he Univensityof‘ Gorondo Phresonled Dh Be lniversityf n, Ha an ,, DEBE Do feisor- C 2 2222 Y Sa mat 27 RN SE Ahesconlsolof Ihe Bofesoref ham dr "y:accor 2 ing lodhecondiliond Al, club, ui, N. bee, hum, A. Ame of. 2 Wniverschydade . March 21 9 Sriefwedfel zwiſchen Juſtus v. Liebig und Theodor Reuning über landwirthſchaftliche Fragen aus den Tahren 1854 bis 1873. — 8 ——— Dresden 1884. G. Schönfeld's Verlags buchhandlung. Een EHRT / WEN Ze) * E 2 * 8 1 N ö ze 1 j fer): ö x 1 wre u * 9 2 . 4 29 1 * * ER Wo 2 ” 0 * =. RAR u j . 12993 ar 4 * In 1 75 5 N Nee =; D 0 Ns * 3 f N L 2 i R Fe j we ne a: N ö N . 1 7 3 Wi N 0 8 1 0 [u » FIRE ui Dt * 11 N 88 8 e N 52 f N ee Porwort. — Mehr als 40 Jahre ſind verfloſſen, ſeit Juſtus von Liebig ſeine Theorie der Geſetze für die Ernährung der Pflanzen zuerſt ent⸗ wickelte, und es bedurfte mehr als zwanzigjähriger fortgeſetzter Ar⸗ beit und einer Reihe von wiſſenſchaftlichen Kämpfen, bis endlich im letzten Jahrzehnt ſeines Lebens die Lehre ſich zur allgemeinen An⸗ erkennung durchgerungen und auch bei den Landwirthen Deutſchlands feſten Boden gefunden hatte. Zur Erreichung dieſes letzten Zieles hat nicht wenig die überzeugungstreue und unermüdliche Unterſtützung beigetragen, welche ihm die Thätigkeit ſeines Freundes Th. Reuning in Dresden gewährte, der Liebig nur um wenige Jahre überlebte. Ein Bild der gemeinſchaftlichen Arbeit der beiden Männer iſt in dem Briefwechſel niedergelegt, den wir jetzt der Oeffentlichkeit übergeben. Theodor Reuning war 1807 in Bingenheim in Oberheſſen ge⸗ boren und kam früh in ſeiner Laufbahn mit den Fragen in Be⸗ rührung, die den Landwirth beſchäftigen. Er hatte in Gießen Jurisprudenz und Volkswirthſchaft ſtudirt und bekleidete dann als Acceſſiſt von 1831 bis 1836 das Sekretariat der landwirthſchaft⸗ lichen Vereine Oberheſſens. 1836 übernahm er die Verwaltung der gräflich Stolbergiſchen Herrſchaft Gedern in Oberheſſen, von wo er 1843 zur Geſchäftsführung des im Jahre vorher gegründeten landwirthſchaft⸗ lichen Hauptvereines im Königreich Sachſen nach Dresden berufen wurde. In den Theuerungs⸗Jahren 1846 und 1847 leitete er den Ankauf von Getreide und anderen Lebensmitteln für die beſonders bedürftigen Gegenden Sachſens, und die damit verbundenen Anſtreng⸗ ungen legten den Grund zu ſpäteren körperlichen Leiden. IV Vorwort. — — — Er wurde 1849 Generalſekretär der landwirthſchaftlichen Vereine Sachſens und vortragender Rath in Landeskulturſachen am Miniſterium, ſowie Regierungskommiſſar für alle landwirthſchaftlichen Angelegenheiten. Im Jahre 1855 wurde Reuning zum geheimen Negierungs- rath ernannt und erhielt in dieſem Jahre auch den Grad eines Doctor Philosophiae honoris causa von der Univerſität Leipzig. 1867 vertrat er den Wahlkreis Pirna-Stolpen-Neuſtadt am norddeutſchen Bunde, gab aber nach Beendigung der Sitzungen dieſes Jahres die Vertretung wegen ſeiner leidenden Geſundheit wieder auf. Aus demſelben Grunde zog er ſich am 1. September 1868 von den regelmäßigen Arbeiten eines Generalſekretärs zurück, fuhr aber fort, ſeine Dienſte dem Staate und der Landwirthſchaft zu widmen, bis ihn ſein Geſundheitszuſtand nöthigte am 10. Dfto- ber 1869 um ſeine Penſionirung nachzuſuchen. Auch dann noch zog er ſich nicht von allen Arbeiten zurück, ſondern blieb, ſo weit er es vermochte, im Verkehr mit dem Miniſterium und den Landwirthen, jo daß er bis zu ſeinem Tode Regierungs- kommiſſar für die landwirthſchaftlichen Verſuchsſtationen Möckern, Pommritz und die 1869 gegründete pflanzenphyſiologiſche Verſuchs— ſtation Tharandt geblieben iſt. Wiederholte Krankheitsanfälle ver— anlaßten ihn im Mai 1876 auf's Land zu ſeinem Schwiegerſohn auf Cunnersdorf überzuſiedeln, wo er am 3. Auguſt 1876 verſchied. Zahlreiche Ehrenbezeigungen und Auszeichnungen wurden ihm von Sachſen und anderen Ländern für ſeine Verdienſte um die Landwirthſchaft zu theil, unter welchen wir, als Zeichen der dank baren Anerkennung ſeines Landes, der Gründung einer Reuning— Stiftung für Preisfragen gedenken, welche ihm die Landwirthe Sachſens am 4. Nov. 1869, dem Tage feines 25jährigen Dienſtjubiläums, widmeten. Auf dieſes Ereigniß bezieht ſich Liebigs Brief vom 6. December 1869. Vorwort. Y Unter den Zeugniſſen der literariſchen Thätigkeit Reunings heben wir hervor, daß er 1853 ſein Amts- und Anzeigeblatt für die landwirthſchaftlichen Vereine gründete, auf welches die Briefe öfters Bezug nehmen. Auch die Zeitſchrift für landwirthſchaftliche Verſuchsſtationen verdankt ihm in erſter Linie ihre Begründung. In dieſen beiden Blättern, ſowie in andern Schriften läßt ſich das zielbewußte, planmäßige, man möchte ſagen „erzieheriſche“ Wirken Reunings für den landwirthſchaftlichen Fortſchritt recht klar er— kennen: ſein Beſtreben, die wahren, wiſſenſchaftlichen Grundlagen zunächſt feſtzuſtellen und den Landwirth zum ſelbſtſtändigen Denken anzuregen. Obgleich Reuning ſich nicht naturwiſſenſchaftlich ausgebildet hatte, ſo machte es ihm doch ſein ſcharfer Verſtand, ſeine Sachkennt— niß und der Ueberblick, welchen er über die landwirthſchaftlichen Zuſtände Sachſens und Deutſchlands erlangt hatte, ſowie ſeine Liebe zur Sache, mehr als jedem anderen möglich die richtigen Punkte zu finden, an welchen die Lehre der Wiſſenſchaft mit Erfolg eingreifen konnte. Er war vor Allen befähigt, die Fragen, um welche es ſich handelte, klar hinzuſtellen, und das Vertrauen, welches er bei den ſächſiſchen Landwirthen genoß, bewog dieſe, Verſuche zur Beantwort— ung derſelben auf ihren Feldern anzuſtellen, während andere Verſuche auf den Verſuchsſtationen ausgeführt wurden. Die ſegensreichen Er— gebniſſe dieſer Thätigkeit ſind in der 7., 8. und 9. Auflage von Liebigs „Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Phyſio— logie“ niedergelegt”). Als Verwaltungsbeamter, der die Hebung des Wohlſtandes durch ein ſicheres Verſtändniß der Verhältniſſe und durch Heran— ziehung des Volkes zum Mitarbeiten mit feſter Hand herbeiführte, *) Die neunte Auflage wurde noch unter Mitwirkung Liebigs von Profeſſor Dr. Ph. Zöller in Wien bearbeitet, dann nach Liebigs Tode von Ph. Zöller vollendet und 1876 herausgegeben. VI Vorwort. ſowie als weitſchauender thätiger Volkswirth, ſtellt ſich Reuning den Beſten an die Seite. Als Volkswirth ſpricht er, wenn er ſagt: „Die vernünftige Düngung eines Ackers, die richtige Ernährung eines Kalbes giebt dem Steuerpflichtigen das zehnfache deſſen, was die Landtage am Budget erſparen möchten“. Nur ein hervorragender und beharrlicher Charakter konnte wie er ein Ziel ſich ſtecken, deſſen Erreichung — auf das Wohl des ganzen Vaterlandes gerichtet — er nicht hoffen durfte zu erleben. Er hatte aber die Freude, die Frucht ſeiner Arbeit wenigſtens im Umfange des Königreich Sachſens reifen zu ſehen, deſſen landwirth— ſchaftliche Produktion er auf die höchſte Stufe unter allen deutſchen Ländern emporgehoben hat. Damit bewies er zugleich die Wahrheit der Lehre, auf welche er ſich ſtützte. Es wäre überflüſſig die ausgezeichneten Eigenſchaften des Geiſtes und Charakters dieſes Mannes im Vorworte näher ſchildern zu wollen, in ſeinen Briefen zeichnet er ſich ſich ſelbſt am beſten, und gerade der erſte Brief der ganzen Reihe, in welchem er die Hülfe Liebigs zur Hebung des Nothſtandes anruft, giebt Zeugniß für die Beweggründe, welche ihn dann zur Entfaltung ſeiner ganzen Kraft anſpornten. Die Briefe, aus welchen wir nur die ſehr wenig Raum einnehmen— den rein perſönlichen Bemerkungen weggelaſſen haben, leſen ſich an— regend, wie ein auf die Klarſtellung der Wahrheit gerichtetes Ge- ſpräch zwiſchen zwei an demſelben Werke gemeinſchaftlich arbeitenden, von denen der eine die wiſſenſchaftliche Forſchung und Führung, der andere die Anwendung und Verwerthung der Lehre übernommen hat. Der letztere ſtellt die Fragen, ſowie ſie dem Bedürfniß entſprechen und erwartet von dem anderen die Beantwortung, wobei er ſein eigenes Urtheil ſo wenig aufgiebt, daß er auf dieſen wieder anregend wirkt. Der erſte Brief Reunings iſt vom Jahre 1854, allein die Beziehung zwiſchen Reun ing und Liebig iſt älter und begann ſchon Vorwort. VII in der Zeit, da Liebig noch in Gießen wirkte, der bei der Ueber— ſiedelung Reunings nach Sachſen die günſtigſten Erwartungen für deſſen zukünftige Thätigkeit hegte. Von Liebig liegen uns 50, von Reun ing 73 Briefe vor; zu den erſten 11 Briefen Reunings, fanden ſich Liebigs Antworten nicht, und es ſcheint, daß Reuning erſt dann anfing die Briefe aufzubewahren, als ſie für ihn und ſein Streben eine größere Bedeutung gewonnen, als ſich der Briefwechſel über perſönliches zu erheben und auf beſtimmte Ziele zu richten begann. Der lebhafteſte Austauſch fällt in die Jahre 1859 bis Anfang 1866, dann treten länger dauernde Pauſen auf, welche der Unterbrechung der gemeinſamen Thätigkeit ent— ſprechen. So liegt vom Januar 1866 bis April 1868 kein Brief vor, von 1868 wieder ſechs, dann 1869 nur einer von Liebig, der folgende von Reuning iſt erſt wieder vom 25. November 1870 und die Unterbrechung däuchte dieſem ſo lang, daß es ihm ſcheint, als ſeien Jahre vergangen, ſeit er den letzten Brief von Liebig empfangen habe. Das Jahr 1864 hatte die Angriffe Liebigs auf den Betrieb in den landwirthſchaftlichen Schulen und auf die Leitung der land— wirthſchaftlichen Angelegenheiten in Bayern gebracht, welche, nebſt den Entgegnungen, in den Beilagen zur Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 129 bis 212 jenes Jahres enthalten ſind. Es ſcheint aus Reunings Brief vom 10. Juni 1864 hervorzugehen, daß er einen officiellen Bericht in dieſer Angelegenheit verfaßt hatte, der an die bayriſche Regierung gelangte, obgleich er darüber keine beſtimmtere Angabe macht. Die Theilnahme an dieſen Erörterungen war in München jo leb— haft, daß nach Beendigung der Sache eine Anzahl von Bürgern an Liebig eine Adreſſe richtete, auf welche ſich eine Stelle in deſſen Brief vom 21. November 1864 bezieht. Die Adreſſe ſteht in Nr. 314 der Allgemeinen Zeitung, Liebigs Entgegnung in Nr. 327. Die Folge dieſes Kampfes war die Errichtung einer erweiterten VIII Vorwort. landwirthſchaftlichen Central-Verſuchsſtation in München, wobei ſich ein Conſortium von Landwirthen betheiligen ſollte, und hierauf, ſowie auf die Gründung eines landwirthſchaftlichen Blattes wird in einigen Briefen Bezug genommen. Im Jahre 1869 wurde, auf Anregung einiger praktiſchen Land⸗ wirthe und Förderer der Landwirthſchaft, von Göttingen aus eine Samm- lung zu einem Ehrengeſchenke für Liebig angeregt, was zur Bildung der Liebig-Stiftung führte, mit der Beſtimmung, ausgezeichnete wiſſenſchaftliche Leiſtungen und erfolgreiche Beſtrebungen in der Land⸗ wirthſchaft zu ehren und erforderlichen Falles auch Preisfragen aus— zuſchreiben. Von dieſer Stiftung wurde am 1. November 1871 die erſte goldene Medaille an Reuning ertheilt, deren Widmung wir ebenfalls den Briefen beigefügt haben; ſpäter nahm Reuning an der Ausarbeitung der Statuten Theil, auf welche ſich die Briefe vom 7. und 21. October 1872 beziehen. Die landwirthſchaftlichen Fragen wurden 1871 wieder aufgenommen und aus den letzten Briefen geht hervor, daß die gemeinſame Arbeit bis zum Tode Liebigs, am 18. April 1873, nicht geruht hatte. Ein Jahr ſpäter ſuchte Schreiber dieſes Reun ing in Dresden auf, um den Freund und hochgeſchätzten Mitarbeiter ſeines Vaters perſönlich kennen zu lernen, und damals ſprach dieſer den Wunſch aus, die Briefe Liebigs nach ſeinem Tode veröffentlicht zu ſehen. Seinem Wunſche wurde auf Anregung und unter Mitwirkung ſeines Schwiegerſohnes, Herrn R. Echtermeyer, von den beiden Unterzeichneten in dem vorliegenden Bande entſprochen. 5 2 2 — — Reinhold Echtermeyer, Dr. Georg von Tiebig, Rittergutsbeſitzer Kgl. bayer. und großh. heſſ. Hofrath, Docent auf Cunnersdorf bei Dresden. an der Univerſität München, prakt. Arzt; München und Reichenhall. Dresden, den 29. October 1854, Hochverehrter Herr Profeſſor! Werden Sie nicht unwillig, wenn ich wieder, wie ſchon mehr— mals vorher, mit einer Bitte vor Sie trete, deren Erfüllung mir ſehr am Herzen liegt und die nur Sie erfüllen können. Die hohen Lebensmittelpreiſe dauern fort, die arme Bevölkerung vermag, zumal bei uns, wo die politiſchen Conjuncturen eine traurige Arbeitsſtockung in den Gewerben in Ausſicht ſtellen, ſolche nicht mehr zu ertragen; man ſieht überall und zwar ebenſo in den ärmeren Claſſen bei Ihnen wie bei uns, den Mangel an kräftiger, ausreichender Nahrung auf den Geſichtern ausgeprägt, und es iſt dringend nöthig, daß in jeder Weiſe Abhilfe geſchehe. Daß dies nicht möglich iſt durch Verkehrs-Beſchränkungen, wie ſie Bayern, Großherzogthum und Kur⸗Heſſen erlaſſen haben, darüber will ich mich weiter nicht aus— laſſen; wohl aber kann die Wiſſenſchaft, die Sie vertreten, weſentlich dadurch helfen, daß ſie richtige Grundſätze in Beziehung auf die Er— nährung verbreitet, die das Publikum durchaus nicht kennt, die aber von weſentlichem Einfluß auf die Minderung der Noth werden können. Ich habe in der Zeit, wo ich das Referat in den Straf- und Ver— ſorganſtalten Sachſens an dem Miniſterium hatte, in dieſer Be— ziehung die allerglänzendſten Reſultate dadurch erreicht, daß ich rein empiriſch auf eine richtige Miſchung der ſtärkemehl- und der ſtickſtoff⸗ haltigen Beſtandtheile hinwirkte; es ſteigerte ſich der Nahrungs- und Geſundheitszuſtand in kaum glaublicher Weiſe von der Zeit an, wo unter weſentlicher Einſchränkung des Brodconſums mehr ſtickſtoffhaltige Nahrungsmittel gereicht wurden, namentlich aber, wo ſtatt der Butter Fleiſch zu demſelben Koſtenpreiſe für die Gemüſe verwendet wurde. Die jetzigen Nahrungs-Verhältniſſe haben mich nun veranlaßt, auf Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 1 2 Neuning an Liebig. die Mittel öffentlich hinzuweiſen, wie eine billigere und kräftigere Ernährung zu erzielen iſt, allein verlaſſen von der Wiſſenſchaft, wie Sie mich kennen, vermag ich in der Sache nur Oberflächliches mit— zutheilen und dieſes wird nur wenig Beachtung finden, während ein Wort von Ihnen überall hinſchallt und überall verdiente Beachtung findet. Dieſes veranlaßt mich zu der Bitte, daß Sie die Gewogenheit haben, einen oder einige Zeitungs-Artikel über die Ernährung, über die nothwendige Miſchung der beiden Reihen der Lebensmittel zu ſchreiben und hierbei auf die Fehler hinzuweiſen, welche in dieſer Be— ziehung allgemein begangen werden. Die Kartoffeln koſten jetzt / des Preiſes des Roggens, ſie haben nur den Werth von /; dem— ungeachtet genießt man ſie im Uebermaß, läßt Erbſen, Linſen, Hirſe, Buchweizen, Mais, Reis mehr bei Seite liegen und ſo hungert die Bevölkerung bei einer offenbaren Verſchwendung. Eine Hinweiſung hierauf von Ihnen muß von dem beſten Erfolg ſein und wenn ich die Bitte an Sie wage, einen hierauf bezüglichen Aufſatz mir mit— zutheilen, ſo will ich nicht leugnen, daß ich hierbei einen, wenn auch nicht gerade egoiſtiſchen Nebenzweck verfolge, ich möchte auch hier in den höheren Kreiſen die Wiſſenſchaft zur vollſten Anerkennung ge— bracht ſehen. Vielleicht führt mich das Schickſal noch einmal in nicht zu weite Entfernung von Ihnen und geſtattet mir, dann zuweilen bei Ihnen mich Raths zu erholen in vielen Dingen, die mich nicht zur Ruhe kommen laſſen und wo ich rathlos bin und bleibe. Ich ſchwanke noch, ob ich eine äußerlich ſehr befriedigende, meinen Kräften einen ſehr ſchönen Wirkungskreis darbietende Stellung annehmen ſoll und werde in dieſem Schwanken durch ein Vorurtheil, das in meinem Hauſe gegen Bayern herrſcht, beſtärkt, ſo daß ich oft genug mich darauf berufen habe, es müſſe in einem Lande, das Sie zu Ihrem Wohnſitz gewählt haben, doch gut zu leben ſein. Können und wollen Sie mir das beſtätigen, ſo wird es von weſentlichem Einfluß auf meinen Entſchluß werden. Daß von einem Staatsdienſte keine Rede iſt, bedarf einer Bemerkung nicht. Daß Sie dem Buchhändler Wigand eine Betheiligung bei der Herausgabe ſeines Blattes zugeſichert haben, freut mich unendlich; Reuning an Liebig. 3 wäre Ihnen bekannt, was Sie für die Landwirthſchaft thun, wie dieſelbe auf Sie baut, Sie würden vielleicht öfter Veranlaſſung finden, ihrer ſpeciell ſich anzunehmen und in Sachſen iſt der Boden für Ihre Einwirkung voll bereitet. Entſchuldigen Sie, wenn ich Ihre koſtbare Zeit ſo lange in Anſpruch nehme; Sie haben aber einen ſo großen Einfluß auf mein ganzes Leben und Wirken geäußert, als daß ich nicht täglich in Ge— danken Ihnen nahe ſein ſollte und darum beläſtige ich Sie länger, als ich ſollte, aber nicht ſo lange, als ich wünſchte. Nehmen Sie die Verſicherung meiner aufrichtigen Verehrung freundlich auf, in welcher ich bin Ihr ganz ergebenſter Reuning. Pillnitz, 3. Auguſt 1855. Hochverehrter Herr Profeſſor! Geſtatten Sie mir, in der Anlage eine Reihe von Zahlen zu überreichen, entſprungen aus dem Verſuche, die Wirkſamkeit verſchie— dener Düngemittel auf dem rein empiriſchen Wege darzuſtellen und dieſen dadurch weitere Verbreitung zu verſchaffen. Vielleicht ſind unter denſelben einige oder findet ſich auch nur eine, welche Ihren Zwecken dienen kann, und iſt auch dieſes nicht der Fall, ſo erreiche ich den Zweck, mich in Ihr freundliches Andenken zurückzurufen. Die Bemerkungen, mit welchen ich dieſe Zahlen begleite, ſind berechnet für unſere Bauern, die ſo wenig, wie ich, einer wiſſenſchaftlichen Be— urtheilung fähig ſind; ſie machen keinen Anſpruch auf ein nachſichtiges Urtheil von Ihrer Seite; ich muß aber auf dieſe Weiſe die Leute allmählich zu überzeugen ſuchen, daß nur die Wiſſenſchaft verbunden mit einer einſichtsvollen Praxis uns weiter führen kann. Nur auf Eines erlaube ich mir, Ihre Aufmerkſamkeit zu richten, auf die Aus— bildung der landwirthſchaftlichen Verſuchs-Stationen, für welche in Deutſchland ſo wenig, in Bayern nichts geſchieht. Hier, wo man nicht zu wiſſen ſcheint, welche Bedeutung dem landwirthſchaftlichen 1* 4 Reuning an Liebig. Gewerbe zukommt, wo man über die Mittel, dasſelbe zu fördern, ſich nicht klar zu werden ſcheint, bedarf es eines kräftigen Impulſes, der nur von Ihnen ausgehen kann, der ſich aber dann über ganz Deutſchland verbreiten muß. Sie haben ſich uns wieder zugewandt, bleiben Sie uns, und wenn auch Ihre Zeit nicht allein der Land⸗ wirthſchaft gewidmet ſein kann, laſſen Sie ſich einige tauſend Gulden von dem in Aufzügen und ſonſt nutzlos verwendeten Gelde geben, um in Weyhenſtephan einige Chemiker nach Ihrer Anleitung arbeiten zu laſſen; vergeſſen Sie nicht, was ich wiederholt Ihnen zu bemerken mir erlaubte, daß Sie allein es ſind, der unſer Führer ſein kann, daß Sie es allein in der Hand haben, der Richtung uns Eingang zu verſchaffen, welche nothwendig verfolgt werden muß, ſollen wir die Landwirthſchaft fördern, wollen wir das Brod der Armen billiger produciren. Es iſt dieſes ein Beruf, der Ihnen obliegt, für welchen die Kräfte Anderer nicht ausreichen, und wenn Sie mich auf .. . . . . ... verweiſen, ſo muß ich Ihnen entgegnen, daß dieſer zwar treff— lich populariſirt, anregt, aber das Streben vielmehr beſitzt, an den Markt zu bringen, was geſchaffen iſt, als zu produciren; er iſt der Hauſirer mit fremder Waare, oder er ſchnitzt etwas leicht zu. Das ſieht man in der Nähe beſſer und ich verzweifle faſt daran, daß er dahin zu bringen iſt, ſelbſt Tüchtiges zu produciren. Ergreifen Sie die Zügel, die Ihnen gehören, ſchaffen Sie vorerſt in Bayern eine Muſteranſtalt, ſchreiben Sie uns die Wege vor, die einzuſchlagen ſind, und es wird Ihnen die deutſche Landwirthſchaft folgen. Ich bitte nochmals, weiſen Sie mich nicht ab. Zu Ihren Anſichten über Pflanzen-Ernährung fand ich neulich in Kurheſſen, in der Nähe von Hersfeld, einen glänzenden Beleg. Ein Gut trug keinen Klee ohne Kalk, trefflich, nachdem er in den Boden kam. Ein Gerſtefeld, theilweiſe gekalkt, zeichnete ſich in einer Entfernung von ¼ Stunde auf den Strich aus; der tiefſte, früher wahrſcheinlich am meiſten bebaute Boden in unmittelbarſter Nähe des Hofes lag wüſt, weil er trotz aller Düngung nichts brachte; er war an Kalk erſchöpft, der Pachter meinte, „hier muß ich erſt mit Kalk kommen“. Die jetzt arme Gegend wird reich werden durch den Kalk, nicht durch Miſt, nicht durch Guano. Nehmen Sie dieſes als Be⸗ Reuning an Liebig. 5 leg für Ihre große Aufgabe; Sie ſind uns ſchuldig, ſich unſerer an— zunehmen; wir können es verlangen, Sie es nicht abſchlagen. Die Ernährungsfrage iſt etwas weiter für die praktiſche Löſung vorgerückt; ich fand niemand, der ſich der Aufgabe unterziehen wollte, weil man das Material noch nicht für genügend erachtete; ich bat um Anſtellung eines Chemikers auf zwei Jahre für dieſen Zweck, wurde aber höheren Orts belehrt, daß das Material vorliege, es nur darauf ankomme, die Zuſammenſtellung zu bewirken, was nur wenige Wochen erfordere. Mir ſteht ein Urtheil nicht zu, wer recht hat; ich befürchte wieder eine halbe Maßregel, wo eine ganze uns ſehr nöthig wäre. Meine Träume, im Taxis'ſchen Dienſte noch einmal einen größeren Wirkungskreis einnehmen, etwas leiſten zu können, find ver- ſchwunden. Das Veto meines Arztes, der mir hierfür nicht Kraft genug zutraut, mir in kurzer Zeit eine völlige Erſchöpfung zuſchrieb, entſchied in der letzten Stunde; ich muß verſuchen, hier die Maſchine noch einige Zeit in Bewegung zu halten, denke nicht mehr daran, noch einmal zu wechſeln. Es bedarf der Verſicherung der größten Verehrung nicht, in welcher ich bleibe Ihr ganz ergebenſter Reuning. Dresden, 21. December 1855. Hochverehrteſter Herr Profeſſor! Sie haben mich in den Stunden, die Sie mir in München ſchenkten, neue Hoffnungen auf eine ſchleunigere, erfreulichere Ent— wickelung der Landwirthſchaft faſſen laſſen, indem Sie verſprachen, darüber zu denken, wie die Chemie für ſolche am zweckmüßigſten in Anwendung zu bringen ſei, und von dieſem Denken hängt jetzt alles ab, da nach wiederholten Conferenzen mit Stöckhardt man faſt überall auch außer Sachſen nun beginnt, Verſuchsſtationen zu be— gründen, ſo in Rheinpreußen, in Pommern, in Mecklenburg, in der 6 Reuning an Liebig. Mark, in Schleſien, der preußiſchen Provinz Sachſen, in Han⸗ nover. Könnten Sie doch einmal unter den Landwirthen ſein, wie ich, und hören, wie wir alle unwiſſend daſtehen, wie wir uns klammern an jedes Hälmchen, und wie wir dann insgeſammt daſtehen in der nicht immer ausgeſprochenen, aber nur von den größten Nichtswiſſern nicht gefühlten Ueberzeugung, daß wir eben nichts wiſſen. Gedenken Sie Ihres Berufs, durch die Wiſſenſchaft der Menſchheit zu nützen, und Ihr Entſchluß, „für uns denken zu wollen,“ wird raſch durch— geführt werden. Ich habe Ihnen mehreres mitzutheilen. Das Brodbacken mit Zuſatz von Kalk wird in der Strafanſtalt zu Waldheim mit beſtem Erfolg durchgeführt; man ſagt, die Säure in dem ſchwarzen, ſchweren Brod vermindere ſich; die Speiſezettel der Strafanſtalt zu Zwickau ſind in der Anlage beigefügt. Sie erſehen aus denſelben, daß man, wenn die entſprechenden Einrichtungen getroffen werden, die Menſchen auf billigem Wege ernähren kann. Ob dieſe die richtigen ſind, weiß ich nicht, werden Sie beurtheilen. Weiter erhalten Sie den ſchönen Düngungsverſuch von Klein— wolmsdorf, angeſtellt in Folge der erſten desfallſigen Anregung. Der Boden iſt verwitterter Granit ohne Kalk. Die Fruchtfolge iſt hier eine andere, als in den Ihnen vorliegenden Verſuchen; es ſoll Ihrem Wunſche zufolge im Frühjahr eine Anzahl von Düngungs⸗ verſuchen mit verſchiedenen Fruchtfolgen in Großkmehlen eingeleitet werden. Endlich iſt das Amts- und Anzeigeblatt von 1854, 1855 angefügt, in welchem Sie verſchiedene Unterſuchungen finden werden. Als Zeichen der Ignoranz ſehen Sie die vergleichenden Futter— werthstabellen an. Muthen Sie mir nicht zu, daß ich glaube, was dieſelben enthalten; ich bin überzeugt, daß keine Zahl richtig iſt, daß vor allem zu ermitteln iſt, wie die Nahrungsmittel gemiſcht werden müſſen, daß ich aber dieſe Tabellen in mehr als 10 000 Exemplaren verbreitet habe, daß ich thun muß, als glaube ich ſie, daß ich das Schlechte nehme, weil es noch beſſer iſt als nichts, dazu gehört ein gewiſſer Grad von Reſignation; man wird mich in wenigen Jahren den gröbſten Ignoranten nennen, das weiß ich; doch aber nütze ich Reuning an Liebig. 7 hiermit und muß dieſen Vorwurf auf mich laden. Welchen Werth hätte eine rationelle Futtertabelle, welche Millionen Pfunde Fleiſch würden jährlich mehr durch ſolche gewonnen, — aber die Männer der Wiſſenſchaft laſſen uns im Stiche, es geht ſehr langſam vor ſich. Mit einem Stalle von 10 Rindern und 10 Schweinen, mit einem tüchtigen Chemiker, „für den Sie denken“, geben Sie uns in zwei Jahren, was wir hier bedürfen. Bayern will, wie Fraas mir ſagt, auf dem Wege der Wiſſenſchaft vorwärts. Geben Sie dieſer die Nationaltracht, geben Sie aus Bayern die erſte große Anregung hierzu und ganz Bayern ſteht hinter Ihnen, denn dann iſt die Wiſſen⸗ ſchaft eine bayeriſche. Von außen wird nichts eingelaſſen, „weil Bayern das beſte Bier braut, folglich auf der Zinne der Intelligenz ſteht“. Ihnen gewährt Ihr König alles, und was ein König ge— than, thun mehrere. Noch eine intereſſante Thatſache. Bei dem Irrenhaus in Colditz iſt ein Garten von 5 Acker. In dieſen kamen bis vor zwei Jahren die Abfälle von 700 Menſchen, jetzt von 500, und dieſer Garten will nicht mehr tragen. Ich ſchlug Fruchtwechſel, Klee und Gras— einſaat vor. Auch dieſe wachſen nicht, nur wo man tief rajolt, wird's beſſer. Die Gärtner wollen Kuhmiſt; ich habe nunmehr, da Klee nicht wachſen will, die Ueberzeugung, daß es an einem Mine— ral, Phosphor oder Kalk fehlt, wahrſcheinlich an beiden; es ſollen im Frühjahr hierhin zielende Verſuche angeſtellt werden, und ich bin auf ihr Ergebniß ſehr geſpannt. Jede Erſcheinung, die man mit Verſtand auffaßt, beſtätigt Ihre erſte Anſicht über die Mineral— nahrung, ſie ſteht in thesi abſolut richtig, in praxi müſſen wir Stickſtoff zuſetzen, um ſo viel zu ſchaffen, als wir brauchen. Erfreuen Sie mich nicht mit einem Briefe, das muthe ich Ihnen nicht zu, aber mit zwei Worten, daß Sie für die Landwirthſchaft hauptſächlich thätig ſein wollen, und ſeien Sie der größten Verehrung verſichert, in welcher ich bin Ihr ergebenſter Dr. Reuning. 8 Reuning an Liebig. Dresden, 11. Februar 1856. Hochgeehrter Herr Profeſſor! Wäre ich mir nicht zu klar bewußt, daß es mir nach allen Seiten an ausreichenden Kenntniſſen fehlt, um die Erfolge meiner Beſtrebungen mit meinen Abſichten in irgend einen Einklang zu bringen, Ihr Brief vom 25. December würde mich dann, auch ab— geſehen von dem, was ich auf Rechnung Ihres freundlichen perſön— lichen Wohlwollens ſetzen muß, wahrhaft erhoben haben. Da ich aber weiß, wie wenig ich vermag, da ich dieſes um ſo mehr erkenne, je mehr ich mich in Nichts aufgehend betrachten muß, wenn ich ſehe, was Männer leiſten wie Sie, um ſo mehr fühle ich mich ſchwach, gedrückt; Ihre Anregung konnte mich zwar von neuem anfeuern, zu leiſten, was die geringen Kräfte geſtatten, aber ich ſehe mit allem, was ich beginnen möchte, das Ziel ſo fern, die Mittel ſo ſchwach, daß ich zwar Vorſchläge machen, aber ſie nicht durchführen kann, und ſo kann ich den Gedanken nicht los werden, mich in eine Bahn zu werfen, die mir mehr Erfolg verſpricht; ich wollte aus dieſem Grund in den Taxis'ſchen Dienſt treten und hätte vielleicht beſſer gethan, wenn ich dieſes ausgeführt hätte. Doch ich will Ihnen nicht klagen und dieſe Einleitung damit ſchließen, daß ich es mir zwar zur größten Ehre rechne, Ihre neue Ausgabe der Agricultur— Chemie eher in der Hand zu haben, als ein anderer, daß ich aber ein Urtheil über irgend einen Theil derſelben mir nicht anmaßen, Sie höchſtens auf eine „praktiſche Erfahrung“ aufmerkſam machen könnte, und was dieſe iſt wiſſen Sie. Heute Abend ſoll die erſte Conferenz über die Ausführung der chemiſch-phyſiologiſchen Verſuche in Beziehung auf die Ernährung der Menſchen ſtattfinden; die Geldmittel ſind zugeſagt. Dr. Lehmann, Ihnen bekannt, wird den chemiſchen Theil unter Leitung von Stein übernehmen. Dr. Funke in Leipzig den phyſiologiſchen. Die An— ſichten der Herren ſind noch ſehr abweichend. Mir will der chemiſche Theil vorerſt noch als der wichtigſte, die Grundlage bildende er— ſcheinen; wir können nicht mit Stoffen operiren, ehe wir ſie alle genau und vergleichend in ihren Zuſammenſetzungen kennen. Ihre Reuning an Liebig. 9 desfallſigen Bemerkungen ſollen mir die Anhaltepunkte für die Ver— handlungen darbieten. Für die landw. Verſuchs-Stationen habe ich das anliegende Programm, das von dem Landeskulturrath angenommen iſt, ent— worfen; es ſoll verſucht werden, dasſelbe in Deutſchland zur Geltung zu bringen. Sie haben hier eine poſitive Grundlage, welche Sie verlangten, um mir Ihre Anſichten mitzutheilen; ich bitte ſehr um dieſe, kann noch ändern, was Sie für zweckmäßig erachten. Wir müſſen alles daran ſetzen, um die Wiſſenſchaft zu vervollſtändigen, mit der Praxis in Einklang zu bringen, für ſie ganz anwendbar zu machen. Die Landwirthſchaft weiß heute nichts; die Wiſſenſchaft muß ſie noch feſt begründen. Sie haben gut hineingeleuchtet, Sie haben die Principien aufgeſtellt, wir müſſen ſie zur vollen Ausnutzung bringen und dazu wird es langer Zeit, großer Anſtrengungen be— dürfen. Sie müſſen uns bei dieſen leiten. Ihre Zeit iſt koſtbar, das habe ich mir geſagt, als ich als Theil eines Berichts an das Miniſterium über die Entwicklung der ſächſiſchen Landwirthſchaft in den letzten 10 Jahren den im Concept anliegenden Theil, „die Pflanzen-Nahrungsmittel“ niederſchrieb und den Entſchluß faßte, ſolchen Ihnen mit der Bitte vorzulegen, ihn zu corrigiren. Die Mangelhaftigkeit kann niemand mehr fühlen, als ich, und ich würde es ſicher unterlaſſen haben, dieſen Abſchnitt über— haupt aufzunehmen, könnte ich denſelben weglaſſen; ich kann ihn auch hier niemand zur Durchſicht geben, da Stöckhardts Anſichten, wie er ſolche ſeither vertrat, mit dem im Widerſpruch ſtehen, was ich für das einfachſte, naturgeſetzliche halte, Ritthauſens Beſcheidenheit aber ihm nicht geſtattet, die Fehler zu corrigiren. Wollen Sie alſo die Güte haben, auszuſtreichen, was falſch iſt, überhaupt ganz nach Belieben zu verfahren, ſo werden Sie mich und die etwaigen Leſer des Buchs, das werden ſoll, zu großem Dank verpflichten. Ich habe nichts, als dieſes Concept und bitte um Rückſendung nach ſcharfer Beurtheilung. Ihr Aufſatz über Waſſerglas hat mich veranlaßt, ſofort Ein— leitung für die Anwendung desſelben zu treffen. Conſervirt dasſelbe das Holz, ſo ſteht für das landwirthſchaftliche Bauweſen eine große 10 Reuning an Liebig. Umänderung bevor; es ſind hundert Zwecke die durch dasſelbe er— reicht werden können. Wieder ein Beiſpiel, wie die Wiſſenſchaft uns nützt. Von dem Amts- und Anzeigeblatt folgen die beiden erſten Nummern; vielleicht intereſſiren Sie doch die beiden erſten Mit- theilungen bezüglich des Rübenbaues; ich finde die jetzige Theuerung, namentlich des Fleiſches, hauptſächlich in der Kartoffelkalamität und bin der Ueberzeugung, daß die weitere Ausdehnung des Rübenbaues allein die Folgen derſelben zu beſeitigen vermag. Nun habe ich Sie länger beläſtigt, als recht iſt. Geſtatten Sie mir nur noch Raum, um die Gefühle der größten Verehrung auszu— drücken, in welcher ich bin Ihr ergebenſter Reuning. Dresden, 11. April 1856. Hochverehrter Herr Profeſſor! Soeben habe ich den letzten Bogen meines Berichtes vollendet, und gedenke ihn nunmehr nach einer nochmaligen Durchſicht zum Druck zu befördern. Daß ich Sie mit einem Theile des Manu— ſeriptes beläſtigt habe, darüber habe ich mir Vorwürfe gemacht, da Ihre Zeit mit wichtigeren Angelegenheiten ausgefüllt ſein muß, als mit dem Durchleſen von „Gedanken“ über Pflanzen-Ernährung. Haben Sie die Güte, mir die betreffenden Bogen wieder zukommen zu laſſen, ich werde daran feilen, ſo daß ich gedenke, beſtehen zu können. Der Nahrungs-Chemiker Dr. Lehmann hat ſeine Arbeiten be— gonnen und wird, wie ich ſicher hoffe, zu ſchönen Reſultaten kommen; er hat mit dem Brode angefangen und ſchon bei dem Backen des— ſelben werden intereſſante Fragen zu löſen ſein, da z. B. der auf dem Felde ausgewachſene Weizen ſich nicht bäckt, der in Schafmiſt in ſtarker Guanodüngung gebaute Weizen „läuft“ wie der Bäcker ſagt. Die Erhaltung der Stickſtoff-Rückſtände in der Kleie für die menſchliche Ernährung giebt ferner intereſſanten Stoff. Ebenſo freue Reuning an Liebig. 11 ich mich auf die Unterſuchungen des Fleiſches von Vieh aus ver— ſchiedenen Maſtungsperioden, die auf die Viehzucht wieder weſentlich rückwirken müſſen. Ueberall Stoffe auf Jahre. In landwirthſchaftlicher Beziehung wenig neues, das Sie in— tereſſiren könnte. Ritthauſen will poſitive Grundlagen für die Aus— ſcheidungen aus den Wurzeln der Pflanzen gefunden haben; Scheven hat die Schweinemilch viel weniger fettreich gefunden, als die Kuh— milch und hierdurch intereſſante Andeutungen über die Ernährung der Schweine gefunden, die uns weiter führen müſſen; die volle Ernährung der Thiere führt zu den ſchönſten Ergebniſſen; ſie be— weiſt, daß die reichſte Fütterung die größte Erſparniß, die ärmſte die größte Verſchwendung iſt. Bringen wir dieſen Satz zur Geltung in ganz Deutſchland, dann iſt wieder für die Volksernährung unend— lich viel gewonnen, denn dann produciren wir aus demſelben Futter bei einer kleineren Anzahl von Thieren eine ungleich größere Menge von Fleiſch und ermäßigen den Preis. Hier fängt die Reichfütterung namentlich bei jungen Thieren ſehr an um ſich zu greifen. Die Verſuchsſtationen haben die Aufgabe, nachzuweiſen, wie Klee dauernd oder im Wechſel weniger Jahre auf demſelben Felde wieder gebaut werden kann, und ſie werden dieſelbe ſicher löſen; ich glaube, Phosphor und Kali reichen hin, um das Ziel zu erreichen. Mit der Beantwortung dieſer Frage treten wir wieder in ein neues Stadium des Ackerbaues; fie ſtößt alle Fruchtwechſelſyſteme um, ſo⸗ fern die dem Klee darzubietenden Mineralien nicht zu theuer ſind. Stöckhardt will von der Fütterung eines Schweines mit Fiſch— guano ſehr günſtige Erfolge gehabt haben; über den Einfluß von Mineralien auf die Ernährung habe ich kurioſe Gedanken; ich glaube oder ahnde vielmehr, daß dieſelben auf die Verdauung von großem Einfluß ſind. Bei dem Salze weiß man es; Schweine freſſen mit Gier Kalk, Steinkohlen, namentlich in höherem Fettzuſtande. Das muß doch ſeinen Grund haben. Antimonium ſoll die Maſt bei Rindern befördern; ſelbſt Arſenik in ſehr kleinen Doſen auffallend wirken. Die Knochenbrüchigkeit der Rinder ſoll aus einem Mangel an Kalk im Boden herrühren. Ich werde ſehen, was nach dieſer Richtung zu verſuchen iſt, ſitze aber als Unverſtändiger überall ſofort feſt. 12 Naeuning an Liebig. 2 Hätte ich die Macht, die Sie in Bayern beiten, es ſollte bald beſſer werden mit der Landwirthſchaft, aber ich muß mich plagen und quälen um jeden Groſchen, der ausgegeben wird. Als ich im vorigen Jahre hoffte, eine Domaine in Pacht zu erhalten, welche das Miniſterium des Innern für ſeine Zwecke von dem Finanzminiſterium verlangte, ſcheiterte die Sache. So ſteht man vor einer hungernden, in ſich verkümmernden Generation, ſehend, daß zu helfen iſt, gehemmt überall, weil man nicht glaubt an die Möglichkeit der Abhülfe. Ich weiß es aber, daß wir den Centner Heuwerth um 5 Ngr. höher verwerthen können, wenn wir vernünftig füttern, und dieſes beträgt bei uns allein jährlich 7,000,000 Thlr. Spreche ich es aus, ſo nennt man mich einen Schwindler; in 25 Jahren wird man mir Recht geben. Sie, im Beſitz des vollen Vertrauens eines Königs, der beſtrebt iſt, ſein Volk glücklich zu machen, erreichen, was Sie wollen. Laſſen Sie ſich eine Domaine geben, und ſeien es nur 200 Morgen, ſetzen Sie einen ſtrebſamen Landwirth und drei Chemiker auf dieſelbe, die Ihre Ideen ausführen und Sie erreichen unendlich vieles. Weiß man ja doch in der Bayriſchen landwirthſchaftl. Ver— waltung nicht, wie man das Geld verwenden ſoll, das dort reichlich fließt, treibt man Spielereien und poſaunt ſie in die Welt, als ſtecke wirklich Etwas dahinter, während man das Wichtigſte bei Seite liegen läßt. | Der Phosphorit von Amberg iſt in Zwickau vermahlen, und es werden in dieſem Jahre größere Verſuche gemacht werden. Der Bogen iſt wider Willen voll geſchrieben, entſchuldigen Sie es, daß Sie ihn ausleſen müſſen und gedenken Sie wohlwollend Ihres Sie verehrenden Dr. Reuning. Dresden, 14. Mai 1856. Hochverehrter Herr Profeſſor! Faſt bin ich Herrn Lawes über ſeine Angriffe dankbar, da er durch ſolche Sie genöthigt hat, wieder einmal direkt für Ihre Anz Reuning an Liebig. 13 ſichten auf den Kampfplatz zu treten und die „Geſichtspunkte feſtzu— ſtellen, von welchen ein Fortſchritt zu erwarten iſt“. Das iſt es, was wir bedürfen, nachdem ſich das Intereſſe nach Förderung der Wiſſenſchaft allenthalben zu regen beginnt, ohne daß man aber recht erkennt, worauf es ankommt. Man will einzelne Analyſen, deren Reſultat man zu verarbeiten außer Stand iſt, und ſo geräth man in ein Schwanken, das der Sache wenig nützt. Hier hoffe ich nunmehr zu der Baſis gelangt zu ſein, auf der wir fortarbeiten. Daß Sie meine Arbeit nicht mißbilligt haben, hat mich ſtolz gemacht, mehr als Sie glauben mögen. Es gereicht mir zu einer wahren Beruhigung, in dieſer wichtigen Frage zu einer richtigen An— ſchauung gelangt zu ſein und will ich keine Mühe ſparen, derſelben gemäß thätig zu wirken. Vielen fallen allmählich die Schuppen von den Augen. Auch Stöckhardt verſuchte es, mit Ammoniak allein in todtem Boden Hafer zu bauen, die Pflanze ging natürlich ein; die in Mineralſtoffe gebrachte wuchs fort bis zur Ausbildung. Immer bedauere ich es wieder, daß Sie nicht ſelbſt Verſuche leiten wollen; wir haben zwar die wiſſenſchaftliche Baſis, auf der wir fortbauen können, aber es fehlt uns für die Anwendung noch zu viel. Welche Mineralien bedarf jede einzelne Pflanze, in welcher Menge, in welcher Zuſammenſetzung, in welcher Löslichkeit? wie wird dieſe Löslichkeit bewirkt? was hat der Boden? was iſt ihm zu geben? wie viel, wie oft? wie iſt das Verhältniß des Stickſtoffs, um genug, nicht zu viel, nicht zu wenig zu geben? Das ſind Alles Fragen, welche die Wiſſenſchaft löſen muß, ehe es ſich um den „Profit“ handelt. Wir würden von Ihnen allerdings zu viel verlangen, wollten wir Ihnen Fragen vorlegen, die lediglich den Nutzen der Landwirthe bezwecken, aber die Mehrproduction von dem Boden gewährt nicht allein Gewinn, ſie gewährt Lebensmittel für einen großen Theil der darbenden Bevölkerung, und durch dieſe ſoll ſolche kräftiger, arbeits— fähiger werden. Dahin aber zu wirken, iſt der koſtbare ſchöne Beruf. Die Kleefrage betrachte ich allerdings als einen Anfang; die Menſchen ſchrecken in der Regel zurück vor einer großen Aufgabe, 14 Reuning an Liebig. die ihnen im Ganzen vorgelegt wird, ich habe deswegen dieſe eine herausgegriffen, es ſollen die Verſuche in Gläſern angeſtellt werden. Mit unwandelbarer Verehrung bleibe ich Ihr ergebenſter Reuning. Dresden, 18. März 1857. Hochverehrter Herr Profeſſor! Es iſt eine lange Zeit vergangen, ſeit ich Sie mit einem Briefe unbeläſtigt gelaſſen habe; erlauben Sie mir mit Rückſicht hierauf, wieder einmal vor Sie zu treten. Für die geneigteſt überſandte „Theorie und Praxis der Land— wirthſchaft“ danke ich Ihnen herzlich und wünſchte weiter nichts, als daß Ihre Gegner endlich aufhörten, zu ſchreiben; meine Anſichten über die Sache ſind Ihnen bekannt; es werden gründliche Verſuche den Mineralien ihr Recht wiederfahren laſſen, ſie müſſen zu der allgemeinen Anerkennung der Sätze führen, die Sie vor vielen Jahren aufgeſtellt haben, ſo ſehr man ſich auch bemüht, an den einzelnen Worten zu häkeln. Daß Sie ſich eine Verſuchs-Station geſchaffen haben, hat mich mehr erfreut, als ich Ihnen ſagen kann, Sie werden durch dieſelbe auch auf dieſem ſpeciellen Gebiete das Heft in die Hand nehmen und uns zeigen, welche Wege wir einzuſchlagen haben. Seit langer Zeit arbeite ich an einem Programm für unſere Stationen, je öfter ich aber die Sache wieder vornehme, um ſo weiter ſehe ich mich von dem Ziele deſſen, was ich durch dasſelbe zu erreichen wünſche, um ſo mehr ſcheue ich mich, mit der Ver— öffentlichung hervorzutreten, da Ihnen alles dieſes als unvollkommen, nicht beachtbar erſcheinen muß; und doch muß ich mit dem Verſuch hervortreten, damit eine wiſſenſchaftliche Richtung definitiv feſtgeſtellt wird, damit wir zu einem gründlichen Anfang in Sachſen gelangen und für die Zukunft Nützliches geſchaffen wird. Unſere Stationen werden ſich bald um eine in der Lauſitz vermehren, die mit Reuning an Liebig. 15 1500 Thlr. ausgeſtattet, einen Ihrer Schüler Dr. Lehmann zum Vorſtand erhalten wird. Was in Prag beſchloſſen wurde, iſt Ihnen bekannt; ich fürchte, daß wir auf dieſem Wege nicht vorwärts kommen; es iſt verſucht worden, die Herren zu einer Verſammlung in Weimar zu veranlaſſen; ich wollte nicht Sie zu derſelben einladen, bevor ihr Zuſtandekommen geſichert war und es iſt eingetreten, was ich vermuthete, es hat ſich keine ausreichende Betheiligung ergeben. Hiernach kann ich nicht glauben, daß formell eine Einigung über das zu verfolgende Ziel erreicht wird; ich hätte vor allem die Gründung eines agriculturchemiſchen Central-Organs gewünſcht und ſehe zur Zeit nicht ein, wie ein ſolches zu beſchaffen iſt, da dasſelbe, wenn es eine rein wiſſenſchaftliche Richtung verfolgen ſoll, ſich wenigſtens in der erſten Zeit nicht trägt und ich niemand ſehe, der die Opfer bringen will. Recht gut arbeitet Dr. Scheven in Großkmehlen, dort feiert die Wiſſenſchaft ihren Triumph in Beziehung auf Ernährung der Thiere, dort zeigt ſich, was dieſelbe in Beziehung auf richtige Miſchung des Futters vermag. Nie habe ich einen beſſeren und nutztragenderen Rindviehſtand geſehen, als dort, wo im ganzen Stall richtig gefüttert wird, und wo ich die Verhältniſſe ſeit Jahren kenne. Möckern wird bald Tüchtiges liefern. Sie haben überſehen jedenfalls, was wir durch Concurrenz— preiſe in Beziehung auf Production im Ackerbau und in der Vieh— zucht zu erreichen beſtrebt ſind. Die enormen Erträge an Rüben habe ich Ihnen mitgetheilt; geſtern erhielt ich das Reſultat, daß ein Ochſe in 12 Monaten 1005 Pfund, ein Schwein in gleicher Zeit 490 Pfund lebend erreichte. Für die Wiſſenſchaft werden dieſe Verſuche, möglichſt viel zu erzielen, manche ſehr beachtenswerthe Winke geben, namentlich anzeigen, welchen Einfluß Mineralien auch bei dem Thiere äußern, und hier liegt glaube ich noch mehr verborgen als viele vermuthen. Beſonders intereſſant iſt mir ein Bauer, der ſein Preis⸗Schwein lange mit vorwiegend ſtickſtoffhaltigen Beſtand— theilen ernährte, natürlich ohne es zu wiſſen und erſt als er Körper und Fleiſch gebildet hatte, Stärke ꝛc. gab, um Fett auf dem Fleiſch 16 Reuning an Liebig. zu bilden. Das Thier blieb im Anfang ſehr hinter den auf Fett gefütterten zurück, holte aber die andern ſpäter ein, übertraf mehrere bedeutend. Wir werden ſehen, wo der Sieg bleibt. Höchſt in— tereſſant aber werden auch dieſe praktiſchen Ergebniſſe. Wird der Wiſſenſchaft ihr Recht in der Landwirthſchaft, ſo trägt Deutſchlands Boden noch Maſſen von Menſchen, aber es wird noch harter Kämpfe bedürfen, um nur erſt die Ueberzeugung davon zu begründen, welcher Weg einzuſchlagen iſt. Wollten Sie die Güte haben, mir mittheilen zu laſſen, wie Sie vorgehen, ſo würde ich Ihnen in Beziehung auf die von uns zu verfolgende Richtung ſehr dankbar ſein. Werden Sie nicht müde, führen Sie durch, was Sie begonnen. Es bedarf nicht der Verſicherung größter Verehrung, in welcher ich bin Ihr ganz ergebener Reuning. Dresden, 24. März 1857. Hochverehrter Herr Profeſſor! Erlauben Sie mir, Ihren freundlichen Brief vom 21. d. M. ſofort zu beantworten. Sie ſind der Landwirthe herzlich müde, wie Sie ſchreiben; das zeigt mir, daß Sie dieſelben doch nicht ganz richtig beurtheilen, denn daraus, daß niemand öffentlich auf Ihre Seite tritt, iſt noch nicht zu ſchließen, daß eine Meinung gegen Sie und Ihre Anſichten beſteht. Wer ſoll das Wort ergreifen, wer darf es wagen, in dieſen Streit ſich zu miſchen, wer hat die Befähigung dazu? Ich weiß niemanden und obſchon ich mir ſelbſt vorgenommen hatte, mich in die Sache zu miſchen, ſo erkannte ich doch bald genug das Frivole dieſes Beginnens, daß ich mich lächerlich machen müſſe, wollte ich für Sie die Feder ergreifen. So viele Landwirthe ich auch kenne, ſo wüßte ich doch nicht einen einzigen, der hierzu geeignet wäre und wenn Schulz und Walz ihre Schriften der Oeffent— lichkeit übergeben haben, ſo iſt dieſes eben ein Wagniß, das ich nicht Reuning an Liebig. 7 vertreten möchte. Ihre Theorie und Praxis hat die größte Theil— nahme erregt, wer denken kann, der weiß, daß die Stickſtofftheorie, wie ſie uns aufgetiſcht wurde, nichts iſt als Luft, daß wir Feſtigkeit ſuchen müſſen. Ich wollte, um eben hiervon die Ueberzeugung zu begründen, noch einmal die Verſuche über den Einfluß des Stick— ſtoffs allein in mineralloſem Boden wiederholt haben; man erklärte, daß man ſich hierdurch nur lächerlich machen würde; hiermit iſt die abſolute Stickſtofftheorie von ſelbſt geſchlagen und es werden uns wiſſenſchaftliche Unterſuchungen mehr noch beweiſen, wohin wir das Auge zu richten haben. Daß Sie den Streit fortſetzen, iſt nach meinem Erachten kaum nöthig, die Wahrheit tritt von ſelbſt hervor. Mit Phosphorit von Amberg will ich im Frühjahre Verſuche im Felde beginnen laſſen; wüßte ich nur, wie er ſofort löslich ge— macht werden kann, damit wir raſcher zum Ziele gelangen. Walz' Schrift habe ich noch nicht geleſen, ich will verſuchen, ob ich mich daran ſpannen kann; es gehört eine Aufopferung dazu, allen dieſen Dingen zu folgen, wenn man ſich eine Anſicht gebildet hat. Auch von den chemiſchen Fragen von Prag habe ich noch nichts geleſen; erwarten Sie aber nichts von ſolchen Verſammlungen; es wird daſelbſt, namentlich chemiſch viel Unverdautes geſprochen; nur Anregung und Geld wird durch dieſelben erzielt. Halten Sie zur Landwirthſchaft, ich bitte nochmals und dringend darum; wer ſteht, wo Sie ſtehen, iſt über das Kleine, das von außen kommt, weit erhaben, hat nichts zu fürchten. Aber eines Kampfes bedarf jede gute Sache, ſei es auch eine geringfügige. Noch wenige Jahre und Sie werden die Früchte reifen ſehen; der Baum iſt im Wachſen. Mit größter Verehrung bin ich Ihr ergebenſter Reuning. Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 2 18 l Reuning an Liebig. Dresden, im Juli 1857. Hochverehrter Herr Profeſſor! Ihr ſehr freundlicher Brief vom 28. Mai liegt mir noch zur Beantwortung vor; ich danke Ihnen vorerſt, daß Sie inmitten Ihrer wichtigen und intereſſanten Arbeiten meiner Liebe für die Fortſchritte auf dem Gebiete der Agricultur-Chemie gedacht haben. Leider bin ich ſo wenig in der Chemie überhaupt und in der experimentirenden insbeſondere bewandert, daß ich nicht einmal die angedeuteten Ver— ſuche ausführen kann; es bedarf aber auch deſſen nicht, um die feſte Ueberzeugung von der Wahrheit mir zu verſchaffen. Den Verſuchs⸗ ſtationen aber habe ich ſofort Abſchrift Ihres Briefes mitgetheilt und es verſichert mir Dr. Knopf in Möckern, daß er mit ganz ähn- lichen Verſuchen bereits ſeit Monaten beſchäftigt ſei. Was Sie über die Aufnahme der Pflanzennahrungsmittel durch die Wurzeln ſagen, iſt abſolut in der Praxis begründet, auch bei dem loſeſten Sande findet ſich einen Zoll unter der Ackerkrume, in welche die Wurzeln dringen, keine Spur mehr von den Mineralien, welche die Pflanzen bedürfen; die wiſſenſchaftliche Erklärung haben Sie ge— geben. Dieſe wird uns gleichzeitig zur Unterſuchung des Bodens führen, in welcher Beziehung eine zuverläſſige Methode doch fehlte, und dieſer weitere Schritt iſt ein ſehr großer. Verſtehe ich endlich richtig, was Sie in Beziehung auf die Menge der Pflanzennahrungs— mittel jagen, die ein Boden enthalten muß, um die Pflanze zu pro= duciren, jo kann, glaube ich, die Praxis nicht mit Ihnen überein- ſtimmen und von dieſer nur rede ich. Ich ſah armen Boden in der Lauſitz, der mit 3 Ctr. Knochenmehl auf den Magdeburger Morgen 10 Berl. Sch. Roggen producirte, nachdem derſelbe nie eine Frucht getragen, vielmehr nichts als die ärmlichſte Haide producirt hatte. Dieſes ſcheint mir einen Schluß darauf zuzulaſſen, daß die Pflanzen ſehr raſch den Dünger aufnehmen, wenn er für ſie auf— nehmbar iſt. Der Guano thut, glaube ich, noch mehr, er führt in gewiſſer Beziehung zu einer Ueberanſtrengung des Bodens und zwar gerade aus dem von Ihnen angeführten Grunde, der ungleich ſtärkeren Wurzelbildung. ; Reuning an Liebig. 19 Immer beſtätigt ſich, was ich ſeit Jahren behauptet habe und was eine glänzende Rechtfertigung für Sie den Angriffen der Stickſtoffleute gegenüber darbietet, daß auch in Wirthſchaf— ten, welche andern Dünger verwenden, und zwar in reichlichem Maße, ſchon bei einer Anwendung von 1 ½ Ctr. pro Morgen und Jahr eine Verarmung an einzelnen Mineralien eintritt; es will der Klee, die empfindlichſte Pflanze nicht mehr voll— ſtändig gedeihen, es wird derſelbe von Jahr zu Jahr weniger vollkommen und iſt mir dieſes ſehr erklärlich. In Beziehung auf den Klee ſah ich im Mai in der Magdeburger Gegend eine intereſſante Erſcheinung. Auf einem Gute, das allerdings / des Areals mit Zuckerrüben bebaut, ſehr tief pflügt und einen jo lockeren Boden hat, daß die Rübenwurzeln bereits öfter die 4 Fuß tiefen Drain⸗ röhren verwachſen haben, will der rothe Klee durchaus nicht mehr gedeihen; man muß Luzerne bauen, die ihre Wurzeln 10 —20 Fuß tief einſchlägt. Ich erkläre mir dieſes nicht anders, als daß die Rübe das Kali im Boden abſorbirt hat, begreife aber nicht, wohin dasſelbe kommt, da doch nur der Zucker ausgezogen wird, alles andere wieder in den Boden kommen muß, da die Rückſtände ver— füttert werden. Daß eine allzutiefe Lockerung des Bodens, wie man dort glaubt, den Kleewuchs benachtheilige, dafür kann ich keinen Grund finden. Ihre Aufſätze in der Augsburgerin habe ich nur flüchtig leſen können, die betreffenden Exemplare noch nicht erhalten. Wie Sie aus der Anlage entnehmen wollen, habe ich es unter— nommen, ein Programm für die Thätigkeit der Verſuchsſtationen Sachſens zu entwerfen; es war nöthig, einmal das Bild aufzuſtellen, das ſolche repräſentiren ſollen, wenn ihr Wirken ſo ſein ſoll, wie ich mir dasſelbe denke, es mußte aber auch für die Verſuchsſtationen ſelbſt bei Ausführung der Verſuche das nöthige freie Feld der Thätigkeit gelaſſen werden; die ſpeciellen Verſuchspläne ſollen dieſes weiter ausführen. Dieſe Arbeit, die mir viel Mühe gemacht hat, da ich auf ein Gebiet gekommen bin, das mir doch eigentlich fremd iſt, muß vor Ihrem Auge ſofort die Unvollkommenheiten erkennen laſſen und würde ich Ihnen ſehr dankbar ſein, wenn Sie mich auf 2* 20 Reuning an Liebig. die Hauptmängel aufmerkſam machen wollten, bevor ich den Plan dem Miniſterium zur Sanction vorlege. Da in dem Einen Deutjch- land nichts Gemeinſames zu erreichen iſt, da die meiſten, faſt alle Verſuchsſtationen, ebenſo wenig wiſſen was ſie ſollen, als das land— wirthſchaftliche Publikum eine Idee von dem hat, was ſie zu erzielen die Aufgabe haben, ſo glaube ich, muß man von unten herauf arbeiten, wenigſtens einen rohen Plan vorlegen, wenn auch nur zu dem Zwecke, um ſolchen öffentlich angreifen, verwerfen und ihn dann beſſer machen zu laſſen, und ſo wollte ich ſpäter auch dieſe Grund— züge in irgend einer Art zur Veröffentlichung bringen. Nur Sie könnten an die Spitze der Beſtrebungen treten. Werden Sie nach Coburg gehen? Das allein könnte mich zu einer Reiſe dorthin veranlaſſen; ſonſt gedenke ich, nach Tyrol zu reiſen und darf vielleicht hoffen, Sie auf der Durchreiſe in München zu ſehen. Kämen Sie nur einmal zu uns, es würde eine allgemeine große Freude ſein. Leben Sie wohl, halten Sie ferner, wie ſeither, an der land— wirthſchaftlichen Fahne, ich bleibe in alter Verehrung Ihr ergebener Reuning. Dresden, den 3. Juni 1858. Hochverehrter Herr Profeſſor! Daß Sie ſich meiner bei Ueberſendung des Aufſatzes über das Verhalten des Chili-Salpeters ꝛc. zur Ackerkrume erinnert haben, dafür bin ich Ihnen ſehr dankbar. Leider bin ich außer Stand, der wiſſenſchaftlichen Begründung der in ſolchem niedergelegten Anſichten zu folgen, es erklärt mir derſelbe aber manche Erſcheinung, für welche ich nach Gründen vergebens geſucht habe. Da ich aber von Chemie nichts weiß, nicht ſelbſt forſchend auftreten kann, da mir noch ſo Vieles zu erklären bleibt, ſo verfalle ich manchmal in einen wahren Mißmuth. Dieſen hat der in abſchriftlicher Zuſammenſtellung bei— Reuning an Liebig. 21 gefügte Verſuch des Dr. Ritthauſen noch vermehrt, für welchen ich vergebens nach einer Begründung ſuche, die freilich nicht möglich iſt, weil der Verſuch in einem gegebenen Boden, deſſen Beſtandtheile nicht genügend bekannt ſind, angeſtellt wurde und weil die Mineral- ſalze in den Blättern nicht feſtgeſtellt, dieſe ſelbſt nicht geſchieden wurden. Vielleicht iſt es Ihnen möglich, aus dieſen Zuſammen⸗ ſtellungen etwas zu entnehmen, und darum überſende ich ſie Ihnen, wie ſie aus dem Bericht über die Verſuchsſtation zu Marienhütte in Schleſien entnommen ſind. Eines tritt unwiderleglich hervor, das Widerſinnige der abſoluten Stickſtoff-Theorie, wie ſie uns lange genug dargeſtellt worden iſt, denn Verſuch 14 nimmt eine Maſſe von Mineralſalzen weg, ohne daß eines zugeführt worden iſt; dagegen weiß ich mir den Verſuch 6 bezüglich der Mineralſalze nicht zu deuten; er hat die größte Menge entnommen, den geringſten Effekt in der Produktion geäußert. Wäre es denn nicht denkbar, daß der Stickſtoff in den Pflanzen eine ähnliche Rolle ſpiele, wie bei dem thieriſchen Organismus, daß er nöthig wäre, um den Kohlenſtoff zu aſſimiliren, und auf die Mineralſalze ſelbſt einen Einfluß übte? ich werfe wahrſcheinlich ein Wort hin, das Sie für Unſinn erklären werden; es iſt aber der Gedanke, der mich fortwährend verfolgt, nachdem ich Tage lang vergebens nach einem Geſetz geſucht habe, das aus dieſen Verſuchen abzuleiten wäre. In dieſem Jahre find Vege- tationsverſuche an zwei Orten eingeleitet, in Töpfen von Glas unter Glasfenſtern mit ertragloſem Boden unter Zuſatz von verſchiedenen Mineralſalzen, einzeln und gemiſcht; ebenſo mit Stickſtoff, von denen ich wenigſtens einigen Aufſchluß erwarte, da ich keinen anderen Weg weiß, und obſchon Sie die Beſtrebungen auf den Verſuchsſtationen verwerfen, ſo glaube ich doch, daß ſie uns zu Reſultaten führen müſſen. i Einige Erfahrungen dürften Ihnen nicht unintereſſant ſein. Ein Landwirth im mittleren Erzgebirge düngt ſeit etwa 10 Jahren ein Feld mit Guano allein; ſchon vor 5 Jahren ſagte er mir, er müſſe immer mehr dieſes Düngers verwenden, um die gleiche Ernte zu er— zielen. Vor einigen Wochen ſagte er mir, er habe zwar noch Ernten, die nicht unbefriedigend ſeien, aber, wo er im vorigen Herbſt mit 22 Reuning an Liebig. Knochenmehl gedüngt, ſei der Ausdruſch ein nn geweſen, im Vergleich zu dem Guano. Vorgeſtern war ich in Lawalde, wo ſeit 1842 die Düngung faſt ausſchließlich in Knochenmehl beſteht; das Zugvieh, einige Kühe geben auf den Acker jährlich 1 Fuder, alſo auf den Morgen ½ Fuder = 12 Ctr. Stallmiſt. Mitunter wurde etwas Guano verwendet. Der Roggen ſtand unvergleichlich ſchön, der Ausdruſch iſt ein weit ſtärkerer, als bei Stallmiſtwirthſchaft möglich wäre, auf einigen Bauerfeldern, wo der Verſicherung nach nicht allein reich mit Miſt gedüngt ward, ſondern auch die Arbeit gut war, ſtand der Roggen ungleich, meiſt ärmlich; bei allen Bauern, welche Knochenmehl verwandten, gut. Das Gut Lawalde wird im Fruchtwechſel bewirthſchaftet, Klee, Kartoffeln, Stroh werden verkauft. Daß in der Magdeburger Gegend die Rübenernten ärmlicher werden, die Rüben weniger Zucker enthalten, daß der Klee bereits nicht mehr gedeiht, wo man ſehr viel Rüben baut, habe ich Ihnen, glaube ich, geſchrieben, und dieſe Leute wenden jetzt ſtark Guano an, füttern viel Rapskuchen in das Vieh, um auf dieſem Wege den Boden wahrſcheinlich ganz kaliarm zu machen und dann nichts mehr zu ernten. Mehrfach höre ich bei Boden, der in der Verwitterung noch nicht ſehr weit vorgeſchritten iſt, die Klage, daß nach einer reichen Rübenernte der in die folgende Gerſte eingeſäete Klee nicht mehr recht wachſen wolle, daß er aber, ein Jahr ſpäter geſäet, gedeihe. Auch das, wenn es ſich beſtätigt, iſt eine intereſſante Erfahrung; ich werde die Sache verfolgen, weiß noch nicht, ob nicht der Guano das Kali anticipando entnommen hat, und hierin der Grund liegt. Schaffen Sie billiges Kali, höre ich häufig. Sie ſehen wenigſtens, daß man zu denken angefangen hat. Sie haben vielleicht zufällig geleſen, daß man mir die Redaktion eines neuen Blattes: „die landwirthſchaftlichen Verſuchsſtationen“ übergeben hat, wenigſtens die formelle, ohne Nennung des Namens als Redakteur. Es war nicht möglich, einen anderen zu finden, und ſo mußte ich, obſchon ungern, hierzu mich entſchließen. Sie zu bitten, an dem Blatt ſich zu betheiligen, habe ich nicht gewagt, da Sie die Reuning an Liebig. 23 geſammten Beſtrebungen der Verſuchsſtationen verwerfen. Es war meiner Anſicht nach dieſes Blatt eine Nothwendigkeit, um ein Zu— ſammenwirken hervorzurufen, einen Weg anzubahnen für die Thätig- keit dieſer Anſtalten, deren wenige noch wiſſen, worauf es ankommt. Daß dem Blatt durch einen Aufſatz von Ihnen erſt die Weihe ge— geben werde, habe ich nicht nöthig, Sie zu verſichern; es wäre ein großer Fortſchritt, wenn Sie ſagen wollten, worum ich Sie ſchon oft vergebens bat, wie man vorzugehen habe. Das Programm, ſo weit ich ſolches zuſammenſtoppeln konnte, iſt in der Weiſe, wie ich ſolches Ihnen mittheilte, hier zur Geltung gekommen: wir wollen ſehen, was daraus wird. Noch immer warte ich vergebens auf einen Separatabdruck Ihrer letzten chemiſchen Briefe, der, wie ich hörte, veranſtaltet werden ſollte. Die Augsburger Allgemeine Zeitung wird nur einzeln geleſen, wenige beſitzen Exemplare, und doch wäre es von größtem Werth, wenn dieſe Briefe Gemeingut würden. Laſſen Sie, ich bitte ſehr darum, die— ſelben erſcheinen. Mit Ihrem Herrn Sohn habe ich über deren Inhalt viel geſprochen; ich kann mich noch nicht von Allem, was die letzten Briefe enthalten, namentlich nicht von dem Raubbau über— zeugen, da ich in der fortſchreitenden Verwitterung die von Ihnen aufgeſtellten Grundſätze mir zu eigen gemacht habe, und dieſe erſetzt, was ausgeführt wird; eine Vertiefung des Bodens um 10 Zoll würde auf Jahrtauſende Material geben können. Sie werden mich gebührend abfertigen, wie ſchon einige mal, aber Sie haben das vollſte Recht hierzu. Von einem der Pſeudowiſſenſchaftler ertrage ichs nicht, wenn ſie Dinge für Unſinn erklären, die aus der Anſchauung der Natur nun einmal ſich eingebürgert haben. Arbeiten Sie, ich bitte dringend darum, in der Landwirthſchaft weiter, laſſen Sie ſich nicht Ihre Thätigkeit verleiden durch die Schriften, die ich vielfach kommen ſehe und wieder gehen laſſe. Es hat noch nie die Gegenwart einen Geiſt richtig gewürdigt, der mit kühnem Flug ihr weit vorauseilt. Damit tröſten Sie ſich über das Geklaffer: Ihre Verehrer können eben nicht ſchreiben, ſie können wiſſen, was das Rechte iſt, aber ſie denken wiſſenſchaftlicher, als NEN. Reuning an Liebig. daß ſie es wagen ſollten, mit etwas hervorzutreten, was ſie nicht ſelbſt beweiſen können. In alter Verehrung Ihr ergebenſter Reuning. Dresden, den 28. November 1858. Hochverehrter Herr Profeſſor! Vorerſt danke ich Ihnen beſtens für die vierte Auflage der chemiſchen Briefe, die mich, nachdem ich vor Kurzem wieder die vorige Auflage zu leſen begonnen, in den Winterabenden ſehr er— freuen ſollen. Bezüglich des Raubbaues haben Sie mich auch durch Ihren letzten freundlichen Brief noch nicht überzeugt, es will mir die aus— geſprochene Anſicht zu nichts paſſen, was ich ſehe, und wenn ich auch nicht praktiſcher Landwirth bin, wie Sie ganz wahr ſagen, ſo ſehe und beobachte ich doch nun ſeit 25 Jahren, und glaube, daß wenige Gelegenheit gehabt haben, mehrerlei zu ſehen und zu hören als ich. Nun erlauben Sie mir auf die fortſchreitende Bereicherung des Waldbodens durch den Nadel- oder Laubfall hinzuweiſen, kein Forſt— mann wird dieſes leugnen, der Landwirth nimmt mit Freude einen abgetriebenen Wald in Bau; geſtatten Sie mir auf die Maſſe von Mineralien hinzuweiſen, die alljährlich von den Alpen durch die Weide der Thiere weggeführt werden, ſelbſt auf perennirende Wieſen im Flachland, die nicht bewäſſert werden. Dieſe ſind noch nicht verarmt, trotzdem nie wieder erſetzt ward, was ausgeführt wurde. Abgeſehen hiervon zeigt jede Wirthſchaft, die nur einen Wechſel zwiſchen Blatt- und Halmfrüchten hat, ein fortwährendes Zunehmen der Bodenkraft trotz der maſſenhaften Ausfuhr von Phosphorſäure ꝛc., durch Körner und Knochen ꝛc. Ich könnte Ihnen unzählige Be— weiſe aus der Erfahrung mittheilen, welche Ihrer Anſicht entgegen— treten, wenn ich auch der Letzte bin, der Ihrer Theorie, bezüglich des Einfluſſes der mineraliſchen Nahrungsmittel entgegentritt, allein wo dieſe wirken, hat es eben von jeher an ſolchen gefehlt, oder man Reuning an Liebig. 