Theile nimmt, in welchen nach langen Reihen von ver- mittelnden, vegetativen Generationen der Gegensatz zur grösst- möglichsten Ausbildung gelangt. Fig. 29. Während bei den streng ein- zelligen und familienweise zusam- menlebenden einzelligen Pflanzen jede Zelle als Fortpflanzungszelle erscheint (?°), wird bei den Zellen- komplexen die Möglichkeit der Fort- pflanzung nur auf die Spitzenzel- len übertragen, während die Dauer- zellen keinen Antheil daran nehmen. In diesem Gegensatze, durch welchen jeder Zellenkomplex erst sein Dasein erhält, ist aber auch die Heterogeneität der Fort- pflanzungszellen aller Zellenkomplexe bereits vorgebildet, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn die ganze Fortpflanzung der Gewächse diesem Dualismus unterthan ist. Zweierlei Fortpflanzungszellen sind es also, die schon in den einfachsten, einzelligen "Pflanzen als Bedingung der Fortpflan- zung erscheinen und durch die verschiedensten Formen der Zellenkomplexe hindurch in gleicher Weise die Fortpflanzung Fig. 29. Gloeocapsa opaca Näg., ebenfalls eine sehr kleine Alge in der Fortpflanzung von a bis e dargestellt, wo sie bald zwei, drei. vier und mehrere familienweise zusammenlebende Individuen bildet. 7* 100 abhängig machen. Ist nun dieser Dualismus der Gestaltung der Fortpflanzungszellen im ganzen Gewächsreiche mit Aus- nahme der einfachsten Formen einmal erkannt, so ist unstrei- tig die wichtigste Frage die: wie verhalten sich diese zweier- lei Fortpflanzungszellen zu einander? — ist ihre gegenseitige Einwirkung für die Fortpflanzung nothwendig? — und in wel- cher Weise erfolgt diese Einwirkung ? Bis jetzt hat die Erfahrung einen dreifachen Modus erkannt.. Die verschiedenen Fortpflanzungszellen wirken auf einander nicht unmittelbar ein. Sowohl die eine als die an- dere Form, meist jedoch nur die eine derselben, ist zeugungs- fähig und pflanzt getrennt von der Mutterpflanze das Indivi- duum fort. — Der zweite Modus erfordert eine gegenseitige Einwirkung durch unmittelbare Berührung. Während dabei die eine Fortpflanzungszelle erschöpft wird, tritt die Befähi- gung zur individuellen Entwicklung erst in der andern ein. — Die dritte Art endlich besteht in einer gänzlichen Vereinigung beiderlei Fortpflanzungszellen, aus welcher ein drittes, der Keim einer neuen Reihe hervorgeht. Es ist merkwürdig, dass dabei einer der beiden Fortpflanzungszellen häufig eine aktive Ortsveränderung durch Vermittlung eigenthümlicher Bewe- gungsorgane zukommt, oder dass eine Annäherung doch we- nigstens in Folge des Wachsthumes möglich wird. Die erste _ Andeutung hierzu liegt schon bei den streng einzelligen Pflan- zen, deren ast- oder vielmehr blattbildende Aussackungen, die Träger der Fortpflanzung erst durch Annäherung und ge- genseitige Vereinigung die Bildung der Fortpflanzungszelle ermöglichen, wie das bei Vaucheria sessilis Lyngb. der Fall 188 (2°), ai Ob man in diesem Dualis- Fig. 30. mus eine Geschlechtsdifferenz er- kennen will oder nicht, ist hier ganz gleichgiltig; so viel ist jJe- doch gewiss, dass derselbe eine die ganze Fortpflanzung beherr- schende Einrichtung ist, die, wenn sie auch nicht immer gleich offen in die Erscheinung tritt, dennoch nichts weniger als letzte Triebfeder der Wirk- samkeit erscheint. Dass in vie- len Fällen, namentlich bei min- ab ed der organisirten Pflanzen, die eine Form dieser Fortpflanzungs- zellen, sowohl in Gestalt als im Bewegungsvermögen grosse Aehnlichkeit mit den die Fortpflanzung vermittelnden soge- nannten Samenfäden der Thiere besitzt, lässt wenigstens der Vermuthung Raum, dass zwischen der geschlechtlichen Fort- pflanzung der Thiere und Pflanzen in der Wesenheit wenig Unterschied sein mag. Von den Fucaceen, oder vielleicht ei- gentlicher von den Characeen an durch die Flechten (?), Le- bermoose (*!), Laubmoose, Farn und Schachtelhalme zieht sich dieser offenbare Geschlechtsdualismus und wird erst in den höheren Pflanzen mehr versteckt, darum aber in seiner Bedeutung als solcher nicht minder zweifellos. Erlauben Sie nun, meine Leser, das Ineinanderwirken Fig. 30. Kleine Stücke von Vaucheria sessilis Lyngb. a Keimästchen und b Hackenästchen vor der Kopulation, — c Keimzelle in dem Keimäst- chen nach der Kopulation; d der entleerte Hackenschlauch nach der Ko- pulation. (Nach Nägeli). c b a beiderlei Fortpflanzungszellen in den blüthentragenden Pflan- zen etwas ausführlicher zu beleuchten. Sie sind es ja, die Fig. 31. Blüthenstand von Jungermannia complanata. (Theilweise nach W. Hof- meister). Drei Archegonien a.b.c von einem Perianthium f eingeschlossen, wovon % noch nicht befruchtet sind, das 3te 5b eben befruchtet wird. Das Keimbläschen noch einfach. — Neben denselben von einem Deckblatt e un- terstützt ein Antheridium d. Dasselbe ist bereits an der Spitze geöffnet 105 wir fast immer vor unseren Augen haben, und die gerade während dieser Thätigkeit — bei dem Blühen — am meisten unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Durch unendliche Reihen von Zellen hindurch scheint sich bei der Mehrzahl der Pflanzen erst die Befähigung zur Bildung der Fortpflanzungszellen nach und nach zu entwickeln. Derselbe Dualismus, der sich zwischen Dauer- und Bildungs- zellen bei der Enstehung dieser Reihen ausspricht, der den Gegensatz zwischen Achse und Blätter hervorruft, tritt end- lich an der Spitze derselben durch eine unendliche Stufen- folge geläutert, als Fortpflanzungszellen hervor, und schliesst als Ziel der Bildung jeden weiteren Fortbau der Pflanze ab. Zwei Organe der höchsten Antithese werden die Träger der Fortpflanzungszellen, das Staubblatt von der einen, von der peripherischen Seite, de Samenknospe an der Ach- senspitze auf der andern, nämlich der centralen Seite. Die Bildungsstätte der Fortpflanzungszellen im Staubblatte liegt in der Mitte der verkümmerten Blattspreite. Aus einer Zelle entwickeln sich hier bald Reihen von Zellen, in deren Innern nach rascher transitorischer Zellbildung endlich die Fortpflan- zungszellen, hier Pollenzellen genannt, hervorgehen. Mit ihrer vollkommenen Ausbildung trennt sich das umgebende Zellgewebe (Staubbeutelfächer) und die Fortpflanzungszellen treten frei heraus. Sie sind es, welche den Blumenstaub bilden. Während dies bei den letzten Schritten, den die Meta- morphose des Blattes am Stengel durchmacht, geschieht, findet und lässt die Samenfäden (Spermatozoidia), einige noch in ihren Mutter- zellen eingeschlossen, andere davon befreit. heraustreten. Ein Theil da- von hat sich bereits an die Mündung des reifen Archegonium begeben. in den Endtheilen der Achse ganz etwas Aehnliches Statt. Die Achse, durch die fortwährende Blattentwicklung fast kon- sumirt, schiebt über die letzte Blattspirale der Fruchtblätter nur noch einen kleinen Fortsatz der Achse hinaus, der ent- weder einfach bleibt, oder sich zertheilt und dann den Frucht- blättern sich so anschliesst und so mit ihnen verwächst, dass man sie nicht mehr von diesen zu unterscheiden im Stande ist. Aus diesem letzten Fortsatze der Achse, der meist in eine Höhle der in vielfacher Weise zusammengewachsenen Frucht- blätter hineinragt und Mutterkuchen (Placenta) genannt wird, entspringen nun Zellenreihen, die gleichfalls in ihrem Innern Fortpfianzungszellen hervorbringen. Der ganze Apparat hier- zu wird Samenknospe genannt, und besteht aus einem Kern von Zellen (Nucleus), über welchen sich vom Grunde aus bis nahe an die Spitze.nach und nach eine oder mehrere schei- denförmige Hüllen (Eihäute) hinüberschieben, so dass zuletzt nur noch ein kleiner Zugang zu dem Kern, der sogenannte Knospenmund (Mieropyle) übrig bleibt. Die Zellreihe, aus de- ren Spitze dieser Apparat sich entwickelte und zu einem bald längeren bald kürzeren Träger (Samenstrang) herangewachsen ist, nimmt zuletzt gegen diesen eine sehr verschiedene Stel- lung und Lage ein, je nachdem die Ausbildung des ersteren auf einer allseitigen oder mehr einseitigen Entwicklung der Elementartheile beruht. Kurz im Centrum des Apparates, im Kern ist es nun ebenfalls wieder eine Zelle, vielleicht die Scheitelzelle, die sich übermässig vergrössert (Keimschlauch, Embryoschlauch) und in ihrem geräumigen Innern mehrere kleine, freie, im Zellinhalte schwimmende Zellchen erzeugt. Es sind dies und kön- nen nichts anders sein als Fortpflanzungszel- len (*?). Diese letztern aus der Achse hervorge- gangenen -Fortpflan- zungszellen bilden sich, wie es scheint, von selbst nicht mehr wei- ter aus und würden verkümmern, und end- lich ganz aufgelöset werden, wenn sie nicht zu weiterer Entwick- lung von aussenher be- stimmt würden. Auch t.»p em die frei gewordenen se i Pollenzellen, obgleich s.e -------—-- Bi N vollkommen ausgebil- 1 det, haben dasselbe Fig. 32. Durchschnitt einer vergrösserten Blüthe von Buchweizen (Fagopy- rum emarginatum). p Blüthenhülle. st Stauborgane mit geöffneten Staub- beuteln. Einige Pollenzellen sind auf die Narbe des Griffels (siyl) ge- rathen, wo sie sich bereits verlängert haben, und durch den Griffelkanal bis an den Keimsack s.e (saculus embryonis) vorgedrungen sind. Durch beigefügte stärkere Vergrösserung des oberen Theiles der Sa- menknospe ist man im Stande den ganzen Verlauf des Pollenschlauches t.p, sein Eindringen durch den Knospenmund der äusseren Knospendecke i.e (integumentum externum) — der inneren Knospendecke i.:i (integumen- tum internum) — den Knospenkern ne (nueleus) bis in den Keimsack s.e zu verfolgen, wo er mit den Keimzellen em in unmittelbare Berührung tritt, 106 Loos. Nun geschieht es aber, dass die freien Pollenzellen und die Zellen des Keimschlauches an einander gerathen, und siehe da! während die ersteren dabei verkümmern, entsteht die Fähigkeit zur weiteren Ausbildung in den letzteren, die damit endet, dass der ganze vorhin genannte Apparat, — nun Same genannt, — sich von der Mutterpflanze lostrennt, und die bereits junge Pflanze in eine Lage versetzt, sich fortan selbstständig ausbilden zu können. Natürlich geht diese ganz und gar’nach dem Typus der Mutterpflanze vor sich. Die Fortpflanzungszellen der Samenknospe sind zwar in dieser eingeschlossen, sie selbst in der Regel in der Höhle der zusammengewachsenen Fruchtblätter, d. i. im Fruchtkno- ten verborgen, allein dies hindert dennoch nicht, dass die frei gewordene Fortpflanzungszelle des Staubblattes mit jenen in unmittelbare Berührung kommen kann. Dies geschieht auf folgende Weise. Schon die Lage des Fruchtknotens ist von der Art, dass unter den vielen Tausen- den der Pollenzellen, die nach der Oeffnung der Staubbeutel frei