2 et . 2 — une — — En 2 7 1 u * * — „e ER 5 5 2 e al: + N 4 Fey 7 N If 15 er: * 0 1 u 1 G NW = I N. EN N IOLOGY 1 B 5 M u 5 j ne ö w ir fe * Brehms Tierleben. Zehnter Band. Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from University of Illinois Urbana-Champaign http://www.archive.org/details/brehmstierlebena010breh Brehms Dier leben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. Mit 1910 Abbildungen im Text, 12 Karten und 179 Tafeln in Farbendruck und Holgzſchnitt. Drikte, gänzlich neubearbeikete Auflage. Herausgegeben von Prof. Dr. Vechuel-Loeſche. + e 7 f Po g A 7597 2 2 ) 48 Lupe 9 E; 2 4 fa er Leipzig und Wien. e mt it u t. 1893. ehalten b N Alle Rechte vom Verleger vor \ ua En Die Niederen Tiere. Von Profeſſor Dr. Oskar Schmidt. Neubearbeitet von Profeſſor Dr. W. Marfhall. Mit 396 Abbildungen im Text, 16 Tafeln und 1 Karte von Dr. K. Etzold, R. Noch, C. Merculiano, B. Morin, G. Mütel, A. Neichert u. Leipzig und Wien. Bihlographiſches Inſti tut. 1893. N. — eh Doriunrt zur dritten Auflane. Bei der neuen Bearbeitung des letzten Bandes von „Brehms Tierleben“ war nach drei nicht ganz leicht miteinander in Einklang zu bringenden Geſichtspunkten zu verfahren: die Pietät gegen den verſtorbenen Profeſſor O. Schmidt verlangte, daß von ſeinem geiſtigen Eigentum ſo viel wie nur möglich herübergenommen würde; zweitens mußten die ſeit 1884 gemachten Fortſchritte thunlichſt berückſichtigt werden, und endlich durfte der bisherige Umfang des Bandes nicht allzu beträcht— lich überſchritten werden. | Dem erſten Punkte glaubt der Herausgeber durchaus gerecht geworden zu ſein: die weſentlichen Veränderungen betreffen mehr die ſyſtematiſche Reihenfolge der einzelnen Kreiſe, Klaſſen, Ordnungen, Familien 2c. als den alten Text, alſo mehr das Äußere als den Inhalt. An dem Abſchnitte, der die Weichtiere be— handelt und den Schmidt offenbar mit beſonderer Vorliebe geſchrieben und ge— wiſſermaßen als Hauptſtück des ganzen ſeiner Bearbeitung übergebenen Teiles betrachtet hatte, wurde faſt gar nichts geändert. Das konnte um ſo eher geſchehen, als gerade bei den Weichtieren mehr auf anatomiſchen und entwickelungsgeſchicht— lichen als auf den das große Publikum intereſſierenden Gebieten bedeutende Fort— ſchritte in den letzten zehn Jahren gemacht ſind. Die textlichen Vermehrungen dieſer Auflage betreffen meiſt Tiefſeetiere und bringen namentlich auch Mitteilungen über neuere Unterſuchungen an niederen Krebſen, Rädertieren, Schmarotzerwürmern, Schwämmen und Urtieren. Ganz neu hinzugekommen iſt die Beſchreibung einer Klaſſe der Würmer (der Binnen— atmer oder Enteropneuſten) oder des ſeltſamen, rätſelhaften Weſens Trichoplax VIII Vorwort. adhaerens, das mindeſtens auch eine eigne Klaſſe vertritt. Von neuen Ord— nungen wurden eingefügt: unter die Würmer die Pfeilwürmer (Chaetognathae), unter die Stachelhäuter die Tiefſeeholothurien, die Porzellanſterne und Briſin— giden. Der die Krebstiere behandelnde Abſchnitt iſt vermehrt um die Ordnung der ſchönen Tiefſeekrebſe (Polycheliden), der die Würmer umfaſſende um die Gruppen der Orthonektiden, Dieyemiden und Myzoſtomiden und der den Seeſcheiden ges widmete um die Ordnung der Appendikularien. Den Stachelhäutern und den Hohltieren wurden die Familien der Flaſchenholothurien, der Auronektiden, Velelliden, Pektiniden, Milleporiden und Ammokoniden neu hinzugefügt. Auch die Anzahl der Abbildungen wurde weſentlich vermehrt, nämlich um 5 farbige Tafeln, 3 ſchwarze Vollbilder, 1 Karte und 72 Textabbildungen. In der Anordnung des ganzen Werkes, in dem die Inſekten, Tauſendfüßer und Spinnentiere den neunten Band bilden, lag es, daß der vorliegende zehnte Band mit den Schwertſchwänzen beginnen mußte — entgegen dem allgemein an— genommenen Syſtem, das auf die Wirbeltiere die Seeſcheiden folgen, bez. dieſe jenen vorangehen läßt. Leipzig, im März 1893. William Marfball. Snhalts-Berzeichnis. ene Vorwort. Schwertſchwänze. Seite Familie: Schwertſchwänze (Xiphosuridae). Einzige Gattung: Limulus 4 L. polyphemus . . „ 4 1 Erſte Ordnung: Zehnfüßer (Decapoda). Krabben. Familie: Viereckkrabben. 1. Gattung: Landkrabben (Gecareinus) . . . 27 Gemeine Landkrabbe (G. ruricola) . . 28 2. Gattung: Winkerkrabben (Gelasimus ) 28 3. Gattung: Sandkrabben (Ocypoda) . 29 4. Gattung: Flußkrabbe (Telphusa . . . 29 T. fluviatilis 29 5. Gattung: Muſchelwächter (Pinnothere) 22 e eee 2 , Fe; Familie: Bogenkrabben. 1. Gattung: Bogenkrabben (Thalamita). . . 30 2. Gattung: Portunus (Portunu )). 30 Bmarmgreuns 0 3. Gattung: Gareinus . 30 Gemeine Krabbe (C. maenas ) . . 30 4. Gattung: Taſchenkrebſe (Cancer) . . . . 31 Großer Taſchenkrebs (C. pagurus) . 31 Familie: Dreieckkrabben. 1. Gattung: Spinnenkrabben (Stenorhynchus). 32 2. Gattung: Inachus 32 3. Gattung: Pisa 32 P. Gibbsii 32 4. Gattung: Lissa. 32 5. Gattung: Meerſpinnen (Maja) . 33 Große Meerſpinne (M. squinado) . 33 Familie: Rundkrabben. Einzige Gattung: l 1 C. granulata ; Familie: Rütenfüßer, „Gattung: Wollkrabben (Dromia) Gemeine Wollkrabbe (D. vulg 2 Gattung: Dorippe l D. lanata . Gattung: Hypoconcha . H. sabulosa . Gattung: Ethuſen (Ethuss) x Gekörnelte Ethuſe (E. ann, Mittelkrebſe (Anomura). Familie: Afterkrebſe. Gattung: Homola H. Cuvieri Gattung: Steinkrabben Bithönes).. . Gattung: Froſchkrabben — 10 © * — S Familie: Einſiedlerkrebſe (Paguridae). — . Gattung: Einſiedlerkrebſe (Pagurus) . P. Prideauxii : Gattung: Porzellankrebſe (Porcellana) P. platycheles . B „Gattung: Galatheen (Galathea). G.squamifera . 8 N * G. strigosa . . Gattung: Palmendiebe Br) Palmendieb (B. latro) g e Gattung: Holzeinſiedler (Xylopagurus) N Geſtreckter Holzeinſiedler (X. rectus) Langſchwänze (Macrura). . ar Familie: Panzerkrebſe (Loricata). Gattung: Languſten (Palinurus) Gemeine Languſte (P. vulgaris) . . Gattung: Blattkrebſe (Phyllosoma) — 10 S. VII Seite 44 X Seite * * — 1 er > I 3. Gattung: Bärenkrebſe (Scyllarus) . 46 | Bärenfrebs (S. arctus) 46 Familie: Krebſe im engeren Sinne (Astacidae). 1. Gattung: Flußkrebſe (Astacus) . : 46 Gemeiner Flußkrebs (A. fluviatilis) . 46 Edelkrebs (A. fluviatilis nobilis). 47 Steinkrebs (A. fluviatilis torrentium) . 47 A.leptodactylus 48 A. pachypus. 48 A. angulosus 48 2, Gattung: Cambarus 48 C. Diogenes. 48 3. Gattung: . 48 T. Zaleuca 48 4. Gattung: Hummern 1 49 Hummer (H. vulgaris) 49 Nordamerikan. Hummer (H. 1 50 5. Gattung: Nephrops 50 N. norvegieus . 50 Familie: bag. 1. Gattung: Pentacheles. 51 P. spinosa öl 2. Gattung: Willemoesia öl W. leptodactyla ee ah 3. Gattung: Polycheles 51 Peer 5 1 Familie: Garneelen (Carididae), 1. Gattung: Crangons (Crangon) 52 Gemeiner Crangon (C. vulgaris) 52 2. Gattung: Lysmaten (Lysmata) 53 L. seticauda . 53 3. Gattung: Pontonien 4 53 P.tyrrhena . 53 4. Gattung: Typtonen (Ty pton) 53 T. spongicola . 53 5. Gattung: Palämoniden r 53 Sägeförmiger Palämon (P. serratus). 54 P. squilla 54 6. Gattung: Haargarneelen n 55 Schlankfüßige Haargarneele (N. graci- lipes) 55 7. Gattung: Sergestes 55 S. magnificus 55 Leuchtkrebſe e 8. Gattung: Lucifer 55 Zweite Ordnung: Spaltfüßer (Schi. zopoda). l. Gattung: Mysis . 56 2. Gattung: Gnathophauſien e 56 G. zoea „ 6868 Dritte Ordnung: Maulfüßer (Stoma- topoda). Einzige Gattung: Heuſchreckenkrebſe (Squilla).. 57 Gemeiner Heuſchreckenkrebs (S. mantis). 57 S. Desmarestii . 57 Snhalt3:-Verzeihni2. Seite Vierte Ordnung: Kumaceen (Cumacea). Fünfte Ordnung: Aſſeln (Isopoda). Familie: Landaſſeln (Oniscidae). 1. Gattung: Maueraſſeln (Oniscus) . 58 Maueraſſel (O. murarius) 58 Kelleraſſel (O. scaber) 58 2. Gattung: Rollaſſeln (Armadillo) 58 Familie: Waſſeraſſeln (Asellidae). Einzige Gattung: Süßwaſſer-Aſſeln (Asellus) 59 Gemeine Waſſeraſſel (A. aquaticus) . 59 Familie: Schwimmaſſeln (Sphaeromatidae). 1. Gattung: Kugelaſſeln (Sphaeroma) 60 Europäiſche Kugelaſſel (S. serratum) 60 2. Gattung: Monolistra . 1 60 Blind» Kugelaffel (M. 800 60 Familie: Fiſchaſſeln (Cymothoidae). 1. Gattung: Fiſchaſſeln N 60 2. Gattung: Praniza . 60 Familie: Garneelaſſeln (Bopyridae). Familie: Krabbenaſſeln (Entoniscidae). Sechſte Ordnung: Flohkrebſe (Amphi— poda). Familie: Flohkrebſe im engeren Sinne (Gammaridae). 1. Gattung: Flohkrebſe (Gammarus). . . . 62 Gemeiner Flohkrebs 15 1 62 G. locusta 5 63 2. Gattung: Andania . 63 A. gigantea. 63 3. Gattung: Talitrus . a 64 Sandhüpfer (T. ae 64 4. Gattung: Orchestia Br 64 Küſtenhüpfer (O. e 64 Familie: Röhren- und neſterbauende Amphipoden. J. Gattung: Micerodentopus . 64 M. grandimanus 8 64 2. Gattung: Scherenſchwänze e 64 Scherenſchwanz (C. terebrans) 65 Familie: Paraſitiſch lebende Amphipoden (Hyperiidae, Phronimidae). 1. Gattung: Hyperia 65 2. Gattung: Cystosoma 66 C. Neptuni . 66 3. Gattung: Acanthozone 66 A. tricarinata . 66 Unterordnung: Kehlfüßer Gena 1. Gattung: Kehlfuß-Flohkrebſe (Caprella). 66 2. Gattung: Walfiſchläuſe (Cyamus) . 67 Siebente Ordnung: Leptostraca. Einzige Gattung: Nebalia 67 Inhalts-Verzeichnis. Achte Ordnung: Rankenfüßer (Cirri- pedia). Familie: Entenmuſcheln (Lepadidae). 1. Gattung: Lepas. L. anserifera L. pectinata. L. anatifera . Gattung: Otion . Gattung: Anelasma A. squalicola 4. Gattung: Scalpellum . 5. Gattung: Pollieipes 6 7 95 J Gattung: Lithothrya . „Gattung: Megalasma . M. striatum . Familie: Seepocken (Balanidae). 1. Gattung: Balamıs . B. balanoides B tintinnabulum . B. psittacus . 2. Gattung: Diadema . D. balaenaris 3. Gattung: Coronula. C. balaenaris +. Gattung: Tubicinella . 5. Gattung: Cyami. 6. Gattung: Muſchelfeile eddie) Muſchelfeile (C. hamata) 7. Gattung: Anelasma A. squalicola Familie: Wurzelkrebſe (Rhizocephala). 1. Gattung: Wurzelkrebſe (Sacculina) Wurzelkrebs (S. carcini). Gattung: Schildwurzelkrebſe (Felogasten) P. curvatus . . Gattung: Parthenopea P. subterranea . 1 0 Seite 68 69 | — XI Seite 3. Gattung: Harpacticus. 77 H. chelifer „ „ 4. Gattung: Netodge ß 21.2.5 1.02 4807 690 Unterordnung: Schmarotzerkrebſe (Parasita). 69 68 69 69 69 69 69 69 69 69 Neunte Ordnung: Spaltfüßer (Cope— poda). Unterordnung: Freiſchwimmende Spalt— füßer (Eucopepoda). Familie: Harpakticiden. 1. Gattung: Sapphirina . 5 Saphirkrebschen (S. 191 8750 2. Gattung: Cyclops . Familie: Karpfenläuſe. Einzige Gattung: . e 8 A. foliaceus . 3 Familie: gilclönſe. Einzige Gattung: Fiſchläuſe (Caligus) . .. 79 Familie: Dichelestina. Einzige Gattung: Lernathropununs . 79 Familie: Lernaeonemidae. 1. Gattung: Brachiella 79 2. Gattung: Lernaeonema . 79 L. monilaris 79 Familie: Lernaeoceridae. 1. Gattung: Haemobaphes . 79 2. Gattung: Pennella. 80 3. Gattung: Herpyllobius 80 Einzige Gattung: Cypris. S w Zehnte Ordnung: Muſchelkrebschen (Ostracoda). 81 C.ovum . 81 Elfte Ordnung: Kiemenfüßer (Branchio- poda) Familie: Blattfüßer (Phyllopoda). 1. Gattung: Kiemenfuß (Branchipus) 82 Salinen-Kiemenfuß oder Salzkrebs schen n (Artemia salina) . . 82 Durchſichtiger Kiemenfuß . n 83 2. Gattung: Kiefenfuß (Apus) . 3 85 | Krebsartiger Kiefenfuß (A. 1 mis) L 85 3. Gattung: 1 86 Familie: Waſſerflöhe (Cladocera). 1. Gattung: Acanthocereus . 88 Gemeiner Waſſerfloh. 88 Großer Waſſerfloh 88 2. Gattung: Daphnia . 88 Gattung: Polyphemus 88 . Gattung: Bythotrephes 88 . Gattung: Leptodora 89 L. hyalina 89 XII Die Erſte Klaſſe: Rädertiere (Rotatoria). Familie: Schildrädertierchen. Seite ar Gattung: Noteus 3 96 N. quadricornis 5 96 Familie: Kriſtallfiſchchen aus d N. 1. Gattung: Hydatina . 99 H. senta . 99 2. Gattung: Rückenauge (Notommate) 100 N. myrmeleo 100 3. Gattung: Hexarthra 100 H. polyptera & 100 Familie: Weichrädertierchen reisen) 1. Gattung: Rüſſelrädchen n 100 2. Gattung: Drilophaga 100 D. bucephalus 100 3. Gattung: Acyclus 100 A. inquietus. 100 4. Gattung: Callidina . 101 C. parasitica 101 5. Gattung: Philodina 102 P. roseola - . 103 Familie: ara Rädertiere. 1. Gattung: Blumentierchen (Floscularia) . 103 2. Gattung: Kugeltierchen (Conochilus) . 103 Familie: Bauchhärlinge (Gastrotricha). Zweite Klaſſe: Sternwürmer (Gephyrei). 1. Gattung: Bonellia . 104 B. viridis. SE 105 2 Gattung: Phascolosoma . 106 P. granulatum. 106 3. Gattung: Spritzwurm . 106 Gemeiner Spritzwurm (S. nudus). 106 4. Gattung: Priapulus. 106 5. Gattung: Echiurus . 107 E. Pallasii 107 6. Gattung: Aspidosiphon 107 7. Gattung: Halieryptus . 108 H. spinulosus 108 Dritte Klaſſe: Via (Enteropneusta). Einzige Gattung: Balanoglossus . 109 B. clavigerus 109 Vierte Klaſſe: heine (A Erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer (Chaetopoda). Erſte Ordnung: Wenigborſter (Oligo- chaeta). Familie: Regenwurmartige (Lumbrieidae). 1. Gattung: Lumbrieus L. agricola . 11 I 0 Inhalts -Verzeichnis. Würmer. Seite L. anatomicus. 114 L. foetidus 114 L. puter. 114 L. chlorotieus 114 L. rubellus . 114 2. Gattung: Phreoryctes . 114 P. Menkeanus . 114 3. Gattung: Criodrilus 115 C. Jacuum 2 he 115 Familie: Röhrenwürmchen (Tubifieina). Einzige Gattung: Tubifex 115 T. rivulorum 115 Familie: Waſſerſchlängler (Naidina). 1. Gattung: Naiden (Nais) 115 Gezüngelte Naide (N. proboscien) 115 Zungenloſe Naide . 2 115 2. Gattung: Chaetogaster 115 C. diaphanus 115 Zweite Ordnung: Vielb A. (Poly. chaetae). Familie: Kopfringler (Capitellidae). 1. Gattung: Dasybranchus . 116 D. caducus 116 2. Gattung: Capitella. . 116 Unterordnung: Frei lebende Rückenkiemer (Errantia). Familie: Seeraupen (Aphroditea). 1. Gattung: Hermione 118 H. hystrix 118 2. Gattung: Aphrodite 118 A. aculeata. 118 Familie: Nereiden ( Gerede 1 Gattung: Nereis. 119 N. incerta 119 N. Dumerilii 119 2. Gattung: Palolo . 119 Palolowurm (P. tn) 119 Familie: Phyllodoceen Phyllodocea). 1. Gattung: Phyllodoce . 120 P. laminosa. 120 Gattung: Torrea 121 T. vitrea. e 121 Familie: Gibts (Giyceres). Einzige Gattung: Glycera . . . . „ Unterordnung: Feſtſitzende Ringelwürmer (Sedentaria). Familie: Sandwürmer (Arenicolae). Einzige Gattung: Sandwürmer (Arenicola) Gemeiner Sandwurm (A. piscatorum) . 121 121 Inhalts-Verzeichnis. Familie: Clymenien (Clymeniae.) Einzige Gattung: Arenia . Familie: Chätopteren (Chaetopteridae). Einzige Gattung: Chaetopterus C. pergamentaceus C. variopedatus Unterordnung: Kopfkiemer. Familie: Hermellen (Hermellacea). Einzige Gattung: Hermella . H. alveolata Familie: Terebellen (Terebellacen), Einzige Gattung: Terebella 1. 2. T. nebulosa . T. emmalina T. conchilega Töpferin (T. figulus). Familie: Serpulaceen (Serpulacea). Gattung: Serpula Gattung: Sabella S. unispira 3. Gattung: Amphicora Familie: ysofsmafiher. Einzige Gattung: 5 10 0 10 = M. gigas. Zweite Unterklaſſe: Glattwürmer (Hirudinae). Familie: Blutegel (Hirudinea). . Gattung: Hirudo 3 Medizinischer Blutegel H. Mediemalis) Offizineller Blutegel (H. officinalis). H. troctina . £ Ende H. mysomelas . H. granulosa : . Gattung: Pferdeegel 3 Pferdeegel (H. vorax) . Gattung: Aulacostomum . A.gulo . 3 Gattung: Nephelis . N. vulgaris. Familie: Rüſſelegel (Clepsinae). Gattung: Clepsine . C. complanata . C. flava . . Gattung: Haementaria H. mexicana 5 „Gattung: Rochenegel (Pontobdella) Nochenegel (P. muricata) Seite 122 123 123 124 138 142 142 143 143 143 143 143 143 143 143 143 144 145 145 145 145 145 145 Fünfte Klaſſe: Rundwürmer (Nemathel- minthes). Erſte Ordnung: Kratzer (Acanthocephali). 148 Einzige Gattung: Echinorhynchus E. gigas. 148 XIII Seite E. proteus 149 E. monoliferus . 149 E. polymorphus 149 Ordnung: Pfeilwürmer (Chaetognathae). Zweite $ Einzige Gattung: Sagitta — [op] —1 "> S. bipunctata Dritte Ordnung: Fadenwürmer (Nematodes). Familie: Urolaben (Urolabea). Gattung: Enoplus . Gattung: Dorylaimus . D. papillatus Gattung: Rhabditis. Familie: Alchen. Gattung: Anguillula . Kleiſter-Eſſigälchen (A. aceti-g ti) . Gattung: Rhabdonema R. nigrovenosum . R. strongyloides . . Gattung: Allantonema A.mirabile . . Gattung: Atractonema A. gibbosum Gattung: Sphaerularia . Gattung: Anguillula . Weizenälchen (A. tritici) . Gattung: Heterodera . Rübennematode (H A Familie: Spulwürmer. . Gattung: Spulwürmer (Ascaris) . Spulwurm (A. lumbricoides) . Hunde: u.Katen-Spulwurm (A. my fax) Pferde: Spulwurm (A. megalocephala) . Gattung: Pfriemenſchwänze (Oxyuris) Menſchen-Pfriemenſchwanz (O. vermicu— laris) . Sei De . Gattung: Filaria Medinawurm (F. 1 F. Bancrofti . Gattung: Loawurm Familie: Strongylusartige Rundwürmer (Strongylidae). . Gattung: Dochmius D. trigonocephalus Dünndarm-Paliſſadenwurm (D. Anode: nalis) Gattung: Eustrongylus . . . . Großer Paliſſadenwurm 5 gigas). Gattung: Ollulanus . . BE O. trieuspis . . Gattung: Cucullanus . Kappenwurm (C. eleg 1 150 150 Or Priv 8 Or DO OUOUC — eee << ee fe — fe fh — — — — — 2 — — 2 OT Or Or Ol OL Ort erer 2 159 159 161 161 161 161 161 161 162 162 162 162 152 163 163 163 163 163 163 XIV Snhalts-VBerzeichnis. 5. Gattung: Syngamus 8 Luftröhrenwurm (S. W Familie: Trichotracheliden. 1. Gattung: Trichina . Trichine (T. spiralis) 2. Gattung: Trichocephalus Peitſchenwurm (T. dispar) T. affinis. T. crenatus. 5 Familie: Saitenwürmer (Gordiidae). Einzige Gattung: Waſſerkälber (Gordius) G. aquaticus G. subbifureus . Familie: Mermitidae. Einzige Gattung: Mermis M. albicans . Sechſte Klaſſe: Plattwürmer (Plathelminthes). Seite 164 164 165 165 169 169 169 169 169 170 170 Erſte Ordnung: Bandwürmer (Cestodes). Familie: Eigentliche Bandwürmer (Taeniadae). 1. Gattung: Bandwürmer (Taenia) . T. solium T. saginata. 5 Kleiner Bandwurm (T. Be T. flavopunctata . T. madagascariensis T. cucumerina . T. marginata . T. serrata T. erassicollis . T. coenurus . Hülſenwurm (J. r Familie: Grubenköpfe (Bothriocephalidae). 1. Gattung: Grubenköpfe (Bothriocephalus) Menſchen— 1 (B. latus) . B. cordatus . Ai B. liguloides 5 2. Gattung: Schistocephalus S. solidus 3. g Ligula 5 Riemenwurm (L. 1 4 Gattung: Caryophyllaeus 179 179 180 181 181 181 182 182 182 182 182 183 184 184 186 186 186 186 186 186 187 Zweite Ordnung: Saug- od. Sb er (Trematodes). Erſte Unterordnung: Vielmäuler (Polystomeae). 1. Gattung: Epibdella Dreimund (E. hippoglossi) 2. Gattung: Trochopus Röhrentragender Scheibenf 0 a bi porus) 188 188 | 189 189 189 172 | | Seite 3. Gattung: Cyclatell dad ZIzsias C. annelidicolaa . 4. Gattung: Üdonellen . .. 3 5. Gattung: Doppeltier (Dinlozoon) ER D.:paradoxum , Fee „ 6. Gattung: Diporpaa 7. Gattung: Anthocotyle . rs lc) A.merlucei . . „0. . vr 8. Gattung: Dactylocotyle 1592 D. polla chi. 9. Gattung: Aspidogas ter A. conchi cola 10. Gattung: Polystomum. A F. integerrimum 8 192 Zweite Unterordnung: Zweim a (Distomeae). 1. Gattung: Doppelmaul (Distomum) . .. 195 Leberegel D. hepaticum) . . 1 Kleiner Leberegel (D. Lanes 197 D. Rathoui im rn D. Spathulatunn m D. conjunetu md D. heteroph yes 2. Gattung: Gynaecopho runs . 198 G. haemat obus El 3. Gattung: Monosto mum . 198 M. muta billes. 4. Gattung: Amphistomum. . . . DES m88 A.subelavatum . . . 199 Dritte Ordnung: Strupe (Turbellarii). Erſte Unterordnung: Schnurwürmer (Nemertini). 1. Gattung: Vierauge 3 * a T. obseurum 2 1 Landvielauge (J. e „ 2. Gattung: Mecke lie 2 „ea M somatoloma 3. Gattung: Polia . . . . „3 Kreuzträgerin (P. 3 Re AR 4. Gattung: Nemertes 403 5. Gattung: Pteroso ma 22208 P. planum . 5 6. Gattung: e „ ER 7. Gattung: Pilidium. . . 205 Zweite Unterordnung: Gerade Strudelwürmer (Rhabdocoela). 1. Gattung: Prosto mum 206 2. Gattung: Convol ua 206 C. paxza des a. er waere ©. Tosçofflens is Pay 3. Gattung: Mesostomum . . 2 2 . 207 M. Ehrenber gi er, M. tetragon in 2 M. personat m Br Snhalt3-Berzeihnis. : Seite 4. Gattung: Spaltmund (Schizostoma). 208 5. Gattung: Vortex BAT 208 V. truncatus 208 V. viridis 208 6. Gattung: Anoplodium 8 208 7. Gattung: Kleinmaul e 209 8. Gattung: Engmaul (Stenostomum) . 209 Einäugiges Engmaul (S. 12 5 0 209 9. Gattung: Monocelis 209 | Dritte Unterordnung: Verzweigtdärmige Strudelwürmer (Dendrocoela). 1. Gattung: Planaria . . 211 Milchweiße Planarie (P. W 2 P. torva. : : 211 2. Gattung: Vielauge U 2 P. laevigata 211 Gehörntes Vielauge G. 5 211 3. Gattung: Seeplanarien 8 212 XV Seite 4. Gattung: Tysanozoon 212 Bottenplanarie . 212 5. Gattung: Leptoplana . 212 6. Gattung: Landplanarien 1 213 Planaria terrestris 213 Geodesmus bilineatus 213 Mieroplana cunnicola 213 Rhynchodesmus sylvaticus 213 Geoplana rufiventris . 214 G. subterranea. 214 7. Gattung: Bipalium 214 B. kewense . 214 Familie: Orthonettiden. Einzige Gattung: Rhopalura 215 R. Intoshi 5 215 R. Giardü 215 Familie: Dicyemiden, 1. Gattung: Dieyema 216 2. Gattung: Dicyemennea 216 Die Erſte Klaſſe: Moostiere (Bryozoa). Erſte Ordnung: Phylactolaemat a. Seite Einzige Gattung: Cristatella 222 Zweite Ordnung: Gymnolaemata. 1. Gattung: Paludicella . 219 P. Ehrenbergii 9 219 2. Gattung: Netzkoralle r 220 R. cellulosa . 220 3. Gattung: Lepralie 991 4. Gattung: Flustra 224 F.foliacea . 224 5. Gattung: Tubulipora . 296 6. Gattung: Löffeltier N 227 L. cochlear . het 2 1 A Muſchellinge. Zweite Klaſſe: Armfüßer (Brachiopoda). Die Mankeltiere. Erſte Ordnung: Sacktiere (Ascidiae). Erſte Gruppe: Einfache Ascidien. Seite 1. Gattung: Ascidia . 241 | A. mierocosmus 241 2. Gattung: Chevreulius . 241 3. Gattung: Phallusia. 242 P. mamillaris . 242 4. Gattung: Boltenia . 243 B. fusiformis 243 5. Gattung: Fungulus 243 Familie: Terebrateln (Terebratulidae). Seite 1. Gattung: Terebratula 232 T. vitrea. : 232 2. Gattung: Terebratulina h 232 T. caput serpentis 232 3. Gattung: Waldheimia 232 W.cranium. . 232 4. Gattung: Thecidium 232 T. mediterraneum 232 Familie: Rhynchonelliden Gre 1. Gattung: Rhynchonella . 234 R. psittacea. 234 2. Gattung: Crania 234 C. anomala . : 235 Familie: Linguliden 5 Einzige Gattung: Lingula . 235 Deng a es Eeite 6. Gattung: Culceolus 243 C. Moseleyi . 243 7. Gattung: Ascopera . 244 A. gigantea. 244 8. Gattung: Hypobythius 244 H. calycodes 244 Zweite Gruppe: Geſellige Aseidien. Einzige Gattung: Clavellina 244 C. lepadiformis 244 XVI Dritte Gruppe: Zuſammengeſetzte Aseidien. Seite 1. Gattung: Amarucium . 244 A. densum 244 2. Gattung: Didemnum . 244 D. cereum 244 3. Gattung: Cirrinatium . 245 C. concrescens . | 245 | Inhalts:-VBerzeihnis. Eeite 4. Gattung: Botryllus 245 B. albicans 245 5. Gattung: Feuerleiber 5 246 Vierte Gruppe: Appendikularien. Zweite Ordnung: Salpen (Thaliacea). Einzige Gattung: Salpa . 250 S. maxima 250 Die Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer (Cephalopoda). Erſte Ordnung: Zweikiemer (Dibran- chiata). Erſte Gruppe: Achtfüßer (Oetopoda). Seite 1. Gattung: Kraken (Octopus) . 262 Gemeiner Krake (O. vulgaris) 262 Langarmiger Krake (O. macropus) 270 O. catenulatus . 270 2. Gattung: Eledone . 270 Moſchuseledone (E. 9 270 3. Gattung: Argonauta . 272 Papiernautilus (A. Ar 0% 272 Zweite Gruppe: Zehnfüßer (Decapoda). 1. Gattung: Sepiola 274 S. Rondeletii 274 2. Gattung: Rossia Ar 274 3. Gattung: Sepien Gepia) - 274 Gemeine Sepie (S. officinalis). 27 S. elegans 27 S. biserialis . i 27 4. Gattung: Kalmars Coligo) g 27 Gemeiner Kalmar (L. vulgaris) 27 Pfeil⸗Kalmar (L. sagittata) 28 L. todarus . . 28 5. Gattung: n a 281 6. Gattung: Loligopsis . 281 L. Veranyi 281 L. vermicularis 282 7. Gattung: Haken-Kalmars (Onyehofeuihiei 282 O. Lichtensteinü . Be . 282 8. Gattung: Enoplotheutis . 282 9. Gattung: Poſthörnchen (Spirula) 282 Zweite Ordnung: Vierkiemer (Tetra- branchiata). Einzige Gattung: Nautilus . N. pompilius MA 08 0&% vo Zweite Klaſſe: Bauchfüßer (Gastropoda). Erſte Ordnung: Ruderſchnecken (Ptero— poda) Familie: Hyaleaceen. Seite 1. Gattung: Hyalea 296 H. tridentata 296 H. gibbosa . 296 2. Gattung: Cleodora . 296 3. Gattung: Creseis LPs 296 Familie: Cymbuliaceen. 1. Gattung: Tiedemannia 297 T. neapolitana . 297 Gattung: Cymbulia 297 3. Gattung: Limacina 298 L. arctica 298 Familie: Clioideen. 1. Gattung: Clio 2 298 Nordiſche Clio (C. 1 e 298 2. Gattung: Pneumodermon 299 P. ciliatum . 299 Zweite Ordnung: Hi nterkiemer (Opistho- branchia). I. Deckkiemer. Familie: Bullaceen. 1. Gattung: Kugelſchnecken (Acera) 5 304 Gemeine Kugelſchnecke (A. bullata) . 304 Gattung: Becherſchnecken (Cylichna) . 307 Abgeſtutzte Becherſchnecke (C. truncata) . 307 3. Gattung: Seemandeln (Philine) . 307 Offene Seemandel (P. aperta). 307 4. Gattung: Seehaſen (Aplysia) . 307 Gemeiner Seehaſe (A. 1 307 5. Gattung: Dolabella 5 309 D. Rumphü 309 Familie: Pleurobrancheen. 1. Gattung: Pleurobranchus 309 309 P. aurantiacus . Snhalts-Berzeihnis. Pleurobranchus Peronii P. ocellatus . . Gattung: Pleurobranchaea . . Gattung: Umbrella U. mediterranea II. Nacktkiemer. Familie: Dorididen. . Gattung: Sternſchnecken (Doris) 1 — Weichwarzige Sternſchnecke (D. pilosa) . Rote Sternſchnecke (D proxima) . Rauhe Sternſchnecke (D. muricata) . D. tuberculata . ; . Gattung: Griffelſchnecken e Weiße Griffelſchnecke (A. eristata) . Gattung: Hörnchenſchnecken a ae, P. ocellata . e Familie: dellpden. D 8 — Seite 309 310 all 311 all 31¹ 311 312 312 312 312 312 312 312 . Gattung: Bäumchenſchnecken (Dendronotus) 314 GemeineBäumchenfchnede(D.arborescens) 314 o . Gattung: Fadenſchnecken (Aeolis) . Breitwarzige Fadenſchnecke (A. e A. Drummondii Weiße Fadenſchnecke (A. Ad Gattung: Tethys . . A Schleierſchnecke (T. e „Gattung: Samtſchnecken (Elysia) Grüne Samtſchnecke (E. viridis) E. splendida 8 0 . Familie: Pontolimacidae, 315 315 316 316 317 317 317 318 319 Einzige Gattung: Lanzettſchnecken (Pontolimax) 319 Breitköpfige Lanzettſchnecke (P. capitatus) 319 Dritte Ordnung: Lungenſchnecken (Pulmonata). Familie: Schnirkelſchnecken (Helicidae). 1. Gattung: Helix . 5 Weinbergſchnecke (H. Pongs) . secernenda . . pisana . naticoides . vermiculata . . ligata . . Jucorum . . Mazzullii H. sicana . H. hortensis . Hr HHH Gefleckte Schnirkelſchnecke H. 1 5700 Hainſchnirkelſchnecke (H. nemoralis) . Gartenſchnirkelſchnecke (H. hortensis) Maskenſchnecke (H. personata) 2. Gattung: Vielfraßſchnecken (Bulimus) Gebirgs-Vielfraßſchnecke (B. montauus) B. haemastomus . N: Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. E 855 sa) 330 328 328 331 331 331 331 331 331 332 332 332 332 332 332 333 333 333 333 S 0 10 1 Bulimus decollatus B. acutus. . Gattung: Achatſchnecken lala) A. lubriea A. immaculata. A. mauritiana . A. perdix Gattung: Bernſteinſchnecken e S. Pfeifferi . e S. amphibia . S. oblonga Gattung: Glasſchnecken Gin) V. pellucida. V. elongata. . Gattung: Moosſchraube da) 333 . Gattung: Schließmundſchnecke (Clausilia) . BE (C. ventri- cosa) C. almissana Familie: Limaceen (Limacea). „Gattung: Wegſchnecken (Arion). Waldſchnecke (A. empiricorum) . Gattung: Ackerſchnecken (Limax) Große Wegſchnecke (L. maximus). Ackerſchnecke (L. agrestis) . . Gattung: Amalia A. mariginata . A. gagates . . Gattung: Testacella . T. haliotidea T. scutulum . . Gattung: Onchidium . Familie: Aurifulaceen (Aurieulacea). „Gattung: Platzregenſchnecke (Scarabus) . S. imbrium . Gattung: Zwergſchnecken (Corychium) „Gattung: Auricula. A. scarabus . A. minima A. Judae . A. myosotis . A. coniformis A.nitens. . Gattung: Pedipes . Gattung: Pupa . P. pagodula. XVII Seite 333 333 334 334 334 334 334 334 334 334 334 335 335 335 335 335 335 335 336 336 336 336 336 337 337 337 337 337 338 338 339 339 340 340 340 340 340 340 340 340 340 340 340 Familie: Waſſer-Lungenſchnecken (Limnaeacea). „Gattung: Schlammſchnecke (Limnaea) Große Schlammſchnecke (L. stagnalis) . Sumpf⸗Schlammſchnecke Gemeine Schlammſchnecke Ohrſchnecke (L. auricularis) L. elongata . Hr L. silesiaca . L. palustris . 341 342 342 342 342 343 343 343 XVIII Inhalts: Verzeichnis. Seite Tämnaea minnnnegee 94 LE pere gra ad L. vulgaris 8 E OFats . 848 2. Gattung: Mantelſchnecke (Amphipeples) 344 Schleimige Mantelſchnecke (A. glutinosa) 344 3. Gattung: Physa. . . 1 4. Gattung: Tellerſchnecken ae. . 344 Große Tellerſchnecke (P. corneus). .. 345 P. mA 45 J eff rn E. Voten 345 5. Gattung: Lungen- Napfſchnecten n 345 Sumpf:Napfjchnede (A. lacustris) - - 345 Vierte Ordnung: Kielfüßer (Hetero- poda). Familie: Atlanten. rata 354 eon 38383 eff 8855 ons Carınaria . 2 2 356 3. Gattung: Pterotrachea . . -. .» . 358 Gattung: Fhyllir nee 359 Ps pueeph alas 9889 Fünfte Ordnung: Vorderkiemer (Proso— branchia). I. Kammkiemer (Ctenobranchiata). Bandzüngler (Taenioglossa). Familie: Paludinaceen (Paludinacea). 1. Gattung: Sumpfſchnecken (Paludina) . 362 Lebendig gebärende Sumpfſchnecke (P. vivi- para) 363 Lebendig 9 Achat⸗ Sumofiänete (P. achatina) . - 363 Unreine Sumpfſchnecke (P. pur 364. 2. Gattung: Melania . . . .. 365 3. Gattung: Kammſchnecken F 365 lll 4. Gattung: Riss . . . 5 Gerippte Riſſoe (R. 98 8 R. par ya „ 365 5. Gattung: Strandſchnecken 1 „ 2865 Dein 868 OTeaN. 0 67 DUS ö 367 l 3867 L. divaricata . . 368 7. Gattung: Perſpektivſchnecke n 368 II. Netzkiemer (Neurobranchia). Familie: Kreismundſchnecken (Cyclostomidae). 1. Gattung: Kreismundſchnecken (Cyelostoma) 369 Zierliche Kreismundſchnecke 8 elegans) 369 2. Gattung: Pomatiass 0 Familie: Heliciniden. Seite Einzige Gattung: Helicina . 370 Familie: Acikuliden. 1. Gattung: Spitzſchnecke (Acme) . 370 2. Gattung: Ampullaria . 8 370 Familie: Mützenſchnecken (Capulidae). 1. Gattung: Capulus . 370 Ungariſche Mütze (C. hungarieus) 370 2. Gattung: Calyptraea . 370 3. Gattung: Thyca 371 T. ectocon . 371 4. Gattung: Natica 371 N. helicoides 5 371 Familie: S8 1. Gattung: 1 ene 372 V. gigas. 8 372 V.triqueter. - - 372 Gewöhnliche Wurmſchnecke (F n 372 V. subcancellatus. 2 372 2. Gattung: we bälle 374 S. anguina 374 Familie: Turmſchnecken (Turritellacea). J. Gattung: Turritella 374 2. Gattung: Cerithium 374 C. truncatum 375 3. Gattung: Litiopa 375 Familie: Marſenien (Marseniidae). J. Gattung: Lamellaria . 375 L. perspicua 375 L. tentaculata . i 375 Familie: Janthiniden. 1. Gattung: Blauſchnecke (Janthina). 376 2. Gattung: Wendeltreppen— Säneten Scalariı 378 S. pretiosa . : 378 Schmalzüngler. Familie: Faltenſchnecken (Volutacea). 1. Gattung: Marginella . 378 2. Gattung: Voluta 378 3. Gattung: Cymbium £ 373 Kronenſchnecke (C. seihiopienn) 378 4. Gattung: Mitra. PR 378 Papſtkrone (M. 9 95 379 Biſchofsmütze (M. episcopalis) 379 Familie: Oliven. 1. Gattung: Oliven (Oliva). er 379 2. Gattung: Ancillen (Ancilla). . . » 380 3. Gattung: Harfen (Harpa) 8 380 Familie: Buteiniden. 1. Gattung: Kinkhörner (Buceinum) . 380 Gewelltes Kinkhorn (B. undatum) 380 2. Gattung: Fiſchreuſen (Nassa) . 5 381 Gegitterte Fiſchreuſe (N. ee 381 — — 10 Inhalts -Verzeichnis. „Gattung: Purpura. P. lapillus P. madreporarum . Gattung: Rhizochilus . R. antipathum . Gattung: Magilus . M. antiquus . . Gattung: Leptoconchus . „Gattung: Leiſtenſchnecken bien M. brandaris M. trunculus M. ramosus . M. erinaceus . Gattung: Spindefneden Fuss) F. antiquus F. norvegicus . F. Turtoni Gattung: Birnenſchnecken (EY rula) Pfeilzüngler. Familie: Kegelſchnecken (Conoidea). Gattung: Conus. OC. cedonulli . C. marmoratus. . Gattung: Pleurotoma . Bandzüngler mit Akemfiph d Familie: Porzellanſchnecken. . Gattung: Porzellanſchnecken (Cypraea) . Tiger: Borzellanfchnede (C. tigris) Kauri (C. moneta) Gattung: Eiſchnecken (Ovula) O. oviformis. Familie: Tritonzhörner. Gattung: Trompetenſchnecken (Tritonium) . T. nodiferum T. variegatum . „Gattung: Faßſchnecken f e Faß (D. galea). Gattung: Helmſchnecken 1 8 C. cornuta 5 a Familie: dune. Gattung: Aporrhais Pelikansfuß (A. pes Jake), Gattung: Flügelſchnecken . S. gigas. . Gattung: Pterocera Teufelsklaue III. Fächerzüngler pid les Familie: Neritiden. Gattung: Nerita Gemeine Schmwimmicnede(N. e N. minor. BUN I ie. „Gattung: Navicella Familie: Kreiſelſchnelen. Gattung: Rundmund De T. rugosus . Seite 382 382 382 383 383 383 384 384 384 384 384 384 388 388 388 389 389 389 390 390 391 391 392 393 394 395 395 395 395 395 396 396 397 397 398 398 398 399 399 399 400 400 400 400 401 401 10 0 Großer Ölfrug (T. olearius) Pagode (T. pagodus) „Gattung: Delphinula . Gattung: Eckmund (Trochus) T. ziziphinus 4. Gattung: Phasianella 10 Gattung: Seeohren (Haliotis) . H. tuberceulata . Gattung: Fissurella F. reticulata F. graeca Gattung: Ausschnitt} checken umarmte E. reticulata (fissura) „Gattung: Napfſchnecken (Patella). Gemeine Napfſchnecke (P. en P. pellucida. ; . Familie: nen . Gattung: Eulima . Gattung: Entoconcha . E. mirabilis . . Gattung: Entocolax E. Ludovigü Sechſte Ordnung: Käfer che (Cnemidophora). Familie: Käferſchnecken (Chitonidae). . Gattung: Corephium . C. aculeatum . Öattung: Chiton C. marginatus . XIX Seite 401 401 402 402 402 402 402 403 403 403 403 403 403 403 405 405 406 407 407 411 411 412 412 413 413 Dritte Klaſſe: Kahnfüßer 1 Familie: Elefantenzähnchen. Einzige Gattung: Dentalium — DD x o Gattung: D. vulgare. chiata). 414 414 Vierte Klaſſe: Muſcheln (Lamellibran- Erſte Ordnung: Einmuskler (Mono- myaria). Familie: Auſtern. Auſtern (Ostrea) . Gemeine Auſter (O. edulis) Virginiſche Auſter (O0. . Gattung: Anomia . . . Sattelmuſchel (A. e Familie: Kammmuſcheln. Gattung: Lima . . Feilenmuſchel (L. 1 Gattung: Kammmuſcheln (Pecten) P. opereularis . . „Gattung: Klappmuſcheln GSpondylus) Lazarusklappe (S. gaederopus) 8 lte 426 426 438 439 439 440 440 441 442 442 442 10 es wi Familie: Hammermuſcheln (Malleacea). . Gattung: Malleus a . Gattung: Perlenmuſcheln (Meleagrina) , Echte Perlenmuſchel (. meleagris). Familie: Miesmuſcheln (Mytilacea). „Gattung: Miesmuſcheln (Mytilus).. Eßbare Miesmuſchel (M. Der Gattung: Modiola . M. vestita . Gattung: Lithodomus. Gemeine Steindattel (L. lthophasus) . Gattung: Dreyssena Wandermuſchel (D. polymor 1 Gattung: Steckmuſcheln N P. squamosa Familie: Tridacnaceen. Einzige Gattung: Tridacna . iR 3. 10 8 * Rieſen-Gienmuſchel (T. de T. elongata . : g Zweite Ordnung: Zweimuskler (Dimyaria). Familie: Najaden (Unionacea). Gattung: Unio U. tumidus . U. pietorum . crassus . platyrhynchus eee . decurvatus . . batavıs . 2. Gattung: Margaritana i B Flußperlenmuſchel (M. 1 Gattung: Anodonta 5 Große Schwanen— enten (A. cyg- nea) 3 . : A. cellensis . Seite 443 444 1 443 2. Gattung: Tellina 3. 4 Inhalts -Verzeichnis. Familie: Tellinaceen (Tellinacea). Gattung: Venus. Gattung: Cyelas C. rivicola C. cornea Gattung: Erbſenmuſschel (Pia Familie: Steinbohrer. Einzige Gattung: Saxicava . I oo — 10 5 S. rugosa Familie: Klaffmuſcheln. Gattung: Klaffmuſcheln SR M. arenaria. 5 Gattung: Pholadomya „Gattung: Scheidenmuſcheln Golen) Meſſerſcheide (S. vagina) SchwertförmigeScheidenmuſchel(8. a Hülſenförmige eee 6 sili- qua) - S. marginatus . Familie: Röhrenmuſcheln. Gattung: Bohrmuſcheln (Pholas) . P. dactylus . Gattung: Schiffswürmer (Pere Bohrwurm (T. fatalis) . Familie: Gaſtrochänaceen. . Gattung: Gastrochaena . G. modiolina Gattung: Clavagella . . . „Gattung: Siebmuſcheln (Asper i Familie: Cardiaceen. Einzige Gattung: Herzmuſcheln (Cardium) Stachlige Herzmuſchel (C. echinatum) Eßbare Herzmuſchel (C. edule) Die Stachel häuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen (Holothuroidea). Erſte Ordnung: Lungenholothurien. Gattung: Cucumaria . E Kletterholothurie (C. Hyndmann) C. doliolum . 5 . Gattung: Holothuria . Röhrenholothurie (H. tubnlosa . Gattung: Stichopus S. naso * Gattung: Bohadschia . Seite 501 501 501 502 502 503 503 503 15 Seite Familie: Flaſchenholothurien (Rhopalodinidae). Gattung: Siphothuria . 2. Gattung: Ypsilothuria 1: 2. V. attenuata Gattung: Rhopalodina R. Neurtali . Zweite Ordnung: Gattung: Psychropotes . P. longicauda . Gattung: Scotoplana . S. globosa 508 508 508 508 508 Tiefſeeholothurien. 509 509 509 509 Inhalts-VBerzeihnis. XXI Dritte Ordnung: Fußloſe Holothurien | _ | Seite (Apoda). 5 2. Gattung: Amphidetus 524 SEHE A. rd 7... ..2.B2b 1. Gattung: 5 . 22 | 3. Gattung: Pourtalesia. - - . 526 85 Be : 505 | P. laguncula 526 hispida 5 S. digitata . 509 Dritte Klaſſe: Seeſterne (Asteridae). 8 un 515 Erſte Ordnung: Porzellanſterne i (Porcellanasteridae). Er Zweite Klaſſe: Seeigel (Echinoidea). 1. Gattung: Asterias . 528 Erſte Ordnung: Seeigel im engeren A. arenicola . 2 628 - able 2 } 5 Sinne (Echini). 1 u ASIELONyX %ı N 25 r 52 1. Gattung: Seeigel (Echinus). 516 Stein Seeigel (E. saxatilis) 516 | Zweite Ordnung: Brifingiden. 2. Gattung: Toxopneustes . 518 Einzige Gattung: Brisinga . 528 Kurzſtacheliger Seeigel (T. 1 518 B. endecacnemos . 528 “ rs ya 519 Vierteklaſſe Schl en idae) 4. Gattung: Arbacia . 519 | Erſte Ordnung: Echte Schlangenſterne 5. Gattung: Asthenosoma . £ 519 (Ophiurae). 15 FE (A. Bi AR 55 | Zweite Ordnung: Meduſenſterne . Gattung: Calveria . . . 520 Eurvalidae). eros 520 „ ie | y ) u ns re 520 Einzige Gattung: Euryale 530 8. Gattung: Cystechinus . 520 I verruegsa ö a C. vesica . 520 Fünfte Klaſſe: Sade boa 9. Gattung: Strong plocentrotus 5 3921 1. Gattung: Pentacrinus 531 S. Droebachiensis . 521 P. Wyville Thomsoni 531 Zweite Ordnung: Schildigel P. caput Medusae 531 (cl eastridae). 2. Gattung: Holopus . = as yP 3. Gattung: Wurzelhaarſterne r — 982 1. Gattung: Clypeaster 523 4. Gattung: Bourgetticrinus 532 2. Gattung: Echinarachnius 523 5. Gattung: Actinometra 533 3. Gattung: NMellita 523 6. Gattung: Haarſterne een 533 5 - - C. rosacea 533 Dritte Ordnung; Herzigel (Spatangidae). tea 533 1. Gattung: Hemiaster 524 C. phalangium. 536 Die Hohl oder Sacktiere. Erſter Unterkreis: Rippenquallen Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere (Ctenophora s. Costifera). Sas (Cnidaria s. Telifera). 3 . ee lese benden (Bao E. multicornis . 546 medusae). 3. Gattung: Mützenquallen bee, 546 Erſte Unterklaſſe: Schwimmpolypen B. Forskälii . 546 (Siphonophora). 4. Gattung: Bolina 546 Familie: Phyſophoriden. Seite B hydafına . 546 Gattung: Physophora . 550 5. Gattung: Hormiphora 546 | Zweireihiger Blajenträger b. e 550 H. plumosa . 546 Familie: Phyſaliden. 6. Gattung: Cestus 547 Gattung: Seeblaſen (Physalia) 552 Venusgürtel (C. Wenn) 547 P. pelagica . f 552 XXII Familie: Auronekten. Seite Einzige Gattung: Stephalia 554 S. corona. 554 Familie: Scheibenſchwimmpolypen (Velellidae). Einzige Gattung: Velella 554 Zweite Unterklaſſe: Hydromeduſen (Hydromedusa s. Hydroidea). Erſte Ordnung: Hydroiden. 1. Gattung: Clavatella j 55 Kriechqualle (C. 8 - 55 2. Gattung: Pectis 5 555 Saugqualle (P. ie a) 555 3. Gattung: Corymorpha 556 C. nutans a 556 4. Gattung: Monocaulus 557 M. imperator 55 5. Gattung: Tubularia 55 T. indivisa 55 6. Sattung: Hydractinia 558 H. echinata . 558 Zweite Ordnung: er Familie: Milleporiden. 1. Gattung: Cordylophora 561 Keulenpolyp (C. lacustris) . 561 2. Gattung: Hydra 561 Grüner Sama ffer pole (H. vir 1 561 Grauer Süßwaſſerpolyp (H. grisea) 561 Gemeiner Süßwaſſerpolyp (I. vulgaris) 561 Dritte Unterklaſſe: Scheibenquallen (Discomedusae s. Acalephae). 1. Gattung: Chrysaora 567 C. ocellata . 567 2. Gattung: Aurelia 8 567 Blaue Meduſe (A. 1 567 3. Gattung: Cyanea 569 Haarqualle (C. . 569 4. Gattung: Wurzelmäuler (Rhizostoma) 569 Wurzelmundqualle (R. Cuvieri) 569 5. Gattung: Periphylia 569 P. mirabilis . 569 6. Gattung: Cassiopea Sur 569 7. Gattung: Becherquallen n 571 8. Gattung: Tessera . g : 571 CCC ˙ I Zweite Klaſſe: Blumenpolypen (An- thozoa). Entdeckungsgeſchichte und Entwidelung . 572 Erſte Ordnung: Sechsſtrahlige Polypen (Hexactinia). Familie: Seeanemonen oder Aktinien. 1. Gattung: Actinia . 581 db Ge II I Inhalts-Verzeichnis. Seite Pferdeaktinie (A. equina) 581 Carusſche Seeroſe (A. Cari) 581 A. effoeta 581 2. Gattung: Ragactis 581 R. pulchra 581 3. Gattung: Ceractis. 581 C. aurantiaca 581 4. Gattung: Heliactis 5 581 Sonnen-Seeanemone an. bellis) 581 5. Gattung: Aiptasia 581 Aiptaſia (A. mutabilis) . 581 6. Gattung: Adamsia 581 Mantelaktinie (A. Palla 581 7. Gattung: Eloactis 581 E. Mazelii 581 8. Gattung: Anemonia . 581 A. suleata 581 9. Gattung: Cerianthus . 582 C. membranaceus . 582 10. Gattung: Cladactis 582 C. Costae 582 Blattaktinien. 11. Gattung: Crambactis 585 12. Gattung: Polysiphonia . 585 3. Gattung: Sicyonis 585 14. Gattung: Liponema . 585 L. multiporum . 585 15. Gattung: Sagartia 586 S. pellueida . 586 S.ignea . 556 Familie: Zoantharien (Zoantharia). 1. Gattung: Zoanthus 586 2. Gattung: Palythoa 586 P. fatua 586 3. Gattung: 1 588 P. ambulans 588 Familie: Antipathaceen. Einzige Gattung: Antipathes 589 Familie: Sternkorallen (Astraeaceae). A. Sternkorallen mit i Skelett. 1. Gattung: Astroides . 5 590 Kelch-Sternkoralle (A. caly W 590 2. Gattung: Dendrophyllia . 594 Aſtige Baumkoralle (D. ramea) 594 3. Gattung: Madrepora . 594 4. Gattung: Porites . 594 P. furcatus . 594 B. Sternkorallen mit feftem, nicht poröſem Skelett. 5. Gattung: Pilzkorallen (Fungia) . . . . 594 6. Gattung: Flabellum . 595 Veränderliche Fächerkoralle Gg. v var iabile) 595 7. Gattung: Leptopenus 596 L. discus . 596 Snhalts-Verzeihnis. Seite 8. Gattung: Cladocora . . . n Raſenkoralle (C. en) 997 9. Gattung: Sternkorallen (Astraea) 59% Sternkoralle (A. pallida) . . . . 597 10. Gattung: Gehirnkorallen ae) 597 H. heliopora RER 597 Zweite Ordnung: Achtſtrahlige Polypen (Octactinia). Familie: Korkpolypen (Aleyonaria). 1. Gattung: Alcyonium . 8 598 Familie: Seeſebern. 1. Gattung: Veretillum . 598 2. Gattung: Seefedern r 600 Seefeder (P. spinosa) 600 3. Gattung: Pennatulaa 601 Leuchtende Seefeder (P. Hhosjhorca) 601 4. Gattung: Umbellula 602 U. grönlandica 602 U. Thomsoni 603 U. miniacea . 603 U. leptocaulis 603 U. encrinus . 603 Familie: genie (Gorgonidae). 1. Gattung: Gorgonia. 5 605 Warzenkoralle (G. Ferrucosd) 605 2. Gattung: Isidigorgia 605 I. Pourtalesü . 605 3. Gattung: Streptocaulus 605 S. pulcherrimus 605 4. Gattung: Bathygorgia 605 B. profunda 605 5. Gattung: Iſis 605 6. Gattung: Corallium 605 Edelkoralle (C. rubrum) 605 Familie: Orgelkorallen (Tubiporidae). Einzige Gattung: Tubipora . : 608 Riffbauende Korallen Korallenriffe und Koralleninſeln 615 Dritter Unterkreis: Schwämme (Spongiae s. Porifera). Erſte Klaſſe: Kalkſchwämme (Calci- spongiae). Familie: Sack⸗Kalkſchwämme (Ascones). 1. Gattung: Ascetta . 633 A. clathrus . 633 2 Gattung: Ascaltis . 633 A. botryoides . 633 Familie: Knollen: Kalkſchwämme 2 Einzige Gattung: Leucandra L. penicillata 633 Familie: Waben⸗ ⸗„Kalkſchwämme (See) 633 5 Zweite Ordnung: 633 II Zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme (Coeno- spongiae). Erſte Ordnung: Halichondrien (Hali- chondriadae). Familie: Hornſchwämme. Seite Einzige Gattung: Euspongia 635 E. adriatica . 656 E. nitens. 636 Schwammfiſcherei und Scene 636 Familie: Ammokoniden. Einzige Gattung: Ammolynthus . 641 A prototypus . 641 Familie: Gummi⸗ oder Lederſchwämme. Gattung: Chondrosia .. 2. 642 2. Gattung: Halisarca 642 Familie: Kieſel-Halichondrien. 1. Gattung: Desmacidon 643 2. Gattung: Clathria . 644 C. morisca . 644 3. Gattung: Axinella . 644 A. polypoides . 644 4. Gattung: Esperiopsis . 644 E. Challengeri . 644 5. Gattung: Bohrſchwämme Gi 644 V.celata. 8 645 V. Johnstonii 645 Familie: Süßwaſſerſchwämme (Potamospongiae) 647 Vierſtrahlſchwämme (Tetractinellidae). Einzige Gattung: Geodia 650 G. gigas. 650 Dritte Ordnung: Sechsſtrahl⸗ oder Glasſchwämme W 1. Gattung: Semperella . 652 S. Schultzei . u 652 2. Gattung: Polylophus . 652 P. philippinensis . . 652 3. Gattung: Sclerothamnus . 652 S. Clausii 652 4. Gattung: Farrea 652 F. Haeckelii 652 5. Gattung: Periphragella ua gen 1008 EHE 688 6. Gattung: Hyalonenna 653 H. mirabile . 653 7. Gattung: Euplectella . e 654 Gießkannenſchwamm (E. aspergilltun) . 654 8. Gattung: Pheronema . 2 654 P. Carpenteri 654 Haftende Haarſcheibe (Trichoplax adhaerens). 656 XXIV Inhalts: Verzeichnis Die Aritere. Erſte Klaſſe: Infuſorien (Infusoria). Erſte Unterklaſſe: (Ciliata). Erſte Ordnung: Hypotricha. Einzige Gattung: Waffentierchen (Stylonychia) Muſcheltierchen (S. mytilus) Zweite Ordnung: Peritricha. 1. Gattung: Vorticella 2. Gattung: Carchesium . Nickendes Glockentierchen (Epistylis) Dritte Ordnung: Heterotricha. J. Gattung: Trompetentierchen (Stentor) . Röſels Trompetentierchen . Gattung: Spiralmund (Spirostomum) S. ambiguum 3. Gattung: Balantidium B. coli. Vierte Ordnung: Holotricha. Einzige Gattung: Paramaecium Pantoffeltierchen (P. Aurelia). 1 Fünfte Ordnung: Acineten. Ö g: Einzige Gattung: Podophrya . Wimperinfuſorien Seite 664 664 666 666 666 680 Zweite Unterklaſſe: Ceißelinſuſorien (Flagellata). Familie: Kragengeißler (Choanoflagellata) Familie: Panzergeißler (Dinoflagellata) Familie: Leuchttierchen 5 1. Gattung: Noctiluca N. miliaris 2. Gattung: Leptodiscus L. medusioides 3. Gattung: Pyrocystis . P. noctiluca. Zweite Klaſſe: Wurzelſüßer 1 Erſte Ordnung: . . 1. Gattung: Rhizosphaera R. leptomita . Gattung: Sphaerozoum S. Övodimare . 3. Gattung: Actinomma . A. drymodes z 4. Gattung: Lithomespilus . L. flammabundus . Gattung: Ommatocampe O. nereides . 6. Gattung: Carpocanium C. Diadema . 10 8 687 687 687 687 687 687 687 687 687 687 687 687 A 10. — 10 — O b Oo . Gattung: . Gattung: Clathrocyclas C. Ionis ; . Gattung: Dicty mes 5 D. Tripus Gattung: n e C. Willemoesü . Gattung: Heliosphaera . H. inermis Zweite Ordnung: Sonnentierchen (Heliozoa) lathrulina 2 Gittertierchen (C. elegans). Gattung: Actinosphaerium Strahlenkugeltierchen (A Bichhomi) Gattung: Actinophrys Sonnentierchen (A. sol). Dritte Ordnung: Kammerlinge (Foraminifera). . Gattung: Guttulina . G. communis Gattung: Dendritina . „Gattung: Polystomella . P. striatopunctata Gattung: Orbitolites . O. complanata O. marginalis . O. duplex 2 Gattung: Globigerina Gattung: Orbulina Gattung: Saganella . Gattung: Aschemonella Gattung: Botellina Gattung: Sorosphaera . Gattung: Bathysiphonia B. filiformis Gattung: Syringamina . S. fragilissima Seite 687 687 687 687 687 687 687 687 689 689 690 690 690 690 691 691 691 691 691 692 692 692 692 694 694 698 698 698 698 698 698 698 698 Vierte Ordnung: Amöben obo . Gattung: Kapſeltierchen a Gattung: Euglypha . E. alveolata. Gattung: Difflugia Gattung: Pelomyxa . P. villosa . Gattung: Amoeba. A. proteus Anhang: Schleimpilze (Myxomycetes). Einzige Gattung: Protomyxa . Orangerotes Urſchleimweſen P. auran- tiaca). 699 I —1 -1 ei] SR) 701 —1 22 = S 704 704 Verzeichnis der Abbildungen. Auf beſonderen Tafeln. Seite Schwertſchwänze oder Moluffenfrebie. . .. 4 Krabben 27 Einſiedlerkrebſe 38 Hummer und Languſte 44 Salpen 249 Papier⸗ Nautilus . 273 Landſchnecken, mit Deckblatt. 336 Kletterholothurie 501 Karte: „Verbreitung wichtiger niederer Tiere“ Stachelhäuter Ctenophoren Seeblaſe Schirmquallen : Seeanemonen, mit Deckblatt Edelkoralle Glasſchwämmen. Radiolarien e eee Am Ende des Buches. Im Tert. Seite Krebſe. Mundwerkzeuge des Flußkrebſes .. 9 Jugendform der Krabben . ARE 15 Serolis Bromleyana ; 23 Winkerkrabbe . 28 CCC „229 30 Großer Taſchenkrebs 31 Große Meerſpinne 2 33 Langſtirnige Spinnenkrabbe 34 Wollkrabbe 5 35 Wollkrabbe, mit einem Korkſchwamme bedeckt 36 Porzellankrebs 8 2 443 Blattkrebs. 45 Gemeiner Flußkrebs 47 Thaumatocheles Zaleuca 49 Willemoesia leptodactyla * 51 Pontonia tyrrhena, Typton spongicola . 53 Sägeförmiger Palämon Leuchtkrebs 55 Gemeiner Heuſchreckenkrebs : 56 Kelleraſſel und Rollaſſel 58 Kugelajjel . 60 Männchen der Praniza 60 Weibchen der Praniza . 61 Gemeiner Flohkrebs 62 Andania gigantea . ; 64 Sandhüpfer und Phronima . 64 Cystosoma Neptuni 65 Acanthozone tricarinata . 66 Kehlfuß-Flohkrebs . 66 Walfiſchlaus . 67 Larve von Lepas 67 Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. Entenmuſchel auf Bimsftein . Megalasma striatum Seepocke Wurzelkrebs Peltogaster curvatus und Larve oder Nauplius von Parthenopea 8 : Weibchen und Larven von Cy 1095 N 5 Fiſchläuſe: Caligus, Lernanthropus; Karpfen⸗ laus . ; Fiſchläuſe: 5 Brachelln, e Haemobaphes, Herpyllobius Kiemenfuß, Männchen und Weibchen; Salz krebs⸗ chen, Männchen Kiefenfuß Waſſerfloh 2 a Ephippium des 100 0 A Leptodora hyalina . Würmer. Schild-Rädertier Kiefer des Rückenauges Rückenauge Blumentierden . SER 8 Bonellia, Phascolosoma, bre 8 Balanoglossns clavigerus Borſtengruppe der Borſtenwürmer Gemeiner Regenwurm. Phreoryetes Menkeanus . Gezüngelte Naide l . \ Borſtenhöcker von Heteronereis Oer ir : Hermione hystrix Kopf von Nereis incerta . i Eine Heteronereis, Phyllodoce laminosa, Gly- cera, Arenicola piscatorum . 9 7* u» Eeite 528 546 552 568 581 608 653 687 Seite XXVI Arenia fragilis . Chaetopterus . Röhren der era 1 F Terebella emmalina . Vorderende der Röhre der Terehelle en Serpula eontortuplicata . Amphicora sabella . F Entwickelung der Borlenmiemer . Syllis ramosa Myzostoma gigas, von unten, N 1 dieſ ſen Paraſiten gallenartig umgebildete Armteile von Antedon . Bau der Blutegel Mediziniſcher Blutegel. Rochenegel : Entwickelung eines 1 Rieſenkratzer Pfeilwurm e j Vorderende von Enoplus 5 Kleiſter⸗Eſſigälchen 5 Larve von Pellodera papillosa . : Weibchen der Leptodera - Form der 5 ni- grovenosa . Hummelfadenwurm Weizenälchen . 2 Kopf von Ascaris, 5 Spulwurm des Menſchen. Pfriemenſchwanz Dochmius . Kopf vom 1 3 Luftröhrenwurm, Weibchen und Mäunchen Männchen von Trichina spiralis Trichinenkapſel in menſchlichen Muskelfasern Körperende von Gordius setiger, Männchen Larve des Waſſerkalbes Eier und Larven von Mermis Planaria gonocephala Beſtachelter Bandwurm Sechshakiger Bandwurm— Embryo 8 Blaſenwurm; ausgeſtülpter Bandwurmkopf Kopf und Glied von Taenia solium und von Taenia saginata. g Taenia echinococcus; Stück des ae Kopfende und reife Glieder des Menſchen-Gru— benkopfes 5 Epibdella, Trochopus, e Doppeltier und einzeln lebende Diporpa Dactylocotyle, Anthocotyle. Polystomum integerrimum. Cerkarien . Doppelmaul Leberegel 9 Rüſſelende von . 0 Vierauge Landvielauge . Kreuzträgerin Pterosoma planum . Seite 122 123 125 126 129 130 133 135 137 139 143 145 Lepralie e 147 | Oristatella eier Statoblaſt der G 149 150 151 152 153 154 156 157 159 160 161 162 163 164 166 168 170 171 172 173 176 177 178 180 183 190 191 192 194 195 197 199 200 201 202 204 Verzeichnis der Abbildungen. Pilidium Prostomum, Conv 1 v or 15 18 betragonum Spaltmund Einäugiges Engmaul . ec Umriß einer Dendrocoele. . Polycelis laevi gata Se Zottenplanarie Geodesmus bilineatus : Orthonektide, M ag und Weisen Dicyemide . ee . e Einzelnes Tier von Paludicella Ehrenbergü . Netzkoralle. mucedo mit drei jungen Tieren . Flustra foliacea Tubulipora verrucosa . 5 Löffeltier; Schwärmlarve von 1 ars lare . Rückenklappe von Ter n e an: Entwickelungsſtufen von Thecidium mediterra- neum 3 Entwickelungsſtufen von 10 a Theeidium mediterraneum . Crania anomala Lingula pyramidata . Manteltiere. Ascidia microcosmus, aufgeſchnitten .. Phallusia mamillaris . Leder-Ascidie Hypobythius calycodes Clavellina lepadiformis . 3 - Zuſammengeſetzte Ascidie im nern : Botryllus albicans . 3 Leuchtorgane von Pyrosoma. 5 Salpa maxima, von der Seite Weichtiere. Sepiola Rondeletii . Unterkiefer und Oberkiefer Der Sant a Sepiola Rondeletii von der Bauchſeite Gemeiner Krake. 185 189 Krake, in ſeinem Steinneſt dauernd Mojchuseledone . h Gehäuſe der weiblichen Argonaute 2 E Männchen und Weibchen der gemeinen Sepia nebſt Rückenſchulp ER Gemeiner Kalmar nebſt hornigem Rückenſchulp Schale des Poſthörnchens 9 Männchen des Papier-Nautilus : Durchſchnitt der Schale des Nautilus 1 Durchſchnitt des Gehäuſes vom 1 Hyalea tridentata . . . . 412 Larve der Hyalea gibbosa Tiedemannia neapolitana Verzeichnis der Abbildungen. Clio flavescens . ; Faſt reife Larve von El denen Gefäßſyſtem von Pleurobranchus aurantiacus Gemeine Kugeljchnede . Dffene Seemandel . Seehaſe h Pleurobranchus Per onii, von 1 4 51 Weichwarzige Sternſchnecken. Weiße Griffelſchnecke Gemeine Bäumchenſchnecke Breitwarzige Fadenſchnecke Schleierſchnecke Grüne Samtſchnecke Breitköpfige Lanzettſchnecke Zahnreihe aus der Reibeplatte von nee stagnalis, Ancylus fluviatilis, Succinea am- phibia Mauriſche Achatſchnecke 11 Durchſichtige Glasſchnecke und Benfeinfhneie Rote Wegeſchnecke ; Testacella haliotidea . Platzregenſchnecke Große Schlammſchnecke Verſchiedene Formen der Gattung . Tellerſchnecke . - 5 Embryo der Sumpf- daft 5 Atlanta Peronü. . . SEEN Pterotrachea . . Phyllirhoe bucephala, im Dunkeln Phyllirhoe bucephala, im Hellen 5 Männchen von Litoridina Gaudichaudii ma aufgeſchnittener und 8 Kie⸗ menhöhle . Lebendig gebärende ee 5 Zähnchen-Querreihe aus der Reibeplatte der umpfſchn ecke Gerippte Rifjve . ET der Ulerihnede . . “ ...% Gebänderte Häubchenſchnecke. SR Seeſtern mit ſchmarotzender Thyca 0 Gewöhnliche Wurmſchnecke Janthina fragilis mit dem Floß Zahnreihe der Reibeplatten von Tritonium undatum und Murex erinaceus . Schwarze Oliven. : Eikapſeln von Purpura l Junges Exemplar von Rhizochilus n Alteres feſtſitzendes Tier von Rhizochilus Anti- pathum . l Murex brandaris, 00 Schale 2 . Purpura haemastoma und Purpura Iabillus 5 Birnenſchnecke Kegelſchnecke . Kauri Tonnenſchnecke Sturmhauben. Pelikansfuß Seite 298 299 302 304 307 308 310 312 313 314 315 316 318 319 321 334 335 336 337 340 342 343 344 345 355 357 358 359 361 363 364 365 367 368 370 372 376 378 379 382 383 383 386 387 389 391 394 396 398 398 XNVII Seite Flügelſchnecke PS 399 Gemeine Schwimmſchnecke 400 Delphinula laciniata 402 Algeriſche Napfſchnecke 403 Synapta digitata 409 Larve der paraſitiſchen Schnecke ee mirabilis NE 410 Junge Synapta digitata . 411 Elegante Käferjchnede . 412 Schizochiton ineisus : 413 Verſchiedene Stufen der Larve 95 Käferſchnecke 413 Gemeiner Elefantenzahn . 1 4 Tier von Dentalium 414 Larve von Dentalium in verfiebenen Entwicke⸗ lungsſtufen 416 Tier von Anodonta 1 420 Nervenſyſtem u. andere Organe der Entenmuſchel 422 Cytherea maculata 424 Aufter . 427 Auſternbank und e im . 429 Rechter Mantellappen der e 439 Neſt der Feilenmuſchel. ; 440 Feilenmuſchel, ſchwimmend . 5 441 Stück vom Mantelrande der Kammmuſchel 442 See-Perlenmuſchel . . 444 Eßbare Miesmuſchel 450. 451 Steindattel 454 Tridacna mutica 458 Slußperlenmujcel . 463 Große Schwanen: Entenmuſchel 477 Bohrmujdel . 8 481 Schale der Bohrmuſchel 482 Umriß der Bohrmuſchel 483 Bohrwurm : 485 Gastrochaena alte 490 Siebmuſchel 5 491 Stachlige Herzmuſchel 5 492 Stachelhäuter. Bruttaſche von Hemiaster Philippii; Psolus ephippifer . . 500 Ypsilothuria attenuata; e Nen li 508 Scotoplana globosa 508 Psychropotes longicauda a 509 Klettenholothurie; Vorderende, Anker u. Anker⸗ platte von Synapta Besselü . 510 Klettenholothurie, Larve und Puppe. 512 Gehäuſe des Echinus esculentus 513 Pedicellarien . 5 514 Zahngerüſt des Stein: Seeigels 516 Leder⸗Seeigel 5 519 Entwickelung von 0 ae bachiensis . 520 521 522 Junger Seeigel. 523 Schildigel. 524 Herzigel 525 Pourtalesia phiale . 525 XXVII Pourtalesia ceratopyga . Porzellanſtern Schlangenſtern Pentacrinus caput Meet F Gallenartige M „ an Reinaiben Zurzelhaarſtern £ . Mittelländiſcher Haarſtern, auf 9 1 ſitzend 8 Grünlicher Schengen Hohl- oder Sacktiere. Cydippe pileus Venusgürtel . Neſſelkapſeln . 2 Zweireihiger Blaſenträger Stephalia corona Kriechqualle Saugqualle Monocaulus imperator Gruppe der Corymorpha nutans nebſt abgelöſten Quallen : Hydractinia echinata . Millepora nodosa 5 8 Künſtliches Monſtrum des Siswoffe been : Chrysaora ocellata . Wurzelmundqualle . Periphylia mirabilis Tessera princeps Entwickelungszuſtände von ‚Monozenia.Darwi inii Monoxenia Darwinii . Umriß von Caulastraea b Larve der Actinia equina Seeanemone . Blattaktinie . Polysiphonia tuberosa Palythoa fatua . Palythoa Axinellae Antipathes arborea l Thecocyathus cylindraceus . Dendrophyllia ramea Kelch-Sternkoralle . Entwickelungszuſtände von 1 8 is 5 Madrepora verrucosa . Porites furcatus Knoſpen bildende Pilzkoralle Veränderliche Fächerkoralle Leptopenus disens . Sternkoralle Heliastraea heliopora . Mundfelche von Heliastraea Korkpolyp Seefeder b Umbellula RER E Umbellula encrinus Warzenkoralle 558. 576. Weesen LIU OO OA . QM OU Om OD SI OL or Qu | O ere D oO © OU DD Dr or Qt Verzeichnis der Abbildungen. Streptocaulus pulcherrimus Bathygorgia profunda Edelkoralle Orgelkoralle 5 Bruchſtück der Orgelkoralle 2 Hohe Inſel mit Barriere: und Gürtelriff Koralleninſel oder Atoll Durchſchnitt eines Riffes . Schematiſcher Durchſchnitt einer Inſel 1 Ro: rallenriffen . Umriß der Inſel Aiva . Entwickelung von Sycon . Sack-Kalkſchwamm. e 2 Knollen-Kalkſchwamm; Waben⸗ Kalkſchwamm a Pferdeſchwamme. Nierenförmiger Lederſchwamm; Ae Du- jardinü . Kieſelnadeln von 0 me 115 D. arciferum 5 Schwämme auf Tang . Adhjenihwamm . s Esperiopsis Challengeri . Vom Bohrſchwamm durchlöcherter Kalkstein Larve des Süßwaſſerſchwammes g Kieſelkörper der Ankerſchwämme 5 Knoten-Achtflächner und Kiefelfterne . Pheronema Carpenteri N Trichoplax adhaerens . Artiere. Muſcheltierchen Vorticelle Nickendes Glocken ienchen Röſels Trompetentierchen. Spirostomum ambiguu m Kopulation von Paramaecium Aurelia. Aeinete 5 Knoſpenzeugende 55 Panzergeißler Leuchttierchen Perocystis noctiluca . Eiförmige Gromie . Gittertierchen Acanthocystis turfacea Guttulina communis Dendritina elegans Weichkörper der l Abe Orbitolites complanata Polystomella strigillata . Schalen von Globigerina 8 Hyperamnia ramosa und 1 1 Junge Arcelle Wechſeltiercheeeeeen 8 Amoeba proteus Orangerotes Urſchleimweſen Die Krebſe. Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. Die Schwerkſchwänze. Die Schwertſchwänze oder Molukkenkrebſe (Xiphosuridae — eigentlich rich— tiger Xiphuridae — s. Poecilopoda) find äußerſt ſeltſame Weſen, Überbleibſel einer vergangenen Welt, welche ohne nähere Verwandtſchaft nach irgend einer Seite hin in die Gegenwart hineinragen. Zu den Krebstieren, zu denen ſie, wenn auch nicht ohne einen gewiſſen Vorbehalt, von den meiſten Naturforſchern geſtellt werden, haben ſie wenig Beziehungen, deſtomehr aber zu den Spinnentieren, beſonders zu den Skorpionen, von denen ſie ſich nur durch die Kiemenatmung, den Beſitz ſeitlicher, zuſammengeſetzter Augen, den Mangel an ſogenannten Malpighiſchen Gefäßen und den Aufenthalt im Waſſer unterſcheiden. Größer, zahlreicher und wichtiger ſind die Punkte, in welchen beide Tierformen übereinſtimmen: bei beiden beſteht der Körper aus 18 Ringſtücken oder Segmenten, von denen je 6 zur Bildung des Kopfbruſtſtückes, des Mittelſchildes und des Schwanzes ſich vereinigen. Bei beiden iſt der erſte Leibesabſchnitt mit Gliedmaßen und der mittlere mit blattartigen Anhängen verſehen, der Schwanz aber ohne irgend welche Extremitäten. Sie gleichen ſich weiter in der Lage des Afters am hinteren Ende des mittleren Körperſtückes, in der weit nach vorn gerückten Lage der äußeren Geſchlechtsöffnungen unter einem aus Verſchmelzung des ſiebenten Gliedmaßenpaares gebildeten Schilde, im Bau des Mundes, der Oberlippe, der Blutgefäße, der Geſchlechtsdrüſen, der Leber und durch den Beſitz von zentral gelegenen, einfachen Nebenaugen. Alles dieſes ſind aber anderſeits ebenſoviele Punkte, in denen ſich die Schwertſchwänze von den Krebſen unterſcheiden, und daher dürfte es wohl gerecht— fertigt erſcheinen, ſie von dieſen auch ſyſtematiſch zu trennen und ſie als eine beſondere Klaſſe des Gliedertierreiches aufzufaſſen. Betrachten wir uns nun einmal, wozu die größeren Seeaquarien häufige Gelegenheit bieten, einen Schwertſchwanz etwas näher und zwar zunächſt von oben. Der Körper des kaſſerolleförmigen Tieres iſt bedeckt von zwei Schildern. Das erſte größere iſt halbmond— förmig. Seine Ecken endigen mit einem Stachel. Die Seitenteile breiten ſich von zwei beſtachelten Längskanten aus, an welchen auch die beiden faſt nierenförmigen facettierten Augen liegen. Zwei einfache Augen befinden ſich mehr einander genähert weiter nach dem Vorderrande zu. Mit dieſem das Kopfbruſtſtück bedeckenden Panzerteil iſt durch ein faſt geradliniges Gelenk das hintere faſt ſechsſeitige Schild verbunden, geziert durch Zähne und ſtarke ſeitliche Stacheln. Dieſem wieder iſt ebenfalls gelenkig der lange, ſcharfe Schwanzſtachel eingefügt, den ſie nach Angabe van der Hoevens als Waffe gebrauchen, und der ihnen, wenn ſie durch Zufall auf den Rücken zu liegen gekommen ſind, als Hebel dient, ſich wieder in die normale Stellung zu wälzen. Da die Tiere oft langſam an den Wänden der großen Glasgefäße, in welchen ſie in unſeren Aquarien gehalten werden, hinaufzuſchwimmen pflegen, hat man hinreichende Muße, die höchſt ſonderbar geſtellten 15 4 Schwertſchwänze. Glieder der Bauchſeite und ihren Gebrauch zu beobachten. Obgleich die Mundöffnung der Krebſe nicht am Vorderende zu finden iſt, ſo iſt ſie im allgemeinen hier noch weiter als gewöhnlich davon entfernt, umgeben von ſechs Paar mit Scheren endigenden Gliedmaßen. Das vorderſte Paar, das kleinſte, ſteht ganz vor dem Munde und dürfte den Fühlhörnern entſprechen. Die darauf folgenden drei Paare, durchaus den Scherenbeinen der Zehnfüßer gleichend, zeichnen ſich durch ein abgerundetes, mit vielen kleinen Dornen beſetztes Hüftglied aus, mit welchem das ſonderbare Weſen kaut. Abweichend iſt dieſes Grundglied der beiden folgenden Gliedmaßen gebaut, während die übrigen jenen vorderen gleichen. Ebenfalls noch auf der Unterſeite des großen halbmondförmigen Schildes iſt der große Deckel befeſtigt, welcher ſich über die fünf Paar platten, als Ruder und Kiemen ihre Dienſte leiſtenden Gliedmaßen des Hinterleibes legt. Der Schwanzſtachel, an deſſen Grunde ſich die Offnung des Darmkanals findet, iſt bei den das Ei verlaſſenden Jungen noch nicht vorhanden, ebenſo nicht die hinteren Schwimmfüße. Die Jungen haben jedoch im übrigen ſchon das ganze Gepräge ihrer Eltern, erinnern aber auch lebhaft an die vorweltlichen, längſt untergegangenen Trilobiten. Die geographiſche Verbreitung der wenigen Artformen der heutigen Gattung Limulus iſt ohne ein Zurückgreifen in die vergangenen geologiſchen Perioden unverſtändlich. Die eine, Limulus polyphemus, lebt an den flachen Ufern von Florida, Carolina und der Antillen; die anderen an den Flachküſten der Molukken, Chinas, Japans und Kaliforniens. Eine Auswanderung von dem einen nach dem anderen Verbreitungsbezirk mit entſprechender Raſſen- oder Artbildung iſt wegen der Tiefe der trennenden Meere ausgeſchloſſen, an eine Spezialſchöpfung hier und dort kann ein vernünftiger Menſch nicht denken. Die Limulus des Atlantiſchen und Pacifiſchen Ozeans müſſen alſo mindeſtens ſo lange ge— trennt ſein, als die Landenge von Panama ſich als trennender Wall zwiſchen beiden Meeren erhoben hat, das heißt ſeit dem Beginn der Tertiärperiode. Man findet aber ſchon in den Schichten einer noch weit älteren Zeit, in den juraſſiſchen Schiefern von Solnhofen, die erſten Reſte von limulusartigen Tieren. Die Seltenheit derſelben und den gänzlichen Mangel in allen ſpäteren Schichten hat man ſich aus der Lebensweiſe unſerer Limulus zu erklären, da jedenfalls auch die untergegangenen und ſpurlos verſchwundenen Arten Bewohner ſandiger Küſten waren. Die Reſte ſolcher Tiere erhalten ſich nur ausnahms— weiſe; ſie werden von Atmoſphäre und Wellen zerſtört, während die in die Tiefe ver— ſinkenden im Schlamm eingebettet und für die Wißbegierde des Menſchen erhalten wurden. Die ſtumpfſinnigen trägen Tiere bewohnen in geringer Tiefe den ſchlammigen Meeres— boden, über welchen ſie langſam dahin kriechen, und ernähren ſich von tieriſcher Koſt, be— ſonders von Ringelwürmern (Nereiden). Gegen direktes Sonnenlicht ſind ſie äußerſt empfindlich und ſterben nach kurzer Zeit, wenn ſie demſelben ausgeſetzt ſind, während ſie an einem kühlen, ſchattigen Orte ganz gut mehrere Tage außerhalb des Waſſers leben können. Ein bemerkenswerter Unterſchied findet zwiſchen den Schwertſchwänzen des Indiſchen und Stillen Ozeans einer- und denen des Atlantiſchen anderſeits betreffs der Brut— pflege ſtatt. Bei jenen tragen die Weibchen die Eier mit ſich herum, bei dieſen legen ſie dieſelben in den Schlamm. Dieſe Tiere werden in Japan und Oſtindien, wo ſie namentlich in Batavia unter dem Namen „Mimie“ in großen Mengen auf den Markt kommen, hauptſächlich ihrer Leber und Eier wegen gern gegeſſen. Die Urbewohner der atlantiſchen Küſte Nordamerikas verwendeten die ſcharfen Schwanzenden der Kiphuren zu Pfeilſpitzen. ++ fgaryuayynjagy aaa aturaulpfpaaulg 00 0% Die Krebſe. Innerhalb des großen Kreiſes der Gliedertiere nehmen die Krebſe oder Kruſten— tiere (Crustacea) einen wohl beſtimmten Platz ein. Mit den übrigen Klaſſen dieſes Tierſtammes die durchgehende Gliederung des Körpers, ſowohl des Rumpfes als der Glied— maßen, teilend und in der Anlage und Lagerung der Körperteile im weſentlichen mit ihnen übereinſtimmend, ſind ihre Eigentümlichkeiten im allgemeinen ſolche, welche dem Leben im Waſſer entſprechen. Wenn viele Inſektenlarven lange Zeit unter Waſſer leben, einige aus— gebildete Inſekten, Spinnen und Milben wenigſtens zeitweilig unter Waſſer gehen können, ſo verleugnen ſie dabei ihre Natur als Lufttiere nicht, ihre Atmungswerkzeuge bleiben dem Schema der Luftatmungswerkzeuge getreu, und manche Käfer und Spinnen nehmen ſich ſogar eine Portion Luft mit unter Waſſer, um davon ihr Atmungsbedürfnis zu beſtreiten, während ſie dem gasförmigen Element lebewohl geſagt haben. Nicht ſo die Krebſe: ſie ſind Waſſeratmer und zu dieſem Zwecke mit Kiemen verſehen, die wir vor— läufig mit den Kiemen der Fiſche vergleichen können, ſpäter aber etwas ſpezieller be— trachten müſſen. Nicht wenige Krebſe, namentlich aus den Gruppen der Aſſeln und Krabben, haben ſich jedoch im Laufe der Jahrtauſende dem Landleben angepaßt und atmen Luft, obſchon ihre Atmungswerkzeuge ein kiemenartiges Ausſehen bewahrt haben. Ein zweites Merkmal aller ausgebildeten und nicht durch Schmarotzerleben verküm— merten Krebſe iſt, daß ſie mehr als vier Paar Beine beſitzen. Es iſt alſo nichts leichter, als wenigſtens oberflächlich zu konſtatieren, daß ein uns in die Hände kommendes Glieder— tier ein Krebs iſt. Mit drei Paar Beinen iſt es ein Inſekt, mit vieren eine Spinne. Im allgemeinen liegt auch die Verwechslung mit einem Tauſendfuß bei der Wurmähnlichkeit dieſes letzteren und dem Mangel äußerer Kiemen zwar fern, doch können gewiſſe Aſſeln (Glomeris) in jo hohem Grade manchen Myriapoden (Armadillo) in der äußeren Geſtalt ähnlich ſein, daß ältere Naturforſcher (z. B. Panzer) beide zuſammenwarfen. Die Haut— bedeckungen aller Gliedertiere beſtehen aus einem mikroſkopiſch und chemiſch ſich eigen— tümlich verhaltenden Stoffe, dem Chitin, das bei vielen Krebſen durch Zwiſchenlagerung von kohlenſaurem Kalk eine größere Stärke und Widerſtandsfähigkeit erhält. Damit dürfte alles geſagt ſein, was die Krebſe als Geſamtheit betrifft. Denn, ſo mannigfaltig die Inſekten ſind, in der Verſchiedenheit ihres Baues und der Lebensweiſe werden ſie weit von den Krebſen übertroffen. Im offenen Meere gleich heimiſch wie an den Küſten, halten ſie ſich zugleich in den verſchiedenſten, dem tieriſchen Leben überhaupt zuträglichen Tiefen— zonen auf. Eine Reihe von Ordnungen hat ſich dem ſüßen Waſſer akkommodiert, dem fließenden und ſtehenden, guten und mit faulenden Subſtanzen erfüllten. Aus ihrem eigentlichen Element heraustretend, leben dieſe unter Steinen und Geſträuchen, während 6 Krebſe. Allgemeines. andere weite Reiſen über ſandige Flächen unternehmen und einzelne Krabben, ja ſelbſt langſchwänzige Krebſe auf Büſche und Bäume klettern. Meiſt frei ihrem Raube nach— gehend, dazu durch ihre ſcharfen Sinneswerkzeuge, ſtarken Kiefer, Scheren und robuſten Gliedmaßen befähigt, haben ſie auch zahlreiche Genoſſen unter ſich, bei welchen die an— fänglich viel verſprechende Gliederung beim weiteren Wachstum ins Stocken gerät, und die nun einem Schmarotzertum auf Fiſchen, Krebſen, wohl auch auf Würmern, verfallen, in welchem ſie zu ſcheinbar lebloſen Säcken verkümmern. Der Hautpanzer überzieht den ganzen Körper mit allen ſeinen Anhängen, aber nicht in gleichmäßiger Stärke, indem derſelbe zwiſchen den Leibesringen und in den Gelenken eine weichere, bei der Bewegung nachgiebige Beſchaffenheit annimmt, häufig auch ſtellen— weiſe, namentlich an den Scheren, wenn ſolche vorhanden ſind, einen höheren Grad der Härte erlangen kann. Sehr häufig bildet er beſonders um das Kopfbruſtſtück eine Dupli— katur, die ſich in manchen Fällen (Waſſerflöhe, Muſchelkrebſe) zu einer zweiklappigen Schale, ähnlich wie bei den Muſcheln entwickelt. Bei ſehr vielen Rankenfüßern iſt, und in erſter Linie zufolge ihrer Lebensweiſe als im ausgebildeten Zuſtande feſtſitzende Tiere, die Schale nicht nur beſonders reich an Kalkſalzen, es wird ihre Ahnlichkeit mit den Ge— häuſen der Weichtiere ſo groß, daß ältere Naturforſcher dieſe Tiere für abweichende, aben— teuerliche Mollusken anſahen. Die oft prachtvollen bunten Farben befinden ſich entweder als diffuſes Pigment in der ganzen Schale oder in beſonderen, oft beweglichen Zellen des unter dieſen liegenden Gewebes. Rot oder rötlichgelb iſt bei Krebſen eine weitverbreitete Farbe, und man kann es in gewiſſem Sinne die Urfarbe dieſer Tierklaſſe nennen, zu der die meiſten nach ihrem Tode zurückkehren, und die auch vielfach ſolchen eigentümlich iſt, welche, wie z. B. in der Tiefſee, dem Lichte und ſeinen mittelbaren und unmittelbaren Einflüſſen entzogen ſind. So iſt eine auch an den ſchottiſchen Küſten vorkommende Krabbenart (Pandalus annuli- cornis) in ſeichtem Waſſer mattgrau wie der Boden, auf dem ſie lebt, wird aber in einer Tiefe von etwa 200 m an lebhaft rot. Solche Formen von Kruſtentieren hingegen, welche in Höhlen und ähnlichen unterirdiſchen Räumen hauſen oder ſich in Sand und Schlamm eingraben und ſo dem Lichte entzogen ſind, erſcheinen bleichſüchtig hell. Pelagiſch, auf der Oberfläche des Meeres lebende Krebſe ſind oft glasartig durchſichtig. Nahe ver— wandte Arten ſind bisweilen verſchieden gefärbt, finden ſich dann aber auch an verſchie— denen Lokalitäten und gleichen der vorherrſchenden Farbe des dortigen Untergrundes. Auch die nämliche Art kann in flachem Waſſer dem Kolorit der Umgebung entſprechend variieren. So iſt nach Beobachtungen von Carrington und Lovett der Taſchenkrebs auf hellem Sandboden gelbgrau, rötlichbraun aber auf ſolchem, der eiſenſchüſſig iſt, und mattbraun, oft mit einem Stich ins Grünliche auf Schlammboden. In den Pfützen, welche zur Zeit der Ebbe auf und zwiſchen den Diorit- und Syenitfelſen der Kanalinſeln zurückbleiben und die durch eine reiche bunte Meeresflora ausgezeichnet ſind, finden ſich auch die bunteſten Exemplare der Taſchenkrebſe, namentlich prächtig grüne mit weißen Abzeichen. Dasſelbe Individuum ändert ſeine Farbe auch in einer der Färbung ſeiner jeweiligen Umgebung entſprechenden Weiſe, und dies iſt bei ſehr vielen anderen Krebſen der Fall. Es ſetzt aber dieſe Erſcheinung immer die Gegenwart beſonderer beweglicher Farbenzellen, ſogenannter Chromatophoren, in den unter dem Panzer befindlichen Geweben voraus. Matzdorff hat an einer in der Kieler Bucht und überhaupt an den meiſten Küſten Europas und Nordamerikas häufigen Aſſel (Idothea tricuspidata) die umfaſſendſten ein— ſchlagenden Unterſuchungen gemacht. Danach iſt die Nahrung, das Licht direkt, der Salz— gehalt des Waſſers und die Temperatur ohne Einfluß. Das letztere iſt einigermaßen be— fremdlich, da bei anderen Krebſen, z. B. der Garneele des Mittelmeeres (Nica edulis) Bau. Färbung. Häutung. 7 ſich die Chromatophoren bei herabgeſetzter Temperatur zuſammenziehen. Immer ent— ſprachen die von Matzdorff beobachteten Tiere in ihrer Farbe der nächſten Umgebung und oft in ſo hohem Grade, daß er nach monatelanger Beſchäftigung mit denſelben doch noch hin und wieder getäuſcht wurde. In dunkeln und hellen Schüſſeln veränderten die Aſſeln durch Ausdehnung und Zuſammenziehung der Farbenzellen ihre Färbung immer in entſprechender Weiſe. Überzog er ihre Augen mit einer Schicht von ſchwarzem, undurch— ſichtigem Lack, dann verloren ſie jene Fähigkeit, die übrigens auch nicht bei allen, der Färbung nach von Hauſe aus untereinander ſehr verſchiedenen Individuen die nämliche war. Gelegentlich treten auch bei Krebsarten frappante Farbenvarietäten auf. Albinos ſind ſehr ſelten, aber himmelblaue Hummern und Flußkrebſe wurden gelegentlich beobachtet, letztere in Weſtfalen nicht gerade ſehr ſelten; ja, in gewiſſen dortigen Bächen auf merge— ligem Boden ſollen ſie kurz nach der Häutung alle blau ſein. Da alle Panzerteile ſtarr ſind, ſo wachſen ſie nicht in dem Maße mit, wie der Krebs ſelbſt, ſie müſſen daher von Zeit zu Zeit abgeworfen werden, welchen Prozeß man als die Häutung oder der deutſche Fiſcher meiſt als das „Mintern“ bezeichnet und der am Flußkrebs namentlich von Max Braun eingehender unterſucht worden iſt. Alle ſich nicht häutenden Gliedertiere ſind nach ihrer Verwandlung und nachdem ihr Hautſkelett eine gewiſſe Starrheit und Feſtigkeit erlangte, an eine beſtimmte Größe ge— bunden: ſie wachſen nicht mehr. Die ſich periodiſch häutenden Krebſe haben die Fähigkeit erlangt, zeitlebens zu wachſen. Man betrachte einige hundert Maikäfer: ihre ge— ringen Größenunterſchiede haben ſie aus ihrem Puppenzuſtande ererbt, und während ihrer kurzen Schwärmzeit gleichen ſie ſich nicht aus. Ein kleiner Krebs hat aber die Hoffnung, ein großer zu werden, wenn nicht eine unkluge Nationalökonomie ihn ſchon als Jüngling der Küche überliefert. Das Erſtaunen über die Möglichkeit, wie der Krebs ſich ſeines ſtarren Panzers alljährlich entledigen kann, wird vermehrt, wenn man ſieht, wie auch die feineren Organe, Fühlhörner, Augen, Kiemen dabei ihrer Hüllen ledig werden, ja, daß auch der Darmkanal an der Häutung teilnimmt. Schon Réaumur hat in der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Häutung des Flußkrebſes genau beobachtet und beſchrieben. Er hielt zu dieſem Zwecke Krebſe in durchlöcherten Glasgefäßen, die in fließendem Waſſer ſtanden. Bedenkt man, daß auch die chitinöſe Magenhaut und die Zähne, welche dieſelbe bildet, wechſeln, ſo begreift man, daß der Krebs einige Tage vor der mit großen Un— bequemlichkeiten und Unbehaglichkeiten verbundenen Häutung keinen großen Appetit ver— ſpürt. Wer könnte viel ans Eſſen denken, wenn ihm alle Zähne wackeln? Man merkt auch die bevorſtehende Kataſtrophe durch das Gefühl; drückt man mit dem Finger auf das Hautſkelett, jo gibt es etwas nach. Es hat ſich alſo wohl ſchon in der vorhergehenden Zeit durch eine teilweiſe Auflöſung ſeines Kalkes gelockert. Eine auf chemiſchen Analyſen beruhende Vergleichung liegt meines Wiſſens nicht vor. Bald darauf wird der Krebs unruhig. Er reibt die Beine gegeneinander, dann wirft er ſich auf den Rücken, arbeitet mit dem ganzen Körper, und es gelingt ihm, die Haut zu zerreißen, welche am Rücken den Panzer des Kopfbruſtſtückes mit dem Schwanz verbindet. Damit hebt ſich das große Rückenſchild. Auf die erſten Anſtrengungen folgt eine Ruhe. Bald beginnt der Krebs wieder ſeine Beine und alle Körperteile zu bewegen, und man ſieht nun, wie der Panzer des Kopfbruſtſtückes ſich mehr und mehr hebt und ſein Abſtand von den Beinen größer wird. In weniger als einer halben Stunde hat ſich der Krebs aus ſeiner Haut gezogen, indem er erſt, mit dem Kopfteil ſich nach hinten ſtemmend, Augen und Fühler frei macht und dann ſeine Beine aus ihren engen Etuis herauszwängt. Das letztere macht ihm die größten Schwierigkeiten, und mitunter verliert er dabei das eine und andere Bein. Er würde über— haupt gar nicht damit zu ſtande kommen, wenn ſich die abzuſtreifenden Beinhüllen nicht 8 Krebſe. Allgemeines. der Länge nach ſpalteten. Nachdem jedoch dieſe ſchwierige und gewiß ſchmerzhafte Arbeit vollendet, entledigt er ſich ſeiner Kleidung geſchwind. Er zieht den Kopf unter dem Rücken— ſchilde hervor, und der Schwanz begibt ſich nun leicht aus ſeinem Futterale heraus. Die abgeſtreifte Hülle iſt bis auf jenen Riß am Schwanze vollkommen unverſehrt. Der eben aus ſeiner Hülle gekrochene Krebs (Butterkrebs) hat eine weiche Hautbedeckung, welche jedoch ſchon nach einigen Tagen durch reichliche Ablagerung von Chitin und Kalk die Feſtig— keit des alten Hautſkelettes erlangt. Die Periode der Neubildung und Erhärtung dauert bei den kurzſchwänzigen Krebſen oder Krabben bedeutend länger; ſie ziehen ſich während der Zeit zurück, indem ſie ſich in Felsritzen oder unter Steinen oder auch in Erdlöchern verbergen. Nicht alle Kruſtentiere werfen indeſſen ihre Haut im ganzen ab, manche, wie beſonders die Aſſeln, häuten ſich oft, aber meiſt fällt die alte Haut in einzelnen Fetzen ab, ſo daß der Vorderteil des Tieres noch in der alten Schale ſtecken kann, während das Hinterende ſchon davon befreit iſt. Das Häuten der Zehnfüßer ſoll nach Vitzou dadurch weſentlich erleichtert werden, daß weit mehr Waſſer als ſonſt dem Blute beige— miſcht iſt, das dann auch weniger leicht koaguliert, und Giesbrecht beobachtete an einem Hüpferling (Notopterophorus), daß er vor der Häutung ſich das ganze Darmrohr mit Waſſer füllte und hierdurch die Sprengung der alten und Glättung der neuen Hülle weſent— lich erleichterte. Die Zahl der Häutungen, welche ein Kruſtentier in ſeinem Leben zu erledigen hat, iſt nach den Arten ſehr verſchieden und ſcheint ſich im allgemeinen nach der Größe der— ſelben zu richten, ſo daß ſich kleinere viel öfter als größere häuten. Jurine beobachtete, daß Waſſerflöhe innerhalb 17 Tagen ſich Smal dieſem Geſchäft unterzogen. Unſer Fluß— krebs häutet ſich im erſten Jahre 810 mal, im zweiten 6mal, im dritten Amal, im fünften, in dem er fortpflanzungsfähig wird, 2mal, vom 6.— 15. einmal und dann nicht mehr. Die Weibchen, welche auch im Wachstum zurückbleiben, häuten ſich weniger oft (Micha). Der ganze Prozeß kann bei Krabben durch die Gegenwart gewiſſer paraſitiſcher Ranken— füßer (Sacculina) für mehrere Jahre unterbrochen werden, und ähnliches dürfte auch ſonſt noch vorkommen; wenigſtens behalten Larven von Hüpferlingen, welche mit den Larven von Eingeweidewürmern (Distomum) beſetzt find, zeitlebens einen embryonalen Charakter. Bei manchen, vielleicht bei allen Krabben ſcheinen ſich die beiden Geſchlechter nicht zugleich zu häuten, aber nach der Häutung des Weibchens findet die Begattung ſtatt. Die Männchen der Strandfrabbe (Carcinus maenas) bemächtigen ſich nach einer intereſſanten Beobachtung von Coſte der Weibchen zur Zeit, wenn die Häutung derſelben bevorſteht und ſchleppen ſie mehrere Tage mit ſich herum, um dieſe abzuwarten. Gleich läßt ſich das friſchgehäutete Weibchen indeſſen nicht begatten, ſondern erſt nach einigen Tagen, wenn der Panzer ſchon eine gewiſſe Härte erreicht hat. Die Eier, welche die Krabbenweibchen wie viele weibliche Krebſe an ihrem Leibe befeſtigt mit ſich herumtragen, haben ſo zwiſchen den Häutungen, bei denen ſie ſonſt mit abgeworfen und verloren gehen würden, die nötige Zeit, ſich zu entwickeln. Die Größenzunahme nach der Häutung iſt nicht unbeträchtlich. Hyatt beobachtete, daß ein Hummer nach derſelben um mehr als den fünften Teil ſeiner früheren Länge zugenommen hatte. Der Körper der Krebſe zerfällt wie der aller Gliedertiere in eine Reihe hinterein— ander gelegener Ringe, Segmente oder Metameren. Aber der Grad der Segmen— tierung kann ein ſehr nerſchiedener ſein. Nur in ſehr ſeltenen Fällen iſt das Kopfſeg— ment oder ſind richtiger die fünf Kopfſegmente deutlich von dem darauf folgenden erſten Bruſtſegment getrennt, meiſt vielmehr ſind ſie mit ihm verwachſen, und dieſes ſeinerſeits wieder mit einer kleineren oder größeren Anzahl der folgenden Bruſtſegmente zu dem Zahl der Häutungen. Segmentierung. Fühler. Mundteile. 9 Kopfbruſtſtück oder Cephalothorax, an deſſen Bildung ſich unter Umſtänden auch noch einige Ringe des Hinterleibes oder Abdomens, im gewöhnlichen Sprachgebrauch viel— fach auch (3. B. beim Flußkrebs, Hummer ꝛc.) Schwanz genannt, beteiligen. Unter Um— ſtänden kann durch Schmarotzertum bei ausgebildeten Kruſtern die urſprüngliche Seg— mentierung in höherem oder geringerem Grade verwiſcht werden. Seitliche Anhänge an den Segmenten der Bruſt fehlen als eigentliche Gliedmaßen nur ſelten, öfter an denen des Hinterleibes, ſehr ſelten aber als Freß- und Taſtwerk— zeuge an denen des Kopfes. Die meiſten Krebſe haben zwei Paar Fühler oder Antennen, die indeſſen nicht immer Träger von Sinnesorganen ſind, ſondern namentlich auch wieder bei paraſitären und feſtſitzenden Formen ganz anderen Verrichtungen, der Ortsbewegung, dem Ergreifen der Nahrung und dem Feſtheften an andere Tiere oder auch an lebloſe Gegenſtände dienen können. Die nächſtfolgenden Körperanhänge ſind die Mundteile. Kiefer ſind drei Paar vorhanden, ein Paar Ober- und zwei Paar Unterkiefer, die ſich wie bei den kauenden Inſekten von außen nach innen gegeneinander bewegen. Bei manchen Kruſtern indeſſen Mundwerkzeuge des Flußkrebſes. haben ſich dieſe Kiefer der Geſtalt nach weſentlich verändert und bilden einen Rüſſel, mit dem die Tiere ihre flüſſige Nahrung zu ſich nehmen. Bei den zehnfüßigen Krebſen, zu denen außer Krabben und Hummern auch unſer Flußkrebs zählt, gehören außer der quer vor dem Munde liegenden anſehnlichen Ober: lippe in das Bereich der Mundwerkzeuge nicht weniger als ſechs Paare von Organen, die von der linken Seite in der obenſtehenden Figur auseinandergelegt ſind. Die erſten drei (a, b, c) entſprechen den bei den Inſekten beſchriebenen Teilen der übrigen Gliedertiere; a iſt der ſtarke, mit einem beweglichen Taſter verſehene Oberkiefer, b erſter Unterkiefer, e zweiter Unterkiefer, welcher, obſchon vollſtändig geteilt, der Unterlippe der Inſekten entſpricht. Fig. d, e und k ſind die ſogenannten Hilfskiefer oder Kieferfüße, ihrer Entſtehung und Lage nach Beine, welche aber nicht im Dienſte der Ortsbewegung ſtehen, ſondern mit den beiden Unterkieferpaaren zum Feſthalten, Be— taſten und Zurechtlegen der Nahrung verwendet werden, während die Oberkiefer die gröbere Zerkleinerung der Nahrung vornehmen. Die beiden hinteren Hilfskiefer behalten bei anderen Kruſtern die Geſtalt echter Beine, ſo daß dieſe dann Vierzehnfüßer genannt werden müßten. Die ſeitlichen Anhänge der Bruſtſegmente ſind außerordentlich verſchieden gebildet je nach der Art der Bewegung, welche ſie ausführen. Sie können ſein: Laufbeine (bei den Zehnfüßern und Aſſeln), blattförmige Ruderfüße (bei den Kiemenfüßern), zweiäſtig geteilte Schwimmfüße (bei den Hüpferlingen oder Cyklopiden), Strudelorgane (bei den feſtſitzenden Seepocken und Entenmuſcheln), und endlich können ſie bei ſehr rückgebildeten ſchmarotzenden Formen überhaupt fehlen. Die Abdominalbeine haben bei verſchiedenen Gruppen der Krebstiere auch verſchiedene Funktionen und daher verſchiedene Geſtalt, ſind aber immer anders wie die Thorakalbeine beſchaffen. Sie können Bewegungsorgane ſein oder die Atmung vermitteln oder als An— heftungsorgane für die Eier dienen ꝛc 10 Krebſe. Allgemeines. Die Verdauungsorgane der Kruſtaceen zeigen eine größere Gleichmäßigkeit des Baues als die Segmentalanhänge. Faſt alle dieſe Weſen ernähren ſich ausſchließlich von animaliſcher Koſt, ſei es von lebender in Geſtalt ganzer Tiere oder ſchmarotzend von deren Blute oder aber von Aas. Entſprechend dieſer Art der Ernährung iſt das Verdauungs— rohr meiſt gerade und kurz. Der Mund iſt nicht endſtändig, ſondern findet ſich an der Bauchſeite etwas vom vor— deren Kopfrande entfernt. Die Speiſeröhre, in welche bloß bei den Strudelfüßern Speichel— drüſen münden, führt dann bei den höheren Formen (Zehnfüßer) in einen geräumigen, mit ſeiner Wölbung nach dem Rücken gerichteten Magen, deſſen Innenfläche mit einer Reihe von Hervorragungen, Leiſten und Zähnen verſehen iſt, die durch beſondere Muskeln bewegt werden, und wodurch das durch die Oberkiefer angefangene Kaugeſchäft fortgeſetzt wird. Allbekannt ſind die ſogenannten Krebsaugen oder Krebsſteine unſerer Fluß— krebſe, zwei linſenförmige Kalkbildungen in den Seitenteilen des Magens, welche nach der jährlichen Häutung bei der Wiedererzeugung des Hautpanzers aufgebraucht werden. Vom Magen aus verläuft durch den Hinterleib ein faſt gerader, dünner Darm, welchen man bei den Flußkrebſen mit dem Endſtück des Schwanzes leicht ausreißen kann, eine Operation, welche vor dem Sieden derſelben nie verſäumt werden ſollte. Die eine Art von Bauchſpeichel erzeugende ſogenannte Leber auf beiden Seiten des Magens iſt an ihrer grünlichen Farbe und dem bei höheren Formen faſerig-lappigen Bau leicht zu erkennen. Bei den niedereren Gruppen iſt der Darmtraktus eine einfache, gleichweite Röhre, an welcher ein Magenabſchnitt nicht nachweisbar iſt, und die Leber liegt hier als ein Drüſen— belag auf dem Darme. Der Zirkulationsapparat iſt wieder ſehr verſchiedenartig entwickelt. Ein Herz oder pulſierendes Rückengefäß fehlt den niederen Formen bisweilen, iſt aber ſonſt an Um— fang, Geſtalt und nach Anzahl ſeiner ſeitlichen Offnungen, durch welche das Blut in das— ſelbe tritt, ſowie nach dem Grade der Entwickelung der von ihm ausgehenden Gefäße außer— ordentlich mannigfach differenziert. Bei den höheren Gruppen ſtrömt das arterielle Blut in Gefäßen eingeſchloſſen bis zu den Organen, die es zu verſorgen hat, um hier erſt in wandungsloſe Räume, ſogenannte Lakunen einzutreten und aus dieſen ſich wieder in Venen zu ſammeln, ſo daß alſo das Gefäßſyſtem faſt ein geſchloſſenes iſt. Das Blut iſt bei den Krebstieren in der Regel farblos, bei unſerem Flußkrebs höchſtens mit einem violettlichen Scheine, bei manchen Gattungen der Hüpferlinge (Lernanthro— pus, Clavella und Cyenus) iſt es rot, aber alle dieſe Tiere ſaugen das Blut von Fiſchen, alſo von rotblütigen Wirbeltieren. Beſondere Atmungsorgane können unter Umſtänden fehlen, und dann wird der nötige Sauerſtoff durch die ganze Haut aufgenommen, wenn ſie aber vorkommen, dann ſind es ausnahmslos Kiemen. Die letzteren ſind entweder fadenförmig, oder es ſind doppel— wandige Platten oder richtiger ſehr ſtark abgeflachte Taſchen, welche in verſchiedener Zahl am Grunde der Thorakal- oder wohl auch der Abdominalbeine befeſtigt ſind und im erſteren Falle meiſt in ſeitlichen Erweiterungen des Kopfbruſtſchildes liegen. Bei manchen Hüpfer— lingen und Larven von Zehnfüßern ſoll eine Maſtdarmatmung ſtattfinden, indem Luft durch den After aufgenommen wird. Das zentrale Nervenſyſtem beſteht bei gewiſſen niederen Formen einfach aus einem über dem Schlunde gelegenen Nervenknoten, von dem alle peripheren Nerven ausſtrahlen. Bei den höheren Krebſen iſt indeſſen ſeine Entwickelung weit fortgeſchritten, und erſcheint als eine deutlich differenzierte, oberhalb des Schlundes gelegene Gehirnmaſſe und ein mehr oder weniger langes und mehr oder weniger deutlich gegliedertes Bauchmark ſowie als ein beſonders gut entwickeltes, ſympathiſches Nervenſyſtem. Verdauungsorgane. Zirkulationsapparat. Sinnesorgane. 11 Auch die Sinnesorgane ſind meiſt vorhanden und bisweilen ſehr hoch entwickelt. Augen kommen in zweierlei Art, aber niemals bei einem Tiere gleichzeitig vor, wie es bei Inſekten ſo häufig iſt. Bei niederen Formen ſind ſie einfach, bisweilen nur in der Ein— zahl vorhanden, bei den höheren indeſſen erſcheinen ſie als Facettenaugen und beſtehen unter Umſtänden aus einer großen Anzahl von einzelnen Facetten; ſo hat die Rieſentief— ſeeaſſel (Bathynomus giganteus) an jedem ihrer beiden Augen deren nicht weniger als 4000. Sonſt ſind bei Tiefſeeformen ſowie bei allen in Höhlen hauſenden Krebſen häufig die Augen degeneriert und zwar in verſchiedenem Grade. Bei den höheren Krebſen ſitzen die Augen auf beweglichen Stielen, den Augenträgern oder Ophthalmophoren, welche bei einigen Krabben (Podophthalmus ſehr lang find, bei manchen Tiefſeeformen aus der Verwandtſchaft unſeres Flußkrebſes aber mit oder nach den Augen durchaus ver— ſchwunden ſind. Die Verhältniſſe der Rückbildung der Augen bei den Tiefſeekruſtern ſind ſehr inter— eſſant, bieten aber eine Reihe von Schwierigkeiten, welche nicht ſo ohne weiteres zu er— klären ſind. Bei einigen abyſſiſchen Formen (Spaltfüßern oder Schizopoden) kommen an den Seiten des Hinterleibes oder auch am Kopfe eigentümliche Organe vor, welche früher als Nebenaugen angeſehen wurden, die aber in der That Leuchtorgane ſind. Bei manchen Larven (der ſogenannten Myſis-Form) leuchtet die Umgebung der Augen, in anderen Fällen hat man bei durchſcheinenden pelagiſchen Formen ein ſchönes Leuchten der Nervenknoten des Bauchmarkes beobachtet. Das Riechvermögen beſonders der höheren Krebſe iſt ausgezeichnet entwickelt, das lehrt uns die Thatſache, daß dieſe Tiere durch die Gegenwart von Nahrungsmitteln in ſehr kurzer Zeit im Waſſer angelockt werden, und benutzt man Aas, Stücke von Fiſchen ꝛc. zu Ködern in den Fallen, womit man Krebſe, Hummern und Krabben fängt. Als Geruchs— organe fungieren wahrſcheinlich nervöſe, mit feinen Haaren oder Fäden der vorderen Fühler verbundene Elemente. Über die Geſchmacksorgane wiſſen wir eigentlich nichts, wie ſie ja bei Waſſertieren überhaupt ſchwierig nachzuweiſen ſind, ja gewiß oft genug fehlen und funktionell mit den Geruchsorganen zuſammenfallen mögen. Gehörorgane ſind bei Kruſtaceen mehrfach und an verſchiedenen Körperſtellen nach— gewieſen worden, ſo bei einigen Spaltfüßern (der Gattung Mysis angehörig) in den Seiten— platten des Schwanzes. Bei unſerem gemeinen Flußkrebs liegen dieſelben in den Grund— gliedern der kleineren, inneren Fühler. Zur Orientierung über dieſe höchſt merkwürdigen, allgemein intereſſanten Organe des Flußkrebſes und ſeiner Klaſſengenoſſen im allgemeinen muß ich mir eine Einſchaltung er— lauben. Wie jedes Sinneswerkzeug, beſtehen auch die Gehörwerkzeuge aus einem die äußeren Eindrücke aufnehmenden und leitenden Apparat, der geradezu mit einem für einen be— ſtimmten Zweck gebauten phyſikaliſchen Inſtrument verglichen werden kann, und aus einem Nerv, auf welchen jene Eindrücke (Lichtwellen, Schallwellen ꝛc.) übertragen, und von dem ſie dem Gehirn zu weiterer Verarbeitung übermittelt werden. Der phyſikaliſche Apparat des Gehörorgans muß geeignet ſein, durch die Schallwellen leicht in Zitterungen verſetzt zu werden, und wird um ſo künſtlicher und vollkommener, auf je feinere Unterſchiede der Wellen er in verſchiedener Weiſe ſeinerſeits antworten kann, und je mehr auch die feinſten Formbeſtandteile des Nerves dieſen Nüancen des aufnehmenden Apparates entſprechen. Ein haarförmiger Fortſatz, welcher von den Schallwellen in Zitterungen verſetzt wird und dieſe Zitterungen auf einen an ſeine Wurzel ſich anlegenden Nerv überträgt, kann dem— nach ein wenn auch in dieſer Einfachheit ſehr un vollkommenes Gehörorgan ſein. Nach dieſem Prinzip, nach dieſem einfachen Grundplan ſind die Gehörwerkzeuge aller der Krebſe 12 Krebſe. Allgemeines. — gebaut, welche ſich dem Flußkrebs anſchließen. In der Baſis ihrer inneren Antennen iſt ein geſchloſſenes oder mit einem nach außen ſich öffnenden Spalt verſehenes Säckchen ent— halten, auf deſſen Innenwand einige Reihen oder viele federförmige oder einfachere Haare ſich befinden. Die Erzitterungen des die geſchloſſene Höhle ausfüllenden Gehörwaſſers, des gewöhnlichen Waſſers bei offener Höhle, übertragen ſich auf die Gehörhaare, und die Wir— kung wird verſtärkt durch die ſogenannten Gehörſteine. Es iſt nun nach dem weiter oben Entwickelten klar, daß das Hörſäckchen, das mittels eines Spaltes mit der Außenwelt kommuniziert, von einer zartwandigen Einſtülpung des Panzers wird ausgekleidet ſein, welche im Falle der Häutung ſo gut wie die Auskleidung des Magens und Enddarms wird abgeworfen werden. Bei der Gelegenheit gehen auch die in dieſen Chitinbeutel eingeſchloſſenen Gehörſteine mit verloren, und fie müſſen erſetzt werden. Der genaueſte Beobachter der einſchlagenden Verhältniſſe, Profeſſor Henſen, ſah nun, wie ein kleiner Seekrebs ſich ſeine Ohren voll feinen Kies ſtopfte und ſomit die ver— loren gegangenen Gehörſteine ergänzte. Höchſt intereſſant ſind auch die von dem Ge— nannten angeſtellten Verſuche, ſich die Überzeugung zu verſchaffen, daß die Krebſe wirklich hören. Er bediente ſich dabei beſonders einer bei Kiel häufig vorkommenden Garneele, des Palaemon antennarius. „Wenn man jüngere Tiere, friſch eingefangen, in das Aqua— rium bringt, wird jeder Ton, der vom Fußboden oder von den Wandungen der Gefäße aus erzeugt wird, ſie momentan zu einem lebhaften Satze über das Waſſer hinaus be— wegen, eine Erſchütterung der Wände ohne Schall läßt ſie dagegen ruhig. Wenn man dieſe Tiere in mit Strychnin verſetztes Salzwaſſer auf mehrere Stunden hineinbringt, läßt ſich der Nachweis ihrer Hörkraft noch beſſer führen. Dann erzeugen ſelbſt leiſe Töne im Hauſe, am Tiſche oder Glaſe Reflexe (d. h. die Krebſe werden durch die Tonempfindung unwillkürlich zu Bewegungen angeregt), und man kann die Tiere durch wiederholte Töne in entſprechend häufigen Sprüngen im Glaſe umhertreiben.“ Andere Verſuche bezogen ſich auf das Wie der Tonempfindungen. Sollten die Krebſe ähnlich wie Menſchen hören, ſo ließ ſich vorausſetzen, daß die in Länge und Dicke ver— ſchiedenen Hörhaare auch nur von verſchieden hohen Tönen in Schwingungen würden ver— ſetzt werden. Auch dies konnte im Einklang mit den berühmten Unterſuchungen von Helmholtz über das Hören im allgemeinen beſtätigt werden. Im Anſchluß hieran ſei erwähnt, daß manche Krebſe Töne von ſich geben. Gewiſſe Krabben (Gattung Oxypoda) haben am vorletzten Gliede ihres rechten Scherenbeines eine feilenartige Leiſte, mit der ſie an einer anderen ſcharfkantigen Leiſte des zweiten (vom Rumpfe aus gerechnet) Gliedes desſelben Beines hinſtreichend einen piependen Ton erzeugen, und manche Garneelenarten machen ein für ihre Größe bemerkenswertes knipſendes Geräuſch. Als Taſtorgane dürften im allgemeinen die feinen, haarförmigen Fortſätze anzuſehen ſein, welche ſich zwar an den meiſten Gelenkverbindungen und freien Rändern der Körper— teile bei ſehr vielen Krebſen, aber beſonders an den Fühlern vorhanden finden. Bei gewiſſen Formen von Tiefſeegarneelen (Nematocarcinus) find die Fühler außerordentlich lang, 3— Amal jo lang als der Körper, auch die Beine find bedeutend verlängert und alle dieſe Anhänge mit einem Syſtem feiner, bisweilen beträchtlich langer und abermals mit ſekun— dären Wimperchen (3. B. bei einer von Chun aufgefundenen Form des Mittelmeeres, Sergestes magnificus) beſetzten haarförmigen Fortſätzen verſehen, welche den Tieren, ob ſie nun auf dem Boden ſtehen oder im Waſſer ſchwimmen, bez. ſchweben, die Erſchütte— rungen des Waſſers, wie einer Spinne die ihres Netzes, aus ziemlich weitem Umkreiſe übermitteln werden. Blinden Formen von Tiefſeekrebſen wird durch ſolche großartig ent— wickelte Spür- und Taſtorgane gewiß das mangelnde, weil unnütze Geſicht reichlich und ſehr zweckentſprechend erſetzt. Ahnlich, wenn auch in weit geringerem Grade, iſt auch bei Tonempfindungen. Taſtorgane. Fortpflanzung. 13 dem blinden Flußkrebs der Mammuthöhle in Kentucky (Cambarus pellucidus) in höher ent— wickelten Empfindungsborſten am Kopfende und ſonſt am Körper Erſatz, wenigſtens bis zu einem gewiſſen Grade, für das fehlende Sehvermögen geboten. Bei einer blinden Aſſel aus italieniſchen Grotten (Tithanetes feneriensis) iſt der ganze Körper mit Taſthaaren bedeckt. Weitaus die Mehrzahl der Krebſe iſt getrennt geſchlechtlich, nur bei bloß ſeſſilen oder ſeſſilſchmarotzenden Formen, wie es die Wurzelfüßer und die Fiſchaſſeln ſind, finden ſich Zwitter; jedoch tritt in einigen Fällen (bei Floh- und Muſchelkrebſen) neben einer ge— ſchlechtlichen auch noch eine ungeſchlechtliche Fortpflanzung auf. Geſchlechtlicher Dimorphismus gilt bei den Kruſtaceen als Regel, und oft ſind beide Geſchlechter in ganz bedeutendem Maße körperlich verſchieden entwickelt. Bei den langſchwänzigen Zehnfüßern ſind die Männchen meiſt größer, wehrhafter und ſtärker als die Weibchen. Dies kommt bei kurzſchwänzigen zwar auch vor, in der Regel iſt es hier aber umgekehrt, und ſind die Weibchen oft beträchtlich (bei einem Muſchelwärter, Pinno— theres pisum, z. B. dreimal!) größer als die Männchen und bei manchen Rankenfüßern und paraſitären Aſſeln, bei denen neben Zwittertum doch auch, wie wir ſpäter ſehen werden, Trennung der Geſchlechter auftritt, wird das Mißverhältnis viel größer und ſinken die Männchen zu auf oder bei den Weibchen ſchmarotzenden Zwergen herab. Sehr häufig ſind im männlichen Geſchlechte Organe, namentlich umgeſtaltete Glied— maßen zum Faſſen der Weibchen und Feſthalten derſelben während der Begattung, in be— ſonderer Weiſe umgeſtaltet. Ebenſo ſind die Männchen oft im Beſitze höher entwickelter Sinnes- und Bewegungsorgane zum Aufſpüren, Verfolgen und Einholen der Weibchen. Selten finden ſich bei einer- und derſelben Krebsart zweierlei Formen von Männchen. Auch Unterſchiede in der Färbung der Geſchlechter treten durchaus nicht oft auf, ſo aber doch z. B. bei Waſſerflöhen, bei denen die Männchen unter Umſtänden durch prächtige Schmuckfarben ausgezeichnet ſein können. In der Zahl überwiegen teilweiſe, wie das ja ſo häufig in der Tierreihe iſt, die Männchen bedeutend über die Weibchen, in anderen Fällen verhält ſich dies und in noch höherem Grade umgekehrt und iſt dann das Vorhandenſein von Jungfernzeugung entweder vielfach ſchon nachgewieſen oder ſteht zu vermuten. Über die Begattung der Krebſe wiſſen wir nicht gerade allzuviel, doch dürfte dieſelbe häufig ein recht ſtürmiſcher Akt ſein, wie ſich aus oft ſo bedeutend entwickelten Faß- und Klammerorganen der Männchen ſchließen laſſen dürfte, die kaum notwendig wären, wenn die Weibchen ein beſonders entgegenkommendes Weſen zeigten. Meiſt wird der männliche Zeugungsſtoff den Weibchen in Geſtalt von Schläuchen an die äußere Geſchlechtsöffnung geheftet, und Huxley beſchreibt nach den Beobachtungen zweier Franzoſen, Chantram und Gerbe, den Vorgang ſo, daß das Männchen das Weib— chen dabei mit den Scheren faßt, es auf den Rücken wirft und während einer ziemlich langwierigen Prozedur die Samenpatronen an ſie befeſtigt. Indeſſen ſcheinen nicht bei allen Krebſen derartige Patronen appliziert zu werden: bei den Geſpenſtaſſeln (Ca— prellidae) z. B. ſollen die Männchen, ähnlich etwa wie die der Spinnen, die Samenfeuchtig— keit mittels modifizierter Gliedmaßen ohne weiteres an die weiblichen Geſchlechtsöffnungen ſchmieren. Bei einem auch in manchen anderen Punkten merkwürdigen Flohkrebs (Go— plana polonica) haben die Weibchen die beiden Geſchlechtsöffnungen ziemlich weit ausein— anderliegend, jedenfalls ſo weit, daß ein einzelnes Männchen nicht mit beiden ſich zugleich zu beſchäftigen vermag, und in der That ſollen auch zwei Männchen zuſammen hier als Gatten fungieren können. Was nun den Bau der Geſchlechtsorgane ſelbſt betrifft, ſo ſind ſowohl Hoden und Eierſtöcke als deren Ausführungsgänge faſt immer ſymmetriſch auf beide Körperhälften 14 Krebje. Allgemeines. verteilt, nur bei den Hüpferlingen oder Kopepoden machen die letzteren immer, die Ge— ſchlechtsdrüſen häufig eine Ausnahme. Auch bei einfacher oder durch Schmarotzertum be— dingter Seſſilität treten, abgeſehen vom Zwittertum, mancherlei beſondere Veränderungen im Bau der Geſchlechtsorgane auf. Die äußeren Genitalöffnungen liegen auf der Unter— ſeite meiſt in beträchtlicher Entfernung vom After, ſehr häufig in der Grenzregion vom Kopfbruſtſtück und Schwanz. Von Hilfsapparaten der eigentlichen Geſchlechtsorgane finden ſich bei den weiblichen Kruſtaceen oft Bläschen zur Aufnahme des Samens (receptacula seminis), bei den männlichen oft ſtilett- oder papillenförmige Hilfsorgane für die Begat— tung, welche meiſt aus umgekehrten Gliedmaßen hervorgehen. Die Mehrzahl der weiblichen Krebſe iſt mit beſonderen Hilfsapparaten zur Brutpflege verſehen. Sehr allgemein ſind beſondere Drüſen vorhanden, welche entweder die Schalen der Eier oder einen beſonderen Kitt abſondern, mit welchem dieſelben an den Körper der Mutter befeſtigt werden. Dieſe Befeſtigung findet an verſchiedenen Stellen des Hinter— leibes, beſonders an ſeinen oft hierzu beſonders umgeſtalteten Gliedmaßen, ſtatt und be— trifft die einzelnen Eier oder Gruppen derſelben, welche unregelmäßige Träubchen darſtellen oder aber von einer Hülle umgebene, eigenartig geſtaltete Pakete ſind. Bei manchen For— men finden ſich beſondere Bruträume, gebildet durch umgeſtaltete Extremitäten oder Kiemen— blätter, oder aber es werden ſolche Bruträume durch Modifikationen der Rückenſchale her— vorgebracht. Bei den kurzſchwänzigen Zehnfüßern iſt der Hinterleib der Weibchen, welcher auf der Unterſeite die Eier trägt, eben weil er als eine Art Deckel für die Brut dient, weſentlich breiter als bei den Männchen, und Carrington und Lovett behaupten, man könne aus der Art, wie die Eier am Schwanz der Mutter befeſtigt wären, auf deren Lebens— weiſe ſchließen; wahrſcheinlich meinen ſie hiermit, daß die Verbindung bei ſchwimmenden Formen eine innige iſt wie bei kriechenden und laufenden. Die Muſchelkrebſe machen übrigens von der ziemlich allgemein gültigen Regel, daß die Weibchen der Kruſter ihre Eier mit ſich herumſchleppen, mehrfach Ausnahmen. So läßt fie Candona einfach in das Waſſer fallen, Cypris legt fie an Waſſerpflanzen, und Notodromus monachus klebt fie in regel— mäßigen Reihen an Steinen feſt. Die Eier namentlich der größeren Krebsarten ſind ſelbſt bei nahe verwandten oft ſehr verſchieden, ſo daß man dieſe danach beſtimmen kann. Die Verſchiedenheit betrifft kaum die Geſtalt, wohl aber die Farbe und Größe. Was die Färbung der Eier betrifft, ſo ſoll dieſelbe unter Umſtänden wie die des Muttertieres je nach der Umgebung und dieſer ent— ſprechend ſich verändern, wie ein japaniſcher Forſcher, Ishikawa, beobachtet hat. Die Größe derſelben iſt außerordentlich verſchieden und ſteht faſt immer im umgekehrten Ver— hältnis zu ihrer Zahl, wie ja das in der Tierreihe eine faſt allgemein durchgehende Er— ſcheinung iſt. Das hat verſchiedene Urſachen. Einmal kann die Mutter wenig Feinde haben, wenn ihr Panzer zu hart iſt, um ſie zu einem angenehmen Biſſen zu machen, wie wahr— ſcheinlich bei manchen der ſogenannten Bärenkrebſe (und zwar der Gattung Galathea), oder wenn fie verſteckt, etwa in Sand und Schlamm eingebohrt lebt (z. B. aus den Gattungen Callianassa, Gebia stirhynchus). So hat eine 3 Zoll lange Axius stirhynchus größere Eier als eine 18 Zoll lange Languſte (Palinurus quadricornis). Dann aber kommt ſehr viel darauf an, in welchem Zuſtande die Jungen das Ei verlaſſen. Je mehr Nahrungs— ſtoff in dem Ei vorhanden iſt, um deſto ſelbſtändiger werden aus ihm hervorgehende Junge ſein, und ein um ſo größerer Prozentſatz derſelben wird der Wahrſcheinlichkeit nach das fortpflanzungsfähige Alter erreichen. So liegt die Sache bei vielen Kruſtentieren des ſüßen Waſſers: unſer Krebs verhält ſich ſo gegenüber dem Hummer, die ſüdeuropäiſche Süß— waſſerkrabbe gegenüber ihren Verwandten des Meeres. Von der unter Umſtänden pro— duzierten Menge der Eier kann man ſich einen Begriff machen, wenn man hört, daß Fortpflanzung. Entwickelung. 15 Landois durch ſorgſame Zählung konſtatierte, daß eine einzige weibliche Languſte von 44 em Länge und 197 Gramm Gewicht derſelben nicht weniger als 148,416 mit ſich herumtrug. Die Eiablage mag im allgemeinen an beſtimmte Zeiten gebunden ſein, welche aber durchaus nicht immer etwa in den Frühling und Sommer fallen. Im Gegenteil haben viele Arten, beſonders der kurzſchwänzige Zehnfüßer, gerade in den Wintermonaten reife Eier bei ſich. Andere aber ſind in dieſer Beziehung nicht auf beſondere Jahreszeiten ver— wieſen, jo fand Carrington von einer Krabbe der engliſchen Küſte (Hyas coarctatus) Weibchen mit Eiern im Januar, Mai, Juli und November. Sehr intereſſant iſt die Thatſache, daß die weſtindiſchen Landkrabben, um ihre reifen Eier abzuſetzen, das Meer aufſuchen müſſen. Das iſt eine analoge Erſcheinung wie beim Laichen von Lachſen, Aalen und anderen Fiſchen, und ſie beruht auf dem ſogenannten biogenetiſchen Grundgeſetz, nach welchem ein Geſchöpf in ſeinem individuellen Ent— wickelungsgang den hiſtoriſchen ſeiner ganzen Sippe wiederholen muß. Die meiſten Kruſter verlaſſen nun das Ei nicht in ihrer definitiven Geſtalt, ſie müſſen vielmehr eine Metamorphoſe oder Verwandlung verſchiedenen Umfanges durchlaufen, welche bei feſtſitzenden und ſchmarotzenden Formen eine rückſchreitende iſt. Viele Krebſe des Meeres, ſeltener die des ſüßen Waſſers, niemals durchaus land— bewohnende (Aſſeln), kriechen als faſt bis thatſächlich mikroſkopiſch kleine Weſen von eirunder Geſtalt, mit einem vorn in der Mitte gelegenen, von vorn nach hinten dreiteiligem Auge und drei Extremitätenpaaren aus dem Ei. Das vordere Paar iſt einfach, die beiden anderen ſind zweiteilig, ſehr anſehnlich, beſonders dick und mit Borſten beſetzt. Sie vermitteln die Bewegung, die Atmung und zugleich das Getaſt. Eine ſolche Larve, welche früher für ſelb— ſtändige Tiere gehalten wurden, heißt ein Nauplius. Nauplien ſind allgemein verbreitet bei Kiemenfüßern (Branchipoda), Muſchelkrebſen (Ostracoda), Hüpferlingen (Copepoda) und Rankenfüßern (Cirripedia); ſehr ſelten find fie hingegen bei Zehnfüßern, und bei Floh: krebſen (Amphipoda) und Aſſeln (Isopoda) fehlen fie ganz. Nach einer Häutung erſcheint die Larve verändert und je nach der Ordnung, zu welcher ſie gehört, in verſchiedener Weiſe. Entweder ſie wird zu einem ſehr eigenartigen Weſen, das auch als eigne Tierform beſchrieben und Zo&a genannt wurde, oder ſie tritt im ſogenannten Cypris-Stadium auf. Die meiſten zehnfüßigen Krebſe des Meeres, lang— wie kurzſchwänzige, verlaſſen das Ei gleich als Zosa. Ob— gleich die ausgewachſenen Krabben einen ſo verkümmerten Schwanz beſitzen, iſt derſelbe doch bei den Jugendformen (Zoéa) wohl entwickelt vorhanden. Das Ausſehen dieſer Larven iſt allerdings fremdartig genug; der lange, ſchnabel— artige Fortſatz, der mächtige Rückenſtachel, der Schwanz müſſen teils ganz verſchwinden, teils verkümmern, das Kopfbruſtſtück eine ganz andere Geſtalt annehmen, ehe der Krabbenkörper herauskommt. Man kann alſo ſagen, daß die kurzſchwänzige Krabbe in der Jugend ein langſchwän— ziger Krebs iſt, und zwar iſt dieſe Jugendform in der ganzen Ordnung der Dekapoden vorherrſchend. Während die meiſten Krabben und lang— ſchwänzigen Krebſe am Boden leben (nur die Garneelen machen hiervon als Familie eine Ausnahme), find die eben als Zoéa bezeichneten Larven Freiſchwimmer Sie tummeln ſich, wenn auch meiſt in der Nähe der Küſten, doch an der Oberfläche des Meeres oder einige Fuß darunter umher, nicht etwa, wie es ſcheinen könnte, einſam, ſondern mit unzähligen, Jugendform der Krabben (Zosa). Stark vergrößert. 16 Krebſe. Allgemeines. meiſt mikroſkopiſchen Geſchöpfen vergeſellſchaftet, von denen uns viele in der Folge begegnen werden. So voll von Individuen und verſchiedenartigem Gewimmel auch Landſeen und Teiche mitunter ſind, die Einförmigkeit ihrer Bewohner läßt ſich nicht entfernt mit der ganz unglaublichen Mannigfaltigkeit des Lebens unter dem Spiegel des Meeres vergleichen. Mit den meiſten ihrer Verbreitungsgenoſſen teilen die Krebslarven die Eigenſchaft einer ſo voll— kommenen Durchſichtigkeit, daß ſie ihre Anweſenheit entweder gar nicht oder nur durch die im Verhältnis zum Körper auffallend großen, oft glänzenden Augen verraten. Der Stachel— apparat, den die meiſten Zoden in verſchiedenem und oft ſehr ſtark entwickeltem Grade be— ſitzen, iſt wohl eine Schutzwaffe gegen räuberiſche Angriffe freßgieriger Feinde. Bei einigen langſchwänzigen Zehnfüßern, z. B. den Geißelgarneelen (Penaeus), tritt die Zoëa nach einer Häutung in ein abermaliges beſonderes Larvenſtadium, welches das Myſis-Stadium heißt. Mysis heißt nämlich eine Gattung kleiner Krebſe aus der Ordnung der Spaltfüßer oder Schizopoda, welcher jene Larve ungemein gleicht, und die wohl auch als Schizopoden-Stadium bezeichnet wird. Eine derartige Larve hat außer den Mundextremitäten noch ſieben Paar Beine, zwei geſtielte Augen und einen gegliederten, aber noch nicht mit Gliedmaßenanhängen verſehenen Hinterleib, mittels deſſen ſie vorzüg— lich ſchwimmt. Nachdem dieſe Jugendform bedeutend gewachſen iſt, erſcheint nach einer letzten Häutung das ausgebildete, fortpflanzungsfähige Tier. Ein Cypris-Stadium findet ſich bei Rankenfüßern und heißt deshalb ſo, weil auf ihm die Larve (in dieſem ſpeziellen Falle auch Puppe genannt) einer häufigen Muſchel— krebsgattung unſerer ſüßen Wäſſer (Cypris) einigermaßen gleicht. Sie beſitzt nämlich wie dieſe eine doppelklappige Schale nach Art der Muſcheln, aus deren unterem Längsſpalt die beiden Fühler und ſechs Paar Schwimmbeine hervortreten. — Eine eingehendere Darſtellung von weiteren Komplikationen der Verwandlung werden bei den betreffenden Ordnungen ein— geſchaltet werden. Es iſt nun eine auffallende Tatſache, daß bei ſehr vielen Krebſen des ſüßen Waſſers eine ſolche Metamorphoſe ſich nicht findet. Was davon die Urſache iſt, läßt ſich noch nicht mit Beſtimmtheit ſagen. Nicht ohne Bedeutung, jedenfalls nicht ohne Intereſſe, iſt folgende Thatſache. Ein kleiner Krebs (Palaemonetes varians) lebt nach den Beobachtungen von Paul Mayer bei Neapel in ganz ſüßem Waſſer und verläßt das Ei mit ſämtlichen Bein— anhängen des Kopfes und der Bruſt, den meiſten Kiemen und den erſten fünf Hinterleibs— beinen in Geſtalt von Knoſpen. Denſelben Krebs beobachtete Boas bei Kopenhagen, aber in brackigem Waſſer, und hier ſchlüpft er in viel weniger entwickeltem Zuſtande aus dem Ei. Die Kopfgliedmaßen ſind zwar alle da, aber von Kiemen und Schwimmfüßen findet ſich noch keine Spur. Es iſt mithin der Entwickelungsgang dieſes Tieres im ſüßen Waſſer gegenüber der im brackigen abgekürzt. Sehr intereſſant ſind einſchlagende Beobachtungen und Reflexionen, welche Fritz Müller in Braſilien über zwei verwandte Süßwaſſer-Garneelen gemacht hat. Die in dem ſchiffbaren Itajahy-Strom lebenden Garneelen (aus den Gattungen Abyina, Leander und einige Palaemon) verlaſſen das Ei als Zoëa. Anders aber ein in felſigen Bächen lebender Palaemon (P. Potiuma). Während bei ſeinem nächſten Vetter im Itajahy (P. Potiparanga) ein gleichgroßes Weibchen etwa 1200 Eier hat, trägt das des Potiuma ſelten mehr als 20, meiſt ſogar nur 6—8 mit ſich herum, die aber um jo größer find. Hier rüſtet die Mutter durch den im Ei enthaltenen Nahrungsſtoff die Kinder jo weit aus, daß fie als fait ganz fertige junge Garneelen das Ei verlaſſen können, doch müſſen ſie ſich noch innerhalb 4 Tagen dreimal häuten, bevor ihre Mundwerkzeuge zum Freſſen geſchickt ſind. „Unſere (d. h. die braſiliſchen) Bäche“, fährt Müller fort, „haben ſich meiſt tiefe Schluchten gegraben, in denen ſie mit zahlreichen kleineren und größeren Fällen raſch zu Tage eilen; Entwickelung. Verwandlung. Alter. Größe. Wachstum. 17 die ruhigen Tümpel am Fuße der Waſſerfälle ſind der Lieblingsaufenthalt der Garneele. Schwämme ihre junge Brut umher, wie die Zo&a ihrer flußbewohnenden Gattungsgenoſſin, ſo hätte ſie ſicher zum größeren Teil nach jedem Gewitterregen „Der ſtrömende Gießbach hinweg im Strudel der Wellen geriſſen.“ Sollte die Art in dieſen oft jo wilden Bächen gedeihen, jo müßte entweder die Zosa— Zeit eine ſo kurze werden, daß Ausſicht war, ſie oft ohne Gewitter zu durchleben, oder es müßte ſchon die Zoéa ſich in Schlupfdinkel verkrischen und da ſich feſtzuhalten lernen. Beides iſt geſchehen; in 3 Amal 24 Stunden iſt jetzt nicht nur die Zoéa-, es iſt die ganze Larvenzeit vorüber, und ſchon die Zoka-Gliedmaßen, die jetzt bisweilen kaum noch minuten— lang thätig ſind, haben ihre inneren Aſte zu Gangbeinen entwickelt, die auffällig kräftige, ſcharfe, ſtark gekrümmte Shöflauen tragen. Die Kleinheit nun, in welcher die Larven der meeresbewohnenden Krebſe das Ei ver: laſſen, ſowie ihre Gewohnheit, nahe oder auf der Oberfläche des Waſſers zu leben, gibt Gelegenheit, daß ſie von den Strömungen auf weite Entfernungen fortgetrieben werden und ſo das Gebiet ihres Vorkommens weſentlich erweitert wird. Ein ungeheurer Prozentſatz freilich geht verloren, aber es gelangen immer noch genug Individuen zur Geſchlechts— reife, um den Abgang der Art durch ihren Nachwuchs zu erſetzen. R Wie alt die Kruſtentiere werden, willen wir im allgemeinen nicht, manche aber, wie die japaniſche Rieſenkrabbe (Macrocheira Kaempferi), Hummer 2c., mögen ein bedeutendes Alter erreichen. Wenn unſer Flußkrebs recht viel Glück hat, kann er ſein Leben auf 20 Jahre bringen, aber ſolche Veteranen dürften ſelten ſein. Sacculina car- eini, ein merkwürdiger, an Krabben ſchmarotzender Wurzelkrebs, lebt nach den Beobach— tungen von Yves Delage 3 Jahre und 2— 3 Monate, und den meiſten kleineren Formen dürfte wohl nur ein kurzes, bisweilen kaum tagelanges Daſein beſchieden ſein. Als Eier freilich können viele jahrelang, vielleicht jahrhundertelang ein latentes Leben haben oder gewiſſermaßen ſcheintot ſein, bis dieſe Eier wieder unter die für ihre Entwickelung gün— ſtigen Bedingungen geraten. Die Größe der Krebſe iſt ſehr ſchwankend und bewegt ſich beſonders nach oben in viel bedeutenderen Extremen als bei den Inſekten; ſo wird die japaniſche Rieſenkrabbe jo groß, daß ihre Scherenfüße über 3 m klaftern und fo dick wie ein Mannesſchenkel werden, dabei iſt ihr Rumpf 50 em lang. Ganz alte Hummern können auch gegen 70 em lang werden. Solche gigantiſche Erſcheinungen ſind aber in der Jetztwelt Ausnahmen, die meiſten Krabben ſind zwiſchen 2 und 7 em breit, die Aſſeln erreichen, allerdings nur in einer einzigen Form, welche alle anderen weit hinter ſich läßt, ihr Maximum bei 20 em. Die meiſten niederen Krebsformen ſind klein, ſelbſt winzig, wenn ſie auch nie im aus— gebildeten Zuſtande mikroſkopiſch ſind. Ebenſo ſchwankend wie die Größe iſt natürlich auch das Gewicht der Krebſe. Wie ſchwer die japaniſche Rieſenkrabbe wird, findet ſich nicht angegeben, aber Taſchenkrebſe (Cancer pagurus) von mehr als 7 kg Gewicht hat man ſchon gefangen. Das Wachstum der größeren Formen ſcheint langſam vor ſich zu gehen und um ſo langſamer, je älter ſie ſind, kleine Formen ſcheinen hingegen bald das Maximum ihrer Größe zu erreichen, doch dürften namentlich im erſteren Falle die Verhältniſſe in dieſer Beziehung nach Nahrungsreichtum, Temperatur und jo weiter ſehr ſchwankend ſein. Der erwähnte franzöſiſche Forſcher Yves Delage teilt in ſeiner vortrefflichen Abhandlung über Sacculina mit, daß Krabben, welche von dieſem Paraſiten befallen ſind, aufhören zu wachſen, wenn derſelbe äußerlich ſichtbar wird, und demzufolge auch keine Urſache mehr haben, ſich zu häuten. Daß dies auf die zufolge der Gegenwart des Schmarotzers ein— getretene mangelhafte Ernährung zurückzuführen iſt, liegt auf der Hand. Es wurde ſchon Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 2 18 Krebſe. Allgemeines. erwähnt, daß ein Hüpferling (Cyelops tenuicornis), wenn er mit Larven eines Einge— weidewurmes (eines Distomum) beſetzt ift, zeitlebens einen embryonalen Charakter behält. Als eine beſondere Art des Wachstums erſcheint das Regenerationsvermögen, und mit dieſer geht Hand in Hand die Fähigkeit, Gliedmaßen, wie man ſich ausdrückt, „freiwillig“ abzuwerfen, die Selbſtverſtümmelung oder Autotomie. Mit welcher Leichtigkeit Krebſe oder Krabben, wenn man ſie derb packt, ein Bein oder gar eine Schere fahren laſſen, iſt bekannt. Jeder Sammler von Krebſen weiß, daß namentlich die Galatheen und Porcellanen mit äußerſter Vorſicht behandelt werden müſſen, wenn ſie nicht in der Hand des Fängers ſich mehrerer oder auch aller Beine entledigen ſollen. Eine echte Krabbe (Xantho), welche Carrington auf einen mit Alkohol angefeuchteten Lappen legte, warf ſofort alle ihre zehn Beine ab. Ob der Vorgang wirklich auf ſogenanntem „freiem Willen“ infolge von Bos— heit oder Furcht und Schrecken beruht, oder auf einem Krampf, wie das Ausſpeien der Eingeweide bei den Holothurien, iſt ſchwer zu ſagen. Doch dürfte das letztere der Fall ſein, wie denn wohl auch ein Krampf das Bein nahe am Leibe abbricht, wenn das äußerſte Glied beſchädigt worden iſt. Die Krabben- und Hummerfiſcher behaupten allerdings, daß das Tier, an einem Beine gepackt, dieſes abwerfe, um zu entkommen. Namentlich ſollen auch die Hummern bei Gewitter und Kanonendonner aus Schreck ihre Beine verlieren. Das ſind eben Fiſchergeſchichten. Die zuverläſſigſten und neueſten Beobachtungen über dieſes merk— würdige Faktum find von Fredericg und Dewitz. Quer um das erſte freie Glied aller zehn Beine der Zehnfüßer (das Baſalglied) verläuft eine Naht, in der zwei aufeinander folgende urſprünglich getrennte Teile dieſes Gliedes ſich vereinigen. Hier und nur hier er— folgt die Ruptur, welche jedenfalls auf einen plötzlichen Krampf zurückzuführen iſt. Iſt das Bein abgeworfen, ſo erfolgt keine Blutung, was aber wohl und zwar mit tödlichem Aus gang der Fall iſt, wenn man ein Bein an anderer Stelle quer durchſchneidet. Durch die Kontraktion der Muskeln an jener Stelle wird gewiſſermaßen ein Pfropfen auf der Offnung gebildet, und die Wunde verharſcht, bevor ein Blutverluſt eintritt. Schneidet man einer Krabbe oder einem Krebſe das Bein an einer anderen Stelle vor der Naht durch, ſo wirft er es doch an dieſer ab und ſchließt ſo und unter Bildung eines Häutchens den Kanal, aus welchem ſein Lebensſaft abfließen könnte. Die Fühler wirft kein Krebs freiwillig ab. Übrigens ſind die zehnfüßigen Kruſtaceen durchaus nicht die einzigen, welche ſich ihrer Beine entäußern, gelegentlich kann man es auch bei Aſſeln und Geſpenſtkrebſen (Caprellidae) beobachten. Nach Beobachtungen Varignys ſind eben gehäutete und erſchöpfte Tiere zur Selbſtamputation unfähig. Wahrſcheinlich iſt bei der erſten der Panzer zu nachgiebig, bei der zweiten die Muskelkraft zu gering. Daß nun der Krebs im ſtande iſt, ein ſolches verlorenes Glied wieder zu erſetzen, iſt eine bekannte Sache. „Es wächſt wieder nach“, ſagt das Volk ganz richtig. An der Stelle der Selbſtamputation wächſt eine Art kegelförmiger Knoſpe hervor und nimmt allmählich die Geſtalt des abgeworfenen Teiles an. „Bei der nächſten Häutung wird das bedeckende Häutchen ſamt dem übrigen Außenjfelett abgeworfen, und nun ſtreckt die rudimentäre Gliedmaße ſich und erlangt, obwohl ſie noch ſehr klein iſt, die ganze der betreffenden Glied— maße zukommende Organiſation. Bei jeder Häutung wächſt ſie; aber erſt nach langer Zeit erreicht ſie annähernd die Größe wie ihr unbeſchädigtes älteres Gegenſtück. Daher kommt es, daß man nicht ſelten Krebſe mit Scherenfüßen und anderen Gliedmaßen findet, die trotz vollkommen gleicher Brauchbarkeit und anatomiſchem Bau ſehr ungleich groß ſind.“ (Hux— ley.) In gewiſſen Gegenden Spaniens ſoll man, dort Boccaca genannte Krebſe ihrer Scheren des Verſpeiſens halber berauben, ſie darauf lebend ins Waſſer zurückverſetzen, wo die Schere wieder nachwächſt, ein Vorgang, der einigermaßen an den Braten des Schwei— nes Saehrimnir an der Tafel der nordiſchen Götter und Helden in Walhalla erinnert. Regenerationsvermögen. Selbſtverſtümmelung. Aufenthalt. Nahrung. Paraſitismus. 19 Weitaus die meiſten Krebſe haben ihren Aufenthalt im Waſſer und zwar im Meere, ja eine nicht unbedeutende Ordnung, die der Rankenfüßer, iſt überhaupt auf dieſes beſchränkt, während die Kiemenfüßer faſt ausſchließlich Bewohner des ſüßen Waſſers ſind. Zehnfüßer, Aſſeln, Hüpferlinge und Muſchelkrebſe finden ſich in ſüßem und ſalzigem Waſſer, das Land bewohnen nur einige Aſſeln und Zehnfüßer, langſchwänzige ſowohl als kurzſchwänzige, ſowie ein paar Flohkrebſe. In den nordiſchen, beſonders den ſchwediſchen und finniſchen Seen leben eine Anzahl von Formen, welche ſonſt aus dem Meere bekannt ſind (z. B. Mysis oculta, Pontoporeia affinis, Idothea entomon und Gammaracanthus loricatus, als Varietät lacustris, welche um ein Viertel kleiner als die Stammform ift). In den Waſſer— anſammlungen zwiſchen den Blättern ananasartiger, auf hohen Urwaldbäumen des tro— piſchen Braſilien paraſitiſch lebender Pflanzen (Bromelia) finden ſich eigenartige kleine Hüpferlinge und Muſchelkrebſe, welche wo anders nicht vorzukommen ſcheinen. In den Schwefelquellen von Paraviſa in Italien fand Paveſi Muſchelkrebschen, und die inter— eſſante Artemia salina, eine Kiemenfußform, iſt in den Salzpfannen von Capo d'Iſtria, in denen in der Sonne das Seewaſſer abgedampft wird, äußerſt munter in einer Lake, die mindeſtens 27— 30 Prozent Salz enthält. Die auf dem Lande lebenden Krebſe bewohnen doch meiſt feuchte Stellen und ſind in der Regel nächtliche Geſchöpfe, welche ſich, bisweilen in die Erde eingegraben, den Tag über verſteckt halten. Ein Flohkrebs (Orchestia cavimana) iſt bei Trieſt in der Nähe der Küſte ſehr häufig an feuchten Stellen. Wenn man ihn in das Waſſer bringt, geht er bald zu Grunde, er hat ſich aber ſchon ſo ſehr an das Leben auf dem Lande angepaßt, daß er, unter der Erde eingegraben, in einen Winterſchlaf verfällt. icht wenig Krebſe leben, wie die Engländer es nennen, „between tidemarks“, d. h. an einem Küſtenſtrich, der bei der Flut vom Meere bedeckt, bei der Ebbe von dem— ſelben verlaſſen iſt, und ähnliche Arten verlaſſen in Meeren mit ſehr wenig Niveau— ſchwankungen, wie im Adriatiſchen, das Waſſer gern und oft, um ſich in ſeiner unmittel— baren Nähe zwiſchen Steinen, an Felſen und Mauern herumzutreiben. Solche Formen finden ſich unter den Krabben, Aſſeln und Flohkrebſen. Auch manche Seeeicheln (Bala— nidae) ſiedeln ſich jo hoch an der Strandlinie an, daß fie bei höchſter Ebbe außerhalb des Waſſers kommen. Dieſe ſchließen dann einfach ihren Deckelapparat und warten die Wieder— kehr der Flut ab, um ihn wieder zu öffnen. Was die Nahrung der Krebſe angeht, ſo beſteht dieſelbe allgemein aus tieriſchen Stoffen, ſeien es lebende Tiere, ſei es Aas. Manche Formen ſind gewaltige Räuber, und den großen Hummern ſelbſt werden eigentlich nur Tintenfiſche gefährlich. Andere freſſen daneben auch Pflanzenkoſt, wie z. B. unſer Flußkrebs, dem der Waſſerarmleuchter (Chara) eine beſondere Delikateſſe iſt. Die Rankenfüßer und viele kleine Kruſtentiere leben von Partikelchen verweſender Pflanzen- und Tierleichen, von Infuſorien, Diatomeen ꝛc., aber auch größere Krabben des Meeres verſchmähen dieſe Koſt nicht. Ein ſehr bedeutendes Kontingent ſtellen die Krebſe zu den Schmarotzertieren, und in gewiſſen Punkten iſt der Paraſitismus bei ihnen am mannigfaltigſten und intereſſan— teſten entwickelt. Vom harmloſen kleinen Zehnfüßer, welcher die Hohlräume eines See— ſchwammes nur als Unterſchlupf benutzt, bis zum Wurzelfüßer, der, an ſeinem Wirke feſt— geſogen, zu einem mundloſen, ganz ungeſtalten Sack entartet, ſind alle Stufen des Schma— rotzertums vertreten. Aber auch die am meiſten degenerierten Formen führen in viel höherer Entwickelung ihres Körpers in der Jugend ein freies Leben und erleiden zufolge des Paraſitismus eine rückſchreitende Verwandlung. Es gibt faſt keine im Meere vertretene Tierklaſſe, bei denen ſich nicht auch ſchmarotzende Krebſe einzuniſten pflegen: ſie beziehen die Schalen der Muſcheln und die Röhren der 2 5 20 Krebſe. Ringelwürmer, hauſen in Schwämmen und auf Gorgoniden, veranlaſſen Korallen zur Bildung ſeltſamer Deformationen, beläſtigen Seeigel und Seeſterne in verſchiedenſter Weiſe, entziehen den eignen Stammesgenoſſen die beſten Lebensſäfte, überfallen in Maſſen die Fiſche und verſchonen ſelbſt die Rieſen der Meere, die Waltiere, nicht. Doch erzählt uns der Schwede Aurivillius, daß ſie nicht jede Art dieſer Leviathane mit ihrer Gegenwart beehren: ſchmarotzende Aſſeln, Hüpferlinge und Rankenfüßer finden ſich wohl auf der Haut des nordiſchen Finnwals (Megaloptera boops), aber nicht auf der des Sibbaldſchen Finn— wals (Balaenoptera Sibbaldi), dem ſie dafür im Maule zwiſchen dem Faſerwerk ſeiner Barten ſitzen. Am weiteſten geht indeſſen eine Aſſel im Paraſitismus, welche eine Art Aftermieterin genannt werden kann, denn ſie ſchmarotzt ihrerſeits bei einem Wurzelfüßer, der ſeinerſeits der aufgedrungene, unliebſame Gaſt einer Krabbe iſt. Nicht alle Formen indeſſen leben in der Jugend frei und ſchmarotzen im Alter, auch das Umgekehrte kommt vor: eine kleine, merkwürdige Aſſel (Praniza Halidayi) lebt in der Jugend auf Fiſchen, gräbt ſich aber erwachſen in feuchten Schlamm Wohnungsröhren, und in den Neſſelorganen eines Schwimmpolypen läuft ein Flohkrebs (Diphyicola) jeine Kinder: ſchuhe ab, um darauf, zur vollen Entwickelung gelangt, die gaſtliche Stätte zu verlaſſen. Ganz beſonders zeichnen ſich aber die Kruſter und namentlich die Krabben und Ein— ſiedlerkrebſe durch die freundſchaftlichen Verhältniſſe aus, welche ſie, freilich aus ſchnödem Egoismus, mit anderen Tieren, beſonders Seeanemonen, eingehen. Wir werden auf dieſe hochintereſſanten Erſcheinungen der Symbioſe, d. h. des Miteinanderlebens, bei der Be: trachtung der Zehnfüßer zurückkommen. Die Beziehungen der Kruſtentiere zu den Menſchen laufen meiſtens darauf hinaus, daß jene dieſen direkt oder indirekt zu Nahrung und Genuß verhelfen: Hummern, Flußkrebſe, Languſten, Krabben, Garneelen ſind bekanntlich keine zu verachtenden Zierden unſerer Tafel. In England, Spanien, China und Oſtindien werden die größeren See— pocken gegeſſen, die kleineren zu Saucen und Brühen verarbeitet, und eine Entenmufchel (Pollieipes cornucopia) wird geſotten in England und Portugal öfters genoſſen und ſoll recht gut ſchmecken. In Ländern an den Meeresküſten können Kruſter, die im Binnen— lande doch mehr Leckerbiſſen für die oberen Zehntauſend ſind, in der That mit zu den Volks— nahrungsmitteln gezählt werden, freilich nicht in dem Grade wie ein Kiemenfuß (Artemia Oudenyi) aus den Salzſeen von Fezzan, der ſüdlichſten Provinz von Tripolis, der dort unter dem Namen Dut, mit Datteln zu einem Mus oder Teig angerichtet, für die Ein— wohnerſchaft ein wichtiges Lebensmittel abgibt. Der indirekte Nutzen, welchen die Krebſe der Menſchheit bieten, iſt auch, abgeſehen von ihrer wichtigen Rolle, welche ſie als Organe der Reinlichkeitspolizei im Meere ſpielen, kein unbedeutender. Unermeßliche Scharen kleiner Hüpferlinge (Tenura) ſind es, welche die Heringe an unſere und den Lodd (Mallotus villosus) an die öſtlichen Küſten Nord— amerikas locken, und welche dadurch unendlich viel nützlicher als alle oben genannten Leckerbiſſen, ja für Tauſende von Menſchen zur Grundbedingung des Daſeins werden. Auch Edelfiſche, wie der ſkandinaviſche Lachs (Salmo punctatus) und die Renken der Seen unſerer Voralpen, nähren ſich faſt ausſchließlich von kleinen Kruſtern, jener von Süßwaſſer— aſſeln, dieſe wiederum von Hüpferlingen und Waſſerflöhen. Der gemeinen Krabben und der weichleibigen, fetten Einſiedlerkrebſe bedient man ſich vielfach als Köder beim Fiſch— fang, und die Garneelen, welche oft in ungeheuern Mengen gefangen werden, verarbeitet man z. B. im Oldenburgiſchen, laut Heincke, zu einem Dungmittel, dem Garnat— Guano, ſowie neuerdings zu einem vorzüglichen Futter für Nutzgeflügel und Ziervögel. Daß die älteren Pharmakopöen die Kruſtentiere nicht überſahen, läßt ſich denken: pulveriſierte Krebsſteine waren als Lapides cancrorum ein Spezifikum gegen Magenſäure, Beziehungen zu den Menſchen. Geographiſche Verbreitung. 21 obwohl man ebenſogut Kreide anwenden konnte, und, da die alten Apotheker gern das Widerliche zuſammengoſſen, durften Kelleraſſeln, innerlich gegen Harnbeſchwerden gegeben, nicht fehlen, und kleinaſiatiſche Formen von Landaſſeln (Armadillo) waren als Millepedes, „Tauſendfüßer“, ein be gehrter koſtbarer Artikel. Direkt ſchädlich iſt wohl kein Krebstier dem Menſchen, und wenn ja einmal ein Hummer, Krebs oder eine Krabbe einen oder den anderen in den Finger zwickt, nun — er braucht ihn ja nicht hinzuhalten. Daß die kleinen, gelegentlich in Auſtern und beſonders Miesmuſcheln vorkommenden Krabben (Muſchelwärter, Pinnotheres) ihren Wirten giftige Eigenſchaften mitteilen ſollen, iſt Unſinn, es ſind in dieſer Beziehung die harmloſeſten Kreaturen von der Welt. Indirekt werden allerdings manche Kruſter ſchädlich. Die Auſtern— bänke haben unter den Überwucherungen ſeitens kleiner Seepocken zu leiden, welche ihnen die beſten Biſſen oder richtiger mikroſkopiſchen Bißchen vor dem Munde wegnehmen. Aber dieſer mittelbare Schade will wenig ſagen gegenüber dem, mit welchem gelegentlich eine Aſſel, die Bohraſſel (Limnoria terebrans), auftritt. Dieſer unſcheinbare Geſelle verſteht es, wie man zuerſt 1809 in England erfahren mußte, trotz ſeiner Kleinheit (er iſt 2—5 mm lang) in Geſellſchaft einer anderen Form (Chelura terebrans) die koſtbarſten Hafenbauten durch das Zerbohren des Holzwerkes zu vernichten, und dabei iſt noch beſonders unangenehm, daß er in den ſelbſtverfertigten Gängen ſeiner feuchten Wohnſtätte tagelang ohne neuen Zutritt des Waſſers leben kann, daher auch alles Holzwerk zwiſchen Flut- und Ebbelinie zu zernagen vermag. Der beſchränkte Raum dieſes Buches geſtattet kein näheres Eingehen auf die geo— graphiſche Verbreitung der Kruſtentiere, ſo intereſſant dieſelbe auch iſt, nur in den gröbſten Zügen ſeien deshalb die Verhältniſſe ihres horizontalen und vertikalen Vorkom— mens ſkizziert. Im allgemeinen iſt ein Übergewicht tropiſcher Formen unter den Krebſen nicht nach— zuweiſen. Der Artenreichtum iſt, wenn die Arten teilweiſe auch kleiner ſein mögen, in den arktiſchen und antarktiſchen Meeren nicht geringer als in den tropiſchen, der Individuen— reichtum ſogar größer, ſo daß wahrſcheinlich hier wie dort auf das gleiche Quantum Waſſer ein entſprechend gleiches Quantum Krebs kommen dürfte. Doch gilt das nur für die Meeres- und allenfalls für die Süßwaſſerformen, die Landformen nehmen nach dem Aquator hin entſchieden zu. Übrigens gehören die größten bekannten Meeresbewohner aus der Klaſſe der Kruſtentiere, die japaniſche Rieſenkrabbe (Macrocheira Kaempferi) und der Hummer, der gemäßigten, letzterer zum Teil ſogar den kalten Regionen an. Die kurzſchwänzigen Zehnfüßer (Brachyura), die zahlreichſte Gruppe dieſer Ordnung, ſind mehr Küſten- als Tiefſeetiere, weit beſſer in den Tropen als in den gemäßigten Klimaten vertreten und nehmen nach den Polen, beſonders nach dem Südpol hin, raſch an Artenzahl ab. Auf Kerguelen fand Studer kein Brachyur mehr. Der „Challenger“ brachte von ſeiner Weltreiſe aus den flachen Gewäſſern nahe den Küſten (bis 40 m Tiefe) 190 Arten, aus Tiefen zwiſchen 1800 und 3600 m nur noch 2 mit! Die mittelſchwänzigen Zehnfüßer (Anomura), namentlich die Einſiedlerkrebſe, gehen ſehr tief (bis 5500 m) und nehmen mit der Tiefe an Artenzahl nur ſehr wenig ab, gehen auch entſprechend weit nach Norden, ſcheinen aber in den antarktiſchen Gewäſſern ſelten zu ſein. Die Seltenheit von Dekapoden in jenen Gegenden liegt vielleicht an der Gegenwart zahlreicher reißender Strömungen, welche die pelagiſch lebenden Larven dieſer Tiere an Ort und Stelle nicht zur rechten gedeihlichen Entwickelung gelangen laſſen. Die Thatſache, daß bei anderen Tieren, welche wie die Stachelhäuter ſonſt auch pelagiſch lebende 22 Krebſe. Larven zu haben pflegen, eine abgekürzte Entwickelung in beſonderen Bruträumen am mütterlichen Leibe eingetreten iſt, dürfte für dieſe Annahme ſprechen. Für die Langſchwänzer (Macrura) gilt im großen und ganzen dasſelbe wie für die vorige Gruppe, ja ſie ſind unter den Tropen noch weniger gut vertreten als jene und gehen polwärts noch weiter. Während von den kurz- und mittelſchwänzigen Zehnfüßern nur ſehr wenige auf der Oberfläche des Meeres als Schwimmer leben, iſt das bei den lang— ſchwänzigen anders, welche, zum Teil ſehr gewandt ſchwimmend, ein großes Kontingent zur pelagiſchen Meeresfauna ſtellen. Auch zwiſchen Oberfläche und Boden, aber immerhin in beträchtlichen Tiefen ſcheinen gerade ſie gut vertreten zu ſein, alſo in Regionen des Meeres, wohin Krabben kaum, Einſiedlerkrebſe gar nicht gelangen werden. Der „Chal— lenger“ fand zwiſchen 1800 und 3600 m 49, zwiſchen 3600 und 5400 m 29 und in den un— geheuerlichen Tiefen zwiſchen 5400 und 7200 m noch 2 Arten langſchwänziger Zehnfüßer. Die Spaltfüßer (Schizopoda) leben als echte Schwimmer zwar hauptſächlich pe lagiſch, gehen aber doch in einer bekannten Art bis 5000 m hinab, und zwar in einer Art, welche auch bei 600 m Tiefe vorkommt! Dieſe Krebsordnung nimmt beſonders nach dem Nordpol an Zahl der Arten und namentlich der Individuen bedeutend zu. Die brillant ſchwimmenden Heuſchreckenkrebſe (Stomatopoda) leben in warmen und gemäßigten Gegenden mehr pelagiſch, wie es ihrer Organiſation entſpricht. Die Kumaceen hingegen, die letzte Ordnung der höheren Krebſe, ſind, nach Claus, mehr bodenliebende Formen und finden ſich vom Strande bis über 3700 m Tiefe hinaus. Dieſe artenarme Ordnung ſcheint panthalattiſch (in allen Meeren) verbreitet zu ſein, ja es finden ſich in den arktiſchen und antarktiſchen Gewäſſern vielleicht gleiche Arten. Viel Intereſſantes zeigen uns die Gleichfüßer oder Aſſeln (Isopoda) in ihrer horizontalen und vertikalen Verbreitung. Was die erſteren betrifft, ſo ſind die Tiere pan— thalattiſch, aber in den kälteren Regionen beſſer vertreten. Dem entſpricht es auch, wenn dieſe Krebſe im tiefen, alſo kalten Waſſer, einmal was ihre Artenzahl, dann aber was ihre körperliche Entwickelung, ihre Größe und ihre Panzerbildung betrifft, beſonders gut ver— treten find. Der „Challenger“ fand zwiſchen 1800 und 3600 m 29 und zwiſchen 3600 und 5000 m noch 7 Arten. Dieſen Tieren jagen kalte Gewäſſer entſchieden mehr zu als tem— perierte oder gar warme. Hierfür nur ein Beiſpiel: Eine Art (Serolis Bromleyana, ſ. Abbild., S. 23) iſt aus einer Tiefe von 700 —1100 m unter dem 33.— 37.“ ſüdl. Breite nur halb ſo groß wie aus 2000 m, und nach dem Südpol hin tritt eine weitere Steigerung der Körpergröße ein, jo daß dieſelbe Art, unter dem 62.“ ſüdl. Breite bei 3400 m ge: fangen, wieder um die Hälfte größer iſt als die bei 2000 m um 25° weiter äquatorwärts erbeuteten Exemplare. Die Flohkrebſe (Amphipoda) ſtehen bei einem Vergleich ihrer horizontalen und vertikalen Verbreitung in einem merkwürdigen Gegenſatze zu den Aſſeln. Wie dieſe ſind ſie panthalattiſch und wie dieſe in gemäßigten und kalten Gegenden weit reicher als in warmen entwickelt, aber es ſind allgemein pelagiſch und an der Küſte lebende Tiere, ob— gleich einzelne Arten auch in beträchtlicher Tiefe vorkommen. Rankenfüßer (Cirripedia) finden ſich in allen Meeren von der Strandlinie bis zu 5242 m Tiefe, während aber die tropiſchen Arten in flachem Waſſer größer als die der gemäßigten und kalten Gegenden in der entſprechenden Tiefe zu ſein pflegen, ſcheinen die abyſſiſchen Formen unter allen Breitengraden ziemlich gleichmäßig und oft ſehr ſtattlich ent— wickelt zu ſein. Die große Ordnung der Hüpferlinge (Copepoda) iſt panthalattiſch mit entſchie— denem Übergewicht in kühleren Gewäſſern verbreitet, lebt mehr an der Oberfläche des Meeres in oft unfaßbar großen Scharen und geht im offenen Ozean nur in ſehr wenig Arten in Geographiſche Verbreitung. 23 bedeutende Tiefen. In dem abgeſchloſſenen Becken des Mittelmeeres indeſſen konſtatierte Chun zwiſchen 660 und 1300 m eine reiche Kopepoden-Fauna. Die Muſchelkrebſe (Ostracoda), einem ſehr alten Stamme der Krebstiere ange— hörig, ſind dem entſprechend auch horizontal und vertikal ſehr weit verbreitet und haben ſich in dieſer Richtung ſo harmoniſch angepaßt, daß ſich kaum behaupten läßt, daß ſie, wenigſtens was die horizontale Verbreitung angeht, in einem Teil der Ozeane häufiger als in dem anderen wären. Nach der Tiefe zu nehmen ſie allerdings allmählich ab: der „Chal— lenger“ fand unter 920 m 52, unter 2750 m 19 und unter 3570 m doch noch 3 Arten. Serolis Bromleyana. Natürliche Größe. Die Kiemenfüßer (Phyllopoda) ſpielen im Meere eine ſo untergeordnete Rolle, daß wir ſie füglich übergehen können. Was die horizontale Verbreitung der Kruſtaceen betrifft, ſo muß man genau unter— ſcheiden, ob es ſich um Krebsformen handelt, welche an der Oberfläche, bez. nahe derſelben (d. h. innerhalb der Hundertfaden-Linie = 183 m) ſowie an den Küſten leben, oder um ſolche, welche Tiefſeebewohner ſind. Die letzteren werden bei den im allgemeinen gleich— artigeren Exiſtenzbedingungen ihres Aufenthaltes eine weitere Verbreitung haben als jene, welche ungleichartigeren Lebensverhältniſſen ausgeſetzt ſind. Die Wohlthat der Verbreitung durch Strömungen wird wohl beiden in gleicher Weiſe zu teil werden, da wahrſcheinlich auch die Larven der meiſten, wenn nicht aller Tiefſeeformen pelagiſch leben werden. Wenn dem aber ſo iſt, ſo ſind gerade dieſe Tiefſeeformen im Vorteil, da ſie, ſie mögen hin 24 Krebſe. verſchlagen worden ſein, wohin es nur immer ſei, als vollentwickelte Tiere unter ähnliche Umſtände wie ihre Vorfahren geraten werden. Für die mehr oberflächlich lebenden Formen liegt aber die Sache ganz anders: denen gegenüber machen ſich die Einflüſſe ungleicher mittlerer Temperaturen, die Bewegung des Waſſers, die Beſchaffenheit des Bodens, die Art der Nahrung in viel höherem Grade geltend. Eine Zuſammenſtellung dieſer Formen, ſoweit ſie die Gruppen der höheren und größeren Kruſter betrifft, hat nun folgendes ergeben: es finden ſich (in Prozenten berechnet) von den bekannten Arten: Zehnfüßer, kurzſchwänzige . 67 in der heißen, 32 in der gemäßigten und Vin der kalten Zone mittelſchwänzige 51 - 46 = = . 5 langſchwänzige . 49 : = s 41: = „ 10 ⸗ Stomatopoden . 70 : 2 : . : Aſſe ln a I s Ho 3 = z = 5 x Schere 8 IEE : 59: = : aller € P Flohkrebſe . 25 z 80 = = 2 = DD: : 2 Dieſe tabellariſche Überſicht ergibt eine teilweiſe merkwürdige beſtätigende Überein— ſtimmung mit den Verhältniſſen der vertikalen Verbreitung: die heiße Zone entſpricht einer Tiefe bis zu etwa 2— 300, die gemäßigte einer ſolchen von 300 — 3500 und die kalte einer unterhalb 3500 m. Die Krabben und Stomatopoden haben wenig Tiefſeeformen und ſind wenig zahlreich in kälteren Klimaten, bei den mittelſchwänzigen und mehr noch bei den langſchwänzigen halten ſich die Verhältniſſe der horizontalen und vertikalen Verbrei— tung ſo ziemlich die Wage, die Aſſeln und Scherenaſſeln hingegen ſind in kälteren Ge— wäſſern, d. h. in den den Polen näheren und den tieferen, beſſer entwickelt als in wärmeren, alſo dem Aquator näheren und weniger tiefen. Nur die Flohkrebſe machen, wie vorher ſchon angedeutet, eine bemerkenswerte Ausnahme. Von Wichtigkeit für die Verbreitung der Kruſtaceen iſt natürlich auch der Salzgehalt des Meeres. Manche Arten ſind ſchmiegſam und vertragen einen geringen Salzgehalt, andere aber nicht, und je mehr der Salzgehalt abnimmt, deſto mehr Arten treten zurück. Die Nordſee hat z. B. 3,43 Proz, die Oſtſee in ihrem weſtlichen Teil 1,270 Proz. und bei Helſingör nur noch 0,925 Proz. Salzgehalt, und in noch viel ſtärkerem Maße reduziert ſich die maritime Krebsfauna. In der Nordſee mögen beiſpielsweiſe etwa 100 Arten von Aſſeln vorkommen, in der Oſtſee überhaupt nur noch 8 und bei Helſingör 2, vielleicht 3. Mit der Abnahme des Salzgehaltes nehmen alſo auch die Meeresformen der Kruſter in der Oſtſee ab, aber von einem gewiſſen Punkte an treten Süßwaſſerformen hinzu, und es werden deren um ſo mehr, je brackiger das Waſſer wird, denn im allgemeinen ſteht die Fauna des Brackwaſſers der des ſüßen näher als der des ausgeſprochen ſalzigen Waſſers. Das ſchließt nun nicht aus, daß nicht ſonſt echt maritime Formen auch im ſüßen Waſſer vorkommen könnten. So beherbergt der Baikalſee eine Anzahl urſprünglicher Meereskruſter, desgleichen die ſkandinaviſchen Seen (Idothea entomon, Pontoporeia affinis, Mysis oculta); dabei iſt es bemerkenswert, daß bisweilen die das Süßwaſſer bewohnenden Individuen kleiner als die Stammraſſe aus dem Meere werden: ſo mißt ein Flohkrebs der Oſtſee (Gammaracanthus loricatus) 46 mm, aber eine Varietät im Ladogaſee (lacustris) bloß 35 mm. Die Wahrſcheinlichkeit iſt groß, daß die betreffenden Seen einſt mit dem Meere in Zuſammenhang ſtanden, daß ſie ihre Verbindung mit dem— ſelben einbüßten, aber einen Teil der alten Fauna, und unter ihm jene Krebſe, als relikt zurückbehielten. Was nun zunächſt die echten Süßwaſſerkrebſe betrifft, ſo ſehen wir, daß unter ihnen eine Reihe im Meere vorkommende Ordnungen fehlen, wie die allerdings nur wenig umfangreichen Verbreitung (Allgemeines). Einteilung. 29 der Stomatopoden und Kumaceen, doch aber auch jo große wie die der Rankenfüßer. Dafür find aber die Kiemenfüßer faſt ganz ausſchließlich Bewohner des ſüßen Waſſers. Die ſüßen Gewäſſer der gemäßigten Zonen beherbergen außer den Kiemenfüßern noch langſchwänzige Zehnfüßer (Flußkrebſe Europas und Nordamerikas), Aſſeln, Floh— krebſe, Kopepoden und Muſchelkrebſe, aber in wärmeren Gegenden, ſchon in Südeuropa, treten kurzſchwänzige Zehnfüßer und Garneelen hinzu, die unter den Tropen als Be— wohner des ſüßen Waſſers immer zahlreicher und anſehnlicher werden. Eine ſehr inter— eſſante Thatſache iſt es, daß auf dem blinden Fiſche, welcher die Bäche der Mammut— höhle in Kentucky bewohnt, eine Kopepode ſchmarotzt, der zu einer ſonſt nur aus dem Meere bekannten Familie (Lernaeidae) gehört. Höchſt ſonderbar iſt die Verbreitung des zu den Süßwaſſergarneelen gehörigen Ge— ſchlechtes Atya, von dem Arten in Braſilien, Mexiko, Weſtindien, auf den Sandwich— inſeln, Tahiti, Neukaledonien, Neuſeeland, den Seychellen und Kapverdiſchen Inſeln ge— funden worden ſind. Die Kiemenfüßer, Kopepoden und Muſchelkrebſe haben eine univerſelle Verbreitung in allen ſüßen Gewäſſern der Erde, wo ſie nur immer zu exiſtieren vermögen, und die vom tropiſchen Auſtralien unterſcheiden ſich nur wenig von denen Schwedens. Allerdings ſind die Eier dieſer Tiere klein, können, wie ſchon hervorgehoben wurde, lange Zeit ruhen und doch entwickelungsfähig bleiben, und da läßt es ſich denken, daß ſie im Laufe der Jahrtauſende durch Waſſervögel von Sumpf zu Sumpf und von Land zu Land verſchleppt worden ſind. Landbewohnende Krebsformen finden ſich nur unter den Flohkrebſen (die oben er— wähnte Orchestia), Aſſeln und Zehnfüßern. Repräſentanten der beiden erſteren Ord— nungen ſind kosmopolitiſch verbreitet, die letzteren finden ſich in wärmeren Ländern, und zwar Krabben und, merkwürdig genug, Einſiedlerkrebſe bloß auf tropiſchen Inſeln der Alten und der Neuen Welt. Man teilt die Krebſe in zwei große Gruppen: die Panzerkrebſe (Malacostraca) und die Ringelkrebſe (Entomostraca). Der Körper der erſteren, welche auch höhere Krebſe genannt werden, beſteht aus einer beſtimmten Anzahl von Leibesringen mit einer beſtimmten Anzahl von Gliedmaßen, der der zweiten, welche auch niedere Krebſe heißen, aus einer ſehr verſchiedenen Zahl von Segmenten und ſehr mannigfach geſtalteten Segmentalanhängen. Die Malacostraca werden in folgende Ordnungen eingeteilt: 1) Zehnfüßer (Deca- poda), 2) Spaltfüßer (Schizopoda), 3) Maulfüßer (Stomatopoda), 4) Kumaceen (Cumacea), 5) Aſſeln (Isopoda), 6) Flohkrebſe (Amphipoda), 7) Leptoſtraken (Leptostraca). Die Entomostraca ſetzen ſich aus vier Ordnungen zuſammen: I) Ranken— füßer (Cirripedia), 2) Kopepoden (Copepoda), 3) Muſchelkrebſe (Ostracoda), 4) Kiemenfüßer (Phyllopoda). 26 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Viereckkrabben. Erſte Ordnung. Die Zehnfüßer (Decapoda). Dieſe, die am höchſten entwickelten Kruſter und die zahlreichſten Arten (über 2000) um— faſſende Abteilung iſt charakterifiert durch die geſtielten, beweglichen Augen, das un: bewegliche, zu einem Ganzen verwachſene und durch das große Schild bedeckte Kopf— bruſtſtück und fünf Paar Beine. Ferner beſtehen ihre Mundwerkzeuge aus Oberlippe, Oberkiefer, zwei Paar Unterkiefern und drei Paar Hilfskiefern, und ihre büſcheligen oder blätterigen Kiemen ſind in beſonderen Höhlen unter dem Rückenſchild eingeſchloſſen. Die höhere Entwickelung und Stellung der Zehnfüßer wird ſich zwar bei der Ver— gleichung mit den übrigen Kruſtern von ſelbſt ergeben, die maßgebenden Momente dürfen aber doch ſchon jetzt hervorgehoben werden. Ein Tier iſt höher entwickelt als ein anderes, wenn es mehr leiſtet. Die Leiſtungsfähigkeit hängt aber ab von der Güte der Sinnes— werkzeuge, um die Außenwelt aufzufaſſen, und von der Stärke des Körpers, um gegen die Außenwelt zu reagieren. In beiden Richtungen ſtehen die Zehnfüßer obenan. In keiner anderen Ordnung finden wir ſolche Beiſpiele von Auffaſſung, von Schlauheit in der Berückung der Beute oder zur Bewerkſtelligung der Flucht, ein ſo ſcharfes Beobachten der Umgebung und eine ſolche Entfaltung von Liſt als hier. Und dieſe die Güte des Nervenſyſtems und der Sinneswerkzeuge, namentlich der Augen, bethätigenden Eigen— ſchaften ſind gepaart mit der innerhalb der Klaſſe größten Widerſtandskraft des Haut— ſkelettes und mächtiger Entwickelung der Muskeln. Allerdings erſcheinen viele Zehnfüßer, aus dem Waſſer herausgenommen, gar ungeſchickt gebaut, und ſie vermögen ihre un— geheuern Scheren kaum zu heben; man hat ſie aber eben nicht ſo, ſondern nach dem Ver— halten in ihrem Element zu beurteilen, wo ſie um ſo viel leichter ſind, als das Gewicht der von ihrem Körper verdrängten Waſſermaſſe beträgt. Demgemäß ſind dann die Be— wegungen vieler nach Art unſeres Flußkrebſes langgeſchwänzter Zehnfüßer äußerſt behend und pfeilgeſchwind. Nächſt dieſen die ganze Ordnung betreffenden Eigentümlichkeiten iſt das gegenſeitige Verhältnis der ſie zuſammenſetzenden Gruppen von hohem Intereſſe, beſonders inſofern es ſich zuſpitzt zum Gegenſatze von landlebigen zu waſſerlebigen Tieren. Die zehnfüßigen Kruſter werden um ſo behender und zum Laufen und Klettern geſchickter, je kürzer und leichter der von uns Schwanz (postabdomen) genannte Körperabſchnitt wird. Er ver— tritt bekanntlich beim Flußkrebs die Stelle eines kräftigen Ruders, und die großen muskel— ſtarken Hummern und Languſten können ſehr derbe Schläge damit verſetzen. Für die Laufbewegung iſt aber dieſer Anhang ſehr ſtörend, ſo daß namentlich außer dem Waſſer die langſchwänzigen Zehnfüßer ſich in einer unangenehmen Situation befinden. Es folgt alſo daraus von ſelbſt, daß diejenigen Krebſe ſich am geſchickteſten gehend bewegen werden, welche von jenem für einen anderen Zweck brauchbaren Anhängſel nicht geniert ſind. Mit der Verkümmerung oder geringen Ausbildung des Nachleibes iſt daher die wichtigſte Be— dingung zu einer ſolchen veränderten Lebensweiſe gegeben, und deshalb bilden die Lang— ſchwänze und die Kurzſchwänze oder Krabben zwei natürliche Unterabteilungen der zehn— füßigen Kruſter, zwiſchen denen, wie überall in dem Syſtem der Tierwelt, eine vermit— telnde, man möchte ſagen charakterloſe Gruppe ſich einſchiebt. Nun nehmen unter dieſen Krabben diejenigen konſequenterweiſe den höchſten Rang ein, deren Beine die geſchickteſten r D 7 A 1 1 * - > us * 127 vn 2 * x 8 E u j * n 1 - N N G MARK 2 / . Krabben. Landkrabbe. 27 ſind, und welche, dem naſſen Element der Klaſſe untreu werdend, trotz ihrer Kiemen es zum Leben auf dem Lande gebracht haben. Die ganze lebendige Welt iſt ein Beweis dafür, daß die Landgeſchöpfe in ihrer Ge— ſamtheit, in ihrer Lebensenergie und Leiſtungsfähigkeit über den Waſſergeſchöpfen ſtehen. Man braucht bloß den einen Punkt zu berückſichtigen, daß in der Luft die Atmung, d. h. das Zuführen von Sauerſtoff in das Blut, viel ergiebiger iſt als im Waſſer, daß mithin das Blut wärmer, die Ernährung kräftiger, daß infolge davon das Sinnes- und Nervenleben, die Reaktionsfähigkeit energiſcher werden, um die Vorzüge des Luftlebens zu begreifen. Wir dürfen daher auch bei den Krabben, welche im ſtande ſind, kürzere oder längere Zeit auf dem Lande zu leben, eine entſprechende Erhöhung der Sinnes— thätigkeiten und der ſogenannten Inſtinkte, kurz die höchſte Entwickelung des Kruſter— daſeins erwarten. Wie eben berührt, beſteht eine Unterabteilung unſerer Ordnung aus den Krabben, bei welchen der uns beim Flußkrebs als Schwanz (postabdomen) bekannte Körper— abſchnitt kurz, plattenförmig und unter das Kopfbruſtſtück eingeſchlagen iſt. Die Weibchen unterſcheiden ſich durch die größere Breite dieſer Schwanzplatte von den Männchen, und ſie bildet ſich nicht ſelten zu einer Art von Schüſſel aus, mit welcher, mit Hilfe der fadenförmigen Beinanhänge, die Eier bis zum Ausſchlüpfen der Jungen getragen werden. Das Kopfbruſtſtück iſt kurz, oft breiter als lang und gibt den Tieren nicht ſelten durch ſeine allerhand Auswüchſe und Stacheln ein ſehr ſonderbares Ausſehen. Die meiſten Krabben gehen von der Seite und gewähren dann, beſonders wenn ſie ſchnell und behend laufen, einen komiſchen Anblick. Die deutſchen Soldaten, welche ich in Dalmatien traf, nannten ſie, ein Kommandowort auf ſie anwendend, „Zieht euch rechts“. Sehr häufig ſind die beiden Scheren verſchiedenartig entwickelt, und es gilt faſt als Regel, daß die rechte die ſtärkere iſt. Vielfach halten die Krabben beim Laufen dieſe in drohender Stel— lung über den Körper gehoben, was ihnen in der engliſchen Sprache den Namen „Winker“ eingetragen hat. Bei den ſchwimmenden Formen ſind aber beide Scheren gleichmäßig ent— wickelt und neigen dieſe Tiere auch viel weniger zu Selbſtverſtümmelungen, und beides hat ſeinen guten Grund: ein ſchwimmendes Tier wird in ſeiner Lebensthätigkeit durch ungleich ſchwerere Belaſtung der beiden Körperhälften viel mehr gehemmt und geſtört als ein laufendes. Die Familie der Viereckkrabben hat ein mehr oder weniger viereckiges, vorn quer abgeſtutztes Kopfbruſtſtück. Zu ihr gehören eine Reihe Landbewohner aus den Gattungen Gecareinus, Uca, Gelasimus, Oxypode, Grapsus ꝛc. Das Leben der Landkrabben (Gecareinus) wird von dem vielgereiſten Pöppig ſo geſchildert: „Vorzugsweiſe bewohnen ſie feuchte ſchattige Wälder, verbergen ſich unter Baumwurzeln oder graben auch Löcher von anſehnlicher Tiefe. Manche verlaſſen die halbſumpfigen Niederungen in der Nähe des Meeres nicht, andere leben in ziemlicher Entfernung von demſelben und ſogar auf ſteilen, felſigen Bergen. Auf den ganz waſſer— loſen, mit niedrigem Buſchwald bedeckten, ſonſt aber von Pflanzenerde faſt entblößten Kalkfelſen Cubas finden ſich während acht Monaten des Jahres große Landkrabben, die, im dürren Laube raſchelnd, die einſamen Fußgänger erſchrecken können und, entdeckt, mit vielem Mute ſich zur Wehr ſtellen. Man beobachtet ſie nur einzeln, wenn auch häufig; denn Geſellſchaftstrieb empfinden ſie nur zur Zeit der Fortpflanzung. Gar nicht ſelten niſten ſie ſich an ſehr unreinlichen Orten ein, neben den Kloaken der Landgüter und beſonders gern auf Friedhöfen. Daß ſie zu oberflächlich verſcharrten Leichnamen ſich einen 28 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Viereckkrabben. Weg bahnen und dieſelben benagen, glaubt man in Weſtindien allgemein und wohl mit vollem Rechte. Daher hat auch der Abſcheu, den ziemlich alle Volksklaſſen gegen ſie als Speiſe äußern, einen triftigen Grund. Die gemeine Landkrabbe (Gecarcinus ruri— cola) wird auf allen Inſeln Weſtindiens und an den Küſten des nahen Feſtlandes an— getroffen. Einmal im Jahre verläßt ſie ihren eine bis zwei Wegſtunden von der Küſte entfernten Aufenthalt und zieht nach dem Meere. Im Februar bemerkte man die erſten dieſer Wanderer, die zwar immer mehr an Zahl zunehmen, indeſſen jene dicht gedrängten Scharen niemals bilden, von welchen ältere Reiſebeſchreiber ſprechen. Der Zug dauert bis in den April. Am Strande angekommen, überlaſſen ſich die Landkrabben zwar den Wogen, vermeiden aber alle Orte, wo dieſe heftig branden, und verweilen überhaupt niemals lange im Waſſer. Sie ziehen ſich aus demſelben zurück, ſobald die Eier, die, mit einem zähen Leim angeklebt, die Unterſeite des Hinterleibes des Weibchens zahlreich bedecken, abgewaſchen ſind. Im Mai und Juni treten ſie die Rückreiſe an und ſind dann durchaus nicht genießbar, denn einerſeits iſt das Muskelfleiſch ſehr geſchwunden, und außerdem hat die große Leber, die bei allen Krabben und Krebſen den einzigen ge— nießbaren Teil des Bruſtſtückes darſtellt, ihre ſonſtige Schmackhaftigkeit mit einer ſcharfen Bitterkeit ver— tauſcht, dabei aber an Umfang außerordentlich zuge— nommen. Einige Wochen reichen zur Erholung hin; gegen Mitte Auguſt verbirgt ſich die Landkrabbe in einer mit totem Laube wohl ausgefütterten Höhle, ver— ſtopft den Zugang mit vieler Vorſicht und beſteht die Häutung, die etwa einen Monat zu erfordern ſcheint. Mit rot geaderter, ſehr dünner und höchſt empfind— licher Haut überzogen, wird die Krabbe bis Anfang September in ihrem Verſteck aufgefunden und dann als feine Speiſe von vielen betrachtet. Von neuem mit feſtem Panzer bekleidet, wagt ſie ſich hervor, indeſſen mehr bei Nacht als am Tage, und wird gradweiſe fetter bis Januar, wo die ſchon beſchriebenen Veränderungen wieder eintreten. Brown verſichert in ſeiner „Naturgeſchichte von Jamaica“, daß die Gutſchmecker jener Inſel dieſe zur rechten Zeit gefangene und zweckmäßig bereitete Landkrabbe als die leckerſte aller Verwandten betrachtet haben, und daß ſie dieſe Anerkennung in Wahrheit verdiene. Die einzelnen Kiemenblättchen dieſer Krabbe werden nach den Unterſuchungen von Johannes Müller durch beſonders harte Fortſätze auseinander gehalten, ſo daß ſie nicht zuſammenkleben, wodurch natürlich das Atmen in der Luft problematiſch werden würde. Die Weibchen der Gelasimus haben ganz ſchwarze Scheren, bei den Männchen iſt aber eine Schere enorm entwickelt, und bedient ſich der Krebs derſelben, um den Ein— gang zu ſeinem Erdloche damit zuzuhalten. Während die einen bloß das flache Ufer zu ihren Spaziergängen und Jagden benutzen, bekunden andere ihre Geſchicklichkeit im Klettern. So erzählt Fr. Müller, der ſeit langem in Braſilien lebende, hochverdiente Naturforſcher, von einer allerliebſten, lebhaften Krabbe dieſer Familie, die auf die Manglebüſche ſteigt und deren Blätter benagt. Mit ihren kurzen, ungemein ſpitzen Klauen, die wie Steck— nadeln prickeln, wenn ſie einem über die Hand läuft, klettert ſie mit großer Behendigkeit die dünnſten Zweiglein hinauf. Derſelbe Forſcher hat ſehr genau die eigentümlichen Vor— richtungen ſtudiert, durch welche es dieſen, ihrem eigentlichen Element entrückten Tieren möglich wird, in der Luft auszuharren. Manche können eine Portion Waſſer in ihrer Kiemenhöhle mit aufs Land nehmen. Statt daß es, aus der Kiemenhöhle austretend, abfließt, verbreitet ſich die austretende Waſſerwelle in einem feinen Haarnetz des Panzers Winkerkrabbe (Gelasimus). Natürliche Größe. Gemeine Landkrabbe. Gelasimus. Sandkrabben. Muſchelwächter. 29 und wird durch angeſtrengte Bewegungen des in der Eingangsſpalte ſpielenden Anhanges der äußeren Kieferfüße der Kiemenhöhle wieder zugeführt. Es hat ſich, während es in dünner Schicht über den Panzer hingleitet, wieder mit Sauerſtoff ſättigen können, um dann aufs neue zur Atmung zu dienen. „In recht feuchter Luft“, ſagt unſer Gewährs— mann, „kann der in der Kiemenhöhle enthaltene Waſſervorrat ſtundenlang vorhalten, und erſt, wenn er zu Ende geht, hebt das Tier ſeinen Panzer, um von hinten her Luft zu den Kiemen treten zu laſſen.“ Dann atmen ſie alſo wirklich Luft, gleich den ſchnellfüßigen Sandkrabben (Ocypoda), ausſchließlichen Landtieren, die ſich im Waſſer kaum einen Tag lebend erhalten, während weit früher ſchon ein Zuſtand gänzlicher Erſchlaffung eintritt und alle willkürlichen Bewegungen aufhören. Auch ſie laſſen durch eine ſehr verborgen liegende verſchließbare Offnung die Luft von hinten her in die Atemhöhle treten. Verwandte Formen ſind es auch, welche ſich einem Aufenhalt in ſüßem Waſſer an— gepaßt haben (Telphusa), und eine Art (T. fluviatilis) iſt in Italien, beſonders im See von Albano und Nami, nicht ſelten. Sie lebt im Waſſer zwiſchen Baumwurzeln und Steinen, geht auch gern auf das Land, flüchtet aber bei der geringſten Gefahr in ihr Urelement zurück. Den Fiſchern iſt ſie verhaßt, denn ſie ſoll, was wohl leicht möglich iſt, die ge— fangenen Fiſche im Netze anfreſſen. Die friſch ge— häuteten werden in Rom als granci teneri gern gegeſſen. Zwar durch ihre mehr rundliche Geſtalt abweichend, aber in eini— gen weſentlichen Ein— richtungen der Mund— werkzeuge und Kiemen⸗ Reiterkrabbe (Oeypoda). Natürliche Größe. höhle mit den übrigen Viereckkrabben übereinſtimmend find die Muſchelwächter (Pinnotheres), zwiſchen den Schalen verſchiedener Seemuſcheln lebend. Ihre Hautbedeckung bleibt ziemlich weich und gewährt ihnen nicht hinreichenden Schutz, den ſie im Schoße ihrer Freundinnen finden. So nämlich, als ein Freundſchaftsbündnis, faßten die Alten das Verhältnis von Krebs und Muſchel auf. Die Muſchel ſollte dem weichhäutigen Krebſe Schutz gewähren, wogegen der mit guten Augen begabte Krebs ſie rechtzeitig auf nahende Gefahren aufmerkſam machte. Die Art, welche zur Sage Veranlaſſung gab, iſt die ſowohl in der Nordſee als im kittelmeer lebende Pinnotheres veterum, die ſich vorzugsweiſe in der großen Steck— muſchel aufhält. Eine andere, Pinnotheres pisum, liebt die Miesmuſchel, ſchlägt jedoch gelegentlich ihre Wohnung auch in der Herzmuſchel auf. Offenbar wechſeln ſie ihr Quartier, gleich den Einſiedlerkrebſen, wenn der Raum ihnen zu enge wird; doch fand der bekannte engliſche Naturforſcher Hyndeman einmal in einer noch nicht drei Linien langen Herz— muſchel einen ſolchen Gaſt, der mit ausgeſtreckten Beinen drei Linien maß. Eine ver— wandte Form (Fabia chilensis) wohnt an der peruaniſchen Küſte im Endabſchnitte des Darmes von einem Seeigel (Euryéchinus imbeeillis) und ſoll eine lokale Anſchwellung der Schale verurſachen. 30 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Bogenkrabben. In die Familie der Bogenkrabben zählt man die Gattungen mit breitem, vorn abgerundetem Kopfbruſtſtück. Die meiſten find gute Schwimmer, und als ein Beiſpiel dieſes Typus haben wir eine Art von Thalamita abgebildet. Wir ſehen die Vorder: füße, nämlich die Scheren, ſehr verlängert; ihr Armglied, dasjenige, welches die Schere oder Hand trägt, iſt weit über die Seitenwand des Kopfbruſtſtückes hinaus verlängert und am Vorderrande mit ſcharfen Stacheln beſetzt. Auch das auf dem vorhergehenden figende Handglied iſt ziemlich lang und nach außen mit Stacheln bewehrt. Die folgenden Fußpaare ſind bedeutend kürzer, und das letzte Glied am zweiten, dritten und vierten Paare ſtielförmig und ſpitz. Beim letzten Fußpaar iſt dagegen das letzte Glied in eine breite, ovale Platte umgewandelt. Ganz ähnliche Schwimmfüße beſitzt Portunus, von welchem das Mittelmeer neun, die Nordſee ſechs Arten birgt. Eine derſelben, Portunus marmoreus, findet ſich in Venedig z. B. häufig auf den großen Lidodämmen, den Murazzi, wo er auf die Mauer herausſteigt, auch am Fuße der Gebäude von Venedig und im Hafen von Trieſt. „Er iſt“, ſagt von Martens (der ältere, in feiner ‚Reife nach Venedig), „außerordentlich flüchtig und ſtürzt ſich, wenn man ſich ihm nähert, gleich ins Meer, ſo daß ich ganze Stunden zubrachte, ohne von hundert einen fangen zu können. Schnitt ich ihm den Weg zum Meere ab, ſo verkroch er ſich in den Fu— gen der Quaderſteine, wozu ihn ſein ganz flacher Körper vorzüglich geſchickt macht; \ dann drohte er mit feiner Bogenkrabbe (Thalamita natator). Natürliche Größe. ſcharfen Schere und ließ ſich lieber ſolche abreißen, als ſich aus ſeinem Schlupfwinkel herausziehen.“ Auch die übrigen Arten dieſer Sippe ſind ſehr lebendige, pfiffige und, wenn es ſein muß, tapfere Tiere. Auch bei Caremus, deſſen dreilappige, über die Augenhöhle vorſpringende Stirn mit den dünnen, fünfzähnigen vorderen Seitenrändern eine Bogenlinie bildet, iſt am letzten Fußpaar das letzte Glied ſtark zuſammengedrückt, aber ſchmal. Eine Art, Careinus maenas, dürfte die allergemeinſte Krabbe der europäiſchen Meere ſein. Nach älteren An— gaben wurden von dieſer Krabbe vom Venetianiſchen aus jährlich allein nach Iſtrien, wo ſie als Köder für die Sardellen benutzt wird, jährlich 139,000 Fäßchen, jedes zu 80 Pfund, ausgeführt; 38,000 Fäßchen Weibchen mit Eiern, jedes zu 70 Pfund, und 86,000 Pfund weichſchalige (die in Ol gebackenen Molecche ſind ein Lieblingsgericht der Venetianer, und wird die masanetta, das Weibchen, höher geſchätzt als der granzo, das Männchen) wurden jährlich in Venedig und auf dem feſten Lande als Nahrungsmittel verkauft, und der Geſamterlös ſoll ſich auf eine halbe Million venetianiſcher Lire belaufen haben. Es liegen mir keine neueren Ausweiſe vor. Der oben angeführte Schriftſteller ſagt: „Vom Anfang des Frühlings bis ſpät in den Herbſt werden alle Valle und Lagunen, ſelbſt die Kanäle der Stadt von vielen Millionen dieſer poſſierlichen Krabben belebt. Nähert man ſich ihm, ſo läuft er mit großer Behendigkeit ſeitwärts über den nächſten Schlamm weg Lebensweiſe der Bogenfrabben. Großer Taſchenkrebs. 3] und vergräbt ſich plötzlich in denſelben. Wird ihm die Flucht unmöglich gemacht, jo richtet er ſich aufrecht in die Höhe, öffnet die Schere und ſchlägt ſolche mit Geräuſch zuſammen, bereit, ſein Leben ſo teuer als möglich zu verkaufen. So geſellig er im freien Zuſtande iſt, ſo kneipen ſich doch die Gefangenen in kurzer Zeit faſt alle Füße ab. In einem kühlen Zimmer habe ich ihn oft mehrere Tage als Stubentier herumlaufen laſſen, der Sonne ausgeſetzt, ſtirbt er aber ſchnell, ſo daß dieſes das beſte Mittel iſt, ein Individuum für Sammlungen ohne Verletzung zu töten.“ Das Vorkommen und die Lebensweiſe der gemeinen Krabbe an der engliſchen Küſte wird von Bell in folgender Weiſe geſchildert: „Sie iſt unzweifelhaft die gemeinſte Krabbe unſerer Küſten. Man findet ſie überall zahlreich. Auf den ſandigen Küſten bleibt ſie regelmäßig bei der Ebbe zurück, indem ſie ſich unter Steinen verbirgt und, wenn ſie ge— ſtört wird, entweder ihr natürliches Schutzdach in der zurückweichenden See eiligſt zu gewinnen ſucht oder ſich haſtig in den naſſen Sand vergräbt. Sie iſt jedoch keineswegs auf die ſandigen Geſtade beſchränkt; oft fängt man ſie im Schleppnetz auf ziemlich tiefem Grunde, doch zieht ſie jene ande— ren Lokalitäten vor. Solche Le: bensweiſe verlangt das Vermögen, längere Zeit außer Waſſer zu blei— ben; und wirklich iſt das bei un— ſerer Art der Fall, wenn ſie auch nicht gleich den Landkrabben in großer Entfernung von der Küſte leben kann. „Sie wird von den niedrigen Volksklaſſen der Küſte viel gegeſſen und wegen ihres feinen und an— genehmen Geſchmackes auch in großen Mengen auf den Londoner Markt gebracht. Sie nährt ſich vorzugsweiſe vom Rogen der Fiſche, von Garneelen und anderen Krebſen, geht jedoch auch an tote Fiſche und überhaupt an tieriſche Subſtanz. In der That pflegen die Fiſcherkinder ſie zu fangen, indem ſie ein Stück von den Eingeweiden eines Vogels oder Fiſches als Köder an einer Leine auswerfen. Die Krabben gehen daran und werden in beträchtlicher Menge herausgezogen.“ Über die Art und Weiſe, wie unſere Krabbe ihre kleine Beute berückt, werden wir weiter unten nähere Angaben machen Aus den Gattungen, bei denen das letzte Fußpaar wie die vorhergehenden gebildet iſt, nämlich mit einem dünnen ſpitzen Klauengliede, heben wir den großen Taſchenkrebs (Cancer pagurus) hervor, welcher, weniger häufig im Adriatiſchen und Mittelmeer, ein deſto bekannterer Bewohner der Nordſeeküſten iſt. Die wenig über die Augen hervor— ragende Stirn trägt drei gleich große ſtumpfe Zähne, worauf jederſeits neun breite ſtumpfe Lappen des Seitenrandes folgen. Die Körperfarbe iſt oben bräunlich, unten lichter. Die Scherenfinger ſind ſchwarz. Der große, über 30 em breit werdende Taſchenkrebs ift eine der gemeinſten und wegen Größe und Wohlgeſchmack geſuchteſten Krabben der Nordſee und der engliſchen Küſten. Er zieht felſigen Grund dem ſandigen Strande vor. Sein Fang wird namentlich in England ſehr ſtark betrieben. Man bedient ſich dazu eigentümlicher, aus Weiden geflochtener Körbe mit oberer Eingangsöffnung, auf deren Boden die Lockſpeiſe, wertloſe Großer Taſchenkrebs (Cancer pagurus). Junges Exemplar. 32 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familien: Dreieckkrabben und Rundkrabben. Fiſche und dergleichen, befeſtigt werden. Die Männchen, unter denen Exemplare von 14 Pfund vorkommen, werden ihres Geſchmackes wegen der ſchöneren Hälfte vorgezogen. Die Krabben, deren Körperform ungefähr dreieckig iſt, mit vortretendem, ſpitzem Stirn— teil, nennt man Dreieckkrabben. Sie ſchwimmen nicht, ſondern kriechen, und haben durch ihre oft verlängerten Beine ein ſpinnenartiges, bisweilen ſehr wunderliches Aus— ſehen. So namentlich die Arten von Stenorhynchus und Inachus. Da fie träge, ſich lang— ſam bewegende Tiere ſind, ſo pflegen ſich auf ihnen allerhand Tange, Algen und Schwämme anzuſetzen, die oft ſo üppig gedeihen, daß ſie ihren Träger vollſtändig verhüllen. Es mag ihnen das mancherlei Unbequemlichkeit bringen, ja Carrington und Lovett vermuten, daß ſie in der That bisweilen daran zu Grunde gehen; auf der anderen Seite dient ihnen der unfreiwillige Überwurf ſicher auch als Schutz, indem er ſie den Augen ihrer zahlreichen Feinde entzieht. Vielerlei Fiſche ſtellen ihnen nach, unter anderen namentlich der Stachelroche. Am reinlichſten ſind die Arten von Stenorhynchus, der Gattung mit den ſtark ver— längerten Stirnſtacheln. Sie pflegen auch in der Ruhe mit dem Körper nicht den Boden zu berühren, ſondern ihn auf den langen Beinen in der Schwebe zu halten. Dabei laſſen ſie die Scheren vom Handgelenk an ſenkrecht hängen (Bild S. 34). Dagegen ſind die durch kürzere Stirn und ſtärkeres zweites Beinpaar charakteriſierten Inachus-Arten immer mit allerlei Algen und Tieren bewachſen. Geſtielte Diatomeen, Hydroidpolypen, Infu— ſorien, zuſammengeſetzte Ascidien und andere bedecken Körper und Gliedmaßen wie ein feiner Flaum oder Raſen und zwar zum beſonderen Vorteil und Vergnügen des Krebſes. Er trägt die Anſiedelung als einen ihn verſorgenden Gemüſegarten, aus dem er mit der Schere zu ſeines Leibes Nahrung und Notdurft pflückt. In einem ſehr intereſſanten Aufſatz im „Ausland“ berichtet Dr. Eiſig über ſeine Beobachtungen, welche er an einem verwandten Krebſe im Seeaquarium der Neapolitaner zoologiſchen Station machte. „In einem Baſſin“, erzählt unſer Gewährsmann, „in welchem ſich zahlreiche Tubularienſtöcke und ein Exemplar von Latreillia elegans (eben jene Krabbe) befanden, traf ich eines Morgens die meiſten der Hydroidſtöckchen ihrer Polypen beraubt und den Krebs über und über mit ſolchen bedeckt. Ich konnte noch beobachten, wie das Tier Polypen abriß und dieſelben bald auf die Stacheln ſeines Rückens, bald auf diejenigen ſeiner Beine aufſpießte . . . .. Ich ſah den Krebs, bald nachdem er das Geſchäft des Auf— ſpießens beendigt hatte, die Polypenköpfe mit Hilfe ſeiner Scheren zum Teil wieder abreißen und zum Behufe des Freſſens an ſeinen Mund führen. In dieſem Falle hatte alſo das Tier in der Bedeckung ſeines Leibes eine Vorratskammer geſchaffen, welche ihm für den Fall, daß er ſeine Beute zu verlaſſen gezwungen werden ſollte, für einige Zeit die Sorge um Nahrung erſpart hatte.“ Bei der außerordentlichen Pfiffigkeit der Krabben, verbunden mit dem aus Anpaſſung und Vererbung erklärbaren Bedürfnis vieler nach Bedeckungen, darf an der Richtigkeit dieſer gewiß intereſſanten Beobachtung nicht gezweifelt werden. Zwei andere, durch kürzere Beine und höckerigen, gleichſam verkrüppelten Körper ausgezeichnete Gattungen der Dreieckkrabben, Pisa und Lissa, auch im Mittelmeer, gleich den vorigen, durch einige Arten repräſentiert, find oft jo mit Schwämmen (Esperia und anderen), Quallenpolypen und Moostierchen bewachſen, daß das Tier unter den Paraſiten kaum ſichtbar iſt. Carrington fand das etwa 2 Zoll lange Kopfbruſtſchild einer Pisa Gibbsii zunächſt von einer dichten, / Zoll hohen Schlammmaſſe überzogen, welche nach vorn hinaus über die Stirn noch etwa 1 Zoll weit ragte. Mehr als zwei Drittel dieſes Schwammes waren wieder überwuchert von einer zweiten Art, auf dieſer ſtand ein Büſchel Verſchiedene Gattungen und Arten. Große Meerſpinne. Schamkrabbe. 33 von einem Buſchpolypen (Sertularia argentea) und rechts neben dem zweiten Schwamme noch ein ½ Zoll langer und / Zoll breiter Stock eines Korkpolypen (Aleyonium digi- tatum) nebſt der Röhre eines Ringelwurmes. Hier iſt es die außerordentliche Trägheit der Wirte, welche den zufällig ſich anſiedelnden Schwammlarven geſtattet, in ihrem Wachstum die lebendige Unterlage ſo zu überwuchern. Es ergeben ſich daraus die abenteuerlichſten Verbindungen. Infolge des fleißigen Gebrauches bleiben jedoch, mögen dieſe Krabben noch jo ſchmutzig ausſehen, die Mundwerkzeuge und Scheren ſehr rein. Ich beobachtete eine Pisa auf einem Polypenſtocke (Astroides calycularis). Sie ſuchte ſorgfältig, die Scheren in alle Vertiefungen ſoweit wie möglich einführend, nach Nahrung, die ſie zierlich und geſchickt zum Munde führte. Auch rupfte ſie ſich gelegentlich einen Biſſen von der Furage ab, welche auf ihr ſelbſt wucherte. Übrigens ſind weibliche Individuen von Pisa viel öfter bewachſen als männliche, und Carrington führt das darauf zurück, daß die erſteren viel langſamer in ihren Be— wegungen ſeien als dieſe und oft tagelang an einer Stelle ſitzen blieben. Ahnlich findet ſich auch beim Weibchen von Steno— rhynchus rostratrus weit häu— figer eine Tangbedeckung als beim Männchen. Am wichtigſten iſt die vor— zugsweiſe im Mittelmeer und bis Trieſt hinauf lebende Große Meerſpinne (Maja squi- nado). Sie wird jährlich zu vielen Tauſenden auf die Fiſch— märkte der Küſtenſtädte am Mittelmeer zum Verkauf ge— bracht, meiſt in großen, locker geflochtenen Körben, in welchen die rötlichen, etwa 11 em langen Tiere einen ſcheinbar unent— wirrbaren Knäuel der zottig behaarten Körper und Beine bilden. Sie ſind beſonders in den Garküchen für das niedere Volk geſchätzt und bilden, in ihrer eignen Schale geröſtet und aufgetiſcht, eine ſchmackhafte Koſt zum ſchwarzen Weine. Auch von dieſer Krabbe wußte das Altertum allerlei wunderbare Dinge zu erzählen. Sie ſollte außerordentlich klug, eine Muſikliebhaberin ſein; auch iſt ſie auf zahlreichen Münzen verewigt und prangte am Hals— ſchmuck der Diana von Epheſus. Große Meerſpinne (Maja squinado). % natürlicher Größe. Wir kommen zu den Rundkrabben, kenntlich an dem rundlichen Kopfbruſtſtück ohne vorſpringende Stirn und an der dreieckigen Mundöffnung. Ein ſehr eigentümliches Ausſehen hat die Schamkrabbe, ſo genannt, weil ſie mit ihren großen, kammartig erhabenen, zu— ſammengedrückten Scherenfüßen ſich gleichſam das Geſicht verhüllt. Ihre Arten gehören den wärmeren Meeren an, und der nördlichſte Vorpoſten iſt die im Mittelmeer nicht gar häufig vorkommende Calappa granulata. Sie iſt ein ſehr träges Tier. Tagelang ſitzt ſie auf einem Flecke, ſo tief in den Boden eingegraben, daß nur der obere Teil des Rückenſchildes, die Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 3 34 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Rückenfüßer. Stirnwand mit den kurzen Fühlern und die Augen und der obere Rand der Schere her— vorragen. Man ſieht jetzt, welchen Vorteil das Tier von der außerordentlichen Entwickelung der Scheren und deren gewöhnlicher Haltung hat: ſie ſchließen vor den Mundwerkzeugen und den Eingängen zu den Kiemen eine Höhlung ab, von wo aus die Verſorgung der Kiemen mit Waſſer ohne Beimiſchung von Verunreinigungen vor ſich geht. Zugleich bildet — — — — — . = — —— — — — . —— die Färbung, ein gelblicher oder rötlicher Grund mit dunkleren Flecken, eine Maskierung, einen Schutz für die Krabbe, indem fie auf Sand- und Kiesgrund oft ſchwer zu entdecken iſt. Wir ſind mit dieſer Gruppe bei den Rückenfüßern angelangt, welche durch die höhere Einlenkung des fünften oder des vierten und fünften Fußpaares nach dem Rücken zu den Übergang zur nächſten größeren Unterabteilung der Zehnfüßer vermitteln. Unſere Abbildung (S. 35) zeigt die im Mittelmeer verbreitete Wollkrabbe (Dromia vulgaris), deren Körper, mit Ausnahme der rötlichen Scherenſpitzen, dicht behaart und deshalb gewöhn— lich ſo mit Schmutz, allerlei Pflanzen und Tieren überzogen iſt, daß man ſie vor der Ein— ſtellung in die Sammlung in der Regel erſt einer ſehr gründlichen Wäſche unterwerfen muß. Das eigentümlichſte iſt aber die Gewohnheit der Wollkrabbe, ein Schutzdach mit ſich herumzutragen, woraus erſt der Nutzen und die Verwendung der Rückenfüße erſichtlich wird. Dazu ſind faſt ausſchließlich Schwämme verwendet, am häufigſten Sarcotragus spinosulus oder eine Varietät von Suberites domuncula, der Korkſchwamm. Mit dem letzten haben Wollkrabbe. Gekörnelte Ethuſe. 35 wir fie S. 36 abgebildet, wie fie, auf einem anderen Schwamme, einem großen Exemplar von Spongelia pallescens, ſitzend, einen Fiſchkopf mit der Schere bearbeitet. Der Schwamm ſchmiegt ſich mit ſeiner Unterfläche eng an das Rückenſchild an und erreicht oft eine ſolche Größe, daß er den Krebs vollſtändig bedeckt, ohne daß derſelbe in ſeinen nicht lebhaften Bewegungen gehindert wird. Es iſt mir noch unklar, ob der Schwamm ſich zufällig auf dem Rücken unſeres Tieres anſiedelt, wie das bei Suberites domuncula auf den von Pagurus bewohnten Schneckenhäuſern der Fall iſt, oder ob der Krebs ſich ein ſchon größeres Schwammſtück zurecht macht und auf den Rücken legt. Der zweite Fall iſt nicht ſo unwahrſcheinlich und ungereimt, als er ausſehen möchte, indem der Schwamm nur von den Klauen der Rückenfüße gehalten wird, und die Krabbe ihn, wie ich oft geſehen, bei der Flucht oder unſanft geſtört, fallen laſſen kann. Wie ſtark aber das Bedürfnis nach einer ſolchen Decke oder Mantel iſt, geht daraus hervor, daß die im Aquarium gehaltenen Wollkrabben, wenn ſie ihres Schwam— mes beraubt ſind, ſich ein Stück Tang über den Rücken hängen. Ein ſehr komiſcher Anblick! Eine ſehr anziehende Schilderung von dem Gebaren einer anderen Krabbenart (Dorippe lanata) entwirft Schmidtlein: „Phalluſien und Holothurien, Fiſchköpfe, tote Genoſſen und lebende Dromien, ja ſogar Stücke Fenſterglas praktiziert ſie ohne viel Bedenken auf ihren Rücken, hält ſie mit den Rückenbeinen frei ſchwebend empor und ſtelzt dann mit ihren langen Beinen ſpinnenhaft Wollkrabbe (Dromia vulgaris). Natürliche Größe. umher. Sie bedient ſich dieſer Dinge dabei weniger als Decke denn als Schild, den ſie ihren Angreifern entgegenhält. Sie führt damit, ohne den Körper zu drehen, alle möglichen Manöver aus; mehrfach ſah ich ſie ihre Waffen in den Klauen des Angreifers laſſen und geſchickt die Flucht ergreifen, während jener ſich noch damit zu ſchaffen machte.“ Eine mit der Wollkrabbe verwandte Art (Hypo— concha sabulosa) lebt auf den Antillen und trägt immer eine Muſchelſchale über ſich. Sie hat ſich ſo ſehr an dieſen Schutz angepaßt, daß ihr Rückenſchild ſeine urſprüngliche Härte eingebüßt hat und weichhäutig geworden iſt. Die Dorippiden ſind es übrigens auch, welche von allen Krabben in die größten Meerestiefen gehen und dabei merkwürdige Umbildungen ihrer Augen erleiden. Eine, die gekörnelte Ethuſe (Ethusa granulata), hat im flachen Waſſer ſehr gut entwickelte Augen, Exemplare indeſſen aus Tiefen von 180 —680 m haben zwar noch bewegliche Augen— ſtiele, doch ſind ſie offenbar des Sehvermögens verluſtig geworden, indem am Ende des Stieles keine Facetten mehr vorhanden ſind, ſondern ſtatt deren krallige Anſchwellungen. Bei Individuen aus 920—1300 m Tiefe haben die Augenſtiele ihre Beweglichkeit eingebüßt und ſind in der Mitte vor der Stirn zu einem Stachel zuſammengewachſen. Zur Ergänzung des bisher über die Krabben Geſagten laſſen wir eine in der be— kannten engliſchen Zeitſchrift „Chambers Journal!“ enthaltene und im „Ausland“ mit: geteilte Sittenſchilderung folgen. Die Naturfreunde haben an einer Stelle der engliſchen Küſte dem Treiben der ebenfalls der Klaſſe der Krebſe angehörigen Sandhüpfer zugeſehen: „Faſt ganz mit Beobachtungen über dieſe merkwürdigen kleinen Geſchöpfe beſchäftigt, hatten wir verſchiedene ſchattenhafte Formen nicht bemerkt, welche gerade unterhalb der herein— brechenden winzigen Wellen ſichtbar waren; unſer Freund lenkte jedoch durch einige Be— merkungen unſere Aufmerkſamkeit auf dieſelben. Jetzt können Sie“ ſagte er, ſchwatzen jo viel Sie wollen, aber rühren Sie ſich nicht von der Stelle; die Bewegung eines Armes oder 5% 36 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Rückenfüßer. Beines oder ſelbſt das Drehen des Kopfes brächte uns um ein intereſſantes Schauſpiel.“ Während er dies ſprach, ſahen wir eine grüne Krabbe, eins jener wenig beachteten Meeres— küſtentiere, die wir wohl 20mal geſehen, aber nicht näher ins Auge gefaßt hatten. Die Krabbe war wenig über 3 em breit und in der That ein ſehr unbedeutendes, in ſeinem Äußeren alles Anziehenden ermangelndes Geſchöpf. Sie kam langſam auf dem Sande heran, der nur ſtellenweiſe von den Wellen beſpült wurde, und ſchien ſorgfältig ſich um— zuſchauen. Ein großes Weichtier ward ab und zu geſpült, und auf dieſes ſtürzte die Krabbe los. Ihre Klauen, die ſie beim Gehen nur als Krücken zu gebrauchen ſchien, dienten nun Wollkrabbe (Dromia vulgaris), mit einem Korkſchwamme bedeckt. Natürliche Größe. zu einem anderen Zwecke: Stückchen um Stückchen wurde mit denſelben aus dem Weichtier herausgenommen und mit einer höchſt handartigen Bewegung zum Maule geführt. Nach— dem die Krabbe einige Klauen voll genommen, ſchien das Weichtier ihr keine hinlänglich ſolide Nahrung mehr zu ſein, und ſie bewegte ſich langſam dem trockenen Sande zu. Längs den feuchten Stellen hinkriechend, ſuchte ein ſchöner Sandhüpfer ſeinen Weg nach einigen Büſcheln Seegras einzuſchlagen; er bewegte ſich langſam, nicht wiſſend, daß ein Feind auf ihn lauere, und fing bald an, auf dem Graſe ſeine Mahlzeit zu halten. Die Bewegungen der Krabbe waren jetzt wundervoll; ſie beobachtete den Sandhüpfer und näherte ſich ihm langſam; ein Klumpen Seegras lag zwiſchen ihnen, und von dieſem machte die Krabbe mit der Geſchicklichkeit eines vollendeten Schützen Gebrauch als Deckung. Ungefähr 8 Zoll Raum trennte ſie von ihrer Beute, und die Abkürzung des Zwiſchenraumes war ihr Zweck. Allein, der Sandhüpfer war auf ſeiner Hut und ſchien, früherer Erfahrung zufolge, es für möglich zu halten, daß ein Feind in der Nähe ſei. In kurzem verließ die Krabbe ihren Schlupfort, duckte ſich und kroch kunſtvoll auf die Beute los: als ſie etwa 10 em von Gemeine Strandkrabbe. 3 derjelben entfernt war, hörte der Sandhüpfer zu freſſen auf und wandte ſich gegen die Krabbe. Einen Moment hatten wir auf einen anderen, uns ſtörenden Gegenſtand die Augen ge— wendet; als wir ſie wieder auf die Kämpfenden richteten, war die Krabbe verſchwunden. Was aus ihr geworden, ließ ſich unmöglich ſagen. Der Sand war ringsum platt und ohne alle andere Bedeckung, als einiges winziges Seegras. Näher zuſchauend, ſahen wir einen Klumpen in dem Sande nahe bei dem Hüpfer, dieſer Klumpen erhob ſich langſam wie durch einen unterirdiſchen Vorgang, und die Krabbe tauchte aus dem Sande hervor, in welchen ſie ſich eingegraben hatte, um ſich der Beobachtung des Hüpfers zu entziehen. Nachdem ſie ſich vom Sande befreit, ging ſie verſtohlen 1 oder 2 Schritt vorwärts und ſtürzte dann plötzlich, wie die Katze auf die Maus, auf den ruhig beſchäftigten Sandhüpfer. Die wundervoll handartigen Klauen wurden nun unter den Leib geſtoßen, der Sandhüpfer gepackt und entzwei geriſſen und mit den Klauen ins Maul geſteckt. Während wir unſere ganze Aufmerkſamkeit auf dieſe einzige Krabbe gerichtet hielten, hatten wir einige Dutzend andere, in gleicher Weiſe beſchäftigte nicht geſehen, die nur wenige Schritte von uns ſich emſig mit der gleichen Jagd abgaben. Große und kleine, rührige und träge, flinke und langſame Krabben waren alle geſchäftig. Eine darunter gewährte uns beſondere Unter— haltung, und zwar eine der größeren, welche mit ungemeiner Vorſicht aus dem Meere her— vorkam. Nachdem ich zufälligerweiſe einen Arm bewegt hatte, als das Tier ſich unſerer Stellung näherte, zog dieſe Handlung die Aufmerkſamkeit der Krabbe auf ſich und er— weckte ihren Verdacht. Sie ſtellte einen Augenblick Beobachtungen an, ſank dann in den Sand und verſchwand vor unſeren Augen; faſt unmittelbar darauf indes erhoben ſich zwei kleine ſchwarze Punkte aus dem Sande und blieben feſt: die geſtielten, beweglichen Augen der Krabbe, welche mit verborgenem Körper beobachtete, was um ſie her vorging. „Erſt nachdem wir mehrere Minuten lang bewegungslos geblieben, war die Krabbe endlich befriedigt, erhob ſich aus dem Sande und ſetzte ihre Jagd fort, und zwar in einer Weiſe, daß man hätte glauben können, ſie habe mittlerweile nachgedacht, wie ſie am beſten zum Ziele komme. Sie fing den Sandhüpfer auf folgende Weiſe. Raſch unter eine Anzahl derſelben laufend, zerſtreute ſie die Tierchen in alle Richtungen. Anfangs zwar gelang es ihr nicht, irgend eins zu fangen, ſie verſank daher ſogleich in den Sand und verhielt ſich regungslos, aber lauernd. In kurzer Friſt ſammelten ſich die Sandhüpfer, da ſie keine Urſache zur Beunruhigung mehr ſahen, wieder an der Stelle, wo ſie geſtört worden, und ſprangen emſig auf der Krabbe herum, welche ſich allmählich aus dem Sande erhob, um ſich zur Aktion bereit zu machen. Nun ſind die Sandhüpfer nach ihren phantaſtiſchen Sprüngen keineswegs gewiß, ob ſie ſich auf ihren Rücken, ihre Füße oder Seiten nieder— laſſen, und jo müſſen ſie häufig ſich ein wenig abmühen, um wieder auf ihre Füße zu kommen. Die Krabbe wartete achtſam auf eine ſolche Gelegenheit, um ihre in unvorteil— hafter Lage befindliche Beute zu faſſen. Wenn ſie daher einen Hüpfer in dieſer Klemme ſah, ſtürzte ſie heraus und packte ihn. „Hin und wieder nähern ſich zwei Krabben von gleicher Größe einander, ſtrecken ihre Klauen aus wie ein Preiskämpfer ſeine Fäuſte und kämpfen dann eine Zeitlang; allein, gewöhnlich zieht eine ſich zurück, als ob ſie von der erprobten Entfaltung ihrer Kräfte befriedigt wäre. Glaubt ſich eine Krabbe von einem gegen ſie gerichteten Stocke bedroht, ſo weckt dies allen Kampfesmut dieſer Geſchöpfe. Sich auf die Hinterbeine ſetzend, ſtreckt ſie die Scheren gegen den Feind und klappt ſie mit ſolcher Kraft zuſammen, daß man das Zuſammenſchlagen genau hören kann. Hat ſie den Stock gepackt, ſo kann man ſie mit demſelben vom Boden in die Höhe heben.“ Ich kann die meiſten Züge dieſer Schilderung aus eigner Beobachtung beſtätigen und allen Beſuchern der ſandigen Seeküſten dieſes Trei— ben zur Unterhaltung empfehlen. An den felſigen und ſteinigen Küſten des Mittelmeeres 38 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Einſiedlerkrebſe. kann man ſich dagegen mit dem eben jo ſchlauen Grapsus varius erluſtigen, einer mittel— großen bunten Viereckkrabbe, welche am Ufer Jagd macht und mit der Behendigkeit einer Maus die Löcher und Felsritzen zu benutzen weiß. Zwiſchen die Krabben und die langſchwänzigen Zehnfüßer ſchieben ſich als eine Über— gangsgruppe die mit einem ſchwer zu überſetzenden Namen Anomura genannten Krebſe ein. Pöppig hat die nicht unpaſſende Bezeichnung Mittelkrebſe für ſie vorgeſchlagen. Ihre Mittelſtellung bekundet ſich namentlich in dem Verhältnis des Nachleibes, der ſtärker iſt als bei den Krabben, aber nicht den Umfang wie bei den Langſchwänzen erreicht, oder, wenn dies der Fall iſt, weich bleibende Hautbedeckung hat. Wir ſahen, daß ſchon die Dromia durch die nach oben gerückten Hinterfüße ſich von den echten Krabben entfernt. Ihnen ſchließen ſich einige andere Gattungen der europäiſchen Meere an, z. B. Homola. Darunter iſt ein Rieſe ihresgleichen, Homola Cuvieri, ein ſeltenes Tier des Mittelmeeres. Ich kaufte vor Jahren auf dem Fiſchmarkt in Nizza ein Exemplar, das mit ausgeſtreckten Beinen gegen Um maß. Außer dieſen und den auch in unſeren Meeren vertretenen Arten der Steinkrabben (Lithodes) findet der Leſer in irgend vollſtändigeren Sammlungen. die zum Teil ſehr auffallend geſtaltete Froſchkrabbe und andere als Afterkrebſe zuſam— mengefaßte Gattungen dieſer Abteilung aus den tropiſchen Meeren. Aber ſowohl nach ihrem Bau als ganz beſonders nach ihrer von ihrem Bau beding— ten, höchſt eigentümlichen Lebensweiſe beanſprucht vor allen die Familie der Einſiedler— krebſe (Paguridae) unſere Aufmerkſamkeit. Ihr Kopfbruſtſtück iſt geſtreckt, auch find die Augenſtiele lang und frei hervortretend, eine Eigenſchaft, die ihnen zum Hervorlugen aus ihrer Behauſung ſehr zu ſtatten kommt. Auch die Scherenfüße ſind lang, kräftig und ge— wöhnlich ungleich entwickelt, eine Aſymmetrie, die ſich bei vielen Krebſen findet, bei ihnen aber ſich weiter auf viele andere Körperteile erſtreckt und ebenfalls im Zuſammenhang mit ihrer Lebensweiſe ſteht. Die zwei letzten Beinpaare ſind ſtummelförmig, kurze Klauen, mit denen fie ſich in ihren Schneckenhäuſern anklammern, ebenſo wie mit den Beinſtummeln. des Nachleibes. Dieſe Beine der Eremiten und der übrigen Anomuren ſind aber nicht etwa, wenn wir ſie auch Stummeln genannt, als Verkümmerungen aufzufaſſen. Sie ſind nur der Lebensweiſe angepaßt und dienen, wie uns die Wollkrabbe gezeigt, zum Tragen oder Feſtklammern. Der Nachleib der Paguren iſt länglich und ſackförmig, hat nur oberhalb einzelne harte Platten und iſt ſonſt ſo weichhäutig, daß die Tiere das Bedürfnis nach einem anderen Schutze haben. Dieſe an den Küſten aller Meere allbekannten Tiere ſichern ſich, indem ſie ihre Wohnung in Schneckengehäuſen aufſchlagen. Der Krebs ſucht ſich ein Haus von der Größe, daß er nicht bloß ſeinen Nachleib bequem darin unterbringt, ſondern daß er Raum hat, bei Gefahr ſich vollſtändig hinter den Rand der Offnung zurückzuziehen. Indem er ſich mit jenen Stummeln an dem Gewinde des Schneckenhauſes feſthält, an welches ſich einige auch noch mittels Saugnäpfen anhaften können, ſitzt er jo feſt, daß es faſt nie gelingt, einen lebendig und ganz herauszuziehen: er läßt ſich in Stücke reißen, indem entweder die Scheren, die man am leichteſten faſſen kann, abbrechen, oder das Kopf— bruſtſtück vom Nachleibe losreißt. Wird ihm ſein Futteral zu eng, ſo muß er allerdings ſich herauswagen, um ſich ein neues anzupaſſen. Die an unſeren Küſten und bejonders im Mittelmeer vorkommenden Arten geraten aber nicht ſelten in eine höchſt fatale Situation, indem ſich ein Schwamm (Suberites domuncula) gerade nur auf ſolchen von Einſiedler— krebſen benutzten Schneckengehäuſen anſetzt. Je eifriger der Krebs herumkutſchiert, deſto beſſer gedeiht der Schwamm, der ſehr bald in Form einer korkigen, gelbrötlichen Maſſe das Gehäuſe überzieht und nunmehr für den Inſaſſen ſehr bedenklich wird. Macht ſich EINSIEDLERKREBSE. Prideaux' Einſiedlerkrebs. 39 derſelbe nämlich nicht beizeiten aus dem Staube, ſo überwuchert der Schwamm dergeſtalt den Ausgang des Hauſes, daß der Einſiedler gar nicht mehr heraus kann. Man findet ſie ſehr häufig in dieſer elenden Lage, daß kaum noch ein Löchelchen da iſt, durch welches ſie mit den geſtielten Augen ſich über die Außenwelt orientieren und mit den Spitzen einer Schere kümmerlich Nahrung hereinholen können, bis ſie natürlich endlich dem Hungertode überliefert werden. Auch über das Benehmen der Paguren bei der Beſitzergreifung eines Schneckenhauſes liegen wertvolle Beobachtungen von Dr. Eiſig vor. Wenn man einen feines Gehäuſes beraubt hat, dann fühlt er ſich höchſt unglücklich. In einen Winkel verkrochen, bemächtigt er ſich jeder Schale, welche man ihm zuwirft, um (allerdings nicht ohne vorher den Hohlraum mit den Scheren unterſucht zu haben) ſeinem Hinterleib wieder den gewohnten Schutz zu verſchaffen. „Bietet man anſtatt eines leeren Gehäuſes ein ſolches dar, welches noch die Schnecke beherbergt, ſo geht der Krebs ſofort an deren Zerſtörung. Ich habe eines Tages einem etwa 5 em langen Pagurus eine ungefähr ebenſo große, friſche, kräftige Murex brandaris (Purpurſchnecke) in das Baſſin geſetzt. Sofort begann er den kalkigen Deckel des Tieres zu bearbeiten, und am dritten Tage war er damit zu Ende, ſo daß er nun leicht die Weichteile der Schnecke herausziehen konnte. Dies that er nun aber mit vielen Unterbrechungen, indem er den größten Teil des Tages hindurch ſchon ſeinen Hinter— leib ſo weit, als es der noch darin befindliche halbtote Schneckentorſo zuließ, in das Anfangs— ſtück der Schale ſteckte. Die herausgearbeiteten Stücke pflegte er ſäuberlich aufzufreſſen.“ Findet er ein leeres Haus, in dem eingeſchwemmter Sand iſt, für ſeinen weichen Hinter— leib ſo unangenehm wie Steinchen in unſeren Schuhen für unſere Füße, dann kriegt er es mit ſeinen Scheren zu packen und klopft es auf dem Boden aus. Zahlreiche Arten (Gattung Coenobita) find gleich vielen Krabben Landtiere und verſehen ſich auch meiſt mit der Gattung Bulimus angehörigen Landſchneckengehäuſen, welche ſie auf ihren oft weiten und beſchwerlichen Wanderungen mit ſich ſchleppen. Dr. Gräf, dem jetzigen Direktor der zoologiſchen Station in Trieſt, wurden während feines Aufenthaltes auf Inſeln des Stillen Ozeans allnächtlich zum Trocknen und Lüften im Freien ausgelegte Schneckenhäuſer geſtohlen, ohne daß es ihm gelingen wollte, hinter den Thäter zu kommen, bis er endlich einmal eine Coenobita in flagranti ertappte. Übrigens ſind ſie nicht ſo ſehr wähleriſch mit ihrer Wohnung, auch leere Seeigelſchalen werden bezogen. Alle dieſe Arten leben in heißeren Klimaten. Die in unſeren Meeren vorkommenden vielen Formen zählen zur Gattung Pagurus. Die meiſten leben hier unmittelbar am Strande, der ſtellenweiſe von ihnen ſo belebt iſt, daß alles durcheinander wimmelt. Andere halten ſich in größeren Tiefen auf, wie Pagurus Prideauxii, ein Einſiedlerkrebs, auf deſſen Schneckenhauſe ſich faſt aus— nahmslos ein der Familie der ſchönen Seeroſen angehöriger Polyp findet, die Mantel— Aktinie, Actinia (Adamsia) palliata. Ich habe den Krebs mit feiner Aftermieterin be— ſonders häufig mit dem Schleppnetz aus der Tiefe des breiten Kanals von Zara erhalten. Außerordentlich gemein iſt er bei Neapel. Es iſt ein weiteres Beiſpiel für die merkwürdige Verkettung des Daſeins ganz verſchiedener organiſcher Weſen. Der engliſche Naturforſcher Goſſe meint, daß der Krebs nie ohne eine Adamſie auf ſeinem Gehäuſe vorkäme, und daß in den Fällen, wo man den Polyp auf einer Schnecken— ſchale ohne Paguren gefangen hätte, der Krebs herausgefallen ſei. Die Aktinie iſt ziemlich groß und nicht, wie andere, im Querſchnitt rund, ſondern queroval, indem ſich ihre Baſis in zwei ſeitliche Lappen ausbreitet. Das Tier wählt immer die innere Lippe eines Schnecken— gehäuſes, um ſich anzuheften, und die zwei Fußlappen legen ſich nach und nach um die Mündung des Gehäuſes, bis fie am Außenrande aneinander ſtoßen und hier verwachſen; ſo bildet das Tier einen Ring. 40 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Einſiedlerkrebſe. „Am 16. Januar 1859 fing ich mit dem Schleppnetz ein ungefähr halb ausgewachſenes Exemplar der Adamsia palliata auf einem etwas kleinen Gehäuſe von Natica monili- fera, bewohnt von einem Pagurus Prideauxii, der für ſein Logis ſchon etwas zu dick zu ſein ſchien. Ich ſetzte ſie in ein wohleingerichtetes weites Aquarium, deſſen Inhalt ſich in vortrefflichem Zuſtande befand, und hatte das Glück, was mir noch nie gelungen, beide, den Krebs und die Adamſie, im Aquarium einzubürgern. Beide erfreuten ſich einer vor— trefflichen Geſundheit und fühlten ſich ganz wie zu Hauſe. Jedoch bemerkte ich nach 3 Monaten, daß die Adamſie nicht mehr ſo wohl ausſah. Dazu gab auch der Krebs ſpäter Anzeichen, daß er unbehaglich beengt ſei, indem er ſeine vorderen Körperteile weit heraus— ſtreckte. Ich konnte mich jedoch noch nicht entſchließen, dem Krebſe ein weiteres Schnecken— gehäuſe anzubieten, indem ich fürchtete, er möchte, ſich desſelben bemächtigend, ſeine zoophytiſche Freundin verlaſſen, dieſe würde dann ſterben und ich fie verlieren. „Endlich ſiegte das Verlangen, eine wiſſenſchaftliche Aufgabe zu löſen, über das Gefühl. Eine Thatſache iſt beſſer als ein Exemplar. Und ſo nahm ich aus meiner Sammlung ein ausgewachſenes Natica-Gehäuſe und legte es in den Waſſerbehälter in die Nähe des in Uneinigkeit geratenen Trios. Der Einſiedler fand ſogleich das neue Gehäuſe und begann unmittelbar, es zu unterſuchen. Er ging jedoch anders zu Werke, als ſein Bruder Bern— hard (d. h. Pagurus Bernhardus) gethan haben würde. Der würde nämlich ohne weiteres das neue Haus bezogen haben. Jener wendete es mit der Mündung nach aufwärts, faßte ſowohl die Außen- als Innenlippe mit einer Klaue und begann nun, es über den Boden des Gefäßes hinzuziehen. Gelegentlich ließ er mit einer Klaue los, betaſtete das Innere und ſetzte dann ſeinen Marſch fort. Ein Geſchäft rief mich ab, und als ich nach ungefähr einer Stunde zurückkehrte, fand ich den Einſiedler bequem in ſeiner neuen Wohnung ein— gerichtet; die alte aber lag verlaſſen in einiger Entfernung. Schnell kehrte ich ſie um, zu ſehen, was aus der Adamſie geworden. O weh! keine Adamſie war da. Als aber nun gerade der Einſiedler an die Wand des Aquariums herankam, ſah ich zu meiner großen Genugthuung, daß die alte Vergeſellſchaftung ungebrochen fortdauerte. Die Adamſie hing mit dem einen Fußlappen auf dem neuen Gehäuſe, offenbar auch mit dem anderen. Aber bei der Stellung der Gruppe konnte ich keine volle Gewißheit darüber erlangen. Die Stellung des Zoophyten war ganz normal. Indem ich mir nun den Zuſammenhang der Dinge mit einer Lupe genauer betrachtete, ſah ich, daß die Adamſie mit einer kleinen Fläche des mittleren Teiles ihrer Fußſcheibe an der Unterſeite des Kopfbruſtſtückes des Krebſes zwiſchen der Baſis ſeiner Beine anhaftete. „Nun iſt dieſes Anhaften an dem Krebſe ein Umſtand, welcher unter gewöhnlichen Verhältniſſen, ſoweit mir bekannt, nicht Platz greift. Deshalb mußte ich ihn für ein außerordentliches und zeitweiliges Auskunftsmittel halten, die Adamſie von dem alten auf das neue Gehäuſe zu ſchaffen und um ſie in die richtige Stellung auf demſelben zu bringen. Müſſen wir daraus nicht mit Notwendigkeit ſchließen, daß, ſobald der Krebs das neue Gehäuſe paſſend gefunden hatte, auch die Adamſie davon in Kenntnis geſetzt wurde; daß in den zwei darauf folgenden Stunden letztere ihre Anhaftung an das alte Gehäuſe lockerte, und daß ſie, an die Bruſt ihres Beſchützers ſich anlegend, von ihm zum neuen Hauſe ge— tragen wurde, wo ſie unmittelbar darauf ſich einen Halt zu ſichern begann, gleich dem, den ſie eben verlaſſen hatte? „Elf Tage nach dieſen Beobachtungen bekam ich einen anderen intereſſanten Aufſchluß über dieſe merkwürdige Genoſſenſchaft. Die Adamſie hatte ſeit dem Wohnungswechſel kein gutes Ausſehen. Sie haftete zwar zum Teil ſehr gut, den einen Tag in größerer, den anderen in geringerer Ausdehnung an dem Gehäuſe; aber meiſt hing ein beträchtlicher Teil des Zoophyten an dem Gehäuſe herab. Der Krebs dagegen fühlte ſich offenbar Prideaux' Einſiedlerkrebs. 41 behaglich und zeigte durchaus keine Neigung, in ſein altes Logis zurückzuziehen. Am 2. Mai fand ich die Adamſie losgelöſt und hilflos auf dem Boden des Gefäßes unter dem Krebſe liegend, der, wenn man ihn ſtörte, davonlief und ſeine Gemahlin im Stiche ließ. Ich glaubte nun, es ſei aus mit meinem ſchönen Schützling. Gleichwohl, wie groß war mein Erſtaunen, als ich nach wenigen Stunden die Adamſie wieder prächtig auf ihrer alten Stelle ſah, breit angeheftet auf dem Gehäuſe und von friſcherem Ausſehen als viele Tage vorher. Aber ſonderbar, ſie haftete faſt in der umgekehrten Lage wie ſonſt an dem Gehäuſe. Hier lag eine Probe irgend welchen Verſtandes vor, die zu entdecken ich mir vornahm. „Indem ich das Gehäuſe mit der Aquarium-Zange ſorgfältig bis zum Waſſerſpiegel hob, löſte ich die Adamſie los und ließ ſie auf den Boden fallen. Dann legte ich das Gehäuſe mit ſeinem Inſaſſen nahe zur Anemone. Kaum berührte der Krebs die Adamſie, als er ſie mit ſeinen Scheren anfaßte, erſt mit der einen, dann mit beiden, und ich ſah augenblicklich, was er beginnen wollte. Höchſt geſchickt und erfahren machte er ſich daran, die Adamſie auf das Gehäuſe zu bringen. Er fand ſie, wie ſie mit der Fußſcheibe nach oben lag; ſein erſtes Geſchäft war, ſie ganz umzudrehen. Abwechſelnd mit den beiden Kneipzangen zugreifend und dabei die Adamſie ziemlich roh ins Fleiſch kneipend, wie es ſchien, hob er ſie in die Höhe, daß er ihren Fuß gegen den beſtimmten Teil des Gehäuſes, die Innenlippe, drücken konnte. Dann hielt er, ſie feſt andrückend, ungefähr 10 Minuten ganz ſtill. Dann zog er behutſam die eine, dann die andere Schere weg. Indem er ſich in Bewegung ſetzte, hatte ich das Vergnügen, zu ſehen, wie die Adamſie viel ſchöner haftete, und nun am richtigen Platze. Zwei Tage darauf war die Adamſie wieder los. Ich ent— deckte ſie in einer Spalte und legte ſie auf den Boden. Hier fand ſie der Krebs wieder, und ſogleich nahm er die eben beſchriebenen Hantierungen mit ihr vor und heftete ſie wieder an. Aber ich ſah, daß ſie krank war, denn ſie konnte ſich kaum auf ihrem Platze halten. Doch iſt die Außerung der inſtinktiven Thätigkeiten der beiden Geſchöpfe hinreichend klar. Sicher iſt der Krebs der aktivere Teil der Genoſſenſchaft; hinreichend deutlich iſt es, daß er die Geſellſchaft ſeiner ſchönen, aber ſehr verſchieden gearteten Freundin würdigt. Unſere letzten Beobachtungen nötigen zu dem Schluſſe, daß immer die Scheren des Krebſes an— gewendet werden, um die Mantel-Aktinie von Gehäuſe zu Gehäuſe zu verſetzen.“ Dieſe Beobachtungen ſind von Eiſig in dem mehrfach erwähnten Aufſatz beſtätigt und erweitert worden: „Vor allem“, ſagt dieſer Forſcher, „fällt die Leichtigkeit auf, mit welcher der Krebs die Ablöſung der mit ihrer Fußſcheibe überaus feſt an der Schale haftenden Aktinie beſorgt. Während ich z. B. ſelten anders eine Adamſie unverletzt ab— zulöſen vermochte, als indem ich das Schneckengehäuſe zertrümmerte, gelingt es dem Eupa— gurus in den meiſten Fällen in ganz kurzer Zeit. Er beginnt zunächſt den Rand der Aktinien— fußſcheibe mit ſeinen ſpitzen Beinen abzulöſen, und weiterhin ſcheint die Aktinie ſich dieſem Trennungsprozeſſe nicht nur nicht zu widerſetzen, ſondern umgekehrt zu Hilfe zu kommen. Für ein ſolches Entgegenkommen ſpricht auch die auffällige Thatſache, daß, während dieſe Aktinien jedem anderen Eingriffe gegenüber ſofort ihren Tentakelkranz einziehen und die zur Verteidigung beſtimmten Neſſelfäden ausſtoßen, ſie bei der eben geſchilderten Ablöſung und Übertragung häufig ihren Tentakelkranz vollkommen ausgeſtreckt behalten und keine oder doch nur ſpärliche Neſſelfäden ausſtoßen.“ Stuart Wortley wollte ſeinerzeit beobachtet haben, daß der Krebs ſeine Geſellſchafterin füttere, indem er ihr Stückchen des ihm vorgeworfenen Fleiſches mit der Schere zuſtecke. Er kommt weiter zu der Meinung, daß der Krebs die Wahl des Gehäuſes nach dem Wunſche der Aktinie vollziehe, und daß er eine gewählte Wohnung wieder aufgäbe und eine neue ſuche, wenn die Adamſie ſich nicht innerhalb einer gewiſſen Zeit mit ihrer Fußſcheibe feſt— geſetzt habe. Auch Eiſig hat bemerkt, daß die Aktinie durchaus keine paſſive Rolle ſpielt; 42 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Einſiedlerkrebſe. habe man den Krebs aus der Schneckenſchale entfernt, dann verlaſſe ſie dieſelbe gleichfalls, wahrſcheinlich, um mit einem anderen Pagurus-Individuum ein neues Freundſchaftsbündnis einzugehen, denn beſonders treu iſt ſie nicht. Hat ein Pagurus bei den zahlreichen Duellen, welche dieſe Krebſe unter ſich ausfechten, ſeinen Rivalen überwunden, ſo nimmt er ihm ſeine Adamſie, bringt ſie auf ſein Gehäuſe, und ſie folgt dem triumphierend abziehenden Sieger ſofort. Auch in der Tiefſee ſind die Einſiedlerkrebſe keine Seltenheit, einer (Parapagurus abyssorum) geht ſogar bis in die ungeheuern Tiefen von 5486 m. Auch ſie ſind immer in einem Schneckenhaus eingemietet und von einer Aktinie vergeſellſchaftet, aber durch einen merkwürdigen Vorgang löſt dieſe das Haus nach und nach auf, und die lebende Genoſſin umgibt allein den ganzen Hinterleib des Krebſes in Geſtalt eines weichen Sackes. Das iſt eine große Erleichterung für den Krebs, denn auf dem Boden des Meeres werden, bei dem ſtarken Gehalte des Meerwaſſers an Kohlenſäure in dieſen Tiefen, Schneckenſchalen von geeigneter Größe viel ſeltener ſein als im untiefen Waſſer, und vielleicht iſt auch weniger die Aktinie als eben der reiche Kohlenſäuregehalt des umgebenden Mediums Urſache der Auflöſung des Kalkgehäuſes. Der Nutzen, welchen die Einſiedlerkrebſe von den Aktinien haben, liegt auf der Hand. Dieſe ſehr wehrhaften, ſtark brennenden Tiere halten ihnen die Feinde vom Leibe. Die Adamſien finden aber in Geſellſchaft der Paguren reichlichere Nahrung. Sieht man die Krebſe auf ihrem natürlichen Boden, nämlich auf feinerem Kies, ſo wird augenblicklich klar, warum die Aktinie das Schneckenhaus ſo anfaßt, daß ihr Mund nach unten gekehrt iſt. Pagurus Prideauxii wirbelt nämlich mit ſeinen Hilfskiefern den Sand ſo auf, daß ein Strom an ſeiner Mundöffnung vorübergeht, wobei er allerlei Nahrung profitiert. Dieſe kommt nun auch der Aktinie zu ſtatten, welche durch den vom Krebſe verurſachten Wirbel förmlich gefüttert wird und ihren Mund um ſo weiter öffnet und die Tentakeln um ſo mehr entfaltet, je eifriger der Gaſtfreund den Sand umrührt. Unſere Paguren unterlaſſen übrigens das Wirbeln, wenn ſie beſſere, kompaktere Fleiſchnahrung, tote Fiſche und der— gleichen, um ſich haben. Daß ſie davon der Aktinie mitteilten, habe ich nicht geſehen, wohl aber, daß ſie untereinander äußerſt zänkiſch und brotneidiſch ſind. Sehr oft wird ein kleinerer von einem größeren verfolgt, indem dieſer jenem einen Biſſen abjagen will. Der Verfolgte wird von der Schere ſeines Gegners gefaßt, weiß aber gewöhnlich, wenn ihm ſelbſt nur eine Schere frei geblieben, ſehr geſchickt mit dieſer ſeine Beute ſo zu halten und von ſich zu ſtrecken, daß der Angreifer ſchließlich unverrichteter Sache abziehen muß. Die Paguriden ſind nun durchaus nicht die einzigen zehnfüßigen Krebſe, welche mit Aktinien in Symbioſe leben. Dieſelbe Erſcheinung tritt auch zwiſchen dieſen und Krabben auf. So beobachtete der ſchon erwähnte Stuart Wortley auf Inſeln des Stillen Ozeans eine ſchöne Krabbe, welche eine große Aktinie mit ſich herumſchleppte. Sie ſcharrte ſich halb in den Sand ein, ließ aber die Aktinie mit ihren ſich lebhaft bewegenden Tentakeln außen und lauerte unter derſelben auf kleine Kruſter, Ringelwürmer ꝛc., welche, durch das Spiel der Tentakeln angelockt, herbeiſchwammen. Auf den Seychellen beobachtete Möbius einen Taſchenkrebs (Melia tesselata), der in allen Exemplaren, männlichen jo gut wie weiblichen, in jeder Schere eine Actinia prehensa trug. Nahm man ihnen dieſelben und zerſchnitt ſie in Stücke, dann ſammelte ſie ſich dieſelben wieder. Noch zwei Gattungen ſind zu erwähnen, welche von den Syſtematikern bald an die Einſiedlerkrebſe, bald an die folgende Abteilung angereiht werden, Porcellana und Ga— lathea. Beide haben große Scherenfüße und das hinterſte Fußpaar ſehr ſchwach entwickelt. An die Mittelkrebſe und Krabben erinnern ſie, indem ihr ſonſt ganz wohl entwickelter Porzellankrebs. Galathee. Palmendieb. 43 Nachleib unter das Kopfbruſtſtück geklappt getragen wird. Der Porzellankrebs hat ein kurz ovales, flaches Kopfbruſtſtück, und ſeine Scheren ſind bedeutend länger als der Körper. Gerade an unſeren Küſten und beſonders im Mittelmeer iſt die kleine Porzellane mit breiten Scheren (Porcellana platycheles) ein unanſehnliches, immer mit Schmutz bedecktes Tier. Daran ſind die den Körper dicht bedeckenden Haare ſchuld. Das Kopfbruſtſtück der Galatheen iſt länglich, eiförmig und bei den meiſten Arten, ſo bei den gemeineren, Galathea squamifera und G. strigosa, mit Querfurchen verſehen. Die Galatheen gehen im Meere in bedeutende Tiefen. Der „Challenger“ dredſchte ſie noch bei 4400 m. Bei den abyſſiſchen Formen ſind nach den Beobachtungen von J. R. Henderſon die Augen faſt ohne Ausnahme pigmentlos und offenbar leiſtungs— unfähig, bisweilen hat ſich der Augenſtiel zu einem Dorn umgeformt, auf deſſen freiem Ende noch ein funktionsloſer Reſt der gewölbten Hornhaut ſitzt. Was die Verwandtſchaftsverhältniſſe der Paguren angeht, ſo dürfte es wohl ſicher ſein, daß ſie von ſymmetriſch gebauten Ahnen mit feſter Bedeckung des Hinterleibes ab— ſtammen, und unter Umſtänden können ſie wieder in die alter— tümlichen Verhältniſſe zurückſchlagen. Solche Umſtände können in zwei Fällen auftreten: einmal auf dem Lande, dann wieder in der Tiefſee. Auf den Inſeln Oſtindiens lebt ein ſtattlicher, langſchwän— ziger Landkrebs, der Palmendieb (Birgus latro), nachts— über in ſelbſtgegrabenen Erdhöhlen, welche er mit dem Baſte der Schalen der Kokosnüſſe ausfüttert. Am Tage geht er / ſeiner Nahrung nach, welche aus Kokosnüſſen beſteht, die er Porzellan krebs been ſich unter den Bäumen zuſammenſucht, nach denen er aber tycheles). Natürliche Größe. nicht auf die Palmen klettert. Mit großem Geſchick weiß er die Nüſſe aufzumachen. Über dieſen ſeltſamen Krebs liegen faſt gleichlautende Beobach— tungen von Darwin und von Henry O. Forbes vor. Darwin erzählt über den Palmendieb: „Sein vorderes Beinpaar endigt in ſehr ſtarken, ſchweren Scheren, das vierte iſt mit ſchwächeren und viel ſchmäleren ausgerüſtet. Auf den erſten Blick möchte man es nicht für möglich halten, daß eine Krabbe eine ſtarke, mit der äußeren Haut noch bedeckte Kokosnuß öffnen könne; Herr Liesk verſichert mir aber, daß er es wiederholt geſehen habe. Der Krebs beginnt damit, die äußere Haut Faſer für Faſer abzuziehen, wobei er allemal bei dem Ende beginnt, unter welchem ſich die drei Keimlöcher befinden; iſt dies vollendet, dann fängt die Krabbe an, mit ihren ſchweren Scheren auf die Decke von einem der Keimlöcher loszuhämmern, bis ſie eine Offnung zuwege gebracht hat. Dann dreht ſie ihren Körper herum und zieht mit Hilfe ihrer hinteren, ſchmäleren Scheren die weiße, albu— minöſe Subſtanz heraus. Der Birgus iſt ein Tagtier in Bezug auf ſeine Lebensweiſe, man ſagt aber, daß er in jeder Nacht dem Meere einen Beſuch mache, ohne Zweifel zum Zwecke, ſeine Kiemen anzufeuchten; auch die Jungen kriechen (im Meere) an den Küſten aus und leben eine Zeitlang hier.“ Forbes ſchreibt, was wahrſcheinlicher klingt, dem Tiere mehr nächtliche Gewohnheiten zu und ſagt, ſeine Höhlen ſeien ſo groß wie die der Kaninchen. Die Palmendiebe wären nur noch auf Santa Cruz Major, wo ſie „Tatos“ hießen, häufig, weil hier keine ver— wilderten oder wilden Schweine vorkämen, welche ſie ſonſt ausgrüben und fräßen. Der Schwanz it ſehr fettreich und liefert von einem großen Exemplar 2 Pinten (18s Liter) eines wohlſchmeckenden, klaren Oles. Das Tier wird überhaupt gern gegeſſen und z. B. auf Amboina in Gefangenſchaft gehalten und mit Kokosnüſſen, von denen es innerhalb dreier Tage zwei vollwachſene bewältigen kann, gemäſtet. Seine Organiſation zeigt eine Reihe 44 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Panzerkrebſe. Eigentümlichkeiten, welche teils auf ſeine Anpaſſung an das Landleben, teils auf das Aufgeben der Gewohnheit, in Schneckenſchalen zu hauſen, zurückzuführen ſind. Aus dem letzteren Grunde iſt ſein Hinterleib ſymmetriſch geworden und hat oben wieder eine harte Schale erhalten. Über den Bau ſeiner Atmungswerkzeuge führt Semper aus, daß neben Kiemen der obere Teil der Kiemenhöhle zu einer wahren Lunge umgebildet ſei, die immer nur Luft enthielte, und die Beſchaffenheit der in ihrer Wandung verlaufenden Gefäße be— weiſe, daß nur ſauerſtoffarmes Blut aus dem Körper einträte, und daß die austretenden Gefäße ſauerſtoffhaltiges Blut direkt in den Vorhof des Herzens überführten. Auch in der Tiefſee gibt es Paguriden mit geradem, ſymmetriſch entwickeltem Hinter— leib, welche in Ermangelung von Schneckengehäuſen teilweiſe frei leben und dann eine harte Bedeckung des Hinterleibes erhalten haben, teils ſich in Schlamm und Sand ein— graben oder ſich Sandröhren verfertigen. Die intereſſanteſte Form iſt aber der geſtreckte Holzeinſiedler (X ylopagurus rectus), der in Tiefen von 550 — 730 m lebt, aber an beiden Enden offene Röhren in Holzſtückchen oder hohle Abſchnitte von Bambus ac. bewohnt. In dieſe kriecht er mit dem Kopfe zuerſt hinein und ſchließt deren hinteren Ein— gang mit einem Apparat von Panzerplatten, welche am Hinterende ſeines ſonſt weich— häutigen, ſymmetriſch geraden Leibes ſich befinden und dieſen vor etwaigen feindlichen An— griffen von hinten her ſchützen. Mit ihnen ſind wir bei der dritten großen Abteilung der Zehnfüßer, den Lang— ſchwänzen (Macrura), angelangt, deren Nachleib ſtark entwickelt, jo lang oder länger als das Kopfbruſtſtück und an allen ſieben Ringen mit paarigen Gliedmaßen verſehen iſt. Die der beiden letzten Segmente bilden mit dem letzten Körpergliede eine lange Schwanz: floſſe. Im übrigen können wir uns auf die ſchon oben gegebene ausführliche Beſchreibung des Flußkrebſes beziehen. Die Familie der Panzerkrebſe (Loricata) zeichnet ſich durch ſehr harte Körper: bedeckungen und ſehr großen Nachleib aus. Alle fünf Beinpaare endigen ohne Scheren, nur mit einem klauenförmigen Gliede. Die wichtigſte Gattung iſt die der Languſten (Palinurus), ausgezeichnet durch die den Körper an Länge übertreffenden äußeren Fühler, mit dicken, ſtachligen Stielgliedern und langer Geißel. Die gemeine Languſte (Pa— linurus vulgaris) kommt am häufigſten im Mittelmeer vor, jedoch auch an den Weſt— und Südküſten von Irland und England in ſolchen Mengen, daß ſie ein guter Artikel des Londoner Marktes iſt. Unſer beigegebenes Gruppenbild ſtellt ſie in Geſellſchaft des Hummers dar, ſie hat den Vorderrand des Kopfbruſtſtückes mit zwei ſtarken Stacheln geziert und iſt auf der Oberfläche dieſes Körperteiles dicht beſtachelt, während der Nachleib glatt iſt. Sie wird 40 em lang und von lebhafter rötlich-violetter Farbe. Dieſelbe geht ſchnell in ein intenſives Blau über, wenn man den friſchgefangenen Krebs dem direkten Sonnenlicht ausſetzt, während, wenn man das Hautſkelett im Schatten trocknen läßt, die natürliche Farbe ſich ziemlich hält. Die in einzelnen Rieſenexemplaren 6—8 kg ſchwer werdende Art iſt im Mittelmeer viel häufiger als der Hummer und daher für die Tafelfreuden der gewöhnliche Stellvertreter des mehr dem atlantiſchen und Nordſeegebiet angehörigen Hummers. Die Languſte liebt felſigen, rauhen, mit Seepflanzen bewachſenen Grund von ſehr verſchiedener Tiefe. In Dalmatien, wo ſie beſonders häufig um Leſina und Liſſa herum vorkommt, während ſie gegen Iſtrien hinauf mehr und mehr ſchwindet, habe ich ſie ſelbſt in Tiefen von 2 bis etwa 20 Faden beobachtet. Man fängt ſie auf zweierlei Art; die eine mit dem Netz iſt proſaiſcher. Dasſelbe wird in Form einer über 1 m hohen, über 31 m langen Wand auf den Meeresboden verſenkt und muß über Nacht ſtehen bleiben. m n S 4 28 u Gemeine Languſte. Blattkrebſe. 45 Es iſt ſehr weitmaſchig. Die in der Dunkelheit daran ſtoßenden Fiſche und großen Krebſe ſuchen ſich durch die Maſchen zu zwängen, die Languſten verſuchen mit ihren ungeſchickten Beinen darüber zu ſteigen und verwickeln ſich bei dieſem Beginnen. Zeitig am Morgen muß das Netz gehoben werden, indem ſonſt die Gefangenen von den Raubfiſchen und Del— phinen verſpeiſt werden. Zwar iſt das Herausziehen des Netzes, beſonders wenn es aller— hand gute Beute bringt, auch ſpannend und intereſſant, allein ungleich anziehender iſt das Fiſchen und der dabei unterlaufende Fang der Languſte bei Feuerſchein. Man findet die Languſten jetzt oft in den größeren Aquarien mit Hummern und Taſchen— krebſen. Wie der Kuſtos des Hamburger Aquariums bemerkte, gaben ſie Töne von ſich, und zwar geſchah dies nur dann, wenn ſie mit ihren großen Fühlhörnern ſtarke Bewe— gungen machten, z. B. wenn ſie dieſelben gebrauchten, um Angriffe ihrer Kameraden beim Eſſen abzuweiſen. Der Profeſſor Möbius, damals in Hamburg, hörte, von dem Kuſtos aufmerkſam gemacht, dieſe Töne auch und bezeichnet ſie als dem Knarren ähnlich, welches entſteht, wenn man das Oberleder eines Stiefels gegen ein Stuhl- oder Tiſchbein drückt. Dieſes Knarren laſſen die Languſten auch hören, wenn man ſie aus dem Waſſer hebt, es klingt dann noch lauter, als man es aus dem Waſſer heraus vernimmt. Es fand ſich nun, daß das Inſtrument, mit welchem die Töne erzeugt werden, eine runde Platte iſt, welche an dem unterſten der beweglichen Glieder ihrer äußeren Fühler ſitzt, und zwar oben an der inneren Seite derſelben. Das Knarren entſteht, indem ein behaartes Feld der Platte über die glatte Fläche des feſten Ringes gleitet, mit welchem das erſte bewegliche Fühlerglied verbunden iſt. Bei den Beſtrebungen, allerlei Nahrung liefernde Tiere regelmäßig zu züchten, hat man natürlich auch die Languſten ins Auge gefaßt. Von gelungener, vollſtändiger Auf— züchtung iſt, ſoviel ich weiß, noch nichts zu berichten. Dage— gen wurde man durch Coſtes Bemühungen auf ſchon früher gemachte Beobachtungen hinge— wieſen, daß nämlich die jungen, eben aus den Eiern geſchlüpften Languſten eine große Ahnlichkeit mit den als beſondere Krebs— gattung beſchriebenen Blatt— frebjen(Phyllosoma) hätten. Ihr dünner, blattförmiger Kör— per beſteht aus zwei Hauptab— ſchnitten. Sie haben lange Au— genſtiele und lange, dünne Beine bei einer Körperlänge von 1 bis 0 4 cm. Es iſt noch nicht gelungen, die aus den Eiern gezogene Brut Blatttrebs (Phyllosoma). Natürliche Größe. in den völligen Phylloſomen-Zu— ſtand überzuführen, obwohl aus der Vergleichung der Phylloſomen ſowohl mit den ſo ſehr umgebildeten erwachſenen Panzerkrebſen als mit der jungen Brut es ſichergeſtellt iſt, daß die Phylloſomen die Larven jener Krebſe ſind. Der neueſte Bearbeiter dieſer Frage, Richter, bemerkt: „Der einzige vollkommen zuverläſſige Weg, dieſe Fragen (ſowie die einzelnen Phylloſomen-Formen) in die Gattungen und Arten der Panzerkrebſe überzuführen, wäre natürlich der, die Entwickelung der betreffenden Tiere im Aquarium zu beobachten. Derartige 46 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Aſtaciden. Verſuche werden aber gewiß immer fehlſchlagen, da wir wohl kaum je im ſtande ſein werden, denſelben in allen ihren Stadien die erforderlichen Exiſtenzbedingungen zu bieten. Die erwachſenen Loricaten ſind Küſtenbewohner, ihre Larven dagegen, die Phylloſomen, bevölkern, beſonders des Abends, das hohe Meer, und zwar nicht etwa, wie man wegen ihrer zarten Körperbeſchaffenheit vermuten möchte, ruhige Stellen, ſondern gerade ſolche, an denen der Strom am ſtärkſten iſt. Die Übergangsformen ſchließlich halten ſich ſicherlich am Boden des Meeres, in bedeutenden Tiefen auf, da weder auf der hohen See noch an den Küſten ſolche gefangen werden.“ Trotzdem, wie ſchon geſagt, iſt die Zugehörigkeit der Blattkrebſe zu den Panzerkrebſen bewieſen, und zwar nicht bloß zu Palinurus, ſondern auch zu den anderen Gattungen. Von dieſen iſt noch eine im Mittelmeer vertreten, der Bärenkrebs (Sceyllarus). Es charakteriſieren ihn die kurzen, auf dem Rücken entſpringenden Augenſtiele, die blatt— artigen, der Geißel entbehrenden äußeren Fühler und das breite, flache, viereckige Kopf— bruſtſtück. Der das Mittelmeer bewohnende Scyllarus arctus, ein ziemlich häufiges Tier, wird über 30 em lang. Die Familie, zu welcher unſer Flußkrebs und ſeine nächſten Verwandten gehören, kann man Krebſe im engeren Sinne (Astacidae) nennen. Wir erkennen ſie an dem ſeitlich etwas zuſammengedrückten Kopfbruſtſtück, welches, ſowie der Nachleib, ſich mit einem gewöhnlich recht feſten Skelett umgibt. Das erſte Fußpaar trägt ſtets große Scheren; auch das zweite und dritte Fußpaar ſind bei einigen Gattungen mit kleinen Scheren verſehen. Der gemeine Flußkrebs (Astacus fluviatilis) erreicht eine Größe von 20, in ſeltenen Fällen von 25 cm. Wenn er das an den Haaren der mütterlichen Schwimmfüße feſtgeklebte Ei verläßt, iſt der Krebs ungefähr 9 mm lang, wächſt aber raſch, ſo daß er am Ende des erſten Jahres faſt ſchon 4,5 cm lang iſt. Die Eiablage erfolgt im Herbſt, die Entwickelung iſt aber, vielleicht wegen der einfallenden ungünſtigen Jahreszeit, eine ſehr langſame, denn erſt im nächſten Frühjahr oder Anfang Sommer erſcheinen die Jungen, die ſich mit ihren Scheren an den Stielen, durch welche die Eiſchalen mit den mütterlichen Schwimmfüßen verbunden ſind, feſthalten und bis zur erſten Häutung, alſo 10 Tage, ver— bleiben. Sie klammern ſich ungemein feſt an, ſo daß ſie durch Schütteln nicht abzulöſen ſind, ja ſelbſt noch in Alkohol mit der Alten geſetzt, dieſe nicht immer verlaſſen, wie ſie denn auch zu Grunde gehen müſſen, wenn ſie gewaltſam abgelöſt werden. Nach der erſten Häutung beginnen ſie zwar ein ſelbſtändiges Leben, kehren aber doch gelegentlich und ge— wiſſermaßen unter dem Schwanze der Mutter Schutz ſuchend zu dieſer zurück, bis ſie nach der zweiten Häutung (etwa am 28. Tage nach dem Ausſchlüpfen) ſich nach und nach zerſtreuen und völlig ſelbſtändig machen. Die Flußkrebſe ſind Allesfreſſer und nebenher Vielfreſſer, d. h. ſie verſchmähen nichts, was genießbar iſt und was ſie bewältigen können: Aas, kleinere Fröſche, Kaulquappen, Waſſerſchnecken, Inſekten und deren Larven, ihresgleichen, wenn ſie ſchwächer ſind, ja, manchmal ſollen ſie, in ihrem Loche auf der Lauer liegend, eine Waſſerratte zu packen kriegen, ſie ſo lange unter Waſſer feſthalten, bis ſie ertrunken iſt, und ſie dann mit vielem Behagen verſpeiſen. Gelegentliche Pflanzenkoſt ſcheint ein Bedürfnis zu ſein: der ſoge— nannte Armleuchter (Chara) wird wohl feines Kalkgehaltes halber gern gefreſſen, allerlei Wurzelwerk von Waſſerpflanzen muß herhalten, und mit Mohrrüben, Kürbisſtücken ꝛc. laſſen ſie ſich gern füttern. Gemeiner Flußkrebs. Edelkrebs. Steinkrebs. 47 Am wohlſten fühlt ſich der Flußkrebs in ruhig fließendem, nicht zu tiefem Waſſer mit ſchattigen Ufern, in deren lehmigen und kalkigen Wandungen der Fluß oder Bach zwiſchen dem Wurzelwerk der Bäume Löcher und allerlei Schlupfwinkel ausgeſpült und ausgewaſchen hat, oder wo er ſie ſich ſelbſt leicht graben kann. Da ſitzt er vor der Thür ſeiner Woh— nung und lauert hungrig, wie er immer iſt, auf Beute. Droht eine Gefahr, ein paar Schläge mit dem Schwimmſchwanz, und raſch wie ein Pfeil verſchwindet er rückwärts in ſeine Höhle, in der er ſich mit ſeinen kräftigen Scheren trefflich zu verteidigen und zu be— haupten weiß. Nachts, oder wenn ein Gewitter am Himmel ſteht, macht er weitere Exkur— ſionen, teilweiſe, wie man ſagt, ſogar auf kurze Strecken auf das Land. Übrigens wirken Gemeiner Flußkrebs (Astacus fluviatilis). Ya natürlicher Größe. Gewitter oft ſehr heftig auf ihn, wie er überhaupt ſozuſagen ein nervöſes Tier iſt und ſich zu hypnotiſchen Verſuchen beſonders gut eignet. Die geographiſche Verbreitung der Süßwaſſerkrebſe iſt merkwürdig und in hervor— ragender Weiſe von Huxley unterſucht worden. Die Gattung Astacus iſt altweltlich nörd— lich und kaliforniſch. In Deutſchland gibt es zwei Raſſen, Formen oder, wenn man will, Arten, den Edel— krebs (Astacus fluviatilis nobilis) und den Steinkrebs (Astacus fluviatilis torrentium), welche ſich nicht geſchlechtlich miteinander vermiſchen und daher keine Zwiſchen— formen bilden ſollen. Der Edelkrebs findet ſich in Deutſchland, Dänemark, Südſchweden, Frankreich, Italien und in den Stromgebieten des Finniſchen und Weißen Meeres, er zieht ruhiges Waſſer vor. Der Steinkrebs iſt mehr eine Gebirgsform, findet ſich vielfach an 48 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Ajtacivden. geeigneten Orten neben dem Edelkrebs, iſt aber die einzige Art für England, die Iberiſche Halbinſel, das Hochgebirgsland Deutſchlands und Oſterreich-Ungarns. Eine dritte Form (Astacus leptodactylus) bewohnt alle Flüſſe nebſt deren Gebieten, welche in das Schwarze, Aſowſche Meer und in den Kaſpiſee münden. Neuerdings iſt ſie auch in den Strom— gebieten des Finniſchen und Weißen Meeres infolge von Kanalverbindungen derſelben mit der Wolga ꝛc. erſchienen und fängt an, den Edelkrebs zu verdrängen. Im Kaſpiſchen Meere lebt eine weitere Raſſe (A. pachypus), ebenſo (A. angulosus) in den Gebirgsbächen der Krim und des nördlichen Abhanges des Kaukaſus und in dem unteren Teile des ſüdlich vom Kaukaſus verlaufenden und ſich bei der kleinen Feſtung Poti in das Schwarze Meer ergießenden Rion. In Sibirien kennt man Flußkrebſe aus dem Amur, dann findet man ſie in Japan, aber ſie fehlen, abgeſehen vom Fluſſe Rion, dem ganzen übrigen Aſien und in ganz Afrika. In Nordamerika findet ſich öſtlich vom Felſengebirge, von Kanada bis Florida und Mexiko (ob auch in Cuba, iſt noch zweifelhaft) eine andere, Astacus nahe verwandte Gat— tung, Cambarus, von welcher höchſt merkwürdigerweiſe eine verſprengte Art in den Höhlen— ſyſtemen Krains und des Karſtes auftritt. Das iſt um ſo merkwürdiger, da auch in der großen Mammuthöhle in Kentucky ein Cambarus lebt, blind wie jener und ihm über— haupt ſehr ähnlich. Die Lebensweiſe ſcheint bei Cambarus, bei manchen Arten wenigſtens, von der des Geſchlechtes Astacus abzuweichen. Tarr beobachtete, daß ſich C. Diogenes (wohl identiſch mit C. Bartonii) in der Erde zeitweilig überſchwemmter Wieſen einen ſenkrechten Gang anlegt, der noch einen oder mehrere ſchräge Seitengänge hat. Die äußere Offnung des Ganges liegt nicht zu ebener Erde, ſondern auf einem Kegel, der um ſo höher iſt, je weiter ſich die ganze Anlage vom Fluſſe befindet. Natürlich, denn um ſo tiefer muß der Krebs graben, bevor er auf genügend feuchten Untergrund ſtößt, und deſto mehr Erde muß er herausſchaffen, folglich wird der Mündungskegel um ſo größer. Der Bau wird von einem Pärchen nach Ablauf des Waſſers und erfolgter Begattung angelegt, und in ihm durchlaufen die Jungen ihre Entwickelung. Übrigens treten die Männchen dieſer Gattung in zwei Formen auf (Hagen). Huxley faßt die Flußkrebſe der nördlichen Erdhälfte als eine beſondere Gruppe (Po— tamobiidae) auf, denen er die Parastacidae der ſüdlichen gegenüberſtellt. Dieſe haben im mittleren Südamerika auf beiden Küſten, auf Neuſeeland, den Fidſchi-Inſeln, in Tas— manien, Auſtralien und endlich auf Madagaskar Vertreter. Huxley neigt zu der Anſicht, daß ſich die Potamobiidae und Parasticidae unabhängig aus zwar nahe verwandten, aber doch verſchiedenen Meeres formen entwickelt hätten, welche auf der nördlichen und ſüd— lichen Erdhälfte ſelbſtändig das ſüße Waſſer aufgeſucht hätten. Bis vor kurzer Zeit war der Hummer diejenige maritime Kruſtaceenform, welche man als nächſte verwandte des Flußkrebſes kannte. Die modernen Tiefſeeforſchungen haben aber unſere Kenntnis auch in dieſer Hinſicht erweitert. Eine durch ſie bekannt gewordene Form iſt die wundervolle Thaumatocheles Zaleuca, welche ihr erſter Beſchreiber, von Wille— moes-Suhm, geradezu der Gattung Astacus beirechnet. „Sie hat ein abgeflachtes, nach hinten ſich verbreiterndes Abdomen, deſſen letztes Segment breiter als das ſeitlich zuſam— mengedrückte Bruſtſtück iſt. Die Scheren ſind ſehr lang und zart, innen mit zahlreichen ſpitzen Zähnen beſetzt und erinnern lebhaft an die Mandibeln eines chileniſchen Hirſchkäfers (Chiasognathus Grantii). Auch dieſes aus den weſtindiſchen Gewäſſern (Tiefe 822 m) kommende Tier iſt vollkommen blind, und Wyville-Thomſon bemerkt, daß ſich am Vor— derrande des Kopfſchildes, an der Stelle, wo ſonſt bei der Aſtaciden die Augen zu ſitzen pflegen, zwei leere Räume finden, die ausſehen, als ob ein Operateur die Augenſtiele mit Hummer. 49 den Augen ſorgſam aus ihnen entfernt und den Platz, an welchem fie befindlich geweſen waren, mit einer chitinöſen Haut überſpannt hätte.“ (Marſhall.) Doch auch der Hummer (Homarus vulgaris, Astacus marinus) unterſcheidet ſich vom Flußkrebs durch ſo geringfügige Merkmale, daß man, ſyſtematiſierend, eigentlich kaum nötig hat, ihn in eine andere Gat— tung zu verſetzen. So hat er einen ſchmaleren Stirnfortſatz, und die am Grunde der äußeren Fühler ſtehende Schuppe, welche blattförmig iſt bei den Flußkrebſen, iſt bei den Hummern ſchmal und zahnartig. Der gemeine Hummer der europäiſchen Meere findet ſich von der norwegiſchen Küſte an bis in das Mittelmeer, iſt jedoch hier nicht beſon- ? ders häufig, während ſeine eigentliche Heimat die britanniſchen, vor allen aber die norwegiſchen Geſtade ſind. Dort findet er ſich mit vielen anderen See— tieren vorzugsweiſe auf der ungeheuern Terraſſe oder Bank, die ſich neben dem Feſtlande hinzieht, und von welcher aus ein jäher Abſturz in den Ozean erfolgt. Auch um England herum ſind fel— ſige Küſten die Fangplätze, und zwar be— dient man ſich meiſt ähnlicher Körbe, wie für den Fang der Krabben, oder auch länglicher Netze mit trichterförmigem Ein— gang. In dieſe Fallen kriechen ſie bei nächtlicher Weile. In keinem Lande Eu— ropas iſt der Verbrauch von Hummern ſo groß wie in England. Schon vor 20 Jahren kamen von Schottland und den britanniſchen Inſeln etwa 150,000 Stück jährlich nach London. Die bei weitem größte Zufuhr war und iſt noch von Norwegen, von wo wenigſtens 600,000 vermittelſt kleiner, ſchnell ſegeln— der Schiffe mit doppeltem, als Hum— merbehälter dienendem Boden nach Lon— don geliefert werden. Der Hauptkonſum fällt vom März bis Auguſt. Nach den Beobachtungen des Fiſch— händlers Saunder, welche Bell mit— teilt, dürfte der Hummer ſich nicht weit von ſeinem Geburtsort entfernen, und der prak— tiſche Mann verſicherte, er könne aus der Farbe und dem Ausſehen des Hummers beſtim— men, von wo er ſtamme. Die Fortpflanzung des europäiſchen Hummers ſtimmt mit der— jenigen des amerikaniſchen, wovon näheres unten, überein. Merkwürdigerweiſe unter— ſcheiden ſich die Larven beider Arten ſchärfer voneinander als die erwachſenen Tiere. Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 4 | E. 0 — N VN Se E Thaumatocheles Zaleuca. Natürliche Größe. 50 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Garneelen. Wenn man den Verbrauch von Hummern für Nordeuropa auf 5—6 Millionen jährlich veranſchlagt, ſo ſteht damit die außerordentliche Fruchtbarkeit dieſes Tieres im Einklange. Das Weibchen legt über 12,000 Eier und trägt dieſelben, an dem Hinterleibe und ſeinen Anhängen angeheftet, bis unmittelbar vor dem Auskriechen der Jungen mit ſich umher. Es iſt klar, daß nur ein kleiner Bruchteil der Gefahr, von den zahlreichen, ihnen auf— lauernden Feinden, vor allen den Raubfiſchen, gefreſſen zu werden, entgeht, trotzdem ſie von der Mutter beſchützt werden. Sie flüchten nämlich unter ihren Leib, und nach der Ausſage glaubwürdiger Fiſcher führt das alte Hummerweibchen wenigſtens einen Teil der Schar ſeiner Jungen. Pöppig erzählt, nach Pennant, daß man zu jeder Jahreszeit, beſonders häufig im Winter, Weibchen mit Eiern beladen einfange, die jedoch in den kalten Monaten nicht zur Entwickelung gelangen, und durch welche ungeregelte Fortpflanzung der Hummer unter den Kruſtern und überhaupt unter allen Gliedertieren eine merkwürdige Ausnahme machen würde. Auch fügt der engliſche Beobachter hinzu, daß die Häutung nicht in demſelben Jahre und auf das Cierlegen folge, was ſonſt bei allen Krebſen Regel iſt; auch ſchließt man aus dem Umſtande, daß auf dem Bruſtſtück ſehr großer Hummern mitunter Muſcheln und Rankenfüßer feſtſitzen, daß im reifen Alter der Panzer entweder gar nicht oder doch nur in großen Zwiſchenräumen abgeſtreift werde. Nach den neueren ſorgfältigen Beobachtungen über Vorkommen und Fortpflanzung des nordamerikaniſchen Hummers (Homarus americanus) findet die Vermehrung je nach der Lage der Küſten zwiſchen April und September ſtatt, und es ſcheinen zu dieſem Zwecke die Weibchen ſich auf ſeichteren Grund zu begeben. Die Jungen ſchwimmen nicht nur unmittelbar nach dem Auskriechen frei umher, auf der Stufe, wo ihre Beine geſpalten ſind und große Ahnlichkeit mit denjenigen der ſpaltfüßigen Krebſe oder Schizopoden haben, ſondern auch noch dann, wenn ſie ſchon das Ausſehen der Alten und eine Länge von 2 cm erreicht haben. Da ſie alſo wehrlos in Schwärmen umherziehen, werden ihre Reihen von den ihnen folgenden Fiſchen außerordentlich gelichtet. Der Verbrauch des Hummers in Nordamerika überſteigt weit den europäiſchen Kon— ſum: in Boſton allein werden jährlich etwa eine Million verkauft. Der Fang an den ameri— kaniſchen Küſten geſchieht faſt ausſchließlich in den Körben (Colster-pots), wie in England, in welche ſie durch verſchiedene Köder gelockt werden. Übrigens gehen ſie nicht ſo leicht an den Köder, ſie ſind mißtrauiſch und auch ſonſt von nicht geringer Intelligenz. Schmidt— lein beobachtete im Neapolitaner Aquarium, daß ſie geſättigt Fiſche als Vorrat ver— ſcharrten, und Eiſig ſah, wie ſie ſich von den zum Futter hineingeworfenen Fiſchen erſt eine Anzahl zuſammenrafften, unter ihren Leib in ſicheren Gewahrſam brachten und dann erſt anfingen zu freſſen. Die Gefangenen wehren ſich verzweifelt und haben nament— lich die Gewohnheit, ſich mit einer Schere an dem Korbe feſtzuhalten. Wollte man ſie ge— waltſam abreißen, dann würden ſie lieber die Schere verloren geben, wodurch ſie natürlich für den Verkauf minderwertig würden. Die Fiſcher verfahren daher anders. Sie preſſen mit der einen Hand die freie Schere des Gefangenen zuſammen und zwiden ihn mit der anderen in einen ſeiner Fühler. Hier iſt er ſehr empfindlich und läßt ſofort die ange— klemmte Schere los, um ſich damit zur Wehr zu ſetzen. Unter den Krebſen dieſer Familie von größerem ökonomiſchen Werte muß auch der durch ſeinen ſchlanken Körper und zwar ſtarke, aber zierliche Scheren ausgezeichnete Nephrops norvegicus genannt werden. Die wahre Heimat dieſes ſchönen Tieres iſt ebenfalls die norwegiſche Küſte, wo ich Exemplare von über 30 em Körperlänge geſehen habe. Ich erinnere mich aber nicht, ihn in Bergen oder einer anderen norwegiſchen Küſtenſtadt auf dem Fiſchmarkt als Ware gefunden zu haben, und ſo ſcheint er dort ziemlich ſelten vor— zukommen. Dagegen wird er in der großen, vom Adriatiſchen Meere gegen Fiume ſich Nordamerikaniſcher Hummer. Nephrops norvegicus. Willemoeſien. 51 hinauf erſtreckenden Bucht, dem Quarnero, in großen Mengen gefangen und, man kann ſagen zentnerweiſe, unter dem Namen Scampo auf den Trieſter Fiſchmarkt gebracht. Im übrigen Adriatiſchen Meere ſowie im Mittelmeere kommt er ſeltener vor, ſo daß er kein ſtehender Marktartikel iſt. Ein weiteres ſehr ſchönes Reſultat der Challenger-Expedition auf carcinologiſchem Gebiete war die Auffindung einer anderen, den Aſtaciden gleichfalls naheſtehenden Familie von Tiefſeekrebſen, der Polycheliden oder Willemoeſien. Die Tiere ſind teilweiſe mit langen, aber dünnen Scherenbeinen und kleinen Scheren ausgeſtattet, wie z. B. Pen— tacheles spinosa aus 2000 m Tiefe, oder die durchſichtige Willemoesia leptodactyla, welche eine Körperlänge von 120, aber eine Scherenfußlänge von 155 mm hat. Repräſen— tanten dieſer Familie kommen an den tiefſten Stellen der Ozeane vor, und Spence Bate Willemoesia leptodactyla. Natürliche Größe. meint, ſie ſchienen proportional zur Tiefe an Größe zuzunehmen. Die Augen dieſer Krebſe ſind immer rudimentär, aber in verſchiedenem Grade, am meiſten wohl bei Polycheles crucifer, wo nicht bloß Augen, ſondern jede Spur der zur Aufnahme derſelben beſtimmten Stellen fehlen. Intereſſant iſt es aber, daß die im Ei befindlichen Embryos noch wohlent— wickelte Augen nach dem gewöhnlichen Kruſtaceen-Typus haben. Das ſteht nicht vereinzelt da: auch eine blinde Garneele der Krainer Höhlen (Trogloceros Schmidtii) hat im fötalen Zuſtande deutliche Augen. Die artenreichſte Familie unter den langſchwänzigen Zehnfüßern iſt die der Gar— neelen (Carididae), von der allein aus den europäiſchen Meeren gegen 90 Arten be— ſchrieben worden find. Ihre hornartigen, biegſamen Körperbedeckungen, der ſeitlich zuſam— mengedrückte Körper, die große Schuppe, welche den Stiel der äußeren Fühler überragt, . dabei eine meiſt außerordentlich zarte und ſchöne Färbung einzelner Teile, während andere faſt ſo durchſichtig wie Glas ſind, ihre große Behendigkeit in blitzſchnellen, hüpfenden Be— wegungen machen die meiſten Glieder dieſer Gruppe leicht kenntlich. Die Gattungen und 4: VERSITV „ 1% %, IV or 955 LIBRARY 52 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Garneelen. Arten zu unterſcheiden, erfordert gerade bei ihnen ein beſonders mühſames Detailſtudium, wobei die Beſchaffenheit der Fühlhörner, Kiefer, Beine, Kiemen und anderer Teile mit peinlichſter Genauigkeit zu berückſichtigen wäre. Cinige Arten ſind jedoch vor anderen ſo gemein und werden in ſolchen Maſſen gefangen und verſpeiſt, daß wir ſie mit einigen anderen, durch ihre Lebensweiſe ausgezeichneten hervorheben müſſen. Von den übrigen Garneelen unterſcheidet ſich die Gattung Crangon mit einigen ihr naheſtehenden, indem bei ihr die vier Fühlhörner in einer Linie eingelenkt ſind, während bei jenen die inneren über den äußeren ſtehen. Die ſandigen, flachen Küſtenſtrecken, be— ſonders der Nordſee und des britiſchen Seegebietes, werden von unzählbaren Scharen des gemeinen Crangon bevölkert (Crangon vulgaris, Garnate, Granate, Shrimp der Engländer, Crevette der Franzoſen). Mit den übrigen Arten hat er die unvoll— kommenen Scheren des erſten dickeren Fußpaares gemein. Ausgezeichnet iſt er durch den faſt ganz glatten Körper. Nur auf dem Kopfbruſtſchild finden ſich drei Stacheln. Eine lebendige Schilderung des Fanges der Tierchen, die uns auch mit feinen Eigentümlich— keiten näher vertraut macht, hat Goſſe gegeben. „Laßt uns ſehen, womit jener Fiſcher ſo eifrig beſchäftigt iſt, und was das Pferd thut, das er bis bauchtief in die See hinein und zurückgehen läßt, von einem Ende des Strandes bis zum anderen ſeine Schritte ſo lenkend, als ſollte der Sand gepflügt werden. Und warum beobachtet der Fiſcher das Pferd ſo aufmerkſam? Horch! Was ſagt er? Er ruft dem kleinen, das Pferd reitenden Buben zu, heranzukommen, und nun geht er ſelbſt eilig an den Strand, wie das Tier und ſein kleiner Reiter ans Ufer kommen. Wir wollen gehen und ſehen. „Der Mann iſt höflich und mitteilſam und weiht uns in das ganze Geheimnis ein, das in der That ſogleich offenbar wird, ſobald wir an Ort und Stelle gekommen. Das Pferd zieht ein Netz hinter ſich her, deſſen Mündung über einen länglichen, eiſernen Rahmen geſpannt iſt. Nach hinten läuft das Netz ſpitz zu, iſt aber nicht zugeſtrickt, ſondern bloß mit einer Schnur zugebunden. Der Eiſenrahmen hält die Netzmündung offen und kratzt den Seeboden ab, während das Pferd, mit deſſen Geſchirr es durch eine Leine verbun— den, vorwärts geht. Nun iſt der Sandgrund gerade hier mit einer Art eßbarer Krebſe belebt, der Garneele (Shrimp) oder, wie das Volk hier ſagt, der Sand-Garneele, um ſie von der Felſen-Garneele (Palaemon serratus) zu unterſcheiden. Das Maß dieſer Sand— Garneelen wird, wie der Fiſcher ſagt, zu 1 Schilling an die Fiſchhändler verkauft. „Das Pferd, welches im leichten Sande und 1 m tief im Waſſer waten und den ſchweren Apparat nach ſich ziehen muß, hat ſchwere Arbeit und kommt offenbar gern aufs Trockene, wo es, ſobald das Schleppnetz am Ufer, angehalten wird. Nachdem der Fiſcher ein Tuch auf dem Sande ausgebreitet, bindet er die Schnur auf und ſchüttelt das Ge— wimmel auf das Tuch. Es ſind mehr als zwei Maß, und da der Fiſcher deshalb in guter Laune und außerdem von Natur höflich iſt, wagen wir es, einen Handel vorzuſchlagen. Für eine kleine Münze dürfen wir uns allen Wegwurf aufleſen, nämlich alles, was nicht Gar— neele iſt. Letztere ſind ſehr ſchön. Bell gibt ihre Länge auf 6 em an, von dieſer iſt die Mehrzahl länger als 8 em. Die meiſten ſind Weibchen, die ihre Eier zwiſchen den After— füßen des Hinterleibes tragen. Das Tier iſt weniger zierlich als manche andere Garneelen. Seine Farbe iſt ein blaſſes, ins Grün ſpielendes Braun; unterſucht man es aber genau, ſo findet man eine Anhäufung von ſchwarzen, graubraunen und orangenen Flecken, von denen bei ſtarker Vergrößerung viele ſternförmig erſcheinen. „Sehr luſtig iſt es, zu ſehen, wie ſchnell und gewandt die Garneele ſich im Sande placiert. Wenn das Waſſer 1 oder 2 Zoll tief iſt, läßt ſich das Tier ruhig zu Boden fallen. Dann ſieht man auf einen Augenblick, wie eine kleine Staubwolke ſich auf beiden Seiten erhebt, und der Körper ſinkt ſo tief ein, bis ſein Rücken faſt in einer Ebene mit dem ihn Gemeiner Crangon. Pontonia tyrrhena. Typton spongicola. 53 umgebenden Sande liegt. Nun wird der Nutzen der eigentümlichen Färbung offenbar: die dicht bei einander ſtehenden Flecken in verſchiedenen Tinten von Braun, Grau und Rot gleichen den Farben des Sandes ſo vollkommen, daß man die Garneele, die man noch eben ſich hat vergraben ſehen, im nächſten Augenblicke nicht mehr unterſcheiden kann. Nur die an der Spitze des Kopfes, wie die Dachſtubenfenſter auf den holländiſchen Häuſern, an— gebrachten Augen ſtehen wie ein paar Wachtpoſten leuchtend hervor, und ſo liegt das Tier ruhig und vor den meiſten Feinden ſicher, wenn nicht die eiſerne Lippe des Schleppnetzes den Sand aufrührt und die armen Garneelen aufſtört und in die Mündung des Netzes treibt.“ Ahnlich wie der Fang der Garneelen an der engliſchen Küſte iſt er natürlich überall, nur daß in der Regel die armen Fiſcher ihn nicht ſo großartig mit Hilfe eines Roſſes betreiben, ſondern ihre kleineren, über eiſerne oder hölzerne Rahmen geſpannten Netze ſelbſt ſchieben oder ziehen. Eine der ſchönſten, den Crangons ſich anreihenden Garneelen iſt die nur im Mittel— meere ſich findende Lysmata seticauda, deren korallenrote Körperfarbe mit weißlichen Längsſtreifen ſie vor allen kenntlich macht. Daß in wärmeren Ländern, beſonders in tropiſchen und in erſter Linie in dem an Süßwaſſer überreichen Südamerika, aber auch ſchon in Südeuropa, viele Garneelen in Flüße, Bäche ꝛc. eindringen, wurde er— wähnt. Von den meerbewohnenden wäre, mit Übergehung anderer, wegen ihrer eigentümlichen Lebensweiſe die Pontonia tyrrhena hervorzuheben. Diefer im Adriatiſchen und Mittel: meer nicht häufige Krebs lebt für ge: wöhnlich paraſitiſch in der großen Steckmuſchel, als deren Gaſtfreund wir oben auch einen Pinnotheres kennen gelernt. Er birgt ſich jedoch auch nicht ſelten in Schwämmen. Ein faſt ausſchließlich in dieſen ſich auf— haltendes Tier iſt Typton spongicola. 1) Pontonia tyrrhena. 2) Typton spongieola. Beide natürl. Größe Die Scheren des zweiten Fußpaares ſind ſehr entwickelt, und immer erreicht die eine, mehr als die andere vergrößerte faſt zwei Drittel der ganzen Körperlänge. Die Farbe iſt lichtbräunlich, und die geſchlechtsreifen Weibchen zeichnen ſich durch eine mennig- oder faſt korallenrote Farbe des großen Hinter— leibes aus. Wenn die kleinen, kaum 2 em langen Weſen, denen die große, keulenartige Schere ſehr komiſch ſteht, in Furcht geſetzt oder erzürnt werden, bringen ſie durch An— einanderſchlagen der Scherenglieder genau den ſchnalzenden Ton hervor, welcher entſteht, wenn man den Zeigefinger vom Daumen auf den Ballen ausgleiten läßt. Weiter geht aber der komiſch ausſehende Schelm nicht, der ſich einem mit ungeheurer Pritſche ausgerüſteten Polichinell vergleichen läßt. Dagegen ſind ritterliche Erſcheinungen die verſchiedenen Arten von Palaemon und verwandten Gattungen, welche zuſammen eine eigne Sippe der Pa— lämoniden bilden. Ihr Kopfbruſtſtück geht vorn in einen ſäbelförmigen Schnabel aus, deſſen obere Kante gezähnelt iſt. Der Vergleich mit dem Ritter läßt ſich nicht weiter führen, obgleich Goſſe es verſucht bei ſeiner Schilderung des in den nordiſchen Gewäſſern beſonders gemeinen Palaemon serratus. Was hilft es, gerade von ſeinem Panzer hervorzuheben, daß die Platten jo genau auf- und aneinander paſſen, daß das Tier wie ein wahrer Soldat und 5 Krebſe. Erſte Ordnung: Zehnfüßer; Familie: Garneelen. — Ö Waffenknecht immer in Waffen geht, ißt und ſchläft? Hinter dem heldiſchen Ausſehen ſteckt weder Kraft noch Mut, und trotz vieljähriger Beobachtungen der im Aquarium gehaltenen Palämonen konnte nie wahrgenommen werden, daß ſich einer ſeines gefährlich ausſehen— den Spießes zum Angriff oder zur Abwehr bedient hätte. Eine andere Frage, welche der engliſche Beobachter ebenfalls aufwirft, iſt es aber, ob nicht durch den bloßen Anblick der drohenden Waffe mancher Feind des Krebschens mutlos gemacht wird. Auch dieſer ſäge— förmige Palämon (Palaemon serratus) kommt jo maſſenhaft beſonders an der franzöſiſchen Nordküſte (als Crevette, Celicoque, Bouquet ꝛc.) und weiter öſtlich gegen das Sägeförmiger Palämon (Palaemon serratus). Natürliche Größe. deutſche Meer zu vor, daß er zu einem ergiebigen Nahrungsmittel wird. Er und die anderen Palämonen, von denen Palaemon squilla im Mittelmeer der häufigſte, werden beim Kochen rot, während die meiſten übrigen Garneelen wie auch der gemeine Crangon durch die Zu— bereitungen farblos werden. Das Treiben der Garneelen iſt nur im Aquarium zu beobachten. Im Meere bemerkt man die meiſten Arten kaum wegen ihrer Durchſichtigkeit, auch flüchten ſie ſich eiligſt. Anders in der Gefangenſchaft, wo fie zwar auch ihre Scheu nie ganz verlieren, doch offenbar zu— traulicher werden. Sie ſind äußerſt munter, indem ſie ſich entweder putzen oder mit der Schere oder Hilfskiefer Futter abkneipen. Geſellig miteinander umherziehend, machen ſie ſich oft die Biſſen ſtreitig, jedoch ohne in ſo erbitterte Kämpfe ſich einzulaſſen wie die eigen— ſinnigen Eremitenkrebſe und andere. Es war zu erwarten, daß die neuen großartigen Expeditionen der Engländer, Fran— zoſen, Amerikaner, Skandinavier und neuerdings auch der Italiener nicht nur zahlreiche, ſondern auch intereſſante Garneelenformen würden kennen lehren. Meiſt beſitzen dieſe Tiere gut, öfters ſogar enorm entwickelte Augen, obwohl ſie in bedeutende Tiefen vordringen; da es ausgeſprochene ſchwimmende Weſen ſind, iſt es möglich, daß ſich die nämlichen In— dividuen in ſehr verſchiedenen Waſſerſchichten, vielleicht nach den Tageszeiten und Be— leuchtungsverhältniſſen, herumtreiben. Daneben ſind aber auch ihre Taſtorgane erſtaunlich Sägeförmiger Palämon. Schlankfüßige Haargarneele. Leuchtkrebs. 55 ausgebildet: eine Form, die ſchlankfüßige Haargarneele (Nematocarcinus gra- cilipes), beſitzt koloſſal verlängerte Fühler und Beine. Die letzteren nehmen von vorn nach hinten bedeutend zu, die hinterſten Beine ſind von mindeſtens drei-, die Antennen von mindeſtens fünffacher Körperlänge. Im Mittelmeere fing Chun zwiſchen 800 und 1200 m Tiefe einen Sergestes magnificus, der eine Körperlänge von 38 mm hatte, deſſen Fühler aber 115 mm maßen und noch dazu mit ſeitlichen Fädchen beſetzt waren, welche ihrerſeits wieder Gefühlsborſten trugen. Sehr merkwürdig ſind teilweiſe auch die Larven der Tiefſeegarneelen, beſonders von der Gattung Sergestes. Einem der abenteuerlichſten dieſer Geſchöpfe hat man den Namen Elaphocaris gegeben, was viel— leicht „Hirſchgeweih“ heißen ſoll. Alle dieſe jugendlichen Weſen ſind ausgeſtattet mit ſelt— ſamen Dornen, Schutzwaffen gegen räube— riſche Angriffe, mit einem oft großartig ent— wickelten Syſtem von Sinnesborſten und meiſt mit anſehnlichen Augen. Sie leben pelagiſch. Eine Unterfamilie der Garneelen bilden nach neueren Unterſuchungen die Leucht— krebſe (Luciferinae), denen, wie der deutſche und lateiniſche Name beſagt, die Fähigkeit des Leuchtens innewohnt. Dieſe Unterfamilie beſteht aus nur einer Gattung (Lucifer) mit zwei Arten, welche faſt pan— thalattiſch verbreitet zu ſein und nur den kalten Meeren zu fehlen ſcheinen. Nach den Beobachtungen von Brookes leben die Tiere am Tage an untiefen Stellen der Küſte in geringer Tiefe, begeben ſich aber mit Sonnen— untergang hinaus auf das offene Meer, wo ſpäter auch die Eier abgelegt werden. Die Metamorphoſe iſt eine langſame, und manche noch nicht voll entwickelten Larven ſind als Arten beſchrieben worden. Die Gattung hat keine Kiemen und iſt auch ſonſt von ſehr ab— weichender, man kann ſagen, abenteuerlicher Geſtalt. Gleich weit vorgeſchobenen Beob— achtungspoſten ſtehen die Fühler und lang— Leuchtkrebs (Tucifer). Natürliche Größe 5 mm. d Eine Drüſe, h Herz, ac große Schlagader, n Nervenſtrang. geſtielten Augen am Vorderrande eines langgezogenen Kopfgliedes. In weitem Abſtande von ihnen, wo nämlich der Vorderteil des Körpers in das ſeitlich zuſammengedrückte und nach 56 Krebſe. Zweite, dritte und vierte Ordnung: Spaltfüßer, Maulfüßer, Kumaceen. vorn erweiterte Kopfbruſtſtück übergeht, befindet ſich die Mundöffnung, umgeben von den wie in einem Büſchel zuſammengedrängten Kiefern und zwei Paar Hilfskieferpaaren. Ihnen reihen ſich unmittelbar noch einige Beinpaare an. Der Nachleib iſt im weſentlichen wie ſonſt bei den Zehnfüßern beſchaffen. | Die zweite Ordnung der Panzerkrebſe, die der Spaltfüßer (Schizopoda) enthält eine Reihe kleiner, weichſchaliger, im hohen Meere, aber auch in der Tiefſee lebender Krebſe, welche, oberflächlich betrachtet, den Garneelen gleichen. Ihre Kieferfüße und Gang— beine ſind aber gleich gebildet, tragen nach außen einen langen, gegliederten Anhang und erſcheinen deshalb als geſpalten. Die größte Verbreitung hat die Gattung Mysis, beſonders im Atlantiſchen Ozean und den nördlichen Meeren. Schon in der 1780 erſchienenen Be— ſchreibung der grönländiſchen Tiere von dem hoch— x Pe verdienten Prediger und Miſſionar Otto Fabri— cius wird von der Mysis gejagt, daß fie mit einigen anderen kleinen Tierchen die Hauptnahrung des gro— ßen Grönlandwales (Balaena mysticetus) aus— mache. Es ſei wunderbar, wie die kleinſten Tiere (die Mysis ſind noch nicht 1 Zoll lang) eine aus— reichende Nahrung für die größten abgeben und das Material der ungeheuern Maſſe Speck liefern könnte. Sie ſeien jedoch im Grönländiſchen Meere jo häufig, daß der Wal bloß das Maul aufzuſperren brauche, um viele tauſend Fetttropfen mit dem Waſſer aus— ſtrömen zu laſſen. Und nun komme ihm die Vorrich— tung der Fiſchbeinplatten zu gute, hinter welchen, wie hinter einer Reuſe, die Beute zurückbleibe. Es ſcheine ſogar, als ob die Krebschen durch den Glanz und die Faſern der Platten angezogen würden und von ſelbſt in das große Maul des Wales ſpazierten. In der Tiefſee finden ſich die äußerſt zartſcha— ligen Eukopien und die Gnathophauſien, von denen eine (Gnathophausia zo&a) eine auffallende Ahn— lichkeit mit der Larve (Zo&a) kurzſchwänziger Zehn: füßer hat. Die Euphauſien leben pelagiſch und haben an den Körperſeiten eigentümliche Organe, die früher 4 N für Nebenaugen gehalten wurden, nach G. O. Sars aber in Wahrheit Leuchtorgane ſind. g 0 N Gemeiner Heuſchreckenkrebs (Squilla mantis). Etwas verkleinert Hier reiht ſich weiter die aus über 50 Arten beſtehende Ordnung der Maulfüßer (Stomato— poda) durch den Beſitz geſtielter, beweglicher Augen an, weicht aber in der Gliederung des Körpers, in der Stellung und Form der Kiemen ab. Das bei den Dekapoden ſo ſehr ausgeprägte Rückenſchild finden wir hier auf eine horizontale, faſt vierſeitige Platte reduziert. Es läßt ſowohl die vorderen Teile als die vier hinteren Ringe des Kopfbruſtſtückes frei und mithin ſelbſtändig beweglich. Die großen Gemeiner Heuſchreckenkrebs. 110 kurzen Augen ſind auf einem vorderſten, beweglichen Ringe eingepflanzt, auf welchen ein die inneren Fühlhörner tragender Ring folgt. Ihr dünner, dreigliederiger Stiel trägt drei Geißeln. An den unter dem Rückenſchild wurzelnden äußeren Fühlern fällt uns eine lange, dem Stiel angehörige Schuppe auf. Die ſie umgebenden Lippen und die den Ober- und Unter— kiefern des Flußkrebſes entſprechenden Mundteile können nur an friſchen oder in Spiritus aufbewahrten, nicht an getrockneten Exemplaren in ihren Einzelheiten erkannt werden, ſind auch wenig abweichend. Dagegen iſt die Zahl der Hilfskiefer oder Kieferfüße durch Heran— ziehen der beiden, dem erſten und zweiten Fußpaare der Zehnfüßer entſprechenden Glied— maßen auf fünf Paare vermehrt; dieſe alle, mit Ausnahme des erſten Paares, ſind mit einem wie eine Meſſerklinge einzuſchlagenden Klauenglied verſehen, und namentlich iſt das eine derſelben durch Länge und Stärke und durch die langen und ſpitzen Zähne der ſcharfen Klinge ein ausgezeichnetes Angriffs- und Greifwerkzeug geworden. Auch bei den Raub— inſekten (Mantis und anderen) kommen dieſe Greifbeine vor, kein anderes Gliedertier aber hat eine ſolche ganze Reihe neben dem Munde ſtehen. Auf den ſchon freien, d. h. nicht mehr vom Rückenſchild bedeckten Ringe, welcher das letzte Hilfskieferpaar trägt, folgen drei ſtarke Ringe, deren Anhänge wiederum anders geformt ſind und als Floſſen und Beine verwandt werden. Der große Hinterleib iſt aber das eigentliche kräftige Bewegungs- und Ruderwerkzeug, mit einer breiten Floſſe endigend. Die beinartigen Anhänge der fünf vorderen Abſchnitte dieſes Hinterleibes tragen büſchelförmige Kiemen. Ihre Ausdehnung entſpricht dem regen Blutumlauf und dem geſteigerten Atembedürfnis, welches ſich bei ſo muskelkräftigen, lebhaften Tieren geltend macht, wie die Maulfüßer ſind. Der gemeine Heuſchreckenkrebs (Squilla mantis) des Mittelmeeres wird bis 18 em lang und kommt als ausgiebig und wohlſchmeckend auf den Markt. Er gehört nicht zu den lebhafteren Mitgliedern ſeiner Klaſſe, wenigſtens nicht in der Gefangenſchaft, wo er faſt gar nicht ſchwimmt, ſondern auf den drei Paar in unſerer Abbildung (S. 56) ſeitlich abſtehenden Beinen geht. Die ſehr gelenkigen Hilfskiefer benutzt er oft zum Putzen und Reinigen der verſchiedenen Körperteile, und indem er ſich kämmt, kann er damit ſelbſt die Oberfläche des Schwanzes erreichen. Eine kleinere, 10 em lange Art, Squilla Desmarestii, findet ſich außer im Mittel— meer auch im Kanal. Die Tiere liegen gewöhnlich völlig zwiſchen Steinen und Tangen verſteckt, ſo daß man im Aquarium bequem beobachten kann, wie äußerſt geſchickt und man— nigfaltig ſie die das Maul umgebenden Gliedmaßen gebrauchen. Fortwährend putzen ſie ſich, ziehen die Fühlhörner durch die eingeſchlagenen Fußglieder und langen mit dem einen oder anderen Beine auf den Rücken, um ſich an einer, wie man meinte, unerreich— baren Stelle zu kratzen. Die vierte Ordnung der Panzerkrebſe, die der Kumaceen (Cumacea), etwa 70 Arten, beſteht aus nur wenigen kleinen und unſcheinbaren Arten. Sie durchlaufen keine Metamorphoſe, und früher hielt man ſie ſelbſt für Larven von Zehnfüßern, indeſſen hat Kröyer nachgewieſen, daß dieſe Anſicht irrtümlich iſt. 58 Krebſe. Fünfte Ordnung: Aſſeln; Familien: Land-, Waſſeraſſeln. Jünfte Ordnung. Die Aſſeln (Isopoda). Die allgemeine Anordnung der Körperteile der Aſſelkrebſe iſt derjenigen der Floh— krebſe ähnlich. Ihr Kopf trägt ein Paar ſitzende Augen, die ſieben freien Bruſtringe tragen Beine von meiſt gleichem Ausſehen, welche nur ſelten mit Scheren endigen. Die Ringe des Abdomen belaufen ſich höchſtens auf ſechs, und ein wichtiges Kennzeichen aller Aſſeln, die ſich übrigens faſt alle auch durch ihren flachgedrückten Körper kenntlich machen, iſt die Um— wandlung der Beine des Nachleibes in Doppelplatten, welche als Atmungswerkzeuge dienen. Die Weibchen tragen an den Bruſtfüßen blattförmige Anhänge, welche eine Bruthöhle zur Aufnahme der Eier und der Jungen in den erſten Tagen nach dem Ausſchlüpfen bilden. Die Jungen ſind zwar den Alten ähnlich, haben jedoch noch nicht die volle Zahl der Körper— ſegmente und Gliedmaßen. In ihrer Geſamtheit gehören die Aſſeln zu den kleineren Krebſen, ihre mittlere Länge beträgt 13—26 mm. Sich auch beſonders von in Fäulnis übergehen— den Subſtanzen nährend, haben ſie eine große Anpaſſungsfähigkeit an die verſchiedenſte Lebensweiſe entwickelt, indem ſie im ſüßen und im ſalzigen Waſſer, auf dem Lande, und zwar ſowohl an feuchten als an trockenen Orten, endlich zwar größtenteils frei, aber auch paraſitiſch auf anderen Kruſtern und Fiſchen vorkommen. Es gibt etwa 800 Arten, von denen ungefähr der dritte Teil landbewohnend iſt. Die Familie der Landaſſeln (Oniseidae) iſt unter anderen daran kenntlich, daß das letzte Afterfußpaar in Form von Griffeln beiderſeits über den Hinterleib hervortritt. Aber auch ohne dies unter— ſcheiden ſie ſich von den übri— gen als Landbewohner, die ſich meiſt an feuchten Orten, im Schatten von Mauern, unter großen Steinen, in Kel— lern und ähnlichen Orten auf— halten, wo ſie als lichtſcheue und einer dumpfen, mit Waſ— ſerdampf geſättigten Luft be— dürftige Weſen ſich behaglich fühlen. Von ihren Afterfüßen iſt nur das innere Blatt dünn⸗ 5 — häutig und als Atemorgan Vi Relleraffel(Onisens seaber). 2) Rollaſſel [Armadillo vulgaris). Nat. Größe. dienlich, das äußere, von feſte⸗ rer Beſchaffenheit, bildet über dem anderen einen ſchützenden, die Austrocknung verhindernden Deckel. Bei denjenigen Arten der Gattungen Oniscus, Armadillidium und anderen, welche an ganz trockenen, auch ſonnigen Orten leben, ſcheint neben jener ſchwachen Kiemenatmung noch eine Art von Luftatmung ſtattzufinden, indem in dem vorderen Kiemendeckel ſich fein verzweigte, luft— führende Räume finden, welche durch Spalten ſich nach außen öffnen ſollen. Allgemein be— kannt und von empfindſamen Seelen als ekelerregende Tiere betrachtet ſind die Mauer— aſſel (Oniscus murarius) und die Kelleraſſel (Oniscus scaber), welche, gleich den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe, ihren flacheren Körper nicht zuſammenkugeln, was aber die Formen mit höherer Wölbung des Körpers, die Rollaſſeln (Armadillo), vermögen. Mauer- und Kelleraſſel. Rollaſſeln. Gemeine Waſſeraſſel. 59 Sehr merkwürdig ſind die Verhältniſſe der Fortpflanzung der Landaſſeln. Die weib— lichen Geſchlechtswerkzeuge beſtehen aus Geſchlechtsöffnung, Behälter zur Aufnahme und Bewahrung des männlichen Zeugungsſtoffes, Eileiter und Eierſtock, die vor und während der Brunſtzeit ſämtlich paarig entwickelt ſind. Die ſehr kleinen Geſchlechtsöffnungen liegen auf der Bauchſeite in der Schiene des fünften Bruſtſegments und führen in eine in den Eileiter eingeſchobene, blind endigende Einſtülpung der äußeren Chitinbekleidung, eben dem Samenbehälter, welcher alſo den Eingang zum Eileiter gegen die Außenwelt abſchließt. Bei der Begattung wälzt das Männchen das Weibchen auf den Rücken und die Tiere ſind mit ihren Unterſeiten einander zugewendet. Der Zeugungsſtoff bleibt geraume Zeit in dem Samenbehälter des Weibchens, dann platzt dieſer an ſeinem oberen Ende, und das Sperma ſteigt in den Eileiter hinauf, kann aber zunächſt noch nicht in den Eierſtock zu den Eiern vordringen und ſammelt ſich daher vor deſſen geſchloſſenem Eingange in Geſtalt eines weißen Pfropfens. Endlich vermag es doch hinein zu gelangen, und ſobald das geſchehen iſt, häutet ſich das befruchtete Weibchen und erhält jetzt andere Organiſationsverhältniſſe. Die jeder— ſeitige Geſchlechts- oder ſagen wir lieber die Begattungsöffnung iſt verſchwunden, und auch der chitinöſe Samenbehälter, in welchen ſie führte, iſt mit verloren gegangen, aber es hat ſich eine neue Geſchlechts- oder beſſer Geburtsöffnung gebildet in Geſtalt einer unpaaren Spalte in der Mitte der fünften Bauchſchiene. Durch die gelangen nun die befruchteten Eier in die Bruthöhle, welche ſich bei der Häutung auch mit gebildet hat, denn bei dieſer erſt treten die blattförmigen Anhänge der Bruſtfüße auf. In dieſem Raume durchlaufen die Eier ihre Entwickelung bis zur Selbſtändigkeit. Hiermit iſt aber die Sache noch nicht abgeſchloſſen. In dem jetzt geleerten Eierſtock iſt nämlich noch Sperma zurückgeblieben, da es in überflüſſig großer Maſſe produziert war; dieſes tritt aus dem Eierſtock wieder zurück in den oberſten Eileiter. Während die zuerſt abgelegten Eier im Brutraum ſich entwickeln, bilden ſich gewiſſe Zellen der Auskleidung des Eierſtockes zu neuen Eiern um, und ſobald die jungen Aſſeln die Bruthöhle verlaſſen haben, ſind jene reif, der Same dringt aber— mals zu ihnen hinein, und die Sache verläuft weiter wie das erſte Mal. Nachdem auch der zweite Eierſatz die Jungen geliefert hat, tritt Schwund der Brutplatten ein; das Weib— chen häutet ſich abermals, erſcheint dann aber wieder in der Geſtalt, welche es vor der Begattung hatte, alſo in gewiſſermaßen jungfräulichem Zuſtande. Intereſſant iſt es, daß unbegattete Weibchen ſich nicht häuten, und daß bei ſolchen, welche durch Zufall bloß ein— ſeitig befruchtet wurden, die Häutung zwar eintritt, an der Seite aber, an welcher die Be— gattung nicht vollzogen wurde, die Beinanhänge, welche den Brutraum zu bilden haben, in nur verkrüppeltem Zuſtande auftreten. Von den Landaſſeln unterſcheiden ſich die Waſſeraſſeln (Asellidae) durch den ge— ſtreckteren Körper und Verkürzung der Ringe des Hinterleibes, mit Ausnahme des großen ſchildförmigen letzten. Ja, bei der gemeinen Waſſeraſſel (Asellus aquaticus) be— ſteht der ganze Hinterleib aus einem einzigen großen jchildförmigen Segment. Das 13 mm lange Tier findet ſich überall in Teichen und Gräben der verſchiedenſten Tiefen, und da kann es häufig vorkommen, daß dieſe im Sommer austrocknen. Deshalb gehen aber die Aſſeln noch lange nicht zu Grunde wie die meiſten ihrer Mitbewohner. Sobald ſie näm— lich gewahr werden, daß das Waſſer völlig verdunſten wird, graben ſie ſich möglichſt tief in den Schlamm ein und warten hier, in eine Art Sommerſchlaf verfallend, bis neuer Regen ihnen die frühere Exiſtenz wieder ermöglicht. Da die Waſſeraſſeln alle nicht zu ſchnell fließenden Gewäſſer bewohnen, ſo finden ſie ſich auch in unterirdiſchen und in tiefen Seen, in beiden büßen ſie aber ihre Augen ein. 60 Krebſe. Fünfte Ordn.: Aſſeln; Familien: Schwimm-, Fiſch-, Garneel-, Krabbenaſſeln. Beſonders häufig iſt dieſe Aſſelgruppe auch im Meere, und zu ihr gehört die früher erwähnte, unter Umſtänden ſchädlich werdende Bohraſſel. Teilweiſe erreichen die Aſſeln der Tiefſee bedeutende Größen und erſcheinen bisweilen durch die Entwickelung ſtachelartiger Anhänge von recht phantaſtiſcher Geſtalt. Die folgenden Familien kann man als Schwimmaſſeln (Sphaeromatidae) zu— ſammenfaſſen, indem die platten hinteren Afterfußpaare mit dem Endgliede des Körpers eine Floſſe bilden. Unter ihnen ſind allverbreitete, an den Küſten be— r ſonders der wärmeren Meere in unzählbaren Mengen vorkommende a. Tiere die Kugelaſſeln (Sphaeroma). Die Kugelaſſel der euro— päiſchen Küſten (Sphaeroma serratum) findet ſich überall an ſteinigen Ufern auf der Waſſergrenze. Sie lebt geſellig unter den Steinen und rollt ſich bei der Berührung ein. Sie gewöhnt ſich auch an das brackige Waſſer, und ich habe ſie bei dem Übergang der Kerka in die allmählich zum Meere werdende Bucht bei Sebenico in Dalma— tien in einem kaum einen ſalzigen Beigeſchmack zeigenden Waſſer an— getroffen. Auch unter den blinden Bewohnern der Gewäſſer in den Krainer Höhlen befindet ſich eine Kugelaſſel (Monolistra caeca). N — Kugelaſſel (Sphaeroma). Vergrößert. Die nächſte Familie, die der Fiſchaſſeln (Cymothoidae), hat zum Teil zu Saug— apparaten umgeſtaltete Freßwerkzeuge und lebt im letzteren Falle immer paraſitiſch auf Fiſchen. Die anderen ſchwimmen teilweiſe frei umher, und die ſeltſame, flachgedrückte, breite Gattung Serolis wühlt ſich in den Sand antarktiſcher Küſten in größeren Geſellſchaften ein und iſt durch den Beſitz zu Stacheln entwickelter uns aufrichtbarer Baſalglieder des letzten Bauchfußpaares gegen die Angriffe hungriger Seevögel geſchützt. Die Fiſchaſſeln ſind teilweiſe Zwitter, beſitzen aber die männlichen und weib— lichen Geſchlechtsorgane nicht etwa zugleich, ſondern in zeit- licher Trennung. Erſt ſind ſie Männchen, begatten als ſolche die auch vorhandenen Weibchen, welche früher Männchen waren, häuten ſich, erhalten auf Koſten ihrer Hoden Eier— ſtöcke und werden nun ſelbſt begattungsfähig. os Männchen der Praniza. Etwas ſyſtematiſch unterzubringende, aber in ihre Nähe gehörige Eine bei den angeführten Familien der Aſſeln nicht gut a Gattung, Praniza (ſiehe nebenſtehende Abbildung und ©. 61), gleicht durch die Verſchmelzung der Bruſtringe mit dem Kopfe und in ihrem ganzen Aus: ſehen den Zehnfüßern, hat aber unter anderem die ſitzenden Augen der Aſſeln und mag uns dazu dienen, die Beiſpiele der unglaublichen Variabilität des Krebstypus zu vermehren. Während ſeiner Jugendperiode, wo das Tier einen kleinen Kopf, große Augen und einen Saugrüſſel beſitzt, lebt es paraſitiſch auf verſchiedenen Seefiſchen. In dieſem Zuſtande ver— harrt das Weibchen, über welches ſich das Männchen durch einen koloſſalen viereckigen Kopf und mächtige Oberkiefer erhebt. Das Ausſehen des Männchens iſt ſo verſchieden von dem des Weibchens, daß jenes bis in die neuere Zeit als eine beſondere Gattung, Anceus, betrachtet wurde. Kugelaſſeln. Praniza. 61 Das Schmarotzertum hat auch aus Aſſeln ſehr wunderbare Geſtalten gezüchtet, welche Mitglieder ihrer wenn auch etwas weiteren Verwandtſchaft heimſuchen. Das ſind die Familien der Garneelaſſeln (Bopyridae) und der Krabbenaſſeln (Entoniscidae), welche ſehr merk— würdige Konſequenzen ihrer bequemen Lebensweiſe zu tragen haben. Die Garneelaſſeln ſind in voller Ausbildung nach den Geſchlechtern außerordentlich verſchieden. Die Männchen ſind weit höher organiſiert, zeigen in dem Behalten der Augen, der Gliederung des Körpers und der Beſchaffenheit der Segmentalanhänge noch deutlich den Aſſeltypus, ſind allerdings weit kleiner als die Weibchen, dabei langgeſtreckt und ſymmetriſch. Ihre viel größeren, breit gedrückten Gefähr— tinnen gleichen ihnen in der Jugend im Habitus einiger— maßen, erſcheinen erwachſen aber ganz anders. Zunächſt büßen ſie den ſymmetriſchen Bau ihres Körpers ein, indem ſich derſelbe nach rechts oder links krümmt, wodurch die Weibchen der Praniza. Etwas Ringe des Bruſtſtückes und der aus ſechs verwachſenen Seg— 9 menten beſtehende Hinterleib an der konkaven Seite viel ſchmäler als an der konvexen ſind. Die Verſchiedenheit der Krümmungsrichtung wird aber durch die Stelle bedingt, an welcher ſie auf ihren Wirten ſich befinden. Dieſe Stellen ſind mit ganz wenig Ausnahmen die Kiemenhöhlen von Garneelen, ſeltener Brachyuren. Je nachdem nun eine weibliche Larve mit dem Atemwaſſer in die rechte oder linke Kiemenhöhle des Wirtes gelangte, tritt die aſymmetriſche Krümmung ein. Der untere Teil der Kiemenhöhle iſt geräumiger, das Wachstum freier, daher ſind die Paraſiten aus dem linken Atemraum nach rechts und um— gekehrt die aus dem rechten nach links gekrümmt. Die Aſymmetrie überträgt ſich auch auf die Eierſtöcke, derjenige der konvexen Seite iſt häufig und bisweilen bedeutend ſtärker ent— wickelt als der andere. Eine weit ere Folge des Paraſitismus iſt teilweiſer Schwund des Darmes, wenigſtens des Afters, ſowie eine große Fruchtbarkeit der Weibchen. An der Unterſeite des Hinterleibes zwiſchen den Kiemen treiben ſich die Männchen herum. Außerſt ſelten ſcheint es zu ſein, daß ein Wirt rechts und links zugleich mit einer Bopyride behaftet iſt. Seltſamer noch erſcheint das Schmarotzertum bei den Krabbenaſſeln. Eigentlich unmittelbar auf den Krabben leben dieſelben nicht, ſie ſind vielmehr Paraſiten von Para— ſiten dieſer Tiere, und zwar ſehr ſeltſamer Wurzelkrebſe (ſ. S. 71), welche in ſpäter zu erörternder Art mit hohlen, wurzelartigen Körperfortſätzen die Eingeweide ihres Wirtes umſpinnen und ihnen ihre Nahrung entnehmen. Die Krabbenaſſeln ſind in der Jugend ſich gleichfalls in beiden Geſchlechtern höchſt ähnlich, aber auch hier bilden ſich die Weibchen, welche ausſchließlich ſchmarotzen, zu ſeltſamen, wurſt-, ſchlauch- oder blaſenförmigen, un— gegliederten, extremitätenloſen, öfters auch aſymmetriſchen Weſen um. Sie ſchieben ihren Kopf entweder, indem ſie ſich neben dem Wurzelkrebs niederlaſſen, durch die Haut des Schwanzes der Krabbe, bis ſie die Wurzeln des erſten Paraſiten erreichen, wobei ſie dieſen ſelbſt oftmals verdrängen, oder ſie ſiedeln ſich auf den Wurzelkrebs direkt an und bohren ihren rüſſelartig verlängerten Kopf bis zu ſeinen Ernährungsorganen. Denn dieſe ſuchen ſie allemal auf, ſie nehmen ihrem Wirte nicht die eignen, ſchon verarbeiteten Nahrungs— ſäfte, ſondern ſchneiden ihm das der Krabbe entnommene Futter ab. Die Männchen bleiben 62 Krebſe. Sechſte Ordnung: Flohkrebſe; Familie: Gammariden. viel kleiner, von aſſelartiger Geſtalt, ſuchen die Weibchen unter den Schwänzen der Krabben auf und ſcheinen nach der Begattung zu Grunde zu gehen. Sechſte Ordnung. Die Flohhrebſe Amphipo da). Den Namen Flohkrebſe hat eine über die ganze Erde verbreitete, aus etwa 600 Arten beſtehende und meiſt in unzähligen Individuen beiſammen vorkommende Ordnung empfangen von der Eigenſchaft ſehr vieler ihrer Mitglieder, mit außerordentlicher Behendigkeit ſo— wohl im Waſſer ſtoßweiſe zu ſchwimmen und zu hüpfen, als auch außerhalb desſelben die —tollſten, ihre eigne Höhe . oft um das Hundertfache . überſteigenden Sprünge 5 auszuführen. Viele ſind ſeitlich zuſammengedrückt und erhalten damit eine entfernte Ahnlichkeit mit den Garneelen, von denen ſie jedoch, wie von allen Zehnfüßern, durch die Gliederung ihres Körpers weſentlich abweichen. Zum leichteren Verſtändnis des darüber zu Sagenden wird man ſich faſt überall in Deutſchland den gemeinen Flohkrebs (Gammarus pulex) oder ganz nahe verwandte, zum Teil wohl noch unbeſchriebene Arten verſchaffen können, welche zu Tauſenden unter Steinen, Holz und in Zerſetzung begriffenen Pflanzenteilen am Grunde unſerer fließenden Gewäſſer und am Rande von Seen und größeren Teichen zu hauſen pflegen. Der Kopf, mit dem der vorderſte Bruſtring verwächſt, trägt zwei ſitzende, d. h. nicht geſtielte, facettierte Augen, zwei Paar Fühler und außer den drei Kieferpaaren ein Kieferfußpaar. Die beiden freien Bruſtringe ſind ſo gebaut wie die fünf Abſchnitte des Leibes, und dem entſprechend ſind ſieben Paar Beine für die Ortsbewegung vor— handen. Sieben Segmente bilden auch den meiſt nicht merklich abgeſetzten Nach leib oder Poſtabdomen; alle, mit Ausnahme des letzten, tragen ebenfalls Beine, von denen jedoch die drei erſten Paare ſich in Form und Benutzung von den drei letzten unterſcheiden. Durch jene wird nämlich den Atmungsorganen, welche in Blattform an den Beinen der vorderen Leibesabſchnitte angebracht ſind, ununterbrochen Waſſer zugeſpielt, eine Thätig— keit, die man leicht an den ſonſt ruhig liegenden Tieren beobachten kann. Ihr Atembedürf— nis iſt ſehr groß, indem ſie leicht in Gefäßen abſterben, wo nicht durch Vegetation für Reinigung des Waſſers geſorgt iſt. In flachen Gefäßen oder in Aquarien mit flachem Rande gehalten, ſammeln ſie ſich bald in der ſeichten Waſſerſchicht, wo durch ihre Be— wegungen die Luftabſorption gefördert wird. Die größten Amphipoden werden über 10 em lang, die meiſten erreichen kaum 1 cm, und viele bleiben darunter. Nur eine ſehr geringe Zahl lebt im ſüßen Waſſer. Die aufer: Gemeiner Flohkrebs (Gammarus pulex). Doppelte Größe. Gemeiner Flohkrebs. 63 ordentlich zahlreichen Bewohner des Meeres halten ſich teils an den Küſten auf, bekannt unter dem Namen der Sandhüpfer, teils begeben ſie ſich auch auf das hohe Meer hinaus. Die zahlloſen Scharen von Flohkrebſen werden in den nordiſchen Meeren als Aasvertilger von höchſtem Nutzen. Die Aſer großer Delphine und Wale, welche, der allmählichen Fäulnis überlaſſen, das Waſſer im weiten Umkreiſe verpeſten und damit einer Menge Tierbrut den Untergang bereiten würden, werden in kurzer Zeit von den Millionen ſich einſtellender Flohkrebſe rein ſkelettiert. Sie verſehen alſo als Organe der Naturgeſundheitspolizei die— ſelben Dienſte, welche in den Tropengegenden von den Aasgeiern mit ſo großem Ver— gnügen übernommen werden, verarbeiten aber jedenfalls eine weit größere Maſſe ſchädlicher Stoffe als letztere. Der Seite 62 abgebildete Flohkrebs iſt ein Repräſentant der Familie Flohkrebſe im engeren Sinne (Gammaridae), bei welchen die beiden vorderen der oben erwähnten ſieben Paar Beine des Kopfbruſtabſchnittes durch die zurückgeſchlagene Klaue Greifbeine ſind. Alle, welche ſpringen können, haben einen zuſammengedrückten Körper, und ihre hinteren Afterfußpaare, welche die Sprungbewegung vermitteln, ſind griffelförmig. So leicht man ſich den gemeinen Flohkrebs verſchaffen kann, ſo ſchnell iſt man mit der Be— obachtung ſeiner hervorſtechenden Eigenſchaften fertig. Er hält ſich, wie geſagt, am Grunde ſeichter, aber nicht faulig werdender Gewäſſer, am liebſten unter größeren Steinen und Holzſtücken auf und nährt ſich vorzugsweiſe von Pflanzenſtoffen, ſkelettiert z. B. im Herbſt meiſterhaft die in ſeine Gewäſſer fallenden Blätter. Hebt man einen ſolchen, ihnen Schutz gewährenden Stein jäh auf, ſo findet man ſie gewöhnlich dicht gedrängt, groß und klein durcheinander ſitzend und liegend. Aber kaum fühlen ſie ſich geſtört, als ſie ſchon mit größter Hurtigkeit nach allen Richtungen auseinanderſtieben, um hinter dem erſten beſten Gegenſtand ſich wieder zu verbergen. Diejenigen, welche an dem aufgenommenen Steine haften bleiben, ſuchen mit energiſchen Bewegungen des Hinterleibes ſich loszumachen und, ſeitlich ſich fortſchnellend, ohne eigentlich zu hüpfen, das rettende Element zu gewinnen. Gelingt ihnen das nicht bald, ſo trocknen ihre Kiemen ein, und ſie verdorren beſonders an der Sonne ſchnell. Der Grund ihres ſchleunigen Ausreißens iſt jedenfalls nicht bloß in der Furcht vor dem ſich Nahenden, ſondern vorzüglich in der Lichtſcheu zu ſuchen. Denn hält man ſie in einem Gefäße, ſo iſt das erſte, was ſie thun, einen möglichſt dunkeln Platz unter einem Blatte oder Kieſel aufzuſuchen. Den Winter bringen die Flohkrebſe ein— gegraben im Schlamme und Sande zu, um an den erſten warmen Tagen wieder zu erſchei— nen und die Fortpflanzung zu beginnen. Man findet ſie alsdann oft paarweiſe, indem ein kleines Individuum, das Weibchen, von einem größeren, dem Männchen, hartnäckig und tagelang mit den Klauen der beiden vorderen Gliedmaßen feſtgehalten wird. Die Jungen entwickeln ſich in Bruttaſchen an den Beinen der Mutter und werden von dieſer in der erſten Zeit ihres Wachstums nach dem Auskriechen geführt. Sie ſuchen nämlich bei Gefahr zwiſchen den Beinen der Mutter Schutz, eine Gewohnheit, welche auch bei meer— bewohnenden Amphipoden, z. B. dem gemeinen Gammarus locusta der europäiſchen Küſte, beobachtet wurde. Es finden ſich blinde blaſſe Formen in alten Bergwerksſchächten, in tiefen Brunnen von Helgoland bis Venedig und in den tieferen Regionen großer Seen. Man hat beſondere Arten, ja ſogar ein beſonderes Genus (Niphargus) daraus gemacht, es iſt aber zu bezweifeln, ob es mehr wie Varietäten des gemeinen Flohkrebſes ſind. Im Meere erreichen die Amphipoden einen ungeheuern Reichtum nicht nur an Indi— viduen, ſondern auch an Arten und gelegentlich auch an Größe, wie die auf Seite 64 in natürlicher Größe abgebildete Tiefſeeform Andania gigantea. 64 Krebſe. Sechſte Ordnung: Flohkrebſe; Familie: Hyperinen. Außer dem Gammarus pulex ſind aus den ſüßen Gewäſſern Europas noch einige wenige, ihm ſehr nahe ſtehende Arten beſchrieben. Wenn der Leſer erfährt, daß von ä = echten Amphipoden nicht weniger als 137 : = I HIrten Bewohner der engliſchen Küſte find, — ZZ du TH ermit er, daß wir uns auf das Her⸗ = = re = vorheben nur weniger Formen beſchränken müſſen. Wir wählen natürlich ſolche, die ſich am meiſten der Beobachtung aufdrän— gen, und deren gibt es, wo immer man am Meeresſtrande geht, ſei es in Brighton oder auf Helgoland oder dem Lido bei Ve— nedig. Da findet ſich denn überall, wo Tang ausgeworfen wird, der Sandhüpfer (Ta- litrus locusta), ein echtes Strandtier wie ſein Genoſſe, der Küſtenhüpfer (Or— chestia litoralis), und von ihm weſent— lich nur im Bau der Kieferfüße abweichend. = —— - Die Sandhüpfer gehen nie ins Waſſer, „3àĩð?—2ü ̃ ...... folgen aber dem Rande der Ebbe und Flut, Andania gigantea. Natürliche Größe. oder bleibt bei Ebbe in und auf dem, wie der Beſucher des Seeſtrandes weiß, in langer Linie ausgeworfenen Walle von Tang zurück. Hier ſpringen ſie oft fußhoch und in ſo unglaublichen Mengen, daß man die . Schicht oft ſchon von fern ſieht. Das geſchieht jedoch nur zur warmen Zeit. Im ' 8 N Winter bergen fie ſich an 10 den nordiſchen Küſten in \ III | | ATI den verweſenden Tang— > IN haufen, welche von der Rx 2 Flut außerhalb des Be— 2 V 1 reiches des gewöhnlichen { Steigens des Waſſers ) Sandhüpfer (Talitrus locusta). Vergrößert — 2) Phronima. 3 mal vergrößert. geworfen worden ſind. Eine eigne größere Abteilung bilden die röhren- und neſterbauenden Amphi— poden. Sie ſind meiſt am Hinterende mit hakenförmigen Organen verſehen, mittels welcher ſie ſich in ihren ſelbſt verfertigten, aus Stein- oder Holzfragmenten oder aus Schlamm und unter ſtarker Verwendung der eignen Exkremente zuſammengeleimten Wohnungen halten. Microdentopus grandimanus ſpinnt unter Zuhilfenahme des dritten und vierten Bruſtfußpaares Algenſtückchen zu einer Art Zement zuſammen, füllt die Lücken mit ab— gebiſſenen anderen Algenpartikelchen und kleinen Kotballen aus, beſpinnt das Innere mit Fäden, und in Zeit von einer halben Stunde iſt der Bau fertig. Andere Formen benutzen fremde, leer gewordene Röhren von Ringelwürmern ꝛc. Sie ſind übrigens auch recht gute Schwimmer und nähern ſich in ihrer mehr flachen Körperform den Aſſeln. Die verſchiedenen, ihr Häuſermaterial ſich zuſammentragenden Korophiiden ſind harm— loſe Tiere; nicht ſo der durch beſondere Familiencharaktere ſich ſondernde Scherenſchwanz Sandhüpfer. Küſtenhüpfer. Scherenſchwanz. Schmarotzende Flohkrebſe. 65 (Chelura terebrans). In Gemeinſchaft mit der unten wieder zu erwähnenden Aſſel (Limnoria lignorum) durchhöhlt er in Docks und Dämmen das Holzwerk vom Grunde bis an den Spiegel. Man hat ihn bis jetzt an den ſüdlichen und weſtlichen Küſten Euro— pas, in Weſtindien und Nordamerika beobachtet. Nur das mit Kreoſot getränkte Holzwerk ſcheint er zu ſcheuen. Wir könnten den Scherenſchwanz einen Pflanzenparaſiten nennen, inſofern er in pflanzlicher Subſtanz Wohnung und Nahrung findet. Er würde unter dieſem Geſichtspunkt Cystosoma Neptuni. Etwas verkleinert einen Übergang zu den Tierparaſiten unter den, wie man ſieht, ſehr anpaſſungsfähigen Flohkrebſen bilden. Dieſe paraſitiſch lebenden Amphipoden (Hyperiidae und Phronimidae) zeichnen ſich durch ihre enorm entwickelten Augen aus, ein Umſtand, der bei ſchmarotzenden, der Augen wenig bedürftigen Tieren befremdend erſcheinen könnte, wenn die genannten nicht öfter ihre Wohntiere zu wechſeln und neue Wirte auszuſpähen genötigt wären. Hyperia und Verwandte leben in den an der Unterſeite der Meduſen befindlichen taſchenförmigen Höhlen. Selbſt paſſiv, laſſen ſie ſich von ihren Wirten umherfahren, aber nur während des Sommers, im Winter leben ſie frei auf dem Boden des Meeres. Nicht ſo die der anderen Familie angehörige, in den europäiſchen Meeren verbreitete Phronima sedenteria. Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 3 66 Krebſe. Sechſte u. ſiebente Ordnung: Flohkrebſe (Familie: Amphipoden) und Leptostraca. Sie wählt Rippenquallen oder Manteltiere der Gattungen Doliolum und Pyrosoma und frißt dieſelben derart aus, daß nur noch die Hülle als Haus für ſie ſelbſt übrigbleibt. Dadurch iſt ſie genötigt, ſelbſt für die Ortsbewegung zu ſorgen. Zu den ſchönſten und größten Formen gehört das umſtehend abgebildete Cystosoma Neptuni, auch eine, aber frei lebende Hyperine. Das über 100 mm lange Tier ift abſolut farblos und durchſichtig und hat auf ſeinem Kopfe zwei gewaltige, 25 mm große Facetten— augen. Es wurde dieſes Cysto— soma auf der Challengerfahrt entdeckt, und Wyville-Thom— ſon iſt der Meinung, daß die Tiere, wenn ſie auch am Tage aus Tiefen von 4500 m gebracht würden, doch vielleicht nachts pelagiſch leben könnten. Der „Challenger“ hat überhaupt eine Reihe intereſſan— ter Flohkrebſe erbeutet. So die nebenſtehend abgebildete ſeltſame Acanthozone tricarinata, welche auf jedem Segment drei, je einen mittleren und zwei ſeitliche, Dornen oder klingenartige lange Stacheln trägt. Eine beſondere Unterordnung der Flohkrebſe bilden die auffallend geſtalteten Kehl— füßer oder Geſpenſtkrebschen (Laemadipoda), jenen mmnmnalahe ſtehend durch die Verwachſung des Kopfes mit den BIN erſten Bruſtringen, von ihnen abweichend durch die gänz— liche Verkümmerung des Hinterleibes und ſieben Bein— paare. Gewöhnlich finden ſich an zwei Leibesringen blatt— förmige Kiemen ſtatt der Beine. Indem, wie geſagt, auch der zweite Bruſtring mit dem Kopfe eng verbunden iſt, bekommen die Tierchen das Anſehen, als ob das erſte Fußpaar ihnen an der Kehle ſäße. Es ſind zwei in Aus— ſehen und Lebensweiſe ſehr verſchiedene Hauptgattungen zu unterſcheiden. Die erſte Caprella, hat einen dünnen, fadenförmigen, geſtreckten Körper. Die beiden erſten Bein— paare haben das vorletzte Glied verdickt, die drei hinteren Paare geſtreckt. Auch aus dieſer Gruppe brachte der „Chal— lenger“ eine merkwürdige Form mit heim, Dodecas elon- gata, mit nur ſechs Beinpaaren, von denen das hinterſte ne E wie die Antennen verlängert iſt. Das zwirnsfadendünne e berbrnßert Tier mißt von der Spitze der ausgeſtreckten Antennen bis zur Spitze des ausgeſtreckten letzten Beinpaares 7 em. Die zahlreichen, meiſt nur 3— 13 mm langen Arten halten ſich an untiefen Stellen auf den Tangen und Algen der Meere auf und gewähren, in ihrer Kleinheit von den meiſten Beſuchern des Meeres gänzlich überſehen, dem Beobachter des unſcheinbaren Tierlebens in ihrem Treiben ein anziehendes Schauſpiel. Sie ſind die wahren Turner unter ihren Klaſſengenoſſen, indem ſie geſchickt wie die Affen und mit vielen Purzelbäumen und ZI SE Acanthozone triearinata. Natürliche Größe. Kehlfuß-Flohkrebs. Walfiſchlaus. — Leptostraca. Rankenfüßer. 67 Windungen an und zwiſchen den zarten Aſten der unterſeeiſchen Miniaturwaldungen ſich bewegen. Fortwährend munter und geſchäftig, ſtechen ſie vorteilhaft von ihren Zunft— genoſſen, den Walfiſchläuſen (Cyamus), ab. Der Körper dieſer iſt eiförmig und flach gedrückt, mit kleinem, ſchmalem Kopfteil; auch ſind die drei hinteren Beinpaare kurz und kräftig. Ihr Name beſagt die ſchmarotzende Lebensweiſe auf Delphinen und größeren Walen, auf deren Haut ſie feſtgeklammert und für den Beobachter lang— weilig ihren Wohnſitz aufgeſchlagen haben. Die ſiebente Ordnung der Panzerkrebſe iſt klein (nur 5 Arten!) und für unſere Abſichten in dieſem Buche von unter— geordneter Bedeutung. Es iſt die Ordnung der Leptostraca, g 1 8 HERE : 8 Walfiſchlaus (Cyamus). mit der Gattung Nebalia, die früher den Kiemenfüßern zu: Natürliche Größe. gezählt wurde. Sie wurde beſonders von Claus unterſucht, der dieſe Ordnung auch aufſtellte. Sie haben eine zweiklappige Rückenſchale und ein langes, freies, achtgliederiges Abdomen. Die wenigen Arten bewohnen das Meer an untiefen Stellen nahe der Küſte, nähren ſich von animaliſcher Koſt und haben ein auffallend zähes Leben. Achte Ordnung. Die Nankenfüßer (Cirripedia). Einer Umbildung der eigentümlichſten Art ſind die nach den rankenförmigen End— gliedern ihrer Beine genannten Krebſe unterworfen, welche wegen ihrer kalkigen Schalen— abſonderungen in allen älteren Sammlungen ihren Platz bei den Konchylien gefunden haben, auch noch von Cuvier nicht nach ihrer wahren Natur erkannt und erſt dann recht eigentlich entlarvt wurden, als ihre Entwickelungszuſtände einen nicht zu verkennenden Fingerzeig gaben. Einen ſolchen Zuſtand, und zwar den unmittelbar nach dem Verlaſſen des Eies, vergegenwärtigt nebenſtehende Abbildung. Wir er— kennen augenblicklich, daß das birnförmige, mit einem Stirn— auge und drei Paar Gliedmaßen verſehene, luſtig das Waſſer durchrudernde Weſen die größte Ahnlichkeit mit den jungen Entomoſtraceen hat. Wir ſind auch, durch die Erfahrungen an ſo vielen Schmarotzerkrebſen gewitzigt, darauf gefaßt, den ſtürmiſchen Jüngling zu einem grämlichen, alten Geſellen ſich verwandeln zu ſehen. Nach einigen Häutungen macht er garde von Tepas Log mal vergrößert. denn auch Anſtalt, ſich für das übrige Leben zu fixieren. Die Schale iſt mit der dem Anſetzen vorangehenden Häutung ähnlich derjenigen der Muſchel— krebſe geworden. Mit den daraus hervorragenden Fühlhörnern geſchieht das erſte An— klammern, während die engere und weitere Befeſtigung auf der Unterlage durch einen in beſonderen Drüſen bereiteten Kitt bewirkt wird Di 68 Krebſe. Achte Ordnung: Rankenfüßer. Allgemeines. In dem ſich nun mehr abhebenden Hautpanzer finden Ablagerungen von kalkigen Platten ſtatt, welche bald ein den übrigen Krebſen ganz fremdartiges Gehäuſe bilden. Darin liegt, wie zuſammengekauert, der unterdeſſen auch verſchiedentlich umgeſtaltete Körper. Jetzt, wo wir es wiſſen, ſcheint es ſich freilich von ſelbſt zu verſtehen, daß trotz der konchylien— artigen Außenſeite die Krebsnatur ſich unter anderem ganz unzweideutig in den ſechs Paar Spaltfüßen mit ihren vielgliederigen Endranken verrät. Ein fernerer wichtiger Charakter der Ordnung iſt ihr Hermaphroditismus. Nur die Gattungen Cryptophialus und Aleippe ſind getrennt geſchlechtlich. Die Männchen ſind im Verhältnis zu den Weibchen winzig klein, kaum größer als die Eier und in ihrem Körperbau ſehr von ihnen verſchieden. Erſt ſchwimmen ſie frei herum und heften ſich ſpäter im Mantelraum oder an die Befeſtigungs— ſcheibe der weiblichen Individuen, oft zu zweien und dreien, an. Außerdem kommen noch bei einer ganzen Anzahl von regelrecht gebauten, wirklich hermaphroditiſchen Arten von Entenmuſcheln (zu den Gattungen Ibla und Scalpellum gehörig) ausſchließlich männliche, ſehr kleine und teils ganz verſchieden wie die Weibchen, teils ihnen etwas ähnlichere Männ— chen vor, welche ihr Entdecker Darwin „komplementäre Männchen“ genannt hat. Die Bedeutung dieſer Männchen iſt noch unbekannt, und es ſcheint zweifelhaft, ob die Eier des Hermaphroditen bei der Möglichkeit der Selbſtbefruchtung derſelben jener zur Entwickelung bedürfen. Gerſtäcker ſieht in denſelben im Verſchwinden begriffene überflüſſige Indivi— duen, welche er ſehr richtig mit rudimentären Organen vergleicht. Die Cirripedien ſind in mehr als 220 Arten ausſchließlich Meeresbewohner und haben eine ſehr weite Verbreitung, einmal durch ihre Gewohnheit, ſich an flottierende und ſchwim— mende lebloſe und lebende Körper anzuſetzen, dann durch die Kleinheit ihrer Larven, welche von den Strömungen mit Leichtigkeit hin und her getrieben werden. Rechnet man hierzu noch ihre Fruchtbarkeit, ſo wird es begreiflich, daß die Strandlinien an den Felſen von Hunderte von Meilen voneinander entfernt gelegenen Küſten mit Millionen derſelben Seepockenart beſetzt ſein können. Die Tiere können ihr Gehäuſe willkürlich öffnen und außerordentlich feſt verſchließen, und dieſer letzteren Fähigkeit verdanken ſie es, daß ſie längere Zeit ohne Zutritt des Waſſers exiſtieren können. Von manchen möchte man vermuten, daß ſie unter Umſtänden in einen Zuſtand der Lethargie verfielen. Wie könnte man es ſich ſonſt er— klären, daß an den Klippen von Elba im heißen Sonnenſchein Seepocken ſitzen, welche nur bei Sturm vom Waſſer erreicht werden, oder an Felſen von St. Malo in einer Höhe, wo— hin das Waſſer nur zwei- oder dreimal jährlich auf einige Stunden bei höchſter Springflut ge— langt? Sie müſſen, wochen- und monatelang ohne Atemwaſſer und ohne Nahrung, während dieſer Zeit ein latentes Leben führen. Aber wie wachſen ſie, und wie ſind ſie gewachſen bei dieſem prekären Stoffwechſel? Wenn die Tiere ungeſtört in ihrem Element ſind, dann klaffen ihre Schalen, und aus dem Spalt heraus treten ihre Gliedmaßen, die nicht mehr der Ortsveränderung die— nen, ſondern durch ununterbrochenes Winken und Strudeln das Atemwaſſer und die Nah: rung herbeizwingen. Die letztere iſt animaliſch: allerlei pelagiſche Tierchen, Infuſorien, Radiolarien, Larven und Junge der verſchiedenſten Tiere (Pagenſtecher fand einmal im Magen einer einzigen Entenmuſchel 50 junge Miesmuſcheln!), ja der eignen Art. Der Name der einen Familie, der Entenmuſcheln (Lepadidae), hängt, was den erſten Teil der Zuſammenſetzung angeht, mit dem alten Aberglauben zuſammen, daß aus dieſem Tiere die Bernikelgänſe ſich entwickelten; der zweite iſt aber vollkommen gerecht— fertigt, denn die Ahnlichkeit mit manchen Muſcheln iſt in der That groß. Sie ſitzen mit einem biegſamen, muskulöſen Stiele auf, und das Gehäuſe iſt platt und dreiſeitig. Nach der Anzahl und der größeren oder geringeren Entfaltung der Kalkplatten werden eine ganze Reihe von Gattungen unterſchieden. Zu den gemeinſten gehören Lepas und Otion. Entenmuſcheln. — Seepocken. 69 Etwa die Hälfte aller Lepadidenarten heftet ſich auf im Waſſer ſich bewegenden Gegenſtänden, Schiffskielen und dergleichen, an, oder auf Tieren, welche ihren Aufenthaltsort viel ver— ändern. So lebt z. B. Anelasma squalicola paraſitiſch auf nordischen Haien, in deren Haut ſie mit ihrem Stiele eingegraben iſt, und Lepas anserifera mit noch einigen Arten iſt ein gewöhnliches Anhängſel der Schiffe bei ihrer Heimkehr aus faſt allen ſüdlichen und tropiſchen Meeren. Eine andere, Lepas pectinata, findet ſich ebenſo an ſchwimmenden Gegenſtänden im ganzen Gebiete des Atlantiſchen Ozeans vom Norden von Irland an bis zum Kap Horn. An der Küſte von Kalabrien und im Golf von Neapel findet man oft Bimsſteine mit Lepas anatifera bedeckt, auf denen die Tiere, von Winden und Strö— Entenmuſchel (Lepas anatifera) auf Bimsſtein. Natürliche Größe. mungen abhängig, weitere Reiſen machen. Die Arten von Scalpellum ſind Tiefwaſſer— bewohner, die von Pollicipes und anderen ſind Strandbewohner. Unter den den Ort mit ihrer Unterlage nicht wechſelnden Gattungen iſt eine, Lithothrya, welche in Kalkfelſen, Muſchelſchalen und Korallenſtücke ſich einbohrt. Die Tiefſee beherbergt ausgezeichnete For— men aus dieſer Familie der Rankenfüßer, wie z. B. das umſtehend abgebildete Mega- lasma striatum. Die Balanen oder Seepocken (Balanidae) ſitzen anderen Gegenſtänden unmittel— bar mit der Endfläche ihres cylinder- oder kegelförmigen Gehäuſes auf, welches durch eine mit zwei Plattenpaaren verſehene Deckelhaut geſchloſſen werden kann. Dies geſchieht z. B. bei dem in der Strandzone ſich anſiedelnden Balanus balanoides, ſobald die Ebbe eintritt. 70 Krebſe. Achte Ordnung: Ranken füßer; Familie: Seepocken. Sie ſchützen ſich alſo damit vor dem Vertrocknen; ſo gut iſt der Verſchluß, daß der heißeſte Sonnenbrand ihnen nichts anhat. Dieſelbe Art ſtirbt im brackigen Waſſer, während einige andere gerade darin gedeihen, und auf den Falklandinſeln traf Darwin eine Art an den Felſen in einer Flußmündung, welche bei der Ebbe von Süßwaſſer, bei der Flut von Seewaſſer umſpült wurden. Eine der gemeinſten, durch ihre blaßrote bis dunkelpurpurrote Färbung und außerordentliche Varietäten der Form ausgezeichnete Art iſt Balanus tintinnabu— lum. Ihre eigentliche Heimat geht von Madeira bis zum Kap, von Kalifornien bis Peru. Sie kommt oft in wunderbaren Mengen an Schiffen vor, welche von Weſt— afrika, Weſt- und Oſtindien und China in die europäiſchen Häfen zurückkehren. An einem Schiffe, welches zuerſt Weſtafrika und dann Patagonien beſucht hatte, fand ſich die patagoniſche Spezies, Balanus Psittacus, auf Balanus tintinnabulum angeſiedelt. Ganz beſonderer Zuneigung haben ſich einige Wale von ſeiten gewiſſer Seepocken, ſeltener von Entenmuſcheln, zu erfreuen. Auf dem grönländiſchen Buckelwal, Keporkak, ſchon auf ganz jungen Tieren findet ſich Diadema balaenaris ſo regelmäßig, daß die Grönländer ſteif und feſt behaupten, ſchon die Jungen im Mutterleibe ſeien da— mit beſetzt. Ein paar andere, Coronula balaenaris und Tubicinella, ſcheinen aus— ſchließlich den Südſee-Glattwal (Leiobalaena australis) zu bewohnen. Im Gegenſatze zu dieſem Glattwal hat der hochnordiſche oder Grönlandswal nie Cirripedien auf ſich ſitzen, ſowie nie an irgend einem Finnwal, nach Eſchricht, irgend ein balanartiges Cirriped ge— funden worden iſt. Der genannte Kopenhagener Naturforſcher wies darauf hin, wie die Kenntnis dieſer Schmarotzerverhältniſſe für die Walkunde von Nutzen ſei. „So wie aber jeder Art jener Waltiere“, ſagt er, „ganz beſtimmte Arten von Cirripedien zukommen, ſo nehmen dieſe auch ziemlich beſtimmte, verſchiedene Stellen des Körpers ein. Wenigſtens iſt dies bei den balanenartigen Formen der Cirripedien der Fall. Bei den Glattwalen der Südſee haben ſie vorzugsweiſe den oberen Teil des Kopfes inne, namentlich die ſogenannte Krone, und zwar ſitzen die Tubicinellen nur auf der Größe. Krone, die Koronulen aber außerdem auf den Schwanz- und Bruſt— floſſen. Am Keporkak ſitzen die Diadema im Gegenteil vielleicht nie oben auf dem Kopfe, ſondern vielmehr an der Bauchfläche, an den Schwanz- und Bruſt— floſſen. An den ſüdlichen Glattwalen war den Walfängern die durch die Tubicinellen und dazwiſchen dicht anſitzenden Cyami bewirkte weiße Farbe des während des Atemholens auftauchenden Kopfes von jeher ein wichtiges Artkennzeichen.“ Es iſt oben von paraſitiſchen und bohrenden Entenmuſcheln die Rede geweſen. So— wohl um dieſe ſelbſt in ihren eigentümlichen Anpaſſungen kennen zu lernen, als wegen SI I Megalasma striatum. Natürliche Größe. Seepocken. Muſchelfeile. Hai-Lepadide. — Wurzelkrebſe. 71 ihrer vermittelnden Stellung zu den am höchſten abweichenden Wurzelkrebſen verweilen wir noch bei zwei dieſer zu den Lepaden gehörigen Formen. Die eine, von ihrem Ent— decker Noll Cochlorine hamata getauft, wollen wir die Muſchelfeile nennen. Man findet ſie in dem Gehäuſe des kleinen Seeohres (Haliotis tuberculata). Die nur einige Millimeter langen Tierchen ſtecken in einer flaſchenförmigen Höhlung mit ſpaltförmigem Eingang. Ihr Mantel iſt mit Chitindornen bedeckt, mit deren Hilfe wohl die Wohnhöhle in das harte Schneckengehäuſe eingeraſpelt wird. Längere eigentümliche Dornen am Manteleingang mögen zur Offenhaltung und Reinigung der Gangmündung dienen, welche ſonſt von dem mancherlei Getier verſtopft werden würde, die ſich auf den Schnecken an— ſiedeln. Obwohl die einzelnen Körperteile Abweichungen von den offen lebenden Gattungen zeigen, iſt das Ganze doch dem Lepadenbau getreu geblieben; man ſieht nur ſolche Um— wandlungen, welche der Wohnort und die Anlegung der Wohnkammer in hartem Material erheiſchen. Die Cochlorine hat keinen anderen Vorteil, als den Schutz vom Seeohr; ſie entbehrt der Kalkplatten, mit denen ſich die frei ſich anſiedelnden Ordnungsgenoſſinnen panzern, muß aber ganz für ihren Lebensunterhalt ſorgen. Durchaus anders haben ſich die Verhältniſſe für die auf Haien ſchmarotzende Ane— lasma squalicola geſtaltet. Das zuerſt von Darwin beſchriebene Tier iſt unzweifelhaft eine Lepadide, allein es entbehrt nicht nur der Kalkplatten des äußeren Mantels, ſondern auch ſeine Gliedmaßen, die Ranken der anderen, ſind zu kurzen, borſtenloſen Stumpfen degradiert, und die wie bei den echten Entenmuſcheln in der Tiefe des Mantels ſtecken— den Mundwerkzeuge find wenig entwickelt. Darwin gibt an, daß Anelasma ihre Nahrung von der Haut der bewohnten Haie abſchlürfe. Damit kommt ſie jedoch ſicherlich nicht aus, vielmehr wird ihre Ernährung auf einem anderen unmittelbareren Wege in der Haupt— ſache bewerkſtelligt. Der Stiel, mit welchem die Lepaden ſich oberflächlich zu befeſtigen pflegen, dringt bei Anelasma tief in die Haut des Haies ein, und es bilden ſich außer— dem von ihm aus zahlreiche wurzelartige Ausſtülpungen, welche verlängert und ſeitwärts veräſtelt in das Fleiſch des Wirtes hineinwachſen. In unmittelbarer Berührung mit den Säften desſelben müſſen die zartwandigen Wurzeln dieſe Flüſſigkeit aufnehmen und ihrem Körper zuführen. So iſt es erklärlich, daß in dem Maße, als jene Wurzelbildung über— handgenommen hat, die Verkümmerung und Rückbildung der ſonſt die Nahrung ergreifen— den und aufnehmenden Werkzeuge eintrat. Aber dabei iſt die phyſiologiſche und die Geſtaltanpaſſung der urſprünglich lepadiden— artigen Formen nicht ſtehen geblieben. Die Verdauungswerkzeuge ſind vielmehr bei den eigentlichen Wurzelkrebſen (Rhizocephala) bis auf einzelne Spuren im erwachſenen Zuſtande verſchwunden, und das durch ſeine Jugendform als Krebs ſich legitimierende Tier nimmt eine plumpe, ſackförmige Geſtalt an, nachdem es ſich auf einem Wirte, und zwar einem höheren Krebſe, niedergelaſſen. So weit geht die Verwandlung, eine rückſchreitende detamorphoſe, daß dieſe Tiere lange Zeit für Saugwürmer gehalten worden ſind. Die genaueren Vorgänge während dieſer Metamorphoſe ſowie die ganze Okonomie hat uns Yves Delage in einer ausgezeichneten Abhandlung von einem der gemeinſten Wurzel— füßer, der Sacculina careini, kennen gelehrt. Das Tier findet ſich auf der großen Taſchen— krabbe (Carcinus maenas), aber auch auf anderen Krabben aus den Gattungen Steno- rhynchus, Portunus, Xantho, Galathea, Hyas und vielleicht Platycarcinus. An manchen Stellen der franzöſiſchen Küſte ſind ſie ſo häufig, daß zwei Drittel bis vier Fünftel der Krabben mit ihnen behaftet ſind. 1] ID Krebſe. Achte u. neunte Ordnung: Rankenfüßer und Spaltfüßer. Im Auguſt erſcheinen die jungen Larven (Nauplius), die innerhalb 4— 5 Tagen das Cypris⸗Stadium der Metamorphoſe erlangen und ſich an eine kleine, 4— 12 mm lange und 3—4 Monate alte Krabbe anheften. Darauf verändern fie ihre Geſtalt abermals und treten in das kentrogene Stadium, wobei ihr Körper oval wird, und ſenken einen pfeil— förmigen Fortſatz (dard) in den Leib der Krabbe, durch welchen der Inhalt der Hülle der kentrogenen Larve in das Innere des Wirtes übertritt. Hier angekommen erhält ſie eine neue Körperhülle, wächſt, rückt unter die Baucheingeweide und umſpinnt mit ihren hohlen, wurzelartigen Fortſätzen die inneren Organe der Krabben, wobei indeſſen, nach Jourdain, Herz, Kiemen und Nervenſyſtem als die wichtigſten, für das Leben und Gedeihen von Wirt und Gaſt notwendigſten Organe nicht in Mitleidenſchaft gezogen werden. So findet man die junge Sacculine im September und Oktober; ſie macht aber während des folgenden Winters nur geringe Ver— änderungen durch. Im ganzen darauffolgenden Jahre bleibt ſie innerlich, vollendet ihre Entwickelung und hat beim Beginne des zweiten Winters ſchon alle weſentlichen Eigenſchaften des fertigen Tieres erlangt. Darauf verbringt ſie auch den zweiten Winter ohne weſentliche e Gegen April bis in den Juli des zweiten Jahres, nachdem die Larve 20 — 22 Monate alt geworden iſt, erreichen die Eierſtöcke ihre Reife, wobei die der eee Anlage nach vorhandenen männlichen dann wohl verdrängt werden und veröden müſſen, und der größte Teil des Körpers der Sacculine tritt nach außen. Jetzt iſt ihr Wirt etwas älter als 3 Jahre und etwa 3—4,5 em breit, und von jetzt an hört ſein Wachs— tum auf und haben damit ſeine Häutungen ihr vorläufiges Ende erreicht. Kurze Zeit, nachdem das Sacculine-Weib— chen äußerlich geworden iſt, wobei indeſſen die ſie ernäh— renden hohlen Wurzeln ſelbſtredend im Leibe des Wirtes bleiben, fängt die Annäherung der Zwergmännchen an, welche in der Zahl von 3—6 an ſeiner Kloake ſitzen und dasſelbe befruchten. Im Auguſt, nachdem alſo die Saccu— line 2 Jahre alt geworden iſt, legt ſie Eier, und zwar weib— liche, aus denen durch Metamorphoſe in der eben aus— einandergeſetzten Art das reife weibliche Tier hervorgeht. Bis zum Winter erfolgen 2 oder 3 Eiablagen, dann tritt eine Pauſe ein, aber im Frühling des nächſten Jahres, nach dem das Weibchen 3 32 Monate alt geworden iſt, fährt es Peltogaster eurvatus. I mal vergrößert; fort zu legen, aber aus dieſen Eiern (die der Analogie der e nl veraöien nach vielleicht gar nicht befruchtet zu ſein brauchen!) ent⸗ wickeln ſich nun lauter Männchen, welche die äußerlich ge— wordenen, vom vorvorigen Jahre ſtammenden Weibchen befruchten. Die Mutter-Sacculine legt in ihrem dritten Jahre noch einigemal, aber immer weniger Eier und ſtirbt endlich beim Beginn des Winters in einem Alter von 3 Jahren und 2—3 Monaten an Alters: ſchwäche und fällt von der Krabbe ab. In der Regel haftet die Sacculine in der Mittellinie der Unterſeite des Krabben— ſchwanzes, da, wo ſein erſter und zweiter Ring zuſammenſtoßen. Bisweilen iſt indeſſen ihre 2 lnheftungsſtelle an der Seite, ſelbſt auf der Oberfläche des Schwanzes. In letzterem Falle iſt ſie klein und hart. Meiſt findet ſich nur eine einzige Sacculine bei einer Krabbe, ziemlich oft 2, ſelten 3, und ein einziges Mal beobachtete Yves Delage vier. Wurzelkrebs (Sacculina careini). Natürliche Größe. Wurzelkrebs. Peltogaster. 73 Die Behauptung, daß eine Art von Kaftration bei dem Wirte durch den Schmarotzer zu Wege gebracht würde, beruht nach unſerem Gewährsmann auf Irrtum. Die Krabbe könnte ſich begatten; wenn ſie es nicht thut, ſo liegt der Grund nicht im Mangel von Ge— ſchlechtsorganen, ſondern in ihrer ungünſtigen Ernährung. Der äußerlich gewordene Paraſit läßt ſeinem Wirte ſo viel Nahrung übrig, daß ſich derſelbe eben auf dem status quo erhalten, aber nicht wachſen, ſich folglich auch nicht häuten kann. Eine andere Gattung it der namentlich an Einſiedlerkrebſen ſchmarotzende Peltogaster. welcher verlängert ſackförmig iſt, und deſſen Wurzeln zu einer ſchwammartigen, in den Wirt hineinragenden und denſelben ausſaugenden Maſſe ſich verfilzen. Der nebenſtehende Peltogaster curvatus ſchmarotzt auf dem im Mittelmeer häufigen Pagurus Prideauxii (ſ. S. 39). Von a geht der Wurzelſchopf aus, b iſt die Mantelöffnung. Der darunter ſtehende Nauplius iſt die ſtark vergrößerte Larve eines dem Peltogaster ſehr nahe ſtehenden Tieres, der Parthenopea subterranea, welche den Callianassa genannten Krebs bewohnt. Neunte Ordnung. Die Spaltfüßer (Copepoda) Dieſe vielgeſtaltige und ſehr artenreiche (über 1000) Gruppe mikroſkopiſcher oder kleiner, höchſtens 1—3 cm lang werdender Krebſe enthält teils frei lebende und in dieſem Falle wohlgegliederte, mit Mundwerkzeugen verſehene Gattungen, teils ſolche, welche bei paraſitiſcher Lebensweiſe alle äußere Gliederung verlieren und deren Mundteile in einen Saugrüſſel umgeſtaltet werden. So weit gehen die Veränderungen in den ſpäteren Lebens— abſchnitten dieſer zahlreichen Schmarotzerkrebſe, daß ſie anfänglich, als man ſich gegen Ende des vorigen und in den erſten Jahrzehnten unſeres Jahrhunderts mit ihnen bekannt machte, überhaupt gar nicht für Gliedertiere gehalten wurden, bis die Übereinſtimmung ihrer Jugendformen mit denen anderer niederer Krebſe die Zoologen eines beſſeren be— lehrte. Ihre Zuſammengehörigkeit mit den frei lebenden Formen des Cyclops und anderen Gattungen wird durch eine ununterbrochene Reihe von vermittelnden Arten bewieſen. Dieſe Formenmannigfaltigkeit macht es daher auch unmöglich, in wenigen Zeilen eine für alle anwendbare Charakteriſtik zu geben, ein Geſtändnis, was die neuere Naturforſchung entweder unbedingt oder mit einiger Beſchränkung eigentlich bei der Aufſtellung aller ſogenannten Ordnungen, und wie man die verwandten Gruppen heißen mag, voraus— zuſchicken hat. Spaltfüßer heißen unſere Tiere, weil ihr vom Kopfbruſtſtück deutlich geſchiedener Leib zweiäſtige, geſpaltene Beine beſitzt. Auch haben ſie nie eigentümliche Atmungsorgane, wie die vorigen Ordnungen, ſondern ihre dünnhäutigen, nie zu Schildern und Panzern ſich erweiternden Körperbedeckungen geſtatten überall den die Atmung bedingenden Gasaus— tauſch. Noch wäre von allen freiſchwimmenden Formen hervorzuheben, daß ihre vorderen Fühlhörner ein paar mächtige Ruderorgane bilden, und der Körper mit zwei gabelig ausein— ander ſtehenden Platten endigt, an deren Spitze mehrere lange Schwanzborſten aufſitzen. Die Entwickelung iſt mit einer auffallenden, bei vielen Schmarotzerkrebſen rückſchrei— tenden, d. h. in einer Verkümmerung gewiſſer Körperteile ſich ausſprechenden Verwand— lung verbunden. Die Larven ſind von ovalem Körper, mit unpaarem Stirnauge und 74 Krebſe. Neunte Ordnung: Spaltfüßer. Allgemeines. drei Paaren von Gliedmaßen in der Umgebung des Mundes. Mit einer Reihe von Häu— tungen iſt ein allmähliches, knoſpenartiges Hervorſproſſen der Leibes- und Hinterleibs— ringe und ihrer Gliedmaßen verbunden. Manche Schmarotzerkrebſe ſetzen ſich aber un— mittelbar nach der erſten Häutung feſt oder, nachdem ihre Gliederung nach einigen Häu— tungen ſchon weiter vorgeſchritten iſt, verlieren alsdann an ihrem ganz eiförmig werdenden Körper alle Gliederung, und ihre Ruderfüße bleiben entweder als kleine Stummel er— halten oder gehen auch wohl verloren. Bei dieſen, für ihre ganze Lebenszeit an einer Stelle ihres gaſtlichen und von ihnen geplagten Wohntieres feſtgehefteten Schmarotzern iſt auch das Auge geſchwunden, das ihnen während der ſchwärmeriſchen Jugendzeit von Nutzen war. Die ſchönen Anlagen der Jugend ſind eben nicht entfaltet; es hätte etwas Rechtes, nämlich ein wirklicher, bis zu ſeinem Tode ſich munter tummelnder Spaltfüßer werden können, es wurde aber nur ein elender, ſeine Jugend Lügen ſtrafender, einem ſeiner Mittiere zur Laſt fallender Taugenichts und unbehilflicher Freßſack daraus. Die freiſchwimmenden Spaltfüßer (Eucopepoda) haben kauende Mundwerk— zeuge und führen eine ſehr verſchiedenartige Lebensweiſe. „Zahlreiche Arten des Meeres“, bemerkt Brady, „verbringen ihr Daſein an der Oberfläche des offenen Meeres, und manche von ihnen werden nicht ſelten in unſchätzbaren Mengen gefunden, ſo ſoll Calanus fin— marchicus einen weſentlichen Beſtandteil der Nahrung des grönländiſchen Walfiſches aus: machen, und es iſt bemerkenswert, daß die Kopepoden in den arktiſchen Gewäſſern nicht bloß hinſichtlich der Arten- und Individuenzahl, ſondern auch hinſichtlich ihrer Körper— größe eine geſteigerte Entwickelung aufweiſen. Arktiſche Exemplare derſelben Art über— treffen die aus unſeren Gewäſſern ſtammenden um ein Mehrfaches an Größe. Zahlreiche Arten hauſen in der Regel ausſchließlich in den Laminarienwäldern, welche an felſigen Küſten bis zur Linie der tiefſten Ebbe und darunter wachſen. Das Laub der Laminaria saccharina iſt ein beſonders geliebter Aufenthaltsort mancher, namentlich flachleibiger Gattungen, welche in den Rauhigkeiten des Blattwerkes Unterſchlupf finden. In den Büſcheln kleinerer Algen, mit denen die Felſen zwiſchen den Gezeiten oft ſo dicht bewachſen ſind, kann man immer Spaltfüßer in Überfluß finden, aber ich habe nicht beobachten können, daß gewiſſe Arten nun auch beſtimmte Algenarten bevorzugten. Wahrſcheinlich iſt es ihnen überhaupt mehr um Schutz als um Nahrung zu thun, wenn ſie jene marinen Waldungen ſo gern aufſuchen. Das Brackwaſſer der Salzſeen und kleiner Buchten, in welche Flüſſe münden, hat ſeine eigne charakteriſtiſche Kopepoden-Fauna. Tümpel von Seewaſſer oberhalb oder bei der Linie höchſter Flut ſind ſehr häufig von einer einzigen Art (Harpacticus fulvus) bewohnt, welche nur ſehr ſelten in offenem Waſſer gefunden wird. Das Meer um die britiſchen Inſeln herum iſt bis in ſeine tiefſten Tiefen von zahlreichen Spaltfüßern bewohnt. Süßwaſſerſeen ſcheinen dünner mit Kopepoden bevölkert zu ſein, und was die frei ſchwimmenden Arten angeht, ſo kann man im allgemeinen wohl behaupten, daß je mehr mit Pflanzenwuchs ein Teich erfüllt und je kleiner er iſt, deſto größer die Wahrſcheinlichkeit iſt, daß er zahlreiche Spaltfüßer beherbergt. „Die große Mehrzahl der Kopepoden-Arten iſt frei ſchwimmend, eine beträchtliche Menge iſt gleichwohl echt paraſitiſch und ernährt ſich ſaugend von den Säften der Fiſche, Ringel— würmer, Krebſe und anderer Waſſertiere. Eine andere Gruppe, die man halbparaſitiſch nennen „ findet ſich nicht ſaugend oder irgendwie an den Wirt befeſtigt, ſondern frei beweglich in Körperhöhlungen verſchiedener Meerestiere, beſonders der Ascidien, ſowohl der einfachen als zuſammengeſetzten. Manche Arten hat man auch auf Spongien, See— igeln und Seeſternen angetroffen, und vielleicht, bewieſen iſt es noch nicht, ernähren ſie ſich ſaugend von deren Säften. Die halbparaſitären Spaltfüßer nehmen der Freiſchwimmende Spaltfüßer: Entwickelung und Vorkommen. 75 Beſchaffenheit ihrer Freßwerkzeuge nach eine vermittelnde Stelle zwiſchen den beißenden und kauenden frei ſchwimmenden Formen und den wirklich ſaugenden Fiſchläuſen ein ꝛc.