25 hat, wie in neuerer Zeit die Rübenbauer, unverantwortlich gewirth— ſchaftet. Hier iſt allerdings Raubbau, ſonſt nichts. Sie werden mich wieder zurechtweiſen, wenn ich mir dieſes zu erklären bemüht bin; ich lege auf die fortſchreitende Verwitterung einen ſehr großen Werth und möchte glauben, daß die Chemie heute noch nicht die Menge der Mineralbeſtandtheile finden kann, welche im Boden enthalten ſind, ich weiß nicht, ob neben den von Ihnen gegebenen Erklärungen noch andere Proceſſe thätig ſind, und ich erinnere Sie an das, was Sie in Ihren Briefen ſo oft ſagen, daß wir noch lange nicht am Ende der Unterſuchungen und Entdeckungen ſtehen, daß wir nicht wiſſen, was uns die Chemie noch aufſchließt. Wir wiſſen, Klee, Erbſen ꝛc. gedeihen erſt nach einer Reihe von Jahren wieder. Düngen Sie im nächſten Jahr nach dem Ernten dieſer Pflanzen und Sie werden keine Erbſe, keinen Klee bauen, die Verwitterung macht die Beſtandtheile löslich, welche nöthig ſind, ob Sie gedüngt haben inzwiſchen oder nicht. In weniger reichem Boden will Klee nach Rüben nicht recht gedeihen; ſäen Sie ſtatt einer zwei Halmfrüchte zwiſchen die Rüben und den Klee, ſo wächſt letzterer beſſer, obſchon nicht gedüngt iſt, obſchon die zwei Halmfrüchte am Boden gezehrt haben, es war Zeit für die Verwitterung nöthig. Könnte ich Ihnen die Hunderte von That— ſachen mündlich vortragen, die für mich ſprechen, Sie würden mir Recht geben müſſen. Freilich ſetze ich hier einen Boden voraus, der landwirthſchaftlich benutzbar iſt; nicht Kieſelſteine, wie ſie vielfach in der Nähe von München auf 3 Zoll aufgeſchichtet liegen, unter der Krume. Aber ſolchen Boden ſoll kein Landwirth bauen, wer für dieſen Phosphorſäure und Kali ꝛc. kaufen ſoll, der wird ein trauriges Geldreſultat haben: er giebt mehr aus als er einnimmt. Auf ſol— chen Boden gehört Holz, um ihn nach langen Jahren nicht auszu— ſaugen, ſondern reicher zu machen und ihn dann vielleicht zum Feld— bau zu verwenden. Ich weiß, Sie halten von den Verſuchsſtationen Nichts; ich glaube der Erfolg hat bereits das Gegentheil gelehrt, und je weiter wir vorwärts gehen, um ſo ſicherer bringen wir unter die Land— wirthe als Gemeingut, was die Wiſſenſchaft aufgeſtellt hat. Ich 26 Liebig an Reuning. wünſchte Sie einmal in einen Bauern-Verein, deren ich zweien vor⸗ ſtehe. Sie würden dann ſehen, wie die Naturwiſſenſchaften einzu⸗ dringen beginnen, wie die Leute ſich allmählich klar werden, wie ſie verlangen, daß man ihnen ſagt, wie ſie zu handeln haben. Das müſſen die Verſuchsſtationen vorbereiten, ſie ſind die Handlanger der Wiſſenſchaft. Leben Sie wohl, fahren Sie fort der Landwirthſchaft Intereſſe zu widmen, und vergeſſen Sie nicht ganz den, der unwandelbar Sie verehrt Ihren ergebenſten Reuning. München, den 1. December 1858, Mein verehrteſter Freund! Es iſt mir ganz außerordentlich leid, daß wir zu feinem Ver— ſtändniß kommen können und ich muß wohl ſelbſt Schuld daran ſein. Wenn Sie ſich nur an die Stelle eines Lehrers verſetzen wollten, der für allgemeine und ſpecielle Fälle Regeln und Grundſätze geben muß, ſo werden Sie ſich genöthigt ſehen als Regel anzunehmen, daß ein Feld, um fruchtbar zu bleiben, dasjenige wieder empfangen muß, was man ihm in der Ernte nimmt, dies hindert nicht, daß ich Ihnen 10 000 ſpecielle Fälle zugebe, in welchen auf den Er- ſatz von einem oder mehreren entzogenen Beſtandtheilen auf lange hin noch verzichtet werden darf; den zehntauſend Ackern, wo dies noch nicht nöthig iſt, ſteht aber eine Million gegenüber, wo ein un— vollſtändiger Erſatz die Ernten beeinträchtigt. Nicht die Ausnahmen ſondern daß Geſetz muß uns im Rathgeben leiten, denn dann ſind Sie ſicher, daß der, welcher darnach handelt, ſich keinen Schaden thut. Es iſt dies um ſo wichtiger, da man die einzelnen Fälle, wo eine Ausnahme ſtatt hat, nicht auszuſcheiden vermag. Was Sie anführen als Quellen des Erſatzes — die Alpen, welche eine Maſſe Mineralien durch die Weide der Thiere liefern Liebig an Reuning. 27 ſollen, — oder die Bereicherung des Waldbodens durch den Blatt— abfall, alles dieſes verſchwindet bei näherer Betrachtung ganz für den Ackerbau. Aber die Verluſte durch die Städte und die Maſſe der Bedingungen der Fruchtbarkeit, welche von dieſen aus den Feldern, welche ſie geliefert haben, nicht mehr zukommen, dies iſt eine in Zahlen ausdrückbare Größe und dieſer Verluſt, welcher ſeit Jahrhunderten ſtattgefunden hat, iſt enorm. Die fortſchreitende Ver⸗ witterung, die Sie annehmen, iſt eben nur eine Idee, welche durch keine Thatſachen getragen wird, ich glaube nicht mehr daran, obwohl ich der Urheber derſelben bin. Ein Landwirth darf nicht glauben gemacht werden, daß dieſe Quellen für ihn fließen, wenn man nicht mit poſitiver Gewißheit weiß, daß ſie ihm wirklich fließen, er muß ſtets darauf hingewieſen werden, daß er auf ungewiſſe Dinge keine Rechnung machen darf, ſondern daß er handeln muß, wie wenn alle ſeine Erfolge von ihm abhängig ſeien. Die Thatſachen, die Sie anführen in Beziehung auf die Inter⸗ valle, in welcher Erbſen und Klee ꝛc. gedeihen, find alle erklärbar, aber wir dürfen ſie nicht erklären, ſo wie Sie es thun durch die „Zeit der Verwitterung“, weil dies ja nur ein gemachter Begriff iſt, der keinen Boden hat. Bedenken Sie nur, was wir in der neueren Zeit über die Eigenſchaften der Ackerkrume erfahren haben, ſowie über die Wirkung des Chiliſalpeters und Kochſalzes, deren Erklärung jetzt eine ganz andere Form angenommen hat, an die man früher nicht dachte. Ich wünſche weiter nichts, als daß ein Mann wie Sie, der auf die Praxis einen jo tiefen und eingreifenden Ein— fluß hat, zum Segen derſelben, die Methode der Wiſſenſchaft feſthalten möchte d. h. Nichts für wahr, für ſicher und erklärt zu halten, was als wahr und ſicher und beweisbar nicht feſtgeſtellt worden iſt. Was Sie irre führt und gewiſſermaßen zu meinem Widerſacher macht, iſt das Land, in dem Sie leben, denn es iſt nicht zu leugnen, daß in Sachſen, wo man nur Fleiſch und Korn erzeugt, nur an wenigen Orten und im Allgemeinen kein Raubbau ſtattgehabt hat. Iſt aber der Ackerbau überall wie in Sachſen? und wo ſind die 28 a Neuning an Liebig. Felder, auf denen Rüben und Handelsgewächſe erzeugt werden, durch Knochenmehl und Guano allein fruchtbar zu erhalten? Mit aufrichtigſter Hochachtung Ihr ergebener Juſt. Liebig. 15. Febr. 1859. Hochverehrter Herr Profeſſor! Daß Sie es der Mühe werth halten, mich zu widerlegen, daß Sie Ihre koſtbare Zeit hierauf verwenden, dafür kann ich Ihnen nur danken, darauf kann ich nur ſtolz ſein, aber nachdem ich wiederholt mit Rückſicht auf Ihren freundlichen Brief den 37. chemiſchen geleſen, kann ich mich noch nicht überzeugt halten. Den Grund finde ich nicht in Ihren Hauptlehren, mehr in der Anwendung derſelben, in ihrer Strenge, in ihrer Allgemeinheit. Was Sie gelehrt, dem folge ich mit der Ueberzeugung, welche Ihre Lehre gewähren muß, mit dem Auge, das ſie beſtätigt ſieht, überall, wo man dasſelbe offen hat; Niemand erkennt Fehler, die Sie ſtreng rügen, bereitwilliger an, als ich; ich ſchäme mich deſſen nicht, geſtehe es gern ein gegen Jeder— mann, und wenn Sie ſtark geißeln, daß man Knochenmehl, Guano, Chiliſalpeter mit einander vergleichen will, ſo habe ich erſt aus Ihren ſpäteren Schriften das richtige Verſtändniß gefunden, ſeit wenigſtens ſechs Jahren an jenen Unſinn nicht mehr geglaubt. Aber Sie gehen zu weit, wenn Sie dem „Praktiker“ d. h. dem, der zu jeder Zeit thun ſoll, was dieſe erfordert, für ganz unwiſſenſchaftlich halten, ſo— fern derſelbe nicht dem folgt, was Sie bezüglich des Raubbaues ſagen. Denken Sie ſich 10 [ M., auf welchen nun einmal phospor⸗ ſaurer Kalk gar nicht wirken will, weil er eben noch Vorrath genug hat. Wenn ich demſelben pr. Acker jährlich für 2 Thlr. entnehme, ſoll ich dann auf ein Gut von 1000 Acker wieder jährlich für 2000 Thlr. Phoſphorſäure kaufen? weil in 50, 100 Jahren das Gut erſchöpft ſein könnte! Gewiß nicht, denn ich bezahlte incl. der Zinſen in dieſer Zeit den Grundbeſitz noch einmal. Nie würde ich einen Reuning an Liebig. 29 Landwirth dazu vermögen, und könnte ich's, ſo würde ich es nicht thun, indem ich die disponiblen Knochen dahin bringen muß, wo ſie eben ſofort wirken. Wollte jeder Landwirth alſo dieſe anwenden, ſo würden ſie gar nicht zu erlangen ſein; ich muß für die Gegenwart da das Material hinwerfen, wo es wirkſam iſt, und wenn das Gut Ihres Herrn Sohnes jetzt noch auf 50 Jahre einen ſolchen Beſtand— theil im Boden hat, ſicher würden Sie ihm nicht rathen, um dieſe Zeit früher das Kapital aufzuwenden. Der Ackerbau iſt eben ein Gewerbe, das lohnen ſoll und lohnen muß. Sie ſagen, wir hier trieben keinen Raubbau, und doch muß ich Ihnen geſtehen, daß wir, um bei der Phoſphorſäure zu bleiben, erſt ſeit 20 Jahren die Knochen verwenden, alſo höchſtens ſo viel wieder— gegeben haben, als in 30 Jahren ausgeführt worden iſt, daß wir ſolche aus einzelnen Gegenden heute noch dahin führen, wo ſie eben wirken, iſt gewiß richtig, denn wir gleichen damit aus, was die Natur einem Boden gegeben, dem anderen verſagt hat. Sie jagen Brief 37 ©. 397 (der vierten Auflage), es giebt kein Ge⸗ wächs, das den Boden ſchont, ihn bereichert. Ich ſitze vor dieſem Ausſpruch, weiß nicht wohin. Wir glauben, Klee, Grünfutter von Erbſen ıc. läßt den Boden reicher zurück. Gewiß entnimmt dem Boden auch Klee ꝛc. Mineralien, aber worin liegt der Grund, daß ich mit dieſen Zutter- mitteln ſofort zu reicheren Ernten komme, daß ein Gut durch Frucht— wechſel entſchieden ſich hebt, in 20 Jahren das Doppelte ertragen kann? Sie verwerfen die Verwitterung, aber die Thatſache bleibt, iſt nicht zu beſtreiten. Jeder durchſchnittene Eiſenbahndamm zeigt mir in den erſten Jahren Pulverung, wo das Geſtein nicht zu hart iſt, nach einigen Jahren Vegetation immer fortſchreitend. Iſt aber das Alles nicht wahr, ſo kann ich nicht eine Erklärung für obige Thatſachen finden, ſtehe rathlos da, wenn nicht irgend ein Proceß im Boden zu Hilfe kommt, darf nicht einmal zu ſtarkem Futterbau mehr rathen. S. 399 wollen Sie kleineren Gewinn für den Landwirth, aber ewige Dauer der Fruchtbarkeit. Gewiß iſt das in thesi richtig, aber nicht ausführbar in praxi. Ich kaufe einen Acker für 500 Thlr. mit Rückſicht auf feine natürliche Fruchtbarkeit, muß demgemäß heraus— 30 Reuning an Liebig. nehmen, damit ſich mein Kapital verzinſe. Soll ich nun dieſem Boden ebenſoviel wiedergeben, als dem ärmeren, der 150 Thlr. koſtet, ſo kann ich eben nicht beſtehen, muß den ärmeren kaufen. Die Felder werden ſich annähernd gleich im Werthe. Die moderne intenſive Landwirthſchaft iſt der Raub mit Umſtänden. S. 408. Iſt das wirklich buchſtäblich wahr, ſo geht die Welt dem Hungertode entgegen. Sehe ich aber mit der intenſiven Landwirthſchaft mit ſtarkem Futter— bau die Erträge an Korn wachſen, ſtets progreſſiv zunehmen, iſt da wirklich ein Raub, und wann tritt die Periode der Unfruchtbarkeit ein? „Der intenſive Landwirth nimmt in dem Korn dem Klee die Thaler ab, alle eingeſchlagenen Mittel, die Production der Felder zu ſteigern, haben dieſelbe Wirkung nicht mehr.“ S. 412. Gewiß hat man große Fehler begangen, aber ſo lange ich denke, ſteigt die Klee— production, weil man eben eingeſehen hat, daß man den Klee nicht in ein armes Feld bringen muß, und dieſer Klee circulirt eigentlich nur; er kommt wieder auf das Feld minus Milch, Fleiſch, Knochen. „Man iſt ſo verkehrt geworden, daß man die Hälfte des Feldes für das Vieh baut, dieſes für eine Verbeſſerung hält.“ S. 413. Ich wiederhole, ich weiß nicht, wo ich ſtehe: ich habe ſeither geglaubt, gerade die ſtarke Viehhaltung bedinge die Fruchtbarkeit des Feldes, weil eben durch dieſe dem Boden wieder gegeben wird, wenigſtens ein großer Theil deſſen, was ich ihm entnommen, daß Körner ihm mehr ausführen. Und wozu hält man das Vieh? doch für die Menſchen, um ihnen Milch, Butter, Käſe, Fleiſch, Kleidung zu geben, die Arbeit zu verrichten. Ein Acker Klee, Rüben, Kartoffeln in das Vieh verfüttert, giebt dem Menſchen durch dieſes mehr Nahrungs— ſtoff, als 1 Acker Weizen. Warum alſo dieſe Richtung verdammen? „die Forſtwirthſchaft iſt geregelt“. S. 414. Treibt aber Jemand Raubbau, ſo iſt es nur der Forſtwirth, der dem Wald das Holz entnimmt, ihm nichts wieder giebt, oft noch einen Theil der Blätter entzieht, das iſt's gerade, was ich Ihnen entgegenſetze. Ich will nicht erwähnen, daß Sie ſich ſelbſt auf Zuſchuß von den Wieſen beziehen, die nichts zurückerhalten, oft genug, und doch Ernten geben. Sie ſehen, ich bin confus geworden; ich ſehne mich wahrhaft, Reuning an Liebig. 31 von Ihnen Belehrung zu erhalten, denn ich verſtehe nicht alles, weiß vieles nicht in Einklang zu bringen mit dem, was mir vor Augen tritt, und will mich unendlich freuen, einmal Gelegenheit zu erhalten, alle meine Zweifel und Bedenken von Ihnen mündlich beſeitigt zu ſehen. Wenn ich das Alles Ihnen ſage, ſo weiß ich, daß ich es kann, weiß, daß Sie mich nicht unter die kläffenden Hunde zählen; mein Bewußtſein ſagt mir, daß es keinen wärmeren Freund Ihrer Lehre giebt, als ich, das aber bedingt noch nicht abſolut, daß ich alle Conſequenzen verfechte, wofür ich keine Erklärung zu finden vermag; Sie wiſſen, ich mache keinen Anſpruch auf die wiſſenſchaftliche Einſicht, aber wo die Hauptgrundſätze Ihrer Lehre überall als anwendbar, als richtig vor Augen treten, da muß ich es Ihnen ſagen, wo ich nicht mit fortkomme; das iſt kein Widerſpruch, ſondern Bitte um Belehrung; für dieſe bleibe ich ſtets dankbar, denn ich ſuche nach Wahrheit. Dieſe habe ich wieder recht erkannt in dem, was Sie über Guano in Nürnberg auf der Rückfahrt ſagten, es iſt eingetroffen; Guano-Felder werden ärmer, Knochenmehl hebt die Körnererträge wieder: wir ſind über den Gipfelpunkt des Schwindels weg. Vor— geſtern ſtritt ich lange über die künftige Bewirthſchaftung eines Guts, das in den Erträgen zurückgeht. Dasſelbe wendete etwa 1 Ctr. Guano per Acker als Zuſchuß an, verkaufte Kartoffeln, kaufte aber Kleie, Rapskuchen zur Fütterung, baute in den letzten Jahren etwa 6% des Feldes mit Rüben, die verfüttert wurden, aber die Nach— frucht nicht vollkommen werden ließen. Der Boden iſt Glimmer— ſchiefer und Gneiß. In dieſer Gebirgslage, 1300 Fuß über dem Meere bei Freiberg, iſt es eine anerkannte Erfahrung, daß zwei- und dreijährige Beraſung, im erſtem Jahre Klee, dann Timothee beide gemengt geſäet, einen ungleich höheren Körnerertrag gewähren in der Nachfrucht, als einjähriger Klee oder Gras, das nennt man Ruhe vom Pflug. Bedingung eines ſtärkeren Reinertrags in der Nachfrucht iſt Kraft im Boden, d. h. Düngung vor der Einſaat von Klee und Gras. Daß die Ruhe vom Pflug nichts erklärt, iſt klar, aber was iſt der Grund des nicht abzuleugnenden Factums? Iſt es der Mangel an Phosphorſäure ꝛc., fo daß eine Anſammlung wieder ein— 32 Reuning an Liebig. treten muß? dann müßte eine ſtärkere Düngung mit den fehlenden Mineralien dasſelbe bewirken, oder ein chemiſcher Prozeß, der während der Beraſung und durch ſolche in dem Boden vorginge? Dem widerſpricht doch eigentlich alles, was Sie über Brache und Ver— witterung ſagten. Haben Wurzeln die Fähigkeit, Mineralien löslich zu machen, ſie zur Ausbildung der Pflanze zu benutzen, ſie wieder auszuſcheiden? Meine Anſicht neigte ſich auf allzugroße Entnahme der Mineralien, auf Erſatz durch Knochen ꝛc. der Praktiker hielt feſt an der Beraſung, die er früher hatte, von der er zurückging, die er wieder hervorſuchen will, um in 13 Jahren, 6 mal Klee und Gras zu haben, 2½ mal Rüben und Kartoffeln, 4 mal Körner ½ mal Raps. Wie iſt die Sache zu erklären, was zu thun? Erſchöpfe ich den Boden an Kali, Phosphorſäure wenn ich ſtark Rüben baue, dieſe ſämmtlich in das Vieh verfüttere? Ich kann nur ſagen nein; der Praktiker ſagt ja; ich berufe mich auf Norfolk, der Landwirth ſieht nach Rüben nicht die Ernten wachſen, wie nach Kartoffeln, er glaubt auch nicht, daß, wenn ich den Miſt von Rüben auf das nächſtjährige Rübenfeld bringe, das Feld wieder in integrum reſtituirt wird. Haben die Mineralien im Boden noch einen Proceß durchzumachen, ehe die Pflanze ſie wieder aſſimilirt, oder wie iſt die Sache zu erklären? Einen ſchönen Fütterungsverſuch hat der junge Cruſius mit Oel durchgeführt, mit beſten Reſultaten für das Fett. Wieder ein neuer, ſeither weniger beachteter oder verſtandener Punkt. Die Fütterung liegt noch viel im Dunkeln; bei Schweinen namentlich, wo ein ganz anderes Verhältniß von NH. : Nfr.“) eintritt, als bei dem Rind. Ich erkläre mir einfach die Sache dadurch, daß zwar Protein: Kohle— hydraten zum Zweck der Verdauung in beſtimmtem Verhältniß ges gebenen werden muß; das plus an einem aber Fleiſch oder Fett werden muß. Ich ſuchte in Ihrer Thier-Chemie vergebens nach Aufſchluß. Wir arbeiten mit Fleiſchunterſuchungen. Die Ergebniſſe von Lawes, wonach mageres Fleiſch weit mehr Waſſer enthält, als *) Nh.: Nfr. ſteht für Stickſtoffhaltigen: Stickſtofffreien. Liebig an Reuning. 33 — fettes, müſſen den Taxenunſinn aufheben. Bleiben Sie wohlgewogen, Ihrem, wenn auch noch mitunter widerſprechenden, doch nach Be— lehrung ſtrebenden, ſtets aber ergebenen Reuning. München, den 27. Februar 1859. Mlein verehrter Freund! Wir würden uns leicht verſtändigen wenn Sie nicht einzelne Fälle, ſondern die Regel ins Auge faſſen wollten, welche uns ſagt, daß man das Entzogene wiedergeben müſſe, damit zu keiner Zeit Mangel im Felde ſei. Es iſt wohl klar, daß wenn man mit einiger Gewißheit weiß, daß man phosphorſauren Kalk im Vorrath im Felde hat, daß man in dieſem Fall von der Regel abweichen kann, weil derſelbe in dem Geſetz eingeſchloſſen iſt, daß Vorrath vor— handen fein müſſe. Dasſelbe gilt für Kali, Ammoniak ꝛc. Ich beanſtande die Schlüſſe der Landwirthe; wenn Knochenmehl auf einem Felde nicht wirkt, ſo kann dies von vielerlei Urſachen herrühren, der Mangel an irgend einem andern Beſtandtheil macht den phosphor- ſauren Kalk unwirkſam. Aus der Unwirkſamkeit machen Sie aber den directen, vielleicht begründbaren aber noch keineswegs begründeten Schluß, daß Vorrath vorhanden iſt. N In Wahrheit weiß man nur, daß es auf eine gegebene Frucht nicht erhöhend gewirkt hat, und wenn es im 2, 3 und 4 Jahr auf dieſelbe oder eine andere Frucht günſtig wirkt, ſo ſchreibt der Landwirth dieſe Wirkung jeder andern Urſache, aber ſicherlich nicht dem Knochenmehl zu, weil er im Jahr der Düngung damit keine Wirkung geſehen hat. Sie nehmen in den Körnern einem Acker Weizen jährlich etwa für 25 Ngr. Phosphorſäure (in der Form von phosphorſauren Salzen), und in dubio rathe ich immerhin dieſe dem Felde zurückzugeben. Sind Sie aber über den Vorrath nicht im Zweifel, ſo bin ich unbedenklich der Anſicht, daß man ſich davon dispenſiren kann. Von dem Standpunkte des Staats, welches der Ihrige und der Wiſſenſchaft, welches der meinige iſt, müſſen wir Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 3 34 Liebig an Reuning. in allen zweifelhaften Fällen darauf halten, daß der Erſatz gegeben werden müſſe. Jeder einzelne thut doch, was ihm vortheilhaft iſt, er thut es eben mit Rückſicht auf die Lehre, welche ſeine Aufmerk⸗ ſamkeit ſtets rege erhält. Nehmen Sie an, die Felder von 10 oder 100 Landwirthen beſäßen wirklich einen Ueberſchuß von Phosphaten und das Knochenmehl wirke darum nicht, ſo giebt es tauſend Felder, auf denen das Knochenmehl aus anderen Ur— ſachen ebenfalls nicht wirkt. Wenn Sie den letzteren rathen darum Knochenmehl zu ſparen, ſo fügen Sie dieſen Landwirthen einen Schaden zu. Im ganzen betrachtet iſt der Raubbau in den Staaten die Regel und der vollſtändige Erſatz eine Ausnahme. Von Ihrem Stand— punkte aus müſſen Sie alles thun, was Sie können, um dem Raub⸗ bau entgegen zu arbeiten. Sie ſagen Klee, Grünfutter ꝛc. laſſen den Boden reicher zu— rück, ich weiß davon nichts; was ich weiß, iſt, daß Halmgewächſe beſſer danach gedeihen, aber von einer Bereicherung kann keine Rede ſein. Sie kaufen einen Acker für 500 Thlr. mit Rückſicht auf ſeine natürliche Fruchtbarkeit und der Vortheil den Sie erzielen, beſteht eben darin, daß Sie demſelben weniger wiedergeben müſſen, als dem ärmeren, der nur 150 Thlr. koſtet. Was dem letzteren fehlt, um dieſelben Erträge zu liefern, müſſen Sie an Kapital (d. h. an Düngerbeſtandtheilen) zufügen. Wenn der intenſive Raubbau (Felder ohne vollſtändigen Erſatz) fortdauert, ſo muß die Welt dem Hungertod entgegen gehen; es kann noch Jahrhunderte dauern, allein das Ende iſt gewiß. Wenn Sie in dieſer Beziehung auf die Seite der Landwirthe treten, ſo beſchleunigen Sie dieſes Ende. Ich leugne deswegen nicht, daß mit vermehrtem Futterbau die Getreideernten bis zu einer gewiſſen Periode zunehmen. Ich bin nicht gegen die Viehhaltung, ich ſage nur, man ſoll das ausgeführte erſetzen und dabei ſoviel Vieh halten, als man Luſt hat. Je größer der Erfolg und je höher die Ernten, je mehr muß man darauf bedacht nehmen, ſie dauernd zu machen. Der Erfolg iſt kein Beweis für die Dauer. 0 Reuning an Liebig. 35 Was Sie beunruhigt und ſtört dies iſt, daß Sie vieles was in der Landwirthſchaft vorkommt, nicht erklären können. Dies kann ich auch nicht und es mag noch Jahrhunderte einer fortſchreitenden Entwickelung koſten, ehe wir die ſpeciellen Geſetze für die verſchiedenen Cultur— pflanzen und Felder kennen lernen. Ein Geſetz aber kennen wir und dies heißt, daß die Dauer der Erträge von der Wiederkehr ihrer Bedingungen abhängt und daran wollen wir unter allen Umſtänden feſthalten. Um dies möglich zu machen, müſſen wir Anſtalten zu gründen ſuchen, in denen die in den Städten ſich anhäufenden Excre— mente der Thiere und Menſchen geſammelt und in eine verſendbare Form gebracht werden. Leſen Sie, mein verehrter Freund, meine landwirthſchaftlichen Briefe ohne Vorurtheil und laſſen Sie ſich durch Dinge, die wir noch nicht erklären können, an dem nicht irre machen, was erkennbar und wahr iſt. Von Herzen ganz der Ihrige Juſt. v. Liebig. Dresden, den 17. December 1859. Hochverehrteſter Herr Profeſſor! Der Zweck dieſes Briefes iſt nur, zu erfahren, ob und in wie weit Sie von Ihrem Unfall in Paſſau wieder hergeſtellt ſind, daß Sie in der letzten Zeit mit Anfragen überhäuft worden ſind, konnte ich mir denken, ich fragte deshalb, da ich deren Zahl nicht vermehren wollte, bei Fraas nach Ihrem Ergehen an und erhielt keine Ant— wort; nun muß ich direct bitten, es mir wenigſtens mit einigen Worten ſagen oder ſagen laſſen zu wollen, ob Sie den Unfall voll— ſtändig überſtanden haben. e Im nächſten Jahre hoffe ich, daß es mir auf irgend eine Weiſe gelingt, Sie, wenn auch nur auf einige Stunden zu ſehen. Dann werde ich die Bedenken, die mir von meinem Standpunkte gegen das Eine oder das Andere, was Sie lehren, noch beigehen, Ihrer Ent— ſcheidung vorzulegen mir erlauben, und Sie werden dann der 3. 36 Neuning an Liebig. praktiſchen Anſchauung, jo unvollkommen ſie ſein mag, Bi Recht zu Theil werden laſſen. Sie fragten mich in einem früheren Briefe über Abendroth's Unternehmung zur Umwandlung der Excremente in den Städten, ich glaube, daß Abendroth die Sache ganz verkehrt angefangen hat, indem er das Verbrennliche verbrannte, das Ammoniak in die Luft jagte und hauptſächlich Sand bis 90 9% zurück behielt. Ich ſelbſt habe wiederholt Verſuche mit ſeinem Dünger veranlaßt, da er aber nirgends einen Effekt hatte, ſo war nicht zu helfen. Jetzt wo der Bruder deſſelben, ſoviel ich weiß, durch einen Dritten den Dünger in natura verkauft, geht die Sache, und da eine Stadt, wie Dresden, alle menſchlichen Exeremente auf der Quadratmeile, auf welcher ſie liegt, verbraucht, da nichts verloren geht, wie ich denn glaube, daß in allen unſeren Städten nichts der Art vergeudet wird, handelt es ſich darum, ob man den Dünger auf chemiſchem Wege umwandeln ſoll oder nicht, und nachdem mich meine Augen Jahre durch über— zeugt hatten, daß dieſer umgewandelte Dünger nichts oder nur ſehr wenig wirke, konnte ich denſelben unmöglich empfehlen. Abendroth fiel von einem unverbeſſerlichen Syſtem auf das andere, hatte ſich verrannt in Rechnungen ohne Grundlage, glaubte nie, was Dritte ihm ſagten, ſah überall in Denen, die es am Beſten mit ihm mein— ten, principielle Gegner, und mußte, wie bei Allem, was er be— gonnen, dahin kommen, wo er angelangt iſt. Ueber die Kraftentziehung aus dem Boden, habe ich im letzten Jahre manche Erfahrungen einzuziehen Gelegenheit gehabt, nament— lich in Galizien; ich gebe zu, daß in Polen, Schleſien der Boden bereits zu einer weſentlichen Erſchöpfung gelangt iſt, aber, daß dieſe durch eine rationelle Fruchtfolge wieder herzuſtellen iſt, auch daran zweifle ich nicht. Doch ich will nicht von Neuem auf die Frage zurückkommen; ich muß Sie bald einmal ſehen, und dann kann ein Bedenken nicht bleiben. Zu der neuen hohen Würde gratulire ich von Herzen; ſie konnte nicht beſſer vergeben werden. Liebig an Reuning. 37 In der Hoffnung, daß Sie im Vollbeſitz Ihrer Geſundheit ſich wieder befinden, bin ich in gewohnter Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 20. December 1859. Verehrteſter Freund! Ich eile, Ihnen für Ihre freundliche Theilnahme an meinem Unfall herzlichſt zu danken. Nachdem ich 12 Wochen das Bett in unveränderter Rückenlage hüten mußte, betrachte ich es als den größten Fortſchritt, daß ich jetzt wieder auf ſein und mich wieder beſchäftigen kann; ich bin aber immer noch ein halber Krüppel, der noch nicht ohne geführt zu ſein gehen kann. Ich freue mich ſehr, Sie hier zu ſehen und zu ſprechen, und ich würde es für ein ſehr glückliches Ereigniß halten, wenn ich Sie von allen Ihren Bedenken befreien könnte; daß überhaupt meine Lehre Bedenken einflößen kann, namentlich bei Ihnen, iſt mir unbe— greiflich, da ich doch nur will, daß man ſparſam und nicht ver— ſchwenderiſch ſein und ſich keinen Vorſtellungen hingeben ſoll, für die man nicht beſtimmte Beweiſe hat. Es iſt ein ſehr verbreiteter Irr— thum der Landwirthe, daß ſie glauben, ich lehre den Ackerbau; ich lehre nur die Geſetze, und in ihrer Anwendung muß ſich der Einzelne nach ſeinem Boden und dem Klima richten; es giebt darum keine Recepte für alle, und wenn ein Landwirth ſagt, daß dies oder jenes nicht nöthig ſei, ſo iſt dies vielleicht wahr für ihn, für Hundert— tauſende aber nicht, und man muß darum den Fall nicht zur Regel machen. Mit der freundſchaftlichen Hochachtung, die Sie kennen, und meinen beſten Wünſchen zum neuen Jahr Ihr ergebenſter Juſt. Liebig. Ihren Aufſatz in dem 11. Heft 1859 der Zeitſchrift für die Land— wirthe habe ich mit Vergnügen geleſen, und ich wünſche nur, daß 38 Reuning an J. von Liebig. Sie bei ähnlichen Publikationen mich mit einem Extraabdruck bez denken möchten, da dieſe Journale mir nicht ſo zugänglich ſind, wie die meines Faches. Dresden, 11. März 1860. Hochverehrter Herr Profeſſor! Zu meinem größten Bedauern hörte ich in dieſen Tagen von Herrn Dr. Meyer, daß ein abermaliger Fall die Herſtellung Ihres Kniees nochmals hinausgeſchoben habe; laſſen Sie mich hoffen, daß dieſe neue Störung bald vorübergehen werde und Sie bald wieder im vollen Beſitz Ihrer Geſundheit ſind. Sie waren vor zwei Jahren ſo gütig, mir Ihre Abhandlung über Ammoniak und Kochſalz ꝛc. zu überſenden; dieſes gab Veran— laſſung, daß ich im Herbſt 1858 eine Quantität Staßfurter Stein- ſalzes an die landw. Vereine zu Düngeverſuchen gab, abſichtlich ohne alle Vorſchrift, weil man auf dieſe Weiſe der verſchiedenartigſten Anwendung, der poſitiven und negativen Reſultate ſicher iſt. Dieſe ſind nun auch hervorgetreten, mitunter ſehr bäuerlich aufgezeichnet, darum aber nicht weniger wahr und jedenfalls maßgebend für weitere Verſuche, die bei dem nunmehr erlangten ſehr billigen Preis des Salzes nicht ausbleiben können. Auffallend iſt die Wirkung bei Rüben, Kartoffeln und Klee, überall ſcharf hervortretend, nicht gleich bei Halmfrüchten, aber wenn hier der Erfolg kein anderer wäre als den Halm zu kräftigen, welcher doch wahrſcheinlich hervortritt, ſo wäre dieſes ſchon ein großer Gewinn. Sie finden die Reſultate in dem Amtsblatt, das gleichzeitig unter Kreuzband abgeht, und werden fi) über mehrere Ergebniſſe freuen. Dr. Sachs, ein junger, tüch— tiger wiſſenſchaftlicher Pflanzenphyſiolog, den wir ſeitens der Land— wirthſchaft in Tharand haben, um gründliche Verſuche von ſeinem Standpunkt anzuſtellen, ſoll in dieſem Sommer weitergehen, den Guano in ſeine Beſtandtheile zerlegen, und verſuchen, was die einzelnen wirken. Wahrſcheinlich ſchrieb ich Ihnen früher, daß derſelbe die Pflanzen in Waſſer wachſen läßt und in ſolchem im vorigen Jahr Reuning an Liebig. 39 ganz reifen Mais erzielte. Ich geſtehe Ihnen, daß ich einen wiſſen— ſchaftlichen Werth auf die Verſuche in gegebenem Ackerland nicht lege, ſo lange man nicht weiß, was der Boden hatte, was in dem— ſelben aufgelöſt wurde und was in ihm geblieben iſt; man kommt zu traurigen Täuſchungen, wie ſie uns die Stickſtofftheorie bereitet hat, und darum ſcheint mir dieſe Methode von ſo großer Bedeutung, weil man bald zur Feſtſtellung der Ernährungsgeſetze gelangen muß. Das 4. Heft der „Verſuchsſtationen“ wird hierüber mehreres bringen. Könnten Sie ſich nicht entſchließen, an dieſes von Zeit zu Zeit einen Aufſatz gelangen zu laſſen? Ich, als gezwungener ſogen. Redakteur würde Ihnen ſehr dankbar ſein; der Verleger aus andern Gründen nicht weniger. Die Bedingungen würden Sie feſtzuſtellen haben. Die ſtärkſte Guanoverbrauchsgegend bei Freiberg fällt auf ein- mal auf Knochenmehl, da der Guano ſeine Rolle hier ausgeſpielt hat. In dem weniger reichen Gebirgsboden mußten die Folgen ſich am erſten zeigen. Ich habe eine Knochenmehlprobe von Dr. Meyer dorthin geſandt, und läßt ſich rückſichtlich des Preiſes concurriren, ſo wird ſich eine ſehr ſtarke Abnahme ergeben. Auch hierher werde ich verſuchsweiſe eine Ladung kommen laſſen. Ich war vor einigen Wochen in Staßfurt unweit Magdeburg, wo man bereits 1000 Fuß Steinſalz erbohrt hat, ohne an das Ende gekommen zu ſein. Dieſer Schatz wird nur ſehr langſam gehoben, weil die Regierungen verkehrt genug ſind, die Steuer auf Vieh- und Düngeſalz ſo hoch zu halten, daß der Verbrauch ein ſehr geringer iſt; unſer Verbrauch hat ſich in 8 Jahren ungenügender Preiser— mäßigung bei dem Viehſalz von 3000 auf 32 000 Ctr. geſteigert, und wird ſich jetzt, nachdem weſentlichere Ermäßigungen eingetreten ſind, Viehſalz mit 24, Düngeſalz mit 16 Groſchen pro Centner ver— kauft wird, raſch ſteigern. Mich intereſſirte hauptſächlich das ſogen. Abraumſalz, welches über dem Steinſalz liegt, bis jetzt noch nicht abgebaut wird. Nach der mir dort übergebenen Analyſe ſoll das— ſelbe enthalten: Schwefelſaures Kali 10,0 % CC 19,% C 15% 40 — Reuning an Liebig. Chlormagneſiuum 2 Kohlenſaure Magneſia . 0,5 „ Sad W Kin Waſſer, Verluſ !!; zur ai Ich habe Lehmann um eine weitere Analyſe e ſolche noch nicht erhalten können; mir fiel der Reichthum an Kali auf, für welches uns ein Erſatz noch nicht geboten iſt, habe aber natürlich keine Idee davon, wie dasſelbe in ſeinen Verbindungen wirkt, ob dieſe nachtheilig ſind, ob das Kali ausgeſchieden werden kann, und würde Ihnen ſehr dankbar ſein, wenn Sie die Güte haben wollten, mir hierüber einigen Aufſchluß zu geben. Ich werde jedenfalls Verſuche anſtellen laſſen, aber nur im Kleinen, wenn Sie mir nicht die Beruhigung gewähren, daß eine nachtheilige Wirkung nicht zu befürchten iſt; denn würde dieſe eintreten, ſo wären Jahre verloren, um einer günſtigen Wirkung Vertrauen zu verſchaffen. Sie ſind ein großer Freund von Superphosphat, und ich kann über gewiſſe Bedenken nicht wegkommen, die freilich nicht wiſſen— ſchaftlicher Art ſein können. Im Superphosphat bezahlt der Land— wirth ca. 25 % Schwefelſäure, die nicht wirkt, jedenfalls in Gyps zu einem ſehr geringen Preis zu erhalten iſt; er kauft alſo ſtatt 100 Ctr. in Wirklichkeit nur 75 Ctr. Knochenſubſtanz. Der Centner Superphosphat zu 5 Gulden wendet er 500 Gulden auf, es koſtet alſo ein Centner wirklicher Knochenſubſtanz 6 Gulden 40 Kreuzer. Iſt das feine Knochenmehl ebenſo theuer, ſo koſtet 1 Centner nur 5 Gulden. Wenn ich nun das feine Knochenmehl, wie Sie ſolches bereiten laſſen, anſehe, ſo ſollte ich denken, es müſſe in zwei Jahren ſich faſt ganz auflöſen, jedenfalls aber in drei Jahren, und es kann dieſelbe Wirkung kaum entgehen, wenn die doppelte oder die dreifache Menge angewendet wird. Es koſten 100 Ctr. Superphosphat 1860 500 Gld., Zinſen auf 1 Jahr 5 % 25 Gld., Sa. 525 Gld. 1861 500 „ „ „ 1 „ % a per 5 1862 500 , „1 „ 5 % Re 1575 Gld. Reuning an Liebig. 41 300 Ctr. feines Knochenmehl koſten 1860 1500 Gld., Zinſen auf 3 Jahre à 75 Gld. 225 Gld., Sa. 1725 Gld. Hiermit verglichen den Aufwand für das Superphosphat 1575 , ſo waren an Zinſen gewonnen ea 150 Dagegen aber habe ich im Superph. 9 Wirkung 25 % 390 „ folglich Gewinn bei dem Knochenmehll ... 245 Gld. Daß Sie eine ſolche Berechnung nicht intereſſiren kann, weiß ich, und ich theile ſie Ihnen nur darum mit, um Ihre Gründe für Anwendung des Superphosphat kennen zu lernen; bei Anwendung von 100 000 Ctr. Knochenmehl iſt die Differenz über 80 000 Gld. jährlich, und wo dieſe zu erſparen ſind, muß ich von meinem Stand— punkt wenigſtens rechnen. Wenn Sie in meinem Aufſatz gegen die flüſſige Düngung von Hartſtein etwas des Durchleſens Werthes gefunden haben, ſo freut es mich ſehr; ich konnte dasſelbe nicht vermuthen, mußte aber dieſe Sache als eine der großen Schwindeleien der Neuzeit anſehen und da die beiden Stöckhardts dieſelbe ſeiner Zeit als einen der wichtig— ſten Fortſchritte anprieſen, warnen. Ich begreife nicht, wie Hartſtein ſich beſtreben konnte, eine Idee der Vergeſſenheit zu entziehen, welche in derſelben am beſten geruht hätte, war auf heftige Entgegnungen gefaßt und habe ſolche wohl noch zu erwarten. Es wird ſo viel verkehrtes Zeug in der Land— wirthſchaft geſchrieben, daß man bei jedem Verleger faſt einen Cuſtos beſtellen könnte. Laſſen Sie mich bald Ihre völlige Herſtellung hören; es muß Sie doch freuen, daß nach ſo vielem Gebelle und Gekläffe die Mei— nung des Publikums ſich aufzuklären beginnt. Dem Guano— Schwindel wäre durch die Erfahrung bald ein Ende zu machen; man muß aber einen Uebergang ſuchen, denn ſonſt glaubt die Maſſe auch das an die Stelle Geſetzte nicht und würde auch da aufhören, an Guano zu glauben, wo er am Platze iſt. Mir geht es im Winter nicht gut: es ſind hauptſächlich die Nerven, die nicht mit wollen. Ich weiß nicht, welchen Titel Ihnen die neue Würde gegeben 42 Liebig an Reuning. hat, habe noch nicht danach gefragt, es kommt bei Ihnen nichts darauf an. In alter Verehrung Ihr ergebenſter Reuning. München, den 13. März 1860. Mein verehrter Freund! Ich danke Ihnen herzlich für Ihren an intereſſanten Mitthei- lungen reichen Brief vom 11. d. M., ſowie für die Beilage unter Kreuzband. Es war zu erwarten, daß das Kochſalz nicht überall und nicht auf gleiche Weiſe wirken würde, eine Eigenſchaft, die kein Düngſtoff beſitzt. Die ausſchließliche Anwendung desſelben halte ich nicht für gut, da ſie, wenn der Erſatz fehlt, zu einer Erſchöpfung führen muß; ich würde dasſelbe darum nur als Beigabe zum Auf— ſchließen und Löslichmachen des Knochenmehls ganz beſonders für krautartige Rüben und Knollengewächſe empfehlen. Die Idee, den Guano in ſeine Beſtandtheile zu zerlegen und die Wirkung der einzelnen zu erforſchen, iſt ſehr gut; die Hauptſache dabei iſt wie bei allen Verſuchen, daß man ſich mit dem Reſultate eines Jahres nicht begnügt, ſondern die Wirkung in der Dauer und Nachhaltigkeit erforſcht; Pflanzen im Waſſer wachſen zu machen, iſt mir leider nicht gelungen, meine Verſuche wurden mit Reiſern von Weide und Dulcamara gemacht, die in Regenwaſſer zu dieſer Jahres— zeit eingeſetzt, eine Maſſe von Wurzeln, Blättern und Zweigen treiben, aber was ich auch dem Waſſer zuſetzen mochte, ſie ſtarben, an einem gewiſſen Punkte angelangt, immer ab. Ich möchte wiſſen, wie Dr. Sachs eigentlich verfährt, denn dieſe Verſuche möchte ich gerne nachmachen. Stöckhardt hat den Guano zu Ehren gebracht, allein ich denke, Ihr Erfolg in Beziehung auf das Knochenmehl wird immer dauernd und ſteigend zunehmen. Wenn die Analyſe des Abraumſalzes richtig iſt, ſo iſt dies das Liebig an Reuning. 43 allerwerthvollſte Düngeſalz. Die Kaliſalze haben in meinem, Garten vortrefflich gewirkt, ähnlich wie Aſche. Das Moos verging und es entwickelten ſich die ſchönſten Gräſer. Könnten Sie mir nicht eine Probe dieſes Abraumſalzes ver— ſchaffen? ich möchte gerne die Analyſe ſelbſt wiederholen. Ihrer Rechnung über Superphosphat läßt ſich nichts entgegen⸗ ſtellen und iſt in Beziehung auf die Bereicherung des Bodens un— zweifelhaft richtig; nicht ganz ſo in Beziehung auf die Erträge, ſie ſind bei Rüben außer allem Verhältniſſe größer mit Superphosphat. Die engliſchen Farmer thun nichts aus Luxus oder der Mode wegen. Ich habe die Abſicht, dieſen Sommer vergleichende Verſuche anſtellen zu laſſen. Superphosphat für ſich und Knochenmehl gemiſcht mit Gyps und Kochſalz. Eine jede einſeitige Düngung führt zuletzt auf eine Erſchöpfung, und es mag die Wirkung der löslichen Be— ſtandtheile bei flüſſiger Düngung ein paar Jahre lang noch ſo groß ſein, ſo findet am Ende der Landwirth ſeine Rechnung nicht dabei. Hartſteins Rath iſt kein guter Rath, und Sie hatten ſehr Recht ent— gegenzutreten. Es geht mir noch nicht gut und meine Fortſchritte im Gehen ſind verzweiflungsvoll langſam. Ich erwarte viel von dem Beſuch von Wildbad (in Württemberg). Wie gerne möchte ich Ihnen für ein Heft der „Verſuchsſtationen“ etwas geben, aber meine Arbeitskraft iſt eben noch ſehr gering und mein neues Amt hat mich mit Arbeiten überladen, die zwar nicht mühſam ſind, aber meine Zeit verzehren. Es iſt mir leid zu hören, daß Sie im Laufe des Winters un— wohl geweſen ſind, und wünſche, daß der Frühling dieſe Nervenleiden beſeitigen möchte. Werden Sie uns dieſen Sommer mit Ihrem Beſuche erfreuen? Mit freundſchaftlicher Hochachtung Ihr ergebener Juſt. Liebig mit dem alten Titel. 44 Reuning an Liebig. Dresden, den 17. März 1860. Hochverehrter Herr Profeſſor! Dr. Sachs ſoll Ihnen ſelbſt über ſeine Waſſer-Vegetationsver— ſuche ſchreiben. Das nächſte Heft der Verſuchsſtation wird Ihnen näheres mittheilen. Die Berg- und Salinen-Inſpektion zu Staßfurt habe ich gebeten, Ihnen einen Centner des Abraumſalzes zu überſenden; ich hoffe, daß man dasſelbe unter Ihrer Adreſſe paſſiren läßt; die Deklaration wird indeß ſchon fo fein, daß kein Anſtand erhoben wird. Man ſchreibt mir, daß der Centner jetzt zu 3 Groſchen verkauft wird; ich werde mit 160 Centnern Verſuche machen laſſen. Da Salz nur in großer Auflöſung ſeine Wirkung auf die Mine— ralien äußert, ſo weiß ich nicht recht, wie man in der Praxis dieſes bewirken ſoll, ohne die Natur zu Hilfe zu ziehen; erhalten wir nur noch Kali neben Knochenerde, ſo hoffe ich, werden wir viel leiſten können. Stöckhardt hat den oder der Guano ihn zu Ehren gebracht. Erſteres möchte ich für Sachſen leugnen; wir brauchten ſchon 20 000 Ctr., ehe die erſte Analyſe erſchien; dagegen bitte ich ſehr, mir nicht die Verbreitung der Knochendüngung zuzuſchreiben; ſie war in ſchönem Gang, als ich hierher kam. Einige Kämpfe mit Stöckhardt, der eine Zeit lang das Knochenmehl nur wegen des Stickſtoffs wirken laſſen wollte, kommen nicht in Betracht. Dagegen freut es mich, daß, was ich in dem gedruckten Bericht 1856, S. 105 ſagte, nun zur Aner⸗ kennung kommt. Es wird mehr und mehr Tag; in einer kleinen Wirthſchaft meines Schwiegerſohns in hieſiger Nähe wird ſtark nach Ihren An— ſichten gedüngt und bis jetzt mit beſtem Erfolg. Wenn das neue Amt Sie mit Arbeiten überladet, ſo wünſche ich von Herzen, daß der König Sie wieder abſetzt. Sogenannte zeitraubende Arbeiten kann auch ein anderer machen, nicht aber für Sie denken. Ich ſoll in ein Bad, will nach England und Heidelberg im Sommer. Wenn der Arzt mich nach Wildbad ſchicken wollte, ſo Reuning an Liebig. 45 ginge ich gern und richtete mich nach Ihrer Anweſenheit ein. Giebt es noch freie acht Tage, dann erlaube ich mir, Sie zu beſuchen. In alter Verehrung Ihr ergebener Reuning. Dresden, den 4. April 1860. Hochverehrter Herr Profeſſor! Die Salinen-Infpeftion zu Staßfurt ſchreibt mir, daß fie den beſtellten Centner Salz nicht abſenden könne, weil ſolches nach Bayern nicht ohne einen Erlaubnißſchein der Regierung eingelaſſen werde; ich muß Ihnen darum überlaſſen, wenn Sie ein größeres Quantum bedürfen, den Bezug mittelſt eines ſolchen Scheines zu bewirken, und beſchränke mich darauf, Ihnen die beiliegende, ſehr wohl gemiſchte, zur Analyſe wohl ausreichende Probe zu ſchicken. Dr. Lehmanns Analyje lautet: P se Chlormagneſiuͥů . . „ 29, 846 Magneſia . „ Schwefelſaures Kali e Doppelſchwefelſaures Kali . . 12,996 D ne air 21,831 Sie würden mich ſehr Under, wenn Sie mir nach der Ana⸗ lyſe Ihr Urtheil über die Anwendung mittheilen wollten, da ich große Hoffnungen, namentlich bei guaniſirten Feldern, auf dieſe Mi— neralien ſetze. Es wird Sie vielleicht intereſſiren, daß Mais nach Magneſia enorm wächſt, während die Gemüſe im Garten zu Grunde gingen. Ich denke Ihnen im Herbſt eine Reihe von Verſuchs-Reſultaten mit Mineraldüngungen mittheilen zu können; ich habe dieſelben mit meinem Schwiegerſohn verabredet; Dr. Sachs wird dabei thätig ſein. Daß Sie dieſem geantwortet, erzählte er mir; ich freue mich ſehr, 46 Reuning an Liebig. daß Sie den jungen durch und durch wiſſenſchaftlichen Mann aufs muntern, er verdient es in vollem Maße. Herr von Zehmen-Schleinitz trägt mir auf, Sie beſtens zu grüßen. Ich hoffe auf Ihre baldige volle Geneſung. Wie immer Ihr ergebener Reuning. Verzögert bis heute, weil das Salz erſt jetzt angekommen iſt. 7. April 1860. D. O. Dresden, den 28. April 1860. Hochverehrter Herr Profeſſor! Ihren Herrn Sohn nur eine Minute geſehen zu haben, bedaure ich ſehr, ich war im Begriff, nach Freiberg zu reiſen, als er mich beſuchte, kam krank zurück, mußte einem ſehr heftigen Katarrh zu Liebe das Bett hüten. Für Ihre Rede danke ich herzlich, ſie hat mich hoch erfreut. Mit dem Staßfurter Salz iſt es recht übel gegangen, ich hatte ſolches fein gemahlen beſtellt, Auftrag gegeben, aus mehreren Stücken eine gut gemiſchte Probe zu entnehmen, und erfuhr zu ſpät, daß man das Salz in Stücken geſandt, erſt nach Wochen, daß man eine gut gemiſchte Probe beigefügt hatte in einem beſonderen Sacke, als die Vertheilung längſt erfolgt war. Ich habe mir nun von Staßfurt eine weitere Probe erbeten und ſolche erhalten, wie das Salz zur Verſendung gebracht werden ſoll, und laſſe ſolche Ihnen anbei zu— gehen, gemahlen und in einem Stücke mit der Bitte, dieſe analyſiren zu laſſen. Die Wirkungen auf Feld und Wieſen müſſen hervortreten, ſo— bald nur einige warme Wochen die Vegetation zulaſſen. Fortſchreitende Beſſerung wünſchend, bleibe ich Ihr ergebenſter Reuning. Liebig an Reuning. 47 München, den 17. Juli 1860. Mein verehrteſter Freund! Ich bin geſtern von meiner Badereiſe nach Wildbad zurückge— kommen und habe die fertige Analyſe des Staßfurter Salzes vorge— funden, deren Hauptreſultat ich mich beeile, Ihnen zu überſenden. Das Staßfurter Salz iſt ein Gemenge von drei Salzen, einem un⸗ durchſichtigen weißen und einem durchſcheinenden gefärbten und es giebt die Analyſe ſehr abweichende Reſultate, je nachdem die Probe von dem einen oder dem andern mehr enthält; es blieb, um ein Mittelreſultat zu haben, nichts übrig, als den ganzen Reſt von mehre— ren Pfunden Salz in Waſſer zu löſen und in dieſe Löſung, welche alle Beſtandtheile in der homogenſten Miſchung enthält, die verſchie— denen Salze zu beſtimmen. Hiernach enthält das rohe Salzgemiſch des Abraumſalzes: Scwefelinurs Kai 135,76 Schwefelſaures Natron . . 14,34 V2 Chlormagnefium . - . 31,492 Waſſer und unlösliche Beſtandtheile 35,713 Der Gehalt an Bittererdeſalz iſt ſehr groß, ſo daß ich nicht weiß, ob der Vortheil, den man als Düngſalz wegen des bedeuten— den Kaligehalts daraus ziehen könnte, nicht wieder aufgehoben wird durch eine möglicherweiſe nachtheilige Wirkung der Bittererdeſalze. Ich habe vor einiger Zeit ein Superphosphat von einem Liver— pooler Fabrikanten, der es wegen eines Zuſatzes von Ammoniak und Kaliſalzen oder von Guano Phospho-peruvian-Guano nennt, in dem hieſigen Laboratorium analyſiren laſſen, und der Gehalt desſelben an löslicher Phosphorſäure ſchien mir ſo bedeutend zu ſein, daß ich die bayriſchen Landwirthe aufforderte, mit dieſem Präparate Verſuche anzuſtellen. Auf meine in der landw. Zeitſchrift erſchienene Notiz ſandte mir der Fabrikant W. Dixon eine Anzahl von Centnern zu, mit dem Erſuchen, ſie an landwirthſchaftliche Vereine in Deutſchland zu vertheilen, um die Wirkſamkeit des Düngers auf Futtergewächſe, Rüben ꝛc. zu prüfen. 8 Reuning an Liebig. Es wäre mir nun ſehr angenehm, wenn Sie die Güte haben wollten, im Intereſſe der Sache eine Reihe von Verſuchen durch ſächſiſche Landwirthe zu ermitteln; nur wenn Sie mir eine zuſagende Zeile darüber ſchreiben, ſo werde ich Ihnen den Dünger von Berlin aus, wo er liegt, zuſenden laſſen; Sie können 12 Säcke mit 20 Ctr. haben. Die Fracht von Berlin nach Dresden werden die Landwirthe zu tragen haben. Herr Dixon erbittet ſich dagegen einen Bericht über die mit ſeinem Präparat gewonnenen Reſultate aus. Vielleicht ließen ſich noch dieſes Jahr Verſuche mit Stoppel— rüben machen. Mit bekannter freundſchaftlicher Hochachtung und Anhänglichkeit Ihr ergebener Juſtus Liebig. Dresden, den 22. Auguſt 1860. Hochverehrter Herr Profeſſor! Ihr Brief vom 17. v. M. datirt an einem Tag, wo ich in Norfolk eine ſchöne Wirthſchaft ſah; nachdem ich aus England zu— rückgekehrt war, blieben mir vorerſt die wichtigſten laufenden Geſchäfte zu erledigen, und darum entſchuldigen Sie dieſe verſpätete Antwort. Die Beſorgniß, daß das Bitterſalz die Wirkungen des Kali neutraliſiren werde, iſt mir eine wenig erfreuliche Thatſache, daß in dieſem Frühjahr das Land ſich nach der Düngung mit dieſem Salze ſehr feucht hielt, in vielen Fällen die Wirkung — 0, oft ſogar eine ſchädliche war, daß aber in andern Fällen wieder ein günſtiger Er— folg hervorgetreten iſt. Die Hauptreſultate ſind noch zu erwarten und werde ich Ihnen mittheilen; ich danke Ihnen für Ihre Mühe. Den Dünger des Herrn Dixon nehme ich ſehr dankbar an, werde über deſſen Wirkung berichten und bitte, das zu beſtimmende Quan— tum für mich an das Handelshaus Chr. Schubart & Heſſe, hier, ſenden zu laſſen. In England habe ich vieles geſehen, vieles nicht geſehen, was andere berichten; ich habe von der allgemeinen Intelligenz des dortigen Reuning an Liebig. 49 Landwirths keinen großen Begriff, vor der Specialität, vor der Leitung im Einzelnen alle Achtung; hätte der Deutſche einen Gemeinſinn, wäre er nicht ſo verregiert dadurch, daß man ihn als zu leitendes Kind behandelt, hätte er einen ſo praktiſchen Sinn, er würde bald mehr leiſten als der Engländer, wie er denn in der Produktion von Körnern im Allgemeinen nicht zurückſteht. Ich will meine Beobachtungen niederſchreiben und mir erlauben, ſolche Ihnen zu überſenden, nur eines bemerken, daß das Knochen— mehl, welches ich ſah, eigentlich Knochenſplitter waren, die freilich nicht ohne Säuren raſch wirken können; dasjenige, welches wir jetzt aus Ihrer Fabrik beziehen, bedarf keiner Aufſchließung. Wir beziehen ſchon ziemlich ſtark von dort; leider hat die Di— rektion ſich die Hände dadurch gebunden, daß ſie an 3 Kaufleute den alleinigen Vertrieb überlaſſen hat. Von Herrn von Zehmen hörte ich, daß Wildbad Ihr Uebel leider nicht gehoben hat; laſſen Sie mich hoffen, daß die Wirkungen nun hervortreten, und daß Ihre geiſtige Thätigkeit durch dasſelbe nicht gelähmt wird. Anbei lege ich einen Aufruf an Deutſche vor, ſich zu ber- einigen zu einer alle Theile Deutſchlands umfaſſenden Ackerbaugeſell— ſchaft, welche als ſolche etwas leiſten könnte. Ob dieſelbe zu Stande kommen wird, wage ich nicht vorher zu beurtheilen; es iſt eben der Deutſche, der redet und reden hört, am liebſten das recht Ordinäre, der zu einem Handeln nicht gelangt. Man wird Bedenken aufſtellen, hauptſächlich aber nichts geben wollen. Vielleicht finden Sie Ge— legenheit, dem Einen oder dem Andern, welcher ein Intereſſe an der Sache hat, das Blatt zur Anſicht vorzulegen. In der Hoffnung, bald durch einige Worte über Ihre fort— ſchreitende Geſundheit erfreut zu werden, bin ich mit bekannter Ver— ehrung Ihr ergebener Dr. Reuning. Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 4 50 Liebig an Reuning. Reichenhall, den 15. September 1860. Mein verehrter Freund! Seit dem Beginn meiner Ferien durchſtreife ich mit meinem Freunde Wöhler die bayeriſchen Hochlande, und ich habe Ihren Brief vom 22. huj. erſt hier in Reichenhall empfangen, wo ich mich bei meinem Sohne, der in Indien war und jetzt Gerichtsarzt hier iſt, aufhalte. Ihr Brief gab mir den Schlüſſel, warum ich wochenlang keine Nachricht auf meinen letzten von Ihnen erhielt; Sie befanden ſich in England und ich bin äußerſt begierig auf Ihren Reiſebericht, der uns über vieles Intereſſante unterrichten wird; ich hoffe, daß Sie an die rechten Leute in England gekommen ſind, welche aufge— ſucht ſein wollen. Diejenigen Landwirthe, an welche die fremden Beſucher zunächſt gewieſen werden, ſind nicht immer die beſten und viele davon treiben die Landwirthſchaft nur zur Schau; bei den mäßig großen Farmern in Schottland lernt man eigentlich erſt er- kennen, was dieſe Leute leiſten. Sie ſehen in England anſtatt Knochenmehl eigentlich nur Knochen— ſplitter, allein am Rhein in Württemberg, Baden und der bayriſchen Pfalz werden Sie kein anderes ſehen, und feines Knochenmehl, ſo wie es die Aiblinger Fabrik den ſächſiſchen Landwirthen liefert, würde dort unverkaufbar ſein oder iſt es thatſächlich. Die Leute wollen ſehen was ſie kaufen und haben darum wenig Vertrauen auf eine Handelswaare, deren Güte ſie nicht beim Einkauf beurtheilen können. Die Aiblinger Fabrik könnte das Zehnfache abſetzen, wenn ſie grobes Knochenmehl liefern wollte, was natürlich viel wohlfeiler kommt, ich halte aber darauf, daß nur feines fabrizirt wird und hoffe, daß die Landwirthe ihren Vortheil, der in der Anwendung von dieſem liegt, allmählig erkennen werden. Sie haben, verehrter Freund, ein Vorurtheil gegen das Super— phosphat, und indem Sie den Gehalt der Phosphorſäure im Knochen— mehl und Superphosphat und den Preis vergleichen, ſo kommen Sie zu dem Schluß, daß die Anwendung des erſteren vortheilhafter iſt; das mit Schwefelſäure chemiſch aufgeſchloſſene Knochenmehl verhält ſich aber zu dem feinen Aiblinger Knochenmehl wie dieſes zu dem Reuning an Liebig. 51 gröbſten, was aus bohnengroßen Splittern beſteht. Auf die Raſch⸗ heit und namentlich auf die Sicherheit der Wirkung kommt es vor allem im Betriebe an und wenn man von dem Superphosphat nur ein Drittel braucht, ſo ſtellt ſich die Rechnung ganz anders. Der Unterſchied in der Wirkung von Superphosphat und gewöhnlichem feinen Knochenmehl iſt auf ausgetragenen, armen Feldern im höchſten Grade in die Augen fallend, aber ich gebe zu, daß er auf gut gehaltenen Aeckern in Sachſen nicht ſo groß iſt und daß man für dieſe erſt das richtige Verhältniß ausmitteln muß. Dem Spediteur in Berlin, bei welchem das Superphosphat von Dixon lag, iſt die Zeit lang geworden, und als ich ihm 4 Wochen lang nicht ſchrieb, wohin er das Superphosphat ſchicken ſollte (was ich für Sie be— ſtimmt hatte), ſo ſandte er mir die ganze Maſſe nach München, und ich habe dasſelbe an den landwirthſchaftlichen Verein abgegeben. Mit meiner Geſundheit geht es im Ganzen gut, ich bin aber immer noch lahm, und es dürfte noch ein Jahr dauern, ehe ich den vollen Gebrauch meines Beines wieder erlange. An allen Orten und namentlich auch in England, wie ich aus dem Mark Lane Express vom 13. Auguſt Nr. 1494 erſehe, dringen denn endlich die wahren Grundſätze durch; es iſt dort von einem ſehr ſcharfſinnigen Mann auseinandergeſetzt, wie auch die neueſten Verſuche von Lawes nur Beſtätigungen meiner Lehre ſind. Mit dem Ausdruck der freundſchaftlichſten Hochachtung Ihr ergebener Juſt. Liebig. Dresden, den 9. Januar 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Ich will das neue Jahr nicht älter werden laſſen, ohne mich in demſelben in Ihr Gedächtniß zurückzurufen und Ihnen meine Wünſche auszuſprechen, daß Sie in demſelben wieder in den Voll- beſitz Ihrer körperlichen Kräfte gelangen, daß die geiſtigen in ſolchem g 4* 52 Reuning an Liebig. dasſelbe leiſten wie in früheren. Ich ſehe auf das abgelaufene Jahr mit mancher Befriedigung, aber auch mit mancher Unzufriedenheit zurück. Meine Geſundheit will ſich nicht wieder kräftigen, und dieſes macht mich verdrießlich, weil ich an der Arbeit gehindert bin und das Schonen meine Sache nicht iſt. Erfreut hat mich dagegen manches. Es iſt endlich gelungen, oben die Ueberzeugung zu begründen, daß die landw. Akademien nicht geeignet ſind, Landwirthe wiſſenſchaftlich auszubilden; der Widerſpruch des Finanzminiſteriums, welches den landwirthſchaftlichen Unterricht in Tharand zu ſeinem Reſſort zählt, iſt überwunden und nun die Ausſicht vorhanden, daß derſelbe mit der Univerſität vereinigt wird; die Berufung Stöckhardts in Chem— nitz nach Jena wird dieſem Prinzip auch an der Gewerbeſchule in Chemnitz Eingang verſchaffen; es wird, wie ich hoffe, Sachs für Thier und Pflanzenphyſiologie angeſtellt werden, jo daß hier die naturwiſſenſchaftliche Richtung ſich ganz Bahn bricht, die eigentliche Landwirthſchaftslehre auf Volkswirthſchaft in den Grundprinzipien und auf Betriebslehre reduzirt bleibt. So wird es möglich ſein, Landwirthe für ihren Beruf vorzubilden, und die Abrichtung auf Schule und Akademie wegfallen. Die Wirthſchaft war wirklich un— erträglich und iſt es noch. Was mich aber ſeit Monaten ganz ein- nimmt und meiſt beſchäftigt, iſt, für die praktiſchen Landwirthe aus der Erfahrung darzulegen, wie die Stickſtoff-Theorie ein wiſſenſchaft— licher Unſinn iſt; ich habe vorerſt verſucht, mir Wirthſchaftsreſultate zu verſchaffen; allein, obſchon ich ſehe, daß, um von Einem zu reden, die Knochenmehl-Wirthſchaften, d. h. diejenigen, welche neben Miſt Knochenmehl düngen, an Kraft fortwährend zunehmen, wo die Guano— leute auf Knochenmehl zurückeilen, konnte ich doch keine poſitiven Zahlen gewinnen und kam auf die Idee, die Düngungsverſuche von 1850-1852, die ich Ihnen einmal mittheilte, nach ihren Beſtand— theilen in dem Dünger von Knochenmehl, Rapsmehl und Guano im Vergleich zu ungedüngt zu berechnen, und komme hierdurch zu Er⸗ gebniſſen, die auch den verſtockteſten Stickſtoffpraktiker überzeugen müſſen. Ihre Lehre liegt in den Zahlen ſo aufgedeckt da, daß es nur dieſer bedarf. Sachs, der mir die erſten Berechnungen machte, iſt ebenſo in Freude wie ich. Es ergaben Erträgniſſe in Pfunden 2 Reuning an Liebig. 53 an Stickſtoff, Kali und Phosphorſäure, bei der Fruchtfolge Roggen, Kartoffeln, Hafer, Klee, in 4 Jahren: f Ungedüngt 356 St. 274 K. 88 Ph. Knochenmehl 36 St. — K. 192 Ph.: 407 „ 314 108% Rapsmehl 2, 2 nn 80299 Guano e 39e. , 307 „102 Alſo wo der wenigſte Stickſtoff in den Boden gebracht wurde, die größte Ernte an ſolchem, wo am meiſten gedüngt ward, die ge— ringſte Ernte. Der Stickſtoff iſt alſo zwar ein Nahrungsmittel der Pflanze, aber ein ſolches, das die Atmoſphäre darbietet. In den Boden gebracht, kann er die Vegetation beſchleunigen, aber er iſt ein Wechſel, an den Boden ausgeſtellt, der zuletzt das Kapital abſorbirt. Wir dummen Leute, die in die Wiſſenſchaft nicht eindringen können, müſſen auf unſere Art denken und rechnen. Da habe ich mich denn gefragt, wohin kommt der Stickſtoff, der in jeder Minute in die Atmoſphäre dringt, wenn er nicht wieder auf den Boden fallen oder von der Pflanze direkt aufgenommen werden ſoll? In dem ſchwarzen ſüdruſſiſchen Boden führt jede Stickſtoff— düngung zu Lager, jede Vertiefung der Ackerkrume zu höheren Er— trägen. Wollte nun die Pflanze ihren Stickſtoff aus dem Vorrath im Boden nehmen, ſo müßte doch dieſer einmal alle werden; aber mehr noch, es müßte ja der Weizen, der bei der geringſten Stick— ſtoffzufuhr ſich lagert, nothwendig ſtets lagern, ſtets ſich gelagert haben, wenn der Boden den Vorrath enthielte, dieſer nicht immer wieder durch die Atmoſphäre ergänzt würde. Höchſt intereſſant iſt auch, daß der Klee im 4. Jahr enthielt: ungdüngt . . . . 210 Pfd. Stickſtoff Knochennehl 223839 1 ansmehle a2. 2.210 R C PL, KT: Re alſo Rapsmehl brachte bei Klee nicht mehr Stickttoff als ungedüngt. Es werden ſich eine Maſſe Folgerungen für den Unverſtändigen ergeben, die nicht anzufechten ſind. Obige Zahlen können und werden kleine Aenderungen ergeben, weil das neue Gewicht nicht bei der Reduktion berückſichtigt war, 54 Naeuning an Liebig. im Prinzip ändern ſie nichts. Meine langen Rechnungen haben mich bis jetzt erſt gelehrt, wie ich rechnen muß, und von heute an ſitzt ein Rechner an den Zahlen, welche die definitive Grundlage bieten werden. 8 d Sie ſagen, warum ich Ihnen dieſes ſchreibe; ich weiß es ſelbſt nicht, aber ich bin ſo innig vergnügt, daß ich nun einmal auftreten kann, um zu beweiſen, „Liebig hat Recht“, daß mich dieſes ver— anlaßt, Sie zu langweilen mit dem, was Sie für überflüſſig halten. Und doch halte ich es nicht für überflüſſig aufzutreten, weil ich zu viel Aerger über den Unverſtand der Menſchen gehabt habe, weil ich nun von meinem Standpunkte die Beweiſe für Sie habe, die jeden überzeugen müſſen, denn es ſind nicht zugeſtutzte Zahlen, ſie rühren von Leuten her, die nicht wußten, was ſie niederſchrieben, können alſo nicht angefochten werden. Ueber das Staßfurter Abraumſalz gehen nun die Verſuche ein, ſie ſind noch nicht befriedigend. Bei Klee aufgeſtreut hat das Salz mehrfach ätzend gewirkt, dagegen aber auf Gerſte und Hafer eingeeggt ſich ſehr gut bewährt, namentlich auffallend in Verbindung mit Phosphorſäure. Cruſius erntete z. B. in Gerſte nach Kar— toffeln auf 1 ſächſ. Acker: ungedüngt . . . 1830 Pfd. Körner, 128 Pfd. pro Scheffel 3 Ctr. Abraumſalz . 2460 „ 5 9 „ 3 Ctr. Abraumſalz u. 2 Ctr. Superphosph. 2535 „ 2 1 2 4 Ctr. Superphosphat 2120 „ . e 5 Bei Gerſte nach Hafer ungedünge . . 1703 „ x P 2 3 Ctr. Abraumſalz . 2385 „ 0 123 3 Ctr. Abraumſalz u. 2 Ctr. Superphosph. 2355 „ x 1 2 Ctr. Superphosphat 2119 „ F 1 %% s Worin das geringere Gewicht feinen Grund hat, verſtehe ich nicht. Ein Landwirth, der es ſich bequem machte, will nach Abraum / mehr Stroh geerntet haben ohne Unterſchied im Körnerertrag. An " 7 * S 5 ni 5) — Liebig an Reuning. 