werden, einige davon sicherlich mit demselben und na- mentlich mit dessen Spitze in Berührung kommen. Die Spitze, welche durch die Verwachsung der Spitzen der Fruchtblätter entstanden ist, und je nach deren Form bald kürzer, bald mehr in die Länge gezogen ist (Griffel), geht am Ende in einen etwas erweiterten Theil auseinander (Narbe). Diejenigen Pollenzellen, welche die Narbe empfängt, be- reitet sie durch einen fortwährend ausgeschwitzten Saft der Art zu einer weitern Entwicklung, zu einem Fortwachsen, oder wenn man lieber sagen will: Keimen vor, dass sich dar- aus in der That mit Hinterlassung der äusseren Hülle ein Zellschlauch entwickelt, welcher sowohl einfach bleibt als sich auch durch Aussackung zu verzweigen im Stande ist. Die so keimende Pollenzelle würde aber ungeachtet der Nahrung der Narbenfeuchtigkeit bald zu Grunde gehen, wenn sie nicht im Stande wäre, mit ihrem vordringenden Ende sich zwischen den aufgelockerten Zellen der Narbe und zwischen Reihen wenig zusammenhängender Zellen des Griffels Bahn zu bre- chen. Nach einiger Zeit gelingt es immerhin, einer oder meh- rerer Pollenzellen selbst bis in die Fruchthöhle hinabzugelan- gen. Nun sind nur wenige Hindernisse mehr zu überwinden. Die Spitze des wachsenden Pollenschlauches gelangt leicht selbst an die Samenknospe und findet da durch die Oeffnung der Samendecken einen ungehinderten Fortgang bis zu dem Samenkorn. Endlich aber müssen noch die Zellen des Nu- cleus durchbrochen werden, was um so leichter gelingt, als dieselben noch sehr zart und nachgiebig sind und in der Zeit auch der Keimsack durch seine Ausdehnung und durch das Verdrängen der oberen Zellen dem Pollenschlauche gewisser- massen entgegen gekommen ist. Im Keimsacke selbst sind nun auch die Keimzellen nahe an die Oberfläche getreten und berühren sogar die Innenseite seiner Wand. Es ist daher dem bis hierher vorgedrungenen Pollenschlauche ein leichtes, nur durch die Membran des Keimschlauches getrennt, mit den Keimzellen in eine mittel- bare Berührung zu kommen, ja derselbe breitet sich an der Oberfläche des Keimsackes sogar aus, um diese Berührung wo möglich nachdrücklich zu Stande zu bringen. Die Folge davon ist, dass während der Pollensack nach und nach von Aussen nach Innen abstirbt, in einer der Keimzellen, wahr- 108 scheinlich in der dem Pollenschlauche zunächst gelegenen eine weitere Zellbildung eintritt, die endlich mit der Bildung der Grundlage einer neuen Pflanze schliesst. Ob hierbei in man- chen Fällen der Keimsack an’ der Berührungsstelle beider an einander tretender Fortpflanzungszellen nicht ganz resorbirt wird, so dass sich nun beide unmittelbar zu berühren vermö- gen, scheint nicht unwahrscheinlich, ist jedoch durch die Er- fahrung noch nicht hinlänglich ermittelt. So viel ist jedoch gewiss, dass es zu weiterer als einer blossen Kontaktwirkung zwischen beiderlei Zellen in allen höher gebildeten Pflanzen nicht kommt, während ein Verschmelzen beider durch Kopu- lation in den niederen Sphären des Gewächsreiches keine sel- tene Erscheinung ist. So zeigt denn auch in der Fortpflan- zung die höher ausgebildete Pflanze einen Sieg über das Ma- terielle, und wo dort eine innige Verschmelzung beider Ele- mente zur Hervorbringung eines neuen Keimes erforderlich ist, genügt hier eine einfache Berührung und eine mehr dy- namische Transfusion .geläuterter Stoffe. Mit Einem Worte, es ist ein Kuss, womit die blüthentragende Pflanze das schönste Werk ihrer Verjüngung feiert. DREIZEHNTER BRIEF. SPROSSBILDUNG. GENERATIONSWECHSE J III Mit der Ausgleichung der Geschlechts - Differenz ist der Dualismus, der alles in und an der Pflanze auf die Spitze trieb, versöhnt, das Ziel des individuellen Lebens erreicht. Ein weiteres ist für dasselbe nicht mehr möglich, darum schliesst auch die Blüthe, in welcher diese Ausgleichung zu Stande kommt, den Bau der Pflanze vollkommen und für im- mer ab. — Indess gelingt es der Pflanze nicht immer, ja vielleicht fast gar nie, dieses Ziel in der oben angegebenen Reihenfolge der Entwicklungen auf einmal zu erreichen. Der als Norm aufgestellte Bau der Pflanze ist somit nur ein Ideal, das sich in der Natur nur selten verwirklichet findet. Statt diesem an und für sich zwar regelmässigen und schönen, seiner Natur nach aber höchst beschränkten, hinfälligen Ideale, ist in der Pflanze vielmehr ein Bauwerk hingestellt, das über alle Be- schränkung in Zeit und Raum sich zu erheben vermag, das allen Eventualitäten Trotz bietet und an Grösse und Macht alle Bauwerke übertrifft, die menschlicher Verstand und Aus- dauer je hervorzubringen im Stande waren. Aber nur dadurch, dass die Pflanze in ihrer idealen Rich- 110 tung, in ihrer Entwicklung sich selbst zu bezähmen vermag, dass sie sich selbst Hindernisse stellt, und dadurch zu erneu- ter Kraftanstrengung aufgefordert wird, tritt sie gleichsam über die Beschränkung hinaus, und vollendet ihre Aufgabe erst in einer Reihenfolge selbstständiger Entwicklungen, was sie sonst mit einem Streiche erreicht haben würde. Die Pflanze als einheitliche Entwicklungsreihe wird dadurch zum Ge- wächs, in welchem Reihen auf Reihen folgen. Steigen wir nun von der Betrachtung der Pflanze zur Betrachtung des Gewächses empor. Das Maiglöckchen soll uns hierin als Wegweiser dienen. Man würde sich sehr irren, wenn man der flüchtigen Be- obachtung folgend«in diesem Gewächse eine einfache, an einer und derselben Achse stattfindende Aufeinanderfolge von Blatt- organen bis zur Samenknospe erkennen wollte. Das ist nicht so. Die Achse, die sich aus dem Samenkorne entwickelt, bringt es nie und nimmermehr bis zur Bildung der Blüthe, im Gegentheile schliesst sie sich mit Hervorbringung der Nie- derblatt- und Laubblatt- Formation vollkommen ab, letztere selbst nur in wenigen Blatteykeln vollendend. Ohne Bildung einer neuen Achse, welche aus der erst entstandenen hervor- geht, und welche das vollendet, was die erste unvollendet lässt, wäre die Erreichung des Zieles dieser Pflanze unmög- lich. Die zweite Achse nun, die nicht mehr mit der Nieder- blattformation, auch nicht mit der Laubblattformation beginnt, sondern unmittelbar die Hochblattregion entfaltet, trägt an ih- rer Spitze die Blüthe und bringt das in der ersten Achse begon- nene Werk erst zu Ende. Diese Pflanze muss demnach mit gutem Recht eine zweiachsige genannt werden. Solchen zwei- Pflan- zen begegnen wir achsigen fast überall im Gewächsreiche , besonders aber in den blüthentra- genden Pflanzen, auch ist es nicht immer eine Folge zweier Achsen, womit das Ge- wächs vollendet wird, sondern es finden sich nicht selten eine Folge von 3, 4, ja selbst von 5 Achsen (°?). Dass diese Fol- ge von Achsen, wie alle Bildun- sen der Pflanze, Ergebnisse der Generationsthä- tigkeit sind, lässt sich schon von vorn herein ver- muthen, es wird dies aber auch noch durch die anatomische Un- \ Fig. 33. 112 tersuchung insoferne bestätiget, als dieselbe es wahrscheimlich macht, dass jede Zweigbildung von Einer Zelle der Achse ausgeht und durch fortgesetzte Generationen derselben zu ei- nem Komplexe von Zellen wird, der sich durch selbstständige Entwicklungsrichtung von der Entwicklung der Mutterachse gleichsam loszureissen, oder sich zu emanzipiren sucht. Diese ‘selbstständige, alle Bildungselemente unter eine Richtung bringende Entwicklung, ist es, wodurch dergleichen Zellen- komplexe auch auf die Bedeutung selbstständiger Achsen An- spruch machen können. Es ist nicht zu leugnen, dass in diesem Vorgange eben so gut, wie in dem Zeugungsprozesse der Fortpflanzungszellen eine Fortpflanzung des Gewächses erzielt wird, sie geht jedoch, und kann nicht anders als von einem Monismus ausgehen und bleibt daher jeder dualistischen Zeugung untergeordnet. Von einem blossen Fortwachsen un- terscheidet sie die Selbstständigkeit der Bildungsrichtung, so wie die häufig vorkommende Trennung von der Mutterpflanze ganz und gar. Die Erscheinungen bei Bildung neuer Achsen sind sehr mannigfaltig und können hier nur der Hauptsache nach in Betrachtung gezogen werden. Jede neue Achse erscheint an- fänglich verkürzt, die Blattelemente durch die kleinsten Inter- valle von einander geschieden, alles gleichsam konzentrirt. In diesem Zustande werden sie Knospen genannt, bei der Fig. 33. Zur Erläuterung des Angegebenen diene beifolgendes dreiach- siges Gewächs, an dem zwar einzelne Elemente vorhandener Pflan- zen zu erkennen sind, die jedoch auf eine ideale Weise zusammengestellt wurden, um die Sprossbildung auf die einfachste Form zu redueiren. I. Erster Spross mit alleiniger Niederblattbildung. ‘IL. Zweiter Spross mit Niederblatt- und Laubblatt-Formation. III. Dritter Spross mit Hoch- blattformation zuletzt mit der Blüthe geschlossen. 115 Erweiterung der Intervalle und Ausbildung der Anhangsor- gane — Sprosse. Die Knospe deutet also nur den Jugend- zustand des Sprosses an, kann aber übrigens der Träger der verschiedensten Blattformationen sein. Es gibt daher Sprosse mit Niederblatt, Sprosse mit Laubblatt, Sprosse mit Hoch- blatt und endlich Sprosse mit Blüthenformation, ja selbst bei den Blüthensprossen kann eine oder die andere Formation der Blüthe, namentlich die der Staubblätter oder der Frucht- blätter fehlen. Dies hindert jedoch nicht, dass nicht anderseits ein und derselbe Spross mehrere Blattformationen vereiniget, also ge- wissermassen vollständiger als ein anderer ist. Jeder Theil der Pflanzenachse, ja selbst der absteigende, kann Sprossen erzeugen ; kein so festes Gesetz, wie bei den Blättern bestimmt ihre räumliche Aufeinanderfolge, was eben zeigt, dass sie etwas von der Blattbildung durchaus Verschie- denes darstellen. Doch findet es sich sehr häufig, dass die Entstehungsstelle des Blattes zugleich den Ort bezeichnet, von wo aus die Sprossbildung häufig ihren Ursprung nimmt. Die Knospen in den Achsen der Blätter gehören im Pflanzen- reiche zu den gewöhnlichsten Erscheinungen. Von grösserer Bedeutung und Einfluss auf das Aussehen des Gewächses ist die Aussprossungsregion, d. i. die Abtheilung der Blattformation, von welcher aus der Spross hervorgeht. Es ist hier ebenfalls wieder ein allgemeines Gesetz, dass alle Sprossen nur aus den unteren Regionen, nie aus den oberen entspringen, jedoch ist es sehr verschieden, ob ein Spross aus der Niederblatt-, Laubblatt- oder selbst aus der Hochblattregion hervorgeht. Dass der Apparat für die weib- Botanische Briefe. s 114 liche Fortpflanzungszelle in den höheren Pflanzen Spross und Samenknospe oder Samensprösschen genannt wird, liegt nur in der äusseren Aehnlichkeit