“ Claus, der erſte deutſche Kenner der Kopepoden, bemerkt: „Die Kopepoden ernähren ſich von tieriſchen Stoffen, entweder von Teilen abgeſtorbener größerer Tiere, oder von kleineren Geſchöpfen, welche ſie ſich zur Beute machen. Selbſt ihre eignen Larven und Nachkommen verſchonen ſie nicht, wovon man ſich täglich am Darminhalt der Cyklopiden überzeugen kann. Die Art der Ortsbewegung und der Aufenthalt variiert nach den ein— zelnen Familien und nach der Ernährungsweiſe. Die langgeſtreckten, ſchlanken Calaniden und Pontelliden ſind die beſten Schwimmer und ſind faſt alle Meeresbewohner; bald durchſetzen dieſelben pfeilſchnell in behenden, durch gleichzeitigen Rückſchlag der Ruderäſte ausgeführten Sprüngen das Waſſer, bald ruhen ſie frei von den Bewegungen aus, zwar an einem Punkte fixiert, aber nur durch das Gleichgewicht ihres Körpers im Waſſer ge— tragen, und laſſen ihre befiederten Oberkieferplatten zur Herbeiſtrudelung kleinerer Ge— ſchöpfe in raſchen Schwingungen ſpielen. „Anders die Cyklopiden. Auch dieſe bewegen ſich zwar in lebhaften Sprüngen, erzeugen aber keine Strudelung durch ihre Kieferteile, ſondern legen ſich mit den Borſten ihrer kleinen Antennen an Waſſerpflanzen an. Mehr als dieſe noch ſind die Harpak— tiden und Peltidien auf das Leben an und zwiſchen Waſſerpflanzen, Algen und Tangen angewieſen; daher findet man die Süßwaſſerformen dieſer Familien am häufigſten in ſeichten, pflanzenreichen Pfützen und Gräben, die Formen des Meeres weniger auf hoher See als nahe am Ufer zwiſchen Seegewächſen aller Art, auch an Brettern und faulendem Holz und endlich zwiſchen Sertularinen und Tubalarinen (polypenartigen niederen Tieren). Die Coricäiden leben wie die Calaniden als treffliche Schwimmer im freien Meere, allein die Gedrungenheit und Form der Mundteile, die Klammerantenne und ihr gelegent— licher Aufenthalt in Salpen verdächtigt ſie als temporäre Paraſiten.“ Die vorderen Fühler ſind bei den Weibchen meiſt einfach gegliederte, ſchlichte, ſich nach vorn verjüngende Gliedmaßen, bei den Männchen aber erſcheinen ſie nicht ſelten ſtellen— weiſe angeſchwollen, knotig, geknickt oder mit gezähnelten Platten verſehen, um die Weib— chen beſſer faſſen und überwältigen zu können. Solche Modifikationen treten manchmal nur an einem Antennenpaar (Calanidae), manchmal auch an beiden (Cyclopidae) auf. Das fünfte Fußpaar iſt ſehr verſchieden entwickelt: bei manchen Calaniden bildet es einen kräftigen Klammerapparat, ſonſt iſt es in der Regel an beiden Geſchlechtern rudimentär, aber bei den meiſten Harpakticiden iſt es beim Männchen zwar rudimentär, beim Weibchen aber blattartig umgeformt und eine Art Hilfsorgan zum Tragen oder Bedecken des Gierjades. Überhaupt iſt der geſchlechtliche Dimorphismus bei Kopepoden ein weitgehender. Es gibt, wie Giesbrecht bemerkt, keinen Teil an ihrem Körper, durch den ſich nicht die Männchen oder Weibchen bei einer oder der anderen Art unterſcheiden könnten. Die Männchen werden übrigens nach den Beobachtungen von Herrik, lange bevor ſie ihre definitive Leibesbeſchaffenheit erreicht haben, als Larven fortpflanzungsfähig, wodurch die an und für ſich ſchon ſchwierige Syſtematik nicht erleichtert wird. Bei Notopterophorus, einer in niederen Seetieren hauſenden Form, klammert ſich das Männchen an das Weib— chen, bevor dasſelbe ſeine letzte Häutung vollendet hat. Tritt dieſelbe ein, ſo läßt es los, klammert ſich aber, wenn dieſelbe vollzogen iſt, ſofort wieder an und vollzieht die Be— gattung, und das Weibchen läßt ſich mehreremal und von verſchiedenen Männchen hinter— einander begatten. Die Fruchtbarkeit der Spaltfüßer iſt teilweiſe eine ſehr bedeutende, und Jurine hat die Nachkommenſchaft eines Weibchens unter der Vorausſetzung, daß dieſelbe vollſtändig Krebſe. 76 Neunte Ordnung: Spaltfüßer; Familie: Harpaktieiden. zur Entwickelung gelange, ausgerechnet und den Durchſchnitt der Anzahl der verſchiedenen Nachkommenſchaften auf acht, den der Generationen auf vier angenommen. Das ergibt: Anzahl der Lebensdauer We derfelben. Geſamtſumme. Männchen. Weibchen. SHammmutter ee s en 1. Januar bis 320 80 240 31. März Weibchen der erſten Generation: 1. April bis e ge) 30. Juni 76,800 19,200 57,600 Weibchen der zweiten Generation: 1. Juli bis S a FT Fre : 31. September 18,432,000 4,608,000 13,824,000 Weibchen der dritten Generation: 1. Oktober bis i 8 31. Dezember 4,423,680,000 1,105, 920,000 3,317 760,000 Zuſammen: 4, 442,189,120 1,110,547,280 3,33 1,641,840 Was die Farbe anlangt, ſo ſind viele pelagiſch lebende Formen abſolut durchſichtig, aber eine (Anomalocera Patersonii) iſt wundervoll rot, blau und grün. Sonſt ſind die meiſten marinen Arten ſtrohfarben und durchſichtig, nur hebt ſich das Auge als brillant rotes Fleckchen ab. Der äußere Cierſack iſt, namentlich bei Süßwaſſerarten, häufig blau, grün oder braun. Übrigens ſind gerade die Süßwaſſerarten in ihrer Färbung ſehr ver— änderlich, je nach der Lokalität, an der ſie auftreten. Ein Tierchen, welches ganz beſonders aus dieſer Menge herausgehoben zu werden verdient und ſich ſelbſt bemerklich macht, iſt das Saphirkrebschen (Sapphirina fulgens). Sein Körper iſt ein flachgedrücktes Oval von etwa 3 mm Länge. Obgleich ich dasſelbe ſehr oft ſelbſt beobachtet habe, will ich doch die ſchöne Schilderung Gegen— baurs benutzen: „Wenn man“, ſagt er, „bei ruhiger See von der Barke aus in die Tiefe ſpähet, ſo wird das Auge nicht ſelten ein Schauſpiel gewahr, welches zwar an Groß— artigkeit von gar vielen Erſcheinungen der Meereswelt übertroffen, an Lieblichkeit aber und Reiz von vielleicht nur wenigen erreicht wird. Zahlloſe Lichtfunken tauchen auf, ſcheinbar leicht zu erreichen, aber in Wirklichkeit oft noch fadentief unter dem Spiegel. Bald hierher, bald dorthin, höher oder tiefer auch, bewegt ſich in kurzen, aber raſchen Sätzen jeder einzelne Funke, deſſen Farbe bald ſaphirblau, bald goldgrün, bald wieder purpurn leuchtet; und dieſes wechſelvolle Spiel wird noch durch veränderte Intenſität er— höht. Ein Meeresleuchten bei hellem Tage! Jede Bewegung bringt eine andere Erſcheinung hervor, und jeder Ruderſchlag führt die Barke über neue Scharen hin, bis irgend ein Wind die Oberfläche des Meeres kräuſelt und zu Wellen erhebt, und das ganze Schau— ſpiel ſinkt in die Tiefe.“ Gegenbaur, der in Meſſina beobachtete, fügt hinzu, daß ſo ſtarkes Leuchten nur an wenigen Tagen im Januar vorkam, ſonſt ſpärlich und ſelten. Ich habe jedoch das ganze volle Schauſpiel auch an allen ſchönen Tagen des März gehabt. Nur die männliche Saphirine leuchtet, und zwar iſt, wie wir von Gegenbaur er— fahren, die den Hautpanzer abſondernde Zellenſchicht der Sitz der Farbenerſcheinung. Das ganze bezaubernde Farbenſpiel läßt ſich mit dem Mikroſkop beobachten, wobei ſich ergibt, daß jede Zelle für ſich, unabhängig von den Nachbarn, ihre Farben ausſtrahlt. „So erſcheinen gelbe mitten im Rot, rote mitten im Blau. Doch kann auch die Erſcheinung auf benachbarte Zellen überſchreiten; vom Rande einer blauen Zelle geht Blau auf die Nachbarzelle über, die eben noch rot war, und ſo dehnt ſich zuweilen eine Farbe über eine große Strecke aus. Zuweilen tritt plötzlich in einer und derſelben Zelle ein farbloſer Fleck auf, in der Mitte oder am Rande, größer oder kleiner, während der übrige Teil noch in voller Farbe prangt. Verwandelt man jetzt das durchfallende Licht in auffallendes, ſo leuchtet der Fleck in vollem Metallglanz, während die übrigen vorher und nachher ge— färbten Partien dunkel ſind. Fruchtbarkeit der Spaltfüßer. Saphirkrebschen. Schmarotzerkrebſe. 7 „Die Zeiträume, innerhalb welcher die Phänomene verlaufen, ſind verſchieden lang; oft wechſelt in einer Sekunde die Farbe dreimal, oft währt eine Farbe mehrere Sekunden lang. Mit dem Tode des Tierchens, wo ſich der feinkörnige Inhalt der Leuchtzellen jedes— mal gegen die Mitte zuſammengedrängt, iſt die ganze Erſcheinung erloſchen.“ Es geht aus derſelben hervor, daß es ſich um Reflexion der Lichtſtrahlen von jener Körnchenſchicht der Zellen handelt, nicht um ein ſogenanntes Selbſtleuchten. Doch will dieſer Gewährsmann nicht behaupten, daß das Saphirkrebschen nicht auch zu den nächtlichen Leuchttieren gehöre, zu welchen es von Thompſon und Ehrenberg gezählt wird. Wir ſind im Obigen mit einer Reihe familienartiger Gruppen bekannt geworden. Die Bewohner des ſüßen Waſſers wurden früher unter dem Gattungsnamen Cyclops zuſammen— gefaßt, ausgezeichnet durch das einzelne Stirnauge. Die Weibchen tragen gewöhnlich einen oder zwei Eierſäcke an ſich. Sie kommen überall im ſtehenden Waſſer vor. Eine vorzugs— weiſe im Meere lebende nahe verwandte Gattung iſt Har— pactieus. Nach einem engliſchen Journal hat das „Aus— land“ den Fund einer ſonſt im ſalzigen Waſſer lebenden Art dieſer Gattung mitgeteilt. Der norwegiſche Zoolog Sars der jüngere, zog aus den tiefſten Teilen eines Binnenſees einigen Schlamm mit herauf und fand ihn zu ſeinem Erſtaunen voll von einer Art kleiner, roter Kope— poden, in welcher er ſogleich die Seeſpezies Harpacticus chelifer erkannte. Das Vorhandenſein dieſer Kruſtacee war ihm ſo unerwartet, daß er trotz der von ihm ebenfalls gefundenen Süßwaſſerformen ſich durch Koſten des Waſſers ) Weibchen und b) Serben non e überzeugen mußte, ob es nicht bradig ſei. Die Analogie Letztere 150 mal vergrößert. mit dem von Lovén in den Binnenſeen Schwedens ent— deckten, mit den hochnordiſchen Salzwaſſerformen korreſpondierenden Kruſtern iſt augen— fällig ein weiterer Beleg, daß eigentliche Meeresbewohner unter gewiſſen Um— ſtänden ſich an das Leben im vollitändig ſüßen Waſſer gewöhnen können. Der See, in welchem Sars fiſchte, liegt ſo nahe an der Küſte, daß irgend eine ſehr hohe Flut oder ein wütender Sturm aus Weſten ſeine Becken füllen konnte. Andere Salzwaſſer— ſpezies mögen wahrſcheinlich zu derſelben Zeit in den See geführt worden und allmählich zu Grunde gegangen ſein, als das Waſſer ſeinen Salzgehalt verlor, während ſich dieſer kleine Kopepode, ohne ſich anatomiſch zu verändern, den neuen Verhältniſſen akkommodierte. Wir erwähnen noch die Gattung Notodelphys, deren Arten, ohne eigentliche Schma— rotzer zu ſein, im Mantel und der Kiemenhöhle der Aseidien ſich aufhalten, einer in der Folge näher zu beſchreibenden Gruppe der Manteltiere. Bei den Schmarotzerkrebſen (Parasita) bilden ſich ein Paar Fühlhörner und ein oder einige Paare der Kieferfüße zu Klammerorganen um, während gewöhnlich die Kiefer als zum Stechen geeignete Stilette in einer Saugröhre liegen. Alle ziehen ihre Nahrung von anderen Tieren, namentlich Fiſchen. Ihr Verhältnis zu letzteren ſtuft ſich in allen Graden ab, von der freieſten Bewegungsfähigkeit, welche dem Schmarotzer geſtattet, ſeinen Wirt beliebig zu verlaſſen, bis zur unfreiwilligſten Seßhaftigkeit, wobei das Vorder— ende des Gaſtes ſo in das Fleiſch des Wohntieres eingeſenkt iſt, daß man den eingegra— benen Kopf nur durch Ausſchneiden unverſehrt erhalten kann. Mit dieſem Seßhaftwerden — 1 Krebſe. Neunte Ordnung: Spaltfüßer; Familie: Harpaktieiden. 2 iſt immer eine rückſchreitende, den urſprünglich gegliederten Körperbau verwiſchende Ver— wandlung, wenigſtens der weiblichen Individuen, verbunden, wobei der Körper weich und wurmförmig wird, oder auch wohl die abenteuerlichſten Geſtalten annimmt, verziert und verunziert mit allerlei knotigen, äſtigen oder lappigen Auswüchſen. In vielen dieſer Fälle werden die Männchen zwar nicht auch zu dieſer ungegliederten Unförmlichkeit reduziert, bleiben aber im Verhältnis zu ihren unſchönen Gattinnen pygmäenhaft klein und laſſen ſich von letzteren, an ſie angeklammert, durchs Leben ſchleppen. Unter den Schmarotzerkrebſen unſerer Süßwaſſerfiſche zeichnen ſich durch größere Be— hendigkeit und durch häufigen Wohnungswechſel die Karpfenläuſe aus. Der gemeine Argulus foliaceus hat einen ſcheibenförmigen Vorderkörper mit verkümmertem, zwei— lappigem Hinterleib. Zwei große, zuſammengeſetzte Augen liegen in den Seiten des Kopfes. Hinter den Mundteilen und Kieferfüßen folgen vier Paar langgeſtreckter, ge— ſpaltener Schwimmfüße. Wie der Name beſagt, hält ſich Argulus foliaceus vorzugsweiſe auf unſeren Karpfenarten auf, ſehr häufig aber auch, wie Claus bemerkt, am Stichling, ſeltener am Hecht, Barſch und an der Lachsforelle. Ja, er wird auch an Kröten- und Froſchlarven gefunden, und beſonders ſah ihn der genannte Beobachter den Axolotl gern heimſuchen. „Die Arguliden leben“, teilt Claus mit, „vornehmlich vom Plasma des Blutes, alſo der eigentlichen Blutflüſſigkeit, zu dem ſie ſich ſowohl mittels Stachels als vornehmlich durch die ſpitzen Mandibeln und Maxillen Zugang verſchaffen. Schon die vortreffliche Entwickelung der Sinnesorgane und Schwimmfüße weiſt darauf hin, daß wir es nur mit ſtationären Paraſiten zu thun haben, die gelegentlich der Begattung und Eierablage ihren Aufenthaltsort verlaſſen und frei umherirren. Auch die Einrichtung des Darmkanales mit ſeinen zahlreichen veräſtelten Blindſchläuchen macht es wahrſcheinlich, daß auf eine tüchtige Mahlzeit eine längere Faſtenzeit unbeſchadet der Lebensenergie der Tiere folgen könne. In der That habe ich beobachtet, daß der wohlgenährte Argulus viele Tage, ja wochenlang von ſeinem Wirte getrennt ohne Nahrung zubringen kann und während dieſer Zeit Häutungen beſteht, dann aber wieder, an den Fiſchkörper angeheftet, die zahlreichen Anhänge ſeines Darmes mit Nahrungsſaft füllt.“ Da wir über die Fortpflanzungszeit der niederen Tiere meiſt noch ſehr unvollſtändig unterrichtet ſind, ſo nehmen wir gern auch die weiteren Beobachtungen von Claus über dieſen Punkt der Kaligiden entgegen. „Über die Zeit der Begattung und Fortpflanzung kann ich mitteilen, daß dieſe keineswegs auf das Frühjahr beſchränkt iſt, ſondern daß noch mehrmalige Bruten im Sommer und Herbſt aufeinander folgen. Ende April, Anfang Mai beobachtete ich die erſte Laichablage, ohne jedoch damit beweiſen zu wollen, daß nicht auch gelegentlich ſchon eine um eine oder mehrere Wochen frühere Eierablage vorkommt. Die Brut ſchlüpft etwa 4-5 Wochen nach Abſatz des Laiches aus und mag etwa 6— 7 Wochen bis zur erſten Eierablage nötig haben. „Alſo etwa gegen Mitte oder Ende Juli würde die junge Generation im Sommer Eier produzieren, deren Abkömmlinge gegen Ende September Eier abſetzen. Nun wird freilich dieſe periodenweiſe Abgrenzung der Bruten im Jahre dadurch geſtört, daß das Argulus-Weibchen ſelbſt keineswegs mit der einmaligen Eierablage erſchöpft iſt, ſondern nach unbeſtimmten, von der Ernährung abhängigen Intervallen zum zweitenmal Eierreihen abſetzt, ja wahrſcheinlich zu einer mehrmaligen Brutproduktion befähigt iſt. Sehr oft ſah ich Argulus-Weibchen alsbald nach der Eierablage von neuem am Integument des Nähr- fiſches ſich anheften (die Eier werden an Steinen und anderen feſten Gegenſtänden an— geklebt) und im Verlaufe einiger Zeit den erſchöpften Ei-Inhalt wieder erſetzen, d. h. eine Menge kleiner Eikeime zur Reife bringen. So kommt es denn, daß man vom Juli an bis Ende Oktober die Eierablage beobachtete. Auch die Männchen haben eine entſprechende Schmarotzende Spaltfüßer. 79 Lebensenergie und vermögen während ihres auf Monate ausgedehnten Lebens eine Reihe von Weibchen zu befruchten, wie auch wohl die relativ viel beſchränktere Zahl von Männchen mit dieſer Fähigkeit im Zuſammenhang ſteht.“ Weiter führen wir zunächſt im Umriſſe eine Fiſchlaus (Caligus) vor, deren flacher Körper mit einem großen, ſchildförmigen Kopfbruſtſtück beginnt. Ihre Familie umfaßt die— jenigen Schmarotzerkrebſe, welche bei freier Beweg— lichkeit durch größte Entfaltung der Klauen, Klam— mer⸗ und Saugwerkzeuge ihrem Namen die meiſte Ehre machen. Sie halten ſich auf der Haut, an den Floſſen und beſonders gern an den Kiemen der verſchiedenſten Seefiſche auf. Die Weibchen, welche man gewöhnlich mit den beiden Cierſäcken findet, ſind in weit größerer Anzahl als die Männchen vorhanden. Einer anderen Familie (Dichelestina) gehört Lernanthropus an. An dem kleinen Kopfbruſt— ſtück ſehen wir drei Paar Klammerorgane. Die vorderen Beine des Abdomen ſind faſt verkümmert, die hinteren zu großen Platten umgeſtaltet. Aus der ganzen, ziemlich umfangreichen, ſowohl an See— fiſchen als an Süßwaſſerfiſchen wohnenden Familie haben ſich die Männchen bisher der Beobachtung entzogen. Aus der Familie der Lernaeonemidae ſtellt ſich uns eine Brachiella vor, der Galerie weiblicher Schönheiten, die hier vereinigt ſind, vollkommen entſprechend. Am Grunde des wurmförmig ver— längerten Kopfbruſtteiles ſitzen ein Paar Kieferfüße, welche, gleich Armen verlängert, am Ende mitein— ander verwachſen ſind und an dieſer Stelle einen Saugnapf tragen, den ſie in die Haut ihrer Wirte einſenken. Außer an den kleinen Mundwerkzeugen iſt jede Spur einer Gliederung geſchwunden. Die vier übrigen Geſtalten find Lernaeoceri- dae, welche durch eigentümliche Fortſätze und Aus— wüchſe am Kopfe charakteriſiert ſind. An dem mit ſackförmigen Ausweitungen verſehenen Leibe der Haemobaphes hängen ein Paar wie Locken zuſammengedrehte Eierſäcke. Von dieſem Leibe iſt ein dünner, halsartiger Teil ſcharf abgeſetzt. Der obere Teil desſelben iſt zurückgebogen, und das ganze Vorderende von dieſem Winkel an wird bei den Fiſchen, welche der Schmarotzer ſich erkieſt, in das vom Herzen nach den Kiemen führende Blutgefäß eingeſenkt, während der übrige plumpe Körper zwiſchen den Kiemen ruht. Ein anderes edles Organ wählt die zur vorigen Familie gehörige Lernaeo- nema monilaris zu ihrem Sitze, ſie bohrt ihren Kopf in das Auge der Heringe ein. Auch Fiſchläuſe: a) Caligus, b) Lernanthropus, e) Kar⸗ pfenlaus (Argulus foliaceus). Alle 10 mal vergr. 80 Krebſe. Neunte bis elfte Ordnung: Spaltfüßer. Muſchelkrebschen. Kiemenfüßer. die Pennella-Arten wollen des Dichters Wort: „Ach wüßteſt du, wie's Fiſchlein iſt ſo wohlig auf dem Grund“ zu ſchanden machen, da das tief eingeſenkte, wie mit wucherndem Geäſt überwachſene Vorderteil gewiß keine angenehmen Empfindungen erregt. Eine ge fühlvolle Seele kann einigermaßen durch die ſchlanke, ſogar etwas an die menſchliche Ge— ſtalt erinnernde Leibesform der Pennellen ſich ausſöhnen laſſen. u mn il SS Fiſchläuſe: a) Lernaeonema, 3mal vergrößert; b) Brachiella, Imal vergrößert; e) Pennella, 5 mal vergrößert; d) Haemobaphes, natürliche Größe; e) Herpyllobius, 3 mal vergrößert. Nur wenige dieſer Schmarotzer leben auf anderen Tieren als auf Fiſchen. Dazu ge— hört der auf verſchiedenen Borſtenwürmern der nördlichen Meere ſich anſetzende Herpyl- lobius. Sein Vorderteil iſt zu einer unregelmäßigen Platte ausgewachſen, welche ſich ganz in den Körper ſeines Opfers einſenkt. Ein ſtielartiger Hals verbindet jenen Vorderteil mit dem kugelig angeſchwollenen Leibe, an welchem die obligaten Eierſäcke mit Ausſicht auf reichliche Nachkommenſchaft nicht fehlen. Wir zweifeln nicht, daß viele Leſer ſich mit Widerwillen von dieſer Nachtſeite der Tierwelt abwenden. Dieſe Menge von Fratzen und Karikaturen, ſelbſt ohne ein heiteres Daſein und anderen Geſchöpfen zur beſtändigen Plage und Qual, können unmöglich, für ſich betrachtet, einen wohlthätigen, befriedigenden Eindruck machen. Sie durften aber doch Lernaeoceridae. Muſchelkrebschen. 81 in dem großen Bilde, das wir von dem „Kampfe um das Daſein“ und den dabei be— teiligten Streitern zu entwerfen unternommen, nicht fehlen. Sie füllen eben einen Platz aus, der da war, und den ſie ſich erobert haben; nur aus dem Ganzen ſind ſie zu er— klären, zu verſtehen, zu würdigen; und noch oft im Verlaufe unſerer Darſtellung werden ähnliche Verhältniſſe uns beſchäftigen müſſen. Von der zehnten Ordnung, den Muſchelkrebschen (Ostracoda), ſei bloß er— wähnt, daß dieſe ſehr alte Sippe aus kleinen Tieren beſteht, welche keinen gegliederten Körper, aber 7 Paar Gliedmaßen haben und von einer hornigen bis kalkigen, oft elegant gerippten und gegitterten zweiklappigen Schale umgeben ſind, welche ſeitlich zuſammen— gedrückt, auf dem Rücken durch eine chitinöſe Membran verbunden iſt und unten mit einem Spalt offen ſteht. Die Schalen können durch einen Muskel geſchloſſen werden, und es kann ſich das Tier vollkommen in dieſelben zurückziehen. Die Artenzahl beträgt gegen 550; ſie finden ſich im ſüßen und ſalzigen Waſſer der ganzen Erde, und manche ſcheinen kosmo— politiſch verbreitet zu ſein. In die Tiefſee gehen ſie bis gegen 5500 m. Die Tiere ſind ſtets getrennt geſchlechtlich und zeigen oft einen bedeutenden geſchlecht— lichen Dimorphismus, indem die Männchen höher entwickelte Sinnesorgane als die Weibchen und zu Faß- und Halteapparaten umgebildete Gliedmaßen haben. Ihre Geſchlechtsorgane ſind kompliziert gebaut, und ihre Samenelemente fallen durch ihre enorme Größe auf. Bei Cypris ovum iſt ein Spermatozoon ſo lang wie das ganze Tier. Die Weibchen der meiſten Arten legen ihre Eier an Waſſerpflanzen, andere behalten dieſelben bei ſich in der Schale, bis die Jungen auskriechen. Die Metamorphoſe iſt eine ziemlich verwickelte, und die Larve verläßt das Ei als Nauplius. Neben einer geſchlechtlichen Fortpflanzung findet ſich bei Cypris auch eine ungeſchlechtliche. Die Krebschen ernähren ſich von animaliſcher Koſt, beſonders von verweſenden Tierleichen. Elfte Ordnung. Die Kiemenfüßer (Branchiopoda). Die meiſten zu dieſer aus mehr als 300 Arten beſtehenden Abteilung gehörigen Krebſe beſitzen eine ſchildtörmige oder muſchelähnliche Schale, welche, von der Rückenhaut aus— gehend, den Körper bis auf die Spitzen der Gliedmaßen zu verhüllen pflegt. Abgeſehen aber von dieſer, nicht allen Gattungen zukommenden Decke, ſcheiden ſie ſich von den übrigen Krebſen durch ein minder deutliches Zerfallen des Körpers in geſonderte größere Abſchnitte und den mehr oder minder vollſtändigen Mangel eines Bruſtteiles mit ſeinen Gliedmaßen. Die Zahl der Segmente, welche die Abſchnitte zuſammenſetzen, iſt ſehr ſchwankend und variiert oft bei Arten der nämlichen Gattung. So iſt ſie bei Polyphemus 9, bei Apus productus 33, bei A. cancriformis 39 und bei A. numidicus 46. Es fehlen häufig die Gliedmaßen, welche den Hilfskiefern der Zehnfüßer entſprechen würden, und mit ihnen oft auch das zweite Paar der Unterkiefer. Deſto ausgebildeter ſind die Gliedmaßen des hinteren Körperabſchnittes. Sie ſind entweder alle oder nur die vorderen von ihnen blatt— förmig und zu Kiemen und Floſſen umgewandelt. Indem auch bei ihnen das Verhalten zur Außenwelt ſehr einfach und einförmig ver— läuft und durchaus keine Anhaltspunkte zu brillanten Schilderungen gibt, h die zum Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 82 Krebſe. Elſte Ordnung: Kiemenfüßer; Familie: Blattfüßer Teil ſehr eigentümlichen Züge ihrer Fortpflanzungsweiſe und Entwickelung unſer Intereſſe erregen und befriedigen. Von den meiſten Kiemenfüßern finden ſich die Weibchen maſſen— haft, die Männchen ſelten. Ja, von einer der gemeinſten Gattungen, dem Kiefenfuß, ſind die Männchen überhaupt erſt 1856 von Kozubowski entdeckt worden. Von anderen kommen ſie nur eine kurze Zeit des Jahres vor, und es folgen ſich während der übrigen Monate mehrere Generationen ohne Zuthun der Männchen. Auch darin unterſcheidet ſich der Haufe in ſeiner Geſamtheit von den anderen Ordnungen, daß ſeine meiſten Mitglieder im ſüßen Waſſer oder wenigſtens in Binnengewäſſern leben. Dies deutet auf eine uralte Abzweigung von dem urweltlichen Stamme der Krebſe. Die Familie der Blattfüßer (Phyllopoda) umfaßt die größten der jetzt lebenden Branchiopoden und iſt zwar nur in wenigen, aber ausgezeichneten Gattungen verbreitet. Ihr dünnhäutiger Körper iſt meiſt von einer ſchildförmigen oder zweiklappigen Schale bedeckt und trägt an den zahlreichen Ringen des Nachleibes 10—60 Paare blattförmiger Schwimm— füße mit Kiemenanhängen. Den Jungen fehlt ſowohl die Schalenhülle als die reiche Körper— gliederung; auch erhalten ſie ein fremdartiges Ausſehen durch die als Ruderorgane dienenden großen Fühler, welche bei den ausgewachſenen Individuen mehr oder weniger eingehen. Sie ſchwimmen auf dem Rücken und ſetzen durch ihr maſſenhaftes Erſcheinen an Orten, wo ſie jahrelang nicht bemerkt wurden, denjenigen in Erſtaunen, der nicht weiß, daß ihre Eier die Entwickelungsfähigkeit bewahren, auch wenn ſie mehrere Jahre eingetrocknet lagen. Dies gilt beſonders vom Kiemenfuß, welcher gern auf Wieſen nach Überſchwemmungen ſich einſtellt. Ja, es ſcheint, daß für manche Arten das vorherige Eintrocknen eine Be— dingung für die Entwickelung der Eier iſt, bei anderen hingegen ſchadet es zwar nichts, iſt aber durchaus nicht notwendig. Die Gattung Kiemenfuß (Branchipus) gehört zu einer kleinen Gruppe mit ge— ſtielten, beweglichen Augen; auch iſt ſein Körper nicht von einer Schale umhüllt. Die meiſten der bekannten 18 Arten ſind im männlichen Geſchlechte oft ſehr bunt gefärbt und leben im ſüßen Waſſer; das größte Intereſſe beanſprucht aber der Salinen-Kiemen— fuß oder das Salzkrebschen (Artemia salina), welcher nicht bloß im Meere, ſondern auch in künſtlich angelegten Salinen und in weit vom Meere entfernten, aber als Meeres- überbleibſel anzuſehenden Salzſeen und Salzlachen des Binnenlandes maſſenhaft vorkommt. Das Tierchen wird nur wenige Millimeter lang. Ich fand dasſelbe in den ſchon ziemlich konzentrierte Salzlauge enthaltenden Bottichen der Seeſalzſaline bei Greifswald, und man erzählte, daß das jähe Abſterben der Artemien das Zeichen für die Arbeiter ſei, daß die Salzlöſung hinlänglich durch Verdunſtung an der Sonne konzentriert und zum Verſieden geeignet ſei. Auch in den Salinen des ſüdlichen Frankreich und bei Trieſt und Odeſſa, in den natürlichen Salinen von Adana bei Tarſus, wo es von dem bekannten Reiſenden Kotſchy beobachtet wurde, in den Natronſeen Agyptens, nach Schmardas Bericht, und an anderen Orten iſt das Tier gefunden worden. Das Salzkrebschen iſt eine von den Arten, bei welchen die Fortpflanzung durch Eier, ohne männliches Zuthun, die ſogenannte Parthenogeneſis, ſicher beobachtet wurde. Die Mitteilungen hierüber von Karl Vogt und dem eine lange Reihe von Jahren mit dieſen Erſcheinungen beſchäftigt geweſenen K. von Siebold geben uns zugleich weitere Einblicke über Vorkommen und Leben dieſer Tiere. Vogt hatte aus Cette eine Sendung erhalten, welche in verſchloſſenen Gefäßen 36 Stunden unterwegs waren. Sie gediehen in einem mit Seewaſſer von ebendaher gefüllten Aquarium, legten Eier, und die Larven krochen aus. Kiemenfuß. Salzkrebschen. 83 „Bis jetzt habe ich“, ſchrieb Vogt aus Genf, „in meiner ganzen Sendung noch kein Männ— chen finden können, während bei Branchipus diaphanus, den ich aus einer Pfütze auf dem etwa 4000 Fuß hohen Reculet des Jura im vorigen Jahre erhielt, und den ich dieſes Jahr aus Eiern im Aquarium zog, Männchen und Weibchen ungefähr in gleicher Anzahl vor— handen waren. Ich zweifle nicht, daß die Artemien noch in verſchloſſenen Gefäßen lebend in München ankamen.“ Wir laſſen uns nun von dem berühmten Münchener Zoologen weiter berichten. „Mit welchem Eifer“, ſagte er, „ich dieſes Anerbieten ergriff, um mir endlich den langerſehnten Genuß zu verſchaffen, die intereſſanten Artemien lebend beobachten zu können, läßt ſich wohl denken. Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als umgehend den Wunſch auszuſprechen, lebende Artemien zu beſitzen. Profeſſor Vogt willfahrte mit der größten Zuvorkommenheit mei— nem Wunſche und ſendete am 23. Auguſt eine Partie dieſer leben— den Phyllopoden nach Berchtesgaden. Die Artemien kamen mit der Poſt in einem dicht verſchloſſenen Glaſe glücklich lebend an. Auf das äußerſte überraſcht und erfreut, zählte ich 70 erwachſene und einige nicht ganz ausgewachſene muntere Artemien, zwiſchen welchen noch viele eben ausgeſchlüpfte Embryos ſich herumtummelten; nur fünf Leichen lagen am Boden des Glaſes. Noch muß ich bemerken, daß das Glas drei Viertel Seewaſſer und ein Viertel Luft enthielt. Alle erwachſenen Artemien dieſer Sendung waren Weibchen. Es ſcheinen demnach die Salzlaken von Cette ebenſo wie die Salzteiche von Ville Neuve bei Marſeille, von welchen Joly ſein Beobachtungsmaterial entnommen hatte, zu denjenigen Fundorten zu gehören, in welchen die Artemia salina nur durch eingeſchlechtige Generationen ſich fort— pflanzt.“ Von dieſer ausſchließlich weiblichen Generation wurden nun teils Eier produziert, welche jedoch nicht abgelegt wurden, da die Tiere vorher ſtarben, teils lebende Junge geboren, und unter den vielen lebend geborenen Artemien ſah von Siebold abermals kein einziges Individuum ſich zu einem Männchen heranbilden. Das auffallende Faktum, daß Tiere derſelben Zucht bald eierlegend, bald lebendig gebärend waren, glaubt unſer Forſcher darauf zurückführen zu müſſen, daß bei den letzteren die Eierſchalendrüſen weniger volle a) Kiemenfuß (Branchipus ſtändig entwickelt ſind. „Das Eierlegen“, iſt ſeine Anſicht, „tritt bei b Ai ei Artemia salina nur dann ein, wenn die Eierſchalendrüſen ſich jo natürliche Größe, e) Salz: vollkommen entwickelt haben, daß ſie die gehörige Menge gerinnbarer n e Stoffe abſondern können, denn nur dadurch werden die Eier der— ſelben eine feſte, dauerhafte Schale erhalten können. Von einer ſolchen feſten, widerſtands— fähigen Schale umgeben, werden die Eier die Eigenſchaft erlangen, im Schlamme verſteckt, ja ſogar im Schlamme vertrocknet, unter der Einwirkung auch der ungünſtigſten äußeren Verhältniſſe auszudauern und noch nach Verlauf von längeren Zeiträumen ihre Entwicke— lungsfähigkeit zu bewahren. „Iſt dagegen die Entwickelung der Eierſchalendrüſen bei einer trächtigen Artemie nicht gehörig zu ſtande gekommen, ſo fehlen die Bedingungen einer feſten und dauerhaften Schale. Die Eier ſolcher Artemien erhalten dann nur eine ganz dünne Haut, infolgedeſſen die für die Entwickelung des Embryos günſtigen Einflüſſe leicht auf den Einhalt von außen einwirken und ſo die Embryobildung beſchleunigen werden.“ Die Eier der Phyllopoden ſind nach den Beobachtungen von Semper außerdem ſehr eurytherm, d. h. die Temperatur, 6 84 Krebſe. Elfte Ordnung: Kiemenfüßer; Familie: Blattfüßer. bei welcher fie ſich entwickeln können, ſchwankt zwiſchen bedeutenden Grenzen (0 Grad bis +30 Grad Celſius). Aber bei 30 Grad erſchien die junge Larve ſchon 24 Stunden nach der Eiablage, bei 16—20 Grad erſt nach mehreren Wochen. Auch aus den Salinen in der Nähe von Trieſt verſchaffte ſich Profeſſor von Siebold Artemien und ihre Eier, woraus er monatelang Brut ausſchließlich weiblichen Geſchlechtes zog. Er konnte daran die Beobachtungen über die Lebensweiſe ergänzen, die wir um ſo lieber mitteilen, als ſie auch auf die übrigen Blattfüßer viel Licht werfen. „Die Haupt— pflege“, erzählt er, „welche ich von meiner Seite dieſer Artemienbrut angedeihen ließ, be— ſtand darin, daß ich Sorge trug, in den Wannen die Seewaſſermenge, welche bei der Wärme meines geheizten Arbeitszimmers, des Aufbewahrungsortes jener Wannen, ſtark verdunſtete, durch Hinzugießen von Meerwaſſer zu erſetzen, nachdem ich den Salzgehalt dieſes Erſatz— waſſers mittels deſtillierten Waſſers bis zu einem gewiſſen Grade verdünnt hatte, wobei ich es niemals unterließ, dieſe ſehr verdünnte Salzlöſung vor dem Hinzugießen mehrmals hintereinander in einem Glasgefäß ſtark zu ſchütteln, um dieſes Waſſer noch mit etwas atmoſphäriſcher Luft zu imprägnieren. „Um die Herbeiſchaffung von Futter für meine Artemienkolonien glaubte ich mich nicht bekümmern zu dürfen, da ich bemerkt hatte, daß der Verdauungskanal der von mir er— zogenen Artemien ſtets mit Schlammbeſtandteilen in ununterbrochenem Zuſammenhang von der Mundhöhle bis zum After angefüllt war. Man ſieht dieſe Salzkrebschen ſehr häufig und andauernd mit dieſer Schlammaufnahme beſchäftigt, wobei ſie dicht über dem Grunde des Waſſers, mit dem Rücken ihres Leibes den lockeren Schlamm berührend, hin und her ſchwimmen und letzteren durch die raſchen, regelmäßigen Bewegungen ihrer nie ruhenden Ruderfüßchen aufwühlen. Der aufgewühlte Schlamm gleitet alsdann dicht am Munde vorbei und wird auf der Mittellinie des Bauches entlang von vorn nach hinten fortgetrieben. Jedenfalls werden auf dieſe Weiſe die Artemien, wie die übrigen Phyllopoden, gewiſſe Be— ſtandteile des aufgewühlten Schlammes mit ihren Mundorganen nach Willkür feſthalten und verſchlucken. Sehr häufig bemerkte ich, daß dieſe Tierchen bei dieſem Geſchäft längere Zeit an einer und derſelben Stelle des Grundes verweilten, und daß ſie alsdann ihren ganzen Körper ſenkrecht in die Höhe richteten. Auch in dieſer Stellung, gleichſam auf dem Kopfe ſtehend, ſetzten ſie ununterbrochen die Bewegungen ihrer Ruderfüße fort, durch welche ſie den aufgewühlten Schlamm ebenfalls an ihren Mundteilen vorbeitrieben und nach und nach eine förmliche Grube aushöhlten, in welche ſie ihr Kopfende immer tiefer einbohrten. Verſchiedene Individuen drehten ſich bei dem Umherſchwimmen auf dem ſchlammigen Grunde plötzlich um ihre Längsachſe, ſo daß ſie den Boden mit der Bauchfläche berührten. In dieſer Lage verweilten die Artemien alsdann längere Zeit auf einer und derſelben Stelle, oder ſie krochen, Furchen durch den Schlamm ziehend, langſam weiter. Gewiß wurden bei dieſem Benehmen, welches unter fortwährenden Ruderbewegungen ſtattfand, Futterſtoffe von den Artemien aufgenommen und verſchluckt. „Außerdem ſchwammen dieſe lebhaften Salzkrebschen, wahrſcheinlich wenn ſie ſich ge— ſättigt fühlten, im freien Waſſer ihrer Behälter nach allen Richtungen ziemlich raſch hin und her, überſchlugen ſich öfter, wie es ſchien, aus Übermut, ſtießen zuweilen, als wollten ſie ſich necken, aneinander und fuhren ſodann blitzſchnell wieder auseinander. Bei dieſem raſtloſen Durchſchwimmen ihrer Waſſerbehälter werden dieſe Tierchen wahrſcheinlich keine Gelegenheit vorübergehen laſſen, die im freien Waſſer flottierenden Futterſtoffe, welche ihnen vor das Maul kommen, feſtzuhalten und zu verſchlucken; dieſes fortwährende Ver— ſchlucken von Schlammteilen iſt den Salzkrebschen jedenfalls Bedürfnis, zumal da ihre Ver— dauungsorgane gewiß nur einen ſehr geringen Teil dieſer als Futter aufgenommenen Stoffe werden aſſimilieren können. Schon die außerordentlichen Fäcesmengen, welche die Artemien Salzkrebschen: Beobachtungen von Siebolds und anderer. Kiefenfuß. 85 fortwährend auf den Grund ihrer Waſſerbehälter fallen laſſen, deuten auf die ungeheure Gefräßigkeit dieſer Tierchen hin. „Mittels des hier mitgeteilten Verfahrens iſt mir die Aufzucht der Artemien-Embryos, welche der aus Trieſt überſendete Schlamm in ſehr reichlicher Anzahl geliefert hat, auf das vortrefflichſte bis zur vollſtändigen Geſchlechtsreife gelungen. Immer waren es nur einzelne Individuen, welche in den verſchiedenen Behältern von meinem Beobachtungs— material mit Tode abgingen.“ Im Jahre 1874 veröffentlichte ein ruſſiſcher Forſcher, Schmankewitſch, über Artemia salina aus den Salzquellen bei Odeſſa eine intereſſante und wichtige Arbeit. Bei Zer— reißung eines Dammes wurde eine große Menge Salzkrebschen in einen mit abgeſetztem Salze erfüllten Teil des Kujalniker Limans geſchwemmt. Während nun nach Wieder— herſtellung des Dammes das Salzwaſſer durch Verdunſtung ſich konzentrierte, verwandelte ſich die Artemia salina von Generation zu Generation in die aus konzentrierterem Waſſer bekannte Artemia Milhausenii, die man wegen Mangels der Schwanzlappen und Schwanz— borſten und wegen ihrer geringeren Größe nach dieſen Beobachtungen als eine unter un— günſtigen Lebensverhältniſſen degradierte Form anſehen kann. Schmankewitſch erzielte dieſe Umwandlung auch durch künſtliche Zucht bei langſamer Verdichtung des Salzwaſſers in den Zuchtgefäßen, und es gelang ihm, durch die entgegengeſetzte Behandlung, d. h. durch ſtufenweiſe Verdünnung des Salzwaſſers, die Artemia Milhausenii in Artemia salina überzuführen. Bei der künſtlichen Zucht der letzteren in nach und nach verdünntem Salzwaſſer bekam unſer Forſcher eine mit dem Kennzeichen von Branchipus Schaefferi verſehene Form, „welche man gleichſam als eine neue Art Branchipus anſehen konnte. „Überhaupt ſind alſo die Arten des Genus Artemia zur fortſchreitenden Ausbildung bei ſtufenweiſe verringerter Konzentration des Salzwaſſers geeignet, und finden ſie die hierzu nötigen Bedingungen in der Natur in denjenigen Salzpfützen, welche nach einer gewiſſen Anzahl von Jahren durch fortwährende Auswaſchung des ſalzhaltigen Bodens in Süßwaſſerpfützen übergehen können. Und wirklich lebt die Artemia salina auch in ſolchen Salzpfützen in der Nähe der Limane, in welchen bei geringer Konzentration des Waſſers noch Branchipus spinosus, bei noch mehr abnehmender Dichtigkeit aber Branchipus ferox und eine andere ſonderbare Art Branchipus mit hakenförmig eingebogenen Schwanzlappen, Branchipus medius, lebt.“ Weitere Beobachtungen erſtreckten ſich auf den Einfluß, welchen Temperaturerhöhung und die verſchiedenen Grade des Salzgehaltes des Waſſers auf die Fortpflanzungsverhält— niſſe ausüben. Man muß mit Blindheit geſchlagen oder aus Liebe zur Stabilität verſtockt ſein, wenn man ſolche Beiſpiele nicht als vollgültige Beweiſe für die Veränderlichkeit der Art, dieſes Angelpunktes der Abſtammungslehre, gelten laſſen will. Ein weiteres, ſehr merkwürdiges Phyllopod iſt der Kiefenfuß (Apus). Der Körper der zwei in Mitteleuropa lebenden Arten iſt von obenher durch eine breite, ſchildförmige Schale bedeckt, auf welcher vorn die beiden faſt miteinander verſchmelzenden Augen liegen. Sie haben nicht weniger als 60 Paare von Kiemenfüßen, wovon jedoch beim Weibchen das elfte in zwei Bruſttaſchen zur Aufnahme der Eier umgeformt iſt. Sie leben in kleineren ſtehenden Gewäſſern, bei deren Eintrocknen die Tiere alle abſterben, während der Fort— beſtand durch die im feſtgewordenen Schlamme ſich erhaltenden Eier geſichert iſt. Man kannte von ihnen bis zum Jahre 1856 die Männchen nicht. Der Entdecker derſelben hatte ſeine beſondere Freude, daß dies Ereignis gerade mit der hundertjährigen Jahresfeier der erſten über den „krebsartigen Kiefenfuß“ (Apus cancriformis) erſchienenen Monographie zuſammentraf. Im Jahre 1756 hat nämlich der ſeiner Zeit berühmte Naturforſcher, der 86 Krebſe. Elfte Ordnung: Kiemenfüßer; Familie: Waſſerflöhe. „evangeliſche Prediger“ in Regensburg, Schäffer, „anfangs in der lateiniſchen und itzo in der deutſchen Mundart“ die erſte ſorgfältige Abhandlung über den Kiefenfuß gegeben. Trotz vierjähriger genauer Studien des Tieres war es ihm nicht gelungen, Männchen zu entdecken. Cine intereſſante Anekdote erzählt Schleiden vom Apus cancriformis, ich habe aber nicht erfahren können, wo er ſie her hat. Als Goethe einmal in der Umgegend von Jena ſpazieren ging, brachte man ihm einen lebenden, eben gefangenen Kiefenfuß, der ſeine Aufmerkſamkeit außerordentlich feſſelte. Er wollte mehr davon haben und bot für den nächſten einen Speziesthaler, für den dritten einen Gulden und ſo weiter bis auf 6 Pfennig herab. Aber obwohl viele Leute auf die Suche gingen, wollte es doch nicht gelingen, einen zweiten zu erhaſchen. Eine andere Gattung mit ſitzenden Augen — — iſt Limnadia, deren Körper von einer großen Pa zweiklappigen, beiderſeits am Rücken befejtigten Schale ganz eingeſchloſſen iſt. dieſer niederen Tiere, Profeſſor Leydig in Würz— burg, ſchildert ſehr anziehend die allgemeinen Lebensverhältniſſe der Familie der Waſſerflöhe, Kladoceren oder Daphniden (Cladocera). „Frühmorgens, dann namentlich an warmen, ruhigen Abenden, auch ebenſo bei bedecktem Himmel ſchwimmen dieſe Tierchen, von denen die größten ſelten über 6 mm Länge haben, zunächſt der Ober— fläche des Waſſers, ſenken ſich aber in die Tiefe, ſo— bald die Sonne etwas ſtark den Waſſerſpiegel be— ſcheint. Manche Arten lieben es überhaupt mehr, ſich nahe an dem ſchlammigen Grunde aufzuhalten als in die Höhe zu ſteigen. Schon dadurch, daß ſie gewöhnlich ſcharenweiſe die ſtehenden und lang— ſam fließenden Gewäſſer bevölkern, ja ſelbſt, wie wenigſtens mancher beobachtet haben will, durch ihre übergroße Menge dem Waſſer eine beſtimmte Färbung verleihen, mußten ſie die Aufmerk— ſamkeit der Naturforſcher ſeit langem auf ſich ziehen; doch verſteht es ſich in anbetracht ihrer geringen Körpergröße von ſelbſt, daß immer nur ſolche Beobachter eine nähere Kenntnis von ihnen nehmen konnten, welche den Gebrauch des Mikroſkopes nicht verſchmähten. Aber gerade für jene Zoologen, welche nicht bloß die Außerlichkeiten eines Tieres berückſichtigen, ſondern auch für den inneren Bau und die Lebenserſcheinungen ſich intereſſieren, iſt das Studium dieſer Geſchöpfe ein höchſt anziehendes. Kann man doch bei vielen, begünſtigt durch die große Durchſichtigkeit der Hautbedeckungen, den ganzen Organenkomplex am lebenden unverletzten Tiere durchſchauen, ähnlich faſt wie an jenen Maſchinenmodellen, welche unter durchſichtiger, glänzender Umhüllung die Zuſammenſetzung und das Spiel der einzelnen Teile dem Blicke des Beſchauers nicht vorenthalten. Und auch der Nichtzoolog iſt angenehm überraſcht, wenn er an einem unter dem Mikroſkop ihm vorliegenden Tiere die Bewegungen des Auges, des Nahrungskanals, das pulſierende Herz, die den Körper durch— perlenden Blutkügelchen und ſo vieles andere Lebende und Bebende gewahr wird. „Indeſſen nicht jeder fühlt die Neigung oder, um nicht gar zu ſagen, hat die Herab— laſſung, die organiſchen Körper um ihrer ſelbſt willen zu ſtudieren, und insbeſondere in \ Der ausgezeichnete Kenner vieler und auch Kiefenfuß (Apus). Natürliche Größe. Waſſerflöhe: Allgemeines. 87 den tieriſchen Geſchöpfen, mit dem Dichter zu reden, „den höchſten Gedanken, zu dem die Natur ſchaffend ſich aufſchwang, nachzudenken“; vielmehr beſtimmt ſich das Intereſſe für die Tierwelt bei den meiſten doch eigentlich nur danach, ob die Tiere dem Menſchen auch wahre Dienſte leiſten. Um ſo mehr macht es mir daher Vergnügen, auch ſolchen Natur— freunden eine Mitteilung über die Daphniden geben zu können, welche ihnen dieſe kleinen, ſchwer ſichtbaren Exiſtenzen werter erſcheinen laſſen dürften, als ſie vielleicht es vorher waren. Während eines längeren Aufenthaltes an den bayriſchen Gebirgsſeen und am Bodenſee habe ich nämlich gefunden, daß die Kladoceren und Cyklopiden (unter den Kopepoden) die faſt ausſchließliche Nah— rung der geſchätzteſten Fiſche dieſer Seen ausmachen. Die Saiblinge und die Renken (Blaufellchen am Bodenſee) leben von ſolchen kleinen Krebſen. Ich öffnete eine große Anzahl von genannten Fiſchen mit Rückſicht auf dieſen Punkt, und immer beſtand der Inhalt des Magens ohne andere Beimiſchung aus der— gleichen mikroſkopiſchen Kru— ſtentieren. Letztere müſſen ſo— mit, was die Zahl der Indi— viduen betrifft, als die Haupt— bevölkerung der bezeichneten Gewäſſer angeſehen werden. Bedenkt man, welche Bedeu— tung z. B. das Blaufellchen (Coregonus Wartmanni), von dem jährlich über 100,000 im Bodenſee gefangen werden, für die Anwohner dieſes Sees hat, ſo wird man zugeſtehen müſſen, daß die kaum gewür— Waſſerfloh (Leanthocereus). Stark vergrößert. digten kleinen Muſchelkrebſe, inſofern ſie die Maſſe von Fiſchen ernähren, dem Menſchen, wenngleich indirekt, von großem Nutzen ſind.“ Das Ausſehen der Waſſerflöhe iſt ſehr eigentümlich. Über den mit einer zweiklappigen Schale verſehenen Rumpf ragt ein gewölbter, beſchnabelter und von einem beſonderen Helme bedeckter Kopf (A) hervor. Unter dem Ende des Schnabels liegen die inneren Fühlhörner, in zarte, nervöſe Taſtfäden ausgehend. Gleich unter der oberen Wölbung befindet ſich das große Auge (O), das durch eine Anzahl Muskeln gedreht werden kann. Die äußeren Fühler (T) find zu mächtigen, äſtigen Ruderorganen umgeſtaltet, durch deren Schläge die hüpfende, flohähnliche Bewegung geſchieht. Sehr verſteckt unter dem Kopfhelm und der vorderen Bucht der Schalen liegen die aus Oberlippe, Ober- und Unter— kiefer beſtehenden Mundteile. Die zweiklappige Schale (S) iſt eine Hautausbreitung des— jenigen Körperabſchnittes, welcher der Bruſt der Inſekten entſpricht. Gerade bei unſeren Tieren läßt ſich eine gewiſſe Ahnlichkeit mit den Flügeln der Inſekten nicht verkennen, 88 Krebſe. Elfte Ordnung: Kiemenfüßer; Familie: Waſſerflöhe. mit denen man auch, und wohl mit ebenſo vielem Recht, die Seitenteile des Panzers der Zehnfüßer verglichen hat. Nur bei einzelnen durchſichtigen Inſektenlarven kann man am lebenden Tiere ſo genau das Herz (H) und ſeine Thätigkeit beobachten wie an den Waſſer— flöhen. Es liegt in der Mittellinie des Körpers am Rücken und hat meiſt die Form einer rundlichen Blaſe. Mit einer mundähnlichen Spalte ſchnappt es in raſchem Pulſieren das Blut mit den Blutkörperchen auf, um es auf der anderen Seite durch eine zweite Spalte wieder auszuſpeien und fortzutreiben. Als Atmungsorgane dienen die blattförmigen An— hänge der 4—6 Paar Beine. Auch dieſe Krebſe haben einen dem „Schwanz“ des Fluß— krebſes entſprechenden Nachleib, welcher frei unter der Schale liegt und mit Krallen oder zwei Schwanzborſten (C) endigt. Er wird als ein kräftiges Ruderorgan benutzt. Die männlichen Waſſerflöhe ſind durchgängig kleiner als die weiblichen und zeichnen ſich bei den meiſten Arten durch anders geſtaltete, innere Antennen und ein zum Feſthalten umgebildetes, erſtes Beinpaar ſowie ge— legentlich auch durch ſehr ſchöne blaue oder rote Schmuck— farben aus. Die Weibchen bringen, wie ſeit langem be— kannt, zweierlei Eier hervor: Sommereier und Winter— eier. Letztere ſind unter anderem durch ſtärkere ſchützende Hüllen unterſchieden. Das Erſcheinen der Sommer- oder Ephippium des Acanthocerens. Stark Wintereier hängt übrigens viel weniger von der Jahres— 5 zeit als von dem Erſcheinen der Männchen ab, und dieſe treten immer auf, wenn die Bedingungen der Ernährung im Rückgang begriffen ſind. Die ſogenannten Sommereier entſtehen nämlich und entwickeln ſich zu neuer Brut, ohne befruchtet zu ſein, erinnern alſo an jene Eier der Bienenkönigin, aus welchen die Droh— nen hervorgehen, oder an jene „Keime“ der Blattläuſe, aus welchen ſich die Sommer— generationen entwickeln. Sobald in beſtimmter Jahreszeit die Daphniden-Männchen auf— tauchen, gibt es „Wintereier“. Die Verpackung derſelben in das von ſeinem Entdecker Jurine für eine krankhafte Bildung gehaltene ſogenannte Ephippium (Sattel) iſt ſehr merkwürdig. Es löſt ſich nämlich die ganze Schale oder ein Teil derſelben ab und um— ſchließt als Schutzhülle ein, zwei oder ein ganzes Paketchen von Eiern. Inſofern ſie nun in dieſer Verpackung trotz des Austrocknens der Gewäſſer und trotz des Froſtes den Winter überdauern, iſt die Benennung „Wintereier“ allerdings bezeichnend. Sehr intereſſante Beobachtungen machte Weismann an Moina rectirostris, welche in lehmigen Pfützen nicht ſelten iſt. Hier ſind bei den Weibchen beide Eierſtöcke in Thätigkeit: der eine produziert ein Winterei und der andere mehrere kleinere Sommereier. Werden die Tiere nun nicht von Männchen begattet, dann zerfällt das Winterei im Eierſtock, und ſeine Subſtanz wird reſorbiert, hingegen gelangen die unbefruchteten Sommereier zur parthenogenetiſchen Entwickelung. Die zahlreichen Gattungen weichen namentlich neben der Geſamtgeſtaltung des Leibes durch eine verſchiedene Zahl der Füße und durch die Bildung der Ruderarme ab. Von ihnen gelten der gemeine Waſſerfloh und der große Waſſerfloh als die am weiteſten verbreiteten Arten. Der Daphnia ſehr nahe ſteht die abgebildete Gattung Acanthocercus. Durch Reduzierung der Schalen auf einen bloßen Brutraum erhalten die Gattungen Poly— phemus und Bythotrephes ein eigentümliches Ausſehen. Wenn wir, auf das Verhältnis der Schale zum Körper Rückſicht nehmend, oben einige Gattungen in dieſer Hinſicht „reduziert“ nannten, ſo iſt dieſer Ausdruck vielleicht nicht gut gewählt. Die Daphniden mit der Deſzendenzlehre meſſend, wird man vielmehr das Richtige treffen, wenn man die Formen mit kleiner, „reduzierter“ Schale als diejenigen anſieht, welche die Ahnlichkeit mit ihren Vorfahren am getreueſten bewahrt haben. Hierin Gemeiner und großer Waſſerfloh. Leptodora hyalina. 89 beſtärkt uns die Leibesbeſchaffenheit einer der ſchönſten Daphniden, der Leptodora hya- lina, welche, oberflächlich ſchon ſeit längerer Zeit bekannt, neuerdings durch Weismann gewiſſermaßen zum zweiten Male entdeckt wurde. Das einige Millimeter lange Tierchen iſt ſchlank und geſtreckt, zeigt eine deutliche Gliederung in Kopf, Bruſt und Leib, und der hintere Teil der ſonſt den Hinterkörper ber— genden Schale läßt die letzten Hinterleibsabſchnitte frei; die ſeitlich geſtreckten äußeren Fühlhörner charakteriſieren ſich durch ihre Muskulatur und den Beſatz mit Fiederborſten als Ruder; die nach vorn geſtreckten Beine bilden einen Fangapparat. Da uns innerhalb der Klaſſe der Krebſe wie in den anderen Tierklaſſen zahlreiche Beiſpiele zu dem ſicheren Schluſſe führen, daß das Zu— rücktreten der Körpergliederung eine im Laufe der Zeiten eins getretene Umwandlung bedeu— tet, ſo wird Weismann recht haben, wenn er die gegliederte ſchlanke Geſtalt der Leptodora für ein konſerviertes Erbteil der Vorfahren hält. Über ihre Lebensweiſe hören wir Weis— mann: „Obgleich erſt von wenigen Forſchern geſehen, ſcheint Lep— todora hyalina doch ein ſehr weites Verbreitungsgebiet zu beſitzen und da, wo ſie vor— kommt, auch in Menge zu leben. Zwar kann ſie, als vom Raube lebend, niemals in ſolchen Maſ— ſen auftreten wie die Tiere, von welchen ſie ſich ernährt, haupt— ſächlich alſo Cyklopiden, doch führt ſie ſchon P. E. Müller als häufig an, und ich ſelbſt habe zwar manchmal vergeblich ZZ nach ihr gefiſcht, dafür aber auch — 7 = — unter günftigeren Verhältniſſen Leptodora hyalina. 12 mal vergrößert. über 100 Individuen in Zeit von 1—2 Stunden erhalten. Ich fiſchte meiſtens dicht unter der Oberfläche mit dem feinen Netze und halte die Anſicht von Müller, nach welcher ſie überhaupt niemals in große Tiefen hinabſteigen ſoll, für richtig, und zwar deshalb, weil ihre geringe Ruderkraft eine ſo weite Reiſe als ſchwer ausführbar erſcheinen läßt und jedenfalls nicht täglich zurückgelegt werden könnte. Dies müßte aber der Fall fein, wenn die Tiere, jobald. fie von der Oberfläche verſchwinden, in große Tiefen hinabſtiegen; denn ich fand, daß ſie während des Tages nur ausnahmsweiſe an der Oberfläche bleiben, nachts hingegen immer dort anzutreffen ſind. Stärkeres Licht meiden ſie offenbar, und bei hellem Sonnenſchein kann man ſicher ſein, kein einziges Individuum an der Oberfläche zu finden. Auch bei Vollmond hatte ich regelmäßig nur eine ſchlechte Beute, die beſte bei trübem Wetter oder in dunkeln Nächten. 90 Krebſe. Elfte Ordnung: Kiemenfüßer; Familie: Waſſerflöhe. „Übrigens könnte dieſe Lichtſcheu auch nur ſcheinbar ſein, inſofern die Cyklopiden, von denen die Leptodora lebt, ganz dieſelben Eigentümlichkeiten im Auf- und Niederſteigen zeigen, und es alſo denkbar wäre, daß dieſe empfindlich gegen Licht wären und die Leptodoxa ihnen nur nachzöge. Daß Cyklopiden ſehr ſtark durch Licht beeinflußt werden, läßt ſich im Aquarium leicht feſtſtellen, indem ſich die Tierchen ſtets da ſammeln, wo das Licht einfällt oder an ſich einen ſtarken Lichtrefler bildet. Direktes Sonnenlicht und zu ſcharfes diffuſes Licht ſcheinen ſie zu meiden. „P. E. Müller hat bereits die Kladoceren nach ihrem Aufenthalt in zwei Gruppen geteilt: pelagiſche und Uferformen; Leptodora gehört zu der erſten Gruppe, ſie iſt ihrem ganzen Körperbau nach auf das Schwimmen in reinem, von Pflanzen freiem Waſſer ans gewieſen, und demgemäß findet ſie ſich nicht in der Nähe des Ufers, ſondern, wenigſtens im Bodenſee, erſt dort, wo der See tiefer wird. Sie rudert nur mit den Antennen, und zwar ruckweiſe, wie alle Daphniden, auch bringt ſie ſich nur langſam vom Flecke, und ihre große Durchſichtigkeit und deshalb faſt vollſtändige Unſichtbarkeit mag für ſie wohl Exiſtenzbedingung ſein, da ſie zur Jagd auf Beute viel zu ſchwerfällig iſt. Sie lauert auf ihre Beute und hat in dieſer Hinſicht viel Ahnlichkeit mit der durch ihre Durchſichtigkeit berühmten Larve von Corethra plumicornis (einer Mücke), welche jedoch im Punkte der Unſichtbarkeit von ihr noch bei weitem übertroffen wird. „Gerade wie die Corethra-Larve, jo liegt auch die Leptodora horizontal ausgeſtreckt ruhig im Waſſer und harrt, bis ihr die Beute zwiſchen die aufgeſperrten Fangbeine gerät. Während bei Corethra beſondere hydroſtatiſche Apparate, die großen Tracheenblaſen, dem Körper die horizontale Lage ſichern, iſt bei Leptodora der Magendarm ſo weit nach hinten gerückt, daß er dem ſchweren Thorax und Kopf das Gleichgewicht hält. „Wie ſehr das Tier nur auf das Schwimmen angewieſen iſt, ſieht man am beſten an gefangenen Individuen. Sobald Algen oder Schmutzteile im Waſſer ſind, hängen ſie ſich an die Ruderarme der Leptodoren, die dann oft eine ganze Schleppe nach ſich ziehen und dadurch am Schwimmen ſehr gehindert werden. Trotzdem aber verſuchen ſie nie, ſich der Füße zum Laufen oder Klettern zu bedienen, und nur im äußerſten Notfall, wenn ſie irgendwo feſthängen, ſuchen ſie ſich mit dem Abdomen vorwärts zu helfen, indem ſie die Spitze desſelben bis unter den Kopf ſchieben, dort feſthaken und dann gerade ſtrecken. „Nur in ganz reinem Waſſer dauern die Tierchen aus; deshalb gelingt es auch nicht, dieſelben länger als 14 Tage im Aquarium zu halten, und auch während dieſer Zeit pflegen ſie zur Unterſuchung unbrauchbar zu werden, weil Maſſen von Vorticellen ſich an ſie ſetzen und ihre Durchſichtigkeit zerſtören. Nicht ſelten auch werden ſie von einem Pilze (Saprolegnia) befallen, der durch die Haut nach innen wuchert und allmählich den Tod herbeiführt“ Gefunden wurde Leptodora bis jetzt außer im Boden- und Genfer See auch in den dänischen und ſchwediſchen Seen, bei Cahne und, um vollſtändig zu ſein, im Bremer Stadt: graben. In Amerika kennt man ſie aus dem Oberen See. Nur wenige das Meer bewohnende Kladoceren ſind bisher bekannt geworden. Die Würmer. Die Würmer. Dem Kreiſe der Wirbeltiere und Gliederfüßer reiht ſich als dritter der der Würmer (Vermes) an. Kein Tierkreis hat eine ſo bewegte Geſchichte, und von keinem iſt ſie auch in der Ge— genwart noch jo wenig abgeſchloſſen wie von dieſem. Einerſeits hat man ſeit Linnes Zeiten allerlei Formen abgebröckelt, anderſeits aber auch wieder allerlei hinzugefügt und noch zur Zeit iſt kein Typus der Wirbelloſen weniger in ſich abgeſchoſſen, und es iſt von keinem ſchwieriger, eine gemeinſame Charakteriſtik zu geben, als von dem der Würmer. Was man nirgends ſonſtwo von Tieren unterzubringen wußte, hat man ſeit je unter die Würmer geſteckt. Wie haben ſich doch ſeit Linné die Zeiten geändert! Damals lernte man, daß es ſechs Tierklaſſen gäbe: Säuger, Vögel, Amphibien, Fiſche, Inſekten und — Würmer. Was war nicht alles in dieſen großen Topf „Würmer“ hineingeworfen! Und wie ſicher wußte man, daß die Würmer „ein Herz mit nur einer Kammer, ohne Vorkammer beſäßen, kaltes, weißliches Blut und keine Fühlhörner, ſondern bloß Fühlfäden“. Auf Regenwurm, Schnecke, Seeſtern, Polyp mußten jene Worte paſſen. Auch in dem Syſtem Cuviers ſind die Würmer eine ſehr verwundbare Stelle. Eine Abteilung, die Gliederwürmer, deren Körper unverkennbar aus Ringeln zuſammengeſetzt iſt, reihte er an die Gliederfüßer und nannte die ſo gebildete Tiergruppe Gliedertiere; die anderen, Eingeweidewürmer und dergleichen, verwies er zu den Strahltieren, zu denen nur einzelne verborgene und höchſt problematiſche Beziehungen obwalten. Die Urtiere, Hohltiere, Stachelhäuter, Weichtiere und zuſammen die Salpen und See— ſcheiden bilden jetzt beſondere Tierkreiſe; das Lanzettfiſchchen (Limax lanceolata bei Pallas) iſt als am tiefſten ſtehendes Wirbeltier erkannt, der Inger (Myxine glutinosa), den Linns gleichfalls zu den Würmern ſtellte, hat ſich als ein merkwürdiger Fiſch aus der Gruppe der Rundmäuler entpuppt. Auf der anderen Seite ſind die lange erſt als Infu— ſorien, dann als Gliederfüßer angeſehenen Rädertiere und die Armfüßer, die während mehrerer Jahrhunderte als Muſcheln galten, unter die Würmer verſetzt worden, und man hat verſucht, ihnen die Moostierchen folgen zu laſſen. Ebenſo ſchwankend find die Meinungen über die verwandtſchaftlichen Beziehungen der einzelnen Wurmklaſſen zu einander und des ganzen Kreiſes zu den anderen Tierkreiſen. Man hat, indem man ſich wieder auf den Cuvierſchen Standpunkt ſtellte, die Analogie gewiſſer Würmer mit den Gliederfüßern, anderer mit den Quallen betont. Nein, ſagt ein anderer, die nächſten Verwandten ſind die Stachelhäuter, gewiſſermaßen aus Verwach— ſung hervorgegangene Wurmkolonien. — Weit gefehlt! meinen die dritten, die nächſten Beziehungen beſtehen zwiſchen Wirbeltieren und Würmern, und zwar Ringelwürmern. Ein Vierter und Fünfter laſſen die Anſicht näherer Verwandtſchaft zwiſchen Wurm und Wirbeltier 94 Würmer Allgemeines. gelten, aber der eine von ihnen fieht in den Schnurwürmern (Nemertini), der andere gar in den Pfeilwürmern (Sagitta) die verbindenden Glieder. Eine andere Hypotheſe ſtützt ſich auf die unbeſtreitbare Ahnlichkeit, welche zwiſchen den Larven von vielen Moostierchen, Ringel, Stern- und Strudelwürmern und Mollusken ſowie den ausgebildeten Rädertieren exiſtiert, und nimmt als Ahnen der ganzen Geſell— ſchaft ein rädertierartiges Geſchöpf, die Trochophore, an. Freilich wird dabei vorausge— ſetzt, daß es unmöglich ſei, daß Larven ſehr verſchiedener Tiere durch weitgehende Ahnlichkeit in der Lebensweiſe auch in ihrer Organiſation eine weitgehende Ahnlichkeit erlangen könnten. Eine Vorausſetzung, der man untrügliche Richtigkeit doch keineswegs zuſprechen kann. Mit dem Worte Wurm verbindet jedermann die Vorſtellung eines ſeitlich ſymmetriſchen, mehr oder weniger geſtreckten Körpers, welcher bald walzenförmig iſt wie beim Regen— wurm, bald eine ausgeprägtere, platte Bauchſeite hat wie beim Egel, bald völlig platt iſt, wie wir an den Bandwurmgliedern ſehen. Im allgemeinen ſind die Hautbedeckungen von weicher Beſchaffenheit, und ſehr allgemein ſind wenigſtens in einer gewiſſen Lebens— periode gewiſſe Stellen der Oberfläche mit Flimmerhärchen verſehen. Der Mangel dieſer mikroſkopiſchen Organe bei allen Inſekten, Spinnen, Tauſendfüßern und Krebſen gegen— über den ſo reichlich damit ausgeſtatteten Würmern iſt ſehr bemerkenswert. Unmittelbar mit der Haut pflegt ein zuſammenhängender Schlauch der Quere und Länge nach ſich kreuzender Muskeln verbunden zu ſein. Die Zuſammenziehungen des Körpers, die ſchlän— gelnden Schwimmbewegungen, die Bewegungen einzelner Körperabſchnitte, z. B. der Haut⸗ ſtummeln, auf denen die Borſten ſtehen, werden von dieſem Hautmuskelſchlauch und ſeinen Teilen beſorgt, und es beruht die Möglichkeit dieſer Bewegungen darin, daß nicht, wie bei den Gliederfüßern, die Hautbedeckungen zu einem Skelett verhornen. Daß ein Wurm keine Beine hat, mit dieſem wichtigen Charakter iſt auch der Laie befreundet. In Abweſenheit derſelben ſchlängelt eben der Körper, einige Würmer mit horizontalen Wellenbewegungen gleich den Schlangen, andere, z. B. die Egel, mit vertikalen. Auch bedienen ſich viele Würmer beim Kriechen ſtummelartiger Hervorragungen der Haut und des Hautmuskelſchlauches, in welche einzelne Borſten oder ganze Borſtenbündel eingepflanzt ſind. Endlich treten Saug— näpfe als Hilfsbewegungsorgane bei paraſitiſchen und frei lebenden Würmern auf. Wenn der Wurmkörper eine Gliederung zeigt, ſo iſt dieſelbe von der der echten Glieder— füßer dadurch weſentlich verſchieden, daß dieſe Glieder gleichförmig (homonom) ſind. Die anfänglich bei den Gliederfüßern als gleichförmig auftretenden Segmente ſind im fertigen Tiere ſehr verſchieden ausgebildet, nach dem Prinzip der Arbeitsteilung. Die niedrige Stellung ſelbſt des gegliederten Wurmes offenbart ſich in der nicht oder weniger durch— geführten Arbeitsteilung und damit verbundenen Gleichförmigkeit der Körperglieder. Beim Inſekt folgen hinter dem Kopfe die Bruſtſegmente, welche vorzugsweiſe die mächtigen Bein— und Flügelmuskeln beherbergen, und dann kommen jene Leibesglieder, in welchen der größte Teil des Darmkanales und die Fortpflanzungsorgane ihren Platz finden. Zu dieſer ſcharf ausgeprägten Trennung in verſchiedene Körperabſchnitte hat ſich der Wurm nicht aufge— ſchwungen, oder noch richtiger müſſen wir wohl ſagen, ſoweit er ſich dazu aufgeſchwungen hat, iſt er allmählich zum echten Gliederfüßer geworden. Das Nervenſyſtem der höheren Würmer iſt von demjenigen der Gliederfüßer nicht zu unterſcheiden, ſobald man nur von jenem äußerſten Zuſammenziehen der Bauchgan— glienkette abſieht, welche mit der Konzentration des Körpers bei Krabben, Spinnen ꝛc. Hand in Hand geht. Zahlreiche niedere Würmer beſitzen nur einen oder zwei Nervenknoten in der Nackengegend mit zwei davon abgehenden, längs des Bauches verlaufenden Nerven. Die Sinneswerkzeuge, namentlich die Augen, ſind in dem Maße entwickelt, wie die Lebensweiſe der betreffenden Würmer eine mehr oder weniger freie und umherſchweifende Körperbau. Nervenſyſtem. Sinneswerkzeuge. Fortpflanzungsorgane. Einteilung. 95 iſt. Wie bei den Höhlen bewohnenden Käfern und Krebſen eine Verkümmerung des Ge⸗ ſichtes Platz griff, haben auch die in das Innere anderer tieriſcher Organismen ſich zurück— ziehenden Würmer mit dem Bedürfnis den normalen Beſtand der Sinneswerkzeuge verloren. Über den Verdauungsapparat aller Würmer zuſammen iſt kaum etwas zu ſagen. Manche paraſitiſche Würmer ſind gänzlich ohne Darm. Sie haben die Bequemlich— keit, nicht freſſen zu brauchen und ſich doch durch die unwillkürlich vor ſich gehende Haut— aufſaugung trefflich auf Koſten ihrer Wirte zu nähren. Andere niedere Würmer haben einen Darm gleich einem Beutel, andere wie ein Netz; bei denen, welche raſch verdauen und umſetzen, iſt er ſchlank und kurz, die langſam verdauenden, welche auf einmal Maſſen von Nahrung aufnehmen, wie die Blutegel, haben entſprechende Magenerweiterungen, gleich Vorratskammern. Gleichen Schritt mit der Entwickelung des Darmkanales hält das Blutgefäßſyſtem. An vielen höheren Würmern kann man es im Leben bis in die feineren Details beobachten. Man findet dann das meiſt rötlich gefärbte Blut in einige gröbere und viele feinere Adern eingeſchloſſen, und dieſe entweder vollkommene oder wenig— ſtens relative Abgeſchloſſenheit des Gefäßſyſtems, in welchem die größeren Stämme an Stelle beſonderer Herzen pulſieren, iſt wiederum eine charakteriſtiſche Eigentümlichkeit wenig— ſtens der Gliederwürmer. Als Atmungsorgan dient bald die geſamte Hautoberfläche, bald finden ſich an derſelben kiemenartige Anhänge, bald ſind gefäßartige innere Organe vorhanden, welche eine Vergleichung mit den Luftgefäßen der Inſekten zulaſſen, indem ſie das zur Atmung dienende Waſſer tief in den Körper hineinleiten. Die komplizierteſten Fort— pflanzungsorgane, gerade bei den niedrigeren Würmern verbreitet, wechſeln mit ſehr ein— fachen, und alle möglichen Formen der Fortpflanzung, Knoſpenbildung, Verwandlung, Ent— wickelung mit wechſelnden Formen (Generationswechſel), Paraſitismus vom Ei an bis zum Tode, Paraſitismus im Alter bei freien Jugendzuſtänden, Paraſitismus in der Jugend bei freier Lebensweiſe im Alter, Freiheit in allen Alterszuſtänden — alle dieſe Formen der Lebensweiſe und Entwickelung werden in bunteſter Mannigfaltigkeit an uns vorüberziehen. Nach dieſen Andeutungen kann es nicht wundernehmen, wenn man den Kreis der Würmer in faſt ebenſoviele Klaſſen zerſpalten hat, als in den vorhergehenden Bänden des „Tierlebens“ zuſammen abgehandelt worden ſind, und wenn wir innerhalb dieſer Klaſſen weit größere Extreme antreffen als in dem Kreiſe der Wirbeltiere und der Glieder— füßer. Welche Abweichungen und Umbildungen ſchon derjenige Paraſitismus hervorbringt, welcher ſich auf das Leben und Anſiedeln auf anderen Tieren beſchränkt, haben die Schma— rotzerkrebſe genugſam gezeigt. Viel tiefere, den Bau und die Entwickelung treffende Ver— änderungen muß man alſo bei denjenigen Würmern erwarten, welche im Inneren ihrer Wirte in den verſchiedenſten Organen ihren Aufenthalt und ihre Nahrung finden. Man iſt daher wohl geneigt, und auch die Tierkunde hatte dieſen Weg eingeſchlagen, anzu— nehmen, daß alle ſogenannten Eingeweidewürmer eine zuſammengehörige, abgeſchloſſene Klaſſe bildeten. Von dieſer auf einſeitiger Berückſichtigung des Aufenthaltes beruhenden Anſicht, bei welcher man ſich ſchon großer Inkonſequenzen ſchuldig macht, iſt die neuere Wiſſenſchaft gänzlich zurückgekommen. Die Eingeweidewürmer ſind untereinander ſo ver— ſchieden wie die zeitlebens frei lebenden Würmer, und es beſtehen noch viel zahlreichere Übergangsformen von dem einen zu dem anderen, als wir oben bei den Schmarotzerkrebſen und den übrigen freien Kopepoden ſahen. Wir teilen die Würmer in folgende Klaſſen: 1) Rädertiere (Rotatoria), 2) Stern: würmer (Gephyrei), 3) Binnenatmer (Enteropneusta), 4) Ringelwürmer (Annelides), 5) Rundwürmer (Nemathelminthes) und 6) Plattwürmer (Pla— thelminthes). 96 Würmer. Erſte Klaſſe: Rädertiere. Erſte Klaſſe. Die Nüdertiere (Rotatoria). Schon die Krebſe haben uns in ſolche Regionen der niederen Tierwelt geführt, wo das unbewaffnete Auge nicht mehr ausreicht, auch nur den äußeren Umriß der betref— fenden Geſchöpfe mit einiger Deutlichkeit zu erkennen. In demſelben Falle befinden wir uns einer großen Klaſſe von Tieren gegenüber, deren Entdeckungsgeſchichte eben wegen ihrer Kleinheit und ihres Vorkommens aufs innigſte mit derjenigen der Infuſorien ver— bunden war und welche in der heutigen Lebewelt eine ſehr eigentümliche Stellung ein— nehmen. Der berühmte Verfaſſer einer Urkunde deutſchen Fleißes, Chriſtian Gottfried Ehrenberg in ſeinem Werke: „Die Infuſionstierchen als vollkommene Organismen“, hat gezeigt, wie man ſeit der Erfindung der Mikroſkope teils aus bloßer Kurioſität, zur Er— götzung des Auges und Gemütes, teils im wiſſenſchaftlichen Drange allmählich ſich mit dem „Leben im kleinſten Raume“ vertraut machte, bis ihm ſelbſt, dem großen Naturforſcher, es vergönnt war, ein neues, nun erſt klares Licht über dieſe mikroſkopiſche Welt zu ver— breiten, darin zu ſichten, zu ordnen und die Rädertiere als eine in ſich geſchloſſene Tier— klaſſe von den eigentlichen Infuſorien zu trennen. Nicht hier, ſondern bei Gelegenheit der Infuſorien haben wir einige Punkte aus jener Entdeckungsgeſchichte mitzuteilen, aus welcher hervorgeht, daß ſchon 1680 Leeuwenhoek einige Formen der Rädertiere ſah und gut beſchrieb. Die ſyſtematiſchen Schickſale dieſer Wurmordnung find überhaupt ziemlich wechſelvolle geweſen, bald als niederſte Krebſe, bald als ſelbſtändige Klaſſe der Glieder— füßer angeſehen, haben ſie vorläufig ihre Stelle bei den Würmern erhalten, an deren Spitze wir ſie nach dem Vorgang von Claus ſtellen wollen. Die Rädertiere, deren größere Arten eine Länge von einem halben Millimeter und etwas darüber erreichen, haben faſt ausnahmslos einen durchſichtigen Körper, den man, ſolange er lebt, bis in die innerſten Teile der Organe durchſchauen kann. Dabei ſind die Hautbedeckungen von ſolcher Feſtigkeit und Prallheit, daß die Behandlung unter dem Mikroſkop bei einigem Geſchick mit keiner Schwierigkeit verbunden iſt. Ich führte oben an, wie die Betrachtung mancher kleinen Krebſe, z. B. der Waſſerflöhe, uns die anziehend— ſten Schauſpiele gewährt. Die meiſten Rädertiere feſſeln unter dem Mikroſkop in gleichem Grade das Auge. Form und Bau zeigen aber ein ſo apartes Gepräge, daß unſere an den Holzſchnitt anknüpfende Beſchreibung den Leſer, der hierbei an Bekanntes kaum ſich halten kann, ſo lange kalt und unbefriedigt laſſen muß, bis ihm ein befreundeter Natur— forſcher eins der überall zu habenden lieblichen und munteren Weſen bei 200 —300maliger Vergrößerung wird in Natura vorgeſtellt haben. Die Rädertiere ſind bei vielfach wechſelnder äußerer Form von ſo großer Übereinſtimmung im Bau, daß eins genau ſtudiert zu haben faſt ſo viel heißt, als alle kennen. Wir betrachten eins der Schildrädertiere, den Noteus quadricornis, bei welchem die den Rumpfteil umgebenden Körperbedeckungen die Geſtalt eines flachen, ſchildförmigen Panzers angenommen haben. Die vielen feinen Buckelchen auf der Oberfläche des Pan— zers ſind im Holzſchnitt fortgeblieben, um die inneren Organe nicht unklar zu machen. Man hat allen Grund anzunehmen, daß ſowohl die panzerartigen wie die weichen Haut— bedeckungen aus jener die Gliedertiere charakteriſierenden Subſtanz, dem Chitin, beſtehen. N 9 Ihr Bau. 97 Der Panzer unſeres Muſtertierchens iſt vorn zierlich ausgeſchweift und mit hornartigen Fortſätzen verſehen. Unter ihm kann ſich der mit weicher Haut bedeckte Vorderteil ganz bergen. Beim Schwimmen und Freſſen entfaltet das Tier ſein Räderorgan. Zwei halb— ſchüſſelförmige, durch Muskeln einziehbare und durch Eintreten von Blut aus der Leibes— höhle herausſtülphare Fleiſchlappen tragen auf ihrem freien Rande eine Reihe zarter Wim— pern, welche willkürlich in ſchwingende Bewegung verſetzt werden können und dann in ihrer Geſamtheit bei manchen Räder— tieren den Eindruck machen, als ob zwei Räder ſich raſch um ihre Achſe drehten. Dieſe Erſcheinung, nach welcher man die ganze Klaſſe benannt hat, iſt für jeden, der ſie zum erſtenmal ſieht, ſo überraſchend, daß man ſich nicht wun— dern kann, wie ſie bis in die neuere Zeit den Eindruck des Wunderbaren ge— macht hat und noch im Jahre 1812 zu der ernſtlichen Annahme verleitete, es ſei eine wirkliche Radbewegung. Man hat eine Reihe von Erklärungen dafür aufgeſtellt, unter anderen ſie mit jenem unterhaltenden optiſchen Spielwerk ver— glichen, wodurch an einer engen Offnung eine Reihe von Figuren in verſchiedenen, einander folgenden Stellungen vorüber— ziehen und man den Eindruck hat, als ob eine einzige Geſtalt ſich bewegte. Ehrenberg ſagt: „Jede Wimper dreht ſich nur einfach auf ihrer Baſis ſo wie der Arm eines Menſchen in ſeiner Ge— lenkpfanne und beſchreibt dadurch mit ihrer Spitze einen Kreis und mit der ganzen Länge einen Kegel. Selbſt ohne Verſchiedenheit in der Zeitfolge des An— fanges muß dabei durch das dem Auge bald Näher-, bald Fernerſtehen der Wim— pern eine gewiſſe Lebendigkeit in den Kreis kommen, die, ſobald alle Wimpern ſich nach gleicher Richtung umdrehen, Schild-Rädertier (Noteus quadricornis). 300 mal vergrößert. einem laufenden Rade gleichen wird.“ Jedenfalls handelt es ſich um raſch aufeinander folgende einzelne Geſichtsaffektionen, welche ſich derartig ab- und auslöſen, daß ſie den Eindruck einer einzigen zuſammenhängenden Be— wegung machen. Beim Noteus ſehen wir zwiſchen den beiden großen Räderlappen einen ebenfalls mit Wimpern bedeckten Kegel. Zahlreiche Abänderungen in der Entwickelung des „Räderorgans“ kommen in der Klaſſe vor. Die abweichendſte Form haben wohl das Kranz— und das Blumentierchen Floscularia ornata (ſ. die Abbildung S. 103). Das Wirbeln und Strudeln der Räderorgane läßt die Tiere ſehr elegant und mit einer langſamen, ſpiraligen Drehung ſchwimmen. Zugleich wird durch dieſen Strudel und den Wimperbeſatz des in den Mund hineinführenden Trichters die Nahrung ee Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 98 Würmer. Erſte Klaſſe: Rädertiere; Familien: Schildrädertierchen, Kriſtallfiſchchen. und dies geſchieht namentlich, wenn ſich das Tier mit Hilfe ſeiner am Hinterende befind— lichen Zange gleichſam vor Anker gelegt hat und dann die Wimpern ſpielen läßt. Thut man dann in den Tropfen, in welchem man das Rädertier unter dem Mikroſkop beobachtet, fein zerteilten Farbſtoff, Indigo oder Karmin, ſo kann man die heftigen Wirbel und das Anhäufen der Nahrung vor dem Munde verfolgen. Die Rädertiere find mit einem Paar Kiefer ausgeſtattet. Beim Noteus find die— ſelben ungefähr handförmig, in vielen anderen Fällen gleichen ſie einer Spitzzange; bei allen Gattungen haben ſie eine ſo beſtimmte Form, daß ſie nicht minder charakteriſtiſche Kennzeichen abgeben als die Zähne der Säugetiere, und daß man gerade ſo wie bei dieſen aus ihrer Form auf die Lebensweiſe des Tieres ſchließen kann. Ich erinnere mich aus der Zeit, als ich ein eifriger Schüler des Profeſſors Ehrenberg war, daß ihm von weit— her ein Gläschen mit Waſſer geſchickt wurde, in welchem ein Rädertier ſich befinden ſollte. Dem Sender lag daran, zu wiſſen, welche Art es ſei. Trotz eifrigen Suchens mit der Lupe war wenigſtens von einem lebendigen Rädertiere nichts zu entdecken; es war, ob— wohl mit Schnellpoſt gegangen, abgeſtorben. „Aber die Kiefer müſſen doch da ſein, auch wenn der übrige Körper ſich zerſetzt hat!“ ſagte mein Lehrer, und richtig, als das Waſſer behutſam abgeſchüttet war, fanden ſich im letzten Tröpfchen die geſuchten Or— gane und ließen die ſichere Beſtimmung der Spezies zu. In der Mitte des Noteus zieht ſich ein buchtiger, ſehr geräumiger Darmkanal (a) herab. Allen Rädertieren kann man in den Magen ſehen und dabei wahrnehmen, wie die aufgenommene Speiſe durch eine Wimperbekleidung der Darm— wandung in einer kreiſenden Bewegung er— halten wird. Es wird dadurch ungefähr die periſtaltiſche Bewegung anderer Tiere erſetzt. Die beiden flügelförmigen Anhänge (b), welche auf dem oberen Teile des Darmkanales aufſitzen, laſſen ſich mit den Speichel- drüſen vergleichen. Ein beſonderes Gefäßſyſtem hat kein Rädertier, nicht einmal ein iſoliertes herzartiges Organ, welches allen Gliedertieren eigen iſt. Die Blutflüſſigkeit iſt eben ganz frei in der die Eingeweide umgebenden Leibeshöhle enthalten, und zwar in einem Zuſtande der Verdünnung durch willkürlich aufgenommenes Waſſer. Man ſieht häufig die Rädertiere zuſammenzucken und dabei ihren Körperumfang beträchtlich verringern. Dies kann gar nicht anders geſchehen als durch das Auspreſſen eines großen Teiles der in ihrem Leibe enthaltenen Flüſſigkeit, an deren Stelle beim Wiederaufblähen des Körpers wohl durch eine Offnung im Nacken Waſſer aus der Umgebung eintritt. So auffallend dieſe Blutverſchwendung erſcheint, hat ſie bei anderen niederen Tieren, z. B. den Polypen, doch ihr Analogon und iſt als eine Thatſache hinzunehmen. Eine andere regelmäßige Aus— ſcheidung aus dem Blute findet durch die geſchlängelten beiden Kanäle (ad) ſtatt, welche in eine von Zeit zu Zeit ſich entleerende Blaſe (e) einmünden (ſ. Abbild. S. 97). Unſer Noteus zeigt einen ſehr entwickelten Eierſtock (e). Man hat die Rädertiere lange Zeit für Hermaphroditen gehalten, weil man keine männlichen Generationswerkzeuge finden konnte. Es ſtellte ſich aber heraus, daß man von faſt allen beſchriebenen Arten Kiefer des Rückenauges. 300 mal vergrößert. Hydatina senta. Beobachtungen Ehrenbergs. 99 nur Weibchen geſehen hatte, und daß die Männchen, ſelten und feltener als bei vielen niederen Krebſen, auf die wunderbarſte Weiſe in ihrem Bau von den weiblichen Indi— viduen abweichen. Durchweg ſind ſie viel kleiner und ſind ihnen bei gänzlicher oder faſt vollſtändiger Verkümmerung des Darmkanals die Freuden der Tafel verſagt; ſie ſpielen überhaupt eine höchſt untergeordnete Rolle, ſcheinen nur eine kurze Zeit des Jahres von dem anderen Geſchlechte gelitten zu werden und dann vom Schauplatze zu verſchwinden. Nur durch ihr Zuthun entwickeln ſich wie bei den Daphniden unter den Phyllopoden Winter— eier, ſonſt geht die Vermehrung nach Produktion weichſchaliger Sommereier vor ſich. An die Familie der Schildrädertierchen mit dem Panzer und dem längeren, ge— ringelten und dem Endgriffel verſehenen Fuße ſchließt ſich die panzerloſe Familie der Kriſtallfiſchchen (Hydatinaea) an mit kurzem Fuße. Beſonders an der weitver— breiteten, in kleinen, ſtehenden Gewäſſern und in frei ſtehenden Waſſerbehältern oft millionen— weiſe vorkommenden Hydatina senta machte Ehrenberg ſeine Erfahrungen über den komplizierten Bau dieſer mikroſkopiſchen Weſen. „In kleinen Cylindergläſern von der Dicke ſtarker Federſpulen ſind ſie ſehr gut zu beobachten und ſchon mit bloßem Auge erkennbar. Haben fie darin Nahrung, jo legen fie alsbald dicht unter dem Waſſerrande ihre horizontal gelegten Eier am Glaſe ab, die man mit der Lupe deutlich erkennt und unter dem Mikroſkop im verſtöpſelten weißen Glaſe beobachten kann. Mit einer pinſelartigen Federſpitze kann man ſie abnehmen, auf ein flaches Glas bringen und fie offen betrachten. Schon nach 2— 8 Tagen ſieht man reichliche Ver— mehrung der Tiere und leere Eierſchalen unter den vollen Eiern. Über das Erkenntnis— vermögen, die Wahlfähigkeit und den Ortsſinn, auch einen Geſellſchaftsſinn dieſer Tier— chen kann kein Zweifel bei denen bleiben, welche ſie mit Luſt beobachten. Man mag dieſe Erſcheinungen Inſtinkt, oder wie man will, nennen, ſo bleiben es jedenfalls Geiſtesthätig— keiten, die man doch nur aus Eitelkeit gern niedriger ſtellt, als ſie es ſind.“ Wir müſſen hier zur Ergänzung unſerer obigen Angaben über den Bau des Noteus hinzufügen, daß man bei allen größeren Rädertieren in der Schlund- und Nackengegend eine anſehnliche Nervenmaſſe, dem Schlundring der Gliedertiere entſprechend, entdeckt hat, und daß bei vielen mit dieſer Art von Gehirn Augen mit ordentlichen, lichtbrechenden und zur Bilderzeugung dienlichen Linſen in unmittelbarer Verbindung ſtehen. Über die ans Fabelhafte grenzende Vermehrung der Hydatina senta leſen wir ferner in dem großen Infuſorienwerke Ehren— bergs: „Ein junges Tierchen bildete ſchon in 2—3 Stunden nach dem Auskriechen die erſten Eikeime aus, und binnen 24 Stunden ſah ich aus zwei Individuen durch Eibil— dung (Keimbildung; — ich weiſe auf die Sommereier der Daphnien) 8 entſtehen, 4 aus einem größeren, 2 aus einem kleineren. Bei gleicher Fortbildung von täglich 4 Eiern und deren Ausſchlüpfen gibt dies in 10 aufeinander folgenden Tagen eine mögliche Produktion von 100,048,576 Individuen von einer Mutter, am folgenden elften Tage aber 4,000,000. Dergleichen Berechnungen ſind nun zwar, beſonders für längere Zeiträume, deshalb ſehr unſicher, weil eine ſolche Produktivität bei einem und demſelben Organismus nie ſehr lange anhält; allein, wenn es ſich um die Erklärung der faſt plötzlichen Erſcheinung großer und auffallender Mengen ſolcher Organismen handelt, ſo geben die obigen Erfahrungen dem nüch— ternen Beurteiler Mittel an die Hand, um alle eingebildete Zauberei und Myſtik in das Ge— leiſe der gewöhnlicheren, an ſich weit mächtiger ergreifenden wahren Naturgeſetze zu bringen.“ Manche Formen legen ihre Eier ab, andere tragen ſie an ihren Leib geheftet mit ſich herum, und die dritten endlich ſind lebendig gebärend. So der gemeine Rotifer vulgaris. Hier durchlaufen die Eier in der Leibeshöhle ihre Entwickelung und werden ſo groß, daß 100 Würmer. Erſte Klaſſe: Rädertiere; Familie: Weichrädertierchen. ſie vom Gehirn der Mutter bis in den Anfang des Fußes reichen. Bald fangen ſie an in dem Leibesraum herumzutaſten und legen ſich ſo, daß ihr Kopf neben der Kloake des elter— lichen Individuums zu liegen kommt, deren Wandung ſie, da eine beſondere Geburtsöffnung nicht vorhanden iſt, durchbrechen, um durch den After den mütterlichen Körper zu verlaſſen. - Unter den Hydatinaeen befinden ſich mehrere Rieſen der Klaſſe, und zwar in der Gattung Rückenauge (Notommata), zu deren Kennzeichen das große eine Auge gehört. Sehr verbreitet iſt die Notommata myrmeleo, ein gefräßiges Raubtier, deſſen Charakter ſich auch in dem einer Spitzzange gleichenden Kiefergerüſte ausſpricht. Die wichtigeren Organe liegen in dieſem Tiere, das man auf ſeinen raſtloſen Fahrten ſehr gut mit bloßem Auge verfolgen kann, überaus klar zu Tage (ſ. Abbild. S. 101). Die Fangzange (g) wird aus einer trichterförmigen Mundvertiefung vorgeſchoben. Daran ſchließt ſich ein dünner Schlund. Am Ende desſelben liegen ein Paar Doppeldrüſen (a), die Speicheldrüſen. Der unregelmäßig kugelige Körper (b) iſt der Magen. Der Darm (c) mündet gemeinſchaftlich mit dem Eier: ſtock (d) in die Kloake, welche in dem abgezeichneten Exemplare gerade ein durchpaſſie— rendes Ei enthielt. Höchſt entwickelt, wie bei den meiſten großen Rückenaugen, ſind die Waſſer- oder Ausſcheidungsgefäße (e) mit der kontraktilen Blaſe (f). Eine ſehr merkwürdige Form iſt die vom vielgereiſten Schmarda in Oberägypten aufgefundene Hexarthra polyptera, welche allerdings mit ihren drei Paar ſymmetriſch angeordneten, an der Bauchſeite ſtehenden beweglichen Anhängen ganz ungemein an einen Gliederfüßer erinnert. Die am meiſten beſprochenen und gemeinſten aller Rädertiere, an welchen die Rad— bewegung am früheſten geſehen wurde und am öfteſten und leichteſten ſich beobachten läßt, gehören in die Familie der Weichrädertierchen (Philodinaea). Unter ihnen zeichnet ſich die Gattung Rüſſelrädchen (Rotiker) durch zwei auf einer Art von Stirnrüſſel befindliche Augen und einen gabelartig endenden Fuß aus, welcher, wie in der ganzen Familie, nach Art eines Fernrohres ein- und ausgezogen werden kann. Der eigentliche Aufenthalt des Tieres ſowie der meiſten ſeiner Genoſſen ſind ſtehende Gewäſſer, in denen es ſich zwiſchen den Waſſerfäden und Algen ſo anhäufen kann, daß es die kleinen Pflanzen wie ein Schimmel überzieht. Doch leben viele auch im Meere und hier in der Regel ent— weder auf der Oberfläche des Waſſers oder paraſitiſch auf Krebschen, bei Ringelwürmern, in Hautgrübchen von Synapten ꝛc. Andere leben zwar im Feuchten, aber doch nicht eigent— lich im Waſſer und find auch in der Regel Schmarotzer. Eine Art (Drilophaga buce- phalus) hauſt äußerlich auf der Haut eines kleinen Regenwurms (Lumbriculus variega- tus) des ſüßen Waſſers, kann ſich aber von ſeinem Wirte loslöſen, davonkriechen oder, indem ſie ihr Räderorgan entfaltet, elegant von dannen ſchwimmen. Andere wohnen in der Leibeshöhle von Regenwürmern und Nacktſchnecken. In der ſeltſamen Kugelalge (Volvox globator) findet ſich ein Rädertier (Notommata parasitica), welches die in der— ſelben enthaltenen Tochterkolonien frißt und an ihre Stelle ſeine Eier legt. Eine räderloſe Art (Acyclus inquietus) ſiedelt ſich in Kolonien anderer feſtſitzender Rädertiere (Megalo— trocha) an, welche es an Größe weit übertrifft, und ſie iſt nun nicht in dem Sinne paraſit, daß ſie ſich von dem Körper ihrer Genoſſen ernährt, ſie geht bloß als ſogenannte Kom— menſale bei ihnen zu Tiſch. Sie ragt wie ein Rieſe über die anderen hervor, zieht ſich aber oft zuſammen, um mit ihrem Maule in das Niveau des von den Megalotrochen erzeugten Wimperſtromes zu gelangen, welcher die Nahrung auch für ſie mit herbeiwirbelt. Notom— mata petromyzon heftet ſich an die Kolonien der Glockentierchen und legt hier ſeine Eier ab. Von hervorragendem Intereſſe ſind aber einige Verhältniſſe, welche zwiſchen Pflanzen und Rädertierchen vorkommen, und die man erſt in neuerer Zeit kennen gelernt hat. Auf Rückenauge. Rüſſelrädchen. 101 einer Süßwaſſeralge (Vaucheria geminata) leben in Nordamerika Rotatorien, welche wahrſcheinlich durch irgend einen Reiz an den Fäden derſelben Auswüchſe hervorbringen, in denen ſie hauſen und ihre Eier ablegen. Die intereſſanteſten Mitteilungen in dieſer Beziehung verdanken wir aber dem Dr. Zelinka in Graz. Rückenauge (Notommata myrmeleo) von der Seite. (Nach dem Leben von Simroth.) 200 mal vergrößert. Gewiſſe, auf feuchten Plätzen wachſende Lebermooſe aus der Familie der Jungerman— niaceen, und zwar zu den Gattungen Lejeunia und Frullania gehörig, beſonders aber Radula complanata, werden von zahlreichen Individuen einer Rädertierart (Callidina para- sitica) bewohnt. Die betreffenden Mooſe finden ſich auf der Rinde von Eichen und Buchen und ſind auf der Unterſeite mit glockenartigen Bildungen oder Kappen (beſonders Frul- lania dilatata) verſehen, in denen je 1— 3 Rädertiere ſtecken, aber mehr an den Neben— zweigen und nach der Spitze derſelben zu. Die abgeſtorbenen Kappen vermeiden ſie, weil 102 Würmer. Erſte Klaſſe: Rädertiere; Familie: röhrenbewohnende Rädertiere. entweder an dieſen die Sauerſtoffabſcheidung aufgehört hat, oder weil dieſe, in Verweſung begriffen, die umgebende Feuchtigkeit verderben. Wenn die Kappe beſchädigt wird, dann wandern die Tiere aus, kriechen haſtig an der Pflanze herum, bis ſie eine unbeſchädigte neue aufgefunden haben. Bei feuchter Witterung und bei heller zufolge des nächtlichen Taues ſind die Moosraſen meiſt feucht genug, daß die Rotatorien ſich in ihnen entfalten können; dann ſchauen ſie mit ihren Räderapparaten aus den Kappen heraus und wirbeln eifrig. Sollte die Pflanze ja einmal zu trocken werden, nun — ſo iſt das auch noch kein Unglück. Unſere Callidina zieht ſich dann in den Grund ihres Häuschens zuſammen, ver— ſinkt in ein latentes Leben und träumt dahin, auf beſſere, feuchtere Zeiten wartend. Aber das Rädertier hat, abgeſehen von der Wohnung, noch einen Vorteil von der Pflanze, welcher aber zugleich einer für dieſe iſt. Dieſe Mooſe werden nämlich von para— ſitiſchen Algen heimgeſucht, welche denſelben ſehr beſchwerlich fallen und ihr Wohlſein weſentlich beeinträchtigen, von dieſen aber ernähren ſich die Rotatorien, welche ſomit große Wohlthäter für die Jungermanniaceen werden. Wieder ein ausgezeichneter Fall von Sym— bioſe, wie wir ſchon welche von Einſiedlerkrebſen und Seeanemonen kennen lernten, und Zelinka iſt geneigt, die Entwickelung der Kappen auf die Gegenwart der Rädertiere zurück— zuführen, welchen die Pflanzen dadurch gewiſſermaßen entgegenkommen. Es ſind Lockmittel, damit ſich die gern geſehenen, weil nützlichen Gäſte wohl fühlen und ſich gern niederlaſſen. Die betreffenden Rädertiere ſind blind und führen hauptſächlich ein nächtliches Leben, und ſollte ja einmal Dürre eintreten, dann können ſie dieſelbe, wie geſagt in einer Art Lethargie befangen, vergeſſen. Noch nach Monaten, vielleicht Jahren kann man ſie durch Anfeuchtung der aufbewahrten Moosſtückchen zu friſcher Thätigkeit entfachen. Eine Kälte von 26 Grad Celſius war den Callidinen ebenfalls gleichgültig. Brachte man Moos— raſen im Winter in nicht zu warme Lokale und befeuchtete ſie mit friſchem, kaltem Waſſer, ſo zeigten ſich ihre Gäſte ebenſo reichlich wie in anderen Jahreszeiten. Über das berühmte Eintrocknen der Rotatorien verdanken wir beſonders einem anderen Forſcher, Dr. Plate, nähere Mitteilungen, aus denen hervorgeht, daß dieſer Vor- gang zwar auftritt, früher aber in ſeiner Verbreitung und Bedeutung überſchätzt worden iſt. Schon Davis hatte nachgewieſen, daß eine Callidine nur dann zum Leben zurückkehrt, wenn ſie nicht ganz eingetrocknet war, dieſes Eintrocknen geht aber ſehr ſchwer vor ſich, da ſich die Tiere vorher mit einer Schleimſchicht umgeben. Plate wies nun nach, daß kein Rädertier, das dauernd im Waſſer lebt, im ſtande iſt, nach dem Eintrocknen wieder bei neuer Befeuchtung zu ſich zu kommen. Umgekehrt vermochte Callidina magna, und wahrſcheinlich verhält es ſich ſo mit allen Moosphilodinen, nicht auf die Dauer im Waſſer zu exiſtieren, obwohl doch dieſes ihr eigentliches Lebenselement von Haus aus iſt. Sie haben ſich im Laufe der Zeiten nun einmal ſo angepaßt, daß nur ein intermittierendes Daſein, kurz abwechſelnde Periode von Feuchtigkeit und Dürre, von aktivem und latentem Leben ihnen zuſagen. Früher hatte man die Verhältniſſe der geographiſchen Verbreitung unſerer Tiere, die eine enorm weite iſt, auf die Fähigkeit zurückgeführt, daß fie eben auf ein Minimum zurück— gezogen eintrocknen und dann vom Winde überallhin verſchlagen werden könnten. Es ſcheint aber, daß dieſe Erſcheinung mehr auf ihren Wintereiern beruht. Allerdings iſt es richtig, zwiſchen den Flechten und dem Mooſe auf Dächern und im Sande der Dachrinnen ſind ſie zu finden, und ſie ſcheinen faſt überall fortzukommen. Ehrenberg traf dieſelben Arten in Moos von Potsdam und Berlin wie in ſolchem von den Zedern des Libanon, und dieſelben Callidinenarten ſcheinen ganz Europa, Nordamerika und Neuſeeland zu be— wohnen. Schmarda fand Rädertiere in dem konzentrierten Salzwaſſer des Teiches el Kab in Oberägypten und in den Höhen der Kordilleren, Ehrenberg wies ſie nach (Philodina Eintrodnen der Rädertiere. Blumentierchen. Kugeltierchen. 103 roseola) im Schnee der Alpenſpitzen, wo ſie von beſonderen Algen leben, und in Erd— proben, welche die Gebrüder Schlagintweit im Himalaja in einer Höhe von 18,000 Fuß geſammelt hatten, und Dr. Joſeph entdeckte neun Arten in den Höhlen Krains. Als einen Repräſentanten aus einer letzten großen Familie, welche man als die röhrenbewohnenden Rädertiere bezeichnen kann, da wenigſtens die meiſten in Hülſen ſtecken, führe ich noch das Blumentierchen (Flos— eularia) vor. Das auf: fallendſte an ihm iſt eine extreme Umbildung des Räderorgans. Statt des— ſelben erblicken wir auf den fünf kegelförmigen Her— vorragungen des Kopfran— des Büſchel langer, zarter Fäden, die ſchon deshalb nicht Wimpern genannt werden können, weil ſie ſtarr und faſt unbeweglich ſind. Faſt im Mundtrichter findet ſich der die Nahrung zuwirbelnde Wimperbeſatz. Das Tier iſt von einer feinen, gallertigen Hülle umgeben, in welche es ſich, wie ähnliche Gattungen, durch Zuſammenſchnellen des Fußes zurückziehen kann. Am merkwürdigſten verhalten ſich wegen einer gemeinſchaftlichen Hülle die Kugeltierchen (Cono— chilus), indem eine ganze Anzahl weiblicher Indivi— duen in einer frei ſchwim— menden Gallertkugel ſo ſtecken, daß ſie mit den | Köpfen über die Oberfläche Blumentierchen (Floscularia ornata). 200 mal vergrößert. der Kugel hervorragen und durch gemeinſame Wimperthätigkeit mit vereinten Kräften die einen Teil ihrer Welt be— deutende Kugel in gemeſſene, drehende Bewegung verſetzen. Die Männchen dieſer Art leben aber einzeln und ohne Hülle. Manche (3. B. Melicerta pilula) bauen ſich ſehr elegante Wohnhülſen aus Ballen ihres eignen Kotes. 104 Würmer. Erſte Klaſſe: Rädertiere; Fam.: Bauchhärlinge. Zweite Klaſſe: Sternwürmer. Am beſten läßt ſich an die Rädertiere eine wenig zahlreiche Geſellſchaft kleiner Ge— ſchöpfe anſchließen, deren umfaſſendſte Unterſuchung wir wieder Zelinka verdanken. Es find dies Bauchhärlinge (Gastrotricha oder Ichthydinae). Dieſe Tiere find von ab: geflachter flaſchen-bis wurmförmiger Geſtalt, haben unten zwei Längsreihen von Wimpern, welche wieder in queren Reihen ſtehen. Auf dem Rücken haben ſie Hornſchüppchen oder Borſten, ebenſo ſtehen in der Nähe des Mundes verlängerte Wimpern. Ihre Nahrung beſteht aus kleinen tieriſchen oder pflanzlichen Organismen. Oft fangen ſie ziemlich große Infuſorien, welche ſie durch ſchlagende Bewegungen ihres Kopfes zerſtoßen. Sie ſchwimmen bald nach Nahrung herum, bald bleiben ſie ruhig vor Anker liegen und wimpern ſich mit ihrem Wimperkleide die Nahrung zu. Meiſt verſchlucken ſie dieſelbe haſtig mit bedeutenden Quantitäten Waſſer, das der Vorderdarm raſch hinabſtürzt bis zum Enddarm, während die Nahrung durch eine Art Reuſenapparat im Mitteldarm angehalten wird und langſam oder bisweilen mit ruckweiſer Bewegung, wie ſie verdaut wird, dem After zu wandert. Die Tiere ſchwimmen aber immer nur nach vorn, können dabei allerdings raſche Wendungen ausführen. Von Sinnesorganen ſind nur Taſtapparate vorhanden. Die Gaſtrotrichen ſcheinen Zwitter zu ſein, doch konnte Zelinka niemals männliche Geſchlechtsorgane finden. Die Individuen, welche ihre Eier ablegen wollen, ſuchen in Algenbündelchen oder leeren Schälchen von Muſchelkrebschen geeignete Verſtecke für die— ſelben, welche aber immer erſt ſehr ſorgſam von allen Seiten betaſtet und gemuſtert werden. Die Eier ſelbſt haben auf ihrer Schale allerlei Ankerapparate, Stacheln, mit Widerhaken verſehene Säulchen und Pyramiden, durch welche ſie feſt verankert werden können. Man kennt nur Süßwaſſerarten. Zweite Klaſſe. Die Sternwürmer (Gephyrei). Auch die Sternwürmer (Gephyrei) haben betreffs ihrer Syſtematik eine ziemlich bunte Geſchichte hinter ſich. Die älteren Naturforſcher ſahen in ihnen bald Ringelwürmer (Pallas), bald Seewalzen (Fabricius) oder gar Kratzer; Cuvier zählt ſie zu den Echinodermen, aber ſchon Rolando (1821) betrachtet ſie als Bindeglieder zwiſchen dieſen und den Ringelwürmern, in welcher Anſchauung ihm der franzöſiſche Zoolog Quatrefages folgt, der die Klaſſe zuerſt als Gephyrea (nach dem griechiſchen Wort für Brücke, alſo Brücken- oder Verbindungstier) benennt. Später hat man gelegentlich wohl einmal die Rädertiere oder gar, als man das Männ— chen von Bonellia näher kennen gelernt hatte, die Strudelwürmer für verwandt angeſehen, gegenwärtig dürfte wohl ziemlich allgemein die Anſicht verbreitet ſein, daß die Sternwürmer entartete Ringelwürmer ſeien. Selenka definiert die Klaſſe ſo: „Anneliden mit degene— rierter Segmentation und ohne äußere Gliederung, ohne Fußſtummel und ohne Rücken— kiemen. Das Gefäßſyſtem iſt geſchloſſen, es find 1—3 (ſelten 6) Paar Segmentalorgane vorhanden. Selten finden ſich zahlreiche Borſten, meiſt keine. Die Geſchlechter ſind getrennt.“ Als ich im Frühjahr 1852 zum erſtenmal die dalmatiniſche Inſel Leſina beſuchte, um dort niedere Tiere, namentlich Würmer, zu ſtudieren, führten mich die vom gleichen In— tereſſe beſeelten und ſchnell gefundenen Freunde Botteri und Boglich über die Berge hinab nach der Bucht von Socolizza, an deren Strande wir zahlreiches Getier würden ſammeln können. Schon mancher Stein war umgewendet, Nereiden und andere Borſtenwürmer in Allgemeines. Bonellia. 105 die Gläſer gewandert, neue mikroſkopiſche Ausbeute ſtand für daheim in Ausſicht, als ich etwa 1 Fuß tief unter Waſſer unter einem großen Steine ein intenſiv grünes, wurmartig ſich bewegendes Weſen bemerkte. Ich faßte ſchnell zu, der Stein wurde weggehoben, und mein vermeintlicher Wurm erwies ſich als der mit zwei ſeitlichen Flügeln endigende Rüſſel eines bis dahin von ſehr wenigen Zoologen geſehenen Wurmes, der Bonellia viridis. In einem Becken erhielt ich ihn einen Tag lebend, und wir konnten uns zuerſt an den wun— derlichen Bewegungen nicht ſatt ſehen. Ein grüner Farb— ſtoff, der ſich dem Weingeiſt, in dem man das Tier aufhebt, mitteilt, aber nicht der gleiche, wie der des pflanzlichen Blatt— grüns, wie man früher ver— mutete, ſondern ein ſelbſtän— diger iſt, färbt Körper und Rüſſel. Erſterer iſt mit vielen kleinen Warzen bedeckt und der mannigfaltigſten Zuſammen— ſchnürungen und Einziehungen fähig, bald kugelig, bald ei— förmig, dann wieder gleiten Wellenbewegungen von hinten nach vorn, wo ſie ſich in leich— ten Schwingungen dem Rüſſel mitteilen. Dieſer iſt womög— lich ein noch größerer Proteus als der Körper, indem er von einigen Centimetern ſich bei den größeren Exemplaren (von etwa 8 em Körperlänge) auf ½ m und darüber ausdehnen kann. Die Mundöffnung an unſerem Wurme iſt am Grunde < des Rüſſels, der eine mit Wim⸗ a) Bonellia. b) Phascolosoma. e) Priapulus. Natürliche Größe. pern ausgekleidete Längsfurche hat, die Afteröffnung am Hinterende. Charakteriſtiſch ſind auch noch zwei kurze, ſtarke Borſten unweit des Vorderendes. Mehr als ſich ausſtrecken und zuſammenziehen that meine Bonellia nicht. Nach Be— obachtungen von Lacaze-Duthiers verläßt ſie gelegentlich ihre Schlupfwinkel und kriecht mit Hilfe ihres Rüſſels, deſſen beide Vorderhörner wie Saugnäpfe fungieren. Der Wurm kann in ſehr enge Felſenſpalten ſchlüpfen, da ſein Körper äußerſt ſchmiegſam iſt. Es hat ſich ſpäter gezeigt, daß er an dem Strande von Socolizza eins der gemeinſten Tiere iſt; er liebt aber nicht das volle Tageslicht, ſondern die Morgendämmerung. Man findet ihn aber jederzeit, wenn man in dem mit Sand gemiſchten Gerölle /2— 1 Fuß tief gräbt. Wir kennen nun ſein Vorkommen von Fiume bis zu den Baleariſchen Inſeln und an der Küſte von Kanada (Nova Scotia). Dieſe nach dem Turiner Entomologen Bonelli genannten Tiere ſind, wie ſchon ihre ſonderbaren Geſtalten zeigen, ſehr aparte Geſchöpfe. Sie leben ſämtlich in größter 106 Würmer. Zweite Klaſſe: Stern würmer. Zurückgezogenheit, machen, ſoweit man dahinter gekommen, auffallende Verwandlungen durch und werden ſelbſt von den meiſten Küſtenbewohnern ihres Stilllebens halber, und weil ſie völlig ohne Nutzen und Schaden ſind überſehen. So ſonderbar wie ihre Geſtalt iſt auch das geſchlechtliche V Da der Bonellien. Früher kannte man bloß die im obigen beſchriebenen Weibchen. Lacaze-Duthiers hatte zwar die Männchen ſchon geſehen, aber für Paraſiten gehalten. Wir verdanken ihre ge— nauere Kenntnis vor allen dem Gießener Profeſſor J. W. Spengel. Die Männchen ſchwimmen im Larvenzuſtande als kleine, mit Wimpern bedeckte Würm— chen vom Habitus gewiſſer Strudelwürmer umher, unſtet und gewiſſermaßen ſuchend, bis ſie in die Nähe des Rüſſels eines weiblichen Tieres gelangt ſind. Sobald ſie dieſen berührt haben, laſſen ſie ſich auf demſelben nieder, kriechen an ihm eine Weile auf und ab und zwar meiſt entlang der Wimperfurche, machen endlich an irgend einer Stelle Halt und ver— bleiben geraume Zeit an dieſer. Darauf begeben ſie ſich durch die Mundöffnung in die Speiſeröhre, wo man ihrer bisweilen eine ganze Anzahl, bis zu 18 Stück, bei einander findet. Hier wird ihre Verwandlung vollendet, worauf ſie die Speiſeröhre verlaſſen, die Geſchlechtsöffnung ihres Weibchens und Wirtes zugleich aufſuchen, um ſich im vorderen Ab— ſchnitt des Genitalapparates, öfters auch in größerer Zahl, bis 10 und mehr, häuslich nieder— zulaſſen und die Befruchtung zu vollziehen. Vielleicht nur bei Rankenfüßern kommt, wie wir in dem Vorhergehenden ſahen, eine ähnliche Verſchiedenheit in der körperlichen Be— ſchaffenheit und Lebensweiſe der beiden Geſchlechter vor. Einer über alle Meere verbreiteten Familie der Sternwürmer gehört Phascolosoma an. Die meiſten Arten dieſer und einiger anderen Gattungen wohnen in ſelbſtgebohrten Gängen in Steinen und Felſen. Einzelne Arten, z. B. das 3—5 cm lange Phascolosoma granulatum, findet ſich zu Millionen an günſtigen Lokalitäten der dalmatiniſchen Küſte, in geſchützten Buchten mit Vegetation der Strandzone. Nur iſt es kein leichtes Geſchäft, ſich ihrer zu bemächtigen. Hat man ſie auch an dem nicht vollkommen zurückgezogenen Rüſſel erfaßt, ſo reißen ſie, ſich hinten aufblähend, eher ab, als daß ſie nachgeben. Man muß alſo das feſte Geſtein mit dem Hammer zerſchlagen, wobei natürlich mancher der hartnäckigen Würmer ſeinen Teil für immer bekommt. Hat man endlich eine Anzahl in einem Becken vor ſich ſtehen, ſo geht der Arger erſt recht an. Sie liegen anfangs wie tot da, kleine Würſte, das rüſſelartige Vorderteil vollſtändig eingeſtülpt. Nach einiger Zeit fangen ſie an, wie Handſchuhfinger ſich auszukrempeln, gelangen aber bei 20 — 50 maligen Verſuchen ſelten dazu, das äußerſte, mit kleinen, fingerförmigen Fortſätzen verſehene Ende des Rüſſels zum Vorſchein zu bringen. Und haben ſie es wirklich ſehen laſſen, ſo ziehen ſie es ſicherlich im nächſten Augenblick wieder ein. Zu ihrer Entſchuldigung darf man nicht vergeſſen, daß ihre Situation in einem offenen, lichten Gefäß allerdings eine ganz andere iſt als in ihrer Steinröhre, vor welcher die rötlichen und grünlichen Algen ein ſanftes, wohlthuendes Licht verbreiten. Denn obwohl augenlos, ſind ſie, gleich ſo vielen anderen augenloſen Tieren, für den Lichtreiz ſehr empfänglich. Für die ſyſtematiſche Stellung iſt außer dem einziehbaren Rüſſel auch die 90 der Darmöffnung näher dem Vorder- als dem Hinterende am Rücken wichtig. Mit dieſen Eigen— ſchaften verbindet der Spritzwurm (Sipunculus) eine längs- und quergerippte und da— durch genetzte Haut. In den europäiſchen Meeren, aber auch in den oſt- und weſtindiſchen, lebt vom flachen Waſſer an bis in Tiefen bis zu 2400 m der gemeine Spritzwurm (Sipunculus nudus), der die Länge von 15 em erreicht. Das dritte der auf S. 105 abgebildeten Tiere, Priapulus, zeigt auch ſchon im Außeren eine ſo eigentümliche Bildung, daß er eine Sonderſtellung beanſprucht. Der vordere, ſchwach keulenförmig verdickte Körperteil iſt der Rüſſel, auf deſſen vorderer, abgeſtutzten Fläche die Phascolosoma. Spritzwurm. Priapulus. Echiurus Pallasii. 107 ziemlich große Mundöffnung fich befindet. Die Längsrippen des Rüſſels find mit kleinen, ſcharfen Spitzchen beſetzt. Der eigentliche Körper iſt vom Rüſſel durch eine Einſchnürung getrennt und durch deutliche Furchen geringelt. Der Schwanz erſcheint als ein büſchel— förmiger Anhang des Körpers, und auf der Grenze zwiſchen ihm und dem Körper liegt die Darmöffnung. Was über die Verbreitung und Lebensweiſe der Priapeln bekannt geworden, hat Ehlers zuſammengefaßt. Das Vorkommen des Priapulus ſcheint auf die Küſten der nördlichen Meere beſchränkt zu ſein, hier aber wird das Tier, je weiter nach Norden, um ſo häufiger. In ſeinem ganzen Verbreitungsbezirk von Grönland, Island, Norwegen bis zu den britiſchen Küſten lebt der Wurm auf dem thonigen oder ſandigen Boden in verſchie— dener Tiefe. Er gräbt ſich, wie es ſcheint, durch Vorſtoßen und Zurückziehen des Rüſſels Gänge von der Länge des Körpers, die durch ein aufgeworfenes Häufchen kenntlich ſind. In dieſen liegt er ruhig, während der Schwanz allein in das umgebende Waſſer hineinragt. Alle Beobachter, welche lebende Tiere vor Augen hatten, erwähnen das Einziehen des Rüſſels, wenn das Tier beunruhigt war, und ein darauffolgendes plötzliches Wiederausſtülpen im Ruhezuſtande, ganz ähnliche Vorgänge, wie man ſie auch beim Spritzwurm beobachtet. An einem Priapulus, der drei Wochen lang im Aquarium ſich hielt, wurde nie beobachtet, daß das Tier irgend einen beſonderen Verſuch machte, Futter zu ſich zu nehmen. Im Sonnen— ſchein wurde es lebhaft, zog den Rüſſel ein und ſtülpte ihn raſch und plötzlich aus, ent— faltete den großen Schwanzanhang und zog ihn wieder ein, bog den Körper, dehnte ihn aus und verkürzte ihn ohne eine beſtimmte Ordnung der Veränderungen. Was die Nahrung betrifft, ſo unterliegt es keinem Zweifel, daß der Priapulus Pflanzenfreſſer iſt; der Inhalt des Darmes ſpricht dafür. Ein an der nordweſtlichen deutſchen Küſte, beſonders in den weiten Wattenmeeren der weſtfrieſiſchen Inſeln gemeiner Sternwurm iſt Echiurus Pallasii, ein 10—15 cm langes Tier von Geſtalt einer etwas vor der Mitte eingeſchnürten Wurſt mit zahlreichen Querreihen weißlicher kleiner Papillen auf der gelblichen Haut, einem kurzen Rüſſel von Geſtalt einer Kohlenſchaufel, der bei Beunruhigungen ſehr leicht abgeworfen wird. Am Vorderende ſtehen zwei Haken, am hinteren zwei Kränze ſpitzer Borſten. Das Tier bewohnt in verſchiedenen Tiefen ſelbſtgegrabene Röhren in Sand und Schlick. In der Regel ſind dieſe Röhren doppelt, d. h. es laufen ihrer zwei parallel nebeneinander und vereinigen ſich unten durch einen Quergang. Intereſſante Beziehungen exiſtieren zwiſchen Sternwürmern und Korallen, über welche Semper berichtet: „In den tropiſchen Meeren lebt eine ſehr eigentümliche Gattung kleiner Korallen, genannt Heteropsammia, deren Individuen ganz regelmäßig einen Wurm (Aspidosiphon) beherbergen; dieſer gehört zu der Klaſſe der Sipunkuliden. Es iſt ſchwer zu begreifen, welchen Vorteil beide Tiere von ihrer Vergeſellſchaftung haben können; doch muß dies wohl der Fall ſein, da nie eine Koralle ohne jenen Wurm gefunden wird. Ich habe ſelbſt zahlreiche Exemplare der Heteropsammia Michelini im Philippiniſchen Meere gefiſcht und nicht eins ohne den Wurm gefunden; ebenſo geht aus den Abbildungen und Beſchreibungen anderer Arten derſelben Gattung hervor, daß überall das Wohnloch des Gaſtes in der Koralle gefunden wurde. Nun iſt ferner die Gegenwart der Sipunkuliden die Urſache einiger ſehr auffallenden Abnormitäten im Bau der von ihnen bewohnten Korallen; Eigenſchaften, welche man geradezu als ſpezifiſche Charaktere der betreffenden Arten oder der Gattung angeſehen oder beſchrieben hat. Bei den jüngeren Exemplaren iſt die Baſis der frei lebenden Koralle kaum größer als der Umfang des Kelches; bei den völlig ausgewachſenen dagegen iſt jene ſehr viel größer. Dies iſt der erſte Gattungscharakter, welcher durch die Anweſenheit des fremden Tieres hervorgerufen zu ſein ſcheint. Denn das letztere ſetzt ſich an die Baſis der ganz jungen Koralle an und wächſt mit dieſer fort, aber wie es ſcheint ſchneller als jene, ſo daß der Wurm, um nicht bei einem raſchen Wachstum 108 Würmer. Dritte und vierte Klaſſe: Binnenatmer und Ringelwürmer. allmählich über die Baſis hinaus zu wachſen, nun ſich in eine Spirallinie krümmen muß. Dabei ſcheint er die Baſis der Koralle zugleich ſo zu reizen, daß ſie ſtärker als der eigentliche Kelch wächſt, und ſo kommt es, daß allmählich die Baſis den Kelch bedeutend überragt. Auch die (Korallen) Gattung Heterocyathus wird in einzelnen Arten ganz ſo wie Heteropsammia von Sipunkuliden bewohnt und in ihrem Wachstum verändert. „In den Gattungen Heteropsammia und Heterocyathus wird aber zweitens auch noch ein anderer Charakter der Gattung durch den Sipunkuliden in ſehr eigentümlicher Weiſe verändert. Alle mit ſolchen Würmern behafteten Spezies der beiden Gattungen zeigen nämlich ſowohl an der Unterſeite des Fußes als auch an ſeinen Seitenteilen eine ſehr ver— ſchieden große Zahl von Löchern, welche in allen ſyſtematiſchen Werken als ſpezifiſche oder gar als Gattungsmerkmale beſchrieben und beſonders hervorgehoben werden. Dieſe Löcher aber ſtimmen gar nicht mit den Eigentümlichkeiten der Familie überein, denen jene Gat— tungen angehören; denn bei Heterocyathus ſollte eigentlich die Seitenwand der Koralle ganz ohne Löcher ſein, und bei Heteropsammia, welche zu der Gruppe der Korallen mit poröſen Wandungen gehört, ſind die hier beſchriebenen Löcher völlig verſchieden von denen, welche der Koralle ſelbſt eigen. In beiden Fällen werden die Löcher durch den Wurm hervorgebracht; dies beweiſt ihre Unregelmäßigkeit in der Zahl ſowohl als in der Stellung; ſie führen direkt in die ſpiralig gewundene Höhlung, in welcher der Wurm lebt, und ſie folgen genau der Wachstumsrichtung des letzteren. Dieſe Löcher ſtehen in keiner Verbin— dung mit den Hohlräumen der Koralle ſelbſt.“ Die Sternwürmer gehen im Meere bis zu 4570 m Tiefe, und zwar gehen die in Stein— löchern, Muſchelſchalen und Röhren hauſenden Formen tiefer als die frei lebenden. In der Oſtſee kommt eine Art (Halicryptus spinulosus) noch bei Danzig, ja ſelbſt bei Reval, alſo in faſt ſüßem Gewäſſer, mindeſtens in Geſellſchaft echter Süßwaſſertiere vor. Im Anſchluß an die Sternwürmer ſei einer kleinen, nur aus wenigen Arten und einer 2 Gattung beſtehenden Wurmklaſſe vielleicht be: ſonderen Tierkreiſes, der Binnenatmer oder Enteropneusta, gedacht. Ihrem Bau nach ſind die Tiere wurm-, aber ihrer Entwickelung nach echinodermenartig. Der Körper iſt geſtreckt, gegen 15 em lang, drehrund, nach hinten hin, wo er abgeſtutzt endet, ſich langſam verjüngend. Am Kopfende findet ſich ein ſehr beweglicher, kontraktiler Rüſſel von Eiform, welcher an der Stelle, wo er ſich mit dem übrigen Körper ver— bindet, ſtark eingeſchnürt iſt. Auf dem Rüſſel folgt ein platter Abſchnitt, der ſich hinten gegen den übrigen Leib, der etwa ſiebenmal länger iſt, ringartig abſetzt, der ſogenannte Kragen. Das vordere Drittel des übrigen Leibes zeigt x jederſeits eine Reihe von einigen 20 feinen, dicht nebeneinander liegenden Querſpalten, die Balanoglossus clavigerus. Junges Individuum, ſtart pon vorn nach hinten gleichmäßig an Höhe ab⸗ 1 nehmen. Das ſind die Offnungen der Atmungs— werkzeuge, die Kiemenſpalten. Der Mund befindet ſich innen am Rande des Kragens an der Baſis des Rüſſels. Die Tiere ſitzen im Schlamme des Meeres eingegraben, aus dem Balanoglossus clavigerus. Allgemeines über die Ringelwürmer. 109 ihr Rüſſel hervorragt. Derſelbe iſt hohl und ſoll am vorderen Ende nach den Beobachtungen einiger Forſcher eine feine Offnung haben. Durch dieſe ſoll das Tier Atemwaſſer aufnehmen, das in den vorderen Darmabſchnitt übertritt und, des mechaniſch in ihm enthaltenen Sauer— ſtoffes beraubt, durch die Kiemenſpalten abfließen. Die ſonderbare, allerdings an gewiſſe Manteltiere, ja an niedere Fiſche erinnernde Bauart der Reſpirationsorgane hat Veran— laſſung gegeben, die Binnenatmer als nahe Verwandte der Wirbeltiere anzuſehen. Im Darm der Enteropneuſten wird nichts als Sand gefunden, welchen die Tiere verſchlingen, um ſich von den geringen in ihm enthaltenen kleinen Organismen und Organismenreſten zu ernähren. Balanoglossus clavigerus aus dem Golf von Neapel ſoll leuchten. Man kennt zwei Arten aus dem Mittelmeer, eine von der däniſchen und eine weitere von der nordameri— kaniſchen Küſte. Ein fünfte wurde auf der Challenger-Expedition aus dem Atlantiſchen Ozean in der Nähe des Aquators aus einer Tiefe von 4500 m gedredſcht. Vierte Klaſſe. Die Ringelwürmer (Annelides). Der Name beſagt, daß der Körper der in dieſe oberſte Klaſſe gehörigen Würmer aus einer Reihe äußerlich ſichtbarer Ringe oder Segmente zerfällt, von deren Zwiſchenfurchen häutige Scheidewände ſich mehr oder weniger tief in die Leibeshöhle erſtrecken. Die Zahl dieſer einander gleichgebildeten Ringe iſt völlig unbeſtimmt. Der Mund liegt immer hinter dem erſten Segment am Bauche, und bei den meiſten kann der Anfangsteil des Darmes in Geſtalt eines zum Graben oder zum Fangen der Beute geſchickten Rüſſels vorgeſtreckt und ausgeſtülpt werden. Die höhere Stellung der Ringelwürmer zeigt ſich vor allem in der Form und Entfaltung ihres Nervenſyſtems, worin ſie ſich den echten Gliedertieren voll— ſtändig anſchließen. Man hat daher auch in der Energie und Mannigfaltigkeit ihrer Lebens— äußerungen den entſprechenden Anſchluß an die höher organiſierten Gliedertiere zu erwarten. Es iſt kaum geraten, noch mehr in allgemeinen Redensarten von ihnen zu ſprechen, ehe wir uns nicht mit einer mäßigen Anzahl von Formen und Gruppen ſo weit bekannt gemacht haben, daß wir an ein genügendes Material von Anſchauungen und Vorſtellungen unſere weiteren Mitteilungen knüpfen können. Zwei nach ihren Bewegungsorganen zu unter— ſcheidende Hauptabteilungen finden wir im Regenwurm und in dem Blutegel repräſentiert. Der erſtere freilich iſt dieſer Würde inſofern nur unvollkommen gewachſen, als man ihn ſehr genau befühlen und von rückwärts nach vorn durch die Finger gleiten laſſen muß, um ſich von dem Vorhandenſein der für ſeine Abteilung charakteriſtiſchen Borſten zu überzeugen. Er gehört zu den Borſtenwürmern, deren Eigentümlichkeit darin beſteht, daß ſie entweder unmittelbar in die Haut oder in hervorſtehende, fußartige Stummeln eingepflanzte Borſten beſitzen, welche bei den Bewegungen als Stütz-, Stemm- oder Ruderorgane dienen. Ihnen gegenüber gruppieren ſich um den Blutegel die Glattwürmer. 110 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. Erſte Unterklaſſe. Die Vorſtenwürmer (Chaetopoda). Die Borftenwürmer find namentlich gekennzeichnet durch ſeitliche Bündel oder Kämme von Borſten, in denen uns das Mikroſkop eine Reihe der zierlichſten Bildungen offen— bart. Haken, Spieße, Sägen, Pfeile, Meſſer, Kämme, glatte und geriefte Ruder und andere ſtechende und ſchneidende Inſtrumente ſind in dieſen Miniaturborſten zu finden. Die einfacheren Formen, welche den Namen von Haken und Borſten ſchlechtweg verdienen, werden von den beſcheideneren regenwurmartigen Tieren ge— tragen; die feineren, mit beſon— deren Spitzen, Zähnen, Zähn— chen, Klingen und Schneiden verſehenen Borſtengeſtalten ſind ein Schmuck der meiſten Meeresbewohner der Abtei— lung. Nur einzelne der räu— beriſch lebenden Seeringel— würmer dürften in der Art von ihren Borſten Gebrauch machen, daß ſie gelegentlich ihre Beute ſchlangenartig um— ſtricken und mit den Borſten verwunden; durch die Stel— lung der Borſten in Bündeln und breiten Kämmen wird es vielmehr offenbar, daß ſie weſent— lich Bewegungswerkzeuge find. Borftengruppe der Borſtenwürmer. 100 mal vergrößert. Die höchſte Stelle unter den Ringelwürmern nehmen die Wenigborſter oder Regen— wurmartigen (Oligochaeta s. Lumbricidae) ein, welche keine Gliedmaßenſtummel und Kiemen an den Seiten der Ringe und keine Anhänge, weder Fühler noch Cirren am Kopfe beſitzen. Ihre einfachen Borſten ſtehen in geringer Zahl zu ſeitlichen Reihen an— geordnet in Hautgrübchen. Den Stamm bilden natürlich die Regenwürmer. Die zoolo— giſchen Merkmale dieſer Familie ſind die zahlreichen, kurzen Segmente, ein kegelförmiger, eine Oberlippe bildender Kopflappen, die Hakenborſten, welche in 2 oder 4 Zeilen ſtehen und ſehr wenig aus der Haut hervorragen. Außer jener ſogenannten, die Körperſpitze bildenden Lippe haben die Regenwürmer keine beſonderen Sinneswerkzeuge, namentlich weder Augen noch Ohren, gleichwohl ſind ſie für Lichtreiz empfänglich. Hören wir, was W. Hoffmeiſter, welcher die Regenwürmer Deutſchlands in einer Monographie geſchildert hat, hierüber ſagt. „Wer ſich mit der Beobachtung der Lebensweiſe dieſer Tiere beſchäftigt hat, wird ein mächtiges Hindernis für die Beobachtung in der großen Empfindlichkeit der Würmer gegen Lichtreiz gefunden haben. Eine noch ſo vorſichtig genäherte Flamme treibt ſie ſchnell in ihre Höhle zurück; doch ſcheint es immer erſt einer gewiſſen Zeit zu bedürfen, bis der Eindruck perzipiert wird. Denn im erſten Moment pflegen ſie ihre Bewegungen trotz der Lichtflamme fortzuſetzen, dann halten ſie plötzlich inne, gleichſam um zu lauſchen, und dann erſt ziehen ſie ſich mit einem ſchnellen Ruck in ihre Löcher zurück. Iſt der Ein— druck einmal aufgenommen, dann kann ein raſches Fortnehmen des Lichtes den eiligen Allgemeines. Regenwürmer. Il Rückzug nicht aufhalten, ſcheint ihn im Gegenteil durch den Kontraft noch zu beſchleunigen. Nicht der ganze Körper, wie begreiflich, empfindet den Eindruck, ſondern nur die zwei erſten Ringe, an denen die vom Schlundringe ausgehenden Nervenbündel liegen. Ein Wurm, der mit dem Kopfe in das Loch eines Nachbars gedrungen oder unter einem Stück— chen Holz verſteckt war, vertrug die allerſtärkſte Annäherung der Flamme, verſchwand aber ſogleich, ſobald er den Kopf erhoben hatte. Verſucht man bei Sonnenlicht die Mundteile eines Wurmes zu zeichnen und ſetzt ihn zu dem Ende in eine Schale mit Waſſer, ſo wird man allezeit finden, daß er ſtets nach der dem Lichte abgekehrten Seite ſich wendet.“ Die meiſten Regenwürmer füllen ihren weiten Darmkanal ähnlich wie die Sandwürmer, nehmen jedoch nur darum die großen Portionen humusreicher Erde zu ſich, um die darin enthaltenen, in der Zerſetzung begriffenen tieriſchen und vegetabiliſchen Stoffe zu ihrer Nahrung zu verwenden. Von dem Lumbricus agricola, der größten und ſtärkſten Art Gemeiner Regenwurm (Lumbricus agricola). Natürliche Größe. Deutſchlands, welche in üppigem Boden, bei nicht zu ſtarker Dehnung, nicht ſelten die Länge von etwa 40 em erreicht, jagt unſer Gewährsmann: „Die humusreiche Erde genügt ihnen nicht allein; ſie ſuchen nach vermoderten Vegetabilien, und wenn ſie dieſe nicht finden, ſo präparieren ſie ſich ihren Fraß, indem ſie, was ihnen vorkommt, in ihre Löcher herunterziehen. Jedermann weiß, daß die Strohhalme, Federn, Blätter, Papierſtreifen, welche man des Morgens auf den Höfen und in den Gärten in der Erde ſtecken ſieht, als wären ſie von Kindern hingepflanzt, während der Nacht von Regenwürmern verſchleppt werden. Wenige jedoch werden geſehen haben, wie mit ſo ſchwachen Werkzeugen ein Wurm im ſtande iſt, ſo große Gegenſtände zu überwältigen. Wenn man jedoch den Widerſtand erprobt hat, den der Wurm dem entgegenſetzt, der ihn aus dem Loche hervorzuziehen verſucht, ſo wird man ſich über die Muskelkraft eines nur aus Muskeln und Haut beſtehenden Tieres nicht ſo ſehr verwundern. Ein ſtarker Strohhalm wird in der Mitte gefaßt und ſo ſcharf angezogen, daß er zuſammenknickt, und ſo ins Loch hinabgezogen; eine breite Hühnerfeder mit der Fahne war ohne Schwierigkeit in ein enges Loch gezerrt; ein an der Spitze gefaßtes grünes Blatt von einer Himbeerſtaude wurde abgeriſſen.“ Darwin hat in einem nach allen Seiten hin bewunderungswürdigen Büchlein die Bedeutung der Regenwürmer für die Menſchheit und ihre Rolle, welche ſie in der Geſchichte der Erde ſpielen, dargethan und iſt an ihnen, den mit Vorurteil Betrachteten und viel Verfeindeten, gewiſſermaßen zum Ehrenretter geworden. „Die Regenwürmer“, ſagt der große Brite, „haben in der Geſchichte der Erde eine bedeutungsvollere Rolle geſpielt, als die meiſten auf den erſten Blick annehmen dürften. In beinahe allen feuchten Ländern ſind ſie 112 Würmer. Vierte Kl.: Ringelwürmer; Unterkl.: Borſtenwürmer; Fam.: Regenwurmartige. außerordentlich zahlreich und beſitzen im Verhältnis zu ihrer Körpergröße eine bedeutende Muskelkraft. In vielen Teilen von England geht auf jedem Acre von Land (0,105 Hektar) ein Gewicht von mehr als 10 Tonnen (10,516 Kg) trockener Erde jährlich durch ihren Körper und wird auf die Oberfläche geſchafft, ſo daß die ganze oberflächliche Schicht vegetabiliſcher Ackererde im Verlauf weniger Jahre wieder durch ihren Körper durchgeht. Infolge des Zuſammenfallens der alten Wurmröhren iſt die Ackererde in beſtändiger, wenn ſchon lang— ſamer Bewegung, und die dieſelbe zuſammenſetzenden Teilchen werden hierdurch gegenein— ander gerieben. Mittels dieſer Vorgänge werden beſtändig friſche Oberflächen der Ein— wirkung der Kohlenſäure im Boden, ebenſo auch der der Humusſäure ausgeſetzt, welche bei der Zerſetzung des Geſteins noch wirkſamer zu ſein ſcheinen. Die Erzeugung der Humus— ſäure wird wahrſcheinlich während der Verdauung der vielen halb zerſetzten Blätter, welche die Regenwürmer verzehren, beſchleunigt. In dieſer Weiſe werden die Erdteilchen, welche die oberflächliche Humusſchicht bilden, Bedingungen ausgeſetzt, welche ihrer Zerſetzung und ihrem Zerfall ganz eminent günſtig ſind. „Würmer bereiten den Boden in einer ausgezeichneten Weiſe für das Wachstum der mit Wurzelfaſern verſehenen Pflanzen und für Sämlinge aller Art vor. Sie exponieren die Acker— erde periodiſch der Luft und ſieben ſie ſo durch, daß keine Steinchen, welche größer ſind als die Partikeln, die ſie verſchlucken können, in ihr übrigbleiben. Sie miſchen das Ganze innig durcheinander, gleich einem Gärtner, welcher feine Erde für ſeine ausgeſuchteſten Pflanzen zubereitet. In dieſem Zuſtand iſt ſie gut dazu geeignet, Feuchtigkeit zurückzuhalten und alle löslichen Subſtanzen zu abſorbieren, ebenſo auch für den Prozeß der Salpetererzeugung. „Die Blätter, welche zur Nahrung in die Wurmröhren gezogen werden, werden, nach— dem ſie in die feinſten Fäden zerriſſen, teilweiſe verdaut und mit den Abſonderungsflüſſig— keiten des Darmes und der Harnorgane geſättigt ſind, mit viel Erde gemiſcht. Dieſe Art bildet dann den dunkelgefärbten reichen Humus, welcher beinahe überall die Oberfläche des Landes mit einer ziemlich ſcharf umſchriebenen Schicht oder einem Mantel bedeckt. V. Henſen brachte zwei Würmer in ein Gefäß von 18 Zoll Durchmeſſer, welches mit Sand gefüllt war, auf welchen Blätter geſtreut wurden; dieſelben wurden ſehr bald bis zu einer Tiefe von 3 Zoll in die Wurmröhren gezogen. Nach ungefähr 6 Wochen war eine beinahe gleichförmige Schicht von Sand in einer Dicke von 1 cm dadurch in Humus umgewandelt, daß er durch den Darmkanal dieſer zwei Würmer hindurchgegangen war. Von einigen Perſonen wird angenommen, daß die Wurmröhren, welche häufig den Boden beinahe ſenkrecht bis zu einer Tiefe von 5 oder 6 Fuß durchbohren, weſentlich zu ſeiner Entwäſſerung beitragen, trotzdem daß die über den Mündungen der Röhren angehäuften Exkrementmaſſen das Regenwaſſer abhalten, direkt in die Röhren zu dringen. „Die Archäologen ſollten den Regenwürmern dankbar ſein, da ſie für eine ganz un— beſtimmt lange Zeit jeden, nicht der Zerſetzung unterliegenden Gegenſtand, welcher auf die Oberfläche gefallen iſt, durch das Eingraben desſelben unter ihre Exkrementmaſſen ſchützen. „Es iſt wohl wunderbar, wenn wir uns überlegen, daß die ganze Maſſe des ober— flächlichen Humus durch die Körper der Regenwürmer hindurchgegangen iſt und alle paar Jahre wieder durch ſie hindurchgehen wird. Der Pflug iſt eine der allerälteſten und wertvollſten Erfindungen des Menſchen; aber ſchon lange, ehe er exiſtierte, wurde das Land durch Regenwürmer regelmäßig gepflügt und wird fortdauernd noch immer gepflügt. Man kann wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine ſo bedeutungsvolle Rolle in der Geſchichte der Erde geſpielt haben, wie dieſe niedrig organiſierten Geſchöpfe.“ So viel von den auf die allergründlichſten Unterſuchungen geſtützten Angaben Dar— wins, aus denen gewiß hervorgeht, daß nichts verkehrter ſein kann als die Verfolgung der Regenwürmer ſeitens des Menſchen, und es iſt als ein ungeheures Glück zu preiſen, Gemeiner Regenwurm. 113 daß ihre verſteckte, unterirdiſche Lebensweiſe es mit ſich bringt, daß dieſe Verfolgungen ziemlich oder ganz wirkungslos bleiben. Die Sinnesthätigkeiten des Regenwurmes haben uns veranlaßt, ſchon auf feine Lebens— weiſe einzugehen. Wir kehren jedoch nochmals zu ſeinen anatomiſchen Eigenſchaften zu— rück, welche vielleicht mancher Leſer ſich von einem befreundeten Arzt oder Naturforſcher an einem friſchen Tiere darſtellen läßt. Was wir oben über die Blutgefäße geſagt haben, erläutert ſich an kleineren, weniger gut genährten Individuen unſerer Regenwürmer ſehr gut. Mit bloßem Auge ſieht man durch die Haut die oben auf dem Darmkanal ver— laufende Hauptader und ihren rötlichen Inhalt durchſchimmern. Trotz ſeines roten Blutes hat der Regenwurm faſt 2000 Jahre im Syſtem unter den „blutloſen“ Tieren figuriert, bis ihm Linns eine Stelle unter den Tieren „mit weißlichem kalten Blute und einem Herzen mit Kammer, aber ohne Vorkammer“ einräumte. So will alle Erkenntnis, auch die ſcheinbar nächſtliegende, gezeitigt ſein. Jenem Rückengefäß korreſpondiert am Bauche ein zweites Hauptgefäß, mit dem erſten durch eine Reihe von Querſchlingen verbunden. Eine Menge kleiner Adern kann man an einem ſchnell in ſtarkem Weingeiſte getöteten und geöffneten großen Regenwurm aus den Stammgefäßen ihren Urſprung nehmen ſehen, um in feinſten Verteilungen den Körper zu durchtränken und zu ernähren. Als Atmungs— organe treten die Hautbedeckungen ein. Die Regenwürmer und Verwandte ſind Zwitter. Nicht alle Gattungen der Lumbrieina beſitzen den drüſigen Gürtel von weißlicher oder gelblicher Farbe, welcher etwa mit dem 25.—29. Ringe anfängt und ſich 4—10 Glieder weit erſtreckt. Er dient zum gegenſeitigen Feſthalten während der Begattung. Die Eier befeſtigen ſich zunächſt in einem Sekret von Hautdrüſen, welches ringförmig den Körper des Regenwurmes umgibt. Dieſes Sekret erſtarrt zu einer hornigen Maſſe, aus welcher der Wurm herauskriecht, und die dann als Ringkokon zurückbleibt. Der gemeine Regenwurm verlebt den Winter, einzeln oder mit ſeinesgleichen zu langem Schlafe zuſammengeballt, 6—8 Fuß unter der Erde. Die Frühlingswärme weckt auch ihn und lockt ihn wieder empor. Er iſt des Tages Freund nicht, aber in der Früh- und Abend— dämmerung und bis tief in die Nacht hinein, beſonders nach warmem, nicht heftigem Regen, verläßt er ſeinen Schlupfwinkel, teils um ſeiner Nahrung nachzugehen, teils um mit einem der Freunde und Nachbarn ein intimes Bündnis zu ſchließen. Bei dieſer Friedfertigkeit und Beſcheidenheit lauert tauſendfacher Tod auf die armen Regenwürmer. Unterdrückten kann man ſie vergleichen, denen man ſelbſt ihre nächtlichen, geräuſchloſen Zuſammenkünfte nicht gönnt. „Der Regenwurm“, ſagt Hoffmeiſter, „gehört zu den Tieren, die den meiſten Verfolgungen ausgeſetzt ſind. Der Menſch vertilgt ſie, weil er ſie beſchuldigt, die jungen Pflanzen unter die Erde zu ziehen. Unter den Vier— füßern ſind beſonders die Maulwürfe, Spitzmäuſe und Igel auf ſie angewieſen. Zahllos iſt das Heer der Vögel, das auf ihre Vertilgung bedacht iſt, da nicht bloß Raub-, Sumpf— und Schwimmvögel, ſondern ſelbſt Körnerfreſſer fie für raren, leckeren Fraß halten. Die Kröten, Salamander und Tritonen lauern ihnen des Nachts auf, und die Fiſche ſtellen den Flußufer- und Seeſchlammbewohnern nach. Noch größer iſt die Zahl der niederen Tiere, die auf ſie angewieſen ſind. Die größeren Laufkäfer findet man beſtändig des Nachts mit der Vertilgung dieſer ſo wehrloſen Tiere beſchäftigt, die ihnen und noch mehr ihren Larven eine leichte Beute werden. Ihre erbittertſten Feinde ſcheinen aber die größeren Arten der Tauſendfüßer zu ſein. Dieſen zu entgehen, ſieht man ſie oft am hellen Tage aus ihren Löchern entfliehen, von ihrem Feinde gefolgt.“ * Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 8 114 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmer. Erſte Unterklaſſe: Borſten würmer. Die Familie der Lumbricinen zerfällt nach der Beſchaffenheit des Kopflappens und der Stellung der Borſten in eine Reihe von Gattungen, unter denen Lumbricus allein über 20 Arten zählt. Jedoch nur 2—3 Arten, wie Lumbricus anatomicus und L. agri- cola, ſind in Deutſchland allgemein verbreitet. L. foetidus, die am ſchönſten gefärbte Art, mit gelb und rot bandiertem Leibe, liebt die Sandgegenden und findet ſich beſonders häufig in der Mark unter Lauberde. Der braunrote, heller bandierte L. puter bewegt ſich ſehr geſchwind unter und im morſchen und faulen Holze, der grünliche L. chloroticus iſt bis jetzt nur am Harz im Grunde ſtehender Gewäſſer, auf thonigen Angern und an den ſandigen Ufern von Bächen und Flüſſen geſehen worden. Manche Arten (z. B. L. rubellus) haben zwei Farbſtoffe: einen grünen, im Waſſer löslichen und einen roten, durch Ather ausziehbaren. Durch Einfluß von Säure verändert ſich übrigens der grüne augen— ſcheinlich in den roten. Man hat auch leuchtende Regenwürmer beobachtet. Die Tiere ſind kosmopolitiſch verbreitet, und man findet ſie, merkwürdig genug, auf den einſamſten Inſeln, wenn nur ſonſt die Exiſtenzbedingungen für ſie dort günſtig ſind. A Ko i 9 al Phreoryctes Menkeanus. Natürliche Größe. Noch an der Mündung der Lena hat man Arten gefunden, und manche ſind zirkumpolar verbreitet und in Nordamerika ebenſo häufig wie in Europa oder Sibirien. In den Tropen der Alten und Neuen Welt findet man rieſige Formen (Megascolex) von mehr als Im Länge, welche entſprechend tiefe und weite Gänge in den Boden bohren und bisweilen ſehr lebhaft (z. B. himmelblau) gefärbt ſind. Den höchſt ſchlanken Phreoryctes Menkeanus (j. obige Abbildung), einen der ſelteneren der deutſchen Regenwürmer, haben wir nach Bau und Lebensweiſe durch Leydig genauer kennen gelernt. Die Tiere halten ſich am liebſten in Brunnen auf, vorzugsweiſe in Süd— deutſchland. In der Winterzeit ſcheinen fie ſich gleich den in der Erde lebenden Lumbrie inen zurückzuziehen, am häufigſten ſind ſie im Mai und Juni zu haben. „Im Aquarium, deſſen Schlammboden mit Steinen bedeckt iſt, hielten ſie ſich längere Zeit gut. Meiſt hatten ſie ſich unter die Steine zurückgezogen und zwar gern geſellſchaftlich und ineinander gewirrt. Bei kühler Witterung ſowie bei Regenwetter blieben ſie unter ihren Steinen verborgen, hingegen bei recht warmen Tagen ſowie bei Gewitterluft krochen ſie regelmäßig hervor und unruhig hin und her.“ Den ganzen Herbſt und Winter blieben ſie unſichtbar, und erſt in den wärmeren Märztagen erſchienen ſie wieder. Da die im Aquarium gehaltenen Valisnerien nach und nach ihrer Wurzeln beraubt wurden, ohne daß ein anderes Tier der Thäter hätte ſein können, darf man auf die pflanzliche Nahrung des Phreoryctes ſchließen. Wegen der dicken Haut und der dünnen Hautmuskelſchicht fallen die ſchlangenförmigen Bewegungen des Tieres etwas ſteif und ungelenk aus. Die Bemerkung Leydigs, daß das Tier keines— wegs bloß in Brunnen lebe, ſondern auch in ſeichteren Waſſergräben, kann ich damit be— ſtätigen, daß ich es in ziemlicher Anzahl in einem Baſſin des botaniſchen Gartens in Krakau ganz oberflächlich zwiſchen den Waſſerfäden gefunden. Wir ſehen alſo, daß in nächſter Nähe des Regenwurmes ſtehende Gattungen, wie Phreoryctes und, fügen wir hinzu, der im Tegeler See bei und in der Spree innerhalb Phreoryctes. Tubifex rivulorum. Gezüngelte und zungenloſe Naide. 115 Berlin, in der Donau (Linz, Peſt), im Po ꝛc. lebende Criodrilus lacuum, wirkliche Waſſer⸗ bewohner ſein können, andere Formen ſind ſalzliebend oder halophil und finden ſich im Schlamme am Meeresufer oder gelegentlich in der Sole der Salinen. Dieſen reihen ſich noch ein paar durch ihre Kleinheit und das gelegentliche Vorkommen von Haarborſten aus— gezeichnete Familien an. Die erſte find die Röhren würmchen (Tubificina). Eine höchſt gemeine Art derſelben iſt Tubifex rivulorum, ein 1— 2 em langes, rötliches, durch ſcheinendes Würmchen, das man zu Tauſenden und Abertauſenden auf dem ſchlammigen, fauligen Grunde von Gräben und Bächen findet. Sie ſtecken mit dem Vorderteil im Schlamme, wo ſie ſich eine geräumige Röhre gewühlt haben. Das herausſtehende Hinter— ende iſt unausgeſetzt in ſchwingender und ſchlängelnder Bewegung, wohl der Atmung wegen. Gewöhnlich ſind ſie ſo dicht bei einander, daß die Oberfläche des Schlammes rot gefärbt er: ſcheint, und bei leiſer An: näherung laſſen ſie ſich im Wedeln nicht ſtören. So— bald man aber einen Schlag aufs Waſſer thut, verſchwin— det die ganze Geſellſchaft im Nu einige Zentimeter tief in ihre übelriechenden Verſtecke. Ganz anders verhal— ten ſich die völlig durch— ſichtigen, ſauberen Waſ— ſerſchlängler oder Nai— den (Naidina). lan kann aufs Geratewohl aus einem mit Waſſerlinſen (Temna) beſtandenen Wei: her oder Graben eine kleine — — — : Partie dieſer Pflanzen ſchö⸗ Gezüngelte Naide (Nais proboseidea). 10mal vergrößert. pfen und wird daheim, wenn man ſie in einem etwas weiten Glasgefäße ſich wieder entfalten und ebnen läßt, gewiß einige, oft zahlreiche dieſer zierlichſten aller Würmer finden, wie ſie mit Hilfe ihrer Haken⸗ und Haarborſten zwiſchen den Wurzeln der Waſſerlinſen oder im Gewirre der Waſſerfäden ſich ſchlangenartig herumwinden. Weitverbreitet und ſchon im vorigen Jahrhundert beſchrieben iſt die gezüngelte Naide (Nais proboseidea), jo genannt von einer ſchmalen, fühlerähnlichen Verlänge— rung des Kopflappens, mit dem ſie taſtend und züngelnd ihren Weg ſondiert. Zwei Augen trägt, gleich ihr, die noch häufigere zungenloſe Naide, mit einfach abgerundetem Kopf⸗ ſegment. Dieſe und noch einige andere Arten haben am Bauche zwei Reihen Hakenborſten, an jeder Seite aber eine Reihe zu je 1—4 ſtehender, langer Haarborſten. Bei dieſen bei⸗ den und verwandten Arten iſt die Mundöffnung unter dem Vorderende, noch überragt von den vorderen Schlingen der an dem gelblichen Blute leicht erkennbaren, pulſierenden Blut— gefäße. Anders iſt das Vorderende der Gattung Chaetogaster beſchaffen, von welcher eine faſt kriſtalldurchſichtige Art, Chaetogaster diaphanus, im Jugendzuſtande als häufiger 8 * 116 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmekz; erſte Unterklaſſe: Borjtenwürmer. Schmarotzer auf unſeren Waſſerſchnecken angetroffen wird. Ihr Kopf iſt quer abgeſtutzt und endigt mit der Mundöffnung, hinter welcher ein mit vielen winzigen Papillen beſetzter und zum Teil hervorſtülpbarer Schlund liegt. Ein ferneres Unterſcheidungszeichen der Gattung iſt, daß ſie bloß Reihen von Hakenborſten hat. Alle dieſe Würmchen ſind für die mikroſkopiſche Beobachtung angelegentlich zu empfehlen, da am lebenden Tiere, das man leicht in einem Waſſertröpfchen, bedeckt mit einem leichten Glasblättchen, unter das Mikroſkop bringen kann, eine Menge von feinen Organiſationsverhältniſſen zu erſchauen ſind, und die Mühe durch die Lieblichkeit des Anblickes reichlich aufgewogen wird. Die Regenerationsfähigkeit iſt bei Oligochaeten eine ganz bedeutende, wie man ſchon ſeit dem vorigen Jahrhundert weiß, und werden bei derſelben ſowohl Kopf- als Schwanzende neu gebildet. Gelegentlich kommen auch Afürmige Regenwürmer vor, deren Geſtalt vielleicht auch auf einen Regenerationsprozeß oder auf ſeitliche Sproſſung, wahr— ſcheinlicher indeſſen auf eine Entwickelungsſtörung zurückzuführen iſt. Mit der Regeneration Hand in Hand geht das Vermögen einer Anzahl von im Waſſer lebenden Formen, ſich durch freiwillige Teilung fortzupflanzen, wie es bei Lumbriculus, Otenodrilus, Chaetogaster und Dero beobachtet worden iſt. Bei Chaetogaster geht die ungeſchlechtliche Fortpflanzung während der Wintermonate an allen geſchlechts— loſen Individuen, auch wenn fie bloß 1,;—2 mm lang find, vor ſich und wiederholt ſich ſo raſch und häufig, daß Ketten von 16 hintereinander gelegenen Individuen gelegentlich zur Beobachtung kommen. Dieſe Individuen beſtehen anfangs aus nur drei, nach Neu— bildung des ſich einſchiebenden Kopfes aus vier Segmenten oder Ringen. Dero befißt die Fähigkeit ſpontaner Teilung in der Jugend, bildet aber keine Ketten, ſondern es entſteht in der Mitte ein neuer Kopf, und nur zwei Individuen bleiben geraume Zeit, während der ihre Geſchlechtsorgane unentwickelt ſind, hintereinander im Zuſammenhang. Weit zahlreicher iſt die ausſchließlich das Meer bewohnende Ordnung der Vielborſter (Polychaetae), welche in der Regel jene anſehnlichen und jo verſchieden, oft recht kompliziert gebauten Borſten in beſondere ſeitliche Fußſtummel eingefügt tragen, mit wenig Ausnahmen getrennten Geſchlechtes ſind und ſich immer mit einer, meiſt dazu noch recht komplizierten Metamorphoſe entwickeln. In gewiſſem Sinne bildet die kleine Familie der Kopfringler (Capitellidae), über welche Eiſig eine vorzügliche Monographie herausgegeben hat, einen Übergang von den Oligochaeten zu den Polychaeten. Die getrennt geſchlechtlichen Tiere find im Verhält— nis zu ihrer Breite lang, wenn auch meiſt nicht von bedeutender Größe (von 3,5 mm bis 15 em), nur Dasybranchus caducus erreicht eine Länge von 1 m. An ihrem Körper laſſen ſich deutlich zwei Abſchnitte unterſcheiden, ein lebhaft roter, kürzerer, vorderer mit ganz rudimentären anhangsloſen Fußſtummeln, und ein blaſſerer, längerer, hinterer, an dem die Fußſtummel auch nur wenig vorſpringende Wülſte bilden und die bald einfachen, bald verzweigten Kiemen tragen. In der Mundhöhle befindet ſich ein mächtiger, vor— ſtülpbarer Rüſſel, der bloß mit Papillen beſetzt, ſonſt aber unbewaffnet iſt. Die Augen ſitzen als Pigmentflecke am Kopflappen und treten bei manchen Arten in ziemlich anſehnlicher Zahl zeitlebens, bei anderen nur in der Jugend auf, um ſich im erwachſenen Zuſtande auf ein Paar zu reduzieren. Die Gattung Capitella hat zeitlebens nur ein einziges Paar, was offenbar der neueſte Zuſtand iſt. Die Augen ſpielen bei der Lebensweiſe dieſer Tiere, die ſich in Sand und Schlamm einbohren, eine nebenſächliche Rolle. Vielborſter. Kopfringler. Rückenkiemer— 1157 Sehr intereſſante Unterſuchungen machte Eiſig über die Anpaſſungsfähigkeit der Kopf— ringler an das ſüße Waſſer. Er brachte eine Anzahl von Capitella in Geſellſchaft anderer Borſtenwürmer (Spio) in Aquarien mit Seewaſſer, dem er nach und nach von Anfang Januar bis Ende April Süßwaſſer zuſetzte. Die Exemplare von Spio ſtarben ſchon bei einem Gemiſch von 1000 Teilen Süßwaſſer auf 600 —700 Seewaſſer, die Kapitelliden er: trugen aber eine Miſchung von 1000 Teilen Süßwaſſer auf 400 Teile Seewaſſer, in dieſer fingen ſie erſt an abzuſterben. Bemerkenswert iſt es, daß die Tiere, wenn ſie aus reinem Seewaſſer in ein ſolches brackiges Gemenge gebracht wurden, ſofort ſtarben, und daß ſolche, welche ſich an dasſelbe einmal gewöhnt hatten, die unmittelbare Zurückführung in See— waſſer nicht zu ertragen vermochten. Durch dieſes Experiment wird eine intereſſante Perſpektive auf die Anpaſſung der Meeresanneliden an das ſüße Waſſer eröffnet, bei welcher die Natur, die über eine un— endlich lange Zeit verfügt, viel langſamer zu Werke gegangen iſt und mit vielen Genera— tionen anſtatt mit einzelnen Individuen arbeiten konnte. Eine Reihe von Familien find als frei lebende Rückenkiemer (Errantia) zu be zeichnen, lauter Seebewohner, deren Kiemen, wenn ſie überhaupt vorhanden, an den Fuß— ſtummeln des Rückens ange : bracht find, und deren Ringe ſehr häufig geringelte Fühl— fäden tragen. Ihrer meiſt freien, umſchweifenden Lebens— weiſe entſprechend trägt der Kopflappen, d. h. das den Mund überragende und im allgemeinen einem Segment entſprechende Vorderende, Au— gen und Taſtwerkzeuge, und ſie packen, ſoweit ſie nicht Pflanzenfreſſer ſind, ihren Raub mit ſcharfen, hakenför— migen Kiefern und Zähnen, welche bei Ausſtülpung des Rüſſels zu Tage treten. Die meiſten der frei lebenden Rü— ckenkiemer glänzen in metal⸗ liſchen Farben; ihre Haut ſchil— lert wie ein Atlaskleid, und die Borſten werfen wechſeln— des, farbiges Licht zurück. In V welcher Weiſe ſich die ſeit— N lichen und Rückenhänge der Borſtenhöcker von Heteronereis Oerstedii (vergr.). Natürl. Größe S. 120. Segmente entfalten, wollen wir an der beigegebenen Abbildung des Seitenteiles eines Segments von Heteronereis Oerstedii erläutern, welche wir, gleich den folgenden, einem Werke des franzöſiſchen For— ſchers Quatrefages entlehnen. A iſt der obere, B der untere Aſt des Fußſtummels; a ein 118 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. oberer Fühlfaden, f ein unterer, deſſen Fuß von einer blattartigen Schuppe (K) umgeben iſt. Dergleichen Fühlfäden können an allen Ringen vorkommen; b und e find die Kiemen— blättchen des oberen Aſtes, und durch das untere ſcheint der borſtentragende Höcker (d) durch; e und i ſind Nadelborſten. Das Kiemenblatt des unteren Aſtes iſt g, und h ein zweiter borſtentragender Höcker. Auf der Variation dieſes Themas der Aſte, Fühlfäden, Kiemen und Nadeln beruht größtenteils die Mannigfaltigkeit der Gattungen. An die Spitze pflegt man die Familie der Seeraupen, Seemäuſe oder Filz— würmer (Aphroditea) zu ſtellen, deren Rücken von großen Schuppen (elytra) bedeckt iſt. Ihr Kopf trägt gewöhnlich drei Fühler, einen mittleren, bei unſerer Hermione hystrix ſehr kleinen, und zwei ſeitliche. Alle beſitzen 2—4 Augen, die mitunter auf der Spitze kleiner Stiele ſtehen, jedenfalls klein find. Bei man— chen Gattungen entwickelt ſich außer den gewöhnlichen, einfachen und zuſammengeſetzten Borſten auch eine Decke langer Haare, die beſonders an den Seiten wie das prachtvollſte Gefieder tropiſcher Vögel iriſiert und auch einen Filz bildet, von dem die Rückenſchuppen gänzlich verhüllt werden. Unter dieſe zuſammen— hängende Decke ſtrömt jedoch durch beſtimmte Off— nungen Waſſer zu den kleinen über dem oberen Fühl— faden der Segmente ſtehenden Kiemen. Unter den Eigentümlichkeiten des inneren Baues der Seeraupen iſt die Verzweigung des Darmkanales hervorzuheben. Unter den mit einem Rückenfilz bedeckten Arten von Aphrodite iſt die / Fuß lang werdende Aphrodite aculeata an allen europäiſchen Küſten heimiſch. Von jener Gattung iſt Hermione durch Mangel des Rücken— filzes und andere kleine Kennzeichen geſchieden. Eine der gemeinſten Arten des Mittelmeeres iſt Hermione hystrix. Der Leſer darf an der ſeltſamen Vereini— gung eines ſchönen Frauennamens mit dem des Stachelſchweines keinen Anſtoß nehmen. Hat man W N den Wurm von dem ihm gewöhnlich in reichlicher Hermione hystrix. Natürliche Größe. Menge anhaftenden Schmutze durch öfteres Abſpülen geſäubert, ſo tritt ſein anſprechendes, glänzendes Außere hervor. Die Dornen der ſchönen Hermione ſind aber ſchlimmer als diejenigen eines Stachelſchweines, indem ſie, mit Widerhaken verſehen, haften bleiben und ſich einbohren. Nichtsdeſtoweniger werden alle dieſe Seeraupen von den Raubfiſchen, im Norden beſonders von den Dorſchen und Schellfiſchen, im Mittelmeer von den zahlreichen kleineren Haien gern verſchlungen. Wer die einem guten Stiefelleder gleichende Magenwand eines Haies einmal unter Händen gehabt, begreift, daß er ſich vor den Stacheln der Seeraupen nicht zu fürchten braucht. Prachtvolle Formen dieſer Familie ſind beſonders von Schmarda auf ſeiner Welt— reiſe an allen Küſten tropiſcher Meere beobachtet und in einem Prachtwerk in ihrer ganzen Farbenſchönheit dargeſtellt. Doch kann uns kein Maler den Glanz ihres metalliſchen, bei jeder Bewegung wechſelnden Schimmers wiedergeben. Eine rechte Kernfamilie iſt die der Nereiden (Nereidea), in welcher der räuberiſche Charakter, verbunden mit ununterbrochener Agilität, Geſchwindigkeit und Sicherheit der Bewegungen, den höchſten Ausdruck gefunden hat. Das auf S. 119 abgebildete Kopfende von Seeraupen. Nereiden. Palolowurm. 119 Nereis incerta läßt die mittleren (a) und äußeren (b) Fühlhörner ſowie zur Seite die Kopf— fühlfäden (e) ſehen. Der ausgeſtülpte Rüſſel trägt die beiden großen Zangenkiefer (d), welche ſich, wie die Mundwerkzeuge der Gliedertiere, horizontal gegeneinander bewegen, und mehrere Gruppen kleiner Zähnchen (e). Eine Reihe von Gattungen ſchließt ſich durch das Vorhandenſein der dicken, äußeren Fühlhörner an Nereis an, von welcher man über 80 Arten kennt. Die Geſchlechtsverhältniſſe der Nereiden bieten einige ſonderbare und noch nicht ganz aufgeklärte Punkte. Man unterſchied früher eine beſondere Gattung Heteronereis, welche von den Mitgliedern der Gattung Nereis dadurch abwich, daß ſie am Kopfende umfang— reichere Taſtorgane und Sehwerkzeuge hatte. Außerdem waren ihre Ruder ſtärker ent— wickelt, und im hinteren Zweidrittel des Körpers ſind die Segmente weniger hoch als im vorderen und tragen an den Rudern weit längere Borſten. Die Umbildung der Nereis in eine Heteronereis geſchieht vor Eintritt der Geſchlechtsreife. In anderen Fällen verhalten ſich Individuen derſelben Art (3. B. Nereis Dumerilii) verſchieden: die einen werden ohne weitere Veränderungen geſchlechtsreif, andere aber werden vorher erſt zu einer Heteronereis, und daneben gibt es noch eine dritte, zwitterige Form. Mit den Nereiden verwandt iſt auch der intereſſante Pa— lolowurm (Palolo viridis) von der Samoa-Inſel— gruppe, über den uns mehrere Berichte, beſonders die von Stair und Powell, vorliegen. In jedem Jahre erſcheint das Tier in 2 Monaten hintereinander, im Oktober und No— vember, in unermeßlichen Scharen an gewiſſen Punkten des Geſtades von Samoa, jedoch iſt der zweite Schwarm noch größer als der erſte, und nennen die Eingeborenen dieſen Mblalolo levu, jenen Mblalolo lailai (d. h. kleine und große Palolo-Zeit). Beide Schwärme ſtellen ſich am Tage vor dem letzten Mondviertel und an dieſem Tage ende ſelbſt ein und namentlich an dem letzteren in ſo unglaub— lich großen Scharen, daß das Meer weit hinaus nur aus ihnen zu beſtehen ſcheint. Der Fidſchiinſulaner ſagt, daß, wenn die ſcharlachroten Blumen eines zu den Schmetterlings— blütern gehörenden Strauches (Erythrina indica) ſich entfalten, die Zeit des Mblalolo naht, und wenn die Siſi (eine myrtenartige Eugenia-Pflanze) anfängt zu blühen, wird es Zeit, Ausſchau zu halten nach dem Monde. Wenn dieſer bei Tagesanbruch ganz tief am weſtlichen Horizont ſteht, dann dauert es noch 10 Tage bis zur geſegneten Zeit des Mbla— lolo. Und geſegnet iſt die Zeit für die braunen Inſelbewohner. Die Würmer erſcheinen mit dem Grauen des Morgens, ihr Gewimmel nimmt zu und wird am ſtärkſten bei Sonnen— aufgang, aber nach 2—3 Stunden iſt alles verſchwunden. Alt und jung hat ſich am Strande eingeſtellt und geht unter fröhlichen Scherzen dem Ernteſegen, den ihnen das Meer bietet, in das Waſſer am Geſtade entgegen. Mit zierlich gearbeiteten Körbchen fiſchen ſie den Mblalolo aus dem Waſſer, verzehren die Würmer roh oder wickeln ſie in friſche Blätter, um ſie zu backen und als höchſte Delikateſſe mit Entzücken zu genießen. Handelsleute haben ſich eingeſtellt und kaufen auf, um auch die Einwohner der entfernter liegenden Gegenden der Inſel, denen am Feſte ſelbſt teilzunehmen nicht möglich war, mit dem Leckerbiſſen zu verſorgen. Ganze Würmer ſcheinen ſich nicht unter der Maſſe zu finden, es ſind lebende Bruch— ſtücke von 2— 20 mm Länge, und nur ſelten iſt eins davon mit einem Kopfe verſehen. Die Tiere ſind getrennt geſchlechtlich, gelblichweiß bis ockergelb ſind die männlichen, ſchmutzig 120 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. indigoblau bis dunkelgrün die weiblichen Stücke. Es iſt feſtgeſtellt, daß hier am Strande die Befruchtung vor ſich geht, aber niemand weiß mit Sicherheit zu ſagen, woher die rätſel— 1) Eine Heteronereis. 2) Phyllodoce laminosa. 3) Glycera. 4) Arenicola piscatorum. Natürliche Größe. haften Weſen kommen, von denen man am drit— ten Tage keins mehr erblickt. Eine folgende Fami⸗ lie, Phyllodocea, hat die Rücken- und Bauch: fühlfäden blattartig er: weitert. Ihr Körper iſt ſehr verlängert und aus zahlreichen Ringen, die ihr als Ruder dienen, zu— ſammengeſetzt. So zählt z. B. der Körper von Phyllodoce laminosa (nebenſtehende Figur 2) von den franzöſiſchen und engliſchen Küſten gegen 300 — 400 Ringe, und Quatrefages ver: ſichert, daß fie über 60 cm lang würde. Rymer Jones hat recht, wenn er jagt, daß fie mit un- beſchreiblicher Eleganz ſchwimmt. Wie viele andere Raub-Anneliden liegt ſie während des Tages ruhig in einem Verſteck. Erſt mit der Dunkelheit macht ſie ſich hervor, um nach Beute umherzuſchwimmen, wo— bei der ganze Körper horizontale Wellenbewe— gungen ausführt, unter— ſtützt von den Rudern. Dieſe werden geſtreckt und angezogen in jener Aufeinanderfolge, wie man ſie an den Beinen der Tauſendfüßer ſieht, alſo in von hinten nach vorn laufenden Wellen. Indem nun alle dieſe in zierlichſter Unruhe befindlichen Teile fortwährend ihre Stellung gegen das Licht ändern, geht über den im ganzen grünen Körper ein wundervolles Iriſieren Phyllodocea. Glycerea. Gemeiner Sandwurm. 121 in Violett, Blau und Gold. Eine andere, an der fizilifchen Küſte lebende Gattung und Art, Torrea vitrea, iſt ſo durchſichtig, daß man bei ihren Bewegungen im Waſſer nur ihre Augen als zwei rote Punkte und zwei Reihen violetter Punkte ſieht, drüſenartige Or— gane am Grunde der Fußſtummel. Wie vollkommene Geſichtswerkzeuge jene beiden Augen ſeien, davon überzeugte ſich der oben genannte Pariſer Naturforſcher auf folgende über— raſchende Weiſe. Der Zoolog betrachtete mit dem Mikroſkop das Auge der Torrea, und ſiehe, auf deſſen Hintergrund projektierte ſich das zierlichſte und genaueſte Bild eines Teiles der vor dem Fenſter des Beobachters ſich ausbreitenden Landſchaft. Die eine Bedingung der Vollkommenheit des Geſichtsorganes war erfüllt und die andere Bedingung, eine Netz— haut zum Auffangen des Bildes und ein Nerv zur Übermittelung des Eindruckes an das Gehirn, war auch da. Wir fügen hinzu, daß eine ähnliche Vollkommenheit dieſer Organe für die meiſten der frei lebenden Rückenkiemer gilt. Einen ganz anderen Eindruck macht wiederum die Familie der Glycerea. Die Seg— mente ihres geſtreckten Körpers ſowie der kegelförmige Kopflappen ſind nochmals ſchmal geringelt. Sie können einen im Verhältnis zu ihrer Größe ganz koloſſalen Rüſſel vor— ſtrecken, der mit allerhand kleinen Warzen und Zähnchen dicht bedeckt iſt. Wie ſie ſich ſeiner bedienen, beobachtet man leicht, wenn man ſie am Seeſtrand unter Steinen auf ſandigem Boden überraſcht: ſie bohren ſich alsdann, den Rüſſel abwechſelnd mit Gewalt ausſtreckend und einziehend, in den Boden ein. Ihrer verſteckten, lichtſcheuen Lebensweiſe entſpricht auch die wenig lebhafte Färbung. Die Verbreitung der Gattung Glycera (Fig. 3, S. 120) iſt eine ſehr große; man kennt ſie von Neuſeeland, Valparaiſo, Peru, von Grönland und vom Nordkap, wie denn auch eine Reihe von Arten in den mittel- und ſüdeuropäiſchen Meeren nicht fehlen. Wir kommen jetzt zu einer zweiten Unterordnung der vielborſtigen Ringelwürmer, zu den feſtſitzenden oder röhrenbewohnenden (Sedentaria s. Tubicolae), und be— ginnen unſere Betrachtung mit dem gemeinen Sandwurm (Pier, Arenicola pis- catorum, Fig. 4, S. 120). Er gehört zu einer ſehr natürlichen, abgeſchloſſenen Familie, deren Glieder eine ähnliche Lebensweiſe führen wie die Glyceren. Die genannte Muſterart war bis zu Lamarck als ein Regenwurm betrachtet worden. Unſere Abbildung zeigt, daß der Körper nach vorn ſtark zugeſpitzt iſt, und daß er in drei Hauptabſchnitte zerfällt. Er erreicht eine Länge von 22 em und variiert ſehr in der Färbung; grünliche, gelbliche und rötliche Tinten herrſchen vor, es gibt aber auch ſehr helle und faſt dunkelſchwarze Individuen. Die Nüancen dieſer Färbungen ſtehen im offenbaren Zuſammenhang mit der Beſchaffenheit des Aufenthaltes, indem die helle Varietät nur in faſt reinem Sandboden, die ſchwarze in einem durch ſtarke Beimiſchung organiſcher, ſich zerſetzender Stoffe faſt ſchlammigen Boden vorkommt. Ich fand dieſe dunkel gefärbten Sandwürmer mit einem Stich ins Grüne, z. B. in dem ſchlammigen Hafen von Nizza. Über den kleinen dreieckigen Kopf hervor kann der einem Becher gleichende Rüſſel geſtreckt werden. Die vorderen Körper— ſegmente tragen auf dem Rücken bloß die in Höcker eingepflanzten Borſtenbündel, hinter welchen auf den 13 mittleren Segmenten die äußerſt zierlich verzweigten Kiemenbäumchen ſtehen. Das letzte Drittel des Körpers iſt ganz drehrund, ohne Kiemen und Fußhöcker. Der Fiſcher-Sandwurm lebt faſt an allen Küſten von Europa und von Grönland, und er iſt faſt der einzige Wurm, welcher einen gewiſſen reellen Wert hat, da, wie Wagner nachweiſt, allein auf der Inſel Norderney 9 Millionen Stück Sandwürmer zum Schell— fiſchfang verwendet werden, welche doch immerhin ein Kapital von 12 — 15,000 Mark repräſentieren. An vielen ſandigen Uferſtrecken kommt er in ungeheuern Mengen vor, 122 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. indem er die Zone liebt, welche bei der Ebbe bloßgelegt wird, und hier wird ihm von den Fiſchern eifrig nachgeſtellt. Die Jagd iſt zwar nicht ſchwierig, erfordert aber eine gewiſſe Kenntnis ſeiner Lebensgewohnheiten. Gleich den Regenwürmern verſchlingt der Sandwurm große Mengen des Bodens, in dem er lebt, um damit die zu ſeiner Er— nährung dienende organiſche Materie in den Magen zu bekommen. Gleich den Regen— würmern kommt er an die Oberfläche, um ſich des durch ſeinen Leib gegangenen Sandes zu entledigen. Dieſe Häufchen werden zu Verrätern des Wurmes, indem ſie das eine Ende des Ganges bezeichnen. Derſelbe biegt ſich ſehr tief in die Erde, und bei der geringſten Erſchütterung verſenkt ſich in ihm der Sandwurm mit außerordentlicher Ge— ſchicklichkeit. Man muß alſo mit dem Haken zwiſchen die beiden Offnungen der Röhre möglichſt tief eingehen und wirft den Sand häufig vergeblich auf. Aus ſeinem Verſtecke herausgenommen, bewegt ſich der Sandwurm ſehr langſam. Er ſondert dann eine reichliche, die ihn berührende Hand grüngelblich befleckende Flüſſigkeit ab. Setzt man ihn auf Sand, ſo beginnt er ſogleich, ſich einzugraben. Er verfährt dabei folgendermaßen. Die vorderen Arenia fragilis. Natürliche Größe. Körperringe nehmen nacheinander an Umfang ab, ſo daß jeder ganz in den nächſtfolgenden eingeſchoben werden kann. Sind ſie alle zurückgezogen, ſo erſcheint das Vorderende ab— geſtutzt; im anderen Falle bilden ſie einen regelmäßigen Kegel, und damit iſt der Bohr— apparat hergeſtellt. Nachdem die Ringe eingezogen, ſtemmt der Wurm den Kopf gegen den Sand und öffnet ſich durch kräftiges Vorſtrecken des Kegels einen weiteren Weg. Da der ſo gewonnene Raum aber zu eng und der Entfaltung der Kiemen hinderlich ſein würde, ſo wird er durch eine unmittelbar auf das Vorſtrecken erfolgende Anſchwellung der Ringe erweitert. Nun rückt der Körper nach, und die einzelnen Arbeiten wiederholen ſich. Während dieſes Eindringens ſondert der Vorderkörper eine klebrige Maſſe ab, durch welche die innerſte Sandſchicht zu einer zarten Röhre verkittet wird, die jedoch ausreicht, den Einſturz der Höhlung zu verhindern. Dieſe iſt nun alſo ſo weit, um dem weder durch Sand noch Schlamm verunreinigten Waſſer den Zutritt zu den Kiemen zu geſtatten. Das Aufſteigen der Arenicola in der Röhre geſchieht natürlich mit Hilfe der Borſtenbündel. Eine ähnliche, obwohl nicht tief eingreifende Verſchiedenheit der Körperregionen, wie die Sandwürmer, zeigt auch die Familie der Clymenien, zu welcher Arenia gehört, eine Gattung, deren Körper nicht, wie bei den meiſten anderen, drei, ſondern nur zwei Ab— ſchnitte zeigt. Der vordere, ſchmutzig rötlich gefärbte Teil verändert durch Einſchnürungen und Kontraktionen vielfach ſeine Form. Der hintere, lange Körperteil iſt gelblichrot. Quatrefages, welcher dieſes Tier an der franzöſiſchen Küſte beobachtete, erzählt, daß er es ſehr häufig in einem ſo ausgewaſchenen, reinen Sande gefunden, daß die Möglichkeit Arenicola. Uhaetopterus. 123 einer Ernährung gar nicht vorhanden zu ſein ſchien. Der ganze Darmkanal war mit ſolchem feinen Sande angefüllt, wodurch die ſchon an ſich große Zerbrechlichkeit des Körpers noch erhöht wurde. Es war kein einziges Exemplar ganz zu erhalten. Eine ſehr merkwürdige Familie der röhrenbewohnenden Borſtenwürmer iſt die der Chätopteren (Chaetopteridae). Sie beſteht aus der einzigen Gattung Chaetopterus, deſſen Körper drei ganz verſchiedene Regionen zeigt. Der Vorder— teil läßt ſich mit dem ebenfalls eigentüm— lich geſtalteten Vorderteil der unten zu berührenden Sabellen vergleichen. Der Kopf bildet einen am Rücken ausgeran— deten Trichter. Dann folgen neun Seg— mente mit flachen, verlängerten Fuß— ſtummeln, welche auf dem oberen Rande ein Bündel brauner Borſten tragen. Höchſt auffallend iſt die Umbildung der fünf den Mittelteil des Körpers zuſam— menſetzenden Segmente. Vom erſten der— ſelben erſtrecken ſich die Fußſtummel gleich einem Paar platter Fühler weit über den Vorderkörper, während die unteren Aſte dieſer Füße zu einer auf der Bauchſeite ſich vereinigenden Krauſe verbreitert ſind. Die oberen Fußſtummel des zweiten Ringes bilden einen mit den vorher— gehenden Stummeln ſich verbindenden Rückenkamm, und zwiſchen ihnen und den in dreiſeitige Lappen umgewandelten unteren Aſten iſt die Haut auffallend auf— geſchwellt und violettſchwarz gefärbt. An den drei folgenden Segmenten treten nur die dreiſeitigen unteren Fußlappen her— vor. Die hintere Körperhälfte endlich wird aus etwa 50 Segmenten gebildet, welche durch die verlängerten Fußſtummel ausnehmend breit erſcheinen. Die beſchriebene Art (Chaetopterus pergamentaceus) findet ſich an der Küſte i der Normandie und im Mittelmeer. Sie Chaetopterus. Natürliche Größe. erreicht eine Länge von 22 em und be— wohnt die größeren Tiefen in Röhren von etwa 32 em Länge. Dieſelben beſtehen aus mehreren Lagen und gleichen einem groben, gelblichen Pergament. Gewöhnlich ſind ſie ge— wunden und auf irgend einem feſten Gegenſtand angeheftet. Herausgezogen aus ſeiner Röhre, iſt der Wurm für den Beobachter wegen ſeiner Apathie ſehr wenig beluſtigend und erſchwert die nähere anatomiſche Unterſuchung durch reichliche Abſonderung eines dicken, zähen, ſich an die Finger und Inſtrumente anlegenden Schleimes. 124 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelmwürmer; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. Die genannte und andere Arten des Chaetopterus, welche im Golf von Neapel vorkommen, zeichnen ſich durch ihr Leuchten aus. Nach Panceris Beobachtungen muß man die Tiere reizen, wenn das Phänomen eintreten ſoll. Dann verbreitet ſich der Leucht— ſtoff wolkenartig im Waſſer. Das Tier glänzt in lebhaftem bläulichen Lichte, und zwar im dunkeln Raume ſo ſtark, daß man die umſtehenden Perſonen erkennen und die Uhr ableſen kann. Der Neapolitaner Naturforſcher, der ſeit Jahren die Leuchterſcheinungen der niederen Tiere unermüdlich unterſuchte, hat in Chätopteren, namentlich in Chaetopterus variopedatus, welcher ſich ſeine Röhre aus Sandkörnern zuſammenleimt, gewiſſe Zellen und Drüſen als Erzeuger der leuchtenden Materie nachgewieſen. Über die Art, wie Chaetopterus pergamentaceus lebt und wie man ſich feiner bemächtigt, ohne Röhre und Tier zu verletzen, verdanken wir Lacaze-Duthiers genaue Angaben. Folgt man an flachen Küſten der Ebbe, ſo trifft man ihn oft auf Wieſen von Seegras (Zostera marina) im Sande mit ſchlammigem Unterboden. Beim tiefſten Waſſer— ſtande der großen Ebben läuft auch hier das Waſſer ab, und man findet nun zwiſchen den über den Boden hervorragenden, durch Länge und braune Farbe ausgezeichneten Röhren der ſchönen Sabella pavonina die wegen ihrer grauen Färbung und Kürze viel ſchwerer kenntlichen Röhrenenden des Chaetopterus. Das Tier verfertigt eine Röhre, welche weit länger iſt als ſein Körper, an beiden Enden offen und u-förmig in den Boden geſenkt. Sie bleibt daher auch während des Zurücktretens des Meeres mit Waſſer gefüllt, und der Wurm kann ununterbrochen ſeine Atembewegungen in ſeiner geräumigen Wohnung fort— ſetzen. Will man Tier und Röhre ganz und unverletzt haben, ſo darf man ſich natürlich nicht auf das Schleppnetz oder die Gabel verlaſſen, ſondern muß die Röhre frei legen und ausgraben, während ein Gehilfe die beiden Enden feſthält. Somit können wir, mit abermaliger Umgehung von Familien, welche die Zoologen zwar Kopfkiemer nennen, aber mit der etwas befremdlichen Erklärung, daß ſie eigent— lich gar keine Kiemen beſäßen, zu einigen Familien fortſchreiten, welche dieſen Namen endlich verdienen. Ihre Kiemen ſind in Form von Bäumchen oder Fadenbüſcheln am Kopfende befindlich. Ihr weder mit Zähnen noch mit vorſtreckbarem Rüſſel verſehener Mund deutet auf eine friedlichere Lebensweiſe als die der meiſten „irrenden“ Rückenkiemer, und wir werden in dieſer Vermutung dadurch beſtärkt, daß ſie in Röhren hauſen, aus welchen ſie nur mit Gewalt ſich entfernen laſſen. Mit friſch von der Auſternbank losgelöſten Auſtern iſt uns ein unregelmäßiger Fladen von Sand und Sandröhren gebracht worden, eine Kolonie der Hermella alveolata. Die Röhren, aus feinen Sandkörnchen zuſammengekittet, liegen ohne Regel übereinander, nur daß die Mündung einer jeden frei geblieben iſt. Jede iſt unabhängig von der anderen durch ihre Inwohnerin gebaut worden, dann hat ſich der Sand auch in die Zwiſchen— räume gelegt und iſt durch eine von den Tieren ausgeſchiedene, ihn durchdringende Klebe— maſſe ziemlich feſt geworden. Infolge der unangenehmen Störung haben ſich die Tiere in ihr Verſteck zurückgezogen, und hinter dem Eingang jeder Röhre ſieht man einen metall— glänzenden Deckel. In ein Gefäß mit Seewaſſer gethan, fühlen ſie bald das Bedürfnis, mit der Außenwelt in Verkehr zu treten, der Deckel ſchiebt ſich über den Eingang hervor, lüftet ſich, und unter ihm treten zwei Büſchel feiner Fäden heraus. Der Kopf iſt ſichtbar ge— worden, ſchreckt aber bei der leiſeſten Berührung wieder zurück. Es hilft nichts, um die Wiß— begier zu befriedigen, muß die Röhre ganz zerbrochen, das ungebärdig ſich krümmende Tier in ein kleineres Gefäß gebracht werden, wo es ſich bald ziemlich ruhig in ſein Schickſal ergibt. E, Kopfkiemer. Hermella alveolata- 125 Die auffallende Form des Kopfes wird dadurch bedingt, daß die zwei großen Fühler miteinander verſchmelzen und auf ihrer abgeſtutzten Fläche einige Reihen breiter, zum Teil gezähnelter Plattborſten tragen; ſie ſind damit zu einem den Eingang der Röhre verſchließenden Stöpſel oder Deckel umgeſtaltet. Wahrſcheinlich verſehen auch die beiden 2 1) Röhren der Hermella alveolata. 2) Hermella. 3) Terebella emmalina. 1) und 3) natürliche Größe, 2) vergrößert. Fadenbüſchel unten zu beiden Seiten des Mundes die Stelle von Atemorganen; allein die wahren Kiemen treffen wir nochmals in der Form und Stellung wie bei den Rücken⸗ kiemern an. Es ſind jene Züngelchen auf allen mit Fußſtummeln verſehenen Segmenten. Der Körper endigt mit einem drehrunden, ungeringelten, borſtenloſen Abſchnitt. Eine der umfangreichſten und variabelſten Familien der Unterordnung der Kopfkiemer iſt die der Terebellen (Terebellacea). Ihr geſtreckter, aber ſehr zuſammenziehbarer 126 Würmer. Vierte Klaſſe: Ningelwürmer; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. und weicher Körper iſt rund und vorn meiſt am dickſten. Am Kopfe ſitzt eine Querreihe oder zwei ſeitliche Büſchel von Fühlfäden, bei einigen, z. B. der im Mittelmeer gemeinen Terebella nebulosa, in fo großer Menge, daß man fie ſchwer zählen kann. Dieſe Organe befinden ſich nämlich in einer fortwährenden ſchlangenartigen Bewegung, verkürzen und verlängern ſich und ſcheinen wie für ſich lebendig durcheinander zu kriegen, daß man, wenn ihre Anzahl ſteigt, jede Kontrolle der Zählung verliert. Da ſie meiſt gelblich oder rötlich gefärbt ſind, geben ſie in dieſem Durcheinander einen ſehr lieblichen Anblick. Sie nehmen übrigens nach den Beobachtungen von Dalyell mit dem Alter zu: bei jungen Individuen von Sabella penicillus von etwa 8 mm Länge waren bloß 6, aber bei einem völlig ausgewachſenen, 40 mm großen 90 vorhanden. Da dieſelben ſo ſehr zart ſind, gehen ſie leicht verloren, aber ohne großen Nachteil für das Tier, welches ſie leicht wieder regeneriert. Bei den eigent— lichen Stammarten der Terebellen ſtehen auf den vorderen Körperſegmenten mehrere Kiemen. Bei der auf S. 125 abgebildeten Art ſind es drei zierlich ver— zweigte Bäumchen. Die oberen Fußſtummel aller Te— rebellen tragen Büſchel von Haarborſten. Alle verwen— den Material aus ihrer Um— gebung, um es zu ihren Wohnröhren zuſammenzu— kitten. Terebella emma- lina, aus der Bai von Vis— caya, baut aus Muſchel— ſtückchen und Sand ſehr zerbrechliche Röhren. Von ihrer Vorliebe für Muſchel— fragmente zu ihrem Bau hat die in allen mitteleuro— päiſchen Meeren gemeine Terebella conchilega ihren Namen. Daß fie jedoch auch mit anderem Material bauen, lehren die neuerlichen Beobachtungen von Ehlers. Die Röhren ſind vorn mit zahlreichen hohlen Fortſätzen zur Bergung der Fühlfäden verſehen (ſ. oben— ſtehende Abbildung). Ehlers erzählt: „Auf der unweit Spiekerooge gelegenen, zur Ebbezeit frei laufenden ‚Krabbenplate‘, einer Bank, welche faſt ganz von den Bauten der Sabellaria spinulosa bedeckt iſt, desgleichen am Wattſtrande ragen ſolche Röhren mit ihren ſehr mannig— faltig geſtalteten Anhängen mehr oder minder hoch, gerade aufrecht gerichtet über die Ober— fläche des Bodens hervor, ſcheinbar leer; gräbt man aber vorſichtig den Grund, aus welchem ſie hervorragen, auf, ſo befördert man die ſehr tief in den Boden dringenden Röhren heraus und erhält damit den meiſt bis in den Grund der Röhre zurückgezogenen Inſaſſen, die Lanice (Terebella) conchilega. „In einem kleinen, gut durchlüfteten Aquarium ließen ſich dann die in den Röhren eingeſchloſſenen Tiere ſehr gut am Leben erhalten und gaben mir Gelegenheit, die Art und Weiſe zu beobachten, in welcher die Würmer ihre Röhren bauen. Inſofern aller— dings unterſchied ſich der Anbau, welchen die beobachteten Tiere an ihren Röhren machten, Vorderende der Röhre der Terebella conchilega. 3½ mal vergrößert. Röhrenbau der Terebellen. 127 von den Verhältniſſen im Freien, daß im Aquarium, in welchem die Röhren ihrer ganzen Länge nach frei lagen, die Tiere bisweilen an beiden Eingängen in die Röhre faden— förmige Anhänge anbauten, während im Freien nur der über den Boden vorragende Teil ſolche Anhänge erhält. Gelegentlich baute auch einmal ein Wurm eine cylindriſche Röhre wieder über die mit Anhängen beſetzte Mündung hinaus; das geſchieht im Freien wie im Aquarium. — In der Wahl der Stoffe, welche die Würmer zum Bau verwenden, waren ſie im Aquarium nicht wähleriſch, während an allen Wurmröhren, welche ich ausgrub, der im Boden ſteckende Teil der Röhre ausſchließlich von Sandkörnchen zuſammengeſetzt und nur das frei vorragende Stück mit den verſchiedenartigſten Fragmenten bekleidet war. „Die Tiere ſtreckten aus der einen Offnung der Röhre die langen Fühler hervor und ſuchten mit dieſen nach dem zum Bau zu verwendenden Material. Gab ich dem Wurme nun ein etwas größeres Stückchen, ein Steinchen oder ein Bruchſtück einer Muſchel (Glas— ſcherben wurden meiſtens verſchmäht), ſo wurde dieſes mit einer mehr oder minder großen Zahl von Fühlern ergriffen und in die Röhre hinein, zu dem in dieſer verborgenen Tiere gezogen, wobei meiſtenteils ſämtliche Fühler mit eingezogen wurden. Nach einer kurzen Zeit quoll dann die ganze Maſſe der Fühler aus der Röhre hervor, und ihr folgte das Vorderende des Tieres; dieſes trug dann das vorher eingezogene Stückchen zum Teil mit dem Kopflappen, beſonders aber mit den wie eine Sohle abgeſetzten Bauchſchildern der vorderen Segmente, auf denen das Stückchen meiſtens derartig auflag, daß die Ränder der Schilder es zum Teil umfaßten. Nun hob ſich wie taſtend der Wurm an den Rand der Röhre und ſetzte das Stückchen an den erwählten Ort; es erfolgte ein meiſt ruckweiſes Loslaſſen des Stückchens, und wie ſich der Wurm nun ſchnell in die Röhre zurückzog, ſah man das Stückchen feſt an ſeinem Platze angekittet. In ſolcher Weiſe wurden Sand— körnchen und kleinere Fragmente am Umfang des Röhreneinganges in der mannigfal— tigſten Weiſe aufgekittet; in ſelteneren Fällen, wie es ſchien dann, wenn die aufgekittete Scherbe nicht genügend befeſtigt war, ſchob ſich der Wurm zu wiederholten Malen mit dem Kopflappen und den vorderen Bauchſchildern über die neuangebaute Strecke, augen— ſcheinlich, um durch Auflagerung neuer Kittmaſſen der Verbindung der Teilchen größere Feſtigkeit zu geben. Wurde dem Wurme aber ein Stück geboten, welches zu groß war, als daß es in die Röhre hineingezogen werden konnte, etwa eine halbe Muſchelſchale, ſo trat das Vorderende des Wurmes an dieſes durch die Fühler an den Röhreneingang heran— gezogene Stück, ſtrich mit der ventralen Fläche des Vorderkörpers über dasſelbe, und danach klebte das Stück an der Röhre feſt. „Aus meinen Beobachtungen geht hervor, daß bei dem Bau der Röhren die Fühler, welche über ihre ganze Länge eine flimmernde Rinne tragen, nur inſofern verwendet werden, als der Wurm mit ihnen das zum Bau zu verwendende Material aufſucht und auslieſt, wie man das beſonders erkennt, wenn das Tier mit ihnen einzelne Sandkörner aus feinem Schlamme herausſucht, und ferner mit ihnen das erwählte Stück ergreift und an das Kopfende des Wurmes heranbringt. Zum weiteren eigentlichen Bauen werden die Fühler nicht verwendet. Vielmehr vollführt das Ankitten der einzelnen Teilchen das Tier in der Weiſe, daß es zunächſt einen klebenden und ſchnell erhärtenden Stoff, der mit der Grund— lage der fertigen Röhre übereinſtimmt, auf das ergriffene Stück bringt. Der Stoff iſt das Sekret von Hautdrüſen, welche beſonders zahlreich auf den flimmernden Flächen des Kopflappens und der Seitenlappen der anderen Segmente, dann auch auf den Bauch— ſchildern und an den Fühlern ſich finden. Er wird wahrſcheinlich unter Mitwirkung der den Mundeingang umgebenden Lippen auf das ergriffene Stück gebracht, während dieſes vom Kopflappen gefaßt iſt. Davon überzeugte ich mich, indem ich einen aus der Röhre herausgenommenen Wurm, der dann eifrigſt beſtrebt iſt, ſich eine neue Umhüllung zu 128 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. verſchaffen, ein Stückchen Dickglas bot und ſah, wie dasſelbe vom Kopflappen ergriffen und gegen die Mundöffnung gedrückt wurde, und wie dasſelbe, als ich es ſofort von dort entfernte, einen häutigen Überzug trug, der mit dem beim Bau benutzten Kitte überein— ſtimmt und den vom Tiere bereiteten Teil der Röhrenwand darſtellt. Das mit Kitt ver— ſehene Stück aber wird von den Bauchſchildern und dem Kopflappen an die vom Wurme erwählte Stelle eingeſetzt, ſei es, daß der Rand des Röhreneinganges im ganzen vergrößert oder mit fadenförmigen Anhängen beſetzt wird, ſei es, daß Verletzungen in der Röhre, wie ich ſolche durch Ausſchneiden kleiner Strecken herſtellte, auszubeſſern ſind.“ Die ſeltſamen ſelbſtverfertigten Anhänge am Eingang der Röhre haben bei manchen Arten ein merkwürdig ſymmetriſches Anſehen und beſtehen dann hauptſächlich aus dem verhornten Sekret der Hautdrüſen mit nur wenig Fremdkörpern. Ein ſolches Gebilde iſt einmal als Hornſchwamm beſchrieben worden, ein Schidjal, das übrigens auch den Ei— kokkons der Blutegel widerfahren iſt. Laſſen wir uns noch eine Terebellenart, die Töpferin (Terebella figulus), bei ihrem Röhrenbau ſchildern, und zwar von Rymer Jones. Ihr Baumaterial iſt Schlamm. Nimmt man das Tier aus der Röhre, ſo zieht und wickelt es ſich eng zuſammen. Sehr bald aber beginnen die Fühlfäden rundum zu ſuchen, alles, was ſie erreichen können, heranziehend. Hatte ſie, wie andere Arten, am Morgen der Ruhe gepflegt, ſo arbeitet die Terebelle in der Zeit des Tages, am emſigſten gegen Abend. Eine Anzahl Fühlfäden ergreifen Schlamm, andere Sandkörner, andere langen nach Muſchelſtückchen, und das auf dieſe Art Geſammelte wird durch die Zuſammenziehung der einzelnen Fühler an den Körper herangebracht. Während dieſer Arbeit der Fühlfäden bläht ſich der Vorderkörper etwa 15 — 20 mal in der Minute auf, und ebenſo oft geht eine wellenförmige Bewegung von hinten nach vorn. Dann kommen 10—12 Partikelchen des Baumaterials zum Vor: ſchein, wahrſcheinlich, nachdem ſie im Munde zugerichtet worden ſind, und werden an den Rand der Röhre angefügt. Dabei ſcheint die Unterlippe den neuen Teil auf und ab zu glätten oder auch mit der übrigen Röhre zu verleimen. So viel ſcheint außer Zweifel, daß die Baumaterialien zuerſt verſchluckt werden. „Die Fühlfäden der Töpferin wechſeln an Zahl zwiſchen 25 und 50; ſie ſind ziemlich ſtark und meſſen vollſtändig ausgedehnt wenigſtens 9 Zoll, ungefähr zweimal die Länge des Körpers, ſo daß ſie über einen bedeutenden Raum umherlangen können. Mehr zu— ſammengezogen haben ſie eine bräunliche oder karminrötliche Farbe, ausgedehnt gleichen ſie einem weißlichen Pferdehaar. „Es iſt erſtaunlich, wie die Aufmerkſamkeit einer ſo kleinen Künſtlerin zu gleicher Zeit auf ſo verſchiedene Verrichtungen gewendet ſein kann. Ein Teil der Fühler ſucht Material, ein anderer ſammelt und ergreift es, ein dritter bringt es nach dem Gehäuſe; einige ſetzen ihre Ladung ab, wieder andere erfaſſen die Laſt, die ſie haben fallen laſſen, und die Künſtlerin ſelbſt iſt während dieſer ganzen Zeit eifrig beſchäftigt, Material im Munde zu kneten, es wieder von ſich zu geben und an ſeinen Platz zu bringen oder die noch rohe, eben aufgeführte Wand zu glätten.“ Die ebenfalls ſehr gemeine Terebella nebulosa, jo genannt, weil fie ſich mit dem Gewirr ihrer rötlichen Fühlfäden wie mit einer deckenden Wolke umgeben kann, leimt ſich zu temporärem Aufenthalt unter den Uferſteinen ſehr zerbrechliche Röhren und laubenartige Gänge, die man häufig verlaſſen findet. Geſchickter und beweglicher als ihre Schweſtern, kann ſie, in einem Gefäß gehalten, ihre Fühlfäden, wie Quatrefages ſich ausdrückt, als lebendige Seile benutzen und ſich daran wie Münchhauſen an ſeinem Zopfe in die Höhe ziehen. Röhrenbau der Töpferin. Serpulaceen. 129 In der Familie der Serpulaceen (Serpulacea) ſind die Kiemen vollſtändig an das vordere Ende gerückt, und das durch die Flimmerhärchen derſelben in Strömung ver— ſetzte Waſſer bringt der unmittelbar darunter gelegenen Mundöffnung die Nahrung zu. Der bei anderen Ringelwürmern getrennte Kopflappen iſt hier mit dem durch die Mundöffnung ausgezeichneten erſten Segment verſchmolzen, und der ſo gebildete Kopf iſt durch eine Art von breiter Krauſe vom übrigen Körper abgeſetzt. Merkwürdig iſt der ſogenannte Borſten— wechſel, indem auf der vorderen Körperhälfte am Rücken Haarborſten, am Bauche Haken— borſten, auf der hinteren dagegen die Haarborſten am Bauche ſtehen. In der großen Gat— tung Serpula ſehen wir einen oder auch zwei der Kiemenfäden in einen, von einem Faden Serpula contortuplicata. Natürliche Größe. getragenen keulenförmigen Deckel umgewandelt, der beim Zurückſchlüpfen in die Röhre immer zuletzt zum Verſchluß eingezogen wird. Das mikroſkopiſche Detail dieſer Deckel iſt ſehr wichtig für die Artunterſcheidung und an ſich hübſch anzuſehen, da Zähnchen, kronen— artige Aufſätze, bewegliche Stacheln und dergleichen organiſches Schnitzwerk ſie bei der einen Art ſo, bei der anderen ſo, zierlich kennzeichnen. Ein anderes Feld der Mannigfaltigkeit derſelben Gattung iſt in der Bildung der kalkigen Röhre gegeben. Alle Arten beginnen mit einem freien Leben in einer einer Verwandlung unterliegenden Geſtalt. Noch lange, bevor dieſe Verwandlung vollendet, ſchwitzt das junge Tier eine Kalkröhre aus, welche an— fänglich cylindriſch und an beiden Enden offen iſt. In dem Maße, als das Tier wächſt, verlängert und erweitert es ſein Gehäuſe. Dasſelbe liegt anfänglich der ganzen Länge nach auf der Unterlage auf, plattet ſich auf der unteren Seite ab und erhält auf der freien Oberfläche Streifen, Falten und Kanten und bei einigen Arten Zähne und Einkerbungen an der Kopföffnung. Bei manchen Arten erhebt ſich der ſpäter wachſende Teil ſpiralig frei über der Unterlage. Bei der Abſonderung und Formierung der Röhre iſt vorzugsweiſe der Brehm, Tierleben. 3. Auflage, X. 9 130 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. Grundteil der Kiemen und der Kopfkragen beteiligt, welche dabei eine ähnliche Rolle ſpielen, wie der ſogenannte Mantel der Weichtiere bei der Schalenbildung derſelben. Die überaus zahlreichen Arten der Serpulen finden ſich über alle Meere zerſtreut und gewähren, wenn ſie den Kopfteil hervorſtrecken und den Kiemenfächer entfalten, einen ſehr Amphicora sabella. 30 mal ver: größert. anziehenden Anblick. Den ſtärkſten Anteil daran haben die meiſt gelb oder rot oder bunt gefärbten Kiemenfäden. In einigen Fällen ſitzen auf den Tentakeln eigentümliche, rote oder violette Pigmentfleckchen, welche, wie Koellicker nach— gewieſen hat, Augen ſind. Unterhalb eines jeden liegt ein ge— ſtieltes, blattförmiges Organ, ein Augenlid, welches ſich beim Einziehen der Fühler über die Augen wegſchlägt und dieſelben ſchützt. Auch die durchſcheinenden Blutgefäße geben liebliche Zeichnungen. Bei einigen iſt das Blut grün, bei anderen röt— lich oder gelblich, bei noch anderen iſt es völlig farblos. Die der Serpula nahe verwandte Gattung Sabella baut durch Ausſchwitzung einer klebrigen Maſſe biegſam bleibende Röhren, die mitunter, z. B. bei der ſchönen Sabella uni— spira des Mittelmeeres, lederartig ausſehen, in anderen Fällen, indem fie ſich mit Sand und Muſchelſtücken bedecken, ganz denen der Terebellen gleichen. Zu den merkwürdigſten Tieren, nicht nur ſpeziell den Würmern, gehören die Arten der Gattung Amphicora, welche an unſeren Küſten auch wieder in ganz unglaublichen Mengen vorkommen, freilich nur dem auf ſie fahnenden Zoologen be— merkbar, indem ſie nur einige Linien lang ſind und in dem dichteſten Gewirr der Waſſerpflanzen, beſonders der ſich ver— filzenden Algen, leben. Hat man einen Büſchel dieſer Pflan— zen mit dem anhaftenden Sand und Schlamm ruhig 1—2 Stunden in einem flachen Gefäß ſtehen laſſen, ſo kommen, durch das Atembedürfnis getrieben, eine Menge von kleinen Krebschen und reizenden Würmchen hervor, die ſich faſt alle am Rande des Tellers anſammeln, um dort des Sauerſtoffes der Luft teilhaftig zu werden. Man kann mit ziemlicher Sicher— heit darauf rechnen, daß auch die Amphicora darunter iſt, auf deren ſpezifiſche Unterſchiede hier nichts ankommt. Sie hat, was ſonſt die Serpulaceen nicht thun, ihre häutige Röhre verlaſſen, wie ſie auch im normalen Zuſtande pflegt, um ſich nach Futter und Geſellſchaft umzuſehen. Wir führten an, daß es mit dem Geſichte der Kopfkiemer im allgemeinen ſchlecht ſtehe; allein davon macht Amphicora die überraſchende Aus— nahme, daß ſie nicht nur vorn, ſondern auch hinten Augen be— ſitzt. Als ich 1848 dieſes von Ehrenberg bei Helgoland entdeckte Tier bei Thorshaven auf den Faröern anhaltend beobachtete, mußte ich das nicht Kiemen tragende Ende für den Kopf halten. Es marſchiert nämlich am liebſten mit dieſem Ende voraus, die Kiemen wie einen tüchtigen Beſen nachſchleppend. Häufig aber wechſelt es die Richtung, und es iſt in dem ſonderbaren Vorteil, nicht wenden zu brauchen, da auch gleich hinter den Kiemen ein Paar ihm den Weg zeigende Augen (a) ſtehen und die Fußſtummel und Borſten ihren Dienſt vor- und rückwärts thun. Man kann leicht den Schwanz für den Kopf nehmen, was in Amphicora. Lebensweiſe der See-Borſtenwürmer. 131 der That auch ſchon von Zoologen geſchehen iſt, indeſſen ergeben ſich die wahren Verhält— niſſe aus der Beſchaffenheit des Darmkanals. Auch ſpricht die Lage der beiden als Ge— hörwerkzeuge zu deutenden Bläschen (g) dafür. Dem Liebhaber mikroſkopiſcher Gemüts— und Augenergötzung iſt bei einem Aufenthalt im Seebade die lebhafte Amphicora nicht genug anzuempfehlen. Wir haben jetzt dem Leſer eine im Verhältnis zur Geſamtmenge zwar ausnehmend geringe, aber doch vielleicht zu dem Zwecke genügende Anzahl von Formen der im Meere lebenden Rückenkiemer und Kopfkiemer vorgeführt, um es wagen zu dürfen, ihre Lebens— weiſe in einem Geſamtbilde zu ſchildern. Es mag erlaubt ſein, zunächſt wiederum dem aus: gezeichneten Kenner Quatrefages zu folgen. Eine große Anzahl dieſer Ringelwürmer iſt im ſtande, von einer Flutzeit bis zur anderen im vom Waſſer entblößten Schlamm oder Sand oder auch in den frei liegenden Röhren zu— zubringen, kein einziger aber lebt oberhalb des Flutſtriches oder etwa in jener Zone, welche beim Flutſtande von den Wellen beſpült wird. Unter die am höchſten wohnenden gehören die Aphroditen, Nereiden und Sandwürmer. Erſt in den unteren Etagen der Ebbezone trifft man einige Arten der Glyceren und Clymenien. Mit Ausnahme einer Anzahl von Arten, welche, wie die Serpulen und Hermellen, feſte Röhren bewohnen, bohren ſich die meiſten Ringelwürmer in den Boden und halten ſich im Sand, Schlamm, beſonders aber in dem eine Beimiſchung von Schlamm enthaltenden Sande auf, welchen die Flut zwei— mal des Tages bedeckt und entblößt. Dies gilt jedoch nur von denjenigen Geſtaden, an denen die Fluthöhe eine beträchtliche iſt. Im Adriatiſchen Meere, wo ſie kaum 1—2 Fuß beträgt, bleiben die meiſten Gliederwürmer immer unter dem Waſſerſpiegel. Jedenfalls wühlen in dieſer oberen Zone die meiſten, und zwar iſt ihnen der Boden am liebſten, welcher durch eine richtige Miſchung von Sand und Schlamm eine gewiſſe Feſtigkeit erlangt hat, welche jedoch den Minierarbeiten keine Schwierigkeiten entgegenſetzt. In ſchönſter Weiſe vereinigen ſich dieſe Bedingungen in den untermeeriſchen Wieſen von Seegras (Zostera); ſie geben eine reiche Ausbeute, wenn man ſie geradezu abgräbt. Indem von ihnen die pflanzenfreſſenden Arten angelockt werden, folgen letzteren die fleiſchfreſſenden nach. Sehr beliebte Schlupfwinkel ſind Felſenritzen, und eine Menge der zarteſten, weiter unten zu erwähnenden Syllideen und der kleinen Nereiden bergen ſich mit den Amphicorinen zwiſchen Tangen und Korallinen. Überall, wo dieſe Pflanzen im ſtärkſten Wellenſchlage ſich an— geſiedelt haben, iſt man ſicher, jene kleinen Ringelwürmer anzutreffen. Frei im Waſſer, in unmittelbarer Nähe der Küſte, halten ſich, wie leicht begreiflich, keine Arten auf. Das hohe Meer jagt aber einer Anzahl zu, der durchſichtigen Torrea vitrea, vor allen den Hetero— nereiden, deren breite Ruder der hinteren Leibeshälfte ſie zu guten Schwimmern ſtempeln. Aber auch dieſe pelagiſchen Arten bleiben nicht immer auf hohem Meere. Wenigſtens beobachtete Quatrefages, daß mehrere für gewöhnlich fern vom Strande lebende Arten von Heteronereis zur Zeit der Fortpflanzung das Geſtade ſuchten und nach Art der übrigen Strandbewohner ſich einrichteten. Umgekehrt ſcheinen diejenigen Ringelwürmer, welche in der Regel am Strande angetroffen werden, während der ſchlechten Jahreszeit und wenn ſich viel Regenwaſſer mit der oberen Waſſerſchicht miſcht, ſich tiefer hinab und weiter hinausziehen. Auf viele wirkt das ſüße Waſſer wie Gift, manche ſterben augenblicklich darin, manche nach einigen konvulſiviſchen Krümmungen. Für den Beobachter und Sammler hat das Bauen und Bilden der Gänge und Röhren großes Intereſſe. Einzelne Züge dieſer Verrichtungen haben wir oben ſchon angeführt. Die 9 * 132 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmer; erfte Unterklaſſe: Borftenwürmer. Gänge im Sande und Schlamm werden mit dem Rüſſel gebohrt. Durch Zuſammen— ziehung des Leibes preßt der Wurm die blutartige Leibesflüſſigkeit nach vorn und ſtößt da— mit den Rüſſel gewaltſam hervor. Derſelbe dringt ſo lang, wie er iſt, in den Boden, und da er in der Regel beim Hervorſtrecken dicker wird als das Tier, rückt dieſes beim Zurück— ziehen leicht vor. Dieſes Manöver kann ſehr ſchnell wiederholt werden, und ſo gräbt ſich ein mehrere Zentimeter langer Wurm binnen Sekunden und Minuten ein. Bei der Mehr— zahl der auf ſolche Weiſe minierenden Arten wird gar nicht für den Beſtand der Röhren geſorgt, einige Nereiden und andere kleiden dieſelben aber mit einem dünnen, vom Körper abgeſonderten Überzuge aus, der im weſentlichen ſich wie die Röhren der Sabellen und Chätopteren verhält. So verſchiedenartig alle dieſe wahren Röhren, von den ſchleimigen und gallertigen einzelner Sabellen bis zu den äußerſt harten der Serpulen, ſind, in allen Fällen entſtehen ſie durch Ausſchwitzungen der Tiere. Nie aber beſteht eine ſolche innige Verbindung zwiſchen dem Tiere und der Röhre wie etwa zwiſchen dem Schneckengehäuſe und der Schnecke oder der Muſchelſchale und der Muſchel, welche letzteren mit den von ihnen abgeſonderten feſten Wohnungen verwachſen find. Eine Nereis (Nereis fucata) hat ſich dem Bernhardkrebs (Pagurus Prideauxii) angeſchloſſen und lebt friedlich neben ihm in ſeiner Schneckenſchale, vielleicht von ſeinem Kot ſich ernährend und ihm ſo dienſtlich werdend. Die auf vielen direkten Beobachtungen beruhende Einteilung der bisher betrachteten Ringelwürmer in Fleiſchfreſſer (Rapaces) und Schlammfreſſer (Limivora) ſcheint, ſobald man damit zugleich die Abteilungen der Rückenkiemer und der Kopfkiemer bezeich— nen will, doch nicht allgemein zu paſſen. Es gibt vielmehr auch pflanzenfreſſende Rücken— kiemer und fleiſchfreſſende Kopfkiemer, wenn auch letztere ſich mit kleinerer, in den Bereich ihrer Mundwerkzeuge kommender Beute begnügen. Ihr Nutzen für den Menſchen beſchränkt ſich auf die Verwendung als Köder, und eine Form (Nereis suceinea) wird indirekt da— durch nützlich, daß ſie eine der erbittertſten Feindinnen des Pfahlwurmes iſt, welchen ſie in ſeinen Bohrgängen aufſucht und frißt. Den einen oder den anderen zu verſpeiſen, da— zu haben es ſelbſt die ſonſt nicht heikligen Chineſen nicht gebracht, nur die Fidſchi- und Samoa-Inſulaner haben, wie wir ſahen, einen Ringelwurm auf ihrem Küchenzettel. Was man von ihrer Lebensweiſe aus der Beobachtung unſerer Tiere im freien Zu— ſtande erfahren, läßt ſich aus ihrem Benehmen in der Gefangenſchaft in größeren und kleineren Aquarien ergänzen. Man kann die verſchiedenartigſten Spezies in engen Gefäßen beiſammen halten, ohne daß ſie einander anfallen und ſich gegenſeitig aufzehren. Die meiſten empfinden offenbar das helle Tageslicht, beſonders die direkte Sonne, ſehr unangenehm. Die frei lebenden ſuchen emſig nach einem Verſteck, die Röhrenwürmer halten ſich ſo lange wie möglich in ihrer Behauſung zurückgezogen. Nur erſt, wenn in den kleineren Gefäßen, in denen man ſie für das Studium aufbewahrt, eine dem Geruchsorgan ſehr bemerkliche Zerſetzung beginnt, ſuchen ſie, wie oben bemerkt, um jeden Preis in behaglichere Umgebung zu flüchten, und dann verlaſſen ſelbſt ſolche Röhrenwürmer, wie Serpula, ihr Haus, welche an ihrem natürlichen Aufenthaltsort nie daran denken. Ihr unruhiges, ſcheues Benehmen im direkten Lichte würde zwar allein nicht ausreichen, die Mehrzahl der Seeringelwürmer für nächtliche Tiere zu halten, allein die Wahl ihres Aufenthaltes macht dies wahrſcheinlich. Die Natur- und Lebensgeſchichte der meiſten niederen Tiere, ſo auch die der borſten— tragenden Seewürmer, bleibt ohne Kenntnis ihrer Entwickelung eine ſehr unvollkommene. Bei den See-Borſtenwürmern ſind die Geſchlechter getrennt, und in den meiſten beobach— teten Fällen wird das geſamte Ei mit der Eihaut allſeitig zum Jungen umgewandelt. Lebensweiſe und Entwickelung der See-Borſtenwürmer. 133 Entweder die ganze Oberfläche oder eine Zone des Eies bedeckt ſich mit Flimmerhärchen, und nun beginnt das kleine Weſen als Larve ein ſelbſtändiges Daſein. Ehe noch irgend eine Scheidung der inneren Organe wahrzunehmen iſt, fangen die Larven an, mit Hilfe der Wimpern ſich zu drehen und zu bewegen, häufig, wie z. B. bei Arenicola, in einen zugleich mit den Eiern abgeſetzten Gallertklumpen eingeſchloſſen. Indem die Larve ſich ſtreckt, bleibt es entweder bei der einen Wimpernzone, oder es treten mehrere auf. Auf der ent— ſprechenden, abgebildeten Entwickelungsſtufe von Terebella nebulosa iſt zu der anfäng— lichen, breiten Zone noch ein zweiter, ſchmälerer Wimperreifen am Hinterende gekommen (Fig. 1 u. 2), und ſieht man auf dieſer Stufe ſchon den Beginn der Gliederung des Körpers. 1 - 5 Le A N |\ 2 N 1 5 | ya Se) 2 — ch, h, Un ZOG GL „ 7 //» Entwickelung der Borſtenwürmer. Alle Figuren vergrößert. Indem dieſe fortſchreitet, Stummeln aus der Haut hervortreten und in ihnen eingepflanzt die Borſtenbündel ſich zeigen, indem zugleich die inneren Organe, der Darmkanal, auch die Augen ſich ausbilden (Fig. 3), ſchwinden die Wimperreifen mehr und mehr. Die Ver— wandlung beſteht alſo auch hier darin, daß die für das Larvenleben beſtimmten Interims— organe nach und nach den definitiven Platz machen. Wohl zu bemerken iſt, daß auch hier die ſich ſpäter feſtſetzenden und mit Röhren umgebenden Arten in der Jugend in gewiſſer Weiſe höher organiſiert ſind als im Alter. Die Larven der Terebellen und anderer haben Augen und führen die Lebensweiſe der im allgemeinen höher ſtehenden Rückenkiemer. Ihr weiteres Wachstum iſt alſo zugleich mit einer rückſchreitenden Verwandlung verbunden. Wir wenden nun den Blick auf Figur 4 der Abbildung, welche uns in die merk— würdige ungeſchlechtliche Fortpflanzung der Syllideen einführt. Wir ſehen eine Mutter mit den ihr anhängenden ſechs hoffnungsvollen Knoſpen, Knoſpen in des Wortes eigenſter Be— deutung. Das Tier bildet die Gattung Myrianida und gehört in die Familie der kleinen, beweglichen Syllideen. Die erſte Knoſpe, welche an dem Hinterende der Mutter hervor— ſproßte, nimmt jetzt in der Kette den hinterſten Platz ein, ſie iſt mehr und mehr gereift, 134 Würmer. Vierte Klaſſe: Ningelwürmer; erſte Unterklaſſe: Borftenwürmer. während zwiſchen ihr und der Erzeugerin neue Knoſpen ſich einſchoben. In anderen Fällen, bei Syllis, die ganz beſonders zur Knoſpenbildung neigt, und bei der zugleich eine Quer— teilung des die Knoſpen hervorbringenden Vordertieres damit verbunden iſt, gehen die letzten Ringe, ſich verlängernd und ſich umwandelnd, in die Knoſpentochter über, und zwiſchen ihnen und der Stelle, an welcher ſich die Knoſpe vom mütterlichen Boden trennen ſoll, wird als völlige Neubildung der Kopf der Knoſpe eingeſchoben. Bei dieſem Aufgehen ganzer Glieder des Muttertieres in die Tochter kommt es auch vor, daß fie ſchon mit Eiern gefüllt ſind, obwohl dieſer Fall, daß dasſelbe Tier auf geſchlechtlichem Wege Eier produ— ziert und zu gleicher Zeit Knoſpen treibt, der ſeltenere zu ſein ſcheint. Die Regel, welche auch mit dem übereinſtimmt, was ähnliche Vorgänge in anderen Tierklaſſen zeigen, iſt viel— mehr, daß das Vordertier geſchlechtslos iſt, die Knoſpen dagegen Männchen oder Weibchen werden. Am reinſten und lehrreichſten iſt dieſer Vorgang bei der Gattung Autolytus. Der Kopf des geſchlechtsloſen Vordertieres von Autolytus cornutus iſt Figur 7; er unter— ſcheidet ſich durch Stellung, Form und Länge der Fühler und Fühlfäden von dem der männlichen Knoſpen (Fig. 5), und dieſer wieder von dem der weiblichen (Fig. 6). Männ⸗ chen und Weibchen entſtehen alſo nur auf dem Wege der Knoſpung, während ihre un— geſchlechtlichen Erzeugerinnen ihr Daſein nur den Eiern der gejchlechtlichen Generation ver— danken. Wir haben hier ein reines Beiſpiel des in der niederen Tierwelt vielverbreiteten ſogenannten Generationswechſels. Derſelbe iſt alſo eine eigentümliche Art der Fort— pflanzung und Vermehrung, bei welcher das aus dem Ei ſich entwickelnde Individuum nie die Geſtalt und den Wert, d. h. die phyſiologiſche Bedeutung des Geſchlechtstieres, erhält, ſondern auf ungeſchlechtlichem Wege, durch Teilung, Knoſpenbildung oder auch innere Keim bildung ſich vermehrt und erſt durch dieſe ſeine Sproſſen zur geſchlechtlichen Generation zu— rückkehrt. Die Art wird alſo, falls die Geſchlechter getrennt ſind, nicht nur aus den ver— ſchieden geformten, mit beſonderen Kennzeichen verſehenen beiden Geſchlechtern, ſondern auch aus der ebenfalls eigentümlich gebildeten geſchlechtsloſen Zwiſchengeneration zuſammen— geſetzt. So einfach und leicht aufzufaſſen, wie bei Autolytus, iſt der Generationswechſel nur in ſeltenen Fällen. Schon hier ſind jedoch die beiden wechſelnden Generationen ſo ver— ſchieden, daß man, ehe ihre Zuſammengehörigkeit entdeckt wurde, fie als verſchiedene Gat— tungen beſchrieb, das geſchlechtsloſe Individuum als Autolytus, das Männchen als Poly- bostrichus, das Weibchen als Sacconereis. Bei Haplosyllis spongicola entwickeln ſich die letzten 20 —30 Segmente des 70—90 Segmente zählenden Körpers unter Umbildung der Fußſtummel ſowie deren Borſten und Muskeln zu einer geſchlechtlichen Schwimmknoſpe, welche ſich vom Stammtier trennt und nach den Beobachtungen von Alberts mit großer Schnelligkeit das Waſſer durchſchwimmt und mit ihrem an ein pelagiſches Leben angepaßten Körperbau der ſonſt ſo trägen, in Höhlungen von Schwämmen und unter Steinen hauſenden Haplosyllis eine weitere Ver— breitung der Nachkommenſchaft gewährleiſtet. Sehr intereſſant find die Knoſpungsverhältniſſe bei Syllis ramosa, einer Form, die bei Gelegenheit der Challenger-Expedition in der Arafura-See und bei Zebu, einer der ‘Philip: pinen, in Tiefen zwiſchen 95 und 100 Faden aufgefunden wurde (ſ. nebenſtehende Abbild.). Die Tiere leben in Glasſchwämmen, beſonders in dem wundervollen Gießkannenſchwamm, haben einen zarten Körper etwa von der Dicke eines Zwirnfadens, deſſen Segmente ſchmal ſind und an jeder Seite einen Fuß tragen, der in einen feinen Cirrus endet. Die Cirren ſind von zweierlei Länge, aber an jeder Seite wechſeln längere und kürzere in regel— mäßigem Turnus miteinander ab. Die Neigung dieſes Wurmes zur Bildung von Knoſpen iſt ganz außerordentlich, ſie treten an den Enden und den Seiten und wo nur immer die Oberfläche des Tieres verletzt wurde auf, haben aber niemals ihren Urſprung zwiſchen Entwickelung der Borſtenwürmer. 135 zwei Segmenten, ſondern immer an einem ſolchen und zwar einem Fuß gegenüber, ſo daß ſie immer zwiſchen zwei von dieſen Anhängen ſtehen und gewiſſermaßen den fehlenden ver— treten, der einem kürzeren oder längeren Cirrus entſprechen kann. Die prächtige Abbildung in dem von William M'In⸗ — nr ea en toſh verfaßten Bericht über die — Öse — auf der Challenger: Erpedition — geſammelten Borſtenwürmer E zeigt uns einen Haupt ſtock, der fünf Nebenſtöcke lerſter Ord⸗ nung) trägt, die zum Teil ſo lang wie er ſelbſt ſind. Dieſe fünf Nebenſtöcke erſter Ordnung tragen ihrerſeits wieder zuſam⸗ men neun zweiter und einer von dieſen gar einen einzigen dritter Ordnung. Die meiſten Knoſpen ſind am freien Ende abgeriſſen, der von uns hier ebendarum als Hauptſtamm ans genommene Teil aber an bei⸗ den. Nur ſehr ſelten iſt ein Kopf vorhanden. Manche dieſer Formen entwickeln Geſchlechts— organe, und zwar männliche und weibliche getrennt. Beide Arten von Knoſpen haben Augen, und zwar die weiblichen ein anſehn⸗ liches Paar auf dem Rücken und ein noch größeres an der Bauchſeite an der Stelle, wo fie durch einige wenige Seg⸗ mente mit dem Mutterſtock zu— ſammenhängen. Ihre Geſtalt iſt weſentlich breiter, abgeflacht, die Cirren ſind verſchwunden und durch prächtige dichte Bü} chel feiner Schwimmborſten vertre— ten. Sie find im ganzen Leis besraum, auch im Baſalteil der Füße, mit Eiern gefüllt, und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ſie ſich wie die in linearer An⸗ ordnung zum Stammtier lie: gende Knoſpe von Haplosyllis spongicola loslöſen, um ein freies Leben zu beginnen. Denn dazu ſind ſie durch ihre Organiſation vorzüglich bes fähigt: ſie beſitzen in ihren beweglichen Seitenbüſcheln wundervolle Schwimmapparate, und ihre Augen ſind ſo verteilt, daß ſie, pelagiſch ſchwimmend, nach oben und unten Syllis ramosa. Etwas verkleinert. 136 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; erſte Unterklaſſe: Borſtenwürmer. ſehen können, dabei einander aber auch ſo nahe gerückt, daß ſie die ſeitliche Umgebung zu beherrſchen vermögen. Die hier vorliegenden Verhältniſſe ſcheinen darauf hinzudeuten, daß eigentlich ein Fußſtummel zu einer Knoſpe auswächſt, was durch eine Verlängerung desſelben eingeleitet werden könnte. Dann tritt eine Ausſackung der Leibeshöhle in denſelben, der eine ſolche des Darmes folgt. Unter Bildung von immer mehr Segmenten verlängert ſich der ent— ſprechende Cirrus, und in ihn wächſt in eben dem Maße Leibeshöhle und Darm hinein. Borſtenwürmer gibt es in allen Meeren, noch in der Oſtſee finden ſich 33 Arten, und man kann nicht ſagen, daß ſie in wärmeren Gewäſſern im allgemeinen häufiger wären als in kälteren, obwohl manche Familien (3. B. die Euriciden) in tropiſchen reicher ent: wickelt ſind. Der nördliche Stille Ozean iſt auffallend arm an ihnen. Weiter gibt es Familien, die faſt rein pelagiſch find, wie die Tomopteriden, Amphinomiden und Alcio— piden. Auch die Glyceriden leben zum weitaus größten Teil auf der Oberfläche des Meeres, gehen aber in einzelnen Formen doch in bedeutende Tiefen (1150 m). Die Spioniden, Hermelliden, Amphikteniden, Heſioniden und Sabelliden, in Röhren wohnende Bodenformen, ziehen flaches Waſſer vor, im ganzen auch die Sylliden, die aber doch bis 2800 m Tiefe vorkommen. Nicht wenig ſedentäre und frei ſchwimmende Sippen gehen von den Linien zwiſchen den Gezeiten bis in ganz gewaltige Tiefen, jo die Terebelliden (bis 3200 m), die Nereiden (bis 2800 m), die Euniciden (bis 2130 w) und die Polynoiden (bis 5000 m). Eine Vertreterin der marinen Borſtenwürmer, eine Glycera, ward merkwürdig genug in Japan in einem Binnenſee gefunden. Als ein ziemlich allgemein gültiges Geſetz für die bathymetriſche Verbreitung der Seetiere gilt auch für die Borſtenwürmer, daß nämlich Arten und Gattungen mit großer horizontaler Verbreitung auch in ſehr verſchiedenen Tiefen vorkommen. „Als das charak— teriſtiſchſte Beiſpiel“, ſagt Ehlers, „erwähne ich die Teerebellides Stroemii; das Tier findet ſich, neben anderen ein Genoſſe des eurythermen Krebſes, Nephrops norvegicus, im Adriatiſchen Meer, wo es Grube am Strande der Inſel Luſſin, ich es in der Strand— region bei Fiume gefunden habe, in einer erwärmten und erheblichen Temperatur— ſchwankungen ausgeſetzten Region, während es anderſeits an den arktiſchen Küſten, und zwar gleichfalls in der Strandregion, vorkommt. Demgemäß findet es ſich nun auch aus der Porcupine-Sammlung aus einer Tiefe von 426 Faden (780 m) mit 8,858 Grad Celſius und aus einer Tiefe von 1215 Faden (2040 m) mit 2,80 Grad Celſius. Profeſſor M'Intoſh konnte ſonſt weiter kein Geſetz für die vertikale Verbreitung der Ringelwürmer überhaupt aufſtellen. So fand der „Challenger“ zwiſchen 1800 und 2200 m nur 4 Arten, zwiſchen 2201 und 2740 m aber 22, zwiſchen 2741 und 3658 m 20, zwiſchen 3659 und 5486 m wieder 22 und unter 5486 m noch 2. Die meiſten Ringelwürmer werden beim Fang nicht nur tot, ſondern meiſt auch mehr oder minder ſtark beſchädigt aus größeren Tiefen heraufgebracht. Denn ihr Körper iſt in der Regel ſehr zart, die Segmente trennen ſich, die Leibeshöhle wird aufgetrieben, die Schuppen und Borſten lockern ſich und fallen ab. Die Formen der Tiefſee können natürlich unter allen Umſtänden nicht von pflanzlicher Koſt leben, denn dort hat die Vegetation längſt ihr Ende erreicht. Aber ſie freſſen, wenn ſie ſich nicht vom Raube größerer und kleinerer Tiere ernähren, Schlamm und Sand, aus denen ſie, ähnlich wie unſere Regenwürmer, die darin enthaltenen organiſchen Sub— ſtanzen aſſimilieren. Myzoſtomatiden. 137 Zu den Ringelwürmern ſtellt man jetzt allgemein eine kleine Familie ſehr merkwür— diger Weſen, welche vor den grundlegenden Unterſuchungen von L. von Graff von dem einen Forſcher zu den Lochwürmern oder Trema— toden, von den anderen zu den Aſſeln und von dritten gar zu den Milben gerechnet wurden. Es ſind das die Myzoſtomatiden. Ihre Sonderbarkeiten be— ruhen auf Rückbildungen, welche die Folge ſchma— rotzender Lebensweiſe ſind. Die Tiere ſind nicht groß, der Rieſe der Sippe (Myzostoma gigas) mißt nur 7—8 mm. Ihr Rand iſt in 10 Paar fingerförmige Anhänge ausgezogen, und an der Bauchſeite ſtehen 5 Paar ungegliederte, am freien Ende mit je einem Chitinhaken und häufig auch einzelnen Borſten beſetzte Stummelfüße, je 5 Stück im Halbkreis an jeder Seite, und zwiſchen ihnen ſtehen jederſeits je 4 Saugnäpfe. Die Oberſeite der weichen, oft ſehr bunten, gelb oder orange, bis— weilen auch gefleckt und ſonſt gezeichneten Tiere iſt durchaus mit Wimpern bedeckt. Sie alle ſchmarotzen auf Haarſternen und Seelilien (Krinoiden) und nur auf ſolchen, und da dieſe ſehr altertümliche Tiere ſind, werden wir wohl nicht fehlgreifen, wenn wir auch den Myzoſtomatiden einen bis in die graueſte Vorzeit zurückreichenden Stammbaum zuſchreiben Die Krinoiden ſind aber zugleich weſentlich Be— wohner der Tiefſee, woraus folgt, daß die Mehr— zahl ihrer Gäſte auch den abyſſiſchen Regionen an— gehört. Die Grade des Paraſitismus ſind bei ihnen verſchieden: die einen kriechen frei auf ihren Wirten hin und wieder, andere ſind die Veranlaſſung, daß 90 A) Myzostoma gigas, von unten. B) Durch an den Armen der Krinoiden und an deren An- dieſen Paraſiten gallenartig umgebildete Armteile von Antedon. Beide Figuren vergrößert. hangsgebilden beſondere gallenartige Gebilde auf— treten, und die dritten endlich leben paarweiſe, je ein männliches und ein weibliches In— dividuum in blaſenartigen Wucherungen der heimgeſuchten Tiere. Intereſſant iſt es, daß auch echte, degenerierte Ringelwürmer paraſitiſch auf Haarſternen (Actinometra) vorkommen. Zweite Unterklaſſe. Die Glattwürmer (Hirudinae). Es iſt leichter, den Anwalt der Regenwürmer zu machen, die nicht ganz unliebens— würdig ſind, oder der Schmarotzerkrebſe, welche als Karikaturen und Beiſpiele der wunder— ſamſten Rückbildungen ergötzen und intereſſieren, als den Egeln Freunde zu gewinnen. Stehen doch jedermann, wenn von Egeln die Rede iſt, gleich die eigentlichen Blutſauger vor Augen, die zwar nicht unſchön anzuſehen ſind, aber im ganzen nur widerliche Vorſtellungen 138 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; zweite Unterklaſſe: Glattwürmer. erregen. Indeſſen bilden dieſe allbekannten und beſonders gierigen Vertreter ihrer Ab— teilung doch nur eine geringe Zahl, und unter den übrigen können viele durch Eleganz der Form und Zeichnung eine lebhaftere und befriedigendere Berückſichtigung beanſpruchen. Als Teil vom Ganzen betrachtet, füllen aber die Egel auch ihre Stelle im großen Haus— halt der Natur aus, und wenn auch weniger durch auffallende und eigentümliche Lebens— gewohnheiten ausgezeichnet, helfen ſie uns unter anderem zum Verſtändnis einer großen Gruppe von wahren Eingeweidewürmern. Ja, ſo eng iſt die aus dem Bau und der Lebensweiſe hervorgehende Verbindung der Egel mit den ſogenannten Saugwürmern, daß man mit vollem Rechte dieſe letzteren, ungegliederten Würmer mit den Egeln zu einer Klaſſe vereinigen kann. Daß übrigens die Egel wahre gegliederte Würmer ſind, lehrt die oberflächliche Be— trachtung der Körperringelung irgend eines derſelben, und die Anatomie weiſt ferner nach, daß auch jene charakteriſtiſche Eigenſchaft der Borſtengliederwürmer ihnen im vollen Maße zukommt, wonach auch die wichtigeren inneren Organe ſich in den aufeinander folgenden Segmenten wiederholen. Die gänzliche Abweſenheit von Fußſtummeln und Borſten ſowie der Beſitz von Saugnäpfen meiſt am Vorder- und immer am Hinterende charakteriſiert ſie als beſondere Abteilung, als welche ſie auch oft Glattwürmer genannt werden. Wiſſenſchaftlich und praktiſch liegt es nahe, mit der Familie der eigentlichen Blut— egel (Hirudinea) zu beginnen. Nicht die ſchmalen, äußerlich ſichtbaren Ringel find bei dieſen und anderen Egeln die eigentlichen Segmente, ſondern, wie aus der Verteilung und Wiederholung der inneren Organe hervorgeht, bilden erſt 4 — 5 Ringel ein ſolches. Der Kopflappen iſt mit dem Mundſegment zu einer geringelten Haftſcheibe verſchmolzen. Der hintere Saugnapf iſt meiſt deutlich vom Körper abgeſchnürt, und oberhalb desſelben mündet der Darm. Der Schlund kann ſo weit umgeſtülpt werden, daß drei, oft gezähnelte muskulöſe Falten zu Tage treten. Wir beſchäftigen uns zunächſt etwas eingehender mit den mediziniſchen Blutegeln, den Arten von Hirudo, die zur Offnung der Wunde, aus der ſie Blut ſaugen wollen, mit zahlreichen ſpitzen Zähnchen auf den halbkreisförmigen Kieferfalten ausgeſtattet ſind, wie ſie ſich ferner durch die bedeutende Weite ihres mit zahlreichen Seitentaſchen ver— ſehenen Magens auszeichnen. Wir müſſen jedoch dieſe und andere Eigentümlichkeiten ihres Baues näher betrachten. Die mediziniſchen Blutegel beſitzen zehn Augen, welche, wie der nebenſtehende Umriß (Fig. 2) zeigt, über die vorderen acht Ringe paarweiſe verteilt ſind. Das Mikroſkop lehrt, daß der Kopfrand des Egels noch eine Menge ſehr eigentümlicher, becherförmiger Organe trägt, welche, nach ihrer Beſchaffenheit und ihrem Nervenreichtum zu ſchließen, beſondere Sinneswerkzeuge zu ſein ſcheinen. Ob damit die Kopfſcheibe zu einem ſehr empfindlichen Taſtorgan gemacht iſt, oder ob die Becher eine Art von Ge— ruchs- oder Witterungsorganen ſind, iſt ſchwer zu entſcheiden, doch iſt das letztere das wahrſcheinlichere. Die ſogenannten Kiefer der Blutegel beſtehen aus einer halbkreisförmigen, feſten Muskelmaſſe. Die Muskelfaſern kreuzen ſich ſo, daß die Kiefer nach Art einer Schrotſäge bewegt werden und die 60 — 70 auf der Kante befeſtigten Zähnchen zugleich ſtechen und reißen. Die Kiefer ſind gegenſeitig ſo geſtellt, wie die charakteriſtiſche, dreiſtrahlige Wunde es zeigt. Auf den Schlund (vgl. nebenſtehende Abbildung, Fig. 1a) folgt der mit elf Paar Blindtaſchen verſehene Magen (Fig. 1b). Natürlich müſſen wir den ganzen Raum zum Magen rechnen, welcher beim Saugen auf einmal gefüllt wird, und dieſe Füllung geſchieht bis in die äußerſten Zipfel jenes langen, letzten Paares der Blindſäcke (Fig. le), welche noch neben dem kurzen, engen Darme bis nahe ans Hinterende ſich erſtrecken. Und da Blutegel: Anatomiſcher Bau. 139 ſowohl die Körperwandungen als die Magenwände elaſtiſch und dehnbar ſind, begreift es ſich, wie der Blutegel ſeinen ganzen Umfang durch Saugen um das Drei- bis Vierfache vermehren kann. Der mediziniſche Blutegel hat ein ſehr verwickeltes Blutgefäßſyſtem. Wen dieſe Verhältniſſe intereſſieren, welche am Blutegel ſchwer zu explizieren ſind, ſuche ſich helle, durchſcheinende Exemplare der weitverbreiteten Egelart Nephelis vulgaris (S. 143) zu verſchaffen. In einem engen Glasrohr und gegen das Licht gehalten, ſieht man an dem ganz unverſehrten Tiere mit der Lupe ſehr deutlich den ganzen Blutumlauf, der hauptſächlich in einer Fluktuation von einer Seite zur anderen beſteht. Der Blutegel iſt wie alle Egel Zwitter; die männliche Geſchlechtsöffnung liegt zwiſchen dem 24. und 25. Ringe, die weibliche zwiſchen dem 29. und 30. Die Beſchrei— bung des Eierlegens und die Bildung der Eikapſeln verlangt eine Berückſichtigung der Lebensweiſe überhaupt, wobei wir der guten Darſtellung von Salzwedel (im „Ausland“ 1862) folgen können. Unſere Blutegel leben gern in Teichen mit Lehm- oder Thon— untergrund, in Tümpeln und Sümpfen mit ſchlammigem Boden, können aber nie in Bau der Blutegel. 1) Darmkanal, a) Schlund, b) die mittleren Magenblindſäcke, e) die letzten Blindſäcke. 2) Vorderende mit den Augen. 3) Ein Kieferwulſt des Pferdeegels Alles ſtark vergrößert. ſolchen mit Sandboden gehalten werden. Alle dieſe Gewäſſer müſſen ſehr ruhig und mit Pflanzen bewachſen ſein. Außer dem Waſſer vermögen ſie nicht lange zu leben und ſterben ſofort, ſobald ihre Oberfläche trocken geworden iſt, wogegen ſie ſich indes durch die Schleimabſonderung von innen heraus eine kleine Weile zu ſchützen vermögen. Am Tage, und namentlich bei warmem Wetter, ſchwimmen ſie lebhaft umher, während ſie ſich bei trübem, nebligem Wetter oder an kalten Tagen derart zuſammenrollen, daß ſie den Kopf in die Höhlung des Fußes ſtecken und ſo eine leierförmige Geſtalt annehmen. Dasſelbe geſchieht nachts und im Herbſt, in welcher Jahreszeit ſie ſich ſo tief wie möglich in den Schlamm vergraben. Ihre Nahrung finden ſie ausſchließlich im Blute der Wirbeltiere und ähnlichen Säften der Wirbelloſen. Man hat behauptet, daß ſie ſich im Notfall einander ſelbſt angreifen ſollen, jedoch können dieſe Fälle nur äußerſt ſelten ſein. Ebenſo unſicher wie dieſe Be— hauptung iſt auch die, ob ſie das Blut toter Tiere einſaugen. Jedenfalls greifen ſie in der Regel nur lebende Tiere an, die aber zum Teil wieder ihre eignen Feinde ſind, wie unter anderen die Waſſerſchnecken, von denen ſie ſich zeitweilig nähren ſollen, ihnen, namentlich den Jungen, nachſtellen. Die Häutung, welche nach einigen Beobachtern in Zwiſchenräumen von einigen Tagen ſich wiederholen ſoll, ſah Martini bei alten, aus— gewachſenen Tieren in mehreren Monaten nur einmal erfolgen. „Das Häutungsgeſchäft dauerte gegen 2 Wochen, und die Egel waren dabei ruhig und matt, drängten ſich dicht aneinander, lagen oft auf dem Boden des Gefäßes und zwar auf dem Rücken, Mund und 140 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmer; zweite Unterklaſſe: Glattwürmer. Afterende nach oben gekrümmt, gleich wie dies in der Regel an toten Egeln zu ſehen iſt. Ich ſah keinen während dieſer Periode ſterben; ſämtliche häuteten ſich zu gleicher Zeit; oft erneuertes Waſſer ſchien ihnen dabei nicht nachteilig und nicht unangenehm zu ſein. Die abgelöſte Haut iſt ein ſehr feines, nach dem Reinigen faſt durchſichtig weißes Ober— häutchen, welches bei näherer Betrachtung alle Erhöhungen und Vertiefungen des Egel— körpers darſtellt und zuweilen in einzelnen Stücken, zuweilen faſt in der ganzen Aus— dehnung des Egels ſich ablöſt. Zu unterſcheiden von der Häutung iſt die ſtändig in Egel— behältern erfolgende Gerinnung des Schleimes, welcher oft in Fäden und Streifen das Tier einhüllt. „Nach der im Frühjahr erfolgenden Begattung ſucht der Blutegel ein Lager höher als der Waſſerſpiegel in feuchter, lockerer Erde, worin er mit dem Kopfe bohrend ſich Gänge bildet. An den Ufern der Teiche und Sümpfe, in denen viele Egel ſind, findet man oft mehrere Hundert auf dieſe Weiſe beiſammen, einige Zentimeter unter der Ober— fläche der Erde liegend. Sie bereiten ſich einige Tage nach der letzten Begattung ſogleich ihr Lager; man kann annehmen, daß ſie von den letzten Wochen des Mai bis Anfang Juli dieſem Geſchäft obliegen. Zu Ende Juni fangen ſie an, ihre Kokons oder Eikapſeln zu formen, die ungefähr die Größe und Geſtalt einer Eichel haben. Der Egel läßt zu dieſem Zwecke eine ſchleimige, zuſammenhängende, grüne Feuchtigkeit aus ſeinem Munde fahren und zieht ſich bis zur Mündung des Eierganges durch dieſe ringförmige Hülle durch, welche nur ſo lang iſt, wie die Kapſel werden ſoll. In dieſelbe werden mit einer grünlichen oder bräunlichen ſchleimigen Maſſe 10 — 16 kleine, mit bloßem Auge nicht be: merkbare Dotterchen gelaſſen. Zu gleicher Zeit macht er mit dem von der Schale befreiten Maule um jene herum einen weißen, ſpeichelähnlichen Schaum, der gewöhnlich den Um— fang eines kleinen Hühnereies einnimmt. Hierauf zieht er ſich rückwärts in die Kapſel hinein, dreht die verlaſſene Offnung inwendig förmlich zuſammen und zieht ſich ganz aus dem Kokon heraus, wonach er wieder das eben verlaſſene Löchelchen von außen zudreht. Er bleibt hiernach noch einige Tage bei dem Kofon liegen.“ Derſelbe nimmt nachher durch Eintrocknen des Schaumes zu einem ſchwammigen Überzuge ſeine bleibende Größe an, und 4—6 Wochen nach dem Eierlegen kriechen die Jungen aus. Sie find fadenförmig und hell, gleichen aber im weſentlichen den Alten. Ihr Wachstum geſchieht ſehr lang— ſam. Früheſtens im dritten Jahre ſind ſie zum mediziniſchen Gebrauche tauglich; erſt im fünften haben ſie ihre volle Größe erreicht. Sein Leben ſoll der Blutegel auf 20 Jahre bringen. Da wir ſelbſt noch keine Anſtalt für Blutegelzucht geſehen, halten wir uns auch dafür an den Gewährsmann im „Ausland“. Die günſtigſte Art, eine große Menge Blutegel aufzubewahren und ſie gleichzeitig fortzupflanzen, iſt ein natürlicher Teich, dem jedoch folgende Eigenſchaften nicht fehlen dürfen. Er muß einen moderigen, leichten oder thonigen Untergrund haben, weiches, klares und warmes Waſſer führen, welches jedoch genügenden Zu⸗ und Abfluß hat, und namentlich dürfen in ihm keine Bäume ſtehen, die dem Waſſer einen eignen Geſchmack mitteilen, z. B. Erlen. Ihr Vorhandenſein lieben die Egel auch im freien Zuſtande nicht. Ferner dürfen ſolche Teiche keine Raubfiſche und große Fröſche enthalten, die beide dem Egel nachſtellen, müſſen auch vor Sumpf- und Waſſervögeln, allen Entenarten, den großen und kleinen Waſſerhühnern, den Land- und Waſſerratten und großen Schnecken und Muſcheln geſchützt ſein. Indeſſen ſind ſolche Teiche, die man dann, wenn bevölkert, Blutegelteiche nennt, ſehr ſelten, und man muß ſeine Zuflucht zu künſtlichen Anlagen, Blutegelkolonien, nehmen, die man nach vielen Erfahrungen am beſten und zweckmäßigſten in folgender Art herſtellt. Zur Anlage derſelben kann man nur ſolche Stellen wählen, die einen natürlichen Zufluß von weichem, warmem Waſſer Mediziniſcher Blutegel. 141 haben, oder denen man denſelben leicht künſtlich erteilen kann, da das Waſſer eine Haupt— ſache bleibt, ſowohl ſeines Daſeins als ſeiner Beſchaffenheit wegen. An ſolchen Stellen legt man nun gewöhnlich mehrere Blutegelkolonien an, die je voneinander durch 1 m breite Wege getrennt und außerdem ſo beſchaffen ſind, daß man ſie mit Bequemlichkeit nach allen Seiten umgehen kann. Jede dieſer Kolonien erfordert eine quadratiſche Grube von 3—5 m, deren Ufer etwa Im hoch mit Raſen bedeckt werden und ſchief gegen den Boden geneigt ſind. Dieſen belegt man etwa 32 em hoch mit einem Gemenge von Thon und Moorerde. In der Mitte bringt man eine ½ m im Quadrat große Vertiefung an, um den Egeln in ſehr trockenen Jahren hier eine letzte Zuflucht zu eröffnen. Wo die Natur nicht ſelbſt die Regelung des Zu- und Abfluſſes übernimmt, thut man dies mittels hölzerner, mit einem feinen Siebe geſperrter Röhren, um durch jene das Entweichen der Egel zu ver— hüten. Vorteilhaft erſcheint es, einige den Egeln, wie es ſcheint, angenehme Pflanzen zu ſetzen, z. B. einzelne Weidenſträucher und hin und wieder eine Kalmuspflanze. Da nun die Kolonien angegebener Art ungefähr 6000 Egel faſſen können und dieſe ſich zum großen Teil längere Zeit darin aufhalten, ſo muß man auch für ihre Nahrung Sorge tragen, indem man kleine Fiſche und den Laich, am beſten den des grünen Waſſerfroſches, in den Teich thut, in deſſen Ermangelung man Blut und dergleichen nehmen kann. Der Froſchlaich an ſich iſt zwar zur Ernährung der Egel nicht tauglich, wohl aber die aus ihm entſtehen— den kleinen Kaulquappen und Fröſche. Auf eine ſcheußliche Barbarei, die einige Blutegel— züchter ausüben, wurde kürzlich im Blatte des Tierſchutzvereines aufmerkſam gemacht. Man treibt dem Tode verfallene Pferde und Eſel hinein, um Tauſende von Egeln zu gleicher Zeit ſich an ihnen letzen zu laſſen. Sind jene jedoch zu ungebärdig dabei, ſo benutzt man Kühe. Da die Waſſerdecke dieſer Kolonien ſelbſt im Winter nicht ſehr hoch ſein wird und daher gegen den Froſt nur ein zweifelhafter Schutz iſt, thut man unter allen Umſtänden gut, im Winter dieſelben mit Tannenzweigen und Laub zu bedecken. Eine Vorſicht muß man noch bei Anlage dieſer Kolonien beobachten, nämlich daß man ſie nicht zu nahe an anderen Waſſern anlegt, wo es leicht vorkommen dürfte, daß die Egel ſich durch die Erde graben (2), um dann ihre Freiheit wieder zu erlangen. Erfahrungen ſtellen wenigſtens feſt, daß die Egel aus derartigen Kolonien, ohne daß ſie eine Seuche ergriffen, verſchwunden waren. Nach Landois beſitzt oder beſaß der Apotheker Engelſing in Altenberge bei Münſter eine, wie es ſcheint, ſehr rationell eingerichtete Blutegelzucht. Zur Fütterung der jungen Egel benutzt der genannte Herr Fröſche, welche in einem lockeren Netze eingeſchloſſen in das Waſſer gebracht werden. Um die Grauſamkeit, lebende Säugetiere zur Ernährung der erwachſenen zu vermeiden, den Tieren aber doch die ihnen am meiſten zuſagende und für ihr Gedeihen förderlichſte Koſt zukommen zu laſſen, füllt er flache hölzerne Tröge mit Flanelllappen, welche mit dem Blute friſch geſchlachteter Säugetiere durchtränkt ſind, und läßt dieſelben auf den kleinen Kunſtteichen ſchwimmen, wo ſie ſofort von den Egeln an— genommen werden. Eine ſolche Fütterung braucht nur einmal im Jahre zu erfolgen. Engelſing ſorgt noch dafür, daß der Stand des Waſſers in den Zuchtbehältern das ganze Jahr hindurch der nämliche bleibt, namentlich nicht ſteigt, denn ſonſt würden die Eikokons der Egel, welche etwa 10—15 em über dem Waſſerſpiegel in den künſtlich hergerichteten, mit Raſen bedeckten und mit lockerem Torf ausgelegten Rändern abgelegt werden, unter Waſſer geraten, was ſie für nicht längere Zeit als 24 Stunden ertragen, ohne daß die Brut zu Grunde geht. Bei der Aufbewahrung der Blutegel zum Handgebrauch iſt zu beobachten, daß man ſie am beſten in einem weiten Cylinderglaſe hält, welches man bis zu einem Dritteil oder etwas darüber mit weichem Flußwaſſer anfüllt und mit Leinwand überbindet. Das 142 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; zweite Unterklaſſe: Glattwürmer. Waſſer wird nur gewechſelt, wenn man Zeichen ſeines Verderbens wahrnimmt, und dann hat man für eine möglichſt gleiche Temperatur des friſchen Waſſers zu ſorgen. Im Winter ſoll dieſe Temperatur nur wenige Grade über Null, im Sommer gleich der des fließenden Waſſers ſein. Von der Einrichtung eines Behälters für eine größere Menge wollen wir uns wenigſtens eine Methode erzählen laſſen. Man nimmt ein Faß aus weichem Holze, welches vermittelſt eines ſenkrechten, mit verſchiedenen Löchern durchbohrten Brettes in zwei gleiche Abteilungen geteilt wird. Die eine Abteilung füllt man nun ungefähr 15 em hoch mit einem Gemiſch aus Lehm und Torferde oder mit Raſen und begießt ſie mit ſo viel Waſſer, daß dieſe nicht nur vollkommen damit durchdrungen ſind, ſondern dasſelbe auch in der leergelaſſenen zweiten Abteilung einige Zentimeter hoch ſteht. An dieſer Seite des Faſſes wird möglichſt unten ein mit einem Korke verſchloſſenes Loch angebracht, aus welchem man von Zeit zu Zeit das Waſſer zieht, um es durch neues zu erſetzen. Hierauf thut man die Egel, deren ein Faß von mäßiger Größe bis zu 1000 Stück faſſen kann, in dasſelbe und verſchließt es dann mit einem Stück Leinwand. Die beſte Zeit, um den Egel zum Zwecke einer längeren Aufbewahrung zu fangen, iſt der Herbſt, wo die Egel am kräftigſten und geſündeſten ſind. Ferner kann man auch im Frühling gefangene, wenn auch mit verringerter Sicherheit, dazu benutzen. Ganz zu verwerfen ſind indes ſolche, die während des warmen Sommers gefangen ſind, da ſich dieſelben weder für den Transport, noch für eine längere Aufbewahrung eignen. Was nun den Fang der Egel an ſich ſelbſt betrifft, ſo geſchieht derſelbe, indem die Fänger mit bloßen Beinen in das von den Egeln bewohnte Waſſer gehen und durch Umrühren des Untergrundes und auf andere Weiſe ſie ſoviel wie möglich beunruhigen. Hierdurch kommen die Egel zum Teil an die Oberfläche des Waſſers und können dann leicht mit der Hand oder mit einem ſehr feinmaſchigen Netze gefangen werden; oder ſie ſetzen ſich zum anderen Teil an die nackten Füße der Fänger, von denen ſie dann mit der nötigen Vorſicht für die Saugorgane abgenommen werden. Diejenigen, welche ſich ſchon wirtlich angeſogen haben, was aber nicht häufig geſchieht, ſind zu verwerfen. Sind nun eine größere Anzahl Egel gefangen, ſo handelt es ſich um den Transport derſelben nach jenen Gegenden, in denen ſie teils nicht vorkommen, teils ſchon ausgerottet ſind, wobei die größte Vorſicht beobachtet werden muß. Nach Deutſchland gelangt der größte Teil der Egel aus Polen, von den Grenzen Rußlands, aus Ungarn und der Türkei. Die als die beſte anerkannte Art ihres Trans— portes beſteht darin, daß man nicht allzu viele Egel in die ſtets angefeuchteten leinenen Säckchen thut, und dieſe auf Hängematten legt, die auf einem in guten Federn ruhenden und nach allen Seiten verſchließbaren Wagen befeſtigt ſind. Von den größeren Hand— lungen in Deutſchland nach nicht zu entfernt liegenden Verbrauchsorten transportiert man ſie, indem ſie zu 1—2 Schock in ein leinenes Säckchen gethan werden, welches, von feuchtem Mooſe umgeben, in einem mit feinen Löchern durchbohrten Kiſtchen liegt. Die in Europa gebräuchlichen Blutegel werden zwar in zwei Hauptarten, jede mit einigen Unterarten und Varietäten, unterſchieden, den mediziniſchen oder deutſchen Blutegel (Hirudo medieinalis) und den offizinellen oder ungariſchen (H. offi- cinalis), aber abgeſehen davon, daß anatomische Kennzeichen für die Verſchiedenheit dieſer Arten nicht gefunden werden können, gehen auch die Varietäten ihrer Färbung ſo ineinander über, daß die vermeintlichen Spezies und Unterſpezies nur eine einzige wirkliche Art bilden. Die Hirudo medicinalis genannte Varietät hat einen ſchwarz gefleckten, zuweilen faſt ganz ſchwarzen Bauch, und ihr Vaterland erſtreckt ſich über den größten Teil von Europa. indem ſie in Frankreich, Deutſchland, Dänemark, Schweden, Rußland und England Mediziniſcher und ungariſcher Blutegel. Pferdeegel. 143 gefunden wurde. Die andere Hauptvarietät, H. officinalis, hat einen olivengrünen, un— gefleckten Bauch und gehört dem ſüdlichen und ſüdöſtlichen Europa an. In ungeheuern Mengen lebt dieſer Egel in den ausgedehnten Sümpfen bei Eſſeg in Slawonien. Auch außerhalb Europa leben eine Reihe von Arten von Hirudo, welche gleich— falls zum mediziniſchen Gebrauche ſich eignen. So findet ſich in Algerien und der ganzen Berberei die H. troctina. Sie werden beſonders im nordweſtlichen Marokko regelmäßig gefangen und über Gibraltar nach England und Südamerika ausgeführt. In den franzö— ſiſchen Beſitzungen am Senegal bedient man ſich der kleinen H. mysomelas, die kon— traktlich von den Negern an die Spitäler abgeliefert werden. Wiederum in Indien, in Ponditſcherri, hat man eine dort einheimiſche Art, KH. granulosa, zur Verfügung. Sie find jedoch etwas koloſſal und beißen a 1 ſo ſtark zu, daß man oft Mühe 5 ö hat, die Blutung zu ſtillen. Auch i N Nordamerika hat einige einhei— miſche Arten. Ein gleich ausgedehntes Ver— breitungsgebiet hat der Pferde— egel (Haemopis vorax), mit weniger flachem, an den Rän⸗ dern nicht ſcharf geſägtem Leibe und ſtumpferen Zähnen. Auch kennzeichnet ihn ſeine dunklere, faſt ſchwarze Farbe; die Längsbinden auf dem Rücken fehlen, die Sei— ten ſind mit einer gelben Linie eingefaßt. In Nordafrika werden dieſe Tiere zu einer furchtbaren Plage für Pferde und Rinder, _ worüber der franzöſiſche Arzt Der mediziniſche Blutegel (Hirudo medieinalis): 1) bon oben 9 bon Guyon genauere Mitteilungen der Seite, nen es 70 8 geöffnete Schlund, gemacht hat. Bei einem Ochſen fanden ſich 27 Stück im Maule, der Rachenhöhle, im Kehlkopf und in der Luftröhre. Noch 2 Stunden nach dem Tode des Ochſen hafteten fie an ihm und ſogen eifrig Blut, den Kopf ab— wechſelnd in eine der zahlreichen Wunden ſenkend, die jeder einzelne Egel gemacht. Wenn es daher auch nicht buchſtäblich zu nehmen iſt, was das Volk ſagt, daß ſechs dieſer Egel ein Pferd zu töten im ſtande ſeien, ſo können ſie ihm wenigſtens Todesqualen verurſachen. Er wird oft mit einer mit ihm zuſammenlebenden Gattung und Art, Aulacostomum gulo, verwechſelt, deren ſchwärzlich grüner Körper ſich nach vorn ſehr verjüngt, deren Zähne noch ſparſamer und ſtumpfer ſind, und deren Magen nur am Ende ein Paar enge Blind— ſäcke hat. — Aus dieſer Familie iſt der häufigſte Bewohner unſerer Teiche und vieler fließender, ſchilfbewachſener und mit den Blättern der Teichroſe bedeckter Gewäſſer, Ne— phelis, ein 5 em lang werdender Egel mit flachem Körper und undeutlicher Ringelung, vier Paar Augen und zahnloſem Schlunde, der ſich neben animaliſcher auch von pflanz— licher Koſt ernährt. Daß die jüngeren, rötlich durchſchimmernden Exemplare der Ne— phelis vulgaris ſich beſonders gut zur Beobachtung des Blutlaufes eignen, wurde oben erwähnt. Bemerkt ſei noch, daß ſich die Blutegel weder freiwillig durch Teilung fortpflanzen, noch daß künſtlich geteilte zu Individuen auswachſen, und daß ſie verlorene Teile überhaupt nicht wieder zu erſetzen ſcheinen. Bedeutungsvoll dürfte es gleichwohl ſein, daß R. Leuckart A ER EEE nn nn ng fg « 144 Würmer. Vierte Klaſſe: Ringelwürmerz; zweite Unterklaſſe: Glattwürmer. einen Blutegel über 1 Jahr beſaß, welchem der Kopf abgeſchnitten war, und der trotzdem nach Berührungen munter umherſchwamm. Wir können dieſes Kapitel nicht würdiger ſchließen, als mit der Schilderung jener kleinen verrufenen Blutſauger Ceylons, von welchen Schmarda in ſeiner „Reiſe um die Erde“ folgendes mitteilt. „Die Plagen, welche die Schaben und Mücken verurſachen, find nichts gegen die viel größere, die den Wanderer überall verfolgt; denn in den Wäldern und Wieſen wimmelt es von kleinen Landblutegeln; es iſt die Hirudo ceylonica älterer Berichterſtatter. Sie leben im Graſe, unter abgefallenen Blättern und Steinen, auch auf Bäumen und Sträuchern. Sie ſind äußerſt ſchnell in ihren Bewegungen und müſſen ihre Beute ſchon aus einiger Entfernung wittern. Sobald ſie einen Menſchen oder ein Tier wahrnehmen, kommen ſie aus der ganzen Nachbarſchaft und ſtürzen ſich auf ihre Beute. Das Ausſaugen des Blutes merkt man oft kaum. Nach einigen Stunden ſind ſie voll— geſogen und fallen dann von ſelbſt ab. Die Eingeborenen, welche uns begleiteten, beſtrichen ſolche Stellen mit Atzkalk, den ſie in ihrer Betelbüchſe mit ſich führen, oder mit dem durch Betel und Kalk ſcharf gewordenen Speichel. Ich fand es natürlich, daß eine heftige Ent— zündung darauf eintritt, und erklärte mir leicht die tiefen Geſchwüre, welche viele von den Eingeborenen an ihren Füßen haben. Viele betrachten den Saft einer Zitrone (Citrus tuberoides) als ein Spezifikum. Alle dieſe Dinge find recht gut, um durch Betropfen die Blutegel zum Abfallen zu bringen, müſſen aber in der Bißwunde Reizung hervorbringen. Beſonders unangenehm iſt es, daß die Blutegel ſolche Stellen am liebſten aufſuchen, wo ihre Vorgänger ſchon eine gute Weide gefunden haben, da die entzündete, mit Blut unter— laufene und wärmere Haut ſie lockt. Um ſich gegen den Angriff dieſes kleinen, aber fürchterlichen Feindes zu ſichern, iſt es unabweislich, beſonders die Füße zu ſchützen. Dies geſchieht durch lederne oder dicke, wollene Strümpfe, welche man über die Beinkleider an— zieht und unter dem Knie feſtbindet. Wir fanden die letzteren ausreichend und bequemer, führten jedoch immer ein Reſervepaar mit, da ſie ſehr leicht im Dickicht zerreißen oder beim Gehen durchgerieben werden. Ich fand ſie am Bunde oft zu Dutzenden ſitzen, bemüht, durchzudringen. Während des Marſches litten wir viel weniger, am wenigſten leidet der erſte in der Reihe. Haben die Blutegel einmal Witterung, ſo fallen ſie die Nächſtfolgenden um ſo gieriger an. Selbſt bei aller Vorſicht hatten wir ſie bald im Nacken, in den Haaren oder am Arme, da ſie nicht nur im Graſe und Laube, ſondern auch auf Bäumen leben, von denen ſie ſich auf die vorübergehenden Menſchen oder Tiere herab— fallen laſſen.“ Auch zur Bekanntſchaft mit einer zweiten Familie, den Rüſſelegeln (Clepsinidae), geben unſere ſüßen Gewäſſer Gelegenheit. Die Angehörigen derſelben ſind an ihrem kurzen, flachen Körper kenntlich, der nach vorn ſich allmählich verjüngt und hier mit der die Augen tragenden Haftſcheibe endigt. Der kieferloſe Schlund kann wie ein Rüſſel vorgeſtreckt werden. Verſchiedene Arten der Gattung Clepsine trifft man an den Blättern der Waſſerpflanzen und an der Unterſeite von Steinen. Sie ſind von grauer, gelblicher oder weißlicher Färbung, und das beſte Erkennungszeichen iſt, daß, ſobald man ſie abnimmt, ſie ihren Körper ein— rollen, wobei zugleich die Seitenränder etwas eingebogen werden. Eine beſondere Sorg— falt verwenden ſie auf die Brutpflege. Ihre Eier tragen ſie am Bauche, und auch die ausgekrochenen Jungen halten ſich hier noch lange bei der Mutter auf, indem ſie ſich mit der hinteren Haftſcheibe anſaugen. Es iſt ein ganz liebliches Schauſpiel, wie die 10—15 Tierchen gleich den Küchelchen unter der Henne ihre Kopfenden unter der Mutter her— vorſtrecken, oder ſich, wenn man ſie vorſichtig entfernt hat, ſofort wieder unter dieſer ſammeln. Die Rüſſelegel ernähren ſich hauptſächlich von niederen Tieren, aber nicht bloß von deren Blut, und die verſchiedenen Arten haben beſondere Leibgerichte, ſo Clepsine Rochenegel. 145 complanata Waſſerſchnecken, C. flava aber zieht Mückenlarven allen anderen Ge— nüſſen vor. Eine mit den Rüſſelegeln nahe verwandte Form (Haementeria mexicana) wird in Mittelamerika ähnlich benutzt wie unſer Blutegel, auch gehören möglicherweiſe einige von Ic Sen den vielen Egelarten, welche die Chineſen bekanntlich medizinisch verwenden, zu den Clep— ſinen, denn es ſollen „kleine“ Arten darunter ſein. Ein Rüſſelegel iſt auch der Rochenegel (Pontobdella muricata), auffallend durch die ſtarken Saugſcheiben und die Höcker ſeiner Körperoberfläche. Die Farbe iſt ein grünliches Grau. Er liebt es, ſich auf Rochen aufzuhalten. Nach ſeinem Verhalten in der Ge— fangenſchaft zu ſchließen, iſt er ein träges, ſtumpfſinniges Tier. Seine ſtarke Muskulatur Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 10 146 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer. geſtattet ihm, ſich längere Zeit horizontal ausgeſtreckt zu halten, nur vermittelſt des hinteren Saugnapfes angeheftet. Am liebſten aber läßt er ſich hängen, das Kopfende nach Art der Murmeltiere eingebogen. Möglicherweiſe thun wir dem Rochenegel Un— recht, ihn der Trägheit zu bezichtigen. Auch die Rochen liegen bei Tage faſt regungslos, während ſie in der Dämmerung munter und beweglich werden. Alſo teilt wahrſcheinlich ihr Wohngaſt dieſe Manieren mit ihnen. Jünfte Klaſſe. Die Rundwürmer (Nemathelminthes). Der vornehmlichſte Zweck dieſes Werkes, das „Leben“ der Tiere zu ſchildern, iſt bei den höheren Klaſſen mehr oder weniger zu erreichen, ohne daß die infolge der äußeren Lebensverhältniſſe wechſelnden Veränderungen der inneren Organiſation berückſichtigt zu werden brauchten. Gleichwohl iſt bei allen charakteriſtiſchen Gruppen, ſelbſt der Säuge— tiere, dasjenige Maß anatomiſcher Einzelheiten vorgeführt worden, welches eine Folie für die Lebensäußerungen abgeben konnte. Selbſtverſtändlich mußten Zähne, Bekleidung, Geh— werkzeuge, kurz alle jene unmittelbar in die Augen fallenden Eigentümlichkeiten ganz genau beſchrieben werden, nach welchen auch das Auge des naturwiſſenſchaftlichen Laien unwill— kürlich ſeine Unterſcheidungen und Vergleiche macht. Je tiefer wir in die niedere Tierwelt hinabſteigen, deſto mehr hört jener nicht un— gerechtfertigte Unterſchied zwiſchen äußeren und inneren Kennzeichen, inſofern ſie für die Schilderung des „Lebens“ notwendig ſind, auf. Wo vorwaltend das Mikroſkop zur wiſſen— ſchaftlichen Feſtſtellung hat angewendet werden müſſen, kann man faſt behaupten, daß „keine Kleider, keine Falten“ den Leib umgeben. Wenigſtens reichen ſie in keiner Weiſe aus für das Signalement. Wir werden bei der nunmehr zu behandelnden Klaſſe zu dieſer Notwendigkeit, das Innere aufzuſchließen, um den äußeren Wechſel zu verſtehen, mehr noch als bisher gedrängt ſein. Wir werden die verſchlungenen und oft nicht ſehr äſthetiſchen Pfade der Entwickelungsgeſchichte wandeln müſſen, da das „Leben“ ſehr vieler Rund— würmer in der allmählichen körperlichen Vervollkommnung beſteht, welche mit dem Wechſel des Aufenthaltsortes verknüpft iſt. Wir werden ſie aus dem Fleiſche eines Weſens, ihres Wirtes, in den Darm eines anderen, ſelbſt des Menſchen, aus dem Waſſer in den Leib eines Tieres, aus dem feuchten Boden in eine Froſchlunge, aus der Leibeshöhle einer Raupe oder Heuſchrecke in die Erde zu verfolgen haben. Iſt die natürliche Scheu vor dieſen natürlichen Dingen aber einmal überwunden, ſo ſind gerade dieſe Verwandlungen und Wanderungen der Eingeweidewürmer in hohem Grade feſſelnd und lehrreich. Auch zeigt es ſich, wie die Wiſſenſchaft im ſtande geweſen, durch mühſame Experimente und zeit— raubende Nachforſchungen faſt alle jene Paraſiten des menſchlichen Leibes zu entlarven und ihr Herkommen aufzuklären, von denen einige zu unſeren lebensgefährlichſten Feinden gehören. In der Schilderung dieſer und der verwandten Würmer haben wir uns vorzugs— weiſe an das ausgezeichnete Werk von Rudolf Leuckart: „Die Paraſiten des Menſchen“, jo- wie an die Monographien von Schneider, Bütſchli und anderen anzuſchließen. Das Gebiet iſt von ihnen in einer Weiſe nach allen Richtungen ausgebaut, daß, um mich klaſſiſcher Worte zu bedienen, „mir zu thun faſt nichts mehr übrigbleibt“, als ſie wörtlich zu citieren oder ihre Darſtellungen zu umſchreiben. Entwickelung eines Nematoxys. 147 Die Rundwürmer (Nemathelminthes) haben einen faden- oder ſchlauchförmigen Körper, der immer ungegliedert und ohne Füße iſt. Die Haut iſt derb und prall, der unmittelbar mit ihr verbundene Muskelſchlauch oft ſehr entwickelt. Bis auf wenige Aus⸗ nahmen ſind die Geſchlechter getrennt. i Wir wollen einmal, um der Einförmigkeit ſchulmäßiger Darſtellung aus dem Wege zu gehen, und weil es uns für das Verſtändnis der Lebensverhältniſſe gerade dieſer Würmer Entwickelung eines Nematoxys. 400 mal vergrößert. ſehr paſſend ſcheint, vom Ei anfangen und in demſelben vor den Augen der Leſer einen Fadenwurm entſtehen laſſen. Wir nehmen dazu eins jener ſpulwurmartigen Tiere, welches mit faſt abſoluter Regelmäßigkeit in dem Märtyrer der Wiſſenſchaft, dem Froſche, an— getroffen wird, Nematoxys. Das Ei iſt von ellipſoidiſcher Form. Der in ihm enthaltene Embryo hat auf eine kurze Zeit einen lichten Pol, iſt aber bald darauf von einer gleichförmigen, aus größeren Zellen beſtehenden Keimſchicht allſeitig umgeben. Dabei zeigt er ſchon eine Knickung, den Beginn einer immer weiter ſchreitenden Biegung und Streckung, wobei das künftige Schwanzende ſich auf den Vorderleib umlegt. Indem jene größeren Zellen der anfäng— lichen Keimſchicht zurücktreten und kleineren Zellen nebſt einer krümeligen Subſtanz Platz machen, ſcheidet ſich an der Körperoberfläche des ſich immer mehr ſtreckenden, krümmenden 10* 148 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmerz; erſte Ordnung: Kratzer. und einrollenden Embryos eine völlig durchſichtige, zarte Haut aus, eigentlich das erſte bleibende Organ. Bald bemerkt man in dem abgeſtutzten Vorderrande eine Vertiefung, welche zur Mundöffnung wird, und in dem zum Auskriechen reifen Würmchen iſt außer der Haut und dem durchſichtigen Hautmuskelſchlauche nichts weiter fertig als der Darm— kanal. Er beginnt mit der von drei lippenartigen Vorſprüngen umgebenen Mundöffnung, auf dieſe folgt ein gerader, geſtreifter Schlund, dann der durch ſeine körnigen Wandungen hervortretende Magendarm, der mit einem kurzen Endrohr vor der Schwanzſpitze an der Bauchſeite mündet. In dieſem Zuſtande werden die meiſten Fadenwürmer geboren, und wir haben nun ihre weitere Ausbildung, welche ſie teils an einem und demſelben Aufenthalte, meiſt jedoch unter mehrfachem Wechſel der äußeren Verhältniſſe durchmachen, in ihrer Allgemeinheit ins Auge zu faſſen. Die Veränderungen, welche der Darmkanal erleidet, beziehen ſich vor— züglich auf die Umgebungen des Mundes und den Schlund; allerlei Lippen, Zähnchen, Leiſten, kropfartige Anſchwellungen der Schlundröhre können ſich bilden und geben charakte— riſtiſche Merkmale für die einzelnen Familien. Nie entwickelt ſich ein Gefäßſyſtem, das farbloſe Blut iſt frei in der Leibeshöhle. Ein für die ganze Abteilung ſehr wichtiges Organ iſt aber in den ſogenannten Seitenlinien enthalten, ein Paar Stränge von Zellen, die wenigſtens in der Nähe des Vorderendes unter Bildung von zwei Kanälen ſich fortſetzen und unter dem Schlunde eine gemeinſame Mündung haben. Es iſt ein Abſonderungs— organ, etwa der Niere zu vergleichen. Die Geſchlechter ſind meiſt an äußeren Zeichen kennt— lich. Die Männchen ſind gewöhnlich kleiner, haben auch verſchiedene Anhangsorgane am Hinterleibe. Die meiſten Nematoden legen Eier. Bei nicht wenigen geht aber noch in den Eileitern die Entwickelung der Embryonen ſo weit vor ſich, daß das Auskriechen mit dem Eierlegen zuſammenfällt, die Jungen alſo, wie man ſagt, „lebendig geboren werden“. Ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen dieſem Vorgange und dem Gelegtwerden der Eier findet ſo ſelten ſtatt, daß bei einer und derſelben Spezies beides abwechſelnd vorkommen kann. Auch dieſe Verhältniſſe gehören ganz eigentlich in das „Leben“ der Nematoden, wie wir z. B. ſehen werden, daß einzelne Nematodenmütter ſchließlich zu einem bloß lebloſen Sacke werden, in welchem ihre Sprößlinge eine gewiſſe Periode ihrer Jugend zubringen. Wir teilen die Rundwürmer in zwei Ordnungen ein: 1) Die Kratzer (Acantho- cephali) und 2) Fadenwürmer (Nematodes), denen ſich eine weitere Gruppe, die Pfeilwürmer oder Borſtenkie fer (Chaetognathi) wahrſcheinlich als beſondere Ord— nung zugeſellt. Die Kratzer oder Hakenwürmer (Acanthocephali) gehören alle der Gattung Echinorhynchus an und ſind gekennzeichnet durch einen mit mehreren oder vielen Reihen von Häkchen beſetzten Rüſſel. Wenn derſelbe nicht etwa kolbig oder kugelig aufgetrieben it, was bei einigen Arten geſchieht, jo kann er von dem Tiere wie ein Handſchuhfinger ein⸗ und ausgeſtülpt werden, wobei die nach rückwärts gerichteten Zähnchen zugleich ſich aus- und einhaken. In der Prallheit und Derbheit der Hautbedeckungen und durch die Trennung der Geſchlechter ſtimmen die Kratzer mit den übrigen Rundwürmern überein; ein weſentlicher Unterſchied beſteht in dem Mangel eines beſonderen Darmkanales und Verdauungsapparates. Im geſchlechtsreifen Zuſtande leben ſie nur im Darmkanal von Wirbeltieren, ſo der größte, Echinorhynchus gigas, von der Länge und Dicke des Spulwurms, im Dünn— darm des Schweines. Um aber an dieſen Aufenthaltsort zu gelangen, haben ſie ganz ähnliche Wanderungen durchzumachen, wie ſie oben erwähnt wurden. So lebt der eben— genannte Kratzer des Schweines als Jugendform in den Engerlingen von Maikäfern und Kratzer. Rieſenkratzer. 149 verwandter Käferarten, welche die Schweine gern auswühlen und freſſen. Durch Leuckart weiß man, daß der in verſchiedenen Fiſchen gemeine Eehinorhynchus proteus ſeine Jugend im Darme des Flohkrebſes (Gammarus) zubringt, der ihn, noch von der Eihülle umſchloſſen, verſchluckt. Der bei verſchiedenen Nagern (Hamſter, Feldmaus, Siebenſchläfer) vorkommende Kratzer (Echinorhynchus monoliferus) lebt als Larve in Käfern, ſo in einem ſüdeuropäi— ſchen Trauerkäfer (Blaps mucronata). Dieſe Larve kann aber auch im Menſchen zur Entwickelung gelangen: ein italieniſcher Forſcher, Calandruccio, infizierte ſich damit 7 , u M )y u N 40 , MN 47% e , Nieſenkratzer (Echinorhynchus gigas). a) Natürliche Größe; b) Vorderende vergrößert. und konnte ſich 8 Wochen ſpäter nicht weniger wie 33 Stück der betreffenden Kratzer— art abtreiben. Gelegentliche und mehr zufällige Infektionen des Menſchen mit Kratzern dürften öfters vorkommen, aber nur ſelten zur Unterſuchung gelangen. So fand Lambl einmal einen noch unreifen, daher nicht beſtimmbaren Echinorhynchus im Dünndarm eines Kindes. Ein anderer, Echinorhynchus polymorphus, bedarf einer Verſetzung aus dem Flohkrebs in den wärmeren Leib der Ente, um in ihr zum Abſchluß ſeiner Ent— wickelung und ſeines Lebenslaufes zu gelangen. Bei verſchiedenen Seefiſchen, z. B. der Scholle, finden ſich auf dem Darmgekröſe und im Zellgewebe um die Leber im Februar bis April ſehr kleine, 1— 2 mm große, eingekapſelte Kratzer, deren Herkunft aber noch nicht aufgeklärt iſt. Die Möglichkeit, daß fie von außen durch Haut und Fleiſch ein— dringen, iſt weniger vorhanden wie die andere, daß ſie vom Darme aus die Wanderung 150 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. angetreten haben und erſt im Darme eines anderen Fiſches oder eines Waſſervogels zu Erwachſenen werden. Eine kleine, höchſt merkwürdige Gruppe der Würmer, welche vielleicht Anſpruch auf den Rang einer eignen Klaſſe, ſehr wahrſcheinlich aber auf den einer Ordnung hat und dann am beſten vor die Rundwürmer geſtellt wird, bilden die Pfeilwürmer (Chaetognatha e). Es ſind dies glasartig durchſichtige Würmer, welche ausſchließlich dem Meere angehören, auf deſſen Oberfläche ſie, geſchickt ſchwimmend, oft in großen Mengen ſich herumtreiben. Bald ſtehen ſie lauernd wie ein Hecht wagerecht auf einem Flecke, bald ſchießen ſie pfeil— ſchnell auf ihre Beute, allerlei kleine, pelagiſch lebende Seetierchen und deren Larven, los. Zu ſolcher Jagd ſind ſie aber vorzüglich geeignet; ihr ſchlanker Leib, der ihnen ſchon vom alten Martin Slabber, einem holländiſchen Naturforſcher, vor faſt anderthalbhundert Jahren den Namen Sagitta (Pfeil) eintrug, hat in der hinteren Körperhälfte eine breite, horizontale Floſſe jederſeits, welche durch feſtere Einlagerungen wie eine Fiſchfloſſe durch ihre Strahlen geſtützt wird und ſich nach hinten an eine große, breite Schwanzfloſſe an— Pfeilwurm (Sagitta bipunctata). 25mal vergrößert. ſchließt. Die Lebensweiſe, welche eine ſo bedeutende Beweglichkeit bedingt, erfordert natür— lich zugleich auch einen gut entwickelten Orientierungsapparat, und da ſehen wir denn, daß unſere Tiere an ihrem runden, gegen den übrigen Körper ſcharf abgeſetzten Kopfe ein Paar Augen und ein Paar Fühler haben. Zur Bewältigung ihrer Beute ſind ſie mit einem kräftigen, aus mehreren einander gegenübergelegenen Haken beſtehenden Kieferapparat aus— gerüſtet. Dieſe ſeltſamen Weſen, welche in einer Art (Sagitta bipunctata) auch in den weſt— lichen Teilen der Oſtſee vorkommen, erinnern bei oberflächlicher Betrachtung entfernt an Fiſche, wie ſie denn auch Georg Meißner ſeiner Zeit für Wirbeltiere hielt. Wenig Tiergruppen haben für den Menſchen ein ſo unmittelbares Intereſſe wie die Fadenwürmer (Nematodes), denn zu ihnen gehören gerade ſeine meiſten und ge— fährlichſten Binnenſchmarotzer. Die Mehrzahl dieſer Tiere, d. h. ſoweit ſie uns bekannt ſind, führen überhaupt ein paraſitiſches Leben, meiſt in Tieren, nicht wenige aber auch in Pflanzen, doch gibt es daneben genug frei lebende Formen in feuchter Erde, im Süßwaſſer und im Meere, der großen Mutter alles Lebens. So birgt dasſelbe die Mehrzahl einer erſt zum geringſten Teil bekannten Familie: die Urolaben (Urolabea), ſchlanke, durchſichtige, mikroſkopiſche Tierchen, von denen einige Gattungen durch einzelne kleine Borſten am Vorderende an die in der See ſo reich vertretenen Borſtenwürmer erinnern. Die meiſten, von einer Reihe Autoren unter verſchiedenen Namen beſchriebenen Gattungen würden nach Schneider in einer Gattung, Enoplus, zu vereinigen und ein weſentlicher Charakter in winzig kleinen, über die Haut ſich erhebenden Taſtwärzchen zu ſuchen ſein, zu welcher Art von Organen auch jene oben erwähnten Härchen gehörten. Manche Arten haben kleine, hohle Stacheln Pfeilwurm. Enoplus. 151 im Munde, und eine große Anzahl hat im Schwanzende eine eigentümliche Spinndrüſe, welche ſich unterhalb des Schwanzes öffnet. „Sobald das Tier ſeinen Schwanz auf einer Unterlage fixiert hat, bewegt es ſich weiter und zieht nun das Sekret als einen oft mehrere Linien langen glashellen Faden nach ſich. Das eine Ende des Fadens klebt feſt, und am andern ſchwebt das Tier frei im Waſſer.“ (Schneider) Die meerbewohnenden Enoplus ſcheinen ſich im geſchlechtsreifen Zuſtande tiefer aufzuhalten als im Larvenzuſtande. Die Larven wurden nämlich von dem oben genannten Forſcher bei Helgoland in geringen Tiefen bis zur Oberfläche auf allen Tangarten kriechend angetroffen, die erwachſenen In— dividuen erſt bei 2— 3 Faden Tiefe. An die marinen Arten reiht ſich eine Anzahl Süßwaſſerbewohner, welche mit anderen, unten zu berührenden mikroſkopiſchen Nematoden von älteren und neueren Zoologen mit dem wiſſenſchaftlich nicht mehr zu brauchenden Namen „Waſſerälchen“ bezeichnet worden ſind. Sie ſchlängeln ſich auf dem ſchlammigen Grunde der Teiche oder zwiſchen den Wurzeln der Waſſerlinſen umher, und das geübte Auge entdeckt ſie leicht, wenn man eine kleine Portion ſolchen Pflanzenreſte und Infuſorien enthaltenden Grundſchlammes in einem Uhrglaſe ausbreitet. Wie Bütſchli gezeigt hat, läßt ſich die von dem engliſchen Naturforſcher Baſtian ver— ſuchte ſyſtematiſche Trennung der meerbewohnenden von den Süßwaſſer-Nematoden nicht aufrecht erhalten. Die Syſtematik iſt eben immer an der Einteilung irgend welcher Orga— eee eee Vorderende von Enoplus. Stark vergrößert. nismen nach dem Aufenthaltsorte geſcheitert. Über die Widerſtandskraft dieſer winzigen Würmchen ſagt Bütſchli: „Ich habe eine Beobachtung anderer Art über die Verwandt— ſchaft der Land- und Meeresarten beizubringen, die gleichzeitig auf die verſchiedenen Lebens— bedingungen, unter welchen dieſe Tiere zu exiſtieren vermögen, einiges Licht wirft. Wäh— rend meiner Unterſuchungen erhielt ich von befreundeter Seite eine Partie Gras, das im Hafen von Kuxhaven zwiſchen Steinen an einem Orte, der bei der Flut unter Waſſer geſetzt wird, ſich fand. In der den Wurzeln dieſes Graſes anhängenden Erde gelang es mir nun, fünf echte landbewohnende Nematoden zu finden, hierunter den bei uns ver— breitetſten landbewohnenden Dorylaimus, D. papillatus. Hieraus zeigt ſich, daß eine zeitweiſe Durchtränkung des Erdreiches, in welchem die Tiere leben, mit Meerwaſſer den— ſelben nichts ſchadet. Es können ſich demnach auch Süßwaſſerformen wohl nicht unſchwer an das Leben im Meere gewöhnen, und ſcheint es mir nicht unmöglich, daß manche Süß— waſſerformen ſich auch im Brackwaſſer finden mögen.“ Über das Vorkommen der nicht in faulenden Subſtanzen lebenden, nicht paraſitiſchen Fadenwürmer, zu welchen, wie Bütſchli angibt, ſo ziemlich alle Gattungen mit Aus— nahme von Rhabditis (Pelodera, Leptodera; man vergleiche unten) gehören, faßt der Genannte ſeine Erfahrungen in Folgendem zuſammen: „Ich ſuchte dieſe frei lebenden Nematoden mit ganz geringen Ausnahmen vergeblich in Waſſer, Schlamm oder Erde, die ſchon durch den Geruch ſich als deutlich faulend erwieſen. Gewöhnlich fand ich den Schlamm ſtark riechender Gewäſſer ganz frei von unſeren Tierchen, ebenſo die ſchon angefaulten Konſervenmaſſen auf der Oberfläche derartiger Gewäſſer. Eine reiche Fauna unſerer Tierchen entwickelt ſich hingegen in reinem und vorzugsweiſe fließendem Waſſer, ſowohl im Schlamme und ſonſtigem Grunde wie auch auf Steinen, Waſſerpflanzen 2c., in dem 152 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. grünen Beſatze von Algenfäden, der ſich hier gebildet hat. Die in der Erde ſich auf— haltenden Arten hat man hauptſächlich an den Wurzeln verſchiedener Pflanzen zu ſuchen, und haben mir hierunter Mooſe und Pilze, jedoch auch die Wurzeln mancher phanero— gamiſchen Gewächſe eine ziemliche Ausbeute gewährt.“ Wir ſehen ferner, wie Lehmboden von dieſen Tieren gemieden, dagegen mit Sand gemengter Lehm oder reiner Sandboden ihnen ſehr zuſagt. Alle dieſe Beobachtungen ſowie die weiter unten mitzuteilenden von Schneider ſind in Mitteldeutſchland angeſtellt; doch wiſſen wir aus den Unterſuchungen anderer, daß nicht nur in Frankreich, ſondern auch in Oſtindien und Nordamerika ganz ähnliche Formen vorkommen. Ohne uns an die überaus minutiöſen Charaktere der beſchreibenden Zoologie zu halten, berichten wir nun über einige allverbreitete mikroſkopiſche Fadenwürmer, welche faſt aus— nahmslos ſich wenig— ſtens während Einer Lebensperiode in fau— lenden Subſtanzen aufhalten. Auch auf unſerer beiſtehenden Zeichnung fehlen jene feineren Unterſchei— dungsmerkmale. Wir ſehen die mit kleinen Knötchen bewaffnete Mundhöhle mit ei— ner in eine kugelige Anſchwellung über— gehenden Schlund— röhre, auf welche der Darmkanal folgt. Die Eier, es iſt ein Weibchen, liegen ungefähr in der Mitte des Leibes in zwei Röhren, welche zu einer deutlichen Mündung ſich vereinigen. Das berühmteſte, ſchon im vorigen Jahrhundert vielfach beobachtete Tierchen dieſer Gruppe iſt das Eſſigälchen (Anguillula aceti der Schriftſteller), welches man bis in die neueſte Zeit für verſchieden hielt vom Kleiſterälchen (A. glutinis der Schriftſteller), bis wir durch Schneider erfahren haben, daß wenigſtens das von ihm vielfach unter— ſuchte Tierchen in beiden Subſtanzen ſich aufhalten kann. Nicht der Kleiſter ſelbſt iſt Be— dingung für die Alchen, ſondern die ſich ſchnell einfindenden mikroſkopiſchen Pilze, deren Entſtehung ſehr begünſtigt wird, wenn man etwas Eſſig in den Kleiſter ſchüttet. „Bei längerer Beobachtung des Eſſigs fällt es auf, wie die Eſſigälchen weit ſeltener ſind, als ältere Beobachter angeben. Man hat den Grund darin zu finden geglaubt, daß der Eſſig nicht mehr aus Wein dargeſtellt wird. In gewiſſem Sinne iſt dieſer Grund richtig. In dem früher gebräuchlichen Wein- oder Biereſſig blieb wahrſcheinlich noch viel Zucker und Eiweiß, alſo ein günſtiger Boden zur Bildung von Pilzen und ſomit auch für Eſſigälchen. Denn die Geſchlechtsreife und Fortpflanzung der letzteren kann nicht in reinem Eſſig ein— treten, ſondern nur zwiſchen Pilzen, wo ihnen eine ſtickſtoffhaltige Nahrung geboten wird. Der Eſſig, wie er jetzt in den Handel gebracht wird, enthält wohl nie geſchlechtsreife Tiere, ſondern nur Larven. Ja, die letzteren ſind oft ſogar abgeſtorben, und man darf ſich nicht täuſchen laſſen, wenn man beim Schütteln einer Eſſigflaſche unzählige lebendige Kleiſter-Eſſigälchen (Anguillula aceti-glutinis). Stark vergrößert. Kleiſter-Eſſigälchen. Pellodera paprllosa. 13 Weſen zu ſehen glaubt; es find nur die herumſchwimmenden Hautſkelette. Die Eſſig— mutter in den ſogenannten Eſſigbildnern enthält jedoch heute noch alle Entwickelungs— ſtufen der Eſſigälchen in großer Menge. Im Kleiſter, welcher durch Kochen von reinem Stärkemehl bereitet iſt, hat mir die Zucht der Alchen nie gelingen wollen, ein Zuſatz von Leim, überhaupt einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz, iſt notwendig.“ (Schneider.) Eine ausgezeichnete Fundgrube für dieſelben ſind die bierdurchtränkten Filzunterſetzer ſchmutziger Schänken. Der wiſſenſchaftliche Name, den dieſes Kleiſter-Eſſigälchen heute führt, iſt An— guillula aceti-glutinis. Faſt alle übrigen Arten leben in feuchter Erde und faulenden Subſtanzen. Schneider unterhielt jahrelang in Blumentöpfen und irdenen, mit Erde gefüllten Gefäßen Kolonien derſelben, um ihre merkwürdigen Lebensverhältniſſe zu beobachten, die während einer Wan— derung ſich abſpinnen. „Legt man in irgend ein Gefäß mit Erde ein Stück faulendes Fleiſch, oder gießt man Blut, Milch oder dergleichen darauf, ſo kann man ſicher ſein, eine der hierher gehörigen Spezies zu erhalten; indem ich die Erde aus den verſchiedenſten Orten entnahm, Schlamm der Gewäſſer, faulendes Holz aus hohlen Bäumen, Garten-, Acker— erde ꝛc., habe ich mir dieſe verſchiedenen Spezies verſchafft. Um die nötige Feuchtigkeit zu unterhalten, muß man die Erde immer befeuchten oder das Gefäß bedeckt halten. Dabei iſt zu berückſichtigen, daß man die Fäulnis nicht bis zu einem zu hohen Grade gelangen läßt. Auch ſterben die Tiere, wenn man die Erde mit mehr Waſſer bedeckt, als ſie auf— Larve von Pellodera papillosa, umhüllt von der embryonalen Haut. 400mal vergrößert. ſaugen kann.“ In dieſen Verſuchsſtationen können die Tiere alle drei Altersſtufen durch— machen, d. h. der Embryo geht durch eine Häutung in das Larvenſtadium über, welches ſich durch andere Bildung des oft verſchloſſenen Mundes und den Mangel der Fortpflan— zungsorgane von der Stufe der Geſchlechtsreife unterſcheidet und in dieſe wiederum mit einer Häutung eintritt. In der freien Natur aber, wie geſagt, gehen dieſe Wandlungen während einer Wanderung vor ſich. „Überall in der Erde und im Waſſer finden ſich ge— ſchlechtsloſe Larven dieſer Tiere in großen Mengen zerſtreut, aber ſobald ſich in ihrer Nähe ein Fäulnisherd bildet, ſo kriechen ſie, vielleicht durch den Geruch geleitet, danach hin, werden geſchlechtsreif, und die Jungen, welche ſie gebären, entwickeln ſich an Ort und Stelle ebenfalls zu geſchlechtsreifen Tieren. Haben nun geſchlechtsreife Tiere einige Zeit in ſolcher faulenden Subſtanz gelebt, ſo erwacht in ihnen ein Wandertrieb, der ſie veranlaßt, den Herd der Fäulnis zu verlaſſen und nach allen Richtungen weiter zu kriechen. Dabei gebären ſie Junge, welche ſich der Wanderung ebenfalls anſchließen. Die Dauer dieſer Wanderung auf trockenem Boden wird dadurch unterſtützt, daß die Embryonen ſich in Scharen zuſammenfinden und durch ihre eigne und durch die an ihrem Körper haf— tende Feuchtigkeit ſich gegenſeitig vor Verdunſtung ſchützen. Auf dieſer Wanderung treten die Embryonen in das Larvenſtadium; ſie werden dabei vor dem Eintritt wohl doppelt ſo groß als die, welche bis zum Eintritt in das Larvenſtadium ſich in faulenden Sub— ſtanzen aufhalten. Die Embryonalhaut löſt ſich zwar ab, aber die Larve verläßt dieſelbe nicht, welche nunmehr eine vollſtändig geſchloſſene Hülle für die Larve bildet. Die Larve kann ſich jedoch mit der Hülle noch ungehindert bewegen und ihre Wanderung fortſetzen; 154 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. endlich aber erſtarrt ſie und ſtreckt ſich dabei linear. Hält dieſer Zuſtand längere Zeit an, ſo ſtirbt die Larve ab. Anders geſtaltet ſich der Lauf der Dinge, wenn die Embryonen auf ihrer Wanderung eintrocknen. Dieſes Ereignis, weit entfernt, ihnen zu ſchaden, iſt vielmehr für ihre Erhaltung von weſentlichem Nutzen; ſie treten mit dem Eintrocknen in das Larvenſtadium, und die Embryonalhaut bildet ebenfalls eine Hülle für die Larven. Beim Eintritt von Feuchtigkeit leben ſie wieder auf, und beim Schwinden derſelben ver— trocknen ſie. Damit die Larven wachſen und in das geſchlechtsreife Stadium treten, müſſen ſie unbedingt in eine feuchte, ſtickſtoffhaltige Subſtanz gelangen. Dann wird die Cyſten— hülle geſprengt, ſie nehmen Nahrung zu ſich, und es gehen alle die Veränderungen vor ſich, welche ſie zum geſchlechtsreifen Tiere machen. Frei bewegliche Larven wittern von weitem einen ſolchen Fäulnisherd. Läßt man in einem größeren, mit Erde gefüllten Ge— fäße eine Kolonie ſolcher Tiere ſich entwickeln, ſo verteilen ſich die Larven darin nach Ab— lauf der Fäulnis. Gießt man nun, wenn die Erde feucht iſt, auf einen Punkt derſelben z. B. einige Tropfen Milch, ſo wird man dieſelbe ſchon nach einer Stunde mit Tauſenden von Larven bedeckt finden.“ Dieſer die Anweſenheit kleinſter Organismen ſo überraſchend bekundende Verſuch iſt, nach Schneiders Bemerkung, ſchon vor faſt 100 Jahren von einem gewiſſen Roffordi angeſtellt worden. Er kochte Weizenmehl in Waſſer mit Eſſig gemiſcht und legte den Kleiſter, in ein Leinwandſäckchen eingeſchloſſen, in einen Blumen— topf mit feuchter Erde, worauf nach 10 — 12 Tagen der Kleiſter regelmäßig mit Alchen gefüllt war. a) Weibchen der Leptodera-Form der Ascaris nigrovenosa. b) Brutſchlauch. Vergrößert. Jan de Man fand in ſandiger, mit Moospflänzchen bedeckter Erde vom Großen Ettersberg bei Weimar nicht weniger wie 36 Arten frei lebender Nematoden, von denen 32 auch in Holland von ihm entdeckt wurden. „Auffallend iſt es aber“, ſagt unſer Gewährs— mann, „daß in dieſer Erde keine Arten gefunden wurden, welche in den Niederlanden ausſchließlich die Dünengegenden bewohnen; ſollten dieſe Formen vielleicht wirklich aus— ſchließlich dieſe ans Meer grenzenden Dünengegenden bevölkern?“ Und er hält es nicht für unmöglich, daß die betreffenden Würmer marinen Urſprungs ſeien. Die Gattung Rhabdonema hat einen merkwürdigen Entwickelungsgang, ſogenannte Heterogonie, indem zweierlei Generationen verſchieden geſtalteter Würmer mit verſchiedener Lebensweiſe aufeinander folgen. So lebt nach der Entdeckung Leuckarts in der Lunge der Fröſche, und nicht ſelten in großer Menge, ein bis 2 em lang werdender Wurm (Rhab- donema nigrovenosum), der, was ſonſt bei Fadenwürmern im ganzen ſelten vorkommt, zwitterig iſt und zahlreiche Junge zur Welt bringt, welche aus der Lunge des Wirtes in die Speiſeröhre und weiter in den Darm desſelben gelangen. Von hier werden ſie mit dem Kot nach außen befördert und entwickeln ſich hier innerhalb weniger Tage zu einer frei lebenden, getrennt geſchlechtlichen, viel kleineren Zwiſchengeneration, welche einer ande— ren, bloß frei lebenden Gattung (Rhabditis) durchaus gleicht. Die Nachkommen dieſer Ge— neration erſt, welche wenig zahlreich find, etwa 2—3 bei jedem Weibchen, wandern, nach— dem ſie den mütterlichen Körper ausgefreſſen und ſeine Haut geſprengt haben, wieder bei Fröſchen durch das Maul in die Lunge ein und werden zur zwitterigen Generation. Ascaris nigrovenosa. 155 Einen durchaus ähnlichen Vorgang entdeckte gleichfalls Leuckart bei zwei anderen Wurmarten, von denen die eine ein beſonderes Intereſſe als Paraſit des Menſchen hat. In heißen und warmen Gegenden (Kotſchinchina, Oberitalien) findet ſich gelegentlich im Darme des Menſchen in ganzer Ausdehnung ſowie in den Ausführungsgängen der Leber und der Bauchſpeicheldrüſe ein Nematode (Rhabdonema strongyloides), welcher die Ur— ſache heftiger Diarrhöen wird. Die Tiere ſind äußerſt fruchtbar und ihre Nachkommen— ſchaft, welche Leuckart für eine einzige Ausleerung auf eine Million und darüber ſchätzt, gelangt nach außen, wird im Freien als Rhabditis stercoralis geſchlechtsreif und pflanzt ſich fort. Ihre Brut kommt mit unſauberem Trinkwaſſer und dergleichen wieder in den Darm des Menſchen und wird hier zum Rhabdonema strongyloides. Die andere heterogone Wurmart hat Allantonema mirabile. Die zwitterige, paraſi— täre Form ſchmarotzt in einem ſehr ſchädlichen Käfer, dem großen Fichtenrüſſelkäfer (Hy- lobius pini), aber ohne leider das Wohlbefinden desſelben weſentlich zu beeinträchtigen. Im ausgebildeten Zuſtande iſt das Tier 3 mm lang, nieren- oder bohnenförmig, in hohem Maße rückgebildet, und ſeine ziemlich geräumige Leibeshöhle enthält nichts anderes als weibliche Geſchlechtsorgane. Die Jungen entwickeln ſich im Inneren des elterlichen Körpers zu 0,3 mm langen, ſchlanken Spulwürmern und verlaſſen denſelben, um in die Leibeshöhle des Käfers zu gelangen. Ihre Zahl, in der ſie nicht zugleich, ſondern nach und nach auftreten, mag zwiſchen 5000 und 6000 ſein. Sie ernähren ſich zuerſt in der Leibeshöhle ihres Wirtes von deſſen Säften und, da ihre Mundöffnung unwegſam iſt, durch Osmoſe. Haben ſie eine beſtimmte Größe erlangt, dann durchbohren ſie die Wandung des Maſtdarmes, um in dieſen und weiter durch den After nach außen zu treten. Sie verlaſſen ihren Wirt danach nicht ſofort, ſie werden zunächſt aus Binnenſchmarotzern Außenſchmarotzer, indem ſie in den Raum unterhalb der Flügeldecken einwandern. Hier durchlaufen ſie ihre weiteren Larvenſtadien, um endlich als geſchlechtsreife, getrennt geſchlechtliche Würmer (Rhabditis- Form) den Käfer zu verlaſſen, ſich zu begatten und ziemlich feſtſchalige Eier zu legen, welche wieder Rhabditis-artige Larven liefern. Nachdem dieſe geraume Zeit frei gelebt und, da ſie im Beſitz einer wohlentwickelten Mundöffnung ſind, ſelbſt gefreſſen haben, ſcheinen ſie in die jüngſten Larven des Rüſſelkäfers einzuwandern und in und mit dieſen ihre Ver— wandlung zu durchlaufen. Bei einer anderen Rhabditis-Form (Leptodera appendiculata) ſind die Verhältniſſe zwiſchen Paraſitismus und freiem Leben ſehr intereſſant, wie wir beſonders durch Claus wiſſen. Hier iſt der Paraſitismus fakultativ, d. h. er kann eintreten, aber auch unter— bleiben, ohne daß die Erhaltung der Art gefährdet wird. In letzterem Falle folgt eine vielleicht unbeſchränkte Reihe von Generationen aufeinander, die alle echte Rhabditis ſind. Nun bietet ſich aber einem oder dem anderen Individuum die Gelegenheit, in die gemeine Wegſchnecke (Arion empiricorum) einzuwandern. In dieſer erleiden ſie Veränderungen, werden doppelt jo groß (4 mm) wie die frei lebende Form und erfahren auch ſonſtige Mo— difikationen in ihrem Bau. Geſchlechtsreif werden dieſe Tiere erſt, nachdem ſie ihren Wirt verlaſſen haben, und ſie bringen im Freien wieder Rhabditis-Brut zur Welt. Es liegt alſo auch hier, wie in den vorigen Fällen, Heterogonie vor, nur mit dem Unterſchiede, daß es nicht notwendig erſcheint, daß zweierlei verſchiedenartig organiſierte Generationen um— ſchichtig aufeinander folgen. Dem Scharfblick Leuckarts und ſeiner großen Erfahrung auf dem Gebiete der Pa— raſitenkunde verdanken wir auch die Entdeckung eines neuen und die genauere Kenntnis eines früher ſchon bekannten Nematoden: der erſtere (Atractonema gibbosum), der in der Leibeshöhle der Larven einer Mücke (Cecidomyia pini) ſchmarotzt, wurde zugleich 156 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. mit dem Allantonema entdeckt, die zweite lebt in Hummelarten, beide ſind ſich in ſehr auffallenden Punkten der Lebensweiſe und Organiſation ähnlich. Hum melfadenwurm (Sphaerularia bombi). A) männ— liches Individuum, vergrößert, a) natürl. Größe; B) weib— liches Individuum, vergrößert, b) natürl. Größe; C) träch— tiges Weibchen, vergrößert, w) eigentlicher Wurm, s) vor— gefallene Scheide, e) natürl. Größe. Das Atractonema findet ſich in größerer Zahl (bis 50) in den Mückenlarven, ohne daß dieſe dadurch beſonders geſchädigt werden, we— nigſtens verpuppen ſich affizierte und entwickeln ſich ſogar, immer noch ihre Schmarotzer ber— gend, zur Fliege. Der ausgebildete Wurm, der als Paraſit bloß im weiblichen Geſchlecht bekannt iſt, erreicht eine Länge von 6 mm. „Seine Form iſt ſehr ungewöhnlich, indem der ſchon an ſich gedrungene Leib in einiger Entfernung von dem kegelförmigen Schwanz— ende einen buckelartigen Aufſatz trägt, der, einem mächtigen Bruchſack vergleichbar, der Bauchfläche mit breiter Baſis aufſitzt. Im völlig entwickelten Zuſtande dürfte dieſer Buckel an Maſſe mehr als die Hälfte des geſamten Wurmkörpers ausmachen. Seine Länge be— trägt nicht weniger als 0,25 mm, Höhe und Breite 0,1 mm.“ (Leuckart.) Die Unterſuchung verſchiedener Alters: ſtadien der Weibchen hat nun dargethan, daß jener ſonderbare Buckel auf einen Vorfall der Scheide zurückzuführen iſt, die ſich nach außen um- und vorſtülpt und von Brut er— füllt iſt. Dieſe gelangt aus dem Muttertier in die Leibeshöhle der bewohnten Larve, durch— läuft hier eine kurze Entwickelung, gelangt dann nach außen, wo ſie geſchlechtsreif wird und in Geſtalt männlicher und weiblicher Individuen auftritt. Dieſe vollziehen die Be— gattung, worauf die Männchen zu Grunde gehen, die geſchwängerten Weibchen aber in die Mückenlarven einwandern, wo ihr Körper die oben beſchriebene Umbildung erleidet. Ganz ähnlich erſcheinen die Entwicke— lungsverhältniſſe und die Organiſation bei der Sphaerularia, dem Paraſiten der Hummel, nur in übertriebener Form, denn die vor— gefallene und zu einem Schlauche umgeſtal— tete Scheide übertrifft den eigentlichen Wurm, der um ſo mehr zurücktritt, je mehr jene ſich entwickelt, um das 15,000 — 20,000 fache! Die außerhalb des Wirtes begatteten Weibchen wan— dern auch in dieſem Falle nach dem Tode der Männchen als gewöhnliche, Rhabditis- ähn— liche Würmchen in die Hummeln, aber bloß in Königinnen (vollentwickelte Weibchen), welche überwintern, ein und erlangen hier ihre ſonderbare Geſtalt. Hummelfadenwurm. Weizenälchen. 157 Aber nicht bloß Tierſchmarotzer finden ſich unter den Alchen, die wichtigſten, weil ſchädlichſten, unter ihnen ſind diejenigen Pflanzenparaſiten, auf welche Schneider den ſyſtematiſchen Namen Anguillula beſchränkt wiſſen will. Das ſeit 1743 bekannte Weizenälchen (Anguillula tritici) erzeugt eine eigentümliche Krankheit des Weizens, das ſogenannte Gichtigwerden oder den Faulbrand. „In den erkrankten Ahren“, ſagt Kühn, „ſind die Körner zum Teil oder gänzlich mißgebildet; ſie ſind kleiner, zugerundet, ſchwarz und beſtehen aus einer dicken, harten Schale, deren Inhalt eine weiße Subſtanz bildet. Dieſe Subſtanz iſt von ſtaubartiger Beſchaffenheit und geht beim Befeuchten mit Waſſer zu feinen Körperchen auseinander, die ſich unter dem Mikroſkop als Anguillulen ausweiſen, auf dieſelbe Weiſe wie andere unter ähnlichen Bedingungen allmählich zum Leben gelangen und ſich lebhaft zu bewegen beginnen. Die in dem völlig ausgebildeten kranken Getreidekorn enthaltenen Würmchen ſind geſchlechtslos. Kommt das Korn in den Weizenälchen (Anzuillula tritiei). Vergrößert. feuchten Boden, ſo erweicht und fault es; die darin enthaltenen, vorher eingetrockneten Würmchen aber gelangen durch die Feuchtigkeit zur Lebensthätigkeit, und die erweichte, verfaulte Hülle geſtattet ihnen, ſich aus ihr zu entfernen und ſich im Boden zu verbreiten. Gelangen ſie zu einer jungen Weizenpflanze, ſo kriechen ſie an derſelben hinauf, halten ſich bei trockener Witterung in den Blattſcheiden ohne Bewegung und Lebenszeichen auf, ſuchen aber bei einfallendem Regen mit dem Emporwachſen des Halmes immer weiter nach oben zu kommen, und gelangen ſo zu einer Zeit ſchon in die oberſte Blattſcheide und ſomit zu der ſich bildenden Ahre, in welcher dieſelbe noch in ihrer erſten Entwickelung begriffen iſt. Durch die eingedrungenen Würmchen wird nun eine abnorme Entwickelung der Blütenteile in ähnlicher Weiſe veranlaßt, wie wir die Galläpfel durch Inſektenlarven entſtehen ſehen, es bildet ſich aus ihnen ein gerundeter Auswuchs, in deſſen Mitte ſich die Würmchen befinden. Dieſe entwickeln ſich hier raſch zur normalen Ausbildung. Die Weibchen legen eine große Menge Eier und ſterben dann, wie auch die Männchen, bald ab. Währenddem wächſt der Auswuchs, bis er zur Zeit der beginnenden Reife des Weizens faſt die Größe eines normalen Kornes erreicht hat. Die alte Generation der Anguillulen iſt dann ſchon ausgeſtorben, aus den Eiern ſind die Embryonen längſt ausgekrochen und bilden nun als geſchlechtsloſe Larven den ſtaubig faſerigen Inhalt des Gallengewächſes. Dieſes trocknet mit den ſcheinbar lebloſen Würmchen zu dem ſogenannten Gicht- oder Radenkorn des Weizens zuſammen. Gelangt dasſelbe mit den geſunden Weizenkörnern in den feuchten Ackerboden, ſo wiederholt ſich der Kreislauf.“ Auch in einigen anderen, wild wachſenden Gräſern rufen Anguillulen ähnliche Er— ſcheinungen hervor, wie denn auch als Urſache der als Kernfäule bezeichneten Krankheit der Weberkarde von Kühn eine Anguillula erkannt worden iſt. Der Lebenslauf der letzteren ſcheint durchaus derſelbe zu ſein wie derjenige des Weizenälchens, derſelbe Scheintod der Würmchen in den trockenen Blütenteilen, ſofortiges Aufleben bei Befeuchtung. Da 158 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. naſſe Witterung das Aufſteigen der Alchen am Stengel befördert, ſo erklärt es ſich, warum die Kernfäule beſonders in naſſen Jahren ſich ausbreitet. Von beſonderer Wichtigkeit für die Landwirtſchaft iſt eine den Tylenchen ſich nahe anſchließende Nematodenform, die Rübennematode (Heterodera Schachtü), welche ein arger Schädling der Zuckerrüben iſt und die Urſache der ſogenannten Rübenmüdigkeit wird. Die Lebensgeſchichte dieſes intereſſanten Wurmes iſt in umfaſſender Weiſe von A. Strubell unterſucht worden, deſſen Darſtellung wir hier folgen wollen. Die beiden Geſchlechter des Wurmes ſind auffallend verſchieden an Geſtalt. Die Männchen zeigen völlig den typiſchen Habitus der Fadenwürmer, ſind ſchlank, frei be— weglich und 0,s— 1,2 mm lang. Die Weibchen hingegen ſind von der Form einer an beiden Polen ausgezogenen Zitrone, dabei iſt aber die Rückenfläche immer ſtärker gewölbt als die Bauchfläche. Die Bewegungsfähigkeit iſt auf ein Minimum beſchränkt, obwohl noch ein gut entwickelter Muskelapparat vorhanden iſt, der aber nach und nach, in dem Maße wie die Eier reifen, verſchwindet, ebenſo wie auch der Darm zu Grunde geht, nachdem die Eier in die Leibeshöhle des Weibchens nach Platzen der Gebärmutter gelangt ſind. Auf dieſer Stufe ſeiner Entwickelung iſt das Weibchen nichts als eine Kapſel für und eine Hülle um die Eier. Die Larven ſchlüpfen noch im mütterlichen Körper aus und bleiben als bewegliche kleine Würmchen (0,3— 0,4 mm lang) in der Mutterkapſel, ſprengen die— ſelbe indeſſen nach einiger Zeit, treten nach außen und wandern in die erſten nahe be— findlichen Würzelchen ein, mit Vorliebe in die der Zuckerrübe, aber auch in die zahl— reicher anderer krautartiger Pflanzen, von denen Kühn nicht weniger als 180 Arten namhaft macht. Die Tierchen haben einen Stachel am Vorderende des Körpers und durchbohren mittels dieſes die Oberhaut der Würzelchen. So gelangen die Larven meiſt in größerer Zahl in das ſaftige Binnenparenchym der Pflanzen, wobei ſie während ihrer Wanderungen die zentralen Leitbündel desſelben zu vermeiden wiſſen. Endlich machen ſie an einer Stelle dicht unter der Epidermis Halt und durchlaufen hier eine Metamorphoſe. Sie verwandeln ſich nach einer Häutung in eine zweite ſeſſile Larvenform ungefähr von Geſtalt einer Flaſche. Der Leib derſelben ſchwillt zufolge reichlicher Ernährung an, ſo daß ſich die Wurzelepidermis der Pflanze emporwölbt und der junge Wurm wie in einer Cyſte liegt; wahre Gallenbildung ſeitens der Pflanze findet dabei indeſſen nicht ſtatt. Bis jetzt ſind an den Larven Geſchlechtsunterſchiede nicht wahrnehmbar, bald aber zeigen ſich ſolche. Ein Teil der Individuen ſchwillt immer mehr an, während der andere, deſſen Ernährung unterbrochen wird, auf der einmal erreichten Entwickelungsſtufe jtehen . bleibt. Die erſteren zeigen bald die Zitronenform der Weibchen und drücken bei ihrem zunehmenden Leibesumfange auf die Wurzelepidermis, ſo daß dieſe endlich platzt und das Tier mit ſeinem Hinterende frei nach außen ragt, ſpäter auch, wenn es zur Brutkapſel entartet und von durchſcheinend bräunlicher Farbe geworden iſt, völlig abfällt. Die männlichen Larven, deren Wachstum, wie wir ſahen, unterbrochen war, häuten ſich, indem ſie ſich zunächſt von der früheren Larvenhaut zurückziehen, wieder ſchmächtig werden und die Geſtalt von Fadenwürmern unter Auftreten verſchiedener Neubildungen in ihrer Organiſation zurückerlangen. Wenn ſie fertig ausgebildet ſind, durchbohren ſie die alte Larvenhaut und die Epidermis der Wurzel mit ihrem Stachel, wandern nach außen und ſuchen die bewegungsloſen Weibchen an ihren Ruheſtellen zur Begattung auf. Die ganze Entwickelung vom Ei bis zum geſchlechtsreifen Tiere richtet ſich weſentlich nach äußeren Umſtänden und wird durch feuchte Wärme beſchleunigt, ſo daß innerhalb eines Jahres durchſchnittlich 6—7 Wurmgenerationen angenommen werden können. Dieſe Würmer werden dem Anbau der Zuckerrüben oft ſehr verderblich, ja können denſelben zeitweilig ganz in Frage ſtellen. Spulwurm. 159 Es iſt wiederholt von dem Wiederaufleben der Rotiferen und der mikroſko— piſchen Fadenwürmer die Rede geweſen, es wird aber nicht unzweckmäßig ſein, dieſe merkwürdige Erſcheinung noch etwas weiter zu beſprechen. Der berühmte Needham, der Entdecker des Weizenälchens, hatte dem engliſchen Naturforſcher Baker 1744 einige der Weizengallen gegeben, und noch nach 27 Jahren, 1771, gelang es Baker, die Weizenälchen daraus wieder durch Anfeuchten zum Leben zu bringen. Das Wiederaufleben nach 20 Jahren der Eintrocknung iſt beſtätigt worden. Sicher kommt das meiſte auf die Art und Sorgfalt der Aufbewahrung an. Einer der größten Gegner der ſogenannten freiwilligen oder Ur— zeugung im vorigen Jahrhundert, der ſcharfſinnige Spallanzani, wußte ſchon, daß eine der weſentlichſten Lebensbedingungen für die im Dachmoos befindlichen Rädertiere und An— guillulen die ſei, daß ihr Körper mehr oder weniger vom Mooſe oder Sande bedeckt ſei. Er trocknete oder befeuchtete dieſelben Tierchen 2 mit gleichem Erfolge, nur wurde die Zahl der wieder auflebenden immer geringer, und bis zum ſechzehnten Aufleben brachte es keins. In der That halten die Tierchen ganz außerordent— liche Vexationen aus. Davaine, welcher die Naturgeſchichte des Weizenälchens aufgeklärt hat, legte 3 Jahre alte Larven unter die Luft— pumpe, nachdem er auch für abſolute Austrock— 8 „ 0 G nung der Luft geſorgt, und ließ fie 5 Tage sa e | G im luftleeren Raume. Die meiſten der Larven f lebten dann auf, nachdem ſie 3 Stunden in reinem Waſſer zugebracht hatten. Ganz anders wie die Larven verhalten ſich aber die aus— gewachſenen Weizenälchen, die nur in geringem Grade jene Lebenszähigkeit beſitzen, und im allgemeinen iſt dieſe Eigenſchaft nur bei denjenigen Anguilluliden zu finden, deren Wohn— orte überhaupt dem Wechſel des Austrocknens und Feuchtwerdens ausgeſetzt ſind. Ein Hauptgrund, weshalb man, um günſtige Erfolge zu erzielen, die Alchen beim Trocknen mit feinen Sandkörnern umgeben muß, liegt nach meiner Anſicht darin, daß die Tierchen bei der Unregelmäßigkeit der Oberfläche und der davon abhängigen unregelmäßigen Verteilung des Waſſers Zeit haben, der allmählich verſchwindenden Feuchtigkeit nachzugehen und ſich ſelbſt allmählich zuſammenzuziehen. Will man ſie dagegen auf einem glatten Glaſe nach Verdunſtung eines Tropfen reinen Waſſers trocknen, ſo geht, wenn man in einem warmen Raume den Verſuch anſtellt, das letzte Stadium der Verdunſtung ſo ſchnell vor ſich, daß die Würmchen (und Rädertiere) plötzlich wie angeleimt ſind, und bei weiterem Fortſchreiten der Austrocknung die Haut und andere Organe reißen müſſen. Kopf von Ascaris, Spulwurm. Vergrößert. Den Mittelpunkt einer folgenden Familie bildet der Spulwurm. An jedem etwas größeren Spulwurm ſieht man die erwähnten, ſcharf gegen den Körper abgeſetzten Lippen mit unbewaffnetem Auge. Die eine nimmt die Mitte der Rückenſeite ein (a in obenſtehender Figur), die beiden anderen berühren ſich in der Mittellinie des Bauches (b). Die mikro— ſkopiſche Unterſuchung zeigt dazu, daß die Oberlippe in zwei ſeitlichen Grübchen je ein kegelförmiges, winziges Taſtwerkzeug trägt und die beiden Seitenlippen je eins dieſer Organe. Bei allen Spulwürmern iſt der Größenunterſchied zwiſchen Weibchen und Männ— chen ſehr bemerkbar, und die letzteren, die kleineren, ſind außerdem an dem hakenförmig umgebogenen Hinterleibsende kenntlich. Leider iſt gerade die Lebensgeſchichte der Spul— würmer und darunter die der wichtigſten Art, der den menſchlichen Darmkanal bewohnen— den Ascaris lumbricoides, noch nicht vollſtändig aufgehellt. 160 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. Die genannte Art iſt einer der häufigſten Schmarotzer des Menſchen und begleitet wenigſtens die kaukaſiſchen und Negerraſſen über die ganze Erde. Gewöhnlich nur einzeln oder in geringerer Anzahl vorkommend, iſt eine Anſammlung von einigen Hunderten doch nichts Seltenes, und in einzelnen Fällen zählte man über 1000, ja 2000 dieſer unangenehmen Spulwurm des Menſchen (As- caris lumbricoides). Natürl. Größe. 1) Männchen. 2) Weibchen. 3) Ei, ſtark vergrößert. Gäſte. Ihr gewöhnlicher Aufenthalt iſt der Dünndarm, von wo ſie mitunter in den Magen eintreten. Kleinere Exemplare (die größten werden 16 — 18 em lang) haben ſich ſogar in die Leber verirrt. Die Schilderung der Umſtände, unter wel— chen ſogar eine Durchbohrung der Darm- und Leibeswandung, ein Eintreten in die Harnblaſe und ſo fort erfolgen kann, erlaſſen wir uns. Die wichtige Frage, wie der Menſch ſich mit dem Spulwurm anſtecken könne, iſt noch nicht vollſtändig gelöſt. Die mit dem Tiere ins Freie gelangenden Eier haben eine große Widerſtandskraft gegen alle Unbilden der Witterung und allerlei Arten von Flüſſigkeiten. Sie entwickeln ſich ſowohl im Waſſer wie in feuchter Erde und ſcheinen nach der Weiſe des Katzen-Bandwurmes als ein kleines Weſen von noch nicht einem halben Millimeter Länge in den menſch— lichen Darmkanal zu gelangen. Über die Vermutung, daß die jungen Paraſiten, noch von der Eiſchale umſchloſſen, ein— wanderten, ſpricht ſich Leuckart ſo aus: „Bei der großen Häufigkeit des Spulwurmes und der immenſen Fruchtbarkeit ſeiner Weibchen (jährlich etwa 60 Millionen Eier) ſind dieſe Eier natürlich überall verbreitet. Wir brauchen nicht einmal auf die Aborte und Miſtſtätten zu verweiſen, auch ebenſowenig, wie man gethan hat, die geheimen Kommunikationen unſerer Brunnen und benachbarten Kloaken oder den Dünger auf unſeren Feldern zu Hilfe zu rufen, um dieſe Behauptung zu motivieren. Von zahlloſen kleineren Infektionsherden aus werden die Eier des menſchlichen Spulwurmes durch Regen und andere Kräfte in immer weitere Kreiſe verbreitet. Da die— ſelben nun trotz aller Ungunſt der äußeren Verhältniſſe, trotz Froſt und Trocknis jahrelang ihre Keimkraft behalten, auch wegen ihrer Kleinheit leicht auf dieſe oder jene Weiſe ver— ſchleppt werden, bietet Feld und Garten, ja Haus und Hof vielfache Gelegenheit zur Übertragung. Es iſt nicht nötig, die Einzelheiten weiter auszumalen. Die Früchte, die wir aufheben, die Rübe, die wir aus der Erde ziehen, um ſie roh zu genießen, ja ſelbſt das Waſſer, das wir dem Bache entnehmen, um unſeren Durſt zu löſchen — das alles und viel mehr noch wird gelegent— lich den Träger eines keimfähigen Eies abgeben. Je verbreiteter die Eier, oder was ſo ziemlich dasſelbe beſagt, je dichter die Be— völkerung, die vom Spulwurm heimgejucht iſt, je geringer die Sorgfalt, mit der die Nahrung überwacht wird, je weniger reinlich die Umgebung, in der man lebt, deſto häufiger wird dieſe Gelegenheit wiederkehren.“ Graſſi will auch den Beweis der direkten Einwanderung von As- caris lumbricoides experimentell geliefert haben, indeſſen ſind gerade bei ſolchen Unterſuchun— gen Selbſttäuſchungen ungemein ſchwer zu vermeiden, und jedenfalls verhalten ſich nicht alle Arten von Spulwürmern ſo, indem z. B. derjenige der Katze erſt einen Zwiſchenwirt bezieht. Spulwurm. Pfriemenſchwanz. Filarien. Medinawurm. 161 Nächſt dem Menſchen wird auch das Schwein mit dem Beſuche von Ascaris lumbri— coides beehrt, wie in ſeltenen Fällen der Hunde- und Katzen-Spulwurm (Ascaris mystax) ſich in den Menſchen verſteigt. Die Widerſtandsfähigkeit der Eier des Katzen⸗Spulwurmes iſt ganz außerordentlich, da ihre Entwickelung ſelbſt dann vor ſich geht, wenn ſie in Spiritus oder Chromſäure als mikro— ſkopiſche Präparate aufbewahrt werden. Von einer anderen Spulwurm— art, Ascaris megalocephala, werden auch unſere Pferde und Rinder viel heimgeſucht. Die Weibchen ihres bis zu 1000 Stück vorhandenen Gaſtes erreichen eine Länge von 36 em. Ein zweiter, ſehr gemeiner Paraſit des Menſchen, der Pfriemen— ſchwanz, gehört der Gattung Oxyuris an. Alle Oxyuriden ſind kleine, höchſtens 2 — 3 em meſſende Würmer mit pfriemenförmigem Schwanze und wenig ausgebildeten Lippen. Die Weibchen des im Menſchen woh— nenden Oxyuris vermicularis werden 10 mm, die Männchen 4 mm lang. Sie kommen ungemein häufig bei Kindern und Erwachſenen, bei Hoch und Niedrig vor und gehören zu den unangenehmſten und zudringlichſten Paraſiten. Auch für ſie iſt es ſo gut wie erwieſen, daß im normalen Ent— wickelungsgange die Eier nach außen gelangen und durch den Mund wieder aufgenommen werden müſſen. Die Luftſtrömungen können ſie auf die ver— ſchiedenartigſten Gegenſtände führen, wie ſchon Leeuwenhoek vermutete. „Selbſt Tier und Menſch können in mannigfaltigſter Weiſe zu einer Ver— ſchleppung beitragen, zumal dieſe durch die Kleinheit und Leichtigkeit der Eier noch beſonders begünſtigt wird. Um ein naheliegendes Beiſpiel her— vorzuheben, brauche ich hier nur die Fliegen zu nennen und an die Be— ziehungen zu erinnern, welche dieſe Tiere ebenſowohl zu den menſch— lichen Nahrungsmitteln wie den unſauberſten Gegenſtänden darbieten.“ Wirklich ſchützen kann alſo nur die penibelſte Reinlichkeit, und auch dieſe offenbar nicht unbedingt. Mit dem Genuſſe von nicht ſorgfältig ab— gewaſchenem Obſt droht die Gefahr der Anſteckung, ja Leuckart will ſelbſt das Mehl, mit dem die Bäcker ihre Waren zu beſtreuen pflegen, von der Schmuggelei mit Pfriemenſchwanzkiemen nicht völlig freiſprechen, da die Eier, die etwa dem Getreide anhängen, wegen ihrer Kleinheit die Proze— duren des Dreſchens und Mahlens ungefährdet zu überſtehen vermögen. Der berüchtigte Medinawurm gehört in die Gattung Filaria, für welche die ausgeſprochene Fadenform des Körpers einen Hauptcharakter bildet, während die Beſchaffenheit des Kopfendes je nach Anweſenheit oder Mangel von Lippen und Knötchen ſehr verſchiedenartig iſt. Die Männchen zeichnen ſich durch ein ſchraubenförmig gewundenes Schwanzende aus. Wir kennen an 40 Arten ſolcher Filarien aus Säugetieren und Vögeln und können vorderhand nur vermuten, daß die Jungen in mikroſkopiſcher Größe einwandern. Auch über die Lebens- und Entwickelungsgeſchichte des ſo viel genannten Medina- oder Guinea-Wurmes (Filaria medinensis) find wir noch nicht ganz im klaren. Er erreicht, nachdem er im Zell- pfriemenſchwanz gewebe des Menſchen ſich eingeſiedelt hat, eine Länge von 3—4 m bei r ee einer Dicke von 2 mm und erzeugt durch ſeine Anweſenheit bösartige Ge— ſchwüre. In den feuchten tropiſchen und ſubtropiſchen Gegenden, mit Ausnahme Amerikas, werden Weiße und Farbige von ihm heimgeſucht. Nachdem man ihn in der offenen Wunde Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 11 162 Würmer. Fünfte Klaſſe: Nundwürmer: zweite Ordnung: Faden würmer. hat faſſen können, ſucht man ihn über ein Röllchen aufzuwinden, eine Operation, welche mehrere Tage in Anſpruch nimmt und, wenn ſie durch das Zerreißen des Wurmes unter— brochen wird, ſehr üble Entzündungen zur Folge haben ſoll. Daß dies nicht immer eintritt, zeigt ein vor einer Reihe von Jahren in Peſt vorgekommener Fall, wo die beiden einem Tataren auszuziehenden Medinawürmer zerriſſen und die Heilung doch ſchnell erfolgte. Der Medinawurm iſt lebendig gebärend, und man ſagt, daß die in die Wunde geratenden Jungen die erneuerte, heftige Entzündung verurſachten. Daß ſie dazu beitragen können, iſt nicht unwahrſcheinlich, ihre Entwickelung wird aber aller Analogie nach erſt im Freien vor ſich gehen. So viel ſcheint nach den Unterſuchungen Fedſchenkos feſtzuſtehen, daß ihre Embryonen in kleine Süßwaſſerkrebschen einwandern und in dieſen zunächſt ſich häuten; ob ſie nun aber unmittelbar mit dem Krebschen beim Trinken unſauberen Waſſers ver— ſchluckt werden, oder ob ihnen das in freiem Zuſtande widerfährt, ſteht noch nicht feſt, und ob ſie ſich nach Art der Trichinen aus dem Magen entfernen oder ſich direkt in die Haut einbohren, bleibt noch nachzuweiſen. Ein verwandter Paraſit des Menſchen in tro— piſchen Gegenden iſt die im Unterhautzell— gewebe vorkommende Filaria Bancrofti, die als Larve im menſchlichen Blute lebt, mithin ein ſogenannter Hämatozoon iſt und den ſelbſtändigen Namen Filaria sanguinis hominis, bevor man den wah— ren Sachverhalt kannte, erhalten hatte. Ob der ſogenannte Loawurm eine Fi— larie ſei, iſt ungewiß. Er wird bis 5 em lang und findet ſich nicht ſelten auf dem Augapfel der Neger, wo er ſehr heftige Schmerzen verurſacht. Man hat ſogar wie— derholt in der Linſe ſtarkranker Europäer kleine, einige Millimeter lange Würmchen gefunden, welche Filarien zu ſein ſchienen, über deren Herkommen man aber auch nichts weiß. Dochmius: a) ganz, b) Schwanzende, vergrößert, e) Mundkapſel von Dochmius duodenalis, vergrößert. kehr Licht iſt, dank den Forſchungen Leuckarts, über die Geſchichte der ſtrongylus— artigen Rundwürmer (Strongylidae) verbreitet, indem man wenigſtens die Lebens— perioden einzelner Arten direkt verfolgen konnte. Ein wichtiges Kennzeichen dieſer Familie it, daß das Hinterende der Männchen von einer eigentümlichen, napf- oder ſchirmförmigen Krauſe umfaßt wird, welche oft von rippenartigen Verdickungen geſtützt iſt. Sie bewohnen vorzugsweiſe Säugetiere und werden nicht nur im Darme, ſondern auch in den Lungen und anderen Organen angetroffen. Ein ziemlich häufiger Gaſt des Hundedarmes iſt Doch— mius trigonocephalus. Seine Eier entwickeln ſich in feuchter Erde binnen wenigen Tagen zu kleinen, kaum 0, mm langen Würmchen, deren „ziemlich gedrungener Körper vorn etwas verjüngt und hinten in einen ziemlich langen und ſchlanken Schwanz ausgezogen iſt, deſſen Spitze ſich in Form eines eignen Anhanges abſetzt. Unter einer mehrmaligen Häutung wachſen ſie, verlieren aber dann ihre eigentümlichen Schlundzähne und hören damit auf zu freſſen und zu wachſen, obwohl ſie in dem Schlamme, in dem man ſie hält, noch wochen- und monatelang am Leben bleiben.“ Ihr weiterer Lebenslauf hängt davon ab, daß ſie direkt in den Magen und Darm des Hundes gelangen, wo ſie unter aber— maligen Häutungen ihre bleibende Geſtalt und Größe annehmen. Einer der gefährlichſten Binnenſchmarotzer des Menſchen gehört gleichfalls zu den Strongyliden, es iſt das der Dünndarm-Paliſſadenwurm (Dochmius duodenalis, Loawurm. Strongyliden. Dünndarm- und großer Paliſſadenwurm. 163 ſ. Abbild. S. 162), der in den tropiſchen und ſubtropiſchen Gegenden der Alten und Neuen Welt, aber auch in Italien, Ungarn, Sachſen, am Rhein ꝛc. und in den letzteren Ländern und Landſtrichen beſonders in Bergwerken, bei Tunnelbauten, in großen Ziegelſtreichereien beobachtet wurde. Der Wurm erreicht eine Länge von 10—18 mm und findet fi an den genannten Orten im Dünndarm des Menſchen, namentlich wenn dieſelben dicht bei einander wohnen, in Menge dieſelben Aborte benutzen und auf ſchlechtes, verunreinigtes Waſſer an— gewieſen ſind. Der Wurm erzeugt, wenn er bei einem Individuum maſſenhaft auftritt, durch Verwundungen der Darmſchleimhaut und ihrer Gefäße, von deren Blut er ſaugend ſich ernährt, ſchwere, mit Darmblutungen verbundene Erkrankungen, welche zum Tode führen können und unter dem Namen der ägyptiſchen Chloroſe, der Tunnelkrank— heit, Dochmioſe ꝛc. bekannt ſind. Die Infektion geſchieht dadurch, daß ſeine Nachkommen— ſchaft, mit den Stuhlgängen nach außen gelangt, in Pfützen ſich entwickelt und mit deren Waſſer beim Trinken in den Menſchen geraten, wo ſie wachſen und ihre Geſchlechtsreife erreichen. Natürlich wird ſich die Häufigkeit der Infektionen fortdauernd ſteigern, da die Wahrſcheinlichkeit derſelben um ſo größer wird, je mehr Individuen des gefährlichen Schmarotzers durch den Menſchen nach und nach aufgenommen werden. Die Arbeiter im Gotthardtunnel hatten unter den von Dochmius duodenalis erzeugten Krankheitszuſtänden ganz außer: ordentlich zu leiden, denn unter den bei dieſem Bau herrſchenden Verhältniſſen waren Infektionen einfach nicht zu vermeiden. Ein ſehr naher Verwandter des Dochmius ijt Eustron- gylus, nur durch den großen Paliſſadenwurm (Eustron- gylus gigas) vertreten, deſſen Weibchen eine Länge von Im erreichen. Wolf, Hund, Fuchs, Rüſſelbär und Vielfraß ſind die Tiere, in deren Nieren er ſich am liebſten aufhält; aber auch der Menſch iſt nicht vor ihm ſicher. Glücklicherweiſe ſind dieſe Fälle ſehr ſelten, zumal da ein Teil auf Täuſchungen und unvollſtändiger Unter— ſuchung beruht. Der berühmte Wurmarzt Dr. Bremſer in Wien hat in ſeinem Buche: „Lebende Würmer im lebenden Menſchen“, in ſehr draſtiſcher Weiſe eine Reihe ſolcher teils abſichtlicher, teils unabſichtlicher Täuſchungen beſchrieben, welche immer wieder vor— kommen und in das Kapitel der wunderlichſten Verirrungen des menſchlichen, namentlich des weiblichen Geiſtes führen. Sauber ſind ſie meiſt nicht. Eins der Weſen, welches für einen Paliſſadenwurm erklärt war, und womit ein Frauenzimmer behaftet geweſen zu ſein vorgab, erwies ſich als ein Entendarm. Ein etwas verändertes Bild des Entwickelungsganges zeigt der ebenfalls zur Familie der Strongyliden gehörige kleine Ollulanus tricuspis. Männchen und Weibchen, letztere I mm lang, leben in größeren Mengen im Darme der Katzen; ihre Jungen gelangen auf dem natürlichen Wege nach außen. Hier harren ſie, wahrſcheinlich eingetrocknet, ihrer Er— löſung durch die Maus, aus deren Magen ſie trichinenartig in die Muskeln und andere Organe einwandern, um dort zu einer abermaligen kürzeren oder längeren Raſt ſich ein— zukapſeln. Iſt die Maus ſo glücklich, nicht von einer Katze verſpeiſt zu werden, ſo erreichen die eingekapſelten Ollulanen nicht ihr Lebensziel. Wandert aber die Maus in den Magen einer Katze, ſo iſt der Bann von den Ollulanen genommen, die Berührung mit dem Magen— ſaft der Katze erweckt ſie zu einem neuen Anlauf des Lebens, welches in ſehr unpoetiſcher Weiſe im Darme der Katze ſich ſchließt und den Grund zu einem neuen Kreislaufe legt. Die Maus iſt der Zwiſchenwirt für den Ollulanus. Ganz ähnlich, aber etwas appetitlicher, iſt der ebenfalls von Leuckart ergründete Lebenslauf des in Fiſchen ſchmarotzenden Kappenwurmes (Cucullanus elegans, 1 Kopf vom Kappenwurm (Cucullanus elegans). Vergr. 164 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Faden würmer. ſ. Abbild. S. 163), deſſen Mundhöhle eine elliptiihe Kapſel mit dicken, braunen Wandungen enthält. „Die weiblichen Kappenwürmer gebären lebendige Junge, die ſchon im Mutterleibe aus den zarten Eihüllen auskriechen und bei den größeren Exemplaren (von 1—2 cm) zu vielen Tauſenden angetroffen werden. Durch eine derbe Haut geſchützt, bleiben die nach außen gelangten Würmer nicht ſelten mehrere Wochen lang im Waſſer lebend und be— weglich, Zeit genug, um auch im Freien einen paſſenden Zwiſchenwirt zu finden und zu infizieren. In der Regel ſind es die unſere Wäſſer maſſenhaft bewohnen— den kleinen Cyklopen, in welche die Wür— mer einwandern. In kleineren Aquarien geſchieht die Einwanderung gewöhnlich ſchon nach wenigen Stunden und oftmals in ſolcher Menge, daß man die Eindring— linge nach Dutzenden zählen kann. Iſt die Zahl der Paraſiten eine größere, ſo gehen die Wirte gewöhnlich nach Abſchluß der Embryonalentwickelung zu Grunde, ohne dadurch den Tod ihrer Paraſiten herbeizuführen. Mitunter werden dieſe noch mehrere Tage ſpäter lebend angetrof— fen.“ Die winzigen Tierchen erreichen in ihrem erſten Wirte unter mancherlei äuße— ren und inneren Veränderungen noch nicht die Länge von 2 mm. Ihre vollſtändige Entwickelung tritt aber erſt ein, nachdem ſie mit den Cyklopen von einem Fiſche ver— ſchluckt worden ſind, welche Vermittelung am häufigſten der Flußbarſch übernimmt. Eine letzte Strongylide, mit welcher wir uns beſchäftigen müſſen, dürfte man— chem Vogelfreunde unter unſeren Leſern unliebſam bekannt geworden ſein. Es iſt Syngamus trachealis, der Luftröhren— wurm der Vögel, ein höchſt fataler Gaſt in Volieren und Hühnerhöfen. Der Gat— tungsname bezieht ſich auf die Eigentüm— lichkeit, daß an dem Orte, wo die geſchlechts— reifen Tiere ſich aufhalten, in der Luftröhre a b ſehr verſchiedener Vögel, zumal junger Luftröhrenwurm (Syngamus trachealis). a) Weibchen und und ſchwächlicher Individuen, der Pa⸗ ann ee betört raſit immer paarweiſe angetroffen wird, das Männchen dem Weibchen zu unlöslicher Ehe angekittet. In geringerer Anzahl ſcheint der Syngamus häufig vertragen zu werden. Er kommt aber oft in ſolchen Mengen bei einem Vogel vor, daß er nicht bloß die ganze Luftröhre durch Reizen und Blutſaugen in Entzündung verſetzt, ſondern ſie auch bis zum Erſticken ſeines furchtbar gequälten Wirtes Kappenwurm. Luftröhrenwurm. Trichotracheliden. Trichine. 165 verſtopft. Ich nahm aus der Luftröhre einer Alpendohle nicht weniger als 65 Syngamus— Paare heraus. Wir haben von Ehlers über die einfache Wanderung des Tieres Aufſchluß erhalten. Das ſicherſte Kennzeichen, wenn man nicht ſchon durch den eigentümlichen, mit dem Aus— werfen einzelner Paraſiten verbundenen Huſten des Vogels von der Anweſenheit des ver— heerenden Gaſtes ſich überzeugt hat, find die Eier im Kote der Vögel. Die reifen Eier werden ohne Zweifel durch das Huſten, Schreien und Würgen aus der Luftröhre in die Mundhöhle gebracht und verſchluckt und entwickeln ſich, ſobald genügende Feuchtigkeit und Wärme vorhanden, im Freien im Laufe von 8 Tagen zu kleinen, fadenförmigen Embryo— nen mit ſtumpfem Kopf- und ſpitzem Schwanzende. Damit ſie auskriechen, bedarf es der direkten Einwanderung in die Vögel, welche wahrſcheinlich ſo geſchieht, daß bei der Auf— nahme von Nahrung die Eier beim Eingange in den Kehlkopf hängen bleiben und die Entwickelung zur Geſchlechtsreife in den Luftwegen erfolgt. „Es iſt damit eiue e ein Weg gezeigt, auf dem man durch Vorbeugungsmaßregeln Geflügelzuchten oder Vo lieren vor der maſſenhaften und dann verderblichen Verbreitung dieſer Paraſiten schen kann. Ein genaues Beobachten huſtender Vögel, bei denen die Unterſuchung des Kotes nach Eiern den ſicherſten Aufſchluß über die Anweſenheit dieſer Paraſiten geben wird, ein ſorgfältiges Iſolieren der erkrankten Vögel, Sicherheitsmaßregeln, daß in häufig von dieſer Wurmkrankheit ergriffenen Gegenden beim Ankauf neuer Vögel keine Syngamen ein— geſchleppt werden, können zunächſt prophylaktiſchen Wert haben. Tritt die Krankheit in größerer Ausdehnung auf, ſo wird man je nach den Lokalitäten ungleiche Wege einzu— ſchlagen haben, um zu verhüten, daß mit dem Kot oder Auswurf die Futtergeſchirre nicht verunreinigt werden, oder daß ſich nicht im Boden an feuchten Stellen Brutſtätten bilden, von denen ſtets aufs neue Infektionen der Vögel ſtattfinden können. So iſt auch der Brauch mancher Vogelzüchter, in die Mehlwurmſätze Vogelleichen zu werfen, um „die Würmer fett zu machen“, ſehr wohl geeignet, mit ſyngamushaltigen Vogelkörpern die Eier, welche ſich in dem feuchten und warmen Satze wohl entwickeln können, zu verbreiten und gelegentlich mit dem Füttern der Würmer in die Vögel zu übertragen. 1 Kein Eingeweidewurm hat ſeit dem Jahre 1860 ſo viel von ſich reden gemacht, als der gefährlichſte von allen, die Trichine (Trichina spiralis, ſ. Abbild. S. 166), welche mit einigen anderen Gattungen, darunter dem ebenfalls unter den Schmarotzern des Menſchen vertretenen Peitſchenwurme, die Familie der Trichotracheliden bildet. Der Lebensgang der Trichine weicht zwar in einem wichtigen Punkte (daß ſie nämlich als junges Tier nicht erſt ins Freie gelangt, um ſich weiter zu entwickeln, ſondern gleich aus dem Darme des Menſchen oder des Tieres, welchen ſie bewohnt, in die Muskeln überwandert), in dieſem Punkte, ſage ich, weicht die Trichine von den bisher behandelten Nematoden ab; im weſent— lichen aber reihen ſich ihre Lebensverhältniſſe in das allgemeine Bild ein, welches man ſich aus den vorausgegangenen Darſtellungen hat entwerfen können. Die Gefahr, vor der ſich plötzlich alle Welt durch die Trichine bedroht ſah, trug vorzüglich dazu bei, jene Scheu zu überwinden, welche man vor der näheren Betrachtung und Kenntnisnahme der Ein— geweidewürmer hegte. Man kann dreiſt behaupten, daß eine Zeitlang, nächſt dem Wetter, die Trichinen zu den am häufigſten gepflogenen Tiſch- und Bierhausgeſprächen herhalten mußten. Eine Reihe Trichinenepidemien entrollten wahre Schreckbilder menſchlichen Leidens, und das bisher faſt unbeachtet gebliebene Tier wurde nun durch die eifrigſten Nach— forſchungen über ſeine Natur und Entwickelung und die Art, wie man ſich praktiſch vor ihm ſchützen könnte, zum genau bekannteſten ſeiner Klaſſe. Es erſchienen mehrere wiſſen— ſchaftliche Monographien, unter denen wir die von Leuckart und Pagenſtecher obenan 166 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. zu ſtellen haben, populäre Abhandlungen zur Beruhigung und Belehrung der Menge, darunter eine vortreffliche von Virchow, wurden in vielen Tauſenden von Exemplaren verbreitet, die Regierungen erließen Inſtruktionen zur Überwachung des Fleiſchhandels, ſogar ein neues Amt, das des „Trichinenbeſchauers“, wurde gegründet, zum Beſten vieler Dorfſchullehrer, denen die Trichinen (das einzige Gute, was man ihnen nachrühmen kann) zu einer Gehaltszulage für die fleißige Beſchau der im Dorfe geſchlachteten Schweine verholfen haben. Sichere Fälle von dem Vorkommen der Trichinen im Zuſtande der Einkapſelung in den Muskeln des Menſchen ſind erſt etwa 40 Jahre alt, und der Name Trichina spiralis wurde ihnen 1836 von dem engliſchen Naturforſcher Owen gegeben. Er deutet auf die Ahnlichkeit des in der Kapſel zuſammengerollt liegenden Würmchens mit einem ſpiraligen Härchen, von dem griechiſchen Worte Thrix, Trichos, das Haar. Die Paraſiten, obſchon in großer Anzahl vor— kommend, erſchienen unſchädlich, wie denn in der That mit der Ein— kapſelung die Krankheit überwunden werden kann. Erſt 8 Jahre ſpäter kam man zur Erkenntnis, daß jene Trichinen der Jugend— zuſtand eines Rundwurmes ſeien; ihr Vorkommen im Menſchen er— ſchien jedoch als eine „Verirrung“; man übertrug auf ſie eine An— ſicht, die eine Zeitlang auch für andere Eingeweidewürmer des Menſchen und der Tiere gegolten, daß ſie nämlich in einem ge— wiſſen Stadium ihrer Entwickelung oft den rechten Weg verfehlten, in unrechte Wirte und ihrem weiteren Wachstum nicht zuſagende Organe gelangten, darum ausarteten und eingekapſelt würden. Daß die Trichinen ihre Kapſel ſelbſt ausſchwitzen, erfuhr man da— bei. Auch ſtellte ſich ſpäter durch eigens zu dieſem Zwecke angeſtellte Verſuche heraus, daß ſowohl im Darme der Mäuſe als in dem der Hunde die mit dem Fleiſche eingeführten Trichinen ihre Kapſel ver— ließen, wuchſen und in kurzer Zeit geſchlechtsreif wurden; ferner ergab ſich die für die Anſteckung mit Trichinen wichtigſte Thatſache, daß die im Darmkanal des Wohntieres geborenen Trichinen nicht nach außen wandern, ſondern die Muskeln des Wirtes heimſuchen. Der erſte eklatante Fall einer tödlich verlaufenden Trichinenkrankheit beim Menſchen wurde am 27. Januar 1860 in Dresden bekannt und vom Profeſſor Zenker in ſeiner ganzen Bedeutung gewürdigt; die völlige Aufklärung folgte raſch, leider begünſtigt durch eine ganze Reihe von Einzelfällen und ſchweren Epidemien, welche zahlreiche Opfer verlangten. Eine der am meiſten berüchtigten iſt die von Hettſtädt, bei welcher auf 159 Erkrankungen 28 Todesfälle kamen. ee Die große Verbreitung des Paraſiten zeigte ein in Hamburg beob— eit achteter Fall, durch welchen ſich ergab, daß das die Anſteckung ver— urſacht habende Schwein in Valparaiſo gekauft und während der Überfahrt von der Schiffsmannſchaft verzehrt worden war. Überhaupt aber wurde bald offenbar, daß die faſt ausſchließliche Quelle für die Importierung der Würmer in den Menſchen das Schwein ſei. Zu dieſem werden wir zurückkehren, indem wir uns näher mit den Lebensverhältniſſen der Trichine bekannt machen. Die geſchlechtsreifen Trichinen oder die ſogenannten Darmtrichinen leben nur im Darme des Menſchen und verſchiedener Säugetiere und Vögel, und ſie vollenden dort ihr Trichine. 167 Wachstum, pflanzen ſich fort und gehen nach und nach zu Grunde. Die Weibchen find ſelten wenig länger als 3 mm, die Männchen 15s mm lang. Das Wachstum und die Reife gehen im Darmkanal ſo ſchnell vor ſich, daß die neue Generation ſchon 5 Tage nach Einführung der alten gefunden wird. Die Würmchen ſind alſo mit gutem Auge gerade noch zu erkennen. Bei beiden Geſchlechtern liegt der Mund gerade am Vorderende, von wo aus der Körper bis über die Mitte ſich gleichmäßig verdickt, um von da aus gegen das ſtumpf abgerundete Hinterende wieder etwas ſchmäler zu werden. Die Offnung, durch welche die ſchon im Eihalter auskriechenden Embryonen geboren werden, liegt nicht weit vom Vorderende; das Schwanzende des Männchens iſt durch ein Paar zapfenförmige Her— vorragungen ausgezeichnet. Die in den Darm des Menſchen und gewiſſer Tiere verſetzten Trichinen gehen nie aus demſelben in die Muskeln über, halten ſich aber unter normalen Verhältniſſen 5 Wochen und länger in demſelben auf, und die von jedem Weibchen produzierte Anzahl von Nachkommen kann auf einige Tauſende geſchätzt werden. In dem unteren Teile des längeren Schlauches, in deſſen oberem Teile die Ei— zellen ſich bilden, liegen die Embryonen dicht gepackt aneinander und erreichen die zum Austritt reifen eine Länge von etwa dem zehnten Teile eines Millimeters. Sie verweilen nur ganz kurze Zeit im Aufenthaltsorte ihrer Eltern, und ihr Biograph kann das über ihre erſte Jugendzeit handelnde Kapitel überſchreiben: Die Trichinen auf der Wanderung. Der Inhalt dieſes Kapitels iſt aber ein ſehr unſicherer. In die Blutgefäße ſcheinen ſie nur ausnahmsweiſe zu gelangen, um von dem Blutſtrome weiter fort in entferntere Körperteile getragen zu werden. Ihr Weg dürfte vielmehr vornehmlich ein freiwilliger in dem ſogenannten Bindegewebe ſein, welches die Muskeln umkleidet und durchſetzt. Je reicher die Muskeln vom Bindegewebe umgeben ſind, deſto größer iſt die Anzahl der einwandernden Trichinen. Jedoch gilt allgemein, daß die Einwanderung in die vom Rumpfe entfernteren Teile eine viel geringere iſt als in die näheren. Am meiſten heimgeſucht ſind das Zwerchfell, die Kaumuskeln, kurz ſolche Muskelgruppen, welche beim Atmen und Kauen gebraucht und beſtändig oder faſt beſtändig beſchäftigt ſind. Man darf annehmen, daß die Bewegung der Muskeln ſelbſt zum Vor— wärtskommen der wandernden Trichinen beiträgt. Mit dem Ende der Wanderſchaft be— ginnt die Periode der Muskeltrichinen. Wir laſſen über dieſelbe und die damit verbundene Einkapſelung Virchow reden. „Wenn eine junge Trichine in eine Muskelfaſer hineingekrochen iſt, ſo bewegt ſie ſich, wie es ſcheint, in der Regel eine gewiſſe Strecke fort. Sie durchbricht dabei die feineren Beſtandteile des Faſerinhaltes und wirkt wahrſcheinlich ſchon dadurch zerſtörend auf die innere Zuſammenſetzung der Faſer. Aber es läßt ſich auch nicht be— zweifeln, daß ſie von dem Inhalt derſelben ſelbſt Teile in ſich aufnimmt. Sie hat Mund, Speiſeröhre und Darm; ſie wächſt im Laufe weniger Wochen um ein Vielfaches; ſie muß alſo Nahrung aufnehmen, und dieſe kann ſie nicht anderswoher beziehen, als aus der Umgebung, in der ſie ſich befindet. Wenn ſie auf dieſe Weiſe die Muskelſubſtanz, den Fleiſchſtoff, unmittelbar angreift, ſo wirkt ſie zugleich reizend auf die umliegenden Teile. „Um dieſe Wirkungen zu verſtehen, muß man ſich die Zuſammenſetzung der Muskeln vergegenwärtigen. Schon für das bloße Auge beſteht alles Fleiſch aus kleinen, parallel nebeneinander gelagerten und durch ein zartes Bindegewebe zuſammengehaltenen Faſer— bündeln. Jedes Bündel läßt ſich mit feinen Nadeln leicht in kleinere Bündelchen und dieſe wieder in einzelne Faſern zerlegen. Mikroſkopiſch zeigt ſich auch die einzelne Faſer wieder zuſammengeſetzt. Außen beſitzt ſie eine ſtrukturloſe cylindriſche Hülle; in dieſer liegt der eigentliche Fleiſchſtoff, der ſeinerſeits aus kleinſten Körnchen beſteht. Die Körnchen find der Länge nach in Form von allerfeinſten Fäſerchen (Primitivfibrillen), der Breite nach in 168 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmer; zweite Ordnung: Fadenwürmer. Form von Plättchen (Fleiſchſcheiben) angeordnet. Zwiſchen ihnen befinden ſich in kleinen Abſtänden gewiſſe, mit Kernen verſehene Gebilde, die ſogenannten Muskelkörperchen. Die zerſtörende Wirkung, welche die Trichinen ausüben, gibt ſich nun hauptſächlich an dem eigentlichen Fleiſchſtoff, und zwar weſentlich an den Körnchen, Primitivpfibrillen und Scheiben kund. Dieſe verſchwinden im größten Teile der Faſer mehr und mehr, und die letztere magert in dem Verhältnis dieſes Schwindens ab. Die reizende Wirkung hingegen tritt am meiſten an der Hülle und an den Muskelkörperchen hervor, am ſtärkſten an der Stelle, wo das Tier dauernd liegen bleibt. Die Hülle verdickt ſich hier allmählich, die Kerne der Muskelkörperchen vermehren ſich, die Körperchen ſelbſt vergrößern ſich, zwiſchen ihnen lagert ſich eine derbere Subſtanz ab, und ſo entſteht nach und nach um das Tier herum eine feſtere und dichtere Maſſe, an welcher man noch lange die äußere Hülle und die innere Wucherung unterſcheiden kann. „Je größer das Tier wird, um ſo mehr rollt es ſich ein, indem es Kopf- und Schwanz— ende einkrümmt und wie eine Uhrfeder ſpiralförmig zuſammengewickelt liegt. Dieſe Vor— gänge bilden ſich hauptſächlich in der 3.—5. Woche nach der Einwanderung aus. Von da an nimmt die Dicke der Kapſel mehr und mehr zu, und zwar verdichtet ſich insbeſon— dere der Inhalt, weniger die Hülle. Der mitt— lere Teil der Kapſel, wo eben das aufgerollte Tier liegt, erſcheint bei mäßiger Vergröße— rung wie eine helle, kugelige oder eiförmige taffe, in welcher man das Tier deutlich wahr: nimmt. Über und unter dieſer Stelle finden ſich in der Regel zwei Anhänge, welche bei 5 durchfallendem Lichte dunkler, bei auffallendem Trichinenkapſel in menſchlichen Muskelfaſern. Vergrößert. Lichte weißlich erſcheinen und ſich allmählich verdünnen, um in einiger Entfernung mit einem abgerundeten oder abgeſtumpften Ende aufzuhören. Häufig haben ſie die größte Ahn— lichkeit in der Form mit dem Ausſchnitt des inneren Augenwinkels. Sie ſind von ſehr verſchiedener Länge und auch an derſelben Kapſel nicht ſelten ungleich. Zuweilen fehlen ſie ganz, und die Kapſel bildet ein einfaches Oval, oder ſie iſt an den Enden abgeſtumpft oder ſelbſt eingedrückt. Diejenigen Teile der früheren Muskelfaſer, welche über ſie hinaus liegen, verkümmern inzwiſchen, dagegen ſieht man in dem umliegenden Bindegewebe manch— mal eine ſtarke wie entzündliche Wucherung, ſelbſt mit Entwickelung neuer Gefäße. „Über dieſen Umwandlungen vergehen Monate, und bei noch längerer Zeit nach der Einwanderung geſchehen weitere Veränderungen an den Kapſeln. Die gewöhnlichſte iſt, daß ſich Kalkſalze ablagern, oder, wie man wohl ſagt, daß die Kapſeln verkreiden. Nimmt die Kalkmaſſe ſehr zu, ſo überzieht ſie endlich das ganze Tier, und man kann auch unter dem Mikroſkop von demſelben nichts mehr wahrnehmen, ſelbſt wenn es ganz un— verſehrt iſt. Es ſteckt dann in einer Kalkſchale wie ein Vogelei.“ Wie lange die Trichine in dieſem vollkommenen Zuſtande der Einkapſelung verharren kann, ohne die Fähigkeit zu verlieren, in einen paſſenden Darmkanal verſetzt, ſich fort— zupflanzen, iſt ungewiß. Jedenfalls Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Menſchen und Tiere, welche die ſtürmiſche und ſchmerzhafte Krankheit, von der eine maſſenhafte Einwanderung von Trichinen begleitet iſt, überſtanden haben, und bei denen die zerſtörten Muskelfaſern durch Neubildungen erſetzt ſind, haben von den von ihnen beherbergten Gäſten keine weiteren Unbilden zu erdulden. Ein höchſt intereſſanter, hierher gehöriger Fall iſt der folgende. Im Jahre 1845 frühſtückten nach einer Schulviſitation in einer Provinzialſtadt Sachſens Trichine. Peitſchenwurm. Saitenwürmer. 