55 Ob letzteres wahr iſt, weiß ich nicht; aber es hat dem Boden viel— leicht an Phosphorſäure gefehlt, um mehr Körner zu bilden. Ich habe nun Proben von Staßfurt, nach welchen man 13 % Kali liefern will, und hoffe viel von dieſem Mineral, obſchon die Verarmung an Kali weit ſpäter eintritt, da Stroh, Klee, Rüben, Kartoffeln in der Wirthſchaft wieder verwendet werden. Haben Sie den Verſuch von Cruſius mit Fettfütterung bei Ochſenmaſt geleſen? Er war mir ſehr intereſſant, und es ſind mehr— fache weitere Verſuche im Gange. Ich möchte nur wiſſen, ob Fett auch Fett in der Milch bildet. Der Buttergehalt in der Milch unterliegt ſehr großen Schwankungen, kann ſich verhalten wie 100: 300; wir geben in dem Juttererſatz für Heu berechnet Nh.: Nfr. 1:5 in der Regel nicht den Fettgehalt des Heues, und einige Verſuche laſſen mich vermuthen, daß Fett⸗ fütterung auf Fettbildung in der Milch von weſentlichem Einfluſſe iſt. Es wird vorerſt roh damit verſucht. Ueber England habe ich 11 Briefe geſchrieben, die jetzt in der wiſſenſchaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung erſcheinen; ſie ſind für unſere Landwirthe berechnet, haben keinen Werth; ich ſchäme mich, ſie Ihrem Urtheil zu unterwerfen, ſende ſie darum nicht, zu— mal ſie nichts enthalten können, was Sie intereſſirt. Vielleicht beſuche ich Sie einmal, wenn ich mit meinen Tabellen fertig bin; ich habe vieles, was ich von Ihnen lernen möchte. Nochmals alles Heil Ihnen wünſchend, bleibe ich wie immer Ihr ergebener Reuning. München, den 20. Januar 1861. Mein verehrteſter Freund! Ihr Brief hat mir eine doppelte Freude gemacht, zunächſt des- wegen, weil Sie zu dem Beſchluſſe gekommen ſind, daß die landw. Akademien in ihrer gegenwärtigen Verfaſſung nicht mehr lebensfähig ſind, und ſodann darum, weil Sie ſich jetzt ſelbſt überzeugt haben, 56 Liebig an Reuning. — — —— — — daß der Stickſtoff nicht der Hauptfaktor der hohen Erträge iſt; Sie werden hoffentlich noch einen Schritt weiter machen und nach und nach zu dem Schluſſe kommen, daß es auch die Phosphorſäure allein nicht iſt, ſondern daß jedem Nahrungsſtoffe in den beſonderen Fällen ein Uebergewicht in der Wirkung zukommt. Was die landw. Akademien betrifft, ſo war ihre Iſolirung nach dem Vorgang Thaers ein Unglück; es war die Abſchließung von dem Einfluß der Wiſſenſchaft; der praktiſche Mann weiß nichts von Wiſſen— ſchaft und er glaubt, daß auf Prinzipien nichts ankomme, weil er ohne Prinzipien verfährt; er iſt nicht der Mann, um ſein Verfahren auf Prinzipien zurückzuführen. Man wählte aber durchgehends zur Leitung der Akademien praktiſche Leute; dies war ganz gut, ſolange noch die Technik auszubilden und zu verbreiten war; dies iſt aber ein überwundener Standpunkt, und zum weiteren Fortſchritt kann man heutzutage die Univerſitäten nicht umgehen. Es iſt der größte Irrthum zu glauben, daß eine landw. Akademie mit einem Land— gute, Bierbrauerei, Eſſigſiederei ꝛc. ausgeſtattet ſein müſſe. Kein Schüler bleibt lange genug auf einer ſolchen Anſtalt, um nur eine Rotation mitzumachen, und niemals iſt ein Bierbrauer oder Eſſig— ſieder auf einer ſolchen Schule erzogen worden. Was aber für die Praxis des Bierbrauens und Eſſigſiedens gilt, iſt ebenfalls wahr für die Praxis des Feldbaues. Ein ſolches Gut iſt eine Laſt und die Quelle des Verderbniſſes; auf einem Viertelsacker läßt ſich eben ſo viel zeigen wie auf hundert Ackern. Da es nun überall Bierbrauereien giebt, die hundertmal beſſer ein— gerichtet ſind und betrieben werden als die elenden Brauereien auf der Schule, ſo giebt es hundert Landwirthſchaften, die beſſer betrieben werden als die auf der Schule, und es müſſen im Intereſſe der Schüler ſelbſt dieſe darauf hingewieſen werden, den praktiſchen Be— trieb da zu erlernen, wo er am beſten iſt. In Weihenſtephan iſt es wie anderwärts und auf mein Lob hin iſt mir ſoviel Tadel zugekommen, daß ich verſtummen muß. Was Sie aus den vierjährigen Verſuchen in Beziehung auf den Stickſtoff gezogen haben, finden Sie in allen. Ueberall bedingen die nicht flüchtigen Nahrungsſtoffe, darunter die Phosphorſäure am hands Liebig an Reuning. 57 greiflichſten, die Dauer der hohen Erträge; Ammoniak und die Stick— ſtoffverbindungen, wenn ſie auch in beſonderen Fällen höhere Erträge bei Getreidepflanzen geben, vermindern die Fruchtbarkeit der Felder. Niemand hat mehr über dieſe Dinge nachgedacht und mehr Thatſachen geſammelt und niemand iſt weniger dogmatiſch als ich, und doch fürchte ich, daß meine Lehren noch auf lange hin auf allgemeinen Erfolg zu warten haben, ſowie Sie denn ſelbſt die Erfahrung machen werden, wie ſchwer es iſt, die beſten und urtheilsfähigſten Männer von der Exiſtenz einer ganz unbezweifelbaren Thatſache zu überzeugen. Die Verſuche mit dem Abraumſalz ſind ſehr intereſſant. Wie glück— lich ſind Sie, daß Sie ſolche Verſuche veranlaſſen können. Dies iſt der wahre Weg, um die Grundſätze im Großen feſtzuſtellen. Da alle Bodenarten in ihrer Zuſammenſetzung unendlich verſchieden ſind; ſo kann kein Dünger, von welcher Beſchaffenheit er auch ſei, auf allen eine gleiche Wirkung haben; ſo auch das Abraumſalz. Durch nähere Unterſuchung des Bodens der Felder, auf welchen es eine günſtige Wirkung hatte, werden wir erfahren, auf was ſeine Wirkung beruhte, und dann die Fälle bezeichnen können, wo dasſelbe anwend— bar iſt und wo nicht. Der Unterſchied in den Erträgen gegen das ungedüngte Stück (50 % mehr) iſt enorm; Sie haben hier den ſchlagendſten Beweis, daß ſich die Erträge ganz ohne Einfuhr von Stickſtoff ſteigern laſſen, denn das Abraumſalz enthält keinen. In Beziehung auf Fettfütterung möchte ich Herrn Cruſius das Buch von Biſchoff und Voit, „Die Ernährung des Fleiſchfreſſers“, zum Leſen empfehlen; es ſind darin die Geſetze des Stoffwechſels durch zahlreiche Verſuche und Beobachtungen klar gemacht und ich glaube nicht, daß dieſe Vorgänge bei einem Fleiſchfreſſer anders ſind als bei einem Pflanzen— freſſer. Bei einem gewiſſen Verhältniß von Fleiſch und Fett bei etwa 300 Gramm Fleiſch und 200 Gramm Fett blieb das Thier bei ſeinem Gewicht; gab man ihm weniger Fleiſch oder Fett, ſo gab es an ſeinem Kör— perfleiſch oder Fett ab, d. h. es nahm an Gewicht an beiden ab. Gab man ihm mehr Fleiſch und mehr Fett, ſo ſetzt es beides an, d. h. es nahm an beiden an Gewicht zu; gab man ihm mehr Fleiſch und dieſelbe Menge Fett, ſo wurde alles Fleiſch umgeſetzt, und der Fettgehalt des Körpers 58 Reuning an Liebig. nahm zu; gab man ihm weniger Fett, ſo mußte die Fleiſchmenge in einem enormen Verhältniſſe vermehrt werden, ſo zwar, daß das nämliche Thier bis 2000 Gramm (4 Pfund) neues Fleiſch verzehren mußte ohne Gewichtsvermehrung, um dasſelbe zu leiſten, was 300 Gramm Fleiſch mit 200 Gramm Fett in Beziehung auf Wärme— und Krafterzeugung herabgebracht hatten; die beiden Herren haben bewieſen, daß es ein großer Irrthum iſt zu glauben, daß mit der Vermehrung der Fleiſchnahrung die körperliche Kraft oder Arbeits— leiſtung wachſe, bei einem ſchlecht genährten allerdings nämlich ſo lange, bis er ſein Maximalgewicht an Fleiſch in ſeinem Körper ge— wonnen hat; wenn er dann mehr Fleiſch verzehrt als zur Erhaltung dieſes Gewichtes nothwendig iſt, ſo wird das plus für die innere Arbeit verbraucht und iſt nicht verwendbar nach außen. Es ſind dies ſehr merkwürdige Verhältniſſe, welche nationalökonomiſch die größte Beachtung verdienen. Dr. Sachs hat mir ſeine Verſuche mit— getheilt, und ich habe auch ſeine Erklärungen über die Wirkung der Salze auf den Feuchtigkeitszuſtand im Boden und ſeine Anſichten über die Ernährung mit Aufmerkſamkeit geleſen; es iſt mir leid, daß er nicht bei ſeinen morphologiſchen Unterſuchungen bleibt, zu denen er Geſchick und Talent beſitzt, welche künftige noch wichtigere Leiſtungen verbürgen; aber feine chemiſch-phyſikaliſchen auf das Pflanzenwachs— thum angewendeten Unterſuchungen beweiſen in ſeinem Sinne nichts. Meine Anſichten ſcheint er gar nicht verſtanden zu haben; ich ſagte, daß ich mir den Uebergang der Mineralſubſtanzen nicht er— klären könne, daß Waſſer (d. h. eine Löſung) dazu nothwendig ſei, verſtehe ſich von ſelbſt. Warum nun dieſe einfältigen Tharander Verſuche, welche beweiſen ſollen, daß die Pflanzen aus einer Löſung ihre Nahrung ſchöpfen. Was ich behaupte, iſt, daß die Pflanzen ihre Nahrung nicht aus dem im Boden beweglichen Waſſer nehmen, ſondern aus einer Löſung, die ſich in der nächſten Nähe der Wurzel— faſern bildet; der Landwirth weiß dies auch, denn er führt das be— wegliche Waſſer aus ſeinem Felde ab (durch Drainage), weil er weiß, daß es ihm nichts nützt, ſondern durch Luftabſchluß eher ſchadet. 1 Reuning an Liebig. 5 59 Wenn ich ſagte, daß ich nicht wiſſe, wie die Löſung eigentlich vor ſich geht, ſo iſt damit gemeint, daß wir überhaupt nichts dar— über wiſſen; das abgeſchmackte Schwatzen über En- und Exosmoſe kann nur den befriedigen, welcher nicht weiß, was Osmoſe ſagen will; mir iſt das Wort, das keine Erklärung in ſich einſchließt, nur die Bezeichnung des Vorgangs. Wie ſehr würde ich mich freuen, Sie hier zu ſehen. f Von Herzen Ihr aufrichtig ergebener Juſt. v. Liebig. 1 Dresden, den 31. März 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Mit meiner Arbeit bin ich nunmehr fertig und hoffe durch die Erfahrung den Beweis genügend zu liefern, daß, was Sie gelehrt, mit derſelben in vollem Einklang ſteht; es iſt ein Zweifel meines Erachtens nicht möglich, es thut der Stickſtoff nicht mehr, nicht weniger als der Kalk, als das Kochſalz, indem es löſt; ich kann zeigen, daß 158 Pfund Stickſtoff auf 1 Acker nur 172 Pfund in der Ernte produzirten, ohne Düngung 127 Pfund gewonnen wurden, daß nach einer Kalkdüngung mehr Stickſtoff geerntet ward, als nach der ſtärkſten Düngung mit Stickſtoff. Ich habe nur noch einige Be— denken. Kann nicht auch das Kali löſend auf Phosphorſäure, dieſe auf Kali wirken? Die Thatſache liegt vor, daß nach Düngung mit einem dieſer Mineralien auch die anderen in größerer Menge in die Pflanzen übergehen; es iſt namentlich auffallend, daß die hauptſäch⸗ lichſten Kalkpflanzen, Kartoffeln und Klee, nach Knochendüngung die auffallendſten Erträge liefern, die Kartoffeln mehr, beſſer werden, nach manchen Behauptungen ſogar ein höheres ſpezifiſches Gewicht gewinnen. Weiter will es mir ſcheinen, als ob die Wechſelwirth— ſchaft nicht auf dem Bedarf an quantitativ verſchiedenen Nährſtoffen, ſondern auf der Befähigung der Blattpflanzen, Stickſtoff aus der At— moſphäre aufzunehmen, beruhe, denn eine reiche Kornernte bedarf nicht mehr Phosphorſäure als eine reiche Kleeernte. Letztere zieht — 60 Reuning an Liebig. aber Stickſtoff an und dadurch wachſen die Halmfrüchte nach ſolcher reicher. Dieſe und manche andere Vermuthungen, welche die Er— fahrung zeigen, wollte ich in der kleinen Schrift darlegen, wenn Sie es billigen, und dieſes veranlaßt mich zu der Bitte, mir zu erlauben, nicht allein Ihren Namen in eine Verbindung mit derſelben zu bringen, ſondern auch, Ihnen die Sache vor dem Druck vorzulegen, damit Sie entfernen, was nicht ſtichhaltig iſt. Es kommt nichts darauf an, ob Ihre Gegner mich angreifen; ſie finden aber einen Haken an der Sache, wenn ich etwas hinausſende, was einen Angriff ermöglicht, und das möchte ich vermieden ſehen. Es iſt überhaupt nicht leicht für mich, die Auseinanderſetzung kurz, bündig und richtig zu bewirken; ein Dilettant muß ſich von ſchwerer Muſik laſſen; ich thäte es gern, müßten nicht dem leſenden Publikum die Grundzüge Ihrer Lehre noch einmal vorgeführt werden, die dasſelbe kaum kennt, kaum ahnt, die es zum großen Theil befolgt, während es ſich un— gläubig ſtellt. Die Genugthuung habe ich, daß die, welchen ich die Tabelle in Verbindung mit der Statik des Bodens am Schluſſe der Verſuche zeigte, ſich unbedingt überzeugt erklärten. Selbſt ein Ver: ſuch auf ſehr reichem Boden beſtätigt die Lehre, indem hier der Stickſtoff auflöſend wirkte, noch Phosphorſäure genug im Boden war. Und hier kann ich, der Praktiker, nicht mit Ihnen gehen; ich will den Boden nicht eher wieder zum normalen machen, bis der Ueber— ſchuß an einem Mineral abſorbirt iſt. Es trägt die Phosphorſäure keine Zinſen, mit welcher ich dünge, wo noch genug im Boden iſt, und wir haben verarmte Felder genug, denen ſie der Volks- und Landwirth zuerſt geben muß. Die Chemiker, ſelbſt Ihre Schüler haben Ihre Lehre nicht ge— nügend durchdacht, ſie haben nicht gearbeitet und ſind, die ich ſprach, über Reſultate erſtaunt, die freilich Arbeit koſten. Mir iſt die üb- rige Zeit im ganzen Winter darüber vergangen, um drei Druckbogen zu liefern; aber ich habe die Zeit trefflich angewandt, denn ich ſehe nun durch die Erfahrung klar und hoffe, dem Land Sachſen jährlich mindeſtens 100 000 Thaler zu erſparen. Ich kann noch nicht klar ſehen mit dem Baker-Guano; nach meiner Rechnung kommen wir mit Heufelder Knochenmehl à 3 Thlr. Liebig an Reuning. 61 pro Centner hier noch billiger als mit 3½ — / bei Baker⸗Guano, ich finde mich noch nicht in die Löslichkeitsverhältniſſe und in die Werthsberechnungen nach ſolchen; vielleicht klären Sie mich hier— über auf. Nun eine Bitte im Auftrag des Herrn von Nathuſius-Hundis— burg und in meinem Namen. Wir ſahen im vorigen Sommer, was England leiſtet durch ſeine tiefe Praxis, namentlich durch ſeine Aus— ſtellungen, und faßten in Norwich den Entſchluß, eine Deutſche Ackerbau⸗Geſellſchaft nach dem Muſter der engliſchen zu gründen. Dieſelbe hat ſich kürzlich konſtituirt und will jetzt daran gehen, das erſte Heft der Zeitſchrift herauszugeben; ſie will nicht die Maſſe un— nützer Zeitſchriften vermehren, nur Gediegenes liefern und vorerſt nur die Autoritäten auf dem Gebiete der Naturwiſſenſchaft und der Volkswirthſchaft erſuchen, Beiträge zu liefern. Darum ergeht an Sie die dringende Bitte, dieſer deutſchen Sache Ihre Theilnahme zuzuwenden und wenn auch nur einen kleinen Aufſatz zu geben. Die ganze Sache erhält dadurch einen großen Vorſprung und wenn wir Deutſche das unſelige Reden von Nichtswiſſern nicht laſſen, wenn wir nicht mehr handeln, kommen wir nicht weiter. Es iſt unglaub— lich, wie ſich die Leute gefallen in Schwätzen. Alſo die Bitte um einen Aufſatz, um die Erlaubniß, meine kleine Schrift mit Ihrem Namen in Verbindung zu bringen, ſie et— wa nennen zu dürfen „Liebig und die Erfahrung“ und ſolche Ihnen zur Durchſicht vorlegen zu dürfen. Erhalte ich Urlaub, ſo holte ich ſie vielleicht ſelbſt zurück. In voller Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 7. April 1861. Mlein verehrteſter Freund! Es iſt lange her, daß ich keine ſolche Freude hatte als die, welche mir Ihr Brief vom 31. März gewährte, den ich von einer 62 Liebig a an Reuning. kleinen Reiſe nach Reichenhall zurückgekehrt hier vorfand; ich hatte aber auch Grund dazu, denn die Sache, an der mein Herz hängt, mußte ich ſo lange als verloren und wirkungslos anſehen, ſo lange nicht Männer wie Sie, beſeelt von denſelben aufrichtigen Geſinnungen für den Fortſchritt der Landwirthſchaft, mir von der Seite der reinen Praxis warm entgegenkamen, und das Entſcheidende iſt, daß wir uns wirklich begegneten, daß alſo die Linie der richtigen Praxis und die der Wiſſenſchaft identiſch ſind. Es kann dies eigentlich nicht anders ſein, allein die Schwierigkeit iſt, daß der von der Wiſſen— ſchaft abgeſteckte Weg nicht genügt, es ſind ja nur Stangenzeichen für die Richtung, und es gehört noch eine unendliche Arbeit dazu, um ihn gang- und fahrbar zu machen; ſo lange er dies nicht war, hatten die kurzſichtigen Landwirthe eben Grund zu ſagen, es ſei gar kein Weg, weil ſie die Stangenzeichen nicht ſahen und dies war denn meine Verzweiflung, weil ich nicht helfen konnte. Die Erfahrungen, die Sie durch mehrjährige Arbeit gewonnen haben, werden mehr wiegen, als zehn Jahre lang fortgeſetzte wiſſen— ſchaftliche Predigten; ich lege den größten Werth auf den Beifall von Männern wie Freundt und Cruſius, und ich bin ganz glücklich, ihre gute Meinung für meine Lehre gewonnen zu haben; allein die Kraft, die ſie mir leihen, ſprengt den Felſen nicht und füllt den Ab— grund nicht aus, welche den wiſſenſchaftlichen Grundſatz und deſſen Anwendung in der Praxis trennen. Sie haben ſehr Recht, daß auch viele meiner Schüler den Kern der Sache nicht erkannt haben, die jetzt erſtaunen werden, daß nicht chemiſche und phyſiologiſche Unter— ſuchungen für ſich zu etwas führen, ſondern daß der landwirthſchaft— liche Verſuch vorhergehen muß und daß die chemiſche Analyſe nicht der Zweck, ſondern nur ein Mittel ſein darf, um den landwirth— ſchaftlichen Verſuch in Zahlen auszudrücken und feſtzuſtellen. Immer aber und zu allen Zeiten ſind die Entdeckungen durch den geſunden Menſchenverſtand gemacht worden, nicht durch die Wiſſenſchaft an ſich; ſie oder vielmehr das Wiſſen erleichtert es nur dem geſunden Menſchenverſtand. Es iſt ein großer Schritt, welchen die Landwirthſchaft durch Sie gemacht hat, Sie werden nicht nur dem Lande Sachſen, ſondern Liebig an Reuning. 63 allen cultivirten Ländern unendliche Summen erſparen, denn ich ſehe es kommen, Ihre Methode der Prüfung wiſſenſchaftlicher Lehren einmal klar erkannt, wird vielen die Augen öffnen, die bei gutem Willen doch nicht recht wußten, wie ſie es anfangen ſollten, und wir werden in kurzer Zeit infolge der erweiterten beſſeren Forſchungsweiſe großen Verbeſſerungen entgegenſehen dürfen. Ich bin ſehr begierig, Ihre Unterſuchung genauer zu kennen und werde Ihnen dankbar ſein, wenn Sie dieſelbe mir vor dem Druck zuſenden wollten, am liebſten wird ſie mir in einer recht deut— lichen Abſchrift ſein, die beim Leſen meine Augen nicht allzuſehr anſtrengt; ich werde ſie gern mit meinen Bemerkungen begleiten, ob— wohl ich im Voraus ſehe, daß ich keine zu machen haben werde. Ich werde gern Ihr ſchönes Unternehmen in Beziehung auf die deutſche Ackerbaugeſellſchaft unterſtützen, wenn Sie mir einige Zeit laſſen; ich glaube, daß ich Ihnen einige Aufſätze zuſagen kann, welche gewiſſe Fragen der Düngung behandeln, die nicht unintereſſant ſind; ich kann aber in der nächſten Zeit nicht daran arbeiten. Unter Kreuzband ſchicke ich Ihnen meine akademiſche Rede, die nur der Note wegen von Ihnen geleſen werden ſoll, ſie werden ſagen, daß dieſer Angriff zu heftig iſt; ob er aber ohne dies irgend eine Wirkung haben würde, bezweifle ich, ſo wie es denn auch ſo gar ſicher nicht iſt, daß er eine haben wird. In Weihenſtephan iſt es wie ander— wärts, es ſind ſchlechte Schulen, und in ſolchen wichtigen Dingen nehme ich auf Perſonen keine Rückſicht. Ich würde mich ſehr freuen, Sie hier zu ſehen, in der letzten Aprilwoche bin ich übrigens wahrſcheinlich in Erlangen bei meinem Schwiegerſohn. Von Herzen Ihr aufrichtiger Juſt. Liebig. 64 Neuning an Liebig. Dresden, 27. April 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Sie haben meinen letzten Brief“), den ich aus dem Bette ſchrieb, jedenfalls durch Barchewitz erhalten, ich bin ſeit dieſer Zeit wenig— ſtens noch nicht aus der Straße gekommen, konnte aber meine Arbeit endlich vollenden und nun ſie fertig iſt, möchte ich ſie von vorn be— ginnen. Es iſt das landwirthſchaftliche Publikum noch zu wenig gewöhnt, über eine Sache zu denken, es hat dasſelbe zu wenig geleſen, wirft zu viel unter einander, ſo daß man kaum weiß, wie viel, wie wenig man ſagen ſoll, wenn man verſtändlich und nicht überflüſſig ſchreiben will. Darum habe ich die Einleitung wenigſtens fünfmal umgear— heitet, und ich bin eben ſo wenig befriedigt wie im Anfange. Wer ihre Lehre verſtehen, richtig auffaſſen will, muß ſich eben von der Auffaſſung eines momentanen Erfolges ganz trennen, er muß einen größern Zeitraum erfaſſen, und der Landwirth rechnet nur nach einem, nach zwei Jahren. „Ich dünge nicht Guano allein,“ höre ich oft reden, „das geht nicht; aber ich gebe ja Stallmiſt und Knochenmehl dazu.“ Dadurch entzieht man ſich der richtigen Beurtheilung der Frage. In Beziehung auf die Mineraltheorie habe ich übrigens nie an Ihrer Lehre gezweifelt, ich habe dieſes immer, in dem amtlichen Bericht 1856 ausgeſprochen: die Erſchöpfung, wie Sie ſolche in den letzten Briefen behandelten, iſt mir erſt ſpäter klar geworden, viel- leicht noch nicht ſo ganz; es will mir noch manchmal erſcheinen, als liege noch etwas dazwiſchen, ein chemiſcher Prozeß der Löſung im Boden, vielleicht hervorgerufen durch den eingeathmeten Stickſtoff, Kohlenſtoff der Pflanzen, durch Ausſcheidungen in den Wurzeln oder wie ſonſt, ich ſehe noch nicht die Quelle der Mineralſtoffe in armem Sand, in welchem die Mineralien ſo ärmlich gefunden werden, die aber namentlich bei dem Walde von Generation zu Generation zu— nehmen, ſo auch bei den Wieſen, die Ernten auf Ernten tragen. Das mögen noch Räthſel ſein für den Unwiſſenſchaftler, dem ſo manche Lücken bleiben. Wir vermögen z. B. kaum noch Erbſen *) Dieſer wurde, weil nur perſönlichen Inhalts, nicht abgedruckt Reuning an Liebig. 65 zu bauen auf Feldern, wo wir die bekannten Mineralſtoffe dieſer Pflanze glauben im Ueberfluß zu beſitzen, wo wir alles aufbringen; mir will es immer ſcheinen, als fehle uns bei der Erbſe, dem Klee noch ein Stoff, den wir nicht kennen, die Erbſe wird krank, „be— fällt,“ wie man ſich ausdrückt; recht naſſe Jahre, welche die Löslich— machung beſonders befördern, laſſen ſie mitunter noch gedeihen; unter Hafer, Gerſte, Sommerkorn geſäet, ernten wir ungleich mehr von derſelben als rein, und die Halmfrüchte bedürfen doch auch der Nahrung. Quantitativ entzieht alſo die Erbſe hier mehr dem Boden, qualitativ ſcheint ihr die Nahrung durch die Halmfrüchte anders be— reitet zu werden. Ich laſſe in dieſer Beziehung vergleichende Ver— ſuche anſtellen, theilweiſe geradezu in den Tag hinein, mit Salzen aller Art düngen. Es iſt die Regeneration der Erbſe eine Lebens— frage für die Landwirthſchaft, wie denn überhaupt der Anbau der Blattfrüchte, welche den Stickſtoff aus der Atmoſphäre holen; es giebt ein Acker Erbſen mehr Nahrungsſtoff als eine jede andere Pflanze, und wir können ſie nicht bauen. Könnten Sie nicht einem Chemiker eine genauere analytiſche Methode derſelben wie des Klees an— geben? Nun zurück zu der Arbeit. Ich habe ſolche Ihnen nicht be— ſonders abſchreiben laſſen, weil für meinen Schreiber neben den an— dern Geſchäften 14 Tage darüber hingegangen wären und dann doch die Sache nicht weſentlich leſerlicher geworden wäre. Ich dachte mir, Sie erwarteten ein großes Convolut, und Sie empfangen nur wenige Bogen, die Eſſenz aus einem handhohen Vorberei— tungsſtoß. Die Frage umfaßt eigentlich den ganzen Feldbau; es iſt in die— ſelbe alles hineinzuziehen, und thut man dieſes, ſo verliert man den Faden, das Syſtem. Darum habe ich überall beſchnitten und be— merke erſt jetzt recht die Lücken, möchte manches nachflicken, und es paßt nirgends recht. Ich wollte mich anfangs auf den praktiſchen Standpunkt der Verwendung der Pflanzenrückſtände im Miſte und der Zuführung von Düngemitteln außer demſelben ſtellen; dann ginge aber die wiſſenſchaftliche Seite verloren, und dieſe muß rein daſtehen. Es würde die geſammte Fruchtfolge eigentlich hinein zu 5 ge⸗ Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 66 Reuning an Liebig. weſen ſein, denn es ſcheint mir doch, daß die Blattfrüchte eine große Rolle ſpielen, daß der Stickſtoff, welchen dieſelben in Stoppeln und im Miſt zurücklaſſen, eine gewiſſe Löslichmachung der Mineralien befördert, daß die Reſte derſelben wieder auf Anziehung des Stick— ſtoffs und Kohlenſtoffs einen Einfluß üben, welcher, namentlich unter Berückſichtigung der mechaniſchen Beſchaffenheit des Bodens, wieder ein anderer zu ſein ſcheint als derjenige der Aufbringung der Mine- ralien allein. Die Löslichmachung durch Phosphorſäure, Kali ꝛc. iſt ein mir fremdes Gebiet; ſind wirklich die andern nicht aufgebrachten Mine— ralien im Boden löslich und können nicht aſſimilirt werden ohne das richtige Verhältniß im Boden, oder machen ſie ſich gegenſeitig löslich? Für beides ſcheint mir manches zu ſprechen. Klee wächſt nicht ohne Kalk, aber nach Düngung mit Knochen iſt mehr Kalk in der Pflanzen— maſſe als nach der ſtärkſten Kalkdüngung. Es trägt ein Boden Halme genug Jahre lang, und ein kleines Quantum Kali ſchafft den Klee hervor, wo keiner oder ärmlicher wuchs. Das ſind Fragen, über die ich nicht urtheilen kann, wie mir denn manches unklar geblieben iſt; Sie werden mehr finden. Am intereſſanteſten ſind mir die Verſuche, die Träger in Ober- bobritzſch und Friedersdorf gemacht hat, weil hier Kalk nebenbei auf einem Felde verſucht ward, weil hier die Unwirkſamkeit des Stickſtoffs ſo recht prägnant hervortritt; in dem armen Gebirgsboden fand ſich nichts zum Löſen, der Stickſtoff im Rapsmehl blieb alſo ohne Wirkung; bei Hempel, wo alles vorräthig iſt, was an Mineralien nöthig iſt, war der Stickſtoff am Platze. Sie werden ſich in dem Reſultat der Arbeit getäuſcht ſehen, Sie haben mehr erwartet; nun, ich konnte es nicht beſſer; an Mühe hat es nicht gefehlt, es ſteckt die halbe Arbeitskraft von mehr als ſechs Monaten in den wenigen Bogen. Kritiſiren Sie ſcharf; beſſer für die Sache, wenn nichts Un⸗ fertiges gedruckt wird, denn die ganze Schaar Ihrer Gegner wird die reſervirten Pfeile, die ſie gegen Sie nicht loszuſchleudern wagt, auf mich werfen. Den Titel beſtimmen Sie; vergeſſen Sie dabei nicht, daß ich Liebig an Reuning. N 67 allein auf Sie mich ſtütze, wenn alle über mich herfallen, denn der deutſche Landwirth verſteht, wenige ausgenommen, nicht, was mir ſehr klar ſcheint, am wenigſten die Ariſtokratie, und von dieſer am wenigſten die bayriſche; das Berliner Landes-Oekonomiekollegium ſagt einfach, wir denken anders darüber, und damit iſt natürlich das Urtheil geſprochen. Ich glaube, Ihnen einmal früher geſchrieben zu haben, daß Kartoffeln nach Knochenmehl, namentlich wo vorher viel Guano ver— wendet worden war, ſtärkehaltiger, wohlſchmeckender ſeien; jetzt ſagt man mir auch, ſie wögen um ca. 10 /% ſchwerer als andere; man hat ſehr abweichende Spirituserträge, ſehr hohe bei Knochenmehl— düngung, ein intereſſantes Factum. Weiter ſagte ich Ihnen einmal, der Gebirgsboden bringe nach mehrjähriger Beraſung reichere Körner⸗Ernten. Hat das nicht feinen Grund in der Aufſparung der Phosphorſäure und in einer möglichen Ausſcheidung durch die Wurzel der Gräſer? Ich darf jetzt an ein Reiſen nicht denken, unterhandle mit meinem Arzt wegen eines zeitweiſen Aufenthalts im bayriſchen Gebirge, vielleicht in Reichenhall. Setze ich es durch, dann hoffe ich Sie in München zu ſehen. Die Anlagen des Concepts bitte ich zurückzuſenden; ich habe weiter nichts, und darum recommandire ich das Paquet. Leben Sie wohl, ſtreichen Sie ſtreng; darum bittet Ihr ergebener Reuning. München, den 8. Mai 1861. Klein verehrter Freund! Ihre Zuſendung habe ich richtig empfangen und finde Ihre Berechnung ſchlagend. Was die Einleitung und Schlußfolgerungen betrifft, ſo werde ich mir erlauben, Ihnen meine Anſichten mitzu— theilen in einer Form, welche die Einſchaltung in Ihre Schrift ge— 5* 68 Reuning an Liebig. ſtattet, im Fall natürlich, daß Sie mit dem, was ich ſehr wünſche, daß Sie ſagen möchten, einverſtanden ſind. Nothwendig iſt, daß Sie den Zweck Ihrer Schrift ganz genau formuliren. Alles was Ihnen nach Ihrem Briefe in den Erklärungen gewiſſer Erſcheinungen, z. B. die Erbſencultur, Kleecultur, dunkel erſcheint, wird noch in höherem Grade dunkel vielen praktiſchen Landwirthen ſein. Aus dieſem Grunde halte ich es für nützlich, wenn dieſe Dinge zur Sprache kommen und daß Sie es ſagen wird nicht wenig dazu thun, den Leuten den rich— tigen Weg zu zeigen. Man muß einſehen lernen, daß alle dieſe Dinge wenn auch unerforſcht, doch nicht unerforſchlich ſind und daß ſie nur dann erforſcht werden können, wenn der praktiſche Mann ſeinen Kopf und ſeine Arme, d. h. ſein Nachdenken und ſeine Kunſt dazu leiht. Ich habe ſchon 16 Quartſeiten geſchrieben und Sie dürfen darum nicht ungeduldig werden. Von Herzen Ihr aufrichtiger Freund J. v. Liebig. Dresden, den 10. Mai 1861. Hochverehrter Gönner! Ich hoffe, Sie zeigen mir den richtigen Weg, doch ſo, daß ich ohne Scham meinen Namen hergeben kann zu einer Schrift, die nicht mein, ſondern Ihr Werk iſt, denn eine Unwahrheit bleibt ſtets un— ehrenhaft, und ich kann ſolche nicht übers Herz bringen, ſelbſt wenn ſie der Sache nützen kann. Ich wollte und will nur beweiſen, daß Ihre Lehre mit der Erfahrung übereinſtimmt und die Einleitung zu den praktiſchen Reſultaten ſollte dem Publikum, das von der Sache gar nichts weiß, nur den allgemeinen Standpunkt etwas veranſchau— lichen. Der Schwächen bin ich mir ganz bewußt, habe inmittelſt wieder eine weitere Einleitung geſchrieben, in dem Streben, prägnant die Geſetze zu bezeichnen, auf die es bei Beurtheilung der Frage an— Reuning an Liebig. 69 kommt; ſie wird mir eben ſo wenig zuſagen wie die in Ihren Händen befindliche, denn die Kürze, die nöthig iſt, iſt weit ſchwerer zu er— reichen als eine Auseinanderſetzung auf vielen Bogen. Wer Ihre Schriften geleſen, durchdacht hat, der braucht freilich nichts weiter, aber ſie ſind noch nicht genügend bekannt und erkannt, und ich wieder— hole es, ich wollte nur dazu beitragen, daß dieſes beſchleunigt wird. Doch ich will erwarten, was Sie ſagen, habe mich ganz Ihrem Ur— theil zu unterwerfen, und wenn ich nicht den nöthigen Grad von Unverſchämtheit gewinne, um mir anzueignen, was Ihres Geiſtes Werk iſt, ſo müſſen Sie eben es nicht übel nehmen, wenn ich zu ſtolz erſcheine, um das glänzendſte Geſchenk nicht anzunehmen. Haben die Berechnungen einen Werth, ſo ſind die Folgerungen aus ſolchen von Ihrer Hand und mit Ihrem Namen weit wichtiger, durch— ſchlagender als was ich ſagen kann. Sie werden erſt die That— ſachen zur Anerkennung bringen; ich treibe blos zu. Es klärt ſich allmählich auf. Abnehmender Abſatz an Guano klagen die Händler, und das iſt das ſicherſte Zeichen der zunehmen— den Einſicht. Der Oberſtallmeiſter des Königs bewirthſchaftet eine frühere Wieſe mit armem, granitſtaubigem Boden und untergemiſchtem Thon, indem er ſie mit Pferdemiſt düngt, pflügt, ein bis zwei Jahre Halmfrüchte baut, dann mit Gras einſäet und dieſes 2—3 Jahre benutzt. Es fehlte an Miſt; ein Stück wurde auf Anrathen des durch den Guano reich gewordenen Oekonomieraths Geyer mit ſolchem gedüngt, ergab im erſten Jahre ausgezeichnetes Gras, im zweiten kam es dünn, ärmlich, im dritten war die Wieſe mit Moos über— deckt. Auffallend bleibt mir immer die unglaublich ſchnelle Löslich— machung der Mineralſtoffe durch Ammoniak; man ſieht, wenn es an Feuchtigkeit nicht fehlt, die Wirkung am vierten Tage. Iſt auch die Phosphorſäure im Guano ſo löslich, daß fie augenblicklich in die Pflanzen übergeht? Könnte ich nur von drei zu drei Monaten ein— mal mündlich mit Ihnen verkehren, ich würde bald zu tieferer Ein— ſicht kommen; mir ſitzt der Kopf voll Beobachtungen, Thatſachen, die ich nicht verarbeiten kann, ebenſo bei der Ernährung der Pflanzen wie der Thiere, wo ſich ſtündlich Zweifel ergeben. Unſere Chemiker, auch die ſtrebſamen, leiden alle an der Fundſucht, ſie wollen partout 70 N Reuning an Liebig. berühmt werden, ſind futterneidiſch, wie neulich ein Bauer meinte, rennen auf einem Wege fort, bis ſie ſich verlaufen haben, werden ſich nicht klar über die erſten Bedingungen, verachten den einfachen Verſuch, der allein zu Geſetzen führen kann und laſſen ſich darum wirklich ſchöne Ergebniſſe wegſchnappen. Mich intereſſirt die Frage wegen der Fütterung mit Fett bei Milchkühen; ich beſtimmte einen ſimplen Bauer, der nicht einmal eine Wage für das Vieh beſitzt, zu einem Verſuche; ich geſtehe, ich hoffte das Fett werde einen Einfluß auf den Buttergehalt der Milch haben, es zeigte ſich, daß es ledig— lich als Verdauungsmittel für Proteinſtoffe diente. Dagegen bildet Stärke wieder Fett. Wir wiſſen über Fleiſch- und Fetterzeug⸗ niſſe ſehr wenig in der Praxis, werden in den verſchiedenen Graden der Mäſtung ganz verſchieden zu füttern haben, anfangs reich an Stickſtoff, um Fleiſch, dann reicher an Stärke, Zucker ꝛc., um Fett zu erzeugen. Und wo ſind nun die Grenzen der Aſſimilirbarmachung des einen oder des andern Stoffes im thieriſchen Körper? Dieſelben Futtermittel müſſen verſchieden wirken bei den verſchiedenen Thier— gattungen, je nach deren Natur. Ein Schwein verwandelt weit mehr Kohlehydrate in Fett als ein Rind, das ſie ungenützt wieder abgehen läßt; ja es iſt ein Unterſchied, in welcher Form ich die Nahrungs- ſtoffe reiche; ein Pferd ſoll Muskelkraft erhalten durch Fütterung mit ganzen Körnern, Fleiſch und Fett anſetzen wenn man dieſelben Nahrungsſtoffe in Form von Mehl oder Schrot darbietet; es ſoll bei Anſtrengungen dann ſchnell ſchwitzen, Fleiſch und Fett bald ver— ſchwinden. Das ſind Behauptungen nicht roher Empiriker, ſondern denkender Leute, die in der Praxis ihre Beſtätigung zu finden ſcheinen. Solche Bedenken kommen täglich, ſie könnten verarbeitet werden, wenn eine Anleitung hierzu geboten wäre. Aber unſere ſogenannten gelehrten Landwirthe ſind die ſchlimmſten, weil ſie nicht zur Er— kenntniß des Nichtswiſſens kommen können; ſie ſchreiben, lernen und denken nicht, da ſie glauben, auf der Höhe des Wiſſens zu ſtehen. Nächſtens wird unſer Landtag darüber beſchließen, ob der höhere landwirthſchaftliche Unterricht auf die Akademie oder die Univerſität gehört. Liebig an Reuning. Ya Den Fütterungsverſuch des Bauern mit Fett lege ich bei und bin wie immer Ihr ergebener Reuning. München, den 13. Mai 1861. Mein verehrter Freund! Ich erkenne das volle Gewicht der Thatſachen an, deren Urheber Sie ſind und die Sie jetzt im Intereſſe der praktiſchen Landwirth— ſchaft verwerthen wollen. Die Hauptſchlüſſe, die Sie bereits daraus gezogen haben, ſind unwiderleglich und Sie könnten ſie machen ohne alle Rückſicht auf die Theorie, wenn Sie ſie einfach gegen die Sätze richten, daß der Stickſtoffgehalt eines Düngemittels ein Werthmaß für ſeinen Geldwerth ſei und daß die Erhöhung der Erträge der Felder vorzugsweiſe durch die Zufuhr von Stickſtoffverbindungen be— dingt ſei. Sie empfinden aber mit mir die hohe Wichtigkeit, die Reſultate dieſer Verſuche der theoretiſchen Lehre gegenüberzuſtellen, weil, wenn dieſe in die Köpfe der Landwirthe übergeht, wir ganz ſicher ſind, daß ſie geleitet durch die Theorie zu weit werthvolleren Verſuchen und Reſultaten gelangen werden als dies bis jetzt geſchehen iſt. Die nächſte Bedingung des Fortſchritts liegt darin, daß ſich die Land— wirthe dazu entſchließen, zu handeln, wie die Theorie vorſchreibt und zu unterlaſſen, was ſie verbietet. Wenn dies einmal von ihnen ver— ſucht wird, ſo werden die Erfolge im Anfange geringer ſein, aber mit ſteigender Einſicht wachſen, und ſie werden zuletzt zu warmen Anhängern der wiſſenſchaftlichen Lehre werden. Von dieſem Geſichtspunkte aus ſchrieb ich nieder, was Sie in den beiliegenden Blättern finden, und ich bitte Sie nicht in meinem und nicht in Ihrem Intereſſe, ſondern im Intereſſe einer weit höher ſtehenden und wichtigeren Sache, ſoviel daraus in Ihre Schrift auf— zunehmen als Ihnen gut dünkt. Alles, was ich geſagt habe, könnten Sie ohne mich ſagen, und wenn Sie mir etwas davon anrechnen 72 Liebig an Reuning. wollen, ſo iſt es lediglich der Umſtand, daß ich Sie aufmerkſam ge— macht habe. Wie Sie bemerken, habe ich im Eingange Ihre Skrupel oder Fragen hinſichtlich der Erbſen und Kleekultur erörtert, und Sie werden nicht verkennen, wie wichtig es iſt, wenn die Landwirthe einſehen, daß dies keine unlösbaren Aufgaben ſind. Darum ſcheint es mir ſehr gut, wenn Sie die Verſuche von Lawes und Gilbert in der an— gedeuteten Weiſe beſprechen, weil ein ſolches Beiſpiel unſchätzbar iſt, um daran zu zeigen, wie man es nicht machen müſſe. Das Beiſpiel der Schlüſſe von Philipeus iſt doch zu ſchön als daß Sie es nicht machen ſollten. Sie haben in Ihrer Abhandlung häufig vom Stickſtoff ge— ſprochen, wo Guano hätte geſagt werden müſſen, ſowie von der auf— löſenden Kraft des Stickſtoffs. Im Guano beſitzen die Ammonik— ſalze nur das Löſungsvermögen für die anderen Beſtandtheile des Guano, nicht für Nahrungselemente im Boden. Auch kann man vom „Löſungsvermögen“ des Kalks nicht gut ſprechen, obwohl die weitere Erſcheinung dafür zu ſprechen ſcheint. Um mich deutlicher zu machen, ſo wird ein einziges Pfund Kalk, was im Boden für eine Pflanze fehlt, bewirken, daß viele Pfunde Phosphorſäure, Stickſtoff und Kali nicht aufgenommen werden; es wird die Aufnahme ſtatthaben, wenn der Kalk hinzugeführt wird, und er ſcheint dann in der That die Auflöſung bewirkt zu haben, während er die Aufnahmsfähig— keit bedingt hat. Der kitzlichſte Punkt iſt, wo ich von mir ſelbſt ſpreche. Da Sie aber in Ihrer Abhandlung die Abſicht haben, meiner zu er— wähnen, und ein Lob an ſich, ohne eine feſte Unterlage kein beſon— deres Gewicht hat, habe ich Ihnen dieſe geben wollen; die wenigſten Landwirthe haben einen Begriff davon, mit wem ſie es eigentlich zu thun haben, wenn von mir oder von meinen Verſuchen die Rede iſt, und es ſieht wohl nicht nach Eitelkeit aus, wenn man von dem ſpricht, was man gethan hat; es iſt der Maßſtab, mit dem man ge- meſſen ſein will. Mein Hauptzweck iſt geweſen, Sie in wiſſenſchaftlicher Be— ziehung bis auf den Ausdruck vor jeder Mißdeutung oder jedem Reuning an Liebig. 73 Mißverſtändniß zu ſchützen, alles übrige iſt vielleicht nicht werth, be— rückſichtigt zu werden. Ich möchte Sie zuletzt davor warnen, nicht in den entgegengeſetzten Fehler der Stickſtofftheoretiker zu fallen, in— ſofern Sie allzuviel Gewicht auf die Phosphate legen; darin haben Sie ſicher Recht, daß man mehr Gewicht darauf legen muß als auf die Ammoniakzufuhr, aber nicht alles; jeder Stoff, Kali, Kalk, Bittererde, ſpielen in beſonderen Fällen eine gleich wichtige Rolle; wiſſenſchaftlich muß dies ſtets im Auge behalten werden. Und ſo mögen Sie denn aus dem, was ich Ihnen ſchicke, den großen An- theil bemeſſen, den ich an Ihrer wichtigen Unterſuchung genommen habe. Von Herzen Ihr Juſt. Liebig. Dresden, den 3. Juni 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! So können Sie ſchreiben, aber kein anderer, wenigſtens ich nicht, und hierin liegt die Antwort auf Ihre Einleitung, die geſchrieben zu haben ich ſtolz ſein würde, die aber zu unterſchreiben ich doch auch zu ſtolz bin. In meinem letzten Briefe ſchon glaube ich Ihnen bemerkt zu haben, daß es mir gegen die Natur gehe, fremdes geiſtiges Gut mir anzueignen, wäre es auch ein ſolches, deſſen Eigenthum dritte mir zuſchreiben könnten; ich könnte es nicht. Wo aber jeder erkennt, daß das Produkt einem dritten gehört, da giebt man ſich außerdem der Verachtung dritter preis und nützt der Sache in keiner Weiſe, weil eben dieſe Schwäche an's Licht gezogen werden muß. Ferner, Sie dürfen aggreſſiv zu Werk gehen, ich muß es laſſen, weil ich den Kampf nicht durchführen kann, den ich beginne; Sie können ein wiſſenſchaftliches Urtheil fällen, das mit der beſtehenden An— ſchauung in Widerſpruch ſteht, es findet Boden; von mir wird ſolches nicht beachtet oder verhöhnt. Sie gehen tief in die Wiſſenſchaft ein, die mir fremd iſt; Sie ſchrieben als Liebig, nicht als R., und könnten ſich nicht herabſtimmen zu meiner Auffaſſung. Umgekehrt wäre die et. Raeuning an Liebig. Sache gegangen, ich hätte Ihnen die Zahlen geliefert, Sie hätten ſolche verarbeitet, denn die Zahlen herzuſtellen iſt keine Kunſt; ich wollte Ihnen dieſes jetzt noch offeriren, habe, da ich nach Empfang Ihres Briefes in das Obergebirge verreiſte, dieſes reiflich erwogen und bin zu dem Ziele gelangt, daß es der Sache mehr nütze, wenn ich meine Haut zu Markt trage, indem ich glaube, daß der Land— wirth, welcher auf dem höheren wiſſenſchaftlichen Standpunkt nirgends ſteht, das nicht recht Wiſſenſchaftliche beſſer verträgt, eher aufnimmt, als das, was ſeiner Auffaſſungsgabe, wie ſie eben iſt, ferner liegt. Wollen Sie dann nach dem Erſcheinen wenigſtens die Thatſachen anerkennen, ſo wird dem Gegenſtand eine größere Aufmerkſamkeit zugewandt. Leider habe ich nun die geringe Sicherheit, in der ich mich wiegte, verloren. Sie ſtreichen, was ich über die Löslichmachung durch Kalk und Stickſtoff geſagt hatte, und nehmen mir rückſichtlich des erſteren ein großes Argument für den Landwirth. Sie erkennen eine veränderte Beſchaffenheit des Bodens durch den Kalk an, ich weiß aber nicht, was Sie unter ſolcher verſtehen, es fehlt mir die Erklärung, die ich nur und um jo mehr in der Auflöſung der Mine— ralien fand, als die Folgen der ſtärkeren Kalkdüngung mir keine an⸗ deren ſein können, als Auflöſung, der die Erſchöpfung folgt, Be— ſchleunigung der Wirkung in der Zeit, wie Sie in Theorie und Praxis rückſichtlich des Stickſtoffs ſagten. Aus denſelben Gründen muß ich es unterlaſſen, Ihrer Verdienſte, die gewiß niemand höher würdigt, niemand allgemein höher gewür— digt zu ſehen wünſcht, als ich, ſpecieller zu erwähnen, denn es muß jeder ſehen, daß dieſes Thatſächliche nicht aus mir kommen kann, und darum würde es ſchaden, was ein anderer ſagen kann, ſagen ſollte, ſagen müßte. So ſehr ich hiernach die Schwäche meiner Arbeit erkenne, ſo ſehr mir der Muth ſinkt, ſie zu veröffentlichen, ſo muß ich der Sache wegen doch dieſes Opfer bringen; ich thue es nicht mehr mit einiger Zuverſicht, aber ich muß mich mit dem Gedanken tröſten, daß es doch etwas nützen kann, und daß auch der Arme ſeine Gabe bringen darf, wenn ſie auch noch ſo gering iſt. Reuning an Liebig. IND Was Sie über Erbſen und Klee ſagen, iſt mir wieder erſchienen, wie ein Feuerfunken aus Stein und Stahl hervorgezaubert; ich habe in Chemnitz ſofort Verſuche nach dieſer Richtung angeordnet. Es ſcheint das alles, namentlich Lawes und Gilbert gegenüber, mir ganz klar, und doch bin ich noch nicht über die Bedenken alle weg. So wahr es iſt, daß die eingeeggten Düngemittel nicht in die tiefere Acker— krume gelangen können, ſo ſteht es doch feſt, daß auch dann, wenn nach Klee mit Miſt ſtark gedüngt wurde und dieſer tief in die Acker— krume eingepflügt wird, 6 und 8 Zoll, der Klee doch nicht wächſt, daß die Erbſe nicht wächſt, nachdem ein- oder zwei- oder dreimal gedüngt worden war, eine Vermiſchung des Düngers mit der Krume ſtattgefunden hat. Unter die Krume aber kann der Dünger wenigſtens nicht dringen, und wir müßten auf wiederholte tiefere Düngung ver— zichten, da wir kein Mittel beſitzen, dieſe über 10 und 12 Zoll ein- zubringen. Einer ſtärkeren Düngung, wie in den Gärten, treten aber Schwierigkeiten im Feldbetrieb entgegen, denn die Deckfrucht des Klees, die Vorfrucht der Erbſe würden ſich über einander lagern, wenn wir die Düngung wenigſtens im Miſt geben wollten, welche ein Garten erhalten kann, der nur krautartige Gewächſe, keine Halm— früchte trägt; das beſſere Gedeihen der Erbſe im Gemenge mit einer Halmfrucht wird hierdurch nicht zur Genüge erklärt. Daß aber dieſe nach Dünger nicht beſſer gedeihen, iſt mir in praxi nicht bekannt, man düngt gerade die Erbſe gern und ſtark. Ich erinnere mich, daß in Heſſen, wo der Gyps, der hier gar nichts wirkt, die beſten Dienſte thut, auf Erbſen angewandt, dieſe zu fortwährendem Blühen treibt, nicht zur Reife bringen läßt. Worin dieſes ſeinen Grund hat, kann ich nicht wiſſen. Ob der Gyps Ammoniak anzieht, durch dieſes der Kräuterwuchs befördert wird und die körnerbildende Phosphor- ſäure fehlt, laſſe ich dahin geſtellt. Auch gedeiht die Erbſe beſſer in Kartoffelland, als nach Halm— früchten; erſteres hat die Nährſtoffe jedenfalls löslich gemacht. Das Tiefdüngen in Verbindung mit dem Tiefpflügen wird uns wieder eine Reihe von Jahren beſchäftigen; man hat gerade das Entgegen— geſetzte gethan; wir werden ſehen müſſen, ob der Miſt in der Tiefe ſich raſch genug zerſetzt, ob er nicht vermodert, dadurch ſeine Wirk— 76 Liebig an Reuning. ſamkeit neutraliſirt wird. Mineralſtoffe wird man ohne Bedenken tief einbringen können. Halten Sie mich nicht für undankbar, wenn ich Ihren Wünſchen entgegentrete, aber es iſt Wahrheit mit mir ſo verwachſen, daß ich nicht lügen kann, ohne mich zu verachten; ich könnte mir mit Ihrem Aufſatz einen Namen erwerben, würde mich aber deſſen ſchämen müſſen und das Reſtchen Vertrauen in mich verlieren, wenn ich mit einer Unwahrheit vor die Oeffentlichkeit treten wollte; ich müßte außerdem allen Hohn über mich ergehen laſſen, denn er wäre gerecht, und in meiner erbärmlichen Widerſtandsloſigkeit, hervorgerufen durch ganz zerrüttete Nerven, könnte ich, glaube ich, mich nicht mehr ſehen laſſen vor einem Menſchen, der mit den Fingern auf den Lügner zeigte, denn der wäre ich, wollte ich mir aneignen, was mir nicht gehört. Sie erkennen hierin wieder, daß Sie zu viel von den Land— wirthen erwarteten; ich gehöre unter dieſen nicht gerade zu den letzten, im Streben etwas zu lernen; Sie ſchreiben aber in meinem Namen als wäre ich nicht Ihr Schüler, ſondern Sie ſelbſt, und ich kann mich lange nicht Ihren Schüler nennen, denn Sie würden ein ſchlechter Lehrer geweſen ſein, hätten Sie nicht beſſere Schüler gezogen; ich bin kaum ein Dilettant in den Naturwiſſenſchaften, ſuche nur nach Kräften zu übertragen, was ich zur Zeit für übertragbar halte, kann nicht mehr lernen darin, da ich zu alt, zu beſchäftigt bin, keine ge— nügenden Vorkenntniſſe beſitze. Ihr Manuſcript kann ich Ihnen nicht eher ſenden, als bis ich dasſelbe ganz verdaut habe. In aller Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 5. Juni 1861. Klein verehrter Freund! Auf Ihren Brief beeile ich mich, Ihnen einige Zeilen zu ant— worten. Zunächſt bitte ich Sie zu glauben, daß ich auch nicht in j Liebig an Reuning. 77 Gedanken anmaßend genug war, vorauszuſetzen, Sie würden mein flüchtiges Geſchreibſel zum Ihrigen machen. Sie wollten meine An— ſicht über Ihre Abhandlung haben, und ich gab ſie Ihnen in der Form, wie wenn ich ſelbſt dieſe Abhandlung ſchreiben wollte. Wenn Sie das, was ich geſchrieben habe, mit dem Ihrigen vergleichen, ſo werden Sie das Rechte finden. Die Kritik über Lawes' Verſuche iſt lediglich für Sie und zu Ihrer eignen Aufklärung geſchrieben, was ihr wiſſenſchaftlich zu Grunde liegt, iſt längſt gedruckt und be— kannt und jeder kann es benützen. Ich habe Ihnen, wie Sie ſagen, an Sicherheit genommen, weil ich manches ſtrich und zweifelhaft ließ, was Sie als Argument und feſtgeſtellt behandelt haben, jo z. B. die Löslichmachung durch Kalk und Stickſtoff. Sie ſagen, Sie wüßten nicht, was ich unter einer veränderten Beſchaffenheit des Bodens verſtanden wiſſen wollte, es fehle Ihnen die Erklärung davon. Meine Antwort iſt, daß ich auch nichts da— von weiß. Ich ſehe die Wirkung, wie ſie vor ſich ging, weiß ich vorläufig nicht; daß der Kalk wirkte, iſt gewiß, daß er durch ſeine Subſtanz als Nährſtoff nicht wirkte, iſt ebenfalls gewiß; er wirkte alſo auf den Boden ein; dasſelbe gilt vom Stickſtoff; es iſt un— möglich, ſich zu denken, daß der Kalk und Stickſtoff löslich— machend wirkten, ſie machten, daß gewiſſe Stoffe aufnehmbar wurden, weiter wiſſen wir nichts; ein Auflöſungsvermögen beſitzen beide nicht. In der Wiſſenſchaft erkläre ich nichts, was ich nicht weiß. Die Landwirthe wollen aber alles erklärt haben. Soweit ſind wir aber noch nicht. Laſſen wir darum die unerklärten Dinge mit einem x ſtehen, dann ſind wir ſicher, daß wir ſie einſtens erklären werden. Die wichtigſte Thatſache in Ihrer Abhandlung iſt, daß die ſtickſtoff— haltigen Dünger nicht proportionell dem Stickſtoffgehalte wirken, daß unter gewiſſen Verhältniſſen phosphorſäurereiche mehr Stickſtoff in den Ernten liefern als ſtickſtoffreiche. Halten Sie an dieſer That— ſache feſt, und gehen Sie nicht darüber hinaus. Wenn Sie ſich ent— ſchließen, eine Reihe von Verſuchen mit Kalk allein auf verjchies denen Bodenarten anzuſtellen, ſo wird uns dies zu klaren Anſichten über ſeine Wirkungsweiſe führen, ein Verſuch allein führt zu nichts und am wenigſten zu einer Erklärung. MB Liebig an Reuning. In dem Peruguano war für mich immer ein x, d. h. eine un⸗ bekannte Größe und iſt es nicht ſonderbar, daß ich dieſes x erjt nach ſo vielen Jahren fand? Daß der Guano anders und viel ſtärker wirke als eine Miſchung von Knochenmehl und Ammoniakſalzen, mit äquivalenten Mengen Ammoniak und Phosphorſäure war mir lange ein Räthſel; aber die Thatſache erkannte ich an, ohne ſie zu er⸗ klären; hätte ich ſie mir nach der Stickſtofftheorie zurechtgelegt oder wie man ſagt erklärt, ſo hätte ich die Auflöſung ſchwerlich gefunden; ſo iſt es auch mit der Erbſenkultur, ich regiſtrire mir alle Ihre Einſprüche und Bedenken und nehme an, daß noch manches andere dabei in Betracht genommen werden muß, aber den einen Grund des Nichtgedeihens halte ich feſt, und wenn von dieſem aus Verſuche gemacht werden, ſo wird ſich das andere ſchon finden. Für Klee und Erbſen muß eine neue Cultur- und Düngungs⸗ methode aufgeſucht werden, und ich zweifle nicht, ſo wie man ſie ſucht, wird man ſie auch finden. Sie hatten mir in Ihrer Abhandlung ein großes Lob ertheilt, und ich wünſche eben nicht gelobt zu werden, namentlich nicht von denen, mit welchen ich befreundet bin; auch meiner Verdienſte zu er— wähnen iſt für mich ſelbſt ohne allen Werth. Die Akademie in Paris hat mich vor 14 Tagen zu einem ihrer ſechs auswärtigen ordentlichen Mitgliedern erwählt (einer ihrer 100 Correſpondenten bin ich ſeit 30 Jahren); dies iſt wohl für den Ehrgeizigſten genug, wenn eine Korporation wie dieſe ein ſolches „Lob“ ausſpricht. Einer Würdigung meiner Verdienſte bedarf ich alſo nicht, aber, mein theurer Freund, daß die Landwirthe meiſtens gar keine Vorſtellung von dem Fundamente haben, auf welchem meine Anſichten beruhen, dies iſt unter allen Hinderniſſen, welche meinen Lehren entgegenſtehen, das größte, denn eine jede Lehre muß zur Verbreitung entweder Leute finden, die ſie verſtehen, oder ſolche, die daran glauben. Machen Sie ſich über das, was ich Ihnen ſchickte, keine weiteren Sorgen; mein einziger Zweck war, Sie auf meinen Standpunkt zu ſtellen, und für niemand anders als für Sie hätte ich die Zeit und Arbeit, auch wenn ſie klein erſcheint, daran gewendet. An eine Ver⸗ mittelung meiner Anſichten dachte ich auch nicht, mein lebhaftes Reuning an Liebig. 79 Verlangen war den Ihrigen die volle Kraft einer wiſſenſchaftlichen Grundlage zu geben und alle Unbeſtimmtheiten auszuſchließen. Schicken Sie mir das Manuſcript nicht zurück, ſondern werfen es einfach in den Papierkorb. Meine Geſinnungen wahrer Hochachtung und Freundſchaft bleiben darum unverändert. Ihr J. v. Liebig. Dresden, den 9. Juni 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Ihr Brief vom 5. hat mich theilweiſe, nicht ganz beruhigt, ich hoffe, Sie haben ſich mehr und mehr überzeugt, daß ich nicht anders handeln konnte. Sie wiſſen vielleicht ſelbſt nicht, wie Sie ſchreiben, Ihnen erſcheint vielleicht nicht als bedeutend, was andere für höchſt wichtig halten; Sie ſtellen Ideen auf, gehen, wie z. B. rückſichtlich des Guano, fo tief in die Wiſſenſchaft ein, daß jeder weiß, daß ich wenigſtens nicht der Verfaſſer ſein kann, jeder mir dieſen Vorwurf an den Kopf ſchleudern und in der Verhöhnung des Verfaſſers die ganze Sache leiden würde. Ich habe die Einleitung noch einmal umgearbeitet, aufgenommen, was ich möglicherweiſe konnte, bin heute fertig geworden, und in drei Wochen wird der Druck vollendet fein, da mir dann eine Badekur anbefohlen iſt. Daß nicht viel auf dieſe Weiſe gewirkt wird, habe ich gewußt, aber ich wollte ſagen, was ich zu ſagen vermag, und ich denke, mancher Landwirth wird wenigſtens aufmerkſam. Ich danke Ihnen nochmals herzlich für Ihre große Theilnahme und bitte nochmals, nicht zu verkennen, daß ich in der Wiſſenſchaft ein Dilettant bin, nur eine kleine Vermittlerrolle zwiſchen dieſer und der Praxis übernehme. Doch warum ich ſchreibe, das iſt der Titel der Broſchüre. Ich halte mich nicht berechtigt, Ihren Namen mit derſelben zu verflechten, wünſchte den Titel: 80 Liebig an Reuning. „Juſtus von Liebig und die Erfahrung“ als den liebſten, ſchon der Sache wegen, denn dann wird man viel mehr die kleine Schrift beachten. Genehmigen Sie dieſes nicht, ſo werden Sie mir ein Mehreres, eine Dedikation doch nicht verſagen wollen. Sagen Sie nicht nein, ſo nehme ich Ihre Zuſtimmung an. Für die höchſte Auszeichnung, die Ihnen werden konnte, meinen herzlichſten Glückwunſch. Wie immer Ihr ganz ergebener Reuning. München, den 13. Juni 1861. Mein verehrteſter Freund! Sie denken von ſich allzugering, denn Ihr Geiſt und Sinn iſt tiefergehend und viel wiſſenſchaftlicher als die von Leuten, die aus der Wiſſenſchaft ein Handwerk machen, und was die Specialkenntniſſe betrifft, ſo würden Sie ſich dieſe leicht zu eigen machen, wenn Ihre Stellung Ihnen Zeit dazu ließe. Sie wünſchen Klarheit bis zur Durchſichtigkeit in allen dieſen Fragen. Dies iſt leichter zu verlangen als in einem Fache zu geben, welches eben erſt anfängt einzuſehen, daß es mit Finſterniß umgeben war. Darum muß man Geduld haben und darf nicht verzagen, wenn man vieles noch nicht erkären kann. Die Hauptſache iſt, die feſten Grundſteine zu legen und die Richtung des Gebäudes anzugeben; das erſtere ſind Sie im Begriff zu thun, und da ich auch damit beſchäftigt bin, ſo reiche ich Ihnen dankbar die Hand, denn Hülfe muß man zu ſo einem großen Werke haben, und ſpäter bekommen wir der Geſellen genug. Der Titel Juſtus von Liebig und die Erfahrung iſt mir ſehr recht, allein in der Schrift ſelbſt dürfen Sie alsdann kein Wort des Lobes für mich haben, ſonſt ſieht es aus, als ob es meinetwegen ge— ſchrieben wäre; für mich ſchreibe ich ja ſelbſt nicht, ſondern für et- was viel höheres und ſo bitte ich Sie es auch zu machen. Um Gotteswillen nur keinen Orden! Darum danke ich Ihnen Liebig an Reuning. 81 doch für die Geſinnungen, die Sie mir bethätigen wollten, deren vollen Werth ich zu ſchätzen weiß. Aufrichtig und von Herzen Ihr Juſt. v. Liebig. München, den 14. Juni 1861. Mein verehrter Freund! Ich vergaß geſtern, Ihnen zu ſagen, daß ich meine Unterſuchung des Peruguano in meinen Annalen zu publiciren im Begriff bin und daß dieſe weit früher als Ihre Schrift erſcheinen wird. Sie können alſo ohne Anſtand ſich in der Ihrigen darauf beziehen, in— dem Sie in einer Note ſagen: Nach einer von Liebig kürzlich in den Annalen der Chemie u. Pharm. publicirten Abhandlung wirkt der Peruguano in einer andern Weiſe ꝛc., hier können Sie einige der mitgetheilten Thatſachen folgen laſſen und namentlich den Schluß hervorheben, daß die Meinung, daß der Guano vorzugsweise durd) ſeinen Stickſtoffgehalt wirke, ein Irrthum iſt, dieſer Stickſtoff wirkt, weil lösliche Phosphorſäure dabei iſt und wirkt. Herzlichſt Ihr J. v. Liebig. Dresden, den 4. Juli 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Sie erſehen aus der Anlage, daß der Druck der Broſchüre, die Ihren Namen zu tragen ſtolz iſt, ſehr raſch vor ſich ging; ich wollte ſie aus dem Kopfe haben, ehe ich eheſtens, ſobald das Wetter es zuläßt, nach Pyrmont reiſe, und da ich nicht wußte, ob Ihre Ab— handlung über Guano gleichzeitig erſcheinen werde, ſo mußte ich auch die darauf bezügliche Bemerkung weglaſſen. Ich habe hier und da einen von Ihnen gerügten Schnitzer ſtehen gelaſſen, da er mir für das landwirthſchaftliche Publikum recht war; ich habe Wa auf der Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 82 Liebig an Reuning. Löslichmachung der Mineralien durch den Stickſtoff, durch den Kalk beharrt, da namentlich bezüglich des letzteren ich nur ſo mit den Leuten verſtändlich reden konnte und es nicht darauf ankommt, ob ich mich etwas verfahre. Rückſichtlich Ihrer Perſon konnte ich Ihnen nicht folgen, ich habe geſagt, wozu es mich drängte, und was ich über Sie wiſſen kann; Sie dürfen mir das nicht verdenken, ich wollte eben Sie hin— ſtellen als den, den die Jetztzeit nicht genügend verſteht und würdigt, und wollte dadurch zeigen, was Ihre Gegner ſind. Das ſchadet nicht, wenn ich auch nicht im Stande bin, Ihrer würdig genug zu gedenken. Sollten Sie noch einige Exemplare wünſchen, ſo ſtehen ſie Ihnen zu Dienſten. In alter Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 7. Juli 1861. Mein verehrter Freund! Ich habe heute Ihre Schrift erhalten und mit großer Auf— merkſamkeit wiederholt geleſen; ſie iſt friſch, lebendig und kernig, und Sie haben Ihre Theſe auf eine ſo ſchlagende Weiſe begründet, daß ſelbſt ein Verſuch nicht gewagt werden wird, das Hauptreſultat zu beſtreiten: 1. Die Wirkung aller Art von S hängt „von der Natur und Beſchaffenheit der Felder“ ab. 2. Sie ſteht in keinem Verhältniß zur Stickſtoffzufuhr. Wenn dieſe beiden Sätze von den Landwirthen wohl begriffen und verſtanden werden, ſo ſind ſie für dieſe ein Brunnen, aus dem ſie Gold ſchöpfen. Da, wo Sie von „Löslichmachen“ ſprechen, kann das Wort durch die Satzwendung überall figürlich genommen werden, nie in dem Sinne, daß Kalk ꝛc. wie „Waſſer“ löslich mache. Reuning an Liebig. 83 Was Sie von mir ſagen, empfinde ich dankbar, obwohl für Ihren Zweck es doch vielleicht dienlicher geweſen wäre, es bei dem Titel zu laſſen, der alles ſagt. Ich bin dankbar der Vorſehung, die mich nach ſo vielen Jahren eine Schrift wie die Ihrige hat erleben laſſen; ich weiß wohl, daß die Zeit kommen mußte, aber wie wenige Menſchen ſehen in einer ſo großen und ſchwierigen Sache, wie es die Reform tief gewurzelter Irrthümer und die Einführung neuer Wahrheiten und Anſchauungen iſt, die Früchte von dem, was ſie geſäet haben. Ich bin tief in die neue Ausgabe meiner Agriculturchemie ver— graben, ſie wird dazu beitragen, manches zu klären. Ich wünſche Ihnen den beſten Erfolg in Pyrmont, vor allem haben Sie der geiſtigen Ruhe nöthig. Von Herzen Ihr treu ergebener J. v. Liebig. Wenn Sie mir durch Ihren Verleger noch einige Exemplare ſchicken wollen, ſo werde ich Ihnen ſehr dankbar ſein. Dresden, den 16. Auguſt 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Ihr Urtheil über die Broſchüre Ihres Namens gilt mir mehr als das Geſammturtheil aller. Was ich über Sie ſagte, war Pflicht, es genügt lange nicht, mag vielleicht dieſem oder jenem unangenehm ſein, der ſich neben Sie ſtellen will, wie das Unkraut im Weizen; eine Sonderung macht ſich aber bei dem Ausdreſchen nöthig. Ich hoffe, daß die Zeit nicht mehr fern iſt, wo auch der Landwirth zu beſſerer Ueberzeugung kommt. Die Fluth der Entgegnungen auf Ihre Akademiehiebe ſind das beſte Zeichen, daß fie trafen, ich finde deren Richtigkeit in dem Ur— theil auch eines jungen Burſchen beſtätigt, der mir kürzlich noch ſagte, alle wiſſenſchaftlichen Collegien in Göttingen intereſſirten ihn höchlich, aber Landwirthſchaft hören, das könne er nicht. 6* 84 Reuning an Liebig. Man begreift ſchwer, wie ſchwer die Begriffe vieler Leute ſind, und es werden Jahre vergehen, ehe dieſe leichter werden. Von der Broſchüre ſende ich Ihrem Wunſche gemäß noch einige Exemplare, ich konnte ſie an wiſſenſchaftliche Autoritäten nicht gelangen laſſen, da ich dieſen ſämmtlich zu fern ſtehe. Die Verſendung will der Buchhändler erſt im nächſten Monat vornehmen, ich muß mich dieſer Verlegerpraxis unterwerfen. Von Pyrmont habe ich noch keine Erfolge, leider ſogar zurück— werfende, ſo daß ich den status ante weſentlich vorziehen würde. In größter Verehrung Ihr ergebener Reuning. Einen ſehr tüchtigen Knochenmehl- und Superphosphat-Fabri— kanten, Retſchy in Lehrte, Hannover, lernte ich in Pyrmont kennen, er iſt ganz auf dem richtigen Weg und hat mir eine Menge inter: eſſanter Belege für Sie gegeben. Dresden, den 9. October 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Ihr Brief vom 19. Auguft*) liegt noch unbeantwortet vor mir, ſeit dieſer Zeit bin ich hart heimgeſucht worden. Es ſtarb am letzten Auguſt meine liebe Frau, die treueſte Gefährtin meines Lebens im ſechs und zwanzigſten Jahre, und ließ mich in einer um ſo troſtloſeren Einſamkeit zurück, als ich kein Kind um mich habe, nicht einmal hoffen kann je ein ſolches um mich zu ſehen, da meine Tochter an einen Landwirth verheirathet, mein Sohn Landwirth iſt. Meine Nerven ſind ſo ſchlecht, daß ich nicht einmal die einzige Zerſtreuung in der Arbeit genügend ausnutzen kann und ein ſehr ehrenvolles An— erbieten außer Sachſen in einer meinem jetzigen Wirkungskreis ähn⸗ lichen ausgebreiteteren Stellung einzutreten, ablehnen muß. Doch ich will Ihnen nicht nutzlos klagen. *) Dieſer Brief fehlt. Reuning an Liebig. 85 Ihre Mittheilungen ſind mir wie immer von höchſtem Intereſſe geweſen. Ich maße mir kein Urtheil an; aber was Sie gefunden, ſtimmt mit der Praxis, der Landwirth ſpricht von alter Kraft, bevor dieſe erworben iſt giebt es kein günſtiges Wachsthum, es ſei denn, daß durch die Düngung mit Kalk, Stickſtoff ꝛc. die genügende Menge von Mineralien zum Nachtheil der künftigen Ernten aſſimi⸗ lirbar geworden wäre. Es nützt nichts, wenn man in einem Jahre das Vielfache der Pflanzenbeſtandtheile aufbringt, eben weil die Wurzeln nicht alles finden, was dem Boden dargeboten wird. Ich ſehe das in dieſem Jahre bei meinem Schwiegerſohne beſtätigt, der auf einem Felde, das er drei Jahre gedüngt, auf dem Acker 4067, auf dem Hectar 7320 Zollpfund Weizen erntete, ein Ertrag, der mir nur ſelten vorgekommen iſt. Auf einem andern wuchſen auf gleicher Fläche gegen 4000 Pfund Hafer in umgeackertem Klee ohne Düngung. Es iſt überhaupt ein eignes Ding mit dem Klee, es müſſen die Wurzeln eine große Menge von Mineralien aufnehmen und der folgenden Ernte überlaſſen, denn alle Früchte gedeihen, ſelbſt wenn der Klee nicht zur Blattbildung im zweiten Jahre gekommen iſt, nach ſolchem vortrefflich. Alle Mineralien zuſammen und genügend in Menge ſcheint des— halb die Loſung werden zu müſſen, ich freue mich wahrhaft an den Reſultaten, die bei meinem Schwiegerſohn in Anwendung der Mi— neraltheorie hervortreten, die dritte nicht glauben wollen. Man macht jeden phyſikaliſch geeigneten Boden zum beſten, wenn man nur ihm geben will, was er beanſprucht. Bei einem Verſuch mit Bafer- guano, Knochenmehl und Peruguano war letzterer im Stroh ſtärker, aber viel Lager; ich bin auf die Körner ſehr geſpannt und laſſe meine Verſuche fortſetzen. Die kleine Schrift, die Ihren Namen trägt, iſt nun verſandt; ich habe nur wenige Antworten auf die durch mich verſandten Exemplare, von Stickſtoffleuten keine und erwarte nun die Angriffe, wenn man überhaupt die Sache der Mühe werth erachtet. Me. Donald in Hamburg und Fichtner in Wien, ein Knochenmehlfabrikant, ſind mit 80 Exemplaren über das Schriftchen hergefallen. Da wir über Hamburg allein, wie ich höre, noch 600 000 Ctr. Knochenkohle 86 Liebig an Reuning. VER — — — Ben ae! — = 1 verſenden, ſo wäre es mir ſehr erwünſcht, wenn die Landwirthe zur Beſinnung kämen, bevor uns England noch mehr an Phosphorſäure ausſaugt. Aber es wird noch eine Weile dauern, bis der große Haufen belehrt iſt, daß ein Düngemittel nicht nach der Wirkung eines Jahres zu ſchätzen iſt. Die Angriffe gegen Sie bezüglich der Akademien find höchſt poſſir— lich, namentlich diejenigen von Siemens und Jena. Ich habe auch für dieſen Herbſt wieder mehrere von den Akademien gerettet, nach Göt— tingen geſandt. Erlauben es meine Kräfte, ſo führe ich eine Arbeit im Winter aus, welche darſtellen ſoll, wie die Landwirthſchaft zu lehren iſt; ich will die volkswirthſchaftlichen Geſetze aufſuchen, nach welchen der Betrieb zu leiten iſt. Jetzt giebt man der Art nichts, nicht einmal ein Verſuch iſt vorhanden. Die nationalökonomiſchen Principien aber und die Naturgeſetze bilden die Lehre. In gewohnter Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 13. October 1861. Mein verehrter Freund! Wie ſehr beklage ich Sie, die treue Gefährtin Ihres Lebens nach ſechs und zwanzigjähriger Ehe verloren zu haben; es iſt der Verluſt des zuverläſſigſten Freundes, und ich fühle, wie unerſetzlich er iſt. Möchten Sie ſich entſchließen, ſich mehr Ruhe zu gönnen, und ich bin gewiß, daß ſich Ihr nervöſer Zuſtand mildern wird. Ich bin, wie Sie wiſſen, mit einer neuen Auflage meiner Agri— kulturchemie beſchäftigt und ich kann Ihnen nicht genug danken für die Publikation der ſächſiſchen Verſuche, welche in meinem Buche die wichtigſte Stelle einnehmen; es ſind die wichtigſten, die ſeit einem Jahrhundert gemacht worden ſind, und es werden durch ſie die wahren Grundſätze meiner Theorie erſt feſtgeſtellt. Ich bitte Sie, mir die Reſultate Ihres Herrn Schwiegerſohnes, von denen Sie ſprachen, mitzutheilen, wenn Sie glauben, daß ich Reuning an Liebig. 