und muss daher als dem We- sen des Sprosses durchaus fremd, für die Zukunft verbannt werden. Eben so wie die Aussprossungsregion massgebend für das Gewächs wird, ist es nicht minder die Sprossfolge selbst, oder die Ordnung, in welcher die mehr oder minder ausgebildeten Sprosse auf einander folgen, um das Gewächs in seiner vollständigen Integrität darzustellen. In dieser Spross- folge zeigt sich deutlich die Abhängigkeit eines Sprosses von dem andern und die vollständige Darstellung des Gewächses beruht eben in der fortschreitenden Folge der einzelnen Sprosse, — eine Erscheinung, die man auch im Thierreich als Aufein- anderfolge unter sich ungleichen Generationen zur zeugungsfä- higen Endbildung wahrnimmt und die man da als Genera- tionswechsel bezeichnete. Wenn im Thierreiche diese Generationsänderung nur in den niedersten Thierklassen gefunden wird, so bemerken wir diesen Generationswechsel in der Sprossfolge im Gewächs- reiche als eine der allgemeinsten Erscheinungen von der um- gekehrt hier vielleicht nur die niedrigsten Pflanzen eine Aus- nahme bilden. I Von dieser Sprossfolge, die unbezweifelt als eine we- sentliche erscheint, da von ihr die geschlechtliche Fort- pflanzung des Gewächses abhängt, ist die Erscheinung der wiederholenden Sprossen wohl zu unterscheiden, da sie es eigentlich sind, welche das Gewächs zu dem stempeln, wie es realiter in die Erscheinung tritt. Es findet nämlich keines- 15° wegs ausnahmsweise, sondern fast als Regel statt, dass die Bildung eines Sprosses eine grössere oder geringere Anzalıl gleichwerthiger coordinirter Sprosse nach sich zieht. Was also einem einzigen Individuum zugewiesen sein würde, ist bei dieser Einrichtung einer Menge gleichwerthiger Individuen übertragen. Schlägt daher dieser oder jener Prozess auch bei dem einen oder bei dem andern fehl, so übernimmt ihn der folgende und die Erhaltung der Pflanzenart ist dadurch bei weitem weniger gefährdet, als es der Fall wäre, wenn die Sprossfolge nur eine einfache bliebe. Dies tritt um so deutlicher bei den Sprossen letzter Ord- nung, die die geschlechtliche Fortpflanzung zum Zwecke ha- ben, hervor, und kommt damit noch eine ungleichzeitige Ent- wicklung der Blüthen zu Stande, so mögen die äusseren Ein- flüsse noch so störend einwirken, sie werden weder der Inte- grität des Gewächses noch viel weniger jener der Art einen Eintrag zu thun im Stande sein. Ja auf dieser Wiederholung der Sprossen beruht endlich auch die Erstarkung vieler Pflan- zen, ohne welcher sie vielleicht nie ihr Ziel würden erreichen können. Die Ausbildung der Spargelpflanze, der Rebe, der Linde u. s. w. hängt von solchen Erstarkungssprossen ab. So hat also die Natur der Pflanze selbst Sorge getragen, dass ihre Zwecke möglichst vollständig erreicht werden, und selbst die scheinbar unwesentlichen und überflüssigen Wieder- holungssprosse sind in dem Haushalte derselben von Be- deutung. Aber auch auf die Gestaltung des Gewächses, wel- ches dadurch wahrhaftig als eine Familie innigst verwandter und sich gegenseitig unterstützender Individuen erscheint, hat sowohl diese Wiederholung als die weitere Potenzirung gleich- 8* 116 artiger Achsen den auffallendsten Einfluss. Erst dadurch wird die Pflanze zu einem Pflanzenstock, auf dem Tausende von Individuen verschiedenen Alters in gegenseitiger Abhän- gigkeit und mit dem Bestreben nach gleichem Ziele sich des Lebens freuen, und wenn der hinfällige Blüthenbüschel mit seinen unzähligen Blüthen uns eine Macht von Reizen entfal- tet, wie wir sie in der ganzen Pflanzenwelt nirgends finden, so wird der Baumstamm mit seinen Tausenden Aesten und Zweigen, in deren jedweden eine Dryade wohnt, unser Ge- müth eben so zur Ahnung einer Grösse und Harmonie erhe- ben, die uns erst im Hinblicke eines Weltganzen gebrochen vor die Seele tritt. Endlich ist in dem Sprosse noch die thatsächliche Ver- mehrung des Gewächses nicht zu übersehen. Viele von den Sprossen (nämlich die Wiederholungssprosse) haben das Ei- genthümliche, dass sie schon im Jugendzustande als Knospen (Brutzwiebeln) sich von dem Pflanzenstocke lösen und damit das biologische Individuum fortpflanzen; andere thun dies erst nach erfolgter Entwicklung. Was die Natur der Pflanze hierin anzeigte, hat der Mensch zu seinem Vortheil nicht sparsam fortgesetzt, und indem er ihr Knospen, Zwiebeln, Knollen u. s. w. entreisst, vervielfältiget er einen grossen Theil seiner Nutzgewächse. Zu den Pflanzen, deren Knospen und Knos- penanhäufungen sich von selbst trennen, gehören viele Zwie- belgewächse, wie z. B. die Feuerlilie (Zikum bulbiferum); zu jenen, deren Verbindung erst nach und nach aufgelöset und durch Zerstörung vernichtet werden muss, sind zu zählen die Erdbeere, die Kartoffel und mehrere andere (°*). Ohne Zwei- fel hat diese Bildung von Vermehrungssprossen, die man 117 auch Brutknospen genannt hat, selbst in den tiefer stehenden Fig. 34. Gewächsen einen gleichen Aus- druck gefunden. Die Bruthäuf- chen der Moose, Lebermoose, die Keimzellen der Flechten und Algen sind offenbar nichts anderes als solche Bestrebun- gen zur Fortpflanzung ohne Gegensatz eigentlicher Fort- pflanzungszellen. Und so se- 4 IQ o- NIIIUSEIN hen wir bis in die ersten An- fänge des Gewächsreiches hinab eine Einrichtung getroffen, die die Erhaltung der Pflanzenart selbst unter den ungünstigsten Umständen und bei der grös- , sten Hinfälligkeit der Individuen dennoch aufrecht erhält. Mit meisterhafter Hand hat Alexander Braun die- ses ganze so schwierig auf einen Gesichtspunkt zurückzufüh- rende Chaos von Sprosswesen zu beherrschen gewusst und sicherlich dadurch mehr Klarheit in das Verständniss des Fig. 34. Ein junges Pfänzchen von Solanum utile mit sechs Blatt - Paaren. Aus den Achseln des ersten Blattpaares, nämlich der Keimblätter, sind zwei, so wie aus den des folgenden Blattpaares ebenfalls zwei Nieder- blattsprossen hervorgegangen, und haben sich zum Theil schon in die Erde versenkt. Obgleich in ihren Enden nicht, wie bei der Kartoffel, zu Knollen verdickt, dienen sie doch wie jene zur Vermehrung des Ge- wächses, indem ihre Verbindung mit der Mutterpflanze bald abstirbt. 118 Pflanzenbaues gebracht, als die detaillirtesten anatomischen Untersuchungen es bisher im Stande waren. Die Architek- tonik des Pflanzenbaues im Grossen verdankt ihm dadurch sicherlich die grössten und wichtigsten Aufschlüsse. VIERZEHNTER BRIEF. EINHEIT DER GATTUNG UND DER HEHEREN KA- TEGORIEEN. Es ist eine unbestreitbare Thatsache, dass die Pflanze nur in einer Reihenfolge von Verjüngungserscheinungen ihr Ziel erreicht. Zwischen Aufgeben des Gewonnenen und Er- reichung des Erstrebten, zwischen Vernichtung und Wieder- geburt schwebt sie, bis es ihr gelingt, das in immer grösse- rer Divergenz aus einander tretende Bildungsleben wieder zu vereinen. Die Bildung der Zellen, der Aufbau in Blatteykeln ' und Blattformationen und endlich die Sprossbildung und Spross- folge sind nichts anderes als engere und weitere Kreise, in welchen sich das Absterben und Wiedererzeugen der Pflanze darstell. Während im Thierorganismus durch alle Organe hindurch dieselbe Metamorphose still und verborgen durch- geht, wird im Pflanzenorganismus jedes Glied derselben starr und bleibend, und jedes neue legt sich über das alte, schwingt sich triumphirend über das Ziel früherer Errungenschaft. Al- les ist dabei nicht blos Eines, es ist auch ein neben einander Existirendes, so dass man den ganzen Stufengang, die ganze Umstaltung und Verjüngung mit einem Blicke zu übersehen im Stande ist. 120 In gleicher Folge schreitet die Pflanze bei ihrer Fort- pflanzung fort. Es ist kein Stillestehen mehr möglich, und ist auch das Individuum zum Abschlusse gebracht, so baut es sich in seiner Nachkommenschaft doch in derselben Weise fort. Dadurch entsteht eine Reihe von Individuen, räumlich zwar von einander getrennt, aber durch die Generationsfolge loch immerhin zu einer Einheit, zu einem Ganzen verbunden. Wie auch in der Reihe dieser Individualisirungen das Leben auf- und niederschwanken mag, alle Glieder desselben hän- gen immerhin realiter zusammen, obgleich der Faden zerreisst, der sie bei ihrer Entstehung zusammenhält. Die Summe die- ser in der Erscheinung getrennten Individuen ist es nun, welche wir als Gattung (species) bezeichnen, und es ist nicht in Abrede zu stellen, dass dieser Begriff keineswegs ein blosses Aggregat von Einzelheiten, sondern eine Reihe derselben darstellt, in der sich jedes Glied in einem gewissen Verhältnisse zu den übrigen Gliedern verhält. Dieses Ver- hältniss ist aber kein anderes als das Verhältniss, in welcher eine Zelle zur andern, ein Blatteyklus und eine Blattforma- tion zur andern und endlich ein Spross zum andern sich befindet. Dadurch geht aber von selbst hervor, dass die Gattung in ihrer Wesenheit dasselbe ist, was eine Zellreihe, eine Folge von Blatteykeln und Blattformationen, so wie eine Sprossfolge d. i. ein organisches Ganzes. Als solches muss dem- nach die Gattung auch alle jene Eigenschaften besitzen, welche organischen Wesen überhaupt zukommen. Unter diesen be- zeichnen wir vor allen andern erstens die Entstehung aus einem Keime, zweitens die Entwicklung zu einem vollendeten 121 Ganzen und drittens das Aufgeben der Individualität nach Erreichung der Bestimmung. Es müssen demnach im Leben der Gattung alle diese Momente, die im Einzelwesen häufig sehr nahe auf einander folgen, in weiteren Zeiträumen eben so nothwendig wieder erscheinen. Mit Einem Worte, die Gattung muss einen An- fang, eine Reihenfolge weiterer Entwicklungssta- dien und ein Ende haben. Leider ist die kurze Spanne Zeit, die einzelne Beobach- ter für die Erscheinungen dieses Lebensganges der Gattung widmen können, viel zu klein, um erfahrungsmässig diese Stadien auch nur an einer oder der andern Gattung ausfindig zu machen. Nur das Absterben der Gattung oder das Ent- stehen derselben könnte allenfalls, als auf kürzere Zeiträume beschränkt, ein Gegenstand der Erfahrung sein, allein da sich auch hierin die Beobachtungen mehrerer Menschenalter ergän- zen mussten, die wenigsten Pflanzen aber durch ihren Ein- fluss auf den Menschen seine Aufmerksamkeit auf sich gezo- gen haben, so ist wohl begreiflich, dass wir auch über diesen Punkt vollkommen im Dunkel sind. Nur aus der Thierwelt tauchen hie und da bedeutungsvolle Thatsachen auf, welche in der Pflanzenwelt ähnliche Erscheinungen vermuthen lassen. Aber auch zugegeben, die Pflanzengattung hat wie die Thiergattung ihr Existenz-Alter, d. h. die ihr zugewie- sene Zeit des Daseins, so lässt