169 die ſieben dabei beteiligten Perſonen in einem Gaſthauſe. Wurſt, Schinken, Weiß- und Rotwein ꝛc. waren aufgetiſcht. Alle ſieben erkrankten ſehr heftig, vier ſtarben, und da einer achten Perſon, welche nur ein Glas Rotwein getrunken, nichts zugeſtoßen war, glaubte man an eine Vergiftung durch den anderen Wein. Es kam nichts heraus, doch war der Verdacht gegen den Wirt ſo groß, daß derſelbe ſich zur Auswanderung genötigt ſah. Als einer der Geneſenen 1863 ſich eine Geſchwulſt am Halſe operieren ließ, erkannte Profeſſor Langenbeck in dem bloß liegenden Muskel eine Maſſe eingekapſelter Trichinen, und die Krankheitserſcheinungen bei der vermeintlichen Vergiftung laſſen kaum eine andere Deutung als auf Trichinoſe (die Trichinenkrankheit) zu. Soll die Muskeltrichine zur Geſchlechtsreife gelangen, ſo iſt, womit unſere Darſtellung begann, die Verſetzung in den Darmkanal des Menſchen oder ge— wiſſer Tiere notwendig. Nach den bisherigen Beobachtungen und Verſuchen tritt dieſe letzte Entwickelungs- und Lebensperiode in folgenden Tieren ein: Pferd, Schwein, Kaninchen, Haſe, Meerſchweinchen, Maus, Ratte, Katze, Hund, Igel, Kalb, Uhu, Eichelhäher, Taube, Truthahn, Haushuhn. Dieſe Liſte wird wahrſcheinlich ſich noch ſehr vermehren laſſen. Jedoch findet bei keinem Vogel eine Einwanderung der jungen Brut in die Muskeln ſtatt; von den Säugetieren aber ſind die dem Menſchen regelmäßig zur Nahrung dienenden Kaninchen, Haſen und Rinder natürlich nur unter ganz beſonderen Umſtänden der Trichinoſe ausgeſetzt und können füglich als eine Quelle der Anſteckung für den Menſchen nicht an— geſehen werden. Alle Welt weiß, daß die Vorſichtsmaßregeln auf das Schwein zu konzen— trieren ſind, für dieſes aber ſcheinen Maus und Ratte, welche gelegentlich gefreſſen werden, häufig die Vermittler der Anſteckung zu ſein. Ein harmloſer, wenn auch zur ſelben Familie wie die Trichine gehöriger Bewohner des Menſchen iſt der Peitſchenwurm (Trichocephalus dispar), über 3 cm lang. Der vordere Körperteil, welcher den verhältnismäßig langen Schlund enthält, iſt haar— förmig und wird in die Schleimhaut meiſt des Blinddarms eingebohrt, der hintere dick, ſtumpf abgerundet. Sein Vorkommen iſt ebenſo häufig wie das des Spulwurmes, und die Gelegenheit, ſeine Eier zufällig zu verſchlucken, dieſelbe. Die Eier halten ſich monate, , ja 1—2 Jahre lang im Waſſer und in der Erde, wobei die Entwickelung ſehr langſam vor ſich gehen, auch durch wiederholtes Eintrocknen unterbrochen werden kann. Da es, nach Fütterungsverſuchen, welche Leuckart mit dem Peitſchenwurm des Schafes (Tricho- cephalus affinis) und des Schweines (T. crenatus) anſtellte, höchſt wahrſcheinlich iſt, daß die Entwickelung auch des Peitſchenwurmes des Menſchen ohne Zwiſchenwirt abläuft, ſo ſind alle jene Möglichkeiten da, welche auch der reinlichſte Menſch nicht völlig vermeidet. Durch manche intereſſante Eigentümlichkeit des Baues und der Lebensweiſe iſt die Familie der Saitenwürmer (Gordiidae) ausgezeichnet. Schon ſeit Jahrhunderten wird derjenige Saitenwurm, welcher ſeit Linné den Namen Gordius aquaticus führt, in den naturgeſchichtlichen Schriften erwähnt. Der wahrſcheinlich ſehr alte, im Volke ent— ſtandene Name „Waſſerkalb“ iſt ſeit 1550 durch Gesner aufbewahrt. Die auffälligen Verſchlingungen und Verknotungen, welche die Tiere auf dem Grunde der Gewäſſer einzeln oder zu mehreren bilden, ließen ſie mit einem Gordiſchen Knoten vergleichen, und zum Gordiſchen Knoten geſtaltete ſich dem Paſtor Göze in Quedlinburg, dem Verfaſſer der ausgezeichneten „Naturgeſchichte der Eingeweidewürmer“, die von uns jetzt Mermis genannte Gattung, deren dunkle, mit Einwanderungen in Inſekten verknüpfte Lebensgeſchichte ihm unlösbar ſchien. Wir unterſcheiden unter den Saitenwürmern zwei Gattungen. Von der einen, Gor- dius, kommen bei uns mehrere Arten vor, welche früher nicht unterſchieden und als 170 Würmer. Fünfte Klaſſe: Rundwürmerz; zweite Ordnung: Fadenmürmer. Gordius aquaticus, Waſſerkalb, zuſammengefaßt wurden. Die mittlere Länge der Männ— chen beträgt 10—15 em, doch meſſen einzelne über 30 em. Die mittlere Länge der Weibchen iſt gegen 10 em. Die Dicke der mittelgroßen Männchen ſchwankt zwiſchen zwei Fünftel und einem halben Millimeter; die Weibchen ſind etwas dicker. Die im allgemeinen braune Farbe kommt in mannigfachen Nüancen vor. Die Männchen ſind durchgehends dunkler und vorwiegend ſchwärzlich gefärbt, vom glänzenden Mäuſegrau bis zum tiefſten, glänzen— den Braunſchwarz, welches an einigen Körperſtellen auch in reines Schwarz übergehen kann. Die Farbe der Weibchen iſt ſtets heller und nicht glänzend, vom Iſabellgelb faſt bis zum geſättigten Gelbbraun. Auf der Mittellinie des Bauches und des Rückens ver— läuft bei Männchen und Weibchen ein dunkler Längsſtreif, der auch bei den übrigen dun— kelſten Männchen noch wahrnehmbar iſt. Bei dem erwachſenen Tiere iſt ein Darmkanal nur im verkümmerten Zuſtande vorhanden, und es ſcheint, als wenn es in dieſem Zus ſtande gar keine Nahrung zu ſich nehme. Wir kommen unten auf dieſen Punkt zurück. An eine Ernährung frei lebender Tiere durch bloße Hautaufſaugung iſt nicht zu denken. Ein allgemeines Kennzeichen der Gattung Gordius iſt das gabel— förmig geſpaltene Schwanzende des Männchens. (Siehe nebenſtehende Abbildung.) Die Waſſerkälber halten ſich im geſchlechtsreifen Zu— ſtande in ſeichten ſtehenden und fließenden Gewäſſern auf. Über ihr Vorkommen erzählt von Siebold: „Bei einer zoologiſchen Exkurſion in das liebliche Wieſenthal der Frän— kiſchen Schweiz unterſuchte ich zwiſchen Streitberg und Muggendorf in einem kleinen engen Seitenthale die von einem ausgetrockneten Bache hinterlaſſenen Lachen und er— blickte in dieſen ein Paar lebende Gordien, welche mich an— ſpornten, auf dieſe Tiere meine beſondere Aufmerkſamkeit zu richten. Meine Mühe blieb nicht unbelohnt; denn nach mehrmaligem Durchſuchen der oben erwähnten Lokalitäten erhielt ich 50—60 Stück ſolcher Fadenwürmer. Sie beſtan— den aus den beiden Arten Gordius aquaticus und Gordius subbifurcus, unter denen ſich aber die erſtere nur ſehr ſparſam vorfand. Bei beiden Arten waren die männlichen Indivi— duen vorherrſchend. Es erforderte übrigens das Auffinden dieſer Würmer eine gewiſſe Auf— merkſamkeit, indem man fie einzeln in ausgeſtrecktem Zuſtande bei ihren trägen, ſchlangen— förmigen Bewegungen oder zu mehreren in einen Knäuel aufgewickelt, bei ihrer dunkeln Farbe zwiſchen den verſchiedenen auf dem Grunde des Waſſers liegenden macerierten Pflanzenfaſern leicht überſehen konnte. Manche ragten zwiſchen Steinen und Wurzeln nur mit ihrem Vorderleibsende hervor oder ſteckten an den Ufern des Fluſſes teilweiſe im Schlamme und waren dann noch ſchwerer zu bemerken. „Da ich wußte, daß ich es hier mit ausgewanderten Paraſiten zu thun hatte, ſo ſah ich mich in der Umgebung des Fundortes dieſer Würmer nach ihren ehemaligen Wohn— tieren um und konnte auch verſchiedene Laufkäfer im Thale bemerken, von denen mehrere im Waſſer ertrunken lagen; ich brach allen dieſen Käfern den Hinterleib auf und erhielt wirklich aus einer Feronia melanaria einen männlichen Gordius aquaticus. „Wie häufig übrigens die Gordiaceen in der Umgebung von Streitberg vorkommen, konnte ich noch aus einem anderen Grunde entnehmen. Der Poſthalter und Gaſtwirt im Dorfe Streitberg kannte nämlich die Fadenwürmer, denen ich mit ſo vielem Inter— eſſe nachſpürte, recht gut, da ſie, wie er mir mitteilte, nicht ſelten in dem Brunnentroge hinter ſeinem Hauſe gefunden würden; auch wußte derſelbe, daß dieſe Würmer mit dem Wie Körperende von Gordius setiger, Männchen. Stark vergrößert. Gordien. Waſſerkalb. 171 laufenden Waſſer ſeines Röhrenbrunnens dort hinein gelangten, weshalb er ſeiner Die— nerſchaft zur beſonderen Pflicht gemacht, bei dem Herbeiholen von Trinkwaſſer ſtets nach— zuſehen, ob nicht ein ſolcher Fadenwurm in das dem Brunnenrohr untergehaltene Ge— fäß mit dem Waſſer hineingeſpült worden ſei. Ich nahm hiernach Veranlaſſung, einige Brunnentröge des Dorfes zu unterſuchen, und erhielt auf dieſe Weiſe wirklich noch einige Gordien.“ Dadurch wurde von Siebold in ſeiner Vermutung beſtärkt, daß eine Sen— nerin, die ein einige Zentimeter langes Waſſerkalb ausgebrochen hatte, dasſelbe mit dem Trinkwaſſer verſchluckt haben mochte. Wie ſchon oben geſagt, ſind die Gordien im geſchlechtsreifen Zuſtande nicht Para— ſiten, wohl aber bringen ſie den größten Teil ihres Lebens bis zur letzten Periode in ge— wiſſen Tieren zu. Wir ſind zuerſt durch die fleißigen Beobachtungen von Meißner über das Einwandern der Larven in Inſekten unterrichtet worden. Die aus dem Eie kriechenden kleinen Gordien, 1s mm lang, find ſehr ſonderbare Weſen, welche, wie der Beobachter ſich ausdrückt, ſowohl durch ihre äußerſt geringe Größe, im Verhältnis zu fußlangen ausgewach— ſenen Gordien, als beſonders W durch ihre Geſtalt und Organiſa— er 5 5 tion in Erſtaunen ſetzen. Ihr ey⸗ ZU 5 u lindriſcher Leib beſteht aus einem dickeren Vorderteil und einem dünneren ſchwanzartigen An— hange. Aus dem Leibe kann eine Art Kopf herausgeſtülpt werden, welcher mit zwei Kreiſen von je 6 ER S TS \ Häkchen beſetzt iſt, und bei deſſen NS” Ze völliger Entfaltung noch ein hor— niger Rüſſel hervortritt. Mit die ö Larve des Waſſerkalbes. g ſer Bewaffnung durchbohren die II in Beine der Eutageſichen Lare Start vegröhttt Tierchen zuerſt ihre Eihülle. Da ſie aber zu Hunderten ruhig am Boden des Aquariums liegen blieben und es offenbar wurde, daß ſie nicht auf einer Wanderung ihre Wirte aufſuchen, ſondern abwarten werden, bis dieſe ſelbſt unmittelbar ſich ihnen nähern, that Meißner eine Menge Larven von Eintagsfliegen und Frühlingsfliegen in die Gefäße, worin die jungen Gordien ſich befanden, und die Einwanderung ging vor ſich. Sie ſuchen die zarteren Stellen an den Gelenken der Beine auf, zwängen ſich hier durch ein mit ihrem Hakenapparat gebohrtes Löchelchen und ſteigen unter häufigem und kräftigem Aus- und Einſtülpen des Kopfes zwiſchen den Muskelfaſern in den Füßen empor, um ſich im ganzen Körper der Inſektenlarven zu verbreiten. Sie gehen dann in einen Zuſtand der Ruhe über, indem ſie ſich ähnlich wie die Muskeltri— chinen einkapſeln. Daß ſie für die zarten Inſekten übrigens durchaus die Bedeutung der Trichinen haben, ergab ſich daraus, daß jene nach Einwanderung von etwa 40 jun— gen Gordien zu Grunde gingen. Über die weiteren Schickſale und Wanderungen find wir erſt 1874 durch Villot be— lehrt worden, der mehrere Arten in ſeiner Heimat (Grenoble) unterſuchte. Im Freien ſcheinen die Larven der Eintagsfliegen verſchmäht zu werden. Die Gordius-Larven be— geben ſich in die Larven von Mücken aus den Gattungen Corethra und Chironomus. Dieſe aber werden eifrig verfolgt von verſchiedenen Fiſchen, z. B. Pfrelle und Bartgrun— del, und ſo geraten die eingepuppten jungen Gordien in den Darmkanal unſerer Süß— waſſerfiſche. Hier in der Schleimhaut des Darmes umgeben ſie ſich nun mit einer neuen * Schale oder Cyſte und verharren nun in dieſem Zuſtande 5—6 Monate, um dann die 172 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer. letzte Verwandlung zu beſtehen, oder richtiger, zu begehen; nach anderen Forſchern wür— den ſie aber in Raubinſekten des Waſſers (Schwimmkäfer ꝛc.) gelangen und in dieſen ihre Metamorphoſe durchlaufen. Eine verwandte Familie ſind die Mermitidae, welche gleichfalls ziemlich lang, im größeren weiblichen Geſchlecht bis 10,5 em, werden. Die viel ſelteneren Männchen ſind kleiner als die Weibchen, beide Geſchlechter aber afterlos. Sie erſcheinen beſonders im Sommer nach warmem nächtlichen Regen, kommen zu Tauſenden zum Vorſchein und haben durch ihr plötzliches Auftreten Veranlaſſung zur Sage vom Wurmregen gegeben. Meiſt liegen ſie ſonſt zuſammengerollt einzeln oder knäuelweiſe miteinander verwickelt in der Erde, ſetzen ſich, wenn dieſe befeuchtet wurde, langſam in Bewegung und erſcheinen für einige Zeit auf der Oberfläche derſelben. Gegen Berührung weh— ren ſie ſich durch raſche, ausweichende Bewegung. Ihre Eier haben ein ſehr auffallendes Anſehen, es ſind nämlich linſenförmige Kapſeln, welche an den abgeflachten Seiten quaſtenförmige Anhänge tragen. Bei Mermis albicans kriechen aus den im Sommer gelegten Eiern die Larven erſt im nächſten Frühjahr aus. Nach kurzem Aufenthalt in der Erde ſuchen ſie Inſekten und Inſektenlarven auf, in deren Leibes— höhle ſie ſich einbohren, um hier ihre Verwandlung bis Eier und Larven von Mermis. Vergrößert. zur Geſchlechtsreife zu beſtehen. Sie können im Ver: hältnis zu ihrer Größe (8 mm) weite Wanderungen machen, ſelbſt bei feuchter Witterung an Bäumen hinaufklettern und ſogar in die im Inneren von Birnen und Apfeln hauſenden Raupen des Apfelwicklers (Carpocapsa po— mana) geraten. Am häufigſten finden ſich die Larven überhaupt in Schmetterlingsrau— pen, dann beſonders in Heuſchrecken, aber auch in anderen Inſekten. In dieſen kapſeln ſie ſich nicht ein, wandern, wenn ſie geſchlechtsreif ſind, aus, und begatten ſich im Freien, wo auch die Eier abgelegt werden. Sechſte Klaſſe. Die Plattwürmer (Plathelminthes). In allen denjenigen Klaſſen des Tierreiches, deren Mitglieder uns nicht aus der Begegnung im täglichen Leben, durch augenfälligen Nutzen oder Schaden in aufdringlicher Weiſe bekannt werden, orientieren wir uns nicht durch allgemeine Beſchreibungen, welche eben eine Menge von Einzelbeobachtungen vorausſetzen, ſondern indem wir jenen Weg durchmachen, auf welchem die Wiſſenſchaft zu ihren Zuſammenfaſſungen gelangt iſt. Daß die Plattwürmer in der Regel platte Würmer ſind, beſagt gerade ſo viel, als daß die Rundwürmer in der Regel einen rundlichen Körper haben. Das „in der Regel“ iſt ein ſehr notwendiger Zuſatz, denn viele Plattwürmer ſind auf dem vertikalen Durchſchnitte rund. Auch wird die Vorſtellung nicht beſonders belebt durch die weitere Erklärung, daß die Plattwürmer einen weichen, leichter zerreißlichen Körper haben. Da die meiſten Leſer wahrſcheinlich nie einen Plattwurm geſehen, iſt es durchaus notwendig, wenigſtens eine Mermitidae. Verhältnis der freilebenden Plattwürmer zu den paraſitiſchen. 173 Art dieſer wiederum unglaublich ſchmiegſamen großen Abteilung der niederen Tiere zu— erſt tot oder lebendig vor Augen zu haben. Wir brauchen glücklicherweiſe nicht zu einem in Spiritus aufbewahrten Bandwurme zu greifen, ſondern können die gewünſchte Bekannt— ſchaft an zierlichen und appetitlichen Weſen in der ſchönen freien Natur machen. Wer in der Nähe von Teichen und anderen ſtehenden Gewäſſern wohnt, die mit Schilf bewachſen ſind, oder auf deren Oberfläche die breiten Blätter der Seeroſen ſich wiegen, wer zu einem Bache luſtwandeln kann, deſſen Bett mit größeren Kieſeln und Rollſteinen bedeckt iſt, der laſſe ſich von einem Kundigen begleiten, um dort eine Planaria zu ſuchen und in ihr den richtigſten Plattwurm anzuſchauen. Bei Graz z. B., meinem früheren Wohnorte, findet man ſowohl in der Mur als in mehreren in dieſen Bergſtrom einmündenden Bächen und Wieſen— gewäſſern eine ausgezeichnete Art zu Tauſenden. Wo das Waſſer nicht ſo reißend iſt und die Geröllſteine längere Zeit ruhig liegen können, braucht man gewöhnlich nur einige um— zuwenden, um auf der unteren Seite die grünliche oder braungrüne Planaria gono— cephala (ſ. Abbildung) zu finden. Die breitere Bauchfläche oder Sohle an den Stein gedrückt, öfters den Kopf mit den ohrenartigen Seitenlappen ein wenig lüftend, gleitet ſie über ihre Unterlage hin. Man könnte ſie etwa für ein den Nacktſchnecken verwandtes Tier halten, auf die meiſten Beobachter wird ſie aber auch ohne nähere Unter— ſuchung den Eindruck eines Wurmes machen, und von der verhältnismäßigen Zartheit ihres Körpers wird man oft ſich überzeugen, wenn man bei dem Verſuche, mit den Fin— gern oder einer Pinzette die kleineren Exemplare in eine bereit gehaltene Flaſche zu thun, ſie beſchädigt. Bei ſolchen unfreiwilligen Zerreißungen oder einer planmäßigen Zergliederung der erbeuteten Pla— narien zeigt es ſich auch, daß ihre inneren Organe nicht, wie bei den meiſten Ringel- und Rundwürmern, in einer mehr oder weniger geräumigen, vom Hautmuskelſchlauche um— gebenen Leibeshöhle enthalten, ſondern von einer den ganzen Körper ausfüllenden flocki— gen und faſerigen Subſtanz dicht umgeben ſind. Man nennt dieſe Würmer deshalb mit einem kaum noch etwas bezeichnenden Namen „parenchymatös“. Dieſelben Erfahrungen, wie an der von uns gewählten Planarie, macht man an den anderen Formen der Plattwürmer, an den Bandwürmern, Leberegeln und anderem Ge— tier. Nicht der Aufenthaltsort, nicht der beiläufige Umſtand, ob ſie auf oder in anderen Tieren ſchmarotzen, ſondern jene auf Geſtalt und den Bau bezüglichen Merkmale geben ihnen den Rang einer eignen Klaſſe innerhalb des „Typus“ der Würmer. Was aber die Vereinigung frei lebender und ſchmarotzender Familien angeht, ſo machen wir an ihnen dieſelbe intereſſante und zum Nachdenken über die eigentliche Natur dieſer Verwandtſchafts— verhältniſſe dringend auffordernde Wahrnehmung wie an den Rundwürmern und, wie wir vorläufig andeuteten, an den Egeln. Die Übergänge ſind ſo unmerklich zwiſchen frei leben— den Formen und paraſitiſchen, die Perioden freien und paraſitiſchen Lebens wechſeln bei einer und derſelben Art in ſolcher Weiſe, daß man den Schlüſſel zur Erklärung des Schma— rotzertums überhaupt ungezwungen in der Annahme findet, es ſei durch allmähliche An— gewöhnung und Anpaſſung entſtanden. Verweilen wir noch einige Augenblicke bei dieſen Betrachtungen, welche dem Grunde der Mannigfaltigkeit des Lebens uns näher führen ſollen, und nehmen wir dazu eins der unverfänglichſten Beiſpiele: den Froſch und ſeine paraſitiſchen Gäſte. Er beherbergt deren etwa 15 Arten. Dabei ſind folgende Fälle Planaria gonocephala. Vergrößert. 174 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; erſte Ordnung: Bandwürmer. möglich. Erſter Fall: Es entſtand auf unbegreifliche, d. h. wunderbare Weiſe ein Froſch— paar, und in ihm fanden ſich auch zugleich die ſämtlichen Paraſiten. Zweiter Fall: Es entſtanden, wie L. Agaſſiz einmal aufgeſtellt hat, ungefähr zu derſelben Zeit an vie— len Orten, wo die Bedingungen dazu ſich erfüllten, viele Fröſche und mit ihnen in dem einen dieſer, in dem anderen jener Eingeweidewurm. Dritter Fall: Weder die Fröſche noch ihre Eingeweidewürmer entſtanden plötzlich und auf unbegreifliche Weiſe, ſondern die Fröſche durch allmähliche Umbildung niederer, fiſchähnlicher Wirbeltiere, und ihre Eingeweidewürmer ebenſo allmählich durch Angewöhnung anfänglich freier Würmer an die ſchmarotzende Lebens— weiſe, wobei dieſe Eingeweidewürmer zum Teil ſchon in den anders geſtalteten Vorfahren der Fröſche, zum Teil erſt in den Fröſchen, wie ſie jetzt ſind, ſich eingefunden haben mögen. Nur über den dritten Fall läßt ſich reden, die beiden anderen müßten eben geglaubt werden. Denn auch die Theorie von Agaſſiz über die Urſachen der Entſtehung und der geographiſchen Verbreitung der Tiere entbehrt jeder wiſſenſchaflichen Grundlage. Um aber zu begreifen, daß ein Eingeweidewurm vor vielen Jahrtauſenden frei lebende Vor— fahren hatte, iſt es nicht zweckmäßig, gleich eine der komplizierteſten Arten in ihrem Ent— wickelungsgange ſich klar machen zu wollen. Dagegen iſt die Vorſtellung ſehr plauſibel, wie eine gelegentlich auf Fiſchen ſich aufhaltende Egelart zu einem vollkommenen Para— ſiten werden kann. Man denke ſich dieſen Egel, der bisher in fiſcharmen Gewäſſern lebte und genötigt war, da und dort auf Brot auszugehen, teilweiſe in ein höchſt fiſchreiches Gewäſſer verſetzt. Es wird ſich eine Varietät bilden, welche an das faule Leben auf den Fiſchen ſich ſo gewöhnt, daß in ihrem Ernährungs- und Bewegungsorganismus erhebliche und vollkommen erklärbare und vorauszuſehende Veränderungen vor ſich gehen. Dauert die Iſolierung der Varietät unter den gleichen günſtigen Bedingungen fort, während mög— licherweiſe die Stammart in den fiſcharmen Gewäſſern ſich mehr und mehr das Schma— rotzen hat abgewöhnen müſſen, ſo kann im Laufe der Jahrtauſende die anfangs wenig unterſchiedene Abart zu einer durch Lebensweiſe und Bau wohl gekennzeichneten neuen Art, und zwar zunächſt zu einem Außenſchmarotzer (Ektoparaſit), geworden ſein. Wer dieſe einfachen Schlußfolgerungen zugibt (und etwas Stichhaltiges läßt ſich in der That nicht einwerfen) muß mit unerbittlicher Konſequenz ſämtliche paraſitiſche Würmer von urſprüng— lich freien Formen ableiten. Wir teilen die Plattwürmer in drei Ordnungen: 1) Die Bandwürmer (Cestodes), 2) die Saug- oder Lochwürmer (Trematodes), einſchließlich der Dicyaemidae und Orthonectidae, und 3) die Strudelwürmer (Turbellaria), einſchließlich der Schnurwür mer (Nemertini). Nach dem Plane dieſes Buches, in welchem der umgekehrte Weg, wie ihn die Natur einſchlägt, verfolgt wird, in welchem wir treppab, d. h. vom Komplizierteren und Mo— derneren zum Einfacheren und Altertümlicheren, ſteigen, müßten wir mit den Bandwürmern beginnen. Dieſelben erſcheinen in den meiſten Punkten freilich als die einfachſten For— men der Plattwürmer, aber ſie ſcheinen nur ſo: das Einfachere, was ſie in ihrer Orga— niſation bieten, beruht auf Rückbildungen, auf ſekundären Erſcheinungen, wie ſie immer eine Folge der ſchmarotzenden Lebensweiſe ſind. Am urſprünglichſten in der ganzen Klaſſe ſind die Strudelwürmer, welche teilweiſe vielleicht auf die Infuſorien zurückgreifen, und denen ſich in ihren höheren Formenkreiſen die Schnurenwürmer nebenreihen. An jene ſchließen ſich die Saug- und Lochwürmer an, die ihrerſeits wohl als die Stammeltern der Bandwürmer, aber zugleich auch der egelartigen Gliederwürmer, welche wir ſchon vor den Rundwürmern abgehandelt haben, anzuſehen ſein dürften. Die Rundwürmer ſelbſt ſtehen ſehr vereinzelt da und es laſſen ſich mit Beſtimmtheit nähere Beziehungen derſelben zu anderen Wurmgruppen kaum darthun. Einteilung der Plattwürmer. Entwickelung des Bandwurmes. 175 Mit den Trichinen ſind die Bandwürmer ſo populär, daß man auch in guter, nicht gerade mediziniſcher Geſellſchaft wagen darf, von ihnen und ihren Lebensſchickſalen ein— gehender zu ſprechen. Sich mit ihnen, ihren Verwandlungen und unfreiwilligen Wande— rungen bekannt zu machen, iſt nicht bloß Pflicht einer jeden Hausfrau, welche in ihrer Küche eine vernünftige Sanitätspolizei üben will, ſondern auch das Intereſſe an der Zu— ſammenſetzung des merkwürdigen Vielweſens, das man Bandwurm (als ob es nur ein Tier wäre) zu nennen gewohnt iſt, und an den Irrfahrten ſeiner Jugendzuſtände iſt in den Vordergrund zu ſtellen. Schließlich iſt der in einem weißen Glaſe in reinem Spi— ritus mit Hilfe einer Glaskugel muſeummäßig aufbewahrte Bandwurm nichts weniger als unappetitlich. Auch braucht man ja nicht gerade an die menſchlichen Bandwürmer zu den— ken. Hunde, Katzen, Fröſche, Fiſche liefern deren zu beliebiger Auswahl. Am allerver— trauteſten machen wir uns aber ohne jeden äſthetiſchen Skrupel mit jenen Gäſten der Schnepfe, wenn wir ſie, mit gewiſſen Beſtandteilen des Vogels zubereitet, als Delikateſſe genießen. Erſte Ordnung. Die Bandwürmer (Cestodes). Wir gehen alſo friſch daran und verſtändigen uns zuerſt über die Beſtandteile, die Zuſammenſetzung und die Bedeutung des ſogenannten „Bandwurmes“, einer Kolonie oder eines Tierſtockes, wie wir ſehen werden, deſſen Bedeutung freilich auch erſt wieder durch die Entwickelungsgeſchichte ins rechte Licht geſetzt wird. Wir halten uns dabei zunächſt an die Gruppe der eigentlichen Bandwürmer (Taeniadae), zu welcher auch einige den Men— ſchen bewohnende Arten gehören, da ihre Naturgeſchichte in allen Einzelheiten bekannt, während für die übrigen Gruppen vollen Aufſchluß zu geben der Zukunft vorbehalten iſt. Es iſt jedermann geläufig, an dem Bandwurm, wie er im Menſchen und in vielen Tieren ſich aufhält, den „Kopf“ mit einem kurzen, fadenförmigen „Halſe“ und die „Glieder“ zu unterſcheiden, wobei man ſich keine Rechenſchaft gibt, was man denn eigentlich mit dem Ausdruck „Glied“ bezeichnet. Der Kopf des Bandwurmes trägt bei einer Abteilung von Arten einen Kranz von Haken auf einem kleinen rüſſelartigen Vorſprunge, die ihm natürlich zur größeren Sicherung und Befeſtigung im Darme ſeines unfreiwilligen Gaſt— gebers dienen. Man würde jedoch ſehr irren, zu meinen, daß die nicht mit dem Haken— kranz verſehenen Arten darum weniger hartnäckig ſind. Den beſten Beleg dazu gibt der hakenloſe Bandwurm des Menſchen, die Taenia saginata, der man im allgemeinen ſtärker zuſetzen muß, um ſie „abzutreiben“, als der beſtachelten Taenia solium (ſ. Abbild. S. 176). Rings um den Kopf ſind vier Saugnäpfe angebracht, welche als Haftorgane wie die Bauchnäpfe der Trematoden wirken. Nach einer Mundöffnung ſowie nach einem Darm— kanal ſuchſt du beim Bandwurm vergeblich; er iſt in derſelben glücklichen Lage wie die Kratzer, nicht einmal eſſen zu brauchen und ſich doch mittels der durch ſeine ganze Ober— fläche vor ſich gehenden Aufſaugung, durch Osmoſe, gut zu nähren. Aufſaugung von Flüſſigkeiten durch die Haut iſt zwar bei den höheren Tieren kaum nachweisbar, bei den niederen aber nach der Beſchaffenheit ihrer Körperbedeckungen viel— fach vorhanden. Wir werden die Vorſtellung nicht abweiſen können, daß die Vorfahren der Bandwürmer, indem ſie allmählich Paraſiten wurden, die Aufnahme der Nahrung durch den Mund mit der unwillkürlichen Aufſaugung durch die Haut vertauſchten, und daß der 176 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; erſte Ordnung: Bandwürmer. Darmkanal nicht nur nach und nach außer Dienſt geſetzt wurde, ſondern auch zum voll— ſtändigen Schwunde kam. Man pflegt, wie oben geſagt, den unmittelbar aus dem Kopfe hervorgehenden, gänz— lich ungegliederten Körperteil „Hals“ zu nennen. Wir werden ſehen, daß er aufs engſte zum Kopfe gehört. Auf den Hals folgen die ſogenannten „Glieder“. Die unmittelbar am Halſe ſitzenden ſind kaum andeutungsweiſe voneinander getrennt, ſie ſcheiden ſich, je mehr ſie ſich entfernen, immer ſchärfer und hängen am Ende des „Bandwurmes“, wo ſie, wie man ſagt, „reif“ werden, nur noch loſe aneinander, ſo daß ſie einzeln oder auch zu zweien und dreien verbunden aus dem Wirte ausgeſtoßen werden. Es iſt jedem, der mit dem Bandwurm eine Er— fahrung gemacht hat, klar, daß die Glieder ſich loslöſende Knoſpen des vorderen Endes des Bandwurmes, namentlich des Kopfes und Halſes, ſind, daß alles Abtreiben des Tieres nichts hilft, ſolange der Kopf nicht zum Vorſchein gekommen, der die ganze Kette aufs neue ſproſſen läßt. Man nahm aber Anſtand, den Bandwurm als einen Tierſtock aufzufaſſen, da gerade die „Glieder“ der am häufigſten zur Beobachtung kommenden Arten jo wenig den Eindruck ſelbſtändiger tieriſcher Individuen machen. Sie bewegen ſich kaum oder nicht anders als losgelöſte Organe, ſie haben ebenſowenig wie das ganze Gebilde, von dem ſie ſich losreißen, einen Mund und Verdauungskanal, ſie er— ſcheinen mitunter, z. B. beim Froſch Bandwurm, als bloße Eierſchläuche. Etwas anders verhält es ſich bei manchen Bandwurmgattungen der Fiſche, wo die losgelöſten Glieder tagelang unter lebhaften Bewegungen fortleben. Aller Zweifel wird aber gehoben, wenn man dieſe ſo— 4 R genannten Glieder in der Kette der ganzen Entwickelung betrachtet Veſtachelter Band. Und dieſelbe mit dem Generationswechſel vieler anderen Tiere und wurm (Taenia solium). beſonders auch der Saugwürmer vergleicht. Es ergibt ſich dann, daß bf vage der Bandwurm aus zwei ganz verſchiedenen Sorten von Individuen beſteht. Beim Bandwurm iſt die eine, die Ammengeneration, der Kopf mit ſeinem unge— gliederten Halſe, deſſen Herkommen wir bald verfolgen werden, und welcher eine Zeit hin— durch iſoliert beſteht, d. h. ohne Knoſpen. Nachdem aber die Bandwurmamme ſich bei ihrem Wirte häuslich eingerichtet und mit dem Kopfe fixiert hat, ſchreitet ſie zur Bildung einer Nachkommenſchaft, die ſie als Knoſpen nach und nach aus dem Hinterende ſproſſen läßt; und dieſe ſogenannten Bandwurmglieder, ſo wenig ſelbſtändig ſie auch oft erſcheinen, repräſentieren in jedem Falle die Geſchlechtstiere, die höchſte Form, mit welcher der Kreis der Zeugung und Entwickelung abſchließt. Die freiwilligen Lebensäußerungen der Band— würmer ſind auf allen Stufen der Entwickelung ſo gering und beſchränkt, daß es in der That nur des Willens bedarf, ſich von einer althergebrachten Anſicht loszuſagen, um nicht mehr das ganze Bandwurmgebilde, ſondern das reife Glied desſelben als ein Individuum zu betrachten. Die Thätigkeit des Bandwurmes geht über gemeinſchaftliche Verlängerung, Verkürzung, eine ſich über alle Glieder fortſetzende Wellenbewegung nicht hinaus. Der Kopf, als ein Individuum niederer Ordnung der Erzeuger der Gliederkette, iſt zugleich als eine Art von Organ im Dienſte des Stockes, der mithin aus zweierlei Individuen von verſchiedener Geſtalt und Leiſtung zuſammengeſetzt iſt und in dieſer Vereinigung allerdings auch eine Einheit bildet. Dieſe Anſchauung, mit der man ſich zum Verſtändnis vieler Vorkommniſſe der niederen Tierwelt vollkommen vertraut machen muß, läßt ſich durch den Hinweis auf die Tiergeſellſchaften der Bienen und anderer Hautflügler illuſtrieren. Das Entwickelung des Bandwurmes. 177 Bienenweſen, der „Bien“, wie man es auch genannt hat, iſt eine Einheit, zu welcher meh: rere Sorten von Individuen in ganz verſchiedener Thätigkeit beitragen. Von dieſer in ſeinen Gliedern mehr freiheitlichen Gemeinſchaft ſteigt die Vorſtellung leichter zu jenen organiſch verbundenen Kolonien der „Bandwürmer“ und vieler polypenartigen Weſen herab, wo das Individuum mehr der Idee nach als in Wirklichkeit beſteht, und ſtatt der freien, ſelbſtändigen Weſen ſehr unvollkommene, unſelbſtändige Surrogate derſelben uns entgegen— treten. Wir erinnern uns denn auch bei dieſem geringen Anlaß an des Dichters Worte: „Immer ſtrebe zum Ganzen, und kannſt du ſelber kein Ganzes Werden, als dienendes Glied ſchließ' an ein Ganzes dich an.“ Allen jenen tieriſchen, vielgeſtaltigen Gemeinſchaften fehlt „die angeborene Farbe der Ent— ſchließung“, welche die höhere ſtaatliche Ordnung charakteriſieren ſoll. Allein wohin ge— raten wir doch vom Bandwurm! Wir ſtehen bei ſeinen „dienenden Gliedern“, inſofern ſie, zur Reife gelangt, durch eine äußerſt ergiebige Eiproduktion für die Erneuerung des Entwickelungskreiſes ſorgen, in welchem die Art ſich bewegt. tan ſieht in den erſten platten Bandwurmgliedern gewöhnlich ſchon mit bloßem Auge den Eihalter, der aus einem mittleren Stamme und nach beiden Seiten abgehenden, un— regelmäßigen Aſten beſteht. Dieſes Organ iſt dicht mit Eiern erfüllt. Durch die dicke, oft doppelte Schale der— ſelben erkennt man ein kleines, kugeliges Weſen, welches mit drei Paar Häkchen bewaffnet iſt. Wenn jemand, mit der Kenntnis der Entwickelungsgeſchichte der übrigen Ein— geweidewürmer ausgerüſtet, an die ihm bisher unbekannten Bandwürmer käme, er würde aus der Feſtigkeit der Ei: hüllen und der Bewaffnung der Embryonen und aus der f Beobachtung, daß dieſe Eier maſſenhaft ins Freie gelangen, e eee den Verdacht hegen, daß auch die Bandwürmer allen Un— bilden der Witterung, der Näſſe und Trocknis, der Berührung mit gärenden und faulenden Subſtanzen ausgeſetzt ſein können, ohne dieſe Einflüſſe bis zu ihrem Inhalt gelangen zu laſſen, daß ſie beſtimmt ſind, durch einen jener tauſend möglichen Zufälle in ein Tier zu geraten, daß dann der ſechshakige Embryo frei wird und mit Hilfe ſeiner ſechs Spießchen ſich in ſeinem Wirte nach einem beſtimmten Organ hin auf die Wanderung be— gibt. So iſt es. In den Kreis dieſer Entwickelung, zu welcher die eingewanderten, ſechshakigen Larven fortſchreiten, gehören nun jene Zuſtände und Formen, welche man faſt ein Jahrhundert hindurch unter dem Namen der „Blaſenwürmer“ als ſelbſtändige Tiergattungen im Syſtem verzeichnet hatte, die auch dem Laien bekannten Finnen und Queſen. Blaſenwürmer nannte man ſie, weil ihr Leib blaſenförmig durch eine wäſſerige Flüſſigkeit aufgetrieben iſt, und über ihre ſehr nahe Verwandtſchaft mit den Bandwürmern gab die oberflächlichſte Vergleichung ihrer Köpfe längſt Aufſchluß, die eben nichts anderes als wahre Bandwurmköpfe ſind. Als man vor etlichen 40 Jahren anfing, den Wanderungen der paraſitiſchen Würmer auf die Spur zu kommen, verfiel man auf die Vermutung, die ſo offenbar mit den Bandwürmern verketteten Blaſenwürmer ſeien nichts anderes als ver— irrte, auf ihrer Wanderung in unrechte Organe gelangte Individuen, welche dort krank und waſſerſüchtig geworden. Die Finnen alſo, die bekannteſten aller, ſeien ſtatt in den Darmkanal in das Fleiſch gelangt, wo ſie eigentlich eine recht elende Exiſtenz hätten und ihren Lebenszweck vollſtändig verfehlten. Es iſt das Verdienſt Küchenmeiſters, die Frage über das Verhältnis der Blaſen— würmer zu den Bandwürmern in das rechte Geleiſe gebracht und durch überzeugende Nach— weiſe und Experimente dahin entſchieden zu haben, daß die Blaſenwurmform der normale, Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 12 178 Würmer: Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; erfte Ordnung: Bandwürmer. einer ganzen Reihe von Bandwürmern eigentümliche Entwickelungszuſtand ſei. Daß Miß— griffe, zum Teil tragikomiſcher Natur, unterliefen, iſt nicht zu verwundern. Als unſer Freund Küchenmeiſter auf der Naturforſcherverſammlung in Gotha im Jahre 1851 mit dem Fanatismus der Überzeugung ſeine Theorie vortrug, nachdem es ihm ſchon wiederholt gelungen war, die Finne des Kaninchens im Darme des Hundes zu einem ſchönen Bandwurm zu erziehen, erbot er ſich zu demſelben Experiment während der Tage der Verſammlung. Mit noch einem jüngeren Naturforſcher hatte ich die Ehre, Küchenmeiſter zu aſſiſtieren. Kaninchenfinnen waren da, aber kein Hund. Küchenmeiſter meinte, es würde wohl auch mit einer Katze gehen, und einen ungeheuern, ſehr ſtörriſchen Kater in einem Sacke, begaben wir uns in einen Keller des Theaters, deſſen Räume den Naturforſchern zur Dis— poſition ſtanden, um dieſem Kater die Finnen beizubringen. Der Kater hatte eine Ahnung, daß er nicht der rechte Wirt ſei, kratzte und biß und ſpuckte wiederholt die Finnen aus, die wir ihm ins Maul geſteckt. Endlich gelang die gewaltſame Füt— terung; nach zwei Tagen wurde das Opfer der Wiſſenſchaft ge— ſchlachtet, aber von Finnen und beginnenden Bandwürmern keine Spur in ihm gefunden. Natürlich that dieſer unbedeutende Zwiſchen— fall dem Fortſchritte der richtigen Erkenntnis dieſer Verhältniſſe keinen Eintrag. Man ſah eben ein, daß gewiſſe Finnen nur in gewiſſen Tieren ihre Ausbildung zum Bandwurm erlangen. Die durch Küchenmeiſter angeregten Verſuche, welche die in der Natur mehr oder weniger dem Zufall anheimgegebenen Vor— gänge unter die Kontrolle und Leitung des Beobachters ſtellen, wurden nun hundertfältig nach beiden Richtungen hin fortgeſetzt. Einmal galt es, ſich zu überzeugen, in dem Darme welches Tieres ſich der in einem anderen Tiere lebende Blaſenwurm zur Band— wurmkolonie erhebt, und umgekehrt hatte man den Weg zu er— 1 forschen, welchen die ſechshakigen Larven bis zur Verwandlung in a) Bla ſenwurm. b) Aus- die Blaſenwurmform durchmachen. Im Freien kommen die in den een Amal vernnen Eiern eingeſchloſſenen Jungen nicht aus. Dieſe Eier müſſen vielmehr in den Magen eines beſtimmten Tieres, z. B. die Eier des Katzen— bandwurmes in den Magen der Maus, die eines der Hundebandwürmer in den Magen des Kaninchens oder Haſen gelangen, um hier unter dem Einfluß der Magenſäure binnen wenigen Stunden ſich zu öffnen und den ſechshakigen Embryo ausſchlüpfen zu laſſen. Dieſe nunmehr freien Larven machen ſich aber ſehr bald auf die Wanderung, durchbohren die Magenwände und gelangen nach und nach in den verſchiedenſten Organen an, wo eine Umwandlung mit ihnen vorgehen ſoll. Am häufigſten iſt das Ziel dieſer Wanderung die Leber. Einzelne dringen bis in die Knochen, und z. B. die Queſe der Schafe dringt regel— mäßig bis in das Gehirn vor. Angekommen am Ziele, umgibt ſich das winzige Tierchen, nachdem es die nunmehr unnütz gewordenen Haken abgeworfen, mit einer Kapſel, in welcher es ungefähr /10 mm mißt. Es iſt damit in eine zweite Lebensperiode getreten, in welcher es zum ſogenannten Blaſenwurm ſich umbildet. Im Inneren des rundlichen Körpers (Fig. a) ſammelt ſich eine Flüſſigkeit, wodurch der Körper mehr und mehr zu einer Blaſe aufgetrieben wird, auf deren Wand als Zeichen lebhaften organiſchen Prozeſſes ſich ein Netz waſſerklarer Gefäße entwickelt. Bald zeigt ſich, nach dem Inneren der Blaſe ragend, ein Zapfen, die Anlage des Bandwurmkopfes. Derſelbe iſt von außen ſehr hohl; man kann ſich ihn alſo vergegen— wärtigen durch einen in die Fauſt des Handſchuhes eingeſtülpten Handſchuhfinger, und in dieſer Höhlung liegen die Saugnäpfe und der Stachelkranz, ſo daß beim Ausſtülpen des Verhältnis der Blaſenwürmer zu den Bandwürmern. Menſchlicher Haken-Bandwurm. 179 Zapfens dieſe Teile nach außen treten, und daß alſo natürlich die Oberfläche des einwärts gekehrten Zapfens dann zur Achſe wird. Wird nun dieſes Gebilde umgeſtülpt, was jedoch ſelten an dem Aufenthaltsorte der Finnen geſchieht, ſo beſteht es aus dem Bandwurmkopfe mit dem ungegliederten, aber oft gerunzelten Halſe und der daran hängenden Blaſe (Fig. b). Bei einigen Arten hat es aber ſein Bewenden nicht mit der Bildung nur eines Band— wurmkopfes an der Blaſe; es können zahlreiche Kopfknoſpen entſtehen, oder auch nur Blaſen ſich bilden, deren jede Köpfe hervorbringt. Wir werden dieſe Erzeugungen bei den betreffen— den Arten näher ins Auge faſſen. In dem Blaſenwurmzuſtand verharrt der Wurm ſo lange, als er an der Bildungsſtätte der Blaſe bleiben muß. Die Finne des Schweines geht in den Muskeln, wo ſie ſich aufhält, durchaus keine weiteren Veränderungen ein. Die Finne des Kaninchens in der Leber oder im Gekröſe erfüllt ihre eigne Lebensaufgabe nicht, wenn das Kaninchen eines natürlichen Todes ſtirbt. Wird aber das infizierte und von der Markt— polizei nicht beanſtandete Schweinefleiſch roh oder ſehr unvollkommen zubereitet vom Men— ſchen genoſſen, wandert das Kaninchen in den Magen eines Hundes, die ebenfalls mit einem eignen Blaſenwurm geſegnete Maus in den Magen einer Katze, ſo findet nun der Über— gang des Blaſenwurms in den eigentlichen Bandwurm ſtatt. Die erſte Ver— änderung iſt das völlige Hervortreten des Kopfes, welcher ſehr bald die zweite, das Ab— fallen der Schwanzblaſe, folgt, welche einfach verdaut wird. Der Kopf mit ſeinem Halſe iſt nun ein eignes, ſelbſtändiges Weſen, die Zwiſchengeneration der Amme, welche aus dem Magen des Wohntieres bis zu einer gewiſſen Stelle des Darmkanals hinabgleitet, wo ſie ſich fixiert und die Schlußgeneration, die Geſchlechtstiere unter der Form von Knoſpen und Gliedern, hervorbringt. Es folgen ſich alſo, um das Bisherige nochmals kurz zuſammen— zufaſſen, im Leben des Bandwurmes folgende mit wiederholtem Wohnungswechſel ver— bundene Zuſtände: der ſechshakige Embryo, der Blaſenwurm, der Bandwurmkopf ohne Glieder, der eigentliche Kettenwurm und das iſolierte Glied oder Geſchlechts— tier; da jedoch die ſechshakige Larve direkt in die Blaſe übergeht, der Bandwurmkopf an dieſer als Knoſpe entſteht und dieſer der Boden iſt, aus welchem die Glieder hervorwachſen, ſo ſind im Grunde drei Generationen zu unterſcheiden, von denen aber nur die letzte geſchlechtlich entwickelt iſt, während die beiden vorhergehenden die vorbereitenden Stufen ſind. Nach dieſen unumgänglichen Erörterungen werden wir nun die Verhältniſſe, unter welchen eine Reihe Arten der Gattung Bandwurm (Taenia) vorkommt, leicht auffaſſen. Wir betrachten zuerſt mehrere, deren Blaſenwurmform, früher mit dem Namen Cysticercus, Finne, bezeichnet, aus einer Blaſe mit einem einzigen Kopfe beſteht. Die wichtigſten darunter für uns ſind natürlich diejenigen, welche am häufigſten im Menſchen ſich an— ſiedeln. Am längſten und genaueſten iſt die Taenia solium (ſ. Abbild. S. 180, Fig. a u. b) bekannt. Sie erreicht eine Länge von 2 bis über 3 m. Der Kopf gleicht etwa dem Knopfe einer mittelgroßen Stecknadel. Auf dem Stirnvorſprung ſteht ein Kranz von zweierlei Haken, welche ſich durch ihre gedrungene Form von denen anderer Tänien, die man mit dem menſchlichen Bandwurm in eine Art hat zuſammenreihen wollen, gut unter— ſcheiden. Der Hals iſt ungefähr 15 mm lang, und die Zahl der die Kette bildenden un— reifen und reifen Glieder beläuft ſich auf 700— 800 und mehr. Die Geſtalt der Glieder iſt in den verſchiedenen Strecken ſehr verſchieden. Erſt in der letzten Strecke nehmen ſie eine entſchieden längliche Form an, indem zugleich auch mit zunehmender Dicke der Eiſchalen der verzweigte Eihalter durchſcheint. Man braucht nur ein ſolches reifes Glied zu ſehen, um mit Gewißheit ſagen zu können, ob das mit dem Bandwurm behaftete Individuum die 125 180 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; erfte Ordnung: Bandwürmer. Taenia solium oder eine andere Art beherbergt. Der Eihalter der Taenia solium hat nämlich jederſeits nur 7—10 Aſte, welche ſich weiter verzweigen. Daß der Menſch in die Erziehung dieſes einen ſeiner Bandwürmer ſich mit dem Schweine teilt, iſt eine jetzt wohl allgemein bekannte Thatſache. Sie iſt nicht nur durch die Vergleichung der Haken und anderen Kopfbeſtandteile des Bandwurmes mit denen der Schweinefinne, ſondern auch durch zahlreiche, immer mit demſelben Erfolg ſich wiederholende Verſuche ganz außer Zweifel geſtellt. Nicht wenige Ferkel und Schweine wurden ſeit den fünfziger Jahren geopfert, um, nachdem man ihnen eine Anzahl reifer Glieder der Taenia solium eingegeben, ihr Finnigwerden zu beobachten. Ungefähr 2¼ Monate verſtreichen nach dem Einführen der Eier in das Schwein, bis die Finnen in den Muskeln ihre Entwickelung abgeſchloſſen haben. Außer im Schwein ſollen auch noch in einigen anderen Tieren, Affe, Hund und anderen, die Blaſenwürmer der Taenia solium gefunden worden ſein. Ganz ſicher iſt nur, daß auch im Menſchen ſelbſt, wenn er durch irgend einen Zufall die Eier verſchluckt hat, die b Finnen ſich regelmäßig in den Muskeln entwickeln, außerdem aber auch im Herzen und ziemlich oft im Auge und im Hirn vorkommen können. Um poſitive Gewißheit zu erlangen, daß im gegebenen Fall die Schweinefinne im Menſchen zur Taenia solium werde, konnte man unfreiwillig oder freiwillig Finnen verſchlucken laſſen und die Folgen beobachten. Der um die Naturgeſchichte der Bandwürmer ſo hochverdiente Küchen— meiſter kam auf den Gedanken, zum Tode verurteilten Verbrechern, ohne daß ſie es h {2 ne ahnten, in einer guten Suppe und mit hf and Bon Tanis anime Bergen. Wurſtſemmeln die Finnen libeizubeingen und bei der Sektion der Delinquenten das Vorhandenſein der Finnen und den Beginn der Umwandlung zu konſtatieren. Ein anderer Forſcher fand für mäßiges Geld einen armen Schlucker, der ſich nach Anweiſung den Band— wurm anaß; und endlich bewog die Liebe zur Wahrheit und Wiſſenſchaft mehrere Zoologen, ſich ſelbſt als Verſuchsmenſchen aufs innigſte mit Finnen und Bandwurm zu befreunden. Von der Einführung der Finne in den Magen bis zur Abſtoßung der erſten reifen Glieder ſcheinen 3-3 7¼ Monate nötig zu ſein. Sein Alter bringt der Bandwurm auf 10—12 Jahre, ja bei gehöriger Pflege ſcheint er noch älter zu werden. 7 g = Ein zweiter den Menſchen bewohnender Bandwurm iſt Taenia saginata, der 4 m lang wird und dicker, ſtärker und beweglicher als der andere iſt, mit dem wir uns eben be— ſchäftigt. Zu unterſcheiden ſind ſie ſehr leicht, da der Kopf des T. saginata ohne Haken— kranz iſt und alſo nur die vier ſehr kräftigen Saugnäpfe trägt. Aber auch jedes reife Glied läßt ihn erkennen, indem der Eihalter 2035 dicht nebeneinander laufende Seitenzweige hat. Die Verbreitung dieſes Tieres ſcheint eine ebenſo große wie die der anderen Art zu ſein, ja es dürfte in dem Maße, wie aus Trichinenfurcht der Genuß rohen Schweinefleiſches ab-, der rohen oder halbgaren Rindfleiſches aber zugenommen hat, in Deutſchland wenigſtens vergleichsweiſe häufiger geworden ſein. Man wußte ſchon länger, daß die Abeſſinier ſehr von einem Bandwurm geplagt würden und zwar nach den Berichten älterer und neuerer Reiſenden infolge der Sitte, das Fleiſch roh zu genießen. Die Mohammedaner und Europäer, Taenien. 5 181 welche ſich dieſes Genuſſes enthalten, werden vom Bandwurm verſchont, der ſich ſogleich einftellt, wenn fie die abeſſiniſche Gewohnheit mitmachen. Nun iſt aber das Fleiſch, welches die Abeſſinier genießen, kein Schweinefleiſch, ſondern dasjenige von Schafen und Rindern. Andere ärztliche Berichte, wonach Kinder nach dem Genuß geſchabten Rindfleiſches mit dem Bandwurm behaſtet wurden, brachten Leuckart auf die Vermutung, die Finne der Taenia saginata wohne in den Muskeln des Rindes, und die darauf angeſtellten Verſuche gaben den Beweis dafür. Vor dem Genuß rohen Rindfleiſches muß daher ebenſo nachdrücklich wie vor dem des Schweinefleiſches gewarnt werden. Ganz finnige Rinder und Kälber ſcheinen ſehr ſelten vorzukommen, wohl der Hauptgrund, warum der Blaſenwurmzuſtand des hakenloſen Menſchenbandwurmes bis vor wenigen Jahren verborgen bleiben konnte. Die Nahrungs: weiſe der Wiederkäuer bringt es mit ſich, daß ſie der Gefahr des Verſchlingens ganzer Band— wurmglieder mit Tauſenden von Eiern viel weniger ausgeſetzt ſind. Um ſo größere Sorg— falt iſt nötig. In Graz, wo ich früher lebte, iſt Taenia saginata offenbar die häufigere Form des Bandwurmes; Schweinefleiſch in Form von Wurſt und Bratwurſt, wie in Thürin— gen, ißt man wenig oder gar nicht, aber ein die Einfuhr jener Art im höchſten Grade be— günſtigendes Gericht iſt gehacktes rohes Rindfleiſch, bloß mit Gewürzen, Eſſig und Ol angemacht. Außer Taenia solium und T. saginata ſind noch vier weitere Tänien in ausgebildeter Form, in Bandwurmgeſtalt als Paraſiten des Menſchen beobachtet worden, über welche unſere Kenntniſſe freilich nicht ſo erſchöpfende wie über jene beiden Arten ſind. Denn ſie ſind nur ſelten zur Beobachtung gekommen, einmal weil ſie in außereuropäiſchen Ländern ſich finden, dann aber, weil ſie zum Teil nur als Irrgäſte anzuſehen ſind. Der kleine Bandwurm (Taenia nana) erreicht eine Größe von etwa 2 cm, und ſeine größte Breite beträgt bloß 0,; mm. Am Kopfe hat er vier rundliche Saugnäpfe und einen einfachen Kranz von 22 — 24 ſehr kleinen Häkchen. Dieſer Wurm wurde erſt viermal beim Menſchen mit Sicherheit nachgewieſen. Das eine Mal fand ihn Bilharz in Kairo in großer Menge im Dünndarm eines Knaben, und einen zweiten Fall machte Leuckart bekannt. Derſelbe war in Belgrad in Serbien vorgekommen, wo ein Dr. Holac einem fiebenjährigen Mädchen, dem Töchterchen armer Eltern, 50 Stück des Wurmes abtrieb. Welche Tiere der Taenia nana als Zwiſchenwirte dienen, wiſſen wir noch nicht. Leuckart bemerkt hierüber: „Der Umſtand, daß es beide Male Kinder waren, die den Paraſiten be— herbergten, läßt vermuten, daß die Jugendform derſelben durch Inſekten oder Schnecken importiert ſei. Nach der Angabe Hallichs ſoll in der Umgebung Belgrads eine kleine weiße Schnecke von den ſpielenden Kindern gern gegeſſen werden.“ Graſſi beobachtete den Wurm zweimal in ausgebildetem Zuſtande bei zwei jungen Sizilianern (und zwar bei jedem derſelben mehrere Tauſend) und einmal ſeine Eier in den Abgängen eines Mädchens in Mai— land. Die Gegenwart dieſes Paraſiten, der immer in Mengen auftritt, iſt für den damit belaſteten Patienten nicht unbedenklich: epileptiſche Krämpfe, Gedächtnisſchwäche, Heiß— hunger, ſchließlich vielleicht ſogar Meningitis bilden zuſammen ein übles Krankheitsbild. Eine weitere Art (Taenia flavopunctata) wurde von Weinland einmal ſicher und ein anderes Mal zweifelhaft von Leidy in Nordamerika beobachtet; ein dritter Fall aus Italien iſt noch unſicherer. Alle drei Fälle betrafen Kinder im Alter von 19 Monaten bis 3 Jahren und ſind wahrſcheinlich auch auf eine zufällige Infektion mit Inſekten-Zwiſchen— wirten zurückzuführen. Davaine beſchrieb eine dritte Tänienart (Taenia madagascariensis), welche gleich— falls bei Kindern zwiſchen 16 Monaten und 2 Jahren auf der Inſel Mayotte angetroffen war, und ein weiterer Fall, welcher die Kinder eines in China lebenden Miſſionars betraf, 182 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; erfte Ordnung: Bandwürmer. wurde von Leuckart bekannt gemacht. Da auch hier die Umſtände ſo ähnlich wie bei der vorigen und vorvorigen Art liegen, iſt eine Infektion durch den zufälligen Genuß mit Jugendformen beſetzter Inſekten wahrſcheinlich. Gewiß iſt dieſes der Fall mit einer vierten Bandwurmart, der Taenia cucumerina, welche zwar ſchon von Linné als Paraſit des Menſchen bezeichnet worden war, aber erſt in neuerer Zeit als ein verhältnismäßig gar nicht ſo ſeltener der Kinder erkannt worden iſt. Bei Hunden und Katzen lebt derſelbe Wurm ungemein häufig, und ſeine Lebensgeſchichte iſt intereſſant genug. Als Jugendform findet er ſich nämlich bei den Läuſen der Hunde (Trichodeetes canis), welche auch auf Katzen übergeht. Die Hunde machen eifrig Jagd auf ihr ektoparaſitiſches Ungeziefer und infizieren ſich mit den Larven von Taenia cucu- merina, die bei ihnen geſchlechtsreif werden. Die Eier gehen mit dem Kot ab, bleiben zum Teil in dem Felle des Hundes hängen und werden von der Trichodectes, die eine kauende und keine ſtechende und ſaugende Läuſeart iſt, gefreſſen, ihr Darm wird von den frei gewordenen Embryonen durchbohrt, und dieſelben gelangen in die Leibeshöhle, wo ſie ruhen. Von den Bandwürmern mit einem Blaſenwurmzuſtand gleich der Finne, nämlich dem, wo die Blaſe nur einen einzigen Bandwurmkopf knoſpen läßt, ſind noch einige bei Hund und Katze vorkommende beſonders erwähnenswert. Die im Hunde geſchlechtsreif werdende Taenia marginata iſt zwar als ſolche dem Menſchen nicht gefährlich, aber gelegentlich kommt ihre ſonſt gewöhnlich im Netze und in der Leber der Wiederkäuer und Schweine lebende Finne, den älteren Syſtematikern als Cysticercus tenuicollis bekannt, auch im Menſchen vor. Der häufigſte Bandwurm des Hundes iſt aber Taenia serrata, ausgezeichnet durch eine doppelte Reihe größerer und kleinerer Haken. Als Blaſenwurm lebt er im Haſen und Kaninchen. Die zahlloſen Verſuche, bei welchen Hund und Kaninchen den Boden ab— geben, auf welchem Taenia serrata erzogen wurde, haben vorzugsweiſe zur Aufhellung der Bandwurmangelegenheit beigetragen. Der bei der Katze gemeinſte iſt Taenia crassicollis, mit ſtarkem Kopfe, kurzem und dickem Halſe. Das Sprichwort: Wenn die Katze nicht zu Haus, tanzen die Mäuſe — nimmt keine Rückſicht auf die in der Maus verborgene Finne (den ſogenannten Cysticercus fasciolaris), deren gute Zeit erſt anhebt, wenn die Maus von der Katze gefreſſen iſt. Ein wegen ſeines Blaſenwurmzuſtandes ſehr intereſſanter und noch mehr berüchtigter Bandwurm iſt die auch ausſchließlich im Hunde geſchlechtsreif werdende Taenia coenurus. Wir kennen dieſe Stufe erſt ſeit der Zeit, als die Bandwurmunterſuchungen wiſſenſchaftlich in Gang kamen. Längſt aber iſt der Blaſenwurmzuſtand als Queſe oder Drehwurm (Coe— nurus) bekannt, welcher, im Gehirn der Schafe ſich aufhaltend, die Drehkrankheit dieſer Tiere verurſacht. Man hat den Verlauf der Krankheit natürlich auch durch den Verſuch feſtgeſtellt. Bei den Schafen, welchen man die betreffenden Eier eingegeben, zeigen ſich nach 17 Tagen die erſten Symptome der Drehkrankheit. Man findet alsdann in ihrem Gehirn ſchon die kleinen, erbſengroßen Bläschen, zu welchen die ſechshakigen Embryonen geworden ſind. Es entſteht aber an dieſen Blaſen nicht bloß, wie bei der Finne, ein einziger Band— wurmkopf, ſondern gleich eine Gruppe von dreien oder vieren, bald aber mehr und mehr, indem teils an anderen Stellen der Blaſe andere Gruppen hervorwachſen, teils unter Aus— dehnung der Blaſe neue Köpfe zwiſchen den älteren ſproſſen, ſo daß ihre Anzahl ſich ſchließ— lich auf mehrere Hundert belaufen kann. Der Druck und Reiz, den der Blaſenwurm auf ſeine Umgebung ausübt, verurſacht jene Entzündungen und Entartungen des Gehirns, welche ſich unter anderen in dem Drehen der Schafe äußern und mit dem Tode derſelben endigen. Der Ausbreitung und der Wiederkehr der Krankheit kann natürlich nur dadurch Drehwurm. Hülſenwurm. 183 einigermaßen vorgebeugt werden, daß wenigſtens die Köpfe der gefallenen oder getöteten Schafe ſorgfältig vergraben und den Hunden unzugänglich gemacht werden. In dem Dorfe, in dem ich meine Kindheit verlebte, gab es jahraus jahrein drehkranke Schafe Es war aber auch ein offener Schindanger keine Viertelſtunde entfernt, auf welchem ſich des Nachts alle losgelaſſenen Hof- und Hirtenhunde das Rendezvous gaben. Damals hatte man noch keine Ahnung, wie eben dieſe Hunde das Übel wieder auf die Weide und in den Hof und Stall bringen könnten. Jetzt aber läßt ſich eine ſolche Polizei üben, daß faſt nur noch durch fremde Hunde der Drehwurm einzuſchleppen iſt. Die Auflöſung der Drehwurmblaſe geht im Magen des Hundes ſehr raſch vor ſich, alle Köpfchen werden frei, jedes gründet eine Kettenkolonie, und aus dem einen Ei, welches zum Drehwurm ſich entwickelte, iſt am Schluß der Bandwurmentwickelung eine vieltauſendfältige Nachkommenſchaft hervor— gegangen. Ein zwar nicht häufiger, aber unter Umſtänden höchſt gefährlicher, den Tod her— beiführender Paraſit des Menſchen und einiger Tiere (Wiederkäuer, Schweine, Affen) iſt der ſogenannte Hülſenwurm (Echinococcus der älteren Syſtematik), die Blaſenwurmform eines gleichfalls im Hunde lebenden Bandwurmes, der Tae— nia echinococcus. Derſelbe iſt jo klein, kaum etwas über 4 mm lang und ½ mm breit, daß er den frü— heren Beobachtern entging und ebenfalls erſt durch das neuere Studium der Lebensverhältniſſe der Blaſenwürmer ordentlich entdeckt wurde. Er weicht auch darin von den übrigen Tänien höchſt auffallend ab, daß er ſchon im dritten Gliede geſchlechtsreif wird, welches letzte Glied ſo lang iſt, wie die beiden erſten ſamt dem Kopfe. Die aus dem ſechshakigen Embryo hervorgehende Blaſe iſt nun ebenfalls, wie die Drehwurmblaſe, die Brutjtätte ſehr vieler Köpfchen. Dieſelben entſtehen aber nicht direkt auf der Wand der Blaſe, ſondern in beſonderen, aus dieſer Wand hervorgehenden Brutkapſeln, auf deren Außenfläche die erſte Anlage der Köpfchen unter der Form eines hohlen Anhanges zur Entwickelung kommt. Dieſer hohle Zapfen ſtülpt ſich dann in das Innere der Brutkapſeln, in welche ſchließlich die Bandwurmköpfchen an dünnen Stielen hineinhängen. Die einzelnen Brutkapſeln enthalten mitunter 12—15, ſelten mehr als 20 Köpfchen und haben 1-1 mm im Durchmeſſer. Ungemein verſchieden iſt aber die Größe der Echinococcus-Blaſe, ehe ſie Brutkapſeln hervorbringt. Leuckart beobachtete dies bei einem Durchmeſſer von 1 mm, andere fand er noch leer bei einem Volumen eines Hühnereies. Neben dieſen einfachen, eben beſchriebenen Hülſenwürmern kommt eine andere Form, die zuſammengeſetzte, vor, in welchem Falle neue, ſogenannte Tochterblaſen, ſich bilden, entweder nach außen hin oder nach innen, ſo daß dann die urſprüngliche Blaſe eine ganze Nachkommenſchaft ihr gleicher Blaſen einſchließt. Nicht ſelten wird die Ent— wickelung hiermit abgebrochen, indem weder an der Mutter- noch an den Töchterblaſen Brutkapſeln mit Köpfchen entſtehen. Das ganze Gebilde macht dann am wenigſten den Eindruck eines tieriſchen, paraſitiſchen Körpers, ſondern ſieht wie eine bloße Waſſergeſchwulſt (Hydatide) aus. Unter den menſchlichen Paraſiten, heißt es bei Leuckart, iſt kein zweiter, der ſich durch die Mannigfaltigkeit ſeines Vorkommens mit dem Hülſenwurm vergleichen ließe. Selbſt die (Schweine-) Finne, die wir wegen ihres Aufenthaltes in ſo verſchiedenen Organen mit Recht den verbreitetſten Helminthen zugerechnet haben, ſteht in dieſer Beziehung weit a) Taenia echinococeus, vergrößert; b) ein ver— größertes Stück des Hülſenwurmes. 184 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; erjte Ordnung: Bandwürmer. hinter dem Echinococeus zurück. Es iſt kaum ein Organ des menſchlichen Körpers, das demſelben nicht gelegentlich zum Wohnorte diente. Sogar die Knochen werden bisweilen von ihm heimgeſucht. Aber nicht alle dieſe Organe beherbergen unſeren Wurm mit gleicher Häufigkeit. Der Echinococeus hat ebenſo wie die Finne Lieblingsſitze und andere, die er weniger häufig, vielleicht nur ſelten, aufſucht. Freilich ſind die Lieblingsſitze beider ſehr verſchieden. Das Zellgewebe zwiſchen den Muskeln, welches die Finne mit beſonderer Vorliebe bewohnt, iſt nur in ſeltenen Fällen der Sitz des Echinococcus. Auch im Hirn und namentlich im Auge wird die Finne ungleich häufiger gefunden als der Hülſenwurm, der dafür ſeinerſeits die von der gemeinen Finne meiſt verſchmähten Eingeweide, und vor allen anderen namentlich die Leber, aufſucht. Hier erreicht der Hülſenwurm nicht ſelten die Größe eines Kindskopfes. — Wahrſcheinlich iſt der Hund der einzige Träger des Echinococcus-Bandwurmes, der mit ihm wohl über die ganze Erde verbreitet iſt. Auf Island, wo der 6.— 5. Teil der geſamten Bevölkerung von ihm dahingerafft werden ſoll, iſt er eine furchtbare Plage, ebenſo in gewiſſen Teilen Auſtraliens und bei den Buräten, einer ſibiriſchen Völkerſchaft, faſt ſchmutziger als die Hunde. Aber auch bei uns iſt der Wurm durchaus nicht ſelten und wird, charakteriſtiſch genug, bei Mitgliedern von Metzgers- und Hirtenfamilien ſowie bei älteren alleinſtehenden Frauenzimmern, alſo bei Perſonen, welche aus Beruf oder Liebhaberei viel und intim mit Hunden umgehen, am meiſten gefunden. Wie oft hört man nicht von Hundefreunden die Außerung: „Der Hund iſt das reinlichſte Tier“ und „Mein Hund hat keine Bandwürmer“. Nein, — der Hund iſt kein reinliches Tier, und wer ſich von Hunden lecken läßt, ſchwebt immer in Gefahr, ſich mit dem fürch— terlichen Echinococeus zu infizieren, denn, verehrte Leſerinnen und Leſer, es ſei zwar gern zugegeben, daß Ihre Hunde nicht die großgliederige, ſich bald verratende, harmloſe Taenia cucumerina haben, aber deshalb können fie gar wohl mit der winzigen, entſetz— lich gefährlichen Taenia echinococcus behaftet ſein. Das Regiſter derjenigen Bandwürmer, deren Leben mit der Exiſtenz unſerer Haus— tiere und unſeres eignen Leibes verkettet iſt, muß noch durch eine einer anderen Gattung und Familie (der der Grubenköpfe, Bothriocephalidae) angehörige Art, den Menſchen-Grubenkopf oder breiten Bandwurm (Bothriocephalus latus), ver: vollſtändigt werden. Die Grubenköpfe, inſofern fie ſich von den Tänien ſcheiden, haben einen abgeplatteten Kopf, der jederſeits mit einer länglichen, tiefen Sauggrube verſehen iſt. Die meiſten Arten leben geſchlechtsreif in kaltblütigen Tieren, namentlich in Fiſchen, einzelne in Vögeln und Säugetieren, und die wichtigſte iſt natürlich die den Menſchen heimſuchende. Kein anderer menſchlicher Bandwurm erreicht die Länge des Bothriocephalus latus, näm: lich 5— 8 m, mit 3 — 4000 kurzen und breiten Gliedern. Der Kopf iſt keulenförmig, Umm lang und ½ mm breit. Über das Vorkommen des breiten Grubenkopfes bemerkt Leuckart: „Während die großgliederigen Tänien des Menſchen und beſonders die Taenia saginata (der unbewaff— nete Bandwurm des Menſchen) nahezu als kosmopolitiſche Paraſiten bezeichnet werden können, iſt der Verbreitungskreis des Bothriocephalus latus weit enger und fein Bor: kommen ein mehr begrenztes. Außerhalb Europa iſt derſelbe bisher nur an wenigen Orten mit Sicherheit beobachtet worden. Nach Verrill findet er ſich, freilich nur ſelten, in Nordamerika, nach Baelz und Ijima häufig in Japan. Auch in Europa find es nur gewiſſe Länder und Gegenden, die von ihm heimgeſucht werden. Obenan unter dieſen Lokalitäten ſtehen die Küſtengebiete der Oſtſee, beſonders die mehr öſtlich gelegenen, und die Schweiz, die auch die erſten bekannt gewordenen Fälle von Bothriocephalus lieferte, Menſchen⸗Grubenkopf. 185 beſonders die Weſtſchweiz. Der Wurm war in früherer Zeit vornehmlich auf das Ufer— gebiet des Bieler⸗, Murten:, Neuenburger und Genfer Sees beſchränkt. Auch heute noch ſind dieſe Lokalitäten als die Hauptherde unſeres Paraſiten zu bezeichnen, obwohl derſelbe an einzelnen Stellen, wie z. B. in Genf, wo nach Odier einſt ein Viertel der Einwohner— ſchaft daran litt, im Laufe der Zeit ſehr viel ſeltener geworden iſt. Anderſeits gibt es aber noch gegenwärtig in den Uferdiſtrikten der genannten Seen Orte, in denen von fünf Erwachſenen je einer unſeren Bandwurm beſitzt. Kinder unter 10 Jahren ſind meiſt davon verſchont. In der ſchwediſchen Provinz Nordbotten ſoll unter den Küſtenbewohnern niemand, weder reich noch arm, weder jung noch alt, davon verſchont bleiben. Ebenſo iſt auf der Kuriſchen Nehrung kaum einer der Fiſcher frei von unſerem Wurme. In Peters— burg ſchätzt man die Zahl der Bothriocephaluskranken auf 10 Prozent.“ — Auch im Inneren Rußlands, in Polen und bei Kaſan iſt der breite Grubenkopf ein häufiger Gaſt des Menſchen, ſelten nur in Moskau. In Dänemark kommen auf 200 Bandwurmkranke 20 mit Bothrio- cephalus latus behaftete. In Frankreich und Italien findet er ſich in den der Schweiz benachbarten Teilen, in Holland und Belgien wurde er gleichfalls beobachtet. In Deutſchland beher— bergen ihn die Küſtenſtriche Oſtpreußens und Pommerns, doch wurde er auch in Hamburg, Berlin und Rheinheſſen gefunden. Von beſonderem Intereſſe geſtalten ſich die Verhältniſſe ſeines Vorkommens in München. Hier kam er in der erſten Hälfte der achtziger Jahre unſeres Jahrhunderts unter 27 Fällen von Band— wurmerkrankungen achtmal zur Beobachtung und zwar aus— ſchließlich bei Perſonen, welche München und ſeine nächſte Um— gebung ſeit längerer Zeit nicht verlaſſen hatten. Die Mehrzahl der Patienten (fünf) hatten ſich aber längere Zeit am Starn— berger See aufgehalten. „Da aus früherer Zeit kein derartiger ) gopfende und ppreife Gliederdes Fall beobachtet worden, ſo liegt die Vermutung nahe, daß in- Menſchen-Grubenkopfes in folge des geſteigerten Verkehrs an den Ufern des Starnberger aten Se hee eslben Sees, deſſen Fiſche bis nach München vertrieben werden, im Laufe des letzten Jahrzehnts ein neuer Bothriocephalus-Herd entſtanden iſt. Die in neuerer Zeit ſo viel beſuchte Gegend iſt wahrſcheinlicherweiſe von Ruſſen oder Schweizern mit Bothriocephalus-Eiern infiziert und bildet nun ſelbſt eine Brutitätte des Gruben: kopfes.“ (Leuckart.) Aus dieſer merkwürdigen Verbreitung läßt ſich von vornherein mit großer Wahr— ſcheinlichkeit vermuten, daß Fiſche die Zwiſchenwirte unſeres Paraſiten ſein werden. Und ſo iſt es nach den Unterſuchungen Brauns in der That. Dieſem Forſcher gelang es, die Fin— nen des Grubenkopfes bei der Quappe (Lota vulgaris) und ganz beſonders beim Hecht aufzu— finden und durch Verfüttern derſelben an Hunde und Katzen ſowie durch Verabreichung an Menſchen (an drei Dorpater Studenten, welche ſich freiwillig dazu erboten hatten) bei den infizierten Individuen die Entwickelung zum ausgebildeten Bandwurm nachzuweiſen. Aus den Eiern des breiten Grubenkopfes, welche eine ſehr lange, je nach den Witte— rungsverhältniſſen und der Höhe der darüber befindlichen Waſſerſchicht ſchwankende (von 3 Wochen bis 8 und mehr Monaten) Inkubationszeit halten, ſchlüpft ein runder, mit langen Flimmerhaaren bedeckter Embryo, der im Waſſer gleichfalls verhältnismäßig lange, bis zu einer Woche lebend und beweglich bleibt. Was nun weiter mit dieſem, der einen Kranz kräftiger, an der vorderen Hälfte ſichelförmig gebogener Haken beſitzt, geſchieht, wiſſen wir noch nicht. Möglicherweiſe wandern ſie direkt in die betreffenden Fiſche, welche Träger der Finnen ſind, ein, durchbohren deren Darmwandung und gelangen in das Muskelfleiſch; 1 186 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; erſte Ordnung: Bandwürmer. vielleicht ſuchen ſie aber erſt noch einen anderen Zwiſchenwirt (ein Krebschen oder ſonſt ein kleineres Waſſertier, vielleicht auch kleine Fiſchchen) auf, in welchen ſie ſich einbohren und ruhen, bis ſie von einem Hechte oder einer Quappe gefreſſen werden. Der breite Grubenkopf iſt übrigens nicht die einzige Art der Gattung, welche beim Menſchen ſchmarotzt; wir kennen deren gegenwärtig noch zwei, allerdings ſehr beſchränkt vorkommende, und es iſt durchaus nicht ausgeſchloſſen, daß ſich ihrer bei fiſcheſſenden Völkern noch mehrere finden werden. Die eine jener beiden Arten (Bothriocephalus cordatus) iſt bedeutend kleiner als der breite Grubenkopf und hat einen, von der ſchmalen Seite des Wurmes geſehen, kurzen, herzförmigen Kopf. Bis jetzt wurde er erſt ein einziges Mal beim Menſchen, und zwar in Godhavn im weſtlichen Grönland, um jo öfter aber bei arktiſchen Hunden ſowie bei See: hunden und beim Walroß beobachtet. Eine zweite Art lebt, aber nur in unentwickeltem Zuſtande, aber als immerhin bis 30 em lange Larve beim Menſchen in China und Japan, und zwar in dem unter dem Bauchfell in der Nierengegend befindlichen Bindegewebe. Dieſer Wurm (Bothriocephalus liguloides) kam bis jetzt auch nur zweimal zur Beobachtung. Es iſt wohl kaum zweifelhaft, daß dieſe beiden Würmer bloß zufällige, gewiſſermaßen verirrte Paraſiten des Menſchen ſind, die an dieſen Wirt nicht ſelbſtändig und urſprüng— lich angepaßt ſind wie Taenia solium und T. saginata. Die grönländiſche Art lebt gewiß wie der breite Grubenkopf als Finne in einem Fiſche, dafür ſpricht ihr anderweitiges Vor— kommen. Wie es ſich aber mit Bothriocephalus liguloides verhält, läßt ſich kaum ver— muten, um ſo weniger, als es ſich hier um eine unausgebildete Form handelt. Zu den Grubenköpfen gehört auch noch ein Bandwurm (Schistocephalus solidus), der in unvollkommenem Zuſtande in der Leibeshöhle der gemeinen Stichlinge ſich findet, nach deren Abſterben, das er veranlaßt, ins Waſſer gelangt und von Schwimm- und Watvögeln gefreſſen und in deren Darm er geſchlechtsreif wird. Seine Nachkommen— ſchaft gelangt wieder mit dem Kot ins Waſſer und von da in den Stichling. Ahnlich iſt die Lebensgeſchichte des Riemenwurms (Ligula simplicissima), der ſtellenweiſe häufig auftritt, ſo beſonders in den beiden großen Seen der Grafſchaft Mans— feld, dem ſüßen und dem ſalzigen. Marſhall ſagt hierüber: „Mit einer in ſo hohem Grade wie hier nur ſelten auftretenden Kalamität haben die Fiſcher außerdem noch zu kämpfen: von den gefangenen Weißfiſcharten iſt ein ganz erſtaunlich großer Bruchteil mit einem anſehnlichen Paraſiten, dem bis 30 mm langen und entſprechend breiten Riemen— wurm (Ligula simplicissima), behaftet. Von dieſem Schmarotzer finden ſich bisweilen in der Leibeshöhle eines einzigen unglücklichen Fiſches bis 15 Stück, ſo daß die Eingeweide und die Rückenmuskulatur ganz zuſammengepreßt werden, der Bauch ſelbſt aber ſehr auf— getrieben erſcheint. Die Fiſcher erkennen die infizierten Tiere an dem ‚ſpitzen Kopf‘, wie ſie ſagen, d. h. eigentlich an dem aufgetriebenen Rumpfe, denn der Kopf iſt nur relativ, nicht abſolut ſpitzer als bei geſunden Exemplaren. Sie bringen ſolche Fiſche nicht auf den Markt, ſondern werfen ſie weg, und an manchen Tagen ſieht man Fiſchreſte und Riemen— würmer an gewiſſen Stellen am See in großer Maſſe. In einigen Gegenden Italiens freilich, wo der Wurm gleichfalls häufig iſt, ſind die Leute praktiſcher, ſie verſpeiſen zum Fiſch die Paraſiten als Maccheroni piatti und danken dem lieben Gott für die jo über: aus bequeme Einrichtung, die ihnen Hauptſchüſſel und Zukoſt mit einem Male gewährt. „Wie kommen dieſe Würmer in die Fiſche? Es ſind keine geſchlechtsreifen Tiere, die finden ſich in Waſſervögeln, und aus dieſen gelangen die Eier des Paraſiten mit dem Kot in das Waſſer, wo, nach aller Analogie, der Embryo auskriecht, in den Darm eines Fiſches Riemenwurm. — Saugwürmer. 187 aktiv oder paſſiv durch das Maul oder durch die Kiemenöffnungen einwandert, die Wan— dung des Nahrungsrohres durchbohrend in die Leibeshöhle eindringt, hier wächſt und bei— nahe die Geſchlechtsreife erreicht. Der infizierte Fiſch erkrankt an chroniſcher Peritonitis, d. h. Entzündung des Bauchfelles, verliert ſeine Schuppen, wird immer unbehilflicher in ſeinen Bewegungen, treibt auf der Oberfläche des Waſſers und wird zu ſeinem Verderben, aber zur Wohlfahrt ſeines Paraſiten, vor allen Genoſſen eine leichtere Beute fiſchender Vögel, in denen die mitgefreſſene Wurmlarve in ſehr kurzer Zeit die volle Geſchlechtsreife erreicht, Eier produziert und ſo den Cyklus der Entwickelung aufs neue einleitet.“ Auch andere Gattungen der Bandwürmer leben im ausgebildeten Zuſtande teils in Fiſchen, teils in Waſſervögeln, in welche ſie mit den Fiſchen verſetzt werden. Meiſt iſt ihre Gliederung, wie ſchon bei den Riemenwürmern, eine undeutliche; ſie kann ſich ſogar auf eine bloße Wiederholung der Fortpflanzungsorgane beſchränken, ohne äußerlich angedeutet zu ſein, — ein Vorkommen von wichtiger, theoretiſcher Bedeutung, welches auf die Gattung Caryo- phyllaeus führt, der, im weſentlichen ein Bandwurm, doch völlig ungegliedert iſt, nur einfache Fortpflanzungsorgane beſitzt und ein Saugwurm ohne Verdauungsapparat genannt werden kann. Nochmals, und viel mehr als die eigentlichen Tänien, erinnern diejenigen Gattungen (Familie der Tetraphyllidea) an die Saugwürmer, deren Kopf mit vier ſehr beweglichen, oft lang geſtielten Saugnäpfen verſehen und deren reife Glieder länger ein iſoliertes Leben führen. Sie leben ſämtlich in Fiſchen, vorzugsweiſe in Haien und Rochen, in deren Darmkanal ſie mit anderen Fiſchen wandern, welche von jenen gejagt und ver— zehrt werden. Indem wir dieſen reichhaltigen Abſchnitt ſchließen, hegen wir die Hoffnung, daß die— jenigen Leſer, welche ſich nicht durch die Überſchriften und den an ſich nicht einladenden Gegenſtand haben abſchrecken laſſen, durch das ſpannende Intereſſe an der Verkettung der Thatſachen volle Entſchädigung für den Abgang des poetiſch oder gemütlich Anziehenden gefunden haben, möchten aber überhaupt daran mahnen, daß die vermeintlichen Mißklänge in der Natur ausgeglichen werden, wenn man auf einer höheren Warte ſich einen er— weiterten Geſichtskreis verſchafft hat. „Wer den Ton gefunden, Der im Grund gebunden Hält den Weltgeſang, Hört im großen Ganzen Keine Diſſonanzen, Lauter Übergang.“ (Rückert.) Zweite Ordnung. Die Saug- oder Tochwürmer (Trematodes). Über die engeren Grenzen der Ordnung der Saug- oder Lochwürmer iſt man immer ziemlich einig geweſen. Sie ſind faſt alle blattförmig, abgeplattet, nicht beſonders lang, mit Saugnäpfen vorn, in der Mitte oder am Hinterende verſehen. Der Verdauungskanal hat immer nur eine Mundöffnung und iſt gewöhnlich gabelförmig. Blutgefäße finden ſich nicht, wohl aber ein mit einer Mündung am Hinterende des Tieres ſich öffnender Gefäß— apparat, welcher dem Waſſergefäßſyſtem der Strudelwürmer gleicht, aber ein Abſonderungs— organ iſt. Die Geſchlechter ſind vereinigt. Die höheren Saugwürmer ſind ſogenannte 188 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; zweite Ordnung: Saug: oder Lochwürmer. „Außenparaſiten“ und entwickeln ſich ohne Verwandlung; die niedrigeren Gattungen machen dagegen eine ſehr komplizierte Verwandlung mit wechſelnden Generationen durch, wobei ſie ihre Jugend in einem anderen Wirte zubringen, um dann, in den definitiven Wirt verpflanzt, geſchlechtsreif zu werden. Die Wahrnehmung, die wir über die Verteilung der egelartigen Tiere machen konnten, daß nämlich die höher ausgebildeten Egel höheren Tieren, die niedrigen auch niedrigeren Wohntieren attachiert ſind, wiederholt ſich bei den Trematoden in einem anderen Sinne. Die höheren Saugwürmer ſind ausſchließlich an die Fiſche gebunden, die niedrigeren aber finden ſich als Gäſte bei den verſchiedenſten Tier— klaſſen ein, halten ſich jedoch, ſofern ſie einer Verwandlung und Wanderung unterworfen ſind, weſentlich an die von uns auch bei den Fadenwürmern bemerkte Regel, daß die Jugend— periode in niedrigeren Wirten abgethan wird und die Geſchlechtsreife vorzugsweiſe in Wirbel— tieren und in dieſem beſonderen Falle zum Teil in Wirbeltieren ſelbſt beim Menſchen eintritt. Die Saugwürmer zerfallen in zwei Unterordnungen: 1) in die Vielmäuler oder Polystomeae und 2) in die Zweimäuler oder Distomeae. Die Vielmäuler haben am Vorderende zwei kleinere, ſeitlich gelegene Sauggruben und eine größere oder mehrere kleinere am Hinterende und bisweilen Klammerhaken. Sie ſind meiſt äußere Paraſiten und legen wenige große Eier, aus denen ſich die Jungen ohne Generationswechſel entwickeln, indeſſen durchlaufen dieſelben bisweilen eine Metamorphoſe. Sie ſind als äußerlich ſchmarotzende Tiere zwar mit einer Reihe pofitiver Eigentümlichkeiten, beſonders Haft- und Klammerapparaten, ausgerüſtet, aber aus eben dem Grunde auch weniger degeneriert als ihre innerlich paraſitierenden Verwandten, ſo haben ſie z. B. öfters Augen, welche dieſen, den Zweimäulern, im ausgebildeten Zuſtande ſtets abgehen. Auch haben die Zweimäuler immer höchſtens zwei Sauggruben und niemals Klammerhaken, ſie produ— zieren aber zahlreiche, kleinere Eier, die ſich mit Generationswechſel entwickeln, ſo daß alſo aus jedem Ei eine größere Anzahl von Nachkommen hervorgehen kann. Es iſt eben für Binnenſchmarotzer ſchwieriger, den definitiven Wirt, in welchem ſie geſchlechtsreif werden können, zu erlangen, als für äußerliche Paraſiten, es geht von den Eiern jener, wenn ſie auch klein und zahlreich ſind, ein viel größerer Prozentſatz verloren als von denen dieſer, und es würde die Exiſtenz der Art ſehr problematiſch werden, wenn nicht durch den Genera— tionswechſel für eine „numeriſche“ Auffriſchung geſorgt wäre. Eine der am längſten bekannten, ſchon im vorigen Jahrhundert gut beſchriebene Gattung der Vielmäuler iſt Tristomum oder Epibdella, Tristomum (Dreimund) genannt, weil oberhalb der eigentlichen Mundöffnung noch zwei kleine Saugnäpfe gleichſam wie zwei weitere Mäuler liegen. Unſere Abbildung (Fig. 1) zeigt Epibdella hippoglossi, den häufigen Schmarotzer auf dem Heiligbutt, in natürlicher Größe, einmal vollſtändig ausgeſtreckt und daneben mit nach dem Bauche gebogenem Vorderende. Die kleine Mundöffnung liegt etwas hinter den beiden vorderen Saugnäpfen. Sehr in die Augen fallend iſt der hintere Saug— napf, in welchem man bei genauer Unterſuchung mit mäßiger Vergrößerung ein Paar größere und einen ſehr kleinen Haken entdeckt. Profeſſor van Beneden sen. in Löwen, dem wir die genaueſten Unterſuchungen über dieſes Tier verdanken, verfiel auf ein ebenſo ein— faches wie ſinnreiches Mittel, die Epibdellen mehrere Wochen in ſeinem Zimmer am Leben zu erhalten, indem er ſie alle Tage in eine friſche Auſter ſetzte. Der Wurm nimmt oft die Stellung an, die auch der Blutegel liebt, indem er das Kopfende an den hinteren Saugnapf anſetzt. Außerdem verlängert er den Körper wie die Blutegel, oder verkürzt ihn, indem er in die Breite geht, ohne jedoch die Ausdehnungsfähigkeit wie die Egel zu haben. Die Farbe iſt weiß wie die Unterſeite der Scholle, die er bewohnt. Allgemeines. Vielmäuler. Epibdella. Doppeltier. 189 An Epibdella reihen ſich andere Gattungen, welche ebenfalls durch den Beſitz eines großen Saugnapfes am Hinterende ausgezeichnet ſind; ſie können unſer Intereſſe weniger durch ihre höchſt eintönige Lebensweiſe als durch ihre zum Teil ſehr zierlichen Formen in Anſpruch nehmen. Wir greifen zur Beſtätigung nur ein paar Arten heraus. So findet. ſich nicht ſelten auf dem Knurrhahn (Trigla hirundo) der röhrentragende Scheibenfuß (Trochopus tubiporus), eins von jenen ektoparaſitiſchen Vielmäulern, welches auch im ausgewachſenen Zuſtande Augen hat. Ihrer ſind vier, welche zwiſchen den beiden anſehn— lichen vorderen Saugnäpfen und der winzigen Mundöffnung liegen. Der geſtreckte elliptiſche Körper endigt mit einem großen Saugnapf, der einer Roſette gleicht, durch neun ſpeichen— artige Leiſten geſtützt iſt und von einem ge— franſten Saume umgeben wird. Eins der auffallendſten Tiere dieſer Gruppe iſt Cyclatella annelidicola, deſſen Mund von einem Kranze bewimperter Fühler umſtellt iſt. Der ovale, ganz flache und rein weiße Körper iſt hinten tief ausgeſchnitten, und der große Saugnapf ſitzt auf einem von dem Ausſchnittswinkel entſpringenden Stiele. Auch hier wird dieſes Saugorgan von acht Speichen geſtützt und von einem zarten Haut— ſaum umfaßt. Feſt damit angeſaugt, vermag das Tier auf dem dehnbaren und nach— giebigen Stiele ſich frei und lebhaft nach allen Seiten zu bewegen. Es iſt einer der AT wenigen Saugwürmer, welche ſich auf Ringel— © * A 8 würmer, und zwar auf einer röhrenbewoh— e e nenden Clymene, aufhalten. Leider verbietet uns der Raum, das Bild anderer Formen und ſo auch das der ſehr merkwürdigen Udonellen zu geben. Letztere ſonderbare Weſen fixieren ſich auf den auf Fiſchen ſchmarotzenden Fiſchläuſen (Caligus) und Lernäen, benutzen dieſe Krebſe aber bloß als Unterlage, Wohnung, reſp. die Caligiden als Fahrgelegenheit, indem ſie ihre Nahrung lediglich von den Fiſchen beziehen. Wir laſſen nun einige Beiſpiele aus einer anderen formenreichen Familie folgen, in welcher die Tiere am Hinterende mehrere, am häufigſten acht Saugnäpfe in zwei Reihen tragen. Darunter findet ſich eine der wunderbarſten Erſcheinungen des Tierreiches, das Doppel— tier (Diplozoon paradoxum, ſ. Abbild. S. 190). Das Weſen beſteht aus zwei voll: kommen gleichen Hälften, deren jede alle Eigenſchaften eines ganzen Tieres beſitzt: es ſind zwei in der Mitte ihres Körpers miteinander nicht nach Art der ſiameſiſchen Zwillinge, ſondern über das Kreuz verbundene Individuen. Die beiden zugeſpitzten Vorderenden haben jedes eine Mundöffnung und daneben ein Paar kleine Saugnäpfe. Bei Anwendung einigen Druckes ſieht man bei geeigneter Vergrößerung den aus einer mittleren Röhre und zahlreichen Seiten— zweigen beſtehenden Darmkanal, der gleich allen übrigen Organen in jeder Hälfte geſondert verläuft. Am Hinterende jedes Wurmes finden ſich in einer Vertiefung zwei Haftorgane, die aus vier durch Hartteile in Geſtalt einer Schnalle geſtützten Saugnäpfen zuſammengeſetzt ſind. 190 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; zweite Ordnung: Saugwürmer. Jede der beiden Hälften des Doppeltieres zeigt den vollſtändigen zwitterigen Fortpflanzungs— apparat, welcher ebenfalls in allen Einzelheiten mit dieſen Organen der übrigen Saug— würmer übereinſtimmt. So lebt das Doppeltier auf den Kiemen mehrerer unſerer Karpfenarten, z. B. des Bleis des Gründlings, der Elritze. Es blieb zwei Jahrzehnte nach ſeiner Entdeckung ein un— verſtandenes Rätſel, bis von Siebold die überrajchende Löſung fand. Ihm fiel auf, daß A FE < NN su eltier (Diplozoon paradoxum), b) Ei, e) Larve desſelben; d) einzeln lebende Diporpa. Vergrößert. an den Kiemen der Elritze ſtets noch ein anderer Paraſit dem Diplozoon Geſellſchaft leiſtete, ein Wurm, welcher ſchon früher den Namen Diporpa erhalten hatte. „Bei näherer Ver: gleichung beider Paraſiten ſtellte es ſich bald heraus, daß die einfache Diporpa mit dem doppelten Diplozoon in einer gewiſſen Beziehung ſtehen müſſe, denn das Mundende mit den beiden ſeitlichen Saugnäpfen ſowohl wie der Darmkanal von Diporpa ſtimmte mit denſelben Teilen von Diplozoon vollkommen überein. Ebenſo hatten die beiden am Hinter— leibsende der Diporpa angebrachten hornigen Klammerorgane ganz dieſelbe Beſchaffenheit wie die einzelnen acht Klammerorgane, mit denen Diplozoon an jedem ſeiner beiden Hinter: leibsenden ausgerüſtet iſt. Der Unterſchied beider Tiere beſteht, ganz abgeſehen von der Doppelleibigkeit des Diplozoon, beſonders darin, daß Diporpa keine Spur von Fort— pflanzungsorganen enthält, welche Diplozoon in beiden hinteren Leibeshälften erkennen läßt, daß Diporpa ſtets um vieles kleiner iſt als Diplozoon, und endlich, daß Diporpa Doppeltier. Diporpa. 191 hinter der Mitte der Bauchfläche an derjenigen Stelle, an welcher die beiden Leiber des Diplozoon verſchmolzen find, einen Saugnapf trägt.“ Die letztere Angabe iſt nicht völlig richtig, wie aus den neueren Mitteilungen Zellers hervorgeht. Es gelang dieſem Forſcher, Diporpen aus den Eiern des Doppeltieres in reinem Waſſer zu erziehen und die Vereinigung zweier Diporpen zu beobachten. Das Junge be— darf zu ſeiner Entwickelung in dem länglichen, mit einem langen Hornfaden verſehenen Ei (b) etwa 14 Tage. Das Junge, von ungefähr 0,26 mm Länge (e), iſt bewimpert und trägt zwei Augen; von Klammerorganen a am Hinterende {N nur ein Paar vorhanden. „Die jungen Tierchen, wie fie die Eier verlaſſen, ſind äußerſt lebhaft und in raſtloſer Bewegung, ſei es, daß ſie nur langſam und behaglich dahingleiten, oder, was das Gewöhnliche iſt, daß ſie mit außerordentlicher Schnelligkeit um— herſchwimmen, vorwärts ſchießen, um— biegen, in der mannigfachſten Weiſe ſich drehen und wenden, wohl auch völlig überſchlagen. Mitunter ſcheinen zwar dem bloßen Auge die Tierchen ſtill zu halten, aber auch dann findet man ſie, unter dem Mikroſkop betrachtet, in Be— wegung, indem ſie, Kopf und Hinterleib gegeneinander gekrümmt, im engſten Kreiſe mehr oder weniger ſchnell ſich drehen. Häufig kann man beobachten, wie die Tierchen beim Schwimmen ihre beweglichen Angelhäkchen auf die Enden der Stiele umſchlagen und längere Zeit über die Seitenwände des Körpers hin— aus geſtreckt halten.“ Wird den Tierchen keine Gelegen— heit geboten, ſich auf die Kiemen ihrer Wohnfiſche anzuſetzen, ſo werden ſie nach wenigen Stunden matt und ſterben bald. Die Anſiedelung wurde von Zeller nicht direkt beobachtet, doch fand er im Juli und Auguſt auf den Kiemen der Pfelle (Phoxinus laevis) oft 100 und mehr Diporpen auf einmal, unter ihnen ſolche, die eben erſt ihren Platz eingenommen haben mußten. Die ausgebildete Diporpa hat eine ungefähr lanzettförmige, abgeplattete Geſtalt. Sie trägt auf der Bauchfläche einen kleinen Saugnapf und auf dem Rücken, etwas weiter nach hinten gerückt, eine zapfenförmige Hervorragung. Man hatte bisher geglaubt, die Diporpen legten ſich mit ihren Saugnäpfen zur Bildung des Doppeltieres aneinander; Zeller hat aber gezeigt, daß jedes Individuum mit ſeinem Saugnapf den Rückenzapfen des anderen umfaßt. Dieſe Vereinigung tritt jedoch oft erſt nach Wochen und Monaten ein, während welcher die ein— zelnen Diporpen, gleich dem Diplozoon, Blut aus den Kiemen ſaugen. Die einzige auf— fallende Veränderung der iſolierten Diporpen beſteht in der Anlage des zweiten, nicht ſelten auch des dritten Klammerpaares am Hinterende. 1) Dactylocotyle 2) Anthocotyle. Beide vergrößert. 192 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; zweite Ordnung: Saugwürmer. Eine andere, ſchon an ſich, ohne zu einem Doppelweſen zu werden, höchſt überraſchende Form bietet die auf den Kiemen des Merlan (Merluceius vulgaris) lebende Anthocotyle merluccii. Kaum dürfte ein anderer Saugwurm ſo verſchiedenartige Mittel wie dieſer beſitzen, um ſich auf ſeinem Wirte zu behaupten. Zwar die beiden kleinen Saugnäpfe am ſpitzigen Vorderende ſind nicht beſonders wirkſam; ſie dienen hier und da, wo ſie vorkommen, vorzüglich dazu, den Mundſaugnapf und die Mundöffnung (ſ. Abbild. S 191, Fig. 2 a) bei der Nahrungsaufnahme zu fixieren. Aber ein Paar ausgezeichnete Haftwerkzeuge ſitzen unten an der ſtielartigen Verlängerung des Körpers. Die beiden oben konvexen, unten flachen Organe tragen an der Unterſeite vier Haken und außerdem einen beſonderen kleinen, geſtielten Saugnapf. Am Hinterende aber ſieht man noch drei Paar geſtielte Saugnäpfe in 4 ſymmetriſcher Anordnung. Die beiden geſchwun— genen Linien, welche, vom Schlunde ausgehend, den Körper durchziehen und ſich in der Nähe der großen Haftorgane kreuzen, ſind nebſt ihren Ab— zweigungen der Darmkanal. Der Wurm, von dem wir eben geſprochen, iſt gewiſſermaßen eine ſchon etwas künſtliche und mit Schnörkeln ausgeſtattete Variation eines einfacheren Themas, dem ſich eine zweite Art, die wir aus— gewählt, die auf den Kiemen des Pollack (Mer— langus pollachius) lebende Dactylocotyle pol- lachii (ſ. Abbild. S.191, Fig. J), getreuer geblieben iſt. Überhaupt aber kennt man von dieſen höheren, keiner Verwandlung unterworfenen Saugwür— mern einige 30 Gattungen, welche der an ent— fernten Küſten ſammelnde Forſcher leicht verdoppeln und verdreifachen könnte. Der Zweck unſeres Werkes würde durch eine weitere Aufzählung und Beſchreibung nicht vollſtändiger erreicht. Nur auf zwei Formen mag noch hingewieſen werden, da dieſelben durch ihren Wohnplatz ſich der folgenden Abteilung als Binnenparaſiten nähern, Aspidogaster conchicola und Polystomum inte- gerrimum (j. nebenſtehende Abbildung). Von jenem kennen wir zwar die Anatomie und einige Stadien der Entwickelungsgeſchichte, wiſſen jedoch von ſeinen Wanderungen nichts. Es hält ſich im Herzbeutel einiger unſerer Muſcheln auf. Dagegen ſind die nicht geringen Wandlungen und die Wanderungen des in der Harn— blaſe der Fröſche lebenden Polystomum integerrimum durch die ſorgfältigen Beobachtungen von Zeller bekannt geworden. Das Tier mit plattem, etwas ringeligem Körper erreicht eine Länge von 8—10 mm. Es unterſcheidet ſich von den meiſten Saugwürmern durch den veräſtelten und mit vielen Ausbuchtungen verſehenen Darmkanal und iſt vor allem kenntlich durch eine anſehnliche Scheibe am Hinterende, auf welcher ſich drei Paar Saug— näpfe und ein großes Paar Haken befinden. Die Polyſtomen ſcheinen im natürlichen Zus ſtande ihre bräunlichen, ſchon mit bloßem Auge ſichtbaren Eier, indem ſie aus der Harn— blaſe heraustreten, direkt in das Waſſer zu bringen, und zwar geſchieht dies im Frühjahr, nachdem die Fröſche ihr Winterlager verlaſſen haben. Je nach der Temperatur vergehen bis zum Ausſchlüpfen 14—40 Tage; ſo verhielt es ſich bei den in der Stube in reinem Polystomum integerrimum. a) Larve desſelben. Beide vergrößert. Polystomum integerrimum. Endoparaſitiſche Saugwürmer. 193 Waſſer gezogenen Jungen. Im Freien dürften, nach Zellers Vermutung, 6—8 Wochen darüber vergehen „Das reife, zum Auskriechen fertige Tierchen“, berichtet Zeller, „habe ich für gewöhnlich ſo in dem Eie liegend gefunden, daß es mit ſeiner Schwanzſcheibe gegen das geſtielte Ende des Eies, mit ſeinem Kopfteil aber nach dem entgegengeſetzten Ende gekehrt iſt. An dieſem letzteren öffnet ſich das Ei mittels eines Deckels, welcher aber nicht glatt abſpringt, ſondern einen unregelmäßig zackigen Rand beſitzt. Der Deckel iſt klein, und das auskriechende Würmchen hat einige Schwierigkeit, ſich durch die enge Offnung herauszuwinden, ſo daß es hierbei öfter ſeine Eiſchale eine Strecke weit hinter ſich herzieht. „Das junge Würmchen, wie es das Ei verläßt (ſ. Abbildung S. 192, a, Larve von Poly— stomum integerrimum), iſt ein äußerſt lebhaftes, bewegliches Tierchen und ſchwimmt mit Hilfe ſeines Wimperbeſatzes luſtig im Waſſer umher, indem es dabei den Körper zuſammen— zieht und wieder ſtreckt, zur Seite biegt und umwendet, öfters auch, den Kopf nach abwärts gekehrt, blitzſchnell ſich dreht und geradezu überſchlägt. So tummeln ſich die Tierchen ſtundenlang munter umher.“ Von dem erwachſenen Tiere unterſcheidet ſich das junge viel— fach: einmal ſchon durch den vom Kopf längs der Seiten herablaufenden Wimperbeſatz, dann durch den Mangel der Saugnäpfe auf der Scheibe. Die 16 feinen Häkchen, welche dieſe trägt, bleiben auch dem fertigen Tiere. Der Übergang zur paraſitiſchen Lebensweiſe ſcheint nur ganz ausnahmsweiſe durch Einwanderung in ältere, 1—2jährige Fröſche zu ge— ſchehen, wohl aber ganz regelmäßig in die Kaulquappen, wo die jungen Polyſtomen (über— raſchend genug) ihren Sitz in der Kiemenhöhle aufſchlagen. Hier werfen ſie das Zeichen ihrer bisherigen Jugend, das Wimperkleid, ab. Leider gelang es unſerem Gewährsmanne nicht, zu erforſchen, auf welchem Wege die Schmarotzer aus der Kiemenhöhle in die Harn— blaſe gelangen. Sie nehmen in dieſe Stufe ihres dunkeln Daſeins die vier Augen mit, welche dem frei lebenden Tiere ſicher von Nutzen waren. Wir treten nun in den Kreis der Zweimäuler, der eigentlichen ſogenannten endo— paraſitiſchen Saugwürmer, die ſich, wie wir ſahen, von den vorhergehenden durch eine größere Einfachheit der Saug- und Haftapparate unterſcheiden. Sie ziehen unſere Aufmerkſamkeit in höherem Maße auf ſich, indem ſich unter ihnen wieder wichtige Schma— rotzer der Haustiere und des Menſchen finden, und indem ihre Entwickelung und der Über— gang der Jugendformen in den Zuſtand der Reife wiederum an eine ſolche Verkettung von auffallenden Ereigniſſen geknüpft iſt, deren Verfolgung zwar ſehr ſchwierig, deren Löſung aber lohnend und anregend iſt. Unter allen Eingeweidewürmern wurden dieſe ſich verwandelnden Trematoden am früheſten entlarvt, und fie waren es in Gemeinſchaft mit einigen anderen niedrigen Tieren, welche Steenſtrup auf die fruchtbare Idee von der Fortpflanzung durch wechſelnde Generationen oder kurz die Theorie des Generations— wechſels brachten. Aus den Eiern der faſt immer zwitterigen Zweimäuler ſchlüpft ein mit Wimperhaaren bedeckter, länglich birnenförmiger Embryo, welcher am breiteren vorderen Ende bisweilen einen X-förmigen Augenfleck trägt, Anlagen eines Waſſergefäßſyſtems, gelegentlich auch ſchon eine Sauggrube, Mund und Darm aufweiſt. Dieſer Embryo begibt ſich nun, mittels ſeines Flimmerkleides munter ſchwimmend, auf die Suche nach einem kleinen Waſſertier, meiſt einer Schnecke, in welche er eindringt, um ſich in ihr unter Verluſt ſeines Wimper— kleides in einen ſogenannten „Keimſchlauch“ oder auch „Amme“ zu verwandeln. Dieſer Keimſchlauch iſt verſchieden beſchaffen. Entweder er hat eine walzenförmige Geſtalt, welche vorn in ein kegelförmiges Kopfende ſich zuſpitzt, nach hinten ſich allmählich ſchwanzartig verjüngt und hinterwärts der Körpermitte kurze ſeitliche Anhänge zeigt, dabei einen Mund Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 13 194 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; zweite Ordnung: Saugwürmer. und einen Darmſchlauch beſitzt. Ein ſolches Weſen heißt nach ſeinem erſten Entdecker, dem berühmten italienischen Naturforſcher Francesco Re di (geſt. 1697) eine Redie. Im anderen Falle bleibt der Keimſchlauch einfach, mehr oder weniger eiförmig, ohne Anhänge und ohne Mund und Darm und heißt dann eine Sporocyſte. Im Inneren ihres Wirtes wachſen beide Arten von Keimſchläuchen ſchnell, und in ihrem Inneren treten eigentümliche Ballen, die Keimkörner, auf, welche nach Art eines tieriſchen Eies ſich entwickeln und entweder eine zweite Generation von Keimſchläuchen oder gleich eigentümliche kleine Weſen, „Schwänzlinge“ oder Cerkarien, liefern. Dieſe Schwänzlinge gleichen ſchon einigermaßen dem fertigen Zweimaul: ſie beſitzen Saugnapf, Mund und Darm wie dieſes, ſind aber in der Regel mit proviſoriſchen Larvenorganen ausgerüſtet, nämlich mit einem Augenfleck, einem Stachelappa— rat und einem beweg⸗ lichen Schwanzan— hang, durch welchen ſie einigermaßen das Anſehen von Kaul— quappen gewinnen. Dieſe Cerkarien ſind Larven der Zwei— mäuler. Haben ſie eine gewiſſe Größe erreicht, ſo platzt der Keimſchlauch durch ihren Druck, ſie ſpren— gen ihn und wandern aus ihrem Wirte aus. Jetzt kommen ihnen ihre proviſoriſchen Larvenorgane zu gu— Cerkarien: a) ſchwimmend, b) kriechend, e) eingekapſelt. Stark vergrößert. te, denn ſie ſind auf der Suche nach einem neuen Wirte. Daß ihr Augenfleck genügt, ihnen denſelben bemerklich zu machen, iſt höchſt zweifelhaft, es werden andere Momente ſein, die hierbei in Thätigkeit treten, aber ihr äußerſt beweglicher Schwanzanhang iſt ein vortreffliches Ruder. Endlich finden ſie ihren neuen Wirt, irgend ein Waſſertier vom Wurm bis zum Froſch, an dieſes machen ſie ſich heran, um ſich in dasſelbe einzubohren, was mittels des Stachelapparates und unter Aſſiſtenz des drehende Bewegungen ausführenden Schwanzanhanges geſchieht. End— lich iſt das Ziel erreicht, die Cerkarie iſt in ihr Opfer eingedrungen. Hier wirft ſie den nunmehr überflüſſigen Schwanz, dem ſie ihren Namen verdankte, ab, kapſelt ſich ein und ver— wandelt ſich in ein junges, noch geſchlechtsloſes Zweimaul. In dieſer Geſtalt wartet ſie, bis ihr einſtweiliger Wirt von einem anderen geeigneten Tiere gefreſſen wird, in deſſen Magen oder Darm der Wirt zwar verdaut und die Kapſel des jungen Zweimaules aufgelöſt wird, dieſes ſelbſt aber keine Anfechtungen erduldet. Nach vielen Irrfahrten und vielen Chancen, auf denſelben zu ſcheitern wie unzählige ſeiner Geſchwiſter, iſt es jetzt im ſicheren Hafen eingelaufen und ſucht nun in dem neueſten, dem ſogenannten definitiven Wirte (die anderen waren bloß Zwiſchenwirte), die Stellen auf, ſeien es Darm, Harnblaſe, Lebergänge, Entwickelung der Zweimäuler. 195 in welcher es geſchlechtsreif wird und Eier produziert. Mit dem Kote des definitiven Wirtes gelangen die Eier nach außen ins Waſſer, und der Entwickelungskreis beginnt aufs neue. In dem oben erwähnten Falle, daß aus den Keimkörnern keine Cerkarien, ſondern wieder Keimſchläuche werden, entwickelt ſich erſt in dieſen die Cerkarienbrut. Wir ſehen, um kurz zu rekapitulieren, alſo folgenden Entwickelungsgang: 1) ſchwim— mender Embryo: freies Waſſer, 2) ein- oder zweimaliger Keimſchlauch: erſter Zwiſchenwirt, 3) ſchwimmende Cerkarie: freies Waſſer, 4) eingekapſeltes junges Zweimaul: zweiter Zwiſchenwirt, 5) unfreiwillig durch Gefreſſenwerden des zweiten Zwiſchenwirtes einge— wandertes geſchlechtsreifes Zweimaul: definitiver Wirt. Der Entwickelungsgang kann ſich aber auch vereinfachen, ſo bei dem äußerſt ſeltſamen Leucochloridium paradoxum. Im Darm gewiſſer Singvögel, beſonders in der Nähe des Waſſers ſich aufhaltender inſektenfreſſender, lebt ein Zwei— 2 maul (Distomum macrostomum), deſſen Eier mit dem Kote nach außen gelangen, unter anderen auch auf Pflanzen am Ufer von Bächen und Tümpeln. Hier halten ſich ſtellen— weiſe maſſenhaft die amphibiſchen Bernſteinſchnecken (Suc- cinea putris) auf, welche das Blattparenchym der Ufer: pflanzen mit ihrer Feilenzunge ſchabend abnagen, dabei aber auch die Eier des Zweimaules mit verſchlingen. Dieſe entwickeln ſich hier zu einem ſehr ſonderbaren Keim— ſchlauch, der in Geſtalt eines vielfach veräſtelten Ge— ſpinſtes die Eingeweide der Schnecke umgibt und in ſich Keimballen erzeugt, aus denen ſchwanzloſe Cerkarien oder, da dieſer Ausdruck ein offenbarer Widerſpruch iſt, junge geſchlechtsloſe Zweimäuler hervorgehen. Dieſe blei— ben nicht in den Aſten jenes Geſpinſtes, ſondern treten gruppenweiſe in beſondere Endſchläuche desſelben über, wo fie, ſchichtenweiſe hintereinander gelagert, eine Art Doppel maul (Distomum echivatum). Patrone, eben das Leucochloridium bilden. Der vor- ” gane W dere Abſchnitt dieſer Endſchläuche, welche beſonders oft in die Fühlhörner der Schnecke, welche dadurch unförmlich verdickt werden, eindringen, ſind bunt gefärbt, grün und weiß gebändert und führen lebhafte ſtoßweiſe Bewegungen aus. Dieſe Bewegungen werden ſchließlich ſo ſtark, daß der Fühler platzt und der End— ſchlauch, ſich vom übrigen Keimſchlauch loslöſend, frei wird und ſich in der feuchten Um— gebung kriechend bewegt. So ſieht das Leucochloridium einer Inſektenlarve ähnlich und erregt natürlich bald die Aufmerkſamkeit der dort der Jagd obliegenden Singvögel, welche die vermeintliche Larve als gute Beute verſchlingen, nicht ahnend, daß ſie ſich mit zahlreichen Zweimäulern bei dieſer Gelegenheit infizieren. Es iſt das einer der wenigen Fälle, wenn nicht der einzige, in dem ein Tier oder eine Geſellſchaft von Tieren provokatoriſch gefärbt iſt, um gefreſſen zu werden. Der Feind wird hier zum Freund! Von viel hervorragenderem allgemeinen Intereſſe, wenn auch nicht wiſſenſchaftlichem, iſt die Lebensgeſchichte eines anderen Zweimaules, des berüchtigten Leberegels (Disto- mum hepaticum, Abbildung S. 197). Ganz beträchtlich iſt der Schade, welchen dieſer Schmarotzer der Viehzucht und damit der geſamten Menſchheit zugefügt hat. Laſſen wir den größten Kenner des tieriſchen Schmarotzertums und zugleich den Entdecker der 13* 196 Würmer. Sechſte Klaffe: Plattwürmer; zweite Ordnung: Saugwürmer. Entwickelungsgeſchichte des Leberegels, Leuckart reden: „Für das Jahr 1830 wird der Ver— luſt allein an Schafen in England auf etwa 1½ Millionen Stück berechnet, die einen Geld— wert von nahezu 4 Millionen Pfund Sterl. (80 Millionen Mark) repräſentieren. Ein einziger Schafzüchter erlitt in dem Jahre 1824 binnen 3 Monaten an ſeinen Herden einen Verluſt von 3000 Pfund (60,000 Mark). Nach Zündel ging in Elſaß-Lothringen 1873 der dritte Teil aller Schafe im Werte von 1,150,000 Frank zu Grunde. In Irland ſoll 1862 ſogar mehr als die Hälfte der Schafe (60 Prozent), in Slawonien 1876 nahezu die Hälfte (40 Proz.) alles Hornviehes an der Leberegelſeuche geſtorben ſein. Allein in der Umgegend von Arles fielen 1812 nicht weniger als 300,000 Stück. Ebenſo ging nach den Mitteilungen von Wer— nicke im Jahre 1882 in den ſüdlichen Provinzen von Buenos Ayres nicht weniger als 1 Million Schafe zu Grunde. Man erſieht, welche hohe Bedeutung der Leberegel für die Landwirtſchaft und inſonderheit für die Viehzucht beſitzt, in welchem Grade derſelbe ſogar im ſtande iſt, den nationalen Wohlſtand zu ſchädigen.“ Lange ſchon war es aufgefallen, daß gewiſſe Jahre ein großes Sterben des Horn— viehes an der Egelſeuche brachten; das geſchah z. B.: in Deutſchland: 1753, 1816, 1817, 1854, 1877, in England: 1809, 1816, 1824, 1830, 1853, 1860, und in Frankreich: 1809, 1816, 1817, 1820, 1829, 1830, 1853 und 1854. Solche Jahre waren in den betreffenden Gegenden immer ſehr feucht und regenreich geweſen, und 1816 war in ganz Europa ein äußerſt naſſes Jahr, dem das Notjahr von 1817 folgte. Weiter hatte man bemerkt, daß beſtimmte Lokalitäten ganz beſonders dazu angethan waren, die Schafe mit Leberegeln anzuſtecken. „Der erfahrene Landwirt kennt nicht bloß die Gefahren ſolcher Gegenden, er kennt auch vielfach die beſonders verdächtigen Plätze, meiſt Gräben und Pfützen ohne rechten Abfluß oder ‚Jaure‘ Wieſen, die er nach Kräften meidet, um ſeine Herde nicht zu ‚verhüten“. — Den engliſchen Schafzüchtern wurde in früherer Zeit (ob mit Recht oder Unrecht, will ich nicht entſcheiden) oftmals vorgeworfen, daß ſie ihre Zuchttiere vor dem Verkauf abſichtlich verhüteten, um einen größeren Abſatz zu erzielen.“ (Leuckart.) Wie geht das alles zu? — Nun, die Menſchheit verdankt Leuckart, wie ſo vieles andere für ihre Geſundheit und ihren Wohlſtand Nützliche, auch die Entdeckung der Ur— ſache der Leberfäule, d. h. mit anderen Worten die Kenntnis des Entwickelungsganges des Leberegels. Mit dem Kote der von der Leberfäule befallenen Schafe gelangen die Eier des Paraſiten nach außen, viele auf trockenes Terrain, wo ſie zu Grunde gehen (denn Aus— trocknen können die Eier der Saugwürmer durchaus nicht, wie die vielen Rundwürmer, ver— tragen), viele aber auch auf feuchte Erde, die bald überſchwemmt ſein wird, oder in das Waſſer ſelbſt. Die Entwickelung des Embryos geht nur im Waſſer vor ſich und um ſo ſchneller, je günſtiger die Bedingungen ſind, namentlich je höher die Temperatur iſt. Die Eier aber, welche etwa im Spätherbſt in das Waſſer gelangt ſind, können den Winter über— dauern, ohne ihre Keimfähigkeit einzubüßen. Geht alles gut, ſo entwickelt ſich aus dem Ei ein Embryo, im allgemeinen von der weiter oben beſchriebenen Beſchaffenheit, ſchwimmt herum und ſucht ſich ſeinen Zwiſchenwirt. Als ſolcher dient aber eine einzige Art von Schnecke, welche ganz Europa, von Island und den Faröer an, Nordaſien, die Kanaren, Nordafrika bis Abeſſinien bewohnt und in Auſtralien und Amerika vielleicht auch vor— kommt, oder durch ſehr nahe verwandte Formen, möglicherweiſe nur Lokalraſſen, vertreten wird. Dieſe kleine, 4— 8 mm lange Schnecke (Limnaeus minutus) bewohnt feuchte Lokali— täten, nicht bloß das Waſſer, ſie lebt hingegen mehr amphibiſch, kriecht zwiſchen Moos und am unteren Teil der Grashalme empor, ja verſteigt ſich bei anhaltend feuchter Witterung noch höher, ſelbſt auf kleine Büſche. Sind nun die Embryonen des Leberegels in großer Menge durch die Oberhaut, das Atemloch ꝛc. in eine ſolche Schnecke eingedrungen, ſo trägt dieſe ihre unwillkommenen Gäſte Leberegel. Kleiner Leberegel. 197 überall mit ſich herum. Im Inneren ihres Wirtes werden nun die jungen Würmer zu Keimſchläuchen, und zwar zu ovalen Sporocyſten, deren 12—15 Keimballen abermals nacheinander zu Keimſchläuchen, aber zu Redien heranwachſen. Dieſe Redien ſuchen das Innere des Wirtes, beſonders ſeine Leber, auf und ſind erfüllt mit Keimen, die ent— weder direkt zu Cerkarien oder, je nach der Jahreszeit, gar abermals zu Tochterredien heranwachſen. „Des Sommers habe ich ebenſowenig jemals eine Generation von Tochter— redien beobachtet, wie umgekehrt nie eine ſolche von Cerkarien. Es wurden auch niemals Redien und Cerkarien nebeneinander aufgefunden. Während des Winters dürften die Redien des Leberegels demnach ganz regelmäßig wiederum Redien gebären — ein Um— ſtand, der die Zahl der Nachkommen natürlich beträchtlich erhöht und die Gefahr einer Anſteckung in demſelben Verhältnis vergrößert. Ein Embryo, der im Laufe des Früh— lings in eine Schnecke einwandert, produziert durch Hilfe ſeiner Zwiſchengeneration bis zum Herbſt durchſchnittlich etwa 300 — 400 Cerkarien, eine Zahl, die um ein Bedeutendes, vielleicht das Zehnfache, ſteigt, ſobald bei ſpäter Einwanderung die Redien überwintern und an Stelle von Cerkarien dann zunächſt wieder eine Redienbrut hervorbringen.“ (Leuckart.) Die Cerkarien ſind ausgezeichnet durch den Beſitz eigen— tümlicher, großer Organe, von denen je eins an jeder Seite neben dem Darm liegt. Es ſind das Drüſen, welche eine wichtige Rolle im Haushalt unſeres Tieres ſpielen. Die Cer— karien verlaſſen nämlich ihren Zwiſchenwirt innerhalb oder außerhalb des Waſſers, ſuchen aber keinen weiteren Zwiſchen— wirt auf, ſondern umgeben ſich an Grasſtengeln und den tieferen Regionen anderer Pflanzen feuchter Orte mit einer Kapſel, die aus dem Sekret jener Seitenorgane beſteht, und in welcher der Wurm längere Zeit lebenskräftig verbleibt, g 5 auch wenn ſich das Waſſer von feiner Anhaftungsitelle ver— en laufen hat. Hier entwickelt es fih zum jungen Zweimaul, das ſamt Kapſel und Pflanze vom definitiven Wirt gefreſſen wird, in dem es zum ge— ſchlechtsreifen Leberegel auswächſt. Dieſer mißt 25 — 28 mm in der Länge und bis 12 mm in der Breite, hat ein dickeres, zapfenartiges, 3— 4 mm langes Vorderende des Körpers und einen blattähnlich abgeflachten Hinterleib. Die Außenhaut trägt zahlreiche ſchuppenartige Stacheln. Die definitiven Wirte des Leberegels ſind in erſter Linie Schafe, dann Rinder und andere Wiederkäuer, aber auch Pferde, Eſel, Schweine, Elefanten, Kaninchen, Eichhörnchen, Känguruhs und ge— legentlich ſelbſt der Menſch. Sein normaler Aufenthaltsort ſind die Gallengänge ſeines definitiven Wirtes, wo er ſich aber nicht etwa von Galle ernährt, ſondern Blut ſaugt. Ein weit ungefährlicherer, dem Leberegel nahe verwandter und mit ihm denſelben Verbreitungsbezirk teilender Gaſt iſt der kleine Leberegel (Distomum lanceolatum), 8—10 mm lang. Er kommt gewöhnlich nur in geringerer Anzahl vor, und dies ſowie ſeine Kleinheit und der Mangel an Körperſtacheln ſind die Urſachen, warum er viel minder zu fürchten iſt. Sein Lebensgang ſcheint ein ähnlicher wie der des großen Leberegels zu ſein und beginnt mit der Periode der bewimperten Larve. Die Einwanderung in den Menſchen gehört zu den größten Seltenheiten. Einmal ging ein anderes großes Doppel— maul (Distomum Rathouisi, 25 mm lang, 16 mm breit) einer Chineſin ab, welche an hart— näckigen Leberſchmerzen gelitten hatte, ein weiteres, 10 — 13 mm langes, ziemlich ſchlankes (Distomum spathulatum) wurde gleichfalls bei Chineſen in der Leber gefunden und hat 198 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; zweite Ordnung: Saugwürmer. ſich neuerdings als ein in Japan ſtellenweiſe ſehr häufiger (bis 20 Prozent der Bevölkerung) Schmarotzer herausgeſtellt. Vielleicht, daß die Larven des Tieres mit halbroh oder als Salat verzehrtem, vorher mit Kanalwaſſer begoſſenem Gemüſe in den Menſchen gelangt ſind. In Indien findet ſich gelegentlich ein ſonſt beim indiſchen Straßenhund in der Leber häufiges Doppelmaul (Distomum conjunetum) auch beim Menſchen. Distomum hetero- phyes (nur 1I— 1, mm lang) wurde von Bilharz in Kairo in größerer Menge im Darm eines Knaben beobachtet, und im weſtlichen Aſien, in Weſtchina, Korea und Japan, be— wohnt ein S—10 mm langes, plumpgebautes Doppelmaul einzeln oder paarweiſe kavernen— artige Hohlräume der menſchlichen Lunge. Ein anderes wurde in unreifer Form ein einziges Mal in vier Exemplaren in der Linſenkapſel eines neunmonatigen Kindes beobachtet. Eine mit Distomum verwandte Gattung, Gynaecophorus (Distomum) haematobius, iſt ſowohl deswegen ſehr intereſſant, weil es getrennten Geſchlechtes, als vorzugsweiſe, weil es einer der gefährlichſten Paraſiten der ägyptiſchen Fellahs und Kopten iſt. Das Männchen iſt 1!/ em lang, das Weibchen ſchlanker und etwas länger. Der Saugnapf liegt nahe am Vorderrande. Nach den Unterſuchungen einiger in Alexandria an der medi— ziniſchen Schule wirkenden Profeſſoren, beſonders Bilharz', leidet wenigſtens die Hälfte der erwachſenen Bevölkerung ägyptiſchen Stammes an dieſem Wurme, der ſich in den venöſen Blutgefäßen des Unterleibes und ganz beſonders in den Harnwegen aufhält. Die dadurch verurſachten Leiden endigen oft mit allgemeinem Siechtum und Tod. Die Jungen dieſes Schmarotzers kommen ſehr zahlreich aus den in den leidenden Organen abgelegten Eiern aus; unzählige Eier werden aber auch entleert, und durch ſie iſt für die ſo allge— meine Verbreitung dieſer Paraſitenkrankheit leider mehr als hinreichend geſorgt. „Es wäre von höchſtem Intereſſe, die Wege zu erforſchen, auf denen Gynaecophorus haematobius in den menſchlichen Körper eindringt. Da die Lebens- und Nahrungsweiſe der Agypter ſehr einfach iſt, ſo dürfte das auch vielleicht eine relativ ziemlich leichte Aufgabe ſein. So lautet wenigſtens das Urteil Grieſingers, der die mediziniſchen Zuſtände Agyptens aus langjähriger Anſchauung kennt und ſich namentlich um die Aufhellung der Ento— zoenkrankheiten des Orients große Verdienſte erworben hat. Wie derſelbe meint, ſind bei der Beantwortung der Frage nach der Einfuhr hauptſächlich drei Dinge ins Auge zu faſſen: das Nilwaſſer, welches unfiltriert genoſſen wird, das Brot und Getreide, auch vielleicht die Datteln, die ein Hauptnahrungsobjekt bilden, und die Fiſche, die in halb— faulem Zuſtande ſehr allgemein und gern von den Fellahs genoſſen werden. Auch der rohen Blätter und Wurzeln zu gedenken, ſcheint durchaus gerechtfertigt, da dieſelben bei den armen Agyptern einen weſentlichen Beſtandteil der Nahrungsmittel ausmachen. Da es gerade die unteren Schichten der Bevölkerung ſind, die heimgeſucht werden, ſo liegt die Vermutung, daß dieſe Speiſe durch zufällig beigemiſchte Schnecken oder Inſekten die jungen Würmer im eingekapſelten Zuſtande einſchleppe, vielleicht noch näher als der Ge— danke an die Fiſche, die wenigſtens bei uns zu Lande nur ſelten von eingekapſelten Diſto— men bewohnt werden.“ (Leuckart.) * Wir vervollſtändigen unſere Kenntnis der dem Generationswechſel unterworfenen Saugwürmer, indem wir noch einen Blick auf ein paar, dem Distomum ſehr nahe ſtehende Gattungen werfen. Monostomum nennt man diejenigen, welche nur einen den Mund um— gebenden Saugnapf am Kopfe beſitzen. Davon bewohnt das einige Linien lange Mono— stomum mutabile eine Anzahl Waſſervögel. Ihre Entwickelung aus dem Ei ſchließt ſich genau an diejenige der Diſtomen der Fröſche an, und fie ſcheinen als Cerkarien jenen Vögeln (Reiher, Waſſerhuhn, Ente und anderen) in die Naſenhöhlen und von da in andere Gynaecophorus haematobius. Monostomum. Amphistomum. — Strudelwürmer. 199 Höhlen zu kriechen. — Die andere Gattung, mit welcher wir den Saugwürmern Lebewohl ſagen wollen, Amphistomum, hat einen großen Saugnapf am Hinterende. Das im Dick— darm der Fröſche, beſonders im grünen Waſſerfroſch, lebende Amphistomum subelavatum verbringt ſeine erſte Generation und den Cerkarienzuſtand frei im Waſſer und bei ver— ſchiedenen Waſſerinſekten und Weichtieren, auch in den Cyclas-Muſcheln. Zwei andere Arten, deren Lebensgeſchichte noch nicht verfolgt wurde, wohnen in unſeren Wiederkäuern. Dritte Ordnung. Die Strudelwürmer (Turbellarii). Wenn wir die oben an der lappenförmigen Planarie begonnenen Beobachtungen weiter fortſetzen, ſie z. B. frei im Waſſer ſchwimmen laſſen, ſo fällt das regelmäßige ſtetige Fort— gleiten ohne ſichtbare Ruderbewegungen auf; nur wenn das Tier Kopf oder Schwanz biegt, vollführt der Körper, einem Ruder entſprechend, die Drehung. Das Mikroſkop zeigt nun, daß die Planarie über und über mit feinſten Härchen bedeckt iſt, deren unausgeſetzte ſchwingende Bewegung den Körper ruhig durch das Waſſer gleiten läßt. In welcher Weiſe das Einſtellen dieſer Fortbewegung, gleichſam das Vorankerlegen des Schiffes, geſchieht, iſt nicht ganz klar. Jedenfalls erſcheint der von Ehrenberg gewählte Name glücklich, welcher an den von dem Tiere erregten und dasſelbe fortwährend umkreiſenden Waſſerſtrudel erinnert. Daß bei dieſer zarten Organiſation die Strudelwürmer vorzugsweiſe im Waſſer leben, verſteht ſich von ſelbſt. In ſtehenden und fließen— den Gewäſſern trifft man ſie an. Reichlich im ſüßen Waſſer wohnend, kommen ſie doch in unerſchöpflicher Fülle erſt im Meere vor. Wo an irgend einer Meeresküſte im brackiſchen oder reinſalzigen Waſſer eine Vegetation von Ulven, Seegräſern, Algen und Tangen fortkommt, iſt mit untrüglicher Sicherheit auch eine Bevölkerung von Turbellarien vorauszuſagen, im Eis— meere ſowohl als unter den Tropen. Manche halten ſich nur zwiſchen den zarten Zweigen der Algen auf, in geſchützten, dem Wellenſchlage nicht ſehr ausgeſetzten Buchten; andere trifft man zwiſchen den Aſten der harten Korallinen und Kalkalgen, zwiſchen denen ihr gebrech— licher Körper den ſtärkſten Schlägen der Brandung trotzt. Wenn aber eine ſteile Küſte ſo bröckelig iſt, daß Pflanzen ſich nicht anſiedeln können, ſo ſind die Strudelwürmer gleich— wohl da, indem ſie in den feinſten, kaum dem Auge bemerkbaren Riefen und Riſſen ſich verbergen. Nimmt man nun dazu, daß eine wenn auch kleine Abteilung auf dem Lande lebt, wo nämlich unter Baumrinde, in Treibhäuſern, auf den Blättern in feuchten Tropen— ländern ihre Haut vor der Austrocknung geſchützt iſt, ja, daß eine Art die Regenwürmer in Braſilien unter der Erde aufſucht, ſo muß man über die Biegſamkeit dieſer Art von Organismen erſtaunen. Wenn die Zuſammenſtellung der Zwergſpitzmaus mit dem Ele— fanten und Grönlandwal imponiert, ſo können wir aus den Turbellarien mit noch viel anſtändigeren Verhältniſſen aufwarten. Es gibt einzelne Spezies aus der Unterordnung der Schnurwürmer von 10 m Länge. Sie verhalten ſich in dieſer Dimenſion zu den kleinſten etwa wie 45,000 zu 1. Rüſſelende von Tetrastemma obseurum. Vergrößert. 200 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. Hmmm fur 1 Vierauge (Tetrastemma obseurum). Vergrößert— Erſte Unterordnung. Die Schnurwürmer (Nemertinj). Wenden wir uns nun zu dieſen Schnurwürmern (Ne— mertini). Sie haben alle einen auffallend geſtreckten, faſt nie ganz flachen, ſondern nur an der Bauchſeite etwas abgeplatteten Körper. Auf dem Vorderrande tragen ſie gewöhnlich zwei Haufen von Augen. Am Kopfende, gewöhnlich an der Unterſeite, befinden ſich zwei Offnungen; die eine führt in den Darmkanal, die andere, obere, in eine Höhle, in welcher ein ſehr eigentümlicher Rüſſel verborgen liegt. Derſelbe kann nämlich mit großer Schnelligkeit und überraſchend weit, oft auf die Länge von zwei Dritteilen des ganzen Tieres, hervorgeſtoßen werden und wird als ein Angriffs— organ benutzt. Bei einer Anzahl von Gattungen (der Abteilung Enopla) tritt bei der Ausſtülpung des Rüſſels eine Kalkſpitze hervor. Ein ſorgſamer Beobachter dieſer Tiere, Max Schultze, ſah wiederholt, wie das kleine, in der Oſtſee vorkommende, übri— gens lebendig gebärende Tetrastemma obscurum, über 2 mm lang, ſeinen Rüſſel (Abbildung S. 199), mit Blitzesſchnelle bis an das Stilett hervorſtieß und damit in die Nähe kommende Tiere, z. B. Flohkrebſe, verwundete. „Iſt das zu ergreifende Tier ange— ſpießt, ſo wird der Rüſſel allmählich wieder zurückgebracht, ohne jedoch ſeine Beute loszulaſſen, und nun kriecht die ganze Nemer— tine durch die vermittelſt des Rüſſels gemachte Offnung in das verwundete Tier hinein, um dasſelbe auszufreſſen. Von Kruſta⸗ ceen bleibt nur das hohle Chitinſkelett zurück. Nicht ſelten ver— ſammeln ſich um ein ſo geſpießtes größeres Tier mehrere Nemer— tinen, welche von verſchiedenen Seiten ihren Angriff mit dem Rüſſel ausführen und ſich dann in die Beute teilen. Sehr geſchickt wiſſen ſie zur Einbohrung des Stiletts die weichere Bauchſeite des Tieres zu wählen.“ Wir ſehen in der nebenſtehenden Abbildung, wie über dem mittleren, auf einer Art von Handgriff befeſtigten Stilett jederſeits im Inneren der Ovale mehrere dergleichen angel— förmige Spitzen unregelmäßig durcheinanderliegen. Mit dieſen iſt der Schnurwurm, wie ein vorſichtiger Bogenſchütze, zur Reſerve ausgerüſtet. Sie werden nach und nach verbraucht. Es iſt jedoch nicht beobachtet, wie ſie an die Stelle der Hauptſpitze treten. Wir benutzen dieſelbe Abbildung, um noch auf einige wich— tige Organiſationsverhältniſſe aufmerkſam zu machen. Die bei— den, im Kopfende gelegenen, durch eine Querbrücke verbundenen Anſchwellungen mit den beiden von ihnen abgehenden und den Körper in ſeiner ganzen Länge durchziehenden Strängen ſind das Nervenſyſtem, das nach Form und Lage das Urbild des Nervenſyſtems der Gliederwürmer und höheren Gliedertiere iſt. Die geſchlängelten Organe ſind die ſogenannten Waſſergefäße, welche, mit beſtimmten Mündungen beginnend, den Körper der Plattwürmer durchziehen und eine beſondere Schnurwürmer. — Vierauge Landvielauge. Meckelia somatotoma. 201 Form der Atmungsorgane vorſtellen. Bei den ſchmarotzenden Plattwürmern ſcheinen ſie dagegen als Abſonderungsorgane verwendet zu ſein. Die Gattung Tetrastemma, Vierauge, an welche wir dieſe Bemerkungen anknüpfen, iſt eine der verbreitetſten, deren kleine, zum Teil kaum einige Millimeter lange Arten am liebſten zwiſchen den Algen ſich aufhalten. Indeſſen lebt eine weiße, ſchleimige Art, das Land— vielauge (Tetrastemma agricola), auf den Bermudasinſeln auf der feuchten Erde der Mangrove-Sümpfe, wie denn überhaupt aus wärmeren Gegenden (Philippinen, Maskarenen ꝛc.) mehrere landbewohnende demertinen bekannt geworden find. Die Gattung Geonemertes wurde auch in Europa in Warmhäuſern aufgefunden, iſt alſo jedenfalls mit exotiſchen Pflanzen eingeſchleppt worden. Eine zweite Abteilung (Anopla) um⸗ faßt die waffenloſen Gattungen, d. h. die— jenigen ohne Stachel am Rüſſel. Hierher gehören mehrere mit größeren und ſehr großen Arten, wie Polia, Nemertes, Meckelia. Von letzterer kommt auf ſchlammigem Grunde und zwiſchen der Raſenkoralle die lange, platte nnd weiß— liche Meckelia somatotoma vor. Es be— deutet somatotoma „die ihren Leib tei- lende“. Und allerdings hat man gewöhn— lich den Verdruß, daß die 20-—-60 em langen und 6—10 mm breiten Tiere bei der geringſten unſanften Berührung in Stücke zerbrechen. Dies ſcheint zum Teil ein willkürlicher Akt zu ſein, zum Teil auf ſogenannten Reflexbewegungen zu be— ruhen, auf unwillkürlichen, vom Nerven— ſyſtem aus angeregten krampfartigen Zuſammenziehungen. Daß daneben die Muskeln und andere Organe aber an ſich ſehr zerreißlich ſind, braucht kaum beſonders erwähnt zu werden. Von den Fiſchern, welche mir in Dalmatien und in Trieſt aus der Bucht von Muggia die Meckelia somatotoma brachten, habe ich ſie nie unverletzt erhalten. Bei Exkurſionen, die ich ſelbſt unternahm, blieb ſie nur heil, wenn ſie unmittelbar aus dem Meere iſoliert in ein geräumiges Gefäß gebracht wurde. Sie für die Sammlung möglichſt ganz zu konſer— vieren, gibt es zwei Mittel: entweder überſchüttet man ſie, nach möglichſt ruhigem Abguß des Salzwaſſers, plötzlich und reichlich mit heißem Waſſer oder mit Spiritus. Ich gebe der letzteren Methode namentlich auch für die kleineren Schnurwürmer den Vorzug, weil ſie häufig in dem nur einige Sekunden dauernden Todeskampfe den Rüſſel vollkommen ausſtrecken, ohne im ſtande zu ſein, ihn wieder zurückzuziehen. Es ſoll übrigens nicht bloß das Kopfſtück ſich zu einem vollſtändigen neuen Wurme regenerieren können, auch die übrigen Teilſtücke ſollen Vorder- und Hinterenden erhalten. Landvielauge (Tetrastemma agricola). Vergröß ert. 202 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. Eine andere häufig vorkommende Art iſt die Kreuzträgerin (Polia crucigera), ſo genannt, weil ihr ſchmutzig grüner, mit weißen Streifen und Ringen ſchön gezierter Körper am Kopfe eine Kreuzzeichnung trägt. Sie erreicht die Länge von 40 em. Auch ſie ſpeit ſehr häufig in der Gefangenſchaft vor dem Tode ihren langen, fadenförmigen Rüſſel aus, der bei 15 em Länge kaum I mm dick wird. Man findet fie am häufigſten in Felsſtücken, welche ſchon durch andere bohrende Tiere mit Löchern und Gängen verſehen ſind, namentlich in Kalkſtein und Kreide. Auch zwiſchen den Stöcken der Raſenkoralle hat ſie ein an Win— dungen reiches Verſteck, welches mit ihr eine Menge anderer Würmer, und vorzüglich auch kleiner Krebſe, aufſuchen. Da dieſe im Mittelmeer ſehr gemeine Koralle ſich leicht brechen läßt, ſo iſt die in labyrinthiſchen Verſchlingungen in ihr hauſende Polia aus ihr ziemlich ſicher unverſehrt herauszuholen. Schwieriger iſt es natürlich, wenn erſt ſchwere Hammer— ſchläge die Höhlungen in den Felsſtücken bloßlegen müſſen. Aber auch in dieſem Falle wird die Jagd oft erleichtert durch die Vorarbeiten der Bohrſchwämme, welche, wie wir an ſeinem Orte ſehen werden, den härteſten Kalkfelſen ſo durchziehen, daß er unter den Fingern zerbröckelt. Das von uns gezeichnete Tier haben wir in Neapel mehrere Tage unzerſtückelt und lebend gehabt. Die größten bisher beobachteten Schnurwürmer kommen an der engliſchen Küſte vor. Die Schilderung eines ſolchen von dem eifrigen Sammler Davis hat Rymer Jones mit— geteilt. Wir entlehnen ſie einem Buche des Letztgenannten, womit der Verfaſſer ſchon vor faſt 40 Jahren ſeinen Landsleuten ein „Illuſtriertes Tierleben“ vorlegte. Kreuzträgerin. 203 „Ich ſetzte“, ſagt Davis, „ein Exemplar dieſes wunderbaren Geſchöpfes in ſein Ele— ment in eine möglichſt weite Schüſſel, um ſein Thun und Treiben zu beobachten. Es be— nahm ſich in einiger Hinſicht wie ein Egel, indem es, bis zu einem gewiſſen Grade amphibiotiſch, häufig mit einem Deile des Körpers das Waſſer verließ und bis zur Länge von 1—2 Fuß ſich längs des Randes der Schüſſel und des Tiſches, worauf dieſe ſtand, ausdehnte. Zu anderen Zeiten, beſonders bei Tage, lag es völlig zu einem Haufen zu— ſammengeballt und ruhig, außer wenn an die Schüſſel geſtoßen wurde. Für ſolche Be— unruhigungen war es ſehr empfänglich, was ſich in einem Zittern des ganzen Körpers und dem Zurückziehen des gewöhnlich etwas vorgeſtreckten Kopfendes zeigte. Bei Nacht war der Körper etwas lockerer und weniger verſchlungen, ſo daß er faſt die ganze Schüſſel bedeckte. Bei der Annäherung einer Leuchte machte das Tier jedoch ſogleich Anſtalt, ſich zuſammenzuziehen, ſo daß ich, obſchon ich ſeine Augen nicht entdecken konnte, mich doch von ſeiner großen Empfindlichkeit für das Licht überzeugte. Oft gegen Morgen hatte der Körper eine etwas ſpiralige und pfropfenzieherartige Lage angenommen, und beſonders einmal war ich ſehr erfreut, ihn in ſeiner ganzen Länge vollkommen und engſchraubig gerollt zu finden. Ich war deshalb über dieſen Anblick ſehr erfreut, da er mir die Löſung einer mich ſehr beſchäftigenden Schwierigkeit zu bringen ſchien, nämlich der Frage, auf welche Weiſe ein ſo wunderſam weicher, zarter und ſcheinbar unlenkſamer langer Leib ſich von einem Orte zum anderen bewegen könnte. Jetzt, als ich dieſe Stellung ſah, hatte ich die Überzeugung, daß das Tier ſie annimmt, wenn es ſeinen Platz ändern will. Denn ſo hat es nicht nur den möglichſt kleinen Umfang ſich gegeben, ſondern es muß auch jeder Teil der Schraube, in geeigneter Weiſe zur Bewegung veranlaßt, zugleich zum Vorwärts— ſchieben des ganzen erſtaunlich langen Körpers beitragen, ohne Gefahr des Zerbrechens. „Die Länge des Körpers läßt ſich am lebenden Nemertes nicht abſchätzen, da er bei Berührung ſich fortwährend mit unglaublicher Leichtigkeit ausdehnt und zuſammenzieht. Ich beobachtete einmal, wie ein Teil des Vorderendes faſt 3 Fuß über die Schüſſel und den Tiſch ausgedehnt war und, als das Tier beunruhigt wurde, ſchnell ſich auf ebenſo viele Zoll zuſammenzog. Mit Berückſichtigung der Dicke im zuſammengezogenen und aus— gedehnten Zuſtande muß ich annehmen, daß das Tier ohne Unbequemlichkeit ſich 25 —30: mal ſo lang ausſtrecken kann, als es zu anderen Zeiten iſt. Es wechſelt beträchtlich in der Farbe, je nachdem es ſich zuſammenzieht oder dehnt, von einem dunkeln zu einem rötlichen Bande, dabei iſt es jedoch im hellen, beſonders im Sonnenlicht, mit einem ſchönen weichen Purpur überdeckt. Im höchſten Grade der Zuſammenziehung erſcheint es faſt ſchwarz. „Nachdem ich ſo das merkwürdige Tier etwa 14 Tage beobachtet, unter täglicher Erneuerung des Seewaſſers, that ich dasſelbe in eine Flaſche, was ich, beiläufig bemerkt, obgleich ſie weithalſig war, mit Bezug auf die Leichtigkeit, mit welcher der Nemertes ſich zuſammenzieht und ſtreckt, nicht ohne Beſorgnis zu ſtande brachte. Als es gelungen, goß ich Spiritus auf. Das Tier bewegte ſich krampfhaft, zog ſich im Verhältnis zu ſeiner Länge ſehr zuſammen und ſtreckte aus dem Kopfende einen 8 Zoll langen Rüſſel hervor. Auffallenderweiſe hatte es in der vorhergehenden Zeit unter der verſchiedenen ihm zu teil gewordenen Behandlung dieſes Inſtrument bis zum Todeskampfe nicht gezeigt. „Da es unmöglich geweſen war, die Länge des Tieres bei ſeinem Leben abzuſchätzen, maß ich dasſelbe nach dem Tode, und fand es, den Rüſſel ungerechnet, reichliche 22 Fuß lang. Ich ſage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß das lebende Tier ſich auf das Vier— fache der Länge, die es tot zeigte, hätte ausdehnen können.“ Wir möchten zu dieſer An— gabe ein Fragezeichen machen, wenn unſer Gewährsmann ſich nicht auf die übereinſtimmen— den Zeugniſſe von Fiſchern beriefe, die dem Wurme eine Länge von 12 und 15 Faden, alſo bis 30 m zugeſtehen. 204 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. — In den Aquarien muß man allen dieſen größeren Nemertinen Gelegenheit geben, ſich um Steine und Tange zu wickeln, wie ſie in der Freiheit thun, wenn man etwas mehr als einen unentwirrbaren Knäuel ſehen will. Die Schnurwürmer des Meeres lieben mehr ſeichte Gewäſſer; man kennt bloß zwei Arten aus Tiefen von 1800 und 2500 m. Eine pelagiſch lebende Art (Pelagonemertes Rolle- stoni) findet ſich im Indiſchen Ozean und wurde ſchon von Leſ— ſon unter dem Na— men Pterosoma pla- num als Mollusk be— ſchrieben. Es iſt ein wundervoll durchſich— tiges Geſchöpf, deſſen innere Organe, na— mentlich der dunkel kaſtanienbraune Ver— dauungsapparat, ſich ſehr deutlich abheben. Der Körper des Tieres verjüngt ſich von vorn nach hinten und zeigt fünf hintereinander gelegene, durch ſeit— liche Einkerbungen markierte Abſchnitte, deren vorderſter allein ſo lang wie die vier hinteren zuſammen und flügelartig ver— breitert iſt, was auf ein ausgezeichnetes Schwimmvermögen deutet. * Eine ſehr merk: würdige Gattung von Schnurwürmern, die indeſſen dieſen Namen durchaus Lügen ſtraft, iſt Malacobdella, welche paraſitiſch in gewiſſen Muſcheln (Venusmuſcheln [Oyprina islandica] und Klaffmuſcheln [Mya trun- cata und M. arenaria]), zwiſchen Kiemen und Körper des Tieres nicht ſelten gefunden wird. Ihre Leibesform iſt durch ihre Lebensweiſe ſeltſam verändert. Sie erſcheint kurz und breit und hat ſich am hinteren Körperende einen Haftapparat in Geſtalt einer anſehnlichen Saug— grube erworben. Es war natürlich, daß das Tier, bevor ſeine näheren anatomiſchen Ver— hältniſſe klargeſtellt waren, in ſyſtematiſcher Hinſicht verkannt wurde, bald ſollte es ein Egel, bald ein Saugwurm, bald eine dieſe beiden Wurmgruppen vermittelnde Form ſein Jetzt hält man ſie für eine durch Schmarotzertum abweichend gewordene Nemertine. Pterosoma planum Vergrößert. Pterosoma planum. Malacobdella. Pilidium. 205 Die Entwickelung einiger, aber ausſchließlich das Meer bewohnender Nemertinen iſt jo wunderbar, daß wir ſie hier unmöglich ganz mit Stillſchweigen übergehen können. Faſt alle Schnurwürmer ſind getrennten Geſchlechts, und manche legen ihre Eier in Geſtalt von Schnüren oder Gürtelkokons ab, in denen dieſe durch ein zu Gallerte er— ſtarrendes ſchleimiges Sekret vereinigt auf dem Körper der Mutter zunächſt haften bleiben, bis dieſelbe aus dem Gürtel herauskriecht. Die Larven mehrerer Nemertinen verlaſſen das Ei in einer Geſtalt, daß niemand dieſelben für das halten würde, was ſie wirklich ſind, wenn eben ihre Metamorphoſe nicht bekannt geworden wäre. Die eine Larvenform, man hat ſie den Pilidium-Typus genannt, verläßt das Ei als ein Weſen, das ungefähr die Geſtalt eines Helmes oder einer Sturmhaube hat. Es iſt über und über mit Wimpern bedeckt, und oben endet es wie eine Pickelhaube in einer langen feinen Spitze oder in einem Büſchel längerer ſtarrer Wimpern. Der Helm hat eine doppelte Wand, denn der Raum, welcher bei einem wirklichen Helm zur Aufnahme des Kopfes des Trägers beſtimmt iſt, füllt ihn nicht völlig aus. So ſchwimmt die junge Larve einige Zeit pelagiſch umher, während welcher an dem Helm Backenteile zum Vorſchein kommen und der Vorder— und Hinterrand ſich wie Stirn- und Nackenſchirme ausziehen. Backenteile und Schirme ſind am Rande mit Wimpern beſetzt. Im Inneren dieſes ſeltſamen 0 Gebildes entwickelt ſich erſt der Schnurwurm, wel— Pilidium. Stork vergrößert. cher, nachdem er einen gewiſſen Grad der Reife und Selbſtändigkeit erlangt, namentlich ſich mit Wimpern bedeckt hat, anfängt Bewegungen auszuführen, endlich das Pilidium durchbricht und von dannen ſchwimmt. Das Pilidium ſelbſt bleibt noch geraume Zeit ohne ſeinen weſentlichen Inhalt, die junge Nemertine, am Leben. Eine etwas einfachere Larvenform wird als Deſorſcher Larventypus bezeichnet. Zweite Unterordnung. Die geraddürmigen Strudelwürmer (Rhabdocoela). Die nun folgende Ordnung, die der Rhabdocoela, enthält faſt nur mikroſkopiſche Strudelwürmer, deren Darmkanal ein einfacher Blindſack iſt, in welchen der Eingang durch einen ſehr kräftigen muskulöſen Schlund führt. Wenn ich das Wort Blindſack hier ge— brauche, ſo muß ich nach neueren, ſehr wichtigen Entdeckungen dieſen Begriff ſogleich etwas modifizieren. Allerdings ſieht man bei den meiſten Rhabdocoelen die Nahrung wie in einem Sacke angehäuft, allein von der Vorſtellung, daß dieſer Sack ſich wie der Magen eines Säugetieres verhalte, d. h ein Hohlraum mit eignen, beſtimmten Wandungen ſei, muß man ſich für die Mehrzahl dieſer Würmer losmachen. Der Magen- und Darm— raum iſt vielmehr mit einer eiweißartigen Maſſe erfüllt, die einen Teil des Organismus bildet, und zwiſchen welche die Nahrung gleichſam hineingeſchoben wird, um von ihr ver— daut zu werden. Die Einteilung unſerer Rhabdocoelen in Familien geſchieht nach Lage und Beſchaffenheit des Mundes und Schlundes und der ſehr komplizierten zwitterigen Fortpflanzungsorgane. 206 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. In den meiſten Fällen reicht die Kenntnis des Außeren nicht aus, um die Art zu beſtimmen, ſondern die mikroſkopiſche Anatomie muß aushelfen. Wir werden am beſten thun, an einigen typiſchen Gattungen die Familiencharaktere zu entwickeln. In Teichen, Gräben und im Meere leben die Arten von Prostomum. Die kleinen ſehr lebhaften Tierchen haben in dem zugeſpitzten Vorderende einen hervorftülpbaren Rüſſel liegen (Fig. 1a), welcher an den Rüſſel der Schnurwürmer erinnert, indem er gleich dieſem in einer beſonderen Höhlung enthalten iſt, mit dem Darmkanal nicht in Verbindung ſteht und bloß zur Bewältigung der Beute dient. Die Mundöffnung liegt vom Vorderende ent— fernt an der Bauchſeite, und aus ihr kann das muskulöſe Schlundorgan (Fig. 1b) her: vortreten, womit das Tier ſich an ſeine Beute, namentlich die mikroſkopiſchen Krebschen, anhängt und ſie ausſaugt. In dem dickeren, faſt keulenförmigen Leibesende liegt ein ſehr ſcharfer Stachel in einer Scheide, der mit den Fortpflanzungsorganen in Verbindung zu i ſtehen ſcheint, allein, wie man ſich an jedem Exemplare überzeugen kann, offenbar auch zur Verteidigung gebraucht wird. Ich ſah be— ſonders häufig bei einer Art, welche ich Pro— stomum furiosum genannt habe, wie das Tier, ſobald es in eine kritiſche Lage kommt, mit dem Stachel ganz wütend um ſich ſticht, nicht anders als eine gefangene Weſpe. Eine gar abſonderliche Geſtalt hat die Gattung Convoluta. Indem nämlich das Tier die dünnen Seitenteile des Körpers nach unten umbiegt, nimmt es die Form einer Papiertüte an. Die trichterförmige tundhöhle liegt am Bauche, und vor ihr ein Bläschen, welches wohl ein Gehörwerk— zeug vorſtellt. In den nordiſchen Meeren lebt die mehrere Millimeter lange, braune ie 10 ) Couxclut. Oonvoluta paradoxa. Andere Arten find aus dem Mittelmeer, dem Atlantiſchen Ozean bekannt, von denen einige grüne von beſonderem Intereſſe ſind. Die grüne Färbung iſt kein Eigentum des Tieres, ſozuſagen, rührt vielmehr von Algen her, die ſich in der Körpermaſſe der Würmer eingebettet vorfinden. Haberlandt hat dieſe Verhältniſſe bei einer Art der atlantiſchen Küſte Frankreichs (Convoluta roscoffiensis) genauer unter: ſucht. Die Algen zeigen denſelben Bau wie manche andere frei lebende, haben aber keine beſondere Hülle und gehen außerhalb des Tieres bald zu Grunde, da ihnen die Fähigkeit abgeht, ſich mit einer ſchützenden Zellmembran zu umkleiden. Dieſe Hüllen— loſigkeit iſt eine Rückbildung, da fie zufolge ihrer Lebensweiſe in der Convoluta ge: nügenden Schutz finden. Sie ſind völlig zu Beſtandteilen der Gewebe ihres Wirtes ge— worden und vermitteln für denſelben die Aſſimilation, indem ſie bei reichlicher Vermehrung aus anorganiſcher Subſtanz organiſche produzieren. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß aus— gewachſene Konvoluten überhaupt gar nicht mehr ſelbſtändig freſſen. Sie halten ſich oft tagelang ruhig auf einem Fleck und zwar in einer Stellung, daß ſie einen möglichſt großen Teil ihres Körpers dem Lichte ausſetzen. Unter dem Einfluß des Lichtes aber kann die durch Chlorophyll grüne Alge allein aſſimilieren, der Wurm bietet alſo ſeinem Gaſte die günſtigſten Exiſtenzbedingungen, wenn er mit ſeinem Leibe möglichſt viele Lichtſtrahlen auf— zufangen verſucht. Die Convoluta trennt durch langſame Bewegung ihres Parenchyms Geraddärmige Strudelwürmer. — Prostomum. Convoluta. Mesostomum. 207 winzig kleine Teilchen von Plasma, auch Stärkekörnchen von der nackten Alge, reibt ſie gewiſſermaßen ab, welche ſie ihrerſeits verdaut. Haberlandt vermutet, daß die Alge vielleicht auch auf osmotiſchem Wege gelöſte Aſſimilationsprodukte abgibt. Im ſüßen Waſſer finden ſich keine Arten dieſer Gattung. Mit Übergehung einer Reihe von Gattungen, welche von mir und anderen im Mittel— meer beobachtet wurden, kommen wir zu einer der wichtigſten und artenreichſten, Meso— stomum. Die Mundöffnung der meiſt platten Tiere liegt am Bauche, gewöhnlich ziemlich in der Mitte, bei einzelnen Arten vor, bei anderen hinter derſelben. In der Mundhöhle befindet ſich ein kugeliger Schlundkopf, ein ſehr wirkſames Haft- und Saugorgan, welches zum Ergreifen und Ausſaugen lebender Tiere benutzt wird. Eine der ſchönſten Arten iſt das faſt 1 cm lang werdende Mesostomum Ehrenbergii, im Frühjahr und Sommer auf überſchwemmten Wieſen und in Teichen mit Lehmgrund und Schilf und Binſen häufig. Obgleich ſo durchſichtig wie Glas und ſcheinbar höchſt zerbrechlich, iſt es einer der geſchickteſten und gewandteſten Schwimmer. Für gewöhnlich durchzieht es ruhig oder mit vereinzelten Wellenbewegungen der Körperränder das Waſſer, oder gleitet an den Stengeln der Pflanzen umher. Wird es aber geſtört, beſonders durch die unſanfte Be— gegnung mit einem haſtig anſchwim— menden Käfer, ſo ſchüttelt es ſich faſt zitternd und ſchlängelnd ſo ſchnell und gewandt wie die Egel. Höchſt intereſſant iſt die Art, wie es ſich der größeren Daphnien und Cypriden bemächtigt, um ſie aus— zuſaugen. Es fängt ſie ungefähr ſo, wie man mit der Hand eine Fliege fängt, indem es durch Anlegen des Hinterendes an das Vorderende und Umbiegen der Seitenränder eine Höhle bildet. Zuerſt tobt der gefangene Krebs gewaltig, bald aber gelingt es dem Mesostomum, an den Gefangenen den mächtigen Schlundkopf anzuſetzen. Die Befreiungsverſuche der Daphnie laſſen dann bald nach, ſein Vampir ſtreckt ſich wieder aus, und ich ſah oft, wie ein zweites Mesostomum ſich hinzugeſellte und vom Sieger fried— lich einen Beuteteil abbekam. Eine Anzahl Rhabdocoelen und unter ihnen auch Mesos- tomum, verfertigen auch Schleimgeſpinſte zum Fangen ihrer Beute. Der Sitz der den Schleim abſondernden Zellen iſt die Mittellinie der Unterſeite. Eine der auffallendſten Formen hat das bis 1 em lange gelbbraune Mesostomum tetra- gonum (f. obige Abbildung), das ich an der Elbe nach Überſchwemmungen in kleinen, während des Sommers austrocknenden Teichen fand. Die Lage der beiden ſchwarzen Augenflecke und des Mundes iſt wie bei Mesostomum Ehrenbergii. Auch erſcheint das Tier, wenn man es in einem Uhrgläschen, mit wenig Waſſer bedeckt, beobachtet, ganz dünn und flach, ſobald es aber frei ſchwimmt, ſtehen von dem Körper jederſeits zwei floſſenartige Lappen ab, welche von dem zugeſpitzten Vorderende nach dem ebenfalls ſpitzen Schwanze verlaufen und ſich wellen— förmig bewegen. Eine Art (Mesostomum personatum) iſt merkwürdig durch die außer— ordentliche Verſchiedenheit der Färbung der einzelnen Individuen: es gibt deren gelbe, kaffeebraune, braunſchwarze, ſamtſchwarze, ſamtgrüne und dunkelblaue. Da die meiſten anderen Arten von Mesostomum und anderen Rhabdocoelen in temporär austrocknenden Gewäſſern ſich aufhalten, ſo wird man vermuten, daß für ihre Erhaltung ebenſo geſorgt iſt wie für diejenige der niederen Krebſe, die mit ihnen zuſammen vorkommen und eben— falls nach Überſchwemmungen und Regengüſſen wie auf unnatürliche Weiſe hervorgezaubert Mesostomum tetragonum. Vergrößert. 208 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. erſcheinen. Auch die Rhabdocoelen legen hartſchalige Dauereier, welche die Entwickelungs— fähigkeit lange bewahren. Ich habe einige Arten in kleinen Pfützen von einigen Quadrat— fuß Ausdehnung gefunden, den Boden aus denſelben, nachdem er im heißen Sommer wochenlang ausgedörrt war, nach Hauſe getragen, dann die darin enthaltenen Eier eines Mesostomum ausgeleſen und durch Übergießen mit Waſſer binnen einigen Tagen zur Ent: wickelung gebracht. Dem entſprechen auch Beobachtungen von Schneider, aus denen her— vorgeht, daß die Meſoſtomeen hartſchalige Winter- und dünnſchalige Sommereier legen, wobei ein merkwürdiger regelmäßiger Wechſel derart ſtattzufinden ſcheint, daß ſich die Sommereier nach Selbſtbefruchtung, die Wintereier aber nach gegenſeitiger entwickeln. Die Eier der meiſten Meſoſtomeen ſind ſcheibenförmig, mit einer mittleren Vertiefung. Bei manchen bilden ſich zeitweilig weichſchalige, durchſichtige Eier, aus denen die Jungen, welche bei den Rhabdocoelen nie eine Verwandlung durchmachen, ſchon im Mutter— leibe auskriechen. Dies iſt auch der Fall in der Familie der Spaltmünder, ſo genannt von dem vor den Augen liegenden ſpaltenförmigen Munde. In einiger Entfernung hinter den Augen liegt der dem Schlunde der Meſoſtomeen gleichende Saugnapf. Spaltmund (Schizostoma productum). 200mal vergrößert. Für eine andere Familie iſt Vortex (ſ. Abbildung S. 206, Fig. 3) die maßgebende Gat— tung, mit tonnenförmigem, muskulöſem Schlunde, welcher hinter der an der Bauchſeite des zorderendes befindlichen Mundöffnung liegt. Die Vortex-Arten überſchreiten ſozuſagen die mikroſkopiſche Größe nicht, was ſo viel heißen will, daß die größeren Arten für den Kenner noch mit bloßen Augen zu erkennen ſind. In dieſem Falle befindet ſich z. B. der vielverbreitete Vortex truncatus, von bräunlichſchwarzer Färbung, mit abgeſtutztem Vorderende, und der ſchöne grüne V. viridis, der geſellig lebt, eins der nicht zahlreichen niederen Tiere, deren grüne Farbe durch Anhäufung der auch die Pflanzenwelt zur Augenweide machenden Chlorophyll— körperchen hervorgerufen wird. Auch einen Paraſiten haben wir aus der dem Vortex ſich anſchließenden Gruppe zu bezeichnen, Anoplodium, welches Tierchen in der Leibeshöhle der zu den Stachelhäutern gehörigen Holothurien ſich aufhält. Überhaupt ſcheinen Rhab— docoelen nicht jo gar ſelten ſchmarotzend zu leben. So kennen wir eine Form (Graffilla muricicolla), die in der Niere der Purpurſchnecke bis zu einem Dutzend von Exemplaren auftritt. Auch auf Krebſen, Krabben und Schwertſchwänzen finden ſich paraſitiſche Rhab— docoelen und auf einer blauen, zuſammengeſetzten Seeſcheide (Botryllus violaceus) eine blaue Planarie. Die Fortpflanzung der Rhabdocoelen iſt nicht bloß eine geſchlechtliche, es kommt ge— legentlich auch eine ungeſchlechtliche vor. Die meiſten Arten beſitzen zunächſt ein bedeuten— des Regenerationsvermögen, indem nicht nur das Stammtier (ſo ſei einmal das Teilſtück, Spaltmund. Kleinmaul. Engmaul. 209 welches die zentrale Nervenmaſſe enthält, genannt) im ſtande iſt, abgeſchnittene Stücke zu erſetzen, ſondern indem auch dieſe unter günſtigen Umſtänden, und wenn ſie nicht gar zu klein ſind, wieder zu ganzen Würmern auswachſen können. Sehr häufig, ja faſt immer können wir nun beobachten, daß, wenn ein niederes Tier dieſe Fähig— keit in einem ſo hohen Maße beſitzt, es auch frei— willige Teilung ausübt und durch dieſe ſich fort— pflanzt. Eine derartige ungeſchlechtliche Vermehrung iſt nun auch bei Rhabdocoelen mehrfach beobachtet worden. Bei einigen ſcheint ſie mehr zufällig und nur gelegentlich aufzutreten, bei anderen aber iſt ſie zu einer feſtſtehenden Lebenseinrichtung gewor— den. So bei der Gattung Microstomum (Klein— maul) und Stenostomum (Engmaul). Eine Art der letzteren Gattung iſt das einäugige Engmaul (Stenostomum monocelis). Die enge Mundöffnung (o) mit dem darauffolgenden engen Schlunde bei ge— ſtrecktem Körper und gewiſſen anderen anatomiſchen Eigentümlichkeiten weiſt es der Gattung Stenosto- mum zu. Das vor dem Munde liegende helle Bläs— chen (s) iſt ein augenartiges Organ, möglicherweiſe auch ein Gehörwerkzeug und war, wie geſagt, bisher nur bei einigen in der See lebenden Gattungen be— kannt. Für den Spezialkenner wird die vorliegende, bei Graz lebende Form ein willkommenes Zwiſchen— glied zur Gattung Monocelis. Wir ſehen ferner an unſerem Tierchen ein geſchlängeltes Waſſergefäß (v), deſſen Verzweigungen nur hier und da bei ſtärkerer Vergrößerung deutlich werden. Was uns aber am meiſten intereſſiert und uns die Fortpflanzungs— geſchichte der Ringelwürmer Nais, Autolytus und Myrianida ins Gedächtnis zurückruft, iſt die Knoſpen— bildung am Hinterende. Im Juni, wo ich die Tier— chen anhaltend beobachtete, fand ich ſelten ein Einzel— weſen, gewöhnlich ein „Vordertier“ als Mutter mit einem „Hintertier“, ihrer töchterlichen Knoſpe. Dabei ſorgt die Mutter zugleich auf andere Weiſe für die Erhaltung der Art, indem in ihrem Hinterleibe ein Paket Eier (e) ſichtbar iſt. Über die Teilung der Kleinmäuler liegen eine ganze Reihe von Beobachtungen vor. Abgeſehen von der Körperumhüllung und ihren Gebilden ſowie von dem Parenchym gehen auch der Darm und die beiden ſeitlichen Nerven von dem mütterlichen Körper in die Knoſpe über, ſo daß die an dieſer ſich vollziehenden Neubildungen von Hirn, Augen, Wimpergrübchen, Mund und Schlund ſowie von den Drüſen eigentlich Regenerationserſcheinungen ſind (von Wagner). Die Teilung kann Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X 14 Einäugiges Engmaul (Stenostomum monocelis.) Stark vergrößert. 210 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. ſucceſſive an mehreren Körperſtellen beginnen, und zwar von hinten nach vorn, ehe die letzte und älteſte Knoſpe ſich loslöſt, ſo daß es zur Bildung von Ketten, ähnlich wie bei einem Bandwurm, kommt, in denen eine Anzahl von Knoſpen, hintereinander gelegen, dem mütterlichen Individuum anhängen. Die Mikroſtomeen ſind proterogynetiſche Zwitter, d. h. dieſelben Individuen ſind erſt weiblich, ſpäter männlich, es kommen aber auch gleichzeitige Zwitter vor, ſowohl bei Einzel— individuen als auch bei Ketten, doch ſind bei letzteren die Knoſpen zur gleichen Zeit auch meiſt gleichen Geſchlechtes. Die ungeſchlechtliche Vermehrung geht während der guten Jahres— zeit vor ſich, geſtalten ſich die Verhältniſſe ungünſtiger, dann tritt die geſchlechtliche Fort— pflanzung ein. Wahrſcheinlich iſt die unter mißlichen Verhältniſſen ſchwierigere Ernährung, die größere Mühe, für die ſchwerer bewegliche Kette die nötige Nahrung aufzufinden, gegen— über der verhältnismäßig leichteren Ernährung des Einzeltieres als Urſache hiervon an— zuſehen. Unter dieſen Umſtänden ſtellt ſich der Fortpflanzungsmodus der Kleinmäuler in der That als ein Generationswechſel heraus. Dritte Unterordnung. Die verzweigtdärmigen Strudelwürmer (Dendrocoela). Zugänglicher, weil größer, ſind die Mitglieder der dritten Ordnung, deren ſyſtema— tiſcher Name Dendrocoela die merkwürdige baumartige, veräſtelte Form ihres Darm— kanales bezeichnet. Eine an der Bauchſeite gelegene Offnung führt in eine Höhle, worin im Zuſtande der Ruhe gänzlich zurückgezogen ein äußerſt dehnbares Schlundorgan liegt. Umriß einer Dendrocoele Smal vergrößert. Dasſelbe wird, ſobald das Tier ſich zum Freſſen anſchickt, hervorgeſtreckt und macht den Eindruck, als ob es für ſich lebendig wäre. Zumal, wenn es bei der anatomiſchen Unter— ſuchung ganz iſoliert worden iſt, ſieht dieſer Schlundrüſſel aus wie ein ſelbſtändiger weiß— licher Wurm; er ſetzt dann nämlich ſeine Bewegungen geraume Zeit fort, öffnet ſich und ſchluckt und ſchlingt noch. Der an dieſen Schlund ſich anſetzende Darmkanal, richtiger ge— ſagt Verdauungsraum, beſteht aus einem nach vorn und zwei ſich ſeitlich nach hinten er— ſtreckenden Hauptäſten mit einer größeren oder geringeren Zahl von Nebenäſten und Ver— zweigungen, welche alle blind endigen. Beim Schwimmen zeigen die Körperränder der Planarien eine ſcharf markierte undulierende Bewegung, die an den beiden Seiten ganz in derſelben Weiſe vor ſich geht wie bei einem Boote, deſſen Ruder ſich gleichmäßig heben und ſenken (Schmarda). Viele beſitzen in der Haut eigentümliche, ſtäbchenartige Hart— gebilde, welche unter Umſtänden (Bipalium dendrophilum) ſo zahlreich ſein können, daß Verzweigtdärmige Strudelwürmer. — Planarie. Vielauge. 211 die Haut einen bedeutenden Grad von Feſtigkeit erlangt. Sie liegen urſprünglich in Zellen und Zellausläufern und rücken erſt nach und nach an die Oberfläche der Haut. Ihre Be— deutung iſt noch nicht ganz klar. Lehnert bemerkt über dieſelben von Bipalium kewense, einer Landplanarie: „Die Hautſtäbchen ſind von zweierlei Art, die einen, die Hautſtützen, kurz, dick, keulenförmig, die anderen, die Hautnadeln, lang, dünn, fadenförmig. Die Hautſtützen werden ohne Verletzung der Haut niemals, die Hautnadeln dagegen bei jeder Reizung ausgeſchoſſen.“ Andere Forſcher, wie Schneider und Graff, möchten in dieſen Gebilden überhaupt weniger Waffen als andere Apparate ſehen. Schneider hält ſie eher für Reizorgane und vergleicht ſie mit den Liebespfeilen der Schnecken, Graff hält ſie zwar für einen niederen Zuſtand von Neſſelorganen, wie ſie bei Quallen und Polypen ſo weit verbreitet ſind, betont aber, daß ſie nur bei wenigen Arten als Fäden vorkämen und wohl auch nur ſelten als Waffen fungieren dürften, ſondern meiſt als Endorgane ſenſibler Nerven. Von den in unſeren ſüßen Gewäſſern vorkommenden Dendrocoelen können wir alle mit zwei Augen auf dem vorderen Ende verſehenen zur Gattung Planaria ziehen. Eine der größten, über 2 em lang werdende iſt die milchweiße Planarie (P. lactea), welche, wie faſt alle übrigen, unter Steinen, zwiſchen den Schilfblättern und an der Unter— ſeite der Seeroſenblätter ſich aufhält. Sie eignet ſich beſonders, um ſich an ihr, ohne ſie zu verletzen, den verzweigten Darm zur Anſchauung zu bringen. Er ſchimmert ſchon bei auffallendem Lichte ſchwärzlich durch und wird klarer, wenn man das Tier in einem Glaſe bei durchſcheinendem Lichte mit der Lupe muſtert. Auch darin ſchließt ſie ſich ihren Schwe— ſtern an, daß ſie die Eier in einem rundlichen Kokon von der Größe eines ſtarken Stecknadelkopfes neben ſich an den Steinen und Pflanzen befeſtigt. b Man hielt früher alle braunen, im mittleren und ſüdlichen Deutſch— 5 land beobachteten Planarien für eine Art, Planaria torva. Ich habe 8. . gezeigt, daß mindeſtens vier verſchiedene Arten bei uns vorkommen, kennt— lich an der äußeren Form und namentlich an konſtanten anatomiſchen Verſchiedenheiten. Ihr Verhalten im Freien und in der Gefangenſchaft iſt ſehr unintereſſant. Sobald man ſie in das Aquarium geſetzt hat, ſind ſie einige Zeit unruhig und ſchwimmen hin und her, dann ſuchen ſie die dunkelſten Verſtecke auf und verhalten ſich möglichſt ſtill und bewegungslos. * Dies gilt auch von unſerer zweiten einheimiſchen Gattung, dem Viel— auge (Polycelis). Die kleinere, bis 1 cm lange Polycelis laevigata (ſ. nebenſtehende Abbildung) iſt in der Ebene und in ſtehenden Gewäſſern poiyeolis Iacvizata, ſehr gemein und teilt mit der anderen Art die Vieläugigkeit. Der ganze Das ganze Tier, Rand des Vorderendes ift mit einer Reihe von 30—50 Augen beſetzt. Am . häufigſten iſt die vorn breite und abgerundete P. nigra, ganz ſchwarz, da— neben kommt eine bräunliche Abart vor. Die andere Art, das gehörnte Vielauge (P. cornuta), hält ſich vorzugsweiſe in den ſchnell fließenden, kühlen und ſchattigen Gebirgs— wäſſern auf und iſt z. B. in den Bächen der ſteiriſchen Berge und Gebirge millionenweiſe vor— handen. Auch auf dem Thüringer Walde wurde ſie gefunden. Sie iſt eine der zierlichſten und ſchlankeſten unter ihresgleichen, ausgezeichnet durch zwei fühlerartige Kopflappen, welche ihr große Ahnlichkeit mit gewiſſen Nacktſchnecken verleihen. Einmal, als ich zahlreiche Exemplare dieſer Art des Abends in einem Glaſe nach Hauſe geholt hatte, war am anderen Morgen das 14* 212 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. Gefäß wie mit Spinngeweben durchzogen, an denen die Planarien umherglitten. Dieſe Fäden konnten nur von den Tieren abgeſondert ſein, und es iſt zu vermuten, daß es durch eine dieſer Art eigentümliche, am Bauche ſich öffnende Drüſe geſchieht. Gewiß ſind unendlich viele an die beſchriebenen gemeinen Arten ſich anſchließenden Formen über die ganze Erde verbreitet. Ich konnte wenigſtens in Korfu und Kephalonien auf wenigen Exkurſionen mehrere neue hinzufügen. Einen weit größeren Reichtum bietet aber auch hier das Meer. Die Seeplanarien ſchließen ſich nur zum geringſten Teile enger an die oben geſchilderten Gattungen an. Die wichtigſten Abweichungen beziehen ſich auf das anatomiſche Detail der Fortpflanzungs— organe. Bei den meiſten finden ſich auf der Rückenſeite in der Nähe des Vorderendes zahlreiche Augen, nicht vollkommen ſym— metriſch, für jede Spezies aber doch in charakteriſtiſcher Ordnung in zwei Haufen. Faſt immer iſt der Körper ſehr platt und breit, oft durchſcheinend und ſchön gefärbt. Die Tiere ſehen ſo zart aus, daß man kaum begreift, wie ſie oft unter dem ſchwachen Schutz einiger Tangſtreifen dem Wellen— ſchlag widerſtehen können. Ich habe mich mit ihrer Beobachtung längere Zeit bei meinem Aufenthalt in Kephalonien ab— gegeben. Die Stadt Argoſtoli liegt an einem in ſeinem blinden Ende ſich ſehr ver— flachenden Meerbuſen, deſſen Grund dicht bedeckt iſt mit Schwämmen und Tangen. Ich ließ mir durch einen darin herum— watenden Fiſcher einen Haufen Tang herauswerfen, nahm denſelben ohne alle Sorgfalt gepackt mit in die Wohnung und that dann kleinere Partien in ein Gefäß. Nach wenigen Minuten kamen die Pla— narien unverſehrt hervorgeſchwommen. Ohne Frage gehören dieſe Gattungen (Thysanozoon, Leptoplana 2c.) zu den lieblichſten der Meeresbewohner. Obige Abbildung ſtellt die bei Neapel ſehr gemeine Zotten— planarie dar. Der Rücken des oft gegen 3 em langen Tieres iſt mit vielen Reihen dunkel gefärbter troddel- oder zottenförmiger Anhänge bedeckt. Am Kopfende befinden ſich ein Paar ſchräg nach aufwärts ſtehende, ohrförmige Falten, in welchen der Gefühls— ſinn beſonders konzentriert zu ſein ſcheint. Die Bauchfläche iſt rein weiß. Das Tier iſt in der Lage dargeſtellt, wie es mit dem größeren Teile der Bauchfläche an einem Tange haftet, mit dem Vorderende aber, nach einer neuen Unterlage ſuchend, ſich aufrichtet. Die Seeplanarien beginnen jedoch erſt im Mittelmeer mit einer größeren Mannigfaltig— keit und verleihen mit anderen niederen Organismen den klaſſiſchen Ufern von Neapel und Sizilien für den Naturforſcher noch eine beſondere Anziehungskraft. Auch die ſtille Bai von Villafranca bei Nizza läßt den Freund dieſer niederen, verborgenen Tierwelt nie leer an den öden Strand der Stadt Nizza zurückkehren. Mit vielen ſchönen Formen aus den ſüdlichen Meeren hat uns Schmarda bekannt gemacht. Es iſt von hohem Intereſſe, daß die Planarien des Baikalſees, der ſehr reich an ihnen iſt, ſich (nach Grube) der Mehrzahl u m Zottenplanarie (Thysanozoon). 2mal vergrößert. See- und Landplanarien. 213 nach den marinen Formen durch Größe und Färbung anſchließen. Dieſe Thatſache iſt, wie das Vorkommen von Seehunden, Seefiſchen, Seekrebſen ꝛc., eine abermalige Stütze für die Theorie, daß der Baikalſee einſt ein Meeresteil war, welcher durch die Hebung Sibiriens iſoliert wurde und, zwar nach und nach, verſüßte, aber doch einen Teil ſeiner alten marinen Tierwelt in die jetzigen Verhältniſſe hinüberrettete. Eine beſondere Erwähnung verdienen die Landplanarien, welche vorläufig unter dem Namen Geoplana zuſammengefaßt werden. Schon im vorigen Jahrhundert entdeckte der berühmte däniſche Zoolog Otto Friedrich Müller eine auf dem Lande unter Steinen in feuchter Erde lebende Art, welche er Landplanarie, Planaria (Rhynchodesmus) ter- restris, nannte. Dieſelbe beſitzt einen faſt cylindriſchen, nur an der Bauchſeite etwas ab— geplatteten, 16 mm langen, 1½ mm breiten Körper, iſt oben ſchwärzlichgrau, unten weiß gefärbt und läßt am vorderen Ende zwei kleine ſchwarze Augenflecke erkennen. Nur wenige Male wurde dieſes Tier in Frankreich und Deutſchland wiedergefunden, und offenbar ſind dieſe gemäßigten Striche gerade dieſem Weſen nicht günſtig. Nur noch eine einzige Spezies iſt in Deutſchland entdeckt worden, und zwar zu Gießen in Blumentöpfen des Warmhauſes im botaniſchen Garten, be— ſchrieben als Geodesmus bilineatus. Wenn die Erde in den Blumentöpfen nicht feucht genug iſt, kriecht das Tier in die Tiefe, ſobald aber die Erde von neuem begoſſen wird, kommt es wieder an die Oberfläche, mit dem Vorderkörper nach der _—_— Umgebung taftend. Die größten Exemplare find 12 mm lang. ie zumal Der Rücken ift ſchmutzig gelb gefärbt und enthält noch eine zweite marmorierte rotbraune Färbung. Außerdem ſieht man am Rücken zwei nebeneinander liegende, durch den ganzen Körper verlaufende, ebenfalls rotbraun gefärbte Linien und einen in der Mitte des Körpers liegenden dunkeln Fleck; dieſer letztere entſpricht der Lage des Schlundrüſſels. Die beiden Augen am Kopfende ſind ſehr markiert. Eine weitere Art (Microplana cunnicola) beſchrieb Vejdowsky 1889 aus Fundſtätten Böhmens. Auch aus Nordamerika find Formen bekannt, jo Rhynchodesmus sylvaticus, der ſich von Inſekten ernährt. Der Armut an dieſen Formen bei uns gegenüber, ‚haben uns“, jagt Max Schultze, „die Reiſen des engliſchen Forſchers Charles Darwin mit einer reichen Fauna von Land— planarien in den feuchten Urwaldregionen Südamerikas bekannt gemacht. Mußte zunächſt die Eigentümlichkeit des Vorkommens überraſchen, daß Würmer aus der Ordnung der Turbellarien, die wir in unſeren Gegenden nur im Waſſer zu finden gewohnt ſind, und welche ihres äußerſt weichen, zarten und aller feſten Stützen entbehrenden Körperparenchyms willen ausſchließlich in dieſem Medium zu leben beſtimmt zu ſein ſcheinen, in zahlreichen Arten als Landbewohner auftreten, ſo wurde nicht weniger unſer Intereſſe in Anſpruch genommen durch die Angaben über die anſehnliche Größe dieſer Tiere, den bunten Farben— ſchmuck, die nemertinenartige Geſtalt, verbunden mit der inneren Organiſation der Planarien unſerer ſüßen Gewäſſer.“ Das Verlangen nach näheren Mitteilungen über die Naturgeſchichte dieſer Urwald— bewohner wurde, ſoweit es ihm unter den beſchränkten Verhältniſſen eines mit der Axt ſich anſäſſig machenden Auswanderers möglich war, durch unſeren Freund Fr. Müller befriedigt, der 13 Arten der merkwürdigen Landplanarien teils in der Nähe der Kolonie Blumenau, teils in Deſterro beobachtete. Sie lieben mäßig feuchte Orte, unter Holz, Rinde, Steinen, zwiſchen Blättern der Bromeliaceen, doch nicht in dem daſelbſt angeſammelten Waſſer. Am 214 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. Tage ſcheinen ſie zu ruhen, nachts umherzuſchweifen. Fr. Müller wollte ſich vergewiſſern, ob die Landplanarien wie ihre Verwandten im Waſſer auf der Körperoberfläche Flimmer— haare tragen. „In Ermangelung eines Mikroſkops“, ſchrieb er, „beſtreute ich, eines Erperi- mentes in J. Müllers phyſiologiſchen Vorleſungen mich erinnernd, ein recht großes Exemplar der Geoplana rufiventris mit ein wenig Arrowrootmehl und Jah nun dieſes auf dem Rücken ſich konſtant vorwärts und dabei bisweilen auf der Bauchſeite etwas nach hinter— wärts ſich fortbewegen, wodurch die Exiſtenz der Flimmerhaare außer Zweifel geſtellt ſcheint.“ Ein ganz beſonderes Intereſſe bot die unterirdiſch lebende Geoplana subterranea, „indem ſie den Kreis der Lebensbedingungen, unter denen dieſer Tierform zu beſtehen geſtattet iſt, aufs neue erweitert zeigt. Nachdem man Plattwürmer in dem klaren Quellwaſſer der Ge— birge, unter den Steinen der Seeküſte, wie an den flutenden Tangen mitten im Weltmeer gefunden, nachdem ſich die Ausſicht auf eine reiche Landplanarienfauna eröffnet hat, die in feuchtem Mooſe, unter Steinen und Rinden ſich birgt und bis in die Wipfel des Ur— waldes aufſteigt, wo ſie zwiſchen den ſtachligen Blättern der Bromelien ein ſtets feuchtes Aſyl findet — ſo kommen nun auch Erdplanarien zum Vorſchein, Genoſſen der Regen— würmer und Engerlinge. In bezeichnendem Gegenſatze zu ihren über der Erde lebenden farbigen, augenreichen Gattungsgenoſſen iſt dieſe im Dunkeln hauſende Geoplana ohne Farbenſchmuck und Farbenſinn, milchweiß und augenlos. Im Habitus entfernt ſich dieſe Art mehr als irgend eine von der typiſchen Planarienform. Ihr gleichmäßig ſchmaler, ſehr langer, an den Enden abgerundeter Körper, der bei einer Länge von 6—8, ſelbſt bis 11 mm kaum die Breite von 1 mm erreicht, gibt ihr vellſtändig das Anſehen einer Nemertine. Das Tier lebt beſonders in lockerem, ſandigem, aber auch in ſchwerem zähen Lehmboden in Geſellſchaft eines Regenwurmes (Lumbricus corethrurus). Es mag be— fremden, daß ein ſo weiches Tierchen, das kaum leiſe Berührung verträgt, in dieſem Medium exiſtieren und ſich Wege bahnen könne. Dieſe Schwierigkeit löſen die Regenwürmer, die den Boden ſo durchwühlen, daß er wie ein Schwamm von glatten Gängen verſchiedener Weite in allen Richtungen durchſetzt iſt. Zum Dank dafür werden die Regenwürmer von dem Plattwurm aufgefreſſen oder vielmehr ausgeſogen. Dieſe Nahrung war aus der Farbe des Darminhaltes unſchwer zu erſchließen. Ich habe aber auch Geoplanen getroffen, die eben einen jungen Regenwurm mit dem vorgeſtülpten Rüſſel gepackt hielten, und deren Darm ſich mit friſchem Blute zu füllen begann.“ Auch in den feuchten Waldungen Ceylons ſind Landplanarien entdeckt, unter denen ſich die der Gattung Bipalium angehörigen Arten durch das Vermögen auszeichnen, an einem aus der ſchleimigen Abſonderung ihrer Körperoberfläche gezogenen Faden ſich auf— zuhängen. In neueſter Zeit hat beſonders Georg Lehnert Landplanarien, namentlich Bipalium kewense, unterſucht. Er bezog ſein Material aus verſchiedenen Gewächshäuſern Englands, Berlins und hauptſächlich Leipzig-Anger-Crottendorfs. Die Tiere waren angenſcheinlich mit tropiſchen Gewächſen eingeführt wurden, jedoch ließ ſich nicht feſtſtellen, mit welchen, daher unſer Forſcher auch über ihr urſprüngliches Vaterland im Unklaren blieb. Die Bipalien kriechen mit Leichtigkeit über wage- und ſenkrechte, ja ſelbſt über hängende Flächen dahin, und ihre Bewegung vollzieht ſich unter Schlängelungen des ganzen Körpers, Wellen— bewegung der Sohle, Flimmerung der Sohlenwimpern und Schleimabſonderung ſeitens der ganzen Oberfläche ihres Leibes. Die Wimpern ſind nicht gleichmäßig auf der Sohle verteilt, es finden ſich vielmehr zwei Randzonen mit größeren und ein Mittelraum mit kleineren Wimpern, aber die Tiere können dieſelben nicht zum Vorwärtsſchieben benutzen, wenn ſie keinen Schleim abſondern können, und dieſer bleibt in Geſtalt eines Fadens als Kriechſpur zurück. Beim Kriechen wird der Kopf mit dem vorderen Körperabſchnitt Erdplanarien. Orthonektiden. 215 (durchſchnittlich etwa auf ein Neuntel der ganzen Körperlänge) erhoben getragen, der Halb— mond, den das Kopfende darſtellt, und der ſonſt auch in Zungen- oder Lanzenſpitzenform zuſammengezogen und geſtreckt werden kann, erſcheint ausgebreitet und führt nach allen Seiten taſtende Bewegungen aus. Kommen die Tiere an eine Unterbrechung ihres Weges, ſo ſtrecken ſie ſich zunächſt aus und ſuchen mit dem Kopfabſchnitt überall herum, bis ſie einen feſten Punkt erreicht haben, nach dieſem ziehen ſie ſich hinüber, aber immer unter Entwickelung eines Schleimfadens, der in Geſtalt einer Brücke die beiden Punkte verbindet. Wollen ſie ſich von einem erhöhten Punkt herablaſſen, ſo bilden ſie erſt einen dreieckigen Schleimſpiegel, von deſſen einer Seite ſie ſich dann, auch an einem Faden, herablaſſen. Da aber die Bildung des Spiegels eine größere Schleimmaſſe beanſprucht, können ſie ihn nur etwa viermal hintereinander herſtellen, dann müſſen ſie einige Zeit pauſieren. So ſehr ſie auf feuchte Lokalitäten angewieſen ſind, ſo ſehr meiden ſie das Waſſer, wahrſcheinlich weil es ihre Schleimfäden auflöſt. Auch die Bipalien Lehnerts ernährten ſich von Regenwürmern, aber nur lebenden, ſich windenden; über dieſe, und wenn ſie ein Sechſtel ſo lang wie die ganze Planarie ſind, ſtülpen ſie ihren Schlund weg, ſaugen ſie aber nicht aus, ſon— dern verdauen die Nahrung Schicht auf Schicht innerhalb 1—5 > | Stunden. Alle 5—7 Stunden nehmen fie eine tüchtige Mahl— M zeit zu ſich, können aber auch 3 Monate und darüber hungern. Lehnert konnte bei ſeinen Bipalien nicht die Spur von Geſchlechtsorganen entdecken, wohl aber beobachtete er ungeſchlechtliche Fortpflanzung, welche beſonders des Nachts ſich nicht ſelten vollzog. Bei derſelben, die ganz ohne irgend welche bemerkbare einleitende Veränderungen des Körpers vor ſich ging, ſchnürte ſich das Schwanzende in einer Länge von 1—2, ſelten von 3—4 em ab und regenerierte in verhält: nismäßig kurzer Zeit Kopf, Rüſſel und Darm. Bei Geodes- mus waren freiwillige Teilungserſcheinungen nicht bemerkbar, aber abgeſchnittene Stücke wuchſen ebenſo mit Leichtigkeit zu neuen, vollſtändigen Würmern heran. Bevor wir den Kreis der Würmer verlaſſen, müſſen wir noch einiger kleinen, ſeltſamen Weſen Erwähnung thun, deren N endgültige ſyſtematiſche Stellung zwar noch nicht feſtgeſetzt iſt, u die aber doch wohl Würmer, allerdings durch ſchmarotzende Orthonettide (Rhopalura Girardüi), ftart Lebensweiſe in ihrer Organiſation ſehr entartete und in i ihrer Entwickelung ſtark modifizierte, fein und ſich zunächſt den Strudel: oder Saugwürmern anſchließen dürften. Das find die Orthonektiden und die Dicyemiden. Die Orthonektiden leben in der Leibeshöhle von Strudelwürmern (Leptoplana), Schnurwürmern (Nemertes, Lineus) und Schlangenſternen (Amphiura). Sie ſind von ſpindelförmiger Geftalt, ohne Verdauungsorgane, Nervenſyſtem ꝛc. und zwiſchen 0,06 und 0,15 mm groß. Ihre Binnenmaſſe beſteht aus einem Haufen polyödriſcher Zellen, um welche ſich äußerlich als Mantel eine einfache Lage kubiſcher Zellen lagert, die gruppenweiſe zu Quer— ringen zuſammentreten und, abgeſehen die des zweiten Querringes, mit Flimmerhaaren beſetzt find. Die Tiere find getrennt geſchlechtlich: die Männchen haben außen 8 (Rhopalura Intoshi aus den Würmern) oder 6 (Rhopalura Girardii, ſ. obige Abbildung, aus dem Seeſtern) Ringe oder Segmente und im Inneren einen mit Samentierchen gefüllten Sack. Sie ſind 216 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmer; dritte Ordnung: Strudelwürmer. immer kleiner (bei Rhopalura Girardii nur halb jo groß) wie die 9 äußerliche Segmente aufweiſenden Weibchen, die übrigens in zwei Formen, als vollrund eierlegende und ab— geplattete, lebende Junge produzierende, auftreten. Die Tiere ſcheinen ſich auf Koſten der Fortpflanzungswerkzeuge ihrer Wirte zu ernähren, wenigſtens konnte Metſchnikow feſt— ſtellen, daß die von jenen befallenen Würmer keine Geſchlechtsorgane mehr befaßen, obwohl es die Zeit der höchſten Reife derſelben war. Intereſſanter noch zeigten ſich die Verhältniſſe bei dem Seeſtern. Dieſer iſt ein Zwitter, und es fanden ſich diejenigen Individuen, welche von zahlreichen Orthonek— tiden bewohnt waren, ganz ohne Geſchlechtsorgane, diejenigen hingegen, die nur einige wenige beherbergten, waren zwar ihrer Eierſtöcke verluſtig gegangen, hatten aber die Hoden noch, es werden mithin die weiblichen Genitalien vor den männlichen befallen. Nicht weniger ſonderbar ſind die Dicyemiden, welche beſonders vom jüngeren van Beneden und von Whitman unterſucht worden ſind. Dieſe ſeltſamen, 1839 von Krohn entdeckten Tiere finden ſich ausſchließlich in den Hohlräumen oder Kammern der als Nieren bezeichneten Organe der Kopf— füßer vor, und zwar die meiſten der zehn bekannten Arten auch bei beſon— deren Arten dieſer Mollusken, eine indeſſen auch bei 2, eine andere ſogar bei 3 Kommen mehrere Spezies bei ein und demſelben Individuum des Wirtstieres vor, dann verteilen ſie ſich entweder auf verſchiedene Nieren— kammern, oder falls ſie ein und dieſelbe der letzteren bewohnen, ſo hält ſich doch jede Art gruppenweiſe von der anderen geſondert zuſammen. Die Dicyemiden find größer (25 —7 mm) als die Orthonektiden, viel ſchlanker und deutlich bilateral ſymmetriſch. Ihre innere Zellmaſſe wird außen von einigen wenigen langen Spindelzellen (Ektoderm) umgeben. Am Kopfende ordnen ſich die äußeren Zellen zu einer „Calotte“ an, welche bei der Gattung “= Dicyema aus 8 Zellen (4 in einem vorderen und 4 in einem hinteren Gürtel), oomalwerutäpert, bei Dieyemennea aus 9 (5 im hinteren Gürtel) beſteht. Am Schwanzende ſtehen zwei lange Zellen einander gegenüber, während zwei andere, zu dieſen rechtwinkelig arrangierte, ſich mit ihrem Vorderende zwiſchen je zwei Zellen als Parapolar— zellen des hinteren Calottengürtels einſchieben. Dieſe Parapolarzellen arrangieren eine rechte und linke Seite und die beiden Schwanzzellen eine Bauch- und Rückenſeite der Dicye— miden, welche mithin, wie geſagt, bilateral ſymmetriſch ſind. Die Tiere bringen entweder nur eine Art von Embryonen hervor (ſie ſind monogen) oder zwei Arten und heißen dann diphygen. Auch in erſterem Falle ſind noch zwei Möglichkeiten offen, denn die Embryonen können wurmförmig (bei nematogenen) oder infuſorienförmig (bei rhombogenen Dicyemiden) ſein. Die Diphygenen produzieren erſt infuſorien-, ſpäter wurmförmige Nachkommen. Die Muſchellinge. Die Muſchellinge (Molluscoidea). Die beiden Tierklaſſen, die Moostierchen (Bryozoa) und die Armfüßer (Bra- chiopoda), welche man unter dem höchſt unpaſſenden Namen der Molluskoiden ver: einigte, haben beide ihre beſonderen, ſehr verſchiedenen ſyſtematiſchen Schickſale gehabt und dürften wohl noch nicht endgültig im Syſtem untergebracht ſein. Außere Ähnlichkeiten mit anderen Tieren war für die Beurteilung ihrer verwandtſchaftlichen Beziehungen maßgebend geweſen, und ſo brachte man denn die Armfüßer zu den Muſcheln, während man die Moos— tierchen mit Hydroidpolypen, Korallen, Schwämmen ꝛc. zu der großen und bunten Geſell— ſchaft der Pflanzentiere oder Zoophyten vereinigte. Als zufolge immer mehr ſich er: weiternder Kenntnis dieſe letzteren als himmelweit verſchiedene Tiere erkannt worden waren, ſtellte man die Bryozoen mit den Rädertieren zuſammen unter dem Namen Ciliati als eine Art Anhang zu den Würmern, während andere Forſcher ſie mit den Manteltieren vereinigt Molluscoidea nannten, die Armfüßer aber bei den Mollusken beließen. Allman betonte die Ahnlichkeit der Moostierchen, beſonders die der Larven einiger Formen, mit Muſcheln, Schneider aber die Übereinſtimmungen mit den Larven, aber auch mit gewiſſen Eigentümlichkeiten in der Organiſation der Sternwürmer (Sipunkuliden). Wenn man jetzt Bryozoen und Brachiopoden miteinander vereinigt, ſo glaubt man ſich hierzu doch wohl nur durch übereinſtimmende Erſcheinungen in der Entwickelung beider Tiergruppen berechtigt, denn die Homologien, welche man in die anatomiſche Beſchaffen— heit der Moostiere und Armfüßer hat hineindeuteln wollen, ſind zu geſucht, um über— zeugend ſein zu können. Aber auch die auf die Entwickelung, beſonders auf den Bau der Larven baſierte Vereinigung beider iſt nicht unanfechtbar. Können nicht Larven ſehr ver— ſchiedener Tiere durch Anpaſſungen an gleiche oder höchſt ähnliche Lebensumſtände eine ſehr ähnliche Organiſation erlangen? Wäre es logiſch, annehmen zu wollen, daß ſogenannte Kon— vergenzerſcheinungen bloß für ausgebildete Tiere Geltung hätten? Erſte Klaſſe. Die Mloostiere (Bryozoa). Wir machen uns mit dem Bau eines Moostieres an der umſtehenden Abbildung bekannt, welche uns den äußeren Umriß und das Innere eines Tieres aus dem Stocke der in den ſüßen Gewäſſern Belgiens lebenden Paludicella Ehrenbergii ſehen läßt, und zwar in ſehr vergrößertem Maßſtab. Am Grunde iſt das Tier von dem darunter be— findlichen Individuum losgelöſt worden, und oben iſt das darauffolgende höher ſtehende Individuum abgebrochen. Der Körper ſtellt eine Zelle dar, hier ziemlich verlängert. Die Wandungen ſind ſteif und nur am Vorderteil ſo biegſam, daß dasſelbe durch mehrere 220 Muſchellinge. Erſte Klaſſe: Moostiere. Muskeln (m), darunter einen beſonders ſtarken und ſich bis faſt in den Hintergrund der Zelle frei durch den Körper erſtreckenden, eingeſtülpt und eingezogen werden kann. Am Vorderende ſelbſt befindet ſich die Mundöffnung, umgeben von einem Kranze wimpernder Fühlfäden oder Tentakeln (a). Der mit einem muskulöſen Schlundkopf (b) beginnende Darmkanal hängt wie eine Schlinge, den Magen (g) zu unterſt, in die Leibeshöhle hinein und endigt etwas unterhalb des Mundes (bei c). Sonſt ganz frei, wird er nur noch durch einen kurzen Strang, den Funiculus, an die Leibeswand locker befeſtigt. In allen erwachſenen Zellen entwickeln ſich an der Wandung zwei Zellenhaufen, aus deren oberem (o) Eier hervorkommen, während im unteren (t) Samenkörperchen ſich erzeugen. Die Moos— tierchen ſind mithin Zwitter; die Befruch— tung der Eier geſchieht durch die in ihrer nächſten Nähe ſich bildenden und mit den Eiern frei in der Leibesflüſſigkeit ſchwim— menden Samenkörper. Dies find die einförmigen wejent: lichen Grundzüge des Baues einer Tier— gruppe, von der man zwar gegen 1700 foſſile und noch lebende Arten kennt, die aber trotz der Anhäufung der Individuen zu Stöcken im ganzen ſehr wenig in die Augen fällt. Einige Sippen überziehen im Süßwaſſer Wurzeln und die Stengel der Seeroſen bis zu Armesdicke, ſind aber dabei ſo unanſehnlich und mißfarbig, und die Zierlichkeit der winzigen Einzelindivi— duen entzieht ſich dabei ſo dem Auge, daß auch durch dieſe Maſſen die Aufmerkſam— keit nicht erregt wird. Von äußerſter Mannigfaltigkeit und bewundernswür— diger Zierlichkeit ſind die Stöcke der ſee— bewohnenden Bryozoen, auch von außer— ordentlicher Häufigkeit. Sie erheben ſich von den verſchiedenſten Unterlagen als zierliche Bäumchen oder gabelig ſich ver— zweigende Gebilde oder kriechen bisweilen in dieſer Verzweigung auf der Unterlage hin. Andere wieder verflechten ſich zu feinen Netzen und Krauſen oder gleichen zuſammenhängen— den Raſen und Mooſen, bilden Blätter, an denen entweder nur auf einer oder auf beiden Seiten die Tentakelkränze zum Vorſchein kommen. Zur Beute der Schleppnetzexkurſionen an den Küſten des Atlantiſchen Ozeans und Mittelmeeres zählt ſehr oft die ſogenannte Netzkoralle (Retepora cellulosa), feine Ko— ralle, ſondern ein echtes Moostier, deſſen Kolonien einen lieblichen Anblick ewähren. Im friſchen Zuſtande erſcheinen die einem feinen becherartigen oder mannigfach gefalteten und gekrauſten Netzwerk gleichenden Stöcke von einer rötlichen organiſchen Maſſe überzogen, aus Einzelnes Tier von Paludicella Ehrenbergii, im Durchſchnitt, ſtark vergrößert. Bau und Entwickelung der Moostiere. Netzkoralle. 221 welcher ſich die zarten Vorderenden der nur mit ſtarker Lupe deutlich erkennbaren Einzeltiere erheben. Die Stöcke aber, aus denen die Weichteile durch Bleichen und Putzen entfernt ſind, haben eine blendend weiße Farbe. Es überwiegt an ihnen die kalkige, die einzelnen Indivi⸗ duen verbindende Zwiſchenmaſſe, deren Verhältnis zu den den Einzeltieren angehörigen Teilen ein ganz ähnliches iſt wie bei den Polypen. Wir verweiſen darüber auf die jpätere Darſtellung der letzteren. Die kleinen Offnungen, welche wie Pünktchen auf den durchbrochenen Netzkoralle (Retepora cellulosa). Natürliche Größe. Blättern der Stöcke zu ſehen ſind, gehören den Einzeltieren an. Ihre Wandungen ſind die zu Skelett gewordenen Hinterenden, die Kapſeln, in welche das zugehörige Vorderende ſich zurückzog. Als Beiſpiel der ungemein zahlreichen überrindenden, oft auch zugleich frei blätterig ausgebreiteten Moostierformen des Meeres geben wir auf S. 222 eine Lepralie des Mittel— meeres. Ich habe die Artbeſtimmung vermieden, weil ich mich der Vermutung nicht ent— ſchlagen kann, daß die Anzahl der vielen von den Fachkennern beſchriebenen Arten bedeutend wird zuſammengezogen werden müſſen. Der Fuß des Stockes ruht auf einem vieläſtigen Gebilde, einer den Algen verwandten, ſehr gemeinen Kalkpflanze aus der Abteilung der Melobeſieen, und dieſe ſelbſt iſt einem Steine aufgewachſen. Die Einzeltiere find im Stode in Reihen geordnet, und eine Eigentümlichkeit, welche die Lepralien von den Reteporen und anderen Bryozoen unterſcheidet, beſteht darin, daß die Individuen ſich nur auf einer Seite des Stockes, alſo in einfacher Schicht befinden. 999 Muſchellinge. Erſte Klaſſe: Moostiere. Die Erhaltung im foſſilen Zuſtande verdanken ſie der Erhärtung und Verkalkung des größten Teiles der Leibeswand, welche dadurch zu einer „Zelle“ wird, in welche ſich der immer weich bleibende Vorderteil des Tieres zurückziehen kann. Die ſo wechſelnde Form der Stöcke hängt von der ſpeziellen Art der Knoſpenbildung ab. Nachdem nämlich das aus dem Ei gekommene Weſen ſich fixiert hat, wird der Stock durch Knoſpenbildung aufgebaut. Indem bei jeder Sippe und Art die Knoſpen an beſtimmter Stelle hervor— brechen und eine beſtimmte Lagerung zu den Mutterindividuen annehmen, reſultieren in— folge kleiner Abweichungen doch die verſchiedenſten Kolonieformen. Da jedes Individuum des Stockes zu beſtimmter Zeit auch Eier und Samen hervorbringt, ſo iſt für die Vermehrung in ergiebigſter Weiſe geſorgt. Man kann OO ] — . am Meeresitrande binnen wenigen s N Tagen eine reiche Ernte an Bryozoen ____ maachen. Man braucht nur Haufen = - von Tangen ſich nach Haufe bringen zu laſſen, um faſt an jedem blatt— artigen Teile dieſer niederen Pflanzen gewiſſe Arten anzutreffen; und wo der — nn en: —— Meeresboden nicht gar zu ſteril und ungünſtig iſt, ſind die Steine und die noch vollen und die leeren Schnecken— gehäuſe und Muſchelſchalen mit Bryo— zoenſtöckchen beſetzt, welche man aller— dings oft erſt bei ſorgſamer Durch— muſterung mit der Lupe entdeckt. Daß unſere Tierchen in dem gro— ßen Konzert der organiſchen Welt keine große Rolle ſpielen, iſt aus dem Obi— gen klar. Ihre Anzahl iſt aber wieder ſo erheblich, das Detail ihrer Organe, die Art und Weiſe ihrer Knoſpenbil— dung und Fortpflanzung ſo mannig— Bern faltig, daß die Beſchäftigung mit ihnen ce Orbe. ein Naturforſcherleben auf Jahre aus: zufüllen im ſtande iſt, wie die umfang: reiche Litteratur über dieſelben beweiſt. Die Hauptmomente für die ſyſtematiſche Einteilung ſind der Beſchaffenheit des Mundes und der Fühlerkrone entnommen, wie wir wenigſtens durch einige Beiſpiele zu belegen verſuchen werden. Lepralie. Natürli Die Mehrzahl der Moostierchen des ſüßen Waſſers gehören der Ordnung der ſoge— nannten Phylactolaemata an, deren Mund mit einem zungenförmigen Deckel verſehen iſt. Ihre Kiemen ſind hufeiſenförmig, am Grunde von einer kelchförmigen Haut umwachſen. Die Zellen ſind entweder ganz weich oder hornig und kommen daher im foſſilen Zuſtande nicht vor. Eine ſehr merkwürdig ſich verhaltende Sippe iſt Cristatella. Sie bildet elliptiſche Kolonien, welche nicht feſtgewachſen ſind, ſondern, dem Lichte nachgehend, langſam kriechend ſich fortbewegen. Es tritt nun die Frage an uns heran, wie ein ſo vielköpfiges Geſchöpf es zu ſtande bringe, alle Einzelwillen nach einer Richtung zu vereinigen. Denn wenn auch der äußere Anreiz, wie z. B. der des Lichtes, alle Einzeltiere in der Regel in derſelben Lepralie. Cristatella, 223 Richtung treffen wird, jo erſcheint er doch kaum ausreichend, um in eine ſolche Kolonie einen gewiſſen einheitlichen Willen und danach eine einheitliche Bewegung zu bringen, ohne daß ein dieſe Einheit vermittelndes Organ vorhanden iſt. Und dieſes iſt vorhanden. Wir holen hier nach, daß jedes Einzeltier einen Nervenknoten zwiſchen Schlund und After und Ner— ven für feinen eignen Bedarf hat. Daneben beſteht aber in den Kolonien der Moostiere noch ein beſonderes Nervenſyſtem, welches mit dem der Einzeltiere in Verbindung ſteht, aber von Nachbar zu Nachbar geht durch Offnungen, durch welche auch die Leibesflüſſig— keit des einen den übrigen zu ſtatten kommt, ein Kommunismus idealſter Art. Es beſteht alſo ein Kolonialnervenſyſtem, durch welches ohne Zweifel auch die Kolonialbewegungen geregelt werden. Neben der geſchlechtlichen Fortpflanzung und in einem gewiſſen Wechſel mit ihr kommt bei den Moostierchen auch noch eine ungeſchlechtliche in Anpaſſung an äußere Verhältniſſe, Winterkälte, Austrocknung ꝛc. vor, wohl aber nur ausſchließlich bei den Formen des ſüßen Waſſers, bei denen, wenigſtens bei den einheimiſchen, dieſe Vorgänge genauer unterſucht worden ſind, in neuerer Zeit beſonders von Kraepelin und Braem. lde a) Cristatella mucedo. 2 mal vergrößert. b) Statoblaſt der Cristatella mucedo mit drei jungen Tieren. Vergrößert. Die ungeſchlechtliche Vermehrung vollzieht ſich durch Keimkörper, welche von zweierlei Art ſein können. Bei der Gattung Paludicella bilden ſie ſich Ende September inner— halb weniger Tage durch einfache Abſchnürung vom Stocke, der darauf zu Grunde geht. Sie ſind von ſehr verſchiedener Größe, zeigen aber die Verhältniſſe anderer, mit dem Stocke in Zuſammenhang bleibender Knoſpen von gleicher Größe: es ſind eben thatſächlich los— gelöſte Knoſpen, ſogenannte Winterknoſpen, welche an den Reſten der horizontal kriechen— den Zweige der Paludicella-Stöckchen haften bleiben und im nächſten Frühjahr an Ort und Stelle zu einer neuen Kolonie auswachſen, von den aufrecht ſtehenden aber durch das Waſſer weggeſpült werden und in der Ferne neue Anſiedelungen zu gründen beſtimmt ſind. Anderer Natur iſt eine zweite Art von Keimkörpern, welche ſich in Geſtalt von Zell— haufen auch Ende des Sommers am Funiculus bilden, von ovaler oder runder abgeplatteter Geſtalt find und eine eigentümliche Schale um ſich bilden. Dieſelbe iſt von horniger, durchſichtiger Beſchaffenheit, von bräunlicher oder gelblicher Farbe und beſteht aus zwei Klappen, welche wie Uhrgläſer aufeinander gepaßt ſind. Der beide Klappen umgebende Rand iſt oft verbreitert und enthält im Inneren kleine Luftkammern oder radiär abſtehende ſtarre Hornfädchen mit Widerhaken am Ende. Dieſer Ring, den man als „Schwimmgürtel“ bezeichnet, iſt ein hydroſtatiſcher Apparat, welcher die fertigen, Statoblaſten genannten Winterkeime (ſiehe obenſtehende Abbild. Fig. b) auf der Oberfläche des Waſſers erhält. Die komplizierte Einrichtung der Widerhaken ſtellt gewiſſermaßen Anker dar, mit welchen die paſſiv ſchwimmenden Statoblaſten an geeigneten Stellen, an denen ſie ſich im nächſten Frühjahr 224 Muſchellinge. Erſte Klaſſe: Moostiere. — — entwickeln werden, hängen und haften bleiben. Die Entwickelung wird dadurch eingeleitet, daß ſich die beiden Klappen zu einem Spalt auseinandergeben, aus welchem die Keimmaſſe austritt. Wir haben es hier mit einem Generationswechſel zu thun. Aus den auf ungeſchlecht— lichem Wege hervorgebrachten Winterknoſpen und Statoblaſten erſcheinen Individuen, welche ſich geſchlechtlich fortpflanzen, und deren Nachkommenſchaft ſchließlich wieder die Winterkeime liefert. Dabei iſt nicht ausgeſchloſſen, daß die Stöckchen, welche aus ſolchen ſich entwickelt hatten, eine Zeitlang zwar geſchlechtlich ſich fortpflanzen, im Herbſt aber ſelber auch Stato— blaſten liefern. Das Wachstum der Bryozoenſtöckchen durch Knoſpung, das Ablöſen der Winterknoſpen bei Paludicella, die Bildung der Statoblaſten und das Auftreten von Eiern zeigt uns ſo recht, wie Wachstum und Fortpflanzung miteinander zuſammenhängen. Braem iſt der Meinung, daß die Statoblaſten wenigſtens von Cristatella einfrieren müſſen, um zur Entwickelung fähig zu bleiben. Er bemerkt über den Einfluß des Froſtes auf die Statoblaſten: „Am deutlichſten zeigte er ſich dann, wenn von den Statoblaſten der nämlichen Kolonie nur eine Hälfte dem Froſt ausgeſetzt wurde, die andere ihm dagegen entzogen blieb. Während in dieſem Falle die erſtere ſich zur Erzeugung von Embryonen durchweg als tauglich erwies, konnte jene einſtweilen durch keine Bemühungen zur Ent— wickelung gebracht werden, ſelbſt dann nicht, wenn die Temperatur dem Nullpunkt ſehr nahe geſtanden hatte. Man ſieht alſo, daß bei der völligen Gleichartigkeit des Materials nur der Froſt das ausſchlaggebende Moment bilden konnte, und daß ferner gerade die Er— ſtarrung der Flüſſigkeit nicht bloß eine verhältnismäßige Abkühlung von Bedeutung iſt. — Immerhin ſcheint es, daß auch der Froſt nicht allzu flüchtig ſein darf, und daß er wenigſtens einige Tage anhalten muß, wenn ſein Einfluß deutlich hervortreten ſoll.“ Dieſe Beobachtung iſt merkwürdig, aber es iſt zu bezweifeln, ob eine Verallgemeine— rung des Beobachteten gerechtfertigt iſt. Für die hyperboreiſchen Verhältniſſe Königsbergs mag die Sache gelten, aber für andere Gegenden nicht. In Weſteuropa entlang der Küſte ſind Winter, in denen das Waſſer nicht zu Eis gefriert, nicht ausgeſchloſſen, und doch findet ſich dort Cristatella. Ebenſo wiſſen wir, daß Fritz Müller in Braſilien und Carter in Britiſch-Indien Statoblaſten bei Bryozoen beobachtet haben. Ungleich zahlreicher ſind ſolche Familien der Moostierchen, denen der Munddeckel, das Epiſtom, fehlt, deren Mund daher unbedeckt iſt. Ihre Tentakeln ſind nicht hufeiſenförmig angeordnet, ſondern ſtehen im Kreiſe auf einer Scheibe. Der ſyſtematiſche Name für dieſe Ordnung iſt Gymnolaemata, womit eben das Unbedecktſein des Mundes bezeichnet wird. Zu den wenigen Süßwaſſerbewohnern dieſer Gruppe gehört die oben näher beſchriebene Paludi— cella, an welcher der Tentakelkranz unvollkommen ausſtülpbar iſt und daher auch im Zu— ſtande der größten Ausdehnung des Tieres von einem doppelten Kragen umgeben erſcheint. Eine andere und zwar ſehr umfangreiche Gruppe der Gymnolämen ſind die ſogenannten Chiloſtomen, von deren Beſchaffenheit uns die in der Nordſee gemeine Flustra foliacea eine Vorſtellung geben kann. Die vergrößerten Zellen, welche wir auf der Abbildung (S. 225) ſehen, ſind jener erhärtete Teil des Tieres, in welchen ſich der weich bleibende Vorderteil zurückziehen kann. Dies geſchieht durch eine quere Offnung, an welcher ſich ein lippenartiger elaſtiſcher Deckel befindet. Die Tierchen können alſo in dieſem Gehäuſe ſich abſchließen und ſichern, und diejenigen Sippen, die nicht, wie Flustra und andere, mit einem beſonderen Deckel ausgeſtattet ſind, können die Querſpalte durch Muskeln zuſammenziehen. Die Kolonien unſerer Flustra bilden blattartige, verzweigte Lappen, auf beiden Seiten aus einer Lage eng aneinander liegenden Individuen zuſammengeſetzt. Die Zellen verkalken, jedoch nicht ſtark, ſo daß ſie im friſchen Zuſtand elaſtiſch und mit dem ganzen Stock ſehr biegſam bleiben. Flustra foliacea. Arbeitsteilung der Chiloftomen. 225 Bei den Gymnolämen und ganz beſonders bei den Chiloſtomen kommt an den Stöckchen Arbeitsteilung vor, d. h. die einzelnen dieſelben zuſammenſetzenden Individuen zeigen einen ungleichartigen Bau und dienen verſchiedenen phyſiologiſchen Leiſtungen. Es finden ſich Zoöcien, Stolonen, Avikularien, Vibrakeln und 8 Ovicellen. Die Zoöcien ſind die ebenerwähn— 5 = ten Gehäuſe zur Aufnahme der am vieljeitigiten e entwickelten Mitglieder der Kolonie, welche zur Ai Atmung, Nahrungsaufnahme und Verdauung, N wohl auch zum Empfinden dienen. Die Stolo— nen find wurzelartige Ausläufer der Stöckchen, welche aus ſehr vereinfachten Individuen be— ſtehen und die Befeſtigung der ganzen Geſell— ſchaft auf unter derſelben befindliche Gegen— ſtände, Steine, Muſcheln, Schneckenſchalen ꝛc., vermitteln. Höchſt eigentümliche Gebilde ſind die Avikularien. Dieſelben gleichen auffal— lend dem Kopfe eines Vogels, etwa eines Pa— 0 pageien, es ſind Zangen mit einer größeren Er ON j oberen (Schädel und Oberkiefer des Vogels str nen a) Gin Gtod im gen er Ort und einer kleineren unteren Backe (Unterkiefer), die ſich fortwährend mittels eines ziemlich verwickelt angeordneten Muskelapparats öffnen und ſchließen. Sie ſitzen beweglich auf einem kurzen Halſe und immer in der Nähe des Ein— ganges in ein Zoöcium. Schnappend wenden ſie ſich nach allen Seiten, und da die Bryozoen— ſtöckchen keine Ausnahme von anderen ſtockartig entwickelten Meerestieren bilden, ſondern ebenſo häufig wie dieſe von allerlei kleinem Getier, Wür— mern, Krebschen, Larven ꝛc., als Ruheſtellen auf— geſucht werden, ſo kann es nicht ausbleiben, daß ab und zu eins dieſer Geſchöpfchen in das Bereich der ſchnappenden Zangen gerät, die es packen, halten und das tote zwiſchen ſich in Verweſung übergehen laſſen. In unmittelbarer Nähe des Wimperſpiels des Tentakelnkranzes am Zoöcium befindlich werden die Teilchen der verfaulenden Beute, aber auch allerlei kleine, durch dieſe herbei— gelockte Organismen dem Ernährungstier zu— geſtrudelt und verſchwinden in ſein Maul. Die Vibrakeln ſind lange, fadenförmige, äußerſt be— wegliche Gebilde, die gleichfalls auf kurzen Stielen ſitzen und wie Peitſchen fortwährend hin und her ſchlagen. Ihre Bedeutung iſt nicht ganz klar. Vielleicht ſind es ſpezifizierte Taſtorgane, vielleicht Tubulipora verrucosa. a) Teil eines Stockes, vergrößert. wirken fie wie Treiber und treiben den Ernährungs; P Einige Zelen, 51 1 Mein tieren ihre winzige Beute zu. Die Ovicellen, auch Obcien (Eierhäuschen) genannt, ſitzen als glocken-, helm: oder blaſenförmige Gebilde am unteren Ende der Zoöcien und enthalten je ein Ei. Ob fie wirklich ſelbſtändige, um: gebildete Individuen des Stockes oder bloß Anfangsgebilde der Zobcien find, ſteht noch dahin, doch ſcheint das Letztere das Wahrſcheinlichere zu ſein. Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X 15 296 Muſchellinge. Erſte Klaſſe: Moostiere. In weſentlich anderem Verhältnis als bei den Chiloſtomen ſteht bei Tubulipora der einſtülpbare Teil zum ſtarren Zellenteil; die Mündung iſt endſtändig und weit und geht a) Löffeltier (Loxosoma cochlear) mit Seitenſprößlingen. 200 mal vergrößert. b) Schwärmlarve von Loxosoma singulare. 100 mal vergrößert. ohne Verengerung in das weiche Vorderende über. Die Sippe, eine von ſehr vielen dieſer Rundmündigen oder Cykloſtomen, bildet mit ihren Stöcken ſchüſſelförmige Inkruſtationen mit ſtrahlenförmiger Anordnung der Individuen, wie die vergrößerte Hälfte Figur a (ſ. Ab⸗ bildung S. 225) zeigt. In Figur b finden wir einige noch mehr vergrößerte Zellen. Tubulipora. Löffeltier. 227 Die Syſtematiker haben ſich veranlaßt geſehen, den, wie oben geſchildert, beſchaffenen Moostieren noch einige Gattungen anzureihen, deren am meiſten in die Augen fallendes Merkmal ſei, daß die Afteröffnung innerhalb des Fühlerkranzes liege, und die Endoprocta benannt wurden. Bei jenen anderen nämlich befindet ſich, wie wir ſahen, die Mündung des Darmes unter der Fühlerkrone, es find Ectoprocta. Ich wähle gerade das bisher am wenigſten bekannte Tier, das man zu dieſer Gruppe gezogen, da ich mich eingehender mit ihm beſchäftigt habe. Es handelt ſich um die Gattung Loxosoma, wofür ich den Namen Löffeltier vor— ſchlagen möchte, da die Geſtalt nicht nur des abgebildeten Loxosoma cochlear, ſondern auch der meiſten anderen Arten, von der Seite geſehen, ganz auffallend einem Schöpflöffel gleicht, zumal wenn die Tentakeln eingeſchlagen ſind. Ihr Körper beſteht aus Rumpf und Stiel. Der vordere Teil des Rumpfes trägt einen Kranz von 8—12 mit einer Doppel: reihe langer Wimpern verſehener Fühler. Die Mundöffnung iſt am unteren Rande der Fühlerſcheibe, die Darmöffnung etwas oberhalb der Mitte derſelben. Der ſtämmige, mit Muskeln wohl ausgeſtattete Stiel heftet ſich vermittelſt ſeines fußförmigen und ſaugnapf— artigen Endes an den ſelbſtgewählten Standort des Tieres an, unterſtützt durch die wahr— ſcheinlich klebrige Abſonderung einer großen Fußdrüſe. Das ganze Tier iſt ziemlich durch— ſichtig und führt ein ſehr beſcheidenes und verſtecktes Daſein im Meere, beſonders in den Höhlungen von Hornſchwämmen verborgen. Obwohl zu langſamer Ortsbewegung befähigt, ſcheinen ſich dieſe Weſen wenig oder gar nicht von dem einmal eingenommenen Platze zu entfernen; und ſie finden ihre Nahrung, indem ihnen die ununterbrochene, auf der Organiſation der Schwämme beruhende Waſſerſtrömung in den von ihnen bewohnten Höhlungen fortwährend mikroſkopiſche Nahrung zuſtrudelt. Dieſelbe wird durch die langen Wimpern der Fühler und eine wimpernde Rinne im Um— kreiſe der Fühlerſcheibe zum Munde des Löffeltieres geleitet. Sehr merkwürdig iſt ſeine Fortpflanzung. Unſer Bild (S. 226) zeigt zwei ſeitliche Knoſpen an dem Muttertier. Die jungen Tiere erreichen ſchnell und ohne Umſchweife einer Verwand— lung die Geſtalt des hermaphroditiſchen Muttertieres, können ſogar, noch mit ihm zuſammen— hängend, ſelbſtändig Nahrung zu ſich nehmen und fallen nach erlangter völliger Reife ab, um neben ihrer Erzeugerin ſich zu fixieren. Aber die Vermehrung beſchränkt ſich nicht hierauf. Zeitweiſe, aber ohne daß die geſchilderte Fortpflanzung durch Seitenſprößlinge unterbrochen wird, treten aus dem Eierſtock befruchtete Eier nach oben gegen die Fühler— ſcheibe hin und entwickeln ſich zu Weſen, die gar keine Ahnlichkeit mit einem Loxosoma haben. Es ſind Larven, welche eine weite Metamorphoſe durchmachen müſſen, nachdem ſie auf der Stufe, die wir abgebildet haben, die Kopfſcheibe der Mutter durchbrochen hatten. Der Leib iſt flach, faſt ſchildförmig, von einem wimpernden Randwulſtt eingefaßt. Zweite Klaſſe. Die Armfüßer (Brachiopoda). Über den deutſchen Namen dieſer Tierklaſſe waltet das in der Naturgeſchichte leider nicht ſeltene Verhängnis, daß er, ſofern er eine charakteriſtiſche Eigentümlichkeit der Tier— gruppe, welcher er gegeben, bezeichnen ſoll, gänzlich falſch iſt. Man ging einſt von der Vorausſetzung aus, daß man es hier mit Weichtieren zu thun habe, und da man dort eine 15* 228 Muſchellinge. Zweite Klaſſe: Armfüßer. Klaſſe der Kopffüßer, eine andere der Bauchfüßer kennt, wurde nach einem analogen Namen geſucht, welcher die Eigentümlichkeit der neuen Abteilung jenen gegenüber ausdrücken ſollte. Allein ſie ſind arm- und fußlos, ſie haben weder Arme, die ſich mit den um den Mund geſtellten Fang- und Gehwerkzeugen der Cephalopoden, noch einen Fuß, der ſich mit der Sohle der Schnecke oder mit dem Keilfuße der Muſcheln vergleichen ließe. Die früheren Naturforſcher haben ihnen eine Beziehung angedichtet, welche nicht exiſtiert, und nach welcher man deshalb greifen zu können glaubte, weil eine andere, ebenfalls ungerechtfertigte Ana— logie dazu verleitete. Man bezeichnet nämlich mit dem Namen Armfüßer oder Brachio- poda eine Tiergruppe, die allerdings durch ein zweiklappiges Gehäuſe ſich auf das engſte an die Muſcheltiere anzuſchließen ſcheint, ſo eng, daß man bis in die neuere Zeit hinein ſie als eine bloße, den Rang einer Ordnung einnehmende Unterabteilung jener Klaſſe anzuſehen gewohnt war. In zwei ſpiralig eingerollten Organen, welche neben der Mundöffnung ent— ſpringen, glaubte man die zum Herbeiholen der Nahrung verwendbaren Werkzeuge erblicken zu müſſen, indem man vielleicht unwillkürlich an die damals von Cuvier auch für Weichtiere gehaltenen Rankenfüßer (J. S. 67) dachte. Das Mißverſtändnis konnte um ſo eher ſich ein: niſten, als bis vor einigen 30 Jahren die Tiere faſt nie lebend beobachtet wurden, und erſt die neuere Zeit die Aufklärung brachte, jene vermeintlichen Fangarme ſeien gar nicht im ſtande, dieſen Dienſt zu verrichten, ſie ſeien in Wahrheit die Kiemen. Die 1873 und 1874 veröffent— lichten Unterſuchungen des Amerikaners Morſe und des Ruſſen Kowalewsky haben viel— mehr die ſchon einmal von dem genialen Steenſtrup ausgeſprochene Anſicht, die Armfüßer ſeien extrem umgewandelte Würmer, bis zu einem gewiſſen Grade beſtätigt und durch die Darlegung der Anatomie und Entwickelungsgeſchichte derſelben einigermaßen bekräftigt. Es geht wohl aus dieſen Zeilen hervor, daß von den Lebensäußerungen und Thaten dieſer Weſen wenig zu berichten ſein wird. Sie gehören zu den langweiligſten und ver— ſchloſſenſten Mitgliedern der großen Lebewelt. Glücklicherweiſe ſind andere Seiten an ihnen der Beachtung und Betrachtung höchſt wert. Zuerſt will Kompoſition und Stil ihres Körpers verſtanden ſein, und indem uns dies zum größten Teil gelingen wird, finden wir in den Armfüßern das verkörperte Stabi— litätsprinzip. In ihrer ungemeinen Paſſivität haben ſie ſeit den älteſten Perioden der tieriſchen Schöpfung, ſoweit ſie uns näher bekannt ſind, den Wechſel aller Lebensbedingungen über ſich hingehen laſſen und ertragen, ohne ſich weſentlich zu verändern. Die Blütezeit der Klaſſe iſt längſt vorüber; nicht nur in Arten, ſondern noch viel mehr in Individuenzahl wucherten fie einſt jo, daß ſtellenweiſe aus ihren Anhäufungen dicke Felſenſchichten entſtanden, und daß dem Geognoſten ihr Vorkommen ein unentbehrliches Hilfsmittel zur näheren Be— ſtimmung der Reihenfolge in den älteren Gebirgsformationen iſt. Wichtige Schlüſſe laſſen ſich aus der Übereinſtimmung der heutigen Armfüßer mit ihren älteſten Vorfahren auf die Beſchaffenheit der Urmeere ziehen. Ihr eigentliches Herkommen aber, ihre wahrſcheinliche Blutsverwandtſchaft blieb bis in die neueſte Zeit verborgen, und die bloße Thatſache ihrer vollendeten Exiſtenz in den älteſten geſchichteten Geſteinen drängte unabweisbar für ſich allein ſchon zur Vorausſetzung, daß unſere ſogenannte Primordialfauna, d. h. die Tierwelt, welche wir bis jetzt als die älteſte anſehen zu müſſen glaubten, eine vielleicht ebenſo lange und ebenſo alte Reihe von Vorfahren gehabt hat, als von ihr bis zur heutigen Lebewelt nachgewieſen iſt. Auch der Laie in der Zoologie wird geneigt ſein, wenn er die folgenden Abbildungen der Tiere flüchtig betrachtet, ſie für die allernächſten Verwandten der Muſcheln zu halten. Bei näherer Kenntnisnahme zeigen ſich aber doch die erheblichſten Verſchiedenheiten in dem Gehäuſe und in den Weichteilen dieſer Geſchöpfe, ohne daß vermittelnde Glieder die Her— leitung der einen Klaſſe aus der anderen plauſibel machen könnten. Dagegen iſt die von Morſe durchgeführte Vergleichung mit den Ringelwürmern von ziemlichem Erfolg geweſen, Allgemeines. Bau der Terebrateln. 229 zumal auch die Entwickelungsgeſchichte uns zum Verſtändnis verhilft. An den Muſchel— würmern iſt nicht die Lebensweiſe der Individuen das Anziehende, ſondern die Entſtehungs— geſchichte der ganzen Klaſſe, von der uns die Entwickelung des Einzelweſens eine wiſſen— ſchaftlich begründete Vorſtellung gibt. Doch hiervon weiter unten. Wir wollen unſere Studien an die in der heutigen Welt verbreitetſte Familie der Tere— brateln (Terebratulidae) anknüpfen. An allen Arten der Familie fällt uns ſogleich die Ungleichheit der beiden Schalenhälften oder Klappen auf; die eine iſt bauchig, größer als die andere und am Schnabel durchbohrt. Durch dieſes Loch tritt ein kurzer, ſehniger Stiel hervor, womit das Tier an unterſeeiſche Gegenſtände angeheftet iſt. An den vom Tiere und der tieriſchen Subſtanz überhaupt befreiten Schalen ſieht man nun bei dem Verſuch, die Klappen voneinander zu entfernen, daß ſie in der Nähe des Schnabels in der Art mit— einander verbunden ſind, daß ein paar Zähne der größeren Klappe in Gruben der kleineren Klappe aufgenommen ſind. Sie können nicht, wie die Muſchelſchalen, auseinander fallen, obſchon fie das elaſtiſche Band, das Ligament jener nicht beſitzen. Aus der Lage des Tieres und der Lagerung ſeiner Teile orientiert man ſich dahin, daß jene größere bauchige Schalen— hälfte als Bauchklappe, die andere als Deckel- oder Rücken— klappe zu bezeichnen iſt. Von der Schloßgegend der letzteren ragt ein zierliches ſchleifenförmiges Kalkgerüſt nach dem gegen— überliegenden freien oberen Rande hin, in deſſen verſchiedener Entwickelung und Geſtalt man willkommene Anhaltspunkte für eine gründliche Syſtematik der Familien und ihrer Unterabteilungen gefunden hat. Auch an den gut erhaltenen Schalenreſten der vor— weltlichen Brachiopoden iſt Form und Ausdehnung dieſes Gerüſtes wohl zu erkennen und aus demſelben auf die Beſchaffenheit der wichtigen Organe zu ſchließen, von welcher die Klaſſe ihren wiſſen— ſchaftlichen Namen erhielt. Sowohl das Schließen als das Offnen der Klappen geſchieht durch Muskeln, die jedoch eine zu ſpezielle Beſchreibung verlangen, als daß wir darauf eingehen könnten; übrigens verweiſe ich auf das unten über Thecidium geſagte. Das Kalkgerüſt dient nämlich als Träger und Stütze zweier ſpiralig eingerollten, mit längeren Franſen beſetzten Lippenanhänge oder Arme. Dieſelben nehmen den größten Teil des Gehäuſes ein, indem fie vom Munde (0) ausgehen, unterhalb welches fie durch eine ebenfalls gefranſte häutige Brücke verbunden ſind. Der gewundene Stiel und Schaft der Arme iſt nur geringer Bewegungen fähig, auch die Franſen ſind ziemlich ſteif, alle dieſe Teile aber von Kanälen durchzogen. Sie ſind dadurch in hohem Grade geeignet, als Atmungswerkzeuge zu dienen. Es hat ſich zwar gezeigt, daß ſie ihrem Namen als Arme wenig Ehre machen, indem, abgeſehen von Rhynchonella, von einem Hervorſtrecken aus dem Gehäuſe und Ergreifen der Nahrung keine Rede iſt, indem ſie aber (wiederum wie die meiſten derartigen Atmungsorgane) mit Flimmerhärchen bedeckt ſind, gleitet infolge der hierdurch erregten Waſſerſtrömung die fein zerteilte Nahrung bis zur Mundöffnung. Der Darmkanal iſt kurz und endigt bei x blind. Die bisher beſprochenen, beim Offnen der Klappen zunächſt in die Augen fallenden Teile ſind von zwei dünnen Mantelblättern umhüllt, welche ſich eng an die Klappen anſchmiegen und dieſelben durch von ihrer Oberfläche abgeſonderte Subſtanzen bilden. In gefäßartigen Ausweitungen dieſer Blätter liegen auch Fortpflanzungsorgane, die ſehr einfach gebaut ſind. Die Geſchlechter ſind getrennt und in einigen Fällen an der verſchiedenen Form der Schale zu erkennen. Als Ausführungsgänge für die Geſchlechtsprodukte, zugleich wahrſcheinlich als Nieren dient ein paar häutiger Trichter, die inwendig flimmern, mit ihrem freien offenen Ende Rückenklappe von Terebratulina caput serpentis. 230 Muſchellinge. Zweite Klaſſe: Armfüßer. in die Leibeshöhle münden und Eier ſowie Samen nach außen leiten. Wir erwähnen dieſes minutiöſe anatomiſche Detail, weil aus der Vergleichung der zwei Trichter mit den ſogenannten Segmentalorganen der Würmer ein Hauptbeweisgrund für die Verwandt— ſchaft beider Gruppen hergeleitet worden iſt. Dieſe Verwandtſchaft wird nun ganz weſentlich auch durch die Entwickelungs- und Verwandlungsgeſchichte der Armfüßer bekräftigt, daher wir, ehe wir das Vorkommen und Stillleben einiger Gattungen ſchildern, dieſe Ver— a hältniſſe näher beleuchten. Früher beſaß man nur über die unten näher beſchriebene mittelmeeriſche Brachio— pode, Thecidium mediterraneum, durch den Pariſer Zoologen Lacaze-Duthiers einige nähere Kenntnis, aber nur bis zu einer Stufe, von wo aus die weitere Entwickelung nicht erſchloſſen werden konnte. Die Eier, welche ſich entwickeln ſollen, geraten in eine von dem unteren Mantellappen gebildete Taſche. In dieſelbe ſenken ſich auch die beiden zunächſt liegenden Armfran— ſen, welche dicker werden und gegen ihre Enden zu ein paar Wülſten anſchwellen, um welche ſich die Eier grup— pieren, und mit welchen jeder Embryo vermittelſt eines kurzen Bandes geradezu verwächſt. Der Embryo erhält nun, nachdem er ſich zuerſt wie eine Semmel geſtaltet hat, das Anſehen von einem kurzen (a) plumpen Ringelwurm. Nebenſtehende Abbildung zeigt den am weiteſten vor— geſchrittenen Zuſtand, welcher von Lacaze-Duthiers b beobachtet wurde. Der obere Fortſatz iſt der vom Nacken u ausgehende Stiel, durch welchen das kleine Weſen an die in die Bruſttaſche ragenden Armfranſen befeſtigt iſt. Der vorderſte kleinere Abſchnitt nimmt ſich aus wie ein Kopf; er trägt vier Augenpunkte und eine Vertiefung, den künftigen Mund. Zwei dickere mittlere Abſchnitte ſind von einem vierten kleineren fortgeſetzt, alle mit Flimmercilien beſetzt. Morſe und Kowalewsky haben gezeigt, wie die g ar) Verwandlung vor ſich geht. Der hinterſte Abſchnitt wird eee matter. zum Anheften benutzt, der Kopf und der kragenartige Ring ſenken ſich in einen Aufſchlag hinein, welcher von dem folgenden Ringe gebildet wird. Dieſer Aufſchlag wächſt mehr und mehr nach oben und bildet die ſo oft dem Hautmantel der Muſcheln verglichenen beiden Lappen, von denen die Abſonderung des Gehäuſes ausgeht. Die Abbildung b zeigt, wie das junge Thecidium, ſich in ſich zurückziehend, gleichſam Abſchied nimmt vom bisherigen freien Leben, um von nun an in fremdartiger Geſtalt ſich einer einſiedleriſchen Beſchaulichkeit zu ergeben. Verfolgen wir dieſe Verwandlung in ihren Hauptſtufen an Kowalewskys Hand noch an einer anderen Gattung, Argiope. Wir ſehen in Figur a (ſ. Abbildung S. 231) die dreigeteilte Schwärm— larve. Der mit Flimmern beſetzte Schirm entſpricht dem Kopfe und dem Kragenſegmente des Thecidium. Der mittlere, größte Körperabſchnitt birgt zwei Muskeln, die ſpäter ſich nach dem Stiele herabſenken. Die nach unten gerichtete kreisförmige Hautfalte mit den hervorſtehen— den Nadelbündeln trägt noch kein Zeichen ihrer ſpäteren Umſtülpung an ſich, wie denn auch das Hinterende, einfach abgerundet, noch nicht ſeine künftige Verwandlung zum Stiele verrät. 11 us ur e a) 8 85 nere 1755 2 ER: 0 Entwickelungsgeſchichte der Armfüßer. 231 Unſere Larve kann nicht nur verglichen werden mit der Larve eines Borſtenwurmes, ſondern iſt wirklich eine ſolche. Es geht aber mit dieſen eine weitere Gliederung ver— ſprechenden, die Hoffnung aber nicht erfüllenden Jugendzuſtänden gerade ſo wie mit den uns bekannt gewordenen Larven der paraſitiſchen Krebſe. Es tritt nicht nur keine Fort— entwickelung in der erwarteten Richtung, ſondern eine Rückbildung ein, die wir in Figur b Entwickelungsſtufen von Argiope. Stark vergrößert. ſchon in vollem Gange finden. Hier iſt die Feſtſetzung erfolgt, der Hautteil des Mittel— ringes hat ſich umgeſchlagen, um zu der den Mantel der Weichtiere bildenden Hülle zu werden. Der Kopfſchirm iſt im Schwinden. In Figur e it die Verwandlung in ein äußerlich auch nicht entfernt an einen Glieder— wurm erinnerndes Weſen vollzogen. Das Hinterende geht in einen Stiel über, mittels welches das Tier für immer befeſtigt iſt, und die zweiklappige Schale gewährt dem ſonſt waffenloſen Körper Schutz vor unangenehmen Eindringlingen. 233 Muſchellinge. Zweite Klaſſe: Armfüßer. Wir waren, um die dem Auge der zoologiſchen Laien gänzlich entrückten Muſchel— würmer dem Leſer näher zu bringen, von der heute am weiteſten verbreiteten Familie der Terebrateln ausgegangen. Wir dürfen nun, nachdem wir ihren Bau und die gewiß höchſt merkwürdigen Beziehungen zu den unverfälſchten Ringelwürmern kennen gelernt, uns etwas näher mit ihrem Vorkommen jetzt und früher und ihren beſcheidenen Lebens— äußerungen bekannt machen unter Hinzuziehung der Repräſentanten einiger anderen Familien. Auf meiner norwegiſchen Reiſe im Jahre 1850 hatte ich Gelegenheit, mir mehrere Gattungen mit dem Schleppnetze lebend vom Meeresgrunde zu verſchaffen. Beſonders reich an Terebratula vitrea und Terebratulina caput serpentis erwies ſich der einige Meilen unterhalb Hammerfeſt liegende Oxfjord. Meine kurz darauf veröffentlichten Beobachtungen ſind ſpäter durch die Mitteilungen Baretts über die Lebensweiſe der letztgenannten Art vervollſtändigt worden. Er ſagt darüber: „Dieſe Art zeigt ſich öfter, als irgend eine andere, und ſtreckt auch ihre Cirren weiter heraus; ſie fand ſich überall (an der norwegiſchen Küſte) in geringer Anzahl, 30— 150 Faden tief, oft an Oculinen, einer Koralle, befeſtigt. Die Cirren auf dem aufſteigenden Teile der Arme ſind kürzer als auf dem abſteigenden Teile derſelben; ſie waren faſt fortwährend in Bewegung, und oft bemerkte man, daß ſie kleine Teilchen in den an ihrer Baſis befindlichen Kanal leiteten. In ein Gefäß mit Seewaſſer gebracht, öffneten ſie allmählich ihre Klappen. Individuen, welche an fremden Gegenſtänden haften geblieben waren, offenbarten eine merkwürdige Fähigkeit und Dispoſition, ſich auf ihrem Stielmuskel zu bewegen. Abgelöſte Exemplare konnten hin und her bewegt werden, ohne daß hierdurch das Tier veranlaßt worden wäre, ſeine Klappen zu ſchließen. Wurden einzelne der hervorgeſtreckten Cirren berührt, ſo zogen ſie ſich ſogleich zurück, und das Ge— häuſe ſchnappte zu, öffnete ſich jedoch bald darauf wieder. Sind die Arme zurückgezogen, ſo ſind die Cirren nach einwärts gebogen; öffnet ſich aber die Schale, ſo ſieht man die Cirren ſich aufbiegen und gerade werden; oft bemerkt man jedoch, daß das Tier vor dem Offnen einige wenige Cirren hervorſtreckt und hin und her bewegt, gleichſam um zu prüfen, ob keine Gefahr drohe. Nur bei einer Gelegenheit wurde eine Strömung bemerkt, welche zwiſchen den beiden Reihen von Cirren ſich hineinbewegte. Ich hatte verſucht, das Daſein von ene feſtzuſtellen, indem ich mit einem Pinſel kleine Mengen von Indigo in das Waſſer, welches das Tier umgab, brachte; dreimal wurde es mit Gewalt hineingezogen, und man ſah dabei Teilchen von Indigo durch den Kanal an der Baſis der Cirren in der Richtung des Mundes dahingleiten.“ Wir brauchen kaum zu wiederholen, daß dieſe Strömungen durch die unſichtbaren Flimmerhärchen erregt werden. Auch über eine andere Terebratel der nordiſchen Küſte, Waldheimia cranium, berichtet Barett: „Sie fand ſich mehrere Male zwiſchen den Vigton-Inſeln und dem Nordkap in 25— 150 Faden Tiefe, an Steinen, Balanen und anderem befeſtigt. Sie gehört zu den Terebratuliden mit langer Schleife, und die Mundanhänge ſind an dieſes kalkige Skelett ſo befeſtigt, daß ſie unfähig ſind, ſich zu bewegen, es ſei denn an ihren ſpiralig eingerollten Enden. Man hat vermutet, daß dieſe aneinander gefügten Spiral— enden aufgerollt werden könnten, etwa wie der Rüſſel eines Schmetterlinges, aber ich habe nie etwas dergleichen beobachtet. Dieſe Art iſt lebhafter als Terebratulina caput serpentis, bewegt ſich oft auf dem Haftmuskel und iſt auch leichter alarmiert. Die Cirren treten nicht über den Rand des klaffenden Gehäuſes hervor; wenn die Schale ſich ſchließt, ſind ſie zurückgebogen.“ Auf der Grenze der Familie der Terebrateln ſteht die Gattung Theeidium, aus— gezeichnet durch eine ganz eigentümliche Entwickelung des kalkigen Armgerüſtes. Sie iſt in der heutigen Welt nur ſparſam vertreten, namentlich das im Mittelmeer lebende Theci- dium mediterraneum, welches Lacaze-Duthiers in einer ausgezeichneten Monographie Einzelne Gattungen der Terebrateln. 239 behandelt hat. Die Rückenklappe bildet für die weit größere Bauchklappe einen faſt flachen Deckel, von welchem die Armſchleife ſich nirgends frei abhebt. Sie bleibt vielmehr mit ihm durch ein Kalknetz verbunden. An der Durchſchnittsfigur B (ſ. untenſtehende Abbildung) ſehen wir in der Rückenklappe die Angelgrube angedeutet, um welche ſich die Klappe dreht. Durch die hinter ihr liegenden Muskeln (b), welche vom Grunde der Bauchklappe nach einem nach rückwärts gerichteten Fortſatze der Rückenklappe gehen, wird das Gehäuſe geöffnet, die davor liegenden Muskeln (a) ſchließen es. Wir bringen nun die Mitteilungen des ge— nannten Forſchers aus dem franzöſiſchen Original. „Die Schale des Thecidium befeſtigt ſich auf unterſeeiſchen Körpern. Ich fand ſie in beträchtlicher Menge auf Gegenſtänden, welche die Netze der Korallenfiſcher auf der Strecke vom Golfe von Bona bis zum Kap Roſa vom Meeresgrunde heraufbrachten. Die Tiefe, in welcher es gefiſcht wurde, betrug zwiſchen 40 — 50 Faden. Da ich ſchon viel Material für die Kenntnis der Tierwelt der Korallengründe von Corſica geſammelt hatte und meine Beobachtungen auf die Küſten von Algier, dann auf Sardinien und die Ba— learen ausdehnen wollte, war ich überraſcht durch die kleine Anzahl von Terebrateln im Gegenſatze zur großen Menge des Theci- dium. Ich fand mitunter auf einem zwei Fauſt großen Steine 20 —30 Stück. Die Beobach— tung der lebenden Tiere iſt ſehr leicht; ich erhielt ſie anderthalb Monate hindurch am Leben und bloß dadurch, daß ich täglich das Waſſer der Gefäße wechſelte, worin ſie wa— ren. Unumgänglich nötig iſt es jedoch, ſie von den Körpern, worauf ſich dieſelben an— geſiedelt haben, loszumachen, denn dieſe er Ta find von allem möglichen Getier bewohnt: Tri gun darch da⸗ Ga be Mer Schwämmen, Würmern, kleinen Kruſtern ꝛc., welche bald abſterben und, indem ſie das Waſſer des Aquariums verderben, auch den Tod der Thecidien herbeiführen. „In den erſten Tagen, nachdem ſie gefiſcht waren, klafften die Thecidien in den großen Fäſſern, worein man die Steine gelegt hatte, ſehr weit; nachdem ſie aber iſoliert und in die kleineren Gefäße gethan waren, öffneten ſie ſich nicht ſo weit. Die kleine Rückenklappe erhebt ſich bis zu einem rechten Winkel zur erſten, fällt aber bei der geringſten Bewegung, die man macht, blitzſchnell wieder zu. — Ohne Zweifel find die Thecivien für das Licht empfänglich. Eines Tages ſah ich in einem großen Gefäße mehrere Thecidien mit offener Klappe. Ich näherte mich ſehr vorſichtig und machte, indem ich mich, um genauer zu ſehen, vorbeugte, mit meinem Kopfe Schatten; augenblicklich ſchloſſen ſich die, welche vom Schatten getroffen wurden. An einem geöffneten Theeidium unterſcheidet man, eben wegen der großen Entfernung der Klappen voneinander, alle Teile, und man ſieht die Franſen und Arme ſehr genau. Die Innenfläche der Schale aber, auf welcher der Mantel liegt, iſt ſo blendend weiß und der letztere ſo durchſichtig, daß man die Kalkſchleifen und die Erhaben— heiten der Klappen vollkommen klar unterſcheidet, ohne den Mantel zu bemerken. Es über— raſchte mich dies ſo, daß ich mich fragen mußte, ob denn in der That noch ein weicher Überzug die Kalkteile, welche ich beobachtete, bekleidete. „Außerlich iſt die Schale ſelten weiß und glatt, ſondern gewöhnlich überzogen mit darauf angeſiedelten Pflanzen oder Tieren. Es verſteht ſich aber von ſelbſt, daß die 234 Muſchellinge. Zweite Klaſſe: Armfüßer. angewachſenen Schalen ſich bezüglich der Entwickelung von Paraſiten wie jede andere Unterlage verhalten. Aber nicht nur die Außenſeite wird von ſolchen Weſen eingenom— men; die Klappen werden vielmehr in allen Richtungen durchbohrt von paraſitiſchen Algen, welche mitunter dem Gehäuſe ein grünliches Ausſehen verleihen.“ Dieſe letzte Bemerkung von Lacaze-Duthiers möchte ich dahin berichtigen, daß nicht Algen, ſondern vorzugsweiſe die ſogenannten Bohrſchwämme in die Klappen der Theeidien wie in die der Weichtiere eindringen. Die Familie der Terebratuliden iſt zwar nicht in den älteſten der ſogenannten paläo— zoiſchen Schichten nachgewieſen, dagegen in denjenigen, welche den Namen der devoniſchen führen. Man kann es nun für eine merkwürdige Apathie oder auch Zähigkeit halten, daß einige Sippen, wie Terebratula und Waldheimia, durch alle Formationen hindurch bis in die heutige Welt unverändert hineinreichen, nicht als die alleinigen Zeugen der Urwelt aus ihrer Klaſſe, ſondern mit den Repräſentanten von noch vier Familien. Während dieſe letzteren aber, je jünger die Formationen werden, um ſo mehr ausſterben, und, wie der vorzügliche Kenner der Klaſſe, Sueß, jagt, die Gattungen Rhynchonella, Crania, Discina und Lingula als „die einzigen Vertreter ihrer Familien in allen mittleren und jüngeren Zeiten vereinzelt daſtehen wie entblätterte Wipfel“, hat in der Familie der Terebratuli— den das Umgekehrte ſtattgefunden, ihr Baum hat Zweige getrieben bis in die jüngſten serioden der Erde, und ſie zählt jetzt zehn Sippen, deren Verbreitungsbezirke ſich über alle Meere erſtrecken. Sie ſind vorherrſchend Bewohner größerer, wenn auch nicht, wie man früher glaubte, größter Tiefen, wie überhaupt die meiſten Armfüßer, deren Gehäuſe ſtärker kalkhaltig, ziemlich dick und undurchſichtig ſind. Eine zweite Familie, welche in noch geologiſch älteren Schriften als die vorige wurzelt, in der Gegenwart aber nur durch vier Arten vertreten wird, iſt die der Rhynchonelliden, fo genannt von der wichtigſten Sippe, Rhynchonella. Sie eben iſt es, welche zu den älteſten und verbreitetſten Organismen gehört, da fie von den ſiluriſchen Zeiten an durch alle Formationen reicht. Die noch lebende Rhynchonella psittacea zeigt am beſten den charakteriſtiſchen ſchnabelförmigen Fortſatz der Bauchklappe. Die Offnung für den Stiel befindet ſich unterhalb dieſes Schnabels. Die Klappen ſind miteinander befeſtigt wie bei den Terebratuliden; das Armgerüſt beſteht aber nur aus zwei kurzen, ſchmalen, gekrümmten, ſchalenförmigen Plättchen, die an der Scheitelgegend der kleinen Klappe befeſtigt ſind. Über Vorkommen und Lebensweiſe der genannten Art hat Barett auf ſeiner ſkandina— viſchen Reiſe einige Beobachtungen geſammelt. „Sie findet ſich lebend nicht beſonders häufig in den nördlichſten Gegenden, nämlich bei Tromſoe in einer Tiefe von 70 — 150 Faden; Klappen ohne das Tier ſind bei Hammerfeſt im Schlamme geſammelt worden. Dieſe Art ſchien mir ſehr ſchwer zu beobachten, da das Tier, für alle Eindrücke beſonders empfänglich, bei der geringſten Bewegung ſeine Klappe ſchließt. Die Arme erweitern ihre Spiralgänge genugſam, um die Franſen bis an den Rand der Schale gelangen zu laſſen. Ich habe dieſe Art oft bei klaffenden Klappen beobachtet, nie aber habe ich geſehen, daß ſich ihre Arme entrollt und aus der Schale hervorgeſtreckt hätten.“ Wenn wir ferner die Sippe Crania mit in unſere Betrachtung hineinziehen, jo ges ſchieht es auch nicht, weil ihre Lebensverrichtungen intereſſante Momente böten, ſondern weil ihre geologiſche und gegenwärtige Verbreitung dazu auffordert. Sie iſt ſo abweichend, daß ſie für ſich allein eine Familie bildet. Ihre Schale iſt nämlich an unterſeeiſche Körper mit der Bauchklappe aufgewachſen. Die Rückenklappe iſt deckelförmig, und beide werden nicht durch ein Schloß oder Einlenkungsfortſätze, ſondern lediglich durch Muskeln aneinander Rhynchonelliden. Linguliden. Diseiniden. 235 gehalten. Auch ſtützen ſich die fleiſchigen Spiralarme nur auf einen naſenförmigen Fort— ſatz im Mittelpunkte der Bauchklappe. Die bekannteſte der vier lebenden Arten iſt Crania anomala aus unſeren nördlichen Meeren, welche faſt ſtets in Geſellſchaft von Terebra- tula caput serpentis gefunden wird, derſelben jedoch weder in die Meere des borealen Nordamerikas noch in das Mittelmeer folgt. Man kennt ſie noch nicht im foſſilen Zuſtande, und Sueß hat daher vermutet, „daß ihre Entſtehung in eine jüngere Zeit falle, und ſie jene Erſcheinungen nicht erlebt habe, welche es der Terebratula caput serpentis möglich ge— macht haben, nach Nordamerika zu kommen, und welche in einem fortlaufenden Uferrande oder einer zuſammenhängenderen Inſelkette zwiſchen dieſem Weltteile und dem unſerigen beſtanden zu haben ſcheinen. Dagegen deutet ihr Auftreten in der Vigo-Bucht (Spanien) darauf hin, daß ſie den allmählichen Rückzug der nördlichen Bevölkerungen aus dem mittleren Europa wenigſtens teilweiſe mitgemacht habe.“ Die Brachiopoden, von denen wir bisher gehandelt, ge— hören, gleich den übrigen mit Kalkgehäuſe, mit wenigen Aus— nahmen dem tieferen Meeresgrunde an. Anders verhält es ſich mit zwei anderen Gruppen, den Linguliden und Dis— ö f einiden. Ihre Schalen find von horniger Beſchaffenheit, ſie rang a ne ehe bewohnen vorherrſchend und in großer Individuenzahl die Ufer— ö zone und ſind zugleich an die wärmeren Meere gebunden. Am bekannteſten aus der erſteren Familie iſt die Sippe Lingula. Die Schale der Lingula iſt dünn und hornig, faſt biegſam und von grünlicher Farbe. Die Klappen ſind nicht aneinander eingelenkt und faſt gleich, auch bieten ſie im Inneren keine Fortſätze zur Stütze der dicken, fleiſchigen und ſpiraligen Arme dar. Über das geolo— giſche Vorkommen der Lingula-Arten ſagt Sueß: „Dieſe Sippe tritt, wie diejenige der Discina, ſchon in den älteſten verſteinerungsführenden Ablagerungen in nicht geringer Artenzahl auf. Seit jener Zeit hat ſie ſich durch alle Formationen hindurch bis auf den heutigen Tag erhalten, ohne in irgend einer Zeitepoche ein auffallendes Maximum zu zeigen.“ — Es lebt heute keine Lingula in den europäiſchen Meeren, aber an der amerikaniſchen Küſte findet ſich die Lingula pyramidata (j. Abbild. S. 236), an welcher Morſe intereſſante Beobachtungen machte. Ihr Stiel iſt neunmal ſo lang wie der Körper, wächſt nicht an, iſt wurmartig beweglich und hat die Fähigkeit, ſo wie gewiſſe Würmer Röhren aus Sand anzufertigen. Sowohl im natürlichen Zuſtande als in der Gefangen— ſchaft, wenn man ihnen Sand gibt, machen ſie Höhlungen, in welche ſie ſich zurückziehen. Indem ſie alsdann durch Übereinanderlegen der Borſten des Mantelrandes ein feines Sieb bilden, verhindern ſie, daß mit dem Waſſer Sandkörner in die Kiemen geraten. Die über— einander ſich erſtreckenden Röhren ſehen aus wie die einer Terebelle. Morſe iſt der Meinung, daß wenigſtens Lingula pyramidata ihr Leben nicht über ein Jahr bringt. Mehrere hundert im Juni und Juli geſammelte Exemplare waren alle von gleicher Größe und ihre Schalen von gleichmäßig friſchem Ausſehen. Der Schluß, daß alle auch von gleichem Alter ſeien, lag nahe. Die während des Sommers geſam— melten und gehaltenen Tiere ſtarben Ende September unter ähnlichen Erſcheinungen, wie ſie auch nach den Unterſuchungen von Williams den natürlichen Tod gewiſſer Ringel— würmer (Tais, Arenicola) begleiten. Aus der Einfachheit der Schale der Lingula, die ſich am beſten mit knorpeligen Bil— dungen am Vorderende einiger Kopfkiemer unter den Borſtenwürmern vergleichen läßt, 236 Muſchellinge. Zweite Klaſſe: Armfüßer. verbunden mit dem Vorkommen der Gattung in den älteſten Muſchelwürmer führenden Schich— ten, ließe ſich vielleicht ſchließen, daß ſie den wurmartigen Vorfahren noch am nächſten ſtehen. Wir müſſen aber dabei eine unberechenbare Zeit vorausſetzen, während welcher die Umwand— lung, von der uns die Entwickelung der heutigen Formen Zeugnis gibt, vor ſich ging. Wir haben wohl gerade darin, daß dieſe Umwandlung ſchon in den entlegenſten Urzeiten ſtatt— fand und erſt nach Erlangung einer kaum extremer zu denkenden Rückbildung ſtill ſtand, die Schlüſſel zu ſuchen zu der ſeitherigen faſt beiſpielloſen Beſtändigkeit der Klaſſe innerhalb ihrer Grenzen. Damit iſt der Artveränderung ohne Erwerbung weſentlicher neuer Organe aller mögliche Spielraum gelaſſen, wie Kayſers Studien gezeigt haben und neue hierauf gerichtete Beobach— tungen beſtätigen werden. Den Muſchelſammlern und Muſeumszoologen galten die Schalen der meiſten Brachiopoden noch vor verhältnis— mäßig kurzer Zeit als Seltenheiten erſten Ranges und wurden teuer von ihnen bezahlt. Man ging von der An— ſicht aus, daß wenigſtens die Terebrateln ganz beſonders echte Tiefſeetiere ſeien, denn man kannte ſie nur aus Tiefen, in welche man damals die äußerſte Grenze der Möglichkeit tieriſchen Lebens verlegte. Die modernen Tiefſee-Expeditionen haben uns eines Beſſeren belehrt und uns gezeigt, daß die Terebrateln zwar lokaliſiert in ihrem Vorkommen ſind, aber dort, wo Lingula pyramidata. Natürliche Größe. Ne einmal vorkommen, in bedeutenden Mengen vergeſell— ſchaftet aufzutreten pflegen, wie es auch in der Vorwelt, z. B. in den Meeren des Muſchelkalkes, geweſen iſt. Zweitens aber wiſſen wir nach den neueren Forſchungen, daß die Brachiopoden gerade keinen hervorragenden Beſtandteil der Tiefſeetierwelt ausmachen. So kommen von der Strandlinie bis zu 900 m Tiefe 98 Arten Brachiopoden vor, aber zwiſchen 900 und 1800 nur noch 16 und zwiſchen 3600 und 5800 m, wo ſie die größte Tiefe ihres Vorkommens erreichen, nur noch 3. Und dieſe vertikale Verbreitung, die den früheren vorgefaßten Meinungen ſo gar wenig entſpricht, iſt ſehr erklärlich, wenn wir die Organiſation der Armfüßer und die Verhältniſſe der Tiefſee erwägen. Die Brachiopoden ſind, wie wir ſahen, feſtſitzende Tiere und bedürfen im all— gemeinen eines felſigen Untergrundes, auf dem ſie ſich vor Anker legen und gedeihen können. Solcher Boden findet ſich aber in bedeutenden Tiefen nur ſelten, meiſt iſt derſelbe viel— mehr mit weichem Schlamm, ſei es kalkigem grauen Schlick oder eiſenſchüſſigem und kieſel— haltigem roten Thon, bedeckt, hat folglich eine Beſchaffenheit, welche den Aufenthalt der Brachiopoden ausſchließt. Die Manteltiere. 0 Die Mantelkiere (Tunicata). Wir haben uns ſchon wiederholt auf einen der reichlicher verſehenen Fiſchmärkte der italieniſchen und franzöſiſchen Küſtenſtädte begeben, um die erſte vorläufige Bekanntſchaft mit gewiſſen Seetieren zu machen, welche den Bewohner der Binnenländer durch Form und Ausſehen überraſchen. Ich lade nochmals zu einem ſolchen Gange ein. Wir haben die Haufen der bunten, koſtbareren Fiſche, der den ärmeren Klaſſen überlaſſenen Haie und Rochen ſowie der unſer Auge mehr als unſere Zunge reizenden Sepien und Calmars Revue paſſieren laſſen und ſind an die Reihe der mit Schnecken und Muſcheln gefüllten Körbe getreten. Wenn auch nicht nach Gattung und Art, ſind uns dieſe Tiere doch im allgemeinen wohl bekannt. Da aber, mitten darunter, finden wir ein Gefäß voll bräun— licher und unregelmäßiger Knollen, voller Runzeln und Höcker, ſchmutzig und mit aller— hand Anſiedlern bedeckt, zu deren Kauf wir ebenſo eindringlich eingeladen werden wie vorher zu dem der leckeren Muränen und Branzine. Es iſt vollkommen unmöglich, dieſen Körpern anzuſehen, ob ſie pflanzliche oder tieriſche Gebilde ſind; ſie fühlen ſich an wie hartes, ausgedörrtes Leder, ſie bewegen ſich nicht. Doch, indem wir einen derſelben derb anfaſſen, ſpritzt uns ein feiner Waſſerſtrahl ins Geſicht, und wir entdecken auf der unappetitlichen Oberfläche eine etwas hellere Stelle (a, ſ. Abbild. S. 240) mit faſt kreuzförmigem, feinem Schlitze, aus welchem wir durch Druck noch mehr Waſſer entleeren können. Ein Mann aus dem Volke, der ein Dutzend der rätſelhaften Knollen für geringe Kupfermünze erſteht, kommt unſerer Wißbegierde weiter zu Hilfe; er ſpaltet mit ſcharfem Meſſer ein Stück und zeigt uns einen ſchön gelblichen Sack, der mit der groben, dicken Hülle nur an jener Stelle, aus welcher der Waſſerſtrahl hervortrat, und an einer zweiten ähnlichen (b) in engerem Zuſammenhange iſt. Dieſen gelben Sack ißt unſer neuer Freund mit dem größten Appetit, während er uns uneigennützig die lederzähe Schale zum weiteren wiſſenſchaftlichen Gebrauche überläßt. Wir haben hiermit die oberflächliche Bekanntſchaft mit einem Manteltier gemacht, und es bedarf kaum noch der ausdrücklichen Verſicherung, daß eben jene undurchſichtige leder— artige Hülle der Mantel, und zwar der äußere Mantel war, während die übrigen Organe des Tieres von einer zweiten, feineren Hülle umſchloſſen ſind, welche letztere mit zwei Zipfeln an der erſten aufgehangen iſt. Der Name dieſes und der ihm ähnlichen Tiere wird daher keiner weiteren Rechtfertigung bedürfen. Wir könnten nun an dieſem Sacktiere, welches von dem Umſtande, daß es in der Regel eine ganze Welt von kleinen pflanzlichen und tieriſchen Anſiedlern auf ſich trägt, den Beinamen „Microcosmus“ erhielt, ſogleich unſere weiteren Detailſtudien anſtellen, ich rate jedoch, erſt noch einige praktiſche Erfahrungen über andere Formen der Gruppe zu ſammeln, um einiges Material zur Vergleichung zu haben. 240 Manteltiere. Erſte Ordnung: Sacktiere. — Der Beſuch einer der Badeanſtalten im Hafen von Trieſt oder Neapel gibt uns dasſelbe an die Hand; die Unterſeite der meiſten im Waſſer befindlichen Holzteile ſind, außer mit vielen Pflanzen und anderen Tieren, auch mit Manteltieren der Gruppe Ascidiae jo dicht beſetzt, daß man ganze Haufen abſchälen kann. Die ſich hier findenden Manteltiere haben aber keine lederartige, ſondern eine durchſcheinend häutige Hülle, und vorherrſchend iſt eine Art, welche ungefähr wie ein Stück Darm ausſieht. Auch an ihr, der Ascidia oder Phal- lusia intestinalis, überzeugen wir uns nun leicht, daß ein innerer feiner Sack in dem feſteren Außenmantel aufgehängt und im Umkreiſe zweier an und neben dem Vorderende befindlichen Offnungen mit jenem enger verbunden iſt. Über einen ganz anderen Typus von Manteltieren haben mir oft die dalmatiſchen Fiſcher ihr Leid geklagt. Sie bekommen nicht ſelten ihr Zugnetz ſtatt mit Fiſchen mit Zentner— laſten von kleinen, kaum 1— 2 cm langen kriſtallhellen Tierchen erfüllt, welche etwa einer Aseidia mierocosmus, aufgeſchnitten. Natürliche Größe. an beiden Enden offenen Tonne gleichen, und in welchen die Forſchung trotz ihrer ganz verſchiedenen Lebensweiſe längſt die nächſten Verwandten der Ascidien erkannt hat. Auch ihr Körper iſt von einem derben Mantel umgeben, der in ſeiner mikroſkopiſchen und chemiſchen Zuſammenſetzung mit dem jener übereinſtimmt. Wir müſſen nämlich zur all— gemeinen Charakteriſierung der Manteltiere die chemiſche Beſchaffenheit des Teiles betonen, über deſſen Beziehungen zu dem gleichnamigen Organ der Muſcheln oder vielleicht zu den Schalen der Brachiopoden weiter unten zu reden ſein wird. Die Sache verhält ſich ſo: Vor einigen Jahrzehnten noch, als die Syſtematik im ſtande zu ſein glaubte, ſcharfe, trennende Unterſcheidungsmerkmale zwiſchen Pflanzen und Tieren aufzuſtellen, hielt man die Cellu— loſe oder den Pflanzenzellmembranſtoff für ein ausſchließliches Eigentum der Pflanzen. Es iſt aber eine von den hinfällig gewordenen Eigentümlichkeiten der Vegetabilien, indem ſich zeigte, daß die Celluloſe einen Hauptbeſtandteil des Mantels der Manteltiere ausmache und, nach neueren Unterſuchungen von Ambronn, auch ſonſt in den Geweben niederer Tiere hin und wieder vorkäme, wenn auch in anderer Form als im Pflanzenreich. Wir können nunmehr die beiden ſchon angedeuteten Hauptabteilungen näher ins Auge faſſen. Der Tierkreis der Manteltiere iſt neben dem der Echinodermen oder Stachelhäuter der einzige, der, ſoweit wir wiſſen, keine Vertreter im ſüßen Waſſer hat, und nebſt dieſem ſowie denen der Molluskoiden und Hohltiere derjenige, aus dem ſich keine Landformen ent— wickelt haben. Allgemeines, 241 Erſte Ordnung. Die Seeſcheiden oder Sacktiere (Aseidiae). Die Ascidien ſind diejenigen Manteltiere, welche nur eine kurze Zeit als geſchwänzte Larven einen freien Schwärmzuſtand durchmachen, dann aber für immer an den verſchie— denſten untermeeriſchen Gegenſtänden ſich feſtſetzen. Man macht ſich am zweckmäßigſten, wie wir es ſchon begonnen haben, mit den als Einzelindividuen lebenden größeren, bis über fauſtgroß werdenden Formen bekannt, welche in allen Meeren in den verſchiedenſten Tiefen zu den gemeineren Erſcheinungen gehören, und deren gröbere anatomiſche Unter— ſuchung uns hinreichend orientiert. Man nennt ſie einfache Ascidien im Gegenſatze zu den anderen Abteilungen mit Stockbildung. Wenden wir unſere Blicke nochmals auf die ſchon vor— ſtehend gegebene Abbildung der geöffneten Ascidia microcosmus, fo erſcheint es ohne weiteres als annehmbar, daß der dicke Außenmantel nicht etwa den Mantelblättern der Brachio— poden oder Muſcheln entſpricht, ſondern höchſtens mu dem zweiklappigen Gehäuſe ver— glichen werden kann. Nachdem einige bedeutende engliſche Zoologen, wie Hancock und Huxley, aus verſchiedenen Gründen eine innigere Verwandtſchaft der Aseidien mit den Brachiopoden erkannt zu haben glaubten, entdeckte Lacaze-Duthiers an der afrikaniſchen Küſte eine Chevreulius genannte Ascidiengattung, deren äußerer Mantel genau einer jener altmodiſchen Schnupftabaksdoſen gleicht, an welche auch die Brachiopoden-Gattung Thecidium erinnert. Chevreulius iſt in Bezug auf dieſes Gebäude, welches in Geſtalt einer zweiklappigen Schale ganz offenbar dem Außenmantel der übrigen Aseidien ent— ſpricht, dem im Darwinſchen Sinne vergleichenden Zoologen eine willkommene Zwiſchen— form, deren Erwähnung gewiß auch hier gerechtfertigt iſt. Die eine Offnung (a), welche bei unſerer Ascidia microcosmus an dem einen Ende des der Länge nach feſtgewachſenen Tieres ſich befindet, bei den mehr kegel- und ſäulenförmigen Arten aber auf dem Gipfel, führt nicht unmittelbar in den Mund, ſondern in eine weite Kiemenhöhle. Im Grunde derſelben iſt der Mund, zu welchem die Nahrung durch Flimmerung gebracht wird. Unter der zweiten Offnung (b) entleert ſich der Darmkanal in eine kurze Röhre, durch welche auch die Fortpflanzungsprodukte entleert werden. Die Aseidien find wahre Zwitter, und ihre embryonale Entwickelung hat durch die vor Jahren veröffentlichten Unterſuchungen des ruſſiſchen Zoologen Kowalewsky eine unſer höchſtes Intereſſe beanſpruchende Wich— tigkeit erlangt. Er hat nämlich nachgewieſen, daß an den, wie ich ſchon oben ſagte, mit einem Ruderſchwanz verſehenen Larven der Ascidien vorübergehend ein Organ ſich bildet, welches ſich nicht anders verhält als ein Teil des Wirbeltierkörpers, der bisher für das ausſchließliche und daher eigentlich charakteriſtiſche Eigentum der großen Abteilung an— geſehen wurde, der auch der Menſch ſeiner Leiblichkeit und Abſtammung nach angehört. Dies iſt die ſogenannte Rückenſaite. Wenn bis dahin alle Anknüpfungspunkte fehlten, um den Stammbaum der Wirbeltiere und damit unſeren eignen mit der niedrigeren Tier— welt in faktiſche Berührung zu bringen, ſo iſt Kowalewskys Deutung ein Rieſenſchritt vorwärts, eine von jenen erwünſchten und immer ſich einſtellenden Beſtätigungen, wenn es ſich um die Erhärtung großer neuer wiſſenſchaftlicher Hypotheſen, wie auch der Darwin— ſchen, handelt. Wir wollen jedoch nicht verſchweigen, daß 1874 der Würzburger Zoolog Semper die Vermutung ausgeſprochen hat, es zeigten die Ringelwürmer noch nähere Beziehungen zu den Wirbeltieren als die Ascidien. Es handelt ſich dabei um das Vor: kommen gewiſſer Organanlagen in den Nieren der Haifiſche, welche den ſogenannten Segmentalorganen oder Schleifenkanälen der Würmer gleich ſein ſollen, ſowie um die Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 16 242 Manteltiere. Erſte Ordnung: Sacktiere. Möglichkeit, das Bauchmark der Gliedertiere und Würmer, als dem Rückenmark der Wirbel— tiere, nicht bloß der Leiſtung nach, ſondern auch anatomiſch und morphologiſch, ent— ſprechend anzuſehen. Eine Einteilung der einfachen Ascidien in Sippen iſt ſchon vor mehr als 50 Jahren von dem verdienten Savigny bewerkſtelligt worden, indem er ſich teils an die lederartige oder knorpelig durchſcheinende Beſchaffenheit der Körperdecke, teils und vorzüglich an die gefranſten Anhänge und Fühler hielt, welche die Kiemen- und die Auswurfs— öffnung umgeben und zum Vorſchein kommen, ſobald das Tier ſeinen ſtillen Ge— wohnheiten ungeſtört nach— hängen und ſeine einfachen Bedürfniſſe befriedigen kann. Neben ihnen ſtehen gewöhnlich auch eine An— zahl roter Punkte, welche etwas vorſchnell als Augen bezeichnet worden ſind. Es iſt wahr, Nerven gehen ſo— wohl in dieſe Fühler als in unmittelbare Nähe der Augenpunkte, und es iſt nicht unmöglich, daß ſie mit den Nerven zur Unter— ſcheidung von Lichtabſtu— fungen dienen. Alle Nerven aber ſtrahlen von einem bei den durchſcheinenden Asci— dien ſchon mit unbewaffne— tem Auge wahrnehmbaren Nervenknoten aus, welcher zwiſchen den beiden Offnun⸗ gen liegt. Von der Häufigkeit mancher Arten haben wir uns oben überzeugt; ähn— lich iſt das Vorkommen vieler anderen, und wer ſich irgend mit dem Einſammeln von Seetieren vermittelſt des Schleppnetzes abgegeben, hat ſicher von den meiſten Exkurſionen, wenn keine andere Beute, ſo doch Ascidien mit nach Hauſe nehmen können. Wenn die Ascidien durch Berührung geſtört oder gar ihrem Element entrückt werden, ziehen ſie die Offnungsröhren ein und nehmen dabei eine nichts weniger als elegante, klum— penhafte Geſtalt an. Ganz anders, wenn ſie ſich im Aquarium ruhig entfalten können. Einige der anziehendſten Becken im Aquarium der zoologiſchen Station in Neapel ſind die— jenigen mit den großen Ascidien, namentlich mit der weißlichen durchſcheinenden Phallusia mamillaris (j. obige Abbildung). Nicht bloß der Kiemenmund, auch die ihrer Beſtimmung nach ſo unäſthetiſche Auswurfsöffnung gleicht einem ſchön geſchwungenen Blumenkelche. Selbſt Phallusia mamillaris. Natürliche Größe. Einfache Aseidien. 243 die ſonſt fo ungeſchlachte Ascidia mierocosmus (ſtuntenſtehende Abbildung) zeigt alsdann ſo feine Bildung und zarte rote Schattierung, daß man ſie mit Vergnügen anſieht. Die Em— pfindlichkeit der Randlappen iſt aber ganz außerordentlich. Da die Tiere in dem Sande ein— gegraben oder an irgend welchem feſten Körper angewachſen leben, ſo antworten ſie bei jedem Verſuche, ihnen etwa zum Behufe des Zeichnens eine andere Stellung zu geben, mit einem Zurückziehen in ſich. Dasſelbe erfolgt ſogar oft ſchon bei plötzlicher Lichtveränderung, wenn man z. B. raſch den Deckel des Gefäßes entfernt, in das man ein Individuum zur näheren Beobachtung geſetzt hat. Wenn eine Aseidie einmal in ſich verſenkt und verſchloſſen iſt, bedarf es gewöhnlich halber und ganzer Stunden, ehe ſie ſich in ganzer Schönheit wieder Leder-Ascidie (Aseidia mierocosmus). Natürliche Größe. zu zeigen bereit iſt. In der That, mehr als viele andere Weſen laſſen die Ascidien ſich nur in ihrer natürlichen Umgebung würdigen, während ſie in den Körben auf dem Fiſch— markt oder in den Gläſern in den Muſeen den Eindruck widerlicher Klumpen machen. Die einfachen Ascidien der Tiefſee ſind, wie ſo viele Tiefſeetiere, ſehr häufig mit Stie— len verſehen, auf denen die ſackförmigen eigentlichen Leiber aufſitzen. Merkwürdigerweiſe iſt einer der am allerlängſten gekannten Bewohner der abyſſiſchen Gründe eine langgeſtielte einfache Ascidie, Boltenia fusiformis, welche bereits 1770 von Bolten beſchrieben wurde, nachdem ſchon 10 Jahre früher von einem Engländer, Ruſſel, eine ähnliche Form er: wähnt worden war. Die modernen Tiefſee-Expeditionen haben uns mit verwandten, aus— ſchließlich auf ſehr große Tiefen beſchränkten Gattungen, wie Fungulus und Culceolus, bes kannt gemacht. Eine von dieſen Formen, Culceolus Moseleyi, iſt ſehr zierlich, hat einen nur 2 em großen Körperſack und einen ſchlanken, gegen 9 em langen Stiel. Dieſes Tier wurde faſt unmittelbar unter dem Äquator aus dem Zentrum des Stillen Ozeans aus einer Tiefe von 4252 m heraufgebracht. 16* 244 Manteltiere. Erſte Ordnung: Sadtiere, Die größte bekannte Art von einfachen Ascidien, die 30 cm lange und 15 em breite Ascopera gigantea, ſtammt aus mehr flachem Waſſer (274 m), aber die ſchönſte von allen, Hypobythius calycodes (ſ. untenſtehende Abbildung), einem gebuckelten Glasgefäß ver: gleichbar, ſtammt aus der größten Tiefe, in welcher Ascidien jemals gefunden worden ſind, nämlich aus der von 5303 m im nördlichen Stillen Ozean. Eine mit den einfachen Ascidien ſehr eng zuſammenhängende Gruppe iſt diejenige der geſelligen Aseidien, wohin die in der Nordſee und den mehr nördlichen Meeren lebende Clavellina lepadiformis (ſ. Abbild. S. 245, oben) gehört. Die Geſelligkeit derſelben iſt keine freiwillige. Der Mantel entſendet wurzelartige Fortſätze, von welchen ſich Knoſpen erheben, die nach und nach zu neuen Individuen heranwachſen, ohne ſich von ihren Nachbarn und dem Stammtiere zu trennen. In weit innigerem Kontakt ſtehen aber die Indi— viduen derjenigen Sippen beiſammen, welche die dritte Abteilung, die zuſammengeſetzten Aseidien, bil— den. Die Einzeltiere ſind in dieſem Falle ſehr un— anſehnlich, häufen ſich aber unregelmäßig oder zu beſtimmten Syſtemen geordnet in einer gemeinſamen gallertigen oder knorpeligen Maſſe an. Die zu einem Syſtem gehörigen oft ziemlich zahlreichen Individuen ſind um eine gemeinſchaftliche Auswurfsöffnung gruppiert. Über Lebensweiſe, Bau und Vermehrung dieſer zuſammengeſetzten Ascidien hat A. Giard ſehr ſchöne und ausgedehnte Beobachtungen an der Küſte des nördlichen und weſtlichen Frankreich angeſtellt. Ihre Kolonien trifft man vorzugsweiſe an Stellen, wo ſie der direkten Sonne nicht ausgeſetzt ſind, an der Unter— fläche von Steinen und überhängender Felſen, zwiſchen Tang und Seegras, in leeren Schneckenhäuſern und Muſchelſchalen. Da aber gehören ſie zu den ge— meinſten Vorkommniſſen, durch bläuliche, gelb— liche oder rötliche Färbung in die Augen fallend. Am häufigſten ſind ſie in der Küſtenzone an und unmittelbar unter dem Waſſerſpiegel. Gewiſſe Arten ſiedeln ſich in größerer Tiefe, etwa 20—30 Faden, an; zu den eigentlichen Tiefſeetieren ge— hören ſie nicht. Das Ausſehen der Stöcke iſt oft ſehr abhängig von dem Orte und der Beſchaffen— heit der Unterlage. So nimmt, nach Giard, das Amarucium densum, auf Seegras angeſiedelt, die Geſtalt eines Pilzes mit kurzem Stiele an, während es am Felſen eine bloße Kruſte bildet. Eine ſehr eigentümliche Wandlung erleiden nach demſelben Forſcher dieſe Ascidien während des Winters. Bei dem ſchön wachsgelben Didemnum cereum, das zu den mit zierlichen mikroſkopiſchen Kalkkörperchen erfüllten Arten gehört, ſah er nach den erſten kalten Herbſttagen eine Verfärbung der Weichteile ins Dunkle eintreten, verbunden mit einer außer— ordentlichen Vermehrung der Kalkkörper. Bei Amarucium densum erfolgte vom Rande der Hypobythius calycodes. ½2 nat. Größe. Geſellige und zuſammengeſetzte Aseidien. 245 Kolonie aus ein Schwund der Individuen. Unſere untenſtehende Abbildung gibt in a die noch vollſtändigen, um eine Auswurfsöffnung ſtehenden Tiere, b iſt die zur Überwinterung fertige Maſſe, aus welcher im Frühjahr die ſchon jetzt als Knoſpen vorhandenen neuen Individuen ſich erheben werden. Weder durch den unangenehmen Geruch, der von den meiſten Aseidien ausgeht, noch durch ihre ſtarke Hülle werden ſie vor ihren Feinden geſichert. Verſchiedene Nacktſchnecken zehren von ihnen, eine kleine Muſchel (Crenella) liebt es, ſich in ſie einzubohren, gewiſſe Würmer legen ihre Gänge und Röhren in ihnen an. Vorzüglich aber ſind Kruſter niederer Ordnungen auf die Kiemenhöhle, namentlich ein— facher Ascidien, als ihren Wohnſitz angewieſen, wo ihnen durch die die Kieme durchziehenden Waſſerſtröme die Nahrung zugeführt wird. Das ſind alſo nicht eigentliche, von ihrem Wirte lebende Paraſiten, ſondern Miteſſer (der bekannte Naturforſcher van Beneden der ältere hat den Ausdruck commensaux eingeführt), die ihren Vorteil aus der Zu— fuhr ihres Wirtes, zwar auf deſſen Koſten, doch ohne ihn ſonſt zu ſchädigen, zu ziehen wiſſen. Immerhin ſind die Feinde, welche Frieden und Beſtand der Ascidienſtöcke bedrohen, nicht beſonders zahlreich, und der Abgang wird bei der außerordentlichen Lebenskraft und Fortpflanzungsfähigkeit unſerer Tiere reichlich gedeckt. Ein zufällig oder zum Behuf des Experimentierens geſpaltener und getrennter Stock wächſt wieder zuſammen. Schneidet man die Oberleiber einer Gruppe von Individuen ab, ſo vegetieren Herz und Eierſtock fort, das Ganze wird neu aufgebaut, ebenſo das Nervenſyſtem, alles mit Verwendung der Maſſe des Eierſtockes als Bildungs— material. Bei einzelnen Arten, wie Cirrinatium concrescens, findet ein Zuſammenwachſen einzelner, nebeneinander ſich feſtſetzender In— a dividuen ftatt. Indem noch andere an dieſen reinſten kommuniſtiſchen Verein ſich anſchließen und die vereinigten Mitglieder Knoſpen trei— ben, vergrößert ſich der Stock. Überhaupt iſt Knoſpung das Ausbrei— tungsmittel der Kolonie. Kleine Erhebungen und Ausſtülpungen an verſchiedenen Stellen des Körpers der Einzeltiere bezeichnen den Beginn der Knoſpenbildung. Dieſe neuen _ wein Sproſſen ſchalten fich entweder in der Mitte e wen ne A des Stockes ein, was beſonders bei den eine kugelige Geſtalt annehmenden Arten geſchieht, oder es treten, wie bei den Botryllen mit flächenhafter Stockform, neue Syſteme am Umkreiſe auf. Wenn man jedoch früher beob— achtet zu haben glaubte, daß ein ganzes Botryllus-Syſtem, d. h. alle die um eine gemein— ſame Offnung ſtehenden Individuen, wie ſie unſere Abbildung (S. 246) von Botryllus albicans zeigt, auf einmal entſtände, entweder als Kollektivknoſpe oder vom Ei aus, ſo iſt das nach Charniers Unterſuchungen ein Irrtum. Es teilt ſich nicht das aus einem Ei ent— ſtehende Weſen in acht oder mehr Individuen, ſondern ſchon im Ei, aus welchem ein Anfangsindividuum hervorgeht, oder etwas ſpäter, an dem ſich bildenden Embryo beginnt die Sproſſung, und nun entſteht ein Syſtem von Tieren gleichen Alters und gleichen Wachs— tums. Alle die Individuen, welche als Knoſpen im Stocke gewachſen ſind, pflanzen ſich Clavellina lepadiformis. Natürl. Größe 246 Manteltiere. Erſte Ordnung: Sacktiere. nun auch geſchlechtlich fort. Die mit dem Ruderſchwanz verſehenen Larven ſchwärmen aus, und jede, ohne ſelbſt, wie es ſcheint, zur Eibildung zu kommen, wird die Gründerin einer neuen Kolonie. An die zuſammengeſetzten und feſtſitzenden Ascidien reiht ſich die ſtockbildende Sippe der Feuerleiber (Pyrosoma) an. Die Individuen ſind derart vereinigt, daß der ge— meinſame Körper einen oft mehrere Zoll langen, frei ſchwimmenden, gallertigen, hohlen, an einem Ende geſchloſſenen Cylinder bildet, welcher äußerlich höckerig erſcheint. Kiemen— und Afteröffnung ſind einander, wie bei der nächſten Ordnung, den Salpen, entgegengeſetzt, indem die Atemhöhlen der ein— zelnen Tierchen nach außen, die Kloaken in die Höhlung des gemeinſchaftlichen Cylinders münden. Nach der Beſchaffenheit der Kiemenhöhle und überhaupt der Lagerung der Organe ver— halten ſich die Feuerleiber trotz ihrer ſo abweichenden Erſchei— nung und Lebensweiſe doch mehr wie die Ascidien. Der Name dieſer Tiere beſagt, daß ſie bei der großartigen Erſcheinung des Meerleuchtens eine hervorragende Rolle ſpielen. Ein älterer engliſcher Beobachter, Bennett, berichtet über das Schauſpiel, das er am 11. Oktober unter 4 Grad ſüdlicher Breite und 18 Grad weſtlicher Länge hatte. Das Schiff ſegelte ſehr ſchnell, und dennoch ſah man die ganze Nacht das Leuchten und konnte faſt bei jedem Netzzuge die Feuerleiber bekommen. Das Leuchten rührte nur von zahlreichen kleinen braunen Teilchen in der Körperſubſtanz her. Schnitt man das Pyrosoma auf, ſo zerſtreuten ſich die braunen Teilchen im Waſſer und erſchienen als zahlreiche Fun- ken. Man braucht, heißt es weiter, auch nicht den ganzen Leib zu reiben, um Licht zu bekommen, ſondern nur einen kleinen Teil zu berühren, dann glüht das Ganze durch und durch. Auch ergab ſich, daß die nicht leuchtenden Exemplare im Süßwaſſer ſchnell wieder zu leuchten begannen, und zwar bis zu ihrem erſt e ae nach mehreren Stunden eintretenden Tode. Verſtümmelte und eben Tang. fatltl Größe. dem Tode nahe Tiere, welche im Meerwaſſer auf keinen Reiz mehr durch Aufleuchten Antwort gaben, flammten im ſüßen Waſſer ſogleich wieder auf. Ausführlicher ſind die Mitteilungen des Weltumſeglers Meyen über die Lichterſcheinung der Pyroſomen. Das Licht iſt ſehr lebhaft und von grünlichblauer Farbe, von dem Lichte aller übrigen leuchtenden Tiere auffallend ver— ſchieden. Eingefangen und in einem großen Gefäß mit Waſſer ſchwimmend, leuchten ſie nicht, beginnen aber ſofort zu leuchten, wenn man ſie berührt. Das Licht tritt zuerſt an einem dunkeln, faſt kegelförmigen Körper im Inneren eines jeden einzelnen Tie— res als ganz feine Funken hervor die einige Augenblicke vereinzelt bleiben, dann aber ineinander überfließen, ſo daß nun der ganze Tierſtock leuchtet. Faßt man eine Pyro— soma an beiden Enden, ſo treten die Lichtfunken zuerſt an den Enden auf und erſcheinen zuletzt in der Mitte. Ebenſo wie das Leuchten beginnt, erliſcht es auch wieder, es löſt ſich in leuchtende Punkte auf, die endlich verſchwinden. Bewegung des Waſſers ruft das Leuchten hervor; iſt die Lebenskraft des Tierſtockes im Erlöſchen, ſo ſind ſchon ſtärkere Reize erforderlich. Im Widerſpruch mit den Angaben Bennetts, die wir oben anführ— ten, jagt aber Meyen, daß, wenn man vom Pyrosoma ein Stückchen abbricht, nicht nur Feuerleiber. Appendikularien. 247 in dieſem augenblicklich das Leuchten aufhöre, ſondern daß es nun auch am übrigen Tiere von der Bauchfläche ſchnell nach dem anderen Ende abnehme. Von einem Ausſtrömen der leuchtenden Subſtanzteilchen hat er nichts geſehen. Übereinſtimmend iſt aber der Eindruck, den das prächtige Schauſpiel auf alle Beob— achter machte, welche die Tiere bald mit glühenden Kugeln, bald mit weißglühenden Eiſenſtäben verglichen. Es reiht ſich an jene anderen unvergeßlichen Anſchauungen, welche der Ozean dem Weltumſegler zuführt. Eine befriedigende Erklärung des Leuchtens der Feuerwalzen hat uns erſt Panceri gegeben. Wir wiſſen nun, daß bei jedem Individuum des Pyrosoma-Stodes das Leuch— ten von zwei Zellenhaufen ausgeht, welche nicht, wie die früheren Beobachter meinten, die Eierſtöcke des Tieres ſind, ſondern eben die Leuchtorgane. Ihre Lage iſt in der Umrißzeichnung erſichtlich. Fig.! gibt das offene Ende des Stockes in natürlicher Größe. Die älteren Individuen ſind mit rüſſel— förmigen Verlängerungen am Vorderende ver— ſehen. Fig. 2 iſt die Höhlung des Cylinders, o in 2 die Eingangsöffnung eines Individuums, ol find die beiden ganz oberflächlich liegenden Leuchtdrüſen in der Nähe des Nervenknotens. Die leuchtenden Punkte, welche von einer gereizten Stelle der Ko— lonie aus allmählich ſich über den ganzen Feuer— zapfen blicken laſſen, ſind alle zu zählen und be— trugen bei einem 8 em langen und 4 em im Durch— meſſer habenden Pyrosoma 6400, da ſich die An— zahl der mikroſkopiſchen Tiere auf 3200 berechnete. Es iſt Panceri aber noch nicht vollſtändig ge— lungen, die Art der Fortpflanzung des Leuchtreizes Henchtörgane bon F000 von einem Tiere auf die benachbarten und ſo über die ganze Kolonie feſtzuſtellen. Wahrſcheinlich ſind die Nerven im Spiele, welche zu den Muskeln gehen, wodurch die Individuen miteinander verbunden ſind. Im Anſchluß an die Ascidien ſei einer merkwürdigen Gruppe kleiner Meerestiere ge— dacht, welche man als Appendikularien bezeichnet. Sie ſtehen tiefer in der Reihe der Manteltiere als die Ascidien, ſind aber in gewiſſem Sinne höher organiſiert als dieſe, ein nur ſcheinbarer Widerſpruch, wie uns ſofort klar wird, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Ascidien ſelbſt als Larven auch höher organiſiert ſind als wie im vollentwickelten Zuſtande, daß ſie anfangs frei beweglich, mit Ruderſchwanz und mit beſonderen Sinnesorganen (Augen, Gehörſäckchen) verſehen ſind. Die Verwandlung der Aseidien iſt eine rückſchreitende, wie bei den Rankenfüßern un: ter den Krebſen. Die Appendikularien ſind nun gewiſſermaßen Manteltiere, welche zeit— lebens nicht über die Larvenſtufe der höheren Formen hinwegkommen. Sie bleiben immer freilebend, wenn viele von ihnen auch ein ſogenanntes „Gehäuſe“ bewohnen. Dies findet aber nur vorübergehend ſtatt, und jenes Gehäuſe iſt eine Art Köcher, welcher durch ein ſchleimiges Abſcheidungsprodukt ihrer Körperoberfläche gebildet wird. Die Abſcheidung geht ſehr ſchnell vor ſich: bei einem lebenskräftigen Individuum innerhalb einer Stunde. Die 248 tanteltiere. Zweite Ordnung: Salpen. Höhlung iſt geräumig genug, dem Tiere freie Bewegungen in derſelben zu geſtatten. Nach geraumer Zeit verläßt der Verfertiger dieſe vorübergehende Wohnſtätte, ſchwimmt herum, um ſich, wahrſcheinlich als eine Art Schutzhülle während der Ruhepauſen, bald wieder eine neue zu bilden. Der Körper der Appendikularien iſt mehr oder weniger eiförmig und verlängert ſich hinten in einen ſeitlich abgeflachten, ziemlich breiten Ruderſchwanz von 3—4facher Körper: länge, der im Inneren durch eine feſtere, biegſame Achſe, einem der Wirbelſäule der Wirbeltiere entſprechenden Gebilde, geſtützt erſcheint. Der am vorderen Leibesende gelegene Mund iſt oben von einer Art Lippe überragt, und der After öffnet ſich in der Mittellinie des Rückens ungefähr in gleicher Entfernung vom Munde und von der Wurzel des Schwanzes. Von Sinnesorganen liegt ein Gehörſäckchen mit einem runden, ſteinartigen Gebilde (Oto— lithen) im Inneren vorn in der Nähe des Mundes, und hin und wieder finden ſich Taſt— borſten auf der Außenſeite des Körpers. Die meiſten Arten leben pelagiſch auf der Ober— fläche des Meeres, doch fand Chun eine und noch dazu recht anſehnliche bei einer Tiefe von ca. 3000 m im Mittelmeer. Zweite Ordnung. Die Salpen (Thaliacea). Der Dichter Chamiſſo, welcher als Naturforſcher eine ruſſiſche Weltumſeglungs— Expedition begleitet hatte, veröffentlichte 1819 eine Abhandlung über die in den ſüdlichen Meeren beobachteten Salpen und ſtellte die damals höchſt paradox und unwahrſcheinlich klingende Behauptung auf, von dieſen durchſichtigen, frei im Meere ſchwimmenden Tieren gehörten immer zwei Formen zu einer Art, die Tochter gliche nie der Mutter, ſondern der Großmutter, die Individuen der einen Form ſeien immer in größerer Anzahl zwei— reihig miteinander verbunden als ſogenannte Salpenketten, die Individuen der zweiten Form dagegen lebten iſoliert. Man war, wie geſagt, wenig geneigt, dieſen Angaben Glauben zu ſchenken, bis einige 20 Jahre ſpäter Steenſtrup ſeine ſo glücklichen Anſichten über den Generationswechſel begründete und auch die Salpen in den Kreis der dieſer Fortpflanzungs— weiſe unterworfenen Tiere einbezog. Auch an den Salpen wird der größte Teil der Körpermaſſe durch den Mantel gebildet, der aber, obwohl feſt, von ſolcher Durchſichtigkeit iſt, daß man das Tier im Waſſer gar nicht erkennen würde, wenn es ſich nicht durch einzelne gefärbte und undurchſichtige Körper— teile, wie namentlich den Eingeweideknäuel, verriete. Von der Übereinſtimmung der che— miſchen Beſchaffenheit des Mantels der Salpen mit dem der Aseidien iſt ſchon die Rede geweſen, aber auch im übrigen werden wir uns über die einander entſprechenden Körper— teile und ihre Lage leicht verſtändigen. Sowohl die zu Kettenreihen vereinigten als die einzeln ſchwimmenden Individuen nehmen durch eine vordere Offnung (a) Waſſer in eine weite Höhlung auf, in welcher die Kieme (d) diagonal ausgeſpannt iſt. Sobald der große Schluck gethan, ſchließt ſich jene Offnung, bandartige, in der Abbildung (S. 249) durch feine Striche angedeutete Längs- und Quermuskeln ziehen in einem Tempo den Körper zuſammen, und das Waſſer entweicht nun durch eine hintere, aber etwas zur Seite gelegene Offnung (b) und treibt durch ſeinen Stoß das Tier ein Stück vorwärts. In demſelben Ende der Tonne liegt ein bräunlicher Kern, der Eingeweideballen (e), vor ihm, in den inneren Cumaolusagg ealyeTouep BAleS — Mace! Lebenserſcheinungen der Salpen. 249 Mantel eingebettet, das ſchlauchförmige Herz (e). Die von ihm ausgehenden Adern und deren Verzweigung auf der Kieme ſind deutlicher erſichtbar gemacht, als man dieſe Ver— hältniſſe an dem lebenden Tiere mit ſeiner waſſerklaren Blutflüſſigkeit wahrnehmen kann. Überraſchend iſt es, ſowohl bei Salpen als bei Ascidien zu beobachten, wie das Herz, nachdem es eine Weile hindurch nach einer Richtung hin ſich zuſammengezogen hat, plötz— lich umſetzt und den ganzen Blutlauf umkehrt. Der gehirnartige Nervenknoten, welchen die Ascidien beſitzen, fehlt auch den Salpen nicht; er iſt leicht hinter und oberhalb der vorderen Offnung zu finden, und nie fehlt ein mit ihm zuſammenhängendes gefärbtes punktförmiges Organ (t), welches als Auge ge— deutet wird. Endlich fallen uns an dem betrachteten Exemplar zipfelige Fortſätze (g) auf. Sie verraten, daß wir es mit einem von ſeinen Nachbarn aus der Kette losgelöſten In— dividuum zu thun haben, mit denen es durch eben dieſe Fortſätze verwachſen war. Salpa maxima, von der Seite. Natürliche Größe. Wir kommen damit auf den intereſſanteſten Punkt in der Naturgeſchichte der Salpen. Wir haben ein Kettenindividuum beſchrieben. Alle Mitglieder einer ſolchen organiſch ver— bundenen Doppelreihe ſtimmen vollkommen überein und entwickeln hermaphroditiſche Fort— pflanzungsorgane. Aus ihren Eiern gehen aber nicht wieder Ketten hervor, ſondern Einzel— individuen oder Ammen, welche in jeder Art auf eigentümliche Weiſe ſchon äußerlich von den Kettenindividuen abweichen, beſonders aber auch dadurch ſich als eine neue, eine Zwiſchengeneration erweiſen, daß ſie ſich nie durch Eier fortpflanzen. Vielmehr erzeugen ſie an einem beſonderen Keimſtock innere Knoſpen, welche gleich anfangs als Salpenkette an— gelegt ſind und auch in dieſer unentwickelten Vereinigung geboren werden. Alle Individuen eines ſolchen Satzes ſind gleichweit entwickelt, und häufig ſieht man, wie hinter einem ſchon weiter gediehenen Satze die Anfänge eines oder zweier neuen ſich vom Keimſtock abheben. Es bedarf dazu nur eines ſcharfen Auges. Die neugeborene Salpenkette iſt jo vollſtändig gebildet, daß alle Glieder zugleich ihr Atemwaſſer zu ſchöpfen beginnen. Mit der Entfaltung der Fortpflanzungsorgane ſchließt der Entwickelungskreis der Art ab. Auch die Salpen „zünden“, wie Johnſton ſich poetiſch ausdrückt, „ihr Lämpchen im Dunkeln an“, ſtrahlen aber nicht jenes lebhafte Licht wie die Feuerleiber, ſondern einen blaſſeren milchigen Schein aus. Die unmittelbare Berührung, die Reibung in dem erregten Waſſer ruft ihn hervor. Da man die leuchtende Oberflächenſchicht wie einen zarten Schleim abwiſchen kann, worauf auch das damit verſetzte und umgeſchüttelte Waſſer leuchtet, ſo ſchien dem engliſchen älteren Beobachter daraus der Schluß gezogen werden zu müſſen, daß keine beſonderen Leuchtorgane vorhanden ſeien, ſondern daß die Erſcheinung von einem 250 Manteltiere. Zweite Ordnung: Salpen. über die ganze Oberfläche ſich erſtreckenden Verbrennungs- und Oxydationsprozeß herrühre, etwa ſo, wie an manchen organiſchen Körpern, namentlich Seefiſchen, das Leuchtphänomen erſt nach dem Tode bei Beginn oberflächlicher Zerſetzung eintritt. Die Sache iſt jedoch erſt noch weiter aufzuklären Man unterſcheidet in der Ordnung der Salpen zwei Unterordnungen: die Desmo— myarier oder Bandmuskler und die Cyclomyarier oder Reifmuskler. Bei den erſteren, zu denen die auf Seite 249 abgebildete Salpa maxima gehört, verlaufen oben und unten entlang dem Körper Muskelbänder, die durch andere, quer verlaufende verbunden werden. Bei den Cyclompyariern iſt der Körper rein tonnenförmig und finden ſich bloß Quermuskeln, die, ringförmig geſchloſſen, den Körper ganz wie Reife umgeben. Bei dieſer letzteren Unterordnung iſt auch die Entwickelung eine etwas andere. Nämlich aus den Eiern der geſchlechtlichen Generation gehen zunächſt geſchwänzte Larven hervor, die durch Meta— morphoſe zu ungeſchlechtlichen Einzeltieren werden, an deren Keimſtock zwei Arten von Individuen ſich entwickeln: Lateralſproſſen, die kein ſelbſtändiges Leben erlangen, ſondern die Ernährung der Amme vermitteln, und Me dianſproſſen, die eine zweite Ge— neration freilebender Einzelindividuen bilden, welche den Geſchlechtstieren gleichen, aber keine Geſchlechtsorgane beſitzen und als zweite Ammengeneration erſt die Geſchlechtstiere wieder produzieren. Die Veichtiere. Die Weichtiere (Mollusca). Der Markt des Lebens ſtattet jeden, auch für die nähere Befreundung mit den Weich— tieren, mit einer kleinen Summe von Vorkenntniſſen und Erfahrungen aus. Von einer Schnecke, einer Muſchel hat jedermann den Eindruck bekommen, daß ſie eben Weichtiere ſeien, und daß dieſe Bezeichnung in durchgreifenden Abweichungen von den Wirbel- und Gliedertieren beruhe. In der Annahme der Zuſammengehörigkeit von Schnecke und Muſchel laſſen wir uns nicht ſtören durch die Bemerkung, daß die eine einen mit Fühlhörnern und Augen ausgeſtatteten Kopf beſitzt, während ein ſolcher Körperabſchnitt bei der anderen vergeblich geſucht wird; die Anweſenheit eines Gehäuſes bei der Weinbergsſchnecke hindert auch den ungeſchulten Betrachter durchaus nicht, in der nackten Wegeſchnecke ihre nächſte Verwandte zu erblicken. Und wenn ſich die Anſchauungen mit dem Beſuch des Meeres— geſtades verhundertfachen, die Märkte der Seeſtädte neue und neueſte Formen zuführen, werden auch die fremdartigeren Weichtiergeſtalten von dem prüfenden und vergleichenden Auge mit den Formen des Wirbeltier- und Gliedertierreiches, die Würmer nicht ausgeſchloſſen, nicht verwechſelt werden. An vielen Weichtieren iſt freilich Kopf und Leib zu unterſcheiden, aber der ganze Körper bleibt, im Vergleich zu den uns ſchon näher bekannten Tieren, klumpenhafter und zeigt nicht im entfernteſten jene Gliederung oder auch nur die Anlage dazu, welche das Gliedertier im Innerſten beherrſcht und auch dem Wirbeltier durch die Sonderung ſeiner Wirbelſäule und der gelenkigen Gliedmaßen ſein eigentümliches Gepräge verleiht. Die Entſchiedenheit der Geſtalt, welche beim Wirbeltier vom inneren Knochenſkelett, beim Gliedertier von den erhärteten Hautbedeckungen abhängt, mangelt dem Weichtier. Nur die einfacheren Würmer treten hier wenigſtens als oberflächliche Vermittler dazwiſchen. Aber die Schale, die Gehäuſe? wird man fragen. Das ſind eben bloße Gehäuſe, zwar aus— geſchieden und produziert vom Körper, aber ſo loſe mit ihm zuſammenhängend, daß ſie einen Vergleich mit einem inneren oder äußeren Skelett nicht aushalten. Das letztere iſt in vollſter Bedeutung des Wortes ein Teil des Organismus. Die Knochen wachſen und ernähren ſich; der Käfer kann nicht aus ſeinem Hautſkelett herausgeſchält werden; wenn der Panzer des Krebſes nicht mehr lebendig mit dem Tiere verbunden iſt, fällt er ab, um einem neuen Platz zu machen. Dieſes innige Verhältnis findet zwiſchen dem Weichtiere und ſeinem Gehäuſe nicht ſtatt; letzteres iſt ein Ausſcheidungsprodukt, das allerdings durch Auflagerung neuer Schichten verdickt, durch Anfügung an den freien Rändern vergrößert und erweitert, auch, wenn es beſchädigt iſt, notdürftig ausgeflickt werden kann, aber nur an einer oder einigen beſchränkten Stellen mit dem Tiere wirklich zuſammenhängt und, 254 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer. weil es an dem das Leben ausmachenden Stoffwechſel nicht teilnimmt, ein totes iſt. Eine Schnecke kann man aus dem Gehäuſe herausnehmen, indem man nur einen kleinen Muskel, der ſie damit verbindet, zu durchſchneiden hat, ein Eingriff, der an ſich das Leben des Tieres durchaus nicht gefährdet. Nur in den Hautbedeckungen mancher Weichtiere kommen Abſonderungen horniger und kalkiger Platten vor, die ihrer Lage wegen den Eindruck innerer Skelettſtücke und Knochen machen, im weſentlichen aber mit jenen äußeren Schalen— bildungen übereinſtimmen. So haben wir denn, um über den allgemeinen Charakter der Weichtiere ins reine zu kommen, uns an die zu halten, welche keine Gehäuſe beſitzen, und die anderen ihrer Schalen zu entkleiden. Sie ſtehen dann vor uns als ungegliederte, oft ſehr ungeſchickt aus: ſehende Tiere, deren in der Anlage vorhandene Symmetrie oft einer unſymmetriſchen Geſtalt gewichen iſt. Die Haut iſt ſchlüpfrig und weich, und ausnahmslos finden wir die— ſelbe in Lappen und mantelartige Falten ausgezogen, von welchen der Körper ganz oder teilweiſe verhüllt werden kann. Es iſt nichts leichter, als ſich von dieſer Grundeigentüm— lichkeit der Weichtiere eine Anſchauung zu verſchaffen. Wenn die Schnecke ſich in das Ge— häuſe zurückzieht, bemerkt man, wie ein dicker Hautlappen ſich über den verſchwindenden Kopf hinweglegt: es iſt ein Stück des Mantels. Schält man eine Muſchel aus, ſo iſt der Körper vollſtändig von jeder Seite mit einem großen häutigen Lappen bedeckt: das ſind die beiden Hälften des Mantels. Alle Schalenbildung geht vom Mantel aus, beſon— ders von ſeinen freien Rändern. Wenn wir anführen, daß die am höchſten ausgebildeten Weichtiere bei einem nicht ſelten m, wohl aber auch 2 und mehr, ja in rieſenhaften Dimenſionen 6 m und darüber langen Körper faſt ſo vollendete Sinneswerkzeuge tragen wie die höheren Wirbeltiere und ihrer Größe entſprechende Muskelkraft entwickeln, während auch faſt mikroſkopiſche Formen dar— unter vorkommen und manche ſich an die Strudelwürmer anzuſchließen ſcheinen, ſo wird man auch hier nicht erwarten, daß der Bau, das Leben und Vorkommen dieſes Kreiſes im allgemeinen geſchildert werden kann. Nachdem wir die Wichtigkeit der Hautbedeckungen hervorgehoben, deuten wir nur an, daß der Hauptteil des Nervenſyſtems in einem Schlundringe beſteht, mit welchem die übrigen im Körper zerſtreuten Nerven und Nerven— knoten zuſammenhängen. Das Vorhandenſein der Sinnesorgane richtet ſich nach der Stufe der Ausbildung des Körpers im ganzen und nach Aufenthalt und Lebensweiſe. So finden ſich, um nur einige Beiſpiele anzuführen, nur wenige Muſcheltiere mit Augen; ſie haben keinen Raub zu erſpähen, und ihre Nahrung wird ihnen durch unausgeſetzte Flimmer— bewegung an den Körperflächen zugeführt. Aber alle Schnecken und vor allen die hoch organiſierten raubgierigen Tintenſchnecken ſuchen nach ihrer Nahrung, und demgemäß ſpiegelt ſich in ihren Augen die Umgebung ab. Sehr vollſtändig iſt bei allen Weichtieren der Ernährungsapparat ausgebildet. Die höheren Ordnungen, nämlich alle, welche eine feſte Nahrung zerkleinern, ſind mit ſehr auf— fallenden Beiß- und Raſpelwerkzeugen ausgeſtattet, die in neuerer Zeit mit eben dem Erfolg für eine naturgemäße Syſtematik ſich haben verwerten laſſen, wie man ſeit langer Zeit an der Beſchaffenheit des Gebiſſes der Säuger ihre Lebens weiſe und ſyſtematiſche Stellung erkennt. Als ſtarke Freſſer bedürfen die Weichtiere nicht bloß eines geräumigen Darm— kanales, ſondern auch ein reichliches Maß der die Verdauung einleitenden und befördern— den Säfte, daher wir die den Speichel und die Galle bereitenden Drüſen, Speicheldrüſen und Leber, ausnehmend entwickelt finden. Wir ſehen den Blutlauf geregelt durch ein Herz, aus Kammer und einer oder zwei Vorkammern beſtehend, in welches das Blut aus dem Atmungsorgan eintritt, um aus demſelben in erneuertem, zur Ernährung des Organismus tauglichem Zuſtande dem Körper zugeführt zu werden. Auch die Atmungsorgane, meiſt Kopffüßer: Allgemeines. 255 Kiemen, find immer anſehnlich entfaltet und bieten der Tierbeſchreibung durch ihre mannig— faltige Stellung und Form viele Anhaltspunkte. Eine außerordentliche Entwickelung pflegt auch die andere, der vegetativen Seite des Lebens gehörige Organgruppe, die der Fort— pflanzungswerkzeuge, zu haben. Doch dies alles, und wie Zwitterformen mit getrennten Geſchlechtern abwechſeln, wie uns dort der Generationswechſel, hier Verwandlung, hier wiederum die Entwickelung ohne Verwandlung begegnet, ferner das Verhältnis der Weich— tiere zu ſich und zur Welt mag lieber die Schilderung der einzelnen Gruppen zeigen, zu der wir uns nun wenden. Die Liebhaber von Kuriofitäten und Naturprodukten haben ſchon ſeit einigen Fahr: hunderten mit Vorliebe die Schneckengehäuſe und Muſchelſchalen geſammelt und an ihrer bunten und niedlichen Formenfülle ſich geweidet. Wir ſind über dieſen einſeitigen Stand— punkt weit hinaus; ohne die Freude an den ſchönen Muſchelſammlungen zu verdammen, dürfen wir uns im Grunde von ihnen ebenſowenig befriedigen laſſen, wie etwa von einer Sammlung von Krallen oder Hufen. Ja ſie erläutern uns das Leben und die Verrich— tung des Tieres viel weniger als die untergeordneten Teile, die uns in die Feder kamen. Erſle Klaſſe. Die Ropffüßer (Cephalopoda). Zu den unauslöſchlichen Eindrücken einer italieniſchen Reiſe gehört nicht nur der erſte Anblick der Borromäiſchen Inſeln, der Florentiner Bauten, des Koloſſeums, des Veſuvs im Hintergrunde des Golfes, der Tempelruinen von Päſtum — auch der erſte Beſuch eines italieniſchen größeren Fiſchmarktes, wie er täglich in Trieſt, Genua, Livorno, Neapel ꝛc. abgehalten wird, hat etwas Überwältigendes. Da ſind ſie angehäuft, die Schätze des Meeres, auf Reihen von Tiſchen, hinter denen die Verkäufer in Hemdsärmeln und mit der hohen roten Mütze ſtehen, ihre Ware mit einem betäubenden Geſchrei anpreiſend. Alles iſt ſor— tiert nach Größe und Gattung. Um die feineren Speiſefiſche drängen ſich die nobleren Köchinnen, und mancher fein gekleidete Herr, deſſen Hausfrau ſich noch zu Hauſe im Bette dehnt, beſorgt ſeinen Einkauf ſelbſt. Auf beſonderen Fleiſchbänken liegen die Thunfiſche. Weiterhin folgen die Buden, wo die Geſchlechter der greulichen Rochen und Haie für die minder verwöhnten Gaumen ausliegen; der Zitterrochen iſt dabei, der Meerengel und andere Untiere. Mit großer Geſchicklichkeit wird ihnen die rauhe Haut abgezogen, und das Fleiſch ſieht nun appetitlicher aus, als es nachher ſchmeckt. Aber wir verweilen heute nicht bei den zum Teil ſehr ſchön gefärbten Fiſchen, eilen auch an den vielen Körben der Ver— käuferinnen von Muſcheln, Schnecken und anderen „frutti di mare“ vorüber und halten bei ein paar Tiſchen, deren Vornehmheit durch das Schattendach angezeigt wird, und von welchen uns eine ganz fremdartige Ware entgegenglänzt. „Calamari! Calamari! O che bei Calamari! Seppe! Seppe! Delicatissime Sepiole!“ ſo dröhnen die unermüdlichen Stentorſtimmen in unſer Ohr. Schon hat einer der Schreier uns ins Auge gefaßt. Er glaubt, daß wir unſere Küche beſorgen wollen. Einige Lungerer werden fortgejagt, um uns Platz zu machen. Wir treten heran, und der Fiſcher hebt an den polypenartigen Armen einen fußlangen, ſchlanken Calamaro empor. „E tutto fresco!“ Und um zu beweiſen, daß das Tier noch friſch, und wenn auch nicht mehr ganz, doch noch halb lebendig, verſetzt er ihm mit der Meſſerſpitze einen leiſen Stich. Was war das? Wie ein Blitz fuhr ein Farben— gewölk von Gelb und Violett über die auf weißem Grunde regenbogenfarbig ſchillernde 256 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer. und fein gefleckte Haut hin. Weil wir unſchlüſſig ſtehen, wird der Calmar wieder zu dem Haufen ſeiner Genoſſen geworfen, und unter Fortſetzung ſeiner Anpreiſung wendet ſich der Händler zu einer anderen Sorte ſeiner Ware, den Sepien. Aus einem Faſſe, welches an der Erde ſteht, nimmt er Stück für Stück heraus, löſt mit einem Schnitte den weiß— glänzenden Rückenſchulp aus, entfernt, das beutelförmige Weſen umkrempelnd, einen Teil der Eingeweide mit dem Tintenbeutel, ſpült das ſo ausgenommene Tier ab und legt es auf den Verkaufstiſch. Wir ſind länaſt als fremde Naturforſcher erkannt und müſſen die | 5 Sepiola Rondeletii. a) von der Rücken-, b) von der Bauchſeite Sehr großes Exemplar. Natürliche Größe. ausgewählten Exemplare, die wir im Gaſthauſe nach unſeren Büchern beſtimmen und unterſuchen wollen, ungefähr mit dem vierfachen Marktpreiſe bezahlen. Unter den für unſere Studien mitgenommenen Werken befindet ſich das Buch des Herrn Verany in Nizza über die Kopffüßer oder Cephalopoden des Mittelmeeres, worin alle im Mittelmeer vorkommenden Arten nach den jahrelangen Beobachtuugen dieſes Natur— forſchers nach Form und Lebensweiſe in franzöſiſcher Sprache beſchrieben und in meiſterhafter Weiſe farbig abgebildet find. Darunter iſt denn auch die kleine Sepiola Rondeletii (ſ. obige Abbildungen), an welcher wir uns jetzt über den Körper und die äußeren Organe der Kopf— füßer orientieren wollen. Den Namen haben dieſe Weichtiere davon, daß ihr Körper deutlich in Rumpf und Kopf zerfällt, an welch letzterem ein Kreis von Anhängen ſteht, welche als Greif- und Bewegungsorgane gebraucht werden. Der Rumpf iſt von einem Mantel umgeben, der an der Rückenſeite ſich unmittelbar in die Hautbedeckungen des Kopfes fort— ſetzt, am Bauche aber einen offenen Beutel bildet, aus welchem das enge Ende eines trichter— förmigen Organs herausragt. Auch daran iſt die Rückenſeite zu erkennen, daß nach ihr Bau der Kopffüßer. 257 zu die beiden großen Augen einander genähert find. Alle diefe Regionen und Teile er: heiſchen aber eine noch nähere Betrachtung, da auf ihren Abweichungen die Eigentümlich— keiten der verſchiedenen Gruppen und Gattungen unſerer Klaſſe beruhen. Die den Mund umgebenden Arme ſind von ſehr feſter, muskulöſer Beſchaffenheit, dehnbar und ſehr be— weglich; ihr Spiel bei den größeren Arten gleicht den Windungen eines Haufens mit— einander verflochtener Schlangen. Bei allen lebenden Kopffüßern, mit Ausnahme des Nau— tilus, ſind ſie mit Saugnäpfen beſetzt, wodurch ihr Zweck, die Beute feſtzuhalten oder bei den Kriechbewegungen zur Dirigierung des Körpers zu dienen, in ausgezeichneter Weiſe erfüllt wird. Gewöhnlich ſitzen ſie auf einem kurzen muskulöſen Stiele. Ihr Umkreis be— ſteht aus einem knorpeligen Ringe, der von Muskelfaſern ausgefüllt iſt. Legt ſich nun der Ring an einen flachen Gegenſtand an, und zieht ſich die Muskelfüllung etwas aus ihm heraus, ſo entſteht ein Raum mit verdünnter Luft, der den Napf ſo feſt haften macht, daß man bei den Bemühungen, ein lebendes und friſches Tier frei zu bekommen, oft einzelne dieſer Organe abreißt, und daß, wenn eine Anzahl zugleich wirkt, das Tier eher den ganzen Arm als den ergriffenen Gegenſtand fahren läßt; bei manchen Gattungen werden ſie unterſtützt durch hornige Haken und Spitzen. „Die Bewegungen der Saugnäpfe“, ſagt Collmann, „beſtehen aber nicht nur im Feſt— halten und Loslaſſen, ſie ſtrecken ſich auch vor und a b ziehen ſich zurück, ohne daß eine Beute gefaßt wird. = Sie ſchließen ſich und haben dann das Ausſehen einer Knoſpe, und öffnen ſich wieder zur Hälfte oder ganz, auf der einen Seite mehr als auf der anderen, je nach der Laune des Tieres. Jeder Saugnapf hat, ausgerüſtet „ untertiefer, b) Obertiefer der Sepia Nat. Größe. mit einem beſonderen Muskelapparat und mit beſon— deren, nur für ſein Bereich beſtimmten Nerven, einen hohen Grad von Selbſtändigkeit. Wäh— rend die einen ſich feſtklammern, bleiben die übrigen frei.“ Die Arme ſtehen vollkommen ſymmetriſch, und man zählt ſie vom Rücken aus, indem man vom erſten, zweiten, dritten und vierten Paare ſpricht, welches letztere rechts und links neben der Mittellinie des Bauches ſich befindet. Am Grunde ſind die Arme durch eine Haut verbunden, die bei einigen Arten ſich ſogar bis zur Spitze der Arme erſtreckt. Dieſe Haut dient, wie es ſcheint, vorzugsweiſe dazu, über der von den Armen umſtrickten Beute eine allſeitig ſchließende Höhle zu bilden, in welcher das Opfer, während es von den Zähnen gefaßt wird, eher verenden muß. Breitet man die Arme auseinander, ſo kommt gerade in der Mitte ihres Kreiſes die von mehreren kreisrunden Lippen umgebene Mundöffnung zum Vorſchein. In ihr liegen die beiden ſchwarzbraunen Kiefer, dem Raubtiercharakter unſerer Tiere entſprechend, groß, feſt, ſpitz und ſcharf. Der Unterkiefer (Fig. à obiger Abbild.) iſt breiter und tritt mehr hervor als der Oberkiefer (Fig. b), der in der Ruhe und beim Kauen zwiſchen die Seiten— blätter jenes hineingleitet. Wir werden ſehen, wie die Tiere im ſtande ſind, damit den Kopf größerer Fiſche bis zum Gehirn zu durchnagen. Unterhalb des Kranzes der Arme iſt der Kopf an beiden Seiten und mehr nach dem Rücken zu kugelig aufgetrieben. Es iſt die Stelle, an welcher im Inneren eine Art von Hirnſchale und als unmittelbare Fort— ſetzungen derſelben die beiden napfförmigen, knorpeligen Augenkapſeln liegen. Dieſe Augen erſcheinen unverhältnismäßig groß und glänzen und funkeln mit unheimlichem Feuer. An der Rückenſeite des Rumpfes iſt für die allgemeine Beſchreibung nichts Auf— fälliges. An den Seiten trägt unſere Sepiola ein paar blattförmige, abgerundete Haut— lappen, Floſſen, welche ſowohl zur ſtetigen Fortbewegung als zur Regulierung der Haltung und Stellung dienen. Die Ausdehnung dieſer floſſenartigen Anhänge iſt bei den Gattungen ſehr verſchieden. Sie ſind am meiſten entwickelt bei denjenigen, deren Körper Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 17 258 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer. verlängert und zugeſpitzt iſt und wo ſie die Ecken und Seitenblätter einer pfeilförmigen Geſtalt bilden (Loligo). An der Unterſeite ſehen wir den freien Rand des Mantels, über welchen das ſich verſchmälernde Ende des ſogenannten Trichters (a, ſ. untenſtehende Ab⸗ bild.) hervorragt. Das Tier macht davon einen ſehr wichtigen Gebrauch. Indem es den Mantelſack mit Entfernung des Randes vom Leibe öffnet, läßt es Waſſer in den Grund desſelben eintreten. Darauf ſchließt es erſt die Mantelwand, wobei ein paar knorpelige Knöpfe desſelben in Vertiefungen der gegenüberliegenden Leibeswand paſſen (b), und preßt alles Waſſer mit großer Kraft und mit einem er Ruck in die weite, im Mantel verborgene EN Mündung des Trichters, ſo daß es in einem Strahle aus der engen Offnung des Trichters herausſchießen muß. Der Stoß reicht hin, um die ſchlankeren Arten der Kopffüßer mit pfeilartiger Geſchwindigkeit, das Hinterende voran, ſchwimmen zu laſſen. Wir haben uns bei dieſer Gelegenheit auch von der Lage der Atmungswerkzeuge, der Kiemen, zu über— zeugen. Zu dieſem Behuf iſt das freie Man— telblatt der Bauchſeite, wie im Bilde geſchehen, aufzuſchneiden und zur Seite zu legen. Wir ſehen dann ſeitlich in der offenen Höhle ein krauſes Organ (e), in welchem das Blut die Atmungsveränderungen erfährt. Wir verſtehen nun, was die Syſtematik meint, wenn ſie von Zweikiemern und Vier— kiemern ſpricht. Zu der erſten Abteilung gehört Sepiola. Außer dem Darmkanal mündet bei den meiſten Kopffüßern noch der Ausführungs— gang eines anderen wichtigen Organes in den Trichter, des Tintenbeutels, einer Drüſe, welche eine ſchwarzbraune Maſſe abſondert. Dieſelbe wird willkürlich entleert, und nur eine kleine Quantität gehört dazu, um das Tier in eine a Wolke zu hüllen, wodurch es den Augen feiner Verfolger urplötzlich entzogen wird. Es verſteht ſich, daß der Name der Tintenſchnecken, fälſchlich auch „Tintenfiſche“, hiervon herrührt. In der Malerei iſt der Stoff als „Sepia“ bekannt. Er iſt ſelbſt von vorweltlichen Arten erhalten. Selbſt noch an vielen Exemplaren, welche in den Muſeen in Weingeiſt aufbewahrt ſind, nimmt man eine feine violette und bräunliche Sprenkelung der Haut wahr. Allein dies gibt natürlich keine Idee von dem wunderbaren Farbenſpiel, welches die lebenden Tiere zeigen. Je nach den Zuſtänden, in welchen ſie ſich befinden, je nach der Beleuchtung, der ſie ausgeſetzt ſind, je nachdem ſie ſelbſt angreifen oder angegriffen und gereizt werden, ſind ſie einem fortwährenden Wechſel brillanter Färbungen unterworfen. Der im Grunde weißlich glänzende, an den dünneren Stellen transparente Körper kann in der Ruhe und Abſpannung ganz erbleicht ſein, mit einem bloß rötlichen, gelblichen oder violetten Schimmer. Plötzlich, bei einer neuen Erregung, ballt ſich da und dort eine Farbenwolke zuſammen, intenſiv braun oder violett im Zentrum, flockig und durchſichtiger an den Rändern. Die Sepiola Rondeletii von der Bauchſeite, der Mantel entfernt. Farbenſpiel und Lebensweiſe der Kopffüßer. 259 Farbenwolken und Farbenſtreifen fliegen über den Körper hin, vereinigen ſich, breiten ſich aus und ſind in der Regel mit einem allgemeinen Aufglitzern und blitzartigen Erglänzen und Iriſieren der geſamten Haut verbunden: man hat ein brillantes Ungewitter des Zornes und der nervöſen Aufregung vor ſich. Der mechaniſchen Urſachen dieſes ungemein ſchönen Farbenſpiels ſind zwei. In der Haut liegen Zellen, welche mit höchſt fein zer— teiltem Farbſtoff gefüllt ſind. Wenn die Zellen im Zuſtande der Ruhe durch die Elaſtizität ihrer Hülle das kleinſte Volumen angenommen haben, färbt der in kleine Klümpchen zu— ſammengezogene Farbſtoff die Oberfläche nur wenig. Durch zahlreiche, ſtrahlenförmig an die Zellen ſich anſetzende Muskelfaſern können dieſelben aber breit gezogen werden, mit ihnen die Farben. Zu dieſer Farbſtofffarbe kommen aber die Glanz- und Regenbogenfarben. Dieſelben werden durch feine, dicht übereinander liegende und unter den Farbzellen be— findliche Blättchen hervorgerufen nach phyſikaliſchen Geſetzen, welche die Lehre von der Interferenz des Lichtes erläutert. Von der Pracht dieſer Färbungen geben die Farben— lithographien von Verany eine annähernde Vorſtellung. Es erhellt, daß man eigentlich die Färbung der Kopffüßer nicht beſchreiben kann; doch herrſchen bei den einzelnen Arten gewiſſe Töne vor und zeichnen ſich dieſe vor jenen durch beſonderen Glanz, Zartheit oder Beweglichkeit der Farben aus. Erſt neuerdings, ſeit man in einigen größeren Aquarien auch Kopffüßer hält, iſt auch dem Publikum dieſes Schauſpiel geboten. Da wir bei der Schilderung der Arten auf die Lebensweiſe derſelben ſpezieller ein— gehen, ſo mögen hier nur noch wenige allgemeine Bemerkungen Platz finden. Die Kopf— füßer ſind ausſchließlich Meeresbewohner, wie ſie es zu allen Zeiten der Erde waren. Viele Arten leben geſellig, und gerade dieſe machen Wanderungen, wobei ſie ſich aus den tieferen Meeresgründen und dem hohen Meere den Küſten zu nähern pflegen. Verany hat jedoch darauf aufmerkſam gemacht, daß der Umſtand, daß man gewiſſe Arten nur in beſtimmten Monaten auf den Fiſchmärkten anträfe, nicht von ihrer Wanderung, ſondern von dem Gebrauch gewiſſer, nur in jenen Monaten zur Anwendung kommender Netze ab— hänge. Man erhält z. B. die Histioteuthis Rüppeli, welche in den größten Tiefen ſich aufhält, nur im Mai und September, wo man zum Fange eines Fiſches (des Sparus centrodontus) das Grundnetz in Tiefen von 2400 Fuß hinabläßt. Alle Kopffüßer ſind, wie wir ſchon erwähnten, räuberiſche Fleiſchfreſſer und vernichten eine Menge Fiſche, Krebſe, Schnecken und Muſcheln. Sie ſind ſogar ſo gefräßig, daß ſie ſich auf die an der Angel gefangenen Tiere ihres eignen Geſchlechtes ſtürzen und ſich mit ihnen an die Oberfläche ziehen und ergreifen laſſen. Den in der Nähe des Landes auf den Felſen und zwiſchen den Tangen herumkriechenden und auf Beute lauernden Arten dienen mancherlei fadenförmige Anhänge, welche ſie ſpielen laſſen, zur Anlockung ihrer Opfer. Glücklicherweiſe wird dieſer Schade dadurch ausgeglichen, daß eine Reihe ſehr wichtiger Tiere, z. B. mehrere Wale, der Pottwal, die Kabeljaus, faſt ausſchließlich oder vorzugs— weiſe von Kopffüßern leben, und daß mehrere Arten auch dem Menſchen als Nahrungs— mittel dienen. Sind die Cephalopoden die am höchſten organiſierten Weichtiere, ſo erreichen ſie auch die größte Kraft, Stärke und Länge. Die hierauf bezüglichen Angaben alter und neuer Zeit hat Keferſtein in ſeinem trefflichen Sammelwerk über die Mollusken geſichtet. „Seit alters“, ſagt er, „hat man geglaubt, daß es Cephalopoden von gewaltiger Größe gebe, die Menſchen und ſelbſt Schiffen gefährlich werden könnten, und die nordiſchen Sagen vom Kraken, nach dem Oken ſogar die ganze Klaſſe der Cephalopoden benannte, haben zuzeiten ſehr allgemeinen Eingang gefunden. In der neueren Zeit erwieſen ſich viele dieſer Angaben als Fabeln oder wenigſtens ohne wiſſenſchaftliche Begründung, und gegen die frühere Leichtgläubigkeit ſchlug man in das andere Extrem um, indem man den 17* 260 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer. Cephalopoden höchſtens eine Größe von 3—4 Fuß beilegen wollte. Jetzt weiß man allerdings, daß es gewaltige Rieſen unter unſeren Tieren gibt; doch hat man noch immer nur eine ſehr ungenügende Nachricht von ihnen und kann bei vielen derſelben nicht beſtimmen, ob dieſe Rieſencephalopoden bloß außerordentlich alte und darum ſo ſehr große Tiere ſind, wie es bei den Fiſchen iſt, die ebenſo wie die Bäume beſtändig wachſen, oder ob ſie be— ſonderen Arten angehören, welche uns ihres pelagiſchen (auf hohem Meere) Lebens wegen bisher und in den Jugendformen entgingen, ſtets aber, um zur Reife zu gelangen, dieſe Rieſengröße erreichen müſſen. Die erſtere Annahme ſcheint mir die wahrſcheinlichere und erklärt auch die Seltenheit dieſer Rieſentiere, indem nur wenige den zahlreichen Feinden entgehen und ein außerordentlich hohes Alter erreichen werden. Allerdings iſt damit noch nicht geſagt, daß das hohe Meer, namentlich in ſeinen Tiefen, nicht noch viele Arten von Cephalopoden birgt, von deren Daſein wir zur Zeit noch keinen Begriff haben, und die ſich durch gewaltige Größe auszeichnen können. „Schon Ariſtoteles erzählt von einem Loligo, der 5 Ellen lang war, und Plinius erwähnt die Angaben des Trebius Niger, nach denen zu Carteja ein Rieſenpolyp des Nachts an die Küſte kam, um die Fiſchbehälter zu plündern, und der die Hunde durch ſein Geſchnaube und ſeine Arme verjagte. Der Kopf dieſes Tieres, den man Lucull zeigte, war jo groß wie ein Faß von 15 Amphoren, und ſeine Arme, die ein Mann kaum umklaftern konnte, maßen 30 Fuß in der Länge und trugen Vertiefungen (Saugnäpfe), die eine Urne Waſſer faßten. Von dem größten Cephalopoden, dem ſogenannten Kraken, wird uns aber aus Norwegen berichtet, zuerſt von Olaus Magnus, dann vom Biſchof Pontoppidan. Nach dem letzteren bemerken die Fiſcher beim Fiſchfang einen großen Reichtum von Fiſchen, dann aber auch, daß die Tiefe beſtändig abnimmt, ſie fliehen, denn es naht der Kraken. Dann erhebt ſich aus der Flut, erzählt er, ein breites, unebenes Feld von einer halben Stunde im Durchmeſſer, welches nicht ſelten 30 Fuß über die Oberfläche ſteigt. In den Vertiefungen, welche die Unebenheiten des Felsrückens bilden, iſt Waſſer zurückgeblieben, in dieſem ſieht man Fiſche ſpringen. Nach und nach entwickeln ſich die Hügel und Berge dieſer Inſel zu immer ſteilerer Höhe. Von innen heraus, wie die Fühlhörner einer Schnecke, ſteigen Arme empor, ſtärker als der ſtärkſte Maſtbaum des größten Schiffes, mächtig genug, um einen 100 Kanonen führenden Koloß zu erfaſſen und in den Abgrund zu ziehen. Sie dehnen ſich nach allen Seiten aus, ſpielen gleichſam miteinander, neigen ſich zur Waſſer— fläche, richten ſich wieder empor und haben alle Beweglichkeit der Arme eines jeden anderen Polypen. Ein Junges dieſes Rieſentieres hatte ſich 1680 in Nordland in Norwegen, wie es Friis beſchreibt, zwiſchen die Felſen eines engen Fjords eingeklemmt. Der un— geheure Körper, berichtet er, füllte die Bucht ganz aus, die Arme waren um Felſen und Bäume geſchlungen, hatten dieſelben entwurzelt und ſich an dem unzerſtörbaren Geſtein ſo feſtgehangen, daß man ſie auf keine Weiſe löſen konnte. „Die meiſten Angaben über dieſe Rieſenpolypen findet man in Montforts Natur: geſchichte der Mollusken. Dort wird von einem ſolchen Seeungeheuer erzählt, das an der Küſte von Angola ein Schiff an der Takelage mit ſeinen Armen in den Grund zu ziehen drohte und der glücklich geretteten Mannſchaft Veranlaſſung gab, ihre höchſte Not auf einem Votivgemälde in der St. Thomaskapelle in St. Malo darſtellen zu laſſen. Ferner erzählt Montfort nach den Angaben des Schiffskapitäns Major Dens von einem Polypen, der in der Nähe von St. Helena mit ſeinen Armen ein Paar Matroſen von einem Gerüſt am Schiffe herabholte, und von dem eine in die Takelage verwirrte Spitze eines Armes ab— gehauen 25 Fuß maß und mehrere Reihen Saugnäpfe trug. „Einem ähnlich großen Tiere muß der Arm angehört haben, der von einem Walfiſch— fänger in der Südſee aus dem Rachen eines Kachelots genommen ſein und der 23 Fuß Vorkommen der Kopffüßer in alter und neuerer Zeit. 261 Länge gehabt haben ſoll. Aber es wurde dieſen und anderen Angaben ſo wenig Wert beigemeſſen, daß man in der Wiſſenſchaft alle Angaben von Tintenfiſchen über ein paar Fuß Größe, welche dieſe Tiere im Mittelmeer oft erreichen, für Fabeln erklärte. „Später wurden durch Steenſtrup die Erzählungen über Rieſentintenfiſche teilweiſe wieder zu Ehren gebracht, indem er die 1639 und 1790 an der isländiſchen Küſte ge— ſtrandeten Seeungeheuer, von denen das letztere einen 3/ Faden langen Körper und 3 Faden lange Arme gehabt haben ſoll, mit Sicherheit als Cephalopoden deutet und den 1546 im Sunde gefangenen ſogenannten Seemönch von 8 Fuß Länge in derſelben Weiſe auffaßt. Später erhielt Steenſtrup ſelbſt Reſte eines Rieſentintenfiſches, der 1853 in Jütland geſtrandet war, deſſen Kopf ſich ſo groß wie ein Kinderkopf zeigte und deſſen hornige Rücken— ſchale 6 Fuß maß. Von Reſten ähnlicher großer Tintenfiſche aus den Muſeen in Utrecht und Amſterdam berichtet dann 1860 Harting genauer. Die merkwürdigſte und neueſte Nachricht über einen rieſenhaften Tintenfiſch verdankt man dem Kapitän Bouyer von dem fran— zöſiſchen Aviſo Alecton, welcher das Tier am 30. November 1861 in der Nähe von Teneriffa beobachtete. Der Aviſo traf zwiſchen Madeira und Teneriffa einen rieſenhaften Polypen, der an der Oberfläche des Waſſers ſchwamm. Das Tier maß 5—6 m an Länge, ohne die acht furchtbaren, mit Saugnäpfen verſehenen Arme. Seine Farbe war ziegelrot; ſeine Augen waren ungeheuer und zeigten eine erſchreckende Starrheit. Das Gewicht ſeines ſpindel— förmigen, in der Mitte ſeh angeſchwollenen Körpers mußte an 2000 kg betragen, und ſeine am Hinterende befindlichen Floſſen waren abgerundet und von ſehr großem Volumen. Man ſuchte das Tier an einer Tauſchlinge zu fangen und durch Schüſſe zu töten, doch wagte der Kapitän nicht, das Leben ſeiner Mannſchaft dadurch zu gefährden, daß er ein Boot aus— ſetzen ließ, welches das Ungeheuer mit ſeinen furchtbaren Armen leicht hätte entern können. Nach dreiſtündiger Jagd erhielt man nur Teile vom Hinterende des Tieres. Wenn alſo die neueren Beobachtungen auch nichts von den Sagen des Kraken beſtätigt haben, ſo haben ſie uns doch ſichere Kunde über rieſenhafte Cephalopoden geliefert, die, 20 Fuß und darüber lang, ſelbſt Menſchen und kleinen Schiffen gefährlich werden können.“ Noch in der neueſten Zeit, 1874— 75, find an der Oſtküſte von Nordamerika Calmare gefangen worden, deren Arme 9, reſpektive 10 m maßen. Gegenwärtig ſind gegen 2200 Arten von Kopffüßern bekannt, von denen jedoch nur etwa 240 der jetzigen Lebewelt angehören. Erſte Ordnung. Die Zweikiemer (Dibranchiata). Wir haben oben einen Zweikiemer zum Ausgangspunkt unſerer Darſtellung gewählt und verſtehen darunter alſo ſolche Cephalopoden, deren um den Mund im Kreiſe geſtellte Arme Saugnäpfe tragen, und in deren Mantelhöhle zwei Kiemen, eine rechte und eine linke, ſich befinden. Alle ſind mit einem Tintenbeutel verſehen. Die übergroße Mehrzahl der jetzt lebenden Arten, nämlich 212, gehört dieſer Abteilung an, welche ihrem geologiſchen Erſcheinen nach auch die viel jüngere iſt. Die folgenden Schilderungen ſind vorzugsweiſe aus Veranys Prachtwerk geſchöpft, ergänzt durch unſere eignen und durch Collmanns Beobachtungen, die wir an den leben— den Tieren im Aquarium der zoologiſchen Station in Neapel ſammelten. 262 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erfie Ordnung: Zweikiemer. Die eine Gruppe umfaßt die achtfüßigen Cephalopoden. Sie haben faſt alle einen beutelförmigen Rumpf und tragen acht Arme. Nie befindet ſich im Rücken des Mantels eine Schalenabſonderung. Die meiſten Achtfüßer (Oktopoden) leben in der Nähe des Geſtades und kriechen und gehen mehr, als ſie ſchwimmen. Ihr gewöhnlicher Aufenthalt ſind Fels— löcher und Spalten, von wo aus ſie auf Beute ſpähen. Sie können nach allen Richtungen hin kriechen, lieben jedoch die Bewegung nach der Seite am meiſten. Dabei breiten ſie die Arme aus, erheben den Kopf, neigen den Körper etwas auf das vierte Armpaar und wenden die Offnung des Trichters auf eine Seite. Sie vollführen die Seitenbewegung vorzugsweiſe mit den beiden mittleren Armpaaren, während die oberen und unteren Arme nur beiläufig, wie es gerade das Terrain erfordert, gebraucht werden. Sie kommen dabei ſowohl im wie außer dem Waſſer ziemlich ſchnell von der Stelle. Von ſelbſt verlaſſen ſie zwar nie ihr Element, doch können einzelne Arten ſtundenlang außer dem Waſſer leben. Ihr Inſtinkt, das Meer wiederzugewinnen, wenn ſie eine Strecke weit ins Land gebracht worden ſind, it bewunderungswürdig; auch ohne das Waſſer zu ſehen, gehen fie über Steindämme in gerader Linie darauf los. Noch heute werden an den italieniſchen Küſten ein paar Gattungen, Octopus und Eledone, mit dem Namen bezeichnet, der ihnen ſchon von den Griechen und Römern bei— gelegt wurde, Polpo, Poulpe („Vielfuß“). Wir gebrauchen jedoch den guten nordiſchen und deutſchen, mit der Volksüberlieferung verbundenen Namen Krake. Die meiſten Arten von Octopus haben einen beutelförmigen abgerundeten Körper, und ihre gleich oder ſehr ungleich langen Arme ſind auf der Innenſeite mit zwei Reihen von Saugnäpfen beſetzt. Die gemeinſte, am weiteſten verbreitete Art, welche auch die größten Dimenſionen erreicht, iſt der gemeine Krake (Octopus vulgaris, ſ. Abbild. ©. 263), von weißgrauer Farbe, die im Zuſtande der Aufregung in braune, rote und gelbe Tinten übergeht. Dabei bedeckt ſich die ganze obere Seite des Körpers mit warzigen Hervorragungen. Das wichtigſte Artzeichen ſind drei große Fühler auf jedem Augapfel. Seine Verbreitung erſtreckt ſich nicht bloß über das ganze Mittelmeer, er kommt auch an allen Küſten des Atlantiſchen Ozeans, an den weſt- und oſtindiſchen Inſeln und bei Ile de France vor. Er hält ſich auf felſigem Grunde auf und verbirgt ſich gewöhnlich in Löchern und Spalten, in welche ſein geſchmeidiger und elaſtiſcher Körper mit Leichtigkeit eindringt. Dort lauert er auf die Tiere, von denen er ſich nährt. Sobald er ſie bemerkt, verläßt er vorſichtig ſein Verſteck, ſtürzt ſich pfeilgeſchwind auf ſein Opfer, umſtrickt es mit den Armen und hält es mit den Saugnäpfen feſt. Er ſchwimmt auf ſeine Beute los, mit dem Hinterteil voran; unmittelbar davor dreht er ſich mit einer Geſchwindigkeit, die man kaum mit den Augen verfolgen kann, um und öffnet die Arme zum Umklammern. Mitunter ſchlägt er ſeinen Wohnſitz in einiger Entfernung vom felſigen Terrain auf Sandgrund auf und richtet ſich dann ein Verſteck her. Er ſchleppt mit Hilfe der Arme und Saugnäpfe Steine zuſammen und häuft ſie zu einem Krater an, in welchem er hockt und geduldig auf das Vorübergehen eines Fiſches oder Krebſes wartet, deſſen er ſich geſchickt bemächtigt. Verany hat mehrere ſolcher Wegelagerer bei Villafranca beobachtet, und ſehr leicht und bequem kann man ſich über dieſe Verhältniſſe und Gewohn— heiten im Aquarium in Neapel unterrichten, von wo uns meine Zeichnerin ein ſehr charakte— riſtiſches Bild gibt. Wir laſſen Collmann reden. „Einer der Kraken im Aquarium hatte ſich aus den in den Waſſerſtuben umherliegenden Steinen ebenfalls ein Verſteck gebaut; es glich einem Neſte, die Offnung war nach oben gekehrt. Der Steinhügel befand ſich dem Fenſter des Baſſins zunächſt. Die Größe der Steine wechſelte von der eines Apfels bis zu der eines anſehnlichen Pflaſterſteines von ungefähr 15 em in der Diagonale. In dieſem Neſte war der Körper des Tieres meiſt ganz verborgen, nur der Kopf ragte hervor, die Gemeiner Krake. 263 Gemeiner Krake (Octopus vulgaris). Kleines Exemplar. Arme lagen wie ein Kranz von Schlangen über der Offnung. Dieſes Lager ſchien dem Tiere äußerſt behaglich; ich habe nur einmal geſehen, daß es verlaſſen wurde, als ein Teil 964 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erſte Ordnung: Zweikiemer. der Steine weggenommen worden war. Da ſtieg der Krake zornig heraus, um ſie aufs neue zuſammenzufügen. Man hatte die teilweiſe Zerſtörung deshalb vornehmen laſſen, um zu ſehen, wie dieſer weiche, knochenloſe Molluske ſchwere Steine herbeiſchleppe, und hatte namentlich einige der großen Steine in die Mitte der anſtoßenden Waſſerſtube, alſo ziemlich ſeitwärts, gelegt. Das Tier ging, ſobald die Zerſtörer ſich entfernt hatten, an die Arbeit. Es umklammerte jeden Stein, als wollte es ihn verſchlingen, drückte ihn feſt an ſich, ſo daß er zwiſchen den Armen beinahe verſchwand. Nachdem er eine hinreichend feſte Lage zu haben ſchien, löſten ſich ein paar Arme, ſtemmten ſich gegen den Boden und drückten den Körper ſamt ſeiner Laſt zurück. Fauſtgroße Steine wurden ſchnell und ohne viele An— ſtrengung fortgebracht. Die größeren erforderten ein anderes Verfahren. Sie wurden an der ſchmalſten Ecke gefaßt und gegen die Mundöffnung gedrückt. Gleichzeitig ſchob ſich der Körper unter die Laſt, um den Felsblock, denn ſo erſchien er zur Größe des Tieres, in die Unterſtützungslinie zu bringen. Er wurde emporgehoben und balanciert. War das Gleich— gewicht endlich hergeſtellt, dann löſten ſich wieder ein paar Arme und drückten die unförm⸗ liche Maſſe von Stein und Tier weiter.“ Im Sommer nähern ſich die Jungen auch den mit Rollſteinen bedeckten Ufern, und mitunter begegnet man ihnen auch auf Schlammgrund. Man fiſcht ſie gewöhnlich mit der Schnur, aber ohne Angelhaken, indem man an deſſen Stelle irgend einen auffallenden, weißen Köder, beſchwert mit einem Steinchen, bindet. Der Fiſcher hält in jeder Hand eine Leine und zieht fie langſam über den ſeichteren Steingrund. Der Octopus hat den Köder kaum bemerkt, ſo ſtürzt er ſich darauf und läßt ſich langſam an die Oberfläche ziehen, von wo er mit einem kleinen Netze in das Boot genommen wird. Die größten Exemplare pflegen aber die Fiſcher zu fangen, welche des Nachts beim Schein der Kienfackel der Jagd auf allerhand Getier obliegen, wie ich eine ſolche Szene früher von der dalmatiſchen Küſte be⸗ ſchrieben habe In Nizza, wo die jungen Oktopoden ſich im Sommer dem aus Rollſteinen beſtehenden Strande nähern, war ich auch Zeuge einer anderen Fangart. An der mit einem Blei beſchwerten Schnur iſt ein mit mehreren Angelhaken beſpickter Kork, den man mit einem Stück zerfaſerten roten Tuches bedeckt. Man wirft die Schnur möglichſt weit und zieht ſie gemächlich zu Land. Der Octopus fällt darüber her und wird durch ein ſchnelles Anziehen, wenn man ihn bemerkt, in der Regel feſt gemacht. Betteljungen und Reiche liegen an ſchönen Sommerabenden dieſem Sport ob. Da die Tiere, wenn ſie aus dem Waſſer genommen ſind, längere Zeit ſehr behende und lebendig bleiben und geſchickt zu entweichen ſuchen, ſo muß man ſie auf der Stelle töten. Den kleineren beißt der Fiſcher den Kopf entzwei, den großen nimmt er durch einen Meſſerſtich das Leben. Die Jungen geben eine leckere Speiſe; die älteren und größeren, über 1 Pfund wiegenden Tiere be— kommen aber ein zähes Fleiſch, welchem das der Sepia und des Calmars weit vorgezogen wird. Das größte Exemplar, welches bei Nizza von einem Fiſcher mit außerordentlicher Anſtrengung bewältigt wurde, war ungefähr 3 m lang und wog 50 Pfund. Exemplare von 30 Pfund ſind nicht ſelten. Wie geſagt, nähern ſich beſonders die jüngeren Tiere der Küſte, ſo daß ſie auch unter den bei der Ebbe frei werdenden Steinen zurückbleiben. Grube beſchreibt den Fang der— ſelben bei St. Malo. „Während ich, von einem der Bootsleute unterſtützt, ohne beſonderen Erfolg Blöcke umwälzte, konnte ſich der andere nicht verſagen, umherzuſtreichen, um Poulpen nachzuſpüren. Ich ſelbſt überraſchte einen ſolchen Oktopoden, der ſich verſteckt hatte, deſſen Arme jedoch noch teilweiſe unter dem Felsſtücke hervorragten. Aber wie arg wurde ihm mitgeſpielt! Raſch ergriffen und vom Boden geriſſen, dem er ſich mit aller Gewalt anzu— klammern ſuchte, ward er von meinem Gefährten mit wahrer Wut auf den Felſen ge— ſchleudert, drei-, viermal, bis er ſich kaum noch regte, dann ſein Körperſack umgewendet, Fang der Kraken und ihr Verhalten in der Gefangenschaft, 265 daß die Kiemen nach außen zu liegen kamen, alles Eingeweide ausgeſchnitten, der Leib durchbohrt und ſo auf einem ſpitzigen Stock den ſchon erbeuteten Exemplaren angereiht. In der Zeit der Ebbe ſieht man einen Mann wohl 4 s ſolcher Tintenfiſche fangen; doch ſcheinen ſie hier mehr als Köder für die Angelſchnur, als wie in Italien zum Eſſen zu dienen.“ Über das Verhalten des Octopus vulgaris im großen Aquarium in Arcachon an der franzöſiſchen Küſte hat Fiſcher ſehr intereſſante Beobachtungen veröffentlicht. Im Sommer 1867 befanden ſich ſieben Stück im Aquarium und in den Abteilungen der großen Fiſchbehälter, wo man für jeden aus den Felsſtücken eine Höhle ausgeſchnitten hatte. Sie nahmen davon Beſitz. Wenn einer ſein Verſteck verließ und das von einem anderen mit Beſchlag belegte Loch unterſuchen wollte, nahm der letztere es ſehr übel, wechſelte die Farbe und ſuchte mit einem der Arme des zweiten Paares den Eintritt zu verhindern. Es kam jedoch nie zu einem ernſteren Kampfe. Das zweite Armpaar, das längſte, wird beſonders zum Angriff oder zur Verteidigung gebraucht, mit den Armen des erſten Paares unterſucht und taſtet das Tier. Über Tag bewegen ſich die Oktopoden wenig; mitunter aber führen fie ein ſehr, eigentümliches Manöver aus, indem ſie ihre Arme heftig im Kreiſe ſchütteln, wodurch ſie ſich einrollen und verflechten. Die Farbenveränderungen traten, wie es ſchien, zeitweiſe, ohne ganz beſondere Ver— anlaſſungen, auf. Einmal ſah der Beobachter, wie ein Octopus auf der ganzen einen Seite des Körpers und Kopfes intenſiv braunrot wurde, während die andere Hälfte grau blieb. Die ſehr gefräßigen Gefangenen füttert man mit Muſcheln, indem man ihnen täglich ein beſtimmtes Maß der eßbaren Herzmuſchel (Cardium edule) vorlegt. Sie bemächtigten ſich derſelben und führten ſie zum Munde, indem ſie dieſelben mit den Armen und der zwiſchen ihnen ausgeſpannten Haut verbargen. Nach unbeſtimmter Zeit, längſtens nach einer Stunde, warfen ſie die geöffneten und entleerten Muſchelſchalen wieder von ſich; die Schalen waren völlig unbeſchädigt. Da die Herzmuſcheln nicht vollkommen ſchließen, ſo war die Möglichkeit vorhanden, daß ſie nach und nach ausgeſogen werden konnten. Um ſich hierüber Gewißheit zu verſchaffen, reichte Fiſcher den Oktopoden eine andere Muſchel, einen großen Pectunculus, welcher äußerſt feſt und hermetiſch ſchließt. Die Oktopoden benahmen ſich damit wie mit den Herzmuſcheln, und nach drei Viertelſtunden waren auch die Pektunkeln entleert und die Schalen unbeſchädigt. Da hiermit alſo nicht zum Ziel zu kommen war, wurde nun den Oktopoden ihre Lieblingsnahrung, Krabben, vorgelegt. Sobald der Octopus die Krabbe (den Carcinus maenas) ſich ſeiner Höhle nähern ſieht, ſtürzt er ſich über fie und bedeckt ſie vollſtändig mit den ausgebreiteten Armen und der Armhaut. Die Arme ſtrecken ſich um das Opfer, ſo daß es ſich nicht verteidigen kann. Etwa eine Minute lang ſucht der unglückliche Krebs ſeine eingebogenen Beine zu bewegen, dann wird er ganz ruhig und der Octopus ſchleppt ihn in ſein Verſteck. Man ſieht dann durch die Armhaut hindurch, daß die Krabbe in verſchiedene Lagen gebracht wird, und nach einer Stunde iſt die Mahlzeit beendet. Der Rückenpanzer iſt leer und von den an dem Bruſtſtück haftenden Eingeweiden getrennt; die Beine ſind faſt alle am Grunde abgebrochen; die Beinmuskeln und ein Teil der Eingeweide ſind verzehrt, aber kein Teil des Hautſkeletts verletzt. Wie denn eigentlich der Octopus ſeine Beute tötet, wurde auch durch die Fütterung mit Krabben nicht klar. Nach der Mahlzeit wirft er, wie geſagt, die Reſte vor ſeine Wohnung und bedeckt zum Teil den Eingang damit, indem er ſie mit den Saugnäpfen heranzieht. Nur die Augen ragen über dieſen Schutzwall hervor und ſpähen auf neue Beute. Die Heftigkeit und Geſchwindigkeit, womit die Octopus ihre Opfer ergreifen und an ſich reißen, der Wechſel der Farbe während des Angriffs, die Warzen, welche auf der Haut erſcheinen, verleihen dieſen Tieren ein wahrhaft wildes Ausſehen. Wenn ſie jedoch geſättigt ſind, laſſen ſie die Krabben neben ſich herumgehen und ſich ſogar von ihnen berühren. 266 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erfte Ordnung: Zweikiemer. Dieſe im Gegenteil ſind offenbar in Schrecken und haben ihre gewöhnliche Keckheit ein— gebüßt; es ſcheint, als ob ſie ſich in ihr Schickſal ergeben und als ob ſie unter jenem Zauber— bann ſtänden, welcher kleinere Tiere ihren Feinden gegenüber beſtrickt. Eine höchſt lebendige Schilderung des gemeinen Octopus oder Kraken nach den Exem— plaren des Neapolitaner Aquariums hat uns Collmann gegeben: „Ich war ſehr begierig, die Natur dieſer Tiere kennen zu lernen. Steckt wirklich (nach den Sagen vom Kraken) etwas Wildes, Kühnes, Raubgieriges in ihrem Weſen, haben ſie wirklich etwas von der Natur des Tigers? Oder iſt das gerade Gegenteil der Fall? Ich geſtehe, ich war geneigt, das letztere anzunehmen, denn der weiche Leib und namentlich der Anblick der toten Tiere beſtärkte meinen Skeptizismus. Der friſch getötete Krake, der, im Korbe oder an der Erde liegend, zum Verkauf angeboten wird, macht nicht den geringſten Eindruck. Der Leib iſt glatt und die Arme liegen in weichen Biegungen ineinander verſchlungen. Sie ſcheinen ganz und gar ungefährlich. Aber durch die Beobachtung der lebenden Tiere iſt meine Geringſchätzung völlig in das Gegenteil umgeſchlagen. Ja, in der That, ſie ſind vielleicht die kampfluſtigſten und mutigſten Tiere, die Waſſer atmen; kühn, ſchnell und verwegen im Angriff, von einer überraſchenden Vielſeitigkeit der Bewegungen und von einer Rieſenkraft in ihren weichen, knochenloſen Armen. „Ich will eine jener Geſchichten erzählen, die ich vor den Waſſerſtuben des Aquariums erlebt habe. Es war ein großer Hummer zu den Kraken aus einem anderen Baſſin geſetzt worden. Er kam gleichſam in die Verbannung. Vorher hatte er ſich in dem größten Baſſin des Aquariums befunden, aber durch einen abſcheulichen Mord, freilich begangen im Zu— ſtande der Notwehr, ſich die Ungnade der Aufſichtsbehörde zugezogen. In jenem großen Baſſin befanden ſich neben Haien, Zitterrochen und anderen auch vier prächtige Exemplare von Seeſchildkröten. Die Seeſchildkröten lieben Auſtern und Hummer in hohem Grade; die eine, von der Größe eines Tellers, ſchien Appetit zu verſpüren nach jenem Hummer, ſie hatte, vielleicht noch unerfahren, die Waffen des Kruſters entſchieden unterſchätzt. Der Kopf der Schildkröte wurde von der einen Schere des Hummers erfaßt und buchſtäblich zerdrückt. Nun weiß jeder, daß der Schädel dieſer Tiere ein ſehr feſtes Knochengerüſt beſitzt, und man kann daraus entnehmen, wie groß die Kraft in den Scheren dieſer Tiere iſt. Unſer Hummer war freilich auch ein koloſſales Exemplar, aber trotzdem bleibt die Art der mit Erfolg gekrönten Notwehr eine reſpektable Leiſtung ſeiner Scheren. „Dieſer Hummer wurde in die Behauſung der Kraken geſetzt. Der Eindringling ward mit der größten Aufmerkſamkeit betrachtet und dann in weitem Bogen umkreiſt. Dabei verriet das ganze Weſen der Tiere etwas Herausforderndes. Vorſichtig, als ob ſie einen Feind beſchleichen wollten, näherten ſie ſich, ſchwangen dann die Füße über ihn, wie Peitſchen, und gingen, wenn er den knochenharten Bruſtſchild oder die gewaltigen Zangen wies, aller— dings zögernd zurück. „Nach und nach legte ſich die Aufregung, aber ein Krake ſuchte immer näher zu kommen. Auch er ſchien ſich endlich eines anderen zu beſinnen und verhielt ſich voll— kommen teilnahmlos. Der Hummer zog ſich etwas zurück und überließ ſich einer beſchau— lichen Ruhe, leider zu früh: im nächſten Augenblick war er ſchon von dem Kraken gefaßt, umklammert, feſtgeſchnürt und völlig wehrlos. Da, in demſelben Moment, ſprang der Wärter herbei, packte den Knäuel, der recht wütenden Schlangen glich, und befreite den Hummer wieder. „Der Diener, ein Vollblutneapolitaner, behauptete mit der größten Beſtimmtheit, be— gleitet von der lebhafteſten Mimik, jenen graziöſen Geſten und rhetoriſchen Phraſen, welche vor allem den Süditaliener charakteriſieren, der Krake hätte jedenfalls den Hummer zer— riſſen, wenn er nicht rettend eingeſprungen wäre. Ich hatte aber meine Vorurteile über dieſe Kraken, dieſe weichen, durchſichtigen, beinahe gallertigen Maſſen: ſie ſchienen mir Kampf des Kraken mit einem Hummer. 267 einmal nicht gefährlich. Trotz der Sagen über die Gefährlichkeit dieſer Tiere und des eben beobachteten Kampfſpieles blieb ich ungläubig, obwohl der Wärter die haarſträubendſten Dinge zu berichten wußte. Um den weiteren Verlauf zu beobachten, kehrte ich öfters zu Krake, in ſeinem Steinneſt lauernd. dem Baſſin zurück. Schon nach einer Stunde ſchien mir bei einem der Kraken wieder die Kampfluſt zu erwachen, und in der That, bald darauf geſchah ein neuer Angriff. Leider ließ ſich nicht konſtatieren, ob derſelbe es war, der den Kampf erneuerte — gleichviel, es wurde gekämpft. Ich war zufällig allein im Aquarium und hütete mich, in den Kampf einzugreifen. Mich intereſſierte die Art des Kampfes und das Ende desſelben; welchen von dieſen ſeltſamen Gladiatoren das Geſchick vernichtete, war mir völlig gleichgültig. Wieder wie das letzte Mal ſah ich die Füße des Kraken mit krampfhaften Windungen den Hummer umſchließen, dort löſte ſich einer, um an einer anderen Stelle helfend den übrigen beizuſtehen. Alles ſchien Krake, vom Hummer waren nur kleine Partien ſichtbar. Die Kämpfenden rollten am Grunde umher und wühlten den Kies auf; plötzlich löſte ſich der 268 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erſte Ordnung: Zweikiemer. Knäuel und der Krake fuhr quer durch das Waſſer, den Krebs mit ſich ſchleppend, aber nicht als Sieger. Der Krebs hatte einen Fuß des Kraken tief am Anſatze beim Kopfe ge— faßt und ſich feſtgeklemmt. Ich fürchtete, es würde ſofort zu einer Amputation kommen, denn der Hummer preßte ſeine Zange zuſammen, daß der Arm ſchon völlig abgeſchnürt erſchien. Aber zu meiner Überraſchung hielt die derbe, an Elaftizität dem Kautſchuk ähn— liche Subſtanz des Fußes den furchtbaren Druck aus. Unterdeſſen ſchwamm der Krake, von Schmerz gepeinigt, hin und her und ſuchte den Gegner von ſich zu ſchleudern. Der Hummer flog bei den ſchnellen Wendungen ein paarmal gegen die Steine, aus denen die Wände felſenhöhlenartig gefügt ſind, und das bewog ihn, ſchließlich ſeine Beißzange zu öffnen. Darauf zogen ſich beide nach verſchiedenen Ecken des Baſſins zurück. Der Krebs ſaß ruhig beobachtend in einem dunkeln Winkel, der Krake klammerte ſich an einen der ſteinigen Vorſprünge und begann das nie ruhende Spiel mit ſeinen Füßen, die ſich bald zuſammenrollen oder, langſam ausgreifend, bald hier, bald dorthin taſten. „Selbſt der tief eingeſchnürte Fuß, der von dem Drucke der Scheren gepackt war, be— wegte ſich, zu meiner Überraſchung. Ich hatte, analog der Natur eines Wirbeltieres, völlige Lähmung erwartet. Aber es war keine Spur davon zu bemerken. Dieſe Organismen haben ſehr merkwürdige Eigenſchaften an ihren Blutgefäßen, welche den höheren Tieren vollkommen in dieſem Grade mangeln. Jeder Teil des Gefäßſyſtems iſt nämlich kontraktil, ſo daß auch ohne Herz dennoch ein Kreislauf der Säfte möglich iſt. Aus dieſer Beſchaffen— heit läßt es ſich allein erklären, daß ſchon nach wenigen Tagen jede Spur des Kampfes verſchwunden war. „Die Art, wie übrigens der Kampf von dem Kraken aufgenommen, und die Behen— digkeit, mit welcher er trotz des nachteiligen Ausganges geführt worden war, hatte doch meine frühere geringſchätzende Anſicht etwas geändert. Ich konnte vor allem dem Mute der Tiere meine Anerkennung nicht verſagen, und dann war die Schnelligkeit der Be— wegungen doch höchſt anerkennenswert geweſen. Unterdeſſen dauerte der Krieg gegen den Fremdling beſtändig fort; der Wärter war in den nächſten Tagen wiederholt eingeſprungen und hatte die Kämpfenden voneinander getrennt. Es kämpfte immer nur ein Krake, die übrigen verhielten ſich vollkommen paſſiv; aber einmal gelang die Trennung erſt, nad) dem der Hummer die eine ſeiner Scheren verloren. „Um der beſtändigen Verfolgung ein Ende zu machen, wurde der Hummer in das zunächſt anſtoßende Baſſin gebracht. Es iſt von den beiden vorhergehenden, zwiſchen denen ein Einſchnitt in der Wand ein weites Thor offen läßt, durch eine ſolide Zementmauer getrennt, welche ungefähr 2 em über den Waſſerſpiegel hervorragt. Die Hoffnung, den Krebs hier einmal vor den raufluſtigen Kraken zu ſchützen, war eitel. Noch im Laufe des Tages ſetzte einer von ihnen über die Mauer, attakierte den arglos daſitzenden Hummer und riß ihn nach kurzem Kampfe buchſtäblich in der Mitte entzwei. Der Überfall war ge— lungen, und in kaum 40 Sekunden hatte der Sieger nicht allein den Kampf aufgenommen und vollendet, ſondern ſich auch ſchon daran gemacht, den Feind zu verzehren. „Mir war dieſes Benehmen des Kraken im höchſten Grade intereſſant. Dieſer letzte Akt des Kampfes zeigte eine weit über den Inſtinkt hinausreichende Thätigkeit des Gehirns, er zeigte Intellekt. Der Krake hatte vielleicht geſehen, daß der Hummer von dem Wärter in das nächſte Baſſin geſetzt worden war, oder er hatte durch das zirkulierende Waſſer Witterung von der nahen Beute erhalten, gleichviel, der Krake ſchließt von einem Sinnes— eindrucke auf eine Beute, die er nicht ſieht, und führt endlich einen Sprung durch die Luft nach jener Richtung hin aus. Auf eine ſichtbare Beute zu ſtürzen, wäre ein Akt des Inſtinktes, aber auf einen Feind loszuſtürzen, der nicht im Geſichtskreis iſt, und unter den eben erwähnten erſchwerenden Umſtänden, ſcheint mir unzweifelhaft mehr, iſt unzweifelhaft Intellekt. Eigenſchaften der Kraken. 