1 87 ſie brauchen kann. Vor allem kommt es mir darauf an, die Er— folge oder die Wirkung der Düngung während einer Rotation kennen zu lernen. Die Vergleichung des Stallmiſtes mit anderen Düngmitteln erſcheint mir jetzt wahrhaft kindiſch. In Cunnersdorf brachten 100 Ctr. Miſt hervor: 1539 Ctr. Körner und Stroh, 720 „ Kartoffeln, 203 „ Klee; in Meuſegaſt: 1070 „ Körner und Stroh, 1733 „ Kartoffeln, 882 „ Klee; in Oberſchöna: 501 „ Körner und Stroh, 628 „ Kartoffeln. Die Ernten von Körnern und Stroh verhalten ſich in Ober— ſchöna, Meuſegaſt, Cunnersdorf = 1:2:3! Wenn aber 100 Etr. Stallmiſt an verſchiedenen Orten ſich nicht ſelbſt äquivalent ſind, wie kann man ſagen, daß 1 Ctr. Guano äquivalent iſt 40 oder 60 Ctr. Stallmiſt! Es müſſen alle dieſe Anſichten reformirt werden. Von Herzen Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Dresden, den 20. October 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Mein Schwiegerſohn beſitzt das Gut Cunnersdorf, das in der kleinen Schrift erwähnt iſt, aber erſt ſeit 4 Jahren; es iſt darum nichts zu berechnen, indem ſehr verſchieden gedüngt worden und die Zeit zu kurz iſt. Ein Gut in der Lauſitz, das 15 Jahre mit Knochenmehl ge— düngt ward, könnte die beſten Aufſchlüſſe geben, aber der Beſitzer wird kaum zuverläſſige data liefern. Im letzten Heft des „Chemiſchen Ackermannes“ erſchien eine in dieſer Form ganz werthloſe Zuſammen— ſtellung der Erträge von „mit künſtlichem Dünger“ beſtellten Feldern. 88 Reuning an Liebig. Hier läge ein Schatz, aber der Wirthſchafts-Direktor Stecher iſt ein eitler Mann, der nicht zugeſtehen will, daß er mit An— wendung von Guano gefehlt hat und vieles verſchwieg, was ganz charakteriſtiſch iſt. Namentlich erwähnt er nicht, daß bei einem com— parativen Verſuch von 1 Acker mit Guano gedüngt 12, von 1 Acker mit Knochenmehl 24 Scheffel Körner geerntet worden; er lügt, wenn er ſagt, daß im Verhältniß zu Stroh die Körner nach Guano abgenommen haben; ſie haben abſolut abgenommen. Hier gäbe es nur einen Weg, um den eitlen Mann zu beſtimmen, die ſpeciellen Ergebniſſe herauszugeben, ein Brief von Ihnen, wodurch Sie die Berühmtheit des Mannes anerkennen und ihn bitten, Ihnen die Ernte⸗Erträge in Körnern, Stroh ꝛc. mitzutheilen. Vielleicht thut er es aus Eitelkeit und thut er es nicht, ſo iſt damit ausgeſprochen, wie die Sachen ſtehen. Machen Sie den Verſuch; mir wird er nichts geben, weil er weiß, wie ich ſeine Sache verrechne, aber in einer Agriculturchemie von Ihnen genannt zu werden, iſt eine Ver— ſuchung, der ein Menſch ſchwer widerſteht, dem es weniger um die Sache, als um ſich gilt. Ich ſende Ihnen unter Kreuzcouvert einen Separatabdruck des Artikels. Es geht mir wie Ihnen, ich kann die Schreibereien über Düngung nicht mehr leſen, es iſt überall ſo viel Unſinn, ein ſolches Verkennen der einfachſten Sätze, daß man den Glauben an den Verſtand der Menſchen verliert. Mir ſcheint es, daß aus der nackteſten Erfahrung der Beweis für Ihre Lehre vollſtändigſt zu führen iſt. Der Wald bietet das beſte Material. Der Forſtmann fragt nicht nach Stickſtoff im Boden, er urtheilt empiriſch nach der Beſchaffenheit des Bodens, pflanzt hier Eichen, Buchen, Eſchen, Ahorn, Fichten, Kiefern, je nach dem die Mineralien reicher ſind oder nicht. Sie haben, ſo viel ich weiß, einen tüchtigen Forſtmann im Miniſterium. Dieſer wird Ihnen ſagen können, auf welchem Gebirge der eine, der andere Baum wächſt, eine Vergleichung des Holzes mit den Beſtandtheilen des Bodens zeigt, was die Pflanze bedarf. Auf Kohlenmeilern ſtellen ſich in Folge des verbliebenen Gehalts an Kali ſofort die edleren Pflanzen ein. Reuning an Liebig. 89 Düngt man Boden der ärmſten Art mit Holzaſche, ſo hat man treffliche Kartoffeln; bringt man Aſche auf Wieſen, ſo wächſt ſofort ohne alle Saat der weiße Klee. Ohne Kalk keinen Klee. Gyps auch in geringſter Qualität befördert meiſtens den Kleewuchs, ich glaube es iſt der Kalk daran Schuld. Im letzten Heft der Zeitſchrift für deutſche Landwirthe finden Sie einen Artikel aus Proskau, aus welchem Sie manches ent— nehmen, ſo wenig Werth der Aufſatz ſonſt hat. In Heſſen hat man von Kalk enorme Reſultate. Zeller wird Ihnen hierüber Material geben. Ich fand in Kurheſſen bei Hers— feld einen Boden, der nichts tragen wollte, bis er Kalk erhielt, dann aber Klee in aller Ueppigkeit brachte. Die Mineralien müſſen die Eigenſchaft haben, Stickſtoff, in welcher Form es auch ſei zu fixiren, denn der reiche Boden trägt immer wieder, und es iſt unmöglich, daß der Stickſtoff ſämmtlich im Boden war, ſonſt würde nur Lagergetreide entſtehen. Wenn der ärmſte Sandboden aus der Tiefe des Untergrundes an die Atmosphäre gebracht wird ohne Stickſtoffzufuhr, ſo trägt er nichts, nach drei Jahren bringt er Ernten; es iſt eben der atmosph. Stickſtoff von demſelben aufgeſogen worden. Dr. Wunder in Chemnitz, Dr. Knop in Möckern können data liefern; es trat dieſes hervor, als die Verſuche mit tiefem Sand gemacht wurden. Ich kann Ihnen in dieſer Beziehung eine Maſſe von That— ſachen liefern, freilich ohne Zahlen und ich hoffe, noch vor Weih— nachten nach München zu kommen, wo ich Ihnen praktiſche Belege in Menge geben werde, wenn Sie mich auf die Punkte aufmerkſam machen, auf die es Ihnen ankommt. Der Klee iſt die empfindlichſte Pflanze; keinen Menſchen fällt es ein, ihn durch Stickſtoff erzwingen zu wollen; Kalk, phosphor— ſaures Kali rufen ihn ſofort hervor. Was von ihm, das gilt von jeder Pflanze. Auch der Mergel giebt Aufſchlüſſe in Menge; er macht die anderen Mineralien löslich, aber die Fruchtbarkeit hört auf, wenn man die entzogenen Mineralien nicht wiedergiebt. In den landwirthſchaftlichen Jahrbüchern für Oſtpreußen April, Mai, Juni iſt neulich ein warmer Freund für Sie aufgetreten; 90 re Reuning an Liebig. wünſchen Sie es, ſo ſende ich Ihnen das Heft, das aber wohl von Fraas zu erlangen ſein wird. Noch Eins, auf einem mineralkräftigen Boden wiederſteht eine Pflanze den äußeren Einflüſſen weit mehr, als auf einem mineral⸗ armen. Ein Lauſitzer, der tüchtig mit Knochenmehl düngt, haßt nichts mehr, als „gute Jahre“, er ſagt: dann gilt das Getreide nichts; wenn aber andere nichts oder wenig haben, dann fehlt es mir nicht. — Unterbrochen durch einen Gutsbeſitzer fahre ich mit der erſten Aeußerung deſſelben fort, ſie war: „ich habe mein Gut verkauft, weil ich zu viel Guano angewandt habe und nichts rechtes mehr wachſen wollte, namentlich nicht Klee. Liebig hat Recht, von Chili- ſalpeter habe ich kein Reſultat gehabt.“ Ich gehe nach Freiberg, wo der Hüttenrauch der Schwefelſäure und Arſenik furchtbare Verwüſtungen in Wald, Feld und Vieh an— gerichtet. Wiſſen Sie kein Mittel? Wie immer Ihr ergebener Reuning. Dresden, den 21. November 1861. Hochverehrter Gönner! Ihre Theorie beſchäftigt meine Gedanken faſt ununterbrochen, einmal um die Mittel aufzufinden, ſie ins Leben ganz überzuführen, dann aber, weil ich über einige Punkte mir noch nicht genügend klar bin. In beiden Beziehungen bitte ich um Ihre Anſicht. Wenn ich einem Boden Phosphorſäure zuſetze, ſo habe ich in der Ernte eben fo viel Kali mehr, als das Verhältniß zwiſchen beiden Stoffen in der Pflanze iſt; gebe ich Kali, ſo wächſt der Gehalt an Phos— phorſäure ꝛc. Gleiches bewirkt der Stickſtoff. Die Wurzel der Pflanze kann nun unmöglich, wie der Menſch bei einem Diner in Gängen ſich nähren, ſie muß alſo die Geſammtnahrung im Boden fertig haben. Nur glaube ich, kann man nicht abſolut ſagen, dieſem Reuning an Liebig. 91 Boden fehlt es an Kalk, jenem an Kali, dem andern an Phosphor- ſäure, denn wenn ich auf ein Kleefeld hier Holzaſche, dort Kalk, dort Knochenmehl bringe, ſo habe ich überall reichere Ernten; wenn ich auf einem Boden, der faſt aus Kalkſteinen allein beſteht, Gyps bringe in kleinen Quantitäten, ſo iſt, wo dieſer die Bedingungen der Wirk— ſamkeit findet, ein üppiger Kleewuchs vorhanden. Ueber Kalkbrüchen düngt man mit Aetzkalk, daraus ſchließe ich nun, daß gewiſſe Be— dingungen der Zubereitung der Pflanzennahrung im Boden beſtehen, daß die chemischen Proceſſe in demſelben an ſolche gebunden find, daß alſo Kalikalk Phosphorſäure ꝛc. löſt und umgekehrt. Iſt dieſes wahr, ſo erklärt ſich manches, z. B. der Kleewuchs erſt nach einer gewiſſen Zeit, die Erfolgloſigkeit der Bemühungen ſochen hervorzu— rufen, wenn man im zweiten Jahr wieder Klee ſäen will, denn es waren dann die chemiſchen Verbindungen noch nicht wieder herge— ſtellt. Es wird in einem Boden auch ohne Düngung in 6 Jahren wieder Klee wachſen, wo im zweiten der Ueberfluß aller Kleemineralien dieſes nicht hervorbringen kann. Dieſes der phyſikaliſchen Beſchaffen— heit des Bodens zuzuſchreiben, liegt durchaus kein Grund vor. Neu— lich wurde ich gefragt: „Wachſen Runkelrüben, wo im vorigen Jahre ſolche ſtanden, erfroren, faulten, mit den Blättern umgeackert und wieder ſolche gebaut wurden? Ich dachte, hier iſt die Rüben— nahrung fertig, aber die Rüben wuchſen ſehr kümmerlich; wenn es jo iſt, wie es mir ſcheint, weil eben die Verbindung der Nahrungs- ſtoffe noch nicht hergeſtellt war. Wenn man nach Runkelrüben Hafer mit Klee baut, ſo will letzterer nicht befriedigend wachſen, wenn man aber den Klee in die zweite oder dritte Frucht ſäet, ſo hat er ein weit beſſeres N ohne daß man wieder düngt. Ich bin vielleicht auf ganz falſchen Gedankengängen, bitte darum um Aufklärung. Bei Aufſtellung der Pläne auf den Verſuchsſtationen für das nächſte Jahr, gehe ich direkt auf Feſtſtellung Ihrer Lehre durch die Praxis aus; es ſoll folgendermaßen verfahren werden. In Chemnitz wird eine Wieſe und ein untragbarer Rand mit den verſchiedenen Mineralien allein und im Gemenge, dann mit 92 Reuning an Liebig. Stickſtoff allein gedüngt; in Möckern wird ein Feld zu Wieje angefäet, in Weidlitz wird ein Kiesberg zu Feld mit denſelben Düngungen umgewandelt und eine junge Kiefernſaat ſo gedüngt. Es bleiben Wieſen und Felder bis zur Erſchöpfung ohne andere Düngung, oder aber, es werden Gegenverſuche auf denſelben angeſtellt. In Möckern wird gleichzeitig Boden aus dem Untergrund ent— nommen, auf die Löslichkeit der Mineralien durch Waſſer unterſucht; ein anderer Theil erhält phosphorſaures Kali, Kalk ꝛc. und wird nach 1—9 Monaten wieder auf die Löslichkeit geprüft, wieder an dere Theile werden mit Gemengen von Mineralſtoffen traktirt. Außerdem ſollen die wild wachſenden Unkräuter von der Flechte hinauf analyſirt werden, um zu erkennen, was ſie an Mineralien beanſpruchen und rückwärts auf die Beſchaffenheit des Bodens zu ſchließen. Bin ich hierin auf richtigen Wegen? was iſt unnütz, was iſt zu ändern, was zuzuſetzen? Daß Knop es gelungen iſt, Waſſerpflanzen zu ziehen mit Kali, Phosphorſäure und Salpeterſäure werden Sie wiſſen; Kieſelſäure war nicht nöthig und fand ſich, wohl in Folge von Staub, oder Verwitterung des Glaſes, in ganz geringer Menge vor, doch wird ſie nöthig ſein, um den Halm zu feſtigen. Noch einmal auf die Löſungsfrage. Superphosphat ohne allen Stickſtoff auf armem Boden, wie an der Grenze der Lüneburger Heide, bringt ſofort die üppigſte Vegetation, Phosphorſäure allein bringt keine Pflanze hervor; ſie muß alſo Kali und Kalk ꝛc. löſen oder wie Sie dieſes nennen wollen; es ſcheint mir, je mehr ich hierüber denke als ob Stickſtoff in wenig gelöſtem Boden dieſe Löſung bewirkt, oder die Bereitung der Pflanzennahrung vermittelt, daß aber ein mineralreicher, ſatter Boden, der alſo alle Stoffe genügend löslich enthält, dieſen entbehren kann, daß er aus der Atmosphäre ſeinen Bedarf an Stickſtoff entnimmt, dieſen bindet, wo ihn der mineralarme wieder abgiebt. Darum würde ein armer Boden, ſei er arm aus Mangel an Mineral, ſei er arm, weil dieſes ungelöſt iſt, bei Stickſtoff Erfolge zeigen, bei erſterem kürzere, bei letzterem längere, bei Klay vielleicht über ein Menſchenalter hinaus dauernde. Reuning an Liebig. 93 Da ich des Wiſſens der Naturgeſetze ganz baar bin, ſo kann ich mich Ihnen nicht klar ausdrücken; es fehlt mir aber in der Kette noch ein Glied, wenn ich die Erſcheinungen alle an mir vorübergehen laſſe und dieſes muß in der Zubereitung der Nahrung liegen. Das habe ich wohl wiederholt Ihnen gegenüber ausgeſprochen, ich komme aber immer wieder darauf zurück, weil ich nicht weiter kann. Werden Sie nicht ungehalten, wenn ich Sie wieder mit dieſen Zweifeln beläſtige, wenn ich Aufklärung ſuche. Wen eine wiſſen— ſchaftliche Frage intereſſirt, der kommt um ſo weniger von derſelben los, je weniger er weiß, für den verliert aber auch alles andere das Intereſſe; ich kann darum kaum noch eine landwirthſchaftlich— literariſche Erſcheinung anſehen; es ekelt mich alles an, da man ſich in nutzloſen Dingen, nutzloſen Worten ergeht. Es liegt aber hier noch ein anderes Gefühl zu Grunde, die Ueberzeugung, daß der Wohlſtand, die Macht Deutſchlands weit mehr von der Löſung dieſer Frage abhängt, als vom Bundestag und den Diplomaten, denn Wohlſtand giebt Macht und wenn ich ſehe, wie ſinnlos wir arbeiten, wie bodenloſe Schwätzer Terrain behaupten, wie man nach einem verklebten Recept hungrig iſt und nur die Thaler ſcheut, um es zu erlangen, wie man das wichtigſte bei Seite legt, wie man die Pflanzennahrung in Maſſen nach England führt, um dafür zurück— zuerlangen, was wir nicht brauchen, was unſern Boden zuletzt ver— armt, dann fehlt manchmal der Muth, hinter großen Männern her— zugehen und den Leuten immer wieder zu ſagen, ſeht auf ſie, nicht auf die Seiltänzer, aber man ſucht die Letzteren auf. Es geht mir nicht gut genug, um an eine baldige Reiſe nach München denken zu können. Verlieren Sie den Muth nicht; die ſchlimmſte Periode der Dunkelheit für Ihre Lehren liegt hinter uns; Sie werden es er— leben, daß die Traumbilder Ihrer Gegner verſchwinden. Auch der große B., der mir vor einem Jahre noch ſagte, was Sie lehrten, ſei eitel nichts, die anorganiſchen Beſtandtheile ſeien im Boden, die organiſchen nicht, dieſe müſſe man zuführen — wird ſchweigen. Ich habe ihm damals ſo gedient, daß ſein untergebener Begleiter nicht mehr wußte, wie er ſeine unterthänige Verlegenheit verbergen ſollte 94 Reuning an Liebig. und ich konnte die Malice nicht laſſen, ihm mein Schriftchen zu über⸗ ſenden. Geantwortet hat er nicht; doch aber intereſſirt er ſich ſehr für die Bereitung von Superphosphat in Lehrte und muß ſehen, wie die auf Stickſtoff baſirt geweſene Düngerfabrik in Hannover zu Mineralien übergehen muß, weil ſie eben nichts ausrichten konnte, die berechneten Dividenden zwar ziemlich zutrafen, nur daß ſtatt des plus ein minus ward. Das iſt eine verzeihliche Verwechſelung. Leben Sie wohl! Ihr ergebener Reuning. Dresden, den 10. December 1861. Hochverehrter Herr Profeſſor! Vorerſt ſage ich Ihnen meinen beſten Dank für die Ueber⸗ ſendung Ihrer Rede, die mich, wie andere höchlichſt erfreut hat. Die Wirkung kann nicht fehlen. So ſchreiben kann niemand als Sie und darf niemand. Den bairiſchen Ständen war dieſe Zurecht⸗ weiſung ſehr heilſam und verdient. Entſchuldigen, wenn ich Sie ſchon wieder beläſtige, der Streit um Ihre Lehre muß nun auch in der Zeitſchriftsliteratur gründlich eröffnet werden. Bücher, Brochüren und ſeien ſie auch von Ihnen, dringen nicht weit ein, die Landwirthe ſind eben ſo faul im Denken, als im Leſen. Mit Rückſicht hierauf will ich nun einen Leitartikel in ein von mir redigirtes kleines Blatt geben, welchen ich in der Regel, damit er in den Vereinen geleſen werden muß, als einen Gegenſtand der Verhandlungen bezeichne und worin ich Fragen aufſtelle, die freilich nicht beantwortet werden, aber auch nicht beantwortet werden ſollen, da ich weiß was man mir antworten könnte, und habe mich bemüht, in einer für die Landwirthe verſtändlichen Form den anliegenden Aufſatz zu ſchreiben. Da nun das Falſche nicht mir, ſondern Ihnen zur Laſt gelegt werden wird, ſo bitte ich Sie im Intereſſe der Sache um Ihre Durchſicht und Angabe der nothwendigen Aenderungen, auch Reuning an Liebig. 95 um baldige Rückſendung, da der Druck gegen den 22. dieſes Monats beginnen muß. Von dem Amtsblatt, in welchen der Artikel den neuen Jahr- gang eröffnen ſoll, lege ich Ihnen 1860 und 1861 bei. Sie er- ſehen daraus, in welcher Weiſe derartige Aufſätze erſcheinen. Ich hoffe, Sie werden daraus die Ueberzeugung nehmen, daß ich wenigſtens die Abſicht habe, die Landwirthſchaft einigermaßen wiſſenſchaftlich zu behandeln und die Leute nach und nach zum Denken zu bringen. Seite 92 von 1860 finden Sie einen kurzen Aufſatz über Knochen- mehlausfuhr, der viele erboſt hat, aber heute noch abgedruckt wird. Auf meinen letzten Brief erwarte ich keine Antwort; es iſt ſchlimm, wenn man fortwährend an eine Sache denkt und ſtecken bleibt, da treibt der Drang nach Aufklärung zu Fragen. Sie werden in Ihrer neuen Auflage ſchon das nöthige Licht verbreiten. Seite 71 des Jahrgangs 1860 habe ich für die Praxis ver- ſucht, die Proteinſtoffe und Kohlehydrate für die Thiere als gleich— werthig in Geld d. h. 1 Nh. = 5 Nfr. hinzuſtellen, und Preis⸗ tabellen hiernach entworfen. Merkwürdigerweiſe ſcheint dieſes mit den Preiſen der einzelnen Futtermittel zu ſtimmen, wie ſie bei den Futtermiſchungen Seite 96, 97 finden. Ich bin mir keines wiſſenſchaftlichen Grundes bewußt; läge ein ſolcher vor, ſo hätte die Sache ihre große Bedeutung, um billig zu nähren. Ich muß nun, nachdem ich über ein Jahr lediglich an Nähren von Pflanzen und Thieren gedacht, meine Gedanken auf einen andern Zweig richten; ich werde ſonſt confus, wo ich Licht zu erhalten hoffte. v. Zehmen grüßt Sie beſtens. Iſt dieſes der letzte Brief an Sie in dieſem Monat, ſo nehmen Sie in demſelben meine innigſten Wünſche für Ihr Wohlergehen auch im neuen Jahre; ich bleibe, wie immer Ihr ergebenſter Reuning. F Liebig an Reuning. München, den 15. December 1861. Mein verehrter Freund! Ich war im Begriff, Ihren Brief vom 21. November zu be⸗ antworten, als ich Ihre neue Sendung erhielt. Ihre Fragen in dem erſteren werden Sie erſchöpfend beantwortet finden in der neuen Auflage meiner Agriculturchemie, die gegen Oſtern erſcheint. Nur ſoviel will ich heute bemerken, daß ein Landwirth die Wirkung von Phos— phaten, von Kali, Ammoniak auf ſeinen Feldern nicht prüfen kann; dieſe Wirkung iſt feſtgeſtellt und ſicher; was der Landwirth durch die Düngung ſeines Feldes mit Phosphaten oder einem andern Düngemittel erfährt, iſt die Beſchaffenheit ſeines Feldes. Wenn die Phosphate die Erträge erhöhen, ſo beweiſt dies für die Wirkſamkeit der Phosphate nichts, denn ſie war vorher bekannt; was er daraus entnehmen kann, iſt, daß ſein Feld Kali, Kieſelſäure, Kalk ꝛc. enthält, welche wirkſam gemacht wurden durch die Phosphate; wenn das Düngemittel die Erträge nicht erhöht, ſo beweiſt dies, daß es an Kali, Kalk oder einem andern Nährſtoffe fehlte; wäre ein Ueberfluß von dieſen Stoffen im Boden geweſen, ſo würden die Phosphate wirkſam geweſen ſein. Auch wenn Kalk, Kali, Kieſelſäure die beſte Form zur Ernährung beſitzen, ſo ernähren ſie nicht, wenn die Phosphate nicht dabei ſind; ſie ernähren, wenn die Phosphate dazu kommen; die Phosphate machen die andern nicht löslich; ſie ſind löslich, können aber für ſich allein (ohne Phosphate) nicht in die Pflanze übergehen. Dies gilt natürlich für jeden Düngerbeſtandtheil. Wenn aljo Aſche keine Wirkung auf die Erhöhung der Erträge eines Feldes hat, ſo beweiſt dies nicht, daß es an ſich wirkungslos iſt, ſondern zeigt einfach die Beſchaffenheit des Feldes an, es fehlt etwas darin, um das Kali übergangsfähig, d. h. wirkſam zu machen. Der Leitartikel iſt ſehr gut, ich habe nur einige Stellen in obigem Sinne geändert. Was die angehängten Fragen betrifft, ſo würde ich die von Nr. 2 an hinweglaſſen, aus folgenden Gründen: Auf Nr. 4 werden Sie ebenſoviel Antworten pro als contra Liebig an Reuning. 0 Su bekommen. Das iſt ja nach der Natur der Früchte ſehr verſchieden; Kartoffeln wird einer auf gewiſſen Feldern mit Guano, ohne Knochen— mehl, und bei Klee mit Knochenmehl, ohne Guano ſehr lange, mög— licherweiſe ein Menſchenalter bauen können. In Nr. 8: „Kann man . . . . Dies iſt nicht mehr zweifelhaft. Die verſchiedenen Nährſtoffe ſind gleichwerthig und die Düngemittel Guano, Rapsmehl, je nach ihrem Gehalte, für einen, zwei oder mehr Nährſtoffe gleichwerthig. Unter gleichwerthig verſtehe ich hier, daß jeder in dem Ernährungs— proceß eine gleiche Bedeutung hat, gleich nothwendig iſt; ſie ſind darum einander nicht äquivalent, können keine die andere erſetzen. Nach dem bloßen Geldwerth zu düngen, iſt Unſinn. In dem Berliniſchen landw. Anzeiger ſteht z. B.: 100 Pfd. Jarvisguano lieferten Kartoffeln im Werthe v. 22 Thlr. 15 Gr. 100 „ Bakerguano 8 h RR EI EN ohne Düngung h ME Sa a Pe 100 Pfd. Abraum 5 5 N N eee Dies iſt Blödſinn. Rechnet man die ganze Ausgabe für die Düngung der erſten Frucht oder der Frucht im erſten Jahre zu, ſo wird man ſehr häufig zu dem Schluſſe kommen, daß es vortheilhafter ſei, nicht zu düngen! Dies iſt aber abſurd. Zur Schätzung des Werthes eines Düngemittels muß man den Erfolg nicht eines Um— laufes, ſondern wie bei Knochenmehl einer ganzen Anzahl von Um— läufen in Betracht ziehen. Wenn ich für einen Umlauf 400 Pfund phosphorſauren Kalk verwende und nehme in den Früchten 100 Pfd. Phosphate hinweg, ſo ſind die reſtirenden 300 Pfund wirkſam für 3 weitere Umläufe, wenn ich bei jedem 100 Pfund Phosphate wieder zuſetze. Thue ich dies nicht, ſo nehmen die Erträge natürlich ab, erſetze ich die andern ausgeführten Nährſtoffe nicht, ſo nützt auch die Zufuhr der entzogenen 100 Pfund Phosphate nichts. Ich kann Ihnen nicht ſagen, wie werthvoll Ihre Bemühungen mir für mein neues Buch und für die Feſtſtellung der Geſetze des Feldbaues geweſen ſind. Die ſächſiſchen, durch Sie hervorgerufenen Verſuche erledigen alle wichtigen Fragen; ich wünſchte nur zu wiſſen, ob wirklich zu jedem Verſuch ein Acker Land gedient hat oder weniger Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 7 98 Reuning an Liebig. und ob ſie ein volles Vertrauen verdienen. Darauf kommt natürlich alles an. Für das Amtsblatt meinen beſten Dank. Die Berech⸗ nungen S. 71 u. folg. (Amtsblatt 61) ſind ebenſo verdienſtlich wie werthvoll, ganz beſonders die Anwendung zu den Miſchungen des Futters. Der wiſſenſchaftliche Grund iſt gerade das Naturgeſetz, dem Sie Ausdruck gegeben haben, eine vortreffliche Idee. Von Herzen Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Dresden, den 22. December 1861. Hochverehrter Gönner! Sie wollen wiſſen, ob die hier angeſtellten Verſuche ganz zu: verläſſig ſind. Ich glaube es, die meiſten ſind Bauern, denen die Düngemittel gegen die Verpflichtung, genau zu wiegen, gegeben wurden, und ſie fürchteten ſich ſchon, hierbei etwas Unwahres zu ſagen. Bei einzelnen iſt ein ganz zuverläſſiger Mann zugegen geweſen. Andere haben im vierten Kleejahr angegeben, es ſei dieſes nicht maßgebend, weil der Regen das Kleeheu vernichtet habe. Nicht volle Verſuche, und deren liegen noch 3 vor, ſind mit berückſichtigt; ein Bauer, der im vierten Jahr wegen des Regens den Klee nicht wiegen konnte, wog im fünften den zweijährigen Schnitt und als ich ihm nach Ihrer Theorie ſagte, wie das Ergebniß ſei, ſah mich der Mann mit ganz großen Augen an, er hielt mich für eine Art Hexenmeiſter, aber es ſtimmten alle meine Angaben nach der Mineraltheorie. Und, wo ich hinkomme, beſtätigt ſich alles. Der Raubbau hat bereits ſeine Folgen getragen. An einem Tage in voriger Woche klagten mir zwei Landwirthe aus verſchiedenen Gegenden, daß ſie nur noch ſehr wenig Körner hätten, ſie meinten, das dauere nun ſchon 10 Jahre, ſchüttelten freilich die Köpfe, als ich ihnen den Grund ſagte. Am Abend, wo ich nach Hauſe kam, fand ich einen Brief aus dem Erz— gebirge, der mir einen koloſſalen Flachertrag nach Holzaſche an— gab. Am andern Morgen kam ein Deutſcher aus dem Gouverne— ment Minsk, der nach Aſche großartige Klee-Erfolge hat, nach Knochen Reuning an Liebig. 99 reichen Körner⸗„Druſch“, nach Guano im zweiten Jahr eine kümmer— liche Ernte. Zweifeln kann nicht mehr, wer Sie verſtanden hat, und die Zahl derer nimmt zu. Hätte ich nicht die innigſte Ueberzeugung aus der Praxis, ich dürfte in meiner Stellung nicht mit Zuverſicht auftreten; denn ein ſolcher Artikel würde mich im Vertrauen der Leute ruiniren. Die Verſuche ſind nicht auf einem, ſondern auf ½ Acker alle angeſtellt worden, d. h. ½¼ Acker für jede Düngung. Ich muß wieder einmal gegen einige Ihrer Korrekturen ungehorſam ſein, in— dem Sie „löslich“ ſtrichen und „aufnehmbar“ dagegen ſetzten. Ich habe ſcharf im Auge gehabt den Unterſchied zwiſchen beiden; was unlöslich iſt, muß aber erſt löslich werden, ehe es aufnehmbar wird. Ich hatte dabei grobes Knochenmehl, ſtrohigen Dünger im Auge; hier muß die Verweſung doch erſt vorausgehen. An ſpäteren Stellen haben Sie nicht geſtrichen. Auch die Fragen habe ich nicht weſentlich geändert. Verzeihen Sie mir das, aber ich bin nicht Liebig, der ſtets die Wiſſenſchaft allein obenauf trägt und den Leuten überläßt, ſich ſolche anzueignen; ich muß ſie überſetzen, da das Volk weit weniger weiß, als Sie glauben, ich muß dasſelbe mit der Naſe darauf ſtoßen, und wenn ich Knochen— mehl und Guano gegenüberſtellte, ſo iſt dieſer Punkt es gerade, wo man Sie am erſten verſtehen wird; denn hier verkörpert ſich die Theorie. Hier werde ich am erſten verſtanden, und hier muß der Streit entbrennen, da hier Erfahrungen vorliegen. Was Sie da— gegen ſagen, darüber iſt ja ein Streit nicht möglich. Erwägen Sie nur, mit wem ich zu reden habe, und es kommt auf einen kleinen wiſſenſchaftlichen Fehler nicht an. Das trifft mich, und ich laſſe einen Tadel über mich ergehen, wenn der Zweck gefördert wird. Laſſen Sie alſo die Leute auf mich ſchimpfen; wenn Sie unberührt bleiben, bin ich zufrieden, und dieſe letzten Fragen ſind ohne Einfluß auf die Wahrheiten, die Ihr Eigenthum ſind. Es freut mich, daß Sie die Futterberechnungen, namentlich aber die Feſtſtellung der Preiſe, nicht unnütz und werthlos finden. von Zehmen möchte ſehr gern, daß Sie ſeinen Sohn an Wöhler 7 100 NE Liebig an Reuning. — empfehlen, wie Sie verſprochen; Sie haben dieſes wohl vergeſſen. Zehmen legt großen Werth darauf, ſcheut ſich, Sie zu erinnern. Auf Ihre neue Auflage bin ich ſehr geſpannt; ſie wird mir wie noch manches klarer machen. Freuen. Sie ſich am Weihnachtsabend nicht deſſen, was Ihnen gegeben wird, ſondern deſſen, was Sie der Welt gegeben haben. das Korn hat lange gekeimt, lag unter der Winterdecke des Schnees; der Frühling und Sommer bringen es zur Reife. Sie werden es erleben, daß Ihre Gegner alle verſtummen. Ein Herr Borroſch in Prag, Redakteur einer dortigen landw. Zeitſchrift, trat kürzlich ge— legentlich einer Recenſion von „Juſtus von Liebig“ mit aller Ent- ſchiedenheit für Ihre Anſichten auf. Ihr Reuning. München, den 10. Januar 1862. Mein theurer verehrter Freund! Von ganzem Herzen erwidere ich Ihre guten Wünſche; möge Gott uns geben, was zu unſerem Glücke dient und unſerem Thun das Gedeihen ſchenken. Ich habe ſoeben meine Vorrede zur 8. Auflage der Naturgeſetze des Feldbaus an Vieweg abgeſchickt; ſobald ich einen Abdruck habe, ſende ich ſie Ihnen zu. Was mich heute veranlaßt, Ihnen einige flüchtige Zeilen zu ſchreiben iſt; wegen des Palmnußmehls oder -Kleie. Ich habe es unterſucht und glaube, daß die Einführung desſelben für unſere Landwirthe wichtig iſt, namentlich für die Milch und Fleiſcherzeugung; ich habe Güſſefeld veranlaßt, Ihnen, ſowie Ihrem Herrn Sohn in Cunnersdorf einen Sack voll zu ſchicken; er ſchreibt mir, das Mehl beſteht aus den Rückſtänden der Palm— nüſſe, welche zur Palmölbereitung dienen, und als Mäſtungs— mittel find fie ſicherlich von Werth; aber die Probe muß an Milch— kühen, Schweinen, Geflügel, vielleicht auch mit Ochſen gemacht werden. * Liebig an Reuning. n 101 Der Stickſtoffgehalt entſpricht 15 Procent in Proteinſubſtanzen be— rechnet, der Fettgehalt iſt ſehr groß; es iſt die Frage, ob dieſe ſtick— ſtoffhaltigen Subſtanzen wirklich zur Fleiſch- und Käſeerzeugung im Körper verwendbar ſind und verwendet werden. Die Einfuhr würde alsdann einer Einfuhr von Fleiſch, Butter und Käſe gleichwerthig ſein. Auf die Aufforderung von Weinlig habe ich für die Wander— verſammlung der deutſchen Land- und Forſtwirthe „die Frage über Pflanzenkrankheiten“ zur Verhandlung empfohlen. Es kommt natür⸗ lich dabei nichts heraus, denn Ihre und meine Anſichten wären längſt zu Grabe getragen, wenn das Votum dieſer Geſellſchaften irgend eine Bedeutung gehabt hätte, aber es wird doch die Aufmerkſamkeit darauf gelenkt. In dem ehemalig lombardo-venetianiſchen öſterreichiſchen Kron— lande werden jährlich 4—5 Millionen Centner Maulbeerblätter (ent- ſprechend in ihrem Phosphorſäure- und Kaligehalte etwa dem vier— fachen Kleeheugewichte) geerntet und ihre Beſtandtheile dem Boden nicht wieder erſtattet, und wenn man ſich denkt, daß dies nun ſeit 40 Jahren geſchehen iſt, jo iſt die Rückwirkung auf das Ertragver⸗ mögen der Felder handgreiflich. Sie haben ganz Unrecht, darüber zu klagen, daß Ihnen manche naturwiſſenſchaftliche Erfahrung abgeht, denn Theilung der Arbeit muß eben ſein und fördert das Ganze. Was mir fehlt, haben Sie in Fülle, und ſo hilft einer dem andern. Haben Sie das närriſche Büchlein von Arnd in Hanau gegen mich geleſen. Meine hiſtoriſchen Forſchungen (in der Einleitung) er- klärt er für unwahr, weil nichts der Art in den Büchern unparthei— iſcher Hiſtoriker ſteht. Diebe und Mörder gebe es nur in einem Staate, deſſen Polizei ſchlecht ſei und Uebervölkerung käme von zu vielem Kinderzeugen; dabei ſei ich ſo einſichtslos, nicht zu ſehen, daß in meinem Buche alle die Mittel angegeben ſeien, um das drohende Geſpenſt der Boden— erſchöpfung zu bekämpfen. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. 102 Reuning an Liebig. Dresden, den 14. Februar 1862. Hochverehrter Herr Profeſſor! Der Bakerguano hat gethan, was Sie vorherſagten. Es haben ergeben per Acker Weizen: Körner Stroh Un gedüngt er eD. BBer: Sarbisguang 3 Ctr. 2%/᷑ʃ[⏑; AR Balerguano 3 Cirr .. 2922 ⅛ Ä Aiblinger Knochenmehl 6 Ctetr. 3015 „ 4755 „ Perugnano 3, Ctir.. 6 6114 Es waren dieſe Düngemittel ſämmtlich am 22. April 1861 auf Winterweizen aufgeſtreut worden. Die Phosphorſäure im Bakerguano iſt alſo weit löslicher als diejenige im feinſten Aiblinger Knochenmehl. Ich denke, dieſe Verſuche fortſetzen zu laſſen, immer mit Knochen- mehl, Bakerguano und Peruguano auf derſelben Fläche, um zu er— ſehen, wie die Erfolge in den ſpäteren Jahren ſind und wo die Sättigung des Bodens eintritt. Aus dem Amtsblatt Nr. 2, wenn Sie es angeſehen haben, ent— nehmen Sie, daß ich die Anſtellung vierjähriger Verſuche in allen 180 Vereinen angeregt habe. Geſchieht dieſes, und zum großen Theil bin ich ſicher, weil man ſich den Gratis-Bakerguano nicht entgehen laſſen will, dann werden wir in wenig Jahren Reſultate aus allen Verhältniſſen des Landes haben. Im 2. Heft der Zeitſchrift für deutſche Landwirthe hat ein Dr. Porcezinsky „Juſtus v. Liebig“ mit Unwahrheit und Unverſtand malitiös angegriffen; wenn ich ihm antworte, ſo müßte es in einem Tone geſchehen, den ich als betheiligt nicht anſchlagen darf; ich unter— laſſe es darum lieber. Da aber eine Menge Leute ſich freuen, wenn ſie auch aus bodenloſem Geſchwätz einen Schluß gegen die Sache ziehen zu können glauben, ſo überlaſſe ich es Ihnen, ob ſie einen Ihrer Keile gegen den Mann loslaſſen wollen; er iſt einer der Leute, die ſchreiben ohne zu denken, aus der richtigen Schule. Jeder wirk— liche und gründliche Angriff dient der Sache, ein Gewäſche giebt nur Reuning an Liebig. 103 dem nicht Denkenden einen willkommenen Haken. Eine Zurecht— weiſung hat der Mann verdient. Ich wollte meinen Gedanken eine andere Richtung geben, fing an, an einer Viehſtands⸗Statiſtik zu arbeiten, aber, wo ich auch an- fange, immer iſt es wieder Ihre Lehre, die in allen ackerbaulichen Verhältniſſen an die Spitze tritt. Das iſt der Segen eines wiſſen— ſchaftlichen Geſetzes, daß dieſes überall ſeine Geltung findet, überall zu richtigen Schlüſſen führt. Zweck und Kunſt des Ackerbaues iſt zuletzt nichts, als die Be⸗ ſtandtheile der Atmoſphäre zu concentriren in Kohlen- und Stickſtoff, die wärmen und nähren. Der Boden gewährt in ſeinen Bejtand- theilen die feſte Form und in dieſer die Mittel für erſteren Zweck. Wo man das Vieh hält zum großen Theil des Düngers wegen, da iſt dieſer das umlaufende Kraftkapital des Bodens, und wie jämmerlich klein iſt die Kraft, wenn man ſich dieſe Düngermaſſe, um welche ſich alles dreht, verweſt denkt, wie ſie zuletzt in die Pflanzen übergeht. Geben wir dem Boden Mineralien ſatt, dann ernähren wir auch in Sachſen unſere 12 000 Menſchen auf der Quadratmeile landwirthſchaftlich benutzbarer Fläche vollſtändig. In einigen Jahren ſollen Sie bei meinem Schwiegerſohne ein nach Ihrer Theorie ſattes Gut finden, das den doppelten Ertrag in Früchten gegen früher ge— währt. Bei meinem Sohn ſoll es in gleicher Weiſe geſchehen, aber das Kapital! Wiſſen Sie mir eine Domäne in Bayern zu ver— ſchaffen, wo ich 20 000 Gulden in Kraft anlege, jo denke ich den Leuten dort zu zeigen, wie man es anzufangen hat. Ich finde noch wenige, die Ihnen ganz glauben wie ich; hier wird im Stillen agi— tirt. Stöckhardt berechnet den Leuten die Maſſe der Mineralvorräthe im Boden als unerſchöpflich, nicht aber die Maſſe des Stickſtoffs im Boden und in der Atmoſphäre; da fehlen denn die Hiebe auf Ihre Lehre nicht, und die Herren Praktiker ſchütteln den Kopf, weil Peru⸗ guano im erſten Jahre mehr bringt. Kann Phosphorſäure Ammoniak abſorbiren? Ein v. Lengerke ſtreut Knochenmehl in den Schafſtall, will ganz reine Luft darin haben. Iſt das ſo, dann erklären ſich eine Menge Erſcheinungen. 104 Liebig an Reuning. Sagen Sie mir, wann Ihre Collegien ſich ſchließen, bis wann Sie ſicher zu treffen ſind. Ich kann es nicht lange mehr aufſchieben, Sie zu beſuchen; der Winter hielt mich ſeither zurück. Ihr ergebener Dr. Reuning. München, den 19. Februar 1862. Verehrter Freund! Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundlichen Zeilen mit den Reſultaten der Verſuche mit Bakerguano, die mich ſehr intereſſiren. Auch die beiden Amtsblätter ſind mir richtig zugekommen. Mein neues Buch, die Naturgeſetze des Feldbaus und der Düngung, beſchäftigt mich in dem Grade, daß ich alles andere darüber vergeſſe. Sie erhalten heute ein Kapitel davon, welches die Beſprechung der ſächſiſchen, durch Sie veranlaßten Verſuche enthält. Sie werden daraus die große Wichtigkeit derſelben erkennen und wie werthvoll ſie mir geweſen ſind. Alle Erſcheinungen, die ſie darbieten, habe ich nach den Regeln der Naturforſchung nach allen Seiten hin betrachtet; es wird Ihnen aber nicht ganz leicht ſein, ſich darin zurecht zu finden, da ſich vieles Geſagte auf Vorangegangenes bezieht. Ich möchte nur wiſſen, | 1. auf welcher Fläche dieſe Verſuche angeſtellt find. In der im Amtsblatt gedruckten Tabelle ſteht 1 Acker, in einem Ihrer Briefe ½ Acker. Was iſt das Rechte? 2. Ob die Düngemittel von dem Verein geliefert wurden, alſo identiſch waren oder ob jeder beſondere Sorten Guano und Knochen— mehl, die ihm eben zur Hand waren, anwandte? Die Schrift von dem böhmiſchen Doctor werde ich ganz ſicher— lich nicht leſen, denn mit ſolchen Dingen werden Sie ſich hoffentlich auch nicht den Humor verderben. Die Wirkung Ihres Schriftchens iſt ſicher und unfehlbar geweſen, und wenn hier und da auch noch einer gegen die Thatſachen kläfft, die Sie ja allein ins Feld führen, Liebig an Reuning. 105 ſo wird er ſich daran die Zähne ausbeißen. Eine Widerlegung iſt ja gar nicht möglich! Wenn Ihr Schwiegerſohn der Beſitzer des Cunnersdorfer Feldes iſt, ſo gratulire ich ihm dazu; daraus läßt ſich alles machen. Sie ſprechen von Bayern! Lieber Himmel, es iſt ganz un— glaublich, wie weit dieſe Leute zurück ſind. Kalk verhindert das Zerfallen des Harnſtoffs in kohlenſaures Ammoniak; es iſt alſo möglich, daß v. Lengerke darum kein Ammoniak gerochen hat. Sie können mein Manuſcript 4—5 Tage behalten, dann bitte ich Sie aber, dasſelbe an Herrn Friedrich Vieweg & Sohn in Braun- ſchweig zu ſchicken mit einer Werthangabe, unfrankirt. Meine Vorleſungen ſchließe ich gegen den 20. März und ich bitte Sie mir das große Vergnügen zu machen und bei mir abzu— ſteigen. Wir können dann am beſten und bei meinen Geſchäften am bequemſten mit einander verkehren, ohne Umſtände. Herzlichſt Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Da man im Guano Rapsmehl nicht mit Stickſtoff allein düngt, ſo iſt die Frage zu erörtern, wieviel von dem Erfolg dem Stickſtoff und wieviel den andern Nährſtoffen in dieſen Düngemitteln angehört; gleichzeitige Düngung mit einer äquivalenten Menge kohlenſaures Ammoniak muß dieſe zur Entſcheidung bringen, und man wird als— dann alles wiſſen, was man vom Stickſtoff und ſeinem Werth zu halten hat. Ferner, wenn der Acker durch den Stallmiſt und die Atmoſphäre jedes Jahr das ausgeführte Quantum Stickſtoff wieder empfängt, das Feld alſo thatſächlich davon nicht erſchöpft wird, ſo iſt die Frage, ob ſich durch den Erſatz des ausgeführten Quantums an Kali, Phosphorſäure und Kalk und deren Zuſätze zum Stallmiſt die Erträge in gleichbleibender Höhe und Dauer erhalten laſſen, ohne alle Zufuhr an Stickſtoff alſo. Dies iſt der wichtigſte unter allen Verſuchen, die die landwirthſchaftlichen Vereine auf ſich nehmen ſollen. 106 Reuning an Liebig. Dresden, den 7. März 1862. Hochverehrter Herr Profeſſor! Das Manuſcript habe ich erhalten und, wie beſtimmt, an Vie weg abgeſandt. Es hat dasſelbe mir vielfache belehrende Aufſchlüſſe gegeben, an denen ich noch zu verarbeiten habe. Einzelne Dinge behalte ich mir vor, mit Ihnen noch zu beſprechen; es betreffen dieſelben den Einfluß des Climas in den höheren Lagen; Oberbobritzſch und Ober— ſchöna haben nur verwittertes Geſtein, in den Niederungen iſt Di— luvialboden, der an ſich reicher ſein dürfte als der erſte. Bei dem Klee kommt ſehr viel darauf an, ob er gehörig aufgeht, durch den Winter nicht leidet. In Meuſegaſt war die Ernte dem Boden nicht entſprechend und trat hier ohne Zweifel eine der erwähnten Urſachen ein. Die Verſuche ſind alle auf ½ Acker Landes angeſtellt und auf 1 Acker reducirt. Die Düngemittel kaufte ſich jeder ſelbſt, ſie waren alſo nicht abſolut identiſch. Peruguano war übrigens zu jener Zeit überall gleich; auch bei Knochenmehl iſt eine weſentliche Verſchiedenheit nicht anzunehmen. Die größte Differenz wird ſich doch bei dem Stallmiſt zeigen, je nach reicherer oder ärmerer Fütterung, je nach größerer oder geringerer Verweſung. Auch für das Gewicht von 20 Ctr. iſt nicht zu garantiren; es iſt das eine der gewöhnlichen Annahmen, 20 Ctr. per Fuder und ich ſelbſt hatte zu jener Zeit keine Idee von der Bedeutung, welche dieſe Verſuche durch Sie gewinnen würden. In dieſen Tagen kam ein Beſitzer eines Gutes von 120 Acker aus der reichſten Gegend des Landes, brachte eine Zuſammenſtellung der Ernten und des Verkaufs von ſolchen in 30 Jahren; es waren gegen 1000 Ctr. Knochenmehlwerth an Phosphorſäure ausgeführt worden. Freilich iſt dieſer Mann ein Bauerſohn, kein akademiſch Gebildeter, denn mit dieſer Geſellſchaft iſt nichts auszurichten. Sie haben dieſe polizeiwidrigen Akademien mit Recht geſchildert, wie ſie ſind; ſie ſind um kein Haar beſſer, vernichten im Beſtreben Praxis zu lehren, das Beſtreben zu denken. Reuning an Liebig. * Ich ſitze wieder in einem Katarrh, der mich nicht reiſen läßt. Wenn er vorüber iſt, komme ich und nehme Ihre große Güte in Anſpruch. Das Amtsblatt Nr. 3, worin die Baker-Verſuche ſpeciell ſtehen, folgt gleichzeitig. Wie immer Ihr ergebener Reuning. Dresden, den 12. Juli 1862. Hochverehrter Herr Profellor! Wenn Sie mich mindeſtens für einen leichtfertigen Schwätzer halten, ſo habe ich das hinzunehmen. Hören Sie. Ich wollte Ihrer Beſtimmung gemäß Ende März nach München kommen, auf dem Rückweg eine Nichte aus der Nähe von Bamberg hierher mitnehmen, war aber März und April ſo unwohl, daß ich nicht die Stadt ver— laſſen konnte. Der erſte Ausflug war nach der ſächſiſchen Schweiz Ende April, wo ich ein Gut für meinen Sohn ſah und kaufte. Nun Kaufverträge, Uebernahme, Geldſchaffen, Einrichten, das nahm den Mai mehr als weg; ich hoffte nach der Ausſtellung im Anfang Juni zu Pfingſten Sie zu ſehen, da führte das Schickſal den Herrn von Seebach, Geſandten in Paris, hierher, der eine Ordre meines Miniſters erwirkte, ihn nach den Steppen Südrußlands zu begleiten; die Vorbereitungen nahmen die Hälfte Juni weg; am 15. ward die Reiſe über Wien, Ungarn, Galatz, Odeſſa angetreten, der Rückweg ſtellte Conſtantinopel nicht fern, es ging wieder über das ſchwarze Meer und ſollte nun über Trieſt gereiſt werden, von wo ich den Weg über München genommen hätte; da paßte das Schiff nicht, und wir gingen zum drittenmal über das Waſſer durch die Dobrudſche nach der Donau. Seit 3 Tagen bin ich wieder hier, nachdem ich halb gebraten war und nun muß ich erſt wieder Ruhe finden, ehe ich an eine Reiſe denken kann. Von Conſtantinopel will ich nichts ſagen, als es iſt wahr 108 Reuning an Liebig. „aller Städte, Kron und Stern, aber nur von fern“ der ſchönſte Fleck der Welt, wenn unciviliſirte Menſchen nicht alles thäten, um die ſchöne Nation zu verdrängen. Dagegen wird Sie Südrußland mehr intereſſiren, die Steppen ſind eben Steppen, weil ſie keinen Wald, keine Vermittlung zwiſchen der Feuchtigkeit des Bodens und der Atmosphäre haben, der ſchönſte Boden der Welt, überreich, nie gedüngt, jo daß Miſt nur zu Wegeverbeſſerungen, Dammbauten und Brennen dient, eine Laſt iſt, da das Getreide ausbrennen ſoll. Nach Ihrer Theorie wird der Miſt Schon wirken, wenn der Stickſtoff in die Luft gegangen iſt. Bei längerer Cultur ſcheut man ſich nicht mehr ihn anzuwenden. Ich ſchicke Ihnen eine Probe des Tſcher— noſem, der obere Theil iſt Ackerkrume, der untere Untergrund. Ich habe den nach Regen ganz und gar lockeren Boden zu einem Ballen zuſammengedrückt und dieſer iſt jetzt ſteinhart, nach einem Regen zerfällt ſolcher ſofort. Lager habe ich bei dem üppigſten Stand nir- gends geſehen. Es würde für die Wiſſenſchaft ſehr intereſſant ſein, wenn Sie dieſen Boden nach ſeiner chemiſchen Zuſammenſetzung und nach ſeinen phyſikaliſchen Eigenſchaften, namentlich ſeiner waſſer— haltigen Kraft prüfen laſſen wollten. Es hängt das Prosperiren von tauſenden Quadratmeilen davon ab, wie man dieſen Boden be— handelt. Ich glaube, man darf ihn wegen ſeiner Poroſität lich ſtach mit einem dünnen Stöckchen 2 Fuß hinein) wenig pflügen, muß ihn ſtark ſich ſetzen laſſen, walzen, nur ſo viel Arbeit verwenden, daß die Saat gut unterkommt. Merkwürdigerweiſe ſoll kein Holz gedeihen. Das iſt in der Allgemeinheit nicht wahr, denn ich ſah auf dem Gute, wo ich war, 3000 Morgen Eichen, Linden ꝛc., aber das Holz wird nicht alt. Obſtbäume ſind nach 30 Jahren kernfaul und Eichen ſollen nicht über 90 Jahr alt werden. Ich glaube der Boden iſt zu reich. Vielleicht finden Sie hierüber eine Erklärung. Die Reſultate Ihrer Unterſuchungen werden Sie jedenfalls doch ver— öffentlichen; ſie werden höchſt intereſſanter Natur ſein. Nathuſius bittet mich dringend, Sie zu beſtimmen, einen Auf— ſatz für das Jahrbuch der deutſchen Ackerbau-Geſellſchaft zu ſchreiben. Sie haben Vorräthe in Menge und Sie unterſtützen das Unter— nehmen weit mehr, als Sie glauben können durch Ihren Namen. Liebig an Reuning. 109 Beſten Dank für die Abhandlung „Stallmiſt“. Sie verſprachen mir die Bogen nach dem Erſcheinen, daß ich darauf ſpanne, wiſſen Sie. Ueber die Düngungsfrage nichts weſentlich neues; Beſtätigung überall. Allerdings iſt Peruguano auch in dieſem Frühjahr bei allen Verſuchen der Phosphorſäure weſentlich voraus, namentlich auf einem ganz ertragloſen Boden, aber es unterſcheidet das nichts. Leben Sie wohl und denken Sie gut von Ihrem ergebenen Reuning. Eine dritte Probe obenauf iſt der ſogenannte ſandige Boden auf Höhen theilweiſe vorkommend, weniger kräftig, an Trockniß mehr leidend. Die Steinproben ſind die einzigen, andere exiſtiren nicht. Aus dem weniger Muſcheln haltenden Kalkſtein, wird mittelſt Stroh, Kalk gebrannt. München, den 26. Juli 1862. Mein verehrter Freund! Geſtern habe ich die letzte Seite meines Buches geſchrieben und mein nächſtes iſt, meine Correſpondenz wieder in Ordnung zu bringen; der erſte Brief, den ich beantworte, iſt der Ihrige vom 12. Juli; Sie haben eine ſchöne Reiſe gemacht und ſind gewiß bereichert an neuen Erfahrungen zurückgekehrt; ich danke für den Tſchernoſem, dem ich längſt nachgegangen bin, ohne ihn zu erhalten; die Analyſe iſt bereits im Gange. In der Einleitung meines Buches, welches an ſich ein Buch von 10 Bogen iſt, habe ich einen Augiasſtall von thörichten Mein— nungen über die Mineraltheorie ausgemiſtet; ich bin jetzt 60 Jahre alt und habe nicht viel Zeit mehr, die Berichtigung falſcher Inter— pretationen weiter hinauszuſchieben; ich wünſchte, daß es mir ge— lungen wäre; am Streben mich verſtändlich zu machen, hat es mir nicht gefehlt. Das eigentliche Buch, wird hoffentlich dem Feldbau 110 Liebig an Reuning. eine geſunde Baſis geben. Die ſächſiſchen Verſuche haben mir ganz unſchätzbare Dienſte geleiſtet. Mein Buch wird bis zum 12. September, der Zeit der Ver— ſammlung der Land- und Forſtwirthe in Würzburg fertig werden und wenn ich ſicher bin, daß Sie hinkommen, ſo werde ich Ihnen ein Exemplar dorthin ſchicken. Roterhan erſuchte mich einen Vortrag über Verſuchsſtationen zu halten. Was aber darüber geſagt werden kann, habe ich in den hieſigen „Ergebniſſen“ geſagt; es iſt vollkommen hoffnungslos zu glauben, daß die Landwirthſchaft durch agrikulturchemiſche Verſuchsſtationen gefördert werden könnte; ſo lange die wiſſenſchaftlichen Grundſätze beſtritten werden, wird keiner dieſer Verſuche, die dort ausgeführt werden, zu etwas helfen und ein jeder Landwirth, der die Grundſätze kennt und unverrückbar feſt im Auge hat, macht ſein Gut zu einer Verſuchsſtation. Sie werden aus meinem Buche ſehen, daß kein Düngungsver— ſuch irgend einen Werth hat, wenn er ſich nicht auf Fragen bezieht, die ſich auf alle Felder ohne Unterſchied erſtrecken; dieſe zu wählen iſt aber eine Aufgabe. Es iſt mir ſchlechterdings unmöglich einen Aufſatz für das Jahr— buch zu ſchreiben; ich bin nicht im Stande nach meinem Willen ein Thema zu behandeln, ſondern wenn ich etwas publicire, jo iſt dies lange vorher angeſammelt, wie in einem Weiher, deſſen Schleuſe ich dann öffne. Alles aber, was ich im Vorrathe hatte, iſt in mein Buch übergegangen. Nathuſius kann aber ganz gut irgend einen Abſchnitt daraus aufnehmen; ich will übrigens mit Dr. Zöller ſprechen und ihn veranlaſſen, unſere Vegetationsverſuche mit Bohnen vom vorigen Jahre zu beſchreiben, ſie ſind in ihren Reſultaten ſehr merkwürdig. Suchen Sie es doch dahin zu bringen, daß alle landwirthſchaftlichen Vereine zuſammen ſich verbinden, alle ihre Ab— handlungen von allgemeinem Intereſſe in das Jahrbuch zu geben, ſo daß wir nur eine landwirthſchaftliche Zeitſchrift für ganz Deutſch— land haben; Vereinsblätter für lokale Verhältniſſe beſtimmt, könnten ja daneben doch beſtehen. In Bayern iſt alles Humbug in landwirthſchaftlicher - ziehung. Viel Lärmen nach Außen und nichts dahinter. Reuning an Liebig. Bir! Keiner von allen, die an der Spitze ſtehen, verſtehen etwas da— von; ſie thun nur ſo. Das größte Unheil haben die ſeitherigen landwirthſchaftlichen Schulen hervorgebracht, der Raubbau wurde durch die Lehre ſanctionirt und der Boden nicht vorbereitet für die Aufnahme wiſſenſchaftlicher Wahrheiten und ihr Verſtändniß. Ich werde einen beſſeren Zuſtand nicht mehr erleben, aber meine Hoffnungen ſind jetzt feſter als jemals, daß es zum Beſſern kommen wird. Mit herzlicher Zuneigung ganz der Ihrige Juſt. Liebig. Dresden, Anfang September 1862. Hochverehrter Herr Profeſſor! Auf das Erſcheinen Ihres neueſten Werkes warte ich mit größter Spannung. Wollen Sie es mir geben, dann bitte ich, es mir hier— her ſchicken zu laſſen. Nach Würzburg würde ich nur gehen, wenn ich wüßte, daß Sie dorthin kämen und nur zu dieſem Zweck; ich kann das Schwätzen nicht mehr hören und man hat wieder Fragen aufgeſtellt, die einem bange machen; ſie ſtrotzen von Unſinn und dieſer tritt in der Verſammlung erſt recht an den Tag, nicht anders, als wie Sie ihn oft genug dargelegt haben. Ihr neues Werk wird aufräumen, nur Sie können es. Meine kleine Schrift, die Ihren Namen trägt, wird wenig genützt haben, ſie iſt nur in 500 Exemplaren gekauft worden. Iſt Ihr Urtheil über die Verſuchsſtationen nicht zu ſtreng? ich möchte es glauben. Große Männer bringt nicht jedes Jahrzehnt, oft nicht ein Jahrhundert, und wenn Sie noch lange Ihren Geiſt werden wirken ſehen, was ſoll nach Ihnen werden, wenn man nicht Leute heranzieht, die fortarbeiten. Sie überſchätzen, fürchte ich, den Landwirth in ſeinem verwirrten Bildungsgang und Stand. Sie ſind nur von einzelnen verſtanden und die Verſuchsſtationen fördern das Verſtehen; man glaubt an ein Experiment, an eine Thatſache 112 21 8 Reuning an Liebig. mehr, als an das wahrſte Naturgeſetz in thesi. Und weil die An— wendung vielfach noch ſo dunkel iſt, muß man ſie erleichtern. Eben weil der Boden ſo verſchieden iſt, iſt dieſe ſchwer, der Landwirth ſchreckt zurück vor einem Mißlingen und es bedarf Jahre, bis man wieder ein ſolches ausgemerzt hat. So wird es mit dem Bakerguano gehen. Trotz ſeiner größeren Löslichkeit im Waſſer, hat er in dieſem Jahre bei Sommerfrüchten nur wenig gewirkt. Auf einem Verſuchsfelde, das noch nie etwas getragen, war Peru ganz befriedigend, Knochenmehl beſſer, Baker kaum ſichtbar, und wo ein Ameiſenhaufen war, ein ganz ſchöner Stand im Hafer. Mich ſchreckt das nicht ab, aber wenige glauben an Sie ſo feſt, wie ich und handeln danach, wo der Geldbeutel be— theiligt iſt. Sie ſagen, jedes Gut, das die Naturgeſetze anwendet, iſt eine Verſuchsſtation, ja vielleicht in 25 Jahren, aber der Landwirth ſteht noch nicht auf der Stufe des Verſuchens nach Geſetzen, er hält das für unmöglich und es hat in praxi feine Schwierigkeiten, That- ſachen ſammeln iſt die wichtige Aufgabe. Und wie weit ſind wir in der Ernährung der Thiere zurück! man erkennt es erſt, wenn man Gelegenheit hat, ſelbſt zu prüfen; die Phyſiologie iſt noch ſehr jung. Ich beobachte jetzt ein junges Rind, es nahm bei Vollnährung conſequent bis zu 6 Monaten monatlich um mehr als 60 Pfund zu, die letzten Wiegungen ergaben bei demſelben Futter bis zur Sättigung nur 45 Pfund. Jedes Thier, jede Pflanze wächſt in der erſten Jugend am ſtärkſten, wo aber iſt das Geſetz? Deutſchland kann auf der landwirthſchaftlichen Quadratmeile 12 000 Menſchen gut nähren, mit ſeinem Futter das anderthalbfache an Fleiſch und Milch erzeugen, wenn es die Wege kennen lernt. Die Wiſſenſchaft fördern und die Anwendung bewirken, iſt zweierlei; zu letzterem tragen die Verſuchsſtationen weſentlich bei und ich möchte ſie nie entbehren. Man kommt zu enormen Zahlen, wenn man rechnet. So habe ich jetzt ermittelt, daß wir in unſerm kleinen Lande durch die Verbreitung der engliſchen Schweine jährlich aus demſelben Futter mindeſtens 2 000 000 Thlr. mehr einnehmen und der Grund liegt natürlich in einem Naturgeſetze, das noch nicht Liebig an Reuning. 113 gefunden oder wenigſtens noch nicht erkannt iſt. Die Verſuchs⸗ ſtationen vermitteln hierin viel und wo man hinſieht, da fehlt es an der Erkenntniß. Ich glaube, wir ſind hier gut fortgeſchritten im Vergleich zu anderen Ländern, aber befriedigt bin ich noch auf keinem Gute und in keiner Branche deſſelben. Auch ich werde alt und habe nie große Kraft entwickeln können, da ich eben nicht damit begabt bin, aber es ge— hört eine Eiſennatur dazu, um all den Unſinn zu ſehen, den man treibt, die Kammern plagen ſich um 1000, 10 000, 100 000 fl., ſie ſitzen auf einem Rieſenpferd, wenn ſie am Budget etwas abgeſetzt haben; die vernünftige Düngung eines Ackers, die richtige Ernährung eines Kalbes giebt dem Steuerpflichtigen das Zehnfache deſſen, was man erſparen möchte; man achtet nicht auf die Baſis und treibt ſich in leeren Formen herum, ohne auf das Weſen einzugehen. (Das letzte Blatt dieſes Briefes fehlt.) Badenweiler, den 10. September 1862. Verehrter Freund! Mein Freund und Verleger Vieweg benachrichtigt mich, daß mein Buch im Laufe dieſer Woche fertig wird und ich erſuchte ihn, ſogleich ein Exemplar Ihnen zuzuſenden. Nehmen Sie es freundlich auf; Sie haben einen guten Theil daran und ohne Sie würde ich meine Theorie der Stallmiſtwirthſchaft nicht haben ſchreiben können; ſo helfen die, welche das Rechte wollen, einer dem Andern, jeder in ſeiner Weiſe; von allem was die Verſuchsſtationschemiker in den letzten 10 Jahren geleiſtet haben, konnte ich nur wenig brauchen; um ſo mehr das was die ſächſiſchen Landwirthe gethan haben. Meine größte Beſorgniß über den Erfolg meines Buches iſt die Vernachläſſigung eines gründlichen Studiums der Chemie von Seiten der ſogenannten Praktiker und ſo ſehr ich mir auch Mühe gegeben habe, mich verſtändlich und klar auszudrücken, ſo werden es dennoch viele bei Seite legen, weil ihnen das Nachdenken zu viele Mühe koſtet. Es iſt ein rechtes Elend, keine Induſtrie erfordert ſo viele Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 8 114 Liebig an Reuning. Kenntniſſe als die landwirthſchaftliche und die ſie betreiben, wenden am wenigſten dafür auf. Uns liegt ob zu thun, was wir für Recht halten, wenn der Apfel reif iſt wird er vom Baume fallen. Von Herzen Ihr treuer Juſt. Liebig. Ich bin ſeit 4 Wochen vom Hauſe weg und denke Anfang nächſter Woche wieder zurück zu ſein. München, den 27. September 1862. Verehrter Freund! Alle Leute, die von Würzburg kommend mich hier beſuchen, ſind Ihres Ruhmes voll und in der That Ihr Beiſpiel zeigt, was ein Mann, der das Gute ernſtlich will und ſich und ſeine Kraft dafür einſetzt, leiſten kann. Nicht Sachſen allein, ſondern ganz Deutſchland iſt Ihnen Dank ſchuldig. Es iſt ſchade, daß Sie nicht in Würzburg waren. Sie haben mein Buch jetzt in Händen und ich wünſchte nur, daß ich mich mit Ihnen darüber unterhalten könnte. Ich war in der Schweiz und ſah dort wie überall, daß die Erträge der Almen abgenommen haben, dieſelbe Fläche wird jetzt von weniger Kühen beweidet, als früher, ſie ernährt dieſelbe Zahl von Thieren nicht mehr. An allen Orten, wo man auf den Almen Heu macht um es in den Thälern zu verfüttern, entſtehen Einöden. Da die Ab- nahme der Erträge ſo langſam vor ſich geht, ſo glauben die Thoren, daß ſie gar nicht ſtatt habe und dies iſt das größte Unglück für die Zukunft der Landwirthſchaft. Ein anderes iſt, daß unſere National- ökonomen keinen Begriff von Naturgeſetzen haben, und daß man im Staate nur den Juriſten zutraut geſunden Menſchenverſtand zu haben die ihn in techniſchen und naturwiſſenſchaftlichen Dingen gerade gar nicht beſitzen. Sie ſollten in Sachſen die Ausgabe nicht ſcheuen und zur Unterſtützung ihrer einſichtsvollen Viehzüchter, wie Nathuſius (von dem ich kürzlich eine treffliche kleine Schrift über Shorthorn- Reuning an Liebig. 115 — vieh mit wahrem Vergnügen geleſen habe) den hieſigen Reſpirations⸗ apparat vom Staate aus anſchaffen; freilich nach Tharandt möchte ich denſelben nicht geben. Ohne wiſſenſchaftliche Feſtſetzung des Werthes der Futtermiſchungen wird man keinen dauernden Erfolg haben. Wie iſt es denn mit Ihrer Reiſe nach München? darf ich Sie zum Oktoberfeſt erwarten? Von Herzen ganz der Ihrige J. v. Liebig. Dresden den 1. Oktober 1862 Hochverehrter Gönner! Spät komme ich mit meinem Danke für Ihr Werk, aber mit einem Danke, der viel weiter reicht, als an Ihr gütiges Andenken, der ſich ausſpricht in einem Danke für einen großen Dienſt, den Sie der Menſchheit geleiſtet haben. Sie wiſſen, ich verſtehe von der Chemie nichts und kann hierüber nicht urtheilen, aber was Sie in dieſer Beziehung ſagen, iſt ſo einleuchtend, ſo klar, daß der Glaube unbedingt an jedes Wort ſich feſſeln muß. Ich bin noch nicht mit dem erſten Bande durch und will Ihnen nur ſagen, daß die Ein— leitung, über welche auch ich ein Urtheil habe, das Schönſte, Geiſt— reichſte, Klarſte und Wichtigſte iſt, was ich ſeit Jahren geleſen habe. Sie haben hier auf dem Gebiete der Nationalökonomie mehr ge— leiſtet, als alle die Männer dieſer Wiſſenſchaft, welche das Beſtehende in Geſetze einformen, uns die Einſicht in die Urſachen und Wirkungen im Volksleben geben; Sie lehren die Bedingungen der Exiſtenz der Menſchheit, Sie liefern ſchlagend die hiſtoriſchen Beweiſe, Sie zeigen, wie die größten Leiden der Völker entſprungen ſind aus mangelnder Kenntniß eines wiſſenſchaftlichen Naturgeſetzes und zeigen der Welt den Weg, den ſie zu gehen hat, will die Menſchheit beſtehen. Das iſt ein Verdienſt wofür es keine Worte giebt und ich geſtehe es Ihnen gern, dieſe Einleitung hat auf mich ganz verſchieden gewirkt; das erſte Gefühl war das der Erbärmlichkeit, der Unzufriedenheit 8*+ 116 Reuning an Liebig. mit einem Wirken von 20 Jahren, des dunkeln Geträumthabens, des Hin- und Herfahrens in Ahnungen, wo nun die Wahrheit hell ans Licht tritt, geſchaffen, wie durch einen Blitz nach einer drückenden Atmosphäre; das zweite war der Wille, nun einen Weg ſicher zu gehen, aber dem ſchloß ſich wieder ſofort das Bewußtſein des Nicht- könnens an, denn ich vermag eben nur in kleinem geborgtem Lichte zu arbeiten und ſehe kein Mittel, noch in die Wiſſenſchaft, die Sie beherrſchen, einzudringen. Wie jämmerlich erſcheint da, was man in gutem Willen zu ſchaffen ſuchte; wie erbärmlich erſcheinen unſere Zuſtände, das Wiſſen der Landwirthe, die Lehre der Landwirthſchaft auf den Akademien, die Schwätzer von der Praxis, die Apotheker in der Chemie, die glauben Aerzte zu ſein, wenn ſie eine Mixtur ge— fertigt, zuſammengeſchüttelt und etiquettirt haben? Alles das muß raſirt werden, wir müſſen von vorn anfangen auf einer großen Baſis, die Sie geſchaffen haben. Seit ich, wenigſtens über einige Tage bei meinem Sohn ſein kann, ſehe ich eine Menge Dinge, die mich zum Denken führen und immer Ihre Lehren beſtätigen, namentlich giebt das Rübenfeld ſtets neuen Stoff. Darüber mündlich. Hauptſächlich beſchäftigt mich aber die Viehzucht. Ich wußte keinen Grund, warum die praktiſchen Engländer, die Sie ſo ſchön zeichnen, nur junges Schlachtvieh zu Markt bringen, fing an zu rechnen und ſah, daß reich genährtes Vieh in den erſten Monaten jeines Lebens eben ſoviel an Gewicht zunimmt, als ein alter Maſtochſe, der Maſſen von Futter bedarf für ſeine Lebensunterhaltung, daß wir folglich in jungem Vieh das Fleiſch weit billiger erzeugen, als in älterem. Wir kommen bei Kälbern im erſten Jahr auf eine monatliche Zunahme von 60 Pfund, ja zuweilen 70 Pfund; ein junger Bulle bei meinem Schwiegerſohn wird an ſeinem erſten Geburtstag 800 Pfund wiegen, wozu man ſonſt 3, auch 4 Jahre braucht. Intereſſanter iſt mir noch die Er— nährung der Schweine, ja ich habe es riskirt, in dem heutigen Amts— blatt, eine Theorie über dieſelbe aufzuſtellen, ſei ſie bekannt, richtig oder falſch, ich weiß es nicht. Meiner Haut ſchadet es nichts, wenn ſie zerhackt wird. Ich ſage und finde in Ihrer Einleitung darauf hingewieſen, Stickſtoff kann nur Stickſtoff, Kohlenſtoff nur Kohlenſtoff Reuning an Liebig. 