sich wohl das Erlöschen aus einer steten Verminderung der Produktivität erklären, allein die Entstehung derselben, ihr Hervorgehen, ihr Eintritt in die Natur, ist damit noch nicht erklärt, wenn wir ihr auch auf einmal unter den bereits bestehenden Gattungen begegne- 122 ten. Die Frage über den primordialen Zustand der Gattung, über das Verhältniss derselben zu den übrigen Gattungen und zur Natur im Ganzen ist damit noch nicht gelöset. Fasst man, wie es bisher üblich ist, die Gattung als eine Summe gleichgebildeter (gleichartiger) Individuen auf, an de- nen sich, wie die Erfahrung unserer Beobachtungsfrist zeigt, auch nicht eine Erscheinung sich bleibend ändert (unverän- derliche Merkmale), so wird man nothgedrungen zur Erklä- rung dieser Frage auf den Satz geführt, dass die Entstehung der Gattung unmöglich in einer der vorhergehenden ihren Grund haben könne. Es bleibt also nichts übrig, als anzu- nehmen: Kräfte ausser dem Bereiche der organischen Welt treten zur Erschaffung der Gattung zusammen, eine Annahme, die, wenn auch nicht im Widerspruche mit der Wirksamkeit anorganischer Kräfte überhaupt, doch wenigstens wie ein ba- res Wunder klingt. Ganz anders nimmt sich die Sache aus, wenn wir den Pfad der Analogie verfolgend die Gattung als eine Summe bildungsfähiger daher veränderlicher Elemente ansehen, in welcher zwar auf lange Zeiträume hinaus keine Metamorpho- sen bemerklich werden, nichts desto weniger aber im Um- fange von Jahrtausenden (aus welchen gering gerechnet, das Existenz - Alter jedes organischen Wesens bestehen mag) Kei- men, Wachsen, Blühen, Fruchtbringen und Reifen der Gat- tung erfolgt. Es würde allerdings irrig sein anzunehmen, dass in die- sem Metamorphosengange der Species eben nur die Verschie- denheit der Gattungen bestände, allein wer mag es leugnen, dass nicht durch diese immerhin an eine gewisse Norm ge- 123 bundene Veränderlichkeit des Bildungstriebes neue Kombina- tionen der Elemente entstehen, die sich von dem vorhandenen Gattungscharakter losreissen und als neue Gattungen in die Erscheinung treten. Man frage mich nicht, wann? man frage nicht wo dergleichen Abzweigungen aus den bereits bestehen- den Gattungen entstanden. Hierüber kann nur die Entwick- lungsgeschichte der gesammten Pflanzenwelt möglicher Weise Aufschluss geben, jedoch so viel ist klar, dass dieser die Gattung betreffende Generationswechsel weder den Jugendzuständen noch dem Alter der Gattung angehören mögen, sondern der Periode ihrer grössten Kräftigung, ihrer höchsten Entwicklung sowohl dem Umfange als der Energie des Bildungstriebes nach. Indess sind uns selbst in unserer fragmentarischen Beob- achtungszeit Erscheinungen aufgestossen, die bedeutungsvoll zur Unterstützung obiger Ansicht dastehen, und wenn auch nicht, wie man meinte, an der Stabilität der Gattungen rüt- telten, so doch den grossen Metamorphosengang einer Gat- tung in die andere und somit das Zusammengehören dieser unter eine höhere Einheit deutlich beurkunden. Es sind dies Erscheinungen, die zum Theile dem normalen Leben, theils dem krankhaft entfesselten Bildungstriebe angehören. Das Abweichen einzelner Merkmale von der Regel in der Succes- sion von Generationen ist eine der gewöhnlichsten Erschei- nungen. Bei grösserer oder geringerer Beständigkeit dieser Abweichungen nennen wir das eine Abartung (variatio), das andere Racenbildung. Wie weit dieselben oft gehen können, zeigen unsere Kulturpflanzen, in welchen wir die Stammeltern kaum wieder, ja oft gar nicht mehr zu erkennen im Stande 124 sind. Dass diese Abweichungen nicht durchaus von einer Aenderung äusserer Einflüsse, namentlich von veränderten Licht-, Luft-, Feuchtigkeits- und Boden-Einfluss u. s. w. herrühren, beweiset schon der Umstand, dass sich zwei ähn- liche Arten von Pflanzen unter diesen Umständen häufig ganz verschieden verhalten. Während der Bildungstrieb beider gleich stark affızirt wird, schlägt er bei der einen um, indess er bei der andern ohne Erfolg bleibt. Der Versuch daher, die Verschiedenhei- ten der Gattungen auf Einwirkung äusserer Momente, na- mentlich auf die Bodenbeschaffenheit zurückzuführen, lässt sicherlich den wahren Grund bei Seite stehen. Eben so un- zulänglich, obgleich nicht bedeutungslos, bewährt sich der Erfolg, den die Zeugungsthätigkeit der einen Pflanzenart auf die andere ausübt, wodurch sowohl bei den höheren, wie bei den tiefer stehenden Pflanzen (selbst bei Moosen und Farn) Mischlinge (Hibriditäten) entstehen, gleichsam neue aus der Kombination zweier hervorgegangene Gattungen. Ihre Dauer, obgleich auf einige Generationen anhaltend, ist jedoch immerhin beschränkt, daher solche Bastarde nie im Stande sind, das Bürgerrecht unter den übrigen ebenbürtigen Pflanzengattungen anzuspre- chen und zu erlangen. Endlich liegen noch die Erscheinungen abnormen Bil- dungstriebes als nicht unbedeutende Momente für das stetige Vorhandensein eines umbildenden Pflanzentriebes in der Wag- schale. Wer kennt nicht die ihm auf jeder Wiese, in jedem Garten aufstossenden Zeichen verwandelter Pflanzentheile. Nicht blos, dass sich Stamm und Blätter übermässig ausdehnen, ein anderes Gewebe, andere Bestandtheile u. s. w. erhalten; selbst 125 in der sonst so gesetzmässigen Blattordnung tritt ein Schwan- ken ein, die Cykeln ändern sich, die Aufeinanderfolge in den Formationen wird gestört, und Umwandlungen der son- derbarsten Art treten ein. Wem sind die sogenannten verbreite- ten Schösslinge, die gefüllten Blumen, die durchwachsenen Blüthen (°°), die zerschlitzten Früchte u. a. m. unbekannt ge- blieben ? Ueberall ist es der nach Sättigung dürstende Bil- dungstrieb, welcher bald ver- steckt, bald offen diese Erschei- nungen hervorruft. Und es sollte diesem Wandelgeist, diesem Ver- treter des Unsteten und Ver- änderlichen in der That nicht | ı gelingen, sich über die engen Grenzen der Gattungseigenthümlichkeit hinauszuschwingen ? Dies ist kaum glaublich. — Wenn wir demnach auch alle bisher gemachten Beobachtungen über die Umänderung der Fig. 35. Eine durchwachsene Lilie (Zilium candidum), in welcher sich alle Theile der Blume in einen beblätterten Zweig umwandelten. Der Blü- thenschaft dieser Pflanze hatte dadurch, dass sämmtliche Blumen diese Metamorphose eingingen, ein durchaus verändertes Aussehen. Die Ab- bildung ist die Hälfte der natürlichen Grösse. 126 Gattungstypen als unrichtig verwerfen müssen, können wir doch nicht umhin, in dem Genius, der die Gattung bestimmt, ihre Einheit durch alle Zeiten und Räume zu bewahren sucht, und wirklich bewahrt, dennoch die Kraft zu erkennen, die nicht blos aus Wasser Wein macht, sondern mit gleicher Zaubermacht auch eine Gattung in die andere überzuführen im Stande ist. Ist aber aller Gattungunterschied vor diesem Zauberstabe in Nichts versunken, wie lässt sich zweifeln, dass in den höheren Kategorieen nicht dieselbe genetische Einheit herrsche, dass nicht auch sie das Ergebniss der Abstammung in weiteren Kreisen sei. Wahrlich, wir würden sehr irren, wenn wir nicht auch diesen, durch unseren Geist zusammen- gefassten Einheiten eine reale Existenz beimessen. Hat sich die Einheit des Pflanzenleibes überhaupt nur dadurch mög- lich gemacht, dass alle seine einzelnen Elemente eines aus dem andern hervorgegangen sind, so ist diese Einheit in der gesammten Schöpfung der Pflanzenwelt gewiss ebenfalls nur dadurch möglich, dass ein Glied aus dem andern, eine Gat- tung aus der andern, ein Geschlecht, eine Familie aus der andern ihren Ursprung nahm. Und eben so wenig im Pflan- zenleibe auch nur eine einzige Zelle von Aussen hinzukommt, eben so wenig kann eine Gattung, ein Geschlecht, eine Ord- nung u. s. w. von Pflanzen von Aussen hergekommen, und nicht aus ihrem Schoosse entstanden sein. — So baut sich vor unserem erstaunten Blicke nicht blos das wunderbar gegliederte Gebäude der sichtlichen Pflanzen- gestalt auf, es reicht dies selbst in Regionen hinein, die un- ser sterbliches Auge nicht mehr zu durchdringen im Stande -ist. Nicht blos die Einzelpflanze, sondern das ganze Pflan- zenreich ist ein Bau — ein Bau zu dem die Tausend und aber Tausend Geschlechter wie Blätter und Blüthen, wie ein- zelne Zellen als Bausteine dienen. FÜNFZEHNTER BRIEF. DAS PFLANZENREICH IN SEINER RAUMLICHEN AUSDEH- NUNG. (GEOGRAPHIE DER PFLANZEN.) Werzeihen Sie mir, meine Leser, dass ich ungeachtet der unabsehbaren Grösse, welche der Pflanzengarten der Welt darbietet, dennoch den Muth habe, Sie in demselben herum zu führen, und Ihren Blick, wenn auch nicht nach allen Sei- ten hin, doch wenigstens nach den Hauptpunkten zu lenken. Alles Grosse erscheint uns ja erst dann in seiner wahren Grösse, wenn wir es aufgefasst haben, und dass das grüne Weltgebäude nicht minder als jedes andere der Beachtung werth ist, darf ich wohl als gewiss voraussetzen. Schon von vorn herein lässt sich vermuthen, dass der Garten, den wir betreten, zwar kein Irrgarten ist, in welchem sich jedoch einigermassen zu orientiren keine so leichte Aufgabe ist. Hät- ten nicht Männer wie Alexander v. Humboldt, Wallen- berg, Schouw, v. Martius, Robert Brown, Wallich, Reinwardt, Blume, Parker-Webb, Desfontaines, Hooker fil, Grisebach u. A. ihn bereits nach so vielen Richtungen durchstreift, wahrlich ich würde es nicht wagen, Ihr Geleitsmann zu sein und hoffen zu dürfen, Sie an das gewünschte Ziel zu bringen. 