269 „Um dieſe Erſcheinung richtig zu würdigen, kommt jedoch noch Folgendes in Betracht. Seit der Eröffnung des Aquariums leben die Kraken mit zwei Hummern zuſammen und ſtehen mit ihnen auf ganz gutem Fuße. Sie zeigen ſich gegen dieſe alten Stubengenoſſen alſo verträglich, ebenſo gegen einige kleine Fiſche, die in jener erſten Zeit zu Mitbewohnern wurden. Der dritte Hummer hat auf ſie nun einen entſchieden anderen Eindruck gemacht; er erſchien als Eindringling, und jeder neue Mitbewerber, der ihnen Luft und Raum ſtreitig machen will, erregt ihren Zorn und ihren tödlichen Haß. Sie verhalten ſich gegen jedes Tier genau ebenſo wie gegen dieſen Hummer, und wäre es ſelbſt der nächſte Verwandte. Während meines Aufenthaltes wollte man die beiden Waſſerſtuben noch mit mehreren Kraken, alſo mit Individuen derſelben Spezies, bevölkern, aber der Verſuch mißlang voll— ſtändig. Jeder wurde erwürgt und aufgezehrt. Und in jedem Kampfe, den die älteren Hausbewohner ſelbſt mit überlegenen Gegnern aufnahmen, blieben ſie Sieger. Der Ein— dringling iſt den bereits ſeßhaften Tieren gegenüber immer im Nachteil, immer in der ungünſtigſten Lage. Sie ſind die Herren des Schauplatzes, mutig, unternehmend, durch die wiederholten Erfolge nur um ſo verwegener, und kennen vollkommen das Terrain; der Ankömmling findet ſich allein in fremdem Gebiete zahlreichen Angreifern gegenüber, deren Art des Kampfes ihm völlig neu iſt. Naturgemäß iſt er deshalb ängſtlich, zieht ſich zurück und iſt ſtets mehr auf Flucht bedacht als auf Gegenwehr. Daher der unglück— liche Ausgang des Kampfes. Die Kraken haſſen jeden, der ihren Raum mit bewohnen will. Es iſt nicht der Hunger, der ſie treibt, denn ſie werden reichlich gefüttert, es iſt der Haß, der überall, allerorten durch den Kampf ums Daſein erregt wird. Es iſt auch Haß und Mord nicht der Grundzug ihres Weſens, wie eine andere Seite ihres Naturells zur Genüge beweiſt. Sie kennen z. B. ihren Wärter nicht nur ganz genau und unter— ſcheiden ihn von anderen Perſonen, ſie lieben ihn ſogar. Sie umfaſſen mit weichen und ſchmeichelnden Windungen ſeine Hand und den nackten Arm und ſuchen den leckeren Biſſen langſam zu erhaſchen, den er neckend nur zu lange ihnen vorenthält.“ Da auch das Farbenſpiel und das Benehmen gegen die Mitgefangenen von Coll— mann genauer als von Fiſcher beobachtet worden, laſſen wir auch dieſen Teil der ſo anziehenden Schilderung noch folgen. „Das Tier hat die Fähigkeit, von dem hellſten Grau bis zu dem tiefſten Braun zu wechſeln; die Farbe ändert ſich dabei ſchnell, oder ſie bleibt in irgend einer Nüance ſtehen; ſie kann ferner nur am Körper auftreten oder an den Armen, kurz, der Krake ſcheint ſein Kolorit vollſtändig beherrſchen zu können. Bei jenen oben erwähnten Angriffen auf den Hummer war die ganze Haut dunkel, namentlich wäh— rend des Kampfes. Wenn er den Feind kampfluſtig beſchleicht, oder dem Wärter einen Krebs zu entreißen ſucht, oder wenn ſie ſich neckend verfolgen, dann wird die ganze Herr— ſchaft über die Farbe in raſchem Wechſel ſichtbar. — Dieſer Farbenwechſel iſt für die Tiere jedenfalls eine vortreffliche Waffe, um Feinde zu täuſchen. Halten ſich die Kraken in grauem Geſteine auf, dann nehmen ſie ſelbſt die graue Farbe an, ob willkürlich oder durch Reflexvorgänge in den Nerven, iſt ſchwer zu ſagen. Dann gleicht das Tier mit den ein— gezogenen Armen und dem gekrümmten Rücken ſelbſt einem verwitterten Steine. Sie werden auf dieſe Weiſe ihren Feinden leicht entgehen. „Der Farbenwechſel iſt gleichzeitig ein treffliches Mittel, um die Mimik dieſer Tiere zu unterſtützen. Die Kraken ſind vielleicht die lebhafteſten Tiere des Meeres. Sie ſind immer in Bewegung! und übertreffen an Lebendigkeit weit die Tintenfiſche und die Calmare. Das iſt nicht jo zu verſtehen, als ob fie fortwährend umherſchweiften. Sie ſitzen vielmehr ſtunden— und tagelang auf einem Flecke, beobachten aber höchſt aufmerkſam, was um ſie vorgeht, und verraten ihre Teilnahme durch kleine Armbewegungen, etwa wie die lauernde Katze mit dem Schwanze zuckt. [4 270 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erfte Ordnung: Zweikiemer. Bei der Durchſichtigkeit der Haut, bei der Nacktheit des ganzen Körpers laſſen ſich die Erregungszuſtände dieſes Tieres leicht verfolgen, und man wird bald bemerken, daß ſie eine ſehr deutliche Mimik haben und eine große Reihe von Gemütsſtimmungen aus— drücken können. Für ſolche Beobachtungen eignete ſich namentlich jener Krake, der in ſeinem ſteinernen Neſte beſtändig dicht am Fenſter ſaß. Nahte ſich einer der Brüder, ſo ließ er je nach der Nähe mehrere vollkommen unterſcheidbare Außerungen des Unwillens bemerken. „Erſt erhoben ſich die Spitzen einiger Arme nach jener Gegend hin, woher der Be— ſuch kam, langſam, aber doch entſchieden ausgreifend. Heftiger war die Drohung, wenn ein paar Arme wie eine Peitſche hinausgeſchleudert wurden. Dann erhob er ſich gleich— zeitig etwas aus der Tiefe ſeines Steinbaues, gleichſam zur Gegenwehr bereit. Dabei wurde das Tier dunkler an einigen Stellen; die braunen Schatten flogen über Körper und Arme, um ebenſo ſchnell wieder zu verſchwinden. Wenn dieſe Zeichen des Unwillens die zudringlichen Geſellen nicht verſcheuchten, oder wenn ein Zuſchauer, wie ich das oft that, nach ihm greifend mit der Hand an die Glasſcheibe ſchlug, dann ſtieg der Körper bis zur Hälfte aus der Höhle empor, die Hügel, welche die Augen umfaſſen, ſchwollen an, die Farbe wurde dunkel bis in die Iris hinein, ein paar Arme erhoben ſich, während die anderen, über die Steine hinweggleitend, ihre Saugnäpfe bald hier, bald dort feſtklam— merten, um ſie im nächſten Augenblick heftig loszureißen. Dieſe drohenden Gebärden waren ſtets von tiefen, gewaltſamen Atembewegungen begleitet, und das Waſſer wurde in größerer Menge in den Mantel eingeſaugt, dieſer ſchwoll dadurch zu größerem Umfang auf und erhöhte das Drohende der ganzen Haltung, ebenſo wie das heftige Ausſtoßen des Waſſers, das durch den Trichter wie aus einer Spritze herausfuhr.“ Von den übrigen Arten von Octopus wollen wir den durch ſeine ſehr langen Arme ausgezeichneten O. macropus, den langarmigen Kraken, herausheben. Bei einer Körperlänge von 7½ cm erreicht das erſte Armpaar eine Länge von 1 m. In feinem Vorkommen im Freien und in ſeinem Verhalten in der Gefangenſchaft weicht er beträcht— lich von ſeinem oben beſchriebenen Verwandten ab. Außer in den Höhlungen tiefer liegender Felſen hält er ſich auch auf ſchlammigem Grunde auf. In einem größeren Gefäße voll Meerwaſſer lebt er mehrere Tage ohne Nahrung, ohne jeden Verſuch zu entrinnen. Eine der ſchönſten, aber ſehr ſeltenen Arten iſt Octopus catenulatus, ausgezeichnet durch netz— förmig ſich kreuzende Hautleiſten auf der Bauchſeite. Man hat ihn nur einige Male aus ſehr großen Tiefen heraufgezogen, angeklammert an Fiſche, die man mit der Angelſchnur gefangen. * Die Gattung Eledone unterſcheidet ſich von Octopus hauptſächlich dadurch, daß ihre Arme bloß eine Reihe von Saugnäpfen tragen. Am häufigſten iſt die Moſchuseledone (Eledone moschata, ſ. Abbild. S. 271). Ihr Körper iſt außerordentlich veränderlich, ſackförmig, länglich, eiförmig, hinten abgerundet oder ſpitz, glatt oder warzig, wie es dem Tiere gerade beliebt. Charakteriſtiſch iſt auch die Größe der Mantelöffnung, welche bis auf den Rücken reicht. Die kleinen, vorſpringenden Augen können ganz von den Lidern bedeckt werden und beſitzen eine ſehr veränderliche Iris. Die graue Grundfärbung geht nie in roſenrote oder rötliche Tinten über. Symmetriſche ſchwärzliche Flecke ſowie eine bläuliche Randeinfaſſung des Armſchirmes ſind fernere Kennzeichen der Art, welche über— dies einem Moſchusgeruche ihren Namen verdankt, den ſie zwar nicht allein, aber in einem beſonders bemerkbaren Grade beſitzt. Sie ſcheint nur im Mittelmeere vorzukommen, dort aber iſt ſie an allen Küſten höchſt gemein. Für gewöhnlich lebt ſie auf Schlammgrund von 10 — 100 m Tiefe. Man Langarmiger Krake. Mofchuseledone. 271 N Moſchuseledone (Eledone moschata). Natürliche Größe. 272 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erſte Ordnung: Zweikiemer. begegnet ihr auch auf Sand und Kiesboden zu allen Jahreszeiten, ſeltener auf Felſen. Da man ſie an ihren natürlichen Standorten nicht beobachten kann, muß man ſich mit der Beobachtung gefangener begnügen, welche man ſich, da ſie mit dem Grundzugnetz in großen Maſſen gefangen werden, ſehr leicht verſchaffen kann. Im Zuſtande der Ruhe klam— mert ſie ſich mit Hilfe der Saugnäpfe am Boden an und nimmt mit Kopf und Rumpf ungefähr die Stellung ein, welche auch Octopus vulgaris liebt. Dabei find die Enden der Arme frei und die Trichteröffnung ſeitwärts hervorgeſtreckt. In dieſer Lage verbringt das Tier ungefähr drei Vierteile ſeines Lebens, und man kann dabei die erſtaunliche Schnel— ligkeit bewundern, womit die Farben wechſeln. Bei der geringſten Störung gleitet eine dunkle Färbung mit der Schnelligkeit des Blitzes über den ganzen Körper, um ohne Spur zu verſchwinden. Mit dieſem Zuſtande glaubt Verany eine Art Schlafzuſtand abwechſeln geſehen zu haben. Die Stellung iſt die nämliche, aber die Armenden ſind näher an den Körper herangezogen, nur der vierte Arm iſt ausgeſtreckt, wie um Wache zu halten. Der Rumpf ruht auf den Armen, die Pupille iſt zuſammengezogen, und die Atmung, das Ein— und Auslaſſen des Waſſers, geht langſam vor ſich. Die gewöhnliche Färbung iſt dabei ein Graugelb oder ein Gelbbraun, immer aber fehlen die kaſtanienbraunen Flecke. Ge— hör und Geſicht ſind unempfänglich; man kann ſich dem Gefäße nähern, ſchreien oder irgend ein Geräuſch machen, ohne daß das Tier erwacht. Aber bei dem geringſten Stoße an das Gefäß, oder wenn man einen Arm auch nur ganz leiſe berührt, wacht es augenblicklich auf, und es geht in ſeinem Weſen eine auffallende Veränderung vor ſich. Die Eledone richtet nämlich ſchnell den Körper faſt ſenkrecht über den Kopf auf, bläht ihn etwas auf und ſpitzt ihn zu. Die ganze Hautfläche wird gelblich, es erſcheinen die ſchwärzlichen ſym— metriſchen Flecke, und überall erheben ſich kegelförmige Warzen. Die Iris zieht ſich zu— ſammen und färbt ſich ſtark ſchwefelgelb; aus dem Trichter wird das Waſſer gewaltſamer hervorgetrieben, und die Einatmung wird unregelmäßiger. Von Zeit zu Zeit wird eine reichlichere Waſſermenge in die Mantelhöhle aufgenommen und dann 2— 3 m weit über das Gefäß hinausgeſpritzt, obwohl dabei noch eine Waſſerſäule von 30 em zu überwinden war. Auch als Verany der Eledone einen lebenden Krebs vorgelegt hatte, ſah er, daß ſie eine Stellung wie im Zuſtande der Aufregung annahm, ſich mit Höckern bedeckte und der Haut die Farbe des Gefäßes gab, in welchem ſie ſich befand, wahrſcheinlich um das Tier, das ſie berücken und überfallen wollte, nicht mißtrauiſch zu machen. Mitunter, beſonders bei Nacht, entwiſcht die Eledone aus ihrem Behälter, entweder weil das Waſſer den Atmungsprozeß nicht mehr unterhält, oder weil das Tier ſeine Frei— heit ſucht. Sie dauern dann mehrere Stunden im Trocknen aus; auch vertragen ſie ein Faſten von 10 Tagen. Trotz des ſehr in die Naſe fallenden Moſchusgeruches wird dieſe Eledone doch maſſen— haft zu Markte gebracht. Ihr Fleiſch iſt zwar nicht fo zähe als das der Octopus-Arten von derſelben Größe, aber weniger ſchmackhaft. Übrigens erſcheint ſie nur auf dem Tiſche der ärmeren Klaſſen. Eine dritte, ſchon im Altertum berühmte und vielfach beſchriebene Form der achtfüßigen Zweikiemer iſt der Papiernautilus (Argonauta Argo). Nur das Weibchen iſt es, das mit einem ſchönen zarten Gehäuſe verſehen iſt. Auch nur ihm gilt unſere folgende Darſtellung, da wir die höchſt merkwürdigen Abweichungen des Männchens im Zuſammenhange mit den Geſchlechtsmerkmalen der Männchen der anderen Kopffüßer bringen wollen. An dem rund— lichen Körper fällt der kleine Kopf und der ſehr entwickelte und verlängerte Trichter auf, vor allem aber die lappenartige Verbreiterung des oberſten Armpaares. Die Färbung iſt 15 { B j e 1, » = > S D — D . 7 + 0 £ x = 7 4 = x — - 8 N — 1 * 1 = a ‘ 2 0 — zi . — * — * — 0 — N . * „ ER re Papier-Nautilus. 273 außerordentlich brillant und ſchön. Der neapolitaniſche Naturforſcher Sangiovanni hat ſie folgendermaßen beſchrieben. Die unteren und ſeitlichen Teile des Rumpfes ſind von einer bräunlichen Silberfarbe, die je nach der Richtung und Stärke der Lichtſtrahlen ſich bald mit einer leichten und blauen Tinte bedeckt, ähnlich dem Meerblau, bald mit einer gräulichen, bald rötlichen. Auch finden ſich auf dieſer farbenwechſelnden Oberfläche eine Menge kleiner glänzender Punkte, gelb und kaſtanienbraun, andere roſenrot, und je größer die Bewegung, deſto ſchöner die Farben. Das Zuſammenwirken dieſer Farbenkügelchen, welche ſich über einem ſilberglänzenden Grunde ausbreiten, verleiht der Haut jener Körper— teile einen Roſenſchimmer, der aus unzähligen farbigen Pünktchen zuſammengeſetzt iſt, und worin man einige etwas ausgedehntere Stellen bemerkt, welche ſymmetriſch liegen und umgeben ſind von einem ſilberfarbenen Hofe. Die Rückenteile und die oberen Seiten— teile der Argonaute ſind mit einer ſchönen grünen Farbe geſchmückt, die in Piſtaziengrün übergeht und ſich ſo beſonders gegen Abend zeigt. Die Silber farbe der unteren Seitenteile ſetzt ſich in Streifen nach den oberen Seitengegenden fort, welche grünlich ſind, ſo daß die Farben hier mit— einander abwechſeln. Die Natur hat dieſen Teil des Körpers der Argonaute mit gelben, bis ocker— gelben und mit kaſtanienbraunen Farbzellen ge— ſchmückt. Beide Sorten ſind in großer Menge vor— handen, viel geringer iſt die Anzahl der malven— blauen. Die erſteren beiden bedecken die Haut faſt vollſtändig. Jedoch finden ſich da und dort größere ſolcher Farbenkugeln in der Mitte kleiner Kreiſe, welche von verſchieden gefärbten Zellen umgeben ſind, und welche die Haut wie kleine Roſetten ſchmücken. Ahnliche Färbungen breiten ſich über Kopf und Arme aus. N Die Schale des Papier⸗Nautilus, welche ſich enſe der cage Cp d durch ihre Eleganz und Papierdünnheit auszeichnet, j it ziemlich elaſtiſch, indem fie reichlichen organischen Stoff enthält. Sie iſt deshalb weit biegſamer als die viel dünneren Schalen anderer Weichtiere, z. B. der Floſſen— füßer. Sie beſteht aus einer einzigen Höhlung und iſt in der Weiſe ſpiralig gewunden, daß die früheren Windungen durch den letzten Umgang verdeckt werden. Das Verhältnis des Tieres zur Schale iſt ganz einzig, indem es nirgends mit derſelben enger verbunden oder verwachſen iſt, auch die Geſtalt des herausgenommenen Tieres gar nicht dazu zu paſſen ſcheint. Es iſt daher ſehr zu entſchuldigen, wenn man früher auf den bis in die neuere Zeit feſtgehaltenen Gedanken kam, das Tier der Argonauten bewohne die Schale einer fremden, nicht näher bekannten Gattung, wie der Einſiedlerkrebs. Man fand indes, daß die Schale eine Abſonderung der beiden Lappenarme iſt, welche jene von außen be— decken und in dieſer Stellung die Schale halten. Dieſelbe wird alſo von ihrer Außenfläche her gebildet; wenn aber die verletzte Schale ausgebeſſert wird, ſo geſchieht dies von innen her, indem die offene Stelle mit einer elaſtiſch bleibenden Haut überzogen wird. Man findet die Argonaute ſehr häufig in einer Stellung abgebildet, welche ſie unmög— lich annehmen kann, entſprechend einer von Ariſtoteles bis in unſere Zeiten geglaubten Fabel, daß ſie, an der Oberfläche des Meeres ſchwimmend, ihre beiden ſegelförmigen Arme emporſtrecke und ſie wirklich als Segel gebrauche. Wie Verany ſah, kommt ſie allerdings Brebm. Tierleben. 3. Auflage. X. 18 — 2 DE a: KR h RR: a N, . SER 1 7 \ 8 S nn 274 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erſte Ordnung: Zweikiemer. bei Windſtille herauf, aber nicht um zu ſegeln, ſondern um ihre Lappenarme als kräftige Ruder zu gebrauchen. Das Tier ſchwamm auf dieſe Weiſe dem Ufer zu und konnte ge— fangen werden. Unter Waſſer, wenn ſie nach Art der anderen Cephalopoden durch das Spritzen aus dem Trichter ſchneller ſchwimmen will, legt ſie die großen Arme ſo über die Seitenteile der Schale, daß dieſe faſt ganz davon verhüllt wird. Im eigentlichen Mittelmeere iſt Argonauta Argo (ſ. Abbild. S. 273 u. 283) beſonders an der ſiziliſchen Küſte ſowie im Golf von Tarent häufig. Im Adriatiſchen Meere iſt die Inſel Liſſa der nördlichſte Punkt, wo ſie nicht ſelten vorkommt; jedoch ſind die Exemplare, welche ich von dort erhielt, ziemlich klein. In der zweiten Gruppe oder Unterordnung ſind diejenigen mit Saugnäpfen verſehenen Cephalopoden vereinigt, welche außer den acht mit den Armen der Oktopoden überein— ſtimmenden Kopfbewegungsorganen noch zwei verlängerte Organe beſitzen, die aus einem glatten, langen Stiele und auf dem Ende desſelben aus einer kürzeren, Saugnäpfe tragen— den Platte oder Keule beſtehen. In der Regel ſind dieſe beiden abweichend gebauten Greif— arme, wonach der ſyſtematiſche Name Zehnfüßer (Decapoda), in beſonderen Scheiden enthalten, in welche ſie zum größten Teil zurückgezogen werden können. Sie werden aber nicht als Bewegungsorgane, ſondern als Greifwerkzeuge benutzt. Alle Zehnfüßer haben am Rücken einen kalkigen oder hornigen Schulp. Die meiſten Arten leben im hohen Meere und nähern ſich nur gelegentlich den Küſten, gewöhnlich in zahlreichen Schwärmen wan— dernd. Von den größeren Fiſchen verfolgt, ſpringen ſie über die Oberfläche und ſtranden oft auf den Booten oder dem Ufer. Da ſie in Vorkommen und Lebensweiſe ſehr ausein— ander gehen, ziehen wir auch hier die Einzelbeſchreibungen den allgemeinen Redensarten vor. Wir beginnen mit der ſehr zierlichen Sepiola, deren Abbildung ſchon oben (S. 256) gegeben wurde. Die im ganzen Adriatiſchen und Mittelmeere verbreitete Sepiola Ronde letii zeigt als Gattungsmerkmale einen kurzen, abgerundeten Körper mit einer halbkreis— förmigen Floſſe jederſeits. Der Rückenſchulp iſt hornig und biegſam und nur halb ſo lang wie der Körper. Unſere Art gehört zu den kleinſten Cephalopoden, da Exemplare, deren Totallänge vom Hinterende bis zur Spitze der ausgeſtreckten Greifarme 16 em beträgt, ſchon ſeltener ſind. Die Exemplare des Trieſter Fiſchmarktes werden ſelten 8 em lang. Die Tiere gewähren im Leben durch ihre zarte, roſenrote Färbung bei großer Transparenz einen lieblichen Anblick. Dieſe Art kommt an allen Küſten des Mittelmeeres vor, ich habe ſie ſogar im Hafen von Trieſt einmal mit dem Schleppnetz gefangen. Eine größere Varietät lebt auf Schlammgrund in einer Tiefe von 90— 200 m in Geſellſchaft der Eledonen; eine andere liebt Sandgrund neben algenbedeckten Felſen. Sie ſcheint ein Standtier zu ſein und nicht ſcharenweiſe zu wandern, da man ſie nie in großen Mengen und zu allen Jahres— zeiten fängt. Sie ſchwimmt ſehr graziös und zwar mit Hilfe der Floſſen beliebig rück— wärts und vorwärts; dabei ſind die Greifarme gewöhnlich ganz eingezogen, und der Kopf ſteckt ſozuſagen zwiſchen den Schultern. Ihr Fleiſch iſt ſehr geſchätzt. Wenn wir die der Sepiola ſehr naheſtehende Rossia nicht beſonders hervorheben und uns darauf berufen, daß die Fiſcher einen Unterſchied zwiſchen beiden Formen nicht machen, ſo geſchieht dieſe Berufung nur ganz ausnahmsweiſe. Die Fiſcher pflegen nämlich ſehr oberflächliche und unzuverläſſige Naturforſcher zu ſein. Eine der wichtigſten und in vielen populären und elementaren Werken am häufigſten genannten Gattungen der zehnfüßigen Cephalopoden iſt die Sepia (Sepia), mit deren Namen man auch den Tintenſaft und die daraus gewonnene Malerfarbe bezeichnet, und Zehnfüßer. — Sepiola. Sepia. 275 deren kalkiger Rückenſchulp wenigſtens von allen Apothekern, welche eine Prüfung beitehen, als os sepiae (Sepienknochen, untenſtehende Abbildung e) gekannt jein muß. Die Sepien Gemeine Sepia (Sepia offieinalis). a) Männchen, b) Weibchen, e) der Rückenſchulp. Kleinere Exemplare. haben einen ovalen, verlängerten, etwas platten Körper, der ringsum von einer Floſſe um— ſäumt iſt. Am weiteſten verbreitet und häufigſten, namentlich im ganzen Mittelmeere, iſt 18* 276 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erſte Ordnung: Zweikiemer. die gemeine Sepia (Sepia officinalis, ſ. Abbild. S. 275). Ihre Arme find mittel- mäßig lang, nur die Greifarme ſind länger als der Körper, ihr napftragendes Ende lanzen— förmig. Der platte, ovale Rückenknochen iſt mit dem abgerundeten, gleichmäßig geſchärften Ende nach dem Kopfe gerichtet; am anderen Ende befindet ſich ein Ausſchnitt, in welchen von der Mittellinie aus ein Dorn hineinragt. Man unterſcheidet leicht die drei Lagen des Schulpes. Nach außen iſt eine feſte, dünne Kalkſchicht mit chagrinierter, feinhöckeriger Oberfläche. Die mittlere Schicht iſt ein dünnes Hornblatt; das größte Volumen nehmen ſehr zahlreiche, ſchief nach oben gerichtete Kalkblättchen ein, welche ſich untereinander ver— binden und die dritte Schicht bilden Es ſind dies Blättchen, welche man zu Zahnpulver zerreibt, und die beim Glätten und Polieren wirken. Im Zuſtand der Ruhe herrſcht auf der ganzen Rückenfläche eine roſagelbliche iriſierende Färbung vor, mit weißen Flecken in der Mittellinie. Der Kopf iſt etwas farbiger, die Augenkugeln bläulich, die Arme grünlich, ebenfalls mit weißen Flecken in beſtimmter An— ordnung und Menge nach den verſchiedenen Armpaaren. Die Floſſen, welche als unmittel— bare Fortſetzungen der Rückenhaut erſcheinen, ſind durchſichtig violett gefärbt und bedeckt mit kleinen undurchſichtigen weißen Flecken. Die Männchen ſind an einer weißen Linie am äußeren Rande der hinteren zwei Drittel der Floſſen kenntlich. Neben dieſer gewöhn— lichen Färbung kommen andere ähnliche Kombinationen vor. Mitunter bedeckt ſich auch die ganze Rückenfläche mit ſehr ausgeprägten kegelförmigen Höckern, die ſich regelmäßig in Längsreihen und parallel den Seitenwänden ſtellen. Wenn aber das Tier erregt iſt, ſo ſtarrt der Rücken von unregelmäßigen Höckern von ſchöner, dunkel kaſtanienbrauner Farbe und kupferrötlichem Metallglanz. Vom Kopfe aber und längs der Arme, deren ſonſt weiße Flecke ebenfalls kupferrötlich ſich färben, geht dann ein grünlicher Glanz aus, während die Augenkugeln in roſenroten, blauen und grünen Silberreflexen erglänzen. Die Floſſe verändert ſich wenig, während die Bauchſeite ſtark iriſiert und mehr oder weniger lebhafte wolkige Flocken über ſie fliegen. Beginnt die Erregung nachzulaſſen, ſo verſchwin— den die Höcker auf dem Rumpfe, indes die um die Augen noch bleiben. Auch der Kopf behält ſeine Flecke, aber eine große Anzahl Farbzellen ziehen ſich auf dem Körper zuſam— men, kleine weiße Flecke erſcheinen in der Mittellinie, und die Mantelränder bedecken ſich mit unregelmäßigen, etwas höckerigen weißlichen Streifen. Nimmt man die Sepia aus dem Waſſer, ſo erſcheint der Rücken gewöhnlich braun geſtreift. Nach und nach ziehen ſich die Farbzellen zuſammen. Die Haut nimmt einen gelb— lichen Ton an und entfärbt ſich unmerklich. Auch die Unterſeite verliert den iriſierenden und metalliſchen Glanz, welcher ſie ſchmückt, und wenn das Spiel der Farbzellen aufgehört hat, wird ſie fahlweiß. Die bei allen Cephalopoden ſehr veränderlichen Augen werden ganz beſonders bei den Sepien von den verſchiedenen Erregungszuſtänden affiziert. Das Sepienauge ſieht höchſt ſonderbar aus. Die Pupille iſt ſehr ſchmal und wie ein griechiſches c geſchwungen. Der Augengrund iſt dunkelſchwarz. Von obenher iſt der Augapfel von einem mit Farbzellen verſehenen und bis auf den Mittelteil der Pupille herabhängenden Hautlappen bedeckt, den man ein oberes Augenlid nennen kann. Das untere Lid iſt ſchmäler und weißlich. Wenn das Tier aufgeregt iſt und während der Begattungszeit erweitert ſich die Pupille außer— ordentlich und wird rund, die Lider aber ziehen ſich ſtark zuſammen. Unſere Sepia, in mittlerer Größe 15 em lang, hält ſich immer in der Nähe des Ge— ſtades auf, am liebſten auf ſchlammigem und ſandigem Grunde, wo man ſie jahraus jahrein findet und in großen Schleppnetzen fängt. Ein ſehr beliebter und amüſanter Fang im Frühjahr iſt der durch ein Locktier, ein Weibchen, das man an eine Schnur gebunden hat, oder durch eine Holzfigur von Geſtalt einer Sepia, woran einige Stückchen Spiegelglas Leben und Gewohnheiten der gemeinen Sepia. 2711 befeſtigt ſind. Das Weibchen, das man an dem breiteren Körper und dem Mangel der weißen Linie auf dem Rande der Floſſen erkennt, wird am Hinterende mit einem Angel— haken durchbohrt; man läßt dann die Schnur ſo weit aus, daß das Tier ſich frei bewegen und ſchwimmen kann, behält es jedoch immer im Auge. Die Angel ſcheint ihm keine Schmerzen zu verurſachen und wird mehrere Wochen hintereinander ertragen. Die Sepia ſchwimmt nun und bewegt ſich mit Hilfe ihrer unteren Arme vorwärts, die ſie, bei hori— zontaler Körperſtellung, vom Kopfe herabhängen läßt und wie zwei mächtige Ruder be— nutzt. Durch die in fortwährender undulierender Bewegung begriffenen Floſſen erhält ſie ſich im Gleichgewichte, und zu demſelben Zwecke dienen auch die ſechs oberen Arme, die feſt aneinander gedrückt und horizontal ausgeſtreckt werden. Während der Vorwärtsbewe— gung iſt der Kopf zum Teil in die Körperhöhle zurückgezogen. Der mittlere Teil des freien Mantelrandes wird feſt an den Trichtergrund angelegt und das Waſſer nur ſeitlich zu den Kiemen eingelaſſen. Die Greifarme ſind in ihren Scheiden verſteckt. Will ſie rückwärts ſchwimmen, ſo geſchieht es mit Hilfe des Trichters, wie bei den anderen Kopffüßern, und ſind dabei die Arme in ein Bündel zuſammengelegt. Wenn das an der Angelſchnur be— findliche Sepienweibchen an einem in ſeiner Höhlung kauernden oder frei ſchwimmenden Männchen vorbeikommt, ſtürzt ſich dieſes wie ein Pfeil auf jenes los und umklammert es mit den Armen. Der Fiſcher zieht nun das Paar vorſichtig zu ſich heran, bemächtigt ſich ihrer unter Waſſer mit Hilfe eines Käſchers und ſetzt das Weibchen erneuten ſtürmiſchen Anträgen aus. Am ergiebigſten iſt dieſe Jagd bei Mondſchein. Ganz ähnlich iſt der Fang mit der Holzfigur und den Spiegelſtücken; man zieht die Puppe hinter dem Boote her, und die Sepien ſtürzen ſich darauf los und hängen ſich daran. Außerhalb des Waſſers ſtirbt die Sepie ſehr ſchnell. Wenn man ſie anfaßt, läßt ſie ein ſehr vernehmliches Zähneknirſchen hören, auch bläſt ſie außerhalb des Waſſers ſehr heftig Luft durch den Trichter. Die Saugnäpfe wirken ſehr kräftig und haften noch nach dem Tode, auch wenn das Spiel der Farbzellen ſchon aufgehört hat. In einem engeren Gefäße halten ſie nicht lange aus; wenn die im Waſſer enthaltene Luft nicht mehr das Atembedürfnis befriedigt, ſondern ſie maſſenhaft ihre Tinte ab, offenbar infolge von Läh— mungen, und ſterben ſchnell, wenn man nicht das Waſſer wechſelt. Derſelbe Beobachter, welcher das oben (S. 265) von dem Octopus in den Baſſins von Arcachon bei Bordeaux Mitgeteilte erzählt hat, gibt auch einige intereſſante Mitteilungen über die dort gefangen gehaltenen Sepien. Wir laſſen ſie, obwohl einige Wiederholungen vor— kommen, doch ziemlich vollſtändig folgen, da Veranys Mitteilungen dadurch weſentlich er— gänzt werden. Die erſten für das Aquarium gefiſchten Sepien ſetzte man in die großen Baſſins. Sie zeigten ſich ſehr furchtſam, hüllten ſich in Tintenwolken und verbargen ſich unter ſchwimmende Gegenſtände, wo ſie, in horizontaler Stellung und mit dem Bauche faſt den Boden berührend, unbeweglich verharrten. Nach einigen Tagen der Ruhe wurden ſie in einen Kaſten des Aquariums verſetzt, wo ſie ſich einzugewöhnen ſchienen. Die gewöhnliche Haltung der Sepia iſt die wagerechte, wobei der Körper in vollſtän— digem Gleichgewichte iſt. Die wellenförmigen Bewegungen der Floſſen halten das Tier frei im Waſſer. Ich habe jedoch auch oft geſehen, daß es nicht einmal dieſer ſchwachen Ruder— bewegungen zu der freien wagerechten Stellung bedarf. Die aneinander gelegten Arme bilden eine Art dreikantiger Pyramide, deren obere Kante von den beiden erſten Arm— paaren gebildet wird. Die vierten Arme, welche am längſten und breiteſten ſind, bilden mit ihrem äußeren Rande die beiden anderen Kanten. Die Innenwände der vierten Arme berühren ſich; ihre freien Enden ragen über die übrigen Arme hinaus und rollen ſich loſe zuſammen. Dieſe Vereinigung der Arme zu einer Art von hinten nach vorn geſenkter Pyramide verleiht den Sepien ein eigentümliches Ausſehen. Wer ſie ſieht, erſtaunt über 278 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erſte Ordnung: Zweikiemer. die Ahnlichkeit ihres Kopfes mit dem eines Elefanten. Die drei oberen Armpaare ſtellen den Rüſſel vor, und das untere Ende der vierten Arme ähnelt vollſtändig dem Unterkiefer. Bei dieſer Stellung treten die Greifarme gar nicht hervor. Sie befinden ſich in der von den Armen gebildeten Höhlung zwiſchen der Baſis des dritten und vierten Paares rundlich eingezogen und eingerollt. Man ſieht ſie vom Bauche her auf Augenblicke, wenn die Sepia die vierten Arme herabhängen läßt; alsdann erſcheinen ſie als zwei weißliche Höcker. In der Ruhelage, von der man durch die vorhergehenden Zeilen eine Vorſtellung erhalten, werden mitunter die oberſten Arme auseinander geſpreizt und wie zwei Fühler ſenkrecht erhoben; mitunter auch läßt das Tier die vierten Arme auf den Boden herab— hängen, um ſie wenige Augenblicke darauf in die frühere Lage zu bringen. Was Fiſcher über die Bewegungen der Sepia mitteilt, ſtimmt mit der Beſchreibung Veranhys nicht vollſtändig überein. Er unterſcheidet eine langſamere und eine beſchleu— nigte Bewegung. Die erſtere geht ebenſo leicht vorwärts wie rückwärts von ſtatten. Geht das Tier vorwärts, ſo bleibt der Körper wagerecht und die zuſammengelegten Arme in der geneigten Stellung. Nur werden ihre Enden durch den Widerſtand des Waſſers etwas gebogen. Bei der Rückwärtsbewegung hebt ſich die Armpyramide mehr in die Achſe des Körpers. Die Schwingungen der Floſſen, welche bei dieſer gemäßigten Bewegung allein thätig ſind, beginnen vorn, wenn das Tier rückwärts ſchwimmen will, und umgekehrt. Die Bewegung beſchleunigt ſich nun auffallend, ſobald das Tier in Furcht oder Aufregung gerät; dann geht es ſtoßweiſe rückwärts. Bevor es ſo fortſchießt, breitet es die Arme aus und legt ſie plötzlich wieder aneinander. Die Floſſen aber verhalten ſich ruhig und werden nach dem Bauche eingeſchlagen. Das ſich fortſchnellende Tier durchmißt mit einem Sprunge einen beträchtlichen Raum; während des Sprunges breiten ſich die Arme wieder aus, und ihr abermaliges Schließen hat einen neuen Stoß zur Folge. Den Trichter will der Be— obachter von Arcachon nur als Hilfswerkzeug bei dieſer ſchnelleren Bewegung nach rück— wärts angeſehen wiſſen, und er ſoll nur bei dem ſchnellſten Tempo beſonders wirkſam ſein. Was ich geſehen, ſtimmt mit dieſem Berichte überein. „Der Gebrauch der Greifarme“, ſagt Fiſcher weiter, „war mir ganz unbekannt, bis ich die Genugthuung hatte, ſie eines Morgens in Bewegung zu ſehen. Eine Abteilung des Aquariums umſchloß ſeit ungefähr einem Monat eine mittelgroße Sepia, die während dieſer ganzen Zeit nichts gefreſſen hatte. Man that einen lebenden Fiſch, einen Caranx, von bedeutender Größe zu ihr hinein, der ohne Argwohn umherſchwamm und ſich dem Schlupfwinkel der Sepia näherte. Kaum hatte ſie ihn wahrgenommen, als ſie mit einer erſtaunlichen Schnelligkeit und Geſchicklichkeit die Greifarme entfaltete, ausſtreckte, den Fiſch ergriff und an ihren Mund zog. Die Greifarme zogen ſich ſogleich wieder zurück und ver— ſchwanden, die übrigen Arme aber legten ſich feſt um den Kopf und das Vorderende des unglücklichen Fiſches. Die beiden oberen Paare lagen auf dem Rücken, die beiden unteren unter dem Bauche des Opfers, an welchem die Saugnäpfe ſich anhefteten. „Der auf dieſe Weiſe umſchlungene Fiſch konnte ſich nicht bewegen. Die Sepia aber die ſich nun ihrer Beute verſichert hatte, ließ ſie nicht wieder los und ſchleppte ſie trotz des verhältnismäßig ſehr großen Gewichtes nach allen Richtungen, leicht einherſchwimmend und ohne ſich auf dem Grunde oder auf den Felsblöcken auszuruhen. Der Fiſch wurde horizontal gehalten, und nach einer Stunde ließ ihn die Sepia fallen. Der Schädel war geöffnet und das Gehirn ſowie ein Teil der Rückenmuskeln gefreſſen.“ Die Sepien, welche in die großen Baſſins des Aquariums in Neapel, gewöhnlich in Geſellſchaft von Seeſternen, gebracht werden, gewöhnen ſich ſehr ſchnell an ihre neue Um— gebung. Ihren Unmut bethätigen ſie durch reichlichen Tintenerguß nur dann, wenn ſie vom Wärter, der dem Publikum das intereſſante Schauſpiel bereitet, unſanft mit einem Stabe Gemeiner Kalmar. 279 berührt werden. Bewegung lieben ſie nicht, da ſie ebenſowenig wie die Oktopoden nach Beute umherſtreifen, ſondern auf dieſelbe lauern. Wenn ſie nicht frei und, oft Viertel— ſtunden hindurch, unbeweglich im Waſſer ſtehen, ſo liegen ſie auf dem Grunde, entweder ſchlafend mit geſchloſſenen Augen, oder im Halbſchlafe blinzelnd oder auch bei mehr in die Höhe gezogenem oberen Augenlide ſpähend. Iſt ihnen Sand oder feinerer Kies zur Unterlage gegeben, ſo bedecken ſie ſich ganz nach Art der auf den Fang lauernden Schollen und Rochen, indem ſie mit den Floſſen Steinchen auf ihren Rücken ſchaufeln. Dabei paſſen ſie ihre Färbung, grünliche und graue Flecke bildend, ſo ausgezeichnet der Um— gebung an, daß Menſch und Tier getäuſcht werden und ſie nicht oder erſt dann wahr— nehmen, wenn die Sepia plötzlich auf die Beute losfährt. Außer der gemeinen Sepia kommen im Mittelmeer noch zwei Arten vor, zarter und ſchöner gefärbt, welche ſich beide in Geſellſchaft der Eledonen auf ſchlammigem Grunde zu finden pflegen, gelegentlich auf den Markt kommen und wegen ihres zarten Fleiſches ſehr geſchätzt ſind. Sie heißen Sepia elegans und S. biserialis. Die erſtere hat eine durch— ſcheinende Haut, durch welche man im Leben die Rückenſchale ſieht. Der hervorſtehende Stachel derſelben am Hinterende iſt das beſte Kennzeichen. Sie erreicht, die Greifarme nicht inbegriffen, eine Länge von 13 em. Die andere wird 8 em lang und wegen ein Paar Reihen weißer Flecke auf dem Rücken als die „doppelreihige“ bezeichnet. * Außer Sepia iſt in der uns eben beſchäftigenden Abteilung die Gattung Kalmar (Loligo) die wichtigſte. Der fleiſchige, nackte, cylindriſche Körper iſt verlängert und hinten zugeſpitzt, und die auf dem Rücken ſich vereinigenden Floſſen geben dem Hinterende meiſt die Geſtalt einer geflügelten Pfeilſpitze. Im Rücken iſt ein biegſamer horniger Schulp von pfeilförmiger Geſtalt enthalten. Die gemeinſte Art iſt auch von der Syſtematik als ſolche bezeichnet, der gemeine Kalmar (Loligo vulgaris, Abbild. S. 280), Calamaro der Italiener. Seine Floſſen bilden ein Rhomboid, welches ſich über zwei Drittel des Rumpfes erſtreckt. Das erſte Armpaar iſt das kürzeſte, dann folgen nach der Länge das vierte, zweite und dritte. Die Greifarme ſind einundeinhalbmal ſo lang wie der Körper und ihre verdickten Enden mit vier Reihen ſehr ungleicher Näpfe beſetzt. Die ſpezielle Eigentümlichkeit der Färbung beſteht im Vorherrſchen eines ſehr brillanten karminroten Kolorits. Im Mittelmeer und Atlantiſchen Ozean ſehr allgemein verbreitet, trifft man den Kal— mar zu allen Jahreszeiten, am zahlreichſten im Herbſte, wo er in großen Zügen ſtreift. Mit— unter wird er in großer Menge in den für die Thunfiſche aufgeſtellten Netzen gefangen, bei Nacht auch mit dem „Mugeliera“ genannten Netze. Von den ſchlammigen und ſandigen Gründen bringt ihn das Zugnetz das ganze Jahr hindurch herauf, am reichlichſten bei Voll— mond. Mit der Lanze und dem Angelhaken iſt ihm ſchwer beizukommen. Die Wanderungen des Kalmars richten ſich beſonders nach den Zügen kleinerer Fiſche, von denen er ſich nährt. Er erreicht nicht ſelten ein Gewicht von 10 kg; es kommen jedoch auch größere Rieſen vor, während die mittlere Länge, mit Ausſchluß der Greifarme, 20 em beträgt. Die Weib— chen werden etwas größer als die Männchen. Jene koloſſalen Exemplare findet man in der Regel nur, wenn ſie auf den Strand geraten und geſtorben ſind, wodurch Verany in den Beſitz einer Rückenfeder von 75 em Länge kam. Die mittelgroßen Exemplare werden den übrigen verkäuflichen größeren Cephalopoden wegen ihres guten Geſchmackes und zarteren Fleiſches vorgezogen, namentlich der Sepia. Auch der gemeine Kalmar war während meines Aufenthaltes in Neapel ein häufiger, wenn auch nicht ausdauernder Gaſt des Aquariums und zeigte, als ein Bewohner des 280 Weichtiere. Erfte Klaſſe: Kopffüßer; erfte Ordnung: Zweikiemer. offenen Meeres, ein von dem duckmäuſeriſchen Hocken ſeiner oben beſprochenen Vettern völlig abweichendes Benehmen. Da Loligo vulgaris wie verſchiedene andere Loliginen geſellig 160% AH Men ö %%% 10 Damm 10 I 3 Gemeiner Kalmar (Loligo vulgaris), daneben der hornige Rückenſchulp Natürliche Größe. leben, ſo werden ſie in den Fiſchernetzen gewöhnlich in größerer Anzahl gefangen. Wenigſtens wurden wiederholt Trupps von 10—16 Stück gebracht und in das große Baſſin geſetzt. Pfeil⸗Kalmar und andere Arten. 281 Hier harren fie leider nur wenige Tage, und zwar in ununterbrochener, einförmiger Be— wegung aus, die ganze Herde bei einander hin und her ſchwimmend, immer im Lichte zwiſchen dem äußeren Fenſter und der Glaswand. Die Bewegung iſt ein zierliches, flug— ähnliches Rudern der Floſſen; rückwärts helfen die Stöße des Trichters mit. Die Arme werden horizontal ausgeſtreckt gehalten. Beim Vorwärtsſchwimmen ſteht der Kopf höher als der Rumpf, umgekehrt bei der entgegengeſetzten Bewegung. Sie vermeiden ſorgfältig die Berührung mit den Wandungen des Behälters, und die ganze Herde wechſelt faſt in demſelben Augenblicke die Richtung. Während die Oktopoden und Sepien ſich im Aquarium für viele Monate häuslich einrichten und, wie ich an den Oktopoden wahrnahm, ſelbſt auf die Fortpflanzung bedacht ſind, fühlen ſich die Loligo augenſcheinlich recht unbehag— lich. Weder in Arcachon noch in Neapel iſt ihre Fütterung gelungen. Nach 48 Stunden ruhelos verbrachter Gefangenſchaft werden die Bewegungen langſamer und ſchwankender, ſie verlieren die Orientierung, ſtoßen ſich und ſterben ab. Von den übrigen Arten mögen nur ein Paar häufiger vorkommende und größere ge— nannt werden. Der Pfeil-Kalmar (Loligo sagittata) hat kurze, oben abgerundete und eine Herzform bildende Floſſen, einen durchſcheinenden Körper und ſchlanke, wenig zurückziehbare Greifarme mit breiter Keule. Sein Farbenſpiel iſt mannigfaltiger als bei Loligo vulgaris, mit dem er den Verbreitungsbezirk teilt, an Plätzen, wo man die Ele— donen und ſo manche andere Kopffüßer findet. Pfeil-Kalmare werden gewöhnlich nur einzeln gefangen; da ſie jedoch mitunter in Trupps ins Netz geraten, ſo ſcheinen ſie zeitweiſe zu wandern. Die Verkäufer vermengen ſie ihres ſchlechten Geſchmackes wegen nicht mit L. vulgaris. Man hat mit der L. sagittata oft eine andere, größere Art, L. todarus, ver: wechſelt, die jedoch einen plumperen Körper hat, und die man leicht erkennt an den dickeren, gar nicht zurückziehbaren Greifarmen, welche auf ihrer ganzen Länge mit Saugnäpfen be— ſetzt ſind und nicht keulenförmig am Ende anſchwellen. Auch ſie wird das ganze Jahr hindurch im Mittelmeer gelegentlich gefangen, gewöhnlich an Fiſchen, welche man an der Leine heraufzieht, und an welche ſie ſich, um ſie zu freſſen, angeklammert hat. Oft auch ſtrandet fie. Ihre mittlere Länge beträgt gegen 20 cm, fie kommen aber auch 15 kg ſchwer vor. Ihr Fleiſch iſt ſehr zähe und ſchlecht und darf an einigen Orten gar nicht auf den Markt gebracht werden. — Die beiden oben genannten Arten werden übrigens von den Neueren nicht zu den eigentlichen Loligiden gerechnet, ſondern zur Gattung Ommatostrephes, welche mit anderen einen eigentümlichen Bau des Auges gemein hat. Dasſelbe entbehrt nämlich gänzlich der Hornhaut, womit alſo auch eine beſondere vordere Augenkammer mangelt und die Linſe unmittelbar vom Waſſer umſpült wird. Eine ſolche Gattung iſt auch Loligopsis, mit einer ganz ausgezeichneten Art, Loli- gopsis Veranyi, im Mittelmeer. Der Körper dieſes Tieres iſt gallertig durchſichtig. Der ſcharf vom Kopfe abgeſetzte, ſchmale und längliche Rumpf wird in ſeiner hinteren Hälfte von der faſt rundlich herzförmigen Floſſenſcheibe bedeckt. Der Kopf iſt kugelig, breiter als der Rumpf; die Augen unverhältnismäßig groß. Die Arme nehmen in der Reihenfolge vom Rücken nach unten an Länge und Dicke zu; das Auffallendſte ſind aber die beiden Greifarme. Dieſelben meſſen nämlich faſt 1 m, während die ganze Körperlänge bis zur Spitze der anderen Arme gegen 30 em beträgt, und find nur von der Stärke einer feinen Schnur, welche am Ende in eine lanzenförmige, napftragende Keule übergeht. — Mit der Durchſichtigkeit und der zarten bläulichen Färbung iſt die Lebensweiſe der L. Veranyi in voller Übereinftimmung. Sie findet fi) nämlich im offenen Meere während der Windſtille der ſchönen Jahreszeit mitten unter den Quallen und Meduſen des Mittelmeeres. Alle dieſe ſowie andere Tiere des hohen Meeres ſind durch ihre Durchſichtigkeit ausgezeichnet. 282 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erſte Ordnung: Zweikiemer. Dieſe Eigenſchaft iſt bei der bei Meſſina gefundenen Loligopsis vermicularis noch hervor— ſtechender, die bei dem Mangel aller Farbzellen gleich einem Stücke Eis im Waſſer faſt nicht ſichtbar würde, wenn nicht die beiden ſchwarzen Augenpunkte den Beobachter leiteten. Bei mehreren, in Geſtalt und Lebensweiſe ſich ebenfalls an die eigentlichen Kalmars anſchließenden Gattungen, welche man Haken-Kalmars nennen kann, ſind die Arme außer den Saugnäpfen auch noch mit hornigen Haken bewaffnet. Am artenreichſten iſt Onychoteuthis, deren Greifarme allein Haken tragen. Von den zwei im Mittelmeer leben— den Arten hat Onychoteuthis Lichtensteinii auf jedem Fangarme zwei Reihen von zwölf nach allen Seiten beweglichen Haken, deren Stiel von einer häutigen Scheide umgeben iſt. Die Floſſen mit dem Körperende haben die Geſtalt einer ſcharfen Pfeilſpitze. Das Vor— kommen dieſes Tieres zeigt, wie dasjenige ſo mancher anderen Arten, daß wir über die eigentlichen Gründe der Ausbreitung noch völlig im Dunkeln ſind. Es ſcheint ſich von dem Sparus boops, einem Braſſen, zu nähren und den Zügen desſelben zu folgen. Allein obgleich dieſer Braſſen bei Genua ſehr häufig iſt, wird die Onychoteuthis Lichten- steinii dort nie gefangen. In Nizza hingegen, wo man den Sparus boops vom Februar bis Mai in Netzen fängt, die man des Nachts in der Nähe der Küſte aufſtellt, erhält man darin auch den Cephalopoden, welcher übrigens nicht genießbar iſt. Diejenigen Haken-Kalmars, welche auf den Greifarmen nur Saugnäpfe, auf den an— deren acht Armen aber außerdem Haken beſitzen, werden unter der Gattung Enoplo— teuthis begriffen. Für das Verſtändnis einiger vorweltlichen Formen iſt das Poſthörnchen (Spirula) wichtig. Dieſe Dekapode, welche von den übrigen jetzt lebenden vielfach abweicht, iſt auch durch den Beſitz einer zierlichen Schale ausgezeichnet. Dieſe iſt ſpiralig in einer Ebene gewunden und beſteht aus einer Reihe hintereinander gelegener Kammern. Durch alle hindurch erſtreckt ſich an der Bauch— ſeite eine Röhre, der Sipho, über den wir unten bei den Vierkiemern weiter zu ſprechen haben. Dieſes weißliche, perlmutterglänzende Ge— e häuſe liegt zum Teil hinten im Mantel verſteckt, zum Teil tritt es Gens (Spirula) Natür- durch einen Schlitz desſelben hervor. liche Große. Man kennt nur drei Arten, darunter eine aus dem Atlantiſchen Ozean. Obgleich die Schalen ſehr häufig an den ſüdlicheren Küſten ausgeworfen werden, ſind doch erſt vier Exemplare des vollſtändigen Tieres in die Hände der Naturforſcher gelangt. Man wird ſich nicht darüber wundern, wenn man lieſt, was Willemoes-Suhm von der Challenger-Expedition davon ſchreibt. „Wir dredgten in Sicht der Küſte von Banda Neira in einer Tiefe von 360 Faden, und der Endſack des großen Fiſchnetzes kam mit allerlei Schätzen angefüllt herauf, die alsbald in eine mit Seewaſſer gefüllte Wanne geleert wurden. Wie ich darin mit Profeſſor Thomſon herumkrame, um nach und nach Ordnung in das Chaos zu bringen, kommt mir ein kleiner Cephalopode in die Hand, an dem ich die Schalenwand des Poſthörnchens hervorragen ſehe. Sehr erfreut gebe ich es Thomſon, und als wir es nun genauer betrachten, finden wir, daß es ſchon im Magen eines ſehr großen Fiſches, wahrſcheinlich eines Macrurus, geweſen ſein muß, der es im Drange des Augenblickes gleich nach dem Verſchlucken wieder ausgeſpieen hat, denn die Oberhaut am ganzen Mantel des Tieres iſt durch den Magenſaft zerſtört, unten aber und an den Armen noch geblie— ben, ein Zeichen, daß das ſonſt ganz unverletzte Tier von einem Macrurus in eben dem Momente verſchluckt worden war, wo das Netz den letzteren umfaßte. Und da dieſe Fiſche ſtets, wie der Kilch des Bodenſees, mit weit vorgequollenen Augen und zum Munde wie zum After hervorgepreßten Darme aus den Tiefen herauskommen, konnte es um ſo Hafen: Kalmars. — Poſthörnchen. 283 leichter geſchehen, daß ein Tier, das ſo glatt und widerſtandslos gleiten muß wie Spirula, gleich wieder zum Vorſchein kam. Es zeigt ferner aufs unzweifelhafteſte, daß Spirula in mittleren Tiefen von 300 — 400 Faden leben muß, wo ſie wahrſcheinlich geſchickt ſich hinter Steinen allen Verfolgungen zu entziehen weiß, namentlich auch dem Netze. Denn vor uns hat noch niemand Spirula vom Boden des Meeres heraufgezogen, und auch wir verdanken ihren Fang nur einem glücklichen Zufalle. Soviel wie früher auch ſelbſt am Strande da— nach geſucht, und ſo genau wir die von der Oberfläche heraufgebrachten Tiere unterſucht haben, nirgends fand ſich eine Spur des Spirula-Tieres. Und an den Küſten von Fidſchi und Kap Pork zeigte ich den Buben die Schale und bot ihnen ein Goldſtück, wenn ſie mir das Tier dazu bringen würden; aber in den meiſten Fällen ſagte man mir, dieſe Männchen des Papier-Nautilus (Argonauta Argo). A) mit noch eingeſchloſſenem, B) mit freiem Heetocotylus-Arm. In A) find die Arme bezeichnet, wie fie gezählt werden. In B) iſt bei * der entfaltete Hectocotylus-Arm. Natürliche Größe. Schnecke habe gar kein dazu gehöriges Tier, während andere auf die Riffe gingen, es zu ſuchen, aber mit leeren Händen zurückkamen.“ Wir haben im Vorhergehenden einen höchſt wichtigen und merkwürdigen Punkt der Naturgeſchichte der zweikiemigen Armfüßer mit Stillſchweigen übergangen, nämlich den Geſchlechtsunterſchied. Bei den meiſten Cephalopoden iſt, wenn man ſie nicht ſehr genau anſieht, ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen Männchen und Weibchen nicht wahrzunehmen. Daß z. B. das Männchen der Sepia ſich durch die weiße Linie auf den Floſſen erkennen läßt, daß die Weibchen der Loliginen einen längeren Körper haben: ſolche und ähnliche Dinge waren allerdings immer allgemein bekannt; allein daß bei den Männchen immer einer der Arme abweichend von den übrigen gebaut iſt und als Begattungsorgan gebraucht wird, iſt auffallenderweiſe erſt eine Entdeckung der Neuzeit. Nur der große, geniale Be— obachter Ariſtoteles, im 4. Jahrhundert vor Chriſtus, hat ſchon davon Kunde gehabt (ſiehe unten); ſeine kurzen Angaben wurden aber nicht verſtanden. Am weiteſten geht die 284 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; erfte Ordnung: Zweikiemer. Umwandlung des betreffenden Armes bei Argonauta (ſ. Abbild. S. 283) und einigen okto—⸗ pusartigen Tieren (Octopus carena und Tremoctopus violaceus); bei dem erſteren iſt es der dritte linke, bei den beiden letzteren der dritte rechte Arm, der nicht in gewöhnlicher Weiſe wächſt, ſondern in einer birnförmigen Blaſe entſteht, zwar im allgemeinen den übrigen Armen ähnlich iſt, auch Saugnäpfe trägt, teils aber durch abweichende Stellung derſelben, Länge, fadenförmigen Anhang und beſonders durch ſeinen inneren Bau abweicht. Er füllt ſich nämlich mit dem Samen, kommt durch Platzen der Blaſe zur Zeit der Reife zum Vor— ſchein, reißt bei der Begattung ab und bleibt in der Mantelhöhle des Weibchens noch längere Zeit in voller Friſche und Beweglichkeit, bis durch ihn erſt die eigentliche Begat— tung und Befruchtung vollzogen iſt. Die ſcheinbare Selbſtändigkeit und Individualität dieſes Armes iſt ſo täuſchend, daß ihn einige der berühmteſten Naturforſcher, darunter Cuvier, für einen Schmarotzerwurm hielten, der den Namen Hectocotylus erhielt. Coll— mann weiſt darauf hin, daß die lange Lebensdauer des iſolierten Armes aus der Be— ſchaffenheit der Blutgefäße und den zahlreichen Nervenknoten ganz befriedigend ſich erkläre. Man kann aber behaupten, daß nichts in der organiſchen Welt iſoliert ſteht und unvor— bereitet iſt; wo die gegenwärtige Schöpfung in der Ausfüllung der Lücken nicht ausreichte haben die früheren Perioden ein reiches Maß an Übergangsformen ſowohl der Organ, als der Organismen gehabt. In unſerem Falle hat es ſich durch die ſorgſamen Ver— gleichungen Steenſtrups herausgeſtellt, daß der Hectocotylus-Arm der oben genannten Cephalopoden bloß der äußerſte Grad einer Bildung ſei, die den Männchen aller Arten zukommt. Alle Cephalopodenmännchen haben einen ſogenannten hektokotyliſierten Arm. Beim Kalmar iſt es der vierte linke. Er iſt in der Weiſe umgeſtaltet, daß die Saug— näpfe, welche auf dem entgegenſtehenden rechten Arme bis zur Spitze hin gleichmäßig kleiner werden, hier wenigſtens auf der einen Seite ſchon eine ganze Strecke vor der Spitze verſchwunden, und daß an ihre Stelle eine Reihe kegelförmiger, kammartig geſtellter Papillen getreten ſind. Auch bei Sepia zeigt der linke vierte Arm die Abweichung, und bei Octopus und Eledone iſt der dritte rechte Arm an ſeinem Ende durch eine Art von Saugſcheibe und in ſeiner ganzen Länge durch Bildung einer Hautfalte hektokotyliſiert. Da, wie ſchon oben gejagt, in der heutigen Erdperiode die Zweikiemer ſo entſchieden vorherrſchen, daß die zweite Ordnung dagegen faſt verſchwindet, von deren Lebensweiſe und Entwickelung wir überdies wenig oder gar nichts wiſſen, ſo wird es paſſend ſein, hier noch einige Mitteilungen über die viele intereſſante Einzelheiten bietende Fort— pflanzung und Entwickelung der zweikiemigen Cephalopoden anzuſchließen. Über die ſonderbare Umarmung und Begattung hat ſchon Ariſtoteles Beobachtungen gemacht, aus denen hervorgeht, daß er eine Form mit Hectocotylus-Arm geſehen, ohne daß man aus der kurzen Beſchreibung die Art erkennen kann. „Die Polypoden, Sepien und Loli— ginen“, ſagt er, „hängen Mund an Mund mit verſchlungenen Armen aneinander. Nach— dem nämlich der Polypus den ſogenannten Kopf (den Hinterleib) gegen die Erde geſtemmt und ſeine Arme ausgebreitet hat, ſchließt ſich der andere mit ebenfalls ausgeſpreizten Armen an ihn, ſo daß die Saugnäpfe aneinander hängen. Manche behaupten auch noch, daß das Männchen eine Art von Befruchtungswerkzeug in dem einen Arme habe, an dem nämlich die größten Saugnäpfe ſitzen; dieſes erſtrecke ſich wie ein ſehniger Körper bis mitten in den Arm und dringe nachher ganz in den Trichter des Weibchens ein. Die Sepien und Loliginen hingegen ſchwimmen mit feſt aneinander gefügtem Munde und ver— ſchlungenen Armen in entgegengeſetzter Richtung, ſo daß ſie auch ihre Trichter aneinander fügen und alſo beim Schwimmen ſich eines vorwärts, das andere rückwärts bewegt.“ Cavolini beſtätigt zuerſt, was Verany über den Fang der Männchen durch das Lockweibchen erzählt, und ſagt dann: „Die Verbin dung mit dem Männchen iſt ſo, daß die Fortpflanzung und Entwickelung der Zweikiemer. N 285 Offnungen beider Trichter aufeinander paſſen.“ Eine neuerliche Beſtätigung fehlte bis zu Fiſchers Beſuch in Arcachon. Dort fing er im Netze zwei Sepien von etwas ungleicher Größe, deren Arme eng miteinander verſchlungen waren, ſo daß die Kiefer ſich unmittel— bar zu berühren ſchienen. Man trennte das Paar; ſie gaben ihren Unmut durch reich— liches Ausſpritzen von Tinte zu erkennen. Kaum hatte man ſie wieder in ein Gefäß zu— ſammengeſetzt, ſo fielen ſie ſich wieder in die Arme, und die Szene wiederholte ſich in der Folge noch einige Male. Zu den vollſtändigſten Beobachtungen gab aber wiederum das Aquarium zu Neapel Gelegenheit. Was Collmann von dem förmlichen Zweikampfe des Krakenpaares mit— teilt, kann ich aus eigner Erfahrung vollſtändig beſtätigen. „Was ich geſehen“, ſagt er, „und was mir an der zoologiſchen Station als Begattung bezeichnet wurde, iſt ein grim— miger Kampf auf Leben und Tod, ein Ringen, das die wilde Stärke und Gewandtheit dieſer Tiere vielleicht am beſten hervortreten läßt. Ich ſelbſt geriet in Unruhe, denn die Tiere ſchienen im Begriff, ſich gegenſeitig im vollſten Sinne des Wortes aufzufreſſen, und ſie legte ſich erſt, als ich über den eigentlichen Grund dieſes Zweikampfes aufgeklärt worden war. Der Schauplatz war die innere Fläche des Fenſters, gerade gegenüber dem Verſtecke, das in der einen Ecke der eine der Kraken bewohnte. Er blieb ein völlig gleichgültiger Zuſchauer, obwohl die beiden anderen in ſeiner nächſten Nähe und unbekümmert um die übrigen Zuſchauer miteinander rangen. Ein Teil ihrer Arme ſchien durch die Saugnäpfe am Fenſter feſtgewachſen, andere griffen hinüber zur ſteinigen Wand, um dort neue Halte— punkte zu gewinnen, und die übrigen ſuchten mit zornigen Windungen entweder den Körper oder die Arme des Gegners feſtzuſchnüren. Dabei funkelten die Augen, die jetzt dunkel— braunen Leiber drängten ſich aneinander, heftige Atembewegungen ſchleuderten das Waſſer aus dem Trichter, daß es wirbelnd auf und nieder wogte, wie Schlangen glitten die Arme hier⸗ und dorthin, klammerten ſich an die Mantelfläche, um gleich darauf mit entſetzlicher Roheit losgeriſſen zu werden, ſo daß bei einem der Tiere die Haut in Stücken ging. Das iſt die Liebeständelei der Kraken. Ich habe wohl eine Stunde dem Hin- und Her— wogen dieſer Gorgonenhäupter zugeſehen, und der eigentliche Zweck war noch nicht er— reicht. Die Tiere ließen endlich von ihrem Ringen ab, doch ich konnte dieſes Bild nicht vergeſſen.“ Den Grund dieſes wilden, grauſamen Liebeskampfes ſucht Collmann darin, daß das Weibchen ſich des Einbringens des Hectocotylus-Armes in die Atemhöhle, ſei es durch den Mantelſpalt, ſei es durch die Trichteröffnung, erwehren wolle; es müſſe das Krakenweib dann wohl eine ähnliche Empfindung haben wie ein Menſch, dem etwas in die Luftröhre oder in die Stimmritze gerät. Es mag ſein; ſo ſchrecklich jedoch, wie der treffliche Beobachter ſich vorſtellt, daß nämlich vielleicht das Weibchen in ihrer Wut und Not den Arm des Gatten abbricht, verläuft die Sache nicht. Ich war Augenzeuge, wie nach Einbringung des betreffenden Armes durch die Mantelſpalte in die Kiemenhöhle eine Beruhigung eintrat und nach etwa einer halben Stunde die beiden ſich in Frieden, das Männchen unverkürzt, trennten. Anders bei den oben genannten Arten, wo der am Grunde eingeſchnürte Hectoco- tylus-Arm leicht abreißt. Die Eier der Zweikiemer pflegen einzeln oder zu mehreren in länglichen, geſtielten Hüllen oder Kapſeln eingeſchloſſen zu ſein. Die Sepia befeſtigt ihre Eier oder vielmehr die ſchwarzen Kapſeln einzeln oder gruppenweiſe an Algen, Seegras, an Holzitüdchen oder abgeſchnittenen Zweigen, die im Waſſer ſchwimmen, und zwar ſo, daß die gabeligen Enden des Stieles verſchiedentlich dieſe Teile umſchlingen. Die Anheftung geſchieht, während das Tier mit den Armen jene Gegenſtände umfaßt. „Bei Tremoctopus violaceus iſt“, wie Kölliker ſagt, „die Rolle, welche die Arme ſpielen, noch bedeutender, denn hier wird 286 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; zweite Ordnung: Vierkiemer. der ganze, traubenartig zuſammenhängende Klumpen der Eier während der ganzen Dauer der Entwickelung der Jungen von etwa zwölf der unterſten Saugnäpfe eines Armes feſt— gehalten, in welche Lage derſelbe nur durch Hilfe des einen oder anderen der Arme ge— langen konnte. „Bei Loligo bleiben die Eier nicht iſoliert wie bei Sepia, ſondern legen ſich in lange, aus 3 oder 4 Reihen derſelben beſtehende Stränge zuſammen, ſo daß die Stiele aller Eier nach innen, die freien runden Enden nach außen gerichtet ſind. Wie die Stiele, legen ſich auch die Eier ſelbſt ſehr feſt aneinander und platten ſich an den einander be— rührenden Teilen mehr oder minder ab. Man kann einen ſolchen Eierſtrang mit einem Maiskolben vergleichen, der nur aus 3— 4 Reihen Körnern beſtände. Alle Eier eines Stranges (45 — 100) werden noch von einer gemeinſamen Hülle umgeben, die denſelben wie ein Däumling ſeinen Daumen umhüllt und blaß und durchſichtig iſt. Endlich ſind auch noch eine gewiſſe Anzahl von Eierſträngen, 5— 20, miteinander zu einem Klumpen verbunden, indem nämlich die unteren Enden der gemeinſamen Hülle eines jeden alle zu— ſammen verflochten ſind. Solche Eiermaſſen, die wohl nur von einem Weibchen herrühren, werden weder von demſelben mit ſich herumgeführt (wie es Argonauta in dem hinteren Raume ihres Gehäuſes thut), noch an Pflanzen oder andere Teile angeheftet, ſondern frei dem Spiele der Wellen überlaſſen. In Neapel waren ſie den Fiſchern wohlbekannt und wurden mir in übergroßen Mengen, vorzüglich im Mai und Juni, unter dem Namen Uova di calamaro gebracht.“ Das in der Entwickelung begriffene, noch von der Eihülle umſchloſſene Tier bietet einen ſonderbaren Anblick. Iſt es nämlich ſchon ſo weit vorgerückt, daß man Kopf und Leib, Augen und Arme wohl unterſcheiden und das Junge als einen Cephalopoden erkennen kann, ſo ragt vorn am Kopfe unter dem Munde ein anſehnlicher Beutel, der Dotterſack, hervor. Dieſe Bildung iſt dadurch zu ſtande gekommen, daß zuerſt der Mantel in der Mitte einer Keimſcheibe und in deren Umkreis die Teile des Kopfes entſtehen. In dem Maße, wie das alles wächſt und ſich vereinigt, hebt ſich das werdende Tier von dem noch übrigen Dotter ab; und indem nun die anfänglich im Umkreiſe liegenden Kopfteile ſich über dem Rumpfe einander nähern, ſchnüren ſie auch den Dotterſack ab. Es ſieht alſo aus, als ob das Junge mit ſeinem Kopfe am Dotterſack hänge. Zweite Ordnung. Die Vierkiemer (Tetrabranchiata). Die einzige Gattung Nautilus mit wenigen Arten ſteht in der heutigen Schöpfung durch ſo abweichende Eigenſchaften den Zweikiemern gegenüber, daß ſie für ſich auf den Rang einer Ordnung Anſpruch macht. Wir finden die Erklärung dieſer Iſolierung in der Urgeſchichte unſerer Erde, wo ſich denn herausſtellt, daß Nautilus ein „letzter Mohi— kaner“ iſt, der auf den Ausſterbeetat geſetzte Sprößling eines vormals weitverbreiteten und reich ausgeſtatteten Stammes. Wir werden von dem lebenden Nautilus ausgehen, können uns aber dann eines Blickes auf die vorweltlichen Cephalopoden, ſowohl der Vier— als der Zweikiemer, nicht entſchlagen. So ſelten bis jetzt die Weichteile des Tieres vom Nautilus in die Hände der Zoo— tomen kamen, ſo häufig iſt in den Sammlungen die ſchöne ungefähr 15 em im Durch— meſſer habende Schale, und zwar gewöhnlich vom Nautilus pompilius. Sie iſt ſpiralig, Bau des Nautilus-Gehäuſes. 287 bei der genannten Art ſo, daß die früheren Umgänge von den jüngeren vollſtändig ver— deckt werden. Sieht man in die weite Mündung des unverletzten, außen porzellanweißen und rötlich quergeſtreiften Gehäuſes, ſo bemerkt man, daß der vordere, inwendig perl— mutterglänzende Raum nach hinten durch eine konkave Querſcheidewand abgegrenzt iſt, ſo daß das Tier nur einen kürzeren, wenngleich voluminöſen Endteil des Gehäuſes zum eigentlichen Wohnſitz hat und nicht, wie unſere Schnecken, durch alle Windungen ſich zieht. In der Mitte jener Querwand iſt jedoch ein Loch, welches zu einer näheren Unterſuchung der von ihm ausgehenden Höhlung einladet. Ein Durchſchnitt mitten durch die Schale unmittelbar neben der Achſe wird daher notwendig; und wir bekommen damit jene Ein— ſicht, welche unſere Abbildung bietet. Da zeigt es ſich, daß die die Wohnkammer des Tieres abſchließende Scheidewand eine ganze Reihe von Vorgängerinnen hat, wodurch das ganze Gewinde des Gehäuſes in ebenſo viele Kammern geteilt wird, durch welche eine von jenem Loche ausgehende Röhre, der Sipho, ſich erſtreckt. Der Zweck dieſer Kammern und die Art ihrer Entſtehung wird aber erſt mit der näheren Kenntnis des Tieres und ſeines Ver: hältniſſes zur Schale klar. Wir folgen darin den trefflichen Unterſuchungen von Keferſtein. In der allgemeinen Anordnung der Körper— teile ſtimmt das Tier des Nautilus natürlich mit den übrigen Cephalopoden überein; alſo ſind Kopf, Trichter und Mantel vorhanden. Der Kopf trägt aber keine Arme mit Saugnäpfen, ſondern dieſe Arme ſind fühlerförmig und können in Scheiden zurückgezogen werden, welche in ein paar konzentriſchen, auf der Bauchſeite vom Trichter unterbrochenen Kreiſen die Mundöff— a . u nung umgeben. Die Scheiden der beiden oberſten ban f e 5 Arme oder Tentakeln bilden eine breite Kappe, welche beim Zurückziehen des Tieres in das Gehäuſe den Kopf bedeckt. Der Trichter iſt an der Bauchſeite der Länge nach geſpalten, kann alſo nur durch Übereinanderlegen dieſer beiden Blätter geſchloſſen werden, und iſt ſchon deshalb ein weit ſchwächeres Bewegungs— organ als das der Zweikiemer. Im Mantelgrunde liegen jederſeits zwei Kiemen, dem entſprechend eine größere Komplikation der Blutgefäße zwiſchen Herz- und Atmungs— organen vorhanden iſt. Das Hinterende iſt länglich abgerundet, wie es die Geſtalt der Wohnkammer zeigt, und die Lage des Tieres in ſeiner Kammer iſt ſo, daß der Trichter auf der konvexen Seite der Schale liegt. Man hat ſich alſo an die etwas unbequeme, dem Auge nicht zuſagende Auffaſſung zu gewöhnen, daß die Wölbung des Gehäuſes der Bauch iſt. Da man die Lebensweiſe des Tieres, das ſich bald am Meeresgrunde aufhält, bald trotz ſeiner ſchweren Schale an der Oberfläche ſchwimmt, nicht verſteht, ohne ſein Ver— hältnis zum Gehäuſe und die Art, wie letzteres ſich bildet, genau zu kennen, hören wir die Auseinanderſetzung Keferſteins, der zum erſtenmal eine vollſtändig befriedigende Erklärung gegeben hat. „Alle Schalen der Tetrabranchiaten haben ihren hinteren, älteren Teil durch eine Reihe von Scheidewänden zu Lufträumen (Kammern) abgekammert, und das Tier befindet ſich allein in der vorderſten, großen Wohnkammer, welche meiſtens aber ſo tief iſt, daß das Tier ſich wie eine Schnecke von der Mündung ganz in den Grund zurückziehen kann. Aus— geſtreckt muß aber, da der Mantelrand die äußere Schalenſchicht ſelbſt bildet, dieſer Rand 288 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer; zweite Ordnung: Vierkiemer. etwas über die Mündung der Schale hinausreichen, und man ſieht an den Schalen des Nautilus gerade an der Mündung ſehr oft einen Streifen brauner organiſcher Maſſe als Zeichen, daß im Leben dort der Mantelrand mit der Schale verklebt war. Indem das Tier mit dem Wachstum allmählich die hinteren Teile der Schale verläßt und dieſe zu Luft— räumen abkammert, zieht es ſich doch nicht ganz aus denſelben zurück, ſondern ein dün— ner, röhriger Fortſatz des Körperſackes, der Sipho, bleibt beſtändig in ihnen. Dieſer Sipho durchbohrt deshalb die Septa und hat eine Strecke weit gerade wie die ſonſtige Kör— perhaut des Tieres das Vermögen, Perlmutterſubſtanz abzuſondern, ſo daß an der Stelle, wo der Sipho das Septum (die Wand) durchſetzt, das letztere einen verſchieden langen, röhrigen, vom Sipho gebildeten Anſatz, Siphonaltute, trägt.“ Es gibt nicht wenige Schnecken, wie wir ſpäter ſehen werden, die nur den vorderen Teil ihres Gehäuſes bewohnen und die früheren Windungen durch eine Reihe von Querwänden abſchließen. „Nicht alſo in dem Vorhandenſein der Kammern in den Schalen der Tetrabranchiaten liegt eine Eigentümlich— keit, ſondern in der Verbindung aller dieſer Kammern mit dem Tiere durch den Sipho und in der Füllung der Kammern mit Luft bei dieſen oft am Meeresgrunde lebenden Tieren. Darüber, daß dieſe Kammern bei dem Nautilus pompilius, der gewöhnlich in Tiefen von 30 Faden vorkommt, mit Luft gefüllt ſind, dürften jetzt alle Forſcher einig ſein. Bei möglichſt friſch unterſuchten Exemplaren enthielten ſie gar kein Waſſer. Zu dem Ver— ſtändnis der Entſtehung der Luftkammern bei dem in 30 Faden Tiefe, alſo unter etwa 6 Atmoſphären Waſſerdruck lebenden Nautilus iſt die Kenntnis eines Verhältniſſes von un— bedingter Wichtigkeit, das man bisher in dieſer Weiſe kaum aufgefaßt hat. Es iſt dies nämlich die ringförmige Verwachſung des Tieres mit der Schale. Durch zwei große Kör— permuskeln wird das Tier in der Schale befeſtigt; in der Höhe dieſer Muskeln iſt aber außerdem rundherum der Mantel in einem ſchmalen Streifen an die Schale angewachſen, nicht um das Tier zu halten, ſondern um den Zutritt des Waſſers, das durch die Mün— dung frei einſtrömt, zu dem hinteren Teile der Manteloberfläche zu hindern. Der hinter dieſem Ringe liegende Teil der Körperoberfläche wird die Luft, die wir in den Kammern finden, abſondern, und der Ring verhindert es, daß die Luft zwiſchen Mantel und Schale nach vorn entweicht. Beſtändig wird durch dieſe abgeſonderte Luft das Tier in der Schale nach vorn gedrängt und rückt darin ebenſo fort wie die Schnecke in der Schale, indem ſich dabei an der Mündung die Schale ſtetig verlängert. Die Anſätze der Körpermus— keln, wie der Ring, rücken damit natürlich allmählich nach vorn, indem ſie, wie es bereits Réaumur für die Muskeln der Muſcheln bewies, vorn wachſen und hinten reſorbiert werden. So fieht man an der Nautilus-Schale am Muskel- und Ringanſatz deutlich dem vorderſten Rande parallele Streifen als Zeichen des beſtändigen Fortrückens. In dieſer Weiſe entfernt ſich der Nautilus mit der Abſonderung der Luft beſtändig von der letzten Scheidewand und wächſt dabei bedeutend, wie die meiſten Schnecken, indem ſich die Schale nach vorn, entſprechend dem Tiere, beträchtlich erweitert. Wie aber faſt alle Konchylien Zeiten des Wachstums mit denen der Ruhe wechſeln laſſen, wie z. B. bei den Schnecken ſofort die in beſtimmten Abſtänden wiederkehrenden Mündungswülſte zeigen, und wie wir wiſſen, daß unſere Landſchnecken faſt nur im Frühling fortwachſen, ſo iſt es auch mit dem Nautilus. Und wenn er im Wachstum ſtille ſteht, keine Luft mehr abſondert und in der Schale nicht mehr vorrückt, ſo entſteht auf dem ſonſt Luft ausſcheidenden Hinter— ende des Tieres hinter dem Ringe eine Perlmutterſchicht, die Querſcheidewand, wie ſie im vor dem Ringe liegenden Bereiche des Mantels beſtändig gebildet wird. Es deuten alſo die Scheidewände die periodiſchen Ruhezuſtände des Tieres an. Wie oft dieſe Zuſtände aber eintreten, ob einmal im Jahre, wie bei den meiſten Schnecken, wo dann die Zahl der Wände ſofort das Alter des Nautilus ergäbe, kann ich nicht entſcheiden.“ Lebensweiſe des Nautilus. 289 Wie die Bildung der Luftkammern von dem hinteren Mantelteile ausgeht, ſo dient der Sipho zur Erhaltung der Luft in ihnen. Vermöge der Poroſität der Schale muß ein fortwährender Austauſch der in den Kammern und der im Waſſer enthaltenen Luft ſtatt— finden. Die notwendige Nachfüllung geſchieht durch den Sipho, und zwar vermöge des in ihm hinabſteigenden anſehnlichen Blutgefäßes. In derſelben Weiſe wird der Schwimm— blaſe derjenigen Fiſche, bei welchen ſie nicht mit der Schlundröhre in Verbindung ſteht, durch Ausſcheidung aus dem Blute Gas zugeführt. „Daß die Nautilen“, fährt Keferſtein fort, „den durch den Sipho in Stand erhaltenen Schwimmapparat der Luftkammern wirk— lich nötig haben, geht mit Sicherheit daraus hervor, daß, wenn auch dieſe Tiere meiſtens am Grunde des Meeres leben, ruhig ſitzend ihre Tentakeln wie eine Aktinie ausgebreitet oder durch mir nicht ganz klare Mittel fortkriechend, ſie dennoch oft an der Oberfläche des Meeres ſchwimmend getroffen werden. Wie es Rumph und Bennett nach eigner An— ſchauung, Proſch nach den Angaben däniſcher Walfiſchfänger der Südſee mitteilen, tritt beim Schwimmen oder Treiben das Tier mit ausgebreiteten Armen aus der Mündung der Schale hervor und ſtürzt, ſobald es ſich in die Schale zurückzieht, dem Fange dadurch ent— gehend, raſch in die Tiefe. — Man könnte ſich dieſes kaum erklären, wenn nicht die Laſt der Schale und des Tieres, beide zum Schwimmen auch ſo unförmlich gebaut, durch die Luftkammern zum bedeutenden Teil getragen würde.“ Keferſtein kommt zu dem Reſultat, daß, wenn an der Hinterſeite des Tieres unterhalb des Ringes Luft ſich be— findet und dieſelbe durch ein Zurückziehen oder Vorſtrecken des Tieres oder durch ein Zu— und Abſtrömen des Blutes in den hinteren Körperſack zuſammengedrückt oder ausgedehnt wird, man hierin das Mittel zu ſehen habe, wodurch das Tier, deſſen Gewicht durch die Luftkammern etwa gleich dem des verdrängten Waſſers iſt, durch kleine Bewegungen ſich augenblicklich leichter oder ſchwerer als die verdrängte Waſſermaſſe zu machen im ſtande iſt. Die oben erwähnten Nachrichten, welche der holländiſche Arzt Rumph vor 200 Jahren in ſeiner berühmten Amboiniſchen Raritätenkammer über den Nautilus gegeben, ſind durch neuere Beobachtungen kaum vervollſtändigt. Sie lauten: „Wenn dieſe Schnecke auf dem Waſſer ſchwimmt, ſo ſtreckt ſie den Kopf mit allen Bärten (Armen) hervor und breitet ſelbe über dem Waſſer aus, ſo daß die hintere Windung allezeit über dem Waſſer hervor— ragt. Wenn ſie aber auf dem Grunde kriecht, ſo iſt es umgewendet, ſteht mit dem Barte in die Höhe und mit dem Kopfe oder den Armen auf dem Grunde und kriecht ziemlich ſchnell vorwärts. Sie hält ſich meiſt auf dem Boden des Meeres auf und kriecht zuwei— len in die Fiſchkörbe. Wenn nach einem Sturme das Meer wieder ſtill wird, ſieht man ſie haufenweiſe auf dem Waſſer ſchwimmen, und dieſes iſt zugleich ein Beweis, daß ſie ſich auch herdenweiſe auf dem Grunde aufhalten. Man findet ſie in allen Seen der Mo— lukkiſchen Inſeln, wie auch in der Gegend der Tauſend Inſeln vor Batavia und Java, wie— wohl man nur mehrenteils die leere Schale antrifft, denn das Tier ſelbſt wird ſelten ge— funden, es ſei denn, daß es in die Fiſchkörbe gekrochen wäre. Das Tier wird, wie andere Seetiere, zur Speiſe gebraucht, doch iſt das Fleiſch viel härter und ſchwer zu verdauen.“ Rumph gibt auch eine Beſchreibung der Manipulationen, um von den Schalen die äußere Schicht bis auf die perlmutterglänzende Schicht wegzubringen und ſie zu jenen mehr wunderlichen als bequemen Trinkgeſchirren zu verarbeiten, die man in älteren Sammlun— gen und Raritätenkammern noch häufig antrifft. „Wenn ſie nun alſo rein gemacht ſind, ſo ſchneidet man ſie an dem Hinterteile dergeſtalt durch, daß die 4 oder 5 hinterſten Kammern ſichtbar werden. Danach ſchneidet man die 3 oder 4 folgenden Kammern ganz heraus und ſchnitzelt an der innerſten Windung einen offenen Helm, auswendig aber ſchneidet man allerhand Figuren hinein und überreibt ſie mit Kohlenſtaub, gemengt mit Wachs und Ol, damit die Figuren ſchwarz hervorſcheinen.“ Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 19 290 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer. Einen lebenden Nautilus pompilius erhielten die Naturforſcher der Challenger— Expedition bei der Inſel Matuku in der Fidſchigruppe aus einer Tiefe von etwa 570 m. Es wird über dieſen ſeltenen Fang Folgendes berichtet: „Das war das einzige Exemplar, das auf der ganzen Reiſe mit der Dredſche gefangen wurde. Das Tier war ſehr lebhaft, wenn vielleicht auch nicht ſo lebhaft, wie es geweſen ſein würde, im Falle es aus einer weniger beträchtlichen Tiefe heraufgebracht worden wäre, denn die plötzliche Veränderung des Druckes mußte ſein Wohlbefinden weſentlich beeinträchtigen. Trotzdem ſchwamm es rundherum in einer flachen Schale, in die es geſetzt war, und bewegte ſich dabei nach Art aller Kopffüßer rückwärts, d. h. mit der Schale voran. Ein Teil der Schale ragte beim Schwimmen, wie Rumph angibt, aus dem Waſſer hervor. Die Schale ſtand mit der Hauptebene ſenkrecht, die Mündung nach oben. Das Tier ſchien nicht im ſtande zu ſein, unterzutauchen, und daß die Schale oben auf dem Waſſer trieb, wurde ohne Zweifel da— durch veranlaßt, daß in ihr befindliche Gaſe ſich infolge des verminderten Druckes aus— gedehnt hatten. Der Nautilus ſchwamm langſam rückwärts mit kurzen Rucken, und das Waſſer wurde aus dem Trichter etwas nach unten zu ausgeſtoßen, ſo daß ſich die Schale bei jedem Ruck etwas um ihre Querachſe drehte und ſich ein größerer Teil derſelben über die Oberfläche des Waſſers hob. Gelegentlich, wenn das Tier berührt oder ſonſtwie ge— ſtört wurde, machte es eine Art von Satz, indem das Waſſer mit größerer Gewalt als üb— lich aus dem Trichter hervorgeſtoßen wurde. An jeder Seite der häutigen, deckelartigen Kopfkappe, die, wenn das Tier ſich vollkommen zurückgezogen hat, die Schalenmündung völlig verſchließt, konnte man ſehen, wie die den Atemraum abſchließende Mantelfalte ſich hob und ſenkte mit einer regelmäßigen, pulſierenden Bewegung, wie das Tier beim Atmen Waſſer einſog, das ſpäter durch den Trichter wieder ausgeſtoßen wurde. Die Arme hält der Nautilus beim Schwimmen ſtrahlig um den Kopf ausgebreitet, etwa wie eine See— anemone ihre Tentakeln, aber jedes Paar hat eine verſchiedene, aber ganz beſtimmte Rich— tung, die feſt eingehalten wird. Dieſe zahlreichen, in den verſchiedenſten, aber ſich immer gleichbleibenden Winkeln vom Kopf abſtehenden Arme bilden die merkwürdigſte Eigen— ſchaft, die man am lebenden Nautilus beobachten kann. Ein Paar der Arme war direkt nach unten geſtreckt, zwei andere, genau vor und hinter den Augen gelegen, waren ſchräg nach außen, das eine nach vorn, das andere nach hinten geſtreckt, wie zum Schutz der Sehorgane. Die Eingeborenen ſollen die Tiere ziemlich häufig fangen und ſie ihren Häuptlingen zum Geſchenk machen, welche ſie eſſen.“ Die wenigen bekannten Arten von Nautilus gehören den tropiſchen Meeren an. Aber einſt, in den früheren vorweltlichen Perioden von der ſogenannten ſiluriſchen Formation an bis lange nach jener Periode, aus welcher die mächtigen Steinkohlenlager ſtammen, hatten die nautilusartigen Cephalopoden die ausſchließliche Herrſchaft, und noch erſtaunen wir über ihre Mannigfaltigkeit, welche die der jetzt lebenden Mitglieder dieſer Klaſſe weit übertrifft. Es ſind gegen 1600 foſſile Arten beſchrieben. Allgemeines über den Bau der Schnecken. 291 Zweite Klaſſe. Die Vauchfüßer (Gastropodah. Das Bild der Langſamkeit und der langweiligen Bedächtigkeit ſteht vor uns, ein Tier, mehr Bauch als Kopf, mühſam auf platter Sohle kriechend, auf dem Rücken das unſymmetriſche ſpiralige Gehäuſe ſchleppend, und darin einen Eingeweideſack. Wer zum Naturmyſtizismus neigt, kann auch mit Guſtav Carus „etwas Myſtiſches in den eignen langſamen Bewegungen der Schnecken“ finden und Goethe citieren, der Mephiſtopheles auf dem Blocksberg ſagen läßt: „Siehſt du die Schnecke da? ſie kommt herangekrochen, Mit ihrem taſtenden Geſicht Hat ſie mir ſchon was abgerochen; Wenn ich auch will, verleugn' ich mich hier nicht!“ Uns darf aber die Schnecke zunächſt gar nichts weiter ſein als der nichts weniger als geheimnisvolle, allgemein bekannte Repräſentant einer nur von den Inſekten an Man— nigfaltigkeit und Zahl der Arten übertroffenen Tierklaſſe, welche innerhalb des großen Kreiſes der Weichtiere durch beſtimmte Merkmale ſich auszeichnet. Daß die Schnecke ein Geſicht hat, iſt richtig. Das Sehvermögen ſetzt einen Kopf voraus, und wegen des Beſitzes eines mehr oder minder deutlich ausgeprägten Kopfteiles hat man die Schnecken auch wohl Kopfträger (Cephalophora) genannt. Sie ſtimmen darin, wie wir ſchon wiſſen, mit den Cephalopoden überein, deren Arme wiederum einen eigenartigen Charakter abgeben. Daß aber das Vorhandenſein des Kopfes für unſere Schnecken etwas beſonders Wichtiges iſt, geht aus der oberflächlichſten Vergleichung mit einem Muſcheltier hervor, an welchem man vergeblich nach einem Kopfe ſuchen wird, und welche infolge davon auch eine weit niedrigere Stellung einnehmen und in ihren Lebensäußerungen bekunden. Auch der Schneckengang iſt höchſt charakteriſtiſch. Er beruht auf der Bewegung der eigentümlichen Sohle oder des Fußes, einer länglichen Muskelſcheibe, welche beſonders auffallend bei den nackten Schnecken als Bauch erſcheint, und welcher die Schnecken den nicht minder häufig gebrauchten Namen der Bauchfüßer (Gastropoda) verdanken. Obgleich die mit Hilfe dieſes Organs aus— geführten Bewegungen im allgemeinen ſehr langſam ſind, ſo findet doch innerhalb dieſer Langſamkeit eine Abſtufung ſtatt: je ſchmäler und länger der Fuß, deſto geſchwinder die Bewegung, und umgekehrt. Die den Fuß bildenden Muskeln verlaufen vorzugsweiſe der Länge nach. Man ſieht, wenn man eine Schnecke an einem Glaſe kriechen läßt, „wie durch eine Reihe wellenförmiger Erhebungen und Senkungen, die ſich auf der Sohle vom Schwanze gegen den Kopf hin fortpflanzen und nach Swammerdams Ausdrucke den Wogen des Meeres gleichen, der Bauchfüßer in gleichmäßiger Weiſe ſich vorwärts bewegt, indem er, wenn eine Landſchnecke, ſeinen Pfad mit einem ſilberglänzenden Streifen von Schleim bezeichnet, den er ausſchwitzt, um die rauhen Teile ſeines Weges ſich weniger empfindlich zu machen. Wer hätte nicht ſchon die Landſchnecke auf ihrer Wanderſchaft be— obachtet? Und die Waſſerbewohner bewegen ſich genau auf dieſelbe Weiſe, ob ſie nun auf dem Boden des Meeres dahinkriechen oder die ſteilen Felsgehänge erklimmen oder in ihren Höhlen zwiſchen Seegras und Korallen herumirren.“ (Johnſton.) Endlich können wir an allen unſeren Land- und Waſſerſchnecken wahrnehmen, wie auch der Mantel, jenes für alle Weichtiere ſo wichtige Organ, in dieſer Klaſſe ein beſonderes Gepräge angenommen hat. Sei es, daß er bei den gehäustragenden Schnecken vorn eine dicke Falte bildet, welche 19* 292 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer. wie ein Kragen ſich über den Kopf ziehen kann und hinten in eine Art von Bauchſack zur Aufnahme eines großen Teiles der Eingeweide übergeht, oder ſei es, daß er bei den meiſten Nacktſchnecken von der allgemeinen Körperbedeckung ſich nicht auffallend abhebt: nie iſt er auf der Bauchſeite geſchloſſen. Wie nun aber der Kopf und die an ihm befindlichen Teile, die Augen z. B., in ge— wiſſen niedrigen Abteilungen kaum als ein beſonderer Körperabſchnitt erkennbar ſind, oder jene Teile fehlen, ſo ſind auch die inneren Organe in ihrer Ausbildung den größten Schwankungen unterworfen, wie ſolche weder in der höheren Klaſſe der Kopffüßer noch in derjenigen der tiefer ſtehenden Muſcheln vorkommen. Den größten Beſtand hat die Zunge und der Darmkanal, neben dem Schlundringe und den immer ſehr ausgebil— deten Fortpflanzungsorganen. Dieſe vielen Variationen des Baues berühren uns ſo weit, als an ſie weſentliche, die äußere Form betreffende Umwandlungen geknüpft ſind, und damit verändertes Vorkommen und Lebensweiſe in Verbindung ſtehen. Die meiſten Zweige des Baumes der Schnecken ſind dem Waſſerleben zugewendet, und wiederum der größte Teil davon dem Meere angehörig. Sie bevölkern in ihm alle Zonen von der Flut— marke an bis in die Tiefe und die Höhe des offenen Meeres. Keine der Meerſchnecken hat ſich über die Kiemenatmung erhoben; die Lungenatmer der Klaſſe ſind Bewohner des ſüßen Waſſers und des Landes, und es hat ſich ganz beſonders in dieſem ſtarken Aſte die größte Akkommodationsfähigkeit gezeigt. In dieſer Beziehung ſind die Schnecken, wenn man will, höher geſtiegen als die Kopffüßer, welche von der älteſten uns bekannten Zeit ihres Auf— tretens bis jetzt verhältnismäßig geringe Fortſchritte ihrer Organiſation gemacht haben. Allerdings iſt bei den Schnecken der wahre Fortſchritt, d. h. eine der körperlichen, in der Luftatmung ſich ausſprechenden Vervollkommnung parallele geiſtige Entfaltung, auch nicht eingetreten: unſere Landſchnecken ſind auf ein Haar ſo beſchränkt, als die dem ſalzigen Element getreu gebliebene Hauptſchar. Was die Schnecken nützen und ſchaden, wie ſie ſich und andere Tiere befehden, alle dieſe und ähnliche Dinge laſſen ſich beſſer im einzelnen nachweiſen. Zum Verſtändnis der Beſchreibungen müſſen wir uns aber näher mit dem Gehäuſe bekannt machen. Es iſt ſchon davon die Rede geweſen, daß das Gehäuſe aller Weichtiere ſich nicht mit dem lebendigen Knochen der Wirbeltiere vergleichen laſſe, ſondern eine bloße Aus- und Abſcheidung und damit eine tote Maſſe ſei. Alle Schalen ſind jedoch nicht bloße unorganiſche Maſſen, ſondern haben eine tieriſche Grundlage, wie man auf zweierlei Weiſe beobachten kann. Betrachtet man in der Entwickelung begriffene Eier gehäustragender Schnecken oder Muſcheln unter dem Mikroſkop, ſo ſieht man die Schalen anfänglich als häutige, biegſame Aus— breitungen, welche ſich mehr und mehr vom Mantel abheben. Die oberſte Schicht wird zur Oberhaut, die bei ſehr vielen Schalen alsbald wieder ſich abreibt, jedoch bei einer Reihe von Schnecken und Muſcheln, z. B. bei unſeren Flußmuſcheln, ſehr deutlich wenigſtens an den Rändern der Schalen iſt. Die unter dieſer Oberhaut liegende, aus kleinen käſtchenartigen Hohlräumen beſtehende Schicht erfüllt ihre blaſenförmigen Teile nach und nach mit kohlen— ſaurem Kalke, und es folgt aus dieſer Entſtehungsweiſe von ſelbſt, daß, nachdem die Kalk— anfüllung der Hohlräume vollendet, die feineren Teile der inneren Schalenſchichten als pris— matiſche oder rhomboidale Körperchen erſcheinen. Die Oberhaut wird nur an den freien Mantelrändern gebildet; nachdem aber auf der übrigen Mantelfläche eine ſolche verkalkte Zellenſchicht ſich abgeſtoßen, bildet ſich eine neue, und auf dieſe Weiſe verdickt und ergänzt ſich die Schale. Da die Farben der Konchylien nur in der äußerſten Lage des Kalkes enthalten ſind und von dem Mantelrande ausgeſondert werden, ſo ergibt ſich daraus, daß verletzte Schalen zwar von innen her ausgebeſſert und verſtopft, aber nie wieder voll— ſtändig ausgeglichen und angefüllt werden können, und daß die ausgebeſſerten Stellen Beſchaffenheit der Gehäuſe. 293 ungefärbt bleiben. Der Verſuch iſt leicht an einer Gartenſchnecke zu machen, ohne daß man dem Tiere wehe thut. Der andere Weg, ſich von der tieriſchen Grundlage des Weichtiergehäuſes zu über— zeugen, iſt einfacher. Man braucht nur ein Schalenſtück in eine verdünnte Säure zu legen, ſo wird der Kalk aufgelöſt und das organiſche Fachwerk bleibt zurück. Man ſieht dann, daß nicht der Kalk, ſondern die tieriſche Grundmaſſe dem Gehäuſe die Geſtalt gibt. Sind die Hohlräume und Häutchen, in und zwiſchen denen der Kalk ſich ablagert, beſonders dünn, ſo bekommen die Schalen den perlenartigen, iriſierenden Glanz. „Wenn ſolche Schalen verwittern“, ſagt Gray, „ſo trennen ſie ſich in viele dünne blätterige Schuppen von perl— grauer Farbe und ſilberartigem Glanze. Die Chineſen wiſſen dies und benutzen dieſe Teil— chen der zerfallenen Plakunen, einer Muſchel, als Silber in ihren Waſſerfarbengemälden. Ich habe ſelbſt dieſes Silberpulver, welches Reeves mit nach England gebracht, mit gutem Erfolge zum Malen von Fiſchen angewendet. Es iſt nicht ganz ſo glänzend wie gepulvertes Blattſilber, bietet aber den Vorteil dar, an der Luft ſich nicht zu verändern.“ Die Hauptmaſſe aller Weichtierſchalen iſt kohlenſaurer Kalk; ſein Anteil bewegt ſich bei unſeren einheimiſchen Schnecken und Muſcheln von etwas unter 92 bis über 98 Prozent, wäh— rend die organiſche Subſtanz von ½ bis über 5 Prozent, je nach Art und Bodenbeſchaffen— heit, beträgt. Ich erſuche nun den Leſer, ein Gehäuſe einer unſerer größeren Schnecken, etwa der Weinbergsſchnecke, zur Hand zu nehmen, um ſich an ihm ſowie an dem abgebildeten Durchſchnitte des Gehäuſes vom gewellten Kinkhorn einige notwendige Vorkenntniſſe ö f . Ta? erwerben. Stellt man dieſes He erinnı der Spitze zu ſich gewendet vor ſich hin, jo i liegt der ſcharfe, gebauchte Rand der Mündung zur Rechten; hält man dasſelbe ſo vor ſich, daß die Spitze in die Höhe, die Mündung gegen das Geſicht gewendet iſt, ſo ſieht man die Umgänge von rechts nach links hinablaufen. Man nennt ein ſolches Gehäuſe rechts— gewunden. Was ein linksgewundenes iſt, folgt von ſelbſt. Die allermeiſten ſpiraligen Schneckenhäuſer ſind rechtsgewunden. Es kommen aber unter manchen in der Regel rechts— gewundenen Arten auch umgekehrt gewundene Exemplare vor, und gerade unter den Wein— bergsſchnecken findet man dergleichen nicht ſelten. Die Konchylienſammler fahnden natür— lich auf ſolche Ausnahmen, und Johnſton erzählt in ſeiner Einleitung in die Konchylio— logie eine ſehr gute, hierauf bezügliche Geſchichte. Sein Freund Pratt kannte einen franzöſiſchen Naturforſcher, der ſich bemühte, eine Brut verkehrt gewundener Schnecken zu erhalten, um ſie an Raritätenſammler mit Vorteil zu verkaufen. Er wußte ſich ein lebendes Paar zu verſchaffen und erzeugte damit eine anſehnliche Familie, deren Mitglieder von Geburt an alle verkehrt gewunden waren, alle links, Revolutioniſten vom Eie an. „Auf ungefähr 20,000 rechtsgewundene Weinbergsſchnecken (Helix pomatia), bei denen die Kontrolle möglich iſt, wegen des Maſſenverbrauchs als Delikateſſe in Süddeutſchland, 294 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; erſte Ordnung: Ruderſchnecken. Oſterreich und Frankreich, kommt (wenigſtens im Rhonebaſſin) eine linksgewundene, die man in Wien als Schneckenkönige beſonders teuer an Liebhaber verkauft. Ein ſolcher König hat die Geſchlechtsöffnung links hinter dem Fühlhorn, das Atemloch links unter dem Hauſe, mit ihm den After und dicht daneben den Nierenporus.“ „Leider“, fährt Sim— roth, im Widerſpruch mit der eben mitgeteilten Angabe von Pratt fort, „fehlen noch die Verſuche darüber, ob ſich ſolche Abnormitäten vererben und durch Zuſammenpaarung zweier Könige eine linksgewundene Raſſe erzeugen läßt. Für die Clauſilien (Schließmund— ſchnecken) hat die Natur die Aufgabe gelöſt Denn in Siebenbürgen kommen von der: ſelben Art ſowohl rechts- wie linksgewundene Stücke vor, aber beide ſind nach verſchiedenen Thälern iſoliert. Die alten brahmaniſchen Inder ſtellten ihren Wiſchnu, den Gott (Schöpfer und Erhalter), meiſt mit vier Armen dar, deren einer die heilige Muſchel, das Tſchanka— horn, hält. Dieſe iſt eine linksgewundene Turbinella pyrum oder T. rapa. Noch jetzt wird mit ſolchen Exemplaren, die bei der Verarbeitung der Schnecke zu mancherlei Zierat gelegent— lich gefunden werden, ein gutes Geſchäft gemacht. 1882 wurde eine für 250 Rupien (500 Mark) in Kalkutta von einem Gläubigen erſtanden.“ Turbinella pyrum und T. rapa, die Opfer- oder Tſchankahörner, ſtehen bei den Hindu überhaupt in großem Anſehen, auch wenn ſie rechts gewunden ſind. Man verfertigt aus ihnen Arm- und Fingerringe, die nach dem Tode ihres Trägers in einen heiligen Fluß geworfen werden und die kein Hindu wieder an ſich nehmen darf. An der uns zugekehrten Mündung unſerer Helix pomatia unterſcheiden wir nun den Mundſaum als den ganzen Umfang der Mündung, und an ihm die äußere Hälfte als Außenlippe oder auch rechte Lippe von der inneren Hälfte oder inneren Lippe. In unſerem Falle gehen dieſe Lippen ununterbrochen ineinander über und durch eine Um— biegung der inneren wird eine bei ſehr vielen Gehäuſen offene Vertiefung, der Nabel, bedeckt. Alle Windungen oder Umgänge, welche ſich über der letzten erheben, bilden zu— ſammen das Gewinde. Sie legen ſich bei der Weinbergsſchnecke ſo aneinander, daß, wenn man das Gehäuſe in der Richtung von dem Scheitel nach der Mündung durchſägt, man eine wirkliche Achſe oder Spindel ſieht, welche zu einer eingebildeten oder mathematiſchen wird, falls die Umgänge ſich gar nicht berühren, wie bei der Wendeltreppe. Die Wein— bergsſchnecke und die meiſten ihrer zahlreichen Verwandten verſchließen die Mündung ihres Gehäuſes nur während des Winterſchlafes mit einem Deckel. Um einen bleibenden Deckel zu ſehen, müſſen wir uns, wenn wir nicht am Meere wohnen, eine Sumpfſchnecke (Pa— ludina) verſchaffen. Sie trägt auf dem Rücken des Fußes eine hornige Scheibe, viele andere Schnecken eine Kalkſcheibe, an welcher man, wie an den Gehäuſen, die Umgänge und jährlichen Anſätze bemerkt. Überhaupt aber iſt, wie von Martens ſich ausdrückt, da, wo Luft und Waſſer ſich wechſelweiſe verdrängen, der Deckel das einfachſte Mittel, ſich vollſtändig in die für Flüſſigkeiten undurchdringliche Schale zurückzuziehen, dieſe waſſer— dicht zu ſchließen und ſo, mit Unterbrechung aller Thätigkeit, durch die miteingeſchloſſene Feuchtigkeit ihr Leben bis auf günſtigere Zeiten zu friſten. Es beſitzen ihn alſo unter anderen alle Strandſchnecken. Bei der großen Schönheit ſo vieler Schneckengehäuſe und Muſchelſchalen, bei der Sauberkeit, welche mit ihrer Aufbewahrung verbunden ſein kann, iſt es begreiflich, daß der Sammeleifer der Naturliebhaber der vorigen Jahrhunderte ſich vorzugsweiſe auf die Konchylien warf. Aber ſchon im vorigen Jahrhundert geißelte der gelehrte Gegner Linnés, der Stadtſekretär Klein in Königsberg, die Gedankenloſigkeit vieler dieſer Dilettanten. „Die meiſten“, jagt er, „freuen ſich ohne Urteil (sine philosophia) an der unglaublichen Wan: nigfaltigkeit der Konchylien, ſpielen damit und verlangen nach ihnen, wie die Knaben nach Nüſſen und die Reichen nach Kleinodien. Die wenigſten denken über die Grundzüge der Bau der Ruderſchnecken. N 295 Naturgeſchichte nach. Wer etwas ſorgfältiger zu Werke geht, etikettiert ſeine Gehäuſe, wie die Holländer, mit einem hübſchen Namen: vor der Schwierigkeit einer Beſchreibung ſchrecken ſie zurück. Denn ſo viele Geſtalten, ſo viele Farbenverſchiedenheiten, ſo viele Teile des Gehäuſes beſtimmt in entſprechenden Worten auszudrücken, das überſteigt die Kräfte eines ſolchen gewöhnlichen Naturforſchers (vulgaris philosophi).“ Viel ſchwieriger noch ſei es, die eigentlichen Artenunterſchiede aufzufinden; ohne Gründlichkeit mache man neue Arten und wärme den ſo und ſo viele Male ſchon gekochten Kohl immer wieder von neuem auf. Der würdige Klein könnte noch heute ſeinen Zorn über die unberufenen Speziesmacher ausgießen. Erſte Ordnung. Die Ruderſchnecken (Pteropoda). Wenn die Bewohner des Binnenlandes mit dem Worte „Schnecke“ ſogleich die Vor⸗ ſtellung eines auf breiter Sohle kriechenden, mit deutlichem Kopfe ausgeſtatteten Weich— tieres verbinden, ſo ſind wir durch das Vorangegangene ſchon vorbereitet, dieſe von den ſogenannten typiſchen Formen entlehnte Vorſtellung mannigfach modifizieren zu müſſen. Wir wiſſen, daß das Tierreich und ſeine einzelnen Abteilungen nicht nach einem fertigen Schema geſchaffen ſind, ſondern daß Übergänge vom Niedrigeren zum Höheren, vom Un— entwickelten zum Entwickelten ſtattfanden, und daß es mehr oder weniger von der Will— kür des Betrachters abhängt, welche Stufe in dieſem Formenreichtum er feſthalten will, um daraus gewiſſe Merkmale zu gewinnen, nach denen man jene größeren Abteilungen, die Klaſſen z. B., zu charakteriſieren verſucht, während in der Wirklichkeit nichts ſtabil iſt und faſt ebenſo viele Ausnahmen als Regeln zu ſein ſcheinen. Eine ſolche die Regel Lügen ſtrafende Ausnahme ſind nun auch die ſogenannten Floſſenfüßer oder Ruderſchnecken, „an Kopf, Fühlern, Fuß, meiſt an den Kiemen und oft auch am Mantel noch unausgebildete Kriechſchnecken“, wie Bronn ſie bezeichnet. Wer muß dabei nicht an das Meſſer ohne Klinge, welchem der Griff fehlte, denken! Wenn wir uns den Schneckenkopf als einen durch Mund und Lippen, Fühler und Augen kenntlichen, äußerlich hervortretenden, oft ganz deutlich von einem Halſe abgeſetzten Körperteil ver— gegenwärtigen, ſo trifft dieſe Eigentümlichkeit für die neue Ordnung nicht mehr zu. Nur die Mundöffnung gibt die Stelle an, wo der Kopf beginnen ſollte; auch 2 oder 4 unvoll— ſtändige Fühler dienen zur Orientierung. Eine im einzelnen durchgeführte Vergleichung der inneren Organe mit den gleichnamigen Teilen der anderen Ordnungen zeigt überall die geſuchten Anknüpfungspunkte; etwas weſentlich Neues ſind aber die ſeitlichen flügel— förmigen oder floſſenförmigen Anhänge, welche bald am vorderſten Kopfteile des Körpers, bald etwas weiter rückwärts in der Gegend entſpringen, welche dem Halſe der übrigen Schnecken gleichwertig iſt und den Seitenteilen des Schneckenfußes entſprechen. Es ſind dünne häutige Lappen, von ſich kreuzenden Muskelfaſern durchzogen, welche wie die Flügel der Schmetterlinge auf und nieder, häufig auch faſt ebenſo ſchnell bewegt werden können und ihren Trägern bei den Fiſchern des Mittelmeeres den treffenden Namen Farfalle di mare (Seeſchmetterlinge) verſchafft haben. Wir erwähnen für ihre allgemeine Charakteriſtik nur noch, daß ſie im Bau ihrer Fortpflanzungsorgane ſich eng an die Zwitterſchnecken anſchließen, und daß ihre zarte Körperbeſchaffenheit und ihre Floſſen ſie auf das offene Meer weiſen. Wie ſie ſich dort 296 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; erſte Ordnung: Ruderſchnecken. gebärden, ſoll erſt unten, nachdem wir einzelne kennen gelernt, zuſammengefaßt werden oder auch bei der Beſchreibung der Arten kommen. Unſer Führer wird, wie bei den Kiel— füßern, hauptſächlich Gegenbaur ſein, dem wir meiſt wörtlich folgen. Die Familie der Hyaleaceen wird durch zwei bis zur Baſis voneinander getrennte Floſſen charakteriſiert, welche mit dem Unterteil ihres Außenrandes mit dem Mittellappen, einem dem Fuße der übrigen Schnecken entſprechenden Organe, mehr oder weniger ver— ſchmolzen ſind. Der Leib wird von einer dünnen hornartigen oder kalkigen Schale umgeben, in welche das Floſſenpaar vollſtändig eingeſchloſſen werden kann. Die Gattung Hyalea hat ein ziemlich kugeliges Gehäuſe mit enger Mündung und ſeitlichen Spalten, in deren Grunde die Kie— men liegen. Aus dieſen tiefen Einſchnitten, in welche ſich die Schalenmündung ſeitlich fortſetzt, treten jederſeits zwei beträchtliche Larven her— vor, welche ſich teils auf die Bauch-, teils auf die Rückenfläche des Tieres herumſchlagen und, ſolange das Tier am Leben iſt, einen Überzug der Schalenoberfläche bilden. Obwohl die Hyalea— tn — = ceen, wie alle Floſſenfüßer, in ihrem Schlund: Mane edeniats. Natdrliche S, ringe ein wohl entwickeltes Zentralnervenſyſtem h beſitzen, fo find fie doch nur kärglich mit Sinnes— werkzeugen verſehen. Sicher nachgewieſen ſind nur Gehörorgane, die als runde, mit Kriſtallen von kohlenſaurem Kalk erfüllte Bläschen auf den Schlundganglien liegen. Verlängerte Gehäuſe mit weiter Offnung und ohne Seitenſchlitz beſitzen Cleodora und Creseis. Die Schale der erſteren iſt kantig, die der letzteren drehrund. Ihr Mantel hat nur einige wenige Fortſätze, welche ſich aber nicht über die Schale ſchla— gen. Auf den kurzen, im Nacken des Tieres ſich erhebenden Fühlern ſitzen punktförmige Augen. „Die Eier der Pteropoden aus der Gruppe der Hyaleaceen werden in einfache glashelle Schalen gelegt, welche 0,.— 0,3 Linie Durchmeſſer und eine oft bis zu mehreren Zollen ſich erhebende Länge beſitzen. Die Schnüre ſelbſt werden nicht nach Art anderer Meergaſtropoden an feſtſtehende 10 0 b Körper, wie Steine, Seepflanzen ꝛc., befeſtigt, ſondern bleiben, wenn ſie f gelegt ſind, dem Spiele der Fluten überlaſſen, wo ſich die Embryonen entwickeln, um ſogleich nach Verlaſſen der Eierſchnur die pelagiſche Lebensweiſe der Eltern fortzuſetzen.“ Es gelang Gegenbaur während ſeines Aufenthaltes in Meſſina, mit der im Dezember beginnenden kühleren Jahreszeit bei täglicher Erneuerung des Waſſers längere Zeit hindurch eine Anzahl Pteropoden in Glasgefäßen zu halten, die ihn immer reichlich mit Eierſchnüren verſorgten. Dadurch ließ ſich feſtſtellen, daß Hyalea tridentata binnen 2 Tagen gegen 200 Eier legte, Hyalea gibbosa 60—80, ebenſo viele ein paar Cleodoren. Nach— dem der Embryo ſich vorn mit einer Wimperſchnur umgeben und hinten eine feine Schale abgeſondert hat, durchbricht er am ſiebenten oder achten Tage ſeiner Entwickelung ſeine ſpezielle Eihülle und ſucht ſich, in der engen Röhre der Eierſchnur auf und ab wirbelnd, ſeinen Ausweg ins Freie, um dort ſein Schwärmſtadium als Larve zu beginnen. Der Hyaleaceen. Cymbuliaceen. 297 Wimperkranz am Vorderteil wird allmählich oval und erhält zwei Einbuchtungen, wo— durch zwei Lappen entſtehen, die uns ſchon bei anderen Gaſtropoden als die Segellappen bekannt geworden ſind. Sehr ausgebildet iſt das Segel bei den oft in unzählbaren Mengen im Meere beiſammen befindlichen Larven der Creseis, gebildet durch zwei tief eingebuch— tete Lappen. Die Familie der Cymbuliaceen iſt abgegrenzt durch die Ausdehnung der mit breiter Baſis entſpringenden Floſſen ſowie durch den Beſitz einer flachen, aus durchſichtiger Sub— ſtanz gebildeten inneren Schale, welche im normalen Zuſtande von einem dünnen Mantel— lappen vollſtändig bedeckt iſt; derſelbe iſt aber ſo äußerſt zart und zerreißbar, daß nur ſelten vollſtändig gut erhaltene Exemplare zu bekommen ſind. Meiſt geht während des Einfangens ein Teil dieſer Schalenhülle verloren, ſtreift ſich in Fetzen ab, und dann be— wirken einige kräftige Floſſen— bewegungen eine weitere Ab- löſung, die bald eine gänzliche Trennung des Tieres von ſeiner Schale nach ſich zieht. Dies geſchieht um ſo leichter, als der eigentliche Körper zwar in der Schalenhöhlung liegt, jedoch ohne jede weitere Be— feſtigung. Die durchgehends glashelle Schale ſelbſt iſt wie ein weicher Knorpel und gehört nach ihrer chemiſchen Beſchaf— fenheit in die Reihe der chitin- haltigen Körper, welche zwar vorzugsweiſe bei den Gliedertieren auftreten, jedoch auch hier und da bei den Würmern, Weichtieren und anderen niederen Tieren auftauchen. Eine zu den Cymbuliaceen gehörige, durch ihre Körperform ſehr intereſſante Gattung iſt Tiedemannia. Gegenbaurs Beobachtungen betreffen die Tiedemannia neapolitana. Der Körper a (ſ. obige Abbildung) bildet ein flaches Oval, iſt vorn ſtark gewulſtet und läuft, nach hinten dünner werdend, in einen flachen Rand aus. Es wird dieſe Geſtalt durch eine all— ſeitig vom Mantel des Tieres umfloſſene glashelle Schale bedingt, welche bei der geringſten Verletzung des Mantels ſich ſogleich auflöſt und dann von der früheren Körperform nur noch ſpärliche Andeutungen zurückläßt. Die Floſſen b ſind vollſtändig miteinander verwachſen. Der von der Mitte des tief eingeſchnittenen Vorderrandes der Floſſen ſich erhebende Fortſatz e, welcher gegen 2½ cm lang wird und mit zwei Lappen endigt, iſt der Rüſſel des Tieres. Er liegt in der Ruhe und beim Schwimmen nach hinten gebogen, oft die Mitte der Floſſen berührend. Wird das Tier gereizt, oder macht es in der Gefangenſchaft ſtarke Anſtrengungen, ſo erhebt es ſich und kann ſich auch langſam nach vorn richten. Im ganzen kommt ihm aber nur eine äußerſt geringe Beweglichkeit zu. Faſt das ganze Tier iſt durchſichtig und macht ſich im Meere nur durch ſeine Bewegungen bemerkbar. Die dunkelbraune Eingeweide— maſſe iſt wie bei Cymbulia in einen ſpitzen „Kern“ vereinigt und ſchimmert durch die Leibeshülle. Tiedemannia neapolitana. Natürliche Größe. 298 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; erſte Ordnung: Ruderſchnecken. Mehrere Arten der Tiedemannien haben in ihrem Mantel gelbe und braune Flecke, welche in derſelben Weiſe ſich ändern, wie die ſo merkwürdigen Chromatophoren der Kopf— füßer, und überhaupt in jeder Beziehung jenen Gebilden gleichzuſtellen ſind. Gegenbaur ſagt darüber: „Bei längerer aufmerkſamer Beobachtung einer lebenden Tiedemannia be- merkt man, wie Mantel und Floſſenrand anſtatt der großen braunen Flecke nur feine ſchwarze Punkte beſitzen, und wie nach einiger Zeit eine allmähliche Vergrößerung dieſer Punkte auftritt, wie zugleich ihre Farbe etwas heller wird, bis ſie endlich in die braunen runden Flecke ſich umgewandelt haben, deren früheres Verſchwinden zuvor vielleicht rätſelhaft er— ſchien. Am frappanteſten iſt die Beobachtung dieſer Erſcheinung unter dem Mikroſkop, wo man das ſchönſte Chromatophorenſpiel vor ſich zu haben glaubt. Die Farbenzelle nimmt oft die bizarrſten Geſtalten an. Die Schnelligkeit der dabei thätigen Kontraktion iſt äußerſt verſchieden und währt von einer halben Minute bis zu dreiviertel Stunden und mehr.“ * Zu den mit Schale verſehenen Sippen gehört auch Limacina, und zwar iſt ihr Gehäuſe ſchneckenförmig gewunden, eine ſie von allen übrigen Gattungen trennende Form. Ein Dutzend Arten aus den verſchiedenſten Meeren ſind beſchrieben, keine jo anziehend, wie Limacina arctic a von der grönländiſchen Küſte, deren Treiben Otto Fabricius in folgender Weiſe ſchildert: „Ihres Gehäuſes bedient ſie ſich als Boot, und indem ſie ihre erhobenen Flügel fortwährend bewegt, rudert ſie trefflich. Dabei verhält ſich das offene Ende der Schale als Vorderteil, das entgegengeſetzte als Hinterteil, während der Rand des Gewindes die Stelle des Kieles vertritt. Nie jedoch habe ich beobachten können, daß das Tier einen Körperteil wie ein Segel über die Oberfläche des Waſſers hervor— geſtreckt hätte. Iſt es ermüdet, oder wird es berührt, ſo zieht es die Ruder ein, begibt ſich ganz in das Gehäuſe und ſinkt auf den Grund, eine kurze Zeit ausruhend auf dem Kiel, dem Schnabel oder dem Scheitel, nie aber auf dem Nabel. Rudernd ſteigt ſie in ſchräger Richtung wieder in die Höhe, worauf ſie dann an der Oberfläche geradeaus ſich bewegt.“ Fabricius gibt ausdrücklich von dieſer Limacina arctica an, daß ſie Walfiſchaas und Walfiſchfraß genannt werde und die Hauptnahrung des Finnfiſches (Balaenoptera boops) und des Grönlandwales (Balaena mysticetus) ausmache. Clio flavescens. Etwas vergr. Die nun folgenden Clioideen haben einen nackten, meiſt ſpindelförmigen, mit einem deutlich geſchiedenen Kopfe verſehenen Körper, an deſſen Halsteil ein Floſſenpaar ſitzt. Charakteriſtiſch iſt auch ein zwiſchen beiden Floſſen auf der Bauchſeite entſpringender, meiſt hufeiſenförmiger Anhang, der ſamt einer zuweilen vorkommenden zipfelartigen Verlängerung als die umgewandelte Kriechſohle der anderen Schnecken erſcheint. kit dieſen Worten iſt die eine große Gattung Clio (ſ. obenſtehende Abbildung) begrenzt, mit dem negativen Zuſatze, daß bei ihr keine mit Saugnäpfen verſehenen Arme vorhanden find. Die Tierchen werden 1—3 em lang und können, wenn ſie ſich plötzlich ſenken wollen, die Floſſen faltig einziehen und dann häufig mit jenem dem Fuße zu vergleichenden Bauch— anhang und dem ganzen Kopfteile in den Hinterleib einſtülpen. Von allen Arten wird am häufigſten die nordiſche Clio (Clio borealis) genannt, überaus gemein im Grönlän— diſchen Meere und die gewöhnliche Nahrung mehrerer Raubfiſche, der dreizehigen Möwe und auch jener Wale, die wir eben als Hauptvertilger der Limaeina arctica nannten. Limacina. Clioideen. Nordiſche Clio. 299 Die Gattung Pneumodermon gleicht im weſentlichen Clio, nur hat ſie am Kopfe zwei mit Saugnäpfen beſetzte Stiele, welche ganz in den Kopfteil des Tieres in eine taſchen— förmige Einſtülpung zurückgezogen werden können. Auch finden ſich am Hinterende faltige Hautanhänge, welche als Kiemen dienen, oder ſtatt derſelben (bei Pneumodermon ciliatum des Mittelmeeres) ein ſtark entwickelter Wimperkranz. Gegenbaur entdeckte in der Haut dieſer Tiere zahlreiche kleine Drüſen, von deren Ausſcheidung ſie zu ihrem Schutze Gebrauch machen. „Reizt man einen friſch eingefangenen Pneumodermon, deſſen Hautdrüſen man durch ihre weiße Färbung noch als gefüllt erkennt, mittels einer Nadel und dergleichen, ſo überzieht ſich alsbald die ganze Körperoberfläche mit einer trüben, zuweilen weißlich er⸗ ſcheinenden Hülle, einer Art Membran, die fetzenweiſe von der Oberfläche des Tieres ſich abziehen läßt. Oft auch bildet das ausgetretene Sekret keine ſolche zuſammenhängende häutige Maſſe, ſondern hüllt anfänglich das Tier in eine leicht opaliſierende Wolke ein, welche dann raſch ſich zu Boden ſenkt und verſchwindet. Man kann dieſes Experiment in Intervallen von 2—6 Minuten mehrere Male wiederholen, doch iſt jedesmal das ſpätere von einem ge— ringeren Erfolge begleitet, und zuletzt währt es ſogar ſtundenlang, bis die Drüſen wieder mit hinreichender Sekretmaſſe gefüllt ſind. Ob dieſes Drüſenſekret nicht auch aus einem Aus— wurfsſtoffe des Körpers ſich gebildet, oder ob feine Ausſcheidung als Verteidigungsmittel diene, wage ich nicht mit Beſtimmtheit zu ent— ſcheiden; vielleicht iſt beides der Fall; daß es zur Verteidigung verwendet wird, lehrt nicht nur die Entleerung desſelben bei der leiſeſten Berührung der Haut mit einem fremden Kör— per, ſondern vorzüglich folgende oft gemachte Beobachtung. Wenn es ſich traf, daß Pneumo— See) dermen mit gefräßigen Firolen (d. h. Ptero- Faſt reife Larve von Pneumodermon. Stark vergrößert. trachea) oder beuteluſtigen Phyllirhoen (Nackt— kiemer) in einem und demſelben Gefäße ſich befanden, ſo kam es bald zu einer Jagd auf die ſchwächeren Pneumodermen, die trotz ihrer Gewandtheit ihren Gegnern nicht entgehen konnten. So oft nun einer der Räuber einem der geängſteten Tiere zu nahe kam und es mit dem geöffneten Hakenapparat zu packen ſuchte, hüllte ſich der Pneumodermon in eine Wolke, der nacheilende Räuber hielt wie erſchreckt dann inne, und der Verfolgte gewann einen Vorſprung, um wenigſtens für einige Zeit zu entrinnen. Freilich war dies Mittel kein beſtändig wirkendes, denn bald begann die Verfolgung von neuem, nach mehrfacher Wiederholung desſelben Verſuches verſiegte die Abſonderung des ſchützenden Sekretes, und der Stärkere erhaſchte endlich die oft entgangene Beute.“ Die Saugnäpfe ſamt ihren Stielen ſind gewöhnlich eingezogen und die Tiere ſind ſchwer zu veranlaſſen, den ganzen Saugapparat hervorzuſtrecken. Gegen baur konnte nie— mals ein Feſtſaugen an irgend einen Gegenſtand beobachten. Die Entwickelung von Pneumodermon iſt nicht nur von derjenigen der übrigen Ruder— ſchnecken abweichend, ſondern unterſcheidet ſich überhaupt von der aller übrigen Schnecken. 300 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; erſte Ordnung: Ruderſchnecken. Die im Meere frei umherſchwimmende Larve iſt anfangs geſtreckt cylindriſch und mit drei Wimperreifen umgeben, wodurch ſie lebhaft an die Larven vieler Ringelwürmer erinnert. Der erſte Wimperreif entſpricht dem Segel der übrigen Weichtiere. Die vorſtehend ab— gebildete Stufe iſt aus einer viel ſpäteren Zeit. Statt des Segels ſehen wir die beiden Floſſen k, vor dieſen die mit Saugnäpfen beſetzten Stiele e. Zwiſchen ihnen erhebt ſich der Kopfteil d mit der Mundſpalte b. Zu beiden Seiten derſelben bemerken wir zwei mit Häkchen beſetzte Zapfen 6, ebenfalls eine Eigentümlichkeit der ausgewachſenen Pneumodermen. Im gewöhnlichen Zuſtande der Ruhe ſind dieſe Zapfen wie Handſchuhfinger eingeſtülpt. Wenn ſie ausgeſtülpt und ſtarr aufgerichtet ſind, eignen ſie ſich als Verteidigungs- und Angriffswaffen, doch liegen über ihren Gebrauch direkte Beobachtungen nicht vor. Bei allen Arten verſchwindet der mittlere Reifen a‘, bei den meiſten auch der dritte a“, an deſſen Stelle dann die Kiemenlappen treten. Fügen wir nun noch einige Mitteilungen über das Leben der Floſſenfüßer im all— gemeinen hinzu. Sie find über alle Meere, vom Eismeer bis zum Aquator, verbreitet und vorzugsweiſe auf dem hohen Meere anzutreffen. Ihr Vorkommen an den Küſten, z. B. bei Nizza und Meſſina, iſt vorzugsweiſe durch Meeresſtrömungen bedingt. Im Mittelländiſchen Meere wurden ſie zwar vielfach mitten am Tage an der Oberfläche des Meeres gefangen, dennoch können die meiſten Nacht- oder Dämmerungstiere genannt werden, und namentlich ſcheint in den ſüdlichen Breiten ihr Erſcheinen an das Verſchwinden des direkten Sonnen— lichtes geknüpft zu fein. Der franzöſiſche Naturforſcher d' rbigny, der fie anhaltend in den tropiſchen Meeren beobachtete, erzählt, daß er nie ſo glücklich geweſen, ein einziges Exemplar bei Tage zu fangen. „Aber“, ſagt er, „gegen 5 Uhr abends, bei bedecktem Himmel, fangen 2 oder 3 Arten, beſonders Hyalea, in ihren eigentümlichen Verbreitungsbezirken an, an der Waſſeroberfläche zu erſcheinen. Kommt nun die Dämmerung, ſo kann man in großen Maſſen die kleineren Arten der verſchiedenen Kielfüßer und Floſſenfüßer er— halten. Die großen Arten erſcheinen aber erſt, nachdem die Nacht ſich völlig herabgeſenkt. Dann zeigen ſich die Pneumodermen, die Clionen und die großen Arten der Cleodoren. Einige Arten, z. B. Hyalea balantium (jetzt Balantium als Gattung) im Meerbuſen von Guinea, kommen ſogar nur bei ausnehmend dunkeln Nächten. Bald darauf verſchwinden in der Reihe, wie ſie gekommen, die kleinen Arten; die großen thun desgleichen, und etwas ſpäter, gegen Mitternacht, bemerkt man nur noch einzelne Individuen, welche den Rückzug verſäumt haben. Eins und das andere iſt wohl auch bis gegen Morgen geblieben; aber nach Sonnenaufgang ſucht das Auge ſowohl an der Oberfläche als bis zu der Tiefe, wohin es dringen kann, vergeblich nach einem Floſſenfüßer. Jede Art richtet ſich in ihrem Erſcheinen und Verſchwinden nach beſtimmten Stunden oder vielmehr nach beſtimmten Graden der Dunkelheit.“ D'Orbigny glaubte aus dieſen Gewohnheiten ſchließen zu müſſen, daß jede Art in einer beſtimmten Tiefe ſich aufhalte, wo die Lichtſtärke bis zu einem gewiſſen Grade ab— geſchwächt ſei. Jede Art würde an der Oberfläche erſcheinen, wenn hier ungefähr dieſelbe Dunkelheit herrſchte, die, wenn die Sonne über dem Horizont iſt, über jener Zone aus— gebreitet wäre, wo das Tier ſich aufhält. Wenn die Pteropoden die ganze Nacht an der Meeresoberfläche blieben, könnte man mit Rang glauben, ſie erſchienen mit Sonnenunter— gang, um in den oberflächlichen Schichten ihre Nahrung zu ſuchen, oder auch wegen des Atmungsbedürfniſſes. Aber es iſt nicht einzuſehen, warum ſie in der einen Stunde der Nacht ihre Nahrung leichter finden ſollten als in der anderen, oder warum ſie, da ſie den Leben der Floſſenfüßer im allgemeinen. — Hinterfiemer, 301 größten Teil des Tages tief im Waſſer atmen, nötig haben ſollten, des Abends weiter oben Luft zu ſchöpfen. Viel natürlicher iſt die Aufſtellung, die Pteropoden ſteigen nach und nach aus der Tiefe nach oben, um ſo lange wie möglich in demjenigen Lichte zu ſein, welches bei Tage in der Zone ihres Aufenthaltes herrſcht. Die Einwendung, die man gegen dieſe Anſicht noch machen könnte, daß doch unmöglich bei ſo geringer Ausbildung oder ſogar dem gänzlichen Mangel der Geſichtswerkzeuge gerade die Empfindlichkeit gegen das Licht jene Gewohnheiten der nächtlichen Lebensweiſe verurſachen könnte, iſt hinfällig, da, wie wir an zahlreichen Beiſpielen der niederen Tierwelt und der Pflanzenwelt auf das deutlichſte ſehen, die Lichtempfindlichkeit durchaus nicht von dem Vorhandenſein und der Vollkommenheit der Geſichtswerkzeuge abhängt. Lichtſcheu und Verkümmerung der Augen gehen Hand in Hand. Hinſichtlich der Entfernung des Vorkommens der Pteropoden von den Küſten Süd— amerikas fand der franzöſiſche Naturforſcher, daß ſie auf der Seite von Chile und Peru der Küſte nie näher kamen als etwa 10 Meilen. Auf der atlantiſchen Seite hielten ſie ſich in noch größerer Entfernung. Wir haben ſchon erwähnt, daß die Pteropoden der ge— mäßigten und, fügen wir hinzu, der nördlichen Meere nicht ſo ſkrupulös gegen Licht ſo— wohl als gegen das Land ſind. Die Pteropoden können ſich nur durch ununterbrochene Bewegung ihrer Floſſen, ähnlich den Flügelſchlägen der Schmetterlinge, vorwärts bringen oder auf einer und derſelben Stelle erhalten. Die Floſſen arbeiten unausgeſetzt mit großer Leichtigkeit und Geſchicklich— keit, und je nach ihrer Stellung ſchreitet das Tier geradeaus fort, ſteigt oder ſinkt, wobei der Körper immer aufrecht oder leicht geneigt bleibt. Mitunter dreht er ſich auch um ſich ſelbſt oder kann anſcheinend ohne Bewegung ſeine Stelle behaupten. Letzteres vermögen jedoch nur ſehr wenige Arten, und die allgemeinſte Bewegung iſt ſchmetterlingsartig. Wenn ſie während ihrer Bewegung durch die Erſcheinung eines fremden Körpers oder durch einen Stoß an das Gefäß, in dem man ſie aufbewahrt, beunruhigt werden, ſo ſchlagen ſich die Flügel übereinander oder werden, wie bei Hyalea, eingezogen, und das Tier läßt ſich zu Boden ſinken. Die Hyaleaceen ſchwimmen ſchneller als die Cleodoren, ſehr langſam die Pneumodermen und Clionen. Die Pteropoden ſind, wie aus der Unterſuchung ihres Mageninhaltes hervorgeht, Fleiſchfreſſer; außer verſchiedenen Weichtieren ſtellen ſie den in unzählbaren Mengen die oberen Meeresſchichten bevöllernden Krebschen nach. Zweite Ordnung. Die Hinterkiemer (Opisthobranchia). Auf den bunten Wieſen der faden- und baumförmigen Algen, der blätterigen Algen und der gröberen Tange, auf dem reizenden, unter Waſſer getauchten Pflanzenteppich, der unſer Auge ſchon ſo oft entzückte, wenn wir von dem langſam vorwärts getriebenen Boote aus den Meeresgrund betrachteten, finden wir noch Scharen von Weichtieren, welche meiſt durch ihren nackten Körper an unſere Wegſchnecke erinnern, aber gewöhnlich auch durch zierlicheren Bau, vielgeſtaltige, als Kiemen dienende Anhänge ſowie durch Farbenſchmuck den Preis vor jenen erringen. Obwohl die Anzahl der bekannten Arten der Hinterkiemer, über welches Namens Bedeutung gleich zu reden ſein wird, kaum 1000 betragen dürfte, zeigt der Bau ihres Körpers, 302 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. ihre Form und Lebensweiſe doch ſehr beträchtliche Unterſchiede und Abſtufungen, da einer— ſeits höchſt vollſtändig entwickelte Sippen zu ihnen zählen, welche an die früher abgehan— delten Ordnungen ſich eng anſchließen, anderſeits in ihnen der Weichtiertypus ſich ſeiner Eigenheiten mehr oder weniger entäußert und unter anderem Übergänge zu den Platt— würmern mit gänzlichem Mangel innerer und äußerer Kiemen nicht zu den Seltenheiten gehören. Indem ich der trefflichen Zuſammenſtellung Bronns folge, gebe ich zunächſt im weſent— lichen ſeine allgemeine Charakteriſtik der Ordnung. Wir haben dafür ſchon ſo manche An— knüpfungspunkte aus dem Vorangegangenen gewonnen. Die Hinterkiemer (Opisthobranchia) find Meeresſchnecken, deren weſentlichſte und beſtändigſte Merkmale in der Waſſeratmung, in der Lage der Vorkammer und des Gefäßſyſtem von Pleurobranchus aurantiacus. von den Kiemen das Blut bringenden Gefäßſtammes hinter der Herzkammer und in ihrem Zwittergeſchlecht beruhen. Faſt ausnahmslos find fie von geſtreckter Form und nackt. Nur bei einem kleinen Teile werden wir ſchildförmige oder gedrehte, aber nie die Vollſtändigkeit des Gehäuſes der Vorderkiemer erreichende Schalen finden. Sie tragen faſt ausnahmslos ein Paar Fühlhörner und am Munde ein Paar Lippentaſter oder auch eine, dem Segel der Larven gleichwertige Hautausbreitung. Von der inneren Organiſation iſt für uns zum Verſtändnis der jetzt faſt allgemein gültigen ſyſtematiſchen Benennung ein etwas näheres Eingehen auf die Kreislaufs- und Gefäßſyſtems-Verhältniſſe angezeigt. Die obenſtehende Figur iſt der meiſterhaften anatomiſchen Beſchreibung des Pleurobranchus von Lacaze— Duthiers entnommen und ſtellt zur Verſinnlichung des Gefäßſyſtems einen ſenkrechten Durchſchnitt jenes Tieres dar, deſſen nähere Bekanntſchaft wir unten machen werden. Ohne weiteres ergibt ſich p als die Sohle. Die Mundöffnung iſt a, bedeckt von einem ſegel— förmigen Lappen c, über welchem der Fühler. Die lang geſtrichelten Adern find die Venen », welche das Blut zur Kieme bringen; aus dieſer fließt es in das Herz. Dieſe Lage nun iſt die entgegengeſetzte von der, welche die Vorderkiemer charakteriſierte, und folgt daraus die Bezeichnung der neuen Abteilung als Hinterkiemer von ſelbſt. Wir können auch gleich hier noch einer anatomiſchen Eigentümlichkeit gedenken, welche unſere Ordnung mit den meiſten anderen Weichtieren gemein hat, und von welcher die an einem Individuum oft ſo ſehr wechſelnde äußere Erſcheinung abhängt: des direkten Zuſammen— hanges des Blutgefäßſyſtems mit der Außenwelt. Auf der ſchematiſchen Abbildung des Pleurobranchus iſt mit g die Offnung eines Ganges bezeichnet, welcher dem Blute direkt Waſſer zuführt, und wodurch die gleich den Höhlungen eines Schwammes den Rücken und Fuß durchziehenden Blutgefäße nach Belieben des Tieres gefüllt und entleert werden können. Obwohl nun dies das Grundſchema des Kreislaufes der meiſten Hinterkiemer Bau der Hinterkiemer. 303 iſt, ſo entfernt ſich doch ein Zweig der Ordnung gar ſehr davon, indem er gar kein beſonderes Atmungswerkzeug mehr beſitzt und die bloße nackte Rückenhaut deſſen Stelle zu vertreten hat. Das Nervenſyſtem iſt in der Regel wohl entwickelt. Der wichtigſte Teil, der Schlund— ring, beſteht meiſt aus drei durch Nervenſtränge verbundene Ganglienpaaren, von denen die Hauptnerven für die Sinneswerkzeuge, die Mantel- und Fußpartie abgehen, und mit denen in der Regel noch einige kleine Nervenknötchen in Verbindung ſtehen, von wo aus die inneren Mundteile und der Verdauungskanal mit den ſie beeinfluſſenden feinen Nerven— fädchen verſorgt werden. In der Entwickelung der Augen treten die Hinterkiemer ſowohl gegen die Lungenſchnecken und die meiſten Vorderkiemer als gegen die Kielfüßer zurück, wie es mit ihrer kriechenden und auf die Pflanzennahrung gerichteten Lebensweiſe zuſammen— hängt. Nur bei wenigen Arten werden wir die Befähigung zum Schwimmen mittels floſſen— artiger Ausbreitungen des Fußes finden. Die Fortpflanzungsorgane ſind zwitterig. Die Eier werden zahlreich in einer ſchleimigen Hüllmaſſe abgeſetzt. In dieſer durchlaufen ſie ihre Furchung und bleibt der mit Hilfe von Wimpern kreiſende Embryo bis zur Larvenform. Dieſe iſt durch das uns bekannte Wimperſegel, eine das ganze Tierchen aufnehmende Spiralſchale und einen Deckel tragenden Fuß ausgezeichnet. So beſchaffen tritt die Larve aus dem Laiche hervor, ſchwimmt frei herum, wirft dann Deckel und Schale ab und beginnt nun ihren Fuß zu gebrauchen, der allmählich zur breiten Sohle wird und im Anfang geſondert iſt, ſpäter mehr oder weniger mit dem übrigen Körper verſchmilzt. In Bronns Verzeichnis der Hinterkiemer ſind nicht weniger als 122 Gattungen, auf 26 Familien verteilt, aufgeführt, wobei natürlich das Bedürfnis nach Überſicht auf eine Teilung der Ordnung in Unterordnungen dringt. Es liegt auf der Hand, daß man bei der Wichtigkeit der Atmungswerkzeuge, und weil ihre Lage und Form leicht zu konſtatieren ſind, immer und immer wieder behufs ſyſtematiſcher Verwertung auf ſie zurückkommt. „Dieſe Schneckengruppe“, ſagt Bronn, „bietet in ſich eins der ſchönſten Beiſpiele einer aufſteigenden Reihe durch Trennung der Arbeit, Entwickelung ſelbſtändiger Organe, Kon— zentrierung und Internierung ihrer Stellung bei fortſchreitender Vervollkommnung der Organiſation, zumal in den Kiemen dar. Den Anfang bildet die ſcheiben-, kiemen-, gefäß— und ſelbſt herzloſe Rhodope. Zuerſt funktioniert die Rückenhaut, dann vergrößert ſie ihre Berührungsfläche mit der Luft durch Bildung verſchiedenartiger Anhänge; dieſe veräſteln und verzweigen ſich ſelbſt noch weiter und werden zu wirklichen Kiemen, indem ſie im Inneren regelmäßige Zuleitungs- und Ableitungsgefäße und Gefäßnetze aufnehmen; die über den ganzen Rücken verteilten Kiemen konzentrieren ſich um den After, ſuchen dann unter dem Mantelrande Schutz, zuerſt längs beider Seiten des Körpers, und beſchränken ſich dann auf die rechte Seite, wo ſich allmählich eine Vertiefung zu ihrer Aufnahme, eine ſeichte Kiemenhöhle mit noch weiter Offnung bildet. Andernteils entwickelt ſich die Spiralſchale zum Schutze und zur Aufnahme des Tieres immer mehr, indem ſie aus einer rudimentären, inneren hornigen eine äußere wird.“ Wir haben durch dieſe treffenden Worte unſerer Darſtellung vorgegriffen. Sie drücken das Reſultat einer genauen Muſterung der ganzen Reihe der Hinterkiemer aus, wenn man, wie naturgemäß, mit den niedriger organiſierten beginnt. Nach der Anlage dieſes Werkes iſt uns leider dieſer Gang nicht erlaubt, wir haben aber auch hier nicht unterlaſſen wollen, darauf hinzuweiſen, wie zur eigentlichen geiſtigen Durchdringung dieſes Teiles der leben— den Welt das Aufſteigen vom Niederen zum Höheren eine innere Notwendigkeit iſt. Jene höheren Hinterkiemer, deren Kiemen „unter dem Mantelrande Schutz geſucht“ haben, kann man Deckkiemer oder Seitenkiemer nennen. Der erſte Name iſt vorzuziehen, indem bei 304 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. allen Familien dieſer Abteilung die Kiemen mehr oder weniger bedeckt, aber nur bei einer entſchieden an der Seite liegen. Die Familie der Bullaceen beſteht aus Gattungen, bei welchen die Kiemen auf dem Rücken ſitzen und vom Mantel bedeckt werden. Faſt alle beſitzen eine äußere Schale, oft ſo groß, daß ſich das Tier vollſtändig darin bergen kann. Wir haben an den europäiſchen Küſten einige ausgezeichnete Repräſentanten und wollen zuerſt an der gemeinen Kugel— ſchnecke (Acera bullata) der Oft: und Nordſee und des Mittelmeeres ihre Eigentümlich— keiten kennen lernen. Unſer Führer iſt das Prachtwerk, welches Meyer und Möbius über die Hinterkiemer der Kieler Bucht herausgegeben haben, und deſſen Wort und Bild wir unten über die Nacktkiemer vielfach benutzen werden!. Gemeine Kugelſchnecke (Acera bullata). Doppelte Größe. Das Tier von Acera iſt faſt walzenförmig verlängert; der Kopf iſt niedergedrückt und vorn abgeſtumpft. Der Fuß hat große abgerundete Lappen, welche den größten Teil der Schale bedecken können. Am Hinterende des Mantels iſt ein fadenförmiger Anhang. Dieſer Faden entſpringt von dem Mantelrande, tritt aus dem hinteren Schalenſpalt hervor und kann ſich ausdehnen und zuſammenziehen. Über ſeinen Nutzen liegen keine Beobachtungen vor. Jedenfalls erinnert er an den Schwanzanhang der Pterotracheen. Die Schale iſt dünn, hornartig, elaſtiſch und eiförmig. Die großen Exemplare vorliegender Art ſtrecken ſich beim Kriechen bis auf 40 mm Länge aus. Ihr mächtig entwickelter Fuß dient nicht bloß zum Kriechen, ſondern auch zum freien Schwimmen. Ruht das Tier am Boden oder kriecht es, ſo ſind die freien Seitenplatten des Fußes in die Höhe geſchlagen und bedecken nicht nur die Seiten des Körpers, ſondern auch den Mittelrücken und einen Teil der Schale, ja ihre Ränder legen ſich noch übereinander. Wenn man die Schnecke aus dem Waſſer nimmt oder ſie beunruhigt, ſo verkürzt ſie den ganzen Körper ſo ſehr, daß ihn Man hätte denken ſollen, daß dieſe beſchränkte Lokalität eines ſchon ſalzarmen Meeres, weder durch Küſtenentwickelung noch durch Strömungen und andere der Tierwelt günſtige Bedingungen bevorzugt, keine beſondere und intereſſante Ausbeute geben würde. Ganz das Gegenteil! Die beiden Naturforſcher haben zuerſt alle phyſikaliſchen Verhältniſſe der Kieler Bucht, ſoweit ſie irgend einen Einfluß auf das Tierleben ausüben, gründlichſt unterſucht und ein höchſt anziehendes und lehrreiches Bild der Küſtenbeſchaffenheit, des Grundes, der Zuſammenſetzung und Temperatur des Waſſers ꝛc. gegeben. Sie belehren uns, indem fie uns an den Schleppnetzexkurſionen teilnehmen laſſen, wie die Verteilung der Tiere ſtattfindet und von welchen Umſtänden ſie abhängt, welche Pflanzen vorherrſchen, und wie die Tiere ſich auf dieſem Bezirk, wo die größten Tiefen 10 Faden betragen, nach wohlgeſchiedenen Regionen ſondern. Kugelſchnecke. 305 der Fuß ganz umhüllen kann. Dann bildet das ganze Tier eine weiche, ſchleimige Kugel, aus welcher der ſchützend zuſammengezogene Fuß weiter nichts als nur noch ein kleines Dreieck von der Schale hervorſehen läßt. Daher ihr Name. Die Lebensweiſe der Kugelſchnecke iſt nach Meyer und Möbius' Beobachtungen folgende. Die größten Exemplare wurden im Winter und Frühjahr gefangen. Im Juli fiſchten die beiden häufig kleine, nur 3—5 mm lange Tiere und viele leere und mittelgroße Schalen zwiſchen faulem Seegras, woraus ſich entnehmen läßt, daß die Kugelſchnecke von einem Frühling bis zum nächſtfolgenden leben mag. Sie gehört im Kieler Buſen da, wo ſchlam— miger, ſeegrastragender Grund iſt, zu den gemeinſten Tieren und liebt vorzüglich die Region des abgeſtorbenen Seegraſes, das die Fiſcher Rottang nennen. Hier findet ſie an den brau— nen faulen Blättern reichliche Nahrung. Im Aquarium frißt ſie außer dieſen auch Fleiſch. „Die Kugelſchnecke iſt“, fahren die Beobachter fort, „faſt immer in Bewegung. Sie kriecht am Boden hin oder an der Wand des Aquariums hinauf. Zuweilen hängt ſie auch etwas krumm zuſammengezogen an der Oberfläche. Beim Kriechen hebt und ſenkt ſie den Kopf und biegt ſie den Vorderkörper nach rechts und links. Mit dem unteren Teile des Fußes ſchieben ſich auch die emporgeſchlagenen Flügel desſelben vorwärts, ſo daß die Schale, worauf ſie liegen, abwechſelnd mehr frei und darauf wieder mehr bedeckt wird. Geſchieht dieſer Wechſel lebhafter als gewöhnlich, ſo ſchickt ſich die Kugelſchnecke zum Schwim— men an, einer eigentümlichen, überaus anziehenden, aber ſeltenen Bewegung, die man ein Fliegen im Waſſer nennen möchte. Die gelbe Schale gleitet immer ſchneller und weiter vor⸗ und rückwärts, der Vorderkörper macht rhythmiſche Biegungen, die Fußlappen werden abgelöſt und wieder angezogen, immer weiter und immer kräftiger, bis endlich ihre Nieder— ſchläge den ganzen Körper vom Boden abſtoßen. Das Tier fährt nun, bald rechts oder links, bald vor- oder rückwärts ſchwankend, immer höher im Waſſer empor und ſchwebt in den anmutigſten Stellungen mitten in ſeinem klaren Element. Sind dieſe Bewegungen aufs höchſte geſteigert, jo macht der Fuß in einer Sekunde 2— 3 kräftige Schläge, wobei er ſich in dem Grade vom Körper abzieht, daß er eine nach unten konkave Fläche bildet. Damit gleichzeitig biegt ſich der Vorderkörper entweder vor- oder rückwärts. Während dies ge— ſchieht, ſinkt das Tier jedesmal ein wenig, fährt aber beim Niederſchlag des ausgeſpann— ten Fußes darauf plötzlich wieder ſchräg in die Höhe. „Nachdem ſolche lebhafte Bewegungen einige Minuten angehalten haben, werden die Schläge ſchwächer; die Schnecke ſinkt langſam tiefer; zuweilen erhebt ſie ſich, ehe ſie den Boden berührt, noch einmal durch einige ſtarke Schläge, jedoch nicht mehr zu ihrer früheren Höhe; die Kräfte werden matter, ſie ſinkt zu Boden, ſchlägt nur noch die Fußlappenränder in die Höhe, lüftet ſie noch einigemal, legt ſie dann über der Schale ruhig zuſammen und fängt endlich wieder an zu kriechen.“ Die Verfaſſer dieſer ſehr anſchaulichen Schilderung meinen, daß vielleicht die Be— gattungsluſt des Frühlings zu dieſen Bewegungen anreizt, da gerade im Februar, wo ſich die Tiere zur Begattung aufſuchen, ſie öfters ſchwimmend angetroffen wurden. Im Aqua— rium legten die Kugelſchnecken ſchon vom Januar an Eier; im Kieler Buſen fanden Meyer und Möbius den Laich im Mai und Juni in ſolchen Mengen am Seegraſe, daß ſie ganze Hände voll Schnüre aus dem Schleppnetz nehmen konnten. Die Eiſchnüre find drehrund, 2—3 mm dick, von ſehr verſchiedener Länge und bald ſpiral gelegt, bald in unregelmäßigen Windungen hin und her und übereinander gebogen. Eine nicht ganz 8 em lange Schnur enthielt 1050 Eier. Über die Methode des Fiſchens und Sammelns ſagen die genannten Forſcher: „Die Bewohner des Grundes fiſchen wir mit einem Schleppnetz, deſſen Geſtell aus zwei parallel durch einen Bogen und eine Schneide verbundenen, ungefähr 2 Fuß langen Eiſen— Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 20 306 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. ſtäben beſteht. Jener 1½¼ ũ Fuß breite und Fuß hohe Bogen und die Schneide bilden die Offnung des Netzbeutels, der an allen Geſtellteilen befeſtigt iſt. Anfangs hatten wir einen engmaſchigen Fiſchernetzbeutel; jetzt benutzen wir dazu groben, für Wollſtickereien gebräuchlichen Stramin, der bei genügender Haltbarkeit ſich durch engere Maſchen aus— zeichnet. Seiner Anwendung verdanken wir erſt die Entdeckung mancher kleinen Tiere unſeres Gebietes, beſonders nachdem wir auch auf den Gedanken gekommen waren, den feinen Schlamm der Thalrinne der Bucht aus dem Netze in ein Haarſieb zu ſchöpfen und unter der Waſſerfläche ſo lange wegzuſpülen, bis die kleinen Schlammbewohner frei werden. „Iſt das Schleppnetz mit Pflanzen angefüllt, ſo ſchütten wir den ganzen Inhalt in ein flaches Faß, um ihn hier zu durchſuchen. Zarte rote Algen werden in Glashäfen mit klarem Waſſer verteilt und ſpäter, wenn ſie ſich ruhig ausgebreitet haben, wiederholt nach Tieren durchmuſtert. „Es iſt auch zweckmäßig, die Seepflanzen in Schüſſeln unter wenig Waſſer einige Stunden ruhig ſtehen zu laſſen. Dann kriechen die meiſten Schnecken heraus und ver— ſammeln ſich an der Oberfläche, während ſich die Würmer am Boden des Gefäßes im Dunkeln verbergen. Manche Würmer, die im Moder wohnen, verſammeln ſich in ganzen Knäueln unter leeren Muſchelſchalen, die mit ihnen aus dem Grunde kamen, wenn man den ausgeſiebten Fang in flachen Schüſſeln ins Helle ſtellt. „Im flachen Waſſer, wo die Seepflanzen bis nahe an die Oberfläche wachſen, kann der Kätſcher zum Fang von Schnecken angewendet werden. Die Steine, woran an der Mündung der Bucht Seetange wachſen, läßt man vom Boote aus mittels Haken vom Grunde in die Höhe heben, nimmt ſie in das Boot und ſucht ihre Bewohner ab. Wenn die Fiſcher Muſchelpfähle aufziehen, um die Miesmuſcheln abzupflücken, laſſen ſich, ſelbſt wenn der Hafen mit Eis bedeckt iſt, Riſſoen, Aolidien, Dendronotus, Seeſterne und Polypen ſammeln. In den Monaten, wo keine Miesmuſcheln geerntet werden, iſt das Aufziehen— laſſen von Muſchelpfählen koſtſpieliger als das Mieten eines Bootes zur Schleppnetzfiſcherei, welche auch in der Regel eine weit reichlichere und mannigfaltigere Ausbeute als die Muſchelpfähle liefert. „Bei niedrigem Waſſer iſt das Abſuchen der trocken gelegten Steine, das Aufgraben des Sandes nach Muſcheln und Würmern und das Durchſuchen der Lachen nach kleinen Kruſtern und Schnecken lohnend. „Zur Abfiſchung der Oberfläche dient ein kleiner flacher Kätſcher aus ſehr feinem Tüll und ein Beutel aus eben ſolchem Zeuge, welcher um einen hölzernen Ring geſpannt iſt. Dieſer hängt hinten am Boote, jener wird an einem kurzen Stabe in der Hand ge— halten, während das Boot ſanft und langſam fortgleitet. Der Inhalt beider wird wieder— holt in einer Schüſſel abgeſpült und dann mit dem Mikroſkop unterſucht. „Zum Aufpumpen des Waſſers aus der Tiefe wenden wir eine kleine Saug— pumpe aus Kupfer an, woran ein langer Gummiſchlauch mit viertelzölliger Wanddicke und halbzölliger Offnung befeſtigt iſt. Das untere Ende des Schlauches iſt durch ein kegel— förmiges Gefäß von Kupfer verſchloſſen, deſſen Boden feine Löcher hat, durch welche nur kleine Körper in die Röhre eindringen können. Das aufgepumpte Waſſer fließt in einen Beutel von feinem Tüll, der im Waſſer hängt, damit zarte Tiere nicht durch den Anſchlag an das Gewebe verletzt werden. Der Anwendung dieſer Pumpe verdanken wir die Ent— deckung lebender Foraminiferen im Kieler Hafen. „Tiere, die wir längere Zeit lebend erhalten wollen, bringen wir in Glashäfen, ver— ſchließen dieſe mit Tüll und ſetzen ſie in ein Hutfaß. Dies iſt eine kleine Art Fiſchkaſten von Kahnform, der ein wagerechtes Brett mit Löchern enthält, in welche die Glashäfen hineinpaſſen. Solange unſer Fahrzeug vor Anker liegt, ſchwimmt das Hutfaß mit den Fiſchen und Sammeln der Schnecken. — Becherſchnecke. Seemandel. Seehaſe. 307 Gläſern im Waſſer daneben. Es taucht ſo tief ein, daß die Gläſer ſtets unter dem Waſſer ſind. Soll geſegelt werden, ſo ziehen es zwei Mann in die Höhe und ſetzen es auf Deck, bis das Fahrzeug wieder vor Anker geht. „In ſolchen mit Tüll oder Leinwand überbundenen Glashäfen bringen wir unſere Tiere in Körben, deren Raum in Fächer abgeteilt iſt, auch lebendig nach Hamburg, um ſie zu weiteren Unterſuchungen in Aquarien zu halten.“ * Von der verwandten Gattung Cylichna, mit freier Schale, gehört Cylichna trun- cata, die abgeſtutzte Becherſchnecke, den Nordiſchen Meeren und auch der Kieler Bucht an. Wir erfahren, daß dieſe kleine Schnecke, welche ſich ganz in ihre 5 mm lang werdende Schale zurückziehen kann, ziemlich lebhaft auf Gras und Pflanzen hinkriecht, ſich gern im Bodenſatz des Aquariums vergräbt und an tiefen, ſchlammigen Stellen der Kieler Bucht nicht ſelten iſt. Der dritte und letzte, aus dieſer Bucht in die Hamburger Aquarien verſetzte Deckkie— mer iſt Philine aperta, die offene Seemandel, einer Gruppe angehörig, wo die Schale gänzlich vom Mantel umhüllt wird, die Seitenränder des Fußes ausgedehnt und verdickt ſind und der Kopf fühlerlos iſt. Die Art der Oſtſee, um welche es ſich hier handelt, und welche von der norwegiſchen Küſte an bis ins Adriatiſche Meer gefunden wurde, kommt kriechend ausgeſtreckt dort bis 20 mm lang vor. Die dünne, ſchwach eingerollte und weitmündige Schale iſt milch— weiß, etwas durchſcheinend und perlmutterglänzend. Dieſe Eigen— ſchaft, in den ſchönſten roten und grünen Interferenzfarben zu glänzen, erhält ſie dadurch, daß mit den feinen Anwachſungs— linien ſich ſehr feine, nur mit ſcharfen Lupen bemerkbare Linien kreuzen, und daß die Schale außerdem von dichtſtehenden feinen, nur mit dem Mikroſkop bemerkbaren Poren bedeckt iſt. Das Tier iſt auf dunkelm Grunde durchſcheinend milchweiß oder gelbweiß mit undurchſichtigen weißen Punkten. Gegen Ende Juli legten einige kurz zuvor gefangene Seemandeln Eier. Dieſe ſind in frei liegende, eiförmige, waſſerhelle Schleimmaſſen eingebettet. Im Kieler Buſen bewohnt das Tier tiefe, modergründige Stellen; in den Aquarien iſt es am Tage faſt immer im Schlamme verborgen. Einige größere Exemplare, welche die Beobachter in einem großen Aquarium monatelang nicht ge— ſehen hatten und längſt für geſtorben und zerſetzt hielten, kamen unverhofft wieder zum Vorſchein. Seitdem wurden ſie in kleinen Gefäßen, deren Bodenſatz leicht zu durchſuchen iſt, gehalten. Gewöhnlich ſind ſie in ihrem Schleim und in Schlamm, der an dieſem feſt— hängt, eingehüllt. In der Nacht kriechen ſie an der Wand des Aquariums in die Höhe, wenden aber um und verbergen ſich wieder unter dem Schlamme, wenn ſie beleuchtet werden. Sie ſind alſo, gleich vielen Tieren, welche wie ſie keine Augen beſitzen, mit einem Vermögen der Lichtempfindung ausgeſtattet. Dies beſagt nur, daß gewiſſe Hautnerven vom Lichte in anderer Weiſe als vom Dunkel affiziert werden. Offene Seemandel (Philine aperta). Schale von unten. In den Zaubergeſchichten der römiſchen Kaiſerzeit kommt wiederholt der Seehaſe (Aplysia depilans, ſ. Abbild. S. 308), von den Römern Lepus marinus genannt, vor. Apulejus hatte eine reiche Witwe geheiratet, und der Verdacht und Beweis, daß hierbei Zauberei im Spiele, fiel deshalb auf ihn, weil er einen Fiſcher bezahlt hatte, damit er ihm jene Tiere verſchaffe. So viele Tage, als der aus dem Meere genommene Seehaſe noch lebte, quälte ſich das Opfer, dem die Ausſcheidung des Tieres beigebracht war. Noch heute nennen 20* 308 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. die Fiſcher dieſes übel beleumundete Tier den Seehaſen, an einigen Küſtenſtrecken Eng— lands auch Seekuh. Der Kopf dieſer äußerlich ganz nackten Schnecke rechtfertigt dieſe Be— nennung. Er trägt vier Fühler, zwei platte dreieckige, welche faſt horizontal vorgeſtreckt werden und den Weg und die Nahrung betaſten, und zwei aufrecht ſtehende, welche täuſchend einem Paar löffelförmiger Haſenohren ähnlich ſehen. Vor den letzteren liegen die Augen. Auf der Mitte des Rückens befindet ſich das Mantelſchild, in welchem eine ſchwach gewölbte, entweder ganz hornige oder auch kalkige Schale enthalten iſt, und welches hinten in eine kurze Röhre ſich fortſetzt. Durch dieſe gelangt das Waſſer zu der Kieme. Die äußeren Enden der— ſelben ragen gewöhnlich rechts unter dem Schildrande hervor. Sie aber und der größte Teil des Rückens können durch zwei flügelartige Hautfortſätze bedeckt werden, mit welchen das Tier gewöhnlich, wenn ſie aufrecht ſtehen, undulierende Bewegungen ausführt. Die Angabe, Seehaſe (Aplysia depilans) Natürliche Größe. daß die Seehaſen mit Hilfe dieſer Lappen auch ſchwimmen könnten, iſt wohl unrichtig; dazu find die Tiere viel zu plump und die Lappen zu wenig ausgedehnt. Wenn man die See: haſen, ohne ſie zu ſtören, über die Steine und Tange hingleiten ſieht, ſo erſcheint ihr Körper voll und prall. Sowie man aber ein Exemplar anfaßt und in ein Gefäß ſetzt, ſo verliert es nicht nur das den Körper ſchwellende Waſſer, ſondern zugleich eine dunkelviolette Flüſſigkeit, welche ſich gleichmäßig im Waſſer verteilt und in ſolcher Menge aus den Mantelrändern aus— geſchieden wird, daß das Tier ſich darin den Blicken entzieht. Bei der großen Verbreitung und Beliebtheit, welche ſeit einigen Jahren ſich die Anilinfarben erworben, dürfte es von In— tereſſe ſein, anzuhören, was ein Chemiker, Ziegler, über die Beziehungen der Ausſcheidung der Seehaſen zu dieſen Farbſtoffen ſagt. Er nennt die Stoffe ein flüſſiges Anilinrot und Anilinviolett von hohem Konzentrationsgrade, und dieſer Anilinfarbſtoff ſei für die Tiere eine zweifache Verteidigungswaffe, inſofern ſie durch das Ausſpritzen desſelben das Waſſer trüben und dadurch ſich vor ihren Feinden zu verbergen im ſtande ſind; dann aber, weil dieſe Farbe die giftigen Eigenſchaften des Anilins beſitzt und einen dem Mollusk eigentümlichen, widrigen Geruch entwickelt. Der berühmte franzöſiſche Konchyliolog Férruſſac hat ſchon im Jahre 1828 darauf aufmerkſam gemacht, wie raſch ſich der gedachte Farbſtoff zerſetzt, ſobald er von dem Tiere ausgeſpritzt worden iſt, und er bemerkt, daß ſich dieſe Zerſetzung verzögern und ſelbſt gänzlich verhindern läßt, wenn man der Flüſſigkeit etwas Schwefel— ſäure zuſetzt. Da der Seehaſe an den portugieſiſchen Küſten in ſolchen Mengen vorkommt, daß, wenn die Tiere durch einen Sturm an das Geſtade geworfen werden, durch ihre Fäul— Seehaſe. — Pleurobrancheen. 309 nis die Luft ſo verpeſtet wird, daß die Umwohner die Entſtehung epidemiſcher Krankheiten befürchten, ſo würde es, meint der genannte Chemiker, leicht ſein, den Farbſtoff im großen Maßſtabe zu gewinnen; denn es gibt Exemplare der Seehaſen, welche bis zu 2 f reiner, trockener Farbe geben. Die chemiſchen Reaktionen der Abſcheidung der Seehaſen ließen die Annahme als berechtigt erſcheinen, daß dieſe tieriſchen Farben wirkliche Anilinfarbſtoffe ſeien, gleich denen, welche man künſtlich aus Benzol erzeugt. Von Aplysia depilans, dem großen, / Fuß lang werdenden Seehaſen der europäiſchen ſüdlichen Küſten, habe ich viele Exemplare in Händen gehabt, niemals aber ein Brennen an den mit ihm in Berührung gekommenen Hautſtellen, noch den exzeſſiven, ekelerregenden Geruch geſpürt, der dem See— haſen zum Vorwurf gemacht wird. Er iſt offenbar beſſer als ſein Ruf und verdient nicht feinen Namen depilans, der „haarſcherende“, indem ſogar die Haupthaare des ihn Berüh— renden ausfallen ſollen. Einige tropiſche Arten ſcheinen allerdings zu neſſeln. Nicht bloß die äußere Geſtalt und die Nahrung der Aplyſien verlockt zum Vergleich mit pflanzenfreſſenden Säugetieren, auch ihr aus mehreren Abteilungen beſtehender Magen erinnert lebhaft daran. Die Speiſeröhre öffnet ſich in einen weiten häutigen Panſen, aus welchem die Nahrung in den zweiten Magen gelangt. Hier wird die Verdauung unter— ſtützt durch eine weitere Zerkleinerung des Gefreſſenen, indem die muskulöſen Wandungen mit vielen kleinen knorpeligen, pyramidaliſchen Körperchen bewaffnet ſind, welche offenbar als Magenzähne, wie die ähnlichen Organe bei den Krebſen, wirken. Auch in der dritten kleineren Abteilung wirkt in ähnlicher Weiſe ein Hakenbeſatz der Wände. Der vierte Ma— gen endlich hat die Geſtalt eines Blinddarmes. Bei dem Bedürfnis nach maſſenhafter, meiſt aus gröberen Tangen beſtehender Nahrung, findet man den Seehaſen auch faſt un— ausgeſetzt auf der Weide. Unſere Aplysia depilans, ſ. Abbild. S. 308, hält ſich oft jo hoch am Strande auf, daß ſie bei der Ebbe in kleinen, ſie kaum benetzenden Pfützen zurückbleibt; ſie ſteigt aber auch in mehrere Faden Tiefe. Aplysia bildet den Kern einer Familie, welche vorzugsweiſe die heißen Meere bewohnt. Eine ihr naheſtehende Gattung jener Zonen iſt Dolabella. darunter die 20—25 cm lange Dolabella Rumphii, welche ſich durch die Lage des Schildes auf dem abgerundeten Hin— terende und die darin enthaltene ganz kalkige Schale unterſcheidet. Als Unterſcheidungszeichen der Pleurobrancheen, zu denen wir nun kommen, von den Aplyſiaceen kann man kurz angeben, daß bei der neuen Familie die Kiemen nicht von einem beſonderen Schilde bedeckt ſind, ſondern frei unter dem einfachen Mantelrand in der von dieſem und dem Fuße gebildeten Furche ſitzen. Durch eine meiſterhafte Mono— graphie iſt uns von den wenigen, dieſe Familie bildenden Gattungen Pleurobranchus am beſten bekannt. Sie behandelt vor allem den im Mittelmeere lebenden Pleurobranchus aurantiacus, wir haben jedoch leider nicht von dieſer Art uns eine Abbildung verſchaffen können, ſondern müſſen unſere Beſchreibung an die Abbildung (S. 310) einer Art aus der Südſee anknüpfen, PleurobranchusPeronü, mit deren Zergliederung einſt der große Cuvier ſich beſchäftigte. Die Pleurobrancheen haben einen im Umriß ungefähr eiförmigen Kör— per. Von oben betrachtet, gleicht er einer abgeflachten Scheibe, an welcher ſich der ge— wölbte Rücken wie ein fleiſchiges Schild erhebt. Unter dem Vorderrande dieſes Mantel— ſchildes entſpringen zwei hohle Tentakeln, welche aus einer ſich zuſammenrollenden dünnen Lamelle beſtehen. Noch weiter unten, aber noch über dem Munde, befindet ſich ein drei— ſeitiger Hautlappen, welcher vorn breiter als hinten iſt. Die Augen ſtehen am Grunde der Fühler und erſcheinen als zwei ſehr kleine ſchwarze Punkte. Wenn das Tier ſich zuſammen— 310 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. zieht, ſo verſchwindet die rechts liegende Kieme unter dem Rande des Rückenſchildes. Bei den im Mittelmeere lebenden Arten Pleurobranchus aurantiacus und P. ocellatus iſt der Fuß nicht ſo breit wie das Rückenſchild, über deſſen Rand er in der abgebildeten Art nach allen Seiten hinausragt. Sein vorderes Ende geht über die Mundöffnung hinaus, welche man zwiſchen ihm und dem oben erwähnten dreiſeitigen Lappen oder Segel findet. Wenn der Pleurobranchus in Bewegung iſt, ſo ſchmiegt er ſich allen Unebenheiten der Körper an, über die er hinzieht; ſeine Gewebe ſind ſo weich, was ſich faſt von allen Nacktſchnecken ſagen läßt, daß ſie ihm faſt in jedem Augenblicke die allgemeine Form zu verändern geſtatten. In dieſem Zuſtande ſind auch immer die Fühler, das Mundſegel und die Kieme entfaltet. Wir wiſſen, daß das willkürliche Aufblähen des Körpers der Mollusken von der Aufnahme von Waſſer abhängt. Lacaze-Duthiers vergleicht das Schild und den Fuß des Pleurobranchus mit Schwämmen, welche ſo gefüllt und wieder ausgedrückt werden können, daß das Körpervolumen um das Zwei- und Dreifache ſich ändern kann. Das Entleeren der ſchwammigen Organe geſchieht namentlich bei unſanften Be— rührungen, und ein beſonders empfindliches Organ dafür iſt jenes über dem Munde befindliche Segel. Wenn das Tier kriecht, ſenkt es dieſen Teil und ſchiebt ihn langſam über die Oberfläche der Körper hin, auf denen es ſich bewegt. Das Ausſehen des Tieres iſt währenddem ein ſehr eigentümliches, in— dem das Segel alsdann wie eine Art unter dem Vorderrande des Rüſſels entſpringender zweiter Rüſſel erſcheint. Die äußerſte Empfindlichkeit des: ſelben erklärt ſich aus dem Reichtum an Nerven, mit denen das Segel ausgeſtattet iſt. Wenn nun letzteres ganz offenbar das eigent— liche Taſtwerkzeug iſt, ſo kann man ſich des Verdachtes nicht erwehren, daß die eigentlich ſo genannten Fühler für das Tier wohl eine andere Bedeutung haben mögen, zumal ſie nach rückwärts gebogen getragen werden und man ſie nie etwas wirklich betaſten ſieht. In der That hat auch ſchon ein engliſcher Naturforſcher die Fühler der Mollusken als Geruchs— werkzeuge angeſprochen. Dieſe Vermutung gewinnt bei den Pleurobrancheen um ſo mehr an Wahrſcheinlichkeit, als hier dieſes Organ aus einem zuſammengerollten Blatte beſteht und eine Röhre bildet, welche oben und am Grunde offen iſt, und durch welche mit Hilfe der mikroſkopiſchen Wimperhärchen fortwährend ein Waſſerſtrom zieht. Es entſpricht damit in hohem Grade den Anforderungen, die an ein Witterungs- oder Geruchsorgan nach den Erfahrungen der vergleichenden Anatomie zu ſtellen ſind. Über das Vorkommen der von ihm beobachteten Arten teilt Lacaze-Duthiers fol— gendes mit. Bei Ajaccio auf Corſica fand er auf den Felſen den Pleurobranchus ocel- latus. Derſelbe iſt ſehr leicht kenntlich an den lebhaften weißen Flecken auf der brau— nen, mit Rot gemiſchten Grundfarbe. Dagegen herrſchte in Mahon auf den Balearen die orangenfarbige Art (Pleurobranchus aurantiacus, ſ. Abbild. S. 302) vor, von den ſpaniſchen Fiſchern Colorados genannt. Sie waren leicht und in Mengen zu erlangen, wenn man nahe am Ufer und in geringer Tiefe die Steine umwendete, wo die Tiere ruhig ſaßen, Eier legend oder ſich begattend. Auch in der Gefangenſchaft hielten ſie ſich ſehr gut und fuhren fort in ihren auf reichliche Nachkommenſchaft zielenden Beſchäftigungen. Obſchon an ihrem natürlichen Aufenthaltsorte die Verſtecke ſuchend, waren ſie nicht beſonders licht— ſcheu; ſie kamen oft bis an den Rand des Waſſers in den Gefäßen und legten vorzugsweiſe Pleurobranchus Peronii, von oben. Natürl. Größe Pleurobranchus und Verwandte. — Dorididen. — Weichwarzige Sternſchnecke. 311 dort ihre Eier ab. Berührt man einen Pleurobranchus, oder hebt man ſchnell den Stein auf, unter dem er ſich befindet, ſo kugelt er ſich zuſammen und läßt ſich fallen. Für den Sammler iſt dies inſofern von Vorteil, als es bei der großen Zartheit des Tieres ganz unmöglich wäre, es unverletzt von den Steinen und aus deren Spalten herauszunehmen, wenn es, wie ſo viele andere Mollusken, ſein Heil im feſten Anſaugen ſuchte. Die Begattungszeit der im Hafen von Mahon beobachteten Pleurobrancheen fiel in den Juli und Auguſt und es ſchien unſerem Gewährsmann, als ob jedes Individuum mehrere Bänder Laich abſetzte. Es befeſtigt den Anfang des Bandes an einem ſeicht liegenden Steine und kriecht dann um dieſen Anfangspunkt ſpiralig herum, indem es eine ſchleimige, band— förmige Laichmaſſe von ſich gibt, die ungefähr einer Uhrfeder gleicht. Das Band iſt etwa em hoch und orangengelb. Das Mittelmeer und ſüdlichere Ozeane bergen noch einige dem Pleurobranchus ſich anſchließende Deckkiemer, jo Pleurobranchaea, welche unter anderem durch die völlige Abweſenheit einer Schale von Pleurobranchus abweicht, deſſen Rückenſchild wenigſtens ein Schalenrudiment beſitzt. Die durch einen überaus dicken Fuß ausgezeichnete Umbrella hat dagegen den kleinen Mantel von einer faſt ganz ebenen, im Zentrum mit einem klei— nen ſchiefen Spitzchen verſehenen Schale bedeckt. Die mehrere Zoll lange Umbrella me— diterranea kommt auch im Adriatiſchen Meere, bis Liſſa wenigſtens, vor. Zahlreicher als die Deckkiemer iſt die Unterordnung der Nacktkiemer, Schnecken, welche zwar als Embryonen und im Larvenzuſtande mit einer zarten Schale verſehen ſind, die— ſelbe aber in früher Jugend verlieren und im ausgebildeten Zuſtande ganz nackt ſind, ohne irgend ein inneres Schalenrudiment. Wenn ſie überhaupt Kiemen haben, und dies gilt von der Mehrzahl, jo find dieſelben ganz unbedeckt und erſcheinen als quaſten-, baum, blattförmige Anhänge der Rückenhaut. Wir vertrauen uns nun wieder der Führung von Meyer und Möbius, welche die Repräſentanten von vier der wichtigſten Familien in Bild und Wort in dem ſchon oben benutzten Werke geſchildert haben. In der Familie der dorisartigen Nacktkiemer oder Dorididen ſtehen die feder— förmigen oder blattförmigen Kiemen um die in der Mitte des Hinterrückens befindliche Afteröffnung herum und bilden trotz dieſes proſaiſchen Mittelpunktes eine lieblich aus— ſehende Roſette. Die Sippe Doris iſt wohl eine der artenreichſten und enthält zugleich die größten Nacktkiemer. Der Körper iſt länglichrund, oben gewölbt. Der Mantel überzieht Rücken und Kopf und greift über den Fußrand hinweg. Alle Arten beſitzen auf dem Vorderrücken Fühler, Rückenfühler genannt, welche in eigne Höhlen zurückgezogen werden können; auch iſt ihre Haut mit eigentümlichen, beſtimmt geformten Kalkabſonderungen durchwirkt. Die Tracht der weichwarzigen Sternſchnecke (Doris pilosa) ergibt ſich aus nach— folgender Abbildung (S. 312). Dieſer und den beiden anderen bei Kiel lebenden Arten fehlen die Mundfühler. Die Rückenfühler zeigen die bei vielen Nacktkiemern vorkommende Eigen— tümlichleit, daß ſie mit ſchrägen Falten beſetzt find. Den Namen hat man dieſer Doris da— her gegeben, weil die Rückenfläche mit kegelförmigen, ungleich großen Papillen beſetzt iſt. Bei der gelben Varietät ſind die Papillen die hauptſächlichſten Träger des körnigen, gelben Farbſtoffes, während bei einer braunen Varietät dieſelben noch außerdem einen körnigen braunen Farbſtoff enthalten. Das bis über 20 mm lange Tier wurde von dem Hamburger Zoologen im Frühling und Herbſt auf Tangen und Seegras in ſand- und ſteingründigen Teilen der Kieler Bucht gefangen und Wochen hindurch in Aquarien mit Furcellaria. 312 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. Ceramium und Zostera, alſo einigen der gewöhnlichſten Seepflanzen gehalten. Dort legte ſie auch im September und Oktober ihre Eier in waſſerhell durchſichtigen Schleimbändern ab. Neben ihr erſcheint die rote Sternſchnecke (Doris proxima), deren Rücken eben— falls Warzen trägt, deren Färbung aber rot iſt. Sie wird über 25 mm lang. Sie iſt weniger lebhaft als die vorige und hält ſich im Aquarium gewöhnlich ruhig an der Wand oder auf Seegras. Einige Exemplare, die in ein Aquarium, das für Tiere von den Born— holmer Küſten eingerichtet war, geſetzt wurden, blieben in dem ſehr ſchwach geſalzenen Waſſer ebenſo geſund wie im Waſſer von Kiel. Eine dritte in den nördlichen europäiſchen Meeren weitverbreitete Art iſt Poris muricata, die rauhe Sternſchnecke, von durchſcheinender weißer oder gelbweißer Rücken— farbe und orangengelben Fühlern, deren Rücken mit keulenförmigen, ſtumpf abgerundeten Warzen beſetzt iſt. —— — == = — — — = = — — — = —— Weichwarzige Sternſchnecke (Doris pilosa). Stark vergrößert. Zu den größeren Arten gehört die bräunliche Doris tuberculata des Mittelmeeres, deren Rücken mit vielen kleinen Wärzchen bedeckt iſt. Sie wird gegen 8 em lang. * Von der vorstehenden Gattung entfernt ſich die Griffelſchnecke (Ancula) durch das Vorhandenſein von zwei Fortſätzen vorn am Kopfe (Vorderfühler) und die nach vorn gerich— teten griffelförmigen Fortſätze am Grunde der Hinterfühler, welch letztere nach ihrem Bau den Rückenfühlern der Doris entſprechen. Die Kiemen ſtehen in einem Kreisbogen vor dem After, und neben ihnen erheben ſich keulenförmige, etwas flachgedrückte Anhänge. Den oben er— wähnten Seebezirken gehört die weiße Griffelſchnecke (Ancula cristata, ſ. Abbild. S. 313) an, deren Grundfarbe ein durchſcheinendes Milchweiß iſt. Ihr zarter Körper iſt eine überaus zierliche Erſcheinung zwiſchen den grünen und braunen Seepflanzen, worauf ſie in hübſchen Krümmungen und unter ſteten Biegungen ihrer Fühler und Schwankungen der Kiemen und Kiemenanhänge mit ziemlicher Lebhaftigkeit herumkriecht. * Eine dritte Gattung der Dorididen iſt die Hörnchenſchnecke (Polycera). Ihr Körper iſt geſtreckt, vorn abgerundet, hinten zugeſpitzt. Das Hauptkennzeichen ſind die längeren Warzen am Kopfe und neben den Kiemen, die am Stirnrande wie Hörnchen vorſpringen. Die eine der bei Kiel vorkommenden Arten, Polycera ocellata, gab zu einer intereſſanten Erwägung über ein Speziesmerkmal Veranlaſſung. Alle Polycera-Arten der britiſchen Rote und rauhe Sternſchnecke. Weiße Griffelſchnecke. Hörnchenſchnecke. 313 Küſten, darunter auch Polycera ocel ata, haben in der Haut kleine Kalkſtäbchen. Die auffallendſte Verſchiedenheit der in der Kieler Bucht vorkommenden Exemplare der Poly- cera ocellata von den Exemplaren der Nordſee iſt der Mangel jener Kalkkörper. „Wenn einzelne Kalkkörper“, fahren Meyer und Möbius fort, „in Exemplaren von Polycera ocellata, welche auf dem Wege zwiſchen der offenen Nordſee und der Kieler Bucht wohnen, gefunden werden ſollten, ſo würde die Meinung, daß aus dem Beſitze oder Mangel der— ſelben keine ſpezifiſchen Verſchiedenheiten abzuleiten ſeien, eine ſichere Stütze gewinnen. Und dieſe haben wir auch zu unſerer nicht geringen Freude am zweiten Pfingſttage 1863 im Fänö⸗Sund gefunden. Kaum war nach einer kalten Morgenfahrt von Aſſens aus der Anker gefallen und unſere Jacht im Sonnenſchein unter dem Schutze hoher Buchen in Ruhe gelegt, ſo wurde das Grundnetz ausgeworfen. Schon der erſte Zug brachte uns von Weiße Griffelſchnecke (Anenla eristata). Stark vergrößert. Kiel her wohlbekannte Tiere zu Tage, darunter auch Exemplare von Polycera ocellata, die aber meiſtens auffallendere gelbe Flecke auf einer dunkleren Grundfarbe als die Kieler Exemplare trugen. Alle hatten Kalkſtäbchen in der Haut, auch die bleichfarbigen, welche auf tiefem Grunde gefiſcht wurden. Iſt vielleicht ungleicher Salzgehalt die Urſache der Ver— ſchiedenheit? Dieſes zu denken, liegt ſehr nahe; doch ſpricht gegen eine ſolche Annahme der Mangel von Kalkkörpern in Exemplaren aus einer kleinen Bucht von Samſö, die der ſalz— reichen Nordſee noch näher liegt als der Kleine Belt. Wir halten beſonders die ſtarke Strömung in dem Großen und Kleinen Belt für eine wichtige Bedingung der größeren Ihn: lichkeit ihrer Fauna mit der Nordſeefauna, denjenigen Tierformen gegenüber, welche die ruhigen Buchten des weſtlichen Oſtſeebeckens bewohnen.“ Laſſen wir die Urſachen des Vorhandenſeins oder des Mangels jener Kalkkörperchen beiſeite und halten wir uns an die Thatſache. Wir ſehen eine Eigenſchaft, welche eine Art mit allen übrigen Arten ihrer Sippe teilt, unter uns unbekannten Einflüſſen ſchwin— den; wir ſehen eine Varietät entſtehen, zu deren Artwerdung weiter nichts als eine voll— ſtändige Iſolierung von dem Verbreitungsbezirk der Stammart gehören würde. Denn das Vorhandenſein der Kalkkörperchen ſetzt doch eine ſehr eingreifende und eigentümliche Thätigkeit der Hautzellen voraus, welche mindeſtens ſo viel Beachtung verlangt als tauſend 314 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. andere Kleinigkeiten, nach welchen in der niederen Pflanzen- und Tierwelt Arten unter— ſchieden zu werden pflegen. Die niederen Tiere werden uns noch des öfteren ſolche frappante Beiſpiele der Nichtſtichhaltigkeit der ſogenannten Artmerkmale bringen. Die Neigung der Rückenhaut zu warzenförmigen oder anders geſtalteten Ausſtülpungen iſt bei einigen Gattungen ſo geſteigert, daß ſie wiederum zu einer eigenen Familie ſich gruppieren, den Aolididen, deren Atmungsorgane eben jene Rückenanhänge und Rücken— papillen ſind. Unter ihnen zeichnet ſich Dendronotus durch die ſymmetriſch geordneten baumförmigen Anhänge aus. Die weitverbreitete gemeine Bäumchenſchnecke (D. arborescens) iſt eine der ſchönſten Nacktſchnecken. Sie er— reicht eine Länge von faſt 3,5 em und macht ſich auch durch die fleiſch— rote Grundfarbe leicht bemerklich. Ihr Körper iſt ſehr ſchlank, nach hinten allmählich zuge— ſpitzt. Ihre größte Zierde ſind aber die Bäumchen, deren ein Halbkreis von 79 nahe über dem Bor: derrande des Kopfes und 5—6 Paare längs des Rückens ſtehen. Auch die Fühler haben einen ſich verzweigenden Stamm, IJ \ in welchen fie zurück— Gemeine Bäumchenſchnecke (Dendronotus arborescens). Vergrößert. gezogen werden können. Der Fuß iſt ſchmäler als der Rücken und beim Kriechen auf ebenem Boden vorn gerade abgeſtutzt. Seine Seitenkanten ziehen ſich oft ſo eng aneinander, daß er als ein ſcharfer Kiel erſcheint. Sie zieht das Klet— tern auf den dünnen Zweigen der Algen dem Kriechen am Boden vor. Oft geht ſie bis an die äußerſte Spitze des Zweiges hinaus, hebt den freien Vorderkörper in die Höhe und wendet ihn, wie eine Spannraupe, bald nach der einen, bald nach der anderen Seite, um nach einem feſten Gegenſtande zu ſuchen, worauf ſie ihren Weg fortſetzen kann. Meyer und Möbius ſahen die Bäumchenſchnecken ſeltener als andere Nacktkiemer an der Aquarien— wand ruhig ſitzen. Dann halten ſie ſich nur mit ſchmaler Fußleiſte feſt und lehnen ſich mit einer Seite gegen die Wand. Schwimmen ſie an der Oberfläche, ſo nimmt der Fuß bald ſeine größte Breite an, bald nähern ſich deſſen Seitenkanten einander, und die Sohle bildet eine Furche. Beim Schwimmen hängen die Rückenbäumchen ſchräg auswärts nach unten; kriecht die Schnecke mit geſtrecktem Körper gerade aus, ſo neigen ſie ſich leicht hinterwärts; windet ſich der Leib, ſo treten ſie nach allen Richtungen auseinander. Unſere Beobachter faſſen daher mit Recht den Eindruck, den Form und Bewegungen auf ſie machten, dahin zuſammen, daß die ſchlanke Körperform, die zarten, leicht ſchwankenden Bäumchen auf dem Aolididen. — Gemeine Bäumchenſchnecke. Breitwarzige Fadenſchnecke— 315 Rücken, die milde Färbung und die leichten, anſchmiegenden Bewegungen die Bäumchen— ſchnecke zu einem der reizendſten Seetiere machen. Bei Kiel wurde ſie am häufigſten im Winter auf den Bäumen angetroffen, die zur Miesmuſchelzucht im inneren Teile der Bucht aufgeſtellt ſind, und ſie hielt ſich gut in Aquarien, angefüllt mit verfaulenden und friſchen Pflanzen. Sie iſt aber überhaupt ziem— lich gemein an den nordiſchen Küſten, und ich ſelbſt habe ſie an den Färöern gefunden. Die Angabe des engliſchen Zoologen Grant, daß Dendronotus arborescens ſchwache Töne hervorbringe, konnte von den Hamburger Naturforſchern nicht beſtätigt werden, da jedoch auch über eine andere Nacktſchnecke (Aeolis punctata) dieſelbe Behauptung vorliegt, ſo ſcheint doch etwas an der Sache zu ſein. Man vermutet, daß die harten Mundwerk— zeuge dieſe Töne hervorbringen. * Die artenreiche, den Stamm der Familie bildende Gattung Aeolis, Fadenſchnecke, hat ihr vornehmſtes Kennzeichen in den auf dem Rücken ſtehenden ſymmetriſch geordneten N . Breitwarzige Fadenſchnecke (Aeolis papillosa). Natürliche Größe. Papillen, welche auch ein hohes phyſiologiſches Intereſſe wegen ihres Baues erwecken. In jede Papille erſtreckt ſich nämlich ein Schlauch, der nach ſeiner ganzen Beſchaffenheit als ein Teil der auf dieſe merkwürdige Weiſe auseinander gelegten Leber erſcheint und unten mit dem baumförmig verzweigten Nahrungskanal zuſammenhängt. Nach oben aber in der Papille kommuniziert der Leberſchlauch mit einem Behältnis, angefüllt mit Neſſelzellen, winzigen Bläschen, aus denen ein neſſelnder Faden ausgepreßt werden kann, und welche wahrſcheinlich in Maſſen durch die Endöffnung der Papillen entleert werden, um als Ver— teidigungs- oder Angriffsmittel zu dienen. Von den Aeolis-Arten der Kieler Bucht iſt von Meyer und Möbius die ausführ— lichſte Schilderung der großen Aeolis papillosa, der breitwarzigen Fadenſchnecke, zu teil geworden, welche dort über 5 em lang wird, an den britiſchen Küſten aber in Rieſenexemplaren von 15 em lebt. Das Außere des Tieres mit den in ſchrägen Quer— reihen ſtehenden Papillen gibt die Abbildung. Die Grundfarbe iſt meiſt graubraun. Ihre Lebensweiſe iſt nach jener Schilderung folgende: Sie kriecht langſam und ſitzt häufig ſtill. In der Ruhe hält ſie ſich verkürzt, zieht gewöhnlich die Hinterfühler nieder und läßt die Papillen ſchlaff abgeplattet und gekrümmt übereinander liegen. Die Spitzen der Fußlap— pen und des Hinterkörpers treten nur unter den Papillen vor, wenn ſie ausgeſtreckt kriecht. Wird ſie auf den Rücken gelegt, ſo zieht ſie die Fußränder dicht zuſammen, kugelt ſich wie ein Igel und bedeckt ſelbſt die Bauchſeite mit Papillen. An die Oberfläche, um zu ſchwim— men, geht ſie ſeltener als andere Fadenſchnecken. Ihre Nahrung ſind Tierſtoffe; beſonders 316 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. liebt fie Aktinien (Seeanemonen). Kleinere Exemplare der Actinia plumosa greift fie am Fußrande an und frißt ein halbmondförmiges Loch hinein, das ſie immer mehr vergrößert. Endlich legt ſie den ausgedehnten Mund um den ganzen Reſt der Beute herum und ver— tilgt ihn allmählich ohne äußerlich ſichtbare Schlingbewegungen. Eines Nachmittags ſaß eine große Aeolis papillosa bei einer Actinia plumosa, die faſt jo dick wie fie ſelber war, und ſenkte ihren Mund in deren Fußrand ein. Sie hatte ihr Mahl noch nicht lange an— gefangen, ſo kroch eine zweite und endlich noch eine dritte heran, um teilzunehmen. Nach 4 Stunden war alles verzehrt und keine Spur mehr von der Aktinie zu ſehen. Die Ham— burger Forſcher halten es für wahrſcheinlich, daß die bei der Beute beſchäftigten Aeolis den fernen Genoſſen durch den Speichel, wel— \ 125 bc chen ſie beim Freſſen abſondern, das leckere al EM, Mahl verraten. Oft hielten Tiere, welche . zur Beobachtung aus dem Aquarium ge— nommen wurden, kleine Aktinien im Maule, welche ſie fahren ließen, aber bald wieder ergriffen. Beim Aufſuchen der entſchlüpf— ten Beute leiſten die Vorderfühler gute Dienſte. Sie taſten hin und her und zucken heftig zurück, wenn ſie darauf ſtoßen. Solche Zuckungen machen ſie nicht, wenn ſie auf eine andere Aolidie oder auf den Boden des Ge— fäßes ſtoßen. Hatten die Fühler den Fraß berührt, ſo ſtülpte ſich der Mund alsbald darauf los. Während des Freſſens iſt der Körper verkürzt und ruht. Die Papillen ſind gelockert und man möchte ſagen behag— lich gekrümmt. Über die Fortpflanzung der breitwar— zigen Fadenſchnecke wird folgendes mitge— teilt: Einige ſeit Mitte Januar im Aqua: rium lebende Tiere legten im Februar Eier an die Glaswand. Dieſe ſind kugelförmig; = der Dotter iſt weiß oder ſchwach rötlich. Schleierſchnecke (Thetys fimbria). Natürliche Größe. Sie bilden eine Schnur mit hohen und kurzen wellenförmigen Biegungen, die nicht in einer Ebene liegen, ſondern in einer Cylinderfläche gekrümmt ſind, ſo daß ſich die Wellenberge der Schnur nach einer Seite gegeneinander neigen. Die Schnur liegt in einem waſſerklaren Schleimbande, deſſen dünner freier Rand ſich mitten durch die gebo— gene Wellenlinie hinzieht wie die Achſe durch einen Cylinder. Durch dieſen Rand wird das ganze Band an Pflanzen, Steinen und anderen Dingen befeſtigt. Am 15. März legte ein Exemplar eine Schnur in einer länglichen Spirale von drei Windungen ab. Am 2. Mai legte ein großes Tier eine Schnur ab, deren Eierzahl wenigſtens 60,000 betrug. Ein paar andere weit verbreitete Arten find Aeolis Drummondii und alba. Letztere, die weiße Fadenſchnecke, iſt ſo zarthäutig, daß die inneren Teile an vielen Stellen deutlich durchſcheinen, und daß das ganze Tier, wenn es auf Seegras hinkriecht, einen grünlichen Schein annimmt. In einzelnen Eiſchnüren wurden 40,000 Eier gezählt, der allzu— ſtarken Vermehrung iſt aber ſchon dadurch eine Schranke geſetzt, daß die beiden genannten Tiere neben anderer Fleiſchnahrung die Eier ihrer eignen Arten nicht verſchmähen. Weiße Fadenſchnecke. Schleierſchnecke. 317 Wir müſſen hier, unſere bisherigen Führer verlaſſend, die Beſchreibung einer in der Nordſee nicht vorkommenden und nur dem Mittelmeergebiet angehörigen Nacktkiemenſchnecke einſchalten, welche durch die Stellung der Kiemen vielfach an Dendronotus erinnert, aber durch das große, kreisförmig abgerundete Kopfſegel, welches aus den Schwimmlappen des Larvenzuſtandes hervorgeht, ein ſehr eigentümliches Ausſehen erhält. Das iſt die oft 30 em lang werdende Schleierſchnecke (Tethys fimbria). Von ihren Manieren hat Grube eine ſehr anſchauliche Schilderung geliefert, entworfen nach einem Exemplar, das ihm in Trieſt von einem Fiſcher gebracht wurde. „Es war“, ſagt er, „ganz lebenskräftig und mit allen jenen ſeitlichen Rückenanhängen verſehen, die man einſt als Paraſiten dieſes Weich— tieres beſchrieben und abgebildet hat. Sie waren faſt birn- oder rübenförmig aufgebläht, am Grunde etwas eingeſchnürt, durchaus paarig, dicht vor den Kiemen längs der Seiten des Rückens geſtellt, nach hinten an Größe abnehmend, wie Ruder ausgeſpreizt und wurden auch ſo bewegt. Der Leib, ebenfalls aufgebläht, faſt farblos und durchſichtig wie die Kiemen, wundervoll abſtechend gegen die an der Spitze blaßroten, mit dunkel-, faſt ſchwarzrotem Mittelfleck verſehenen Anhänge und die ſchwärzlich unregelmäßig weiß geränderten Augen— flecken der Oberſeite, warf ſich, auf dem Rücken liegend, unabläſſig und mit einer gewiſſen Grazie hin und her, wobei er ſich ſo ſtark einkrümmte, daß das Körperende die Seiten— ränder des Segels berührte. Das große Segel war faſt ganz aufwärts und zurückgeſchlagen, ſein gefranſter Rand nach hinten umgebogen und die Seitenränder der ganz hohl gemachten Fußſcheibe einander ſo genähert, daß zwiſchen ihnen kaum eine ſchmale Furche übrigblieb oder ſie ſich ſogar berührten. In dieſer Lage glich das Tier einem Hammer, an dem das verkürzte Segel das Eiſen, der Leib den Stiel vorſtellte; ſobald es jedoch ruhiger wurde, breitete ſich der Fuß in Geſtalt einer ovalen, tiefen Schüſſel aus, deren Seitenränder höher als Vorder- und Hinterrand waren. Es phosphoreszierte lebhaft im Dunkeln, und die Phosphoreszenz trat ſowohl dann ein, wenn ich dasſelbe berührte, als auch, wenn ich nur die Hand in ſeinem Waſſerbecken bewegte. Trotzdem, daß ich ein paar Stunden darauf, nachdem mir das ſeltene Tier gebracht war, das Seewaſſer erneuerte, und das Becken, in dem das Tier ſeine Bewegungen ausführte, nicht eben klein war, erloſch über Nacht ſein Leben: am andern Morgen waren ſeine Anhänge, obwohl ſie ihre Farbe noch behalten hatten, abgefallen und regungslos. Wer dieſe Tethys und ihr ſtürmiſches Hin- und Her: wälzen nur einmal geſehen, wird nicht mehr ſo beſchränkend, wie dies gewöhnlich geſchieht, den Begriff des Phlegmas mit dem Charakter der Molluske verbinden.“ Daß ein ſo großes, an das reinſte Waſſer des offenen Meeres gewöhntes und ſehr atembedürftiges Weichtier in engem Behältnis nur einige Stunden ausdauert, iſt nicht zu verwundern. Selbſt in den großen Aquarien mit ununterbrochenem Waſſerwechſel überleben die Tethyen ſelten einige Tage der Gefangenſchaft. Einmal iſt der Nahrungsmangel daran ſchuld. Ich habe in Neapel, wo während der Wintermonate dem Aquarium ſehr häufig Tethyen eingeliefert wurden, darunter wahre Prachtexemplare von 1 Fuß Länge, nie ge— ſehen, daß ſie etwas zu ſich nahmen. Vor allem aber litten ſie durch das Anſtoßen und Antreiben an die Wände der Waſſerſtuben, ein Los, was alle Weichtiere des hohen Meeres mit der Tethys teilen. Anfänglich machen ſie ſich durch kräftige Bewegungen, wobei der Körper von einer Seite zur anderen ſchwankt, frei, aber ſchon nach Stunden tritt eine auffällige Ermattung ein, ſie können den Strömungen, durch welche die Baſſins in Ver— bindung ſtehen, nicht Widerſtand leiſten, werden an die Steine angedrückt und kleben hilflos in den Ecken. 3 Mit Elysia treten wir nun in den Kreis derjenigen Gattungen, bei welchen die Kiemen als beſondere Anhangsorgane mehr und mehr zu ſchwinden anfangen. Man begreift unter 318 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; zweite Ordnung: Hinterkiemer. Elysia diejenigen Arten, deren Kopf nicht deutlich vom Rumpfe geſchieden iſt, und an deren Körperſeiten zwei Hautlappen entſpringen, welche ſich hinten vereinigen und als Atmungs— werkzeuge dienen. Man ſchließt dies daraus, daß ein oder einige ſtärkere Blutgefäße ſich vom Rücken her hineinbegeben und darin ſich in feinere, für das Reſpirationsgeſchäft ge— eignete Aderchen auflöſen. Die zwei auf dem Kopfe ſtehenden Fühler ſind der Länge nach zuſammengerollt und daher oben und an der Seite geöffnet. Vom Mittelmeer bis zum Nordſeegebiet findet ſich die wundervoll geſchmückte grüne Samtſchnecke (Elysia vi- ridis). Wir ſehen aus der auch unſerem Prachtwerk entnommenen Abbildung, daß die charakteriſtiſchen Hautlappen mitten über dem Fuße verſchmolzen find. Werden ſie in ge— wöhnlicher Haltung aufrecht getragen, ſo ſteigt ihr freier Rand eine kurze Strecke ſchräg an und fällt dann weniger geneigt bis zum Hinterende ab. Der Saum der Hautlappen Grüne Samtſchnecke (Elysia viridis). Vergrößert. iſt abgerundet und ungefähr halb ſo dick wie die Fühler. Die Hauptfarbe des Kopfes, der Fühler, des Vorderrückens und der äußeren Flächen der Hautlappen iſt ein ſamtweiches Schwarz, das bald in Grün, bald in Braun überſpielt; die Hauptfarbe des Fußes iſt olivengrün. Dazu kommen aber ſchneeweiße Flecke und überall in der Haut verteilte metalliſch glänzende, grünblaue und rotweiße Pünktchen. Die letzteren Farbeneffekte werden, wie erſt eine hundertfältige Vergrößerung zeigt, durch zartwandige Zellen hervorgebracht, aus deren Innerem das feurigſte Smaragdgrün und das ſchönſte Saphirblau hervorſtrahlt. Noch zwei andere Arten von kleinen Zellen geben einen ſilberigen oder lebhaft kupferigen Glanz. Bei ſeinen Bewegungen nimmt dieſes ſchöne Tierchen ſehr verſchiedene Formen an. Am Boden hinkriechend ſtreckt es ſich gewöhnlich gerade aus und gleitet verhältnismäßig ſchnell vorwärts. Kriecht die Schnecke an der ſenkrechten Wand des Aquariums, ſo braucht ſie oft auch die Hautlappen mit einem Teile der Sohle gleichzeitig, um ſich feſtzuhalten; ja ſie windet manchmal den Körper ſchraubenförmig, während ſie kriecht, ſo daß entgegengeſetzte Körperſeiten zugleich die Bahn berühren. Sie ſondert ſehr viel Schleim ab, der ſich, wenn man die Haut mit einem Stäbchen oder Pinſel berührt, in langen Fäden über das Waſſer herausziehen läßt. An ſolchen Schleimfäden hängen zuweilen dieſe Schnecken mitten im Waſſer frei. Obſchon wir ſehr wohl wiſſen, daß Farbenbeſchreibungen ohne das entſprechende farbige Bild keinen rechten Sinn haben, können wir uns doch nicht verſagen, um die Luſt nach dieſen köſtlichen, leicht zu fangenden und in der Gefangenſchaft zu beobachtenden Tierchen Grüne Samtſchnecke. Breitköpfige Lanzettſchnecke. 319 noch mehr zu wecken, den Breslauer Zoologen Grube auch noch ſprechen zu laſſen. „Unter anderen entdeckte ich“, jagt er, „bei St. Nicolo (auf der Inſel Cherſo im Guarnero) eine neue Elysia (E. splendida) von ſo ſeltener Schönheit, daß ich in wahres Entzücken aus— brach. Ich ſah anfänglich nur in einer tiefen, dem Lichte nicht ganz zugänglichen Stein— höhlung einen bewegten Wechſel von tiefem Schwarz, Hellblau und Orange, bis ſich dann herausſtellte, daß hier, vom Meerwaſſer bedeckt, das ihren Reiz noch erhöhte, mehrere dieſer kleinen, nur 3—4 Linien langen und 2 Linien breiten Nacktſchnecken nebeneinander herum: krochen. Erſt beim Hervorkommen der einzelnen ließ ſich genauer die Verteilung der Farben ermitteln. Der Leib und ſeine großen, mantelartig emporgeſchlagenen Seitenlappen waren ſamtſchwarz, der äußerſte Rand derſelben und die Mundpartie orangengelb, aber auf der Außenſeite jener Lappen, die ſich aufs zierlichſte in großwellige Falten legten, zog unterhalb des orangengelben Saumes ein breites ultramarinblaues Band und unter dieſem wiederum ein ſchmälerer, in Intervallen anſchwellender lichtgrüner, unten faſt ſilberiger Längsſtreifen hin, unter dem dann noch eine Längsreihe ähnlicher Pünktchen zum Vorſchein kam Das Orangeband ging hinten in das entſprechende der anderen Seite über, das blaue war unter— brochen. Dazu ſtach nun aufs ſchönſte ein weißer, länglich runder Fleck zwiſchen den Fühlern und ihre weiße Innenſeite ab, während dieſe Organe im übrigen ſelbſt ſchwarz und an ihrer Spitze blau gefärbt waren. Sie maßen den vierten Teil der Totallänge und wurden bald nach hinten gelegt, bald ganz auseinandergeſpreizt, bald ihre Spitze graziös in eine flache Spirale von einem Umgange gewunden.“ Soweit Grube. Wir aber verweilen noch kurz bei einem Tiere, das uns noch mehr als Elysia in ſeiner ganzen Erſcheinung an die Strudelwürmer erinnert. Es iſt die Sippe Pontolimax Breitköpfige Lanzettſchnecke (Pontolimax capitatus). 20 mal vergrößert (Familie Pontolimacidae), dem beſondere Fühler und Kiemen gänzlich fehlen. Der Körper iſt geſtreckt, der Kopf ſeitlich ausgedehnt, und ſeine Seitenränder tragen einen Hautkamm. Die über den größten Teil des europäiſchen Meerdiſtriktes verbreitete breitköpfige Lan— zettſchnecke (Pontolimax capitatus), wird 8 mm lang. In der Mitte des Rückens hat ſie einen Buckel, zwiſchen dieſem und dem Kopfe eine Einſenkung. Der größte Teil des Rückens hat eine braune Grundfarbe mit eingeſtreuten hellgelben Punkten. Der er— wähnte Buckel iſt gelb. Die kleine Schnecke findet ſich in allen Jahreszeiten auf Seegras in geringeren Tiefen und wurde wiederholt monatelang in kleinen Gefäßen mit allerhand Algen erhalten. Sie kriecht langſam auf den Pflanzen oder an der Gefäßwand hin, hängt ſich an der Oberfläche des Waſſers auf und kriecht bisweilen auch bis über die Waſſerfläche in die Höhe. Sie zieht ſich, berührt, kurz zuſammen und iſt deshalb leicht zu überſehen, wenn ſie mit Pflanzen aus dem Meere gehoben wird. 320 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. Dritte Ordnung. Die Tungenſchnechen (Pulmonata). Alle Landſchnecken und der größte Teil der die ſüßen Gewäſſer bewohnenden Schnecken atmen Luft. Der Mantel bildet in der Nackengegend eine Höhle, in welche durch eine bei den rechtsgewundenen und bei den nackten Wegeſchnecken rechts liegende Offnung die Luft eintritt, und an deren oberer, dem Mantel angehörigen Wandung ſich ein dichtes Netz von Blutgefäßen ausbreitet. Man ſieht dieſe Lungenöffnung bei jeder ungeſtört kriechenden Schnecke. Sie verengert ſich und verſchwindet, wenn man das Tier berührt und ins Gehäuſe treibt; es dauert aber nicht lange, nachdem es ſich zurückgezogen, ſo erſcheint die Offnung wieder in der Nähe des Spindelrandes. Natürlich müſſen die im Waſſer lebenden Lungenſchnecken zum Atmen an die Oberfläche kommen, und ſie erſticken wie die Landſchnecken, wenn man ſie ihr Atembedürfnis nicht auf dieſe Weiſe befriedigen läßt. Die Atemnot tritt bei den unter Waſſer gehaltenen Tieren bald ein, und ſie ſchnappen unter Aufſperren des Lungeneinganges nach Luft, wiewohl bei dem weniger lebhaften Atmungsprozeß der Tod beſonders bei den Waſſer-Lungenſchnecken nicht ſo bald erfolgt. Um die Übereinſtimmung der äußeren Körperteile bei ſcheinbar höchſt verſchiedenen Gliedern dieſer Ordnung zu erkennen, ſtelle man ein Exemplar einer Nacktſchnecke (Limax) mit einer gehäustragenden Garten- oder Weinbergſchnecke (Helix) zuſammen. Bei Limax iſt der vordere hinter dem Kopfe gelegene Teil des Körpers oben nicht frei, ſondern mit dem Schlauche verbunden, in welchem die Eingeweide enthalten ſind. Dieſer Teil des Hautſchlauches iſt es nun, welcher bei Helix ſpiralig ſich windet und nicht aus dem Ge— häuſe heraustritt. Mit dieſem iſt der Körper nur durch einen Muskel, den Spindel— muskel, verbunden, welcher ſich oberhalb der erſten Windung an die Spindel anſetzt und den Körper in die Schale zurückzieht. Mit ihm ſtehen noch andere im Vorderende ſich verbreitende Muskeln in Verbindung, welche ſich nur zum Teil, wie z. B. die zur Ein— ſtülpung der Fühler dienenden, bei den Nacktſchnecken auch finden und das Zurückziehen oder Einſtülpen des Kopfendes und der Schnauze vermitteln. Um die Schnecken zu zergliedern, iſt es am zweckmäßigſten, ſie unter Waſſer zu er— ſticken oder fie auf 10 — 12 Sekunden in kochendes Waſſer zu werfen, wobei man den Moment wahrnehmen muß, wenn ſie vollſtändig ausgeſtreckt ſind. Sehr unzweckmäßig iſt es, ſie in Spiritus zu töten, weil ſie darin zu ſehr zuſammengezogen werden. Die oben erwähnten Arten eignen ſich am beſten dazu. Die abgebrühten Gehäuſeſchnecken kann man, indem der Spindelmuskel ſich losgelöſt hat, leicht aus dem Gewinde herausdrehen. Man nimmt dann die Zergliederung unter Waſſer vor, und auch der Laie wird, wenn er dieſes einfache Hilfsmittel reichlich anwendet, nach einigen vergeblichen Verſuchen ſich über die wichtigſten Verhältniſſe des inneren Baues Rechenſchaft geben können. Wir brauchen bei dieſem Beginnen eine beſtimmte ſyſtematiſche Reihenfolge der Organe nicht innezuhalten, ſondern fangen ſo an, wie es uns an der aus der Schale genommenen Weinbergſchnecke am bequemſten ſcheint. Eine feine Schere und zwei kleinere Pinzetten reichen aus. Da wir ſchon am lebenden Tier das Atemloch kennen gelernt, gehen wir von ihm aus und ſchneiden die Lungenhöhle auf. Verfolgt man den dicken, aus der Vereinigung vieler feineren, neßförmig verbreiteten Gefäße hervorgehenden Gefäßſtamm nach der linken Seite hinüber, ſo gelangt man zur Vorkammer und Kammer des in einem Herzbeutel einge— ſchloſſenen Herzens. Am lebenden Tier kann man leicht und ohne Quälerei, wovon wir durchaus kein Freund ſind, ein Stück Schale ſo abbrechen, daß man das Herz ſchlagen Bau der Lungenſchnecken. 321 ſieht. Die vom Herzen ausgehenden Blutgefäße verfolgen wir nicht weiter, nachdem wir uns nur überhaupt überzeugt haben, daß das Herz das Blut aus dem Atemorgan empfängt und in den Körper weiter befördert. Man nennt ein ſolches Herz, welches alle Weichtiere haben, ein arterielles, während das Fiſchherz, durch welches das aus dem Körper gekommene Blut in das Atemorgan getrieben wird, ein venöſes heißt. Lungenhöhle und Herz ſind nun abgetragen, und wir trachten weiter, den ganzen Verdauungskanal bloßzulegen. Da auch kein Zweifel darüber ſein kann, was die Mundöffnung iſt, wird man bei ihr beginnen, nachdem man an dem vollkommen ausgeſtreckten Tiere die Haut des Vorder— körpers von obenher getrennt hat. Die Mundhöhle iſt von einer dicken, muskulöſen Maſſe umgeben, welche man Schlund— kopf nennt; oben über dem Eingange der Mundhöhle hinter der Lippe befindet ſich ein faſt halbmondförmiger geriefter Oberkiefer. Im Grunde der Mundhöhle aber liegt ein ſehr kompliziertes Organ, die Zunge, deren nähere und ſchwierige Zergliederung nicht hierher gehört. Sehr leicht aber wird auch der Ungeübte aus einer daran haftenden Scheide eine helle, durchſcheinende Platte, die Reibeplatte, herausnehmen können, welche unter dem Mikroſkop einen der zierlichſten An— blicke gewährt. Sie iſt nämlich mit zahl- —— NN ee reichen en von Zähnchen beſetzt, FF zum größten Teil aus Chitin mit einiger Knochenerde beſtehend. Sämtliche Cephalo— poden und Schnecken haben eine ſolche RN Reibeplatte, von deren Vorhandenſein und 5 Gebrauch man ſich übrigens am beſten bei unſeren Waſſerſchnecken überzeugt. Hält man einige derſelben in einem Glaſe, an > DB 9900 9 0 0 IM OEL Ku deſſen Wand fich nach einigen Tagen mikro— i ſtopiſche grüne Pflänzchen angelegt haben, 3 beige ſo ſind die Schnecken faſt immer beſchäftigt, mit der Zunge, welche ſie aus- und einſtülpen, dieſe ihre Nahrung abzulecken oder viel— mehr abzureiben oder abzufeilen. Den Akt des Freſſens beſchreibt 9 näher. Wenn ein pflanzenfreſſender Bauchfüßer mit Freſſen beſchäftigt iſt, jo treibt er die Stachel— zunge vorwärts und entfaltet ſie bis zu einer gewiſſen Ausdehnung, indem er zugleich die Lippe auf jeder Seite vorſchiebt, wodurch die Zunge zuſammengedrückt und löffelförmig wird. Das Futter wird nun mit den Lippen ergriffen, vorwärts geſchoben, mit der Stachel— zunge gehalten und zugleich gegen den Oberkiefer gepreßt, wodurch ein Stückchen zuweilen mit hörbarem Geräuſch abgebiſſen wird. Die einzelnen Biſſen gleiten dann der Zunge entlang, werden durch deren ſcharfe Zähnchen zerrieben und zerfeilt und gelangen durch die periſtaltiſche Bewegung des Organs ſowohl wie durch die widerſtrebende Kraft der anliegenden Muskeln in den Magen. Dieſe Beſchreibung paßt nicht nur auf unſere Lungen— ſchnecken, ſondern auch auf die Pflanzenfreſſer der folgenden Ordnungen, deren fleiſch— freſſende Mitglieder meiſt mit einem eigentümlich organiſierten, die Zunge enthaltenden Rüſſel verſehen ſind. Die Wichtigkeit dieſes Organs für das Leben der Schnecken liegt auf der Hand, und es iſt wegen der Verſchiedenheit der Zähnchenbildung in Überein— ſtimmung mit der Nahrung und Lebensweiſe und wegen der Leichtigkeit, mit der es ſich aufbewahren und noch nach vielen Jahrzehnten, nachdem das Tier eingetrocknet, wieder auffinden läßt, für die neuere Konchyliologie ein vorzügliches Kennzeichen geworden. Hinter dem Schlundkopfe folgt der dünne Schlund, welcher in den einfachen Magen übergeht. Beim Aufſchneiden einer eben getöteten Schnecke fallen zwei auf dem Magen aufliegende Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 2¹ | BE 2 322 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. weiße und etwas unregelmäßige Lappen auf, die Speicheldrüſen, deren ebenfalls ſehr deutliche Ausführungsgänge ſich in die Mundhöhle öffnen. Gleich hinter dem Magen wird der Darm von einer grünlichen Maſſe, der Leber, umhüllt, in deren Subſtanz er einige Windungen macht, um dann, ſich nach vorn und zur Rechten wendend, neben der Lungen— höhle in den Maſtdarm überzugehen und neben dem Atemloch zu münden. Dort befindet ſich auch die Mündung des Ausführungsganges der Niere, welche, von ſtumpf dreiſeitiger oder bohnenförmiger Geſtalt, neben dem Herzen liegt. Es ſind alſo die Apparate, durch welche die Schnecken das Glück ſtillvergnügter Gaſtronomen genießen, in ſchönſter Ausbildung vorhanden. Den wichtigſten Teil des Nervenſyſtems, den Schlundring, legt man bloß, wenn man den Schlundkopf und Schlund ſich zur Anſchauung bringt. Man kann ihn beim Präparieren ſehr grob behandeln, indem die an ſich zarte Nervenſubſtanz von ſehr feſten Scheiden umgeben iſt. Die Augen, auf dem Gipfel der großen Fühlhörner, wurden ihon von dem großen Zergliederer der niederen Tiere, Swammerdam, ſorgfältig be— ſchrieben, ja zu ſorgfältig, indem er der Weinbergſchnecke ſogar eine vor der Linſe liegende wäſſerige Feuchtigkeit, wie im menſchlichen Auge, zuerkannte. Allein trotz der hohen Aus— bildung dieſer Augen will der ausgezeichnete Kenner der Landſchnecken, von Martens, ihnen doch nur höchſt geringe Leiſtungen zuſchreiben. „Unſeren Landſchnecken“, ſagt er, „können zwar von vergleichend anatomiſcher Seite die Augen nicht abgeſprochen werden, aber ihre Sehkraft muß ſich auf einen ſehr geringen Grad beſchränken und der allgemeinen Taſtempfindung ſehr nahe ſtehen, da ſie an jedem Gegenſtande mit ihren Augen anſtoßen müſſen, um Notiz davon zu nehmen; nie konnte ich an einer unſerer Schnecken wahr— nehmen, daß ſie einen Gegenſtand auch nur auf einige Entfernung geſehen hätte, ſelbſt einem Limax rufus, den ich dicht neben einer beſchatteten Stelle dem Sonnenſchein aus— ſetzte, gelang es nicht, dieſe aufzufinden, obgleich er anfangs verſchiedene Richtungen ein— ſchlug und wieder aufgab, offenbar einen ihm paſſenderen Aufenthalt ſuchend.“ Auch Gehörwerkzeuge beſitzt unſer Muſtertier, zwei Bläschen auf dem unteren Teile des Schlundringes, die man jedoch leichter bei anderen Schnecken, z. B. bei jungen Limnäen und Tellerſchnecken, ſieht. Wir können hier nachträglich bemerken, daß auch die Cephalo— poden in dem das Gehirn umgebenden Knorpel recht ausgebildete Gehörorgane haben. Wer bis hierher mit der Anatomie der Weinbergſchnecke entweder ſelbſt gekommen oder der zergliedernden Hand eines Fachkundigen gefolgt iſt, hatte ſchon mehrere Kolli— ſionen mit den mindeſtens ebenſo reichlich wie der Verdauungsapparat ausgeprägten Fort— pflanzungsorganen. Alle Lungenſchnecken ſind Zwitter, in denen die männlichen und weiblichen Organe in auffälligſter Weiſe miteinander verflochten und verbunden ſind. Am merkwürdigſten iſt die Zwitterdrüſe, ein traubiges, in den oberſten Windungen in der Leber verborgenes Organ, in welchem in ein und denſelben Drüſenabteilungen ſowohl die Eier wie der Same erzeugt werden. Die Geſchlechtsöffnung befindet ſich auf der rechten Seite des Halſes unweit des großen Fühlers. Unter den gleich hinter ihr liegenden Teilen fällt ein dickwandiges, ſackförmiges Organ auf, der Pfeilſack, in deſſen Innerem ſich ein kalkiges Werkzeug in Geſtalt eines Pfeiles, Dolches oder Stilettes bildet: der Liebespfeil. Von ſeinem Gebrauche werden wir weiter unten zu reden haben. Dieſe Gebilde ſind bei den einzelnen Spezies von ſo charakteriſtiſcher Form, daß ſie ein ſchätzbares Kennzeichen für die Syſtematik abgeben. Bei den meiſten unſerer Lungen-Zwitterſchnecken findet eine gegen— ſeitige Begattung und, wie W. Hartig von einer ſüdeuropäiſchen Schnecke (Helix lactea) nachgewieſen hat, auch eine gegenſeitige Befruchtung ſtatt. Warum eine innere Selbſt— befruchtung nicht ſtattfindet, läßt ſich auch nicht beantworten, denn die Antwort, daß eine Be— fruchtung nur auf dem Gegenſatz der Individuen und der von ihnen gelieferten Stoffe beruhe, erklärt nichts, ſondern iſt eine Umſchreibung der Thatſache, womit eine abgethane Fortpflanzungsorgane. Feuchtigkeitsbedürfnis der Landſchnecken. 323 ſogenannte Naturphiloſophie ſich ſelbſt etwas weismachte. Nur bei der Gattung Limnaeus der Waſſer⸗Lungenſchnecken fungiert das eine Individuum als Männchen, das andere als Weibchen, und ſitzt erſteres auf dieſem. Nicht ſelten aber wird während dieſer Gelegenheit das erſte Männchen für ein drittes Individuum zum Weibchen, und fo fort, fo daß 6—8 Individuen kettenartig vereinigt ſind, wo dann das unterſte bloß als Weibchen, das oberſte bloß als Männchen, die mittleren in beiden Richtungen fungieren. Die Waſſer⸗Lungenſchnecken und die Land-Lungenſchnecken zeigen hinſichtlich ihrer Lebensweiſe durchgreifende Verſchiedenheiten, wie ſie von vornherein durch den Gegen— ſatz ihres Aufenthaltsortes bedingt ſind. Ja, dieſer wird ſich hier um ſo mehr geltend machen, als dieſe Tiere ſo ſchwache Ortsbewegungen ausführen, daß es ihnen unmöglich gemacht iſt, durch Wanderungen oder ſchnellere Flucht ſich den regelmäßigen oder zu— fälligen klimatiſchen Einflüſſen und Unbilden zu entziehen, welche bekanntlich in weit höherem Grade auf dem Lande als im Waſſer ſich geltend machen. Wir beſitzen von dem ſchon wiederholt genannten von Martens ein ausgezeichnetes kleines Werk über die Be— dingungen und das Thatſächliche der geographiſchen Verbreitung der europäiſchen Land— und Süßwaſſerſchnecken, aus welchem wir die meiſten unſerer Angaben ſchöpfen werden. Es liegt in der Natur gerade der Landſchnecken, daß wir den Thatſachen und den Geſetzen ihrer Verbreitung eine beſondere Aufmerkſamkeit ſchenken. Die Wichtigkeit dieſer Beobach— tungen iſt erſt im letzten Jahrzehnt recht hervorgetreten, da ſie für die moderne Frage nach dem Begriff der Art und für die richtige Erkenntnis der jüngſten, unſeren Erdteil definitiv geſtaltenden Vorgänge entſcheidend werden zu ſollen ſcheinen. Es iſt daher ſchon hier, noch ehe wir uns mit Namen und Kennzeichen der Familien und Gattungen näher bekannt gemacht haben, einiges Allgemeine über jene Punkte mitzuteilen. „Auch die Landſchnecken bedürfen alle eines ziemlich hohen Grades von Feuchtig— keit zum thätigen Leben. Schutzloſere, wie die Nacktſchnecken und die Arten der nur un— vollſtändig bedeckten Gattungen (Testacella und andere), gehen in der Trockenheit bald zu Grunde, z. B. in einer Pappſchachtel die kleineren Arten ſchon in 24 Stunden. Auch die weitmündige Bulimus gallina sultana ſtirbt an nicht ganz feuchten Orten in wenigen Tagen. Überhaupt ſcheinen alle Arten mit glänzenden, durchſcheinenden Schalen ſehr viel Feuchtigkeit zu bedürfen. Auch alle behaarten Schnecken lieben die Näſſe. Umgekehrt be— ſitzen diejenigen Landſchnecken, welche große Trockenheit auszuhalten haben, eine undurch— ſichtige, matte, faſt oberhautloſe Schale. Eine bunte Färbung des die Weichtiere umklei— denden Mantels iſt auch für die im Feuchten lebenden Schnecken charakteriſtiſch. Wahr— ſcheinlich hängt dieſer Charakter mit dem Durchſcheinen der Schale zuſammen, welche Licht bis zum Mantel gelangen läßt, während derſelbe bei allen dickſchaligen Schnecken einfarbig und in der Regel bläſſer, bei denjenigen dünnſchaligen, welche nie an das Tages— licht kommen, wie bei den Vitrinen, einfarbig, aber dunkel iſt. „Wenn auch die oben angedeuteten Schnecken tagelang die glühendſte Sonnenhitze vertragen, ſo verleugnen ſie doch inſofern den allgemeinen Charakter der Mollusken nicht, als ſie dieſe Zeit in Unthätigkeit, die Mündung feſt angedrückt oder durch verhärteten Schleim geſchloſſen und durch beides vor Verdunſtung geſchützt, verbringen; erſt in der Kühle der Nacht und der Feuchtigkeit des Morgentaues kriechen ſie umher. Jeder Schnecken— ſammler weiß, daß des Morgens und nach einem Regen die meiſten lebenden Schnecken zu finden find. In Italien wird Helix adspersa zum Zwecke des Verſpeiſens nachts mit der Laterne geſucht, und in Spanien findet der Caracolero (Schneckenſammler) beim früheſten Morgengrauen die große Helix lactea und Alonensis in großer Menge auf den dürrſten Sierren, während in der Mittagshitze der ſchwitzende Reiſende nichts von den wohl verſteckten entdecken kann. Selbſt Helix desertorum (die Wüſtenſchnecke), welche 21* 324 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. Ehrenberg nebſt einer Lichene und einer Spinne allein noch in der Wüſte bei der Oaſe des Jupiter Ammon traf, lebt nicht ganz ohne Feuchtigkeit, was gerade durch das gleich— zeitige Vorkommen einer Pflanze bewieſen wird, welche nur wächſt, ſolange ſie durchnäßt iſt. Ebenſo lange und ſo häufige Unterbrechungen ihrer Lebensthätigkeit wird ſich auch die Schnecke gefallen laſſen müſſen, und ſie hat dabei den Vorteil, ſtets dann zu erwachen, wenn ihr Futter aufgeweicht und ſaftig iſt.“ Wir werden unten einige Beiſpiele anführen, wie die von der Feuchtigkeitsmenge ge— regelte Lebensweiſe der Lungenſchnecken in beſtimmtem Verhältnis zur Schalenform und Mündungsweite ſteht. Hier dagegen iſt das Nähere beizubringen über die Vorkehrungen der Tiere zum Überſtehen trockener, heißer Zeiten. Wir folgen einem jüngeren, ſehr auf— merkſamen Beobachter, Döring. „Bevor das Tier“, bemerkt dieſer, „ſich in dieſen Ruhezuſtand begibt, verweilt es einige Zeit in dem vorderen Teile der Mündung und ſondert hier an ſeiner noch mit der Luft in Berührung ſtehenden Körperfläche ein ſchleimiges Sekret ab, deſſen äußere Fläche beim Verdunſten des Waſſergehaltes ein zartes, allmählich ſich nach innen etwas verdickendes Häutchen, das ſogenannte falſche Epiphragma (im Gegen— ſatze zu dem harten Winter-Epiphragma der Gruppe Pomatia), bildet, welches anfangs mit einer in ſeiner Stellung der Lungenhöhlenöffnung des Tieres entſprechenden Offnung verſehen iſt und nach dem Verſchluſſe derſelben ſich in Form einer zarten, durchſichtigen Membran quer in die Mündung des Gehäuſes legt und dadurch den inneren Raum der letzteren von der äußeren Luft abtrennt. Faſt nach der Vollendung dieſes häutigen Ge— bildes, für welches wir, einen relativen Unterſchied zwiſchen ihm und dem eigentlichen (Winter-)Epiphragma feſthaltend, den Namen Pneumophragma (Luftdeckel“) vorſchlagen, entleert ſich das Tier allmählich des größten Teiles ſeines in der Reſpirationshöhle auf— geſpeicherten Luftvorrates und zieht ſich weiter nach innen zurück, den Umfang ſeines Körpers mehr und mehr zuſammenziehend. Hierdurch entſteht in der Schale ein mit Feuchtigkeit geſchwängerter Luftraum zwiſchen dem Pneumophragma und dem Körper des Tieres. Nicht ſelten geſellt ſich zu dieſer äußeren Membran noch ein zweites, tiefer im Inneren angebrachtes häutiges Gebilde, welches unter allen Umſtänden abgeſondert wird, wenn die erſtere durch mechaniſche Einwirkung irgendwie verletzt werden ſollte, oder wenn, wie es häufig zu geſchehen pflegt, dieſelbe durch anhaltende Dürre ſpröde wird und ſich mit kleinen Riſſen durchzieht. „Wie ſehr nun das Pneumophragma auch zweckentſprechend durch Dichtigkeit und Stärke ausgebildet ſein mag, in keinem Falle wird es einen hermetiſchen Verſchluß zwiſchen der Luftſchicht im Inneren des Gehäuſes und dem äußeren Medium herſtellen. Durch Feuchtigkeitsverdunſtung an ſeiner äußeren Fläche und durch das Wiedererſetztwerden der— ſelben durch den Waſſergehalt der inneren Luftſchicht entſteht, abgeſehen von noch weiteren hierbei thätigen Diffuſionserſcheinungen, die bei der nicht ganz eingeſtellten Atmungs— thätigkeit des ruhenden Tieres eine Erneuerung der zur Atmung notwendigen Luft herbei— führen, ein ſtetig fortſchreitender, wenn auch auf gewiſſe Grenzen beſchränkter Feuchtigkeits— austauſch nach außen. Dieſer wird durch die Säfte des Tieres unterhalten und verklei— nert das Volumen desſelben immer mehr. Man beobachtet daher, daß ſich ſein Körper immer mehr in die inneren Windungen der Schale zurückzieht, während dem entſprechend die innere Luftſchicht an Volumen zunimmt. In dem gleichen Maße vermindert ſich die vitale Thätigkeit des Tieres, indem ſie den Charakter eines tiefen Schlafes annimmt. Die Bewegung des Herzens verringert ſich ſehr raſch, und die Thätigkeit der auf ein kleines Volumen zuſammengedrängten Lungenhöhle iſt auf ein Minimum beſchränkt. „In dieſem Zuſtande zu verharren iſt das Tier ſo lange gezwungen, als in dem Waſſergehalte der Atmoſphäre keine Anderung eintritt. Sobald aber die Spannung des Wärme: und Lichtbedürfnis der Lungenſchnecken. 325 Waſſerdampfes wieder zunimmt, wie dies gewöhnlich bei bevorſtehendem Regen mit einem tiefen Barometerſtande parallel zu gehen pflegt, zeigt ſich ſehr bald eine geſteigerte Lebens— thätigkeit des für derartige Erſcheinungen höchſt empfindlichen Organismus. Die durch Diffuſion nach außen beſtändig austretende Feuchtigkeitsmenge wird in dieſem Falle auf ein geringeres Maß reduziert werden, allmählich ganz aufhören und ſchließlich in eine entgegengeſetzte Strömung umſchlagen. Man bemerkt alsdann, daß der in die tieferen Win— dungen des Gehäuſes zurückgezogene Körper des Tieres ſich vergrößert und mehr und mehr nach der Mündung des Gehäuſes ſich vorſchiebt, indem das Tier ſeine Lungenhöhle er: weitert und, die in der Schale befindliche Luftſchicht darin aufnehmend, ſein Volumen ver— größert, bis es, mit ſeiner Körperfläche vor das Pneumophragma gelangend, dieſes ab— ſtößt und aus dem Gehäuſe hervortritt.“ Beziehen ſich die obigen Beobachtungen über die für das Leben erforderliche Feuchtig— keit vorzugsweiſe auf die Land-Lungenſchnecken, ſo liefern beide Gruppen, jene und die Waſſerpulmonaten, intereſſante Belege über ihr Verhältnis zur Wärme und die Grade, bis zu welchen ſie nach oben und unten ausdauern. Die Wärme iſt ihnen im allgemei— nen ſo weit zuträglich, als ſie nicht austrocknend wirkt. In einzelnen warmen Quellen kommen einige Arten noch bei 40 und mehr Grad Réaumur vor, andere ſind im Ertragen des anderen Extrems ausgezeichnet. „Viele Schnecken“, ſagt von Martens weiter, „können einen bedeutenden Kältegrad ertragen, namentlich die kleine näſſeliebende Arion hortensis, A. tenellus und die Vitrinen, welche ich mehrmals mit erſtarrenden Fingern unter der Schneedecke hervorgeſucht habe; am Keſſelberge beim Kochelſee in Oberbayern fand ich am 24. Dezember Helix rupestris und Clausilia parvula frei der Luft ausgeſetzt an den nur durch ihre ſenkrechte Lage von Schnee freien Felswänden, auf gefrorenem Boden ſtehend, während ein Waſſerfall daneben in ſeinen Eismaſſen das Bild eines Gletſchers zeigte. Auch die nördlichſten Schnecken ſind alle klein und dünnſchalig; es ſcheint alſo, daß gerade keine große Maſſe und keine dicke Schale zum Ertragen der Kälte notwendig iſt und dieſe ſelbſt eher das Gegenteil bewirkt.“ Wie ſich nun im kalten und im gemäßigten Klima die Schnecken dem lebenfeindlichen Einfluſſe des Winters durch Bedeckelung und Vergraben entziehen, ſo verfallen die Landſchnecken der trocknen Tropengegenden in einen Sommerſchlaf, gleich vielen Reptilien und Inſekten. Auch um dieſen abzuhalten, graben ſie ſich ein oder ſuchen die Unterſeite bergender Steine und Aſte auf. Das dritte große Agens für die Verbreitung der Lebeweſen, das Licht, iſt von ge— ringerem Einfluß als Feuchtigkeit und Wärme und wohl hauptſächlich von eingreifen— dem Einfluß in Begleitung jener beiden anderen Faktoren des Klimas. Beſonders inter— eſſant iſt der abändernde Einfluß, den Licht und Wärme zuſammen auf die Färbung der Landſchnecken ausüben. „Von den blaſſen, eher farblos als weiß zu nennenden Schalen der im Dunkeln lebenden Schnecken gibt es alle nur möglichen Übergänge zu dem durch— ſcheinenden Braun der ſchattenliebenden Gebüſchſchnecken, und von dieſem zu dem undurch— ſichtigen dichten Kreideweiß, welches alle Farben zuſammenfaßt, und der bunten Zeichnung der die Sonne liebenden Landſchnecken. — Nur wo das Licht zu grell und ſtark einwirkt, bleicht es, wie ſonſt nur die leeren Schalen, die Schnecken bei lebendigem Leibe. So finden ſich an ſehr ſonnigen Stellen nicht ſelten ganz weiße, glanzloſe Exemplare von Helix pomatia und hortensis lebend, welche in der Sammlung nur noch durch den Glanz der Innenſeite der Mündung, wo die Schale ſtets mit den Weichteilen in Berührung war, von verwitterten Stücken ſich unterſcheiden laſſen. Helix desertorum, um Kairo und Alexandria braun, iſt in der Wüſte meiſt einfarbig weiß. Moritz Wagner fand Helix hieroglyphicula in Algerien unter dem Sonnenſchirm von Cactus opuntia mit fort— laufenden, an ſonnigeren Stellen ſtets mit unterbrochenen, ſtellenweiſe verlöſchten Bändern, 326 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. d'Orbigny den Bulimus derelictus auf den Gebirgen von Cobija in Bolivia mit leb— haften Farben geſchmückt, dagegen an ihrem Fuße, wo die regenloſe Gegend ihnen nur Kaktusſtauden und Lichenen bietet, ganz einfarbig weiß, und ebenſo ſeinen Bulimus spo— radicus in den Pampas von Buenos Ayres einfarbig, in Bolivia an der Grenze der Wälder mit ſcharf ausgeprägten ſchwarzen Striemen ausgezeichnet.“ Aus dieſen und vielen anderen Beiſpielen geht hervor, daß die Landſchnecken beſonders geeignet ſind, zu zeigen, wie die Färbung direkt unter dem Einfluß des Lichtes ſteht. Es finden ſich aber unter ihnen auch zahlreiche Beiſpiele für eine andere, auch in anderen Tierklaſſen beobachtete Thatſache, nämlich die Gleichfarbigkeit des Tieres mit ſeiner unmittelbaren Umgebung. Die Landſchnecken find vorherrſchend erdbraun, die Vitrinen und Arion hortensis unter den naſſen modernden Blättern ſind ſo ſchwarz und glänzend wie dieſe, und man kann die Gleichfarbigkeit jener Tiere und unzähliger anderer mit ihren Umgebungen teilweiſe daraus erklären, daß gerade die ſo gefärbten leichter als die durch ihre Farbe abſtechen— den Individuen ihren Feinden entgehen müſſen; es findet alſo fortwährend eine Aus— merzung der bunten Varietäten, eine Zuchtwahl der mit der Umgebung übereinſtimmend gefärbten Exemplare ſtatt und damit eine allmähliche natürliche Erziehung der durch die Färbung am meiſten geſchützten und bevorzugten Varietät. Da alle Schneckengehäuſe kalkig ſind, dieſer Kalk ſich nicht im Organismus aus an— deren Elementen erzeugt, ſondern als Kalk von außen eingeführt werden muß, ſo folgt von ſelbſt, daß da, wo es abſolut an Kalk fehlt, Gehäusſchnecken nicht exiſtieren können. Dieſe Abhängigkeit vom Kalk iſt natürlich auch bei den Landſchnecken am auffallendſten. Für die Verbreitung, Maſſenhaftigkeit der Individuen, Feſtigkeit, Dicke und Dünne der Schalen ſind daher der Kalkboden und die Kalkgebirge von höchſter Bedeutung. „Die Ver— ſchiedenheit“, ſagt Döring, „welche ſich bei Individuen einer und derſelben Art an Aufent— haltsorten von verſchiedener geognoſtiſcher Beſchaffenheit bemerkbar zu machen pflegt, iſt größtenteils darauf hinauszuführen, daß diejenigen Individuen, welche auf kalkarmen Ge— ſteinen (Granit und anderen) vorkommen, ſtets eine an organiſcher Subſtanz reichere und daher intenſiver gefärbte, mehr transparente Beſchaffenheit und ſtets eine geringere Stärke der Schale zeigen. Die zur Bildung der Perlmutterſchicht nötige Kalkmenge wird nicht nur aus der aufgenommenen Nahrung entnommen, ſondern gleichzeitig von dem Tiere durch Benagen von kalkhaltigen Geſteinen oder, wo dieſe fehlen, von Gehäuſen anderer In— dividuen derſelben Art aufgenommen und reſorbiert. Wo es nun, wie im Gebiete der granitiſchen Quarzgeſteine, an leicht reſorbierbaren Kalkverbindungen fehlt, findet das Tier nicht die Gelegenheit, reichliche Kalkmengen in ſeinen Körper aufzunehmen und kann da— her die innere (Perlmutter-) Schicht nicht in derſelben Stärke aufbauen wie die Individuen der kalkreichen Formationen. Es tritt dadurch alſo, da bei den Individuen beider Aufent— haltsorte die an organiſcher Subſtanz reiche Oberhautſchicht ziemlich gleichmäßig ausgebildet, die innere kalkreiche Perlmutterſchicht dagegen ungleichmäßig ſtark iſt, ein verſchiedener prozentiſcher Gehalt an organiſcher Subſtanz zu gunſten der Individuen der primitiven Gebirgsformationen auf, wodurch dann gleichzeitig auch die Dünnſchaligkeit der letzteren, ihre große Transparenz und intenſivere Färbung ihre Erklärung findet.“ Über die Art, wie die Landſchnecken, welche wir im Vorhergehenden hauptſächlich berückſichtigen, und mit denen wir uns auch noch ferner ſpezieller beſchäftigen wollen, ihren Aufenthalt wählen, und wie und wo man ſie zu ſuchen hat, laſſen wir einen der Alt— meiſter der Konchyliologie, den ſinnigen Roßmäßler, ſprechen. „Manche kriechen vorzugs— weiſe an den Pflanzen umher, an denen die Unterſeite der Blätter und die Aſtwinkel ihre Lieblingsplätzchen ſind, andere ziehen es vor, auf und unter dem abgefallenen Laube ſich aufzuhalten, noch andere führen ihr verborgenes Leben unter der dichten Moosdecke, welche Beſchaffenheit der Schneckengehäuſe. Aufenthaltsorte der Landſchnecken. 327 Steine und Baumſtämme überzieht, einige finden ſich ſelbſt unter großen Steinen in Ge— ſellſchaft der Regenwürmer und Tauſendfüßer, wo man dann oft nicht begreifen kann, wie ein ſo zartes Tier mit ſeinem zerbrechlichen Hauſe unter die Laſt eines oft ſehr großen Steines gelangen konnte. Ja manche Schnecken ſcheinen ſich hier noch nicht völlig ſicher geglaubt zu haben und führen ein in der That völlig unterirdiſches Leben. Doch wir wollen dieſe Aufenthaltsorte der Schnecken nacheinander etwas genauer kennen lernen. „Da die Nahrung der Schnecken (d. h. der Landſchnecken) faſt lediglich in vegetabi— liſchen Subſtanzen beſteht, ſo kann man ſchon hieraus ſchließen, daß ſich die meiſten auf Gewächſen oder wenigſtens in der Nähe derſelben aufhalten. Um auch hier erſt im allge— meinen etwas anzugeben, ſo führe ich Pfeiffer an, welcher ſagt, die meiſten Schnecken fänden ſich in Buchen-, weniger in Eichen- und Nadelholzwaldungen. Ich möchte dafür lieber ſagen, daß Gegenden, die Laubholzwälder haben, in den Konchylienprodukten einen entſchiedenen Vorzug vor denen haben, in welchen Nadelholz vorherrſcht. Übrigens hat ſich nun meine Angabe, nach welcher ich in flachen Gegenden mehr Konchylien gefunden zu haben behaupte, auch hinſichtlich der Wälder beſtätigt. Gebirgswaldungen habe ich immer weit ärmer an ſolchen gefunden als flach und feucht gelegene Waldungen. — Hier leben die Schnecken nie in einer beträchtlichen Höhe der Bäume; ſie ziehen im Gegenteil in denſelben das niedrige Buſchholz vor, oder ſie halten ſich auf den Waldkräutern oder am Boden auf. Ob die Schnecken in den Waldungen vorzugsweiſe gern auf gewiſſen Geſträuchen leben, habe ich noch nicht mit Beſtimmtheit entſcheiden können. Wenn ich oft dieſen oder jenen Strauch, Gebüſch oder Hecke beſonders von ihnen bevölkert fand, ſo ſchien dies mehr anderen Urſachen als der Pflanzenart, die jene Gebüſche oder Hecken bildete, zugeſchrieben werden zu müſſen. Je dichter und ſchattiger ein Geſträuch und je bedeckter und feuchter der Standort desſelben iſt, deſto lieber iſt es den Schnecken. Ganz beſonders angemeſſen ſcheinen ihnen aber ſolche Büſche zu ſein, etwa vom Cornus sanguinea, Rubus, Acer, Corylus 2c. (Hornſtrauch, Brombeer, Ahorn, Haſelnuß), die von den Schlingen des Hopfens berankt und von anderen hochwachſenden Kräutern ſozuſagen durchwachſen ſind. Hier ſitzen ſie bei trockenem Wetter an der Unterſeite der Blätter oder ſind in der Boden— decke verborgen, und wer ſie hier nicht zu ſuchen weiß und ſich nebenbei vielleicht ſcheut, in das Dickicht einzudringen, der würde glauben, hier ſei keine Schnecke zu finden. Über— haupt muß man, je trockener und wärmer die Witterung iſt, die Schnecken deſto tiefer am Boden ſuchen. Wie viele Schnecken aber um und an einem ſolchen eben beſchriebenen Ge— büſche ſich aufhalten, von denen man bei trockenem Wetter nur wenig entdeckt, das wird nach einem warmen Regen recht ſichtbar. Dann kriecht alles aus den Schlupfwinkeln hervor, um ſich an den hangenden Tropfen und der duftigen Kühle zu laben, und man wird eine reiche Ernte haben, wenn man ſich nicht vor den fallenden Tropfen, den kratzenden Dornen und brennenden Neſſeln ſcheut. „Hat man die Aſte und Blätter ſolcher Geſträuche aber abgeſucht, jo unterlaſſe man nicht, den Boden um dieſelben, der gewöhnlich mit Moos, Steinen und abgefallenem Laub bedeckt iſt, ſorgfältig zu unterſuchen, indem manche ſeltene Schnecke hier lebt und ſelten an das Tageslicht ſich erhebt, wohin namentlich die Vitrinen zu rechnen ſind. Ziemlich ähnlich ſolchen Gebüſchen ſind die lebenden Hecken hinſichtlich des Vorkommens von Schnecken. Namentlich die Hecken feucht und tief gelegener Gärten pflegen ſehr, namentlich nach einem Regen, bevölkert zu ſein. In Gärten gibt es aber noch mehrere Stellen, an denen man mit Erfolg Schnecken ſuchen kann. Die Buxbaumeinfaſſungen der Beete dienen nament— lich während einer warmen und trocknen Witterung denſelben zum kühlen Aufenthalts— orte; ferner die von Unkraut und anderem Geniſte nicht ganz geſäuberten Winkel; die Orte, wohin man das ausgeraufte Unkraut zu werfen pflegt: kurz alle winkeligen, dunkeln 328 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. und feuchten Orte. Daher unterlaſſe man in einem Garten nicht, jedes lange auf einer Stelle gelegene Brett aufzuheben, wenn man nicht die Schnecken entbehren will, die ſich hier unfehlbar auf der Unterſeite des Brettes finden werden. Man kann daher mittels ſolcher, gewiſſermaßen als Fallen an dunkle, feuchte Stellen gelegter Bretter die Schnecken anlocken und fangen. „In Laubhölzern pflegt der Boden gewöhnlich mit einer Decke von abgefallenem Laub, Moos, Steinen und abgebrochenen Aſtchen bedeckt zu ſein. Hier halten ſich auch eine große Menge Schnecken auf, die man mit Bequemlichkeit ſammeln kann, wenn man zuerſt die Oberſeite dieſer Decke und die niederen Pflanzen abſucht und dann das Laub wegräumt, um ſich der unter ihm lebenden Schnecken zu bemächtigen. Dabei unterlaſſe man nicht, jeden etwas großen Stein umzuwenden, weil manche Schnecken beſonders gern unter den— ſelben leben. Oft ſind ſolche Steine oder alte Baumſtöcke mit einer dichten Moosdecke über— zogen; dieſe kann man mit leichter Mühe in großen Polſtern abnehmen und ſo manches Schneckchen entdecken, das hier im Verborgenen lebt. „Weil wir einmal noch im Walde ſind, ſo dürfen wir nicht vergeſſen, die alten, halb— verfaulten Stöcke, die oft hier ſtehen, oder alte hohle Bäume genau zu unterſuchen. In und auf ihnen leben viele Schnecken, namentlich Klauſilien, Pupa und Vertigo. Von recht alten Stöcken oder alten Bäumen läßt ſich, namentlich bei feuchter Witterung, die Borke leicht in großen Schalen ablöſen, und auch hier, in dem engen Raume zwiſchen Borke und Holz, lebt manche ſeltene Schnecke, namentlich aus der Gattung Vertigo und Carychium. Hat man Gelegenheit, felſige Gegenden zu durchſuchen, jo wird man meiſt durch manche hübſche Schnecke belohnt. Vorzüglich kommen auf der Abend- und Morgen— ſeite, die gewöhnlich am längſten feucht ſind, und in den Ritzen, zumal wenn dieſe mit etwas Moos und Flechten bekleidet und von herabtropfendem Waſſer befeuchtet ſind, viele Schnecken vor, vorzüglich einige Arten aus den Geſchlechtern Helix und Clausilia.“ Wir gehen nun etwas näher auf die untergeordneten Gruppen und einzelne ihrer Repräſentanten ein, zunächſt auf die Schnirkelſchnecken (Helicidae). Sie bilden mit einigen anderen Familien die Abteilung der Stylommatophoren, durch welchen Namen die Stellung ihrer Augen auf der Spitze der beiden hinteren, hohlen und einftülpbaren Fühl— hörner bezeichnet wird. Alle beſitzen ein ſpiraliges, geräumiges, zur Aufnahme des ganzen Körpers geeignetes Gehäuſe, welches übrigens in allen möglichen Geſtalten von der faſt flach tellerförmigen bis zur ſpitz und lang turmförmigen wechſelt. Man hat etwa 4600 lebende Arten beſchrieben, von denen über 1600 auf die jetzt in zahlreiche Untergattungen aufgelöſte Gattung Helix kommen. Von den im mittleren Europa am meiſten verbreiteten Arten hat uns Helix pomatia (Weinbergſchnecke, ſ. Tafel „Landſchnecken“, Fig. 10) oben ſchon beſchäftigt. Jedermann kennt das große, kugelige, bauchige, gelbliche oder bräunliche Gehäuſe, welches die Konchyliologen „bedeckt durchbohrt“ nennen, indem der enge, in die Achſe hinein ſie erſtreckende Nabel durch eine Verbreiterung des Spindelrandes bedeckt iſt. Sie iſt in ihrem Vorkommen keineswegs an die Weingärten gebunden, obwohl ſie im Frühjahr den Knoſpen der Reben großen Geſchmack abgewinnt und dadurch erheblichen Schaden anrichten kann, ſondern findet ſich überall in trockneren, vorzüglich hügeligen Gegenden, wo Gräſer und Buſchwerk gedeihen. Wegen ihrer Größe und ihres Nutzens iſt ſie von ihren Gattungs— genoſſen am häufigſten Gegenſtand der Beobachtung und Forſchung geweſen. Sie gehört zu denjenigen Arten, welche im Herbſt, nachdem ſie ſich am liebſten unter einer Moosdecke 21 Fuß tief in die lockere Erde eingegraben, ihr Gehäuſe mit einem ſoliden Kalkdeckel ver— ſchließen. Von dieſem zieht ſich das Tier noch ziemlich weit in die Schale zurück, indem es den Schnirkelſchnecken. — Weinbergſchnecke. 329 Zwiſchenraum durch eine oder einige dünne Häute quer abteilt. Während dieſer wenigſtens 6 Monate dauernden Zeit innerſter Beſchaulichkeit iſt der Atmungsprozeß und die Thätig— keit des Herzens nicht unterbrochen. Der Kalkdeckel hat zwar keine Offnung, welche man bei einigen anderen Arten bemerkt hat, wohl aber iſt er ſo porös, daß durch ihn und durch die übrigen dünnen Häute hindurch der notwendige Gasaustauſch ſtattfinden kann. Man denke nur, um einen Vergleich zu haben, daß auch das Hühnchen während ſeiner Ent— wickelung im Ei durch ſeine Schale hindurch mit der atmoſphäriſchen Luft im Gasaus— tauſche ſteht. Aber wie bei allen Winterſchlaf haltenden Tieren, iſt auch bei der Wein— bergſchnecke und ihren Schweſtern die Atmung eine geringere. Nach einer Reihe von ſchö— nen, wenn auch nicht allzu warmen Märztagen fand ich den Pulsſchlag noch ſehr unregel— mäßig, 12— 13 Schläge in der Minute, während die Zahl nach dem Winterſchlafe ſich auf 30 erhebt. Jedenfalls iſt aber in der eigentlichen Winterzeit die Herzthätigkeit eine viel geringere. Ja ein engliſcher Beobachter behauptet, daß mitten im Winter das Herz gänzlich zu ſchlagen aufhöre und der Kreislauf unterbrochen würde, und ein deutſcher Naturforſcher, Barkow, der ſich eingehend mit den Erſcheinungen des Winterſchlafes der Tiere beſchäftigt hat, ſagt, daß zwar die Pulſationen des Herzens nicht gänzlich aufhörten, daß aber der Lungenſack geſchloſſen ſei und die Atmung nicht ſtattfinde. Ich meine, daß auch das Atmen nie vollſtändig unterbrochen iſt. Der Mageninhalt, mit welchem ſich das Tier für den Winter einſargt, wird noch verdaut, dann aber füllt ſich der Magen mit einem bräunlichen Brei, mit Galle. Die Wärme des April und Mai weckt die Lebens— thätigkeit; das Herz ſchlägt lebhafter, und ohne Zweifel wird das Tier durch das geſteigerte Atembedürfnis, gewiß auch durch einen rechtſchaffenen Hunger getrieben, ſich mit dem Fuße gegen die häutigen Deckel zu legen. Dieſelben werden nicht durchſtoßen, ſondern leicht abgeweicht, und auch das Abheben des Kalkverſchluſſes der Mündung erfordert keine be— ſondere Kraft. Er iſt mit der Mündung nicht verwachſen, ſondern bildet einen flachen Pfropfen mit glattem, gut ſchließendem Rande. Die nächſten Tage und Wochen nach dem Erwachen aus dem Winterſchlaf benutzt unſere Schnecke, um ſich an den jungen Gräſern und Kräutern gütlich zu thun. Erſt in den feuchten Tagen des Mai und Juni geht ſie zur Begattung über, ein mit den ſonderbarſten Vor— bereitungen und den auffallendſten begleitenden Umſtänden verbundener Akt. Ergötzlich ſpricht Johnſton von den Übertreibungen hinſichtlich der Rolle, welche der Liebespfeil dabei ſpielen ſollte. Er ſagt: „Wenn verliebte Dichter vom Kupido, von ſeinem Köcher und ſeinen Pfeilen ſingen, ſo gebrauchen ſie Ausdrücke, welche einige ernſthafte Natur— forſcher geglaubt haben, buchſtäblich bei der Beſchreibung der Liebesverhältniſſe einiger unſerer Gartenſchnecken (Helix pomatia u. a.) anwenden zu können. Die Jahreszeit treibt ſie zur Vereinigung, und das verbindende Paar nähert ſich, indem es von Zeit zu Zeit kleine Pfeile aufeinander abſchießt. Dieſe Pfeile ſind einigermaßen wie ein Bajonett geſtaltet; ſie ſtecken in einer Höhle, Köcher, an der rechten Seite des Halſes, aus welcher ſie abgeſchoſſen werden ſollen, wenn die Tiere noch 2 Zoll voneinander entfernt ſind; und wenn die Pfeile ausgetauſcht, ſo ſind die Neigungen gewonnen und eine Hochzeit iſt die Folge.“ Allerdings gehört der Pfeilſchuß mit in das Vorſpiel, bildet aber erſt die Schluß— ſzene der erſten Abteilung. Eröffnet wird dieſelbe häufig durch eine Art ſehr ſchnecken— haften Rundtanzes, indem die beiden Tiere in immer kleiner werdenden Kreiſen umein— ander herumkriechen. Oft jedoch iſt, wie Johnſton ſagt, die Art der Bewerbung weniger förmlich. Haben ſie ſich erreicht, ſo legen ſie ſich mit den Fußſohlen platt aufeinander, indem ſie ſich aufrichten und das Ende der Sohle gegen die Erde ſtemmen. Dabei ſind die wellenförmigen Bewegungen der Fußmuskeln beſonders ſtark. Nun berühren ſich die Fühler, immer und immer wieder ſich aus- und einſtülpend; auch mit den Lippen betaſten 330 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. ſie ſich, ſo daß Swammerdam es mit dem Schnäbeln der Tauben vergleicht. Nach dieſen und anderen Vorbereitungen und durch gewiſſe Bewegungen treten auch die Pfeile hervor, welche, wenn alles richtig von ſtatten geht, gegenſeitig in die Geſchlechtsorgane eindringen, häufig aber daneben die Haut durchbohren oder auch herabfallen, ohne irgend ein Ziel erreicht zu haben. Es geht daraus hervor, daß die Bedeutung der Liebespfeile für den Begattungsakt, deſſen wichtigſter Teil nun erſt beginnt, jedenfalls eine ſehr geringe iſt, und daß ſie auch kaum als Reizorgane betrachtet werden können. Die Eier der Weinbergſchnecke haben 3 Linien Durchmeſſer und werden von einer weißen, mit Kalkkriſtallen imprägnierten und darum feſten Schalen umgeben. „Dieſe Eier werden in großer Menge in kleine Erdhöhlen gelegt, welche die Schnecken dazu ſelbſt bilden. Der Vorderkörper wühlt ſich, ſoweit er ſich aus der Schale hervorſtrecken kann, in weiche feuchte Erde hinein und bildet jo ein rundes 1— 1 Zoll tiefes Loch, deſſen Offnung oben ſtets vom Schneckenhauſe verſchloſſen bleibt, und ſo hineingeſtreckt legt die Schnecke im Verlaufe von 1— 2 Tagen ihre 60 — 80 Eier. Dann ſcharrt fie das Loch mit Erde zu und ebnet den Boden darüber, ſo daß das Eierneſt, wenn man nicht bald nach dem Legen die lockere Erde dort noch erkennt, ſchwer zu finden iſt.“ (Keferſtein.) Die Ent— wickelung im Ei nimmt etwa 26 Tage in Anſpruch. Einige Züge der Entwickelung der Land— pulmonaten ſollen unten bei der Ackerſchnecke mitgeteilt werden. Bis tief in den Herbſt hinein find fie ſehr gefräßig, um mit Eintritt der Kälte ſich zum Winterſchlaf anzuſchicken. Die Weinbergſchnecke iſt ſeit alten Zeiten im mittleren Deutſchland, beſonders zur Faſching- und Faſtenzeit, eine beliebte Speiſe geweſen. In der Schweiz und in den Donau— gegenden züchtete und mäſtete man ſie in eignen Gärten. Doch iſt die gute Zeit vorüber, wo in der Gegend von Ulm die Helix pomatia durch eigne Schneckenbauern in dieſen Gärten gehegt und jährlich über 4 Millionen in Fäſſern zu je 10,000 Stück im Winter auf der Donau hinunter bis jenſeit Wien ausgeführt wurden. Von Eßlingen aus wurden noch im Jahre 1891: 10,000 gehegte Deckelſchnecken, das Tauſend zu 12 Mark, zum Verkaufe ausgeboten. In Steiermark, wo ſie auch in ziemlicher Menge gegeſſen werden, ſammelt man ſie einfach im Herbſt ein, nachdem ſie ſich bedeckelt haben, und bewahrt ſie zwiſchen Hafer auf. Natürlich trocknet derſelbe während des Winters etwas zuſammen, was die Leute damit erklären, die Schnecken verzehrten denſelben. Wie das durch den Deckel hindurch geſchehen könne, wußte man mir freilich nicht anzugeben. Man ißt ſie in dortiger Gegend einfach nur abgekocht; ſehr delikat ſchmecken ſie mit feinen Kräutern feingehackt und gedünſtet. So behandelt wird das Ragout in den eignen Schalen der Schnecken ſerviert. Im ſüdlichen Deutſchland grenzt an den Verbreitungsbezirk der Weinbergſchnecke der— jenige der vorzugsweiſe dem Süden Europas angehörigen geſprenkelten Schnirkel— ſchnecke (Helix adspersa). Sie iſt etwas kleiner, ihr Gehäuſe dem der vorigen ähn— lich, gebändert und mit weißen oder gelblichen flammigen Sprengſeln bedeckt und wie damit beſpritzt. Sie iſt ein wichtiges Nahrungsmittel der niederen Volksklaſſen des ſüdlichen Europa, beſonders Italiens. In den offenen Garküchen der größeren Städte wird ſie in Keſſeln geſotten, und ich habe in Neapel oft mein Geſchick geprieſen, daß ich nicht die Brühe zu trinken brauchte, welche der Lazzarone zu ſeiner reichlichen, um eine kleine Kupfer— münze gekauften Portion zubekam, und die er als ein köſtliches Naß aufſog. Die Beob— achtung des Verkaufes ſolcher allverbreiteten, nur die Arbeit des Einſammelns und die einfachſte Zubereitung koſtenden Lebensmittel macht es begreiflich, welch ein großer Reiz dort im Müßiggehen und Betteln liegt. Ein paar Soldi für den Mittagstiſch treibt ein geſchickter Bettler doch auf; dafür hat er nicht nur Fleiſch und kräftige Brühe, ſondern Verſchiedene eßbare Schnirkelſchnecken. 331 zum Nachtiſche ein großes Stück Waſſermelone, welche neben den brodelnden Schnecken— keſſeln mit wahrer Virtuoſität ausgeboten werden. Schon im Altertum wurden aber außer dieſer noch verſchiedene andere, zum Teil eingeführte Arten gezüchtet und gemäſtet. Wie Plinius erzählt, beſchäftigte ſich zuerſt ein gewiſſer Fulvius Lippinus kurze Zeit vor dem pompejaniſchen Kriege mit der Schneckenzucht, und je in beſonderen Ställen wurden die weißen Schnecken aus der Gegend von Reate gehalten, die beſonders großen illyriſchen, die durch ihre Fruchtbarkeit ausgezeichneten afrikaniſchen und die hochgeſchätzten ſolitaniſchen. Ja ſogar einen Teig aus Moſt, Weizenmehl und anderen Beſtandteilen hatte er erſonnen, um fette, ſchmackhafte Schnecken auf die Tafel zu bringen. Welche ausländiſche Arten ge— zogen wurden, ob darunter etwa der und jener Bulimus und eine oder die andere Achatina aus Afrika, läßt ſich nicht angeben. Doch ſcheint nach Kobelts Bemerkung die von den Römern ſo hochgeſchätzte Cochlea maxima illyrica die Helix secernenda geweſen zu ſein, eine in Dalmatien gemeine Verwandte unſerer Weinbergſchnecke, welche noch heute dort als Leckerbiſſen gilt. In Venedig verſpeiſt man vorzugsweiſe die kleinere Helix pisana, welche in ungeheuern Mengen auf den Dünenpflanzen ſich aufhalten. „Dieſe niedliche Schnecke hat die Geſtalt der gewöhnlichen Gartenſchnecke, ohne jedoch ihre Größe ganz zu erreichen; dabei iſt ſie etwas genabelt, die Mündung inwendig roſenfarbig, die äußere Schale aber weiß mit gelbbraunen Bändern, welche beinahe an jeder einzelnen Schale wieder verſchieden, bald wie Notenlinien fortlaufend, bald wie Laubwerk nach oben und unten ausgeſchweift, bald aus Punkten und Querſtrichen zuſammengeſetzt, oft ſehr lebhaft, oft blaß ſind oder ganz fehlen. Dieſe Schnecken werden in großer Menge nach Venedig ge— bracht, dort abgeſotten, mitſamt der Schale mit gehacktem Knoblauch und Ol in großen Schüſſeln angemacht und den ganzen Sommer durch auf allen Plätzen verkauft.“ (Martens.) „Durch ganz Italien find, außer der Helix adspersa, H. naticoides und H. ver— miculata als Speiſe geſucht. H. naticoides, die in Süditalien allenthalben la Tapa- data, die Zugedeckelte, heißt, wird beſonders geſchätzt, iſt aber nicht leicht zu ſammeln. Dieſe Schnecke liegt nämlich faſt das ganze Jahr hindurch zugedeckelt einige Zoll tief in der Erde; erſt nach den ſchwereren Herbſtregen kommt ſie heraus, um ſchon im Februar wieder zu verſchwinden. Nimmt man das Tier in die Hand, ſo ſtößt es mit einem ſehr vernehmlichen Geräuſche eine ganze Menge Schaum aus der Atemöffnung aus, ſo daß ſie vollſtändig davon umhüllt wird. Mir iſt keine andere Landſchnecke bekannt, die mit einer ähnlichen Schutzwaffe verſehen wäre; leider wird dieſe ihrer Beſitzerin dem Hauptfeinde, dem Menſchen gegenüber, zum Verderben, denn man ſieht den Schaum ſchon von weitem und hört das Geräuſch einige Schritte weit. „Auch in Neapel ſpielen die Landſchnecken noch eine Hauptrolle. Hier iſt es beſonders Helix ligata, die aus den Apenninen zum Verkauf gebracht wird; doch findet man auch die ſchon früher genannten Arten, die in ganz Italien gegeſſen werden, und ganz beſonders bringt man hier die koloſſalen Helix lucorum von Monte Gargano zu Markte. Jedem Fremden fallen die Maruzzeä ins Auge, die mit einem gemauerten Feuerherde auf dem Kopfe die Straßen durchziehen und ihre Ware ausrufen. Der Herd iſt mit Blumen ge— ziert, und ringsum ſind Stücke Brot angeſpießt. Kommt ein Kunde, ſo wird der Herd vorſichtig heruntergehoben, der Händler nimmt ein Stück Brot und ſchöpft dann aus dem brodelnden Keſſel die beſtimmte Quantität Schnecken darauf.“ (Kobelt.) Nach demſelben Beobachter hat in Palermo der Verbrauch von Landſchnecken die größte Ausdehnung in Italien. „Bei meinen Ausflügen auf den Monte Pellegrino“, erzählt er, „begegneten mir immer eine Menge Schneckenſammler, deren Körbe mir mitunter eine ganz ſchöne Ausbeute gewährten. Die Leute ſind mit einem kurzen, krummen Eiſen be— waffnet, mit dem ſie die ſpärliche Erde zwiſchen den verwitterten und durchlöcherten 339 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. Kalkſteinklippen umgraben. Die reichſte Ausbeute liefern die halb mit Erde ausgefüllten Löcher in den Felſen ſelbſt. Hier liegen Helix vermiculata, naticoides und die, wie es ſcheint, auf den Pellegrino beſchränkte H. Mazzullii in Menge beiſammen. Letztere ſehr geſchätzte Art ſitzt aber außerdem noch in weit größerer Menge in den Felſen ſelbſt verborgen, in Löchern, die ſie ſich nach den Beobachtungen von Doderlein ſelbſt bohrt. Es iſt dies eine der merkwürdigſten Erſcheinungen in der Lebensweiſe der Schnecken. Der weißgraue Kalkſtein des Pellegrino enthält nämlich einzelne leichter verwitterbare Partien, und in— folge davon ſind die Blöcke, aus denen ſeine ganze Oberfläche beſteht, in der ſeltſamſten Weiſe durchlöchert und zerfreſſen. Beſonders häufig findet man durchgehende Gänge, oft einige Fuß lang, aber nur wenige Zoll weit. An der Decke dieſer Höhlen, alſo an Punkten, wo jede Mitwirkung des Regens ausgeſchloſſen iſt, findet man eine Anzahl ſenkrechter Gänge in den Stein eingebohrt, meiſt ziemlich kreisrund und bis zu mehreren Zoll tief, ſo daß der Stein einer koloſſalen Bienenwabe gleicht. In der Tiefe dieſer Gänge ſitzen immer Schnecken, namentlich Helix Mazzullii, außerdem aber auch, und zwar noch häu— figer, H. sicana, mitunter eine Menge aufeinander in derſelben Höhle. „Es ſchien mir anfangs vollkommen unglaublich, daß es den Schnecken möglich ſein ſollte, dieſe Löcher zu bohren. Eine Folge der Verwitterung können dieſe aber unmöglich ſein, ſchon ihrer Lage wegen; außerdem ſind ſie aber auch innen vollkommen glatt. Für eine zufällige Erſcheinung treten ſie zu häufig und zu regelmäßig auf, und ihre Dimen— ſionen entſprechen genau denjenigen ihrer Bewohner. Es bleibt alſo nur die Annahme übrig, daß die Schnecken ſich ſelbſt im Laufe vieler Generationen dieſe Löcher gebohrt haben und noch immer bohren. Wenn ich nicht irre, hat auch ein franzöſiſcher Konchyliologe an der franzöſiſchen Weſtküſte ähnliche, von Helix hortensis gebohrte Löcher beobachtet. „Ich möchte noch bemerken, daß ſich die in den Löchern lebenden Exemplare durch eine mehr verlängerte, kegelförmige Geſtalt vor den frei lebenden auszeichnen. Man kann ge— troſt behaupten, daß Helix Mazzullii nur durch dieſe Lebensweiſe zu einer von H. ad- spersa verſchiedenen Art geworden iſt. Die frei lebenden Exemplare treten dieſer ihrer Stammart wieder ſehr bedenklich nahe und laſſen H. Mazzullii als eine lokale Varietät erſcheinen, die aber durch ihre veränderte Lebensweiſe konſtante und bedeutende Unter— ſcheidungsmerkmale gewonnen hat.“ Da haben wir alſo wieder einen Beleg zu Goethes Ausſpruch: „Die Weiſe des Lebens, ſie wirkt auf alle Geſtalten mächtig zurück.“ Mit der Weinbergſchnecke (vergl. die Tafel, Fig. 10) haben noch drei größere, ſehr gemeine Arten faſt denſelben Verbreitungsbezirk, wovon die meiſten unſerer deutſchen Leſer ſich in ihrer nächſten Umgebung werden überzeugen können. Die gefleckte Schnir— kelſchnecke oder Baumſchnecke (Helix arbustorum) iſt in der Grundfarbe kaſtanien— braun und mit zahlreichen unregelmäßigen ſtrohgelben Stricheln beſprengt. Der Mundſaum iſt immer mit einer glänzend weißen Lippe belegt. Das Tier iſt blauſchwarz mit lichterer Sohle und hält ſich in Gärten, Vorhölzern und Hecken an ſchattigen feuchten Orten, am Boden und an niedrigen Pflanzen auf. Durch ungemein viele Varietäten des Gehäuſes iſt die Hainſchnirkelſchnecke (Helix nemoralis, ſ. Tafel „Landſchnecken“, Fig. 6 und 7) ausgezeichnet; auch iſt das lebhaft zitronengelbe oder braunrote Gehäuſe ſehr leicht an dem dunkelkaſtanienbraun gefärbten Mundſaume und der Mündungswand zu erkennen. Die Konchyliologen zählen von dieſer den Gärten ſehr ſchädlichen Art einige 40 Varietäten auf. Die dritte im Bunde iſt die Gartenſchnirkelſchnecke (Helix hortensis, Fig. 1 und 2), deren Gehäuſe in Form, Färbung und Zeichnung von der vorigen Art nicht verſchieden iſt; nur iſt es in der Regel etwas dünner und der Mundſaum faſt Weitere Schnirkelſchnecken. Vielfraßſchnecke. 333 ſtets rein weiß. Trotz ihres Namens findet ſie ſich nur ſelten in Gärten, und trotz der vielen genauen Beſchreibungen über die Farbenabänderungen ſind die eigentlichen ent— ſcheidenden Beobachtungen über das Ineinandergehen und Ständigwerden der Varietäten und Abarten der beiden zuletzt genannten doch noch zu machen, obgleich Roßmäßler ſchon vor etwa 40 Jahren dazu aufgefordert. „Es würde die darauf zu verwendende Mühe ge— wiß lohnen, was auch von dem ſehr häufigen Vorkommen dieſer beiden Arten unterſtützt werden würde, zu erforſchen, wie ſich hinſichtlich ihrer zahlreichen Varietäten die Jungen zu den Eltern verhalten, ob alle Schnecken einer Brut hierin übereinſtimmen, und ob ſie mehr dem Vater oder mehr der Mutter gleichkommen. Man müßte dann Schnecken, die man bei der Paarung findet, ſammeln, einzeln in zweckmäßig vorbereitete Behälter bringen und die erhaltenen Eier in einem entſprechenden naturgemäßen Zuſtande warten und pflegen. Letzteres würde freilich einige Schwierigkeiten haben, die jedoch nicht unbeſiegbar ſind, wie auch die Erfahrung gelehrt hat. Die beiden vornehmlichſten dabei zu beobachtenden Vor— ſichtsmaßregeln ſind, die Erde in den Behältern immer mäßig feucht zu erhalten und keine übeln Gerüche darin aufkommen zu laſſen. Vor kurzem hatte ich auch, ſoviel ich weiß, als der erſte, die Gelegenheit, die Begattung einer Helix nemoralis mit einer kleinen gelben Helix hortensis zu beobachten. Die von mehreren Schriftſtellern aufgeſtellte Behauptung, daß die Farbe der Gehäuſe ſich nach der Bodenbeſchaffenheit richte, und daß ſie z. B. auf einem mergelhaltigen Boden rot anſtatt gelb würden, hat ſich mir nicht beſtätigt.“ Das find, wie man ſieht, Vorſchläge zu Verſuchen, deren Ausführung den zoologiſchen Gärten unſerer Tage zufallen würde, welche jedoch auch jeder in Muße lebende Naturliebhaber unternehmen kann. Ihre Reſultate würden gerade jetzt von der ſtrengeren Wiſſenſchaft mit großem Intereſſe vernommen und verwertet werden. Nicht bei allen Mitgliedern der Gattung Helix iſt der Mundſaum der Schale einfach ge— ſchwungen, bei manchen auch einheimiſchen (3. B. bei der Maskenſchnecke, Helix perso- nata, ſ. Taf. „Landſchnecken“, Fig. 8 u. 9) iſt fie ſtark eingefaltet und verengert jo den Eingang. * Die nächſt ſtarke Gattung iſt Bulimus (Vielfraßſchnecke.) Das Tier iſt nicht weſentlich von Helix verſchieden; das Gehäuſe meiſt länglich bis turmförmig, mit läng— licher Mündung. Von den über 1000 bekannten Arten, welche in der Lebensweiſe ſich den Schnirkelſchnecken eng anſchließen, gehören nur einige Europa an, und in Deutſchland iſt die Gebirgs-Vielfraßſchnecke (Bulimus montanus, ſ. Tafel „Landſchnecken“, Fig. 4) die häufigſte; die meiſten ſind tropiſch, beſonders ſüdamerikaniſch. Der Gattungsname, der jemanden bedeutet, der ochſenmäßig frißt, wurde zuerſt einer in Cayenne vorkommenden Art, dem Bulimus haemastomus, dem Roſenmund, gegeben, welche ſich durch eine beſondere Ge— fräßigkeit unangenehm macht; die übrigen verdienen ihn nicht mehr und nicht minder wie die meiſten anderen Schnecken. Sehr merkwürdig iſt das regelmäßige Abſtoßen der Spitze des Gewindes bei dem dem ſüdlichen Europa angehörigen Bulimus decollatus; dieſelbe fällt ab, nachdem das Tier ſich aus derſelben nach vorwärts gezogen und den verlaſſenen Raum, ähnlich wie Nautilus, durch eine quere Scheidewand abgeſchloſſen hat. Über die Lebensweiſe der Bulimen, ſofern es nicht in den allgemeinen, ſchon mitgeteilten Zügen enthalten, iſt kaum etwas hinzuzufügen. Ob es wahr iſt, daß in einigen Teilen Eng— lands der kleine Bulimus acutus und die ebenfalls kleine Helix virgata für die Schaf— maſt von Bedeutung ſind, laſſen wir dahingeſtellt. Das Gras ſei ſo kurz, die Menge der Schnecken ſo erſtaunlich, daß es ganz unmöglich für die Schafe ſei, erſteres abzuweiden, ohne zugleich die letzteren maſſenhaft zu verſpeiſen. „Als das wohlſchmeckendſte Hammel— fleiſch“, jagt Borlaſe, „wird das des kleinſten Schafes betrachtet, welches gewöhnlich auf Gemeindegründen weidet, wo der Sand kaum von grünem Raſen bedeckt und das Gras 334 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. außerordentlich kurz iſt. Aus dieſem Sande kommen kreiſelförmige Schnecken von ver— ſchiedener Art und Größe hervor, alte und junge bis zu den kleinſten, kaum dem Ei ent— ſchlüpften. Dieſe verbreiten ſich in der Ebene früh am Morgen und bieten, während ſie unter dem Tau ſelbſt ihre Nahrung ſuchen, den Schafen ein ſehr gut mäſtendes Futter dar.“ Noch mehr auf den Süden find die Achatſchnecken (Achatina) beſchränkt, Tiere mit ſpitzem, zuſammengedrücktem Fuße, ſonſt ebenfalls wie Helix. Das Gehäuſe unter— ſcheidet ſich von dem des Bulimus namentlich durch die freie, unten abgeſtutzte Spindel. Aus dem mittleren Deutſchland, und von da über Frankreich und bis Schweden ſich ver— breitend, iſt nur die kleine, drei Linien hohe Achatina lubrica bekannt, welche ſich unter Steinen, Moos, überhaupt an feuchten Orten aufhält. Überhaupt ſollen die meiſten Arten \ L 8 N un TAT * 1 N R . — Ss a 2 SI 7 U DIS SS: N Mauriſche Achatſchnecke (Achatina mauritiana). Natürliche Größe. die Nähe des Waſſers lieben. Sie gehören vorzugsweiſe dem tropiſchen Afrika und Amerika an, darunter die größten und ſchönſten Landſchnecken, wie Achatina immaculata, mau- ritiana (ſ. obige Abbildung) und perdix. Daß die letztere unter den von den Römern ge— züchteten und gemäſteten Arten ſich befunden, iſt eine nicht wahrſcheinliche Annahme. Sehr waſſerbedürftig find die meiſten Arten der Bernſteinſchnecke (Suceinea, ſ. Abbild. S. 335, Fig. 2), wie man ſchon aus ihrer dünnen, mit wenigen Windungen und großer Mündung verſehenen Schale ſchließen kann. Ihre Gebundenheit an das feuchte Element iſt jedoch nicht gleichmäßig, ſondern richtet ſich genau nach der relativen Weite der Schalenmündung. Suceinea Pfeifferi, mit der größten Mündungsfläche, iſt ſtets in un: mittelbarer Nähe des Waſſers und geht häufig ins Waſſer, um nach Art der Limnäen herum— zuſchwimmen. „Eine gleiche Vorliebe für den Aufenthalt im Waſſer zeigt die mit relativ kleinerer Schalenmündung verſehene Suceinea amphibia nicht. Zwar iſt auch bei ihr das Bedürfnis nach Feuchtigkeit ein ſehr großes zu nennen, indem ſie hin und wieder den Wohn— ort mit der nahe ſtehenden Suceinea Pfeifferi teilt und nicht häufig ſehr weit über die äußerſte Grenze des Schilf- und Waſſerpflanzenwuchſes hinausgeht. Indeſſen beſucht ſie auch noch die einige 30 Schritt davonſtehenden Sträucher und Bäume. Ein noch größerer Unterſchied in der äußeren Geſtalt findet ſich zwiſchen den beiden genannten Artentypen einerſeits und der mit relativ kleinſter Mündung verſehenen Suceinea oblonga anderſeits. Wir haben hier Achat-, Bernſtein-, Glasſchnecken. Moosſchraube. Schließ mundſchnecke. 335 eine Erdſchnecke vor uns, die im Gegenſatz zu den beiden anderen Formen hoch ins Ge— birge hinaufgeht und dort gewöhnlich in der Nähe der Bäche, ſehr häufig aber auch an weit davon entfernten trockenen Ortlichkeiten vorkommt.“ (Döring.) * Auch die fleiſchfreſſenden Glas ſchnecken (Vitrina) mit kleiner, dünner, durchſich— tiger Schale, die zum Teil von einem Mantelfortſatz bedeckt wird, mögen hier ihre Stelle finden, da uns die einheimiſchen Arten dasſelbe Verhältnis in Lebensweiſe und Schalen— form zeigen wie die Bernſteinſchnecken. „Die kleinſte Mündung zeigt Vitrina pellucida (ſ. unten Fig. 1), die größte V. elongata. Während die letztere und die ihr nahe ſtehenden Formen ſtets nur in ſehr feuchten Wäldern, meiſtens zwiſchen dem Mooſe und der Boden— decke am Ufer der Bäche vorkommen und überhaupt während der heißen Sommermonate ſich tief in der Bodendecke verbergen, kommt V. pellueida ſehr häufig an weit ungünſti— geren Lokalitäten vor, an Ortlichkeiten, die bei regenloſem Wetter den ganzen Tag hin— durch der Sonnenhitze ausgeſetzt ſind.“ (Döring.) Im Gegenſatz zu dieſen ziehen zwei andere Gattungen die trockenen, beſonders die kalkigen Gebirgsgegenden der Alpen und des ſüdlichen Europa den feuchteren und ebeneren Wohnſitzen vor. Die Moos— 1 ſchraube (Pupa) enthält keine SS über 25 mm hohe Arten, die meiſten find nur 10—15 mm lang, nicht wenige faſt mikroſkopiſch. Ihre Schale iſt eiförmig oder cylindriſch, die Mündung meiſt mit Zähnen. Obgleich auch die Oberfläche der Schale ſehr variabel iſt, glatt, ge: ſtreift oder gerippt, prägt ſich doch die walzenförmige Geſtalt des Ge— häuſes der Vorſtellung leicht ein. Dasſelbe iſt der Fall mit den noch zahlreicheren Arten von Clausilia (Schließmundſchnecke), deren linksgewundenes Gehäuſe ſich durch ſeine zahlreichen Umgänge und die ſchlanke geſtreckte, aber ſtumpfe Spitze auszeichnet. Hinter der Mündung befindet ſich ein eigner Deckelapparat, das ſogenannte Schließknöchelchen. Es iſt eine am freien Ende verbreiterte Platte, welche mit einem elaſtiſchen Stiele an die Spindel angewachſen iſt. Zieht das Tier ſich tiefer in das Gehäuſe zurück, ſo legt ſich das Knöchelchen vermöge der Federung des Stielchens als Deckel vor; tritt die Schnecke dagegen hervor, ſo wird die Platte in eine entſprechende Vertiefung an die Spindel gedrückt. Von den Klauſilien kennt man faſt 400 lebende Arten. Sie ſind ſchon im mittleren Deutſchland ver— breitet, und iſt hier eine der gemeinſten die bauchige Schließmundſchnecke (Olausilia ventricosa, ſ. Tafel „Landſchnecken“, Fig. 11, 12), das Klauſilienland par excellence iſt aber Dalmatien, wo man einige der gemeineren Arten auf Schritt und Tritt an den Felſen und trockenen Mauern findet. Am häufigſten ſind ſie in der Nähe der ſparſamen Gewäſſer und Quellen dieſer ſteinreichen Provinz. Sie erſcheinen am maſſenhafteſten nach erfriſchendem Regen und werden zum Überwinden der Hitze und Trockenheit durch die beſonders enge Mündung der Schale, alſo die möglichſt verminderte Verdunſtungsfläche, befähigt. Obwohl alle Landſchnecken auch außer ihrer Schlafzeit, wenn ſie verpackt ſind und aus Mangel an Nahrung monatelang in ihrem Gehäuſe zurückgezogen und gegen die Außenwelt gewöhnlich durch eine dünne Deckelhaut abgeſchloſſen ohne Nachteil für ihr Leben ausdauern können, ſo zeichnen ſich doch beſonders die Klauſilien durch ihre Zähigkeit aus. Wohl verbürgt iſt, daß die im Mai in Dalmatien geſammelten Exemplare von Clausilia almissana erſt im 10 1) Durchſichtige Glasſchnecke (Vitrina pellueidia). 2) Bernſtein- ſchnecke (Suceinea putris). Natürliche Größe. 336 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. Herbſt des folgenden Jahres wieder auferweckt wurden. Doch auch eine große Bulimus— Art, welche von Valparaiſo nach London gebracht wurde, in Watte gewickelt und in eine Schachtel eingepackt, lebte nach einem Schlafe von 20 Monaten wieder auf. Von ver— ſchiedenen ſüdlichen Helix-Arten wird Ähnliches berichtet. In der Familie der Limaceen (Limacea) können wir alle diejenigen Lungenſchnecken vereinigen, welche den Eindruck von „Nacktſchnecken“ machen, alſo in der That entweder ganz ſchalenlos ſind, oder verborgen im Mantelſchilde auf der vorderen Rückengegend eine kleine Kalkplatte beſitzen oder endlich auch ein kleines, aber nur den geringſten Teil des Körpers bedeckendes Gehäuſe tragen. Unſere Weg- und Ackerſchnecken ſind allbekannte Mitglieder dieſer Gruppe. Sie ſchließt ſich in dieſen zuletzt genannten Arten aufs engſte =} — — — — Rote Wesſchnecke (Limax rufus), Natürliche Größe. an die Heliciden an, mit denen ſie unter anderem in der Bildung der Zunge und der Lage der Lungen- und Geſchlechtsöffnung vollſtändig übereinſtimmt. Im Schilde, das iſt in dem verkürzten, die Lungenhöhle bedeckenden Mantel, liegen entweder nur unzuſammen— hängende Kalkkörper oder ein Schalenrudiment in Form einer Kalkplatte. Die erſteren Arten hat man Arion, die letzteren Limax im engeren Sinne genannt. Die beſonders in Laub- und nicht trockenen Nadelwäldern lebende Waldſchnecke (Arion empiricorum) wird gegen 5 Zoll lang und zeigt mannigfache Farbenabſtufungen von ſchwarz bis rotgelb (ſ. Tafel „Landſchnecken“, Fig. 14 u. 15). Man lieſt zwar oft, daß gerade dieſe Schnecke von dem Volke als Hausmittel gegen allerlei, beſonders zehrende Krankheiten angewendet würde, allein trotz vielfacher Berührungen mit den Landleuten habe ich mich nie von einer wirk— lichen mediziniſchen Benutzung des Tieres überzeugen können, ebenſowenig wie von der der anderen Nacktſchnecken. Von dieſen erreicht die große Wegſchnecke (Limax maximus, Fig. 5) dieſelbe Größe wie die Waldſchnecke. Sie pflegt ſchwarz gefleckt grau zu ſein und iſt an dem weißlichen faltigen Kiele des Hinterendes kenntlich. Auch ſie lebt nur einzeln, ohne Schaden anzurichten. Dagegen iſt die kleine, kaum zolllange Ackerſchnecke (Limax agrestis, Fig. 3), von grauer Farbe, mit ſchwarzen Fühlern, zuzeiten ein höchſt gefährlicher Verwüſter der Saaten und Gemüſe. Sie paaren ſich die ganze gute Jahres— zeit über, und jedes Tier ſoll den Sommer über mehrere 100 Eier legen. Man findet die Eier beſonders im Schatten am Fuße von Gartenmauern, nur loſe verdeckt und in .- e Ist AN ur u“ er u — ar * * Be . > „ » * 1 0 g v 1 tern * * 3 obne dau & DεανjõðuM. u ‚Aeiiprosmen, dl Senden 2 no wis No WAs NN | e. ! Si 5 * 5 1 PN 1.5 N 8 dees N,, „EX e nn 18 Cee eee eee eee eds IT sb e eee „BL ae ene ene e ee ee on mod Is NY SAND te GNS NN O- eee eee eee eee ee. eee ee north) eee ee eee eee „Bl 167 N 1 2 + e a . 0 1 > 127 Varietät von Helix hortensis. 2 Hainschnecke (Helix nemoralis). 159 Moosschraube (Clausilia ventricosa). 3. Ackernacktschnecke (Limax agrestis). 8. = 13. Cyclostoma elegans. P 4. Bulimus montanus. 1 Helix personata. 14. Orangerote Varietät, der Wegschnech 5. Graue gefleckte Nacktschnecke (Arion). 10. Große Weinbergschnecke (Helix pomatia). (Arion empiricorum). 15. Schwarze Varietät der Wegschnecke (Arion empiricorum). NDSCHNECKEN LA a2 Auf Limaceen. — Weg: und Ackerſchnecke. Amalia. Testacella. 337 Haufen von einigen 20 Stück. Ich habe vor Jahren die Entwickelungsgeſchichte dieſes Tieres beobachtet. Eine höchſt merkwürdige Stufe dieſer Entwickelung iſt diejenige, wo der Em— bryo zwar ſchon in großen Umriſſen die Schneckenform angenommen, aber unter anderem noch kein Herz und keine Blutgefäße hat. Es iſt aber ſchon eine Blutflüſſigkeit vorhanden, und dieſe wird durch die Zuſammenziehungen eines blaſenförmigen Schwanzanhanges von hinten nach vorn und in umgekehrter Richtung durch die Zuſammenziehungen einer Dotterblaſe getrieben. Eine merkwürdige Einrichtung iſt auch ein proviſoriſches Harn— organ des noch im Ei eingeſchloſſenen Embryos, welches ſich mit den ſogenannten Wolffſchen Körpern, den embryonalen Harnorganen der Wirbeltiere vergleichen läßt. Noch innerhalb der Eihaut nimmt das Junge die vollſtändige Schneckenform an und belehrt uns, wie überhaupt bei allen Lungenſchnecken nach der Geburt eine weſentliche Metamorphoſe nicht ſtattfindet. Jene proviſoriſchen Organe, die zuſammenziehbare Schwanzblaſe und die Urniere, ſind ſchon vor dem Auskriechen vollſtändig verſchwunden, indem an ihre Stelle das Herz und die eigentliche Niere getreten ſind. Ich möchte an dieſem Beiſpiel darauf hinweiſen, wie ſehr relativ dieſe geläufigen und ſcheinbar ſo ganz beſtimmten Bezeichnungen „Entwickelung mit Verwandlung“ und „Entwickelung ohne Verwand— lung“ ſind. Die Ackerſchnecke macht ohne Frage im Ei eine Verwandlung durch, da ſie dort im Beſitze von Organen, äußeren und inneren iſt, welche ſie auf ihrer eigentlichen Lebensreiſe nicht mehr braucht, ebenſo wie die Kaulquappe ſpäter nicht mehr ihren Ruderſchwanz be— nötigt. Unter ſolchem Geſichts— punkt erſcheint die Scheide— wand, welche nach dem Ur⸗ Testacella haliotidea. Natürliche Größe. teil der ſyſtematiſchen Zoologen durch die Eihaut zwiſchen der Entwickelung mit und ohne Verwandlung ausgeſpannt ſein ſoll, als unweſentlich. Eine der ſchönſten europäiſchen Nacktſchnecken iſt Amalia mariginata, von rotgrauer Farbe, dicht ſchwarz punktiert und gefleckt und mit hellgelbem Rückenſtreifen. Das Tier, das 10 cm lang wird, fehlt in einem großen Teile Deutſchlands. „Sie iſt“, bemerkt Cleßin, „an ſehr kalkreichen Boden gebunden und findet ſich daher nur innerhalb der Kalkgebirgs— formation, während ſie in den Urgebirgen (Schwarzwald, Böhmerwald, in den ſächſiſchen und ſchleſiſchen Gebirgen) fehlt. Ebenſo wurde ſie in der großen norddeutſchen Ebene nicht beobachtet.“ Sie kann übrigens leicht überſehen werden, da ſie nur bei der allerfeuchteſten Witterung aus ihren Verſtecken zum Vorſchein kommt. Eine zweite Art (Amalia gagates) iſt ſüdeuropäiſch und findet ſich in Deutſchland nur im Neckarthal bei Stuttgart. Bei Testacella iſt die Geſtalt des Körpers ziemlich wie bei Limax, der Eingang zur Lungenhöhle und der After befinden ſich aber am hinteren Ende des Körpers, bedeckt von einem ſehr kleinen Mantel, der eine ovale Schale mit einem kleinen Gewinde enthält. Die Nachrichten über die Lebensweiſe dieſer Tiere, von denen ſich eine Art, Testacella haliotidea, im ſüdlichen Frankreich findet, hat Johnſton zuſammengeſtellt. Von den Wege— ſchnecken abweichend, gräbt ſich Testacella in den Boden ein und wird der Schrecken des Regenwurmes, von welchem ſie zehrt. Dieſe Lebensweiſe iſt von entſprechenden Veränderungen Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 22 338 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. in der Organijation begleitet. Ihr Körper iſt mehr walzenförmig als der der Wege: ſchnecke; ſtatt eines nur auf einen Teil des Halſes beſchränkten Mantelſchildes iſt der ganze Körper in eine dicke, lederartige Haut eingeſchloſſen, um ihn vor zufälligem Druck zu ſchützen und hinreichende Kraft beim Graben zu gewähren. Die ausgeprägteſte Ver— ſchiedenheit aber findet man in den Verdauungsorganen. Im Munde iſt keine hornartige, gezahnte Kinnlade, noch eine häutige, dornige Zunge; aber zwiſchen zwei ſenkrechten Lippen entſpringt ein ſehr kleiner walzenförmiger Rüſſel, und zu deſſen Bewegung iſt ein Muskel vorhanden, welcher den merkwürdigſten Teil in der Zuſammenſetzung dieſes Geſchöpfes aus— macht. Groß und walzenförmig und ſich längs des ganzen Bauches erſtreckend, iſt er an der linken Seite des Rückens durch ein Dutzend ſehr deutlicher fleiſchiger Streifen befeſtigt, faſt ſenkrecht zum Hauptmuskel des Körpers. Die Größe und Stärke dieſes Muskels zeigt ſeine vorzügliche Wichtigkeit an, und feine Thätigkeit iſt zweifacher Art. Wenn die Testa- cella die Nähe einer Beute gewahr wird, ſo iſt es notwendig, dieſelbe zu überraſchen und unerwartet zu ergreifen. Denn der Regenwurm, einmal in Bewegung geſetzt, iſt weit ſchneller als ſein Feind. Aber der Vorteil des letzteren beſteht darin, daß er mittels jenes Muskels den Rüſſel plötzlich auszuſchnellen im ſtande iſt, welcher in einem Augenblick an dem Gegenſtande ſeiner Abſicht feſtſitzt. Er wird dann durch dieſelbe Muskelvorrichtung zurückgezogen, indem er das ſich zerarbeitende Opfer ſeiner Wildheit feſthält. Ein Beob— achter, Sowerby, war erſtaunt, wie Testacella scutulum, ein Tier, das im allgemeinen in ſeinen Bewegungen ſo langſam iſt, nach Entdeckung ſeiner Beute mittels der Fühler aus ſeinem weiten Munde ſogleich eine weiße, kerbige, zurückgezogene Zunge (Rüſſel) her— vorſtieß und außerordentlich raſch damit einen Regenwurm, viel größer und von anſcheinend ſtärkerer Kraft als es ſelbſt, ergriff und feſthielt, ſo daß er auch mit der äußerſten An— ſtrengung ihm nicht mehr zu entgehen im ſtande war. * Eine äußerſt intereſſante Gattung von Nacktſchnecken, um deren Erforſchung ſich be— ſonders Semper verdient gemacht hat, it Onchidium. Alle Arten haben am Kopfe ſtehende Augen ganz von der Beſchaffenheit, die dieſelben bei allen ihren Verwandten haben, aber die meiſten haben daneben noch auf ihrem nackten, lederartigen Rücken Augen, welche ganz anders wie ſonſt die Augen der Weichtiere, nämlich ähnlich wie die der Wirbeltiere, gebaut ſind. „Es iſt klar“, ſagt Semper, „daß dieſe Augen irgend eine wichtige Bedeutung für das Leben ihres Trägers haben müſſen. — Während meiner langjährigen Reiſen in den Tropen waren mir dieſe Augen unbekannt geblieben; aber aus anderen Gründen hatte ich der Lebensweiſe der Onchidien eingehende Aufmerkſamkeit geſchenkt. Sie leben aus— ſchließlich am Ufer des Meeres oder der Brackwaſſerſümpfe; hart am Rande des Waſſers kriechen ſie entlang, ſich zwiſchen Spalten der Felſen und unter großen Steinen verber— gend. Zugleich mit ihnen leben an denſelben Stellen zahlreiche Exemplare zweier Fiſch— gattungen, Periophthalmus und der ihm nahe verwandte Boleophthalmus; fie hüpfen mit großen Sätzen am Strande fort und ſuchen offenbar hier nach ihrer Nahrung, welche außer Inſekten vorzugsweiſe aus Arten von Schnecken beſteht. Dies gibt, wie mir ſcheint, einen allerdings zunächſt nur hypothetiſchen Aufſchluß über das Vorkommen jener Rücken— augen. Die Onchidien ſind entſetzlich langſame Tiere, gänzlich unfähig, zu entfliehen oder raſch ſich in Spalten zurückzuziehen. Sie freſſen ganz ausſchließlich Sand, den ſie mit ihrem Maule in den Schlund in ähnlicher Weiſe hineinzuſchaufeln wiſſen wie die Seewalzen unter den Echinodermen; natürlich verdauen ſie nur die dem Sande des Meeres bei— gemengten organiſchen Nahrungsbeſtandteile. Sie müſſen ſich alſo, um die ihnen zuſagende Nahrung zu finden, oft den Blicken der am Meeresufer ungemein raſch dahineilenden Fiſche (und anderer Feinde wohl auch noch) ausſetzen. Entfliehen aber können ſie nicht; ein Haus, Onchidium. — Aurifulaceen. — Platzregenſchnecke— 339 in das ſie ſich, wie viele andere exponiert lebende Schnecken, zurückziehen können, beſitzen ſie ebenſowenig; ſie haben weder Stacheln noch Kiefer, mit denen ſie ſich allenfalls ver— teidigen könnten, und die Augen auf ihren Rücken, welche allein im ſtande ſind, ſie vor einer herannahenden Gefahr zu warnen, ſind unfähig, ihnen zugleich den nötigen Schutz zu geben. Kurz, auch mit den Augen ſcheinen ſie rettungslos ihren Verfolgern übergeben zu ſein. Das wäre nun freilich ſehr wunderbar, wenn ſich hier und auch nur in dieſer Gattung allein Augen entwickelt haben ſollten, ohne daß dieſe ſie in den Stand ſetzten, ſich ihrer zum wirklichen Vorteil zu bedienen; denn zum Aufſuchen ihrer Nahrung, des direkt unter ihrem Maule liegenden Sandes, bedürfen ſie doch wahrlich nicht der Augen auf ihrem Rücken, mit welchen ſie wohl in den Himmel, aber nicht auf die Erde unter ſich ſehen können. „Sollen alſo die Augen von irgend welchem Nutzen für die Schnecke ſein, ſo müſſen dieſe daneben noch wirkliche Waffen beſitzen, und ſolche ſind in der That bei allen den Arten vorhanden, welche ſolche Augen tragen. Die Haut ihres Rückens iſt über und über beſäet mit kleinen Drüſen, deren Inhalt nicht eigentlich flüſſig, ſondern vielmehr eine Art von Konkretion zu ſein ſcheint, und deren Ausführungsgang ungemein fein iſt, ſo daß man ihn nur ſchwer erkennt. Außerdem iſt der letztere noch durch einen Ringmuskel dicht um— geben, ſo daß dieſer durch ſeine Zuſammenziehung die Drüſenöffnung leicht zu ſchließen vermag. Schwache Kontraktionen der Haut, wie ſie beim Kriechen notwendig eintreten müſſen, können ſomit nicht die kleinen Sekretkugeln aus der Haut herauspreſſen; dieſe Schnecke kann nicht weinen. Geſetzt aber, es nähere ſich ihr ein unerwartet und in großen Sätzen daherkommender Periophthalmus; dieſer erhebt ſich dabei, wie ich häufig geſehen habe, mehrere Zoll hoch in die Luft und wird ſo oft genug von weitem ſchon einen Schatten auf den Rücken der langſam einherkriechenden Schnecke werfen und ſie natür— lich heftig erſchrecken. Dieſe hat ihre zahlreichen Augen (ich habe bei einem Exemplar mit Beſtimmtheit 98 gezählt) nach allen Richtungen aufwärts gerichtet; nun erblickt ſie plötzlich den Fiſch oder ſeinen Schatten, ebenſo raſch zieht ſich der ganze Körper zuſammen und drückt nun von allen Seiten mit großer Kraft auf die in der Haut ſteckenden Drüſen. Geſetzt, dieſe Kraft reichte hin, um die kleinen Kügelchen von Sekret aus den engen Aus— führungsgängen der Drüſen hervorzupreſſen, ſo würden jene notwendig mit der ent— ſprechenden Gewalt aus der Drüſenöffnung hervorgeſchleudert werden; ſtatt an der Haut des Rückens herabzufließen, werden ſie zu Hunderten oder Tauſenden in die Luft geſchleu— dert werden, dem verfolgenden Fiſch entgegen; dieſer nun, ſeinerſeits erſchreckt, getroffen von dem Sprühregen der kleinen, vielleicht auch ihm ſchädlichen Geſchoſſe, wendet ſich ab und die Schnecke iſt gerettet.“ An ſolche Orten, wo nachſtellende Fiſche nicht vorhanden ſind, haben die daſelbſt ſich aufhaltenden Arten von Onchidium keine Rückenaugen. Mit den Aurikulaceen kehren wir zu ſolchen Lungenſchnecken zurück, deren Körper ſich ganz in eine ſpiralige Schale zurückziehen kann. Letztere iſt feſt und dick, verſchieden ge— färbt, hat einen langen letzten Umgang und ein kleines Gewinde. Die Innenlippe iſt durch Falten und zahnartige Vorſprünge ausgezeichnet. Das Tier aber, wie uns die Abbildung des Scarabus imbrium (S. 340) zeigt, hat bloß zwei kegelförmige Fühler, an deren Grunde innen die Augen ſtehen. Die eben genannte Platzregenſchnecke verdankt, nach Rumph, ihre Benennung folgendem: „Es werden dieſe Schnecken an der Seeküſte unter verfaulten Blättern und Holz, ſowohl am Strande als mehr landwärts, ja öfters auch auf den Bergen gefunden, wo gar nicht viele Menſchen hinkommen und auch nicht wahrſcheinlich iſt, daß ſie ſo geſchwinde vom Strande dahinkriechen könnten. Man glaubt daher, daß ſie durch den Wind bei ſtarkem Platzregen von unten aufgehoben und daſelbſt wieder 225 340 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. niedergeworfen werden. Mir aber kommt es wahrſcheinlicher vor, daß fie auf den Bergen ſelbſt durch vielen Regen erzeugt werden, weil man fie dort ſowohl ganz klein als groß findet.“ Man kennt von den Aurikulaceen über 200 Arten, von denen nur wenige auf Europa kommen. Zu letzteren gehören einige der Zwergſchnecken (Carychium), ſehr kleine, kaum einige Millimeter lange Tierchen, welche, wie überhaupt die Aurikulaceen, auf ſehr feuchtem, mit Moos, Blättern und faulendem Holze bedecktem, beſchattetem Boden ſich auf— halten, ohne ſonſtige auffallende Erſcheinungen in ihrer Lebensweiſe zu bieten. Die arten— reichſte Gattung iſt Auricula, die zugleich eine außerordentliche Biegſamkeit in ihrer Ber: breitung zeigt. Einige Arten derſelben (A. scarabus und A. minima) leben an feuchten Orten an der Oberfläche des Bodens; eine andere (A. Judae) findet ſich an ſandigen, vom Meere überſchwemmten Stellen; noch andere (A. myosotis, coniformis, nitens und andere) finden ſich nur am Meeresufer in Geſellſchaft echter Seebewohner, und endlich haben einige ſüdamerikaniſche Arten die Lebensweiſe der Süßwaſſer-Lungenſchnecken an— genommen und bewohnen gleich dieſen die ſüßen Gewäſſer. Wenn die Syſtematiker aus dieſer Verſchiedenheit des Standortes Veranlaſſung genommen haben, die Gattung in ſo— ne genannte Untergattungen zu teilen und den zoologiſchen Katalog mit neuen Namen zu belaſten, ſo iſt das völlig ungerechtfertigt. Indem wir uns davon leiten laſſen, die wahrſchein— liche gemeinſame Abſtammung als lei— tenden Geſichtspunkt bei der Aufſtel— lung von Tiergruppen (Gattungen, Familien ꝛc.) gelten zu laſſen, können wir auf den verſchiedenen Aufenthalt, ſofern die Anpaſſung an ihn die Ge— ſtalteigentümlichkeiten unverändert ge— laſſen, gar kein Gewicht legen. Es beweiſt das Vorkommen der Arten einer und derſelben Sippe auf dem Lande, im ſüßen und im ſalzigen Waſſer nur die große Anpaſſungsfähigkeit. Durch eine ſehr eigentümliche Gangweiſe iſt der den Aurikulaceen ſich anreihende, nur in Tropenländern vorkommende Pedipes ausgezeichnet. Der Fuß iſt bei ihm durch eine Querfurche in zwei ungleiche Hälften geteilt. Wenn er vorwärts kommen will, ſo befeſtigt er ſich mittels der hinteren Hälfte ſeines Fußes und ſchiebt die vordere ſo weit voran, wie es die Furche, welche hierbei merklich nachgibt, geſtattet. Dann zieht das Tierchen die hintere Hälfte nach, bis ſie die vordere berührt und rückt mithin den Körper ſo weit voran, als dieſe zwei Punkte auseinander ſind. Hierauf beginnt es den zweiten Schritt, indem es ſich abermals auf die hintere Hälfte ſtützt und die vordere vor— ſchiebt. Dieſe ſpannende Bewegung, wie bei Egeln und Spannerraupen beſchaffen, erfolgt mit ſolcher Raſchheit, daß nur wenige Weichtiere den Pedipes an Behendigkeit übertreffen. Sehr ähnlich iſt die Bewegungsweiſe der Pupa pagodula, wie wir ebenfalls nach John— ſton zur Ergänzung des wenigen, was oben über die Moosſchnecken angeführt wurde, mitteilen wollen. Dieſes 3 mm lange, in Frankreich, der Schweiz und Oſterreich gefundene Tierchen iſt merkwürdig klein im Verhältnis zur Schale, welches Mißverhältnis aber wieder ausgeglichen wird durch die größere Stärke der Fußmuskeln und des Stieles, welcher zwiſchen der Einlenkung des Fußes und dem Körper ſich befindet. Bei der Wanderung des Tieres ſteht die Mündung der Schale ſenkrecht auf deſſen Rücken, während das Gewinde wagerecht, etwas ſchief nach rechts und gerade hoch genug liegt, um den Boden nicht zu berühren. Dieſe Haltung der Schale iſt eigentümlich genug, aber die Thätigkeit des Fußes Zwerg ſchnecken. Auricula. Pedipes. Pupa. — Waſſer-Lungenſchnecken. 341 iſt es noch mehr. Denn bei jeder Anſtrengung zur Voranbewegung wird das Schwanz: ende etwas in die Höhe gehoben und dann gegen die Bewegungsebene umgeſchlagen, um dem Fuße einen ſtärkeren Antrieb oder dem Körper einen Stoß zu geben, während nur zwei weite Wellenbewegungen ſich raſch vom Schwanzende gegen den Kopf hin fortpflanzen. Mit der eben genannten Gattung teilen die Waſſer-Lungenſchnecken (Lim- naeacea) die Eigentümlichkeit, daß die Fühler, nur zwei, nicht hohl und einſtülpbar find, und die Augen nicht auf der Spitze, ſondern innen am Grunde derſelben ſtehen. Die Gattung, nach welcher die ganze Abteilung benannt, iſt die Schlammſchnecke (Lim- naeus oder Limnaea). Am Tiere, welches meiſt gelb punktiert iſt, fallen die platt— gedrückten dreieckigen Fühler auf. Das rechtsgewundene Gehäuſe iſt meiſt dünn und durch— ſcheinend; ſeine Umgänge erweitern ſich ſehr ſchnell, und der letzte (der Bauch) iſt meiſt der bedeutendſte Teil des ganzen Gehäuſes, das er zuweilen faſt allein bildet. — Sie leben am liebſten und häufigſten in recht weichem Waſſer mit ſchlammigem Boden, in welchem Waſſergewächſe verſchiedener Art wuchern. Man ſieht ſie teils am Boden, teils an den Stengeln und Blättern der Pflanzen kriechen, häufig auch mit der Sohle unmittelbar an der Waſſeroberfläche hängen, das Gehäuſe nach unten gekehrt, und daran hingleiten. Sie haben dieſe Fähigkeit mit manchen anderen Bauchfüßern gemein. „Manche Bauchfüßer“, ſagt Johnſton, „können an die Oberfläche emporſteigen, wo ſie in umgekehrter Haltung, mit Leib und Schale nach unten und mit dem Fuße nach oben gewendet, ſich der Luft wie eines feſten Pfades bedienen und darauf in derſelben Art wie auf der Erde kriechen. Man kann die Aplyſien und andere nacktkiemige Weichtiere oft abgeſperrte Lachen an der Küſte ſo durchwandern ſehen. Jedoch ſind es die Lungenſchnecken unſerer Süßwaſſer, welche die merkwürdige Bewegungsweiſe im vollkommenſten Grade beſitzen. Leicht kann man an einem Sommertage die Limnäen und Planorben ſo an der Oberfläche der Sümpfe und Teiche in leicht gebogenen Wellenlinien dahinkriechen oder hängen ſehen. Während ſie ſo hängen, geben ſie jedoch dieſe Stelle oft plötzlich auf; ſie ſinken raſch zu Boden, von welchem ſie ſich gewöhnlich nur durch Emporkriechen an irgend einer feſten Unterlage zur Oberfläche erheben, Zuweilen habe ich ſie aber auch geradeswegs durch das Waſſer emporſchweben ſehen. eine Thatſache, die ich nur durch die Annahme erklären kann, daß fie das Vermögen beſitzen, die Luft in ihrer Lungenhöhle zuſammenzudrücken, wenn ſie niedergehen, und daß ſie der— ſelben ſich auszudehnen geſtatten, um ſo ihren Körper zu erleichtern, wenn ſie durch das Waſſer aufſteigen wollen.“ Ich halte dieſe Erklärung für eine befriedigende, zumal ſie auch in den Verrichtungen der Schwimmblaſe der Fiſche, als eines hydroſtatiſchen Apparates, eine Beſtätigung findet. Was aber das Schweben der Limnäen und anderer Schnecken an der Grenzfläche zwiſchen Waſſer und Luft betrifft, ſo iſt mir keine die merkwürdige Er— ſcheinung völlig plauſibel machende Erläuterung bekannt. Man ſieht auf der Fußſohle unbedeutende wellenförmige Bewegungen, die aber hier nicht in Betracht kommen können. Von Wichtigkeit iſt die Bekleidung der Sohle mit Flimmerhärchen, wobei man aber nicht einſieht, wie das Tier ſein Gleiten plötzlich hemmen kann. Am ſchwierigſten und gänzlich ungelöſt iſt aber das Haften an der Oberfläche ſelbſt. Es ſieht genau ſo aus, als ob die Luftſäule eine Anziehung ausübe, und als ob vor dem Unterſinken ein Loßreißen ſtatt— fände. Es hat mir jedoch ſcheinen wollen, als ob die Sohle bei dieſem Schweben an der Waſſeroberfläche ſich etwas, wie eine hohle Hand, vertiefte, ſo daß das Tier wie ein Boot getragen wird. Da das ſpezifiſche Gewicht nur wenig über 1 iſt, ſo genügt, um die Schnecke gerade am Waſſerſpiegel zu erhalten, eine geringe Konkavität; wird dieſe durch 342 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. unmerkliche Kontraktionen des Fußrandes zur Ebene, ſo verſinkt das Tier augenblicklich. Dies dürfte die einfachſte und völlig ausreichende Erklärung ſein. Die große Schlammſchnecke (Limnaea stagnalis), welche überall in ſtehenden Gewäſſern ſehr gemein iſt, erreicht eine Gehäuslänge von 6—7 em. Das Tier iſt ſchmutzig gelblichgrau bis dunkel olivengrün, mit gelblichen Pünktchen beſtreut; die Sohle iſt ſtets dunkler mit hellem Rande. Von größtem Einfluß hierauf ſind die Altersverſchiedenheiten. Gleich der Farbe iſt auch die Form des Gehäuſes großen Veränderlichkeiten unterworfen, ſo daß man ſich die Güte gethan hat, nicht weniger als ſechs dieſer Varietäten mit beſon— deren lateiniſchen Namen zu belegen. Sogar der dünne ſchwarze Schmutzüberzug verleitete die eifrigen Konchyliologen, die große Schlammſchnecke eines gewiſſen Teiches zu einer beſonderen Art zu ſtempeln. Dieſelben Lokalitäten wie die obige Art bewohnen noch mehrere andere, wie die Sumpf-Schlammſchnecke und die gemeine Schlammſchnecke, — * = SE! — — Große Schlammſchnecke (Timraea stagnalis). Natüglihe Größe. welche ſich in der Form des Gehäuſes der Limnaea stagnalis enger anſchließen, während eine andere ausgezeichnete Art, die Ohrſchnecke (Limnaea auricularis), ſich durch ihr aufgetrieben blaſenförmiges, faſt ſtets von gitterförmig geſtellten Eindrücken narbiges Ge— häuſe auszeichnet. Alle Limnäen legen ihre Eier als zuſammenhängende wurmförmige oder ovale Laiche an allerlei Gegenſtände im Waſſer ab, meiſt auf die Unterſeite der auf dem Waſſer ſchwimmenden Blätter der Waſſergewächſe. Solcher Laiche ſetzen ſie vom Mai bis Auguſt oft gegen 20, deren jeder 20— 130 Eier enthält. Sowohl das Laichen ſelbſt als auch die Entwickelung der mit Hilfe von Flimmerorganen ſich umdrehenden Embryos kann man leicht an den in Gläſern gehaltenen Exemplaren beobachten. Wir haben oben einige Beiſpiele angeführt, woraus man die Beziehungen der Schalen— form zur Lebensweiſe erkennen konnte. Döring bemerkt jedoch, daß auch bei den Ver— tretern der Gattung Limnaea ſich jene Wechſelbeziehungen zwiſchen Lebensweiſe und rela— tiver Mündungsgröße in ſehr belehrender Weiſe verfolgen laſſen. Der Repräſentant der einen der beiden parallel nebeneinander verlaufenden Formenreihen, die man zu unter— ſcheiden hat, iſt die große Schlammſchnecke (Limnaea stagnalis); die der anderen Reihe, die Ohrenſchnecke (L. auricularis). Jene gehören mehr den ſtagnierenden, moraſtigen, dieſe mehr den fließenden Gewäſſern an. Da jedoch die Trennung der fließenden und ſtehen— den Gewäſſer keine ſcharfe, ſo kann es nicht ausbleiben, daß bei den zwei verſchiedenen Formenreihen jener Gegenſatz in der Lebensweiſe nicht konſtant auftreten wird, ſondern daß häufig beide nebeneinander vorkommen und dabei ihren bisherigen Formentypus mit geringen zeränderungen beibehalten können. Wenn man indeſſen ein großes Material von Angaben Verſchiedene Arten Schlammſchnecken. . 343 verſchiedener Beobachter vergleicht, jo läßt ſich gewiſſermaßen ſtatiſtiſch nachweiſen, daß die eine Form mehr in dem ſtagnierenden, die andere mehr im fließenden Waſſer vorzukommen pflegt, eine Erſcheinung, die vielleicht nicht ſo ſehr befremdend iſt. Denken wir uns eine Limnaea stagnalis (Fig. 3) in ein ſtark fließendes Waſſer verſetzt, ſo wird das lang aus— gezogene Gewinde wie ein langarmiger Hebel gegenüber der Waſſerſtrömung erſcheinen, von dieſer wie ein Spielball bald auf die eine, bald auf die andere Seite geworfen werden und dem dieſer Strömung gegenüber machtloſen Tiere das größte Hindernis bei ſeiner Fort— bewegung in den Weg legen — ein Mißverhältnis, welches ſich bei dem in vollkommen aus— gebildeter Geſtalt auf eine Halbkugel zuſammengedrückten Gewinde der Form L. aurienlaris (Fig. 8) nicht vorfindet. Daher beobachtet man L. stagnalis niemals in dem raſch und 3 Limnaea elongata. L. palustris. L. minuta. L. peregra. L. vulgaris. L. ovata. L. auricularis. Verſchiedene Formen der Gattung Limnaea. kräftig ſtrömenden Waſſer größerer Flüſſe, wohl aber L. auricularis. Dagegen ſteht der letzteren kein Hindernis bei einer etwaigen Überſiedelung in ſtehende Gewäſſer entgegen, und ſie wird dort ſehr häufig, wenn auch meiſt in veränderter Geſtalt, vorgefunden. Nun iſt ſchon ſeit langer Zeit von gewiſſen Limnäen-Formen bekannt geweſen, daß ſie mit beſonderer Vorliebe häufig das Waſſer verlaſſen, um längere oder kürzere Zeit außerhalb desſelben auf dem Trockenen zu leben. Es iſt dies unter echten Limnäen vor allem die Form L. elongata (Fig. 1), welche an manchen Orten konſtant auf moraſtigen Wieſen lebt. Dieſelbe Neigung, das Waſſer zu verlaſſen, zeigt die ihr ſehr naheſtehende Form L. silesiaca. Weit ſeltener ſchon verläßt L. palustris (Fig. 2) das Waſſer, niemals aber L. stagnalis (Fig. 3). Alſo zeigt ſich auch hier wieder, daß nur die mit verhältnismäßig kleinſter Schalenmündung verſehenen Formen außerhalb des Waſſers zu exiſtieren vermögen. Die— ſelbe Erſcheinung findet ſich bei der Untergattung Gulnaria, wo nur die Formen L. minuta (Fig. 4) und L. peregra (Fig. 5), ſelten L. vulgaris (Fig. 6) und L. ovata (Fig. 7), nie⸗ mals aber L. auricularis außerhalb des Waſſers ausdauern. Den Umſchlag in das andere Extrem, die Anpaſſung an die ausſchließliche Waſſeratmung, werden wir unten kennen lernen. Die Fähigkeit der Limnaea minuta, das Waſſer auf längere Zeit zu verlaſſen und 344 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. an Grashalmen emporzuſteigen, iſt übrigens für die Schafe verhängnisvoll, denn dieſe Schnecke iſt ein Zwiſchenwirt des gefährlichen Leberegels (vgl. S. 196). Auch die Mantelſchnecke (Amphipeplea) hat dreieckige, zuſammengedrückte, aber kurze Fühler und die Augen innen am Grunde derſelben. Eigentümlich iſt der Mantel, welcher das Gehäuſe ganz umhüllt. In Europa und auch im mittleren Deutſchland kommt nur eine Art, die 1 em lange Amphipeplea glutinosa, die ſchleimige Mantelſchnecke, vor. Ihr faſt kugelrundes Ge— häuſe iſt äußerſt zart und dünn, von der immerwährenden Um— hüllung des Mantels ganz glatt poliert und ſtark glänzend. Letzte— rer ſelbſt iſt ſchwarz marmoriert und mit gelben Punkten beſtreut. Wenn das Tier ungeſtört ſich im Waſſer befindet, iſt vom Gehäuſe _ — Ss V nnichts zu ſehen, und das Tier SE — _ ZZ gleicht dann einem Schleim: — = ·lwümpchen; daher ſchon mancher Kenner, der unvermutet auf dieſe ſeltene Schnecke ſtieß, getäuſcht worden iſt. Aber auch wenn man die Schnecke als ſolche erkannt hat, iſt noch eine Verwechſelung mit den Arten von Physa mög— lich, welche ebenfalls das Ver— mögen haben, den Mantel über das Gehäuſe umzuſchlagen und zu den gemeinen Bewohnern unſerer ſtehenden Gewäſſer, Grä— ben und dergleichen gehören. Auch ſie beſitzen eine dünne durchſichtige Schale, an welcher 5 das Gewinde ſehr kurz iſt; das mn = WWTeier aber iſt, genauer beſichtigt, Tellerſchnecke [Planorbis cornens). Natürliche Größe. durch ſeine langen, borſtenför⸗ migen Fühler kenntlich. Noch ſchlimmer erging es, wie Roßmäßler erzählt, dem berühmten Draparnaud, der den ſchleimigen Mantel des Tieres für einen Kotüberzug hielt. Wo die Limnäen ſich aufhalten, kann man ſicher auch auf die Tellerſchnecken Planorbis) rechnen, deren Gehäuſe in eine flache Scheibe aufgerollt iſt, an welcher die Umgänge ſowohl von oben als von unten ſichtbar ſind. Das ziemlich ſchlanke Tier hat einen vorn ausgerundeten Kopflappen und zwei zuſammenziehbare, am Grunde etwas ver— breiterte, lange, borſtenförmige Fühler. Der Fuß iſt ziemlich kurz, vorn abgeſtutzt, hinten gerundet. Über ihr Vorkommen und ihre Lebensweiſe, ihre Bewegungen, die Art, wie ſie an die Oberfläche kommen, iſt etwa dasſelbe zu jagen wie von Limnaea. Sie lieben alſo weiches, ſtehendes Waſſer mit Schlammgrund und in welchem viele Pflanzen, namentlich Mantelſchnecken. Tellerſchnecken. Napfſchnecken. 349 auch die Waſſerlinſen, ſich befinden. Sie gehören vornehmlich der nördlichen Halbkugel und der gemäßigten Zone an, und die größte deutſche Art iſt die große Tellerſchnecke (Planorbis corneus, ſ. Abbildung, S. 344). Die Entſcheidung, ob fie rechts- oder links— gewunden, iſt leicht zu treffen, indem der Außenrand der Mündung etwas mehr als der Innenrand vorgezogen iſt. Bei einigen Arten iſt das Gehäuſe gekielt, wie bei dem ſehr ge— meinen, mehr in flachen als in gebirgigen Gegenden vorkommenden Planorbis marginatus und dem ſeltenen, doch weitverbreiteten P. carinatus, welcher mehr in ſtagnierenden Armen und Buchten langſam fließender Gewäſſer und in größeren Gräben und Teichen lebt. Das am meiſten zuſammengedrückte Gehäuſe beſitzt P. vortex, wo es eine vollkommene, oben et— was ausgehöhlte, unten ganz platte Scheibe bildet. Die Eier aller Arten werden ſo abgelegt wie die der Limnäen, aber nicht in länglichen, ſondern in runden, flachen Laichen. Zu unſeren Waſſer⸗Lungenſchnecken gehört auch die Lungen-Napfſchnecke (Ancylus), deren wenige Arten eine napfförmige, nur eine Andeutung eines Gewindes zeigende Schale beſitzen. Die eine der beiden ſehr gemeinen Arten lebt in ſtehenden, die andere in fließen— den Gewäſſern, wo ſie meiſt an Blättern und Steinen, mit der Schale feſt angedrückt, eine ſehr einförmige und faule Exiſtenz haben. Unter den Land- und Süß— waſſerſchnecken gibt es keine anderen mit dieſer Ge— häusform, wohl aber kommen ähnliche in Spanien, Amerika, Cuba und Neuſeeland vor. Von manchen Zoologen wird Ancylus unter die mit Kiemen atmen— N j den Schnecken verſetzt. Ich kann zwar, trotz zahlreicher 8% Beobachtungen, nicht behaupten, daß ich mit Sicherheit Enbr eder Sn 90 p fc unter dem Mantelrande eine Lungenhöhle geſehen hätte, aber ganz gewiß keine Kiemen, auch ſpricht die Entwickelungsgeſchichte für die Stellung zu den Lungenſchnecken. Sie iſt nämlich einfacher als die der Kiemenſchnecken, obſchon ſie wiederum ihre eignen Wege geht. Ich gebe die Abbildung des zum Ausſchlüpfen aus dem Ei reifen Jungen der Sumpf-Napfſchnecke (Ancylus lacustris). An der aus einzelnen feinen Kalkſchienen zuſammengeſetzten Schale deutet eine auch ſpäter ſich nicht weiter ent— wickelnde Biegung das Gewinde an. Der Mantelrand tritt rings um den Schalenrand heraus. Der Kopf mit den zwei an ihrem Grunde die Augen tragenden Fühlern und mit Mundöffnung iſt ſchon wohl abgegrenzt. Die reifen Ancylen kann man ſich in den meiſten Gegenden leicht verſchaffen, wenn man die in den Gewäſſern befindlichen Pflanzen oder in den Flüſſen die Steine und Uferpfähle abſucht. Indem wir die weſentlichſte Eigentümlichkeit der Lungenſchnecken, die Luftatmung, die Bedingung des Aufenthaltes der meiſten auf dem Trockenen, nochmals ins Auge faſſen, finden wir darin eine ähnliche Erſcheinung wie bei den dem Land- und Luftleben ange— paßten Krebſen. Es kann keine Frage ſein, daß alle Landtiere Waſſertiere zu ihren Vorfahren haben; darum erwecken die amphibiotiſchen Mitglieder der aus Waſſer- und Landgeſchöpfen gemiſchten Tiergruppen unſere beſondere Aufmerkſamkeit, da die beſonderen Einrichtungen der amphibiſchen Gattungen auf den allmählich ſich vollziehenden Übergang aus dem einen in das andere Aufenthaltselement Licht zu werfen verſprechen. Der verſtorbene Münchener Zoolog, von Siebold, hat uns ſehr anziehende Beobachtungen über das Anpaſſungsver— mögen der mit Lungen atmenden Süßwaſſer-Mollusken, alſo der Limnäaceen, mitgeteilt, wo— bei es ſich jedoch, wie der Leſer ſogleich bemerkt, nicht um die Erklärung des Entſtehens der Lungenſchnecken aus den weiter unten von uns zu behandelnden Kiemenſchnecken, ſondern um eine ſozuſagen rückwärts gehende Anpaſſung des Luftatmungsorgans an das Waſſer handelt. 346 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. „Ich beſuchte“, erzählt von Siebold, „von Reit aus den benachbarten, bei Seehaus gelegenen ſeichten und nicht ſehr umfangreichen Ferchenſee, welcher ſich durch ſein klares, meergrünes Waſſer auszeichnet, und deſſen Grund überall mit großen Geröllſteinen belegt iſt. Auf dieſen Steinen krochen unzählige Limnäen (Limnaea auricularis) umher, von denen aber kein einziges Individuum an die nahe Oberfläche des klaren Waſſers zu ge— langen ſuchte, um friſche Luft in ihre Lungenhöhle aufzunehmen. Ich verweilte abſichtlich längere Zeit an dieſem See, war aber trotz der größten Beharrlichkeit und Aufmerkſamkeit von meiner Seite und trotz der ungemeinen Klarheit des Waſſers durchaus nicht im ſtande, auch nur eine einzige dieſer zahlreichen Lungenſchnecken ſich an die Waſſeroberfläche begeben zu ſehen, um hier Atem zu holen. Mir war dieſes fortwährende Verweilen von Lungen— ſchnecken unter Waſſer um ſo mehr aufgefallen, da ich bei meinen früheren Beſuchen ſtehen— der Gewäſſer der Ebenen von Berlin, Königsberg und Danzig das Auf- und Abſteigen der mit Lungen atmenden Limnäen und Planorben in denſelben, um Luft zu ſchöpfen, oft genug und auf das deutlichſte habe beobachten können.“ Aber fortgeſetzte Unterſuchungen beſtätigten dem Münchener Zoologen, daß „im tiefen Bodenſee, im ſeichten Ferchenſee, an flachen Stellen des Königsſees und in dem ſchnellfließenden Waſſer eines Aquädukts bei Reit im Winkel die der Gattung Limnaea und Planorbis angehörenden Lungenſchnecken, wie es ſcheint, gänzlich verlernt hatten, ihre Lungen als ſolche zu gebrauchen, und auf— gegeben, dieſelben mit friſcher Luft zu füllen“. Dieſe ſchon an ſich intereſſanten Beobachtungen von Siebolds über die Lebensweiſe unſerer Waſſer-Lungenſchnecken, woran er ſeine lehrreichen Betrachtungen über das An— paſſungsvermögen im Sinne der Umwandlungstheorie knüpft, bekommen nun aber ein ganz anderes Geſicht durch die von großem Erfolge gekrönten Unterſuchungen, welche Sim— roth im Sommer 1874 in Straßburg anſtellte. Ich verdanke der Feder dieſes Naturforſchers die folgende Darſtellung, welche allen nicht bloß auf die Kenntniſſe, ſondern auf das Ver— ſtändnis unſerer Umgebung ausgehenden Freunden der belebten Welt willkommen ſein wird. Von unſeren Lungenſchnecken zeichnen ſich die, welche im Süßwaſſer ihren Aufenthalt genommen haben, zum Teil durch eine auffallende Umwandlung ihrer Atmungsorgane aus, alle aber bekunden durch ihren Körperbau und die Art ihrer Entwickelung eine nahe Ver— wandtſchaft zu dem wichtigſten Vertreter der Vorderkiemer, welcher mit ihnen das Lebens— element teilt, zur Sumpfſchnecke (Paludina, ſiehe unten). Die Fähigkeit, bei ihren Fahrten tief unter den Waſſerſpiegel, trotz der Langſamkeit ihrer Bewegungen ſich der Lungen— atmung zu bedienen, verdanken ſie der in der Lungenhöhle eingeſchloſſenen Luft, welche ihr ſpezifiſches Gewicht ſo herabſetzt, daß ſie dadurch allein, der Anheftung mit der Sohle ſich begebend, an die Oberfläche emporgehoben werden. Bei der Ankunft wird mit großer Sorgfalt von den Rändern des bis dahin feſt verſchloſſenen Atemloches ein offener Trich— ter gebildet, der gerade mit der Fläche des Waſſers zuſammenfällt und ſo wohl der Luft, niemals aber dem Waſſer Zutritt zu der Lungenhöhle gewährt. Um ein ſo genaues Off— nen des Atemloches zu ermöglichen und die Schnecke genau über deſſen Abſtand vom Waſſer— ſpiegel zu unterrichten, dient, wie es ſcheint, ein von Lacaze-Duthiers entdecktes Sin— nesorgan. Ein kleiner Nervenknoten umhüllt einen kurzen, wimpernden Hautkanal, der gerade in der Mantelecke vor dem Atemloche liegt. Sind ſo die Bedingungen erfüllt, welche die Lungenatmung auch ſo langſamen Tie— ren, wie dieſen Schnecken, im Waſſer geſtatten, ſo geſellen ſich doch bei der Tellerſchnecke noch weitere hinzu, um das Waſſerleben zu ſtützen und zu vervollkommnen. Jenes trich— umge Atemloch entſpricht hier nur der vorderen Hälfte der ganzen Lungenhöhlen— öffnung. Die hintere bildet einen Eingang für ſich, und beide werden abgeſchloſſen durch einen Wall, der den Boden der Atemhöhle in ſeiner ganzen Länge und ſo auch die Offnung Anpaſſung der Waſſer-Lungenſchnecken an die Waſſeratmung. 347 halbiert. Er ſchließt hauptſächlich den Maſtdarm ein. Dieſem Wall, der oben rinnen— förmig ausgehöhlt iſt, läuft eine Verdickung der Atemhöhle parallel, die in die Räume hineinpaßt. Dadurch wird die Atemhöhle in zwei Räume geſchieden, einen vorderen, mit dem trichterförmigen Eingange, den Lungen, und einen hinteren, den Kiemenraum. In dem letzteren findet ſich noch eine ſtarke Längsfalte oder Leiſte am oberen, hinteren Rande, die man ſich nur in Blättchen zu denken hat, um daraus die Kammkiemen der Sumpfſchnecke herzuleiten. Am Eingange des Kiemenraumes, an deſſen vorderer Seite, iſt endlich ein Hautanhang zu erwähnen, der, von dem trennenden Walle ausgehend, für gewöhnlich klein und unbedeutend erſcheint, aber bei ſeinem Reichtum an Gefäßen durch einen ein— getriebenen Blutſtrom zu einem großen, löffelförmigen Gebilde ausgedehnt werden kann. Dann ſieht er mit ſeiner hohlen Seite nach hinten und dient nicht nur ſelbſt als Reſpi— rationsfläche, ſondern leitet auch das Waſſer in den Kiemenraum. Dadurch erhält denn die Schnecke eine wahre Doppelatmung und gebraucht dieſelbe meiſt in der Art, daß ſie, wenn ſie an der Oberfläche ſich befindet, ihr Lungenloch öffnet und Luft in den Lungen— raum eintreten läßt. Will ſie unter Waſſer gehen, ſo verſchließt ſie dieſe Offnung, wobei ein Teil der Luft unter ziſchend pfeifendem Geräuſche entweicht, ähnlich wie auch bei Limnaea. Landois hat feiner Zeit dieſen Ton als Schneckenſtimme beſchrieben. Jetzt wird die Hauptmaſſe des Blutes in den Kiemenraum getrieben, denn der Hautanhang ſchwillt an und leitet die Waſſeratmung ein. Kommt die Schnecke wieder an die Oberfläche und atmet Luft, ſo ſieht man den An— hang ſchlaff werden und zuſammenfallen und ſchließt daraus, daß das Blut nun haupt— ſächlich die Gefäße der Lungendecke erfülle. | Dieſe auffallende Einrichtung berechtigt zu weiteren Vermutungen, die Verwandtſchaft der Tellerſchnecke zur Sumpfſchnecke betreffend. Nicht nur die ſchon angedeutete Beziehung zwiſchen der Kiemenleiſte jener zur Kieme der Schlammſchnecke, ſondern auch jenen Anhang findet man bei letzterer wieder; hier aber kann er nicht mehr angeſchwellt und vor— geſtreckt werden, ſondern ſteht nur noch der Waſſerleitung vor. Ebenſo trifft man einen Abſchnitt an, welcher dem Lungenraume entſpricht, nur mit dem Unterſchiede, daß ſeine Offnung nicht mehr einen engen Trichter bildet, ſondern ſich zu einer langen Spalte er— weitert hat, wobei der Raum ſeine Fähigkeit, Luft zu atmen, einbüßte. Wir haben im obigen bei weitem nicht alle Familien oder gar Gattungen der Lun— genſchnecken berückſichtigen können, knüpfen aber nun an die mitgeteilten Einzelheiten noch einige allgemeine Betrachtungen, die zum Teil nicht bloß die Schnecken, ſondern die ganze Tierwelt angehen, zu welchen man aber durch dieſe Gruppe der Weichtiere ganz beſonders angeregt wird. Sieht man ab von einigen Würmern, z. B. den Regenwürmern, ſo gibt es kaum eine andere Abteilung der höher entwickelten Tierwelt, deren Mitglieder ſo eng an den Boden und die Lokalität gebunden wären, und dabei in ſo außerordentlicher Art und Mannigfaltigkeit vorkämen, als die Lungenſchnecken. Wegen der geringen Hilfsmittel, ſich fortzubewegen, ſind ſie den geringſten Verſuchungen, ihren Verbreitungsbezirk zu erwei— tern, ausgeſetzt, und man darf daher hoffen, die ihrer Verbreitung zu Grunde liegenden allgemeinen Geſetze einfacher und klarer ausgedrückt zu ſehen als bei denjenigen Tieren, welche bei ähnlich hoher Organiſation mit viel reichlicheren Mitteln, ihren Wohnſitz zu wechſeln, ausgeſtattet ſind. Wir finden von Keferſtein die hier in Betracht kommenden Thatſachen äußerſt umſichtig und vollſtändig geſammelt, nehmen aber in der Erklärung der Thatſachen den entgegengeſetzten Standpunkt ein. Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. ©) Ha [0 0] Den Einfluß des Klimas und Bodens auf die Verbreitung der Lungenſchnecken haben wir ſchon oben berührt. Es wurde hervorgehoben, wie denſelben beſonders ein Kalkboden günſtig ſei; derſelbe äußert feinen Einfluß weniger auf die Helix- und Limax- Arten, als auf Clausilia und Pupa. Die Fülle der Clauſilien in Dalmatien mag dafür zeugen. Daß die Wärme, die mächtigſte Freundin des Lebens, der Verbreitung nach den Höhen der Gebirge und nach den Polen ihre Ziele ſetzt, wird natürlich auch in der Ab— nahme der Lungenſchnecken in dieſen Richtungen ihre Beglaubigung finden. Am ſtrengſten iſt dies bei den Landpulmonaten ausgedrückt. Doch dies iſt ein ganz allgemein geltendes Geſetz. Im höchſten Grade überraſchend iſt es aber, daß wir gerade auf den Inſeln den größten Reichtum an Lungenſchnecken finden, indem auf die Madeiragruppe 134 Arten kommen, auf Cuba 300, Jamaica 250, Sandwichinſeln 250, Philippinen über 350. Aus der Vergleichung dieſer Arten mit denen der benachbarten Feſtländer geht dann her— vor, daß der gemeinſamen Arten höchſt wenige oder keine, oder ſolche ſind, welche wegen ihrer großen Verbreitung den Namen von Kosmopoliten verdienen, daß alſo das Meer für die heutige Verbreitungsweiſe der Lungenſchnecken eine faſt abſolute Grenze iſt, ganz beſonders für die Iſolierung auf Inſeln und Inſelgruppen. In ähnlicher Weiſe finden wir durch hohe Gebirgszüge eine Scheidung hervorgebracht. So ſind in Nordamerika öſtlich vom Felſengebirge 309 Arten, weſtlich 94 Arten gefunden, nur 10 Arten kommen aber beiden Gebieten gemeinſchaftlich zu, und faſt genau ſo iſt das Verhältnis zwiſchen den durch die Andes getrennten Gebieten von Südamerika. Die großen, artenreichen Gattungen, wie Helix, Bulimus und andere, ſind faſt über die ganze Erde verbreitet, die kleinen, aus einer oder nur einigen Arten beſtehenden Gat— tungen, die wir oben gar nicht genannt, finden wir in faſt gleicher Verteilung auf den Inſeln und den Kontinenten, „und ſehen alſo auch darin in Bezug auf ihre Ausdehnung eine große Bevorzugung der erſteren“. Jedoch auch einige große Gattungen haben ein bloß inſuläres Vorkommen, wie z. B. die 207 Arten der zu den Heliciden gehörigen Achatinella ausſchließlich auf den Sandwichinſeln leben. „Es wird alſo immer mehr klar“, ſagt Keferſtein, „wie die Inſeln in allen Verhältniſſen der Pulmonatenfaunen den großen Faunengebieten der Kontinente gleichſtehen und im Verhältnis zu ihrer räum— lichen Ausdehnung alſo ſehr bevorzugt find.” Am meiſten find von der Jſolierung die Landſchnecken betroffen, während die Limnäaceen ſich häufiger durch mehrere Gebiete er— ſtrecken. „Mit gewohntem Scharfſinne“, fährt Keferſtein fort, „hat Darwin dieſe auf— fallende Verbreitung der Süßwaſſerpulmonaten und anderer Süßwaſſerbewohner erläutert. Während die Süßwaſſerpulmonaten wegen ihrer nach allen Seiten ſicher abgeſchloſſenen Wohnſitze auf den erſten Blick viel weniger Ausſicht auf eine weitere Verbreitung be— ſitzen als die Landpulmonaten, zeigt Darwin, daß ihr an Waſſerpflanzen befeſtigter Laich durch Waſſervögel leicht weit fortgeführt zu werden geſtattet, und daß ſelbſt durch dieſelben Mittel die junge Brut derſelben einen fernen Transport aushält. Darwin ſah, wie eine Ente ſich aus dem Waſſer erhob und an ihrem Fuße Waſſerlinſen mit ſich führte, und beobachtete, wie eben ausgeſchlüpfte Schneckchen ſich zahlreich und ſehr feſt an einem ins Waſſer gehängten Entenfuße befeſtigten. Lyell, der berühmte engliſche Geolog, ſah ferner an einem Dytiscus jenen Ancylus feſt anſitzen, der alſo durch den Käfer von einem Waſſer ins andere getragen werden konnte, und Darwin ſtellte über— dies durch Verſuche feſt, wie im Winterſchlafe und durch den Deckel geſchloſſen die Pul— monate lange Tage den Transport in Seewaſſer ertragen können. Alle dieſe Verhält— niſſe kommen ausſchließlich oder doch beſonders der Verbreitung der Süßwaſſerbewohner zu gute, und es darf uns nicht wundernehmen, daß wir dieſe im allgemeinen über größere und ſelbſt unzuſammenhängende Gebiete verbreitet finden.“ Verbreitung der Lungenſchnecken. 349 Indem nun Keferſtein durch dieſe und ähnliche Umſtände die oft ſo ausgedehnte Verbreitung der Tiere im allgemeinen und der Lungenſchnecken insbeſondere erklärt, fin— det er den letzten Grund des Daſeins der einzelnen Arten in der Annahme oder Hypo— theſe der Schöpfungsmittelpunkte. Dieſe Annahme, welche unter den heutigen Na— turforſchern, in Deutſchland wenigſtens, nicht zahlreiche Anhänger hat, läßt jede Art, wie ſie iſt, d. h. mit allen Merkmalen innerhalb einer gewiſſen Dehnſamkeit, aber im ganzen doch konſtant einmal an einem beſtimmten Orte geſchaffen ſein, verzichtet auf die klare, begreifliche, wiſſenſchaftlich zu behandelnde Vorſtellung, auf welche Weiſe dieſe Schöpfung vor ſich gegangen ſei, und nimmt ferner an, daß eine jede Art von ihrem urſprünglichen Entſtehungsorte aus ſich ſtrahlenförmig ihren Verbreitungsbezirk im Laufe der Jahr— tauſende errungen. Dieſe Annahme geht zwar einen Schritt weiter als der ehrwürdige Linné, der ſich vorſtellte, die ganze Erdoberfläche ſei einſt von einem ungeheuern Ozean bedeckt geweſen, mit Ausnahme von einer einzigen Inſel, worauf hinlänglicher Raum für alle Tiere geweſen und die Pflanzen freudig ſproßten. Ein hoher, bis in die Schnee— region reichender Berg, wie etwa der Ararat, würde in ſeinen übereinander liegenden Zonen den lebenden Weſen für ihre verſchiedenen klimatiſchen Bedürfniſſe genügt haben. Von dort ſeien die Pflanzen durch die Winde verſtreut und durch die nach allen Rich— tungen auswandernden Tiere verſchleppt, während mit dem allmählichen Zurücktreten des Meeres mehr und mehr Feſtland entblößt worden ſei. Es iſt, ſage ich, mit der Annahme der Einzelſchöpfung auf den verſchiedenſten Punkten der Erdoberfläche den handgreiflichen Unmöglichkeiten jener kindlichen Linnéſchen Vorſtellung einigermaßen begegnet. Noch be— quemer iſt es aber offenbar, ſich mit Agaſſiz die unbegreifliche Schöpferkraft bei der Schaffung jeder einzelnen Art ſo ausgedehnt zu denken, daß dieſelbe an vielen gleich ge— eigneten Orten in vielen Individuen zugleich entſtand. Alles Kopfzerbrechen hat damit ein Ende, der Nachweis des ehemaligen Zuſammenhanges jetzt getrennter Gewäſſer und Länder, welche gleiche Arten beherbergen, ein Nachweis, in dem ſeit einigen Jahrzehnten überraſchende Fortſchritte gemacht ſind, iſt dabei ganz überflüſſig; es braucht daher keiner Erklärung, ſondern des Glaubens. Auf unſere Lungenſchnecken angewendet, ſagt die Hypotheſe der Schöpfungsmittelpunkte, daß, wenn z. B. von den 134 Arten der Madeiragruppe nur 21 Arten in Europa ſich finden, jene übrigbleibenden 113 Arten gerade ſo, wie ſie ſind, eigens in Madeira mit allen Unterſchieden, welche ſie jetzt zeigen, geſchaffen wurden. Nach unſerem Standpunkte iſt die Hypotheſe von der Erſchaffung der heutigen Arten völlig ungenügend, weil die Erklärung, welche ſie gibt, eine unbegreifliche, daher unwiſſen— ſchaftliche iſt. Wir legen das größte Gewicht, wie unter den Konchyliologen namentlich auch Roßmäßler ſchon vor mehr als drei Jahrzehnten gethan, auf die Erſcheinungen der Akklimatiſation und Anpaſſung. Und wenn die Schnecken der Kanaren und von Ma— deira ſo auffällig verſchieden ſind von denjenigen des afrikaniſchen und des europäiſchen Kontinents, ſo iſt dies nichts weniger als ein Beweis verſchiedener Schöpfungsakte, ſon— dern nur dafür, daß der nordweſtliche Teil von Afrika weit eher von den Kanariſchen Inſeln und der Madeiragruppe getrennt war, als die Umprägung und Umwandlung früherer gemeinſamer Arten in die heutige Schneckenfauna begann, wie es uns natürlich unzweifelhaft iſt, nicht als Glaubensartikel, ſondern nach den Erſcheinungen der Entwicke— lungsgeſchichte und der Varietätenbildung, daß ſolche Stammformen exiſtierten. Die Ver— breitung der heutigen Lungenſchnecken unter der Vorausſetzung der Stabilität der Inſel— welt und der Feſtländer iſt völlig unbegreiflich. Das ſieht natürlich jeder Naturforſcher ein, mag er übrigens irgend welcher Hypotheſe über die Entſtehung huldigen. Höchſtens die Anhänger der Lehren von Agaſſiz haben ſo viele Schöpfungsakte, als man wünſcht, 350 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. bei der Hand, und wenn die Weinbergsſchnecke diesſeits und jenſeits des Kanals vorkommt, ſo bedarf es des längſt geführten Beweiſes vom einſtmaligen Zuſammenhange Britanniens mit dem Feſtlande gar nicht, ſondern die Umſtände, welche das erſte Erſcheinen des Tieres hier verurſachten, werden auch drüben gewirkt haben. Es iſt indeſſen, gerade was das Vorkommen der Weinbergsſchnecke in England an— geht, möglich, daß ſie in katholiſcher Zeit von Mönchen eingeführt wurde, denen ſie als leckere Faſtenſpeiſe galt. Solche künſtliche Überſiedelungen von Tieren können, wenn ſie nicht als ſolche bekannt ſind, in der Wiſſenſchaft leicht Unheil anrichten und manche Forſcher zu gewagten Hypotheſen verleiden. Daß eine echte Alpenſchnecke (Helix s. Cambylaea eingulata) auch auf dem Staffelſtein bei Bamberg vorkommt, wäre äußerſt überraſchend, wenn man nicht wüßte, daß ſie abſichtlich von Menſchenhand eingeführt iſt. Ebenſo hat man die Tellerſchnecke (Planorbis corneus) in die Württemberger Fauna eingeſchwärzt. Die Verbreitung der heutigen Tierwelt gewinnt nun ein ganz anderes Ausſehen, wenn man die jüngeren geologiſchen Umgeſtaltungen der Erdoberfläche berückſichtigt. Dies iſt in der neueſten Zeit mit großem Erfolge geſchehen, wenn auch dieſer Erfolg vorläufig in der Hauptſache nur darin beſteht, daß die alte Weiſe des Aufzählens der Verbreitungs— bezirke als das Weſentliche der Tiergeographie, allenfalls mit Hinzunahme jener Schöpfungs— hypotheſen, als völlig ungenügend angeſehen wird, und daß man auf die thatſächlichen Gründe dieſer Verbreitung dadurch zu kommen ſich bemüht, daß man an der Hand der Geologie die frühere Geſtaltung der Erdoberfläche reproduziert und aus ihr und den ſpäter er— folgten Umänderungen und Trennungen die Art und Weiſe der jetzigen Verbreitung erklärt. Um einen Begriff zu geben, wie die an ſich ſcheinbar unfruchtbaren Unterſuchungen und Beſchreibungen der Schnecken und Schneckengehäuſe umgekehrt zu den intereſſanteſten geologiſchen Schlüſſen führen, wollen wir uns noch mit den Unterſuchungen von Bour— guignat über die geographiſche Verbreitung der Land- und Flußſchnecken in Algerien und den benachbarten Regionen bekannt machen. Man wird es uns nicht verübeln, wenn wir hier und da über das eigentliche Leben der Tiere hinausgehen und die Folgerungen daraus für andere Gebiete der Wiſſenſchaft in unſere Darſtellung ziehen. Der franzöſiſche Schriftſteller ſpricht zwar von den Land- und Süßwaſſerweichtieren im allgemeinen, alſo auch von den Muſcheln, die Bedeutung der nicht zu den Lungenſchnecken gehörigen Arten für die zu beantwortenden Fragen iſt aber ſehr untergeordnet. Was von der gegenwärtigen Verteilung dieſer Tiere für Algerien gilt, kann ohne weiteres auf Marokko und Tunis ausgedehnt werden. Wenn man nun die algeriſche Weichtierfauna im großen überblickt, jo erkennt man, indem man die Tiere nach ihren Standorten zuſammenfaßt, daß da, wo ſich im Zentrum der Regentſchaft Algerien die Region der Hochebenen hinzieht, ſich ganze Reihen von Mollusken mit ſchwerer, dicker Schale und eigentümlich beſchaffener Mündung befinden; daß zu beiden Seiten, parallel mit den Hochebenen, ſich zwei Zonen von Weichtieren mit knotigem oder durchſcheinendem Gehäuſe, wiederum von charakteriſtiſcher Form, hinziehen, und daß endlich nicht nur am Rande des Mittelmeeres, ſondern auch am Saume der großen Wüſte im Süden der zweiten Kette des Atlas ſich noch eine Reihe von Geſtadeſchnecken findet, die nämlichen Arten, deren Gehäuſe man auch an den Ufern der ehemaligen Salzſeen der Hochplateaus ſammeln kann, die alſo dort lebten, als jene Seen noch mit Waſſer gefüllt waren. Die Wüſte ſelbſt iſt durch die faſt gänzliche Abweſenheit jetzigen und einſtigen Lebens charak— teriſiert. Man durchwandert alſo vom Mittelmeere an eine Zone der Küſtenfauna, dann eine Berg- und eine Hochplateauzone, und im Hinabſteigen zur Wüſte wiederum die Berg- und endlich die Küſtenzone. Wie oben geſagt, zeichnet ſich die Mehrzahl der Schnecken der Hoch— ebenen durch ihre dicken, ſtarken Schalen ſowie durch einen ſtarken Mundſaum und einige Verbreitung der Lungenſchnecken. 381 Höcker oder Zähne in der Mündung aus, und merkwürdigerweiſe ſind die foſſilen Schnecken, die an denſelben Lokalitäten ſchon zur Tertiärzeit lebten, von derſelben charakteriſtiſchen Beſchaffenheit. Es geht daraus hervor, daß dieſelben Bedingungen, welche den heutigen Plateauſchnecken von Algerien ihr beſonderes Gepräge geben, ſchon in jener vorweltlichen Periode ihren Einfluß geltend machten und ohne Unterbrechung fortgedauert haben. Zu beiden Seiten der Hochebenen finden ſich alſo zwei lange Zonen mit einer anderen Schneckentierwelt, welche Bourguignat Bergfaunen nennt, weil fie durchaus den Reihen von Höhen und Erhebungen entſpricht, welche ſich von Marokko nach Tunis faſt gleich— laufend mit den Hochebenen hinziehen. Die Ausdehnung und natürliche Beſchaffenheit dieſer Bergländer bringen es mit ſich, daß ihre Tierwelt die reichſte iſt, gegen welche die Mollusfenfauna der übrigen Zonen faſt ganz zurücktritt. Indem Thäler und Höhen, Waldungen und Wieſen, Kalk- und Granitboden miteinander abwechſeln, herrſcht zwar eine große Mannigfaltigkeit unter dieſen Schnecken, und namentlich laſſen ſich die Thal— bewohner den die Höhen liebenden Arten gegenüberſtellen; wie ſich aber jene natürlichen Verhältniſſe auf beiden Seiten wiederholen, finden ſich auch in beiden Parallelzonen die— ſelben charakteriſtiſchen Arten, vorherrſchend Helix und Arten des fleiſchfreſſenden Zonites. Die in den Thälern oder am Fuße der Gebirge lebenden Arten haben in der Regel ein kalkiges Ausſehen, eine weiße, mehr oder weniger gebänderte oder getüpfelte Schale, oder ein durchſcheinendes, zerbrechliches, oft rauhes Gehäuſe. Diejenigen aber der Höhen und und der hochliegenden Wälder und Dickichte ſind faſt immer nur mittelgroß und haben eine dünne, durchſcheinende, mitunter gekielte Schale, an deren Mündung ein beſonderer Rand in der Regel nur in geringem Grade entwickelt iſt. Was die dritte Gruppe betrifft, ſo macht der franzöſiſche Naturforſcher darauf auf— merkſam, daß er längs der Ufer des geſamten Mittelmeeres gewiſſe Schnecken, und zwar faſt ausſchließlich Lungenſchnecken, fand, die eben keiner Fauna, keinem Lande beſonders anzugehören ſcheinen. Sie kommen nur längs der Küſten und Riffe, nur in ſolchen Gegenden vor, wo der Einfluß des Meeres ſich geltend macht, oder auch in ſolchen, welche einſt Meeresufer geweſen find. Findet man fie ausnahmsweiſe tiefer im Inneren, ſo ſind fie ſicher einem Thale oder Waſſerlaufe gefolgt, in welchem das Meer noch ſeinen Einfluß ausübt; ihre Ausbreitung hat ihre Grenze, wo dieſer Einfluß aufhört. Indem Bour— guignat der Hypotheſe der Schöpfungsmittelpunkte huldigt, unterſcheidet er von den kosmopolitiſchen Arten, nämlich von ſolchen, welche an der ganzen Mittelmeerküſte ſich verbreitet haben, diejenigen, welche ihr Schöpfungsgebiet nicht überſchreiten, z. B. für unſeren Fall die Helix lactea. Dieſe Schnecke, welche für das große ſpaniſche Zentrum charakteriſtiſch iſt, findet ſich faſt im ganzen Umkreiſe dieſes ſogenannten Schöpfungs— zentrums, von Tunis, Algerien und Marokko an bis zu den öſtlichen Pyrenäen. In Algerien nun lebten dieſe beiden Sorten von Geſtadeſchnecken nicht nur an der ganzen Mittelmeerküſte, ſondern auch an der Nordgrenze der Sahara am Fuße der zweiten Atlas— kette und ſogar an den Rändern der Hochplateaus. Dieſe unleugbare zoologiſche That— ſache beweiſt, daß da, wo ſich eine Reihe ſolcher Uferarten finden, einſt Meeresgeſtade ſein mußte. Obwohl noch andere Thatſachen auf den einſtigen Zuſammenhang Spaniens mit Nordafrika hinweiſen, iſt kein anderer Umſtand ſo überzeugend, nämlich für diejenigen daturforſcher, welche die vielmalige Schöpfung einer und derſelben Art an verſchiedenen Orten ausſchließen, als die oben dargeſtellte Verbreitung der Lungenſchnecken. Beim Beginn der gegenwärtigen Epoche unſeres Erdteiles, als die jetzt lebenden Arten, nach Bourguignats und Keferſteins Anſichten eben geſchaffen waren, nach unſerer Meinung ſich ſchon zu ihrem noch heutigen Ausſehen entwickelt hatten, war der Norden Afrikas eine zu Spanien gehörige Halbinſel; eine Meerenge von Gibraltar gab 352 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; dritte Ordnung: Lungenſchnecken. es nicht, und das Mittelmeer hing mit dem Ozean durch die große Wüſte zuſammen, da— mals ein weites Meer. Zu dieſer Zeit waren auch die Hochebenen von Algerien von großen ſalzigen Binnenſeen eingenommen, welche nach und nach ausgetrocknet ſind und ihr jetziges Ausſehen angenommen haben. Während des allmählichen Austrocknens ging auch die Akklimatiſation jener Uferſchnecken vor ſich. Daß dieſe tiefen Veränderungen des Aufenthaltsortes keine bedeutenden Umwandlungen im Außeren der betreffenden Arten im Gefolge gehabt, während wir doch bei vielen Landſchnecken ſehr auffallende Varietäten— bildungen nach der Verſchiedenheit der Standorte treffen, iſt merkwürdig. Es darf aber nicht überſehen werden, daß, wenn man die ſpaniſche Molluskenfauna mit der algeriſchen zuſammenſtellt, ſich zwar eine faſt vollſtändige Übereinſtimmung findet, wodurch dieſe algeriſche Tierwelt als ein bloßer Anhang der ſpaniſchen erſcheint und Spanien als das „Schöpfungszentrum“, deſſen Strahlen einſt auch über die „Halbinſel“ Algerien ſich aus— breitete, daß aber, ſagen wir, zahlreiche ſpaniſche Arten in Algerien nur durch ſogenannte „analoge Arten“ vertreten ſind. Verbindet man mit dieſem Ausdrucke keinen weiteren Gedanken, als Bourguignat, nämlich, daß gewiſſe ſpaniſche Arten zwar nicht ſelbſt in Algerien vorkommen, wohl aber durch ihnen ſyſtematiſch ſehr nahe ſtehende Formen reprä— ſentiert ſind, ſo iſt damit ſehr wenig geſagt, weil bloß ein thatſächliches Verhältnis um— ſchrieben wird. Man erklärt aber die Thatſache, wenn man mit den Anhängern der Umwandlungslehre annehmen darf, daß eine der beiden analogen Formen eine wirkliche, durch klimatiſche Verhältniſſe und Anpaſſung hervorgerufene Abzweigung der anderen iſt, oder daß beide direkt von einer dritten Form abſtammen. Die Wiſſenſchaft iſt noch lange nicht in der Lage, dieſen Beweis der Abſtammung immer wirklich antreten und führen zu können; wenn aber die Forſchung von dieſem Gedanken ſich beſeelen läßt und an Stelle des Wunders das Begreifliche ſetzen zu können hofft, wird die Wiſſenſchaft ſelbſt dadurch erhoben und das Intereſſe an den Erfolgen der Wiſſenſchaft im großen Kreiſe ihrer Freunde gefördert. Übrigens will wohl auch Bourguignat die Sache nahezu ſo aufgefaßt wiſſen, indem er an einer anderen Stelle zugibt, daß eine Schnecke, welche von ihrem gebirgigen Ausgangspunkte in die Ebene hinabſteigt, im Laufe der Jahrhunderte ſolchen modifizierenden Einflüſſen unterworfen ſein könne, daß die Neuerungen, welche ſich an ihr bemerklich machen, nach und nach ſich fixieren und das bilden, „was man that— ſächlich eine (neue) Art nennt“. Wir halten dieſe höhere Auffaſſung des Tierlebens für ſo ungemein wichtig und in unſerer Aufgabe durch die gegenwärtigen Streitfragen der Zoologie für ſo geboten, daß wir für die darauf bezüglichen ſcheinbaren Abſchweifungen von unſerem nächſten Thema mehr als entſchuldigt zu ſein glauben. Ohne der Verbreitung der Lungenſchnecken über die ganze Erdoberfläche nachzugehen, wollen wir wenigſtens im Anſchluß an das oben Angeführte den Charakter der großen, uns am meiſten intereſſierenden europäiſch-aſiatiſchen Provinz nach Keferſtein angeben. „Dieſe größte aller Pulmonatenprovinzen umfaßt ganz Europa, Afrika nördlich vom Atlas, Nordägypten, Kleinaſien, Syrien, Perſien, Aſien nördlich vom Himalaja und die ſich zur Mitte Chinas hinein erſtreckenden Gebirge: ſie nimmt alſo die ganze nördliche Alte Welt bis faſt zu 30 Graden nördlicher Breite ein. Durch kein Hindernis beſchränkt hat ſich eine typiſch gleiche Pulmonatenfauna über dies ungeheure Gebiet ausgebreitet, und wie der Ural faſt für keine Tierordnung eine natürliche Grenze bildet, ſo vermochten auch die Alpen, der Balkan und der Kaukaſus der Verbreitung der Pulmonaten keinen weſent— lichen Widerſtand zu leiſten. Von Inſeln gehören zu dieſer Provinz, außer den im Mittel— meere belegenen, Großbritannien und Irland, die in einer früheren Zeit unſerer Jetzt— ſchöpfung ohne Frage mit dem Kontinent zuſammenhingen, und Island, während Grönland Verbreitung der Lungenſchnecken. 353 ſich näher an Amerika anſchließt, und Japan, ſoweit man es beurteilen kann, eine ſelb— ſtändige Provinz bilden muß. Von den warmen Klimaten Algeriens erſtreckt ſich unſere Provinz alſo durch die Länder gemäßigter Temperatur bis zu den kälteſten Gegenden Lapplands und Nordſibiriens, und es iſt klar, daß durch die großen Klimaunterſchiede eine große Verſchiedenheit der Reichhaltigkeit der Pulmonatenfauna bedingt ſein muß. Finden wir aber auch in den Mittelmeerländern an 800 Pulmonaten, in Deutſchland nur 200, in Norwegen nur 50, in Lappland endlich nur 16 und im äußerſten Norden Sibiriens nur etwa 5 Arten, jo erweiſen fi doch bei genauer Betrachtung die Pulmo— natenfaunen jener kälteren Länder nur als verarmte Faunen der wärmeren, und können deshalb ebenſowenig einen Anſpruch auf Selbſtändigkeit erheben, als die Faunen der ſalz— armen Oſtſee im Verhältnis zu denjenigen der Nordſee. Jene deutſchen Pulmonaten trifft man nämlich auch faſt alle in Italien, alle norwegiſchen und lappländiſchen auch in Deutſchland, und wir ſehen daher im Süden nur neue Arten hinzukommen, während die nordiſchen auch dort ausdauern, im Norden dagegen treffen wir faſt nur Arten, die wir auch aus dem Süden ſchon kannten, ohne dabei aber zugleich ſpezifiſch nordiſche Arten zu finden. Natürlich finden an den verſchiedenen Stellen dieſer ungeheuern Provinz große Unterſchiede in der Reichhaltigkeit der Fauna und in geringerem Grade auch in der Zuſammenſetzung derſelben ſtatt, aber weſentlich tritt uns doch eine wunderbare Gleich— förmigkeit entgegen, und wir erſtaunen, unter den Pulmonaten des Amurgebietes drei Viertel, unter denen Tibets noch die Hälfte auch in Europa verbreiteter Arten zu finden.