17 erzeugen, nicht gerechnet, was nöthig iſt, um das eine oder andere dieſer Nährmittel aſſimilirbar zu machen; ferner, die ſtickſtoffhaltigen Nährſtoffe enthalten auch die knochenbildende Subſtanz. Fleiſch enthält Stickſtoff, folglich muß es aus ſolchem ſtammen. Fett iſt das Pro— dukt des zur Reſpiration ꝛc. nicht weiter nöthigen, alſo des über- ſchüſſigen Kohlenſtoffs; Fett kann ſich nur auf oder in Fleiſch bilden. Folglich erſt Fleiſchbildung, dann Fettbildung, darum in der Jugend oder bei mageren Schweinen vorerſt den Stickſtoff aus den knochen— bildenden Beſtandtheilen der Leguminoſen, Wachs- und Fleiſchfutter, ſpäter vorwiegend Kohlenſtoff, um Fett zu erzeugen. Ein Fleiſcher ſagte einmal, Milchſchweine ſind Fleiſchſchweine, Kartoffelſchweine Fettſchweine, Körnerſchweine Fleiſch- und Fettſchweine, der Landwirth macht es aber umgekehrt, er giebt im Anfang Kartoffeln, ſpäter und zuletzt Erbſen. Schon vor Jahren las ich einmal Verſuche, ich glaube von Way, die man ſich nicht erklären konnte, aber in dieſem Grund— ſatz ihre Beleuchtung finden. Es iſt unglaublich, was dieſe kleinen Schweine bei ſolcher Fütterung zunehmen, die Ferkel nach dem Abſetzen in 3 Wochen ihr ganzes Gewicht. Ich will ſehen, wie weit das zu treiben iſt, freue mich der Thiere, deren Inſtinkt ſo ſcharf aufſucht, was ihnen nöthig iſt und die wieder, um ihre Verdauung zu befördern, nach Mineral eifrig ſuchen. Stein⸗ kohlen mit Begierde freſſen, dann Kalk von den Wänden ſuchen, oder Holzaſche und wenn ihnen nichts geboten wird, in der Erde wühlen, um zu finden, was ihnen zuſagt. Noch einmal Ihr Werk, es ſollte jeder Regent, Miniſter, Beamte neben dem Landwirth daſſelbe in ſich aufnehmen, es iſt dieſe Frage jetzt eine der hohen Politik geworden. Ungarn, das ſo reich genannte, iſt vollſtändig in der Periode des Raubbaues, es erntet Körner nach Körnern, in Quantitäten, die wir für gänzliche Mißernten anſehen müßten. Auch dieſes Land giebt den älteren zur Zeit Nahrungsmittel, die es nicht lange mehr gewähren kann und trotz der Zufuhren von dort, von Amerika, aus Galicien ꝛc. find in 15 Jahren alle Preiſe um 30% geſtiegen. 118 Reuning an Liebig. Auf die Analyſen des Tſchernoſem bin ich ſehr begierig; die Ernten ſind ſehr ſchwach, etwa 60% von dem, was wir hier haben, trotz Humus in Maſſe. An was fehlt es? an Phosphorſäure? ich glaube es faſt. Wann ich komme? ich ſchäme mich eine Zeit zu beſtimmen, aber ich muß Sie bald ſehen, ſei es auch im Winter; ich ſcheue die Reiſe— ſtrapazen nicht. — Zum erſten Mal Klagen hier über mangelndes Knochenmehl, die Unterbrechung des Betriebs von Heufeld wird ſehr beklagt. Gleiches aus Hannover. In alter Verehrung wie immer Ihr ergebener Reuning. Dresden, den 4. März 1863 Hochverehrter Herr Geheimer Rath! So hat man Sie, wie ich glaube geleſen zu haben, jetzt anzu= reden und auch ich will daſſelbe nicht unterlaſſen, obſchon ich nach Ihrer Lehre glaube, daß der Geheime Rath Luxus war; hätte man ein armes Feld damit gedüngt, ſo wäre ein Erfolg hervorgetreten, ſichtbar für die Leute; bei Ihnen kann das nichts nützen, denn Juſtus von Liebig wird 100 Geheime Räthe überleben; alſo auch für ſpätere Zeit keine Düngung. Ich ſchrieb Ihnen lange nicht; ich wollte erſt verdauen und bin heute noch nicht damit fertig. In gewiſſer Beziehung haben Sie mich zum Hackklotz verarbeitet, denn alle, die an Stickſtoff ſich anhängen, verweiſen mich nur auf Sie, der Sie ſelbſt ſolchen empfohlen und da giebt es denn manchen harten Kampf in den Unterhaltungen, wo man Sie als theilweiſe bekehrt lobt und mich höhnt, weil ich Sie falſch verſtanden. Das ſchadet nichts, führt zu weiterem Ueberlegen und ich, nachdem ich einmal die Mineraltheorie in mir verarbeitet hatte, bin noch nicht im Stande, dem zu folgen, was Sie dem Stickſtoff nachgeben. Ich werde Zeit brauchen, um Ihnen zu folgen, Sie ganz zu verſtehen, denn in manchen Dingen kann ich mir nicht klar werden, jo nament- ich in Beziehung auf das, was Sie bei dem „Boden und dem Reuning an Liebig. 119 Verhalten des Bodens“ erwähnen. Es will das nicht ſtimmen mit dem, was ich ſehe und ſah. Wenn Sie z. B. ſagen, daß man einen Roggenboden nur dann weizenfähig machen könne, wenn man die Nahrungsſtoffe des erſteren im ganzen Felde in dem Verhältniß erhöhe, wie die Weizenpflanze ſolche mehr bedürfe, als der Roggen, ſo ſteht dieſer Satz wiſſenſchaftlich nicht anzufechten, aber doch iſt es anders. Sieht man von der phyſikaliſchen Beſchaffenheit des Bodens ab und es mag dahin geſtellt bleiben, von welcher Bedeutung dieſe iſt, ſo verpflichte ich mich ſofort, eine vollſtändige Weizenernte auf einem Boden zu erbauen, den Sie eben einen Roggenboden nennen, weil er nicht die Menge Nährſtoffe hat, die die Weizenpflanze bedarf. Das erreiche ich mit 6—8 Ctr. Knochenmehl vollſtändig und habe damit vielleicht die Geſammtmenge Phosphorſäure nur um 3—5% vermehrt, das geſchieht loco die. Am Auffallendſten ſah ich dieſes in England auf einem Gute Warham bei Welly in Nor— folk, dort auf einem mit Feuerſteinen vermengten Sand, dem wir Roggen, Buchweizen, ungern einen Hafer entnehmen, war die Fruchtfolge: 1. Weizen, 2. Rüben, 3. Gerſte, 4. Klee, Bohnen, und der Pächter hat die Bodenkraft nicht ſo vermehren gekonnt, wie Sie ſelbſt für unmöglich halten. Auf dem Gute meines Sohnes ſteht nach Roggen Raps vortrefflich, der kaum den Boden be— decken könnte, wenn nicht der zugeführte Dünger, 200 Ctr. Miſt, 6 Ctr. Bakerguano und 20 Ctr. Kalk per Acker mehr vermöchte, als der Vorrath im Boden. Auch Weizen unbedenklich nach Roggen und er ſoll, er muß da wachſen. Was Sie über die Abſorption des Bodens ſagen, iſt wieder wunderbar ſchön und doch lieſt es der Unverſtändige wie ich, ohne es zu erfaſſen. Sie ſagen, der Boden wird 2“ geſättigt und darum ernährt er die Pflanze. Aber wenn ich zu Roggen mit Kleeeinſaat den Boden 2“ ſättige, dann giebt die nachfolgende Kleeernte, welche ihre Wurzeln tief in den Boden ſchlägt, einen glänzenden Ertrag und wenn ich dieſen Boden dann zu Weizen tief bearbeite, beſtens menge, dann zeigt dieſe Ernte die Folgen der Düngung; die Kar— toffelernte nach derſelben, nachdem nochmals vollſtändige Miſchung des Bodens eingetreten iſt, läßt mich genau erkennen, wo die Phos- 120 Reuning an Liebig. phorſäure liegt. Ich kann nicht ſagen, daß, was Sie angeben, nicht richtig iſt, ich werde Zeit brauchen, um es verſtehen zu lernen und treibe mich mit dem Gedanken herum, iſt denn wirklich die Phos⸗ phorſäure im Knochenmehl, das Kali in der Holzaſche ꝛc. ganz von derſelben Wirkung, wie beides im Boden, iſt es nicht möglich, daß im Boden chemiſche Verbindungen beſtehen, welche eine andere Wir— kung hervortreten laſſen. Sit dieſes nicht der Fall, wie iſt es dann mit dem Stickſtoff? in Maſſen im Boden ohne ohne Wir- kung? Wie kann ein Feld nach Peruguano verarmen, wenn der Boden noch ſo viel Vorrath an Nährſtoffen hat? wie kann es in einem Jahr wieder ertragsfähig werden durch Zufuhr von 5% Phos- phorſäure? Ich verſtehe nichts von Chemie, wie Sie wiſſen und hieraus erſehen und darin liegt es, daß für meinen Unverſtand noch ein Mittelglied fehlt, das ich eben in dem Einfluß der einzelnen Nährſtoffe auf einander ſuche. Ich mache mich anheiſchig auf einem Feld durch Düngung mit Holzaſche, Knochenmehl, Kalk, Ammoniak, jedes allein, die gleiche Ernte von jedem zu erzielen; es kommt nur darauf an, daß ich das richtige Verhältniß treffe. Iſt das der Fall, und es iſt ſo, ſo muß eben eine Aſſimilirbarmachung anderer Stoffe eintreten. Bis jetzt halte ich an der Mineraltheorie in der Art rein feſt, daß ich auch nicht für 1. Gr. Stickſtoff kaufe, ich will ſehen, was ein Feld vermag, das mineralſatt iſt, den Stickſtoff ſich aus der Atmosphäre holt; ich habe auf 140 Acker Feld in 10 Monaten 620 Ctr. Bakerguano und Knochenmehl, 2000 Ctr. Kalk gekauft und werde abwarten, wie es wächſt. In Möckern düngte man und erntete pro Acker Roggen: Körner. Stroh. 400 Pfund Bakerguano . 2394 Pfd. 5100 Pfd. 400 do. und 30 Pfund Salpeterſüure 2410 6019 „ 400 „ „ 50 7 1 2263 „ 5035 „ a0 % „ 2420 „ 5666 „ Das war für Knop, der 5510 in dem Stickſtoff das Geheimniß gefunden zu haben glaubte, mehr fatal, als für mich. Ein Bauer löſte den Bakerguano mit Schwefelſäure auf und erntete per Acker 5400 Pfund Gerſte; nach gleicher Menge Knochenmehl 4900 Pfund. Reuning an Liebig. 121 Mir tritt es vor die Augen, als habe die Schwefelſäure eben das gethan, was der Stickſtoff thut, löslich gemacht, wie ich es nenne, falſch, wie Sie ſagen. Ich werde Ihnen die beiden erſten Nummern des Amtsblattes unter Kreuzcouvert zuſenden; Sie werden bezüg— lich des Bakerguano darin manches finden, was für mich unerklärlich iſt, auch gelegentlich eine Abführung Ihres wüthendſten Gegners, eines Forke in Braunſchweig. Es werden Jahrzehnte darüber vergehen, bis der Same aufgeht, den Sie ausgeſtreut haben; es muß erſt verdaut werden; es geht in die Säfte über, ohne daß man es merkt; ich ſehe das an mir und komme unwillkürlich zu richtigeren Anſchau— ungen, Erklärungen. Eben bin ich daran, die Stärke der Ausſaat auf Ihre Unbeweglichkeitstheorie zurückzuführen. Ihr Buch hat hier eine höchſt erfreuliche Verbreitung gefunden, auch in Kreiſen, wo ich es nicht erwartet hätte, ich ſehe das an vielen Unterhaltungen, an Anfragen, an dem Mangel an Knochenmehl und deſſen ſteigenden Preiſen. Es iſt nun die Baſis da und es iſt gar nicht mehr zu erklären, wie man noch die Landwirthſchaft aka— demiſch lehren will; ich gehe ſo weit, daß ich die Akademien für gemeinſchädlich polizeilich aufzuheben erachte, denn es iſt ein trauriges Factum, daß in die bretvermauerten akademiſchen Köpfe nichts mehr hinein zu bringen iſt. Ein Jenenſer, abſolvirter, hatte neulich in einem Berichte, der mir zukam, aufgeſtellt: Stickſtoff, Kohlenſtoff und Trockenſubſtanz müßten in gleicher Menge gereicht werden. So hatte der Mann eine Art der Berechnung mißverſtanden, während mir unorthographiſche Bauern die ſchönſten Briefe darüber zukommen laſſen. Aber wer einmal gewöhnt iſt Unſinn für baar anzunehmen, verlernt das Denken, er iſt auf Irrwegen, findet ſich nicht mehr zu— recht, wie ein verrittenes Pferd. Der Umſchwung in der Literatur iſt Ihnen nicht entgangen; es wird beſſer, aber es braucht Zeit. Haben Sie den Tſchernoſem unterſuchen laſſen? ich bin ſehr geſpannt darauf. Wie es mir ſcheint, iſt auch in Südrußland die Phosphorſäure verſchwunden, oder war nur in geringer Menge da. Der Boden, anſcheinend der beſte der Welt, mit Stickſtoff genug, 122 Reuning an Liebig. trägt 40% eine Mittelernte bei uns in Weizen. Ich bitte um Mit⸗ theilung der Reſultate, wenn Sie ſolche haben. Wenn ich Ihnen nach dem Inhalte dieſes Briefes wieder einmal als ganz unverſtändig erſcheine, ſo geben Sie die Hoffnung nicht auf, daß ich beſſer werde. Es ſitzt auf meinem Rumpf ein ſehr dicker Kopf, der ſich durcharbeiten muß und ſchwerer das Loch findet, durch das er kommt, als ein anderer, aber, wenn er einmal durchgebrochen iſt, auch genug Platz hat. Ich muß mich erſt überzeugen von der Wahrheit deſſen, was ich eben nicht begreife; ich will lernen, bin aber wie jener ſagt „dumm geboren“ und brauche längere Zeit in der Schule. Bei dem wiederholten Studiren Ihres Werkes werde ich mir ſpeciell notiren, wo ich nicht mit kann. Leben Sie wohl und gedenken Sie nicht mit Aerger Ihres ergebenſten Dr. Reuning. München, den 29. März 1863. Mlein theurer Freund! Ich hatte ſeither viel mit einer akademiſchen Rede zu thun, die ich am Sonntage gehalten habe (über Francis Bacon von Veru— lam) und mein erſtes iſt jetzt Ihren Brief vom 4. dieſes zu be— antworten. Ihre Bedenken ſind viel leichter zu heben als Sie denken. Freilich ließe ſich dies mündlich am beſten thun und ſo hoffe ich denn auch, daß Sie endlich Ihr Verſprechen halten und mich im Sommer in München beſuchen. Was den Stickſtoff betrifft, ſo bin ich immer der unverbeſſerliche Böſewicht geblieben, welcher glaubt, daß der Landwirth ſein Geld zum Ankauf deſſelben verſchwende, da er dies, wenn er gut hauszu— halten wiſſe, eigentlich nie bedürfe. Ich bin ganz Ihrer Anſicht, daß man ein jedes Roggenfeld in Liebig an Reuning. 123 ein Weizenfeld verwandeln kann, aber nur vorübergehend; ich will im Torfklein ſehr ſchönen Weizen bauen, aber dies iſt darum kein Weizenboden; auf dem Wege des üblichen Betriebes, d. h. ohne Zus fuhr von vielem Dünger, werden Sie feinen Roggenboden in Weizen- boden verwandeln können und dies iſt mit meinem Beiſpiel gemeint; ich bin auch nicht der Anſicht, daß man jeden Beſtandtheil in gleichem Verhältniſſe vermehren müſſe, ſondern die mangelnden und darauf gründet ſich Ihr Satz. Wenn Sie auf einem Roggenfelde die mangelnden (es kann möglicher Weiſe nur einer ſein), in genügender Menge erſetzen, warum ſollte es nicht eine Reihe von Jahren gute Weizenernten liefern können. Was die Abſorption des Bodens für Nährſtoffe betrifft, ſo müſſen Sie in Erwägung ziehen, daß der Pflug das Knochenmehl mindeſtens 6 Zoll tief bringt und warum ſollte es nicht in manchen Bodenſorten 20 und mehr Zoll tief in Löſung eindringen; Sie ſehen dies deutlich an den ſächſiſchen Verſuchen, wo das Knochenmehl in Oberbobritzſch, in Cunnersdorf und Kotiz den Kleeertrag ſehr merk— lich ſteigerte. Die Nährſtoffe im Boden ſind ſo ſchwer verbreitbar, zum Theil in chemiſchen Verbindungen feſtgehalten, daß man ſich über die ſo viel raſchere Wirkung derſelben Stoffe, im Dünger gegeben, kaum wundern kann. Die Luft, das Waſſer die Kohlenſäure in der Ackerkrume helfen zu deren Verbreitung mächtig mit. Der Tſchernoſem iſt noch in Dr. Zöllners Händen, bald werde ich Ihnen aber das Reſultat mittheilen können. Nur Geduld mein verehrter Freund, Sie ſind viel jünger wie ich und werden ſicherlich die ſchönſten Früchte Ihrer Bemühungen erleben. Herzlichſt Ihr ergebener J. v. Liebig. 124 Reuning an Liebig. Dresden, den 31. März 1863. Hochverehrter Herr Geheimer Rath! In voriger Woche war ich in Hamburg, hatte unterwegs ſo viel zu hören von der Rüben- und Kartoffelmüdigkeit des Bodens in der Provinz Sachſen, daß ich nicht nicht umhin kann, hiervon Ihnen einiges mitzutheilen, nachdem Sie und Ihre Lehre von Leuten aller Art Jahrzehnte lang geſchmäht worden ſind und der Stickſtoffunverſtand eine Zeit lang die Oberhand hatte mit Erfolgen, die ſich in ihrer Tragweite noch gar nicht meſſen laſſen. Die Brennereien in der Provinz Sachſen werden von Jahr zu Jahr dünner, gehen allmählich alle ein, weil man dieſe enorm aus- gedehnt hatte, die alten Kartoffeläcker nichts mehr tragen wollen, es oft vorkommt, daß man nicht mehr erntet. Auf einem Feld in Staßfurt, das Jahre lang Rüben getragen, wächſt dieſe auch nach mehrjährigen Halmfrüchten abſolut nicht wieder; die Wurzeln der Rüben werden von Myriaden Inſekten angefreſſen, die man früher nicht kannte, deren man nicht Herr wird. Rothklee wächſt auf den eigentlichen rübenmüden Feldern ſchon lange nicht mehr; zur Zeit noch Luzerne wegen der tiefen Wurzeln, die Rüben auf den ausgebauten Feldern faulen in den Mieten unaufhaltbar. Ge⸗ ſtern erhielt ich von einem Bekannten, dem ich im Jahre 1854 ſagte, wohin er mit Peruguano gelangen müſſe, eine umfängliche Anfrage darüber, wie es anzufangen ſei, um die Mittel zur Reakti⸗ virung des rübenmüden Bodens zu finden. Es fehlte in den kranken Rüben Phosphorſäure, Magneſia, Kali in ganz auffallendem Ver— hältniſſe, auch Protein, und daraus folgert Grunow Stickſtoffarmuth; faſt alle Verſuche ſind auf Stickſtoff berechnet, der, wie ich feſt glaube, den letzten Reſt von Kraft zu Rüben vernichtet. Dahin führt der Umſtand, daß Peruguano in dem erſten Jahr die Ernten verſtärkt. Geht die Sache ſo fort, dann wird eine der blühendſten Pro— vinzen Deutſchlands ruinirt. Es iſt das traurig, eine traurige Folge eines Irrthums, der Sie in den Stand ſetzt, Ihre Beiſpiele nicht mehr aus dem alten Italien oder dem neuen Amerika zu entnehmen. Liebig an Reuning. h 125 Es iſt hier eingetroffen, was Sie vorher ſagten. Könnten Sie ein Mittel angeben, wie dieſer Noth hauptſächlich an Kali zu ſteuern iſt, Sie würden ein neues enormes Verdienſt ſich erwerben. Am Schönſten wäre es, wenn Sie ſich entſchließen wollten, dieſe Gegend einmal zu ſehen; ich würde mich ſehr freuen, Sie zu Nathuſius und Anderen begleiten zu können, denn die Sache hat ein hohes wiſſenſchaftliches, ein höheres volkswirthſchaftliches Intereſſe und die Stickſtoffleute machen das Elend immer größer, indem ſie ſich aus dem Sumpf nicht heraus finden. Dieſe Zeilen ſollen Ihnen nur einige Genugthuung für Schmäh— ungen aller Art gewähren; die Oppoſition hat ſich in die äußerſten ſchmutzigſten Winkel zurückgezogen. Leider geben ihr auch größere Blätter, die nicht wiſſen, was ſie wollen, Raum. Leben Sie wohl, erhalten Sie Ihre Kräfte. In unwandelbarer Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 14. Juli 1863. Mein verehrteſter Freund! Ich denke noch immer mit Freuden an den mündlichen Verkehr, den mir Ihr nur allzukurzer Beſuch gewährte und ich benutze die Gelegenheit, Ihnen durch Herrn v. Zehmen meinen an die Redaktion der Times gerichteten Brief (der übrigens in dem Blatt noch nicht erſchienen iſt) zu ſenden, weil er Ihnen meine Anſichten über die Verwerthung des Kloakendüngers zu geben vermag und über die Bedingungen, die denſelben wirkſam machen. In dieſen Brief lege ich eine meiner Gerſtenpflanzen ein, die ich in reinem Waſſer wachſen ließ; die Wurzel und Blätter find einfach als der geſtreckte Mehl⸗ körper zu betrachten, und daß fie nicht gearbeitet d. h. keine Kohlen- ſäure und keinen Stickſtoff aſſimilirt haben, dies kann Ihnen leicht eine feine Wage zeigen, da die ganze Pflanze nicht ſchwerer wiegt 126 Reuning an Liebig. als ein Gerſtenkorn, mit dem ſie ihr auf der andern Wagſchale das Gleichgewicht halten. Von Herzen Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Die Kartoffeln in dem Torf mit Kalk und Kali fangen an zu blühen, an den andern ſieht man noch nichts. Dresden, den 22. Juli 1863. Hochverehrter Freund! Erſt jetzt, nachdem ich von der ermüdenden Reiſe nach Ham— burg zurückgekehrt bin, gewinne ich eine ruhige Stunde, um Ihnen für Ihre unverdient freundliche Aufnahme in München und für die vielfachen Belehrungen zu danken, welche ich von Ihnen mitgenommen habe; ich werde dieſelben in mir verarbeiten und ſo lange mir der Himmel Kraft läßt, mich bemühen, Ihren Lehren in der Praxis Eingang zu verſchaffen, indem niemand mehr überzeugt ſein kann, als ich, daß es jetzt keinen höheren Beruf mehr geben kann. Wer Sie verſtanden, der erkennt auf jedem Felde die Sünden, welche der Unverſtand der Menſchen auf dem Felde begeht. Die Reiſe nach Hamburg durch Preußen und Mecklenburg zeigte mir auf jeden Schritt die vorgeſchrittene Erſchöpfung in jammervollen Ernten oder Wüſtungen und hier angekommen, jagt mir ein Brief aus Süd⸗ rußland, daß nach mehreren Weidejahren die Steppe nur noch Bocks— bart trage, das Zeichen des Mangels an Mineralnährſtoffen, den man „durch die Fruchtfolge“ verbeſſern will. Ueber Bakerguano hörte ich, was ich hören mußte, die glän- zendſte Wirkung auf Klee im zweiten Jahr, das Zurückbleiben, ja den Mangel an ſolchem nach Peruguano. Alles leicht erklärlich. Nur für eines ſuche ich noch nach einem durchſchlagenden Grund, nämlich über die mir auch von einem Mecklenburger beſtätigte mächtige Wirkung deſſelben, bei dem Ueberſtreuen auf Klee, die auch Liebig an Reuning. 127 bei meinem Sohn in gleicher Weiſe hervorgetreten iſt. Die Phos- phorſäure wird doch von der oberen Ackererde aufgenommen, die Wurzeln gehen tiefer. Wie nun gelangt dieſelbe ſo raſch zur Auf— nahme in die Wurzeln? Sollen oben am Stock neue Würzelchen ſich bilden, wo ſie die Nahrung finden? An den in Pommritz anzuſtellenden Verſuchen arbeite ich; über den Pettenkoferſchen Apparat habe ich noch keine Antwort. Nun noch auch den Dank an die verehrten Ihrigen und die beſten Grüße mit dem Wunſche, daß Sie ſich recht lange in Ihrer Friſche Ihrer Werke ſich freuen, und wenn Sie einmal Luſt finden, Ihren Geiſt an die Spitze der landwirthſchaftlichen Verſuche ſtellen. Es gilt nicht mehr Ihre Lehre zu begründen, ſondern ſie ins Leben einzuführen und auch dazu gelangen wir nur durch Sie. K . .. den Salpeterjäure- Fabrikanten führe ich im nächſten Amtsblatt ab und werde mit Reſultaten der Mineraltheorie ſo lange auf ihm knien, bis er den chemiſchen Eitelkeitsgeiſt aufgiebt. Leben Sie wohl Ihr ergebener Reuning. München, den 15. Auguſt 1863. Mlein theurer Freund! Es iſt mir leid, daß Ihr Beſuch ſo kurz war, denn erſt nach— dem Sie fort waren fiel mir ein, wie viel ich noch mit Ihnen zu beſprechen hatte. Ihre Empfindungen verſteht niemand beſſer wie ich; Sie ſind aber zu beſcheiden; Sie haben mit einer ſeltenen Energie und mit Hinderniſſen aller Art kämpfend großes für die Landwirthſchaft ge— than, größeres als Sie ſelbſt denken und dieß wird und muß An— erkennung finden. An Herrn v. Thielau habe ich geſchrieben. Lehmann hat den Fall mit dem Heufelder Knochenmehl aufgeklärt. Mein Brief an die Times hat die Runde durch die engliſchen Zeit— ungen gemacht und die Frage der Anwendung der Kloakenmaterien 128 Reuning an Liebig. hängt nicht mehr in der Luft. Die Engländer find ſonderbare Leute, ſie laſſen die Rüben auf den Feldern von den Schafen freſſen — d. h. fie düngen zuerſt mit Kloakenſtoffen, Urin ꝛc., dann düngen fie mit Knochenmehl und Superphosphaten und bekommen dann hohe Ernten. Ohne Phosphorſäurezufuhr nichts! Ich ſchreibe Ihnen dieſe wenigen Zeilen in der Aufregung, in die man durch die Vorbereitung zu einer langen Reiſe verſetzt wird; ich gehe mit meiner Tochter nach der Schweiz und Oberitalien und treffe mit Wöhler in Friedrichshafen zuſammen. Ich freue mich darauf, denn ich habe eine Erholung ſehr nöthig, ich bin ganz abgeſtumpft. Herr Komers aus Prag ſchrieb mir, daß er Sie in Hamburg geſehen und ſich Fehr gefreut habe Ihre per- ſönliche Bekanntſchaft zu machen. Von ganzem Herzen der Ihrige J. v. Liebig. Anfangs Oktober bin ich wieder zurück. Dresden, den 9. October 1863. Hochverehrter Freund! Sie ſchrieben mir vor Ihrer Abreiſe, daß Sie zu Anfang Oktober zurückkehren würden; ich hoffe, daß dieſes geſchehen iſt, die ſchöne Reiſe Ihre Kräfte zu neuer Thätigkeit erfriſcht hat und Sie werden ſolcher noch bedürfen, um Ihr Werk zu vollenden. Die Stickſtoffleute auf der einen, der Unverſtand auf der andern rühren ſich wieder. So hat Grouven in einer Verſammlung in Halle Ihre Lehre heftig angegriffen und mir die Ehre erzeigt einen Hieb abzu— bekommen, die Pſeudo-Gelehrten und Praktiker ſollen in Königsberg die Unerſchöpflichkeit des Bodens beſchloſſen haben; geleſen habe ich davon noch nichts; der Leitartikel im Amtsblatt vom 1. Oktober iſt eine einſtweilige Entgegnung; Ihre Anhänger müſſen ſtärker in den Kampf gegen die Leute rücken. An mir ſoll es nicht fehlen; ich ſehe bei der Bearbeitung einer Feſtgabe für die nächſtjährige hieſige Ver- Reuning an Liebig. Ba 129 ſammlung der deutſchen Landwirthe immer mehr ein, wie wir dieſes Gebiet immer wieder vorführen müſſen. Die Wahrheiten ſind aber zu ſchlagend, als daß man immer wieder eine neue Form für ſolche zu finden wüßte. Kürzlich erfreute mich ein Ungar aus dem reichſten Boden ſehr; ich hatte ihm früher gerathen, durch Luzerne die Mineralien aus dem Untergrund zu holen, und dann zu düngen. Dieſelbe ging auf, wuchs zum großen Verdruß nicht, und ich ſelbſt mußte ein langes Examen über die Urſachen anſtellen, aus dem ſich denn ergab, daß man auf dieſem Boden Tabak und Weizen im Wechſel gebaut hatte. Die Aufſtellung der Arbeitspläne für Verſuchsſtationen macht mir viel zu ſchaffen; es iſt eine eigene Sache, daß man von den Chemikern an denſelben hierüber nicht genügendes Material erhält; ich habe nun zwei Ideen: 1. Unterſuchung der Wurzeln der Culturpflanzen. Darüber liegt meines Wiſſens ſehr wenig vor und doch muß aus denſelben ſich vieles ergeben. Der Gehalt derſelben iſt jedenfalls ein ſehr ver— ſchiedener; wenn ich einen Klee zwei und dreimal grün abmähe, ſo ergiebt ſich eine günſtige Ernte in der Nachfrucht; wenn ich ihn einmal reifen laſſe, ſo erkennt man dieſes ſofort; alſo ſcheint es, daß die Wurzeln die Samenſtoffe bei ſich aufbewahren, bis ſie der Samen bedarf und daraus werden ſich die Folgen erklären. Ueber— haupt ſcheint man auf die Wurzeln noch nicht genügende Rückſicht genommen zu haben und darum bleibt eine große Lücke. Auch das Maß und Gewicht der Wurzeln im Vergleich zu den Pflanzen die ſie erzeugen, iſt noch ſehr im Dunkeln. 2. Unterſuchung der Geſteine, aus welchen der Boden entſtanden; auch das ſcheint mir für die Grundſchuttgebirge von großer Be— deutung; man wird vielleicht hieran beſſere analytiſche Methoden für die Bodenunterſuchungen lernen. 3. Die Erbſe. Dieſe intereſſirt mich vor allen Früchten und ich kann mir deren Mißrathen nicht erklären, ſelbſt nicht aus Ihrer Theorie des Untergrunddüngens; der Klee, die Wicke gerathen, wo die Erbſe nicht mehr fortkommt und dieſe beanſprucht von dem Boden daſſelbe in ähnlicher Zuſammenſetzung. Da hat Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 9 130 Reuning an Liebig. mich ein Verſuch in Chemnitz, wo noch der Buchweizen ohne Chlor nicht wachſen will, auf die Idee gebracht, ob dem vielleicht bei der Erbſe ein ſeither weniger beachtetes Mineral fehle, durch deſſen Zus ſatz ſie gedeihen würde. Ich wollte darum die verſchiedenartigſten Verſuche mit dem Wachſen derſelben in Waſſer anſtellen laſſen. Sagen Sie mir Ihre Anſichten über dieſe Fragen und wenn Sie wieder einmal Zeit haben, ſich mit der Landwirthſchaft zu be— ſchäftigen, ſo bitte ich dringend darum, einen Aufſatz darüber zu ſchreiben, wie die Verſuchsſtationen vorzugehen haben, damit wir in ein Syſtem, zu den wichtigſten Aufſchlüſſen gelangen. Die Herbſtreiſenden brachten intereſſante Akademieberichte. Walz ſoll z. B. lehren, die Rübe bedürfe eines leichten Bodens, um ſich Platz ſchaffen zu können, ſie hole mit ihren tiefen Wurzeln die in den Untergrund geſchwemmten Nährſtoffe herauf. Das nennt man dann Theorie. Und ſo lange die jungen Leute, die etwas lernen wollen, ſolche Thorheiten aufnehmen, kommen wir nicht raſch vor— wärts; es dauert zu lange, bis die Krankheit „Academie“ beſeitigt iſt; den denken wollenden Menſchen wird das Bret vor den Kopf ge— nagelt, auf welchem ſteht: „Man denkt nicht, man lernt keine Geſetze, man glaubt an die Praxis der Schule für die ganze Welt“. Ich hoffe auf Göttingen, wo man alles aufbietet wirklich wiſſenſchaftliche Kräfte zu gewinnen. Aber, wo ſollen ſie ſich finden, da die Akade— mien ſie nicht aufkommen laſſen. Man wird in 25 Jahren es nicht begreifen, daß man jetzt ſo thöricht iſt. Und doch will alles ſeine Zeit haben; es werden die Akademien ſich ſelbſt ruiniren; dann iſt die Heilung eine gründliche. Daß ich Ihren Brief an die Times veröffentlicht, haben Sie wohl geſehen; ich durfte es, nachdem derſelbe erſchienen war, wohl thun. Auf die Reſultate Ihrer Verſuche bin ich ſehr begierig. Mit der Bitte, den verehrten Ihrigen mich beſtens zu empfehlen, verbinde ich die ſeither immer vergeſſene Bemerkung, daß meiner Anſicht nach, die Photographie aus dem Album der Zeitgenoſſen, Liebig an Reuning. 131 welche ich beſitze, die beſte, ich möchte ſagen, die allein gute iſt und bin in bekannter Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 15. October 1863. Mein theurer Freund! Ihr freundliches Schreiben vom 9. traf mich bereits wieder in München an und beſchäftigt einige Erfahrungen, die ich in Ober- italien in landwirthſchaftlicher Beziehung gemacht, in der Form eines Zeitungsartikels zu bringen; die Beachtung der Bodenverhältniſſe der Lombardei, welche durch die Eiſenbahnen durchſchnitten zu Tage treten, haben mir die Ueberzeugung eingeflößt, daß dieſe eine ähn— liche Beſchaffenheit wie die Hochebene haben, worauf München liegt; es iſt loſes Alpengerölle, bedeckt mit 10—12 Zoll, zuweilen 2 — 3 Fuß Lehm. Es iſt kein fruchtbares Land; den Mais fand ich durch— ſchnittlich nur 3 Fuß hoch, zwiſchen Mailand und Verona kein Ge— treide; Hunderte von Quadratmeilen beſtehen aus Feldern mit Alleen von Maulbeerbäumen bedeckt, zwiſchen denen der Weinſtock rankt; man kann ſagen, daß der ganze Reichthum in der Erzeugung von Wein und Seide beruht, womit die Bewohner die ihnen fehlenden Bedürfniſſe beſtritten und beſtreiten. Denken Sie ſich nur die große Calamität, daß der Wein ſeit mehr als zehn Jahren keine Ernte mehr giebt, und daß der Ertrag an Seide von 100 auf 5, und im gleichen Ver— hältniſſe das Einkommen der Gutsbeſitzer gefallen iſt; daher denn die maſſenhaften Auswanderungen, namentlich vom Comerſee und abwärts. Ich glaube mich über den Grund der Seidenraupenkrankheit und der Traubenkrankheit nicht zu täuſchen; er liegt in der Erſchöpfung des Bodens, der ſeit Jahrhunderten nichts von alledem zurückempfangen hat, was man ihm in der Form von Wein und Maulbeerblättern nahm. Von Viehzucht iſt gar keine Rede. Die armen Colonen leben von Maisbrei und Olivenöl. Milch und Butter ſind un— bekannte Dinge. Wo der Weinſtock krank iſt (wie man ſagt) liefert 9* 132 2 Liebig an Reuning. — der Maulbeerbaum keine Seide, und wo er Seide liefert geben die Reben Wein. Man hat die Eier des Spinners aus allen Gegenden der Erde geholt. Die Raupen freſſen die Blätter, aber ehe ſie an's Einſpinnen kommen, ſterben ſie ab; das große Geſetz geht durch Alles hindurch, in den mannigfaltigſten Symptomen. Es fehlt den Maulbeerblättern derjenige Ueberſchuß von Nährſtoffen, der ſie er— nährungsfähig macht für die Raupen; wäre es die ſog. ſchwarze Varietät, ſo würde dieſer Baum keine Früchte mehr tragen; es ver— hält ſich damit, wie mit dem Gras von künſtlichen, gewäſſerten (ſonſt ungedüngten) Wieſen, welches nicht in Samen ſchießt und von dem der Landwirth weiß, daß es dem von natürlichen Wieſen in der Ernährungsfähigkeit ſehr nachſteht. Wenn die Raupen an das Einſpinnen kommen, ſo fehlt ihnen das Material dazu; die Wurzeln des Baumes haben aufgenommen, was fie dem Boden nur entziehen konnten und nach 10—20 oder noch mehr Jahren tritt der Zeitpunkt ein, wo der Baum nicht mehr empfangen kann, als gerade zum Beſtehen nöthig iſt; in einer wei— teren Reihe von Jahren wird er abſterben. Die Beweiſe für dieſe Anſicht ſind einfach; Maulbeerbäume an Orte gepflanzt, auf denen niemals ein anderer ſtand, liefern Seide; werden die Raupen mit den ganz jungen, noch nicht völlig entwickelten Blättern gefüttert, ſo ſterben fie nicht und ſpinnen ſich ein; in dieſen iſt noch der Ueber— ſchuß der zur Vergrößerung des Blattes dienen würde und der die Raupe voll ernährt. Hülfe iſt aber wie ich glaube unmöglich; für ein paar Quadrat- meilen wohl, aber nicht für hunderte; wo dieſe Dinge hernehmen, namentlich für manche Gegenden und für die meiſten das unerſchwing— liche Kali; die Phosphorſäure ließe ſich eher ſchaffen. Das ſchöne Land muß ſich an beiden Uebeln verbluten. Wenn der innere orga— niſche Widerſtand fehlt, durch eine mangelhafte Ernährung, dann wirken die äußeren Schädlichkeiten ein, das Heer von Schimmel und Pilzen zerſtört das widerſtandsloſe Individuum; die Natur will nur, daß ſich das Geſunde fortpflanzt! In Ihrem Brief neigen Sie ſich wieder ein wenig zum Schwarz— ſehen. Ich finde beim Durchblättern der ſeither erſchienenen Zeit Liebig an Reuning. | 133 ſchriften, eine große Bewegung zum Beſſern, den Werth der Phos— phate überall rückhaltslos anerkannt. Die Ernteerträge des König— reichs Sachſen über die Mittelernte, der Jahre 1848 —61, dies iſt ja ein ganz erſtaunliches Reſultat Ihrer Bemühungen! wie viel mehr noch wird man in künftigen Jahren zu erwarten haben, da doch ſeither mit der ſteigenden Einfuhr an Düngſtoffen in Sachſen erſt angefangen worden iſt die vorhandene Lücke auszu— füllen. Der Aufſatz von Lehmann iſt vortrefflich. Wenn wir nur überall gleich tüchtige Männer hätten, eben ſo beharrlich und warm für die gute Sache. Sie erinnern ſich unſerer Kartoffel-Cultur im Torf? ich kann Ihnen jetzt die Reſultate mittheilen: I. II. III 863 Gr. phosphor— ghos⸗ 5 e 222 Gramm Phos— ſaures Ammoniak. N phorſäure. 383 Gramm ſchwefel⸗ ae 174 Gramm Kali. ſaures Ammoniak. 500 „ Gyps. 378 Gramm kohlen— ſaures Ammoniak. Alle enthielten 120 Liter Torf, der Kaſten II enthielt keine Spur von Stickſtoff zugeſetzt; der Kaſten III Phosphorſäure und Am— moniak in Menge, aber kein Kali und Kalk. Kaſten I Kaſten II Kaſten III lieferte Stück 91 142 98 Knollen im Gewicht 2520 7201 3062 Gramm in Pfunden 5 14 6 Pfund. Phosphorſäure und Stickſtoff erhöhte den Ertrag über das ungedüngte nur um ; Kalk und Kali hingegen neben der Phosphorſäure weit über das Doppelte. Dies find ſchöne Re— ſultate! ich ſchicke ſie Ihnen ausführlich für das Amtsblatt. Als Aufgabe bei den Verſuchsſtationen, wäre es ſehr gut, die geologiſche Beſchaffenheit des Bodens, ferner das Abſorptionsvermögen der Ackerkrume und des Untergrundes mit titrirten Löſungen von überall 134 Liebig an Reuning. — gleichem Gehalte zu beſtimmen; ich ſehe, daß Sie erſteres ſchon im Auge haben. Eine andere, ſehr wichtige Aufgabe, wäre die Unterſuchung von Pincus über die Wirkung des Gypſes und des Bitterſalzes zu wiederholen (ſiehe II. Theil: die Naturgeſetze des Feldbaues S. 353 u. Fortſ.). Sodann in verſchiedenen Gegenden Lyſimeter-Verſuche anzuſtellen und die durchſickernde Waſſermenge auf ihren Gehalt an Pflanzennährſtoffen zu unterſuchen und dieſen zu beſtimmen (ſiehe II. Theil S. 97). Bei Erbſen möchte ich Verſuche mit Chiliſalpeter ſehr em— pfehlen, dazu etwas Kochſalz oder auch Kaliſalpeter mit Kochſalz. Einige Verſuche mit Superphosphat bei Erbſen — und recht tief zu bringen. Haben Sie die vortrefflichen Reſultate von Henneberg geleſen? Das iſt denn doch endlich eine Grundlage für die Theorie der Fleiſcherzeugung. Aus der Lauſitz habe ich keine Antwort erhalten; wo der Boden nicht iſt, muß man nicht ſäen wollen. Nehmen Sie doch die ſchöne Arbeit von Cruſius, ihren Haupt— reſultaten nach, in das Amtsblatt auf mit der dringenden Aufforde— rung, in gleicher Weiſe Buch zu führen über Ernten, Ertrag, Aus— fuhr und Einfuhr. Obwohl ſich die Erträge auf dem Gute fort— während geſteigert haben, ſo beweiſt Cruſius doch, daß er eigentlich ſeine Haushaltung ſchlecht geführt und weſentlich ausgeraubt hat, daß die Verbeſſerung eine ſcheinbare iſt ohne Zufuhr, und die Ver— armung die nothwendige Folge ſein muß; dies ſind die eignen Schlüſſe dieſer Männer, Vater und Sohn, beide leider geſtorben. Knop hat die Abhandlung in Erdmanns Journal abgedruckt und Sie werden leicht einen Extraabdruck von ihm erlangen können. Verlieren Sie nur den Muth nicht, mein theurer Freund, ſehen Sie die Erfolge, die Sie bereits erzielt haben, nicht allzugeringe an und etwas heiterer und hoffnungsreicher in die Zukunft. Gegen das gehalten, was wir wollen, iſt unſer Wiſſen und unſere Erkenntniß freilich nur gering und wenn wir uns in dieſer Reuning an Liebig. 135 Beziehung als Kinder betrachten mögen, ſo wiſſen wir auch daß wir wachſen. Von Herzen mein theurer Freund der Ihrige J. v. Liebig. Dresden, den 3. December 1863. Hochverehrter Freund! Ihr Brief vom 15. October hat mich ſehr gefreut, auch geiſtig fortwährend beſchäftigt; ich hätte Ihnen längſt für ſolchen gedankt, ſäße ich nicht mitten in der Bearbeitung einer Feſtgabe für die nächſtjährige Verſammlung der Deutſchen Landwirthe, wo ich begon— nen mehr zu ſchreiben, als ich weiß: Die Fundamentalſätze der Landwirthſchaft von dem Standpunkt der volkswirthſchaftlichen Naturwiſſenſchaft und Erfahrung zu beleuchten. Es wird dieſes ein unvollkommenes Machwerk werden, ſo habe ich doch den Gewinn davon, mir durch die Arbeit ſelbſt Klarheit über manche Dinge zu verſchaffen, die man erſt gewinnt, wenn man ſpeciell hierüber denkt, es tritt ein Geſetz neben dem andern hervor, es erhellt ſich die Richtung, die man zu verfolgen hat. Ihre Bemerkungen über die Lombardei ſind von unermeßlicher Bedeutung; ich hege keinen Zweifel an der Richtigkeit derſelben; warum ſoll nicht das von dem Maulbeerbaum und Weinſtock gelten, was bei Rüben und Kartoffeln gilt, eine Gegend ſich nicht aus— bauen an einer Frucht, wenn ein Erſatz nicht ſtattfindet. Nur daß Alles, Kartoffeln-, Wein- und Maulbeerbaum-Krankheit gerade in einer Zeit zuſammenfällt, daß die Kartoffel in andern Jahren, wie z. B. in dem laufenden wieder geſundet, will mir nicht einleuchten; die geſchwächte Pflanze wird wahrſcheinlich durch ihr nicht zuſagende äußere Einwirkungen mehr angegriffen. Bis jetzt habe ich Ihren Aufſatz, an dem Sie arbeiteten, noch nicht geleſen; haben Sie die Güte, mir zu ſagen, wo er erſchienen iſt oder erſcheint; ich bin natürlich auf ſolchen ſehr geſpannt. 136 Reuning an Liebig. — Was Sie über die Verſuchsſtationen ſchreiben, ſoll den Be— rathungen der Arbeitspläne zu Grund gelegt werden. Ich bin Ihnen ſehr dankbar für Mittheilung Ihrer Kartoffel— Verſuche in das Amtsblatt und bitte ſolche mir zur Eröffnung des neuen Jahrgangs, etwa bis zum 20. huj. mitzutheilen, wenn es Sie nicht genirt. Die Cruſiusſchen Reſultate habe ich geleſen, darf ſie aber mei— nem Publikum nicht bringen, ich erreiche das Entgegengeſetzte wenn man ſteigende Ernten ohne Zufuhr von Phosphaten zieht; bin mir ſelbſt noch nicht genügend klar darüber, daß die Fruchtbarkeit im Allgemeinen abgenommen hat, ſo lange die Geſammternten noch ſteigen. Die Erfolge müſſen erſt ſpäter hervortreten. Jetzt hat das Mehr an Miſt durch ausgedehnteren Anbau von Blattfrüchten mehr Stickſtoff in Umlauf geſetzt, dieſer die Mineralſtoffe in Wirkſamkeit gebracht, die früher todt lagen; es müſſen die folgenden Jahre erſt die Erſchöpfung zeigen. Wenn früher ein Halm mehr Körner trug, ſo will es mir ſcheinen, daß die Nährſtoffe vielleicht ungleicher im Boden vertheilt waren als jetzt, wo mehr Miſt dieſelben weiter im Boden auseinander brachte. Phosphorſäure würde gerade jetzt ſehr große Dienſte leiſten. An der Hennebergſchen Arbeit leſe ich noch mit großem Ver— gnügen. Ich bin nicht gerade ſchwarzſehend, aber wenn auch Männer der Wiſſenſchaft Wahrheiten bekämpfen, die meines Erachtens feſt ſtehen, wenn die Autoritäten einer ganzen Provinz dem beiſtimmen, ſo kann man nicht ſich freuen über Erfolge Ihrer Leiſtungen. Man darf die Mehrerträge bei uns nicht allein der Düngung zuſchreiben; es fallen dieſe in die Periode der Ablöſung der Grund— laſten, der Freiheit des Eigenthums; Lehmann behandelt die Sache lediglich von ſeinem Standpunkt, ich will ihm nicht entgegentreten, darf aber von dem meinigen ihm mich nicht ganz anſchließen; er iſt ein ſehr genialer Kopf. Die Landwirthe in Halle ſind auf 56 gewachſen ſeit 1 Jahren, Waldau hat noch 13; Tharand 20; die Richtung ſpricht ſich yo ganz entſchieden aus. Liebig an Reuning. 137 Ich habe mir ganz in der Nähe meines Sohnes ein Bauern- gut von ca. 70 Morgen gekauft, will 10 Morgen davon zu Vers ſuchen anwenden und dieſen hauptſächlich den Sommer widmen; jedenfalls gewinne ich dadurch eine angenehme Unterhaltung. Leben Sie wohl. In bekannter Verehrung Ihr ergebenſter Reuning. München, den 8. December 1863. Mein theurer Freund! Sie werden geſtern unter Kreuzband die Verſuche über die Vegetation der Kartoffeln erhalten haben, welche im Laufe dieſes Sommers hier gemacht wurden; ich halte ſie von großer Tragweite und werde ſie noch in der 8. Auflage meines Buches aufnehmen, welche unter der Preſſe iſt, aber erſt in 2 — 6 Wochen er- ſcheint. Gut iſt es, wenn ſie im Amtsblatt vor dieſer Zeit gedruckt werden. Was Sie über die Kartoffelkrankheit in Ihrem Briefe ſagen, iſt ganz richtig. Wenn eine Pflanze krank wird, ſo iſt dies die Wirkung zweier Urſachen, einer äußeren und einer inneren, letztere nenne ich den Widerſtand oder wie die Aerzte bei epidemiſchen Krankheiten, die Dispoſition. Im Fall die äußere Urſache in ihrer ſchädlichen Einwirkung geringer iſt, als der Widerſtand, ſo wirkt ſie nicht, die Pflanze bleibt geſund, iſt ſie ſtärker, ſo werden diejenigen Pflanzen befallen, in denen der organiſche Widerſtand ge— ringer iſt. Nicht auf allen Kartoffelackern wurden, auch in den ſchlimmſten Verhältniſſen, die Pflanzen krank; ich habe dies in Gießen im Jahr 1847 beobachtet, wo von zwei Ackern die Kar— toffeln auf dem einen alle in Fäulniß übergingen, während die vom andern geſund blieben, auf dem identiſchen Boden und unter gleichen Einwirkungen der Schädlichkeiten. 138 Liebig an Reuning. Ich bitte Sie beim Abdruck an dem Orte wo ich von dem Krankwerden unſerer Kartoffeln ſpreche, die Note auzufügen: „Note. Es verdient noch hervorgehoben zu werden, daß die Kartoffeln von den Feldern I und II krank wurden in einem Jahre, in welchem ſich nirgendwo auf den Feldern in der Umgegend die Krankheit zeigte.“ Ich bin über alle dieſe Dinge mit einem längeren Artikel be— ſchäftigt, den ich Ihnen ſ. Z. für das Amtsblatt zuſenden werde; für meine zu haltende Rede konnte ich nur die Reſultate geben. Mit allem dem, was ich über die Urſache dieſer Krankheiten ermit— telt habe, wird aber der Lombardei nicht mehr zu helfen ſein, ſo wenig wie es in Irland gelungen iſt, wo die Auswanderung in den— ſelben Dimenſionen fortdauert, wie ſonſt. Woher will man die ſeit Jahrhunderten entzogenen Stoffe für ein paar hundert Quadrat— meilen ausgeſogenes Land nehmen! Sie verſtehen mich wohl, warum ich mit allen meinen Kräften mich bemühe einen ſolchen bedauernswürdigen Zuſtand von Deutſch— land fern zu halten. Dieſen Ländern iſt nicht mehr zu helfen, ſie ſind dem Untergange verfallen. All das Reden der ſeichten Schwätzer über den Erſatz den die Natur auf ſich nimmt, hat, wenn man ſolche Verhältniſſe wohl ins Auge faßt, ein Ende. Der Menſch darf Nichts dem Zufall überlaſſen. Ich möchte Ihnen rathen, die Cruſius'ſchen Reſultate immerhin zu drucken und zu verbreiten, denn es liegt darin für die, welche noch fruchtbare Felder und hohe Ernten haben, ohne Zukauf von Dünger von Außen, eine höchſt wichtige Lehre — Nicht der Zu— kunft zu vertrauen und daß dies alles ſo fortgehen werde. Merkwürdig bleibt immer, daß ich, ohne dieſe Reſultate zu kennen, für den Gang der Abnahme — Zunahme des Stroh- und Abnahme des Kornertrags, wie ich ihn vorhergeſagt, einen ſo vor— trefflichen Beleg empfing. Das freut mich, daß der Verſuch mit der Landwirthſchaft in Reuning an Liebig. 139 Halle zu gelingen ſcheint. Gratulire zu dem Bauerngut, unter Ihren Händen möchte ich es in 10 Jahren ſehen! Von Herzen wie immer Ihr aufrichtiger Freund J. v. Liebig. Dresden, den 6. Januar 1864. Hochverehrter Freund! Vor allem den innigſten Wunſch für Sie und die Ihrigen, daß Ihnen das 64er Jahr bringe, was Ihnen frommt; erhalten Sie ſich insbeſondere in Ihrer geiſtigen Friſche und führen Sie uns auf der betretenen Bahn rüſtig weiter. Für Ihren Aufſatz meinen beiten Dank er hat das kleinſte land— wirthſchaftliche Blatt zum Neujahr ſchön geſchmückt. Den Druck- fehler bedaure ich, daß ich denſelben aber corrigirt habe, weiß ich beſtimmt; es iſt eben die unverantwortliche Nachläſſigkeit des Setzers Schuld; ich werde die Berichtigung eintreten laſſen. 5 Ich war geſtern der Verſuchsangelegenheiten wegen in Chemnitz um Ihre Rathſchläge zur Ausführung zu bringen; es ſoll nament— lich die Erbſe in Waſſer Vegetation nach allen Richtungen ange— griffen werden und ich hoffe, ſie ſoll einmal nachgeben. Auch die Wurzeln werden manchen Aufſchluß geben müſſen. Rückſichtlich der Geſteine beginnen wir mit den Urgebirgen und wollen dann auf die Alluvial- und Diluvialboden übergehen. Die Verſuche mit Waldpflanzen geben ſehr hübſche Reſultate; die Phosphate ſind auch bei den Fichten voraus; das ſog. Abraum— ſalz hat auch hier die Vegetation zerſtört. Auf meinem Beſitz werde ich ca. 5 Morgen zu dem Verſuchs— feld nehmen, hauptſächlich mit Phosphaten, Kali und Kalk arbeiten. Können Sie mir gelegentlich eine Anleitung geben, ſo bin ich Ihnen ſehr dankbar. 140 2 Reuning an Liebig. Wieder ein negatives Reſultat von Superphosphat im Vergleich zu Bakerguano rein, ich ſehe immer beſſer ein, wie Recht Sie haben, daß die Löslichkeit nicht die Wirkung allein bedingt, ſondern die Ver— bindung, was thun aber da 4 Pfund Stickſtoff in 100 Pfund Knochenmehl? da dieſer in weit größerer Menge aus dem Regen ſich ergiebt. Die Ernährungsfrage geht recht hübſch vorwärts; ich freue mich hauptſächlich an den Bauern, die ihre Rechnungen ganz ordentlich machen. Einen will ich demnächſt beſuchen, der eine Liebig Ackerleite angelegt, ſich recht gut berechnet hat, was er gegeben, genommen. Hat man die Leute nur einmal an die Schwelle des Denkens ge— bracht, dann geht es raſch. Unſer Cultus-Miniſterium will nun auch mehr für die Land— wirthſchaft thun; leider bin ich nicht genug, um einen ganzen Lehr⸗ plan zu entwerfen; ich werde ſehen, was ich fertig bringe. Die volkswirthſchaftliche Seite macht große Schwierigkeiten, da in dieſer Beziehung noch nichts gearbeitet iſt; ich will ſehen, ob ich im Sommer etwas darüber fertig bringe. Ein landwirthſchaftlicher Menſch ſollte 5 Jahre haben, um noch ein— mal zu ſtudiren, nachdem er erkannt hat, wo es ihm fehlt. So bleibt nur Dilettiren in Volkswirthſchaft, Naturwiſſenſchaften, Erfahrung und dabei immer ſchürgen, um die Leute ans Denken zu bringen. Zu viel für drei Menſchen, geſchweige für einen alten. Und unſere Zeitſchriftsliteratur thut ſo gar nichts; man findet nirgends anderes, als leichtes Geſchwätze; 10 Thaler Steuer für den Druckbogen könnte vielleicht die Leute bewegen, zu denken, ehe ſie ſchreiben. Leben Sie wohl! Ihr ergebenſter Reuning. Reuning an Liebig. 141 Dresden, den 26. Februar 1864. Hochverehrter Freund! Es kann Ihnen nicht erlaſſen werden, von Zeit zu Zeit Briefe von mir zu empfangen; der Egoismus, eine Antwort zu erhalten, treibt mich dazu. Die Güßefeldſchen Oelnußkuchen will ich unter meinen Augen anwenden; ich habe 10 Centner beſtellt, auch einige Centner phos— phorſaures Kali, das nur noch zu theuer iſt, von deſſen großer Wirkung bin ich nach den vorjährigen Ergebniſſen bei Anwendung von Bakerguano und Aſche auf Klee überzeugt. Die Nachrichten über die Wirkung des Bakerguano im zweiten Jahre ſind ganz befriedigend; ich werde eine große Tabelle auf— ſtellen und damit werden manche Mäuler geſtopft werden. Der Umſchwung bereitet ſich überall vor. Darf ich denn auf den zugeſicherten Aufſatz für das Amtsblatt hoffen? Sie leiſten hiermit viel, denn es iſt dieſes das einzige Blatt, das Ihre Lehre rein vertritt und es gewinnt durch Ihren Namen weitere Ver— breitung. Sie werden mir zutrauen, daß ich nicht Geld lukriren will, denn das iſt bei dem Preiſe nicht möglich, ich gebe mehr In— halt, ſobald die Abnahmen ſteigen, jetzt nicht ganz 2000. Ich kann Ihnen ſagen, daß ich mich auch an der Wirkung dieſes Blättchens freue; ich begegne einer Menge Menſchen, die aus dem— ſelben allein ſich ſehr gut herausgebildet haben, die es verdauen, verarbeiten, ich könnte Ihnen Bauern nennen, die genau berechnen, was ſie dem Felde genommen, was ſie ihm geben. Im Freiberger Verein rechnet man jetzt faſt nur über dieſen Erſatz und ſucht mit allen Kräften nach Kali. Alſo von Zeit zu Zeit einen Ihrer Blitze in dieſes Blatt, es wird Ihr Ziel dadurch viel gefördert, denn die eigentlich wiſſenſchaftlichen Blätter haben kein Publikum unter den Land— wirthen, in keinen iſt ſo vorgearbeitet, wie im Amtsblatt und die Diebsredaktionen faſſen ſicher, was Sie ſchreiben. Sie werden wohl bald einen Brief von einem Herrn Richter erhalten; beantworten Sie ihn; er iſt ein prächtiger Menſch, der 142 Liebig an Reuning. eine gute Schule aus dem Polytechnikum hat, der Sohn eines kleinen Landwirths in einem Städtchen, der Sie vollſtändig begriffen hat; ich fand ihn einmal zufällig, noch ganz roh und nenne ihn den Leuten immer als Beiſpiel gegen die Akademien, da er bald lernte ſein Wiſſen anzuwenden. In den Verſuchsſtationen ſollen Ihre Ab— ſichten durchgeführt werden; die Wurzeln werden einen hauptſächlichen Gegenſtand der Arbeit bilden, der Erbſe wollen wir in Waſſer— löſungen ſtark zu Leibe gehen. Phosphate und Kalk ſind mit entſchiedenem Vortheil auch für den Wald verwendbar, nämlich bei Pflanzbeeten, wo die jungen Pflänzchen bedeutend raſcher ſich entwickelten, ſtärkere Wurzeln trieben; auch praktiſch anwendbar; die Chlorverbindungen im Abraumſalz wirken überall hierbei nachtheilig, nur der ärmere ſandige Boden verträgt dieſelben. Die Reſultate mögen noch ein Jahr liegen, bis neue hinzutreten. Auch dieſes Reſultat iſt für die Praxis groß. Bringt Zöller die Analyſe vom Tſchernoſem gar nicht fertig? Die Sache iſt der Mühe werth, wird Ihre Lehre ſtützen, denn überall wächſt auf dieſem ſo gerühmten Boden wenig. Geſtern beſuchte mich der Reiſende von Heufeld; ich wünſche, daß die Bayern noch eine Weile dumm bleiben; wir brauchen noch viel Phosphate. Hiermit einen Brief voll nichts. Erhalten Sie ſich friſch, kräftig, damit Sie Ihren Triumph ganz erleben. Ihr ergebenſter Reuning. München, den 29. Februar 1864. Verehrter Freund ! Wie kann ein Mann von Verſtand im Zweifel fein, daß die Beſtreitung der ſogenannten Stickſtofftheorie von der allergrößten Wichtigkeit für die Landwirthe war, da man ihnen, auf ſie geſtützt, zugemuthet hatte, den Werth der Dünger nach Procenten, d. h. Stick— ſtoffgehaltes, zu bezahlen und da dieſe Theorie ſie unempfänglich Liebig an Reuning. 143 für die wahren Grundſätze der Düngung machen mußte; dieſe Lehre war verderbenbringend für die Leute, für die ſie beſtimmt geweſen iſt und wie kann Jemand, der mit dieſen Thatſachen bekannt iſt ſagen, daß es nicht der Mühe werth geweſen ſei, ſie zu bekämpfen! Das komiſche bei Grouven, wie bei Stöckhardt iſt, daß ſie ganz all— mählich alle die Schlußfolgerungen und Geſetze, zu denen ich gekommen bin und die ſie früher leugneten, nach und nach annehmen, ja daß ſie in der Düngung den Erſatz aller hiernach genommenen Ele— mente predigen, nur mit der Vorausſetzung, daß ihnen das alles längſt bekannt geweſen ſei. Es ſind Leute von einem geringen Vorrathe kurzer Ideen, welche bald erſchöpft ſein werden, womit ſich dann ihr Wirkungskreis abſchließt. Wir haben an Kühn in Halle und Komers in Prag zwei durchaus tüchtige Männer gewonnen und ich bedaure nur, daß letzterer in Beziehung auf den Erſatz des Stickſtoffes noch im Unklaren iſt. Ich halte eine Anhäufung von Stickſtoff in der Ackerkrume, für alle Pflanzen von kurzer Lebensdauer und ſchwacher Blattentwickelung, wie für die Kornpflanzen für nothwendig, um eine Maximalernte zu erzielen. Von der Nützlichkeit oder Nothwendigkeit eines Erſatzes an Stickſtoff für dieſe kann alſo nicht weiter die Rede ſein; ganz anders verhält es ſich aber mit dem Zukauf. Die fixen Nahrungs- ſtoffe Phosphorſäure, Kali ꝛc. müſſen erſetzt und zugekauft werden, aber nur in gewiſſen Fällen der Stickſtoff; er iſt beweg— lich und ein Theil des ausgeführten, kehrt ohne unſer Zuthun auf das Feld zurück. Ich habe die Anſicht ausgeſprochen, daß der Korn— und Fleiſcherzeuger keinen Stickſtoff zuzukaufen hat. Als Fleiſch— erzeuger muß er Futtergewächſe bauen und in dieſen hat er Werk— zeuge, die das Plus, was den Kornpflanzen fehlt, aus der Atmos— phäre für ihn ſammeln. Denkt man ſich nun den extremen Fall, es ſei möglich Korn auf Korn und immer Korn zu bauen, ſo werden die fixen Nahrungsſtoffe allein nicht zureichen, um Maximalerträge zu erzielen; mit denſelben muß auch Stickſtoff in irgend einer Form zugeführt werden. Daſſelbe gilt für den Korn- und Rübenerzeuger, welcher die Rüben nicht verfüttert, ſondern an die Zuckerfabriken ver- F Reuning an Liebig. kauft. Es iſt hiernach klar, daß ſich über die Quantität des Stickſtoff-Zukaufs keine Regel von allgemeiner Tragweite geben läßt; darüber muß der Betrieb entſcheiden und es muß jeder einzelne Landwirth durch Nachdenken und Beobachtung darüber ins Reine zu kommen ſuchen. Während alſo Erſatz und Zukauf für die fixen Nährſtoffe gleiche Bedeutung haben, ſind beide Worte in Be— ziehung auf den Stickſtoff nicht identiſch. Es fällt mir eben ein, daß Sie dieſe Bemerkung vielleicht als eine Note für das Amtsblatt brauchen können, als Auszug aus einem Briefe; iſt dies der Fall, ſo haben Sie die Güte darüber zu ver— fügen; ich kann dann vielleicht noch einen Zuſatz in Beziehung auf das frühere Werthmaß der Dünger (den Stickſtoffgehalt) zufügen. Meine Arbeit über Pflanzenkrankheiten, Trauben- und Seiden— wurmkrankheit, iſt unterbrochen worden, ſonſt würden Sie dieſelbe ſchon haben; ich will jetzt das Frühjahr abwarten, um eine Unter— ſuchung der Maulbeerblätter von Woche zu Woche, zu Grunde legen zu können. Zöller hat viel zu thun, ich habe ihn an die Unter— ſuchung des Tſchernoſem erinnert. Fraas iſt geſcheut, er hat aber die zureichenden Kenntniſſe für eine feſte unerſchütterliche Ueberzeugung nicht und die muß man haben, wenn man wirken will. Für Pflanzbeete, für Waldpflanzen iſt ſicherlich die Düngung mit Phosphaten von hohem Werth. Von Herzen Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Dresden, den 5. März 1864. Hochverehrter Freund! Am Ende fang ich noch mit Ihnen Streit an, die Mücke mit dem Elephanten. Ihre Lehre, wie ich ſie von Anfang an auffaßte, will mir nicht aus dem Kopf, ſie hat mich nie verlaſſen, wenn ich mir Erſcheinungen zu erklären ſuchte, und darum gehe ich weiter als Sie in Ihrem letzten Briefe. Werden Sie mir nicht böſe, wenn ich Reuning an Liebig. 145 Ihnen opponire, Sie wiſſen, warum es gejchieht und von Ihnen allein laſſe ich mich zanken, wenn ich im Unrecht bin. Vorausſchicken will ich einige data. Wenn eine alte Lehm— wand aufs Feld gefahren wird, ſo düngt ſie mächtig, nicht allein eine ſolche von Ställen, wo Ammoniak in größerer Menge angezogen werden kann, ſondern auch ſolche von Garteneinfriedigungen, wie man ſie in Thüringen vielfach hat. Dort kauft ſie der Bauer von dem Gartenbeſitzer, er giebt dafür neuen Lehm und fährt ihn heran; Möckern unterſucht jetzt eine ſolche Wand und findet eine Maſſe von Salpeterſäure und löslichen Salzen darin. Weiter hat dieſe Station ganz intereſſante Verſuche über die Aufnahme von Feuchtigkeit aus der Luft gemacht, auch aus der anſcheinend trocknen im hohen Sommer. Der Boden zieht ſolche in Maſſen an, verſchieden nach ſeiner Zu— ſammenſetzung. Der Tſchernoſem nimmt 2½ mal mehr auf, als der Lehm in Möckern; der Sand hat dieſe Fähigkeit nur in geringerem Grade der ganze Sand wohl gar nicht. Von dieſem ſagt man, man pflügt den Boden todt d. h. die Luft nimmt die Feuchtigkeit und mit ihr den Stickſtoff wieder weg; der gebundene Boden hält letzteren feſt. Die Steppe ward nie gedüngt, es wächſt der Halm üppig, aber es fehlt an den Körnern. Wo man fie zum erſten Mal ums bricht, ſind einige Jahre reiche Körner, dann laſſen dieſe nach, es fehlt alſo an Phosphorſäure. Luzerne, die tiefer geht iſt üppigſt vor⸗ handen, ſie findet was fie braucht im Untergrund. Wäre der Stid- ſtoff zu erſchöpfen, ſo wäre dort lange eine Wüſte. In Sicilien beſtellt man heute noch die Felder ohne allen Dünger; wo kommt da der Stickſtoff her? Wenn Sie auf die erbärmlichſte Wieſe Aſche bringen, ſo haben Sie ſofort Klee, wie lange weiß ich nicht. Bringen Sie Guano darauf, ſo wächſt im vierten Jahre nichts mehr. Düngen Sie ein Feld länger mit Guano, dann wächſt kein Klee mehr; das hörte ich in einem neuen erſchreckenden Beiſpiel wieder in dieſen Tagen; geben Sie einem ſolchen Boden Kalk oder Phosphate, ſo wächſt der Klee. Auf dem Gute Lawalde bei Löbau wurden 18 Jahre per Acker ca. 4 Ctr. Knochenmehl gedüngt, außerdem von dem Zugvieh Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 10 F Reuning an Liebig. ca. 10 Ctr. Miſt per Acker. Die Körnerernten ſtiegen; ich ſah im 18. Jahre Roggen, der nicht normaler ſein konnte. Klee, Kartoffeln, Stroh, alles ward verkauft, es ward jedenfalls 4 mal mehr Stick— ſtoff ausgeführt als gedüngt, und doch ſtieg der Ertrag. Wo man viel Guano düngt, ohne etwas von dem Gut zu verkaufen, tritt Ver— armung ein. Auf mineralreichem Boden erntet man mit der Hälfte Dünger mehr, als auf mineralarmem, der Stickſtoff müßte einmal nachlaſſen, aber er wächſt zum Ueberfluß. Die Wetterau hat bei Dreifelderwirthſchaft Lager, keine befriedigenden Körnerernten. Wo nun auch die Quellen des Stickſtoffes ſitzen, ich kann es mir nicht denken, daß bei mineralſattem Boden es an ſolchem fehlen kann und darum glaube ich nicht, daß ein Rübenboden ſtickſtoffarm wird. Die Rübenkrankheit iſt erſt recht auf den Fabriken, die Maſſen von Oelkuchen verfüttern, einen übergroßen Viehſtand halten und doch wird der Boden rübekrank, wo Weizen, Gerſte auf das üppigſte wachen. Alſo Mangel an Stickſtoff beſteht nicht; ſchon mit Super— phosphat kräftigt man wieder den Boden; gewinnt man noch Kali, ſo muß er geſunden. Was Sie ſagen, habe ich von meinem Standpunkt geſagt und ich kann es, ich ſetze immer den Stallmiſt voraus, laſſe mich auf die abſolute wiſſenſchaftliche Frage nicht ein. Die Wiſſenſchaft aber muß zu einem Geſetz kommen; ſie muß ſagen, die Atmosphäre giebt auf den Acker Xx Pfund Stickſtoff im Jahr ab; es vermag der Quadratfuß Sand x Pfund, der Quadratfuß Lehm ꝛc., jo und ſo viel feſt zu halten, der Pflanze darzubieten. Da iſt noch eine Lücke. Verfolgen Sie die Möckernſchen Verſuche im letzten Amtsblatt, ſie werden dann erkennen, daß der Erfolg der Mineraldüngung im zweiten Jahr weſentlich geſtiegen iſt, er wird, wie die früheren Ver— ſuche zeigen, von Jahr zu Jahr ſteigen. Woher ſoll dann die Stick— ſtoffmüdigkeit kommen? je größer der Mineralreichthum, um ſo größer und wachſender die Ernte im Stickſtoff. Ein 20 Fuß tief ausgegrabener rother Sand gab nach 3 Jahren ſchon Ernten ohne Stickſtoff, er hatte ſich dieſen geholt. Der Lehm, ja Thon aus der Tiefe iſt in 3 Jahren fruchtbar ohne N fuhr, er holt ſich ſeinen Bedarf aus der Luft. Liebig an Reuning. 147 Sie ſehen Zweifel, die Sie wohl beſeitigen werden. Als Re— dakteur habe ich kein Urtheil über Ihre Anſicht; ich werde mit Freuden Ihren Aufſatz dankbar aufnehmen, aber als Freund mußte ich Ihnen meine Bedenken ſagen. Das Publikum muß eben noch geleitet werden, aus dem Stickſtoffduſel heraus. Ich habe angefangen, über die Berechnung des Miſtes zu ar— beiten. Jetzt ſchätzt man dieſen nach Fudern, ſolche nach Centnern. Niemand kennt die Centnerzahl eines Fuders. Ich will nun den Miſt nach den Beſtandtheilen des Futters berechnen; aber was geht in die Knochen; Wolle, Fleiſch, Milch? das iſt eine kitzliche Frage; ſie muß aber angeregt werden und dient es nur dazu, die Leute zum Nachdenken zu bringen. f Ihr nächſter Brief wird mir etwas abgeben, weil ich Sie nicht verſtanden. Darauf bin ich gefaßt und freue mich, von Ihnen auch geſcholten zu werden; es führt zu weiterer Klarheit. Leben Sie wohl! Ihr ergebener Reuning. München, den 17. März 1864. Mein verehrter Freund! Der Todesfall, der unſer ganzes Land in die tiefſte Trauer verſetzt hat, iſt zunächſt der Grund, daß ich Ihren Brief noch nicht beantwortet habe, ich war für alles beinahe abgeſtumpft und kann mich immer noch nicht zurechtfinden. Wenn Sie die Note, die ich Ihnen ſandte, mit meinem Buche vergleichen (S. 341, 343 u. f.), ſo werden Sie keinen Widerſpruch darin finden; ich habe auf dem Gute meines Sohnes deutlich genug geſehen, wie nützlich das im Stallmiſte zugeführte Ammoniak für die Korngewächſe iſt, woraus ſelbſtverſtändlich hervorgeht, daß beim Kornbau, wenn der Stallmiſt ganz ausfällt, wie in Schottland, oder wenn es daran mangelt, der Zukauf an Stickſtoff nützlich, in manchen Fällen nothwendig iſt. Daß es barer Unſinn iſt, die Rübenfelder, wenn ſie kranke Rüben produ— 10* 148 Reuning an Liebig. ziren, durch Stickſtoffdüngung curiren zu wollen, dies hätte ich mehr hervorheben können; Sie ſind darin zu ausſchließlich, wenn Sie glauben, daß man unter allen Umſtänden die Stickſtoffzufuhr am beſten entbehren könne. Die Gleichwerthigkeit der Nahrungsmittel gebietet in beſonderen Fällen mit der Vermehrung der andern auch eine Steigerung der Stickſtoffzufuhr. Werfen Sie meinen Artikel in den Papierkorb; ich bin eigent— lich dazu durch eine dringende Aufforderung von Krocker veranlaßt worden; er ſchickte mir ein Heft ſeiner Zeitſchrift zu, worin die Anſichten Grouvens wiedergegeben ſind, ich kenne ſie nur daraus. Oder ſchicken Sie mir den Artikel wieder zurück mit Ihren Bedenken, vielleicht daß es mir gelingt, dieſelben zu beſeitigen. Viele Fragen find wegen des Stickſtoff— erſatzes an mich gekommen, die ich als Beweiſe für die Anſicht betrachte, daß darüber noch Dunkelheiten herrſchen. Auch Rimpau wendet ſtickſtoffreiche Dünger, namentlich Guano, in allen ſeinen Culturen an; ein Mann wie er muß ſeine guten Gründe dafür haben. Von Herzen und unveränderlich Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Was iſt das nur für eine räthſelhafte Geſchichte mit den Ver— ſuchen von Cruſius? Wiſſen Sie etwas Näheres davon? Dresden, den 23. März 1864. Hochverehrter Freund! Daß der Tod Ihres Königs Sie ſehr angegriffen haben werde, dachte ich mir, zumal Sie, wie ich las, die letzten Stunden in ſeiner Umgebung waren. Es iſt ein großer Verluſt. Ich muß nochmals auf den Stickſtoff zurückkommen. Die Er— fahrung kann nicht ableugnen, daß er einen großen Einfluß auf die Vegetation übt, nicht allein bei Körnerfrüchten, ſondern auch bei Kartoffeln und Rüben, die Phosphate allein ſind ohne Wirkung wo Reuning an Liebig. 