129 Durch welche Pforte wir auch eintreten mögen in den Park, welche Wege wir auch einschlagen und verfolgen mö- gen, so wird sich uns überall dieselbe Wahrnehmung auf- drängen, dass eine bunte Mannigfaltigkeit von Gestaltungen, ein Durcheinanderdrängen der differentesten Formen selbst bis auf den kleinsten Flächenraum der hervorstechendste Zug in dem Charakter der vegetabilischen Welt bilde. Fast möchte man glauben, dass eine Gesetzmässigkeit in der Anordnung der verschiedenen Glieder dieses Weltganzen durchaus nicht vorhanden, ja sogar bei der Unbestimmbarkeit der Entwick- lungen einerseits und der Wandelbarkeit äusserer Einflüsse andererseits ganz und gar unmöglich sei. Dem ist jedoch nicht so; denn zeigt sich uns auch allenthalben ein innigeres oder lockeres Durchweben der verschiedensten Formen, so wird doch der Blick gar bald dort und da von gesellig zu- sammenlebenden, wenn auch nicht ihrer Natur, so doch ihrer Lebensweise und Tracht nach verwandter Pflanzen angezogen, und es erscheint hier eine Flur, dort ein Wald, da eine Haide und Steppe, dort ein Moor, ja selbst an diesen Sam- melplätzen ähnlicher Trachten tritt nicht selten das Blutsver- wandte enger zusammen und schliesst in seinem vertraulichen Beisammensein alles Fremde mehr oder weniger aus. Ein Tannenforst, ein Küstensaum von Manglebäumen (Rhizophora Mangle), ein Haideland von Erica drücken ein bei weitem innigeres Gesellschaftsband aus, als die blumige Alpenmatte, die baumdurchwirkte Aue oder der undurchdringliche Urwald. Diese Verhältnisse sind nicht etwa erst eine Folge der Ein- wirkung des Menschen, dessen Hand allerdings mächtig in den Bestand der Vegetation eingriff, — sie sind vielmehr als Botanische Briefe, N) 150 ursprüngliche aufzufassen , wenigstens vor allem derartigen Einfluss längst stabil geworden. Geschieht auch durch die Benützung des Bodens diesem ursprünglichen Charakter man- cherlei Eintrag dadurch, dass durch den Anbau die Gesellig- keit einzelner Arten unterstützt wird, so ändert das im We- sentlichen doch wenig, und nur zu bald stellt sich, so wie jener Schutz aufhört, das frühere Verhältniss wieder her. Der Mensch hat als vermeintlicher Herr der Schöpfung bei Be- nützung seiner Wohnstätte es nur zu oft zu seiner Beschä- mung erfahren, dass er über die bestehende Anordnung der einzelnen Glieder des Gewächsreiches nur im ganz beschränk- ten Sinne Meister zu werden im Stande war, ja dass er dort, wo er anmassend Gewalt anzuwenden suchte, wohl gar von einer ihm unbekannten Macht in die Schranken verwiesen wurde. Es zeigt sich nämlich gar bald, dass jedem Gewächse auf der Erde ein bestimmtes Territorium angewiesen ist, das es ohne Gefahr für seine Existenz nicht zu verändern ver- mag. Sehet die Alpenrose vom Waldbach ins Thal hinabge- führt, wie sie trotz der lauen Lüfte dahinsiecht, betrachtet den aus Westindiens Wäldern vom Golfstrom an die Küsten Norwegens getragenen Samen, wie er, bevor er noch gekeimt hat, schon der Ungunst des Klima’s unterliegt! Oder ist etwa die Pflanze des ehrwürdigen Granithauptes, die der Sturm wohlbehalten an den nahen Kalkfels hingeweht, besser daran? oder das im lockeren Sande wuchernde Gras, das die Fluthen in zähen Thon eingebettet haben? — Vergebens scheinen selbst die mächtigsten Kräfte der Natur an dem Bestande der Ve- getation anzukämpfen, ohne irgend etwas Wesentliches ändern zu können, und wir sind daher gedrungen, anzuerkennen, 131 dass es feste Gesetze gibt, nach welchen diesen Pflanzen der, jenen Pflanzen ein anderer Ort ihres Daseins und der Ver- breitung angewiesen wurde. Am einflussreichsten hat sich hierbei unstreitig das Ge- setz der Abhängigkeit von der Wärme geltend gemacht. Dem eisernen Scepter dieses Einflusses beugt sich jedwede Pflanze, sie mag von Luft, sie mag von Wasser umfluthet sein. Wenn auch ein gewisses Wärmemass nicht gerade ge- staltverwandte Pflanzen vereiniget, so bringt es doch eine Vereinigung von Gewächsen zu Stande, die ihrem Habitus und ihrer Kapazität nach für eben dieses Agens mehr als an- dere unter einander gleichgestimmt sind. Auf diese Weise tritt in den allerumfassendsten Zügen die Verschiedenheit der Vegetation nach der Vertheilung der Wärme auf der Erde hervor, und wir unterscheiden auf das auffallendste eine Ve- getation der Polarländer, der gemässigten Zone, der wärmeren Länderstriche und der Tropenge- genden mit noch kleineren Nuancirungen, die zwischen je- nen Erdgürteln liegen. Da aber das Wärmemass überall auf der Erde eben so nach der Höhe, wie nach den Breitengra- den abnimmt, so entsprechen den in horizontaler Erstreckung auf einander folgenden Vegetationszonen eben solche dort, wo sich die Oberfläche der Erde mehr oder minder bedeutend über das überall gleiche Niveau des Wassers erhebt, und wir haben in unseren Gebirgen von unten nach aufwärts dieselbe Abwechslung der Vegetation, welche die Aufeinanderfolge der Breitenzonen darbietet, nur hier in rascherer Aufeinanderfolge, gleichwie die Abnahme der Temperatur hier ungleich rascher als dort erfolgt. Diesem Umstande ist es demnach zuzuschrei- g* 132 ben, dass die Vegetation der Polarländer und der höchsten Bergspitzen der Erde, welche die immerwährende Grenze des Schnees und Eises erreichen, eben so in ihrer Physiognomie übereinstimmen, wie es die Gewächse wärmerer Klimate und der Tropen durch die ganze Erde zeigen. Wie sehr trägt nicht die Vegetation des Feuerlandes, der Staateninsel, der Maluinen, von Kerguelensland und der südlichen Polarländer, die Vegetation der nördlichen Eiszone und die Vegetation un- serer mitteleuropäischen Hochalpen, der Anden, des Himalaıja u. s. w. einen gemeinsamen Anstrich, der sich nicht blos auf den allgemeinen Habitus, sondern selbst bis auf Familien -, Geschlechts- und Gattungsähnlichkeit erstreckt. Ein Beispiel geben die allverbreiteten Gattungen Ranun- culus, Geranium, Epilobium, Saxifraga, Poa, Festuca, Carex u. a. m., die eben so an dem unwirthlichen beeisten Strande von Victorialand und den Spitzbergen, wie auf den öden Klip- pen der Alpen, der Anden, des Himalaija u. s. w. ihre Reprä- sentanten haben. Ein Gleiches gilt auch von den übrigen Zonen. Nächst der Temperatur ist die Beschaffenheit des Bodens, oder in grösserer Allgemeinheit ausgedrückt, die Unterlage, von dem entschiedensten Einflusse auf die räum- liche Anordnung der Gewächse. Hat jene die Pflanzen nach gewissen Regionen vertheilt, so ist die Unterlage derjenige Aequator, der sie nach gewissen Distrikten ordnet, und ihnen sogar bestimmte Standorte anweiset. Nach dem Bedürfnisse für spezifische Nahrungsmittel, ungeachtet der überall verbrei- teten allgemeinen Nahrungsstoffe, drängen sich die ihrem Na- turell nach verwandten Pflanzen immer wieder näher zusam- men, so wie ihnen jene Bedingungen in einer grösseren oder geringeren Ausdehnung dargeboten werden. Und so theilen sich Land- und Wasserpflanzen und nach dem Unterschiede des Wassers diese weiters in Süsswasser- und Meerespflanzen, so wie die Landpflanzen nach der physischen und chemischen Natur des Bodens in Sumpf- Sand- Fels- Pflanzen, — in Torf- pflanzen, Salzpflanzen und in Pflanzen des Kalkes, des Gyp- ses, des Thonschiefers, des Granites u. s. w. Wir ersehen in der grossen Mannigfaltigkeit der physischen und chemischen Beschaffenheit des Bodens die Bedingungen einer eben so grossen Mannigfaltigkeit (ler von eigenthümlichen Pflanzen be- haupteten Distrikte. Wie einflussreich sich hierin selbst die durch grössere oder geringere Verbreitung und Wechsel ge- wisser geognostischer Formationen hervorgebrachte Einerlei- heit und Verschiedenartigkeit der Vegetation erweiset, zeigt jedes Land, jedes Gebirge. Wie die Wärme, so ist auch der Wassergehalt der At- mosphäre und die davon abhängige Feuchtigkeit der Luft und des Bodens an gewisse Normen in ihrer Ver- theilung über die Oberfläche der Erde gebunden, und sind die Gürtel periodischer Niederschläge nach der Menge des fal- _lenden Wassers auch weniger regelmässig, so scheint darum die Vegetation nicht weniger diesem einflussreichen Momente zu folgen. Nicht nur das Vorhandensein, die Stärke und Ueppigkeit der Vegetation hängt davon ab, sondern auch die Periodieität ihres Erwachens und Schlafens.. So wie Wärme und Kälte in und über die gemässigte Zone hinaus ein Still- stehen und Wiederaufleben der Vegetation bedingt, so hat Feuchtigkeit und Trockenheit der Luft und des Bodens in 134 den wärmeren Gegenden ein ähnliches Schwanken zur Folge. Dort aber, wo Wärme und Feuchtigkeit sich zugleich in ho- hem Masse geltend machen, erfolgt auch eine Ueppigkeit der. vegetabilischen Decke, die sich eben so in der Mannigfaltig- keit der Formen wie in der Massenhaftigkeit der Individuen gusspricht. Während wir demnach leichten Fusses über Al- penmatten und Wiesengründe der Polarländer hinwegschrei- ten, müssen wir uns durch das unentwirrbare Gedränge der Urwälder der Tropen wie z. B. Brasiliens, West- und Ost- indiens, der Sunda-Inseln u. s. w., ja selbst der feuchten Chonos-Inseln mittelst der Axt Bahn brechen und sind nicht sicher mit jedem Schritte von rankenden, schlingenden, über einander aufgethürmten und schmarozenden Gewächsen um- ringt und gefangen gehalten zu werden (?°). Haben sich nun aber auch alle bisher durchgeführten äusseren Einflüsse als Bedingungen gleichförmiger Gestaltun- gen der Pflanzenwelt für grössere oder kleinere Distrikte gel- tend gemacht, und je nach ihrer mehr regelmässigen oder unregelmässigen Vertheilung auf der Erdoberfläche eine bald monotone bald in, kleineren Räumen wechselnde Vegetation erzeugt, so ist doch dadurch keine solche Gruppirung der Pflanzen hervorgegangen, dass die ihrem morphologischen Cha- rakter nach verwandten Gewächse darnach in nähere Berüh- rung gebracht worden wären. Die Matten des Nordens wer- den nicht ausschliesslich hier durch Moose, dort durch Gras- arten, an einer dritten Stelle durch doldentragende Gewächse, eben so die Wälder der Tropen hier durch Fikusarten, dort durch Cäsalpinien und Leguminosen u. s. w. gebildet. Ein inniges Vermischen selbst der im Habitus oder in ihrem Naturell verwandten Pflanzen ist durchwegs zu bemerken und bildet einen so hervortretenden Zug in der Physiognomie der Fig. 36. Ein tropischer Urwald in Brasilien (Pedra da Onga) nach Zeich- nungen von Benj. Mary. (v. Martius Flora brasiliensis fasc. A. tab. phys XXXIV.) Diese Landschaft stellt eine in die üppigste Vegetation eingehüllte Fel- senpartie vor, in deren Tiefen ein kleines Wässerchen rieselt. Palmen und verschiedene tropische Laubbäume bilden den Holzwuchs, 156 verschiedenen Pflanzenformationen, dass es nur höchst selten geschieht, wenn nahe verwandte Formen sich ausschliesslich des Bodens bemächtigen oder doch wenigstens vorwiegend er- scheinen. Auf dieses Verhältniss des Vorwiegens gewisser durch Verwandtschafts-Gesetze unter einander verbundener Pflanzen beruht zuletzt der Charakterzug, den diese oder jene Gegend, der oder jener Strich Landes erhält, welcher, ob- gleich er nicht immer scharf in die Augen fällt, doch durch die Beobachtung gefunden werden kann, und der es auch rechtfertiget, die ganze Oberfläche der Erde nach diesen Ve- getationseigenthümlichkeiten eben so in Reiche abzutheilen, wie es die Sonderung der verschiedenen Völkerschaften der "grossen Menschenfamilie erheischte. So wie wir also ein Reich der Sinesen, der Hindus, der äthiopischen Völker, der Incas u. 8. w. haben, eben so gibt es ein Reich der Camellien und Celastrinen, der Scitamineen, der Stapelien und Mesembrian- themen, der Cinchonen, Cacteen u. s. w., wenn auch that- sächlich nicht immer wie dort die Natur hervorragender Völ- kerstämme so hier die Masse der Pflanzen als massgebend erscheint. Wer wird es leugnen, dass über den letzten Grund der Vertheilung der Völkerfamilien noch ein tiefes Dunkel schwebt, und wer mag es in Abrede stellen, dass uns die Einflüsse, welche diese und keine andere Vertheilung der an deren lebenden und abgestorbenen Stämmen ganze Truppen von grös- seren und kleineren krautartigen Gewächsen wuchern, worunter insbe- sonders die kletternden grossblättigen Pothos und Caladium, die schönen Blattbüschel der Bromelien und die ähnlich unserem nordischen Baum- bart (Usnea) von den Aesten herabhängende Tillandsia usneoides unser Auge anziehen. Während hier Massen von dürstenden Gewächsen sich nach dem Wasser drängen, scheinen dort andere in die Luft zu entflie- hen und sich von Baum zu Baum schwingend das Dickicht nur noch undurchdringlicher zu machen, durch das selbst die glühenden Sonnen- strahlen nur schwer bis an den dampfenden Erdboden gelangen. 