“ Aus Bourguignats ergänzenden minutiöſen und deshalb höchſt wertvollen Ver— gleichungen geht dann weiter hervor, daß für Europa die Alpenkette der Ausgangspunkt der Verbreitung geweſen. Wir haben uns nicht vorzuſtellen, wie man aus Keferſteins Worten entnehmen könnte, daß die europäiſchen Lungenſchnecken alle als getrennte Arten im Süden der Alpen entſtanden ſeien und dann ihre Reiſe über die Alpen angetreten hätten, ſondern die Wanderung ging von den Alpen aus. Die urſprüngliche Verbreitung über das Alpengebiet ſelbſt laſſen wir auf ſich beruhen. Jedenfalls liegt es in der klima— tiſchen und geologischen Beſchaffenheit der mitteleuropäiſchen Ebenen und nordeuropäiſchen Ländermaſſen, daß die Zahl der ſich dorthin ausbreitenden Arten eine geringe blieb und ſich durch Anpaſſung nicht vermehrte, wogegen die viel gefurchten Südabhänge der Alpen und die viel gegliederten ſich anſchließenden ſüdlichen Länder jene Bedingungen zur Um— wandlung und Vervielfältigung der Arten in hohem Maße darboten. Wenn trotzdem dieſe ſüdeuropäiſchen Lungenſchnecken noch lange nicht die verhältnismäßige Mannigfaltigkeit der Pulmonaten auf den Weſtafrika gegenüberliegenden Inſelgruppen erreicht haben, ſo laſſen ſich dafür wiſſenſchaftliche Gründe anführen, ohne daß man mit den Schöpfungs— hypotheſen den Knoten zu durchhauen braucht. Deuten wir nur an, daß bei der äußerſt geringen Konkurrenz aus anderen Tierklaſſen der Kampf um das Daſein von den Schnecken von Madeira, den Limnäaceen und anderen kaum gekämpft zu werden brauchte, während die ſüdeuropäiſche Tierwelt jeden Schritt ſich gegenſeitig abgewinnen mußte, und daß dabei die Lungenſchnecken eine ſehr paſſive Rolle zu ſpielen verurteilt waren. Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 23 354 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; vierte Ordnung: Kielfüßer. Vierte Ordnung. Die Bielfüßer (Heteropoda). Begegneten uns die Lungenſchnecken ausſchließlich auf dem feſten Lande oder in den ſüßen Gewäſſern, ſind die Hinterkiemer mit wenigen Ausnahmen an die Pflanzenwelt des Meeres gefeſſelt, ſo führt uns eine neue Abteilung der vielgeſtaltigen Schnecken, wie früher ſchon die Ruderfüßer, wieder auf das hohe Meer. Ganz nackt oder mit zarten, durchſich— tigen Schalen verſehen, iſt der Körper der Kielfüßer von gallertiger, durchſichtiger Beſchaffenheit, worin ſie ſich noch zahlreichen Bewohnern der offenen See anſchließen, und wodurch ſie zu den anziehendſten Erſcheinungen der Weichtierwelt werden. Es handelt ſich vor allem um das Verſtändnis ihrer Form und derjenigen Eigen— tümlichkeiten, welche ihnen den Wert einer eignen Ordnung verleihen, und woraus ſich einige Beſonderheiten ihrer Lebensweiſe von ſelbſt ergeben. Obſchon wegen ihres Vor— kommens im weiten Ozean, wo der reiſende Naturforſcher gewöhnlich nur unter den größten Unbequemlichkeiten ſeinen Studien obliegen kann, wohl noch eine gute Anzahl unbeachtet und unbeſchrieben geblieben iſt, ſtehen ſie jedenfalls an Menge und Mannigfaltigkeit der Bildung weit hinter den beiden erſten Ordnungen zurück. f Ihnen ſchließt ſich am nächſten die Familie der Atlanten, weſentlich aus der Gat— tung Atlanta beſtehend, an, Tierchen von einigen Millimeter Durchmeſſer, welche man auf den erſten Anblick für Schnecken erklären wird. Dafür ſpricht das ſpiralige Gehäuſe, auf deſſen Rücken ſich eine feine Platte als Kamm erhebt, und in deſſen weite Mündung ſich das Tier ganz zurückziehen kann. Darauf weiſt das Tier ſelbſt, ſoweit es, um zu freſſen und ſich zu bewegen, aus der Schale hervortritt. Gerade aber an dieſen Teilen zeigen ſich auch ſehr charakteriſtiſche Abweichungen. Der Kopf iſt in eine Schnauze ver: längert, an deren Ende die Mundöffnung. An dem oberen, ſcheitelartigen Teile dieſes Kopfabſchnittes zeigen ſich in und an dem faſt waſſerklaren Tiere wichtige Teile des Nervenſyſtems, nämlich die oberen Schlundganglien, welche ſich mit dem Gehirne der höheren Tiere vergleichen laſſen, und ferner die vornehmſten Sinneswerkzeuge, die Ge— hörbläschen, die hoch entwickelten Augen und vor dieſen die Fühler. Erinnern wir uns nun, daß bei manchen Bauchfüßern der erſten Ordnungen die Sohle entweder durch Längs— oder durch Querfurchen getrennt iſt und dadurch zu eigentümlichen Bewegungsweiſen ge— ſchickt wird, ſo wird uns gleich klar werden, daß es nur eines Schrittes weiter bedurft hat, um bei Atlanta und den übrigen Kielfüßern aus der Kriechſohle einen ganz anders geſtalteten und anders arbeitenden Körperteil zu machen. Wir ſehen ſtatt des breiten, meiſt unmittelbar mit dem Kopfe zuſammenhängenden Fußes der anderen Schnecken einen vom Kopfe ganz abgebuchteten und in drei Abſchnitte zerfallenden Teil. Der erſte dieſer Abſchnitte iſt ſeitlich zuſammengedrückt und bildet das für die Schwimmbewegungen wich— tigſte Inſtrument, den Kiel. Er iſt ſehr beweglich, kann nach rechts und links geneigt werden, und mit ſeiner Hilfe rudert das Tier, etwa in der Weiſe, wie man oft ein Boot nur durch ein Ruder vom Hinterteile aus fortbewegt werden ſieht. Gleich hinter dem Kiele befindet ſich ein Saugnapf, mit deſſen Hilfe unſere Tiere ſich entweder am Grunde, in der Regel aber wohl nur an Gegenſtänden, welche im Meere frei ſchwimmen, nament— lich Tangen, vor Anker legen können. Die dritte, hintere Abteilung iſt bei Atlanta eben— falls ſehr entwickelt, der Schwanz mit dem flachen hornigen Deckel auf dem Rücken, welcher wie bei anderen Schnecken die Schale ſchließen kann. Auf die nähere innere Allgemeines. Atlanten. 399 Beſchaffenheit der Atlanta und ihrer Ordnungsgenoſſinnen gehen wir um ſo weniger ein, als die Übereinſtimmung mit den übrigen Schnecken eine ſehr große iſt. Dieſe Überein— ſtimmung erſtreckt ſich auch auf die Entwickelung. Die Larve von Atlanta beſitzt ein be— ſonders entwickeltes Wimperſegel mit ausgeſchweiften Lappen. Die Vorderkiemer gehen nun aus dieſem gemeinſamen Larvenſtadium in einen ihrem Aufenthalt angemeſſenen gröberen und mehr widerſtandsfähigen Zuſtand über; die Kielfüßer dagegen, dem erdigen Element fern bleibend, find zeitlebens ſcheinbar zarte, träumeriſche, poetiſche Naturen. Die Atlanten kommen in allen heißen und gemäßigten Meeren in großer Menge vor. Am beſten bekannt, namentlich durch Gegenbaurs treffliche Unterſuchungen, ſind die beiden Arten, welche mit vielen anderen Tieren des offenen Meeres gar oft durch Sturm und Strömung in die Meerenge von Meſſina getrieben werden, Atlanta Peronii, mit ſchwach horngelb gefärbter, etwas bieg— ſamer, und Atlanta Keraudrenii, mit faſt glasheller, ſpröder Schale. Der Durchmeſſer der größten Gehäuſe be— trägt bei jener 9, bei der letzteren 10 mm. Ihre Bewegungen werden ver— mittelſt der Floſſe und des deckel— tragenden Schwanzes ausgeführt und zwar, wie bei ſämtlichen Kielfüßern, indem der Rücken des Tieres nach unten gekehrt iſt. Auch unſere Waſſer— ſchnecken nehmen, ſobald ſie ſich frei im Waſſer und an der Oberfläche halten wollen, vermöge der Schwere des Ein— geweideſackes und der Schale dieſe Stellung an. Keferſtein, welcher die Atlanten lebend beobachtete, ſagt, daß die Bewegungen derſelben den Eindruck des Flatterns machten, welches die Pte— ropoden (ſ. unten fünfte Ordnung) mit ihren flügelartigen Rudern ausführen. We Auf heftige Bewegungen folgen ein: Atlanta Peronii. 7 mal vergrößert. zelne Pauſen, ſo daß ihr Ortswechſel auf hüpfende, ſtoßweiſe Art geſchieht. Über den Gebrauch des an der Floſſe befindlichen Saugnapfes, mit dem ſie ſich befeſtigen, ſagt derſelbe: „Im Gefäße aufbewahrt, beobachtet man fie leicht in dieſer Stellung und bemerkt, daß dieſe Befeſtigung ziemlich ſtark iſt. Im freien Meere hängen ſie ſich in dieſer Weiſe an Seetang oder anderen frei ſchwimmenden Gegenſtänden feſt, wie die Blutegel, nach Adams Ausdruck.“ Wenn die Atlantaceen beunruhigt werden, oder ſich tiefer ſenken wollen, ſo ziehen ſie ſich ganz in die Schale zurück; das Tier birgt zuerſt den Kopf, dann folgt die ſich zuſammenfaltende Floſſe und zuletzt das Hinterende des Körpers, welches mit dem Deckel einen vollkommenen Verſchluß bildet. Wie alle Heteropoden ſind die Atlanten getrennten Geſchlechtes und beide Geſchlechter äußerlich nur durch das Vorhandenſein gewiſſer äußerlicher Kopulationsorgane als Männ— chen oder durch den Mangel derſelben als Weibchen unterſcheidbar, da der Saugnapf, der bei anderen Gattungen nur Eigentum des Männchens, hier auch den Weibchen zu— kommt. Auf die Angabe eines Forſchers, daß bei Atlanta die Weibchen in entſchiedener 23* 356 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; vierte Ordnung: Kielfüßer. Minderzahl gegen ihre Gatten ſeien, iſt wohl nicht viel zu geben, da andere dieſes Mißverhältnis nicht gefunden haben. Die Eier werden, wahrſcheinlich wie bei den übrigen Pteropoden, in langen Schnüren frei ins Waſſer gelegt. Die gefangen gehaltenen Indi— viduen ließen ſich, wie Gegenbaur gelegentlich ſeines Aufenthaltes und ſeiner Forſchungen in Meſſina angibt, nie zum Eilegen herbei, doch fängt man die Larven auf den verſchie— denen Stadien der Ausbildung mit dem feinen Netze an der Waſſeroberfläche. Carinaria iſt eine in manchen Beziehungen ſich an Atlanta anſchließende, in wich— tigen anderen aber den Übergang zur dritten Hauptform der Kielfüßer bildende Gattung. Auch Carinaria hat ein Gehäuſe. Dasſelbe iſt überaus dünn, glasartig und ſehr raſch in einer Ebene aufgewunden, jo daß die letzte Mündung an Umfang und Raum weit das Gewinde überwiegt. Es iſt darin aber nur für den ſogenannten Kern Platz, der aus der Leber und dem Eingeweideknäuel beſteht, während die Kiemen über den Rand hervor— ragen. Der größte Teil des Körpers bildet eine ſpindelförmige Maſſe, von welcher der vordere Teil dem Kopfe der Atlanta und der hintere demjenigen Fußteil der Atlanta entſpricht, welcher den Deckel trägt. Am Grunde des Kopfes ſieht man zwei lange, ſpitze Fühlfäden, hinter welchen die Augen liegen. In dem runden Anfange am Bauche erkennt man ſogleich den Kiel oder die Floſſe mit dem Saugnapfe. „Die nach oben gekehrte Floſſe“, ſagt Keferſtein, „bewegt durch Hin- und Herſchlagen, wobei ſie ſich windſchief biegt, das Tier langſam, aber ſtetig fort. Der Schwanz ſchlägt hin und her, der ganze Körper iſt, ſoweit es ſeine Feſtigkeit zuläßt, ebenfalls in ähnlicher Thätigkeit, und hierdurch wird das Tier hin und her geworfen, wobei es allerdings fortrückt, aber in ſeiner Bewegung zu— gleich alles Zierliche einbüßt. Wie aus dieſer Beſchreibung ſchon hervorgeht, iſt es dem Tiere faſt gleich bequem, ſich vorwärts oder rückwärts zu bewegen, und man beobachtet auch wirklich beide Richtungen des Ortswechſels.“ Können ſich die Atlanten durch gänzliches Zurückziehen in die Schale noch einiger— maßen, namentlich vor den Angriffen kleinerer nagender Krebschen ſchützen, ſo ſind die Carinarien in ihrer faſt gänzlichen Nacktheit und Hilfloſigkeit den vielfachſten Angriffen der nach ihnen lüſternen Krebſe, Fiſche und der eignen Verwandtſchaft ausgeſetzt. Dieſe Feinde ſcheinen es am öfterſten auf den Eingeweidekern abgeſehen zu haben, was ſich ſehr leicht aus der faſt vollſtändigen Durchſichtigkeit des übrigen Körpers erklärt. Auch die An— gabe, daß nicht ſelten außer dem Kerne auch der Kopf fehle, in welchem Zuſtande der Ver— ſtümmelung das übriggebliebene Wrack noch lange ſich fortbewegt, wird in den den Fein— den als glänzende und gefärbte Kügelchen auffallenden Augen ihre Erklärung finden. Da, wie geſagt, die verſtümmelten Exemplare tagelang fortleben und nach geſchloſſenen Wund— rändern noch ihre Bewegungen ausführen, ſo wird der Irrtum einiger Naturforſcher begreif— lich, welche ſolche verunglückte halbe und Viertelskörper als neue Gattungen begrüßten. Zahlreiche Carinarien, welche Gegenbaur im März einfing, legten maſſenhaft Eier, ſo daß er die von einem einzigen Weibchen binnen 24 Stunden gelieferten auf mehrere Tauſende berechnet. Die Eier werden in Schnüren abgeſetzt, die aus einer eiweißartigen Subſtanz beſtehen und äußerlich eine etwas erhärtete und daher ſpröde Schicht beſitzen. Dieſe Schnüre find drehrund, 1—2 mm dick, auf ihrer Oberfläche vollkommen glatt und enthalten die Eier, in einer einzigen Reihe meiſt ſehr nahe bei einander liegend. Schon 18 Stunden nach dem Legen dreht ſich der Embryo mit Hilfe der Wimpern im Ei; auch konnte Gegenbaur die Weiterentwickelung bis zur Bildung des in zwei Lappen aus— gedehnten Segels verfolgen, welches Stadium etwa am dritten Tage ſich zeigt, aber dann gingen jedesmal, ſo oft er auch die ſorgfältigſte Pflege verſuchte, die Embryonen zu Grunde. Unter den ehemals im höchſten Preiſe ſtehenden Konchylien figuriert auch eine indiſche Carinarie, welche 100 Guineen gegolten hat. 357 Pterotrachea. inaria. Car Pterotrachea. Natürliche Größe. 358 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; vierte Ordnung: Kielfüßer. Die dritte Hauptform der Kielfüßer iſt diejenige der ganz nackten Pterotrachea (ſ. Abbild. S. 357). Der Unterſchied von Carinaria beruht im weſentlichen darauf, daß der igeweidekern, hier von Geſtalt eines Weizenkerns, nicht in einem beſonderen Bruchſack enthalten und von einer Schale bedeckt iſt. Der lange eylindriſche Körper ſetzt ſich vorn in einen dünnen, meiſt knieförmig umgebogenen Rüſſel fort, indes er nach hinten in einen zugeſpitzten Schwanz ausläuft. An der Unterſeite iſt er mit einer beilförmigen Floſſe verſehen und trägt auf der Oberſeite, meiſt dem hinteren Leibesende genähert, den ſpindel— förmigen, zur Hälfte frei hervorragenden Eingeweidekern. Im normalen Zuſtande haben unſere Tiere noch einen fadenförmigen, zuſammenziehbaren Schwanzanhang, an welchem in regelmäßigen Abſtänden knotenförmige, durch braune oder dunkelrote Färbung ausgezeichnete Anſchwellungen ſitzen. Man kann dieſes Organ mit den Barteln der Fiſche vergleichen und Phyllirhoe bucephala, im Dunkeln, mit Hervorhebung der leuchtenden Stellen. 5 mal vergrößert. vermuten, daß es zum Anlocken der Beute dient; von großer Wichtigkeit kann es aber nicht ſein, da es viele Exemplare verlieren und dennoch ſich ausgezeichnet zu befinden ſcheinen. An Gefräßigkeit thun es die Pterotracheen den anderen womöglich noch zuvor. Wie alle fahren ſie mit dem Rüſſel hin und her, um Nahrung zu ſuchen, wobei die Zunge aus⸗ und eingerollt wird und fie ihre Seitenzähne wie Zangen vor der Mundöffnung aus— ſpreizen und zuſammenſchlagen. Durch dieſe Greifbewegungen der Zungenzähne werden Beutetiere gefangen und feſtgehalten und allmählich in den Schlund hineingezogen. Kefer— ſtein ſah, daß die Pterotracheen ihre Beute lange auf dieſe Weiſe mit ſich herumtrugen, und meint, dieſe Gewohnheit habe zu der irrigen Angabe Veranlaſſung gegeben, daß dieſe Tiere ihre Gefangenen ausſaugten. Die Fortpflanzungsverhältniſſe der Pterotracheen ſchließen ſich aufs engſte denen der anderen Kielfüßer an. Will man die Bemerkung Gegenbaurs gelten laſſen, daß ſie des— wegen die am höchſten entwickelten Kielfüßer ſeien, weil ſie wegen Mangels jeglicher Schale ſich als die freieſte Form herausſtellten, ſo kann man dieſe durch viele Beiſpiele des Tier— reiches geſtützte Behauptung auch damit erhärten, daß der Unterſchied der Geſchlechter bei ihnen am weiteſten gediehen ſei. Den Weibchen geht nämlich der Saugnapf ganz ab, und die Männchen beſitzen außerdem einen ſehr ausgebildeten Kopulationsapparat. Die Pterotrachea. Phyllirhoe. 359 Eiſchnüre der Pterotracheen find denen der Carinarien ſehr ähnlich; fie find verſchieden lang, bald drehrund, bald etwas abgeplattet, aus einer gleichförmigen, an der Oberfläche ver— härteten Glasſubſtanz gebildet und ſchließen die Dotter in einzeiliger Reihe ein. Das Eier: legen ſcheint das ganze Jahr hindurch ſtattzufinden, nach ſicheren Jeobachtungen wenigſtens vom September bis März. Wenn wir noch die ebenfalls nackte und durchſichtige, weit kleinere Phyllirhoe, bei Neapel P. bucephala, vorführen, ſo geſchieht es namentlich wegen ihrer von dem eifrigen Panceri beſchriebenen Leuchtkraft. Das Tierchen iſt nicht ganz 3 em lang, ſeitlich platt und mit zwei langen, ſchlappen Fühlern verſehen. Es iſt im Mittelmeer eine häufige Beute im feineren Oberflächennetz, entzieht ſich aber oft dem Blicke infolge ſeiner außerordent— lichen Durchſichtigkeit. Man kann wirklich durch ſeinen Leib hindurch leſen. Unſer Freund, Phyllirhoe bucephala, im Hellen. a), b) Ganglien, e) Darm, d) Leber, e) Herz, k) Nieren, g) Fortpflanzungsorgane. der genannte Zoolog, überzeugte ſich vom Leuchten des Tieres im Dunkeln, wenn er das Gefäß ſchüttelte oder die Schnecke berührte; ſie gab auch, wie viele andere Leuchttiere, ihren Schein von ſich, wenn ſie in Süßwaſſer gethan wurde. Am vollſtändigſten war die Lichterſcheinung, wenn eine Ammoniaklöſung über das Tier gegoſſen wurde. Dann erglänzte der ganze Körper ſamt den großen Fühlern in lebhaftem blauen Lichte, welches bald mit dem Leben erloſch. Panceri hat gefunden, daß das Licht von den Nervenzellen, beſonders den oberflächlich unter der Haut liegenden, ausgeht und an eine Subſtanz ge— bunden iſt, welche auch nach dem Tode des Tieres durch verſchiedene Reize, namentlich ſüßes Waſſer, wieder zum Lichtausſtrahlen gebracht werden kann. Merkwürdigerweiſe hat die Elektrizität, welche ſonſt ein mächtiger Reiz für das Inslebenſetzen der Nervenenergie iſt, auf dieſe Lichterſcheinungen keinen Einfluß. 360 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Fünfte Ordnung. Die Vorderkiemer (Prosobranchia). Faſt alle im Meere lebenden Schnecken, welche mit einem Gehäuſe von feſterer Be— ſchaffenheit verſehen ſind, bilden dieſe ſtärkſte Abteilung, die in anbetracht ihres ungeheuern Verbreitungsgebietes, der Nahrung und Lebensweiſe ſowie der Verwendung eine ihrer An— zahl entſprechende Mannigfaltigkeit zeigt. Auch ihnen gewann das Altertum nur da ein Intereſſe ab, wo der Luxus und die Tafelfreuden im Spiele waren, oder wo ſich an einzelne Arten fabelhafte, oft ſehr abgeſchmackte Erzählungen knüpften. Das ganze Mittelalter hin— durch war es nicht viel anders. Erſt als der Seeweg nach Indien, nach den Gewürzinſeln und ihren Herrlichkeiten eröffnet war und einzelne Naturfreunde als Arzte und Beamte die langen Jahre des Heimwehs in der neuen reichen Natur zu mildern trachten mußten, wandten ſie ſich vorzugsweiſe dem bunten Schmucke der Weichtiergehäuſe zu, die Samm— lungen und Raritätenkammern füllen ſich, und zahlreiche Beſchreibungen der Schalen und wertvolle Notizen über Lebensweiſe und Verwendung ihrer Träger wurden nach und nach ein Gemeingut der gebildeten Welt. Den Schneckenliebhabern in Europa, namentlich in Holland, kam es allerdings nur auf den Glanz und die Farbe der Schale an, und Rumph beklagt ſich in ſeinem Amboiniſchen Raritätenkabinett, daß ſeine Landsleute glaubten, ſie würden bereits ſo glänzend und ſchön am Strande gefunden oder aus der See heraus— gefiſcht. In 28 Jahren mühſamen Sammelns habe er nur 360 Arten aus der Umgebung von Amboina zuſammengebracht. Das Suchen am klippenreichen Strande, ſagt er, iſt ebenſo verdrießlich und hat ebenſoviel Plage, als wenn man am flachen, ſandigen Strande ſucht. Denn was die Sandgeſtade betrifft, ſo hat man beſtändig den großen Seemörder oder Kaiman zu fürchten, auch ſich vor moraſtigen Gruben zu hüten, damit man nicht etwa auf die ſcharfen Stacheln der Seeäpfel oder auf den giftigen Fiſch Ican Swangi trete. Am Klippenſtrande ſei man zwar vor dem Kaiman ſicher, allein da beſchädige man ſich wieder die Füße an den Korallen und See-Igeln. Dies und anderes Ungemach, und wie viele Mühe die Reinigung und das Polieren der Gehäuſe mache, ſtellt er ſeinen in Holland behaglich ſitzenden „Korreſpondenten“ vor. Aber kurz, wir ſehen, wie die Schneckengehäuskunde oder Konchyliologie, vorzugsweiſe an dieſe Ordnung anknüpfend, ſeit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts von zahlreichen, meiſt dilettantiſchen Naturliebhabern gepflegt wurde und wegen der Handlichkeit und Un— zerſtörbarkeit des Materials weit früher eine gewiſſe Ausbildung erlangte als die Inſekten— kunde, ſofern man darunter mehr die Artkenntnis und nicht die Anatomie verſteht. Denn über Inſektenanatomie haben wir ſchon aus dem 17. Jahrhundert vorzügliche Leiſtungen. Das wirkliche wiſſenſchaftliche Verſtändnis wurde aber erſt durch die Arbeiten des großen Cuvier im erſten Jahrzehnt dieſes Jahrhunderts angebahnt, und ſeitdem ſind wir, wie in allen Teilen der Tierkunde, ſo auch hier zu einem gewiſſen Abſchluß gelangt. Was die Proſobranchien zu Schnecken macht, bedarf, nachdem wir ſchon den Bau der Lungenſchnecken etwas kennen gelernt, keiner weiteren Erläuterung. Wir knüpfen mit ihnen inſofern wieder bei den Kopffüßern an, als ihre Atmungswerkzeuge Kiemen ſind, welche unter einer Mantelfalte oder in einer durch ein Loch, einen Ausſchnitt oder eine Röhre zugänglichen Höhle verborgen liegen. Die wichtigſten anatomiſchen Verhältniſſe, welche auch den Namen Vor- oder Vorderkiemer erläutern, betrachten wir an der nebenſtehenden Umrißfigur des aus dem Gehäuſe genommenen Tieres von Litoridina Gaudichaudii, Bau der Vorderkiemer. 361 und zwar des Männchens. Wer ſich mit den Teilen der Weinbergſchnecke bekannt gemacht hat, wird ohne alle Schwierigkeit den Bau und die Lage der Organe irgend einer anderen Schnecke begreifen. Wir ſehen den Kopf in eine mäßige Schnauze ausgezogen (a), an deren Ende ſich die Mundöffnung befindet. Eine ſolche Schnauze, welche nicht einzuſtülpen iſt, ſich aber gewöhnlich verkürzen kann, finden wir bei vielen Gattungen dieſer Ordnung, während andere einen Rüſſel beſitzen. Letzterer iſt eine röhrige, oft ſehr anſehnliche Ver— längerung, welche ebenfalls an ihrem Ende die Mundöffnung trägt, aber durch beſondere Muskeln eingezogen werden kann. Nichtsdeſtoweniger iſt der Rüſſel eine nur verlängerte Schnauze, was unter anderem daraus hervorgeht, daß ſeine äußere Haut genau ſo beſchaffen und gefärbt iſt wie die übrige Kopfhaut. Der Fuß (b) unſeres Tieres iſt ziemlich klein, iſt aber jene breite Sohle, welche die meiſten Schnecken charakteriſiert. Über ihm und mit ihm zuſam— menhängend ſehen wir den Muskel (d), durch welchen das Tier mit der Schale zuſammen— hängt, den Schalenmuskel. Hat man die Mantelhöhle rechts aufgeſchnitten und zurück— geklappt, ſo präſentiert ſich die innere Fläche dieſes Mantellappens (e) mit wichtigen Organen. In der natürlichen Lage befindet ſich am meiſten +... nach rechts der Maſtdarm mit der After— öffnung (e). Neben ihm liegt eine Drüſe, die man gewöhnlich Schleimdrüſe (t) nennt. Die Schnecken können aus ihr eine außerordentliche Menge einer dickflüſſigen Maſſe abſondern und nötigen Falls als Verteidigungsmittel benutzen. Die den Purpurſaft abſondernde Drüſe einiger Gattungen ſcheint dasſelbe Organ zu ſein, auf das wir an der betreffenden Stelle wieder zurück— kommen. Mehr nach der linken Seite liegt die Männchen von Litoridina Gaudichaudii mit aufgeſchnit⸗ kammförmige, aus einzelnen ſchmalen Blättchen tener a 1 15 un, b) zufammengefegte Kieme (h) und hinter ihr das Talent e Mr blen, h He. Natel. Gre aus zwei Abteilungen, Vorkammer und Kammer, beſtehende Herz (i). Alle diejenigen Schnecken, bei welchen, wie hier, die Kieme vor dem Herzen und dann alſo die Vorkammer vor der Kammer liegt, werden Vorderkiemer genannt. Vom Herzen aus verbreitet ſich das Blut durch beſondere Arterien in den Körper; bei den meiſten Schnecken ſcheint es aber keine eignen, mit beſonderen Wandungen verſehene, das Blut dem Atmungsorgan zuführende Gefäße oder Venen zu geben, ſondern das Blut zirku— liert in dieſem zweiten Abſchnitt ſeines Laufes in bloßen gefäßartigen oder auch höhlen— förmigen Erweiterungen der Körperſubſtanz, und in vielen Fällen iſt nachgewieſen, daß durch die Niere reines Waſſer in das Blut aufgenommen oder mit Waſſer ſtark verdünntes Blut ausgeſchieden werden kann. Im Zuſammenhang mit dieſer Verbindung der inneren größeren venöſen Bluträume mit der Außenwelt ſteht eine Einrichtung, welche das ausgezeichnete Schwellvermögen des Fußes vieler Weichtiere und auch der meiſten Vorderkiemer erklärt, und deren Kenntnis für die richtige Auffaſſung verſchiedener Formveränderungen und Be— wegungen dieſer Tiere unentbehrlich iſt. Im Fuße einer ganzen Reihe von Gattungen iſt eine Offnung entdeckt, welche in ein weitverzweigtes Kanalſyſtem dieſes Körperteiles führt und von dort aus auch mit der venöſen Körperbluthöhle kommuniziert. Beim Entwickeln 902 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. des Fußes aus dem Gehäuſe wird durch jene Offnung Waſſer in denſelben aufgenommen, und dadurch iſt es möglich, daß er eine Ausdehnung annimmt, welche mit der Weite des Gehäuſes in keinem Verhältnis ſteht. Beim Zurückziehen des Fußes fließt das Waſſer ein— fach wieder aus. Einen entſcheidenden Verſuch darüber machten Agaſſiz und andere mit der großen Natica heros. Setzte man ein Exemplar dieſer Schnecke mit eingezogenem Fuße in ein bis an den Rand gefülltes Glas Waſſer, ſo entfaltete das Tier den ganzen Fuß ohne die geringſte Niveauänderung des Waſſers. Die Entfaltung konnte alſo nicht etwa geſchehen durch eine bloße mit Volumenvergrößerung verbundene Ausdehnung der Körper— gewebe, ſondern der Fuß mußte ſich wie ein Schwamm voll Waſſer ſaugen und konnte nur dadurch zu ſeiner erſtaunlichen Größe anſchwellen. Ganz dieſelben Reſultate ergaben zahl— reiche Verſuche mit Schnecken und Muſcheln, die in graduierten Glasröhren beobachtet wurden, und bei deren Bewegungen unter Waſſer nie ein das Ausſtoßen und Einziehen begleitendes Steigen oder Fallen des Waſſers ſich zeigte. Wir empfehlen zu dieſem ebenſo einfachen als intereſſanten und lehrreichen Experiment unſere größeren Fluß- und Teichmuſcheln. Die Maſſe der hierher gehörigen Tiere, etwa 8000 lebende Arten, iſt ſo groß, daß man die Familien in einige untergeordnete Gruppen und Unterordnungen zuſammenzuſtellen genötigt iſt, leider wiederum von ſehr ungleicher Ausdehnung. Die Mehrzahl, zu der wir uns zunächſt wenden, bilden die Kammkiemer (Ctenobranchiata). Wir werden uns bei den allgemeinen Angaben über dieſe und die folgenden Gruppen an die auf der um— faſſendſten Berückſichtigung der wiſſenſchaftlichen Ergebniſſe fußende Darſtellung von Kefer— ſtein halten und meiſt wörtlich ſeinen oder Philippis Charakteriſtiken folgen. Bei allen Kammkiemern liegt die Atemhöhle auf dem Nacken und enthält eine große Kieme, neben welcher ſich noch eine keinere, rudimentäre, die Nebenkieme, befindet. Vorn an der linken Seite ſtreckt ſich bei vielen Kammkiemern der Mantel als eine unten aus— gehöhlte Rinne, Atemſipho oder Atemröhre, vor und leitet das Waſſer in die Atemhöhle; bei anderen fehlt ein ſolcher Fortſatz. Der leichteren Überſicht halber empfiehlt es ſich, die Familien mit und ohne Atemſipho zuſammenzuſtellen, zumal man dafür auch an der Schale ein Kennzeichen hat. Dieſe beſitzt nämlich, falls eine Atemröhre vorhanden, an der Mün— dung einen röhrenförmigen Fortſatz oder einen Ausſchnitt. Die Geſchlechter ſind immer getrennt und die Männchen meiſt an den an der rechten Seite des Halſes weit hervor— ragenden Begattungswerkzeugen zu erkennen. Unſere Tiere ſind teils Pflanzen-, teils Fleiſchfreſſer, letztere meiſt durch den Beſitz eines Rüſſels und eines Atemſiphos ausgezeichnet. Wir beginnen mit den Familien, deren Schalenmündung ohne Ausſchnitt oder Kanal iſt, und welche meiſtens Pflanzenfreſſer ſind. Inwiefern die Reibemembran für die einzelnen Familien und Familiengruppen charakte— riſtiſch, ſoll an einzelnen Arten erläutert werden. Bei den Paludinaceen (Paludinacea) hat das Tier eine kurze, nicht zurückzieh— bare Schnauze, zwei lange und ſchlanke Fühler, an deren Grunde außen die Augen ſitzen. Die Reibemembran iſt lang und ſchlank und liegt zum Teil in der Höhle für die Ein— geweide; ſie trägt in der Mittellinie eine Reihe Zähne und jederſeits drei Reihen Haken. Alle Schnecken mit fo beſchaffener Zunge werden Bandzüngler (Taenioglossa) genannt. Mit der i (Paludina) kehren wir wieder zu unſeren ſtehenden und fließenden ſüßen Gewäſſern zurück. Ihre Gehäuſe ſind eiförmig oder kugelig-kegelförmig, mit ſtark gewölbten, durch eine tiefe Naht vereinigten Umgängen und einem hornigen, konzentriſch geſtreiften Deckel. Die allgemeinen Lebensverhältniſſe gibt Roß mäßler ſo an: Kammkiemer. — Paludinaceen. — Lebendig gebärende Sumpfſchnecke. 363 „Die Paludinen leben in Gräben, Tümpeln, Teichen, Flüſſen, namentlich der nördlichen Halbkugel, ſeltener der ſüdlichen, wo ſie durch die Ampullarien erſetzt werden; meiſt halten ſie ſich am Boden der Gewäſſer auf, wo ſie im Schlamme und an den Stengeln und Blättern der Gewächſe herumkriechen. Bei warmem Sonnenſchein kommen ſie auch wohl an die Oberfläche, wo ſie zuweilen, wie die Limnäen, am Waſſerſpiegel mit abwärts gekehrtem Gehäuſe hinkriechen. Das Tier kann ſich nicht ſo weit aus dem Gehäuſe herausſtrecken, als die Limnäen, wobei der auf der Oberſeite des Fußes angeheftete Deckel weggehoben wird und mit dem Fuße hinter das Gehäuſe zu liegen kommt, deſſen Wölbung des letzten Um— — — —— —e & An — Lebendig gebärende Sumpfſchnecke (Paludina vivipara), links Männchen, rechts Weibchen, in der Mitte ein Tier mit embryonalem Stachelbeſatz. Natürliche Größe. ganges dann darauf ruht. Wenn ſich das Tier dann wieder in das Gehäuſe zurückzieht, wird die Sohle in der Mitte zuſammengebrochen und zuſammengelegt wie ein Buch.“ Die größte unſerer einheimiſchen Arten, die lebendig gebärende Sumpfſchnecke (Palu- dina vivipara), wird faſt 4 mm hoch. Auch bei ihr ſollen, wie bei den anderen Arten, die weiblichen Exemplare etwas größer als die Männchen ſein, doch hat man an der Schale kein Zeichen, daß das Tier ausgewachſen. „Den ganzen Sommer hindurch kann man den Eierſack voll Embryos und Eier in den verſchiedenſten Entwickelungsperioden finden, da die Geburt der Nachkommenſchaft nicht auf einmal, ſondern allemal von nur je einem Jungen erfolgt. Der zur Geburt reife Embryo hat ſchon ein 3 Linien langes und ebenſo breites Gehäuſe von vier Umgängen. Der Deckel iſt ſehr dünn und hat ſchon vollkommen die konzentriſchen Wachstumsringe, die er durch das gleichmäßige Wachstum mit dem Ge— häuſe erhalten hat.“ Auch die kleinere lebendig gebärende Achat-Sumpfſchnecke (Paludina acha— tina) hat im Eihalter ſchon vollſtändig entwickelte Junge. Sie liebt mehr das fließende Waſſer und kommt in der Elbe, Spree, dem Rhein und der Donau vor. Wir geben umſtehend 364 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. eine der Querreihen aus der Reibeplatte in ſtarker Vergrößerung. Kleine Unterſchiede machen ſich bei den anderen Arten bemerklich, teils in der Form der einzelnen Zähnchen und Plättchen, teils in der gegenſeitigen Stellung. Die dritte der in Mitteleuropa gemeinen Art iſt die unreine Sumpfſchnecke (Paludina impura), jo genannt, weil ihr an ſich durchſcheinend glattes und glänzendes, hellgelbliches Gehäuſe meiſt mit einem nach der Be— ſchaffenheit des Waſſers wechſelnden Überzug bedeckt iſt. Hier nun iſt der Ort, auf Beobachtungen, welche Simroth über die Atmung und die Atmungsorgane der Waſſerlungenſchnecken und Sumpfſchnecken gemacht hat, näher einzugehen und ſie an der Hand ſeiner eignen Mitteilungen zu erörtern. Er hatte den Apparat der Luftatmung gewiſſermaßen vor unſeren Augen zum Kiemenorgan der Sumpf— ſchnecke werden laſſen, durchaus entgegen der allgemein angenommenen Anſicht, daß unſere Lungenſchnecken die Nachkommen von Kiemenſchnecken ſeien und keine der jetzigen Kiemen— ſchnecken jene zur genealogiſchen Vorausſetzung habe. Wir hörten von Simroth, daß der Trichter des Lungeneinganges ſich bei der Paludine in einen langen Spalt erweitert habe. Mit dieſer Erweiterung, belehrt er uns ferner, iſt auch jenes Sinnesorgan, welches Lacaze-Duthiers entdeckte, indem es bei der zurückgehenden Luftatmung ſeine Beſtim— mung verlor und rudimentär wurde, ent— ſprechend weiter gerückt und hat eine auf— fällige Verſchiebung des ganzen Nerven— ſyſtems zur Folge gehabt, welche wohl nur ſo erklärt werden kann. Zu dieſen Hin— weiſen auf eine nahe Verwandtſchaft kommen } 2 zahlreiche andere. Der Mund, der bei den ee echten Landſchnecken nur einen ſtarken Kiefer quer über den Eingang ausſpannt, läßt dieſen bei den Waſſerpulmonaten mehr zurücktreten, fügt aber dafür zwei kleinere ſeit— liche hinzu, wie ſie bei den Vorderkiemern ſich meiſtens gleichfalls finden. Sie ſetzen die horizontale Mundſpalte mehr in eine vertikale um, und Planorbis zeigt ſchon ganz deut— lich den Übergang zur Schnauze der Paludina. Von den beiden Hautlappen, welche bei den Waſſerlungenſchnecken die Mundöffnung überdecken, hat jüngſt Ray-Lancaſter bewieſen, daß ſie auf eine embryonale Wimperſchnur, die als ſogenanntes Velum oder Segel den Kopf der jungen Schnecke einſäumt, zurückzuführen ſind. Dieſes Segel fehlt den echten Lungenſchnecken, iſt dagegen beſonders entwickelt bei den Embryonen der Vorder— kiemer (ſ. unten bei Vermetus), bei welchen es indes ſpäter ſpurlos verſchwindet, außer bei der Sumpfſchnecke. Bei dieſer entſprechen ihm zweifelsohne ein Paar ähnliche Haut— lappen wie bei Limnaea und Planorbis und mehr ſeitlich von der Schnauze. Ebenſo ſtellen ſich Waſſerlungenſchnecken und Vorderkiemer gemeinſchaftlich durch das Fehlen der embryonalen Schwanzblaſe (S. 337) den damit verſehenen Landſchnecken gegenüber. Indem Simroth auch in der Beſchaffenheit der Fortpflanzungsorgane und der Art der Begattung die vermittelnde Stellung der Waſſerlungenſchnecken nachweiſt, gibt er das Problem der Erwägung anheim, ob nicht, woran noch niemand gedacht, wenigſtens ein Teil der Vorderkiemer ihre Abſtammung ähnlichen Waſſerlungenſchnecken verdanken, wie unſere heutigen ſind. So ſinnreich dieſe Annahme auf der einen Seite, widerſpricht ſie doch anderſeits ſo ziemlich allen Erfahrungen, welche man bezüglich des Verhältniſſes der Land- und Süßwaſſertiere zu den Seebewohnern gemacht hat. Auch kommen nunmehr die reichen Beobachtungen in Frage, welche von Ihering über das Nervenſyſtem und andere Organe der Weichtiere gemacht hat. Es iſt durch ihn feſtgeſtellt, daß die Waſſerlungen— ſchnecken einen anderen Urſprung haben müſſen als die Landſchnecken, und es iſt ihm W 7 Ach at- und unreine Sumpfſchnecke. Kammſchnecke. Riſſoen. 365 gelungen, gerade aus der verſchiedenen Beſchaffenheit der Atmungshöhlen den Beweis herzuleiten. Da jo zahlreiche Naturfreunde ihre Mußeſtunden als Konchyliologen ausfüllen, haben wir dieſe gewiß anregenden Beobachtungen und Folgerungen mitteilen zu ſollen geglaubt und lenken nun wieder ein in die bloße Schilderung. An die Paludinen ſchließt ſich in Bau und Lebens weiſe Melania ſehr eng an, eine artenreiche, beſonders in den Gewäſſern der heißen Zone lebende Sippe, deren ſehr ver— ſchieden geſtaltetes Gehäuſe meiſt mit einem glatten, ſchwarzen Überzug bedeckt iſt. Auch die Kammſchnecke (Valvata) iſt eine ſolche nächſte Verwandte. Es ſind kleine Schnecken, welche faſt nur in den ſüßen Gewäſſern Europas und Nordamerikas vorkommen. Sie pflegen ihre kammförmig gefiederten Kiemen wie einen kleinen Federbuſch aus der Kiemen— höhle herauszuſtecken. Eine der häufigſten iſt Valvata piscinalis. Bei den nun folgenden, mit zu den Paludinaceen gerechneten Sippen iſt das Tier im erwachſenen Zuſtande dem der vorigen Gattungen ähnlich, die Entwickelung iſt aber dadurch komplizierter, daß die Jungen, gleich denen faſt aller Seeſchnecken, mit zwei großen bewimperten Mundlappen verſehen ſind, mit Hilfe welcher ſie behend ſchwimmen können. — Durch Kleinheit und Zierlichkeit iſt die artenreiche Rissoa ausgezeichnet, die meiſten, wie die in nebenſtehender Figur abgebildete gerippte Riſſoe (Rissoa costata), mit turmförmigem Gehäuſe mit eiförmiger Mündung und ebenſolchem hornigen Deckel. Das Tier hat eine rüſſelförmige, ausgerandete Schnauze und doppelt ſo lange ö fadenförmige Fühler. Gerippte Riſſoe Wenn man Rissoa in dem weiteren Sinne nimmt, wie die Spezial: den zoologen des heutigen Tages die Familie der Riſſoiden, fo find davon, mit Einſchluß der foſſilen, ein halbes tauſend Arten beſchrieben. Kein Wunder daher, wenn das Studium dieſer einen Sippe einen Forſcher, wie Schwarz von Mohren— ſtern in Wien, ausſchließlich beſchäftigt. Derſelbe ſpricht ſich über das Vorkommen dieſer Tierchen ſo aus: „Ihre Hauptnahrung beſteht in Seetang, weshalb ſie auch in der Lami— narienzone am häufigſten getroffen werden. Sie ſind flink und frei in ihren Bewegungen, kriechen ziemlich ſchnell, wobei ſich die Fühler abwechſelnd nach rückwärts und vorwärts bewegen. Bei einigen hat man das Vermögen beobachtet, in umgekehrter Stellung mit dem Fuße nach oben an der Oberfläche des Waſſers ſich fortzubewegen, und nach Grays Beobachtungen beſitzt Rissoa parva ſogar die Eigenſchaft, klebrige Fäden zu ſpinnen, mit welchen ſie ſich an die Seegräſer befeſtigt, um ſich gegen den Andrang der bewegten Waſſer zu ſchützen und zugleich, um ihren Standort mit mehr Sicherheit verändern zu können. Sie werden in allen Tiefenregionen gefunden, bis zu einer Tiefe von 105 Faden doch die Mehrzahl in den oberen. „Ihre Heimat ſind die gemäßigten Klimate, doch werden ſie einzeln auch in den meiſten leeren getroffen, und nur die verlängerten Formen, die Riſſoiden, gehören ausſchließlich wärmeren Meeren an, während die dünnſchaligen ohne Mundwulſt mehr dem Norden zu— kommen. Daß die eigentliche Heimat von Rissoa (im engeren Sinne) der ſüdliche Teil der nördlichen gemäßigten Zone iſt, zeigt der Formenreichtum des Mittelmeeres, in welchem die meiſten, größten und entwickeltſten Arten vorkommen.“ Wahre amphibiotiſche Tiere find die Litorina-Arten oder Strandſchnecken. Das Tier hat eine kurze runde Schnauze und lange fadenförmige Fühler, welche die Augen ebenfalls außen am Grunde tragen. Das dickrandige, porzellanartige Gehäuſe iſt im all— gemeinen von kugeliger Geſtalt. Es ſind über 100 Arten aus allen Meeren bekannt, welche 366 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. die meiſte Zeit oberhalb des Waſſerſpiegels in jener Uferzone zubringen, welche nur von der Flut oder gar nur von den ſpringenden Wellen beim Hochwaſſer erreicht wird. John— ſton jagt: „Die an der britiſchen Küſte gemeinen Litorina-Arten ſcheinen in der That ſolche Stellen vorzuziehen, wo ſie nur vom Hochwaſſer bedeckt werden können, und ich habe Myriaden Junge davon in Felshöhlen einige Fuß hoch über dem höchſten Flutſtande ge— ſehen. Gleichwohl ſind ihre Atmungsorgane, wie immer, nur Kiemen, und es ſcheint nicht leicht, hierbei ſich nicht an die Unwahrſcheinlichkeit der Lamarckſchen Hypotheſe zu er— innern und zu fragen, warum dieſe Weichtiere, ſo begierig nach Luft, doch während ihres Aufenthaltes in derſelben noch keine Lungen wie die Schnirkelſchnecken bekommen und ſich ganz aufs Land begeben haben; warum ihre Schalen noch nicht leichter geworden, um ihnen mehr Behendigkeit der Bewegung zu geſtatten, warum ihre am Grunde der Fühler gelegenen Augen ſich noch nicht zu größerer Höhe erhoben haben, damit ſie die Landſchaft überſehen und deren Gefahren vermeiden können.“ Lamarck, gegen welchen der ironiſche Angriff des Engländers ſich richtet, iſt der Urheber der Umwandlungslehre, welche durch Darwin erweitert und wiſſenſchaftlich begründet wurde. So wohlfeil wie Johnſton kann man ſich aber jetzt nicht mit Lamarck abfinden. Geſetzt, Tiere, welche durch Kiemen Waſſer atmen, ſollen ſich im Laufe der Zeiten zu Luftatmern umwandeln, ſo kann dies auf zwei Wegen geſchehen. Der einfachere Fall, der hier vorliegt und der auch bei den Landkrabben, den Aſſeln und anderen Krebſen in ausgezeichneter Weiſe verwirklicht iſt, wird darin beſtehen, daß die ehemaligen Atmungsorgane ihre Form nicht ändern, ſondern daß ihre Oberfläche eine nicht näher zu beſchreibende andere Beſchaffenheit bekommt, wo— durch das ehemalige Waſſeratmungsorgan der Form nach Kieme bleibt, in der That aber Kieme und Lunge zugleich oder ausſchließlich Lunge geworden iſt. Auch den umgekehrten Fall haben wir oben ſchon kennen gelernt (S. 346), wo verſchiedene Arten der luftatmenden Gattung Limnaea ſich ohne merkliche Umänderung ihrer Lungenhöhle der Waſſeratmung angepaßt hatten. Erſt im anderen Falle, der viel ſchwieriger iſt, geſellt ſich zur phyſio— logiſchen Anpaſſung auch eine morphologiſche, d. h. auch die Geſtalt und den gröberen, in die Augen fallenden Bau betreffende. Überhaupt aber darf man ſich in der Lamarck— Darwinſchen Anſchauung nicht durch diejenigen Querfragen beirren laſſen, welche ſich auf Dinge beziehen, welche man vorläufig mittels jener Annahme nicht erklären kann, ſondern man muß ſich an die Thatſachen halten, welche dadurch auf ihren Grund und Zuſammen— hang zurückgeführt werden. Die Uferſchnecken ſprechen alſo, was die Atmung und deren Organe betrifft, gerade für die außerordentliche Anpaſſungsfähigkeit derſelben. Auf die Frage aber, warum die Litorinen nicht auch leichter geworden und ihre Augen nicht all— mählich auf die Spitzen der Fühler geſtiegen, antworten wir ganz ruhig, daß wir das nicht wiſſen, daß wir aber in dieſem Nichtgeſchehenſein durchaus keinen erheblichen Einwand gegen die Umwandlungs- und Abſtammungshypotheſen erblicken. Wie oben geſagt, halten ſich alſo die Litorinen wenig unterhalb, oft ſogar oberhalb der Flutmarke auf, wo ſie bei längerem Ausbleiben des Waſſers in mehr oder minder große Unthätigkeit und Schlafſucht verfallen. Es ſcheint ſogar, als ob einzelne Arten ſich oberhalb der Waſſerhöhe in einen Winterſchlaf begeben könnten. Wenigſtens erzählt Gray, daß viele Individuen der Litorina petraea und einige einer anderen Art an der eng: liſchen Küſte in dieſem Zuſtande zubringen. Er fand ſie einige Fuß über dem Bereich der höchſten Herbſtgezeiten an den Felſen befeſtigt. Der Fuß war gänzlich zurückgezogen; ein häutiger Rand füllte den Zwiſchenraum zwiſchen dem Fels und der äußeren Lippe der Schale aus, die Kiemen waren bloß feucht und der Kiemenſack von jener anſehnlichen Menge Waſſers entleert, welche bei ſolchen Tieren dieſer Art darin vorhanden iſt, die mit ausgebreitetem Fuße am Felſen hängen. Gray beobachtete die Tiere in dieſem Strandſchnecken. Litorina litorea. 367 Erſtarrungszuſtande über eine Woche. In Seewaſſer gelegt, gewannen fie in einigen Minuten ihre volle Thätigkeit wieder. Eine der gemeinſten und am weiteſten verbreiteten Strandſchnecken iſt Litorina litorea. „Sie lebt im flachen Waſſer an Blaſentang, Steinen und Pfahlwerk. Sie ſitzt oft über dem Waſſer an Steinen und Pfählen längere Zeit auf einem Flecke. Wenn ſie wieder ins Waſſer hinunterkriecht, ſo nimmt ſie Luft mit. Wird ſie bald nach dem Unter— tauchen geſtört, ſo kommen Luftblaſen aus dem Waſſer heraus. Ihre Bewegungen ſind langſam. Wenn ſie kriecht, ſo arbeiten die beiden Hälften ihrer Fußſohle abwechſelnd. Während ſich die rechte Hälfte nach vorn und hinten ausdehnt, verkürzt ſich die linke durch gegenſeitige Annäherung der beiden Enden. Dabei bildet ſich hinten eine Falte, vorn tritt die Sohle mit wechſelnden Wölbungen vor. Ein mittelgroßes Exemplar hatte, während es an der Glaswand eines Aquariums bald auf-, bald abwärts kroch, eine mittlere Geſchwindigkeit von 0,5 mm in der Sekunde. Es würde demnach in der Stunde einen Weg von 1,3 m zurücklegen, alſo ungefähr eine Menſchenlänge weit ſortkriechen. „Die Nahrung der gemeinen Strandſchnecke beſteht aus Pflanzen- und Tierſtoffen. Wir ſahen 323 ſie in Aquarien Blaſentang freſſen. Hier weidet a ſie aber auch die Überzüge von mikroſkopiſchen 7 PA CI Pflanzen und Tieren ab, die Spuren ihrer Raul» / UIID DILIOK \ (Zungen-) Arbeit als Zeichnungen an der Glas: | DOGS! wand zurücklaſſend. In England werden dieſe 8 78 , , Schnecken in Auſternbetten geworfen, damit ſie \ > SS I I den Grund von Seepflanzen reinigen. Hier wer: en ( Br den Pflanzen dadurch ſchädlich, daß fie die Ab— SD lagerung von Schlamm veranlaſſen. In unſeren SET Aquarien ſahen wir gemeine Strandſchnecken auch Laich ver uferſchnecke (Litorina litoren). Vergr. rohes Fleiſch von Säugetieren freſſen. „In Holland wird die gemeine Strandſchnecke gegeſſen, wie ſchn Swammerdam in der „Bibel der Natur‘ berichtet. Auf dem Fiſchmarkt in London werden vom März bis Auguſt wöchentlich gegen 2000 Buſhel (zu je 46,13 Liter) und in den übrigen 6 Monaten wöchentlich ungefähr 500 Buſhel umgeſetzt.“ (Meyer und Möbius.) Die gemeine Strandſchnecke iſt eins der am weiteſten verbreiteten Weichtiere der nördlichen Halbkugel. In der Oſtſee geht ſie, nach den Angaben von Meyer und Möbius, bis an die Oſtküſten von Bornholm und Rügen. Weiter öſtlich wird auch ihr der Salz— gehalt des Waſſers zu gering. An den Küſten von Schleswig-Holſtein und Dänemark iſt ſie gemein. Sie lebt im Weißen Meere, und im Atlantiſchen Ozean kommt ſie von Grönland und Nordoſtamerika bis nach Portugal vor. Auch aus dem Adriatiſchen Meere kennt man ſie. Die Eier unſerer Litorinen beſtehen aus der kleinen Dotterkugel und einer beträcht— lichen Maſſe Eiweiß, deſſen äußere Schicht zu einer Art von Eiſchale erſtarrt. Ein Haufe ſolcher Eier wird von einer eiweißartigen gallertigen Maſſe zuſammengehalten und an Tang oder Felſen angeklebt. Die Jungen erreichen ſchon im Ei eine weit vorgeſchrittene Entwickelung, und bei manchen Arten findet ein Lebendiggebären ſtatt. So erzählen Meyer und Möbius, daß die Litorina obtusa vom Frühjahr bis in den Herbſt lebendige Junge gebiert, und daß noch im November im Aquarium neben einer alten Schnecke eine Schar junger Tiere angetroffen wurde. Die den Litorinen naheſtehende Gattung Lacuna hat ein kurzes Schalengewinde mit breiter flacher innerer und ſcharfer Außenlippe. Am Tiere wolle man an unſerer Abbildung Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. 36 nn den kurzen abgeſtumpften Kopf, die pfriemenförmigen Fühler und die beiden langen bandförmigen Fortſätze auf dem Fußrücken bemerken. Von der Lebensweiſe der an den europäiſchen und nordamerikaniſchen Küſten heimiſchen Lacuna divaricata machen Meyer und Möbius Mitteilung. „Sie iſt eine ſehr lebhafte Schnecke. Wirft man ſie auf den Rücken, ſo kommt ſie ſchnell wieder aus ihrer Schale hervor, dehnt ſich aus, ſo weit ſie kann, hängt den Vorderkörper nach der Seite und arbeitet mit den ausgeſtreckten Fühlern. um das Übergewicht auf eine Seite zu bringen. Die Fühler legen ſich oft auf dem Boden an, um mit vorwärts zu helfen. Sie ſchwimmt auch gern hängend an der Oberfläche. Schnell untergetaucht, nimmt ſie in dem hohl gekrümmten Fuße eine Blaſe Luft mit, die von Schleim umfloſſen iſt. Da ſich beim Kriechen die Seitenhälften des Fußes abwech— ſelnd vorwärts ſchieben, ſo gleitet die Schnecke ſchwankend fort. Hierbei arbeiten immer Aa Gebänderte Häubchenſchnecke Lacuna divaricata). Vergrößert. auch die Fühler lebhaft, indem ſie ſich bald bis an die Schale zurückbiegen, bald wieder wie eine Peitſche vorwärts ſchlagen.“ Das Tier lebt in den Regionen des Seegraſes und nimmt nach Lovens Beobachtung, wenn es braune Tange frißt, eine grüne, wenn rote Tange, eine roſenrote Färbung an. Eine in den Sammlungen ſehr beliebte Konchylie iſt die Perſpektivſchnecke (So— larium), deren kreiſelförmiges Gehäuſe mit einem ſo tiefen Nabel verſehen iſt, daß man alle Windungen ſieht. Obgleich einige 20 Arten in den tropiſchen Meeren vorkommen, iſt weder über ihren Bau noch über ihre Lebensweiſe etwas Genügendes bekannt. Einige Familien nähern ſich zwar durch die Luftatmung und die Beſchaffenheit ihres Atmungsorganes den Lungenſchnecken, ſchließen ſich aber nach ihrem ſonſtigen Bau und unter anderem durch die Trennung der Geſchlechter den Vorderkiemern an. Man nennt fie Negfiemer (Neurobranchia), da fie, wie gejagt, atmoſphäriſche Luft durch ein Netzwerk von Gefäßen an der Dede der Atemhöhle atmen. Alle befigen eine gewundene Schale, verſchließbar durch einen Deckel. Ihr Mund iſt oft in eine lange Schnauze aus— gezogen, der Kopf trägt zwei Fühler. Alle leben auf dem Lande, beſonders in feuchten Gebänderte Häubchenſchnecke. Perſpektivſchnecke. Zierliche Kreismundſchnecke. 369 Tropengegenden Am zahlreichſten find die Kreismundſchnecken (Cyclostomidae), welche von den anderen Neurobranchien durch die eigentümliche Beſchaffenheit ihrer Reibe— platte und des Deckels fi unterſcheiden. Von der Hauptgattung Cyelostoma find zwar über 1⅛ Tauſend Arten beſchrieben, davon kommen jedoch nur einige wenige in Frank: reich, der Schweiz und dem ſüdlichen Teile des mittleren Deutſchland vor. — Die häufigſte unter dieſen immerhin ſeltenen Schnecken, die zierliche Kreismundſchnecke (Cyelo- stoma elegans, Tafel „Landſchnecken“, Fig. 13), verdankt ihren Zunamen der allge— meinen Eigenſchaft aller ihrer Gattungsgenoſſinnen, ein elegantes Gehäuſe zu beſitzen, welches bei ihr noch durch ſehr regelmäßige erhabene Spirallinien und ſehr feine, von jenen unterbrochene Querſtreifen zierlich gegittert iſt. Es wird 10—15 mm hoch. Wir finden bei Roßmäßler eine genaue Beſchreibung der Eigentümlichkeiten dieſes Wunder— tieres, wie er es nennt. „Das Tier iſt äußerſt ſcheu. Bei der leiſeſten, ihm ungewöhn— lich dünkenden Berührung zieht es ſich ſchnell in das Gehäuſe zurück und verſchließt es mit dem ſehr feſten, harten Deckel. Die Fühler ſind durchaus nur kontraktil, nicht retraktil (zuſammenziehbar, nicht zurückziehbar), denn es iſt nicht die etwas abgeſtumpfte Spitze, welche bei dem Einziehen zuerſt verſchwindet, ſondern die Baſis der Fühler, und wenn dieſelben ganz zuſammengezogen ſind, ſo ſitzt die ſtumpfe Spitze auf der Stirn neben dem Auge auf. Die ringförmigen Runzeln der Fühler erleichtern auch das Zuſammenziehen derſelben ungemein. Die an der äußeren Baſis der Fühler ſitzenden Augen ſind nicht ganz klein und glänzend ſchwarz. — Wenn das Tier, an einem feuchten Glaſe fortſchreitend, die Feuchtigkeit aufſaugt, ſo ſcheint dabei viel Luft mit eingeſogen zu werden, denn die in den Mund geſchlürfte Flüſſigkeit teilt ſich wie in einem heftigen Strudel in zahlreiche Bläs— chen. Der ganze Kopf oder Rüſſel iſt oben ſehr ſcharf und regelmäßig ringförmig gerunzelt, unten um die Vertiefung des Mundes herum mehr netzaderig-runzelig. „Viele behaupten, daß das Fortſchreiten dieſes merkwürdigen Tieres durch abwechſeln— des, ſpannmeſſendes Anſaugen des Rüſſels und der Sohle geſchehe. Es hat aber damit eine andere Bewandtnis. Allerdings iſt beim Fortſchreiten (denn man kann es ein wahres Schreiten nennen) der Rüſſel durch Anſaugen mit thätig, aber nur untergeordnet. Die zwei wurſtförmigen Wulſte, in welche die Sohle durch eine tiefe Längsfurche geteilt iſt, agieren wirklich wie zwei Füße. Wenn ſich das Tier an der inneren Seite des Glaſes bewegt, kann man ſich davon deutlich überzeugen. Sitzt das Tier ruhig, ſo ſind beide Wülſte an das Glas feſtgedrückt, und man bemerkt die teilende Furche nur als eine Längs— linie. Wenn es aber weiter will, ſo wird allmählich der eine Wulſt vom Glaſe gelöſt, etwa um eine Linie vorgeſtreckt und dort auf das Glas feſtgedrückt; hierauf wird der andere Wulſt gelöſt, nachgezogen, zugleich etwas über den vorigen hinausgeſchoben und wieder feſtgedrückt, und ſomit iſt ein Schritt (eigentlich zwei) zurückgelegt. Dieſe Bewegung geht aber ziemlich langſam vor ſich, und es ſteht das Tier an Schnelligkeit den Schnirkel— ſchnecken weit nach. Was nun die Thätigkeit des Rüſſels hierbei betrifft, ſo iſt nicht zu leugnen, daß das Tier beim Gehen ſehr häufig mit demſelben auf der Fläche, auf der es hinkriecht, ſich feſtſaugt und dadurch das Gehen erleichtert, allein weſentlich ſcheint ſeine Funktion dabei nicht zu ſein, da ich auch oft Schritte der beiden Wülſte thun ſah. Beim Schließen des Gehäuſes mit dem Deckel, der beim Gehen hinten auf dem Fuße liegt, ver— fährt es wie andere Deckelſchnecken, d. h. es bricht die Sohle unten in die Quere zu— ſammen, ſo daß die beiden Sohlenhälften aufeinander zu liegen kommen, und zieht ſich dann zurück, wobei notwendig der Deckel in die Mündung paßt. „Hinſichtlich ſeiner Lebhaftigkeit habe ich in meinen Behältern das Gegenteil von den Schnirkelſchnecken beobachtet, es ſind nämlich alle meine Cykloſtomen den Tag über munter und lebendig, ruhen dagegen in ihrem wohlverſchloſſenen Gehäuſe des Abends.“ Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 24 370 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Von den verwandten Gattungen ſei nur die ſüdeuropäiſche Pomatias, mit turm— förmigem, geripptem Gehäuſe, angeführt. Aus der Familie der Heliciniden mit der arten: reichen Helicina und anderen Gattungen beſitzt Europa gar nichts, wohl aber aus einer dritten, den Acikuliden, vier Arten der Gattung Acme (Spitzſchnecke). Dieſe haben ein kleines turmförmiges, beinahe cylindriſches Gehäuſe mit dünnem, durchſichtigem Deckel. Das Tier hat zwei ſchlanke, cylindriſche Fühler, an deren Wurzel hinten die Augen liegen. Es ſind kleine, niedliche Schneckchen, einige Millimeter hoch, welche unter Blättern und Moos am Boden leben, am liebſten an den Wurzeln von Geſträuchen. Auch Ampullaria iſt ein Bindeglied zwiſchen den Lungenſchnecken und der folgenden Ordnung, neigt ſich aber noch weiter zur letzteren hin, indem dieſe Gattung Lungen und Kiemen zugleich beſitzt, alſo abwechſelnd für die Luft- und Waſſeratmung geeignet iſt. Von den über 50 Arten wiſſen wir nur ſo viel, daß ſie in den Süßwaſſern der heißen Striche Amerikas, Afrikas und Oſtindiens leben, und daß ſie während der heißen Jahreszeit im trockenen Schlamme die Regenzeit wieder abwarten müſſen. Eine Anzahl Individuen, welche der bekannte franzöſiſche Naturforſcher d'Orbigny zu Buenos Ayres in Kiſten ver: packte, waren nach 8 und ſelbſt nach 13 Monaten noch am Leben. Im Hintergrunde der ſich auf der rechten Seite nach außen öffnenden Kiemenhöhle liegt eine Reihe blattförmiger Kiemenblätter, und in der Decke der Kiemenhöhle findet ſich eine große Offnung, welche in eine andere Höhle von gleicher Ausdehnung führt, als die unter ihr gelegene. Sie kann abgeſchloſſen werden und dient als Lunge. Mehrere Gattungen haben von der Geſtalt ihres napfförmigen Gehäuſes den Familien— namen Mützenſchnecken (Capulidae) erhalten. Die Mündung iſt ſehr weit, ganz randig und ungedeckelt, die Spitze oft durch eine kleine halbe oder ganze Windung unſymmetriſch. Am bekann— teſten iſt die ungariſche Mütze (Capulus hun— garicus) aus dem Mittel— meere und der Nordſee. Man ſieht im Grunde des Gehäuſes, wie bei faſt allen ſo geſtalteten Schnecken, eine hufeiſenförmige Figur, die Anſatzſtelle des ſehr ent— wickelten Schalenmuskels. Goſſe teilt mit, daß er dieſe „Freiheitskappe“ (Cap of Liberty), eine der ſel— teneren Schnecken der nörd— lich gemäßigten Meere, am häufigſten von Weymouth und Tenby aus einer Tiefe von 30—50 Faden erhalten habe. Verwandt iſt Calyptraea, eine derjenigen Sippen, deren Schale inwendig durch ein eigen— tümliches Blatt geteilt iſt. Hier hängt vom Gewölbe des erhabenen zentralen Wirbels innen ein Kalkblatt in Geſtalt einer der Länge nach in der Mitte durchgeſchnittenen Tüte herab und iſt an der rechten Seite feſtgewachſen. Auch dadurch iſt die Gattung bemerkenswert, Seeſtern mit ſchmarotzender Thyea eetocon; a) letztere vergrößert. Pomatias. Heliciniden. Acikuliden. Ampullaria. Mützenſchnecken. Natica. 371 daß das Tier mit der Sohle des Fußes auf dem fremden Körper, auf welchem es auf— ſitzt (wie auch einige Capulus-Arten), eine kalkige Platte abſondert. Entgegen den meiſten Weichtieren, welche ſich um die gelegten Eier nicht mehr kümmern, finden wir bei Calyptraea eine Brutpflege, welche an die Sorgfalt erinnert, mit welcher die Rüſſelegel ſich ihrer Jungen annehmen. Die Calyptraea ſcheint buchſtäblich auf ihren Eiern zu ſitzen und zu brüten, wie vor langen Jahren ſchon Milne Edwards an mittelmeeriſchen Arten beobachtete. Die Mutter ordnet die Eier unter ihrem Bauche und bewahrt ſie zwiſchen dem Fuße und dem fremden Körper, auf welchem ſie ruht, ſo daß ihre Schale nicht allein ſie ſelbſt, ſondern auch ihre Nachkömmlinge bedeckt und beſchützt. Die jungen Calyptreen entwickeln ſich unter dieſem mütterlichen Dache, welches ſie nicht verlaſſen, bis ſie Stärke genug haben, um ſich ſelbſt an den Stein zu befeſtigen, und bis ihre eigne Schale hart genug iſt, um ihnen Schutz zu gewähren. Die Eier ſind zu 6— 12 an der Zahl in häutige elliptiſche und abgeplattete Kapſeln eingeſchloſſen, welche Kapſeln verſchiedener Geſtalt man beſonders bei den fleiſchfreſſenden Schnecken trifft. Sechs bis zehn Kapſeln machen einen Satz aus und ſind durch einen Stiel ſo miteinander verbunden, daß ſie einer Art Feder— buſch gleichen. In dieſe Familie gehört auch eine merkwürdige, auf Seeſternen ſchmarotzende Schnecke des Indiſchen Ozeans (Thyca ectocon), die uns die nebenſtehende Abbildung in natür— licher Größe auf ihrem Wirt und vergrößert daneben iſoliert zeigt. Den Mittelpunkt einer anderen Familie bildet die artenreiche Sippe Natica. Ihr Gehäuſe iſt kugelig oder eiförmig, mit halbkreisförmiger Mündung; die Außenlippe ſchneidend, innen glatt, die Innenlippe ſchwielig. Daß das Tier beim Ausſtrecken des Fußes denſelben durch Aufnahme von Waſſer zu unverhältnismäßiger Größe anſchwellen kann, haben wir ſchon S. 361 erwähnt. Sie bedienen ſich desſelben, um ſich in den Sand einzubohren, dann aber auch, um damit ihre Beute ganz zu bedecken. Es ſind nämlich Fleiſchfreſſer, welche beſonders andere Schnecken angehen und mit Hilfe der Reibe— platte ihre Schalen vollkommen kreisrund durchbohren. Auch ſagt ein engliſcher Zoolog, daß ſie ſich vorzugsweiſe bei der Vertilgung toter Fiſche und anderer, von den Wellen ans Ufer geſpülter Tiere beteiligen. Sie gehören alſo unter diejenigen nicht zahlreichen Schnecken, welche man wegen des Mangels eines Kanals oder Ausſchnittes an der Mün— dung eher für Pflanzenfreſſer zu halten hätte. Sehr merkwürdig ſind ihre Eierklumpen, welche man lange Zeit für eine Gattung polypenartiger Tiere gehalten. Neben den vielen (gegen 200) ſeebewohnenden Arten iſt eine, Natica helicoides, zugleich als See- und Süßwaſſerbewohner bekannt geworden. Zuerſt im Inneren von Neuſpanien entdeckt, iſt ſie dann an der Peruaniſchen Küſte in einer Tiefe von 30 Faden gefunden. Wer ſich an felſiger Meeresküſte mit dem Einſammeln von Pflanzen und Tieren be— ſchäftigt und, um ungeniert zu ſein, ſich der Fußbekleidung entledigt hat, wird nicht ſelten durch blutige Füße ſich ſeine Ausbeute erkaufen müſſen. Es gibt, wie ich z. B. am flachen Felſengeſtade der herrlichen Anhöhe von El Canon auf Korfu erfuhr, und wie Lacaze— Duthiers von einer Bucht des prächtigen Hafens von Mahon erzählt, Stellen, welche dicht mit mehr oder weniger unregelmäßigen Kalkröhren von großer Feſtigkeit und mit ſo ſcharfer Mündung bedeckt ſind, daß nur der lebhafte Eifer zur Wiſſenſchaft die Pein über— winden hilft, auf dieſer wie aus Dornen und Meſſern zuſammengeſetzten Unterlage nach Pflanzen und Getier zu ſuchen. Wir haben es nicht, wie der erſte Anblick glauben machen 24* 372 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. könnte, mit einem Wurme aus der Familie der Serpeln zu thun, ſondern mit der Wurm— ſchnecke (Vermetus) und ihren Gehäuſen, einem der Weichtiere, deren fremdartige ab— weichende Geſtalt ſie ſcheinbar weit von ihren nächſten Verwandten entfernt, während die Zergliederung des erwachſenen Tieres, vor allem aber der Gang der Entwickelung uns über die wahre Natur dieſer abſchweifenden Formen Aufſchluß geben. Es würde ſchwer ſein, aus den leeren Schalen, welche bei den meiſten Arten (3. B. Vermetus gigas und V. triqueter) weiß, bei einer ebenfalls im Mittelmeer häufigen Art (V. subcancellatus) ſchwarz und bei der gewöhnlichen Wurmſchnecke (V. lumbri- calis, ſ. untenſtehende Figur) rötlichgelb und durchſcheinend ſind, auf die Tierklaſſe zu ſchließen. Zwar der immer der ſteinigen Unterlage angewachſene Anfangsteil iſt regelmäßig ſpiralig gewunden, gleich einer Turm— ſchnecke. Nach einer gewiſſen Anzahl von Umgängen aber wird die ſich er— weiternde Röhre unregelmäßig, und da es nun auch verſchiedene Arten von Röhrenwürmern der Sippe Serpula gibt, deren Kalkwohnungen ganz ähn— lich gewunden ſind, ſo iſt jedenfalls die bloße Schale ein ſehr trügeriſcher Weg— weiſer. Man kommt aber bald über das Tier ins reine, wenn man die Geduld hat, in unbequemer Lage am Strande zu warten, bis es den Kopf hervorſtreckt, wenn man es nicht vorzieht, mit dem Spitzhammer, welcher bei zoologiſchen Ausflügen nie fehlen darf, einige Tiere a i mit einem Stück ihrer Unterlage abzu— Gewöhnliche an lumbricalis). Etwas ſprengen, um ſie in einem größeren Ge⸗ fäß nach Hauſe zu tragen und dort mit Muße ihre ſehr einfachen Lebensäußerungen zu beobachten. Die Wurmſchnecke kann ſich tief in ihre Röhre zurückziehen. Macht ſie Anſtalt, ſich umzuſehen, ſo kommt über der Schalen— öffnung zuerſt eine Art von Stöpſel zum Vorſchein, auf deſſen oberer abgerundeter und glatter Fläche ſich eine kleine hornige Platte befindet. Gerade ſo ſieht der Fuß und der Deckel bei manchen anderen Seeſchnecken im Zuſtande der größten Zuſammenziehung aus. In unſerem Falle behält der Fuß aber dieſe Stoppelform auch nach dem Hervorſtrecken bei. Auch ein kleiner Einſchnitt zwiſchen Fußwurzel und Körper iſt ſo, wie bei den unten zu beſchreibenden Purpur- und Kreiſelſchnecken, vorhanden. Nun folgt ein ſehr plumper, durch die ſtarke Entwickelung der Schlingwerkzeuge aufgetriebener Kopf, welcher durch den Beſitz von zwei Fühlhörnern und den am Grunde derſelben ſtehenden Augen die Legitimation der Schnecke vollendet. Die beiden vorderen fadenförmigen Organe ſind keine Fühler, ſon— dern bloße Verlängerungen der Lippe. Der Kopf läßt ſich um ſo genauer betrachten, als das Tier, mutiger als alle übrigen Schnecken, beim Berühren ſich nicht ſchleunig in ſein Gehäuſe zurückzieht, ſondern ſowohl, wie Lacaze-Duthiers mitteilt, von weichen, vorgehal— tenen Gegenſtänden Stücke abbeißt, als auch härtere mit dem Munde umfaßt und mit einer gewiſſen Gewalt zurückhält. Ich muß gleich hier bemerken, daß über die Nahrung der Ver— meten nichts bekannt iſt; höchſt wahrſcheinlich ſind ſie Fleiſchfreſſer, denen die an ihnen herumkriechenden Tiere zum Opfer werden. Zahlreiche Würmer und Krebschen befinden ſich immer in ihrer nächſten Nähe. ee Bau und Entwickelung der Wurmſchnecke. 373 Kopf und Fuß können ganz von dem ſackförmigen Mantel eingehüllt werden. Spaltet man denſelben, ſo kommt auf der linken Seite die geſtreckte kammförmige Kieme zum Vor— ſchein. Unſere Abbildung zeigt das Tier zwar aus den Windungen der Schale heraus— genommen, aber mit derſelben noch durch den bekannten Schalenmuskel in Verbindung, und ſo lehrt uns denn die einfachſte Unterſuchung, wie der ſcheinbare Wurm in jeder Be— ziehung eine Schnecke, und zwar ein Kammkiemer iſt. Vergleicht man die Ausdehnung des die Geſchlechtsorgane und die Leber enthaltenden Hinterleibes mit demſelben Abſchnitte anderer Schnecken mit langem Gewinde, ſo iſt der Unterſchied ein ganz unerheblicher. Schon wiederholt hat uns die Entwickelungs- und Verwandlungsgeſchichte der niederen Tiere, mit welchen dieſer Band ſich beſchäftigt, das Intereſſe erſetzen müſſen, welches bei ſo vielen höheren Tieren die mannigfaltigen Lebensgewohnheiten und Inſtinkte erwecken. Namentlich haben wir geſehen, wie die feſtſitzenden Tiere oft ganz erſtaunliche Formum— wandlungen durchmachen, im Verlaufe welcher ſie mehr und mehr unerkennbar werden und Urſprung und Verwandtſchaft verleugnen. Obwohl Vermetus jo weit nicht geht, bietet ſeine Fortpflanzung und Entwickelung doch des Intereſſanten genug. Als echter Kamm— kiemer iſt auch dieſe Gattung getrennten Geſchlechtes. Da eine unmittelbare Annäherung der Geſchlechter nur durch einen reinen Zufall der Anſiedelung neben- und aufeinander herbeigeführt werden könnte, ſo findet eine Begattung nicht ſtatt, ſondern die Befruchtung iſt dem Zufall und der Vermittelung durch das Waſſer überlaſſen. Der Ausdruck Zufall paßt eigentlich in dieſem und den meiſten ähnlichen Fällen nicht. Man findet zur beſtimm— ten Jahreszeit, nämlich in den Sommermonaten (vielleicht auch im Winter), die Weibchen mit Eierlegen beſchäftigt; überall, wo Anſiedelungen von Vermeten ſind, muß das um— gebende Waſſer Millionen und aber Millionen befruchtender Samenelemente enthalten, und müſſen viele derſelben nicht zufällig, ſondern mit poſitiver Sicherheit in die Röhren der Weibchen geraten. Die frei lebenden Schnecken pflegen ihre Eier nicht dem Treiben der Wellen zu überlaſſen, ſondern fie in beſtimmter Weiſe irgendwo anzuheften. Das Ver- metus-Weibchen hat die Wahl, entweder das erſtere zu thun, oder ſie, da ihnen die freie Bewegung nicht geſtattet iſt, bei ſich zu hüten. Das letztere geſchieht. Es bildet eine Reihe blaſenförmiger Behälter, welche im Gehäuſe auf kurzen Stielen befeſtigt ſind und je 10-30 Eier enthalten. Der erſte dieſer Kokons wird am nächſten bei der Mündung abge: ſetzt; er iſt der größte, indem der Umfang mit dem Wachstum der Embryonen zunimmt. Obſchon die Aufeinanderfolge der Organe in ihrer Entwickelung im Ei bei den verſchie— denen Abteilungen der Schnecken nicht ganz übereinſtimmt, ſo pflegen doch der Fuß und das ſogenannte Segel am früheſten zu erſcheinen, auch der Mantel und die Schale. Das geſchieht auch beim Vermetus, aus deſſen Entwickelung wir leider nur einen ſpäteren Zu— ſtand haben abbilden können, der uns das Segel in voller Entwickelung zeigt. Das Segel beſteht aus einem Paar halbkreisförmiger Lappen zu beiden Seiten des Mundes, deren Rand mit langen Wimpern beſetzt iſt. Schon im Ei ſind dieſe thätig, und der erſtaunte Beobachter ſieht das Tier in der Eiflüſſigkeit in ſpiraliger Bewegung. Der Fuß des jungen Vermetus iſt beim Verlaſſen des Eies ſo wohl ausgebildet, wie man es nur von einer Schnecke verlangen kann. Die wichtigeren Organe, welche man ſonſt noch am Embryo ſieht, ſind Fühler, Augen, Mantel, Speiſeröhre, im Mittelkörper der Magen und hinten die Leber. Was uns aber außer dem Segel am meiſten auffällt, iſt die zierliche rechtsgewundene Schale, welche unſer Tierchen am beſten als eine wahre Schnecke charakteriſiert. So ausgeſtattet, verläßt der junge Vermetus Ei und Kokon und ſchwimmt, gleich allen Seeſchnecken, mit Hilfe der Segellappen frei im Meere. Schon iſt er mit dem Schalen— muskel verſehen, vermag auch mit großer Leichtigkeit die Segel einzuziehen und ſamt den übrigen Weichteilen ganz im Gehäuſe zu verbergen. Seine Verwandlung und die 374 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderfiemer. Weiterbildung der Schale ſind zwar nicht direkt beobachtet; es liegt aber klar vor, was mit ihm vorgehen muß, um ſeine definitive Geſtalt zu erreichen. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die kleinen, für das Auge punktförmigen Tierchen noch eine Zeitlang frei mit Hilfe des Fußes kriechen, nachdem das Segel ſeine Wimpern verloren hat, verkümmert und ein— gegangen iſt, und daß während dieſer noch freien Periode noch einige Umgänge des Ge— häuſes wachſen. Jedenfalls wird dieſer Zuſtand nicht lange währen. Auch der Fuß zieht ſich zuſammen, während die Schale auf unbekannte Weiſe ſich an den Felſen anheftet und ankittet, und das Wachstum geſchieht von nun an vorzugsweiſe in die Länge. In allen wärmeren Meeren ſcheinen Vermetus-Arten zu leben. Eine im Mittelmeer vertretene verwandte Gattung iſt die Schlangenſchnecke (Siliquaria), deren unregel— mäßig gewundenes Gehäuſe auf der rechten Seite geſpalten iſt, entſprechend einem Schlitze im Mantel. Sie wachſen nicht an Steinen feſt, ſondern ſtecken in Schwämmen und in den Seekork genannten Polypen. Die mittelmeeriſche Art iſt Siliquaria anguina. Die Syſtematiker machen aus den genannten Gattungen entweder eine beſondere Fa— milie (Vermetacea), oder bringen fie mit den Turmſchnecken (Turritellacea) unter einen Hut. Den Stamm derſelben bildet Turritella. Das Gehäuſe iſt turmförmig und beſteht aus zahlreichen (bis 30) meiſt mit Querrippen verſehenen Windungen; auch der hornartige ſpiralförmige Deckel zeigt zahlreiche Windungen. Das Tier hat den Kopf in eine lange, platte, ausgerandete Schnauze verlängert. Der Mantelrand iſt gefranſt, und außerdem liegt quer über dem Nacken eine gefranſte Hautfalte. Man kennt etwa 40 Arten aus allen Meeren, die zahlreichſten und größten aus der heißen Zone. Die Tiere ſind Fleiſch— freſſer, aber träge, und treten ſelten aus dem Gehäuſe heraus. Der Ahnlichkeit des Gehäuſes wegen können wir an dieſer Stelle Cerithium auf: führen, ein ſehr artenreiches Geſchlecht, welches in der Vorwelt noch ſtärker als jetzt ver— treten war. Eine weſentliche Abweichung des Gehäuſes beſteht in dem kurzen, abgeſtutzten oder längeren, zurückgekrümmten Kanal an der Mündung. Es ſind Pflanzenfreſſer, die meiſt im Meer, aber auch in den Lagunen, im Brackwaſſer und an den Flußmündungen ſich aufhalten. Gewiſſe Abweichungen in der Bildung der Reibeplatte der Brackwaſſerarten deuten an, daß auch Abweichungen in der Nahrungs- und Lebensweiſe ſtattfinden. Doch fehlen darüber die Beobachtungen. Den Cerithien iſt wieder die Gattung Litiopa nahe verwandt. Obwohl ſie, wie Troſchel ſagt, viel von ihrer Merkwürdigkeit verloren, ſeit man weiß, daß auch andere Schnecken Fäden bilden, um ſich feſtzuheften, beſitzt ſie doch dieſe Spinnkraft in ſo ausgezeichnetem Grade, daß wir Johnſtons von den Beobachtern entlehnte Beſchreibung mitteilen wollen. „Es iſt eine ſehr kleine Schnecke, zwiſchen See— tang geboren, wo ſie beſtimmt iſt, ihr ganzes Leben hinzubringen. Der Fuß iſt von ge— wöhnlicher Beſchaffenheit, doch ſchmal und kurz, und das Tier würde mithin, ohne anderen Halt, leicht von ſeinem Sitze abgeſchwemmt werden können. Doch iſt gegen dieſen Vorfall vorgeſehen. Denn einer Spinne gleich ſpinnt es einen Faden aus einer klebrigen, vom Fuße ausſchwitzenden Flüſſigkeit, um ſeinen Fall in die Tiefe aufzuhalten und ſich die Möglichkeit zu ſichern, wieder auf ſeinen vorigen Platz zurückzukehren. Iſt aber der Faden abgeriſſen, oder findet das Tier wegen Mangels an Nahrung für nötig, ſeine Stelle zu ver— laſſen, um eine reichere Weide aufzuſuchen, ſo kann der Faden wieder angeknüpft oder ab— gelöſt werden. In dieſem Falle, mag er nun zufällig oder abſichtlich erfolgen, tritt ein Luftbläschen, wahrſcheinlich aus der Kiemenhöhle, hervor, erhebt ſich langſam durch das Waſſer, und da die Schnecke es mit Schleim umhüllt hat, jo zieht ſich dieſer in einen Faden aus, wie das Bläschen aufſteigt. Nun hat ſie Boje und Leiter, woran ſie wieder in die Höhe ſteigt und hängend abwartet, bis das Bläschen mit dem überall umherſchwim— menden Tang in Berührung gekommen iſt.“ Schlangenſchnecke. Turmſchnecken. Cerithium. Litiopa. Marſenien. 375 Die anderen Schnecken, welche ebenfalls ſpinnen, ſind ein tropiſches Cerithium (Ceri— thium truncatum), das in den Mangle-Sümpfen und Flußmündungen lebt und ſich mittels eines klebrigen Fadens an den Zweigen und Wurzeln der Wurzelbäume aufhängen kann. Auch unſere Physa fontinalis kann an einem an der Oberfläche hängenden Faden in die Tiefe ſteigen. „Und jo hat man auch manche Landſchnecke (3. B. Megalomastoma aus den Wäldern von St. Vincent) aus der gummiartigen Ausſonderung ihrer Haut eine Leine ausziehen ſehen, an der ſie ſich von Bäumen und Abhängen auf kürzerem Wege herabließ, als ſie hinaufgeſtiegen war.“ Wenn wir von den Bandzünglern ohne Atemröhre noch die kleine Familie der Mar— fenien (Marseniidae oder Lamellariidae) erwähnen, jo geſchieht es, um auf die merkwürdige Farbenanpaſſung der Gattung Lamellaria aufmerkſam zu machen, von der uns Giard berichtet. Dieſe Schnecken haben eine dünne, hornige, im Mantel verborgene Schale, erſcheinen alſo als Nacktſchnecken und halten ſich gewöhnlich auf zuſammengeſetzten Ascidien auf. Wir werden dieſe letzteren ſpäter kennen lernen. Giard erzählt, daß er bei Roscoff Hunderte von Individuen der beiden Arten L. perspieua und L. tentaculata geſammelt habe und immer von neuem erſtaunt geweſen ſei über die Fähigkeit derſelben, ſich in der Farbe den verſchiedenſten Gegenſtänden der Umgebung anzupaſſen. Oft, wenn Ascidienkolonien ins Aquarium geſetzt waren, fanden fi) am anderen Morgen 5—6 La— mellarien, deren Anweſenheit völlig überſehen war, ſo ſehr hatten ſie ihr Außeres mit den Ascidien in Übereinſtimmung gebracht. Sie haben aber nicht die Fähigkeit, wie die Kopf— füßer, ihre Färbung ſchnell und willkürlich zu ändern, ſondern es bedarf längerer Zeit, ehe die Harmonie mit der Umgebung ſich herſtellt. Wenn Lamellaria perspicua unter wie Granit gefleckten Steinen ſich aufhält, zeigt das Tier eine graue Färbung mit weißen, braunen und ſchwärzlichen Flecken. Findet man ſie aber auf der roten Ascidie Leptoclinum fulgidum, ſo iſt auch die Schnecke ſchön ein— farbig rot, und es bedarf einiger Aufmerkſamkeit, ſie von der Unterlage, auf der ſie ſich wenig erhebt, zu unterſcheiden. Auf anderen, anders gefärbten Ascidien ſah Giard die Schnecke entſprechend umgewandelt. Ein Gleiches gilt von der anderen Art, die nament— lich auf L. perforatum faſt nicht zu entdecken iſt. Vergleichen wir die Farbenanpaſſung der Lamellaria mit dem Farbenwechſel der Sepie (S. 276) und anderer Kopffüßer, ſo ergibt ſich im Weſen derſelben ein bedeutender Unterſchied. Wir haben es zwar in beiden Fällen mit der ſogenannten Maskierung (mimiery, mimetisme) zu thun; aber die Sepie maskiert ſich und macht ſich unkenntlich, um ihre Beute zu täuſchen, wobei ſie nur in zweiter Linie zugleich für ihre eigne Sicherung ſorgt. Die in Rede ſtehende Schnecke beſitzt dagegen in der Farbenanpaſſung lediglich ein Siche— rungs⸗ und Verteidigungsmittel. Denn obſchon die zuſammengeſetzten Ascidien, auf denen ſie ſich gern aufhält, einzelnen Raubſchnecken als Nahrung dienen, ſo iſt die Zahl ihrer direkten Feinde doch nicht groß, während das Fleiſch der Lamellaria ohne Zweifel viel anziehender iſt. Noch ungeſtörter iſt letztere natürlich auf Pflanzen und Felſen, indem ſie ſich ihnen in der Farbe anbequemt. Die Erklärung aller dieſer Erſcheinungen, d. h. darzulegen, wie dieſe mehr oder weniger willkürlichen Anpaſſungen allmählich zu ſtande gekommen und möglich geworden ſind, iſt ſchwierig. Doch reicht in den meiſten Fällen das Prinzip Dar— wins von der natürlichen Zuchtwahl aus. Wir übergehen eine ganze Reihe von Sippen mit Stillſchweigen, über deren Lebens— weiſe wir gar keine bemerkenswerten Notizen haben, und mit deren trockener Aufzählung alſo nicht gedient wäre, und haben ſomit die Abteilung der Kammkiemer ohne Atemſipho 376 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. geſchloſſen, welche man von der Form ihrer Reibeplatte als Bandzüngler zuſammen— gefaßt hat. Zu dieſen Kammkiemern ohne Atemröhre oder Ausſchnitt gehören noch ein Paar wenig umfangreiche Familien, unter denen die der Janthiniden unſer Intereſſe am meiſten erregt. Am bekannteſten iſt die Blauſchnecke (Janthina), mit ſehr dünner, bauchiger und bläulich gefärbter Schale (b), faſt von der Form der Schnirkelſchnecken. Die Blauſchnecken leben als Fleiſchfreſſer auf dem hohen Meeke, können, wenn ſie beunruhigt werden und wahrſcheinlich auch, wenn ſie ihre Beute verwirren wollen, einen Purpurſaft zur Trübung des umgebenden Waſſers abſondern; am berühmteſten aber ſind ſie durch das ſo— genannte „Floß“ (e), eine Anhäufung von Blaſen, welche an ihrem Fuße befeſtigt iſt, = — und mit deren Hilfe fie fih an der Ober: — 8 9% fläche des Meeres halten. 6 S Ehe wir die ſchönen Beobachtungen von Lacaze-Duthiers über die Janthina des „ nn = = Mittelmeeres mitteilen, wird es der Mühe — —ñ— —— — wert ſein, über frühere Beobachtungen und — —— = Meinungen nach dem Wortlaut von John— ſton zu berichten. „Den denkwürdigſten Ap— c — parat zum Zwecke des Ortswechſels beſitzt TTT AVAvtter allen Bauchfüßern unzweifelhaft die e Sippe Janthina. Man hatte fie anfangs für . R R 55 = reinen ausſchließlichen Bewohner der tropi⸗ 280 4 = — ſchen Meere gehalten, jedoch ſpäter auch einige rer Arten im Mittelländiſchen und im Britiſchen F a g —— Meere entdeckt. Ihr Wohnort ift die hohe e CK So: — See, auf welcher fie langſam umherſchwimmt. — Am Hinterteil ihres Fußes nun iſt ein großer — blaſiger Anhang, von Fabius Columna — ganz paſſend spuma cartilaginea (knorpe⸗ Janthina fragilis mit dem Floß, die Unterſeite nach oben liger Schaum) genannt, indem die Bläschen gekehrt ſchwimmend; m von oben geſehen. ſo durchſichtig wie die des Schaumes ſind, während ihre Hülle knorpelig oder häutig iſt. An dieſen Luftblaſen hängend, ſchwebt Janthina leicht auf dem Waſſer, ohne jedoch aufs Geratewohl jeder Strömung desſelben oder jedem Lüftchen, das über ſeinen Weg haucht, preisgegeben zu ſein, da ihre Richtung durch eine kleine Floſſe zu beiden Seiten des Fußes und etwas über deſſen Rand gelenkt werden kann. Nur wenn des Sturmes Atem heftig weht, überläßt ſich die Schnecke ſeiner Gewalt und leidet Schiffbruch an ungaſtlichem Ge— ſtade.“ Es war feſtgeſtellt, daß das Tier ohne den Blaſenapparat an der Oberfläche nicht verweilen könne, daß derſelbe bloß mechaniſch an den Fuß angeheftet ſei und beim Zurück— ziehen des Tieres nur zum kleinſten Teil in der Schale mit Platz finde; auch hatte ein eng— liſcher Naturforſcher, Coates, ziemlich genau die Art und Weiſe angegeben, wie das Floß gebildet und ausgebeſſert werde, bis Lacaze-Duthiers während eines Aufenthaltes an der afrikaniſchen Küſte bei Lacalle Gelegenheit zu den genaueſten Unterſuchungen fand. Wir laſſen ihn ſelbſt reden. „Starke Nordweſtſtürme hatten eine große Menge der Schaumapparate der Janthinen auf das ſandige Ufer der Bai von Bouliff bei Lacalle geworfen, und ich fand dabei auch eine gute Anzahl noch lebender Tiere. Es lag mir daran, ſie zu beobachten, und indem ich ſie in Aquarien ſetzte und ihnen reines und friſches Waſſer gab, konnte ich ſehen, wie 1° IH u | \ ' i ‘ 1 1 ' \ h 1 1 hi \ \ \ f ' } 1 ' 1 I I Janthiniden. — Blauſchnecke. 377 ſie ihr vom Sturme und dem Aufſchlagen auf das Geſtade beſchädigtes Floß ausbeſſerten. Anfangs war ich erſtaunt, zu bemerken, wie alle Janthinen, welche die Luftblaſen gänz— lich verloren hatten, auf dem Grunde des Waſſers blieben, obwohl ſie vollſtändig munter waren; wie einige der lebhafteſten mit Anſtrengung vermittels des Fußes an den Wänden der Glasbehälter in die Höhe krochen, die Oberfläche erreichten, dort ſich rückwärts beugten, aber faſt nie dazu kommen konnten, ihr Floß wieder herzuſtellen, und wie ſie endlich un— beholfen wieder zu Boden ſanken. Nie ſah ich ſie nach Art ſo vieler Schnecken durch Aus— dehnung und Zuſammenziehung ihres Fußes ſchwimmen. Möglicherweiſe iſt es auf offenem Meere anders, aber alles ſcheint anzuzeigen, daß Schale und Tier ſchwerer wiegen, als daß ſie ohne Floß zu ſchwimmen vermöchten. Zu bemerken iſt auch, daß die Tiere am Grunde des Waſſers ſehr ſchnell ſterben. „Die vergeblichen Anſtrengungen, welche die Tiere machten, um an die Oberfläche zu gelangen oder ihr Floß (ihren „Schwimmgürtel“) wieder herzuſtellen, veranlaßten mich, ſie in eine ſolche Lage zu bringen, welche ſie zu ſuchen ſchienen. Gleich meinen Vorgängern hatte ich erkannt, daß zwiſchen dem Floß und dem Körper kein organiſcher Zuſammenhang beſtehe, daß es einfach am Fuße befeſtigt ſei, und daß folglich die eingeſchloſſene Luft nicht aus dem Körper abgeſchieden ſein könne, ſondern mechaniſch in die Bläschen eingeſchloſſen ſein müſſe. Man hatte alſo nach dem Mittel oder Mechanismus zu ſuchen, wodurch das Tier die Luft in die einzelnen Blaſen zu bringen im ſtande iſt. Sieht man genau auf das vordere, dem Kopfe zunächſt liegende Ende des Floſſes, ſo kann man ganz gut die Bläschen zählen und Umfang, Geſtalt und Lage derſelben erkennen. Man kann daher die Vorgänge beobachten, wenn das Tier an der Herſtellung und Vergrößerung des Floſſes arbeitet. „Der Fuß iſt ſehr deutlich in zwei verſchiedene Abſchnitte geteilt. Der hintere, größere, an welchem das Floß ſich anheftet, iſt flach; der vordere (d) iſt vorn abgerundet und bildet durch den Umſchlag der Ränder nach unten einen ſeine Form jeden Augenblick ändernden Kanal. Dieſer vordere bewegliche Teil verfertigt das Floß und zwar auf folgende Weiſe. Er verlängert ſich zunächſt nach vorn, biegt ſich, nach rechts oder links geneigt, nach oben und umfaßt mit ſeiner Höhlung den vorderen Teil des Floſſes, indem er ſich eng an das— ſelbe anſchmiegt.“ Es ergab ſich, daß der Fuß, indem er über das Waſſer hervorgeſtreckt wird und ſich zuſammenkrümmt, ein Luftbläschen (e) einſchließt und um dasſelbe eine Schleimhülle ausſchwitzt, und daß er, indem er ſich auf das Floß ſenkt, das Bläschen an das Vorderende desſelben andrückt. Die Bewegungen des Fußes wiederholen ſich in der— ſelben Reihenfolge, und ſo wird Bläschen an Bläschen gefügt. Der anfänglich weiche Schleim nimmt bald im Waſſer eine feſtere Beſchaffenheit an und konnte in dieſem Zu: ſtande die Meinung veranlaſſen, es ſei eine knorpelige Maſſe. Um den Bau des Floſſes zu verfolgen, legte Lacaze-Duthiers die Janthinen auf einen Drahthaken und brachte ſie ſo weit an die Oberfläche, wie das Tier ſich befindet, wenn es frei mit ſeinem Floſſe ſchwebt. Alsbald begann die Schnecke aus dem Gehäuſe zu treten, ihren Fuß auszubreiten und nach der oben beſchriebenen Weiſe zu arbeiten. In dem Verhältnis, als die Bläs— chen ſich vermehrten, wurde das Tier natürlich leichter und ſank weniger ein, es war aber durchaus nicht im ſtande, ſich ſelbſt eher an der Oberfläche zu halten oder dieſelbe zu ge— winnen, ehe nicht das Floß eine entſprechende Größe erreicht hatte. Mit dem Maße der Schleimabſonderung der Janthina verhält es ſich gerade ſo wie mit dem Spinnſtoff der Spinnen; der Fuß liefert ihn nicht ununterbrochen, ſondern nur nach Bedürfnis. Übri— gens iſt das Floß ſo zerbrechlich und ſo vielen Gefahren ausgeſetzt, daß die Tiere faſt immer mit der Ausbeſſerung desſelben beſchäftigt ſein dürften. Eine weitere Merkwürdigkeit der Janthina iſt, daß ſie die Eier in kleinen Kapſeln an die nach unten gerichtete Fläche des Floſſes anheftet; jedoch iſt noch nicht beobachtet, 378 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. wie ſie dabei zu Werke geht. Auch wird nur ein Zufall darüber Aufſchluß geben, indem es trotz ſorgfältiger Wartung dem in der Behandlung der anderen Seetiere ſo erfahrenen Lacaze-Duthiers nicht gelang, ſie länger als einige Tage am Leben zu erhalten. Alle die zarten Bewohner des hohen Meeres dauern in den Aquarien nicht aus, vornehmlich wohl aus dem Grunde, weil ihnen die paſſende Nahrung mangelt, abgeſehen von der not— wendigen äußerſten Reinheit des Wohnelementes. Unſere, von dem genannten franzöſiſchen Forſcher entlehnten Abbildungen werden ſich nach dem Geſagten von ſelbſt erläutert haben. Die Bezeichnungen find: a Kopf, b Schale, e Floß, d Fuß, e eine etwas zu ſtark gezeichnete Blaſe, welche an den Vorderrand des Floſſes angefügt werden ſoll. Die obere Figur ſtellt die ſchwimmende Janthina von der Seite, die untere ſchwimmend von oben geſehen vor. Durch die ganz ähnliche Beſchaffenheit der Zunge ſchließen ſich die Wendeltreppen— Schnecken an. Das Tier hat den Kopf in eine Schnauze vorgezogen und die Augen ſtehen am Grunde der zwei langen ſchlanken Fühler. Der Fuß iſt klein. Die weiße, por: zellanähnliche Schale iſt turmförmig, und es waren von den Schneckenſammlern beſonders die Arten hoch im Preiſe gehalten, deren mit Querrippen verſehene Umgänge ſich nicht berührten, vor allen Scalaria pretiosa, die von den holländiſchen Schneckenhausfanatikern mit mehreren hundert Gulden bezahlt wurde. Auch ſie ſind Fleiſchfreſſer und können einen Purpurſaft abſondern. Die wenigen bisher erwähnten fleiſchfreſſenden Schnecken laſſen nach dem Bau der Zunge und Reibeplatte eher auf eine Verwandtſchaft mit den Pflanzenfreſſern ſchließen, mit denen ſie im allgemeinen auch durch den Mangel eines N Kanales oder Ausſchnittes der Schalenmündung überein: ( ar 1 ſtimmen. Nur die Cerithien erſchweren durch das Ausſehen Bl. * 9 ihrer Gehäuſemündung die ſyſtematiſche Nettigkeit. Indeſſen b 5 ſind die ſogenannten Ausnahmen das Los der Syſtematik. Die folgenden Familien ſind äußerlich kennbar durch den 4 5 hl > Atemſipho, womit, wie ſchon oben erwähnt, ein vorderer ( f N a Kanal oder Ausſchnitt der Schalenmündung verbunden ift. Ihre immer gewundene Schale kann häufig durch einen n ene e zn) Trito- hornigen Deckel geſchloſſen werden. Sie find ausnahms— Veigtöbet. los Seebewohner und faſt alle Fleiſchfreſſer. Die zunächſt vorzuführenden Familien mit Einſchluß der Muriciden werden Schmalzüngler genannt, indem die lange ſchmale Zunge nur drei Reihen von Platten trägt. Gewöhnlich iſt an der Mittelplatte, deren vorderer Rand nicht umgeſchlagen iſt, der hintere Rand mit vorſpringenden ſcharfen Zähnen beſetzt. Die Faltenſchnecken (Volutacea) haben ihren Namen von den ſtarken ſchrägen Falten, welche auf der Spindel verlaufen und den älteren Konchyliologen einen bequemeren Anhaltepunkt gaben, obſchon die Tiere ſelbſt keine vollſtändige Übereinſtimmung zeigen. Es find die Gattungen Marginella, Voluta, Cymbium und Mitra, letztere durch den kleinen breiten Fuß von den auf großem Fuße lebenden eigentlichen Volutaceen unter— ſchieden. Über ihr Leben wiſſen wir ſo gut wie nichts, nur allerlei Notizen über den Ge— brauch einzelner Arten und den Wert der Gehäuſe für die Sammler der früheren Zeit find vorhanden. So beſchreibt Rumph das große Cy mbium aethiopicum, die Kronenſchnecke, folgenderweiſe: „Wenn man dieſe Walzenſchnecke in die Höhe hält, ſo iſt ſie einem Panzerhemd oder kaiſerlichen Leibrock nicht unähnlich. Die Gewinde nehmen 2 MWendeltreppen-Schneden. Kronenſchnecke. Papſtkrone. Bijhofsmüge. Olive. 379 an der einen Seite der Schale kaum die halbe Breite ein. In ihr liegt ein großes Tier, welches ein graues hartes Fleiſch hat und mit keinem Deckel verſehen iſt. Die größten Schnecken find 15 — 16 Zoll lang und 9 Zoll breit. Die Eingeborenen legen die ganze Schale auf Kohlen, braten das Fleiſch und eſſen ſelbiges; den größten Schalen brechen ſie die inneren Gewinde aus und machen von dem äußeren Gewinde Tröge und Schüſſeln. Dieſe ſind ein nützliches Hausgerät, weil ſie nicht leicht zerbrechen, und wenn die Indianer daraus geſpeiſt haben, ſo gebrauchen ſie ſelbige als Schöpfer, um damit das Waſſer aus ihren Kähnen zu ſchöpfen. Die Chineſen nennen dieſe Schnecke Königshorn und wiſſen aus dem innerſten Gewinde niedliche Löffel zu machen, die aber am beſten von dem zu gebrauchen ſind, der mit der linken Hand ißt.“ Obwohl dieſe und ähnliche Notizen zur Naturgeſchichte nichts beitragen, ſind ſie, deren wir bei den älteren Schriftſtellern eine große Menge finden, doch deshalb des Mitteilens wert, weil ſie einen Einblick in die niedere und Kunſtinduſtrie der Völker gewähren. Es iſt erſtaunlich, in welcher Ausdehnung durch die Fülle gerade der größeren eßbaren und nutzbaren Weichtiere das Leben der Inſel- und Küſtenbevölkerungen der heißen Erdſtriche erleichtert und verſchönert wird. Das Gehäuſe von Mitra iſt faſt ſpindelförmig und hat ein langes ſpitziges Gewinde. Das Tier hat einen unverhältnismäßig langen Rüſſel, und nach Rumphs Angabe könnte es mit der inneren Mundbewaffnung ſehr arg verwunden; es ſeien ſogar einzelne Leute an dieſem „Stiche“ geſtorben. Auch bekomme man bei dem Verſuch, die Papſtkrone (Mitra papalis) oder die Biſchofsmütze (Mitra episcopalis) zu eſſen, ein „töd— liches Würgen“. Den Stamm einer folgenden Familie bildet die Sippe Olive (Oliva). Das Ge— häuſe hat große Ahnlichkeit mit dem der Porzellanſchnecke, iſt nämlich auch eingerollt, doch ſind die Umgänge des kurzen Gewindes ſichtbar, mit ſtets vertieften, rinnenförmigen Nähten. Die Oberfläche iſt glatt und glänzend. Das Tier hat einen eiförmigen ſehr breiten Fuß, der ſeitlich über die Schale zurückge— ſchlagen wird und dieſelbe glättet. Der vordere Teil ragt weit über den Kopf hinaus und iſt jederſeits Schwarze Olive (Oliva maura). Natürliche Größe. durch einen tiefen Einſchnitt vom übrigen Teile des Fußes geſchieden. Der Kopf iſt klein; die Fühler ſtoßen in einem ziemlich ſpitzen Winkel zuſammen und tragen außen ziemlich entfernt vom Gewinde die Augen. Ihre Spitze läuft in einen dünnen Faden aus. Der Mantel iſt vorn nicht nur in eine lange zurückgeſchlagene Atemröhre, ſondern auch in einen fadenförmigen Anhang, welcher den Grund der Atemröhre umgibt, verlängert, hinten aber in einen Faden, welcher in dem Kanale der Naht des Gehäuſes liegt. Sie lieben ſandigen Meeresgrund und klares Waſſer, kriechen ſehr ſchnell und freſſen Fleiſch, an welchem ſie indes wegen der ſehr engen Speiſeröhre und der ſchwachen Zungenbewaffnung nur ſaugen können. Sie ſind in weit über 100 Arten über die ſüdlichen Meere verbreitet. 380 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Einen ebenſo beſchaffenen Fuß und ähnliches Gehäuſe, aber nicht mit rinnenförmiger Naht, haben die Ancillen (Ancilla), lebhafte Tiere, welche ſchlammigen Grund zu lieben ſcheinen. Daß ſie ihren enorm großen Fuß in die Schale zurückziehen können, wird durch das Verhalten des Waſſergefäßes in demſelben erklärt (ſ. S. 361). Auch die Arten der Harfe (Harpa) haben einen ſehr großen Fuß, der weit breiter als das Gehäuſe iſt und auf die doppelte Länge desſelben ausgedehnt werden kann. Die ſchönen eiförmigen, mehr oder weniger aufgeblaſenen Gehäuſe ſind leicht an den parallelen ſcharfrandigen Längsrippen kenntlich. Schon Rumph hat beobachtet, daß dieſe Tiere, welche im Indiſchen und Stillen Ozean leben, bei heftigen Zuſammenziehungen den hin— teren Teil des Fußes abwerfen können. Weiteres über dieſe Selbſtverſtümmelung teilt Oken nach den Beobachtungen von Quoi und Gaymard mit. „Das Erſtaunenswürdigſte an dieſem Tiere iſt die Ablöſung des hinteren Fußſtückes. Die Tiere ſind ſehr hurtig, kriechen in Gläſern gleich aus der Schale und trüben das Waſſer durch ihren Schleim. Kaum beunruhigt man ſie, ſo machen ſie einige Zuſammenziehungen und werfen das hin— tere Viertel ihres Fußes ab, das ſich noch einige Augenblicke bewegt. Nachher ſcheint ſich das Tier nicht ganz wohl zu befinden, wenigſtens bleibt es längere Zeit zurückgezogen. Dieſe Trennung, welche durch die geringſte Anſtrengung erfolgt, ſcheint keine Zerreißung, ſondern nur eine Abſchneidung zu ſein!, und doch bemerkt man nirgends eine Trennungs— linie. Endlich haben wir den Grund davon gefunden. Es läuft nämlich quer durch den Fuß ein großer Waſſergang, wodurch dieſe Stelle ſchwächer wird und bei einer ſtarken Zuſammenziehung ſich trennt. Unter 50 Tieren haben wir dieſe Trennung bei 40 beob— achtet.“ Obwohl ſolche Trennungen und Abſchneidungen freiwillig zu erfolgen ſcheinen, ſo wird jedoch ebenſoſehr bei dieſen Weichtieren als bei den durch ihre Selbſtverſtümme— lung berühmten Holothurien ein vom Nervenſyſtem beeinflußter Krampf im Spiele ſein. Der verlorene Teil ſoll ſich ungeachtet ſeiner Größe bald wieder erſetzen. Ein gemeiner Bewohner der Nordſee, das gewellte Kinkhorn oder Wellhorn (Buccinum undatum), wird gewöhnlich der Charakteriſierung der Familie der Buc— ciniden zu Grunde gelegt. Eine Abbildung des Gehäuſes im Durchſchnitt wurde oben (S. 293) gegeben. Das Gewinde der Schale der Bucciniven iſt kegelförmig und im Ver— hältnis zum letzten Umgang klein. Die Mündung läuft in einen kurzen, in die Höhe ge— bogenen Kanal aus. Die bis 8 em hohe Schale iſt kegelig-eiförmig, bauchig und auf den konvexen, längsfaltigen Windungen mit erhabenen Querleiſten und feinen Längslinien verſehen. Das Tier hat einen platten, vorn abgeſtutzten Kopf, an deſſen beiden Ecken die ziemlich langen Fühler ſtehen. Außen am Grunde derſelben befinden ſich die Augen. Der große Fuß iſt hinten und an den vorderen Ecken abgerundet. Man kann nicht leicht einige Tage am Strande unſerer nördlichen Meere ſich aufhalten, ohne unter den Aus— würflingen des Waſſers die traubenartig zuſammenhaltenden gelblichen Eibehälter dieſes Tieres zu finden. Die einzelnen lederartigen Beutel ſind etwa halb ſo groß wie eine Erbſe und von zuſammengedrückter Kugelgeſtalt. Ein ſtarkes Band vereinigt fie zu einer rund- lichen Maſſe, welche von Ellis „Seeſeifenkugel“ genannt wird, indem die Schiffer ſich ihrer bedienen, um die Hände damit zu reinigen. Dieſe Eibehältermaſſen werden von den Schnecken an verſchiedene untermeeriſche Körper, Steine, Holzſtücke, Auſtern ꝛc., angeheftet, und die Wandungen der Kapſeln ſind anfangs ſo dünn und durchſichtig, daß man die Ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Verſtümmelungsmethoden dürfte nicht ſtattfinden Ancillen. Harfe. Wellhorn. Fiſchreuſe. 381 darin eingeſchloſſenen Eier leicht beobachten kann. Eine jede enthält die erſtaunliche An— zahl von 600— 800 Eiern; noch erſtaunlicher iſt aber, daß nur eine geringe Menge junger Schnecken, etwa 4— 12, aus der Kapſel hervorgehen. Die bekannten norwegiſchen Natur: forſcher Koren und Danielſſen verfolgten die Entwickelung der Embryonen und ſtellten die Behauptung auf, nicht aus einem Ei, wie ſonſt im Tierreich, ginge das Junge her— vor, ſondern 40 — 150 Eier ballten ſich zuſammen, um nach dieſer Vereinigung ſich zu einem Embryo umzugeſtalten. Es hat ſich aber ergeben, daß der Vorgang ein anderer, obwohl nicht minder merkwürdiger iſt. Die Anlage des Embryos geſchieht aus dem Ma— terial eines einzigen Eies. Sobald aber die erſten Organe zum Vorſchein gekommen ſind, unter ihnen namentlich das ſchon S. 373 bei Vermetus von uns kennen gelernte Segel und der Fuß, verſieht ſich das werdende Tierchen mit Mund und Darm, und ſchluckt nun mit wahrhaftem Heißhunger die es umgebenden, nicht zur Entwickelung kommenden Eier ein. Seine Leibeshöhle wird dadurch ſo ausgefüllt und zu einer dünnen, durchſichtigen Hülle ausgedehnt, daß der Irrtum, das kleine Weſen ſei ein Konglomerat vieler Eier, ver— zeihlich iſt. Die verſchluckten Eier dienen alſo einfach als Nahrung und verſehen in dieſem Falle die Stelle des ſogenannten Nahrungsdotters, d. h. derjenigen Portion des zu einem Ei gehörigen Dotters, welcher im Verlaufe der Entwickelung nicht direkt ſich in die Ge— webe und Körperſubſtanz des Embryos umwandelt, ſondern als Nahrung im Darmkanal des jungen Tieres verdaut wird. Die in den Kapſeln enthaltenen Eier ſind anfänglich von durchaus gleicher Beſchaffenheit, und die eigentlichen Urſachen, wodurch nur jene wenigen zur Entwickelung auserwählt werden, unbekannt. Von den übrigen, den wärmeren Meeren angehörigen Buceinum-Arten kennt man die Entwickelung nicht, doch darf angenommen werden, daß ſie denſelben Verlauf nimmt. Das Wellhorn hält ſich in der Nähe der ſandigen Küſten auf, wo es ſich häufig mit Hilfe ſeines Fußes einbohrt. Dies geſchieht, um den dort ſich aufhaltenden Muſcheln (Pecten opercularis, Arten von Mactra, Tellina, Venus und anderen) nachzuſtellen. Der erſten ſoll ſich das Buceinum nicht ſelten dadurch bemächtigen, daß es den Fuß zwiſchen die geöffnete Schale ſchiebt, wobei es allerdings riskiert, arg gekniffen zu werden. Jeden— falls geſchieht der Angriff auf die Muſchel in der Regel durch Anbohren, wie dies auch die meiſten anderen fleiſchfreſſenden Bauchfüßer thun. Teils um es als einen gefährlichen Feind der eßbaren Muſcheln zu verfolgen, teils um es als Köder zu benutzen, wird von den Fiſchern dem Buccinum undatum eifrig nachgeſtellt. Johnſton jagt darüber: „Zu Port⸗Patrick, wo das Buccinum undatum die Buckiehenne heißt, wird fie zu dieſem Ende in Körben gefangen, in welche man Stücke von Fiſchen legt, und die man eine Viertel— meile vom Hafen oder dem alten Schloſſe etwa 10 Faden tief ins Meer hinabläßt, dann aber täglich wieder heraufzieht, um die Schnecken herauszunehmen, welche hineingekrochen ſind, um die Fiſchſtücke zu verzehren. Jede Schnecke liefert Köder für zwei Angeln, ſo daß, wenn man die von allen Booten ausgeworfenen Angeln zuſammen auf 4500 anſchlägt, ſo lange, als dies geſchieht, täglich 2250 von dieſen großen Schnecken zerſtört werden müſſen, wozu jährlich nicht weniger als 700,000 nötig ſein werden. Und obwohl dieſer Bedarf größtenteils nur von einem kleinen Raume gewonnen wird, ſo ſcheint davon doch ein grö— ßerer Überfluß als je dort vorhanden zu ſein.“ Den Wellhörnern reiht ſich die Gattung Fiſchreuſe (Nassa) mit tiefem Ausſchnitt am Kanal und faltiger Spindel an. Für uns iſt die gegitterte Fiſchreuſe (Nassa reticulata) am wichtigſten, ſo genannt von dem durch tiefe Längs- und Querfurchen faſt regelmäßig genetzten Gehäuſe. Ihre Lebensweiſe iſt ſehr genau von Meyer und Möbius geſchildert. „Die Fiſchreuſen ſind Fleiſchfreſſer. Wir haben geſehen, daß ſie 382 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. lebendige Seeſterne anfielen und ſich nicht durch die Krümmungen derſelben vertreiben ließen. Wenn Fleiſch ins Aquarium geworfen wird, ſo wittern ſie es ſehr ſchnell, denn ſie ſetzen ſich in der Nähe und in der Ferne ſofort in Bewegung, um es zu ſuchen. Diejenigen, die nahe an der Oberfläche des Waſſers ſitzen, wenden ſich abwärts; andere, die im Be— griffe ſind, nach oben zu kriechen, kehren um. Manche heben den Fuß von der Glaswand ab und laſſen ſich zu Boden fallen. So ſind ſie mit einem Male der gewitterten Speiſe ein großes Stück näher gerückt und ſetzen dann kriechend ihren Weg weiter fort. Die— jenigen, die im Schlamme des Bodens verborgen ſind, heben den Grund in die Höhe, wühlen ſich hervor und kriechen auf das Fleiſch los. „Das Organ, mit dem die Fiſchreuſen das Fleiſch wittern, ſcheint das Atemrohr zu ſein. Sie ſtrecken es aus und bewegen es nach allen Seiten. Sie gehen nicht geraden Weges auf das Fleiſch zu, ſondern weichen bald links, bald rechts ab, ja ſie wenden zu— weilen ſogar um, merken aber dann bald, daß ſie ſich von der gewitterten Speiſe ent— fernen, und ſchlagen den früheren, näher führenden Weg wieder ein. Alle ihre Bewegungen laſſen ſchließen, daß ſie nicht durch Lichtreize geleitet werden, ſondern durch einen anderen Reiz, der ſich wie riechende Subſtanzen verbreitet und ähnlich wie dieſe auf ein Sinnes— organ einwirkt. In dem Augenblicke, wo die Schnecke zum erſtenmal das Fleiſch berührt, fährt eine Zuckung durch die Fühler und das Atemrohr. Der Rüſſel, ein hellroter Schlauch, kommt aus dem Munde hervor und bohrt ſich in das Fleiſch ein. Bald ſind alle Fiſch— reuſen des ganzen Aquariums in dichtem Gedränge um das Fleiſch verſammelt. Jede bes hauptet ihre Stelle, nur die emporgehaltenen Atemrüſſel ſchwanken hin und her. „Zuweilen bedient ſich die Fiſchreuſe ihres Fußes, um Nahrung zu ergreifen und feſt— zuhalten. Eine Nassa hatte eben ein Stück Fleiſch gefunden, als auch ein Palaemon squilla (ein Garneelenkrebs) hinzukam und dasſelbe mit ſeinen Scheren anfaßte. Da um— klammerte ſie die Maſſe mit dem Fuße und ließ es nicht wieder los, obgleich Palaemon lange dabei blieb und mitfraß.“ Wenn wir oben ſagten, daß wahrſcheinlich auch bei den anderen Arten von Bucci— num die Entwickelung der wenigen Jungen auf Koſten der größeren Menge der Eier vor ſich gehe, ſo wird man darin durch die Wahrnehmung beſtärkt, daß das— ſelbe auch bei anderen Schnecken geſchieht. So bei der dem Buccinum nahe verwandten und denſelben Verbreitungsbezirk mit ihm teilenden Pur— pura lapillus. Man findet die Eikapſeln dieſes Bauchfüßers ebenfalls an Eitapſen von Steinen und anderen Gegenſtänden angeheftet. Sie gleichen einer kleinen e meat. . Flaſche, welche mit ihrem dünnen Halſe befeſtigt iſt. Jede Kapſel iſt her: metiſch verſchloſſen und gefüllt mit einer waſſerklaren, zähen Flüſſigkeit, worin 500 600 Eier ſchwimmen. Auch von ihnen, wie gejagt, erreicht die große Mehr: zahl ihr ideelles Ziel nicht, ſondern iſt das Futter für einzelne Bevorzugte. Alle zur Sippe gehörigen Arten zeichnen ſich durch Langſamkeit und Trägheit aus, und unſere Purpura lapillus gehört zu denjenigen, welche tage- und wochenlang an einer und derſelben Stelle ſitzen bleiben. Nach Steenſtrups Beobachtungen geht dieſe Faul— heit noch weiter bei einigen kleinen Formen, die man auf den Stämmen und Aſten der Fächerkoralle (Gorgonia flabellum) und anderen weſtindiſchen Gorgonien findet. Sie be— haupten hartnäckig ihren Platz und drücken den Mantelrand ſo feſt an die Aſte der Ko— ralle, daß ſie ſelbige ganz umfaſſen, während die weiche, oberflächliche Lage der Gorgonie die Schale umwächſt, bis ſchließlich nur ein kleines Loch zur Kommunikation zwiſchen Schnecke und Außenwelt übrigbleibt. Ahnlich, wie dieſe Arten auf den biegſamen Horn: korallen, lebt eine andere (Purpura madreporarum) auf den indiſchen Steinkorallen. Purpura. Rlhizochilus. Magilus. 383 Im weſentlichen iſt aber dieſes Verhalten kein anderes, als wie wir Seite 370 von der Mützenſchnecke mitgeteilt haben. Nun gibt es aber zwei der Purpura ganz nahe ſtehende Gattungen, welche, ſich feſt— ſetzend, die merkwürdigſten Umwandlungen erleiden, Magilus und Rhizochilus. Anfangs frei, werden ſie nicht nur ſeßhaft, ſondern es geht mit ihrem Gehäuſe auch eine ſolche Formveränderung vor, daß ihre Ernährungs- und Lebensweiſe dadurch völlig umgeſtaltet wird. Wir folgen der Beſchreibung, welche Steenſtrup von dieſen Ver— hältniſſen gegeben. Die Jungen von Rhizochilus Antipathum gleichen den Purpura-Schnecken ſo vollſtändig, daß man ſie mit jüngeren Exemplaren mancher Arten derſelben verwechſeln kann. Das Gehäuſe der ſich eben feſt— ſetzenden Tiere von 15 mm Länge hat die hierneben abgebildete Form. Die längliche Mündung iſt nach oben hin abgerundet, nach dem kurzen Kanale 5 zu ſpitz, und die beiden Lippen ſind ganz einfach, bis zur Anheftung, wo Junges Exemplar dann ſowohl die äußere als die innere ſich zu verlängern und die Zweige von Rhizochilus der Korallen zu umfaſſen beginnen. Betrachtet man dagegen den ſpäteren num Zuſtand nach der Anheftung, ſo iſt eine merkwürdige Veränderung mit dem Mündungs— teil des Gehäuſes vor ſich gegangen, beſonders durch das eigentümliche Verhalten der Lippen. Dieſelben ſind aufgewulſtet und haben einen oder mehrere Zweige der Horn— koralle umfaßt, ſich dabei einander genähert, und durch die fortgeſetzte Kalkabſonderung hat das Tier gleichſam ſeine eigne Schalenöffnung zugemauert. Mitunter haben ſich mehrere Exemplare ſo nahe bei einander angeſiedelt, daß eins durch des anderen Schale ſeine Mündung teilweiſe verſchließt. Dieſer Verſchluß nach der Anheftung iſt natür— lich kein vollſtändiger; es bleibt die Kanalöffnung, und von hier aus wächſt eine Röhre hervor, welche große Ahnlichkeit mit einer Wurmröhre (von Serpula) hat. Da die Hornkorallen, wie wir ſpäter ſehen werden, aus einer feſteren Achſe und der dieſelbe umgebenden weicheren, korkartigen oder fleiſchigen Subſtanz beſtehen, ſo muß dieſe letztere berückſichtiget werden, wenn man ſich mit Steenſtrup ein vollſtändiges und anſchauliches Bild vom Leben des Rhizochilus verſchaffen will. Denn wenn ſchon die jungen Rhizochilen auf den mit tieriſcher Maſſe umgebenen Antipathesbüſchen leben und ſich ſpäter auf den noch in dieſem Zuſtande befindlichen Korallenſtöcken anſiedeln, ſo wird natür— lich die weiche Rindenſchicht des Polypen von weſentlichem Einfluſſe auf die paraſitiſchen Schnecken ſein. Obgleich dem 1 f . däniſchen Naturforſcher nur getrocknete Antipathesſtöcke zu Ge— a a Sr bote ſtanden, ließ ſich das Verhältnis doch mit Sicherheit feſtſtellen. Alle darauf haftenden Rhizochilen waren mit der eingetrockneten weicheren Po— lypenmaſſe überzogen. Indem alſo die Rhizochilusſchnecke ſich feſtgeſetzt hat, wird ſie nach und nach von den wachſenden und ſich ausbreitenden Polypen bedeckt, und in dem Maße, als dieſelben ſich über ihr aufſchichten, verlängert die Schnecke jene Röhre und führt nun in jedem Falle ein von den übrigen Verwandten ſehr abweichendes Leben, welches näher zu ſchildern einem künftigen Beobachter vorbehalten iſt. Ein ähnliches und doch auch wieder eigentümliches Verhalten zeigt die andere oben genannte Sippe Magilus, welche nur in einer einzigen Art im Roten Meere vorkommt. Magilus iſt eingeſenkt in die Blöcke der Steinkorallen. Während aber bei Rhizochilus nur der Kanal zu einer engen Röhre verlängert wird, zieht ſich hier die ganze Mündung 384 Weicht iere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. in eine weite Tüte aus. Das urſprüngliche Gehäuſe und der untere Teil der Tüte füllen ſich allmählich mit Kalk aus, und das Tier rückt in der ſich verlängernden Röhre vor, gleichen Schritt haltend mit der ſich ausdehnenden Koralle. Wie nun Rhizochilus nicht iſoliert ſteht, ſondern ſein Schmarotzerverhältnis durch die auf den Madreporen lebenden Purpura -Arten gleichſam vorbereitet wird, jo iſt auch der Übergang von den frei lebenden Schnecken zum Magilus antiquus kein jäher, ſondern wird durch die Sippe Leptoconchus vermittelt. Auch dieſe Tiere leben im Inneren von Steinkorallen, ihr Gehäuſe wächſt aber nie zur Röhre aus. Leptoconchus iſt alſo gewiſſermaßen der Jugendzuſtand von Magilus. Die artenreiche Sippe Murex, Leiſtenſchnecke, hat den Außenrand mit einem Um: ſchlage oder Wulſt umgeben, der beim Wachstum auf den Windungen in Geſtalt wul— ſtiger, faltiger oder zackiger Längsbinden zurückbleibt. Mindeſtens drei Reihen ſolcher Wülſte verlaufen bis zur Spitze des Gewindes. Von den lang beſtachelten Arten und mit ſehr langem Kanal iſt Murex brandaris im Mittelmeer gemein. Er lebt auf Schlammboden und wird in großen Maſſen geſammelt und zu Markte gebracht. Einen mäßig langen, gebogenen Kanal und nur ſtumpfe Höcker auf den Wülſten hat Murex trunculus, eben: falls eine der häufigſten, auf felſigem Grunde lebenden Schnecken des Mittelmeeres. Bei Gelegenheit der Murices oder Stachelſchnecken kommt Rumph auf die ſogenannten Meernägel oder Onyxe, nämlich die Schalendeckel, zu ſprechen. Wir wollen der Kurio— ſität halber einige Anführungen machen, woraus die ſonderbaren Geſchmacksrichtungen alter Zeiten hervorgehen. „Man nennet einen ſolchen Unguis oder Nagel einen Onyx marina, und iſt durch ganz Indien ein bekanntes Räucherwerk, indem es zu allen Räucher— pulvern die Hauptingredienz ausmacht. Ich rede von ſolchen Räucherpulvern, welche bei den Ärzten Thymiamata genannt werden, und womit man auf glühenden Kohlen räuchert. Unter ſolchen nun macht der Unguis die Hauptingredienz aus, wie die Alod unter den Pillen. Es hat zwar der Meernagel an und für ſich keinen angenehmen Geruch; denn wenn man ihn in grobe Stücken zerbricht und auf Kohlen leget, ſo gibt er erſtlich einen Geruch, wie die gebratene Garneele, bald hernach aber neiget ſich der Geruch auf Bern— ſtein, oder, wie Dioscorides will, auf Bibergail, mithin iſt doch der Geruch, ſo lange man ihn alleine räuchert, nicht gar zu lieblich; menget man ihn hingegen unter ander Räucher— werk, ſo gibt derſelbe erſt den anderen Sachen eine männliche Kraft und Dauer. Denn da mehrenteils alles Räucherwerk aus ſolchen Hölzern, Harzen und Säften beſtehet, welche einen ſüßen, blumenartigen und ſtarken widerigen Geruch haben, ſo muß man den Meer— nagel darunter mengen, um den Geruch kräftig und dauerhaft zu machen. Man möchte alſo dieſen Meernagel mit dem Baß in der Muſik vergleichen, welcher, ſo lange er allein gehört wird, nicht angenehm klingt, aber unter anderen Tönen eine reizende Überein— ſtimmung gibt, und die Töne ſtandhaft macht.“ Wenn wir unter den vielen Rezepten noch das auswählen, daß die indiſchen Quackſalber ein wenig vom Onyx des Murex ramosus auf einem Steine reiben, „und geben ſolches wider die Kolik und Bauchgrimmen zu trinken, auch gebrauchen ſie den Rauch davon wider die Mutterbeſchwerung, jedoch muß man ſie im letzteren Falle etwas hart braten oder brennen“, ſo werden wir uns glücklich ſchätzen, heute die Schneckendeckel weder als Parfüm noch als Medizin gebrauchen zu müſſen. Ein viel wichtigerer und intereſſanterer Gegenſtand, welcher ſich an die Naturgeſchichte von Purpura und Murex anknüpft, iſt die Purpurfarbe, über deren Gewinnung und Eigentümlichkeiten eine ganze Litteratur exiſtiert, ohne daß es zu einer genügenden Klar— heit gekommen wäre, bis vor längerer Zeit Lacaze-Duthiers die Angelegenheit durch ſeine ausgezeichneten Unterſuchungen zu einem Abſchluß gebracht hat. Als dieſer Natur— forſcher im Sommer 1858 im Hafen von Mahon mit Hilfe eines Fiſchers allerlei Seetiere Leiſtenſchnecke. — Gewinnung der Purpurfarbe. 385 aufſuchte, bemerkte er, daß ſein Gehilfe ſeine Kleidungsſtücke zeichnete. Er machte die rohen Buchſtaben und Figuren mit einem Stückchen Holz, die Züge erſchienen zuerſt gelblich. „Es wird rot werden“, ſagte der Fiſcher, „ſobald die Sonne wird darauf ge— ſchienen haben.“ Dabei tauchte er das Holz in die zähe Abſonderung des Mantels, den er von einer Schnecke abgeriſſen hatte, und welche ſogleich als Purpura haemastoma zu erkennen war. Der Zoolog ließ auch ſeine Kleider auf der Stelle zeichnen und machte als— bald die weitere Bemerkung, daß bei Einwirkung der Sonnenſtrahlen ſich ein höchſt un— angenehmer und penetranter Geruch entwickelte und eine ſehr ſchöne violette Farbe zum Vorſchein kam. Dies war die Veranlaſſung zu weiteren von dem ſchönſten Erfolge ge— krönten Nachforſchungen, denen wir folgen. Bekanntlich hat man ſchon längſt aufgehört, ſich des von Schnecken gelieferten Pur— purs als Färbemittel zu bedienen. Dagegen wiſſen wir aus den Schriftſtellern der Griechen und Römer, daß die Purpurgewinnung ein großer Induſtriezweig war, und daß nur die Großen und Reichen ſich wegen der Koſtbarkeit des Stoffes den ſtolzen Namen der Be— purpurten (purpurati) beilegen konnten. Heute ſehen wir nur an abgelegenen Inſeln und Küſten einzelne arme Leute ihre Wäſche mit dem unauslöſchlichen Purpur zeichnen, der im Altertum, als die metalliſchen und anderen Farben der modernen Chemie unbe— kannt waren, einen um ſo höheren Wert haben mußte, als ſeine Tinten und ſeine Eigen— ſchaft der Unauslöſchlichkeit eben von der Sonne hervorgerufen und bedingt wurden. Im Anfang des vorigen Jahrhunderts beſchäftigte ſich der berühmte Beobachter der Inſekten, Réaumur, an der Küſte von Poitou mit den Purpurſchnecken. Auch er fand, daß die Subſtanz violett färbe, erkannte aber merkwürdigerweiſe nicht, daß das Hervortreten der Farbe vom Lichte abhänge, ſondern glaubte, daß der Luftzug dabei im Spiele ſei. Ahn— liche und andere Irrtümer begingen andere Schriftſteller, unter deren Mitteilungen ſich ſogar die Angabe findet, daß die Purpurfarbe von einem Fiſche herſtamme, während ein anderer ausſagt, eine von den Hirten gefundene Muſchel gebe ſie. Was die Eigentümlichkeiten der Purpurmaterie angeht, ſo iſt ſie, wenn man ſie aus dem Organe nimmt, worin ſie ſich findet, und welches unten näher beſchrieben werden ſoll, weiß oder blaßgelblich; die einzelnen Arten von Purpura und Muren variieren darin. Den Sonnenſtrahlen ausgeſetzt, wird ſie anfänglich zitronengelb, dann grünlichgelb; dann geht ſie in Grün über und wandelt ſich endlich in Violett, welches mehr und mehr dunkelt, je mehr es der Sonneneinwirkung ausgeſetzt wird. Es hängt von dem Auftragen, alſo von der Menge der Subſtanz ab, welche Farbennüance des Violetts man haben will; der geſchickte Färber hat alſo alle Grade der Schattierungen in der Gewalt. Um die Subſtanz zu erhalten, bedient man ſich am beſten eines etwas ſteifen Pinſels, mit welchem man von der betreffenden Stelle des Mantels ſie abſtreicht, um ſie unmittelbar auf die zu färbenden Stoffe aufzutragen. Lacaze-Duthiers, nicht bloß Zoolog, ſondern auch Künſtler, ſah, daß die Purpurmaterie nach unſeren modernen Erfahrungen ein im höchſten Grade brauchbarer photographiſcher Stoff ſei. Er ſtellte daraufhin eine Reihe ſehr ge— lungener Verſuche an, von denen mir, während ich dies ſchreibe, mehrere Proben vor— liegen. Natürlich hat die Purpurfärbung keine neue Zukunft, allein der Pariſer Zoolog glaubt doch, daß die Übertragung von Photographien mittels des Purpurs auf Batiſte und feine Seidenſtoffe, auf Fächer und andere Luxusartikel wegen der außerordentlichen Zartheit der Tinten der Mühe wert ſei. Wir haben uns nun nach dem Organ umzuthun, in welchem der Purpur abgeſchieden wird. Um mit Bequemlichkeit dasſelbe vor Augen legen zu können, muß man das Ge— häuſe zerſchlagen und das Tier, wie überhaupt jede Schnecke, welche man zerlegen will, herausnehmen. Es bleibt, wie wir geſehen, vollkommen unverſehrt, ſobald der ſich an die Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 25 386 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Spindel anjegende Muskel durchſchnitten iſt. Das Herausziehen aus dem unzerſchlagenen Gehäuſe gelingt nie; die Schnecken laſſen ſich eher den ganzen Fuß und Kopf abreißen. Man ſieht nun am nackten Tiere, wie der Mantelrand ſich über die Nackengegend hinweg— legt. Zur Linken befindet ſich die rinnenartige Verlängerung, durch welche das Waſſer zur Kieme tritt. Hinter derſelben ſieht man ſchon ohne jegliche Präparation die Kieme (a, ſ. unten— ſtehende Abbild.) durchſcheinen, etwas weiter rechts von ihr ein grüngelbliches Band (b). Schneidet man nun, wie in unſerer Abbildung zu ſehen, den Mantel von vorn nach hinten auf, längs der rechten Seite der Kieme, ſo liegen beim Umſchlagen der Mantellappen die Teile, um welche es ſich handelt, zu Tage, wobei auch neben der gelblichen Drüſe der Maſt— darm und neben ihm der Ausführungsgang der Fortpflanzungsorgane zum Vorſchein kommen. Will man die Purpurſubſtanz gewinnen, ſo hat man weiter nichts zu thun, als mit dem ſteifen Pinſel über die gelbliche Drüſe hinzufahren. - Sie allein liefert dieſelbe und iſt mithin mit dem ı Namen Purpurdrüſe zu belegen. Indeſſen macht unſer Gewährsmann darauf aufmerkſam, daß die meiſten, vielleicht alle Schnecken aus dem Mantel eine ſchleimige Flüſſigkeit abſondern können, welche ihrem Urſprunge nach mit der Purpurſubſtanz ſich vergleichen läßt, während nur bei einigen Sippen, den eigentlichen Purpurſchnecken, die Eigenſchaft hinzutritt, unter dem Einfluß des Sonnenlichtes — In Violett überzugehen. Hier kommen alſo kleine Differenzen der chemiſchen Zuſammenſetzung ins Spiel, welche ſo feine ſind, daß ſie in Wort und Ziffer kaum ausgedrückt werden können und nur in der äußerſten Verſchiedenheit des Effektes ſich zeigen. Obſchon wir oben die Farbe, um die es ſich 0 handelt, als ein Violett kennen gelernt, folgen 1 A e ara, wir doch nochmals den Auseinanderſetzungen von a“ Nebenkieme. Natürliche Größe Re Lacaze-Duthiers über die Eigentümlichkeiten derſelben und darüber, was die Alten darunter ver— ſtanden. Dieſe Verſtändigung iſt ſcheinbar ſehr unnötig, indem jedermann eine beſtimmte Farbenvorſtellung hat, wenn er angibt: das und das Ding iſt purpurn. Als der Pariſer Naturforſcher ſeine Zeichnungen und Photographien vorwies, ſagte man: „das iſt Violett, und der Purpur der Alten war rot, der tyriſche Purpur blutrot“. Und wenn man den rö— miſchen Purpur von heute bezeichnen will, ſpricht man von einem lebhaften Rot, „was man herſtellen würde durch einen zinnoberroten Grund, gedeckt mit Karmin“. Mehrere Maler, welche erſucht wurden, die Farbe eines römiſchen Purpurgewandes anzugeben, gingen darin gänzlich auseinander. Da nun die unterſuchten Schneckenarten ohne Ausnahme ein Violett, wenn auch in verſchiedenen Stufen, gaben, ſo kam es darauf an, an der Hand dieſer unumſtößlichen Thatſachen die Nachrichten zu vergleichen, welche in den alten Schriftſtellern über den Purpur aufbewahrt ſind. Da findet ſich denn auch, wie nicht anders zu er— warten, daß ihnen die ganze Stufenleiter von Tinten bekannt war, die ſich zuletzt im Violett fixiert, und daß auch die aus der Miſchung der Stoffe verſchiedener Schnecken— arten und unter der fabrikmäßigen Behandlung gewonnenen Farben, welche man alle unter dem Sammelnamen des Purpurs begriff, nur durch die größere oder geringere Intenſität des Violetts und des Glanzes und ſonſtige die Grundfarbe nicht betreffende Gewinnung der Purpurfarbe. 387 Eigenſchaften voneinander abweichen. Eine beliebte Miſchung war die der Farbſtoffe der Purpura- und der Murex-Arten, welche als Amethyſtfarbe hochgeſchätzt wurde. Es kam jedoch ſehr auf die Mode an, nach welcher die Färber ſich zu richten hatten, und dieſelbe, von dem natürlichen Violett ausgehend, mag vorzugsweiſe auf künſtliche, dem Rot ſich nähernde Varietäten gerichtet geweſen ſein. „In meiner Jugend“, ſagt ein Römer, „war der violette Purpur Mode, wovon das Pfund 100 Denare (85,50 Mark) galt; kurze Zeit darauf der rote tarentiniſche. Dann kam der tyriſche Doppelpurpur, den man das Pfund mit über 1000 Denaren bezahlen mußte.“ Die Doppelpurpur-Gewänder (Dibapha) waren der äußerſte Luxus; ſie wurden zweimal gefärbt und damit ihre Pracht und Koſtbarkeit erhöht. Lacaze-Duthiers kommt, indem er ſeine Unterſuchungen zuſammenfaßt, zu folgendem Reſultat: „Indem ich die Bedeutung des Wortes Purpur als Farbe beſtimmen 1) Purpura haemastoma. 2) Purpura lapillus. Natürliche Größe. wollte, wendete ich mich an die Malerei. Ich beſah Bilder von Meiſtern, ich erſuchte ebenſo geſchickte als unterrichtete Maler, mir den Ton, die Tinte anzugeben, die fie an wenden würden, um purpurne Draperien darzuftellen. Immer gab es große Verlegenheit und Schwierigkeit, jedoch immer ſah ich das Rot vorherrſchen. Ich ziehe die Litteratur der Malerei zu Rate und begegne hinſichtlich des Purpurs derſelben Unſicherheit. Hält man ſich nun aber an die Experimente und die damit verglichenen Nachrichten aus den alten Schriftſtellern, ſo iſt es augenſcheinlich, daß die Maler, welche Purpur malen wollen, den Ton nach den verſchiedenen Perioden ändern müſſen. Je weiter man in das Altertum hinabſteigt, um ſo mehr iſt die vorherrſchende Tinte das Violett; je mehr man ſich hin— gegen der Zeit des Plinius (um 80 nach Chriſto) nähert, um ſo mehr herrſcht Rot vor. Bis zu dem Zeitpunkt aber, wo man ſich nicht mehr des von Schnecken gewonnenen Pur— purs bediente, mußte ganz gewiß der Grundton der Farbe mehr oder weniger violett ſein. „Vergißt man nicht, daß ich auf einigen mit der Purpurſubſtanz der verſchiedenen Schnecken ausgeführten Bildern bläuliche und rötliche Töne und Reflexe erhielt; vergißt man ferner nicht, daß die Alten gar ſehr die ſchillernden Purpurgewänder liebten, ſo wird man bei der Darſtellung von Gewandungen immer auf den verſchieden nüancierten vio— letten Grund Rot und Blau auflegen müſſen, was ſicher jenen lebhaften und ſchillernden Tönen entſprechen wird, von denen Plinius und Seneca ſprechen.“ 25 * 388 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Die Murex-Arten, mit welchen Lacaze-Duthiers ſeine Verſuche anſtellte, waren Murex brandaris, M. trunculus und M. erinaceus, wovon die erſteren im Mittelmeer ſehr gemein ſind, die dritte dem atlantiſchen Küſtengebiete Frankreichs angehört. Im Bau der Farbendrüſe ſtimmen ſie vollſtändig überein. Dasſelbe gilt von den beiden Purpura— Arten, Purpura haemastoma und P. lapillus (ſ. Abbild., S. 387), die erſtere dem Mittel- meer, die andere dem atlantiſchen Gebiete angehörig. Höchſt wahrſcheinlich ſind alle Arten dieſer beiden Sippen mit der Purpurdrüſe ausgeſtattet. Vergleicht man die Beſchreibung, welche Plinius von den zur Färberei gebrauchten Schnecken gibt, ſo ſtellt ſich heraus, daß die Alten unſere heutige Gattung Purpura mit „Buccinum“ bezeichneten, Murex aber mit „Purpura“. Die Purpurfabriken waren über ganz Italien und Griechenland zerſtreut; eine der großartigſten beſtand in Rom, wo aus den Schalen der verbrauchten Tiere der „Monte teſtaceo“ angehäuft iſt. Ich ſelbſt habe im Frühjahr 1867 in Aquileja die Stelle einer alten Purpurfabrik gefunden. Aquileja iſt bekanntlich von den Stürmen der Völker— wanderung ſo heimgeſucht, wie kaum eine andere der berühmten großen Städte des Altertums. Es ſtehen nur noch einige Säulen und Reſte großartiger Waſſerleitungen; die ehemalige Stadt iſt in Weingärten und Ackerfeld verwandelt. Man kann aber auf dieſem Boden buchſtäblich keine Hand Erde aufheben, ohne darin Spuren des einſtigen Beſtandes einer großen Kultur zu entdecken, und ganz maſſenhaft kommen dieſe Dinge zum Vor— ſchein, wenn die Felder tiefer umrajolt werden. Der mir befreundete Güterdirektor in Monaſtero, einem Flecken im Bereiche der zerſtörten Stadt, hatte mir mitgeteilt, daß ſeine Leute bei der tieferen Bearbeitung einer Strecke Feldes unter anderen auch auf große Haufen von Schneckenhäuſern geſtoßen ſeien, es ſei alſo dort wahrſcheinlich der Fiſch- und Konchylienmarkt geweſen. Obgleich ich bei meinem Beſuche das Feld gepflügt und geeggt fand, war jene Stelle an der hellen Farbe der ausgebleichten Schneckenſchalen doch ſchon von weitem zu erkennen. Es gehörten aber die Tauſende von Schalen und Schalentrümmern nur den beiden Spezies Murex brandaris und M. trunculus an, jo daß über den Grund ihrer Anhäufung wohl nicht der geringſte Zweifel aufkommen kann. Zu den murexartigen Schnecken gehört ferner die große Sippe Spindelſchnecke, Fusus. Das Tier hat einen ſehr kleinen Kopf, die Fühler ſtoßen unter einem ſpitzen Winkel zuſammen und tragen die Augen in halber Höhe. Der Fuß iſt auch verhältnis— mäßig klein. Die Spindelform des Gehäuſes verdankt ihre Entſtehung dem langgezogenen ſpitzen Gewinde und dem langen, von der Baſis auslaufenden Kanal. Nur wenige Arten von mittlerer Größe bewohnen die europäiſchen Meere, ſo Fusus antiquus. Wie eine ganze Reihe anderer Weichtiere hält ſich dieſe Art im Norden, nämlich an der ſkandina— viſchen und ſchottländiſchen Küſte, in geringeren Tiefen auf und ſteigt in den ſüdlicheren Teilen des Atlantiſchen Ozeans in immer tiefere Regionen. Johnſton ſagt, daß das Ge— häuſe von Fusus auf den Shetlandinſeln als Lampe gebraucht würde und gibt folgende Beſchreibung ſeines Laiches. Die Laichmaſſe ſtellt in ganzer Größe einen ſtumpfen Kegel von 7½ cm Höhe und 5 cm Breite dar, welcher mit ſeiner breiten Grundfläche an Felſen in tiefem Waſſer angewachſen iſt. Dieſer Kegel beſteht aus einer Anzahl von großen Beuteln, welche durch ein ſtarkes knorpeliges Band (Gurt) auf regelmäßige Art mit— einander verbunden ſind; jede Zelle iſt einigermaßen wie ein Fingernagel geſtaltet, außen konvex und innen konkav, mit einer ſtarken hornigen äußeren Haut, welche an ihrem oberen Rande aufgeſchlitzt iſt; aber die Offnung iſt ſo enge, daß nichts als das Waſſer eindringen kann, welches zum Atmen des jungen Tieres nötig iſt. In dieſer äußeren Fruchthülle und nur loſe damit verbunden liegt ein Beutel von ähnlicher Form, der überall geſchloſſen iſt und aus einer ſo dünnen und durchſichtigen Haut beſteht, daß er dem Einfluß des ſauer— Murex- und Purpura-Arten. Spindelſchnecke. Birnenſchnecke. 389 ſtofflufthaltigen Waſſers kein Hindernis entgegenſetzt. Sein Inhalt iſt anfangs flüſſig und kör— nig; aber bald ſind ſchattige Stellen zu entdecken, und endlich entwickeln ſich in jedem Beutel 2—6 Junge, welche, wenn ihre Zeit gekommen iſt, nur dadurch ins Freie gelangen können, daß der innere Beutel zerriſſen oder aufgelöſt wird. Die Eikapſeln von Fusus norvegicus und Turtoni find einfacher; fie ähneln zuſammengedrückten Flaſchen mit kurzem Halſe. Eine Sippe, von welcher bis vor noch nicht 30 Jahren nur das Gehäuſe bekannt war, iſt die Birnenſchnecke (Pyrula), von der Form ihrer Schale auch wohl Feigen— ſchnecke (Ficus Ficula) genannt. Das Gehäuſe verläuft an der Baſis in einen Kanal, 75 1 ö A m — In 5 e 1 en 1 N N un! 1915 10 ai 100 0 1 Birnenſchnecke (Pyrula decussata). a) von oben, b) von unten. Natürliche Größe. iſt ohne Höcker, hat ein kurzes Gewinde, eine platte Spindel, und ſeine Außenlippe iſt ohne Einſchnitt. Die Arten gehören teils den tropiſchen indiſchen, teils den Küſten Zen— tralamerikas an, wo das höchſt auffallend gebaute Tier von dem däniſchen Naturforſcher Oerſted lebend beobachtet wurde. Betrachtet man das lebende Tier, während es in Be— wegung iſt, von oben (in beiſtehender Fig. a), ſo ſieht man, wie eine breite braune Ein— faſſung, welche mit regelmäßigen lichteren Flecken überſäet iſt, die Schale umgibt und zum Teil bedeckt Man läßt ſich bei oberflächlicher Betrachtung leicht zur Annahme verleiten, daß die Schale wie bei Natica und anderen Gattungen auf einem großen Fuße liegt. Jedoch nicht dieſer umgibt ſo das Gehäuſe, wie man ſich leicht überzeugt, wenn man das Tier umwendet; da zeigt es ſich, daß es der freie Rand des Mantels iſt, der hier eine ganz eigentümliche Entwickelung angenommen hat (Fig. b). Der Mantelrand, welcher bei den Bauchfüßern im allgemeinen nur als ein ſchmaler Saum am inneren Rande der Mündung auftritt, verlängert ſich bei einigen und ſchlägt ſich auf die äußere Schalenfläche um. Bis zu welchem Grade dies geſchehen kann, wird uns weiter unten die Porzellanſchnecke lehren. Auch bei Pyrula hat eine ſolche Entwickelung ſtattgefunden, in dem Maße wie bei den Porzellanſchnecken, aber doch weſentlich verſchieden. Die Ausbreitung iſt nämlich vorzugsweiſe in horizontaler Richtung geſchehen, als ein flacher, muskulöſer und ſehr 390 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. breiter Saum, welcher den Fuß ganz einſchließt und in derſelben Ebene mit ihm liegt. Indem nun dieſer Teil des Mantelrandes ſich eng um den Fuß herumlegt, bildet er gleichſam eine Fortſetzung desſelben und eignet ſich denn auch wegen ſeines ſtarken mus— kulöſen Baues zum Bewegungsorgan: das Tier kriecht mit Hilfe desſelben ebenſogut wie mit dem Fuße. Wir verſäumen keine Gelegenheit, den Leſer auf dergleichen Umwandlungen und Anpaſſungen aufmerkſam zu machen, wo ein Körperteil und Organ ſeinem urſprüng— ichen Zwecke entfremdet und zu neuen Verrichtungen im Dienſte des Geſamtorganismus geeignet worden iſt. Verweilen wir noch etwas bei der Anſicht des Tieres von unten. Der lange, vor— ſtehende Zipfel gehört ebenfalls dem Mantel an und iſt die Rinne, welche das Waſſer zur Kieme leitet. Vor dem faſt vierſeitigen, vorn mit einem Paar zipfelförmiger Anhänge verſehenen Fuße kommt der kleine, kegelförmige Kopf zum Vorſchein. Er trägt die zwei, ebenfalls kegelförmigen Fühler, an deren Außenſeite die Augen ſitzen. Leider haben wir über die eigentliche Lebensweiſe des ſo eigentümlich gebauten Tieres gar keine Nachrichten. Ob es im ſtande iſt, den Mantelrand ganz im Gehäuſe zu bergen, gibt Oerſted nicht an, es geht jedoch aus den erwähnten Verſuchen von Agaſſiz an amerikaniſchen Arten über die willkürliche Waſſeraufnahme in den Körper und die davon abhängige Schwell— barkeit der Gewebe hervor. Einige nun folgende Schneckenfamilien werden als Pfeilzüngler zuſammengefaßt, indem die Zunge zwei Reihen langer, hohler, zuweilen mit Widerhaken verſehener Zähne trägt, deren jeder an ſeiner Baſis mit einem langen Muskelfaden verſehen iſt. Natürlich dienen dieſe Zähne zum Aufſpießen der Nahrung, wie die Zunge aber in dieſem beſonderen Falle eigentlich gebraucht wird, ſcheint noch niemand direkt beobachtet zu haben. Unter ihnen nimmt die Familie der Kegelſchnecken (Conoidea) den erſten Platz ein, nicht nur wegen der Menge der Arten, deren jetzt an 400 bekannt ſein mögen, ſondern auch wegen der Schönheit der Gehäuſe, welche zu den beſonderen Lieblingen der Schneckenhausſammler gehören. Für ein Exemplar des Conus cedonulli wurden einſt 300 Guineen angeſetzt. Das Gehäuſe der Kegelſchnecke iſt allgemein bekannt. Es iſt eingerollt, meiſt verkehrt kegel— förmig. Das Gewinde iſt nämlich ſo kurz, daß es oft nur ganz unmerklich über den hin— teren Teil oder den Umgang der letzten Windung hervorragt. Die Mündung iſt eine ſchmale Längsſpalte mit einfacher geradliniger Außenlippe und oben mit einer Spur von einem Kanal. Dem entſprechend hat das Tier einen langen, ſchmalen Fuß, welcher einen kleinen, ſchmalen nagelförmigen Deckel trägt. Der Kopf iſt klein und ſchnauzenförmig, die Fühler ſind klein und cylindriſch. Nicht weit von ihrer Spitze ſitzen die Augen. Die Atemröhre iſt bald kurz, bald halb ſo lang wie die Schale. Bei den Kegelſchnecken liegen, wie bei den übrigen eingerollten Schnecken (Oliva, Cypraea), die Umgänge jo eng übereinander, daß, wenn dieſelbe die anfängliche Dicke beibehielten, für die Eingeweide nicht hinreichender Platz wäre. Man kann ſich aber an Durchſchnitten und durch Vergleichung älterer mit jüngeren Exem— plaren überzeugen, daß die in den jüngeren Tieren gleich dick angelegten Schalenwände zum großen Teil wieder von beiden Seiten aufgelöſt werden. Von den anatomiſch nach— weisbaren drei Schalenſchichten bleibt nur die innere übrig!. In dem von uns vielfach benutzten und äußerſt reichhaltigen Werke von Johnſton („Einleitung in die Konchyliologie“) iſt die Vermutung ausgeſprochen, daß auch einige Bernhard-Krebſe die Fähigkeit beſäßen, die von ihnen bewohnten Schneckenſchalen aufzulöſen. Dies iſt entſchieden nicht der Fall, ſondern die allerdings ſehr häufig zu beobachtende Zerſtörung der Schalenſubſtanz geht faſt immer von einem Schwamme (Suberites domuncula) aus, welcher ſich auf den von Krebſen bewohnten Schneckengehäuſen anſiedelt. Man vergleiche oben Seite 35. Auch ein aktinienartiger, geſelliger Polyp wirkt auflöſend (S. 42). Pfeilzüngler. — Kegelfhneden. 391 Die Beobachtungen über die in ziemlichen Tiefen, meiſt auf Schlammgrund wohnen— den Tiere ſind ſo ſparſam, daß man nicht einmal weiß, was ſie freſſen. „Sie ſollen ſich von Pflanzen nähren“, ſagt Philippi, „was mit der Bewaffnung ihrer Zunge nicht über— einzuſtimmen ſcheint.“ Rumph gibt von mehreren Arten an, daß fie gegeſſen würden; dasſelbe geſchieht mit dem Laich von Conus marmoratus: „er beſtehet in einem Klumpen, der wie verwirrter Zwirnfaden ausſieht, und iſt weiß, rot, knorpeligt und gut zu eſſen, eben wie das Tier ſelbſt auch“. Derſelbe alte Schriftſteller macht Mitteilungen über artige Schmuckſachen, die aus den genannten und ähnlichen Konchylien in Oſtindien einſt an— gefertigt wurden. „Man ſuchet ſie ſehr häufig zuſammen, um Ringe daraus zu machen, die nicht allein von den indiſchen, ſondern auch holländiſchen Weibern an den Fingern ge— tragen werden. Dieſe Ringe werden mit großer Mühe verfertigt, und zwar ohne Werkzeug. Denn ſie ſchleifen den Kopf der Schale auf einem rauhen Steine ab, bis man inwendig alle Höhlen der Gewinde zu ſehen bekommt. Den Hinterteil der Schnecke ſchlagen ſie dann mit Steinen herunter oder ſägen ihn mit einer dünnen Feile ab. Das Übrige aber wird ſo lange geſchliffen, bis ein Ring daraus wird. Aus jeder Schnecke können nicht mehr als zwei dergleichen Ringe gemacht werden. Dieſe Ringe ſind weiß, glatt und glän— zend wie Elfenbein, denn die ſchwarzen Flecken der Schnecke dringen nicht durch und können abgeſchliffen werden. Etliche - = - machen dieſe Ringe glatt, andere gegelſchnecke (Conus textilis). Natürliche Größe ſchneiden ſie aus, daß ſie mit Körnern und Laubwerk beſetzt ſind; wiederum andere wiſſen ſie ſo künſtlich zu bearbeiten, daß ſie ein erhabenes Häuschen mit einem ſchwarzen Flecken daran laſſen, als ob es ein ordentlicher Ring mit einem eingefaßten Steine wäre.“ Der berühmte Muſchelſammler und Kenner Chemnitz zählt in einem Zuſatze zu dem betreffenden Abſchnitt aus Rumphs Raritätenkammer noch eine Reihe ſeltener Kegelſchnecken ſamt ihren glücklichen Beſitzern auf. Der „mehrgemeldete“ Bürgermeiſter d'Aquet in Delft war damals (1766) der alleinige Beſitzer des „Orangen-Admirals“. Vor dieſem aber war der „Ober-Admiral“ die allervornehmſte Schnecke. Für den „eigentlichen Admiral“ hat man fruchtlos 500 Gulden angeboten. — „Alle dieſe beſchriebenen Tuten ſind nun vom erſten Range, und wenn man ein Kabinett haben will, das wertgeſchätzt wird, ſo muß man vorzüglich dieſe zu beſitzen trachten, wiewohl ſie ſehr beſchwerlich zu bekommen ſind. In— zwiſchen gibt es nicht allein unter den Tuten, ſondern auch unter den anderen Geſchlechtern rare Schnecken.“ Wir entnehmen aus dieſen Proben, wie dieſen fleißigen und durch ihre Sammelwerke nützlich gewordenen Dilettanten der vorigen Jahrhunderte eigentlich jede höhere Weihe abging. Auch dem unſerigen fehlen dieſe nüchternen Krämerſeelen von Natur— freunden nicht, über ihnen aber ſtehen die Millionen, welche mit der Kenntnis der Natur— produkte ſich auch das Verſtändnis zu erringen ſuchen. Und das iſt der Fortſchritt, den die Menſchheit ſeitdem auf dieſem Gebiete gemacht hat. Faſt noch artenreicher iſt eine zweite Sippe der Pfeilzüngler (Pleurotoma), deren Schale ein langes Gewinde und als charakteriſtiſches Kennzeichen einen geſpaltenen Außen— rand der Mündung beſitzt. 392 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Die noch übrigbleibenden, durch einen Atemſipho ausgezeichneten Kammkiemer haben wiederum, wie jene Reihe der Kammkiemer ohne Atemröhre, eine langgeſtreckte Reibe— membran der Zunge mit ſieben Zähnchen oder Platten in jeder Reihe und ſind daher Bandzüngler. Darunter bildet die Porzellanſchnecke (Cypraea) den Stamm einer der wichtigſten, ja, „mit Berückſichtigung der volkswirtſchaftlichen Bedeutung der Kauris“, der wichtigſten aller Schneckenfamilien. Die Tiere dieſer und der benachbarten Sippen haben einen ziem— lich dicken Kopf mit langen, ſchlanken, einander genäherten Fühlern, an deren Grunde außen auf einem Höcker die Augen ſitzen. Der Mantel iſt auf beiden Seiten ſehr weit ausgebreitet und kann ſo umgeſchlagen werden, daß er das Gehäuſe größtenteils oder ganz bedeckt. Demſelben wird dadurch ein beſonderer Glanz verliehen, der ſie, in Verbindung mit der teils ſehr lebhaften und bunten, teils ſehr zarten Färbung zu den in erſter Reihe beliebten Gattungen der Sammlungen gemacht hat. Wir laſſen die eingehende und treffende Schilderung Pöppigs folgen. „Vielleicht genießt keine Konchyliengattung eine ſo alte und allgemeine Beliebtheit wie dieſe, mag nun ihre Häufigkeit oder wirklich große Zierlichkeit den Grund abgeben. In allen Erdgegenden, und ſelbſt bei ſehr rohen Völkern, begegnet man ihr als Zierat der Wohnungen oder der Perſonen, und einige ihrer Arten gelten durch uralte Übereinkunft in manchen Ländern als Scheidemünze. Solche Gunſt verdienen die Gehäuſe dieſer Schnecken aus mehreren Gründen; ſie gefallen durch feine Abrundung, nehmen leicht eine ſpiegelnde Politur an, geben an Härte dem Marmor nicht nach und leuchten in lebhaften Farben. Auch unter dem wiſſenſchaftlichen Geſichtspunkte erregen fie Aufmerkſamkeit, denn ſie verändern in verſchiedenen Lebensaltern ihre Geſtalt im auf— fälligſten Maße und ſollten, wie man ehedem glaubte, nach ganz eigentümlichen Geſetzen ſich vergrößern. Von den Altersverſchiedenheiten laſſen mindeſtens drei Stufen ſich nach— weiſen. Ganz junge Gehäuſe ſind glatt, einfach grau gefärbt, höchſtens mit drei undeut— lichen Querbinden verſehen. Ihr Spindelrand iſt nach oben glatt und gewölbt, nach unten konkav, der Außenrand dünn. In etwas reiferem Alter ſchwellen beide Seiten des Mund— ſaumes ſo viel an, daß ſchon der Gattungscharakter unterſcheidbar wird; zugleich hat dann der Mantel große ſeitliche Ausbreitungen erhalten, die ſich nach oben über dem Gehäuſe zuſammenlegen und eine mit Kalk gemiſchte Schleimſchicht ablagern, die zur oberen, nun ganz verſchieden gefärbten Schleimſchicht verhärtet. Die letztere hat aber nicht die Dicke, die ſie an dem vollendeten Gehäuſe zeigt; auch fehlen in dieſer Periode dem noch etwas klaffenden Mundſaume die Querfalten. Die im dritten Zeitraume ſtehenden, alſo ganz aus— gebildeten Gehäuſe erkennt man an der Annäherung der ſtark gefalteten Seiten des Mund— ſaumes aneinander, an der Dicke der durch den umgeſchlagenen Mantel aufgetragenen oberen Schalenſchicht, endlich an einem heller gefärbten, über den Rücken der liegenden Konchylie hinlaufenden, oben und unten die Mündung erreichenden Streifen, der wohl die Stelle bezeichnet, wo die umgeſchlagenen Mantellappen ſich mit ihren Rändern berührten, und der an jüngeren Gehäuſen nie gefunden wird. Bei Arten, die in größten Mengen aus wärmeren Meeren zu uns gebracht werden, finden fleißige Sammler es nicht ſchwer, ganze Reihen von Exemplaren zur Darlegung dieſes Bildungsganges zuſammenzubringen. „Eine andere, gerade nicht ungewöhnliche, aber mißverſtandene Erſcheinung veranlaßte die älteren Forſcher zu dem Glauben, daß entweder die Schalenvergrößerung bei den Cypräen nach ganz anderen Geſetzen geſchehen müſſe als bei anderen Weichtieren, oder daß die Schale wohl gar periodiſch abgeworfen werde wie der Hautpanzer eines Krebſes. Wenn man die Mündungsſeite einer Porzellanſchnecke betrachtet, ſo drängt ſich von ſelbſt der Gedanke auf, daß hier die Vergrößerung des Gehäuſes nicht in gewöhnlicher Weiſe, d. h. durch Bildung eines neuen Umganges aus der vergrößerten Außenlippe, geſchehen könne, denn Bandzüngler. — Porzellanſchnecke. Tiger-Porzellanſchnecke. 393 diefe iſt nicht allein beinahe rechtwinkelig über die Mündung hinüber und gegen den Spindelrand gebogen, ſondern auch nach innen umgerollt. Träte hier Vergrößerung ein durch Ablagerung entlang dem Rande, ſo müßte notwendig in kurzer Zeit die Mündung ver— ſtopft werden. Da man nun von derſelben Spezies ziemlich kleine Gehäuſe mit ausgebil— detem Mundrande beſaß und ſie, weil man die eigentlichen Zeichen der Altersverſchieden— heit nicht kannte, für jüngere hielt, ſo kam man, um das ſonſt unbegreifliche Wachstum zu erklären, auf die Annahme, daß das Tier periodiſch den ganzen Mundſaum auflöſe, einen neuen Umgang ablagere, einen neuen Mundſaum herſtelle und ſo zur gewöhnlichen Normalgröße des Gehäuſes gelange. Früher ſchon hatte man den Gedanken an das Heraus— ſchlüpfen des Tieres aus dem zu eng gewordenen Gehäuſe fallen laſſen. Allein ſowohl die eine als die andere Vermutung iſt unrichtig. Man hatte bei ihrer Aufſtellung ganz ver— geſſen, daß unter allen organiſchen Weſen, den Pflanzen ſowohl als den Tieren, bei einer und derſelben Spezies es ſowohl große als kleine Individuen gäbe, Unregelmäßigkeiten, die man zwar nicht zu erklären vermag, deren Vorkommen aber bei allen niederen Tieren und zumal bei den Mollusken außer allem Zweifel ſteht. Eine Tiger-Porzellanſchnecke von 2 Zoll Länge iſt, wenn anders die Mundränder genähert, umgerollt und quer gefaltet ſind, ebenſo eine erwachſene wie eine doppelt ſo große; ſie wird leben, aber ihr Gehäuſe nicht vergrößern, indem ſie ſelbſt die ihr individuell zukommende Größe erreicht hat.“ Die Aufklärung, daß der Wulſt der Mündung erſt nach vollendetem Wachstum ſich bildet, hat ſchon Rumph gegeben, deſſen Beſchreibung der Tiger-Porzellanſchnecke (Cypraea tigris) nebſt allgemeineren Bemerkungen über die Sippe und ihre Benutzung wir zur Vervollſtändigung des Obigen mitteilen. Wenn er von Weibchen ſpricht, ſo macht er „nur dieſen Unterſchied inſoweit und in dem Verſtande, weil man die leichteſten und glatteſten Schneckenſchalen gleichſam vor Weibchen zu halten pfleget“. Es heißt: „Es iſt dieſe Schnecke die größte und ſchönſte ihres Geſchlechtes, denn ſie iſt faſt ſo groß wie eine kleine Fauſt und hat einen ſehr runden und glatten Rücken, welcher recht dicht mit ſchwarzen Tropfen, unter welchen ſich auch kleinere braune und gelbe befinden, beſetzt iſt und über die ganze Länge einen goldgelben Strich hat, welcher ſich jedoch nicht an allen befindet. Je mehr nun dieſe ſchwarzen Tropfen einander gleich ſind, in je höherem Werte wird auch dieſe Schnecke gehalten. — Wenn die Porzellanen aus der See kommen, ſo glänzen ſie wie ein Spiegel; was den Bauch oder das Unterteil der Schnecke betrifft, ſo iſt der— ſelbe zwar nicht ſehr flach, jedoch ſo eben, daß ſie darauf liegen kann, ſonſt aber ſehr weiß und glänzend. Von dem Tiere bekommt man nichts als einen dünnen Lappen zu ſehen, welcher faſt auf die nämliche Art wie die Schale geſprenkelt iſt, nämlich mit ſchwarzen, braunen und gelben Tropfen, auf welchen ſich weiße Körnchen befinden. Die, welche man für das Weibchen hält, iſt von dünner und leichter Schale, welche faſt ihre vollkommene Größe erhält, ehe ſich die eine Lippe der Mündung, die ſcharf und ſo dünn wie Perga— ment iſt, umwickelt. Dieſe Schale iſt recht ſchön mit ſchwarzer, blauer und gelber Farbe gezeichnet, und je mehr ſie blau ſind, je höher werden ſie geſchätzt. Man findet ſie an ſolchen Stranden, die einen weißen Sand haben, auf welchem große Klippen einzeln liegen. Sie halten ſich mehrenteils unter dem Sande verborgen; denn alles, was von der Schale aus dem Sande hervorragt, wird rauh und matt von Farbe. Wenn aber der Mond neu oder voll iſt, alsdann kriechen ſie aus dem Sande hervor und hängen ſich an die Klippen. Man hat viele Mühe, das Tier alſo herauszubringen, daß die Schale ihren ſchönen Glanz behält. Der ſicherſte Weg iſt, daß man die Schnecke in heißes Waſſer wirft. Da— nach muß man vom Fleiſche ſo viel wie möglich herausziehen und alsdann die Schale an einen ſchattigen Ort hinlegen, damit die Ameiſen das übrige herausfreſſen. Alle zwei oder drei Jahre muß man dieſen Schneckenſchalen, wie man es zu nennen pflegt, zu trinken geben, 394 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. das iſt: man muß fie ½ Tag in Salzwaſſer legen, hernach mit friſchem Waſſer abwaſchen und in der Sonne trocken werden laſſen.“ Rumph erzählt ferner, daß dieſe und andere Porzellanſchnecken nur von den ärmſten Volksklaſſen auf Kohlen gebraten und gegeſſen würden, daß aber ihr Genuß oft von übeln Folgen begleitet ſei. Die Eingeborenen hätten die Regel, daß alle glatten und glänzenden und die rot gefleckten Schnecken ſich nicht zur Speiſe eigneten, daß hingegen alle rauhen und ſtachligen eine gute Koſt gäben. Die wichtigſte Art ihrer Sippe iſt die COypraea moneta, Kauri. Dieſe Porzellan: ſchnecke iſt weißlich oder gelblich, breit eiförmig, ſeitlich am Hinterende mit vier ſtumpfen Höckern. Sie wird 1½— 2 em lang. In größter Menge kommt fie an den Malediviſchen Inſeln vor, wo ſie, nach älteren Angaben, zweimal im Monat, drei Tage nach dem Neu— mond und drei Tage nach dem Vollmond eingeſammelt wird. Sie dürfte wohl auch an den Kauri (Cypraea moneta). Natürliche Größe. übrigen Tagen des Monats zu haben ſein. Von da aus wird ſie teils nach Bengalen und Siam, vorzugsweiſe aber nach Afrika verſchifft. Der Hauptſtapelplatz für den afrika— niſchen Kaurihandel iſt Sanſibar. Von der Oſtküſte Afrikas gehen ſeit Jahrhunderten große Karawanen mit dieſem Artikel, der Geld und Ware iſt, nach dem Inneren. Ganze Schiffsladungen wiederum werden von europäiſchen Schiffen von Sanſibar abgeholt und an der Weſtküſte gegen die dortigen Produkte, Goldſtaub, Elfenbein, Palmöl, ausgetauſcht. Über den erſtaunlichen Verkehr mit dieſem Gelde in den Negerreichen Innerafrikas gibt unter anderen Barths berühmtes Reiſewerk vielfach Nachricht. In Gure hatten 700,000 Stück den Wert von 990 Mark, alſo etwa 2120 den von 3 Mark, und es beliefen ſich die Einkünfte des Herrſchers auf 30 Millionen Muſcheln. Ihr Wert iſt natürlich dem Kurs unterworfen und hängt von der Zufuhr und der Entfernung ab. Gewöhnlich ſind ſie zu Hunderten auf Schnüre gereiht, um das Zahlgeſchäft zu verkürzen. An manchen Orten iſt dies jedoch nicht Mode und müſſen die Tauſende einzeln abgezählt werden. Nach den Angaben in Beckmanns 1793 erſchienener Warenkunde war, ſolange die Holländer Ceylon beſaßen, dies der wichtigſte Stapelplatz für die Kauris, von wo ſie in Körben, in Ballen von je 12,000 Stück oder für Guinea in Fäſſern verſendet wurden. Eine Zeitlang wurde mittels der Kauris der ganze afrikaniſche Sklavenhandel betrieben, indem für 12,000 Pfund 500—600 Sklaven eingekauft werden konnten. Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts Kauri. Eiſchnecke. Kinkhorn. 395 hatte ſich der Preis ſchon verdoppelt, und ſind dann, als die Küſtendiſtrikte mit dem Muſchelgelde überſchwemmt waren, andere Tauſchobjekte an deſſen Stelle getreten. Wir erwähnen noch die nächſt verwandte Gattung, die Eiſchnecke (Ovula). Das Tier iſt ganz wie bei Cypraea beſchaffen: das Gehäuſe eingerollt, an beiden Enden zu— geſpitzt und in einen Kanal ausgezogen. Von Ovula oviformis, mit ſchneeweißer, inwen— dig violetter Schale, einer der größten Arten, teilt Rumph mit, daß ſie bei den Bewoh— nern der Inſel Korea in hohen Ehren ſteht. Nur die Vorfechter und diejenigen Krieger, welche einige Köpfe ihrer Feinde aufweiſen konnten, durften das Gehäuſe um den Hals oder im Haarſchopfe tragen. Auch wurden die Schilde damit verziert. Die von den älteren Konchyliologen gewöhnlich mit den Stachelſchnecken vereinigten Tritonshörner weichen nicht nur in dem Bau der Zunge, ſondern auch in der Bildung des ganzen Kopfes von jenen ab. Ihr Kopf iſt nämlich groß und tritt zwiſchen den Fühlern hervor. Dieſe ſind lang und kegelförmig und tragen die Augen außen, ungefähr in der halben Länge. Aus der Mundſpalte unterhalb des Kopfes kann das Tier einen ziemlich langen Rüſſel herausſtrecken. Das Gehäuſe ähnelt inſofern denen der Stachelſchnecken, als es unten in einen Kanal verlängert iſt. Es iſt mit dornenloſen Höckern beſetzt, welche entweder abwechſelnd auf den Windungen oder auch, aber ſeltener, einzeln ſtehen. Von der Hauptſippe, Kinkhorn, Trompetenſchnecke (Tritonium), lebt das große Trito- nium nodiferum im Mittelmeer. Es iſt die Buceina der Alten, von welcher es heißt: Buccina jam prisccs cogebat ad arma Quirites. (Die Buccina rief ſchon die alten Quiriten zu den Waffen.) Auch andere, größere Arten wurden und werden noch als Kriegstrompeten gebraucht, na— mentlich Tritonium variegatum. Was Rumph über dasſelbe mitteilt, iſt von den Neueren nicht überholt worden. „Die größten Schnecken dieſer Art find über 1⅛ Schuh lang und 6—7 Zoll hoch. Ihre Spitze iſt mehrenteils etwas abgebrochen, auch iſt die Schale mit weißen und roten groben Grießkörnern beſetzt, welche man erſt mit Scheidewaſſer erweichen und alsdann mit einem Meſſer abkratzen muß. Dieſe Schnecken werden unter die vor— nehmſten Raritäten gerechnet, und wenn ſie rein ſind, ſo gelten ſie ſogar auf dieſen Inſeln gemeiniglich drittehalb Gulden. An der Inſel Amboina findet man ſie ſelten, mehrenteils kommen ſie von den ſüdöſtlichen Inſeln. Ihr Aufenthalt iſt die Tiefe des Meeres, und zu— weilen kriechen ſie auch in die Fiſchreuſen. Die Alphoreſen, die wilden Bewohner der Inſel Korea, gebrauchen dieſe Schnecken ſtatt der Trompeten, indem ſie in dem mittleren Ringe eine Offnung machen, durch welche fie blaſen. Man hat dieſen Schnecken den Namen Kink— hörner gegeben, weil ſie kinken (klingen) oder ſauſen, wenn man ihre Mündung an die Ohren hält, und die gemeinen Leute machen einander weis, daß dieſes Sauſen eben ein Zeichen der Echtheit wäre, weil man gleichſam das Brauſen der See in denſelben hört.“ Was nun dieſe Eigenſchaft des Kinkens angeht, ſo iſt ſie keineswegs auf unſere Schnecken beſchränkt. Alle halbwegs größeren Schneckenhäuſer geben einen guten Reſonnanzboden ab für den verſchiedenartigſten Lärm, während bei abſoluter Stille auch das Tritonium variegatum die Schallwellen nicht zurückwerfen kann und nicht ſauſt. Welche Rolle die Tritonshörner auf den Bildern, den Statuengruppen und Reliefs der Rokokozeit ſpielten, iſt männiglich bekannt. Wer kennt ſie nicht, die pausbäckigen Tri— tonen, auf Delphinen reitend im Gefolge der ſchönen Meeresgöttin Galathea? Wer hat nicht einen, im Geſchmack jener glücklich überwundenen Zeit angelegten Park mit ſeinen Grotten beſucht, wo die wirklichen Kinkhörner und andere große Schnecken- und Muſchel— gehäuſe zwiſchen Korallen und Tropfſteingebilden eingefügt ſind? 396 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Die Sippe der Faßſchnecken Dolium) iſt in mehrerer Beziehung intereſſant. Das Gehäuſe iſt dünnſchalig, bauchig, oft beinahe kugelig, die Mündung davon weit, unten ausgeſchnitten, nicht in einen Kanal verlängert; die Außenlippe meiſt verdickt und in der ganzen Länge gekerbt. Das Tier hat einen länglich-eiförmigen, großen und dicken Fuß, der vorn etwas geöhrt iſt und von dem Tier durch die Aufnahme einer großen Quantität Waſſer ſtark aufgebläht werden kann. Der Kopf iſt flach und breit und zwiſchen den Fühlern beinahe geradlinig. Dieſe ſind lang und tragen die Augen außen auf ihrem verdickten Grunde. Die Atemröhre iſt dick, ziemlich lang und wird über die Schale zurückgeſchlagen ab 5 Tonnenſchnecke (Dolium perdix). Y3 natürl. Größe. getragen. Auch der Rüſſel iſt ſehr groß und dick. Alle Arten, mit Ausnahme einer ein: zigen, bewohnen die ſüdlichen Meere. Dieſe eine aus dem Mittelmeer, das Faß (Dolium galea), iſt die größte Schnecke dieſes Gebietes. Sie gab Veranlaſſung zu einer ſehr merk— würdigen Entdeckung. Als Profeſſor Troſchel in Meſſina mit zoologiſchen Forſchungen be— ſchäftigt war, brachte man ihm ein lebendes großes Exemplar der Faßſchnecke, welches, gereizt, ſeinen einen halben Fuß langen Rüſſel ausſtülpte und alsbald aus der Mundöffnung einen Strahl einer waſſerklaren Flüſſigkeit 1 Fuß weit hervorſpritzte. Zu ſeinem höchſten Er— ſtaunen nahm Troſchel wahr, daß der Kalkſtein des Fußbodens mit der Flüſſigkeit auf— brauſte, daß der vermeintliche Speichel alſo eine ſcharfe Säure war. Es hat ſich ergeben, daß in der Flüſſigkeit 3 —4 Prozent freie Schwefelſäure und 0,3 Prozent freie Salzſäure enthalten ſind, und daß dieſe Säuren aus einer neben der eigentlichen Speicheldrüſe liegenden beſonderen Drüſenabteilung ſtammen. Dieſe Säuren dienen jedoch nicht etwa bei der Verdauung zur Auflöſung des mit der Nahrung aufgenommenen Kalkes; auch iſt es nach vielen von Panceri in Neapel angeſtellten Verſuchen unwahrſcheinlich, daß ſie ein Verteidigungsmittel ſind. Vielmehr ſcheint die Drüſenflüſſigkeit ein bloßes, zur Ausſcheidung aus dem Körper beſtimmtes Produkt zu ſein. Der genannte neapolitaniſche Zoolog hat gezeigt, daß noch eine Reihe anderer Schnecken der Gattungen Cassis, Cassi- Faßſchnecken — Faß. Tonnenſchnecke. — Helmſchnecken. 397 daria und Tritonium dasſelbe Schwefelſäureorgan beſitzen. Die Sache iſt phyſiologiſch höchſt intereſſant, aber noch keineswegs hinlänglich aufgeklärt. Der bekannte öſterreichiſche Konſul und Sprachforſcher, Dr. G. von Hahn, hat in ſehr ingeniöſer Weiſe wahrſcheinlich zu machen geſucht, daß unſere Faß- oder Tonnen— ſchnecke das Vorbild für die ſpiraligen Ornamente der ioniſchen Säule geweſen ſei. „Ebenſo gut“, ſagt er, „wie heutzutage neapolitaniſche Fiſcher aus dem Muſchel- und Schnecken— werke ihres Strandes ſchöne Feſtons zu verfertigen und damit an hohen Feſttagen ihre Kirchen zu ſchmücken verſtehen, dürften wohl auch ſchon im Altertum die Küſtenbewohner zu den zierlichen Erzeugniſſen ihres Strandes gegriffen haben, wenn es die an dieſem ge— legenen Heiligtümer ihrer Götter zu ſchmücken galt. Unter dem Muſchelwerke des Mittel— meeres zeichnet ſich aber die ihm eigentümliche Tonnenſchnecke nicht nur durch ihre Größe aus, denn ſie erreicht mitunter die Größe eines Menſchenkopfes, ſondern auch durch die große Schönheit ihres Gewindes und deſſen Rippen.“ Die Hauptreſultate der intereſſanten Vergleichung der Kunſtform mit dem Naturprodukt ſind, daß das Gewinde der Tonnen— ſchnecke ſowohl in der Zahl ſeiner Umgänge als in der Konſtruktion ſeiner Spirale der ſogenannten Volute des ioniſchen Kapitäls entſpricht, daß mit der inneren Seite des Außen— randes des Gehäuſes ſich die über den Kanal des ioniſchen Knaufes laufenden Verbindungs— kurven beider Voluten wenigſtens annähernd herſtellen laſſen, daß die konvexen Rippen der Außenſeite des Gehäuſes ſich auf der inneren Seite in Kannelüren verwandeln, welche große Ahnlichkeit mit den Kannelüren des ioniſchen Säulenſchaftes haben, und daß ſogar ihre Anzahl annähernd der Anzahl der ioniſchen Säulen entſpricht. Mit den Dolien teilen die Helmſchnecken oder Sturmhauben (Cassis, ſ. Abbild., S. 398) die Familieneigentümlichkeiten des großen Fußes mit ſeitlichen Ausbreitungen, des ſehr langen Rüſſels, der wie auf kleinen Stielen am Grunde der Fühler ſtehenden Augen und andere. Der Mantel der Sturmhauben bildet einen ſchleierförmigen Fortſatz über den Kopf und verlängert ſich in eine lange, zurückgeſchlagene Atemröhre. Das Gehäuſe iſt, nach dem konchyliologiſchen Ausdruck, aufgeblaſen, mit kurzem, ſpitzem Gewinde. Die Mündung iſt gewöhnlich eng und linealiſch, unten mit einem kurzen, plötzlich auf den Rücken gebogenen Kanal. Die Innenlippe zeigt einen ſtark entwickelten Umſchlag, welcher am Spindelrande gerunzelt oder gefaltet iſt; die Außenlippe iſt außen verdickt, innen häufig gezahnt. Daß auch bei dieſen Schnecken wie bei den Cypräen das Wachstum mit einer Auflöſung der früher gebildeten Lippenwülſte ſtattfinden kann, wie wir oben ausführlicher mit Pöppigs Worten auseinandergeſetzt, hat ebenfalls ſchon Rumph beobachtet. „Da die neu an— wachſenden Windungen“, heißt es bei ihm, „ſich über die alte Lippe anſetzen, ſo muß das Tier notwendig durch eine natürliche, doch wunderbare Eigenſchaft alles, was ihm im Wege iſt, wieder wegſchaffen oder ſolches durchfreſſen können. Man kann dies gar deutlich ſehen, wenn man die Schnecke entzweiſchlägt, denn man nimmt alsdann am inneren Teile der Windungen nichts als lauter kleine Merkmale der alten Lippe wahr, welche an dem äußeren Teile der Windungen deutlich zu ſehen ſind.“ Die Arten, unter denen ſich Cassis cornuta durch Größe, Dicke und Schwere der Schale auszeichnet, leben meiſt in geringeren Tiefen in der Nähe des Strandes auf Sandgrund, wo ſie ſich, den verſchie— denen Muſcheln nachſtellend, ganz oder faſt ganz eingraben. Für die in den Raritäten— kabinetten aufzuhebenden Stücke empfahl man nur ſolche Exemplare, welche ganz im Sande eingegraben waren, da dieſelben, „ſoweit ſie mit dem Rücken aus dem Sande hervorragen, ſie mit Seeſchlamm bewachſen und unanſehnlich ſind“. 398 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Mit Aporrhais find wir zu denjenigen zwei Familien gelangt, welche man früher bei alleiniger Berückſichtigung des Gehäuſes Flügel ſchnecken nannte, welche jedoch, wie ſich gleich zeigen wird, in den Weichteilen weſent— lich verſchieden ſind. Das Gehäuſe der wenigen Arten von Aporrhais, von welchen jedoch A por- rhais pes pelicani, der Pelikansfuß, in den europäiſchen Meeren ſehr gemein, iſt ſpindel— förmig und geht am Grunde in einen Kanal oder vielmehr in einen breiten gefurchten Zipfel aus. Auch bei dieſer ſo— wie bei den folgenden Gattungen und über— haupt allen Flügelſchnecken iſt die jugendliche Geſtalt des Gehäuſes ſehr verſchieden von der fertigen. Die Außenlippe iſt anfangs ganzrandig; erſt nach und nach entwickeln ſich die verſchiedenen Flügel, Fortſätze und Finger mit ihren Furchen und Umſchlägen. Das Tier unſerer Schnecke hat den Kopf in eine flachgedrückte, vorn ausgerandete Schnauze ver— längert. Die langen, fadenförmigen Fühler tra— gen die Augen außen auf einem Höcker. Der Fuß iſt klein, aber ganz zum Kriechen einge— richtet, beiderſeits abgerundet. Der Mantel des vollſtändig ausgewachſenen Tieres iſt nicht ſehr erweitert und, wo die Schale Finger hat, nur in Zipfel vorgezogen, jedoch vermutlich zu der Zeit, wo dieſe Schalenteile gebildet werden, ſtärker entwickelt. Von den Gattungen Strombus und Pte— rocera, den eigentlichen Flügelſchnecken, iſt das Tier ſehr ſonderbar geſtaltet. Der Fuß — ——. — \ it faſt unter einem rechten Winkel geknickt, Belitansfuß (Aporrkais pes pelicanl. Natürl. Größe. etwas zuſammengedrückt, am Rande gerundet, ſein vorderer Teil kürzer, ausgerandet, der hintere ſehr lang, am Ende mit einem beinahe ſichelförmigen hornigen Deckel, welcher die Mündung nicht verſchließen kann. Wegen der Beſchaffenheit des Fußes können die Tiere daher nicht kriechen, ſondern ſie ſpringen, d. h. ſie ſchieben den hinteren Fußteil unter den vorderen und ſchnellen ſich dann in die Höhe. Eine ſehr anſchauliche Be— ſchreibung dieſes Organes gibt Rumph. „Es iſt ein beſonderes Kennzeichen dieſes Ge— ſchlechtes, daß ſie an der Mündung ein langes Beinchen haben, welches der Farbe und der Geſtalt nach einem Meeronyx (d. h. Deckel) gleicht. An der äußeren Seite iſt es ſcharf gezackt, unten zugeſpitzt und oben an einem harten Fleiſch, ſo einem Händchen gleich ſieht, befeſtigt. Hiermit vollbringt das Tier nicht allein ſeinen Gang und ſtößt ſich damit von Sturmhaube (Cassis glauea) Kleines Exemplar. — Pelikansfuß. Flügelſchnecken. Teufelsklaue. 399 einer Stelle zur anderen fort, ſondern ficht auch damit, als mit einem Schwerte, meiſter— lich, und ſtößt alles, was ihm im Wege iſt, damit weg.“ Als er einige ſeiner ſogenannten „Fechter“ (Pugiles) mit anderen Schnecken in eine Schüſſel legte, wurden dieſe bald durch die ungeſtümen Bewegungen der Fechter hinausgeworfen. Er gibt auch an, daß dieſe bei Amboina gemeine Art von den Eingeborenen zwar gegeſſen werde, aber bei häufigerem Genuſſe einen übeln, bockartigen Schweißgeruch verurſache. Doch kehren wir zur allgemeinen Beſchreibung der Flügelſchnecken zurück. Der Kopf trägt zwei dicke, cylindriſche Stiele, an deren Enden die meiſt überaus großen, lebhaft gefärbten Augen ſitzen, während die Fühler auf der Innenſeite dieſer Stiele in Geſtalt dünner Fäden entſpringen. Zwiſchen den Augen iſt der Kopf in eine lange, nicht zurückziehbare Schnauze verlän— gert. Der Mantel iſt groß, aber ſehr dünn und hat meiſt ein fadenförmiges Anhängſel, welches im oberen Kanal der Schalenmündung liegt. Das Gehäuſe der Strombus-Arten endet unten in einem kurzen Kanal, die Mündung iſt linealiſch. Die Außen: lippe iſt gewöhnlich flügelartig aus— gedehnt, kann oben in einen Lappen ſich verlängern, iſt jedoch nie mit langen Fortſätzen oder Fingern verſehen. Die ſämtlichen (über 60) Arten gehören den tropiſchen Meeren an. Eine der ge— meinſten, Strombus gigas, wird ſo maſſenhaft aus Weſtindien gebracht, daß man nicht ſelten die Gartenbeete = damit eingefaßt findet; häufig auch iſt Flügel ſie als Ampel und Blumenvaſe benutzt. Die Schale erreicht eine Länge von 1 Fuß und wird über 4, Pfund ſchwer. Um zu ver: ſtehen, wie das Tier trotz dieſer Bürde ſeine hüpfenden Bewegungen auszuführen vermöge, wolle man nicht vergeſſen, was wir ſchon einmal bei Gelegenheit der ſchwer bepanzerten Krebſe erinnert, daß die Gewichtsverhältniſſe im Waſſer ſich gänzlich zu gunſten der ſich darin aufhaltenden Lebeweſen ändern. Von Strombus weicht Pterocera, darunter die Teufelsklaue, nur in der Geſtalt des Gehäuſes ab, indem die Außenlippe, wenn das Gehäuſe ausgewachſen, unten eine ſehr deutliche Bucht und einen gefingerten Flügel zeigt, deſſen Finger anfangs rinnenförmig, zuletzt geſchloſſen ſind. chnecke (Strombus leutiginosus). Natürliche Größe. Die nun folgende Unterordnung hat Troſchel nach der Beſchaffenheit der Reibeplatte Fächerzüngler (Rhipidoglossa) genannt. Es laſſen ſich ſtets mehr als ſieben Längs— reihen der Platten oder Zähnchen unterſcheiden, und außerdem ſchließen ſich an jede Quer— reihe jederſeits noch zahlreiche ſchmale Blättchen an, welche fächerförmig nebeneinander liegen. Auf dem Rücken liegt eine große Atemhöhle, welche die aus zwei Blättern beſtehende Kieme enthält. Schale und Fuß ſind ſehr verſchieden geſtaltet, doch hat erſtere immer eine ganzrandige Mündung, ohne Kanal oder Ausſchnitt, und letzterer iſt von beträchtlicher 400 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Größe. Alle hierher gehörigen Tiere ſind Pflanzenfreſſer, welche ſich meiſt an den felſigen Küſten aufhalten. Nur die Familie der Neritiden enthält auch zahlreiche Bewohner des ſüßen Waſſers, fait alle aus der Gattung Nerita. Das Tier hat einen breiten, flachen, verkehrt-herz— förmigen Kopf, auf deſſen unterer Seite der große gefaltete Mund ſitzt, welcher zwei lange ſpitze Fühler trägt. Außen, am Grunde derſelben, ſitzen die Augen auf einem kurzen Stiele. Das Gehäuſe iſt halbkugelförmig, unten flach und ungenabelt, die Mündung ganz und halb kreisrund. Der kalkige Deckel hat innen einen Fortſatz, welcher beim Verſchwinden der Schale hinter den Spindelrand greift. Man hat die im Meere lebenden Arten von den in den Teichen und Flüſſen wohnenden generiſch trennen wollen, allein, wie ſo oft, läuft auch hier die Art- und Gattungsſpalterei auf eine Haarſpalterei hinaus. Nahe an 300 Arten find faſt über die ganze Erde verbreitet. Davon iſt in Mitteleuropa Nerita fluviatilis, die gemeine Schwimmſchnecke, ſehr gemein, ein etwa 8 mm hohes, 10 mm breites Tierchen, welches in Flüſſen und Bächen, Teichen und Sümpfen, an Steinen und Waſſerpflanzen gefunden wird. Ihr buntes, rot oder violett gegittertes Gehäuſe iſt zwar dünn, aber von einer bei unſeren Süßwaſſerkonchylien ungewöhn— lichen Feſtigkeit. Wie bei ſo vielen Tiergattungen, deren Arten im G ſalzigen oder im ſüßen Waſſer vorkommen, gibt es auch von Nerita eine Anzahl Brackwaſſerformen und ſolche, welche in Wäſſern von ſehr ver— en ſchiedener chemiſcher Beſchaffenheit ausharren. Eine bloße Abart der viatilis). Natürl. Größe. Nerita fluviatilis iſt es, welche, Nerita minor genannt, in Unzahl in den Mansfeldiſchen Seen vorkommt. Die auffallende Erſcheinung, welche wir oben von der Entwickelung von Buceinum und Purpura erwähnt, daß nämlich nur wenige Embryonen ſich auf Koſten der zahlreichen gelegten Eier ausbilden, wiederholt ſich auch bei Nerita fluviatilis. In den nur Imm großen kugeligen und mit harter Schale verſehenen Eikapſeln! find 40 —60 Eier enthalten. Nur ein einziges davon entwickelt ſich zu einem Embryo, welcher auf einer ſehr frühen Stufe mit Mund und Speiſeröhre verſehen wird und allmählich die ganze Schar ſeiner nur der Idee nach beſtehenden, in Wirklichkeit aber als Dotterklumpen beharrenden Ge— ſchwiſter aufleckt. Er wird dadurch jo groß, daß er ſchließlich die Kapſel ganz ausfüllt und aus ihr durch Abheben des halbkugelförmigen Deckels austritt. Er iſt während ſeines Eilebens zwar mit einem Velum oder Segel verſehen geweſen, hat aber dieſen Zuſtand, in welchem die meiſten jungen Bauchfüßer noch eine Zeitlang als frei ſchwimmende Lar— ven verbleiben, beim Auskriechen ſchon ganz hinter ſich. Die in den Gewäſſern, namentlich den Flußmündungen Oſtaſiens und Polyneſiens heimiſche Navicella (etwa 18 Arten), welche dort als vikariierende Form für Nerita auf— tritt, verdient unſere Aufmerkſamkeit, weil ſie eine neue Modifikation des Deckels zeigt. Dieſer, von kalkiger Beſchaffenheit, verſieht hier nicht den Dienſt, zu dem er ſonſt beſtimmt iſt, ſondern ſteckt ganz im Fleiſche des Fußes und erinnert ſo gewiſſermaßen an jene Schalen der Nacktſchnecken (Limax), welche zeitlebens in Form einer ſchildförmigen Abſonderung im Mantel verborgen bleiben. * Eine Familie, welche ſchon, wenn auch nicht wie Philippi ſagt, von Anbeginn der Schöpfung, doch in den Schichten unterhalb des Steinkohlengebirges, welche man bisher Sowohl von Nerita fluviatilis als von ausländiſchen Arten (Nerita pulligera) wird angegeben, fie trügen ihre Eier (Eikapſeln) auf dem Rücken. Die erſte ſehr unbeſtimmte Nachricht iſt bei Ru mph zu finden; ſchon O. Fr. Müller ſpricht jedoch ſeine Zweifel darüber aus und meint, es möchte irgend ein anderer Laich geweſen ſein. Der erfahrene Johnſton tritt ihm bei. Gemeine Schwimmſchnecke. Kreiſelſchnecken. Großer Olkrug. Pagode. 401 für die die älteſten Verſteinerungen führenden hielt, angetroffen wird, iſt diejenige der Kreiſelſchnecken. Dieſer Name paßt allerdings nur für diejenigen Gattungen, deren Gehäuſe mehr oder minder deutlich kreiſelförmig iſt, allein die Übergänge von dieſen For: men durch mehr gedrückte zu faſt ganz ſchüſſelförmigen, bei weſentlich gleicher Beſchaffen— heit des Tieres, ſind ſo unterbrochen, daß das Beſchränken der Familie auf jene eine reine Willkür iſt. Allerdings drängt ſich die Notwendigkeit dieſer Verallgemeinerung, wie Phi— lippi nachweiſt, nur bei allſeitiger Berückſichtigung der untergegangenen Arten auf, allein dieſe haben eben für die Auffaſſung und Erkenntnis der Lebewelt genau dieſelbe Geltung wie die noch heute lebenden. Wer alſo in einem größeren zoologiſchen und paläontolo— giſchen Muſeum Gelegenheit hat, die zahlreichen, von Philippi in ſeinem Handbuche auf— geführten Gattungen in möglichſt zahlreichen Arten hinter- und nebeneinander zu ordnen, gewinnt wieder einmal (wie z. B. bei den Heliceen) aus unmittelbarer Anſchauung die Überzeugung, daß die Begrenzung von Familien und Gattungen auf Konvention beruht, wobei oft die unbedeutendſten Zufälligkeiten beſtimmend wirken. Am bequemſten für die Naturforſcher der alten Zeit ſind diejenigen Pflanzen und Tiergattungen, welche ſozuſagen im Laufe der Jahrmillionen ſich konſolidiert haben. Darwin und ſeine Anhänger haben gezeigt, wie man ſich in dieſen Fällen das Verſchwinden von Zwiſchen- und Übergangs— formen zu denken habe. Solche Arten und Gattungen, deren ſcharfe Sonderung nie eine urſprüngliche, ſondern eine allmählich gewordene iſt, gewähren derjenigen Naturbetrach— tung Befriedigung, welche an der Aufſtellung guter Beſchreibungen ſich genügen läßt. Wer aber von der bloß beſchreibenden Auffaſſung der Form und der Lebensweiſe zur tieferen Ergründung des Herkommens und Werdens der Lebensform ſich gedrängt fühlt, dem müſſen gerade diejenigen Formenkreiſe die anziehendſten ſein, innerhalb welcher die Menge und Mannigfaltigkeit durch lauter Übergang vermittelt wird. Darauf haben wir wieder einmal bei dieſer Gelegenheit hinweiſen wollen, ohne, nach den Grenzen unſeres Werkes, an die Ausführung der Vergleichung denken zu können. Von den eigentlich kreiſelförmigen Schnecken kann man mit Oken die Gattung Turbo (Rundmund) nennen. Das Tier hat den Kopf in eine Schnauze verlängert. Auf der äußeren Seite der langen Fühler ſtehen die geſtielten Augen, und zwiſchen den Fühlern ragen zwei Stirnlappen hervor. An jeder Seite des Fußes finden ſich meiſt drei Fäden und häufig noch eine gefranſte Haut. Bei einer Art der Gattung Turbo oder einer ver— wandten aus dem Weißen Meere beobachtete Nikolas Wagner oben auf dem Fuße an jeder Seite ſechs fühlerartige, lange, dünne Anhänge, die an ihrer Baſis Augen trugen. Der Umfang des Gehäuſes iſt ſtets abgerundet, die Offnung beinahe kreisförmig, der Deckel dick und kalkig. Früher waren die Deckel des Turbo rugosus und mehrerer tropiſchen Arten als ſogenannte „Meer-Nabel“ (Umbilicus marinus) in den Apotheken gebräuchlich, namentlich gegen Sodbrennen. Abgeſehen davon, daß manche Arten dieſer pflanzen— freſſenden Schnecken den Menſchen zur Nahrung dienen, ſind die dicken Gehäuſe der grö— ßeren wegen ihrer techniſchen Verwendung nicht unwichtig. Namentlich werden ſie von den Chineſen benutzt, um mit den prächtig perlmutterglänzenden Stücken die lackierten Möbel und Schränke zu belegen. Rumph nennt als eine ſolche Art den großen Olkrug (Turbo olearius), die ſich an den felſigen Küſten der molukkiſchen Inſelwelt in der Brandung geſellig aufhält und daher ſchwer zugänglich iſt. Zu den oben bei den Clauſilien (S. 335) angeführten Beiſpielen von Lebenszähigkeit geſellt ſich der ebenfalls in Oſtindien heimiſche Turbo pagodus, die Pagode oder der papuaniſche Kreiſel. Das Tier hält ſich oberhalb des Waſſerſpiegels an den Klippen auf, wo es nur von der Brandung beſpritzt wird. Rumph erhielt die am Strande von Nuſſanive geſammelten Exemplare über 7 tonate ohne Waſſer und Nahrung lebendig, ein anderes Exemplar lebte nach 1 Jahre Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 26 402 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Einſperrung noch. An dieſe Zähigkeit knüpfte ſich der ſonderbare Gebrauch der Eingeborenen, dieſe Schnecken in ihre Kleiderkaſten zu legen, um, wenn das Tier vor der gewöhnlichen Zeit ſtarb, ein Zeichen zu haben, daß etwas aus den Behältniſſen geſtohlen ſei. Ohne mit dem trefflichen Rumph und ſeinen Zeitgenoſſen die kleinen Arten von Turbo, wie aller der Gattungen, zu denen anſehnliche Arten gehören, für Quisquiliae, d. h. un: nütze Kleinigkeiten, zu halten, mit denen ſich abzugeben nicht die Mühe verlohne, ſtehen wir doch auch hier von weiteren Aufzählungen ab, um Delphinula als eine benachbarte Gattung anzureihen. Es iſt eine Kreiſelſchnecke von flach kegelförmiger Geſtalt mit tiefem Nabel und kreisrunder Mündung. Unſere Spezies zeichnet ſich am Gehäuſe durch Quer— binden mit kurzen Stacheln ſowie lappigen Höckern oben an der Windung aus. Das Tier weicht von den übrigen Kreiſelſchnecken nicht weſentlich ab, beſitzt jedoch weder Stirnlappen noch Seitenfäden. Der kreisrunde dünne Deckel iſt hornig. Noch enger mit Turbo iſt jedoch Trochus, der Okenſche Eckmund, ver: wandt, wie jener ausgeprägt kegel- oder kreiſelförmig, aber mit mehr oder weniger kantigem Umfange, auch iſt die Mündung niedergedrückt, und das bequemſte Kenn— zeichen, die Gehäuſe der beiden Sippen auseinander zu halten, iſt die rauten— förmige Mündung von Trochus gegen die runde von Turbo. Der Arten von N Trochus ſind faſt noch einmal ſo viele Delphinula laciniata. Natürliche Größe. beſchrieben wie von dem anderen, über 200, und zwar aus allen Meeren. Die hübſcheſte der wenigen Arten der europäiſchen Meere iſt Trochus ziziphinus. Die Be— wegungsweiſe dieſes Tieres läßt ſich gut beobachten, wenn man es an der Wand eines Glaſes kriechend mit der Lupe betrachtet. Es gleitet nicht durch wellenförmige, die ganze Sohle zugleich einnehmende Zuſammenziehungen und Drehungen, ſondern durch ſchritt— artiges Vorwärtsſeten der einen und der anderen Längshälfte, obſchon die Sohlenfläche ungeteilt iſt. Goſſe vergleicht dies nicht unpaſſend mit einem Gehverſuche in einem elaſti— ſchen Sacke. Da übrigens die an der franzöſiſchen Küſte vorkommenden Arten der in dieſe Familie gehörigen Phasianella dieſelbe Gangweiſe haben, nur ausgeprägter, indem ihr Fuß durch eine Längsfurche geteilt iſt, ſo dürfte jene Marſchierfähigkeit eine allgemeinere Eigenſchaft ſein. Wegen zahlreicher, meiſt foſſiler Zwiſchenformen reihen ſich an die obigen Gattungen die Seeohren (Haliotis) jo natürlich an, daß es nicht nötig iſt, eine beſondere Familie aus ihnen zu bilden. Zwar das Gehäuſe hat kaum noch eine Ahnlichkeit mit den geſtreck— teren Formen der Kreiſelſchnecken. Es gleicht ungefähr dem menſchlichen Ohre und iſt flach und ſchüſſelförmig. Die Windungen wachſen ſo raſch, daß die letzte den bei weitem größten Teil bildet. Sie iſt auf der linken Seite mit einer dem Rande parallelen Reihe von Löchern verſehen, durch welche das Tier fadenförmige Anhänge des Fußes ſteckt und das Waſſer zu den Kiemen tritt. Von außen iſt die Schale nicht ſchön, oft gerunzelt oder auch mit grünlichen und rötlichen Streifen gezeichnet. Die Innenſeite aber iriſiert in den herr: lichſten Farben, unter denen Kupfergrün vorherrſcht. Eine ziemlich ausgedehnte rauhe Stelle bezeichnet den Umfang der Verwachſung des Tieres mit dem Gehäuſe. Aber auch das Tier iſt mit allerlei Anhängen ſchön geziert, indem auf der über die Schale hervor— Delphinula. Trochus. Seeohren. Fissurella Ausſchnittſchnecke. Napfſchnecke. 403 ragenden Mantelfalte grüne und weiße Franſen und Fäden ſich erheben. Die Seeohren leben in der Strandzone, jedoch in der Region, daß ſie bei der Ebbe nicht ganz aufs Trockene geſetzt werden. Sie lieben die felſigen Ufer und halten ſich über Tag meiſt unter Steinen verſteckt, um während der Dunkelheit die Tange abzuweiden. Mehr als 70 Arten ſind über die Meere der heißen und gemäßigten Zone verbreitet. Der Engliſche Kanal iſt ihre Nordgrenze. Im Mittelmeere iſt Haliotis tuberculata gemein, begabt mit allen den anziehenden äußeren Eigenſchaften ihres Geſchlechtes. Dieſelbe geht im Adriatiſchen Meere bis über die Mitte der dalmatiniſchen Küſte. Am Strande von Leſina habe ich kleinere Exemplare unter Steinen gefunden. Wir treten nun in den Kreis von Gattungen mit völlig napfförmiger Schale, zunächſt von einigen ſolchen, welche nach der Beſchaffenheit der Reibeplatte noch Fächerzüngler ſind. Da iſt zuerſt Fissurella. Ihr Gehäuſe itt ſchild— oder kegelförmig, im Umriß oval und in dem nicht e a eingerollten Wirbel mit einem ovalen oder länglichen \ a Loche durchbohrt. Aus dieſem ragt der Mantel in Geſtalt einer kurzen Röhre hervor, welche in die Kie— menhöhle führt. Von den mehr als 80 Arten ge— hören nur einige unſeren Meeren an. So findet ſich in der Nordſee die kleine Fissurella reticulata, im Mittel- und Adriatiſchen Meere Fissurella graeca. Die gleichfalls napfförmige Schale von Emar— ginula (Ausſchnittſchnecke) hat in der Mittel— linie einen vom Vorderrande ausgehenden tiefen oder ſeichten Einſchnitt. Auch von dieſer können wir eine Art an unſeren Küſten beobachten, die Emar— ginula reticulata (oder E. fissura). Das zierliche, 18 mm lange Tierchen hält ſich am Meeresgrunde in der Nähe der Küſten auf. Nur bei den ſtärkſten Ebben der Nordſee und des Atlantiſchen Ozeans N 1 f wird es mitunter bloßgelegt. Es iſt nicht Od, ara) von wie Goſſe mitteilt, auf die Beobachtung der Tiere im Aquarium viele Zeit zu verwenden; fie find jo außerordentlich träge und machen jo wenig Anſtalt, den Rand ihrer Schale zu lüften, daß es ſcheint, als hätten ſie gar keine Gewohnheiten, außer dieſer. Wir dispenſieren uns daher auch von der Aufzählung anderer Gattungen, die in der Schalenbildung dieſe und jene kleine Abweichung zeigen, und deren Lebensweiſe gleich ſtill beſchaulich iſt. Die ungemein artenreiche Gattung Patella (Napfſchnecke), von der man weit über 100 Arten kennt, bildet für ſich eine dritte Unterordnung der Vorderkiemer, welche von der Stellung der Kiemen den Namen Kreiskiemer führt. Die Schale iſt flach kegelförmig, mit eiförmiger Offnung und nach vorn gerichtetem Wirbel. Auf der Innenſeite ſieht man einen faſt hufeiſenförmigen Eindruck, die Befeſtigungsſtelle des Muskels, welcher Tier und Schale verbindet. Das Tier hat den Kopf in eine kurze, dicke Schnauze (j. obige Abbild., d) verlängert, mit zwei langen, ſpitzen Fühlern (e), an deren Grunde außen die Augen ſitzen. Der Mantelrand iſt oft gefranſt (b), und unter ihm verläuft ein nur durch den Kopf unterbrochener Kranz von kleinen Kiemenblättchen (c), innerhalb welcher die breite Kriech— ſohle (a) ſichtbar iſt. Von den inneren Organen verdient namentlich die enorm lange Zunge erwähnt zu werden, welche mit ſechs Reihen von Zähnchen beſetzt iſt. 26 * 404 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Die meiſten Napfſchnecken ſind Bewohner der Strandzone, viele derjenigen Region, welche regelmäßig bei Ebbe entblößt wird. Wir haben oben mehrere im Verlaufe ihres Lebens feſtwachſende Schnecken kennen gelernt. Obwohl die Patellen nie anwachſen, ſchließen ſie ſich doch hinſichtlich ihrer ungemeinen Trägheit und Unbeweglichkeit am nächſten an jene Gattungen an. „Man kann“, jagt Johnſton, „dasſelbe Tier tage-, ja ſogar jahre: lang genau an derſelben Stelle finden. Nachdem dieſe eigentümliche Befeſtigungsweiſe an einer und derſelben Stelle in ihrem Jugendzuſtande begonnen hat, ſuchen ſie ſelten mehr eine andere auf, ſondern modeln den unteren Rand ihrer Schale bei deren allmählicher Vergrößerung nach allen Unregelmäßigkeiten des Felſens. Es iſt ziemlich allgemein bekannt, wie feſt fie ſitzen. Réaumur hat erprobt, daß ein Gewicht von 14 — 15 kg erforder: lich war, um ihre (der Patella vulgaris) Haftkraft zu überwinden. Die erſtaunliche Kraft in einem ſo kleinen und ſtumpfſinnigen Tiere hängt nicht von der Muskelbeſchaffenheit des Fußes, noch von einem mechaniſchen Eingreifen ſeiner Oberfläche in die Poren des Steines, noch von Bildung eines luftleeren Raumes unter der Schale ab; Réaumur hat alle dieſe Erklärungen mittels einiger entſcheidender Verſuche widerlegt. Er ſchnitt das Tier, als es auf dem Steine feſtſaß, vom Scheitel bis zur Spitze in zwei Häften und machte andere tiefe Einſchnitte in wagerechter Richtung, um auf dieſe Art alle Muskelkraft der Sohle zu zerſtören und alle vermuteten luftleeren Räume unter der Schale auszu— füllen; aber die Haftkraft blieb ſo ſtark wie vor dem Verſuche. Selbſt der Tod zerſtörte dieſelbe nicht. Sie hängt gänzlich von einem Leim oder Kleiſter ab, welcher, wenn auch unſichtbar, doch eine ſehr beträchtliche Wirkung hervorbringt. Wenn man einer abgelöſten Napfſchnecke den Finger an die angeheftet geweſene Fläche hält, ſo bemerkt man ein ſehr fühlbares Feſthängen, obwohl kein Leim ſichtbar iſt. Benetzt man aber jetzt denſelben Fleck mit etwas Waſſer, oder durchſchneidet man den Grund des Tieres, ſo daß das in ihm ent— haltene Waſſer darüber fließen kann, ſo erfolgt kein Anhängen des Fingers mehr: der Leim iſt aufgelöſt worden. Es iſt daher dieſes das Auflöſungsmittel der Natur, wodurch die Tiere ſelbſt den Zuſammenhang mit dem Felſen aufheben können. Wenn der Sturm wütet, oder der Feind droht, klebt ſich das Tier feſt an ſeine Unterlage; iſt aber die Ge— fahr vorüber, ſo preßt es, um ſich von ſeiner Einzwängung wieder zu befreien, etwas Waſſer aus dem Fuße, wodurch der Leim aufgelöſt und das Tier befähigt wird, ſich ſelbſt zu erheben und zu bewegen. Die klebende Flüſſigkeit ſowohl als das auflöſende Waſſer werden in einer unendlichen Menge hirſenartiger Drüschen abgeſondert, und da die Napf— ſchnecke dieſe Stoffe nicht ſo ſchnell abſondern kann, als ſie erſchöpft werden, ſo kann man das Befeſtigungsvermögen des Tieres dadurch zerſtören, daß man verſucht, es zwei- bis dreimal hintereinander abzureißen.“ So ſchön dieſe Theorie klingt, ſo kann ich doch nicht ganz mit ihr einverſtanden ſein; im Gegenteil halte ich dafür, daß das Anſaugevermögen das kräftigſte Mittel für die ſo ſchwer zu überwindende Anheftung der Napfſchnecken iſt. Beſchleicht man eine über dem Waſſerſpiegel ſitzende Patella, ſo trifft man ſie häufig mit vollſtändig gelüfteter Schale an. Gibt man ihr in dieſem Zuſtande mit einem Holze oder Hammer einen mäßigen Stoß, ſo fällt ſie ab. Oft aber iſt ſie unmittelbar vor dem Stoß im ſtande, blitzſchnell, durch Zuſammenziehung des Fußes und Schalenmuskels, den Schalenrand auf die Unterlage aufzuſetzen. Gelingt ihr dies, ſo iſt ſie angeheftet. Abgeſehen davon, daß es ein ſehr wunderbarer Leim wäre, der im Nu ergoſſen werden und in demſelben Augenblick den Körper an den Felſen anleimen könnte, überzeugt man ſich auch bei den meiſt vergeblichen Bemühungen, die Patella unverſehrt vom Steine zu löſen, daß die größte Schwierigkeit darin beſteht, den Rand der Schale zu lüften. Dieſer iſt aber unmöglich in der Geſchwin— digkeit auch angeleimt worden. Hat man einmal einen kleinen Keil unter eine Seite des Gemeine Napfſchnecke. 405 Schalenrandes gebracht, ſo hat man zwar immer noch einen ziemlichen Widerſtand zu brechen, die eigentliche Kraft der Schnecke iſt aber überwunden. Über die Lebensweiſe der an den europäiſchen Küſten gemeinen Napfſchnecke (Patella vulgata) hat ein Herr Lukis auf der Inſel Guernſey intereſſante Beobach— tungen gemacht. „Der Ortswechſel der Napfſchnecken“, ſagt er, „muß zur Vermeidung jeden Irrtums an einem und demſelben Individuum beobachtet werden, und man wird dann ſehen, wie es vorſichtig umherkriecht und immer regelmäßig wieder zu ſeinem Lieb— lingsruheplatze zurückkehrt, wo der Rand der Schale überall genau in die Unebenheiten der Oberfläche einpaßt, auf der es ſich befeſtigt. Hier mag es raſten, und, wenn die Muskel— kraft durch die lange Zuſammenziehung erſchöpft iſt, in ſorgloſer Erſchlaffung ausruhen: denn ein plötzlicher Stoß oder Schlag in wagerechter Richtung genügt dann, um es leicht ſeiner Stelle zu entrücken. Es iſt ferner den Fiſchern und den armen Leuten, welche die Patella zur Nahrung aufſuchen, wohl bekannt, daß ſie leichter bei Nacht als bei Tage ein— zuſammeln ſind. Sollte dies nicht die Zeit ſein, wo ſie nach Futter gehen und zugleich von der Flut bedeckt ſind? Die Bewegung der Napfſchnecke iſt langſam und bedächtig; und ſo oft als das Feſtſaugen erneuert werden ſoll, wird das Hinterende der Schale (ſoll wohl heißen „der Rand der Schale“) in genaue Berührung mit dem Steine gebracht, der bei weicher Beſchaffenheit die Eindrücke ihrer Randzähne einnimmt. Der Pfad eines genauer Beobachtung unterworfenen Tieres wurde hierdurch über eine mehrere Ellen lange Strecke fichtbar gemacht. Er behielt fortwährend dieſelbe Regelmäßigkeit und war noch ſeiner beharrlichen Drehung nach links halber bemerkenswert. Die Pfade der Napfſchnecke auf Granit und anderen harten Felsarten bieten im erſten Augenblick dasſelbe Anſehen dar, weichen aber bei genauer Betrachtung ſehr ab. Bei einer erſten Beobachtung war ein großer Teil eines feinkörnigen Syenitgeſteins mit Spuren von dieſer Schnecke überzogen; der Reſt aber ſchien wie gefirnißt durch eine dünne Haut von einer Fucus-Art, ohne irgend welche Spuren auf ſeiner Oberfläche. Anfangs konnten keine Patellen entdeckt werden; es fand ſich aber bald ein Spalt im Felſen, worin ſich 5—6 Napfſchnecken befeſtigt hatten, deren jede ihren geraden Pfad zum Weidegrunde hatte. Mit Hilfe einer Lupe ergab ſich, daß die auf dem Felſen befindlichen Spuren Überreſte jener Tange waren, welche die Schnecken bei ihren Ausflügen weggefreſſen oder weggerutſcht hatten, und welche nur die vom Schalenrande herrührenden Zähnelungen noch wahrnehmen ließen. Dann wurde der Rand der pflanzenbewachſenen Fläche unterſucht und auch dieſer in runden Formen, dem Vorderende der Schale entſprechend, benagt gefunden.“ Die Art, von welcher dieſe Mitteilungen gelten, iſt ein nicht beſonders wohlſchmeckendes, aber von den ärmeren Klaſſen der europäiſchen Küſtenbewohner geſuchtes Nahrungsmittel. Meine Bootsleute haben oft, wenn ich anderen Dingen nachging, damit ihre Mahlzeit be— ſtritten, und von einer oder mehreren Arten ſollen ſich die Feuerländer faſt ausſchließlich nähren. Die meiſten haben eine ſehr feſte Schale. Ein zartes, durchſcheinendes Gehäuſe beſitzt die Patella pellucida der Nordſee und der norwegiſchen Küſte. An dieſem niedlichen Tiere zeigt ſich, wie ſehr die Färbung der Schale von der Unterlage abhängt. Die an dem dunkeln Fucusſtamm ſitzenden, welche ihren Platz ebenſo hartnäckig behaupten wie die Felſenbewoh— nerinnen, find blaß hornfarben, die aber an dem durchſcheinenden Fucuslaube ſind ſchön purpurn mit blaßblauen Längslinien. Zugleich gehört dieſe Art zu denjenigen, welche die nie vom Waſſer entblößte Tiefenzone unterhalb der Strandzone und noch tiefer innehaben. Zu den Vorderkiemern zählen auch einige Schneckenformen, welche teils äußerlich auf, teils innerlich in Stachelhäutern, Seeſternen, häufiger Seewalzen oder Holothurien leben. Es ſind das die Gattungen Eulima, Stylina, Entoconcha und Entocolax. 406 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Über Eulima berichtet Karl Semper in ſeinem herrlichen Buche über „Die natür— lichen Exiſtenzbedingungen der Tiere“ Folgendes: „Die Holothurien ſind von einer großen Anzahl verſchiedenartiger Schmarotzer heimgeſucht. Außer den in der Waſſerlunge lebenden Fierasfer (Fiſch) und Pinnotheres finden ſich auf und an ihnen noch paraſitiſche Mollusken und Würmer. Unter jenen kommen Eulimen ſehr häufig auf der Haut dieſer Tiere (und auch auf Seeſternen) vor. Sie ſehen einer gewöhnlichen Schnecke ungemein ähnlich, und ſie haben im Zuſammenhang mit ihrer paraſitiſchen Lebensweiſe nur die den Schnecken ſonſt faſt durchweg eigentümlichen Kauorgane verloren, deren ſie nicht bedürfen, da ſie die ſchleimigen Ausſchwitzungen der Haut ihrer Wirte aufzuſaugen ſcheinen. Man hat ſie deswegen auch nie recht als Schmarotzer gelten laſſen wollen, und man hat in dogmatiſcher Übertreibung dieſer Anſicht auch eine poſitive Beobachtung des bekannten reiſenden Kon— chylienſammlers Cuming, nach welcher ſolche Eulimen im Inneren des Magens von Holo— thurien vorkommen ſollten, ohne weiteres zurückgewieſen und zu erklären verſucht durch die ganz willkürliche Annahme, es ſeien die im Magen von Holothurien gefundenen Eulimen von dieſen nur gefreſſen worden. Nun hatte aber Cuming mit ſeiner Beobachtung vollſtändig recht; auch ich habe, und zwar ſehr häufig, nicht etwa als große Seltenheit, lebende Eulimen im Darm großer Holothurien gefunden. Hier kriechen ſie mit ihren breiten Füßen un— gemein raſch an der Darmwand herum, und ſie haben ferner alle übrigen Organe der Schnecken, alſo Nervenſyſtem, Sinnesorgane, Darmkanal ꝛc., genau, wie die auf der äußeren Haut lebenden Formen; das einzige ihnen fehlende Organ iſt gleichfalls das Kauorgan oder die ſogenannte Zunge der Schnecken. „Umgekehrt fand ich gerade auf der Haut derſelben Holothurienart, welche in ihrem Darme die eben beſchriebene Form beherbergte, eine Eulima, welche viel weiter degradiert war als irgend eine andere Spezies der Gattung. Das den Mund an ſeiner Spitze tragende Kopfende iſt in einen außerordentlich langen Rüſſel verlängert, welcher die ſehr dicke Haut der Holothurien vollſtändig durchbohrt und dadurch die Schnecke feſt vor Anker legt. Außer— dem muß dieſer Rüſſel als Saugorgan fungieren, da er an ſeinem in die Leibeshöhle des Wirtes eindringenden Ende den Mund trägt und jeglicher Kauorgane entbehrt. Der bei den anderen auf der Haut lebenden Arten wohlentwickelte Fuß iſt hier gänzlich verſchwun— den, ebenſo fehlen die Augen. Wir ſehen alſo, daß der Einfluß, welchen die Eingeweide meiſt auf die in ihnen lebenden Schmarotzer ausüben, bei den eben genannten Paraſiten der Holothurien nicht im ſtande war, ihnen den Charakter von Entoparaſiten zu geben, und anderſeits iſt ein echter Ektoparaſit in der Weiſe der Entoparaſiten verändert worden.“ Seit der Mitte der vierziger Jahre bis in die fünfziger hinein beſchäftigte ſich der große Berliner Phyſiolog und Zoolog Johannes Müller faſt ausſchließlich mit der Er— forſchung der Anatomie und Entwickelungsgeſchichte der Stachelhäuter oder Echinodermen, einer Klaſſe niederer Tiere, auf welche wir ſpäter einzugehen haben werden. Ein beſonders günſtiger Ort für dieſe Unterſuchungen war und iſt Trieſt. An regneriſchen Tagen oder bei bewegter See verſorgt uns der Fiſchmarkt mit reichlichem Material für Bleiſtift, Meſſer und Mikroſkop, die glatte Meeresfläche aber ladet zu Exkurſionen nach der von dem kleinen Städtchen Muggia genannten herrlichen Bai ein, von deren ſchlammigem Grunde das Schleppnetz reiche Beute heraufbringt. Auf und in dieſem Grunde lebt auch zu Tauſenden und Millionen die Klettenholothurie (Synapta), ein wurmförmiges Echinoderm, deſſen Vorderende wir in Fig. 1, S. 409, abgebildet ſehen. Zum Verſtändnis des Folgenden brauchen wir von dem Bau des durchſcheinenden Körpers dieſes zur ſpäteren genaueren Betrachtung im Zuſammenhange mit den anderen Stachelhäutern aufzuhebenden Tieres nur jo viel zu wiſſen, daß die Leibeshöhle von dem von Fühlern umgebenen Munde aus von einem Darmkanale durchzogen iſt, an deſſen vorderer Strecke eine durch zwei ringförmige Paraſitenſchnecken. Schneckenſchlauch der Klettenholothurie. 407 Anſchwellungen ausgezeichnete Abteilung (m) ſich als ein Magen herausſtellt. Auch verlaufen auf demſelben der Länge nach zwei Blutgefäße, von welcher das eine wegen ſeiner Lage „Bauchgefäß“ zu benennen iſt. Dieſe und viele andere Bewohner der Bai von Muggia wurden den damals und ſpäter Trieſt beſuchenden Naturforſchern gewöhnlich von dem im Fiſcherdorfe Zaule wohnenden Fiſcher Fruſing und ſeiner Familie täglich nach Trieſt ge— bracht, wenn man nicht ſelbſt die anſtrengende Hantierung des Netzſchleppens ausüben wollte. So hielt es auch Johannes Müller, ſo oft er nicht die feineren mikroſkopiſchen Tierformen mit eigner Hand in einem engen Gazennetze von der Oberfläche des Meeres einzufangen hatte. Er entdeckte nun in einzelnen Exemplaren der Synapta einen Schlauch, deſſen eines Ende im engſten Zuſammenhang mit dem oben genannten Bauchgefäß des Echinoderms war, während das andere frei in der Leibeshöhle desſelben flottierte. Die anatomiſche Beſchaffenheit des Schlauches erregte bald die ganze Aufmerkſamkeit des Be— obachters; er erkannte, daß er es mit einem höchſt ſonderbaren Vorkommen innerhalb der Holothurie zu thun habe, und ſein Erſtaunen wuchs, als in dem Schlauche aus Eiern, welche unzweifelhaft ein Produkt des Schlauches waren — junge Schnecken zum Vorſchein kamen, ausgerüſtet mit einer Schale, Fuß und Segel. Der Entdecker fragte ſich natürlich, ob er es hier nicht mit einem Paraſitismus zu thun habe. Allein es ſchien ihm der „ſchneckenerzeugende Schlauch“ ſo gar nichts von einer Schnecke an ſich zu haben, daß man ihn unmöglich für gleichwertig mit einem ſolchen Tiere und etwa durch rückſchreitende Metamorphoſe ſo umgewandelt halten könnte, auch ſchien ihm die Verbindung zwiſchen der Synapta und dem Schneckenſchlauch eine ſo innige zu ſein, daß er die Idee ganz fallen ließ, es walte hier das Verhältnis von Wohntier (Synapta) und Paraſit (Schneckenſchlauch, Entoconcha mirabilis), und die Vermutung plauſibel zu machen ſuchte, der Schnecken— ſchlauch ſei ein Erzeugnis der Synapta. Er fand, daß die Erſcheinung ſich bei etwa einer von 100 Synapten zeigte und kam aus dem Labyrinth nicht zuſammenpaſſender Thatſachen nicht anders heraus, als durch die kühne Annahme, es liege eine Art von Generations— wechſel vor, aber ein Generationswechſel, bei welchem es nicht mit einem innerhalb eines und desſelben anatomiſchen Grundtypus ſich bewegenden Formenkreiſe (wir kennen ja zahlreiche Beiſpiele davon) ſein Bewenden hätte, ſondern wo der Organismus zu einer über ſeinen Bereich weit hinausgehenden Kraftanſtrengung befähigt würde und durch ſeine Erzeugniſſe in einen anderen Typus überſpränge. Der Schlauch wurde unter der mächtig arbeitenden Phantaſie des großen Naturforſchers zu einem Organe der Synapta, und der Fund war ihm um ſo willkommener, als er nun einen Weg gefunden zu haben glaubte, aus der ihm im Grunde widerſtrebenden Annahme wiederholter Schöpfungen aus dem Nichts herauszukommen. Wie oft hörten wir den Ausſpruch Johannes Müllers in Vorleſungen und Privatgeſpräch: der Eintritt jeder einzelnen Tierart ſei ſuprana— turaliſtiſch, übernatürlich, d. h. der Beobachtung und Erklärung der Naturforſchung ent— zogen. Nun war hier ein Fall, zwar unerhört, aber doch nicht abſolut gegen die Natur, vielmehr, wie es ſchien, vorbereitet durch die vielen anderen Beiſpiele des regelmäßigen Generationswechſels, welcher das Erſcheinen einer neuen tieriſchen Grundform an ſchon Vorhandenes anknüpfte. Johannes Müller glaubte alſo eine Erweiterung des Genera— tionswechſels vor ſich zu haben und ſagte: „Wir ſind auf dieſem Felde ſchon an viel Wunderbares gewöhnt, welches ſich doch demſelben Geſetze fügen muß, und wir mußten noch auf ſtarke Stücke gefaßt ſein.“ Allein dieſer Sprung war doch zu ſtark, und ſo machte die Hypotheſe über das rätſelhafte Binnenweſen der Klettenholothurie von Muggia zwar großes Aufſehen, fand aber keine Gläubigen. Mehrere Zoologen verſuchten ſich an der Aufgabe, den wahren Zuſammenhang zu entdecken, unter ihnen am ausdauerndſten Albert Baur, welcher monatelang in Trieſt 408 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. und in einem Gaſthauſe am Strande der Bai ſich aufhielt, die Naturgeſchichte der Synapta ſelbſt vollſtändig aufklärte, das Verhältnis des fertigen Schlauches zu jener und die Er— zeugung der jungen Schnecken in ihm ebenfalls alles Wunderbaren entkleidete, die Ein— wanderung der paraſitiſchen Schnecke aber, denn eine ſolche iſt der Schlauch, den Nach— folgern zu ergründen übrigließ. Bis heute iſt dieſer letzte Teil der Aufgabe unerledigt, welche von der Berliner Akademie als Preisaufgabe geſtellt war. Die im Schlamme lebenden Synapten werden vom Grunde heraufgebracht, indem man einen Anker, deſſen 4 oder 6 Spitzen mit Werg umwickelt ſind, vom Boote aus gleich einem Schleppnetze nach ſich zieht. Die Tiere, deren Haut mit ankerförmigen Wider— haken geſpickt iſt, bleiben am Werge hängen. Man erhält jedoch nie eine ganze Synapta. Dieſelben ſchnüren ſich durch einen vom Nervenſyſtem hervorgerufenen Krampf in 2—6 cm lange Stücke der Quere nach ab, und man hat nun die Kopfenden oder, wenn der Kopf zu kurz abgeſchnürt iſt, die die Magenregion enthaltenden Stücke zu muſtern, um auf die Schneckenſchläuche zu ſtoßen. Die Arbeit iſt eine höchſt mühſame, da, wie geſagt, ungefähr auf 100 Synapten eine mit dem Schlauche behaftete kommt. Ausnahmsweiſe fand Baur in einer Synapta 2 oder 3, ja 4 Schläuche; es paſſierte aber auch, daß 500 —600 Kopf: enden vergeblich durchſucht wurden. „Man hat kein anderes Mittel“, ſagt Baur in ſeiner, von der Leopoldiniſchen Akademie herausgegebenen trefflichen Arbeit, „um den Schlauch— körper auch nur einmal zu beobachten, als daß man eine große Anzahl von Synapten— individuen, beziehungsweiſe Synaptenſtücken, ſich verſchafft und dieſe auf Anweſenheit des Körpers durchmuſtert. Bei der Durchſichtigkeit der Synapta erkennt man aber ſofort, ohne ſie zu öffnen, ob der geſuchte Körper darin enthalten iſt oder nicht. Ich beauftragte an— fangs dieſelben Fiſcher, welche für Johannes Müller die Tiere gefangen hatten, mir eine möglichſt große Menge davon herbeizuſchaffen. Ich ließ mir die Ausbeute jedes Fanges nach Trieſt bringen. Bald überzeugte ich mich, daß auch zu einer vorläufigen Unterſuchung das ſo erhaltene Material nicht genügen konnte. Ich nahm deshalb während zweier Monate meinen Aufenthalt in Zaule. Während desſelben wurden die Tiere von einer, wenn es das Wetter erlaubte, täglich und nur zu dieſem Zwecke auslaufenden Fiſcherbarke gefangen. Ich konnte auf einer Ausfahrt ein bis höchſtens acht teils ganze, teils verſtümmelte Exem— plare des Schlauchkörpers bekommen. Die Hälfte des Tages konnte auf das Fangen, die Hälfte auf die Unterſuchung verwendet werden.“ Nach dieſen Bemerkungen gehen wir nun endlich zur näheren Beſchreibung der Para— ſiten-Schnecke über. Wir folgen natürlich Baur, zum Teil wörtlich. Der als paraſitiſches Weſen und zwar als eine Schnecke zu betrachtende Körper (Fig. 2, S. 409, F) iſt geſtreckt und cylindriſch; weder Rücken und Bauch, noch rechte und linke Seite find zu unterſcheiden. Er iſt ohne Anhänge. Das Vorderende (a) iſt knopfförmig; der Leib iſt unregelmäßig ſpiralig gedreht. Die Färbung der Körperoberfläche iſt ein bräunliches Gelb, wodurch es leicht wird, das Weſen durch die farbloſe und durchſcheinende Leibeswand der Synapta hindurch zu erkennen. Durchſchnittlich iſt der ganze Schlauch 2,5 em lang. Dieſer Schlauch iſt nun in eigentümlicher Weiſe organiſiert. Er beſitzt am knopfförmigen Ende eine Mundöffnung, welche in einen den vorderen Körperteil einnehmenden und blind endigenden Darm (a—b) führt. Der zweite, mittlere Cylinderabſchnitt enthält einen ſehr ausgedehnten Eierſtock mit einer Eiweißdrüſe (b—c). Darauf folgt ein Raum (d), in welchem die ſich vom Eierſtock loslöſenden Eier reifen. In der kugelförmigen Anſchwel— lung (e) reift der Samen, und das offene Körperende geſtattet den Geſchlechtsprodukten freien Austritt in den Leibesraum der Synapten. Nach dem zoologiſchen Adam Rieſe find dieſe im innigen Zuſammenhange ſtehenden Teile ausreichend, ein Ganzes zu bilden, ein Tier für ſich. Dasſelbe iſt aber in ganz eigentümlicher Weiſe an die Eingeweide der Synapta Schneckenſchlauch der Holothurie. 409 befeſtigt. Unſere Abbildung, Fig. 2, zeigt ein geöffnetes Stück der Synapta; A tft die Leibes⸗ wand derſelben, B eine Hautfalte, welche den Darm O in feiner Lage erhält und den Rücken der Synapta beſtimmt. D ift das an der Rückenſeite, E das an der Bauchſeite des Darmes verlaufende Blutgefäß. In dieſes letztere nun, und zwar immer in nächſter Nähe des Magens, iſt das Kopfende des Schlauches mit ſeiner knopfförmigen Anſchwellung derart ein— geſenkt, daß es eine förmliche Ver: wachſung, ein unmittelbarer organiſcher Zuſammenhang zu ſein ſcheint, und Johannes Müller in der That des— halb eine Hervorbringung des Schlau— ches durch die Holothurie annahm. Es iſt jedoch nichts als eine rein mechaniſche Befeſtigung, wie wir ſie bei vielen Schmarotzern (3. B. Peltogaster, vgl. S. 72) ebenſo eng, ja ſogar enger finden. Kurz, der Schlauchkörper hängt an dem Blutgefäße der Synapta, und er er— nährt ſich paraſitiſch vermittelſt ſeiner Mundöffnung und ſeiner Darmhöhle von dem Blute der Synapta. Die Bewegungen des ſchlauchför— migen Tieres, welche man beobachten kann, beſchränken ſich darauf, daß, wenn man die Synapta im friſchen Zuſtande aufſchneidet, es ſeinen Körper krümmt und langſam verkürzt, indem es eine dichter gewundene Korkzieherform an— nimmt. Von allen Lebenserſcheinungen aber, welche der Schlauchkörper dar— bietet, ſind diejenigen, welche ſich auf die Fortpflanzung beziehen, die wichtig— ſten und am meiſten hervortretenden. Die Synapta und ihr Paraſit ſind in der Zeit der Fortpflanzung völlig un— abhängig voneinander. Johannes Müller kannte den Gang der Ent— wickelung der Synapta noch nicht; 1) Die Holothurie Synapta digitata mit dem paraſttiſchen Schnecken⸗ Baur Hat ihn volftändig dargelegt rene deten an de, Sarateſc Senne e und gezeigt, daß die Synapta ſich nur im Frühjahr fortpflanzt, während er den Schlauchkörper in allen Monaten, außer im Winter, ſeine Brut hervorbringen ſah. Der Laich des Schlauchkörpers, welcher ſich in deſſen Leibes— höhle entwickelt, beſteht aus einer großen Menge einzelner Brutkugeln (Fig. 2, dJ), deren jede etwa 20 Eier oder Embryonen enthält. In verſchiedenen Exemplaren findet man die Brutmaſſe in verſchiedenen Stadien der Entwickelung. In einem und demſelben Schlauch⸗ körper findet man aber immer die ganze Brutmaſſe genau auf derſelben Stufe der M 2 1 2 410 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßer; fünfte Ordnung: Vorderkiemer. Entwickelung. Die Larven (ſ. untenſtehende Abbild.), welche aus dem Laiche des ſchlauch— förmigen Paraſiten hervorgehen und für das Auge als Punkte erſcheinen, ſtellen die Schnecken— natur ihres Muttertieres, von welchem ſie in auffallendſter Weiſe abweichen, außer Zweifel. Sie haben eine regelmäßig gewundene, durch einen Kalkdeckel verſchließbare Schale, in welche ſie ſich ganz zurückziehen können. Der Fuß des Tieres iſt durch eine mittlere Einſchnürung zweilappig. Der Rücken endigt in einen mit wenigen ſteifen Borſten beſetzten Stirnlappen, hinter welchem zwei kleine Höcker die Anſätze der Fühler ſind. Im Inneren ſieht man eine vorderhand noch geſchloſſene Höhlung, welche ſpäter zum Darmkanale wird, und, darunter die beiden Gehörbläschen. Die ganze Oberfläche, ſoweit ſie nicht von der Schale bedeckt iſt, trägt ein dichtes Flimmerkleid. Die Verwandlungen dieſer Larve bis zum ſchlauch— förmigen, in das Blutgefäß der Synapta eingeknöpften Paraſiten ſind derart, daß ſie inner— halb des Schneckentypus ihresgleichen nicht finden und nur etwa mit den bis zur gänz— lichen Verballhorniſierung des Grundtypus gehenden Umgeſtaltungen mancher Schmarotzer— krebſe verglichen werden können. Die fertige ſchlauchförmige, geſchlechtsreife Schnecke be— ſitzt weder Herz noch Gefäßſyſtem, auch keine Spur eines Nervenſyſtems und von Sinnes— werkzeugen, und die Vergleichung mit ähnlichen, wenn auch nicht ſo weit gehenden Vorkommniſſen ei , unter den Bauchfüßern führt nicht zu den Vorder: Be kiemern, an welche man die Entoconcha gewöhn— e. GR lich anreiht, ſondern wir müſſen Baur recht geben, S E der die nächſten Verwandten des merkwürdigen Pa— 88 — . JE raſiten in der Abteilung der Nacktſchnecken ſucht. Sn Über die Verwandlung meint derſelbe: „Was die 1 5 fü ee Metamorphoſe betrifft, welche die Larve notwendig erde de „Stack vergebe. durchmachen muß, um die Form der Schlauch⸗ ſchnecke zu bekommen, ſo könnte man ſich, voraus— geſetzt (was ſich aber nicht beweiſen läßt), daß dieſe Metamorphoſe nur eine einmalige und einfache iſt, nach dem Unterſchiede, welchen Larve und Schlauchſchnecke zeigen, von dieſer Um— wandlung eine ungefähre Vorſtellung machen. Der kleine Larvenleib wird zuerſt ſeine Schale abwerfen, ſeine Atemhöhle einbüßen und vorwiegend in die Länge wachſen. Die Gehör— bläschen und die fühlerartigen Anhänge werden ſchwinden, der Körper wird gleichmäßig cylindriſch werden, ſo daß Rücken und Sohle ſich nicht mehr unterſcheidet, endlich, wenn die Deutung des auf der Larvenſohle mündenden Kanales als Offnung der Leibeshöhle richtig iſt, wird mit der Ausbildung der Geſchlechtsorgane das weitere Wachstum in die Länge ſo ſtattfinden, daß dieſe Offnung, die ſpätere Geſchlechtsöffnung, von der Unter— ſeite des Vorderteiles allmählich an das hintere Körperende rückt. Die Umwandlung würde es zugleich mit ſich bringen, daß aus der einſeitig endlichen Spirale der Entoconcha (mit welchem Namen Baur nur die Larve bezeichnet wiſſen will) die doppelſeitig unendliche der Schlauchſchnecken (von Baur Helicosyrinx getauft) wird. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dies, ſolange die Beobachtung nicht gelingt, nur hypothetiſche, auf unbeſtimmte Deutungen und Analogien gegründete Annahmen find.” Leider ſind wir noch heute über dieſen Punkt, die Verwandlung, und über die Ein— wanderung der Schlauchſchnecke nicht weiter. Nach den obigen Mitteilungen findet man unter etwa 100 Exemplaren der Synapta eins, das den Paraſiten enthält, und zwar immer auf einer gewiſſen kleinen Strecke kurz hinter dem Magen angeheftet. Die Larven gelangen höchſt wahrſcheinlich durch die freiwillige oder unfreiwillige Zerſtückelung der Synapta nach außen und bohren ſich, wer weiß mit welchen Hilfsmitteln hierzu aus— geitattet, nach einer Zeit freien Schwärmens in ein Wohntier ein. Aus der Konſtanz der Larve von Entoconcha. Entocolax. — Käferſchnecken. 411 An heftungsſtelle ſchließt Baur, daß die Einwanderung zu einem Zeitpunkt geſchehen müſſe, wo die Synapta dem ſich zugeſellenden Gaſte jene Stelle zur Anheftung faſt unvermeidlich darbiete. Dieſer Fall tritt ein, wenn die junge Synapta die untenſtehend veranſchau— lichte Größe hat, auf welcher Stufe der ganze hintere Teil des Darmkanales noch nicht vorhanden iſt. „Wenn die Larve des Paraſiten, mag ſie ſonſt beſchaffen ſein wie ſie will, in ein Individuum der Synapta von der frühen Altersſtufe einwandert, wenn ſie, ſei es durch die Leibeswand, ſei es durch die Darmwand oder, was leicht ſein kann, durch die Kloake ſich einen Weg in die Leibeshöhle bahnt, dann an dem ihr zuſagenden unteren Blut— gefäße ſich anſetzt, ſo wird die Folge ſein, daß in der erwachſenen Synapta der ſchon lange darin wohnende, inzwiſchen umgewandelte und groß gewordene Paraſit niemals weiter als eine kleine Strecke von dem hinteren Ende des Magens gegen den After hin entfernt feſthängen kann. Denn jenes ganze hintere Stück des Wohntieres, wo faſt nie ein Paraſit ſitzt, das aber ſonſt dieſelbe Beſchaffenheit hat, war noch gar nicht vorhanden, als der Paraſit einwanderte, ſondern es iſt erſt nachher beim Längenwachstum des Wohntieres hinzugekommen, nachdem Einwanderung Junge Synapta und Befeſtigung ſchon vollzogen war.“ en Wir werden in der Klaſſe der Echinodermen der Synapta wieder begegnen f und ihre ebenfalls ſehr merkwürdige Verwandlung bis zu der Stufe verfolgen, wo die kleinen im Schlamme des Meeresgrundes lebenden Tierchen für die Einwanderung der Schlauchſchnecke am geeignetſten zu ſein ſcheinen. Ebenfalls in einer Holothurie, in einem aus dem Beringmeer ſtammenden Mirio- trochus Rinkii, fand H. Ludwig eine ähnliche paraſitiſche Schnecke, die Walter Voigt unter dem Namen Entocolax Ludovigii beſchrieben und die er mit der Entoconcha zu einer Unterordnung der Vorderkiemer, zu den Röhrenſchnecken (Cochlosolenia), vereinigt hat. Sechſte Ordnung. Die Rüferſchneckhen (Cremidophora). Es wird unſeren Leſern aufgefallen ſein, wie die bisher abgehandelten Weichtiere faſt keine Anklänge an andere tieriſche Grundformen zeigten. Wir kommen jetzt zu einer kaum uus einigen Gattungen beſtehenden Ordnung, wo uns einige Eigentümlichkeiten der er— wachſenen Formen ſowie gewiſſe Züge der Entwickelung an die Gliedertiere erinnern. Es find die ſogenannten Käferſchnecken (Chitonidae) mit der Hauptgattung Chiton. Wenn das Tier, von oben betrachtet, auf den erſten Anblick einer flachen, länglichen und ovalen Napfſchnecke gleicht, mit welcher es in der That von den früheren Syſtematikern eng zuſammengeſtellt wurde, ſo überzeugt man ſich doch ſchnell von der gänzlichen Ver— ſchiedenheit, zunächſt der Schale. Dieſelbe, den Rücken der Schnecke bedeckend, iſt nämlich aus acht Querplatten zuſammengeſetzt, von denen die vorderen dachziegelförmig über die hinteren greifen. Über dieſe Platte tritt der Mantelrand hervor, der in der verſchiedenſten Weiſe entweder glatt iſt, oder mit kleinen Höckern und Schuppen beſetzt, oder von kleinen eckigen Papillen wie gepflaſtert erſcheint oder auch mit Stacheln geſpickt ſein kann. Wenden wir das Tier um, ſo werden wir durch den breiten Fuß abermals an die Patellen erinnert. Vor ihm, nach unten gewendet, liegt die Mundöffnung; es iſt jedoch kein eigentlicher Kopf ausgebildet, ſondern derſelbe wird repräſentiert durch einen halbkreisförmigen Wulſt ohne 412 Weichtiere. Zweite Klaſſe: Bauchfüßerz; ſechſte Ordnung: Käferſchnecken. Fühler und Augen. Was höchſt ſelten bei den Weichtieren der Fall iſt: die Afteröffnung iſt der Mundöffnung entgegengeſetzt, die Käferſchnecken ſind vollkommen bilateral ſymmetriſche Tiere Jederſeits am Hinterende zwiſchen Fuß und Mantel liegt eine Reihe Kiemenblättchen. Außerordentlich merkwürdig iſt der feinere Bau der Schalen der Käferſchnecken. Mar— ſhall entdeckte in denſelben ein Syſtem von verzweigten Kanälen, und da dieſelben mit einer faſerigen Maſſe ausgefüllt waren, welche er für Fortſätze der Mantelhaut hielt, nahm er an, dieſe Kanäle ſeien etwa Atmungswerkzeuge. Der leider ſo früh verſtorbene Moſeley, einer der Zoologen der Challenger-Expedition, über welche ein eigner Unſtern zu walten ſcheint, konnte friſchere Exemplare anderer Arten unterſuchen und fand, daß die Apparate ſonderbare und kompliziert gebaute Sinnesorgane ſeien. Dieſelben ſind von zweierlei Art, größere und kleinere. Sie liegen in Erweiterungen der Kanäle unmittel— bar unter der an den betreffenden Stellen ſehr eigentümlich gebauten Oberhaut der Schale, in dem zuleitenden Ka— nal ſelbſt verläuft ein Nerv. Moſeley iſt ge— neigt, dieſe Apparate für Taſtorgane zu halten. Bei einer Anzahl Arten von Käferſchne— cken haben nun jene größeren Organe eine höchſt ſonderbare Um: bildung erfahren. Wir ſahen oben (vgl. S. 338), daß die Nacktſchnecke = S Onchidium auf ihrem Elegante Käferfchinede (Chiton elegans). Natürliche Größe. Rücken Augen trägt und (vgl. S. 401) ein Turbo am Fuß. Sinnesorgane können am tieriſchen Körper an allen Stellen auftreten, und die ver— ſchiedenen Arten derſelben können durch Übergänge miteinander verbunden ſein, aber wir ſind gewöhnt, daß ſie, beſonders bei Weichtieren, ihren Sitz in der Haut haben. Zahlreiche Käferſchnecken haben aber Augen in der Schale! Hier liegen ſie in der äußeren Fläche der Oberhaut der Schale entweder regelmäßig in Reihen angeordnet (ſ. Abbild. S. 413) oder unregelmäßig zerſtreut. Man erkennt ſie außen als runde oder ovale gewölbte Flecke, die das Licht ſtark brechen. Ihre Zahl iſt bisweilen ganz beträchtlich: bei einem großen Exemplar von Corephium aculeatum ſchätzt fie Moſeley auf 11,500! Bei näherer Unterſuchung ſtellt ſich heraus, daß die an den Flecken gewölbte Schalenoberhaut durchſichtig iſt und ſo die Hornhaut des Auges bildet. Darunter liegt ein durchſichtiger Körper von der Form einer Linſe, der in der That auch das iſt, was man beim Auge als Linſe bezeichnet. Linſe und Hornhaut, hintereinander gelegen, ſchließen eine birnförmige Enderweiterung eines von der Unterſeite der Schale aufſteigenden Kanals oben ab. Dieſe Erweiterung iſt von einer dunkel pigmentierten Haut ausgekleidet, und im Kanal findet ſich ein Nerv, der in jene Haut tritt, ſich in ihr verzweigt und mit ihr die Retina bildet. Die Bedeutung der abſonderlichen Lage der Augen bei Käferſchnecken ergibt ſich aus ihrer Lebensweiſe. Viele Arten ſetzen ſich gerne nahe der Oberfläche des Waſſers an Steinen feſt, ſo daß ſie während der Ebbe auf das Trockene geraten. Naht ihnen bei der Gelegenheit eine Gefahr, ſo haben ſie eine doppelte Weiſe, ſich zu ſchützen. Gewiſſe Arten rollen ſich Organe und Fortpflanzungsverhältniſſe der Käferſchnecken. 413 wie Aſſeln zuſammen, wozu ſie durch den Bau ihrer Schalen vorzüglich eingerichtet ſind, und laſſen ſich fallen; ſie ſinken dann entweder ins Waſſer oder rollen auf den Strand, wo ſie mit ihren indifferenten Farben, rund wie ein Kieſelſteinchen, zwiſchen dem Gerölle nur ſehr ſchwer zu finden ſind. Andere Arten ſaugen ſich, wenn man ſich ihnen etwa mit der Hand naht, noch bevor man ſie berührt hat, ge— nau wie das vorher von den Napfſchnecken be— richtet wurde, ſo feſt an den Stein, auf dem ſie ſitzen, an, daß man ſie eher in Stücke zerreißen als ablöſen kann. Offenbar bemerkten ſie die drohende Gefahr im voraus. Es liegen zwar noch keine direkten Beobachtungen vor, es iſt aber wahrſcheinlich, daß die Arten, welche ſich beim leiſeſten Berühren aufrollen, bloß Taſtorgane, jene, die ſich beim Herannahen der Hand an— ſaugen, aber Sehorgane in den Schalen haben werden. Schizochiton ineisus. Vorderſtes Schalenſtück mit Zu dieſen bedeutenden Abweichungen kom— ſechs Augenreihen. Schwach vergrößert. men nun noch die beſonderen Fortpflanzungs— verhältniſſe. Die Geſchlechter ſcheinen getrennt zu ſein. Die Entwickelung aber, welche bisher nur an dem nordiſchen Chiton marginatus von dem ſchwediſchen Naturforſcher Lovén verfolgt werden konnte, führt uns in auffälliger Weiſe auf die Borſtenwürmer zurück. Die Vergleichung der damals und beiſtehend mitgeteilten Abbildungen dieſer Zu— ſtände wird dies ſogleich beſtätigen. Der Embryo der Käferſchnecke erſcheint zuerſt (Fig. J) als ein kugeliger Körper von 10 mm Durchmeſſer, deſſen vordere kleinere Hälfte durch einen Kreis ſchwingender Wimpern von der hinte— ren abgegrenzt iſt. Am Kopfpol ſteht eben— falls ein Schopf ſolcher Schwinghärchen, und unter dem Wimperkreiſe erſcheinen die Augen. Auf einer ſpäteren Stufe (Fig. 2) iſt beſonders die Einteilung des Rückens in acht Querwülſte von hohem Intereſſe, in dem gerade dieſe Querteilungen für Weich— tiere ganz fremd ſind. Dabei iſt, wie auch in Fig. 3 erſichtlich, der Fuß ſchon deutlich gegen den übrigen Körper abgrenzt, und es hat ſich der vordere Abſchnitt ganz mit feinſten Wimpern bedeckt. Der Mund hat ſich als eine Einſenkung etwas vor den Augen gebildet. Im weiteren Verlaufe der Entwickelung ſchwinden Wimperring und Augen, der Vorderteil ſchrumpft auf den den Mund umgebenden Wulſt zuſammen, und der Rücken bedeckt ſich mit ſeinen Schalenſtücken. In der Lebensweiſe zeigen die Chitonen viel Übereinſtimmung mit den Napfſchnecken, mit denen ſie vor allem in der Unbeweglichkeit wetteifern. Auch ſie ſind im allgemeinen nicht an eine beſtimmte Zone gebunden, obſchon die meiſten mehr den oberen Regionen an— gehören und die Entblößung von Waſſer gut vertragen. Doch erbeutete man auf der Ex— pedition des Challenger im nördlichen Stillen Ozean noch eine Art (Leptochiton benthus) bei einer Tiefe von 4200 m. Nee 1 | INSIDE AIR H N NUM! Verſchiedene Stufen der Larve der Käferſchnecke. Vergrößert. 414 Weichtiere. Dritte Klaſſe: Kahnfüßer. Dritte Klaſſe. Die Rahnfüßer (Scaphopoda). Ehe wir auf die zweiſchaligen Muſcheltiere übergehen, haben wir uns noch mit einer jener Tierformen bekannt zu machen, mit welchen die Syſtematiker Fangball geſpielt haben. Die Elefantenzähnchen oder Meerzähne waren ſchon den alten Konchylienſammlern von Rumphs Zeiten wohl bekannt, Linné aber brachte ſie mit den Schiffsbohrern und den Kalkröhren bewohnenden Serpeln zuſammen, und noch Cuvier ließ ſie bei den Ringelwür— mern. Später, als man wenigſtens ihre Mol— luskennatur ſicher erkannt, hatten ſie ſich mit den Napfſchnecken und Fiſſurellen zu befreun— den, bis der ausgezeichnetſte jetzt lebende Molluskenanatom, Lacaze-Duthiers, den Meer— zahn zum Vorwurf einer ſeiner vollendeten anatomiſchen und biologiſchen Schilderungen machte und nachwies, daß teils Schnecken teils Muſchelcharaktere in dieſer kleinen Tiergruppe vereinigt ſeien, daß die Entwickelungs— geſchichte einige Eigentümlichkeiten der Ringelwürmer zeigte, und daß man hinſichtlich der ſyſtematiſchen Gruppierung vielleicht am beſten thäte, die Dentalien an die Spitze der ſogenannten kopfloſen Weichtiere zu ſtellen. Er gab zugleich eine erſchöpfende Beſchreibung des an der franzöſiſchen Küſte lebenden Dentalium vulgare, ſo daß, was wir heute Sicheres über das Tier wiſſen, auf den Pariſer Zoologen zurückzuführen iſt. Wir betrachten die Kahnfüßer oder Skaphopoden als eine beſondere Klaſſe der Weichtiere. Ohne uns in das Detail zu verlieren, müſſen wir doch einiges von den Geſtaltungen der Körperteile und ihrem Bau kennen lernen, um ſowohl die höchſt wunderbare Entwickelungsgeſchichte als die viele an— ziehende Eigentümlichkeiten zeigende Lebensweiſe verſtehen zu können Die Schale der Dentalien hat die Form eines mäßig ge— bogenen Elefanten-Stoßzahnes und iſt an beiden Enden offen. i 5 0 9 Das Tier füllt bei gewöhnlicher Streckung dieſen Hohlkegel aus, Etwas vergrößert. mit welchem es nur mit einer ſchmalen muskulöſen ringförmigen Stelle des Mantels unmittelbar vor der hinteren Offnung ver— wachſen iſt. Der konvexe Bogen iſt die Bauchſeite. Wir orientieren uns nun an der bei— ſtehenden Abbildung über die Geſtalt und gegenſeitige Lage der Körperteile. Der Mantel iſt ein der Höhlung der Schale entſprechender langer Beutel, deſſen kreisrunde vordere Offnung durch einen Schließmuskel zugezogen werden kann. Mit ihm iſt der übrige Körper des Tieres nur in den hinteren zwei Dritteln der Länge verwachſen. Der vordere Teil des Rumpfes iſt durch eine von den Blutgefäßen und dem Darme durchbrochene Scheide— wand und Einſchnürung von dem dahinter liegenden Teile getrennt, und ſo iſt eine vordere (a) und eine hintere Mantelhöhle (a“ entſtanden. Oben in der erſten Abteilung liegt der Mundfortſatz (b), umgeben von blätterförmigen Anhängen. Nicht unmittelbar in dieſem die Mundöffnung enthaltenden Teile, ſondern erſt in der darauf folgenden Anſchwellung Gemeiner Elefantenzahn (Dentalium vulgare). Natürliche Größe. Elefantenzahn. 415 iſt die Zunge mit ihrer Reibeplatte enthalten. Die Chitinzähnchen ſtehen in fünf Längsreihen, und das Ganze ſtimmt völlig mit den ſo wichtigen gleichnamigen Gebilden der Schnecken überein. Das Vorhandenſein dieſes Organes iſt für unſere Vorſtellung von der Verwandt— ſchaft der Dentalien entſcheidend, indem wir Mantel, Fuß, Kiemen, Gefäße der Schnecken in den verſchiedenſten Formen auftreten und nur die Region der Zunge und der Zer— kleinerungswerkzeuge innerhalb eines begrenzten Spielraumes ſich gleich bleiben ſehen. Wenn wir uns daher auch Schnecken und Muſcheln, letztere als Vorfahren, in unmittel— barem blutsverwandtſchaftlichen Zuſammenhange zu denken haben, ſo ſind gewiß viel mehr uns unbekannt gebliebene Glieder zwiſchen den Muſcheln und Dentalium als zwiſchen dieſem und den echten Schnecken ausgefallen. Einen anderen Sinn hat die Frage nach der größeren oder geringeren Verwandtſchaft nicht, und es iſt dem zoologiſchen Laien ſehr anzuraten, immer nach dieſem ſo intereſſanten Maßſtab und Prüfſtein die ſyſtematiſchen Verhältniſſe und Aufgaben zu beurteilen. Unterhalb jenes Anfangsteiles des Verdauungskanales liegt der Fuß (d). Er iſt vorn durch ein Paar hakenförmige ſeitliche Fortſätze dreiteilig und der ganzen Länge nach hohl. Durch das Anſchwellen mit Blut kann er verlängert und zur vorderen Mantelöffnung herausgeſtreckt werden, und wir werden unten ſeinen Gebrauch kennen lernen. Er gleicht allerdings viel mehr dem Fuße der Muſcheln als der Kriechſohle der normalen Schnecken. Die Afteröffnung (e) liegt in der hinteren Mantelkammer, welche am Rücken auch die Fortpflanzungsdrüſe enthält. Die Geſchlechter ſind getrennt. Die zu entleerenden Stoffe geraten zuerſt in die hintere Mantelkammer, aus welcher eine durch Klappen ver— ſchließbare Offnung ſie ausläßt. Größere und weitere Blutkanäle und Bluträume ohne herzartige Organe durchziehen den Körper. Beſondere Atmungsorgane fehlen. Von Sinneswerkzeugen ſind zwei Gehörbläschen vorhanden, welche auf den im Fuße befindlichen Ganglien liegen. Auch haben wir hier der zwei Büſchel Fühlfäden zu ge— denken. Dieſelben, keulenförmig endigend, ſtehen auf zwei ſeitlichen Wülſten (e) in der Gegend, wo vorn und oben der Mantel und Rumpf ſich verbinden. Sie wimpern und können weit vorn aus der Offnung herausgeſtreckt werden, natürlich innerhalb des Mantels. Unſere Abbildung könnte verleiten, zu glauben, daß ſie außerhalb des Mantels lägen; der Wulſt (e) iſt aber nur nach links übergeſchlagen. Die Dentalien ſind, wie geſagt, getrennten Geſchlechtes. Aus dem Ei geht eine ver— längert⸗eiförmige Larve hervor, deren ſpitzes Ende dem künftigen Vorderende entſpricht. Die anfänglich über den ganzen Körper verteilten parallelen 6—7 Wimperreifen ziehen ſich bald in der Mitte des Tieres zuſammen, worauf es ausſieht, als ſei nur ein breites vier— zeiliges Wimperband vorhanden (j. Abbild. S. 416, Fig. 1, b). Schon frühzeitig iſt am Vorder: ende eine kleine Vertiefung entſtanden, aus welcher ſich ein Büſchel Flimmerhaare erhebt (a). Während dieſer ganze Vorderteil von den Wimperreifen an ſich verkürzt und zu einem Ring— wulſte (Fig. 2, b) wird, hat ſich der dünnere Hinterteil verlängert. Die offene Längsrinne am Hinterende deutet die Sonderung des Mantels in zwei ſeitliche Hälften und damit zugleich die Unterſeite des ſonſt drehrunden Tieres an. Nun iſt auch die Schale (Fig. 2, s) von zarter häutiger Beſchaffenheit in Geſtalt einer ſattelförmigen Schuppe erſchienen. Indem ſich (Fig. 3) die Schale verlängert und bald Anſatzſtreifen zeigt, iſt der Wimperwulſt mehr zurückgetreten, unter ihm iſt aber der Fuß (p) hervorgeſproßt. In dem letzten Stadium, welches Lacaze-Duthiers verfolgen konnte (Fig. 4), ſehen wir die Mantelhöhle etwas über die Schale hervorragen, aus ihr den dreiteiligen Fuß weit herausgeſtreckt, auch die inneren Organe find größtenteils angelegt, worunter wir das Fußganglion (g) und das Gehörbläschen (o) der einen Seite hervorheben wollen. 416 Weichtiere. Dritte Klaſſe: Kahnfüßer. Die Lebensweiſe und Sitten des Dentalium wollen wir mit den eignen Worten des franzöſiſchen Beobachters mitteilen; es iſt eine der beſten Schilderungen des Treibens eines niederen Tieres, die mir bekannt geworden. „Dentalium bewohnt in Menge die Nordküſten der Bretagne; man muß jedoch nicht glauben, man könne ſich deshalb ſeiner mit Leichtigkeit bemächtigen, ſowie man an den Strand kommt. Man muß wiſſen, wie und wo es lebt; ſonſt ſucht man vergeblich und findet höchſtens vom Meere aus— geworfene leere Schalen. Da ich das lebhafte Ver: langen hatte, das Tier zu ſtudieren, ſuchte ich geduldig fort, wo ich die meiſten ausgeworfenen Schalen gefunden hatte, denn es war das ſicherſte Kae Wahl „ge a N. Anzeichen, daß an dieſen 4 h ee Uferſtellen die Dentalien G 1 9 leben müßten. So natur: wi gemäß, lang und emfig aber auch mein Nach— ſuchen war, ich fand und entdeckte nichts. Ein et— was unruhiges Meerver— ſchaffte mir aber ein lebendes Tier, und nun konnte ich ſeine Sitten und alle ſeine Lebens— bedingungen beobachten. Als ich es aufhob, ſah ich, daß es ſich bemühte, in den Boden meines Gefäßes einzudringen. Ich ſetzte es wieder in eine jener kleinen, bei der Ebbe zwiſchen den Tangen und Seegras zurückbleibenden Waſſer—⸗ lachen, und ſah nun, wie es ſich nach und nach in den Sand eingrub. Ich wußte nun, daß das Tier nicht für ge— wöhnlich in dem iſolierten und freien Zuſtande lebte, wie ich es gefunden, und daß ich es künftig im Boden des Strandes ſelbſt ſuchen müßte. „Das Tier gräbt ſich nicht ſenkrecht ein, ſondern nimmt eine ſchräge Richtung mit ungefähr 45 Grad an. Doch hängt Richtung und Tiefe etwas von der Beſchaffenheit des Sandes ab. Es kann nicht in der ſchwärzlichen, oft ſtinkenden Schlammſchicht leben, welche gewöhnlich unter der oberen ſandigen Schicht des Strandes liegt. Auch nimmt es eine mehr wagerechte Lage an, wenn die Sandſchicht dünner wird; dann iſt es faſt immer ſchwerer zu finden, indem es vollkommen verborgen iſt und nichts ſeine Anweſenheit ver— rät. Gewöhnlich ließ es in den mit einem etwas groben Sande gefüllten Gefäßen, worin 1 Larve von Dentalium in verſchiedenen Entwickelungsſtufen. Stark vergrößert. Entwickelung und Lebensweiſe des Elefantenzahns. 417 ich es hielt, 1— 2 mm der Schale über die Oberfläche des Grundes hervorragen; häufig genug aber auch erreichte die Spitze gerade die Oberfläche des Sandes. Daraus begreift ſich leicht, daß das Dentalium leicht vom Wellenſchlage herausgeworfen wird, indem es auch bei geringer Bewegung des Waſſers ſchnell bloßgelegt wird. Damit iſt jedoch nicht geſagt, daß es, vom Sande entblößt und bei der Ebbe aufs Trockene geſetzt, ſich nicht ſchnell wieder eingraben ſollte. Im Gegenteil, das geſchieht ſogleich wieder; es ſtreckt den Fuß hervor, gräbt ihn ein, und in einigen Minuten richtet es ſich auf und erſcheint wie in den Sand gepflanzt. Hält man die Tiere in der Gefangenſchaft, ſo unterſcheidet man ſchwierig auf dem Grunde die abgeſtorbenen von den noch lebenden Individuen, und ich benutzte dieſe Eigentümlichkeit, um die Auswahl zu treffen. Ich legte eine große Menge der Dentalien auf eine naſſe Sandfläche und wußte ſchnell, daß diejenigen, welche ſich nicht eingruben, dem Tode nahe oder tot waren. „Wenn beim Zurückgehen der Flut das Waſſer nicht mehr die Sandoberfläche bedeckt, gräbt ſich das Dentalium ganz ein und verſchwindet. Ich füge eine Bemerkung hinzu, welche ſich auf den größten Teil der ſich im Sande verbergenden Tiere bezieht, für die naturgeſchichtlichen Unterſuchungen wichtig und von praktiſcher Bedeutung iſt. Der gün— ſtigſte Augenblick, um bei der Ebbe die im Strandboden wohnenden Tiere zu ſammeln, iſt der unmittelbar dem wieder beginnenden Steigen des Waſſers vorangehende. Warum? Wenn das Waſſer fällt, bleibt noch viel Waſſer im Sande zurück, und einige Zeit hin— durch befinden ſich die Tiere noch in ganz günſtigen Verhältniſſen. Bald aber, in dem Grade, als die Ebbe weiter ſchreitet, fließt jenes Waſſer auch ab, und beim niedrigſten Stande, wenn die Flut eben beginnen ſoll, fängt der Strand an auszutrocknen, die Tiere fühlen das Bedürfnis nach Waſſer, verändern ihren Ort und ſuchen einen feuchteren Platz. Zu dieſem Zeitpunkt iſt das Einſammeln von allen im Strande eingegrabenen Tieren am ergiebigſten: ſie mögen zu was immer für einer Klaſſe gehören, alle verraten ihre Anweſenheit durch Furchen und Bewegungen des Bodens. Eine große Anzahl ſandbewoh— nender Muſcheln kann man dann mit der größten Leichtigkeit erkennen. Ich fand die ſchönſten und größten Sipunkeln, wie ſie eben aus dem Boden hervorkamen, und das in dem Moment, wo die Flut mich vertrieb und die Unterſuchungen aufzugeben zwang. Nicht anders Dentalium; auch dieſes ſieht man den Sand aufwühlen. Anfänglich macht es nur eine kleine, leicht zu erkennende Furche, die man wohl mit der der Pandora (einer kleinen Muſchel) verwechſeln kann. Dieſe indeſſen geht immer einen krummen Weg, da die eine Schalenhälfte eben, die andere gebogen iſt. Sobald man dies Zeichen kennt, irrt man nicht mehr. Anfangs alſo verraten die Dentalien ihre Anweſenheit durch ihre Furche im Sande; ſpäter erſcheint die leicht kenntliche Schale wie im Strandboden gepflanzt; noch ſpäter kommt ſie ganz heraus, und das Tier fällt auf den Sand. Als ich dieſe Umſtände kennen gelernt, konnte ich bei einer einzigen großen Ebbe leicht und ohne Mühe 200 Stück ſammeln. Dentalium iſt alſo ein Tier, das verhältnismäßig in ziemlichen Tiefen lebt, und das man nur bei ſtarker Ebbe anzutreffen hoffen darf. Am liebſten gräbt es ſich in etwas grobem Sande ein. In dem ſehr feinen war es nie zu finden. Die lange lebend aufbewahrten Tiere ſchienen ſich in dem aus kleinen Muſchelbruchſtücken gebildeten Sande ſehr wohl zu befinden. In dem feinen Sande, welcher unten ſchlammig und faul wurde, gingen die Tiere ſehr ſchnell zu Grunde. Die angeführten Thatſachen zeigen genugſam, daß das Dentalium nicht eine Röhre bewohnt, wie viele Muſcheln, ſondern daß es im Gegenteil fortwährend ſeinen Aufenthaltsort wechſelt. Beim Eindringen in den Sand be— dient es ſich der beiden Seitenlappen des Fußes, welche dabei die Rolle von Ankerzähnen ſpielen, ſo daß, wenn das Tier nach dem Vorſtrecken des Fußes ſich zuſammenzieht, der ganze Körper vorwärts rücken muß.“ Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 27 418 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln. Nachdem Lacaze-Duthiers die Beobachtungen mitgeteilt, aus denen erſichtlich, daß das Waſſer durch die Flimmerbewegung am Vorderende eintritt und aus der hinteren Mündung ſamt Exkrementen und Fortpflanzungsprodukten wieder austritt, und daß das Tier ſich dabei auch des Fußes wie eines Pumpenſtempels bedienen kann, ſagt er, daß es ihm wahrſcheinlich ſei, daß durch die regelmäßige von vorn nach hinten gerichtete Strö— mung auch die Nahrung dem Munde zugeführt werde; aber auch die Fühlfäden könnten zur Aufſuchung und Zubringung kleiner zur Nahrung dienender Tierchen verwendet werden. „Über das Empfindungs- und Nervenleben läßt ſich Folgendes leicht beobachten: Das Dentalium verſpürt die Einwirkung des Lichtes; man ſieht es den Fuß einziehen, wenn man einen Sonnenſtrahl darauf fallen läßt. Auch wenn man ſich dem Tiere mit einem Lichte nähert, zieht es ſich in ſein Gehäuſe zurück; und dieſer Umſtand ſteht mit einer Eigentümlichkeit ſeiner Lebensweiſe in Verbindung. Es verändert bei Nacht, beſonders bei Beginn derſelben, ſeinen Platz. Ich hatte bemerkt, daß die in Schüſſeln befindlichen Tiere ein kleines Anſchlagen vernehmen ließen. Indem ich nun aufpaßte, erkannte ich, daß ihr Fuß, indem er in den Boden eindringen wollte, die Schale in die Höhe hob, und daß dieſe beim Umfallen das Geräuſch verurſachte. Ich beobachtete nun die Tiere lange Zeit, indem ich ihnen einen faſt natürlichen Aufenthalt geſchaffen hatte, und erkannte bald, daß die Abendſtunde die Zeit des Ortswechſels war. Ich will nicht behaupten, daß ſie ſich ausſchließlich zu dieſem Zeitpunkte bewegen; aber es ſcheint mir unbeſtreitbar, daß die Dentalien beſonders bei Nacht in Thätigkeit ſind. „Auch die Fortpflanzung zeigt einige bemerkenswerte Thatſachen. Eine Begattung findet nicht ſtatt, und zwar notwendigerweiſe deshalb, weil es keine äußeren Fortpflan— zungswerkzeuge gibt. Die Individuen nähern ſich nicht einmal einander. Die Dentalien laſſen ſich zu leicht beobachten, als daß man ſich darüber täuſchen könnte. Ich legte die Dentalien in weiße Teller, wo ich ſie bei öfterer Erneuerung des Waſſers ließ. Nach einigen Tagen konnte ich dann immer mit Sicherheit auf das Eierlegen zählen, und zwar fand es regelmäßig nachmittags zwiſchen 2 und 5 Uhr ſtatt. Eine Ausnahme ſchienen nur die Individuen zu machen, welche zu ſtark von der Sonne beſchienen waren. Wie die Eier wird auch die Samenflüſſigkeit ungefähr zur ſelben Stunde und in derſelben Weiſe durch die hintere Schalenöffnung entleert. Mithin iſt die Befruchtung, wie bei der Mehrzahl der kopfloſen Weichtiere, dem Zufall überlaſſen. Hier das Männchen, dort das Weibchen ent— ledigen ſich der Produkte ihrer Fortpflanzungsorgane, und letztere können ſich einander be— gegnen oder auch nicht, gerade wie bei den diöciſchen Pflanzen, wo der Pollen zur Erde fällt und von den Winden da und dorthin getragen wird. Bei konträrem Winde bleiben die Piſtille der weiblichen Individuen unbefruchtet, ebenſo wie hier bei einer nicht gün— ſtigen Waſſerſtrömung das Weibchen nichts hervorbringen kann, indem die Eier ſich nicht entwickeln. Da begreift man denn, wie nützlich die ſo lebendigen Bewegungen der Samen— körperchen ſind, welche das Ei in der Entfernung aufſuchen und befruchten müſſen. Die Zeit, während welcher die Fortpflanzung der Dentalien beobachtet wurde, war von Anfang Mai bis Mitte September.“ Allgemeines. 419 Vierte Klaſſe. Die Muſcheln (Lamellibranchiata). Wer hat es nicht geleſen, das köſtliche Gedicht von Rückert: „Edelſtein und Perle“? Wie die beiden ihres Daſeins Grund und Entwickelung und ihre vielverſchlungene Lebens— reiſe ſich erzählen! Die Thräne eines Engels fiel ins Meer, um aufgenommen in den Schoß der Muſchel nach und nach zum Kleinod zu erhärten, während die treue Amme jene Räume durchmißt, „Wo tief in den kriſtallnen Grotten koch ganze Lebensgattungen verſteckt Der Forſchungen und des Erforſchers ſpotten.“ Wie ſchön iſt die Dichtung, wie poetiſch wahr und doch, was die Muſchel angeht, kaum ein Zug der Natur entlehnt. Alles Phantaſie, Symbol für menſchliche Verhältniſſe. So— gar ſo unbeſtimmt läßt der Dichter unſere Vorſtellung von der treuen Amme der Perle, daß wir glauben müſſen, ein Triton könne auf ihr blaſen. Nun, dieſe poetiſche Unbe— ſtimmtheit iſt der getreue Ausdruck der allgemeinen Unbekanntſchaft des zoologiſchen Laien mit der Welt der Muſcheltiere, welche, dem Auge faſt vollſtändig entrückt, aufgeſucht ſein will und ſelbſt gefunden den meiſten ein verſchloſſenes Rätſel bleibt. Wohl mancher hat aus dem Schlammgrunde eines ſeichten Gewäſſers Hunderte und Tauſende von Muſcheln in etwas ſchräger Stellung hervorragen ſehen, ohne daß ihm klar geworden, ob ſie ihm das Vorderteil oder das Hinterteil zukehren. Und eine geöffnete Auſter bietet faſt gar keine Anknüpfungspunkte zur Orientierung über ihre Körperteile, daß die meiſten Eſſer ſie ohne jeglichen anatomiſchen oder ſyſtematiſchen Gedanken verſchlucken. Wer eine Muſchel— ſchale auflieſt, kann ſie, ſolange er will, von allen Seiten betrachten, er wird höchſtens erraten, an welcher Stelle ungefähr der Mund des Tieres gelegen. Dazu, daß uns die Muſcheln im allgemeinen ſo fremd und gleichgültig bleiben, trägt auch ihr ungemein phlegmatiſches Temperament bei. Ihnen gegenüber ſind die Schnecken die lebhafteſten Sanguiniker. Denn wenn es auch einzelne Muſchelarten des Meeres gibt, welche durch ſchnelles Auf- und Zuklappen der Schalen ziemlich ſchnell ſchwimmen können, ſo ſind dies eben ſeltene und verborgene Ausnahmen. Die übrigen ſind faſt ſo bodenſtändig wie die Pflanzen. Ihre Ernährungsweiſe treibt ſie nicht auf Beutezüge und gegenſeitiges Bekriegen; angegriffen wehren ſie ſich nicht anders, als durch das Verſchließen ihres Ge— häuſes, und ſelbſt die Zeit der Fortpflanzung, welche ſo viele andere ſonſt träge Tiere dazu treibt, ihre Röhren und Schlupfwinkel zu verlaſſen, vermag nicht die Muſcheln aus ihrem Stillleben und ihrer leidenſchaftsloſen, duldenden Zurückgezogenheit aufzurütteln. Es würde daher, wie ſchon bei verſchiedenen Tiergruppen, mit welchen wir uns früher beſchäftigt, wenig Befriedigung gewähren, wollten wir uns auf die Biographie der Muſchel— tiere in ihrer ungemeinen Gleichförmigkeit beſchränken. Ganz anders verhält es ſich aber, wenn wir uns auf den höheren Standpunkt ſtellen, von dem aus wir in die Eigentüm— lichkeiten des Baues ſelbſt einzudringen und die niedrigeren und höheren Organiſationen miteinander zu vergleichen und durcheinander zu erklären ſuchen. Für jene wichtigſte Frage der gegenwärtigen Tierkunde, das Abändern und die Entſtehung neuer Arten, ſind z. B. unſere Süßwaſſermuſcheln von großer Bedeutung. Schon ein paar Jahrzehnte, bevor Dar— win ſeine epochemachende Hypotheſe veröffentlichte, fühlte ſich der treffliche Roßmäßler beſonders durch das Studium jener Muſcheln zu dem Ausſpruche veranlaßt, daß die ſo— genannten Arten nichts Beſtändiges ſeien, ſondern durch fortwährende Anpaſſung mit 275 420 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln. teilweiſer Erhaltung des Ererbten ineinander übergingen und neu würden. Es wird alſo für den Naturfreund gewiß ſich der Mühe verlohnen, nicht bloß oberflächlich einmal eine Muſchel— ſchale in die Hand zu nehmen oder nach abgebrauchter Sammlerweiſe viele Muſchelſchalen etikettiert und numeriert unter Glas in ſauberen Kaſten zu beſitzen, ſondern auf den Kern einzugehen und durch die Kenntnis der Klaſſe der Muſcheltiere als eines Ganzen niederer Ordnung der Erkenntnis des großen Ganzen ſich zu nähern. Nachdem wir uns ſowohl einige leere Schalen als lebende Exemplare der gewöhn— lichen Fluß- oder Teichmuſcheln verſchafft, beginnen wir daran unſere Orientierung. „Ein allgemeines Bild von einem Blätterkiemer oder Muſcheltier kann man ſich entwerfen, in— dem man ſich ein in eine Decke gebundenes Buch vorſtellt: mit dem Rücken nach oben und mit dem Kopfende nach vorn gewendet. Denn die zwei Decken entſprechen rechts und links den zwei Klappen der kalkigen Muſchel, die zwei nächſtfolgenden Blätter von beiden Seiten dem Mantelblatte des Tieres, das dritte und vierte Blatt jederſeits den zwei Paar Kiemenblättern desſelben, und der noch übrige innere Teil des Buches dem Körper des Tieres. Doch nehmen dieſe Blätter vom äußerſten an auf jeder Seite bis zum Körper an Umfang ab, ſo daß die zwei gewölbten Schalenblätter als die größten alle übrigen, wie der Mantel die Kiemenblätter, rings— um einſchließen. Alle dieſe Teile ſind längs ihrem oberen Rande wie die Blätter eines gebundenen Buches miteinander verwachſen.“ (Bronn.) Wir machen uns nun dieſe Worte klar an einer Muſchel, welche entweder im Waſſer, in dem wir ſie ſeit einiger Zeit hielten, abgeſtorben iſt, oder die wir durch kurzes Einlegen in Weingeiſt töte— Tier von Anodonta anatina (Entenmuſchel), von . oa Dr ale unten. Mantelpälften zurückgeſchlagen. Natürl. Grobe Der Rand des Blattes, welches den Muſchelkörper jederſeits bedeckt und zunächſt unter der Schale liegt, der Rand des Mantels (g in obiger Abbild.) haftet gewöhnlich längs des Schalenrandes feſt, läßt ſich aber mit dem flachen Stiele eines Skalpels leicht unverletzt ablöſen. Das Hinter— ende jedes dieſer Blätter iſt mit zahlreichen Wärzchen (h) beſetzt, welche außerordentlich em— pfindlich ſind und bei allen denjenigen Muſcheln ſich finden, den meiſten, welche mit der vorderen Körperhälfte ſich eingraben. Wir wiſſen alſo nun, welchen Körperteil uns dieſe Tiere aus dem Sande oder Schlamme zukehren. Bei weitem nicht alle Muſcheln haben die Mantel— ränder frei wie unſere Flußmuſcheln, ſondern auf größere oder geringere Strecken ver— wachſen. Namentlich bildet der Mantel am Hinterende Röhren. Er ſondert die Schale ab. Zunächſt unter dem Mantelblatte jeder Seite liegen die beiden Kiemenblätter (d), ganz beſonders ſtark entwickelt bei unſeren Süßwaſſermuſcheln, überhaupt aber immer ſo charakteriſtiſch und in die Augen fallend, daß davon die ganze Klaſſe den Namen „Blätter— kiemer“ (Lamellibranchiata) erhalten hat. Zwiſchen ihnen nach vorn liegt der keilförmig zugeſchnitzte Fuß (a). Man kann ſich von dem Gebrauche desſelben leicht an lebenden Tieren überzeugen, die man in ein Becken mit Waſſer und einige Finger hohem Sande gethan. Sobald die Muſchel Ruhe um ſich herum ſpürt, lüftet ſie die Schale und die vordere Fußecke erſcheint wie eine Zunge zwiſchen den auch etwas hervortretenden Allgemeines über den Bau der Muſcheln. 421 Mantelrändern. Iſt die Umgegend ſicher, jo kommt der Fuß immer weiter hervor, bei größeren Muſcheln 4—5 em weit; er ſenkt ſich alsbald in den Sand, und das Tier hat die Kraft, ſich an dem Fuße aufzurichten. Es dringt, mit dem Fuße einſchneidend, mit dem Vorder— ende in den Boden, und ſein langſam zurückgelegter Weg wird durch eine Furche bezeichnet. Der Gebrauch ſowohl wie die Lage zu den übrigen Körperteilen, nicht minder die Ent— wickelungsgeſchichte lehren, daß der Keilfuß der Muſcheln nichts anderes iſt, als die Kriech— ſohle der Schnecken. Außer dem Fuße haben wir an der Teichmuſchel noch zwei ſehr wich— tige Muskeln, nämlich diejenigen, durch welche die beiden Schalenhälften aneinander ge— zogen werden und welche deshalb die Schließmuskeln heißen. Solange das Tier lebt, kann man nur mit Anwendung großer Gewalt die Muſchel öffnen; man bricht oft eher die Schalen aus, als daß die Muskeln nachgeben. Der eine liegt vor dem Munde und bildet durch ſeine untere Seite mit dem Fuße das Verſteck für den Mundeingang. Der hintere liegt unterhalb des Maſtdarmes, welcher, nachdem er über ihm hinweggegangen, etwas nach abwärts biegend hinter ihm zum Vorſchein kommt. Vergeblich ſucht man nach einem Kopfe. Die Muſcheln und die noch übrigen Weich— tiere haben keinen von dem übrigen Körper abgeſetzten Teil, der dieſen Namen verdiente, ein Mangel oder eine Unvollkommenheit, welche, wie wir ſahen, ſich auch noch auf manche höhere Weichtiere übertragen hat, und von welcher unſere und die nächſten Klaſſen den Sammelnamen „kopfloſe Weichtiere“ (Acephala) erhielten. Es iſt beſonders dieſer Mangel eines Körperteiles, nach deſſen Vorhandenſein man ſich über die Geſtaltung der höheren Tiere ſofort orientiert, der es macht, daß wir uns anfänglich an dem Muſchelleibe gar nicht zurechtfinden können. Geht man mit einem dünnen Federkiele auf der vorderen und oberen Kante des Fußes nach aufwärts, wobei man die beiden dreiſeitigen Blätter (e), welche jederſeits vorn vor den Kiemen liegen, nach aufwärts ſchlägt, ſo trifft man mit Sicherheit auf die in einem verborgenen Winkel liegende Mundöffnung (b). Die Mundhöhle der Muſcheln iſt ohne jegliche Bewaffnung und Vorrichtung für die Zer— kleinerung der Speiſen, da alle dieſe Tiere nur von mikroſkopiſch kleinen Pflänzchen und anderen niederen Organismen ſich ernähren. Wir werden weiter unten anführen, wie dieſe Nahrung zum Munde gelangt. Eine kurze, weite Speiſeröhre erweitert ſich zum Magen. Gleich oberhalb und ſeitlich von dieſem liegt die Leber (Abbild. S. 422, i), und von ihm aus ſteigt der Darm in jenen Körperteil, welcher ſich an den Fuß nach hinten und oben anſchließt. Nach einer oder zwei ſchlingenförmigen Biegungen am vorderen Teile der Rückenlinie unterhalb des Mantels angelangt, verläuft er vollends in ziemlich gerader Richtung bis zum Hinterende, unterwegs (aller Sentimentalität bar) das Herz durchbohrend. In unſerer Abbildung S. 420 ſehen wir die Afteröffnung in k, während ſowohl oberhalb wie unterhalb derſelben ſich die Mantelblätter verbinden. Durch die Verlängerung dieſer Mantelteile kann auch eine Röhre entſtehen, durch welche die Auswurfsſtoffe entleert werden. Zwei Paar dreiſeitiger Blätter jederſeits am Munde (e) heißen die Fühler oder Mundtentakeln, auch Lippenanhänge. Hat man, wie in der umſeitigen Abbildung geſchehen, ſowohl den Mantel als die Kiemen zur Seite geſchlagen, ſo wird man nach einigen vergeblichen Verſuchen im ſtande ſein, die Hauptteile des Nervenſyſtems, wenn auch nicht vollſtändig rein her— auszupräparieren, doch ſich vollkommen klar zur Anſchauung bringen. Ein Ganglien— paar (1) liegt neben und etwas hinter dem Munde. Ein zweites (2) tief im Fuße. Die die beiden Nervenmaſſen verbindenden Stränge umfaſſen den Schlund, nicht weniger diejenigen, welche das erſte mit dem dritten, obgleich weit davon entfernt befindlichen dritten Paare (3) unter dem hinteren Schließmuskel in Verbindung ſetzen. Es bedarf gar keines großen vergleichend-anatomiſchen Scharfblickes, um in dem konzentrierten, in der 423 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln. Regel auch aus drei Paaren Ganglien beſtehenden Schlundringe der Schnecken dieſe Teile des Muſchel-Nervenſyſtems wiederzuerkennen; ja, die Gleichheit iſt eine ſo vollſtändige, daß die Muſcheln ſogar die beiden Gehörbläschen auf den Fußganglien beſitzen, wie man beſonders leicht an den Embryonen mancher Gattungen bei unverſehrtem Tiere unter dem Mikroſkop ſehen kann. Als eine zweite Art von Sinneswerkzeugen haben wir ſchon die Taſtwärzchen am Hinterrande des Mantels kennen gelernt. Wir wundern uns nicht mehr über ihre Empfindlichkeit, wenn wir in jedes derſelben von zwei großen, dem dritten Ganglienpaar entſpringenden Nervenſtämmen einen Zweig eintreten ſehen. Wir finden alſo eine Reihe der wichtigſten Organe, welche im und am Kopfe der Schnecke nahe bei einander liegen, und welche dem Schneckenkopfe eigentlich ſeine Bedeutung als Kopf geben, hier in der Muſchel von einem Ende des Körpers zum anderen zerſtreut vor: einer der über— raſchendſten und einfachſten Beweiſe zu dem all— gemein gültigen Satze, daß die Kopfbildung im Tierreiche auf einer Konzentration beruht und mit— hin eine höhere Stufe der Entwickelung anzeigt. Wir würden noch eine ganze Reihe von Ab— bildungen nötig haben, um die Verhältniſſe des Gefäßſyſtems und Blutlaufes auseinander zu ſetzen. Das Herz mit feiner rechten und linken Vorkammer liegt in einem dünnen Herzbeutel ein: geſchloſſen am Rücken und treibt das Blut in den Körper. Bevor das Blut aus dem Körper in die Kiemen tritt, muß es ſeinen Weg durch ein ſehr umfangreiches, aber anatomiſch höchſt ſchwierig darſtellbares Organ, von ſchwammiger Beſchaffen— heit und nach ſeinem Entdecker das Bojanusſche Organ genannt, nehmen. Durch eine auch beim Zurückſchlagen der Kiemen zum Vorſchein kommende Offnung (y) kann dasſelbe Waſſer aufnehmen und Nervenſyſtem und andere Organe der Enten muſchel— dem Blutgefäßſyſtem zuführen. Damit iſt ganz auf die Weiſe, wie bei den Schnecken, das Schwell— vermögen unſerer Tiere erklärt. Das Aufblähen der Mantelränder, vor allem aber das An— ſchwellen und Hervorſtrecken des Fußes, iſt durch die freiwillige Aufnahme von Waſſer in die Blutgefäße möglich. Auch hat man mehrere Offnungen an Mantel und Fuß entdeckt, durch welche die Blutwaſſerflüſſigkeit wieder abgelaſſen werden kann. Nimmt man die Muſchel, welche behaglich den Fuß weit hervorgeſtreckt hat, plötzlich aus dem Waſſer, ſo wird das Waſſer in mehreren Strahlen gewaltſam aus ihrem Körper getrieben, und zwar ſind die Zuſammenziehungen, welche dies bewirken, ſo heftig, daß Zerreißungen der Fuß- und Manteloberfläche nicht ausbleiben; zu den beſtändigen, normalen Offnungen gehört aber vor allen eine auf der Kante des Fußes. Zu ihr führt ein anſehnlicher Kanal mit dem eigentümlichen ſogenannten Schwellnetz dieſes Körperteiles, welches gegen den Abzugskanal, wenn die Schwellung ſtattfinden ſoll, abgeſperrt werden kann, während die Schleuſe jedes— mal geöffnet wird, wenn der Fuß unter der Schale geborgen werden ſoll. Wir erinnern nochmals an die oben angeführten Verſuche von Agaſſiz. Sehr einfach verhalten ſich die Fortpflanzungsorgane der Muſcheln. Sie ſind beſchränkt auf die inneren Drüſen. Immer liegen ſie in dem etwa dem Rumpfe anderer Tiere vergleichbaren Körperteile, der nach oben aus dem Fuße hervorgeht. Bei unſeren Bau und Lebensverhältniſſe. Die Muſchelſchale. 423 zweigeſchlechtigen Fluß- und Teichmuſcheln finden wir demnach Eierſtock oder Samendrüſe unterhalb und hinterwärts von der Leber, und ihr Ausführungsgang wird in der Kiemen— furche ſichtbar (x). Die ganze Lebensökonomie des Muſcheltieres würde aber unverſtändlich bleiben, wenn wir nichts wüßten von der Thätigkeit der Flimmerhärchen an der Oberfläche ihrer Körper— teile. Man laſſe ſich eine unſerer Muſcheln in einer mit Sand und einer einige Finger hohen Waſſerſchicht gefüllten Schüſſel ruhig eingraben und ſtreue dann, nachdem ſie ſich placiert, ein nicht zu Boden ſinkendes Pulver in die Nähe ihres emporragenden Hinter— teiles. Es werden ſofort ſchon vorher bemerkbare Strudel und Strömungen ſichtbar. Die Pulverteilchen verſchwinden unterhalb des Afterſchlitzes, und aus dieſem Mantelſchlitze, in welchen der Maſtdarm mündet, kommen ſie nach einiger Zeit mit einer ſtarken Strö— mung wieder zum Vorſchein. Die ganze innere Mantelfläche, die geſamte Oberfläche der Kiemen und der Lippententakeln ſind mit lebhaft thätigen Flimmerhaaren beſetzt, durch welche ganz regelmäßige ununterbrochene Strömungen unterhalten werden. Durch dieſelben wird nicht bloß den Kiemen neues Waſſer, ſondern mit dieſem auch dem Munde Nahrung zugeführt. Das Verbrauchte und Unbrauchbare aber ſtoßen die in entgegengeſetzter Richtung wirkenden Wimperfelder durch die obere Röhre oder durch den oberen Schlitz wieder aus. Bei denjenigen Muſcheln, welche, wie unſere Teich- und Flußmuſcheln, ihre Eier bis zum Ausſchlüpfen der Jungen in den Kiemen tragen, wird der Transport der Eier und die Befruchtung ebenfalls durch dieſe Strömungen vermittelt. Kurz, durch einen dieſe Flim— merſchleimhäute befallenden Katarrh können mit einem Male die wichtigſten Lebensver— richtungen der Muſcheltiere unterbrochen werden. Die ganze Exiſtenz hängt von dem Vor— handenſein und der Geſundheit jener unſichtbaren Härchen ab. Daß übrigens der Waſſer— wechſel innerhalb der Schale nicht allein durch die Flimmerorgane bewirkt wird, davon kann man ſich durch kurze Beobachtung überzeugen. Ohne jede äußere Veranlaſſung klappt die Muſchel von Zeit zu Zeit plötzlich die Schale zu, wodurch natürlich auch ein gewalt— ſames Abſtrömen des zwiſchen den Mantel- und Kiemenblättern enthaltenen Waſſers er— folgt. Das Offnen der Schale geſchieht darauf langſam. Wir wiſſen, daß ſehr viele Weichtiere durch die abſondernde Thätigkeit des Mantels im ſtande ſind, ſich ein Gehäuſe zu bauen. Der Mantel der Muſcheln ſchwitzt auf der äußeren Fläche und an den freien Rändern Kalkmaſſe aus, welche ſich zu der Muſchel— ſchale organiſiert. Die beiden Schalenhälften beſtehen meiſt aus zwei verſchiedenen Schich— ten; die äußere, von den Mantelrändern abgeſonderte (die Säulenſchicht), iſt aus prisma— tiſchen, mit kohlenſaurem Kalke angefüllten Zellen oder Säckchen gebildet, die ſenkrecht auf der Mantelfläche ſtehen; die innere beſteht aus einer Menge dicht übereinander lie— gender, blätteriger, ſtrukturloſer Ausbreitungen, in und zwiſchen denen der Kalk abgela— gert iſt. Bald bildet die äußere, bald die innere, die Perlmutterſchicht, die Hauptmaſſe der Schale. Wir erwähnten ſchon, daß beide Schalen auf ihrer inneren Fläche nur durch die durch Eindrücke ſichtbaren Anſätze der Muskeln und an ihrem Rande durch eine von den Mantelſäumen ausgehende Oberhaut mit dem Tiere verwachſen ſind. Dieſe Oberhaut oder Epidermis überzieht auch die äußere Fläche der Schalen, wird jedoch bei vielen Muſcheln immer wieder abgerieben. Die Verbindung der Schalen aneinander geſchieht durch ein elaſtiſches Band, das Ligament, welches zugleich durch ſeine Elaftizität die Muſchel öffnet, mithin den Schließmuskeln entgegenwirkt. Dieſes Ligament iſt der Willkür des Tieres entzogen und eigentlich eine tote Maſſe. Es erklärt ſich daraus, warum abgeſtor— bene Muſcheln zu klaffen pflegen: die Muskeln, welche im Leben nach dem Willen des Tieres ſich zuſammenzogen und die Wirkung des Bandes zeitweilig unterbrachen, ſind erſchlafft. Die Muſcheln öffnen alſo, wenn man will, ihre Schalen nicht ſelbſt, durch eigne 424 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln. Kraft, ſondern die Schalen öffnen ſich infolge des Nachlaſſens der Muskelkraft oder Muskelthätigkeit des Tieres. Bei den meiſten Muſchelſchalen liegen vor dem Ligament die beiden Wirbel, ein Paar nach vorn gerichtete Erhebungen der Schalenhälften, ſo daß, wenn Ligament und Wirbel deutlich ausgeprägt ſind, man ſich mit größter Leichtig— keit über die Gegenden der Schale und die Lage des Tieres in ihr unterrichten kann. Natürlich iſt es unumgänglich notwendig, zu wiſſen, welche Gegenden an der Muſchel man mit oben und unten, Rücken und Bauch, Vorder: und Hinterende bezeichnen ſoll. In Überein— ſtimmung mit dem, was ſich aus der anatomiſchen Betrachtung des Tieres ergab, nennen wir den Rand, an welchem das Ligament ſich befindet, den Rückenrand, den entgegengeſetzten den Bauchrand. Die vordere Seite liegt vor den Wirbeln und iſt gewöhnlich mehr abgerundet als die hintere, für welche der hinter dem Ligament befindliche abfallende Rand übrigbleibt. In der untenſtehenden Abbildung iſt alſo e der Wirbel, d Bauchrand, a Vorderende, b Hinterende. Wo das Ligament beide Schalen vereinigt, beſitzen dieſelben oft zahnartige Vorſprünge, welche ineinander greifen, wie ein Scharnier. Die ganze Verbindung der beiden Schalen durch Band und Scharnier heißt Schloß. Zu den wichtigen Kennzeichen und ſyſtemati— ſchen Beſtimmungscharakteren der Muſcheln gehören auch verſchiedene Eindrücke und Zeichnungen auf der Innenſeite der Schalen. Die Muskeleindrücke (m, m) find ſchon genannt. Sehr auffallend iſt auch der Manteleindruck, welcher gemeiniglich dem Bauchrande parallel von einem Schließ— muskeleindruck zum anderen verläuft. Alle Muſcheln aber, welche Atemröhren und After— röhren beſitzen, zeigen den Eindruck des An— ; ö ſatzes der Muskeln, welche dieſe Röhren zu: rr rückziehen, in Geſtalt einer hinten offenen Bucht des Mantelrandes (n). Wenn wir uns gegenwärtig halten, daß bei der ausnahmsloſen Einförmigkeit der Nahrungsaufnahme durch die Wimperthätigkeit der für die Ausbildung des Baues und der verſchiedenartigſten Lebensäußerungen ſo wichtige Unterſchied von Pflanzen- und Fleiſchfreſſern eigentlich ganz wegfällt, daß das Nervenſyſtem und die Sinneswerkzeuge, deren Entfaltung ſo viele Abwechſelung in die Erſcheinung der höheren Tiere bringt, hier in die engſten Form- und Entwickelungsgrenzen gebannt iſt, daß nicht einmal die Zeit der Fortpflanzung und der Brut eine erhöhte äußere Lebendigkeit zuwege bringt und die Muſcheln ſozuſagen aus ihrem apathiſchen Alltagsleben aufzurütteln im ſtande iſt, ſo ſchwindet von vornhinein die Ausſicht auf den bunten Wechſel jener äußeren Lebens— verrichtungen, welche in anderen Tierkreiſen an die Mannigfaltigkeit der Lebensbedürfniſſe geknüpft ſind. Die innere Eintönigkeit der Muſcheltiere macht aber auch ferner ihre ſyſte— matiſche Behandlung außerordentlich ſchwierig. So fern uns auch ein eigentliches Ein— dringen in dieſe Seite der Naturgeſchichte liegt, ſo wenig haben wir uns doch eines all— gemeinen Einblickes in die Über- und Unterordnung der Tiergruppen als des Reſultats der Erkenntnis aller ihrer inneren und äußeren Lebensverhältniſſe entſchlagen können. Daß die 4500 bekannten lebenden Muſcheln in Form und Tracht gar ſehr auseinander gehen, erwarten wir; ihr innerer Zuſammenhang liegt ſoweit ganz auf der Hand, als das Schema ihres Baues ſich weſentlich gleichbleibt; wie ſie aber verwandtſchaftlich von— einander abzuleiten ſeien, in welcher Weiſe zu gruppieren, iſt unklar. Wir ſehen nur eine Schwierigkeiten der Syſtematiſierung. Aufenthaltsorte. 425 Menge, zum Teil höchſt merkwürdiger Anpaſſungen an äußere Verhältniſſe, wodurch Schalen, Fuß und Mantel in erſter Reihe umgemodelt werden. Wir müſſen aber doch verſuchen, einige Geſichtspunkte zur Beurteilung der größeren oder minderen Vollkommen— heit einer Muſchel zu gewinnen und halten uns dabei an einige der allerbekannteſten Formen. Wir nehmen irgend eine Fluß- oder Teichmuſchel (Unio, Anodonta), die uns oben zur Erörterung des Baues gedient hat, und eine Auſter. Die Schale der Flußmuſchel erſcheint als die vollkommenere wegen ihrer harmoniſchen Ausbildung, Glätte, Nettigkeit und Abgeſchloſſenheit. Die beiden Hälften der Auſterſchale ſind ungleich, maſſiv im Ver— hältnis zum Tiere, und beſonders an einigen foſſilen Auſtern iſt die Abſcheidung der ſchilferigen, unſchönen Kalkſchichten ſo voluminös, daß ſie faſt zur Hauptſache des ganzen Lebensprozeſſes des Tieres geworden zu ſein ſcheint. Ferner iſt die Flußmuſchel mit zwei ſymmetriſch entwickelten, ſtarken, aber doch nicht umfangreichen Muskeln mit der Schale verbunden; die Auſter hat einen großen Schließmuskel. Auf beide Weiſen wird der Ver— ſchluß der Schalen gut erreicht; an ſich, und wenn man die Lage der übrigen Körperteile berückſichtigt, ſind wohl die zwei Schließmuskeln vorteilhafter. Merkwürdigerweiſe ſind aber in keiner Muſchel die Sinneswerkzeuge ſo hoch entwickelt, als gerade in einer mit einem Schließmuskel verſehenen Sippe, den Kammmuſcheln, ein Umſtand, geeignet, uns in dem ſyſtemiſierenden Sichten zu beirren. Aus der Beſchaffenheit des Mantels ergibt ſich weder für die Flußmuſchel noch für die Auſter ein ihre Stellung beſtimmendes Mo— ment; bei beiden iſt der Mantel von vorn bis hinten geſchlitzt. In vielen anderen Sippen aber iſt der Mantel ſo weit geſchloſſen, d. h. ſeine Ränder verwachſen, daß bloß vorn ein Schlitz zum Durchtritt des Fußes und hinten 1 oder 2 Schlitze oder Röhren für die Atmung und Entleerung offen geblieben. Es iſt nicht zu leugnen, daß durch dieſen voll— kommeneren Abſchluß eine gewiſſe höhere Stellung wenigſtens vorbereitet wird. Ich möchte aber bei Berückſichtigung der faktiſchen Verhältniſſe darauf nicht ſo viel geben, als manche Syſtematiker thun. Wir finden nämlich den Mantelverſchluß und die Röhrenbildung bei den ſich tief in den Schlamm und Sand verſenkenden und in Stein und Holz bohrenden Sippen, ohne daß eine anderweitige Vervollkommnung an ihnen hervorträte. In ihrer Entwickelung weichen die Fluß- und Teichmuſcheln nicht nur von der Auſter, ſondern überhaupt von den übrigen Klaſſengenoſſen erheblich ab. Wir werden bei Ge— legenheit ihrer Naturgeſchichte näher darauf eingehen und bemerken hier nur ſo viel, daß ſie ſich darin vielen anderen, das Süßwaſſer und das Land bewohnenden Tieren anſchließen. In der Entwickelungsgeſchichte dieſer Tiere zeigt ſich oft die Beſonderheit, daß ihnen die für die verwandten Meeresbewohner charakteriſtiſchen Larvenzuſtände abhanden gekommen ſind. Die Muſcheltiere ſind ausſchließliche Bewohnerinnen des Waſſers, des ſalzigen ſowohl als des ſüßen. Die Seemuſcheln finden ſich in allen Meeren und in allen Tiefen, ſie ſind aber zwiſchen den Tropen und oberhalb 500 Faden viel häufiger als in kälteren Gegenden und in größeren Tiefen. Unter 2000 Faden fing man auf der Expedition des „Challenger“ nur noch 17 Arten. Die Muſcheln des ſüßen Waſſers zeigen in Nordamerika den größten Formenreichtum. Die meiſten Lamellibranchiaten bewegen ſich mittels ihres Fußes langſam kriechend, andere führen ſehr hurtige ſpringende Bewegungen aus, einige ſchwimmen, und viele büßen ihre Ortsbewegung nach ihrem Larvenzuſtande vollkommen ein. 426 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Einmuskler. Erſte Ordnung. Die Ginmuskler (Monomyaria). Die Einteilung der Muſcheln in die jetzt gebräuchlichen Ordnungen iſt ein bloßer, der Überſicht zu Hilfe kommender Notbehelf, die Reihenfolge der Familien eine willkürliche. An ein Syſtem der Muſcheln, welches annähernd wahrſcheinlich den Stammbaum der eigentlichen Blutsverwandtſchaft gäbe, kann noch gar nicht gedacht werden. Man teilt die Muſcheln entweder nach der Zahl der Schließmuskeln der Schale ein in: Einmuskler (Mo— nomyaria) und Zweimuskler (Dimyaria), oder in ſolche mit und ſolche ohne Atemröhre (Siphoniata und Asiphoniata). Wir wollen das erſtere Prinzip in Anwendung bringen. Die Monomyarier find aus den Dimyariern hervorgegangen; ſie treten foſſil in weit jüngeren Schichten auf als dieſe, mit denen ſie durch eine Reihe von Übergängen verbunden ſind. Die ausgeſprochenſten Monomyarier find die Auſtern, und wir beginnen daher unſere Betrachtung mit dieſen ſo nützlichen und angenehmen Geſchöpfen. Nächſt der See-Perlenmuſchel hat kein anderes Muſcheltier eine ſolche nationalökono— miſche Bedeutung, ſetzt ſo viele Hände in Bewegung und bringt ſolche Summen in Um— lauf, als die Auſter (Ostrea). Es gibt Auſtern in allen Meeren, alle folgenden näheren Mitteilungen werden ſich aber nur auf die gemeine Auſter (Ostrea edulis) der euro— päiſchen Küſten beziehen. Wer je der Auſter ſeine Aufmerkſamkeit geſchenkt, wird mehrere bezeichnende Eigenſchaften des Gehäuſes bemerkt haben. Die Schalen ſind unregelmäßig und ungleich, indem wie bei Pecten und Spondylus die eine dicker und mehr vertieft iſt und die andere wie ein bloßer Deckel dazu erſcheint. Zu ſo vielen anderen äußerlich ſchön geglätteten Schalen bilden ſie durch ihre unregelmäßig blätterige Struktur und ſchilferige Oberfläche einen rechten Gegenſatz; auch iſt ihr Inneres ſehr unregelmäßig, indem ſich mit Waſſer gefüllte Räume finden und überhaupt die ganze Schalenſubſtanz poröſer, durchdringbarer iſt, als bei den meiſten Muſcheln. Hiermit hängt wohl die Eigen— ſchaft der Auſter zuſammen, mit ihrer dickeren Schale leicht an den verſchiedenſten Gegen— ſtänden anzuwachſen, indem dieſes Anwachſen nicht vom Rande, ſondern von der Fläche aus geſchieht und nur ſo erklärt werden kann, daß die Schale vermittelſt einer ſie durch— dringenden und mit dem Kalke ſich innig miſchenden, vom Tiere ausgeſchiedenen Subſtanz an die Unterlage angeleimt und angekittet wird. In dem Maße, als die Muſchel wächſt, ſchwitzt im Umkreiſe des angekitteten Schalenſtückes neue Klebmaterie aus. Auch die Schloß— gegend hat mehrere bemerkenswerte Eigentümlichkeiten. Die anfangs gleichen Wirbel werden mit dem zunehmenden Alter ſehr ungleich, indem derjenige der oberen Schale in der Entwickelung zurückbleibt. Zähne ſind gar nicht vorhanden, und das Ligament iſt, wie bei manchen anderen Muſcheln, ein inneres; es liegt nach innen vom Rande in zwei Gruben der Schalen, von denen gleichfalls nur die untere erheblich wächſt. Das Klaffen iſt dadurch möglich, daß die Spitze des Deckels über den Unterrand der gegenüberliegenden Grube als ſeiner Drehlinie hinweg in jene hineingezogen wird. Das Offnen der Auſter, um ſie zur Tafel zu bringen, geſchieht bekanntlich mittels eines zwiſchen die Schalen eingebrachten Spaltes, den man längs der inneren glatten Deckelfläche bis zum Schließmuskel (e) vorſchiebt, um dieſen abzulöſen. Sobald er durchſchnitten, klafft das Gehäuſe, und es macht keine beſondere Schwierigkeit, das Ligament abzureißen. Wir haben nun das Auſtertier in ſeiner ſelbſtgefertigten Schüſſel liegen und wiſſen, wenn wir nicht ſchon an zweimuskeligen Muſcheln gut orientiert ſind, anfangs uns nur Auſter. 427 ſehr ſchwer zurechtzufinden. Indeſſen, da der Mantel (b) ganz geſpalten iſt und nur am Rücken (d) die beiden Blätter ineinander übergehen, ſo iſt damit für die Erkenntnis von unten und oben, vorn und hinten ein Anfang gemacht, und wir entdecken beim Zu— rückſchlagen des vorderen Zipfels (a) den tief verborgenen Mund. Der empfindliche und zuſammenziehbare Mantel wird gewöhnlich ſo weit zurückgezogen, daß unter ihm die Kiemenblätter (e) hervortreten. Eine weſentliche Abweichung der Auſter von den anderen Muſcheln beſteht in der gänzlichen Verkümmerung des Fußes, welche eintritt, ſobald die jungen Tiere ſich feſtgeſetzt haben. Damit ſteht im Zuſammenhange, daß auch der oben an den Fuß ſich an— ſchließende Körperteil, den man den Rumpf nennen könnte, nicht ſo wie gewöhnlich zur Ent— wickelung gelangt. Dies betrifft vornehmlich die Fortpflanzungsdrüſe. Ostreèa gehört mit Cy- clas und allen Pecten- Arten (mit Ausnahme des Pecten varius un ſerer Küſten) zu den we- 4 nigen hermaphroditi— ſchen Muſcheln. Der im Tierreiche ſonſt ſo ſtark ausgeprägte Gegenſatz der Geſchlechter und der tief innerlichen phyſiolo— giſchen Geſchlechtsthätig⸗ keit iſt bei ihr, wie bei manchen Schnecken, in dem Maße unentwickelt, daß die die Drüſe zu— ſammenſetzenden, Eier— und Samenfädchen er— zeugenden Blindſäckchen ganz durcheinander liegen und ſogar ein und dasſelbe Drüſenſäckchen halb männlich und halb weiblich ſein kann. Es ſcheint jedoch, daß bei manchen Individuen das eine oder das andere Geſchlecht bis zu einer faſt gänzlichen Unterdrückung des anderen vorwalten kann, ein Fingerzeig, daß in der Natur die Trennung der Geſchlechter nicht geſchaffen wurde, ſondern der natürlichen Züchtung und Varietätenbildung überlaſſen blieb. Die Doppelgeſchlechtigkeit der Auſter tritt jedoch, wenigſtens nach den Beobachtungen von Möbius, nie in der Weiſe auf, daß zu gleicher Zeit und im ſelben Individuum Eier und Same vorhanden ſind, alſo eine Selbſtbefruchtung ſtattfinden könnte, ſondern erſt nach der Eierträchtigkeit entwickelt ſich der Same. In anderen Individuen ſah Möbius ſich im Frühling die männlichen Geſchlechtsprodukte ohne vorhergegangene Eibildung ent— wickeln. Die Zahl der von einer Auſter jährlich produzierten Eier iſt eine enorme, wenn wir uns auch nur mit einer der niedrigſten Berechnungen begnügen. Leeuwenhoeck meinte, daß eine alte Auſter 10 Millionen Junge enthalte; ein anderer Gewährsmann, Auſter, geöffnet durch Hinwegnahme der Deckelſchale. Natürliche Größe. 428 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Ein muskler. der berühmte Neapolitaner Poli, veranſchlagt ſie nur auf 1,200,000, eine Nachkommen— ſchaft, hinreichend, um ausgewachſen 12,000 Fäſſer zu füllen. Allein auch mit dieſer Schätzung ſind wir noch weit ab von den thatſächlichen Verhältniſſen. Aus dem Berichte, welchen Profeſſor Möbius in Kiel über die Zuſtände der Auſternproduktion und Auſtern— zucht im Jahre 1870 dem preußiſchen Miniſter für die landwirtſchaftlichen Angelegenheiten abſtattete, entnehmen wir, daß ältere Auſtern zwar über 1 Million Junge zeugen, jüngere dreijährige aber viel weniger. Was aber noch wichtiger, die Zahl der trächtigen Auſtern auf den Bänken erreicht, wenigſtens an den engliſchen und ſchleswigſchen Küſten, höchſtens 30 Prozent, oft kaum 10 Prozent der Geſamtzahl. „Angenommen“, ſagt Möbius, „es laichten in einem Sommer nur 10 Prozent der Auſtern einer Bank, auf welcher 100,000 Auſtern lagern, und jede laichende Auſter brächte nur 1000 Junge hervor, ſo produzierten die 10 Prozent Mutterauſtern zuſammen doch ſchon 10 Millionen Junge. Wenn alle dieſe auf der Mutterbank oder in deren Nähe Platz nähmen, ſo müßten ſich von nun an 10 Millionen Auſtern in dieſelbe Menge Nah— rung teilen, die vorher 100,000 Auſtern zur Verfügung ſtand. Eine jede der kleinen würde zwar viel weniger Nahrung einziehen als eine erwachſene, aber ihrer großen Zahl wegen würden ſie ſich ſowohl gegenſeitig, wie auch den erwachſenen Auſtern eine ſehr ſtarke Kon— kurrenz machen, ſelbſt in dem großen Meere.“ Die weitere Verfolgung dieſer Betrachtung lehrt, daß durch die Ernährungsverhältniſſe eine ziemlich enge Grenze der Vermehrung der Auſtern auf einer gegebenen Meeresſtrecke beſtimmt iſt, und daß bei Zunahme der Menge der Individuen die einzelnen leiden und an Wert verlieren. Die Entwickelung, über deren Einzelheiten wir auffallenderweiſe noch keine genaueren Nachweiſe beſitzen, geſchieht innerhalb der Mantelhöhe des alten Tieres, welche die Jungen erſt dann ver— laſſen, wenn ihre Schale ſo weit ausgebildet iſt, daß ſie ſogleich ſich ankitten können. Schon nach einigen Monaten ſollen ſie wieder fortpflanzungsfähig ſein, was wohl ſtark zu be— zweifeln, aber erſt nach einigen Jahren erreichen ſie die nach ihren Standorten und der Raſſe ſehr verſchiedene volle Größe. Man wird nämlich nicht fehlgreifen, wenn man alle an den europäiſchen Küſten lebenden Auſtern, welche im Auſternhandel eine Rolle ſpielen, als eine einzige Art anſieht, mögen ſie nun auf Felſen oder auf lockeren Bänken ange— ſiedelt ſein, groß oder klein, dickſchalig oder dünnſchalig, mehr oder weniger blätterig. Die Anatomie der Tiere weiſt keine einzige irgendwie berückſichtigungswerte Verſchieden— heit nach, und die angedeuteten Abweichungen ſind vollſtändig aus den verſchiedenen Graden des Kalk- und Salzgehaltes der Meere, überhaupt aus den lokalen Einflüſſen abzuleiten. Wir haben nun dieſe Verhältniſſe, das Vorkommen der Auſter und ihre geo— graphiſche Verbreitung an den europäiſchen Küſten, näher ins Auge zu faſſen. Es iſt nicht gut möglich, die künſtlich angelegten Bänke und Zuchten dabei gänzlich unberück— ſichtigt zu laſſen, obgleich wir erſt weiter unten über die in neuerer Zeit ſo großes Auf— ſehen machende Auſternpflege ſpezieller berichten wollen. Gehen wir vom Adriatiſchen Meere aus, in welchem die Auſter überall wenigſtens vereinzelt, an verſchiedenen Stellen maſſenhaft, d. h. in Bänken lebt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das letztere Ver— hältnis das natürlichere iſt, obſchon man von den vereinzelt angeſiedelten Auſtern durch— aus nicht das Gegenteil ſagen kann. Im äußerſten, ſehr flachen Winkel der Bucht von Muggia in Trieſt ſiedeln ſich die Auſtern auf den in den Schlamm geſteckten Pfählen an, wogegen ſie auf dem ſehr weichen Schlammgrunde dieſer bei den Zoologen hoch in Ehren ſtehenden Bai nicht fortkommen. Seit Jahrhunderten hegt man ſie auch in den Kanälen und Baſſins des Arſenals in Venedig. Wir ſehen das Tier alſo auf der öſtlichen und der weſtlichen Seite des großen Golfes von Venedig unter ſehr verſchiedenen Bedingungen gedeihen, dort, bei Muggia, in einem durch keinerlei oder nicht nennenswerten Zufluß von Vorkommen und geographiſche Verbreitung der Auſter. 429 ſüßem Waſſer gemiſchten Salzwaſſer, hier in der Lagune. Man darf jedoch nicht glauben, daß das Arſenalwaſſer, in welchem die Auſtern ohne beſondere Pflege ihr ganzes Leben zubringen, ſehr brackig ſei; es ſteht durch die großen Mündungen des Lido in ſo naher Verbindung mit dem offenen Meere, daß infolge der regelmäßig eindringenden Flut ſein Salzgehalt nicht ſehr herabgedrückt werden dürfte. Sehr ſchöne große Auſtern habe ich im Becken von Sebenico von felſigem Grunde aus ungefähr 15 Faden Tiefe mit dem Schleppnetze aufgezogen, jedoch nicht ſo nahe der Kerka, daß eine merkliche Verſüßung des Waſſers eingetreten wäre. Die Lage dieſer kleinen, von den dortigen Fiſchern nur Auſternbank und Auſternfiſcherei im Mittelmeer. gelegentlich ausgebeuteten Bank iſt aber inſofern lehrreich, als auch ſie zeigt, daß ent— weder Flutſtrömungen oder, wie es dort der Fall iſt, unterſeeiſche Strömungen, welche dem hilfloſen Tiere Nahrung zuführen, zuträglich und notwendig ſind. Aus einer Ver— gleichung der Trieſter und dieſer Lokalität geht auch ſchon hervor, daß die Auſter bei ſehr verſchiedenen Wohntiefen, und zwar etwa von der mittleren Strandmarke an bis 15 Faden, in anderen Fällen bis 20 Faden und noch tiefer ihre volle Lebensthätigkeit entfalten kann, ein phyſiologiſcher Zug, der für die praktiſche Auſternzucht von der allergrößten Bedeutung iſt. Weiter unten finden ſich auf der italieniſchen Seite ſchon im Altertum berühmte Auſternlager in der Nähe von Brindiſi (Brunduſium) und im Golfe von Tarent. Ich finde keine Nachrichten über die Beſchaffenheit derſelben; nach einem flüchtigen Beſuche des Hafens von Brindiſi und ſeiner Umgebungen will es mir ſcheinen, als mangele dort der Felſengrund und müßten die Auſternanſiedelungen auf loſerem Boden ſtatthaben. Von da zieht ſich die Auſter durch den ganzen öſtlichen und weſtlichen Teil des Mittelmeeres, ohne ſich, wie es ſcheint, maſſenhaft anzuſammeln; ſie iſt auch ins Schwarze Meer 430 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Ein muskler. eingedrungen und da und dort einzeln an der Südküſte der Krim angeſiedelt, ein Beweis ihrer großen Akkommodationsfähigkeit. Natürlich beherbergt auch der weſtliche Teil des Mittelmeeres die Auſter überall da, wo Strömungs- und Bodenverhältniſſe es geſtatten, jedoch haben ſich nirgends ſehr be— deutende Bänke gebildet. Und wie man ſchon im Altertum den ſeit der Erhebung des Monte Nuovo 1538 verödeten Lucriner See von Tarent aus mit Auſtern füllte, ſo jetzt den Lago di Fuſaro; wie denn auch zu den Zuchtverſuchen an der ſüdfranzöſiſchen Küſte die Auſtern aus dem Atlantiſchen Meere aushelfen mußten. Sowohl an den franzöſiſchen, wie an den britiſchen Küſten, der Nordſee und des Atlantiſchen Ozeans finden ſich zahl— reiche natürliche Auſternbänke, und an der norwegiſchen Küſte reicht die Auſter bis zum 65. Grade hinauf. Sie kommt im ſüdlichen Norwegen an manchen Strecken in ſolchen Mengen vor, daß fie mit Brot und Butter als ſelbſtverſtändlicher Nachtiſch à diseretion aufgetragen wird. Als ich nach einer Seefahrt von den Faröerinſeln nach dem an der norwegiſchen Südküſte gelegenen Städtchen Kragerö im dortigen Gaſthauſe meine erſte Mahlzeit hielt, machte ich dieſe angenehme gaſtronomiſche Entdeckung. Zu einem ſehr verbreiteten Mißverſtändnis hat der Ausdruck Holſteiniſche “oder „Flens— burger“ Auſtern Veranlaſſung gegeben. Dieſen Namen führen die Auſtern, welche vor— zugsweiſe in Norddeutſchland bis Leipzig, Magdeburg und Berlin und weiter ſüdlich, ferner längs der ganzen Oſtſeeküſte bis Petersburg verſandt und verzehrt werden, und deren Heimat man gewöhnlich an die holſteiniſche Oſtſeeküſte verlegt. In der ganzen Oſtſee lebt jetzt (früher war es anders, wie wir ſehen werden) keine Auſter. Die ſogenannten Flensburger Auſtern ſtammen alle von der Weſtküſte, der Strecke von Huſum bis Tondern gegenüber zwiſchen den Inſeln Sylt, Föhr ꝛc., wo tiefe Waſſerrinnen den flachen Meeres— boden durchziehen. Während der Ebbe werden meilenweite Strecken des Bodens bloß— gelegt, während der Flut ragen nur jene Inſeln hervor. Man nennt dieſes Gebiet die Watten. „Die Auſternbänke liegen“, wie Möbius berichtet, „an den Abhängen der tiefen Rinnthäler des Wattenmeeres, in welchen die Hauptſtröme des Flut- und Ebbewaſſers mit einer Geſchwindigkeit von 4—6 Fuß in der Sekunde laufen, alſo ungefähr ebenſo ſchnell, wie der Rhein vor Bonn vorbeifließt. Der Grund iſt ziemlich feſt und beſteht aus Sand, kleinen, ſelten größeren Steinen und Muſchelſchalen. Die meiſten Bänke haben bei Ebbe, wenn die Watten in ihrer Nähe trocken liegen, noch 5—6 Fuß Waſſer über ſich. Tiefer als 20—30 Fuß kommen im Wattenmeere feine Auſternbänke vor. Der Salzgehalt beträgt etwas über 3 Prozent. Auf den beſten Bänken leben neben den Auſtern gewiſſe Tiere, von welchen ich als charakteriſtiſch nur die Seehand (Aleyonium digitatum), den Dreikantenwurm (Serpula triquetra) und den grünen Seeigel (Echinus miliaris) nennen will. Wo viele Miesmuſcheln (Mytilus edulis), Seepocken (Balanus crenatus) und Sandwürmer (Sabel- laria anglica) auftreten, da gedeihen die Auſtern weniger gut, ja ſie verſchwinden, wo dieſe Tiere die Oberherrſchaft gewinnen, gänzlich.“ Noch ſchlimmer iſt die Verſandung und Verſchlickung der Bänke, wie z. B. eine Bank bei der Inſel Amrum von Jahr zu Jahr mehr unter dem überlaufenden Sande begraben worden iſt. Von hohem Intereſſe iſt die erſt vor kurzem ſtattgefundene natürliche Anſiedelung der Auſter im Limfjord. In einer der wichtigſten Unterſuchungen über die Lebensbedingungen dieſes Tieres, die wir dem Altmeiſter der deutſchen Naturwiſſenſchaft, E. von Baer, ver: danken, heißt es darüber: „Der Limfjord iſt bekanntlich das lang gewundene, in ſeiner weſtlichen Hälfte vielfach geteilte und in Buchten auslaufende Gewäſſer, das den nördlichen Teil von Jütland in ſeiner ganzen Breite durchzieht und im Weſten nur durch einen ſchmalen Uferwall von der Nordſee getrennt iſt oder vielmehr getrennt war. Im Jahre 1825 wurde nämlich der erwähnte Uferwall durchbrochen, und dieſer Durchbruch hat ſich Vorkommen und geographiſche Verbreitung der Aufter. 431 erhalten. Er iſt auf den neueren Karten unter dem Namen des Agger-Kanales ſichtbar. Schon früher, z. B. in den Jahren 1720 und 1760, hatten ſich Durchbrüche gebildet, aber bald wieder geſchloſſen. Vor dem neuen und bleibenden Durchbruche hat das Waſſer im Limfjord, wenigſtens im weſtlichen Abſchnitte desſelben, für ſüßes Waſſer gegolten; über den öſtlichen Teil ſagt der Etatsrat Eſchricht (der berühmte Kopenhagener Phyſiolog, welcher das Projekt, im Limfjord Auſternbänke anzulegen, zu prüfen hatte) nichts, doch läßt ſich vermuten, daß bei der offenen Verbindung mit dem Kattegat hier ſchon früher brackiges Waſſer war. Durch die neue Kommunikation mit der Nordſee und den Wechſel von Flut und Ebbe in derſelben, der zweimal täglich Seewaſſer eintreibt und ebenſo oft das im Fjord diluierte Seewaſſer wieder abfließen läßt, iſt der Limfjord jetzt ein Salz— waſſerbecken geworden. Es ſind Seefiſche und Auſtern eingewandert. Auſtern hat man zuerſt im Jahre 1851 bemerkt, und zwar im Salingſund, im weſtlichen Dritteile des Limfjords, in großer Menge und ſchon völlig ausgewachſen. Ihre Einwanderung als ſchwimmende Brut muß alſo ſchon viel früher erfolgt ſein. Profeſſor Eſchricht vermutet, daß ſie zuerſt im weſtlichen Abſchnitte, Niſſum-Bredning, ſich angeſiedelt hatten, und daß von dieſem aus, nachdem ſie ausgewachſen waren, neue Brut ſich weiter verbreitet hat. Jetzt finden ſie ſich in vielen Seitenbuchten und Kanälen der weſtlichen Hälfte faſt überall, wo der Boden für das Gedeihen der Auſter paſſend iſt. Auch im öſtlichen Abſchnitte des Limfjords, bei Aalborg, hat man Auſtern bemerkt, jedoch nur ganz junge. Man ſieht alſo ganz deutlich, daß ſie allmählich ſich mehr nach Oſten verbreiten. In der weſtlichen Hälfte des Limfjords ſind ſie ſchon in ſolcher Menge, daß ſie zu Hunderttauſenden gefangen werden. Wann ſie zuerſt einwanderten, läßt ſich jetzt nicht beſtimmt angeben, da man ſie längere Zeit nicht bemerkt hatte. Indeſſen, da die im Salingſund bemerkten wenigſtens 5 Jahre alt waren, und dieſe nicht die erſten Einwanderer ſein konnten, ſondern wenigſtens die zweite, vielleicht die dritte Generation der Eingewanderten waren, ſo ſieht man, daß bald nach der Eröffnung des Agger-Kanales und nachdem das Waſſer den nöthigen Salzgehalt gewonnen hatte, auch Auſtern hierher ſich verbreiteten.“ Der große Naturforſcher gibt dieſe Mitteilung in einem Gutachten über ein Projekt, in der Oſtſee, und zwar auf ruſſiſchem Seegrunde, Auſtern zu züchten, und es kam ihm darauf an, zu zeigen, wie weit durch die natürlichen Verhältniſſe den Auſtern das Heimiſchwerden in der Oſtſee geſtattet ſei. Wir folgen ihm alſo noch weiter. „Auf der Weſtküſte von Jütland kommen allerdings auch Auſtern vor, aber nicht in reichen Bänken, wie es ſcheint. Dagegen finden ſich an der Oſtſeite der ſchmalen Halbinſel oder Landzunge Skagen wieder ausgedehnte Bänke, von der äußerſten Spitze dieſer Landzunge bis Hirtsholm in drei Gruppen oder Hauptbänke geteilt. Die letzten regelmäßig ausgebeuteten Bänke ſind an der Inſel Läſoe und ſollen ſich von dort gegen die Inſel Anholt hinziehen, ohne, wie es ſcheint, dieſelbe zu erreichen. Weiter nach Süden findet man allerdings auch noch Auſtern, allein ſie ſind mehr vereinzelt und, wie es ſcheint, von ſchlechterer Qualität.“ Schon in den Belten finden ſich die Bedin— gungen für die Verbreitung der Auſtern nicht mehr, noch weniger in der Oſtſee. Der Hauptgrund, warum die Auſter nicht mehr in der Oſtſee fortkommt, liegt offenbar in dem zu geringen Salzgehalte dieſes wenigſtens in ſeinen nördlichen und öſtlichen Teilen ſchon faſt zu einem ſüßen Binnenſee gewordenen Gewäſſers. „Die Oſtſee“, jagt E. von Baer in ſeinem Gutachten weiter, „ſteht durch drei Meerengen mit dem Kattegat in Ver— bindung, von denen beſonders die mittlere, der Große Belt, weit genug geöffnet iſt. Da die Auſter hermaphroditiſch iſt, jedes Individuum alſo zeugungsfähig wird und eine ſehr große Menge Eier hervorbringt, bis zu 1 Million und mehr, aus denen die ausgekro— chenen Embryonen, durch den Wellenſchlag verbreitet, ſich anſetzen und gedeihen, wo ſie paſſende Verhältniſſe finden, ſo muß wohl ein Hindernis beſtehen, welches die Verbreitung 432 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Einmuskler. bis in die Oſtſee nicht erlaubt hat. Es iſt jetzt ſogar der ſüdliche Teil des Kattegats ohne Auſtern, wenigſtens ohne brauchbare; in der nördlichen Hälfte des Kattegats ſind ſie ſchon beſſer, und dieſe Bänke werden ausgebeutet. Jenſeit der Spitze Skagen, wo das Verbin— dungsglied des Kattegats mit der Nordſee, nämlich das Skagerrak, beginnt, ſind ſie noch beſſer; im nördlichen Teile von Bohus-Län, der an das Skagerrak ſtößt, ſollen die Auſtern ſchon ſehr gut ſein. Aber noch beſſer und größer als an der Südküſte Norwegens ſind ſie an der Weſtküſte dieſes Landes und Schleswigs ſowie überhaupt in der ganzen Nordſee. Da in umgekehrter Ordnung der Salzgehalt des Seewaſſers von der Nordſee durch das Skagerrak in das Kattegat und innerhalb des letzteren von Norden nach Süden abnimmt, noch mehr in der Oſtſee, und zwar um ſo mehr, je mehr man von den drei Ausmündungen dieſes Waſſerbeckens ſich entfernt, ſo daß die letzten Enden des Finniſchen wie des Bott— niſchen Meerbuſens völlig trinkbares Waſſer enthalten, ſo ſpringt in die Augen, daß mit Abnahme des Salzgehaltes die Auſtern verkümmern und deshalb ganz aufhören, bevor ſie die Kommunikationsmeerengen erreichen.“ Da nun unterhalb Anholt gegen die Belte zu der Salzgehalt ſo weit herabſinkt wie an der Südküſte der Krim, wo, wie oben erwähnt wurde, die Auſter verkümmert, jo iſt das Minimum von Salzgehalt, welches die Auſter zu ihrer Exiſtenz bedarf, etwa 17 pro Mille. Am fetteſten und ſchmackhafteſten wird ſie bei 20— 30 pro Mille, daher man, abgeſehen von den mittelmeeriſchen, auch an den Küſten des Atlantiſchen Ozeans und der Nordſee die beliebteſten Auſtern an Stellen findet, wo der Salzgehalt des Meeres entweder durch einen größeren Fluß, der ins offene Meer geht, oder durch kleinere Flüſſe, die ſich in eine Bucht ergießen, gemildert wird: ſo die Auſtern von Havre, im Cancale-Buſen, bei der Inſel Re, bei Rochelle, an den Küſten der Grafſchaft Kent, im Bereiche des Themſewaſſers, bei Colcheſter, Oſtende. Daß in dem gemilderten Waſſer die Auſtern ſelbſt ſich beſſer befinden, ſoll damit nicht behauptet werden. Die Auſtern an der Weſtküſte von Norwegen, wo ſo wenig Zufluß von ſüßem Waſſer iſt, werden als beſonders groß beſchrieben, finden alſo ſehr gutes Gedeihen, aber ſie ſcheinen keinen Ruf bei den Gaſtronomen erhalten zu haben, da ſie im Großhandel keine Rolle ſpielen. Die ſpäteren Römer, die der Gaſtronomie ſo ſehr huldigten, daß eine Mißachtung derſelben als Mangel an Urbanität galt, holten ſich die Auſtern aus den verſchiedenſten Weltgegenden und ſetzten ſie in die Lukriniſche Bucht, die damals wohl weniger ausgefüllt war als jetzt, oder in andere, künſtlich ausgegrabene Behälter, deren es in der ſpäteren Zeit viele gab. An und für ſich galten die britanniſchen Auſtern für ſehr gut; Plinius erklärte aber die circaeiſchen für die beſten. Andere ſcheinen fie von anderen Gegenden vorgezogen zu haben, und Juvenal verſichert, daß ein Feinſchmecker auf den erſten Biß erkennen konnte, von wo die Auſter kam. Laſſen wir die vielen Außerungen der Alten über die Feinſchmeckerei und Schlemmerei in Bezug auf die Auſtern ganz beiſeite, ſo bleibt immer beachtenswert, daß Plinius, der ſich auf ſolche Dinge verſtand, die Auſtern aus der offenen See für klein und ſchlecht erklärt und für gute Auſtern den Zufluß von ſüßem Waſſer für nötig hält. Wir ſind aus der Naturgeſchichte der Auſter ſchon in das Auſtern-Eſſen und Pflege und Zucht der Auſtern hineingekommen, ein Kapitel, worüber gerade im letzten Jahr— zehnt ſo unendlich viel ſowohl in wiſſenſchaftlichen als in populären Werken und Zeit— ſchriften geſchrieben wurde. König Jakob von England ſoll oft, wenn er ſich Auſtern gut ſchmecken ließ, geſagt haben, es müſſe ein mutiger Mann geweſen fein, der zuerſt eine Auſter gegeſſen habe. Keineswegs. Zu den Auſtern und vielen anderen auch nicht appetit— licher ausſehenden Meeresfrüchten griff der Menſch, als er kaum ſchon dieſen Namen ver— diente und das Ausſehen des Eßbaren ihm gewiß den geringſten Kummer machte. Den Beweis, daß ſchon vor Jahrtauſenden die Auſter ein wichtiges Nahrungsmittel eines die Pflege und Zucht. Auſter. 433 Küſten bewohnenden Teiles der Ureinwohner Europas gebildet, liefern die ſogenannten „Küchenreſte“, welche in ungeheuern Anhäufungen längs der Oſtküſte Jütlands und an den däniſchen Inſeln bis zu den Eingängen der Oſtſee hin ſich befinden und von den dä— niſchen Gelehrten mit großem Scharfſinne unterſucht worden ſind. Sie geben zugleich, beiläufig geſagt, einen der ſicherſten Belege dafür, daß wenigſtens der ganze ſüdliche Teil des Kattegats, in welchem die Auſter jetzt wegen des geringen Salzgehaltes nicht mehr fortkommt, damals, als dem Gedeihen der Auſter ſehr zuträglich, viel ſalzreicher geweſen ſein muß, ein Umſtand, der mit anderen zu höchſt intereſſanten Schlüſſen über die da— malige Geſtaltung Schwedens und vielleicht auch Finnlands geleitet hat. Ich kenne keine beſſere Skizze über den einſtigen Auſternverbrauch und die Auſternzucht, als die, welche E. von Baer in der obigen Abhandlung gegeben, und da dieſelbe in einer nur wenig Leſern zugänglichen Zeitſchrift enthalten iſt, nehmen wir ſie auf. „Die Verſuche, die man neuerlich in Frankreich gemacht hat, erſchöpfte Auſternbänke zu reinigen, oder in anderen Gegenden den Auſtern beſſere Anſatzpunkte zu verſchaffen, ſcheinen auf viele den Eindruck gemacht zu haben, als ob die Auſternpflege (ſo wollen wir überhaupt die Sorge für das Gedeihen der Auſtern benennen) eine neue Kunſt wäre und eine weitere Ausbildung der Methode der künſtlichen Befruchtung der Fiſche. Es iſt daher wohl nicht überflüſſig, mit einigen Worten zu bemerken, daß die gewöhnliche Auſternzucht oder Auſternpflege ungemein alt iſt, ſehr allgemein angewendet wurde und noch wird, nicht etwa ſo, wie die künſtliche Fiſch— zucht, die faſt vor einem Jahrhundert begann und an einigen Orten, z. B. in Bayern, zwar fortgeſetzt wurde, aber in ſo kleinem Maßſtabe und mit ſo wenig Aufſehen, daß die neueren Verſuche in Frankreich längere Zeit als erſte und nicht erhörte vom großen Publikum angeſtaunt wurden, während die künſtliche Befruchtung an Fröſchen ſeit einem Jahrhundert vielleicht von jedem Naturforſcher, der die Entwickelung dieſer Tiere beobachten wollte, und in neuerer Zeit auch die Befruchtung der Fiſcheier nicht ſelten von Naturforſchern vor— genommen war.“ Wenn unſer Gewährsmann nun aber meint, eine künſtliche Befruchtung ſei bei den Auſtern gar nicht erforderlich und könnte nur zerſtörend wirken, da die Auſtern hermaphroditiſch ſeien, ſo erinnern wir an die ſchon oben gemachte Bemerkung, daß Same und Eier ſich nicht gleichzeitig in demſelben Tiere entwickeln, eine Selbſtbefruchtung alſo ſchon deshalb nicht ſtattfinden kann. Gleichwohl iſt eine künſtliche Befruchtung weder not— wendig, noch dürfte ſie im großen durchführbar ſein. „Die Auſternpflege iſt aber ſchon zwei Jahrtauſende alt. Plinius ſagt ſehr beſtimmt, daß Sergius Orata, ein Mann, der vor dem Marſiſchen Kriege, alſo wohl ein Jahr: hundert vor Chriſto lebte, die erſten Auſternbaſſins angelegt habe, und zwar in großem Maßſtabe, um ſich zu bereichern. Sie wurden bald ganz allgemein, da die ſpäteren Römer den Tafelfreuden ſehr ergeben waren und die See-Auſtern an den Küſten Italiens, wie wir oben berichteten, weniger ſchmackhaft ſind als Auſtern aus einem mehr gemilderten Waſſer. Es wäre möglich, daß die Auſternzucht noch älter iſt; denn ſchon in den Werken des Ariſtoteles wird einer Verſetzung von Auſtern erwähnt, wie einer bekannten Erfahrung, doch ohne darauf Gewicht zu legen und nur im Vorbeigehen. Dagegen war in der Zeit der römi— ſchen Kaiſer die Auſternzucht ein wichtiger und vielbeſprochener Gegenſtand der Okonomie. „Seit den Zeiten der Römer iſt die Auſternzucht wahrſcheinlich nie verloren gegangen, obgleich wir aus dem Mittelalter wenige Nachrichten darüber haben. Das kommt eben daher, daß die Naturwiſſenſchaften ſehr vernachläſſigt wurden, und man nur etwa von großen Jagdtieren gelegentlich ſprach. Die Schriftſteller waren zum großen Teil Geiſt— liche, welche außer den Schickſalen der Kirche auch die Thaten der Fürſten oder einbrechen— der Feinde beſchrieben. Aber die Mönche waren dabei ſehr eifrige Verpflanzer von Tieren, welche zur Faſtenzeit als Nahrung dienen konnten. Das hat man ihnen in neueſter Zeit Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 28 434 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Ein muskler. in Bezug auf die größeren Landſchnecken und auf viele Fiſche, z. B. Karpfen, nachgewieſen. Auch das ſogenannte „Säen der Auftern‘ oder das Anſetzen junger Brut an Stellen, wo ſie vorher fehlten, muß nicht aufgehört haben, denn Pontoppidan berichtet, es gehe in Dänemark die Sage, die Auſternbänke an der Weſtküſte Schleswigs ſeien im Jahre 1040 künſtlich bepflanzt. Obgleich dieſe Sage wohl nicht begründet ſein mag, denn die Auſtern konnten ſich ganz natürlich hierher verbreiten, da wir mit Sicherheit wiſſen, daß in viel älterer Zeit Auſtern an den däniſchen Küſten waren, ſo lehrt doch die Sage, daß dem Volke die Vorſtellung von künſtlicher Auſternverpflanzung keineswegs fremd war. Im Helles— pont und um Konſtantinopel ‚jäete‘ man nach den Berichten mehrerer Reiſenden des vorigen Jahrhunderts Auſtern. Die Türken haben dieſe Sitte ſicher nicht eingeführt. Sie wird alſo wohl noch von der Zeit der Byzantiner ſich erhalten haben. Auch ſagt Petrus Gyllius, ein Schriftſteller des 16. Jahrhunderts, der eine ausführliche Beſchreibung des Bosporus thracicus herausgegeben hat, daß man dort ſeit unbekannten Zeiten Auſtern pflanze. — Daß die Auſternzucht im Weſten nie ganz aufgehört habe, geht aus einem Geſetze hervor, das im Jahre 1375 unter Eduard III. gegeben wurde, und welches ver— bot, Auſternbrut zu einer anderen Zeit zu ſammeln und zu verſetzen, als im Mai. Zu jeder anderen Zeit durfte man nur ſolche Auſtern ablöſen, die groß genug waren, daß ein Schilling in den Schalen klappern konnte. „Man fand daher, als die naturhiſtoriſche Litteratur wieder erweckt wurde und be— ſonders, als man anfing, nicht allein die alten Schriftſteller zu kopieren, ſondern auch die Vorkommniſſe in der eignen Umgebung zu beſchreiben, daß faſt überall, wo Auſtern ge— deihen und ihr Fang einen Gegenſtand des Gewerbes bildet, man auch mehr oder weniger Sorgfalt auf Verpflanzung, Hegung und Erziehung verwendete. Am meiſten geſchah das, wie es ſcheint, in England, wenigſtens laſſen ſich aus England am meiſten Nachrichten darüber ſammeln. Die ſtark anwachſende Hauptſtadt, in welcher ſich aus allen Meeren die Geldmittel ſammelten und der Luxus ſich entwickelte, hatte bald den Auſtern einen ſo guten Abſatz verſchafft, daß man darauf bedacht war, in der Nähe immer einen gehörigen Vorrat zu haben, ſie aus weiter Ferne brachte und zur Seite der Themſemündungen künſtliche Bänke von ihnen anlegte. Da es ſich nun fand, daß bei einer Milderung des Seewaſſers durch mäßigen Zutritt von Flußwaſſer die Auſtern bei den Kennern noch beliebter wurden, ſo wird dieſe Art halbkünſtlicher Auſternzucht, deren Urſprung man nicht ſicher anzugeben weiß, obgleich die Auſternfiſcher von Kent und Suſſex behaupten, daß ihre Vorfahren um das Jahr 1700 dieſe Bänke angelegt haben, jetzt in ſehr großem Maßſtabe betrieben. Man bringt die Auſtern aus dem Süden und aus dem Norden in die Nähe der Mündungen der Themſe und des Medway, um ſie auf den künſtlichen Bänken einige Zeit zu mäſten. Allein aus dem Meerbuſen, an welchem Edinburg liegt, aus dem Firth of Forth, bringt man jetzt, wie Johnſton berichtet, 30 Ladungen, jede zu 320 Fäſſern und jedes Faß mit 1200 ver— käuflichen Auſtern, alſo 11,520,000 Stück, in dieſe künſtlichen Fütterungsanſtalten. Wie viele mögen von den Inſeln Guernſey und Jerſey kommen, wo der Fang am ergiebigſten iſt! Forbes meint, der Bedarf für London komme größtenteils von dieſen künſtlichen Betten. Um zu erfahren, wie groß die jährliche Zufuhr nach London ſei, ſtellte er Er— kundigungen an; die Abſchätzungen fielen ziemlich übereinſtimmend auf das Quantum von 130,000 Buſhels (über 80,000 Berliner Scheffel), wovon etwa ein Viertel weiter ins Land und außer London verſchickt und Dreiviertel von den Bewohnern Londons verzehrt wird.“ Wir ergänzen dieſe Mitteilungen durch den Bericht von Möbius über Whitſtable, „den klaſſiſchen Auſternplatz an dem ſüdlichen Ufer der Themſemündung“. Wir erfahren, daß die Auſternfiſcher noch jetzt eine Art von Gilde mit über 400 Mitgliedern bilden. „Ein Sandriff, das von der Küſte ausläuft und 1!/ Meile lang iſt, ſchützt die Auſterngründe Auſter: Whitſtable. Die franzöſiſchen Auſternparks. 435 gegen den Oſtwind. Dieſe haben bei Niedrigwaſſer 4—6 Fuß Tiefe, ſo daß nur bei außer— gewöhnlich niedrigen Ebben die Bänke trocken laufen. Das Waſſer war trübe, und ſeine Dichte betrug am 7. Mai 1868: 1,0024 bei 11 Grad Réaumur, was einem Salzgehalt von 3,14 Prozent entſpricht. Um die Auſterngründe gut zu erhalten und zu verbeſſern, verſorgt man ſie häufig mit leeren Auſternſchalen, die hauptſächlich von London zurückgeliefert werden. „Die Whitſtabler beziehen Auſtern von natürlichen Bänken in der Nordſee, im eng— liſchen Kanal, an den iriſchen Küſten, und legen ſie auf ihre Gründe, um ſie wohlſchmecken— der zu machen. Die Natives werden in der Regel im Sommer als junge 1—1 / Zoll große Auſtern (brood) hauptſächlich von den natürlichen Bänken im Themſebuſen zwiſchen Norgate und Harwich geholt, wo jedermann frei fiſchen darf. Die meiſten liefert die mit dem Namen Blackwater bezeichnete kleine Bucht zwiſchen Colcheſter und Maldon. Auſtern aus der Nordſee und bei Helgoland bekommen keinen ſo feinen Geſchmack und haben einen viel geringeren Wert als die echten Natives. Den Anfang und Schluß des Fiſchens von Marktauſtern beſtimmt in Whitſtable jedes Jahr die aus zwölf Mitgliedern beſtehende Jury der Kompanie. Gewöhnlich dauert es vom 3. Auguſt bis 9. Mai. In der Zeit, wo für den Markt nicht gefiſcht wird, ſind die Fiſcher damit beſchäftigt, den Grund von Mud, von Pflanzen und von feindlichen Tieren zu reinigen und die größeren Auſtern auf beſondere Stellen für den Verkauf in der bevorſtehenden Saiſon zu verſetzen. Dieſe Arbeiten unter— brechen fie nur in der Zeit, in der ſich die Auſternbrut niederſetzt. Dies geſchieht im Juni oder Juli, und zwar wahrſcheinlich je nach der Wärme des Waſſers etwas früher oder ſpäter. „Der Auſternhandel iſt in Whitſtable ſehr ausgebreitet. Die dortigen Auſterngründe ſind nicht allein Zucht- und Maſtſtätten, ſondern auch große Depots für Auſtern aller Quali— täten und Preiſe. In Whitſtable ſelbſt hatte 1869 eine gute Native-Auſter 1 — 1½¼ Pence Wert. In den Jahren 1852 — 62 war der Preis für das Buſhel (1400 —1500 Stück) niemals höher als 2 Pfund Sterling 2 Schilling; 1863—64 ſtieg er auf 4 Pfund Sterling 10 Schilling, und 1868 —69 mußte man 8 Pfund Sterling dafür bezahlen.“ (Möbius.) „Noch weniger“, ſagt von Baer weiter, „war in Frankreich das Anlegen von Auſtern— bänken unbekannt vor Coſte (welcher in neuerer Zeit die meiſte Anregung zur Fiſch- und Auſternzucht gegeben). Bory de St. Vincent hielt im Jahre 1845 in der Pariſer Aka— demie einen Vortrag über die Notwendigkeit, neue Bänke anzulegen. Er verſicherte, daß er ſelbſt unerſchöpfliche Bänke angelegt habe. Vor ihm hatte ein Herr Carbonnel ein Patent erhalten für eine neue und einfache Methode, Auſternbänke an der franzöſiſchen Küſte anzulegen. Er ſoll dieſes Patent einer Geſellſchaft für 100,000 Franks verkauft haben. Die Parks waren lange vorher in Gebrauch.“ Die Auſternparks erfüllen einen doppelten Zweck: fie ſind Maſtſtälle und Magazine. Einen Weltruf behaupten ſeit vielen Jahren die von Oſtende, Marennes unweit Rochefort und Cancale im Norden Frankreichs. Die Auſtern, welche in den Penſionen von Oſtende ihre höhere Erziehung erhalten ſollen, kommen ſämtlich von den engliſchen Küſten. Die gemauerten oder gezimmerten, am Boden mit Brettern belegten Räume, in welchen ſie ſorg— fältig überwacht werden, hängen durch Schleuſen mit dem Meere zuſammen und werden alle 24 Stunden gereinigt. Etwa 15 Millionen Auſtern gelangen jährlich aus den drei Parks von Oſtende auf den Markt. Die Parks von Marennes und Latremblade mit ihren berühmten grünen Zöglingen werden „Claires“ genannt und nur zur Zeit der Springfluten, bei Neu- und Vollmond, mit friſchem Waſſer verſehen. Ihr Flächeninhalt wechſelt zwiſchen 2— 3000 Quadratmeter, und fie find gegen das Meer durch einen Damm geſchützt, der mit einer Schleuſe zur Regulierung der Waſſerhöhe verſehen iſt. Man läßt zuerſt das Waſſer längere Zeit in den Abteilungen, damit der Boden ſich gehörig mit Salz ſättige. Dann, nachdem das Waſſer abgefloſſen und alle ſich angeſetzt habenden Tange und Algen entfernt 98% 436 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Einmuskler. ſind, wird der Boden wie eine Tenne geſchlagen, aber mit erhöhter Mitte, wo die Auſtern liegen. Nun kommen die Auſtern hinein, welche von den benachbarten Bänken eingeſam— melt werden. Das geſchieht vom September an. Sie werden aber nicht unmittelbar in die Claires verſetzt, ſondern erſt in eine Art von Sammellokalen, die ſich dadurch von den Claires unterſcheiden, daß ſie dem täglichen Flutwechſel unterliegen. Schon von hier aus werden die größten und ſchönſten Auſtern unmittelbar in den Handel gebracht, während die jüngeren und noch nicht fetten zur Mäſtung in die Claires wandern, wo, wie geſagt, nur zweimal des Monates das Waſſer gewechſelt wird. Ihre Abwartung verlangt von Tag zu Tag die größte Sorgfalt. Die Auſternzüchter, denen mehrere Claires zur Dis— poſition ſtehen, verſetzen ihre Zöglinge aus einer Claire in die andere, um die entleerten zu reinigen. Wo dies nicht geſchehen kann, werden die Auſtern einzeln aus ihren Be— hältern genommen und vom Schlamme befreit. Im Jahre 1876 waren in den Mäſtungs— teichen etwa SO Millionen Auſtern. Die im Alter von 12 — 14 Monaten in die Claires gekommenen Auſtern find nach 2 Jahren reif, um den Delikateſſenhändlern und deren Gäſten ſich vorzuſtellen. Sie haben in Marennes während dieſer Zeit auch eine grüne Farbe angenommen, die ihnen bei Feinſchmeckern beſonderen Ruf und Beliebtheit verſchafft hat. Man iſt noch nicht vollſtändig im reinen darüber, woher dieſe Färbung ſtamme; am wahrſcheinlichſten daher, daß bei dem längeren ruhigen Verweilen des Waſſers in den Claires dieſe ſich ſehr raſch mit grünen mikroſkopiſchen Pflänzchen und Tierchen füllen, welche als Nahrung der Auſtern ihren Farbſtoff auf letztere übertragen. Das iſt jedoch nicht ſo zu verſtehen, als ob der grüne Stoff als das Chlorophyll der Algen, Diatomeen und Infuſorien ſich direkt in der Auſter ablagere, ſondern er geht aus der aſſimilierten Nahrung, alſo aus den Blutbeſtandteilen hervor. Der Verbrauch der Auſtern, welcher ſich z. B. in Paris auf 75 Millionen jährlich be— läuft, würde an ſich kaum eine merkliche Verringerung der Bänke herbeiführen können. Wenn nichtsdeſtoweniger ſowohl an den franzöſiſchen Küſten als anderwärts, z. B. an der Weſtküſte Holſteins, ein Eingehen der Auſternbänke und eine ſehr auffallende Verminderung des Nachwuchſes bemerkt wurde, ſo haben hierzu eine Reihe von Urſachen beigetragen. Die Auſter hat ſehr viele natürliche Feinde; ſie ſchmeckt nicht bloß den Menſchen, ſondern aus fait allen Tierklaſſen ſtellen ſich zahlreiche Göurmands auf den Auſternbänken ein Zahl: loſe Fiſche ſchnappen die allerdings noch viel zahlloſeren jungen Auſtern auf; Krebſe paſſen auf den Augenblick, wo die arme Auſter ihren Deckel lüftet, um an dem ſüßen Fleiſche ſich zu laben; die Seeſterne wiſſen ſie auszuſaugen; mehrere Schnecken, namentlich Murex tarentinus, Murex erinaceus, Purpura lapillus und Nassa reticulata, bohren mit dem Rüſſel ſehr geſchickt Löcher in die Schalen und gehen auf dieſe Weiſe ihrer Beute zu Leibe. An anderen Stellen haben ſich die Miesmuſcheln in ſolchen Mengen auf den Auſternbänken angeſiedelt, daß letztere dadurch gleichſam erſtickt werden; und neuerdings iſt noch ein anderes Tier, welches die Franzoſen Maérle nennen, wahrſcheinlich ein Röhrenwurm aus der Gattung Sabellaria, als Zerſtörer des koſtbaren Schalentieres aufgetreten. Doch alle dieſe Feinde, gewiß auch der Maörle, haben jo lange ſchon auf Unkoſten der Auſtern exiſtiert wie dieſe ſelbſt. Wenn ſie nicht das ihrige in dem Vernichtungskriege gegen die Auſtern gethan, wenn nicht Milliarden von jungen, eben ausgeſchlüpften Auſtern vom Wogen— ſchwalle erfaßt und erdrückt oder vom Sande und Schlamm erſtickt würden, ſo würden die Meere längſt zu bloßen vollgefüllten Auſternbaſſins geworden ſein. Den größten, wirk— lich empfindlichen Schaden haben die Auſternbänke offenbar durch die durch Menſchenhände hervorgebrachte Erſchöpfung gelitten und durch die Folgen eines unzweckmäßigen, mit großen Zerſtörungen verbundenen Einſammelns. Wo die Bänke nicht ſo ſeicht liegen, daß man zur Ebbe die Auſtern mit der Hand „pflücken“ kann, bedient man ſich eines Netzes mit Feinde der Auſter. Verſuche zur Hebung der Zucht. 437 einem ſchweren eiſernen Rahmen, deſſen eine am Boden ſchleppende Kante mit Zähnen, gleich einer Egge, bewehrt iſt. Segel und Ruder der kleinen, aber doch mit 5—6 Leuten bemannten Boote werden ſo geſtellt, daß das Fahrzeug nur ganz langſam vorwärts kommt, und das Schleppnetz, das am Seile nachgezogen wird, ſich gemächlich und tief einwühlen kann. Dadurch werden förmlich tiefe Löcher und Furchen in die Bänke geriſſen, und der größte Nachteil entſteht nun, indem dieſe Vertiefungen in kurzer Zeit mit Schlamm aus— gefüllt werden, welcher nicht nur eine fernere Anſiedelung an dieſen Stellen unmöglich macht, ſondern auch die umliegenden, von dem Schleppnetz verſchont gebliebenen Tiere tötet. Wenn es gelänge, dachte Profeſſor Coſte in Paris, nur einen Teil von den un— zählbaren Millionen junger Auſtern, welche vom Ozean verſchlungen werden, ehe ſie ſich zu dem einen Zwecke ihres Daſeins, gegeſſen zu werden, auch nur vorbereiten können, dadurch für dieſes höhere Ziel zu retten, daß man ihr Feſtſetzen erleichtert, befördert und behütet, ſo würde man die Auſter in Bälde zu einem der gemeinſten und wohlfeilſten Lebensmittel machen können. Im Lukriner See wurden die Auſtern ſchon vor ein paar tauſend Jahren durch Einlegen von Faſchinen mit Erfolg zum Anſetzen eingeladen; die— ſelbe Bedeutung hat das Pflanzen von Pfählen und Aſten für Auſtern und Miesmuſcheln; die künſtliche Auſternzucht, welche Coſte ſeit 1855 in Frankreich einführte, iſt alſo nichts als die erweiterte zweckmäßige Pflege, welche ſich ſchon der jungen, noch den meiſten Gefahren ausgeſetzten Tiere annimmt. Der Erfolg konnte in einer Beziehung kaum zweifelhaft ſein. Die verſenkten Faſchinen, auf welche man teils mit Brut erfüllte Auſtern gelegt hatte, und die man teils dadurch zu bevölkern ſuchte, daß man die mikroſkopiſche Brut über ihnen auf dem Meere „ausſäete“, bedeckten ſich ſehr bald mit der geſuchten Ware. Es zeigte ſich aber auch ebenſo ſchnell, daß die Feinde der Auſternbänke, nament— lich der feine Schlamm, die der Beobachtung und täglichen Reinigung entzogenen Fa— ſchinen mit ihren Anſiedlern zu zerſtören drohten. Auch war der Anſatz ein ſo maſſen— hafter und ſtand in ſo gar keinem Verhältnis zum Zuwachs der gleich ihnen tiefer liegenden und ſich ſelbſt überlaſſenen Bänke, daß höchſt wahrſcheinlich gerade in dieſer Fülle der Keim des Siechtums und des Unterganges lag. Unter dieſen Umſtänden fehlte es, man kann ſicher ſagen, dieſen vielen Millionen von jungen Auſtern an der ge— hörigen Nahrung. Kurz, es ergab ſich nach einigen Jahren koſtbaren Experimentierens, daß auf dieſem Wege, durch Verſenkung von Faſchinen in größere Tiefen, der Auſtern— kalamität nicht abgeholfen werden könne. Dieſe Verſuche waren in der Bai von Saint Brieuc angeſtellt worden. Seitdem hat man ſich auf die Brutparks in der Bai von Arca— chon beſchränkt, welche im Bereiche der Ebbe liegen, und wo man die Überwachung voll— ſtändig in Händen hat. Man bietet der Auſternbrut teils Faſchinen, teils ungehobelte Bretter, teils Bretter, an denen man Muſchelſchalen mit einer Mörtelſchicht befeſtigt, oder auch eigens geformte Hohlziegel zum Anſetzen, und hat nur die Vorſicht zu beobachten, alle dieſe Gegenſtände nicht früher in die Parks zu thun, als bis die Stunde des Wochen— bettes für die ſchon darin befindlichen alten Auſtern unmittelbar bevorſteht. Übergibt man die Ziegel, Bretter ꝛc. ſchon früher dem Waſſer, ſo bedecken ſie ſich ſchnell mit Algen, und die Auſternbrut kann nicht an ihnen haften. Das Reſultat war für einige Jahre, daß alle dieſe Objekte bei jeder Brutſaiſon voll— ſtändig mit jungen Auſtern bedeckt wurden, und daß ſie nach einem Jahre, in welchem fie einen Durchmeſſer von etwas über 2 cm erreicht, von ihrer Wiege abgelöſt werden konnten, um ihre weitere Erziehung in den Maſtſtällen zu erhalten. Man zählte um 1864 in den Parks von Arcachon 35 Millionen Auſtern jeder Größe, welche, das Tauſend zu 40 Frank gerechnet, ein Kapital von 1,400,000 Frank repräſentierten. Auch berechnete man, daß der jährliche Ertrag ſich auf 6 Millionen Auſtern und auf 240,000 Frank 438 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Einmuskler. belaufen würde. Allein der hinkende Bote kam nach. Eine Reihe nachweisbarer tieriſcher Feinde, vor allen die Stachelſchnecke (Murex erinaceus), ſowie klimatiſche Urſachen dezi— mierten die Auſtern, und Möbius fand 1869 nur noch 150,000 Mutterauſtern und gegen 6 Millionen Junge von 2— 3 em Größe in den kaiſerlichen Parks. Wie Hüningen für die Süſſwaſſer-Fiſchzucht, ſo ſollte Arcachon die Muſteranſtalt für die Produktion der eßbaren Seetiere ſein, und was die Auſtern betrifft, ſo fanden ſich auch bald viele Unternehmer, welche die franzöſiſche Regierung um Konzeſſionen zur Anlage von Zucht- und Maſtparks angingen. Es hat damit in Frankreich eine eigne Bewandtnis. Das ganze Meeresgeſtade, welches bei der Ebbe bloßgelegt wird, alſo der einzige Ufergürtel, welcher ſich für die Auſternzuchten eignet, iſt Staatseigentum, und ferner werden alle Perſonen, welche ſich mit irgend einer Art von Seefiſcherei be— ſchäftigen, in die Konſkriptionsliſten der Marine eingetragen. Wer alſo in Frankreich Auſtern züchten will, muß erſtens ein Mann von bewährter Geſinnung ſein und zweitens gewärtig, daß er von ſeinen Auſtern weg zum Flottendienſt einberufen wird. Es hat ſich gezeigt, daß die von Konſkriptionspflichtigen und bloßen Spekulanten unternommenen Auſternzuchten den gewünſchten Erfolg nicht hatten, indem dieſe Leute teils kein wirk— liches Intereſſe an der Sache hatten, teils ohne ſonderliche Mühe in kurzer Zeit viel Geld zu machen hofften. Aber nur ſolche Fiſcher und Küſtenbewohner eignen ſich zu Auſternzüchtern, welche jahraus jahrein täglich ihren ganzen Fleiß den Auſtern widmen, ſolche, welche einen Lebensberuf daraus machen und die Konzeſſion nicht durch irgend welchen Geſinnungswechſel zu verlieren fürchten müſſen, alſo arbeitſame und freie Men— ſchen. Eine derartige unwiderrufliche Erlaubnis zur Auſternzucht wurde den Bewohnern der kleinen Inſel Re gegeben. Über den Fortgang und das Gedeihen der Auſternzucht bei NE hörte man nun geradezu Entgegengeſetztes. Ein dortiger Pfarrer ſchrieb 1865, daß das, was darüber berichtet worden ſei, unendlich mehr einem Roman und einem zum Vergnügen erſonnenen Ammenmärchen gleiche, als den Thatſachen, wie ſie ſich zugetragen haben. Die Wahrheit ſei, daß die neuen Verſuche in der Auſternzucht an den dortigen Küſten durchaus nicht alle gut ausgefallen ſeien, und daß es eine Unwahrheit ſei, wenn man behaupte, die Bewohner der Inſel Ré verdankten ihnen ein bis dahin unbekanntes Wohlergehen. „Wenn ſchon diejenigen ſelten ſind“, ſagt er, „welche einen vollkommenen Erfolg bei dieſem Geſchäfte erzielt haben, ſo ſind diejenigen noch viel ſeltener, welche ge— gründete Erwartungen auf einigen Nutzen für die Zukunft hegen, weil die beſten Auſtern— züchter einem raſchen Ruine entgegen gehen.