149 er fehlt, und bis die Atmoſphäre ſolchen genügend abgegeben hat; aber es will mir ſcheinen, als ob dieſe gerade einen großen Einfluß äußerten, ſei es auf das Binden von Ammoniak, ſei es auf die Verſetzung deſſelben, ſo weit es im Boden iſt, in den Zuſtand der Wirkſamkeit, indem ſolches vorher nicht war. Das kann ich denken, nicht beweiſen, aber es ſtimmt, wie es ſcheint, die Erfahrung hier— mit überein. Nehmen Sie noch einmal die Verſuche zur Hand, ſo erntete Zenker im erſten Jahr zwar weniger Winterkorn nach Knochenmehl als nach Guano, im vierten aber doppelt ſo viel. Woher kam hier der Stickſtoff? Auch bei der zweiten Ernte in Gerſte. Das erſte Jahr hatte faſt das Doppelte der Zufuhr in dem Ertrag gegeben. Cunnersdorf erntete im dritten Jahr weſentlich mehr Hafer nach Knochenmehl als nach Guano. Es konnte wohl kaum der zu— geführte Stickſtoff noch wirken, denn dieſer zeigt ſich ſofort im erſten Jahr. Mäuſegaſt hat einen ſehr mineralreichen Boden; hier brachte der Stickſtoff eine größere Menge von Nährſtoffen in Wirkſamkeit: es fehlten letztere nicht. O berboberitzſch erntete im dritten Jahr mehr Hafer nach Kalk als nach Knochenmehl. Friedersdorf, ebenſo. Mir ſcheint es hiernach, als vermittle der Stickſtoff die Auf— nehmbarkeit der Mineral-Nährſtoffe und als verſchafften letztere den— ſelben ſich irgendwoher. Ich wiederhole nochmals: Ungarn, Süd— Rußland, die Jahrhunderte tragen ohne Stickſtoff, die Marſchen der Nordſee, wo man Raps auf Raps baut, um das Feld nur ertrags— fähig für Weizen zu machen. Hier fehlt noch irgend etwas ins Glied. Sagen Sie nun, man müſſe zu Körnern mit Stickſtoff düngen, ſo fällt die ganze Meute über Sie her, ſie kommt in neues Fahrwaſſer und ich glaube noch nicht an die Nothwendigkeit. Bei meinem Sohn muß es ſich in dieſem Jahr mehr zeigen, was der Bakerguano und Kalk thun; ich werde auf einer Wieſe die Verſuche möglichſt genau anſtellen und Jahre lang fortſetzen. Warum ſoll der Klee ſich anders ver— 150 Reuning an Liebig. halten als der Weizen? Er hat nur größere Wurzeln; woher er den Stickſtoff nimmt, iſt auch noch unentſchieden, aber er nimmt ihn nach Kalk und Knochenmehl weit mehr als nach Ammoniak. Ihren Aufſatz wegwerfen, wäre Sünde; ich ſende Ihnen ſolchen Ihrem Wunſche gemäß, zurück und bitte dringend um Rückgabe, machen Sie etwas anderes daraus, oder wollen Sie ihn laſſen wie er iſt. Es iſt mir oft vorgekommen, daß Knochenmehl oder Baker— guano im erſten Jahr nicht allein nichts wirkten, ſondern gegen ungedüngt zurück blieben. Giebt es einen Grund hierfür, oder iſt es Zufall? kann eine unlösliche Verbindung im erſten Jahr eintreten, die ſpäter wieder gehoben wird? Vielleicht führt dieſes zu irgend einem Aufſchluß und würde dann Manches erklären. Noch Eines will ich zufügen. In Tharandt wurde vor etwa 10 Jahren ein Verſuchsſtück mit feinem, ein anderes mit grobem Knochenmehl gedüngt; die Wirkung des erſteren iſt längſt verſchwun— den; auf letzterem ſteht das Korn ganz üppig, es iſt nichts als ſolches gebaut worden, alljährlich, nichts weiter gedüngt worden. Rimpau war ein großer Peru-Freund; ich habe lange mit ihm geſtritten; jetzt warnt er vor zu viel: Wo iſt die Grenze. Von den Verſuchen von Cruſius habe ich nur gelegentlich ge— leſen, daß Rechnungsfehler vorgekommen ſeien; ich werde mich hier— nach eben ſo erkundigen, als nach Knops Gypstheorie. Gegen dieſe habe ich noch große Bedenken. „In der Wetterau bei Salzhauſen, wo ein enormer Kalireichthum im Boden ſteckt, ſo daß der anſchei— nend rohe Untergrund üppigeren Klee trägt, als die Ackerkrume, wirkt der Gyps mächtig. Wo Gyps verwandt wird, verwendet man keinen Kalk, hier wo Kalk gedüngt wird, zeigt er nichts. Sollte der Kalkgehalt einen Einfluß üben? Dagegen habe ich ſolchen auch auf Kalkgerölle anwenden ſehen; aber unſere Leute düngen auch mit ge— branntem Kalk über den Brüchen, aus welchen ſie ſolchen ent— nehmen. Ich ſehne mich ſehr, Sie wieder einmal zu ſprechen. Komme ich zum Entſchluß, ſo beſuche ich Sie im Sommer wieder auf einige Reuning an Liebig. 9 151 Tage; es fehlt mir überall und Sie blitzen Zweifel weg, ohne daß Sie es denken und wiſſen. Sobald 12“ Wärme kommen, gehe ich hinaus auf mein Bauern- gut, um da zu beobachten. Daß Sie je einmal dahin kommen, darf ich nicht hoffen. Leben Sie wohl! Ihr ergebenſter Reuning. Thürmsdorf bei Königſtein, den 30. Mai 1864. Hochverehrter Freund! Die Nachricht, daß Sie im Auguſt kommen wollen, hat mich unendlich gefreut und wird Viele freuen, die ſich ſehnen, Sie per— ſönlich kennen zu lernen; daß ich Sie begleite, iſt ein Recht, daß ich feſthalte; daß Sie hier und bei meinem Schwiegerſohn Sich gebüh— rend ausruhen, betrachte ich als ſich von ſelbſt verſtehend. Die Ernteerträge ſchicke ich Ihnen; ſie ſind im Amtsblatt Nr. 12 von 1862 von 15 Jahren zuſammengeſtellt; es iſt der Be— weis geführt, daß ſie richtig ſein müſſen, denn die Schätzungen der Durchſchnitte ſtimmen mit den wirklichen Erträgen ganz genau überein. Es wurde nämlich eine Columne für die Durchſchnitts— erträge aus früheren Jahren angenommen; ſpäter wurden die Durch— ſchnitte der früheren Jahre aus der Wirklichkeit gezogen und Alles ſtimmt. Es liegt mir jetzt eine Mittheilung vom vorigen Jahre vor, nach welcher, allerdings auf dem beſten Boden, 265¾ Scheffel Weizen, alſo 4530 Pfd. pro Acker geerntet wurden, Rapserträge bis zu 3500 Pfd. kann ich verbürgen; Hafer bis zu 5000 Pfd. Einen Maaßſtab giebt Ihnen die Düngereinfuhr; wir erhalten Knochenmehl von Heufeld, von Ulm, von Haßfurth, aus Franken, aus Frankfurt a. M. und Oder, aus Berlin, aus Lehrte in Hannover, aus Schle— ſien, kurz, überall her, wo es iſt und irgend rentirt; wir beziehen glaube ich noch 125,000 Ctr. Peru-, dann Fiſchguano, Baker— guano noch im Anfang, aber doch wohl 20,000 Ctr. Die Düng— 152 Reuning an Liebig. ung mit Kalk iſt allgemein; es wird der Scheffel bis zu 25 Groſchen bezahlt; man muß ihn in jetziger Zeit, wo zu Kraut und Rüben viel gebraucht wird, voraus beſtellen. Was drainirt wird, erſehen Sie aus den Ueberſichten über die Thätigkeit der landwirthſchaftlichen Commiſſare und dieſes iſt nur ein Theil, ebenſo die Wirthſchafts— einrichtungen, die Wieſenbauten. Wir haben die Zeit der kindlich anregenden Prämien hinter uns, verwenden unſer Geld um die Leute zur Einſicht zu bringen und haben im Ganzen 20,000 Thlr., wovon Alles beſtritten wird. Das Volk iſt von früher büreaukratiſch regiert, darum kommt von dieſem kein Beitrag in die Vereinskaſſe. Wir waren die erſten mit den Verſuchsſtationen, verwenden von obigem Fond für dieſe ca. 2200 Thlr.; die Lauſitz 6000 Thlr. Wir haben über 200 Vereine (Amtsblatt vom April) und keinen Vorſtand der ein Be— amter iſt; die Amtshauptleute, die ſonſtigen Verwaltungsbeamten, ſtehen in keiner Verbindung mit den Vereinen, ſind willkommen, wenn ſie mitunter an den Hauptverſammlungen Theil nehmen, ſind aber, wie ich glaube, nirgends Mitglieder. Ich könnte Ihnen viele Bauern nennen, die ſpecielle Milch— regiſter führen. Andere, die ihre Futterberechnungen 1:5 ſelbſt machen. Viele, die ſich den Commiſſar erbitten, der hierüber Vor— träge hält. Ich hörte neulich im Freiberger Vereine, daß man ſich hauptſächlich mit Berechnungen über die Erſchöpfung der Felder be— ſchäftige. Ein Bauer, den ich vor 12 Jahren noch ganz roh traf, iſt durch die Vereine ſo gebildet, daß er jetzt Taxator in Hütten— rauchsſchäden iſt; er hat zwei Auflagen geſchrieben: „Wie ſoll man füttern?“; zeigte mir neulich eine zweite Arbeit über die Erſchöpfung des Bodens nach Liebig, und dieſe war vortrefflich. Man ſtreitet viel über Mineral und Stickſtoff. Die deutſche Ackerbau-Geſellſchaft, durch ſächſiſche Landwirthe in England be— ſchloſſen, findet in Bayern allein ihre Gegner; hauptſächlich in Fraas; Andere, die ſich als Mitglieder einzeichnen ließen, verweigern ihre Beiträge, „weil ſie nichts zu lernen wüßten.“ Die Hauptſache, den Geiſt, kann ich Ihnen in Worten nicht ſchildern; Thatſache iſt aber, daß wir ſeit 30 Jahren in der Mehr— Reuning an Liebig. 153 production mit der raſch ſteigenden Bevölkerung mindeſtens gleichen Schritt halten, in Fleiſch weiter vorgeſchritten ſind als dieſe, nament— lich in Schweinefleiſch, da wir wie neulich ein Bauer ſagte Land— ſchweine nicht mehr haben, nur noch Engliſche oder Kreuzungen, die eine ungleich höhere Verwerthung des Futters geben. Geſtern noch wollte ein Bauer hier Ferkel kaufen; er nahm Anſtand an einigen ſchwarzen Flecken, bezweifelte ob dieſe „rein Engliſch“ ſeien, obwohl es der Fall war. Ich glaube, das Amtsblatt zeigt am Meiſten wie man mit den Leuten reden kann, es hat keine Subvention; wer es will kauft es und der Abſatz nimmt von Jahr zu Jahr zu. Halten Sie die bayriſche Zeitſchrift dagegen und Fraas wird genug kriegen; ich freue mich oft, und dieſe Freude iſt nöthig, wenn ich in den Bauern ſelbſt meine Gedanken wieder ausgeſprochen finde. Ich ſitze ſeit 3 Wochen hier in meinem Bauernhäuschen, und freue mich der Reſultate des Begonnenen. Es liegen nun auf 150 Acker Feld 830 Ctr. Bakerguano, 100 Ctr. Knochenmehl, 2000 Scheffel Kalk; Aſche ſo viel zu kaufen war, etwa 75 Scheffel. Die Saaten ſtehen alle gut, meiſtens ſehr gut; ich denke, der Normal— Kraftzuſtand ſoll in Beziehung auf Phosphorſäure und Kalk bald kommen; es ſteht der Stallmiſt zur Aſſimilirbarmachung noch nicht im Verhältniß, er wächſt von Monat zu Monat; wird das Wetter gut, dann muß die Ernte eine ausgezeichnete werden. Im Stall ſteht ein Ochſe von 22 Monaten, in der Jugend bis 4 Monaten reich genährt, dann mäßig, ſeit 2 Monaten zur Maſt; er wird wahrſcheinlich heute ſicher nicht unter 85 Thlr. verkauft, da er ca. 1050 Pfd. wiegt. Eine Kuh von gleichem Alter melkt mit 840 Pfd. Gewicht ſeit 4 Wochen. Mein Schwiegerſohn verkauft bei 85 Acker Areal jetzt täglich für mehr als 10 Thlr. Milch, erntet über 300 Scheffel Weizen; es wird bei beiden Kindern gehen, denn ſie haben von ihrem Vater Liebigs Lehren. Ich mache Verſuche aller Art und intereſſire mich für die Sache aufs Leben— digſte, umgehe alle Felder täglich und lerne. Wo vor 2 Jahren Rüben ſtanden, dann Weizen und jetzt Klee, iſt dieſer viel kleiner, als wo vor 2 Jahren Roggen, dann Weizen und jetzt Klee iſt. Die 154 Reuning an Liebig. Rüben hatten eben das Kali geſtohlen; wo im vorigen Jahr auf Klee 6 Ctr. Bakerguano und 10 Scheffel Aſche aufgeſtreut wurden, war der Klee im vorigen Jahr wunderbar; er hat ſich auch im zweiten Jahr trefflich gehalten, wo anderer, nur mit Bafer- guano überſtreut, dünn ſteht. Phosphorſaurer Kalk und Kali geben dem erſteren ſatt Nahrung, darum hielt er aus. So lerne ich überall, namentlich im Vergleich mit den Bauern, die hier extra dumm ſind; ich komme mit Ihrer Lehre überall durch. Sie finden im Amtsblatt vom Juni einen Leitartikel: „Die Gleichberechtigung der Nährſtoffe“, welcher das Alte wieder in an— derer Form bringt; jetzt arbeite ich am „Fruchtwechſel“ und komme auf die Wurzeln, als Urſache deſſelben; es kann nicht anders ſein. Einige Winke in Ihrem Werk führen mich dahin. Die Wurzel— thätigkeit der Blattfrüchte iſt eine weit größere, als die der Halm— früchte, darum holen ſie mehr Nahrung, namentlich Stickſtoff und geben der folgenden Frucht dieſe zubereitet. Nach dünnen Erbſen, dünnem Klee, dünnem Raps eine ſchlechte Nachfrucht. Auf einem Flecken von 10 [ -Fuß, wo im vorigen Jahr kein Raps ſtand, zeigte mir mein Sohn in dieſen Tagen den geringeren Weizen. Schön iſt auch, wie die Früchte ſchlechter ſtehen, wo Bäume ihre Wurzeln austreiben. Es ſoll das der Schatten thun; ſie ſind weg und die Erſchöpfung des Bodens durch ihre Wurzeln zeigt ſich glänzend. Auch die Tiefe des Bodens, wo mitunter der Sandſtein ſich etwas erhebt, zeigt ſich überall. Die Nahrung an Kohlenſtoff tritt hervor, wo junge, einzeln ſtehende Kiefern verſuchsweiſe ihrer Aeſte beraubt wurden; ſie wachſen ſchlechter, als wo dieſe blieben. So iſt der Aufenthalt auf dem Land für mich unendlich intereſſant, abgeſehen davon, daß er meine Geſundheit kräftigt. Hier müſſen Sie wohnen, Ihre Frau Gemahlin ſoll das rei— zendſte Stübchen im Herren-Haus erhalten, das ich kenne, mit einer Ausſicht, wie ſie kein Feldgut ſchöner haben kann. Sie ſehen, ich ſehe nicht ſo ſchwarz, wie Sie denlen, und be— ſchleicht mich auch die Hypochondrie manchmal, ſo wagt ſich ſolche doch nicht an Sie. Sie haben meinem Leben ſeine Richtung ge— geben; ich wüßte nicht, wie ich es aushalten könnte, wenn ich jetzt Reuning an Liebig. 155 in meiner Thätigkeit noch in akademiſcher Finſterniß tappen ſollte, wenn ich nicht das Intereſſe des Denkens und Lernens hätte, mich in dem Sumpf der „Erfahrungs-Wiſſenſchaft“ bewegen müßte; ich würde erdrückt. Wenn man einmal weiß, daß man nichts weiß, ſo hat es ſchon ein großes Intereſſe, zu lernen; man wird aus dem land— wirthſchaftlichen Stumpfſinn herausgeworfen, den nur die ertragen, die glauben „ſie wärens“. Leben Sie wohl; halten Sie Wort. Ich gehe heute oder morgen nach Dresden, um Ihnen das be— treffende Amtsblatt vom October 1862 unter Kreuzceouvert zu ſenden. Ihr ergebener Reuning. Thürmsdorf, den 10. Juni 1864. Hochverehrter Freund! Ihre Artikel über Hohenheim und die bayeriſche Bureaukratie in der Augsburger Allgemeinen Zeitung haben mich wahrhaft ergötzt. Den ausgewachſenen Bureaukraten erkennt man am beſten daran, daß er nicht mehr weiß, was Bureau iſt. Das kennzeichnet ſich durch Formen, Schabloniſiren, Syſtematiſiren, wenn's weit kommt durch Einmiſchen in Alles, durch Regiſtriren und den Glauben daß Nichts geſchehen könne ohne von Oben, daß alle Menſchen außer der Regierungsmaſchine hingeſetzt wären, um regiert zu werden. Der Beamte eines Staates kann ebenſowohl ein Bureaukrat ſein, als der ſelbſtgewählte Vorſtand eines Vereins, und wenn der unentbehrliche Herr Landrichter faſt überall Vorſtand iſt, ſo iſt es eben nicht anders möglich, als daß auch der Vereins— Organismus als ein Nebenrad der großen Maſchine betrachtet wird. Zur Beleuchtung eine wunderbare Thatſache. Man hat in Franken eine ſehr ſchlechte Merinoſchäferei mit ca. 1200 fl. jährlich unterſtützt. Die Bauern wiſſen beſſer als der Herr Landrichter, daß ſie ſtatt Wolle Fleiſch züchten müſſen, wofür das heimiſche Schaf vortrefflich iſt; aber die Gemeinden müſſen, wenn ſie es nicht mit dem Herrn 156 TR Reuning an Liebig. Landrichter verderben wollen, ihre Sprungböcke aus der Stamm— herde nehmen. Dieſe brechen nun alle die Beine oder werden ſonſt krank, d. h. die Bauern ſchlachten ſie, um keinen größeren Schaden zu haben. Das iſt mir wiederholt erzählt worden. Ihr Herr Miniſterialrath hat mit einem gewiſſen Geſchick aus dem „Schluß“ meines Berichtes entnommen, was ihm paßte, weg— gelaſſen, was ihm nicht gefiel, ich ſende Ihnen darum Abſchrift des— ſelben. Allerdings bin auch ich der Anſicht, daß man die Selbſt— thätigkeit in den Vereinen anregen, erſtreben muß, aber ein lahm— regiertes Volk kann nicht gehen, ehe man ihm die Beine heilt, und dieſe Kur iſt eine lange. So lange es aber nicht gehen kann, muß man es führen und darin ſehe ich meine Aufgabe: ich will anregen, ermuntern, belehren, Maßregeln ſchaffen, die durchgeführt, ihre Er— folge haben müſſen, aber ich will nicht, daß die Regierung ſich überall in die Ausführung miſcht, daß ein landwirthſchaftlicher Eſel, der die Stelle inne hat, wie ich, glaubt, nach ſeinem Kopfe allein handeln zu dürfen, alle Fäden in der Hand zu halten, und ſich einbildet, ich bin es, der Alles thut. Ich ſtrebe danach, die Prin— cipien feſtzuſtellen, ich möchte faſt ſagen, Geſetze zu geben, nicht aber ihre Ausführung. Darin liegt der große Unterſchied; der Geſetzgeber, der fertige Geſetze ſchafft, iſt ein Bureaukrat; wer für jeden Fall eine Autorität ſein will, reglementiren möchte, in Alles ſich mengt, der vernichtet die Selbſtthätigkeit. Meine Stelle muß die Regierung beſetzen, denn ich ſoll Rath im Miniſterium ſein, deſſen Anſichten vertreten; aber ich vermag Nichts, als was ich mir ſchaffe, denn ich habe keine amtliche Autorität, ich muß mir ſie erwerben, erkämpfen, es iſt alſo ein Bureau gar nicht möglich, weil mich die Vereine und das Miniſterium ſitzen laſſen können. Wie ich die Sache auffaſſe, beweiſt das Amtsblatt: ich ſuche darin zu bilden, den Leuten die Wege zu zeigen die ſie gehen müſſen. Aus der gewonnenen Einſicht entwickelt ſich dann die eigene Thätigkeit. Hätte Ihr Mann in den Bericht geſehn, ſo würde er gefunden haben, daß man ſich ein Syſtem ſchaffte, daß die Maßregeln alle darauf berechnet waren, bleibend zu wirken, daß man regierte ohne Reuning an Liebig. 157 Bureauformen und wenn ich heute nicht 500 amtliche Eingänge im Jahr regijtrire, fo macht eben dies möglich, daß ich über wichtigern Dingen arbeiten kann. In Bayern geſchieht eben von Oben auf dem richtigen Weg ſehr wenig: die Zeitſchrift, die ſchlechteſte, die ich kenne, beweiſt das, und in dieſer liegt das Bureau ausgebildet. Man zwingt Jeden, ſie in ſeinen Beiträgen zu bezahlen; der Herr— ſchaftsbeſitzer und der Mann von 5 Morgen Land erhält dieſelbe Koſt, unſchädlich freilich, weil Nichts zu verdauen iſt; das heißt doch gewiß genug regieren. Müßte der Miniſterialrath aus eignen Kräften ein Blatt herausgeben, hätte er an der Zahl der Abonnenten einen Maßſtab für ſeine Leiſtung, er würde anders ſchreiben oder aufhören müſſen. Aber der Mann kennt ſo wenig das Land als ſeine Bedürfniſſe, weil er nicht Landwirth iſt, nicht weiß worauf es ankommt; in einigen lächerlichen Wortformen, wie in der Ant— wort an Sie, ſucht er ſeinen Witz, für Dritte nicht einmal ver— ſtändlich, zu Markte zu bringen. Höchſt matt, ſchaal iſt die ganze Sache. Ich freue mich, daß Ihre Aufſätze ſo großes Aufſehen erregten, in Regensburg hätte man ſicher gern geſehen, daß ich ſie bekämpfte. Statt deſſen habe ich geſagt Ihre Lehre ſei ſo einfach, logiſch richtig, ſo mathematiſch, daß man in 50 Jahren nicht werde begreifen können, wie ſie einen Gegner gefunden. Aber viele Leute bekommen erſt jetzt eine Idee von dem was Sie ſagen. Sie machen mich faſt übermüthig durch Ihre Bemerkungen über den letzten Aufſatz im Amtsblatt; aber das Verdienſt iſt doch Ihnen allein, ich wiederhole ja nur, was Sie geſagt haben, trete es für die Praxis zurecht. Freilich koſtet das mir mehr Arbeit, als einem andern 10 Bogen Schrift; die kleine Preſſe muß aber die Körner ausſuchen, muß die großen Wahrheiten durchzuführen ſuchen, denn mit der Erkenntniß einer großen Wahrheit wird mehr genützt, als mit 10 000 Exempelchen, wie ſie die Blätter geben. Ich ſende Ihnen per Kreuzband die Organiſation unſeres Vereins— weſens vielleicht können Sie dieſelbe gegen Ihren Bureaukraten brauchen. Haben Sie einmal gar nichts zu thun und wollen einen Blick in die weiter folgenden Nummern der Leipziger Zeitungsbeilage 158 Liebig an Reuning. werfen, ſo finden Sie wenigſtens in den „Steppen“ einiges, was Sie vielleicht intereſſirt, ich habe in denſelben viel gelernt, denn dort iſt Ihre Theorie am klarſten zu erkennen. Ihr ergebener Reuning. München, den 21. November 1864. Mlein theurer Freund! Ich bitte Sie, aus meinem langen Stillſchweigen keine Schlüſſe zu ziehen auf meine Geſinnungen gegen Sie. Dieſe ſind unverändert und ihrer Natur nach unveränderlich. Die Sache iſt die, daß ich zwei Arbeiten übernommen hatte, die mir keine Ruhe ließen, bis ich ſie hinter mir hatte und dazu kommen täglich noch andere dringende Dinge, die mich zwingen alle Correſpondenzen mit meinen Freunden aufzuſchieben; von den letzteren erwähne ich nur die brennende Frage wegen der Anwendung der Kloakenſtoffe in London, wegen welcher ſich der Magiſtrat der Stadt London durch den Lord-Mayor und die Kommiſſion der Kammer durch Lord Montague an mich gewendet haben, um ein Gutachten darüber zu erhalten. Wegen des Journals habe ich aus denſelben Gründen noch mit niemand geſprochen, ich erwarte aber im Laufe der Woche den Baron Gais— berg, welcher ſich an die Spitze ſtellen ſoll. Ein Hinderniß ſtellt ſich dadurch heraus, daß Profeſſor Zöller, der es redigiren ſoll, einen Ruf nach Erlangen erhalten hat. Wenn er dahin geht, was ich ihm rathen muß, dann bekommt das hieſige pflanzenphyſiologiſche Inſtitut (eine Art agrikulturchemiſche Verſuchsſtation) welches unter meiner Leitung ſteht, ein Loch und bis dies ausgefüllt iſt, bin ich gelähmt für die Agrikultur auf praktiſchem Wege etwas zu thun. Geſtern wurde mir von einer Deputation Münchener Bürger die Adreſſe überbracht, von der Sie gehört haben werden. Es iſt ein merkwürdiges Ereigniß und noch nicht vorgekommen. Es war der Drang in dieſen Männern offen zu bekennen, daß in München doch noch nicht alles verſumpft iſt, ein Merkzeichen, daß eine Partei Reuning an Liebig. 5 159 patriotiſcher Männer hier exiſtirt, welche das herrſchende Syſtem des Beamtenthums und deſſen Verfahren in induſtriellen und landwirth— ſchaftlichen Dingen nicht billigt. So etwas kann nicht ohne gute Folgen bleiben. Ich ſchreibe Ihnen heute nicht mehr, und nur um den Schwarz- ſeher mit mir zu verſöhnen und ihn zu verſichern, daß ich ihn auf— richtig liebe, wie immer. Ihr J. v. Liebig. Dresden, 24. December 1864. Hochverehrter Freund! Dr. Mayer hat mich von Ihren Wünſchen, Plänen und Auf⸗ trägen unterrichtet. In Folge der letzteren habe ich das beiliegende Gutachten und Statut entworfen, nicht um mich bei dieſer Gelegen— heit in Logik und Styliſtik zu üben, ſondern um dem Conſortium in Aphorismen vorzulegen, worauf es meiner Anſicht nach ankommt, einem Andern überlaſſend, die Sache weiter zu verarbeiten. Ich habe hierbei beſondere Rückſicht auf die Perſönlichkeit Lehmann's genommen, der voller Genialität Einer Derjenigen iſt, die nur unter einer beſtimmt vorgeſchriebenen Richtung leiſten, was ſie können, der ſich ſelbſt überlaſſen Alles mit Einem erfaſſen möchte, hundert Dinge beginnt und nicht vollendet. Doch iſt er meines Erachtens der vor— züglichſte unter den Chemikern, die Sie ins Auge faſſen könnten. Die Verſuchsſtation in die Stadt zu legen, dafür würde ich nie ſtimmen. Gelehrte ſind in München genug. Sie, Pettenkofer ꝛc. bedürfen keines Chemikers oder phyſiologiſchen Aſſiſtenten für Ihre geiſtige Richtung; wo es gilt für den Landwirth, für die Praxis zu arbeiten, da iſt die große Stadt der Platz nicht. Zu Viele der Agricultur⸗Chemiker wollen aber Gelehrte ſein oder werden, die Praxis iſt ihnen zuwider oder gleichgültig, ſie wollen in den Städten leben; dort nützen ſie nichts oder wenig. Wegen des Blattes habe ich nur Andeutungen gegeben; wie es mir ſcheint, ſoll daſſelbe für Bayern berechnet ſein. Dann paſſe ich 160 2 Reuning an Liebig. nicht zum Mitarbeiter, denn noch einmal von vorn durchzuarbeiten, was ich hier längſt hinter mir habe, dazu paſſe ich nicht und ich kenne Bayern nicht genug, um direkt für die dortige Praxis zu ſchreiben. Kommen Sie einmal auf ein Blatt für wiſſenſchaftliche Landwirthe, ein allgemeines zurück, dann wollen wir dieſe Sache wieder aufnehmen. Sie ſprechen in Ihrem letzten Brief über Schwarzſehen von meiner Seite; ich neige dazu, aber nur gegen mich ſelbſt, nie gegen Sie, und bitte Sie daß Sie die kleinen Widerwärtigkeiten, die man Ih— nen bereitet, nicht auf Sich einwirken laſſen. Sie ſind Sieger in der ganzen Welt und wenn der Bayer Sie noch nicht anerkennt, ſo kommt er eben ſpäter als andere Leute. Der Umſchwung iſt ein mächtiger und wenn auch neulich wieder ein landwirthſchaftlicher Doctor in Berlin Ihnen kein Recht zugeſtehen wollte Naturgeſetze aufzuſtellen, weil Sie die Preußiſche Landwirthſchaft nicht kennen, ſo dient das doch nur zum Amüſement; ich wüßte nicht, was es ſchaden könnte, wenn ſo ein armer Teufel nicht mit kann. Was halten Sie von Moſſelmann's Verfahren? ich laſſe das Fabrikat jetzt unterſuchen; ich fürchte, daſſelbe wird an der ſchnellen Zerſetzung des Stickſtoffs im Sommer ſcheitern. Wäre es nicht möglich, erſt das Ammoniak durch Gyps zu binden und dann die Kalkoperation vorzunehmen? Der Phosphorit von Eſtremadura, den wir hierher ſehr billig — 1 Thlr. 20 bis 25 Groſchen, gemahlen — beziehen können, ſoll wegen ſeines ſtarken Gehalts an Fluor der Auflöſung durch Schwefel— ſäure große Schwierigkeiten entgegenſetzen. Wiſſen Sie ein Ver— fahren, um die Flußſäure für den Menſchen unſchädlich zu machen? Wir müſſen Concurrenz in Phosphorſäure haben; das Monopol des Hamburger Hauſes wird ſchamlos ausgebeutet. Ihr Conſortium wird nicht leiſten was es will, wenn nicht von Oben das Syſtem geändert wird, wenn nicht Regierung und Volk mit einander gehen. Leben Sie wohl! Reuning an Liebig. g 161 Schrieb's am Chriſtabend, wo die Lichter brennen, mir nur die Lampe leuchtet — allein. Ihr ergebener Reuning. Mayer wollte, ich ſoll das Gutachten an ihn ſchicken; ich laſſe es Ihnen als dem Haupt zugehen, zumal Mayer während des Feſtes doch in München ſein wird. Einige Exemplare der Grundzüge für die Thätigkeit der Ver⸗ ſuchsſtationen aus dem Jahre 1857 laſſe ich beifolgen, nicht für Sie, ſondern für Männer im Conſortium, welche das Feld derſelben nicht kennen. Sieben Jahre haben Manches veraltet. Der Obige. Dresden, den 12. Januar 1865. Hochverehrter Freund! Heute iſt der Zweck meines Schreibens, Ihnen einen Mann für Ihre Verſuchsſtation zu empfehlen, Herrn O. F . . . früher Ber: walter in Proskau, der die akademiſche Erbärmlichkeit erkannt, in der ſchleſiſchen Zeitſchrift eine Krieg gegen dieſe Akademie veröffent— licht hat; dieſe Zeitſchrift habe ich Mayer mitgegeben, Sie werden ihn theilweiſe daraus erkennen. Er iſt ein tüchtiger Praktiker mit ſo viel wiſſenſchaftlicher Baſis in der Chemie, als er als Zögling einer Akademie erlernen konnte, ein entſchiedener, kräftiger, handelnder Charakter. Ich wüßte Ihnen keinen beſſeren zu empfehlen. Sehr begierig bin ich auf Das, was Sie unternehmen werden; ich warne Sie nochmals vor zu viel wiſſenſchaftlichen Forſch— ungen auf der Verſuchsſtation. Leben Sie wohl! Ihr ergebener Reuning. Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. ri BEER Liebig an Reuning. München, den 24. Januar 1865. Mein theurer Freund! Endlich bin ich von einer ſchweren Arbeit, die wie ein Alp auf mir laſtete, befreit und mein Erſtes iſt, Ihnen meinen wärmſten Dank auszudrücken für Ihre Briefe und für das Gutachten über die Verſuchsſtationen. Ich hatte 2 Monate lang mit einem Gutachten über den Werth der Kloakenſtoffe der Stadt London zu thun, zu welchem ich von dem Lord-Mayor aufgefordert worden war. Sie wiſſen, wie dieſe Sache mir am Herzen liegt unde daß in der An— wendung der Kloakenſtoffe für die Zwecke des Feldbaus meine ganze 20-jährige Wirkſamkeit gipfelt. Mein Gutachten iſt geſtern ab- gegangen und ich ſehe mit einer gewiſſen Bangigkeit der Entſcheidung der Sache entgegen. Nach meiner Berechnung läßt ſich der Werth der Londoner Kloakenſtoffe auf etwa 2 Mill. Pfund Sterling ver— anſchlagen; es iſt dies der Werth, der ſich herausſtellt, wenn dieſe Stoffe für die Düngung der Ackerfelder verwendet werden, als Bei— dünger zum Stallmiſt, der deſſen Wirkung vervollſtändigt, ſicher und dauernd macht. Auf Wieſen als ausſchließlicher Dünger angewendet, vermindert ſich der Werth deſſelben auf /. — Zwei Anſichten ſtehen ſich in London einander entgegen, die einen wollen den Kloaken⸗Dünger nur für Wieſen, die Andern auch auf Ackerland verwendet wiſſen. In meinem Gutachten habe ich die Fragen, die ſich an beide Verwendungen knüpfen, hauptſächlich behandelt. Mit Lehmann iſt alſo die Sache geordnet, er zieht vor in Sachſen zu bleiben, wie ich mir am Anfang nicht anders dachte. Ihr Gutachten über die Verſuchsſtationen und ihre eigentliche Aufgabe iſt ganz vortrefflich und wird bei der hier neu zu grün— denden maßgebend ſein. Sie wiſſen, wie ſehr ſich hier ohne mein Zuthun die Verhältniſſe geändert haben; Fraas iſt definitiv abge— treten und er behält nur noch für dieſes Jahr die Redaction des bayeriſchen Vereinsblattes. Eine Wahl iſt bis jetzt weder für die Secretärſtelle, noch für die Verſuchsſtation getroffen; für die erſtere hat man einen wackeren Mann, Adam Müller in Kaiſerslautern, im Liebig an Reuning. 163 Auge, er iſt auch als Schriftſteller durch ein Handbuch bekannt; ob er kommen wird, iſt aber ſehr zweifelhaft; den empfohlenen O. F.... werde ich im Auge behalten. Mayer hat mir übrigens über F. . . noch nichts mitgetheilt. Mit wahrer Freude erkenne ich den Umſchwung an, der in der Landwirthſchaft ſtattgefunden hat und ich verkenne nicht, daß derſelbe weſentlich dadurch bedingt geweſen iſt, daß ſich Männer wie Sie der wiſſenſchaftlichen Lehre angenommen haben. Glauben Sie mir, daß noch viel größeres dadurch angebahnt wird, denn die Nothwendigkeit einer tieferen geiſtigen Bildung wird die Landwirthe zu ganz anderen Menſchen machen, zu anderen im Staate und in den Kammern; die Advokaten werden fernerhin nicht mehr die Hauptrolle in der Gefeb- gebung ſpielen und Alles wird ſich dem wichtigſten Betriebe im Lande, den Bedürfniſſen der Landwirthſchaft allmälig unterordnen müſſen. Das geiſtige Licht wirkt wie das Licht überhaupt nicht nach einer Richtung, ſondern nach allen erleuchtend. Daß man durch Nachdenken zu Verbeſſerungen kommen konnte, war in der Land— wirthſchaft eine unbekannte Sache. Die beiliegende Notiz über Fleiſchextract in der Reichszeitung dürfte Sie intereſſiren und ich ſchicke Ihnen eine Probe des Extracts von Uruguay, was Ihnen vielleicht Gelegenheit giebt, die Aufmerk— ſamkeit von Aerzten u. A. darauf zu lenken; es iſt eine wichtige Sache für Europa. Der Fleiſchextract wird in heißem Waſſer auf- gelöſt und muß einen ziemlich ſtarken Zuſatz von Kochſalz erhalten. Da 1 Pfund den löslichen Theilen von 30 Pfund Muskeffleiſch entſpricht, jo giebt dieß für das Verhältniß Waſſer einen Anhalts⸗ punkt für die Stärke der Fleiſchbrühe ab, die man bereiten will. Ueber die Vorgänge hier werde ich Sie in Kenntniß ſetzen; vorläufig ſuche ich meine unterbrochene Correſpondenz wieder in Ordnung zu bringen. Mit unveränderlicher Anhänglichkeit Ihr treuer J. v. Liebig. 117 164 Reuning an Liebig. Dresden, 19. Februar 1865. Hochverehrter Freund! Hoffentlich wird der Lord-Mayor nicht lange zögern, Ihr Gut⸗ achten zu veröffentlichen; ich freue mich ſehr auf daſſelbe; ich erkläre mir nach Ihren früheren deßfallſigen Aeußerungen, daß der Kloaken— dünger ausſchließlich angewandt, nicht den Werth auf die Dauer behaupten kann, der ihm in Verbindung mit Phosphorſäure beiliegt. Ein Magdeburger Chemiker ſchilderte mir neulich die Rüben⸗ noth auf einem dortigen Gute; es iſt der Anfang vom Ende. Noch 40 Ctr. Ernte vom Morgen und kein Zucker! Düngen hilft nichts; ich habe gerathen zu rajolen, um ſo den Untergrund wieder mit Nährſtoffen verſehen zu können. Es wird nichts andres übrig blei— ben, es kann aber ein Morgen, wenn auf Jahre die erforderlichen Dinge wieder in den Untergrund gebracht werden ſollen, leicht auf 100 Thlr. kommen. Die Zuckergegenden gehen harten Calamitäten entgegen. Warum hörten ſie nicht auf Ihre Warnungen. Zu der Aenderung der Zuſtände in Bayern meinen Glückwunſch, ich hätte dieſe nicht ſo bald erwartet. Was Sie über die Bildung des Landwirths ſagen, iſt wieder ein ſchlagender Satz; ich las es einem Verehrer von Ihnen, dem Grafen Wilding vor, er war entzückt. Ich verfolgte dieſe Richtung ſchon lange, aber die Leute wiſſen nicht, wo es ihnen fehlt. Mit einem denkenden Kopf macht man Alles; ein beſchränkter Menſch weiß an keinem Orte, was er will, was er kann und ſoll. Ja, die Einſicht verbreitet ſich. Noch vor wenigen Jahren ſtand ich oft allein unter Leuten, die über den „Raubbau“ herfielen, ein Wort, das zu bezeichnend war, als daß es nicht die eitlen Praktiker in die höchſte Aufregung hätte bringen müſſen, das aber nun einmal den Punkt bildete, um den man kämpfen mußte. Jetzt iſt eine Brochüre da: „Raubbau oder nicht?“ und kein Menſch findet darin noch etwas — von einem Grafen zur Lippe, zwar nicht ſcharf mit Jenenſer Blut gemiſcht, aber doch geeignet, Leute zu gewinnen. Ich habe ihn gebeten, das Schriftchen Ihnen zu ſchicken; ermuntern Sie den Mann, wenn er es thut, er wird dann Reuning an Liebig. 165 von neuem ins Zeug gehen. Daß er den Kali-Verluſt nach einer Analyſe von Stallmiſt ohne Berückſichtigung der Jauche, nicht nach der Ausfuhr berechnet und ſo zu Uebertreibungen kommt, mögen ihm die Gegner öffentlich aufſtechen, wenn ſie wollen; es wird wenigſtens aufgewiegelt. Daß Ihnen meine Vorſchläge wegen Ihrer Verſuchsſtation nicht ganz mißfallen, freut mich ſehr; ich fürchtete, als ſie weg waren, Sie würden mich einer unwiſſenſchaftlichen Richtung beſchuldigen, glaube aber, ich habe Recht. Einen Rock richtig zuſchneiden kann nicht Jeder, wenn aber Jeder es will, dann wird nichts aus dem— ſelben, er wird nicht fertig. Und die Eitelkeit plagt die Leute fait Alle. Vorerſt mögen Sie der Meiſter bleiben. Es iſt prächtig, daß Ihre Ariſtokratie, die von Ihnen nichts wußte oder wiſſen wollte, nun auf einmal ins Zeug geht. So muß es kommen. Nächſt der Sache freue ich mich auch Ihrer Perſon wegen, daß Sie ſehen, was Sie geſchaffen. Ich lege der Regierung den Vorſchlag wegen Ausſchreibung einer Preisſchrift über die Ernährung des Menſchen vor. Dieſe iſt jammervoll ſchon bei uns, wird noch ärger nach Oſten, es iſt Pflicht, dieſe Frage von allen Seiten in Angriff zu nehmen, denn was nützt die Mehrproduktion zur Ausfuhr, wenn ſie dem Volke in ſeiner geſteigerten Arbeitskraft nicht zu gut kommt? Die Landwirthſchaft bedarf aber viel geringerer Hilfsmittel, wenn ſie mehr Fleiſch pro— ducirt, mehr Futter baut, das Volk arbeitet mehr, wenn es Kraft beſitzt, als wenn es ſich vegetirend hinſchleppt mit Stärke und Kaffee, hier repräſentirt in Kartoffeln, weißem Brod und Cichorienabguß. Wollten Sie doch die Grundſätze ſchreiben; für die Anwendung, welche allerdings hierbei nicht fehlen darf, Aufſtellung von Koch— recepten u. ſ. w. hätten Sie Lehmann zur Seite. Jene Grundſätze ſchütteln Sie in 4 Wochen aus dem Aermel. Eine ſolche Schrift von Ihnen reformirte auch hier. Wüßten Sie, daß es Menſchen giebt, die nicht 5 Pfund Fleiſch im Jahr eſſen, ſähen Sie dieſes verhungerte Volk zur Tanzmuſik geputzt gehen, Sie würden vielleicht ſich zu der Arbeit entſchließen. — Auf mir hackt man wieder tüchtig herum wegen des Artikels „Zur Lage“ in Nr. 1 des Amtsblatts; 166 % Reuning an Liebig. . ich ſetze die Sache nicht durch. Nur Wenige überzeugen ſich und dieſe Sache iſt jo klar, daß man verzweifeln möchte an dem Wider— ſtand. Ein Bauer-Pächter, der nicht ein Wort richtig ſchreibt, ſagte mir neulich, „Herr Doctor, ſehen Sie, ich hatte nie Noth mit „den Leuten, ich fütterte richtig Fleiſch. In der Ernte, wo Leute „aus ſchlechter Koſt zu mir kamen, fütterte ich ſie gleich in den „erſten Tagen mit Fleiſch todt, ich gab ihnen, was ſie wollten, da „gings nicht übers Brod und die Leute arbeiteten von früh bis in „die Nacht mit Luſt und billig für mich“. Von dem Tage, wo dieſes Deutſchland erkennt, ſteht ſein Ackerbau hoch, ſeine Arbeitskraft wird ausgenutzt, dieſe Erbärmlichkeiten mit Schutzzöllen gegen fremde Arbeit für verhungerte Arbeiter hören auf. Wieder ein Beleg zu Ihrem Ausſpruch; mit der höheren Bild— ung des Landwirths treten Verhältniſſe ein, die wir noch gar nicht überſehen. Helfen Sie auch hier; ich wiederhole, Sie kennen Ihre Kraft nicht. Doch Nachſicht, mein verehrter Freund, wenn ich Sie wieder einmal über Gebühr beläſtige, aber der Schwache ſucht Hilfe bei dem Starken. Leben Sie wohl! Ihr ſtolzer Handlanger Reuning. Dresden, den 4. Mai 1865. Hochverehrter Freund! Ich bin Ihnen, glaube ich, noch eine Antwort ſchuldig wegen des Fleiſchextracts; wahrſcheinlich habe ich in meinem letzten Brief deſſen zu erwähnen vergeſſen, denn es kam eine Anfrage von der Poſt, ob ich ein Paquet aus München erhalten habe und dieſe konnte ſich nur auf den Fleiſchextract beziehen. Die Probe übergab ich dem Leibarzt des Königs, Vorſtand des hieſigen Krankenhauſes, Geh. Medieinalrath Dr. Walther; er hat Reuning an Liebig. I 167 deren Anwendung verſucht, ſolche für in jeder Beziehung ausge— zeichnet erkannt und will den Extract einführen, ſobald derſelbe in Deutſchland käuflich zu erlangen iſt. Dieſes zu Ihrer Notiz mit der Bitte, mir Nachricht zu geben, wenn der Vertrieb begonnen hat. Für die akademiſche Rede, die ich unter Kreuzband erhielt, meinen beſten Dank; ſie hat mir zu großer Belehrung gedient. Daß Sie auch in Würtemberg einen ſo glänzenden Sieg er— rungen, freut mich ſehr; v. Fehling theilte mir Dieſes hier näher mit. Es ſcheint, daß nun auch Süddeutſchland gewonnen iſt; ich erſehe Dieſes aus den Zeitſchriften, namentlich der heſſiſchen, welche bis vor Kurzem Ihre Richtung ganz ignorirte und nun, freilich ohne Zuthun der Redaktion, den größten Theil ihres Raumes mit dieſer Frage ausfüllt. In Oeſterreich kommen erſt die Vorläufer, in Preußen iſt noch kein rechter Sinn; es iſt Dieſes Folge der ſpecifi— ſchen Ueberſchätzung, welche ſpät etwas aufkommen läßt. Die Gegner ſchweigen indeß, das Feld iſt Ihnen; die Sache iſt wenigſtens hier zu tief eingedrungen, als daß ſie ruhen bleiben könnte. In dieſen Tagen bin ich mit der Correktur einer Feſtſchrift für die Verſammlung der deutſchen Landwirthe fertig geworden; ich werde ſie Ihnen ſchicken, ſobald eine Karte als Beilage fertig iſt, obſchon Sie nichts in derſelben finden, was Sie intereſſiren könnte. Ich ſelbſt erkenne die Mängel am beſten; es iſt jetzt noch nicht die Zeit, das geſammte Gebiet der Landwirthſchaft zu behandeln; ich würde zu der Arbeit freiwillig mich nicht verſtanden haben, aber ich ward gezwungen. Leute meiner geringen Befähigung müſſen ſich darauf beſchränken, einzelne Fragen zu behandeln, einzelne Geſichts— punkte ſcharf feſtzuſtellen, Andere mögen das beſſern, in einen großen Rahmen bringen. Gelingt es den wichtigſten Geſetzen Eingang zu verſchaffen, den Dünkel der Praxis zu dämpfen, die Leute zum Denken zu führen, dann bringt die Zeit das Weitere. Das ſchwefelſaure Kali von Staßfurt iſt der Punkt, um welchen ſich dieſes Jahr dreht; es ſind Verſuche in Maſſen angeſtellt, ſo daß wir zu einer Erkenntniß der Wirkung kommen müſſen. Lehmann iſt endlich in Thätigkeit, ich hoffe ihn darin erhalten zu können. Die Ernährungsverſuche bei Thieren ſind jetzt von meinem 168 5 Liebig an Reuning. Standpunkte die wichtigſten, da man hier am wenigſten weiß. Die Reſultate ſind für die praktiſche Anwendung ſehr befriedigend; ſollen die Verſuchsſtationen recht ins Blut übergehen, ſo müſſen wir ſofort anwendbare Reſultate ſchaffen, wenn ſie auch nicht tiefer wiſſenſchaft— lich begründet ſind. Die Wiſſenſchaft wird durch ſichere praktiſche Erfahrungen zu dem Weg der Erkenntniß geführt, der a priori ſchwerer zu finden iſt. Mein Sohn hat bei einem Kalbe in 9 Monaten 640 Pfund lebend erzielt, mein Schwiegerſohn in 12 Monaten über 800 Pfund. Das ſind Zahlen, die man heute noch ungern glaubt, Gewichte, mit denen man in der dreifachen Zeit zufrieden iſt. Natürlich iſt die reiche Ernährung die bei weitem billigſte. Die Trockniß hier iſt zum Verzweifeln, es will und kann nichts wachſen. Sie im Sommer hier zu ſehen, kann ich kaum hoffen, da Sie die Verſammlungen meiden, auch ich werde mich an den Reden nicht betheiligen. Leben Sie wohl! Ihr ergebenſter Reuning. München, den 7. Mai 1865. Mein verehrter, theurer Freund! Der Fleiſchextract war natürlich nur für Sie beſtimmt und wenn Sie denſelben probirt, d. h. in heißem Waſſer gelöſt, mit hin— reichend Kochſalz verſetzt und gekoſtet hätten, ſo würden Sie ihn vielleicht nicht ſo leicht hinweggegeben haben. Der Artikel, den ich mit ſandte, ſollte Ihnen zur Erläuterung dienen, welche Hoffnungen ich auf den Fleifchertract für die Ernährung der Bevölkerung ſetze. Was unſerer kartoffeleſſenden Bevölkerung fehlt, ſind die Beſtand— theile des Fleiſchſaftes, durch welche die vegetabiliſche Nahrung den Wirkungswerth der animaliſchen empfängt. Ein Pfund Fleiſchextract enthält die löslichen Beſtandtheile von 30 Pfund reinem Muskelfleiſch Liebig an Reuning. s 169 (ohne Knochenzugabe) und ich betrachte es als eine meiner größten Errungenſchaften, daß es mir nach 16-jährigen Bemühungen endlich gelang, in einer Gegend, wo das Fleiſch keinen Handelspreis hat, die Fabrikation deſſelben einzuführen. Für Familien auf dem Lande, für Hotels, Armeen und Hospitale iſt der Stoff an ſich unſchätzbar. Es ſind ungefähr 1000 Pfund vor etwa 3 Wochen hier angekommen, welche beinahe vergriffen ſind. Sollten Sie Gelegenheit haben, Herrn Geh. Medicinalrath Dr. Walther zu ſehen, jo bitte ich, ihn darauf aufmerkſam zu machen, daß bei Abnahme von 25 Pfund das Pfund ſich auf 3 Thaler 14 Groſchen ſtellt. Sie ſprachen immer von meinem Siege, richtiger wäre es von dem Ihrigen zu reden, denn Sie brachten in weniger als 3 Jahren fertig, um was ich mich ſeit 20 Jahren abmühte. Die Lehre muß ſchon da ſein, aber durch Bücher und Schriften werden die Völker nicht zum Fortſchritt gebracht. Die gegenwärtige Kalinoth iſt eine prächtige Illuſtration der Gleichwerthigkeit der Nährſtoffe. Auch der Kalk und die Bittererde werden in den geeigneten Fällen ihr Recht erhalten; dem erſteren erkennt man ſchon eine Wirkung zu, aber mehr als Auffſchließungs⸗ mittel. Die Aufſätze in dem Amtsblatt freuen mich immer und nament— lich Ihre Schlußfragen, welche in Jedem das Nachdenken wecken müſſen. Meine künſtliche Frauenmilch als Nahrung für Säuglinge, hat einen merkwürdigen Erfolg gehabt, namentlich in England, und ich ſehe eigentlich erſt jetzt, wie groß das Bedürfniß war; der Zuſatz des Kalis gab derſelben erſt den richtigen Ernährungswerth. Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß die Ernährung, die Fleiſch— und Milcherzeugung eine der wichtigſten Aufgaben unſerer Zeit iſt. Was Sie mir von den Verſuchen Ihres Sohnes und Schwieger— ſohnes mittheilen, iſt ganz erſtaunlich. Ich hätte es kaum für mög⸗ lich gehalten, ein Thier von 20 Pfund oder von ſeiner Geburt an in 9 Monaten auf 640 Pfund oder 800 Pfund zu bringen! Welch ein vortreffliches Fleiſch muß in dieſer Weiſe erzielt werden und wie lohnend in Beziehung auf die Verwerthung des Futters. Ich wünſchte ſehr, daß Sie eine Probe veranlaſſen möchten, mit 170 a Reuning an Liebig. meiner künſtlichen Milch bei einem Kalbe. Die Frage iſt freilich der Preis. Mit unveränderlicher Freundſchaft und Anhänglichkeit Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Dresden, den 12. Mai 1865. Verehrter Freund! Die Bedeutung des Fleiſchextract erkenne ich erſt jetzt, nachdem ich durch Ihren Brief vom 7. erfahren, bis zu welchem Grad die Nährſtoffe concentrirt und verſendbar gemacht werden. Das iſt wieder eins von den Columbuseiern; ich bin überzeugt, daß die Sache eine enorme Ausdehnung gewinnen wird. Ich habe das Publikum durch einen Aufſatz in der Leipziger Zeitung darauf aufmerkſam ge= macht und ſende Ihnen dieſe, wenn der kurze Artikel erſchienen iſt. Dr. Walther iſt auf Reiſen, ich konnte ihm von der Ankunft des erſten Transports nichts ſagen, aber deſſen Schwager Dr. med. Fauſt, Marienſtraße hier, bittet mich zu vermitteln, daß ihm 25 Pfund zukommen. Haben Sie die Gefälligkeit, dieſes anzuordnen, ich weiß nicht, an wen man ſich wenden ſoll. Ich werde dann von dieſem Quantum ſelbſt nehmen; ich mußte meine Probe Walther geben, damit ſie erkannt wurde; ich glaube, der Verbrauch wird hier ſtark werden. Ihre künſtliche Milch iſt vor wenigen Tagen im Dresdner Journal beſprochen worden, vielleicht findet ſich bald eine Anwendung bei einem zu erwartenden Enkel; der Verſuch mit Kälbern ſoll ge— macht werden; ich habe nach Pommritz deshalb geſchrieben. Die Ihnen mitgetheilten Gewichte von jungem Vieh ſind zu erreichen, ſobald man nur zu der Erkenntniß kommt, daß ſparſam füttern verſchwendet, reich füttern ſpart. Aber der Landwirth giebt lieber 120 Thaler in 3 Jahren als 100 Thaler in 1¼ Jahren aus, er muß die Rechnung anerkennen, aber er ſträubt ſich mit einer Reuning an Liebig. 171 Maſſe von Scheingründen gegen Gutfüttern. Ein Kalb hat aber, damit Sie nicht etwa einmal einen Irrthum öffentlich ausſprechen, nicht 20 Pfund bei der Geburt, ſondern 60 bis über 100 Pfund; ungefähr den zehnten Theil des lebenden Gewichts der Mutter. Wir können Thiere zum Schlachten ohne Nutzung zum Zug auf⸗ ziehen, werden dann mehr und beſſeres Fleiſch haben. Aber es dauerte 25 Jahre, ehe man aufhörte Sie wegen Ihrer Lehre anzugreifen, die dem Schulknaben leicht verſtändlich gemacht werden kann, weil ſie einfach iſt, wie jede Wahrheit. Laſſen Sie mich nicht mich ſchämen über Ihr Lob, das ich nicht verdiene. Ihre gute Meinung über mein Beſtreben iſt mein ſchönſter Lohn, aber etwas Wollen heißt noch nicht, etwas können. Habe ich den Muth gehabt, Ihre Lehre öffentlich zu bekennen, ſo habe ich eben nur zur Seite, daß andere weniger Muth hatten, ſich fürchteten. Nachdem die Erkenntniß gewonnen, iſt es aber ſchmachvoll nicht Farbe zu bekennen. Habe ich daran geholfen, daß Sie etwas früher ge— würdigt wurden, ſo iſt das kein Verdienſt, darüber kann kein Zweifel beſtehen. Erhalten Sie ſich der Menſchheit recht lange, damit Sie ihren Dank noch voll ernten, und ſeien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem ergebenen Reuning. Dresden, den 5. Juni 1865. Hochverehrter Freund! Die anliegende Schrift iſt ſo eben fertig geworden; der erſte Theil iſt von mir, der zweite im Finanzminiſterium bearbeitet. Kaum kann ich erwarten, daß Sie dieſelbe leſen, ſie gefällt mir ſelbſt am wenigſten, ich kann mich nur mit der Schwierigkeit der Aufgabe entſchuldigen; ich konnte nicht in meinen alten Tagen die Praxis der Landwirthſchaft in Sachſen darſtellen wollen, es iſt dieſes zu wenig intereſſant für mich, zu wenig lohnend durch die Arbeit; ich konnte eben ſo wenig verſuchen, eine Landwirthſchaftswiſſenſchaft ER Reuning an Liebig. niederzuſchreiben; dazu bin ich nicht befähigt genug und das erfüllt den Zweck der Feſtſchrift nicht. Aber ich wollte doch nach Geſetzen ſuchen und ſo ließ ich mich gehen, brachte Theorie und Praxis durch— einander, und als ich fertig war fand ich keinen Titel; ein Freund half mir aus der Noth. So hoffe ich vielleicht einige Beiträge zur „Ackerbaupolitik“ geliefert, vielleicht den einen oder andern veran— laßt zu haben, über dieſe oder jene Sache weiter zu denken. Daß Sie ſich in ſchwachem Conterfey überall wieder finden, verſteht ſich von ſelbſt. Ihr Urtheil wiegt dasjenige von Tauſenden auf, welche die Schrift nicht leſen oder nicht verſtehen; ich kann nicht auf daſſelbe provociren, da ich Ihnen nicht zumuthe, mehr als einzelnes zu leſen. Fänden Sie aber etwas daran zu knüpfen, jo hätte ich Lohn genug. Das Alter mahnt an den Rückzug; wie der Schaujpieler-Di- lettant aufhören ſoll, Liebhaberrollen zu geben, wenn die Jugend verſchwindet, wie aber der eigentliche Künſtler ſtets jung bleibt, ſo kann der tiefe Gelehrte bis zum höchſten Alter wirken, wo der mittelmäßige nichts mehr leiſtet. Ich werde darum kein Buch mehr ſchreiben, einzelnes noch zu bearbeiten ſuchen. Sagen Sie mir die Fehler ſtreng, von Ihnen iſt das Gewinn. Die Berichtigung wegen der Milch erſchien an demſelben Tag im Dresdner Journal, wo ich ſie erhielt. Für den Fleiſchextrakt danke ich ſehr; ich habe alsbald eine Suppe davon bereiten laſſen, habe ſie vortrefflich gefunden. Bei meinem Sohn treten die vorjährigen Düngungsverſuche dem Auge ſo weit hervor, als man die Wieſe ſieht. Phosphat und Kali haben den prachtvollſten Kleewuchs hervorgezaubert; jedes allein hat weniger gethan. Im letzten Amtsblatt finden Sie einen Verſuch für praktiſche Düngerlehre; ich hoffe, es iſt ſo die Wahrheit. 72 bis 54 Pfund lebend Gewicht im Monat iſt bei jungem Rindvieh zu erreichen; zwiſchen dieſen Ziffern ſchwanken die Ge— wichte, je nach der Eigenſchaft des Thieres. Es iſt auf dieſem Ge— biet viel zu thun; man erlangt in einem Jahre, was andere in 2 ½—3 Jahren, und billiger. Nur Einſicht! Liebig an Reuning. 173 Ich gehe heute nach der Provinz Poſen, um auf einem Fürſten— thum von Taxis-Krotoſchin Ihre Lehren weiter zur Anwendung zu bringen. Es wird anſtrengend, doch aber lohnend, wo man den Raubbau ex professo getrieben hat. Leben Sie wohl Ihr Reuning. München, den 10. Januar 1866. Mein verehrter theurer Freund! Ich erhielt heute die erſte Nummer des Amtsblattes und dies erinnert mich daran, wie lange ich Ihnen nicht geſchrieben habe und daß ich Ihnen noch Antwort auf Ihre letzten Briefe ſchuldig bin; ſeit dem letzten hier geführten Streit, der mich ein halbes Jahr meines Lebens gekoſtet hat, welches in Artikelſchreiben aufging, be= finde ich mich in einer eignen Gemüthsverfaſſung, die ſich immer auch in andern Sachen bei mir einſtellt, mit denen ich mich lange und anſtrengend, beſchäftigt habe; es tritt dann ein Zuſtand ein, ver- gleichbar mit dem, wenn man genöthigt war lange Zeit ohne Unter— brechung eine Lieblingsſpeiſe zu genießen; ein Gefühl der Ueber— ſättigung, des Widerwillens, ja des Ekels, der es einem ſchwer oder unmöglich macht, freiwillig wieder darnach zu greifen. So war es bei mir mit der Landwirthſchaft; ich konnte nichts mehr davon hören und nicht mehr daran denken; ich komme mir wie ein Brunnen vor, der ſich von Zeit zu Zeit entleert und der wieder Zeit haben muß um ſich zu füllen, wenn er wieder abgeben ſoll. Ich mußte mich zu anderen Arbeiten wenden, um wieder frei und das Gefühl der Ermüdung und Ueberſättigung los zu werden. Im vorigen Jahr habe ich Ihnen meine Rede über „Induktion und Deduktion“ ge— ſchickt und jetzt bin ich an der Vollendung einer andern Arbeit, in welcher ich den Urſprung der Ideen und der Exfindungen der Menſchen zu entwickeln ſuche. Das Amtsblatt macht mir ſtets Vergnügen, indem ich darin 174 Reuning an Liebig. ſehe, wie klar Sie die Bedürfniſſe der Landwirthſchaft und die Be— dingungen des Fortſchrittes aufgefaßt haben und darzuſtellen wiſſen. Es muß dies eine unendlich gute Wirkung haben. Wie ganz anders ſind doch dieſe Fragen, wenn man ſie mit denen vergleicht, mit welchen die landwirthſchaftlichen Verſammlungen ihre Zeit vertrödelt haben! und welch ein ungeheurer Unterſchied mit einer noch nicht lange vergangenen Zeit. Es iſt jetzt ein ernſthaftes Streben nach einem bewußten Ziel, während früher alles verworren und unbeſtimmt war; Glück auf den Weg; es iſt Mühe dabei, aber der Lohn bleibt nicht aus. Ich habe Ihr Buch mit großem Intereſſe geleſen und es fehlte mir nur, um ein richtiges Urtheil zu haben, wie es vor Ihnen in Sachſen war; was jedem auffallen mag iſt, daß es in Sachſen weit beſſer als in andern Staaten iſt; von Bayern kann die Rede nicht ſein. Wenn ich es aufrichtig ſagen ſoll, ſo intereſſiren mich die hieſigen Verhältniſſe und Zuſtände nicht; ich gebe meinen Rath, wenn er verlangt wird und im übrigen laſſe ich die Dinge ihren Gang gehen ohne weiter einzugreifen. Lehmann hat mir ſeine Fütterungsverſuche mit S mit⸗ getheilt, ich glaube, daß ſie Vertrauen verdienen, und daß ſie Nutzen bringen werden. Die ſaure Reaktion des Harns der Schweine hat ihn zu einer ſchönen Entdeckung, des phosphorſauren Harnſtoffs nämlich geführt, eine Verbindung, die man vor ihm nicht kannte. Meine beſten und herzlichſten Wünſche zum neuen Jahr, er⸗ halten Sie mir Ihr Wohlwollen und Ihre Freundſchaft. Ich liebe Sie wie immer Ihr aufrichtiger J. v. Liebig. Dresden, den 18. Januar 1866. Hochverehrter Freund! Ihr Brief hat mir eine große Freude bereitet, der Fascikel wies eine Unterbrechung von gerade acht Monaten nach. So wenig * Reuning an Liebig. 175 ich nun erwarten kann und will, daß Sie mir Ihre Zeit opfern, ſo müßte ich doch aus einer Mittheilung Lehmanns, der Sie in Reichen— hall ſah, entnehmen, daß Sie mit mir ganz unzufrieden geworden ſeien, indem mir dieſer Ihr Urtheil wiedergab, ich verfalle in meinem einſeitigen Reiten auf der Phosphorſäure ganz in die Einſeitigkeit der Stickſtöffler, ſchade nur Ihrer Theorie. Ich würde letzteres aufs Tiefſte bedauern, wenn ich mir ein— bilden könnte Ihre Geſetze in ihrem Laufe zu ſtören, aber ich kann nicht anders. Bin ich einſeitig, dann ſtütze ich mich wenigſtens auf das, was ich immer wieder ſehe. Die Verſuche bei Weidlitz auf reinem Haideboden zeigten im dritten Jahr, nachdem der Ein— fluß der Atmosphäre ſeine Geltung erlangt hatte, daß die Ernten den gleichzeitig mit Stickſtoff gedüngten Feldern gleich ſtanden, da wo nur Mineralſtoffe aufgebracht waren. Lehmann wird Ihnen von ſeinen letztjährigen Verſuchen von einer großen Präponderanz der Stickſtoffdüngung erzählt, es aber unterlaſſen haben, die Erntereſultate mitzutheilen, die ebenſo wie die nachfolgende Saat gerade das Gegentheil erweiſen; halten Sie mich nicht für den leichtſinnigen Schwätzer, es giebt ſchwerlich jemand der dieſer Frage jo viel Zeit widmet, wie ich; es liegen Bücher, Be⸗ rechnungen aller Art in Maſſen vor, Arbeiten von Monaten um mich zu überzeugen, und was ich finde beſtärkt mich immer mehr in Ihrer Lehre, wie ich ſolche aufgefaßt habe, es iſt und bleibt die Phosphorſäure, die überall fehlt, weil ſie eben am Meiſten ausge— führt iſt. Laſſen Sie mich darum vorerſt auf meinen Weg; falle ich zu— rück in den Stickſtoffkauf neben dem Stallmiſt, dann kann ich nichts mehr ſchreiben, und wenn ich ruinirt werde, was ſchadet es? Ihre Lehre bleibt ſiegend, ein kleiner kann ſie nicht anbellen wollen. In neuerer Zeit iſt die Kartoffel in Angriff genommen, auch nach mancher Anſicht eine „praktiſche Arbeit.“ Die Nährſtoffe in derſelben ſind 1: 12, ſo ſteht es überall zu leſen und danach wird berechnet, wie viel Protein zuzuſetzen iſt. Jetzt finden ſich Kartoffeln 1: 6. Die Folgerungen ſind von enormer Tragweite 176 Reuning an Liebig. für die Praxis und dieſe Sachen ſoll ich nun laſſen, damit ein Chemiker der Verſuchsſtation ſuchen kann! Sie ſind landwirthſchaftsmüde. Das glaube ich gern, auch ich bin es oft bis zum Schlafen, und ſehne mich dann nach Ruhe. Ich bat in einer ſolchen Erſchlaffung im Oktober um meine Penſionirung, ſie iſt mir abgeſchlagen worden, da muß ich denn von neuem hinein und ſuche mich durch Abwechslung in der Arbeit manchmal wieder aufzurichten. Wie lange das gelingt, wer weiß es? ich ſitze hier nun bald 22 Jahre in der nie raſtenden Anſtrengung und hätte wohl noch einige Ruhejahre verdient. Auf Ihre neuen Forſchungen bin ich natürlich im höchſten Grade geſpannt; es iſt ein ſchönes Feld für Sie, es wird Sie daſſelbe erfriſchen; die Landwirthſchaft hat einſtweilen von Ihnen genug zu zu verdauen und dieſen Proceß zu fördern, das iſt jetzt die Aufgabe derer, welche hierzu berufen ſind. Auch auf dem reichſten, dem Lößboden, wo ich ſelbſt zweifelhaft war ob nicht noch Phos— phorſäure genug vorräthig ſei, wird dieſelbe jetzt reichlich angewandt; die Phosphate von Eſtremadura und Sombrero bewähren ſich ſehr gut nach Verſuchen. Nun zum Schluß die Bitte, erhalten Sie, auch wenn ich nur ſelten etwas von Ihnen höre, Ihr Wohlwollen Ihrem ergebenſten Reuning. Nehmen Sie es Lehmann nicht übel, daß er mir Ihr Urtheil wiedergab; es geſchah in der beſten Abſicht, um mich von einem falſchen Wege abzulenken; er glaubte, daß Sie es allein vermöchten. Dresden, den 20. April 1868. Hochverehrter Gönner! Befürchten Sie nicht, daß ich Sie heute wieder mit der Frage über Stickſtoffdüngung, die Sie, wie ich zu meinem Bedauern ge— Reuning an Liebig. 177 hört, ſo unangenehm berührt hat, beläſtige; es ſoll dieſes nicht wieder geſchehen, nicht als ob ich von der Irrigkeit meiner Anſichten, die ſich durch fortdauernde Beobachtungen nur beſtärkt haben, mich über— zeugt hätte, ſondern weil ich kein Recht habe Sie mit Dingen zu plagen, die Ihnen nun einmal unangenehm geworden ſind — ich erfülle einen Wunſch des Ueberbringers dieſes Briefes, des Herrn Dr. Meyer, der den größten Werth mit Recht darauf legt, daß Sie Ihr Urtheil über die Agrarzuſtände Ungarns abgeben und mich dringend gebeten hat, Sie zu erſuchen, dieſe Aufgabe zu erfüllen. Und in der That ſind Sie es allein, der hier helfen kann, deſſen Name den wiſſenſchaftlichen Grundſätzen, die hier maßgebend ſind, Eingang verſchaffen kann, der es in der Hand hat, die Geſetze zu begründen, die hier befolgt werden müſſen. Gebe ich Ihnen auch zu, daß die Aufgabe des Agrikulturchemikers hierbei die geringere iſt, daß Sie den von Ihnen aufgeſtellten Geſetzen in dieſer Richtung wenig zuzufügen im Stande ſein werden, ſo iſt es eine andere Frage, die hier in den Vordergrund tritt und die nur Sie wieder gründlich beantworten können; es iſt diejenige des Klimas und der Mittel, daſſelbe für die Vegetation zu verbeſſern. In den hierüber bis jetzt erſchienenen Aufſätzen der Revue iſt in Beziehung auf dieſe Frage manches enthalten, vieles widerſprochen, nichts aber ſo recht faßlich klar begründet, anderes unausführbar oder gar unwahr. Nach meinem Erachten ſind es die Winde, von denen hier alles abhängt, es iſt die Baumloſigkeit der 600 Quadratmeilen umfaſſen⸗ den Fläche, welche die Dürre hervorruft und bevor letztere ge— mildert iſt, kann an eine nur einigermaßen ſichere Vegetation nicht gedacht werden, müſſen alle übrigen Rathſchläge in zweiter Linie ſtehen bleiben. Der Einfluß der Bäume, nicht der vereinzelt ſtehen— den, ſondern derjenige des Waldes, tritt aber in doppelter Beziehung auf, einmal als Wand gegen die austrocknenden Winde, in welcher Beziehung ſie ähnlich wirken müſſen, wie ein Bergrücken, hinter welchem in den Thälern die Feuchtigkeit ſich erhält, dann aber als Aufſammler der Niederſchläge, um dieſe dann allmählich wieder zu exhaliren. In dieſer Beziehung ſtehen die Grünpflanzen, Luzerne, Lupine ꝛc., den Bäumen gleich, aber die Exhalation der letzteren Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 12 178 Reuning an Liebig. — = — - —- kann erſt dann einen Einfluß auf die Feuchtigkeit des Klimas äußern, wenn die Winde abgehalten oder gemäßigt werden, denn aller Waſſerdunſt wird von dieſen, ſobald ſie aus trocknen Gegenden wehen, ſofort vertrieben. Ich erinnere Sie an Salzburg, wo es ewig regnet, weil das Thal einen Keſſel bildet, in welchem die Winde keinen Einfluß haben, wo die ausgehauchte Feuchtigkeit der Pflanzen ſich wieder niederſchlagen muß, ich erinnere Sie weiter an die Steppen, wo wegen Mangels an Wald die Niederſchläge ſo gering ſind, weil ſie ſofort wieder fortgeführt werden, ja an Odeſſa ſelbſt, das unmittelbar am Meer gelegen, doch Steppe iſt, weil eben die trocknen Winde die Ausdünſtung des ſchwarzen Meeres fort— treiben. Es iſt dort brennend heiß, nicht einmal die Kühle des Meeres bemerklich. Darum nach meinem Erachten vorerſt Schutzwaldungen, an dieſe anſchließend Bäume in der nächſten Umgebung der Dörfer und Städte, die peinlich kahl liegen. Hier werden die Gebäude den Bäumen, die Bäume den Gebäuden Schutz gewähren, es bildet ſich dann ein weiterer Widerſtand, um die Gewalt der austrocknenden Winde zu brechen. An dieſes erſt anſchließend ein rationeller Acker— bau, baſirt auf den Anbau tief wurzelnder Grünpflanzen, einmal zu dem Zweck um Feuchtigkeit aus den tiefen Schichten des Bodens herauszuziehen und durch die Blätter zu verdunſten; dann um durch dieſelben aus dem Untergrund für die Ackerkrume die Mineral-Be— ſtandtheile herauf zu holen, eine ausreichende Viehzucht zu begründen, den Raubbau zu beſeitigen. Ein anderer Erſatz iſt nach den volks— wirthſchaftlichen Zuſtänden Ungarns zur Zeit noch nicht angezeigt, es wird dieſer aber auch vorerſt genügen. An Stickſtoffzufuhr kann ich nach meiner Auffaſſung natürlich nicht denken; gerade Ungarn und die Steppen beweiſen für mich, daß eine ſolche unnöthig iſt, denn, wo man Körner auf Körner bauen kann, ohne auch nur des Stallmiſtes ſich zu bedienen, da zeigt es ſich, daß es an Stickſtoff nicht fehlen kann. Man begegnet in den bis jetzt erſchienenen Aufſätzen mehrfach der Anſicht, daß Bäume nicht aufkommen, daß die Steppe Steppe ſei, weil dieſe nicht wachſen. Das iſt falſch. Man findet an der unteren Reuning an Liebig. 