157 Pflanzengruppen auf der Erde bewirkten nicht eben so unbe- kannt sind. Allerdings mag der Schlüssel für das Verständ- niss des einen wie des anderen Geheimnisses in den früher durchlebten Verhältnissen zu suchen sein, aber wer möchte nicht vermuthen, dass wie überall in der Natur, auch hier die einfachsten Verhältnisse zum Grunde liegen. Ist die Pflanzengattung nach ihrer dermaligen Erschei- nung, wie wir es wahrscheinlich zu machen suchten, eine Pro- genies der Altvorderen, und führt diese Annahme zuletzt auf immer wenigere und einfachere Grundtypen, so lässt sich bei den immer grösser werdenden Verbreitungsbezirken, in wel- chen die Urformen dereinst erschienen, eine eben so grosse Verbreitung aller abgeleiteten Typen als nothwendig erkennen. Wie demnach die Urformen sich die ganze Erde unterwarfen, ınussten die sich in steten Gegensätzen bildenden abgeleiteten Typen sich in das Bereich des gesammten Festlandes und der Oberfläche der Erde überhaupt theilen. Es konnten somit nicht irgendwo nur die einen, am andern Erdtheile die andern unter sich verwandten Formen hervorgehen, sondern die grösst- möglichste Mischung derselben musste die Folge sein, abge- sehen davon, dass äussere klimatische Boden- und andere Unterschiede die ursprüngliche Differenzirung noch vielfältig unterstützten und erweiterten. Wenn wir demnach die ursprünglichen Schöpfungsherde der Pflanzengattungen fast gar nicht mehr auszumitteln im Stande sind, so liegt es wahrlich nicht in ihrem Mangel, son- dern in dem vielfältigen Verschlingen und Verweben ihrer fortwährend veränderlichen Grenzen, gleichwie die in einem Wasserspiegel durch fallende Körper erzeugten Kreise eben 158 so schwer der Zahl und der anfänglichen Stelle nach bestimmt werden können. Aber für das geistige Bedürfniss des Menschen sowohl als für das leibliche ist diese vielseitige Durchschlingung der Vegetation von grossem Vortheile.e Während einerseits eben dadurch der Sinn für Einheit in der Mannigfaltigkeit geweckt und geschärft wird, hat es dasselbe Verhältniss möglich ge- macht, dass der Mensch sich über die ganze Erde ausbreitete und überall die Bedingungen seiner Existenz finden konnte. Der Irrgarten, als welcher dem Unverstande der Pflanzengar- ten der Welt erscheint, wird demnach für den Einsichtsvollen in der That zum Ausdrucke der innersten Harmonie, zu einem wahren Eden, für welches ihm nur — die Unschuld fehlt. SECHZEHNTER BRIEF. DAS PFLANZENREICH IN SEINER ZEITLICHEN ERSCHEI- NUNG. . (GESCHICHTE DER PFLANZENWELT.) Schon einige Male sind wir bei dem Eingehen in die ur- sächlichen Verhältnisse der Erscheinungen der Pflanzenwelt auf die Betrachtung seiner früheren Zustände hingewiesen worden. Die Pflanzenwelt als ein vielgliedriges Ganzes, die Gruppirung der Glieder über die Oberfläche der Erde u. a. m. sind Dinge, die ohne Auffassung des ihnen zum Grunde lie- genden Ganges der Entwicklung nie in ihrer wahren Bedeu- tung erkannt werden können. Dies und mehreres Anderes drängt uns, nicht blos das jugendfrische Antlitz der Pflanzen- schöpfung der dermaligen Welt, sondern eben so auch das altergraue der Vorzeit ins Auge zu fassen. Wir dürfen uns aber keinen grossen Gewinn von der Betrachtung des Doppel- antlitzes dieses Janushauptes versprechen, wenn wir in dem nach rückwärts blickenden Gesichte desselben etwa nur den unserer Zeitrechnung unmittelbar vorausgegangenen Zustand kennen zu lernen im Stande wären. Abgesehen davon, dass bei dem Mangel aller historischen Ueberlieferung, aller Denkmäler der Vorzeit ohnehin kein de- taillirtes Bild möglich wäre, würde uns dasselbe überdies 140 wenig lehren, da alle historischen Zeitabschnitte viel zu kurze Perioden umfassen, indem Veränderungen der Art, wie sie im Leben der Gattung vorkommen, unmöglich in so engen Gren- zen der Zeit hervortreten können. Nur Perioden, die weit über die historische Fassung der Menschengeschichte hinaus- reichen, sind allein im Stande, uns über dergleichen Zustände Licht zu verschaffen. Aber indem wir einen so umfassenden Zeitraum für eine erfolgreiche Betrachtung beanspruchen, ge- nügt es uns eben so wenig in jene Zeit hinüberzublicken, die dem Dasein des Menschengeschlechtes unmittelbar vorherging, Ja um für jene Zustände der Vegetation einen weiteren An- haltspunkt zu finden, wird ein Zurückgehen auch auf frühere Zeiträume nothwendig, und so gelangen wir, soll unsere An- sicht vollständig und folgerecht werden, zur Betrachtung ei- ner ganzen Reihe aufeinanderfolgender Perioden bis zu einer Zeit, wo die ersten Pulsschläge des Lebens überhaupt fühlbar geworden sind. Nur in dieser Succession der Zustände des Pflanzenlebens liegt ihre Entwicklungsgeschichte, liegt aber auch das „darum“ auf das „warum“, das wir auf andere Weise nicht zu beantworten vermöchten. Wenn es als eine ausgemachte Wahrheit zu betrachten ist, dass kein Tropfen Wassers auf der Erde verloren geht, kein Atom des All’s verschwindet, dass überhaupt nichts spur- los zu Grunde geht, so liegt in dieser Wahrheit der grösste Trost für diejenige Wissenschaft, die sich die Betrachtung der Begebenheiten, die Veränderungen der Dinge und ihre Schicksale in der Zeit zum Vorwurfe macht. Da jeder Zu- stand die Folge eines vorausgegangenen Zustandes ist, und dieser immer weiter auf eine Reihenfolge früherer Zustände . 44 hinweiset, so bedarf es nur eines einzigen Schlüssels, um von dem letzten Verschlusse zu dem ersten zu gelangen. Dieser Schlüssel ist jedoch noch für die wenigsten Dinge gefunden, namentlich eben so wenig für die Pflanzenwelt. Statt also aus den dermaligen Zuständen die früheren Zustände zu er- forschen, um dieselben als nothwendig vorausgegangene Pha- sen zu bezeichnen, bleibt uns nichts übrig, als nachzufor- schen, ob nicht etwa Monumente vorhanden wären, welche vorausgegangene Schöpfungsperioden hinterliessen, und die durch den Zahn der Zeit vielleicht noch nicht ganz zerstört sind. Indem wir uns diese antiquarischen Forschungen zum Zwecke machen, gehen wir in der That nicht leer aus. Bei sorgfältiger Durchsuchung der verschiedenen Erdschichten und Gesteinsbauten stossen wir bald auf Münzen mit wohlerhalte- nem Gepräge, bald auf Utensilien und Kunstgegenstände man- cherlei Art, ja selbst auf Grundvesten von Bauwerken, die uns ein nicht undeutliches Bild einstiger Zustände gewähren. Die Münzen sind für die Geschichte der Pflanzenwelt die Ab- drücke von Blättern und anderen Pflanzentheilen, die Uten- silien die Versteinerungen, die Grundvesten der Bauwerke die Lager von Steinkohlen, Ligniten u. dgl. Alles dieses spricht aber so zuversichtlich für eine Zeit früheren Daseins der Pflan- zenwelt, als in ihren verschiedenen Formen und der Aufein- anderfolge derselben die Phasen ihrer Entwicklung dargelegt sind. — Das Suchen nach den für den Menschen so nützlichen Me- tallen hat denselben schon seit den ältesten Zeiten veranlasst, die verborgenen Tiefen der Erde aufzuschliessen, der Hang nach 142 erhöhtem Wohlstand hat das Bedürfniss hiefür fort und fort vermehrt, und dadurch beigetragen, immer tiefer und allsei- tiger vorzudringen. Es konnte dabei nicht ausbleiben, wenn die Arbeit von Erfolg sein sollte, in der Kenntniss des Baues der Erdveste, oder wie wir vielmehr sagen sollen, der Erd- rinde, immer weitere Fortschritte zu machen. Die hierüber gemachten Erfahrungen zusammengestellt bilden das was man Bergbaukunde, Geognosie, Geologie u. s. w. nennt. Das ganze Alterthum hat indess für die in den oberfläch- lichen Erdschichten verborgene Geschichte der organischen Wesen und daher auch der Pflanzen keine Ausbeute gemacht. Das Gold ging ihm über alles; es übersah die verschlossenen Goldklumpen, die neben jenen offen daliegenden Körnern wa- ren. Erst vor einigen Jahrhunderten, in der Zeit, wo der Mystiecismus ahnungsvoll und phantasiereich den Schleier der Isis emporzuheben versuchte, fanden versteinerte Muscheln, Gebeine von Drachen und Unthieren eine Beachtung, und eben so ergötzte sich das Auge an den zarten Zeichnungen der Blattformen unbekannter Pflanzen und liess aus dem in Stein umgewandelten Holze Kunstgegenstände mancherlei Art be- reiten. Noch war die Paläontologie, die Vorläuferin einer Ge- schichte organischer Wesen, kaum ein lallendes Kind. Der grösste Fortschritt geschah erst mit dem durch die Noth ge- botenen Aufschluss der Lager fossilen Brennstoffes. Wer hatte noch vor 200 Jahren geahnet, dass in den den Mineralkörpern ganz und gar verwandten Steinkohlen nichts anders als die Reste einer ungeheueren Vegetation der Vorwelt begraben liegen, — wer hätte vermuthet, dass es uns aus den an der 145 Grenze dieser Lager im tauben Gesteine vorkommenden Ab- drücken von Blättern, Rindentheilen, Früchten, Samen u. s. w., so wie aus ihrer hie und da erhaltenen Struktur gelingen würde, ihre Bildungsgeschichte zu lesen, — wer hätte endlich damals die kühne Hoffnung gehegt, daraus sogar einen Mass- stab für die Zeit zu finden, und die Millionen von Jahren zu zählen, die in der Bildung der Pflanzenwelt der Gegenwart vorausgegangen sind? Haben dem Geschichtsforscher die Geo- gnosten ein immer vollständigeres Bild von der Aufeinander- folge der Gesteinsschichten und der Schichtenkomplexe (For- mationen) gegeben und die Entstehungsweise derselben an- schaulich gemacht, so unterliessen es jene umgekehrt nicht, Schritt für Schritt von den untersten bis zu den obersten Schichten die in ihnen eingeschlossenen, obgleich meist nur in Trümmern, aber dennoch zum Kennen erhaltenen organi- schen Reste aufzulesen, sie unter einander zu vergleichen, zu ordnen und sich durch diese bedeutungsvollen Wraks früherer Schöpfungsperioden einen Ueberblick sämmtlicher Wesen und ihrer Formen zu verschaffen. Es stellte sich gar bald die unzweifelhafte Wahrnehmung heraus, dass die Pflanzenwelt so wie die Thierwelt von den frühesten Weltaltern an bis jetzt einen mächtigen Umschwung erlitten haben. Alle Zweifel über die Unvollständigkeit un- serer Untersuchungen wurden gelöset, und wenn uns gegen- wärtig auch nicht das ganze Materiale vor Augen liegt, wor- aus die heutigen Schöpfungen der Pflanzenwelt ihren Reich- thum entfalteten, so sind uns doch die wesentlichen Glieder jener bis in undenkliche Zeiten hinabgehenden Vegetation sicherlich nicht mehr verborgen. 