“ Im weſentlichen ſtimmt mit dieſem Urteil eines Einheimiſchen der einige Jahre ſpäter abgefaßte Bericht von Möbius überein. Die Produktion war von 1863 an in ſtetiger Abnahme, und die rationellen Auſternzüchter hatten die Überzeugung gewonnen, daß die übermäßige Befiſchung der Bänke die Urſache des Verfalles der Auſternzucht ſei, und daß eine Aufzucht der Millionen junger Auſtern vom Ei an in den Parks nicht möglich ſei. Seitdem aber hat ſich die Zucht wieder ſo ſehr gehoben, daß z. B. 1880 nicht weniger als 195 Millionen Auſtern aus 4260 Zuchtparks verkauft werden konnten. Über das Vorkommen, die Pflege und den Verbrauch der Auſter an der nordameri— kaniſchen Oſtküſte haben wir erſt 1873 ſehr dankenswerte Nachrichten erhalten in einem Berichte, welchen die Fiſchereikommiſſion über den Zuſtand der Seefiſchereien an der Süd— küſte von Neu:England abgegeben hat. Dort findet ſich die virginiſche Auſter (Ostrea virginiana) in mehreren Varietäten über eine große Küſtenſtrecke verbreitet. Dieſelbe erreicht jedoch, ſich ſelbſt überlaſſen, nur an den ſüdlicheren Küſtenſtrichen ihre volle Größe, während auf der Breite von Baltimore und New Pork es der künſtlichen Nachhilfe bedarf. Hier nämlich machen die jungen Auſtern, obgleich auch maſſenhaft vorkommend, in der Virginiſche Auſter. Sattelmuſchel. 439 Regel doch nur eine warme Jahreszeit durch und ſterben, weil ſie ſich zu wenig tief an— ſetzen, im Winter ab. Man ſammelt von dieſen „native“ Auſtern große Mengen, um ſie auf tiefere, für ihr Fortkommen geeignete Stellen zu „pflanzen“. Dieſe Sorte iſt jedoch weniger geſchätzt als diejenige, welche aus dem Süden zu weiterem Wachstum und zur Mäſtung den natürlichen und künſtlichen Auſternbänken zugeführt wird. In beiden Fällen handelt es ſich darum, die von ihrem erſten feſten Anheftungsorte abgelöſten jungen Auſtern auf ſolchen Schlammgrund zu bringen, wo ihre natürliche mikroſkopiſche Nahrung in grö— ßerem Überfluß, als auf dem felſigen oder aus Auſternſchalen künſtlich hergerichteten Bette ſich findet. Selbſtverſtändlich eignen ſich dazu jenſeits wie diesſeits des Ozeans die— ſelben Lokalitäten: Flußmündungen, Häfen, brackige Teiche. Natürlich ſammeln ſich auch auf dieſen Maſtplätzen, aus verſchiedenen Gründen den Auſtern folgend, ſehr bald zahlreiche andere niedere Tiere an. Die Kommiſſion der Ver— einigten Staaten, welche dieſe Verhältniſſe auf das ſorgfältigſte unterſucht hat, zählt 90 ſolcher Gäſte auf. Hierunter befinden ſich einige ſehr gefährliche Feinde der Auſter, jo eine 3 em lange Schnecke, von den Auſternfiſchern „der Bohrer“ (the drill, Uro- salpinx cinerea) genannt, und ein grüner Seeſtern (Asterias arenicola). Die Ver: heerungen, welche der letztere anrichten kann, ſind erſtaunlich. Einem einzigen Eigentümer an der Küſte von Connecticut wurden in wenigen Wochen 2000 Buſhel (ein Buſhel — 0,6631 preußiſche Scheffel) Auſtern von dem Seeſtern zerſtört. Nach einer mäßigen Schätzung werden nördlich von Kap Hatteras jährlich mindeſtens 30 Mill. Scheffel Auſtern im Werte von mehr als 20 Mill. Dollars zum Verkauf gebracht. Wir wollen noch einer der Auſter nahe ſtehenden Sippe und Art, der Sattelmuſchel (Anomia ephippium), gedenken, welche ſowohl am Gehäuſe wie an den Weichteilen einige bemerkenswerte Eigentümlichkeiten zeigt. Von dem im allgemeinen ſcheibenförmigen Gehäuſe kann man gleichwohl eine beſtimmte Geſtalt nicht angeben, indem die untere ſehr dünne Schale ſich in ihrer Form ganz nach den fremden Körpern richtet, auf denen ſie aufliegt, ohne mit ihnen zu verwachſen. Sie kann daher ganz flach oder im Zickzack gebogen oder auch bogenförmig ſein. Die obere Schale iſt dicker und gewölbter, wiederholt aber ebenfalls alle Uneben— heiten des Körpers, auf welchem das Tier aufſitzt. Entſprechend dieſem flachen Gehäuſe iſt das Tier ſehr flachgedrückt. Unſere Abbildung zeigt die rechte, nach unten gewendete Seite, ſo daß wir alſo nach Hinweg— nahme der Schale auf die Mantelfläche blicken. Beſon— f ders die Ränder find ſehr dünn und mit einer Reihe bt tea feiner Fühlfäden beſetzt. Die Offnung a iſt für das Schloß, und daneben befindet ſich ein tiefer Ausſchnitt, durch welchen das ſogenannte Knöchelchen hervortritt (n). Dasſelbe, ein aus vielen einzelnen Scheibchen beſtehendes Kalk— gebilde, befindet ſich am Ende eines vom Schließmuskel m ſich abzweigenden Muskels, tritt durch ein rundliches Loch der unteren Schale und haftet an den fremden Körpern, indem es mit ſeinem Muskel vollſtändig als Stellvertreter des Byſſus anzuſehen iſt. Wird das Tier geſtört, ſo ziehen ſich die erwähnten Muskeln zuſammen, die Schale wird 440 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Einmuskler. geſchloſſen und feſt an die Unterlage angedrückt, deren Oberflächenrelief ſich auf das Gehäuſe überträgt. Die Sattelmuſchel fehlt nirgends in den europäiſchen Meeren, ſoweit dieſelben einen normalen Salzgehalt haben; ihre Standregion ſtimmt mit derjenigen der Auſter überein, nur daß ſie oberhalb des Ebbeſtriches vorkommen dürfte. Als ich im Mai und Juni 1850 im Bergen-Fjord mit dem Schleppnetz ſammelte, wußte ich noch nicht, daß es neſtbauende Muſcheln gäbe. Da erbeutete ich eines Tages einen etwa 12 em im Durch— meſſer habenden und äußerlich ſehr ungehobelt ausſehenden Klumpen, der aus lauter Stein— chen und Muſchelfragmenten beſtand und, wie ſich auf den erſten Blick ergab, durch ein Gewirr gelblicher und brauner Fäden zuſammengehalten wurde. „Ein Muſchelneſt!“ riefen meine Ruderer, und richtig, wie ich den Ballen umdrehte, glänzte mir aus einer ziemlich engen Spalte die weiße Schale der Feilen— muſchel (Lima hians) ent— gegen. Ich ſpülte das Tier aus ſeinem Neſte heraus und konnte mich vorerſt, nachdem ich es in ein weites Glasgefäß gethan, nicht ſatt genug ſehen an der Pracht ſeines Mantel— beſatzes und der Lebhaftigkeit f sa jeiner Bewegungen. Das läng— Neſt der Feilen muſchel (Lima hians). Natürliche Größe. liche gleichſchalige Gehäuſe iſt von reinſtem Weiß, klafft an beiden Enden, beſonders aber vorn, und läßt eine Menge orangefarbener Franſen des Mantelrandes hervortreten, welche, wenn das Tier ſonſt ruhig iſt, die verſchiedenſten wurm— artigen Bewegungen machen, wenn es aber auf ſeine höchſt ſonderbare Weiſe ſchwimmt, wie ein feuriger Schweif nachgezogen werden. Kaum nämlich hat man die Muſchel frei ins Waſſer geſetzt, ſo öffnet ſie und klappt die Schale mit großer Heftigkeit zu und ſchwimmt nun ſtoßweiſe nach allen Richtungen (ſ. Abbild., S. 441). Dabei ſind einzelne der ſchönen Franſen abgeriſſen, ſcheinen aber dadurch erſt recht lebendig geworden zu ſein, indem ſie am Boden des Gefäßes ihre Krümmungen, wie Regenwürmer, auf eigne Fauſt fortſetzen. Das kann, wenn man das Waſſer friſch erhält, ein paar Stunden dauern. Bleibt das Tier im Neſte, jo läßt es den dichten Franſenbüſchel, der von dem nach innen gekehrten Rande des faſt voll— ſtändig geſpaltenen Mantels abgeht, aus der Neſtöffnung heraus ſpielen, ſo daß von der Schale nichts zu ſehen iſt. Offenbar dienen ſie, da ſie mit lebhaft agierenden Wimpern bedeckt ſind, zur Herbeiſchaffung der kleinen mikroſkopiſchen Beute und des Atemwaſſers. Feilenmuſchel. Kammmuſchel. 441 Daß dieſe lebhafte Muſchel in einem Neſte wohnt, welches ſie offenbar nicht verläßt, iſt eine vorderhand etwas ungereimte Thatſache. Betrachten wir nun das Neſt etwas näher. Das Tier befeſtigt eine Menge ihm gerade zunächſt liegender Gegenſtände durch Byſſusfäden einer gröberen Sorte aneinander. Wie geſagt, waren die Neſter, welche ich in Norwegen ſah, faſt nur aus kleineren leichten Stein— chen und Muſchelſtückchen zuſammengefügt; das auf S. 440 abgebildete, welches Lacaze— Duthiers an einer ſeichten Stelle im Hafen von Mahon fand, vereinigt in bunteſter Aus— wahl Holz, Steine, Korallen, Schneckenhäuſer ꝛc. und hat dadurch ein viel ungeſchickteres Außere bekommen, als ich geſehen. Man hat zwar die Lima noch nicht beim Neſtbau be— obachtet, allein da man bei der Miesmuſchel ſich leicht davon überzeugen kann, daß das Tier beliebig die Bartfäden abzureißen vermag, ſo wird man auch der Feilenmuſchel dieſes Ver— mögen zuſchreiben müſſen. Nachdem ſie nun die groben Außenwände des Hauſes zuſammen— geſtrickt und die Bau— ſteine durch Hunderte von Fäden verknüpft hat, tapeziert ſie es inwendig mit einem feineren Gewebe aus, und es gleicht auch in dieſer Beziehung dem feinſten und bequemſten, von außen wenig ein— ladenden Vogelneſte. So bildet es für die durch ihr klaffendes Gehäuſe wenig geſchützte Muſchel eine gute Feſtung, welche auch die gierigſten Raub— fiſche zu verſchlingen An— ſtand nehmen werden. Nach der Art, wie mir wiederholt in Norwegen in ziemlichen Tiefen von 20—30 Faden die Limen ins Schleppnetz gerieten, muß ich annehmen, daß ſie auf tieferem Meeresgrunde, wo ſie nicht durch Wellen und Strömungen geſtört werden, ſich nicht erſt unter größeren Steinen den Platz für ihr Neſt ausſuchen. Diejenigen, welche der oben genannte franzöſiſche Zoolog in Mahon ſammelte, befanden ſich alle im ſeichten Waſſer und durch große Steine geſchützt. Getrocknet, werden die die Materialien verbin— denden Fäden ſehr brüchig, daher die Neſter, obgleich durchaus nicht ſelten, ſich doch nicht zur Aufbewahrung in Naturalienſammlungen eignen. Den Mittelpunkt der Familie, welcher Lima beigezählt wird, der Kammmuſcheln, bildet die Gattung Kammmuſchel (Pecten), dem Leſer vielleicht ſchon nach ihrer Schale bekannt, die von den größeren Arten als Schüſſel für feines Ragout (Ragout fin en co— quilles) gebraucht wird, und welche auch, um einen äſthetiſcheren Anknüpfungspunkt zu nennen, Hut und Kleid der aus dem Morgenlande heimkehrenden Pilger zu ſchmücken pflegte. Das Gehäuſe iſt alſo frei und regelmäßig, bei vielen Arten ungleichſchalig, in— dem die eine Hälfte vertiefter, ſchüſſelförmig iſt und die andere darauf als ein flacher Deckel paßt. Auffallend ſind auch die Ohren jederſeits neben dem Wirbel, von welchem aus meiſt Rippen nach den Rändern ausſtrahlen. Das Tier hat die Mantellappen vollkommen frei, am Rande verdickt und mit mehreren Reihen fleiſchiger Tentakeln beſetzt, zwiſchen ihnen zahlreiche Augen. Wir erwähnen hier die Geſichtswerkzeuge einer Muſchel zum erſtenmal; Feilenmuſchel (Lima hians), ſchwimmend. Kleines Exemplar. 442 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Einmuskler. fie find bei Pecten durch ihr diamant- und ſmaragdartiges Leuchten am auffallenditen, obſchon noch einige Sippen, von den früher genannten z. B. die Gienmuſcheln, damit verſehen ſind. Weder die Arten, noch die Individuen, noch auch die Mantelhälften verhalten ſich in Bezug auf Zahl und Lage dieſer Augen gleich. Sie ſtehen in der Nähe des Schloſſes und zumal hinter demſelben am dichteſten und ſind an dem konvexen Mantellappen, d. h. dem unteren, weniger zahlreich als an dem flachen. Sie erreichen bei den größeren Arten einen Durchmeſſer von 1 mm; zwiſchen dieſen liegen kleinere, kaum halb ſo große, aber alle zeigen den wundervollen Glanz, hervorgerufen durch eine beſondere Beſchaffenheit der Regenbogenhaut, durch welche die Lichtſtrahlen zurück— geworfen werden. Überhaupt erſtaunt man über die Vollkommenheit dieſer Augen, welche trotz ihrer auch im höchſten Grade befremdenden Lage die optiſchen Einrichtungen haben, daß gute Bilder von der die Muſchel umgebenden Außenwelt erzeugt und durch den Nervenapparat auch zu ihrem dämmernden Muſchelbewußtſein gebracht werden. In jedem Falle aber kann die Muſchel vermittelſt derſelben nicht in die Ferne ſehen, ſondern ſie thun ihr die Dienſte, die wir uns durch BA LIE a feine kleine Linſen verſchaffen; es ſind e, (A Geſichtsorgane für die nächſte Nähe, = AN 70% U) 9 IS unmittelbare Wächter und Bewacher DD N 13272780} 7 3 der Schalen und Mantelränder. Es S aa 5 z In — wäre daher weit gefehlt, wollte man Sun u das Sehvermögen der Kammmuſcheln . 5 g mit ihrer ausgezeichneten Fähigkeit zu Stück vom Mantelrande ee mit Taftern und Augen. ſpringen md zu ſchwimmen in Ver⸗ bindung bringen. Man hat dieſelbe vielfach beobachtet, und ſie verfahren dabei wie die Limen, daß ſie vermittelſt des ſtarken Schließmuskels die durch das Ligament geöffneten Schalen haſtig zuklappen. Ein engli— ſcher Beobachter ſagt, daß er in einem von der Ebbe zurückgelaſſenen Waſſertümpel die Jungen von Pecten opercularis ganz munter umherhüpfen ſah. Ihre Bewegung war reißend und ſchnell und zickzackartig, ſehr ähnlich der der Enten, welche auf einem Teiche während eines Sonnenblickes vor dem Regen ſpielend ſich vergnügen. Sie ſchienen durch plötzliches Offnen und Schließen ihrer Klappen das Vermögen zu haben, wie ein Pfeil durch das Waſſer zu fliegen. Ein Sprung entführte ſie mehrere Ellen weit, und mit einem zweiten waren ſie plötzlich wieder nach einer anderen Richtung auf und davon. Über die Erwach— ſenen wird die Vermutung ausgeſprochen, daß auch ſie ſich auf ähnliche Weiſe beluſtigen mögen, aber ungeſehen ſpielen und in der Tiefe ihre Kreuz- und Querſprünge ausführen. Wie wenig daran zu denken, daß ſolche Bewegungen auf Grund des Sehvermögens jtattfinden, lehrt auch das Vorhandenſein der Augen bei der den Kammmuſcheln ganz nahe verwandten Sippe Spondylus (Klappmuſchel). Dieſe nämlich wächſt mit der tieferen Schale feſt. Charakteriſiert wird ſie auch durch die langen Stacheln auf den Rippen. Da dieſe Anhängſel zum Anſammeln von Algen und Schlamm Veranlaſſung geben, ſo ſind dieſe Muſcheln gewöhnlich bis zur Unkenntlichkeit mit einem ſchmutzigen Überzuge bedeckt, unter welchem erſt nach langem Reinigen das wahre ſchöne Geſicht zum Vorſchein kommt. Die im Mittelmeere häufige, aber ziemlich tief ſitzende Lazarusklappe (Spondylus gaederopus) hat eine purpurfarbige Oberſchale. Die nun folgenden Muſchelfamilien bilden ſchon Übergänge zu den Dimyariern, in: dem bei ihnen bereits ein zweiter Schließmuskel, wenn auch nur ſchwach, entwickelt iſt Klappmuſchel. Lazarusklappe. Ham mermuſcheln. Perlmuttermuſcheln. 443 Man faßt ſie dieſer Eigentümlichkeit halber wohl auch unter dem Namen der Ungleich— muskler oder Heteromyarier zuſammen. Die Familie der Hammermuſcheln (Malleacea) hat ihren Namen von der eigen: tümlichen Geſtalt des Gehäuſes. Dasſelbe iſt ungleichſchalig, blätterig, innen perlmutterig; der Schloßrand iſt geradlinig, vorn und gewöhnlich auch hinten in einen ohrförmigen Vor— ſprung vorgezogen. Bei einigen Gattungen, z. B. Malleus, wo die Schale ſehr kurz iſt und nach unten ſehr verlängert, iſt der Vergleich mit einem Hammer ſehr paſſend. Das Tier iſt dem der Steckmuſchel am nächſten verwandt, hat aber nun wirklich nur einen einzigen, faſt zentralen Schließmuskel. Die Mantellappen ſind ihrer ganzen Länge nach getrennt, am Rande verdickt und mit kleinen Fühlern beſetzt. Der kleine, wurmförmige Fuß ſpinnt einen Bart. Der Geognoſt findet in dieſer Familie mehrere wichtige ſogenannte Leitmuſcheln, aus deren Vorkommen er auf das Alter und die Verwandtſchaft oder Gleichheit der betreffenden Schichten und Geſteine ſchließt, während ſie den vergleichenden Paläontologen über das Vorherrſchen der Monomyarier in den älteren Perioden der Erde belehren. Für den Bes obachter des Lebens und der Sitten der Tiere geben aber die lebenden Sippen, wie ſo viele lebende Muſcheln, auch keine Ausbeute. Dagegen ſpielt eine Sippe, die Perl— muttermuſcheln (Aviculidae), in der Kultur- und Handelsgeſchichte eine große Rolle, beſonders die Perlenmuſchel (Meleagrina). Was ſpäter über die Entſtehung und Be— ſchaffenheit der Perlen nach von Heßling mitgeteilt werden wird, gilt im weſentlichen auch für die Seeperlen, obſchon das Tier und ſeine Phyſiologie bis jetzt noch nicht Gegen— ſtand einer ſpeziellen, ſorgfältigen Unterſuchung geweſen iſt. Alle Meleagrina-Arten haben am Schloßrande vorn, häufig auch hinten, eine ohr— förmige Verlängerung. Das Schloß iſt vollkommen zahnlos oder hat in jeder Schale einen ſtumpfen Zahn. Die rechte Schale hat vor dem vorderen Ohre einen Ausſchnitt für den Bart. Es ſind etwa 30 Arten bekannt, welche, mit Ausnahme einer im Mittelmeere vor— kommenden, ſämtlich in den heißen Meeren leben. „Die Kenntniſſe über ihre Lebensweiſe“, ſagt von Heßling, „ſind weniger die Reſultate genau angeſtellter Unterſuchungen, als zufälliger oder oberflächlicher Beobachtungen, welche überdies aus alten Überlieferungen unkundiger Fiſcher und Schiffsleute von Munde zu Munde ſich forterbten. Gewöhnlich an einem und demſelben Standorte einer und derſelben Art angehörig, erhalten ſie in den Tiefen des Meeresgrundes durch die Beſchaffenheit des Bodens, auf welchem ſie woh— nen, ſowie nach den verſchiedenen pflanzlichen und tieriſchen Organismen, welche ihre Schalen überwachſen, ein mannigfaltiges Ausſehen und deshalb gar häufig verſchiedene Benennungen. Bald ſind ihre Schalen mit großen becherförmigen Schwämmen (Coda der Schiffer) völlig wie überſchattet, bald wie mit einer der Betelfarbe ähnlichen Tünche (eben- falls einem Schwamme) überzogen. Auf den einen Bänken lagern die Tiere mit ganz freien, unbedeckten Schalen, auf den anderen ſind letztere Träger von Korallenſtämmen, welche oft fünfmal ſchwerer als die Schalen ſelbſt ſind; an noch anderen Stellen kleben ſie feſt an den Riffen und Klippen der Felſen, beſonders die jüngeren Tiere, und können, mit ihren Byſſusfäden in dichten, zähen Klumpen aneinander hängend, hervorgezogen werden; oder die Muſcheln liegen in weichem Boden und ſandigem Grunde, in welchem fie, mit dem einen Ende aufgerichtet, teils bewegungslos ſtecken, teils, meiſt mit dem Schloſſe voraus, langſame, in querer Richtung erfolgende Wanderungen anſtellen. Die Höhe, bis zu welcher die Bänke aufgeſchichtet liegen, iſt verſchieden; nach der Ausſage verſtändiger Taucher beträgt fie nicht über 1 —2 Fuß, und ihre Tiefe im Meere reicht oft von 3—15, gewöhnlich 5— 8 Faden.“ 444 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Einmuskler. Die wertvollſte und zugleich am weiteſten verbreitete Art iſt Meleagrina meleagris, die echte Perlenmuſchel, von Linné einſt Mytilus margaritifer genannt. Sie findet ſich im Perſiſchen Golfe, an den Küſten von Ceylon, den Inſeln des Großen Ozeans, im Roten Meere, im Meerbuſen von Panama und Mejiko und an der kaliforniſchen Küſte vor, allerdings in mannigfachen Abänderungen, welche ſich vorzugsweiſe auf die Größe und auf die Dicke der Perlmutterſchicht beziehen. So ſind die Schalen der Tiere von Cey— lon nur 5—6 / cm lang und 2½ — 8 em hoch, dünn und durchſcheinend und für den Handel unbrauchbar, die des Perſiſchen Golfes aber viel dicker, und in der Sundaſee iſt See-Perlenmuſchel (Meleagrina meleagris). Ya natürl. Größe. eine / —1 kg ſchwer werdende Sorte mit einer dicken, herrlich glänzenden Perlmutter— ſchicht. „Die preiswürdigſten Perlen“, teilt von Heßling weiter mit, „ſollen ſich vor— züglich im muskulöſen Teile des Mantels nahe am Schalenſchloſſe finden; doch kommen ſie auch in allen anderen Teilen des Tieres, wie an der inneren Schalenfläche, in dem Schalenſchließer, von der Größe des kleinſten Stecknadelkopfes (Seed pearls) bis zu be— deutendem Umfange vor; und wie ſich oft viel in einer Muſchel finden laſſen (Kapitän Stuart z. B. zählte in einer einzigen 67, Cordiner bis zu 150 Perlen), ebenſo werden auch Hunderte von Muſcheln geöffnet, in welchen nicht eine einzige Perle anzutreffen iſt. Nicht unintereſſant, weil mit unſerer Flußperlenmuſchel übereinſtimmend, iſt die Behaup— tung der Perlenfiſcher im Orient, daß ſie in vollkommen ausgebildeten und glatten Schalen niemals ſchöne Perlen erwarteten, wohl aber dieſelben gewiß fänden in Tieren mit ver— drehten und verkrüppelten Schalen ſowie in ſolchen, welche an den tiefſten Stellen des Meeresgrundes lagern.“ Echte Perlenmuſchel. Perlenfiſcherei im Perſiſchen Golf. 445 Aus den lückenloſen Nachweiſen des einſtigen und des jetzigen Zuſtandes (bis 1859) der Seeperlenfiſchereien auf der ganzen Erde, welche ſich in von Heßlings Werk finden, heben wir nur einige der wichtigſten und anziehendſten Stellen heraus, zunächſt über die Perlenfiſchereien im Perſiſchen Golf. „Sie ſind gegenwärtig im Beſitze des Sul— tans von Maskate, und der Perlenhandel befindet ſich faſt ausſchließlich in den Händen der großen Banianer Kaufleute, welche in Maskate eine eigene Handelsgilde bilden. Das wichtigſte Perlenrevier dehnt ſich vom Hafen Scharja weſtwärts bis zu Biddulphs Island aus, und auf dieſer Strecke ſteht es jedem frei, zu fiſchen. Die Boote ſind von verſchie— dener Größe und verſchiedenem Baue, im Durchſchnitte von 10— 18 Tonnen. Man red): net, daß während der Fiſchzeit, vom Juni bis Mitte September, die Inſel Bahrein 3500 Boote jeder Größe, die perſiſche Küſte 100 und das Land zwiſchen Bahrein und der Mün— dung des Golfes mit Einſchluß der Piratenküſte 700 liefert. Die Boote führen 8 — 40 Mann, und die Zahl der Leute, welche in der günſtigſten Jahreszeit mit Fiſcherei beſchäf— tigt ſind, mag über 30,000 betragen. Keiner erhält einen beſtimmten Lohn, ſondern jeder hat einen Anteil am Gewinne. Der Scheikh des Hafens, zu dem jedes Schiff gehört, er— hebt eine kleine Abgabe von 1 — 2 Dollar. Sie leben während der Fiſchzeit von Dat— teln, Fiſchen, und der Reis, den die Engländer liefern, iſt ihnen eine ſehr willkommene Zugabe. Wo es viele Polypen gibt, wickeln ſich die Taucher in ein weißes Kleid, ge— wöhnlich aber ſind ſie, mit Ausnahme eines Tuches um die Lenden, ganz nackt. Wenn ſie an die Arbeit gehen, ſo teilen ſie ſich in zwei Abteilungen, von denen die eine im Boote bleibt, um die andere, welche untertaucht, wieder heraufzuziehen. Die letzteren verſehen ſich mit einem kleinen Korbe, ſpringen über Bord und ſtellen ihre Füße auf einen Stein, an dem eine Leine befeſtigt iſt. Auf ein gegebenes Signal läßt man dieſe los, und ſie ſinken mit derſelben zu Boden. Sind die Muſcheln dicht übereinander gelagert, ſo können ſie 8 oder 10 auf einmal los bekommen. Dann zerren ſie an der Leine und die Leute im Boote ziehen ſie möglichſt ſchnell wieder herauf. Man hat die Zeit, welche ſie unter dem Waſſer bleiben, ſehr überſchätzt, ſie beträgt im Durchſchnitte gewöhnlich 40 Sekunden. Unfälle durch Haifiſche kommen nicht oft vor, aber der Sägefiſch iſt ſehr ge— fürchtet. Man erzählt Beiſpiele, wo Taucher durch dieſe Ungeheuer völlig entzwei ge— ſchnitten wurden. Um den Atem beſſer anhalten zu können, ſetzen ſie ein Stück elaſtiſches Horn über die Naſe, welche dadurch feſt zuſammengehalten wird. Der Taucher geht nicht jedesmal, wenn er an die Oberfläche kommt, an Bord zurück, ſondern hält ſich an den Stricken, welche an der Seite des Bordes hängen, feſt, bis er wieder hinlänglich Atem geſchöpft hat; meiſt nach 3 Minuten Erholung ſtürzt er von neuem in die Tiefe. Der Ertrag dieſer Fiſchereien, welcher früher bis auf 300 Millionen Pfund Sterling ſich be— lief, macht jetzt nach einem Berichterſtatter nur mehr den zehnten Teil aus.“ Die zweite berühmteſte Perlenregion Aſiens iſt die Weſtküſte Ceylons und die Küſten des gegenüberliegenden Feſtlandes. Wir finden bei Heßling die Schilderung des engliſchen Offiziers Grylls, welcher zum Schutz der Perlenfiſcherei in Aripo auf Ceylon eine Truppen— abteilung befehligte und in ſeinem Buche ſagt, daß er um alle Perlen der Welt dieſe Ex pedition nicht mehr wiederholen möge, welche ihm mehrere Monate ſeines Lebens raubte, indem er ſie zuerſt faſt verhungernd, dann ſchiffbrüchig und ſchließlich in heftigem Fieber zubrachte. Heßling gibt nach ihm und unter Benutzung anderer Erzählungen nachſtehende Skizze: „Der Hauptplatz der Perlenboote iſt die dürre und öde Küſte von Aripo (Ceylon). Mit unerbittlicher Macht ſengt hier die Sonne alles zuſammen, ſoweit nur das Auge ſchweifen kann. Im ausgeglühten Sande gedeiht nur Dorngeſtrüppe, zuſammengeſchrumpfte Blätter hängen am nackten Geſträuche. Die Tiere ſuchen Schutz vor den brennenden Strah— len, aber da iſt nichts von einem Schatten, nur ein atemhemmender Dunſt zittert über dem 446 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Dronung: Einmuskler. Boden, und die See ſpiegelt die erdrückende Hitze zurück. Aus glühendem Sande ragen die gebleichten Gebeine der Perlentaucher hervor, welche die Gier nach den Schätzen in den Tod führte. Ein doriſcher Palaſt, ſeit der engliſchen Beſitzergreifung aus Quaderſandſtein erbaut, von außen mit dem ſchönſten Stucco aus Auſterſchalenkalk überzogen und von dürftigen Baumpflanzungen umgeben, iſt der einzige Schmuck dieſer Gegend, der einförmigſten von ganz Ceylon. Das iſt der Ort, auf welchem ſich das Bild des bunteſten Treibens aufrollt, wenn die Taucherboote heranſegeln und auf den Ruf der Regierung aus allen Gegenden Hin— doſtans Tauſende und Tauſende ſchnöden Gewinnes halber herbeiſtrömen. Da erheben ſich plötzlich von Condatchy an längs dem Geſtade hin breite Straßen, wo Hütte an Hütte aus Bambus- und Arekapfählen, mit Palmenblättern, Reisſtroh und bunten Wollenzeugen be— deckt, aufſteigt, in denen Lubbies (die eingeborenen Mohammedaner), Moren (mohamme— daniſche Handelsleute) aus der Ferne, Malabaren, Koromandeler und andere Hindu ihre Buden aufſchlagen. Abenteurer und Taſchenſpieler treten auf, gewandte Diebe ſchleichen ſich ein. An allen Orten Spekulation mit Geld und Kredit. Stolze, im Rufe des Reichtums ſtehende Eingeborene vom Kontinent laſſen ſich zum ſinnverwirrenden Schauſpiele in reich— verbrämten Tragſeſſeln unter prachtvollen Sonnenſchirmen bringen. Alle indiſchen Sitten und Trachten kommen zum Vorſchein, jede Kaſte iſt vertreten, Prieſter und Anhänger jeder Sekte eilen herbei, Gaukler und Tänzerinnen beluſtigen die Menge. Während dieſes Schauſpieles gehen jeden Morgen etwa 200 Boote in die See, von welchen jedes zwei Taucher nebſt zwei Gehilfen und einen Malayenſoldaten mit geladenem Gewehre trägt; letzterer ſoll nämlich verhüten, daß die Muſcheln ihrer Schätze nicht eher entledigt werden, bis ſie ans Ufer gebracht ſind. Iſt dieſe ganze Flotte an ihrem Beſtimmungsorte, etwa 4 engliſche Meilen weit vom Lande, angelangt, jo beginnt die Arbeit. Eine bewaffnete Schaluppe liegt zu ihrem Schutze in der Nähe, und ein Zeltdach dieſes Fahrzeuges läßt mit Muße und Bequemlichkeit dieſes Schauſpiel genießen. Um den Tauchern die Erreichung des Meeresgrundes zu erleichtern, welcher an dem Aufenthaltsorte der Perlenmuſcheln 10—12 Klafter tief iſt, hat man ein langes Tau an eine Rolle gewunden, welche von einer Querſtange am Maſt über den Bord hinaushängt, und an das Tau iſt ein Stein von 100—150 kg Gewicht befeſtigt. Man läßt den Stein neben dem Boote herab, und der Taucher, einen Korb bei ſich tragend, der ebenfalls mit einem Tau im Boote befeſtigt iſt, gibt, auf dem Steine ſtehend, ein Zeichen, ihn herabzulaſſen, und ſinkt dadurch raſch auf den Grund; dann wird der Stein wieder heraufgezogen, während der Taucher im Waſſer mit der rechten Hand ſo viele Perlenmuſcheln wie möglich in ſeinen Korb legt und mit der linken an Felſen oder Seegewächſen ſich anklammert. Läßt er dieſe los, ſo ſchießt er an die Oberfläche empor, und ein Gehilfe zieht ihn ſogleich in das Boot, während ein anderer den Korb mit den Muſcheln heraufbefördert. Alsdann wird der zweite Taucher ins Waſſer gelaſſen, und ſo geht es abwechſelnd fort bis 4 Uhr nachmittags, denn nun kehren alle Boote mit ihren Ladungen nach Aripo zurück. Iſt die Fiſcherei den Tag über beendigt, ſo erhält der Taucher, welcher am längſten unter Waſſer geblieben war, eine Be— lohnung. Die gewöhnliche Zeit dieſes Aufenthaltes währt 53— 57 Sekunden; einmal hielt ein ſolcher 1 Minute und 58 Sekunden unter Waſſer aus; als er wieder heraufkam, war er ſo erſchöpft, daß er lange Zeit zu ſeiner Erholung brauchte. Alle dortigen Taucher ſind Malayen und von Kindheit an zu ihrem Handwerke erzogen. Der Lärm iſt bei dieſem Ge— ſchäfte ſo groß, daß er die gefürchteten Haifiſche verſcheucht, und viele Fiſchereien werden ohne irgend einen Angriff zu Ende geführt; gleichwohl verlangen die Taucher, daß Haifiſchbeſchwö— rer während des Fiſchens am Strande für ſie beten und teilen gerne mit ihnen den Gewinn. Selbſt die katholiſchen Taucher aus der portugieſiſchen Zeit her gehen nicht an ihr Geſchäft, ohne Gebetformeln und Sprüche aus der Heiligen Schrift an ihrem Arme zu befeſtigen. Perlenfiſcherei auf Ceylon. 447 „Haben nun die Boote ihre gehörige Ladung Muſcheln an Bord, ſo entſteht ein Wett— rennen unter ihnen nach dem Ufer. Dort ſind die dienſtthuenden Truppen aufgeſtellt, da— mit niemand ſich Muſcheln aneigne, ehe ſie meiſtbietend verkauft oder in das Magazin der Regierung abgeliefert ſind. Letzteres iſt ein mit hohen Mauern umgebener viereckiger Raum, deſſen Boden ſchräg und von vielen kleinen Rinnen durchſchnitten iſt; durch dieſe läuft fortwährend Waſſer aus einem Behälter, in welchen die unverkauften Muſcheln gelegt werden, damit ſie bei eintretender Fäulnis ſich von ſelbſt öffnen. Sind die Perlenmuſcheln ans Land gebracht, ſo werden ſie in kleine Haufen geteilt und verſteigert. Dieſes iſt eine ſehr beluſtigende Art von Lotterie, indem man leicht ein paar Pfund Sterling für einen großen Haufen Muſcheln bezahlt, ohne eine einzige Perle darin zu finden, während mancher arme Soldat, welcher einen oder zwei Groſchen für ein halbes Dutzend ausgibt, möglicher— weiſe eine Perle darin entdeckt, ſo wertvoll, daß er damit nicht nur ſeinen Abſchied erkaufen, ſondern auch den Reſt ſeines Lebens ſorgenfrei zubringen kann. In früheren Zeiten ließ die Regierung die Perlenmuſcheln nicht verſteigern, ſondern in das Magazin bringen und dort durch beſonders angeſtellte Leute öffnen; allein dieſe waren ſo ſchlau, daß ſie trotz der genaueſten Aufſicht Perlen verſchluckten. Gegenwärtig werden die nicht verkauften Muſcheln in die erwähnten Waſſerbehälter gelegt, und haben ſich ihre Schalen durch Fäulnis geöffnet, ſo fallen die Perlen heraus, das Waſſer ſpült ſie in die Rinnen, in welchen ſie durch feine Gazewände aufgehalten und in großer Menge geſammelt werden. Iſt die Zeit der Perlen— fiſcherei zur Hälfte verſtrichen, ſo beginnt die eigentliche Plage. Die durch die glühenden Sonnenſtrahlen ſchnell in Fäulnis übergehenden Muſcheln verbreiten im Magazin einen nicht zu beſchreibenden peſtilenzialiſchen Geſtank, und dazu geſellen ſich Fieber, Brechruhr und Dysenterie, die ſteten Begleiter von Miasmen, Unreinlichkeit und Hitze. Der Wind verbreitet einen abſcheulichen Geruch auf meilenweite Entfernungen, und die Luft iſt in der Kaſerne, welche abſichtlich 2 Meilen weit vom Magazin entfernt liegt, beſonders zur Nachtzeit kaum zu ertragen. Wollen ſich keine Perlenmuſcheln mehr finden, und iſt man der beſchwerlichen Fiſcherei müde, dann wird Aripo von ſeinen Bewohnern nach und nach verlaſſen und die Ufer werden wieder ſtill und öde; nur die Truppen müſſen ſo lange ausharren, bis die letzte Muſchel im Magazin verfault iſt. So endet dieſe vielbewegte Szene, dieſes wirre Getreibe, welches Gewinnſucht der Menſchheit ihrer Eitelkeit willen ins Daſein ruft. Ver— klungen iſt geſchäftiger Händler buntes Feilſchen und der neugierigen Menge lärmendes Getöſe; verhallt iſt das kataraktenähnliche Rauſchen der auf- und abfahrenden Taucher; verſchwunden find alle die Handelsleute, Juweliere, Ringfaſſer, Schmuckhändler und übrigen Glücksritter, welche auf ſichere Gewinſte in der großen Lotterie ihr Spiel wagten: an der öden, verlaſſenen Küſte brandet nach wie vor mit melancholiſchen Schlägen des Meeres Welle, verflogen in alle Winde ſind das Stroh und die Lappen der flüchtig gebauten Hütten, heißer Flugſand bedeckt die Fußtritte der einſt hier wogenden Menge.“ Auf der gegenüberliegenden Küſte ſind die Perlenbänke, welche ſich nordöſtlich vom Kap Komorin an der Küſte von Tinnevelly hinziehen, ſeit vielen Jahrhunderten ausgebeutet worden. Als die Meſſe von Tuticorin unter portugieſiſcher Herrſchaft noch blühte, zogen 50— 60,000 Kaufleute dorthin. Allein man übernahm ſich und erſchöpfte die Bänke. Wir entlehnen die folgenden, die Geſchichte der Perlenfiſcherei und die Naturgeſchichte der Perlen— muſchel ergänzenden Mitteilungen einem auf ungenannte engliſche Berichte ſich ſtützenden Aufſatze im „Ausland“ aus dem Jahre 1865. Im Jahre 1822 ſchöpfte die engliſche Ver— waltung Indiens aus dem Ertrage der Station Tuticorin im Gebiete von Tinnevelly noch 13,000 Pfund Sterling; im Jahre 1830 gegen 10,000; nach letzterem Zeitpunkte fehlte die Perlenmuſchel in den dortigen Gewäſſern mehrere Jahre gänzlich. Zwiſchen den Jahren 1830 und 1856 verſuchte man 14mal eine genaue Unterſuchung der Muſchelbänke, und 448 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Einmuskler. es zeigte ſich keine hinreichende Anzahl Perlenmuſcheln, daß deren Einſammlung ſich hätte als lohnend erweiſen können. Man ſchrieb dieſes ungünſtige Reſultat verſchiedenen Ur— ſachen zu. Kapitän Robertſon, der Oberbeamte von Tuticorin, fand den Hauptgrund dieſer Erſcheinung in der Erweiterung des Paumbenkanals, welche eine ſtärkere Strömung veranlaßt hätte, die die Mollusken verhindern, ſich an den Bänken zu befeſtigen. Einen ferneren Nachteil für die Vermehrung der Perlenmuſcheln fand derſelbe in dem Umſtande, daß die Fiſcher, die in dortiger Gegend nach jenen großen Muſcheln fahnden, die unter dem Namen „Chanks“ als Signalhörner in den Götzentempeln dienen, an jenen Bänken ankern und mit den Ankern die Perlenmuſcheln ablöſen und töten. Die getöteten Muſcheln üben dann auf die noch lebenden einen nachteiligen Einfluß, wodurch eine ſtete Vermin— derung derſelben ſtattfindet. Die eingeborenen Taucher ſuchen dagegen den Grund in dem häufigen Auftreten zweier anderen Muſchelarten, einer Modiola, dort „Surum“ genannt, und einer Apicula, welche ſich unter den Perlenmuſcheln niederlaſſen und nach der Anſicht jener Taucher dieſe ver— nichten. In den Jahren 1860 —62 war der Ertrag der Perlenbänke ſehr befriedigend, indem er ſich auf 20,000 Pfund Sterling belief; 1863 fand man dagegen die Bänke wieder in einem Zuſtande, daß man von einer Einſammlung der Muſcheln Abſtand nahm. Von den 72 unterſuchten Bänken waren nur vier völlig frei von der bereits genannten Modiola- Art, welche ſich bei elf anderen Bänken in ziemlicher Menge angeſiedelt hatte; 57 Bänke beherbergten gar keine Muſcheln. Dieſer unverhoffte Mangel an Perlenmuſcheln gab Ver— anlaſſung zu den künſtlichen Züchtungsverſuchen des Kapitäns Philipps, welche, ſoweit man bis 1865 beurteilen konnte, ganz befriedigende Reſultate erwarten laſſen. Neuere Nachrichten haben wir nicht. Die Perlenbänke liegen ungefähr 9 engliſche Meilen von der Küſte und erſtrecken ſich über ein Areal von 70 Meilen Länge, während die Meerestiefe über denſelben 8—10 Faden beträgt. Dabei ſind ſie ſtarken Meeresſtrömungen ausgeſetzt, durch welche Sand in die Felsſpalten hereingeführt wird und damit zugleich die jungen Muſcheln auf oft große Strecken verſchüttet werden. Die verweſenden Tiere ſchaden den lebenden an ihrem Ge— deihen, während zugleich noch jene Modiola-Spezies ihren verderblichen Einfluß ausübt. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß bei einer ſolchen Tiefe an den der freien See exponierten Stellen keine wirkſame Abhilfe möglich iſt, weshalb der Gedanke nahe lag, die junge Brut auf zugänglichen künſtlichen Bänken ſo lange zu züchten, bis ſie ſtark genug geworden, den bezeichneten nachteiligen Einflüſſen Widerſtand zu leiſten. Dabei wurde man noch beſonders zu den gemachten Verſuchen durch die ſcheinbar günſtigen, weiter unten darzulegenden Er— folge der Auſternkultur an der engliſchen und franzöſiſchen Küſte ermutigt, welche mit Wahrſcheinlichkeit auch von der Züchtung der Perlenmuſcheln an der Küſte von Tinnevelly erwartet werden konnten. Den weſentlichſten Umſtand, der bei den Züchtungsverſuchen in Betracht zu ziehen war, bildete der Unterſchied zwiſchen der gewöhnlichen Auſter, welche (wo ſie nicht anwachſen) einfach mit der konvexen Seite der Schale auf dem Grunde liegen, während die Perlen— muſchel ſich mit Hilfe des Byſſus an den Felſen anheftet. Dieſen Byſſus kann jedoch das Tier nach den Unterſuchungen des Dr. Celaart auf Ceylon willkürlich und ohne Schaden abwerfen, um ſich an anderen Stellen anzuheften, wenn der eingenommene Platz nicht mehr konveniert. Auch gehört nach Dr. Celaarts Verſuchen die Perlenmuſchel mit zu den hart— lebigſten Muſcheln; ſie lebt ſelbſt in Brackwaſſer und an Stellen, welche ſo ſeicht ſind, daß ſie täglich 3 Stunden lang der Sonne und atmoſphäriſchen Einflüſſen ausgeſetzt iſt. Auch Kapitän Philipps hat ſich von dieſer für die Züchtung der Muſcheln ſehr günſtigen Zähig— keit überzeugt und ſeine Einrichtung in folgender Weiſe getroffen. Verſuche künſtlicher Perlenzucht. — Eßbare Miesmuſchel. 449 Der Hafen von Tuticorin wird von zwei langen Inſeln gebildet, zwiſchen welchen und dem Feſtlande ſich eine 3 engliſche Meilen lange und 1 Meile breite Bank ungefähr 3—7 Fuß unter der Oberfläche der See hinzieht. Dieſelbe iſt geſchützt vor der Brandung, frei von Strömung und Zufluß von ſüßem Waſſer. Dieſe Bank hat man nun loſe mit Korallenſtämmen umgeben, welche einen Rand bilden, der ſich ungefähr 3 Fuß über die Hochwaſſermarke erhebt und ſo eine Art von Baſſin bildet. In letzteres werden lebende Korallen gebracht, die in einigen Jahren ein feſtes Riff bilden, welches dann geeignet iſt, als Unterlage für die zu züchtenden jungen Muſcheln zu dienen. Dieſes Baſſin iſt dann ferner in drei Abteilungen zu teilen, von welchen eine beſtimmt iſt, die älteren Muſcheln aufzunehmen, die beiden anderen die junge Brut. Iſt die für die erſtere der Abteilungen beſtimmte Menge von geſunden Muſcheln eingelegt, ſo müſſen ſie ſorgfältig überwacht werden, bis die Befruchtung ſtattgefunden und die Entwickelung der jungen Muſcheln Platz gegriffen hat. Man entfernt nun die letzteren, die man in die für ſie beſtimmten Abtei— lungen bringt, wo ſie dann bleiben, bis ſie hinreichend erſtarkt ſind, um in die offene See verſetzt werden zu können. Dieſe letztere Operation iſt aus dem Grunde notwendig, weil es unmöglich wäre, einen ſo großen Raum herzuſtellen, als er für eine hinreichende Menge von Perlenmuſcheln nötig wäre; außerdem ſoll auch die Qualität von der Tiefe und Klar— heit des Meeres abhängen. Dieſe Prozedur, immerwährend fortgeſetzt, ſichert eine reichliche Bevölkerung der Perlenmuſchelbänke mit ſtarken Tieren, was ſchon daraus hervorgeht, daß eine ſechsjährige Muſchel oft 12 Millionen (?) Eier enthält. Da die Anzahl der 1861 im ganzen gefiſchten Perlenmuſcheln 15,874,800 Stück betrug, ſo dürfen jährlich ſchon beträcht— liche Mengen der jungen Muſcheln zu Grunde gehen, ohne daß die Beſtockung der Perlen— bänke leiden würde, während zugleich der Ertrag der jährlichen Fiſcherei geſichert wäre. Inwieweit dieſes ſchöne Projekt ſeit 1865 ausgeführt worden und gedeihlich fortgeſchritten iſt, haben wir, wie geſagt, bis jetzt nicht in Erfahrung bringen können. Die Familie der Miesmuſcheln (Mytilacea) enthält Sippen, welche ſowohl wegen ihres eigentümlichen Baues und ihrer Lebensweiſe, als wegen ihres großen Nutzens unſere volle Aufmerkſamkeit verdienen. Die mit einer Oberhaut bekleidete Muſchel iſt gleichſchalig, das Schloß zahnlos oder mit kaum merklichen Zähnchen. Der Eindruck des vorderen Schließmuskels iſt klein. Hinten bildet der Mantel eine beſondere Offnung für den After und darunter eine kurze, am Rande gefranſte Atemröhre. Die Mundlappen find ſchmal und zuſammengefaltet. Zu dieſen recht charakteriſtiſchen Kennzeichen kommt aber noch eine ſehr auffallende Beſchaffenheit des Fußes und das Vorhandenſein einer beſonderen Spinn— drüſe, welche Einrichtungen mit der ſitzenden Lebensweiſe dieſer Tiere zuſammenhängen. Wir wollen dieſe Einrichtungen, den fingerförmigen Fuß und den Bart bei der eßbaren Miesmuſchel (Mytilus edulis) unſerer Meere näher kennen lernen. Was die Gat— tung an ſich betrifft, ſo iſt das Gehäuſe leicht daran zu erkennen, daß die Wirbel ſpitzig ſind und ganz am vorderen ſpitzen Winkel der beinahe dreieckigen Schalenhälften ſitzen. Die lange Seite der Schale iſt die Bauchſeite. In der umſeitigen Abbildung haben wir eine durch Hinwegnahme der linken Schalenhälfte und Zurückſchlagen der linken Mantel— hälfte geöffnete eßbare Miesmuſchel: a iſt der Mantelrand. Zu beiden Seiten des Mun— des (k) befinden ſich die beiden länglichen, ſchmalen Lippententakeln (g); j it das äußere, i das innere Kiemenblatt, e und d ſind die Muskeln, welche zum Zurückziehen des Fußes dienen. Letzterer (b) iſt fingerförmig, und man ſieht es ſchon ſeiner geringen Größe an, daß er nicht wohl als Fortbewegungsorgan zu benutzen iſt. Unter und hinter dem Grunde des fingerförmigen Fußfortſatzes oder des „Spinners“ liegt die ſogenannte Byſſusdrüſe, Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 29 450 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Einmuskler. eine Höhle, von welcher aus auf der Mitte der Unterſeite des Spinners eine Längsfurche verläuft, welche vorn in der Nähe der Spitze in eine kurze und tiefe Querfurche endigt. In dieſer liegt eine halbmondförmige Platte, auf deren vorderem konkaven Rande ſieben Offnungen ſtehen. Beginnt das Tier zu ſpinnen, ſo legt es zuerſt die eben erwähnte Spinnplatte an die Byſſusdrüſe, und beim Zurückziehen wird der Klebeſtoff zu einem Faden ausgezogen, welcher in die offene Furche des Fingers zu liegen kommt. Vermittelſt der Spinnplatte wird dann das Vorderende des noch weichen Fadens in Form eines kleinen Scheibchens an irgend einen Körper angedrückt. Die Geſamtheit aller dieſer Fäden bilden den Bart (e) oder Byſſus. Wer Gelegenheit gehabt, Miesmuſcheln von ihrem Wohnorte abzureißen, wird über die Feſtigkeit der Bartfäden erſtaunt ſein. Die ſtärkſte Strömung und Brandung hat ihnen nichts an. Ein ſehr bezeichnender Be— leg dafür iſt der Gebrauch, den man in Bide— ford in Devonſhire von der Miesmuſchel macht. Bei dieſer Stadt geht eine 24 Bogen lange Brücke über den Torridgefluß bei ſeiner Einmündung in den Taw. An ihr iſt die Strömung der Gezeiten ſo reißend, daß kein Mörtel daran dauert. Die Gemeinde unter— hält daher Boote, um Miesmuſcheln herbei— zuholen, und läßt aus der Hand die Fugen zwiſchen den Bauſteinen damit ausfüllen. Die Muſchel ſichert ſich alsbald dagegen, von den Gezeiten fortgetrieben zu werden, indem ſie ſich durch ſtarke Fäden an das Steinwerk an— heftet, und eine Verordnung erklärt es für ein Verbrechen, welches Landesverweiſung zur Folge haben kann, wenn jemand anders als im Beiſein und mit Zuſtimmung der - Gemeindebevollmächtigten dieſe Muſcheln ab: Eßbare Mies muſchel (Mytilus edulis), geöffnet. nimmt. Die Fäden des Bartes dienen der RS Miesmuſchel aber nicht bloß, um fich zu be: feſtigen (ſ. Abbild. S. 451), ſondern auch, um ſich an ihnen, wie an kleinen Seilen, fortzu— ziehen. Hat die Muſchel irgendwo Platz genommen, und iſt ſie nicht etwa ſchon durch ihre Nachbarinnen eingeengt und teilweiſe überſponnen, ſo zieht ſie ſich, wenn ihr der Ort nicht mehr zuſagt, ſo nahe wie möglich an die Befeſtigungsſtelle des Byſſus heran. Hierauf ſchickt ſie einige neue Fäden nach der Richtung hin, wohin ſie ſich begeben will, und wenn dieſe haften, ſchiebt ſie den Fuß zwiſchen die alten Fäden und reißt mit einem ſchnellen Ruck einen nach dem anderen ab. Sie hängt nun an den eben erſt geſponnenen Fäden und reißt auch dieſe ab, nachdem ſie für abermalige Befeſtigung in der angenommenen Richtung geſorgt hat. Wie aus der obigen Mitteilung ſchon hervorgeht, ſiedelt ſich Mytilus edulis dort, wo ſtarke Ebbe und Flut iſt, in der Uferregion an, welche zeitweiſe bloßgelegt wird. An vielen Stellen der zerriſſenen norwegiſchen Küſte kann man ein ſchwarzes, 1—2 Fuß breites Band zur Ebbezeit über dem Waſſerſpiegel ſehen, die unzählbaren Miesmuſcheln, über, zum Teil ſchon auf welchen der weißliche Gürtel der Balanen folgt, deren Spitzen das Heraus— ſpringen aus dem Boote bei unruhiger See gar ſehr erleichtern. Wo aber die Gezeiten keinen großen Niveau Unterſchied haben, und auch aus anderen lokalen Urſachen ſiedeln ſich die Miesmuſcheln etwas tiefer an, ſo daß ſie immer vom Waſſer bedeckt bleiben. Eßbare Mie smuſchel. 451 Die Miesmuſchel gedeiht am beſten in der Nordſee und in den nordeuropäiſchen Meeren. Sie gehört zu den nicht zahlreichen Muſcheln und überhaupt Seetieren, welche aus den Meeren mit normalem Salzgehalte, wie aus der Nordſee, in die mehr oder weniger geſüßten, ihres Salzgehaltes beraubten Meere und Binnenmeere, wie die Oſtſee, ein— dringen. Auch im Kaſpiſchen Meere kommt ſie mit einigen anderen verkümmerten Muſcheln vor, ohne im ſtande geweſen zu ſein, bei der ſo langſam erfolgten Verſüßung dieſes Waſſers ſich vollſtändig und kräftig zu akklimatiſieren. Es wird jedoch angegeben, daß ſie mit einer Herzmuſchel von dort in einige Flüſſe weit hinauf gedrungen ſind, wo ſie auch noch von dem letzten Meeresſalz— bedürfnis ſich emanzipiert hätten. Ihre Vermehrung unter günſtigen Be— dingungen iſteine erſtaunliche. Meyer und Möbius erzählen, daß an einem Badefloß, welches vom 8. Juni bis 14. Oktober in der Kieler Bucht ge— legen hatte, alle unter Waſſer befind— lich geweſenen Teile ſo dicht mit tiesmuſcheln bedeckt waren, daß 30,000 Stück auf 1 am kamen. Die Schätzung bleibt aber unter der Wirk— lichkeit, da ſich beim Zählen ſicherlich viele ſehr kleine Individuen, welche zwiſchen den Byſſusfäden der größeren hingen, der Beachtung entzogen hatten. In der Kieler Bucht erreichen die Tiere in 4—5 Jahren ihre volle Größe; am ſchnellſten wachſen ſie in den erſten 2 Jahren. Man benutzt die Miesmuſchel überall, wo ſie gedeiht, teils als Köder, teils auch für die Küche, und hat für dieſen letzteren Bedarf an vielen Orten eine eigne Muſchelwirtſchaft und Zucht eingerichtet. Genaue Nachrich— ten über eine ſolche geregelte Mie Eßbare Mies muſchel Mytilus edulis), geſchloſſen und fe: muſchelzucht haben uns Meyer und ee Möbius in ihrem ſchönen Werke über die Fauna der Kieler Bucht gegeben. „Auf der Oberfläche der Hafenpfähle und Bretter, der Badeſchiffe, Boote und Landungs— brücken ſiedeln ſich, ſoweit ſie unter Waſſer ſtehen, Miesmuſcheln an, deren junge Brut oft wie ein dichter Raſen darauf wuchert. Ihre künſtlichen Wohnplätze ſind die Muſchel— pfähle, die Bäume, welche die Fiſcher bei Ellerbeck, einem alten, maleriſchen Fiſcher— dorfe, das Kiel gegenüber liegt, auf den zu ihren Häuſern gehörenden Plätzen unter Waſſer pflanzen. Zu ſolchen Muſchelbäumen werden vorzugsweiſe Ellern benutzt, weil ſie billiger als Eichen und Buchen ſind, die jedoch auch dazu dienen. Dieſen Bäumen nimmt der Fiſcher die dünnſten Zweige, ſchneidet die Jahreszahl in den Stamm, ſpitzt ſie unten zu und ſetzt ſie mit Hilfe eines Taues und einer Gabel in die Region des lebenden oder toten Seegraſes auf 2—3 Faden Tiefe feſt in den Grund. Das „Setzen“ der Muſchelbäume 29 * 452 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Einmuskler. geſchieht zu jeder Jahreszeit, „gezogen“ werden ſie aber nur im Winter, am häufigſten auf dem Eiſe, da dann die Muſcheln am beſten ſchmecken und ungefährlich ſind. Die Muſchelbäume ziehen ſich an beiden Seiten der Bucht dem Düſternbrooker und Eller— becker Ufer entlang, gleichſam wie unterſeeiſche Gärten, die man nur bei ruhiger See unter dem klaren Waſſer ſehen kann. Treiben anhaltende Weſtwinde viel Waſſer aus der Bucht hinaus, ſo ragt wohl hier und da die höchſte Spitze eines Baumes über den niedrigen Waſſerſpiegel heraus. Sonſt bleiben ſie immer bedeckt und unſichtbar. Wir haben oft Muſchelpfähle ziehen laſſen, um die Bewohner derſelben zu ſammeln, und uns dabei an den Hantierungen und Bemerkungen der Ellerbecker Fiſcher ergötzt. Sie haben Kähne von uralter Form mit flachem Boden und ſteilen Seitenwänden und rudern dieſelben mit ſpatenförmigen Schaufeln. Den Stand ihrer Muſchelpfähle wiſſen ſie durch Merkzeichen am Lande, die ſie aus der Ferne fixieren, aufzufinden. Und wenn ſie über einem Baume angekommen ſind, ſo treiben ſie eine Stange in den Grund, um den Kahn daran feſtzu— binden; dann ſchlingen ſie ein Tau um einen Haken, führen dieſes unter Waſſer um den Stamm des Muſchelbaumes herum und winden denſelben damit in die Höhe. Sobald er erſt aus dem Grunde gezogen iſt, hebt er ſich viel leichter, erſcheint dann bald an der Oberfläche und wird ſo weit über das Waſſer gehoben, daß die Muſcheln von den Zweigen gepflückt werden können. Gewöhnlich ſind dieſe recht beſetzt. In Büſcheln und Klumpen hängen daran große Muſcheln, die ihre Byſſusfäden entweder am Holze oder an den Schalen ihrer Nachbarn feſtgeſponnen haben, und zwiſchen ihnen und auf ihren Schalen wimmelt es von verſchiedenen Tieren. „In der Kieler Bucht werden jährlich gegen 1000 Muſchelpfähle geſetzt und ebenſo— viel gezogen, nachdem fie 3—5 Jahre geſtanden haben; denn jo viel Zeit braucht die Mies— muſchel, um ſich zu einer beliebten Speiſe auszubilden. Auf dem Kieler Markte kommen im Jahre ungefähr 800 Tonnen Muſcheln zum Verkauf, wovon jede durchſchnittlich 42,000 Stück enthält. Alſo werden zuſammen in einem Winter 3,360,000 Stück geerntet. Es gibt gute und ſchlechte Jahrgänge und zwar nicht bloß in Rückſicht der Menge, ſondern auch der Qualität der Muſcheln.“ Die Miesmuſchel gedeiht aber auch an allen Küſten des Mittelmeeres, wo ſie Unter— lage für ihr Geſpinſt findet. Kobelt, der das ſeit dem Altertum durch ſeine Auſtern— und Muſchelzucht berühmte Otranto (Tarent) beſuchte, erzählt: „Von den 30,000 Ein: wohnern des jetzigen Taranto leben mindeſtens zwei Drittel von dem Meere und ſeinen Produkten. Die Hauptrolle ſpielen die beiden Miesmuſchelarten, die gemeine blaue, Cozze nere genannt, und die bärtige, Modiola barbata (ſ. unten), Cozze pelose genannt. Man findet die Cozze di Taranto neben den Ostriche di Taranto auf allen Märkten Süd— italiens bis nach Rom hinauf. In dem vorderen Baſſin des Mar pie. wie es im Dialekt von Taranto oder richtiger in dem der vier Dialekte heißt, die mein Bootsführer ſprach, umzieht ein breiter Gürtel ſeichten Waſſers, 8— 10 Fuß tief, das Ufer. Hier find allent— halben Pfähle in Reihen eingerammt, 18 —20 Fuß voneinander entfernt. Sie find nach allen Richtungen hin durch Taue verbunden, an denen unzählige kurze Reiſer befeſtigt ſind, und dieſe, nicht die Pfähle, dienen den Miesmuſcheln zur Anheftung. Die Taue ſind von einer Pflanzenfaſer gemacht, die man mir als ein bei Neapel wachſendes Sumpfgras bezeichnete; eine genauere Auskunft konnte ich darüber nicht erhalten, glaube aber kaum fehl zu gehen, wenn ich dieſe Angabe bezweifle und den Stoff für den ſpaniſchen Eſparto, Macrochloa tenacissima, halte. Sie widerſtehen der Verwitterung ſehr lange und find äußerſt haltbar; die Fiſcher nennen ſie Fune di paglia, Strohſeile. „Als ich mich im November in Taranto aufhielt, waren die meiſten Zuchtanſtalten un— beſetzt, aber die Fiſcher allenthalben beſchäftigt, ſie für neue Gäſte zuzubereiten. Ich möchte Weitere Miesmuſchel-Arten. Modiola. Steindattel. 453 deshalb die Angabe von Salis bezweifeln, daß man die Muſcheln 1½ Jahr auf den Tauen laſſe. Man fiſcht die zur Beſetzung nötigen Exemplare entweder im freien Meere oder nimmt dazu junge aus den Anſtalten, die man geſondert aufbewahrt. Die Taue ſind meiſt jo befeſtigt, daß fie bei der Ebbe, die in Taranto immerhin 2 Fuß beträgt, trocken liegen. In einzelnen Anſtalten zieht man ſie zeitweiſe ganz in die Höhe und läßt ſie tage— lang außer Waſſer. „Ich zählte in dem Mare piccolo etwa 30 Pfahlgruppen von durchſchnittlich 200 Pfählen; es war mir aber unmöglich, genaue Angaben über Menge und Wert der ge— zogenen Miesmuſcheln zu erhalten; darum hatte ſich noch niemand gekümmert. Die Summe muß übrigens ſehr bedeutend ſein, denn es gehen ganze Wagenladungen ſowohl mit friſchen als auch mit eingemachten Muſcheln nach den italieniſchen Märkten. Namentlich um Weihnachten nimmt der Verſand ganz koloſſale Dimenſionen an, denn dann findet in jedem italieniſchen Hauſe eine große Schmauſerei ſtatt, bei der außer verſchiedenen Fiſchen der Aal (capitone) von Chioggia und die Cozze von Taranto eine Hauptrolle ſpielen. Die friſchen Cozze nere koſteten in Taranto je nach der Nachfrage 40 —50 Cen— times das Kilogramm.“ Nicht alle Leute können übrigens den Genuß der Miesmuſcheln gleich gut vertragen, bei manchen erzeugt derſelbe, ähnlich wie der der Krebſe, eine Art Ausſchlag oder Neſſelfrieſel. Auch Vergiftungen zufolge des Verzehrens dieſer Muſcheln ſind beobachtet worden. Einige Gelehrte meinen, ſolche Miesmuſcheln ſeien giftig, die ſich an kupferbeſchlagenem Schiffe angeſiedelt hatten, andere ſind der Anſicht, das Gift rühre von der Gegenwart eines Mikroorganismus her, und die dritten endlich neigen zu dem Glauben, daß ſich in ihnen unter Umſtänden durch irgendwelche Zerſetzungen ein eigen— artiger Giftſtoff entwickele. Die Akten hierüber ſind noch nicht geſchloſſen, doch hat die letzte Anſicht die größte Wahrſcheinlichkeit für ſich. Modiola weicht von der vorhergehenden Gattung nur ſehr unweſentlich ab. Das Tier ſcheint in nichts von Mytilus verſchieden. Nur die Wirbel des Gehäuſes ſtehen nicht auf der vorderen Spitze ſelbſt, ſondern ſind ſeitlich auf die kurze Seite geneigt. Die Arten ſind auch hier ziemlich zahlreich und kommen in allen Meeren vor. Intereſſant ſind die— jenigen, welche ſich mit Hilfe ihres Byſſus mit einem Geſpinſte oder Netze umgeben. „Eine wunderliche Hülle“, jagt Filippi von Modiola vestita, „welche wie ein Sack die ganze Schale verbirgt, iſt innen aus einem Filze grauer Fäden, außen aus Steinchen, Schalen— trümmern und Ahnlichem zuſammengeſetzt und hängt mit dem Hinterteil zuſammen, aus deſſen Fäden fie zum Teil entſtanden zu fein ſcheint. Einen Byſſus habe ich nicht ge: ſehen und glaube, er möge vergänglich aus nur ſehr dünnen Fäden gewebt geweſen ſein und vielleicht auch ſeinerſeits zur Bildung des Sackes beigetragen haben.“ Auch einige andere kleine Modiolen ſcheinen nur in der Jugend mit dem Barte ausgeſtattet zu ſein; fie verlieren denſelben, nachdem fie im Inneren von Weichtieren der Gattung Ascidia ſich angeſiedelt haben. * Zu dieſen im Alter den Byſſus verlierenden Mytilaceen gehört auch die Gattung Lithodomus. Das beinahe cylindriſche Gehäuſe iſt an beiden Enden abgerundet und mit einer ſehr ſtarken Oberhaut überzogen. Alle Arten leben in ſelbſtgemachten Löchern in Steinen, Korallen, auch in dicken Konchylien. Am bekannteſten iſt die im Mittelmeere gemeine Steindattel (Lithodomus lithophagus, Abbild. S. 454). Sie iſt eine ſehr beliebte Speiſe, kommt aber, obſchon ſie faſt überall an den Kalkſteinküſten zu finden, nie in großen Mengen auf den Markt, da das Herausholen aus ihren Höhlungen viel Zeit und Mühe koſtet 454 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erite Ordnung: Einmuskler. Sie gehört demnach zu den ſogenannten bohrenden Muſcheln, obſchon dieſer Name, ſofern er die Thätigkeit anzeigen ſoll, durch welche die Steindattel in den Felſen gelangt, ein ſehr ungeeigneter iſt. Wir werden weiter unten ſehen, daß einige Muſcheln allerdings ſich ihre Höhlungen in Holz und Stein wenigſtens zum Teil ausraſpeln und bohren. Die Steindattel hat aber hierzu gar keine Ausrüſtung. Die ganze Oberfläche der Schale, und namentlich auch Vorderende und Vorderrand, ſind glatt, ohne jede Spur von Zähn— chen, welche allenfalls als Raſpel benutzt werden könnten. Auch findet man die meiſten Exemplare mit völlig unverſehrter Oberhaut, welche doch jedenfalls beim Reiben an den dem Drucke am meiſten ausgeſetzten Stellen abgenutzt werden müßte. Kleine mikroſko— piſche Stiftchen und Zähnchen, welche man bei anderen bohrenden Muſcheln im Fuße Steindattel (Lithodomus lithophagus). Natürliche Größe. und in den vorderen Mantelteilen entdeckt haben will, und welche die unſichtbaren ſteinzer— ſtörenden Inſtrumente ſein ſollten, kommen bei der Steindattel unbedingt auch nicht vor. Man hat daran gedacht, ob nicht die regelmäßige, durch die Flimmerorgane der Kiemen und des Mantels unterhaltene Waſſerſtrömung (gutta cavat lapidem) die Höhlung zu erweitern geeignet ſei. Allein wer, gleich mir, viele Dutzende von Steindatteln aus dem härteſten, hier und da marmorähnlichen Kreidekalke herausgehämmert hat, kann bei aller Achtung vor der Macht der kleinen ununterbrochen wirkenden Gewalten an ſolche Thaten der Flimmerſtrömungen nicht glauben. Um auf den rechten Weg geführt zu werden, iſt es nicht genug, die Steindattel mit den übrigen bohrenden Muſcheln zuſammen zu be— trachten. Im Gegenteil, da jene unter anderen Verhältniſſen bohren, macht dies eher rat— los. Dieſelben harten Geſteine, in welchen die Steindattel ihre mehrere Zoll langen Gänge höhlt, werden auch von Tieren aus anderen Klaſſen durchbohrt, von den Bohrſchwämmen und einigen Sipunkuloiden (ſ. oben S. 106). Obwohl die Bohrſchwämme unzählige ſcharfe mikroſkopiſche Kieſelkörperchen in ſich haben, iſt doch nicht daran zu denken, daß die Wirkung dieſer die Zerbröckelung des Steines herbeiführte. Auch Phascolosoma und andere Sipunkuloiden haben keine zum Bohren ausreichende Bewaffnung. Es bleibt gar nichts übrig, als die Anlage und Erweiterung der Wohngänge aller dieſer Tiere der Steindattel. Dreyssena. Wandermuſchel. 455 auflöſenden Kraft irgend einer Abſonderung ihres Körpers zuzuſchreiben, deren Erzeu— gungsſtelle und Natur, d. h. chemiſche Beſchaffenheit, wir aber noch nicht kennen. Wir dürfen uns nur daran erinnern, daß viele Schnecken im ſtande ſind, während ihres Wachs— tumes gewiſſe Wülſte und andere Teile ihres Gehäuſes wieder aufzulöſen; wir brauchen nur an die ſcharfe Säure zu denken, welche die Faßſchnecke in ihren Nebenſpeicheldrüſen abſcheidet, um auch für die Erklärung, wie die Höhlenbildung der Steindattel zu ſtande kommt, einen wahrſcheinlichen Anhaltepunkt zu gewinnen. Der Einwand, daß eine den Kalkfelſen auflöſende Säure notwendig auch das Kalkgehäuſe des Tieres angreifen müſſe, fällt wenigſtens für Lithodomus weg, da, wie wir geſehen, die Kalklagen der Schale durch eine dicke, gegen die chemiſchen Reagenzien der verſchiedenſten Art ſehr unempfind— liche Oberhaut geſchützt ſind. Bei anderen Muſcheln (Saxicava) ſcheint auf andere Weiſe für die Sicherung des Gehäuſes gegen die eignen Ausſcheidungen geſorgt zu ſein. Eine Geſellſchaft von Steindatteln iſt durch ihre Thaten weltberühmt geworden, weil ſie einen der am meiſten in die Augen leuchtenden Beweiſe für die Theorie der Hebung und Senkung ganzer Küſtenſtriche und Länder geliefert haben. An dem klaſſiſchen Strande von Puzzuoli (Puteoli) unweit Neapel ragen aus den Ruinen eines Tempels drei Säulen empor. In einer Höhe von 10 Fuß über dem Meeresſpiegel beginnt an ihnen eine 6 Fuß breite Zone von Bohrlöchern der Steindatteln. Die Küſte mit dem Serapistempel iſt mit— hin einmal tief unter Waſſer getreten und hat ſich ſpäter, als die Steindatteln ihr Höhlen— werk vollendet, wieder bis zur heutigen Höhe gehoben. Die Sippe Dreyssena (auch Tichogonia genannt) weicht im Tiere darin von der Miesmuſchel ab, daß an dem faſt völlig geſchloſſenen Mantel nur drei enge Offnungen ſind, eine für den Austritt des Bartes, die zweite für den Eintritt des Atemwaſſers, die dritte für den Austritt der Exkremente und des zurückkehrenden Atemſtromes. Das Ge— häuſe iſt gleichſchalig, dreieckig, die Wirbel liegen im ſpitzen Winkel des Dreieckes. Die einzelnen Schalen ſind gekielt. Charakteriſtiſch iſt unter den Wirbeln eine ſcheidewand— artige Platte, welche die Schließmuskeln trägt. Unter den etwa ſechs lebenden Arten hat die europäiſche Dreyssena polymorpha, der Mytilus polymorphus von Pallas, ganz beſonderes Aufſehen erregt als Wandermuſchel. Wir kennen das rapide Ausbreiten einiger Unkräuter in dieſem Jahrhundert, ebenſo die ſchnelle Verbreitung einiger auf Pflanzen ſchmarotzender und mit ihren Wohnpflanzen in die Treibhäuſer eingeführter Inſekten; dagegen dürfte das Beiſpiel einer, wenn auch nicht ganz natürlichen Erweiterung des Wohnbezirkes, wie es Dreyssena in einem unverhältnismäßig kurzen Zeitraume gibt, für die niedere Tierwelt einzig daſtehen und nur mit der Überflutung der Länder und Kontinente des Weſtens durch die Wanderratte verglichen werden können. Wir verdanken dem um die Kenntnis der geographiſchen Verbreitung der Weichtiere hochverdienten E. von Martens den genauen Nachweis über das allmähliche Vorrücken dieſer Süßwaſſer— muſchel aus dem Oſten nach dem Weſten. Der Gegenſtand iſt in tiergeographiſcher Hin— ſicht ſo wichtig, daß wir nicht umhin können, den Bericht im Auszug und mit Hinweg— laſſung vieler Detailangaben wörtlich mitzuteilen. „In betreff der wirbelloſen Tiere“, heißt es, „iſt die Unterſcheidung der verſchiedenen Arten im allgemeinen von ſo jungem Datum, daß ſich noch nichts über eine hiſtoriſche Anderung in ihrem Vorkommen ſagen läßt. Eine der wenigen Ausnahmen von dieſer Regel bietet Dreyssena polymorpha, nicht weil ſie ſchon länger den Naturforſchern be— kannt iſt, ſondern weil ſie in faſt ganz Europa die einzige Art ihrer Gattung iſt und vermöge ihrer Geſtalt auch beim oberflächlichſten Anblick mit keiner anderen Gattung von Süßwaſſermuſcheln verwechſelt werden kann. 456 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erſte Ordnung: Einmusßfler. „Die Kenntnis der auffälligeren Arten unſerer deutſchen Süßwaſſermollusken datiert, nur wenige Arten ausgenommen, erſt von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Martini 1768 und Schröter 1779, während die däniſchen von O. F. Müller 1774, die ſchwediſchen von Linné 1746 — 66, die nordfranzöſiſchen von Geoffroy 1767, die engliſchen über faſt ein Jahrhundert früher von Liſter 1678 ſpeziell unterſchieden wurden. Daß keiner dieſer Schriftſteller die genannte Muſchel beobachtet hat, deutet ſehr entſchieden darauf hin, daß dieſelbe in den von ihnen unterſuchten Gegenden damals nicht lebte; ein Schluß, der ſelbſtverſtändlich bei kleinen ſelteneren, ſchwieriger zu findenden oder zu unter— ſcheidenden Arten nicht ſtatthaft wäre, wohl aber bei dieſer Muſchel, welche gegenwärtig in der Havel, im Tegelſee ꝛc. maſſenweiſe nahe am Ufer auf Steinen oder anderen Muſcheln figend und in Menge ausgeworfen am Ufer zu finden iſt. Alle Naturforſcher des vorigen Jahrhunderts kennen ſie nur nach Pallas als ſüdruſſiſche Muſchel. Das älteſte Datum einer ihr neues Vorkommen betreffenden Veröffentlichung iſt 1825, wo C E. von Bär ſagt, daß ſie unermeßlich zahlreich im Friſchen und Kuriſchen Haff ſowie in den größeren Flüſſen viele Meilen vom Meere entfernt vorkomme, klumpenweiſe an Steinen, namentlich anderen Muſcheln, mittels des Byſſus befeſtigt. „In derſelben Zeit war ſie aber nun auf einmal in der Havel unweit Potsdam und den benachbarten Seen, und zwar in Menge gefunden worden. Alle perſönlichen Erinne— rungen und gedruckten Notizen, welche ich in Berlin hierüber aufzuſpüren im ſtande war, führen übereinſtimmend auf dieſe Zeit. Einige Jahre ſpäter, etwa um 1835, wurde ſie bei der Pfaueninſel unweit Potsdam durch ihr klumpenweiſes Anheften an im Waſſer ſtehende Pfähle unangenehm bemerklich. Seit dieſer Zeit iſt ſie in der Havel und in dem Tegelſee äußerſt zahlreich geblieben und hat ſich in neueſter Zeit auch in der Spree unmittelbar bei Berlin gezeigt. Das Vorkommen unſerer Muſchel in der Donau läßt ſich mit Sicherheit bis 1824 zurückverfolgen, aber es läßt ſich nicht nachweiſen, daß ſie früher in der Donau nicht gelebt habe.“ Aus der zum Elbgebiet gehörigen Havel iſt ſie bis jetzt ſtromaufwärts bis Magdeburg und Halle gedrungen. In der Rheinmündung wurde ſie 1826 zuerſt ge— ſehen, jetzt gehört ihr das Gebiet bis Hüningen und Heidelberg. Von Holland aus läßt ſich ferner ihr Vordringen in das nördliche Frankreich bis Paris verfolgen, und in der neueſten Zeit iſt ſie aus dem Gebiete der Seine in das der Loire eingewandert. Endlich kennt man ſie in England ſeit 1824, zuerſt in den Londoner Docks, jetzt aber bewohnt ſie ſchon verſchiedene Flüſſe Englands und Schottlands. Obſchon man ſich auf die angegebenen, ihr erſtes Auftreten in den mitteleuropäiſchen Stromgebieten betreffenden Zahlen nicht viel verlaſſen kann, „iſt dennoch das nahezu gleich zeitige Erſcheinen unſerer Muſcheln in den hauptſächlichſten Stromgebieten Deutſchlands und in England von beſonderer Bedeutung. Im Rheingebiet rückt ſie entſchieden von der Mündung an nur ſtromaufwärts vor; in das Elbgebiet iſt ſie offenbar von Oſten her durch die Havel getreten. Schon das gibt Andeutungen über das Wie und Woher der Verbrei— tung. Wahrſcheinlich iſt die Wanderung keine ſelbſtändige, eigenwillige, ſondern Verſchlep— pung durch Schiffe und Flöße, an welche ſich die Muſchel einmal feſtgeſetzt hat, der Weg daher die Waſſerſtraße der Menſchen, ſeien es Flüſſe oder Schiffahrtskanäle. Letztere helfen ihr von einem Stromgebiet in ein anderes. Man hat gegen dieſe Annahme geltend gemacht, daß ſie auch in einzelnen Seen ohne ſchiffbare Verbindung mit Flüſſen vorkomme, ſo im Mecklenburgiſchen und in Pommern, ferner namentlich in der europäiſchen Türkei; für Albanien hat dieſer Einwurf Gewicht, für die Oſtſeegegenden bei der Nähe ſchiffbarer Gewäſſer weniger, indem er hier nur beweiſt, daß auch ausnahmsweiſe eine Verbreitung durch andere Mittel auf kleinere Entfernung möglich ſei. Im großen und ganzen bleibt es Regel, daß ſie im Oſt- und Nordſeegebiet nur in ſchiffbaren Gewäſſern ſich findet. Was Vorkommen der Wandermujdel. Steckmuſcheln. 457 die Verſchleppung über See nach den Rheinmündungen und England betrifft, ſo ſcheint mir ein Transport mit Schiffsbauholz im Inneren eines Schiffes faſt wahrſcheinlicher als ein ſolcher außen am Schiffe durch das Meerwaſſer. Aus einem größeren, ſie feucht halten— den Klumpen können einzelne Individuen ſicher mehrere Tage über Waſſer ausdauern und wahrſcheinlich länger als in Seewaſſer, das den Süßwaſſertieren im allgemeinen ver— derblich iſt. Dreyssena iſt aber keineswegs, wie man oft behauptet, zugleich ein Süßwaſſer— und ein Meertier!, wenigſtens nicht mehr, ja weniger als Neritina unter den Schnecken. In der Oſtſee lebt ſie nur innerhalb der Haffe, nicht außerhalb, und ich fand ſie im Oder— gebiet auf der Inſel Wollin nur auf der Haffſeite der Inſel, nicht auf der Meerſeite lebend, ja bei Swinemünde noch einzeln an der Innenſeite des Dammes, in Geſellſchaft der Palu— dina impura und des Limnaeus ovatus, echter Süßwaſſerſchnecken, aber nicht mehr an der Außenſeite desſelben, wo von ſonſtigen Süßwaſſermollusken nur noch Neritina flu- viatilis zu finden war. Am offenen Oſtſeeſtrande von Misdroy hatte Mytilus edulis durch— aus und einzig die Rolle, welche im Haff und in der Havel Dreyssena jpielt, einzelne Steine und Pfähle zu überziehen. „Daß Dreyssena ſomit nicht aus der Oſtſee, aber doch aus den Küſtenländern der Oſtſee nach Deutſchland und England gekommen ſei, ſcheint annehmbar.“ Das Reſultat der Unterſuchung über die Herkunft ergibt, daß Dreyssena aus dem ſüdlichen Rußland auf den künſtlichen und natürlichen Waſſerwegen in etwas mehr als einem Jahrzehnt nach den Oſtſeeprovinzen und von da ebenfalls durch Binnenkanäle bis zur Havel gelangt wäre. Unbeantwortet iſt leider noch die Frage, ob Dreyssena polymorpha auch im Gebiet des Schwarzen Meeres als eine in hiſtoriſcher Zeit und in ihrer gegenwärtigen Form ein— gewanderte Art zu betrachten ſei. * In einer ſehr wichtigen Eigenſchaft, welche ſogar zur Aufſtellung einer beſonderen Ord— nung, der Heteromyarier (Ungleichmuskelige), benutzt worden, ſchließt ſich den Mytilaceen die Sippe Pinna (Steckmuſchel) an, nämlich darin, daß die beiden Schließmuskeln un— gleich ſind und namentlich in ſehr ungleichem Abſtande vom Rande liegen. Der Mantel des Tieres iſt ganz geſpalten, ohne beſondere Afterröhre. Der ſchlanke, wurmförmige Fuß ſpinnt einen dichten, feinen Bart. Der vordere Schließmuskel liegt unmittelbar unter den Wirbeln, der hintere faſt im Zentrum des Tieres. Die Schale der Steckmuſcheln beſteht faſt nur aus den pyramidaliſchen, mehr oder minder zur Fläche aufgerichteten Säulchen, deren Schicht bei den meiſten anderen Muſcheln gegen die Perlmutterſchicht zurückſteht. Sie iſt dünn, oft mit Schuppen beſetzt und klafft hinten. Sie bildet ein Dreieck, deſſen kleinſter Winkel das Vorderende iſt, an welchem auch die geraden, ſpitzen Wirbel liegen. Das Ligament iſt derart innerlich, daß es der Schale nur eine geringe Offnungsweite geſtattet, ſo daß dieſelben bei dem Verſuche, ſie ganz aufzuklappen, auseinander brechen. Die Pinnen leben in den heißen und gemäßigten Meeren und erreichen zum Teil eine Länge von 2 Fuß, wie Pinna squamosa des Mittelmeeres. Sie lieben die ſtillen Meer— buſen mit Schlammgrund, in dem ſie in der Tiefe von einigen Fuß meiſt in großen Mengen bei einander ſitzen. Sie werden teils wegen ihres minder guten Fleiſches, teils wegen des Byſſus geſucht, aus welchem in Unteritalien allerhand Geflechte und Webereien angefer— tigt werden, jedoch mehr der Kurioſität wegen, als daß ein Handelsartikel daraus würde. 1 Der ſüdlichſte Punkt, an welchem O. Schmidt felbft Dreyssena geſammelt, iſt in Dalmatien unweit Sebenico der enge natürliche Kanal, durch welchen der die Kerka unterhalb ihrer berühmten Waſſerfälle auf: nehmende Vrana-See mit dem merkwürdigen Becken von Sebenico zuſammenhängt. Das Waſſer hat dort kaum einen ſalzigen Beigeſchmack. Weiter gegen das Meer zu iſt die Muſchel völlig verſchwunden. 458 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Einmuskler. Schon die Alten haben beobachtet, daß ſehr häufig (ſie glauben, immer) die Pinne in ihrer Mantelhöhle einen rundlichen Krebs beherbergt, den ſie Pinnotheres oder Pinno— phylax, den Pinnenwächter, nannten. „Das Amt dieſer Hüter“, ſagt noch Rumph, dem Plinius folgend, „beſteht darinnen, daß ſie die Steckmuſchel kneipen müſſen, wenn etwa einige Speiſe in der Schale vorhanden oder irgend eine Gefahr zu befürchten iſt, damit die Muſchel gleich ihre Schalen zuſammenziehe.“ Plinius fügt noch hinzu, daß der Wächter für ſeinen Dienſt einen Teil der Beute erhalte. Wir haben dieſe Fabeln ſchon oben, Seite 21, angedeutet. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die dem Krebs zugedachte Rolle zum Beſten der Muſchel eben nichts als ein artiges Märchen iſt. Auch die Tridaenaceen find, genau genommen, keine einmuskeligen Muſcheln, aber die beiden Schalenſchließmuskeln (j. beiſtehende Abbild., e) haben ſich jo genähert, daß fie einen einzigen auszumachen ſcheinen. Der Mantel iſt bis auf drei Offnungen vollſtändig geſchloſſen. Die mittlere, an der Unterſeite gelegene Offnung (a) läßt das Atemwaſſer und die Nahrung eintreten. Von ihr ziemlich entfernt liegt die Afteröffnung (b). Die vordere Offnung iſt ein anſehnlicher Spalt (d) für den kurzen Fuß, aus welchem der Bart (e) entſpringt. Das Gehäuſe der genannten Sippe iſt regelmäßig, die beiden Schalenhälften ſind einander gleich, aber ungleichſeitig. Die ſogenannte Lunula (Mondchen), d. h. der bei den meiſten Muſcheln vorhandene ge— ſchloſſene und umrandete Raum unmittelbar vor den Wirbeln, iſt offen, ſo daß es für den Durchtritt des Fußes und Byſſus nicht einer anderen klaffenden Stelle bedarf wie bei den anderen, mit Bart ver— ſehenen Muſcheln. Der Schlitz für den Fuß iſt damit ganz nach oben gerückt. Alle Tridaenen gehören dem Chineſiſchen Meer, dem Indiſchen Ozean mit dem Roten Meer und der Südſee an und zeichnen ſich durch dicke Schalen mit wulſtigen, oft geſchuppten Rippen aus, deren Enden gleich großen Zähnen beim Schließen feſt inein— ander paſſen. Die größte aller Muſcheln iſt Tridacna gigas, die Rieſen-Gienmuſchel, welche in manchen Kirchen als Weihkeſſel benutzt wird, und welche man in den größeren Muſeen gewöhnlich auf einer ſoliden Säule abſeits aufgeſtellt findet. Die älteſten Nachrichten von ihr, welche wir bei Rumph finden, ſind durch neuere Beobachtungen nicht überholt. „Die See-Gienmuſchel wird 3— 5 Schuhe lang. Die Schuppen ſind wohl 2 Meſſer dick, aber mehrenteils ſtumpf und äußerlich abgebrochen. Auswendig ſind ſie dergeſtalt mit Seeſchlamm bewachſen, daß man ſie kaum rein machen kann. Die Dicke der Schale trägt gemeinlich eine Querhand aus, ja man findet ſolche, die über / Schuh dick find, woraus man dann wohl leicht abnehmen kann, wie ſchwer dieſe Muſchel ſein muß. Wenn man die Schale zerſchlägt, ſo ſiehet man, daß ſie aus verſchiedenen Rinden zuſammengeſetzt iſt. Die jüngſte Lage iſt allezeit die vorderſte und hat einen ſo ſcharfen Rand, daß man ſich daran wie an einem Meſſer ſchneiden kann. Aus dieſer Urſache muß man mit dieſen Muſcheln behutſam umgehen, ſolange das Tier noch darin iſt, wenn man ſich nicht ver— wunden will. Man hat es wenigſtens auf unſeren Schaluppen in den Molukkiſchen und Papuriſiſchen Inſeln aus der Erfahrung, daß dieſe Muſcheln, die daſelbſt wohl am größten ſind, die Ankertaue und Stricke (wenn die Matroſen ſolche ungefähr daſelbſt fallen laſſen, Tridaena mutica. Natürliche Größe. Rieſen⸗Gienmuſchel. 459 daß ſie zwiſchen die Schalen der Muſcheln geraten) dergeſtalt durch Zuſammenziehung ihrer Schalen abkneipen, als ob ſie ordentlich mit einem Beile abgehackt wären. So würde ein jeder, der die klaffende Muſchel mit der Hand angreifen wollte, ſeine Hand verlieren, wenn er nicht vorher etwas zwiſchen die Schale legt, um das Zuſammenſchließen derſelben zu verhindern. Die Fiſcher holen dieſe Muſcheln folgendergeſtalt aus dem Waſſer hervor: Ein Taucher thut einen Strick in Geſtalt einer Schleife herum, danach ziehen ſie alle zu— ſammen die Schale in die Höhe. Sodann ſuchen ſie mit einem Meſſer durch die Offnung an der Seite zu kommen und den ſogenannten Pfeiler oder die Sehnen zu durchſchneiden, weil alle Kraft des Tieres in denſelben beſteht. Alsdann klaffen die Schalen von ſelbſt und können ſich nicht wieder ſchließen. Auf dieſe Weiſe errettet man auch alle Tiere und Menſchen, die von ungefähr zwiſchen dieſe Schalen feſt geknellet werden.“ Auch die Rieſen⸗Tridacna, wie jo manche andere mit dem Byſſus verſehene Muſcheln (Pinna, Mytilus), wird von weichſchaligen Krebſen als ein ſicheres Wohnzimmer benutzt. „Dieſes unſchickliche Tier“, ſagt Rumph weiter, „hat allezeit einen Geſellen bei ſich, welcher gleichſam ſein Hüter iſt, und beſteht derſelbe in einem gewiſſen kleinen Garneel, den wir früher unter dem Namen Pinnotheres beſchrieben haben. Dieſes Tierchen kneipt die Muſchel in das Fleiſch, wenn es ſieht, daß ein guter Fang zu thun iſt, worauf dann die Muſchel gleich die Schalen zukneipt; ja, man glaubt, daß dieſe Muſchel, weil ſie keine Augen hat und ſich vor den Räubern nicht in acht nehmen kann, auch nicht am Leben bleiben könnte, wenn etwa dieſer Pinnahüter von ungefähr ſich aus der Schale verlöre.“ Außer manchen ſeltſamen Dingen, wie z. B., daß die Gienmuſchel, wenn ſie ſich zur Nachtzeit öffne, ein helles Licht oder einen fernhin bemerkbaren Glanz von ſich gebe; daß ein anderer Augenzeuge in einer klaffenden Gienmuſchel etwas Helles wahrgenommen, das wie ein köſtlicher Stein glänzte, — außer dieſen Dingen führt unſer Holländer noch einige Beiſpiele von der Größe und Kraft der Tridacna gigas an: „Im Jahre 1681 wurden bei Celebes zwei dieſer Muſcheln gefunden, wovon die eine 8 Schuh 2 Zoll, die andere 6 Schuh und 5 Zoll im Umfang hatte. Die eine, in welche ein Matroſe ein ſtarkes Brech— eiſen hineinſtieß, bog dasſelbe durch Zuklappen der Schalen krumm. Die Stärke des Muskels und das Gewicht der Schalen, das gegen 3 Zentner beträgt, erklären dies.“ Sehr ausführlich hat Rumph das Vorkommen dieſer Rieſenmuſcheln auf den Höhen und Gebirgen von Amboina und den Molukken beſprochen. Es iſt lehrreich, den Fortſchritt unſerer Zeit mit der Befangenheit der letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts zu ver— gleichen. Er fand alſo auf den Höhen von Amboina Tridacnen von ſolcher Größe, daß 4—6 Mann genug daran zu tragen hatten, und in ſolchen Maſſen und unter ſolchen Um— ſtänden der Lagerung, daß auch ihm ſchon die Annahme, Menſchenhände hätten dieſelben auf die Berge geſchafft, ganz abſurd erſchien. Er erwägt auch die damals ſehr gangbare Meinung, daß die Verſteinerungen und Foſſilen „gleichſam eine natürliche Frucht der Klippen, und auf den Bergen gewachſen“ ſeien. Allein auch dieſe Theorie hält er nach Erwägung aller Gründe für unwahrſcheinlich und ungereimt. „Wenn denn nun dieſe Muſcheln nicht auf den Bergen gewachſen ſind, noch von Menſchen dahin getragen worden, ſo ſind keine näheren Urſachen ausfindig zu machen, als daß ſie durch eine große Flut da— hin müſſen gekommen ſein, und dieſes wiſſen wir aus der Heiligen Schrift, daß es nur ein einziges Mal, nämlich an den Tagen Noahs, geſchehen, zu welcher Zeit alle Berge unter Waſſer geſtanden.“ Den Einwurf, daß beim Zurücktreten des Waſſers auch die Noahs⸗Gienmuſcheln, jo nennt er fie, wieder hätten ins Meer hinabſteigen können, wider: legt er mit der Berechnung, daß das Fallen der Sündflut wenigſtens fünfmal geſchwinder als die gewöhnliche Ebbe vor ſich gegangen ſei, alſo unmöglich die Muſcheln hätten den Rückzug mitmachen können. „Überdies hat auch Gott ohne Zweifel hier und da ſolche 460 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; erfte Ordnung: Einmuskler. Merkmale der allgemeinen Sündflut wollen überbleiben laſſen, weil er vorausgeſehen, daß in der letzteren Zeit naſeweiſe Menſchen aufſtehen würden, welche die Wahrheiten der Heiligen Schrift auch in dieſem Stücke würden zu kränken ſuchen.“ Obgleich aber der ſonſt vorurteilsfreie holländiſche Naturforſcher an einer Lehre hält, welche heute nur noch von römiſchen Biſchöfen und dem Paſtor Knak in Berlin gepredigt wird, daß die Bibel auch ein unbedingt und wörtlich wahres naturgeſchichtliches Lehrbuch ſei, ſchwebt ihm doch ſchon die Einſicht auf den Lippen, welche ſeit Jahrzehnten ein Gemeingut der gebildeten Welt geworden: die Hebungstheorie. „Vielleicht“, ſagt er, „möchte jemand denken, da dieſe Länder dem Erdbeben ausgeſetzt ſind, daß, ohne die Sündflut zu rechnen, in der Folge der Zeit noch andere gewaltſame Umkehrungen dieſer Lande durch Erdbeben möchten entſtanden, neue Berge, die vorher nicht zugegen waren, aufgeworfen und vielleicht mit denen— ſelben auch dieſe Muſcheln in die Höhe geführt worden ſein. Allein man kann ſolches von dieſen Ländern nicht behaupten (ohnerachtet ich die Geſchichten, welche der— gleichen Berge in der Welt anzeigen können, im geringſten nicht in Zweifel ziehe), oder man müßte zugleich auch behaupten, daß alle Inſeln und Berge, wo dieſe Muſcheln ge— funden werden, nebſt ihrem ganzen Umkreis aus der See in die Höhe geſtiegen wären; dieſes aber wäre eine ungereimte Rede, denn man findet ſie mitten im Lande auf ſolchen Bergen und auf ſo großen Inſeln, die außer allem Zweifel ſchon vom Anfang der Schöpfung zugegen geweſen ſind.“ Eine zweite Tridacna-Art, Tridacna elongata, welche im Roten Meer ſehr häufig iſt, wurde vor einigen Jahren ſehr ausführlich von einem jungen franzöſiſchen Zoologen, Vaillant, beobachtet. Sie gehört zu den kleineren und wird 12— 20 em lang. Auch fie lebt der Art in den Sand vergraben, daß man nur den gezahnten Schalenrand hervor— ragen ſieht. Die oben erwähnte Offnung am Rücken iſt alſo nach unten gekehrt, und mit dem daraus hervortretenden Fuß und Bart ballt ſie Sand und Steine zuſammen, heftet ſich auch wohl gelegentlich an darunter befindlichen Felſen an und legt ſich ſozuſagen für einen ohne Zweifel längeren Aufenthalt vor Anker. Daß ſie jedoch von Zeit zu Zeit ihren Standort ändern, geht daraus hervor, daß man die größeren Exemplare in immer größerer Tiefe aufſuchen muß. Vaillant kann nicht Worte finden, um den prächtigen An— blick zu ſchildern, den die faſt immer geöffnete Muſchel mit ihren Mantelrändern gewährt, wenn man ſie bei ruhigem Waſſer in einer Tiefe von 12— 16 Fuß beobachtet. Tridacna elongata, von den Arabern „Arbi-nem-Bous“ genannt, iſt bei Suez ſo gemein, daß ihre Schale zum Kalkbrennen benutzt wird; auch iſt ſie eine ſehr beliebte Speiſe, und ſollen namentlich die Muskeln wie Hummerfleiſch ſchmecken. Die oben mitgeteilten Angaben, daß die Rieſen-Tridacna im ſtande ſei, ein Tau ab: zukneipen, zieht der franzöſiſche Zoolog in Zweifel, nicht weil das Tier nicht die Muskel— kraft dazu beſäße, ſondern weil die Schale bei einer ſolchen Anſtrengung zerbrechen würde. Über die Leiſtungsfähigkeit der Muskeln der Suezer Art hat er einige bemerkenswerte Ver— ſuche angeſtellt. Die Schalenränder können nicht vollſtändig geſchloſſen werden; Vaillant konnte alſo immer an der einen Klappe einen Haken anbringen und die ganze Muſchel daran aufhängen, und an der anderen ein Gefäß befeſtigen, welches allmählich mit Waſſer gefüllt wurde. Zu dem Gewichte des Gefäßes und des Waſſers muß natürlich noch das— jenige der unteren Schalenhälfte und der durch die Muskeln ebenfalls zu beſiegende Wider— ſtand des Ligamentes gerechnet werden, welcher auch noch überwunden wurde, wenn nahe am Höhepunkt des dem Tiere zugemuteten Gewichts die Muſchel gereizt wurde und mit äußerſter Kraftanſtrengung die Schale zuſammenzog. Ein 24 em langes Exemplar entfaltete jo eine Kraft von über 7 kg. Tridacna elongata. — Najaden. 461 Zweite Ordnung. Die Zweimuskler (Dimyaria). Es liegt uns nichts näher, als daß wir mit derjenigen Familie, welche uns auf den vorigen Blättern ſchon jo viele Anknüpfungspunkte bot, beginnen. Dies find die Najaden (Najades, Unionacea), unjere größeren, allbekannten Süßwaſſermuſcheln. Sehen wir von einigen ſüdamerikaniſchen und afrikaniſchen Formen ab, deren Mantel hinten Röhren bildet, ſo liegt der Charakter dieſer beſonders in den nordamerikaniſchen Flüſſen reich ver— tretenen Tiere darin, daß der Mantel ganz geſpalten, der Fuß zuſammengedrückt und zungen— förmig iſt. Das Gehäuſe iſt ſtets gleichſchalig, d. h. die beiden Schalenhälften ſind ſym— metriſch gleich; es iſt regelmäßig, perlmutterartig und mit einer ſtarken, glatten, feſt an— hängenden Oberhaut bedeckt. Das Ligament iſt äußerlich. Die beiden Muskeleindrücke ſind ziemlich gleich groß und haben ungefähr gleichen Abſtand vom Rande, doch iſt der vordere in mehrere Felder zerteilt. Die beiden wichtigſten Gattungen find Unio und Anodonta, die weſentlich nur an ihrer Schalenbildung unterſchieden werden können. Das wichtigſte Kennzeichen von Unio iſt, daß das Schloß in jeder Schale vorn einen einfachen oder doppelten, geſtreiften oder gekerbten Zahn und hinten unter dem Ligament in der einen Schale einen, in der anderen zwei lamellenartige, dem Rande parallele Zähne hat. Man kennt mehrere hundert lebende Arten aus allen Weltteilen und allen Zonen, wenigſtens ſind ſo viele Formen als Arten beſchrieben. Wer aber den 1844 veröffent— lichten Aufſatz von Roßmäßler über Artunterſcheidung der europäiſchen Unionen lieſt, wird die Überzeugung gewinnen, daß eine große Anzahl dieſer Arten ganz willkürlich aus den ununterbrochen ineinander übergehenden Formen- und Varietätenreihen herausgegriffen und von den Speziesmachern fixiert ſind. Wer ſich nicht ſchon ſelbſt längere Jahre mit den Unionen und Anodonten beſchäftigt und durch lange Übung und durch Vergleichung von Hunderten und Tauſenden von Exemplaren einen gewiſſen praktiſchen Blick für die Unterſcheidung ſich angeeignet hat, wird bei dem Verſuche, die in ſeiner nächſten Um— gebung geſammelten Tiere nach den in den zoologiſchen Lehrbüchern enthaltenen Beſchrei— bungen und nach Abbildungen als Arten zu beſtimmen, in die peinlichſte Verlegenheit geraten. Es paßt von dieſen Beſchreibungen in der Regel alles und nichts. „Nicht bloß jeder Bach“, jagt Roßmäßler, „Fluß, Teich zeigt ſeine eigentümlichen Formen von Unio— nen und Anodonten, ſondern nicht ſelten findet die Erſcheinung ſtatt, daß mit der Ver— änderung des Flußbettes in Breite, Tiefe, Bodenbeſchaffenheit und mit der größeren oder geringeren Geſchwindigkeit des Laufes ſich die Formen der Muſcheln verändern. An großen Teichen oder Landſeen hat die ſeichte, dem herrſchenden Luftſtrome gegenüberliegende Seite oft ganz andere Formen als die meiſt tiefere entgegengeſetzte Seite. Wer ſeine Anodonten und Unionen nicht bloß in einzelnen ausgeſuchten Exemplaren von Händlern bezieht, ſon— dern ſelbſt hundertweiſe an Ort und Stelle weit und breit ſammelt und in reicher Aus— wahl von ſeinen auswärtigen Freunden unter genauer Angabe des Fundortes zugeſchickt erhält, der wundert ſich nicht ſowohl darüber, wenn er die Arten in mehr oder weniger eigentümlich ausgeprägten Formen erhält, ſondern darüber, wenn er dann und wann einmal ganz dieſelben Formen erhält, die er ſchon anderswoher beſitzt.“ Ich führe dieſe merkwürdige Vorausnahme und Beſtätigung der Umwandlungstheorie und dieſe Anſichten über das Werden und Leben der Arten hier an, wo das Leben der Individuen von minderem Intereſſe iſt. An einer ganzen Reihe von Beiſpielen zeigt Roßmäßler ſolche Übergänge und Hervorbildungen neuer Arten aus alten. „Es ſcheint“, 462 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. fährt er fort, „um eine neue Art zu bilden (was wir bei den Konchylien Art nennen) und allmählich in die Reihe der alten einzuführen, von der Natur der Weg eingeſchlagen zu werden, daß ſie durch die veränderten Entwickelungsbedingungen zunächſt an jedem In— dividuum mäkelt und ändert, bis es zuletzt im Alter ein fremdartiges Geſicht hat. In den erſten Generationen vererbt ſich dieſe individuelle Umgeſtaltung der Eltern noch nicht auf die Nachkommen, ſondern dieſe erſcheinen wieder ihrem alten Typus treu, werden aber während des Wachstums unter denſelben Entwickelungsbedingungen ebenſo wie ihre Eltern umgeſtaltet, bis endlich in den ſpäteren Generationen die Umgeſtaltung ſich auch ſchon an den Jungen ausſpricht.“ Wenn nun Roßmäßler an die bekannte Thatſache erinnert, daß „die durch Kunſt verkrüppelten Füße der Chineſen ſich auch ſchon an neu— geborenen Kindern zu dieſer Verkrüppelung hinneigen, daß Indianer, welche ſich von Kind— heit an den Kopf ſchmal und hoch zwängen, zuletzt mit ſolchen Köpfen zur Welt kommen“, ſo hat neuerdings dieſe Lehre durch die Fülle von Belegen, welche Darwin für die Ver— erbung und Konſolidierung von neuen Merkmalen und Eigenſchaften durch Zuchtwahl ge— ſammelt, die feſteſten Stützen bekommen. Diejenigen Unio-Formen unſerer mitteldeutſchen Gewäſſer, welche am unbeſtrittenſten auf den Rang von ſogenannten guten Arten Anſpruch haben, find Unio tumidus, picto— rum und crassus. Eine Beſchreibung ihrer ſchwierigen Unterſchiede würde nach dem oben Geſagten hier ſehr am ungeeigneten Platze ſein. „Ich würde“, ſagt Roßmäßler, „aus meiner Sammlung noch 4—6 herausbringen, wenn ich 20 — 30 unentſchiedene Formen — zum Fenſter hinauswerfen wollte. Ich beſitze aus dem Gebiete der genannten vier Arten mindeſtens 200 verſchiedene, meiſt auch in der Form abweichende Vorkommniſſe. Dieſe würden auch, wenn ich überall feſte Arten ſehen wollte, entweder zu mindeſtens zehn Arten verlocken oder — zur Verzweiflung bringen.“ Und nun führt uns der Zweifler an dem alten Dogma der Artbeſtändigkeit an die herrlichen Ufer des Wörther Sees bei Klagenfurt in Kärnten, um uns die Entſtehung einer neuen Art an einem beſtimmte Beiſpiele zu zeigen. Wir citieren noch dieſe ganze Stelle aus der ſo lehrreichen Ikonographie der Land— und Süßwaſſermollusken, weil ſie unſerer Vorſtellung vom Artbegriff eine beſtimmte Rich— tung gibt und zu weiterem Nachdenken und zu Vergleichungen auffordert. „Der Wörther See bei Klagenfurt“, heißt es, „hat den Unio platyrhynchus geſchaffen, ob aus Unio pictorum (der gemeinen Malermuſchel), läßt ſich aus begreiflichen Gründen direkt freilich nicht nachweiſen. Als man von dem See den (zur Stadt führenden) Lendkanal ableitete, füllte denſelben das Waſſer des Sees, und es mußte dieſes dadurch nach und nach natür— lich eine veränderte Beſchaffenheit annehmen. Es ſteht, je entfernter von ſeinem Urſprunge aus dem See, deſto ruhiger, da der Kanal blind, d. h. ohne Abfluß endigt. Der Kanal hat wohl unterhaltene, regelmäßig abgeböſchte Ufer, eine Breite von beiläufig 8 — 10 Schritt und eine durchſchnittliche Tiefe von etwa 3 Fuß. Bei der erſten Füllung des Ka— nales mit dem Waſſer des Sees mußten natürlich einige Muſcheln mit dieſem in den Kanal gelangen, deren Nachkommen wir jetzt überall in demſelben finden. Nun trifft man im Kanal, in welchem Unio pietorum in charakteriſtiſcher Form vorherrſcht, keinen ein: zigen U. platyrhynchus, den Bewohner des Sees, und im See keinen einzigen U. picto— rum. Sollte es alſo eine zu kühne Hypotheſe fein, anzunehmen, daß U. platyrhynchus, dem man ſeine große Verwandtſchaft mit U. pictorum leicht anſieht, im Kanal wieder zur Form von U. pictorum zurückgekehrt ſei, nachdem er den eigentümlichen Entwickelungs— bedingniſſen des Sees entrückt und in eine neue Sphäre verſetzt war? Parallel mit dem Kanal fließt etwa eine halbe Stunde ſüdlicher aus dem See der Glanfurtbach aus. Na— türlich muß dieſer wegen der fortwährenden Erneuerung ſeines Waſſers durch Seewaſſer eine dem See viel ähnlichere Beſchaffenheit als der Kanal haben, aber gleichwohl nicht Schwierigkeiten der Artunterſcheidung von Unionen. Flußperlenmuſchel. 463 dieſelbe, ſchon wegen des ſteten beweglichen Abfluſſes. Der Unterſchied iſt aber ſchon be— deutend genug, um den Platyrhynchus, der ſich in dem Glanfurtbache nie findet, zu U. longirostris zu machen, der recht eigentlich zwiſchen jenen beiden in der Mitte ſteht. U. decurvatus (des Sees) kommt in einzelnen bedeutend modifizierten Exemplaren vor, da— gegen in Unzahl eine kleine Form von U. batavus (des Kanales), und eine Stunde weiter unterhalb fand ich nur noch, und zwar in Unmaſſe, den U. batavus, und zwar wieder etwas modifiziert, wogegen die ganze übrige Geſellſchaft verſchwunden war. Nun frage ich, kann man ſich augenfälligere Erklärungen über das Verwandtſchaftsverhältnis der Muſchelformen unſerer tauſendfältig verſchiedenen Gewäſſer wünſchen? Man beweiſe mir mit wenigſtens gleich plauſibeln Gründen, daß meine Schlußfolgerung falſch und daß die Muſcheln. 1—8 verſchiedene Perlenformen. Muſcheln des Wörtherſees, des Lendkanals und des Glanfurtbaches in keinerlei Abſtam— mungsbeziehung zu einander ſtehen, und dann, aber auch nur dann, will ich mich her— beilaſſen, die zahlloſen Arten, welche gewiſſe Herren verfertigen, als ſolche anzuerkennen.“ Viele Arten von Unioniden erzeugen Perlen, beſonders reich an dieſem köſtlichen Erzeugnis iſt aber die Flußperlenmuſchel (Margaritana margaritifera). Wir beſitzen über die Perlenmuſcheln und Perlen ein ganz vorzügliches, den Gegenſtand kultur hiſtoriſch, naturgeſchichtlich, anatomiſch und phyſiologiſch erſchöpfendes Werk von Theodor von Heßling, aus welchem alles, was wir jetzt über die Flußperlenmuſchel bringen und früher (S. 444) über die Seeperlenmuſchel (Meleagrina) gebracht haben, ein größtenteils wörtlicher Auszug iſt. Bei der ſo innigen Verwandtſchaft der Unionen gilt das Bild, welches der Münchener Naturforſcher von Margaritana margaritifera entwirft, in anatomiſch— phyſiologiſcher und lebensgeſchichtlicher Beziehung mehr oder minder für alle übrigen. Die echte Perlenmuſchel iſt unter allen deutſchen Süßwaſſermuſcheln durch die un— verhältnismäßige Dicke ihrer Schalen ausgezeichnet, welche in einigen Gegenden, in Sachſen, dem nördlichen und öſtlichen Bayern eine Länge von 5—6 Zoll erreichen. Die Behauptung 464 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. der Syſtematiker, daß bei allen Najaden und vorzüglich bei der Perlenmuſchel der Ge— ſchlechtsunterſchied mancherlei Abweichungen in der äußeren Form der Schalen bedinge, fand von Heßling nicht beſtätigt. Es erwies ſich auf das allerbeſtimmteſte, daß derartige Unterſchiede nicht angenommen werden dürfen, daß alle dieſe Abweichungen bei der Perlen— muſchel zwar vorhanden, aber nur individueller, nie vom Geſchlecht bedingter Natur ſind. Das Vorkommen der Flußperlenmuſchel iſt ein ſehr ausgedehntes; ſie lebt an Irlands weſtlichen Küſten und in den Flüſſen des Urals, ſie gedeiht auf der Skandinaviſchen Halb— inſel, wie im nördlichen Rußland bis hinauf ans Eismeer, wohnt in den Mündungen des Don wie in den reißenden Bächen der Pyrenäen und wird auch in den Gewäſſern des nördlichen Nordamerika gefunden. Wenn wir oben den günſtigen Einfluß erwähnten, den der Kalkboden auf die Verbreitung der Weichtiere ausübt, ſo macht hiervon die Fluß— perlenmuſchel eine merkwürdige Ausnahme. Dieſe lebt und findet ſich nur behaglich in ſolchen Gewäſſern, welche aus Urgebirge und anderen, viel Kieſelerde führenden, äußerſt kalkarmen Gebirgsarten entſpringen, ſowie ununterbrochen durch Gegenden von derartiger geognoſtiſcher Beſchaffenheit fließen. Solche Bodenverhältniſſe zeigen vor allen die Perlen— muſcheln führenden Gewäſſer Deutſchlands, deſſen größte Perlenmuſchel-Reviere der Bay— riſche Wald, das Fichtelgebirge und das ſächſiſche Vogtland ſind. Heßling veranlaßte eine genaue Unterſuchung der Wäſſer des Bayriſchen Waldes, welche ſämtlich ausgezeich— net weich ſind, und ſpricht ſich, wie folgt, über den Einfluß derſelben auf die Tierwelt aus: Überall wie in der Pflanzenwelt auffallender Mangel der Arten bei höheren wie bei niederen Organismen. Mit welcher Emſigkeit kommen die Vögel des Waldes zur Brüte— zeit an die menſchlichen Wohnungen, um den Mörtel der Mauern aufzuleſen und fortzu— tragen. Die Bäuerinnen ſammeln und tauſchen gegen Flachs Eierſchalen für ihre Hennen ein, welche ſonſt Eier ohne Schalen legen. Und welche Reſultate der Viehmaſt bei einem Futter von Heidekraut, Farnkraut, welches die Tiere der üppigen Alpenweide nie berühren: zartknochige Rinder mit appetitlichen Fleiſchbeilagen. Arm ſind die Bäche an niederen Tier— formen, arm an Fiſchen: ungenießbare Aiteln, flüchtige Aſchen, welche nach dem Ausſpruch der Fiſcher weit phlegmatiſcher ſein ſollen als die der harten Waſſer, ſpringende Forellen und Einſiedelei treibende Krebſe ſind der Perlenmuſchel faſt einzige Genoſſen. Dieſe kalkarmen Bäche, in welchen Margaritana margaritifera lebt und wächſt, ſo ſchildert von Heßling, rieſeln ruhigen, doch nicht ſchläfrigen Ganges über blumenreiche Wieſenauen, bald zwiſchen üppig grünenden Halden oder am Saume ſchattiger Wälder, bald zwiſchen fruchtbaren Hügeln und Bergen, welchen friſche, muntere Waſſer entquellen; ſie ſind umfriedet von üppig wuchernden Erlen und Weiden, umflattert von neckiſchen Libellen und belebt von klappernden Mühlen; aber ſie ſtürzen auch in pfeilſchneller Eile durch enge, ſchluchtenartige Thäler, zwiſchen ſteilen, melancholiſch beſchatteten, felſigen Wänden, über ſteinigen, unterwühlten Grund, aus welchem rieſige Granitblöcke mächtig ihr ehrwürdiges Haupt erheben. Gewöhnlich erſt, nachdem ſie das Hauptgehänge des Gebirges verlaſſen, aus dunkeln, finſteren Wäldern getreten und ihr ſtarker Fall ſich verloren, nehmen ſie die Perlenmuſchel in ihr kaltes, gaſtliches Bett auf und beherbergen ſie bis kurze Strecken, etwa einige Schritt vor ihrer Einmündung in größere Flüſſe. Die Lieblingsſtellen dieſer Tiere ſind mäßig tiefe Tümpel mit einem Untergrunde von Granitkies und Sand, vor— nehmlich an den Ecken und Winkeln der Bäche im kühlen Schatten unter den Wurzeln der Erlen und Weiden, unter umgeriſſenen Baumſtämmen und vor allem an der Einmün— dung friſcher, reiner Quellen; doch fliehen ſie auch nicht die breiten Strecken inmitten der Bäche, beſonders an ihren Umbiegungen, wo die wärmenden Strahlen der Morgenſonne die beſchatteten Ufer durchbrechen. So ſehr ein reiner, weißſandiger, ſelbſt mit größeren Steinen untermiſchter Boden und klares, kaltes, mäßig ſtrömendes Waſſer die Bedingungen Flußperlenmuſchel: Aufenthalt; Bewegungsfähigkeit. 465 eines behaglichen Lebens für ſie ſind, ſo ſehr meiden ſie womöglich ſchlammigen oder rein felſigen, mit Waſſerpflanzen bewachſenen Grund, vor allem die Eintrittsſtellen aus moo— ſigen Wieſen abfließender oder eiſenhaltiger Waſſer. Hier leben ſie teils einzeln, mit wenigen Gefährten, teils in zerſtreuten, dicht ge— drängten Kolonien, welche große Strecken der Bäche gleichſam auspflaſtern, ihr einför— miges Leben, bald in ſchwer erreichbaren Tiefen, bald nur von geringer Waſſerfläche be— deckt. Sie ſtecken, der Strömung des Waſſers folgend, bisweilen in querer Richtung, mit der Hälfte oder mit zwei Dritteilen ihrer Schalenlänge im ſandigen Grunde, nicht ſelten zu 2 und 3 Schichten übereinander, mit 1 — 2 Zoll dicken Sandlagen zwiſchen jeder Schicht, wovon die obere die älteſten, die unterſte die jüngſten Tiere ſtufenweiſe in ſich birgt. In dieſer Stellung fangen fie mit ihrem hinteren, ½ Zoll weit offen ſtehenden Schalenende das über ſie hingleitende Waſſer auf, und man kann bei ihrer ungeſtörten Ruhe an ſeichten Bachſtellen beobachten, wie in beliebigen, an keinen Rhythmus gebun— denen Zwiſchenräumen durch die trichterförmig geſchloſſenen Tentakeln dasſelbe mit ſeinen ſuſpendierten Körperchen eingeſogen und durch eine dem Schloſſe näher zu gelegene Spalte mit ziemlich heftigem Stoße, oft in einem ſtarken, vom hinteren Schließmuskel ſenkrechten Strahle, mit Kotmaſſen vermiſcht, wieder ausgeſtoßen wird, jo daß die Oberfläche des Baches auf mehrere Zoll im Umkreiſe in eine ſtrudelförmige Bewegung verſetzt wird. Am lebhafteſten geht dieſe Kiemenſtrömung, wobei das Tier mit dem hinteren Teile der Schale ſich hebt und wieder ſenkt, vor ſich, wenn es den Strahlen der Sonne unmittelbar oder doch bei hoher Temperatur der Atmoſphäre ihrem Widerſchein ausgeſetzt iſt; ſie hält ab— wechſelnd ſtundenlang an und ruht dann wieder ebenſo lange und noch länger; im Dun— keln hört ſie gewöhnlich ganz auf und wird bei trüber Witterung oft mehrere Tage hin— durch immer ſeltener. So ſehr dieſe Tiere einer phlegmatiſchen Ruhe im Übermaße ſich ergeben, ſo bemerkt man bei ihnen gleichwohl deutliche Spuren einer Bewegungsfähigkeit. Muſcheln, nach ihrer Beſichtigung bei der Fiſcherei wieder ins Waſſer geworfen, ſind tags darauf bis in die Mitte des Baches fortgerückt, wie die ihnen nachfolgenden Rinnen im Sande be— weiſen; doch iſt auch eine ſolche Ortsveränderung keine bedeutende und die Bewegung keine lebhafte; gezeichnete Muſcheln finden ſich oft nach 6—8 Jahren ziemlich in der Nähe des Einſetzungsortes, wenn ſie nicht durch äußere Einflüſſe geſtört wurden. Ihre gemein— ſchaftlichen Verſammlungen an den freien Stellen der Bäche zur milden Sommerszeit, ihre herbſtlichen Wanderungen nach der Tiefe des Bodens, die Züge der Einzelnen, welche bei Tag und Nacht erfolgen, erſtrecken ſich nie auf weite Entfernungen, etwa 20 — 30 Schritt, nie darüber. Revierförſter Walther in Hohenburg, dieſer fleißige Beobachter, erzählte von Heßling von einer Muſchel, welche von morgens 8 Uhr bis abends 5 Uhr eine Reiſe von 2¼ Fuß Entfernung unternahm. Wenn ſie ſich nach jeder Pauſe wieder bewegte, brauchte ſie zu einer Diſtanz, welche ihrer ganzen Schalenlänge gleichkam, 30 Mi— nuten. Solche Wanderungen, veranlaßt durch verſchiedene, oft auch unbekannte Urſachen, z. B. Abſchwemmung des Grundes, Veränderung des Waſſerſtandes, der Temperatur, äußere gewaltſame Störung ꝛc., erfolgen nur da, wo die Muſchel ſo im Sande oder zwiſchen Kies ſitzt, daß ſie Furchen ziehen kann; Muſcheln, welche zwiſchen Steinen ſich aufhalten oder in ſteiniger Umgebung nebeneinander feſt eingekeilt ſind, wird eine freiwillige Be— wegung zur Unmöglichkeit. Die Fortbewegung erfolgt in zwei deutlich zu unterſcheidenden Akten: der zwiſchen den Schalen vorgeſtreckte zungenförmige Fuß wühlt mit ſeiner Spitze im Sande, indem er ſich bald ausſtreckt, bald zurückzieht. Die Schalen bleiben dabei be— wegungslos, am hinteren Ende offen, die Afterröhre und der Mantelſchlitz ragen über ihren Rand hervor. Nun erfolgt eine Pauſe. Alsdann beginnt eine lebhafte Kiemenſtrömung, Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 30 466 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. nach 1— 2 Minuten verengert ſich die Afterröhre, die Tentakeln legen ſich durch gegen— ſeitiges Ineinandergreifen aneinander, und das eingeſogene Waſſer wird aus erſterer in dickem Strahle ausgepreßt; dabei ſchließt ſich das hintere Schalenende, öffnet ſich jedoch ſchnell wieder. Der freie, außerhalb der Schale befindliche Teil des Fußes bleibt unbe— weglich, der innerhalb derſelben befindliche zieht dieſe nach, indem er ſich verkürzt. Nun erfolgt eine abermalige kurze Pauſe. Nach dieſer beginnt der erſte Akt von neuem, und fand die Bewegung des Fußes ſowie das Ausſpritzen des Waſſers in Verbindung mit dem Fortrücken der Schalen mehrmals ſtatt, ſo tritt eine längere Pauſe der Ruhe ein. Kommt die Muſchel aus irgend einem Grunde auf die Fläche ihrer Schalen zu liegen, ſo biegt ſie den nach außen geſtreckten Teil ihres Fußes an ſeinem unteren Rande ein, greift damit in den Sand, zuerſt rückwärts gegen die Schale, dann vorwärts und hebt durch Anſtemmen an den Sand gleichſam mit Hebelkraft die Schale in die wagerechte Stellung, in welcher ſie alsdann auf die eben angegebene Weiſe die weiteren Bewegungen ihren Zwecken ent— ſprechend ausführt. So führen dieſe Tiere zwiſchen einer kaum zu nennenden Bewegung und einer meiſt apathiſchen Ruhe ein langes, langes Leben, wenn nicht, außer der Frühlingsflut, welche Gerölle und Steine über ſie hinwälzt, oder außer Einfrieren des Bodens der kleinen Bäche, die Habſucht der Menſchen, flüchtige Ottern oder diebiſche Elſtern, Raben und Krähen demſelben ein Ende ſetzen. Doch nicht allein die Sucht nach Perlengewinn, welche oft ganze Kolonien verwüſtet, ſtellt ihnen feindlich nach, auch alter Brauch und Sitte weiß ihre Schalen zu verwenden. Im bayriſchen Walde herrſcht der Glaube, eine Kuh, die zum Kalben gehe, bedürfe einer guten Perle; ſelbſt Damen, meiſt alte Jungfern, reichen noch an manchen Orten jungen Hunden eine edle Perle in Branntwein, um ſie klein zu er— halten; erblindenden Pferden und Hunden ſtreut man das Pulver der geſtoßenen Schalen in die Augen. Als ein guter Köder für Fiſche und Krebſe, als Futter für Enten und Schweinen zur Maſt gilt der Körper der Muſchel. Welch hohes Alter dieſelbe erreichen könne, iſt nicht erwieſen, für ein ſolches ſpricht jedoch ſchon die Dicke ihrer Schalen bei der Kalkarmut der Gewäſſer; als mittleres gelten 5060 Jahre. Doch haben Muſcheln, mit Jahreszahlen gezeichnet, bewieſen, daß fie 70—80 Jahre erreichen können; der Glaube an ein noch höheres Alter, ſelbſt bis zu 200 Jahren, bleibt immer problematiſch und iſt mit Vorſicht aufzunehmen. Alle weſentlichen Züge dieſes von von Heßling ſo anziehend gezeichneten Gemäldes des Stilllebens der Flußperlenmuſchel finden ihre Beſtätigung bei allen übrigen Najaden unſerer fließenden und ſtehenden Gewäſſer. Wir müſſen es aber noch ergänzen durch einige Angaben aus der Fortpflanzungs- und Entwickelungsgeſchichte, die zwar zunächſt von der Malermuſchel (Unio pietorum) gelten, aber mit ſehr geringen Modifikationen auf alle Najaden auszudehnen ſind, nach von Heßlings Angabe ſpeziell auch auf die Fluß-Perlenmuſchel. Daß dieſe und ihre Familiengenoſſinnen in ihrer Stabilität keine weitläufigen Bewerbungen und Hochzeitsreiſen unternehmen, bedarf keiner beſonderen Ver— ſicherung. Die Fortpflanzung findet in den Sommermonaten ſtatt. Die Eier werden nicht nach außen entleert, ſondern ſie treten, gefördert durch die Flimmerung und die dadurch hervorgerufenen, oben beſprochenen Waſſerſtröme, durch beſtimmte Offnungen in die gitter— förmigen Fächer und Hohlräume der äußeren, mitunter auch der inneren Kiemenblätter, welche ſomit bei den Weibchen die Rolle von Bruttaſchen zeitweilig übernehmen. Die be— fruchtende Flüſſigkeit der männlichen Tiere gelangt aus dieſen zuerſt frei ins Waſſer, ohne ſich mit dieſem zu miſchen, und wird in der Regel in unmittelbarer Nachbarſchaft von den weiblichen Individuen mit dem einſtrömenden Atemwaſſer aufgenommen und denſelben inneren Kiemenräumen zugeleitet, wo entweder die reifen Eier ſchon angelangt ſind oder Flußperlenmuſchel: Fortpflanzung und Entwickelung. 467 demnächſt abgelagert werden. Die Eier, welche beim Austreten aus dem Eierſtock in die Kiemen etwa / 0 mm im Durchmeſſer haben, find in jo unzähligen Mengen vorhanden, daß ſie die äußeren Kiemen zu mehrere Linien dicken Wulſten anſchwellen. Nach der Furchung bedeckt ſich das Ei an einer Stelle, welche einer der neueſten Beobachter, Flem— ming, „Wimperſchild“ genannt hat, mit äußerſt kurzen und zarten Wimpern, durch welche die nunmehr ſich bildende Frucht in ihrer Eihaut und in der ſie umgebenden Flüſſigkeit in fortwährende drehende Bewegung verſetzt wird. Dieſe frappante Erſcheinung wurde, wohl als die erſte ihrer Art, ſchon von dem Vater der Mikroſkopie, dem großen Leeuwenhoek, beobachtet. „Einige dieſer Muſcheln“, ſchreibt er, „öffnete ich in Gegenwart des Kupfer— ſtechers, damit er die Jungen, ſobald ich ſie aus ihren Behältern genommen hätte, ſo— gleich zeichne; denn wenn ſie auch nur einige Stunden hätten ſtehen müſſen, ſo würden ſie ihre wahre Geſtalt ſchon eingebüßt haben. Die noch ungeborenen Muſcheln wurden nun in eine Glasröhre unter das Mikroſkop gebracht, und ich ſah mit Erſtaunen ein gar ſchönes Schauſpiel. Denn jede derſelben, in ihrer beſonderen Haut oder Hülle eingeſchloſſen, zeigte eine langſame Umdrehung, und zwar nicht bloß für eine kurze Zeit, ſondern dieſe radförmigen Drehungen konnten 3 Stunden lang nacheinander beobachtet werden und waren um ſo merkwürdiger, als die jungen Muſcheln während der ganzen Bewegung be— ſtändig in der Mitte ihrer Eihaut blieben, wie eine um ihre Achſe ſich drehende Kugel. Dies ungewöhnlich ſchöne Schauſpiel erfreute nicht allein mich ſelbſt, ſondern auch meine Tochter und den Zeichner ganze 3 Stunden lang, und wir hielten es für eins der er— greifendſten, die es geben kann.“ Der Holländer begnügte ſich mit der einfachen Erklärung deſſen, was ſeine unvoll— kommenen Inſtrumente ihm zeigten, während noch in dieſem Jahrhundert ein berühmter Naturforſcher eine nicht näher definierbare zauberiſche Kraft zur Erklärung der Umdrehung der Muſchel- und Schneckenembryonen im Ei zu Hilfe rief. Dieſe Drehungen dauern noch längere Zeit fort, nachdem ſchon die Bildung der Schale begonnen hat. Alle dieſe Vorgänge finden noch innerhalb der Eihaut ſtatt. Wenn man aber bei der Beobachtung die ſehr leicht verletzliche Eihaut ſprengt, und der Embryo mit Waſſer in Berührung kommt, klappt die Schale mit einem Rucke auf, wie ſich kaum zweifeln läßt, infolge des Über— gewichtes der Spannung des ſchon vorhandenen Ligamentes über den Schalenmuskel. Das arme Ding macht dann und wann vergebliche Anſtrengungen, durch die Muskelkraft die Schalen wieder einander zu nähern. Weiter geht jedoch in den Kiemen die Entwicke— lung der Najaden nicht, und die Embryos werden zu freien Larven, nachdem ſie ſich in dieſer Stufe noch etwas gekräftigt. Daß wir dieſen Zuſtand eine Larve nennen, wird keinen Widerſpruch finden. Denn einmal iſt noch keins der Organe der ausgewachſenen Muſchel fertig; nicht einmal die Schale hat ihre definitive Geſtalt, und dann muß, was das wichtigſte Merkmal für die Larvenperiode und die Verwandlung, eine ganze Reihe von Organen verſchwinden, die zahnförmigen Aufſätze der Schalen, die inneren Stacheln, der Byſſusfaden; auch müſſen ja ſtatt des einen Schließmuskels der Larve für das aus— gewachſene Tier deren zwei entſtehen. In nicht richtiger Würdigung dieſer Thatſache ſprach man daher früher davon, daß unſere Najaden in einer dem definitiven Körperbau ſehr ähnlichen Geſtalt geboren würden, während ich durch meine Unterſuchungen zu dem ent— gegengeſetzten Reſultat kam. Für eine tiefer eingehende Betrachtung iſt aber hervorzu— heben, daß die Najaden ganz ähnlich wie die Lungenſchnecken das ſo charakteriſtiſche Or— gan der Larven der Seeſchnecken und, fügen wir gleich hier hinzu, auch der Seemuſcheln, das Segel nämlich, nicht beſitzen. Dort, bei den Landſchnecken, iſt die Entwickelung durch Überſpringung des Segelſtadiums vereinfacht, hier, bei den Najaden iſt dieſer die ſeebe— wohnenden Gattungen kennzeichnende Entwickelungszuſtand auch geſchwunden, dagegen aber 30 * 468 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. haben ſich an dieſer Abzweigung des Molluskenbaumes die oben beſprochenen Sonderheiten eingefunden. Ich möchte mir erlauben, noch eine Erwägung wenigſtens andeutend hinzu— werfen. Ganz allgemein hält man die mit einem Schließmuskel verſehenen Muſcheln, die Monomyarier, für die niedrigen; ſie herrſchen auch in den früheren Erdperioden gegen jetzt vor; desgleichen iſt das Anheftungsorgan, hier der Byſſusfaden, wo er ſchon im Embryo und in der Larve auftritt, gar häufig ein Zeichen des hohen geognoſtiſchen Alters und des minderen ſyſtematiſchen Ranges. Sollten dieſe Verhältniſſe der Larven der Najaden Reminiszenzen an die Urzeit der Muſcheltiere ſein? Einen ſehr bemerkenswerten Anfang, die Larven unſerer Flußmuſcheln mit denen der Seemuſcheln nach den Anſchauungen der niederen Embryologie zu vergleichen, hat Flem— ming gemacht. Um aber mit Sicherheit und Vollſtändigkeit zu entſcheiden, bedarf es der Aufklärung, wie dieſe dem erwachſenen Tiere ſo ähnliche Najadenlarve ſich in den fertigen Zuſtand umwandelt. Und hier beſteht eine große Lücke in der Lebensgeſchichte dieſer Tiere. Wir haben nur die Angabe mehrerer Naturforſcher, daß die aus der Kieme ihrer Mutter. austretenden Larven ſich zu einem paraſitiſchen Leben auf Fiſchen anſchicken. Nachdem wir den Bau, die Lebensweiſe und Entwickelung der Flußperlenmuſchel und ihrer Verwandten kennen gelernt, wenden wir uns nun zu den Perlen. Wir halten uns wieder faſt ganz an von Heßlings Worte. Perlen ſind die freien, im Tiere vorkom— menden, aus den Schalenſtoffen beſtehenden Konkretionen. Ihre Eigenſchaften, der Glanz oder das Waſſer, Rundung und Glätte neben Größe und Gewicht, hängen mehr oder weniger von ihrer Zuſammenſetzung, ihrem Bau ab, und dieſer fällt zuſammen mit dem— jenigen der Schalen. Was daher von den verſchiedenen drei Schichten der Schalen, der Perlmutterſchicht, der Säulen- und Oberhautſchicht geſagt iſt, gilt auch für die Perlen, welche demnach aus feinen organiſchen Häuten und in und zwiſchen denſelben abgelagerter Kalkſubſtanz beſtehen. Die tadelloſe, fehlerfreie Perle entbehrt jeder beſonderen Farbe, ſie beſitzt nur das Farbenſpiel der Perlmutterſchicht ihrer Schale, alſo auch ihren Bau. Ihr unausſprechlich ſanfter, milchweißer, ſilberheller, mit den Farben des Regenbogens kaum tingierter Glanz, ihr reinſtes Waſſer iſt bedingt von der Ablagerungsweiſe des Kalkes und der Durchſichtigkeit ihrer Membranen; erſterer gibt ihnen das ſchillernde Farbenſpiel, letztere das milde Licht, welches ſo mächtig das Auge der Sterblichen feſſelt und bannt; darum der viel häufigere Glanz und die größere Pracht der orientaliſchen Perlen, weil ſelbſt ihre Säulenſchichten, aus denen ſie ebenſo häufig wie aus den Perlmutterſchichten zuſammen— geſetzt ſind, faſt gänzlich farblos ſind und deshalb dem Lichte den Durchgang geſtatten, gegenüber den gefärbten Säulenſchichten der Flußperlenmuſcheln. Eine der prachtvollſten orientaliſchen Perlen iſt in der Sammlung von Natur- und Kunſtſachen der Gebrüder Zoſima in Moskau; fie iſt völlig rund, undurchbohrt, von ſchönſtem Silberglanz, 27° /s Karat ſchwer. Nimmt man die Perle aus ihrem koſtbaren Behältnis auf ein feines Batiſt— tuch, ſo rollt ſie wie eine große, ſchönglänzende Queckſilberkugel herum. Was die Angaben über Größenverhältniſſe der Perlen angeht, ſo beziehen ſich alle Beiſpiele einer bedeuten— den Größe, bis zu der einer welſchen Nuß und darüber, auf ſolche von amerikaniſchen und perſiſchen Fundorten. Die europäiſchen, beſonders bayriſchen Perlen erreichen den Umfang einer großen Erbſe oder kleinen Bohne, häufig aber den eines Stecknadelkopfes und ebenfalls weit darunter. Die Frage nach dem Urſprung der Perlen iſt ſo alt wie die Kenntnis von ihrem Daſein. Wir wollen wenigſtens einige der von von Heßling in gewohnter Sorgfalt geſammelten Sagen und Meinungen darüber mitteilen, obſchon ſich die meiſten auf die Perlen der Seemuſcheln beziehen. In milden, lauen Sommernächten entgleiten dem Himmel Flußperlenmuſchel: Urſprung der Perlen. 469 zarte Tautropfen, um in dem Buſen der klaffenden Muſchel von den wärmenden Sonnen— ſtrahlen befruchtet zu werden. Dieſe altindiſche Sage reicht durch das ganze Altertum bis weit in das Mittelalter hinein. Am Tage des Monates Niſan (24. März), erzählt der ge— lehrte Jude Benjamin von Tutela, nehmen die Muſcheln die fallenden Regentropfen auf, und im Monat Tiſoi (Mitte September) finden die Taucher die Edelſteine darin, und noch in unſeren Tagen waltet unter den dortigen Eingeborenen derſelbe Glaube von der Bildung der Perlen. In verſchiedenem allegoriſchen Gewande lebt dieſe Mythe fort in den Werken der Dichter, wie in den Denkmälern der Kunſt. In begeiſterten Verſen beſang fie der Goldmacher Augurello; lieblich find Rückerts Worte: „Da dacht' ich meine himmliſche Entſtammung: Ein Engel weint um einer Schwachheit willen, Und ſinken mußt' ein Tropf in die Verdammung. Denn auch die Engel weinen wohl im ſtillen; Doch ihre Thränen ſind der Welt zum Frommen, Weil aus denſelben ſolche Perlen quillen. Die Thräne wär' im Ozean verſchwommen, Wenn nicht das Meer, den edlen Urſprung kennend, Sie hätt' in eine Muſchel aufgenommen, Den Tropfen von den andern Tropfen trennend, Die minder edlem Quell entquollen waren, Die Muſchel ſo zu deſſen Pfleg' ernennend: Du ſollſt in deinem ſtillen Schoß bewahren Den edlen Keim und, bis er ſich entfaltet, Mit ihm behutſam durch die Waſſer fahren. Und wann die Perl' in dir ſich hat geſtaltet, Und wann für ſie erſchienen iſt die Stunde, Hervorzutreten, ſollſt du ſein geſpaltet. Dann ſei das Kind entnommen dem Vormunde, Und frei verdienen mag ſich die Entſtammte Des Himmels ihr Geſchick im Erdenrunde.“ Zu Petersburg bewahrt eine Galerie ein Gemälde, worauf der in den Wolken ſchwe— bende Cupido Tautropfen ausſtreut, Amoretten ſie an der Oberfläche des Meeres in Muſcheln auffangen, in welchen ſie ſich in Perlen verwandeln. Zu Deggendorf, dem Hauptorte des bayriſchen Waldes, mit ſeinen einſt ſo berühmten Perlen, birgt die Kirche ein Decken— gemälde, welches darſtellt, wie Milch von den Brüſten der Himmelskönigin herabträufelt in Muſchelſchalen, getragen von Engeln, um zu Perlen zu werden. Doch nicht in ſo zartem Zauber (fährt unſer Gewährsmann fort) erſcheinen immer die himmliſchen Mächte den Menſchen, auch im Sturm und Wetter, unter Blitzen und Donnern nahen ſie ſich mit ihren Gaben. Nicht minder rufen, wie beſonders im Mittel— alter geglaubt wurde, dieſe Elemente Perlen in den Tieren zu Tage, gleichviel ob ſie aus den Schalen oder als Steinchen des Meeres in die offenen Muſcheln fallen, um in ihnen Glanz und Glätte zu erhalten. Welche Erklärungsverſuche man im Laufe der letzten Jahrhunderte für die Entſtehung der Perlen vorgebracht, wollen wir übergehen. In den Jahren aber, ehe von Heß— ling ſeine ſchönen Unterſuchungen begann, hatte die Theorie über die Bildung der Perlen allgemeinen Eingang gefunden, daß fremde in und auf den Muſcheln lebende Schmarotzer und deren Eier die alleinige Veranlaſſung zur Entſtehung der Perlen ſeien. Gerade dieſer Gegenſtand iſt ſo intereſſant und hängt ſo eng mit der Naturgeſchichte und Lebensweiſe der Perlenmuſcheln zuſammen, daß wir nur bei der Sache zu bleiben glauben, wenn wir mit geringfügigen Auslaſſungen den ganzen darauf bezüglichen Abſchnitt aus von Heß— lings Werk hier folgen laſſen. 470 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Unſtreitig das Hauptverdienſt, in den Perlen Schmarotzer ſowie deren Eier als ihre Kerne aufgefunden zu haben, gebührt F. de Filippi. Unterſuchungen, in ganz anderer Abſicht angeſtellt, führten durch einen Zufall ſeine Aufmerkſamkeit auf die Entſtehungs— weiſe derſelben. Zu dieſem Zwecke wurden alsdann eine gehörige Anzahl kleiner Perlen aus dem Mantel einiger Mollusken geſammelt und zur näheren Durchforſchung der inneren Subſtanz einige davon zerbrochen, andere in verdünnte Salpeterſäure gelegt. — Die Perlen, welche längere Zeit in Salpeterſäure gelegen hatten, verloren, je nach ihrem ver— ſchiedenen Durchmeſſer, ihre ganze kalkige Subſtanz, behielten aber die frühere Geſtalt bei, ſchwollen durch gaſige Blaſen etwas auf und zeigten eine Anzahl ſehr feiner häutiger Schichten, welche einen deutlichen zentralen Kern von organiſcher Materie umhüllten. Eine andere Thatſache, welche in dieſer Frage Filippi wichtig erſchien, iſt die ungleiche Häufig— keit dieſer Perlen in den Exemplaren einer und derſelben Spezies von Teichmuſcheln oder anderen Muſchelarten, wenn dieſelben aus verſchiedenen Lokalitäten entnommen waren. Als ſich Filippi eine große Anzahl von Individuen von Anodonta cygnea (der großen Teichmuſchel) aus den Teichen von Racconigi verſchafft hatte, war er erſtaunt über die große Anzahl der vorhandenen, teils an die innere Schale angewachſenen, teils im Mantel eingebetteten Perlen, während er einige Jahre vorher in den Anodonten und Unionen einiger Seen und Flüſſe der Lombardei nur äußerſt ſelten deren gefunden hatte. Die Perlen aus den Teichen von Racconigi ſind klein, von regelmäßiger Form und können als ſogenannter Perlſamen im Handel gebraucht werden. Eine vollkommen runde Perle von der Größe eines Hanfkornes fand Filippi im muskulöſen Mantelſaum gerade an der Stelle, wo beim eigentlichen Margaritana margaritifera die Perlen gewöhnlich vorkommen. Mit der Häufigkeit der Teichmuſcheln von Racconigi fällt ferner das häufige Vorkommen einer Spezies von Eingeweidewürmern, Distomum duplicatum, zuſammen, während ſie den Muſcheln des Sees von Vareſe in der Lombardei zu mangeln ſcheinen. Bei den ge— nannten Muſcheln finden ſich im Mantel in großer Anzahl die kleinen Schläuche einge— ſtreut, welche Diſtomen enthalten, und in entſprechender Menge erkennt man perlartige Rauheiten von verſchiedener Form und Entwickelung, die durch alle möglichen Abſtufungen bis zu faſt kugelrunden Perlen vom Durchmeſſer eines Hirſekornes übergehen, auf der anliegenden Fläche der Schalen. Wenn nun Filippi die dem Anſcheine nach jüngſten Konkretionen von der Schale abnahm und nach gehöriger Präparation unter das Mikroſkop brachte, ſo erkannte er die Überreſte kleiner Diſtomen, welche als Kern der kalkigen Materie gedient haben. Auch bei den anderen im Mantel der Teichmuſcheln iſoliert vorkommenden Perlen fand Filippi einen organiſchen Inhalt als Kern und that daher den Ausſpruch, daß der Kern der Perlen die Charaktere eines verſtorbenen organiſchen Weſens an ſich trage und dieſes organiſche Weſen ein Eingeweidewurm ſei. Der Kern der Perlen werde immer von einem Schmarotzer gebildet, und Häufigkeit der Perlen ſtehe in direktem Zu— ſammenhange mit der Häufigkeit der Paraſiten im Mantel der perltragenden Muſcheln. Hatte ſchon Filippi auf einen anderen Paraſiten als Veranlaſſer der Perlenbildung gelegentlich hingewieſen, ſo wurde derſelbe durch den bekannten, um die Geſchichte der Eingeweidewürmer ſo verdienten Arzt Dr. Küchenmeiſter noch mehr in den Vordergrund geſtellt. Ihm war es zweifellos, daß in manchen Exemplaren der Elſtermuſcheln eine Milbe den Kern bildet. Dieſe Waſſerſpinne iſt Atax ypsilophora, auch Limnochares anodontae genannt. Sie lebt in ſchlammigen Teichen, ſteigt ſelten an die Oberfläche herauf, bleibt meiſtens in den dem Bodenſchlamm angrenzenden Waſſerſchichten, alſo am liebſten im Niveau der hinteren Körperhälfte der Muſcheln, wo auch Küchenmeiſter, welcher von der ſächſiſchen Regierung mit der Unterſuchung der Muſchelbänke bei Bad Elſter beauftragt war, die meiſten Individuen eingewandert fand. Dieſe achtbeinige, Flußperlenmuſchel: Entſtehung der Perlen. 471 geſchlechtsreife Milbe treibt ſich im Waſſer herum und ſetzt ihre Eier in den Mantel der Anodonten und Unionen ab. Die Eier, vom Muſcheltier mit einer häutigen Hülle um— geben, verwandeln ſich in ſechsbeinige Spinnen. Dieſe gehen aus der Eihülle und Um— hüllungscyſte ins Waſſer, um nach kurzem Aufenthalt in letzterem wieder in den Mantel einzuwandern; die ſechsbeinige Brut zieht alsdann ihre Füße an ſich und häutet ſich in einer vom Muſcheltier abermals erhaltenen Hülle, darauf durchbricht das Tier dieſelbe und gelangt achtbeinig ins Freie, um ſeine Geſchlechtsfunktionen auszuüben. Küchen— meiſter ſah nun die von der Muſchel um die Ataxhaut gebildete Hülle, in welcher oft die abgeſtreifte Haut der ſechsbeinigen Spinne liegen bleibt, als den Perlkern an. Die Wahrheit in dieſer Theorie, nach welcher die Bildung der Perlen zur geogra— phiſchen Verbreitung der Muſchelparaſiten in geradem Verhältnis ſteht und die Gegen— wart oder Abweſenheit derſelben in den Gewäſſern, nicht aber die Gattung oder die Art des Tieres maßgebend iſt, auf ihre beſcheidenen Grenzen zurückgeführt zu haben, iſt das große Verdienſt von Heßlings. So wenig in Abrede geſtellt wird, daß in den verſchie— denſten Najadenarten gelegentlich durch jene genannten Paraſiten Veranlaſſung zur Bil— dung von Perlen und perlenähnlichen Aufſchichtungen gegeben iſt, ſo unbedingt ſtellt ſich heraus, daß für die eigentliche Perlmuſchel Margaritana margaritifera dieſe Verhältniſſe nicht ſtatthaben. „Ungefähr 40,000 Tiere“, ſagt von Heßling, „teils von mir, teils von den Fiſchern geöffnet, kamen zu meiner Durchſicht, wurden gerade dieſem neu aufgetauchten Schmarotzertier zuliebe aufs ſorgfältigſte unterſucht, und nicht in einem Unio war ein Schmarotzer oder ein Ei oder ein Merkmal, eine Spur irgend eines Herdes davon anzu— treffen. Gleiches begegnete mir bei Perlmuſcheln aus anderen Gegenden, z. B. aus Böhmen.“ Gleichwohl haben die Perlen von Margaritana margaritifera, deren Bildungsſtätte der Mantel iſt, Kerne, und der Münchener Naturforſcher hat in Folgendem die Reſultate ſeiner mühſamen Beobachtungen über die Entſtehung der Perlen zuſammengefaßt: Zwei Urſachen ſcheinen beſonders dazu beizutragen, äußere und innere. Die erſteren ſind die ſelteneren und bedingt durch die Eigentümlichkeit des Gefäßſyſtems, nach außen offen zu ſtehen. Dadurch dringen mit dem einſtrömenden Waſſer fremde Körper, wie Quarzkörn— chen, Pflanzenmoleküle, in den Kreislauf, werden entweder innerhalb desſelben oder außer— halb der Gefäße, nachdem ihre Wandungen eingeriſſen ſind, ins Parenchym der Organe, namentlich des Mantels, deponiert und mit der Subſtanz der Schalenſchichten umgeben. Die zweite, innere Urſache hängt mit den Bildungs- und Wachstumsverhältniſſen der Schale zuſammen, indem faſt in der Regel kleine, /100 — / 100 Linien große Stückchen der Subſtanz, aus welcher die Oberhaut der Schalen beſteht, den Kern der Perlen abgeben. Die Umhüllungen des Kernes werden von den mikroſkopiſchen Zellen des Gefäßſyſtems und des Mantels, abgeſchieden, und der Aufenthalt der Perle, ihr Ort im Tiere, bedingt die Auswahl von den drei Schichten der Schale. Perlen, deren Kerne in derjenigen Schicht des Mantels ſitzen, welche die ſchöne Perlmutterſchicht der Schale ausſcheidet, werden auch dieſe Perlmutterumlagerung erhalten und alſo zu ſogenannten Perlen von ſchönem Waſſer werden. Perlen, deren Kerne in demjenigen Teile des Mantelſaumes ſitzen, welcher die Oberhaut- und Stäbchenſchicht bildet, werden auch die Struktur dieſer beiden ſich aneignen, namentlich der letzteren, alſo nicht zu preiswürdigen Perlen werden. Aus den in von Heß— lings Werke nachgewieſenen Gründen, welche die Verſchiedenheit der Umlagerungsſchichten bedingen und den Perlen ihre mannigfachen Farbentöne verleihen, geht auch zur Genüge hervor, daß die beliebte Einteilung von reifen und unreifen Perlen eine vollkommen unrichtige iſt, da von einem Reifen nirgends die Rede ſein kann, vielmehr, wenn man will, ſie während ihres Aufenthaltes im Tiere immerfort reifen; eine Perle, welche kaum unter dem Mikroſkop im Mantelgewebe entdeckt wird, iſt ebenſo reif wie eine prachtvolle 472 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Perle in der Krone eines Königs; die Quantität der Umlagerungsſchichten gibt ihre Größe und Form, die Qualität derſelben ihre Brauchbarkeit oder ihre Wertloſigkeit. Gegen die enormen Summen, welche der Handel mit Seeperlen in Umlauf ſetzt, ver— ſchwindet faſt das geringe Erträgnis, welches die Flußperlenmuſchel liefert. In Sachſen war von 1826-1836 für 140 Stück Perlen der Ertrag 81 Thaler. Die Perlenfiſchereien Bayerns ergaben in den 43 Jahren von 1814— 1857 die Einnahme von 158,880 Perlen. Den Gewinn an Perlen aus der Moldau auf der 8 Meilen langen Strecke von Roſen— berg bis Moldautein ſchätzt Franz Löw indeſſen doch auf 8000 — 12,000 Gulden jährlich. Wegen dieſer faſt überall und zu allen Zeiten ſparſamen Ausbeute, welche die Flußperlen— muſcheln geben, iſt man daher ſchon längſt, in China ſeit ein paar tauſend Jahren, darauf bedacht geweſen, die Produktion der Perlen und beſonders der Flußperlen zu ſteigern oder, wie von Heßling ſagt, die Muſcheltiere zu Bildung von Perlen in kürzerer Zeit und größerer Menge zu beſtimmen. Das eine Verfahren der künſtlichen Perlenvermehrung durch Verletzung, Anbohrung der Schalen wurde im vorigen Jahrhundert von Linné als ein Geheimnis zum Verkauf ausgeboten. Die eigentliche Methode Linnés iſt aber trotz einiger Mitteilungen darüber noch keineswegs vollſtändig bekannt. Eine zweite Me— thode, in den Muſcheltieren Perlen zu erzeugen, beſteht darin, daß fremde Körper in ſie zwiſchen Mantel und Schale teils ohne, teils mit Verletzung der letzteren eingeführt werden. Sie wurde ſchon ſeit vielen Jahrhunderten und wird noch von den Chineſen betrieben, und der von von Heßling mitgeteilte Bericht des britiſchen Konſuls Hague zu Ningpo ſowie des amerikaniſchen Arztes Mac Gowan über dieſen Induſtriezweig lautet folgendermaßen: „Der Betrieb dieſes Induſtriezweiges beſchränkt ſich auf zwei beiſammen liegende Plätze dicht bei der Stadt Tetſing in dem nördlichen Teile von Tſchekiang. Während der Monate Mai und Juni werden in Körben große Quantitäten Muſcheln (Anodonta pli- cata) aus dem See Tai-hon in der Provinz Kiang-hon geſammelt und die größten Exem— plare davon ausgewählt. Da ſie gewöhnlich durch die Reiſe etwas leiden, gönnt man ihnen, ehe man ſie um der menſchlichen Eitelkeit willen quält, einige Tage in Bambus— körbchen, welche in das Waſſer getaucht werden, Ruhe. Man bringt alsdann in die ge— öffnete Muſchel Körner oder Matrizen, welche in Form und Stoff verſchieden ſind. Die gewöhnlichen beſtehen aus einer Pillenmaſſe, welche mit dem Safte der Früchte des Kampferbaumes befeuchtet wird. Die Formen, die am beſten den Perlmutterüberzug an— nehmen, werden aus Kanton eingeführt und ſcheinen aus der Schale der Seeperlenmuſchel, Avicula margaritifera, gemacht zu ſein; unregelmäßige Stückchen dieſer Muſchel werden in einem eiſernen Gefäße ſo lange mit Sand gerieben, bis ſie glatt und rund geworden ſind. Eine andere Gattung beſteht in kleinen Figürchen, meiſt Buddha in ſitzender Stellung, oder auch zuweilen in Bilderchen von Fiſchen. Dieſe ſind aus Blei, das auf einem hölzernen Brettchen, auf welchem ſich die Figürchen befinden, dünn ausgeſchlagen wird. Das Ein— bringen dieſer Formen geſchieht mit vieler Behutſamkeit. Die Muſchel wird vorſichtig mit einem Spatel aus Perlmutter geöffnet und der unbefeſtigte Teil des Muſcheltieres an einer Seite mit einer eiſernen Sonde frei gemacht. Die fremden Körperchen, Figürchen, Pillen ꝛc. werden dann mit der Spitze eines vorn geſpaltenen Bambusröhrchens ein: geſchoben und in zwei gleich weit entfernten Reihen auf den Mantel oder die freie Seite des Tieres gelegt. Iſt auf der einen Seite eine hinlängliche Menge angebracht, ſo wird dieſelbe Manipulation auf der gegenüberliegenden wiederholt. Gepeinigt durch die fremden Körper drückt das Tier ſich krampfhaft an die Schalen, und dadurch bleiben die Formen auf ihrem Platze. Hierauf legt man die Muſcheln eine nach der andern in Kanäle, Becken oder Teiche in 5—6 Zoll Abſtänden voneinander und in einer Tiefe von 2— 5 Fuß unter Waſſer, zuweilen 50,000 Stück. Wenn man einige Tage nach Einbringung der Formen Flußperlenmuſchel: Künſtliche und natürliche Perlenvermehrung. 473 das Tier wieder herausgenommen hat, ſo ſieht man die Formen durch eine häutige Aus— ſcheidung an die Muſcheln befeſtigt, ſpäter iſt dieſes Häutchen mit Kalkſtoff durchdrungen, und endlich haben ſich rings um den Kern Schichten von Perlmutter gebildet. Im No— vember, nach anderem Bericht erſt nach 10 Monaten, ja ſelbſt erſt nach 3 Jahren werden die Muſcheln mit der Hand geöffnet, das Tier herausgeſchnitten und die Perlen mit einem ſcharfen Meſſer losgetrennt. Beſteht der Kern der Perlen aus Perlmutter, dann wird derſelbe nicht weggenommen; ſind es aber Erd- und Metallformen, ſo entfernt man ſie, gießt geſchmolzenes Harz in die Höhlungen und ſchließt die Offnung mit einem Stückchen Perlmutter künſtlich zu. In dieſem Zuſtande ſehen ſie mehr halbrunden Perlhütchen gleich, die an Glanz und Schönheit den ſoliden Perlen wenig nachgeben, und können zu einem Preiſe verkauft werden, der es jedem möglich macht, ſich ſolche anzuſchaffen. Juweliere ſetzen ſie in Kopfſchmuck, Armbänder und anderen Frauenſchmuck. Die Perlmutterüber— züge, welche ſich über Buddhaformen gebildet haben, werden als Amulette an den Mützen der Kinder befeſtigt. Man ſagt, daß 5000 Familien in den Dörfern Tſchang-kwan und Siao— Tſchaugugan ſich mit dieſem Induſtriezweig beſchäftigen Diejenigen, welche mit der Behand— lung der Muſcheltiere nicht gut umzugehen wiſſen, verlieren wohl 10—15 Prozent durch den Tod, andere jedoch, welche die Fertigkeit beſitzen, oft während der ganzen Saiſon kein einziges.“ Den Wert dieſer chineſiſchen Methode hat von Heßling an unſerer Flußperlen— muſchel geprüft. Es wurden gleichfalls fremde Körper, teils runde, aus Alabaſter, Elfen— bein gedrehte Kügelchen ſowie kleine halbrunde Glasperlen zwiſchen Mantel und Schale der Tiere behutſam eingebracht und dieſelben ſowohl in das kalkhaltige fließende Waſſer im Aquarium des Münchener phyſiologiſchen Inſtitutes als auch in ihre urſprünglichen Bäche zurückgelegt. Die fremden Körper der im kalkreichen Waſſer gelegenen Tiere waren nach einem Jahre mit einer ziemlich dicken, fein granulierten, ſchmutzig gelblichen Kalk— kruſte überzogen, welche eher alles andere ſein konnte, als eine Perle. Die Glasperlen der in den Perlbächen aufbewahrten Muſcheln zeigten nach gleichem Zeitraume einen dünnen, zarten, ſchmutzig weißlichen, größtenteils aber farbigen Überzug des Schalenſtoffes und ließen auch hier die ſichere Überzeugung gewinnen, daß dieſe Tiere ſich zu genannten Experimenten nicht eignen. Auch über den Filippi-Küchenmeiſterſchen Vorſchlag, die Einwanderung der Paraſiten in die Perlenmuſchel zu regeln und zu fördern und damit Veranlaſſung zur häufigeren Ablagerung der Perlenkerne zu geben, hat von Heßling den Stab gebrochen. Es würden niemals ſolche Reſultate zu erzielen ſein, welche auf irgend einen materiellen Gewinn Anſpruch machen könnten. Statt auf die künſtliche würde alſo lediglich auf die natürliche Perlenvermehrung das Augenmerk zu richten ſein. „Das höchſt ungünſtige Verhältnis, daß auf 103 Perlenmuſcheln eine Perle ſchlechter Qualität, auf 2215 Muſcheln eine Perle mittlerer und erſt auf 2708 Perlenmuſcheln eine Perle guter Qualität kommt, liegt ausſchließlich“, ſagt von Heßling, „in dem unſerer Perlenmuſchel eigentümlichen dunkeln Farbſtoffe, welcher ſich der Schalenſubſtanz beimiſcht, und dieſer Farbſtoff iſt wieder abhängig von der Nahrung, ohne welche das Tier nicht beſtehen kann. Es geht alſo hier“, fährt er fort, „wie ſo oft im Naturleben, daß eine und dieſelbe Urſache, welche Hoffnungen auf ſchöne Erfolge nährt, ſie ſelbſt wieder zer— ſtört: der gefärbte Epidermisſtoff gibt den Anlaß zur Perlenbildung und derſelbe gefärbte Epidermisſtoff verhindert, daß alle im Tiere erzeugten Perlen edle werden können. Wenn alſo eine Vermehrung der Perlenbildung auf irgend eine Weiſe auch gelänge, es würde eben caeteris paribus auch die Erzeugung farbiger Perlen vermehrt werden, da ja die Nahrung dieſelbe bleibt und bleiben muß. Alſo in den Lebensbedingungen des Tieres ſelbſt liegt die Grenze der Erzeugung ſchöner Perlen, und dieſe laſſen ſich ohne Gefährdung ſeiner Exiſtenz nicht weſentlich ändern.“ 474 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Die letzten Blätter des Werkes, dem wir ſo reiche Belehrung verdanken, enthalten die Fingerzeige zu der einzig möglichen natürlichen und rationellen Perlenzucht, nachdem die Lebensbedingungen des Tieres jede bisher gehegte Hoffnung auf eine künſtliche Perlen— vermehrung zu nichte machten. Dieſe Anſichten und Ratſchläge, welche darauf gerichtet ſind, die Tiere ſo viel als möglich zu ihrem urſprünglichen Naturzuſtande zurückzuführen und daraus für die Zucht und für den Perlenfang die notwendigen Regeln zu ziehen, laſſen wir nun noch folgen. Bezüglich der Tiere ſind vorzüglich zwei Momente von größter Wichtigkeit: ihre Nahrung und ihre Fortpflanzung. Die Nahrung gibt ihnen ihr Medium, daher dieſes in quantitativer wie qualitativer Beziehung das Hauptaugenmerk verdient. Aus der großen Menge Waſſers, welche ein einziges Tier zu ſeiner Ernährung bedarf, folgt, daß für die Tiere überhaupt zu ihrer geſunden Exiſtenz hinreichende Waſſerquantitäten von der ge— eigneten chemiſchen Beſchaffenheit nötig ſind, alſo alle Urſachen, welche dieſe ihnen ent— ziehen oder verringern, wie trockene Sommer, Wieſenwäſſerung, Mühlenleitungen ꝛc., ihnen Schaden bringen können. Es wurde ferner nachgewieſen, welche geringe organiſche Sub— ſtanz für ihre Ernährung in dieſem enthalten zu ſein braucht, und daß gerade der an dieſe organiſchen Beſtandteile chemiſch gebundene Farbſtoff ſo häufig das Entſtehen ſchöner Perlen verhindert, nachdem er in die tieriſchen umgewandelt worden iſt. Es ſind alſo in qualitativer Beziehung die Bäche von ſolchen pflanzlichen Bildungen ſowie vom Schlamm, in welchen dieſe ihre Teile zerfallen, möglichſt frei zu halten, was bezüglich des Aus— reichens der Nahrung leicht ausführbar iſt, oder die Tiere aus ſolchen Bachregionen, auf deren Boden derartige pflanzliche Organismen wuchern, zu entfernen. Gleiches gilt von Stellen, an welchen die Abflüſſe mooſiger Wieſen oder von Latrinen benachbarter Wohn— häuſer, Fabrikgebäude in die Bäche ſtattfinden. Die Erfahrung beſtätigt die Richtigkeit dieſes Ausſpruches; in zahlreichen Gewäſſern wohnen weite Strecken hin beſonders alte Tiere, auf deren Schalen, gleichwie an den Geſteinen, vielfältige niedere Pflanzen, wie Mooſe und Algen, z. B. Fontinalis-Arten, üppig wuchern; ſolche Tiere ſind an und für ſich arm an Perlen, und beſitzen ſie einige, ſo ſind es meiſtens ſchlechte, farbige. Es iſt eine alte Erfahrung der Fiſcher: Tiere in Bächen mit friſchem Quellwaſſer und reinem Grunde ſind außen tief dunkelbraun, ihre Organe dagegen weniger pigmentiert — „ſchwarze Muſcheln, weiße Schnecken und weiße Perlen“, ſagen die Leute. Wegen Mangels an Farbſtoff, welcher alſo im Tiere nicht abgeſetzt werden kann, ſtechen die Organe von der dunkeln Schale ab: hingegen in Bächen, mit ſaurem Wieſenwaſſer geſpeiſt, ſind die Muſchelſchalen mehr roſtbraun und die Organe farbſtoffreicher wegen des überſchüſſigen Farbſtoffes, welcher in ihnen abgelagert werden muß; letztere ſtechen alſo weniger von den erſteren ab. Solche Tiere produzieren wohl Perlen, aber meiſt mißfarbige. Man hat ferner großen Wert auf das Freiſein der Bäche von Ufergeſträuchen ge— legt, in der Meinung, die Gegenwart von Licht ſei zur Perlenbildung unumgänglich not— wendig; allein die edelſten Perlen entſtehen oft in Tieren, welche tief unter Steinen und Baumwurzeln eingegraben ſind an Stellen, wohin nie der Sonne erwärmende Strahlen gelangen oder des Mondes mattes Licht einfällt: es iſt auch nicht einzuſehen, was Licht zur Schalenbildung, alſo auch zur Perlengeneſe beitragen könne. Die Lichtung der Ufer, auf welche von jeher ſo viele Koſten verwendet wurden, iſt nur von indirekter Bedeutung: Diebe verlieren dadurch ihre Schlupfwinkel und höchſtens wird das Bachwaſſer an ſtag— nierenden Stellen weniger von der Fäulnis des herabfallenden Laubes in ſeiner Miſchung berührt. Hat demnach das Ausäſten der Bachgeſträuche ſeine praktiſche Seite und iſt es nicht zu verdammen, mit der Perlenbildung als ſolcher ſteht es in keiner Beziehung. Die erſten Proben, welche in der Wildnis des undurchdringlichſten Waldesdickichts vor Flußperlenmuſchel: Lebensbedingungen. 475 Jahrhunderten aufgefunden wurden, hatten ebenſo ihre preiswürdigen als tadelhaften Eigen: ſchaften; ja der Einfluß der Sonne iſt einer niederen Vegetation niemals feindlich, ſondern nur förderlich; und wenn die Berichte der Fiſcher dahin lauten, daß die edelſten Perlen an den hellſten, von Gebüſchen und Stauden am wenigſten bewachſenen Stellen der Bäche aufgefunden werden, ſo iſt ſtets auch die Frage nach dem Plus oder Minus der Boden— vegetation zu ſtellen. Von ebenſo großer Bedeutung wie die Nahrung ſind die Fortpflanzungsverhältniſſe der Perlenmuſchel; der meiſte Erfolg einer Perlenzucht hängt von ihrer Regulierung und Förderung ab; denn dadurch werden zwei Haupterforderniſſe ins Leben gerufen. Aus der numeriſchen Zuſammenſtellung ergab ſich das geringe Verhältnis der perlentragenden zu den nicht perlentragenden Tieren; alſo je mehr Gelegenheit und Sicherheit den Tieren zu ihrem Fortpflanzungs- und Entwickelungsgeſchäft geboten wird, je mehr ſteigert ſich die Ausſicht auf ihre Vermehrung und demnach auch auf Perlenernte. Die andere, faſt noch wichtigere Aufgabe, welche eine geregelte und geſteigerte Perlenzucht löſt, beſteht in der unleugbaren Thatſache, daß eine größere Anzahl Tiere in einem gegebenen Raume mehr Nahrung aufnimmt, alſo durch den Verbrauch eines Nahrungsüberſchuſſes auch die Menge des perlenfeindlichen Farbſtoffes ſich verringert. Denn es iſt nicht zu vergeſſen, daß der pflanz— liche Farbſtoff zum Teil ſchon in dem Bachwaſſer gelöſt dem Tiere zugeführt wird und bei ſeiner Verteilung unter eine größere Menge Tiere auf das einzelne Individuum weniger von ihm trifft, ohne daß ſie dadurch an Nahrung überhaupt Mangel litten. — Der Wege zur Erreichung einer vermehrten und ergiebigen Muſchelbrut gibt es aber zweierlei. In den älteſten Zeiten findet man ſtrenge Verordnungen des Inhaltes aufgezeichnet, „daß in den Monaten Juli und Auguſt, wo der Perlfroſch im Laich iſt, niemand fiſche, krebſe, noch weniger auf den Perlwäſſern fahre,“ bei Androhung ſchwerer Geld- und Leibesſtrafen. In unſeren Tagen ſind dieſe weiſen Regeln längſt vergeſſen, und gerade in denjenigen Mo— naten, in welchen das Tier zur Empfängnis, Entwickelung ſeiner Eier und ſicheren Zu— kunft der zarten, faſt mikroſkopiſchen jungen Brut die größte Ruhe bedarf, durchwühlen roher Fiſcher Hände und Füße den Boden der Bäche, und eiſerne Haken ſprengen die ſich feſt zuſammen preſſenden Schalen auseinander, nicht zu gedenken der häufigen Gewohnheit, die für unreine Stoffe gehaltene Brut aus dem Tiere ſogar zu entfernen! An dieſer letzten heilloſen Gewohnheit der Fiſcher ſchuldet ein großer Teil aller der Vorwürfe, welche wegen geringer Perlenerträgniſſe aus aller Munde laut werden, wie ja eine Abnahme der Tiere durch Zerſtörung ihrer Brut weit fühlbarer wird als durch andere Urſachen, z. B. Eis— ſtöße, Triften, Wieſenwäſſerung ꝛc., welche man dafür verantwortlich macht. Neben dieſer unumgänglich nötigen Ruhe der Tiere während ihrer Geſchlechts- und Fortpflanzungs— funktionen iſt zu ihrer Vermehrung die Anlegung von Perlenbänken ein vortreffliches Mittel. Bachesſtellen mit reinem, kieſigem, ſchlammloſem Untergrunde und klarem Waſſer, geſichert gegen äußere Schädlichkeiten, wie Eisſtöße, Hochwaſſer, Viehtrieb, Holztrieb ꝛc. mit der gehörigen Anzahl von Tieren, welche der jährlichen Durchſchnittsmenge des Waſſers ent— ſpricht, ſorgſam beſetzt und verſtändigen Leuten anvertraut, werden alle dagegen erhobenen Bedenken gründlich widerlegen. Zur Errichtung ſolcher Perlenbänke eignen ſich beſonders die alten Tiere, die keine Perlen mehr beherbergen; ihnen kann das wichtigſte Amt der Perlenzucht am beſten anvertraut werden; denn von der Fortpflanzung allein muß jeder vernünftige Perlenbetrieb ſeinen Ausgang nehmen. Auch bezüglich der Fiſcherei hat eine rationale Perlenzucht ihre Rückſichten zu nehmen, inſoweit ſie von den naturgeſchichtlichen Eigentümlichkeiten der Tiere geboten ſind. Das Experiment wie die Erfahrung beweiſen zur Genüge, wie langſam Perlen wachſen. Die Schalenſchichten, welche ſich nach einem vollen Jahr an fremde, in das Tier eingebrachte 476 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Körper gelegt hatten, waren von unmeßbarer Dünne. Nach Beobachtungen der Fiſcher ſtellt ſich an gezeichneten Muſcheln heraus, daß Perlen von der Größe eines Stecknadelkopfes in etwa 12 Jahren die einer kleinen Erbſe erreichen, daß Perlen von der gewöhnlichen Größe, wie ſie die Flußperlenmuſchel liefert, gegen 20 Jahre bedürfen. Dieſe Thatſache ſteht in innigſter Beziehung zu dem langſamen Wachstum der Schalen überhaupt, und es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß jeder Anlage einer neuen mikroſkopiſchen Schicht an die Schale der Umlagerung einer neuen Schicht um den vorhandenen Perlenkern genau ent— ſpricht. Iſt zwar die Zeitdauer zwiſchen zwei Ausſcheidungen nicht genau feſtgeſtellt, gewiß iſt ſie keine gar ſo kurze. Wenn alſo das langſame Wachstum einer Perle nicht geleugnet werden kann, wozu frommen die häufigen Befiſchungen der Bäche? Geduld darf keine ſo weit entfernte Verwandte der Gewinnſucht ſein. An dem teils zu Grunde gerichteten, teils dem Ruine nahen Zuſtande der europäiſchen Perlenwäſſer ſchuldet einzig und allein die wahre Razzia früherer Jahrhunderte, welche man in möglichſt kurzen Zwiſchenräumen auf die Tiere ausübte. — Sowie eine lange Dauer der Fiſcherei, welche den Tieren die Regu— lierung ihrer Schalenſubſtanzen überläßt, der Perle zur Erreichung ihrer künftigen Haupt— vorzüge, wie Glanz und Farbe, nur Vorſchub leiſtet, ebenſo wird gehörige Ruhe auch die andere wichtige Eigenſchaft befördern helfen, nämlich die Bildung ihrer Form. Es iſt zwar unbekannt, ob und welche Störungen ein häufiges, gewaltſames Offnen im Tiere ver— urſache, daß aber die Störung der Lage zwiſchen Mantel und Schale, welche beim Suchen nach Perlen unvermeidlich iſt, in den Ausſcheidungsnormen Anderungen hervorbringen kann, ſteht außer allem Zweifel. Ein Zwiſchenraum von mindeſtens 67 Jahren iſt aljo zwiſchen je einer Befiſchung von großem Nutzen und deshalb vor allem geboten, wenn überhaupt Perlenmuſcheln noch gezüchtet werden ſollen. Über die Art des Fiſchens der Perlenmuſcheln in Böhmen teilt Franz Löw Folgendes mit: „Die Gewinnung dieſer Perlen wird nun auf folgende zwei Arten betrieben. Iſt das Waſſer nicht zu kalt oder nicht tiefer, als daß es einem Manne höchſtens bis zum Halſe reicht, oder wohl auch nicht rein genug, um bis auf den Grund ſehen zu können, ſo begibt ſich der Perlenfiſcher in das Waſſer, geht darin auf und ab und ſucht zugleich mit ziem— licher Fertigkeit mit den Füßen die Muſcheln. Hat er eine gefunden, ſo ergreift er ſie mit den Zehen, hebt ſie in die Höhe und bringt ſie ſo an die Oberfläche. Hier beſieht er nun zunächſt bloß die äußere Fläche der Muſchel und ſucht darauf nach jenen Merkmalen, deren Vorhandenſein oder Fehlen für ihn untrügliche Zeichen ſind, daß ſie reife Perlen enthält oder nicht. Vermißt er dieſe Kriterien, ſo wird die Muſchel weiter nicht berückſichtigt, hat er dieſe aber daran entdeckt, ſo wird ſie entweder ans Ufer geworfen oder in einen zu dieſem Zwecke umgehängten Sack geſteckt. „Iſt hingegen das Waſſer zu tief oder zu kalt, zugleich aber auch rein genug, um bis auf den Grund ſehen zu können, ſo werden zur Perlenfiſcherei auch Kähne benutzt. Die Fiſcher ſind dabei mit langen Stangen verſehen, an deren einem Ende ein Meſſer befeſtigt iſt, welches in die klaffenden Muſcheln hineingeſtoßen wird. Dieſe werden dadurch angeſpießt, aus dem Waſſer gezogen und ſodann auf die erwähnte Weiſe geprüft.“ * Die andere Hauptgattung der Najaden, deren wir ſchon gelegentlich wiederholt Er— wähnung gethan, Ano donta, iſt, was das Tier angeht, nicht wohl von Unio zu unter: ſcheiden. Das Gehäuſe iſt dünn und zerbrechlich; der Schloßrand iſt linealiſch, ohne Zähne, und unter dem Bande befindet ſich nur eine ſtumpfe Längslamelle. Die Anodonten ziehen ſchlammige, ſtillſtehende Gewäſſer den reinen, fließenden vor. Jedoch finden ſich einzelne Flußperlenmuſchel: Art des Fiſchens. Entenmuſchel. 477 Arten oder Abarten auch in großen, ſeltener in kleineren Flüſſen an ſolchen Stellen, wo ſie vor der Gewalt des Waſſers etwas geſchützt ſind; beſonders gern ſcheinen ſie ſich in den Ausflüſſen großer Teiche aufzuhalten. Was oben über die Schwierigkeit der Unter— ſcheidung der Arten der Unionen geſagt wurde, gilt in ganzer Ausdehnung auch für dieſe Sippe. Hier wie dort hat man an den Schalen keine Kennzeichen, daß ihr Wachstum vollendet iſt. Den Namen Entenmuſchel für alle Anodonten will Roßmäßler mehr von der ſchnabelförmigen Verlängerung des Hinterendes der Muſchel herleiten, als davon, daß das Tier von den Enten als eine Lieblingsſpeiſe aufgeſucht würde, da zwar allerdings als ſehr wahrſcheinlich angenommen werden könne, daß das fleiſchige, ſchlüpferige Tier den Enten Große Schwanen-Ent enmuſchel (Anodonta cygnea). Natürliche Größe. wohl behagen würde, dieſe es aber ſchwerlich mit ihrem weichen Schnabel aus der harten Muſchel hervorzulangen im ſtande ſein dürften. Dem muß ich widerſprechen. Meine Unter— ſuchungen über die Entwickelung von Anodonta cygnea geſchahen nach Exemplaren aus einem kleinen ſeichten, ſchlammigen Bache, in welchem ich wochenlang mit den Enten um die Wette gefiſcht habe. Ich bin oft unmittelbar dazu gekommen, wenn eine Ente trotz ihres weichen Schnabels den Schalenrand des Hinterendes ſo weit bearbeitet hatte, daß ſie ſich des Fleiſches, namentlich der mit den Embryonen gefüllten Kiemen, bemächtigen konnte. Die beiden wichtigſten Formentypen der zahlreichen, über den größten Teil von Europa verbreiteten Anodonten find Anodonta cygnea, die große Schwanen-Enten— muſchel oder Teichmuſchel, und Anodonta cellensis. Jene iſt eiförmig oder etwas rhom— biſch, der Oberrand gerade oder meiſt aufſteigend gebogen; der Unterrand gerundet und von dem Oberrande divergierend. Es kommen Exemplare von 20 em Länge und II em Höhe vor. Dieſe, die Anodonta cellensis, hat eine verlängerte, ſehr dünne, gefurchte Schale, deren Ober: und Unterrand gerade und ziemlich parallel find. Noch kein ſich mit den Najaden 478 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. im ſpeziellen beſchäftigender Naturforſcher hat den Verſuch gemacht, nach anatomiſchen Merkmalen der Weichteile der Tiere Artunterſcheidungen zu begründen, und in der That ſcheint wenig Ausſicht vorhanden, dieſe Scheidung zu einem erquicklichen Ende zu bringen. Wir laſſen nun einige der Familien oder wenigſtens Sippen als Familien-Repräſentan— ten folgen, deren Mantel hinten in zwei mehr oder minder lange Röhren oder Siphonen ausgeht und deren Schale die Mantelbucht zeigt. Man ſehe die Abbildung S. 424. Eine der umfangreichſten Muſchelfamilien iſt diejenige der Tellinaceen (Tellina— cea). Das Tier hat den Mantel in ſeiner ganzen Länge geteilt. Der Fuß iſt zuſammen— gedrückt und erzeugt nie einen Bart. Die Kiemen ſind blattartig. Die Schale iſt ziemlich gleichſchalig. Die hierher gehörigen Arten, über alle Zonen der Erde verbreitet, leben frei im Sande. Sie find teils Meer-, teils Süßwaſſerbewohner. Unter jenen finden ſich viele eßbare Muſcheln, namentlich aus der Sippe Venus, welche zugleich viele durch Schönheit der Farben und mancherlei ſtachlige Auswüchſe ausgezeichnete, von den Muſchelſammlern ſehr geſuchte und ehemals hoch bezahlte Arten enthält. Seit einigen Jahren hat man an— gefangen, auch manche dieſer im Sand und Schlamm ſich vergrabenden Muſcheln in den Aquarien zu halten, nachdem man die Scheu überwunden, den Boden mit einigen Zoll hoch Schlamm zu bedecken. Der feinſt verteilte Schlamm ſetzt ſich bald, und aus ihm ſtrecken alsdann die Muſcheln ihre After- und Atemröhre in das klare Waſſer heraus. Nächſt Venus iſt Tellina die artenreichſte Gattung, indem über 200 bekannt find. Ihre Schalen find flach und meiſt ſehr zart gefärbt. Manche Tellinen und Donax Arten ſind im ſtande, ſich ſpringend fortzubewegen. Sie ſuchen ſich zuerſt durch paſſende Manöver des Fußes auf den Rücken zu legen, ſtrecken dann den ſehr dehnbaren, geknieten Fuß vorn um die Schale herum und laſſen ihn dann, gleich einer Feder, gegen den Sand anſchnellen. Die Beobachtung und wiſſenſchaftliche Unterſuchung hat ſich mit Vorliebe mit einigen dem ſüßen Waſſer angehörigen Tellinaceen beſchäftigt, namentlich der ziemlich viele Arten enthaltenden und weit verbreiteten Gattung Cyclas. Sie graben ſich ſeltener ein, halten ſich ſogar lieber zwiſchen den Stengeln der Pflanzen auf, wo ſie mit einer für eine Muſchel ganz anſtändigen Beweglichkeit einherſteigen. Sie ſollen auch, was ich jedoch nicht geſehen, gleich den Süßwaſſerſchnecken an dem Waſſerſpiegel hängen und kriechen können. Die größte der einheimiſchen, Cyelas rivicola, wird 2 cm lang, die übrigen kaum halb jo lang, da— runter die gemeinſte, C. cornea, jo genannt von dem gräulich hornfarbenen Ausſehen ihrer Schale. Auch bei den Cykladen gelangen die Eier, um ſich zu entwickeln, nicht ins Freie, ſondern in eigentümliche, an der Innenſeite der Kiemenblätter zur Brutzeit auf— tretende Bruttaſchen. Wir haben neuerlich durch Stepanoff erfahren, daß die Entſtehung dieſer Bruttaſchen große Analogie bietet mit den Wulſten, welche ſich bei der Krötengat— tung Pipa um die auf den Rücken des Weibchens gebrachten Eier legen. Stepanoff fand gewöhnlich an einem Kiemenblatt eine ganze Reihe von Bruttaſchen in verſchiedenen Ent— wickelungsſtadien. „In den einzelnen Bruttaſchen findet ſich eine wechſelnde Anzahl von Embryos, die allerjüngſten enthalten deren immer nur einen oder zwei, die ausgebil— deten Bruttaſchen dagegen gewöhnlich bis zu ſieben. Außerdem iſt hervorzuheben, daß man in den kleinen Säcken immer nur Embryos gleicher Entwickelung findet, während die ausgewachſenen Taſchen immer mit einer Brut von verſchiedener Reife erfüllt ſind. Dieſe Thatſache iſt damit zu erklären, daß die einzelnen aneinander gelegenen Säcke mit der Zeit verwachſen. In den erſten Phaſen der Entwickelung bewegen ſich die jungen Cykladen leb— haft in den Bruttaſchen, indem ſie durch die Thätigkeit ihrer Flimmerhaare in dem flüſ— ſigen Inhalt derſelben umherſchwimmen. Später, wenn die Tiere größer und ſchwerer Tellinaceen. Cyclas. Erbſenmuſchel. Steinbohrer. Klaffmuſchel. 479 werden, tritt für ſie eine Ruhezeit ein, die durch die Ausbildung des Mantels und der Schalen, wie auch durch wichtige innere Bildungsprozeſſe ausgefüllt wird. — Was die Nahrung der Embryos während ihres Aufenthaltes in den Bruttaſchen anbetrifft, ſo be— ſteht dieſe aus denſelben Schleimhautzellen, durch die ſie umwuchert ſind. Die Cykladen verhalten ſich in dieſer Hinſicht abweichend von den bekannten übrigen Lamellibranchiaten, die während des Aufenthaltes in den Kiemen ihrer Mutter ſämtlich ihre Eihüllen behalten und ſich von dem darin enthaltenen Eiweiß nähren“, mithin ſich ähnlich wie jene Schnecken (Purpura, Buccinum, Nerita) verhalten, wo einzelne ſich entwickelnde Junge ſich auf Koſten der nicht zur Entwickelung kommenden Eier mäſten. Die ebenfalls im ſüßen Waſſer lebende Gattung Pisidium, die Erbſenmuſchel, unterſcheidet fi von Cyclas durch ihre ganz kurzen und verwachſenen Siphonen und die mehr ungleichſeitige ſchiefe Geſtalt des Gehäuſes. Die hierher gehörigen Arten ſind durch— ſchnittlich viel kleiner. Die Familie der Steinbohrer hat in unſeren Meeren eine Reihe von Vertretern, am häufigſten die Saxicava rugosa. Alle Saxicaven haben den Mantel vorn ſo weit geſpalten, daß der kleine, kegelförmige und mit einem Barte verſehene Fuß bequem hin— durch gelangen kann. Hinten iſt er in zwei ziemlich lange, faſt ganz miteinander verwachſene Röhren verlängert, von denen die Atemröhre länger als die Afterröhre iſt. Das Gehäuſe iſt nicht ſelten, und namentlich bei unſerer Saxicava rugosa etwas unregelmäßig, eigentlich gleichſchalig, ungleichſeitig, vorn und am Bauchrande etwas klaffend, länglich eiförmig, mit einer ſehr dünnen, aber auffallenden Oberhaut überzogen. Es ſind meiſt kleine, 1—2½½ cm lange Tiere, welche teils in Steinen in ſelbſtgebohrten Löchern, teils auch bloß eingeklemmt in Spalten und zwiſchen Balanen oder auch zwiſchen den Wurzeln verſchie— dener Tange und Algen leben. Sie bohren nämlich gleich den Pholaden, zu denen wir bald kommen, nur in den weicheren Geſteinen und behelfen ſich, wo ſie dieſe nicht finden, wie z. B. überall an der dalmatiniſchen Küſte, mit bloßen Schlupfwinkeln oder ſchon vor— handenen, zum Teil mit Schlamm ausgefüllten Höhlen. So ſcheint es mir wenigſtens nach dem, was ich ſelbſt geſehen. Goſſe gibt jedoch ausdrücklich an, daß an der engliſchen Küſte lange Strecken eines Kalkſteines, welcher härter ſei als der von den Pholaden zerfreſſene, durch tauſend und aber tauſend Saxicaven durchlöchert ſei. Von den gefärbten Enden der Siphonen, welche etwas über den Stein herausragen und bei der Berührung einen Waſſer— ſtrahl ausſpritzen, um ſchnell zu verſchwinden, werden ſie von den Fiſchern Rotnaſen genannt. Wenn ihre Bohrgänge aufeinander treffen, ſo durchſchneiden auch die Tiere einander. Herausgenommen aus den Höhlen leben ſie ziemlich lange im Aquarium. Mit Mya, der Klaffmuſchel, treten wir zu einer anderen Familie, deren Kennzeichen ſo ziemlich mit denjenigen dieſer Gattung zuſammenfallen. Das Tier hat einen faſt voll— kommen geſchloſſenen Mantel, welcher vorn eine kleine Spalte zum Durchtritt des kleinen, kegelförmigen Fußes läßt und ſich hinten in zwei lange, dicke, vollſtändig miteinander ver— wachſene Röhren verlängert. Dieſer alſo ſcheinbar einfache Sipho hat einen ſtarken Ober— hautüberzug. Die Lippentaſter ſind ſehr klein. Von den Kiemen iſt die äußere kurz, die innere mit der der entgegengeſetzten Seite verwachſen. Das eiförmige Gehäuſe klafft an beiden Enden. Die linke Schale hat unter dem Wirbel einen großen, zuſammengedrückten, löffelförmigen, faſt ſenkrecht auf der Schale ſtehenden Zahn, die rechte eine entſprechende Grube. Unter den wenigen bekannten Arten iſt Mya arenaria im ganzen nördlichen Ozean 480 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. ſehr gemein. Sie lebt im ſandigen Strande ſo weit vergraben, daß, wenn ſie ungeſtört iſt, das gefranſte Ende der Mantelröhren etwas hervorragt. So wie ſie durch Erſchütterung oder Berührung beunruhigt wird, fährt ſie mit größter Gewandtheit in die Höhle hinab. Auch ſollen die Myen, auf den flachen Boden gelegt, ſich dadurch rückwärts fortbewegen können, daß ſie den Fuß krümmen und ſich, ihn wieder ausſtreckend, damit fortſchieben. Die Klaffmuſcheln werden wohl hier und da von der ärmeren Volksklaſſe auch gegeſſen, vor— zugsweiſe aber als Köder verwendet. Von wiſſenſchaftlicher Wichtigkeit ſind verſchiedene foſſile Gattungen der Klaffmuſcheln, teils ganz ausgeſtorbene, teils noch in einigen oder einzelnen Repräſentanten vorhandene. Beiſpielsweiſe mag Pholadomya angeführt werden, von der man bloß eine ſehr jeltene weſtindiſche Art kennt, deren Beſchaffenheit für die Deutung der foſſilen, an ſich ſehr ſchwer zu enträtſelnden Arten namentlich aus der Kreide und dem Jura einen ſehr willkommenen Schlüſſel gab. Die Scheidenmuſcheln (Solen) haben in ihren Lebensgewohnheiten große Ahn— lichkeit mit den Klaffmuſcheln, denen ſie ſich inſofern anſchließen, als ihre Schale eben— falls vorn und hinten klafft. Die Schale iſt ſcheidenartig verlängert; die Wirbel, kleine, oft faſt unbemerkbare Höcker, ſtehen bei mehreren Arten faſt unmittelbar am ſteilen Vorder— rande. Meiſt iſt das Gehäuſe von einer ſtarken braunen, nur in der Wirbelgegend oft abgeriebenen Oberhaut bekleidet. Der dicke cylindriſche, am Ende keulenförmige Fuß tritt durch den vorderen Mantelſchlitz und iſt im leichten Uferſande ein ſehr wirkſames Bohr— inſtrument. Übrigens verfahren alle im feuchten Sande grabenden Muſcheln ſo ziemlich nach einer Manier. Aus ihrer Höhlung genommen, beginnen ſie damit, den ausgeſtreckten Fuß zu krümmen und ihn ſo weit in den Sand oder Schlamm zu verſenken, daß ſie daran die Schale in einer ſenkrechten oder ſchiefen Stellung aufrichten können. Die Muſcheln, welche, wie Mya, ein unverhältnismäßigere Dicke zum Fuße haben als Solen, müſſen das vom Fuße vorgebohrte Loch mühſamer durch Hin- und Herdrehen der Schale erweitern. Bei Solen aber tritt die Fußkeule faſt in derſelben Dicke hervor, wie die ganze Muſchel iſt; das Eingraben geht daher ſehr ſchnell vor ſich. Man bemächtigt ſich der Tiere, welche an den Mittelmeerküſten von den ärmeren Leuten als Capa lunga und Capa di Deo verſpeiſt werden, indem man ſich ihnen entweder vorſichtig nähert und ſie gleich dem grabenden Maulwurf mit dem Spaten auswirft, oder indem man in ihre Löcher, in welche ſie be— hende 1— 2 Fuß hinabſchlüpfen, einen dünnen, mit einem Knopfe verſehenen Eiſenſtab ein— führt, an welchem man ſie, nachdem man ihn ins Gehäuſe geſtoßen, heraufzieht. An den europäiſchen Küſten ſind beſonders drei Arten gemein: die Meſſerſcheide (Solen va— gina), die ſchwertförmige Scheidenmuſchel (Solen ensis) und die hülſenförmige (Solen siliqua). Von einer afrikaniſchen Scheidenmuſchel (Solen marginatus) erzählt Deshayes, wie ſie ſich, auf einen ſteinigen, zum Einbohren nicht geeigneten Grund ge— raten, zu helfen weiß. Sie füllt die Mantelhöhle mit Waſſer, ſchließt die Röhrenmün— dungen und zieht dann mit einem Rucke den ausgeſtreckten Fuß ſo ein, daß das Waſſer mit Gewalt aus den Siphonen ausgetrieben wird und fein Stoß den Körper J oder 2 Fuß weit vorwärts treibt. Dies wird wiederholt, bis das Tier einen günſtigen Boden erreicht hat. Die Bohrmuſchel (Pholas) führt uns in den Kreis derjenigen Muſcheltiere, welche man häufig wegen ihrer auffallend geſtreckten Geſtalt und der zum Teil bis zur Unkennt— lichkeit abweichenden Schalenform als eine beſondere Ordnung, Röhrenmuſcheln (Tu- bicolae), betrachtet hat. Das Tier von Pholas (in unſerer Abbildung, S. 481; ohne Schale) Scheidenmuſcheln. Bohrmuſchel. 481 hat einen verlängerten Körper mit faſt ganz geſchloſſenem Mantel. Wir ſehen daran zwei vordere Zipfel (a), einen dünneren (b) und einen mit verſchiedenen Muskeln (g, f) aus— geſtatteten Teil, in welchem auch die Muskeln (e) liegen, welche zum Zurückziehen der langen Röhre dienen. In dem runden, trommelförmigen, vorderen Mantelteile iſt ein kreisrundes Loch, in welchem man den Fuß (h) bemerkt; derſelbe iſt ſehr kräftig, kurz und breit und endigt mit einer Platte, welche unter anderem auch als Saugnapf ver— wendet werden zu können ſcheint. Der unregelmäßige Lappen e iſt Oberhaut, welche den hinteren Teil der Muſcheln verſchließt. Dieſe, die Schale, iſt länglich und klafft vorn und hinten. Die Verbindung der beiden Schalenhälften iſt von der der normal gebauten Muſcheln ſehr abweichend. Ein innerlicher löffelförmiger Fortſatz in jeder Schale erinnert an den ähnlichen Teil bei Mya. Ein umgeſchlagenes Kalkblatt jederſeits in der Schloßgegend iſt von einer Reihe Offnungen durchbohrt, durch welche einzelne Muskelpartien treten, die an ein Paar loſe auf dem Rücken liegende Schalenſtücke ſich anſetzen. Manche Pholaden, wie unſere gemeine Pholas dactylus, haben zwei, andere nur eine ſolche freie Rückenplatte. Der Nutzen dieſer freien Platten beſteht offenbar darin, zwar den Rückenverſchluß der Schalen möglichſt zu ſichern, zugleich aber auch die Entfernung der vorderen Enden der beiden Schloßſeiten voneinander zu ermöglichen, wie ſolches aus der gleich folgen— den Beſchreibung der Bohrmethode der Pholas hervorgeht. Bei allen Arten ſind die immer weißen Schalen mit Reihen von kleinen Zacken und Zähnchen beſetzt (ſ. Abbild., S. 482), welche der Oberfläche das Ausſehen einer groben Raſpel geben. Über das Bohren der Pholaden iſt ſehr viel beobachtet und ge— ſchrieben worden, ohne daß die Aufklärung darüber eine voll— ſtändige wäre. Unſere eigentlichen Pholas-Arten ſcheinen nur im weicheren Geſteine und im weichen Holze zu bohren, wo ihnen die zu Gebote ſtehenden gröberen mechaniſchen Werk— zeuge ausreichen dürften. Mit genauerer Berückſichtigung der Muskulatur hat Osler das Aushöhlen der Wohngänge be— ſchrieben, wobei die Schale als Feile benutzt wird. Er ſagt: „Die Pholas hat zwei Arten zu bohren. Bei der erſten befeſtigt ſie ſich mit dem Fuße und richtet ſich faſt ſenkrecht auf, indem ſie den wirkenden Teil der Schale gegen den Gegenſtand andrückt, an welchem ſie anhängt. Nun beginnt ſie eine Reihe von teilweiſen Drehungen um ihre Achſe, was durch eine wechſelweiſe Zuſammenziehung des rechten und linken Seitenmuskels bewirkt wird, wonach ſie jedesmal wieder in ihre ſenkrechte Lage zurückkehrt. Dieſe Art wird faſt ausſchließlich nur von jungen Tieren angewendet und iſt gewiß ganz wohl darauf berechnet, um in einer ſenkrechten Richtung vorzudringen, ſo daß ſie hierdurch in der möglichſt kürzeſten Zeit vollſtändig eingegraben ſind. Denn in der erſten Zeit ihres Lebens ſind die Hinterenden ihrer Schalen viel weniger vollendet, als ſie es ſpäter werden. Haben die Pholaden aber 2 oder höchſtens 3 Linien Länge erreicht, ſo ändern ſie ihre Richtung und arbeiten wagerecht; denn die veränderte Geſtalt der Schale und die Zunahme des Gewichtes des hinter dem Schloſſe gelegenen Teiles des Tieres hin— dern es, ſich ſo ſenkrecht wie früher aufzurichten. Bei den zur Erweiterung der Woh— nungen notwendigen Bewegungen übernehmen die Ziehmuskeln einen weſentlichen Anteil. Das auf ſeinem Fuße befeſtigte Tier bringt die vorderen Enden der Schale miteinander in Berührung. Dann ziehen ſich die Reibemuskeln zuſammen, richten den Hinterteil der Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 31 Bohrmuſchel. Tier ohne Schale. Natürliche Größe. 482 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Schale auf und drücken den wirkenden Teil derſelben gegen den Boden der Höhlung; einen Augenblick nachher bringt die Thätigkeit des hinteren Zieh- (d. h. Schließ-) Muskels die Rückenränder der Schale miteinander in Berührung, ſo daß die ſtarken feilenartigen Teile plötzlich getrennt werden und raſch und kräftig über den Körper hinkratzen, worauf ſie drücken. Sobald dies geſchehen iſt, ſinkt das Hinterende nieder, und unmittelbar darauf wird dieſelbe Arbeit mittels Zuſammenziehung des vorderen Schließ-, des Seiten- und des hinteren Schließmuskels der Reihe nach wiederholt.“ In der That kann man ſich an allen Exemplaren mit dem bloßen Auge und noch beſſer mit der Lupe überzeugen, daß die Raſpelzähne an dem ganzen vorderen Teile der Schale der Pholaden abgenutzt und durch Reiben abgerundet ſind. Ihre Maſſe iſt von ziemlich feſter Beſchaffenheit und ſicher weicheren Subſtanzen —. —... ZZ gegenüber wirfam. Der — se — engliſche Naturforſcher Hancock, um die Natur— geſchichte der Weichtiere hoch verdient, wollte bei mehreren bohrenden Muſcheln, auch in Pho— las, im vorderen Man— telrande und Fuße kleine mikroſkopiſche Kieſel— körper gefunden haben, durch welche bei Bewe— gung jener Körperteile Holz und Stein abge— ſcheuert und ausgehöhlt werden ſollten. Es ſind ſchon von anderer Seite Zweifel gegen das Vor— ü ee i handenſein dieſer Kör— Natürliche Größe. perchen erhoben, die ich, ſoweit fie Pholas be: treffen, nach ſoeben wiederholter Unterſuchung vollkommen beſtätigen muß. Ich finde im Fuße und Mantel von Pholas dactylus aus dem Adriatiſchen Meere zwar einzelne ſcharfe Kieſelſplitter und kleine kriſtalliniſche Körperchen, aber ſo unregelmäßig, ſo wenig zahlreich und in ſo unbeſtimmter Lage, daß es ſicher fremde Eindringlinge ſind. Auch ein anderer Beobachter tritt für das Abraſpeln durch die Schale ein. „Ich hatte“, ſagt John Robertſon, „während meines Aufenthaltes zu Brighton Gelegenheit, Pholas dactylus zu ſtudieren; ich unterhielt wenigſtens 3 Monate lang 20 bis 30 von dieſen Geſchöpfen, die in Kreideſtücken thätig waren, in einem Glaſe und einem Gefäße mit Seewaſſer unter meinem Fenſter; die Pholas macht ihre Höhle, indem ſie die Kreide mit ihrer feilenartigen Schale abreibt, ſie gepulvert mit ihrem Fuße aufleckt, durch ihren Sipho treibt und in länglichen Knötchen ausſpritzt.“ In ſehr weichen Subſtanzen ſcheint aber die Fußſcheibe das Geſchäft des Aushöhlens ganz allein übernehmen zu können. Mettenheimer beobachtete eine Pholas, die erſt mit dem vorderen Ende einige Linien tief in einem Stücke Meertorf ſteckte, aber nach 3 Tagen ſchon ganz im Inneren des Torfes verſchwunden war. Nur ſehr ſelten machte ſie eine leichte, kaum wahrnehmbare Bewegung um ihre Achſe, die aber durchaus nicht als Urſache des Bohrens angeſehen ki Schale der Bohrmuſchel. Art des Bohrens und Leuchtorgane der Bohrmuſchel. Schiffswurm. 483 werden konnte. Dagegen zog ſie die hinten vorragenden Siphonen von Zeit zu Zeit kräftig zuſammen, wobei ſie ſich ein wenig tiefer in die Höhle hineinſchob. Solange das Tier in Thätigkeit war, ſah man den noch freien Raum im Bohrloche neben der Schale ſich ganz allmählich mit feinem Torfſtaube füllen, bis er endlich zur Mündung der Höhle her— ausfiel. Die Losſcheuerung des Torfes konnte tettenheimer nur dem Fuße zuſchreiben. Wenn daher nach dieſen nicht wohl anzutaſten— den Zeugniſſen über die verſchiedene mechaniſche Thätigkeit der Pholaden beim Bohren kein Zwei— fel erhoben werden kann, iſt natürlich keines— wegs die Möglichkeit ausgeſchloſſen, daß außer— dem immer, oder wo es ein härterer Kalkſtein erfordert, irgend ein Sekret der Muſchel eine auflöſende, das Raſpeln und Reiben erleichternde Wirkung ausübt. Eine andere Eigentümlichkeit der Pholaden iſt das Leuchten. Über den Vorgang und die Natur dieſer Erſcheinung hat uns Panceri Aufſchluß gegeben. Läßt man die aus ihren Bohrlöchern herausgenommenen Tiere ruhig in einem Gefäße mit Meerwaſſer ſtehen und beob— achtet ſie in der Dunkelheit, ſo leuchten ſie nicht. Sie verhalten ſich damit wie die anderen Leucht— tiere des Meeres, welche alle gereizt werden müſſen, ehe ſie ihr Licht anſtecken. Faßt man ſie an und bewegt ſie, ſo ergießen ſich von ihnen leuchtende Wölkchen ins Waſſer, das nach und nach ganz leuchtend wird. Es iſt ein Schleim, welcher ſich vom Tiere 5 und der ſich allem e was mit ihm in Berührung kommt. as Leuchten der Maſſe verliert ſich, nachdem e ſich ausgebreitet und zur Ruhe gekommen iſt, erſcheint aber wieder bei Erneuerung der Rei— zung und Bewegung. Obgleich ſehr bald nach Anſtellung der Reizverſuche ſich die ganze weiche Körperoberfläche der Muſchel mit dem leuchten— den Schleime bedeckt, ſo wird derſelbe doch nur aus beſtimmten, nicht ſehr umfangreichen Or— ganen ausgeſchieden. Sie liegen am oberen Mantelrande, am vorderen Eingange der Mantelröhre und in Form zweier paralleler Streifen im Atemſipho. Sie ſind Anhäufungen von Zellen mit fettigem Inhalte. Umriß der Bohrmuſchel. Die weißen Flecken und Streifen ſind die Leuchtorgane. Natürliche Größe Die bisher genannten bohrenden Muſcheln können kaum unter die ſchädlichen Tiere gezählt werden. An Pholas reiht ſich aber ein Tier von äußerſter Schädlichkeit an, der Schiffswurm (Teredo), über den wir vorerſt einige geſchichtliche Nachweiſe nach John— ſtons Zuſammenſtellung bringen. „Die Zerſtörungen, welche dieſes wurmförmige Tier bewirkt, ſind anſehnlich genug, um ſowohl die Verhaßtheit, welche ihm zu teil geworden, als auch den ſtrengen Ausdruck Linnés zu rechtfertigen, welcher ihn calamitas navium 31° 484 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. (das Elend, Verderben der Schiffe) nennt. Er iſt mit dem Vermögen begabt, ſich in Holz einzubohren, zerſtört Schiffswracke, durchwühlt Bauwerke zur Einengerung des Ozeans, durch— löchert Schiffe, Brückenpfeiler und Bollwerke in allen Richtungen, ſo daß ſie bald, un— fähig, der Gewalt der Wogen länger zu widerſtehen, ihnen erliegen müſſen. Der Betrag des Schadens, welchen der Schiffswurm auf dieſe Weiſe jährlich verübt, iſt ſchwer zu be— rechnen. Daß er aber ſehr beträchtlich ſei, geht aus den Klagen, welche über dieſes Tier in faſt allen Meeren erhoben werden, und aus den vielen koſtſpieligen Vorkehrungen zur Abwendung ſeiner Angriffe hervor. „Da gibt es“, ſagt ein ungenannter Reiſender, „in den indiſchen Meeren eine kleine Wurmart, welche in das Bauholz der Schiffe eindringt und dasſelbe ſo durchbohrt, daß ſie überall Waſſer ziehen; und wenn ſie es auch nicht ſogleich ganz durchbohrt, ſo greift ſie dasſelbe doch ſo an, daß es meiſtens unmöglich wird, es wieder herzuſtellen. Zwar wenden einige Teer, Haare und Kalk als Überzug der Schiffe an, welche indeſſen ſämtlich nicht nur nicht genügen, um den Wurm zu vertreiben, ſondern auch das Schiff in ſeinem Laufe aufhalten. Die Portugieſen brennen ihre Schiffe (es iſt die Rede vom Jahre 1666), ſo daß ſie ganz von einer zolldicken Kohlenrinde über— zogen werden. Wenn dieſes Verfahren aber einerſeits gefährlich iſt, da es nicht ſelten ge— ſchieht, daß das ganze Schiff verbrennt, ſo beruht anderſeits die Urſache, weshalb der Wurm die portugieſiſchen Schiffe nicht durchfrißt, nur in der außerordentlichen Härte des angewendeten Bauholzes.“ Im Weſten iſt der Teredo ebenſo thätig. Die erſten engliſchen Schiffahrer ſind in ihren kühnen Unternehmungen oft gekreuzt und aufgehalten worden durch das Unbrauchbarwerden ihrer Schiffe; und bei weiterer Ausdehnung des engliſchen Handels wurde das Übel ſo fühlbar, daß man ſich entſchloß, den Boden der Schiffe mit Blei und Kupfer zu überziehen. Gewöhnlich nimmt man an, daß der Schiffswurm nach der Mitte des 17. Jahrhunderts von den tropiſchen Meeren aus in Europa eingeführt worden ſei; da man aber genügende Beweiſe hat, daß mehrere Arten daſelbſt wirklich heimiſch ſind, ſo verſchwindet die Hoffnung, ſie einmal alle in einem ungewöhnlich ſtrengen Winter oder durch eine ihrer Natur nachteilige Witterung vertilgt zu ſehen, ſofern der Schiffswurm nämlich meiſtens in der Nähe der Oberfläche und oft an Stellen verweilt, welche bei der Ebbe trocken werden und notwendig den Einflüſſen aller atmoſphäriſchen Veränderungen ausgeſetzt ſind. In den Jahren 1731 und 1732 befanden ſich die vereinigten diederlande in einer ſchreckenvollen Aufregung, als man entdeckte, daß dieſe Tiere ſolche Zerſtörungen in dem Pfahlwerke der Eindämmungen von Seeland und Friesland angerichtet hatten, daß ſie mit einer gänzlichen Vernichtung desſelben drohten und dem Menſchen wieder entreißen zu wollen ſchienen, was er mit beiſpielloſer Anſtrengung dem Ozean ab— gerungen hatte. Glücklicherweiſe verließen ſie einige Jahre ſpäter dieſe Dämme wieder; aber in der Furcht vor der Wiederkehr eines Feindes, fürchterlicher als der Großtürke ſelbſt, den ſie ſich bloß mit Spaten und Schaufeln zu vertilgen vermeſſen hatten, ſetzten die Hol— länder eine große Belohnung für denjenigen aus, der ein Mittel angeben könnte, um die Angriffe dieſer Tiere abzuwenden. Salben, Firniſſe und giftige Flüſſigkeiten wurden ſo— fort hundertweiſe anempfohlen. Es dürfte ſchwer ſein, den Betrag des Schadens zu ſchätzen, welchen dieſe Heimſuchung verurſacht hat, die nach der Meinung von Sellius (welcher 1733 eine Naturgeſchichte des Teredo herausgab), da er keine natürliche Veranlaſſung dazu entdecken konnte, von Gott verfügt war, um den wachſenden Hochmut der Holländer zu züchtigen. Die Schriftſteller jener Zeit bezeichnen ihn im allgemeinen als ſehr groß, und Dr. Tobias Baſter führt den Teredo als ein Tier an, welches in jenen Gegenden für viele Millionen Schaden verurſacht habe. Auch England hat er mit mannigfachem Unheil heimgeſucht und thut es noch. „Der geſundeſte und härteſte Eichenſtamm kann dieſen verderblichen Geſchöpfen nicht widerſtehen; denn ſchon in 4—5 Jahren durchbohren Bohrwurm. 485 ſie ihn in ſolchem Grade, daß ſeine Beſeitigung notwendig wird, wie das wiederholt auf den Werften von Plymouth vorgekommen iſt. Um das daſelbſt verwendete und ihren An— griffen ausgeſetzte Bauholz zu erhalten, hat man verſucht, die unter Waſſer ſtehenden Teile desſelben mit kurzen, breitköpfigen Nägeln zu beſchlagen, welche im Salzwaſſer bald die ganze Oberfläche mit einer ſtarken, für den Bohrer des Wurmes undurchdringlichen Roſtrinde überziehen. Und dieſer Verſuch ſcheint von Er— folg geweſen zu ſein, da der Wurm in den Häfen von Plymouth und Falmouth, wo er ſonſt häufig geweſen, jetzt ſelten oder gar nicht mehr zu finden iſt. Aber in anderen Gegenden iſt er fortwährend geblieben und hat z. B. inner— halb weniger Jahre eine Menge von Pfählen an den Brückenpfeilern zu Port Patrick an der Küſte von Ayrſhire weſentlich beſchädigt oder gänzlich verdorben, ſo daß be— hauptet wird, dieſes Tier werde in Gemeinſchaft mit einem gleich verderblichen Kruſter, Limnoria terebrans (zu den Waſſer-⸗Aſſeln gehörig), bald die völlige Zerſtörung alles Holzes in jenen Pfeilern bewirken. Keine Holzart ſcheint fähig, der verhängnisvollen Bohrkraft dieſes Weichtieres zu widerſtehen. Indiſches Teak (Tectonia grandis), Siſſu— und Saulholz, eine Sorte, welche dem Teak nahe ſteht, aber noch härter iſt, werden alle in kurzer Zeit durchfreſſen; noch viel leichter werden Eichen und Zedern und am ſchnellſten ſo weiche Hölzer wie Erle und Kiefer durchlöchert.“ Es geht ſchon aus dieſen Mitteilungen hervor, daß man längſt von der irrigen Meinung zurückgekommen, es gebe bloß eine allmählich über die ganze Welt verſchleppte Art Schiffswurm. Man kann bis jetzt wenigſtens S—10 Arten unterſcheiden, welche Linné alle, ſoweit fie ihm be: kannt waren, als Teredo navalis zuſammenfaßte. Am beſten ſind wir durch den Pariſer Zoologen de Quatre— fages über die Eigentümlichkeiten einiger Teredinen der europäiſchen Küſten unterrichtet, darunter der große Teredo fatalis, welchem die meiſten jener oben angeführten Zer— ſtörungen an den Damm- und Hafenbauten zur Laſt fallen. Es iſt begreiflich, wenn man die Abbildung dieſes Tieres zur Hand nimmt, daß es auf alle Beobachter, welche ſich nicht in eine vergleichende Zergliederung desſelben einlaſſen konnten, den Eindruck nicht eines Weichtieres von dem Range einer Muſchel, ſondern den eines Wurmes machen mußte. Die Schale, welche ſich an dem verdickten Kopfende befindet, iſt hinten und vorn ſo weit ausgerundet, daß eigentlich nur noch ein kurzes, reifenförmiges Schalenrudiment übrig iſt. Bohrwurm (Teredo katalis); natürliche Größe. Rechts die Larve; vergrößert. Die vordere Schalenöffnung iſt aber von dem Mantel ſo überwachſen, daß nur ein kleines, den Fuß vorſtellendes Wärzchen aus ſeinem Schlitze hervortreten kann. Oberhalb der beiden Schalenhälften tritt zwiſchen ihnen der Mantel hervor und bildet eine Falte, die Kapuze, welche durch verſchiedene ſich kreuzende Muskeln in allen Richtungen bewegt werden kann. Der hinter dieſer kopfartigen Anſchwellung liegende Teil des Tieres bis zu den langen 486 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Siphonen iſt ſehr verlängert und wird mit den Siphonen von einer unregelmäßig gebogenen Kalkröhre eingeſchloſſen. Letztere iſt hinten offen und ſo weit, als die Siphonen einen Spalt zwiſchen ſich laſſen, durch eine Längsſcheidewand geteilt. Wo die Mantelröhre in die Siphonen übergeht, iſt ein ſtarker, ringförmiger Schließmuskel mit einem Quermuskel, der wohl dem hinteren Schließmuskel der anderen Dimyarier entſpricht, während der vordere zwiſchen den kleinen Schalenhälften liegt. Auf dieſem hinteren Schließmuskel ſitzen zwei plattenförmige Schalenſtücke, die Paletten, und dies iſt die einzige Stelle, wo der Mantel mit der oben erwähnten Röhre unmittelbar verwachſen iſt. Übereinſtimmend mit dieſer äußeren, von den übrigen Muſcheln ſo abweichenden Form iſt natürlich auch die Form und Lage der inneren Körperteile, namentlich der Leber, des Herzens, der Kiemen, der Fortpflanzungsorgane; die Abweichung beſteht aber eigentlich nur darin, daß dieſe Organe hier nicht über-, ſondern hintereinander gelegen ſind, während die allgemeinen Grundzüge des Baues vollſtändig diejenigen aller übrigen Zweiſchaler ſind. Die Lebensweiſe der Bohrwürmer iſt, wie geſagt, am gründlichſten von Quatrefages beobachtet, ſo daß es am beſten iſt, ich gebe die wörtliche Überſetzung ſeiner Schilderung. „Man weiß“, ſagt er, „daß dieſe Weichtiere die härteſten Holzarten, wie ſie auch ſonſt be— ſchaffen ſein mögen, zerbohren. Man weiß, daß ihre Gänge mit einer Kalkröhre ausgekleidet find, womit das Tier nur an zwei, den Paletten entſprechenden Stellen zuſammenhängt. Faſt unnötig iſt es, daran zu erinnern, daß dieſe verderblichen Weichtiere ſich bisweilen ſo vermehren, daß ſie durch ihre Röhren beinahe das ganze Innere eines ſonſt ganz ge— ſunden Stückes Holz verſchwinden machen, ohne daß es, ſozuſagen, möglich wäre, äußer— lich Anzeichen jener Zerſtörungen zu finden. Endlich iſt es unrichtig, wenn man gemeint hat, die Bohrwürmer gingen immer nur in der Richtung der Holzfaſern vorwärts: fie durchbohren das Holz in allen Richtungen, und oft bietet eine und dieſelbe Höhlung die verſchiedenſten Biegungen, bald der Faſer folgend, bald ſie unter rechtem Winkel ſchneidend. Solche Biegungen ſtellen ſich immer ein, ſobald ein Bohrwurm entweder auf die Röhre einer ſeiner Nachbarn ſtößt, oder auf einen alten verlaſſenen, ſogar ſeiner Kalkauskleidung beraubten Gang. Dieſe Art von Inſtinkt bewirkt, daß, ſo zahlreich auch die Röhren in einem Stück Holz ſein mögen, ſie doch nie aneinander hängen, und daß man ſie durch Faulenlaſſen des Holzes immer vollſtändig voneinander trennen könnte. Gewöhnlich iſt der von dem Teredo gebildete Holzgang nur längs des Körpers des Tieres hin mit Kalk aus— gekleidet, am Vorderende aber das Holz unbedeckt. Adanſon, ein ſehr ausgezeichneter Molluskenbeobachter des vorigen Jahrhunderts, fand, daß der Blindſack in einigen Fällen dieſelbe Kalkbekleidung wie der übrige Gang beſäße; und einige Naturforſcher, welche dies für eine Eigentümlichkeit der ausgewachſenen Individuen hielten, haben darauf Schlüſſe für die ſyſtematiſche Verwandtſchaft der Bohrwürmer begründet; aber ſchon Deshayes beobachtete Gänge, welche durch eine Querſcheidewand in größerer oder geringerer Ent— fernung vom Vorderende abgeſchloſſen waren. Ich habe Ahnliches beobachtet. Anderſeits fand ich ſehr häufig das Ende des Ganges großer Individuen offen, während bei viel kleineren und wahrſcheinlich jüngeren Individuen dieſes Ende abgeſchloſſen war. Ich glaube daher, daß das Vorhandenſein oder der Mangel dieſer Scheidewand durchaus zufällig iſt. „Auf welche Weiſe bohrt der Teredo in dem Holze, worin er ſich einniſtet? Dieſe Frage, welche ſich alsbald dem Geiſte des Beobachters aufdrängt, iſt bis jetzt faſt ein— ſtimmig beantwortet worden. Man ſah die Schale für das Bohrinſtrument an, womit das Tier ſeine Wohnung aushöhlte. Seit einigen Jahren hat man in Frankreich und England mehrere Theorien vorgebracht, wonach man die Durchbohrung entweder einer mechaniſchen oder einer chemiſchen Thätigkeit zuſchreibt. Deshayes, der berühmte franzöſiſche Konchy— liolog, iſt für die letztere Meinung eingenommen. Der beſte ſeiner Beweisgründe iſt für Lebensweiſe und Arbeit des Bohrwurms. 487 uns die Beobachtung, daß der Muskelapparat des Teredo durchaus nicht dazu geſchickt ift, jenes vermeintliche Bohrinſtrument in Bewegung zu ſetzen und es in Drehung oder in die Bewegung von einer Seite zur anderen zu bringen, die notwendig erfolgen müſſen, wenn man ſich die beobachteten Reſultate erklären wollte. Der genannte Naturforſcher ſchreibt die Aushöhlung der Gänge der Gegenwart einer Ausſcheidung zu, welche im ſtande ſei, die Holzmaſſe aufzulöſen. An dieſer Erklärung kann etwas Wahres ſein; ſie genügt mir aber nicht, indem ſie durchaus keine Rechenſchaft über die Regelmäßigkeit gibt, welche dieſe eigentümliche Reibearbeit auf ihrer ganzen Erſtreckung zeigt. Welcher Art auch das an— gegriffene Holz ſein, welche Richtung der Gang nehmen mag, der Schnitt iſt immer ſo vollkommen deutlich, als wenn die Höhlung mit einem aufs ſorgfältigſte geſchliffenen Bohrer gemacht worden wäre. Die Wände des Ganges und ſein Vorderende ſind vollkommen glatt, wie verſchiedenartig auch die Dichtigkeit und Härte der Holzſchichten ſein mögen; und man weiß, daß bei der Tanne z. B. dieſe Verſchiedenheit ſehr groß iſt. Die Annahme, daß irgend ein Auflöſungsmittel mit ſolcher Regelmäßigkeit wirken könne, ſcheint ſehr ſchwierig. Es würde, ſcheint uns, ſchneller die zarteren und weniger dichten Holzteile angreifen, ſo daß die härteren vorſtehen müßten. Dieſer Einwurf iſt auch gegen die Annahme zu richten, wonach die Aushöhlung der Gänge der Wirkung der Waſſerſtröme zuzuſchreiben wäre, welche durch die Wimperhaare verurſacht werden. „An der Arbeit der Bohrwürmer ſcheint mir alles das Gepräge einer direkten mecha— niſchen Thätigkeit zu haben. Wenn aber das Tier hierzu nicht die Schale anwendet, wel— ches Werkzeuges ſoll es ſich bedienen? Die Löſung der Frage ſcheint mir ſchwierig. Ich will jedoch über dieſen Punkt eine vielleicht richtige Vermutung aufſtellen. Man darf nicht vergeſſen, daß das Innere des Ganges immer mit Waſſer erfüllt iſt, und daß folglich alle Stellen, welche nicht durch die Kalkröhre geſchützt werden, einer fortwährenden Auflockerung unterworfen ſind. Eine ſelbſt ſehr ſchwache mechaniſche Thätigkeit reicht zur Wegnahme dieſer ſo aufgeweichten Schicht hin, und wie dünn die letztere auch ſein mag, wenn die in Rede ſtehende Thätigkeit nur irgendwie ununterbrochen wirkt, reicht ſie hin, um die Aus— höhlung des Ganges zu erklären. Da nun die oberen Mantelfalten und beſonders die Kopfkapuze willkürlich durch Blutzufluß aufgebläht werden können und mit einer dicken Oberhaut bedeckt ſind, und die Kapuze durch vier ſtarke Muskeln in Bewegung geſetzt werden kann, ſo ſcheint ſie mir ſehr geeignet, die Rolle, um die es ſich handelt, zu ſpielen. Es ſcheint mir daher wahrſcheinlich, daß ſie das Holz abzuſchaben beſtimmt iſt, nachdem es durch die Auflockerung im Waſſer und vielleicht auch durch eine Abſcheidung des Tieres erweicht worden.“ Wir müſſen aber hier einſchalten, daß dieſer Vermutung gegenüber ſpäter der Utrechter Zoolog Harting ganz andere direkte Beobachtungen aufgeſtellt hat. Nach ihm braucht Teredo beim Bohren die zwei Klappen ſeiner Schale wie zwei Kinn— laden oder Zangenſpitzen, mit dem Unterſchied jedoch, daß ihre Bewegung nacheinander auf zwei zu einander rechtwinkeligen Ebenen erfolgt. Er hat unzählige kleine Zähnchen ent— deckt, welche ſo ſtehen, daß bei jedem Stoß die Holzmaſſe in äußerſt kleine viereckige Stück— chen zerhackt wird. Die Zähnchen ſollen ſich wenig abnutzen, weil ſie ſchneiden und nicht ſchaben und weil ſie beim Fortwachſen der Schale durch Bildung neuer Zuwachsſtreifen jedesmal von neuen überragt werden. „Die Bohrwürmer“, fährt Quatrefages fort, „vermehren ſich außerordentlich ſchnell. Man teilte mir in Paſages bei St. Sebaſtian einen Vorfall mit, der eine Vorſtellung da— von geben kann. Eine Barke verſank infolge eines Unfalles im Frühjahr. Nach 4 Mo— naten wurde ſie von den Fiſchern wieder gehoben, in der Hoffnung, Holzwerk davon ge— brauchen zu können. Aber in dieſem kurzen Zeitraum hatten die Bohrwürmer ſie ſo zer— freſſen, daß Planken und Balken ganz durchlöchert waren. 488 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. „Bohrwürmer, welche man aus ihren Röhren und Gängen herausnimmt und nackt in ein Gefäß legt, leben ganz gut fort, und ich habe deren über 14 Tage erhalten. Ich konnte deshalb mit Bequemlichkeit einige Züge ihrer Lebensthätigkeiten ſehen, welche man bei den gewöhnlichen Muſcheln ihrer Schalen wegen ſo ſchwer beobachtet. Von der Atmung iſt nur zu ſagen, daß ſie wie bei allen Zwiſchenſchalern mit doppelten Mantelröhren von ſtatten geht. Die kleinen Franſen am Ende der unteren Röhre haben augenſcheinlich den Zweck, gewiſſe fremde Körper zu erkennen, welche dem Tiere ſchaden könnten. Man braucht ſie nur ganz leiſe zu berühren, um ſogleich die Röhren ſich ſchließen zu ſehen. Wenn ich jedoch mit einem zugeſpitzten Glasrohre mit Indigo gefärbtes Meerwaſſer in die unmittelbare Nähe des einführenden Sipho brachte, verriet nichts, daß dieſe fremde Sub— ſtanz das Tier ſtörte, und faſt unmittelbar darauf ſah ich den Farbſtoff wieder durch die Afterröhre austreten. Die von ihren Kalkröhren umſchloſſenen Bohrwürmer laſſen ihre Siphonen ſehr oft heraustreten, und dieſe halten ſich immer jo, daß das ausgeatmete Waſſer ſich nicht mit dem zu den Kiemen einſtrömenden vermiſcht. Auch die in ein Gefäß geſetzten Exemplare geben ihren Siphonen eine ſolche Stellung, und man ſieht dieſe Teile bald eine längere Zeit hindurch unbeweglich verharren, bald mit ziemlicher Geſchwindigkeit nach allen Richtungen ſich biegen. — Die Bewegungen, welche die in den Gefäßen befind— lichen Tiere ausführen, beſchränken ſich auf langſame Ausdehnungen und etwas ſchnellere Zuſammenziehungen, durch welche ſie gelegentlich ihren Platz verändern können; ordent— lich zu kriechen ſind ſie aber nicht im ſtande. In ihren Röhren müſſen dieſe Bewegungen noch beſchränkter ſein. Da ſie unveränderlich an den beiden, den Paletten entſprechenden Stellen befeſtigt ſind, können ſie den vorderen und den hinteren Körperteil gegen dieſen Punkt heranziehen; das iſt aber auch alles. Nichts in der Beſchaffenheit ihrer Muskeln zeigt an (im Widerſpruch zu den oben mitgeteilten Beobachtungen Hartings), daß ſie Drehungen um ihre Achſe ausführen könnten, und ich habe nichts desgleichen beobachtet. „Legt man einen aus ſeiner Röhre herausgenommenen Bohrwurm auf den Boden eines Gefäßes, ſo iſt er ſichtlich zuſammengezogen. Bald entfaltet er ſich, und obwohl er ſich um das Dreifache ſeiner Länge ausdehnt, nimmt die Dicke doch ſehr wenig ab. Dieſe auf den erſten Anblick ſehr eigentümliche Erſcheinung erklärt ſich durch den Zufluß des Waſſers unter den Mantel und den des Blutes, welches aus den großen inneren Räumen ſich in die äußeren hineinzieht. „Die Bohrwürmer legen Eier; die Geſchlechter ſind getrennt, und die Zahl der Männ— chen viel geringer als die der Weibchen. Unter den wenigſtens 100 Stück, welche zu meinen Unterſuchungen gedient haben, fand ich nur 5—6 Männchen. Das Verhältnis der Ge— ſchlechter iſt alſo ungefähr wie 1:20. Das Eierlegen muß nach und nach vor ſich gehen und eine beträchtliche Zeit hindurch dauern, nach den Exemplaren zu urteilen, die ich in meinen Gefäßen hielt. Sie gaben mir mehrere Tage hintereinander Eier, wodurch die Eierſtöcke noch bei weitem nicht entleert waren. Die von den Weibchen gelegten Eier häufen ſich im Kiemenkanale an, wo ſie von dem mit Samenkörperchen vermiſchten und durch die Atmung eingeführten Waſſer befruchtet werden. Wenigſtens habe ich in dieſem Kanale immer Mengen von Larven der verſchiedenſten Größe gefunden. Man könnte ſich ihre An— weſenheit an dieſem Orte auch noch anders erklären. Die Larven genießen anfangs ein ausgezeichnetes Vermögen, ſich fortzubewegen und ſchwimmen ſehr ſchnell. Die Eier könnten nun auch nach außen gebracht werden und ſich dort in Larven umwandeln; letztere könnten aber, durch die Atemſtrömung eingezogen, dorthin geraten, wo ſie jene erſte Lebensperiode zuzubringen haben.“ Um die Entwickelung der Bohrwürmer zu ſtudieren, bediente ſich Quatrefages eines Mittels, das ſeit einigen Jahrzehnten zu vielen ſchönen zuſammenhängenden Entdeckungsreihen Entwickelung des Bohrwurms. — Gaſtrochänaceen. 489 im Gebiete der niederen Tierwelt geführt hat und in großartigſter Weiſe bei den Fiſchen angewendet wird: der künſtlichen Befruchtung. Was ihm dieſe ſelbſt erzogenen nicht zeigten, konnte er durch Beobachtung der in den Kiemen ſich aufhaltenden ergänzen. Für uns genügt es, hervorzuheben, daß auch nach dieſen Entwickelungszuſtänden Teredo eine echte und unverkennbare Muſchel iſt. In dem ſpäteſten Zuſtande, welcher beobachtet werden konnte, und den unſere Abbildung (S. 485) gibt, beſitzt das hirſekorngroße Tierchen eine zweiklappige, faſt kugelige Schale von brauner Farbe, aus welcher zwiſchen den Mantel— falten hervor ein beweglicher Fuß geſtreckt werden kann. Auch ragt über die Schalen ein ſehr entwickelter Segelwulſt hervor, in deſſen Mitte ſich ein Wimperſchopf befindet. Ferner iſt das junge Weichtier auf dieſer Stufe mit Augen und Ohren verſehen. In dieſem Ent— wickelungszuſtande wurden ſie durch die obere Röhre aus der mütterlichen Kieme aus— geworfen und lebten in der Gefangenſchaft noch länger als die erwachſenen Exemplare. Die Larven können nun, wie ſich aus der Beſchaffenheit ihrer Bewegungswerkzeuge ent— nehmen läßt, teils ſchwimmend, teils kriechend ſich fortbewegen. „Wenn ſie ſchwimmen, entfalten ſie ihren Wimperapparat, der ſich über die Schale legt und ſie wenigſtens zur Hälfte bedeckt. Einen ſehr ſonderbaren Anblick gewährt es, ſie mit der Geſchwindigkeit eines Rotifer oder einer Hydatina das Waſſer durchſchneiden zu ſehen. Die Wimper— bewegung macht, daß ſie wie mit einem prächtigen Farbenkreis umgeben erſcheinen, den man ſchon mit bloßen Augen wahrnimmt, der aber unter der Lupe und bei einer gewiſſen Beleuchtung von einem ganz außerordentlichen Glanze iſt. Dieſes Schwimmen iſt nie von langer Dauer, und am häufigſten machen die Larven Gebrauch von ihrem Fuße.“ Weiter konnten die Larven in ihrer Entwickelung nicht beobachtet werden; es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß ſie ſich kurze Zeit darauf am Holze feſtſetzen und, in dasſelbe nach und nach eindringend, ihre letzte Umwandlung beſtehen. Ihr Lebenslauf ſcheint übrigens ein auffallend kurzer zu ſein. Die Holzſtücke, welche Quatrefages im Oktober unterſuchte, ſtaken gewöhnlich ganz voll von Tieren. Später wurden dieſe ſeltener, und Ende Januar konnte ſich der Forſcher nur mit Mühe einzelne Individuen verſchaffen. Man verſicherte ihn auch, daß man nur im Sommer die „Würmer“ in großer Anzahl im Holzwerk träfe, und daß ſie im Winter faſt alle abſtürben. Quatrefages will daraus ſchließen, daß bei Teredo, wie bei manchen Inſekten, der Fortbeſtand der Art nur durch einige Individuen geſichert iſt, welche den Unbilden der ſchlechten Jahreszeit widerſtehen, und daß auch dieſe abſterben, kurz nachdem ſie Eier gelegt oder die Larven, welche die Mantelfalten einſchließen, in Frei— heit geſetzt haben. Einen gefährlichen, ſeine Verbreitung und zerſtörenden Wirkungen jedoch nicht hin— dernden Feind hat der Bohrwurm in einem Ringelwurm, der Nereis fucata. Die Larven dieſer Raub-Annelide leben mit den Teredo-Larven zuſammen, und die reife Form findet man in den Röhren des Teredo. Sie frißt ſich unter die Haut des letzteren ein und zehrt ihn allmählich auf. In der Familie der Gaſtrochänaceen werden noch einige teils durch Neſterbau, teils durch eigentümliche Kalkröhren ausgezeichnete Sippen vereinigt. So Gastrochaena. Das Tier hat einen dicken, bis auf eine enge vordere Offnung für den Austritt des Fußes ganz geſchloſſenen Mantel, der hinten in zwei, ihrer ganzen Länge nach verwachſene Si— phonen verlängert iſt. Der Fuß iſt ſehr klein, ſpitz und trägt einen Byſſus. Das Ge— häuſe iſt gleichſchalig, beinahe keilförmig dünn, auf der Bauchſeite, namentlich nach vorn hin, ſtark klaffend und reicht zum Schutze der Weichteile des Tieres nicht aus. Einige Arten, wie Gastrochaena modiolina (Abbild. umſtehend) von der engliſchen Küſte, leben 490 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. in Felsſpalten und verbinden kleine Steinchen und Muſcheltrümmer zu einer Art von flaſchenförmigem Neſt, welches die Schale gänzlich einſchließt. Die Außenſeite desſelben iſt rauh, die Innenſeite glatt und beſteht aus dünnen Lagen einer kalkigen Abſonderung des Tieres. Das Neſt iſt ganz geſchloſſen bis auf die Mündung des Halſes für die Siphonen. Mit dem Wachstum des Tieres wird auch das Neſt vergrößert und deſſen Hals verlängert. Dieſelbe Art, von der hier die Rede, ſoll jedoch auch zugleich ſich in weichere und härtere Felſen einbohren können, während andere Arten nur dieſe Gewohnheit haben und im Inneren von Muſchelſchalen, Korallen, Balanusmaſſen leben, wo ſie ſich mit einer unvoll— ſtändigen Röhre umgeben. Bei der anderen, ihr nahe ſtehenden Gattung Clavagella iſt die eine Schalenhälfte ganz mit einer kalkigen keulenförmigen Röhre verwachſen, die andere iſt frei in derſelben. Dieſe Röhre ſteckt bald frei im Sande, bald iſt ſie in Korallen, Felſen, Balanusmaſſen feſtgewachſen. Das vordere Ende hat oft eine Spalte und offene kleine Röhrchen, das hintere Ende iſt frei. Dieſe Röhrchen werden durch fleiſchige, in unbeſtimmter Anzahl aus dem Mantel hervorwachſende Fäden abgeſondert. Dieſe Tiere, von denen zwei Arten im Mittelmeere, die anderen in den Meeren der heißen Zone leben, bilden den Übergang zur Siebmuſchel (As— pergillum). Wir haben in A (ſ. Abbild., S. 491) das aus der Röhre herausgenommene Tier, das von einem faſt vollkommen geſchloſſenen, ſackförmigen oder flaſchenförmigen Mantel (a) eingehüllt iſt. Unſere Figur zeigt denſelben in einem ſehr zuſammengezogenen Zu— ſtande. Er geht vorn in eine Art Scheibe (b) über, in deren Mitte ſich ein mit der Spalte des Gehäuſes korre— J ſpondierender Schlitz (e) findet. Dicht dahinter iſt eine pergrößert. b) Nest; natürliche Größe punktförmige Offnung (d) für das entſprechende kleine Fußende. Die hintere Hälfte des Mantels iſt quer gerunzelt und endigt mit den beiden Siphonalöffnungen (e). Die dem Gehäuſe der übri— gen Muſcheln entſprechenden Schalen ſind bei Aspergillum ſehr zurückgeblieben, ein Paar kleine Blätter, in eine lange cylindriſche oder nach hinten enger werdende und da— jelbit offene Kalkröhre eingewachſen. Das vordere Ende (B) bildet eine Scheibe, welche eine Spalte in der Mitte und auf der Fläche und am Rande zahlreiche kleine, offene Röhrchen hat. Das nördlichſte Vorkommen der Siebmuſcheln iſt das Rote Meer. Sie ſtecken mit ihrem Gehäuſe ſenkrecht im Sande. Aus dem Vorhandenſein der zweiklappigen Schale, welche, obgleich der Röhre eingewachſen, doch immer ganz deutlich bleibt, kann man mit Sicherheit ſchließen, daß die jungen Tiere ſich von dem Ausſehen der übrigen, normal gebauten Muſcheln nicht entfernen werden. Bei den folgenden Familien und Sippen fehlt die Mantelbucht. Wir beſchränken uns jedoch auf die Bekanntſchaft mit einer einzigen. Die Cardiaceen umfaſſen unter den lebenden Muſcheln faſt nur die allerdings ſehr artenreiche und von den Konchyliologen wieder in mehrere Unterabteilungen gebrachte Sippe Herzmuſchel (Cardium), davon benannt, daß das Gehäuſe von hinten oder vorn herzförmig ausſieht. Es hat hervorragende, eingerollte Wirbel, von welchen aus ſtrahlenartig Rippen nach dem Rande ſich erſtrecken. Das Tier hat den Mantel vorn bis über die Hälfte der Länge geſpalten. Hinten iſt er mit zahlreichen langen Franſen Siebmuſchel. Herzmuſchel. 491 beſetzt und läuft in zwei kurze, ebenfalls mit Franſen beſetzte Röhren aus. Der Fuß iſt ſehr groß, rund und mit einem Knie gebogen. Eine, wenn auch mit manchen Ungehörig— keiten ausgeſchmückte Schilderung einer engliſchen Küſtenſtrecke mit ihren Herzmuſcheln gibt Goſſe: „Wollen wir heute den Sand unterſuchen? Eine breite, der See gut aus— geſetzte Sandfläche iſt für den Naturforſcher kein ungünſtiger Jagdgrund, ſo leer er ſcheint und ſo ſprichwörtlich ſeine Unfruchtbarkeit, — leer wie der Sand an der Seeküſte. Dann beſonders kann man auf Beute rechnen, wenn, wie es oft der Fall iſt, die weite Fläche gelben Sandes von einer oder mehreren Stellen rauher Felſen unterbrochen wird. Der Goodrington-Sand in der Bai von Torquay (Südküſte von Devonſhire) erfüllt gerade dieſe Bedingungen; und dahin wollen wir am heutigen Aprilmorgen unſere Schritte lenken. „Wir verfolgen unſeren Weg auf der ſtaubigen Hauptſtraße, welche der Küſte ent— lang von Torquay ſüdwärts führt, indem wir dann und wann auf die Felſen und die zurückweichende Ebbe unſere Blicke werfen. Wilde Hyazinthen ſchauen zwiſchen dem üppigen Blattwerke der Arums und Neſſeln hervor; überall Farnkräuter und Schlüſſelblumen, die entweder in zuſammenhängenden Maſſen ſproſſen oder nur wie einzelne Sterne die grüne Fläche beſetzt halten; das lichte Himmelsröschen lächelt, und der immer liebliche Gamander— Ehrenpreis, die lichteſte, ſüßeſte aller Frühlingsblumen, erfreut uns da und dort, gleich A) Siebmuſchel, Tier (Aspergillum vaginiferum). B) Vorderende der Schale der javaniſchen Siebmuſchel. Natürliche Größe. Engelsaugen, wie unſere Landleute poetiſch dieſe ſchön hellblauen Blumen nennen. Nach— dem wir uns nochmals nach den amphitheatraliſchen Hügeln von Torquay umgeſehen, gelangen wir zu dem lang hingeſtreckten Dorfe Paington, das maleriſch mitten in Obſt— gärten ſteckt. Die Häuſer ſind ſo in den Apfelbäumen begraben, daß nur die braunen, vom Alter gefleckten Strohdächer hier und dort hervorragen wie Inſeln in einem Meere rötlicher Blüten. Auf der anderen Seite aber dehnen ſich Weidedickichte aus, wo die jungen zartgrünen Schößlinge, die Hoffnung des Herbſtes, dicht von den ungeſchlacht abgekappten Stumpfen ſich erheben, während das ſtille Waſſer rings um ihre Wurzeln erglänzt. Wir biegen durch eine enge Gaſſe zur Linken ab und befinden uns nach einem Augenblicke auf einer mooſigen, blumigen, mit Farn bedeckten Fläche. Durch das offene Thor einer Villa ſehen wir wieder auf einen ſchönen Garten, deſſen zahlreiche alte Tamarisken, die über und über mit ihren gefiederten Blättern beladen ſind, den Seewall bedecken. Endlich eröffnet ſich uns die ganze Ausdehnung von Küſte und See, und die Wagenräder ſinken plötzlich 6 Zoll tief in den feuchten Sand ein. Wie glänzt und flimmert die weite Silberſee unter der aufſteigenden Sonne. Kaum kräuſelt ein leichter Wind ihre Spiegelfläche. Doch weiter draußen in der offenen See laſſen tiefblaue Linien und Streifen erkennen, daß ab— und zukommende Windſtöße das Waſſer erregen. „Wir ſind am Goodrington-Sand. Denn hier zur Linken befindet ſich der vorgeſtreckte ſteile Abfall von rotem, horizontal geſchichtetem Sandſtein, bekannt unter dem Namen „Roundham Kopf‘; jenſeit desſelben ſehen wir „Hope's Naſe“ und die beiden fie be: wachenden Inſelchen. Auf der anderen Seite erſtreckt ſich der lange mit dem „Berry 492 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Kopf‘ endigende Landwall ebenſoweit vor, und wir befinden uns am Rande der tiefen Bucht ungefähr gleich weit von beiden Landſpitzen. Unmittelbar vor der Mündung des grünen Heckenganges, der in einiger Entfernung vom Strande beginnt und ſich bis zur See erſtreckt, liegt eine niedrige ſchwarze Felsmaſſe, beſetzt mit Meereicheln (Balanus). Sie iſt ſehr zerriſſen, und enge, gewundene, mit Sand bedeckte Gänge durchſchneiden ſie in allen Richtungen, und überall ſind in den Höhlungen ſeichte, ruhige Waſſertümpel zurückgeblieben. Das ſind kleine, niedliche Seegärten, dieſe Tümpel. Hellgrüne Blätter von Ulva ſchwimmen im Waſſer; Knorpeltangbüſchel erglänzen in ſtahlblauem, edelſteinähn— lichem Widerſchein; lange und breite Blätter des geſättigt dunkelroten Tanges geben einen ſchönen Kontraſt zum grünen Seelattich; und alle zuſammen geben Tauſenden von wach— ſamen, unruhigen, vergnügten Lebeweſen ein geräumiges Obdach. Man hat ſchwer Gehen; der Boden iſt ſehr uneben, und der Widerſchein der Sonne auf dem Waſſer erſchwert 7 e | FR ||| 22225 2. nnn PTR. nr A \ A 2 f} * 9 Stachlige Herzmuſchel (Cardium echinatum). Natürliche Größe. einem zu ſehen, wohin man treten ſoll, während das Kommen und Gehen der kleinen Wellen auf dem Sande dazwiſchen dem verwirrten Gehirne den Eindruck macht, als ob unter dem Fuße alles in Bewegung ſei. „Was für ein Ding liegt dort auf jener Sandſtrecke, worüber das ſeichte Waſſer rieſelt, indem es den Sand darum fortſpült und jenes eben trocken ſetzt. Es ſieht wie ein Stein aus; aber ein ſchöner ſcharlachroter Anhang iſt daran, der in dieſem Augen: blicke wieder verſchwunden iſt. Wir wollen den Moment abwarten, wo die Welle zurück— geht, und dann hinlaufen. Es iſt ein ſchönes Exemplar der großen dornigen oder ſtach— lichen Herzmuſchel (Cardium rusticum oder echinatum), wegen welcher alle dieſe ſandigen Küſtenſtrecken, welche die große Bucht von Torquay einfaſſen, berühmt ſind. In der That iſt die Art kaum anderswo bekannt, ſo daß ſie in den Büchern oft als die Paington— Herzmuſchel bezeichnet wird. Mit gehöriger Kochkunſt zubereitet iſt ſie ein wahrer Lecker— biſſen. Die Umwohner um Paington kennen die ‚Rotnafen‘, wie fie dieſe großen Herzmuſcheln nennen, ſo wohl und ſuchen ſie zur Zeit der tiefen Ebbe, wenn man ſie im Sande liegen ſieht, ſobald ſie mit den gefranſten Röhren gerade an der Oberfläche erſcheinen. Sie ſammeln dieſelben in Körben, und nachdem man ſie einige Stunden im kalten Quellwaſſer gereinigt hat, bratet man ſie in einem Teige aus Brotkrume. So berichtet ein alter Kenner der Muſcheln und ihrer Tiere aus dem vorigen Jahrhundert. Nun, die Tiere haben ihre Gewohnheiten und Standorte nicht verändert; noch heute finden ſie ſich auf denſelben Stachlige und eßbare Herzmuſchel. 493 Plätzen, wie vor 100 Jahren. Auch ihren Ruf haben ſie nicht eingebüßt; im Gegenteil ſind ſie in die Gunſt mehr verfeinerter Gaumen aufgeſtiegen, indem die Landleute die wohlſchmeckenden Muſcheln für die vornehme Welt von Torquay ſammeln, ſich ſelbſt aber mit der geringeren und kleineren eßbaren Herzmuſchel (Cardium edule) begnügen, welche die Schlammbänke vor den Flußmündungen dem Sandſtrande vorzieht, jedoch auch hier nicht ſelten iſt. Dieſe letztere, obgleich der großen dornigen Art im Geſchmacke ſehr nachſtehend, bildet doch einen viel wichtigeren Artikel unter den menſchlichen Nahrungs— mitteln, weil ſie viel allgemeiner vorkommt, in ungeheuerer Menge, und leicht einzuſam— meln iſt. Wo immer die Ebbe eine Schlammſtrecke entblößt, kann man ſicher ſein, die gemeine Herzmuſchel zu finden, kann man Hunderte von Männern, Weibern und Kindern über die ſtinkende Fläche treten ſehen, wie ſie ſich bücken und die Muſcheln zu Tauſenden aufleſen, um ſie entweder zu ſieden und ſelbſt zu eſſen, oder auf den Gaſſen und Wegen der benachbarten Städte zu geringem Preiſe auszubieten. „Den größten Überfluß an ihnen haben jedoch die Nordweſtküſten von Schottland. Dort bilden ſie nicht einen Luxusgegenſtand, ſondern eine Lebensnotwendigkeit für die arme, halbbarbariſche Bevölkerung. Die Bewohner dieſer felſigen Gegenden ſtehen in dem nicht beneidenswerten Rufe, für gewöhnlich von dieſem geringen Nahrungsmittel abhängig zu ſein. Wo ſich der Fluß bei Tongue in die See ergießt, ſagt Mac Culloch, iſt die Ebbe beträchtlich, und die langen Sandbänke enthalten einen ganz beiſpielloſen Überfluß an Herzmuſcheln. Jetzt gerade, in einem teuren Jahre, bieten ſie täglich beim Nieder— waſſer ein eigentümliches Schauſpiel, indem ſich Männer, Weiber und Kinder dort drängen und ſo lange, als die Ebbe es erlaubt, nach dieſen Muſcheln ſuchen. Auch konnte man nicht ſelten 30 — 40 Pferde aus der Umgegend ſehen, um ganze Ladungen davon viele Meilen weit zu verfahren. Ohne dieſe Hilfe hätten, es iſt nicht zu viel geſagt, viele Menſchen Hungers ſterben müſſen. — Auch die hebridiſchen Inſeln Barra und Nord-Uiſt beſitzen ungeheuere Hilfsquellen dieſer Art. Man kann die Anhäufung ſolcher Muſchel— bänke, ſagt Wilſon, nicht leicht berechnen, aber zu erwähnen iſt, daß während einer ganzen, eine gute Reihe von Jahren dauernden Periode von Not alle Familien von Barra (damals gegen 200) um ihrer Ernährung willen zu den großen Küſtenſandbänken am Nordende der Inſel ihre Zuflucht nahmen. Man hat berechnet, daß zur erwähnten Zeit während einiger Sommer täglich zur Zeit der niedrigſten Ebben während der Monate Mai bis Auguſt nicht weniger als 100 — 200 Pferdeladungen geſammelt wurden. Die Bänke von Barra ſind ſehr alt. Ein alter Schriftſteller thut ihrer Erwähnung und ſagt, es gäbe in der ganzen Welt keinen ſchöneren und nützlicheren Sand für Herzmuſcheln. „Aber die ganze Zeit hindurch hat unſere ſchöne Muſchel uns zu Füßen gelegen und geſchnappt und geklafft und ihren großen roten Fuß vorwärts und abwärts geſtreckt und gewartet, bis wir Muße finden würden, ſie aufzuheben. Sie ſoll nicht länger vernach— läſſigt werden. Die zweiſchalige Muſchel iſt ein ſchönes, ſolides Gehäuſe von Stein, maſſiv, ſtark und ſchwer, elegant mit vorſtehenden Rippen ausgekehlt, welche regelmäßig von den gekrümmten Spitzen der beiden Schalen ausſtrahlen und mit glatten Dornen beſetzt ſind. Die Farben der Muſchel ſind anziehend, aber durchaus nicht prächtig; ſie beſtehen aus reichen und warmen gelblich und rötlich braunen Tinten in konzentriſchen Streifen. Gegen die Wirbel hin verlieren ſie ſich in ein Milchweiß. Das Tier, welches dieſe ſtarke Feſtung bewohnt, iſt hübſcher, als Muſcheltiere zu ſein pflegen. Die Mantelblätter ſind dick und, entſprechend den Schalenhälften, konvex. Die Ränder ſind in der Nähe der Siphonen ſtark gefranſt, und letztere ſind kurze Röhren von beträchtlichem Durchmeſſer und mit— einander verwachſen. Gegen die Ränder zu iſt der Mantel von ſchwammiger Beſchaffen— heit, aber gegen die Wirbel, wo er die Schale auskleidet, iſt er dünn und faſt häutig. 494 Weichtiere. Vierte Klaſſe: Muſcheln; zweite Ordnung: Zweimuskler. Die Farbe ſeiner vorderen Teile iſt ſehr reich, ein ſchönes, glänzendes Orange, die zottige Tentakeleinfaſſung aber bläſſer. Auch die Röhren ſind orange, ihre Innenfläche aber weiß, mit einem perlenartigen Schimmer.“ Die etwas gar zu naive Beſchreibung des Fußes, welchen unſer engliſcher Schriftſteller unter anderem mit einer durch die geöffneten Thüren eines Geſellſchaftszimmers tretenden Dame vergleicht, dürfen wir übergehen. Hören wir aber noch, wie ihn die Muſchel gebraucht. „Sie ſtreckt den langen, ſpitz zulaufenden Fuß ſoweit wie möglich (4 Zoll über den Muſchelrand) hervor, welcher nach irgend einer Widerſtand leiſtenden Oberfläche taſtet, z. B. jenem halb im Sande begrabenen Stein. Kaum fühlt er ihn, ſo wird das hakig gebogene Ende ganz ſteif dagegen geſtemmt, der ganze Fuß durch Muskelkontraktion (richtiger wohl durch die Schwellgefäße) ſtarr gemacht und das ganze Geſchöpf Hals über Kopf 2 Fuß und weiter fortgeſchnellt. Gelegentlich kann die Herzmuſchel noch ſtärker ſpringen; ſchon manche hat ſich vom Boden des Bootes aus über Bord hinweg aus dem Staube gemacht. Wir ſehen alſo, daß einmal die hakige Spitze zur Verſtärkung der Springbewegung dient. In noch direkterer Beziehung ſteht ſie aber zur Gewohnheit des Tieres, zu graben. Wie alle übrigen Arten dieſer ſchönen Sippe wohnt auch dieſe im Sande, wo hinein ſie mit beträchtlicher Gewalt und Schnellig— keit dringen kann. Zu dieſem Behufe wird der Fuß ausgeſtreckt und ſein ſcharfes Ende ſenkrecht in den naſſen Sand getrieben. Die angewendete Muskelkraft reicht hin, mit der ganzen Länge in den feuchten Boden einzudringen, indem die Spitze plötzlich ſeit— wärts gebogen wurde und ſo einen ſtarken Haltepunkt gibt. Nun wird das ganze Organ ſtark der Länge nach zuſammengezogen und Tier und Schale kräftig gegen die Mündung der Höhlung angetrieben; die nach unten gerichteten Ränder der Schale werfen den Sand etwas zur Seite. Die vorgeſtreckte Spitze wird dann 1 oder 2 Zoll weiter getrieben, wiederum gekrümmt und ein zweiter Ruck gemacht. Die Muſchel ſinkt etwas tiefer in den nachgiebigen Sand, und dieſelbe Reihenfolge von Bewegungen wiederholt ſich, bis das Tier ſich hinreichend tief vergraben hat. Die Verlängerungen und Zuſammenziehungen des Fußes geſchehen mit großer Geſchwindigkeit.“ Die eßbare Herzmuſchel gehört mit anderen ihrer Gattung zu den zählebigen Weich— tieren, welche ſehr große Veränderungen der Salzprozente des Meeres aushalten und daher ihr Vorkommen weit über die Grenzen ausdehnen, welche den für den Salzgehalt ihrer Umgebung empfindlicheren Tieren geſetzt ſind. Dies gilt namentlich für ihre Ver— breitung in der Oſtſee und im Finniſchen und Bottniſchen Meerbuſen. Bei Gelegen— heit einer klaſſiſchen Unterſuchung über die Lebensbedingungen der Auſter kommt L. E. von Baer darauf zu ſprechen. Er ſagt: „Cardium edule, das in der Nordſee die Größe eines kleinen Apfels erreicht, fand ich an der Küſte von Schweden, ſüdlich von Stockholm, außer dem Bereiche des ſüßen Waſſers aus dem Mälar und der Strömung aus dem Bottniſchen Buſen, noch bis zur Größe einer Walnuß, aber nur in bedeutender Tiefe; in der Nähe des Ufers waren die ausgeworfenen alle kleiner. Bei Königsberg pflegen ſie nur die Größe von guten Haſelnüſſen zu erreichen, bei Reval aber kann man ſie nur mit kleinen Haſelnüſſen oder mit grauen Erbſen vergleichen, die größer als die gewöhnlichen gelben Erbſen zu ſein pflegen.“ Auch die eßbare Miesmuſchel findet ſich noch dort, aber ſo verkümmert und klein, daß ſie nicht mehr zum Genuſſe einladet. Zu dieſen und anderen, dem eigentlichen wohlgeſalzenen Meere entſtammenden Muſcheln geſellen ſich dann, ſich in umgekehrter Richtung akkommodierend, Süßwaſſertiere, namentlich Limnaeen und Palu— dinen. Was aber die Herzmuſcheln betrifft, ſo gibt das Kaſpiſche Meer weitere Belege für ihre Fähigkeit, ſich zu akkommodieren und umzuformen. Die Okachelhäuter. Die Stachelhäuter (Echinodermata). Die Tiere, welche wir bis jetzt zu betrachten Gelegenheit genommen haben, waren entweder bilateral-ſymmetriſch, d. h. ihr Körper konnte durch eine beſtimmte Schnittfläche in zwei Hälften zerlegt werden, die wenigſtens äußerlich ſpiegelbildlich gleich waren, oder er war, wie bei den meiſten Weichtieren und ſonſt noch hin und wieder, in den meiſten oder in allen Teilen aſymmetriſch. Die beiden jetzt ſich anſchließenden Tierkreiſe, derjenige der Stachelhäuter und der der Hohltiere, verhalten ſich in dieſer Beziehung anders. Indem ſich hier mehr als zwei ſpiegelbildlich gleiche Körperſtücke oder Antimeren um eine zentrale Achſe herum gruppieren, wird der Bau der Tiere ſtrahlig. In den meiſten Werken über Tierkunde, wiſſenſchaftlichen und populären, welche ſeit 1819 bis in die neuere Zeit erſchienen, werden denn auch neben den großen Kreiſen der Wirbel— Glieder-, Weichtiere und Würmer die beiden zunächſt übrigbleibenden als die ſogenannten Strahltiere zuſammengefaßt. Abgeſehen davon, daß man, wie Cuvier, der Schöpfer dieſes Kreiſes, genötigt war, ganze Scharen von Tieren hier unterzubringen, welche nichts weniger als „ſtrahlig“ oder ſternförmig gebaut ſind, mußte man ſich doch auch ſagen, daß alle die Tiere, die man mit Recht mit jenem Namen bezeichnen konnte, nicht einen Gegenſatz zu den einzelnen vier anderen Kreiſen, ſondern zu ihrer Geſamtheit bilden, in— ſofern nämlich jene einem nach rechts und links ſymmetriſchen Grundplane des Baues folgen. Die Cuvierſchen Strahltiere ſind alſo ebenſowenig an ſich als natürliche Abteilung zu— ſammengehörig, als man dies von einer die Wirbel-, Glieder, Weichtiere und Würmer in ſich aufnehmenden Abteilung ſagen könnte. Die neuere wiſſenſchaftliche Tierkunde hat daher mit Recht faſt allgemein von jener Benennung abgeſehen oder ſie nur aus Rückſicht der bequemeren äußerlichen ſyſtematiſchen Handhabung beibehalten. Dem bloß ordnenden und ſichtenden Auge und Verſtande will es allerdings nicht recht einleuchten, daß die auf etwa viertehalbtauſend foſſile und lebende Arten ſich belaufenden Stachelhäuter denſelben Rang einnehmen ſollen wie die nach einigen Hunderttauſend zählenden Gliedertiere oder die wenigſtens nach Zehntauſenden zählenden Weichtiere. Allein wir müſſen immer unſerer höchſt lückenhaften Kenntniſſe der Vorwelt eingedenk bleiben, und außerdem finden wir, daß innerhalb der Tauſende von Arten der Stachelhäuter ſolche Verſchiedenheiten auftreten, welche die Gruppen nicht minder voneinander entfernen als innerhalb der Weichtiere etwa die Schnecken von den Muſcheln, innerhalb der Gliedertiere die Spinnen von den Inſekten. Der ſtrahlige Bau, von dem auch ſonſt im Tierreiche hin und wieder noch Spuren auftreten, kann allein keinen Grund abgeben, die Stachelhäuter mit den Hohltieren zu vereinigen oder auch nur nähere verwandtſchaftliche Beziehungen zwiſchen beiden Tierkreiſen Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 32 498 Stachelhäuter. zu vermuten. Es konnte ſehr wohl innerhalb zweier Tierſtämme ein derartiges Organi— ſationsverhältnis ſelbſtändig und unabhängig erworben werden, wobei freilich zugegeben werden muß, daß es, wie wir aus entwickelungsgeſchichtlichen Thatſachen entnehmen können, höchſt wahrſcheinlich iſt, daß die Vorfahren ſowohl der Hohltiere als der Stachelhäuter bilateral-ſymmetriſche Geſchöpfe geweſen ſind. Die bilaterale Symmetrie, welche uns ſo— wohl bei Quallen und Polypen als bei Seeſternen und Seewalzen in erwachſenem Zu— ſtande entgegentritt, hat mit jener alten urſprünglichen nichts zu thun, ſie iſt eine neue Errungenſchaft, das Reſultat einer ſekundären Anpaſſung urſprünglich ſtrahliger Formen. Bei den Hohltieren iſt die Zahl der Antimeren, welche ſich um die Polachſe anordnen, normalerweiſe 4 oder 6 oder ein Mehrfaches dieſer beiden Zahlen, bei den Stachelhäutern iſt aber die typiſche Grundzahl 5. Teilen wir nun eine Antimere eines Hohltieres genau in eine rechte Hälfte und verlängern die halbierende Schnittfläche über die Mittelachſe hinaus, ſo werden wir finden, daß wir durch ihre Fortführung die gegenüberliegende Antimere gleichfalls teilen; das verhält ſich bei den Stachelhäutern anders. Nehmen wir an, wir hätten die charakteriſtiſchſte Form, einen Seeſtern, vor uns und halbierten auch eine der fünf Antimeren, die hier Radius oder Strahl heißen, ſo würden wir ſehen, daß der Schnitt, wenn wir ihn über die Polachſe verlängerten, nicht wieder einen Strahl, ſondern den Zwiſchenraum zwiſchen zwei Strahlen oder einen Zwiſchenſtrahl (Interradius) teilen würde. Auch würden wir bei Seeſternen und Seeigeln, ſie mögen ſonſt ſo regulär gebaut ſein wie ſie wollen, einige weitere Unregelmäßigkeiten im äußeren Bau bemerken. Wäre derſelbe ganz ſtreng regelmäßig, dann müßten in der Einzahl vorhandene Organe genau zentral liegen, wie es der Mund bei den ganz regulären Formen auch thut; mit dem After aber und mit der ſpäter näher zu erwähnenden Madreporenplatte iſt das nicht der Fall, ſie liegen beide dezentral. Die Geſtalt der Echinodermen oder Stachelhäuter iſt ſehr mannigfach: ſternförmig, oft mit ſehr langen Strahlen oder fünfeckig mit geraden Seiten, kugelig bis kegelförmig einer- und platt kuchenförmig anderſeits; manche Formen ſind von eleganter Herzform, andere häßlich wurmartig verlängert, und die Formen einer Klaſſe ſitzen zeitlebens oder doch in der Jugend mittels eines Stieles auf Steinen, im Sande oder an anderen Gegen— ſtänden feſtgeheftet. Den Namen Echinodermen verdanken unſere Tiere dem Danziger Arzt und Gegner Linnés, Jakob Theodor Klein, und er paßt auf die Seeigel, allenfalls noch auf eine Reihe von Seeſternen, aber nicht auf die Seewalzen, Schlangenſterne und Haarſterne, welche nichts weniger als ſtachlig ſind. Kalkgebilde finden ſich zwar in der Haut aller Stachelhäuter, aber in außerordentlich verſchiedenem Umfang, bisweilen nur als mikro— ſkopiſch kleine Einlagerungen, während ſie in anderen Fällen große, ziemlich dickwandige und faſt allſeitig geſchloſſene Kapſeln bilden. In keinem Falle haben wir es jedoch bei den Echinodermen mit ſolchen Gehäuſen zu thun, welche als Ausſcheidungen ſich mit den Muſchelſchalen und Schneckenhäuſern vergleichen ließen, vielmehr ſind es immer wahre Verkalkungen der Haut ſelbſt. Alle Stachelhäuter haben einen geſchloſſenen Darmkanal, ein wichtiges Merk— mal, welches ſie von den übrigen Strahltieren, den heute ſogenannten Coelenteraten, trennt, und eine bei den Seeigeln ſehr geräumige Leibeshöhle. Hiermit verbindet ſich ein weit mehr in die Augen fallendes Merkmal, die Saugfüßchen oder Pedicellen, deren regel— mäßige Reihen Ambulacra genannt werden. An getrockneten Exemplaren irgend welcher in den Sammlungen aufbewahrter Stachelhäuter kann man ſich über dieſe eigentümlichen Organe nicht unterrichten; auch Spirituspräparate geben nur eine ſehr unvollſtändige Vorſtellung. Aber ein lebendiger Seeſtern, den wir zur Beobachtung in einer mit Waſſer Allgemeine Merkmale der Stachelhäuter. 499 gefüllten Schüſſel vor uns haben, läßt alsbald das feſſelnde Schauſpiel der Thätigkeit ſeiner Saugfüßchen ſehen. Aus den Rinnen, welche an der Unterſeite der Strahlen verlaufen, werden Hunderte von häutigen Hohlcylindern vorgeſtreckt, am Ende mit einer Saugſcheibe verſehen. Dieſe Scheibchen haften an dem nächſten beſten Gegenſtande, und wenn eine hinreichende Anzahl vorgeſtreckt und geankert iſt, wird der Körper durch Zuſammen— ziehung der ausgedehnten Saugfüßchen langſam nachgezogen. Um die äußerſte Regſam— keit der Ambulacra eines Seeſternes zu ſehen, muß man ihn ganz friſch aus dem Waſſer nehmen und auf den Rücken legen; dann geraten ſämtliche Füßchen in Thätigkeit, ſtrecken, recken und biegen ſich wie Würmer und taſten, ob ſie nicht auf Haltepunkte ſtoßen, wo ſie ſich anlegen, und von wo aus ſie den bedrängten Rieſenkörper wieder in die natur— gemäße Lage wenden könnten. Die Seeſterne und Seeigel bewegen ſich mittels der Füß— chen auf der Fläche, in welcher ſich der Mund befindet, welche daher auch Mund- oder Ambulacral:, fälſchlich auch Bauchfläche heißt. Die andere oberſeitliche Fläche nennt man die antambulacrale, oder bei regelmäßigen Formen, wo in ihr der After ſich befindet, Afterfläche und entſprechend der Bauchfläche gelegentlich auch Rückenfläche. Das Aufrichten und Ausſtrecken der Füßchen geſchieht dadurch, daß von innen Waſſer in ſie gepreßt wird. Jedem äußeren Cylinderchen entſpricht ein inneres Bläschen, welches mit einem beſondern Zweige eines Waſſergefäßſyſtems in Verbindung ſteht. Dieſes Kanalſyſtem empfängt ſeinerſeits das friſche Waſſer durch beſtimmte Offnungen oder labyrinthiſch und ſiebförmig durchbrochene Platten (Madreporenplatten) und dient zugleich, uns an ähnliche Vor— richtungen der Strudelwürmer und anderer erinnernd, als Atmungsorgan. Die Wand der Saugfüßchen iſt reich mit Muskelfaſern verſehen, deren Zuſammenziehung die Verkür— zung und den Rücktritt des Waſſers in das innere Bläschen bewirkt. Die Wandung der Hohlcylinder iſt mit Längsmuskelfaſern verſehen, während ihre Außenſeite aus Binde— gewebe beſteht. Das freie Ende iſt öfters verbreitert, bisweilen mit zierlichen Kalkein— lagerungen ausgeſtattet und mit einem muskelfreien Ringwulſt umgeben. Das Anheften der Seeſterne beſchreibt William Preyer folgendermaßen: „Beginnt Asterias, Echinaster, Luidia, Ophidiaster ſich anzuheften, ſo werden zuerſt mehrere Pedicellen ſtark extendiert und ſchon während der Füllung derſelben mit Waſſer vom Waſſergefäß die Endplatte mit dem muskelfreien Ringwulſt gegen die Wand (eine Glasplatte eignet ſich am beiten zur Beobachtung) gedrückt. Jetzt zieht ſich durch Kontraktion der longitudinalen Muskelfaſern in der Wandung des Füßchens die Endplatte zurück, während der überſtehende Rand luft— dicht an der Wand haften bleibt, da er nicht mit zurückgezogen wird, während die Platte wie ein Stempel in einer Spritze zurückgeht und der Waſſerdruck ſamt dem Luftdruck von außen auf das Füßchen wirkt. Es entſteht alſo ein kleiner luftleerer, mit Waſſerdampf gefüllter Raum am Ende des Saugfüßchens; begrenzt iſt derſelbe durch die Glaswand (oder den feſten Körper, welchem der Seeſtern adhäriert), die dieſer parallele Endplatte oder Saugplatte und den dieſe umgebenden Rand. So feſt ſaugt ſich Asterias auf dieſe Weiſe an, daß man bei friſchen Exemplaren nicht ohne Zerreißung der Füßchen das Tier von der Haftfläche abnehmen kann, wenn man es nicht vorher durch mechaniſche Reizung, durch verdünnte Säuren, warmes Waſſer oder elektriſche Schläge zur Entſpannung veranlaßt hat. Die letztere kommt dadurch zu ſtande, daß das Waſſer im Waſſergefäß von innen gegen die Endplatte vorgeſtoßen wird, ſo daß der leere Raum verſchwindet und nun das Saugfüßchen, im Inneren demſelben Drucke ausgeſetzt wie von außen, nicht mehr adhäriert.“ Die Tragkraft der Füßchen iſt eine ſehr bedeutende. Preyer berechnet, daß bei einem Asterias glacialis von 250 g Gewicht, der noch mit fünf Füßchen an jedem ſeiner fünf Strahlen haftet, 10 g auf jedes Füßchen kommen, „da aber auch zwei Füßchen den Körper eben noch tragen können, jo kommen 20 g auf jedes“. 32 * 500 Stachelhäuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen. Der Körperbau und die Lebensökonomie der Echinodermen bleibt aber unverſtändlich, ſolange man nicht weiß, daß die große, die Eingeweide enthaltende Leibeshöhle mit fort— während ſich erneuerndem Seewaſſer, reinem Salzwaſſer erfüllt iſt. Dasſelbe tritt ent— weder durch mikroſkopiſche Poren ein oder wird durch dünnere, oft die Form von Saug— bläschen annehmende Hautſtellen aufgenommen. Ein Seeigel, den man an einer beliebigen Stelle anſticht, läuft aus wie ein geöffnetes Gefäß, und man iſt erſtaunt, wenn man ihn zerbricht, einen faſt leeren Raum zu finden, ſo wenig Platz nehmen die vom Waſſer um— ſpülten Eingeweide ein. Alle Stachelhäuter find mit wenig Ausnahmen getrennten Geſchlechtes, die meiſten legen Eier, und ihre Entwickelung iſt meiſt mit den auffallendſten Verwandlungen ver— Zr en 2 SE —0 88: NOS GE I 47 ee ae, za eV 88. / < — EN: . WW 1) Bruttaſche von Hemiaster Philippii; 5mal vergrößert. 2) Psolus ephippifer. Einige Kalktafeln des Rückens oberhalb der Bruttaſche find entfernt; 3 mal vergrößert. bunden. Eine Reihe Formen gebären indeſſen lebendige Junge, welche in abgekürzter Ent— wickelung die Larvenſtadien verloren haben und den Alten ähnlich, jedenfalls wenigſtens als fertige Echinodermen geboren werden. Bis vor geraumer Zeit waren nur wenige ſolcher ganz vereinzelt ſtehender Fälle bekannt, aber die Expeditionen des „Challenger“ und der „Gazelle“ haben uns mit der merkwürdigen Thatſache bekannt gemacht, daß in den ant— arktiſchen Gewäſſern die meiſten Echinodermen aus allen Klaſſen (von den Haarſternen wiſſen wir es allerdings noch nicht) nicht nur lebendige Junge zur Welt bringen, ſondern dieſelben auch in beſonderen Hohlräumen und Taſchen des Körpers geraume Zeit bei ſich behalten, alſo eine richtige Brutpflege haben. Die obenſtehende Abbildung (Fig. 1) zeigt uns ein zu einer Taſche erweitertes Ambulacrum eines Seeigels von Kerguelenland (Hemi- aster Philippii) ganz mit junger Brut gefüllt. Die zweite Figur zeigt uns eine Seewalze (Psolus ephippifer) mit Bruttaſche von Heard Island, dem ödeſten Fleck auf Gottes Erd: boden. Hier iſt bloß eine von Kalkplatten zugedeckte Bruttaſche auf dem Rücken vorhanden. Ace mm I Klekkerholokhurie. Allgemeines. — Kletter-, Röhren- und Königsholothurie. 501 neben geſchlechtlicher Fortpflanzung kommt auch noch ungeſchlechtliche durch Teilung vor, welche für Seeſterne bewieſen, für Seewalzen aber wenigſtens wahrſcheinlich iſt. Manche Seeigel verändern ſich während des Heranwachſens ſo ſehr, daß man Junge und Alte gelegentlich nicht bloß als verſchiedene Arten beſchrieben, ſondern ſogar in ver— ſchiedene Gattungen, ja Familien gebracht hat. Alle Echinodermen bewohnen das Meer und zwar von der Strandlinie bis zu den un— geheuern Tiefen von über 6500 m und vom Nord- bis zum Südpol. Manche Tiefſeeformen ſcheinen faſt kosmopolitiſch zu ſein, in den kälteren Gegenden aber weniger tief als unter dem Aquator zu leben, wo ſie, dem kalten Waſſer folgend, in beträchtliche Tiefen ſteigen. Die Stachelhäuter zerfallen in fünf Klaſſen, nämlich in: 1) die Seewalzen (Holo— thuroidea), 2) die Seeigel (Echinoidea), 3) die Seeſterne (Asteroidea), 4) die Schlangenſterne (Ophiuridea) und 5) die Haarſterne (Crinoidea). Erſte Klaſſe. Die Seewalzen (Holothuroidea). Die angefügte Beilage „Kletterholothurie“ ſtellt uns ein wurmförmiges Weſen dar, deſſen deutliche große Mundöffnung von einem Kreiſe gefranſter Fühler umgeben it. Doppelreihen von Wärzchen, oder vielmehr Saugfüßchen, alſo Ambulacra, verlaufen vom Mundpole nach dem andern Ende, und trotz der wurmartigen Lage und Form erkennen wir doch das Echinoderm. Allerdings muß uns erſt das Mikroſkop eins der oben angeführten wichtigen Merkmale aller echten Echinodermen enthüllen, die Kalkteilchen, welche in der Ord— nung der Seewalzen nicht als äußere Anhänge oder größere Hauttäfelchen erſcheinen, ſondern als zierliche mikroſkopiſche Gebilde, eingebettet in die lederartige Haut. Unſere abgebildete Cucumaria Hyndmanni iſt eine der regelmäßigen Holothurienformen, auf deren Körper fünf Ambulacra in regelmäßigen Abſtänden voneinander verlaufen. Dieſelbe Regelmäßig— keit zeigt Cucumaria doliolum, bei der wir etwas länger verweilen können, da ſie zu den wenigen, einigermaßen lebhaften Arten ihrer Abteilung gehört, ſich in den Aquarien ausgezeichnet hält, und wir ſomit die Gelegenheit haben, ihre ſtillen und zum Teil ſehr auffallenden Gewohnheiten zu beobachten. Was ſie von allen Holothurien, welche wir bis jetzt lebend vergleichen konnten, unter— ſcheidet, iſt ihr Bedürfnis, zu klettern. Sie hält ſich nicht, gleich der Röhrenholothurie (Holothuria tubulosa) und der Königsholothurie (Holothuria regalis), auf dem Boden auf, ſondern erſteigt ſpitze Felſenvorſprünge, Auſterngruppen, am liebſten die baum⸗ oder netzförmigen Stöcke der Hornkorallen. Sie bedient ſich dabei natürlich der Saug— füßchen, die ſie von beſonderer Dünne und Länge beſitzt. Hat ſie aber eine ihr zuſagende Stelle erklommen, ſo knickt und biegt ſie den Körper womöglich derart, daß ſie auch ohne die Thätigkeit der Saugfüße feſt liegt. Am liebſten richtet ſie ſich ſo ein, daß ſie ſich mit dem hinteren Körperteil fixiert und den Vorderleib mit dem Fühlerkranze frei ausſtrecken kann. Ganz unähnlich den meiſten anderen Holothurien, welche, in der Gefangenſchaft wenig— ſtens, wochenlang ihre Fühler eingezogen halten und oft ſterben, ohne ſie auszuſtrecken, beginnt ſie dieſelben zu entfalten, ſobald ſie ſich vom erſten Schrecken erholt hat, und zeigt damit einen höchſt zierlichen Schmuck. Derſelbe ſtimmt im allgemeinen in der Fär— bung mit dem in allen Nüancierungen von Braun vorkommenden Körper überein. Jeder Fühler beſteht aus einem ſich allmählich zu einer feinen Spitze verdünnenden Hauptſtamme, in einer Spirale mit Nebenſtämmen beſetzt, die wiederum in derſelben Weiſe Aſte und 502 Stachelhäuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen. Aſtchen dritter und vierter Ordnung tragen. Somit gibt der entfaltete Tentakelnkranz ein äußerſt liebliches Bild. Mit Verwunderung bemerkt man aber, daß von den zehn Fühlern nur acht gleich lang und in der beſchriebenen Weiſe entwickelt ſind. Zwei nebeneinander ſtehende ſind und bleiben weit kürzer und gleichen, voll entfaltet, einem Beſenſtummel oder Wiſcher. Man ſieht ſehr bald, wenn man ein Individuum einige Minuten ins Auge faßt, wie dieſe ungleichen Tentakeln verſchieden verwendet werden. In faſt ſymmetriſcher, aber doch nicht geſetzmäßiger Reihenfolge wird je ein Tentakel zuſammengezogen, umgebogen und bis zur Wurzel in den weit geöffneten Mund geſteckt, beim Herausziehen aber gewöhnlich von einem der beiden Wiſcher ſo bedeckt und an die Lippe angedrückt, als ob er gründlich abgeſtreift werden ſollte. Da man unſere Cucumarie nie größere Nahrungsbiſſen zu ſich nehmen und Monate hindurch an der einmal erwählten und erkletterten Stelle verweilen ſieht, ſo darf man wohl nicht daran zweifeln, daß das Einſtülpen der Tentakeln zum Behufe des Ab— leckens geſchieht, und daß ſie auf dieſe originelle, ſchon bei anderen Holothurien beobachtete Art ihre mikroſkopiſche Nahrung zu ſich nimmt. Die Gattung Holothuria gehört zu denjenigen, wo die Ambulacra jo aneinander rücken, daß man eine plattere Bauchſeite, auf welcher nunmehr das Tier immer kriecht, von dem Rücken unterſcheiden muß. Indem ſich aber ſolche Formen von den regelmäßig ſtrahligen entfernen, ſtimmen ſie doch in allen weſentlichen Eigentümlichkeiten des Baues mit ihnen überein. Im Adriatiſchen und Mittelmeere lebt die äußerſt häufige Röhren— holothurie (Holothuria tubulosa), die ſich deshalb am beſten zur Beobachtung im lebenden Zuſtande und zur anatomiſchen Unterſuchung eignet, weil ſie die beträchtliche Länge von 25 em und darüber erreicht und ſowohl in größeren Tiefen, als ganz nahe am Ufer auf ganz ſeichten Stellen ſich aufhält. Sie erträgt es ſogar, auf Stunden von der Ebbe bloßgelegt zu werden, wobei ſie nur die Vorſicht gebraucht, zu der alle Holothurien bei der leiſeſten Störung greifen, die Mundfühler einzuziehen. Die wahrhaft lederartige bräunliche, rötliche oder ſchwarze Haut ſchützt ſie vor dem Austrocknen, und ſo liegen die Tiere wie unappetitliche Würſte ohne Lebenszeichen auf dem Sande und zwiſchen den Steinen. Weder die am Strande ihr Futter ſuchenden Vögel, noch die die Meeresfrüchte ſam— melnden Menſchen kümmern ſich um ſie. Wenn wir ſie ihre trägen Bewegungen wollen ausführen ſehen, müſſen wir die vom Waſſer bedeckten Exemplare betrachten. Da ſtülpt ſich das Vorderende allmählich aus, und der Mund nimmt vermittelſt der geſtielten, oben ſchild- oder blattförmigen Fühler, wie es ſcheint, ohne Wahl Schlamm, Steinchen, Muſchel— fragmente und dergleichen auf, um dabei gelegentlich auch Verdauliches dem langen Darme zuzuführen. Da du mit dieſer Beobachtung bald fertig biſt, ſo willſt du das Tier näher in Augenſchein nehmen und umfaſſeſt es mit der Hand. Was geſchieht?! Es zieht ſich krampfhaft zuſammen und ſpeit ſeine eignen Eingeweide aus! Wer einmal die Erfahrung gemacht und ſich von dem kleberigen und anhaftenden Inhalte einer großen Holothurie hat beſudeln laſſen, behandelt ſie ſpäter mit Vorſicht. Wegen dieſer außerordentlichen Reizbarkeit und ihren vomitiviſchen Folgen eignen ſich die Holothurien zur Aufſtellung in den Muſeen ſehr ſchlecht. Getrocknet ſehen ſie aus wie ein Stück runzliges Leder, in Spiritus aufbewahrt wie eine verunglückte Wurſt. Am beſten iſt es mir noch geglückt, ſie mit entfaltetem Fühlerkranze zu erhalten, wenn ich zu dem Seewaſſer, worin ich ſie im Gefäße hielt, nach und nach Süßwaſſer vorſichtig zugoß. Wenn ſie auch mehrere Tage lang ſich hartnäckig eingezogen halten, ſo ſtreckt ſich doch die eine oder andere und ſtirbt dann ab. Jedenfalls bekommt derjenige, welcher ſie nicht in der Natur beobachten kann, durch ein farbiges Bild eine richtigere Vorſtellung als durch die auf die eine oder andere Weiſe konſervierten Exemplare. Holothuria und Stichopus als Nahrungsmittel. Trepang. 503 Mit der Gattung Holothuria gehört Stichopus in eine Familie. Der Bauch diejer Sippe iſt flach, meift mit drei deutlichen Längsreihen von Saugfüßchen. Wir führen fie hier an, weil wir durch Semper ſehr intereſſante Nachrichten über Vorkommen, Lebens— weiſe und Verbrauch mehrerer philippiniſchen Arten erhalten haben. In dem Prachtwerk „Reiſen im Archipel der Philippinen“ erzählt er: „Bringt man die Stichopus Arten an die Luft, ſo zerfließen ſie in wenigen Minuten in formloſen Schleim. Hierdurch ſetzen ſie den Bewohnern der Inſeln große Schwierigkeit bei ihrer Zubereitung für den Handel ent— gegen, und es iſt der hohe Preis, welchen der aus den Arten dieſer Gattung gewonnene Trepang im Handel mit den Chineſen erzielt, nur ein ſchwaches Reizmittel für den in— dolenten Malayen, ſich dem Fange und der mühſamen Zubereitung dieſer meiſt in tiefem Waſſer lebenden Tiere zu unterziehen. Um ſie gegen das Zerfließen zu ſchützen, müſſen die großen eiſernen Schalen, in denen ſie gekocht werden ſollen, unter die Oberfläche des Meeres gehalten werden, ſo daß die Holothurien, ohne das Waſſer zu verlaſſen, in die Kochſchale gebracht werden können; und die erſte Abkochung geſchieht dann immer im See— waſſer. Die Stichopus naso genannte Art iſt außerdem noch durch eine große Beweglich— keit der Muskulatur ausgezeichnet, wie ſie ſonſt den Holothurien nicht eigen zu ſein pflegt. Auf ſtarken Reiz mit Nadeln fing das Tier an, ganz nach der Art der Würmer ſich heftig hin und her zu wenden; dabei ſchälte es ſich allmählich aus der dicken Haut heraus, und nach wenigen Minuten hatte es eine Sackform angenommen und ſich der eigentlichen Haut vollſtändig entledigt. Die Eingeweide waren unverſehrt geblieben; wie denn überhaupt die Arten dieſer Gattung nicht ſo übermütig ſind, gleich bei dem geringſten Anlaſſe ihren Darmkanal auszuſpeien.“ Von der berührten, ihr Einſammeln ſo erſchwerenden Eigenſchaft werden fie von den Malayen „hanginan“, das heißt die im Winde zerfließenden Holothu: rien, genannt. Eine rieſenhafte Art erreicht eine Länge von faſt 1 m bei 20 em Dicke. Da es vorzugsweiſe Arten der Sippen Holothuria und Stichopus find, welche als Nahrungsmittel in den Handel kommen, ſo mögen hier die von Semper an Ort und Stelle geſammelten Nachrichten Platz finden. „Unter dem Namen Trepang (Biche de mer, balate) werden die auf mannigfaltige Weiſe zubereiteten Holothurien nach China gebracht und dort mitunter zu hohen Preiſen verwertet. In geringen Quantitäten werden ſie durch die Kapitäne kleiner Küſtenfahrzeuge, die ſelten mehr als 100 — 120 Tonnen halten, von den Eingeborenen der Molukken, Philip— pinen, Neuguineas, ganz beſonders aber der Inſeln des Stillen Ozeans gegen allerlei Tauſchartikel eingehandelt und dann an irgend einem Zwiſchenmarkte für den chineſiſchen Handel, Singapore, Batavia oder Manila meiſtens direkt an die dort anſäſſigen Chineſen verkauft. Natürlich hängt der Erfolg der Spekulation teilweiſe von der gerade dort herr— ſchenden Nachfrage ab, teils aber auch von der geringeren oder beſſeren auf den Markt gebrachten Sorte und von ihrer Zubereitung. Die gewöhnlicheren Arten (Holothuria atra Jaeger, H. impatiens Forsk., H. vagabunda Sel.) werden gewöhnlich in Manila mit 6—8, oft nur 3—4 Dollars das Pikul bezahlt, während die Stichopus- und Bohadschia- Arten bei günſtigem Markte oft 40 und mehr Dollars das Pikul koſten. Die Zahl der Sorten, welche im Handel unterſchieden werden, iſt eine ziemlich große. Ihre Namen ſollen je nach der Mundart der chineſiſchen Stadt, wohin ſie ausgeführt werden, wechſeln, ſo daß die chineſiſchen, in Manila üblichen Benennungen von den in Singapore oder in Batavia gebrauchten gänzlich abweichen. Auch die Zubereitung an Ort und Stelle ſcheint eine ſehr verſchiedenartige zu ſein. Auf den Palau-Inſeln, den weſtlichſten der Karolinen, habe ich lange Monate hindurch den Fang und die Zubereitung dieſer Tiere beobachten können. Die meiſten Arten der Gattung Holothuria werden durcheinander in großen, bis 3 Fuß im Durchmeſſer haltenden eiſernen Schalen aufgehäuft, ſo daß ſie einen etwas 504 Stachelhäuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen. hervorſtehenden Haufen bilden. Bedeckt von einer mehrfachen Lage der großen Kukaublätter (Caladium esculentum), werden die Holothurien zuerſt recht eigentlich gekocht; dann unter ſtetem Begießen mit einer ſehr geringen Menge ſüßen Waſſers gedämpft. Dabei ſchrumpfen ſie gewaltig ein, und eine Holothurie, welche beim Fange 1 Fuß lang war, zieht ſich bis auf wenige Zoll Länge zuſammen. Nach der erſten Abkochung werden ſie auf freiſtehenden hölzernen Geſtellen an der Sonne getrocknet, und dann wechſelweiſe zwei- oder dreimal gedämpft und getrocknet. In dieſem Zuſtande werden ſie dann dem Käufer nach Gewicht vertauſcht. Sind ſie endlich hinreichend trocken und des Meerſalzes beraubt, ſo werden ſie in großen, zu dieſem Zweck eigens erbauten Schuppen auf Booten in dünnen Schichten ausgebreitet und monatelang dem Einfluß von Rauch und Feuerwärme ausgeſetzt. Man pflegt ſie erſt ganz kurze Zeit vor der Abreiſe in Säcke zu verpacken und an Bord zu bringen, um ſie ſowenig als möglich der feuchten, im Schiffsraume herrſchenden Atmo— ſphäre auszuſetzen. Beim Ankaufe ſelbſt wird die Sonderung in die einzelnen Sorten vor— genommen; gemiſchte werden nie ſo gut bezahlt wie ſortierte. Die Arten der Gattung Stichopus müſſen, wie erwähnt, ſorgfältiger behandelt werden. Die erſte Abkochung der— ſelben geſchieht in Seewaſſer, da ſie von der Luft gar nicht getroffen werden dürfen, wenn ſie nicht gleich zerfließen ſollen. Auf die erſte Abkochung mit Seewaſſer folgt dann die zweite mit ſüßem Waſſer, und dann die Dämpfung mit abwechſelndem Trocknen. Es ſind nur die Aspidochiroten (d. h. die Holothurien mit blatt- und ſchildförmigen Fühlern), welche zur Trepangkocherei benutzt werden, denn nur dieſe haben die eigentlich nährenden (und in der Meinung der Chineſen ſtark reizenden) Beſtandteile in hinreichender Menge, um die Zubereitung zu ermöglichen. Sollen ſie dann gegeſſen werden, ſo reinigt man die Ober— fläche zunächſt von anhängendem Schmutz, kratzt die obere kalkführende Schicht ab und weicht ſie dann 24—48 Stunden lang in ſüßem Waſſer ein. Dabei quellen ſie auf und nehmen eine ſchmutziggraue Farbe an. Nach mehrmaligem Waſchen und ſorgfältiger Ent— fernung der Eingeweide und aller fremden Sandteilchen wird dann die aufgequollene Haut in kleine Stückchen geſchnitten, die in ſtark gewürzten Suppen oder mit verſchiedenen anderen Speiſen gegeſſen werden. Sie haben ſo wenig, wie die eßbaren Vogelneſter, einen eignen Geſchmack; es ſind weiche, milchig ausſehende Gallertklumpen, welche von den Europäern nur wegen ihrer leichten Verdaulichkeit, von den üppigen Chineſen wegen der ihnen zu— geſchriebenen reizenden Eigenſchaft genoſſen werden.“ Marſhall hat nach engliſchen und holländiſchen Quellen noch folgende Angaben zu— ſammengeſtellt: „Ein früherer holländiſch-indiſcher Beamter, welcher die Verhältniſſe des Wundergebietes „Inſulinda' genau kannte, Lion, behauptet, es gäbe kaum eine Inſel im Indiſchen Archipel, in deren Nachbarſchaft Trepang nicht gefunden würde, was ein Engländer, Jameſon, beſtätigt, der als die Heimat dieſer Tiere das ganze Meer von Sumatra bis Neuguinea kennt. Hier kommt Trepang überall da vor, wo die Brandung nicht zu ſtark iſt und meiſt in Tiefen von 6—9 Meter, auf flachen, mit Korallenſand bedecktem, aber nie auf ſchlammigem Boden. Hier mäſten ſich die Tiere, wie uns das der Engländer Guppy beſchreibt und vorrechnet. Ein Individium irgend einer Trepangart von 30 — 35 cm Länge frißt täglich / Pfund des verwitternden Korallenſandes, wie er ſich von der Ober: fläche der Riffe loslöſt, — doch freſſen“ iſt eigentlich nicht der richtige Ausdruck: es läßt die Maſſe, welche doch nur einen ſehr geringen Bruchteil nährender Subſtanz enthält, das Darm— rohr paſſieren. Es würden mithin 15—16 ſolcher Tiere innerhalb eines Jahres eine Tonne Sand, das iſt etwa 18 Kubikfuß, verarbeiten. Guppy nennt das eine ‚organic denuda- tion‘, einen durch belebte Urſachen ſich vollziehenden Verwitterungsprozeß der Korallenriffe. „„Das himmlische Reich‘, jagt der erwähnte Jameſon, kann ohne Trepang und lindiſche) Vogelneſter nicht eriftieren‘, daher iſt die Nachfrage nach dieſen Artikeln eine jo große, das eine Trepang: Aufenthalt, Fang und Zubereitung. Handelswert. 505 Überfüllung des Marktes nicht leicht zu befürchten iſt. Das haben ſich die findigen Yankees zu nutze gemacht. Sie fiſchen die Holothurien bei den Bermudas ſowie in Weſtindien und expor— tieren ſie beſonders von Boſton nach China. Wahrſcheinlich werden ſie dieſelben aber hier nicht als Heimbürgerinnen der atlantiſchen Geſtade der Neuen Welt verkaufen, ſondern unter echte indiſche gemiſcht an den Mann zu bringen verſuchen. Seit etwa 80 Jahren wird auch bei Ceylon und Isle de France gefangener Trepang von dieſen Inſeln nach China in den Handel gebracht und hier auch gern genommen, aber er rangiert, weil er nach chineſiſchem Geſchmack nicht gut genug zubereitet iſt, unter der geringſten Qualität von den Molukken. „Die hauptſächlichſten Trepangfiſcher ſind die Bugineſen und die Bewohner der Inſel Goram. Es thun ſich Flottillen von 30—40 kleinen, zerbrechlich ausſehenden, aber doch ſehr ſeetüchtigen Fahrzeugen zuſammen, welche man in Oſtindien Prauwen nennt, mit einer Beſatzung von etwa 1000 Mann. Die Fiſcher erhalten keinen Lohn, es wird ihnen vielmehr von holländiſchen und chineſiſchen Händlern alles zur Expedition Nötige, Lebens— mittel ꝛc., vorgeſchoſſen; dieſe haben dann aber das Eigentumsrecht an dem ganzen Fang zu einem vorher ausbedungenen, nachzuzahlenden Preis, an dem jeder Teilnehmer der Fahrt, wie im Mittelmeer die Korallenfiſcher, ſeinen Anteil hat. Die Gefahren, welche mit einer ſolchen Expedition verbunden ſind, ſcheinen nicht gering zu ſein. So erzählt der berühmte Reiſende und Naturforſcher Wallace von einer Geſellſchaft von 20 Fiſchern, welche von den Goraminſeln auf den Trepangfang mit zwei Prauwen nach Neuguinea ausgefahren war. Nur ſechs von ihnen kamen in einem jammervollen Zuſtande, halb— verhungert in einem kleinen Boot wieder, die andern vierzehn waren von den wilden Papuanern erſchlagen und die Fahrzeuge bis auf das eine Boot geraubt worden. Das Geſchäft muß aber immerhin ein lohnendes ſein. Wenn wir das auch nicht den Malayen und Chineſen nachrechnen können, ſo haben wir dafür doch einen anderen Beweis. Näm— lich Kapitän Eagleſton, ſelbſtredend auch wieder ein Yankee, der von den guten ‚busi- nesses‘ Wind bekommen hatte, faßte den Entſchluß, ſich die Geſchmacksrichtung der Chineſen auch zu nutze zu machen. Er rüſtete alſo hintereinander fünf Expeditionen aus, von denen er 4467 Pikul (à 61,5 kg) Trepang, das ſind ca. 4,913,700 Stück (man rechnet durchſchnittlich 1100 Stück auf das Pikul), mit heimbrachte. Die Sache hatte ihm 10,337 Dollars gekoſtet, aber ſein Reingewinn waren 67,924 Dollars. „Sind die Fiſcher an Ort und Stelle angelangt, ſo beginnt der Fang, der im all— gemeinen noch auf etwas primitive Art und Weiſe betrieben zu werden ſcheint. Große Exemplare im flachen Waſſer werden einfach geſpießt, kleinere aber durch Taucher herauf— geholt, und auf dieſe Art werden die meiſten gefangen. In tieferem Waſſer bedient man ſich auch äußerſt einfacher Schleppnetze, welche an langen Bambusſtäben befeſtigt find- „Hat man eine entſprechende Menge von Trepang erbeutet, ſo begibt man ſich auf eine benachbarte Inſel, um ihn zu bereiten. Hiervon hängt ſehr viel ab. Zuerſt werden die Seewalzen aufgeſchlitzt und ausgenommen, dann drückt man das Waſſer heraus und reibt fie außen und innen mit trockenem Kalk, von den malayiſchen Fiſchern tsilumam genannt, ein. Dann werden ſie getrocknet und zwar entweder an der Sonne lindeſſen iſt dieſe Sorte minderwertig) oder aber in beſonderen Hürden, unter denen aus den Zweigen und Blättern gewiſſer Bäume ein ſchmauchendes Feuer erhalten iſt. Das gibt erſt den wahren haut-gout. Schließlich wird der Trepang in Säcke gepackt, und die Sache iſt ſoweit fertig. Von dem Ausſehen dieſes Leckerbiſſens gibt Wallace keine gerade ſehr verlockende Beſchreibung: ‚Trepang‘, jagt er, ‚ſieht aus wie Würſte, die, nachdem ſie im Schlamm gewälzt worden waren, durch einen rußigen Schornſtein gezogen wurden.‘ Die Sorte, von der ich gelegentlich Proben in Delikateſſengeſchäften bei uns zu Lande bewundert habe, ſah nicht ganz ſo ſchlimm aus, war aber wahrſcheinlich auch nicht eine von den beſten. 506 Stachelhäuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen. „Der gewonnene und zubereitete Trepang wird nun an beſtimmte Plätze gebracht, wo zu gewiſſen Zeiten eine Art Meſſe ſtattfindet. Ein ſolcher Platz iſt für die Bugineſen, die eifrigſten Trepangfiſcher, die kleine Inſel Kilwaru zwiſchen Ceram-Laut und Geßir, eigent— lich nur eine Sandbank von 50 Ellen Breite und Länge, 3—4 Fuß über dem Meeres: ſpiegel und rings von Korallenriffen umgeben. Andere ſolche Plätze befinden ſich auf den Aru-Inſeln und ſonſt noch hin und wieder im Auſtralaſiatiſchen Archipel. Sehr viel wird nach dem Hauptſtapelplatz Makaſſar gebracht. Neuerdings hat übrigens Java angefangen, dieſem Eiland bezüglich des Trepanghandels ſtarke Konkurrenz zu machen. „Der Marktpreis dieſes köſtlichen Leckerbiſſens hängt nun durchaus nicht von der Größe der einzelnen Individuen ab, ſondern von andern Eigenſchaften, welche für jeden, der nicht ein ganz gewiegter Kenner iſt, geheimnisvoll und myſteriös ſind. Das verſtehen nur die chineſiſchen Händler und Sortierer, auch die eingeborenen Fiſcher haben keine Ahnung davon. Crawford unterſcheidet 30 verſchiedene Qualitäten, als die beſte gilt, Takker Itam', welche an Ort und Stelle 300 Mark das Pikul koſtet, als die geringite ‚Kuaſſa“ oder, Peku goreng‘, von der man ſich das Pikul ſchon für 20 Mark anſchaffen kann. Als ſehr gut gilt auch eine von den Mariannen kommende Sorte mit dem melodiſchen Namen ‚Guam‘. „Von den Aru-Inſeln werden jährlich durchſchnittlich 1510 Pikul (Wert an Ort und Stelle 108,000 Mark), von Java etwa 6000 und von Makaſſar etwa 8000 — 9000 nach China ausgeführt. Die Geſamtmenge, welche das himmliſche Reich jährlich verbraucht, beträgt 90,000 Pikul, aber die Nachfrage iſt immer weit ſtärker als das Angebot, und ein Volksnahrungsmittel iſt Trepang in China noch lange nicht. Denn, iſt die Zahl von Seewalzenindividuen, welche jährlich dort verzehrt werden, immerhin auch auf 99 Mill. an— zuſchlagen, ſo darf man doch nicht vergeſſen, daß China mindeſtens 380 Mill. Einwohner hat, mithin kommt noch nicht auf jeden vierten Chineſen jährlich eine Holothurie. Der Markt: preis in China ſelbſt beträgt von 85 bis zu 500 Mark der Pikul, je nach der Qualität, und nehmen wir als Durchſchnitt den Preis von 200 Mark an, ſo geben die ſonſt ſo ſpar— ſamen mongoliſchen Söhne des Himmels jährlich 18 Mill. Mark für jenes Seegewürm aus! „Über die Art der Zubereitung dieſer Delikateſſe habe ich leider nichts Genaues in Erfahrung bringen können, wahrſcheinlich wird aber gerade hierin das Hauptkunſtſtück zu ſuchen ſein. Chineſiſch zu lernen, bloß um chineſiſche Kochbücher zu ſtudieren, dazu habe ich mich doch noch nicht entſchließen können; ich kann meinen Leſern nur ſo viel verraten, daß Jameſon verſichert, jene Zopfträger verſtünden ſehr kräftige und wohlſchmeckende Suppen ſowie verſchiedenartige Frikaſſees daraus zu bereiten.“ Alle bisher erwähnten Holothurien ſind Mitglieder der Ordnung Füßchen- oder Lungenholothurien. Das Organ, welches man Lunge nennt, iſt zweiäſtig baumförmig und entſpringt aus der ſogenannten Kloake, in welche auch der Enddarm einmündet. Die Holothurien ſind im ſtande, in dieſe Lunge, welche richtiger eine innere Kieme genannt wird, vermittelſt der muskelreichen Wandungen der Kloake Waſſer ein- und auszupumpen, was mit ziemlicher Regelmäßigkeit geſchieht, jedoch ſo, daß, nach Sempers Beobachtungen, auf eine Reihe raſch aufeinander folgender Einatmungen eine große, einen dicken Waſſer— ſtrahl in wenigen Sekunden ausſendende Ausatmung eintritt, wobei die Kloake weit ge— öffnet wird. Dieſer natürliche Zugang ladet verſchiedene Tiere ein, ſich in die Lunge von Holothurien zu begeben und ſich dort als zeitweilige oder bleibende Schmarotzer aufzu— halten. Die merkwürdigſten dieſer Gäſte find Arten der Fiſchgattungen Fierasfer und Cachelyophis, welche häufig von den Lungen aus ſich in die Leibeshöhle ihrer Wirte durch— freſſen, und an deren Mageninhalt ſich Semper überzeugte, daß ſie als echte Schmarotzer Schmarotzer der Lungenholothurien. Flaſchenholothurien. 507 zu betrachten ſind, welche von den Säften und den Geweben der von ihnen heimgeſuchten Tiere leben. Von Krebſen fand Semper in den Lungenholothurien unter anderen zwei Arten des Muſchelwächters (Pinnotheres, ſ. Seite 29). „Merkwürdigerweiſe“, jagt unſer Gewährsmann, „fanden ſich beide Arten in derſelben Holothurie, nämlich in Holothuria scabra, und zwar immer im rechten, nicht mit den Darmgefäßen verbundenen Lungenaſt.“ Hier ſaßen ſie bald in Paaren, bald vereinzelt oder in großen cyſtenartigen Säcken am Stamme oder an den feineren Aſten der Lunge. Selten fanden ſich mehr als zwei zu— ſammen. Sie ſcheinen einzuwandern, wenn ſie noch ſehr jung ſind. Teils wohl durch ihr Wachstum, teils durch den beſtändigen Reiz bildet ſich dann jene Cyſte um ſie herum, in deren Nähe immer alle Lungenäſtchen atrophieren (verkümmern); ja, einigemal habe ich ſo— gar beobachtet, daß die Lunge, in welcher ein ſolcher Pinnotheres ſaß, ganz rudimentär geworden war, ſtatt derſelben ſich aber eine neue an einer anderen außergewöhnlichen Stelle gebildet hatte. Dann ſaßen die Krebſe immer ſehr dicht an der Kloake, und es liegt die Ver— mutung nahe, daß ſie, den Eingang zu der rechten Lunge verſtopfend, die Atrophie der letzteren veranlaßt hatten, wodurch dann wieder das Tier angeregt wurde, ſich eine neue Lunge zu bilden.“ Was dieſe Fähigkeit, verloren gegangene Teile wieder zu bilden, betrifft, ſo fehlen uns für die Holothurien ausgedehnte Beobachtungen. Bei einzelnen iſt die Reproduktions— kraft jedenfalls eine außerordentliche. So beobachtete Dalyell, daß Holothuria fusus den abgeworfenen Tentakelapparat und die ausgeſtoßenen Eierſtöcke und Darmteile inner— halb einiger Monate vollſtändig wiedererſetzte, und Semper, daß bei einer Holothuria scabra, welche ſich gewaltſam ihres Darmkanales, der Geſchlechtsorgane, Gefäße und linken Lunge entledigt hatte, die Atembewegungen der erhaltenen Lungenhälfte ſehr bald wieder begannen, und daß nach 9 Tagen die Eingeweide wieder erſetzt waren. Der oben genannte Dalyell berichtet weiter, daß Holothuria Bodotriae gelegentlich ohne irgend welche wahr: nehmbare Veranlaſſung in zwei und mehr Stücke zerfalle und iſt geneigt zu glauben, daß dieſe einzelnen Teilſtücke zu neuen Tieren auswachſen könnten. Auch Rymer Jones iſt der gleichen Anſicht. Im Jahre 1853 beſchrieb J. E. Gray unter dem Namen Rhopalodina lagenifor- mis ein merkwürdiges kleines Echinoderm von Flaſchenform mit abgerundetem Bauch, über welchen zehn Doppelreihen von Füßchen verliefen, während der Hals der Flaſche oben die Mund- und Afteröffnung nebeneinander trug. Man machte ſpäter aus dieſem Tier eine be: ſondere Klaſſe der Stachelhäuter, dann eine neue Ordnung der Seewalzen, aber H. Ludwig wies nach, daß wir es mit dieſem, übrigens von Weſtafrika ſtammenden Weſen nur mit dem Vertreter einer neuen Familie der Lungenholothurien, welche er Rhopalodinidae nennt und die man deutſch als Flaſchenholothurien bezeichnen könnte, zu thun hat. Man ſtelle ſich vor, der mittlere Rückenzwiſchenſtrahl einer gewöhnlichen Seewalze habe ſich bis zum Verſchwinden verkürzt, dann werden Mund und After des Tieres unmittelbar nebeneinander zu liegen kommen, und über den übrigen Körper werden ſcheinbar zehn Reihen von Füßchen ſtatt fünf verlaufen, indem nämlich eine jede von dieſen auf ihrem Wege vom kunde zum After gebogen wird. Verkürzungen des mittleren Rückenradius kommen bei Holothurien thatſächlich auch ſonſt vor, ſo bei gewiſſen Kletterholothurien, welche dadurch halbmondförmig gekrümmt erſcheinen und Ein- und Ausführungsöffnung des Darmes an den Hörnern des Halbmondes haben. Ludwig mußte bei feiner Ableitung der Rhopa- lodina-Form von einem der Cucumaria ähnlichen Weſen ſeine Zuflucht zur Konſtruktion einer hypothetiſchen Form mit noch ſtärker verkürztem mittleren Rückeninterradius nehmen, bei welchem Mund und After ſchon dicht nebeneinander ſtanden. Derartige, 1877 noch hypo— thetiſche Geſchöpfe haben wir in der Zwiſchenzeit als thatſächlich lebend kennen gelernt. 508 Stachelhäuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen. Die 7 Die Franzoſen erbeuteten ſie auf der Expedition des Schiffes „Talisman“ im Jahre 3, und Perrier hat ſie unter den Gattungsnamen Siphothuria und Ypsilothuria beſchrieben. Die eine der ne— benſtehenden Abbildungen (b) ſtellt Ypsilothuria attenuata aus einer Tiefe von 800 m in 1½ facher Vergrößerung dar. Die andere Figur (a) gibt uns ein Bild einer neuen, auch von den Franzoſen aufge— fundenen Flaſchenholothurie (Rhopalodina Neurtali) aus untiefem Waſſer der Weſt— küſte Afrikas. Den modernen wiſſen— Ir . ſchaftlichen Seereiſen ver— a) Ypsilothuria attenuata, 1½ mal vergrößert; by Rhopalodina d f 8 iter di K 8 Neurtali. Natürliche Größe. an ai wir weiter die Kennt— N nis einer ganz neuen, merk— würdigen, 55 Arten umfaſſenden Ordnung der Seewalzen, die der Tiefſeeholothurien oder Elaſipoden. Dieſe Tiere gehören mit zu den intereſſanteſten Entdeckungen der Neu— Scotoplana globosa. Natürliche Größe. zeit auf zoologiſchem Gebiet, und wenn ſie einerſeits altertümliche Organiſationsverhältniſſe teilweiſe gewahrt haben, jo weichen fie anderſeits am weiteſten vom Echinodermen— typus ab. Dieſe Elaſipoden ſehen kaum aus wie Holothurien, ſondern erinnern in ihrer äußeren Tiefſeeholothurien. Klettenholothurie 509 Erſcheinung mehr an Schmetterlingsraupen oder Seenacktſchnecken, manche wieder ſind ganz flach gedrückt wie Plattwürmer. Die Elaſipoden find in ſehr hohem Grade bilateral— ſymmetriſch; das Maul, das ſonſt bei Seewalzen an dem einen Körperende zu ſtehen pflegt, iſt wie der After auf die meiſt ſtark abgeplattete Bauchſeite gerückt und bisweilen erſcheint das vordere Körperende noch kopfartig abgeſetzt. Die Fühler ſind ſchildförmig oder gefiedert, aber immer nur kurz und können nicht als Greif- und Ernährungsorgane dienen. Sehr eigentümlich iſt die Beſchaffenheit der Füßchen. Nicht ſelten iſt die Mittelreihe auf der Bauchſeite oder Kriechfläche verſchwunden und ſtehen die beiden anderen an deren Rande oder aber, ſie ſtehen in der erſteren doppelt und erſcheinen an den Seiten als nicht zurückziehbare Fortſätze. Zu ähnlichen, öfters ſehr anſehnlichen Fortſätzen ſind die Füßchen der beiden Rückenreihen entwickelt, welche wahrſcheinlich beſonders die Atmung vermitteln, aber, da ſie ſehr nervenreich ſind, zugleich auch zum Taſten dienen werden. Die meiſten Arten leben in großen Tiefen zwiſchen 1800 und 3600 m, wo ſie, wahrſcheinlich ziemlich raſch, auf dem Boden einher kriechen und mit ihrem Maule fortwährend Schlamm und Sand aufnehmen; da dieſe Subſtanzen ſehr arm an organiſchen Beimiſchungen ſind, werden ſie wohl große Maſſen davon in raſcher Folge verſchlingen müſſen, und in der That erſcheint ihr Darmrohr ganz voll ſolcher Stoffe. Unſere Abbildungen zeigen uns zwei Vertreterinnen dieſer Ordnung. Die nebenſtehende iſt Psychropotes longicauda, ein ohne den breiten Schwanzanhang bis 150 mm lang werdendes, im Leben dunkelviolettes Tier, das ſich im Indiſchen und ſüdlichen Stillen Ozean zwiſchen 3000 und 4000 m findet. Das andere ſeltſame Weſen (s. untere Figur, S. 508) iſt ein nicht weniger merkwürdiges, das wie eine Nackt— ſchnecke des Meeres mit langen Rückenkiemen ausſieht. Das iſt Scotoplana globosa, ein graues Tier, das in einer Tiefe von 4000 m gefunden wurde. Die dritte Ordnung umfaßt die fußloſen Holothurien (Apoda), welche in der Regel Zwitter find und teilweiſe Lungen haben, teilweiſe aber auch derſelben entbehren. Ihr Waſſergefäß— ſyſtem iſt einfach, indem es nämlich, wie bei den jungen füßigen Seewalzen auf einer gewiſſen Stufe der Entwickelung, nur aus einem den Mund umfaſſenden Ring mit blaſenförmigen Anhängen und den Mundtentakeln beſteht. Die Hauptſippe iſt die Klettenholothurie (Synapta, Ab— bildung ©. 510), jo genannt von ſehr charakteriſtiſchen zweizähnigen Psxvehropotes longi- Kalk⸗Ankern in ihrer Haut. Der Anker ſteckt mit dem Schafte e in einer durchlöcherten Platte, worin er durch einen Endknopf feſtgehalten wird. Abbildung e gibt beide Teile in Verbindung, während fie in b und » auseinander gelegt find. d iſt das noch etwas mehr vergrößerte Schaftende von der Seite. Dieſe klettenden Organe ſind ſo groß, daß ſie mit gutem Auge recht wohl erkannt werden. Von den drei europäiſchen Arten iſt die abgebildete Synapta inhaerens an der franzöſiſchen Nordweſtküſte und im Mittelmeer heimiſch. Eine zweite Art (Synapta hispida) wurde, wie die dritte (Synapta digitata), aber weit ſeltener, nur im Adriatiſchen und Mittelländiſchen Meer gefunden. Auf 510 Stachelhäuter. Erſte Klaſſe: Seewalzen. jene dritte hat uns ſchon oben (S. 409) die wunderbare Paraſitenſchnecke geführt. Wir mußten ſchon dort uns damit bekannt machen, wie und wo die gefingerte Synapte lebt und wie man ſich ihrer bemächtigen kann, und haben nun gehört, daß die Selbſtverſtümmelung, unter der Form des Ausſtoßens der Eingeweide, welche ſie an ſich ausübt, und zwar ſo regelmäßig, daß noch nie jemand ein ganzes Exemplar zu ſehen bekommen hat, eine Eigen— heit aller Holothurien iſt. Baur ſagt darüber: „Die für die Synapten charakteriſtiſche Zerſtückelung beſteht darin, daß durch heftige Muskelkontraktion ein größerer oder kleinerer Rumpfteil von dem Vorderteil, an welchem der Mund mit den Tentakeln iſt, abgeſchnürt und getrennt wird. Die getrennten Rumpfſtücke bewegen ſich noch eine Zeitlang, es iſt aber unwahrſcheinlich, daß ſie noch dauernd lebensfähig ſind, weil ſie ohne Mund ſich nicht ernähren können und anderſeits für eine etwa ſtattfindende Reproduktion des Kopfes an dieſen Stücken nichts ſpricht. Ein Rumpfſtück ohne Kopfende kann ſich nicht weiter zerſtückeln. Jedes Kopfſtück kann dagegen die Zerſtückelung wiederholen und durch Abtrennung immer kleine— rer Rumpffragmente ſich ſo lange verkleinern, bis hinter dem (ganz vorne den Schlund um— gebenden) Kalkringe vom Rumpfe faſt nichts mehr vorhanden iſt.“ Baur machte die inter— eſſante Entdeckung, daß jedem Kopfſtück, es mag lang oder kurz ſein, die Fähigkeit der Zer— ſtückelung genommen werden kann, wenn man durch einen kleinen Scherenſchnitt von der Mund— öffnung aus jenen Kalkring an einer beliebigen Stelle trennt. Nicht aber dieſer, ſondern der ihm anliegende und zugleich durchſchnittene Nervenring beeinflußt die Verſtümmelung. Sehr intereſſante, die früheren von Quatre— fages beſtätigende und vielfach erweiternde Be— glettenholothurie (Synapta inhaerens). % natürl. obachtungen über die Lebensweiſe der Kletten— * en en neh em holothurien des Golfes von Neapel hat in neuerer Zeit R. Semon angeſtellt. Unſer Forſcher be— zweifelt zunächſt die Richtigkeit der verbreiteten Anſicht, daß dieſe Tiere vorwiegend in Sand und Schlamm vergraben ein unterirdiſches Leben führten. Daß ſie das ſehr oft thun, iſt zweifellos, aber wahrſcheinlich werden ſie ſich noch häufiger auf dem Boden des Meeres kriechend bewegen, denn nur ſo gewinnt die Erſcheinung Bedeutung, daß die Seite des Kör— pers, welche bei dieſer Art der Bewegung normalerweiſe nach oben gekehrt iſt, eine der Farbe des umgebenden Bodens ähnliche und daher ſchützende Färbung zeigt. Und dieſe Färbung er weiſt ſich als recht nützlich für die Tiere, denn es iſt ein Aberglaube, daß ſie der Kalkkörper ihrer Haut wegen allgemein von anderen Geſchöpfen als Nahrung verſchmäht würden. Seeſternarten, von denen manche recht gut ſehen, freſſen ſie mit großem Behagen. Auch in der Zerſtückelung ſieht Semon ein Schutzmittel. „Wird das Tier an einer beliebigen Körperſtelle feſt ergriffen, ſo löſt es das Hinterende bis vor dem ergriffenen Punkte ab, was ungemein raſch geſchehen kann, und das freigewordene Kopfſtück vergräbt ſich eilig im Sande.“ Beim Eingraben wird zunächſt Sand mittels der Tentakeln beiſeite geſchafft, dann wird das Vorderende des Körpers verdünnt und in das gebildete Loch hineingeſchoben, Klettenholothurie: Selbſtverſtümmelung und Lebensweiſe. 511 hier verdickt es ſich und erweitert damit dieſes und ſo wiederholt ſich der Vorgang, bis das Tier ſich ganz eingegraben hat, was ziemlich hurtig vor ſich geht: eine etwa 100 mm lange Synapta inhaerens iſt in weniger als 1 Minute im Boden verſchwunden. Die Kletten— holothurien ſind übrigens ſehr wähleriſch und graben ſich nicht in jeden beliebigen Schlamm ein. Solcher, in dem Ringelwürmer ſich noch ſofort verkrochen, und der nicht im mindeſten ſtank, war ihnen zuwider und anſtatt ſich in ihm einzubohren, krochen ſie mit allen Zeichen des Unbehagens umher, offenbar einen anderen Aufenthaltsort ſuchend. Die Wandungen des gegrabenen Kanals fallen nicht zuſammen, wenn ihn das Tier verläßt, was auf einer Schleimabſonderung auf deſſen Körperoberfläche beruht. In dieſen Löchern ſitzen die Tiere im Meere mit dem hinteren Ende voran, während das vordere, wenn alles ſicher erſcheint, herausſchaut und ſeine Tentakeln ſpielen läßt. Bei der geringſten Erſchütterung des um— gebenden Waſſers und des Bodens aber zieht ſich die Synapte zurück. Beim Eintritt der Ebbe, welche ſie oft genug an den Geſtaden des Atlantiſchen Ozeans überraſcht, drehen ſie ſich in dem Loche um, ſo daß der Kopf nach unten gerichtet iſt. Die Tentakeln dienen einer ganzen Reihe von phyſiologiſchen Leiſtungen, beſonders aber der Atmung. In ihren inneren Hohlräumen herrſcht eine außerordentlich lebhafte Zir— kulation; fortdauernd ſieht man in raſchem Tempo die Blutkörperchen durch die Wimpern der Gefäßwandung von der Baſis zu den Endſpitzen der Tentakeln emporgewirbelt werden. „Ferner dienen die Tentakel dem Anheften, d. h. die Synaptide heftet den Tentakel an einen Körper und zieht ſich entweder zu dieſem, oder wenn derſelbe klein iſt, letzteren zu ſich heran. In erſterem Falle entſteht Lokomotion, im zweiten Ergreifen von Sand und Nahrungsteilchen.“ Daß die Tentakeln auch beim Eingraben eine weſentliche Rolle ſpielen, wurde erwähnt. Der Taſtſinn, der bei den Klettenholothurien recht gut entwickelt zu ſein ſcheint, hat ebenfalls außer in der Haut ſeinen Sitz ganz beſonders in den Spitzen der Tentakeln. Auch an ihrer Baſis liegen kleine Organe, welche ihrem gröberen und feineren Baue nach als Geſchmacks- oder Geruchsorgane anzuſehen ſein dürften. Scharf von dem Anheftungsvermögen der Tentakeln iſt das eigentliche „Kletten“ unſerer Tiere, das Haftvermögen des Körpers, welches durch das Hervorſtehen der Kalk-Anker be— dingt wird, welche indeſſen die oberſten Hautſchichten nicht durchbrechen, ſondern ſie bloß hervorwölben. Dieſes Vermögen erhält ſich auch noch einige Zeit nach dem Tode des Tieres, hört aber ſofort auf, wenn man dasſelbe mit Säuren, welche den Kalk auflöſen, überſchüttet. Auch die wurmförmigen Bewegungen der Synapten beim Kriechen ſcheinen durch die Kalkkörperchen unterſtützt zu werden, was Semper freilich bezweifelt. Bis zu einem gewiſſen Grad ſcheint die Fähigkeit zu kletten vom Willen des Tieres abzuhängen, und wahrſcheinlich wird ſie durch Schleimabſonderungen der Haut je nach Be— dürfnis aufgehoben, welche z. B. auch nach Reizen oder nach dem Tode der Klettenholo— thurien ſofort aufhört. Nie bleiben ſie hängen, wenn ſie auf dem Sande oder über Arten— genoſſen hinwegkriechen aber ſofort nach einem Reiz durch unſanfte Berührung. Einzelne Synaptenarten der ſüdlichen Meere werden ſo groß, daß ſie von den Inſel— bewohnern „Seeſchlangen“ genannt werden. So ſah Semper bei der Inſel Bohol Exem— plare der Synapta Besselii von über 2 m Länge. „Ihre Bewegungen find äußerſt lang— ſam. In mehrfachen Windungen liegen ſie zwiſchen den Steinen und im Sande der Riffe und bewegen ſich teils durch die bekannten wellenförmig von vorn nach hinten fortſchrei— tenden Kontraktionen ihres Leibes, wie ganz beſonders mit Hilfe ihrer Mundtentakeln fort. Ihre Anker ſind ihnen entſchieden keine Bewegungsorgane. Haben ſie dieſelben ein— mal irgendwo eingehakt, ſo können ſie ſich nur durch den Verluſt derſelben wieder befreien. Allerdings ſind die Anker beweglich und hebeln auf dem Bügel der Ankerplatte, aber ſie entbehren aller und jeder Muskeln, die ihre Bewegungen unter den Willen des Tieres 512 Stachelhäuter. Erſte und zweite Klaſſe: Seewalzen, Seeigel. ſtellen könnten. Auch kletten die Synapten nur dann, wenn man ſie unſanft berührt; im Gehen ſchieben ſie ſich an Steinen und Pflanzen vorbei, ohne hängen zu bleiben, und bei einer 3 Fuß langen neuen Art, meiner Synapta glabra, liegen dieſe Organe im Gehen ſo tief in die Haut eingebettet, daß ich ſie wegen ihrer ganz glatten, ſchlüpfrigen Haut für ganz ankerlos hielt, ſo lange ich die Haut nicht mikroſkopiſch unterſucht hatte.“ Über die Entwickelungs- und Verwandlungsgeſchichte der Holothurien ſind wir jetzt ziemlich genau unterrichtet. Schon Baur hat die gefingerte Klettenholothurie von Trieſt daraufhin auf das eingehendſte unterſucht, wenn auch erſt in neueſter Zeit die Deutung der erſten Entwickelungsvorgänge geglückt iſt. Man fängt die mikroſkopiſch kleinen Larven der Holothurien und der meiſten anderen Echinodermen vorzüglich mit einem feinen Gazenetz bei ruhigem Wetter an der Oberfläche des Meeres. Die ſpäteren Stufen der Spnapte verſchaffte ſich Baur, indem er ein eben— Sr: 2 falls ſehr engmaſchiges Schlepp⸗ | netz über den Wohngrund der Tiere hinzog und den reichlich gewonnenen Schlamm ausſpülte. Die zarten Weſen blieben dann im Netz zurück. Die nicht ganz Imm lange Larve hat ein von dem ausge— wachſenen Echinoderm völlig ab— 5 an weichendes Ausſehen, iſt nicht 1 DNS N "| | ſtrahlenförmig, ſondern ſymme— VA In | | Jtriſch gebaut und hat ungefähr die Geſtalt eines ganz flachen Bootes mit deckartig übergebogenem Vor— g der- und Hinterende und welligen N g Rändern. Dieſer ununterbrochene loth urie: ]) Lane 2) Puppe. 50 mal vergrößert. Rand iſt mit einer Wimperſchnur beſetzt, durch deren Thätigkeit das kleine Weſen mit dem pyramidalen Vorderende voran ſpiralig ſich drehend ſchwimmt. Das wichtigſte innere Organ der Larve (ſ. obenſtehende Abbildung, Fig. 1) iſt der Darmkanal (a Mundöffnung, b Magen, e Afteröffnung). Außerdem erblicken wir in der Larve ein paar wurſtförmige Körper (d), welche allmählich den Darm umwachſen und ſich zur Leibeswand der Synapte ausbilden. Aus einem anderen Teile (e) entwickelt ſich das Gefäßſyſtem. Im Hinterende ſind ein Paar Kalkrädchen ſichtbar, welche im ausgewachſenen Tiere zwar ver— ſchwunden ſind, aber ſich ausgezeichnet zur Kontrollierung der zuſammengehörigen Ent— wickelungsſtadien bewährt haben. Unſere Larve geht nun in einen Puppenzuſtand (Fig. 2) über, welcher ungefähr das Ausſehen einer Tonne hat. Statt des früheren zuſammenhängen— den Saumes finden wir nun Wimperreifen. In dieſem Tönnchen wächſt aus den ſchon oben ſichtbaren Keimen der eigentliche Körper der Synapta heran; wir ſehen die Fühler (i), den blaſenförmigen Anhang des Gefäßringes (T) und die Längsmuskeln (J). Später noch öffnet ſich das Vorderende der Tonne, und es wachſen die Fühler hervor, die Wimper— reifen der Tonne verſchwinden, aber die Tonnenwand legt ſich als äußerſte Hautſchicht um den Körper der Synapta. Noch längere Zeit, nachdem die Tierchen ſchon die Wimper— reifen verloren haben und nur im Schlamm herumzukriechen vermögen, verraten ſie ihre Herkunft durch die Kalkrädchen. Sie find dann auch nicht länger als 1 mm, wachſen aber ziemlich raſch - Klettenho Kletterholothurie: Entwickelung. — Seeigel im engeren Sinne. 513 Viele, vielleicht alle jungen Holothurien machen eine Periode durch, während welcher ihr Ambulacralſyſtem (die Saugfüßchen) lediglich auf die Kiemententakeln allein oder auf dieſe nebſt einigen noch im Umkreiſe des Mundes ſtehenden eigentlichen Saugfüßchen be— ſchränkt iſt. In dieſem Zuſtande kriechen ſie, den Mund nach unten gekehrt, dieſelbe Lage einnehmend, welche die Seeigel, Seeſterne und Schlangenſterne zeitlebens beibehalten. Dann, wenn ſie ſich ſtrecken und die Ambulacra hervorkommen, legen ſie ſich auf die Seite. Unter dieſem, dem richtigen, durch die Entwickelungsgeſchichte gegebenen Geſichtspunkte, iſt die Klettenholothurie nicht eine extreme Bildung, ſondern, wie wir oben bemerkten, eine auf einem embryonalen Stadium verharrende Form. Die Artenzahl der drei Seewalzenordnungen ſtellt ſich gegenwärtig auf etwa 500. Zweite Klaſſe. Die Seeigel (Echinoidea). Die Seeigel bilden die an lebenden und foſſilen Formen und Arten reichſte Abteilung der Stachelhäuter, indem ſie ſich nach Bronns durch die Entdeckungen der Neuzeit, be— ſonders durch die Tiefſeeexpeditionen der Engländer, Franzoſen und Amerikaner allerdings bedeutend überſchrittener Zählung auf 1650 belaufen, auch machen ſie dem Namen der Klaſſe die meiſte Ehre. Unter allen aber zeichnet ſich als eigentlicher Seeigel die Sippe Echinus aus, an welche wir zunächſt unſere Mitteilungen zu knüpfen gedenken. Alle Mitglieder der Ordnung haben ein aus vier⸗, fünf- oder ſechsſeitigen Platten zu— ſammengefügtes gehäuſeartiges Hautſkelett, an welchem ſich in der Familie der eigent— lichen Seeigel ein größerer Ausſchnitt im Zentrum des nach unten gekehrten Poles be— findet. Dieſer Ausſchnitt aber iſt bis auf die Mundöffnung mit einer weichen Haut überſpannt. Bei den anderen Familien iſt der für die Mundöffnung beſtimmte Schalen { ausſchnitt bedeutend kleiner. Gehäuſe des l a von den Stacheln Die Echinen oder Seeigel im engeren Sinne (Echini) find diejenigen von regelmäßiger Apfel- oder Laibform, an denen die Afteröffnung dem Mundpole gegenüberliegt, während die Saugfüßchenreihen von einem Pole zum anderen verlaufen. Man erblickt die paarigen Löcher für die Saugfüßchen und Bläschen natürlich am deutlichſten an Gehäuſen, welche ganz oder teilweiſe der Stacheln beraubt ſind. Dieſe ſogenannten Ambulacralplatten wechſeln mit Reihen ſolcher Platten ab, welche mit durchbohrten oder nicht durchbohrten Höckern und Buckeln verſehen ſind. Auf dieſen ſitzen die Stacheln, an ihrer Baſis über dem Buckel von einer mit vielen Muskelfaſern verſehenen Scheide umgeben und daher nach allen Richtungen beweglich. Am lebenden, in ſeinem Element ſich befindlichen Seeigel bemerkt man ſehr bald, daß die Stacheln keineswegs bloße Verteidigungsorgane ſind; ſie dienen auch als Stützen und als Stelzen und Füße, ja ſie können ſogar, wie ich unten zeigen werde, als Arme zum Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 33 514 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel. Erfaſſen und Weitergeben von Gegenſtänden dienen. Höchſt eigentümliche Organe ſind die ſogenannten Pedicellarien, welche als kleine, aber mit bloßem Auge erkennbare zwei— oder dreiſchenkelige Zangen auf beweglichen Stielen zwiſchen den Stacheln über die ganze Körperoberfläche verbreitet ſind. Dieſe, gleich den Stacheln in außerordentlicher Mannig— faltigkeit vorkommenden Organe find, wie ihre Entſtehung und Entwickelung lehrt, nichts anderes als modifizierte Stacheln. Schon O. F. Müller entdeckte ſie im vorigen Jahr— hundert, was eben nicht ſchwer war, da ſie ein ſcharfes Auge recht gut ſieht. Aber wegen der ſonderbaren ſchnappenden Bewegungen, die jede einzelne Pedicellarie ausführt, wurden ſie von Müller für polypenartige Schmarotzer der Seeigel gehalten. Erſt der neapolita— niſche Zoolog delle Chiaje (1825) erkannte fie als Teile der Hautbedeckungen und hielt ſie für Haft- und Greifwerkzeuge, welche beſonders dazu dienen ſollten, kleine Nahrungs— teilchen zu erhaſchen und ſich einander bis zum Munde zuzureichen. Aber das iſt unrichtig, und erſt neuerdings haben uns die Beobachtungen von A. Agaſſiz Aufſchluß über die eigentümlichen Dienſte der Pedicellarien gegeben. Wir führten an, daß die Afteröffnung ſich gerade oben auf dem Scheitel des kugeligen Körpers befindet. Die Lage iſt, muß man eingeſtehen, für die Reinlichkeit eine ſehr ungünſtige, wenn — die Pedicellarien nicht wären. Dieſe nämlich faſſen die in kleinen Brocken erſcheinenden Exkremente und geben ſie ihren Nachbarn bis über die Wölbung des Gehäuſes hinaus, wo die Exkremente ohne weitere Gefahr der Verunreinigung ins Waſſer fallen können. „Nichts iſt merkwürdiger und unterhaltender“, ſagt A. Agaſſiz, „als die Geſchicklichkeit und Ordnung zu beobachten, womit dieſes Geſchäft verrichtet wird. Man kann ſehen, wie die ausgeworfenen Teile ſehr ſchnell die Streifen paſſieren, wo die Pedicellarien am dich— teſten ſtehen, als ob es ebenſo viele Abfuhrſtraßen wären; auch ſtellen die Zangen ihre Arbeit nicht eher ein, als bis die ganze Oberfläche des Tieres durchaus gereinigt iſt. Dieſe kleinen merkwürdigen Organe haben jedoch noch andere, als dieſe löblichen und nützlichen Geſchäfte von Gaſſen— kehrern. Sie ſind über den ganzen Körper verteilt, während ſie die Exkremente nur längs beſtimmter Wege fortſchaffen. Beſonders zahlreich finden fie fi) um den Mund herum, wo ſie kürzer und feſter ſind. „Bei genauer Beobachtung der Bewegungen der Pedicellarien bemerken wir, daß ſie außerordentlich thätig ſind, indem ſie ihre Zangen unaufhörlich öffnen und ſchließen, ſich nach allen Richtungen hin ausſtreckend; da die Biegſamkeit der Stielſcheide ihnen geſtattet, ſich nach allen Winkeln und Ecken zwiſchen den Stacheln zu bewegen, ſo gelingt es ihnen gelegentlich auch, irgend eine unglückliche kleine Kruſtacee, einen Wurm oder ein Weichtier zu packen, die ſich zwiſchen den Stacheln verwickelt haben. Doch ſcheinen ſie ihre Beute nicht zum Munde zu führen (wenigſtens habe ich nie Seeigel auf dieſe Weiſe erfaßte Nahrung freſſen ſehen), ſondern nur von der Körperoberfläche zu entfernen, wie andere ſchlechte Stoffe. Ihre Art zu freſſen (ſie weiden gewiſſermaßen mit ihren ſcharfen Zähnen die Oberfläche der Felſen ab) ſcheint auch nicht die Annahme zu begünſtigen, daß die Pedicellarien als Eßzangen benutzt werden.“ In manchen Fällen ſind mit den Pedicellarien kleine Giftdrüschen verbunden, deren Sekret durch jene abfließt. Am ſtärkſten entwickelt ſind beſondere Giftapparate bei Pedicellarien. a) eine zweizinkige; b) dieſelbe geöffnet; e) eine dreizinkige. 20mal vergrößert. Pedicellarien und Giftdrüſen. Augen bei den Diadematiden. 515 Asthenosoma und hier von den Vettern Paul und Fritz Saraſin am gründlichſten unterſucht worden. Als dieſe Forſcher ſich behufs zoologiſcher Unterſuchungen in Ceylon aufhielten, brachten ihnen ihre Fiſcher eines Tages einen prachtvollen, ziemlich flachen, regel— mäßigen Seeigel mit weicher lederartiger Haut, einen ganz nahen Verwandten des auf S. 519 abgebildeten Asthenosoma hystrix. Das Tier hat kurze, ſchön rotbraune Stacheln, und entlang der Zwiſchenſtrahlen verliefen Reihen herrlich blauer, wie Atlas glänzender Knöpfchen. „Als wir das Tier angreifen wollten, warnten uns die Leute eindringlich; ſie ſagten, es ſchmerze heftig und mache Fieber; der Taucher, der es gefunden, habe es nicht angefaßt, ſondern mit einer Kokosnußſchale aus der Tiefe geholt. So berührten wir es vorſichtig mit der Fingerſpitze, fühlten aber ſofort ſehr heftig brennende Schmerzen, wie von mehreren Immenſtichen, die ſich aber nach einigen Minuten ohne weitere Folgen wieder verloren.“ Nähere Unterſuchung des wegen ſeiner Fähigkeit, neſſelnd zu brennen, von unſeren Zoologen Asthenosoma ureus genannten Tieres lehrte, daß jene ſchönen blauen Knöpfchen der Sitz der unliebſamen Eigenſchaften ſeien. Dieſelben befinden ſich nicht allein auf den Interradien, ſondern auch ſonſt überall zwiſchen den Stacheln zerſtreut, dort aller— dings weit dichter, hier viel einzelner ſtehend. Sie ſind wie die Pedicellarien nichts als umgebildete Stacheln mit außerordentlich ſcharfer Spitze, welche in einer Hülle ſtecken, die ſich am freien Ende knoſpenförmig verbreitert und im Inneren einen Hohlraum hat, in welchem die Stachelſpitze liegt. Die Wandungen der Knoſpe ſind unten und an den Seiten muskulös, oberhalb der Nadelſpitze aber von einem feinen Loche durchſetzt. Der innere Hohlraum enthält eine giftige Feuchtigkeit, welche in die Poren des vorderen Nadelendes eindringt. Sobald man nun ein ſolches Knöſpchen berührt, ſo ziehen ſich die Muskeln der Wandung nach hinten zuſammen, die Stachelſpitze dringt mit Gift imprägniert aus dem Loch vorn am Giftbeutel heraus und in die Haut des Berührenden ein. Andere Organe auf der Oberfläche der Seeigel ſind in Bezug auf ihren Nutzen ziemlich rätſelhaft. So liegen in fünf beſtimmten Platten um den Rückenpol herum fünf rote punktförmige Organe, welche nach der Lage zu den Ambulacren und ihrem Verhält— nis zum Nervenſyſtem ſicher den zweifelloſen Augen der Seeſterne entſprechen. Richtige, bilderzeugende Augen ſind es indes gewiß nicht, und ihre Lage iſt in der That faſt komiſch. Ich finde nicht, daß jemand ſich die Frage ernſtlich vorgelegt hat, was wohl dem Seeigel ſeine Augenpunkte nützen könnten. Sie ſind den Richtungen, in welchen die Tiere ſich faſt ausnahmslos bewegen, ſo abgewendet, daß eine direkte Orientierung durch die obendrein zwiſchen den Stacheln und Pedicellarien verſteckten Augen ganz unmöglich erſcheint. Die Erklärung ſcheint mir die annehmbarſte, daß die Seeigel-Augen rudimentäre Organe ſind, von Vorfahren herſtammend, wo ſie, ähnlich wie bei den Seeſternen, eine vorteilhafte Lage einnahmen. Vielleicht genügen ſie aber auch, eine dem Tier von obenher drohende Ge— fahr, den Schatten eines nahenden Gegners etwa, zu verraten, ſo daß es Zeit gewinnt, ſeine Stachelbewaffnung in geeigneter Art anordnen zu können. Wahre Augen fanden Paul und Fritz Saraſin bei Diadematiden (Diadema setosum und Astropyga Freudenbergii), einer Familie der regelmäßigen Seeigel. Diadema setosum iſt in allen wärmeren Meeren, auch um Ceylon verbreitet und iſt äußerſt empfindlich gegen Licht und Schatten. Nähert man ſich einem Exemplar, ohne das Waſſer oder das Gefäß, in dem es ſich befindet, zu berühren, ſo wendet es ſeine äußerſt ſpitzen langen Stacheln, welche leicht abbrechen und in die Haut eingedrungen ſehr leb— haft ſchmerzen, immer nach der Seite hin, von welcher ſich ihm die Hand nähert; eine Reaktion, die nur in der Gegenwart von Augen ihre Erklärung finden kann. Und ſolche Augen ſind auch in der That und in großer Anzahl vorhanden und zwar in Geſtalt leb— haft glänzender, von der ſchwarzen Oberhaut des Tieres ſich prachtvoll abhebender blauer 33* 516 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel. Flecke von verſchiedener Größe. Die größten liegen in den fünf interradiären Platten um den After und zwar in jeder Platte je eins. Von hier verläuft eine Reihe kleinerer entlang dem ſtachelloſen Mittelteile des Zwiſchenſtrahls. Dieſer gabelt ſich ungefähr in der Mitte der Schale, und ebenſo gabelt ſich auch die Reihe blauer Fleckchen, welche nach der Mundfläche des Seeigels an Glanz immer mehr abnehmen und immer einzelner auf— treten. Weiter läuft um die Baſis eines jeden Stachels des Interradius ein Kränzchen ſolcher kleinen Fleckchen, und ebenſo verläuft eine Reihe entlang der Ambulacralrinne. Die nähere Unterſuchung der Flecke lehrte, daß ſie ganz regelrechte Augen waren, welche in ihrem Bau lebhaft an die der Inſekten erinnerten, alſo zuſammengeſetzt waren. Sie be— ſtanden je nach der Größe des Fleckes nur aus wenigen oder vielen Hunderten meiſt ſechs-, ſeltener fünfſeitiger Pyramiden einer durchſichtigen, ſtark lichtbrechenden Subſtanz, welche mit ihrem ſpitzen Ende in Bechern ſchwarzen Pigmentes ſaßen. Da eine jede ſolche Pyramide in gewiſſem Sinne einem einzelnen Auge entſpricht, ſo iſt die Geſamtzahl der bei Diadema setosum und ganz ähnlich bei Astropyga Freudenbergii vorhandenen eine ungeheure. Der ſchwediſche Zoolog Sven Xoven hat noch eine neue Art mikroſkopiſcher Organe bei allen ſeeigelartigen Stachelhäutern entdeckt, welche er Sphäridien oder Kugelorgane nannte. Es ſind ellipſoidiſche, kugelige Körperchen in der Nähe des Mundes und auf den unteren Ambulacralplatten. Sie nähern ſich in ihrem feineren Baue den Stacheln, aber aus ihrer Stellung, oft in kleinen Grübchen und unter anderen Schutzvorrichtungen, ſowie dem Umſtande, daß ſie mit beſonderen Nerven ver— ſehen ſind, läßt ſich der Schluß ziehen, daß ſie ya Sinneswerkzeuge ſind. Loven möchte fie für 2 1 eine Art von Geruchswerkzeugen halten. Zahngerüſt des Stein-Seeigels. Natürliche Größe. Unter allen Sippen der Ordnung ſind die Echinen mit dem ſtärkſten Kauapparate aus— geſtattet. Das Gerüſt wird von dreiſeitigen, faſt pyramidalen Stücken mit mehreren Neben— knöchelchen zuſammengeſetzt, in deren jedem ein langer, am freien Ende recht feſter Zahn enthalten iſt. In der vorſtehenden Abbildung iſt a das Ganze, b eine iſolierte Zahn: pyramide von der inneren Seite, e diejelbe von oben. Der in d abgebildete, mit fünf Ohren verſehene Kalkring befindet ſich als Teil der Schale im Umkreiſe des Mundausſchnittes am Gehäuſe und dient zur Fixierung und Stütze des Gebiſſes. Trotz des fürchterlichen Ausſehens und des ſcharfen Gebiſſes ſind die Seeigel im all— gemeinen ſehr harmloſe Tiere. Sie ſind ungemein träge und ſcheinen ſich weſentlich nur von den Seegräſern und Tangen und den daran angeſiedelten Tieren zu nähren. Ich habe die Gewohnheiten des Stein-Seeigels (Echinus saxatilis oder Strong ylocen— trotus lividus) beobachtet, welcher im ganzen Mittelmeere gemein iſt und auch längs der dalmatiniſchen Küſte ſich in unzählbaren Scharen in der Nähe des Strandes auf Felſen— grund aufhält. Sie ſuchen teils natürliche Vertiefungen des Bodens auf, teils ſind ſie im ſtande, ſich in dem Geſtein kreisrunde Löcher auszuhöhlen, ja dieſelben derart zu erweitern, daß ſie aus dem ſelbſt gegrabenen Gefängnis nicht wieder heraus können. Wie ſie in dieſem Falle mit ihrer großen Gefräßigkeit auskommen, weiß ich nicht. Sollten hier doch vielleicht die Pedicellarien als Handlanger dienen? Der neueſte Unterſucher des Bohrens der Seeigel, Georg John, faßt das Reſultat ſeiner Beobachtungen dahin zuſammen: „Die in den Geſteinen gefundenen und von Seeigeln bewohnten Höhlen rühren von dieſen ſelbſt her. Der Echinus erzeugt ſeine Wohnſtätten mittelſt ſeines Kauapparates und ſekundär mit Hilfe der Stacheln durch rotierende Bewegung. Er bohrt ſich ſolche Höhlungen, um einen Sphäridien und Kauapparat. Stein-Seeigel. 517 Schutz gegen das brandende Meer zu haben. Die Kalkalgen, welche die von Seeigeln be— wohnten Geſteine bedecken, lagern ſich mechaniſch auf das Geſtein und haben keinen Ein— fluß auf die chemiſche Beſchaffenheit der Oberfläche desſelben, können daher auch nicht mit dem Entſtehen der Echinus-Höhlen in Zuſammenhang gebracht werden.“ An vielen Stellen iſt der Grund des Meeres entlang der dalmatiniſchen Küſte ganz dunkel von Exemplaren des Stein-Seeigels. Die meiſten der regungslos ſich ver— haltenden Tiere tragen einige Muſchelfragmente, Steine und dergleichen auf dem Rücken, wo ſie durch die zunächſt befindlichen Saugfüßchen feſtgehalten werden. Ich nahm ein Exemplar mit auf mein Zimmer, entfernte ſeine Bürde vom Rücken und ſetzte ihn in ein weißes mit Meerwaſſer gefülltes Becken. Er fühlte ſich offenbar ſehr unbehaglich, ſuchte ſich zu verbergen und bedeckte ſich alsbald mit Stücken der Lattich-Ulve und Algen, die ich mit in das Becken gethan. In einer Viertelſtunde hatte er ſich vollkommen eingehüllt und auch die Muſchel, die ich ihm abgenommen, wieder auf ſeinen Rücken gebracht. Ent— fernte ich ein größeres Stück der Ulve, ſo ſetzte er ſich in Bewegung, aber nur, um das verlorene Mantelſtück zu ſuchen, wobei er ſehr bedacht war, das, was er ſich ſonſt um— gehangen hatte, nicht zu verlieren. Ich nahm ihm nun die Muſchelſchale, die er als ein ſo wertvolles Gut auf dem Rücken trug, und legte ſie ihm in den Weg. Daran an— gekommen, ſetzte er die Scheiben einiger Saugfüßchen an und ſtellte die Schale nach einigen vergeblichen Verſuchen, da ihm die Stacheln hinderlich waren, auf die Kante. Nun aber, als dies gelungen, benutzte er mit großer Geſchicklichkeit die Stacheln und hob mit ihnen und zog mit den ſich ablöſenden Saugröhren ſeinen Beſitz binnen wenigen Minuten auf den Rücken. Beim Kriechen werden, wie geſagt, die Stacheln als Stelzen benutzt, die Saugröhrchen zum Ziehen. Sie können über die Stacheln hervorgeſtreckt werden, und ein mit vielen Saugröhren vor Anker liegender Seeigel gleicht dem von den Lilliputanern gefeſſelten und angeſtrickten Gulliver. Mein Bootsmann in Leſina, der ſeit Jahren mich auf meinen dortigen Exkurſionen be— gleitete, konnte vom Boote aus die Männchen und Weibchen des Echinus saxatilis unter: ſcheiden. Die erſteren ſind etwas kleiner, dunkler und kugeliger, die Weibchen platter und mehr ins Rötliche violett. Mir wurde die Unterſcheidung ſehr ſchwer, mein Gehilfe täuſchte ſich jedoch nie. Es ſcheint mir dies die erſte Notiz über die äußere Verſchiedenheit der Geſchlechter zu ſein. Eine andere Behauptung meines Fiſchers begleitete ich zuerſt mit dem ungläubigſten Lächeln. Er ſagte nämlich, nie würden von den Männchen die Steine und Muſchelfragmente auf den Rücken genommen, und richtig, alle die mir vom Boote aus als Männchen bezeichneten Tiere ohne jene Bürde erwieſen ſich als Männchen, während ausnahmslos die zahlreichen Stein- und Muſchelträger, welche ich aufbrach, dem anderen Geſchlechte angehörten. Es iſt nämlich ſehr leicht, während der Fortpflanzungszeit, die faſt das ganze Jahr hindurch zu dauern ſcheint, an den geöffneten Tieren das Geſchlecht zu erkennen. Die Weibchen haben fünf ſchöne gelbe traubenförmige Eierſtöcke, und dieſe gewähren als eine ſehr ſchmackhafte Speiſe den einzigen Nutzen, den man den Seeigeln nachrühmen kann. Ich bekam den Stein-Seeigel zum erſten Male auf einem franzöſiſchen Dampfer beim Diner vorgeſetzt, und ein regelmäßiger Konſum ſcheint ſich auch nur auf die franzöſiſchen Mittel— meeküſten zu beſchränken, doch werden ſie auch auf Korfu ſehr gern gegeſſen. In Mar— ſeille allein ſollen jährlich 100,000 Dutzend auf den Markt gebracht und das Dutzend zu 20—60 Centimes verkauft werden. Auch die Kabeljaus und Dorſche freſſen gern Seeigel, wie Agaſſiz ſagt. 518 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel. Erſt im Sommer 1875 hat Dohrn eine thatſächliche Erklärung jenes Eifers mancher Seeigel, ſich mit verſchiedenen Gegenſtänden zuzudecken, verſucht, indem er von ähn— lichen Erſcheinungen bei den höheren Krebſen ausging (ſ. S. 35). Er beobachtete den im Mittelmeere ebenfalls ſehr häufig vorkommenden kurzſtachligen Seeigel (Toxo- pneustes brevispinosus). Er jagt: „Man wird ſelten ein Exemplar dieſes Seeigels im Aquarium finden, das nicht auf der aboralen (Rücken-) Seite eine Anzahl von Muſchel— ſchalen mittels ſeiner Saugfüßchen feſthielte. Das geht ſogar ſo weit, daß ich mehrfach Toxopneustes mit jo viel Muſchelſchalen beſetzt fand, daß von dem Tiere ſelbſt gar nichts mehr zu ſehen war. Ich zählte auf einem Exemplare von 2 Zoll Durchmeſſer 26 Muſchel— ſchalen, jede von etwa einem Zoll Länge und einem halben Zoll Breite. Bei der Fort— bewegung des Tieres wird alſo der Eindruck hervorgerufen, als käme ein Haufen Muſcheln näher. Dieſe, an „mimiery“ erinnernde Thatſache, ſcheint mir auch in der That die Er: plikation derſelben zu ſein. Ich habe mehrfach Beobachtungen und Experimente über die Ernährungsweiſe dieſer Seeigel gemacht und habe gefunden, daß ſie gefährliche Räuber ſind. Am auffallendſten war es mir, daß ſie beſonders gern Squilla mantis (Heuſchrecken— krebs) freſſen. Man ſollte meinen, dieſem großen Krebſe müßte es ein Leichtes ſein, dem kleinen und langſam ſich bewegenden Echinoderm aus dem Wege zu gehen. Es iſt aber Thatſache, daß, wenn ich ein Dutzend Squilla in dasſelbe Baſſin ſetzte, in welchem ebenſoviel Toxopneustes ſich befanden, in 8— 10 Tagen ſämtliche Squilla von den See— igeln aufgefreſſen waren. Ich habe oft geſehen, wie die Seeigel ihre Beute ergriffen. Indem ſie ſich fortbewegen, ſetzen ſie einige Saugfüßchen auf irgend einen Körperteil des Krebſes. Der Krebs fühlt es und will entrinnen, aber raſch entſendet der Seeigel weitere Hilfstruppen, und aus allen benachbarten Bezirken ſpannen ſich die Ambulacralfüßchen in weiten Bögen, bis ſie die Squilla erreichen. Nun läßt der Echinus all die Füßchen los, die ihn zu weit vom Krebſe entfernt halten, und rückt dem Opfer näher, das ver— gebliche Anſtrengungen macht, zu fliehen. Indem der Echinus ſich mit dem einen Teile der Saugfüßchen an einem Felſen oder an der Glasſcheibe des Baſſins feſthält, ſchiebt er den Krebs mittels der übrigen Füßchen langſam um ſeinen Körper herum, bis er in den Bereich des Mundes kommt. Dann fängt er an, ihn aufzufreſſen. Das dauert ge— wöhnlich mehrere Tage. Sehr häufig geſellen ſich noch 1 oder 2 andere Toxopneustes hinzu, und die Mahlzeit wird gemeinſam gehalten. Ich habe öfters beobachtet, daß ein Toxopneustes im ftande iſt, eine Squilla von 6 Zoll Länge zu fangen, indem er mittels der Saugfüßchen die breite Platte der äußeren Antennen ergriff. Der Krebs machte große Anſtrengungen durch Körperbewegungen, beſonders durch Umbeugen des Hinterleibes ſich plötzlich loszureißen, aber meiſt brachte er ſeinen Körper durch ſein Ungeſtüm in größere Nähe des Feindes, und die weit ausgeſpannten Saugfüßchen hefteten ſich ſofort auch auf andere Körperteile feſt. „Es iſt begreiflich, daß einem ſo furchtbaren Feinde, gegen den es kaum eine andere Ver— teidigung als Flucht gibt, vor allen Dingen aus dem Wege gegangen werden muß. Ebenſo begreiflich ſcheint es dann auch, daß der Angreifer ſich zu verſtecken ſucht, — und auf dieſe Tendenz ſchiebe ich die ſonderbare Neigung der Echinen, ſich mit Muſchelſchalen zu bedecken, die ſehr viel harmloſer ausſehen als der Stachelpanzer des gefürchteten Echinoderms.“ Wir müſſen zugeben, daß für die von Dohrn beobachtete Art die Erklärung des Muſcheltragens etwas Verlockendes hat. Allein kein anderer Beobachter hat bisher von einem fleiſchfreſſenden Seeigel berichtet, während von Agaſſiz eine ganze Reihe von Arten namhaft gemacht worden ſind, welche immer oder gelegentlich ſich Löcher in Felſen aus— höhlen und damit unbedingt, wie unſer Stein-Seeigel, auf größere Tiere als Nahrung verzichten müſſen. Auch Simroth, der auf den Azoren oft genug Seeigel beobachtete, Kurzſtachliger Seeigel. Kletternde Seeigel. 519 die ſich namentlich mit Patellaſchalen zudeckten und dieſe mit ihren Saugfüßchen feſt— hielten, ſieht in dieſer Eigentümlichkeit der Tiere bloß die Befriedigung eines Schutz— bedürfniſſes gegen äußere Unbilden. Übrigens haben wir kaum die Lebensweiſe der Seeigel, wie überhaupt ihrer Klaſſen— genoſſen, zu beobachten angefangen, und werden wir noch künftighin durch eine Menge von Anpaſſungen und unerwarteten Gewohnheiten überraſcht werden. Wer hat ſchon von kletternden Seeigeln gehört? Ich meine nicht ſolche, die langſam ſich an ſteilen oder überhängenden Felſen halten und hinaufziehen, ſondern welche, gleich unſerer Cucumarie, auf baumförmige Seegebilde mit Vorliebe ſteigen und auf dem feinſten Aſtwerke von *V NE N NOT 0 IN 8 Au J R N NN % N AS) N N 2 25 > ie 0 00 N) 7 \ N 0 N Leder-Seeigel (Asthenosoma hystrix). ½ natürl. Größe. Polypen und Tangen ſich vermittelſt ihrer über Körperlänge ausgeſtreckten Saugfüßchen ſichern. Eine ſolche Art, Psammechinus microtuberculatus, bietet ebenfalls das Aqua— rium der zoologiſchen Station in Neapel. Übrigens iſt hinſichtlich der Bewegungsweiſe der Seeigel wohl noch ſehr viel zu be— obachten, wie aus den gelegentlichen Bemerkungen von Agaſſiz in ſeinem großen Werke („Revision of the Echini‘‘) hervorgeht. So benutzen die Arten von Arbacia bei der gewöhnlichen horizontalen Fortbewegung nicht die Saugfüßchen, ſondern laufen geſchickt und ſchnell auf den Stacheln, wie auf Stelzen. Das ſpatelförmige Ausſehen derjenigen Stacheln, welche in der Nähe des Mundes ſtehen, rührt ohne Zweifel von der Abnutzung beim Gehen her. Wenn die Tiere jedoch ſteigen und klettern wollen, nehmen ſie die Saugfüße zu Hilfe. Aus der Beſchaffenheit des Skelettes der Seeigel erklärt es ſich, daß die foſſilen Reſte ihrer Vorfahren in größter Menge gefunden werden. Eine Menge wichtiger Beziehungen dieſer foſſilen Formen untereinander und einſt exiſtierender zu den jetzt lebenden haben ſich daraus ergeben. Einer der merkwürdigſten Seeigel, welchen Profeſſor Grube einſt nach einigen Bruchſtücken Asthenosoma genannt, aber erſt Wyville Thomſon in ſeiner 520 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel. ganzen Vollſtändigkeit und Schönheit lebend beobachtet hat, iſt der Leder-Seeigel (Asthenosoma hystrix, ſ. Abbild. S. 519). Als auf der bekannten Dredſchfahrt des „Porcupine“ zwiſchen Irland und den Faröerinſeln einmal aus einer Tiefe von 450 Faden das Netz heraufkam, leuchtete den ſpähenden Augen der Zoologen, Thomſon und Carpen— ter, aus der Beute ein ſcharlachroter großer Seeigel entgegen. Man hielt ihn für ein außergewöhnlich ſtarkes Exemplar des in den nordiſchen Meeren häufigen Echinus Flem— mingii; und da es ſehr unruhige See und das Einholen des Netzes ſchwierig war, mußte man erwarten, daß das Tier in Stücken ginge. Zur großen Überraſchung rollte das Entwickelung des Strongylocentrotus Droebachiensis, Fig. 1—8. Tier unverſehrt aus dem Beutel und nahm auf dem Verdecke die Geſtalt eines runden roten Kuchens an. Mit allen ſonſtigen Kennzeichen eines Seeigels, den Ambulacralfüßchen— Reihen, den Stacheln, den bläulichen ſcharfen Zähnen, verband ſich eine wie Leder bieg— ſame Schale, über welche wunderliche Wellenbewegungen liefen. Es zeigte ſich, daß dieſe Beweglichkeit deshalb möglich iſt, weil die Platten, welche das Gehäuſe auch dieſer Seeigel— form bilden, nicht mit ihren Rändern aneinanderſtoßen, ſondern ſich dachziegelartig decken und durch biegſame Hautſtreifen miteinander verbunden ſind. Thomſon nannte ihn Calveria. Auch andere Formen und beſonders ſolche, welche die Tiefſee bewohnen, zeigen eine ähnliche reiche, nachgiebige Beſchaffenheit der Schale. So kann man Phormosoma uranus, eine dem Asthenosoma verwandte Art, aus etwa 3000 m Tiefe aufrollen wie ein Blatt Papier und eine andere ziemlich hohe und ſpitze Art (Cystechinus vesica), welche zwiſchen 3000 und 4000 m vorkommt, gibt jedem Drucke nach und Alexander Agaſſiz vergleicht ſie daher mit einem alten, zerknüllten Filzhut. Leder:Seeigel. Entwickelung des Strongylocentrotus. 52] „Überhaupt“, bemerkt Marſhall, „nimmt die Feſtigkeit und der Reichtum an Kalk der Koronen (Schalen) der Seeigel mit der Tiefe ab, ſogar bei Exemplaren derſelben Art. Möglich, daß hieran, ſtellenweiſe wenigſtens, die Armut der tieferen Gewäſſer an Kalk ſchuld iſt, wahrſcheinlich indeſſen iſt die Urſache dieſer Erſcheinung darin zu ſuchen, daß die Tiere in den größeren Tiefen ein im ganzen friedlicheres Leben führen und feſter Panzer demzufolge nicht bedürfen.“ Wir haben oben einige Bruchſtücke aus der ſo auffallenden Entwickelungs- und Jugend— geſchichte der Holothurien mitgeteilt und ſchon darauf hingewieſen, daß alle Echinodermen, mit wenigen Ausnahmen, wo direktere Entwickelung ſtattfindet, die außerordentlichſten Verwandlungen durchmachen. Mit demſelben Rechte, womit der Raupenzuſtand in die Lebensgeſchichte des Schmetter— lings aufgenommen wird, muß hier von den Echino— dermenlarven die Rede ſein. Die vollſtändigſte Reihe von Beobachtungen einer Seeigelart verdanken wir in neueſter Zeit Agaſſiz. Sie betrifft den ſowohl an den nordeuropäiſchen als den nordamerikaniſchen (Oſt-) Küſten lebenden Strongylocentrotus Droe- bachiensis Das mikroſkopiſche Ei umgibt ſich mit einer Schichte von Zellen, welche an dem einen Pole ſich einſtülpt, tiefer und tiefer (ſ. Abbild. S. 520, Fig. 1,2), bis jene Form erreicht iſt, welche die neuere Ent— wickelungsgeſchichte nach Haeckels Vorſchlag mit dem damen Gaſtrula belegt hat (Fig. 3). Wir ſehen an der Umrißfigur eine nach unten gerichtete Offnung a und den Kanal d, die Anlage des Darmes. Schon in dieſem Zuſtande durchbricht der Embryo das Ei x : . ke 8 Entwickelung von Strongylocentrotus, Fig 9. und ſchwärmt vermittelſt eines kleinen Büſchels von a After, e) Darm, d) Magen, e) Arme des Wimpern, der am oberen Pole ſteht. Die Aus- Pluteus, m) Mund 0) Oeſophagus, r) Kalkſtäbe, a N 8 . 8 v) Epauletten, w) Waſſergefäße. dehnung des Wimperbeſtandes auf allen künftigen Stufen iſt durch » (Fig. 4) erſichtlich. Der Darmkanal ſondert ſich nun derart, daß die urſprüngliche Einſtülpungsöffnung After bleibt, eine mittlere Magenhöhle d ſich ausweitet und oben im Munde m durchbricht (Fig. 4 von der Seite, 5 von oben). Aber ſchon vor der Mundbildung zeigen ſich zwei ohrenförmige Ausſackungen, die wichtige Anlage des künftigen Ambulacral- und Waſſergefäßſyſtemes (W). Auch erſcheinen einige zierliche, ſym— metriſch gelagerte Kalkſtäbchen, die nach und nach zu dem einem Zeltgeſtänge oder einer umgekehrten Staffelei ähnlichen Skelett der Larve werden. Es nähern ſich nun die beiden unteren Wimperſchnuranlagen jo, daß die Afteröffnung unterhalb zu liegen kommt (Fig. 7 und 8). Auch ſetzen ſie ſich mit den oberen Streifen in Verbindung und bilden von jetzt an bis zum Ende des Larvenlebens eine einzige ununterbrochene Wimperſchnur. Schon jetzt iſt die Anlage der Zipfel und Fortſätze e, welche ſich ſpäter ſo auffallend verlängern und nicht nur den Seeigeln, ſondern auch den Seeſtern- und Schlangenſternlarven zu ihrem ſo ſonderbaren Ausſehen verhelfen, auf das deutlichſte ausgeprägt. Ein wichtiges Organ unſerer Larve iſt auch der ſich bei b öffnende Gang, welcher dem Waſſergefäß— ſyſtem das Waſſer zuführt. In b kommt die Madreporenplatte des ſpäteren Seeigels 522 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel. 522 Di * zu liegen. Die Larve in ihrer Vollendung zeigt unten Fig. 10, wo auch die ſogenannten Wimperepauletten ihren höchſten Staat erreicht haben. Dieſe ſtärker entwickelten, vorſpringenden Teile der Wimperſchnur empfingen ihren Namen von dem erſten Entdecker der Echinodermenlarven, dem unſterblichen Johannes Müller. Er wurde dazu veranlaßt, weil er und alle die nachfolgenden Beobachter, bis auf Agaſſiz, die natürliche Stellung der Larven verkann— ten, nämlich ſie um— gekehrt annahmen, die Enden der Fortſätze nach abwärts, die Epauletten nach auf— wärts. Die Larve ſchwimmt aber, eben noch mit bloßem Auge zu erkennen, in der ab: gebildeten Lage. Sie zeigt während ihrer ganzen Entwickelung die faſt vollkommenſte Symmetrie, wie die in zwei ſeitliche Hälf— ten zerfallenden, die bilateralen Tiere. Von dieſer Larve geht nur der Magen mit dem Waſſergefäßſyſtem in den Seeigel über, deſ— ſen ſtachliger Körper ſich um den Magen der Larve herum bildet. Sit der kleine eigent— liche Seeigelkörper, der zuerſt flach doſen— förmig iſt, mit ſeinem Entwickelung von Strongylocentrotus, Fig. 10: Die Larve in ihrer Vollendung. Neuen A Munde und Bedeutung der Buchſtaben wie in Fig. 9 (S. 521). einem Kranze von ver: hältnismäßig großen Stacheln in der Larve angelegt, ſo gehen die zum neuen Baue nicht benutzten Teile zu Grunde. Schon während dieſes Überganges hat das kleine, etwas über 1 mm im Durch— meſſer habende Tier (ſ. Abbild. S. 523) ſeine Lebensweiſe völlig verändert. Mit dem Verſchwinden der Wimpern iſt es auf die kriechende Bewegung vermittelſt der Saugfüßchen und der Stacheln angewieſen. Wie lange es dauert, bis es völlig ausgewachſen, alſo je nach der Art einen Durchmeſſer von wenigen bis 16 und 18 em erreicht, iſt unbekannt. Wichtiger iſt der Nachweis von A gaſſiz, welche auffallende Umwandlungen die von ihm unterſuchten zahlreichen Arten während des Wachstumes beſtehen. Er hat gezeigt, daß viele von den älteren Zoologen aufgeſtellte Arten und ſelbſt Gattungen geſtrichen werden Schildigel. 523 müſſen, weil ſie nichts als Jugendzuſtände anderer bekannten Formen ſind. Dies gilt nicht nur von den eigentlichen Seeigeln, von denen wir eben Beiſpiele vorgeführt haben, ſondern in vollem Maße auch von den gleich zu erwähnenden anderen Unterabteilungen der Klaſſe. An die typiſchen Seeigel, wie wir ſie oben kennen gelernt, reiht ſich die Unter— ordnung der Schildigel (Clypeastridae) an. Der Name iſt natürlich ihrer Ge— ſtalt entlehnt. Verſchiedene Gattungen, wie Clypeaster, ſind zwar ziemlich hoch, doch gleichen auch dieſe einem hochbuckeli— gen Schilde, da ihre Unterſeite ebenfalls platt und etwas nach dem Munde hin ver— tieft iſt. Von beiden Seiten plattgedrückt, völlig ſchildförmig, ſind die meiſten Sippen, wie Echinarachnius (ſ. Abbild. S. 524), Mellita und ſo viele andere. Faſt immer iſt der Körper herzförmig, auch bei ſolchen Arten, bei denen dieſe Form durch die tiefen Randeinſchnitte etwas verwiſcht er— ſcheint. Dadurch wird die ganze Geſtalt ſymmetriſch. Die Saugfüßchenfelder (Am— bulacren) des Rückens bilden eine zier— liche Roſette, wovon das eine unpaare Blatt nach vorn gerichtet iſt. Zieht man durch die Achſe dieſes Blattes eine gerade Linie, ſo trifft dieſelbe den Einſchnitt des Hinterrandes, wo die Afteröffnung liegt. Unten in derſelben Achſe nach dem Border: ende zu, aber nahe dem Mittelpunkte der Scheibe, befindet ſich die Mundöffnung. Auch dieſe Gruppe von Seeigeln hat einen Kauapparat. Sie zeichnen ſich durch Dicke und Feſtigkeit der Schale aus, deren obere und untere Wand durch eine Menge von Säulen und unregelmäßigen Scheide— wänden verbunden ſind. Mit dieſer Stärke harmonieren ſehr wenig die borſtenähn— lichen biegſamen kurzen Stacheln. Auch — ET 1 die außerordentlich zahlreichen Saugfüß⸗ e Strigel dat abend chen ſind ſchwach und kurz. Als Be— wegungsorgane dienen nur die an der Unterſeite und auf dem Rande befindlichen. Die— jenigen, welche durch die ſchmalen Spalten der Roſettenblätter hervortreten, ſcheinen nur der Atmung zu dienen, und die übrigen über der Rückenfläche verbreiteten Bläschen haben wahr— ſcheinlich das Geſchäft, Waſſer in die Leibeshöhle aufzunehmen und daraus wieder abzulaſſen. Die Schildigel gehören, einige kleine Übergangsformen zu den echten Seeigeln abge: rechnet, den heißen Meeren an. Von ihrer Lebensweiſe iſt kaum etwas bekannt. m PS 75 2 2 G 2 ö a5 PRIZE EN ’ IS FU NE AB: { X : S) i E . 