8 179 Donau in Serbien, in der Wallachei prachtvolle Waldungen, wo die äußeren Verhältniſſe weit ungünſtiger ſind, ja ſogar in der Steppe habe ich ſehr ſchönen Laubwald getroffen. Dieſer breitet ſich in den Schluchten von ſelbſt aus, ich ſah 2— 3000 Morgen an einem Ort, nur auf den Höhen, wo die Winde ihre Macht ausübten, war der Wuchs ein langſamer, in der Niederung ein ſehr erfreulicher. Po— dolien iſt keine Steppe, weil es bewaldet iſt; die äußeren Beding⸗ ungen ſind dieſelben und auch in Ungarn wächſt der Wald, wo man ihn pflegt. Die Vorſchläge wegen der Canaliſation ſind nach meiner An- ſicht unausführbar und zwar aus volkswirthſchaftlichen, wie aus naturgeſetzlichen Gründen. Man iſt jo leicht bei der Hand, über- tragen zu wollen, was nicht übertragbar iſt, man bezieht ſich auf die Erfolge der Bewäſſerung in der Lombardei und vergißt, daß man dort drei Ernten im Jahr von dem Boden nimmt, daß man Pro— dukte baut, die einen großen Werth haben, daß für alles guter Ab— ſatz ſich ergiebt, daß man Arbeitskräfte, daß man Kapital hat, alles dieſes fehlt in Ungarn; es iſt nicht denkbar, daß man 2500 fl. für den Hectar ausgiebt, um Weizen, Roggen, Gerſte, Hafer, Mais bei im Durchſchnitt ſehr geringem Marktpreis zu bauen. Alle dieſe Vor⸗ ſchläge ſind Ausflüſſe von Leuten, die die Verhältniſſe nicht kennen, nicht kennen wollen, oder nicht zu beurtheilen wiſſen. Abgeſehen aber auch hiervon, ſo ſind die Wäſſer Ungarns lange nicht ausreichend zu dieſer Bewäſſerung en gros. Man muß ſich nur vergegenwärtigen, was ein Morgen Landes bedarf, um eine Vegetation von der zugeleiteten Feuchtigkeit zu erhalten und denke ſich dieſe auf 12 000 000 Morgen vertheilt. Selbſt die Flüſſe aber trocknen aus und die Reſervoirs, von denen man ſchreibt, tragen das Schickſal der Flüſſe. Außerdem iſt der Boden Ungarns zum größten Theil ſo durchläſſig, daß man ſchwer eine Grenze für die Waſſeraufnahme deſſelben findet. Man wird aber eine Steppe nicht mit kleinen Gräbchen, die wieder nur mit Cement vermauert das Waſſer halten würden, bewäſſern wollen. Ich ſah in der Steppe ein Kraut⸗ feld durch einen Pferdegöpel bewäſſern. Das Pferd ging den ganzen Tag und doch fand ſich kein Ueberfluß; kurz, das iſt unausführbar. 12* 180 R Reuning an Liebig. Man überlaſſe den an die Flüſſe grenzenden Privatbeſitzern, das Waſſer zu benutzen. Auch dieſes wird wegen des mangelnden Ge— fälles auf große Schwierigkeiten ſtoßen, man kann dort noch nicht künſtliches Gefälle mit einem Aufwand von 200—300 fl. für das Joch ſchaffen, wo dieſes 50 fl. koſtet. Ueber alles dieſes können Sie urtheilen und Sie allein Rath— ſchläge geben. Ich bin gern bereit, unter Ihrer Aegide mit zu ar— beiten, aber nur unter dieſer Bedingung. Die Ausführung anlangend, ſo verzichte ich zum Voraus darauf, daß Sie Wochen oder auch nur Tage unter dem Ungariſchen Klima, brennender Hitze bei Tag, kühlen und kalten Abenden reiſen, um ſich an Ort und Stelle von den Zuſtänden zu überzeugen, wie ſie ſind; es bietet dieſes mehr Strapazen, als Sie aushalten können oder wollen; ich kenne Ihre Abneigung gegen derartige Reiſean— ſtrengungen, Sie haben das Recht und die Pflicht, ſich zu ſchonen. Ihr Fuß ſchon würde das nicht geſtatten. Und ich, ich bezweifle ſehr, ob ich reiſen könnte. Seit einem Jahr ſchon ſitze ich faſt ganz feſt, komme nur zu ganz kurzen Touren. Ein altes Blaſenleiden hat ſich ſehr verſchlimmert; der eine Arzt führt daſſelbe auf Steine in den Nieren zurück, es hat aber kein Mittel dieſe abführen können, der andere ſucht das Uebel in einem „chroniſchen Blaſenkatarrh“ in Verbindung mit Hämorrhoiden. Was es nun auch ſei, zur Zeit kann ich nicht über eine Stunde im Wagen ſitzen, laborire ich an heftigen Schmerzen und bezweifle, daß ich zu dieſer Reiſe fähig werde. Der Arzt räth mir davon ab, ich ſoll lieber nach Gaſtein gehen. a Dagegen erachte ich ein Gutachten nicht gerade abhängig von einer Lokal⸗Inſpektion, die Aufſätze in der „Revue“ gehörig geſichtet, geſtatten eine Erkenntniß der klimatiſchen Bodenverhältniſſe; über den Betrieb des Ackerbaus kann nur wenig geſagt werden und dieſes wird ſich in der Literatur finden. Auswirthſchaftender Körner-Raubbau, ge⸗ fördert durch gebeſſerten Abſatz; ein für den Moment Geld ſchaffender Betrieb, Nothwendigkeit des beginnenden Ruins. Da können nur allgemeine volkswirthſchaftliche und Naturgeſetze in dem Gutachten aufgenommen werden, man kann ſich auf Specialitäten nicht einlaſſen, dieſes iſt Sache der Ausführung und dabei wird man auf Vorur— Reuning an Liebig. 181 theile aller Art ſtoßen, man wird der Arbeit keinen Werth beilegen, wenn die Rathſchläge in irgend einer Weiſe der vermeintlichen oder wirklichen praktiſchen Erfahrung entgegen ſtehen. Ich dachte mir, um Sie nicht zu viel zu beläſtigen, die Sache ſo: ich conſtatire aus den Vorlagen die faktiſchen Zuſtände wie ſie ſind, füge hieran mein Urtheil, wie ſolches in nuce in Obigem enthalten iſt, verbreite mich über die allgemeinen Geſichtspunkte von dem Standpunkt des Betriebs und deſſen, was hierbei zu ändern iſt und ſchicke Ihnen dann die ganze Arbeit, um ſolche zu benutzen oder nicht, insbeſondere aber um die Naturgeſetze in ein helleres Licht zu ſtellen, als ich es vermag. Sie werden hierdurch etwas leiſten, was für das Land von größtem Nutzen iſt, wenn auch die eigentliche Erkenntniß erſt ſpäter kommt. Entſcheiden Sie hiernach; Herr Dr. Meyer will Sie in dieſer Woche perſönlich veranlaſſen, der Sache Ihre Thätigkeit zu widmen (ich laſſe den Brief per Poſt ihm vorangehen). Ich danke Ihnen täglich in Ihrem Brod, das hier recht gut gebacken wird, vortrefflich ſchmeckt, aber nur von einem Theil der wohlhabenderen Klaſſen genoſſen wird; ich arbeite fort nach den Kräften, die mir zur Ver— fügung ſtehen und nach Luft, intereſſire mich jetzt für die Noth— wendigkeit der Mehrproduktion in Folge der ſteigenden Bevölkerung, nachdem dieſe in 49 Jahren bei uns ſich verdoppelt hat; dabei treten intereſſante Zahlen hervor. Nach gerade 10 Jahren, nach Unannehmlichkeiten aller Art, die mir hieraus erwachſen ſind, kommen meine Vorſchläge wegen des landwirthſchaftlichen Unterrichts endlich zur Ausführung. Tharandt muß formell noch zwei Jahre beſtehen, es wird aber an der Uni— verſität mehr gethan und eine landwirthſchaftliche Mittelſchule in Verbindung mit einer Realſchule gegründet. Nach den Zuſicherungen, die mir bis jetzt der Kultusminiſter gegeben hat, ſoll auch bei der Mittelſchule „die Lehre der Praxis“ ganz ausgeſchloſſen, ein rein wiſſenſchaftlicher Zweck verfolgt werden, ſo daß ich hoffen kann, daß wenigſtens das richtige Princip mehr als in irgend einem Land zur Anerkennung kommt. Dann wird der Zukunft geholfen ſein. Sonſt nimmt die Einſicht namentlich unter den Bauern ſehr 182 Liebig an Reuning. erfreulich zu; ich ſuche Einrichtungen hervorzurufen, daß bei meinem, wenn ich's erlebe, im nächſten Jahr nach 25 jähriger Thätigkeit er: folgendem Rücktritt, die Sache in gutem Gange bleibt; meine Stelle wird nicht wieder beſetzt, ſie iſt in dieſer Weiſe unnöthig geworden. Noch eins. Auf meinem eben ausgerodeten Waldboden mit bindigem rohem Lehm wurden kleine Aeſte, Nadeln verbrannt. An dieſen Stellen wuchs die Kartoffel brillant. Auf dem übrigen Feld, wo mein Sohn Guano allein mit etwas Phosphat angewendet hatte, war die Ernte erbärmlich; ich durfte ihn von dieſem Verſuch, auf dieſer Stelle Guano zu verwenden, nicht abhalten, da ihm viele dazu riethen und ich ihn ſeine Erfahrungen machen laſſen wollte. Das Kali that alles und hat zur Folge gehabt, daß nun Holzaſche in jeder erreichbaren Menge gekauft, der an ſich kalireiche Boden durch vermehrtes Kali und Phosphorſäure bei Kartoffeln reich hiermit traktirt wird. Schon im vorigen Jahr waren die Erfolge von Aſche ſehr glänzend und ſo hoffe ich es zu erleben, daß ein Gut auf den erreichbaren Er— trag gebracht wird, ohne den Guanohändlern tributär zu werden. In alter Verehrung Ihr ergebener Reuning. München, den 28. April 1868. Mlein theurer Freund! Wie können Sie nur denken, daß ich von Ihren Anſichten über die Stickſtoffdüngung einen Moment unangenehm berührt worden wäre; im großen Ganzen bin ich ſogar mit Ihnen einverſtanden, aber nicht in einzelnen Fällen, wo die Düngung mit ſtickſtoff⸗ haltigen Materien nützlich ſein kann. Meinen herzlichſten Dank für Ihre Aufklärungen über Ungarn; ich werde nicht hingehen. Was mich heute veranlaßt, Ihnen zu ſchreiben, iſt das Uebel an dem Sie leiden. Ein hieſiger ausgezeichneter Arzt meint, daß kohlenſaures Lithion Ihnen vielleicht helfen könnte und da ich ſehr reines zur Verfügung Reuning an Liebig. 183 habe, ſo wollte ich Ihnen etwas davon ſchicken; ich nehme es täglich gegen Gicht und Rheumatismus. Schaden kann es Ihnen nicht. Ich ſtelle mir durch Uebergießen des Pulvers mit deſtillirtem Waſſer in einer Flaſche eine kalt geſättigte Löſung des kohlenſauren Lithions dar, von der ich nüchtern zwei Eßlöffel voll in einem Schoppen kohlenſauren Waſſers (Sodawaſſer) trinke. Möge es Ihnen nützlich ſein. Die Beantwortung Ihres Briefes behalte ich mir vor; ich wollte mit dem Lithion nicht länger warten. Thut es Ihnen gut, ſo ſteht mehr zu Dienſten, ich habe Pfunde davon. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Thürmsdorf, den 27. Juli 1868. Hochverehrter Freund! Herr Adam Müller hat in mir die Sehnſucht, Sie wieder einmal auf einige Tage zu ſehen, ſehr rege gemacht; ich bedarf geiſtiger Nahrung und weiß dieſe nirgends anders zu finden, darum wollte ich, wenn es irgend geht, Sie bald, entweder in München beſuchen, oder dahin gehen, wo Sie Ihren Ferienaufenthalt nehmen. Schreiben Sie mir darum gefälligſt, wie lange Sie in München noch bleiben, und wohin Sie in den Ferien reiſen. Ich gehe dieſe Woche nach Dresden zurück, halte es hier nicht länger aus, wo in dieſem Jahre nichts als Vertrocknen zu ſehen iſt, keine Freude, nur Verdruß; es hat in 3 Monaten faſt nicht geregnet. Ich hoffe, ehe ich Sie ſehe, wenn auch nicht ganz in Penſion, doch von allen laufenden Geſchäften dispenſirt zu ſein, will nur mein kleines Blatt und die Geſchäfte bei den Verſuchsſtationen behalten. Mit 62 Jahren iſt es nicht möglich die geiſtige Schnellkraft zu behalten, die für ein fo aufreibendes Amt, das nur produktiv wirken ſoll, er— forderlich iſt; es bleibt das Intereſſe an ſo vielen kleinen Dingen nicht rege genug, die Reiſen werden zur Laſt, kurz ich kann die Ver— antwortlichkeit, die mich drückt, nicht länger tragen und hoffe wenig— ſtens, daß die ſtets trübe Stimmung, die mich drückt, ſich etwas beſſern wird. 184 Liebig an Reuning. * Herzlich danke ich Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit, mein körperliches Leiden zu beſſern; ich hatte aber ſchon im September v. J. Lithion genommen, dann Vichy getrunken und ſah das Uebel eher ſich verſchlimmern, ich vermuthe daß irgend eine Eiterung ſtatt fand, wie in dem Urin ſichtbar war, und daß dieſe erſt beſeitigt werden mußte; das iſt durch Sitzbäder, die mich weſentlich erleichtert haben, geſchehen und habe ich angefangen Ihr Lithion zu nehmen, indem ich hoffe, daß es mir helfen wird. Ueber Ungarn hatte ich zwei Monate gearbeitet, als mir Dr. Meyer ſagte, daß die Revue eingehe; ich habe darauf die Ar— beit, an der ich wenigſtens manches gelernt habe, ruhen laſſen. Ihr Name ſollte als Mittel dienen, weitere Subventionen zu erlangen und das iſt nicht gelungen. Was Sie über die Nothwendigkeit der Anweſenheit von Phos— phorſäure in dem Futter Herrn Müller gejagt haben, intereſſirt mich ungemein, es hatte Lehmann dieſes ſchon in meinem Gutachten über vom Hüttenrauch beſchädigtes Futter benutzt, es giebt dieſes der Fütterungslehre eine ganz neue Richtung und wünſchte ich nach Rück— ſprache mit Ihnen alsbald nach dieſer Richtung Verſuche anſtellen zu laſſen. Nobbe hat über Wurzeln gearbeitet, gefunden, daß eine Roggen— pflanze bis gegen 8000 Wurzeln treibt. Auch in Pommritz ſind hierhin zielende Verſuche im Gange. Doch über alles dieſes, wie ich hoffe, bald mündlich mehr. Erfreuen Sie mich mit einigen Worten nach Dresden. Ihr ergebener Reuning. München, den 30. Juli 1868. Mein verehrter theurer Freund! Sie werden mir und meiner Frau durch Ihren Beſuch eine große Freude machen, und ich eile Sie von meinen Bewegungen zu unterrichten, um Ihre Reiſe darnach einzurichten; ich gehe über— 7 . nr Reuning an Liebig. 185 — morgen mit meiner Tochter Marie nach Kiſſingen und komme den 10. Auguſt von da wieder zurück; ich bleibe alsdann noch 8 bis 10 Tage hier in München und beabſichtige ſodann mit meinem Freunde Wöhler von Göttingen eine Reiſe nach der Schweiz zu machen, wo— hin iſt uns ziemlich gleichgültig. Ich bin durch Arbeiten und die Hitze des Sommers ſehr her— untergekommen und ſehne mich von hier fort, um nur eine andere Luft zu athmen und andere Geſichter zu ſehen. Ich bleibe auf keinen Fall länger in Kiſſingen, als bis zum 10. und ich bitte Sie Ihre Reiſe ſo einzurichten, daß wir hier zu— ſammen ankommen. Ich rechne darauf, daß Sie ohne weiteres bei uns einkehren, Ihr Bett und alles iſt für Ihre Aufnahme herge— richtet; ich bemerke, daß ich in Kiſſingen bei Halbig, Kurhausgaſſe wohnen werde, wenn Sie mir nach Kiſſingen ſchreiben wollen. Wir gehen dann zuſammen nach der Schweiz und an Unterhaltung wird es uns nicht fehlen. Es iſt mir ſehr ſchmerzlich, Sie ſo leidend zu wiſſen, aber die Reiſe wird Ihnen ſicherlich gut thun; eine richtige Diät, die wir be— ſprechen wollen, kann vieles lindern. Ueber alles andere mündlich. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Ich richte dieſe Zeilen nach Dresden, da Sie in Ihrem Briefe ſagen, daß Sie dieſe Woche dort ſein werden. Dres den, den 13. Auguſt 1868. Hochverehrter Freund! Die Hitze iſt hier ſo maßlos, daß ich es nicht wage, zu reiſen, ehe ſie wenigſtens etwas nachläßt, da ich fürchte, durch eine Er— kältung mein Uebel wieder zu befeſtigen, am Ende gar unterwegs liegen zu bleiben und eine Erholung doch aus einer reinen Schwitzreiſe nicht entſpringen kann. Darum konnte ich mich nicht entſchließen 186 Liebig an Reuning. am 10. in München zu ſein, ich hoffe immer noch auf Abkühlung, ſuche Sie vielleicht in der Schweiz auf, oder komme, wenn Sie zu— rück ſind, um dann in Ruhe mit Ihnen ſprechen zu können. Vom 1. September bin ich von den gewöhnlichen Arbeiten befreit, kann dann über meine Zeit verfügen. Ein Profeſſor Richter, tüchtiger Arzt, der ſich auf das Leb— hafteſte für Geſundheitspolizei intereſſirt, wollte Sie beſuchen, er wird eine Karte von mir überbringen und bitte ich, ihn freundlich aufzunehmen. In alter Verehrung und Liebe beharrend Ihr ergebenſter Reuning. München, den 12. Oktober 1868. Mlein theurer Freund! Wie geht es Ihnen denn mein theurer Freund? Das Wetter iſt zwar nicht beſonders, aber es dürfte Ihnen dennoch gut thun, wenn Sie ſich eine Zeit lang bei mir ausruhen. Ich bin ſeit etwa 10 Tagen wieder in München und habe noch bis zum November freie Tage. Ich bitte darum Ihren früheren Plan auszuführen und zu uns zu kommen. Ihr Bett iſt bereit und Sie ſind jeden Tag will— kommen. Sollten Sie einen Blick in B. Auerbachs Volkskalender für 1869 werfen wollen, ſo werden Sie darin einen Aufſatz über den Ernährungswerth der Speiſen finden, in welchem ich verſucht habe für die Menſchen in Anwendung zu bringen, was die Thier— züchter längſt gewohnt ſind für das Vieh zu thun. Ob ich Erfolg habe ſteht dahin, aber der Verſuch muß gemacht werden; es iſt freilich leichter mit Ochſen und Schafen zurecht zu kommen, als mit dem eigenwilligen Gewohnheitsthier, was der Menſch iſt. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Liebig an Reuning. a 187 München, den 6. December 1869. Mein theurer Freund! Ich wünſchte ich wäre ſo glücklich wie Sie und könnte alle die Tagesarbeiten, die mich drücken, von mir werfen und die Jahre die Gott mir geſtattet, mir ſelbſt und meinen Neigungen verleben. Auf das innigſte habe ich mich gefreut über den Ausdruck des Danfge- fühls der ſächſiſchen Bevölkerung, die anzuerkennen weiß, was Sie für ſie gethan haben; daß die 25 Jahre, die Sie in Sachſen zu— brachten, aufgingen in den uneigennützigſten Beſtrebungen den dortigen Zuſtand in der Landwirthſchaft zu verbeſſern und zu heben, und daß Sie alle Ihre Kräfte dieſem Ziele ohne Unterlaß zugewendet haben, dieß kann ich ſo gut wie ein Sachſe bezeugen. Und wenn Sie zu— rückblicken, jo müſſen Sie doch geſtehen, daß Sie große Erfolge er— reicht haben; mühevoll im Anfang, bis Sie den Geiſt der Menſchen gewonnen hatten; aber ohne Anſtrengung erreicht man dies nicht. Es war für mich eine hohe Befriedigung, daß ein Mann wie Sie, nicht blos die Bedeutung der wiſſenſchaftlichen Lehre im Gebiete der Landwirthſchaft zu einer Zeit erkannte, wo viele der Einſichts— vollſten noch im Zweifel darüber waren, ſondern daß Sie es auch auf ſich genommen haben dieſe Grundſätze in der Praxis zur Geltung zu bringen. Sie haben jetzt, mein theurer Freund, Muſe genug und ſind durch Dienſtrückſichten nicht mehr gehindert, ein lange gegebenes Ver⸗ ſprechen zu erfüllen mich in München zu beſuchen und ich bitte Sie herzlich darum. Mit dem Beginn des neuen Jahres bin ich ganz frei und ich rechne dann, daß Sie kommen. Mit aufrichtigſter Anhänglichkeit Ganz Ihr J. v. Liebig. 188 Neuning an Liebig. Dresden, den 25. November 1870. Hochverehrter Freund! Wieder einmal direkt von Ihnen zu hören, wie es Ihnen er⸗ geht, iſt der Zweck dieſes Briefes, nachdem faſt Jahre vergangen ſind, ohne daß mir ein Zeichen Ihrer Hand zukam, eine Zeit in der Sie zu meiner großen Betrübniß nahe daran waren, aus dieſem Leben zu ſcheiden und auch ich an der Endſtation der großen Reiſe geſtanden und noch einmal zu einem kleinen Abſtecher gelangte. Iſt man in dieſes Alter getreten, ſo liegt die Sehnſucht nahe, von denen die man liebt und mehr als liebt, die man verehrt, von Zeit zu Zeit über ihr Ergehen etwas zu erfahren. Gleichzeitig mit meiner Herſtellung von einem ſchlimmen Fallen und mit dem Anfang dieſes Jahres habe ich den Dienſt verlaſſen, ob— ſchon ich in einem Bureauamt noch einige Jahre verwendbar geweſen wäre, ſo fühlte ich doch, daß ich in meinem Berufe nichts mehr taugte; die ſtets produktive oder wenigſtens nach Produktion ſtre— bende Richtung erfordert eine jugendlichere Kraft als ich noch beſitze; dem Fortſchreiten in den Naturwiſſenſchaften konnte ich auch nicht in der Entfernung, in welcher ich zu denſelben ſtand, weiter folgen, es blieb mir nur der volkswirthſchaftliche Theil der Landwirthſchafts— Wiſſenſchaft und dieſer genügte nicht zu einem Vorwärtsdrängen nach allen Richtungen, zumal nachdem das Intereſſe an dem täglichen praktiſchen Betrieb im Ackerbau nicht weit über die 60er Jahre reichen konnte; ſo bin ich denn aus Allem herausgetreten und ſuche, was mir an Kraft noch blieb, zu kleinen Abhandlungen zu ver— wenden, habe eine Broſchüre über den Waldbau, eine andere über die Rinderpeſt druckfertig liegen. Im Lande geht es, wie es ſcheint, rüſtig vorwärts, ich freue mich ſagen zu können, daß die Früchte mancher Saat reifen, wenn auch ſpät. Darf ich Dieſes, mit welcher Genugthuung können Sie zurückblicken, der Grenzpfahl der neuen Geſchichte der Landwirthſchaft, der Generalſtabschef für Jahrhunderte. Ich glaube, Sie ſelbſt wiſſen es nicht genügend zu ſchätzen, was Sie geſchaffen haben, da Ihnen das Alles als natürlich erſcheinen muß. Ja, Ihre Geſetze ſind die Reuning an Liebig. 189 natürlichſten, aber gerade darum haben ſie den großen Werth; die neue Generation hat ſie aufgenommen, vielfach ohne den Urheber, noch weniger die Kämpfe zu kennen, die derſelbe vor einer bornirten Welt beſtanden hat. Ich will nicht leugnen, daß auch jetzt noch der Junker in der Landwirthſchaft ſich vornehm über Sie erheben will, aber er wird als ſolcher verlacht. Sie wiſſen, mein Sohn wollte ohne Guano ſein Gut in die Höhe bringen, hielt daran feſt und obſchon er bei Rodungen von mehr als 40 „ der jetzigen Fläche bei den erſten Früchten auf dieſen Feldern etwas Stickſtoff anwandte, ſo unterblieb es doch bei den alten Feldern, er kaufte Phosphorſäure und Kali in der Holz— aſche und hat ſeine Ernte um mehr als 50 % geſteigert, ohne am Ende zu ſein; die Verſicherung gegen Feuer iſt von 22 auf 54,000 Thaler geſtiegen, es war eine Wonne, die Felder zu ſehen, ehe ſie ein Hagelſchlag traf. Ob ich Sie noch einmal ſehen werde! ich bin des Reiſens ent— wöhnt, komme zu keinem Entſchluß und wenn ich auch in dieſem Sommer in Carlsbad Ihnen um die Hälfte näher gerückt war, dieſes vielleicht im nächſten Jahr wieder geſchehen muß, da meine Nieren den Gries nicht los werden, ſo weiß ich doch nicht, ob ich mich entſchließe weiter zu gehen, da das Waſſer Carlsbads mein Blut in wilde Aufregung bringt und dieſes dann der Ruhe bedarf. Und die neue politiſche Zeit! ſie verkörperte die Ideen der Jugend, die damals als Verbrechen galten, die auch mir bittere Jahre brachten, und ich freue mich, dieſe Zeit erlebt zu haben. Aber das Elend, welches ſich an jede frohe Nachricht knüpfte, drückt die Freude herab. In ſpäteren Jahren wird man nur der großen Thaten gedenken, das Elend vergeſſen haben. Nun leben Sie wohl, erfreuen Sie ſich Ihrer wieder gekräf— tigten Geſundheit und genießen Sie den Dank, den Ihnen die Welt bringt. Von Herzen Ihr ergebener Reuning. 190 3 Liebig an Reuning. München, den 29. November 1870. Mein theurer Freund! Ich habe ſeit Langem eine große Sehnſucht gehabt, von Ihnen Nachricht zu bekommen und ſo iſt mir denn Ihr Brief eine wahre Freude geweſen, ein willkommenes Zeichen Ihres friſchen Geiſtes, mit welchem das körperliche Befinden ſtets im Verhältniß ſteht. Es wird jetzt 1½ Jahr ſein, wo Sie mir in ein paar Zeilen Hoffnung machten, Sie hier bei mir zu ſehen, ich ſagte Ihnen da— mals, wie viel Vergnügen mir Ihr Beſuch machen würde, ich hörte aber nichts weiter davon. Dazwiſchen liegt bei mir eine lange, ſchmerzliche Krankheit, von der ich mich jetzt beinahe ganz erholt habe, ſo daß ich meine Winter— vorleſungen beginnen konnte und ohne Ermüdung leſe. Ich hatte mich in einer Arbeit über Gährung, Muskelkraft und Ernährung über das Maß angeſtrengt, und zu einer Gehirn-Affection geſellte ſich ein Carbunkel im Nacken, der mir 40 ſchlafloſe Nächte und furchtbare Schmerzen machte. Ich hatte mit dem Leben ab— geſchloſſen und erwartete den Tod ohne Bedauern, denn für unſer— eins hat das Leben keinen Reiz mehr, wenn die Schwächen des Geiſtes und Leibes uns verbieten an dem gewaltigen Schaffen und der Bewegung der Zeit uns zu betheiligen. Religiöſe Bedürfniſſe ſo weit ſie ſich nur auf die thörichte Furcht beziehen, was nach dem Tode aus uns wird, habe ich nicht. Dies iſt wohl der Haupt- gewinn, den meine Beſchäftigung mit der Natur und ihren Geſetzen mir gewährt hat. Ich finde Alles ſo unendlich weiſe geordnet, daß gerade die Frage, was mit dem Abſchluß des Lebens aus mir wird, mich am allerwenigſten beſchäftigt. Was aus mir wird, iſt ſicherlich das Beſte, darüber bin ich ganz vollſtändig beruhigt. Ich bin aber doch jetzt froh, dieſes Jahr erlebt zu haben, denn alles, was wir Schönes und Großes von der deutſchen Nation in unſerer Jugend geträumt haben, ſehen wir in der Blüthe ſtehen und hoffentlich auch die Reife noch. Welche Tapferkeit und Hingebung in unſerer jugendlichen Be⸗ völkerung und welcher Geiſt in ihrer Führung! Es wird und muß Reuning an Liebig. 191 zu einem guten Ende kommen, denn dafür ſetzt das geeinigte Deutſch— land jetzt den letzten Blutstropfen ein. Was Sie von den Gefühlen ſagen, welche die Erfolge meiner Arbeiten mir einflößen ſollen, ſo iſt dies anders bei mir. Ich habe die Befriedigung in einer langen Rechnung keine beſonderen Böcke ge— ſchoſſen zu haben und dies iſt ſo ziemlich Alles; ich ſtehe der Land— wirthſchaft zu ferne, um die Naturgeſetze in ihrem Wirken in der nächſten Nähe zu ſehen und mich daran erfreuen zu können, und dies gehört doch dazu, um zu einem klaren Bewußtſein darüber zu kom— men, daß man wirklich etwas gethan hat. Für Sie und Ihren Sohn iſt dies anders; Sie haben direct mit der Natur verkehrt und hohe Fragen an ſie geſtellt; ſie hat dankbar für Ihr Thun Ihnen Antwort gegeben; ſichtbare und greifbare Antwort, nicht vorüber— gehend, ſondern Ihre Befriedigung begann mit dem Frühling und dauerte über den Herbſt, über die Zeit der Ernte hinaus, und Sie ſind ſicher, daß ſie wiederkehren wird. Dies iſt beneidenswerth und ein Gefühl, was ich nie gehabt habe. Mein theurer Freund, ich bitte Sie inſtändig es einzurichten, daß wir uns im Laufe des Frühlings oder Sommers hier ſehen, auf Ihrer Hin- oder Rückreiſe von Carlsbad. — Ich ſchicke Ihnen einen Theil einer Abhandlung, worin ich auch Etwas über Ernährung und Fettbildung geſagt habe, was Sie intereſſiren dürfte. Mit herzlicher Zuneigung und Anhänglichkeit Ihr treuer J. v. Liebig. Dresden, den 19. April 1871. Hochverehrter Freund! Kaum traue ich meinen Augen, wenn ich eben ſehe, daß Ihr letzter Brief noch aus dem vorigen Jahr datirt; er lag vor mir, ich las ihn immer wieder, ehe ich ihn zur Correſpondenz mit Ihnen reponirte, und finde immer wieder den betrübenden Eindruck be— ſtätigt, daß Sie ſich nicht freuen über das, was Sie geſchaffen, weil 192 2 Reuning an Liebig. Sie es in Ihrer Umgebung nicht wahrnehmen können; dieſer Lohn wenigſtens gebührt Ihnen; Sie ſind darin ganz verſchieden von den jüngeren Agriculturchemikern, die den Lohn ſich ſelbſt anticipiren, über Alles, was ſie glauben gefunden zu haben, gacken wie ein Hahn auf dem Miſt. Und wenn man die Sache an's Licht zieht, ſo iſt ſie entweder falſch, oder Sie haben das Geſetz in den ein— fachen Worten längſt ausgeſprochen, das nur einer richtigen Ver— ſtändniß und Anwendung harrt, wo dieſe noch nicht erzielt iſt. Ihre Leuchte erprobe ich am beſten an mir ſelbſt, wenn ich meine Auffaſſung vor 30 Jahren und jetzt gegeneinander ſtelle und wenn ich von Denjenigen, die früher noch weniger wußten, oder glaubten Ihre Lehre mit höhniſchem Uebermuth verſpotten zu dürfen, jetzt dieſelbe in ihrem Einfluß auf die Praxis beurtheilen höre; ſie iſt wenigſtens hier faſt Gemeingut geworden und wenn Junker, nament— lich in Preußen, noch glauben, Sie ignoriren zu dürfen, ſo dient dieſes zur Heiterkeit und macht die Leute lächerlich. Was man Ihnen ſo gern vorwarf, daß Sie nicht Landwirth ſeien, deßhalb über die Landwirthſchaft nicht urtheilen dürfen, hat mir erſt kürzlich zur Baſis für die Geldbewilligung an einer Verſuchsſtation gedient, ich konnte ſagen, wären Sie Landwirth geweſen, ſo hätten Sie nie etwas geleiſtet, denn die Vorurtheile hätten Ihnen die Klarheit in Beziehung auf die Naturgeſetze genommen; Sie hätten dieſe nicht erkannt, wie Rowland Hill nie die Penny-Poſt geſchaffen, hätte er zehn Jahre am Poſtſchalter geſeſſen. Freuen Sie ſich darum Deſſen, was Sie geſchaffen, es wird Sie heiterer ſtimmen und glauben Sie in Beziehung auf die Größe deſſen einem Mann, der es verachtet, ſich zu beugen, wo er nicht einem hochſtehenden Geiſt entgegen tritt, gegen alle Anmaßungen ſchroff ſich hinſtellt. Aber mir thut es in der Seele weh, wenn ich ſehe, wie Sie in Ihren Jahren nicht Sich Selbſt erkennen und den Genuß nicht in Sich tragen: „Das iſt mein Werk“ und wenn Sie, ja lächerlicherweiſe, an Andern anerkennen wollen, was nichts iſt, die nur von Ihnen entlehnt, was fie be nutzten um für das Licht etwas zu arbeiten. Declamatoren werden nie Dichter. Auch über Ihren Muttermilch-Erſatz werden Sie wenig hören 1 P „ Reuning an Liebig. 193 und darum muß ich auch hierüber Ihnen etwas jagen. Mein jüngſtes Enkelkind, am Tage von Sedan geboren, von der Mutter geſtillt. wollte nicht gedeihen, ſiechte hin, die Verdauung war erbärmlich, weil die Milch der ganz geſunden aber zu ſtark genährten Mutter ihm nicht zuſagte. Mein Sohn holte das von Liebe hier flüſſig bereitete Mittel Ihrer Zuſammenſetzung; das Kind gedieh ſofort, iſt äußerſt kräftig und vergnügt, conſumirt den Trank im Waſſer und mit Wohlbehagen. Andere Mütter der Nachbarſchaft waren ängit- lich und haben ſchwächliche Pflanzen ſich ausbilden ſehen. Iſt auch das Ihnen Nichts? Sie haben, wie Sie ſagen, nicht viel Böcke geſchoſſen, aber darin liegt eben die Kunſt, ſie ſind ja zahlreich genug. Eine Sache wollte ich Ihnen lange zur Entſcheidung vorlegen, es iſt die Gahre des Ackers, dieſes wichtige Moment, das noch nicht erkannt iſt, eigentlich nicht einmal beſchrieben werden kann. Pflügt man einen Acker, der länger gelegen oder Halmfrüchte getragen hat, um, ſo hat man eine Furche, die, wenn ich es ſo nennen kann, todt da liegt; in einigermaßen bindigem Boden hat man Schollen, die man mit Egge und Walze zerkleinern kann, aber das Anſehen des Feldes bleibt roh, jeder Partikel für ſich; ein häufiges Bearbeiten zerkleinert, macht aber den Boden nicht jo, daß man gern ſäet. Läßt man dieſes Feld der Sonne und dem Regen ausgeſetzt 3, 4, 6 Wochen, je nach Wärme und Regen liegen, ſo tritt ein, was man gahr nennt, der Boden wird mürbe, man tritt ihn mit dem Fuß ſcharf ab, ſo daß man deſſen Abdrücke ſcharf erkennt; man fühlt den Zuſtand auch auf dem Pferd, daſſelbe tritt ein. Wurzeln von Raps, Klee, Quecken, laſſen ſich ganz aus dem Boden herausziehen, ſie zeigen ſich frei von Bodentheilchen, in ihrer natürlichen Farbe; auf dem Felde bildet ſich ein feines, grünes Moos. Unter Blatt früchten die man grün haut, tritt dieſe Gahre ebenfalls ein, mit denſelben Erſcheinungen; ja im Boden, der aus einem Brunnen aufgehoben iſt, unter einem Bret gelegen. Verſäumt man den Boden in dieſem Zuſtand zu ackern, ſo verliert ſich die Gahre wieder. Wer nun einen Boden hat gahr werden laſſen, der iſt mit dem Ge— deihen der Ernte halb gedeckt. Die enorme Wirkung der reinen Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 13 194 Neuning an Liebig. Brache beruht zum großen Theil auf der Gahre, ohne dieſe hilft ſie wenig. Halm- auf Halmfrüchte gedeihen auch bei voller Boden— kraft weit weniger, weil die Zeit der Gahre fehlt. In allem Dem liegt kein Vorurtheil, die Erfahrung ſpricht zu lange; man geht täglich über den Acker um zu ſehen ob er gahr iſt, und läßt ſich von dieſem Zuſtand leiten; die Wirkung der Gahre erſtreckt ſich über mehrere Früchte nach derſelben, ſie iſt durch nichts zu erſetzen; daß Hafer nach Kartoffeln weit mehr bringt, als nach Weizen, ſei auch gleiche oder größere Kraft in dem Feld, beruht hierauf; man nannte dieſes früher „den bebrütenden Schatten“. Was iſt nun die Gahre? Der Boden kann nicht gähren, auch die vegetabiliſchen Beſtandtheile können keine Gährung hervorrufen, der ganz rohe Boden aus dem Untergrund wird mit der Zeit gahr. Sie werden mir vielleicht mit wenigen Worten hierüber Auf— ſchluß geben, die Landwirthe können mit einem gahren Felde ar— beiten, ſie wiſſens aber nicht. Die Sache ſelbſt iſt von der weit— tragendſten Bedeutung, hat den weſentlichſten Einfluß auf die Frucht— folge, auf den Ertrag des Bodens. Ich würde meine Einſamkeit beſſer ertragen, wenn ich mehr arbeiten könnte, aber die Nerven wollen das nicht, verſagen den Dienſt. An Stoff fehlt es mir nicht, ich arbeite ſeit Herbſt die vierte Brochüre druckfertig. Man könnte mich einen Lohnſchreiber nennen, wenn ich überhaupt einen Lohn dafür hätte, oder einen Vielſchreiber, wenn das Material nicht ſeit Jahren durchdacht wäre, einen unnützen Schreiber, wenn es nicht Pflicht wäre, gegen die ent— ſchiedenſten Thorheiten oder Ungerechtigkeiten aufzutreten und wenn ſich die Landwirthe in den Fragen, die ihnen an den Hals gehen, nur rühren möchten; ſie thun es aber nicht, und Wenige wollen über eine Sache arbeiten. Sie haben mir zugeſichert mir zu ſchicken was Sie ſchaffen, ich bitte, es nicht zu vergeſſen. Sie, wenn auch nur noch einmal zu ſehen, iſt mein ſehnlichſter, innigſter Wunſch, aber ich komme nicht zu einem Reiſeentſchluß, auch das verſagen die Nerven. Vielleicht kommt mir doch noch ein glück— licher Moment. Liebig an Reuning. 195 Leben Sie wohl, und ich wiederhole es, freuen Sie ſich Ihrer Werke. Ihr Renning. München, den 21. April 1871. Verehrter Freund! Entſchließen Sie ſich, mein theurer Freund, und kommen Sie zu uns nach München; meine Frau ſo wie ich bitten Sie inſtändig, uns zu beſuchen, und recht bald. Die reine und geſunde Luft auf unſerer Hochebene wird Ihnen unendlich gut thun, ſo wie dieß Wöhler erfahren hat, der mit ſeiner Tochter 14 Tage bei uns zu— brachte; in Göttingen fühlte er ſich ſtets unwohl, matt und ab— geſchlagen im Geiſte und den Gliedern, was ſich hier ſehr raſch verlor. Ich kann ohnedies nicht arbeiten und ſo wird dann ihre Gegen— wart in meinem Haufe und der mündliche Verkehr eine Erquickung für mich ſein. Wir wollen dann Alles beſprechen, was Sie beſchäftigt, obwohl ich Ihnen über die Gahre keinen präciſen Ausdruck geben kann; ich verſtehe wohl, was damit gemeint iſt, und ebenſo die Wichtigkeit des Vorganges in dem Acker. Wie aber die Gahre ſich macht, darüber weiß ich ſo gut wie Nichts; ich weiß nur, daß der Sandboden, vieler Kalkboden und der recht ſteife Thonboden keine rechte Gahre hat und daß Lockerheit (Luft), organiſche Subſtanz oder Humus und Feuchtigkeit zuſammenwirken müſſen, um dieſe günſtige Beſchaffenheit hervorzubringen. Ihre „Grundprincipien des Waldbaues“ habe ich mit größter Befriedigung geleſen. Das Alles iſt ſo einleuchtend und klar, daß man ſeine Freude daran haben muß, und ſo friſch und prägnant, wie Sie in Ihrer Jugend nicht beſſer ſchreiben konnten. Für die Forſtwirthſchaft iſt dieſe kleine Schrift ein Ereigniß, denn in ihr ſind die Naturgeſetze des Waldbaus für immer feſtgeſtellt. Lokale Verhältniſſe werden die Grundprincipien nicht abzuändern vermögen. 13* 196 Liebig an Reuning. Es freut mich, daß meine Kinderſuppe Ihrem Enkel ſo gut bekommt; die nach meiner Vorſchrift friſch bereitete Suppe iſt aber beſſer; Milch und Mehl hat man überall, ebenſo doppeltkohlenſaures Kali, und die Bereitung macht keine Schwierigkeit; ich habe dieſe Suppe vor 5 Jahren für meine Reichenhaller Enkel combinirt und jetzt ſind 11 Köpfe damit vortrefflich gediehen. Ich ſchicke Ihnen und Ihrer Frau Schwiegertochter einen Topf mit Fleiſchextract, der beſonderen Werth für Haushaltungen auf dem Lande hat, wo man nicht immer friſches Fleiſch zur Hand hat zu einer kräftigen Suppe oder zu Fleiſchbrühe. Man darf nur nicht zu viel nehmen, ſonſt wird der Geſchmack unangenehm; in meinem Hauſe iſt eine Knochenſuppe ſehr beliebt, ½ Pfund zerſchlagener Knochen oder ſtatt der Knochen 2 Loth Ochſenmark werden mit 2 Quart Waſſer (2,9% Liter), ferner mit Suppengemüſen die man gerade zur Hand hat (1 Stück gelbe Rübe, weiße Rübe, Lauch, Sellerie, Weißkohl ꝛc.) bis zum Weichwerden des Gemüſes gekocht, man nimmt alsdann die Knochen aus dem Kochgefäße heraus und ſetzt 20 Gramm (1½ Loth) Fleiſchextract und die nöthige Menge Salz hinzu. Probatum est. Sie haben Unrecht noch mehr arbeiten zu wollen, als wie Sie thun; Sie ſind ſonſt mehr beſchäftigt geweſen, wie jetzt, ob Sie aber innerlich mehr gearbeitet haben, dies möchte ich nicht behaupten. Man ſieht den „Grundprincipien des Waldbaues“ ſo recht die Concentration an und daß ſie aus einem ganzen Magazin von Gedanken und ge— ſammelten Thatſachen gefloſſen ſind. Baron von Freiberg mit dem ich darüber ſprach, iſt ganz meiner Meinung. Ich erwarte ſehnſüchtig Ihre Antwort und damit die Bezeich— nung des Tages, wo ich Sie am Bahnhofe abholen kann. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab und kommen Sie bald zu Ihrem treu ergebenen J. v. Liebig. Liebig an Reuning. 197 Mein theurer Freund! München, den 9. Mai 1871. Sie haben mich auf meinen letzten Brief, in welchem ich Sie bat uns das Vergnügen Ihres Beſuches zu ſchenken, ohne Antwort gelaſſen und ſo komme ich denn nochmals, Sie zu einer Reiſe nach München zu veranlaſſen. Ihre Anweſenheit und Ihr Rath wäre mir gerade jetzt von beſonderem Nutzen. Wir ſind mit der Abfaſſung der Statuten der Liebig-Stiftung beſchäftigt und ich kann mit meinen Freunden in Göttingen, welche die Sache ins Werk geſetzt haben, nicht in's Reine kommen. Meine Anſicht war, daß die Medaille von dem Präſidium der deutſchen Verſammlung der Land- und Forſtwirthe verliehen, d. h. der Name des vom Curatorium vorgeſchlagenen proklamirt und die Medaille übergeben werden ſolle, die Herren in Göttingen wollen aber eine viel weitergehende Betheiligung der Verſammlung. Wahl eines Aus⸗ ſchuſſes, Abſtimmung, und ſo weiter. Aber zuerſt iſt zu beachten, daß dieſe Verſammlung keine Dauer haben kann; im vorigen Jahr kam fie nicht zu Stande und ich höre, daß fie auch in dieſem ver- ſchoben werden ſoll. Denn wer kommt denn von competenten Leuten eigentlich auf dieſe Verſammlungen, welche Leute ſollen den Ausſchuß bilden und von wem ſoll er gewählt werden, von der ganzen Verſammlung oder dem Bureau? Es ſind dabei noch andere Fragen zu löſen und Sie würden, ich bin es gewiß, uns über viele Schwierigkeiten hinaus helfen, wenn wir die Sache mit Ihnen beſprechen könnten. Ich bitte Sie, Sich zu entſchließen, aber recht bald, da ich Ende Mai nach Kiſſingen gehen ſoll und ich Sie doch gerne recht lange bei mir haben möchte. Ich hoffe auf eine baldige, zuſagende Antwort. Ihr treuer J. v. Liebig. 198 Liebig an Reuning. Dresden, den 9. October 1871. Hochverehrter Freund! Lehmann theilt mir Ihre erneute Einladung, zu Ihnen zu kommen, mit; ich bin Ihnen für dieſelbe ſehr dankbar, und wüßten Sie wie ich mich ſehne Sie zu ſehen, Sie würden mir glauben, daß ich nichts ſcheuen würde die Reiſe zu unternehmen, wenn ich jetzt nur vermöchte. Ich habe mir durch Fortſetzung eines Kampfes in der Steuerfrage, den ich nicht liegen laſſen kann, wieder die Nerven ſo ruinirt, daß ich eigentlich zu Allem unfähig bin. Ich wollte vorgeſtern meine Enkel nach zwei Monaten wieder einmal ſehen, aber ich mußte ſchon um 7 Uhr zu Bett, und den Tag faſt ganz allein auf meiner Stube zubringen; ich kann mit Niemandem eine Stunde ſprechen und ſoll nun, wenn meine größte Freude in Erfüllung geht, bei Ihnen, wo mich jedes Wort feſſelt, als ganz denkunfähig daſtehen, vielleicht als kranker Menſch ganz das Zimmer hüten. Es wird wieder beſſer werden, das weiß ich, wenn ich wieder eine Weile ganz geruht habe; es werden die Hämorrhoiden mir einmal Erleichterung laſſen, und dann iſt es mein feſter Vorſatz, ſo— fort nach München zu reiſen. Im Auguſt hätte ich es gekonnt, aber da waren Sie abweſend. Ich habe lange auf Reiſen zum Ver— gnügen verzichtet, auf München allein ſteht noch mein Hoffen und Sinn. Ich muß ſchließen. Leben Sie wohl, erhalten Sie ſich friſch in Kraft, bis ich Sie ſehe. Gedenken Sie mit Freundſchaft zu— weilen Ihres ergebenſten Reuning. München, den 10. October 1871. Mein theurer Freund! Lehmann hat mir Hoffnung gemacht, daß Sie ſich vielleicht entſchließen werden Ihr lange gemachtes Verſprechen, uns in München Liebig an Reuning. 199 zu beſuchen, zu verwirklichen; ich ſchreibe Ihnen, um Sie dringendſt zu bitten, dies recht bald zu thun; Ihr Bett in meinem Hauſe iſt längſt bereit; ich habe viel mit Ihnen zu ſprechen, namentlich wegen der Statuten der Liebig-Stiftung, mit deren Abfaſſung ich nicht zu— rechtkomme; ich wünſche ſehnlich dieſe Sache erledigt zu ſehen. Ich bitte es einzurichten, daß Sie ein paar Wochen bei uns bleiben können, rechne feſt darauf in Ihrem nächſten Briefe zu erſehen, wann ich Sie am Bahnhofe abholen kann. Von Herzen ganz der Ihrige J. v. Liebig. Das nun folgende Schreiben, auf welches Reunings nächſter Brief vom 9. November 1871 Bezug nimmt, enthält die Widmung der erſten von dem Curatorium der Liebig-Stiftung verliehenen Medaille. An den Herrn Geheimen Regierungsrath Dr. Reuning in Dresden. Das proviſoriſche Curatorium für die Liebig-Stiftung überreicht Ihnen anbei die goldene Liebig-Medaille. x Sie ſind mit raſtloſem Eifer und unermüdlicher Ausdauer viele Jahre hindurch bemüht geweſen, den wiſſenſchaftlichen Grundſätzen der Landwirth— ſchaft praktiſche Geltung zu verſchaffen, Sie haben im Kampfe gegen Vorurtheil und Unkenntniß die Fahne des wiſſenſchaftlichen Fortſchritts ſtets hoch gehalten und vorangetragen. Sie ſind nicht müde geworden, der durch wiſſenſchaft— liche Forſchung errungenen Wahrheit immer neue Wege in die Praxis zu bahnen. Mit ſeltner Befriedigung dürfen Sie auf die Arbeit Ihres Lebens zurückblicken, denn dieſe Arbeit war eine geſegnete und hat Ihren Namen unvergänglich verknüpft mit der Geſchichte der Entwicklung der deutſchen Landwirthſchaft; wir ſind gewiß, im Sinne der deutſchen Landwirthe zu handeln, wenn wir Ihnen als äußeres Zeichen dankbarer Anerkenntniß Ihrer erfolgreichen Wirkſamkeit die Medaille überreichen, welche zur An— erkennung hervorragender Verdienſte um die Landwirthſchaft geſtiftet iſt. München und Göttingen, den 1. November 1871. J. v. Liebig. W. Henneberg. G. Drechsler. 200 Reuning an Liebig. Dresden, den 9. November 1871. Hochverehrter Freund! Je größer der Dank iſt, den ich Ihnen ſchulde, um ſo ſchwerer ward und wird es mir, Worte für denſelben zu finden; es iſt die Freude, die mit dem Gefühl der Beſchämung im Kampfe liegt. Titel und Orden werden errungen, meiſt ohne, oder ohne aus— reichendes Verdienſt; man kann ſich zuletzt die Zeit berechnen, wo die Reihe gebietet, nicht übergangen zu werden, aber Ihre Medaille und die erſte, die verliehen wird, auf dieſe konnte Niemand ſich Rechnung machen, ſie muß Jedem als eine Auszeichnung erſcheinen, die auf dem Glauben an ein Verdienſt des Empfängers beruht; ſie iſt darum die größte Ehre, die mir widerfahren konnte und dieſes würdige ich in dem höchſten Grade. Unerbittlich aber tritt hieran die Frage, biſt Du dieſer Auszeichnung werth, wodurch haſt Du ein Recht auf dieſelbe erworben? Hier kann ich mir zwar ſagen, ich habe geſtrebt danach, etwas zu thun, ich habe meine Kräfte nicht geſchont, aber der Wille entſcheidet nicht, es müſſen ſich die Folgen demſelben anreihen, und dieſe in ſo hohem Grade zu erzielen, um Ihrer Medaille werth zu fein, dazu fehlten dem Juriſten und Ber- waltungsmann die Kräfte, er ſah nur das Ziel, er kannte die Tiefe Ihres Geiſtes vielleicht etwas eher als Andere und fühlte die Pflicht, den Geſetzen Anerkenntniß zu verſchaffen, die jo uns endlich klar, ſo klar vorlagen, daß deshalb Viele ſie nicht erfaſſen konnten. Gab es eine Zeit, und der Brief, worin Sie mir dieſes ausſprachen, der mich im Innerſten ergriff und der einmal einen Beitrag zu der Geſchichte der größten Reform im volkswirthſchaft— lichen Leben liefern wird, wo die Meute Sie ankläffte, wo Charla— tans aus einem Jahreserfolg glaubten, Ihre Wahrheiten herabziehen zu dürfen und wo Mangel an Muth auch die Ueberzeugten hin— derte ſich um den Meiſter zu ſchaaren, ihn zu decken, mit ihm vor⸗ wärts zu gehen, denn ein Fallen war nicht möglich, und hielt ich damals Ihre Fahne jo hoch als die Kräfte es geſtatteten, nun, jo Reuning an Liebig. 201 war das kein Verdienſt, denn ich war überzeugt, und wem nicht der Muth für die Wahrheit einzutreten fehlt, den zieht es von ſelbſt in den luſtigen Kampf, dem der Sieg gewiß iſt. Das waren die ſchönſten Jahre meiner Arbeit, wo es galt die literariſchen Gaſſenjungen von dem Beſchmutzen Ihres ſoliden, ſchönen Hauſes abzuwehren, und ich denke daran mit um ſo größeren Genuß zurück, je öfter die Erinnerung daran wach wird, je mehr die Oppoſition ſich verkriecht, je glänzender die Erfolge Ihrer Lehre hervortreten. Sie ſind es, der die Hungersnoth mit ihren gräulichen Folgen ver— bannt hat. Erweiſt man mir nun für das Atom von Arbeit die ich gethan, dieſe größte Auszeichnung, wie klein, wie unendlich klein muß ich mir dabei vorkommen! Darum das Gefühl der Scham, das ich nur dadurch unterdrücken kann, daß ich ſtolz darauf bin, Sie, Sie haben mich der Ehre werth gehalten und mir den größten Beweis Ihrer Freundſchaft gegeben, wenn ich auch jagen muß, dies mal haben Sie ſich geirrt und jetzt können Sie mit Erfolg ange— griffen werden. Wie meine Kinder erfreut ſind, ihren alten Vater ſo geehrt zu ſehen, darüber habe ich nichts zu ſagen. Darum Dank und nochmals Dank; nachträglich ihn zu be— weiſen durch eine Leiſtung, bin ich nicht mehr im Stande. Mir geht es momentan beſſer, ich glaube die Kraft zu haben zu Ihnen zu reiſen; man läßt mich nicht und ſo muß ich die größte Sehnſucht vorerſt noch zurückdrängen. Bleiben Sie geſund und friſch. Nichts wünſcht mehr Ihr ewig dankbarer Reuning. 202 Liebig an Reuning. München, den 1. Februar 1872. Mein theurer Freund! Es iſt für mich eine große Befriedigung geweſen, daß Ihnen die Liebig⸗Medaille Freude gemacht hat; niemand hat redlicher ge— wirkt und eine ſolche Anerkennung mehr verdient wie Sie. Es handelt ſich jetzt um die Verleihung einer 2. Medaille bei Gelegen- heit der Verſammlung der Land- und Forſtwirthe, welche Ende September in München abgehalten werden ſoll; da die erſten 4 oder 6 Empfänger der Medaille eo ipso Mitglieder des Curatoriums werden ſollen, ſo ſind dieſe Wahlen von beſonderer Wichtigkeit. In dieſem Augenblicke haben wir noch keine Statuten der Stiftung und das Göttinger Comité beſteht als proviſoriſches Curatorium noch fort, was kein Nachtheil iſt, da Henneberg ſowohl wie Drechsler zu den beſten gehören, die man hinein wählen könnte. Ich habe für die nächſten Verleihungen an Henneberg und Settegaſt gedacht. Beide haben Ausgezeichnetes geleiſtet, der eine in der Richtung der wiſſenſchaftlichen Lehre der Ernährung, der andere in der praktiſchen Züchtung. Beide könnten wir jedenfalls im Auge haben, es handelt ſich eigentlich darum, wer ſie zunächſt und vor dem andern haben ſoll. Vielleicht verdient Settegaſt darum den Vorzug, weil er nicht bereits Mitglied des proviſoriſchen Curatoriums iſt und die Wahl Hennebergs nach ihm, durch ſeine Stimme verſtärkt, weniger perſönlich erſcheint. Ueber alles dieſes wäre eine mündliche Beſprechung ſehr nützlich, und wenn das Wetter ſich zum beſſeren wendet, ſo hoffe ich, daß Sie zu mir nach München kommen werden. Daß Sie während der Verſammlung hier mein Gaſt ſind, verſteht ſich von ſelbſt. Geben Sie mir bald in einer Zeile Nachricht, wie es Ihnen geht und wie Sie ſich befinden. Der Winter iſt für mich, trotz der anhaltenden Kälte leidlich geweſen; bis jetzt habe ich meine Vorleſungen regelmäßig und ohne beſondere Ermüdung gehalten. Im nächſten Jahre werde ich 70 Jahre alt und in dieſem Alter bleiben die Schwächen nicht aus. Was Reuning an Liebig. 203 mich am ſchmerzlichſten berührt, dies iſt der Verluſt meiner Jugend— freunde und wiſſenſchaftlichen Genoſſen, die mit mir die Laufbahn begonnen haben. Man wird nach und nach recht einſam in der Welt und um ſo mehr hält man an denen feſt, die uns noch ge— blieben ſind. Behalten Sie lieb f Ihren treuen J. v. Liebig. Dresden, den 11. Februar 1872. Hochverehrter Freund! Ein Brief von Ihnen iſt mir immer ein Genuß, an dem ich Tage lang zehre. Wenn Sie ſagen, ich habe redlich gearbeitet, ſo kann ich dem nicht widerſprechen, aber guter Wille reicht nicht aus zur Auszeich— nung; wir wollen dieſen Punkt verlaſſen. Ich würde nicht einen Augenblick ſchwanken in der Wahl zivi- ſchen Settegaſt und Henneberg, ſchon deswegen, weil bei der zweiten Verleihung wenigſtens das Princip, die Wiſſenſchaft zu ehren, zur Anerkennung kommen muß und Henneberg als der Mann der flei— ßigen, forſchenden Thätigkeit die größte Beachtung verdient. Wir ſprechen darüber, ich wollte nur mit einem Worte meine Anſichten andeuten. Die Mitgliedſchaft im proviſoriſchen Curatorium kann nicht entgegenſtehen. Sie werden vorher eine größere Anzahl von Männern in daſſelbe rufen und man kann Henneberg aus demſelben laſſen, wenn Sie beſchließen, daß er durch Verleihung der Medaille in dasſelbe tritt. Ich komme, ſobald es wärmer wird und die Gicht mich nicht ſtark plagt, die jetzt in die Hände und Finger ſich geſetzt hat. Aber bei der Verſammlung im Herbſt werde ich nicht ſein, es intereſſirt mich dieſe nicht, ich paſſe nicht hinein. Mit Ihnen zu ſprechen, das iſt meine Sehnſucht; ich habe ſo Vieles auf dem Herzen, was nur Sie beantworten können. 204 Reuning an Liebig. Zwei Punkte lege ich in der Anlage Ihrer Erwägung vor; es ſind ſolche, wo unſer Verſtand ſtill ſteht und Sie allein Aufſchluß geben können. i Die Raubbaufrage in der angedeuteten Weiſe beſchäftigt mich ſchon viele Jahre; es iſt ſo wie ich es niedergeſchrieben, ich kann natürlich die Gründe nicht ermitteln, es iſt aber die Sache von eminenter Bedeutung. Wir haben Phosphorſäure, wie ich glaube, übergenug gedüngt, es liegt ein Theil ungenutzt im Boden, was nun thun? Mir ſelbſt liegt die Sache wegen meines Sohnes nahe. Auf dem Hauptgute iſt Ihre Frage nun gelöſt, es iſt kein Stick— ſtoff auf daſſelbe gekauft worden und die Ernten leiſten was möglich iſt. Nur auf ca. 180 Morgen Neuland, früher Wald, ward Stick— ſtoff in ſehr kleinen Quantitäten gekauft, Kalk erſetzte dieſen. Jetzt handelt es ſich um möglichſt große Klee- und Kartoffel-Ernten, da die Hälfte des Areals hierzu beſtimmt iſt; ich denke, man ſoll jetzt mit gereinigtem ſchwefelſaurem Kali vorgehen, obſchon der Boden ſo kalireich iſt, wie ſelten einer, da alle Kalipflanzen, Farrenkraut, Equiſetum auf naſſen Stellen, Hopfen, Klee, Gras ſehr gut ge— deihen, ſo wirkt doch Holzaſche ſofort ſichtbar und auffallend. Das ſcheint mir anzudeuten, daß man das Kali in ein richtiges Ver— hältniß zur Phosphorſäure bringen muß, um dieſe auszunutzen. Auch die Kartoffelfrage intereſſirt mich höchlich. Auf einem Stolbergiſchen Gut am Vogelsberg erntete man im letzten Jahre nicht den Samen wieder, auf einem andern ſehr wenig. Daß Phos— phorſäure fehlt, war mir nicht zweifelhaft, aber ſie ſoll kaum gewirkt haben. Ich bin zu fern, als daß ich kräftig eingreifen könnte, möchte aber wiſſen ob, namentlich auf dem kalireichen Boden, etwa Kalk fehlen kann. Mit Gyps hatte ich vergleichende Verſuche an— ſtellen laſſen als ich noch dort war, die Wirkung war unglaublich, ſelbſt bei der nach dem Klee folgenden Weizenernte. Was brachte dieſes hervor, Kalk oder Schwefelſäure? Faſt möchte ich glauben letztere, denn auf einem Gute in Waldeck, dem reinen thonigen Kalkboden, wirkte Gyps auffallend, aber Schwefelſäure allein wirkt nichts. Reuning an Liebig. 205 — —— Nicht weniger drängen fih Fütterungsfragen auf. Es iſt hier noch Vieles nicht genügend gewürdigt, namentlich die Entwickelungs— periode des Thieres, das in einer gewiſſen Jugendzeit ebenſo, wie das Kind, weit mehr zunimmt als ſpäter; ebenſo das Wachſen ſelbſt. Mir ſcheint es, daß dieſes periodenweiſe eintritt, dann ſtill— ſteht. Das iſt aber von großem Einfluß auf die Beurtheilung der Verſuche: daß ein junges Thier, das krank war, nach der Geneſung weit ſtärker wächſt, als das geſund gebliebene, die Natur alſo wieder einholt was verſäumt worden, iſt unzweifelhaft. Es ſoll ein Thier in der Jugend wachſen, zunehmen ohne Fettanſatz, der in eine ſpätere Periode gehört. Wie ſetze ich nun das Wachsfutter zuſammen? Das ſind Alles Fragen, die nur an Sie zu richten ſind, Sie ſehen, wie wichtig Sie uns ſind und daß Sie ſich noch lange recht kräftig erhalten müſſen. Daß Sie es ſind, freut mich innig, Dr. Mayer beſtätigte es mir in dieſen Tagen. Nach dem großen, erhebenden Krieg folgt der kleine, recht deprimirende der Ultramontanen; es iſt unglaublich, wie weit die Verirrung dieſer Leute geht. Kaum kann ich mir denken, daß ſie ſelbſt glauben, um was ſie kämpfen; dann find fie doppelt verächt⸗ lich. Döllinger, der große Mann, hätte in kräftiger Jugend ein- greifen müſſen und dann etwas erzielt. Leben Sie wohl! Ihr Reuning. Dresden, den 17. Mai 1872. Hochverehrter Freund! Jetzt fühle ich mich in der Lage, nach München reifen zu kön⸗ nen und finde in nächſter Woche, am 22. oder 23. ungefähr, eine Reiſegeſellſchaft, was den Entſchluß weſentlich erleichtert. Es bleibt mir aber die Frage, ob Sie jetzt zu Hauſe und disponirt ſind, mir während einiger Tage mehrere Stunden zu ſchenken. Wie ſehr ich 206 Reuning an Liebig. — mich auf ſolche freue, bedarf der Verſicherung eben ſo wenig, als ich erwarte, Sie werden mir rückſichtslos ſagen, ob Ihnen die jetzige Zeit paßt oder nicht. Alles Weitere mündlich. Ihr ergebenſter Reuning. München, 18. Mai 1872. Mein theurer Freund! Das Wetter iſt ſo ſchön, daß ich Sie wohl an Ihr Verſprechen erinnern darf? Wann darf ich Sie erwarten? Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. München, 19. Mai 1872. Mlein theurer Freund! Das iſt ja prächtig, unſere Briefe haben ſich gekreuzt; ich ſchrieb Ihnen am Vormittag und empfing Ihren Brief am Nachmittag, alſo in 8 Tagen! Ich bitte mir den Tag Ihrer Abreiſe anzugeben und ob Sie mit der Oſtbahn oder der Staatsbahn kommen, damit ich Sie am richtigen Bahnhof abholen kann. Von Herzen Ihr J. v. Liebig. Dresden, 5. Juni 1872. Mlein verehrter Freund! Ehe ich Ihnen ſchrieb, wollte ich die nervöſe Verſtimmung, die mich wieder einmal recht erfaßt hat, vorübergehen laſſen; da es Reuning an Liebig. N 207 aber nicht beſſer werden will, ſo ſäume ich nicht länger, Ihnen für die herzliche Aufnahme, die mir von Ihnen und Ihren jungen, liebenswürdigen Damen in Ihrem Hauſe zu Theil ward, auf's Innigſte zu danken. Es waren dieſe Tage wieder einmal Licht— punkte für mich; ich konnte mich an Ihrer geiſtigen Friſche erfreuen, auf Monate Material zum Denken einſaugen. Sie begreifen das freilich nicht, wie Ihre Geiſtesſchärfe, Ihr Wiſſen, überall ſofort genießbar aufgetiſcht, erquickt; ich habe nur zu bedauern, daß ich nicht mehr in der Lage bin, das für dritte weiter zu verarbeiten, was ich von Ihnen wieder aufnahm und weil Sie nicht wiſſen, wieviel Sie in wenig Worten ausſprechen, weil Sie den Unterſchied zwiſchen ſich und anderen nicht erkennen, komme ich noch einmal auf meine Bitte zurück, Ihre Vorträge über Ernährung der Thiere und Pflanzen in irgend einer Form den Landwirthen zu überlaſſen. Geben Sie in ſolcher einen Leitfaden zum Unterricht, ſo kann auch der weniger Befähigte als Lehrer viel leiſten, und es kommt doch Alles darauf an, daß Ihre Lehren gründlich erfaßt, verbreitet werden. Haben Sie das Alles auch anderwärts ausgeſprochen, ſo war es doch nicht in dieſem Zuſammenhang und es iſt wieder keine leichte Aufgabe, die Vorträge in dieſer Weiſe zuſammenzuſtellen. Dazu gehört eben, daß Jemand die Sache ab ovo verfolgt hat, wie Sie, daß er die Folgerungen ſo klar zu ziehen weiß, wie Sie. Wenn Sie durch einen Stenographen die jetzigen Vorträge auf- zeichnen laſſen, wenn Sie im Winter wöchentlich nur eine Stunde einem Stenographen die vorhergegangenen diktiren, ſo iſt das Werk fertig, ohne große Anſtrengung für Sie, und einer Ihrer Schüler kann die End⸗Redaction übernehmen. Vertrauen Sie mir einmal, daß ich hier richtig ſehe und er— füllen Sie meine Bitte der Sache wegen. Mit der Anſtellung von Lehmann's Verſuchen an Schafen bin ich nicht einverſtanden. Das Southdownſchaf z. B. iſt die Race, welche die Mängel in der Bapyriſchen Schafzucht beſeitigen, den Bau des Frankenſchafes namentlich vervollkommnen, ihm eine grö— ßere Maſtfähigkeit, eine raſchere Entwicklung verſchaffen würde. Die Verſuche laſſen daſſelbe hinter andere Racen zurücktreten, weil man 208 Neuning an Liebig. es in einer Temperatur gehalten hat, die feiner Entwicklung nacdh- theilig iſt. Thiere, die nie einen Stall kennen gelernt haben, ver- pflanzen ihre Natur auf die Nachkommen. Wie man einen Ele⸗ phanten, einen Löwen und Tiger trotz ihrer Kraft nicht in unſerm Klima fortbringt, wenn man ihnen nicht künſtliche Wärme im Winter verſchafft, eben ſo wenig kann ein Schaf, das nicht daran gewöhnt iſt, die große Stallwärme ertragen. Der Aſſiſtent geſtand mir auf meine anſcheinend geringfügige Frage, daß dieſe Schafe im Winter fortwährend gehechzt hätten. Das erwartete ich nicht an— ders, nachdem ich das Gleiche ſo oft beobachtet, dieſe Schafe ſtets beſtrebt geſehen hatte, in's Freie zu kommen, ſelbſt bei 10“ Kälte und Schnee; und weil ein ſo naturwidrig gehaltenes Thier nicht gleichmäßig mit dem naturgemäß gehaltenen zunimmt, wird es als untauglich verurtheilt. Für eben ſo wenig richtig halte ich den Schweineverſuch. Wenn ſtatt 3 Pfund Gerſte 2¼ oder 2 Pfund gegeben, der Reſt des Nährſtoffs durch voluminöſe Futtermittel erſetzt würde, ſo glaube ich, würde man zu günſtigeren Reſultaten kommen. Ein halb voller Magen kann nicht verdauen, wie ein voller. So denke ich wenigſtens, ohne es beweiſen zu können; ich eſſe manchmal noch Abends ohne allen Appetit, weil ich bei leerem Magen nicht ſchlafe. Auch auf Sie fällt ein Theil zurück, wenn die Verſuche nicht richtig angeſtellt ſind — ganz abgeſehen von der Geldverſchwendung. Das Wetter ſchien nur in München ſo ſchlecht geweſen zu ſein; ſchon bei Landshut merkte man nichts von Regengüſſen; es ward auf dem Gebirg recht kalt, ſo daß ich dankbar nach dem Wein— fläſchchen griff, um mich zu erwärmen. Sie hatten wohl Recht, wenn ſie ſagten, ich laborire an Me— lancholie. Zwar weiß ich nicht, was das bedeutet, wenn aber ſchwarz in ſchwarz ſehen das Criterium iſt, ſo trifft es zu, und meine vier Wände reflektiren auf ſchwarz nicht roſa. Zum Glück ſehe ich mich nicht ſelbſt im ſchwarzen und gilt mir Alles gleich viel, was mich betrifft. Legen Sie die dicken Bücher von ſich, ſchonen Sie Ihre gei— ſtigen Kräfte, leſen Sie Leichtes, was Sie erheitert, Sie haben nicht Liebig an Reuning. E 209 nöthig, noch aufzuſpeichern; geben Sie in oben erwähnter Form aus, es ſtrengt Sie weniger an, als das Leſen. Halten Sie ſich noch lange friſch und renommiren Sie nicht mit 70 Jahren, das Converſationslexikon weiß nur von 1803 zu reden, und leben Sie wohl. Ihr ergebenſter Reuning. München, den 5. Juni 1872. Mein theurer Freund! Ich beeile mich Sie in Kenntniß zu ſetzen, daß Ihr Artikel über den landwirthſchaftlichen Unterricht in der geſtrigen Allgemeinen Zeitung und zwar im Hauptblatt erſchienen iſt, es iſt die erſte Hälfte, die zweite kommt wahrſcheinlich in der heutigen Beilage; ich habe ein Dutzend Extraabdrücke für Sie beſtellt. Ich hoffe, daß Sie wohlbehalten in Dresden angekommen ſind; es war mir eine große Freude Sie bei mir zu haben und bedauere nur, daß Sie ſich nicht etwas länger halten ließen, meine Frau beſonders, die zwei Tage nach Ihrer Abreiſe hier ankam. Lehmann kam einen Tag nach Ihnen hier an. Seine Reiſe konnte, wie er mir ſagte, nicht verſchoben werden, da er für Betriebslehre einen jungen Mann in Proskau vorzuſchlagen wünſchte, mit dem er vorher ſich verſtändigen wollte; mit dem zu entwerfenden Programm für die landwirthſchaftliche Lehrabtheilung ſei er gedrängt geweſen. Ihr Artikel wird wie ich hoffe eine gute Wirkung haben; mit der alten Schablone muß in der That gebrochen werden, wenn die wiſſenſchaftlichen Lehren Früchte bringen ſollen. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 14 zum) Liebig an Reuning. München, den 16. Juni 1872. Mein theurer Freund! Ich bin auf dem Sprunge nach Wiesbaden abzureiſen um eine Badekur zu gebrauchen, vielleicht daß ſie mich von einem quälenden Leiden befreit. Viel erwarte ich nicht davon, denn das Alter iſt eine Krankheit, welche durch Badekuren und Arzneien nicht gehoben werden kann. Wie viel friſcher und arbeitsfähiger haben Sie ſich gehalten! Sie nehmen Theil an allem und ich komme mir ganz ſtumpf vor gegen Sie. Ich ſchrieb heute ſogleich an die Redaktion der Allgemeinen Zeitung mit dem Erſuchen, Ihnen die beſtellten 12 Extraabdrücke baldigſt zuzuſenden. Ihr Artikel hat bei den Meiſten vollen Beifall gefunden und Ihre Principien werden nicht beſtritten; anders mit der Ausführung. Ich bin in der Schulmeiſterei ſelbſt nicht erfahren genug, um beſſere Vorſchläge zu machen; ich meine, daß nur die Erfahrung hierüber entſcheiden könne. Man muß und ſollte den neuen Weg verſuchen und die nothwendig erachteten Aenderungen dem Studienplan ein- verleiben. Vor Wien wird ein jeder abgeſchreckt, der wie Kühn, um nähere Erkundigungen einzuziehen, hingeht; eine Wohnung mit mäßiger Bequemlichkeit iſt unter 2000 fl. — dort nicht zu haben! Moorbrennen! dies iſt eine wichtige Sache. Das Brennen wäre der kürzeſte Weg, aber man klagt in den umliegenden Ge— genden ſehr darüber; wenn es andere Mittel giebt und ich glaube daß dies behauptet wird, ſo würde ich dieſe vorziehen. Ihre Briefe ſind ſo geſchrieben, daß ich wohl daraus entnehmen darf, daß Sie über Ihr Befinden nicht zu klagen haben; was mich betrifft, ſo bin ich verſtimmt durch Schlafloſigkeit und durch das Ihnen bekannte Leiden. Ich ſehne mich in eine andere Luft zu kommen. Mit den herzlichſten Grüßen von meiner Frau und meiner Tochter. Ihr treu ergebener J. v. Liebig. Reuning an Liebig. 