14 Aus der Zusammenstellung aller bisher gelieferten Bei- träge von Sternberg und Lindley bis Ad. Brongniart und Göppert geht für die Entwicklungsgeschichte der Ve- getation als sicher hervor, dass mit den sieben grossen geologischen Perioden (die jetzige mit eingerechnet), auch die Pflanzenwelt, die in sieben grössere Abstufun- gen zerfällt, nur stufenweise ‘sich nach und nach hervorge- bildet hat. Zeichnet sich die erste oder die Uebergangsperiode durch den vorherrschenden Charakter der allereinfachsten Gewächse aus, so ist es die Steinkohlenperiode, die durch das Ueber- wiegen der sogenannten Gefässkryptogamen, die Triasperiode durch die Monocotyledonen, die Juraperiode durch die nackt- samigen Pflanzen u. s. w. bis zur heutigen siebenten Periode, die durch den überwiegenden Einfluss der dialypetalen Pflan- zen bestimmt wird. Diese Untersuchungen zeigen ferner ganz klar, dass selbst die erste der Schöpfungsperioden mit einer Summe von Pflanzenformen begann, die massgebend für alle übrigen sein konnte, d. h. in welcher die Keime für alle spä- ter erfolgten Entwicklungen zu finden sind, mit einem Worte, mit Pflanzen, die in der That als wahre Urformen anzusehen sind. Es liegt also der Pflanzenwelt im Ganzen nicht etwa eine einseitige lineare Entwicklung zum Grunde, sondern eine allseitige, strahlenförmige Ausbreitung, und in jenen Urbil- dern ist der ganze Inhalt der Jetztvegetation, wie in einer nach flüchtigen Umrissen entworfenen Kreidezeichnung' ent- halten (*”). Konnte es sich bei diesem steten aus sich Herausgehen der Vegetation, welche sich nach und nach in den Schöpfungs- EIN CALAMITENWALD DER STEINK( )HLENPERIODE. 145 perioden versinnlichte, anders kommen, als dass mit der Ent- stehung neuer Formen die früheren allzumal ihr Ende, ihr Erlöschen fanden. So schreitet die Idee der Pflanze, wie frü- her von Zelle zu Zelle, von Blatt zu Blatt, von Spross zu Spross, von Individuum zu Individuum auch hier in stetem Absterben und Neuerzeugen der Geschlechter in ununterbro- chenem Wellenschlage der Verjüngungen vorwärts, eine Schö- pfungsperiode um die andere bedingend, jede neu, jede fremd, jede aus den früheren verwandten aber durchaus veredelten Elementen hervorgehend. Wie ganz anders erscheint uns nun die Pflanzenwelt der Gegenwart, sie, die durch Tausende ungenügender Versuche zu ihrer gegenwärtigen Vollkommenheit und ihrer weitumfas- senden Verbreitung herangereift, in der Mannigfaltigkeit ihrer Geschlechter ihre ganze Geschichte in sich abspiegelt. Kann uns der bisher unerklärte Eindruck, den ein Farnkraut, ein Nadelwald, ein Cycadeenbusch,, ein Grasfeld auf uns macht, in seiner letzten Bedeutung noch verborgen bleiben? Ist es nicht das längst verschlossene Grab der Steinkohlenflötze, das Fig. 37. Man sehe beiliegendes Bild, welches einen Calamitenwald der Stein- kohlenperiode darstellt. Es gehört diese seltsame Vegetation dem Jugend- alter unseres Planeten an, in welchem zwar schon die vier grossen Haupt- gruppen der Pflanzen-Gestaltung (Zhallophyta, Acrobrya, Amphibrya und Acramphibrya), von letzterem jedoch nur die erste Abtheilung (Gymno- spermae) entwickelt waren. Ausser den schachtelhalmähnlichen Bäumen, einigen Farnkräutern und Farnbäumen und der seltsamen Stigmaria ‚ficoides, welche versumpfte Stel- len bewohnte, sehen wir hier noch kein edleres Gewächs, nicht einmal einen kätzchentragenden Laubbaum. Der Einbruch einer Wassermasse stürzt die hochwüchsigen, hohlen und brüchigen Calamiten-Stämme leicht über einander, und vermehrt so wie Windbrüche auf. unseren Torfmooren die Pflanzenmasse, die sich nach und nach in Steinkohle verwandelt. Eine trostlose Oede, von keinem höher belebten thierischen Wesen bevölkert, scheint sie so recht eigent- lich zu einer Wahlstätte auserkoren, auf der durch Jahrtausende fort und fort die wildesten Stürme sich unversöhnt begegneten. Botanische Briefe. 10 sich hier aufthut, das geheimnissvolle Dunkel der Jurazeit, der Triasperiode, das uns aus denselben anspricht? Wie alle Trümmer untergegangener Grössen etwas Klagendes an sich haben, so können die letzten Reste jener dahinsiechenden For- men ebenfalls nicht anders als im Tone der Wehmuth zu uns reden. Diese Sprache gemischt mit der heiteren der in höchster Entwicklung begriffenen Formen ist der wunderbarste Kon- trast, der durch das Auge in unser Ohr dringt, und erklärt besonders bei empfindsamen Menschen vielleicht allein das Wohlgefallen und das Missbehagen, das die eine und die an- dere Pflanze in ihnen hervorbringen; für den denkenden Men- schen aber ist und bleibt es immerhin eine Aufforderung, sich in die Tiefen ihres Seins und ihrer Bedeutung zu versenken. — Wir haben die Pflanze anfänglich mit einem Baue ver- glichen. Die elementare Zusammensetzung aus Zellen, ihre Verbindung und Anordnung zu Massen, der Aufbau ihres Leibes in der Form übereinander gestellter Stockwerke, alles das lässt vielfache Vergleichungen mit der Konstruktion von Bauten zu. Es ist aber noch ein Vergleich, der nicht minder als die vorhergehenden passt, übrig, es ist der Vergleich der verschiedenen Baustyle und ihrer Ornamentik mit dem histo- rischen Charakter der Vegetation. Gleichwie sich jener aus den einfachsten Formen ent- wickelte und allmälig in den indischen, egyptischen, ma- layischen und in den antiken Styl der klassischen Völker des Alterthumes überging, aus welchen sich der byzantinische, der maurische, der gothische und alle modernen Baustyle hervorbildeten, so sehen wir auch den Baustyl der Pflanzen- welt vielfach geändert. Und wie es uns seltsam ergreift, wenn 147 wir neben den halbversunkenen Bauwerken der Tolteken das leichte, lichte Dach der Romanen, neben den Tempeltrümmern ihrer Herrschaft baren Götter, das verschlossene Häuschen, neben den Königsgräbern und Pyramiden die ärmliche Stroh- hütte erblicken ; so ist der Eindruck kein anderer, als wenn wir im Schatten absterbender Nadelwälder die lächelnde Rose, im altergrauen Eichenhain das heitere kleine Veilchen bemer- ken, und die Aufgabe, das Leben nur für eine vorübergehende Form des Daseins zu nehmen, tritt klarer in den Vordergrund der Empfindung. 10° SIEBENZEHNTER BRIEF. WESEN DER PFLANZE. — ANKNÜPFUNG AN DIE SCHCEPFUNGSIDEE. Eines; und zwar das Wesentlichste, ist noch übrig, um das Bild, welches wir von der Pflanze zu entwerfen suchten, zu vollenden, — das ist ihre Stellung in der Reihe der or- ganischen Wesen überhaupt, in der sie selbst wieder nur ein Glied ausmacht. Nicht bloss im Organismus der Pflanze als Einzelwesen, im Leben der Gattung so wie des gesammten Pflanzenreiches hat sich die innigste Verkettung aller Einheiten kund gege- ben, es scheint, dass sich dieses Band noch weiter hinauszieht und zunächst ein Wesenreich berührt und durchschlingt, das weit über die stille in sich verschlossene Pflanze hinausreicht. Wie enge diese Berührung zwischen Pflanze und Thier, wie innig die Durchdringung sowohl in materieller als ideeller Richtung zwischen beiden ist, möge mir zum Schlusse etwas näher zu beleuchten erlaubt sein. Schon seit Langem bildete die scharfe Abmarkung bei- der Gebiete des Lebens eine Hauptaufgabe für alle Jene, die gewohnt sind, alles nach fest bestimmten Normen zu betrach- ten. Die vulgären Begriffe von Pflanze und Thier, mit denen man wohl auslangt, wenn man sich in den mittleren Theilen ihres Bereiches bewegt, schienen nicht mehr auszureichen, so 149 wie man sich den Grenzen näherte. Ein vielfaches Ineinan- dergreifen der Marken schien um so deutlicher hervorzutreten, je emsiger man bemüht war, sowohl im Baue und in der chemischen Constitution als in den Lebensäusserungen sichere Unterschiede auszumitteln. Einmal glaubte man in den Ele- mentartheilen und der Art ihrer Vervielfältigung, im Baue und in der Anordnung der Organe einen Unterschied zwischen Pflanze und Thier zu finden, ein anderes mal versprachen die Stoffverhältnisse beider sichere Grenzscheiden, und wenn das nicht, sollten doch in den Lebenserscheinungen derselben, na- mentlich in den Bewegungsphänomenen solche Merkmale lie- gen, die es nicht zweifelhaft liessen, ob sie von einem pflanz- lichen oder thierischen Organismus ausgingen. Man kann wirklich sagen, Anatomen, Chemiker und Physiologen haben mit vereinten Kräften Pflanzen und Thiere auf die Folter ge- spannt, um sich eine bestimmte Antwort auf diese Frage zu erzwingen. Allein was war die Folge? Während man mit allem Scharfsinn die einmal bestimmten Grenzen festzuhalten suchte, geschah durch Entdeckungen, sowohl von Seite der Chemiker als der Physiologen, ein Einbruch um den andern in die gegenüber stehenden Gebiete, so dass man gegenwärtig in der Lösung des Problems um keinen Schritt weiter gekom- men ist. Es stellte sich vielmehr heraus, dass jeder Versuch der Art ein Kriegszug in einem Nebellande ist, wo sich beide Parteien nicht bloss gegenseitig, sondern auch unter einander aufreiben. Lassen Sie mich daher, meine Leser, nicht Theil nehmen an diesem unerquicklichen, fruchtlosen Streite, son- dern vielmehr von sicherem Porte aus diesen Kämpfen zu- sehen, und vielleicht eben daraus Massregeln entnehmen, wie die widerstreitenden Ansichten zu vereinigen wären. Bei Schlichtung jedes Zankes, bei Lösung jedes Proble- mes kommt es darauf an, die Fragen so einfach wie möglich zu fassen, jede die Aufmerksamkeit vertheilende Complikation zu vermeiden und den Gegenstand so nackt als es geht hin- zustellen. Um dies auf unsern Fall anzuwenden, werden wir klug thun, die Pflanze nicht als fertiges ausgebildetes Wesen dem fertigen vollendeten Thiere gegenüber zu stellen, eben so wenig in den noch complizirteren Lebenskreisen beider An- knüpfungspunkte zu suchen. Wir werden dem Ziele unstrei- tig näher rücken, wenn wir uns in das Gebiet der Elementar- theile begeben, und diese etwas näher prüfen. Wie wir bereits schon aus dem Vorhergehenden über die Pflanzenzelle unterrichtet sind, so ist sie es, welche alle Theile der Pflanze bildet, alle Organe zusammensetzt und den gan- zen Betrieb der Lebensökonomie der Pflanze regelt. Die Zelle ist, wie wir bereits mehrmals darauf hinwiesen, das Fakto- tum, ohne dem die Existenz der Pflanze unmöglich wäre. Die Zelle ist aber zugleich noch mehr, wenn wir von dem Indivi- duum absehen. Sie ist in der Fortpflanzung der Gewächse das Band, das ein Individuum an das andere kettet, und also das Leben der Gattung ermöglichet, sie ist aber ohne Zweifel zuletzt auch jener Proteus, der über die Gattung hinaus die höhere Gliederung des Pflanzenreiches in Geschlechter, Fa- milien, Ordnungen u. s. w. vermittelt. Mit einem Worte, die Zelle ist nicht blos der Ausgangspunkt jedes individuellen Lebens der Pflanze, sie ist auch zugleich der Ausgangspunkt des Lebens der Gattung und aller höherer Einheiten, ja sie ist in der letzten Instanz gewiss auch der Ausgangspunkt des Pflanzenreiches selbst, und sohin auch der Pflanzennatur. 