5 N I = 524 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel. Dagegen führt uns die dritte Hauptgruppe, die der Herzigel (Spatangidae, Abbild. S. 525 oben), obgleich in den wärmeren Meeren überall zu Haufe, auch wieder in die gemäßigten und kalten Zonen zurück. Die Schale iſt dünn und zerbrechlich; der abgerundete ſchmälere Teil iſt das Vorderende. An dem unteren Rande des abgeſtutzten Hinterendes liegt die Afteröffnung, die Mundöffnung an der Bauchſeite gegen vorn. Eine Zahnbewaffnung fehlt. Die Stacheln ſind borſtenartig, kurz und biegſam. Wie in der vorigen Abteilung findet ſich auf dem Rücken eine oft vertiefte Roſette von Atmungsbläschen, welche von einem eigentümlichen geſchwungenen Bande, der Fasciola, umgeben iſt. Dieſer Streifen trägt kleine zarte, ſtachelähnliche Organe mit flimmernden Köpfchen und ſcheint die Roſette von Schmutz rein zu halten, den man längs desſelben ſich anhäufen ſieht. Außerdem aber bilden dieſe Stacheln bei manchen Herzigeln mit vertiefter Ambulacral-Roſette ein Schutz— dach für die Jungen. Dies iſt namentlich der Fall in der Gattung Hemiaster, wie Agaſſiz mit Verwertung einiger älteren Beobachtungen an ſolchen Tieren nach— gewieſen hat, welche bei den Kerguelen ge— ſammelt waren. Die Embryonen machen in dieſen Fällen offenbar nur eine ſoge— nannte verkürzte Entwickelung durch und gehen nicht in jene oben beſchriebenen wunderlichen frei ſchwärmenden Geſtalten über. Die Offnungen der Eileiter ſind ſo gelegen, daß die lebendig geborenen Jun— gen, Umm im Durchmeſſer, gleich in ihren Schutzraum gelangen. Die größte hier von dem amerikaniſchen Naturforſcher ge— fundene junge Brut maß 3 mm. Dieſe Jugendformen ſind auch für die Verwandt— ſchaftslehre von großer Wichtigkeit, indem ſie den regelmäßigen Seeigeln, von denen die Herzigel ſich abgezweigt haben, ähnlich ſind und vorübergehend eine Stufe ein— nehmen, welche in der bisher dem Syſteme Schwierigkeiten bereitenden Familie der Colly— citiden bleibend charakteriſtiſch iſt. Außer den zur Bewegung und zum Anheften dienenden Ambulacralbläschen ſehen wir einige Büſchel mit Scheiben verſehener Bläschen als ausgezeichnete, ſehr empfindliche Taſtwerkzeuge arbeiten. Die meiſten Herzigel leben in größeren Tiefen, etwa von 20 Faden an, auf Schlamm und vorzugsweiſe auf Sandgrund. Etwas eingegraben, ziehen ſie in demſelben ihre Furchen, wobei ſie vermittelſt der ſchöpfkellenartig vorgebogenen Unterlippe ſich ununterbrochen mit Sand füllen. Sie nähren ſich nämlich nur von den organiſchen Beſtandteilen und mikro— ſkopiſchen Organismen, welche zufällig oder infolge ihrer Lebensweiſe im Sande ſich finden. Da nun die Darmwände ſehr dünn und zerreißlich und der Darmkanal immer prall mit Sand gefüllt iſt, erfordert die Zergliederung der Tiere große Vorſicht. Eine der intereſſanteſten Familien der Herzigel ſind die Pourtaleſien (ſ. Abbild. S. 525 unten u. S. 526), von A. Agaſſiz zu Ehren des Grafen Pourtalés benannt. Sie haben eine ſehr eigentümliche, an Steinhämmer erinnernde Geſtalt und leben ſämtlich in großen Tiefen. Manche, vielleicht ſehr viele Herzigel graben ſich vollſtändig in den Sand ein, wie ſolches von Robertſon und Giard an dem in der Nordſee häufigen Amphidetus Schildigel (Echinarachnius parma). Natürliche Größe. Herzigel. Pourtaleſien. 525 cordatus beobachtet wurde. Dieſer dringt 15—20 em tief in den Sandgrund ein und tape: ziert ſich ſeine Wohnung, eine Höhle mit einem federkieldicken Eingange und einer eben ſolchen Ausführungsröhre, mit einer ſchleimigen Abſonderung aus. Die erſte der Röhren A Ne Herzigel (Perinopsis lyrifera). Natürliche Größe. führt auf die Mitte des Rückens, da, wo die Blätter der Fühlerroſette zuſammenſtoßen, und dient zur Waſſer- und Nahrungszufuhr. Der Herzigel vermag ein Büſchel langer, wurmähnlicher Saugfüßchen durch die Röhre und noch mehrere Zentimeter darüber hin— Pourtalesia phiale, nach Entfernung der Stacheln. 4mal vergrößert aus zu ſtrecken; dieſe Saugfüßchen, mit feinem Taſtvermögen begabt, befördern Sand⸗ körner und andere, namentlich organiſche Gegenſtände in die Röhre. Dieſelben werden, uf dem Rücken des Tieres angelangt, von Wimpern und kurzen Stacheln in Empfang genommen und nach der Mundöffnung geleitet. So füllt ſich der Darm, um das durch— paſſierte Material in die zweite Röhre auszuſtoßen. Es ſcheint, als ob das Tier auch das 526 Stachelhäuter. Zweite und dritte Klaſſe: Seeigel, Seeſterne. reichlich und ununterbrochen in den Darmkanal aufgenommene Waſſer gewaltſam durch die Kanalöffnung auspreſſen könnte. Nur jo nämlich erklärt ſich die ſtarke Strömung in der hinteren Röhre, durch welche der verbrauchte Sand wieder an die Oberfläche befördert wird. Wie lange der Amphidetus an einer Stelle bleibt, iſt unbekannt; es iſt auch möglich, daß er, gleich den in Felſen eingegrabenen Seeigeln, in ſeiner Wohnung ſich ſtabil auf— hält und auf die zufällige Nahrungszufuhr angewieſen iſt. Faſt regelmäßig finden ſich in dem mit Schleim ausgekleideten Wohnraume des Herzigels einige kleine Amphipoden— Krebſe (Urothoe) Von beſonderem Intereſſe ſind die Verhältniſſe der Verbreitung, beſonders der ver— tikalen der drei Seeigelordnungen im Meere. A. Agaſſiz nimmt für dieſelbe drei Zonen an: die litorale in der Nähe der Küſten bis zu einer Tiefe von 270 m, die kontinentale, in der die Veränderungen, welche die Kontinente während ihrer geologiſchen Entwickelung gefunden haben, bis zu 900 m, und die abyſſiſche, welche, ſeit ſie überhaupt vorhanden iſt, wenige oder gar keine Ver— änderungen erfahren hat. Sie reicht bis in die größte Tiefe, in der Seeigel über— haupt noch vorkommen. Als ſolche kennen wir vorläufig 5300 m, wo Pourtalesia laguncula gefunden wurde. Ein für die meiſten See— tiere geltendes Geſetz, daß ſie nämlich um ſo einför— miger werden und horizontal um ſo weiter verbreitet ſind, je tiefer die Zone ihres Vorkommens im Meere iſt, finden wir auch bei den Seeigeln be— ſtätigt. Die Verhältniſſe an der Küſte ſind weit mannigfacher als in der Tiefſee: die Unter— ſchiede der Temperaturen und des Untergrundes ſind viel bedeutender dort als hier und die Bewegung des Waſſers, ein die Tierwelt mächtig umgeſtaltender Faktor, kommt in der Tiefe in Wegfall. Auch ein anderes Geſetz, welches ſich aus der vertikalen Verbreitung der Meeresbewohner ableiten läßt, tritt uns bei Betrachtung des Vorkommens der Seeigel ent— gegen: daß nämlich Arten, welche eine ſehr große horizontale Verbreitung haben, ſehr häufig auch in vertikaler Richtung die verſchiedenſten Tiefen bewohnen. Ein paar Beiſpiele mögen zur Erläuterung genügen. Echinus acutus iſt von Norwegen bis Ascenſion und vom Mittel— meere bis zur Oſtküſte Amerikas (alſo zwiſchen 70 Breiten- und 70 Längsgraden) und von der litoralen Zone bis zu 2500 m beobachtet worden, Echinus elegans geht von der Nachbar— ſchaft der Küſte bis zu 1800 m Tiefe und bewohnt den ganzen Atlantiſchen Ozean vom hohen Norden bis Triſtan d'Acunha, ja, iſt ſogar aus den Gewäſſern um Neu-Guinea bekannt. Die vertikale Verbreitung der drei Seeigelordnungen iſt durchaus nicht die gleiche. Die echten regelmäßigen Seeigel nehmen mit der Tiefe an Artenzahl ziemlich harmoniſch ab, gehen aber in einer Art, wie wir ſahen, doch bis 5300 m hinab. Die Clypeaſtriden finden ſich in zwei Arten noch bei 1800 m, gehen aber, ſoweit bekannt, nicht tiefer, während die Spatangiden eine merkwürdig gleichmäßige Verteilung in vertikaler Richtung zeigen: noch zwiſchen 2500 und 5000 m kommen etwa 10 Proz. der bekannten Arten vor. Pourtalesia ceratopyga. Natürliche Größe. Seeigel: Verbreitung. — Seeſterne: Allgemeines. 527 Das iſt ſehr merlwürdig und zwar um deswillen, weil die Spatangiden die jüngſte der drei Seeigelordnungen iſt und wir ſonſt von wirbelloſen Seetieren meiſt die älteren und altertümlichen Formen in der Tiefſee vertreten finden. Die Urſache dieſer über— raſchenden Erſcheinung iſt in den Ernährungsverhältniſſen der drei Echinidengruppen zu ſuchen. Marſhall bemerkt hierzu: „Cideriden (die regelmäßigen Seeigel) und Clypeaſtriden füllen ſich den Darm zwar auch mit Schlamm, ſind aber mit ihrem Kauapparat doch auch auf friſche animaliſche und vegetabiliſche Nahrung angewieſen, während die Spatangiden wie die Holothurien ausſchließlich maritime Sedimente freſſen. Ihnen war daher wohler auf dem Boden des Meeres als ihren Vettern; vielleicht könnte ſogar jemand die Behaup— tung aufſtellen, daß die Spatangiden aus den Clypeaſtriden gerade in den größeren Meeres— tiefen hervorgingen, und in die ſeichteren Gewäſſer erſt einwanderten.“ Dritte Klaſſe. Die Seeſterne (Asteridae). Die Seefterne find in ihrer natürlichen Stellung, gleich den Seeigeln, mit dem Munde nach unten gerichtet, zeigen aber eine ſehr verſchiedenartige Ausbildung dieſer Bauch- und der Rückenſeite. An jener verlaufen vom Munde aus die Rinnen mit den Saugfüßchen, dieſe iſt gewölbter, und ſo— wohl der mittlere ſcheiben— förmige Teil als die Strah— len des Körpers ſind in an— derer Weiſe getäfelt, ge— körnt, beſtachelt und in der Regel lebhafter oder dunk— ler gefärbt. Reichliche in— nere und äußere Kalfbil- dungen treten ſkelettartig zuſammen, allein immer verbleibt dem Körper we— nigſtens ein gewiſſer Grad der Biegſamkeit, welche in der Abteilung der Schlan— genſterne ſogar einer außer— ordentlichenGelenkigkeit der Armſtrahlen Platz macht. Obwohl die Zahl der über— haupt bekannten Arten ſich nicht viel über 500 beläuft (gegen 1600 — 1700 lebende und foſſile Seeigel), jo gehören fie doch wegen der enormen Individuenmenge mancher Arten zu den allbekannteſten Küſtentieren, denen man entweder ihrer auffallenden Geſtalt halber den neugierigen Blick ſchenkt, oder die von Fiſchern als völlig unbrauchbare, aber deſto gefährlichere Feinde des wertvollen Inhaltes ihrer Netze, der an den Senkleinen befindlichen Köder, der Schnecken, der Auſternbänke mit Haß und Vernichtung verfolgt werden. fee, Porzellanſtern (Porcellanaster caeruleus). Natürliche Größe. 528 Stachelhäuter. Dritte und vierte Klaſſe: Seeſterne und Schlangenſterne. Die Tiefſee birgt zahlreiche Formen von Seeſternen. Unter 1000 Faden wurden noch Vertreter von 26 Gattungen gefunden. Beſonders charakteriſtiſch ſind die Porzellan— ſterne (Porcellanasteridae), von denen die umſtehende Abbildung eine Vorſtellung gibt. Bei den Seeſternen erſcheinen die Strahlen als unmittelbare Fortſätze und Zipfel der Scheibe, ſind hohl und enthalten einen Teil der Eingeweide, und wechſeln von ſolchen Formen, welche ſozuſagen nur aus den Strahlen, faſt ohne vereinigende Scheibe, beſtehen, zu ſolchen, welche reine fünfſeitige Scheiben ſind. Die meiſten Seeſterne haben nur eine Madreporenplatte. Ihre Zahl kann im äußerſten Falle auf fünf ſteigen. Für die ſyſte— matiſche Begrenzung der Sippen iſt auch noch auf die An- oder Abweſenheit der kleinen Afteröffnung im Mittelpunkte der Rückens zu achten. Jedem Beobachter wird es ſogleich auffallen, daß das Ende der Strahlen eines kriechenden Seeſternes, und beſonders die gerade vorwärts gerichteten etwas aufgebogen gehalten werden. Dabei werden die Saugfüßchen der gelüfteten Spitzen als Taſter aus— geſtreckt; auf die übrigen wird die Arbeit des Ziehens verteilt. Auf der Spitze eines jeden Strahles befindet ſich aber auch ein Auge, welches man an großen Seeſternen als ein feines rotes Pünktchen wahrnimmt. Durch das Mikroſkop iſt ein Bau dieſer Organe ſicher— geſtellt, welcher ſie als wirkliche Sinnes- und zwar Geſichtswerkzeuge erſcheinen läßt. Am liebſten gehen die Seeſterne auf Schnecken und Muſcheln. Sie legen ihre Bauch— ſcheibe mit den Saugfüßchen und dem Munde um die Beute, welche zwar anfänglich Deckel und Schalen feſt anziehen und verſchließen, allein wohl infolge des Ausſcheidens eines be— täubenden Saftes bald in ihrem Widerſtande nachlaſſen, ſo daß eine Art von häutigem Rüſſel, welchen der Seeſtern ausſtülpt, in das Weichtiergehäuſe eindringt oder es umfaßt und deſſen Inhalt aufſaugt. Seeſterne, wie Asterias arenicola an der nordamerikaniſchen Küſte, ſind mithin die gefährlichſten Feinde der Auſternbänke. Das einzige Mittel gegen ſie iſt, ſie mit dem Dredſchnetz zu fangen und dann am Lande abſterben zu laſſen. Sie in Stücke ſchneiden und wieder ins Waſſer werfen, würde nichts anderes heißen, als ſie künſtlich vermehren. Man findet nicht ſelten mehrere Seeſterne um eine Muſchel geballt, und oft bin ich von dem Arger der Fiſcher Zeuge geweſen, wenn ſie an den über Nacht gelegenen Tiefangeln ſtatt der gehofften Dorſche und Kabeljaus die auf der Jagd nach den Ködern ſich angehakt habenden Seeſterne aufzogen. Für den Naturforſcher fällt dabei nicht ſelten gute Beute ab. Das einzige Exemplar des ſeltenen Asteronyx Loveni, eines Schlangenſternes, welches ich auf meiner norwegiſchen Reiſe erbeutete, bekam ich am Oxfjord von einem Fiſch-Lappen, der es noch an der langen Angelſchnur hatte. Eine ſehr intereſſante Gruppe von Seeſternen bilden die Briſin giden, welche einen ähnlichen Bau wie die Schlangenſterne zeigen, indem ſie eine runde Körperſcheibe beſitzen, gegen die ſich die zahlreichen langen runden Arme ſcharf abſetzen. Jedoch verläuft auf der Unterſeite dieſer Arme, wenn auch nicht bis zum Munde hin, eine Furche für die Füßchen. Der Entdecker dieſer Seeſternordnung iſt der norwegiſche Naturforſcher und Dichter Peter Kirſten Asbjörnſon, der eine elfſtrahlige Art (Brisinga endecacnemos) aus dem ſeiner landſchaftlichen Reize halber berühmten Hardangerfjord aus einer Tiefe von 350 m fiſchte. Dieſes Tier hat ſehr bewegliche, bis 30 em lange Arme und eine prächtige rote Farbe. Man kennt jetzt eine ganze Reihe von Arten dieſer und einiger ver— wandter Gattungen, welche ſämtlich die Tiefſee bewohnen und ſich von allen Stachel— häutern dadurch auszeichnen, daß ſie wundervoll leuchten. Briſingiden. — Echte Schlangenſterne. 529 Vierte Klaſſe. Die Schlangenſterne (Ophiuridae). Dieſe Klaſſe wurde früher als eine Unterordnung der Seeſterne aufgefaßt, aber fie bietet ſo viel Eigentümliches, daß eine ſolche Auffaſſung doch nicht recht zuläſſig erſcheint. Die 700 Arten, welche ſich auf zwei Ordnungen verteilen, zeichnen ſich durch eine außer— ordentliche Gelenkigkeit und Beweglichkeit der Arme aus, welche nicht als unmittelbare Fortſätze der Scheibe erſcheinen, ſondern der— ſelben an der Unterſeite gleichſam eingefügt und eingeſetzt ſind. Sie haben auf der Mund— ſeite keine Längsfurche, wie die Seeſterne, ſondern ſind mit einer kontinuierlichen Reihe ſich deckender Schüppchen verſehen, zwiſchen denen die mehr oder weniger rudimentären Füßchen an den Seiten hervortreten. Sie ſind auch nicht hohl, ſondern gänzlich von einer Reihe wirbelartiger Kalkſcheiben aus— gefüllt, welche den anderen Seeſternen zwar auch nicht fehlten, dort aber, wie oben be— merkt, noch hinlänglichen Raum für ver— ſchiedene Eingeweide über ſich laſſen. Die Madreporenplatte befindet ſich an der Mund— fläche und eine Afteröffnung fehlt. Die Schlangenſterne ſind ebenſo verbrei— tet wie die Seeſterne, eine ganze Reihe durch Verſchiedenheit der Schuppen und Stacheln und andere kleinere Merkmale auseinander gehender Formen bevölkert unſere Küſten und ganz beſonders deren felſigen und bewachſenen Strecken. Allein, wenn man ſie nicht aufzu— ſuchen verſteht, bekommt man die Schlangen— ſterne nur ſelten zu Geſicht. Sie ſind ſchlau und furchtſam und klettern und ſchlüpfen mit äußerſter Gewandtheit in Felsritzen zwiſchen Korallenäſten, Wurmröhren, Wurzelwerk, kurz, auf dem unwegſamſten Boden umher. Sie gebrauchen dabei die Saugfüßchen nur beiläufig, befeſtigen ſich dagegen mit den Armen, welche ſie um dünne und dicke Gegen— ſtände wie ebenſo viele Wickelſchwänze ſchlingen. Das wichtigſte Geſchäft, dem ſie ſo ge— wandt obliegen, iſt natürlich das Suchen nach Nahrung. Wie ſie aber überhaupt ſich weit zierlicher und eleganter tragen, als ihre etwas plumpen Genoſſen der Sippe Asterias, erſcheinen ſie auch weit weniger gefräßig. Das kommt daher, weil ſie mit allerlei kleinem Getier vorlieb nehmen. Die in der Tiefe wohnenden Arten klettern am liebſten auf den äſtigen und netzförmigen Hornkorallen umher, deren Weichteile ſie abfreſſen. Die Ordnung der echten Schlangenſterne (Ophiurae) hat einfache Arme und iſt viel artenreicher als die folgende und hat Vertreter in allen Tiefen des Meeres vom nördlichen bis zum ſüdlichen Eismeer. Noch unter 1800 m fiſchte der „Challenger“ 69 Arten, von denen 50 in geringeren Tiefen nicht gefunden wurden. Es iſt merkwürdig, daß die Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 34 Schlangenſtern (Ophiotrix fragilis) 2: natürl. Größe. 530 Stachelhäuter. Fünfte Klaſſe: Haarſterne. Tiefen des Stillen Ozeans ungefähr von ſeiner Mitte bis zur Weſtküſte Amerikas ſehr arm an Schlangenſternen zu ſein ſcheinen. Der „Challenger“ erbeutete bloß ein einziges Exem— plar und das dürfte kaum zufällig ſein. Die Ophiuren der Tiefſee zeichnen ſich vor denen des ſeichten Waſſers durch eine Reihe von Eigentümlichkeiten aus, vor denen nicht die ge— ringſte ihre Färbung iſt. Alle ſind nämlich lebhaft orange oder rot, aber dieſe Farben verſchwinden in Spiritus ſtärker und raſcher, als die oft auch recht bunten Farben der in weniger tiefen Gewäſſern hauſenden. Neben den zahlreichen Arten der echten Schlangenſterne finden ſich einige wenige, deren Arme ſich entweder am Ende oder gleich über der Wurzel verzweigen. Sie bilden die Ordnung der Meduſenſterne. Man hat berechnet, daß bei Individuen mit ſtark ver— zweigten Strahlen die Zahl der Glieder gegen 80,000 beträgt. Bei allen dieſen beſitzen die Arme und ihre Zweige die Fähigkeit, ſich gegen die Mundſeite hin einzurollen, und wahrſcheinlich vermögen ſie nicht bloß direkt ſich anzuklammern, ſondern auch die ergriffene Beute dem Munde zuzuführen. Die Meduſenſterne lieben ausnahmslos größere Meeres— tiefen. Von mehreren im hohen Norden gefiſchten Exemplaren der Euryale verrucosa weiß ich aus eigner Überzeugung, daß ſie mit zufällig an die Tiefangeln geratenen Stauden der Hornkoralle heraufkamen. Die Euryaliden find die einzigen Schlangenſterne, welche gelegentlich frei ſchwimmen. Auf die Entwickelungserſcheinungen der Seeſterne und Schlangenſterne gehen wir nicht näher ein, da der Verlauf im weſentlichen mit dem übereinſtimmt, den die Seeigel zeigen. Auch die Larve des Schlangenſternes ſtellt ſich, mit dem fertigen Tiere verglichen, als eine gänzlich andere Geſtalt dar, welche wegen ihrer entſchiedenen Zweiſeitigkeit und Symmetrie eher in die Kreiſe der ſymmetriſchen Tiere als in einen der Strahltiere paſſen will. Jünfte Klaſſe. Die Haarſterne (Crinoidea). Der in dieſem Werke eingeſchlagene Weg, von den höheren zu den niederen Formen abſteigend, läßt ſich in vieler Beziehung rechtfertigen, hat aber, wir wiederholen dieſe Be— merkung, überhaupt und namentlich im Bereiche der niederen Tierwelt das Unbequeme, daß die auf den inneren natürlichen Zuſammenhang der Formenreihen hinweiſende Dar— ſtellung gerade in dieſem Punkte gehemmt iſt. Das Leben der einzelnen iſt da, wo mit der Größe ſich ein gewiſſes Maß von Intelligenz und Kraftäußerung verbindet, ſehr an— ziehend. Das Leben des Einzeltieres führt aber über ſich hinaus auf das Leben und Werden der Art, auf den, wenn auch noch vielfach rätſelhaften Geſtaltungsprozeß der Tierklaſſen und Kreiſe; es lenkt den Blick mit Notwendigkeit in die Vorwelt und auf die Reſte der Vorgänger der heutigen Lebeweſen. Und da muß es uns denn gehen wie demjenigen, der in der Völkergeſchichte mit den neueſten Perioden beginnen und ſich allmählich bis zum Altertum nach rückwärts durchſchlagen wollte. Auch die Tiergeſchichte verlangt jene ent— wickelnde, pragmatiſche Behandlung und um ſo mehr in den Regionen, wo das Leben der Individuen an Intereſſe ganz zurückſteht gegen das Leben, d. h. das Auftauchen, Um— ändern und Verſchwinden der Formenreihen, welche die Syſtematik als Arten verzeichnet. Medufenfterne. — Pentacrinus. Holopus. 531 Zu dieſer kurzen Betrachtung (ähnliche haben wir bei früheren Gelegenheiten angeftellt) drängt uns die Ordnung der Haarſterne, mögen wir ſie nun in ihrer Iſolierung oder mit Bezug auf die übrigen Abteilungen der Echinodermenklaſſe auffaſſen. Bis vor 20 Jahren waren nur einige wenige Arten von Haarſternen bekannt und dieſe meiſt nur in einzelnen Exemplaren. Durch die modernen Tiefſeeunterſuchungen iſt die Artenzahl auf etwa 60 geſtiegen, welche am häufigſten zwiſchen 500 und 900 m auftreten; zwiſchen 3600 und 4500 m ſind bloß zwei Arten gefunden worden. H. Filhol, ein ausgezeichneter franzö— ſiſcher Forſcher, gibt von dem Boden des öſtlichen Atlantiſchen Ozeans bei einer Tiefe von etwa 1500 m folgende begeiſterte Schilderung: „Individuen von Pentacrinus Wyville Thomsoni bedeckten den Boden in be— trächtlicher Menge und bildeten eine Art von Wieſe, auf der anſehnliche Korallen— ſtämmchen (Mopſeen) ſich erhoben. Der felſige Untergrund war überſäet mit ſehr zierlichen Polypen, welche in der That Blumen mit geöffneten Kelchen glichen. Die Aktynometren, freie Haarſterne, ſchwammen durch das Waſſer oder um— klammerten mit ihren Cirren wie mit Ankern die Aſte der Mopſeen. Die Pen: takrinen und Aktynometren hatten eine ſchöne grasgrüne Farbe, die Mopſeen waren orange, die Polypen tiefviolett, die Krebſe perlweiß. Dieſe Üppigkeit des Lebens, dieſe Verſchwendung von Farben in einer Tiefe von 1500 m unter der Oberfläche des Meeres bildet ſicher eine der merkwürdigſten Erſcheinungen, welche den Naturforſchern zu entdecken aufbewahrt worden war.“ Die nebenſtehende Abbildung läßt in a den Körper und das obere Ende eines in den weſtindiſchen Meeren auf ſteinigem Grunde lebenden Tieres, des Pentacri- nus caput Medusae, ſehen und in b die Scheibe, welche nach aufwärts gekehrt und von den geſpaltenen und rankenförmigen Armen umſtellt iſt. Der eigentliche Körper gleicht alſo einem Kelche, wie er auch wiſſen— ſchaftlich genannt wird. Die dem Stiele zugewendete Seite iſt getäfelt und entſpricht dem Rücken der Seeſterne, die Bauchſeite, die wir in b haben, iſt von einer weichen biegſamen Haut bedeckt, in deren Mitte ſich die Mundöffnung befindet. Die Ausgangs— öffnung des Darmkanals liegt ſeitlich. Die den Ambulakren entſprechenden Rinnen ſind deutlich. Dieſer Körper mit ſeinen verzweigten Armen ruht nun auf einem längeren, im Rückenpole angeſetzten Stiele, der ſehr vielgliederig und daher biegſam und in regel— mäßigen Abſtänden mit Quirlen von Ranken geziert iſt. Es dürften kaum einige Dutzend dieſes Pentacrinus gefiſcht und in den größeren Muſeen erhalten ſein. Der Preis war noch im Jahre 1876 ſehr hoch. Für ein Exemplar habe ich dem Naturalienhändler Damon in Weymouth 220 Mark bezahlt. Lange Zeit ſchienen der weſtindiſche Haarſtern und eine bisher nur in zwei Exem— plaren an der amerikaniſchen Küſte gefundene Sippe Holopus (von Braſilien und 34* u 52 W a) Pentacrinus caput Medusae. ½ natürl. Größe. b) Kelchſcheibe desſelben von oben, die Arme abgeſchnitten. Natürliche Größe. 532 Stachelhäuter. Fünfte Klaſſe: Haarſterne. Barbados) die einzigen noch lebenden Repräſentanten der geſtielten Krinoiden zu ſein. Aber die Tiefſeeforſchungen haben unſere Kenntniſſe auch hinſichtlich dieſer Ordnung gründlich geändert. Pentakrinusartige Tiere leben, ſo hat es ſich gezeigt, auf vielen Stellen des Meeresgrundes, ſo daß ſie nicht einmal mehr zu den ſeltenen Vorkommniſſen gezählt werden können. Der bekannte engliſche Zoolog Gwyn Jeffreys erbeutete mit einem Netzzug ſüd⸗ lich von Kap St. Vincent aus einer Tiefe von 1095 Faden 20 Stück einer Art Penta- erinus (Pentacrinus Wyville Thomsoni). Der Boden, auf dem ſie lebten, war ein weicher Schlamm, in welchem ſie loſe geſteckt hatten, ohne feſt an- und eingewurzelt zu ſein. Das bewies auch das glatt abgerundete Stielende, woraus Jeffreys ſogar ſchließen wollte, daß die Tiere ſich zeitweiſe mittels ihrer Arme ſchwimmend bewegen. Noch reicher iſt das Vorkommen von Pentakrinen in gewiſſen Teilen der Südſee, wo die „Challenger“-Erpedition in der Nähe der Meangis⸗Inſeln auf einen einzigen Schlepp— netzzug in 500 Faden 50 Stück erhielt. Sehr häufig findet man an den Armen der Krinoiden gallenartige Mißbildungen (j. neben— ſtehende Abbildungen); dieſelben rühren, wie früher (S. 137) her⸗ vorgehoben wurde, von eigentümlichen, paraſi— tiſchen Würmern her. Eine höchſt inter— eſſante Entdeckung war Gallenartige Mißbildungen an Krinoiden. 2mal vergrößert. ſchon 1864 von dem um die nordiſche Zoo— logie hochverdienten Sars gemacht worden. Er fand in 300 Faden Tiefe bei den Lo— foten⸗Inſeln eine etwa 14 em lange, zarte Krinoide, die er nach den reichlich entwickelten feinen Wurzeln, mit welchen der Stamm ſich befeſtigt, den Wurzelhaarſtern (Rhizo- erinus, ſ. Abbild. S. 533) nannte. Dasſelbe Tier wurde von allen ſpäteren Expeditionen, welche ſich mit der Unterſuchung des Atlantiſchen Ozeans abgaben, bis zur Küſte von Florida gefiſcht. Für den Zoologen und Paläontologen iſt es nebſt anderen, von uns zum Teil ſchon erwähnten Genoſſen, die mit ihm die Tiefen teilen, von hohem Intereſſe, weil es einer Familie angehört, die man ſeit der Kreideformation für ausgeſtorben hielt. Das ſind die Apiokriniten. Unſerem Rhizocrinus ſteht die Kreideſippe Bourguetticrinus am nächſten, und auch dieſe zeigt ſchon verſchiedene Merkmale, welche auf einen Verfall, ein Ausſterben der Familie deuten. Der Körper iſt klein, die Arme ſchmal und kurz, der Stamm unver— hältnismäßig lang, ein Mißverhältnis, das auf geſtörter Ernährung zu beruhen ſcheint. Dieſe Erſcheinungen wiederholen ſich nun bei dem Wurzelhaarſtern, der geradezu ein weiter verkümmerter Bourguettierinus genannt werden kann, eines jener ziemlich zahlreichen Wahrzeichen, daß die Meere aus den Zeiten der Kreidebildung ſich ununterbrochen und nur mit allmählicher Anderung und Umformung ihrer Tierwelt in unſere heutigen Meere fortgeſetzt haben. So eröffnen uns dieſe an ſich ſehr armſeligen, ihr Leben im Verborgenen friſtenden Weſen einen Einblick in die Geſchichte der Erdbildung, indem ſie die Gegenwart mit den eillionen von Jahren hinter uns liegenden Perioden verbinden und uns die Beſchaffenheit Wurzelhaarſtern. Comatula. 533 der damaligen Meere und die Bildung und das Ausſehen des Meeresbodens thatſächlich vor Augen rücken. Es iſt anzunehmen, daß die meiſten jener Tiere, die wir als lebende Repräſentanten entſchwundener Urzeiten auf die Tiefen der Ozeane zurückgezogen finden, ſonſt zur Blütezeit ihrer Sippen und Familien der Oberfläche näher an— geſiedelt waren. Von den die Urmeere einſt in größter Mannigfaltig— keit bevölkernden Krinoiden haben nur einige Gattungen mit faſt 400 Arten ſich ſozuſagen moderniſiert, nur in ihrer Entwickelung und Verwandlung ein Stückchen vom alten Zopfe an ſich tragend. Das find Actino- metra und beſonders Comatula, der Haarſtern im engeren Sinne, von dem gegen 40 Arten aus allen Meeren bekannt find. Im Atlantiſchen Ozean lebt Comatula rosacea (auch Antedon rosaceus genannt), im Mittelmeer die Comatula mediterranea. Ein Blick auf das Tier zeigt die nahe Verwandtſchaft mit Pen— tacrinus; hier wie dort ein kelchförmiger Körper, deſſen Wand aus mehreren Kreiſen von Kalkplatten beſteht und deſſen Deckel von weicher Beſchaffenheit iſt. Die Mundöffnung nimmt die Mitte dieſes Deckels ein; exzentriſch auf dem Gipfel einer ſchornſteinförmigen Erhebung befindet ſich der After. Fünf ſich gleich nach ihrem Urſprung gabelnde Arme gehen von der Rücken— ſeite aus, ſo daß man von der Mundſeite her zehn Arme erblickt. Dieſe ſind mit zwei Reihen einander gegenüber und abwechſelnd geſtellten Fortſätzen ver— ſehen, die ſogenannten Pinnulä, und gleichen zierlichen gefiederten Ranken, indem ſie ſchön gebogen oder ſpiralig eingerollt getragen werden. Bis hierher und noch in weiteren Einzelheiten ſtimmt die Beſchreibung faſt genau mit der des Pentacrinus überein; aber da, wo am Rücken des letzteren ſich der Stiel anfügt, findet ſich bei der Komatel ein Knopf, umgeben von einem Kreiſe feiner Ranken, deren jede mit einer kalkigen Klaue endigt. Die Beobachtung des lebenden Tieres lehrt ſo— gleich, wozu dieſe Rückenranken mit ihren Haken dienen. Man hatte, ehe man die ſchön rot, karmoiſin, braun, blau oder gelb gefärbten Komateln in den Aquarien hielt und ehe engliſche und franzöſiſche Natur— forſcher ſie lebend beobachteten, von ihrer Lebensweiſe eine ganz verkehrte Vorſtellung; man meinte, daß ſie auf dem Schlamm ſäßen und kröchen, den Mund nach abwärts gekehrt, gleich den Seeſternen. Da ich in der r SF Wurzelhaarſtern (Rhizocrinus loffotensis) 1½ natürl. Größe. Nähe von Zara an der dalmatiniſchen Küſte mit dem Schleppnetz Hunderte vom ſchlam— migen Grunde gehoben, wo nur ſpärlich Tange und Schwämme zu finden ſind, war auch ich in dieſem Irrtum befangen und meinte, daß ſie ſich von den im Schlamm enthaltenen 534 Stachelhäuter. Fünfte Klaſſe: Haarſterne. organiſchen Stoffen nährten. Ich hatte eben nicht erkennen können, daß das Netz ſie in einer Tiefe von 12 — 20 Faden von den Seegewächſen abſtreifte. Unterdeſſen ſchon von Mittelländiſcher Haarſtern (Comatula mediterranea), auf Sabella unispira ſitzend. Natürliche Größe. anderer Seite eines Beſ— ſeren belehrt, ſah ich ſie endlich ſelbſt im Aquarium der zoologiſchen Station zu Neapel als vollendete Klet— terer, welche, in Maſſen ſich auf den verſchiedenſten Gegenſtänden anheftend, einen entzückenden Anblick gewähren. In Gefäße gethan, wo die Gelegenheit fehlt, ſich ſo anzuſetzen, daß ſie rings von Waſſer umſpült ſind und die Arme ganz frei ausſtrecken zu können, ver— ſuchen ſie wiederholt, durch höchſt zierliches Rudern mit je fünf Armen, ſich zu er— heben, ſinken jedoch, da ſie keinen Vorſprung oder Aſt erfaſſen können, immer wieder zu Boden und ver— harren dann ſo in zuſam— mengekrümmter Lage, die ihnen aber unnatürlich iſt und ihr Abſterben beſchleu— nigt. Thut man mehrere in einen glatten Behälter, ſo klammern ſie ſich anein— ander an und brechen ſich gegenſeitig die leicht ab— ſpringenden Arme ab. Ihr Rudern und Schwimmen bezweckt alſo nur das Auf— finden eines Gegenſtandes, an welchem ſie ſich feſthal— ten können. Dies geſchieht vermittelſt jener klauentra— genden Ranken des Rückens, die ihnen Füße und Klam— merwerkzeuge erſetzen. Von der Fähigkeit, ſchwimmend oder kletternd den Ort zu wechſeln, machen ſie jedoch nur geringen Gebrauch, nachdem ſie einmal einen bequemen Platz gefunden, wo ſie, die Mundfläche nach der Seite oder nach oben gewendet und die Arme leicht gebogen, der Nahrung harren. Lebensweiſe und Vorkommen der Comatula. 535 Um die Art, wie die Comatula und überhaupt alle Haarfterne ſich ernähren, zu begreifen, bedarf es einer genaueren Unterſuchung der Mundſeite. Auf unſerer Abbildung des Tieres (S. 534), noch deutlicher auf derjenigen des Pentacrinus (b, S. 531), ſieht man fünf vom Munde ausgehende Furchen, die ſich alsbald nach den zehn Armen gabelig ſpalten. Es ent— hält alſo jeder Arm eine ſolche Rinne, welche ſich bis an ſeine Spitze fortſetzt. Indem nun dieſer Halbkanal mit Flimmern tapeziert iſt, welche einen Waſſerſtrom nach dem Munde zu erzeugen, genügt die bloße Ausbreitung der Arme, um die an und in die Rinnen geraten— den mikroſkopiſchen Tierchen, welche zur Nahrung geeignet ſind, dem Munde zuzutreiben. Je ſtiller die Komatel ſitzt, um ſo ſicherer und regelmäßiger geht die Nahrungsaufnahme vor ſich. An Myriaden mit bloßem Auge unſichtbarer Tierchen und Tierlarven iſt an den Stellen, wo die Krinoiden leben, nie Mangel, und daß ein ſolches unerſchöpfliches mikro— ſkopiſches Leben ſich auch in den reicher ausgeſtatteten Aquarien ſehr bald einſtellt, davon kann man ſich überall, wo größere derartige Inſtitute ſind, überzeugen. Zur Kontrollierung der Nahrungszufuhr kommt unſeren Tieren die außerordentliche Empfindlichkeit der Arme zu ſtatten, indem die Tauſende von Fiederfortſätzen oder Pinnulä, welche den Armſchaft in zwei Reihen beſetzen, Taſtwerkzeuge feinſter Art ſind. Jede Pinnula trägt auf der Spitze einige Taſthärchen; ſobald daher irgend ein dem Gemeingefühl fremdartiger Körper den Arm berührt oder ein gröberer Gaſt ins Gehege fährt, legen ſich die Pinnulä über der Flimmerrinne zuſammen, und der Arm rollt ſich ein. Damit iſt natürlich eine Aus— treibung der der Komatel unangenehmen Eindringlinge verbunden. Über das Vorkommen der Comatula an ihren natürlichen Standorten hat Lacaze— Duthiers die ausführlichſten Mitteilungen gemacht. Er ſtellt uns den ſammelnden und beobachtenden Zoologen und die Lebensverhältniſſe der Strandzone wieder ſo anſchaulich vor Augen, daß wir ihn, mit einigen notwendigen Kürzungen, ſelbſt reden laſſen. Wir befinden uns in Roscoff, an der Küſte der Bretagne, Weymouth gegenüber, wo der ſan— dige, allmählich abfallende Strand von größeren und kleineren granitiſchen Felſen und Inſelchen durchbrochen wird. „Zwiſchen allen dieſen Riffen und im Kanale kommen bei Ebbe ausgedehnte ſchöne Wieſen von Seegras (Zostera) und Sandbänke, mit Steinen bedeckt, zum Vorſchein, welche beide von zahlreichen Tierarten bewohnt werden. Da gibt es alle möglichen einfachen und zuſammengeſetzten Ascidien, Moostiere, Sertularien (Quallenpolypen, ſiehe unten), Schwämme, beſonders Kalkſchwämme, Stachelhäuter, Sy— napten, Lucernarien (ſiehe unten), zahlreiche Aktinien (ſiehe unten), nackte und beſchalte Mollusken, welche den Zoologen für die Mühe des Sammelns reichlich entſchädigen. „Die beiden, gewöhnlich von den Algen eingenommenen Zonen, die obere mit dem Blaſen- und Sägetange (Fucus vesiculosus und F. serratus), die andere mit Laminaria, werden in Roscoff ſehr ſcharf durch die Himanthalia lorea geſchieden, jene Alge, welche man als Dünger für die Gemüſe gebraucht. Ihr Gürtel wird zur Zeit der Gleichen bloß— gelegt, ganz frei wird er aber nur bei den tiefſten Ebben, wenn auch die Laminarien dar— unter zugänglich ſind. Man muß dieſe Dinge wiſſen, weil man ſich keine Vorſtellung machen kann von den Schwierigkeiten, die man hat, wenn man verſucht, zwiſchen den Felſen zu ſammeln, während dieſe unter Waſſer ſind, und man zwiſchen den langen Bün— deln der klebrigen und ſchlüpfrigen Bänder der Himanthalie herumſteigt, welche die Höhlungen der Steine bedecken und ſich einem um die Beine wickeln. Man findet dann faſt nichts; das Sammeln iſt nicht nur außerordentlich ſchwer, ſondern auch gefährlich, weil man jeden Augenblick hinſtürzt. Dagegen iſt das Sammeln in der Laminarienzone ſowohl leichter, als ergiebiger. Am wichtigſten aber hinſichtlich des Zieles, welches wir hier ver— folgen, iſt das Vorkommen von Sargaſſum in dieſer Zone, einer Alge, die gewöhnlich auf tieferem Sandboden lebt, unter beſtimmten Umſtänden aber ziemlich hoch heraufſteigt. 536 Stachelhäuter. Fünfte Klaſſe: Haarſterne. „Zur Zeit der tiefſten Ebben reißt das Meer, indem es ſich zurückzieht, Gräben in den ſandigen Boden und in die Tangwieſen. Es laufen alsdann in dieſen Vertiefungen mehrere Bäche ab. In ihnen ſiedeln ſich die Sargaſſen an und ſteigen höher hinan, und an ihnen findet man die jungen und alten Komateln. Da die Stämme von Sargaſſum ſehr äſtig ſind, verflechten ſich die Zweige miteinander und bilden eine Art von Strauchwerk, zwiſchen welchem die Comatula vorzugsweiſe lebt. Auch die Ascidien, Schwämme, Quallenpolypen und Moostiere find darin jo zahlreich, daß jeder Sargaſſumſtamm eine ganze Sammlung an ſich trägt. Die Komatel findet ſich daran manchmal in ſolchen Mengen, daß fie die Aſte faſt völlig bedeckt.“ Dieſe Art, ſich an wenigen Tagen des Jahres des Haarſternes mit der Hand zu be— mächtigen, iſt natürlich nur an Küſten mit hoher Flut und Ebbe ausführbar, alſo weder im Adriatiſchen noch im Mittelmeer. Wir haben bisher nur das beſcheidene Daſein der erwachſenen Komatel beobachtet. So blumenhaft ſie auch ausſieht, hält ſie doch den näheren Vergleich mit einem Seegewächs nicht aus, der für die anderen, die geſtielten Haarſterne, ſich von ſelbſt ergibt. Aber jede Komatel macht in ihrer Jugend die bleibende Stufe des Pentacrinus durch und verweiſt da— mit auf ihre Abſtammung von geſtielten Formen. Den Ausgang der Entwickelung hat ſie mit ihren Klaſſengenoſſen gemein. Aber auf einer beſtimmten Stufe, nachdem der Darmkanal entſtanden, verlängert ſich das Hinterende, und das Tierchen heftet ſich mit demſelben an irgend einen Gegenſtand an. Sie haben zunächſt das Ausſehen einer kleinen kurzſtieligen Keule, ſo winzig, daß ſie kaum mit unbewaffnetem Auge zu entdecken ſind. Man kann dieſe erſte Zeit, wo noch die Arme nicht entſtanden ſind, mit der Stufe der Puppe des Schmetterlings vergleichen, da der anfänglich vorhanden geweſene Mund der jungen Ko— matel jetzt von einer Hautſchicht überwachſen iſt, unter welcher die uns bekannte Mund— ſcheibe des fertigen Tieres ihre definitive Geſtalt annimmt. Allmählich brechen die Arme durch, unter fortſchreitendem Wachstum des Stieles, welcher weſentlich dem Stiele des Pentacrinus gleicht. So gleich iſt überhaupt jetzt die geſtielte Komatel dem zeitlebens an ſeinen Stiel gefeſſelten Pentacrinus, daß die Vorſtellung, die Komatel ſtamme von penta— krinusartigen Vorfahren ab, für den denkenden Naturforſcher unabweisbar erſcheint. Sie erhebt ſich über den einſt ſtabilen Zuſtand, indem ſie zu freiem Leben vom Stiele ſich ablöſt, nachdem am Rücken die oben beſchriebenen, mit Klauen verſehenen Ranken hervor— getreten ſind. Man findet die geſtielten jungen Komateln überall, wo die Erwachſenen in größerer Menge ſich aufhalten. Ich entdeckte ſie in unzählbaren Mengen auch im Aquarium der zoologiſchen Station in Neapel. Auch die erwachſenen Komateln, welche in Meerestiefen bis gegen 5000 m vorkommen, leben meiſt geſellig. So fingen die franzöſiſchen Forſcher an Bord des Schiffes „Talisman“ einmal auf einem einzigen Fiſchzuge bei 130 m Tauſende von Comatula phalangium und die Amerikaner bei Gelegenheit einer der Expeditionen der „U. S. Fishcomission“ an der Küſte von Neuengland über 10,000 Exemplare der gemeinen Comatula rosacea. Wir müſſen noch einiger Lebenserſcheinungen gedenken, welche bei Schlangen-, See— und Haarſternen in gleicher oder ähnlicher Weiſe auftreten. Es ſind das die Erſcheinungen der Bewegung, der Selbſtverſtümmelung und der ungeſchlechtlichen Vermehrung, die auch bis zu einem gewiſſen Grade miteinander im Zuſammenhange ſtehen. Über die Bewegungen dieſer Tiere verdanken wir Romanes, ganz beſonders aber Preyer, ausführliche und höchſt intereſſante Beobachtungen, und da der erſte Forſcher Lebenserſcheinungen der Schlangen, See: und Haarfterne. 537 dieſelben an der engliſchen Küſte, der zweite aber in Neapel anſtellte, ſo betreffen ſie meiſt verſchiedene Arten. Über die Lokomotion der genannten Stachelhäuter überhaupt ſpricht ſich Preyer folgendermaßen aus: „Durch die große Anzahl, das Haftvermögen und die Beweglichkeit ihrer Ambulakralfüßchen ſind die Aſteriden befähigt, in verſchiedener Richtung auf horizon— taler Fläche zu kriechen und vertikale Flächen hinaufzuklettern, falls der Saugmechanis— mus der Füßchen nicht rudimentär geworden oder die Füßchen der Radien überhaupt zurückgebildet ſind. In dieſem Falle, bei Ophiuren, vermitteln die Strahlen als ſolche die Lokomotion, was auch für die Krinoiden gilt, während bei den Aſteriden den Ambulakral— füßchen die lokomotoriſche Funktion zufällt. Die Art der Vorwärtsbewegung iſt demnach bei den eigentlichen Seeſternen eine ganz andere als bei den Schlangen- und Haarſternen. Jene kriechen und klettern ohne Unterſtützung vertikale Glaswände hinauf, ſchwimmen und ſpringen aber niemals, obwohl ſie vielerlei an akrobatiſche Kunſtſtücke erinnernde äquilibrierende Bewegungen ausführen; die Ophiuren dagegen können nicht ohne Unter— ſtützung und dann nur ſchlecht klettern, auch nicht ſchwimmen, aber viel ſchneller als die Aſteriden durch Anſtemmen, Vorſchieben und Nachziehen ihrer Radien ſprungweiſe vor— wärts gehen, während die Krinoiden durch alternierendes Heben und Beugen, Senken und Strecken ihrer Radien nach oben oder unten, ohne Raddrehung oder Wälzung nach links, rechts, vorwärts und rückwärts horizontal ſchwimmen können. Sie vermögen aber eben— ſowenig wie die Ophiuren ohne Unterſtützung eine ganz glatte Fläche vertikal empor— zuklettern, ſo leicht es ihnen iſt, an rauhen Felswänden hinaufzuſteigen und ſich an langen Zweigen im Waſſer zu halten.“ Beim Kriechen ſtrecken die Seeſterne und die übrigen mit Füßchen verſehenen Echino— dermen dieſelben in der Richtung der Ortsveränderung aus, fixieren ſie an den Boden und ziehen den Körper nach. Obwohl das Marſchieren der Seeſterne dadurch ein ziemlich langwieriger Vorgang wird, bewegen ſich manche auf flachem horizontalen Terrain doch ziemlich raſch fort. So legt Uraster rubens im Waſſer in der Minute bis 8 cm, Astro- pecten aurantiacus aber 60 em zurück, und Luidia iſt noch ſchneller. Auch abgeſchnittene Strahlen bewegen ſich tagelang vor- und rückwärts, aber es iſt kein Plan in den Be— wegungen, es ſei denn, daß ein zentrale Nervenmaſſe enthaltender Teil der Scheibe mit abgeſchnitten wurde. Die Bewegung der Schlangenſterne, die ihre Pedicellen dabei nicht benutzen können, iſt eine andere, mehr und beſonders bei Ophioglypha ſprungweiſe. „Zuerſt wird ein Radius in der Progreſſivrichtung geradeaus vorgeſtreckt, während die beiden Nachbar— radien gleichzeitig ſich ebenfalls vorſchieben, aber nur um ſogleich wieder, mit den Spitzen an den Boden ſich ſtemmend und die Scheibe hebend, nach hinten umzubiegen, dann ſtrecken ſie ſich wieder vor u. ſ. f. Nicht ſelten ſieht man aber bei Ophioglypha gleichzeitig zwei Radienpaare vorgeſchoben werden und ſich gleichzeitig nach hinten umbiegen und gegen den Boden ſtemmen. Dann wird der fünfte Strahl allein nachgeſchleppt.“ Andere Schlangenſterne mit im Verhältnis zum Scheibendurchmeſſer längeren Strahlen ſcheinen überwiegend oder ausſchließlich durch die Schlangenwindungen dieſer und die dadurch herbeigeführte Reibung am Boden vorwärts zu kriechen. Sie bewegen ſich weit raſcher als die Seeſterne; eine Ophioglypha legt in der Minute etwa 2 m zurück. Schlangenſterne, welche man auf den Rücken gelegt hat, drehen ſich in wenigen Sekunden um, wobei ſie einen einfachen Purzelbaum ſchlagen. Bei den Seeſternen geht das Geſchäft nicht ſo raſch vor ſich. Zunächſt dehnen ſie ſämtliche Saugfüßchen ſtark aus, ſtrecken ſie nach allen Richtungen aus und bewegen dieſelben lebhaft hin und her. Dieſe Bewegungen ſind namentlich an der Spitze der Strahlen, welche auch bald anfangen, ſich 538 Stachelhäuter. Fünfte Klaſſe: Haarſterne. um ſich ſelbſt zu drehen, ſehr lebhaft. „Da werden auch gewöhnlich die Füßchen zuerſt an den Boden geheftet, und nach und nach geht dieſes Anſaugen zentripetal vorwärts, gleichzeitig bei 2, 3 oder auch manchmal 4 Strahlen, ſeltener bei allen 5. Sind 2 oder 3 genügend feſtgeheftet, dann werden die übrigen übergeſchlagen.“ Preyer fand, daß je größer ein Seeſtern war, deſto länger im allgemeinen die Zeit war, welche er zur Selbſt— umwendung braucht: Exemplare von 12 em Durchmeſſer verwandten manchmal eine Stunde darauf, andere Formen indeſſen nur eine halbe bis eine ganze Minute. Preyer experimentierte nun mit den Tieren in der verſchiedenſten Weiſe und brachte ſie in Zwangslagen, in welchen vorher gewiß nie eins ihrer Sippe geweſen war, aus denen ſie ſich aber, und ganz beſonders die Schlangenſterne, auf eine Art und Weiſe zu befreien wußten, welche auf eine nicht geringe Intelligenz dieſer Weſen zu ſchließen berechtigte. Sehr häufig indeſſen reagieren See-, Schlangen- und Haarſterne auch auf andere Weiſe gegen Experimente, die ihnen läſtig ſind, nämlich durch Selbſtverſtümmelung. Wenn man einen Schlangenſtern bei einem ſeiner Arme einigermaßen hart zu faſſen bekommt, ſo löſt er denſelben im Augenblick ab, und man hat mit dem ſich krümmenden und win— denden Strahl in den Händen verdutzt das Nachſehen, denn die heroiſche Ophiure iſt mittler- weile in das Meer zurückgeplumpſt und längſt untergeſunken. Eine Comatula, die man in ſüßes Waſſer verſetzt, zerfällt in wenigen Sekunden in eine Anzahl kleiner Stücke, und die Seeſterne Asterias tenuispina und Luidia ciliaris opfern leicht einen oder mehrere ihrer Arme, beſonders wird von der letzteren wie auch von der ſchönen und ſeltenen Brisinga kaum ein Exemplar aufgefunden, daß nicht an irgend einem ſeiner Arme die Spur einer früheren Selbſtverſtümmelung zeigt. Das Vorteilhafte dieſer überraſchenden Erſcheinung liegt auf der Hand: es ſteht den Tieren, wie es früher ſchon von den ſich ſelbſt ampu— tierenden Krebſen hervorgehoben war, dadurch eine größere Möglichkeit des Entſchlüpfens offen. Aber bei den Echinodermen kommt, ähnlich wie bei den ſich freiwillig teilenden oder künſtlich geteilten Ringelwürmern, noch ein weiterer Punkt hinzu. In der einleitenden Betrachtung über die Stachelhäuter wurde zwar hervorgehoben, daß die Grundzahl, nach welcher die Antimeren dieſer Tiere auftreten, Fünf ſei, und das iſt gewiß als Regel anzuſehen. Aber es kommen bei manchen Arten als mehr oder weniger häufige Zufälligkeiten, bei anderen als Regel Abweichungen von dieſem Grundgeſetz der Architektonik des Echinodermenleibes vor. So haben Luidia ciliaris, Linckia multi- fora und Asterias tenuispina oft oder meiſt 7, Ophiactis virens 6 Arme, und gerade ſie neigen in hohem Grade zur Selbſtverſtümmelung, ſo daß Individuen mit 2, 3, 4, 5 Armen gefunden werden. Was geſchieht, wenn ein Seeſtern einen oder mehrere ſeiner Arme ganz oder teil— weiſe freiwillig in Verluſt gegeben hat? — Nun, zunächſt wächſt mehr oder weniger raſch, je nach den Ernährungsverhältniſſen des Tieres und nach der geringeren oder bedeutenderen Größe des verloren gegebenen Stückes, ein neuer Arm nach, der anfangs natürlich kleiner als die alten iſt, aber nach und nach ihre Größe erreicht. Da nun die Wahrſcheinlichkeit ſehr groß iſt, daß während dieſes Regenerationsprozeſſes einer von dieſen alten Armen bei irgend einer Gelegenheit auch wieder verloren geht und anfängt zu regenerieren, ſo kann es eben vorkommen, daß man Seeſternindividuen mit Armen von ſehr verſchiedener Länge antrifft. Inſoweit gleicht alſo die Selbſtamputation oder Autotomie der Stachel— häuter derjenigen, die bei verſchiedenen Krebſen vorkommt. Aber in einem anderen Punkte unterſcheidet ſie ſich ſehr weſentlich von ihr. Noch kein Menſch hat beobachtet, daß an einer abgeworfenen Schere oder einem verloren gegebenen Beine etwa wieder an der Bruch— ſtelle eine neue Krabbe hervorgeſproßt ſei, und es wird das auch kein Menſch je be— obachten. So weit geht das Regenerationsvermögen der Gliederfüßer doch nicht, wohl Selbſtverſtümmelung, Knoſpung und Teilung der Echinodermen. 539 aber das der Würmer, wie wir ſahen, und der Echinodermen. An der Stelle, wo ſich das Armſtück vom Muttertiere löſte, ſproßt, und um ſo leichter, je größer es iſt, häufig aber durchaus nicht unter allen Umſtänden, ein junger Seeſtern. Dieſer iſt anfangs ſelbſt— verſtändlich noch klein und das Ganze gewährt dann einen überraſchenden Anblick: man hat einen winzigen Seeſtern mit einer Anzahl kleiner, der Größe entſprechenden Arme vor ſich, während ein einzelner rieſenhaft entwickelt erſcheint. Haeckel hat ſolche See— ſtern⸗Individuen ſehr paſſend als „Kometenformen“ bezeichnet. Je älter dieſe Kometen— form wird, deſto mehr verliert ſie ihre frappante Eigentümlichkeit, indem wahrſcheinlich die Scheibe heranwächſt und die Länge der Arme ſich ausgleicht. Haeckel vermutet, daß dieſer Ausgleich auf andere Weiſe zu ſtande kommen möchte, daß nämlich der urſprüngliche Arm, der Schweif des Kometen, nach Neubildung des kleinen Seeſterns abfiele und an ſeiner Stelle von dieſem her ein neuer Strahl hervorwüchſe. Auch Gabelungen der Arme ſind bei Seeſternen beobachtet worden. Meiſt ſind die— ſelben einfach, doch gibt es auch kompliziertere Fälle. Der intereſſanteſte iſt von den beiden Saraſins beſchrieben und abgebildet worden. Er betrifft eine fünfſtrahlige Linckia multifora, deren einer Arm ſich an der Spitze in vier kleine Strahlen auflöſt. Die einfachen Gabelungen kommen vielleicht dadurch zu ſtande, daß der Arm eines See— ſterns ſich nicht völlig ablöſt, ſondern nur eingeriſſen wird, und daß dann an der Stelle der Verletzung der neue Seitenarm hervorſproßt. Ahnlich entſtehen in der Regel die regenerierten Doppelſchwänze der Eidechſen. Den Fall, daß das Ende eines Armes ſich in vier Spitzen auflöſt, deuten Paul und Fritz Saraſin dahin, daß an der Spitze ein junger Seeſtern hervorſproſſe, der ſich eventuell ſpäter mit einem Stück des Mutter— armes losgelöſt und einen neuen Seeſtern gebildet haben würde. Die genannten For— ſcher, welche das einzige Exemplar dieſer merkwürdigen Mißbildung nicht vernichten wollten, bleiben indeſſen den anatomiſchen Nachweis für die Richtigkeit ihrer Mutmaßung ſchuldig, und es laſſen ſich ſchwere Bedenken gegen dieſelbe geltend machen. Sehr all— gemein läßt ſich nämlich bei Regenerationserſcheinungen eine beſtimmte Polarität beob: achten. Die durch künſtliche Teilung einer Magnetnadel entſtandenen Stücke orientieren nämlich immer ihre Pole ſo, wie dieſelben in jener lagen, d. h. wenn man die Südhälfte der Nadel ablöſt, ſo wird das Ablöſungsende das Nordende, während das Südende das Südende bleibt, und an der Nordhälfte wird das Ablöſungsende das Südende und Nord— ende bleibt Nordende. Ebenſo wird bei einem durchſchnittenen Ringelwurm das kopfwärts gelegene Ende der Schwanzhälfte zum Kopf und das ſchwanzwärts gelegene Ende der Kopfhälfte zum Schwanz. Bei einem Seeſtern nun entſpricht dem Kopfe, ſoweit bei einem Strahltier überhaupt davon die Rede ſein kann, doch jedenfalls die Körperregion, wo ſich der Mund befindet, alſo die Scheibe. Wird nun ein Arm von der Scheibe abgeworfen, ſo wird nach obigem Geſetze der Polarität an der Scheibenſeite der Bruchſtelle ein neuer Arm und an der Bruchſtelle des Armes ein neuer Seeſtern ſproſſen. Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß wenigſtens manche See- und Schlangenſterne ge— legentlich den einen oder den anderen ihrer Arme ohne äußere Veranlaſſung abwerfen, ſo wie ſich gewiſſe Ringelwürmer ſpontan teilen. Hierdurch wird das Abwerfen der Strahlen mit darauffolgender Regeneration zu einer Art der Fortpflanzung. Außerdem wurden bei See- und Schlangenſternen Knoſpung und Teilung beob— achtet. Die beiden Saraſin fanden unter ihrem überaus reichen Material von Linckien einmal eine, auf deren Rücken ein junger vierarmiger Seeſtern hervorſproßte. Die Teilung kam häufiger zu Beobachtungen, und zwar ſind beſonders die Unter— ſuchungen von Heinrich Simroth über dieſen Vorgang bei Ophiactis virens hervor: zuheben. 540 Stachelhäuter. Fünfte Klaſſe: Haarſterne. Das auf unſerem Bilde gegebene Exemplar A beſteht aus zwei faſt gleichen Hälften, doch erkennt man an der etwas geringeren Länge der drei nach unten liegenden Arme a‘, daß dieſe Hälfte die neu zugewachſene iſt. Das zweite Tier, B, vom Rücken geſehen, hat ſich kaum erſt von ſeiner anderen Hälfte getrennt. Wo ſonſt im Tierreich eine Ver— mehrung durch Teilung vorkommt, pflegt ſich dieſer Vorgang durch eine Einſchnürung vorzubereiten und allmählich vorzuſchreiten. Bei der Ophiactis ſieht die Teilung wie eine gewaltſame Zerreißung aus, ja, ſie iſt es ſogar, indem Simroth erkannte, daß der Magen aufgeriſſen, die Nerven und Gefäße zerſprengt, die Zahnplatten und andere Hartteile zer— brochen werden. Man kann ſich ſchwer vorſtellen, daß das ein naturgemäßer Verlauf im Leben des Individuums ſein ſolle, allein es gibt ähnliche Erſcheinungen in der Klaſſe der Stachelhäuter, welche die vorliegende erläutern. Die Arme aller Schlangen- und vieler Seeſterne, auch die der Haarſterne, a u brechen außerordentlich leicht ab, wenn = die Tiere aus dem Waſſer genommen = oder im Waſſer beunruhigt werden. * Sind die Tiere ſich ſelbſt überlaſſen und in gewohnter Umgebung, ſo voll— führen ſie, wie ſchon erwähnt, mit den Armen und Strahlen alle mög— lichen, oft die überraſchendſten Bie— gungen. Will man aber die Biegungen an einem eben aus dem Meere ge— nommenen Seeſtern mit vorſichtiger Gewalt ausführen, ſo brechen die ge— ſteiften Arme wie Glas ab. Es iſt dann offenbar eine gewiſſe Nerven— erregung vorhanden, welche die Mus— keln zu krampfhaften, den Bruch der Teile verurſachenden Zuſammen— ziehungen veranlaßt. Der Zuſam— menhang dieſer Nervenerregung mit den Kontraktionen der Holothurien, wobei ſie ihre eignen Eingeweide 1 ausſpeien, iſt nachgewieſen. u Unter einer ſolchen phyſiologi— ſchen, ihrer Entſtehung nach aller— Grünlicher ie e ſtern (Ophiactis virens). dings unerklärten Erregung mag die mal vergrößert. 2 gewaltſame Teilung der Ophiactis vor ſich gehen. Die Wunde ſchließt ſich zunächſt durch eine Art von Verklebung, indem ſich die Rißränder des Magens und die der Körperbedeckungen aneinander legen, worauf die weitere Vernarbung und der Erſatz der verlorenen Hälfte eintreten. Dabei ſproſſen zuerſt die zwei äußeren neuen Arme, dann der mittlere. Die Hohl- oder Hackkiere. Die Hohl- oder Sacktiere (Coelenterata). „Nicht jedem blüht das Glück, Korinth zu ſehen“, hieß es im Altertum, um den zu tröſten, der mit beſcheideneren Anſprüchen es ſich im Kreiſe kleinerer Anſchauungen ge— nügen laſſen ſollte. Nur Auserwählte dürfen ſich an der lieblichen Pracht jener ſüdlichen Eilande weiden, welche ihr Daſein und ihre gegenwärtige Geſtalt der vieltauſendjährigen Lebensthätigkeit der Korallentierchen verdanken, dürfen innerhalb der Lagune den wiß— begierigen Blick auf die in Farben glühende Tierwelt ſenken. Solche korinthiſche Üppig— keit bieten unſere europäiſchen Meere nicht, aber doch haben dich vielleicht ſchon auf ſtiller Meerfahrt jene ſchwankenden, mit Guirlanden und langen Franſen behangenen Glocken entzückt, deren Körper wie zart violett, rötlich oder gelblich gefärbte Glasgebilde ausſehen. Wie unſer Boot an ihnen vorübertreibt, blähen ſie ſich abwechſelnd auf und ziehen den Glocken- oder Scheibenrand zuſammen, um durch dieſe Stöße ſich nahe an der Oberfläche zu halten. Bei längerem Aufenthalt in Seebädern hat auch wohl jeder Gaſt noch intimere und zwar unliebſame Bekanntſchaft mit dieſen Quallen gemacht, die als Farben-Sirenen zur Berührung verlockten und dieſelbe mit dem empfindlichſten Neſſeln vergalten. Die vielen Tauſende unſerer Leſer aber, welche nicht in vollen Zügen die Eindrücke des offenen See— ſtrandes in ſich aufnehmen, aber doch ein Miniaturbild durch Vermittelung eines Aqua— riums genießen konnten, lernten als die größte Zierde dieſer mühſam und ſchwierig zu unterhaltenden Seewaſſerkäfige die Seeroſen oder Seeanemonen, die Aktinien kennen, welche Polypen ſind, gleich den Erbauern der Riffe, Strahltiere gleich den Quallen, und mit ihnen und vielen anderen gleich und ähnlich gebauten Formen den Kreis der Cölen— teraten bilden. Als Cölenteraten unterſchied R. Leuckart von den Stachelhäutern ſolche Tiere mit ſtrahligem Bau, deren dem Darmkanal der anderen Tiere entſprechende innere Höhlung nicht in ſich abgeſchloſſen ſei, ſondern in offener Verbindung mit denjenigen Räumen ſteht, welche der Leibeshöhle der Wirbeltiere, Inſekten ꝛc. entſprächen. Die Entwickelungsgeſchichte hat uns belehrt, daß das Höhlenſyſtem des Cölenteraten— körpers, welches man der Leibeshöhle vergleicht, wie wir unten an einem Polypen zeigen werden, aus nichts anderem beſteht, als den regelmäßigen ſtrahligen Ausſackungen des kurzen Darmes und gleich dieſem aus dem ſogenannten Urdarm der Larve hervorgeht. Das Reſultat dieſer embryonalen und larvalen Entwickelung iſt allerdings ein in der ganzen übrigen Tierwelt nicht wieder vorkommendes, eine Verquickung des Verdauungs-, Blut— gefäß⸗ und Atmungsapparates, wofür wir höchſtens bei den Weichtieren in der unmittel— baren Waſſeraufnahme in das Blutgefäßſyſtem eine Hinweiſung finden. War bei den Stachelhäutern Fünf die Grundzahl der Strahlen, ſo ſteht hier die ſtrahlige Einteilung 544 Hohltiere. Erſter Unterkreis: Rippenquallen. des Baues unter der Herrſchaft der Vier- und Sechszahl und ihrer Mehrheiten. War dort die Haut faſt ausnahmslos ſkelettmäßig und lederartig verdickt, jo find hier die leder— häutigen Sippen die Ausnahmen. Auch im Falle der Verkalkung eines oder des größten Teiles der Leibeswände bleibt ſehr oft das mit einem oder mehreren Fühlerkränzen ge— krönte Vorderende zart und blumenhaft, und die höchſt entwickelten freieren Formen ziehen das Auge durch die Zartheit und Zierlichkeit ihres ganzen Weſens an. In ihrer Entwickelungsfähigkeit zum Höheren vertreten ſie trotz großer Mannigfal— tigkeit das Prinzip der Stabilität faſt ebenſo wie die Echinodermen. An dem mächtigen Streben der übrigen Tierwelt, in dem großen Kampfe um das Daſein auf dem Feſtlande oder wenigſtens im Süßwaſſer ſich einzubürgern und die Vorteile dieſes veränderten Auf— enthaltes der Veredelung der Organiſation zu gute kommen zu laſſen, haben ſie ebenſo— wenig wie die Stachelhäuter mit Erfolg teilgenommen. Denn ein Erfolg kann es kaum genannt werden, daß einige wenige Quallen, kümmerliche Polypen und degenerierte Schwämme als vorgeſchobene Poſten in die ſüßen Gewäſſer eingedrungen ſind. Es hat nicht an Verſuchen gefehlt, die verwandtſchaftlichen Beziehungen der Hohltiere mit anderen Tieren feſtzuſtellen, und es haben zu dieſem Behufe beſonders die Rippenquallen herhalten müſſen, zwiſchen denen und den Echinodermen man früher zunächſt einen gene— tiſchen Zuſammenhang zu finden glaubte. Weit beſſer iſt der neuerdings von Selenka, Lang und Chun angeſtellte Vergleich jener merkwürdigen Hohltiere mit den Plattwür— mern gelungen. Wir teilen den Kreis der Hohltiere in drei Unterkreiſe, nämlich in den der Rippen— quallen, der Neſſeltiere und der Schwämme. Erſter Anterkreis. Die Rippengnallen (Ctenophora s. Costifera). In Geſtalt glasheller Apfel, Melonen, perſiſcher Mützen, auch wohl 1-1 ) m langer Bänder mit einem verdickten Mittelteil ſchwimmen die Rippen- oder Kammquallen, über welche wir Karl Chun eine glänzende Monographie verdanken, auf offenem Meere oder werden von Strömungen und Winden in die Nähe der Küſten und in die Häfen getrieben. Ihre Lage im Waſſer iſt gewöhnlich eine mehr oder weniger ſenkrechte, mit nach unten gekehrter Mundöffnung. Dieſelbe führt in einen entweder röhrenförmigen oder erwei— terten Magen, in welchem die Verdauung geſchieht, und aus welchem die unverdaulichen Teile der aufgenommenen Nahrung mit reichlich abgeſonderten Schleimmaſſen wieder durch den Mund entleert werden. Das obere Ende dieſes Magens kann zwar zugeſchnürt werden, ſteht aber doch in direkter Kommunikation mit einem engeren oder weiteren trichterförmigen Raume, aus welchem wiederum andere Kanäle entſpringen, welche unter der Körperober— fläche längs der gleich näher zu berührenden ſogenannten Rippen verlaufen. Jener Trichter beſitzt eine dem Munde entgegengeſetzte Offnung. Er iſt ein Rerſervoir für Blut und will— kürlich aufgenommenes Waſſer; auch Teilchen des Speiſebreies geraten aus dem Magen mit hinein, und dieſe ſonderbar zuſammengeſetzte, weſentlich aber aus Waſſer beſtehende Flüſſigkeit wird durch Wimperorgane in den erwähnten Kanälen in Bewegung geſetzt. Auch durch die Trichteröffnung kann das Waſſer aufgenommen werden, dieſelbe ſcheint jedoch vorzugsweiſe zum Ablaſſen der ſchon in Zirkulation geweſenen und mit verſchieden— artigen Ab- und Ausſonderungen verſetzten Leibesflüſſigkeit zu dienen. Körperbau der Rippenquallen. 545 Sehr auffallende und eigentümliche Teile unſerer Ordnung ſind die von Pol zu Pol reichenden oder nur eine Strecke dieſer Meridiane einnehmenden Rippen. Dieſelben be— ſtehen aus kurzen, kammförmigen Querreihen von Wimpern und folgen in ihrer Lage und Richtung, wie geſagt, den unmittelbar unter ihnen befindlichen Kanälen. Die auf dieſen Kämmen nebeneinander ſtehenden einzelnen Wimpern ſind am Grunde miteinander ver— wachſen und bilden, obgleich ſie gewöhnlich wellenartig nacheinander ſich bewegen, doch je eine Geſamtheit, die man als Schwimm- oder Ruderplättchen bezeichnet. Ihre Thätigkeit iſt von der Willkür des Tieres abhängig, und ſo können ſowohl einzelne Rippen als alle zuſammen gleichzeitig arbeiten, in welch letzterem Falle ein langſames Forttreiben in der Richtung des Trichterpoles das Reſultat iſt. Die anderen Wirkungen müſſen ſich mehr auf Drehungen und Schwenkungen des Körpers beſchränken, welche in der That oft raſch, leicht und zierlich ſind und unter der Mitwirkung der übrigen äußeren Anhänge ſtehen, unter welchen die Bewegungen der Mundſchirme, der aufrichtbaren Seitenteile und der haarförmigen Armzweige hervorzuheben ſind. Die abgebil— dete Cydippe iſt nur mit letzteren, den Armen und ihren Zweigen verſehen. Sie ſind Fang— werkzeuge und werden außerdem aber auch zur Vermittelung von Bewegungen und zur Steue— rung verwendet. In anderen Sippen ſtehen vom Körper ſenkrechte ruderartige Hautfalten und von dem erweiterten Munde größere wage— rechte Platten ab, durch deren Beihilfe die Be— wegungen entſprechend energiſcher und raſcher werden. Die Eucharis-Arten z. B. geben ſich durch Zuklappen der Mundſchirme Stöße, wo— durch fie 15—25 em weit fortgetrieben werden, und bei raſch wiederholten Stößen zu ſchnellerer Fortbewegung ſind die Arme in ihre Taſchen eingezogen oder, einem Steuer gleich, nach hinten ausgeſtreckt. Neſſelzellen von der Art, wie ſie bei dem nächſtfolgenden Unterkreis der Cölenteraten vorkommen, find bis jetzt bloß bei einer Art (Haeckelia rubra) aufgefunden worden und auch hier nur in geringer Entwickelung. Statt ihrer finden ſich „Greifzellen“, halbkugel— förmige kleine Hervorragungen der Fangfäden mit einem elaſtiſchen, ſpiralig aufgeroll— ten Stiele, aber ohne Giftapparat. „Wie verwertet nun“, fragt unſer Gewährsmann Chun, „die Ctenophore ihre Greifzellen, um kleinere pelagiſche Tiere einzufangen? In erſter Linie haben wir zu berückſichtigen, daß die halbkugelförmigen Hervorragungen mit ſtark klebenden Körnchen beſät ſind, an denen leicht kleinere Kruſtaceen werden kleben bleiben. Machen dieſelben nun Fluchtverſuche, ſo ziehen ſich die halbkugelförmigen Her— vorragungen lang aus; der Spiralfaden wird gerade geſtreckt. Indem nun letzterer zurück— zuſchnellen ſtrebt, wird er ſich ein wenig um die gefangene Beute ſchlagen und (da ſie jedenfalls von einer größeren Zahl von Klebkugeln gefaßt iſt) ein Entweichen unmöglich machen — Mit der Aktion der Neſſelkapſeln haben dieſe Bildungen durchaus nichts gemein. Während eine Neſſelkapſel für das Tier wertlos wird, ſobald ſie einmal in Funktion trat, ſo kann eine Greifzelle unzählige Male fungieren, da ſie ja jedesmal nach dem Ergreifen durch den Spiralfaden wieder auf das frühere Niveau zurückgeſchnellt wird.“ Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 35 5 2 N = 2 las | 2 * NT . Cydippe pileus. Natürliche Größe. 546 Hohltiere. Erſter Unterkreis: Rippenquallen. Die Rippenquallen ernähren ſich von ſämtlichen kleineren pelagiſchen Tieren, beſon— ders aber von Krebschen. Chun iſt der Meinung, daß unverſehrte Individuen das ganze Leben hindurch wachſen. Da nun ihrem Daſein weſentlich durch Stürme ein Ende ge— macht wird, ſo wird man die größten Exemplare in ſolchen Gewäſſern finden, die gegen ſtarken Einfluß der Winde geſchützt ſind. Die Tiere finden ſich zwar das ganze Jahr, doch ſind ſie während der Frühlingsmonate am häufigſten, werden gegen den Sommer ſeltener und ſeltener, ja, manche Arten, wie der von uns (f. die beigegebene Tafel, Fig. 3) verklei— nert abgebildete Venusgürtel, verſchwinden faſt völlig, aber bei dem Beginn des Herbſtes zeigt ſich wieder regeres Leben, und beſonders Cestus und Bero& erſcheinen in Schwärmen. Chun hegt die ſehr plauſibele und durch andere bei anderen Tieren beobachtete That— ſachen ſtark geſtützte Vermutung, „daß nach einer Frühjahrsperiode reger Fruchtbarkeit die Larven bei Beginn der heißen Monate in die Tiefe wandern, zu ausgebildeten Tieren heranwachſen und bei Beginn des Herbſtes in Maſſe aufſteigen.“ Die Ctenophoren ſind Zwitter, und von manchen Arten trifft man das ganze Jahr hin— durch geſchlechtsreife Individuen, von anderen bloß im Sommer oder im Frühjahr oder im Winter. Die Jungen durchlaufen eine Verwandlung, ſie haben Larvenſtadien durch— zumachen, bevor ſie ihre definitive Geſtalt erlangen. Intereſſant iſt die Thatſache, daß bei einer Art (Eucharis multicornis), ſoviel wir wiſſen, auch geſchlechtsreife Larven auftreten, welche ſich in dieſem Zuſtande fortpflanzen, dann völlig auswachſen und noch einmal fortpflanzungsfähig werden, — eine Art der Vermehrung, welche Chun als „Diſſo— gonie“ bezeichnet. Die intereſſanteſten, wenn auch nicht ſchönſten Formen der Ctenophoren ſind die Mützenquallen (Bero£), von Geſtalt etwa einer perſiſchen Mütze, mit ovalem Quer: ſchnitt, ſehr weitem Maul und ohne Senkfäden, folglich auch ohne Klebzellen. Die Farbe der bis 20 em groß werdenden Tiere iſt ein zartes Roſa und erſcheint dadurch, daß ſeitliche Fort: ſätze der acht Hauptkanäle das Gallertgewebe, Maſchen bildend, durchſetzen, wie marmoriert. Die von uns auf der Tafel (Fig. 1) abgebildete Bero& Forskäli bewohnt das Mittelmeer. Die Mützenquallen ſind gefräßige Räuber. Chun erzählt von ihnen in dieſer Be— ziehung: „Begnügen ſich faſt alle Rippenquallen mit kleineren Geſchöpfen, ſo repräſen— tieren die Berben hingegen gefräßige Räuber, und das um jo mehr, als es gerade ihres— gleichen ſind, von denen ſie ſich ernähren. Bereits Will (ein Zoolog, der vor faſt 50 Jah— ren dieſe Tiere unterſuchte) wußte, daß die Lieblingsſpeiſe dieſer gewandteſten und (wenn ich mich ſo ausdrücken darf) pſychiſch am höchſten ſtehenden Rippenquallen die Lobaten (3. B. Bolina hydafina aus dem Mittelmeer, ſ. Tafel, Fig. 2) iſt, obwohl fie auch keine der übrigen Arten verſchonen. — Ganz gewaltige Biſſen vermag eine Beros zu bewältigen. So hatte ich einmal eine der größten Eucharis in ein geräumiges Baſſin geſetzt, um eine Skizze entwerfen zu können. Ich achtete nicht eher auf eine halb jo große Bero& Fors- kälii, die ſchon längere Zeit gehungert hatte, als bis dieſelbe, offenbar von ihrem Geruchs— vermögen geleitet, in großen Kreiſen mit weit geöffnetem Maule umherzuſchwimmen begann. In der Nähe der Eucharis angelangt, ſchoß ſie mit gewandter Wendung auf dieſelbe los, faßte ſie mit ihrem breiten Maule und begann das lebhaft mit den Schwimmplatten ſchlagende wehrloſe Tier hinabzuwürgen. Ich rief mehrere der zufällig anweſenden Herren herbei, die es alle für kaum möglich hielten, daß ſolch ein voluminöſer Biſſen bewältigt werden könnte; doch nach kaum einer Viertelſtunde hatte ſich die Beros vollſtändig über die Eucharis weggezogen und lag, zu einem Ballon aufgedunſen, verdauend am Boden.“ Die Cydippen haben eine kugelige bis walzige Geſtalt und ihre Rippen ſind gleich— artig entwickelt. Außerdem beſitzen ſie zwei einander gegenüberſtehende Senkfäden. Die auf unſerer Tafel dargeſtellte Art (Fig. 4) iſt Hormiphora plumosa aus dem Mittelmeer. = Lil (= &) . A — — Lıl — oO 4. Hormiphora plumosa. nerls. 2 . ld 2. Bolina ha Ü. Mützenquallen. Cydippen. Venusgürtel. 547 Der Körper des Venusgürtels (Cestus Veneris) verlängert ſich nach zwei Seiten bandartig, und das ganze gürtelförmige, durchſichtige und im Sonnenſchein in prächtiger Farbenbrechung erglänzende Gebilde iſt eine wahre Augenweide. Die Ränder des Bandes ſind mit Wimpern geſäumt, welche denen der Wimperkämme des eigentlichen Körpers ent— ſprechen. An ſich ſchon von eleganter Geſtalt, gewinnt das Tier noch ſehr durch ſeine lebhaften zierlichen Bewegungen, indem es ſeine Bänder in allen möglichen geſchwungenen Linien zeigt. Unſanft berührt, pflegt es ſich, von einem Bandende angefangen, ſpiralig einzurollen. Ungeſtört hält es die Fortſätze bald entfaltet, bald mehr oder weniger ein— gerollt, bald den einen zuſammengewunden, den anderen ausgeſtreckt. Es vermag gleich den Venus gürtel! (Cestus Veneris). Halbe Größe. anderen Rippenquallen durch das bloße Spiel der Wimpern ſich in der Schwebe zu halten, kann aber auch ſchlängelnd den Ort wechſeln. Bei dieſer Rippenqualle iſt die Verwandlung, welche die Larve nach dem Verlaſſen des Eies noch zu durchlaufen hat, ſehr kompliziert. Die junge Larve hat die Geſtalt eines Ballons, ſie beſitzt zwei mit Seitenſenkfäden verſehene Hauptſenkfäden oder Armzweige ſowie auf jeder Rippe 4— 5 Schwimmplättchen. So gleicht die Larve von Cestus den ausgewachſenen Individuen anderer Arten von Rippenquallen (Gattung Mertensia) und nimmt erſt nach und nach und viele Übergänge durchlaufend die Geſtalt des Gürtels an. Im Aquarium ſah ich den Venusgürtel, wie überhaupt alle Quallen, nie länger als einige Tage ausdauern. Ganz beſonders die Rippenquallen verletzen fi in den erſten Stunden der Gefangenſchaft, indem ſie ſich die Wimperkämme abſtoßen. Sie bleiben dann noch 2 — 3 Tage lebendig, aber in trauriger Verfaſſung. Selbſt wenn man fie in den großen Behältern durch eigne Glaskaſten gegen die Unbilden von ſeiten der Mitgefan— genen und der notwendigen Waſſerſtrömungen ſchützt, wird ihr Untergang nur wenig [ni |} 35 548 Hohltiere. Zweiter Unterfreis: Neſſeltiere. aufgehalten. Ihr Element iſt eben das offene Waſſer. Übrigens ſcheint ihr Abſterben in den Aquarien auch noch durch den Mangel an Nahrung beſchleunigt zu werden. Doch berichtet Chun, daß er Beroeén und die kleineren Arten wochenlang lebenskräftig erhalten habe, dabei käme es darauf an, den Schleim, der mit den Überreſten der Nahrung ausgeſpieen wird, ſorgfältig und bald zu entfernen, da er in kürzeſter Zeit das Waſſer verpeſtet. Ihre Stellung und Bedeutung im Haushalte der Natur iſt eine untergeordnete. Selbſt von kleinen Kruſtern lebend, werden ſie Schirmquallen und Seeanemonen zur Beute und erfreuen des Menſchen Auge im Leben und nach dem Tode durch ihr Aufleuchten. Der Sitz dieſes Leuchtens iſt hauptſächlich in den Wandungen der unter den Rippen hinziehen— den Kanäle. Sonderbar und einzig für leuchtende Meerestiere daſtehend iſt die Thatſache, daß Rippenquallen, welche nur kurze Zeit dem Lichte der Sonne, des Mondes oder einer künſtlichen Beleuchtung ausgeſetzt waren, nicht zu leuchten vermögen, wenn ſie plötzlich in eine Dunkelkammer gebracht werden. Auch die noch im Inneren der Muttertiere befind— lichen Eier der Ctenophoren leuchten. Allman iſt der Anſicht, daß die Beroen und ihre Brut als die Hauptquellen des Meeresleuchtens an der engliſchen Küſte angeſehen werden müſſen. Das Leuchten beginnt aber nicht unmittelbar nach Eintritt der Dunkelheit, ſon— dern erſt 20 Minuten nachher. | Zweiter Anterktreis. Die Neſſeltiere (Cnidaria s. Telifera). Die Neſſeltiere führen ihren Namen von eigentümlichen, ihrer Oberhaut angehö— rigen Gebilden, den Neſſelkapſeln, die wohl als homolog den Greifzellen der Rippen— quallen aufgefaßt werden dürfen. Dieſe Neſſelzellen können, wenn ſie auch immer mikroſkopiſch bleiben, von ſehr ver— ſchiedener Größe ſein, ohne daß ihre weſentlichen Strukturverhältniſſe dadurch beeinflußt würden. Das Eiweiß oder Protoplasma dieſer Zellen iſt zu einer ziemlich feſten Schale umgeſtaltet und umſchließt eine helle, ovale oder cylindriſche Blaſe, die ihrerſeits in ihrem Inneren ein ſpiralig aufgerolltes oder unregelmäßig zuſammengeknäueltes Fädchen oder, da es hohl iſt, beſſer Röhrchen enthält. Dieſes Röhrchen iſt über 20 mal länger als die Neſſelzelle, am freien Ende zugeſpitzt und bis nahe an dasſelbe von einem oder zwei ſpi— ralig angeordneten feinen Widerhaken beſetzt. Es wird bei Berührung der Neſſelzelle oder bei ſonſtigem Reiz mit großer Gewalt hervorgeſchleudert und ſtülpt ſich dabei um, wie man einen Handſchuhfinger oder einen Strumpf umſtülpt, denn die mit Widerhaken ver— ſehene Seite iſt beim aufgerollten Faden die innere und erſt beim hervorgeſchleuderten die äußere. Es ſcheint, daß der aufgerollte Faden mit einer giftigen Subſtanz gefüllt iſt, die ſich bei ſeinem Umſtülpen über die ſo gewonnene Oberfläche ergießt und mit der ſcharfen Spitze des Fadens in die dem Berührer zugefügte Wunde dringt. Unten treten an die Neſſelzelle bei manchen Cölenteraten (wahrſcheinlich bei allen) muskulöſe Elemente, die ſich durch Faſern mit Nervenganglien verbinden, oben ragt frei über die Oberfläche der Haut ein kurzer Fortſatz der Kapſelſchale. Das iſt das Knidocil. Wird dieſes berührt, ſo teilt es die Berührung den Nerven mit, die ihrerſeits die muskulöſen Elemente zum Zuſammenziehen bringen, wodurch die Schale zuſammengepreßt wird und an der Stelle des geringſten Widerſtandes, das iſt oben neben dem Knidocil, platzt, wobei der Inhalt nach außen geſchleudert wird. Eine einfache Berührung genügt noch nicht, eine Entladung Die Neſſelorgane der Aktinien. 549 der Neſſelzellen zu bewirken, denn ſonſt müßte das auch geſchehen, wenn das Tier an einen Stein anſtößt, oder wenn z. B. beim Zurück— ziehen der Tentakeln Selbſtberührung eintritt. Da das aber nicht der Fall iſt, ſo müſſen wir annehmen, daß den Neſſeltieren noch ein be— ſonderes, fein unterſcheidendes Empfindungs— vermögen innewohnt. Sehr häufig ſtehen die Neſſelzellen in kleineren oder größeren Gruppen zuſammen und bilden die ſogenannten Neſſelbatterien. Über den wichtigſten Dienſt, den dieſe Apparate den Cölenteraten im allgemeinen leiſten, ſagt Möbius, dem wir die ſpeziell— ſten Unterſuchungen verdanken: „Sobald ein vorbeigehendes Tier die Fangarme berührt, ſo fahren aus den Neſſelkapſeln lange, feine Fä— den hervor, hängen ſich an demſelben feſt und halten es zurück. Und iſt es nicht ſtärker als der lauernde Räuber, der jene Fäden aus— wirft, ſo vermag es ſich nicht wieder los— zuwinden. Denn immer mehr Neſſelfäden be— decken das umſtrickte Tier, während es in den Mund hineingezogen wird; ja ſelbſt im In— neren der Leibeshöhle ſind noch Vorräte der Kapſeln in der Haut langer Schnüre vorhan— den. Je heftiger der Kampf, je mehr Neſſel— kapſeln entladet der Polyp, um ſeinen Ge— fangenen feſtzuhalten, gleichwie eine Spinne Hunderte von feinen Fäden mit einem Male aus ihren Spinnröhrchen ſtrömen läßt, wenn ſie ein kräftiges Inſekt bewältigen und feſt— ſchnüren will. „Daß hierbei an eine Erſchöpfung der vorrätigen Neſſelkapſeln nicht im mindeſten zu denken iſt, mögen einige Zahlen beweiſen. Die in der Nordſee gemeine rote Seeroſe (Actinia mesembryanthemum, eine Abart der Actinia equina) hat in einem Fangarme von mittlerer Größe mehr als 4 Millionen reifer Neſſelkapſeln und in all ihren Fang— armen zuſammen wenigſtens 500 Millionen. Ein Fangarm der prachtvollen ſamtgrünen Seeroſe (Anthea cereus) enthält über 43 Mil— lionen Neſſelkapſeln: alſo beſitzt ein Tier mit 150 Fangarmen den ungeheuern Vorrat von 6450 Millionen. Und unter den reifen, zum Fange bereit liegenden iſt überall ein junger Nachwuchs vorhanden, der die verbrauchten Kapſeln ſchnell wieder erſetzen kann.“ Möbius berührte eine große Anthea cereus mit Neſſelkapſeln: 1) und 2) mit eingeſtülptem Faden, 3) halb ausgeſtülpt, 4) ganz ausgeſtülpt. Stark vergrößert 550 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erſte Klaſſe: Polypquallen. der Zunge und empfand augenblicklich das heftigſte Brennen, das erſt nach 24 Stunden ganz nachgelaſſen hatte. Eine andere hübſche Beobachtung zeigt, daß eine Aktinie im ſtande iſt, eine Schnecke durch leiſe Berührung zurückzuſchrecken. Er jagt: „Einer Actinia mesembryanthemum hatte ich Fleiſch gegeben. Während ſie es mit den Tentakeln lang— ſam in den Mund hineindrückte, kroch eine Nassa reticulata (aus der Familie der Bucci— niden, S. 381) heran, die es gewittert hatte, und taſtete danach. Aber in dem Augen— blicke, wo ihre Atemröhre mit den Tentakeln der Aktinie zuſammenſtieß, ſchrak ſie heftig zuſammen, zog die Röhre ein und wandte ſich ab. Ich kenne keine anderen Dinge in der Aktinie, als die plötzlich ausgeſtülpten Neſſelſchläuche, durch welche das Benehmen der Schnecke erklärt werden könnte.“ Wir werden bei der Betrachtung der Hydren ſehen, daß die Neſſelzellen nicht immer die Bedeutung von Angriffs- oder Verteidigungswaffen zu haben brauchen, ſondern daß fie gar wohl einem weit davon abliegenden Zwecke dienſtbar ſein können. Erſte Klaſſe. Die Volypquallen (Polypomedusae). Erſte Ordnung. Die Schwimmpolypen (Siphonophora). Wer zu dem Glauben neigt, daß die Natur, dieſe undefinierbare Macht, oder die ſchöpfe— riſche Gottheit zur Veränderung auch mitunter Schnörkeleien hervorbringen müſſe, wird gewiß zu den Schwimmpolypen oder Röhrenquallen greifen, einem ſo bizarren belebten Spiel— werk, wie es die Phantaſie kaum zu erdenken vermöchte. Iſt es doch den Forſchern ſchwer genug geworden, der Natur, um mit Herder und Goethe zu reden, den Gedanken nachzu— denken, der ihr (ſo drückte die alte Schule ſich aus) bei Schaffung dieſer Tiere vorſchwebte. Wir wählen, um wenigſtens eine weitere fruchtbare Betrachtung bei etwaiger Begeg— nung am Strande anzubahnen, zunächſt eine der noch minder komplizierten Formen und beſchreiben ſie gleich nach ihren Einzelheiten, weil Allgemeines ohne ſolche ſpezielle An— ſchauung völlig unverſtändlich wäre. Der zweireihige Blaſenträger (Physophora pisticha, Abbild. S. 551) ſteht als ein Gebilde vor uns, für deſſen verſchiedene Teile und Anhänge eine oben mit einer Blaſe beginnende Röhre die zentrale Achſe bildet. Die Blaſe enthält Luft und erhält daher das Ganze in aufrechter oder ſchräger Stellung. Der ganze obere Teil der Röhre wird von zwei Reihen Schwimmglocken eingenommen, denen die Fortbewegung des Ganzen übertragen iſt. Sie beſitzen in Form und Thätigkeit, indem ſie durch ruckweiſes Zuſammenziehen das Waſſer aus ihrer Höhlung ausſtoßen, eine unverkenn— bare Ahnlichkeit mit Schirmquallen. Unter ihnen folgt zunächſt ein Kranz äußerſt beweg— licher Fühler, und zwiſchen dieſen erblickt man zwei ebenfalls hohle, aber auch am Ende offene Teile, Ernährungspolypen, Saugröhren oder Magen, deren jeder für ſich zu be— wältigen und zu verdauen trachtet, was durch die langen Senkfäden mit ihren Behängen und Neſſelorganen namentlich an kleinen Kruſtern ihnen zugeführt wird. Was ſie an farb— loſem Blut und Nahrungsſaft bereiten, kommt ebenfalls dem Ganzen zu gute. Das Er— gebnis der Verdauung gelangt in jene Röhre, von der wir ausgingen, und von da in die verſchiedenen Anhänge zu deren Ernährung. In unſerer Abbildung, welche wir der ver— hältnismäßigen Einfachheit halber gewählt haben, ſieht man keine Fortpflanzungsorgane. Zweireihiger Blajenträger. 551 Wir fügen aber hinzu, daß ſie bei der Sippe Physophora in Form von Trauben vor— handen ſind, in anderen als Kapſeln, gleich denen der Quallenpolypen, in noch anderen endlich, und das iſt für die Auffaſſung dieſes ſo komplizierten Organismus von höchſter Wichtigkeit, in Geſtalt wirklicher Scheibenquallen, die ſich ſogar loslöſen und ein ſelbſtän— diges Leben führen können. ö Sit die beſchriebene Physophora ein Einzeltier oder eine Kolonie, ein Tierſtock? Es vertrüge ſich an ihr alles übrige mit dem Weſen eines Einzeltieres, außer den zwei, in anderen Fällen drei, vier und mehr mit ſelbſtändigen Mundöffnungen und überhaupt ſelbſtändiger Thätigkeit begabten Magen. Die— ſelben ſind denn auch von älteren Beobachtern kurz „Polypen“ genannt worden, zum Zeichen, daß man zwar den anderen Teilen der Physophora und anderer Sippen nicht den Wert von Individuen beilegen wolle, jedenfalls aber ſich des Ein— druckes nicht erwehren könne, wenigſtens in dieſen Magen oder Saugröhren unvollſtändige Individualitäten vor ſich zu ſehen. Nimmt man nun hierzu jene Fälle, wo die Fortpflan— zung durch die ſich ablöſenden Quallenindividuen beſorgt wird, ſo muß man R. Leuckart beiſtimmen, der die Röhrenquallen für polymorphe Kolonien erklärt hat. Das ſoll ſo viel bedeuten: die Teile, aus welchen jene zuſammengeſetzt ſind, haben inſofern die Bedeutung von Teilen eines Organismus, als ſie ſich durch ihre Gegenſeitigkeit und die Verſchiedenartigkeit ihrer Leiſtungen bedingen. Alle zuſam— men bilden in phyſiologiſchem Sinne ein Ganzes, ſie gehören zu einem Leben. Jedenfalls ſind aber einzelne dieſer ſogenannten Organe ſo ſelbſtändig und im Falle ſie Quallenform annehmen, ſo hoch entwickelt, daß ſie faſt den Rang von Einzelweſen, von Individuen einnehmen. Und hiervon ausgehend läßt ſich die Röhrenqualle als eine Kolonie von unvollſtändigen Individuen betrachten, verſchieden ausgeprägt an Form und Leiſtung; denn dies iſt die Bedeutung von „polymorph“. „Wie mithin ſonſt“, ſagt Bronn, „in der aufſteigenden Tierreihe zum Zweck der Arbeitsteilung die Organe ſich immer zahlreicher und vollſtändiger differenzieren (ſcheiden und ausbilden), ſo thun es hier die ver— ſchiedenen zu einer Familie gehörigen und unter ſich zuſammen— hängenden Individuen, analog den Verhältniſſen in den Ameiſen— und Bienenſtöcken, wo dieſe Individuen jedoch nicht miteinander verwachſen ſind. Aber die Differenzierung iſt ſo weit und die Arbeitsteilung ſo ausſchließ— lich gediehen, daß dieſe Individuen in der Regel nicht genügende Organe zur ſelbſtändigen Fortdauer beſitzen, obwohl ſie oft raſch durch Knoſpung einen Verluſt oder Mangel zu erſetzen im ſtande ſind.“ Eine weitere Durchführung dieſer geiſtreichen Auffaſſung von ſeiten Vogts und Leuckarts gehört einer ſtrengeren, von Sippe zu Sippe fortſchreitenden Behandlung an. Man darf jedoch auch hier, wie bei den Quallenpolypen, nie aus den Augen verlieren, daß, wenn es auf das wirkliche Verſtändnis und die Erklärung der Entſtehung der höheren Selbſtändigkeit ankommt, die niedrigen Formen als die Ausgangsformen zu betrachten ſind und die höheren von ähnlichen niedrigen Vorfahren abſtammen. Sicher waren r Zweireihiger Blajenträger (Physophora disticha). Natürl. Gr. 552 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erſte Klaſſe: Polypquallen. Quallenpolypen ohne ſich loslöſende Knoſpen die leiblichen Vorgänger der Sippen, welche freie Scheibenquallen erzeugen; und aus Schwimmpolypen, welche aus bloßen Organen zu— ſammengeſetzt erſcheinen, gingen, meiner Meinung nach, erſt im Verlaufe ganzer Erdperioden ſolche hervor, wo einzelne jener Organe durch Vorteile in der Ernährung, Anpaſſung und andere Umſtände ſich zum Range minder oder mehr vollkommener Individuen aufſchwingen konnten. Eine der ſchönſten und merkwürdigſten aber auch gefährlichſten Gattungen der Hohl— tiere gehört in die Ordnung der Schwimmpolypen, die der ſog. Seeblaſen oder portu— gieſiſchen Galeeren (Physalia), welche in mehreren Arten die wärmeren Meere be— wohnt. Bei dieſer Kolonie erweitert ſich der Stamm oben zu einer großen, faſt horizontal liegenden, ovalen, an den Polen zipfelartig ausgezogenen Blaſe mit anſehnlicher, durch eine Offnung nach außen kommunizierender Luftkammer. Oben auf der Blaſe verläuft etwas ſchräg der Länge nach ein Kamm. Unten an der Blaſe hängen nebeneinander Er— nährungspolypen, Taſter, an welchen ſich die Geſchlechtsorgane entwickeln, und ſehr lange Senkfäden. Die von uns in der beigegebenen Tafel vorgeführte Art (Physalia pelagica) bewohnt das Mittelmeer. Von der Schönheit dieſer Tiere entwirft uns Leſſon folgende Beſchreibung: „Die Galeeren ſchimmern im Schmuck der prächtigſten Farben. Die Luftblaſe und ihr Kamm erſcheinen wie getriebenes Silber, verziert mit Hellblau, Violett und Purpur. Ein lebhaftes Karminrot färbt kleine Verdickungen am Kiel des Kammes und ein wundervoll zartes Ultramarinblau alle Anhänge.“ Sogar die rohen Matroſen bewundern dieſe prachtvollen Geſchöpfe, deren Blaſe wie ein Kinderkopf groß ſein kann und deren Fangfäden tief in das Waſſer hinabhängen, aber ihre Bewunderung iſt mit achtungsvoller Furcht gepaart. Die Seefahrer der meiſten Nationen haben bezeichnende Namen für die Phyſalien: die Franzoſen nennen ſie unter anderem la petite Galere oder Vaisseau de guerre Portugais, die Engländer Portuguese man of war. Der Name „Portugieſiſches Kriegsſchiff“ iſt beſonders glücklich gewählt, weil er drei Dinge zugleich meldet. Erſtens, daß die von Europa kommenden Seefahrer den Tieren zuerſt auf der Breite von Portugal begegnen, zweitens, daß die Phyſalien wie ein Schiff auf der Oberfläche des Waſſers, ihren Kamm wie ein Segel benutzend, vor dem Winde treiben, und daß ſie drittens gut bewaffnete Schiffe ſind. Ihre Fangfäden ſtarren von Batterien von Neſſelkapſeln, und man hüte ſich, mit ihnen in Berührung zu kommen; wer leichtſinnig genug iſt, hat es bitter zu bereuen. Meyen erzählt uns, wie auf der erſten Weltumſegelung des Schiffes „Prinzeß Luiſe“ eine prächtige Phyſalie am Schiffe vorbei— geſchwommen ſei. Ein junger, kecker Matroſe ſprang in das Meer, um ſich des Tieres zu bemächtigen, ſchwamm auf dasſelbe zu und faßte es an. Da ſchlang das Tier ſeine langen Fangfäden um ſeinen verwegenen Widerſacher. Den jungen Mann durchzuckte ein fürchter— licher Schmerz, verzweifelt ſchrie er um Hilfe, kaum konnte er ſchwimmend das Schiff er— reichen, um ſich an Bord hißen zu laſſen. Hier erkrankte er ſo ſchwer an Entzündungen und Fieber, daß man geraume Zeit um ſein Leben beſorgt war. Leblond, ein franzöſiſcher Forſchungsreiſender, machte die perſönliche Bekanntſchaft einer Phyſalie auf den Antillen. Er erzählt über dieſes Abenteuer folgendes: „Eines ſchönen Tages badete ich mich mit einigen Bekannten in einer großen Bucht, dicht bei unſerer Wohnung. Während Fiſche zum Frühſtück gefangen wurden, amüſierte ich mich damit, nach Art der eingeborenen Karaiben in die Brandung zu tauchen, wenn dieſelbe im Begriff war, ſich zu überſtürzen. Wenn ich ſie durchſchwommen hatte, wandte ich mich in das offene Meer hinaus und ließ mich von einer anderen Welle an den Strand zurücktragen. Dieſes (02) — A DE ( SEEBLASE Phyſalien. Auronekten. 553 verwegene Spiel, das die anderen zu verſuchen nicht wagten, hätte mir faſt das Leben gekoſtet. Eine Galeere, deren mehrere auf dem Sande des Ufers angeſpült lagen, blieb an meiner linken Schulter in dem Augenblick hängen, wo die Welle mich auf den Strand trug. Ich entfernte ſie ſofort, aber mehrere ihrer Senkfäden blieben an meiner Haut bis zum Arme herabhängen. Alsbald empfand ich an meiner Achſel einen ſo heftigen Schmerz, daß ich faſt ohnmächtig wurde. Ich ergriff aber eine Flaſche mit Ol vom Frühſtückstiſch und trank ſie halb aus, während man mir mit dem Reſt des Oles die Schulter frottierte. Als ich wieder völlig zu mir kam, fühlte ich mich wohl genug, allein nach Hauſe zu gehen, wo 2 Stunden Ruhe mich von den Brandſchmerzen, die aber gänzlich erſt im Verlauf der Nacht verſchwanden, einigermaßen wieder herſtellten.“ In Weſtindien geht die Sage, die Neger benutzten getrocknete und pulveriſierte Phy— ſalien, um Giftmorde auszuführen. Ein Arzt zu Guadeloupe, Dr. Ricord Mediana, hat eine Reihe von Experimenten angeſtellt mit dem Verfüttern dieſer Subſtanz an verſchie— dene Tiere, von der Ameiſe bis zum Hund, aber mit durchaus negativem Erfolg, keins der Tiere ſtarb oder erkrankte auch nur. Auch iſt es nach den Unterſuchungen desſelben Arztes ein Märchen, daß das Fleiſch von Fiſchen, welche Galeeren gefreſſen hätten, da— durch giftig geworden ſei. Die Expedition des „Challenger“ hat den Beweis geliefert, daß auch die Tiefſee Schwimm— polypen, und zwar ſehr merkwürdiger Art birgt, welche von Haeckel unterſucht worden find. Die intereſſanteſten Formen bil— den eine neue Familie, die der Auro— nekten. Ihr Körper iſt verdickt und verkürzt, oval bis rund, beſteht aus einer harten, knorpelartigen, von einem dichten Syſtem Anaſtomoſen bildender Kanäle durchzogenen Maſſe. Oben er— weitert ſich der Körper zu einer großen hohlen, runden Blaſe (p, ſ. neben— ſtehende Abbild.) oder Pneumatophor, dieſe iſt umgeben von einem Kranz großer runder Schwimmglocken (n), von denen eine () merkwürdig um— gebildet iſt und eine ſonderbare Funk— tion beſitzt. Sie iſt nämlich nicht ganz hohl wie die übrigen, es verläuft in ihr vielmehr bloß ein enger Kanal, der mit ihren Wandungen durch Balkenzüge ö 95 von Gallertgewebe verbunden iſt. Am Stephalia corona. Natürliche Größe. freien Ende mündet der Kanal mit einer kurzen Röhre nach außen, am feſtgewachſenen tritt er in die große Blaſe des Pneu— matophoren. An den Seiten des Leibes, der unten auch in Geſtalt eines großen Ernährungs— polypen endet, ſtehen in mehreren Reihen kleinere Ernährungspolypen (8), von denen jeder an ſeiner Baſis oben einen Fangfaden (t) und ſeitlich Geſchlechtsträubchen trägt. Die umgeſtaltete Schwimmglocke ſtellt einen, von Haeckel als Aurophor bezeichneten Apparat dar, durch welchen die Gasverhältniſſe in dem Pneumatophor geregelt werden. Die Endblaſen der Siphonophoren ſind offenbar hydroſtatiſche Vorrichtungen, welche die 554 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erfte Klaſſe: Polypquallen. horizontalen Bewegungen bedingen. Denken wir uns z. B., die umſeitig abgebildete Auronekte (Stephalia corona) ſchwämme im Meere und hätte aus irgend einem Grunde das Bedürfnis nach dem Aufenthalt in größerer Tiefe. Wie kann ſie dieſes wohl befriedigen? Nun, ſie zieht ihren Pneumatophor zuſammen, das in ihr enthaltene Gas entweicht durch den Seitenkanal, und das Tier wird im Verhältnis zu ſeiner Größe ſpezifiſch ſchwerer und ſinkt demzufolge. Die umgeſtaltete Schwimmglocke, die Haeckel geradezu eine „Gasdrüſe“ nennt, ſondert nun höchſtwahrſcheinlich ein Gas ab, welches den Pneumatophor füllt und ſo das Tier wieder nach oben hebt. Die Siphonophoren haben nach den Beobachtungen Chung überhaupt ſehr das Be— dürfnis nach vertikalem Ortswechſel. Der genannte Forſcher bezweifelt das Vorkommen ausſchließlich der Tiefſee angehöriger Schwimmpolypen im Mittelmeer und iſt der Anſicht, daß alle unter Umſtänden und zu gewiſſen Zeiten an der Oberfläche des Meeres erſcheinen. Manche durchlaufen ihre Larvenentwickelung in der Tiefe, und Chun beobachtete, „daß die im Frühjahr an der Oberfläche auftretenden jugendlichen Physophora-Larven mit Beginn des Sommers größere Tiefen aufſuchen, um dann nach Vollendung ihrer Metamorphoſe mit Beginn des Winters aufzuſteigen und zu geſchlechtsreifen Tieren ſich zu entwickeln“. Die Auronekten bilden gewiſſermaßen einen Übergang zur Familie der Scheiben— ſchwimmpolypen (Velellidae), die in ihrer Erſcheinung an Scheibenquallen erin— nern. Hier iſt der Körperſtamm nicht mehr verlängert, ſondern ſcheibenartig abgeplattet, und wird von einem Kanalſyſtem durchzogen Auf dieſer Scheibe liegt der ähnlich geſtaltete und gleichfalls von konzentriſch angeordneten, ſich frei nach außen öffnenden Kanälen durch— zogene Pneumatophor. An der Unterſeite der knorpelharten Scheibe hängen die Polypen, und zwar im Zentrum ein großer Ernährungspolyp und um ihn herum in konzentriſchen treijen viele kleinere, die an ihrer Baſis Geſchlechtsträubchen aber keine Fangfäden tragen. Die Tentakeln ſind am Rande der Scheibe angeordnet und ſehr kurz. Die Gattung Velella iſt ein im Mittelmeer häufiges pelagiſches Tier mit unregelmäßig ovaler Scheibe, über welche ein windſchief gebogener Kamm quer hinweg läuft. Die Tiere treten oft in Schwärmen auf und ſind von einer wundervollen indigoblauen Farbe. Die weiblichen Ge— ſchlechtsbeeren löſen ſich, wie das bei vielen Siphonophoren der Fall iſt, von dem Stamme los, aber in dem ſpeziellen Falle von Velella wachſen ſie, ähnlich wie bei Hydroidpolypen, zu kleinen Quallen (früher als Gattung Chrysomitra beſchrieben) aus. Zweite Ordnung. Die Hydromeduſen (Hy dromedusa s. Hydroide a). Um eine ganz ſonderbare Abzweigung von dem Typus der Hohltiere kennen zu lernen, eine Qualle, welche zu den übrigen ſich ſo verhält, wie der des Flugvermögens beraubte Pinguin zu den übrigen Vögeln, lade ich ein, mich nach Leſina in Dalmatien zu begleiten, wo ich oft dieſer niederen Tierwelt nachgegangen bin. Wir haben uns im Kloſter bei unſerem Freunde Pater Bona Grazia einquartiert. Die Schwelle des Hauſes wird vom Meere beſpült, und ein Griff in das Waſſer füllt das Gefäß mit großen blattartigen Aus— breitungen der grünen Lattich-Ulve. Wir muſtern nun mit dem einfachen Vergrößerungs— glas ein Stückchen dieſer Pflanze und entdecken ein feines, blaſſes Weſen, welches, nach— dem wir es einmal gefunden, auch dem bloßen Auge erkenntlich bleibt, wie es mühſam Scheibenſchwimmpolypen. Kriechqualle. Saugqualle. 555 und langſam auf langen Armen über ſein grünes Feld kriecht. Beim erſten Verſuch, es abzulöſen, fällt es plump zu Boden; es iſt überhaupt unfähig zu ſchwimmen. Nun, dieſes Tier iſt in jedem Punkte ſeines Baues eine Qualle, zwar verwandt einer ſchon längſt be— kannten Sippe (Eleutheria oder Cladonema), aber der eigentlichen Quallennatur in einer Beziehung noch mehr entfremdet, indem jene wenigſtens abwechſelnd ſchwimmt und kriecht. Unſere Kriechqualle (ſ. unten) hat ſechs am Ende mit wahren Saugnäpfen verſehene Arme. Auf ihnen ſtelzt ſie einher, während von jedem Arme wie ein Leuchter ſich ein kürzerer Stiel erhebt, deſſen angeſchwollenes Ende mit Neſſelkapſeln geſpickt iſt. Der ſehr dehnbare Schlund und Mund taſtet bald da, bald dort hervor und bewältigt mit Leichtig— keit die auf derſelben Weide ſich erluſtigenden Krebschen. Gleich oberhalb der Baſis eines jeden Armes liegt ein hufeiſenförmiger Augenfleck, in welchem ich eine gut ausgebildete Linſe fand, ohne jedoch zu einem wirklichen Auge gehörige Nerven entdecken zu können. Kriechqualle (Clavatella prolifera); a) vergrößert, b) in natürlicher Größe. Noch etwas höher befindet ſich auf dem Abſchnitt zwiſchen je zwei Armen eine Knoſpe. Keins der vielen von mir im Mai unterſuchten Tiere von einer gewiſſen Größe war ohne ſeine ſechs Knoſpen, und dieſe in ſo verſchiedenen Stufen der Ausbildung, daß die all— mähliche Entwickelung immer klar vor Augen lag. An den reiferen Knoſpen war oft ſchon die Anlage abermaliger Knoſpung zu ſehen. Dieſe Fortpflanzung durch Knoſpen bei ausgebildeten Quallen wurde zwar bei ver— ſchiedenen Sippen beobachtet, iſt aber der minder häufige Fall der Vermehrung. Regel iſt, daß alle Quallen auf geſchlechtlichem Wege durch befruchtete Eier ſich fortpflanzen. Unſere Kriechqualle legt zu anderer Jahreszeit Eier. Auch die Tiefſee birgt kriechende Quallen, ſo wenig man die Gegenwart von Quallen hier überhaupt vorausſetzen ſollte. Über die auf der Challenger-Reiſe geſammelten berichtet Haeckel: „Wenig Tierklaſſen ſcheinen zu einem Leben in der Tiefſee weniger geeignet als die Meduſen mit ihrem weichen, ſchleimigen, waſſerreichen Körper und ihrer Schwimm— gewohnheit. Gleichwohl gibt es einige wenige Arten, die bis in große Tiefen hinabgehen.“ Eine der intereſſanteſten Quallenformen und wunderbar an ein Tiefſeeleben angepaßt iſt die Saugqualle (Pectis antartica) aus der eignen Familie der Pektiniden. „Die Pektiniden,“ ſagt Haeckel, „gehören zur Ordnung der Trachymeduſen und ſtehen den Trachynemiden nahe. Sie ſind beſonders merkwürdig durch ihre Saugtentakeln, die in großer Anzahl rundum am Rande des feſten, knorpeligen Schirmes ſtehen (in zuſammengezogenem Zuſtande ſehen wir ſie auf umſtehender Abbildung). Dieſe Tentakeln gleichen in hohem Grade den Ambulakralfüßchen der Echinodermen; ſie ſind in hohem Grade zuſammenziehbar 556 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erſte Klaſſe: Polypquallen. und elaſtiſch und am freien Ende mit einer Saugſcheibe verſehen. Die lebende Pektinide bedient ſich derſelben um ſich anzuſaugen und um mittels ihrer genau ſo wie ein Seeſtern oder Seeigel zu kriechen.“ Die Breite des Tieres, über den Schirm gemeſſen, iſt etwa 38 mm. Es würde zu weit führen, die verſchiedenen Familien und Sippen auch nur mit Auswahl zu charakte— riſieren, namentlich auch in Bezug auf Entwickelung. Wir müſſen aber, um die allgemeinen Lebens— verhältniſſe zu begreifen, wenig— ſtens auf die merkwürdigen Wechſel— generationen von geſchlechtsreifen Quallen, wie wir ſie oben geſchil— dert, und unfreien polypenförmigen Weſen die Aufmerkſamkeit lenken. Aus den Eiern der wenigſten Qual— len entwickeln ſich direkt wieder Quallen, ſondern polypenartige Larven, an denen die Quallengeneration auf dem Wege der Knoſpung entſteht. Die Zugehörigkeit der Quallen zu denjenigen polypenförmigen Zwiſchenformen, die wir Quallenpolypen nennen, blieb in den meiſten Fällen deshalb verborgen, weil dieſe Quallen eine ſehr geringe Größe, oft nur vom Umfang eines Stecknadelkopfes, erreichen. So ſehen wir zwiſchen der Gruppe der fünf Indivi⸗ duen von Corymorpha nutans ebenſoviele kleine, mit einem fadenförmigen Anhange verſehene Weſen ſchwimmen: das ſind die dazu gehörigen Quallen. Jedes Ei dieſer minutiöſen, über die abgebildete Größe wenig hinaus wachſenden Quallen entwickelt ſich zu einer flimmerhaarigen Lar— ve, welche, zu Boden ge— ſunken, zu einer Corymor— pha nutans wird. Unſer Bild (S. 557) iſt Allmans = PP prachtvoller Monographie Monocaulus imperator. Oberes Drittel. Sehr verkleinert. der der größeren Abteilung der Tubularien angehöri— gen Hydroiden entnommen und zeigt die Tiere, welche in der Polypenform immer Einzeltiere bleiben, in natürlicher Größe. Abweichend von den meiſten ihresgleichen, wachſen ſie nicht feſt an Tange und Steine an, ſondern bewohnen den feinſandigen Grund, in welchen ſie ſich mit dem Hinterende des Stieles einſenken. Zahlreiche fadenförmige Anhänge dieſes in den Sand ſich eingrabenden Teiles durchdringen den Boden nach allen Richtungen und dienen zur weiteren Sicherung des Standes. Die am Vorderende befindliche Mundöffnung Corymorpha. Monocaulus. Tubularia. Hydractinia. 557 iſt von einem Kranze von Fühlern eingefaßt; ein zweiter Fühlerkreis umgibt die Magen: erweiterung. Gleich oberhalb dieſes Kreiſes ſtehen traubig gehäuft die Knoſpen, welche man im Sommer gewöhnlich in allen Stufen der Entwickelung trifft, und welche, ſolange fie noch an ihren Stielen hängen, ſchon vollkommen den Bau von Meduſen annehmen. Sie bewegen ihren Schirm lebhaft, reißen ſich los, und ſomit iſt der Entwickelungskreis, der Generationswechſel abgeſchloſſen. Die Corymorpha zeigt eine für einen Polypen recht anſehnliche Größe, es gibt aber noch bedeutend größere. So berichtet Semper von Riffen an den Pelew-Inſeln, die mit ganzen Wäldern von Stöcken großer Hydroidpolypen bedeckt waren. Sie wurden faſt EZ mannshoch und hatten an der Wurzel eine Dicke von 3—4!/s em Zoll. Es iſt ein übler Zu— fall, in einen ſolchen Wald beim Baden hineinzugeraten, denn man wird furchtbar ver— brannt, und der wütende Schmerz hält wie nach der Berührung der früher beſchriebenen Phyſalien ſtundenlang an. Noch gewaltiger iſt eine ſolitäre, der Corymorpha ſehr nahe verwandte Form (Monocaulus imperator; S. 556) aus dem nördlichen Stillen Ozean, deren oberes Ende in der nebenſtehenden Figur abgebildet iſt. Die Tiere wurden während der Challenger-Expedition aus beträchtlichen Tiefen (3400 — 5300 m) herauf: befördert; fie hatten eine Höhe bis zu 2,2 m und einen entſprechenden Umfang! Vergleichen wir nun mit der Corymorpha die ſchöne Tubularia indivisa. Dieſe, in Kolonien von je entweder Männchen oder Weibchen lebend, bringt es nie zur Erzeugung frei werdender Quallen. Statt der männlichen Quallen (der abgebildete Stock iſt ein männ— licher) entſtehen da, wo bei Corymorpha nutans Quallentrauben entſproßten, Trauben eigentümlicher Kapſeln, von denen man beim Beginn der Entwickelung vorausſetzen könnte, 558 Hohltiere. Zweiter Unterfreis: Neſſeltiere; erſte Klaſſe: Polypquallen. ſie würden ſich zu ordentlichen Quallen entfalten. Aber ſie bleiben auf dem Zuſtande der Kapſel oder eines einfachen Organs ſtehen, ſie ſind die männlichen Fortpflanzungsorgane; war dort, bei der Corymorpha, die Qualle die Hauptform der Art, fo iſt bei der Tubu— laria die Entwickelung der Art mit der Polypenform abgeſchloſſen. Indeſſen zeigen die weiblichen Kolonien inſofern eine größere Annäherung an Corymorpha, als die Kapſeln, in welchen die Eier entſtehen, ſich viel weiter entwickeln als die männ— lichen Kapſeln, ſich zwar nicht ab— löſen, aber doch ſchon in ihrem Bau an die Quallen anſtreifen. Eine noch mehr zurückbleibende Form iſt die in der Nordſee, an der engliſchen und norwegiſchen Küſte gemeine Hydractinia echi- nata. Die Art liebt es, ſich auf ſolchen Schneckengehäuſen anzuſie— deln, welche von Einſiedlerkrebſen als Futterale erkoren find (ſ. Ab— bild. S. 559). Der Polyp hat da= durch den Vorteil des Wechſels des Futterplatzes. So wenigſtens hat es den Anſchein. Tiefer in das Geheim— nis ſeiner Neigung einzudringen, iſt noch nicht gelungen. Es liegt mög— licherweiſe eine ganz andere Urſache für die Anpaſſung an die unruhige Lebensweiſe des ihn umherfahren— den Krebſes vor. Der gemeinſchaft— liche Teil des Stockes iſt eine der Fläche des Gegenſtandes, auf dem die Anſiedelung geſchieht, ſich an— ſchmiegende Haut, um welche auch dieſelbe chitinöſe Schicht ſich befin— det, aus welcher die einzelnen Po— lypenröhren beſtehen. Die Nähr— kanäle derſelben ſetzen ſich ebenfalls in die Membran mit ihren ſtachel— i ES Fre I artigen Erhöhungen fort und er: Gruppe aus einem weiblichen Stode von Hydractinia echinata. ng: : a > a) Nährindividuen, b) weibliche Individuen, Vergrößert. möglichen ihr Leben und Wachstum. In einem ſolchen Stocke ſind nur immer zweierlei Perſonen vereinigt. Immer finden ſich Nährindividuen vor (a), welche ſich durch ihre Länge und ſtark entwickelten Fühler, Mund und Verdauungshöhle aus— zeichnen. Sie ſind ſelbſtverſtändlich ihre eignen und des Stockes Ernährer. Sie ver— ſorgen vermittelſt des Kanalſyſtems des Stockes auch ihre mundloſen Koloniegenoſſen, welche entweder nur Männchen oder nur Weibchen (b) ſind. Dieſe tragen am Vorderende ſtatt der Fühler einen Gürtel von Neſſelknöpfen und in einiger Entfernung davon einen dichten Kranz einfacher Kapſeln mit Eiern. Die aus dem Ei kommende flimmerhaarige Larve ſetzt ſich feſt und iſt Gründerin einer neuen Kolonie. Die Kapſeln tragen nie ſolche Hydroforallien. 559 Merkmale an ſich, welche an Quallen erinnern könnten, aber alle Quallen, welche ſich nach Art der oben beſchriebenen an polypenförmigen Zwiſchenſtufen entwickeln, befinden ſich ein— mal auf dem Stadium der Kapſel, welche bei der Hydractinia echinata unzweifelhaft ein bloßes bleibendes Organ iſt. Den Schlüſſel dieſes höchſt intereſſanten Befundes gibt nur die Abſtammungslehre. Es gab eine Zeit, wo gar keine Quallen, ſondern nur unſere Polypenformen mit den kapſelartigen Fortpflanzungsorganen in den Urmeeren lebten. Erſt einzelne, dann mehrere, ſchließlich viele errangen dadurch einen ihr Daſein begünſtigenden Vorteil, daß die Ernäh— rung und mit ihr die Entwickelung der Kapſeln durch ſtärkere Entwickelung der Nährkanäle dieſer Organe gefördert wurde. So wurden dieſe Organe in einzelnen Sippen und Grup— pen immer vollendeter, bis ganz allmählich die Teile zu ſich ablöſenden neuen Individuen geworden ſind, und zur Polypengeneration die Quallengeneration ſich geſellt hat. Stock von Hydractinia echinata auf einem vom Einſiedlerkrebs bewohnten Buceinum-Gehäuſe. Natürliche Größe. Man hört von den Gegnern der Abſtammungslehre, der einzigen mit der Vernunft ſich vertragenden Erklärung der Lebewelt, oft den Einwurf, warum, wenn es ſo vorteil— haft wäre, nicht alle Quallenpolypen die Umwandlung durchgemacht hätten. Darauf iſt zu antworten, daß gerade der Umſtand, daß es ſo ſei, wie es iſt, gegen ein allgemeines ſo— genanntes Entwickelungsgeſetz ſpreche. Denn wäre ein ſolches vorhanden, ſo würde abſo— lut unverſtändlich bleiben, warum nur eine Anzahl von Quallenpolypen zur höheren Ent— wickelung aufgeſtiegen ſeien. Nur dadurch, daß man den ſogenannten Zufall in ſeine Rechte einſetzt, der dem zu Gute kommt und jenem nicht, iſt dieſe außerordentlich bunte, ſchein— bar widerſpruchsvolle und doch harmoniſche Welt zu verſtehen. Die frühere Syſtematik vereinigte eine Unterordnung von Cölenteraten mit den ſpäter zu behandelnden Blumenpolypen, die ſich durch die Unterſuchungen von Al. Agaſſiz und ganz beſonders Moſeleys als echte Hydroidpolypen entpuppt haben. Das ſind die Hydro— korallien mit den beiden Familien der Milleporiden und Stylaſteriden. In jenen Irrtum war man verfallen, weil man nur das Skelett nicht aber die eigentlichen Tiere der Hydrokorallien kannte, und er war verzeihlich genug, da das Skelett ganz anders wie bei den übrigen Hydroidpolypen, aber ganz ähnlich dem mancher ſechsſtrahligen Polypen iſt. Es iſt nämlich nicht hornig und bildet keine zierlich verzweigten oder gefiederten Bäumchen, 560 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erſte Klaſſe: Polypquallen. es beſteht vielmehr im weſentlichen aus kohlenſaurem Kalk (bis 97 Proz.) und formt derbe Maſſen mit lappigen oder buckelartigen Fortſätzen (Milleporiden, ſ. untenſtehende Abbildung) oder ſie ſind ähnlich wie etwa Edelkorallen rerzweigt (Stylaſteriden). Schon mit bloßem Auge, beſſer natürlich mit der Lupe, ſieht man, daß die ganze Oberfläche dicht mit kleinen Poren— öffnungen überſät iſt. Bei näherem Zuſehen bemerkt man, daß dieſelben von zweierlei 1 Größe find. Um eine größere zentral ge— 2 legene ſtehen in einem unregelmäßigen Kreis 5—8 kleinere. Sonſt iſt die Maſſe des Stockes von einem unregelmäßigen Syſtem mannigfach zuſammentretender größerer und kleinerer Kanäle durchzogen und zeigt auf vertikalen Querſchliffen undeutliche, der Außenſeite einigermaßen parallel laufende Schichten, welche in den Kelchen, die mit den Poren nach außen münden, als deutliche Querböden auf— treten. Nur in der oberſten Schicht herrſcht Leben, die anderen ſind abgeſtorben. Auf jener aber findet ſich ein unregelmäßig Anaſtomoſen bildendes, engmaſchiges Netz von aus weicher Subſtanz beſtehenden Röhren und weiter die kleinen Polypen, deren Baſalteile durch jenes Netz mitein— ander in Verbindung ſtehen. Sie ſitzen in den Kelchen und ragen, wenn die Um— gebung ruhig und ſicher iſt, aus den Poren nach außen hervor, um bei der geringſten Beunruhigung ſich blitzſchnell zurückzuziehen. Wie nun die Poren von zweierlei Art ſind, ſo ſind es auch die Polypen. In der großen Pore ſteckt ein kurzer und breiter Polyp mit vier kurzen, geſtielte Kugeln darſtellenden Tentakeln und mitten zwiſchen denſelben mit einem verhältnismäßig geräumigen Munde. In den kleineren Poren, die in größerer An— > — zahl um die zentrale herumſtehen, ſtecken e ee 0 az deal Freßtier (a); art erb N loſe, oben mit einem einfachen Knopf endi⸗ gende, und von Stelle zu Stelle, meiſt alternierend nach der einen und nach der anderen Seite, kurze einfache Aſtchen abgebende Polypen. Während der zentrale Polyp ganz ruhig bleibt, führen die peripheren fort— während ſchlängelnde Bewegungen aus, biegen ſich auch manchmal zum Munde des zen— tralen herab, und es ſieht aus, als ob ſie dieſem Futter zuſteckten. Wir haben es auch hier mit einer Arbeitsteilung in einer Tierkolonie zu thun: die größeren mit einem Munde verſehenen Zentralpolypen find die Freßtiere (a), die um ihn ſtehenden mundloſen Nährtiere (b) fangen die Beute und füttern ihren anders Keulenpolyp. Süßwaſſerpolypen. 561 geſtalteten Mitbruder. Wahrſcheinlich werden ſie auch als Verteidiger wirken, da ſie weit beſſer mit Waffen (Neſſelkapſeln) ausgeſtattet ſind als der Freßpolyp. Die Knöpfchen der Tentakeln ſind nämlich Neſſelbatterien. Über die Fortpflanzung der Hydrokorallien, welche zwiſchen den Wendekreiſen haufen und ſich auch an dem Aufbau der ſpäter zu erwähnenden Koralleninſeln beteiligen, weiß man noch nichts. Sie wachſen auf Felſen, abgeſtorbenen Korallen, überziehen gern die Ske— lette von Gorgoniden, ja ſind namentlich bei den Bermudasinſeln auf alten, ins Meer weg— geworfenen Flaſchen öfters gefunden worden. In dieſem Falle iſt die Unterſeite des Stockes ganz platt, wie poliert, und bildet einen genauen Ausguß der Oberfläche des Glaſes mit ſeinen Schrammen und Riſſen. Wir müſſen zum Schluß dieſes Kapitels noch einiger Polypenformen des ſüßen Waſſers gedenken. Der Keulenpolyp (Cordylophora lacustris) bildet 4—8 em hohe, zierlich veräſtelte Bäumchen, die mit einem Wurzelgeflecht auf Steinen, Holz, Muſchelſchalen ꝛc. aufgewachſen ſind. Der ganze Stock iſt mit Ausnahme der keulenartigen, mit einem Rüſſelmund und unregelmäßig verteilten fadenförmigen Armen verſehenen Köpfchen von einer zarten Chitinhülle bedeckt. Die Stöckchen ſind getrennt geſchlechtlich und von rötlich— grauer Farbe. Bis in die Mitte unſeres Jahrhunderts hinein kannte man die Cordylophora nur aus dem Brackwaſſer der europäiſchen und nordamerikaniſchen Küſten. Da tauchte ſie hier und da in dem unteren Laufe der Flüſſe, der Themſe, Elbe ꝛc., auf, und jetzt iſt fie ſowohl in der Alten wie in der Neuen Welt weit in das Binnenland eingedrungen. In der Saale bei Halle findet ſie ſich, und in dem ſogenannten jetzt auf dem Ausſterbeetat ſtehenden, zur Zeit kaum noch ſalzigen Salzigen See bei Eisleben gedeiht ſie beſonders üppig. In Hamburg iſt ſie ſtellenweiſe in die Röhren der Waſſerleitung eingedrungen und hat ſich hier ſo maſſenhaft entwickelt, daß dieſelben auf ganze Strecken thatſächlich verſtopft ſind. Die Einwanderungsgeſchichte der Cordylophora iſt ſehr lehrreich für das Verſtändnis der Entſtehung wenigſtens eines Teiles der Tierwelt des Süßwaſſers. Hier hat ſich zu unſerer Zeit und unter unſeren Augen ein Brackwaſſertier an das ſüße Waſſer in wenig Jahren ſo angepaßt, daß es völlig ein Süßwaſſertier und zwar ohne die geringſte Ver— änderung ſeiner Organiſation geworden iſt. Ob nicht im Laufe langer Jahre eine ſolche doch noch nach und nach ſtattfinden wird, iſt freilich eine andere, vorläufig unlösbare Frage. Weit bekanntere Süßwaſſer-Coelenteraten als die Cordylophora und viel beſonderer an ihren Aufenthaltsort angepaßt find die Hydren — die Süßwaſſerpolypen par excel- lence. Bei einer Länge von 1—6 und 8 mm gleichen fie in Geſtalt faſt vollſtändig dem mit dem Fühlerkranz verſehenen Tiere der Hydraktinie. Man wird in dem Waſſer ſtehen— der, pflanzenbewachſener Tümpel und Teiche in der Regel nicht vergeblich nach einer der drei Arten der Süßwaſſerpolypen, der grünen, grauen oder gemeinen (Hydra viridis, H. grisea und H. vulgaris), ſuchen, wenn man eine mäßige Menge der den— ſelben entnommenen Pflanzen ſich ruhig in einem Glaſe ausbreiten läßt und dann mit der Lupe muſtert. Sobald ſie in Ruhe gekommen, fangen die Polypen an, ſich zu ſtrecken und ihre 6—8 Fühler zu feinen Fäden auszudehnen. An ſie anſtreifende kleine Tierchen ſehen wir wie gelähmt daran hängen bleiben, worauf die Fühlfäden ſich zuſammenziehen und die Beute dem begierig ſich öffnenden und großer Erweiterung fähigen Munde zuführen. Was aber den nach der natürlichen Verwandtſchaft forſchenden Zoologen dazu bewegt, unſere Hydra unter die Quallen zu verſetzen, iſt ihre innigſte Beziehung zu den von den Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 36 562 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere: erſte Klaſſe: Polypquallen. eigentlichen Quallen nicht zu trennenden Quallenpolypen. Die Hydra vermehrt ſich ge— wöhnlich durch Knoſpen, welche am Rumpfe hervorſproſſen. Oft bleibt die Tochter ſo lange an der Mutter, bis letztere eine oder ein paar weitere Tochterknoſpen getrieben hat. Zu— zeiten aber entwickeln ſich in den Körperwandungen unter kapſelförmigen oder warzen— förmigen Hervorragungen einzelne Eier oder Samenmaſſen, wodurch das verwandtſchaftliche Band mit den Hydraktinien und den übrigen Hydroidpolypen vollends feſt geknüpft wird. Als echte Neſſeltiere oder Knidarier haben die Hydren natürlich auch Neſſelapparate und zwar von verſchiedener Art: kleine Kapſeln mit kurzen, glatten und größere Kapſeln mit langen, durch Spiralrippchen, Wärzchen ꝛc. ausgerüſteten Fäden. Dieſe Verhältniſſe ſind von Karl Jickeli ſehr gründlich unterſucht worden, welcher hierüber folgendes bemerkt: „Wird eine Hydra gereizt, ſo iſt es immer eine Neſſelkapſel der zweiten (größeren) Art, welche zuerſt herausgeſchleudert wird. Die ganz kleinen Neſſelkapſeln werden bei Inſulten des Tieres ſehr ſelten entladen, ſo ſelten, daß ich lange vergeblich nach ſolchen ſuchte und ſchon geneigt war, dieſen Gebilden eine andere Funktion als diejenige von Neſſelkapſeln zuzuſchreiben. Die Bedeutung dieſer Neſſelkapſeln iſt mir erſt näher gebracht worden, als ich einmal eine Hydra in dem Augenblicke unter das Mikroſkop brachte, als dieſelbe eben einen eingefangenen Krebs in das Hypoſtom (Mund) einzuführen im Begriffe ſtand. Zu meinem Erſtaunen fand ich den Krebs ganz beſpickt mit ſolchen kleinen Neſſel— kapſeln. Wohl an 100 mochten denſelben bedecken. Dieſes überraſchte mich um ſo mehr, weil ich mich wiederholt davon überzeugt hatte, daß ſchon einige der größeren Neſſelkapſeln genügten, um die Beute zu immobiliſieren und man ja eben aus dieſem Grunde den Neſſel— kapſeln einen giftigen Inhalt zuſchrieb, welcher, indem er aus der Kapſel nach Abbrechen des Fadens ausfloß, die tödliche Wirkung auf die eingefangene Beute ausüben ſollte. Wozu dienen nun dieſe kleinen Neſſelkapſeln? Zum Einfangen der Beute können ſie nicht gebraucht werden, dazu ſind ihre Neſſelfäden zu kurz, und iſt die Beute durch die großen Kapſeln eingefangen, hätte es keinen Zweck, ſie noch weiter mit kleinen Neſſelkapſeln zu belaſten. — Ich betrachte dieſe kleinen Neſſelkapſeln jetzt als Gebilde, dazu beſtimmt, indem ſie dem gefangenen Tiere in großer Menge angehängt werden, deſſen Gewicht zu erleichtern. Dieſe Anſicht iſt nicht ſo uneben, wenn man ſich überzeugt, daß die ausgeſchnellten Neſſel— kapſeln auf dem Waſſer ſchwimmen, und nicht zu Boden ſinken, und wenn man das im Vergleich zu einer Hydra große Gewicht eines der als Nahrung dienenden Kruſter vergleicht. Iſt alſo die Beute durch die großen Neſſelkapſeln gefangen und immobiliſiert, ſo wird ſie mit dieſen kleineren zur Erleichterung ihres Gewichtes beſpickt und dann erſt in die Mundöffnung eingeführt.“ Über das ſo auffallende vereinzelte Vorkommen der Coelenteraten im ſüßen Waſſer läßt ſich weiter nicht philoſophieren. Es iſt nur eine Thatſache, daß dieſem Kreiſe, wie wir oben bemerkten, die Anpaſſungsfähigkeit an die Süßwaſſerexiſtenz faſt vollkommen mangelt. Aber eben deswegen verdienen die wenigen Süßwaſſerformen unſer beſonderes Intereſſe. Dieſes wurde den Hydren im vorigen Jahrhundert in ſolchem Maße zu teil, daß ſich an ihre Beobachtung eine ganze Litteratur knüpfte und die berühmteſten Natur— forſcher und Naturfreunde, wie Trembley, Baker, Réaumur, Schäffer, Röſel, Pallas und andere, ſich mit ihnen beſchäftigten. Die auch jetzt noch nicht erledigten Fragen über den Wiedererſatz verlorener und verſtümmelter Organe, die Teilbarkeit der Organismen, den Grad der Beſeelung und ähnliche wurden auf das lebhafteſte dabei verhandelt; und die Art, wie das alles getrieben wurde, läßt uns einen ſehr anziehenden Blick auf dieſes Gebiet des damaligen Kulturlebens thun. Auch ſind die Beobachtungen jener liebens würdigen Naturforſcher in ihrer Art ganz vollendet. Das Mikroſkop hat uns ja in der feineren Anatomie viel weiter gebracht, allein, was wir bei Trembley und Röſel über Süßwaſſerpolypen: Neſſelorgane; ältere Beobachtungen. 563 das Leben der Süßwaſſerpolypen leſen, dient noch heute zur angenehmen Bereicherung unſerer Kenntniſſe. Wir ſind in der Mitteilung alter Beobachtungen ſehr ſparſam geweſen. Hier dürfen wir uns eine Ausnahme erlauben. Trembley ſchreibt (nach der etwas ungelenken Überſetzung von Paſtor Goeze in Quedlinburg): „Im Sommer 1740, den ich auf dem Landgute des Grafen Bentink, eine Viertelmeile von Haag, zubrachte, fand ich daſelbſt die Polypen. Als ich an den aus einem Waſſergraben gezogenen Pflanzen verſchiedene kleine Tiere bemerkte, ſo that ich einige dieſer Pflanzen in ein großes Glas mit Waſſer, welches ich inwendig aufs Fenſter— brett ſetzte, und hierauf fing ich an, die darin enthaltenen Inſekten! näher zu betrachten. Sogleich fand ich viele, die zwar gemein ſind, mir aber größtenteils unbekannt waren. Ein ſo neues Schauſpiel, als mir dieſe Tierchen zeigten, erregte meine ganze Neubegierde. Da ich nun dies mit Inſekten bevölkerte Glas mit den Augen durchlief, erblickte ich zum erſten Male einen Polypen, der an dem Stengel eines Waſſerpflänzchens hing. An— fänglich achtete ich darauf nicht viel. Vielmehr verfolgte ich gewiſſe andere kleine Inſekten, die wegen ihrer Lebhaftigkeit meine Aufmerkſamkeit ſtärker als ein unbewegliches Objekt an ſich zogen, das, ſo man's nur im Vorbeigehen anſah, für nichts anderes als für eine Pflanze, vornehmlich von jemand konnte gehalten werden, der noch keinen Begriff von Tieren hatte, deren Geſtalt den Süßwaſſerpolypen, wie etwa die Seepolypen, nahe käme. „Die Polypen, welche ich zuerſt entdeckte, ſind von einer ſehr ſchönen grünen Farbe Es waren ihrer verſchiedene in dem gedachten großen Glaſe. Die erſten Male, als ich dieſe Körperchen betrachtete, hielt ich ſie für Schmarotzerpflanzen, die auf anderen Pflanzen wachſen. Ihre Geſtalt, ihre grüne Farbe und Unbeweglichkeit brachten mich auf den Ge— danken, daß es Pflanzen wären. Und dies iſt auch bei vielen Perſonen, die ſie in ihrer gewöhnlichen Stellung zum erſten Male geſehen haben, der erſte Gedanke geweſen. „Das erſte, was ich an den Polypen bemerkt habe, war die Bewegung der Arme Sie krümmten und drehten ſie ganz langſam nach verſchiedenen Seiten. Der vorgefaßten Meinung zufolge, die ich einmal im Kopfe hatte, die Polypen wären Pflanzen, konnte ich mir nicht vorſtellen, daß ihnen die Bewegung, die ich oben am Ende der dünnen Fäden bemerkte, ſelbſt eigen wäre. Indeſſen ſchien ſie es doch, und je mehr ich in der Folge die Bewegung dieſer Arme betrachtete, je mehr ſchien mir ſolche von einer inneren Ur— ſache und nicht von einer äußeren Stoßkraft auf die Polypen herzurühren. Einsmals bewegte ich das Glas, worin ſie waren, ganz ſachte, um zu ſehen, was dieſe Bewegung des Waſſers für eine Wirkung auf die Arme haben würde. Hier war ich mir nun der— gleichen, als ſie hervorbrachte, im mindeſten nicht gewärtig. Anſtatt, daß ich erwartete, es würden die Arme und Körper der Polypen bloß im Waſſer mitbewegt werden und alſo der Bewegung des Waſſers folgen, ſo wurde ich gewahr, daß ſie ſich plötzlich und ſo ſtark zuſammenzogen, daß der Körper der Polypen nicht anders als ein grünes Körn— chen ausſahe und die Arme ganz aus meinem Geſichte verſchwanden. Hierüber erſtaunte ich?. Meine Neubegierde wurde deſto mehr gereizt und meine Aufmerkſamkeit verdoppelt. Da ich nun mit dem Auge vermittelſt eines Handvergrößerungsglaſes verſchiedene Polypen, ı Mit „Inſekten“ bezeichnete man die verſchiedenartigſten niederen Tiere. 2 Der vortreffliche Goeze macht hierzu folgende Bemerkung: „Ich wundere mich gar nicht über die Verwunderung eines Trembleys. Man ſetze ſich in ſeine Stelle. Ich weiß es aus der Erfahrung, wie es mir ergangen, da ich die ſo ſehnlich gewünſchten Polypen, von denen ich Begriff, Geſtalt, Bewegung und Eigenſchaften wußte, die ich hundertmal ſchon in Kupfer geſehen, zum erſten Male erblickte. Und ich glaube, es werden alle die, welche ſie zum erſten Male zu Geſichte bekommen, gleiche Empfindungen haben. Was muß nun nicht ihr erſter Erfinder empfunden haben, da er merkte, daß es wahrhafte Tiere wären? Tiere, mit denen er gleichſam auf der Stufe ſtand, wo die Natur aus dem Tier- zum Pflanzenreiche übergehen will!“ 36 * 564 Hohltiere. Zweiter Unterfreis: Neſſeltiere; erſte Klaſſe: Polypquallen. die ich hatte zuſammenfahren ſehen, überlief, ſo ſahe ich bald, wie ſie wieder anfingen, ſich auszuſtrecken. Ihre Arme kamen aufs neue zum Vorſchein, und es nahmen dieſe Polypen ihre erſte Geſtalt wieder an. Dies Zuſammenziehen der Polypen, ſamt allen Bewegungen, die ich ſie machen ſahe, wenn ſie ſich von neuem ausſtreckten, erweckte in mir den lebhaften Gedanken: daß es wirkliche Tiere wären.“ Trembleys Zweifel an der Tierheit der vor ihm ſchon von Leeuwenhoek entdeckten, aber wieder in Vergeſſenheit geratenen Geſchöpfe waren jedoch noch nicht beſeitigt. Es konnten ja „empfindſame“ Pflanzen ſein. Erſt als er ſie nach Art der Spannraupen durch abwechſelndes Aufſetzen der Arme und des Fußendes ſich bewegen ſah, hatte er die volle Überzeugung gewonnen, und nun entdeckte er auch, daß ſie Licht und Dunkel unter— ſchieden und ſich regelmäßig an derjenigen Stelle des ſonſt verdunkelten Glaſes verſam— melten, wo er den Lichtſtrahlen Zugang geitattet hatte. In das höchſte Erſtaunen verſetzte ihn aber die Beobachtung, daß in Stücke zer— ſchnittene Polypen nicht zu Grunde gingen, ſondern daß die Teile ſich zu neuen Polypen entwickelten. Er hatte folgende Probe machen wollen. Sind die Geſchöpfe Pflanzen, ſo werden davon abgeſchnittene Stücke gleich Reiſern weiterwachſen. Unterdeſſen hatte er ſich von der Tierheit überzeugt, und es war nun nach den damaligen Anſichten über das Weſen des Tieres etwas Unerhörtes, daß aus den Stücken dennoch neue Individuen er— wuchſen. Von hier an ſchreiben ſich die berühmten Teilungsverſuche, mit denen er in der ganzen Naturforſcherwelt und weit darüber hinaus das ungeheuerſte Aufſehen erregte. Unter Trembleys Nachfolgern verdient beſonders der liebenswürdige Nürnberger Röſel hervorgehoben zu werden, der 1755 im dritten Teile der „monatlich heraus: gegebenen Inſektenbeluſtigung“ in ſeiner naiven und anziehenden Weiſe ſeine Beobachtungen mitgeteilt hat. Er unterſchied in der Umgebung von Nürnberg vier Arten von Hydren, welche, wie wir geſtehen müſſen, heute noch nicht beſſer unterſchieden worden ſind, als es ihm damals möglich war. Nur zwei ſcheinen feſt begründet: die große langarmige und knoſpenreiche braune und die kleinere kurzarmige grüne. Die beiden anderen von Röſel unterſchiedenen find möglicherweiſe Abarten. Die Lebensweiſe der Süßwaſſerpolypen iſt von Röſel ſehr ſorgfältig und richtig beobachtet worden. Er beſchreibt die Art, wie ſie ſich der Beute, mikroſkopiſcher Krebſe und Naiden, bemächtigen, wobei ihm allerdings die Wirkung der Neſſelzellen verborgen blieb. „So viel ich bemerkt habe“, ſagt er, „ſo ge— ſchieht ſolches auf dreierlei Art. Denn manchmalen hat der Polyp ſeine Arme nicht völlig ausgeſtrecket, und wenn ſodann ein kleines Inſekt oder ein Waſſerfloh nahe bei ihm vor— bei ſchwimmt, bieget er ſich wohl nach ihm und ergreift ſolches mit allen ſeinen Armen zugleich ſehr behende, ſo, wie eine Spinne mit ihren Füßen eine Mücke zu ergreifen pfleget. Hernachen ſitzen die Polypen manchmalen mit ihren ſehr lang ausgeſtreckten Armen ganz ſtille; fähret nun aber ein Waſſerfloh etwanen zu nahe bei ihnen vorbei, ſo machen ſie mit dem Arme, denen ſolcher am nächſten iſt, eine geringe Bewegung, ohne daß ſie ihn, wie ſie auch manchmalen zu thun pflegen, damit umfaſſen, ſondern ſie dürfen nur den Waſſerfloh damit berühren, ſo bleibet ſolcher gleich daran behangen, wie ein Vogel an der Leimruten hangen bleibt, und dieſes geſchiehet ſowohl am äußerſten Ende des Armes, als auch in der Mitte und nahe am Kopfe. Wenn aber das Inſekt gefangen iſt, ſo ziehet es der Polyp ganz ruhig zum Munde und verſchluckt ſolches. Doch habe ich auch manch— malen geſehen, daß ſich die Waſſerflöhe, wenn ſie gefangen wurden, wieder mit vieler Mühe loszumachen geſuchet und losgeriſſen haben, ohne daß ſich der Polyp derſelben wieder habhaft zu werden im geringſten bemühet hätte.“ Als dritte Art, mit der Beute fertig zu werden, wenn dieſelbe größer iſt, beſchreibt Röſel den Fang einer Naide, die mit einem oder zwei Armen gefaßt, alsdann aber auch von den übrigen Armen umſtrickt wird. Grüner und brauner Süßwaſſerpolyp. Polypenlaus. 565 Ebenſo ſorgſam beobachteten unſer Kollege Röſel und ſeine Zeitgenoſſen die Knoſpen— bildung, wobei ihnen nicht entging, daß die jungen, an verſchiedenen Stellen des Mutter— tieres hervorwachſenden Polypen auch noch dann, wenn ſie ſchon mit eignem Munde und eignen Armen für ſich ſorgen können, dennoch mit der Verdauungshöhle der Mutter in offenem Zuſammenhange ſtehen. „Ehe noch der junge Polyp ſeine Arme erhalten und ſich derſelben, um Beute zu machen, bedienen kann, bekommt er ſeine Nahrung aus dem Leibe der Mutter, mit welchem er, wie ein Aſt eines Blutgefäßes mit ſeinem Stamme, zuſammenhanget, ſo daß er ſich in den hohlen Kanal desſelben öffnet. Wenn er aber ſeine Arme gebrauchen und ausſtrecken kann, ſo ſuchet er ſich durch ſolche, ob er gleich noch an der Mutter hänget, bereits ſeine Nahrung ſelbſt zu verſchaffen, indem er, wie ich vielmals geſehen habe, bald hie bald da mit ſolchen ein kleines Inſekt erhaſchet und ver— ſchlucket. Iſt aber der junge Polyp zeitig und reif, ſo kann man auch bei einer geringen Vergrößerung wahrnehmen, daß er ſich nun bald losmachen werde. Denn der dunklere Kanal des Jungen wird am hinteren Ende, wo er mit der Mutter einen ſichtbaren Zu— ſammenhang hat, immer dünner und endlich ſo zart, daß man zwiſchen ihm und der Mutter, auch mit der ſtärkſten Vergrößerung, keine Verbindung mehr wahrnehmen kann, ob er gleich noch mit ſeiner äußeren und helleren Rinde an ſolcher hanget, welches aber nicht lange währet: denn wenn es einmal ſo weit gekommen iſt, ſo fängt der junge Polyp an, ſowohl ſeinen Leib als ſeine Arme ſtark auszuſtrecken, bis er ſich endlich durch ſeine Bewegung losreißet. Iſt dieſes geſchehen, ſo ſetzt er ſich, gleich der Mutter, mit ſeinem hinteren Teil irgendwo veſte, und verſorget ſich alsdann ſelbſten.“ Auch der Erkenntnis, daß die Hydren ſich periodiſch durch Eier fortpflanzen, welche einzeln ungefähr in der Mitte des Leibes in beſonderen, ſich über die Oberfläche erhebenden beulenartigen Kapſeln ſich entwickeln und dann die weitere Entwickelung durchmachen, nachdem die Kapſel geborſten iſt, war Röſel ganz nahe. Er beſchreibt dieſe Eier, die er im Herbſt fand, vollkommen richtig und vergleicht ſie „einem Meerigel oder Seeapfel“, da ſie ringsherum gleichſam mit vielen zarten, aber ſowohl an Länge als an Steife un— gleichen Stachelſpitzen dicht beſetzt ſeien. Die von ihm geſammelten undurchſichtigen braunen Körper gingen jedoch zu Grunde, und ſo hielt er ſie für krankhafte Bildungen. Dagegen beſchreibt er ſehr anſchaulich eine wirkliche Plage unſerer Polypen, die Pein, welche ihnen durch ein Infuſionstier, die Polypenlaus (Trichodina pediculus), verurſacht wird. „Was nun aber die Läuſe anbetrifft, von welchen jetzt die Rede iſt, und welche die Polypen bis auf den Tod zu quälen pflegen, auch allezeit von ſelbigen von ungleicher Größe an— getroffen werden, ſo ſind ſie hell und durchſichtig, in ihrem Leibe entdecket man aber dennoch einige dunkle Punkte. Wenn ſie im Waſſer ſchwimmen, ſind ſie von ovalrunder Form, und da bewegen ſie ſich bald nach einer Schlangenlinie, bald nach einer Schnecken— linie. Ihre Bewegung ſelbſt iſt gar geſchwind, wie ſie denn ſehr ſchnell im Waſſer hin und her fahren. Wenn ſie ſich an einem Polyp oder auch an einem anderen Körper an— ſetzen, ſo ändern ſie ihre ovalrunde Form und werden ſpulenförmig, ſo daß ſie hinten und vornen zugeſpitzt erſcheinen. Alsdann aber ſiehet man nicht ohne Verwunderung durch ein zuſammengeſetztes Mikroſkopium, wie ſchnell ſie an dem Polyp hin und her laufen, ohne daß man an ſelbigem einen, will geſchweigen viele Füße wahrnehmen ſollte. (Hier reicht Röſels Mikroſkop nicht aus.) Anfangs gibt ſich zwar der Polyp viele Mühe, ſich dieſer verdrießlichen Gäſte zu entledigen, wie er ſie denn nicht nur mit ſeinen Armen ab— zuſtreifen ſuchet, ſondern auch durch wiederholtes Ausſtrecken und Zuſammenziehen ſich ihrer loszumachen trachtet. Alleine er richtet damit wenig aus, indem ſie ſich an die Arme, mit welchen er ſie wegſchaffen will, ſogleich anſetzen und an ſelbigen auf und ab kriechen. Ja ich habe auch öfter geſehen, daß ſie von der Stelle, wo ſie ſitzen, gleich einem Blitze 566 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erite Klaſſe: Polypquallen. herabfahren, in dem Waſſer nach einer krummen Linien herumſchwimmen, bald darauf aber wieder mit gleicher Geſchwindigkeit auf den Polyp zurück kommen. Endlich aber ſcheinet es, als würde der Polyp müde, ſich ihnen zu widerſetzen; und da wird er öfters ſo voll dieſer Läuſe, daß man ihn kaum mehr für das, was er doch wirklich iſt, halten ſollte; bald darauf aber verliert er ſeine Arme und mit ſelbigen auch das Leben.“ Als größte Merkwürdigkeit aber erſchien jenen alten Naturforſchern die Eigenſchaft der Süßwaſſerpolypen, daß man ſie künſtlich zerteilen und aus den entweder noch zuſam— menhängenden oder gänzlich abgetrennten Stücken neue Tiere oder neue Köpfe, Schwänze, Arme heranwachſen laſſen könnte. Es wurden Tauſende von Polypen auf alle mögliche Weiſe angeſchnitten, geſpalten, kreuz und quer geteilt und die tollſten Monſtren und Miß— geburten erzogen und viel hundertfach abgebildet. Trembley brachte es dahin, eine Hydra in 50 Stücke zu zerſchneiden und alle 50 zu neuen Polypen zu erziehen. Röſel berichtet, daß er einen Polypen nach allen Richtungen aufs Geratewohl zerſtückelt und ebenfalls eine ganz neue Brut erhalten habe. Die künſtlichen Mißgeburten mit vielen Köpfen und vielen Schwänzen wurden den teilnehmenden Naturfreunden gezeigt, und die Philo— ſophen, wie Bonnet und Cruſius, bemächtigten ſich der Verſuche, um daran über die Einheit, Viel— heit oder Teilbarkeit der Seele Spekulationen an— zuknüpfen. Faſt noch größeres Erſtaunen rief aber Trem— bleys im Jahre 1742 angeſtellter und, wenn man den Berichten glauben darf, gelungener Verſuch her: z, , vor, den Polypen umzukehren oder umzukrempeln, , d wie man an einem Handſchuhfinger das Innere nach außen bringt. Die Operation wollte ihm anfänglich, wo er ſie an Polypen mit leerem Magen vornahm, nicht gelingen; ſie hatte aber den ſchönſten Erfolg nach einer tüchtigen Mahlzeit des Tieres; wir werden gleich ſehen, warum. Es iſt höchſt wünſchenswert, daß dieſe Verſuche, die in unſerem Jahrhundert, wie es ſcheint, gar nicht wiederholt und kontrolliert wurden, von neuem ſorgfältig angeſtellt werden, und deshalb mag uns Trembley ſein Vorgehen erzählen. „Den Anfang mache ich ſo, daß ich dem Polypen, den ich umkehren will, einen Wurm (Naide) zu freſſen gebe. Hat er den verſchluckt, ſo ſchreite ich ſelbſt zur Operation. Ich habe nicht nötig, die völlige Verdauung des Wurmes abzuwarten, ſondern ich thue gleich den Polypen, deſſen Magen recht voll iſt, mit etwas Waſſer in meine hohle linke Hand. Hierauf drücke ich ihn mit einem kleinen Pinſel mehr am Hinter- als am Vorderteile. Auf ſolche Art treibe ich den Wurm aus dem Magen nach des Polypen Maule zu. Dadurch muß ſich ſolches aufthun, und indem ich den Polypen wieder mit dem Pinſel etwas drücke, ſo kommt ein Teil des Wurmes aus dem Maule heraus, und ſolchergeſtalt wird der Magen deſto lediger, je weiter der Wurm vorn heraustritt. Dadurch, daß der Wurm aus des Polypen Maule gedrückt wird, muß ſich ſolches ziemlich weit aufthun. Iſt nun der Polyp in dieſem Zuſtande, ſo bringe ich ihn ſehr behutſam auf den Rand meiner Hand, der bloß etwas angefeuchtet iſt, damit der Polyp nicht zu ſtark anklebe. Ich nötige ihn alsdann, ſich immer mehr zuſammen zu ziehen, und eben dadurch wird auch Maul und Magen deſto mehr erweitert. Hierauf nehme ich in die rechte Hand eine Künſtliches Monſtrum des Süßwaſſer— polypen. 5mal vergrößert. Süßmajferpolypen: Teilbarkeit; Umſtülpungsfähigkeit. — Scheibenquallen. 567 ziemlich dicke und ſtumpfe Schweinsborſte (andere ſpäter eine feine Stecknadel) und faſſe ſie dergeſtalt, wie man eine Lanzette zum Aderlaſſen hält. Das dickſte Ende halte ich an das Hinterende des Polypen und ſtoße es bis in den Magen hinein, welches deſto leichter von ſtatten geht, da er hier ledig und ſehr erweitert iſt. Hierauf drücke ich die Schweinsborſte immer weiter fort. Je weiter ſolche nun hinein gehet, deſto mehr kehret ſich der Polyp um.“ Kurz, der Polyp ſitzt zuletzt ſo auf der Schweinsborſte, wie Münchhauſens Bär auf der Deichſel, aber das Aus wendige iſt zum Inwendigen geworden, und er wird nun, mit der Borſte ins Waſſer gehalten, mit dem Pinſel von der Borſte abgeſchoben. Da es oft vorkam, daß der umgewendete Polyp mit der Wandlung nicht zufrieden war und ſich ſelbſt wieder in ſein natürliches Daſein zurückſtülpte, kam der erfindungsreiche Trembley auf den Gedanken, ihn nach vollendeter Operation gleich einer Wurſt zuzuſpeilen. „Denn“, ſagt Trembley, „es iſt für einen Polypen nichts, aufgeſpießt zu werden.“ Die Trembleyſchen Verſuche wurden neuerdings von einem Japaner Iſchikawa, einem Schüler Profeſſor Weismanns in Freiburg, wiederholt, wobei der Forſcher zu folgendem Reſultat kam: „Die umgeſtülpten Hydren kehren ſich wieder um, wenn die Um— kehrung für die Tiere überhaupt möglich iſt, und wenn dies nicht der Fall iſt, ſo gehen ſie zu Grunde. Die durchbohrende Borſte iſt kein Hindernis gegen das Zurückſtülpen in die urſprüngliche Lage. Die Umſtülpung geht aber oft in ſo kurzer Zeit vor ſich, daß man ſie leicht überſehen kann, falls man nicht kontinuierlich beobachtet. Will eine Hydra Nahrung zu ſich nehmen, die ſo groß iſt, daß ihr Maul ſich über das gewöhnliche Maß ausdehnen muß, ſo ſtülpt ſie ſich um. Eine Hydra, welche ſich ſo umgeſtülpt hat, kehrt ſogleich in ihre normale Lage zurück. Dieſe Thatſache iſt von Intereſſe, weil ſie uns die Möglichkeit einer Erklärung gibt, weshalb eine künſtlich umgeſtülpte Hydra gleich wieder umzukehren ſucht.“ Dritte Ordnung. Die Scheibenquallen (Discomedusae s. Acalephae). Zahlreicher, durch zarte Farben ausgezeichnet, ſind die größeren charakteriſtiſchen For— men der nach ihrer Geſtalt benannten Schirm- oder Scheibenquallen. Ich erinnere mich eines köſtlichen, faſt windſtillen Tages, wo ich auf einem Kauffahrer in der Nähe der ſüdnorwegiſchen Küſte an Tauſenden und Abertauſenden der gelblichen und gelbrötlichen Cyaneen und Chryſaoren (Chrysaora ocellata, j. Abbildung S. 568) vorbeitrieb. Die weſtlichen Oſtſeehäfen werden bei anhaltenden nördlichen Winden oft mit ganzen Bänken der blauen Meduſe (Aurelia aurita) angefüllt, und wenn ich auch ähnliche maſſenhafte An— häufungen im Mittelländiſchen und Adriatiſchen Meere nicht erfahren, ſo habe ich ſelten da und dort eine Ausfahrt gemacht, ohne vielen oder wenigſtens einigen der prächtigen Wurzelmäuler (Rhizostoma) zu begegnen. An ſchönen Frühlingstagen ſieht man ſie auch faſt regelmäßig unmittelbar am Strande, wo denn dieſe und jene der großen lebendigen und rötlich blauen Halbkugeln ſcheitert und bald zu einem Nichts ſich auflöſt. Denn alle Quallen haben ein ſo waſſerreiches Körpergewebe, daß, wenn man mäßig große ſcheiben— förmige Exemplare auf Fließpapier legt, fie bis auf eine ihre Umriſſe wiedergebende Zeich— nung, einen der natürlichſten Naturſelbſtdrucke, verdunſten. Die größeren 1⅛ bis über 18 em im Durchmeſſer habenden Meduſen find denn auch die allen Küſtenbewohnern ſehr bekannten Repräſentanten dieſer Coelenteraten— Gruppe. In ihnen hat ſie die höchſte Entwickelung erreicht. Den größten Teil des Körpers bildet der nach oben abgerundete Schirm, deſſen Rand gewöhnlich mit 4—8 568 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erfte Klaſſe: Polypquallen. und mehr augenartigen, gefärbten Punkten, mit einem guirlandenförmigen Beſatze oder einer zuſammenhängenden aus- und einſtülpharen Schwimmhaut ſowie mit dehnbaren Fäden verſehen iſt. In der Mitte der Unterſeite der Scheibe iſt der Mund, bei einigen Formen am Ende eines hervortretenden Stieles, und faſt immer von einigen dickeren Fangarmen mit gefalteten Rändern umſtellt. Aus dem Magen verlaufen Kanäle oder ſackförmige Räume nach dem Umkreiſe der Scheibe, wo ſie in einen Ringkanal ein— münden. Letzterer iſt nicht ſelten mit Offnungen verſehen. Die Übereinſtimmung dieſes Magengefäß— apparates mit der Einrichtung bei den Rippenquallen iſt klar. Die Fortpflanzungswerkzeuge liegen entweder in beſonderen Taſchen um den Magen herum oder in bloßen Erweiterungen jener Gefäße. So aus— gerüſtet, ausgerüſtet namentlich auch über die ganze Körperoberfläche mit unzähligen mikroſkopiſchen Neſſel— kapſeln, ſchweben die Tiere in dem Element, welches die meiſten Arten an ſpezifiſchem Gewicht um ein Minimum übertreffen. Über die Bewegungen der Schirmquallen hat uns neuerdings Eimer ausführliche Beobachtungen mit— geteilt. „Man hat meines Wiſſens“, ſagt er, „bis jetzt allgemein bei den Zuſammenziehungen des Me— duſenſchirmes nur an willkürliche Bewegungen gedacht, hervorgerufen durch die Kontraktionen ſeiner Musku— latur, dienſtbar in erſter Linie der Ortsveränderung und zugleich der Atmung und Zirkulation. An der vollgültigen Richtigkeit dieſer Auffaſſung dürften ſchon die folgenden Thatſachen Zweifel erregen, welche uns die Beobachtung des lebenden unverletzten Tieres an die Hand gibt. „Die Kontraktionen der Scheibe der unverletzten Aurelia (Medusa) aurita finden bei Tage beſtändig ſtatt und, wie es ſcheint, ebenſo bei Nacht. So oft | ich wenigſtens zur Nachtzeit meine Tiere beſuchte, traf Chrysaora ocellata, Natürliche Größe. ich ihren Schirm in Thätigkeit. Auch wenn die Tiere ſich nicht von der Stelle bewegen, dauert dieſe Thätig— keit fort. Sie kann unterbrochen werden, aber nur auf kurze Zeit. Geſchieht dies, ſo ſteigt das Tier unter regungsloſer Haltung langſam nach oben, bis es unmittelbar unter der Oberfläche des Waſſers angelangt iſt, wo es gerne einige Augenblicke unbeweglich verweilt. „Die Kontraktionen treten unter übrigens gleichen Verhältniſſen beim ruhig im Waſſer ſchwebenden Tiere in gleichmäßigem Rhythmus nacheinander auf, oft ſo regelmäßig, daß man im ſtande iſt, ihnen während längerer Zeit zählend zu folgen, ohne daß man das Tier anſieht, nachdem man ſich einmal die Größe des zwiſchen je zweien derſelben gelegenen Zeitintervalles gemerkt hat. Nur von Zeit zu Zeit findet eine Beſchleunigung oder eine Verlangſamung der Zuſammenziehungen ſtatt, und immer ſetzen dieſelben von Zeit zu Zeit einen Augenblick aus, ſo daß Pauſen in der Bewegung entſtehen.“ Wir können hier unſerem Gewährsmanne nicht weiter folgen in ſeinen Experimenten über die Natur dieſer Bewegungen, wie weit ſie freiwillig oder unwillkürlich und wie ſie von den Umgebungen der ſogenannten Randkörperchen ausgehen. Aus Eimers Verſuchen und Beobachtungen x TEE En 8 ER BREITEN TR ur or e — ——— — —— > — — — * SCHIRMQUA IEN u bus IN. Haarqualle. Wurzelmundſchnecke. Periphylia. 569 erhellt, daß die blaue gemeine Schirmqualle um ein Geringes leichter iſt als das Waſſer. Die meiſten Quallen ſind entſchieden etwas ſchwerer und ſinken in den Ruhepauſen, wie man ſich an einigen anderen gemeinen Arten der europäiſchen Meere, der Haarqualle (Cyanea capillata) und der untenſtehend abgebildeten Wurzelmundqualle (Rhizo- stoma Cuvieri), überzeugen kann. Es iſt kaum möglich, die eine oder andere Art der Schirmquallen als beſonders ſchön und zierlich zu bezeichnen, ſie alle ſind reizende Ge— Wurzelmundqualle (Rhizostoma Cuvieri). Kleines Exemplar. ſchöpfe, jedenfalls iſt die zuletzt genannte wegen ihrer Größe und köſtlichen blauen und violetten Schattierungen eine der angenehmſten Formen für das Auge. Auch die Tiefſee birgt Schirmquallen. Eine ſehr ſchöne wurde auf der Challenger-Expe— dition in der Nähe von Neuſeeland in einer Tiefe von 2000 m gedredſcht. Es iſt die auf S. 570 von der Unterſeite abgebildete Periphy lia mirabilis, deren Durchmeſſer 16 cm beträgt, und die von zarter violetter Farbe mit dunkleren Tentakeln iſt. Die Quallen ſind ſo ruhige, ſchöne Erſcheinungen, daß man weder ihnen ſelbſt Böſes zutraut, noch ihr harmloſes Auftreten von Neidern und Feinden gefährdet glaubt. Dennoch ſind ſie im Kampfe um das Daſein nicht verſchont geblieben. In den Quallen ſiedeln ſich nicht ſelten kleinere Krebſe aus den Ordnungen der Aſſeln und Amphipoden an. Manche Gattungen, z. B. Cassiopea, haben von einem kleinen Fiſche, dem Schedophilus medu— sophagus, zu leiden. Er wird 3 — 10 em lang und pflegt ſich in kleinen Trupps in 570 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; erſte Klaſſe: Polypquallen. der Nähe oder ſogar unter dem Schirme der Qualle aufzuhalten, der er die Arme und vorzugsweiſe die daran befindlichen Neſſelkolben, ohne daß ſie ihn zu brennen ſcheinen, abfrißt. Die Zuſammengehörigkeit der Schirmquallen und der Polypen ſpricht ſich nicht nur durch ihren Leibesbau im allgemeinen, ſondern auch im beſonderen ſowohl durch ihre Ent— wickelung als durch einige verbindende Formen aus. Periphylia mirabilis. % natürl. Größe. Die Entwickelung der Schirmquallen vollzieht ſich, abgeſehen von den ſehr ſeltenen Ausnahmen einer direkten, abgelegten, mit Generationswechſel. Aus den Eiern der meiſt ge— trennt geſchlechtlichen Tiere entwickelt ſich eine ovale, hohle, etwas flachgedrückte, einem Damenmedaillon ähnliche Flimmerlarve, eine ſogen. Planula. Nachdem dieſe einige Zeit herumgeſchwommegn iſt, ſetzt ſie ſich mit dem einen Ende feſt und nimmt eine Birnengeſtalt an, wobei ſich der Stiel mit dem Boden verbindet und auf ſeiner Oberfläche eine Chitinhülle ab— ſcheidet. Darauf bricht am anderen Ende die zentrale Höhlung nach außen durch, und neben dem ſo entſtandenen Munde legen ſich Tentakeln an und zwar in folgender Ordnung: erſt an einer beliebigen Stelle einer, kurz darauf dieſem genau gegenüber ein zweiter, dann er— ſcheint das junge Weſen bilateral ſymmetriſch. Aber bald entſpringt zwiſchen den beiden erſten Tentakeln ein dritter und ihm direkt gegenüber ein vierter. Jetzt ſtellt das Weſen einen vierarmigen Polyp dar und heißt ein Scyphistoma. Darauf bilden ſich zwiſchen Entwickelung. Becherquallen. Vierlingsquallen. 571 den vier vorhandenen Tentakeln in nicht regelmäßiger Folge vier weitere und zwiſchen dieſen acht abermals acht neue. Dieſer Polyp kann nun zunächſt durch Sproſſung an ſeiner Baſis eine Anzahl junger Töchterſcyphiſtomen produzieren, die ſich ihrerſeits wieder wie das Mutterſcyphiſtom durch Teilung vermehren. Das Scyphistoma erhält zunächſt dabei eine Reihe von oben nach unten ſich anlegender Einſchnürungen, die ſich immer mehr ver— tiefen und ſcharfe Ränder erhalten, an denen 16 kurze tentakelartige Fortſätze, je zwei nebeneinander, auftreten. Auch nach innen ſpringen in den Magenraum, entſprechend den einzelnen Einſchnürungen, Querwände vor, die nur in der Mitte ein Loch behalten. Die 16 Tentakeln des urſprünglichen Seyphistoma ver: kürzen ſich und treten auch zu je zwei und zwei zu— ſammen. Dieſe Form des Polyps nennt man die Stro— bila und den ganzen bei ihrer Bildung ſtattfindenden Vorgang die Strobilation. Endlich geht die Ein— ſchnürung ſo weit, daß ſie zur Abſchnürung wird und ſo zur Vermehrung durch Querteilung führt. Es löſen ſich, von oben nach unten aufeinander folgend, kleine Scheiben ab mit acht langgeſtreckten, in der Mitte tief eingekerbten Randfortſätzen, von denen ein jeder zwei urſprünglichen Tentakeln entſpricht. Dieſe Scheiben drehen ſich um und ſchwimmen mit dem Scheitelloch, dem Reſte der Magenhöhle der Strobila, nach oben, als junge Quallen, Ephyren, von dannen, um nach und nach die Geſtalt vollendeter Schirmquallen anzu— nehmen. Wir haben es alſo bei der Vermehrung dieſer Coelenteraten mit einem Generationswechſel zu thun, bei dem auf eine geſchlechtliche Quallengeneration eine ungeſchlechtlich ſich vermehrende Polypen- und auf dieſe wieder eine Quallengeneration folgt. Jene ausgebildeten Formen, durch welche die Schirmquallen und Polypen verbunden werden, ſind die Becherquallen (Calycozoa), frei ſchwimmende 8 oder mit dem Scheitel feſtſitzende Quallen von Becher, Tessera princeps. 20 mal vergrößert. form mit 8—16 armförmigen Armen am Rande des feſten und dicken Gallertſchirmes, der am Scheitel ſeine größte Dicke erreicht. Die freien Enden der Arme ſind bei den feſtſitzenden Formen (Lucernarien) mit kurzen Tentakeln, die bisweilen ſcheibenförmig verbreitert ſind und zum Anheften benutzt werden, ſowie mit Neſſelkapſeln verſehen. Die Tiere können die Stelle, auf der ſie ſitzen, verlaſſen und für kurze Zeit ſchwimmen, wobei ſie ſich umkehren. Bald aber legen ſie ſich vor Anker. Noch in Tiefen von 1100 m wurden Lucernarien aufgefunden, wenn ſie auch im allgemeinen ſeichteres Waſſer als Aufenthaltsorte vorzuziehen ſcheinen. Die nächſten Verwandten der Lucernarien find die Vierlingsquallen (Tesser- ida e), von denen uns die obenſtehende Abbildung (Tessera princeps) eine Vorſtellung gibt. Sie ſind nur klein, ſchwimmen frei und haben eine hohe elegante Glockengeſtalt. Ihr Rand iſt in 8 oder 16 Arme ausgezogen, welche abwechſelnd von ungleicher Länge ſind. Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. or I] 1 Zwei bo ſſe. Die Blumenpolypen (Anthozoa). Nehmen die Quallen unſer äſthetiſches Intereſſe in Anſpruch und beſchäftigen die verſchlungenen Wege ihrer Entwickelung den ernſteren Forſcher, ſo iſt das Heer der Po— lypen, in den Grundzügen des Baues jenen eng angereiht, die Phantaſie weit mächtiger zu erregen geeignet und uns in Staunen zu verſetzen über die ungeheure Macht des Kleinen, wo es den Wahlſpruch verkörpert: Viribus unitis — Mit vereinten Kräften! Eine liebliche Augenweide, kommen und gehen die Quallen mit den Wellen und Strö— mungen. Nach kurzem, wohl ſelten über ein Jahr währendem Leben löſen ſie ſich zum allgemeinen Kreislaufe der Atome wieder auf, dem Auge keine andere Spur hinter— laſſend als die zahlreiche heranwachſende Brut. Auch unter den Polypen finden wir Sippen, deren Genrationen hinſchwinden, gleich jenen. Aber um ſo zahlreicher ſind die anderen, welche ſich von den erſten Zeiten ihres Auftretens durch alle Perioden der Bildung der Erdrinde hindurch Denkmäler aufgebaut haben, gegen die alle von Menſchenhand zuſammen— getragenen Pyramiden in nichts verſchwinden. Ihre Bauten machen einen großen Teil des Feſtlandes aus. Indem ihre Lebensthätigkeit von den gewaltigen, im Erdinneren ſich ent— wickelnden Kräften beeinflußt wird, die ſich uns als Hebungen und Senkungen an der Ober— fläche bemerklich machen, ſteigen Riffe und Koralleninſeln hier empor, dort tauchen ſie unter. Wo die Korallentiere, dieſe wichtigſten Mitglieder der Polypenklaſſe, ſich anſiedeln, folgt eine Reihe von Wirkungen, welche faſt alles an Großartigkeit des Aufbaues und Schaffens hinter ſich laſſen, was ſonſt von tieriſchem Leben verurſacht wird. Verſchwindend klein in den Anfängen, nur dem Mikroſkop ſich erſchließend, wird die Niederlaſſung bald der Anziehungspunkt unendlich mannigfaltigen Lebens, bis der Menſch von dem neugeſchaffenen Boden Beſitz nimmt. So greift das Leben der Polypen in das Völkerleben ein, das Unbewußte in das Be— wußtſein; Grund genug, um dieſe Tiere einer eingehenden Unterſuchung und Schilderung zu unterziehen. Faſt zwei Jahrtauſende hat es bedurft, ehe man ſich von der Zuſammengehörigkeit der eigentlichen Korallentiere mit den großen, ſchon dem Ariſtoteles und ſeinen Zeit— genoſſen als Tiere bekannten Seeanemonen oder Aktinien überzeugte. Griechen und Römer ſahen, wie uns Ovid berichtet, in den Korallentieren Blumen, welche im Augenblicke, wo man ſie aus dem Waſſer nimmt, verſteinern, ſeit Perſeus das Haupt der getöteten Gorgo Meduſa, deren Anblick in Stein verwandelte, auf ihnen gelagert. In ſeinen „Verwand— lungen“ heißt es: „Sic et Curalium, quo primum contigit auras Tempore, dureseit: mollis fuit herba sub undis.“ („So auch wird die Koralle, ſobald fie die Lüfte berühret, Plötzlich zu Stein, ein weiches Gewächs noch eben im Waſſer.“) Wie wenig ſich die Anſicht, daß man es mit Seepflanzen, auch ſteinernen Bäumen (Lithodendra), zu thun habe, bis 1630 geändert, geht aus einer Reiſebeſchreibung aus jenem Jahre von Monconny hervor. Die bezügliche Stelle iſt von Ehrenberg in ſeiner bekannten grundlegenden Arbeit über die Natur und Bildung der Korallenbänke des Roten Meeres (1832) mitgeteilt und lautet: „Nach der Mahlzeit fiſchten wir die Art von oben beſchriebenen verſteinerten Pilzlingen, Muſcheln und allerhand Bäumchen in dem Roten Meere, die man da an langen Orten in Menge findet, weil das Meer daſelbſt ſo ſeichte Aus der Entdeckungsgeſchichte der Polypen. 573 iſt, daß man, als wie in einem Brunnen, alles, was auf dem Grunde liegt, ganz deut— lich ſehen kann. Und iſt der Grund mit unzähligen ſolchen Kräutern und dergleichen von allerhand Farben angefüllt, die aber von ferne wie Purpur ſcheinen, weſſentwegen ich auch erachte, daß das Meer den Namen des Roten Meeres bekommen habe. „Ich war ſo curieux und ſtieg ſelber hinab auf eine Meile Weges weit an dem Strande und hatte ein paar Stunden lang das Vergnügen, eine große Menge von ſolchen Bäumchen, Schwämmen und Muſcheln zuſammenzuleſen. Die Schwämme ſind hart und an den Sand angewachſen, mit den Füßen habe ich keine fühlen können, ſo ſehr ich mich auch bemühete, und die man auffiſchte, ſind rot und hart. Damit ſie aber weiß werden, legt man ſie ans Ufer, da ſie von den Wellen abgeſpült und von der Sonne getrocknet werden und ſich alſo bleichen. Wenn dieſe Bäumchen noch unvollkommen oder noch nicht reif ſind, ſo gleichen einige den feuchten Schwämmen, welche an den alten Bäumen wachſen, etliche aber den gekörnten Füßen einer Meerſpinne, ſind weich und ſo voll Waſſer, daß man ſie wie einen feuchten Schwamm ausdrücken kann; und da haben ſie allerhand Farben: blau, violett, grau, braun, grün, weiß, welches wunderartig anzuſehen.“ Ehrenberg meint, daß der alte Reiſende nur die harten Korallen ſelbſt beobachtet, dagegen die Nachricht von dem anfänglich weichen Zuſtande aus den Erzählungen der ihn begleitenden Araber aufgenommen habe. Ich möchte aber an ein Zuſammenwerfen der Korallen mit wirklichen Seeſchwämmen denken, die in bunter Menge zwiſchen den Korallen vorkommen, und von denen ſich viele gerade ſo ausdrücken laſſen, wie es oben beſchrieben iſt. Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, im Jahre 1706, behauptete der Graf Marſigli, zur Bewunderung ſeiner Zeitgenoſſen, durch Beobachtung ermittelt zu haben, daß die Edelkoralle eine wirkliche Pflanze ſei, welche einen Milchſaft in der Rinde führe, Blüten und Früchte trage. Um dieſe Behauptung bekannt zu machen, gab er 1725 das prachtvolle Kupferwerk heraus, welches den Titel führt: „Histoire physique de la mer“. Aber kurz zuvor, 1723, ſtellte der Arzt und Naturforſcher André de Peyſſonel an der berberiſchen Küſte ſeine für die Auffaſſung der Korallen epochemachenden Unterſuchungen an, beobachtete in Aquarien und kam zur Überzeugung, daß die vermeintlichen Korallen— blumen kleine Tierchen ſeien, von derſelben Beſchaffenheit wie die Aktinien. Er wendete ſich mit ſeiner Entdeckung an die berühmteſten Mitglieder der Pariſer Akademie, wurde aber ſehr kühl aufgenommen, und Ré aumur glaubte ſogar, aus zarter Rückſicht den Namen Peyſſonels verſchweigen zu müſſen. Derſelbe verallgemeinerte auf einer Reiſe nach Gua— deloupe ſeine Unterſuchungen, und nachdem man ſeine Anſichten zuerſt in England, gut— geheißen, machten ſie ſich auch nach und nach im Vaterlande geltend. Am wichtigſten wurde aber das Intereſſe für unſere Tierchen geweckt, als die For— ſter, Vater und Sohn, mit Cook die Welt der Südſeeinſeln entdeckten und der Anteil der Polypen an dem Aufbau derſelben offenbar wurde. An die entzückenden Schilderungen der Eilande und des vermeintlichen paradieſiſchen Zuſtandes ihrer Bewohner reihte ſich der Verſuch, die Entſtehung der Riffe und Inſeln aus der Thätigkeit der Korallentiere zu erklären. Wir werden weiter unten hierüber berichten. Aber man erfuhr wenig von den Einzelheiten, von den Gattungen und Arten, bis durch Ehrenbergs Unterſuchungen der Korallenriffe des Roten Meeres und ihrer Erbauer eine Grundlage für die Syſtematik der Blumentiere (Anthozoa) gegeben wurde. Obſchon wir nochmals auf die Schilderung Haeckels über den Anblick der Korallen— bänke des Roten Meeres zurückkommen werden, ſo will ich doch ſchon hier Ehrenberg von dem Totaleindruck erzählen laſſen, den das Leben der Korallenbänke macht. Es iſt ein Geſamtbild, welches zum Studium der Einzelheiten treibt, wenn wir uns damit auch einige Wiederholungen geſtatten. 574 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. „Die Korallentiere, von denen die bekannte, als Schmuck dienende edle Koralle nur eine Form und der unbedeutendſte Teil iſt, ſind nicht bloß für Naturbeſchreibung und Naturgeſchichte im engeren Sinne merkwürdig, ſie gehören zu den zahlreichſten, auffallend— ſten, unbekannteſten und am einflußreichſten erſcheinenden Formen des organiſchen Lebens. Mit Schaltieren zuſammengeſchichtet bilden die durch ſie erzeugten Kalkmaſſen bald hohe Gebirge, bald den Boden weit ausgedehnter Landſtrecken, und ihre foſſilen Überreſte dienen dem aufmerkſamen Geognoſten als Anzeigen für Veränderungen und Bildungs-Epochen der verſchiedenen Teile der Erdrinde. Aber nur in ihrer Auflöſung, tot und fragmentiſch find dieſe Spuren der Korallentiere, deren Einfluß man in der Oryktognoſie (Geſteins— und Gebirgskunde) bewundert und zu wichtigen Reſultaten benutzt. Weit angenehmer über— raſchend iſt die Erſcheinung ihrer Formen dem Reiſenden, welcher die Küſten des Süd— meeres berührt und dieſelben in ihren Wohnſitzen lebendig und ebenfalls in einer über alles herrſchenden Verbreitung erblickt. Dort wetteifern die blumenförmigen Tiere der pflanzenartigen Korallenſtöcke mit den prächtigſten Farben unſerer ſchönſten Blumen, und hinderte nicht der Lichtreflex des Waſſers die Überſicht einer größeren Fläche unterhalb des Meeresſpiegels, ſo würde die Maſſe des Schönfarbigen, Lebendigen, blumenartig Ge— formten, welches den flachen Meeresboden bekleidet, ganz das Bild geben, das uns an unſeren Wieſen und Fluren zu ihrer Blütezeit erfreut, ja, es würde den, welcher die aſia— tiſchen Kirgiſenſteppen ſah, an die Tulpenflor erinnern, die, in unabſehbarer Weite ſich erſtreckend, unter den günſtigen Umſtänden ein zaubervolles und feenhaftes Gegenſtück unſe— rer lieblichen kleinen Gärten bilden. „Ob nun aber gleich eine ſolche Überſicht über die Wieſen der Tierpflanzen, welche man gewöhnlich Korallenbänke nennt, nicht in dem Grade zu erlangen iſt, wie wir ſie an den Gärten und Wieſen der Luftpflanzen bis in weite Ferne hin erreichen, ſo werden doch auch ſolche Reiſende, welche nicht gerade als Naturforſcher ſpeziell ſich an dem Baue und den Geſetzen der Formen der organiſchen Weſen und deren belehrender Zuſammenſtellung und Vergleichung erfreuen, durch den Reichtum des Formenwechſels und durch die bald metalliſch glänzenden, bald zarten und lieblichen Farben dieſer lebendigen Blumen über— raſcht und begeiſtert. Wie die Bilder des Kaleidoſkopes gehen vor dem Auge des am ſeichten Meeresufer hingehenden oder auf ſeinem Schiffe über das Korallenriff bei eintretender Windſtille langſam hingleitenden Bewohners des Feſtlandes dieſe Bevölkerungen ihm ganz neuer Fluren vorüber. Es ſieht Sträucher und Bäumchen auf und um ſcheinbar abgerun— dete Felsblöcke verſammelt, welche, ſelbſt in blendende metalliſche Farben gehüllt, einen anderen Charakter als den der Felsmaſſe verraten. „Glücklicher und genußreicher als der Wanderer an der Küſte, wo die ungleiche Meeres— höhe nur krüppelhafte Produkte dieſer Art kümmerlich gedeihen läßt, erkennt der auf nicht allzu großem Fahrzeug Schiffende während der Windſtille dieſe Bürger eines neuen, ihm unbekannten Reiches auf den üppigen Korallenbänken des tieferen Meeres. Tauſendfach angeregt und brennend vor Wißbegierde, ſteigt er endlich in die Schaluppe und bemüht ſich, an einer ſeichten Stelle ſich einiger der ſchönſten dieſer Formen zu bemeiſtern, um ſie näher zu betrachten. Das ihm behilfliche Schiffsvolk oder er ſelbſt ſteigt aus in das Waſſer, aber mit ihrem Auftreten auf den Korallenboden verſchwindet allmählich um ſie her die ſchöne Farbenpracht, welche dieſen Boden ſoeben ſchmückte. Der ſtrauchartige, blendend roſenrote Gegenſtand, welcher die Aufmerkſamkeit und Phantaſie des Reiſenden ſoeben am lebhafteſten erregte, wird als ein brauner, unſcheinbarer Körper in die Höhe gebracht, und es findet ſich, daß das kurz vorher für das Auge ſo liebliche, weiche, bunte Gebilde ein harter, rauher, mit braunem, dünnem Schleime überzogener Kalktuff iſt. Man glaubt, ſich geirrt zu haben und wiederholt die Bemühungen und Verſuche mit gleichem Erfolge, Monoxenia Darwinii: Entwickelung. 575 bis man ſich überzeugt, daß hier eine Verwandlung ſtattfindet, die der Reiſende je nach ſeiner Geiſtesbildung für Wunder und Zauberei oder für eine merkwürdige, eines mühe— vollen und ſorgfältigen Nachforſchens werte Naturerſcheinung hält.“ Wir wollen Ehrenbergs Schilderung, welche uns die Mißgriffe des Altertums als ſehr verzeihlich erſcheinen läßt, nicht weiter wiedergeben. Hat ſie uns doch, hoffen wir, genugſam angeregt. Alſo Blumen— tiere wurden die Polypen von dem Berliner Naturforſcher benannt. Der Name begreift ſich von ſelbſt für jeden, der nur einmal einen lebenden Polypen mit entfaltetem Kelche geſehen oder eine leidliche Abbildung mit einer Blume ver— glichen hat. Ehrenberg unter— ſchied ſie von den Moostieren, hielt aber doch dieſe beiden Gruppen für nahe verwandt. Von da an haben unſere Kenntniſſe über Ana- tomie und Leben der Polypen und der Korallenbauten bis heute ſtetig ſich vermehrt. Einer der größten Fortſchritte geſchah durch Darwin, der nach ſeiner berühmten Welt— umſegelung eine neue Theorie der Koralleninſeln aufſtellte, welche in allen weſentlichen Punkten durch den Amerikaner Dana beſtätigt worden iſt. Indem wir in den obigen Zeilen die Wichtigkeit der Polypen vornehmlich mit dem Hinweiſe auf ihre Hartgebilde betonten, wird es ſich natürlich um das Verſtändnis derſelben, d. h. der Polypenſtöcke, handeln. Dazu iſt eine Einſicht in den allgemeinen Körperbau notwen— dig. Wir wollen nochmals den ſchon einmal gegangenen Weg einſchlagen Entwickelungs-Zuſtände von Monoxenia Darwinii. Stark vergrößert. und den Polypen ſich vor unſeren Augen entwickeln laſſen, mit Benutzung neueſter Arbeiten der trefflichen Beobachter Haeckel und Lacaze-Duthiers. Der erſtere ſchildert uns die Entwickelung eines von ihm in dem Hafen von Tor an der arabiſchen Küſte entdeckten kleinen Polypen, der Mono xenia Darwinii. Das 3 mm lange Tier erſcheint als vollkommen ſtrahlig gebaut, indem ſein am oberen Ende des Leibescylinders gelegener Mund von acht gefiederten Fühlern um— ſtanden iſt. Es haftet vermittelſt einer beweglichen, dem Munde entgegengeſetzten Scheibe, der Fußſcheibe, auf ſeiner Unterlage, und daß es keine harten Skelettteile, keinen Stock beſitzt, zeigt die geſchwungene, veränderliche Oberfläche. Wie es innen beſchaffen iſt, wird ſich an Quer- und Längsſchnitten herausſtellen. 576 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Der Beginn der Entwickelung zeigt ſich in dem Verſchwinden des Kernes der Eizelle (A, j. Abbild. S. 575), der gleich darauf wieder erſcheint (B), um nun in fortgeſetzter Teilung ſich und die Zelle zu vervielfältigen (C, D, E). Man nennt dieſen in der ganzen Tierwelt verbreiteten Vorgang die Furchung, und zwar läuft dieſelbe in unſerem Falle ſo einfach und ſo regelmäßig ab, daß das Ende derſelben eine von einer ein— zigen Zellſchicht umſchloſſene Hohlkugel iſt (80). Jede Zelle ſendet eine längere Wimper oder Geißel aus (F), vermittelſt welcher die Larve ſich dreht und in der Leibesflüſſigkeit ihrer Mutter ſchwimmt. Es folgt nun eine Einſtülpung der einen Hälfte der Kugel in die andere (K), die Bildung der Gaſtrula (I, K). Das Wort hat in den letzten Jahren in der Zoologie eine große Be— deutung erlangt, ſeit der ausgezeichnete ruſſiſche Naturforſcher Kowalewsky dieſe Einſtülpung als eine gemeinſame Stufe in der Bildungsgeſchichte ver— ſchiedener, ſyſtematiſch weit auseinander liegender Tierklaſſen kennen lehrte und Haeckel, die Beobach— tungen und Betrachtungen jenes verallgemeinernd, das Wort „Gaſtrula“ oder Sacklarve erfand. Er hat in einer Reihe von Spezialarbeiten und in ſeinen all— bekannten populären Schriften ſeine „Gaſtraea-Theo— rie“ dargelegt und verteidigt, die ſich darin zuſpitzt, daß alle Tiere, in deren Entwickelung ein „Gaſtrula— Zuſtand“ auftritt, von einer längſt untergegangenen Urform „Gaſtraea“, als der gemeinſamen Stamm— mutter, herrührten. Die geſamten Entwickelungs— erſcheinungen des Tierreiches drängen zu dieſer oder einer ähnlichen Annahme. Jedenfalls iſt durch Haeckels, im Zuſammenhang und zur Begründung der Abſtammungslehre, vorgetragene Gaſträa-Theorie ein äußerſt wirkſamer Anſtoß gegeben worden. Die Gaſtrula der Monoxenia iſt von den ein⸗ fachſten Verhältniſſen. Die Einſtülpung iſt eine voll: ſtändige; die Larve ſtellt einen Sack dar, deſſen Wandung (Durchſchnitt in Fig. J) aus zwei Zellen— — ſchichten oder Keimblättern beſteht, der äußeren oder Ektoderm und der inneren, dem Entoderm. Der Übergang der flachen Schüſſel KH in den Sack mit enger Mündung iſt ohne weiteres klar. Es wird uns auch mit einem Male ein Licht über die Strukturverhältniſſe der Coelenteraten aufgeſteckt, wenn wir hören, daß in allen Abteilungen dieſes formenreichen Stammes die ſpätere Entwickelung von dieſer oder einer ganz ähnlichen Larve ausgeht, daß das komplizierteſte Höhlenſyſtem, der ganze ſogenannte Gaſtrovaskular-Apparat, ſich durch Ausweitungen und Ausſenkungen aus dem ſo einfachen Gaſtrulamagen entwickelt. Bei dieſen Umwandlungen erhält ſich das Entoderm durch Zellenvermehrung als eine ununterbrochene, den Magen und ſeine Anhänge auskleidende Schicht und gibt das Ektoderm die Beſtandteile der Haut her. Auch ſpaltet ſich gleich nach dem Anſetzen der Larve der Polypen oder dem Weiterwachſen der jungen Qualle vom Ektoderm, mitunter wohl auch vom inneren Blatte, ein mittleres, das Meſoderm, DAN, EI" Q N a, J 4 7 % eee 8 7 2 Monoxenia Darwinii. Stark vergroßert. Monoxenia: Entwidelung und Bau. 977 ab, welches, teils zur Muskulatur, teils zur Bildung des Binde- und Füllgewebes ver: wendet wird. Aus ſolchem beſteht die Hauptmaſſe des Schirmes der Scheibenquallen, und in und aus ihm entſtehen jene Verkalkungen, die wir unten als die einfachen und zu— ſammengeſetzten Stöcke der Polypen näher kennen lernen werden. Aber wir kehren zur Monoxenia und Haeckels Abbildungen derſelben zurück. Ob: gleich uns die Beobachtungen über den Übergang ihrer Gaſtrulalarve in den fertigen Zu— ſtand nicht vorliegen, kann ein Zweifel über die Art der Umwandlung nicht aufkommen, da lückenloſe Beobachtungsreihen von Kowa— lewsky, Lacaze-Duthiers und anderen über andere Arten vorliegen. Die Larve heftet ſich mit dem der Mundöffnung entgegen— geſetzten Pole irgendwo an, die Wimpern ver— ſchwinden, und nachdem durch eine abermalige Einſtülpung des Vorderrandes nach der Längs— achſe (L, a o, ſ. nebenſtehende Abbild.) ein Mund: und Schlundraum ſich gebildet (p) und gegen den Magen (g) abgegrenzt hat, erheben ſich im Umkreiſe um den Mund die acht hohlen Fühler als Ausſackungen der Leibeshöhle oder unmittelbare Fortſetzungen des Magens. Gleich allen übrigen Korallen pflanzt ſich die Mo— noxenia periodiſch durch Eier fort, welche in den Magenſcheidewänden und auf den freien 5 Rändern derſelben entſtehen und natürlich SI durch den Mund entleert werden müſſen, wenn 3 2 > 1 nicht, wie in unſerm Beiſpiel, die Entwickelung — 1 — in der Magenhöhle der Mutter abläuft. In 1 der Regel ſind die Polypenperſonen ſtreng männlichen oder weiblichen Geſchlechtes. Die . Individuen, welche einen Stock bilden, ſind S8 entweder alle männlich oder alle weiblich, oder - —— es finden ſich Männchen und Weibchen unter— miſcht. Seltener iſt das Vorkommen herma— ad e . N phroditiſcher Perſonen. L) Längsſchnitt, links durch ein Magenſach, rechts durch eine In dieſer Einfachheit iſt die Monoxenia Scheidewand; M) Querſchnitt durch die Linie mn: N) Quere ber Typus eines vegelmähig frahligen Po. KL et e dene vad Sg lypen, eines echten Strahltieres, wie es die 2) Magenböhle, 1) maren Enn a meiften Polypen find. Haeckel hat die gleich⸗ Se eigene h Med en. wertigen Teilſtücke eines Strahltierkörpers, die im Kreiſe um die Achſe geordnet ſind, Antimeren oder Gegenſtücke genannt. Sie haben im Strahltier dieſelbe Bedeutung, welche den einzelnen Ringen eines Wurmes oder Inſektes als den Folgeſtücken oder Metameren zufällt. Die Einfachheit und leichtere Ver— ſtändlichkeit der Monoxenia und ihresgleichen beruht großenteils auf der gleichzeitigen und gleichmäßigen Entwickelung ihrer Antimeren und der beſchränkten Anzahl derſelben. In allen dieſen Fällen pflegt die Mundöffnung vollkommen kreisförmig zu ſein. Nicht wenige Polypen werden aber in die Quere gezogen, ja einige faſt fächerförmig zuſammengedrückt, wobei der Mund eine Querſpalte bildet. Es zeigt ſich dann, daß entweder ſchon die erſte 15 37 f Brehm, Tierleben. 3. Auflage. 578 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Anlage der Fühler eine ungleichmäßige war, oder daß nach regelmäßigem Beginne des Wachstums gewiſſe Antimeren nebſt den zugehörigen Fühlern zurückbleiben oder den übrigen vorauseilen. Das betrifft vorzugsweiſe die Polypen mit zahlreichen und in mehreren Kreiſen die Mundöffnung umgebenden Fühlern. So bekannt nun auch ſeit einigen Jahrzehnten, beſonders durch die Aquarien, die— jenigen Polypen geworden find, welche gleich der Monoxenia keine harten Teile abſondern, nämlich die Aktinien, ſo werden doch die meiſten Leſer mit dem Worte Polyp oder Korallentier die Vorſtellung des entweder dem Einzeltier oder der Kolonie angehörigen Stockes verbinden. Wir haben daher das Verhältnis dieſes Skelettes zu den Weichtieren im allgemeinen zu beſprechen, um uns bei der ſyſtematiſchen Überſicht darauf berufen zu können, und wir werden, um uns dies Verhältnis klar zu machen, in derſelben Weiſe verfahren wie oben (S. 292), wo es ſich um die Erklärung des Schneckengehäuſes handelte. Vergleichen wir alſo den Polypenſtock mit dem Schneckengehäuſe und dem Skelett der Wirbeltiere. Wir wiſſen ſchon, daß alle Verhärtungen oder Skelettbildungen des Polypen— körpers dem mittleren Blatte angehören, und ſchon damit iſt ein wichtiger Unterſchied zwiſchen dem Polypenſtock und der Muſchelſchale oder dem Schneckenhauſe gegeben. Die Schneckenſchale iſt eine Ausſcheidung, welche den ſonſt weichen Körper zwar umhüllt, mit ihm aber nur in einem ſehr beſchränkten Zuſammenhange ſteht und nicht eigentlich zu den lebendigen, d. h. organiſierten, mit Blut und Nerven verſehenen Teilen des Tieres gehört. Es iſt in der That nur ein zum Schutze dienendes Haus, welches über der Haut liegt. Die feſten Teile der Polypen bilden aber kein Haus in dieſem Sinne, ſondern ſind ganz eigentliche Teile des Korallentieres, ſie ſind wie die Knochen belebt, empfindlich, organiſiert. Die Knochen der höheren Tiere hält niemand für bloße Ausſcheidungen, die damit einen gewiſſen Gegenſatz zum übrigen Körper bildeten. Man weiß vielmehr allgemein, daß die Knochen ſehr empfindliche organiſche Beſtandteile des Körpers ſind, daß in ihnen Adern und Nerven verlaufen. Ein Hauptkennzeichen, daß ſie gleich den Muskeln oder Nerven nur eine beſondere Gattung von ſogenanntem Körpergewebe ſind, beſteht darin, daß ſie gerade ſo wie jene wachſen. Die Knochen des Ochſen ſind nicht dieſelben wie die des Kalbes, ihr Stoff iſt wiederholt ausgewechſelt worden. Das Lebendigſein des Skelettes iſt der „Stoffwechſel“, während das Schneckenhaus eine tote Abſonderung bleibt, an der nur alljährlich neues Material auf- und abgelagert wird. Das Wort „Stoff: wechſel“ iſt uns ein bekannter Klang. Jedes einzelne Organ befindet ſich wohl, wenn in ihm der Stoffwechſel in Richtigkeit iſt; Krankheit iſt in den meiſten Fällen geſtörter Stoff— wechſel. Wenn wir daher ſagen, daß die untere Hälfte des Korallentieres, auch wenn ſie erhärtet oder zum Stocke wird, dennoch vollſtändig am Stoffwechſel teilnimmt, ſo iſt damit die Natur dieſer Bildung bezeichnet. Solange das Korallentier lebt, iſt ſein Stock keine tote Ausſcheidung, kein Haus, in welches es ſich, gleich der Schnecke, zurückzieht. Es iſt vollkommen falſch, zu meinen, der Polyp bewohnte ſeinen Stock oder ſeine gekammerte Zelle; dagegen kann ich ſagen: der untere Teil des Korallentieres iſt das Etui, in welches der obere Teil ſich einzuſtülpen vermag. Am lebenden Korallentiere iſt alſo auch der Stock in fortwährender Auflöſung und Wiederergänzung begriffen, und der Stock eines erwachſenen Polypen verhält ſich zu dem ſeiner Jünglingsjahre wie das Skelett des Ochſen zu dem des Kalbes. Dennoch kommen wir bei dieſem Vergleiche zu einem Punkte, wo er nicht mehr paßt. Sehr häufig, indem der Polyp nach oben hin wächſt, ſtirbt ſein verkalkter Fuß ab, ohne ſich aufzulöſen. Der Polyp haftet alsdann auf ſeiner Vergangenheit, ſie iſt ſein Piedeſtal; er zieht ſich gleichſam aus ſich ſelbſt in die Höhe und gipfelt auf den Schlacken ſeiner Jugend. Dabei iſt er in der Regel im ſtande, ſo mit der Vergangenheit abzuſchließen, Stockbildung. 579 daß er ſie mit einem ſoliden Schleier bedeckt. Indem nämlich die weichen Auskleidungen des gekammerten unteren Endes ſich alleſamt lockern und zu gleicher Zeit etwas heben, wird eine horizontale Scheidewand abgeſondert. Es iſt nun klar, daß bei den Korallen ein großer Teil des Materials, welches im Skelettſtoffwechſel der höheren Tiere verloren geht, hier konſerviert wird, als tote Vergangenheit in unmittelbarem Zuſammenhange mit den noch belebten Hartteilen des Individuums bleibt und mit denſelben den ſogen. Stock bildet. Es iſt bisher von den Korallentieren nur die Rede geweſen als vollſtändig iſolierte, für ſich beſtehende Individuen; faſt alle Gattungen der Aktinien und der Pilzkorallen gehören hierher. Bei den allermeiſten Arten bleibt es aber nicht bei der Ausbildung der Einzelindividuen; vielmehr gibt das Einzeltier ſeine Individualität in geringerem oder höherem Grade auf, und es entſtehen die zuſammengeſetzten Stöcke. Sie ſind ein Reſultat der Vermehrung durch Teilung oder Knoſpung. Alle Polypen legen wenigſtens zu einer gewiſſen Zeit Eier. Die dieſen Eiern entſchlüpfenden jungen Weſen ſchwärmen eine kurze Periode frei im Meere um— her, und es entfaltet ſich nun erſt der Bau, von dem bisher die Rede geweſen. Bei den meiſten iſt aber hiermit der Grund ge— legt zu einer Kolonie, indem jene ſeßhaft gewordenen Indivi— duen ſich durch Teilung oder Knoſpenbildung vermehren. Wie die Teilung vor ſich geht, iſt aus nebenſtehendem Umriß der Caul- astraea furcata zu erſehen. Was jetzt als der einfache Stiel des gabeligen Stodes erſcheint, war einſt das Gründerindividuum. An der Grenze des derart eigentümlichen Höhenwachstums angekom— men, zog ſich der beim Einzeltier runde Mund in die Quere, das ganze Tier wurde breiter und eine allmählich auftretende Längsfurche zeigte an, daß auch im Inneren während des fort— ſchreitenden Längenwachstums tief eingreifende Veränderungen vor ſich gingen. Gewöhnlich aber pflegt die Mundbewegung f der beiden Teilſprößlinge den anderen Umbildungen vorauszu⸗ ß d denne ge eilen, wie wir das an dem linken Teile des Stockes der Caul- astraea ſehen, wo zwei Mundöffnungen von einem Tentakelkranz umgeben ſind. Noch iſt die Wirtſchaft in der Hauptſache eine gemeinſchaftliche; eine kurze Zeit, und die Zwei— einigkeit hat ſich, wie der rechte Teil des Bildes veranſchaulicht, in eine Zweiheit auf— gelöſt. Unſer Beiſpiel zeigt auch, welche Formenveränderungen durch geringe Unregel— mäßigkeiten hervorgerufen werden können, die in letzter Linie immer von den zufälligen Abweichungen in der Ernährung der einzelnen Individuen abhängen. Die erſte Teilung der Caulastraea war eine gleichmäßige Gabelung. Die zweite Gabelung ſollte eigentlich vier Teile in gleicher Höhe bringen; ſtatt deſſen ſchreitet das eine Individuum ſpäter zur Teilung. So kommt es, daß kein Stock einem anderen derſelben Art völlig gleicht. Die Sonderung der Kelche und der ganzen Individuen iſt bei dem von uns gewählten Beiſpiel eine ſo vollſtändige, daß die einzelnen Individuen ganz auseinander gerückt ſind und jedes mit einer geſamten Lebensökonomie auf dem gemeinſamen abgeſtorbenen Stocke iſoliert iſt. Das iſt aber nicht die Regel. Wir wollen das jedoch erſt dann erklären, wenn wir uns über die Knoſpung verſtändigt haben. Beiſpiele dieſer Vermehrungsweiſe haben uns ſchon verſchiedene Tiergruppen, namentlich die Moos- und die Manteltiere, gegeben. Auch bei den Polypen tritt, wo eine Knoſpe ſich erheben ſoll, ein erhöhter Stoffwechſel ein, es erhebt ſich eine ſtarke Anſchwellung, und die ganze Knoſpe iſt in allen ihren Teilen eine Neubildung. Indem nun jede Gattung und Art ihre Beſonderheiten der Knoſpung bewahrt, die Knoſpen bald oben am Kelche, bald in der Mitte, bald mehr nach unten 37* 580 Hohltiere. Zweiter Unterfreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. ſproſſen, mehr oder weniger hervortreten, bald rings an dem Stamme, bald nur an einer Seite oder auch abwechſelnd rechts und links, wird ſchon durch dieſen Wechſel der Stellung eine außerordentliche Mannigfaltigkeit der Polypenſtöcke hervorgebracht. Weit wichtiger aber für das Ausſehen des zuſammengeſetzten Stockes iſt die Form und Ausdehnung des einfachen Stockes, d. h. des Skelettes des Einzeltieres. Es kombinieren ſich alſo mit jener rein äußerlichen Stellung der Knoſpen die vielen Möglichkeiten, unter denen an den Einzel— individuen der Stock erſcheint. Und um eine noch größere Menge von Polypenſtockformen hervorzubringen, kommt ſowohl bei der Teilung als bei der Knoſpung die Abſcheidung von Skelettmaſſe in Anſchlag, welche zwiſchen den einzelnen Individuen abgelagert wird. Wenn nämlich ein zuſammengeſetzter Polypenſtock hervorwächſt, ſo bleiben die an ihm befindlichen Individuen gewöhnlich in einem organiſchen Zuſammenhange. Jedes kommu— niziert mit allen ſeinen Nachbarn, jedes ſorgt zwar zunächſt und am meiſten für ſich, teilt aber durch ein von Polyp zu Polyp ſich fortſetzendes, netzartiges Gefäßſyſtem von ſeinem Überfluſſe auch den entfernteſten Stockgenoſſen mit. Und ſo leben die Mitglieder eines zuſammengeſetzten Stockes dem Prinzip nach in einem wohl eingerichteten Kommunismus. Die Vermittelung von Tier zu Tier geſchieht nun in der Regel durch eine organiſierte, d. h. am Stoffwechſel teilnehmende Maſſe, mag dieſelbe weich bleiben oder verkalken. Dieſe Zwiſchenmaſſe empfängt ihre Nährkanäle aus den nächſten Individuen und dieſe, den Lebensſaft leitenden Adern ſichern dem zuſammengeſetzten Polypenſtock bis zu einem gewiſſen Grade ein einheitliches Wachstum. Die Vielheit wird hierin zur phyſiologiſchen Einheit. Was jeder Polyp iſt und ißt, kommt unweigerlich der ganzen Geſellſchaft zu gute, und aus dem Überſchuß der Arbeit des Einzelnen werden gemeinſchaftliche Anlagen beſtritten. Zu dieſen gehören die Stiele und Stämme, diejenigen Teile der zuſammen— geſetzten Stöcke, auf denen keine Einzeltiere ſich befinden, und deren Wachstum und Größen— zunahme uns unbegreiflich bliebe, wenn wir nicht die Nährkanäle auch in ſie hineintreten ſähen. Aber überall berühren ſich Leben und Tod, wenigſtens bei den maſſigen und bei den meiſten baumförmigen Stöcken. Indem der Stock durch Knoſpung und Teilung ſich ausdehnt, ſtirbt er inwendig ab. Die Nährkanäle, welche von neuer, von neuen Adern durchzogener Subſtanz bedeckt werden, verſiegen, ihre nächſte Umgebung kann nicht weiter am Stoffwechſel teilnehmen. Wir ſind nun im ſtande, die natürlichen Gruppen der Polypen uns vorzuführen. Erſte Ordnung. Die ſechsſtrahligen Polypen (Hexactinia). Dieſe reichhaltigſte Abteilung iſt durch die Zahl und Menge ihrer Strahlen und Fühler charakteriſiert. Die Grundzahl iſt immer Sechs, doch bleibt es nur bei einigen Gat— tungen dabei ſtehen. Bei allen übrigen tritt eine Vermehrung der Strahlen und Leibes— fächer durch Einſchieben neuer Kreiſe ein, wonach die Ordnung auch als „Vielkreiſige Polypen“ (Polycyelia) bezeichnet wurde. Man hielt früher dafür, daß dieſes Auftreten neuer Kreiſe von der Grundzahl aus einen ganz regelmäßigen Fortgang habe, ſo daß in beſtimmter Ordnung eine Mehrzahl von Sechs folge, und durch die Reihenfolge der Kreiſe auch die Ordnungszahl und Länge der Fühler und Scheidewände beſtimmt ſei. Allein aus den neueren Unterſuchungen von Semper und Lacaze-Duthiers geht die Unrich— tigkeit jenes ſogenannten „Geſetzes von Milne-Edwards“ hervor Gewöhnlich ſchiebt A 8 — Y — Mean 2328 N * SEEANEMONEN. Cu u dE ‚sapoum J IE "sWmapgnu mısmIdr "DODWUDAND SWODA.A) "OI "PLZ PPPI) '6 WDd on a e 8 (enn1oy ‘st. moe 80; · N yonınd wısumpy 'gI „ smgunm.ag) “ 9 ‘9 o 72 Ran 2 . e SyooyaH "sr ‘Ir r monßoyy "5 wzup sıonoıq pr ‘gie " 2 or EL IT 27 1 M VI ‘gg wumbs puungy e ? vu BT wo sg i — WE za 0 1 — 8 , 8 P 3 . | Ä 7 RANG ma) N Ir Se N } . > N a EN = DER A. — Bu) Y NN. — Ay: 7 ,, 5 * , 4 ” N S z N \ , Vo, 7 Kan 5 W . ee; er I \ e eee / a 0 NM „„ 1 — PH a | N f | " 5 | Mhz . . 25 400 8 N v2 . | E ee ’ 2 er | VINO Nee 5 — ͤ—— — — — eee eee ‚DL so eee end or eee 1 5 17 ö Nen N zei 7 A ee L K wear en en drohen ieee .b ene ede Bi ee eee enk e Cee iA e eee IE eee ee ebe ‚DE. eee een . CA belle onde. au) ihc emo ‚Ei ‚ld copie EN d ER A* Seeanemonen: Allgemeines. 581 ſich nur noch der zweite Kreis regelmäßig ein, dann bleiben einzelne Strahlen früherer Kreiſe zurück, andere ſpäteren Urſprunges eilen im Wachstum nach und voraus, ſo daß die genaueſte Kontrolle notwendig iſt, um den Faden in der Aufeinanderfolge nicht zu verlieren. Lacaze-Duthiers hat uns ſogar an mehreren Beiſpielen gezeigt, wie ſchon in den früheſten Larvenſtufen die ſonſt das Wachstum und die ganze Anlage beſtimmende Sechszahl nicht zur Geltung kommt, ſo bei der gemeinen Pferde-Aktinie (Actinia equina). Wir geben eine Larve, welche ſchon etwas weiter vorgeſchritten iſt. Die Form der Larve iſt eine zweiſeitig ſymmetriſche, und dies iſt nicht die Folge einer nachträglichen Störung des etwa urſprünglich regelmäßig ſechsſtrahligen Körpers, ſondern das Reſultat einer ungleichmäßigen Zweiteilung des Embryos, wovon der größere fingerartige Fühler und der ihm gegenüberſtehende noch lange nach dem Übergange in den Zuſtand der feſtſitzenden Aktinie Zeugnis geben. Muſtern wir nun einige Familien. Die erſte Stelle nehmen die Seeanemonen oder Aktinien ein, eine der Hauptzierden der Aquarien. Über alle Meere verbreitet, ver— treten ſie in der gemäßigten Zone vorzugs— weiſe ihre Klaſſe, zeichnen ſich durch ihre Größe und ihr Leben als Einzeltiere aus und kommen vielfach in der Strandzone und überhaupt in ſolchen Tiefen vor, daß jeder— manns Blicke auf ſie gelenkt werden. Dazu trägt ihre lebendige, meiſt prächtige Färbung nicht wenig bei. Ihre Körperhaut iſt feſt und lederartig, oft mit Warzen bedeckt. Es ſondern ſich in ihr gar keine Kalkteilchen ab, das Tier iſt daher der größten Zuſammen— ziehungen und Formveränderungen fähig. Ausgenommen einige Arten, welche ſich mit ihrem Hinterteil in den Sand ſtecken oder ſich eine Wohnſcheide bauen oder abſondern, bedienen ſich die Aktinien ihrer Fußſcheibe zum Feſthalten und können auf ihr lang— ſam den Ort verändern. Unſere farbige Beilage, nach lebenden Exemplaren des Aquariums der zoologiſchen Station zu Neapel gezeichnet, zeigt uns eine Anzahl Aktinien in ihrer ganzen Schöne und Farben— pracht. Links vorn ſitzt ein ausgeſtrecktes und ein zuſammengezogenes Exemplar von der roten Varietät der ſehr farbenunbeſtändigen Pferdeaktinie (Actinia equina, Fig. I u. 2). Im Mittelgrunde ſehen wir links ziemlich in der Mitte des Bildes ein ausgedehntes und rechts nahe dem Rande ein ſtark kontrahiertes Exemplar der wunderſchönen grünen Carusſchen Seeroſe (Actinia Cari, Fig. 7 u. 19). Schöne Formen find auch die ge: ſtreiften Aktinien Ragactis pulchra (Fig. 4) und Cereactis aurantiaca (Fig. 10). Sehr variabel, aber immer elegant in der Färbung erſcheint die Sonnen-Seeane— mone (Heliactis bellis, Fig. 11, 12, 16 u. 17) und die durch gefleckte Fangarme aus— gezeichnete Aiptaſia (Aiptasia mutabilis, Fig. 20). In der Mitte im Vordergrunde unſeres Bildes kriecht ein Einſiedlerkrebs herum, der ſeinen Gaſt, die Mantelaktinie (Adamsia palliata, Fig. 13), mit ſich herumführt. Weniger in die Augen fallend zeigt ſich die mit ziemlich langen, cylindriſchen Tentakeln ausgeſtattete Eloactis Mazelii (Fig. 3, 5 u. 14). In der Form erſcheinen die langarmigen Seeanemonen noch eleganter als die kurzarmigen. Wie graziös läßt Anemonia sulcata (Fig. 18) ihre Tentakeln Larve der Actinia equina. Vergrößert. 582 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. ſchweben, wie hungrig reckt fie der in der Farbe wechſelnde Cerianthus membrana- ceus (Fig. 6, 6a, 8) nach allen Seiten; ſcheinbar apathiſch, aber nicht weniger gierig läßt ſie in der Mitte unſeres Bildes die warzenreiche Cladactis Costae (Fig. 9) herabhängen. Dieſe und noch einige andere Arten von Aktinien ſind die am beſten gedeihenden Bewohner der ſo lehrreichen Aquarien, wohin ſie ſogar aus fernen Meeren verſetzt werden können, indem ſie den Transport leichter als irgend andere Seetiere aushalten. Das Hamburger Aquarium bekam ſogar Seeroſen von der peruaniſchen Küſte; die kalte Paſſage um das Kap Horn hatte man ihnen durch Erwärmung ihrer Gefäße erträglich gemacht. Den Transport von 1—2 Tagen vertragen unſere in der Strandzone lebenden und an zeitweilige Entblößung gewöhnten Arten übrigens am beſten, wenn man ſie in Schachteln zwiſchen etwas Lattichulve (Ulva lactuca) verpackt. Hat man unterwegs Zeit, fie einmal mit etwas mitgenommenem Meerwaſſer zu erfriſchen, ſo iſt man ihrer ganz ſicher. Die äußere Schönheit und Farbenpracht, das ſtille Weſen, die blumenhafte Beſcheiden— heit verbergen die äußerſte Gefräßigkeit der Aktinien. Sie würgen große Stücke Fleiſch hinab, am liebſten aber ſaugen ſie Miesmuſcheln und Auſtern aus. Ich habe oft mit Vergnügen der Fütterung im Aquarium zugeſehen, wozu ſich natürlich am beſten die großen Arten mit langen Fangarmen eignen. Denn als wahre Fangarme erweiſen ſich alsdann die Fühler. Die Aktinie ſitzt, weil keine Berührung oder Witterung aus nächſter tähe fie erregt, ſtill und blumenhaft da. Aber kaum bringt der Wärter ein Stück Fleiſch, einen kleinen Fiſch oder Krebs an den Fühlerwald, als dieſe auch ſchon wie auf einen Schlag ſich um die Beute legen und ſich mit ihr in den Vorraum zur Magenhöhle ver— ſenken. Von dem ihnen gereichten Fleiſch preſſen ſie nicht etwa nur den Saft aus, ſondern ſie verdauen es vollſtändig. Nur die Fettmaſſen, welche man ihnen mit magerem Fleiſch zuſammen reichte, wurden, wie man im Aquarium beobachtete, wieder ausgeſtoßen. „Gut gefütterte Aktinien“, ſagt Möbius, „häuten ſich oft, ſicherlich deshalb, weil ſie bei reichlicher Nahrung ſchnell wachſen. Während der Häutung halten fie ſich niedrig zuſammengezogen; dehnen ſie ſich, nachdem dieſe vollbracht iſt, wieder aus, ſo umgibt die abgeſtoßene Haut die Baſis ihres Fußes als ein lockerer, ſchmutziger Gürtel.“ Von der Fütterung der Mantelaktinie (Actinia s. Adamsia palliata, Voll bild Fig. 13) durch ihren Freund und Wohnungsgeber, den Einſiedlerkrebs, haben wir früher erzählt (S. 39). Ich komme hier nochmals darauf zurück, weil es ein ſcheinbar un— vermitteltes und deshalb ſchwer oder nicht erklärliches Verhältnis betrifft. Allein ſo iſoliert ſteht es nicht da. Die Aktinien heften ſich nur da an, wo die Waſſerſtrömung ihnen Fleiſch— nahrung zuführt. So erhalten die zwiſchen Flut- und Ebbemarke ſitzenden Arten bei jeder Flut eine neue lebendige Umgebung. Von je ſtärkerer Strömung eine felſige Küſte getroffen wird, ein Hafeneingang, ein Molo, um ſo ſicherer kann man neben anderen Tieren auch einer großen Anzahl von Aktinien gewärtig ſein. Es liegt daher nahe, daß einzelne Aktinien— arten mit der Zeit die Gewohnheit angenommen haben, auf ſolchen Tieren ſich anzuſiedeln, deren eignes Nahrungsbedürfnis ſie im bewegten Waſſer umhertreibt. Wir ſehen, daß die Einſiedlerkrebſe mit ihren Schneckenhäuſern am geeignetſten geweſen ſind, und ſo finden wir z. B. die große gelb und braun geſtreifte Actinia effoeta (Abbild. S. 583) vorzugs— weiſe mit dem Pagurus striatus aſſociiert, einem der größeren Einſiedlerkrebſe des Mittel— meeres, der entſprechend große Schneckenſchalen brauchte. 2—3 Exemplare dieſer Aktinie ſitzen oft an einem Pagurus, der ziemlich träge iſt und ſich um ſeine Bürde gar nicht be— kümmert. In dieſem Falle iſt die Seeanemone nur durch das Umherwandern ihres Haus— herrn im Vorteil für ihre Ernährung. Man ſieht aber, wie die beſondere Stellung, welche die Mantelaktinie zum Krebſe einnimmt, nur ein Schritt weiter in der gegenſeitigen An— gewöhnung iſt. Die Stellung der Mantelaktinie am Einſiedlerkrebs iſt, an ſich betrachtet, Seeanemonen: Lebensweiſe, Fortpflanzung 2c. 583 die unbequemſte, die man ſich denken kann. Die Mantelaftinie beſitzt aber in den beiden ſeitlichen Fußlappen ein Hilfsmittel, den Krebs leicht und ſicher zu umfaſſen und ſo ihre Lage mit dem Vorteile der leichten Nahrungszufuhr in Übereinſtimmung zu bringen. Da die Aktinien mit den wenigſten Umſtänden in der Gefangenſchaft gehalten werden können, hat man ihre Vermehrung am genaueſten beobachtet. Sie gehören zu den nicht zahlreichen Sippen, welche keine Stöcke bilden, und deren Fortpflanzung auf die Entwicke— lung mit ſeltenen Ausnahmen aus den Eiern beſchränkt bleibt. Der eifrige Beobachter lebender Tiere, Dalyell, erhielt eine Aktinie 6 Jahre lang und zog von ihr 276 Junge. Zwei dieſer ſelbſt gezogenen Tiere lebten 5 Jahre, zeugten mit 10—12 Monaten Eier und lieferten mit 12— 14 Monaten Brut. Er ſah auch, daß die bewimperten infuſorienförmigen Larven nach 8 Tagen zur Ruhe gelangten und ihre Wimpern verloren, worauf nach einigen Tagen, während ſie ſich feſtſetzten, die erſten Tentakeln zum Vorſchein kamen. Häufig machen die jungen Aktinien in der Leibeshöhle der Mutter ihre ganze Verwandlung durch. Aber auch im freien Zuſtande ſind viele oberflächlicher lebende Arten leicht zugänglich. Wie und wo man die zahl— reichen Aktinien der britiſchen Küſten findet, erzählt der um das Halten der niederen Tiere in Aquarien ſo verdiente Goſſe in einem mit vielen guten Kupfern ausgeſtatteten Buche. Noch eingehender ſind Lacaze-Duthiers' Beob— achtungen über einzelne Arten, deren Bau er ſtudierte, und über deren Vorkommen und Lebensweiſe er ſich behufs der Bearbeitung ihrer Entwickelungsgeſchichte unterrichtete. So erfahren wir von ihm über die an der europäiſchen Küſte ſo gemeine Pferdeaktinie (Actiniaequina, Vollbild, Fig. I u. 2) eine Menge von Einzelnheiten, die uns den Lebenslauf ö == SS dieſes Tieres vor Augen ſtellen. Er fand die Pferdeaktinie 2 1 > längs der Küfte des Kanals an allen felſigen Lokalitäten Sean a in der Höhe des niedrigſten Waſſers, d. h. in der Zone des Blaſen⸗ und Sägetanges (Fucus vesiculosus und F. serratus). Die Farbe variiert zwiſchen Scharlach, Roſenrot, Dunkelrot, Braun bis Olivengrün, und als ſpezielles Kennzeichen findet ſich unter der Fühlerkrone ein Kranz von ſchönen blauen Warzen. Für den Beobachter eignen ſich beſonders diejenigen Individuen, welche, um dem direkten Lichte auszuweichen, ſich unter den Wölbungen der Felſen angeſiedelt haben. Dort hängen ſie zur Ebbezeit wie klare, durchſichtige, mit Waſſer gefüllte Blaſen. Die ſo ausſehenden Individuen ſcheinen einer eignen Varietät anzugehören, während eine andere intenſiver rot gefärbte mit ſehr entwickelten blauen Warzen und grünen Punktreihen, welche den Hauptfühlern entſprechen, jene zu ſein ſcheint, die in Dalyells Aquarium 5 Jahre aushielt. Sie war vom Juni bis September mit Eiern erfüllt, trug jedoch niemals Larven in ſich, während die durchſichtige kleinere Varietät neben jenen gewöhnlichen Embryonen von allen Entwickelungsſtufen um— ſchloß. Jener erſten ſteht die Actinia equina des Mittelmeeres ſehr nahe; auffallender— weiſe fand aber Lacaze-Duthiers bei dieſer während der ganzen guten Jahreszeit, vom April bis in den Herbſt hinein, keine Eier. Auch aus anderen Beobachtungen ergab ſich ihm das Reſultat, daß die Fortpflanzungszeit der Aktinien nach Standort und Art ſehr wechſelt. Als er bei Dünkirchen einſt mitten im Winter bei Schnee und wechſelnder Kälte den ſan— digen Strand durchſuchte, fand er zu ſeinem Erſtaunen eine trächtige kleine Sagartie. Da wir vorausſetzen können, daß mancher Liebhaber „mikroſkopiſcher Gemüts- und Augenergötzungen“ bei einem Aufenthalt am Meeresſtrande ſich die eine und andere Aktinie mit ihren Jungen näher anſehen möchte, ſo laſſen wir uns von dem Pariſer Zoologen 584 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blum enpolypen. noch erzählen, wie er die Embryonen ſammelte und die Tierchen beobachtete. Er ſagt: „Die Embryonen der verſchiedenen Seeanemonen kann man ſich nicht auf dieſelbe Weiſe verſchaffen. Das Vorgehen, womit man bei einer frei lebenden zum Ziele gelangt, iſt nicht anwendbar bei ſolchen, die ſich in den Sand graben oder in die Felsſpalten zurück— ziehen. In dem Falle, der uns beſchäftigt, bei der Unterſuchung der Pferdeaktinie, kann man die Tiere, welche man für trächtig hält, ablöſen, um zu Hauſe die Jungen aus ihnen herauszunehmen. Dabei läuft man aber Gefahr, nicht trächtige Individuen mitzu— nehmen und Zeit zu verlieren, auch ſind die jüngſten Embryonen in den Falten des Leibes ſicher ſehr ſchwer zu erkennen. Ich ſchlug daher folgendes Verfahren ein. „Nicht weit von meiner Wohnung hatte ich eine jener Felshöhlen entdeckt, wo vor dem Sonnenlichte geſchützt ſich die Aktinie anzuheften pflegt, den Fuß nach oben, den Fühlerkranz nach unten. Dorthin ging ich, ausgerüſtet mit einem Glasgefäße mit weiter Offnung, Uhrgläſern und einem ſpitzen und ſcharfen Meſſer. An der Wölbung der kleinen Grotte ſuchte ich mir die Tiere aus, welche am vollſten geblieben waren und wie kleine durchſcheinende Blaſen dahingen. Ich ſtach ſie an und ſammelte die Flüſſigkeit, die aus der Wunde ſtrömte, und mit ihr die in der Leibeshöhle enthaltenen Embryonen. Damit nichts verloren ginge, ſchabte ich noch mit einem Uhrglaſe die abgeſchnittene Aktinie ab und erhielt jo auch die jüngſten Entwickelungsſtufen. Nach Haufe zurückgekehrt, verteilte ich die am Strande geſammelte Flüſſigkeit in kleine Beobachtungsgläſer, aus denen ich unter der Lupe diejenigen Jungen, welche ich mit dem Mikroſkop beobachten wollte, mit einer feinen Saugröhre aushob. Hat man am Strande eine gute Anzahl Aktinien geöffnet, ſo erkennt man an einem ſchwer zu beſchreibenden Etwas ſchon von außen die trächtigen Individuen. „Offnet man eine Mutteraktinie, ſo haben die herausſchlüpfenden Jungen eine große Neigung, ſich aufzublähen und zu entfalten. Das dauert oft 1 oder 2 Stunden, mitunter länger, und ohne Zweifel regt der Wechſel des Aufenthaltes ihre Lebensgeiſter an und macht ſie beweglicher. Man thut alſo am beſten, ſie bald nach ihrer künſtlichen Geburt zu beobachten, wo die durch das Aufblähen verurſachte Durchſichtigkeit und die durch die neue Umgebung geſteigerte Beweglichkeit erlauben, durch die Hautbedeckungen in das Innere des Tierchens zu ſehen und es während ſeiner Drehungen von allen Seiten zu betrachten. Auch kann man die jüngſten Larven nur kurze Zeit nach dem Kaiſerſchnitt ſicher und ohne Zeitverluſt finden. Sie ſind nämlich träger als die vorgeſchrittenen, und man erkennt ſie nur an ihren Bewegungen unter allen den in der Flüſſigkeit ſchwimmenden Teilchen. Längere Zeit, nachdem ſie die Mutter verlaſſen, fallen ſie auf den Boden des Gefäßes, bewegen ſich kaum und ſind ſchwer aufzufinden. Auch diejenigen, welche wohl gebildet und ſehr lebendig ſind, machen endlich nur eine drehende Bewegung nach einer Richtung und um einen Punkt, ſo daß man ſie nur von einer Seite betrachten kann. Auch ziehen ſie ſich ſehr zuſammen, ſo daß man oft glauben möchte, man hätte zwei verſchiedene Ent— wickelungsſtufen vor ſich gehabt, wenn man ein und dasſelbe Tier unmittelbar nach der künſtlichen Frühgeburt und dann einige Stunden ſpäter beobachtet. „Von großem Nutzen bei der Unterſuchung ſind Glasgefäße mit ebenem und dünnem Boden, denn nur mit Hilfe ſolcher kann man die etwas größeren Embryonen beobachten. In der That ſieht man junge Aktinien mit ſchon 24 oder 48 Fühlern ſich gleich nach dem Austritt aus der Mutter feſtſetzen, dann ſich aufblähen und entfalten. Dieſen Augenblick muß man wahrnehmen, denn ſpäter ſchließen ſie ſich oft hartnäckig, der Mundring zieht ſich gewaltſam zuſammen, ſo daß Fühler und Scheidewände zuſammengepreßt werden und man nichts unterſcheiden kann.“ Blattaktinien. Aktinien der Tiefſee. 585 Die meiſten Aktinien ſind mit mehreren Kreiſen gleich ausſehender cylindriſcher Fühler verſehen. Von beſonderer Schönheit ſind diejenigen Arten, welche außer den gewöhnlich geſtalteten Fühlern entweder innerhalb oder außerhalb derſelben gelappte blattförmige Taſt⸗ und Greifwerkzeuge beſitzen. Sie bilden die Unterfamilie der Blattaktinien. Eine ſchöne Form derſelben (Crambactis, ſ. untenſtehende Abbild.) hat Haeckel feiner Zeit im Roten Meere entdeckt und in ſeinem prächtig ausgeſtatteten Werke: „Arabiſche Korallen“, abgebildet. Seiner Beſchreibung entnehmen wir, daß die auf den Korallenbänken von Tur gefundene Gattung ſich dadurch auszeichnet, daß oben zunächſt um den Mund herum ein mehrfacher Kranz von zahlreichen zarten Fangarmen ſich befindet, welche die Geſtalt von Blattaktinie (Crambactis arabica). Etwas verkleinert. dünnen, krauſenartig gefalteten Kohl- oder Endivienblättern beſitzen. Darunter ſteht ein Kranz von zahlreichen dicken Fangarmen, welche von den erſteren ganz verſchieden, derb— häutig, nicht gefaltet und von einfach ſpindelförmiger Geſtalt ſind. Der eigentliche Körper iſt eine niedrige cylindriſche Scheibe. Die Aktinien der Tiefſee ſind teilweiſe von ſehr hohem Intereſſe. Eine Anzahl von ihnen zeigt, wie wir durch die ausgezeichneten Unterſuchungen Richard Hertwigs wiſſen, ganz merkwürdige Umbildungserſcheinungen. Bei allen Aktinien ſind die Fühler hohl und haben oben an der Spitze eine feine Offnung, durch die beim Zufammenziehen des Tieres das den inneren Hohlraum einnehmende Waſſer ausgeſtoßen wird. Bei den Tiefſee— aktinien treten nun ſehr ſonderbare Modifikationen dieſer Organe auf. Bei der Gattung Polysiphonia (Abbild. S. 586) find dieſelben kurz und zum Ergreifen und Halten der Beute gar nicht geeignet, aber die Offnung an ihrem freien Ende iſt groß und durch ſie ſtrömt Waſſer und mit dieſem organiſcher Detritus als Nahrung ein. Sicyonis hat 64 in einem Doppelkranze um den Mund ſtehende warzenförmige, weitgeöffnete Tentakeln, und bei Liponema multiporum iſt die Körperwand von mehreren hundert Löchern durchſetzt die in den Magenraum führen und den Fühlern entſprechen. Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. O [0,0] or} Wir haben die Aktinien als Einzeltiere kennen gelernt, wie fie aus dem Ei hervor: gehen. Dies iſt allerdings die am häufigſten vorkommende Fortpflanzungsweiſe. Aber einige Arten vervielfältigen ſich mit der größten Leichtigkeit durch kleine von der Fußſcheibe ſich ablöſende Teilſtücke. Der Pariſer Zoolog Fiſcher beobachtete dieſen Prozeß bei der an den franzöſiſchen Küſten lebenden Sagartia pellucida. Die am 23 Auguſt vom Fuße abgefallenen Stückchen hatten ſich bis zum 7. September ſchon zu kleinen Aktinien mit 15—16 Fühlern entwickelt. Vermehrung durch Spaltung ſcheint bei manchen Arten, z. B. Sagartia ignea, gewöhnlich zu ſein; das Ende dieſer Fortpflanzungsweiſe iſt jedoch immer die völlige Abtrennung der Individuen. Nun iſt aber in der Natur nichts ohne Übergang, und ſo gibt es auch ſtockbildende Aktinien, die der Syſtematiker aber nicht mehr ligten nennt, ſondern unter dem Familien— namen der Zoantharien (Zoan- tharia) zuſammenfaßt. Ihre Zahl iſt nicht bedeutend, doch hält es nicht ſchwer, ſie auch an unſeren Küſten zu finden. Man unter⸗ ſcheidet die Gattung Zoanthus, bei welcher die Individuen einzeln durch einen ſich veräſtelnden, kriechen— den Wurzelſtock miteinander ver— bunden find, von Palythoa, wo gewöhnlich der vereinigende Stock eine wurzelmäßige Kruſte bildet und die Polypen in kleineren oder größeren unregelmäßigen Haufen beiſammen ſitzen. Beide Gattungen haben noch die gemeinſchaftliche Eigentümlichkeit, daß ſie fremde lin feſte Körper des verſchiedenartigſten Polysiphonia 5 Natürliche Größe. Urſprunges, Sand, Schwamm— nadeln, Bruchſtücke von Muſcheln und Korallen, in großer Menge in ihre Leibeswandungen aufnehmen. Dieſe erlangen da— durch eine ſolche Feſtigkeit, daß beim Eintrocknen die Form des Polypen vollſtändig erhalten bleibt. Die Thatſache iſt bei näherer Erwägung eine erſtaunliche, da das ganze Leben dieſer Tiere aus einer ununterbrochenen Kette von Verwundungen und bleibenden Beſchädigungen des Körpers beſteht. Ich kenne in der ganzen übrigen Tierwelt kein annähernd ähnliches Beiſpiel. Nur einzelne Schwammarten laſſen ſich entfernt damit vergleichen; doch iſt man gewohnt, die Empfindlichkeit der Schwämme für ſehr gering anzuſchlagen, wogegen die Zoantharien die ſo empfindlichen Aktinien zu nächſten Verwandten haben. Man muß jedoch beachten, daß nur das Hinterende von dieſen Verwundungen betroffen wird, der Teil, der dem ſich einſtülpenden Vorderende als Kapſel dient und alſo gerade durch die Aufnahme der fremden Körper zu dieſer Rolle beſonders geeignet wird. So unanſehnlich die in Spiritus aufbewahrten Palythoen erſcheinen, ebenſo ſchön und lieblich ſehen die lebendigen und voll— kommen entfalteten Tiere in ihrer ſchwefelgelben Farbe aus. Am intereſſanteſten ſind diejenigen Arten von Palythoa, welche auf beſtimmten Arten von Schwämmen ſich anſiedeln. Am meiſten wieder unter dieſen hat die Palythoa fatua von ſich reden gemacht, der unausbleibliche Geſellſchafter eines der merkwür— digſten Schwämme, nämlich des japaniſchen Glasſchopfes (Hyalonema mirabile). Über Zoanthus. Palythoa. 587 den letzteren haben wir an ſeinem Orte zu ſprechen. Hier zeigen wir an einer unge— fähr auf ein Drittel der natürlichen Größe verkleinerten Abbildung, wie die Palythoa in Geſtalt einer warzigen Rinde den Teil des im Schlamme wurzelnden Stieles des Schwammes überzieht, welcher über den Boden hervorragt. Um 1860 waren in die europäiſchen Muſeen nur einzelne Exemplare des bei den Japanern als Nippes ſehr beliebten Glasſchwammes gelangt, alle mit ihrem Aufwohner, der Palythoa. Die berühmteſten Mikroſkopiker ſtritten ſich dar— über, ob das Ganze ein Poluypenſtock mit ihm angehörigen Kieſelnadeln, oder ein Polypenſtock, der ſich auf einem künſtlich zu einem Spielwerke zuſammengefügten Bündel Schwamm— nadeln angeſiedelt habe, oder endlich, ob das Ganze ein Schwamm ſei, zu dem die vermeintlichen Polypen als Teile gehörten. Es bedurfte der genaueſten Zergliederung durch den berühmten Mikroſkopiker Max Schultze, um alle drei Annahmen als irrig zu erweiſen und das Verhältnis der Palythoa zum Schwamme als „Kommenſalismus“ oder „Tiſchgenoſſenſchaft“, wie van Beneden der Altere es ge— nannt hat, aufzuklären. Faſt um dieſelbe Zeit hatte ich im Adriatiſchen Meere eine der japaniſchen Art ſehr nahe ſtehende Palythoa ge— funden und zwar ausſchließlich ebenfalls auf Schwämmen, zwei nahe verwandten Arten, Axinella verrucosa und cin- namomea. Unter vielen Hunderten von Exemplaren dieſer Schwämme, welche damals und ſpäter durch meine Hände ge— gangen ſind, iſt kein einziges ohne ſeine Palythoa geweſen. Der Polyp pflanzt ſich natürlich zu gewiſſen Zeiten durch Eier fort, die ausſchlüpfenden Larven gehen aber offenbar zu Grunde, wenn ſie nicht ihren Schwamm auffinden. Daß ſie auf den Strecken des Meeresbodens, wo die Axinellen ge— deihen, z. B. in der ſchönen Hafenbucht von Sebenico, maſſen— haft ſchwärmen, zeigt ihre Anweſenheit auf allen Schwamm— exemplaren. Wie aber finden ſie dieſelben und woran er— kennen ſie den ihrem Wohle freundlichen, gleich einer Pflanze feſtgewurzelten Genoſſen? Man wird geneigt ſein, zu ant— worten: durch den Inſtinkt. Damit kommt man aber um kein Haar weiter, wenn man nicht einen beſtimmten faßlichen Begriff davon ſich erworben hat. Auch paßt, ſelbſt wenn man unter Inſtinkt vererbte, in der Vererbung allmählich befeſtigte und von den Nachkommen unbewußt ausgeführte Gewohnheitsthätigkeiten verſteht, eine ſolche Erklärung auf unſeren Fall nicht. Das Auffinden und Erkennen der Ari: nellen durch die ſchwärmenden Palythoa-Larven iſt nur durch ein unſeren Sinnesthätigkeiten ähnliches Empfindungsver— Palythoa fatua, auf Hyalonema angeſiedelt. * natürl. Größe. mögen erklärbar, da der Zufall aus offen daliegenden Gründen rundweg ausgeſchloſſen iſt. Für unſere Naſen ſind gerade jene beiden Axinellen ſehr ken itlich, ſie geben friſch, und ſelbſt längere Zeit, nachdem man ſie hat eintrocknen laſſen, einen ausnahmsweiſe guten, würzigen Geruch von ſich. Hätten die jungen Palythoen etwas einem Geruchsorgane — 588 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Vergleichbares, ſo würden ſie ſich davon leiten laſſen. Ein Etwas, das, wenn es auch weder Geruchs-, noch Geſchmacks-, noch Gefühlswerkzeug nach unſeren, aus der Beſchaffenheit der höheren Tiere gebildeten Begriffen iſt, doch in Wirkung und Nutzen mit allen dieſen verglichen werden kann, müſſen die Larven beſitzen. Wir haben es in den Hautzellen zu ſuchen, welche nicht bloß den ſchützenden Überzug bilden, ſondern bei den niedrigſten Tieren auch die Empfindung im allgemeinſten und unbeſtimmteſten Sinne des Wortes vermitteln. Die Palythoa iſt kein eigentlicher Paraſit, ich möchte ſogar zurücknehmen, was ich oben von der Tiſchgenoſſenſchaft geſagt. Sie nährt ſich weder von den Säften und Weich— teilen des Schwammes, noch zehrt ſie von deſſen Nahrung. Sie verlangt von ihm nur Grund und Boden auf ſeinem Leibe und verſpeiſt, was ihr von auswärts das Glück zuführt. Ob dem Polypen ein reeller Nutzen daraus erwächſt, daß er von den Schwammnadeln in ſo unglaublicher Weiſe durchſpickt wird, oder ob er ſich nur, nach vielen Leiden ſeiner Vorfahren, welche anderer Vorteile willen mit ertragen wurden, daran ge— wöhnt hat, getraue ich mich nicht zu entſcheiden. Einige Arten von Palythoa (Epizoanthus) ſiedeln ſich auf den von Eremitenkrebſen bewohnten Schneckenhäuſern an. Sie kommen zwar nicht an den europäiſchen, wohl aber längs den nordameri— kaniſchen Küſten vor, auch habe ich jüngſt dergleichen von Kerguelen erhalten. Sie überziehen nach und nach das Gehäuſe als eine un— unterbrochene, mehrere Linien dicke Maſſe, über welche die einzelnen Polypen noch ebenſo hoch ſich erheben können. Das Schneckenhaus löſt ſich unter dieſer Decke ganz auf, und dann bildet der Polypen— ſtock allein das Futteral für den Krebs. Der Dienſt iſt ein gegenſeitiger; es ſind nach van Beneden Mutualiſten. Der Krebs wird durch den Polypen mit einem ſchützenden Mantel ver— ſehen, und der Polyp wird von jenem umhergefahren und mit friſchem Waſſer und neuer Nahrung verſorgt. Ein höchſt wunderliches, den Zoantharien wohl noch am nächſten verwandtes Weſen hat Korotneff unter dem Namen Polyparium ambulans beſchrieben. Er fand das Tier in der Straße, welche die Inſel Mendano von der Inſel Billiton trennt. „Es iſt“, ſchreibt Korotneff, „eine Kolonie von 7 em Länge und 15 mm Breite, die von oben nach unten abgeflacht iſt und deswegen bandartig ausſieht. Ein vorderes und ein hinteres Ende ſind nicht zu unterſcheiden. Die obere Fläche der Kolonie iſt von ganz eigenartigen Polypen, die ſchornſteinartig ausſehen, bedeckt; die Baſis jedes Polypen iſt viel breiter als der Gipfel, welcher eine runde Offnung trägt.“ Jeder Polyp iſt etwa 1 mm breit und hat keine Tentakeln. Sie ſtehen zu 5—8 in unregelmäßigen Querreihen und ſind von verſchiedenem Alter, daher auch von verſchiedener Größe. Die Unterſeite, mit der die Kolonie aufſitzt, iſt von knopfförmigen Saugnäpfen beſetzt. Die Größe derſelben iſt zwar auch ſehr verſchieden, aber ſie ſteht in ganz regelmäßigen, durch Furchen voneinander getrennten Reihen. Sie dienen zum Fixieren der Kolonie, vermitteln aber auch deren Kriechen. „Wie war ich erſtaunt“, ruft Korotneff aus, „als ich bemerkte, daß die Kolonie fähig war, den Platz zu verlaſſen und leiſe an kleinen Steinchen auf- und abkletterte.“ Die Polypen beſitzen keine Magenſcheidewände, ihre Innenſeite iſt vielmehr vollkommen glatt. Unten ſind die Polypen nicht abgeſchloſſen, ihr Binnenraum öffnet ſich vielmehr in eine große Höhlung, welche die ganze Kolonie innerlich durchzieht. Dieſelbe iſt durch quere, in gleichen Abſtänden ſtehende Scheidewände getrennt. Palythoa Axinellae. Etwas verkleinert. Antipathaceen. Korallentiere. 589 Die Familie der Antipathaceen mit der Hauptgattung Antipathes will inſofern in das ſyſtematiſche Gerippe nicht paſſen, als es ſich hier nicht um vielkreiſige, ſondern um einkreiſige Polypen handelt. Jedoch iſt Sechs die Grundzahl, und die meiſten Arten von Antipathes haben ſechs Fühler. Sie bilden zuſammengeſetzte Stöcke, welche das Ausſehen zarter Stauden mit langen Aſten haben (j. untenſtehende Abbild.). Dieſe bekommen ihren Halt durch eine hornartige biegſame Achſe, über deren Abſonderung wir uns unten bei Be— ſchreibung der Rinden- und Hornkorallen belehren wollen. Die Höhe eines von Dana bei den Fidſchi⸗Inſeln gefundenen Stockes betrug 3 Fuß, die Dicke des Stammes einen halben Zoll. Die ganze Geſtalt bräunliche Farbe und die plumpen Fühler der klei⸗ nen Polypen machen die Tiere nicht anziehend. Wir kommen nun zu denjenigen Familien unſerer Ordnung der vielkreiſigen Polypen, welche als Einzeltiere einen kalkigen Stock ab— ſondern. Bilden ſie zu: ſammengeſetzte Stöcke, ſo pflegen die Einzelſtöcke durch feſte Füllmaſſe (Cönenchym) verbunden zu ſein. Wir haben das Verhältnis der Hartteile zu den weich bleiben— den Organen ſchon oben im allgemeinen geſchil— dert, müſſen aber noch etwas näher auf die von ö der Syſtematik zu be⸗ Antipathes arborea. Natürliche Größe. rückſichtigenden und zum Verſtändnis der Korallentiere gehörigen Verhältniſſe eingehen. Das auf S. 590 oben abge— bildete Skelett des Thecocyathus cylindraceus läßt uns oben in den Kelch ſehen, die Ver: tiefung, in welche unter Austreibung von Waſſer und wäſſerigem Inhalt der Leibeshöhle der immer weich bleibende Vorderteil des Polypen ſich einſenken kann. Die Seitenwand oder Mauer iſt glatt. Von ihr aus erſtrecken ſich die ſenkrechten Scheidewände oder Septa nach innen. Sie entſprechen nach Größe, Stellung und Reihenfolge den Fühlern und den weichen Scheidewänden, zwiſchen deren Blättern ſie ausgeſchieden werden. Bei vielen Polypen treten über die Außenſeite der Wand, gleichſam als Fortſetzungen der inneren Scheidewände, ſchmale glattrandige oder gezackte und gezähnelte Rippen hervor. Andere wichtige Teile des Stockes laſſen ſich zwar auch ſehen, wenn man von oben in den Kelch blickt, kommen aber erſt an ſenkrechten Durchſchnitten klar zum Vorſchein. An dem unverſehrten Endzweig der Dendro— phyllia ramea (A, untere Abbildung S. 590) können wir uns nun davon überzeugen, 590 Hohltiiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. daß die langgeſtreckten Kelche eine faſt glatte Außenwand haben. Am Durchſchnitt (B) ergibt ſich, wie tief die Fühler zurückgezogen werden (a), wie dick die Wand (b) iſt und wie weit die Scheidewände gegen die Achſe vorſtehen. Wir ſehen nun auch, daß der dem Munde entgegengeſetzte Pol völlig verkalkt iſt, das Fußblatt, und daß von dieſem aus ſich zu beträchtlicher Höhe eine Säule erhebt. Die Beſchaffenheit derſelben iſt eine ſehr verſchiedene; ſehr oft fehlt ſie. Kleine ſtabartige Erhebungen, welche häufig im Kreiſe um die Säule ſtehen, heißen Pfähle. Nicht ſelten läßt ſich von der eigentlichen Kelchmauer noch eine beſonders dünne und glatte Hüllſchicht, auch Epithek genannt, ablöſen. Die mit einem ſo oder ähnlich beſchaffenen Stocke ver— ſehenen Polypen kann man unter dem Namen der Stern— korallen (Astraeaceae) zuſammenfaſſen. Die eine Gruppe von Familien, die Sternkorallen mit poröſem Skelett (Lochkorallen), zeigt ein etwas lockeres Gefüge ihrer Hartteile, welche von mikroſkopiſchen, oft auch mit unbewaffnetem Auge ſichtbaren Gängen und Löchern durchbrochen ſind. Einer der am genaueſten unterſuchten Repräſentanten dieſer Abteilung iſt die im Mittelmeer an vielen Stellen äußerſt gemeine Kelch-Sternkoralle, Astroides calycularis (Abbild. S. 591). Am bequemſten macht ſich der Beſucher des Aquariums der zoologiſchen Station in Neapel mit ihr bekannt, wo die Wände einer der großen Grotten mit dieſem ſtockbildenden Polypen bedeckt ſind. Die fleiſchi— gen Teile ſind gelbrot und das weiche Vorderende der Einzeltiere kann ſich ungewöhnlich hoch ausſtrecken. Sie ſind nur am Grunde ihrer ſchlanken, röhrenartig nebeneinander ſtehen— den Kelche miteinan— der verbunden, ohne Zwiſchenmaſſe, und Thecocyathus eylindraceus. Natürliche Größe. NZZ Wien Dendrophyllia ramea. A) Endzweig eines Stockes. Natürliche Größe. B) Einzelner Kelch im Längsdurchſchnitt. Vergrößert. gleichen dann der auch im Mittelmeer gemeinen Raſenkoralle, ſo daß der Stock keine beſondere Feſtigkeit erlangt und mit geringer Gewalt zerbröckelt werden kann. Der Geſamteffekt, wenn die Sonne auf dieſe lebendigen Wände ſcheint, iſt ein äußerſt pracht— voller und gibt eine Ahnung von dem, was den Reiſenden auf den Korallenriffen der ſüdlichen Meere erwartet. Wer die Koralle bei Neapel an ihrem natürlichen Standpunkte aufſuchen will, muß ſich um das ſteil abfallende Kap des Poſilippo herum nach dem kleinen Eiland Niſita rudern laſſen. Schon die Felſengewölbe des Kaps ſind unter Waſſer mit einer Fülle niederer Tiere, darunter unſere Koralle, bekleidet. In größerer Menge findet ſie ſich aber in dem langen, aus dem Tufffelſen gehauenen, verdeckten und halb Sternkorallen. Kelch-Sternkoralle. 591 unter Waſſer ſtehenden Kanal, deſſen Offnung der Landungsſtelle am Poſilipp gegen— überliegt. Ein anderer Lieblingsaufenthalt iſt die blaue Grotte in Capri ſowie die übrigen Höhlungen, welche man bei einer Rundfahrt um die liebliche Inſel beſuchen kann. Über das Vorkommen der Astroides-Koralle an der afrikaniſchen Küſte berichtet Lacaze-Duthiers mit gewohnter Anſchaulichkeit und Ausführlichkeit. Seine Beobach— tungen über die Entwickelung der Jungen und die Entſtehung des Stockes find höchſt wertvoll. Wir laſſen uns daher abermals von dem franzöſiſchen Naturforſcher erzählen. „Als ich mit der Unterſuchung des Vorkommens und des Wachstums der Edelkoralle in Algier beauftragt war, hatte ich meine Studien im Oktober begonnen und zwar zur Sicherheit des zu meiner Verfügung ſtehenden Küſtenwachtſchiffes in Fort Genois, weſtlich von Bona, wo der Ankergrund gut und verhältnismäßig ſicher iſt. Kelch-Sternkoralle (Astroides calyeularis). Natürliche Größe. „Faſt einen Monat hindurch unterſuchte ich die Edelkoralle, und bei den häufigen Exkurſionen längs der Küſte hatte ich etwa einen Fuß unter dem Waſſerſpiegel Bänke eines orangeroten Polypen beobachtet, welche die Felſen bedeckten, und deren vom Meere gerollte und gebleichte Stöcke ich an den kurzen ſandigen Uferſtrecken hier und da in den kleineren Buchten gefunden hatte. Wiederholt hatte ich auch beim Baden Gruppen dieſer ſchönen Tiere abgebrochen und bewundert. Obwohl ich damals und ſpäter, im April und Mai, dieſe Polypenraſen anſchnitt, konnte ich nichts auf die Fortpflanzung Bezügliches ent— decken. Erſt im Juni, als zufällig einer meiner Matroſen ein Stück von dem Gebilde abtrennte, welches ihnen allen unter dem Namen „Polyp“ bekannt war, und als dabei einige Tiere auseinander geriſſen wurden, ſah ich kleine, orangerot gefärbte Körperchen im Waſſer ſchwimmen. Ich ſah mir die Polypen näher an und überzeugte mich, daß ſie in voller Fortpflanzungsthätigkeit begriffen ſeien.“ Dies war der Ausgangspunkt der Studien von Lacaze-Duthiers über Astroides, welche er mehrere Jahre hindurch fortſetzte, und aus denen hervorging, daß die Zeit der Vermehrung zwiſchen April und Auguſt fällt, vorzugsweiſe aber auf den Juni. Über die beſonderen Verhältniſſe des Vorkommens und Lebens unſeres Polypen an jenen Küſten erfahren wir folgendes: „Gleich vielen anderen Polypen pflegt auch er ſich 592 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. etwas unter den Felſen anzuſiedeln; das direkte Sonnenlicht vermeidet er. In Fort Genois, Bona, auf den Riffen halbwegs zwiſchen Bona und Fort Genois, in Lacalle, im Hafen von Algier, ſieht man in geringer Tiefe an den Abhängen der Felſen ſchöne orangerote Streifen mitten unter den dicht und haufenweiſe wachſenden Organismen, wie Korallinen, Melobeſien, Schwämmen, Wurmſchnecken, Moostieren ꝛc., kurz, unter jener Fülle verſchiedener Weſen, welche ſich unter der Strandzone entwickeln, in dieſer luft— haltigen Schicht den Kampf um das Daſein kämpfen und jene flächenhaften Anhäufungen bilden, welche de Quatrefages in ſeinen reizenden „Erinnerungen eines Naturforſchers“ („Souvenirs d'un Naturaliste“) und ſeiner „Sizilianiſchen Reiſe“ („Voyage en Sicile“) geſchildert hat. Wo ſie am beſten gedeihen und am dichteſten ſtehen, in einigen kleinen Buchten, entblößt ſich bei jedem Zurückrollen einer Welle ein roter Streifen. Die beſte Unterlage für das Anſetzen und die Ausbreitung der Polypen bilden harte Geſteine, Gneiße und Glimmerſchiefer, wie ſie ſich bei Fort Genois und Bona finden. Ganz anders iſt es bei Lacalle, wo die Küſte aus einem bröckeligen Sandſtein beſteht. In dieſem höhlt das nimmer ruhige Meer ſenkrechte, ſchornſteinähnliche Löcher aus, oft ſo weit, daß ein Menſch in ihnen Platz findet. Aus dieſem Material beſteht auch die kleine vor Lacalle liegende Inſel Maudite. Ihre Ufer ſind ganz von dieſen Höhlungen und Röhren durchſetzt, aber auch in denen, welche, unten geſchloſſen, am günſtigſten zur Aufnahme der Polypen zu ſein ſchienen, fand Lacaze-Duthiers dieſelben nur ſparſam und von geringerer Größe, während in den an beiden Enden offenen, durch welche das Waſſer bei einigem Wogen— gang mit Gewalt getrieben wird, gar keine Anſiedelung von Polypen und anderen Tieren ſich halten kann. Dieſelbe Erſcheinung kann man in den feſteren vulkaniſchen Felſen des kleinen Hafens der Weſtküſte von Capri, der ſogenannten piccola marina, beobachten, wo die anbrauſenden, ſich in die Höhlungen preſſenden Wogen dicke Strahlen oben hinaus— treiben und tieriſches Leben nicht aufkommt. Trotz alledem gab es an der Inſel Maudite noch ſo viele Astroides, daß im Monat Juni täglich friſches Material in die Gefäße zur Unterſuchung geſetzt werden konnte und daß Lacaze-Duthiers wiederholt, mit einer Hand ſchwimmend, mit der anderen die in dem kriſtallhellen Waſſer leicht erkennbaren Larven direkt in das Glas ſchöpfen konnte. Die auf dieſe Weiſe ohne die mindeſte Verletzung und Störung gefangenen Tierchen ſetzten ſich am ſchnellſten an den Wandungen des Gefäßes feſt. Die einfachſte Weiſe, die Larven zu ſammeln, iſt, ganze Stöcke in ein größeres Gefäß zu bringen, wo dann, indem man die einzelnen Kelche drückt oder öffnet, die Jungen ſehr bald und in Mengen zum Vor— ſchein kommen und ſich mit einer kleineren Schale von der Oberfläche gleichſam abnehmen laſſen. Unter Beobachtung der allen Waſſertiere unterſuchenden Zoologen bekannten Vor— ſichtsmaßregeln, öftere tägliche Erneuerung des Waſſers, Durchlüftung desſelben und anderes, ließen ſich in den Sommermonaten die Larven an der afrikaniſchen Küſte trotz der Hitze mehrere Tage bis 2 Monate lebendig erhalten, und konnte ihr Übergang in den ſeßhaften Zuſtand genau beobachtet werden. Die Jungen kriechen in der großen gekam— merten Magen- und Leibeshöhle der Mutter aus dem Ei und ſchwimmen eine Zeitlang in den mütterlichen Räumen munter umher, bis ſie entweder zufällig oder freiwillig den Ausweg durch den Mund finden oder durch Preſſen und Zuſammenziehungen der Mutter zur Selbſtändigkeit entlaſſen werden. Die länglichen, kleinen Würmchen gleichenden Larven haben ein etwas verdicktes Hinterende, das beim Schwimmen aber vorangeht. Am anderen Ende hat ſich ſehr bald nach dem Auskriechen der Mund bemerklich gemacht. Sie können übrigens ihre Geſtalt außerordentlich verändern und ſchwimmen vermittelſt ihres Wimper— kleides ſehr gewandt und lebendig. Bei einigen dauerte dieſer freie Zuſtand, wie geſagt, über 2 Monate; die gewöhnliche Zeit, welche ſie nach der gewaltſamen Geburt bis zur Entwickelungs⸗ und Verwandlungsgeſchichte der Kelch-Sternkoralle. 593 Fixierung im Aquarium zubrachten, betrug 30—40 Tage. Unter den natürlichen Be— dingungen ſcheint das Schwärmen im freien Meere dadurch abgekürzt zu werden, daß ſie länger in der Leibeshöhle der Mutter zurückgehalten werden; auch übte ein einfallender ſtarker Sirocco den Einfluß auf die Larven aus, daß ſie ſich unter dem Anſchein von Ermattung zuſammenzogen und feſtſetzten. Der Übergang der wurmförmigen Larve in den Polypen geſchieht wie bei den Aktinien. Die Larve preßt das dicke vorausgehende Ende gegen einen harten Körper und kann ſich in kürzeſter Zeit zu einer kuchenförmigen Scheibe zuſammenziehen. Längsfurchen zeigen ſich am oberen Pol, wo der Mund ſich tiefer verſenkt. Am Ende der Furchen ſproſſen die zweimal ſechs Fühler hervor. Unſere folgenden drei Abbildungen, in einer 24 fachen Vergrößerung, zeigen die ſchnell aufeinander folgenden Veränderungen, mit denen das Tier eine Geſtalt und Beſchaffenheit angenommen hat, in der es von einer jungen Aktinie kaum zu unter— ſcheiden iſt. Nur die ſchon begonnene Ablagerung von Kalkteilen zeigt die Zukunft an. Entwickelungszuſtände von Astroides calyeularis. 24 mal vergrößert. Wir können Astroides calycularis nicht verlaſſen, ohne uns die Bildungsweiſe feines Stockes erklärt zu haben, da, was für dieſe Art gilt, mit geringen Abweichungen für alle übrigen ſtockbildenden Polypen ſeine Anwendung findet und uns in ſtand ſetzt, eine der wichtigſten und mächtigſten Erſcheinungen in dieſer Tierklaſſe zu begreifen. Man könnte ſich denken, wenn man von dem fertigen Stocke auf den Vorgang ſeiner Entſtehung ſchließen wollte, daß er in allen ſeinen Teilen zugleich als ein zuſammen— hängendes Ganzes gebildet würde. Weit gefehlt. Die erſten Spuren des Stockes zeigen ſich als kleine knotige oder längliche mikroſkopiſche Kalkkörperchen, von den Franzoſen mit einem recht paſſenden, dieſe Bildungen von anderen ähnlichen in anderen Tierklaſſen unter— ſcheidenden Namen, Skleriten, benannt. Sie werden bei Astroides ungefähr zu der Zeit abgelagert, in welcher die Entwickelung der Fächer und Scheidewände beginnt. Sie entſtehen, wie ſchon oben geſagt, in der mittleren Leibesſchicht. Die zuerſt erſcheinenden Hartteile gehören alſo den Scheidewänden oder Septa an, nicht, wie man doch eher ver— muten möchte, der Mauer. Dieſe entſteht in zweiter Linie, dann folgt das Fußblatt und zuletzt die Säule. Überall geſchieht die Verdickung und Verkalkung durch Anhäufung ein— zelner Kalkkörperchen, welche einander näher rücken, ſich berühren und endlich miteinander zum feſten, aber immer noch veränderlichen Stocke verſchmelzen. Außer unſerem ſchönen Astroides lebt im Mittelmeer nur noch ein Repräſentant der Abteilung der Perforaten, der Polypen mit poröſen Scheidewänden, nämlich die früher Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 38 594 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. (S. 590) abgebildete und nach ihrem Stocke näher charakteriſierte Dendrophyllia ramea, die äſtige Baumkoralle. Ihre bis daumendicken Aſte werden vom Adriatiſchen Meere Madrepora verrucosa. 4) Kleiner Stock in natürlicher Größe. B) Einige vergrößerte Kelche, zwei vertikal durchſchnitten. an nicht ſelten mit den Schleppnetzen ans Tageslicht gebracht, ſie kommt jedoch nirgends in größeren Mengen vor. Um in das Bereich maſſenhaft wachſender Loch— korallen zu gelangen, muß man die Landenge von Suez hinter ſich haben und ſich auf die Korallenbänke des Roten Meeres begeben. Dort wuchert eine der wichtigſten und am häufigſten genannten Sippen, die Madrepora, mit welchem Namen der „Madre— poren“ man oft alle riffbildenden Polypen umfaſſen hört. Die Stöcke bilden bald große unregelmäßige Lappen, bald ſind ſie baumförmig, und die einzelnen Kelche treten, meiſt voneinander geſchieden, als kurze, oben kegelförmig ſich verengernde Röhren über die gemeinſame Bindemaſſe hervor. An jedem Stock fin— det man oben Stellen, wo die Polypenkelche ſich kaum aus dem Bindeſkelett erheben, und man wird bei näherer Betrachtung bemerken, daß dieſe Individuen entweder von dem ſich anhäufenden, den Stock ver— dickenden Bindematerial überwuchert werden, oder daß ſie einen für die Nahrungszufuhr ungünſtigen Platz einnehmen. Am gleichmäßigſten und beſten ſind alle die Tiere entwickelt, welche die dünneren, am weiteſten vorgeſtreckten Aſte bilden, und an den lappenförmigen Stöcken die Individuen auf den welligen Erhöhungen. Die Madreporen liefern die ſchönſten und größten Schauſtücke für die Muſeen. Lohnender für die mikro— ſkopiſche Betrachtung ſind die mehr maſſigen oder ſchwach veräſtelten Arten von Porites, z. B. die auf S. 595 abgebildete Porites furcatus. Die andere Gruppe von Familien der Aſträaceen ſind die Sternkorallen mit feſtem, nicht porö— ſem Stelett Wer Gelegenheit hat, in einer Sammlung ſich mit den Polypen bekannt zu machen, halte ſich für dieſe Gruppe zuerſt an die großen, faſt immer nur als Ein— zeltiere vorkommenden Pilzkorallen der Gattung Fungia. Er findet ſie als flachere, oft kreisrunde, oft zungen- oder kuchenförmige Gebilde, die nicht ſelten 30 em im Durchmeſſer erreichen. Der Stock beſteht aus dem Fußblatt und den ſenkrechten ſehr zahlreichen Scheide— wänden, wogegen der Teil, der bei den meiſten Gattungen am ftärkiten entwickelt zu ſein pflegt, die Mauer, gänzlich mangelt. Indem wir die Pilzkorallen als Einzeltiere bezeichnen, ſagen wir damit, daß ſie ſich, wie die Aktinien, nur durch Eier fortpflanzen, und daß, wenn ausnahmsweiſe, wie es ſcheint, Knoſpenbildung oder Teilung eintritt, dieſer Vermehrungs— prozeß mit der Ablöſung der Knoſpen endigt. Nun hat aber Profeſſor Semper die ſehr Madrepora. Pilzkorallen. Fächerkoralle. Kreiſelkorallen. 595 intereſſante Entdeckung gemacht, daß bei einigen Fungien ein Generationswechſel ſtattfindet, bei welchem es zur Bildung von zuſammengeſetzten Stöcken kommt. Er erläutert ſeine Ab— bildung eines der Art nach nicht näher zu beſtimmenden Fungienſtockes wie folgt: „Es iſt ein veräſtelter Korallenſtock, der an ſeinem unteren angeſchliffenen Ende deutliche Korallen— ſtruktur zeigt und am anderen Ende ſich in fünf Zweige auflöſt, von denen vier an ihrem Ende echte Fungien in verſchiedenen Größen tragen, einer aber nicht. Die jungen Korallen ſelbſt zeigen nichts Bemerkenswertes, wohl aber die Stiele, an denen ſie anſitzen Dieſe haben nämlich abwechſelnd ſcharfkantige Anſchwellungen und ſeichte Einſchnürungen; ganz dasſelbe be— merkt man auch an dem Stiele (a, ſ.untenſtehende Abbild.), welcher keine Fungia trägt. An der Oberfläche des letzteren ſieht man aber deutlich, daß an ihm eine ſolche geſeſſen haben muß; der freie Rand ſeiner Septa iſt wie vernarbt und ganz unregelmäßig gebildet. Vergleicht man nun den Umfang der Narbe mit jenen An— N 1 j ſchwellungen der anderen (Stiele), ſo ſieht nan, Fre tue e re Ser daß fie ihnen genau entſpricht, und ebenſo iſt ihr Abſtand von dem nächſten unteren Ringe der gleiche wie dort. Unterſucht man ferner die eine älteſte Fungia genauer an der Stelle ihres Stieles, wo dieſer etwa den Umfang eines ſolchen Wachstumsringes hat, ſo ſieht man, daß hier (b) der Zuſammenhang zwiſchen ihm und der eigentlichen Koralle bereits etwas gelockert iſt. Wenn dieſe Reſorption rings— herum vor ſich gegangen wäre, ſo würde wohl die Fungia von dem Stiele abgefallen ſein. Daß dies an einem Stiele geſchehen ſei, zeigte die Narbe an ſeinem freien Ende. Die mehrfachen Wachstumsringe an demſelben Stiele aber beweiſen, daß ein jeder Aſt im ſtande iſt, nach Erzeugung der erſten Fungia weiter zu wachſen (wobei zuerſt eine Konzen— tration eines Stieles, dann wieder eine Ausbreitung erfolgt), und daß er nach einiger Zeit in gleicher Weiſe eine zweite, dritte oder vierte Generation hervorzubringen vermag.“ Wir haben dieſe eingehende Beſchreibung gebracht, weil nur an gehäuften verſchiedenartigen Beiſpielen ſich eine Vor— ſtellung von dem ſo ganz eigentümlichen phyſiologiſchen Leben dieſer niederen Tiere gewinnen läßt. Darum mag man ſich noch einen zweiten ganz ähnlichen Fall vorführen laſſen. Er betrifft die veränderliche Fächerkoralle (Flabellum 5 variabile). Dieſelbe gehört in die Familie der Turbino— e ee eee liden oder Kreiſelkorallen. Der Name iſt natürlich von der Kegelform der Stöcke hergenommen. Die meiſten der zahlreichen hier einzureihenden Arten ſind nur als Einzeltiere bekannt. Doch hat Semper uns intereſſante Knoſpenbildungen kennen gelehrt, wodurch wenigſtens zeitweiſe ſich Stöcke ſehr einfacher Art bilden, bis die Knoſpen abfallen. Die Sippe Flabellum zeichnet ſich dadurch aus, daß das Tier zuſammen— gedrückt und daher die Mundöffnung nicht ein Kreis, ſondern ein ziemlich langer Schlitz iſt. Das lebende Tier von oben iſt in A (ſ. obere Abbild. S. 596) zu ſehen. Die Schwärm— larve, welche aus dem Ei hervorgeht, ſetzt ſich feſt und der nunmehr wachſende Polyp ſondert den Stock B ab, der einem geſtielten, mit zwei ſeitlichen Dornen verſehenen Fächer gleicht. 38 ' 596 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Dieſe Form B bleibt geſchlechtslos, treibt aber aus dem Kelche eine Knoſpe hervor, mit der ſie ſchließlich eine ſcheinbare Einheit bildet (C) und vor der Lockerung und Ablöſung ſo innig zuſammenhängt, daß die beiden, als Mutter und Knoſpe zuſammengehörigen Generationen für eine eigentümliche Abart oder auch neue Art gehalten wurden. Dann fällt die Knoſpe ab (JD) und lebt, ohne feſtzuwachſen, 0 5 in einer Felsſpalte oder irgend | G Im einem Schlupfwinkel weiter, wohin DT fie von Welle oder Strömung ges — trieben wurde. Mit ihr, als dem Geſchlechtstier, beginnt der Entwicke— lungskreis von neuem. 2 Die mitgeteilten Beobachtungen ſind an der veränderlichen Fächer— koralle gemacht. Semper bemerkt dazu, daß, wenn man nur die 8 Extreme ins Auge faßte, man leicht Veränderliche Fächerkoralle (Flabellum variabile). Natürl. Größe. zu dem Schluſſe kommen könnte, daß aus dieſer einen Spezies zwei, ja drei Arten zu machen ſeien. Die vorherrſchende Farbe des ganzen Tieres iſt ein ſchönes, inten— ſives, aber durchſcheinendes Rot, und über die Mundſcheibe ziehen faſt immer zwei breite, dunkel— rote Binden, welche bei etwas helleren Exemplaren deutlicher hervortreten. Auch der Tiefſee hat man in neuerer Zeit pracht— volle ſolitäre Korallen ab— gewonnen, die ſich durch große Zierlichkeit und Regelmäßigkeit des Ske—⸗ letts auszeichnen. Beſon— ders iſt das der Fall bei Formen aus ſehr tiefem Waſſer, wo infolge der ſich geltend machenden Ge— genwart von Kohlenſäure nur wenig Kalk vorhanden iſt. Hier erſcheint das Kalk— gerüſt als zartes Radnetz mit feinen Speichen, die durch Querbälkchen auf Leptopenus discus. Natürliche Größe. das regelmäßigſte verbun: den find. Eine ſolche Tief- ſeekoralle (Leptopenus discus) ſtellt unſere vorſtehende Abbildung dar. Dieſes zierliche Geſchöpf ſtammt von der Oſtküſte Südamerikas aus einer Tiefe von 3475 m. So zahlreich nun auch die Arten der weſentlich als Einzeltiere lebenden Pilz- und Kreiſelkorallen und einiger anderen Familien ſind, wird ihre Menge doch von den Leptopenus. Raſenkoralle. Sternkoralle. Gehirnkorallen. 597 zuſammengeſetzte Stöcke bildenden Familien weit übertroffen. Das uns am nächſten liegende Beiſpiel haben wir in der Raſenkoralle (Cladocora caespitosa) des Mittelmeeres und der Adria. Die Stöcke der Einzeltiere find ziemlich geſtreckte Röhren von / 1 em Durchmeſſer. Die Knoſpen kommen ſeitlich am Fußende zum Vorſchein, biegen ſich alsbald nach oben und wachſen neben der Mutter, ohne weiter ſich mit ihr zu verbinden oder zu ver— ſchmelzen. Der Stock iſt daher zer— brechlich. Die Raſenkoralle wuchert an vielen Stellen ganz außerordentlich, überdeckt Streeckn von über 100 qm und häuft ſich auch fußhoch an. Sie iſt daher für den von Norden gegen die warmen Zonen vorſchreitenden — Forſcher der erſte Polyp, der ihm Sternkoralle (Astraea pallida). ½ natürl. Größe. einen Schatten von Vorſtellung von einem Riffe geben kann. Ich erinnere mich, mit welchem Vergnügen ich im Becken von Sebenico mit meinem Schleppnetze auf einen ſolchen Raſenkorallengrund traf und ſchwere Ladungen der ſich leicht ablöſenden Stöcke ins Boot warf. A Heliastraea heliopora. A) Stock mit den Weichteilen, B) ohne dieſe. Natürliche Größe. Unter den den heißen Meeren eigentümlichen vielen Sippen der nicht poröſen Stern— korallen iſt die eigentliche Astraea, Sternkoralle im engeren Sinne, eine der wichtigſten, weil ihr und den näheren Verwandten unter den riffbauenden Tieren eine Hauptrolle zugeteilt iſt. Unſere obere Abbild. der Astraea pallida, einer der von Dana entdeckten Arten, zeigt eine abgerundete Geſamt— maſſe mit flacher Baſis. Die einzelnen Kelche ſind vollſtändig vonein— ander getrennt, jeder mit einem Mauerwall umgeben, aber doch nur ſo, daß die Mauern unmittelbar aneinander ſtoßen. Die nach oben und rechts ſtehenden Individuen ſind dargeſtellt mit eingezogener, die übrigen mit entfalteter Fühlerkrone. Leider ſind in dieſer Abbildung keine in der Teilung begriffene Kelche ſichtbakr. Die Gattung unter- Drei Munddkelche von ſcheidet ſich unter anderen gerade durch die vollſtändig werdende Teilung. Heliastraea. Vergroßert. 22 5 — 2 + » 7 335 1 u Eine andere ebenſo große Sippe mit Untergattungen bilden die Gehirnkorallen oder Mäandrinen, von denen wir die Heliastraea heliopora (ſ oben) bringen. Bei ihnen werden in der Teilung und Knoſpung nur die Weichteile der Individuen vollſtändig 598 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. voneinander iſoliert, die Mauern fließen aber ineinander über, wodurch ſich die Oberfläche mit unregelmäßig geſchlungenen Thälern und Zungen bedeckt. An den lebenden Exemplaren ſind natürlich dieſe Thäler mit den Weichteilen bedeckt, und man erkennt an den Mundöff— nungen die Bezirke der einzelnen Individuen, von denen man an den ausgewaſchenen Stücken nur die Begrenzungen nach zwei gegenüberliegenden Seiten hin wahrnimmt. Unſere Ab— bildung (S. 597, unten) zeigt drei Mundkelche und ihre Bezirke in mäßiger Vergrößerung, wodurch die mangelhafte Vorſtellung, welche man ſich aus dem alleinigen Anblick des leeren oder eingetrockneten Stockes macht, eine weſentliche Vervollſtändigung erhält. Zweite Ordnung. Die achtſtrahligen Polypen (Octactinia). Die zweite große Abteilung der Polypen enthält zwar noch genug des Mannigfal— tigen, aber das Ausſehen der Einzeltiere iſt ein gleichförmigeres, hervorgerufen durch die feſte Zahl von acht Fühlern. Dieſelben ſind nicht hohl, gewöhnlich etwas plattgedrückt und an den Rändern zierlichen Blättern gleich ausgezackt. Am weiteſten iſt die Familie der Korkpolypen (Alcyonaria) verbreitet, im weſent— lichen aus der Sippe Aleyonium beſtehend, deren Arten im hohen Norden ſich ſchon häufig finden und in den wärmeren Meeren zu den verbreitetſten Produkten gehören. Die Tiere ſind in Stöcke vereinigt, entweder von unregelmäßig knollenförmiger und dicklappiger Ge— ſtalt, oder hand- und baumförmig mit fingerdicken oder ſtärkeren, wenig verzweigten Aſten. Die Einzeltiere treten gewöhnlich als einige Millimeter meſſende weiße Blüten über die eigentümlich glänzende, rötliche, gelbliche, gefleckte Stockoberfläche hervor, die ſich weich und fleiſchig anfühlt. Mit einem Stammteile wachſen die Stöcke entweder feſt, oder ſie ſtecken loſe im Boden, meiſt in mäßiger Tiefe. Die Korkpolypen ſondern auch Skeletteile ab, aber dieſelben verſchmelzen nicht zu einem Stocke, bleiben vielmehr in Geſtalt kleiner, meiſt mikroſkopiſcher Kalkkörperchen von beſtimmter, nach den Arten wechſelnder Geſtalt durch die ganze Kolonie zerſtreut. Im friſchen natürlichen Zuſtande zeigen die Seekorke eine gewiſſe Elaſtizität und Turgeszenz. Aus dem Waſſer genommen, ziehen ſie ſich, auch der ganze zuſammengeſetzte Stock, ſehr zuſammen. Sie ſchwellen jedoch im Aquarium bald wieder an und dauern wochen- und monatelang aus. Ein Zeichen, daß ſie ſich nicht mehr wohl befinden, iſt ein übermäßiges Anſchwellen, namentlich der tieferen Teile. Aber auch noch in dieſem waſſerſüchtigen Zu— ſtande leben ſie noch längere Zeit fort. Beſondere Feinde ſcheinen ſie nicht zu haben, und wer die Natur nach Zwecken begreifen will, kommt auch bei ihnen arg in Verlegenheit. In den mehr formloſen, der individuellen Geſtaltung den engſten Spielraum laſſenden Seekorken iſt ſozuſagen die an beſtimmte Formen gebundene Familiengruppe der Penna— tuliden oder Seefedern vorbereitet. Schon bei manchen Arten von Alcyonium tritt die Neigung zur Stielbildung hervor, wie denn unſer auf S. 599 abgebildetes Exemplar einen deutlichen, der Polypenindividuen entbehrenden Stiel zeigt. Die Seefedern ſind nun dadurch charakteriſiert, daß jeder Stock in einen polypentragenden Teil und einen freien Abſchnitt, den Stiel zerfällt, welcher im weichen Meeresboden ſteckt. Bei den einfachſten Formen, welche der auch im Mittelmeer vertretenen Gattung Veretillum angehören, iſt der polypentragende Teil ringsum mit Polypen beſetzt, der Stiel drehrund. Es dürfte wenige Tiere geben, die, je nachdem es ihnen behagt, einen ſo verſchiedenartigen Anblick gewähren als die Veretillen. Ein ſolcher Stock, den ich im Aquarium einige Monate lang Korkpolypen. Seefedern. 599 vor Augen hatte, kann 2—3 Wochen hintereinander wie eine runzelige Rübe bewegungs— los am Boden liegen, in einem Zuſtande, in welchem offenbar die wichtigſten Lebensver— richtungen pauſieren. Man ſieht keine Spur von den Einzelindividuen, es wird keine Korkpolyp (Aleyonium). Natürliche Größe. Nahrung aufgenommen, der ſonſt ſo wichtige Waſſerwechſel, die gemeinſame Ernährung des Stockes findet nicht ſtatt. Hat dieſer Zuſtand ſeine Zeit gedauert, ſo fängt der Stock an durch unſichtbare Poren oder mittels Hautaufſaugung Waſſer aufzunehmen, die Ober— fläche glättet ſich, einzelne Individuen kommen zum Vorſchein, und in dem Maße, als ſie ſich erheben und ausſtülpen, wird die Färbung des Ganzen lebhafter und zarter. Der 600 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Stock hat ſich endlich um das Zwei-, ja Dreifache verlängert und verdickt, von dem Rot der Leiber und des gemeinſchaftlichen Stammes ſtechen die weißen Tentakelkronen prächtig ab; der Fuß iſt zwiebelig angeſchwollen und durchſcheinend, und, als ob ein gemeinſamer Wille ihn beherrſchte, er hat ſich gekrümmt, in den Sand geſenkt und den Stock, der in der Periode der Unthätigkeit wagerecht auf dem Boden lag, aufgerichtet. Dieſes Vermögen, Lage und Stellung zu wechſeln, iſt nicht nur dieſen, den Seekorken am nächſten verwandten Formen eigen, ſondern auch den meiſten anderen Mitgliedern der Familie. Bei dieſen, beſonders ausgeprägt bei der Seefeder (Pennatula, Pteroides und andere Gattungen mehr), kann man am Körper ungefähr dieſelben Teile wie an einer Feder unterſcheiden. Der Stock iſt zweiſeitig ſymmetriſch, ſowohl an der Bauch- wie an der Rücken— fläche findet ſich eine polypenfreie Region, man ſpricht von rechter und linker Seite, oberem und unterem Ende. Auch ſitzen bei dieſen ſo regelmäßig ausgebildeten Formen die ein— zelnen Polypen auf blätterartigen Seitenteilen des Kieles. Sehr merkwürdig iſt die Entdeckung Köllikers, daß auf den Stöcken aller Pennatuliden zwei Formen der Per— ſonen auftreten. Die Hauptrolle ſpielen die Geſchlechtstiere. Sie ſind mit allen Organen, die ein rechter Polyp gebraucht, wohl ausgeſtattet, ſie nehmen Nahrung auf und ſorgen für die Vermehrung. Die andere Art von Individuen, Zooidien genannt, beſteht aus verkümmerten, ſitzengebliebenen Weſen, die im allgemeinen zwar auch den Bau jener bevorzugten Ge— noſſen erkennen laſſen, ſich aber durch den gänzlichen Mangel der Fühler und der Fortpflanzungsorgane ſowie durch ihre Kleinheit unterſcheiden. Sie ſcheinen nur geeignet, Waſſer in den großen gemeinſchaftlichen Stockleib mit ſeinen vielen Familien und Gängen aufzunehmen und wieder auszupumpen, eine Verrichtung, welche natürlich auch von den vollkommenen Stockgenoſſen vollführt wird, bei den Seekorken und den meiſten Polypen von dieſen allein. Indem aber bei den Seefeder (Pteroides spinosa). Pennatuliden eine Teilung der Arbeit eingeleitet ift, wird 1. nat. Größe; a) etwas vergr. Kelch. damit ein höheres Geſamtweſen vorbereitet. Die Regelmäßig: keit und Symmetrie der meiſten Seefedern iſt Beweis dafür. Die Hartgebilde der Seefedern beſtehen in einer verkalkten, oft biegſamen Achſe, ganz in den Stock eingeſchloſſen und an beiden Enden zugeſpitzt, ſowie in kleineren iſolierten Kalkkörpern. Leider kennt man von der Entwickelungsgeſchichte der Pennatuliden ſo gut wie nichts. Nach Kölliker „macht ſich die Entwickelung wahrſcheinlich ſo, daß ſich der jüngſte Polyp durch eine wiederholte Längsteilung in zwei und vier Individuen teilt, durch welchen Vor— gang ein kleiner Stock, unten mit zwei und oben mit vier Längskanälen, entſtehen könnte. Durch die Annahme wiederholter ſeitlicher Sproſſenbildungen, wie ſie an den Polypen mancher Gattungen leicht nachzuweiſen ſind, ließe ſich aus einem ſolchen leicht ein größerer Stock ableiten, an dem die Polypen in dieſer oder jener Form befeſtigt gedacht werden könnten. Sehr viele Pennatulidenſtöcke tragen am unterſten Ende des Leibes die jüngſten Individuen, und ſcheint hieraus hervorzugehen, daß das weitere Wachstum der Stöcke, das heißt der Anſatz neuer Individuen, an der Grenze von Kiel und Stiel vor ſich geht.“ Die oben abgebildete Seefeder (Pteroides spinosa) gehört der Sippe Ptero- ides an, deren polypentragende Blätter durch eine Anzahl ſtärkerer, über den Rand als Stacheln vorragende Kalkſtrahlen geſtützt werden. Teilung der Pennatuliden in zwei Perſonenformen. Leuchtende Seefeder. 601 Von ihr iſt die Gattung Pennatula und andere durch den Mangel dieſer Kalkſtrahlen unterſchieden. Am bekannteſten iſt die leuchtende Seefeder (Pennatula phos- phorea) aus dem Mittelländiſchen und Atlantiſchen Meere, über deren Leuchterſchei— nungen wir dem Profeſſor Panceri in Neapel ſehr genaue und ſchöne Nachweiſe ver— danken. Man war früher im unklaren darüber, wo eigentlich der Sitz des Leuchtens der Seefedern ſei, war aber geneigt, der ſchleimigen Oberfläche ſowohl der einzelnen Polypen wie des Stockes überhaupt die Leuchtkraft zuzuſchreiben. Panceri hat zunächſt nach— gewieſen, daß nur ganz beſtimmte Teile der Polypen dieſe Fähigkeit beſitzen, nämlich acht bandförmige Organe, welche mit ihren oberen Enden wie Papillen die Mundöffnung um— geben und ſich längs des Magens hinab erſtrecken. Sie ſind erfüllt mit Fettkügelchen haltenden Zellen und Fettkörperchen, und dieſe allein leuchten. Da die Bänder ſehr leicht verletzlich ſind und bei dem leiſeſten Drucke ihren Inhalt ausfließen laſſen, ſo erklärt es ſich daraus, wenn man bis jetzt die lichtgebende Subſtanz an den verſchiedenſten Stellen des Stockes fand. Um die Erſcheinung des Leuchtens zu verfolgen und wiſſenſchaftlich zu beobachten, bedarf es leidlich geſunder Seefedern. Sie dürfen weder zu lange in einem kleinen Waſſer— behälter gelegen haben, wodurch ſie waſſerſüchtig aufſchwellen, noch dürfen ſie durch voraus— gegangenes Strapezieren und Drücken im Netze ſich in einem Zuſtande völliger Entleerung und krampfhafter Zuſammenziehung befinden. Nur an friſch gefangenen und möglichſt wenig beunruhigten Exemplaren laſſen ſich die Experimente wiederholen und die Leucht— ſtröme hervorrufen. Das Leuchten geſchieht nur auf Reizungen; es genügt, mit dem Finger an die Wand des Aquariums zu klopfen, um Funken zum Vorſchein kommen zu ſehen. Nimmt man die Feder in die Hand, entweder unter Waſſer oder außerhalb desſelben, ſo wird das Auftreten von Lichtpunkten und leuchtenden Streifen lebendiger, und man überzeugt ſich bei planmäßiger Wiederholung der Reizung, daß es ſich um eine beſtimmte Folge der Lichterſcheinungen handelt, um Ströme von geſetzmäßigem Laufe, welche darum von höchſtem phyſiologiſchen Intereſſe werden. Als Grundphänomen ſtellt ſich das Vor— handenſein von zwei Arten von Lichtſtrömungen heraus, wovon die eine an die eigent— lichen Polypen gebunden und auf der Rückſeite der ganzen Fahne ſichtbar iſt, während die andere an den Zooidien (j. oben) haftet und an der Unterſeite auftritt. Beide Ströme pflegen zugleich zu erſcheinen, können aber auch jeder ohne den anderen entſtehen und verlaufen, ohne daß die Urſache davon klar geworden iſt. Die Richtung der Ströme hängt von der Stelle des Reizes ab. Drückt man das Ende des Stieles, ſo beginnt das Leuchten in den unterſten Strahlen, läuft vom Schafte aus nach den Strahlenenden und geht allmählich auf die oberen und äußerſten Strahlen über. Das Umgekehrte erfolgt, wenn man den Reiz an der Spitze der Fahne anbringt. Setzt man den Reiz in der Mitte des Fahnenſchaftes ein, ſo verlaufen gleichzeitig die Ströme nach oben und nach unten, nach der örtlichen Aufeinanderfolge der Strahlen vom gereizten Punkte aus. Reizt man gleichzeitig beide Enden des Fahnenſchaftes, ſo nähern ſich die Ströme bis zum Zuſammentreffen. Nur ſelten überſpringen ſie dabei einander, ſo daß die Erſcheinung dann zuſammengeſetzt iſt aus dem ganzen Stromverlauf des erſten und zweiten Reizungsfalles. Endlich, wenn man das Strahlenende reizt, ſo geht zuerſt von dem gereizten Ende der Leuchtſtrom ſtrahlabwärts auf den Schaft über und von da auf alle übrigen Strahlen in der gewöhnlichen Richtung. Auch das wurde noch erhärtet, daß ein Kreisſchnitt des Kieles bis auf die feſte Achſe die Fortpflanzung der Stromerregung hemmt. Zur Erſchöpfung des Thatſächlichen gehört die Beſtimmung der Geſchwindigkeit der Lichtſtröme. Sie gebrauchen im Mittel 2 Sekunden, um die ein Zehntelmeter lange Bahn der Seefeder zu durchlaufen, alſo 20 Sekunden für das Meter. Die Geſchwindigkeit 002 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Nejjeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. der Fortpflanzung der Nervenerregung im Froſche beträgt 30 m, im Menſchen 33 m in der Sekunde, iſt alſo 600- und 660 mal jo groß als die der Leucht— ſtröme der Seefedern. Panceri macht mit Recht darauf aufmerkſam, wie wichtig die Seefedern für das Studium der Fortpflanzung der Erregung im tieriſchen Körper werden könnten, ſofern nur nicht ihr Fang und ihre Erhaltung mit beſonderen Schwierigkeiten verbunden wären. Selbſt das große Aquarium der maritimen Ausſtellung in Neapel, von 13 m Länge und Im Breite und Tiefe, erwies ſich noch als unzureichend und ungeeignet. Doch iſt unterdeſſen in der zoologiſchen Station zu Neapel unſeren — Seefedern ein Heim geſchaffen, in welchem ich ſie — FF EN mehrere Monate anſcheinend ſich ganz wohl be— — 8 = finden ſah. Wendet man ſich aber nun zur Er— EN N mägung, welde Art Organe zur Fortpflanzung ee; Br —— — Auund Bildung des ſich in Lichterſcheinung auslöſen— 72 Se 2 — deer Reizes in den Seefedern dienen, jo iſt die — Thätigkeit von Nerven von vornherein ſo gut wie ausgeſchloſſen. tan hat bisher bei den Seefedern und Ver— wandten keine Nerven gefunden, ſie haben auch höchſt wahrſcheinlich keine; ebenſo ſpricht die Thatſache, daß die Leucht— erregung ſich in denſelben Teilen in entgegengeſetzter Richtung fort— pflanzen kann, gegen die Vermittelung durch nervöſe Apparate; denn von dieſen wiſſen wir, daß ſie die Erregung nur nach einer Richtung zu leiten im ſtande ſind. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als an eine \ Molekularerregung zu denken, welche von Zelle zu Zelle überſpringt und \ infolge der zu überwindenden Widerſtände um jo viel langſamer als die an den Nervenfaſern verlaufenden, die Bewegung und die Empfin— dung vermittelnden Ströme iſt. Das Weſen der Lichterſcheinung vieler anderen tieriſchen Körper ſowohl im lebenden wie im toten Zuſtande ſcheint auf einen langſamen Verbrennungsprozeß von Fettſubſtanz hin— auszulaufen, und auch für die Seefedern dürfte die Annahme einer I langſamen Oxydation der in den Leuchtbändern enthaltenen Fettkügel— | chen am richtigſten ſein. Die höheren Formen der Seefedern, die eigent— lich federförmigen, gehen nicht in ſehr beträchtliche Tiefen, keine iſt unterhalb 1100 Meter gefunden worden. ö Von den 150 — 160 Arten und Artvarietäten von Pennatuliden, r welche ihr Monograph, Profeſſor Kölliker, unterſcheiden zu können Natürliche Größe. glaubt, hat ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine durch ihr Vor— kommen in großer Tiefe eine gewiſſe Berühmtheit erlangt, die Umbellula grönlandica. Im Sommer 1752, alſo zu einer Zeit, wo man von der Verbreitung der Tiere am Meeresgrunde noch gar keine Ahnung hatte, zog ein engliſcher Grönlandfahrer 20 deutſche teilen von der Küſte von Grönland zwei Exemplare des merkwürdigen Tieres mit der Sondierleine aus einer Tiefe von 1416 Fuß empor. Die Naturforſcher Mylius und Ellis gaben von den trocken aufbewahrten Exemplaren, wenn auch mangelhafte, doch ſo weit aus— reichende Beſchreibungen und Abbildungen, daß die Natur der Umbellula als einer zu den Seefedern gehörigen Gattung feſtgeſtellt war. Der Polypenſtock beſteht aus einem langen, dünnen Stiele, an deſſen oberem Ende ein Büſchel Polypen ſich befindet. Das größte der Umbellula. Gorgoniden. beiden grönländiſchen Exemplare hatte eine Länge von 1865 mm, und beide ſind, bald nachdem ſie für die Wiſſen— ſchaft beſchrieben waren, verloren gegangen. Sehr ähnlich iſt die auf der Challenger-Expedition entdeckte und auf S. 602 abgebildete Umbellula Thomsoni. Um ſo intereſſanter ſind nun die durch die planmäßigen Tiefſeeforſchungen gemachten Funde der neueren Zeit, durch welche entdeckt wurde, daß verſchiedene Arten von Umbel— lula in großen Tiefen des Atlantiſchen Ozeans und ſeiner Anhänge ſowie im ſüdlichen Ozean leben. Im Jahre 1871 fand Lindahl, der die Expedition der ſchwediſchen Schiffe „Ingeborg“ und „Gladan“ unter Kapitän von Otter be— gleitete, ein Exemplar dieſer Gattung in der Baffinbai in 400 Faden (2400 Fuß) Tiefe. Es iſt die ſchlanke, etwa Yım - Länge erreichende Umbellula miniacea. Eine zweite Art be— kam derſelbe Naturforſcher am Eingang des Omanakfjordes in Nordgrönland. Wir verfolgen das merkwürdige Tier aber nun weiter nach Süden, wohin es teils mit den kalten Tiefen— ſtrömen vordringt, teils auf den ausgedehnten Tiefſeegründen —— 0 lebt. So wurde 25 Meilen von der norwegiſchen Küſte, von Chriſtianſund nach Island zu, mit anderen arktiſchen Tie— ren auch die Umbellula gefunden; zwei andere Exemplare von Umbellula erlangte Thomſon auf der Expedition des „Challenger“ zwiſchen Portugal und Madeira in 2120 Faden Tiefe und ein drittes in faſt 1500 Faden Tiefe in der Nähe von Kerguelenland. Damit iſt die Umbellula ihres bis— herigen Geheimniſſes entkleidet und in die anſehnliche Reihe jener die Tiefe liebenden und meiſt durch ihre weite geogra— phiſche Verbreitung ſich auszeichnenden Weltbürger aufge— nommen. Von allen Arten ſcheint aber Umbellula leptocaulis in die größten Tiefen zu gehen, da ſie im Indiſchen Ozean noch bis gegen 4500 m Tiefe gefunden wurden. Die hier— neben abgebildete, ſehr zierliche Umbellula encrinus ſtammt aus den nordiſchen Gewäſſern. Eine in den Naturalienſammlungen gewöhnlich reich vertretene Familie iſt die der Gorgoniden (Gorgonidae). Sie werden oft mit den Pennatuliden als eine Gruppe unter dem Namen Rindenkorallen zuſammengefaßt, weil in beiden der harte Achſenteil des Stockes von einer weicheren Rinde überzogen iſt. Letztere beſteht aus den Polypen und der ſie verbindenden Zwiſchenſubſtanz. Die Achſe beſteht aus verſchmelzenden Kalkkörperchen, auch hornartigen Be— ſtandteilen, die in größeren Maſſen im Hinterteil der Indi— 603 Umbellula enerinus. Natürl Größe. viduen abgeſondert werden, und deren Wachstum ſpäter durch die Zufuhr von Nährſtoffen vermittelſt der über das Bereich der Individuen hinauslaufenden Kanäle vermittelt wird. 604 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Übrigens ſcheinen, wenn wir nach Darwiniſtiſcher Weiſe den Stammbaum der in Rede ſtehenden Familien zu zeichnen verſuchen, weder die Pennatuliden von den Gorgoniden noch umgekehrt abzuſtammen. Beide weiſen vielmehr auf die Seekorke als gemeinſchaftliche Wurzel. Alle Gorgoniden wachſen feſt. Die Veräſtelung der Gorgonienſtöcke erzeugt die verſchiedenartigſten Formen: unregel— mäßige Bäume mit Aſten nach allen Richtungen hin, Veräſtelung in einer Ebene, einfache, ſich nicht verzweigende Aſte winkelförmig oder ſpiralförmig geſtellt, Fächer und Netze ꝛc. Bei den meiſten Gorgoniden iſt die Achſe hornartig biegſam; man kann ſie Horn— korallen nennen. Trotz dieſer biegſam bleibenden und aus der Verhärtung und Hornkorallen. Warzenkoralle. Goldgorgoniden. Edelkoralle. 605 Konſolidierung organiſcher Subſtanz hervorgehenden Achſenbildung iſt auch dieſen Polypen die Kalkabſcheidung nicht fremd. Schon von der Achſe werden einzelne . um⸗ ſchloſſen, und die Rinde iſt mit ihnen dicht angefüllt. Sie ſind von großer Wichtigkeit für die ſyſtematiſche Beſtimmung, da die einzelnen Sippen und Arten eigne Formen erzeugen. Eine der häufigſten iſt die Warzenkoralle (Gorgonia verrucosa) des Mittelmeeres. Unſere Abbildung (S. 604), nach einem bei Neapel gefiſchten Exemplare, zeigt zugleich ein Haifiſchei, das mittels ſeiner fadenförmigen, im Waſſer ſich ſpiralig einrollenden Anhänge ſich an den Aſten befeſtigt hat. Die Rinde unſerer Gorgonia iſt von weißlicher Farbe. Die Stellung, welche dieſe und die anderen Hornkorallen im Haus— halte der Natur einnehmen, iſt keine einflußreiche. An ſich völlig harmlos, bieten ſie auch anderen Tieren keinen beſon— deren Vorteil und ſind im Kampfe ums Daſein ziemlich un— behelligt. Einzelne Schnecken ſcheinen den Polypenkelchen nach— zugehen, auch findet man nicht ſelten Schlangenſterne gewandt auf ihrem Geäſte klettern, ohne Zweifel nach Nahrung ſuchend. Eine reizende Form iſt Isidigorgia Pourtalesii, welche auf der Expedition des amerikaniſchen Schiffes „Blake“ entdeckt wurde. Dieſe hat das Anſehen eines weitwindigen Kork— ziehers und gibt im rechten Winkel zu ihrer Hauptachſe dicht bei einander ſtehende zarte Nebenäſtchen ab, ſo daß das ganze den Eindruck einer aus feinſtem Draht konſtruierten Zweig— wendeltreppe macht. Ahnlich iſt der nebenſtehend dargeſtellte Streptocaulus pulcherrimus. Die Goldgorgoniden (Chrysogorgonidae) ſind bis jetzt nur im weſtlichen Atlantiſchen Ozean gefunden. Sie bilden pferdehaardünne, unverzweigt— einfache oder veräſtelte Kolonien, und ihre zarten Achſen ſchillern prachtvoll goldig und in den ſchönſten Farben. Sehr intereſſant iſt auch eine auf der Challenger-Expedition aufgefundene Tief— ſeegorgonide (Bathygorgia profunda), die in unſerer Abbildung auf S. 606 ziemlich ſtark vergrößert dargeſtellt iſt. Mit der Gattung Iſis, deren Stock aus miteinander abwechſelnden Stücken von horniger und rein kalkiger Be— ſchaffenheit beſteht, iſt der Übergang zu der wichtigen, nur eine Art aufweiſenden Edelkoralle (Corallium rubrum) gegeben. Der Stamm oder die Korallenachſe beſteht aus zahl— reichen feinen Kalkſchichten von ſo beſtimmter mikroſkopiſcher Struktur, daß der Kenner dieſer Verhältniſſe leicht an jedem Stückchen die Echtheit oder den Betrug nachweiſen kann. Die noch friſche, weder künſtlich geglättete noch im Meere abge— riebene Achſe iſt mit feinen Längsfurchen bedeckt, in welchen die unterſte Schicht der oben berührten, Nahrungsſaft führenden AN a2 N koch Streptocaulus pulcherrimus. Natürliche Größe. Kanäle verläuft. Die Naturgeſchichte und Anatomie der Edelkoralle iſt in erſchöpfender Weiſe bei einem wiederholten Aufenthalte an der afrikaniſchen Nordküſte von Lacaze— Duthiers ſtudiert worden. Er fand, daß die Stöcke in der Regel entweder bloß 606 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. männliche oder bloß weibliche Individuen enthalten, daß aber mitunter beiderlei Polypen auf einem Stock gemiſcht vorkommen, ja daß ſogar hermaphroditiſche Individuen unter— laufen. Unſere Abbildung (1) auf S. 607 zeigt mäßig vergrößert einen Zweig eines Stockes mit mehreren geſchloſſenen und zwei aufgeſchnittenen Kelchen. In dem oberen ſieht man Eier, o, in dem unteren, t, eine größere Samenkapſel, und daneben ein Ei, o. Mit Beſiegung vieler Hinderniſſe gelang es dem franzöſiſchen Forſcher, das Ausſchlüpfen der Larven ſowie deren Feſtſetzen und die weitere Entwickelung des Stockes Schritt für Schritt zu verfolgen. Die 1—2 mm langen gewimperten Larven verlaſſen das Ei in der gefächerten Leibeshöhle, Fig. 2, B, ihrer Mutter. Sie ſind länglich wurmförmig, und wir Bathygorgia profunda. Stark vergrößert. ſehen in unſerem Bilde in dem Polypen mit eingezogenen Fühlern zwei ſolcher Larven, fg, durch die zarten Körperwandungen. Die mittlere Polypenzelle iſt abgeſchnitten; auch fie enthält zwei Larven. Aus der Mundöffnung der oberen, b, iſt eine Larve, a, ſich zu ent— winden im Begriffe. Das Vorkommen der Edelkoralle iſt auf das Mittelmeer und Adriatiſche Meer beſchränkt. Im letzteren reicht ſie bis oberhalb Sebenico und wird an einigen Stellen der albane— ſiſchen Küſte und zwiſchen den Joniſchen Inſeln ſchon häufiger gefunden. In dieſem ganzen Gebiete wird ſie bis jetzt nur von den Bewohnern der Inſel Zlarin bei Sebenico geſucht. Ihre ziemlich ſtarken, halbgedeckten Barken gehen bis zu den Joniſchen Inſeln und kehren nach mehrmonatiger Abweſenheit im September heim. Der Ertrag iſt im Verhältnis zu dem der Korallenfiſcherei an der tuneſiſchen und algeriſchen Küſte unbe— deutend. An dieſen letztgenannten Geſtaden, auf Bänken, die ſich bis auf einige See— meilen vom Ufer entfernt hinziehen, und bei einer Tiefe zwiſchen 40 und 100 Faden, Edelkoralle: Entwickelung, Vorkommen, Gewinnung und Rohwert. 607 ſeltener darunter oder darüber, iſt die Korallenfiſcherei am lohnendſten. Sie wird vorzugs— weiſe von Fahrzeugen mit italieniſcher Bemannung, weniger von Spaniern und Franzoſen betrieben und iſt ein hartes Gewerbe. Die Fahrzeuge variieren von 6 bis etwa 16 Tonnen Gehalt und 4 — 12 Mann Beſatzung, und danach richtet ſich auch die Größe und Schwere des Geſtelles und Netzes, womit die Korallen vom Grunde abgelöſt werden. Erſteres beſteht aus zwei über Kreuz gelegten und ſtark verfeſteten Balken, bei den großen Fahrzeugen gegen 3 Meter lang und an der Kreuzung mit einem Steine, beſſer mit einem Eiſen beſchwert. Daran hängen 34 — 38 Bündel grobmaſchiger Netze in Form von Beuteln oder Wiſchern, wie ſie auf Schiffen zum Reinigen des Bodens gebraucht werden. Dieſer an einem ſtarken Seile befeſtigte Apparat wird nun geſchleppt und je nach der Größe mit einer auf dem Hinterteile des Fahrzeuges befindlichen Winde oder mit der Hand aufgezogen und auf den Grund gelaſſen. Da die Korallen nur auf unebenem Felſenboden leben, am liebſten gedeckt unter Vorſprüngen, unter welche die Arme des Kreuzes ein— dringen ſollen, ſo gehört das Feſtſitzen des Schleppapparates zu den täglichen und ſtünd— lichen Ereigniſſen und das fortwährende Flott— N 2 machen desſelben zu den anſtrengendſten und \ aufreibendften Arbeiten, zumal die Fiſcherei unausgeſetzt während der heißen Jahreszeit betrieben werd. Die gewonnenen Korallen variieren als Rohmaterial ungemein an Güte und Wert. Von den von den Felſen abgeriſſenen, oft von Würmern und Schwämmen durchbohrten Ko— rallenwurzeln koſtet das Kilo (2 Zollpfund) 8 N 2 5— 20 Frank. Der Preis der regelmäßig Edeltoralle. 1) Vergrößertes Stück eines Stockes mit guten Ware ſchwankt zwiſchen 45 und 70 Frank Wwe derne ga scharfen der adden aim das Kilo. Für das Kilo ausgewählter dicker und beſonders roſenrot (peau d'ange) gefärbter Stücke werden 400, ja 500 und mehr Franken gezahlt. Die Stücke, welche entweder nur bis zu einer gewiſſen Tiefe oder durch und durch ſchwarz find und als „ſchwarze Korallen“ geſondert zu 12 — 15 Frank das Kilo verkauft werden, kommen nicht etwa von einer beſonderen Art, ſondern waren längere Zeit vom Schlamme bedeckt und haben durch eine Art von Verweſungsprozeß und noch unbekannte chemiſche Einwirkungen die Farbe geändert. Die obigen Angaben von Lacaze-Duthiers ergänzen wir durch eine ſtatiſtiſche Überſicht der Korallengewinnung aus dem Jahre 1875. Es liefen in dieſem Jahre aus den Häfen des Marinebezirks von Neapel 416 Barken aus, wovon 264 an den italieniſchen Küſten ihrem Gewerbe oblagen, die übrigen ſich nach den anderen Korallengründen des Mittelmeeres begaben. Sie fiſchten 23,000 kg erſter Sorte, das Kilogramm zu 120 Frank, 20,000 kg zweiter Sorte zu 75 Frank und 67,436 kg zu 6 Frank, was im ganzen ein Erträgnis von 4,664,616 Frank gibt. Zieht man davon an Ausrüſtung, Löhnen und Verköſtigung 1,966,800 Frank ab, ſo bleibt ein Reingewinn von 2,697,816 Frank, welcher hauptſächlich den Korallenfiſchern von Torre del Greco zufällt. Die Verarbeitung zu Bijouterien und Schmuck geſchieht zu Paris und Marſeille, beſonders aber in Neapel, Livorno und Genua. Durchſchnittlich gehen alle Jahre ungefähr 500 Fahrzeuge von Italien aus auf den Korallenfang mit einer Beſatzung von über 4000 Seeleuten und Fiſchern, und zwar entſendet Torre del Greco allein an 300 Schiffe. Die jährliche Menge der ſeitens Italien gewonnenen Korallen wird von miniſterieller Seite aus neuerdings auf 56,000 kg im Werte von 3,760,000 Mark geſchätzt. Die Spanier ſollen außerdem noch 12,000 kg gewinnen. 608 Hohltiere. Zweiter Unterfreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Erſt im Anfange des 16. Jahrhunderts lenkte ſich die allgemeinere Aufmerkſamkeit auf die Edelkoralle, und zwar zunächſt in Frankreich. Unter der Regierung Karls IX. (1560 — 74) erwarben, wie uns Léon Renard erzählt, zwei Kaufherren zu Marſeille, Thomas Linches und Carlin Didier, das Privilegium, an einem Punkte der algeriſchen Küſte Korallenfiſcherei zu betreiben. Da das Geſchäft ſich als gewinnreich erwies, ſo wußte ſich ein anderes fran— zöſiſches Geſchäftshaus ein gleiches Privilegium zu verſchaffen. Im Jahre 1604 ſicherte der franzöſiſche Geſchäftsträger in Algerien, de Brèves, den Franzoſen das Recht, von Kap Roux bis zum Kap de Feu an der nordafrikaniſchen Küſte ausſchließlich auf Korallen fiſchen zu dürfen. Im Jahre 1619 war der Herzog von Guiſe, Gouverneur der Provence, Inhaber der Konzeſſion. Richelieu gründete 1640 zu Stowa eine neue Station für Korallenfiſcherei, wofür die algeriſche Regierung etwa 8000 Thaler erhielt. Vierunddreißig Jahre ſpäter ging das Privilegium in die Hände einer Geſellſchaft über, die zwar einen jährlichen Zuſchuß von 40,000 NI, Livres von Staats wegen er— ö hielt, aber ihrerſeits 105,000 Livres an Algerien bezahlen mußte. So blieb die Sache bis 1719, wo die Oſtindiſche Kom— panie das Privilegium über— nahm. Oſtindien und Klein— alien waren die Hauptabſatz— gebiete für Edelkorallen. Lange blieb die Oſtindiſche Kompanie nicht im Beſitze dieſes Privi- legs, bald ſehen wir es in Händen eines Konſortiums, Aurial, in Marſeille und 1741 in denen der Afrika— N * niſchen Kompanie. Die von Orgelkoralle (Tubipora Hemprichii). Natürliche Größe. dieſer erzielte Einnahme be⸗ trug 1750: 43,360 und 1790: 60,000 Frank. Die Republik dachte über das Monopol der Korallenfiſcherei keineswegs günſtig, und die Konvention löſte 1794 die Etabliſſements auf und bewilligte auch Fremden das Recht, auf Korallen zu fiſchen. Das war für das franzöſiſche Intereſſe ein ſchwerer Schlag, von dem es ſich noch nicht völlig erholt hat. Nach und nach bemächtigten ſich nun die Italiener dieſes Geſchäftszweiges, und auch die franzöſiſchen Unternehmer haben bei ihren Fiſchereien entlang der algeriſchen und tuneſiſchen Küſten meiſt italieniſche Fiſcher im Dienſt. Neben den Italienern und Frans zoſen fiſchen auch noch die Spanier an den Balearen und Kap Verdiſchen Inſeln auf Edelkorallen. Unſere Schilderung und Formenüberſicht der Polypen ſchließt mit Vorführung der Familie der Or gelkorallen, Tubiporidae, aus den nicht zahlreichen und wenig von— einander abweichenden Arten der einen Gattung Tubipora beſtehend. Die Einzeltiere ſchließen ſich in der Geſtaltung und der Grundzahl ihrer zierlichen Fühler und des weichen Vorderleibes durchaus an die übrigen jetzt lebenden Achtſtrahler an. Hinſichtlich ihrer Skelet— bildung aber ſtehen ſie in der heutigen Welt ganz iſoliert und ſchließen ſich den alten ausge— ſtorbenen Pfeifenkorallen (Syringopora und anderen) an. Das Einzeltier ſondert eine Orgelkorallen. Riffbauende Korallen. 609 glattwandige Röhre ab, ohne Verkalkung der ſenkrechten Scheidewände. Die Vereinigung im Stocke, wo ſie gleich Orgelpfeifen faſt parallel nebeneinander ſtehen, geſchieht durch quere Wände. Dieſelben entſprechen jedoch nicht den nach unten ausgebauchten inneren Quer— wänden, womit ſich der obere lebende Teil der Röhre von Strecke zu Strecke nach hinten gegen den tiefer im Stocke liegenden toten Teil abkapſelt. Die queren äußeren Brücken, welche den Stock in Etagen teilen, ſind zwar nicht regelmäßig parallel und konzentriſch und nicht ununterbrochen, bezeichnen aber doch im allgemeinen die Wachstumsſtufen. Sie ſind ſehr reichlich von den Nährkanälen durchzogen und für das Ganze dadurch von beſonderer Wichtigkeit, daß von ihrer Fläche aus die jungen Individuen hervorknoſpen. Die Röhren der älteren Tiere weichen nämlich, indem ſie ſich verlängern, etwas aus— einander, und überall, wo nun der Raum für das Dazwiſchentreten neuer Röhren geſchaffen wird, ſproſſen dieſelben aus den Querbrücken, welche die Stelle der für die Vermehrung ſo wichtigen Wurzel— ausläufer verſehen. Eine Teilung der Individuen oder eine Knoſpenbildung aus den Röhren ſelbſt findet bei den Orgelkorallen nicht ſtatt. Der Bau und das Leben der Polypen als Einzel— tiere und in Kolonien oder Stöcken, wie wir bisher an ausgewählten Sippen und Arten ſchildern konnten, bie— ten ſicher genug des Wiſſenswürdigen und Feſſelnden. Die Bedeutung des Polypenlebens iſt aber eine weit allgemeinere. Viele Tauſende von Tiergeſchlechtern kom— men und gehen. Sie löſen ich freilich nicht in nichts auf, 5 en 8 5 ſondern ihre elementaren Beſtandteile kehren nur in den ewigen Kreislauf des Stoffes zurück. Sie hinterlaſſen jedoch nichts für das Auge. Die Po— lypen dagegen, wenigſtens jene zahlreichen Formen, welche man zuſammen als riffbauende Korallen bezeichnet, errichten ſich Denkmäler für Hunderttauſende von Jahren, und der Einfluß auf das Körperleben und die Entwickelung des Menſchengeſchlechtes iſt der wich— tigſte Punkt, auf den ſich ſchließlich die Betrachtung des Polypenlebens zu konzentrieren hat. Welchen Zauber der bloße Anblick eines ſeichten Korallenriffes ausübt, hat Haeckel nach einem Beſuche der arabiſchen Küſte des Roten Meeres meiſterlich geſchildert. Er iſt aus dem Hafen von Tur hinausgeſegelt, „wo wir die vielgerühmte Pracht der indiſchen Korallenbänke in ihrem vollen Farbenglanze ſchauen. Das kriſtallklare Waſſer iſt hier unmittelbar an der Küſte faſt immer ſo ruhig und bewegungslos, daß man die ganze wunderbare Korallendecke des Bodens mit ihrer mannigfaltigen Bevölkerung von allerlei Seetieren deutlich erkennen kann. Hier, wie im größten Teile des Roten Meeres, zieht parallel der Küſte ein langer Damm von Korallenriffen hin, ungefähr eine Viertelſtunde vom Lande entfernt. Dieſe Dammriffe oder Barriereriffe ſind wahre Wellenbrecher. Der Wogenandrang zerſchellt an ihrer unebenen, zackigen Oberfläche, welche bis nahe unter den Waſſerſpiegel ragt; und ein weißer Schaumkamm kennzeichnet ſo deutlich ihren Verlauf. Auch wenn draußen auf dem Meere der Sturm tobt, iſt hier in dem durch das Riff geſchützten Kanal oder Graben das Waſſer verhältnismäßig ruhig, und kleinere Schiffe können darin ungeſtört ihre Fahrt längs der Küſte fortſetzen. Nach außen gegen das hohe Meer fällt das Korallenriff ſteil hinunter. Nach innen gegen die Küſte dagegen flacht es ſich allmählich ab, und meiſt bleibt die Tiefe des Kanales ſo gering, daß man die ganze Farbenpracht der Korallengärten auf ſeinem Boden erblicken kann. Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 39 610 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. „Dieſe Pracht zu ſchildern vermag keine Feder und kein Pinſel. Die begeiſterten Schilderungen von Darwin, Ehrenberg, Ranſonnet und anderen Naturforſchern, die ich früher geleſen, hatten meine Erwartungen hoch geſpannt; ſie wurden aber durch die Wirklichkeit übertroffen. Ein Vergleich dieſer formenreichen und farbenglänzenden Meer— ſchaften mit den blumenreichſten Landſchaften gibt keine richtige Vorſtellung. Denn hier unten in der blauen Tiefe iſt eigentlich alles mit bunten Blumen überhäuft, und alle dieſe zierlichen Blumen ſind lebendige Korallentiere. Die Oberfläche der größeren Korallen— bänke, von 6—8 Fuß Durchmeſſer, iſt mit Tauſenden von lieblichen Blumenſternen bedeckt. An den verzweigten Bäumen und Sträuchen ſitzt Blüte an Blüte. Die großen bunten Blumenkelche zu deren Füßen find ebenfalls Korallen. Ja ſogar das bunte Moos, das die Zwiſchenräume zwiſchen den größeren Stöcken ausfüllt, zeigt ſich bei genauerer Betrachtung aus Millionen winziger Korallentierchen gebildet. Und alle dieſe Blütenpracht übergießt die leuchtende arabiſche Sonne in dem kriſtallhellen Waſſer mit einem unſagbaren Glanze! „In dieſen wunderbaren Korallengärten, welche die ſagenhafte Pracht der zauberiſchen Heſperidengärten übertreffen, wimmelt außerdem ein vielgeſtaltiges Tierleben der mannig— faltigſten Art. Metallglänzende Fiſche von den ſonderbarſten Formen und Farben ſpielen in Scharen um die Korallenkelche, gleich den Kolibris, die um die Blumenkelche der Tro— penpflanzen ſchweben. — Noch viel mannigfaltiger und intereſſanter als die Fiſche ſind die wirbelloſen Tiere der verſchiedenſten Klaſſen, welche auf den Korallenbänken ihr Weſen treiben. Zierliche durchſichtige Krebſe aus der Garneelengruppe klettern zwiſchen den Korallen— zweigen. Auch rote Seeſterne, violette Schlangenſterne und ſchwarze Seeigel klettern in Menge auf den Aſten der Korallenſträucher; der Scharen bunter Muſcheln und Schnecken nicht zu gedenken. Reizende Würmer mit bunten Kiemenfederbüſchen ſchauen aus ihren Röhren hervor. Da kommt auch ein dichter Schwarm von Meduſen geſchwommen, und zu unſerer Überraſchung erkennen wir in der zierlichen Glocke eine alte Bekannte aus der Oſtſee und Nordſee, die Qualle. „Man könnte glauben, daß in dieſen bezaubernden Korallenhainen, wo jedes Tier zur Blume wird, der glückſelige Friede der elyſiſchen Gefilde herrſcht. Aber ein näherer Blick in ihr buntes Getriebe lehrt uns bald, daß auch hier, wie im Menſchenleben, beſtändig der wilde Kampf ums Daſein tobt, oft zwar ſtill und lautlos, aber darum nicht minder furchtbar und unerbittlich. Die große Mehrzahl des Lebendigen, das hier in üppigſter Fülle ſich entwickelt, wird beſtändig vernichtet, um die Exiſtenz einer bevorzugten Minderzahl zu ermöglichen. Überall lauert Schrecken und Gefahr. Um uns davon zu überzeugen, brauchen wir bloß ſelbſt einmal unterzutauchen. Raſch entſchloſſen ſpringen wir über Bord und ſchauen nun erſt, von wunderbarem grünem und blauem Glanze umgoſſen, die Farbenpracht der Korallenbänke ganz in der Nähe. Aber bald erfahren wir, daß der Menſch ungeſtraft ſo wenig unter Korallen wie unter Palmen wandelt. Die ſpitzen Zacken der Steinkorallen erlauben uns nirgends, feſten Fuß zu faſſen. Wir ſuchen uns einen freien Sandfleck zum Standpunkt aus. Aber ein im Sande verborgener Seeigel (Dia— dema) bohrt ſeine fußlangen, mit feinen Widerhaken bewaffneten Stacheln in unſeren Fuß; äußerſt ſpröde, zerſplittern ſie in der Wunde und können nur durch vorſichtiges Ausſchneiden derſelben entfernt werden. Wir bücken uns, um eine prächtige ſmaragd— grüne Aktinie vom Boden aufzuheben, die zwiſchen den Schalenklappen einer toten Rieſen— muſchel zu ſitzen ſcheint. Jedoch zur rechten Zeit noch erkennen wir, daß der grüne Körper keine Aktinie, ſondern der Leib des lebenden Muſcheltieres ſelbſt iſt; hätten wir es unvorſichtig angefaßt, ſo wäre unſere Hand durch den kräftigen Schluß der beiden Schalenklappen elend zerquetſcht worden. Nun ſuchen wir einen ſchönen violetten Madre— porenzweig abzubrechen, ziehen aber raſch die Hand zurück, denn eine mutige kleine Krabbe Haeckel über Korallenriffe und Koralleninſeln. 611 (Trapezia), die ſcharenweiſe zwiſchen den Aſten wohnt, zwickt uns empfindlich mit der Schere. Noch ſchlimmere Erfahrungen machen wir bei dem Verſuche, die danebenſtehende Feuerkoralle (Millepora) abzubrechen. Millionen mikroſkopiſcher Giftbläschen entleeren ſich bei der oberflächlichen Berührung über unſere Haut, und unſere Hand brennt, als ob wir glühendes Eiſen angefaßt hätten. Ebenſo heftig brennt ein zierlicher kleiner Hydrapolyp, der höchſt unſchuldig ausſieht. Um nicht auch noch mit einem brennenden Meduſenſchwarm in unliebſame Berührung zu kommen oder gar einem der nicht ſeltenen Haifiſche zur Beute zu fallen, tauchen wir wieder empor und ſchwingen uns in die Barke. „Welche fabelhafte Fülle des bunteſten Tierlebens auf dieſen Korallenbänken durchein— ander wimmelt und miteinander ums Daſein kämpft, davon kann man ſich erſt bei genauerem Studium ein annäherndes Bild machen. Jeder einzelne Korallenſtock iſt eigentlich ein kleines zoologiſches Muſeum. Wir ſetzen z. B. einen ſchönen Madreporenſtock, den eben unſer Taucher emporgebracht hat, vorſichtig in ein großes, mit Seewaſſer gefülltes Glas— gefäß, damit ſeine Korallentiere ruhig ihre zierlichen Blumenkörper entfalten. Als wir eine Stunde ſpäter wieder nachſahen, iſt nicht nur der vielverzweigte Stock mit den ſchönſten Korallenblüten bedeckt, ſondern auch Hunderte von größeren und Tauſende von kleineren Tierchen kriechen und ſchwimmen im Glaſe herum; Krebſe und Würmer, Kanker und Schnecken, Taſcheln und Muſcheln, Seeſterne und Seeigel, Meduſen und Fiſchchen, alle vorher im Geäſte des Stockes verborgen. Und ſelbſt wenn wir den Korallenſtock heraus— nehmen und mit dem Hammer in Stücke zerſchlagen, finden wir in ſeinem Inneren noch eine Menge verſchiedener Tierchen, namentlich bohrende Muſcheln, Krebſe und Würmer verborgen. Und welche Fülle unſichtbaren Lebens enthüllt uns erſt das Mikroſkop! Welcher Reichtum merkwürdiger Entdeckungen harrt hier noch zukünftiger Zoologen, denen das Glück beſchieden iſt, Monate und Jahre hindurch an dieſen Korallenküſten zu verweilen!“ Johannes Walther, welcher nach Haeckel die Korallenriffe der Sinaihalbinſel beſuchte, teilt in ſeiner über dieſen Beſuch herausgegebenen Schrift die Bewunderung ſeines Jenaer Lehrers. „Die allgemeine Anordnung der Korallen auf dem Riff möchte ich am liebſten mit einem Park vergleichen. Zwiſchen blühenden Buſchgruppen und bunt— farbigen Blumenbeeten verſchlingen ſich ſandbedeckte Wege; bald verſchmälern ſie ſich zwiſchen hohen Büſchen, münden wohl auch in eine ſchattige Grotte, bald verbreitern ſie ſich zu kiesbedeckten Plätzen.“ Nach ſolchen erſten äußerlichen Bekanntſchaften mit den uns Europäern am nächſten liegenden Korallenriffen muß ſicherlich das Verlangen ſteigen, tiefer in die Eigentümlich— keiten dieſer Bildungen einzudringen und ſie in ihrer allgemeinen Verbreitung kennen zu lernen. Wir halten uns an die Führung Danas, die er in dem früher citierten Werke „Korallen und Koralleninſeln“ niedergelegt hat. Wir werden die betreffenden Kapitel teils im Auszuge wiedergeben, öfters auch, wo es paſſend iſt, wörtlich überſetzen, ohne immer wieder den ein für allemal genannten und anerkannten Gewährsmann zu nennen. Alle riffbildenden Korallenarten leben in den Meeren der heißen Zone, wo die Abkühlung des Waſſers ſelbſt während des Winters nicht unter 16 Grad Réaumur herab: geht. Die höchſte Sommerwärme im Stillen Ozean beträgt 24 Grad Neaumur. Zwei Linien nördlich und ſüdlich vom Aquator, welche die Orte jener gleichen Wintertemperatur verbinden und je nach den Strömungen vielfach ein- und ausgebuchtet ſind, umſchließen die Zone der Korallenriff-Meere. Schon unſere gewöhnliche Schulgeographie hat uns belehrt, daß zwar rings um die Aquatorialzone Riffe vorkommen, daß ihre Verteilung aber außerſt verſchieden iſt. Die von uns oben in Überſicht gebrachten ſtockbildenden Korallen haben zum aller— größten Teil ihre eigentliche und ausſchließliche Heimat zwiſchen dieſen Grenzen. Erinnern 39 * 612 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. wir uns nur an das ſpärliche Vorkommen von Korallen in dem ſonſt dem Tierleben ſo günſtigen Mittelmeere. Riffbauer find alſo alle Aſträen, faſt alle Pilzkorallen, die Madre: poren und Poriten und die meiſten Arten aus allen übrigen Familien und Sippen. Die größte Mannigfaltigkeit herrſcht natürlich in dem mittleren heißeſten Gürtel, zwiſchen 15 und 18 Grad nördlich und ſüdlich des Aquators, wo die Temperatur nicht unter 18 ½ Grad Réaumur fällt. In dieſe Regionen fallen die Fidſchi-Inſeln, deren Riffe ein Beiſpiel außerordentlicher Fülle an Korallen geben. Aſträen und Mäandrinen erreichen hier ihre höchſte Entfaltung. Madreporen erſcheinen als blütenbedecktes Strauchwerk, als große Becher und Blätter, welche letztere bis faſt auf 2 m ſich ausbreiten. Viele andere Formen erſcheinen in ähnlicher Fülle und Ausdehnung. Die Hawaii-Inſeln im nördlichen Teile des Stillen Ozeans, zwiſchen 19 und 20 Grad, liegen außerhalb dieſes heißeſten Gürtels; ihre Korallen ſind deshalb weniger üppig und artenreich. Es fehlen die Madreporen, und nur wenige Aſträen und Fungien finden ſich, während die weniger empfindlichen Poriten und Pocilloporen in großer Menge dort gedeihen. Die Korallengattungen von Oſtindien und dem Roten Meere ſind weſentlich dieſelben wie im Zentralteil des Stillen Ozeans, ebenſo die der Küſte von Sanſibar. Auch bei den Pomatus, den öſtlichen pazifiſchen Koralleninſeln, iſt die Mannigfaltigkeit der Sippen und Arten ſehr groß, aber nicht ſo groß wie weſtwärts. Der Golf von Panama und die benachbarten Meeresteile nördlich bis zur Spitze der kaliforniſchen Halbinſel und ſüdlich bis zu Guayaquil liegen auch noch in dem heißen Gürtel, aber in der kühleren Zone desſelben. Die Polypenarten von dort haben durchweg den pazifiſchen Charakter und ſind gänzlich von den weſtindiſchen verſchieden. Es ſind deren nicht viele und auf eine geringe Anzahl von Gattungen beſchränkt. Es läßt ſich das aus der Beſchaffenheit und Richtung der ozeaniſchen Ströme längs der Weſtküſte von Amerika erklären, welche die Linien gleicher Meerestemperatur ſowohl von Norden als von Süden weit gegen den Aquator zurückdrängen und ſowohl durch ihre niedrige Temperatur als durch ihre Richtung, indem ſie ſich weſtwärts wenden, die Wanderung von Arten aus dem mittleren Teile des Stillen Ozeans gegen Panama zu aufhalten und verhindern. Obgleich die weſtindiſchen Riffe innerhalb des heißeſten Gürtels liegen, ſind ſie doch im Verhältnis zu denen des zentralen pazifiſchen Meeres arm an Arten und Sippen. Wir finden dort einige große Madreporen, ſo Madrepora palmata, welche ſich flächenhaft bis auf 2 m ausbreitet, dann die baumförmige Madrepora cervicornis, die eine Höhe von über 4 m erreicht. Unter den wenigen Aſträen find die Mäandrinen am bemerkenswerteſten. Merkwürdigerweiſe lebt, nach Profeſſor Verylls Beobachtungen, keine weſtindiſche Korallen— art drüben an der Küſte von Panama, und überhaupt ſcheint keine dieſer weſtindiſchen Arten im Stillen oder Indiſchen Ozean vorzukommen. Auch aus der Vergleichung der Arten anderer Klaſſen geht hervor, daß mit der Aufrichtung der Landenge von Panama eine Iſolierung eintrat, ſeit welcher die Artumbildung auf beiden Seiten unabhängig vor ſich ging. Die nördlicher, aber im Striche des Golfſtromes gelegenen Bermudas haben ihre wenigen Korallen von Weſtindien empfangen. Auch die Korallen der braſiliſchen Küſte ſüdlich vom Kap Rock ähneln im ganzen denen von Weſtindien, obſchon die beſonders charakteriſtiſchen Gattungen, Madrepora, Maeandrina, Oculina und andere fehlen. Als Reinhold Forſter mit ſeinem Sohne Georg vor 100 Jahren mit Cook die Koralleneilande der Südſee entdeckte, bildete er ſich die Anſicht über ihre Entſtehung, daß die riff- und inſelbauenden kleinen Tierchen von unergründlichen Tiefen aus allmählich mit ihren Stöcken und Ablagerungen bis an den Waſſerſpiegel herankämen, daß alſo die— ſelben Arten ihre Lebensbedingungen in den verſchiedenſten Tiefen fänden. Wir haben nun zwar durch die neueren Tiefſee-Forſchungen in ſichere Erfahrung gebracht, daß auch die Vorkommen und Verteilung der Korallenarten. Wachstum der Riffkorallen. 613 tiefſten mit den Apparaten zum Heraufholen von Bodenproben erreichbaren Abgründe, eine Tiefe von einer geographiſchen Meile, noch einzelne, in manchen Strecken der Ozeane ſogar zahlreiche Tierarten der verſchiedenſten Klaſſen beherbergen. Aber was in ſolchen Tiefen lebt, hat ſich den beſonderen Verhältniſſen der Tiefe mit der koloſſalen Steigerung des Druckes, der Anderung von Licht und Wärme, von Gasaustauſch ſo akkommodiert, daß es oben nicht beſtehen kann. Die Zahl der Tiefſeepolypen iſt nun überhaupt auffallend gering, und darunter findet ſich keine Art, welche in einer größeren Tiefe riffbauend auftritt, geſchweige denn, daß ſolche Bauten im Laufe der Jahrhunderte bei gleichbleibendem Spiegel des Grundes endlich zum Riffe oder zur ſichtbaren Inſel würde. Die franzöſiſchen Naturforſcher Duoy und Gaimard, welche die Expedition des Admirals d'Urville nach der Südſee begleiteten, ſchloſſen, daß die untere Grenze, bis zu welcher die Korallen lebten, mit 5—6 Faden, alſo 10— 12 m erreicht ſei, eine Behauptung, welche von Ehrenberg nach ſeinen Unterſuchungen im Roten Meere beſtätigt wurde. Doch zeigten ſichere Meſſungen in der Südſee, daß noch bei 20 Faden Tiefe ein reiches Korallenwachstum ſtattfinde. So beobachtete Darwin an den Riffen von Mauritius in dieſer Tiefe Madreporen und Aſträen, und lebende Korallen wurden bis zu dieſer Grenze von ihm und anderen an verſchiedenen anderen Riffen der Südſee gefunden. Auch Ehren— bergs Angaben wurden erweitert und im Roten Meere Lager lebender Korallen bei 25 Faden Tiefe entdeckt. Endlich beſtimmte Pourtaleès die Tiefe des Korallenlebens auf den Florida-Riffen mit 15 Faden; und ſo ſind alle neueren Forſcher darüber einig, auch Dana nach ſeinen reichen Erfahrungen, daß lebende riffbauende Korallen nur in verhält— nismäßig geringer Tiefe und innerhalb ſchmaler Höhenzonen vorkommen. Überall, wo man tiefer ſondiert und mit Anker oder Schleppnetz vom Korallenboden Stücke abreißt, trifft man Korallentrümmer oder mehr oder minder verſchonte, vom Sande bedeckte tote Stöcke. Eine der Urſachen dieſer geringen Verbreitung in die Tiefe iſt jedenfalls die Tem— peratur, welche die Verteilung alles Lebens über den ganzen Ozean nach Breite und Tiefe ſo ſehr beeinflußt. Sie kann jedoch unmöglich die einzige Urſache ſein. Wie erwähnt, iſt eine Wärme zwiſchen 24 und 18 Grad dem Gedeihen der meiſten riffbildenden Korallen zuträglich und doch iſt die Waſſertemperatur in 100 Fuß Tiefe im mittleren Teile des Stillen Ozeans meiſt über 18 Grad Réaumur. Sehen wir uns nun die lokalen Urſachen an, von welchen das Wachstum der Riff— korallen abhängt. Vor allen Dingen verlangen ſie reines Seewaſſer, und ſie gedeihen am beſten in den breiten Binnenkanälen zwiſchen den Riffen, in den weiten Lagunen und im ſeichteren Waſſer nach der Brandung zu. Es iſt alſo ganz falſch, wenn man allgemein behauptet, daß in den Lagunen und Kanälen nur kleine Korallen wüchſen; das gilt nur für enge Lagunen und Kanäle und für ſolche Teile der breiteren Kanäle, welche unmittel— bar an den Mündungen friſcher Gewäſſer liegen. Unzweifelhaft verlangen gewiſſe Arten das offene Meer; wenn man aber die ſpeziellen Verhältniſſe unterſucht oder die außen an der Brandungsſeite geſammelten Polypen muſtert, überzeugt man ſich, daß die Thatſachen fehlen, um eine Liſte ſolcher Arten zuſammenzuſtellen. Von den maſſenhaften Aſträen, Mäandrinen, Poriten und Madreporen zu ſchließen, die von den Wogen auf die Außen— riffe geworfen werden, ſind dieſe Sippen nach der offenen Seeſeite zu ſehr gut vertreten. Auf den Pomatu-Inſeln findet man an der Küſte einzelne Stöcke von Porites von 2— 2½᷑œ um im Durchmeſſer. Arten derſelben Sippe wachſen oben auf den Riffen, und einige ſind dieſelben, die auch in größeren Tiefen vorkommen. Zahlreiche Aſträen, Mäandrinen und Madreporen leben an der Außenſeite der Riffe, wo die Wogen mit voller Kraft anprallen. Dort trifft man auch zahlreiche Milleporen ſowie einige Poriten und Pocilloporen. Die zarteren 614 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Montiporen aber, die inkruſtierenden Arten ausgenommen, leben im ruhigen Waſſer. Die genannten Arten wachſen nun auch im ſeichten Waſſer innerhalb der Riffe. So ſind Aſträen, Mäandrinen und Pocilloporen hier nicht ungewöhnlich, verlangen aber reines Waſſer. Einzelne Madreporenarten kommen jedoch noch im unreinen Waſſer fort, ebenſo gewiſſe Poriten; dieſe wachſen hier und da einige Zentimeter über den Strich des niedrigen Waſſers heraus, wo ſie der Sonne und dem Regen ausgeſetzt ſind. An den im unreinen Waſſer an den Küſten wachſenden Poriten macht ſich der Einfluß von dem vom Lande ab— geſchwemmten Abſatz ſo geltend, daß die Korallenſtöcke ſich nur flach ausbreiten, indem die höheren Teile durch den Abſatz getödet werden; und ganz allgemein: wo Flüſſe oder Bäche Abſatz herbeiführen, kommen Korallen nicht fort. Wir finden deshalb auch nur wenige Polypen an ſandigen oder ſchlammigen Küſten. Auch in ſolchen Lagunen, welche nicht hin— länglich von dem Meere aus mit friſchem Waſſer geſpeiſt und wegen ſtarker Verdunſtung zu ſalzig werden, finden ſich keine Korallen; endlich kann Überhitzung des Lagunenwaſſers zum Ausſterben der Polypen führen. Über die unglaubliche Fülle von Lebensformen, welche ſich auf und in den Korallen— ſtöcken anſiedeln, dieſe weſentlich zerſtören, aber doch auch, ſoweit ſie harte Teile abſondern, ihr Teil zum Bau der Riffe beitragen, hat uns ſchon Haeckel erzählt. Ahnlich berichtet L. Agaſſiz nach ſeinen Unterſuchungen der Florida-Riffe: Unzählige bohrende Tiere ſiedeln ſich in den toten Teilen der Stöcke an, höhlen ſie inwendig nach allen Richtungen aus und löſen ihre feſte Verbindung mit dem Boden; auch dringen ſie bis in die die lebenden Polypen enthaltende Außenſchicht vor. Dieſe zahlloſen bohrenden Tiere gehören ſehr ver— ſchiedenen Klaſſen an. Zu den thätigſten gehören die Meerdattel (Lithodomus), verſchie— dene Stein- und Felsbohrmuſcheln (Saxicava, Petricola), Archenmuſcheln (Arca) und zahlreiche Würmer, unter denen die Serpula die größte und gefährlichſte iſt, indem ſie regelmäßig durch den lebenden Teil der Stöcke vordringt, beſonders in Madreporen. Am freien unteren Teil einer Mäandrine, nicht ganz / m im Durchmeſſer, zählte Agaſſiz 50 Höhlungen der Meerdattel außer Hunderten von kleinen Wurmlöchern. Alle dieſe Zer— ſtörungen ſind aber nichts gegen die von den Bohrſchwämmen verurſachten. Wir werden dieſelben mit den übrigen Schwämmen näher kennen lernen. Hier wollen wir aber noch Darwin hören, der in ſeinem bahnbrechenden Buche über den Bau und die Verbreitung der Korallenriffe folgendes vom Keeling-Atoll erzählt: „An der Außenſeite des Riffes muß durch die Thätigkeit der Brandung auf die herumgerollten Bruchſtücke von Korallenſub— ſtanz viel Niederſchlag gebildet werden; aber in den ruhigen Wäſſern der Lagunen kann dies nur in einem geringen Grade ſtattfinden. Es finden ſich indeſſen hier andere und unerwartete Kräfte in Thätigkeit; große Scharen zweier Arten von Papageifiſchen, die eine die Brandung außerhalb des Riffes und die andere die Lagunen bewohnend, leben gänzlich vom Abweiden der Polypenſtöcke. Ich öffnete mehrere dieſer Fiſche, welche ſehr zahlreich und von beträchtlicher Größe ſind, und fand ihre Eingeweide durch kleine Stücke von Korallen und fein zermalmte kalkige Subſtanz ausgedehnt. Dieſe muß täglich als feinſter Niederſchlag von ihnen abgehen. Auch leben die Holothurien von lebendigen Korallen; und das eigentümliche knochenartige Gebilde innerhalb des vorderen Endes ihres Körpers ſcheint ſicherlich dieſem Zwecke gut angepaßt zu ſein. Die Zahl der Arten von Holothuria und der Individuen, welche auf jedem dieſer Korallenriffe herumſchwärmen, iſt außerordentlich groß; und wie bekannt iſt, werden jährlich viele Schiffsladungen nach China mit Trepang verfrachtet, welches eine Art dieſer Gattung iſt. Die Menge von Korallen, welche jährlich durch dieſe Geſchöpfe und wahrſcheinlich noch durch viele andere Arten verzehrt und zu dem feinſten Schlamme gemahlen werden, muß ungeheuer ſein. Dieſe Thatſachen ſind indeſſen von einem anderen Geſichtspunkte noch bedeutungsvoller, Lebensformen in den Korallenſtöcken. Wachstumsverhältniſſe einzelner Korallenarten. 615 da ſie uns zeigen, daß es für das Wachstum der Korallenriffe lebendige Hinderniſſe gibt, und daß das beinahe ganz allgemeine Geſetz des „Verzehrens und Verzehrtwerdens“ ſelbſt für die Polypenſtöcke gilt, welche dieſe maſſiven Bollwerke bilden, die im ſtande ſind, der Macht des offenen Ozeans zu widerſtehen.“ Auf der anderen Seite dringen Röhrenwürmer und gewiſſe Rankenfüßer (3. B. Creusia) in lebende Korallen, ohne ihnen zu ſchaden. Sie heften ſich beim Übergang aus dem Larvenzuſtande auf der Oberfläche des Stockes an und werden von den wachſenden Polypen allmählich in den Stock eingebettet, ohne ihn zu verunſtalten oder ſein Wachstum zu ſtören. Manche Serpeln halten im Wachstum gleichen Schritt mit dem Stocke, und ihre Röhre reicht dann tief in die Korallenmaſſe hinein. Entfalten ſie zwiſchen den Polypen— kelchen ihre Kiemen, ſo gibt das einen prächtigen Anblick. Dana hat in ſeinem Werke ein beſonderes Kapitel den Beobachtungen über das Wachſen der Korallen gewidmet, d. h. der Wachstumsverhältniſſe einzelner Arten, nicht der Riffe, welche von ganz anderen und komplizierten Bedingungen abhängen. Schon 1830 ſtellte ein Dr. Allen an der Küſte von Madagaskar Verſuche darüber an. Er brach im Dezember eine Anzahl Korallenſtücke aus, verſenkte ſie auf einer ſeichten Bank bis einen Meter unter dem Ebbeſpiegel und fand im Juli, daß ſie faſt die Oberfläche erreicht hatten und im Boden ganz feſtgewachſen waren. Die Erzählung, daß im Perſiſchen Golfe der Kupferbeſchlag eines Schiffes im Laufe von 20 Monaten mit einer ?/s m dicken Kruſte von Polypen bedeckt worden, wird von Darwin als verdächtig bezeichnet. Bei einer anderen Angabe, daß nämlich auf einer zweijährigen Auſter eine Pilzkoralle von 1,25 Kg gefunden worden ſei, weiß man unglücklicherweiſe nicht, ob die Auſter lebte, oder ob die Koralle Zeit hatte, auf der toten Schale zu wachſen. Weinland ſah in einer kleinen ſeichten Bucht auf Haiti mehrere Aſte der Madrepora cervicornis 7—12 em über den Spiegel herausragen. Die Polypen waren auf allen der Luft ausgeſetzten Teilen abgeſtorben. Das war im Juli. Und da im Winter das Waſſer an jener Küfte 1—2 m höher als im Sommer ſteht, ſo iſt der Schluß gerecht— fertigt, daß der Polypenſtock in den 3 Wintermonaten 7—12 em wächſt. Andere ſichere Beobachtungen anderer Forſcher haben ergeben, daß ein Stock von Maeandrina laby- rinthica 30 em im Durchmeſſer und 10 em hoch in 20 Jahren gewachſen war. Wir übergehen verſchiedene andere Nachrichten und teilen nur noch die ſehr intereſſanten Beob— achtungen über die Inkruſtierung eines Schiffes mit, welches 1792 an der amerikaniſchen Küſte ſcheiterte und deſſen Wrack in einer Tiefe von etwa 4 Faden 1857 unterſucht wurde. Es fand ſich, daß eine Madrepore während der 64 Jahre die Höhe von 5 m erreicht hatte, alſo durchſchnittlich S em jährlich gewachſen war, während maſſige Polypenſtöcke, welche ſich daneben angeſiedelt hatten, ein verhältnismäßig weit langſameres Wachstum zeigten. Alle dieſe Angaben rühren von gelegentlichen Beobachtungen her, und es mangelt ebenſo für die Polypen wie für die anderen wirbelloſen und die meiſten höheren Tiere an plan— mäßigen Verſuchen. Wir treten nun nach dieſen vorbereitenden, das Leben der riffbildenden Korallen betreffenden Unterſuchungen an das eigentliche Thema dieſes Abſchnittes heran. Korallenriffe und Koralleninſeln ſind Bildungen derſelben Art, aber unter etwas verſchiedenen Verhältniſſen. Eine Koralleninſel iſt unter allen. Umſtänden einmal eine lange Zeit hindurch ein Riff geweſen und iſt es noch zum großen Teil. Doch bedeuten die Namen etwas Verſchiedenes. Koralleninſeln ſind iſoliert im Meere ſtehende Riffe, welche entweder nur bis zum Waſſerſpiegel reichen und halb untergetaucht ſind, oder bedeckt mit Pflanzenwuchs. Korallenriffe aber, außerdem daß ſie eine allgemeine 616 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Bezeichnung ſind, nennt man im beſonderen die Korallenbildungen längs der Küſten hoher Inſeln und des Feſtlandes. Wir beginnen mit den letzteren. Die Korallenriffe ſind alſo Bänke von Korallen— felſen im Meere längs der Küſten tropiſcher Länder. Im Stillen Ozean ſind dieſe Land— maſſen, mit Ausnahme von Neukaledonien und einigen anderen Inſeln, vulkaniſchen Urſprunges, oft von Gebirgshöhe. Die ſie umgürtenden Riffe ſind bei Flut gewöhnlich ganz unter Waſſer. Zur Ebbezeit aber bieten ſie ſich dem Blicke als breite, flache, nackte Felſenflächen dar, gerade über dem Waſſerſpiegel, ſonderbar abſtechend von den jähen Abhängen der von ihnen umfaßten Inſel. Nähert man ſich in einem Schiffe einer Korallenküſte, ſo iſt, wenn gerade Flut, das erſte Zeichen eine Linie ſchwerer Brandung, oft meilenlang und in großer Entfernung vom Lande. Kommt man etwas näher heran, ſo unterſcheidet man wohl einzelne Stellen des Riffes, wenn gerade eine Woge zurückläuft; aber im nächſten Augenblick iſt wieder alles ein Waſſergewoge. Ein Glück iſt es für das kreuzende Schiff in unbekannten Riff— regionen, wenn die brandenden Wellen ununterbrochen die Rifflinie bezeichnen. Denn mitunter tritt eine trügeriſche Ruhe ein, welche tiefes Waſſer vermuten und das Fahr— zeug arglos vorwärtsgehen läßt, bis es bald über Korallenmaſſen ſchleift, dann ſchwer in kurzen Zwiſchenpauſen aufſtößt und einige Augenblicke ſpäter hilflos auf dem Riffe geſcheitert iſt. Bei Ebbe beſänftigt die Brandung ſich oft ganz oder faſt ganz. Aber dann iſt das Riff meiſt in voller Sicht und bei aufmerkſamer Wache, günſtigem Winde und vollem Tageslicht die Schifffahrt verhältnismäßig ſicher. Die beifolgende Skizze gibt eine Vorſtellung von einer ſo eingefaßten tropiſchen Inſel. Das Riff zur rechten Seite bildet einen Gürtel unmittelbar um die Küſte und erſcheint als eine Fortſetzung des Landes. Es findet ſich dieſes Strandriff (Gürtelriff, Küſtenriff, Saumriff) auch auf der linken Seite, aber außerhalb desſelben, getrennt durch einen Kanal, iſt noch ein Barriereriff oder Dammriff. An einer Stelle iſt die Inſel von einer Steil— küſte begrenzt, und hier, infolge des Abſturzes und der Tiefe, fehlt das Riff. Das Barriereriff iſt von einem Eingange durchbrochen, welcher in einen Hafen führt, wie deren ſich oft an ſolchen korallenumgebenen Inſeln finden. Während manche Inſeln nur ſchmale Gürtelriffe haben, ſind andere zum großen Teil oder ganz durch den Damm umzäunt, welcher das Land wie ein künſtlicher Hafenmolo vor den Angriffen des Meeres ſchützt. Das Barriereriff it mitunter 10— 15 Meilen vom Lande entfernt und umſchließt nicht nur eine, ſondern mitunter mehrere hohe Inſeln. Von Riffen von ſo großem Umfange bis zu den einfachen Gürtelterraſſen gibt es alle möglichen Übergänge. 5 Der Binnenkanal iſt bei Ebbe oft kaum tief genug für Boote, kann auch mitunter ganz trocken liegen. Dann wieder iſt er nur eine enge, verſchlungene Paſſage, in welcher große Korallenklötze die Schiffahrt gefährden. Und wiederum zeigt er meilenlange Strecken offenen Waſſers, worin ein Schiff gegen den Wind bei 10, 20 und 40 Faden lavieren kann; doch fordern verborgene Untiefen zur Vorſicht auf. Ausbreitungen von lebenden Korallen von wenigen Quadratfuß bis auf mehrere (engliſche) Quadratmeilen find über die breite Bodenfläche innerhalb der weit vorgeſchobenen Barriere zerſtreut. Alle dieſe mannigfaltigen Formen kann man an einer einzigen Inſelgruppe finden, den Fidſchi. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die oben beſchriebenen Strand- und Barriereriffe nicht für ſich allein das ganze Korallenriff ausmachen; es ſind eben nur die Beſtandteile, welche bis an den Waſſerſpiegel reichen. Zwiſchen ihnen und außerhalb des Barriereriffes finden ſich unterſeeiſche Bänke im Zuſammenhang mit den höheren Teilen, und alle zuſammen bilden den Korallenriffgrund einer Inſel. Auch ergibt ſich aus dem Angeführten eine große Verſchiedenheit in der Ausdehnung der Riffgründe. An manchen Küſten finden Korallenriffe: Ausdehnung und Zuſammenſetzung der Riffbildungen. Nutzen. 617 ſich nur zerſtreute Gruppen von Korallen oder einzelne hügelartig auftauchende Bildungen oder bloße Spitzen von hervorragenden Korallenfelſen. Dann wieder, z. B. weſtlich von den beiden großen Fidſchi-Inſeln, breitet fi) etwa eine Strecke von gegen 3000 leng— liſchen) Quadratmeilen Riffgrund aus. Das Barriereriff von Vana Levu allein iſt über 100 (lengliſche) Meilen lang. Neukaledonien wird längs feiner ganzen weſtlichen Küſte, 2,50 (engliſche) Meilen, von einem Riffe begleitet, das ſich noch 150 Meilen nach Norden fortſetzt. Das große auſtraliſche Barriereriff bildet ſogar eine ununterbrochene Länge von 1250 Meilen Länge. Bei einer näheren Unterſuchung und Beſchreibung der Riffbildungen hat man zu unterſcheiden: 1) Außenriffe, gebaut von Korallen, welche dem offenen Meere ausgeſetzt ſind. Alle eigentlichen Dammriffe und die nicht von ſolchen geſchützten Gürtelriffe gehören hierher. 2) Binnenriffe, welche in ruhigem Waſſer zwiſchen einem Damme und der Küſte einer Inſel ſich befinden. 3) Kanäle oder Seeflächen innerhalb der Dammriffe, welche den verſchiedenen von den Küſten oder den Riffen abgelöſten Abſatz aufnehmen. Hohe Inſel mit Barriere- und Gürtelriff. 4) Strand und Strandbildungen, nämlich Anhäufungen von Sand und Korallen an den Küſten, verurſacht durch Wellen und Winde. Die genauere Schilderung dieſer Ver— hältniſſe würde uns hier jedoch zu weit führen, und wir verweiſen die Leſer, welche ſich ſpezieller unterrichten wollen, auf Danas Werk. Aber was er über den Nutzen der Korallenriffe ſagt, wollen wir hier einſchalten. Alle von Korallen umgebenen Küſten, und beſonders diejenigen von Inſeln mitten im Ozean, haben große Vorteile von ihren Riffen. Die ausgedehnten Korallenbänke und die hinter ihnen liegenden Kanäle erweitern außerordentlich den zu den Inſeln, welche ſie umgürten, gehörigen Bezirk. Abgeſehen davon, daß ſie Mauern bilden gegen den Ozean, ſind ſie zugleich Deiche, welche den von den bergigen Küſten herabgeſchwemmten Boden anſammeln. Sie veranlaſſen die vom Lande herabkommenden Gewäſſer, den Schlamm, welchen ſie mit ſich führen, abzuſetzen und erhalten ihn ſo dem Lande. Sie verhindern alſo die Zerſtörung, welche an allen Küſten ohne ſolche Schutzdämme vor ſich geht. Denn der Ozean frißt nicht nur an den ungedeckten Küſten, ſondern verſchlingt auch alles, was die Flüſſe ihm zuführen. Das Rewa-Delta von Viti Levu, gebildet vom Abſatz eines großen Fluſſes, bedeckt faſt 60 (engliſche) Quadratmeilen. Das iſt allerdings ein extremer Fall in der Südſee, wo nur wenige Inſeln jenen Umfang erreichen, alſo auch Flüſſe von ſolcher Stärke ſelten ſind. Nicht oft aber wird man eine von Riffen umgebene Inſel finden ohne einige Landvergrößerungen dieſes Urſprunges. Und auf dieſem Schwemm— lande pflegen die Dörfer der Eingeborenen zu liegen. So finden ſich ſolche Ebenen rings um Tahiti, 0,5 — 3 Meilen breit, und gerade auf ihnen gedeihen die Kokos- und Brot— fruchthaine am freudigſten. 618 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Die Riffe erweitern auch die Fiſchergründe der Eingeborenen und locken reichlich Fiſche an, faſt die einzige Fleiſchnahrung jener. Die von ihnen eingeſchloſſenen Gewäſſer fordern zur Schiffahrt auf und erleichtern die Verbindung zwiſchen den Niederlaſſungen. Die Eingeborenen pflegen dann auch beſonders unternehmend zu ſein, da jene Umſtände die Erbauung großer Segelboote begünſtigen, in welchen ſie über ihr eignes Land hinaus gehen und oft Reiſen auf Hunderte von Meilen unternehmen. Während die reinen Felſen— küſten, wie St. Helena, hafenlos und dünn bevölkert zu ſein pflegen, ſind die Korallen— küſten bis an den Strand mit Vegetation bedeckt und weite Ebenen mit Brotfruchtbäumen und anderen tropiſchen Gewächſen beſtanden. Aus denſelben Urſachen öffnen ſich ſichere Häfen; manche Inſeln zählen ein Dutzend, während die ungeſchützten Küſten kaum einen einzigen guten Ankerplatz aufweiſen. Sogar zum Welthandel liefern die umfangreicheren Riffregionen ihren Beitrag: außer Perlen jene „Trepang“ genannten eßbaren Holothurien, Koralleninſel oder Atoll. von denen Tauſende von Zentnern jährlich von den oſtindiſchen und auſtraliſchen Riffen und von den Fidſchi nach China eingeführt werden. | Den eben beſchriebenen Korallenriffen ähneln die Koralleninſeln ſehr; es find Riffe, welche eine Art von See, die Lagune, einſchließen. Der Streifen, welcher ſich um das eingeſchloſſene Waſſer zieht, iſt gewöhnlich nur 100 —200 m breit, an einzelnen Stellen ſo niedrig, daß die Wogen noch darüberhin in die Lagune ſchlagen, an anderen von reicher Tropenvegetation bedeckt; ſelten erhebt er ſich mehr als 3 4 m über die Fluthöhe. Vom Bord eines Schiffes von fern geſehen, erſcheint die Koralleninſel als eine Reihe ſich vom Horizont abhebender dunkler Punkte. Sie verwandeln ſich in die fiederigen Gipfel von Kokosbäumen, und eine grüne, da und dort unterbrochene Linie zieht ſich am Waſſerſpiegel hin. Dann, in nächſter Nähe, breitet ſich die Lagune mit ihrem grünen Gürtel vor den Augen aus, ein Anblick, wie man ihn wunderbarer ſich nicht vorſtellen kann. Außen, längs des Riffes, die brüllende ſchwere Brandung, drinnen der weiße Korallen— ſtrand, das dichte Grün und der eingeſchloſſene See mit ſeinen winzigen Inſelchen. Die Farbe des Lagunenwaſſers iſt oft dasſelbe Blau wie das des offenen Meeres bei einer Tiefe von 10—12 Faden; aber grüne und gelbe Tinten find dazwiſchen, da wo Sand— grund und Korallen nahe an die Oberfläche ſteigen. Das Grün iſt ein zartes Apfelgrün, ganz unähnlich der gewöhnlichen unreinen Schattierung ſeichten Gewäſſers. Obgleich der Gürtel von Vegetation mitunter die ganze Lagune rings umſäumt, iſt er doch gewöhnlich durch Barriereriffe von verſchiedener Ausdehnung in einzelne Inſelchen geteilt; und oft finden ſich in einem oder mehreren dieſer Zwiſchenräume ſchiffbare Kanäle, welche den Eingang in die Lagune geſtatten. Die größeren Koralleninſeln pflegen ſo Koralleninjeln oder Atolls. 619 eine Reihe von Inſelchen längs einer Linie von Riffen zu ſein. Man nennt nach einem Maldiviſchen Worte dieſe Laguneninſeln Atolls. Was den Bau derſelben anbetrifft, ſo ſtimmen ſie weſentlich mit den Außenriffen überein, welche hohe Inſeln umgeben; in beiden Fällen ſehen wir nach und nach Land auf— tauchen und die von den Wogen beſpülte weiße Strandbildung in die von ewigem Grün bedeckten höheren Stellen übergehen. Auch der Vergleich der Lagune mit den Kanälen hinter den Außenriffen ergibt ſich von ſelbſt. Wir haben, wenn auch nur ſehr obenhin, die äußeren thatſächlichen Verhältniſſe der Riffe und Atolls kennen gelernt und können nun auf die Art und die Urſachen ihrer Bildung und ihrer Erſcheinung eingehen. In der Schilderung aus dem Roten Meere hat Haeckel von der Pracht der „Korallen— gärten“ geſprochen. Dana, der vorzugsweiſe die Riffe der Südſee im Auge hat, ſagt, daß die Worte „Korallenpflanzung“ und „Korallenfeld“ geeigneter ſeien, den Eindruck der Oberfläche eines wachſenden Riffes wiederzugeben. Gleich einer Strecke wilden Landes, das hier mit verſchiedenem Geſträuch bedeckt iſt, dort auf unfruchtbaren Sandflächen nur einzelne grüne Fleckchen trägt, hier einen Haufen Bäumchen, dort einen Teppich bunter Blumen — ſo ſieht die Korallenpflanzung aus, über die man nochmals einen Blick werfen muß, ehe man an ihre Erklärung geht. Verſchiedene niedere feſtſitzende Tiere wachſen über die Oberfläche zerſtreut wie Pflanzen auf dem Lande; aber während große Flächen dicht damit beſetzt ſind, tragen andere weite Gründe nichts. Aber kein grüner Raſen, ſondern Sand und Bruchſtücke von toten Korallen und Korallenfelſen füllen die Zwiſchen— räume zwiſchen den blühenden Gebüſchen aus, und wo die Polypen dicht gedrängt wachſen, finden ſich tiefe Höhlen zwiſchen den ſteinigen Stämmen und Blättern. Dieſe Felder lebender Korallen breiten ſich auf den untermeeriſchen Gründen aus, an den Küſten von Inſeln und Feſtland, aber nicht tiefer, als ihre Eigentümlichkeiten es verlangen, genau ſo, wie Pflanzen ſo weit gehen, wie ihrer Natur zuſagt. Die ſchwärmenden Larven ſetzen ſich in irgend einem geſchützten Winkelchen an einem Felſen, einem toten Korallenſtock oder ſonſt einer Unterlage feſt, und von da erhebt ſich der Baum oder eine andere Form des Korallengewächſes. Der Vergleich mit dem Wachstum der Pflanzen läßt ſich noch weiter führen. Bekanntlich tragen die Trümmer und Abfälle des Waldes, Blätter und Stämme, auch tieriſche Überreſte zur Bildung des Bodens bei; und in Sümpfen und Mooren nimmt die Anhäufung ſolcher Überreſte unaufhörlich zu und bilden ſich tiefe Schichten von Torf. Ahnlich iſt die Entſtehungsgeſchichte der Korallenmatten. Fortwährend häufen ſich größere und kleinere ſandartige Bruchſtücke der auf den Riffen lebenden Polypen, von Mollusken und überhaupt Überbleibſel von Organismen an; und ſo bildet und verfeſtigt ſich eine Schicht von Korallentrümmern. Dieſe Trümmer füllen die Zwiſchenräume zwiſchen den mit Korallen beſtandenen Flecken und die leeren Stellen zwiſchen den einzelnen lebenden Stöcken aus und bilden auf dieſe Weiſe den Riffabſatz, bis endlich die Schicht noch unter Waſſer feſt geworden iſt. Dieſer Art des Aufbaues und Wachstums des Riffes ſind die Wachstumsverhältniſſe der Polypen auf das genaueſte angepaßt, oder, wie man umgekehrt ſagen kann, das Wachſen des Riffes hängt von dem eigentümlichen Wachſen der Polypenſtöcke ab: die Stöcke ſterben unten ab, während ſie oben wachſen, und nur die toten Teile werden von den Anhäufungen der Trümmer bedeckt. An der Herbeiſchaffung dieſer Trümmer hat nun die Arbeit der Ströme und Wogen den größten Anteil. Wir haben geſehen, daß die riffbauenden Polypen mitten in den Wellen gedeihen und jelten tiefer als 30 m hinabſteigen, zu einer Tiefe, die noch durchaus im Bereiche der mächtigeren Bewegungen des Meeres liegt. Was dieſe Wogen leiſten, kann man an den großen Felsblöcken ſehen, die an vielen Küſten von ihnen ans Ufer 620 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. geworfen worden ſind. Sie werfen alſo auch an den Riffen ſchwere Stöcke auf und rollen ſie über die Riffe hin, wie ſie kleinere Fragmente vor ſich hertreiben und Sand anhäufen. Durch das fortwährende Wälzen und Waſchen wird endlich auch das feinſte Material gewonnen, was den Hauptbeſtandteil des als Kitt dienenden Kalkſchlammes ausmacht. Die Zertrümmerung und Zerkleinerung hört nicht auf; ein Teil der Trümmer wird von den Wellen über das Riff hinweg in die Lagune oder die Binnenkanäle geworfen, ein anderer füllt die Räume zwiſchen den Korallen längs des Randes des Riffes aus, ein anderer bleibt auf der Oberfläche liegen. Das Lager toten Korallenfelſens, welches den Grund des Riffes bildet, iſt umſäumt von lebenden Korallen, dehnt ſich alſo am Rande ſowohl durch das Wachstum der Tiere als durch die dazwiſchen ſich fortwährend abſetzenden Trümmer aus. Aber außer kleineren Stücken werden auch größere Maſſen durch die ſtärkeren Wogen auf das Riff geworfen, und damit beginnt die Erhöhung desſelben über den Spiegel, und jene Blöcke ſind die Anfänge der Bildung trockenen Landes. Später, bei weiterer Anhäufung groben und feinen Korallenmaterials vervollſtändigen fi) die Inſelchen und ,,, 2 TH TG 5 GGG E / / DL GCKGEGE, m a be d e n Durchſchnitt eines Riffes. erheben ſich ſo hoch aus dem Waſſer, als die Wellen heranreichen, nämlich 3 m ungefähr bei einem Unterſchiede der Gezeiten von m, und gegen 5—6 m bei einem Flutunter— ſchiede von 2— 2,5 m. So iſt der Ozean der Baumeiſter, dem die Korallentiere das Material zum Baue liefern; und wenn alles fertig, beſät er das Land mit Saat, von fernen Küſten hergebracht, und bedeckt es mit Grün und Blumen. Der Aufbau des Atolls iſt von dem der Riffe kaum verſchieden. Noch ein Punkt aus der Bildung der Atolle und Riffe iſt zu berühren. Der beiſtehende Durchſchnitt des die Lagune (nach n hin liegend) umgebenden Landes zeigt uns bei m den Abfall nach dem offenen Ozean. Zwiſchen b — c und d— e liegt der nach außen ſteile, nach innen ſehr allmählich geneigte Abhang vom niedrigen Waſſer bis zur Landhöhe. Dieſe Neigung ſetzt ſich nach der Lagune oder dem Kanal zu faſt in demſelben Winkel fort, d — n, indem das ruhige Waſſer das langſame Aufſchütten und Wachſen dieſes Binnenufers nicht ſtört. Ganz anders die Außenſeite, wo eine breite horinzontale Terraſſe (a — b), welche bei der Ebbe gerade frei wird, das dem Meere entſtiegene Land umgibt. Dieſe Bildung iſt aber nicht bloß den Korallenbauten eigentümlich, ſondern kommt häufig und immer an ſolchen Küſten vor, wo ein leichter zerſtörbares Geſtein von den Wogen und der Flut angegriffen wird. Ein treffliches Beiſpiel gibt uns Helgoland, deſſen weſtliche ſchmälere Küſtenterraſſe von den Badegäſten zur Ebbezeit wegen der vielen zurückbleibenden oder in den Vertiefungen feſt angeſiedelten Tiere und Algen fleißig beſucht wird, während der viel ausgedehntere nordöſtliche Teil bei Sturm ſo oft das ängſtliche und ſchreckliche Schauſpiel ſich in Gefahr befindender oder ſcheiternder Schiffe bietet. Die ſpeziellere Er— klärung dieſes Terraſſenbaues als einer allgemeineren Erſcheinung würde uns zu weit führen. Wir müſſen aber noch einige Urſachen erwähnen, durch welche Form und Wachstum der Korallenbauten modifiziert werden. Im allgemeinen kann man das Vorhandenſein von Häfen an Riffen und Atolls auf die Thätigkeit der Gezeiten oder Entſtehung der Barriereriffe und Atollform. 