151 In der Zelle also, und in nichts anderem, ist die Conzentra- tion des gesammten Wesens der Pflanze zu suchen. Bisher haben wir nur einen flüchtigen Blick in die Natur und Einrichtung der Zelle gethan. Es lohnt sich nun wohl noch der Mühe, etwas tiefer in das Heiligthum des Bereiches einer so ungeheueren Wesenreihe einzugehen. Die Zelle ist ein Bläschen für ein gewöhnliches Auge un- kenntlich. Wenn wir dasselbe aber wenigstens 300 bis 400 Mal vergrössern, so finden wir an ihm nicht blos einen von der starren Begrenzung verschiedenen flüssigen Inhalt, nicht blos Bildungen, die nach Innen und Aussen abgesetzt werden, und dadurch zu ihrer anatomischen sowohl, als chemischen Verschiedenheit beitragen, sondern wir sehen unter günstigen Verhältnissen zum Theil das Getriebe dieser kleinen Wirth- schaft selbst. Betrachtet man die unverletzte Zelle noch in ihrer vollen Wirksamkeit, wie sie in ihrer Jugend erscheint, so ist ZWI- schen Inhalt und Grenze noch kein Unterschied zu gewahren; im Inhalte selbst aber scheint sich gar bald ein Lebensmittel- punkt in Form eines winzigen Bläschens hervorzubilden. Die- ses Bläschen, Zellkern genannt, bringt aber gleich bei seiner Entstehung eine merkwürdige Scheidung des halbflüssigen In- halts hervor. Es trennt sich nämlich eine zähe, flüssige, kör- nige Substanz von der übrigen, die mehr wässeriger Natur erscheint. Jene, Protoplasma genannt, sammelt sich sowohl um den Lebensmittelpunkt als an der Peripherie, und. setzt überdies Beide durch viele radienartige einfache und verzweigte Fäden mit einander in Verbindung. Es ist ein entzückendes Schauspiel in der so weit fertigen Zelle das Treiben und Wogen dieses Lebenssaftes vom Mit- 152 Fig. 38. telpunkte zur Peripherie und umgekehrt zu be- obachten (?®). Die mannigfaltigsten Bewegungen, selbst die entgegengesetzten Richtungen, werden hart an einander in denselben Strömungsfäden wahr- genommen. Alles rührt sich, Alles bewegt sich in diesem Protoplasma, indess der übrige Theil bewegungslos verharret, und nur hie und da in den Strom mit hineingerissen wird. Keine pulsirende Ader be- wegt diese Ströme, kein Pumpwerk treibt sie vom Mittel- punkte der Zelle weg und wieder zurück. Diese merkwürdige Substanz, dieses sich selbst bewegende Rad ist eine Pro- teinsubstanz, enthält also dieselbe Stickstoffverbindung, wie sie in jedem Thiere vorkommt. In manchen Fällen (so weit unsere bisherigen Erfahrun- gen reichen, nur bei niederen Pflanzen) geht die Ausbildung jenes Protoplasma an der äusseren Grenze noch weiter. Nicht ein blosses Bewegen der flüssigen Masse, sondern ein Hervorbilden von fadenförmigen halbfesten Fortsätzen, welche noch andere Bewegungen als die des Kreislaufes aus- zuführen im Stande sind, gehen vor sich. Werden dergleichen Zellen durch Oeffnung der Mutterzellen, in welchen sie sich gebildet haben, frei, so führen sie auch von dieser ganz unab- hängige Bewegungen aus, und sind sie im Wasser, schwim- men sie auch frei in demselben herum (3). Die Wimperfäden an ihrer Oberfläche dienen ihnen dabei eben so zu Ruderwerkzeu- gen, wie die Cilien und Haare den Infusorien. Weder die Form noch die chemische Beschaffenheit, noch das Contraktionsver- mögen, ohne dem ja jene Wimper- oder Flimmerbewegung un- denkbar wäre, unterscheiden diese Pflanzenzellen von ähnli- chen Thierformen, ja selbst Pigmentstellen scheinen als Andeu- tungen von Licht em- pfindenden Organen sie mit denselben nur um so enger zu ver- binden. Allein dieserSchwung des Lebens findet in der Pflanzenzelle bald sein Ende, bei den be- wimperten schwärmen- den Zellen früher als bei den übrigen. Nach kurzer Zeit schon zie- hen sich diese Fühlhör- ner, mit denen sie tie- fer in die äussere Welt als mit der Wurzel ein- zudringen sucht, wie- der ein; die Zelle wird wieder glatt und es scheidet sich bald auf (” ihrer Oberfläche Zell- stoff ab, der die Ein- kerkerung derselben vollkommen macht. Fig. 39. Fig. 39. A Eine junge wenige Tage alte Pflanze von Vaucheria clavata Agdh. im Zustande der Fruchtreife, d. i. nahe daran, ihre erste Keimzelle auszustossen. 3 die Keimzelle, nachdem sie den Mutterschlauch verliess, 154 Zwar dauert das lustige Spiel der Bewegungen auch un- ter der starren Hülle der Zellmembran noch durch kürzere oder längere Zeit fort, und es geht vorzüglich um diese Zeit durch Bildung neuer Lebensmittelpunkte die Fortpflanzung der Zelle vor sich, allein bald erlöscht auch dieses Flämm- chen und die siegreichen Kräfte der Massenanziehung, der Affinität u. s. w. ziehen die Zelle nach und nach in das Reich der anorganischen Welt herab. Nur wenigen Zellen im Pflanzenleibe scheint es indessen vorbehalten zu sein, diese kräftige Lebensregung, wenn auch nicht für die ganze Dauer, so doch wenigstens für einige Zeit- momente zur Schau zu tragen. Es sind die Fortpflanzungs- zellen. Während alle Dauerzellen nur in der Bewegung ihrer Säfte ihre höhere Natur zu offenbaren im Stande sind, spren- gen die Fortpflanzungszellen alle Bande und geben sich, wenn auch nur auf Momente, der freiesten Bewegung hin. In einigen Reihen des Gewächsreiches, wo, wie wir sa- hen, der Geschlechtsdualismus noch nicht ausgebildet erscheint, werden dergleichen Fortpflanzungszellen zu Schwärmzellen, in anderen Reihen gelangt zwar die eine Fortpflanzungszelle nicht zu solcher Freiheit, desto ungezügelter bewegt sich aber die zweite in die Länge gestreckt als Samenfaden (*°), deren Bewegungen noch lange nicht in ihrem Zusammenhange mit der Befruchtung erkannt sind. Im Mittelpunkte des Gewächs- reiches endlich, wohin alle höher entwickelten Pflanzen gehö- ren, ist diese ursprüngliche Lebensrichtung unter dem Panzer frei herumschwimmend. Die äusserst feinen wimperförmigen Fortsetzun- gen der Haut, durch deren Schwingungen die Bewegung hervorgebracht wird, sind in © über 1000mal vergrössert dargestellt. Man sieht, dass dieselben von gleicher Grösse sind, und die ganze Oberfläche der eiför- migen Zelle bedecken. D Eine Gruppe junger keimender Pflänzchen der- selben Art bei schwacher Vergrösserung. 155 der Zellhaut fast ganz erstickt und unkenntlich geworden. Wenn diese hö- here Lebensrichtung der Zelle, wie wir sehen, eine so durchgreifende Er- scheinung im Reiche der sprossenden Wesen ist, aber in so ungleicher In- tensität erscheint, so kann man wohl sagen, dass die Ausbildung der Pflanze mehr von einer freieren Natur ab- als hinzuführt, und in so ferne sind sich Pflanzen - und Thier- organismus widerstrebende, sich von einander entfernende Aeusserungen eines allgemeinen Naturlebens. Sie sind aber eben so gewiss im Ursprunge gleich, als gerade hier alle Grenzen verschwimmen und der eine in den anderen übergeht. Der Schlüssel zu dem Geheimnisse des Pflanzenlebens liegt somit offenbar in dem ursprünglich gleichen Lebensgrunde der Thier- und Pflanzenwelt, aus dem zwar Beide entsprossen, aber sich nach verschiedenen Richtungen abzweigen. Die thierische Natur ist in der Pflanze gleichsam gefan- gen genommen und diese Verkerkerung spricht sich in all’ ihrem Sein, in ihrer Bildung und Beziehung zur Thierwelt aus. Es sind die Thränen der Kypris, das Blut des schön- sten Jünglings, die in Form und Farbe der Blume uns Weh- muth zuflüstern. Die klagende Dryade drückt die ganze Seele der Pflanze aus. — Fig. 40. A Ein Samenfaden von Asplenium septentrionale von der Mutter- zelle, in der er entstanden ist, befreit, sich im Wasser mit Hülfe der Wimperfäden rascher bewegend. Die Vergrösserung beträgt das 1200- fache der natürlichen Grösse. B Drei Samenfäden von Equisetum arvense in verschiedenen Lagen, gleichfalls von der Mutterzelle frei. Die Ver- grösserung beträgt nur 500. C© Ein Samenfaden eben der Mutterzelle entschlüpfend, von derselben Pflanze. (Nach W. Hofmeister). 156 So erreicht die Pflanze ihre Weltbestimmung in melan- cholischer Verschlossenheit. Aber derselbe gefesselte, schlum- mernde Weltgeist, der hier kaum zu athmen wagt, ist es, der im Thiere die Bande auf immer sprengt, und endlich im Menschen sein Halleluja singt. ipiess, Carl, gründliche kurzgefasste Anleitung zur Obstbaumzucht in Gärten und auf freiem Felde. Für Freunde der Obstkultur verfasst. er. 12. 1848. br. 40 kr. — 15 'Ngr. pper, C. L., medieinisch - pharmaceutische Botanik oder Beschreibung ‘ und Abbildung sämmtlicher in der neuesten k. k. österreich. Landes- Pharmacopöe vom Jahre 1836 ausgeführten Arzneipflanzen; in natur- historischer, phytographischer , pharmacognostischer und pharmacody- namischer Beziehung, mit besonderer Rücksicht auf die botanisch-, pharmaceutischen Synonyme und Verfälschung oder Verwechslung der abgehandelten Arzneistoffe. Mit ganz getreu gezeichneten und fein colorirten Abbildungen. Zum Gebrauche für angehende und aus- übende Aerzte und Pharmaceuten. 1.u. 2. Band. gr. 4. 1841—1842. brosch. 30 fl..—- 20 Rih: 3er, Fr., Exantheme der Pflanzen und einige mit diesen verwandte Krankheiten der Gewächse, pathogenetisch und nosographisch darge- tellt. Mit 7 Kupfertafein. gr. 8.1833. Mit schwarzen Kupf. 3 fl. — 2 Rth. Mit ıllum. Kupfer. br. 3 fl. 45 kr. — 2 Rth. 15 Neger. - Grundzüge der Anatomie und Physiologie der Pflanzen. gr. 8. ‘346. 2° fl. — 1’ Bth, S157 Ne „ L. G. v., Anleitung zum gründlichen Studium der Botanik. Mit einer Uebersicht über den Bau naturhistorischer Klassifikationssysteme, einer Kritik des Jussieu’schen und den Grundzügen eines neuen na- türlichen Systems. gr. 8. 1818. 2 fl. 12 kr. — ı Rth. 22 Ngr. Druck von Carl Gerold & Sohn. eo N 223 > r N w 7 L, u ERS a & DIET" L, New York Botanical Garden Library ' QK45 .U5 gen \ 85 00103 9948 3 51