621 örtlicher ozeaniſcher Strömungen zurückführen. Man findet gewöhnlich ſtarke Flutſtröme durch die Kanäle und Rifföffnungen, welche von Form und Richtung der Küſtenlinien abhängen, auch davon, daß über die niedrigen Teile der Riffe fortwährend Waſſer in die Kanäle und Lagunen geworfen wird, welches ſich der Flut entgegen als Unterſtrömung einen Ausweg ſucht oder die Ebbeſtrömung verſtärkt. Dieſe und ähnliche Waſſerbewe— gungen führen viele Korallentrümmer mit ſich, und der Boden, wo dies geſchieht, iſt für das Anſetzen von Polypen völlig ungeeignet. Iſt eine ſolche Strömung irgend ſtark, ſo reinigt ſie fortwährend die Kanäle und hält ſie offen. Die Thätigkeit der Seeſtrömungen wird oft durch die aus den Inſeln kommenden Gewäſſer verſtärkt, und ſo findet man ſehr häufig die Häfen an der Mündung von Thälern und deren Bächen und kleinen Strömen. Der Einfluß des Süßwaſſers an ſich auf das Vorkommen der Polypen iſt nicht ſo groß, wie man gewöhnlich annimmt, vornehmlich weil es, leichter als das Salzwaſſer, auf demſelben abfließt und die etwas tiefer ſitzenden Korallentiere wenig oder nicht berührt. Eine vielleicht noch größere Einwirkung auf die Geſtaltung der Riffe hängt aber von den Verhältniſſen des rifftragenden unterſeeiſchen Landes und der Beſchaffenheit des Grundes ab. Wo tiefere Einriſſe, unterſeeiſche Klüfte ſind, welche unter jenes den Polypen zuſagende Niveau gehen, fällt die Anſiedelung von Korallenſtöcken weg, wie auch da, wo feſter Unter— grund mit Sand und Schlamm wechſelt. Alle Unregelmäßigkeiten des Umriſſes der Riffe und Atolle, alle Hafenbildungen an den Koralleneilanden finden ſo ihre einfache Erklärung. Die wichtigſte noch zu erläuternde Frage iſt diejenige nach den Urſachen der Entſtehung der Barriereriffe und der Atollform der Koralleninſeln. Nichts hat uns in den bisherigen Erörterungen Aufſchluß darüber gegeben, warum dieſe Bildungen die Inſeln in gewiſſer Entfernung gürtelförmig umgeben oder Hunderte von Meilen weit das Land, welches ſie ſchützen, begleiten, oder warum ſie eine Lagune umſchließen. Es war die Frage, welche ſich am erſten den Entdeckungsreiſenden aufdrängte, und man war einmal geneigt, einen Inſtinkt anzunehmen, der die Tierchen anweiſt, den Bauten diejenige Form zu geben, welche der Macht der Wogen den größten Widerſtand leiſte. Nach einer anderen zuerſt (1822) von dem Naturphiloſophen Steffens vertretenen Hypotheſe ſollten die Korallenbauten die Spitzen von Vulkanen einnehmen, deren Krater der Lagune ent— ſpreche, während die Eingänge durch die Riffe die Stellen bezeichneten, wo der Kraterwall von Lava-Ausbrüchen zerſtört ſei. Schon vor einigen Jahrzehnten hat Darwin dieſe bei oberflächlicher Betrachtung ganz anſprechende Annahme als hinfällig nachgewieſen. Die vorausgeſetzten vulkaniſchen Kegel mußten entweder einſt auf Land geſtanden haben und ſpäter verſunken ſein, oder ſie hatten ſich untermeeriſch gebildet. Im erſten Falle würde beim allmählichen Verſinken der Krater faſt immer zerſtört worden ſein; bei unter— meeriſchen Ausbrüchen iſt aber die Kraterbildung und die Erhebung vulkaniſcher Kegel überhaupt kaum denkbar. Außerdem aber verlangt die Hypotheſe, daß die Vulkane in einer auf dem Lande unerhörten Menge auf beſchränkten Strecken entſtanden ſeien und, was noch unerhörter, ſich faſt gleich hoch erhoben hätten, da ja die Korallentiere nur von etwa 20 Faden an unter der Oberfläche fortkommen. Man müßte ferner Krater von 75 km im Durchmeſſer vorausſetzen und daß ſolche von 30— 44 km nicht ſelten geweſen ſeien. Aus dieſen und einigen anderen Gründen muß die Annahme der Beteiligung von Vulkanen bei den Korallenbauten zurückgewieſen werden. Und auch die Hypotheſe, daß nicht— vulkaniſche Berggipfel und Bänke von gleicher Höhe die Grundlage für die Anſiedelungen der Korallen ſeien, verdient nach dem Vorausgegangenen keine weitere ernſtliche Widerlegung. Darwin hat zuerſt nach naturwiſſenſchaftlicher Methode die verſchiedenen Arten der Korallenbauten, die Strandriffe, Barriereriffe und Atolls ſtudiert und miteinander ver— glichen, und dann ſeine Anſicht über ihre Entſtehung nach den Thatſachen entwickelt. 622 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. Sie iſt die noch heute gültige und wurde in allen weſentlichen Punkten von Dana beſtätigt und von dem neueſten Schriftſteller auf dieſem Gebiete, R. Langenbeck, ebenſo wie von den Geologen Sueß, Neumayr und G. Baur geteilt. Doch haben ſich andere Autoritäten beſtimmt gegen die Anſichten Darwins und Danas gewandt, ſo Semper, Rein, Graf Pourtales, Geikie und in neuerer Zeit beſonders Murray, der Geolog der Challenger-Expedition, und Guppy. Langenbeck hat die verſchiedenen Einwände, die gegen die Senkungstheorie erhoben worden ſind und die gleichzeitig die weſentliche Grundlage der neuen Theorien Murrays und Guppys bilden, überſichtlich zuſammen— geſtellt und gefunden, daß ſie hauptſächlich in vier Punkten gipfeln: 1) „Das gleichzeitige Vorkommen von Atollen, Barriereriffen und Strandriffen in nahe benachbarten Gebieten läßt ſich nicht mit der Senkungstheorie in Einklang bringen, ebenſowenig wie das Auf— treten der beiden erſten Riffformen in Gebieten, in welchen neuere Hebungen konſtatiert ſind. 2) Die Entdeckung ausgedehnter ſubmariner Sedimentbänke, gebildet aus den Kalk— gerüſten von Koraminiferen, Tiefſeekorallen, Mollusken ꝛc., gewährt die Möglichkeit, die Bildung der Atolle und Barriereriffe auch ohne Zuhilfenahme der Senkung zu erklären; und dieſe Annahme erſcheint wahrſcheinlicher als diejenige ſo ausgedehnter Senkungs— felder, wie man ſie nach der Senkungstheorie vorauszuſehen gezwungen iſt. 3) Die ring— förmige Geſtalt der Atolle erklärt ſich lediglich durch das beſſere Gedeihen der Korallen an dem der Brandung ſtärker ausgeſetzten Teile des Riffes und durch die Fortführung des Korallenmaterials aus der Lagune durch die Thätigkeit der Meeresſtrömungen und die auflöſende Wirkung der im Meereswaſſer enthaltenen Kohlenſäure. In derſelben Weiſe ſind die tiefen Kanäle gebildet, welche die Barriereriffe von dem benachbarten Feſt— lande trennen. 4) Die auf die Senkungstheorie gegründete Berechnung der Mächtigkeit von Korallenriffen findet nirgends eine Beſtätigung. Weder ſind unter den modernen Riffen ſolche von derartiger Mächtigkeit bekannt, noch bieten die früheren geologiſchen Formationen irgend ein Analogon dazu.“ Wenn wir uns hier auch ganz auf den Standpunkt der Darwin-Danaſchen Senkungs— theorie ſtellen, ſo war es doch notwendig, gegenteilige Anſichten nicht einfach totzuſchweigen. Nach einer genaueren und im großen Maßſtabe gezeichneten Karte des Fidſchi-Archipels mag man die Eilande Goro, Ango, Nairai und Nanuku überblicken. Man wird bemerken, daß das Riff von Goro ſich eng an das Land anlegt, auf deſſen untermeeriſcher Küſte es erbaut iſt. Das Riff der zweiten der genannten Inſeln iſt von derſelben Beſchaffen— heit, ſteht jedoch etwas von der Küſte ab und bildet das, was wir ein Barriereriff genannt haben. Der Name bezeichnet eben nur eine Verſchiedenheit der Lage, nicht der Beſchaffen— heit. Bei dem letzten der genannten Eilande umſchließt das Barriereriff ein weites Stück Meer, und die Inſel darin iſt nichts als ein felſiger Berggipfel. Können wir nun dieſe Verſchiedenheit in der Lage der Barriereriffe erklären? In der That gibt Darwins Annahme einen Schlüſſel für dieſe Erſcheinungen. Wenn z. B. die Inſel Ango ganz allmählich verſänke, würde zweierlei eintreten: die Binneninſel würde nach und nach verſchwinden, während das immer nach aufwärts wachſende Riff ſich an dem Waſſerſpiegel erhalten würde, ſofern nur die Geſchwindigkeit des Sinkens nicht einen gewiſſen Grad überſchritte. Wenn dieſe Senkung ſo weit ginge, daß nur noch der letzte Berggipfel über Waſſer geblieben, würde dann nicht eine Nanuku entſtanden ſein? Auch für die Zwiſchen— ſtufe, die bei der Senkung erreicht wird, wo nur noch ein einzelner Bergrücken und einige iſolierte Gipfel über dem Waſſer hervorſtehen, gibt ein Teil der Fidſchigruppe, die Forſchungs— inſeln (Exploring Islands), uns die Anſchauung. Nach dieſer Vorausſetzung entſteht alſo ein Riff, das einen einzelnen Felſen in weitem Umkreiſe einſchließt, durch allmähliche Senkung einer Inſel, welche von einem einfachen Gürtelriff umgeben war. Korallenriffe: Darwin: Danajche Senkungstheorie. 623 Daß große Strecken von Ländern, wie Schweden und Grönland, in Senkung begriffen ſind, iſt eine bekannte Thatſache; es läßt ſich aber auch der direkte Beweis führen, daß die Riffe mit ihren Inſeln ſich geſenkt haben. Die Tiefe der Riffe läßt ſich in den meiſten Fällen, wenn nicht direkt meſſen, doch annähernd abſchätzen, und muß in manchen Fällen auf mindeſtens 300 m beſtimmt werden. Da nun der lebendige Teil des Korallenriffes nicht unter 18— 20 Faden reicht, kann die Tiefe von 300 m, bis zu welcher das Riff ſich erſtreckt, nur durch allmähliche Senkung des Landes, auf welchem es ſteht, erklärt werden. IV Schematiſcher Durchſchnitt einer Inſel mit Korallenriffen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß einmal gebildete Riffe durch ſpätere Hebungen wieder hoch über den Waſſerſpiegel herausſteigen können; man kennt deren von 100 m Höhe. Sie beweiſen und verlangen eine vorangegangene Senkung, ſobald ihr Höhendurchmeſſer das bekannte Maß der Tiefenzone der lebenden Korallen überſteigt. Die Annahme, daß viele Riffbildungen die Folge einfacher Senkungen ſind, ſcheint daher vollkommen gerechtfertigt. Umriß der Inſel Aiva, mit projiziertem Durchſchnitt. Wir können uns an dem obenſtehenden ſchematiſchen Durchſchnitt einer Inſel und ihrer Riffe die Wirkung einer allmählichen Senkung vergegenwärtigen. Bei der Waſſer— linie I hat die Inſel, z. B. Goro, ein einfaches Strandriff, k k, eine ſchmale Felſenterraſſe am Waſſerſpiegel, welche außen zuerſt unter ſehr ſchiefem Winkel, dann ſteiler abfällt. Angenommen, die Inſel hätte ſich bis zur Waſſerlinie II geſenkt, was würde geſchehen ſein? Das Riff hat ſich im Verhältnis zur Senkung gehoben, und ſein Ausſehen an der Oberfläche wird durch b’ f“ b“ f“ bezeichnet. Man ſieht ein Strand- und ein Barriereriff mit einem ſchmalen Kanal dazwiſchen. b“ ift der Durchſchnitt der Barriere, e“ des Kanals und f des Strandriffes. Bei einer weiteren Senkung bis zu III hat ſich der Kanal e“ 624 Hohltiere. Zweiter Unterfreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen. ſehr verbreitert. Auf der einen Seite, k“, iſt das Strandriff erhalten, auf der anderen iſt es verſchwunden, wozu verſchiedene Verhältniſſe, wie Strömungen, beigetragen haben können. Bei der Waſſerlinie IV endlich ſieht man zwei kleine Felſeneilande in einer weiten Lagune mit zwei Riffinſelchen, i“ 1“, da, wo eben zwei andere Bergſpitzen unter den Spiegel tauchen. Der Korallenrifffelſen hat eine große Mächtigkeit erreicht und bedeckt faſt die ganze frühere Inſel. Die Übereinſtimmung ſolcher idealen Durchſchnitte mit wirklichen Inſeln und ihren Riffen iſt eine vollſtändige. Der auf S. 623 ſtehende Umriß gibt die Inſel Aiva aus der Fidſchigruppe. In der Lagune befinden ſich zwei Berggipfeln gleichende Inſelchen, genau wie oben; und obſchon wir keine Meſſungen der Gipfel oder Sondierungen der umgebenden Gewäſſer beſitzen, geben doch die anderwärts gemachten Beobachtungen die Sicherheit, daß der ſenkrechte, durch die Linie b b b“ b“ gelegte Durchſchnitt der Wirklichkeit vollkommen entſpricht. Er bedarf keiner weiteren Erklärung. Man hat gegen die Theorie geltend gemacht, daß ſie nicht erkläre, wie es komme, daß die Binnenkanäle entſtänden, da man vielmehr erwarten ſollte, ihr Raum würde beim allmählichen Sinken von Riffmaterial ausgefüllt. Man darf aber nicht die Frage ſo ſtellen, ſondern muß von der unbeſtrittenen Thatſache ausgehen, daß die Senkung ſtattfindet, und daß bei den ſinkenden Inſeln jene Eigentümlichkeit hervortritt. Die Kanäle hinter den Barriereriffen ſind eine Folge der Senkung, und man muß den Urſachen dieſer Erſcheinung nachſpüren. Es bieten ſich dann auch Erklärungen dar, welche den beob— achteten Thatſachen ſich ſo anſchließen, daß das Vorhandenſein der Binnenpaſſagen als eine notwendige Eigentümlichkeit der Korallenbauten erſcheint. Es ließ ſich zeigen, daß das Meer an dem Aufbau der Riffe einen bedeutenden Anteil hat, und daß die ſeiner Bewegungen und ſeines reinen Waſſers teilhaftigen Außenriffe ſchneller wachſen als die inneren, auf welche Meer- und Süßwaſſerſtrömungen und das von denſelben mitgeführte Geröll und der Abſatz einwirken. Sobald ferner das Barriereriff ſich abgelöſt hat, iſt es auf beiden Rändern mit lebenden, wachſenden Korallen bedeckt, während das Gürtelriff nur auf einer Seite wächſt. Auch wird ein großer Teil des Gerölles und der Trümmer der Außenriffe vom Meere her und von innen auf ihnen ſelbſt abgeſetzt, wogegen ein großer Teil des Materials der inneren Riffe zur Ausfüllung der weiten Kanäle beiträgt. Jedenfalls iſt dieſer Beitrag von ſeiten der Binnenriffe verhältnismäßig größer als von den Barriereriffen. Und die Ausdehnung von Riffboden innerhalb einer Barriere, welche ſich zu gleicher Zeit mit den Riffen erhoben hat, iſt oft 50mal ſo groß, als die Oberfläche der Barriere ſelbſt. Bei ſolchen Wachstumsver— hältniſſen kann ſchließlich das Barriereriff zweimal ſo ſchnell wachſen wie die Binnenriffe. Die letzteren werden unter Umſtänden ſchneller ſinken, als ſie nachwachſen können, und müſſen ſchließlich verſchwinden. Aus dem Vorhandenſein von Kanälen und weiten offenen Waſſerſtrecken hinter den Riffen läßt ſich alſo nicht nur kein Einwurf gegen die Theorie begründen, ſie ſind im Gegenteil unzertrennbar von der Annahme und ein Beweis mehr für die Theorie. Aus dieſen und ähnlichen Erwägungen ergibt ſich, daß ein Barriereriff ungefähr die ehemaligen Grenzen des umſchloſſenen Landes bezeichnet. 53 bedarf kaum der beſonderen Bemerkung, daß die Senkung, welche das Barriereriff verurſachte, beim weiteren Fortſchreiten zur Entſtehung einer Laguneninſel Veranlaſſung geben würde. Tritt nach einer Periode der Senkung, während welcher das Riff oder das Atollriff ſich ungefähr am Waſſerſpiegel erhielt, eine Periode der verminderten Geſchwin— digkeit der Senkung oder der Ruhe ein, ſo muß ſich trockenes Land bilden, und es ſtellt ſich Pflanzenwuchs ein. Während einer ſolchen Zeit des Stillſtandes kann die Lagune Korallenriffe und Koralleninſeln. — Schwämme. 625 mehr und mehr eingeengt werden; und umgekehrt, wenn die Senkung des Meeresbodens beſchleunigt wird, kann der Atoll allmählich unter dem Waſſerſpiegel verſchwinden. Schon Darwin hat eine Reihe ſolcher im Sinken begriffener Korallenbauten beſchrieben und ſie „tote Riffe“ genannt. In anbetracht der angeführten Thatſachen — ſo ſchließt Dana ſein lehrreiches Kapitel über die Riff⸗ und Atollbildung — iſt es klar, daß jede Koralleninſel einſt ein Strandriff um eine hohe Inſel war. Aus dem Strandriff wurde ein Barriereriff, als die Inſel ſank; es wuchs weiter, als das Land allmählich verſchwand. Über die einge— ſchloſſene Waſſerfläche ragt ſchließlich der letzte ſinkende Berggipfel hervor. Noch eine Zeit, und auch dieſer iſt verſchwunden; von der ganzen verſunkenen Inſel gibt nur noch das Barriereriff Zeugnis. Das Korallenband, das einſt zur Zierde und zum Schutze ſich um das luftige Eiland ſchlang, iſt ſpäter zu ſeinem Denkmal geworden und die einzige Erinnerung an fein früheres Daſein. Der Pomatu-Archipel iſt ein großer Inſelkirchhof, wo jeder Atoll den Begräbnisplatz einer Inſel angibt. Über den ganzen ſüdlichen Ozean ſind dieſe einfachen Denkſteine zerſtreut, die glänzendſten Punkte in dieſer Waſſerwüſte. Das Vorkommen der Korallenbauten hängt, wie wir ſehen, von einem Zuſammen— treffen günſtiger Verhältniſſe ab. Die Weſtküſte Amerikas beſitzt ſie nicht, vielleicht weil der Polarmeeresſtrom die ganze Küſtenregion zu ſehr kältet. Erſt bei der Inſel Ducie beginnt die große Korallenregion des Pacifiſchen Ozeans, die ſich auf der Südſeite des Aquators bis zur Oſtküſte Neuhollands erſtreckt, nördlich vom Aquator aber in dem Archipel der Karolinen ihre größte Entwickelung erreicht. Reich an Korallenriffen iſt die Umgebung der Marianen und Philippinen. Weiter weſtlich heben wir die merkwürdige Reihe der Malediven und Lakediven hervor, die zahlreichen Riffe um Mauritius und Madagaskar und überhaupt vom Nordende des Kanals von Moſambik an bis ins Rote Meer. Die Weſtküſte Afrikas hat gar keine bewerkenswerten Riffe. Im Bereich der Neuen Welt endlich iſt das Antillenmeer von Martinique und Barbados an bis zur Spitze von Pukatan, der Küſte von Florida und den Bahamas der Schauplatz der ſtillen, aber ſo erfolgreichen Thätigkeit der Korallentiere. Dritter Anterkreis. Die Schwümme (Spongiae s. Porifera). Wer zum erſten Male eine Sammlung von Schwämmen (Spongiae, Spongien), getrocknet oder in Spiritus aufbewahrt, anſieht, wird über die tieriſche Natur dieſer unter den verſchiedenartigſten Formen, als zierliche Becher, ungeſchlachte Klumpen, Knollen, Kruſten, Stauden, Bäumchen, Ruten ꝛc., auftretenden Organismen nicht nur in Zweifel ſein, er wird, nach dem Geſamteindruck urteilend, ſie dem Pflanzenreich zuteilen. In— deſſen, da die Schwämme im zoologiſchen Muſeum aufgeſtellt find, wird unſer Natur— freund vielleicht denken, daß ſie lebend und an ihren natürlichen Standorten beobachtet, einen anderen Eindruck machen und ihr Weſen als Tiere offenbaren werden. Suchen wir alſo Schwämme im Freien auf. Sie kommen nur im Waſſer vor, und äußerſt kärglich ſind ſie im Süßwaſſer vertreten durch die wenigen nahe miteinander verwandten Gattungen der Familie der Süßwaſſerſchwämme oder Spongillen. Auf dem Grunde mancher Gewäſſer, an hölzernen Brückenpfeilern kann man während des Sommers grünliche oder graue, verzweigte oder rundliche, fauſt-, auch kopfgroße Maſſen von weicher, ja matſchiger Brehm, Tierleben 3. Auflage. X. 40 626 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme. Subſtanz ablöſen, welche dem bloßen Auge nicht die geringſte Spur von Bewegung zeigen, ſich wochenlang in größeren Glasgefäßen ebenſo paſſiv verhalten und, an der Sonne ſchnell eingetrocknet, ihre Geſtalt im ganzen behalten, ſich aber leicht zu Staub zerdrücken laſſen. Das Mikroſkop zeigt, daß dieſer Staub größtenteils aus zweiſpitzigen feinen Kieſelnadeln beſteht. Wir ſind ſo klug als wie zuvor. Alſo ans Meer, wo Spongien in Fülle vorhanden! Ich will den Leſer an einige Stellen des Adriatiſchen Meeres und zu den Joniſchen Inſeln führen. Bei Leſina, der Stadt auf der Inſel gleichen Namens, liegt herrlich auf einem Felſenvorſprunge am Meere ein Kloſter, deſſen Gaſtfreundſchaft mir oft zu teil geworden. Die Klippen werden bei der Ebbe ſo weit frei, daß man ſie betreten und auf ihnen ſammeln kann. Sie ſind ſtellenweiſe, nämlich auf einer Aus— dehnung von 10—20 qm, dicht von einer 0,5 — 2 em dicken Kruſte von weißlicher Farbe überzogen, die man leicht in Stücken ablöſen kann. Indem man dieſelben auseinander— bröckelt, ſieht man, daß ſie teils aus unregelmäßig geſtalteten, teils kugeligen und flaſchen— förmigen Körpern zuſammengeſetzt iſt, die ein Leben erſt dann verraten, wenn man fein— zerteilten Farbeſtoff ins Waſſer in ihre Nähe bringt. Durch denſelben werden Strömungen ſichtbar, welche von den größeren Offnungen der weißen Körper ausgehen und durch irgend welche Vorrichtungen im Inneren dieſer Körper, Kalkſchwämme, verurſacht werden müſſen. Alle dieſe Kalkſchwämme ſind hart und rauh anzufühlen oder zeigen wenigſtens, wenn ſie von weicherer Beſchaffenheit ſind, eine rauhe, ſtachlige Oberfläche. Schon mit der Lupe erkennt man, daß ſie mit ſtachelartigen und ſternförmigen Hartgebilden erfüllt ſind. Im ganzen ſehen ſie mehr wie Gewächſe als wie Tiere aus; ſelbſt jene bei der Berührung ſchwindenden Kelche und Blumen, welche wenigſtens die Lebendigkeit der Polypen verraten, fehlen hier. Wir wollen aber unſere Reiſe fortſetzen und laufen in den langgeſtreckten, bucht— artigen Hafen von Argoſtoli auf Cephalonia ein. Auf der Stadtſeite, alſo rechts vom Eingange her, hinter der Brücke, wo die Bucht ſich zu dem von vielen Quellen geſpeiſten brackiſchen Sumpfe verengert, finden wir eine Uferſtrecke, die von der Waſſerlinie an bis wenige Fuß unter dem Spiegel in blauen und rötlichen Farben prangt. Die den Stein inkruſtierenden Gebilde, welche den ſchönen Anblick gewähren, laſſen ſich leicht in Kuchen von der Ausdehnung mehrerer Handflächen abheben. Die Unterſeite ſchmiegt ſich der Unterlage an, die Oberfläche iſt wellig und mit berg- oder röhrenförmigen Hervorragungen verſehen, auf deren Gipfel je eine einige Millimeter meſſende Offnung ſich befindet. Auch hier können wir uns durch das bei den Kalkſchwämmen angewendete Mittel von den Strömungen überzeugen. Unſere Einſicht in die Natur dieſer Körper iſt jedoch abermals nicht gefördert worden. Laſſen wir ſie eintrocknen, ſo ſchwindet gar bald ihre Schönheit, es werden graue, ſchilferige, unförmliche Stücke, welche ein dichtes Netzwerk von mikro— ſkopiſchen Kieſelnadeln enthalten und, ſo viel wenigſtens wird offenbar, mit den Spongillen des ſüßen Waſſers verwandt ſind, von denen wir ausgingen. Auch das iſt uns klar geworden, daß, um die wahre Natur dieſer weitverbreiteten und namentlich in allen Meeren, in allen Tiefen vorkommenden Organismen zu erkennen, die Bekanntſchaft mit ihrer unbeſtändigen äußeren Form und die hierauf geſtützte Vergleichung mit anderen Lebeweſen nicht ausreicht. Sehen wir von einigen älteren engliſchen und italieniſchen Naturforſchern und von Espers', des Erlanger Profeſſors, Naturgeſchichte der Pflanzentiere ab, ſo wurden die Spongien, weil ihnen nicht recht beizukommen war, faſt vernachläſſigt, bis 1856 Lieberkühn die feinere Struktur unſeres Süßwaſſerſchwammes und einige Jahre ſpäter die einiger Meerſchwämme enthüllte, und bis ein engliſcher privati— ſierender Naturfreund, Bowerbank, ſeine beſondere Aufmerkſamkeit der unglaublichen Formenmannigfaltigkeit der kieſeligen und kalkigen Hartteile der Schwämme widmete. Vorkommen und Eigenheiten der Schwämme. 627 Auch ich habe mein Teil dazu beigetragen, die Formenmenge der Spongien der europäiſchen Meere und des Atlantiſchen Ozeans ſyſtematiſch zu bewältigen und dem Verſtändnis zuzuführen. Ich wurde bald darauf aufmerkſam, daß die Schwämme, wie keine andere Klaſſe der niederen Organismen, von höchſter Wichtigkeit für die Abſtammungslehre wären, da man an ihnen auf das klarſte die Abhängigkeit der Geſtaltung von den wechſelnden äußeren Verhältniſſen, die Anpaſſung an die gegebenen Bedingungen, die nach Ort und Klima ſich richtende Abänderung, mit einem Worte die Artveränderung beobachten und ſtudieren kann. Ich wies nach, daß man dieſe Umwandlungen an den mikroſkopiſchen Beſtandteilen der Schwämme verfolgen könne. Seitdem dann Haeckel ſeine bewunderns— würdige Monographie der Kalkſchwämme geſchrieben, 1872, iſt es allgemein anerkannt, daß das Studium dieſer Weſen ganz beſonders wichtig und intereſſant ſei. Schon aus den Unterſuchungen des Engländers Flemming im erſten Viertel unſeres Jahrhunderts hatte ſich unbeſtreitbar ergeben, daß die Schwämme tieriſchen Charakter an ſich tragen. Es fragte ſich nur, ob ſie auf jener Grenze ſtehen, wo das Tierreich ſich in ein unentſchiedenes, zwiſchen die wahren Tiere und die wahren Pflanzen eingeſchobenes Mittel— reich der Urweſen oder Protiſten verliert, oder ob ſie ſich zur Höhe der Cölenteraten erheben. Leuckart, Haeckel, Marſhall huldigen ſowohl aus entwickelungsgeſchichtlichen wie anatomiſchen Gründen letzterer Anſicht, F. E. Schulze, einer der beſten Spongienkenner und Zoologen überhaupt, ſpricht ſich zwar nicht ganz beſtimmt aus, ſcheint aber geneigt, die Schwämme für einen Tierkreis eigner Art anzuſehen, worin ihm Sollas und Vosmaer folgen. Bütſchli ſchließt ſich einigermaßen einer älteren Anſicht des Ameri— kaners James Clark an, welcher die Spongien für Kolonien beſonderer, ſpäter noch zu erwähnender Urtiere (Chonoflagellaten) hielt. Früher wurden die Schwämme von den Naturforſchern, welche nicht an die vermeintliche Pflanzennatur derſelben glaubten, über— haupt als Kolonien von Urtieren, wenn auch in anderem Sinne als von Clark und Bütſchli, angeſehen. Es ſollten Aggregate von Zellen ſein, deren jede etwa einer Amöbe zu vergleichen wäre. Wie hoch verhältnismäßig die Arbeitsteilung auch in dem Gewebe dieſer Tiere fortgeſchritten ſei, davon überzeugte man ſich erſt ſpäter. Anatomiſch und entwickelungsgeſchichtlich iſt nachgewieſen, daß ſich der Leib der Spongien aus denſelben drei Keimblättern aufbaut, wie ſie für die höheren Tiere charakteriſtiſch ſind, daß jene mithin wenigſtens Urtiere oder Kolonien von Urtieren nicht ſein können. Was uns veranlaßt, ſie als Cölenteraten anzuſehen, können wir an dieſer Stelle, als außerhalb des Planes dieſes Buches fallend, nicht entwickeln. Woran erkennt man denn nun eigentlich einen Schwamm? wird ungeduldig gefragt. Um dieſe Frage zu beantworten, wollen wir an die volkstümlichſte Geſtalt aus dem Schwammreiche, an den in jedermanns Händen befindlichen Badeſchwamm anknüpfen. Doch — da haben wir uns ſchon von vornherein ungenau ausgedrückt! Nicht der Bade— ſchwamm iſt in jedermanns Hand, ſondern nur ein Teil von ihm, nämlich ſein Skelett. Dasſelbe iſt ein ſehr elaſtiſches, von größeren und unzählbaren kleineren Poren und Kanälen durchſetztes und durchzogenes, aus einer hornigen, Spongin genannten Subſtanz beſte— hendes Faſergerüſt. Das Spongin iſt dem Chitin, dem Stoff, welcher die hornige Grund: lage des Hautpanzers der Krebſe, Inſekten, dann der Seide ꝛc. bildet, chemiſch am nächſten verwandt. Das Spongin enthält auch einen nicht unbedeutenden Prozentſatz Jod und war daher in früheren Zeiten ein als „spongiae ustae“ allerdings zufällig aufgefundenes und rein empiriſch angewendetes Heilmittel (denn das Element Jod oder Jodin war damals noch unbekannt und wurde erſt 1811 von Courtois entdeckt) gegen den Kropf. Dieſe Faſern werden von beſonderen, als Drüſen wirkenden, gruppenweiſe zuſammen— tretenden Zellen (Spongioblaſten) gebildet, welche im Parenchym des Schwammes 40 * 628 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme. wandern und dabei das Spongin abſcheiden. Eine jede Schwammfaſer iſt folglich die Spur des Marſches einer Anzahl von Spongioblaſten. Solche Märſche wiederholen ſich von Zeit zu Zeit entlang derſelben Faſer, ſo daß dieſe nach und nach dicker wird, und zwar durch den Anſatz neuer Hornſchichten, woher ſie ein ſtreifiges Anſehen, wie Holz durch die Jahresringe, erhält. Die übrige Maſſe des Körpers beſteht hauptſächlich aus einer ſoge— nannten intercellulären Subſtanz, d. h. ſie ſetzt ſich nicht ſelbſt aus Zellen zuſammen, ſondern iſt ein bindegewebartiges Abſcheidungsprodukt der in ihr eingeſtreuten Zellen. Von dieſen gibt es außer den Spongioblaſten mehrerlei Arten, die zum Teil auch beweglich ſind und als Vermittler der Ernährung (gewiſſermaßen als Blut) dienen, zu Geſchlechts— produkten werden de. a Auf der ſchwarzen Außenſeite bilden feinſte Faſern ein dichtes Netz, aus dem hin und wieder kleine Kegel, die Enden von innen nach außen verlaufender ſtärkerer Faſern ſich erheben. Die Maſchen des Netzes ſind gleichfalls von bindegewebiger Subſtanz ausgefüllt, in welcher unter dem Mikroſkop zahlreiche, meiſt zu konzentriſchen Kreiſen angeordnete Faſern bemerkbar ſind. Dieſe beſitzen im lebendigen Schwamm die Fähigkeit der Bewegung und umgeben feine Poren, welche ſie erweitern, verengern und ſchließen können. Die Poren führen in enge, zentripetal verlaufende Kanäle, welche ſich bald zu größeren ver— einigen, die ihrerſeits wieder zu weiteren zuſammentreten und endlich als weiteſte Kanäle in einen zentralen Hohlraum (den Magenraum) münden, der nach unten ſackartig geſchloſſen iſt, nach oben aber durch eine Offnung (den Schornſtein, osculum) mit der Außenwelt in Verbindung tritt. Die Kanäle ſind größtenteils mit platten Zellen (ſogenanntem Pflaſterepithel) aus— gekleidet, erweitern ſich aber ſtellenweiſe zu in traubigen Gruppen ſtehenden kugelförmigen Hohlräumen, in denen die Zellauskleidung eine auffallend abweichende Geſtalt annimmt. Die Zellen verlängern ſich nämlich zu langen Prismen, welche am freien Ende oberhalb einer halsartigen Einſchnürung ſich wieder kragen- oder trichterartig verbreitern und hier eine lange Geißel tragen. Das ſind die Geißel- oder Kragenzellen, welche einzeln eine ſehr große Ahnlichkeit mit gewiſſen Infuſorien haben, weshalb, wie erwähnt, manche Forſcher in den Schwämmen nur Kolonien ſolcher Infuſorien ſehen. Die Hohlräume, in denen dieſe ſonderbaren Zellen ſich befinden, heißen die Geißelkammern oder Wimperkörbe. Bei geöffneten Hautporen ſchwingen nun die Geißeln der Geißelzellen in zentri— petaler Richtung und peitſchen dadurch das in den Kanälen zwiſchen ihnen und der Außen— ſeite ſzuführende Kanäle) befindliche Waſſer zunächſt in die großen einfachen, zwiſchen den Geißelkammern und dem zentralen Hohlraum befindlichen Kanäle (abführende Kanäle), dann weiter in dieſen ſelbſt. In dem Maße aber, wie das Waſſer in den letzteren getrieben wird, ſtrömt fortwährend friſches durch die Poren nach, und das im Zentralraum befindliche muß notwendigerweiſe dem nachdringenden Platz machen, es muß ausweichen, kann das aber nur dadurch, daß es durch den Schornſtein nach außen tritt. Wird der Schwamm bei dieſer Thätigkeit geſtört, oder vielleicht auch, wenn er ruhen (ſchlafen) will, dann ſchließt er mittels der erwähnten elaſtiſchen Faſern ſeine Hautporen und ſtellt das Spiel ſeiner Geißeln ein, wodurch die Zirkulation des Waſſers durch das Kanalſyſtem ſeines Körpers aufhört. Damit unterbricht die Spongie aber auch ihre Ernährung und ihre Atmung, denn mit dem Waſſer werden in demſelben befindliche feinſte Teilchen organiſcher Stoffe und der demſelben mechaniſch beigemengte Sauerſtoff hereingegeißelt. Als Atmungswerkzeuge dienen höchſt wahrſcheinlich mittels ihrer Kragen die Geißelzellen, und die Ernährung dürfte ſich in den zuführenden Kanälen vollziehen. Und zwar dringt (durch welche Vorgänge, iſt noch unbekannt) die Nahrung zwiſchen die auskleidenden Zellen derſelben in das Körper— parenchym (ſogenannte intracelluläre Verdauung), wird hier von gewiſſen beweglichen Bau, Fortpflanzung und Kolonienbildung der Schwämme. 629 Zellen aufgenommen, aſſimiliert und nun nach den nahrungsbedürftigen Stellen geſchafft. Hier geben die Wanderzellen die veränderte Nahrung durch Osmoſe ab, bis auf das Un— brauchbare. Während dieſer Vorgänge ſchrumpfen die Wanderzellen zuſammen. Haben ſie alles Aufgenommene bis auf das Unbrauchbare abgegeben, dann wandern ſie zu den Geißel— zellen, denen ſie das Nichtverwendbare übergeben. Dieſe ſchaffen es nach außen, wirken alſo nicht nur als Atmungs-, ſondern auch als Sekretionsorgane. Die hungrigen Wanderzellen gruppieren ſich wieder um die Kanäle, ſättigen ſich und beginnen dann abermals ihre Wanderung ꝛc. Auch die Geſchlechtsprodukte, mindeſtens die Eier, entſtehen aus wandernden Zellen. Damit ſcheint aber die Funktion dieſer Zellen noch nicht abgeſchloſſen zu ſein. Marſhall machte die (noch nicht veröffentlichte) Beobachtung, daß fie auch unter Umſtänden (Stelletta) Träger und Herbeiſchaffer von Pigmenten aus dem Inneren nach der Oberfläche ſind. Pigmente ſind bei Spongien ſehr weit verbreitet, und die Farben ſind oft ſehr prächtig und leuchtend: violett, rot, orange, ſchwefelgelb ꝛc., in der Regel gehen ſie aber ſofort nach dem Abſterben der Tiere in ein ſchmutziges Gelb, Braun oder Schwarzgrau über. Die Spongien ſcheinen zum Teil Zwitter zu ſein, zum Teil ſind ſie aber ſicher auch getrennten Geſchlechtes und ſind (bei Süßwaſſerſchwämmen wenigſtens) beide Geſchlechter von verſchiedenem Habitus. Die Jungen werden als Schwärmlarven lebendig und oft in ungeheurer Anzahl geboren. Neben der geſchlechtlichen Fortpflanzung ſcheint eine ungeſchlechtliche durch Bildung von Keimen ziemlich weit verbreitet zu ſein. Am längſten iſt dieſelbe von den Süßwaſſerſchwämmen bekannt, doch iſt ſie im Laufe der Zeiten auch bei einer Reihe anderer Formen aufgefunden worden. Wir werden bei Betrachtung der Süßwaſſerſchwämme noch einmal auf ſie zurück— kommen. Natürliche Selbſtteilung iſt bei Spongien noch nicht beobachtet worden, doch iſt durchaus nicht ausgeſchloſſen, daß ſie vorkommt, — daß ſie vorkommen könnte, iſt ſicher, denn einmal iſt die Abgabe von Keimen ſchon ein Übergang zu derſelben, und dann iſt es gelungen, durch künſtliche Teilung Vermehrung zu erzielen, und was auf künſtlichem Wege geſchehen kann, könnte auch allerwegen auf natürlichem ſtattfinden. Auf die Möglichkeit natürlicher Teilung deuten auch gewiſſe Wachstumserſcheinungen der Schwämme. Oben wurde ſchon hervorgehoben, wie ungemein ſchmiegſam und anpaſſungsfähig dieſe Organismen, wenigſtens die meiſten von ihnen, ſeien, und dieſe Eigenſchaften ſprechen ſich kaum irgendwo beſſer aus, als in ihren Körpergeſtalten. Zunächſt ſind und bleiben ſie Einzelweſen oder Perſonen, ſie ſind monozoiſch, oder aber ſie bilden durch Sproſſung Kolonien oder Kormen, ſie ſind polyzoiſch. Das ſind Erſchei— nungen, welche wir von den verſchiedenen Polypenformen her kennen, aber niemals zeigen bei den Schwämmen die einzelnen, eine Kolonie zuſammenſetzenden Individuen durch Arbeitsteilung bedingte Verſchiedenheiten in Geſtalt und Leiſtung wie ſo häufig bei jenen. Bei monozoiſchen Spongien ſowohl wie polyzoiſchen kann nun der Mund verwachſen, ſie können Aſtomie erleiden, ja der Magenraum kann durch die Schwammmaſſe verdrängt werden, ſo daß bei ihnen Agaſtrie eintritt. Dadurch erhält ein Schwamm natürlich ein ſehr verſchiedenes Anſehen. Eine ſolche Kolonie kann im Weiterwachſen z. B. wieder die Geſtalt eines Bechers annehmen, deſſen Ränder ſich einander nähern können, bis ſie eine verhältnismäßig kleine Offnung umgeben. Dann ſieht ein polyzoiſcher Schwamm aus wie ein monozoiſcher mit Mundöffnung und Magen: er hat einen Scheinmund (Pſeudoſtom) und einen Scheinmagen (Pſeudogaſter). Auch benachbarte Schwämme, Einzelweſen jo gut wie Kolonien, können, wenn ſie ſich bis zum Berühren nähern, miteinander verwachſen und ſo die wunderbarſten Geſtalten bilden. Auch können bei veräſtelten polyzoiſchen In— dividuen die Aſte, wenn fie miteinander in Kontakt kommen, verſchmelzen. 630 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Shwämme; erſte Klaſſe: Kalkſchwämme. In den einfachſten Fällen beſtehen die Kolonien aus einer Anzahl nebeneinander ſtehender, aus einer gemeinſamen, etwa den Stolonen der Zoantherien oder den Querböden der Orgelkorallen vergleichbarer Grundmaſſe aufſteigender Cylinder. Die Cylinder-, Kegel- und Kugelformen ſcheinen die urſprünglichen der Spongien als Einzelweſen zu ſein. Doch treten ſie auch bei Kormen auf. Sehr neigen die Schwämme zur Oberflächenvermehrung namentlich in nahrungsarmem Waſſer, weil ſie dadurch ihre Einſtrömungsöffnungen vermehren, alſo mehr Chancen günſtiger Ernährung erzielen. Dieſe Oberflächenvermehrung kann durch Faltenbildungen erzielt werden oder dadurch, daß die Schwämme zu aufrecht ſtehenden breiten, aber dünnen Blättern heran— wachſen oder ſich baum- oder geweihähnlich verzweigen. Ganz bedeutend iſt auch der Einfluß, welchen das bewegte Waſſer auf die Geſtalt der Spongien ausübt. Marſhall bemerkt hierüber: „Ich habe augenblicklich 8 Spezies von Horn- und Kieſelſchwämmen in 13 Exemplaren vor mir liegen, welche ich durch die Freundlichkeit eines Kaufmannes hieſiger Stadt (Leipzig) erhielt. Sie ſtammen von einer Lokalität an der Küſte der weſtindiſchen Inſel Barbados aus ſehr ſtark bewegtem Waſſer in unmittelbarer Nähe der Oberfläche, und alle zeigen in ſonderbarer Weiſe den Einfluß desſelben. Es ſind teils einzelne Individuen, teils Stöcke oder Kolonien. Bei den erſteren iſt infolge der Richtung des anhaltenden, in gleicher Richtung wirkenden Druckes des ſtrömenden Waſſers die urſprünglich runde Form des Magendurchſchnittes und Mundes in eine ganz langgeſtreckte, ovale übergegangen, ſo daß die Breite des Mundes ſich zu ſeiner in der Bewegungungsrichtung des Waſſers befindlich geweſenen Länge wie 3:4 bei jüngeren Individuen, wie 3:19 bei alten derſelben Art verhält. Die Kolonien haben nicht, wie ſonſt gewöhnlich die derſelben Spezies, eine rundliche Geſtalt und nach allen Seiten hin gerichtete Mundöffnungen, ſondern ſie ſind langgeſtreckt, infolge des anhaltend auf ſie in derſelben Richtung ausgeübten Druckes der Strömung, und die Mundöffnungen ſtehen in einer Linie nebeneinander, ſo daß einige dieſer Schwämme entfernt an die Panflöten des Altertums erinnern. Dem gegenüber läßt ſich feſtſtellen, daß die meiſten Spongien der Tief— ſee, ſogar Arten ſolcher Gattungen, die in weniger tiefem Waſſer mannigfach verzweigt und verknäult großen individuellen Schwankungen in der Leibesform unterworfen ſind, auf— fallend regelmäßige Geſtalten zeigen, und daß die Exemplare einander ſehr ähnlich ſind.“ Das Letztere iſt erklärlich genug, wenn man im Auge behält, daß auf dem Boden der Tiefſee ungemein einförmige Verhältniſſe herrſchen, alſo die Anforderungen an die Anpaſſungsfähigkeit ſehr gleichartige ſein müſſen. Auch durch Paraſiten, Kommenſalen und ſymbiotiſche Inſaſſen kann die Geſtalt der Schwämme ſehr ſtark beeinflußt werden. Es gibt nun Arten, die ſo äußerſt anpaſſungsfähig ſind, daß ſie als Einzelindividuen und Formen, mit oder ohne Mund, mit oder ohne Magenraum und in allerlei Geſtalten auftreten. Andere hingegen find wieder außerordentlich konſervativ in ihrem Weſen. Dieſe ſind natürlich ſeltener, jene häufiger. Zur Einteilung der Schwämme hat man hauptſächlich die chemiſche und morpho— logiſche Beſchaffenheit des Skeletts benutzt, doch iſt dieſelbe zur Umſchreibung der Ord— nungen nicht ausreichend, wohl aber erlaubt ſie uns die ſcharfe Charakteriſierung der beiden Unterklaſſen. Anpaſſungsfähigkeit der Schwämme. Entwickelung der Kalkſchwämme— 631 Erſte Klaſſe. Die Kalkſchwämme (Caleispongiae). Dieſe Abteilung hat ihren Namen von der Eigenſchaft, daß in allen ihren Arten mikroſkopiſche oder auch ſchon mit unbewaffnetem Auge ſichtbare Kalkgebilde abgeſondert werden, die dem Körper als eine Art von Skelett dienen, indem ſie entweder unregelmäßig durch das Gewebe zerſtreut oder zierlich büſchelförmig und reihenweiſe angeordnet ſind. Dieſe Kalkabſonderungen haben die Form von Stäbchen oder Nadeln oder von drei- und vierſtrahligen Sternen. Sie erfüllen den Schwamm gewöhnlich in ſolcher Maſſe (während die weichen Beſtandteile überhaupt ſehr ſpärlich find), daß auch beim Eintrocknen die Körpergeſtalt und der Umfang unverändert bleiben, und daß die meiſten Kalkſchwämme lebend und tot ein kreidiges oder gipſiges Ausſehen haben. Unter allen Spongien ſcheinen die Kalkſchwämme die variabelſten zu ſein. Wir beſitzen eine meiſterhafte Naturgeſchichte der Kalkſchwämme von Haeckel, in welcher derſelbe, wie ich es ſchon früher für einige Gruppen der Kieſelſchwämme unternommen, den unum— ſtößlichen, auf viele Tauſende von Beobachtungen gegründeten Beweis liefert, daß die ihm aus allen Teilen der Erde bekannt gewordenen 111 Arten dieſen Namen eigentlich gar nicht verdienen, daß dieſe ſogenannten Arten ſich an gewiſſen Standorten zwar in gewiſſen, meiſt an ſich unbedeutenden Eigenſchaften befeſtigen, aber durch die mannigfaltigſten Übergänge ineinander verſchwimmen. Die Schwämme ſind das ausgezeichnetſte Beiſpiel für die Veränderlichkeit der Art. Dennoch iſt es Haeckel gelungen, auch hier einige natürliche Hauptfamilien aufzuſtellen, in denen ſich ein Forſchritt vom Einfacheren zum Zuſammengeſetzteren kundgibt. Wir kennen bisher leider nur von wenigen Arten die Ent— wickelung, deren früheſte Zuſtände wir übergehen, um nur eine, wie es ſcheint ſehr ver— breitete Larvenform hervorzuheben. Schneidet man einen Kalkſchwamm zur Zeit der Reife, die an den europäiſchen Küſten vorzugsweiſe im Frühjahr ſtattfindet, in feine Scheiben, oder zerzupft man ganz einfach ein Stückchen mit Nadeln, ſo werden die darin befindlichen, winzigen, erſt bei ſtarker 300 —600maliger Vergrößerung gut ſichtbaren Larven frei, und man kann ſie unter dem Mikroſkop beobachten. Die eingehendſte und am meiſten erſchöpfende Darſtellung der Entwickelung eines Kalkſchwammes (und zwar von Sycon raphanus) verdanken wir F. E. Schulze. Hier iſt die Larve, wenn ſie den mütterlichen Körper ver— läßt, eine ovale Blaſe (ſ. Abbildung S. 632, Fig. a) mit ſehr kleinem zentralen Hohlraum (Furchungshöhle). Dieſe Blaſe beſteht aus einer Anzahl von Zellen von zweierlei Art: die vordere Hälfte wird gebildet aus einer bedeutenden Anzahl kleiner Zellen von pris— matiſcher Geſtalt, deren jede eine lebhaft ſchwingende Geißel trägt. Dieſes Ende ſchwimmt voran und zieht die hintere aus einer weit geringeren Anzahl viel größerer Zellen be— ſtehende Hälfte nach. Hier ſind die Zellen, ſoweit ſie ſich nicht gegeneinander abflachen, abgerundet, mit trüberem Inhalt und ohne Geißeln. Ihre Zahl iſt ziemlich konſtant: zu— nächſt am Hinterrande der vorderen, aus den kleineren Zellen beſtehenden Hälfte der Blaſe liegt ein Ring von 15—16 Zellen, dann folgt ein ſolcher von 9, und endlich wird das Hinterende der Blaſe von 4—5 Zellen gebildet. Nachdem die Larve geraume Zeit frei um— hergeſchwommen iſt, vergrößert ſich ihr zentraler Hohlraum und zwar nicht in der Richtung der Pole, ſondern des Aquators derſelben, wodurch ſie ſich verbreitert (Figur b). Dabei plattet ſich die vordere Hälfte immer ſtärker ab und bildet über die hintere Halbkugel einen Deckel. Endlich ſtülpt ſich die Schicht der kleinen Zellen unter Verluſt der Geißeln in die von den großen Zellen gebildete Halbkugel, welche jetzt einem Becher mit doppelter 632 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme; erſte Klaſſe: Kalkſchwämme. Wandung gleicht (Figur c). Dieſe beiden Blätter find das innere und äußere Keim: blatt der Larve, welche jetzt eine Gaſtrula darſtellt. Darauf bildet ſich, unter Verklei— nerung der Einſtülpungsöffnung der Larve, vom äußeren Keimblatt wahrſcheinlich her— rührend, eine Zwiſchenſchicht zwiſchen dieſem und dem inneren Keimblatt: das mittlere Keimblatt, in welchem die Kalknadeln ſich bilden. Die Larve wächſt nun zu einem Hohl: cylinder aus, der oben mit einer zentralen Offnung (der Schornſteinöffnung) verſehen, unten durch Zellen des äußeren Keimblattes feſtgewachſen iſt, zahlreichere Kalkgebilde ent— hält und von feinen Löchern (die Einſtrömungssffnungen oder Poren) durchbrochene Seiten— wandungen beſitzt (Figur d). Entwickelung von Sycon raphanus. Alle Figuren vergrößert. Der Schwamm iſt fertig, ſobald die Leibeshöhle mit ihrem Schornſteine ſich gezeigt hat. Eigentlich braucht er nicht einmal die große Offnung, ſondern die Waſſerausfuhr ge— ſchieht oft auf demſelben Wege, durch die veränderlichen Hautporen, wie die Einfuhr. Dieſer Mundmangel — Mund im Sinne von Mündung, Ausfuhrmündung — oder Aſtomie gibt gleichfalls Veranlaſſung zu häufigen Varietätenbildungen, welche weſentlich mit dazu beigetragen haben, die ſyſtematiſchen Anſichten der alten Schule über den Haufen zu werfen. Wir können nun die drei Hauptfamilien vorſtellen. Die Sack-Kalkſchwämme oder Ascones erheben ſich nicht über jene Stufe, bis wohin wir eben die Entwickelung der Larve begleitet hatten. Es ſind einfache oder verzweigte, geſchloſſene oder offene Cylinder Entwickelung der Kalkſchwämme. Sad:, Knollen: und Waben-Kalkſchwämme. 633 von dünnen Wandungen. Sie ſind oft von ſolcher Zartheit, daß ſie im Waſſer kaum durch einen weißlichen Schimmer ſich geltend machen. Sehr oft aber bilden ſie enge Ge— flechte, welche nußgroß, ja fauſtgroß werden und dann natürlich als weiße oder gelbliche Ge— wächſe auffallen. So iſt z. B. die ſchöne Ascet- ta clathrus bei Nea⸗ pel in den Grotten des Poſilipp und der Inſel Niſita reichlich zu finden. In unſeren nordiſchen Meeren iſt die von Lie— berkühn zuerſt näher unterſuchte Ascaltis botryoides, welche die Abbildung etwa in vierfacher Vergrößerung zeigt, ſehr verbreitet. Die Knollen-Kalk— ſchwämme (Leu- cones) umfaſſen die— jenigen Formen, bei wel— chen ſich die Wandungen der unregelmäßig ver— zweigten Kanäle unter ſtarker Anhäufung der Kalknadeln verdicken, ſo daß mehr oder weniger unregelmäßige Geſtalten zum Vorſchein kommen, Knollen und Kugeln, aber auch Flaſchen und Becher. Zu den zierlicheren und größeren gehört die Leucandra penicillata von Grönland. Die ſchönſten und wenigſtens formell am Sack-⸗Kalkſchwamm (Ascaltis botryoides). 4 mal vergrößert. höchſten entwickelten ſind die Waben-Kalk— ER . ſchwämme (Sycones) Die Grundform des re Nr Einzeltieres iſt ein länglicher Becher oder ein SE -,, \ * a meiſt geitielter Cylinder, deſſen dickere Wan— = = 7 ES N 3 dungen regelmäßige Kreiſe tiefer, von der großen 2 e ä zentralen Höhle ausgehender Einbuchtungen e e > 5 zeigt. Die Mündung verhält ſich wie bei den an e * >33 7 R anderen Familien: fie iſt entweder nackt wie I. . 5 bei der Leucandra, oder mit einem Kranze 5 — ri ſchlanker Nadeln umſtellt. . D w Über die Verhältniffe, unter denen die 1) Knollen-Kaltſchwamm (Leucandra penicillate) Kalkſchwämme leben, habe ich zwar ſelbſt viele Naturt Große. e Erfahrungen geſammelt, ich will aber darüber Bi Haeckel reden laſſen, deſſen oben berührte Monographie für alle Zeiten die Grundlage unſeres Wiſſens bilden wird. 2 „Alle Kalkſchwämme leben im Meere. Keine einzige Form dieſer Gruppe iſt bisher in ſüßem Waſſer oder in Brackwaſſer aufgefunden worden. Aus der ſalzarmen Oſtſee 634 Hohltiere. Dritter Unterkr.: Schwäm me; erſte u. zweite Kl.: Kalk- u. Gemeinſchwämme. iſt bisher noch kein einziger Kalkſchwamm bekannt. Ebenſo habe ich auch in den tief eingeſchnittenen Fjorden Norwegens an allen jenen Stellen, wo das Waſſer nur ſchwach ge— ſalzen oder brackig iſt, vergeblich nach Kalkſchwämmen geſucht, während fie außen an der Küſte dort ſehr häufig ſind. Es ſcheint demnach, daß die Kalkſpongien nur in Seewaſſer von dem durchſchnittlichen Salzgehalt des Ozeans leben können. In ſüßem Waſſer oder in verdünntem Seewaſſer ſterben ſie ſehr raſch. „Alle bis jetzt bekannten Kalkſchwämme ſind entweder unmittelbar an der Meeresküſte oder nur in geringer Entfernung von derſelben geſammelt worden. Auf dem Boden des offenen Meeres ſind bisher noch keine Kalkſpongien gefunden worden. Auch die ausge— dehnten Unterſuchungen, welche in den letzten Jahren über die Beſchaffenheit des Tiefſee— grundes angeſtellt wurden, und welche eine Anzahl von eigentümlichen Kieſelſchwämmen aus dem tiefen Boden des offenen Meeres zu Tage förderten, haben keinen einzigen Kalk— ſchwamm von dort geliefert. „Die meiſten Kalkſchwämme lieben die Dunkelheit und fliehen das Licht. Nur wenige Arten wachſen an Stellen, welche dem Lichte mehr oder weniger ausgeſetzt ſind. Daher findet man diejenigen Arten, welche ſich am liebſten auf Felſen und Steinen anſiedeln, vorzugsweiſe in Höhlen und Grotten der Meeresküſte, in Felſenſpalten und an der Unter— ſeite von Steinen. Die meiſten Arten leben im Tangdickicht, in dem ſchattigen Konferven— gebüſch und den dunkeln Fukoidenwäldern, und je dichter dieſe Algen an felſigen Küſten beiſammen wachſen, je weniger Licht zwiſchen ihr Aſtwerk hineinfällt, deſto eher darf man hoffen, Kalkſchwämme zwiſchen ihren Aſten verborgen zu finden. Dieſe Liebe zur Dunkelheit veranlaßt auch viele Kalkſchwämme, ſich im Inneren von leeren Tiergehäuſen: Muſchel— ſchalen, Schneckenhäuſern, Seeigelſchalen, Wurmröhren und anderen anzuſiedeln. „Die große Mehrzahl der Kalkſchwämme ſitzt feſtgewachſen auf dem Boden des Meeres. Jedoch gibt es unter den Kalkſchwämmen wie unter den Kieſelſchwämmen einige wenige Arten, welche auch im völlig ausgewachſenen Zuſtande nicht feſtgewachſen ſind, ſondern frei im Schlamme des Meeresbodens ſtecken und gelegentlich von den Wellen oder Strömungen fortgetrieben werden können.“ Haeckel glaubt, die verhältnismäßige Seltenheit der Kalkſchwämme in allen Meeren hervorheben zu müſſen. Ich kann dem nicht unbedingt beiſtimmen. Sie ſtehen allerdings an Vielfältigkeit und gelegentlicher Maſſenhaftigkeit des Vorkommens gegen die Kieſel— ſchwämme außerordentlich zurück. Wenn aber dem Monographen der Kalkſchwämme trotz ſeiner vielſeitigen Verbindungen von vielen Küſtenſtrecken und aus ganzen Meeren keine Arten zugingen, ſo liegt das, glaube ich, an der Mangelhaftigkeit des Einſammelns. Es gibt an der italieniſchen und franzöſiſchen Mittelmeerküſte ganz unglaubliche Mengen von Kalkſchwämmen; daher iſt es undenkbar, daß dieſelben an dem gegenüberliegenden afri— kaniſchen Ufer ſelten oder gar nicht vorkommen ſollten, obgleich in den Pariſer Samm— lungen von daher ſich keine befinden. Die meiſten Kalkſchwämme gehören der Strandzone bis zu 2 Faden Tiefe an. Schon von da bis zu 10 Faden iſt die Abnahme eine ſehr auffallende; darüber hinaus gehören ſie zu den Seltenheiten. Der „Challenger“ brachte 30 Arten mit heim, von denen nur 2 tiefer als 150 Faden (nämlich bei 450 Faden) gefangen worden waren. Wahrſcheinlich iſt in erſter Linie die durch die Gegenwart von Kohlenſäure bedingte Kalkarmut der tieferen Meeresſchichten Urſache dieſer auffallenden Erſcheinung. Kein Tier ſcheint ſich von den Weichteilen der Kalkſchwämme zu nähren. Auch findet man in ihren Höhlungen nur ausnahmsweiſe fremde Inwohner. Gemeinſchwämme. — Halichondrien. — Hornſchwämme. 635 Zweite Klaſſe. Die Gemeinſchwämme (Coenospongiae). Bei der zweiten Klaſſe der Spongien, welche weit zahlreicher als die erſte und in allen Zonen und Tiefen des Meeres verbreitet iſt, und die wir einmal Gemeinſchwämme nennen wollen, beſteht das Skelett aus Kieſelnadeln, welche teilweiſe oder ganz von zuſammen— hängenden Hornfaſern verdrängt ſein können, die ſich ihrerſeits unter Umſtänden wieder unter Aufnahme von Fremdkörpern bis faſt zum vollkommenen Verſchwinden rückbilden. Die Gemeinſchwämme laſſen ſich am beſten in drei Ordnungen zerlegen, von denen die erſte die der Halichondrien, die zweite die der Tetraktinelliden und die dritte die der Hexaktinelliden iſt. Erſte Ordnung. Die Halichondrien (Halichondriadae). Wir dürfen alle Schwämme, welche entweder gar keine erdigen Beſtandteile abſondern, oder nur nadelähnliche einachſige Kieſelkörper nebſt gewiſſen ſpangenförmigen Geſtalten, die aus Verkieſelung von Zellen hervorgehen, kurz alle Schwämme mit Ausſchluß der ſchon vorgeführten Unterklaſſe und der zwei folgenden Ordnungen, mit einem gemeinſchaftlichen, leider nicht vorteilhaft gewählten Namen bezeichnen. Es iſt ſchwer zu ſagen, welcher der zahlreichen, hierher gehörigen Gruppen man die unterſte oder oberſte Stelle anweiſen ſoll. Die eine wie die andere, die Fleiſchſchwämme, die Leder-, Horn- und Kieſel-Halichondrien, ſind zur Verzweiflung der Syſtematiker, aber zum großen Vergnügen der Anhänger der Abſtammungstheorie da, indem ſie nebſt den anderen Ordnungen, wie ſchon erwähnt, eine Tierklaſſe im Zuſtande der vollkommenſten Unbeſtimmtheit und Flüſſigkeit der Arten, Gattungen und Familien darſtellen. Diejenigen Schwämme, aus deren weicher, formloſer Subſtanz ein dem Badeſchwamm gleiches oder ähnliches, mehr oder minder elaſtiſches Netzwerk hervorgeht, worin keine Kieſelnadeln enthalten ſind, werden Hornſchwämme genannt. Allein wie künſtlich dieſe ſyſtematiſche Abgrenzung iſt, geht daraus hervor, daß manche als grobe Schiefertafelſchwämme in den Handel kommende Sorten, deren Vaterland ich nicht habe beſtimmen können, zahl— reiche eigne Kieſelnadeln enthalten. Anderſeits gibt es in der Abteilung der Chalineen, die zu den Kieſelſchwämmen zählen, Arten, deren feſtes und ziemlich elaſtiſches Horngerüſt nur ſpärliche Kieſelnadeln aufweiſt. Es beſtehen alſo zwiſchen den Horn- und Kieſelſchwämmen die engſten verwandtſchaftlichen Beziehungen, und ſie gehen durch alle möglichen Übergänge ineinander über. Innerhalb der Hornſchwämme nehmen die verſchiedenen Sorten der Badeſchwämme, Pferde- und Tafelſchwämme wegen ihrer merkantilen Bedeutung den erſten Platz ein. Man kann ſie in die Sippe Euspongia zuſammenfaſſen. An eine Einteilung in gute Arten iſt nicht zu denken; die Schwammhändler nehmen 16 Sorten nutzbarer Schwämme an, die von verſchiedenen Lokalitäten des Mittelmeeres ſtammen. Es iſt jedermann bekannt, daß der Badeſchwamm die Eigenſchaft haben muß, auch wenn er vollkommen ausgetrocknet iſt, nicht brüchig zu ſein, ſich augenblicklich, ins Waſſer gelegt, vollzuſaugen und höchſt elaſtiſch zu werden. Das Netzwerk, welches wir als Schwamm benutzen, iſt alſo das ſkelettartige Gerüſt, welches übrigbleibt, wenn man den friſch aus 636 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Shwämme; zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme— dem Meere genommenen vollſtändigen Schwamm ſo lange knetet und drückt, bis er von den die Maſchen ausfüllenden und die Waſſergänge auskleidenden klebrigen und flüſſigen Teilen gänzlich befreit iſt. Um in die Sippe Euspongia aufgenommen zu werden, muß die Schwammart alſo vor allen Dingen „auswaſchbar“ ſein. Solche Schwämme finden ſich in der kalten Zone gar nicht, nur vereinzelt und verkümmert trifft man ſie in der nördlichen Hälfte der gemäßigten Zone; dagegen iſt ſchon das Mittel- und Adriatiſche Meer reich an verſchiedenen Sorten, welche unter den Namen des dalmatiniſchen, feinen ſyriſchen, des Zimokka- und Pferdeſchwammes in den Handel kommen. Ich habe einſt, als ich mich erſt wenige Jahre mit den Schwammſtudien abgab, geglaubt, man könne wohl dieſe Hauptſorten als Arten unterſcheiden. Je mehr ich deren geſehen, deſto mehr bin ich von jenem ſyſtematiſchen Troſte zurückgekommen. Ich habe einmal eine ſchlagende Erfahrung darüber gemacht. An der dalmatiniſchen Küſte findet ſich neben dem guten, oft in ſehr großen und ſchönen Exemplaren wachſenden Badeſchwamm, den man als lokale Art, Euspongia adriatica, unterſcheiden kann, ein anderer kleiner, unanſehnlicher Schwamm derſelben Gattung. Da er nur eine geringe Tiefe liebt und eine hellere, glänzende Ober— haut beſitzt, ſo nannte ich ihn zum Unterſchiede von dem tief ſchwarzen guten Schwamm Euspongia nitens. Derſelbe wird in Dalmatien von den Schwammfiſchern gelegentlich mit geſammelt, iſt aber faft wertlos. Er kommt in un— Pferdeſchwamm (Euspongia equina). Durchſchnitt. Natürliche Größe. regelmäßigen Lappen und Knollen höchſtens fauſtgroß vor. Vergleicht man mit dieſem dalmatiniſchen Glanzſchwamm den bekannten, im Handel außerordentlich verbreiteten Pferdeſchwamm, der vorzugsweiſe an der afrikaniſchen Küſte geſammelt wird, ſo glaubt man zwei Arten von ganz verſchiedenem Habitus vor ſich zu haben. In Neapel aber habe ich die Entdeckung gemacht, daß an den dortigen Küſten in allen möglichen allmählichen Stufen der wohl entwickelte laibförmige Pferdeſchwamm bis zur verkümmerten, als Euspongia nitens beſchriebenen Knolle lebt. Für den ausgepräg— ten, im Handel vorkommenden Pferdeſchwamm ſind die geringere Feſtigkeit der Faſern, die geringere Dichtigkeit des Gewebes und die Weite der Höhlungen und Waſſerräume charakteriſtiſch. Dabei pflegen in den Endſpitzen der Faſern weit mehr fremde Körper ein— geſchloſſen zu ſein als bei den feinen Badeſchwammſorten, ſo daß er trotz der ſchnelleren Abnutzung ſich beſſer für das Pferdefell als für die Menſchenhaut eignet. Ein Durchſchnitt durch ein friſches Exemplar iſt obenſtehend abgebildet. So habe ich alſo auch hinſichtlich der übrigen verſchieden benannten Badeſchwämme des Mittelmeeres mich überzeugt, daß ſie nur als lokale Arten oder Sorten anzuſehen ſind. Die feinſte Sorte, durch Weichheit und Häufigkeit der beliebten Becherform aus— gezeichnet, wird an der ſyriſchen Küſte gefiſcht. Mehr flach und von dichterem Gewebe iſt der griechiſche Zimokkaſchwamm, und als Ableger beider Sorten hat ſich der dalmatiniſche Schwamm durch das ganze Adriatiſche Meer verbreitet, in der Faſerbildung etwas gröber und in der für den Handel ſo weſentlichen und wertvollen Form ſehr unbeſtändig. Ehe ich zu meinen eignen Beobachtungen über die Schwammfiſcherei an den dalmatiniſchen Küſten übergehe, will ich eine Beſchreibung geben, wie ſie im Griechiſchen Badeſchwamm. Pferdeſchwamm. Schwammfiſcherei. 637 Meere und an der ſyriſchen Küſte getrieben wird. Zu Anfang der ſechziger Jahre reiſte ein Mitglied der franzöſiſchen Akklimatiſations-Geſellſchaft, Lamiral, nach jenen Fiſcherei— diſtrikten, in der Abſicht, lebende gute ſyriſche Schwämme dort zu ſammeln und ſie an die provengalijche Küſte zu verpflanzen. Im Bericht über die Ausführung der Reife und des Projektes, welches ſchließlich nicht geglückt iſt, findet ſich folgende Schilderung: „Eine Segel- und Ruderbarke iſt bemannt mit vier Fiſchern und einem Gehilfen. Nachdem der Taucher — Maronit, Grieche oder Muſelmann — ſein Gebet verrichtet, ſtellt er ſich auf das Vorderteil der vor Anker gelegten Barke. Nackt, ein Netz oder einen Sack um den Hals gehangen, hockt er ſich auf die Ferſen und umfaßt einen weißen, platten, an einem Ende abgerundeten Kalkſtein. Derſelbe bleibt durch eine feſte Leine mit dem Boote verbunden. Nach langem, kräftigem Atemholen ſtürzt er ſich kopfüber und in den vorgeſtreckten Händen den Stein haltend, der ihn hinabzieht. Auch mit den Füßen arbeitet er, um ſchneller zu tauchen. Auf dem Grunde angelangt, ſucht er ſeine Beute.“ An einer anderen Stelle des Berichtes erfahren wir, daß die Taucher in einer Tiefe von 18 m, alſo gegen 60 Fuß, 1/—83 Minuten aushielten, und der Taucher, welcher dies höchſte Maß leiſtete, behauptete, im Laufe der Sommerzeit allmählich ſeine Fähigkeit, unter Waſſer zu bleiben, auf 4 Minuten bei 150 Fuß Tiefe zu entwickeln. „Der Gehilfe, der mit ausgeſtrecktem Arm die Leine führt, an welcher der weiße Stein angebunden iſt, und welche auch der Taucher in der Hand behält, folgt allen Bewegungen desſelben. Kann es letzterer nicht mehr aushalten, ſo gibt er durch einen Ruck ein Zeichen, und nun ziehen zwei Kameraden ſo emſig, daß ſie den Taucher mit halbem Körper über das Waſſer bringen. Ganz erſchöpft klammert er ſich an den Bord der Barke, und einer der anderen reicht ihm zur Unterſtützung die Hand, während ihm aus Mund, Naſe und Ohren Waſſer ausſtrömt, nicht ſelten mit Blut unter— miſcht. Er braucht einige Augenblicke, um zu ſich zu kommen. Und da die vier Fiſcher, welche der Reihe nach tauchen, doch Zeit mit den Vorbereitungen dazu hinbringen, ſo kommt jeder in der Stunde 1—2mal daran. „Dieſe Leute rudern bei Sonnenaufgang nüchtern aufs Meer und kommen erſt 1—2 Stunden nach dem Verlaſſen der Fiſchereiplätze zurück, gewöhnlich zwiſchen 2 und 3 Uhr nachmittags. Bei gutem Wetter und mittlerer Tiefe und auf günſtiger Stelle kann jeder Taucher 5—8 Schwämme heraufbringen. Die Viere verſtändigen ſich im voraus über ihren Anteil; der Gehilfe erhält Tagelohn, auf die Barke kommt der fünfte Teil des Ertrages.“ An der dalmatiniſchen und iſtriſchen Küſte, wo ich mich ſehr genau mit den Verhält— niſſen der Schwammfiſcherei bekannt gemacht, bemächtigt man ſich der Schwämme nicht durch Tauchen, ſondern mit der langen vierzinkigen Gabel, welche wir auf alten Bildwerken als Wahrzeichen des Neptun erblicken. Nur die Bewohner der kleinen Inſel Krapano liegen dieſem Gewerbe ob, und ihre 30—40 Barken ſuchen während der guten Jahreszeit die zerriſſene und inſelreiche Küſte ab. Je zwei Mann befinden ſich auf einer ſtarken Barke, deren Vorderdeck einen viereckigen Ausſchnitt hat. In dieſen ſtellt ſich der die Gabel führende Mann, um, über Bord gebeugt, den Oberkörper ſicher balancieren zu können. Der Stiel der Gabel iſt 7—14 m lang; eine Reſervegabel und Stangen liegen immer auf einem am Bord angebrachten Geſtelle. Der zweite Mann führt die Ruder, deren Ruhepunkte auf einem die Bordſeite überragenden Balken liegen, wodurch die notwendigen feinen Bewegungen des Bootes leichter und ſicherer werden. Während er nun das Boot hart am Felſenufer über einem Grunde von 4—13 m Tiefe langſam hintreibt, ſpäht jener ſcharfen Auges nach den durch ihre ſchwarze Haut ſich kenntlich machenden Schwämmen. Am günſtigſten iſt natürlich völlige Windſtille. Iſt das Meer leicht erregt, ſo wird es mit Ol beruhigt. Zu dieſem Ende liegt immer auf der Spitze des Bootes ein Haufen glatter Kieſel, und daneben ſteht ein Gefäß mit Ol. Der Fiſcher taucht einige der Steine 638 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme; zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. mit der Spitze in die Flüſſigkeit und wirft ſie einzeln in einem Halbkreiſe um ſich. Die Wirkung iſt eine wunderſame: die unmeßbar feine Olſchicht, die ſich über mehrere Quadrat— klafter ausdehnt, reicht hin, um die kleinen Wellen zu beſänftigen, das Auge wird nicht mehr durch die ſich kreuzenden Spiegelungen und Brechungen geſtört. Der Fiſcher aber muß die Schwämme nicht bloß mit den Augen erſpähen; da ſie am liebſten gedeckt wachſen, muß er mit der Gabel zwiſchen und womöglich unter die Felſen taſten, und ſicher iſt ein großer Teil der geſuchten Beute dieſer Art der Fiſcherei gar nicht zugänglich. Nachdem mit der Arbeit des Aufſuchens Schicht gemacht iſt, werden die Schwämme am Ufer ſo lange getreten, geknetet und mit den Händen ausgedrückt und wiederholt gewaſchen, bis die ſchwarze Oberhaut und alle zwiſchen den Faſern enthaltene Subſtanz verſchwunden. Sie bedürfen, um vollkommen gut zum Gebrauche zu ſein, nur einer nochmaligen Reinigung in lauem ſüßen Waſſer. Ganz ſo werden die feinen ſyriſchen und griechiſchen Schwämme von den dortigen Fiſchern behandelt. Dem widerſpricht nun, wird man mir mit Recht einwerfen, die tägliche Erfahrung, daß man jeden neu gekauften Schwamm mit vieler Mühe von dem feinen, zwiſchen den Maſchen enthaltenen Sande befreien muß. Nun, die Sache iſt ſehr einfach. Die von den Fiſchern faſt vollkommen rein aufgekauften Schwämme werden in den Magazinen der Großhändler (man ſollte es kaum glauben!) künſtlich mit Sand beſchwert, indem man ſie mit Sand durcheinander ſchaufelt. Es wird kaum eine andere Ware geben, die man auf ſo verrückte Weiſe behandelt. Der Einzelverkauf geſchieht bekanntlich nach dem Gewichte, da aber jeder— mann mit dem Händler weiß, daß eine gehörige Portion Sand mit ins Gewicht fällt, ſo iſt trotz des Gewichtskaufes die Form des Schwammes und die Güte des Gewebes maßgebend. Als ich natürlich gleich bei Beginn meiner wiſſenſchaftlichen Studien meine Blicke auf die Schwammfiſcherei in den adriatiſchen Gewäſſern gelenkt hatte, machte ich Fiſcher und Behörden aufmerkſam, daß der Ertrag durch eine vernünftige Regelung der Fiſcherei erheblich geſteigert werden müßte, wenn man ſich z. B. dahin einigte, daß höchſtens jedes dritte Jahr eine und dieſelbe Lokalität abgeſucht werden und die kleinen, im Handel faſt ganz wertloſen Exemplare gar nicht geſammelt werden dürften. Dieſe Vorſtellungen ſind bisher an der Unvernunft der Fiſcher völlig geſcheitert. Einen anderen Weg, die Pro— duktion zu ſteigern, habe ich durch die künſtliche Schwammzucht eingeſchlagen. Die in den Jahren 1863 — 72 fortgeſetzten Verſuche und Unternehmungen haben von ſeiten der öſterreichiſchen Regierung und der Börſedeputation in Trieſt die nachhaltigſte Förderung erfahren. Ich ſchloß aus der Natur dieſer niederen Organismen überhaupt und nach Erfahrungen, die einzelne Naturforſcher, beſonders Lieberkühn, bei der wiſſenſchaftlichen Beobachtung an gebräuchlichen Schwammarten gemacht, daß, wenn man einen friſchen Badeſchwamm in paſſende Stücke teilen und dieſelben geſchützt und leicht erreichbar wieder ins Meer ſenken würde, dieſe anwachſen und ſich zu neuen vollſtändigen Schwämmen entwickeln müßten. So iſt es denn auch gekommen, das Prinzip hat ſich vollkommen bewährt, und nach vielerlei praktiſchen Mißgriffen, die bei einem ſolchen Unternehmen nicht aus— bleiben konnten, hatte ich mit meinem Freunde und Arbeitsgenoſſen, dem Telegraphen— beamten Buccich in Leſina, die Freude, in der ſchönen Bucht von Socolizza eine Zucht von 2000 Exemplaren aufzuweiſen. Die zur Zerteilung beſtimmten Schwämme wurden in nächſter Umgebung oder auch in Entfernung einiger Seemeilen aufgeſucht und in einem durchlöcherten Kaſten befeſtigt, daß ſie ſich nicht beſchädigen und drücken konnten, nach der Zuchtſtation gebracht. Dort wurden ſie zerteilt, was bei der Zähigkeit des Schwammes und der Leichtigkeit, mit der die flüſſige Sarkode ausfließt, mit ſehr ſcharfem Meſſer zu geſchehen hat, dann die Teil— ſtücke von 1—3 Kubikzoll entweder mittels hölzerner, oben mit einem Knopfe verſehener Verſuch künſtlicher Schwammzucht. 639 Nägel an einem kaſtenähnlichen Geſtell befeſtigt, oder ſie wurden zu 2 oder 3 auf Stäbchen oder ſogar auf mit Kautſchuk überzogenen Kupferdraht aufgereiht. Die Hauptbedingung für das Fortkommen iſt, daß die Stücke nicht direktes Licht empfangen, auch wenn ſie 20 — 30 Fuß tief verſenkt find. Durch geſchickte Handgriffe, welche Herr Buceich bei der Anpflanzung anwendete, kam er ſo weit, daß von den auf den Stäbchen und dem Draht befeſtigten Stecklingen nur 1 Prozent mißriet, und alle Schwämme unſerer Anlage hatten eine ſchöne, ſchwarze, glänzende Farbe, die natürliche. Auch auf loſen Steinen wurde eine Partie von Teilſtücken befeſtigt, und ſie ſind in kürzeſter Zeit darauf angewachſen. So konnte das Unternehmen, das ſeiner Zeit von der wiſſenſchaftlichen und merkan— tilen Welt mit Intereſſe verfolgt wurde, damals, als es auf der Stufe eines gelingenden Verſuches ſtand, auch für die Zukunft als geſichert erſcheinen. Und doch iſt es geſcheitert. Natur und Menſchen haben das ihrige dagegen gethan. Die erſtere ſendete einen furcht— baren Feind in Geſtalt des Pfahlwurmes, der alles Holzwerk der Anlagen zu zerſtören begann, ſchließlich auch nicht die mit Steinkohlenteer imprägnierten Bretter und Balken verſchmähte. Unſere und ihre eignen ſchlimmſten Gegner waren aber und ſind geblieben die Küſtenbewohner ſelbſt und die Schwammfiſcher. Anfangs verlachten ſie mich. Als ich ſie dann einmal eingeladen hatte, ſich die Zucht zu beſehen, erſchienen vier Mann, Hohn und Spott in den Mienen. Wer beſchreibt aber ihr Erſtaunen, als ein Geſtell nach dem anderen gehoben wurde und die in voller Lebens— kraft daran befindlichen Schwämme ihnen zu Geſicht kamen. Sie bekreuzten ſich wiederholt, denn es ſchien ihnen nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Trotzdem iſt keiner der dalma— tiniſchen, auf die Hantierung an der Küſte und den Fiſchereierwerb angewieſenen Ein geborenen zu bewegen geweſen, auch nur den mindeſten Verſuch zum Betrieb einer Schwammzucht zu machen. Im Gegenteil, die Anlagen wurden wiederholt zerſtört, unſere gezogenen Stücke trotz einer Wache geſtohlen. Das Rationelle und der volkswirtſchaftliche Nutzen einer künſtlichen Schwammzucht ſollte nicht nur darauf beruhen, daß mit dem Aufgeben eines vorläufigen, aus dem Erlöſe der zu zerteilenden Exemplare ſich ergebenden Vorteiles derſelben nach 3— 4 Jahren verſechsfacht ſein kann, ſondern hauptſächlich auf der allmählichen Regelung eines gewiſſen Verdienſtes unter Minderung der Arbeit und Schonung des Naturproduktes. Das Raubſyſtem, welches die dalmatiniſchen Schwamm— fiſcher befolgen, muß allmählich den Ruin des Gewerbes mit einer Erſchöpfung des natür— lich wachſenden Schwammvorrates herbeiführen. Bis jetzt haben dieſe auf einer ſehr niedrigen Bildungsſtufe ſtehenden Leute dafür noch kein Verſtändnis, und nachdem jene Vier ihre Verwunderung über das Gedeihen der Anpflanzung durch Bekreuzen und lebhafte Ausrufe ausgedrückt, fuhren ſie davon, um auch künftig ganz in der alten, durch die Jahr— hunderte geheiligten Weiſe planlos und ſinnlos der Fiſcherei obzuliegen. Die Fortpflanzung des Badeſchwammes durch freie, aus Eiern ſich entwickelnde Larven findet nach meinen Beobachtungen in Neapel im März und April, vielleicht auch ſpäter ſtatt. In den Umgebungen der Waſſergänge bilden ſich zahlreiche Haufen von Embryonen ganz auf die Weiſe, wie in dem Durchſchnitt eines Pferdeſchwammes auf S. 636 zu ſehen. Die Anzahl der Nachkommen eines mäßig großen Badeſchwammes iſt eine außerordentliche. Wenn trotzdem die Klagen der Schwammfiſcher über ſchlechten Ertrag ihres müheſamen Gewerbes laut und die Schwämme immer teurer werden, ſo iſt damit die von mir wiederholt hervorgehobene Notwendigkeit von Schonzeiten bewieſen. Denn ſchon in den erſten Früh— lingswochen beginnen die Schwammfiſcher ihre Raubzüge; ſie vertilgen alſo Jahr für Jahr ungezählte Millionen ungeborener Brut. 640 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme; zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. Wie die Kieſelſchwämme mit einachſigen Skelettelementen nach und nach in die reinen Hornſchwämme übergehen, ſo ſind dieſe wieder durch allerlei Zwiſchenformen mit Arten verbunden, welche eine ſteinartige Feſtigkeit beſitzen und ausſehen wie abgerollte Brocken Sandſtein (Familie der Psamminidae). Und ſie beſtehen in der That zum größten Teil aus Meeresſand mit den verſchiedenen in dieſem enthaltenen Reſten tieriſcher Organismen. Oben wurde ſchon erwähnt, daß bei den als Pferdeſchwämme bezeichneten groben Sorten der Badeſchwämme weit mehr fremde Körper in den Endſpitzen der Faſern eingeſchloſſen zu ſein pflegen als bei den feineren, aber auch bei dieſen kommen ſie vor, und es gibt wohl keine Art oder Form von Hornſchwamm, wo ſie gelegentlich nicht auf— treten könnten. Die Fremdkörper befinden ſich das eine Mal nur im zentralen Teil der Hornfaſer und ſind unregelmäßig verteilt, indem ſie manchmal eine Strecke lang zahlreich hintereinander liegen, dann wieder auf weite Zwiſchenräume fehlen. Ein anderes Mal ſind die Faſern ſtrotzend und ununterbrochen gefüllt von allerlei Partikelchen, oft ſo ſehr, daß die ganze Maſſe der Xenophyen, wie Haeckel dieſe Fremdkörper nennt, durch die Hornſubſtanz nur wie durch ein Zement zuſammengekittet iſt, ja es gibt Formen, welche ein ausſchließlich aus Fremdkörpern beſtehendes Skelett ohne irgend welche Hornſubſtanz beſitzen. Als Xenophyen treten allerlei Bildungen auf: Sand, ganze und zerbrochene Nadeln von Kalk- und Kieſelſchwämmen, Kalkkörper von Ascidien, die Gehäuſe von Foraminiferen und Radiolarien, Bruchſtücke von Konchylienſchalen ꝛc. Es kommt ganz auf die Zuſammen— ſetzung des Meeresbodens an, auf dem ein Schwamm mit Fremdkörperſkelett wächſt, was von jenen Stoffen in überwiegender Menge in den Faſern eingeſchloſſen iſt. Haeckel, der die Tiefſeehornſchwämme, welche die Challenger-Expedition heimbrachte, unterſuchte, gibt an, die Xenophyen derſelben unterſchieden ſich nach der Bodenbeſchaffenheit ihres Standortes und man könne aus der Art der Fremdkörper erkennen, ob ſie auf Radiolarien— oder Globigerinen-Schlick oder rotem Thon gewachſen wären. Von den 26 Arten Tiefſee— Hornſchwämmen, welche Haeckel beſchreibt, haben 8 ein Kalkſkelett, beſtehend aus Fora— miniferenſchalen (Standort: Globigerinen-Schlick), 10 ein aus Radiolarienſkeletten gebildetes Kieſelſkelett (Standort: Radiolarien-Schlick) und 3 ein rein mineraliſches Skelett, gebildet aus allerlei Partikelchen vulkaniſchen Geſteins (Standort: roter Thon). Bei den 5 übrig— bleibenden Arten war das Skelett aus verſchiedenartigen Fremdkörpern zuſammengeſetzt, mit anderen Worten, der Boden ihres Standortes hatte keinen ausgeſprochenen Charakter. Wie kommen nun aber die Fremdkörper in den Schwamm hinein? Vielleicht auf zweierlei Art. Das durch die Einſtrömungsöffnungen eines Schwammes eindringende Waſſer wird außer als Nahrung verwertbaren kleinen Organismen und Reſten von Orga— nismen auch allerlei andere Körper in den Schwamm hineinſchwemmen, ſo namentlich Meeres— ſand. Von den Hornfaſern wird zuerſt der als „Achſe“ unterſchiedene, nach außen zu ge— legene Teil angelegt, der jedenfalls eine mehr oder weniger klebrige Beſchaffenheit haben wird, und an ihm bleibt ein Teil der eingeſchwemmten Fremdkörper haften und zwar um ſo mehr, je klebriger er iſt. Später ſondern die früher erwähnten Spongioblaſten neue Hornſubſtanz ſchichtenweiſe auf die Achſe mit den anklebenden Fremdkörpern ab, ſo daß dieſe ins Innere der Faſer zu liegen kommen. Dieſe ſelbſt wächſt am freien Ende zu— nächſt bloß als Achſe, die Leimrute für die Fremdkörper, weiter, und ſo wiederholt ſich der Prozeß immer aufs neue. Auf eine andere Art dürften diejenigen Tiefſeeſchwämme, welche wohl Fremdkörper, aber keine Hornfaſern beſitzen, zu ihrem Skelett kommen. Man möchte faſt vermuten, daß ſie geradezu in den Sand hineinwachſen. Die Hornſchwämme find bisweilen ganz durchwachſen von Algen (Oscillarien, Calli- thamnion 2c.), und in manchen Fällen ſcheint nicht bloß einfaches Wohnungs-Schmarotzertum, Fremdkörper und Skelettbildungen. Symbioſe. Ammokoniden. 641 ſondern Symbioſe vorzuliegen, d. h. eine Vergeſellſchaftlichung zu gegenſeitigem Vorteil: die Alge findet eine Wohnſtätte und erleichtert als Gegenleiſtung dem Schwamme die Atmung und Ernährung. Für die Mehrzahl der Tiefſeehornſchwämme iſt aber eine Symbioſe mit Hydroid— polypen charakteriſtiſch. Die cylindriſchen, ſich verzweigenden und Anaſtomoſen bildende Stöckchen derſelben durchziehen den Körper der Schwämme nach allen Richtungen und erſetzen in mechaniſcher Hinſicht das fehlende Gerüſt ſtarker Hornfaſern. Haeckel fand dieſes Verhältnis bei 16 Arten von 26 unterſuchten. Bemerkenswert iſt noch, daß die Hornſchwämme der Tiefſee gern in der Geſtalt geſtielter Blätter wachſen und dabei meiſt, entſprechend ihrem ruhigen Standorte, von einer wundervollen Regelmäßigkeit ſind. Bei manchen tritt in der äußeren Form auch eine radiäre Tendenz auf. Eine der merkwürdigſten Familien der Schwämme iſt die von Haeckel aufgeſtellte der Ammokoniden der Tiefſee. Haeckel ſieht in ihnen gleichfalls Hornſchwämme ohne 1) Nierenförmiger Lederſchwamm (Chondrosia rente ini aufgeſchnitten. 2)Halisarca Dujardinii. Nat. Größe. Hornfaſern, deren Skelett ausſchließlich aus Fremdkörpern beſteht. In ihrer Form gleichen ſie in hohem Grade einfachen Kalkſchwämmen. Die dünne Wandung dieſer röhrigen Schwämme iſt von einfachen Poren durchſetzt, durch welche das Waſſer in den einfachen Magenraum einſtrömt; die Geißelzellen liegen auf der Innenſeite der Röhren. Die vier bekannten Arten haben verſchiedene Geſtalt; zwei ſind monozoiſch von Becherform, oben mit anſehnlicher Mundöffnung (3. B. Ammolynthus prototypus), die dritte ſtellt einen von acht ſchlauchförmigen Perſonen gebildeten Stock dar, und die vierte endlich bildet ein unregelmäßiges verwachſenes Röhrenwerk ohne Mundöffnungen. Haeckel hält, wie geſagt, dieſe durch ihre Einfachheit ſeltſamen Schwämme für Zu— gehörige des Hornſchwamm-Stammes; aber vielleicht ließe ſich auch eine andere Anſicht geltend machen. Es iſt denkbar, daß den Ammokoniden ähnliche Kalkſchwämme — und es gibt deren, die man ohne mikroſkopiſche Unterſuchung von jenen nicht unterſcheiden kann — in immer größere Tiefen eingewandert wären, wo das Waſſer immer reicher an Kohlenſäure wurde, bis es endlich jo reich daran war, daß ein Kalkſkelett nicht mehr vor— handen ſein konnte. Die Schwämme benutzen ſtatt ſelbſtändig gebildeter Kalknadeln die Kieſelgebilde des umgebenden Meeresbodens. Man könnte freilich einwerfen, daß nicht bei allen Mitgliedern dieſer Familie die Xenophyen kieſeliger Natur ſeien, bei der Hälfte vielmehr aus Kalkkörpern beſtehen. Dieſem Einwurf ließe ſich entgegenhalten, daß nichts gegen die Annahme ſpricht, daß e Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 642 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme; zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. folder Ammolkoniden, welche in kohlenſäurereichem Waſſer ihre Kalknadeln verloren und an die Benutzung gebotener Fremdkörper ſich gewöhnt hätten, auf Globigerinenſchlick zurück— Kieſelnadeln von A) Desmacidon armatum, B) Desmacidon areiferum. 200—300mal vergr. gewandert feien und hier nun von Xenophyen ver: werteten, was ſie bekommen konnten. Die beiden Arten mit Kieſelfremdkörpern ſtam— men, nebenbei bemerkt, aus 5316 und 5332 m Tiefe, die mit Kalkkörpern aus 3600 und 4600 m. Eine durch manche Eigentümlichkeiten ausge— zeichnete Familie bilden die Gummi- oder Leder— ſchwämme. Der Typus derſelben, die Sippe Chondrosia (j. Abbild. S. 641, Fig. 1), ſiedelt fi) in Form kleiner, unregelmäßiger Fladen und Laibe an, die in der Regel nur mit einem Ausſtrömungs— loche verſehen, alſo Einzelweſen ſind. Die Ober— fläche iſt ſchlüpfrig und dunkel gefärbt, die der Unterlage ſich anſchmiegende Fläche hell. Beim Abreißen und Herausnehmen aus dem Waſſer ziehen ſie ſich auffallend zuſammen, eine Fähigkeit, welche einige andere Schwämme, z. B. die ſchönen Seelimonen (Tethya), in noch höherem Grade be— ſitzen. Von ihrem Ausſehen werden die Chon— droſien von den Fiſchern carnume oder rognone di mare, Meerfleiſch oder Meerniere, genannt. Sie ſind ſchon im friſchen Zuſtande äußerſt zähe, trock— nen aber an der Luft zu Maſſen zuſammen, ſo feſt, wie dickes Leder. Man kann ſie in dieſem Zu— ſtande jahrelang aufbewahren, und dann nehmen ſie nach dem Wiederaufquellen ganz das Ausſehen friſcher Exemplare an. Auch im ſüßen Waſſer, in wel— chem viele Schwämme ſchon nach einigen Stunden ſich zerſetzen, verändern ſie ſich erſt nach vielen Tagen, obſchon ihre Lebensthätigkeit darin gleich aufhört. Ich habe den Nachweis geliefert, daß dieſe Leder— ſchwämme durch einige Sippen von weniger feſtem Gefüge mit der Sippe Halisarca (j. Abbild. S. 641, Fig. 2) zuſammenhängen, Arten von ganz weicher, faſt ſchleimiger Beſchaffenheit, welche man als den Stock anſehen darf, auf welchen die Ent— wickelung eines Hauptaſtes des Baumes der Spon— gien zurückzuführen iſt. Unter den Schwämmen der gegenwärtigen Erdperiode beanſpruchen diejenigen, welche ein— achſige Kieſelkörper (Monactinellidae) abſondern, den erſten Platz. Wir wollen wenigſtens einige der am häufigſten vorkommenden Formen dieſer Hartgebilde vorführen und nehmen dazu eine, wie es ſcheint, alle Meere in ungeheurer Fülle bewohnende Gummiſchwämme. Abſonderung von Kieſelkörpern. 643 Gattung, Desmacidon, an welcher ich die Umänderung der einen jo genannten Art in die andere je nach dem Wechſel der Lokalitäten, ferner den Übergang in neue Gattungen, je nach dem Belieben des Syſtematikers, bis ins kleinſte nachgewieſen habe. Wir berührten oben die Unmöglichkeit, die reinen Hornſchwämme von den Kieſelhalichondrien zu trennen. . Schwämme, auf einem Tangſtengel ſitzend: a) und b) zwei Desmacidinen, e) Spongelia pallescens. Natürliche Größe. Es handelt fi dort um ſolche einfache Nadeln, wie a! und b! auf Abbild. S. 642. Dieſe Geſtalten ſind nicht nur, wie ein Blick lehrt, theoretiſch voneinander ableitbar, ſie gehen in Wirklichkeit von Individuum zu Individuum ineinander über, und in ebendieſem Verhältnis ſtehen zu ihnen und zu einander die Formen a? und be mit allen erdenklichen, an ſich höchſt unbedeutenden Variationen. Es gibt Lokalarten, bei denen die meiſten Individuen oder Stöcke nur ſolche oben betrachtete glatte Nadeln beſitzen. Nun bekommt man von ihnen nicht zu trennende Stöcke von einer anderen Lokalität zur Unterſuchung, die mit jenen 41* 644 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämmez zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. aufs genaueſte übereinſtimmen, aber unter den glatten Nadeln einzelne mit knotigen Er— hebungen zeigen. Wieder andere Stöcke haben zahlreiche derartige Knotennadeln, die ſogar in wieder anderen Stücken einen charakteriſtiſchen Beſtandteil unter der Form as und a* der Abbild. S. 642 auszumachen ſcheinen. Der Syſtematiker der alten Schule iſt froh, endlich eine neue Art machen zu können. Sie iſt nichtig, weil eben bei Er— weiterung des Beobachtungsgebietes und Erweiterung des Beobach— tungsmaterials die Artenmerkmale unter der Hand verloren gehen oder in neue vermeintliche Merkmale übergehen. In dieſer Hinſicht ſind auch jene Bogennadeln ſehr dankbar geweſen, wie ba, vor allem aber die dreizähnigen Doppelhaken as und das Doppelgrabſcheit be, Formen aus einer faſt unüberſeh— baren Reihe von Verkieſelungen von echten Zellen. Dieſe in der Verwandlungsangelegenheit eine ſo große Rolle ſpielenden Desmacidinen ſind, wie ſo ſehr viele Schwämme, ihrer äußeren Form nach abſolut nicht zu charakteriſieren. Sie kommen vor als dünne oder dickere Kruſten in Strauch- und Baum—⸗ form, als Röhren und Knollen. Die Abbildung auf S. 643 zeigt eine der ſo häufig vorkom— menden Vergeſellſchaftungen verſchiedener Schwämme. Die Grund— lage bildet auf einem Steine ein ſich gabelnder Tangſtengel. Links auf dem noch unverzweigten Stamme ſitzt ein vieläſtiger Schwamm, der ein Mittelding zwiſchen der bei Algier vorkommenden Clathria morisca und der Gattung Desmacidon iſt. Rechts auf dem inneren Aſte des Tanges hat ſich eine gelappte Alge befeſtigt, und dieſe iſt völlig von einer Desmacidine von ſchmutzigem Gelb überzogen. Oben endlich wird die gemiſchte Anſiedelung von einem ſehr gemei— nen Hornſchwamme gebildet, der im friſchen Zuſtande gewöhnlich violetten Spongelia pallescens. Einen intereſſanten Kieſelhornſchwamm des Mittelmeeres (Axinella polypoides) zeigt uns die nebenſtehende Figur. Das ſchön ſchwefel- bis braungelbe Tier iſt ein Stock mit zahlreichen Perſonen, deren Schornſteine in flachen Gruben liegen. Ihr Bau iſt ſtrahlig, und meiſt haben ſie acht Strahlen, was zuſammen mit einer im Inneren des Schwammes vorhandenen feſteren Achſe demſelben eine weitgehende Ahnlichkeit mit eineni achtſtrahligen Rindenpolypen verleiht. Die Challenger Expedition hat eine Menge Arten von Mon— aktinelliden aus verſchiedenen Tiefen mitgebracht, von denen eine der merkwürdigſten die auf S. 645 abgebildete Esperiopsis Chal- lengeri ift. Sie ſtammt aus dem Meere öſtlich von Celebes aus 3320 m Tiefe und zeigt einen auffallend regelmäßigen Bau. Achſenſchwamm (Axinella polypoides). Natürl. Größe. Die in ihrer Thätigkeit ſtärkſte und darum wichtigſte und inter— eſſanteſte Gattung iſt der Bohrſchwamm (Vioa). Seine Bedeutung reicht weit über die des Badeſchwammes. Wenn dieſer nicht exiſtierte, würden Erde und Menſch genau dieſelbe Geſtalt, dieſelbe Kultur beſitzen wie heute. Es gäbe nur keine Schwammfiſcher, und die Großhändler bereicherten ſich nicht auf Koſten dieſer armen, geplagten Menſchen. Daß man ohne Badeſchwamm ſich rein waſchen kann, beweiſt unſere tägliche Beobachtung. Desmacidinen. Achſenſchwamm. Esperiopsis. Bohrſchwamm. 645 Wenn aber nicht die Bohrſchwämme ſeit Urzeiten gearbeitet hätten, würden die Kalk— und Kreideſchichten der Erdrinde und die aus dieſen Geſteinen beſtehenden Küſten der heutigen Meere eine durchaus andere Ausdehnung und Geftalt beſitzen. Nur die Fora— miniferen, die wir im nächſten Abſchnitt kennen lernen, und die Polypen laſſen ſich in ihrer ſchichtbildenden, aufbauenden Thätigkeit mit den entgegengeſetzt wirkenden, in koloſſalem Umfange zerſtörenden Bohrſchwämmen vergleichen. Ein großer Teil der Küſte des Mittel— und Adriatiſchen Meeres wird aus Kalk gebildet, der in ſeiner Neigung zur Zerklüftung der Küſtenlandſchaft das eigentümliche, oft jo anziehende Gepräge gibt. An dem jo zerriſſenen dalmatiniſchen Geſtade kann man ſicher einige tauſend Meilen Strand abmeſſen, und wo irgend der nicht zu jähe Abfall es geſtattet, bedecken größere und kleinere Steine und Felsbruchſtücke den Boden. Man kann kaum einen dieſer Milliarden von Steinen aufheben, ohne ihn mehr oder minder durchlöchert und zerfreſſen zu finden, oft in dem Grade, daß man die lockeren Reſte des ſonſt äußerſt feſten Geſteines in der Hand entzweidrücken kann. Das Ausſehen der Höhlungen iſt meiſt ſo, wie unſere Abbil— dung auf S. 646 zeigt. Es liegt ein beſtimmter, nicht in Worten wiederzugebender Charakter darin, den auch die Offnungen auf der Oberfläche bewahren. Alle Höhlungen ſtehen miteinander in Verbindung. Man braucht nicht weit zu ſuchen, um teils loſes Geſtein, teils die Außen— ſchicht von Felſen, ſoweit das Waſſer reicht, ebenſo zer— freſſen, aber die Höhlungen noch mit dem Angreifer, einem gelblichen Schwamme, erfüllt anzutreffen, der weitver— breiteten Vioa celata. Jedes Loch auf der Steinfläche entſpricht einem Osculum; in dieſen Löchern bricht ſich der Schwamm entweder zur Oberfläche durch, oder er be— ginnt, indem er ſich als Larve anſiedelt, ſeine Bohrthätig— keit mit der Aushöhlung einer Vertiefung, von wo aus er dann nach allen Seiten zerſtörend weiter dringt. Auch viele, meiſt feſtſitzende Muſcheln werden von Bohr— ſchwämmen heimgeſucht, und das iſt immer ſo geweſen, wie die foſſilen Muſchelſchalen zeigen. Es laſſen ſich nach Farbe, Form der Höhlungen und der Geſtalt der Kieſel— nadeln zahlreiche Arten von Bohrſchwämmen unterſcheiden, von denen wir die ebenfalls in Auſtern und namentlich die in Spondylus nicht ſeltene, durch prächtiges Karmoiſin leicht kenntliche Vioa Johnstonii hervorheben. Nie werden jedoch die Muſcheln, ſolange ſie lebendig ſind, derart von den Bohrſchwämmen zerfreſſen, daß dadurch das Leben des Muſcheltieres gefährdet wäre; man findet immer die innerſte, dem Mantel anliegende Schalenſchicht undurchbrochen. Überhaupt geht die Zerſtörung der Konchylien nicht jo weit als die am Geſtein. Wahrſcheinlich hängt dies mit der eigentümlichen Beſchaffenheit der Schalen und Gehäuſe, der Anweſenheit von organiſcher Grundlage zuſammen, welche der zerſtörenden Kraft mehr Widerſtand leiſten. Dies führt ſchließlich zur Frage, auf welche Weiſe ſich die Bohrſchwämme einfreſſen. Wahrſcheinlich geſchieht das auf doppelte Weiſe. Sie treten nur auf in Kalkſteinen, Molluskenſchalen, abgeſtorbenen Korallen, kurz in weſentlich aus Kalk beſtehenden Bil— dungen. Die frei ſchwimmende Larve wird ſich in irgend eine kleine Höhlung derſelben Esperiopsis Challenge ri. Ya natürl. Größe. 646 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme; zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. niederlaſſen und zum Schwamme werden, der ſeine Arbeit zunächſt auf chemiſchem Wege beginnt und den Kalk auflöſt. Wahrſcheinlich wird dieſe chemiſche Thätigkeit, ſo lange der Schwamm lebt, nicht aufhören, aber es geſellt ſich zu ihr entſchieden auch eine mechaniſche. Macht man nach dem Verfahren, wie es die Geologen und Mineralogen bei ihren Geſtein— ſchliffen in Anwendung bringen, durch ein Stück einer von Vioa bewohnten Aufterjchale einen Schliff, ſo ſieht man unter dem Mikroſkop, daß die Wandungen der Bohrgänge nicht einfach zerfreſſen ſind wie unter dem Einfluß einer Säure, ſondern daß in ihr ſich innen lauter ganz glatte Kuppelchen befinden, welche dicht nebeneinander liegen und ſcharfe Ränder haben. In jedes Kuppelchen ragt aus der Oberfläche des Schwammes heraus der obere Teil einer Kieſelnadel von Stecknadelform, und zwar das mit dem Kopfe ver: ſehene Ende voraus, — die Nadel liegt in der Kuppel oder Delle, wie ein Achatreiber 5 2. ee 2a 0 FI: 3 Ein vom Bohrſchwamm (Vioa celata) durchlöcherter Kalkſtein. Natürliche Größe. in einer Reibſchale. Man kann ſich wohl denken, daß im Inneren der Vioa die Waſſer— ſtrömungen in ihrer Richtung wechſeln, was bei anderen Schwämmen beobachtet iſt, und daß fie es find, welche zunächſt das in der Vioa ſteckende ſpitze Nadelende und damit die ganze Nadel, auch den frei herausragenden Kopfteil in Bewegung ſetzen. Die doch wohl nur ſchwache Säure arbeitet dem Reibegeſchäft der Nadeln vor, indem ſie die Oberfläche des Kalkes angreift; die Nadeln reiben den Kalk um ſo leichter ab, das feine Bohrmehl wird von der Säure aufgelöſt, den Strömungen, welche den Schwammkörper durchſpülen, beigemengt, und ſo gelangt der Kalk in gelöſter Form nach außen. Die Wichtigkeit der Bohrſchwämme Bi den großen Kreislauf des ewigen Stoffes beruht darauf, daß das Geſtein nicht in kleinſte Teilchen zerrieben, ſondern wie Zucker in einem Glaſe Waſſer aufgelöſt und in dieſem Zuſtande dem Meere beigemengt wird. Aus ihm ſchöpfen wiederum die zahlloſen Schaltiere und ſchlagen aus dem in das Blut aufgenommenen Waſſer die beſten Beſtandteile ihrer Gehäuſe nieder, welche entweder auch endlich aufgelöſt oder auf dem Meeresboden als Beiträge zur Bildung neuer Erdſchichten für ſpätere Jahrtauſende ab— gelagert werden. Einfreffen der Bohrſchwämme in Kalkſteine. Süßwaſſerſchwämme. 647 Zu den Kieſelſchwämmen mit einachſigen Nadeln gehören auch die einzigen Vertreter des Unterkreiſes, welche das ſüße Waſſer bewohnen, die Süßwaſſerſchwämme (Po— tamospongiae). Der Formenreichtum derſelben iſt ziemlich bedeutend, aber die einzelnen Arten ſind ſchwer gegeneinander abzugrenzen, ſie gehen ineinander über und bilden zahl— reiche lokale Raſſen. Die Tiere ſcheinen in faſt allen ſüßen Gewäſſern der Erde vor— zukommen, ja man hat ſie in den ſeit je dem Tageslicht entzogenen Tümpeln und Bächen der Höhlen Krains gefunden, und ſie ſind gelegentlich in den Röhren ſtädtiſcher Waſſer— leitungen angetroffen worden. Auch der Verbreitungskreis mancher Arten iſt ungeheuer groß; ſo kennen wir manche (allerdings in verſchiedenen Formen oder Varietäten) aus dem größten Teil der europäiſchen, ſibiriſchen und nordamerikaniſchen ſüßen Gewäſſer, zugleich aber auch von Vorderindien (Bombay) und Auſtralien. Beſonders reich an Süßwaſſerſchwämmen ſcheint Nordamerika und das Flußgebiet des Amazonenſtromes zu ſein. Doch kommen ſie auch, wenigſtens was die Zahl der In— dividuen, wenn auch nicht der Arten und Varietäten, angeht, in manchen Gewäſſern Europas, beſonders Norddeutſchlands, in erſtaunlicher Menge und von bemerkenswerter Größe vor. In dem See von Manindjau auf Sumatra überzieht eine Art, wie Max Weber berichtet, „an manchen Stellen mit ſteinigem Ufer zahlreiche Steine, Stücke Holz ꝛc. mit einem dicken Polſter, und zwar in ſolcher Maſſe, daß die Haut des an ſolchen Stellen Badenden durch die zahlreich aufgewirbelten Nadeln empfindlich gereizt wurde“. Die äußere Geſtalt iſt nach Arten und Individuen außerordentlich ſchwankend. Sie kommen vor als flache Polſter, aus denen ſich die einzelnen Mundöffnungen (Schornſteine) auf Kegeln kraterartig erheben, als knollige Maſſen von mannigfachſter Form, bisweilen mit verlängert emporſtehenden Nadelkomplexen ganz vom Habitus eines Igels, als zier— liche Bäumchen ꝛc. Manche ſind ſehr locker und im trockenen Zuſtande leicht zerreiblich, andere feſt wie Stein und wohl zerbrechbar, aber nicht zerreiblich. Sie finden ſich auf allen möglichen Gegenſtänden im Waſſer: auf Steinen, lebenden und toten Pflanzenteilen, beſonders gern an alten Pfählen und Planken. Ein jedes Waſſer, das genügende Nah— rung bietet, iſt ihnen recht. Sie finden ſich in den trüben Waldtümpeln der Umgegend Leipzigs und im toſenden Gebirgsbach, ja in den Stromſchnellen des Kongo, ſie bewohnen den Baikalſee und ſind in die öſtlichſten Teile der Oſtſee in das Meer zurückgewandert. Zurückgewandert — denn wir müſſen annehmen, daß die Süßwaſſerſchwämme von Arten des Meeres abſtammen, welche ihrer Zeit in das ſüße Waſſer eingewandert ſind. Wahr— ſcheinlich waren das die Renieren genannten Seeſchwämme, mit denen die Potamoſpongien in ihrem gröberen und feineren Bau große Ahnlichkeit haben, und die, als die ſchmieg— ſamſten aller Spongien, auch im Brackwaſſer, ſelbſt in dem faſt ſüßen Waſſer der Kanäle innerhalb der Stadt Venedig, gedeihen. Die Farbe der Süßwaſſerſchwämme iſt ſchmutzig weiß, gelblichgrau bis grün, manche Formen (aus dem Amazonenſtrom) erſcheinen im getrockneten Zuſtande faſt ſchwarz. Den Nadeln des Skeletts liegt die Spindelform zu Grunde, dieſelbe kann aber auf das Mannig— fachſte modifiziert ſein: geſtreckt mit ſcharfen Spitzen, wurſtförmig gedrungen mit ſtumpfen Enden, gerade oder in verſchiedenem Umfange, bisweilen mehrmals gekrümmt. Daneben finden ſich nicht ſelten noch allerlei, beſonders durch Verwachſungen verſchiedener Nadeln in der Jugend hervorgerufene Mißbildungen. Die Oberfläche dieſer Kieſelkörper iſt ent— weder glatt oder in verſchiedenem Grade warzig oder dornig, und zwar letzteres in der Regel um ſo mehr, je gedrungener die Geſtalt der Nadeln iſt. Die Fortpflanzung der Süßwaſſerſchwämme iſt eine doppelte, eine geſchlechtliche und eine ungeſchlechtliche. Beide Arten der Entwickelung ſind wiederholt und auch in neuerer Zeit unterſucht worden, zuerſt aber 1856 von Lieberkühn, damals in Berlin. Er 648 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämmez zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. nennt die Larven Schwärmſporen und ſchreibt: „Ich entdeckte die Schwärmſporen zuerſt, als ich friſch geſammelte Spongillen einige Stunden in einem Gefäße voll Flußwaſſer hatte liegen laſſen. Man erkennt ſie ſchon mit bloßem Auge, indem ſie eine Größe von nahezu zwei Dritteilen eines Millimeters im Längs- und gegen ½ mm im größten Durchmeſſer erreichen. Sie ſind von ovaler Geſtalt und auch in der Regel an dem einen Ende etwas mehr zugeſpitzt, gerade ſo wie ein Hühnerei. An den meiſten Exemplaren kann man ohne Inſtrument einen waſſerhellen halbkugeligen Raum in dem vorderen und einen blendend weißen in dem hinteren Teile des Körpers unterſcheiden. Von einem vorderen Teile iſt inſofern zu reden erlaubt, weil beim Schwimmen meiſt der das Licht ſchwach brechende Teil nach vorn und der ſtark brechende nach hinten zugekehrt iſt. Die Sporen ſchwimmen in den verſchiedenſten Richtungen umher; zeitweiſe ſchwimmen ſie an der Oberfläche des Waſſers, dann gehen ſie in die Tiefe, gleiten an dem Boden des Gefäßes entlang, erheben ſich wieder in die oberen Schichten der Flüſſigkeit; ſie ſchwimmen in gerader Linie; öfters drehen ſie ſich im Kreiſe herum. Treffen zwei Exemplare zuſammen, ſo ſchwimmen ſie oft minutenlang aneinander herum und ent— fernen ſich wieder; oft bleiben ſie eine Zeitlang unbewegt und beginnen dann ihre Bewegungen von neuem.“ Die frei ſchwärmende Larve kommt in ihrem feineren Bau nach den Unterſuchungen von Otto Maas dem ausgebildeten Schwamme in vielen Beziehungen ſchon ſehr nahe, und ſie iſt viel höher differenziert als die frei ſchwimmende Larve von dem Kalkſchwamm Sycon (vergl. S. 631). Sie iſt zunächſt vollſtändig von einer mit Wimpern bedeckten Haut bekleidet, die dem äußeren Keimblatt entſpricht, und die dem halb— Se kugeligen, waſſerhellen Raum des vorderen Teils (Lieber: ne 7 un, kühn) entſprechende Höhle ift vom innerſten Keimblatt aus: gekleidet. Zwiſchen beiden Keimblättern hat ſich aber auch ſchon das mittelſte mit ſeinen Skelettelementen angelegt. „Die Spikula (Nadeln)“, ſagt Maas von der Larve auf dieſer Stufe der Entwickelung, „haben an Zahl ſehr zugenommen, liegen aber ſtets nur in der dichten Maſſe, die den hinteren Pol ausfüllt, ſo daß man den Eindruck gewinnt, als ſei die Larve am vorderen Pol (wo die Höhle ſich befindet) nur zweiſchichtig. Ihre (der Nadeln) Größe iſt oft ſo bedeutend, daß man ſich wundern muß, wie ſie die Larve nicht am Schwimmen ſtören.“ Von der Höhle aus erftreden ſich ſtellenweiſe gangartige Ausläufer von ſehr ver: ſchiedener Länge in das mittelſte Keimblatt, die in Geißelkammern münden. Die Ver— hältniſſe liegen hier alſo ganz anders als bei der Larne von Sycon: die drei Keimblätter ſind ſchon vorhanden, und die Geißelkammern ſind ſchon deutlich angelegt. Das freie Leben der Larve ſcheint mindeſtens 12 und höchſtens 24 Stunden zu dauern. Nach dieſem Zeitraum ſetzt ſie ſich an einer geeigneten Stelle feſt und zwar mit dem beim Schwimmen nach vorn gerichteten Pol. Die Höhle verkleinert ſich dabei, die Zellen des äußeren Keimblattes flachen ſich ab und ziehen ihre Geißeln ein. Auch die ganze Larve flacht ſich ungemein ſtark ab, ſo daß die Geißelkammern der Oberfläche ſehr nahe zu liegen kommen und endlich von außen her ein Durchbruch zu ihnen ſtattfindet, womit die erſten Einſtrömungsöffnungen angelegt ſind. Darauf bricht auch die innere Höhle nach außen durch und wird unter Bildung des Mundes zum Magen. Neben der geſchlechtlichen Fortpflanzung kommt den meiſten Süßwaſſerſchwämmen auch noch eine ungeſchlechtliche zu, welche lebhaft an die bei den Moostierchen vorkommende, Süßwaſſerſchwamm: Entwickelung und Bau; Symbioje. 649 früher beſchriebene erinnert. Beim Eintritt der für das Gedeihen der Schwämme un— günſtigen Jahreszeit, bei uns gegen den Winter, in den Tropen vor Beginn der Dürre, treten im Parenchym des Schwammes eine Anzahl der Wanderzellen zuſammen zur Bildung eines Keimes, der auf ſeiner Oberfläche eine Hornkapſel abſcheidet, welche je nach den Arten ungemein verſchieden iſt und das beſte Mittel, dieſelben zu unterſcheiden, abgibt. Auf dieſe Kapſeln werden von den umgebenden Zellen des Parenchyms Nadeln beſonderer Art und von charakteriſtiſcher Form abgeſchieden, entweder tangential zur Kapſel liegende glatte oder dornige Spindelnadeln, oder ſehr merkwürdige, mit ihrer Achſe ſenkrecht zur Ober— fläche der Kapſel liegende Kieſelgebilde, die Amphidisken genannt werden. Dieſe Amphidisken beſtehen aus zwei Kieſelſcheibchen, welche durch eine Kieſelachſe miteinander verbunden ſind. An einer Stelle hat die Hornkapſel eine Offnung, die nur von einem ſehr zarten Häutchen überdeckt iſt. So eingeſchloſſen, überſtehen die Keime, die Gemmulae genannt werden, die ungünſtige Jahreszeit, die Kälte oder die Dürre. Sobald ſolche Verhältniſſe eintreten, daß ein Schwamm normaler Weiſe exiſtieren kann, kriecht die Zellmaſſe aus der Keimkapſel durch deren Offnung aus und wird zu einem jungen Schwamme. Nicht ſelten erſcheinen die Süßwaſſerſchwämme grün, aber dieſe Farbe iſt nicht auf die Anweſenheit eigner Pigmente in ihrem Körper zurückzuführen, ſondern auf die ein— zelliger grüner Algen (Zoochlorella), die ſich bisweilen in großen Mengen dicht unter der Oberfläche des Schwammes, nach Maas ſchon im mittelſten Keimblatt der frei ſchwimmenden Larve anſammeln. Dieſe Erſcheinung dürfte doch ein eklatanter Fall von Symbioſe ſein. Die Algen, welche von anorganiſchen Stoffen ſich ernähren, finden in den Schwämmen Schutz, erleichtern aber ihrerſeits, jolange fie leben, dieſen das Atmen und, wenn ſie abgeſtorben und zerfallen ſind, die Ernährung. Schwämme, die nicht an dem Lichte zugänglichen Stellen wachſen, werden nicht von der Alge infiziert, da dieſe, um aſſimilieren zu können, des Tageslichtes bedarf. Es ſcheint, daß ſich ein infizierter Schwamm in ſeinem Wachstum oft nach dem Wohlbehagen der Algen richtet. Dieſe gedeihen am beſten in der Nähe der Oberfläche ihres Wirtes, eben weil ſie des Lichtes bedürfen. Entwickelt nun der Schwamm viel Oberfläche, ſo iſt das für ſeine Gäſte äußerſt günſtig und damit auch, wie wir ſahen, für ihn ſelbſt. Daher ſind mit Algen beſetzte Süßwaſſerſchwämme ſehr oft verzweigt. Weber beobachtete bei einem Schwamme aus dem ſüßen Waſſer von Sumatra auch eine Fadenalge als Inwohnerin. Zweite Ordnung. Die Vierſtrahlſchwümme (Tetractinellidae). Unter Vierſtrahl- oder Ankerſchwämmen verſtehen wir ſolche Schwämme, bei denen Kieſelgebilde vorkommen, die ſich aus vier Strahlen zuſammenſetzen. Typiſch ſind dieſe Nadeln in ihrer Form, wenn drei in einer Ebene gelegene Strahlen unter Winkel von 120 Grad zuſammenſtoßen und von ihrer Vereinigungsſtelle ein vierter, gleichgroßer Strahl ſich ſenkrecht erhebt. So ſind aber die Nadeln nur ſelten beſchaffen. Zunächſt iſt in der Regel der ſenkrechte Strahl länger als die drei übrigen, weiter ſind aber auch dieſe ſelbſt mannigfach umgeſtaltet. Am häufigſten ſind ſie in der Richtung des ſenkrechten Strahles zurückgebogen, jo daß fie zierliche dreiarmige Anker darſtellen, oder ſie gabeln ſich am freien Ende oder wachſen zu Platten zuſammen, in denen aber immer noch der dreiſtrahlige Zentral— kanal erkennbar iſt. 650 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme; zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. Daneben finden ſich oberflächlich am Schwamme gelegene Kieſelbildungen anderer Art, Sternchen, Kandelaberchen, linſen- oder plump ſpindelförmige Körperchen, welche unter Umſtänden eine zentimeterdicke Rindenſchicht bilden können. So beſonders in der Gattung Geodia und ihren Verwandten, bei denen es zierliche, höchſt eigentümlich gebaute Kieſelkugeln ſind, welche in der Rindenſchicht zu einem feſten Pflaſter zuſammentreten. Unter dieſer Rindenſchicht liegen nebeneinander, mit einfachen einachſigen Na— deln gemiſcht, die Ankernadeln mit den Hakenarmen nach außen, den Stielen zentripetal nach innen. Außen auf der Kugelſchicht ſitzt bei manchen Arten noch ein dichter Flaum ſehr feiner, ſpitzer Einachſer, welche beim Anfaſſen in die Fingerſpitzen eindringen und empfindliche Schmerzen verurſachen. Auch ſonſt ſind die Geodien, die unter Umſtänden (Geodia gigas) bis zu 50 em breiten, ſchwefelgelben Broten heran— wachſen, unangenehme Tiere, die einen widrigen Knoblauchs- oder Bocksgeruch ausſtrömen. Aber doch iſt die genauere Durchſuchung derſelben dem Forſcher warm zu empfehlen, da in ihren Gängen und Gruben zahlreiche andere Meerestiere, Krebſe, Nemertinen und Ringelwürmer hauſen. Auch ſucht man zwiſchen dem Nadelflaum nie vergeblich nach mikroſkopiſchen For— men, namentlich finden ſich hier zierliche Wurzelfüße oft in Menge. Manche Ankerſchwämme ſind als ſchwarze, vio— lette, graue und weiße lederartige Kruſten beſonders der Unterſeite von Steinen angewachſen, andere liegen frei auf dem Boden des Meeres. Man unterſcheidet zwei Gruppen von Vierſtrahl— ſchwämmen: die Choriſtiden und die Lithiſtiden. Bei den erſteren, die man auf deutſch Rinden- oder beſſer Ankerſchwämme nennen könnte, ſind die Skelett— elemente, abgeſehen von einer etwaigen Rinde, ziem— lich locker miteinander verbunden, die Weichteile ziemlich ſtark entwickelt und das Kanalſyſtem weit— läufig. Bei den Lithiſtiden oder Steinſchwämmen d El iſt das Skelett viel ſtärker entwickelt, die vielfach r gebogenen Kieſelgebilde ſind oft mit Dornen und mit Zacken beſetzt und zu ſteinartigen Maſſen mit— einander verbunden und verflochten, die Weichteile find ſehr zurückgetreten und das Kanal: ſyſtem iſt eng. Die Choriſtiden ſind in allen mit dem entſprechenden Salzgehalt verſehenen Meeren vorhanden, wenn ſie auch in den wärmeren häufiger zu werden ſcheinen. Hier iſt die Heimat der weit ſelteneren Lithiſtiden. In ſehr bedeutende Tiefen gehen die Vierſtrahl— ſchwämme nicht: zwiſchen 150 und 300 Faden ſcheint, beſonders in wärmeren Zonen, ihr Hauptquartier zu ſein. An den europäiſchen Küſten leben viele weit näher der Oberfläche. — peer . ̃ w UN == * * . * — ln 7 ai — — ane Vierſtrahl- und Sechsſtrahlſchwämme. 651 Dritte Ordnung. Die Sechsſtrahl- oder Glasſchwüämme (Hexaetinellidae). Die meiſten der mit dem Namen Glasſchwämme bezeichneten Schwämme zeichnen ſich dadurch aus, daß ihr nach Abſpülen der ſehr geringen weichen Körperteile übrig— bleibendes Kieſelſkelett einem feinen Glasgeſpinſt gleicht. Mögen nun die während des Lebens abgeſchiedenen Kieſelgebilde iſolirt voneinander beſtehen und nur durch Widerhaken und Fortſätze ſowie durch das klebrige Protoplasma miteinander in Ver— bindung bleiben, wie es der Fall iſt in der Unterordnung der Lyſſakinen, oder mögen ſie miteinander verſchmolzene und zuſammenhängende, an Zierlichkeit alle menſchlichen Produkte weit übertreffende Geflechte bilden, wie bei den Diktyoninen, immer iſt die Geſtalt, welche dieſen Bildungen zu Grunde liegt, der Achſenſtern des Würfels. Der regelmäßige Sechsflächner oder Würfel des Geometers und Mineralogen wird durch drei gleiche, ſich unter rechten Winkeln ſchneidende Achſen beſtimmt. Dieſe Achſengeſtalt, auf noch unerklärte Weiſe aus organiſchen Grundlagen hervorgehend, iſt das charakteriſtiſche terfmal dieſer ſchönen und merkwürdigen Ordnung der Schwämme. Aber dieſe Grund— geſtalt kann den weitgehendſten und ſonderbarſten Veränderungen unterliegen, ſowohl durch Reduktion der Strahlen als auch durch allerlei Umgeſtaltungen einzelner oder aller der— ſelben. Was die Reduktion betrifft, jo kommen vor Fünf-, Vier-, Drei: und Zweiſtrahler, die letzteren ſelten einen Winkelhaken, ſondern meiſt einen geſtreckten, ſcheinbaren Einachſer bildend, der in dem Wurzelſchopf großer Exemplare von Hyalonema eine Länge von 60 em erreichen kann. Faſt immer aber läßt ſich an den Nadeln die urſprüngliche ſechs— ſtrahlige Natur nachweiſen. Die Skelettelemente der Hexaktinelliden ſind nämlich ſo wenig durchaus ſolide Gebilde wie die der Tetraktinelliden, Halichondrien und Kalkſchwämme. Die meiſten der Nadeln ſämtlicher Schwammordnungen enthalten vielmehr in allen ihren Strahlen einen feinen Kanal, der im Leben von einem Protoplasmafaden erfüllt iſt. An allen Nadeln der Hexaktinelliden, ſelbſt wenn ſie ſcheinbare Einachſer ſind, läßt ſich, ab— geſehen von dem Kanal in den beiden übriggebliebenen Hauptſtrahlen, irgendwo eine Stelle nachweiſen, an der jener Hauptkanal von zwei ſich rechtwinkelig kreuzenden, ſehr kurzen Kanälen wieder unter rechtem Winkel gekreuzt wird. Die Umgeſtaltung der Strahlen ſchafft Formen von einer Eleganz und Verſchieden— heit, wie ſie die Phantaſie kaum erdenken kann, und nur die ſpäter zu erwähnenden Radiolarien übertreffen ſie in dieſer Beziehung. Die Spitzen der Strahlen können durch zierlich gezackte Scheibchen abgeſtumpft werden, oder ſie können ſich auflöſen in einen Buſch feinſter und regelmäßig angeordneter Stachelchen, die ihrerſeits wieder in der verſchiedenſten, aber immer zierlichen Weiſe gebogen und an den Enden verbreitert ſind. Eine in der Familie der Hyalonematiden aus der Unterordnung der Lyſſakinen weit— verbreitete Form, die ihrer äußeren Ahnlichkeit mit den an Gemmulaeſchalen der Süß: waſſerſchwämme vorkommenden Amphidisken wegen, mit denen ſie ihrer phyſiologiſchen Leiſtung nach ſich gar nicht vergleichen laſſen, von ihren Entdeckern auch Amphidisken genannt wurde, ſtellt kurze, derbe Pſeudoeinachſer dar, welche an beiden Enden ſchirmartig zur Mitte hin zurückgebogene, am Ende gezackte Ankerplatten tragen und daher ausſehen wie zwei mit den Griffen verbundene Regenſchirme. Bei den Lyſſakinen, welche meiſt mit einem Schopf oder mit mehreren im Schlamme des Meeresbodens ſtecken und deshalb ſeiner Zeit von Max Schultze Lophospongiae, „Schopfſchwämme“, genannt wurden, ſind Ankernadeln beſonders in den Wurzelſchöpfen 652 Hohltiere. Dritter Unterkreis: Schwämme; zweite Klaſſe: Gemeinſchwämme. weit verbreitet. Überhaupt dürften die meiſten dieſer verſchiedenen Nadelgeſtalten ihre beſtimmte Funktion im Schwamme haben: die einen bilden die Maſſe ſeines Skeletts, andere verankern ihn, wieder andere können ſeine Poren verſchließen, umgeben als Kränze ſeine Mundöffnung oder dienen ihm als Waffen ꝛc. Zu den Lyſſakinen gehört die pracht— volle, bis 0,50 em lang werdende Semperella Schultzei (ſ. Tafel „Glasſchwämme“, Fig. 1) und der neſtähnliche, in unſerer Abbildung Junge tragende Polylophus philippinensis (Fig. 2), beide von den Philippinen. Knoten-Achtflächner eines foſſilen Ventrikuliten (in der Mitte) und Kieſelſterne lebender Hexaktinelliden. Vergrößert. Die Diktyoninen ſind in dem Boden meiſt aufgewachſen und finden ſich daher weni— ger auf Schlamm als auf ſteinigem Terrain. Bei ihnen iſt der Formenreichtum der Skelett— elemente nicht geringer als bei den Lyſſakinen, und von der Beſchaffenheit der Strahlen der urſprünglich freien Nadeln, ob dieſelben gerade oder gekrümmt, glatt oder warzig waren, hängt die Regelmäßigkeit und Zierlichkeit des verſchmolzenen Skeletts ab. Solche Diktyo— ninen ſind der einen über 0,50 em hohen Strauch bildende Sclerothamnus Clausii (Tafel, Fig. 4), die röhrigen Formen Farrea Haeckelii (Fig. 5) und Periphragella Elisae (Fig. 6). Die Geſtalt der Hexaktinelliden iſt ſehr mannigfach, die weichen Lyſſakinen ſind Einzel— weſen, meiſt geſtielt, keulenförmig, vogelneſtähnlich oder von der Geſtalt der Füllhörner. ( co © oO x (ab) eis U — = LE = 1 — cn (02) kleine Arten der eignen Klaſſe und mikroſkopiſche Algen in den , Schlund hinabſtrudelnd. Ein nie mangelndes Organ iſt die e Blaſe b, welche in ziemlich regelmäßigen Pauſen von 10 oder 12 Sekunden ſich zuſammenzieht und ihren flüſſigen, mit feinen Körnchen erfüllten Inhalt, wie für manche Arten nachgewieſen wurde und für die meiſten, vielleicht für alle, wahrſcheinlich iſt, durch eine feine Offnung nach außen entleert. Dieſe Blaſe oder kontraktile Vakuole, von der bei manchen Formen mehrere zugleich vorhanden ſind, erfüllen offenbar die Leiſtungen exkretoriſcher Or— gane höherer Tiere, etwa des Waſſergefäßſyſtems vieler Würmer. Obgleich die kontraktile Blaſe bei den meiſten Arten Muſcheltierchen (Stylonychia eine ganz beſtimmte Stelle einnimmt und nach dem Zuſammen- mytilus), von der Bauchseite. ziehen ſich jedesmal genau zum ehemaligen Umfang ausdehnt, elde Soze . mm oder, was dasſelbe beſagt, wieder anfüllt, kann man ihr doch nicht im eigentlichen Sinne des Wortes eine Begrenzungshaut zuſchreiben. Sie iſt eine Höhlung in dem Exoplasma. In der Mittellinie des Leibes erblicken wir ferner zwei rundliche Körper (e), welche man als Kerne (nucleus) bezeichnet. Dieſelben ſind lange Zeit für die Fortpflanzungsorgane der Infuſorien gehalten worden, indem man ihren Zerfall in wahre Eier beobachtet haben wollte, oder kugelige Keime aus ihrer Teilung hervorgehen ließ. Dieſe ſollten ſich zu be— wimperten Sprößlingen entwickeln. Neuere Beobachtungen haben indeſſen dieſe angebliche Vermehrung in ein ſehr zweifelhaftes Licht geſtellt. Der oder die Kerne ſcheinen vielmehr die Bedeutung von wirklichen Zellkernen oder ähnlichen Gebilden zu haben und bei der Teilung und der ſogenannten Konjugation eine wichtige Rolle zu ſpielen, indem ſie erſt zerfallen und damit zur Bildung neuer Kerne und zur Verjüngung des ganzen Körpers Veranlaſſung geben. Wir vergleichen nun hiermit eine Sippe aus einer anderen Ordnung, und zwar die Glockentierchen, welche den Stamm der Ordnung Peritricha bilden. In dieſer iſt der Körper bis auf eine Wimperſpirale oder einen Kreis von Härchen nackt. Die Glockentierchen 666 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; erfte Unterklaſſe: Wimperinfuforien. oder Vorticellen, eine der bemerkenswerteſten großen Sippen der Infuſorien, ſitzen in der Regel feſt und beſtehen alsdann aus dem eigentlichen Körper und dem Stiele. Alle Arten, welche keine Stöcke bilden, ſondern als Einzelindividuen auf einem ſpiralig zuſammenziehbaren Stiele ſitzen, werden als Sippe Vorticella zuſammengefaßt. Unſere Abbildung zeigt in a bei mäßiger Vergrößerung eine ſolche Vorticelle in dem Zuſtande, in e der Stiel zuſammengeſchnellt iſt, wobei in der Regel auch der Vorderkörper ſich zuſammenzieht und kugelig wird. Daneben (b) iſt das Tier in einer Vergrößerung, durch welche die wichtigeren charakteriſtiſchen Teile deutlich werden. Im hohlen Stiele fällt ein ſtreifiges Band (m) auf, welches ſich mit einer Muskelfaſer vergleichen läßt. Seine Verkürzung bedingt das ſpiralige Zuſammenlegen des Stieles. Man ſieht, daß es da, wo der Stiel aus der Leibeswand her— vorgeht, auch in der Körpermaſſe wurzelt. Die drei wichtigſten Organe, welche wir bei der Stylonychia kennen lernten, der Schlundtrichter (oe), die Blaſe (Y und der Fortpflanzungskörper (n), bezeugen die intime Verwandtſchaft zwiſchen den ſonſt ſo ver— ſchieden ausſehenden Tieren, während der lippen— artig gewulſtete, inwendig die langen Wimpern tra— gende Rand (r) eine Eigentümlichkeit der Glocken— tierchen iſt. Außer der Form, wo jedes Individuum für ſich auf einem Stiele iſoliert iſt, gibt es eine zweite Haupt— form, Carchesium, bei welcher der Stiel mit der Bildung von Knoſpen ſich veräſtelt und wahre Vorti— cellenbäume entſtehen. Ich kenne kaum ein lieblicheres mikroſkopiſches Schauſpiel, als ſolch einen lebendig bewegten Blumenſtock, wenn bald einzelne Blumen oder die auf einem gemeinſamen Aſte befindlichen zu— ſammenzucken, bald der ganze Baum, wie elektriſch getroffen, zuſammenfährt, um ſich langſam wieder zu entfalten. Das Zuſammenſchnellen geſchieht durch ein den hohlen Stiel durchziehendes muskelartiges Vorticelle. a) mäßig, b) 600 mal vergrößert. Band, deſſen andere Formen, einzeln und veräſtelt, ermangeln. Dieſe letzteren bilden die Untergattung Epistylis, der unſere (S. 667) abgebildete Art, das nickende Glockentierchen, angehört. Es führt ſeinen Spezialnamen von der Eigentümlichkeit, daß es, erſchreckt oder geſtört, an der Übergangsſtelle vom Körper zum Stiel umknickt. Die Kennzeichen der Glockentierchen haben wir, außer in den berührten, in ihrem nackten, vorn gewöhnlich ſchiefen Körper. Hier findet ſich entweder ein ſchief aufgeſetzter Deckel, unter deſſen hervorſtehendem Rande die Mundöffnung liegt, oder es iſt, wie bei Epistylis, eine förmliche Ober- und Unter⸗ lippe mit Wimperbeſatz ausgebildet, zwiſchen denen der tief in den Leib hinabragende Mund— trichter beginnt. Dicht darunter ſieht man die kleine kontraktile Blaſe und dahinter eine einfache gekrümmte, bandförmige Drüſe, an Stelle der beiden elliptiſchen Kerne der Sty— lonychia. Über die Bildung der Epiſtylisbäumchen hat Stein folgendes beobachtet. „Die Tiere eines Bäumchens und damit auch die Aſte desſelben vermehren ſich durch Längsteilung Vorticelle. Nickendes Glockentierchen. Trompetentierchen. 667 der ſchon vorhandenen Tiere. Noch ehe die von vorn und hinten einander entgegenkom— mende Einſchnürung bis zur vollſtändigen Sonderung zu zwei neuen Individuen vorgerückt iſt, ſieht man ſchon, wie die voneinander getrennten Baſalenden der neuen Individuen auf ganz kurzen partiellen Stielen ſitzen, die alſo bald nach dem Beginn des Teilungsprozeſſes aus den frei werdenden Körperbaſen ausgeſchieden werden müſſen. Iſt die Längsteilung vollendet, ſo ſind die beſonderen Stiele jedes Individuums immer noch ſehr kurz. Bei ihrer weiteren Verlängerung, die natürlich immer nur an der Stelle, wo ſie mit dem Tier— körper zuſammenhängen, erfolgt, eilt häufig das eine Individuum dem anderen voraus, und das Individuum auf dem längeren Stiele ſchickt ſich dann auch früher zu einer neuen Tei— lung an als ſein Gefährte von derſelben Generation, und die Folge m davon iſt eben, daß die Tiere eines Bäumchens nicht alle in gleicher Höhe liegen. „Nicht immer endigen die ſämtlichen Aſte eines Bäumchens in Tieren, ſondern einzelne Aſte find von den Tieren, welchen ſie ſelbſt ihren Urſprung verdanken, verlaſſen worden. Dem Ablöſen der Tier— chen ſcheint niemals die Bildung eines Wimperkranzes am hinteren Körperende vorauszugehen“, wie ſolches bei den übrigen Glockentierchen und namentlich auch den ſich ablöſenden Knoſpen ſtattfindet. Die ab— gelöſten Tierchen bleiben ausgeſtreckt und ſchwimmen mittels ihres Stirnwimperkranzes im Waſſer umher, um an einer anderen Stelle ſpäter die Grundlage eines neuen Bäumchens zu werden. Sehr häufig traf ich einzelne Individuen, welche eben erſt ein Rudiment eines Stieles aus ihrer Baſis ausgeſchieden hatten. Ebenſo häufig fand ich Stämm— chen, die nur erſt zwei (unſere Abbildung) oder drei Tierchen trugen.“ Die Kolonien der Vorticellen erregten ſchon vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Aufmerkſamkeit der Mikroſkopiker. Sie wurden Trichterpolypen, auch Afterpolypen genannt, und Röſel und ſeine Zeitgenoſſen wußten, daß ſie ſich gern auf Schwimmkäfern und Waſſerſchnecken anſetzen und dem unbewaffneten Auge wie ein Schim— mel ſich darſtellen. „Es kamen mir“, erzählt er in den ‚Inſektenbe— luftigungen‘, „dergleichen Käfer in dem Waſſer, worinnen ich ſowohl Nickendes Gloden- Armpolypen als Afterpolypen ſuchte, unter anderen Waſſerinſekten tierchen (Epistylis öfters vor. Da ich nun aber keineswegs vermutete, daß das, was w ec Gb an ihnen hing, ein Haufen lebendiger Kreaturen wäre, ſondern ſolches für einen Schimmel hielte, ſo ließ ich ſie öfters, ohne auf ſelbige zu achten, dahinſchwimmen. Weil es aber des Schimmels ſehr viele Arten gibt, ſo bekam ich einmal Luſt, dieſen an dergleichen Käfern hängenden Schimmel ebenfalls zu unterſuchen. Ich brachte alſo einen ſolchen Käfer unter mein zuſammengeſetztes Mikroſkopium. Was den vermeintlichen Schim— mel anbelanget, ſo beſtand derſelbe aus lauter lebendigen Kreaturen, wovon ich durch ihr be— ſtändiges Zucken, welches allen Afterpolypen eigen iſt, mehr als zu gewiß verſichert wurde.“ Bei einer dritten Familiengruppe oder Ordnung, den Heterotricha Steins, iſt der Körper über und über mit reihenweiſe geſtellten Wimpern bedeckt, und eine Reihe größerer Wimpern umgibt außerdem die Mundſpalte. Hierher gehört die Gattung Trompetentierchen (Stentor). Eine ſehr häufig vor: kommende Art, Röſels Trompetentierchen der Neueren, iſt von dieſem Naturforſcher unter dem Namen „der ſchalmeienähnliche Afterpolyp“ ſehr gut beſchrieben worden. „Es findet ſich ſelbige Art am häufigſten an der unteren Fläche der Meerlinſen, an welchen fie mit ihrem ſpitzigen Hinterteile feitfigen. Wenn man die Tiere betrachtet, jo verändern 668 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; erfte Unterklaſſe: Wimperinfuſorien. De A BIETER 8 7 Röſels Trompetentierchen (Stentor Röselii). 200 mal vergrößert. ſie faſt alle Augenblicke ihre Geſtalt; und ob ſie gleich dieſelbe immerzu verändern, ſo bleibt der Körper doch allezeit vorne am dickeſten, der Teil aber, womit ſie ſich anſetzen, am dünneſten und ſpitzigſten. Offnet ein ſolcher Afterpolyp ſein dickes Vorder— teil, wo eigentlich der Kopf und Mund ſind, ſo gleicht ſolches dem weiten Schallloche einer Trompete oder Schalmeie, und da hat er auch, wie dieſes, eine vertiefte Höhlung, an ſeinem Rande aber iſt es, wie unſere Augendeckel, mit einer Reihe kurzer, aber doch gleich großer Här— lein beſetzet, mit welchen ein ſolcher Afterpolyp wechſelsweis vippert. Mit dieſer Mündung können aber dergleichen Afterpolypen einen be— ſtändigen Wirbel im Waſſer erregen, und durch ſolchen viele und mancher— lei kleine Körper in ſich ziehen, auch wieder, was ihnen dann nicht an— ſtändig iſt, von ſich ſtoßen. Bei ihren verſchiedenen Bewegungen verlän— gern ſie bald ihren Leib oder ſie ſtrecken denſelben völlig aus, und da öffnen ſie allezeit den vorderen Teil. Bald verkürzen ſie denſelben und ziehen ihn ſchnell zuſammen, bald aber ſchwimmen ſie, und da wird die Geſtalt ihrer Körper eben— falls auf mancherlei Weiſe verän— dert. Wenn ſie an einer Meerlinſe ſitzen, und man betrachtet dieſelbe mit Aufmerkſamkeit, ſo wird man folgende Veränderungen an ihrem Körper beobachten. Sie können näm⸗ lich ſelbigen ſo zuſammenziehen, daß man faſt gar nichts erblicket; bald darauf aber kommt er wieder kolben— förmig zum Vorſcheine. Darauf öff— nete ſie ihren vorderen Teil. Gleich— wie ſich aber zwiſchen dieſen Be— wegungen, bald da bald dorten, einer von dieſen Afterpolypen ſchnell ein— ziehet und wieder ausſtrecket, ſo ver— ſchwinden ſie auch, wenn ſie etwa Röſels Trompetentierchen. 669 eine Erſchütterung verſpüren, alle auf einmal. Wenn ſie ſich von dem Orte, woran ſie erſt geſeſſen, wegbegeben, wie dann bald mehrere derſelben ihre übrigen Geſellen verlaſſen und im Waſſer herumſchwimmen, aber auch wieder zu ihrer Geſellſchaft zurückkehren, oder anderswo ihren Sitz nehmen: ſo verändern ſie ihre Geſtalt ebenfalls auf verſchiedene Weiſe, und da ſehen ſie bald kurz und dick aus, bald lang, bald dick und klein. Im Schwimmen machen ſie bald eine gerade, bald aber auch eine geſchwungene Linie, und zuweilen einen Kreis.“ Unſere Abbildung läßt uns zunächſt jene wichtigen, die echten Infuſorien kennzeich— nenden Teile ſehen, den Mundtrichter innerhalb der Wimperſpirale des Vorderendes, rechts davon die Blaſe und in der Mitte des Leibes den lang gezogenen Kern. Die Stentoren lieben es, mit dem Hinterende ſich feſtzuſetzen. Sie können dasſelbe wie eine Art von Saugnapf benutzen; außerdem ſind aber dabei die längeren Wimpern behilflich, welche offenbar klebrig ſind und den Wurzelfüßchen der Rhizopoden (ſiehe unten) ſehr nahe zu ſtehen ſcheinen. Die zahlreichen Geſtaltveränderungen, welche Röſel uns beſchrieben hat, werden durch muskelartige Protoplasmaſtränge hervorgebracht. Selbſt bei vollſtändiger Streckung iſt die Körperoberfläche, außer am Hinterende, nicht ganz glatt, ſondern es ver— laufen in der Längsrichtung Furchen. Eben in dieſen Furchen, unter dem den ganzen Körper überziehenden Oberhäutchen, liegen die kontraktilen Protoplasmabänder, bei deren Zuſammenziehung die Oberhaut ſich runzelt. In den Thalfurchen beſinden ſich auch die regelmäßigen Wimperreihen, welche in den Streifen wurzeln. Es ergibt ſich daraus die Erklärung der hier und bei anderen Infuſorien leicht zu beobachtenden Erſcheinung, daß die Tiere die Richtung im Schwimmen ſchnell wechſeln und bald mit dem Vorder-, bald mit dem Hinterende vorausgehen können. Es bedarf nämlich nur einer vom kontraktilen Streifen ausgehenden Stellung des Wurzelteiles der Wimpern in der Richtung nach hinten oder vorn, um den Körper nach vorn oder hinten zu bewegen. Das Bild des Röſelſchen Stentors zeigt uns noch einen ſeitlichen geſchwungenen Streifen ſolcher ſtarken Wimpern, wie ſie ſich auf der Spirale des Vorderendes finden. Schon Trembley hatte ſeit 1744 dieſe Erſcheinung an den Stentoren verfolgt. Er hatte bemerkt, daß einzelne Tiere dieſen Wimperſtreifen beſitzen, andere nicht; er hatte geſehen, daß damit eine Teilung eingeleitet wird, welche ſchief durch das Tier geht, und wobei aus jener Anlage die Mundſpirale des neuen Hintertieres wird. In neuerer Zeit hat ein franzöſiſcher Forſcher, Fermontel, dieſen Vorgang beſchrieben. Er beginnt mit der Er— hebung eines gezähnelten Hautſtreifens, der ſich in die bewimperte Linie verwandelt. Die— ſelbe ſteigt bis ungefähr zur Mitte des Körpers mehr oder weniger ſchief herab, worauf eine quere ſchiefe Einſchnürung erfolgt, während welcher der untere Teil der Wimperſcheide ſich in die Mundſpirale des neuen Hinterindividuums verlängert, der vordere Teil aber eingeht. Die Abſchnürung iſt bald ſo tief, daß es ausſieht, als ob das Vordertier wie in einem Trichter im Hintertiere ſtecke. Jenes hat die Wimperſpirale, die kontraktile Blaſe, Mund und Schlund behalten, vom Kern die obere Hälfte. Abgeſehen von der Kernhälfte, hat das Hintertier ſich alle dieſe Organe neu bauen müſſen. Auch künſtlich laſſen ſich Infuſorien, wie Gruber bewieſen hat, teilen, ohne daß die Teilſtücke abſterben, ſie regenerieren vielmehr zu neuen Individuen. Die Hälften von der Quere und der Länge nach mit einem ſcharfen Skalpell geteilten Trompetentierchen hatten in kurzer Zeit die urſprüngliche Geſtalt erreicht, ja, war ein ſolches Geſchöpfchen durch einen Quer: und einen Längsſchnitt gevierteilt oder durch zwei Querſchnitte gedreiteilt worden, ſo behielten alle Stücke ihre volle Regenerationsfähigkeit. Auch hier machte ſich an Querteilen die bei Polypen ſo leicht zu beobachtende Polarität geltend: am vorderen Schnittrande eines Mittelſtückes entſtand der Mund, am hinteren der Haftapparat. 670 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; erite Unterklaſſe: Wimperinfujorien. In dieſelbe Gruppe reiht ſich die Sippe Spiralmund (Spirostomum) ein. Der Name iſt von der ſich ſpiralig über den Körper ziehenden Wimperreihe gegeben, deren hinteres Ende ſich in den Mundtrichter vertieft. Neben den Wimpern verläuft eine Art von Klaviatur, muskelartige Streifen, von denen je einer zu einer Wimper gehört und deren Bewegung und Stellung regelt. Die unten abgebildete Art, Spirostomum ambi— guum, hat mehrere auszeichnende Eigenſchaften. Sie erreicht eine Länge von einer bis andert— halb Linien, ſo daß ſie unter ihren Klaſſengenoſſen ein wahrer Rieſe iſt und leicht mit einem Strudelwurme zu verwechſeln iſt. Die kontraktile Blaſe verlängert fi gefäßartig und erſtreckt ſich vom Hinterende bis faſt zum Vorderende. Die den Mus— keln zu vergleichenden Streifen der Hautſchicht verlaufen ſpiralig in großer Regelmäßigkeit, und wenn ſie ſich, was häufig geſchieht, alleſamt zuſammenziehen, ſo verkürzt ſich der Körper in einer Spiral— drehung. Dieſe Eigentümlichkeit findet ſich zwar nicht allein bei Spirostomum, iſt aber hier am ſchönſten zu ſehen. Das Tier iſt ziemlich gemein, kommt aber nie in ſolchen dem Auge auffallen— den und für die Beobachtung anziehenden Geſellſchaften vor, wie die Trompetentierchen. Auch das im Dickdarm des Menſchen ohne ſchädliche Wirkung ſchmarotzende Balantidium coli gehört in dieſe Ordnung der Infuſorien. In der vierten Ordnung, Holotricha, find alle die Sippen mit gleichförmigem Wimperkleide vereinigt. Wir verzichten aber auf weitere Beſchreibung einzelner Sippen und Arten, die uns eine Menge äußerer Verſchiedenheiten darbieten würden, in den Grund— zügen ihres Baues aber mit den übrigen Repräſentanten überein— ſtimmen. Auf dieſer Grundlage verſuchen wir daher das angefangene Bild des Infuſorienlebens noch weiter auszuführen. en Arsen * ER BIN, Wir müſſen in der folgenden allgemeinen Betrachtung aus— führlicher noch einmal auf verſchiedene, weiter oben (S. 664) bloß vorläufig angedeutete anatomiſche und phyſiologiſche Eigentümlich— keiten der Infuſorien zurückkommen. 5 Gleich den Rädertieren kann man auch die Infuſorien leicht guum. a) Natürl. Größe. unter dem Mikroſkop beim Freſſen beobachten; man hat fie nur fo unter dem Deckgläschen feſtzuhalten, daß ſie nicht aus dem Ge— ſichtsfelde ſich fortbegeben, aber doch noch ſo viel Spielraum haben, um ihre Wimpern ſpielen zu laſſen und damit die fein zerteilten Nahrungspartikelchen, einzellige Algen, na— mentlich aber Karmin oder Indigo, dem Munde zuzuſtrudeln. Die von den Wimpern der Mundſpalte erregte Strömung ſtreicht, wie man an lebhaften Bewegungen der hinein— geriſſenen Körperchen ſieht, in einem geraden oder, nach der Form des Mundtrichters, wirbelnden Strome gegen den Mund zu, und an und in ihm häuft ſich nun ein anſehn— licher Speiſeballen an, der dann durch einen Schlund weiter in den Leib hinabgedrückt wird. Es folgt Anſammlung eines neuen Ballens und abermaliges Verſchlingen. Manche Infuſorien, z. B. die Gattungen Lippenzähnchen, Börſentierchen (Chilodon, Bur— saria), verſchlingen auch Algen und Konferven, welche länger als ihr eigner Körper find, und mit denen fie umherſchwimmen, als hätten fie einen Balken halb im Leibe. So ſicher es nun bei allen feſte Nahrung aufnehmenden Infuſorien iſt, daß ſie Mund und Schlund beſitzen, ſo ſicher iſt feſtgeſtellt, daß ſie dahinter nichts weiter von einem Spirostomum. Bau der Infuſorien im allgemeinen. 671 Darmkanal haben. Vielmehr iſt ihr Inneres mit Sarkode erfüllt, welche nicht ſcharf gegen die Rindenſarkode abgeſetzt iſt, und in dieſe Subſtanz hinein gelangen die Spei- ſen und werden von derſelben verdaut bis auf die Reſte, welche durch eine beſtimmte Offnung entleert werden. Es hat etwas unſeren, aus dem täglichen Leben geſchöpften Anſchauungen durchaus Widerſprechendes, daß es Tiere geben könne, bei welchen hinter dem Schlunde weder Magen noch Darm, ſondern ein bloßer „Verdauungsraun“ ſich befinden ſoll, und derſelbe noch dazu erfüllt mit einer zum Tiere gehörigen und in eigen— tümlicher Bewegung kreiſenden Subſtanz. Denn in der That, die das Innere der In— fuſorien füllende Sarkode bewegt ſich ſamt den aufgenommenen Speiſeteilen. Uns be— ſchäftigt nicht die phyſiologiſch-phyſikaliſche Löſung dieſer Thatſache, wir haben dieſelbe nur mit der gleichen zuſammenzuhalten, der wir ſchon auf Seite 205 bei der Schilderung der Strudelwürmer Erwähnung gethan haben.! Demjenigen, der ſehen will, wird das Verwandtſchaftsverhältnis der Infuſorien zu jenen niederen Würmern um ſo klarer, als auch die äußere Körperform vieler ganz bewimperter Infuſorien, die Bewimperung ſelbſt, endlich das Vorkommen gewiſſer ſtabförmiger Neſſelorgane in beiderlei Organismen die deutlichſten Fingerzeige geben. Die verdauende Protoplasmamaſſe wird uns aber weniger wunderbar erſcheinen, wenn wir uns unten noch mit ganzen Tier- oder Weſensklaſſen werden bekannt gemacht haben, welche in noch einfacherer Weiſe als die Infuſorien vermittelſt ihres Protoplasmas Nahrung aufnehmen und verdauen. Eine ſehr wichtige Rolle im Stoffwechſel der Infuſorien ſpielen die zahlreichen dunkeln, im Entoſark gelegenen Körperchen. Ihre Größe iſt verſchieden, ihr Bau inſoweit kom— pliziert, als ſie einen dunkleren zentralen Teil und eine hellere peripheriſche Schicht beſitzen. Ludwig Rhumbler, ein Schüler Göttes in Straßburg, hat über dieſe Körperchen ſehr intereſſante Unterſuchungen, beſonders am Infuſor der Heuaufgüſſe, Colpoda cucu— lanus, gemacht. Er nennt ſie „Aſſimilationskörperchen“, die helle, peripheriſche Schicht „Aſſimilationszone“ und die dunkle Binnenmaſſe „Einſchlüſſe“. Die Körperchen liegen da am dichteſten, wo die Nahrungsballen im Entoplasma ſich befinden, alſo am hinteren Körperende, und ihre Aufgabe iſt, die brauchbaren Stoffe der aufgenommenen Nahrung in Protoplasma umzubilden, während die unverwertbaren durch den After ausgeſtoßen werden. „Die Aſſimilation“, fährt Rhumbler fort, „kommt nur unter Beihilfe von ſauerſtoffhaltigem Waſſer zu ſtande, das von außen in den Infuſorien— körper aufgenommen wird, die hellen Zonen der Aſſimilationskörperchen durchſetzt und dann nach Abgabe des Sauerſtoffes (Atmung) wieder von der Vakuole nach außen ge— worfen wird. Die Aſſimilationskörperchen geben ihr aſſimiliertes Protoplasma zum Zweck von Neubildungen und zum Zweck des weiteren Wachstums an das übrige Entoplasma des Infuſorienkörpers ab. Als Endprodukt des Stoffwechſels ſcheiden ſie in ihrem Inneren Harnſäure ab, welche ſich dort anhäuft und die Aſſimilationskörperchen ſchließlich zum Zerfall bringt. Dabei wird ihre äußere Protoplasmazone wieder an das Entoplasma abgegeben, die Krümel der zerfallenen Harnſäureballen aber werden durch die pulſierende Vakuole nach außen geworfen. Dieſe hat eine doppelte Aufgabe. Einmal ſchafft ſie das Nebenprodukt der Aſſimilation, die Harnſäure, nach außen, dann aber bewirkt ſie die Durchfuhr des ſauerſtoffhaltigen Waſſers durch den Infuſorienorganismus. Sie iſt alſo gleichzeitig Exkretionsorgan und ein die Reſpiration vermittelndes Organ. Aſſimilation und Atmung ſind hier in einem Prozeſſe vereinigt.“ 1 Wir müſſen jedoch erwähnen, daß von verſchiedenen Seiten die fragliche Eigenſchaft der Strudel— würmer mit guten Gründen beſtritten wird. 672 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; erſte Unterklaſſe: Wimperinfujorien. Eine ſtrenge Sonderung der Infuſorien in Fleiſch- und Pflanzenfreſſer iſt nicht durch— zuführen; ſie nehmen auf, was von mikroſkopiſchen Organismen ihnen vor den Schnabel kommt, und das ſind vorzugsweiſe chlorophyllhaltige Pflänzchen. Kleinere Infuſorien werden zwar gelegentlich von den athletiſchen Formen ihrer Zunft verſchluckt, das find, aber doch nur Ausnahmen, während ſie in der Regel im ſtande ſind, dem gefährlichen Strudel ſich durch die Flucht zu entziehen. Die Hauptnahrung der Infuſorien beſteht in denjenigen niedrigſten Pflanzen, die man als einzellige Algen, Navikulaceen und Dscilla- torien und deren Anhang kennen lernt. Die ſchmutzigen Flocken, welche beſonders auf ſtehenden Gewäſſern während der Sommerszeit erſcheinen, beſtehen faſt ausſchließlich aus Kopulation von Paramaecium Aurelia. Schematiſch. dieſen niederen Organismen, und zwiſchen ihnen und auf ihre Koſten entfaltet ſich die Infuſorienwelt. Über die Nahrung der Infuſorien hat Max Meißner experimentell gearbeitet und dabei gefunden, daß viele, wenn ſie keine andere Nahrung haben, aufgenommene Stärke in eine Subſtanz verwandeln, die vielleicht Dextrin iſt und ſpäter im Körper gelöſt wird. Ol verändert ſich aber nicht im Infuſorienkörper. Eiweiß hingegen, tieriſches wie pflanz— liches, wird leicht gelöſt, gekochtes aber erfährt anſcheinend keine Veränderung. Die Infuſorien entſtehen und vermehren ſich durch natürliche Fortpflanzung; dieſe Vorgänge beanſpruchen aber nicht, wie bei den höheren Tierklaſſen, Monate, ſondern Tage oder ſogar nur Stunden. Die Fortpflanzungsverhältniſſe bieten, ſoweit wir ſie kennen, viel Intereſſantes. „Teilung und Knoſpenbildung, vielleicht auch innere Keim— bildung, müßten, miteinander vereinigt (ſo faßt Bronn die Angaben darüber zuſam— men) in Verbindung mit der Kürze der Zeit, nach welcher ein junges Tierchen ſelbſt wieder vermehrungsfähig wird, zu ganz ungeheueren Zahlenergebniſſen führen, wenn nicht die Erſchöpfung des ſich vermehrenden Individuums denſelben eine Grenze ſetzte. Man muß daher die wirklich beobachtete Vermehrung von der bloß auf einige Fälle hin berech— neten wohl unterſcheiden. So bedarf die Teilung einer Vorticelline nur dreiviertel bis eine Stunde, was, da jedes Teilganze anfangs ſich eben ſo bald wieder teilen kann, Fortpflanzungsverhältniſſe. 673 binnen 10 Stunden ſchon 1000 und binnen 20 Stunden 1 Million Individuen gäbe; in Wirklichkeit erfolgen aber zwiſchen den einzelnen Teilungen immer größere Zwiſchen— räume und endlich ein völliger Stillſtand, ſo daß bloß die Entſtehung von nur 8 Indivi— duen binnen 3, von nur 64 Individuen binnen 6 und von 200 binnen 24 Stunden be— obachtet worden iſt. In anderen Fällen iſt die Teilung langſamer, aber andauernder. So braucht das Pantoffeltierchen (Paramaecium Aurelia, j. Abbildung S. 672) wenig⸗ ſtens 2, oft aber auch viel mehr Stunden zu einer Längsteilung und kann ſich in 24 Stunden verachtfachen, was dann in einer Woche 2 Millionen gäbe. Stylonychia gibt in 24 Stunden durch Querteilung drei Teilganze, welche nach 24 ſtündiger Reife binnen 24 Stunden wieder zwölf liefern, ſo daß auch hier binnen 20 Tagen eine mögliche Vervielfältigung bis zu einer Million angenommen werden darf.“ Sehr eingehende Unterſuchungen hat Auguſt Gruber über Konjugation von Para— maecium Aurelia, einem gemeinen Infuſor aus der Familie der Holotrichen, gemacht. Er beſchreibt die Vorgänge dabei folgendermaßen: „Diejenigen Paramäcien, welche zur Konjugation ſchreiten wollen, ſchwimmen anfangs um- und übereinander her, berühren ſich, haften wohl auch einen Augenblick aneinander, um ſich wieder loszulaſſen, bis ſchließlich die Vereinigung erfolgt. Die Vereinigung geſchieht zunächſt vorn an der Spitze der beiden In— fuſorien und dann an den Mundöffnungen, alſo näher dem Hintergrunde. An dieſen beiden Stellen bleiben die Tiere feſt vereinigt, während der übrige Teil des Körpers nur loſe oder auch gar nicht mit dem des anderen Individuums vereinigt iſt. Außerdem liegen die Tiere nicht in einer Ebene aneinander, ſondern etwas gekreuzt. Die eben konjugierten Paramäcien (Fig. 1, S. 672) zeigen Kern (N) und Nebenkern (n) noch in charakteriſtiſcher Lage zu einander, bald aber beginnt der letztere ſeinen Standort zu verlaſſen und wegzu— wandern (Fig. 2), dann zieht er ſich in die Länge, und die Körnchen in ſeinem Inneren be— ginnen ſich in parallele Längsreihen zu legen. Es iſt dies der Beginn der Teilung der Neben— kerne, bei welcher ſich dieſelben fernerhin zu langen, elliptiſchen Körpern ausziehen, an deren Enden dunklere Körnerhaufen ſich befinden und die außerdem deutliche Längsfaſern aufweiſen (Fig. 3, e). Nun erfolgt die Teilung der Nebenkerne, und wir haben dann in jedem Indivi— duum ſtatt eines deren zwei (Fig. 4). Die Nebenkerne behalten vorderhand ihre ſtreifige Struktur und ihre ſpindelförmige Geſtalt bei, und zwei davon beginnen nun auf die hintere Vereinigungsſtelle der Paramäcien hinzurücken. Hier hat ſich nun mittlerweile an jedem Paarling eine kleine Ausbuchtung gebildet, welche ſich in das andere Individuum hineindrängt, ſo daß ſich in dieſem eine entſprechende Delle findet, dieſe beiden Aus— ſtülpungen liegen nicht in einer Ebene, ſondern übereinander; hier herein rücken von rechts und links her die beiden Nebenkerne und zwar mit den Spitzen voran (Fig. 5). Sie drängen ſich immer mehr gegen die Wölbung, als wollten ſie dieſelbe durchbrechen und in den anderen Paarling hinüberwandern, wobei ſich zunächſt die Spitze des Nebenkernes umbiegt und derſelbe ſich dann immer mehr abplattet (Fig. 6), während ſie anfangs häufig faden— förmig erſcheinen. Zuerſt ſind nun dieſe Enden der Nebenkernkapſeln durch dieſes An— drängen verändert, während der übrige Teil noch die ſpindelförmige Geſtalt beibehalten hat; allmählich ſchwindet ſie aber, und zwar je mehr das vordere Ende ſich abplattet, ſo daß ſchließlich zwei petſchaftförmige Körper (Fig. 7, p) entſtehen, die mit ihren breiten Enden feſt gegen die Wölbung der Ausſtülpung gepreßt liegen. Wahrſcheinlich liegen die abgeplatteten Enden übereinander, ſo wie das auch bei den Ausſtülpungen der Fall iſt. Die Nebenkerne rücken jedenfalls äußerſt nahe zuſammen, ſo nahe, daß man einen Sub— ſtanzaustauſch wohl annehmen kann. Die beiden Nebenkerne vereinigen ſich aber nicht für immer, ſondern ſie trennen ſich wieder und ſind dann als kleine homogene, dicht neben— oder übereinander gelagerte Körperchen zuſehen. Dieſelben erſcheinen dann wie e Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 674 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; erſte Unterklaſſe: Wimperinfuſorien. und haben ſowohl ihre ſpindelförmige Geſtalt als auch ihre ſtreifige Struktur voll— kommen eingebüßt (Fig. 8). Später ziehen ſie ſich wieder in die Länge und liegen nun parallel der Längslinie der Infuſorien, während ſie beim Heranwandern mehr ſenkrecht zu dieſer geſtanden hatten. Nachdem die ſo veränderten Nebenkerne ſich wieder voneinander entfernt haben, rücken wahrſcheinlich die beiden anderen heran und machen denſelben Prozeß durch, kopulieren ſich und trennen ſich wieder. Mittlerweile iſt das erſte Paar etwas herangewachſen, und das geſchieht nun auch mit dem zweiten; alle vier Nebenkerne werden zu vier homogenen blaſſen Kugeln (Fig. 9), deren alſo jedes Infuſorium zwei enthält. Um dieſe Zeit iſt die Konjugation beendet, und man findet öfters Pärchen, welche im Begriff ſind, ſich zu trennen und nur noch mit den Lippenwülſten zuſammenhängen. Die Trennung kann auch etwas ſpäter erfolgen, und dann finden wir die homogenen Kugeln zu langen, ſtreifigen Spindeln umgewandelt, d. h. mit anderen Worten, die vier Nebenkerne im Begriff, ſich zu teilen (Fig. 10). „Es gehen alſo aus der Konjugation Individuen hervor, welche vier Nebenkerne beſitzen; dieſe teilen ſich aber gleich wieder und zwar zu der Zeit, wo auch am großen Kerne des Paramäciums Veränderungen eintreten, welche deſſen ſpäteren Zerfall voran— gehen, d. h. wo dieſer in ein geſchlungenes Band auszuwachſen beginnt. So erhalten wir alſo Infuſorien mit acht Kugeln, welche durch Teilung der urſprünglichen beiden, die Kon— jugation eingegangen habender Nebenkerne entſtanden ſind.“ Das Band zerfällt nun in ungleich große, unregelmäßige Ballen, welche durch das ganze Infuſor zerſtreut liegen und ſich durch ihr Anſehen von den helleren, Körnchen ent— haltenden Nebenkernen unterſcheiden. Die acht Nebenkerne treten zu zwei, auch räumlich getrennten Gruppen zu je vier zuſammen: die einen derſelben bilden nach Gruber durch Zuſammenwachſen den neuen Haupt-, die anderen den neuen Nebenkern, jener von vorn: herein anders beſchaffen als dieſer, größer, dunkler und keine Körnchen enthaltend. Die Reſte des alten Hauptkernes ſind kleiner und kleiner geworden, endlich haben ſie ſich ganz aufgelöſt. Jetzt tritt der Nebenkern an den neuen Hauptkern heran, ſchmiegt ſich ſogar etwas in ſeine Subſtanz hinein, und das Infuſor erſcheint ſo beſchaffen, wie es vor der Konjugation war. Auf dieſe folgen nun wiederholte Teilungen der beiden vereinigt geweſenen Infuſorien, aber nicht ins Unendliche fort, von Zeit zu Zeit müſſen durch Teilung hervorgegangene Individuen aufs neue Konjugationen eingehen. Geſchieht das nicht, ſo degeneriert nach den Unterſuchungen von Maupas die Nachkommenſchaft immer mehr, ſie wird kleiner, die Geſtalt ihres Körpers und ihres Kernes ändert ſich, ſie büßen ihr Flimmerkleid teil— weiſe und damit die Fähigkeit genügender Beweglichkeit und Nahrungsaufnahme ein und gehen ſchließlich an Marasmus zu Grunde. Teilung ohne Konjugation wirkt alſo ähnlich wie fortgeſetzte Inzucht, und es iſt gewiſſermaßen auch für die Infuſorien das, was man bei Haustieren als „Auffriſchung des Blutes“ bezeichnet, nötig. Nicht wenige Infuſorien umgeben ſich beim Eintrocknen der Gewäſſer mit einer ſchützen— den Hülle, incyſtieren ſich, um im eingetrockneten Schlamme neues Aufleben zu erwarten oder im Staube über Berg und Thal getragen zu werden. Sie teilen dieſe Zählebigkeit, wie wir wiſſen, mit vielen anderen niederen Organismen und deren Keimen, und die Erkenntnis dieſer Verhältniſſe hat längſt der ehemals als ein Wunder angeſtaunten Erſcheinung, wenn auf Regen nach langer Dürre die eben entſtandenen kleinen Teiche binnen wenigen Tagen eine reiche Lebensfülle zeigen, das Gepräge von etwas Unerklärbarem abgeſtreift. Die Cyſten einer Spezies von Infuſorien ſind durchaus nicht gleicher Art, man hat z. B. bei den Heuinfuforien (Colpoda) nach Rhumbler dreierlei verſchiedene zu unter— ſcheiden: Dauercyſten, Teilungscyſten und Sporocyſten. Lebensäußerungen. 5 675 Die Dauercyſten ſind es, welche die Tiere gegen die Hitze, die Kälte, den Mangel von Waſſer und Sauerſtoff ſchützen, und die Kolpoden beſitzen die Fähigkeit, ſie abzuſcheiden in ſehr hohem Grade. Die Dauercyite, deren Bildung leicht künſtlich hervorgerufen werden kann, iſt eine runde, an keiner Stelle von einer Offnung durchbrochene Membran, die anfangs beim Abſcheiden gelatinös iſt, aber ziemlich bald eine feſte, hornige Beſchaffenheit annimmt. Läßt man das Waſſer, in dem ſich Kolpoden aufhalten, auf dem Objektträger unter dem Mikroſkop langſam verdunſten, ſo ſieht man, wie die Tiere anfangen, gleichſam geängſtigt hin und her zu jagen, und wie ſie bemüht ſind, ſich von etwa kurz vorher auf— genommenen Nahrungsballen zu entlaſten. Plötzlich hört ihr unruhiges Hin- und Her— fahren auf, ſie fangen an, auf einem Punkte zu bleiben und ſich um eine ihrer Achſen, die einen rechts, die anderen links herum raſch zu drehen. Dabei ziehen ſie ſich zu Kugeln zuſammen, ziehen auch ihre Wimpern ein und ſcheiden die gelatinöſe Hülle ab. Die Vakuole wird dabei in ihren Schlägen matter und matter, hört, ſobald die Cyſte erſtarrt ift, ganz auf zu ſchlagen und liegt am oberen Ende in erweitertem Zuſtande, aber nicht mehr als runde, ſondern als unregelmäßig ſternförmige Blaſe. Im Waſſer gelaſſen, ſcheinen dieſe Cyſten nie auszuſchlüpfen, erſt wenn ſie mindeſtens zwei Tage trocken gelegen hatten, war es möglich, das latente Leben ihres Inhalts in ein aktives wieder überzuführen. That man fie dann in Waſſer, jo konnte man mit dem Mikroſkop beobachten, wie nach zwei- bis drei— ſtündigem Aufenthalt in demſelben zunächſt der Pulsſchlag der Vakuole ſehr langſam und in längeren Pauſen wieder auftrat. Dabei ſchien ſich die Wand der Cyſte auszudehnen, und nach Verlauf von ſechs Stunden platzte ſie. Vorher aber hat das in ihr befindliche Tier die Bildung ſeiner Wimpern vollendet. Dieſelbe beginnt mit einer eigentümlich zitternden Bewegung der Oberfläche, die immer ſtärker wird, und wobei, wie es ſcheint, durch Zentri— fugalkraft die Cilien als Fortſätze des Protoplasmas hervorgeſchleudert werden. Bald ſind die Wimpern vollkommen ausgebildet und beginnen ein lebhaftes Spiel, das den ganzen Inhalt der Cyſte in eine drehende Bewegung verſetzt. Die Dauereyſte, in welcher das Infuſor, abgeſehen vom Verluſt ſeines Wimperkleides, unverändert bleibt, kann ihren Schützling nur drei Wochen lang im Sommer erhalten, danach ſind dieſelben nicht wieder zum Leben zu erwecken, es iſt alſo ein Irrtum, daß, wie man früher glaubte, ein— gekapſelte Infuſorien (wenigſtens Colpoda) ein latentes Leben, ſozuſagen ad infinitum führen könnten. Weſentlich anders beſchreibt Auguſt Bauer den Encyſtierungsprozeß von Bursaria. truncatella, einem heterotrichen Infuſor. Er nahm ziemliche Zeit, einen vollen Tag, in Anſpruch. Zuerſt erſchienen die Tiere, die vorher ganz farblos geweſen waren, bei durch— fallendem Lichte milchweiß und zwar aus demſelben Grunde, aus dem der Seifenſchaum weiß erſcheint, ihr ganzes Inneres beſtand aus lauter kleinen Bläschen, ihr Parenchym war vakuoliſiert. Die Schwimmbewegungen hörten auf, die Tiere hefteten ſich auf irgend einen Gegenſtand feſt, Mund und Schlund wurden kleiner und enger, bis ſie ganz ver— ſchwunden waren, und die großen Mundwimpern wurden eingezogen oder abgeworfen, jedenfalls verſchwanden auch ſie. Dabei verringerte ſich die Körpergröße, die Geſtalt ging von einer ſtumpfſpitz ovalen in eine gleichmäßig längliche über. So blieben die Tiere ge— raume Zeit, dann zogen fie ſich zu Kugeln zuſammen, die kleinen Vakuolen verſchwanden, und das Parenchym zerfiel zu einer körnigen Maſſe, während ſich zugleich die feinen Körper— wimpern verloren. Hierauf ging die eigentliche Cyſtenbildung erſt vor ſich. Die Cyſte be— ſteht hier aus einer doppelten Membran. Eine homogene glatte Membran liegt der Innen— maſſe unmittelbar auf, eine zweite äußere liegt in einiger Entfernung der erſteren, die ſich mit ihr durch zahlreiche kleine Bälkchen verbindet. Überall da, wo ein ſolches Bälkchen an die äußere Membran herantritt, wird dieſelbe thalartig eingezogen, ſo daß ihre Oberfläche 43* 676 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; erſte Unterklaſſe: Wimperinfuſorien. höckerig erſcheint. Offenbar wird die äußere Membran vom Tiere zuerſt gebildet, dann die zweite, worauf es ſich noch mehr zuſammenzieht und die zweite Membran, die zunächſt wohl weich ſein wird, mit ſich nimmt. Die von Bauer beobachteten Burſarien encyſtierten ſich im Dezember, und die erſten verließen die Cyſte erſt Ende Februar des folgenden Jahres. Mit der Beſchreibung der Erſcheinungen der Teilung und der Sporocyſtenbildung der Heutierchen müſſen wir zugleich wieder an die oben erwähnten Verhältniſſe der ungeſchlecht— lichen Fortpflanzung der Infuſorien anknüpfen. Wenn man eine Schar von Colpoda muſtert, ſo werden einem einzelne Individuen auffallen, welche ſich nur langſam und direk— tionslos, gleichſam ſchlaftrunken taumelnd fortbewegen. Solche Individuen ſtehen im Be— griff, ſich zu teilen. Sie ſuchen irgend eine ruhige Stelle, etwa zwiſchen einem Häuflein Bakterien, zu gewinnen. Haben ſie eine ſolche gefunden, dann ziehen ſie ihr Kopfende ein, ſich ſelbſt zu ellipſoidiſchen oder kugelrunden Klümpchen zuſammen, die zunächſt immer um eine Achſe, aber links und rechts herum in unregelmäßigem Wechſel, rotieren. Dabei liegt die Vakuole immer an einem Ende der Rotationsachſe. Um das rotierende Heutierchen bildet ſich nun eine zunächſt gelatinöſe Hülle, welche an einer Stelle ein feines Loch hat, nämlich da, wo die Vakuole liegt. Dieſe ſtößt von Zeit zu Zeit ihren Inhalt auch während der Rotation aus und verhindert daher einen Verſchluß der Cyſte über der Stelle, wo ihre Ausführungsöffnung ſich befindet. Iſt ſpäter die Cyſte verhornt, dann rotiert der Inhalt um alle möglichen Achſen. Die Cyſtenöffnung vermittelt den Stoffwechſel des Cyſten— inhaltes und dient zum Ausſchlüpfen der durch die Teilung hervorgegangenen Colpoda- Individuen. Die Teilung ſelbſt iſt nicht immer gleich: der Inhalt langer Cyſten zerfällt in zwei, der runder meiſtens in vier Stücke. Die Sporocyſten ſind dünnwandig und völlig geſchloſſen, und das eingeſchloſſene, von dem Infuſor ausgeſtoßene Vakuolenwaſſer ſammelt ſich zwiſchen dieſem und der Hülle, und jenes wird kleiner in dem Maße wie dieſes zunimmt. Die vorher erwähnten Kör— perchen (Aſſimilationskörperchen) werden ſämtlich durch die Vakuole mit ausgeſtoßen. Iſt das Tier auf die Hälfte ſeiner urſprünglichen Größe reduziert, ſo hören ſeine Rotationen und das Schlagen ſeiner Vakuole auf, ſeine Cilien werden eingezogen, und es wird zu einem runden, homogenen Plasmaballen. Dieſer ſcheidet eine zweite, viel dickere Hülle auf ſich aus, die nach mehreren Stunden zu einer derben Cyſte erhärtet. Nach geraumer Zeit zeigen ſich auf der Außenſeite der Innenmaſſe der Sporocyite äußerſt kleine, ſtark lichtbrechende Körperchen in größerer Zahl (830). Die Cyſten⸗ wand bekommt dann Sprünge, der Inhalt quillt heraus und zerfällt bis auf jene ſtark lichtbrechenden Körperchen. Dieſe werden im Waſſer größer, verlieren ihre lichtbrechende Eigenſchaft und ſind nicht mehr rundlich, ſondern unregelmäßig vieleckig, ändern aber fort— während, wenn auch langſam, ihre Geſtalt, gehen z. B. von der fünfeckigen in die drei- eckige über ꝛc. Die Geſtaltsveränderungen nehmen mehr und mehr zu, folgen raſcher auf— einander, und endlich treten bewegliche Plasmafortſätze (Pſeudopodien) auf: das junge Geſchöpf iſt zu einer Amöbe, d. h. zu einem beweglichen Protoplasmaklümpchen, geworden, es enthält eine Anzahl (2—4) Kerne, die ſich bald zu einem einzigen vereinigen. Dann treten ſeine amöboiden Bewegungen ſeltener auf, nur ein langer geißelartiger Fortſatz iſt vorhanden, mittels deſſen es ſich bewegt und an Fremdkörper befeſtigt. Endlich hören jede Bewegungen ganz auf, der Geißelfortſatz wird eingezogen, es zeigt ſich eine Vakuole, und endlich bilden ſich Wimpern, die das junge Weſen in eine ſchnelle Rotation verſetzen. Allmählich ſtreckt ſich dasſelbe in die Länge und nimmt bald die Geſtalt einer jungen Colpoda an. Wir wollen, ehe wir von den Infuſorien Abſchied nehmen, noch eine gefährliche und ſchwierige Frage aufwerfen: Wie ſteht es mit dem Seelenleben der Infuſorien? Seelenleben. 677 Wir werden hierzu veranlaßt, weil ſeinerzeit der auch im Gebiete der Infuſorienkunde ſehr verdiente Phyſiolog Engelmann den Infuſorien ein hohes ſeeliſches Vermögen zu retten verſucht hat. Er beobachtete die Ablöſung von Vorticellinenknoſpen, und wie dieſelben die auf dem Bäumchen zurückgebliebenen Individuen aufſuchten oder auffanden, um ſich mit ihnen zu konjugieren. „Anfangs“, ſagt er, „ſchwärmten die Knoſpen, der Form nach gewöhnlichen ſchwärmenden Vorticellen gleich, mit ziemlich konſtanter Ge— ſchwindigkeit (etwa 0,6 — 1 mm in der Sekunde), und immer um ihre Längsachſe ro— tierend, meiſt in ziemlich gerader Richtung durch die Tropfen. Dies dauerte 5—10 Minuten oder noch länger, ohne daß etwas Beſonderes geſchehen wäre. Dann ändert ſich plötzlich die Szene. Zufällig in die Nähe einer feſtſitzenden Vorticelle geraten, änderte die Knoſpe, zuweilen wie mit einem Rucke, ihre Richtung und nahte nun, tanzend wie ein Schmetterling, der um eine Blume ſpielt, der Vorticelle, glitt wie taſtend und dabei immer um die eigne Längsachſe rotierend, auf ihr hin und her. Nachdem das Spiel minuten— lang gedauert hatte, auch wohl nacheinander bei verſchiedenen feſtſitzenden Individuen wiederholt worden war, ſetzte ſich die Knoſpe endlich feſt, und zwar meiſt am aboralen (unteren) Ende, nahe dem Stiele. Nach wenigen Minuten war die Verſchmelzung ſchon merkbar im Gange. „Ein in phyſiologiſcher und ſpeziell pſycho-phyſiologiſcher Beziehung noch merkwür— digeres Schauſpiel beobachtete ich ein anderes Mal. Eine frei ſchwärmende Knoſpe kreuzte die Bahn einer mit großer Geſchwindigkeit durch die Tropfen jagenden großen Vorticelle, die auf die gewöhnliche Weiſe ihren Stiel verlaſſen hatte. Im Augenblicke der Begeg— nung (Berührung fand inzwiſchen durchaus nicht ſtatt) änderte die Knoſpe plötzlich ihre Richtung und folgte der Vorticelle mit ſehr großer Geſchwindigkeit. Es entwickelte ſich eine förmliche Jagd, die etwa 5 Sekunden dauerte. Die Knoſpe blieb während dieſer Zeit nur etwa */ıs mm hinter der Vorticelle, holte fie jedoch nicht ein, ſondern verlor fie, als dieſelbe eine plötzliche Seitenſchwenkung machte. Hierauf ſetzte die Knoſpe mit der anfänglichen, geringeren Geſchwindigkeit ihren eignen Weg fort. Dieſe Vorgänge ſind darum merkwürdig, weil ſie eine feine und ſchnelle Perzeption (Wahrnehmung), raſche und ſichere Willensentſcheidung und freie abſtufbare motoriſche Innervation! (sit venia verbo) verraten.“ Der Utrechter Phyſiolog iſt alſo geneigt, in den Vorticellen ein hoch entwickeltes Seelenvermögen zu finden, indem er ihnen nicht nur Empfindung, ſondern auch Wahr— nehmung, bewußten Willen und raſche Ausführung des auf einen beſtimmten Gegenſtand gerichteten Willens zuſchreibt. Es würde leicht ſein, auch bei anderen Infuſorien ähn— liches Thun und Handeln zu beobachten. Was unſere Vorticelle betrifft, ſo liegt, ſcheint mir, für die von Engelmann geſchilderte Jagd eine weit einfachere Erklärung vor: das vorausſtürmende Tier erregt einen Strudel, in deſſen Bahn das hinein geratene zweite ganz unwillkürlich gezogen wird. Schwieriger iſt der andere Fall, der aber nicht für ſich betrachtet werden darf, ſondern ganz allgemein die Frage über Empfindung und Wahr— nehmungsvermögen nervenloſer Tiere in ſich ſchließt. Wir haben ſo viele Beiſpiele von Geiſtesvermögen höherer Tiere in dieſem Werke kennen gelernt, daß wir auch über die entſprechenden Erſcheinungen in der niederen Tier— welt eine Verſtändigung anbahnen müſſen. Wir ſind ſchon mit den Polypen in eine Region gelangt, wo vergeblich nach einem Nervenſyſtem geſucht worden iſt, und noch ein— facher ſind, wie wir ſchon geſehen haben und weiterhin erfahren werden, die Urwejen 1 Nämlich jene Beeinfluſſung der Bewegungsorgane, welche bei den höheren Tieren durch die Nerven auf die Muskeln geſchieht. 678 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; erſte Unterklaſſe: Wimperinfuſorien. gebaut. Wenn wir von Wahl und Willen einer Ameiſe, eines Kopffüßers, einer Krabbe ſprechen, und ihre auf ein beſtimmtes Ziel gerichteten Handlungen mit denen eines Hundes, eines Affen, ja des Menſchen vergleichen, ſo thun wir dies mit vollem Rechte deshalb, weil alle jene wirbelloſen Tiere ein Nervenſyſtem beſitzen, welches in ſeinen einzelnen Teilen den Vergleich mit dem Nerven- und Sinnesapparat der Wirbeltiere und des Menſchen aushält, von dem wir daher auch ähnliche Leiſtungen erwarten. Ohne uns hier auf eine Entſcheidung über Natur und Weſen der Seele einzulaſſen, treffen wir ſicher auf keinen Widerſpruch, wenn wir das Nervenſyſtem als das Organ der Seele bezeichnen. Wo wir alſo Nerven finden, können wir auf ſeeliſche, an die Thätigkeit der Nerven ge— bundene Fähigkeiten ſchließen. Eben deshalb iſt das Tierleben in ſeinen Außerungen ſo außerordentlich reich. Was wird aber aus der Seele derjenigen Tiere, welche kein Nervenſyſtem beſitzen? Da taucht dieſelbe Schwierigkeit auf, wie bei der ſpitzfindigen Frage, von welcher Zeit an das ſich entwickelnde junge Tier oder die menſchliche Frucht eine Seele hat, und es zeigt ſich, daß zwiſchen Lebensäußerungen im allgemeinen und Seelenerſcheinungen eine Grenze nicht gezogen werden kann, und daß wir mit der eben uns befriedigenden Er— klärung von Seele und Seelenwerkzeug doch nichts erreichen. Es weiſt uns aber der Vergleich mit dem Erwachen der Seele bei dem ſich ſchon bildenden Tiere und dem un— geborenen Menſchen darauf hin, daß man die Frage wohl richtiger umkehrt: wo beginnen in der organiſchen Welt die Außerungen, welche als ſeeliſche bezeichnet werden dürfen? Man hat in neueſter Zeit die alte Annahme wieder hervorgeſucht, die kleinſten Stoffteile, die Atome, ſeien ſchon beſeelt, hätten Empfindung und einen Willen. Eine befriedigende Vorſtellung von dem, was wir hier ſuchen, bekommen wir dadurch nicht. Die Löſung unſerer Aufgabe würde ſich finden, wenn wir ein Mittel hätten, die willkürlichen Be⸗ wegungen des Protoplasmas der niedrigen Organismen unſerer Protozoen von den unwill— kürlichen zu unterſcheiden. Das Fließen des Protoplasmas in den Pflanzenzellen nennen wir ein unwillkürliches, weil wir annehmen, daß es nur Ausdruck chemiſcher und phyſi— kaliſcher Vorgänge im Inneren der Zelle und die Antwort auf eben ſolche äußere Reize ſei, ohne jede Spur deſſen, was wir nach unſeren Erfahrungen Empfindung, Vorſtellung, Bewußtſein nennen. Solche Bewegungen kommen nun ohne Zweifel auch in allen Abteilungen der Pro— tozoen vor, wofür ich auf das unten folgende Beiſpiel der Gromie hinweiſen will. Sie find jedoch mit ſolchen Handlungen und Thätigkeiten verbunden, z. B. mit der Nahrungs: aufnahme, für welche wir nach den Erfahrungen an den höheren Tieren Empfindung und Willen vorausſetzen. Wir vergeſſen dabei nur zu leicht, daß jene Empfindungen, Luft und Unluſtgefühle, dadurch zuſtande kommen, daß die ſie hervorbringenden Eindrücke von außen zu einem beſonderen Organ, dem Zentrum des Nervenſyſtems, geleitet, dort ge: wiſſermaßen geſammelt und auf bis jetzt geheimnisvolle Weiſe in Empfindung umgeſetzt werden. Ich kann annehmen, daß es dem Protoplasma der Gromie ſchmeckt; ich komme aber über dieſe unbeſtimmte Annahme nicht hinaus und darf keinen Einwand erheben, wenn ein Freund der Beſeelung der Pflanzen auch für dieſe die Nahrungsaufnahme zu einer mit Vergnügen verbundenen Handlung ſtempelt. Aber eine wichtige Erfahrung machen wir doch: wir ſehen, daß in dem Reiche der Protiſten, an welches ſich die Infuſorien unmittelbar anſchließen, die Reizbarkeit des Protoplas mas und die Fähigkeit auf verſchiedene Reize in verſchiedener Weiſe zu antworten, zunimmt. Dies wird die Veranlaſſung zur Herausbildung und Fixierung von Unter— ſchieden. Die Infuſorien zeigen uns die Scheidung der in den niedrigen Protiſtenklaſſen dem Auge noch ganz gleichförmigen Körperſubſtanz ſo weit gediehen, daß die bewegenden Empfindungsvermögen und Bewußtſein. 679 Protoplasmaſtreifen gar nichts mehr mit der verdauenden Maſſe zu thun haben. Sie beſitzen wirkliche Bewegungsorgane, und in dieſen hat zugleich die Reizbarkeit ſo zugenommen, daß ſie den Reiz faſt mit derſelben Geſchwindigkeit fortpflanzen, als es in den mit Nerven verſehenen Tieren geſchieht. Das Zuſammenzucken eines vielverzweigten Vorticellenbäum⸗ chens geſchieht vor unſeren Augen blitzſchnell. Und doch mußte der Reiz, der etwa durch einen Stoß auf ein Tier der Kolonie ausgeübt wurde, durch den Stamm hindurch in alle Zweige bis zu den auf ihren Gipfeln ſtehenden Tierchen fortgeleitet werden, ehe das Zu: ſammenfahren erfolgen konnte. Haben unſere Vorticellen hierbei und hiervon eine Em— pfindung, eine Art von Be⸗ wußtſein? Ja und nein. Sie müſſen etwas wie Empfindung ſpüren, etwas wie Bewußtſein muß ſich auf den Stoß ent— wickeln. Aber noch iſt die Zu— ſammenſetzung des Körpers, die Teilung der Arbeit nicht ſo weit gediehen, daß die Stoß: und Taſtempfindung von einem ſogenannten, nicht zum voll⸗ kommenen Bewußtſein gelan— genden Muskelgefühle ſich tren- nen ließe. Ahnliches gilt vom Geſchmack, indem ein Teil oder ein großer Teil der bei der Nahrungsaufnahme ſtattfin⸗ denden Vorgänge ſich vielleicht einſt auf die Geſetze der chemi— ſchen Wahlverwandtſchaft wer— den zurückführen laſſen. Aus ö einem ſolchen kaum voritell- Eine Acinete. 600 mal vergrößert. baren dunkelſten Allgemein: gefühl kann auch das Infuſionstier nicht heraustreten. Aber wir können annehmen, daß in infuſorienähnlichen Tieren durch beſondere Übung beſtimmter Stellen in der Hautſchicht die Veranlaſſung zur Bildung einfachſter Nervenapparate gegeben war. Und damit treten wir in das Bereich ſolcher Weſen, in denen, nach trivialer Anſchauung, die Seele einen Sitz hat. Wir verſtehen nun wenigſtens, was es heißen ſoll: die Seele entwickelt ſich im Leben des Einzelweſens, ſo wie ſie ſich während der geſchichtlichen Entfaltung der Lebewelt über— haupt aus dem Unendlich-Kleinen nach und nach hervorbildete. Das Lückenhafte der Kenntniſſe auf unſerem Felde findet auch darin ſeinen Ausdruck, daß wir oft einzelne Gattungen oder größere Gruppen als „Anhang“ zu ſonſt wohl um— ſchriebenen Klaſſen ſyſtematiſch unterbringen müſſen. Wir ſagen damit, daß die aus Ent— wickelung und Anatomie zu nehmenden Gründe nicht ausreichen, um eine gemeinſchaftliche 680 Urtiere. Erſte Klaſſe: Infuſorien; zweite Unterklaſſe: Geißelinfuſorien. Abſtammung als ſicher erſcheinen zu laſſen, daß eine ſolche aber mehr oder minder wahrſchein— lich ſei. In dieſer Lage befinden wir uns den Infuſorien gegenüber mit der Ordnung der Acineten (ſ. Abbild. S. 679). Dieſe mikroſkopiſchen Weſen find mittels eines Stieles feſtgewachſen, und fie wählen zum Orte ihrer Fixierung oft andere Waſſertiere, im Süß: waſſer die Flohkrebſe und Aſſeln, im Meere verſchiedene Bryozoen und Polypen. Der keulen— förmig geſtreckte oder rundliche, vorn oft eingeſenkte Körper enthält ein dichtes Protoplasma mit einem gewöhnlich anſehnlichen Kerne und einem oder mehreren blaſigen Stellen, welche ſich mit den kontraktilen Blaſen der Infuſorien vergleichen laſſen. Auch wegen des Kernes ſchien die Verwandtſchaft mit den Infuſorien annehmbar. Weiter geht aber an dem aus— gebildeten Tiere die Ahnlichkeit nicht, welche „ohnehin auf ziemlich ſchwachen Füßen ſteht. # Die Acineten beſitzen nämlich nur wäh— g rend eines kurzen Schwärmzuſtandes in der erſten Jugend Wimpern. Dieſe verſchwin— den, ſobald ſie ſich feſtgeſetzt haben, und nun erhalten ſie höchſt eigentümliche feine Fort— ſätze des Protoplasmas, durch welche, bei Ab— weſenheit eines Mundes, die Nahrungsauf— nahme in das Protoplasma geſchieht. Dieſel— ben befinden ſich als vorſtreckbare und zurück— ziehbare Strahlen am Vorderkörper, endigen mit einem Knöpfchen, das gleich einem Saug— napf an die zu bewältigende Beute angeſetzt wird, und leiten die aufzunehmende Flüſſig— keit in die Acineten hinein. An einer bei Helgoland gefundenen Aci— nete beobachtete R. Hertwig außer den be— ſchriebenen Saugwerkzeugen noch beſondere ſpitzauslaufende Fangfäden. Er ſagt: „Kommt Knoſpenzeugende Podophrye (Podophrya gemmi— a Infuſor n das W 0% Fangfäden, 1 ſo krümmen ſich dieſelben, indem ſie ihr Opfer umklammern. Die Berührung wirkt lähmend und allmählich ertötend. Durch die Verkürzung der Fangfäden wird nun der tote Körper der Podophrye (Podophrya heißt die Sippe), genähert und mit den kürzeren Saug— röhren in Berührung gebracht. Dieſelben ſchwellen mit ihren Enden an und fixieren letztere wie Saugnäpfe an der Körperoberfläche. Ihre auf- und abſteigende Bewegung nähert und entfernt das abgeſtorbene Infuſor, bis dasſelbe plötzlich anfängt kleiner zu werden. Es hat ſich dann ein Strom vom Körper desſelben ins Innere der Podophrye etabliert. Bei der Verlängerung der Saugröhre treten die Körnchen (der Protoplasma— ſubſtanz des Infuſors) in dieſelbe hinein, die Verkürzung derſelben treibt ſie ins Innere des freſſenden Organismus.“ Es gelang Hertwig auch, die Vermehrungsweiſe der Helgoländer Acinete genau feſt— zuſtellen. Es entſtehen am Vorderende zwiſchen den Fühlfäden und Saugröhren Er— hebungen, in deren jede ein Fortſatz des Kernes hineinwächſt. Hieraus werden Knoſpen, plattgedrückte, etwa muſchelförmige Körper, welche endlich ſich ablöſen und mittels Wim— pern träge und langſam ſich bewegen. Sie entfernen ſich in der Regel nicht weit von dem Muttertiere, ſondern fixieren ſich neben demſelben, woher es kommt, daß die Tubularien — =. — = Aeineten. Podophrya. — Kragengeißler. 681 (S. 557), auf denen dieſe Acineten am häufigſten vorkommen, von ihnen ſtreckenweiſe ganz überzogen ſind. Ich habe dasſelbe Tier in Neapel zu unterſuchen Gelegenheit gehabt und teile von den vielen davon angefertigten Zeichnungen eine mit (ſ. S. 680). Man wird ſich in dieſelbe ohne weiteres nach Hertwigs Erläuterungen finden. Wir ſehen aus dem faſt becherförmig ge— wordenen Körper zwei nahezu reife und eine eben in der Bildung begriffene Knoſpen her— vorragen. Die längeren, ſich zuſpitzenden Taſt- und Fangfäden verhalten ſich genau ſo, wie die bald zu beſchreibenden Scheinfüßchen der Wurzelfüßer, aber mit dem Unterſchiede, daß ſie nicht miteinander verſchmelzen. Sie zeigen nämlich dieſelbe höchſt charakteriſtiſche Körnchenbewegung im dickflüſſigen, durchſichtigen Protoplasma. Die Streifen am Körper ſind Faltungen der Haut. Die Streifung im Stiele, von dem in unſerem Bilde nur ein Teil zu ſehen iſt, rührt von einer feinkörnigen Subſtanz her, welche die Höhlung des Stieles erfüllt. Auch dieſe Tiere ſelbſt wieder ſind den Verfolgungen zahlreicher Feinde ausgeſetzt. Der Podophrye von Helgoland „ ſtellen kleine Krebſe, beſonders Amphipoden und unter dieſen wieder vornehmlich die gefräßige Caprella, nach. Ferner bohrt ſich an der Ver— bindung von Stiel und Körper, alſo an einer Stelle, wo es vor der gefährlichen Waffe der Tentakeln ſicher iſt, ein raſch ſich vermehrendes hypotriches Infuſor in das Innere der Podophrye ein und zerſtört dasſelbe“. Zwei de Unterklaſſe. Die Geißelinfuſorien (Flagellata). Die Geißelinfuſorien ſind eine etwas bunt zuſammengewürfelte Geſellſchaft, und von einer ganzen Anzahl von Formen, die in der Regel zu ihnen gerechnet werden, iſt es ſehr zweifelhaft, ob es wirklich Tiere oder nicht vielleicht eher Pflanzen oder Entwicke— lungszuſtände von Pflanzen ſind. Im allgemeinen ſind die Geißelinfuſorien kleiner als die Wimperinfuſorien, haben auch kein Wimperkleid wie dieſe, ſondern an dem einen Ende bloß eine oder mehrere Geißeln Unmittelbar unterhalb dieſer befindet ſich in der Körperwand eine Offnung, ein Mund, durch den Nahrung aufgenommen und in das Innenplasma geſchoben wird. Meiſt ſind auch kontraktile Blaſen vorhanden. Die Kra— gengeißler (Choanoflagellata) ſehen aus wie Geißelzellen einer Spongie, indem nämlich um den Grund der Geißel ſich ein kragen- oder kelchartiger Fortſatz des Körpers befindet. Dieſe treffende Ahnlichkeit dieſer Infuſorien mit den Geißelzellen der Schwämme hat Veranlaſſung gegeben, daß mehrere Forſcher in den Irrtum verfielen, in den letzteren Kolonien von Choanoflagellaten zu ſehen, — die Spongien ſollten Urtiere ſein, obwohl, ab⸗ geſehen von vielen Eigentümlichkeiten ihres anatomiſchen Baues, ſchon ihre Entwickelungs— geſchichte auf das deutlichſte beweiſt, daß ſie das auf keinen Fall ſein können! Panzergeißler (Dinoflagellata). Stark vergrößert. 682 Urtiere. Erſte und zweite Klaſſe: Infuſorien, Wurzelfüßer. Die Panzergeißler (Dinoflagellata, ſ. Abbildung S. 681) haben feſte Haut⸗ panzer von oft ſehr barocker Geſtalt und zwei Geißeln: eine der gewöhnlichen Geißel der Flagellaten entſprechende, in der Längsrichtung gelegene und eine quere, die in eine Furche des Hautpanzers eingeſchlagen werden kann. Die intereſſanteſten Geißelinfuſorien ſind die Leuchttierchen (Cystoklagellata) oder Noktiluken. Ihr Körper hat die Geſtalt eines Pfirſichs, und von einer Einbuchtung desſelben aus erſtreckt ſich ein bewegliches geißelförmiges Organ hervor, womit das Weſen rudert. An dieſer Stelle iſt auch eine Mündung, durch welche die Nahrungsſtoffe in das innere veränderliche Sarkodenetz aufgenommen werden. Gleich hinter der Eingangsöffnung findet ſich eine größere Anhäu— fung von Sarkode, von welcher aus ſich Fortſätze, welche vielfach ſich verzweigen und verbinden, durch den ganzen Zellenraum ſich erſtrecken, um endlich mit den immer feiner Leuchttierchen (Noctiluca milia- werdenden Zweigelchen an der Körperwandung ſich anzu— 89 180 mal bergeößert heften. In dieſes Netz, welches in Form und Verhalten von dem Protoplasmanetz einer Pflanzenzelle nicht zu unterſchei— den, wird die Nahrung aufgenommen, ſie muß mit der ſie umfließenden Maſſe wandern und wird von jener verdaut. Die Vermehrung der Noktiluken geſchieht auf doppelte Art. Entweder ein Individuum teilt ſich einfach, oder aber es wird, nachdem es ſeine Geißel eingezogen hat, zu einer Kugel, ſein Inhalt a zu Sporozoen oder Schwärmlingen, die ſich in Geſtalt etwa kleiner > Ritterhelme mit einer langen Geißel und einem cy— lindriſchen Fortſatz loslöſen, einige Zeit ſchwärmen und zur Noktiluke werden. Es gibt mehrere Formen oder Arten der Nokti— luceen in den Meeren der gemäßigten und heißen Zo— nen. So wird die Nordſee von einer anderen Art (Noctiluca miliaris) als das Mittelmeer (Liepto- discus medusioides) bewohnt. Sie erſcheinen meiſt in ungeheuern Mengen, ſo daß ſie mitunter auf weite Strecken eine bei Tage rötlich ausſehende Oberflächen— ſchicht bilden. Bei Nacht leuchten ſie phosphoriſch und RR zwar unter denſelben Erſcheinungen wie andere Leucht— Pyrocystis noctiluca. 100 mal vergr. tiere. Erregung des Waſſers und Reibung ihrer Kör— per ſteigert die Leuchtkraft. Verwandt mit dieſen Weſen dürfte auch die vorſtehend abgebildete Pyrocystis noctiluca ſein, über die Sir Wyville Thomſon Mitteilungen gemacht hat. Als der „Challenger“ auf der Fahrt von Madeira nach der braſiliſchen Küſte war, beobachtete der genannte Forſcher, daß, als das Schiff weiter ſüdwärts kam, die Pyroſomen (S. 246) und die anderen größeren leuchtenden Meerestiere an Zahl abnahmen, und das vom Waſſer ausgehende Licht, obgleich es im ganzen genommen eher lebhafter als vorher war, wurde mehr diffus, ſo daß das Waſſer, wenn es in einem Gefäß geſchüttelt wurde, einen Schein von ſich gab, wie eine im Inneren durch eine Flamme erhellte Milchglasklugel. Unterſuchte man etwas Waſſer in einem Trinkglas, ſo erſchien es einigermaßen trübe und bei näherer Beobachtung, wenn man es etwa gegen das Licht hielt, ſah man, daß es eine Menge kleiner durchſcheinender Körperchen enthielt, die im Dunkeln ein helles, weißes Licht aus: ſtrahlten, das ſehr lebhaft funkelte, wenn das Waſſer geſchüttelt wurde. Panzergeißler. Leuchttierchen. Pyrocystis. — Eiförmige Gromie. 683 Die größten dieſer Körperchen waren rund und hatten beinahe 1 mm im Durchmeſſer. Sie beſtanden aus einer zarten, äußerlichen Haut, zu dünn, als daß ſelbſt mit dem Mikro— ſkop ihre Natur ſicher hätte beſtimmt werden können, die aber wohl kieſelig geweſen ſein dürfte, denn wenn man eine ſolche kleine Kugel zwiſchen Daumen und Zeigefinger mit größter Vorſicht zerquetſchte, ſo zerſprang ſie wie äußerſt dünnes Glas. Wenn eine ſolche Kugel durch das Schwebnetz angeſtoßen iſt, enthält ſie in der Regel eine waſſerhelle Flüſſig— keit mit einer kleinen, unregelmäßig geſtalteten Menge gelbbrauner Sarkode, die an einer Stelle der Innenſeite der Hülle haftet. Wenn das Weſen einige Zeit ungeſtört in See— waſſer geweſen iſt, fängt dieſe Sarkode an Fortſätze auszuſenden, die ſich nach und nach zu einem Netzwerk anaſtomoſierender Ströme auf der ganzen Innenſeite der Hülle geſtalten, und in dieſen Strömen bemerkt man die eigentümliche und ſo hoch charakteriſtiſche Bewegung des lebenden Protoplasmas, in dem entlang jedes Stromes Fetttröpfchen und winzige Körn— chen gleiten. Bei ſtarker Vergrößerung zeigt es ſich, daß das Protoplasma aus einer hellen, klebrigen Subſtanz beſteht, die ſich von dem übrigen flüſſigen Inhalt der Zelle deutlich ſon— dert und mit gelben Körnern, klumpigen Maſſen, Oltröpfchen und lichtbrechenden Körper— chen beſetzt iſt. Nach der Mitte zu befindet ſich immer ein großer, deutlicher Kern, der aus etwas feſterem Material beſteht, von grauer Farbe iſt und durch Karminlöſung leicht ge— färbt wird. Die Geißeltierchen ſind entweder Einzelindividuen, oder ſie bilden Kolonien, die nicht immer feſtſitzend zu ſein brauchen, ſondern manchmal ſich ſchwimmend ziemlich raſch bewegen. Zweite Klaſſe. Die Wurzelfüßer (Rhizopoda). Wir halten uns zur Beobachtung niederer Seetiere an irgend einem Punkte der Geſtade des Mittelmeeres auf und haben von einem mit Algen bewachſenen Felſen eine kleine Portion Pflanzen mit dem ihnen anhaftenden Sande und Schlamme in einem grö— ßeren Glasgefäße mit reichlichem Waſſer ſeit einigen Tagen auf dem Zimmer ſtehen. Alles gröbere Getier, was ohne weiteres dem unbewaffneten Auge ſichtbar und mit einer feinen Pincette gefaßt werden kann, zierliche Riſſoenſchnecken, Krebschen, Würmer, ſind möglichſt entfernt worden, da unſere Abſichten auf andere Erſcheinungen gerichtet ſind. Indem wir nun die Wand des Gefäßes mit der Lupe abmuſtern, ſehen wir hier und da ein bräun— liches Körnchen haften und bemerken ſogar an den größeren Exemplaren, daß ſie von einem zarteſten Netz und Strahlenkranz leichter Fäden umgeben ſind. Vorſichtig wird einer der Körper unter das Mikroſkop gebracht. Das Fadennetz iſt zwar zunächſt verſchwunden, es iſt zurückgezogen in die eiförmige, ziemlich elaſtiſche Schale, bei einiger Geduld ſehen wir es aber wieder zum Vorſchein kommen. Die Abbildung, welche ich nach einer lebenden, zur Ordnung der Foraminiferen gehörigen eiförmigen Gromie (Gromia oviformis, ſ. Abbildung S. 684) entworfen, füge ich die Beſchreibung eines der ausgezeichnetſten Kenner der Wurzelfüßer bei, Max Schultze, aus welcher das Weſen dieſer ſonderbaren Geſchöpfe klar hervorſpringen wird. „Nach einiger Zeit vollſtändiger Ruhe werden aus der einfach vorhandenen großen Offnung der Schale feine Fäden einer farbloſen, durchſichtigen, äußerſt feinkörnigen Maſſe hervorgeſchoben. Die zuerſt hervorkommenden ſuchen taſtend umher, bis ſie einen feſten 684 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; erſte Ordnung: Strahlinge. Körper (hier die Oberfläche des Glaſes) gefunden haben, an welchem ſie ſich in die Länge ausdehnen, indem aus dem Inneren der Schale nur Maſſe nachfließt. Die erſten Fäden ſind äußerſt fein, bald entſtehen jedoch auch breitere, die wie die erſten in ſchnurgerader Richtung ſchnell an Länge zunehmen, auf ihrem Wege ſich oft unter ſpitzen Winkeln ver— äſteln, mit nebenliegenden zuſammenfließen, um ihren Weg gemeinſchaftlich fortzuſetzen, bis ſie, allmählich immer feiner werdend, eine Länge erreicht haben, welche die des Tier— körpers um das Sechs- bis Achtfache übertrifft. Haben ſich die Fäden auf dieſe Weiſe von der vor der Schalenöffnung nach und nach angehäuften größeren Maſſe fein— körniger, farbloſer, kontraktiler Sub— ſtanz nach allen Richtungen ausge— ſtreckt, ſo hört das Wachſen der Fä— den in die Länge allmählich auf. Da— gegen werden jetzt die Veräſtelungen immer zahlreicher, es bilden ſich zwi— N ſchen den nahe bei einander liegenden 5 Dr eine Menge von Brücken, welche bei * N fortwährender Ortsveränderung alle N * mählich ein proteiſch veränderliches A PO Maſchenſyſtem darſtellen.“ Ich Schalte 8 — hier ein, daß, wenn das Tier bequem * 1 liegt und Zeit hat, es allmählich die 5 i ganze Außenfläche der Schale mit 0 einer dünnen, oft netzförmig durch— * brochenen Schicht der beweglichen | u Maſſe umkleidet. „Wo an der Peri⸗ UNS pherie des Sarkodenetzes, wie wir das W zarte Gewebe nennen wollen, ſich 199 mehrere Fäden begegnen, bilden ſich aus der ſtets nachfließenden Subſtanz oft breitere Platten aus, von denen M * wieder nach mehreren Richtungen neue ER 9 } Fäden ausgehen. Betrachtet man die oi Fäden genauer, ſo erkennt man in und 75 an denſelben ſtrömende Körnchen, Eiförmige Gromie (Gromia oviformis). 600mal vergrößert. welche, aus dem Inneren der Schale hervorfließend, längs der Fäden ziem— lich ſchnell nach der Peripherie vorrücken, am Ende der Fäden angekommen umkehren und wieder zurückeilen. Da gleichzeitig jedoch immer neue Kügelchenmaſſen nachſtrömen, ſo zeigt ſomit jeder Faden einen hin- und einen rücklaufenden Strom. In den breiten Fäden, die zahlreiche Kügelchen enthalten, laſſen ſich die beiden Ströme ſtets gleichzeitig erkennen, in den feineren jedoch, deren Durchmeſſer oft geringer als der der Kügelchen iſt, ſind dieſe ſeltener. Dieſelben erſcheinen hier auch nicht im Inneren des feinen hyalinen Fadens ein— gebettet, ſondern laufen auf der Oberfläche desſelben hin. Kommt ein ſolches Kügelchen auf ſeinem Wege an eine Teilungsſtelle des Fadens, ſo ſteht es oft eine Zeitlang ſtill, bis es den einen oder den anderen Weg einſchlägt. Bei brückenförmigen Verbindungen der Fäden fließen auch die Kügelchen von einem zum anderen über, und da begegnet es nicht ſelten, daß ein zentrifugaler Strom von einem zentripetalen erfaßt und zum Umkehren Lebenserſcheinungen an der eiförmigen Gromie. 685 gezwungen wird. Auch im Inneren eines breiteren Fadens beobachtet man zuweilen ein Stillſtehen, ein Schwanken und ſchließliches Umkehren einzelner Körperchen. „Die Fäden beſtehen aus einer äußerſt feinkörnigen Grundmaſſe. Ein Unterſchied von Haut und Inhalt exiſtiert an denſelben nicht. — Die regelmäßig auf- und abſteigende Bewegung der Kügelchen läßt ſich nur erklären als hervorgebracht durch das Hin- und Zurückſtrömen der aus dem Inneren der Schale ſtammenden, fließendem Wachs zu ver— gleichenden, homogenen kontraktilen Subſtanz, welche in der einen Hälfte jedes Fadens eine zentrifugale, in der anderen eine zentripetale Richtung verfolgt und natürlich die größeren Kügelchen, welche uns allein von der Gegenwart einer ſolchen Bewegung in Kenntnis ſetzen, mit ſich führt. „Stoßen die Fäden auf ihrem Wege an irgend einen zur Nahrung brauchbar erſchei— nenden Körper, eine Bacillarie (einzellige Kieſelalge), einen kürzeren Oszillatorienfaden, ſo legen ſie ſich an denſelben an und breiten ſich über ihm aus, indem ſie mit benach— barten zuſammenfließen. So bilden ſie eine mehr oder weniger vollſtändige Hülle um den— ſelben. In dieſer, wie in den Fäden, hört die Strömung der Kügelchen jetzt auf. Die Fäden krümmen und verkürzen ſich, fließen bei dieſen Bewegungen immer mehr zu einem dichten Netz oder zu breiteren Platten zuſammen, bis die beuteführende Maſſe der Schalen— öffnung nahe gekommen iſt und ſchließlich in dieſelbe zurückgezogen wird. Ganz ähnliche Erſcheinungen beobachtet man auch, wenn die Fäden aus irgend einem anderen Grunde ſich zurückziehen. Die regelmäßigen Körnchenſtröme ſtehen ſtill, die Fäden krümmen ſich, indem ſie von dem Glaſe, an dem ſie ſich feſtgeheftet hatten, loslaſſen, fließen häufiger als vorher zuſammen und gelangen endlich als unförmige, zerſetzter organiſcher Subſtanz ähnlich ſehende Maſſe zur Schalenöffnung, in welche ſie langſam aufgenommen werden.“ Dieſe Beſchreibung der veränderlichen, fließenden Fortſätze, welche, einem Wurzel— geflecht gleichend, der ganzen Klaſſe den Namen der Wurzelfüßer (Rhizopoda) ver— ſchafft haben, iſt in allen Zügen wahr. Wir entnehmen alſo daraus, daß bei ihnen eine und dieſelbe formloſe Subſtanz für die Bewegung, Ernährung und Empfindung ſorgt. Die von fremden Körpern berührten veränderlichen Fortſätze ziehen ſich zuſammen, ſie werden als Fühlfäden vorgeſtreckt. Das Maß der Empſindung, welche ſie vermitteln, kann man ſich allerdings nicht gering genug vorſtellen, indem mit der Vereinfachung der ganzen Organiſation ſich auch die Grenzen zwiſchen einer, wenn auch noch ſo ſchwachen Empfindung und einer bloßen Reizbarkeit vermiſchen. Im Inneren der Schale unſerer Gromie iſt auch nur kontraktile Maſſe enthalten. Es pflegen veränderliche Blaſenräume darin aufzutreten, und regelmäßig findet man im Hintergrunde der Schale einige kugelige Kerne, die wohl in näherer Beziehung zur Vermehrung ſtehen. Erſte Ordnung. Die Strahlinge (Radiolaria). Keine Rhizopodengruppe, ja keine Tiergruppe, mit Ausnahme etwa der Inſekten, iſt reicher an ſchönen Formen und mannigfaltigen Gebilden als die Strahlinge (Radio— laria), die ihrem Bau nach in gewiſſem Sinne die am höchſten ſtehenden Urtiere genannt werden müſſen. Ihr Körper beſteht aus zwei Hauptteilen: der Zentralkapſel und der Außen— maſſe. Erſter iſt der Kern des einzelligen Tieres und viel kleiner als die Außenmaſſe. Sie iſt von einer feinen Haut umhüllt, die meiſt ſchon ſehr früh in der Entwickelung 686 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; erſte Ordnung: Strahlinge. auftritt und ſich zeitlebens erhält, bei einigen indeſſen erſt unmittelbar vor der Fortpflanzung erſcheint. In der Zentralkapſel findet ſich zunächſt eine zweite dünnwandige Kapſel, die Binnenblaſe, der Kernkörper der Zelle, die aber auch durch mehrere ſolide Kerne ver— treten ſein kann. Weiter umhüllt die Zentralkapſel außer Protoplasma auch noch mit waſſerheller Feuchtigkeit gefüllte Hohlräume (Vakuolen), Oltröpfchen, Pigmentkörperchen, kriſtallähnliche, aber organiſche Gebilde (ſogenannte Kriſtalloide) und echte Kriſtalle. Letz— tere ſind freilich ſelten; ſie ſind himmelblau und beſtehen aus ſchwefelſaurem Strontian oder Cöleſtin, eine in der ganzen Tierwelt einzig daſtehende Thatſache. Dieſe Zentral— kapſel iſt in der That das Zentralorgan des ganzen Strahlinges und vermittelt, ſoweit wir wiſſen, abgeſehen von der auch vorkommenden Teilung, die Fortpflanzung, wenigſtens bei ſolchen Formen, die ſtatt der Binnenblaſe homogene Kernkörperchen haben. Dieſe wirken bei beginnender Fortpflanzung als Anziehungsherde auf das umgebende Proto— plasma, das ſich um ſie in Geſtalt ovaler Maſſen anſammelt, eine zarte Hülle und eine einzige lange Geißel erhält, bisweilen auch eines jener erwähnten Kriſtalloide, die über— haupt Reſervenahrſtoffe für die junge Brut zu ſein ſcheinen, einſchließt. Hat die junge Brut dieſe Beſchaffenheit erreicht, ſo ſprengt ſie die Zentralkapſel und ſchwärmt als Sporen, die nach und nach zu Radiolarien heranwachſen, aus. Die Kapſelhaut wird entweder von zahlreichen, ſehr feinen Poren oder von mehreren (meiſt drei) größeren oder einer großen Offnung durchſetzt. Durch dieſe Offnungen kom— muniziert der Inhalt der Zentralkapſel mit der umgebenden Außenmaſſe. Auch dieſe iſt durchaus nicht einfach gebaut, ſie zeigt vielmehr eine dreifache Schichtung. Zu innerſt, unmittelbar der Zentralkapſel auf und mit ihrem Inhalt, wie erwähnt, durch die Off— nungen derſelben im Zuſammenhang liegt eine körnerreiche, zähflüſſige Schicht, der Mutterboden (Sarcomatrix). Auf dieſe folgt eine zweite, weit mächtigere, waſſerreiche, eiweiß⸗ oder gallertartige, gleichmäßige oder durch zahlreiche Hohlräume (Alveolen) ſchau— mige, die Decke (Calymma), welche wohl nur ein Abſonderungsprodukt des übrigen äußerlichen Protoplasmas iſt. Auf dem Calymma liegt nun eine Schicht ſehr körnerreichen Protoplasmas, die, von großen Hohlräumen durchſetzt, ein Netzwerk bildet, das Fleiſch— ſtoffnetz (Sarcodictyum). Sarcomatrix und Sarcodietyum ſtehen miteinander durch zahlreiche ſehr feine Protoplasmafäden in Zuſammenhang, welche das Calymma durch— ſetzen. Vom Sarcodietyum entſpringen die langen, zarten Pſeudopodien, die häufig mit— einander verſchmelzen. Sehr häufig ſind dem Protoplasma pelagiſch lebender Radiolarien eigentümliche gelbe Körper, die man früher für integrierende Beſtandteile dieſer Tiere hielt und gelbe Zellen nannte. Es iſt das aber keineswegs der Fall, dieſe gelben Zellen ſind nichts als einzellige paraſitäre Algen (Zooxanthella). Es gibt einzeln lebende und Kolonien bildende Radiolarien, die reich an Alveolen ſind und mehrere Zentralkapſeln beſitzen. Skelettloſe Strahlinge ſind eine große Ausnahme. Das Skelett iſt faſt immer kieſelig, d. h. an einer geringen Menge organiſcher Grundſubſtanz iſt eine Übermaſſe von Kieſel⸗ ſäure gebunden, nur in ſeltenen Fällen beſteht es ausſchließlich aus einer eigentümlichen organiſchen Subſtanz, dem Akanthin (Stachel- oder Nadelſtoff). Über dieſe Skelettbildungen bemerkt Marſhall: „Bald ſind es einzelne loſe Nadelgebilde, welche ſich tangential an— ordnen, bald treten ſie zu höchſt zierlichen Gitterkugeln zuſammen, welche mit regelmäßigen Stacheln beſetzt ſind. Gelegentlich ſtecken mehrere ſolcher Kugeln konzentriſch ineinander und ſind durch Kieſelbrücken miteinander verbunden. Ein andermal wieder ſehen wir, wie im Zentrum des ganzen Geſchöpfes lange radiäre Strahlen immer in der Zahl 20 zuſammenſtoßen, die Zentralkapſel und das ganze Außenprotoplasma durchbrechen und ſich auf deſſen Außenſeite durch ein mehr oder weniger regelmäßiges Kieſelflechtwerk verbinden. * r 8 ® * 3 « j Pa | E R * 2 . 5 i ) 4 85 > N N 1 8 N f * U 0 „ = 0 f 0 * a — - - N f 9 H R . 1 * — 1 1: f 4 . j 8 . N ö “ N u = 1 7 - J u * * 3 er 14 * 98 7 1 7 9 1 7 * . f 5 D - h D a i 8 1 9 5 1 „ u 1 3 N N r x 4 j 82 . N an 1 Bau. Fortpflanzung. Einteilung und Verbreitung. 687 Oder aber dieſe Bildungen nehmen allerlei phantaſtiſche Geſtalten an, erſcheinen als Helme, Körbchen, Laternen, Diſtelblüten, Reuſen, entwickeln ſich plattenartig größtenteils in einer Ebene als durchbrochene vier- oder dreiarmige Kreuze, Scheiben, Schalen, Spangen, Sporen und in hunderterlei anderen Geſtalten, mit welchen wir nichts vergleichen können und die ganz eigenartig ſind. Aber alle dieſe Formen ſind elegant, oft ſelbſt von entzückender Schönheit, und Haeckels Radiolarienwerke ſollten in keiner Kunſtgewerkſchule fehlen, denn ſie enthalten einen großen, noch ganz ungehobenen Schatz reizender Motive, ſo zahlreich, mannigfach und wunderbar, wie ſie keine menſchliche Phantaſie erdenken kann.“ Die beigegebene Tafel „Radiolarien“ mag von dieſem Formenreichtum der Strahlinge eine ſchwache Vorſtellung geben. Wie zierlich iſt das Gitterwerk der Rhizosphaera lepto- mita (Fig. 1); Sphaerozoum Ovodimare (Fig. 2) hat zwar nur ein gering entwickeltes, aus Tangentialnadeln beſtehendes Skelett, iſt aber durch ſeine eigentümliche Geſtalt als Kugelneſt bemerkenswert. An chineſiſche Elfenbeinarbeiten erinnert Actinomma drymodes (Fig. 3) mit ſeinen drei ineinander ſteckenden Hohlkugeln. Als Modelle für Shawlnadeln könnten Lithomespilus flammabundus (Fig. 4) und Ommatocampe nereides (Fig. 5) dienen. An zierliche Glöckchen und Körbchen erinnern Carpocanium Diadema (Fig. 6), Clathrocyclas Ionis (Fig. 9) und Dictyophimus Tripus (Fig. 10). Eine echte Tiefſee— form iſt Challengeron Willemoesii (Fig. 7), und Heliosphaera inermis (Fig. 8) zeichnet ſich durch ihr überaus zierliches, regelmäßiges Gitterſkelett aus. Die Strahlinge teilt Haeckel in zwei Unterklaſſen und jede von dieſen in zwei Legionen: I. Unterklaſſe: Porulosa, s. Holotrypasta, Zentralkapſel rund, von zahlreichen Poren durchbohrt; 1. Legion: Spumellaria, Poren der Zentralkapſel unzählbar, allenthalben regellos verteilt, Skelett, wenn vorhanden, nicht in die Zentralkapſel dringend; 2. Legion: Acantharia, Poren der Zentralkapſel regelmäßig angeordnet und zählbar, Skelett innerhalb der Zentralkapſel ſtets aus Akanthin beſtehend. II. Unterklaſſe: Osculosa, s. Monotrypasta, Zentralkapſel nicht mehr rund, ſondern verlängert, an einem Pole (Mundpol) die Poren. 1. Legion: Nassellaria, Zentralkapſel einfach, Mundpol von mehreren Poren ſiebartig durchbrochen; 2. Legion: Phaeodaria, Zentralkapſel ſphäriſch mit doppelter Haut, am Mundpol eine Hauptöffnung mit zackigem Rande; in der Calymma findet ſich ein be— ſonders entwickelter Abſchnitt von Schalenform (Phaeodarium), der reich an grünem oder bräunlichem Pigment iſt und das Mundpolende der Kapſel umfaßt. Die Strahlinge bewohnen ausſchließlich das Meer. Sie ſind ſehr artenreich, und Haeckel hat 4318 Arten davon beſchrieben, die ſich auf 739 Gattungen verteilen. Sie verteilen ſich im Meere in drei von oben nach unten folgende Regionen. In der pelagiſchen Region oder Oberflächenregion leben eigenartige Formen meiſt in grö— ßeren Mengen, aber immer ziemlich weit von den Küſten entfernt. In warmen Breiten iſt ihre Artenzahl größer, aber ihre Individuenzahl geringer als in kälteren. Auf die Oberflächenregion folgt die zonariale, die ihrerſeits wieder in eine Anzahl Unterregionen oder Schichten zerfällt, deren jede ihre eignen charakteriſtiſchen Formen beherbergt. Die meiſten Radiolarien gehören indeſſen der bathybiſchen Region, der Tiefſee, an. Von hier, aus Tiefen von 3600 — 7400 m, und zwar aus dem zentralen Teil des Stillen Ozeans, ſtammt über die Hälfte der von Haeckel beſchriebenen Arten. Die Osculosa gehören mehr der Tiefſee, die Porulosa mehr der Oberfläche an. Die Kieſelſkelette der Radiolarien fehlen zwar in keiner Meeresablagerung völlig, aber in denen der Tiefſee treten ſie in überwiegender Menge auf. So beſtehen die Ab— lagerungen auf dem Boden des Stillen Ozeans zwiſchen 3000 und 8000 m zu 80 Prozent, ja ſtellenweiſe ganz aus den Schalen abgeſtorbener Radiolarien, und dieſe Ablagerung hat hiernach den Namen des Radiolarienſchlicks erhalten. 688 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; zweite Ordnung: Sonnentierchen. Zweite Ordnung. Die Sonnentierchen (Heliozoa). Seit Ausgang des vorigen Jahrhunderts ſind kleine Inwohner des ſüßen Waſſers bekannt, die man Sonnentierchen, gelegentlich wohl auch Süßwaſſerradiolarien nennt. Der erſtere Name rührt von der äußeren Erſcheinung dieſer Weſen her: ſie präſentieren ſich unter dem Vergrößerungs— glas (im ſogenannten optiſchen Durch— ſchnitt) als kleine runde Scheiben, von denen eine Anzahl langer, dünner Strah— len rings herum ausſtrahlt, genau ſo wie naive Künſtler die Sonne darzuftellen pfle— gen. Unterſucht man dieſe kleinen Geſchöpfe näher, jo findet man, daß fie aus Proto- plasma beſtehen, das durchaus nicht von gleichmäßiger Beſchaffenheit iſt, es zerfällt vielmehr auch hier in ein Ento- und ein Ektoſark oder in eine Markſubſtanz und eine Rindenſchicht. Die erſtere liegt manch— mal genau zentral, in der Regel aber er: zentriſch in der letzteren, iſt homogen und ziemlich flüſſig und umſchließt einen oder mehrere Kerne. Die Rindenſchicht iſt we— niger ſtark lichtbrechend, zähflüſſiger, bei manchen ſchaumig und beherbergt eine oder mehrere pulſierende Vakuolen ſowie Nah— rungsballen, Fetttröpfchen, Körnchen von Stärkemehl, grüne Körperchen und kleine, ſtark lichtbrechende Körnchen (aus oxalſau— rem Kalk beſtehende Ausſcheidungsprodukte) in verſchiedener Menge und Größe. Von dieſem Körper der kleinen Sonne gehen nun nach allen Seiten Strahlen, Pſeudo— podien, aus, die dünn und lang, oft vier: , mal ſo lang wie der Durchmeſſer der Kör— Ein Gittertierchen (Clathrulina elegans). 350 mal vergrößert perſcheibe ſind. Dieſelben ſind von einer gewiſſen Starrheit, die darauf zurückzu— führen iſt, daß ſie von einem, in der Markſubſtanz ſeinen Urſprung nehmenden hyalinen Achſenfaden geſtützt werden, auf dem eine körnchenreiche Protoplasmahülle ſich hin und her verſchiebt. Dieſe Pſeudopodien, die in manchen Fällen am freien Ende ein feines Knöpf— chen tragen können, vereinigen ſich nie zu Netzbildungen, es ſind Axopodien. Über die von dieſen Axopodien ausgehenden Bewegungserſcheinungen der Sonnentierchen berichtet Eugene Penard: „Man kann dieſelben dahin zuſammenfaſſen, daß das Tier einige ſeiner Fäden von ſich ſtreckt, welche momentan ihre Starre verlieren, dann erſtarren und den Körper nach ſich ziehen, indem ſie ihn ein wenig von oben nach unten wenden; andere Allgemeines. Gittertierchen. 689 Fäden erſetzen die erſten und ziehen ihrerſeits, ſo daß im Laufe des Phänomens das Tier wie ein Ball auf der Tafel rollt und dies zuweilen ſo ſchnell, daß es wie eine Spinne zu laufen ſcheint. Es finden ſich in dieſer Hinſicht große Verſchiedenheiten von Art zu Art, und während Ciliophrys ſicher amöboid iſt, und Actinophrys ſich nur ſehr langſam fort: _ bewegt, können die Akanthocyſten (ſ. untenſtehende Abbildung) in der Minute einen Weg durchlaufen, welcher das Zwölffache ihres Durchmeſſers beträgt. Bei Actodiscus Saltani habe ich die Bewegungen am lebhafteſten geſehen; dieſes kleine Weſen tanzt zur Rechten und zur Linken, vorwärts und zurück mit einer außerordentlichen Beweglichkeit, und um ihm zu folgen, muß man beſtändig die Stellung des Mikroſkops verändern. „Man glaubt gewöhnlich, daß die Pſeudopodien eine ſehr aktive Rolle bei der Er— greifung der Beute ſpielten; indeſſen kann man ſagen, daß dieſe Rolle nur eine ſekundäre | | \ | | 72 | / Acanthocystis turfacea. Stark vergrößert. iſt. Sobald ein kleiner Organismus mit den Pſeudopodien verklebt ift, ziehen ſich die letzteren in Wirklichkeit zuſammen und nähern jo die Beute dem Körper; indes nähert ſich die Beute meiſt von ſelbſt dem Ektoſark, und dieſes ſendet dann eine amöboide Ver— längerung aus, öfters in Form eines Kegels, welche nach und nach die Beute umgibt und in das Innere des Körpers einzieht.“ Skelettbildungen ſind bei Heliozoen ſehr allgemein verbreitet. Im einfachſten Falle beſtehen dieſelben aus einer dicken Schleimſchicht, die ſich auf ihrer Oberfläche durch Fremd— körperchen, Quarzkörnchen ꝛc. zu einer Art von Panzer verſtärken kann (Lithocolla). Häufig ſind dieſe Skelettelemente kieſeliger Natur und liegen radiär oder tangential und ſind bisweilen im erſteren Falle am freien Ende gegabelt. In anderen Fällen ſtellt das Skelett, ähnlich wie bei Radiolarien, eine von großen runden Offnungen durchbrochene Kapſel dar, wie beim Gittertierchen (Clathrulina elegans, ſ. Abbild. S. 688). Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 4 690 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; dritte Ordnung: Kammerlinge. Dieſes iſt außerdem eine mit einem aus verhärtetem Plasma, wie es ſcheint, beſtehenden Stiel feſtgewachſene Form, während die meiſten freilebend ſind, wie das bekannteſte und am weiteſten verbreitete Strahlenkugeltierchen (Actinosphaerium Eichhorni). Manche Arten bilden gelegentlich Kolonien. So trägt das Gittertierchen einen oder mehrere Artgenoſſen auf ſeiner Schale angeſiedelt, und vom Sonnentierchen (Actino— phrys sol) können eine anſehnliche Zahl von Individuen (1020) ſich vereinigen und gewiſſermaßen zu einer Maſſe verſchmelzen. Zur Fortpflanzung dürfte eine derartige Ver— einigung in keiner Beziehung ſtehen, denn in der Regel trennen ſich die vereinigt geweſenen Sonnentierchen wieder, ohne, weder an ihrem Kerne, noch ſonſt an ihrem Leibe, die geringſte Veränderung zu zeigen. Vereinigung zweier Individuen, namentlich eines größeren kern— haltigen mit einem kleineren kernloſen, ſind ſehr häufig. Das größere frißt gewiſſermaßen das kleinere, das aber bei dieſem Akte nicht zu Grunde geht, denn ſein Protoplasma, das in allen Stücken dem des größeren gleicht, wird dieſem lebendig einverleibt und bleibt mit ihm lebendig. Die Heliozoen pflanzen ſich durch Teilung fort. Dabei zerfällt ein Individuum ent— weder, nach vorhergegangener Teilung des Kerns, in zwei Teile (Teilung im eigentlichen Sinne des Wortes), oder es löſen ſich kleinere Stückchen ab (Knoſpung). Von Clathru— lina kennt man eine zweifache Art der Fortpflanzung. Im erſten Falle teilt ſich der Weichkörper innerhalb der Gitterkugel in zwei Hälften. Die eine bleibt im Beſitz des Gehäuſes, die andere drängt ſich durch eine der Maſchen heraus und verwandelt ſich nach Verlauf etwa einer Stunde durch Ausſcheidung von Schale und Stiel aus dem nackten Zuſtande in den der vollkommenen Clathrulina. Gerade bei dieſer Art der Vermehrung mag es häufig vorkommen, daß die auswandernde Hälfte ſich auf der Mutterhälfte feſtſetzt. Im anderen Falle gibt der Weichkörper das Material zu einer größeren Anzahl, 810, von Teilſprößlingen, die ſich innerhalb der Gitterkugel je mit einer harten Hülle umgeben, dann aus dieſer ausſchlüpfen und die Gitterkugel verlaſſen. Sie ſind nun mit Wimperorganen verſehen, doch dauert das Schwärmſtadium nicht lange. Im Herbſt ziehen die Heliozoen ihre Pſeudopodien ein, umgeben ſich mit einer Gallert— kapſel, und ihr Inhalt zerfällt dann in eine Anzahl Teilſtücke, welche je einen Kern enthalten und auch eine zarte Hülle beſitzen. Im Frühjahr wird die Kapſel geſprengt und die junge Brut ſchwärmt aus. Die Sonnentierchen bewohnen ſüßes oder brackiges Waſſer und ziehen klares dem trüben und unreinen vor. Am ſicherſten findet man ſie in Tümpeln der Laubwaldungen, deren Boden mit alten Blättern bedeckt iſt, oder in Lachen der Torfgruben. Auf Kalk— boden ſind ſie ſelten. Sie freſſen, was ihnen Genießbares vorkommt und was ſie be— wältigen können, von den Diatomeen bis zum Rädertiere. Dritte Ordnung. Die Kammerlinge (Foraminifera). An die weiter oben beſchriebenen Gromien als die einkammerigen, d. h. mit einem einfachen Gehäuſe verſehenen Wurzelfüßer Monothalamia, reihen ſich die äußerſt zahl— reichen vielkammerigen, die Polythalamia. Ihr Gehäuſe, meiſtens aus Kalk, bei einigen Sippen auch aus Kieſel beſtehend, ſetzt ſich aus mehreren oder zahlreichen Kammern zu— ſammen, die meiſt auch äußerlich angedeutet ſind. Aus der verſchiedenen Art der An— ordnung und Verbindung geht die äußerſt verſchiedene Form der Schale hervor. Bei Strahlenkugel- und Sonnentierchen. — Bau und Größe der Foraminiferen. 691 einigen Familien liegen die Kammern in gerader Linie hintereinander, bei anderen bilden ſie ein unregelmäßiges Konglomerat, bei den meiſten gleichen ſie zierlichen Schneckenhäuſern. So ſehen wir z. B. die foſſile Guttulina communis mit nur wenigen ſich vergrößern— den Kammern einen Umgang bilden. Eine Offnung zum Austritt der Fortſätze iſt nur an der letzten Kammer ſichtbar; im Inneren find jedoch die Kammern durch ähnliche Öff: nungen verbunden. Sehr zierliche Formen ergeben ſich durch ſpiralige Anordnung nach Art der Nautiliten und Ammoniten, wie ſolches beiſpielsweiſe die ebenfalls foſſile Dendritina zeigt. Auch dieſe Sippe gehört zu der Abteilung mit einer Offnung in der letzten Kammer. Zahlreich ſind aber ſolche, wo die Wände aller Kammern von feinen Löchern durchbohrt ſind, aus denen die veränder— lichen Fortſätze durchtreten und von welcher Eigenſchaft der ganzen Abteilung auch der Name Foraminiferen (von foramen, Offnung, Loch) gegeben iſt. Löſt man die Kalkſchale vorſichtig in verdünnter Säure auf, ſo gelingt es mitunter, den Weichkörper im Zuſammen— hange zu erhalten. Mein Kollege F. E. Schulze in Graz (jetzt in Berlin) hat mich mit einem ausgezeichneten Präparat von Polystomella striatopunctata beſchenkt, welches nach der Zeichnung (vergleiche die nachſtehende Abbildung) des Pro— feſſor Götte uns vorliegt. Das Protoplasma füllt alle Kam— mern aus, und Fortſätze und feine Fäden (Stolonen) erſtrecken Es fih von Kammer zu Kammer. In einer Kammer iſt auch ein r S u bl deutlicher Kern (a) enthalten. In anderen Fällen wurden mehrere Kerne beobachtet. Das Ganze iſt nicht als eine einem Polypenſtock vergleichbare Kolonie, ſondern als ein Organismus, eine Perſon anzuſehen. In der Größe wechſeln dieſe Geſchöpfe von !/ıo mm Durchmeſſer bis zu dem eines Fünfmarkſtückes. Dieſe größeren Formen gehören jedoch alle nur einer vorweltlichen Familie, den Nummuliten, an. Doch gibt es auch in der Gegenwart noch Arten von 30 mm Durchmeſſer. Wenn von dieſen Polythalamien gegen 2000 Arten beſchrieben ſind, foſſile und lebende, ſo wird man künftig dieſe Zahl bedeutend reduzieren kön— nen und müſſen, indem ſich ſchon jetzt herausgeſtellt hat, daß viele der vermeintlichen ſelbſtändigen Arten und Schalenformen ſich in Reihen ordnen mit ganz allmählichen Übergängen. 4 Me Hierzu kommt noch, daß manche Arten, be: A Br ſonders die mit vielen Kammern auf verſchiedenen 3 Sr N f Altersſtufen ein verſchiedenes Ausſehen haben — e mel been nicht nur, daß die Kammer in dem Maße, wie ſie ſich anlegen, größer werden, weithin die jüngſte immer die größte iſt, es treten auch noch anderweitige Komplikationen auf, wie uns die Abbild. S. 692, Fig. 3, zeigt. Dieſelbe ſtellt 44* a Guttulina communis. a), b), e) von verſchiedenen Seiten. Vergrößert. A —— 692 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; dritte Ordnung: Kammerlinge. einen radiären Durchſchnitt durch Orbitolites complanata dar und iſt eine Abhandlung des ausgezeichneten engliſchen Foraminiferenkenners William Carpenter entnommen. Von den (in der Figur) aufeinander folgenden Zonen find die 5 erſten (m m! m? m? mt), die auf die um die Zentralkammer (p) gelegene Ringkammer (ce c) folgen, gleich gebaut und gehören genau zu dem Typus der Architektur der Kammern, den Orbitolites marginalis überhaupt aufweiſt: ſie haben nur je eine einzige Kommunikationsöffnung mit den benach— barten Kammern links und rechts (a) und vorn (r). Dann folgen drei Zonen (dd d'), in denen jede Kammer zwar auch nur je eine Kommunikationsöffnung nach rechts und links, aber zwei zum Durchtritt der Stolonen nach vorn hat. Der Bau dieſer Kammern iſt charak— teriſtiſch und bleibend für Orbitolites duplex. In den Kammern der beiden nächſten Zonen 035 u 7 10 75599777 S Kr KARO RUN e e 7. itte Ze eee „„ een GT Manier nee uv a ma m! m ö N I Na ’ ——— 15 5 Orbitolites complanata, I) von oben, 2) im Querſchnitt; natürl. Größe. 3) Linke Hälfte eines Querſchnittes; vergrößert. (e und ei) find aber auch die ſeitlichen Kommunikationsöffnungen (ac ac!) verdoppelt, aber der mittlere Teil (n) der Kammern hängt noch mit dem oberen (s) und unteren (Ss!) frei zuſammen: auf dieſem Standpunkte blieb die Orbitolites complanata des Tertiärs von Paris zeitlebens, aber bei der modernen (f f! fe fs) ſehen wir, daß der Raum n gegen s und su durch vorſpringende Böden, bis auf je eine kleine Offnung zum Durchtritt eines Stolo, abgeſchloſſen iſt. In den letzten Umgängen endlich wölbt ſich der Raum n jo weit vor, daß er mit s und s! alterniert zu liegen kommt. Das iſt die Architektur der mehr peri- pheriſch gelegener Kammern der Schale bei der modernen Orbitolites complanata. Orbi- tolites marginalis, duplex und complanata bilden mithin eine Reihe, und es läßt ſich nicht entſcheiden, ob man es gegebenen Falls mit einer ausgewachſenen marginalis oder einer jungen complanata zu thun hat. Über Fundorte und Vorkommen der lebenden Mono: und Polythalamien (ſ. Abbild. S. 693) jagt Max Schultze: „Die erſtaunungswürdige Menge von Rhizopodenſchalen im Meeresſande mancher Küſten hat ſchon viele Bewunderer gefunden. Janus Plancius zählte im Jahre 1739 mit Hilfe ſchwacher Vergrößerungen 6000 in einer Unze Sand von Rimini am Adriatiſchen Meere, und d'Orbigny gab die Zahl derſelben in der gleichen Menge Antillenſand auf 3,840,000 an. Von einem an kleineren Schalen äußerſt reichen Sande von Orbitolites. Polystomella. 693 Molo di Geata ſchied ich mittels eines feinen Siebes alle über eine Zehntellinie großen Körnchen ab. Das Zurückgebliebene beſtand, wie die mikroſkopiſche Unterſuchung zeigte, Polystomella strigillata. 200 mal vergrößert. etwa zur einen Hälfte aus wohlerhaltenen Rhizopodenſchalen, zur anderen aus Bruchſtücken mineraliſcher und organiſcher Subſtanzen, ein Verhältnis, wie es auch nach d'Orbignys Angaben kaum irgendwo günſtiger gefunden wird. In einem Zentigramm dieſes feinen 694 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; dritte Ordnung: Kammerlinge. Sandes zählte ich 500 Rhizopodenſchalen, das ſind auf die Unze, zu 30 Gramm gerechnet, 1,500,000. Die Zahl d'Orbignys iſt demnach als weit übertrieben zu beſeitigen. „Hat man den Reichtum des Küſtenſandes an Polythalamienſchalen erkannt, ſo liegt es nahe, unfern der Küſte auf dem Grunde des Meeres nach lebenden Exemplaren zu ſuchen. Bei Ancona, wo im Hafen, wie längs der nördlichen flachen Küſte ein ſtellenweiſe an ſolchen Schalen ſehr reicher Sand den Meeresboden bedeckt, habe ich bis zu 20 Fuß tief an vielen Stellen kleinere Mengen desſelben geſammelt und in Gläſern längere Zeit aufbewahrt; jedoch nie erhob ſich aus dem Bodenſatze ein lebendes Tier an der Glas— wand kriechend, und die Unterſuchung des Sandes zeigte, daß nur wenige der zahlreich vorhandenen Schalen noch Reſte einer organiſchen Erfüllung enthielten. Als ich jedoch auf einer mit Algen bedeckten kleinen Felſeninſel ſüdlich vom Hafen nur wenige Fuß unter der Oberfläche des Waſſers, ja ſelbſt an Stellen, die zur Zeit der Ebbe faſt trocken lagen, mit einem feinen Netze ſchabend fiſchte, dann durch Schlämmen des erhaltenen Gemiſches von tieriſchen und pflanzlichen Teilen das leichter Suſpendierbare entfernte und den übrigen Sand im Glaſe ruhig ſtehen ließ, ſah ich ſchon nach einigen Stunden zahlreiche Rhizopoden an den Glaswänden in die Höhe kriechen, und die Unterſuchung des Bodens zeigte faſt ſämtliche Polythalamien mit organiſcher Erfüllung und lebend. Ahnliche Erfahrungen machte ich auch bei Venedig. Die Unterſuchung des Lidoſandes führte mir, auch wenn derſelbe in einiger Entfernung von der Küſte geſammelt war, nie ein lebendes Exemplar in die Hände, während der mit Algen durchwachſene Lagunenſchlamm, nachdem er von den leicht zerſetzbaren organiſchen Reſten gereinigt war, mir zahlreiche lebende Rotalien, Milioliden und Gromien lieferte. Die Rhizopoden des Meeres ſcheinen demnach zu ihrem Aufenthalte am liebſten ſolche Stellen zu wählen, wo ihnen durch eine reiche Vegetation Schutz vor dem Andrange der Wellen, und ihren zarten Bewegungs— organen eine ſichere Stütze zum Anheften geboten iſt. Hier finden ſie zugleich an den, den größeren und kleineren Seepflanzen ſtets anhaftenden Diatomen und Infuſorien eine reichliche Nahrung.“ Der Lieblingsaufenthalt ſehr vieler Polythalamien ſind Schwämme aller Art, wo ihnen Schutz und Nahrungszufuhr in noch höherem Maße gewährt ſind. Ehrenberg hat ſchon vor mehreren Jahrzehnten viele Hunderte von Schlammproben unterſucht, die ihm von allen Meeren geſammelt worden waren, unter anderen auch aus den Tiefen von 10— 12,000 Fuß, die bei den Lotungen zur Kabellegung erreicht wurden. Faſt regelmäßig bilden die Polythalamienſchalen davon einen bedeutenden Prozentſatz, was nach ihrem maſſenhaften Vorkommen an ſeichten Uferſtellen nicht befremden kann. Der Berliner große Naturforſcher fand häufig in ſolchen mit dem Lot emporgehobenen Schalen Reſte des weichen tieriſchen Körpers und glaubte daraus ſchließen zu dürfen, daß die Tiere wirklich „dort unten“ lebten und durch ihre maſſenhafte Vermehrung an Ort und Stelle zur allmählichen Ausgleichung der untermeeriſchen Thäler beitrügen. Die neueren ſorgfältigen Unterſuchungen über die Tiefen und die Beſchaffenheit des Tiefſeebodens haben die außerordentliche Beteiligung der Polythalamienſchalen an der Bil— dung des Tiefſeeſchlammes von den arktiſchen bis zu den antarktiſchen Zonen beſtätigt. Außer anderen Gattungen, die einen geringeren Prozentſatz liefern, kommen beſonders Globigerina und Orbulina in Betracht, die erſteren aus Kugeln von zunehmender Größe zuſammengeſetzt (j. Abbild. S. 695), letztere eine einzige regelmäßige Kugel bildend. Ihre Schalenreſte kommen über Tauſende von Quadratmeilen des Meeresgrundes in ſolchen Maſſen vor, daß ſie einen charakteriſtiſchen Hauptbeſtandteil des Bodenſatzes bilden, jo daß man ſchlechthin von „Globigerinengrund“ und „Globigerinenſchlick“ ſpricht. ı Mit „Schlick“ ſei das engliſche Wort „O0ze“ überſetzt, während „mud“ Schlamm, „elay“ Thon bedeutet. Aufenthalt der Polythalamien. Schlickbildungen durch Globigerina und Orbulina. 695 Die Naturforſcher der Challenger-Expedition haben dieſem außerordentlich wichtigen und intereſſanten Gegenſtand ihre beſondere Aufmerkſamkeit gewidmet, und ſo verdanken wir den Bemühungen beſonders der Herren Murray und Wyville Thomſon die Auf— ſchlüſſe, über die der letztere der Verſammlung der engliſchen Naturforſcher im Herbſt 1876 Mitteilung machte. Wir laſſen ihn etwas weiter ausholen; er berichtet: „Die mittlere Tiefe des Ozeans beträgt etwas über 2000, wahrſcheinlich gegen 2500 Faden. Ein großer Teil des Meeres iſt etwas weniger tief, und eine Tiefe von 2000 Faden ſcheint häufig zu ſein. Wo fie auf 2500 —3000 Faden ſich beläuft, hat man fi wohl unterſeeiſche Thalmulden zu denken, mit Ausnahme des nördlichen Teiles des paci— fiſchen Ozeans, wo ſich ungeheure Strecken Tiefwaſſers von oft über 3000 Faden befinden. Ein großer Teil des Nordens des Atlantiſchen Ozeans beſitzt eine Tiefe von etwa 2000 Faden; doch erſtreckt ſich ein mitt— lerer Rücken von Südgrönland an, zu welchem die verſchiedenen Inſelgruppen und Eilande bis zu Triſtan d'Acunha und wahr: ſcheinlich darüber hinaus gehören. Im Südatlantiſchen Ozean fällt dieſer Rücken, die ſogen. Dolphin— Bank (Dolphin Rise), zu Ehren des amerikaniſchen Schiffes, wel— ches ſie zuerſt vermaß, jederſeits zumeiſt über 3000 Faden ab, und dieſe Vertiefungen laufen deut— lich den Achſen von Südamerika und Afrika parallel. Nun iſt dieſer in allgemeinſten Umriſſen nach ſeiner Tiefe charakteriſierte Meeresboden mit gewiſſen Ab: Schale bon Globigerina Statt dergrößert. lagerungen bedeckt. Der geſamte Seeboden, ſoweit wir ihn haben kennen lernen, empfängt allmählich gewiſſe Anhäufungen und dieſe vergrößern ſich zu Bildungen, die als die Felsſchichten der Zukunft anzuſehen ſind. Die Geologie hat uns gelehrt, daß das geſamte trockene Land von heute, mit Aus— nahme gewiſſer vulkaniſcher Geſteine, aus geſchichteten, einſt am Boden des Meeres ab— geſetzten Lagern beſteht. Wir wiſſen, daß die Beſtandteile dieſer Schichten bis zu einem gewiſſen Maße von der allmählichen Zerſtörung des Landes herrühren, und wir betrachten den Ozean als den großen Bewahrer und Wiederherſteller des Materials, welches künftig Inſeln und Feſtlande bilden wird, wenn der Meeresboden ſich einſt einmal über den Meeresſpiegel erheben wird. Die geſamte Fläche des Seegrundes empfängt ſolche Ab— lagerungen, und es war eine der großen Aufgaben der Challenger-Fahrt, feſtzuſtellen, aus was jene Abſätze beſtehen, unter welchen Bedingungen ſie vor ſich gehen, und in welchem Verhältnis dieſe neueren Ablagerungen zu den alten ſtehen, welche die feſten Eindrücke bilden. Mit Rückſicht auf die angedeuteten allbekannten Erſcheinungen waren wir nicht erſtaunt, zu finden, daß die Landtrümmer ſich einige hundert (engl.) Meilen weit hinein in das Meer erſtreckten. Wir fanden alſo lehmartige Schichten und verſchiedene Ablagerungen, welche ſich nach dem Materiale, von welchem ſie herkamen, unterſchieden und die Überreſte von ſolchen Tieren enthielten, die an den Stellen leben, wo die Ablagerungen zu Boden geſunken waren. Kurz, wir fanden bis zu einer gewiſſen 596 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; dritte Ordnung: Kammerlinge. Entfernung vom Lande ſolche Ablagerungen, welche zum größten Teile aus jenem be— ſtimmten Küſtenmaterial beſtehen. „Schon vor vielen Jahren, noch vor der Sondierung behufs der Legung des atlan— tiſchen Kabels, hatte man in Erfahrung gebracht, daß ein großer Teil des Bodens des nördlichen Teiles des Atlantiſchen Meeres aus einer Ablagerung beſtände, die wir jetzt unter dem Namen des Globigerinenſchlickes kennen. Sie wird gebildet aus den Schalen kleiner Foraminiferen, vorzugsweiſe der einen Gattung Globigerina angehörig. Im trockenen Zuſtande hatte der Schlick ungefähr das Ausſehen eines feinen Sago, und die kleinen, ſich voneinander ablöſenden Schalen zeigten, daß die Ablagerung faſt aus— ſchließlich aus ihnen gebildet wurde. Wenn man durch eine beſondere Vorrichtung etwas tiefer liegende Bodenmaſſe herauf holte, fand es ſich, daß die Globigerinenſchalen zer— brochen und ſo aneinander gebacken waren, daß ſie einen faſt gleichförmigen Schlick bil— deten. Darin waren jedoch noch viele unverſehrte Schalen und erkennbare Schalenſtücke. Die ganze Maſſe beſtand faſt nur aus kohlenſaurem Kalk, und das einzige, möglicherweiſe daraus hervorgehende Geſtein könnte nur ein Kalk ſein. Man ſchloß alſo, daß über eine weite Strecke des nordatlantiſchen Gebietes und über viele andere Teile der Erdoberfläche ſolcher Kalkſtein abgelagert worden ſei. Andere Beobachtungen zeigten, daß die Kreide aus faſt demſelben Material zuſammengeſetzt ſei, und die Übereinſtimmung zwiſchen der noch jetzt fortdauernden Ablagerung und der Kreide erſchien unabweislich. Wir hatten während der Reiſe des, ‚Challenger‘ oft Gelegenheit, dieſe Kreide von heute herauf zu holen, und die uns immer beſchäftigende Frage war eine von denen, welche ſchon vor unſerer Abreiſe aufgeſtellt worden waren. „Wo leben dieſe Geſchöpfe? Leben ſie auf dem Seegrunde oder leben ſie an der Oberfläche, von wo nach ihrem Tode die Schalen auf den Boden fallen? Bis in die neuere Zeit hatte man nur einige wenige dieſer Weſen an der Oberfläche lebend gefunden, und der allgemeine Eindruck war, daß ſie am Grunde lebten, wo man ihre Schalen fand. Einer meiner Reiſebegleiter, Murray, wendete ſeine beſondere Aufmerkſamkeit der Be— ſchaffenheit des vom Meeresboden heraufgeholten Materiales zu, ſeiner Zuſammenſetzung und der Erforſchung der Quellen, von denen es herrührt. Er arbeitete ſowohl mit dem Schleppnetze als mit dem Sondierungsapparat und kam zu einem beſtimmten Schluſſe, einem Reſultat, in welchem wir vollſtändig mit ihm übereinſtimmen. Zieht man das Netz an der Oberfläche hin, und noch mehr, wenn man es einige Faden, ja ſogar bis auf 100 Faden ſinken läßt, ſo fängt man eine ungeheure Menge ſolcher lebender Fora— miniferen, welche den Globigerinenſchlick bilden. Die Globigerinen ſelbſt ſind in vielen Meeren äußerſt häufig, und ihr charakteriſtiſches Ausſehen iſt völlig verſchieden von dem der am Grunde liegenden Schalen, ſo daß nach meiner Anſicht nicht der geringſte Zweifel ſein kann, daß dieſe Foraminiferen in der Nähe der Oberfläche leben, und daß die ganze den Boden zuſammenſetzende Schalenmaſſe von oben ſtammt. Die Schalen, wie wir ſie am Grunde finden, ſind kleine, aneinander backende Kügelchen, mit rauher Oberfläche und mit mikroſkopiſchen Löchern durchbohrt. Ihre Höhlung enthält eine rötliche Maſſe, die man für den Überreſt des tieriſchen Leibes zu halten geneigt war. An der Oberfläche gefangen, hat die Globigerine zwar dieſelbe Form der Schale, letztere aber iſt nicht weiß und undurchſichtig, ſondern vollkommen farblos und durchſichtig. Jede Pore iſt von einem ſechsſeitigen kleinen Wall umgeben, auf deſſen Ecken je ein langer Stachel ſich erhebt, ſo daß die Schale nach allen Richtungen von Stacheln ſtarrt, die in dem Mittelpunkte jeder Kammer zuſammentreffen. Das Protoplasma, die lebende Subſtanz der Globi— gerinen, dringt aus den Offnungen heraus und läuft längs der Dornen bis zu deren Enden, wo es die ihm begegnenden Nahrungsteilchen in ſich aufnimmt. Die Globigerinen Unterſuchungen des Globigerinenſchlickes. 697 ſcheinen gerade ſo ſchwer als das Waſſer zu ſein, indem ihr Gewicht durch Oltröpfchen in ihrem Inneren ausgeglichen wird. Sie ſchwimmen in Myriaden an der Oberfläche, während die abſterbenden Individuen zu Boden ſinken. Weil man ſie alſo in ſo un— geheuern Mengen lebend in der Nähe des Waſſerſpiegels findet, während nie eine in dieſem Zuſtande am Boden angetroffen wird, kann wohl nicht daran gezweifelt werden, daß der Globigerinenſchlick lediglich eine Anhäufung toter Schalen der an der Oberfläche oder in mäßiger Tiefe lebenden Weſen iſt. Wenn ſich dies ſo verhält, ſollte man erwarten, daß die von ihnen herrührende Ablagerung ſich ſo weit erſtrecke, als ſie ſelbſt vorkommen. Sonderbar genug iſt dies nicht der Fall, und dies iſt eine der merkwürdigſten durch die Challenger⸗Expedition feſtgeſtellten Thatſachen. Gehen wir bis zu einer Tiefe von gegen 2000 Faden, ſo finden wir, daß die Schalen wie angefreſſen und gelblich ausſehen, ſie ſind nicht mehr ſo weiß und durchſcheinend wie von ſeichterem Grunde, und bei einer Tiefe von 2500 Faden und darüber findet man gar keine Schalen mehr, ſondern der Boden beſteht aus einem gleichförmigen roten Thon, der keinen kohlenſauren Kalk enthält. Da nun ein ſehr großer Teil des Ozeans über 2000 Faden tief iſt, ſo iſt auch wahr— ſcheinlich der bei weitem größte Teil des Meeresgrundes mit dem roten Thon und nicht mit jenen Kalkbildungen bedeckt. Es entſteht nun die Frage, wie es möglich iſt, daß die Kalkablagerung bei einer gewiſſen Tiefe dem roten Thone Platz machte. Ohne Zweifel hat die Kalkablagerung nicht ſtattfinden können, indem der kohlenſaure Kalk der Globi— gerinenſchalen auf die eine oder andere noch nicht klare Weiſe aufgelöſt wurde. Dies findet beim Überſchreiten einer gewiſſen Tiefe ſtatt, und wir haben nun den roten Thon. Woher kommt nun aber der letztere? Der rote Thon beſteht aus kieſelſaurem Thon und Eiſen. Dieſe Körper finden ſich in dieſer eigentümlichen Zuſammenſetzung durchaus nicht in anerkennenswerter Menge in den Schalen.“ Doch wir geraten hier in chemiſche Unterſuchungen, welche uns zu weit von unſerem Thema abführen, und die wir um ſo weniger verfolgen wollen, als die Urſachen dieſer Erſcheinung noch lange nicht auf— gehellt ſind. Was die engliſchen Naturforſcher hinſichtlich der Beteiligung der Foraminiferen an der Schichtenbildung der Erde in großartigem Maßſtabe nachgewieſen, iſt eigentlich nur eine Beſtätigung und Erweiterung der ſchon oben erwähnten Entdeckungen unſeres Eh ren— berg. Schon er erkannte die große Übereinſtimmung vieler jetzt lebender Foraminiferen mit denjenigen, welche das Material zu den Kreideablagerungen geliefert und ſprach von „lebenden Kreidetierchen“. Das war in den dreißiger Jahren eigentlich ein Paradoxon, ein revolutionärer Gedanke, heute ſind wir durch die Entdeckung der lebenden Pentakri— niten und Glasſchwämme (S. 651) ganz befreundet mit ihm. Wir haben geſehen, wie der Löwenanteil an dieſem Verlängern der Kreidezeit bis in die Gegenwart hinein unſeren Polythalamien gebührt, welche zum Aufbau der Erdrinde mehr beigetragen haben, als alle übrigen Pflanzen und Tiere zuſammengenommen. Die mächtigen Kohlenlager, die Ko— rallenriffe und Atolle und die Knochenlager an der ſibiriſchen Küſte ſind bei dieſem Aus— ſpruche nicht vergeſſen. Denn nicht nur von den ſiluriſchen Kalken an bis zur Kreide haben ſie ſich an der Fabrikation des Materiales der Erdfeſte beteiligt. Ebenſo beträchtlich oder noch beträchtlicher „pflegt ihre Menge bei deutlicher Erhaltung in den eocänen (un— teren) Tertiärgeſteinen zu ſein, wobei man im Pariſer Becken einen Miliolitenkalk, in Weſtfrankreich einen Alveolinenkalk und endlich in einer langen und breiten längs beiden Seiten des Mittelmeeres bis in den Himalaya fortziehenden Zone den Nummulitenkalk nach Rhizopodengeſchlechtern unterſchieden hat, deren Schalenreite ſie großenteils oder, den letzten insbeſondere, mitunter ganz allein in einer Mächtigkeit von vielen hundert Fußen zuſammenſetzen.“ (Bronn.) 698 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; dritte u. vierte Drdnung: Kammerlinge u. Amöben. Wir ſahen oben, daß man unter den Schwämmen nach den Subſtanzen, aus denen ihr Skelett beſteht, drei Gruppen unterſcheiden kann: Kalk, Kieſel- und Hornſchwämme, und wir ſahen weiter, daß viele der letzteren ihre Fäden durch aufgenommene Fremdkörper verſtärken. Ahnlich iſt es auch mit den Schalen der Foraminiferen. Bei weitem die meiſten haben Kalkſchalen, die in größeren, an Kohlenſäure reichen, daher an Kalk armen Tiefen immer dünner und dünner und ſchließlich zu ſo zarten Häutchen werden, daß ſie beim Trocknen ſchrumpfen. Es gibt aber in der Tiefſee eine allerdings auch in ſeichterem Waſſer I) Hyperamnia ramosa; 2) u. 3) Astrorhiza limicola, 2) unverſehrtes, 3) geöffnetes Gehäuſe. Natürliche Größe. vertretene Gruppe, die den Sand-Hornſchwämmen entſpricht. Das ſind die Sandfora— miniferen, beſtehend aus drei Familien, den Aſtrorhiziden, den Lituoliden und einem Teil der Textulariiden. Bei dieſen iſt die Schale verſtärkt durch Fremdkörper oder ſie beſteht ganz aus ihnen. Die Geſtalt der Sandforaminiferen iſt ſehr mannigfach: es finden ſich Kugeln ohne Hauptöffnung, aber mit zahlreichen unregelmäßig verteilten Poren zum Durch— tritt der Scheinfüßchen, andere ſind ſack- oder flaſchenförmig mit endſtändiger Hauptöffnung, bei manchen erhebt ſich aus einer runden Anfangskammer eine einfache oder verzweigte Röhre mit offenen Enden, wieder andere ſtellen unregelmäßige Sterne dar, bei denen von einem verdickten oder unverdickten Mittelpunkt 3, 4, 5 Strahlen von ungleicher Länge mit offenen, freien Enden in unregelmäßiger Weiſe ausſtrahlen. Die Gattung Saga- nella bildet ein Netz mit einander anaſtomoſierender Röhren. Selten nur ſind die Sand— foraminiferen gekammert, ſo zeigt die Gattung Aschemonella äußerlich Spuren einer ſolchen und die weiten Röhren der Gattung Botellina ſind durch Sandquerböden in Kam— mern geteilt. Bei Sorosphaera find zwar eine Anzahl Hohlkugeln vereinigt, aber der Protoplasmainhalt der einzelnen ſteht nicht in Verbindung, ſo daß dieſe Gattung wohl Kolonien einkammeriger Foraminiferen bildet, aber nicht wirklich polythalam iſt. Die Gruppe der Sandforaminiferen enthält die rieſenhafteſten Mitglieder der ganzen Ordnung. Bathysiphonia filiformis aus 2600 m Tiefe iſt eine einzige 50 mm lange, am einen Ende ſich verjüngende, an beiden Enden aber offen ſtehende Röhrenkammer, die äußerlich Querſtreifen, gewiſſermaßen Anwachsſtreifen, aufweiſt. Syringamina fragilissima aus 1800 m Tiefe ſtellt einen Sandklumpen von 38 mm Durchmeſſer dar. Sandforaminiferen. — Kapjeltierden. 699 Die verſchiedenen Formen find entweder ganz frei, oder mit dem einen Ende oder aber mit einer ihrer Flachſeiten angewachſen. Manche bauen ſich Gehäuſe, denen wohl meiſt eine organiſche Maſſe, Hornſubſtanz, Chitin, wenn man will, zu Grunde liegt, aus feinem Sande, andere hauptſächlich aus Spongiennadeln. Dieſe Gehäuſe ſind von ſehr verſchiedener Konſiſtenz, einige ſteinhart zuſammengefrittet, andere ſind zerreiblich, die dritten, bei denen wie bei Saganella die Hornſubſtanz überwiegt, ſind biegſam. Bei gewiſſen Formen iſt das Protoplasma ganz von Fremdkörpern erfüllt, es durchſpinnt gewiſſermaßen den umgebenden Meeresboden. Die Abbildungen auf S. 698 mögen einen Begriff von dieſen Sandforaminiferen geben. Man hat wohl angenommen, daß verſchiedene Arten wirklich verſchiedenes Material zu der Verſtärkung ihres Skelettes verwenden und man hat ja nach der Art des Ma— terials auch die Arten unterſcheiden wollen. Das ſcheint doch ſehr gewagt. Es iſt viel wahrſcheinlicher, daß das Nächſtliegende benutzt wird: auf Globigerinenſchlick Bruchſtück von den Schalen anderer Foraminiferen, auf Korallenſand Korallenbröckchen, auf dem roten Thone Spongiennadeln und Radiolarien ꝛc. Die Syſtematik, der Wert der Gat— tungen und Arten, die uns H. B. Brady in ſeiner ſonſt vorzüglichen Bearbeitung des vom „Challenger“ mit heimgebrachten Materials an Sandforaminiferen gibt, ſcheinen ſtellenweiſe doch etwas problematiſch und dürfte doch wohl nur als einen Notbehelf bildend aufgefaßt werden. Die Quantität und Qualität der bei der Gehäuſebildung zur Verwendung ge— kommenen Fremdkörper geben keine genügenden Charaktere, um danach Arten aufzuſtellen, ſo wenig wie die allgemeine Geſtalt. Iſt der Begriff Art doch ſelbſt bei den kalkſchaligen Formen der Foraminiferen ein äußerſt ſchwankender und willkürlicher. Vierte Ordnung. Die Amöben (Lobosa). Die ſchon ſeit Mitte des vorigen Jahrhunderts (Röſel von Roſenhof) bekannten Amöben ſind teils beſchalt, teils nackt, und da jene die höher ſtehenden ſind, wollen wir unſere Betrachtung mit ihnen beginnen. Wer nicht Gelegenheit hat, ſich das wunderbare Spiel des Pſeudopodiennetzes einer Gromie (vol. S. 684) zeigen zu laſſen, findet leichter einen mit dem Mikroſkop vertrauten Freund, der ihm ein verwandtes Weſen des ſüßen Waſſers, das Kapſeltierchen (Ar- cella), zeigt. Im ausgebildeten Zuſtande iſt es von einer braunen, undurchſichtigen Schale umgeben, mit gewölbter Rückenſeite und einer eingedrückten, aber mit mittlerer kreisför— miger Mündung verſehenen Bauchſeite. Das Ganze gleicht einem zierlichen Döschen. Aus der Mündung tritt ein Teil des Weichkörpers in kurzen, veränderlichen Fortſätzen hervor. Dieſer Weichkörper hat den Wert einer Zelle, indem er immer einen Kern mit Kern— körperchen enthält, während das Gehäuſe der Zellhaut entſpricht. Junge Exemplare ſind durchſichtig, ſo daß man die beweglichen Protoplasmakörper gut beobachten kann. Man ſieht alsdann auch, daß das Gehäuſe erſt nach und nach aus einer gleichförmigen Grund— lage in den Zuſtand übergeht, wo es aus lauter einzelnen braunen Körnchen oder Facetten zu beſtehen ſcheint. Derſelbe Phyſiolog, den wir oben (S. 677) von gewiſſen Vorkommniſſen auf ein ſehr entwickeltes Seelenleben der Infuſorien ſchließen hörten, iſt auch geneigt, unſerem 700 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; vierte Ordnung: Amöben. Kapſelweſen ein Wollen und Handeln zu beſtimmten Zwecken zuzuſchreiben. Engelmann beobachtete, daß bei den in einem Waſſertropfen unter dem Mikroſkop befindlichen Ar— cellen Luftbläschen im Protoplasma zum Vorſchein kamen. Dadurch wurden die Arcellen an die Oberfläche des Waſſers gehoben. Andere ſenkten ſich, indem die Gasblaſen aus dem Gehäuſe ausgeſtoßen wurden. Wie geſagt, glaubt unſer Phyſiolog darin gewollte, zweckmäßige Vorgänge erblicken zu dürfen, woraus auf ſeeliſche Eigenſchaften des Proto— plasmas zu ſchließen ſei. Auch hier ſind wir anderer Meinung. Gegen die Thatſache, daß unter gewiſſen Umſtänden im Körper der Arcellen und ähnlicher Lebeweſen ſich Gas— blaſen bilden und zwar ſo, daß beſtimmte Lagen des Körpers damit erreicht werden, iſt nichts zu jagen. Aber ſchon der von Engelmann nicht überſehene Umſtand, daß nicht nur in der Zwangslage unter dem Mikroſkop dieſer Vorgang ſtattfindet, ſondern auch im Freien, hätte eine weniger phantaſtiſche Erklärung veranlaſſen müſſen. Wir haben an die Thätigkeit der kontraktilen Blaſen der Infuſorien anzuknüpfen, deren Abhängig: keit vom Sauerſtoff nachgewieſen iſt. Auch die Gasblaſen der Arcellen ſind ſicher von rein che— miſchen Prozeſſen abhängig. An bewußte oder unbewußte Seelenregungen dürfen wir dabei nicht denken. Bei anderen Formen, wie z. B. bei der Eu— glypha alveolata iſt die Schale ſackförmig, ihr freier Rand erſcheint gezackt und ihre Oberfläche von ovalen Täfelchen, deren Ränder ſich gegen— ſeitig überſchneiden, zierlich und regelmäßig be— deckt. Die Protoplasmafortſätze, welche bei dieſer f 2 Form aus der Schalenöffnung treten, find nicht Junge Urcelle (Arcella vulgaris). a) Stück der 5 . 8 Schale. 600 mal vergrößert wie bei Arcella kurz, lappig und einfach, ſon— dern ziemlich lang, zart und meiſt am Ende ge— gabelt. Gruber, der ſich um die Unterſuchung der Amöben beſonders verdient gemacht hat, hat auch die ſehr merkwürdigen Teilungsvorgänge von Euglypha alveolata und die Vorgänge bei Bildung ihrer Schale beobachtet. Bei kräftigen Individuen dieſer Amöbe ſieht man in der hinteren Hälfte des Proto— plasmaleibes in der Nähe des Kerns eigentümliche, ſtark lichtbrechende konvex-konkave Kör— perchen von ovaler Geſtalt liegen. Ein ſolches Individuum iſt bereit zur Teilung. Dieſelbe beginnt damit, daß anſtatt der feinen Pſeudopodien eine derbe, abgerundete Protoplasma— maſſe aus der Schalenöffnung heraustritt. Sobald das geſchehen iſt, ſetzen ſich auch jene uhr— glasförmigen Plättchen nach vorn in Bewegung, dringen nach außen und legen ſich auf die Oberſeite des vorher ausgetretenen Protoplasmalappens und zwar derart, daß ſich je eins zwiſchen die Zacken der Schalenöffnung einfügen. So kommt eine erſte Plättchenreihe zu ſtande, in der die Plättchen ſich mit ihren ſeitlichen Rändern dachziegelartig überſchneiden. Immer mehr ſolcher Gebilde treten heraus und innerhalb einer oder anderthalb Stunden find alle in der urſprünglichen Euglypha vorhanden geweſenen (etwa 80) wie die Schuppen eines Tannenzapfens auf der Oberfläche der immer ſtärker austretenden Proto— plasmamaſſe angeordnet. Jetzt dehnt ſich dieſe aus und die Plättchen bilden in regelmäßig alternierenden Reihen eine zweite Schale, welche mit den Zacken des Randes ihrer Offnung in die der Schale des urſprünglichen Individuums eingreift. Jetzt teilt ſich auch der Kern der Mutter-Euglyphe und wandert in das Protoplasma der Tochter-Euglyphe hinüber. Dann lockert ſich die Verbindung zwiſchen Mutter und Kind, die erſtere entſendet zwiſchen den vereinigten Rändern Pſeudopodien nach außen und endlich erfolgt eine völlige Trennung. Seelenleben; Teilung, an Euglypha beobachtet. Wechſeltierchen. 701 Wir lernten unter Foraminiferen Tiefſeeformen kennen, bei denen die Schale durch Fremdkörper allerlei Art verſtärkt wird, und ähnliche Formen gibt es auch unter den Amöben unſerer ſüßen Gewäſſer, wie z. B. die zahlreichen, meiſt häufigen Arten der Gattung Dif- flugia. Bütſchli, einer der hervorragendſten Kenner der Urlebeweſen, iſt der Anſicht, „daß das zum Schalenbau verwertete Fremdmaterial in die protoplasmatiſche Leibesmaſſe der Difflugien ſelbſt aufgenommen und nachträglich auf der Oberfläche zur Bildung der Schale angelagert wurde“. Von den Arcellen zu den nackten Amöben oder Wechſeltierchen iſt nur ein Schritt, obſchon derſelbe uns über die gehäustragenden Wurzelfüßer hinausbringt. Durchmuſtert man mit ſtarker Ver⸗ größerung Schlamm aus ſtehenden Gewäſ— ſern oder den Satz aus Aufgüſſen verſchieden⸗ ſter Art, ſo wird das Auge oft durch kleine lebende Schleimklümp— chen gefeſſelt, die im ganzen dem Weichkör— per in der Arcelle glei⸗ chen, auch einen Kern wie dieſe beſitzen. Das Klümpchen läßt bald hier, bald da einen Fortſatz gleichſam aus: fließen, in welche ſich die übrige Körpermaſſe nachzieht und nach— gießt. So wankt und ſchwankt die flüſſige Maſſe bald nach der einen bald nach der anderen Richtung hin und nährt ſich von noch kleineren organiſchen Weſen, welche in das Innere aufgenommen und von dem Protoplasma verdaut werden. Durch Greeff und Gruber haben wir erfahren, daß eine beträchtliche Zahl von nackten Amöbenformen exiſtieren, und daß dieſelben „nicht etwa bloß vorübergehende Zuſtände einer einzigen vielgeſtaltigen Art darſtellen, ſondern daß es eine Menge getrennter und genau zu definierender Arten gibt, die nicht ineinander übergehen.“ (Gruber.) Namentlich unterſcheiden ſich dieſelben durch die Beſchaffenheit der Kerne. „Wenn wir“, fährt Gruber fort, „eine ſo große Menge von Variationen allein bei der Gattung Amoeba nachweiſen können, ſo zeigt uns dies wieder, daß das Protoplasma ein Material iſt, das ſich in unendlich viele Formen umprägen läßt, und wenn hier die kleinſten oft kaum nachweisbaren Nüancierungen in der Konſtitution derſelben ſchon hin— reichen, um eine neue Art zu begründen, ſo werden wir uns nicht mehr über die Viel— ſeitigkeit der Anpaſſungen bei den zum Staate vereinigten Zellen der Metazoen wundern.“ Grubers Unterſuchungen ergaben weiter, daß im Körper der Amöben keine verſchie— dene Plasmaarten zonenartig übereinander gelagert ſeien: „Der Amöbenkörper beſteht immer Wechſeltierchen (Amoeba). 600 mal vergrößert. a) und b) zeigen dasſelbe Tier in veränderter Geſtalt. 702 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; vierte Ordnung: Amöben. aus einer einheitlichen Plasmamaſſe, in welcher die verſchiedenen Inhaltskörper, Körnchen, Vakuolen, Kerne, Kriſtalle (auch dieſe kommen vor), Nahrungsteile ſuſpendiert liegen; iſt das Plasma dünnflüſſig, ſo ſprudeln dieſe Beſtandteile, Kern und Vakuolen inbegriffen, in dem ganzen Körper bis zur Peripherie umher, iſt das Plasma dagegen zäherer Konſiſtenz, ſo miſchen ſich dieſelben nicht ſo leicht und ſtürzen nicht ſo raſch oder gar nicht in die Fort— ſätze und Pſeudopodien hinein. Dadurch wird der Eindruck hervorgerufen, als gäbe es ein hyalines Ekto- und ein körniges Entoplasma.“ Manche Arten aus der Familie der Amöben ſind von einer verhältnismäßig nicht unbedeutenden Größe, wie z. B. Pelomyxa villosa, die einen Durchmeſſer von 2 mm und mehr erreicht. Auch Amöben verſuchte Gruber durch künſtliche Teilung zu vermehren, und von all— gemeinſter Bedeutung iſt, was er von ſeinen an Amoeba proteus, der am längſten Amoeba proteus. Stark vergrößert. bekannten Art, gemachten Experimenten mitteilt: „Amoeba proteus hat nur einen, ziemlich großen Kern und läßt ſich aus dieſem Grunde nicht ſchwer in eine kernhaltige und eine kernloſe Hälfte zerlegen. Gelingt der Schnitt und iſoliert man die beiden Stücke, ſo ſieht man, daß das eines davon ungeſtört fortfährt, ſeine Pſeudopodien zu treiben und einzu— ziehen, kurz daß es in ſeinem Habitus keine Veränderung erfahren hat, bei dem anderen Stücke dagegen verſchwinden die Pſeudopodien und mit der Zeit ſtirbt das Stück ab.“ Und dieſes Stück war die kernloſe Hälfte der Amöbe. „Hier führt alſo“, fährt Gruber fort, „die Entfernung des Kerns ſofort auch eine Alterierung der Bewegungsfähigkeit herbei, was bei den Infuſorien und überhaupt bei den meiſten Protozoen nicht der Fall ſein wird. Was aber bei allen Protiſten (niederſte einzellige Lebeweſen, Tiere wie Pflanzen) und bei jeder Zelle überhaupt durch den Mangel des Kerns herbeigeführt wird, das iſt die Unfähigkeit, verloren gegangene Teile zu erſetzen, Neubildungen zu erzeugen. Auf rein empiriſchem Wege werden wir hier vor die unumſtößliche Thatſache geſtellt, daß der Kern der wich— tigſte, daß er der die Art erhaltende Beſtandteil der Zelle iſt, und daß man ihm mit Recht Verſuche künſtlicher Teilung, Verbreitung der Amöben. Schleimpilze. 703 die höchſte Bedeutung bei den Vorgängen der Befruchtung und der Vererbung zuſchreibt, wie dies von zahlreichen Forſchern in neueſter Zeit gethan worden iſt.“ Die Amöben ſind kosmopolitiſch verbreitet und vielleicht ſind es ſogar die einzelnen Arten. Es kommen wenigſtens in Deutſchland und in Nordamerika dieſelben vor. Die meiſten Arten bewohnen das ſüße Waſſer, doch ſind ihrer auch aus dem Meere bekannt, ja, es gibt ſogar Formen, welche das Land bewohnen, und noch dazu an ganz trockenen Stellen: „unter dünnen Moos-, Flechten: und ſonſtigen Pflanzenreſten, die an Felſen, Mauern, Bäumen und Hausdächern ꝛc., alſo an Ortlichkeiten wachſen, die der Waſſerentziehung, reſp. Austrocknung durch Sonne und Luft in beſonderem Maße ausgeſetzt und dieſen auch thatſächlich unterworfen ſind. Wochen können vergehen, ohne daß ihnen auf einem an— Orangerotes Urſchleimweſen (Protomyxa aurantiaca). 140 mal vergrößert. deren Wege als durch die Luft Feuchtigkeit zugeführt wird. Und doch iſt ihre Lebens— thätigkeit, wenigſtens ſoweit hierüber die Beobachtung Einſicht gewährt, nicht unterbrochen. Eine Encyſtierung als Schutzvorrichtung gegen Austrocknung habe ich bei meinen häu— figen und vielſeitigen Unterſuchungen der Erdamöben niemals beobachtet, jo daß ich das Vorkommen einer ſolchen glaube ausſchließen zu dürfen.“ (Greeff.) Schon jene echten Wurzelfüßer, von denen oben die Rede geweſen, werden, wie einſt die Schwämme, von einer Anzahl bedeutender Naturforſcher unſerer Tage nicht mehr für echte Tiere gehalten. Die Reizbarkeit der Sarkode genügt ihnen nicht, um dieſen Weſen eine wenn auch noch ſo winzige Seele zuzuſchreiben, durch deren Thätigkeit die Rhizopoden ſich über die mechaniſche Reizbarkeit der Mimoſen erhöben. Wäre es uns geſtattet, die Lebens⸗ und Entwickelungsgeſchichte der Organismengruppe der Schleimpilze (Myxo— myce tes) vorzuführen, deren wenigſtens vorwiegend pflanzliche Natur bisher wenig an— gefochten wurde ſo würden wir dabei Protoplasmazuſtänden begegnen, in denen ſich alle jene Erſcheinungen der veränderlichen Fortſätze der Wurzelfüßer wiederholen. Zu ſolchen Weſen von verblaſſenden Kennzeichen und zweifelhaftem Charakter führt ſowohl das folgerichtige Nachdenken über die Thatſachen, aus welchen ſich die die heutige 704 Urtiere. Zweite Klaſſe: Wurzelfüßer; vierte Ordnung: Amöben. Zoologie und Botanik beherrſchende Abſtammungslehre erhoben hat, als auch die von Mei— nungen völlig unabhängige direkte Beobachtung. In allen, den Radiolarien und Polythala— mien ſich anſchließenden Wurzelfüßern kommt ein Organismus, das iſt ein aus verſchie— denen Teilen oder Organen zuſammengeſetzter Körper, wenn auch noch ſo einfach, dadurch zu ſtande, daß in der Sarkodemaſſe Bläschen und beſondere Kerne enthalten ſind. Es muß aber, ſo paradox es klingt, Organismen ohne Organe gegeben haben, und es gibt deren auch in Menge. Für dieſe „Organismen ohne Organe, welche in vollkommen aus— gebildetem Zuſtande einen frei beweglichen, nackten, vollkommen ſtrukturloſen und homo— genen Sarkodekörper bilden“, hat ihr Monographiſt Haeckel den Namen der Moneren vorgeſchlagen. Trotz ihrer Einfachheit gehen ſie doch im Ausſehen, Art der Veräſtelung der Scheinfüßchen, in der Entwickelung und Lebensweiſe ſo auseinander, daß nicht weniger als ſieben Sippen, freilich faſt alle mit nur einer Art, unterſchieden werden konnten. Wir haben eine beliebige herausgenommen, das orangerote Urſchleimweſen (Protomyxa aurantiaca, ſ. Abbild. S. 703), von Haeckel an der Küſte der kanariſchen Inſel Lanza— rote entdeckt, ein einfachſter formloſer Protoplasmakörper, welcher veräſtelte und mitein— ander verſchmelzende Scheinfüßchen treibt. Wir würden uns mit Recht den Vorwurf, die Grenzen des „Tierlebens“ zu über— ſchreiten, zuziehen, wollten wir näher auf die Lebenserſcheinungen dieſer Weſen eingehen. Aber bis zu ihnen hin mußten wir uns durch die Labyrinthe der niederen Tierwelt durch— arbeiten. In dem Bilde der Protomyxa aurantiaca ſtrahlt uns ein Symbol entgegen, eine, wenn auch mikroſkopiſche Sonne, welche den Pfad durch den Entwickelungsgang der geſamten organiſchen Welt erleuchtet, ein Symbol der größten Einfachheit zugleich und der Möglichkeit der allſeitigſten Ausbildung und Vervollkommnung. A. Abyina 16. Acalephae 567. Acanthocephali 148. Acanthocercus 88. Acanthozone tricarinata 66. Acephala 421. Acera bullata 304. Achatina 331. 334. — immaculata 334. — lubrica 334. — mauritiana 334. — perdix 334. Achatſchnecken 334. Achtfüßer 262. Acikuliden 370. Aeineten 680. Ackerſchnecke 336. Ackerſchnecken 336. Acme 370. Actinia Cari 581. — effoeta 582. — equina 581. — mesembryanthemum 549. Actinometra 533. Actinophrys 689. — sol 690. Actinosphaerium Eichhorni 690. Actodiscus Saltani 689. Acyclus inquietus 100. Adamsia palliata 581. 582. Adania gigantea 64. Aega spongiophila 656. Afterkrebſe 38. Aiptasia mutabilis 581. Alciopiden 136. Alcippe 68. Alcyonaria 598. Alcyonium 598. Allantonema mirabile 155. Amalia mariginata 337. Amarucium densum 244, Ammokoniden 641. Ammolynthus prototypus 641. Ameaba proteus 702, Amöben 699, — nackte 700. Amphicora 130. Amphidetus cordatus 525. Amphikteniden 136. Amphinomiden 136. Amphipeplea 344. — glutinosa 344. Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. Sach⸗-Regiſter. Amphipoda 22. 62. Amphistomum subclavatum 199. Ampullaria 370. Anceus 61. Ancilla 380. Ancillen 380. Ancula 312. — cristata 312. Ancylus 345. — lacustris 345. Andania gigantea 63. Anemonia sulcata 581. Anguillula aceti 152. | — tritiel 157. Ankerſchwämme 650. Annelides 109. Anodonta 461. 476, — cellensis 477. | — eygnea 477. Anomalocera Patersonii 76. Anomia ephippium 439. Anomura 21. 38. Anopla 201. Anoplodium 208. Antedon rosaceus 533. Anthea cereus 549, Anthozoa 572. Antipathaceen 589. Antipathes 589. Aolididen 314. Aeolis alba 316. — Drummondii 316. — papillosa 315. — punctata 315. Aphrocallistes Boragei 656. Aphrodite 118. Aphroditea 118. Apiokriniten 532. Aplysia depilans 309. Apoda 509. Aporrhais 398. E, pes pelicani 398. Appendikularien 247. Apus productus 81. Arbacia 519. Arcella 699. | Arenia 122. | Arenicola 133. | — piscatorum 121. Argiope 230. Argonauta Argo 272. 274. Argulus foliaceus 78. Arion 336. Anelasma squalicola 69. 71. Arion empiricorum 336, — hortensis 325. — tenellus 325. Armadillo 5. 58. Armfüßer 219. 227. Artemia Oudenyi 20. — salina 19. Artemisia salina 82. Ascaltis botryoides 633. Ascaris lumbricoides 161. Ascetta clathrus 633. Aschemonella 698. Ascidia intestinalis 240. — microcosmus 243 Ascidiae 241. Ascopera gigantea 244. Asellidae 59. Asellus aquaticus 59. Asiphoniata 426. Aspergillum 490. Aspidogaster conchicola 192. Aspidosiphon 107. Aſſeln 22. 58. Astacidae 46. Astacus angulosus 48. — fluviatilis 46. — — nobilis 47. — — torrentium 47. — leptodactylus 48. — pachypus 48. Asterias 499. — arenicola 528. — glacialis 499. — tenuispina 538. ' Asteridae 527. Asteronyx Loveni 528. Asti,enosoma hystrix 515. 520. — ureus 515. Astraea 597. — pallida 597. Astraeaceae 590. Astroides calycularis 590. Astropecten aurantiacus 537. Aſtrorhiziden 698. Atlanta 354. - Keraudrenii 355. — Peronii 355. Atlanten 354. Atolls 619. Atractonema gibbosum 155. Atya 25. Aulacostomum gulo 143. Aurelia aurita 567. Auricula 340. 706 Auricula coniformis 340. — Judae 340. — minima 340. — myosotis 340. — nitens 340. — scarabus 340. Aurikulaceen 339. Auronekten 553. Ausſchnittſchnecke 403. Auſter 426. — gemeine 426. Autolytus 134. Aviculidae 443. Axinella polypoides 644. — verrucosa 587. Axius stirhynchus 14. B. Badeſchwämme 635. Balanidae 19. 69. Balanoglossus clavigerus 109. Balantidium coli 670. Balantium 300. Balanus balanoides 69. Balate (Trepang) 503. Bandmuskler 250. Bandwurm, breiter 184. Bandwürmer 175. Bandzüngler 362. 392. Bärenkrebs 46. Bathygorgia profunda 605. Bathynomus giganteus 11. Bathysiphonia filiformis 698. Bauchfüßer 291. Bauchhärlinge 104. Bäumchenſchnecke, gemeine 314. Baumkoralle, äſtige 594. Baumſchnecke 332. Becherquallen 571. Becherſchnecke, abgeſtutzte 307. Bernſteinſchnecke 334. Bero& 546. — Forskälii 546. Biche de mer (Trepang) 503. Binnenatmer 108. Bipalium kewense 214. Birgus latro 43. Birnenſchnecke 389. Blaſenträger, zweireihiger 550. Blattaktinien 585. Blattfüßer 82. Blattkrebſe 45. Blauſchnecke 376. Blumenpolypen 572. Blumentierchen 97. 103. Blumentiere 573. Blutegel 138. — deutſcher 142. — mediziniſcher 142. — offizineller 142. — ungariſcher 142. Bogenkrabben 30. Bohraſſel 21. Bohrmuſchel 480. Bohrſchwamm 644. Bolina hydatina 546. Boltenia fusiformis 243. Bonellia 104. 105. Bopyridae 61 Börſentierchen 670. Borſtenwürmer 109. 110. Sach-Regiſter Botellina 698 Bothriocephalidae 184. Bothriocephalus latus 184. Botryllus albicans 245. Bouquet (Palämon) 54. Bourguetticrinus 532. Brachiella 79. Branchiopoda 81. 219. 227. Branchipus 82. Brachyura 21. Brisinga endecacnemos 528. Briſingiden 528. Bryozoa 219. Buceinum undatum 380, Bulimus 333. — acutus 333. — derelictus 326. — gallina sultana 323. — montanus 333. Bullaceen 304. ‚ Bursaria 670. Butterkrebs 8. Bythotrephes 88. | C. Calanidae 75. Calanus finmarchicus 74. Calappa granulata 33. Calcispongiae 631. Caligus 79. 189. Callianassa 14. Callidina parasitica 101. Calmaro (Kalmar) 279. Calveria 520. Calycozoa 571. Jalyptraea 370. Cambarus 48. | — Diogenes 48. — pellucidus 13. Candona 14. Capitella 116. Capitellidae 116. Caprella 66. Caprellidae 13, Capulidae 370. Capulus hungaricus 370. Carchesium 636. Careinus 30. — maenas 8. Cardiaceen 490. Cardium 490. — echinatum 492. — edule 493. — rusticum 492. Carididae 51. Carinaria 356. Carychium 340. Caryophyllaeus 187. Cassiopea 569. Cassis 397. — cornuta 397. Caulastraea furcata 579. Celicoque (Palämon) 54. Cephalophora 291. Cephalopoda 255. Cereactis aurantiaca 581. Cerianthus membranaceus 582. Cerithium 574. — truncatum 375. Cerkarien 194. Cestodes 175. Cestus 546. — veneris 547. Chaetogaster 115. Chaetognathae 150. Chaetopoda 110, Chätopteren 123. Chaetopteridae 123. Chaetopterus 123. Chelura terebrans 21. 65. ı Chevreulius 241. Chilodon 670. Chiloſtomen 224. Chiton 411. — marginatus 413, | Chitonidae 411. Choanoflagellata 681. Choriſtiden 651. Uhrysaora ocellata 567. Chrysogorgonidae 605. Ciliata 664. Ciliati 219. Ciliophrys 689. Cirrinatium concrescens 245. Cirripedia 22. 67. Cladactis Costae 582. Cladocera 86. — caespitosa 597. Cladonema 555. Clathria morisca 644. Clathrulina 690. — elegans 689. Clausilia 335. — parvula 325. — ventricosa 335. Clavagella 490. Clavella 10. Clavellina lepadiformis 244. Cleodora 296. Clepsine 144. Clepsinidae 144. Clio 298. — borealis 298. Clioideen 298. Clymenien 122. Ulypeaster 523. Clypeastridae 523. Cnidaria 548. Cochlea maxima illyrica 331. Cochlorine hamata 71. Cochlosolenia 411. Coelenterata 543. Coenobita 39. Coenospongiae 635. Colpoda cuculanus 671. Comatula 533. - mediterranea 533. — phalangium 536. — rosacea 533. Conochilus 103. Conoidea 390. Conus cedonulli 390. — marmoratus 390. Convoluta paradoxa 206. — roscoffiensis 206. Copepoda 22. 73. Corallium rubrum 605. Cordylophora lacustris 561. Corephium aculeatum 412. Coronula balaenaris 70. Corymorpha nutans 557. Costifera 544. Crambactis 585. Crangon 52. Crania 234. Cremidophora 411. Creseis 296. Crevette 52. Crinoilea 530. Criodrilus lacuum 115. Cristatella 222. Crustacea 5. Cryptophialus 68. Ctenobranchiata 362. Ctenodrilus 116. Otenophora 544. Cucullanus elegans 163. Cucumaria doliolum 501. — Hyndmanni 501. Culceolus 243. Cumacea 57. Cyamus 67. Cyanea capillata 568. Cyclas 478. — cornea 478. — rivicola 478. Cyclatella annelidicola 189. Cyclomyarier 250. Cyclopidae 75. Cyclops 77. Cyclostoma 369. —- elegans 369. Cyclostomidae 369. Cyenus 10. Cydippe 545. Cydippen 546. Cykloſtomen 226. Cylichna 307. — truncata 307. Cymbium 378. — aethivpicum 378. Cymbuliaceen 297. Cymothoidae 60. Cypraea 390. 392. — moneta 394. — tigris 393. Cypris 14. 16. — ovum 81. Cystechinus vesica 520. Cysticercus 179. Cystisoma Neptuni 66. D. Dactylocotyle pollachii 192. Daphnia 88. Daphniden 86. Darmtrichinen 166. Dasybranchus caducus 116. Decapoda 24. 274. Delphinula 402. Dendritina 691. Dendrocoela 210. Dendronotus 314. — arborescens 314, Dendrophyllia 594. — ramea 589. 594. Dentalium vulgare 414. Dero 116. Desmacidinen 644. Desmacidon 643 Desmomyarier 250. Diadema balaenaris 70. Dibranchiata 261. Dichelestina 79. Sach-Regiſter. Dicyema 216. Dicyemennea 216. Dicyemiden 216. ı Didemnum cereum 244, Diffugia 701. Diktyoninen 651. \ Dimyaria 426. 461. Dinoflagellatae 682. Diphyicola 20. Diplozoon paradoxum 189. Diporpa 190. Discina 234. Disciniden 235. Discomedusae 567. Distomeae 188, Distomum conjunctum 198. — hepaticum 195. — lanceolatum 197. — macrostomum 195. — Rathouisi 197. — spathulatum 197. Dochmius duodenalis 162. Dodecas elongata 66 Dolabella 309. — Rumphii 309. Dolium 396. — galea 396. Donax 478. Doppeltier 189. Dorididen 311. Dorippe lanata 35. Doris 311. — muricata 312. — pilosa 311. — Proxima 312. — tuberculata 312. Dorylaimus 151. Drehwurm 182. Dreieckkrabben 32. Dreimund 188. Dreyssena 455. — polymorpha 455. Drilophaga bucephalus 100. Dromia vulgaris 34. E. Echinaster 499. Echini 513. Echinococcus 183. SEchinodermen 498. Echinoidea 513. Echinorhynchus 148. Echinus acutus 526. — elegans 526. — Flemmingii 520. — saxatilis 516. Echiurus Pallasii 107. Eckmund, Okenſcher 402. Edelkoralle 605. Edelkrebs 47. Egel 137. Einmuskler 426. Einſiedlerkrebſe 38. Eiſchnecke 395. Elaphocaris 55. Elaſipoden 508 Eledone 262. Elefantenzähnchen 414. Eleutheria 555 Dünndarm-Paliſſadenwurm 162. | | | | | | | Fächerkoralle, veränderliche 595. 0 Eloactis Mazelei 581. Elysia 317. — splendida 319. — viridis 318. Emarginula 403. — fissura 403. — retieulata 403. Engmaul 209. — einäugiges 209. Enopla 200. Enoploteuthis 282. Enoplus 150. Entenmuſchel 477. Entenmuſcheln 68. Enteropneusta 108. Entocolax 405. — Ludovigü 411. Entoconcha 405. — mirabilis 407. Entomostraca 25. Entoniscidae 61. Ephyren 571. Epibdella 188. Epistylis 666. Epizoanthus 588. Erbſenmuſchel 479. Erdplanarien 214. Errantia 117. Esperiopsis Challengeri 644. Eſſigälchen 152. Ethusa granulata 35. Ethuſe, geförnelte 35. Eucharis 545. — multicornis 546 Eucopepoda 74. Euglypha alveolata 700. Eulima 405. Euplectella aspergillum 654. Euriciden 136. Euryale verrucosa 530. Eustrongylus 163. . . Fabia chilensis 29. Fächerzüngler 399. Fadenſchnecke 315. — breitwarzige 315. L weiße 316. Fadenwürmer 150. Farrea Haeckelii 652. Faßſchnecken 396. Feilenmuſchel 440. Feuerleiber 246. Ficus Ficula 389. Filaria medinensis 161 Filzwürmer 118. Fiſchaſſeln 60. Fiſchlaus 79. Fiſchreuſe 381. — gegitterte 381. Fissurella 403. — graeca 403. — reticulata 403 Flabellum variabile 595. | Flagellata 681. Flaſchenholothurien 507. 07 Fleiſchfreſſer (Ringelwürmer) 132. Flohkrebs 13. Flohkrebſe 22. 62. Floscularia 103. 45 * 708 Floſſenfüßer 295. Flügelſchnecken 398. Flußkrebs, gemeiner 46. Flußperlenmuſchel 463. Flustra foliacea 224. Foraminiera 690. Foraminiferen 691. Froſchkrabbe 38. Fungia 594. Fungulus 243. Füßchenholothurien 503. Fusus 388. — antiquus 388. — norvegicus 389. — Turtoni 389. 6. Galathea 14. 42. — spongicola 656. — squamifera 43. — strigosa 43. Galatheen 43. Galeere, portugieſiſche 552. Gammaracanthus loricatus 19. 24. Gammaridae 63. Gammarus pulex 62. Garnate 52. Garneelaſſeln 61. Garneelen 51. Gartenſchnirkelſchnecke 332. Gastrochaena 489. — modiolina 489. Gaſtrochänaceen 489. Gastropoda 291. Gastrotricha 104. Gebia.stirhynchus 14. Gebirgs-Vielfraßſchnecke 333. Gecareinus 27. Gehirnkorallen 597. Geißelgarneelen 16. Geißelinfuſorien 681. Gelasimus 27. Gemeinſchwämme 635. Gephyrea 104. Gephyrei 104. Geodesmus bilineatus 213. Gecdia 650. — gigas 650. Geonemertes 201. Geoplana 213. — rufiventris 214 — subterranea 214. Geſpenſtkrebschen 66. Gießkannenſchwamm 654, Gittertierchen 689. Glasſchnecken 335. Glasſchwämme 651. Glattwürmer 109. 137. Gleichfüßer 22. Globigerina 694. Glockentierchen 665. — nickendes 666. Glomeris 5. Glycera 121. 136. Glycerea 121. Gnatophausia zo&a 56. Goldgorgoniden 605. Goplana polonica 13. Gordiidae 169. Gordius aquaticus 169. Gorgonia verrucosa 605. Sach-Regiſter. Gorgonidae 603. Gorgoniden 603. Graffilla muricicolla 208. Granate 52. Grapsus 27. — varius 38. Griffelſchnecke 312. — weiße 312. Gromia oviformis 683. Gromie, eiförmige 683. Grubenköpfe 184. Guinea-Wurm 161. Gummiſchwämme 642. Guttulina communis 691. Gymnolaemata 224. Gynaecophorus haematobius 198. H. Haargarneele, ſchlankfüßige 55. Haarqualle 568. Haarſcheibe, haftende 656. Haarſtern 533. Haarſterne 530. Haeckelia rubra 545. Haementeria mexicana 145. Haemobaphes 79. Haemopis vorax 143. Hainſchnirkelſchnecke 332. Haken-Kalmars 282. Hakenwürmer 148. Halichondridae 635. Halichondrien 635. ‚ Halieryptus spinulosus 108. Haliotis 402. | | | | | | | | | | | | | — tubereulata 403. Halisarca 642. Hämatozoon 162. Hammermuſcheln 443. Haplosyllis spongicola 134. Harfe 380. Harpa 380. Harpactieus fulvus 74. Hectocotylus 284. Heliactis bellis 581. Heliastraea heliopora 597. Helicidae 328. Helicina 370. Helicosyrinx 401. Heliozoa 688. Helix 320. 328. — adspersa 323. 330. 331. — Alonensis 323. — arbustorum 332. — desertorum 325. — hierophysicula 325. — hortensis 332. — lactea 322. 323. — ligata 331. — Mazzullii 332. — naticoides 331. — nemoralis 332. — personata 333. — pisana 331. — pomatia 325. 328. — rupestris 325. — secernenda 331. — sicana 332. — vermiculata 331. 332. — virgata 333. Hemiaster 524. — Philippii 500. Heımella alveolata 124. Hermelliden 136. Hermione hystrix 118. Herpyllobius 80. Herzigel 524. Herzmuſchel 490. — dornige 492. — eßbare 493. Heſioniden 136. Heterodora Schachtii 158. Heteromyarier 443. 457. Heteronereis 131. Heteropoda 354. Heterotricha 667. Heuſchreckenkrebs, gemeiner 57. Heuſchreckenkrebſe 22. Hexactinellidae 651. Hexactinia 580. Hinterkiemer 301, Hirudinae 137. Hirudinea 138. Hirudo 138. — ceylonica 144. — granulosa 143. — medicinalis 142. — mysomelas 143. — officinalis 142, — troctina 143. Histiotheutis Rüppeli 259. Hohltiere 543. Holopus 531. Holothuria atra 503. — Bodotriae 507. — fusus 507. — impatiens 503. — regalis 501. — scabra 507. — tubulosa 501. -— vagabunda 503. Holothuroidea 501. Holotrypasta 687. Holzeinſiedler, geſtreckter 44. Homarus americanus 50. — vulgaris 49. Homola 38. — Cuvieri 38. Hormiphora plumosa 546. Hörnchenſchnecke 312. Hornkorallen 604. Hornſchwämme 635. Hülſenwurm 183. Hummer 49. Hunde-Spulwurm 161. Hüpferlinge 22. Hyalea 296. 300. — balantium 300. — gibbosa 296. — tridentata 296. Hyaleaceen 296. Hyalonema mirabile 586. Hyas coarctatus 15. Hydatina senta 99. Hydatinaea 99. Hydra grisea 561. — viridis 561. — vulgaris 561. Hydractinia echinata 558. Hydroforallien 559. Hydromedusae 554. Hydromeduſen 554. Hyperiidae 69. Hypobythius calycodes 244. Hypoconcha sabulosa 35. Hypotricha 664. J (i). Ichthydinae 104. Idothea entomon 19. — tricuspidata 6. Infusoria 660. Infuſorien 660. Isidigorgia Pourtalesii 605. Iſis 605. Isopoda 22. 58. J O. Janthina 376. Janthiniden 376. K. Käferſchnecken 411. Kahnfüßer 414. Kalkſchwämme 631. Kalmar 279. — gemeiner 279. Kammerlinge 690. Kammkiemer 362. Kammmuſchel 441. Kammſchnecke 365. Kappenwurm 163. Kapſeltierchen 699. Karpfenläuie 78. Katzen-Spulwurm 161. Kauri 394. Kegelſchnecken 390. Kehlfüßer 66. Kelch⸗Sternkoralle 590. Kelleraſſel 58. Keulenpolyp 561. Kiefenfuß 85. Kielfüßer 354. Kiemenfuß 82. Kiemenfüßer 23. 81. Kinkhorn 395. — gewelltes 380. Kladoceren 86. Klaffmuſchel 479. Klappmuſchel 442. Kleinmaul 209. Kleiſterälchen 152. Klettenholothurie 509. Kletterholothurie 501. Knollen-Kalkſchwämme 633. Königsholothurie 501. Kopffüßer 255. Kopfringler 116. Kopfträger 291. Korallen, riffbauende 609. Koralleninſeln 615. 618. Korallenriffe 615. Korallentiere 572. Korkpolypen 598. Krabben 27. Krabbenaſſeln 61. Kragengeißler 681. Kraken 260. Kranztierchen 97. Kratzer 148. Krebſe 5. Kreiſel, papuaniſcher 401. Kreiſelkorallen 595. Kreiſelſchnecken 401. Sach-Regiſter. Kreiskiemer 403. Kreismundſchnecke, zierliche 369. Kreismundſchnecken 369. Kreuzträgerin 202. Kriechqualle 555. Kriſtallfiſchchen 99. Kronenſchnecke 378. Kruſtentiere 5. Kuaſſa (Trepang) 506. Kugelaſſeln 60. Kugelſchnecke, gemeine 304 Kugeltierchen 103. Kumaceen 22 57. Küſtenhüpfer 64. 8 Lacuna divaricata 368. Laemadipoda 66. Lamellaria 375. — perspicua 375 — tentaculata 375. | Lamellariidae 375. Lamellibranchiata 419. Landaſſeln 58. Landblutegel 144. Landkrabben 27. Landplanarien 213. Langſchwänze 22. 44. Languſte, gemeine 44. Languſten 44. | Lanice conchilega 126. | Lanzettſchnecke, breitköpfige 319. Lapides cancrorum 20. Latreillia elegans 32. Lazarusklappe 442. Leander 16. Leberegel 195. E kleiner 197. Lederſchwämme 642, Leder-⸗Seeigel 520. Lepadidae 68. Lepas anserifera 69. Lepralie 221. Leptochiton benthus 413. Leptodera 151. — appendiculata 155. Leptodiscus meduorides 682. Leptodora hyalina 89. Leptopenus discus 5%. Leptoplana 212. Leptostraca 67. Lepus marinus 307. Lernaeidae 25 Lernaeoceridae 79. Lernaeonema monilaris 79. Lernaeonemidae 79. Lernanthropus 10. 79. Leucandra penicillata 633. Leuchtkrebſe 55. Leuchttierchen 682. Leucochloridium paradoxum 195. | Leucones 633. Ligula simplieissima 186. | Lima hians 440, Limacea 336. Limaceen 336. Limacina 298. | — arctica 298. Limax 320. g agrestis 336. — maximus 336. Limivora 132. Limnaea 341. — auricularis 342. — elongata 343. — minuta 343. — ovata 343. — palustris 343. — peregra 343. — silesiaca 343. — stagnalis 342. — vulgaris 343. Limnaeacea 341. Limnoria terebrans 21. imulus 4. Linckia multifora 538. Lingula 235. Linguliden 235. Liponema multiporum 585. Lippenzähnchen 670. Lissa 32. Lithiſtiden 651. Lithodendra 572. Lithodes 38. Lithodomus 453. L lithophagus 453. Lithothrya 69. Litiopa 374. Litoridina Gaudichaudii 360. Litorina 365. — obtusa 367. —betraea 366. Lituoliden 698. Loawurm 162. Lobosa 699. Lochkorallen 590. Lochwürmer 187. Löffeltier 227. Loligo 279. — sagittata 281. — todarus 281. — vulgaris 279. Loligopsis 281. — Veranyi 281. — vermicularis 282. | Lophospongiae 652. | Lorieata 44. Loxosoma 227. Lucernarien 571. Lucifer 55. Luciferinae 55. Luftröhrenwurm 164. Luidia 499 537. — ciliaris 538. | Lumbricidae 110. | Lumbrieulus 116. | Lumbrieus agricola 111. Lungenholothurien 506. Lungen-Napfſchnecke 345. Lungenſchnecken 320. Lysmata seticauda 53. Lyſſakinen 651. M. Mäandrinen 597. Macrocheira Kaempferi 21. Macrura 22. 44. Madrepora 594. Madreporen 594. Magilus 383. — antiquus 384. Maja squinado 33. 710 Malacobdella 204. Malacostraca 25. Malermuſchel 462. Malleacea 443. Mantelaktinie 581. 582. Mantelſchnecke 344. — ſchleimige 344. Manteltiere 239. Margaritana margaritifera 463 Sach-Regiſter. Muſchelfeile 71. Muſchelkrebschen 81. Muſchelkrebſe 23. Muſchellinge 219. Muſcheln 419. Muſcheltierchen 664. Muſchelwächter 29. Muskeltrichinen 167. Mütze, ungariſche 370. Marginella 378. (470. Mützenquallen 546. Marseniadae 375. Marſenien 375. Maskenſchnecke 333. Maueraſſel 58. Maulfüßer 56. Mblalolo 119. Meckelia 201. — somatotoma 201. Medinawurm 161. Meduſenſterne 530. Meernägel 384. Meerſpinne, große 33. Meerzähne 414. Megalotrocha 100. Megascolex 114. Melania 365. Meleagrina 443. Melia tesselata 42. Melicerta pilula 103. Menſchen-Grubenkopf 184. Mermis 169. Mermitidae 172. Mertensia 547. Mesostomum Ehrenbergii 207. — personatum 207. Meſſerſcheide 480, Metazoa 659. . Microdentopus grandimanus 64. Microplana eunnicola 213. Microstomum 209. Mießmuſchel, eßbare 449. Miesmuſcheln 449. Millepedes 21. Milleporiden 559. Mimie 4. Mitra 378. — episcopalis 379. — papalis 378. Mittelkrebſe 38. Modiola 453. — vestita 453. Moina rectirostris 88. Mollusca 255 Molluscoidea 219. Molukkenkrebſe 3. Monactinellidae 642. Moneren 704. Monocaulus imperator 557. Monocelis 209. Monolistra coeca 60. Monomyaria 426. Monostomum mutabile 198. Monothalamia 690. Monotrypasta 687. Monoxenia Darwinii 575. Moosſchraube 335. Moostierchen 219. Moſchuseledone 270. Murex 384. — brandaris 384 388. — erinaceus 388. — trunculus 384. 388. Mützenſchnecken 370. Mya 479. — arenaria 479. Myrianida 133. Mysis 19. 56. — occulta 19. Mytilacea 449. Mytilus edulis 449. Myxomycetes 703. Myzostoma gigas 137. Myzoſtomatiden 137. N. Nacktkiemer 311. — dorisartige 311. Naiden 115. Naidina 115. Nais proboscidea 115. Najaden 461. Najades 461. Napfſchnecke 403. | gemeine 405. | Nassa 381. | — reticulata 381. Nassellaria 687. ‚ Natica 371. Nauplius 15. | Nautilus 286. — pompilius 286. Navicella 400. Nebalia 67. | Nemathelminthes 146. Nematocarcinus 12. | — gracilipes 55. Nematodes 150. Nematoxys 147. Nemertes 201. Nemertini 94. 200. Nephelis vulgaris 139. 143. ‚ Nephrops 50. Nereidea 118. Nereiden 118. 136. Nereis fucata 132. | — incerta 119. Nerita 400. — fluviatilis 400. Neſſeltiere 548. Netzkiemer 368. Netzkoralle 220. Neurobranchia 368. Nica edulis 6. Niphargus 63. Noctiluca miliaris 682. Noteus 97. 98. Notodelphys 77. Notodromus monachus 14. Notommata 100. L myrmeleo 100. , Notopterophorus 8. 75. O. Octactinia 598. Octopus 262. | — carena 284 — vulgaris 262. | Ocypoda 29. Ohrſchnecke 342. Oktopoden 262. Oligochaeta 110. Oliva 379. 390. Olive 379. Olkrug, großer 401. Ollulanus tricuspis 163. | Ommatostrephes 281. Onchidium 338. Oniscidae 58. Onychoteuthis 282. — Lichtensteinii 282. | Onyre 384. ' Ophiactis virens 538. Ophidiaster 499. Ophioglypha 537. Ophiurae 529. Ophiuridae 529. ı Opistobranchia 301. Orbitolites complanata 692, E duplex 692. — marginalis 692. Orbulina 694. Orchestia cavimana 17. — litoralis 64. Orgelkorallen 608. Orthonektiden 215. Osculosa 687. Ostracoda 23. 81. Ostrèea 426. E edulis 426. T virginiana 438. Otion 68. Ovula 395. — oviformis 395. Oxypoda 12. Oxypode 27. ‚ Oxyuris 161. Pagode 401. Paguridae 38. Pagurus Bernhardus 40. ı — Prideauxiü 39. Palaemon antennarius 12. Palaemonetes varians 16 Palämoniden 53. Palinurus 44. — quadricornis 14. — vulgaris 44. . Paliſſadenwurm 163 Palmendieb 43. Palolo viridis 119. Palolowurm 119. Paludicella Ehrenbergii 219 Paludina 362. | — achatina 363. | — impura 364. | — vivipara 363. Paludinacea 362. Paludinaceen 362. Palythoa 586. | — fatua 586. Pandalus annulicornis 6. Pantoffeltierchen 673. Panzerkrebſe 25. 44. 56. 57. Papiernautilus 272. Paramaecium aurelia 673. Parapagurus abyssorum 42. Parasita 77. Parastacidae 48, Parthenopea subterranea 73. Patella 403. — pellucida 405. — vulgata 405. Pecten 441. — opercularis 442. Pectis antarctica 555. Pedipes 340. Peitſchenwurm 169. Pektiniden 555. Peku goreng (Trepang) 506. Pelagonemertes Rollestoni 204. Pelikansfuß 398. Pelodera 151. Pemolyxa villosa 702. Peltogaster 73. Penaeus 16. Penella 80. Pennatula 600. — phosphorea 601. Pennatuliden 598. Pentacheles spinosa 51. Pentacrinus caput Medusae 531. — Wyville Thomsoni 531. Periphragella Elisae 652. Periphylia mirabilis 569. Peritricha 665. Perlmuttermuſcheln 443. Perſpektivſchnecke 368. Pfeil⸗Kalmar 279. Pfeilwürmer 94. 150 Pfeilzüngler 390. Pferdeaktinie 581. Pferdeſchwämme 635. Pfriemenſchwanz 161. Phaeodaria 687. Phallusia 242. — intestinalis 240. Phasianella 402. Philine aperta 307. Philodina roseala 102. Philodinaea 100. Pholadomya 480. Pholas 480. Phormosoma uranus 520. Phreoryctes Menkeanus 114 Phronimidae 65. Phylactolaemata 222. Phyllirhoe 359. — bucephala 359. Phyllodocea 120. Phyllopoda 23. 82. Phyllosoma 45. Physalia 552. — pelagica 552. Physanozoon 212. Physophora disticha 550. Pilidium 205. Pilzkorallen 594. Pinna 457. — squamosa 457. Pinnotheres 29. — pisum 13. Pisa 32. Pisidium 478. Sach-Regiſter. Planaria gonocephala 173. — lactea 211. — torva 211. Planorbis 344. — carinatus 345. | — corneus 345. — marginatus 345. — vortex 345. Plathelminthes 172. Plattwürmer 172. Platzregenſchnecke 339. Pleurobrancheen 309. Pleurobranchus 302. — aurantiacus 309. — ocellatus 310. — Peronii 309. Pleurotoma 391. Pneumodermon 299 — ciliatum 299. Podophrya 680. Podophthalmus 11. | Poecilopoda 3. Polia 201. — crucigera 202. Pollicipes 69. — cornucopia 20. Polpo (Vielfuß) 262. Polycelis 211. — cornuta 211. — laevigata 211. — nigra 211. Polycera 312. — ocellata 312. Polychaetae 116. Polycheles crucifer 51. Polycheliden 51. Polycyclia 580. Polynoiden 136. | Polyparium ambulans 588. Polypen 572. — achtſtrahlige 598. — ſechsſtrahlige 580. Polyphemus 81. 88. Polypomedusae 550. Polypquallen 550. Polysiphonia 585. Polystomeae 188. Polystomum integerrimum 192. Polythalamia 690. Polytophus philippinensis 652. Pomatias 370. Pomatospongiae 647. Pontolimacidae 319. Pontolimax 319. — capitatus 319 Pontonia tyrrhena 53. Pontopdella muricata 145. Pontoporeia affinis 19. 24. Porcellana 42. — platycheles 43. Porcellanasteridae 528. | Porifera 625. | Porites 594. — furcatus 594. Porulosa 687. Portunus 30. Porzellankrebs 43. Porzellanſchnecke 392. Poſthörnchen 282. Potamobiidae 48. Poulpe (Vielfuß) 62. Pourtalesia laguncula 526. ZEN Pourtaleſien 524. | Praniza 60. Ne Halidayı 20. Procystis noctiluca 682. Prosobranchia 360. | Prostomum furiosum 206. Protomyxa aurantiaca 704. | Protozoa 659. Psamminidae 640. 510. microtubereulatus [9] = Psolus ephippifer 500. ı Pterocera 398. | Pteroides 600. — spinosa 600. Pteropoda 295. ‚ Pterotrachea 358. Pulmonata 320. | Pupa 335. — pagodula 340. Purpura haemastoma 388, — lapillus 382. 388. — madreporarum 383. ı Pyrosoma 246. | Pyrula 389. R. Rädertiere 96. Radiolaria 685. Ragactis pulchra 581. Nankenfüßer 22. 67. Ka 152% Raſenkoralle 597. 9 Redie 194. Regenwurmartige 110. Regenwürmer 110. Reifmuskler 250. Rhabditis 151. Rhabdocoela 205. Rhabdonema nigrovenosum 154. Rlipidoglossa 399. Rhizocephala 91. Rhizochilus Antipathum 5 ı Rhizocrinus 532. Rhizopoda 683. 685. | Rhizostoma 567. — Cuvieri 568. Rhopalodiua lageniformis 507. — Neurtali 508. Rhopalodinidae 507. Rhopalura Girardii 215. — Intoshi 215. Rhynchodesmus sylvaticus 213. — terrestris 213. Rhynchonella 2 229. 234. Rhynchonelliden 234. | Riemenwurm 186. Rieſenmuſchel 458. Rieſentiefſeeaſſel 11. Rindenkorallen 603. Ringelkrebſe 25. Ringelwürmer 109. Rippenquallen 544. Rissoa 365 — costat: a 365. — parva 365. Rochenegel 145. Röhrenholothurie 501. Röhrenmuſcheln 480. Röhrenſchnecken 411. Röhrenwürmchen 115. Rollaſſeln 58. 383 712 Rossia 274. Rotatoria 96. Rotifer 100. — vulgaris 99. Rübennematode 158. Rückenauge 100. Rückenfüßer 34. Rückenkiemer 117. Ruderſchnecken 295. Rundkrabben 33. Rundmund 401. Rundwürmer 146. Rüſſelegel 144. Rüſſelrädchen 100. S. Sabella penicillus 126. Sabellaria spinulosa 126. Sabelliden 136. Sacconereis 134. Sacculina carcini 71. Sack-Kalkſchwämme 632. Sacktiere 241. 543. Saganella 699. Sagartia pellucida 586. Sagitta 94. 150. Saitenwürmer 169. Salpen 248. Salzkrebschen 82. Samtſchnecke, grüne 318. Sandhüpfer 64. Sandkrabben 27. Sandwurm, gemeiner 121. Saphirkrebschen 76. Sapphirina fulgens 76. Sattelmuſchel 439. Saugqualle 555. Saugwürmer 187. Saxicava 455. — rugosa 479, Scalaria pretiosa 378. Scalpellum 69. Scaphoda 414. Scarabus imbrium 339. Schamkrabbe 33. Scheibenquallen 567. Scheibenſchwimmpolypen 554. Scheidenmuſchel, hülſenförmige 480. — ſchwertförmige 480. Scheidenmuſcheln 480. Scherenſchwanz 64. Schiffswurm 483. Schildigel 523. Schildrädertier 97. Schildrädertierchen 99. Schistocephalus solidus 186. Schizopoda 22. 56. F (Ringelwürmer) Schlammſchnecke 341. — gemeine 342. — große 342. Schlangenſchnecke 374. Schlangenſterne 529. — echte 529. Schleierſchnecke 317. Schleimpilze 703. Schließmundſchnecke 335. — bauchige 335. Schmalzüngler 378. Schmarotzerkrebſe 77. Sach-Regiſter. Schneckenkönige 294. Schnirkelſchnecke, gefleckte 332. E geſprenkelte 330. Schnirkelſchnecken 328. Schnurwürmer 94. 200. Schopfſchwämme 651. Schwämme 625. Schwanen-Entenmuſchel 477. Schwertſchwänze 3. Schwimmaſſeln 60. Schwimmpolypen 550. Sclerothamnus Clausii 652. Scotoplana globosa 509. Scyllarus 46. Seyphistoma 570. Sechsſtrahlſchwämme 651. Sedentaria 121. Seeanemonen 581. Seeblaſen 552. Seefeder, leuchtende 601. Seefedern 598. 600. Seehaſe 307. Seeigel 513. — kurzſtachliger 518. Seekuh (Seehaſe) 308. Seemandel, offene 307. Seemäuſe 118. Seeohren 402. | Seeplanarien 212. Seepocken 69. Seeraupen 118 Seeroſe, Carusſche 581. Seeſcheiden 241. Seeſterne 527. Seewalzen 501. Semperella Schultzei 652. Sepia 274. Sepia 274. — biserialis 279. — elegans 279. — officinalis 276. Sepiola 274. — Rondeletii 256. 274. Sergestes 55. — magnificus 12. Serolis 60. — Bromleyaua 22. Serpulacea 129. Serpulaceen 129. Shrimp 52 Sicyonis 585. Siebmuſchel 490. Siliquaria 374. Siphoniata 426. Siphonophora 550. Siphothuria 508. Sipunculus 106. Solarium 368. Solen 480. — ensis 480. — marginatus 480. — siliqua 480. — vagina 480. Sonnentierchen 688. 690. Sorosphaera 698. Spaltfüßer 22. 56. 73. Spaltmünder 208. Spatangidae 524. Sphaeroma 60. Sphaeromatidae 60. Sphaerularia 156. Schwimmſchnecke, gemeine 400. Sphongiae 625. Spindelſchnecke 388. Spio 117. Spioniden 136. Spiralmund 670. Spirostomum 670. — ambiguum 670. Spirula 282. Spitzſchnecke 370. Spondylus 442. — gaederopus 442. Spongelia pallescens 644. Spongillen 625. Spritzwurm 106. Spumellaria 687. Squilla mantis 57. Stachelhäuter 498. Statoblaſten 223. Steckmuſchel 457. Steinbohrer 479. Steindattel 453. Steinkrabben 38. Steinkrebs 47. Stein⸗Seeigel 516. Stenostomum monocelis 209. Stentor 667. Sternkorallen 590. 594. 597. Sternſchnecke, rauhe 312. — rote 312. — weichwarzige 311. Sternwürmer 104. Stichopus 503. Stomatopoda 22. 56. Strahlenkugeltierchen 690. Strahlinge 685. Strandſchnecken 365. Streptocaulus pulcherrimus 605. Strobila 571. Strombus 398. gigas 399. Strongylidae 162. StrongylocentrotusDroebachiensis 521. ' — lividus 516. Strudelwürmer 199. — geraddärmige 205. l verzweigtdärmige 210. Stylaſteriden 559. Stylina 405. Stylonychia 664. 673. E mytilus 664. Succinea 334. L oblonga 334. | — Pfeifferi 334. Sumpf: Napfſchnecke 345. Sumpf: Schlammjchnede 342. Sumpfſchnecke 362. E lebendig gebärende 363. — — — kleinere) 363. — unreine 364. Süßwaſſerpolyp 561. E gemeiner 561. — grauer 561. — grüner 561. Süßwaſſerradiolarien 688. Süßwaſſerſchwämme 625. 647. Sycones 633. Sylliden 136. Syllis 134. — ramosa 134. Synapta 509. — digitata 509. Synapta hispida 509, — inhaerens 509. Syngamus trachealis 164. Syringamina fragilissima 698. . Taenia 179. — saginata 175. Taeniadae 175. Taenioglossa 362. Tafelſchwämme 635. Takker Itam (Trepang) 506. Talitrus locusta 64. Taſchenkrebs, großer 29. Tatos (Palmendieb) 43. Tauſendfüßer 21. Telifera 548. Tellerſchnecke, große 345. Tellerſchnecken 344. Tellina 478. Tellinacea 478. Tellinaceen 478. Telphusa 29. Tenura 20. Terebella nebulosa 126. 133. Terebellacea 125. Terebellen 125. Terebelliden 136. Terebellides Stroemii 136. Terebrateln 229. Terebratulidae 229. Teredo 483. — fatalis 485. Tesseridae 571. Testacella 323. 337. — haliotidea 337. Tethys fimbria 317 Tetrabranchiata 286. Tetractinellidae 650. Tetraphyllidea 187, Tetrastemma agricola 201. Teufelsklaue 399. Textulariiden 698. Thalamita 30. Thaliacea 248. Thaumatocheles Zaleuca 48. Thecidium 229. 232. Thecocyathus cylindraceus 589. Thyca ectocon 371. Tichogonia 455. Tiedemannia 297. — neapolitana 297. Tiefſeeholothurien 508. Tintenfiſche 258. Tintenſchnecken 258. Tithanetes feneriensis 13. Tomopteriden 136. Töpferin 128. Torrea 121. — vitrea 131. Toxopneustes brevispinosus 518. Trematodes 187 Tremoctopus violaceus 284. Trepang 503. Trichina spiralis 165. 166. Trichine 165. Trichocephalus dispar 169. Trichoplax adhaerens 656. Trichotracheliden 165. Tridacna elongata 460. — gigas 458. Sach-Regiſter. Trivacnaceen 458, Tristomum 188. Tritonium 39. — nodiferum 395. — variegatum 395. Tritonshörner 395. Trochophore 94. Trochopus tubiporus 189. Trochus 402. — ziziphinus 402. Trogloceros Schmidtü 51. Trompetenſchnecke 395. Trompetentierchen 667. Tubicinella 70. Tubicolae 121. 480. Tubifex rivulorum 115. Tubificina 115 Tubipora 608. Tubiporidae 608. Tubulipora 226. Tunicata 239. Turbellarii 199. Turbinoliden 595. Turbo 401. — olearius 401. | — pagodus 401. — rugosus 401. Turmſchnecken 374. Turritella 374. Turritellacea 374. Typton spongicola 53. U. Uca 27. Udonellen 189. Umbellula encrinus 603. — grönlandica 602. — leptocaulis 603. — miniacea 603. — Thomsoni 603. Umbrella 311. — mediterranea 311. Ungleichmuskler 443. | Unio 461. — batavus 463. — crassus 462. L decurvatus 462. \ — longirostris 463. | — pietorum 462, 466. | — platyrhynchus 462. | — tumidus 462. Unionacea 461. Uraster rubens 537. ı Urolabea 150. Urolaben 150. Urtiere 659. | V. Valvata 365. | — piscinalis 365. Velellidae 554. Venus 478. Venusgürtel 546. Veretillum 598. Vermes 93. Vermetacea 374. Vermetus 372. gigas 372. — lumbricalis 372. — subeancellatus 372. — triqueter 372, Urſchleimweſen, orangerotes 704. 713 Vielguge 211. — gehörntes 211. Vielborſter 116. Vielfraßſchnecke 333. Vielmäuler 188, Vierauge 201. Vierkiemer 286. Vierlingsquallen 571. Vierſtrahlſchwämme 650. Vioa 644. — celata 645. — Johnstonii 645. Vitrina 335. Loluta 378. Volutacea 378. Vorderkiemer 360. Vortex 208. Vorticella 666. W. Waben⸗Kalkſchwämme 633. Waffentierchen 664. Waldheimia eranium 232. Waldſchnecke 336. Walfiſchläuſe 67. Wandermuſchel 455. Warzenkoralle 605. Waſſeraſſeln 59. Waſſerflöhe 86. Waſſerkalb 170. Waſſer-Lungenſchnecken 341. Waſſerſchlängler 115. Wegeſchnecke, große 336. Wegeſchnecken 336. Weichrädertierchen 100. Weichtiere 253. Weinbergſchnecke 328. Weizenälchen 157. Wellhorn 380. Wendeltreppen-Schnecken 378. Wenigborſter 110. Willemoesia leptolactyla 51. Willemoeſien 51. Wimperinfuſorien 664. Wollkrabbe 34. Würmer 91. Wurmſchnecke 372. — gewöhnliche 372 Wurzelfüßer 683. 685. Wurzelhaarſtern 532. Wurzelkrebſe 71. Wurzelmundqualle 568. &. | Xiphuridae 3. Xylopagurus rectus 44. N. | Ypsilothuria 508. 8 Zehnfüßer 21. 26. 274. | Zoantharia 586. Zoantharien 586. Zoanthus 586. Zoea 15. Zottenplanarie 212. Zweikiemer 261. Zweimäuler 188. Zweimustler 461. Zwergſchnecken 340. Autoren⸗Regiſter. Adam 355. Adanſon 486. Agaſſiz, L. 174. 349. 362. 390. 514. 518. 559. Alberts 134. Allen 615. Allman 219. 518. Ambronn 240. Apulejus 307. Ariſtoteles 260. 273. 283. 572. Asbjörnſon, Peter Kirſten 528. Augurello 469. Aurivillius 20. Baelz 184. Baer, E. von 431. 433. 456. 494. Baker 159. 562. Barett 232. Barkow 329. Barth 394. Baſter, Tobias 484. Baſtian 151. Bate, S. 51. Bauer, Auguſt 675. Baur, Albert 407. 510. — Georg 622. Beckmann 394. Bell 31. Beneden, van 188. 216. 245. 587. 588. Benjamin von Tutela 469. Bennett 246. 289. Bilharz 181. 198. Boas 16. Boglich 104. Bolten 243. Bonelli 105. Bonnet 566. Bory de St. Vincent 435. Botteri 104. Bourguignat 350. Bowerbank 626. Brady 74. 699. Braem 223. Braun, Max 7. 185. Bremſer 163. Breèves 608. Bronn 295. 302. 303. 513. 672. Brown 28. Buffon 662. Bütſchli 146. 151. 627. 701. Calandruccio 149. Carbonnel 435. Carpenter 520. 692 Carrington 6. 14. 15. 32. 33. Carter 224. Carus, Guſtav 291. Cavolini 284. Celaart 448. Chamiſſo 248. Chantram 13. Charnier 245. Chemnitz 391. Chiaje, delle 514. Chun 55. 248. 545. 554. Clark 627. Claus 67. 75. 78. 96. Coates 376. Collmann 257. 284. | | | | | | Cook 573. Cordiner 444. Coſte 8 435. 437. Courtois 627. Crawford 516. Cruſius 566. Cuming 406. Cuvier 67. 93. 104. 228. 284. 414. 497. Dalyell 126. 507. 583. Dana 611. Danielſſen 381. Darwin, Charles 43. 70. 71. 111. 213. 348. 402. 419. 462. Davaine 159. 181. Davis 102. 202. Delage, Yves 71. Dens 260. Deshayes 486. Didier, Carlin 608. Doderlein 332. Dohrn 518. Döring 324. 335. 342. 610. | Draparnaud 344. Eagleſton 505. Edwards, Milne 371. 580. Ehlers 107. 126. 136. 165. Ehrenberg 77. 97. 102. 199.324.572 610. 660. 694. Eimer 568. Eiſig 32. 39. 41. 50. 116. Ellis 380. 602. Engelmann 677. 700. Engelſing 141. Eſchricht 70. 431. Espers 626. Fabius Columna 376. Fabricius 56. 104. 298. Fermontel 669. Ferruſſae 308. Filhol, H. 531. Filippi 453. 470. Fiſcher 265. 278. 586. Flemming 467. Forbes, Henry O. 43. 434. Forſter, Georg 612. — Reinhold 612. Friis 260. Fruſing 407. Fulvius Lippinus 331. Gaymard 380. Gegenbaur 76. 296. 355. Geikie 622. Geoffroy 456. Gerbe 13. Gerſtäcker 68. Gesner 169. Giard, A. 244. 375. 524. Giesbrecht 8. 75. Gleichen, Frhr. von 663. Goethe 86. 291. 332. Goeze 169. 563. Goſſe 39. 52. 370.402 403. 479.491. Götte 671. 691. Gould 371. Gräf 39. Graff, L. von 137. 211. 656. Grant 315. Graſſi 160. 181. Gray 293. 366. 507. Greef 701. 703. Griendel von Ach 661. Grieſinger 198. Grube 136. 212. 264. 317. 319. 519. Gruber, Auguſt 669. 673. 700. 701. Grylls 445. Guppy 504. 622. Guyon 143. Gyllius, Petrus 434. |" 611. 627. 631. 633. 640. 687. 704. Hague 472. Hahn, G. von 397. Hallich 181. Hancock 241. Hartig, W. 323. Harting 261. 487. Heincke 20. Helmholtz 12. Henderſon, J. R. 43. Henſen 12. 112. Herrik 75. Hertwig 585. 680. Heßling, von 443. 463. Hoeven, van der 3. Hoffmeiſter, W. 110. 113. Holac 181. Huxlei 13. 47. 241. Hyatt 8. Hyndeman 29. Ihering 364. Ijima 184. Iſchikawa 14. 567. Jameſon 504. Janus Plancius 692. Jeffreys, Gwyn 532. Jickeli, Karl 562. John, Georg 516. Johnſton 249. 291. 293. 329. 337. 340. 366. 374. 376. 381. 388. 400. 404. 434. 483. Jones, Rymer 120. 202. 507. Joſeph 103. Jurine 8. 88. Juvenal 432. Autoren-Regiſter. Leydig 86. 114. Lieberkühn 626. 638. Linches, Thomas 608. Lindahl 603. Linné 93. 444. 456. 483. 663. Liſter 456. Loven, Sven 368. 413. 516. Lovett 6. 14. 32. Löw, Franz 472. Lucull 260. Ludwig, H. 411. 507. Lukis 405. Lyell 348. Maas, Otto 648. Mac Culloch 493. Mac Gowan 472. Magnus, Olaus 260. Man, Jan de 154. 627. 630 656. 686. Marſipli 572. Martens, von 30. 294. 323 324. 331. 455 Martini 139. 456. Matzdorff 6. Maupas 674. Mayer, Paul 16. Mediana, Ricord 553. Meißner, Georg 150. 171. — Max 672. Metſchnikow 216. Mettenheimer 482. Meyen 246. 552. Meyer 304. 305. 311. 381. 451. Micha 8. M'Intoſh 135. 136. Kayſer 236. Keferſtein 259. 287. 330. 347. 356. Kircher, Athanaſius 662. Klein 294. 498. Kobelt 331. 452. Kölliker 130. 285. 600. Koren 381. Korotneff 588. Kotſchy 82. Kowalewsky 229. 241. 576. 577. Kozubowski 82. Kraepelin 223. Krohn 216. Kröyer 57. Küchenmeiſter 177. 470. Kühn 157. Lacaze-Duthier 105. 124. 302. 310. 346. 364. 371. 385. 414. 441. 535. 571. 605. Lamarck 366. Lambl 149. Landois 15. 141. 347. Lang 544. Langenbeck 169. 622. Leblond 552. Ledermüller 661. Leeuwenhoek 96. 161. 427. 467. 564. 661. Lehnert, Georg 211. 214. Leſſon 552 Leuckart, R. 143. 146. 149. 154. 160. 161. 165. 181. 196. 543. 551. 627. 230. 241. 376. 384. 577 580. Möbius 42. 45. 304. 305. 311. 381. 434. 451. 549. 582. Monconny 572. Montfort 260. Morſe 228. 235. Moſeley 412. 559. Müller 16. 89. — Fr. 28. 213. 224. 400. 456. 514. 663. | — Sohannes 28. 214. 406. 522. Münchhauſen 663. Murray 622. 695. Mylius 602. Nägeli 664. Needham 159. 662. Neumayr 622. Noll 71. Odier 185. Oerſted 389. Oken 259. 380. 401. d'Orbigny 300. 326. 370. 693. Osler 481. Otter, von 603. Owen 654. Pagenſtecher 68. 165. Pallas 104. 455. 562. Panceri 124. 247. 359 Panzer 5. Paſteur 664. Penard, Eugene 688. Pennant 50. 396.483.601. Perrier, Edmond 508. Peyſſonel, Andre de 573. Pfeiffer 327. Philippi 362. 391. 400 Philipps 448. Plate 102. | Plinius 260. 387. 432. 433. 458. Poli 428. Pontoppidan 260. 434. Pöppig 27. 38. 50 392. 397. Pourtales 613. Powell 119. Pratt 293. Preyer, William 499. 536. Proſch 289. | Quatrefages 104 117. 120. 128. 131. 485. 510. 592. Quoi 380. | Ranſonnet 610. | Ray: Lancafter 364. Reéeaumur 7. 562. 573. Redi, Francesco 194. Rein 622. Renard, Léon 608. Rhumbler, L. 671. 674. Richter 45. Robertſon, John 448. 482. 524. Roffordi 154. Rolando 104. Romanes 536. Röſel von Roſenhof 562. 667. 699. Roßmäßler 326. 333. 344. 349. 362. 369. 419. 461. 477. Rückert 469. Rumph 360. 378. 384. 391 393 401 414. 458. Ruſſel 243. Salenka 104. Salis 453. Salzwedel 139. Sangiovanni 273. Saraſin, Fritz 515. Sars, G. O. 56. 77. 532. Saunder 49. Savigny 242. Schäffer 86. 562. Schlagintweit 103. Schleiden 86. Schmankewitſch 85. Schmarda 82. 100. 144. 212. Schmidtlein 35. Schneider 146. 150 208. 211. 219. Schröter 456. Schultze, Max 200. 213. 587. 683. 692. Schulze, F. E. 627. 631. 656. 691. Schwarz von Mohrenſtern 365. Selenka 544. Sellius 484. Semon 510. Semper 44. 83. 107. 241. 338. 406. 503. 506. 511. 557. 580. 594. 622. 656. Seneca 387. Sergius Orata 433. Siebold, K. von 82. 170. 190. 345. 653. Simroth, Heinrich 364. 539. Slabber, Martin 150. 651. 716 Autoren-Regiſter. Wallace 505. Walther, Joh. 465. 611. Sollas 627. Spallanzani 159. 663. Trembley 562. 669. Troſchel 374. 396. 399. Spengel 106. Stair 119. Steenſtrup 193. 229. 248. 261. 284. 382. Steffen 621. Stein 666. Stepanoff 478. Strubell 158. Stuart 444. Studer 21. Sueß 234. 622. Swammerdam 291. 322. Tarr 48. Thompſon 77. Thomſon, Wyville 48. 66. 282. 519. 682. 695. Trebius Niger 260. d'Urville 613. Vaillant 460. Vejdowsky 213. Verany 256. 259. 273. Verrill 184. Veryll 612. Villot 171. Virchow 166. Vitzou 8. Vogt 83. 551. Voigt, Walter 411. Vosmaer 627. Wagner, Moritz 325. — Nikolas 401. — von 209. Weber, Max 647. Weinland 181. 615. Weismann 88. Wernicke 196. Whitman 216. Will 546. Willemoes-Suhm, von 48. 282. 653. Williams 235. Wilſon 493. Wortley, Stuart 41. 42. | Wrisberg 661. | gefinta 101. 104. Zeller 191. 193. Zenker 166. Ziegler 308. Druck vom Bibliographiſchen Inſtitut in Leipzig. E) . > 2 4 . 4 “ . - ’ “ . » = 4 — 1 5 7 — { . „ — > 4 . ” = U . 3 0 . wc ee AM ' 4 7 — * 1 5 s — 9 — 4 5 vn =; en 5 ui = VERBREITUNG WICHT | 160 140 Westl v 120 Greenwich 100 80 60 40 : 20 0 = — —— — Firulidae Reich der Waldschnecken ER „ „Clausilien 5 „ „ Wüstenschnecken 5 ( " " Schneckeng’attung Achatina „ „ „ Nanina " " " Cochlostyla „ " " Achatinella (Sanawich-m) N ” 2 7 Cylindrella u.d.Landkrabben N " „ Bulimus und Bulimulus Süßwassermuscheln Molulckenkrebse E Perlmuscheln ©: Trep ang Badeschwämme —delkorallen. 3 Meere der Krabben, Röhrenquallen u.Hornschwämme 22 " 7 Asseln und Rankenfüßer RE " „Floh- und Schmarotzerkrebse N " " lebendiggrebärenden Echinodermen BE] Binnengewässer mit relikten Meertieren. Bivliographisc ! GER NIEDERER TIERE. 20 80 100 120 ÖstLv- 40 Greenwich 160 180 2 1 Pen -turell 1 — N ecke „orgttte — Fe - ge Argonauta Firulidae oaustralis b | - | | | . | — — — 8 SS — — — 7 ——— — 1 160 unper rei chi an Landschnecken | | ungsgrenze. der Korallenbauten | | | „ v Flußkrebse | — | ii [2 E,, ß ff . N „ „Ampullarien 7 1 | en N 4 ” Flußperimuschel N —— — — — r * 1 * —.̃ ͥͤ(ͤ— —— — * re —] 4 von Nautilus. 60 80 100 120 140 160 180 | Institut in Leipzig. Verlag des Bibliograpdifhen Inſtituts in Leipzig und Wien. Geſamtregiſter zur drikten Auflage von Brehms Tierleben. In Leinwand gebunden 3 Mark. Dieſe überſichtliche Zuſammenſtellung aller in den zehn Bänden des Hauptwerkes verſtreut erſcheinenden Namen in einem Alphabet erleichtert das Aufſuchen und wird den Beſitzern von „Brehms Tierleben“ willkommen und unentbehrlich ſein. Die Schöpfung der Tierwelt. Bir 1 Haackie. Mit 1 Karte, 469 Abbildungen im Text und auf 20 Tafeln in Holzſchnitt und Farbendruck. Ju Halbleder gebunden 15 Mark. Zu Brehms Schilderung der Tiere und ihrer körperlichen und ſeeliſchen Fähigkeiten iſt hier eine Geſchichte der Entſtehung der Tierwelt getreten, ohne welche dem Brehmſchen Werke der naturgemäße Abſchluß gefehlt haben würde. Wir lernen hier die Aufgaben der Tierſchöpfungs— lehre, die Urſachen der Tierſchöpfung, die Grundformenbildung und Organſonderung, ſchließ— lich die Ausbildung der Lebenswerkzeuge kennen. Sodann werden Anpaſſungsvermögen der Tiere, die periodiſchen Schöpfungsmittel, die Ausbildung von Charaktertieren und die Eigen— tümlichkeiten des Haustieres behandelt. Mit der darauf folgenden Darſtellung der Faunen der Erdzeitalter, der Verbreitungsverhältniſſe und der Umbildungsherde der Tiere, endlich der Faunengebiete der Erde ſchließt der erſte, die Mittel und Formen der Tierſchöpfung be handelnde Hauptabſchnitt. Der zweite iſt der Geſchichte der Tierſtämme zugewieſen, welche, mit den Formen der Urtiere einſetzend, zuerſt die wirbelloſen und dann die Wirbeltiere beleuchtet und ſo, von den einfachſten Tierformen ſtufenweiſe bis zu dem ausgebildeten Organismus der Säugetiere fortſchreitend, die Überſicht über die Schöpfung der Tierwelt zum Abſchluſſe bringt. Allgemeine Naturkunde. Wachgerufen durch Brehms klaſſiſche Schilderung des Tierlebens mußte ſich das Intereſſe der weiteſten Kreiſe auch den übrigen Naturgebilden zuwenden, deren Studium bis dahin, weil an gleich meiſterhaften Darſtellungen gebrach, verhältnismäßig ſelten gepflegt wurde. Das hier vorliegende Bildungsbedürfnis erkennend, haben auf Anregung der Verlags— handlung bedeutende Forſcher ſich bereit gefunden, die übrigen Naturgebiete nach der bewährten Art von „Brehms Tierleben“ zu ſchildern und damit ein Werk zum Ausbau zu bringen, wie es in gleich großartiger Weiſe kein anderes Kulturvolk aufzuweiſen hat. Außer Brehms Tierleben und dem dazu gehörigen Ergänzungsbande „Haackes Schöpfung der Tierwelt“ ſind noch die folgenden Werke darin enthalten: Der Menſch. Von Profeſſor Dr. Johannes Ranke. Zweite, gänzlich neubearbeitete Auflage. > Mit 1398 Abbildungen im Text, 6 Karten und 35 Farbendrucktafeln. 2 Bände in Halbleder gebunden zu je 15 Mark. Der erſte Band behandelt Entwickelung, Bau und Leben des menſchlichen Körpers. Nach einem allgemeinen Überblick wendet ſich das Buch zur Einzeldarſtellung und beginnt mit der Entwickelungsgeſchichte. Es folgt ſodann die Darſtellung der niederen Organe, als welche Herz und Blut, die Organe der Blutreinigung, die Verdauung, Ernährung, die Nahrungsmittel, ſchließlich das Knochengerüſt und die Muskeln beſchrieben werden. Bei der Schilderung der höheren Organe endlich lernen wir die Mikroſkopie, Phyſik und Chemie des Nervenſyſtems, den Bau des Gehirns und des Rückenmarks, die Sinnesorgane und die Sprachwerkzeuge kennen. Der zweite Band behandelt die heutigen und die vorgeſchichtlichen Menſchenraſſen. Im erſten Hauptabſchnitt über die körperlichen Verſchiedenheiten des Menſchengeſchlechts ſind die folgenden Kapitel zuſammengefaßt: Die äußere Geſtalt des Menſchen und der menſchenähnlichen Affen, Körperproportionen des Menſchen, Körpergröße und «Gewicht, Farbe der Haut und der Augen, die Haare, Schädellehre, Gruppierung der heutigen Menſchenraſſen, anthropologiſche Raſſenbilder. Der zweite Hauptabſchnitt über die Ur-Raſſen in Europa enthält die folgen— den Kapitel: Diluvium und Urmenſch, die älteſten Wohnſtätten, menſchliche Knochenreſte aus dem Diluvium, die Hauptkulturperioden des vorgeſchichtlichen Europa, die jüngere Steinzeit, die Bronze- und erſte Eiſenzeit. Pülkerkunde. Von Profeſſor Dr. Friedrich Natel. Zweite, gänzlich neubearbeitete Auflage. Mit 1103 Textbildern, 6 Karten und 56 Tafeln in Holzſchnitt und Farbendruck. 2 Bände in Halbleder gebunden zu je 16 Mark. — Die „Völkerkunde“ ſchildert im erſten Bande nach einer allgemeinen Einleitung die Inſel— bewohner des Stillen Ozeans und die Auſtralier, die Malayen mit den Mada— gaſſen und die Amerikaner mit den Hyperboreern. Dann geht ſie zu den hellen, klein— gewachſenen Stämmen Afrikas über und behandelt im zweiten Bande beſonders eingehend die Neger. Den Übergang zu den Kulturkreiſen der Alten Welt bilden die höherſtehenden Völker Nord- und Nordoſtafrikas, an die ſich die Nomaden Weſt- und Zentralaſiens, die indiſch-perſiſchen und oſtaſiatiſchen Kulturvölker anreihen. Den Beſchluß machen die Kaukaſier und ihre armeniſchen und kleinaſiatiſchen Nachbarn und die Europäer. Pflanzenleben. Von Profeſſor Dr. A. Kerner von Marilaun. Zweite, gänzlich neubearbeitete Auflage. Mit etwa 455 Abbildungen im Text (ungefähr 2100 Einzeldarſtellungen), 1 Karte und 64 Tafeln in Holzſchnitt und Farbendruck. 2 Bände in Halbleder gebunden zu je 16 Mark. Im erſten Band erhalten wir zunächſt Einblick in das geheimnisvolle Leben und Weben des Pflanzen-Protoplasmas, beobachten darauf die Vorgänge der Aufnahme und Leitung der Nahrung, die Folge in der Bildung, Wandlung und Wanderung der Stoffe, und begleiten die Pflanze durch alle Stadien ihres Wachstums und Aufbaues bis zur vollendeten Entwickelung. Der zweite Band führt uns in die unendliche Mannigfaltigkeit der Vermehrung und Verbreitung der Pflanzen ein, ſchildert ihre Entſtehung und die Geſchichte der Arten, bringt eine eingehende Pflanzengeographie und Abgrenzung der Florenreiche und ſchließt mit einer reich illuſtrierten Abhandlung über die vielfachen Beziehungen der Pflanze zum Menſchen. Erdgeſchichte. Von Profeſſor Dr. Melchior Neumayr. Zweite, von Prof. Dr. Viktor Uhlig gänzlich neubearbeitete Auflage. > Mit 873 Abbildungen im Text, 4 Karten und 34 Tafeln in Holzſchnitt und Farbendruck. 2 Bände in Halbleder gebunden zu je 16 Mark. Einer kurzen Geſchichte der Geologie und der Darſtellung der Grundbegriffe derſelben folgt die phyſikaliſche Geologie, welche die Erde im Weltraume und die phyſiſche Beſchaffenheit der Erde ſchildert. Bei der dynamiſchen Geologie werden die Vulkane, Erdbeben, die Ge— birgsbildung, die Wirkung von Waſſer und Luft, alſo diejenigen Naturkräfte, welche auf die Geſtaltung des Erdkörpers einzuwirken vermögen, geſchildert. Ein dritter Abſchnitt behandelt die Geſteinsbildung. Der zweite Band enthält mit der hiſtoriſchen Geologie die eigent— liche Erdgeſchichte, welche die beiden paläozoiſchen Zonen, die Trias-, Jura-, Kreide-, Tertiär— formationen, das Diluvium beſchreibt. Die topographiſche Geologie zeigt die Gebirge der Erde; im Abſchnitt über die nutzbaren Minerale lernen wir die Salze, die Sol- und Mineral— quellen, die brennbaren und metalliſchen Minerale, die Steine und Erden kennen. Das Weltgebäude. Eine gemeinverſtändliche Himmels kunde. Von Dr. Wilhelm Meyer. Mit etwa 325 Abbildungen im Text, 8 Karten und 30 Tafeln in Heliogravüre, Holzſchnitt, Hochätzung und Farbendruck. 14 Lieferungen zu je 1 Mark oder in Halbleder gebunden 16 Mark. Nach einer einleitenden Betrachtung über den Inhalt der Himmelskunde und über ihre Bedeutung für die menſchliche Kultur werden kurz die Hilfsmittel des Aſtronomen erörtert und dann auf dieſer Grundlage im erſten Hauptteil des Buches rein induktiv die Anſchauung und die Erkenntnis von der Beſchaffenheit der Himmelskörper gewonnen, indem exit unſer Planetenſyſtem, dann die Welt der Firjterne durchforſcht und beſchrieben werden. Der zweite Hauptteil dringt in die Erkenntnis von den Bewegungen der Himmelskörper ein und behandelt erſt die ſcheinbaren, darauf die wirklichen Bewegungen der Planeten und Fix— ſterne. Eine Entwickelungsgeſchichte der Weltkörper ſchließt das Buch ab, deſſen Schwer— gewicht darin liegt, daß hier zum erſtenmal ohne Vorausſetzung wiſſenſchaftlicher Fachkenntnis ein klares, feſſelndes Bild von dem großen innern Zuſammenhang des ganzen Welt— gebäudes entworfen wird. a des Bibliogr anlnchen Instituts in Leipzig. Encyklopädische Werke. M. Meyers Konversations-Lexikon, fünfte, neubearbeitete Auflage. Mit mehr als 10,500 Abbildungen, Karten und Plänen im Text und auf 1088 IIlustrationstafeln (darunter 164 Farbendrucktafeln und 286 Kartenbeilagen) und 120 Textbeilagen. | Geheftet, in 272 Lieferungen zu je 50 Pf. — Gebunden, in 17 Halblederbänden . . . . je | Ergänzungs- und Registerband (Band XVIII) dazu. Mit 580 Abbil- dungen, Karten und Plänen im Text und auf 56 Illustrationstafeln (darunter 10 Farbendruektafeln und 7 Kartenbeilagen) und 4 Textbeilagen. | Geheftet, in 16 Lieferungen zu je 50 Pf. — Gebunden, in Halblederband . 5 5 Erstes Jahressupplement (Band XIX) dazu. Mit 622 Abbildungen, * arten und Plänen im Text und auf 44 Illustrationstafeln (darunter 4 erde afeln und 9 Kartenbeilagen) und 5 Textbeilagen. Geheftet, in 16 Lieferungen zu je 50 Pf. — Gebunden, in Halblederband . Zweites Jahressupplement (Band XX) dazu. Mit mehr als 700 Abbil. dungen, Karten und Plänen im Text und auf 58 Tafeln (darunter 5 Farbendruck- | tafeln und 7 Kartenbeilagen). Geheftet, in 16 Lieferungen zu je 50 Pf. — Gebunden, in Halblederband . Se Drittes Jahressupplement (Band XXI) dazu. Mit 750 Abbildungen, Karten und Plänen im Text und auf 66 Tafeln (darunter 4 Farbendrucktafeln und 7 Kartenbeilagen). Geheftet, in 16 Lieferungen zu je 50 Pf. — Gebunden, in Halblederband Meyers Kleines Konversations - Lexikon „ sechste, umgear- | beitete Auflage. Mit 168 Illustrationstafeln (darunter 26 Farbendrucktafeln und 56 Karten und Pläne) und 88 Textbeilagen. | Geheftet, in 80 Lieferungen zu je 30 Pf. — Gebunden, in 3 Halbleder banden je Naturgeschichtliche Werke. Brehms Tierleben, dritte, neubearbeitete Auflage. Mit 1910 Abbildungen im Text, 11 Karten und 180 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. | Geheftet, in 130 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in 10 Halblederbänden . . . Je (Bd. I—III »Säugetiere« — Bd. IV—Vl:»Vögel«e — Bd. VII »Kriechtiere und Tasche || Bd. VIII »Fische« — Bd. IX »Insekten« — Bd. X »Niedere Tieres.“) Gesamtregister zu Brehms ten. 3. ur 0 Gebunden, in Leinwand . | Brehms Tierleben, Kleine 40 für Folk und Schule. Zweite, von R. Schmidtlein neubearbeitete Auflage. Mit 1179 Abbildungen im | Text, 1 Karte und 3 Farbendrucktafeln. | Geheftet, in 53 Lieferungen zu je 50 Pf. — Gebunden, in 3 Halblederbänden . . . . ſje 10 Die Schöpfung der Tierwelt, von Dr. Wiln. Haacke. (Er- gänzungsband zu »Brehms Tierleben«.) Mit 469 Abbildungen im Text und auf 20 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck und 1 Karte. Geheftet, in 13 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder Der Mensch, von Prof. Dr. Joh. Ranke. Zweite, ee te Ae Mit 1398 Abbildungen im Text, 6 Karten und 35 Farbendrucktafeln. Geheftet, in 26 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in 2 Halblederbänden . je Völkerkunde, von Prof. Dr. Friedr. Ratzel. Zweite Auflage. Mit 1103 | Abbildungen im Text, 6 Karten und 56 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. Geheftet, in 28 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in 2 Halblederbänden. „. . . e Ausführliche Prospekte zu den einzelnen Werken stehen kostenfrei zur Verfügung Geheftet, in 26 Lieferungen zu je 50 Pf. — Gebunden, in Halbleder Pflanzenleben, von Prof. Dr. A. Kerner von Marilaun. Zweite, neubearbeitete Auflage. Mit 448 Abbildungen im Text, 1 Karte und 64 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. | Geheftet, in 28 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in 2 Halblederbänden Jj 0 16 Erdgeschichte, von Prof. Dr. Melchior Neumayr. Zweite, von Prof. Dr. V. Uhlig neubearbeitete Auflage. Mit 873 Abbildungen im Text, 4 Karten und 34 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. | Geheitet, in 28 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in 2 Halblederbänden. . . . je 16 Das Weltgebänude. Eine gemeinverständliche Himmelskunde. Von Dr. M. | Wilhelm Meyer. Mit 237 Abbildungen im Text, 10 Karten und 31 Tafeln in Heliogravüre, Holzschnitt und Farbendruck. Geheftet, in 14 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder 16 Bilder- Atlas zur Zoologie der Säugetiere, von Professor Dr. N. Marshall. Beschreib. Text mit 258 Abbildungen. Gebunden, in Leinwand 2 Bülder- Atlas zur Zoologie der Vögel, von Professor Dr. N. Mar- shall. Beschreibender Text mit 238 Abbildungen. Gebunden, in Leinwand 2 Bilder-Atlas zur Zoologie der Fische, Lurche und. Kriechtiere, von Prof. Dr. W. Marshall. Beschreibender Text mit | | 208 Abbildungen. Gebunden, in Leinwand . Biülder-Atlas zur Zoologie der Nee e 1 von Prof. Dr. N. Marshall. Beschreib. Text mit 292 Abbildungen. Gebunden, in Leinw. 2 Bilder- Atlas zur Pflanzengeographie, von Dr. Moritz Kron- | feld. Beschreibender Text mit 216 Abbildungen. Gebunden, in Leinwand | 2 50 Kunstformen der Natur, von Prof. Dr. Ernst Haeckel. 50 Ilu- strationstafeln mit beschreibendem Text. In Sammelkasten . . . . 5 418 — Geographische Werke. 5 5. Pf Afrika. Zweite, von Prof. Dr. Friedr. Hahn völlig umgearbeitete Auflage. | Mit 173 Abbildungen im Text, 11 Karten und 21 Tafeln in Holzschnitt, Atzung und Farbendruck. | Geheftet, in 15 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder . 5 | 17 — g I | Asien, von Prof. Dr. Wilh. Sievers. Mit 156 Abbildungen im Text, 14 Karten | | und 22 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. | Geheftet, in 13 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder 3 15 — Amerika, in Gemeinschaft mit Dr. E. Deckert und Prof. Dr. N. Küken- thal herausgegeben von Prof. Dr. Wilh. Sievers. Mit 201 Abbildungen im | Text, 13 Karten und 20 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. 9 Geheftet, in 13 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder 15 — Europa, von Dr. A. Philippson und Prof. Dr. L. Neumann. Heraus- | gegeben von Prof. Dr. Wilh. Sievers. Mit 166 Abbildungen im Text, 14 Karten und 28 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. Geheftet, in 14 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder . Terme Australien und Ozeanien, von Prof. Dr. Wilh. Sievers. Mit 137 Ab- bildungen im Text, 12 Karten und 20 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. Geheftet, in 14 IA fungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder e Meyers Hand-Atlas. Zweite, neubearbeitete Auflage. Mit 113 Karten- blättern, 9 Textbeilagen und Register aller auf den Karten befindlichen Namen. Geheftet, in 38 Lieferungen zu je 30 Pf. — Gebunden, in Halbleder. 13 50 Neumanns Orts-Lexikon des Deutschen Reichs. Dritte, neubearbeitete Auflage. Mit 34 Karten und Plänen und 276 WE . 151 — 8 Bülder- Atlas zur Geographie von Europa, von Dr. A. Geist- beck. Beschreibender Text mit 233 SL DEE | Gebunden, in Leinwand . . . 2.2... e N RT 2 25 Bilder - Atlas zur ent ie der aussereuropäischen. Erdteile, von Dr. A. Geistbeck. Beschreibender Text mit 314 Abbild, | Gebunden, in Leinwand . VVT 2175 Weltgeschichts- und kulturgeschichtliche Werke. ni, AI. Pt. Das Deutsche nn herausgegeben von Prof. Dr. Hans Meyer. Mit 30 Tafeln in Holzschnitt, Ätzung und Farbendruck. ö Geheftet, in 13 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebun len, in Halbleder. 15 — Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks. Politische Ge- | schichte von 1871 bis 1890. Von Dr. Hans Blum. Mit einem Porträt. | Gebunden 3 5 8 I 1 | ca. — Eellgeschichte, unter Mitarbeit hervorragender Fachmänner herausgegeben | von Dr. Hans F. Helmolt. Mit 45 en und 182 Tafeln in Farbendruck,| | Holzschnitt und Ätzung. (Im Erscheinen.) | Geheftet, in 16 Halbbänden zu je 4 Mk. — Gebunden, in 8 Halblederbänden . . . . . je 10 — Die Urgeschichte der Kultur, von Dr. Heinrich Schurtz. | Mit 434 Abbildungen im Text, 8 Tafeln in Farbendruck, 15 Tafeln in Holz- schnitt und Tonätzung und 1 Kartenbeilage. | Geheftet, in 15 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder. 17 I Litterar- und kunstgeschichtliche Werke. Geschichte der amtiken Litteratur, von Jakob Mähly. 2 Teile in einem Band. | Gebunden, in Leinwand 3,50 Mk. — Gebunden, in Halbleder 5 25 Geschichte der deutschen Litteratur, von Prof. Dr. Friedr. Vogt u. Prof. Dr. Max Koch. Mit 126 Abbildungen im Text, 25 Tafeln in Farbendruck, Kupferstich und Holzschnitt und 34 Faksimile - Beilagen. Geheftet, in 14 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder 186 Geschichte der englischen Litteratur, von Prof. Dr. Rich. Wülker. Mit 162 Abbildungen im Text, 25 Tafeln in Farbendruck, Kupfer- stich und Holzschnitt und 11 Faksimile- Beilagen. Geheftet, in 14 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder 186 Geschichte der italienischen Litteratur, von Prof. Dr. B. Wiese u. Prof. E. Percopo. Mit 158 Abbildungen im Text und 31 Tafeln in Farben- druck, Kupferätzung und Holzschnitt und 8 Faksimile- Beilagen. Geheftet, in 14 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder 16 Geschichte der französischen Litteratur, von Prof. Dr. Hermann Suchier und Prof. Dr. Adolf Birch- Hirschfeld. Mit 143 Abbildungen im Text, 23 Tafeln in Farbendruck, Holzschnitt und Kupfer- ätzung und 12 Faksimile - Beilagen. Geheftet, in 14 Lieferungen zu je 1 Mk. — Gebunden, in Halbleder 16 Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völlser, von Geh. Hofrat Professor Dr. Karl Woermann. Mit etwa 1300 Abbildungen im | Text, 45 Tafeln in Farbendruck und 75 Tafeln in Holzschnitt und Tonätzung. | (Im Erscheinen.) Gebunden, in 3 Halblederbändenn - 2 5 je 17 9 * eee Meyers Klassiker - Ausgaben. In Teintwand- Einband; 2 . Halbleder - Einband sind die Preise um die Hälfte höher. Deutsche Litteratur. Italienische Litteratur. Arnim, 1 Band, herausg. von J. Dohmke 2|-- | Ariost, Der rasende Roland, v. J. D. Gries, 2Bde. 4 — Brentano, 1 Band, herausg. von J. Dohme 2 — | Dante, Göttliche Komödie, von K. Eitner 2 — Bürger, 1 Band, herausg. von 4. E. Berger 2 — | Leopardi, Gedichte, von R. Hamerling . 1 — Chamisso, 2 Bände, herausg. von H. Kurz) 4 — Manzoni, Die Verlobten, von E. Schröder, 2Bde. 3 50 Eichendorff, 2 Bände, herausg. von R. Dietze 4 — 8 8 7 | Gellert, 1 Band, herausg. von 4. Schullerus || 2 — Spanische und portugiesische Goethe, 12 Bände, herausg. von H. Kurz 30 — Litteratur. — 15 Bde., hrsg. von K. Heinemann, je 2 —] Camoens, Die Lusiaden, von E. Eitner . 125 Hauff, 3 Bände, herausg. von M. Mendheim | 6 — | Cervantes, Don Quijote, von E. Zoller, 2 Bde. 4 — Hebbel, 4 Bände, herausg. von K. Zeig 8 — leid, von K. Eitner.. 1 25 Heine, 7 Bände, herausg. von E. Elster. 16 — Spanisches Theater, von Kapp, Braunfels | Herder, 4 Bände, herausg. von H. Kurz 10 — und Kurz, 3 Bände g 6 50 E. T. A. Hoffmann, 3 Bade. Are von V. Schweizer . 6 — Französische Litteratur. U. v. Kleist, 2 Bde., herausg. von H. Kurz. 4 — Beaumarchais, Figaros Hochzeit, von Fr. Körner, 2 Bände, herausg. von H. Zimmer 4 — Dingelstedt 11 Lenau, 2 Bände, herausg. von C. Hepp. 4 Chateaubriand, Erzählungen, v. . b. Andes 1 25 Lessing, 5 Bde., herausg. von F. Bornmäüller 12 — | La Bruyere, Die Charaktere, von K. Eitner 1 75 O. Ludwig, 3 Bände, herausg. v. F. Schweizer| 6 — Lesage, Der hinkende Teufel, v. L. Schücking|| 1 | 25 Novalis u. Fouqué, 1 Bd., herausg. v. J. Dohmke| 2 |-- | Merimee, Ausgewählte Novellen, v. Ad. Laun || 1 25 Platen, 2 Bände, herausg. von G. A. Wolff u. | Moliere, Charakter-Komödien, von Ad. Laum 1 | 75 V. Schweizer . 4 — Rabelais, Gargantua, v. F. A. Gelbeke, 2Bde.| 5| — Rückert, 2 Bände, herausg. von G. Ellinger| 4 — Racine, Ausgew. Tragödien, von Ad. Laun ‘| 1 50 Schiller, herausg. v. L. Bellermann, kleine Rousseau, Bekenntnisse, v. L. Schücking,2Bde.|) 3 50 Ausgabe in 8 Bänden — 16 — — Ausgewählte Briefe, von Wiegand | 1 — = große Ausgabe in 14 Bänden . 28 — | Saint-Pierre, Erzählungen, von K. Eitner ." 1| — Tieck, 3 Bände, herausg. von G. L. Klee 6/— Sand, Ländliche Erzählungen, v. Aug. Cornelius 1 25 Uhland, 2 Bände, herausg. von L. Franke! 4 — Stael, Corinna, von M. Se a oe Wieland, 4 Bände, herausg. von G. L. Klee 8 — Töpfer, Rosa und Gertrud, von K. Eitner I 25 Englische Litteratur. I | Skandinavische und russische Altenglisches Theater, v. Robert Prölß,2Bde. 4 50 Litteratur. Burns, Lieder und Balladen, von K. Bartsch| 1 50 Björnson, Bauern-Novellen, von E. Lab 1125 Byron, Werke, Strodtmannsche Be: [et — Dramatische Werke, v. E.Lobedanz 2 — | 4 Bände 5 8 — pie Edda, von . Gering : A | Chaucer, Canterbury - - Geschichten, von . Holberg, Komödien, von R. Prutz, 2 Bande 4 | _ "Hertzberg . = al 2 50 Puschkin, Dichtungen, von F. Löwe. 1 Defoe, Robinson Crusoe, von K. Altmüller 1 50 | Tegner, Prithjofs- Sage, von H. Viehof . .| 1 — Goldsmith, Der Landprediger, von K. Eitner | 125 N Milton, Das verlorne Paradies, von K. Eitner 150 Orientalische Litteratur. Scott, Das Fräulein vom See, von H.Viehof 1 — Kalidasa, Sakuntala, von E. Meier N Shakespeare, Schlegel-Tiecksche Ubersetzg. Morgenländische Anthologie, von E. Meier 1 | 25 Bearb. von A. Brandl. 10 Bde. 20 — Shelley, Ausgewählte Dichtungen, von Ad. Litteratur des Altertums. Strodtmann 1.50 | Anthologie griechischer u. römischer Lyriker, Sterne, Die empfindsame Reise, v. K. Eitner 1 25 von Jakob Mähly.. . . . . 2] — — Tristram Shandy, von F. A. Gelbeke| 2 — | Äschylos, Ausgew. Dramen, von 4. Oldenberg 4 — Teunyson, Ausgewählte Dichtungen, von | Euripides, Ausgewählte Dramen, v. J.Mähly| 1 | 50 Ad. Strodtmann 1 25 Homer, Ilias, von F. W. Ehrenthal . . 2 50 — | — Odyssee, von F. P. Ehrenthal . ., 150 Amerikan. Autkulogle, von Ad. Strodtmann 2\— Sophokles, Tragödien, von E. Fieha f. 2|50 Wörterbücher. . M. Pf. | legen 5 ihrer Dudens Orthographisches a ey 85 Sprachf ühreı 5 | eutsch- Englisch oder Franzö- Wörterbuch der deutschen, | sisch oder Italienisch geb. Je 2 50 | - Spanisch oder Russisch Sprache, sechste Auflage. | od.Dänischu.Norwegisch - je 3 — . . F - Schwedisch -. ... . . - 3 50 Gebunden, in Leinwand . 1 60 Neugriechisch. 2 FE r - Arabisch oder Türkisch I | oder Portugiesisch . . je 5 — Meyers Volksbücher. | Erschienen sind 1270 Nummern. Preis jeder Nummer 10 Pfennig. Jedes Bändchen ist einzeln käuflich. Geheftet. Gebunden in eleganten Liebhaber -Leinenbänden, Preis je nach Umfang. Verzeichnisse sind in jeder Buchhandlung zu haben. Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig. 5 LE In * . id 1 1 . U 1 5 8 75 5 — — 2 — a 2 5 N — vr — 8 “ at 2 ... KK b ET a EEE TER ng *