211 Dresden, den 5. Juli 1872. Lieber Freund! Gern möchte ich wiſſen, ob und wie Ihnen das Bad bekommt und würde Ihnen ſehr dankbar ſein, wollten Sie mir nur ein Wort darüber mittheilen. Nächſte Woche werde ich ſelbſt nach Oberheſſen kommen, da mich eine Pflicht gegen den Grafen Stolberg dorthin ruft, alſo nicht weit von Ihnen ſein. Seither hat mich ein Gedanke lebhaft beſchäftigt, die Blatt— frucht. In Pommritz wurde vor 4 Jahren aus der Tiefe von 4 Fuß Untergrund ausgehoben, Parcelle 1, jährlich dreimal gegraben, unbeſäet gelaſſen; „ 2, ungedüngt beſäet; „mit gebranntem Kalk dreimal gedüngt, beſäet; mit Phosphorſäure, do.; „mit Kali; „ mit Stickſtoff. Die Frucht war drei Jahre Hafer, Stickſtoff überragte alle Düngungen, dann kam Kalk, Phosphorſäure, Kali, ungedüngt. In dieſem Jahre wurden Wicken eingeſäet, für welche ich den Boden ſeither noch nicht reif erachtet hatte und es iſt ein merk— würdiges Reſultat hervorgetreten. Stickſtoff zeichnete ſich vor 14 Tagen noch um etwa 10% in der Größe der Pflanze vor dem Kalk aus, aber nach letzterem war die Wicke dunkler grün, augenſcheinlich ſtickſtoffreicher; es folgten Phosphorſäure gar nicht ſchlecht, Kali, ungedüngt, und auffallend wo noch nicht geſäet war, alſo die Wicke als erſte Frucht ſteht geringer, als wo dreimal Hafer geſtanden. Dieſes Ergebniß hatte ich kaum in dieſer Ausdehnung erwartet; D N w gelockert hatte. Die Arbeiter bemerkten dieſes bei dem Graben als⸗ bald, bei dem Einſtoßen mit dem Stock bleibt kein Zweifel darüber. Alſo Kalk allein giebt in der Blattfrucht eine vollſtändige Stick— 14* 212 Reuning an Liebig. ſtoffernte, dem Augenſchein nach weit mehr als ausreichend für die nächſte Halmfrucht und nach dieſer zu bauende Kartoffeln. Für mich iſt dieſes Reſultat eine wahre Freude; denn es iſt hiernach kein Zweifel, daß die Blattfrucht, wenigſtens die Hüljen- frucht, bei Mineraldüngung allein vollſtändig ſich ausbildet. Woher der Stickſtoff entnommen wird, das bleibt die Frage, die die Wiſſenſchaft noch löſen muß. Auch der chemiſche Prozeß, durch welchen der Boden die auf- fallende Lockerung erhält, iſt ſehr merkwürdig; nicht weniger, daß die Brache gar nichts gewirkt hat. Ich bin wieder an Ihre chemiſchen Briefe gekommen, bewun— dere ſie und werfe die Feder, die etwas ſchreiben ſoll, weg, weil ich mich deren ſchäme. Bei dem erſten, wo Sie des Opfers einer Hekatombe durch Pythagoras erwähnen, erinnerte ich mich eines vortrefflichen Witzes, der unendlich viel Wahrheit enthält. Seit Pythagoras, als er den Beweis für ſeinen Satz, gefunden, eine Hekatombe opferte, erſchraken alle Ochſen zum Tode über jede neue wiſſenſchaftliche Entdeckung. Niemand hat dieſes mehr erfahren, als Sie. Mir will es nicht gehen, ich bin matt bis zum Umfallen; die Hämorrhoiden müſſen ſich lebhaft regen; eine Taſſe Kaffee, die ich neulich getrunken, jagte mir ſo alles Blut in die Höhe, daß ich glaubte, erſticken zu müſſen, dabei die ärgſte Verſtimmung, die nur der Arbeit zeitweiſe weicht. Das Alter macht ſich ſehr geltend; bei mir weit mehr als bei Ihnen. Sie ſind weit friſcher als Sie glauben wollen, müſſen das Urtheil hierüber andern überlaſſen. Was den Unterricht betrifft, ſo kenne ich keine Schwierigkeit in der Ausführung, werfe man nur das Unnütze und Schädliche weg und ſetze an deſſen Stelle das Nützliche, Bildende, wie wir es vorſchlugen. Der jetzt abgegangene Cultusminiſter v. Falkenſtein, der Leipzig ſonſt auf eine ſo hohe Stufe gebracht hat, erkannte vollſtändig die Richtigkeit unſerer Anſichten an, begreift nicht, daß ſein Nachfolger Liebig an Reuning. 213 nicht dieſen Weg verfolgt, trägt aber ſelbſt die größte Verantwortung, indem er ſchuf, was er jetzt für unhaltbar erklärt, keine Warnung hören wollte. Leben Sie wohl! Ihr ergebener Reuning. Wildbad (Würtemberg), den 12. Juli 1872. Mlein theurer Freund! Ich habe Ihren Brief vom 5. dieſes nicht mehr in Wiesbaden erhalten, da ich es dort nicht aushalten konnte; es war ſo ſchön und reizend dort, die Gegend, die Leute und der Rhein, an den ſich ſo viele Jugenderinnerungen knüpfen, aber die Atmoſphäre lag wie Blei auf mir, ich verlor allen Schlaf und Sie können ſich meine Stimmung denken, und ſo entſchloß ich mich nach einem Aufenthalt von 14 Tagen in eine höhere Region zu gehen. Es iſt ſonderbar, ſo oft ich von München abwärts in die Ebene reiſe, überfällt mich dieſe Nervoſität; ich bin unter einem geringeren Luftdruck weit geſünder. f Ich habe in Wildbad mit Baden begonnen, aber das Alter iſt eine Krankheit, für die keine Kur mehr hilft. Man muß eben re— ſigniren. Ich war in Darmſtadt einige Tage; es hat ſich ſehr zum Beſſeren geändert, es ſind ganze Quartiere neu entſtanden, der ſchönſten Wohnhäuſer; es iſt doch immer ſchön in der Heimath; ich fuhr mit dem Miniſter v. Bechtold und dem Großherzoglich Heſſiſchen Geſandten in Berlin, Karl Hofmann, von Darmſtadt bis Heidelberg; wir ſprachen viel von Ihnen und ich freute mich darüber, daß Sie unvergeſſen ſind. Wie merkwürdig! der Sohn deſſelben Mannes (Karl Heinrich Hofmann) der ſo ſchwere Verfolgungen erfuhr, reprä— ſentirt jetzt das Land in Berlin und warum? Weil er die politiſchen Meinungen ſeines Vaters beſſer wie jeder andere vertritt! Wer weiß ob Sie nicht Miniſter geworden wären, wenn Sie geblieben wären. Bechtold war viele Jahre Leiter des heſſiſchen landwirthſchaftlichen Vereins. 214 Liebig an Reuning. Die in Pommritz angeſtellten Verſuche ſind höchſt intereſſant, ſie zeigen wie unendlich viel in Beziehung auf die Behandlung und Düngung der Felder wir noch zu lernen haben. Das Richtige zu treffen, das iſt die Kunſt, die Wirkung auf die Lockerung des Bodens iſt ſehr merkwürdig und es iſt kein Wunder, daß früher viele glaubten, alles hinge davon ab. Ich bin begierig wie ſich die Frucht ſtellen wird, die nach den Wicken (Kalk) auf dem Felde folgt. Ich ſchicke Ihnen anliegend eine kleine Probe Fleiſchmehl Fray Bentos; es iſt der getrocknete Rückſtand von der Extraktbe⸗ reitung; reines gehacktes Muskelfleiſch extrahirt mit kochendem Waſſer. Dr. Kemmerich in Bonn zeigte durch eine Reihe von Verſuchen, daß dieſes Fleiſchmehl beim Zuſatz der ausgezogenen löslichen Nährſalze von Hunden gerne gefreſſen wird (ohne die Salze abſolut nicht) und daß ſie an Gewicht beträchtlich zunehmen. Ich veranlaßte die Fabrikation in Fray Bentos, in der Hoff— nung daß es als Futtermittel, ganz beſonders als Zuſatz zu ſtickſtoff⸗ armem Futter, hohen Werth für die Fleiſcherzeugung gewinnen könnte; es iſt wie geſagt reines Muskelfleiſch und enthält etwa noch 15% Fett; ich meine, es müßte noch werthvoller ſein als Raps— kuchenmehl oder Palmkuchen. Ein Zuſatz von dem officinellen phos— phorjauren Natron und Chlorkalium, die mit einander gemiſcht, Kochſalz und phosphorſaures Kali (den Hauptbeſtandtheil der Fleiſch— brühe) geben, iſt ſelbſtverſtändlich nothwendig: zwei Pfund von jedem auf den Centner. Verſuche mit Schweinen dürften am raſcheſten ein Reſultat geben (Kartoffeln, Fleiſchmehl und Salze). Könnte Ihr Sohn vielleicht zu ſolchen Verſuchen Zeit und Neigung haben, ſo würde ich ihm ein paar Centner Fleiſchmehl von Ant— werpen aus zukommen laſſen. Bitte ſchreiben Sie mir eine Zeile darüber hierher oder nach München nebſt ſeiner genauen Adreſſe. Ich ſchicke dieſen Brief aufs geradewohl nach Gedern und hoffe, daß er Sie dorten trifft. Von Herzen Ihr treu ergebener J. v. Liebig. Reuning an Liebig. 215 Dresden, den 25. Juli 1872. Mein verehrter Freund! Ihr Brief vom 12. Juli ward mir hierher nachgeſchickt, ich kam ſchon am 16. dieſes zurück, müde zum Umſinken, nachdem ich unterwegs das Anfahren des Zugs an einen andern Wagen und das Entgleiſen deſſelben erfahren, da erkennt man die Macht des Dampfes; Knacken und Knattern und Krachen an den zerriſſenen Wagen, Holpern über die Schwellen, Uebereinanderwerfen im Coupé, allgemeines Entſetzen, aufgeregte Geſichter; es war recht intereſſant für mich, da ich mitten in der Gefahr immer kälter, ruhiger ward. Daß Ihnen Wiesbaden nicht bekam, bedauere ich ſehr, hoffe beſſeres von Wildbad. Man muß im Alter manches mitnehmen. Gottlob faßt es Sie leichter an, als andere. Ihr Geiſt iſt der Alte, wenn er auch mehr Ruhe ſich gönnt, keine chemiſchen Briefe mehr produciren will. Auch mir that die Heimath ſehr wohl, ich kam bis Frankfurt, hörte dort, daß Sie in Darmſtadt geweſen, traf aber unglücklich mit mehreren engſichtigen Menſchen länger zuſammen, die mir den Ge— nuß der Heimath verleideten. Der Geſichtskreis richtet ſich doch nach dem, was unter den Menſchen geſchieht; nur wenige blicken über denſelben hinaus. In Gießen ſah ich mir Ihre Werkſtatt von außen an; ſonſt auf faſt alle Fragen todt, todt, da ward es mir ganz unheimlich, ich freute mich, wie der Zug weiter ging. Karl Hofmann iſt ein ſehr begabter Mann und an ſeinem Platze; auch mir thut es immer wehe, wenn ich an die Mißhand— lungen ſeines edlen Vaters denke, den doch keiner ſeiner Söhne erreicht. Wenn Sie ſagen ich wäre vielleicht Miniſter geworden, ſo kann mich Ihre gute Meinung nur erfreuen, aber dieſe verführt Sie zu unhaltbaren Schlüſſen; ich glaube, ich war an meinem Platze wo es galt, Ideen aufzuſtellen und ſelbſt durchzuführen, nie aber, wo es ſich um eine große Leitung handelte. Ich war 1848 unter Gagern vielleicht Kreisrath, 1850 aber ſicher penſionirt worden und im Nichts— thun zu Grund gegangen. Es war ſo am Beſten, wie es geworden 216 Reuning an Liebig. iſt; mein Schickſal war, nie zu erreichen was ich wollte, und immer mehr als ich hoffen konnte, auf unbekanntem Wege. Ihre chemiſchen Briefe leſe ich fort in Ruhe und beklage, daß ich manches nicht verarbeiten kann, da ich eben nichts gelernt habe. Aber die allgemeinen Auffaſſungen bannen mich wahrhaft. Seite 156 ſagen Sie „alle poröſen Körper ſind wahre Sauer— ſtoffſauBger“. Nehmen Sie nun den Sauerſtoff allein auf oder auch den Stickſtoff, den Kohlenſtoff, Waſſer und Ammoniak? Wenn letzteres, ſo haben wir einen Theil der fehlenden Er— klärung für die Bereicherung des Bodens durch die Atmoſphäre, auch für die Brache und Gahre. An letztere habe ich mich wieder einmal gemacht für eine Wiener Zeitung, und ich ſchicke Ihnen den Artikel, wenn er erſcheint. Gedanken, ohne die Kraft des Beweiſes, aber es liegt hier noch etwas, worüber ich unverſtändiger Menſch keine Aufklärung finde. Für das Fleiſchmehl werde ich Ihnen ſehr dankbar ſein, aber ich kann es mit gutem Gewiſſen nicht meinem Sohn geben, der keine Zeit hat, genaue Verſuche zu machen, auch keine Schweine hält. Dagegen arbeitet Pommritz ſchon ſeit 10 Jahren hauptſächlich mit Schweinen und dort können genaue Verſuche gemacht werden, die der Sache nützen, darum bitte ich an die Verſuchsſtation zu Pommritz bei Bautzen, Königreich Sachſen zu ſchicken, was Sie mir ablaſſen wollen. Mir perſönlich wäre 1 Centner für meinen Schwiegerſohn ſehr willkommen, da ich dann ſelbſt die Verſuche leiten und ſehen kann. Den Preis ab Hamburg am beſten, oder auch ab Antwerpen wäre mir ſehr lieb zu erfahren, er iſt doch zuletzt entſcheidend. Rentirt die Fütterung, ſo iſt hier der Platz zu großem Abſatz. Ich muß Sie noch einmal um einen Rath bitten. In Heſſen war ich, weil Knochenmehl auf den Gütern nicht wirken wollte, wo deſſen Anwendung von mir angeordnet war. Ein Gut liegt eine Stunde von Salzhauſen. Der Boden hat ein röthliches Anſehen, wie Eijen- ocker, nie habe ich aber dort ſolchen im Waſſer in irgend bemerkbarer Menge geſehen. Derſelbe klebt bei Regen an den Füßen zum Ver- Reuning an Liebig. 217 zweifeln. Das halbe Fürſtenthum Lippe trug ich fort an den Beinen. Dieſer Ausſpruch Heines fiel mir bei Regen ein, aber der Boden wird bald wieder trocken: er trägt Luzerne gut, Klee vor— trefflich, um ſo reichlicher je tiefer man geht, je mehr Ackerkrume beſeitigt wird; der Untergrund iſt bei dem Herausnehmen weißlich, wird bei Brunnengraben von den Bauern als Dünger benutzt. Körner ſind verhältnißmäßig wenig: 900 —1000 Pfund Weizen per Morgen; Kartoffeln wenig, leicht von Krankheit angegriffen. Das Gebirg iſt Baſalt, nicht weit von Sandſtein; die Ackerkrume iſt aber meiſt Diluvion. An der Grenze eines Baſaltbruches fand ich Ge— rölle, auf dem Stein ein weißer Anſatz, den ein zufällig anweſender Hüttenmann als wahrſcheinlich für phosphorſauren Kalk an Eiſen gebunden erklärte. Ich fand ein Feld, das ſeit 15 Jahren unge— düngt die Früchte gleich dem gedüngten trug, mächtiges Korn. Dieſes war ebenfalls roth, ich grübelte an einem Abhang einen weißen Brocken heraus, den ich für Kalk hielt, aber er brauſte mit Eſſig kaum merklich auf, wie ich denn bei der Ackerkrume dieſes nie zu entdecken vermocht habe. Aus dieſem Verhalten ſchloß ich um ſo mehr auf Kalk, als die Umgebung von Salzhauſen reich an ſolchem ſein ſoll. Dem ſteht aber entgegen, daß die Kartoffel, vielleicht wegen der phyſikaliſchen Beſchaffenheit des Bodens, ſchlecht gedeiht. Gyps wirkt ſo auffällig, wie ich es nie geſehen; ich ließ vor 3 Jahren ein Quadrat unge— gypſt liegen, man ſah auf 500 Schritte die Grenzen ganz ſcharf, der Klee war gelb, auf dem übrigen Feld dunkelgrün; auch im Weizen nach Klee bemerkte man einen ſchlechteren Stand, wo der Gyps nicht ausgereicht hatte. Auf dieſem Boden wurden nun vor 3 Jahren Verſuche mit Knochenmehl und Superphosphaten gemacht; man wollte nichts oder kaum etwas davon geſehen haben, man führte mich auf die Felder: ich ſah auf einem Theil eine Wirkung, auf einem andern entſchieden nichts. Kalk als Rückſtand von einer Sodafabrik ſoll geradezu ſchädlich ſich gezeigt haben. Woran fehlt es nun, was iſt zu thun? ich laſſe nicht locker, weiß aber nicht, was anfangen, worauf die Unterſuchungen zunächſt 218 Liebig an Reuning. — zu richten ſind. Phosphorſäure fehlt ganz entſchieden, aber wie ſolche zur Wirkung bringen. Auf einem andern Gute am Fuße des Vogelsbergs, ca. 1000 Fuß über dem Meere, Baſalt, iſt der Boden ähnlich im Aeußeren, wie der oben beſchriebene, dieſer ſoll aber mehr tragen, als der weiße, wie er genannt ward und man ſah dieſes auf Neuland ſofort; es ſtand Luzerne im zweiten Jahr prachtvoll, wo ich nie gewagt hätte, ſolche auszuſäen. Körnerernten erbärmlich, Kartoffeln mißrathen ganz oder faulen, Runkeln kommen fort. Buchen wachſen gut, weit beſſer Fichten. Auch hier nur theilweiſe eine Wirkung von Knochenmehl ſichtbar. Kalk ſoll im Getreide nichts gezeigt haben; allerdings aber iſt noch keine Blattfrucht auf das betreffende Feld gekommen. Wicken gut, Erbſen mäßig. Können Sie mir einen Weg zeigen, wo man wiſſenſchaftlich der Sache näher rückt, ſo bin ich Ihnen ſehr dankbar. Mich beunruhigen ſolche Erſcheinungen bis ich auf den Grund ſehe. Sind Sie wieder einmal ganz in Ruhe und aufgelegt, ſo theilen Sie mir Ihre Gedanken mit. Hier iſt's unerträglich heiß, trocken, ſo daß man vor Abend nicht an die Luft kann. Werden Sie kräftig, ſein Sie vergnügt. Das der innigſte Wunſch Ihres ergebenen Reuning. München, den 29. Auguſt 1872. Mein theurer Freund! Dieſe Zeilen haben den Zweck Sie auf das angelegentlichſte und dringendſte aufzufordern, uns für die Zeit der hieſigen Verſammlung der deutſchen Land- und Forſtwirthe das Vergnügen Ihres Beſuches zu ſchenken. Meine Frau hat ihr Zimmer bereits für Sie in Stand geſetzt und ſie behauptet, daß Sie ſchon kommen müßten, um die hier liegen gelaſſene Schreibmappe in Empfang zu nehmen. Ich werde mich an der Verſammlung nur als Zuſchauer betheiligen und Reuning an Liebig. war 219 Sie jollen kein größeres Opfer bringen, als durch Ihre Gegenwart mir alles Läſtige, was dieſe Verſammlung in ihrem Gefolge für mich hat, erleichtern zu helfen. Ich habe zu Ihnen noch Rimpau und ſeine Frau eingeladen. Soeben empfange ich von Dr. Varrentrapp in Nilkheim bei Aſchaffen— burg die Beſchreibung ſeiner Gutsverbeſſerung; ſehr merkwürdig, er fing an mit einer Düngung 1863 von 40 Centner Superphosphat auf 200 Hektaren Felder, und der Boden der ſonſt ſo gut wie nichts trug, lieferte 4 Jahre hintereinander die ſchönſten Gerſten- und Weizenernten; alles ohne Zufuhr von Stickſtoff. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Dresden, den 31. Auguſt 1872. Verehrteſter Freund! Daß Sie meiner nicht im Mai ſatt geworden ſind und auch zur bevorſtehenden Verſammlung der Landwirthe mich einladen, freut mich und danke ich Ihnen dafür herzlich. Aber den ſchwätzenden Deutſchen Brüdern würde ich lieber 20 Meilen aus dem Wege gehen, als zu ihnen reiſen; mir iſt noch nichts langweiligeres vorgekommen als dieſe Leute, die Monate lang auf das Reden ſich einrichten und doch nichts von ſich geben, als das albernſte Zeug. Darum habe ich bei den letzten Verſammlungen nicht einmal die lokalitäten ge— ſehen, wo geredet ward, wenn mich andere Intereſſen dahin riefen. Reiſe ich noch einmal nach München, ſo zieht mich nichts an, als Sie, wie auch das letzte Mal; ob dieſes geſchieht, wer weiß es, ich glaube es kaum. Die Schreibmappe könnte ich doch nicht mitnehmen, denn ſie iſt nicht mein, ward mir in Ihrem Hauſe zur Benutzung übergeben, ich vergaß ſie daher nicht, als ich ſie liegen ließ. Sie haben doch meinen Brief nach Wildbad erhalten! ich hoffe, Sie fühlen Sich geſtärkt nach dem Bade. 220 Liebig an Reuning. Wie bald nach Ihrem Zuſammentreffen ſchied v. Bechtold, man muß auf alles gefaßt ſein. Varrentrapps Reſultate wundern mich nicht, er hat jedenfalls mit Stallmiſt gedüngt und viel Blattfrüchte gebaut; ich kann mich immer noch nicht trennen von dem, was Sie anfänglich ausſprachen, es ging mir ins Blut über. In Pommritz ſah ich bei meiner letzten Anweſenheit keinen Unterſchied mehr zwiſchen reichſter Stickſtoff- und bloſer Kalk-, oder Phosphatdüngung, ich bin auf die Ernteerträge ſehr geſpannt. Das Fleiſchmehl habe ich wohl zu erwarten, wie die Antwort auf meine Anfragen wegen Phosphorſäure! Mit herzlichen Grüßen an die Ihrigen Ihr treu ergebener Reuning. München, den 7. October 1872. Mlein theurer Freund! Die Verſammlung der deutſchen Land- und Forſtwirthe war nur ſpärlich beſucht, aber ausgeſucht in Beziehung auf intereſſante Leute, darunter namentlich Rimpau der mit ſeiner Frau 8 Tage bei mir wohnte. Die Medaille wurde, wie Sie wiſſen an Henneberg verliehen und die vom vorigen Jahre an Sie in der Verſammlung proklamirt. Der an Sie gerichtete Brief ſoll in den Protokollen, ſo wie in der Leipziger illuſtrirten Zeitung nebſt einer Zeichnung der Medaille ver— öffentlicht werden. Eine ſolche Ehrenbezeugung gewinnt, wenn ihre Verleihung durch eine ehrenhafte Körperſchaft vermittelt wird, ein beſonderes Gewicht und die Verſammlung der deutſchen Land- und Forſtwirthe iſt zu— letzt ſo gut wie irgend eine andere. Die Statuten der Liebig— nem habe ich mit Drechsler ein⸗ gehend berathen und er hat einige Bemerkungen gemacht, welche Be— achtung verdienen. Liebig an Reuning. 221 Von der Akademie will er nur den Präſidenten beim Cura— torium haben; ich meine aber es ſollten drei von ihren Mitgliedern darin ſein, die ich näher bezeichnet habe: 1. den Präſidenten; 2. den Vorſtand der naturwiſſenſchaftlichen und mathematiſchen Klaſſe; 3. ein zweites Mitglied derſelben Klaſſe. Es könnte ſein, daß mein Nachfolger aus der hiſtoriſchen oder philologiſchen Klaſſe zum Präſidenten gewählt wird, der natürlich an der Stiftung kein beſonderes Intereſſe nehmen wird. Die natur— wiſſenſchaftliche Klaſſe ſteht der Sache näher, das zweite Mitglied derſelben könnte die Sekretariatsgeſchäfte übernehmen. Abſtimmung. In Ihrem Entwurfe ſollen nur die An— weſenden ein Stimmrecht haben. Es wird nun ſehr ſchwer, viel— leicht unmöglich ſein, eine genügende Anzahl der auswärtigen Mit— glieder des Curatoriums zu Sitzungen, in denen die Wahl eines Candidaten für die Medaille berathen oder ſonſtige Beſchlüſſe gefaßt werden ſollen, zuſammen zu bringen, ohne Entſchädigung für die Reiſekoſten; geſchieht letzteres, ſo wird dadurch das Ein— kommen der Stiftung geſchädigt. Ich glaube demnach, daß man zu ſchriftlichen Abſtimmungen ſich entſchließen muß, wie dies z. B. bei der Wahl der Ritter pour le mérite ebenfalls geſchieht. Einen vorwiegenden Einfluß auf die Verleihung der Medaille möchte ich der hieſigen Akademie der Wiſſenſchaften nicht geſtatten. Was die Wahl zweier Mitglieder des Maximilians-Ordens be- trifft, ſo hat dieſe keine Schwierigkeit, wenn ſie durch mich geſchieht, aber nach meinem Tode, wer ſoll ſie bezeichnen? der König, die Akademie oder das Curatorium? Der Zuſatz, daß derjenige Nachkomme Liebigs, welcher Mitglied des Curatoriums iſt, ſeinen Nachfolger bezeichnen ſoll, ſcheint mir ebenfalls zur Vermeidung langathmiger Verhandlungen angemeſſen. Ich ſende Ihnen eine Abſchrift Ihres Entwurfes und die Be— merkungen Drechslers dazu. Es ſcheint mir vielerlei Detail zu fehlen in Beziehung auf die Ausführung der einzelnen SS der Statuten, ich bin aber zu dumm, um ſo etwas abzufaſſen. Sollten Sie Zeit und 222 En Reuning an Liebig. Luſt haben, ſo bitte ich Sie ſehr angelegentlich dieſer Sache Ihre Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Wir haben viel von Ihnen geſprochen und nur bedauert, daß Sie nicht bei uns waren. Ich habe noch einige Fragen zu erledigen, die Sie mir in Ihren letzten Briefen geſtellt; ich werde verſuchen es zu thun, aber ich geſtehe Ihnen, mein Kopf iſt recht ſchwach ge— worden. Wenn das Gedächtniß ſchwach wird, ſo wird es einem ſehr ſchwer, einen langen Gedankenfaden feſtzuhalten. Wird man unter— brochen, was bei mir ſtets geſchieht, ſo vergißt man die Vorderſätze und man kommt zu keinem Schluſſe; früher war dies anders. Ich lobe mir die afrikaniſchen Völkerſchaften, welche den Altgewordenen Unbrauchbaren die Köpfe einſchlagen, um ſie nachher aufzufreſſen; das beſte, wozu ſie noch gut ſind. Das Fleiſchmehl vergeſſe ich nicht, es iſt jetzt analyſirt; es enthält: 11,61 Feuchtigkeit 11% Fett 76,47 Proteinſubſtanz (Fleiſch) 100, ich bin überzeugt, daß es ein ſehr gutes Maſtfutter abgiebt. Wir wollen hier (Lehmann) ſechs Schweine einſtellen und mit gekochten Kartoffeln und Fleiſchmehl mäſten. Sobald ſich ein Reſultat herausgeſtellt hat, ſchreibe ich Ihnen. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Dresden, den 21. October 1872. Mein großer Freund und Gönner! Sie dürfen keinen Zweifel haben, daß ich Alles, was Sie wünſchen, mit aller Freude thue. Ihren Brief vom 7. ds. ließ ich abſichtlich einige Tage liegen, um mich in den Stand zu ſetzen ganz ruhig über die Sache zu urtheilen, denn der Teufel ſitzt dem Menſchen immer im Nacken, er Reuning an Liebig. 223 will ſeine Anſichten behaupten, wenn ſie angegriffen werden und be— ſtreitet dann auch Dinge, die er nachgeben ſollte. Daß Sie Drechsler, als Mitbegründer der Stiftung, ein wich— tiges Wort bei der Abfaſſung des Statuts einräumen, iſt nicht mehr als recht und hätte ich gewünſcht, mich ihm in Allem anſchließen zu können. Das war mir nicht ganz möglich, wie Sie aus den An— lagen erſahen; ich habe zu Ihrer Erleichterung noch einen Entwurf verfaßt, in welchem ich aufnahm, was nach meiner Anſicht möglich war und habe weiter zu jedem Paragraph meine Motive gegeben. Nun entſcheiden Sie. Was Ihnen die meiſten Bedenken macht, iſt das Curatorium, ich glaube ohne Noth. Sie haben den Präſidenten und Vorſtand der naturwiſſenſchaftlichen Klaſſe als Mitglieder, die ſich von ſelbſt erneuern. Sie haben die Inhaber der goldnen Medaille, die ein lebhaftes Intereſſe an der Stiftung nehmen, ſchon aus menſchlicher Eitelkeit, damit kein Unwürdiger ihr College wird. Von einem volkswirthſchaftlichen Mitglied kann ich aber nicht abſehen. Sie ſelbſt haben dieſes Gebiet oft genug berührt, vielleicht ohne es zu beabſichtigen, es iſt ſolches nothwendig mit dem naturwiſſenſchaftlichen in Verbindung zu bringen. Darum ſchlage ich die Wahl eines ſolchen vor, wo möglich in München wohnhaft. Drechsler verſtehe ich nicht, wenn er die Betriebslehre als eine beſondere Wiſſenſchaft betrachtet, auch die Culturtechnik als ſolche anſieht. Das ſind Auffaſſungen, die der Lehrer der Landwirthſchaft nicht abſchütteln kann, weil er auf dem confuſen Unterricht fußt, wie er ſeither ertheilt ward. Die jetzige Betriebslehre, die docirt, wie ein Ochſe den andern anjocht, iſt eine jammervolle Darſtellung deſſen, was ein Ochſenjunge verrichtet. Als Wiſſenſchaft ſteht ſolche nicht für ſich, wird aus der Volkswirthſchaftslehre und den Natur- geſetzen aufgebaut. Was Drechsler über die Abſtimmung geſchrieben hat, muß in größter Eile geſchehen ſein; er überſieht, daß das Curatorium münd— lich doch nur über die Vorſchläge beſchließen ſoll, die an alle Mit⸗ glieder zur Abſtimmung geſtellt werden. Da, wo es ſich darum handelt, eine Sache durch Austauſch der Anſichten aufzuklären, kann 224 Reuning an Liebig. doch nicht ein Abweſender, der gar nicht wiſſen kann, wie die Frage ſich klärt, aus den Wolken abſtimmen wollen. Das würde mehr werden als ein polniſcher Reichstag, und ich würde es Niemand verdenken, wenn er nicht Vorſtand des Curatoriums ſein wollte, das aller Mittel beraubt iſt, zu einem vernünftigen Beſchluß zu kommen. Die ſchriftliche Abſtimmung über die Vorſchläge gewährt Jedem ſein Recht. Wer mehr will, gehe in die Sitzung am Akademie— Stiftungsfeſt. Warum man bei der Beſchränkung der Zahl der Inhaber der goldenen Medaille auf acht, zwei von dem Curatorium ausſchließen will, weiß ich nicht. Im Uebrigen beziehe ich mich auf die Anlagen. Machen Sie ſich, wie Sie auch ſich entſcheiden, keine Sorgen. Man kann und ſoll nicht Alles vorſehen wollen; das Leben bildet die Sache von ſelbſt aus, wenn nur die Baſis dargeboten iſt. Das Gedächtniß mag mit dem Alter nachlaſſen; das fühlt Jeder und ſchadet wenig, wenn der Geiſt der alte bleibt. Mir, der Sie erſt vor einigen Monaten geſehen, mit Ihnen verkehrt, Ihre Vorträge gehört hat, dürfen Sie nicht klagen, daß Ihr Geiſt nicht der alte ſei. Könnte man ihn doch einem Vierzigjährigen einhauchen, er würde der Welt gewaltig nützen. Von weiteren großen Arbeiten ſind Sie von ſelbſt dispenſirt. Ruhen Sie auf Ihren hoch auf— geſpeicherten Lorbeeren. Seit einigen Monaten habe ich mich wieder einmal auf Sta— tiſtik geworfen, um mir ein Bild Sachſens zu verſchaffen, in Bezieh- ung auf Bevölkerung, Production und Conſumtion. Da ergiebt ſich denn, daß das kleine Ländchen ſeit 10 Jahren mehr bedarf: an Körnern. 1,500,000 Centner „ Milch.. 110,000,000 Kannen „ Fleiſch . 17,000,000 Pfund Wenn Sie nun recht grillig und verdrießlich ſind, ſo rechnen Sie einmal aus, wie viel Ihr Geiſt dazu beigetragen hat, den Mehr— bedarf zu produciren. Allerdings können wir nicht ſolchen decken, aber Ihre Lehren ſind weit gedrungen und werden um ſo mehr Anwendung finden, je mehr die Noth dazu zwingen wird. Reuning an Liebig. 225 „ In dieſer Betrachtung möchte ich doch nicht ganz dafür ſtimmen, daß die Welt den Juſtus todtſchlägt und verſpeiſt, da er ihr andere Speiſe genug verſchafft hat und die Menſchheit zur Zeit von dem Geiſt deſſelben ſich zu nähren im Stande iſt. Wenn Sie ſo reden, was ſoll dann Unſereiner von ſich ſagen? Laſſen Sie ſich ein wenig von der Selbſtgenügſamkeit anfreſſen und Sie werden auf andere Gedanken kommen. Settegaſt, der mich auf der Rückreiſe beſuchte, beſtätigte mir Ihre Friſche. Nun leben Sie wohl! Ihr dankbarer und getreuer Reuning. Dresden, den 23. Oktober 1872. Liebſter Freund! Die Pommritzer Verſuche, von denen ich Ihnen ſchrieb, ſind nun da und in der Anlage enthalten; ich muß ſie Ihnen ſofort mittheilen. Die Ernten von Wicken 1872 ſind bei Kalk, Phosphorſäure und Kali reiche, überdurchſchnittliche. Da ſtehen wir alſo vor einem gelöſten Problem; der Boden bedarf einer Stickſtoffzufuhr von außen nicht, wenn wir ihm denjenigen wiedergeben, welchen die Blattfrüchte gewähren, denn der Dünger von den Wicken, wenn ſie verfüttert werden, deckt mehr als den Bedarf der Halmfrucht. Noch mehr iſt dieſes bei Klee der Fall. Stickſtoffdüngung allein iſt Raubbau: 1869 gab ſie eine reiche Ernte; 1870, ohne neue Düngung, ſo viel wie ungedüngt. Das Ammoniak hatte alſo die Mineralnährſtoffe aufnehmbar gemacht, aber für die folgende Frucht gar nichts gethan, die Ernte war = un⸗ gedüngt. Ihnen darf ich Folgerungen nicht vorlegen, ich freue mich aber darauf dieſe zu berechnen. Briefwechſel zwiſchen Liebig und Reuning. 15 226 Liebig an Reuning. Sie werden eine große Freude an dieſen Ergebniſſen haben; ich habe ſie in größerem Grade; ich hielt feſt an Ihrem Wort, ward verhöhnt; noch vorgeſtern ward mir der Vorwurf, von einer falſchen Anſicht könne mich Niemand heilen, weil ich behauptet, man komme ohne Stickſtoffzufuhr von außen aus und ich immer auf neue Mittel ſinne, wie man der Sache näher komme. Hätte ich meinen Dickkopf nicht gehabt, ſo wäre dieſer Verſuch nicht angeſtellt worden, deſſen Ergebniß von ganz unabſehbarer praktiſcher Bedeu— tung iſt. Der Peruguano muß fallen, wir werden alle an die Mineraltheorie glauben müſſen. = Ihr Reuning. München, den 29. Oktober 1872. Mein theurer Freund! g Ihre Briefe ſind ſo friſch und lebendig, daß ſie mir jederzeit Freude machen, ſie ſind aber nicht ſo leicht wie andere zu beant— worten, weil fie in der Regel eine Anzahl von Nüſſen zum Auf- knacken enthalten, was nicht immer leicht iſt. So geben mir Ihre Schlüſſe über die mitgetheilte Erntetabelle mancherlei zu bedenken. N} Richtig iſt und bleibt, daß Stickſtoffdüngung allein Raubbau iſt, und daß die Wickenernte von 1872, mit Kalk, für eine Stidjtoff- düngung für die folgenden Jahre genügt, aber der praktiſche Mann dürfte dagegen ſagen, daß er rechneriſch auf einen Vortheil verzichte, wenn er ganz auf die Stickſtoffdüngung verzichte, denn es ſeien im Jahre 1871 auf dem mit Stickſtoff gedüngten Felde mehr Samen (Haferkorn 5267) gerntet worden, als in den Jahren 1869 (1450), 1870 (146), 1871 (639) und 1872 (2508 Körner) zuſammen⸗ genommen. Die mächtige Wirkung des Aetzkalks gegenüber dem phosphor— ſauren finde ich ſehr bemerkenswerth; zum Aufſchließen des Bodens | giebt es in der That, für manche Formationen, kein beſſeres Mittel Für die neue Bearbeitung der Statuten der Liebig-Stiftung Liebig an Reuning. 227 ſage ich Ihnen meinen wärmſten Dank; alle Einwürfe Drechslers ſcheinen mir damit gehoben zu ſein. Auch für den Nationalökonomen ſtimme ich gerne, wenn derſelbe nicht gerade ein Maximilians-Ritter ſein muß. . Die 6 Medaillenträger als Mitglieder des Curatoriums find urſprünglich, in der erſten Faſſung der Statuten, von Ihnen in Aus— ſicht genommen worden; ich dachte ſpäter eine Erweiterung der Ver— leihung auf 8 Perſonen ſei vielleicht wünſchenswerth und ſo nehme ich 6—8 an, und ſechs in das Curatorium; eine Zurückſetzung der beiden über ſechs iſt nicht beabſichtigt, auch bin ich nicht gegen ihre Hinzuziehung. Gegen meine Schlafloſigkeit wende ich mit Erfolg ſeit etwa 3 Wochen, einen kalten wäſſerigen Aufguß von Sennesblättern an (5 Grm. mit 70 Grm. Waſſer) von dem ich täglich des Abends einen Eßlöffel voll nehme; mehr würde Purgiren bewirken, was nicht ein— treten ſoll; der alte Geheimerath v. Gietl rieth mir dies Mittel an, es iſt eine Kinderarznei, die keinen Schaden bringen kann. Baron v. Rotenhan hat in ſeiner Wirthſchaft meine Kinder— ſuppe mit ausgezeichnetem Erfolg zur Aufzucht von Kälbern ver— wendet; der Vortheil liegt darin, daß die halbe Milch und aller Rahm für andere Zwecke gewonnen wird, die Thiere nehmen durch— ſchnittlich täglich um 2 Pfund an Gewicht zu; auch bei jungen Schweinen war die Suppe gegen Diarrhöe ſehr wirkſam; ich habe ſeit langem Lehmann zu Verſuchen mit der Suppe in dieſer Richtung gedrängt, er kam aber nicht dazu. Mit dem Fleiſchfuttermehl ſollen die Verſuche mit Schweinen dieſe Woche begonnen werden; ſobald die Vorſchrift zur täglichen Fütterung feſtſteht, werde ich das Futtermehl an Ihren Herrn Schwieger— ſohn abſenden laſſen, es enthält 12% Fett und 76% Albuminate. Von Herzen Ihr getreuer J. v. Liebig. 228 Reuning an Liebig. Dresden, den 24. November 1872. Verehrteſter Freund! Ihr letzter Brief erwähnt des Mittels, welches Sie gegen Schlafloſigkeit anwenden, von welcher Sie mir nie etwas geſagt haben. Dieſes macht mich beſorgt und veranlaßt die dringende Bitte, mir zu ſagen, wie es Ihnen ergeht; Sie müſſen Ihre Kräfte erhalten. Ich höre und ſehe mit Ausnahme einer Stunde, die ich Abends unter gleichalterigen Philiſtern mit den ordinärſten Beſprechungen verbringe, nichts, kann aber wieder einmal wenigſtens die Vormittage tüchtig arbeiten, ſitze an einem Programm für den Landeskulturrath, um deſſen Thätigkeit eine Richtung anzuweiſen und vertiefe mich mit Luſt in intereſſante Unterſuchungen, wobei ich vieles darum geben würde, könnte ich zuweilen von Ihren Blitzfunken Gebrauch machen; ſo muß ich eben immer fort denken, arbeiten, ohne zuletzt zu wiſſen, ob ich auf dem richtigen Wege bin. Den Verſuch Pommritz habe ich in Zahlen gebracht, und werde ihn nach nochmaliger Umarbeitung an Herrn Müller geben, wenn er ihn für ſein Blatt will; ich ſehe den chemiſchen Proceß vor Augen, den alle, auch die einſeitigen Nährſtoffe im Boden hervorrufen, kann ihn aber nicht erklären. Schwefelſaures Kali ergab ganz dieſelbe Ernte in Wicken, wie phosphorſaurer Kalk. Aetzkalk blieb zurück, Ammoniak noch weit mehr. Da zeigt ſich, was ich vor vielen Jahren ahnte und ausſprach, daß man auf einem Boden mit den verſchiedenſten Nährſtoffen dieſelbe Ernte erzielen könne; es iſt eben Folge des chemiſchen Proceſſes. Wenn ich die cassa des Bodens mache, d. h. wenn ich be— rechne, was an Mineralſtoffen weggenommen ward und was an ſolchen im Boden ruht, ſo iſt die Rente von Stickſtoff die geringſte. Es haben in vier Jahren an Werth ergeben per Acker: brutto. netto. Ungedünge 71 Thlir 6 S Aetzeanfk n loan, 885 111 Reuning an Liebig. i 229 brutto. netto. Stickſtoffff. 216 Thlr. 46 Thlr. Phosphorſäure . 96 „ ur; CCC 83 Jetzt ſteht wieder Roggen auf allen Beeten gleich, nur ſind bei Kali die Pflanzen kränklich, das wird neue intereſſante Ergebniſſe liefern. Woher der Stickſtoff in den Blattfrüchten kommt, das iſt die große Frage; ich kann ſie nicht löſen, weiß aber poſitiv, daß, wenn er von dem Boden aufgenommen wird, dieſer an ſolchem nicht verarmt, ſondern reicher wird, das ſagt die Erfahrung. Das Fleiſchmehl iſt aviſirt, die Verſuche ſind angeordnet, an Kohlehydraten als Füllmaſſe ſoll vorerſt Spreu von Hafer, eventuell Rüben, Kartoffeln gegeben werden. Die Wirkung kann ja nicht zweifelhaft ſein. Ihnen muß es daran liegen, zu ermitteln, wie dieſes Mehl am beſten ſich verwerthet und dazu ſind Kartoffeln als Zugabe zu theuer. Bei Magdeburg giebt man ganz jungen Schweinen neben Gerſteſchrot, Spreu. Gelingt dieſe Beigabe, dann kommen wir zu der höchſten Verwerthung. Sie werden Berichte erhalten, ſobald etwas zu melden iſt. Kommt ein günſtiges Reſultat heraus, ſo reſerviren Sie mir den Vertrieb des Fleiſchmehls in Deutſchland. Ich ſehe es kommen, daß mein Sohn fein Gut verkauft, die Arbeitsverhältniſſe in ſeiner Fabrikgegend ſind geradezu unerträglich geworden, Sorgen und Aerger den ganzen Tag und dafür kein beſſeres Reſultat, als eine geringe Verzinſung des Kapitals. Das macht matt, benimmt alle Freude, ſo daß ich nicht mehr hinaus komme, um nicht an dem Verdruß zu participiren. Kann mein Sohn nur eine Be— ſchäftigung haben, ſo ſteht er ſich bei einem Verkauf des Gutes ebenſo gut, ſofern er von den Zinſen lebt und ich denke, das Fleiſch— mehl, vielleicht inel. des Extrakts würde ihm Arbeit und auch einen kleinen Verdienſt laſſen. Er würde ſich bald in das kaufmänniſche Geſchäft einrichten. Mein Schwiegerſohn verbindet mit ſeiner Wirth— ſchaft Sandſtein- und Pläner-Brüche, um der unſinnigen Bauluſt entgegen zu kommen, mein Sohn will eine Ziegelbrennerei anlegen. 230 Liebig an Reuning. Dahin haben die Verhältniſſe die Landwirthſchaft geführt, hervorge— rufen meiſtens durch verkehrte Regierungsmaßregeln. Leben Sie wohl! Ihr getreuer Reuning. München, den 26. November 1872. Mein theurer Freund! Wie glücklich ſind Sie mit ſoviel Luſt und Freude arbeiten zu können, ich kann es leider nicht und habe auch keine Hoffnung wieder arbeitsfähig werden zu können. Ich freue mich ſtets, wenn ich einen Brief von Ihnen erhalte, da ein jeder etwas Neues und für mich Intereſſantes enthält; ſo in Ihrem letzten die Berechnung der Rente von verſchiedenen Düngemitteln. Daß der Stickſtoff die niedrigſte Rente giebt, wundert mich nicht. Mit dem Kalidüngen muß man ſehr ſparſam ſein, der kleinſte Ueberſchuß wirkt wie ein wahres Gift. In der nämlichen Lage, wie Ihr Sohn befinden ſich viele; der junge Zöppritz hat ſein Gut verkauft, weil er auch zu den höchſten Preiſen keine Arbeiter mehr haben konnte; ſie ziehen die Fabriken vor; ſeinem Nachfolger geht es nicht beſſer. Das Pros— periren von Wirthſchaften wie die Rimpau's iſt für mich ein Räthſel und doch läßt ſich daran nicht zweifeln. | Ich werde nicht verſäumen Ihrem Schwiegerſohne die dem Fleiſch— mehl beizugebenden Salze zu ſchicken. Vorläufig möchte ich ihn erſuchen, mit der Fütterung auch ohne die Salze zu beginnen, Lehmann glaubt, daß die Kartoffeln genug Alkalien ꝛc. enthalten um, bis auf phos— phorſauren Kalk, die andern Salze entbehren zu können, dies iſt noch nicht ausgemacht, wiewohl wahrſcheinlich. Unſere 4 Schweine empfangen täglich: 18 Pfund gedämpfte Kartoffeln, 1 „ Fleiſchmehl, 30 Grm. Salze (21¼ Phosph. Natron,) 68 ½ Chlorkalium). Reuning an Liebig. 231 und jedes nimmt durchſchnittlich um 1 Pfd., alle zuſammen um 4 bis 4% Pfund an Körpergewicht zu. Man erſtaunt, wenn man von 3 zu 3 Tagen dieſe Thiere wiederſieht; ſie ſehen aus wie geſtopfte dicke Würſte, welche täglich runder werden. Wenn Ihr Herr Schwiegerſohn mit der Fütterung beginnt, ſo ſoll er nicht verſäumen etwas (1 Loth) Futterknochenmehl oder einfach fein gepulvertes, gedämpftes, gewöhnliches Knochenmehl dem Futter zu— zuſetzen. Gerſtenſchrotſpreu iſt vielleicht zu arm an den nöthigen Kohlehydraten, aber mit Rüben wird man wohl die Kartoffeln er ſetzen können. Ich bin begierig auf den Erfolg der Fleiſchmehl-Fütterung. Müller wird für die Mittheilung der Pommritzer Verſuche ſehr dankbar ſein. 5 Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Verwenden Sie denn noch Fleiſchextrakt? Dresden, den 3. December 1872. Hochverehrter Freund! Seit ich Ihnen neulich ſchrieb, ich könne wieder arbeiten, habe ich es unterlaſſen müſſen; ich hatte mich übernommen, die Nerven wollen es nicht zulaſſen und ſo bin ich wieder in das Brüten über Gedanken gekommen, die ich nicht zu Papier bringen kann. Es iſt das Loos des Nichtwiſſens, ſtehen bleiben zu müſſen, wo man mit dem Denken nicht weiter kommt. Sie antworten mir nicht über die chemiſchen Proceſſe, welche die Düngemittel hervorrufen; ſehe ich aber in das Leben, ſo muß ich an dieſelben glauben und annehmen, daß dieſe von der Zuſammenſetzung des Bodens abhängig ſind. In Sand wirken die Phosphate nur wenig und langſam; in ſchwerem Boden mit Mergelunterlage ſah ich auch nach ſechs Jahren durchaus keinen Erfolg von ſolchen; während ſie im mildern Boden, auch bei Mergel— unterlage ſofort ankamen. In der Lauſitz, wo der Boden kalklos iſt 232 Reuning an Liebig. aber Kali zu haben ſcheint, reicht man mit der Hälfte weiter als anderwärts mit der doppelten Menge; in Poſen, wo faſt überall Mergel im Untergrund iſt, erreicht man mit 1 Ctr. per Morgen einen Ertrag der mich erſtaunte. Erklären kann ich mir das alles in Verbindung mit dem Pommritzer Verſuch nur durch den chemiſchen Proceß. Man hatte geglaubt, das Vieh verweigere die Annahme von mit Wermuth und Eiſenoxyd denaturirtem Steinſalz; es waren An⸗ träge geſtellt worden, dieſes zu ändern. Umfängliche Verſuche zeigten, daß die Thiere Wermuth und Eiſenoxyd 10 % der Salzmenge ohne Anſtand fraßen, auch 10 % Gyps zugeſetzt, die Annahme nicht ver⸗ ſagten. Da ſitzt man wieder einmal mit einer fogen. praktiſchen Erfahrung feſt, und weiß nicht, warum mitunter das Vieh das Vieh— ſalz verſchmähen ſoll. Die Verſuche mit Fleiſchmehl find übergünſtig, jo daß ich mir feine Hoffnung mache, die Reſultate werden fo fortdauern. Pomm⸗ ritz hat es abgelehnt, die Verſuche einzuleiten, und ich wollte nicht auf ſolchen beſtehen, da auch der Chemiker aus irgend einem Grund der Chemikerſeuche, der Eitelkeit, dagegen war. Gegen den Unver— ſtand kämpft man vergebens. Einer hatte gehört, daß die von Schindern mit rohem Fleiſch gemäſteten Schweine ein unappetitliches Fleiſch geliefert, ein Anderer fürchtete Trichinen, ein Dritter ſtemmte ſich darauf, daß die Menſchen fleiſchfreſſende Thiere nicht ſchlach— teten ꝛc. . Ich werde nun den Verſuch anderweit anſtellen und Ihnen für die Salze ſehr dankbar ſein. Ob ich Fleifchertract verwende fragen Sie und vergeſſen, daß Sie mir ſolchen mitgaben. Ich habe dieſen noch nicht ganz auf— gezehrt und werde ihn nicht wieder aufgeben, da ich lange ein— geſehen, wie ſolcher die Bouillon kräftigt; wiſſen möchte ich aber, ob Sie die Verdünnung blos mit gekochtem oder deſtillirtem Waſſer vornehmen laſſen? Daß die Zucker-Barone und unter dieſen Rimpau hohe Erträge aus ihren Gütern nehmen, iſt natürlich; man gewährt ihnen einen Schutzzoll von 10 —15 Thlr. pr. Morgen, den die Conſumenten be⸗ zahlen. Da laſſen ſich leicht Erträge gewinnen. Böhmen kann hier- her nicht verkaufen, ſendet aber jetzt Zucker in Maſſen nach Nord- amerika. Die Unruhen in Cuba mögen dieſes hervorrufen. Man reſtituirt die Steuer bei dem Export, vielleicht mehr als man ge— zahlt hat. Daß Sie von Ihrer Schlafloſigkeit befreit ſind, freut mich ſehr, ſo dringend wir wünſchen müßten, daß Sie Ihren Geiſt noch thätig ſein ließen, ſo müſſen wir doch in Hinblick auf Ihre Geſundheit darauf verzichten. Man wird noch viele Jahrzehnte an der An— wendung Ihrer Geſetze arbeiten müſſen, bis jetzt haben Ihre Nach— folger noch wenig hierin geleiſtet, ſo viel ſie auch über hohle Eier gackten. Für die „Illuſtrirte“ beſten Dank; ich hatte bis jetzt das be— treffende Schreiben jedem verweigert, weil ich eben erkannte, daß es zu viel enthielt. Jetzt muß ich mich fügen, ohne meine Ueberzeugung aufzugeben. 5 Ihre Bemerkung, daß man mit Kali leicht die Pflanzen ver- gifte, ſoll ſich in Pommritz in dieſem Herbſt bewähren: Aller Roggen ſoll auf den Beeten gleich ſtehen, nur Kali kranke Pflänzchen zeigen. Es iſt unleidlich warm, heute wieder 10“ R.; Raps überwächſt ſich wie Roggen. J Leben Sie wohl, ſeien Sie geſund. Ihr - Reuning. München, den 2. Januar 1873. Mein theurer Freund! Ich ſende Ihnen heute 1 Packet mit phosphorſaurem Natron und 1 Packet mit Chlorkalium, welche beide dem Fleiſchmehl zuzu— ſetzen ſind, um demſelben den vollen Ernährungswerth zu geben. Das Quantum iſt für zwei Centner Fleiſchmehl berechnet. 234 Liebig an Reuning. Jedem Pfunde Fleiſchmehl ſoll zugeſetzt werden: 10 Grm. phosphorjaures Natron und 4,40 „ Chorkalium. Am zweckmäßigſten dürfte es fein, die Salze zuſammen in Waſſer zu löſen und von Löſung ein entſprechendes Volum dem Futter zuzuſetzen. In einer genügend großen Flaſche oder Topf wären: 1070 Grm. phosphorſaures Natron und 440 „ Chlorkalium mit 10 Liter Waſſer zu übergießen, beim häufigen Umrühren oder Umſchütteln löſen ſich die Salze ſchon in der Kälte bald auf und es wäre alsdann per Pfund Fleiſchmehl 100 Cubikeentimeter dieſer Löſung zuzufügen; man kann ſich hierzu leicht ein kleines Maßgefäß konſtruiren. Die Erfolge, welche Lehmann erzielte, ſind außerordentlich. Das Anfangsgewicht der Schweine war am 24. Oktober 35 bis 42 Pfund, ſie wogen am 31. December 104 und 108 Pfund. Es ſind hier 5 Schweine eingeſtellt. . 1. Ein Schwein wird nur mit Kartoffeln gefüttert, denen man 10-15 Grm. Kochſalz zuſetzt; 2. Zwei Schweine erhalten das nämliche Quantum Kartoffeln und dazu phosphorſauren Kalk, Kochſalz und Fleiſchmehl; . Zwei andere Schweine Kartoffeln, phosphorſaures Natron, Chlorkalium, Kochſalz und Fleiſchmehl. Die beiden letzteren Thiere ſehen am ſchönſten aus, die Haut und Borſten ſind glatt und glänzend wie Seide, die der andern ſind rauh und ſtruppig. Auch ſind die Salzſchweine Nr. 3 munterer und ihre Freßluſt iſt weit größer. Es iſt werthvoll zu ermitteln, ob bei Fütterung mit Kartoffeln (die reich an Salzen find) der Zuſatz von phosphorſaurem Kalk allein genügt und die andern Salze entbehrlich ſind. Dem Gewichte und der Zunahme nach unterſcheidet ſich das Loos Nr. 2 von dem Nr. 3 nicht auffallend. Von noch viel größerer Wichtigkeit wäre es zu wiſſen, ob das Fleiſchmehl vom Rindvieh angenommen wird und ob der Fütterungs— 2 Liebig an Reuning. 235 erfolg der gleiche wie bei den Schweinen iſt, in dieſem Fall wäre das Fleiſchmehl ein Futtermittel zur Fleiſcherzeugung, wie man noch keins hat. Mit meinen herzlichſten Wünſchen zum Jahreswechſel und mit der Bitte um Erhaltung Ihrer freundſchaftlichen Geſinnungen (die meinigen ſind unveränderlich) Ihr treu ergebener J. v. Liebig. Dresden, den 21. Februar 1873. Hochverehrter Freund! Ihre Briefe vom 26. November und 2. Januar liegen noch unbeantwortet vor mir; ebenſo ſchulde ich Ihnen noch meinen Dank für die Ueberſendung der Fleiſchſalze und der Lehmannſchen Fütter— ungsverſuche. Es war nicht Nachläſſigkeit, daß ich Ihnen ſo lange nicht ſchrieb; weiß ich ja, daß ich mit jeder Zögerung die Freude, eine Nachricht von Ihnen zu erhalten, mir weiter hinausſchiebe, ich wollte Ihnen nur erſt jagen können, daß die Verſuche mit Fleiſch— mehl hier eingeleitet ſind und da Haubner durch die Rinderpeſt an der Grenze, dann durch die Arbeiten am Jahresſchluß und in neuerer Zeit durch die Kälte im Stalle abgehalten war, die Verſuche zu beginnen, ſo ſind dieſe auch jetzt noch in einem Vorfütterungsſtadium und ich habe Haubner noch nicht bewegen können, den ſpeciellen Plan derſelben zu beſprechen, da auch noch eine gefährliche Erkrankung ſeiner Frau hinzugetreten iſt. Ich hoffe, daß die Sache, für mich viel zu ſpät, bald in Gang kommt. N Die Münchner Reſultate ſind höchſt intereſſant, aber ich geſtehe es, für mich nicht ganz verſtändlich, da die Kartoffeln eine Produktion zeigten, die mir noch nicht vorgekommen iſt; hier muß die Stärke weſentlich zur Bildung des Fettes beigetragen haben. Die höchſt erfreuliche Verwerthung des Fleiſchmehls führt von ſelbſt wieder die Aufmerkſamkeit auf die Verdaulichkeit des Proteins, die bei dem Schweine weit mehr in Frage tritt, als bei den Wiederkäuern; aus do 36 Reuning an Liebig. allen ſo ſehr widerſprechenden Verſuchsreſultaten ſcheint eines her— vorzugehen, daß das Protein in den Hülſenfrüchten für Schweine ſehr ſchwer verdaulich iſt. Ich will ſehen, wie weit wir hier mit den Verſuchen kommen, um auch dieſes feſtzuſtellen. Jedenfalls tritt die Bedeutung des Fleiſchmehls ſehr groß hervor, und hoffe ich, daß wir in Sachſen allein das producirte Quantum verwenden können, wenn der feſtzuſtellende Preis dieſes zuläßt. Ein großer Schweine⸗ mäſter würde jetzt ſchon gern monatlich 30 Centner verfüttern, wenn er ſolches erlangen könnte. Ihr letzter Brief gefiel mir weniger, es geht aus demſelben irgend eine körperliche Störung oder Verſtimmung hervor; laſſen Sie mich bald wiſſen, daß Sie wieder in alter Verfaſſung und Kraft ſind. Mit Ihnen war ich fortdauernd beſchäftigt, indem ich mit ein— zelnen Unterbrechungen recht gut arbeiten konnte und dieſes dazu benutzte, darüber zu denken und niederzuſchreiben, welche Ziele ſich die Landwirthſchaft, die Sächſiſche insbeſondere, zu ſtellen hat und dabei wurde ich von ſelbſt auf Ihre Naturgeſetze fortwährend hinge— wieſen und erkannte immer mehr, wie die Vorſehung ihre Männer doch immer zu der Zeit ſchickt, wo ſie kommen müſſen. Es rollen ſich da Bilder auf, die höchſt merkwürdig find. Sachſen hat z. B. ſeit 50 Jahren ſeine Bevölkerung verdoppelt und verdoppelt ſie bis zum Ende des Jahrhunderts, wenn die Zunahme procentijch jo fortdauert, noch einmal, es hat im Erzgebirg auf der landwirthſchaftlich nutzbaren Quadratmeile über 16 000 Menſchen, die außer der Land— wirthſchaft ihren Erwerb ſuchen, muß hier auf 220 Tage Getreide auf 180 Tage Milchprodukte aus dem Ausland zuführen. Das Land bedarf einer Lebensmittelzufuhr von über 2 500 000 Centner. Auf der andern Seite nimmt die Ausfuhr Deutſchlands nach England und Frankreich, namentlich an Hammeln enorm zu. Was ſoll nun da in 30 Jahren werden, doch ein kurzer Zeitraum in der Geſchichte eines Volks. Darüber läßt ſich gar nicht rechnen; lernten wir Klee nach 2 Jahren wieder bauen, es wäre ſehr ſehr viel gewonnen. Das Ineinandergreifen von Boden, Klima, Kapital, Arbeit und Abſatz auf dem landwirthſchaftlichen Gebiete, das Aufſuchen von Liebig an Reuning. 237 Zahlen aus hundert Quellen hat mir manchmal den Kopf recht voll gemacht und bei jeder naturwiſſenſchaftlichen Frage ſehnte ich mich nach einem Worte von Ihnen, das mir manche Zweifel bejeitigt haben würde. Ich weiß nicht, ob ich mich noch zum Druck ent— ſchließe; man wird zu ängſtlich und ſorgſam mit dem Alter und findet zu wenig Verſtändniß in dem Publikum, das recht dankbar wäre, wenn man jedem das garantirte Recept, 100 000 fl. zu ver— dienen, geben könnte, das aber nicht denken, die Geſetze nicht prüfen will. Leben Sie wohl, erfreuen Sie bald durch einige vergnügte Zeilen Ihren Reuning. München, den 23. Februar 1873. Mlein theurer Freund! Im Begriff Ihnen eine kleine Quantität Fleiſchextrakt für ihre Haushaltung zu ſenden, empfange ich Ihre Zeilen von vorgeſtern und ich will meine Sendung nicht abgehen laſſen ohne einige Worte des Dankes beizufügen. Ihr Brief hat mich aufrichtig gefreut, denn er legt Zeugniß ab, Ihrer ſteten unveränderten geiſtigen Thätigkeit. Der Himmel erhalte Sie noch lange darin. Die hieſigen Fütterungsverſuche nehmen ihren regelmäßigen Ver- lauf, tägliche Zunahme 1 Pfund per Kopf mittelſt ½ Pfund Fleiſch— mehl, die Kartoffeln ſind in der That außergewöhnlich reich an Protein, ſonſt könnten Sie eine ſolche Produktion nicht haben. In Schlanſtedt ſind die Erfolge nicht ganz ſo hervorſtechend, wohl aber beim Grafen Pambaldi am Starnberger See. Die 16 000 Individuen auf 1 Quadratmeile in Sachſen müſſen doch einen guten Verdienſt haben, um das fehlende Brod und die Milchprodukte kaufen zu können. Die Hauptſache ſcheint mir zu ſein, daß die Regierung Sorge trägt dieſen Leuten den Verdienſt zu ſichern. Sie haben, wie ich aus Ihrem Briefe entnehme eine neue Ar— beit vor, auf die ich mich freue. Das Verſtändniß des Publikums wird nicht ausbleiben. Wie 238 Neuning an Liebig. — — — m — — — — — viel hat ſich doch in dieſer Beziehung zum Beſſeren geändert; wie wir ſelbſt erlebt haben! Weinlig's Tod hat auch mich ſehr betrübt, er war ein guter und braver Mann. Mit meinem Befinden bin ich zufrieden. Meine Frau läßt Sie grüßen. Ihr treu ergebener J. v. Liebig. Dresden, den 22. März 1873. Hochverehrter Freund! Daß Sie meiner auch rückſichtlich des Fleiſchextrakts ſo freund— lich gedenken, dafür danke ich herzlich; Ihrer muß ich mich noth— wendig täglich oft erinnern, denn ich werde bei jedem Denken auf Sie zurückgeführt und würde vieles darum geben, könnte ich nur von Monat zu Monat mit Ihnen eine Stunde verkehren. Sie wiſſen, wie mich die Stickſtoffdüngungsfrage von dem erſten Auftreten Ihrer Lehre beſchäftigt hat, ich konnte nicht glauben, daß man den Stickſtoff in dem Grade bedürfe, um ihn von außen zuzuführen; viele desfallſige Verſuche gaben nicht den Aufſchluß, der mir fehlte; derjenige von Pommritz hat mir die Sache klar gemacht. Ich habe die vor Monaten begonnene Darſtellung wieder aufge— nommen und umgearbeitet, wie Sie ſolche anliegend finden. Mir gefällt nichts, was ich niedergeſchrieben; ſollte dieſes in meinem Sinne fertig werden, ſo würde es nie die Preſſe ſehen. Darum ſchicke ich Ihnen die Arbeit mit der Bitte, ſolche durchzuſehen, zu ändern, was falſch iſt und ſie dann Herrn Müller für ſein Blatt zu übergeben. Ich glaube, wenigſtens die Thatſachen müſſen Intereſſe erwecken, wenn auch die Folgerungen aus ſolchen ihre große Mängel haben. An eine nochmalige Umarbeitung könnte ich nicht gehen, man kriegt eine Sache ſatt, wenn man ſich ſo lange mit ihr beſchäftigt hat. Die Brochüre über den Fleiſchextrakt habe ich erhalten und mich mit dem Gedanken getragen, wie derſelbe für Verſorgungs- und Strafanſtalten nutzbar zu machen iſt, ohne den Aufwand für die Liebig an Reuning. 239 Ernährung der Tauſende von Köpfen zu erhöhen. Wollen Sie mir darüber eine Mittheilung zugehen laſſen, ſo werde ich ſuchen, die Einführung zu bewirken. Endlich habe ich kürzlich einen jungen Lehrer für Landwirth— ſchaft an der Realſchule in Döbeln kennen gelernt, der begreift, was er lehren ſoll. Freuen Sie ſich dieſes einen Reſultats, ſonſt habe ich außer den Chemikern niemand gefunden, der ein Verſtändniß dar— über hat, was landwirthſchaftliche Bildung iſt. Von den Schweineverſuchen kann ich Ihnen noch nichts ſagen; ich war in dieſer Woche in der Thierarzneiſchule, wo man Ferkel bei 3“ Wärme in einem großen Stall hatte und nur die Frage war, welche Thiere mehr verbuttet, lahm oder ſchorfig waren. Man kämpft vergebens gegen Mangel an Intereſſe und Ordnung. Das nur war feſtgeſtellt, daß das Fleiſchmehl vollſtändig verdaut ward, während das Protein der Hülſenfrüchte zum großen Theil unverdaut bleibt. Mir geht es wieder ſchlecht, die Nerven vertragen gar nichts, hüpfen bei jedem Geräuſch; ich unterbrach das Arbeiten, aber da kamen ſo viele Eindrücke in den nicht denkenden Kopf, daß ich wieder zum Denken und Arbeiten griff, mag werden was will; ich habe das Leben gründlich ſatt, möchte Dresden verlaſſen, wo der Schwindel der Menſchen mich anekelt und ſuche ein Haus in einer kleinen Stadt in der Nähe eines meiner Kinder zu kaufen. Empfehlen Sie mich den Ihrigen angelegentlichſt und bleiben Sie freundſchaftlich geſinnt Ihrem ergebenen Reuning. München, den 25. März 1873. Mein theurer Freund! Ich eile Ihnen den Empfang Ihrer Abhandlung und Ihres Briefes anzuzeigen. Die Abhandlung habe ich mit großer Befrie— digung geleſen. Was Sie über den Einfluß der Dünger auf die mechaniſche Bodenbeſchaffenheit ſagen, iſt neu und wichtig und ich glaube, daß am Ende die myſtiſche „Bodengahre“ damit zuſammen— * 240 Reuning an Liebig. — hängt, und daß Sie die Richtung angedeutet haben, dieſe Erſchein— ung zu erklären. Ganz beſonders hat mich Ihr Schluß hinſichtlich der Stickſtoff— frage erfreut. Sie ſind doch nicht ſo obſtinat als manche Leute glauben; ich verſtehe Sie dagegen vollkommen, ihr Zweifel geht nicht weiter als bis Sie den zureichenden Grund gefunden haben. Kurz, Sie ſind ein merkwürdiger Mann. Die hieſigen Verſuche mit den Schweinen ſind beendet. Geſtern ſind ſie geſchlachtet worden, ſie hatten durchſchnittlich ein Gewicht von 200 Pfund. Das mit Kartoffeln ausſchließlich ernährte Thier wurde rhachitiſch und konnte zuletzt nicht mehr gehen; es fehlte im Futter an Knochenſubſtanz. Die Wichtigkeit der Nährſalze trat in dieſen Verſuchen auf's ſchlagendſte hervor. Dünkelberg in Bonn erhielt ähnliche Reſultate und ſo Wilhelm Rimpau. Von Herzen Ihr treuer J. v. Liebig. Dresden, den 27. März 1873. Lieber großer Freund! Es freut mich mehr, als Sie glauben mögen, daß Sie meiner Arbeit einen kleinen Werth beilegen und nebenbei, daß Sie mich nicht für ſo obſtinat halten, wie manche Leute. Vielleicht denken Sie aber darin beſſer von mir, als ich es verdiene, denn ich bin zähe, nur durch überzeugende Gründe, nicht durch einzelne Erſcheinungen von einer Anſicht abzubringen. Ich habe leider nichts gelernt, als Juriſterei, mußte mir mit Denken weiter helfen und da lag doch nichts näher, als daß die Welt nicht in Finſterniß blieb, bis aus dem Miſt von Vögeln in der Südſee eine Düngertheorie fabricirt ward, daß es hieß, der Weisheit der Schöpfung ins Geſicht ſchlagen, wenn man ſagte, man muß dieſen Dreck holen und einen Hammel darüber reden hören, um zu bauen, was der Menſch bedarf; es lag doch nichts näher, als zu glauben, wovon ich nicht laſſen konnte, daß der Kreislauf, der bei der Kohlenſäure jo klar vorliegt, auch bei dem Reuning an Liebig. 241 Stickſtoff gelte, der auf den Boden und zwar den beſtandenen zu— rückkehren muß, ſich nicht in der Sahara, nicht im Meer erhalten kann, denn ſonſt würde erſtere keine Wüſte ſein, in letzterem auch kein Fiſch athmen können. Mir lag alſo klar vor, daß es ſo ſein müſſe, das Wie konnte ich nicht genügend erfaſſen, weil ein Wiſſen fehlte, eine Lücke beſtand. Mehr habe ich nie geſagt, als daß man Stickſtoff von außen nicht zuführen muß, d. h. nicht neben dem Stallmiſt. Dazu war ich berechtigt ſeit 1840, wo Sie Ihre Lehre gaben; ich erkannte in einer Menge von Gütern Ueberſchuß an Stickſtoff, Mangel an Mineralnährſtoffen und ſehe dieſes noch. Hätte mein Sohn den durch Kalk, Phosphorſäure, Kali gewonnenen Stickſtoff ſämmtlich auf die Felder führen wollen, die ihn hergeben, es wäre derſelbe längſt nachtheilig geworden. Er hat 50% mehr ſeines urſprünglichen Areals urbar gemacht und doch im letzten Jahr ſehr durch Lagern des Weizens gelitten. Auch heute bin ich noch nicht davon überzeugt, daß nicht, wenn der Boden normal in ſeinen Beſtandtheilen iſt, auch für Halmfrüchte eine Stickſtoffdüngung überflüſſig ſei. Ungarn in ſeiner großen Ebene, ſchon in der Völkerwanderung in Cultur, erntet ohne alle Düngung. Wäre der Stickſtoff für alle Ernten im Boden ge— weſen, ſo würde eben ſeither aus Ueberfluß keine gewachſen ſein, und wenn die Steppen, die von Blattfrüchten nichts wiſſen, immer wieder Halmfrüchte bauen, die im Wachsthum nichts wünſchen laſſen, aber wegen Mangels an Phosphorſäure geringe Erträge geben, wenn man dort den Stickſtoff im Miſt ſcheut, dieſen zur Beſſerung der Wege verwendet, woher kommt da der Stickſtoff der Ernte? nach dem erſten Umbruch der Steppe reiche Weizenernten, kein Lager das. auf Ueberſchuß an Stickſtoff hindeutet, dann abnehmende Erträge, in dem Grade, wie Kali und Phosphorſäure ſich erſchöpft. Ich kann mir das nur daraus erklären, daß alle Aſchenbeſtandtheile im Boden vereinigt, in irgend einer Weiſe befähigt ſein müſſen, Stickſtoff auf⸗ zunehmen, wie dieſes auch geſchehe, darüber Verſuche anzuſtellen, habe ich noch keinen Ihrer Schüler vermögen können; das halten ſie für überflüſſig, wie denn unter ihnen nur wenige den Geiſt des Briefwechsel zwiſchen Liebig und Reuning. i 16 242 Reuning an Liebig. Meiſters in ſich aufgenommen haben um weiter zu forſchen, noch weniger den Muth hatten für deſſen große Gedanken einzutreten, ehe ſie Gemeingut wurden. Jeder fürchtete ſeinen zukünftigen Namen zu riskiren, denn jeder glaubte, er werde wenigſtens Liebig II, wenn nicht Liebig o. In Pommritz haben wir bereits den Liebig 10 in dem Futterknecht. Jeder glaubt zu finden, gefunden zu haben, aber er hütet ſich ſehr etwas zu ſagen, was analyſirt, von Ihnen nicht längſt geſagt war. Dieſe Epiſtel ſoll Ihnen ſagen, daß ich nicht beſſer ſcheinen will, als ich bin, daß ich weiß, daß ich nichts weiß, aber mich lieber als obſtinat zerhacken laſſe, ehe ich einen von der Vernunft aufgeſtellten, durch tauſendfache Erfahrung beſtätigten Satz aufgebe, weil die Formel da⸗ für noch nicht gefunden iſt. So einfältig kann kaum jemand ſein, ſein Auge der Wahrheit zu verſchließen; es wäre lächerlich geweſen, hätte ich den Hafer wachſen ſehen wollen, wo er nicht wuchs. Für jetzt bin ich zufrieden damit, daß die Mineralbeſtandtheile in den Blattfrüchten den nöthigen Stickſtoff für die Halmfrüchte holen; wir wollen ſehen, wie es ſich ſtellt, wenn alle Mineralſtoffe einmal auf⸗ nehmbar im Boden ſind. Konnte Kalk die doppelte Menge von Stickſtoff im Hafer ſchaffen, vielleicht ſchaffen Kali, Phosphorſäure vereint mit dieſem auch ihren Theil. . Haubner ſagte mir geſtern, ſeinen Schweinen habe Kalk gefehlt bei genügender Phosphorſäure. Der Miſt reagirte ſauer; nach drei Tagen Kalkzugabe ſeien die rhachitiſchen Thiere geneſen, die Säure im Miſt entfernt. Derſelbe eifert ſehr gegen die Schlüſſe Lehmanns. Aus Kartoffeln à Pfund, aus Kartoffeln und Fleiſchmehl b Pfund, folglich aus letzterem c Pfund. Darin hat er zum Theil Recht, denn nur die Verbindung von ſtickſtofffrei und ſtickſtoffhaltig giebt das Reſultat, nicht aber ganz, wie ich glaube, denn das Verhältniß war in den Kartoffeln, wie in der Gerſte. Wir werden ja ſehen, wohin ſeine Verſuche führen. Ich habe die Verſuchsreiche II mit Sand, in Pommritz, bear⸗ beitet; es wird mit Lupinen begonnen, mit Halm⸗ und Blattfrüchten dauernd gewechſelt. In den erſten Jahren einſeitige Düngung, auf einer Parcelle alle Nährſtoffe. Nach 3 Jahren die Nährſtoffe, Reuning an Liebig. 243 welche die vorige Ernte enthielt. Man wird die Reſultate ſehen, wenn ich längſt nicht mehr bin. Bis dahin bleiben Sie auch ferner nachſichtig in Ihrem Urtheil über einen zähen ſtarrköpfigen Kerl; es muß auch ſolche Käuze geben; ich bin wenigſtens mit meinem Dickkopf dahin gekommen, daß ich nun erkenne, was erkennbar erſchien. Ohne dieſen wäre der wenigſtens für mich und viele, die nicht ſo weit denken, wie Sie, belehrende Verſuch unterblieben. Zeigt ſich eine Anſchauung als falſch, was ſchadet's: „Was ſtürzt, ſtürzt“. Ihr getreuer Reuning. u u 9 * n J 3 Pr. ; Be .i . 2 Cie Kr Er g x Br, E N 2 we * 4 2 0 > 2 “ . a 8 5 * 9 - ‚ * 8 * Zr 5 . e * We el Br 5 & x 27 8 + 54, 2 ö 2 2 > ._; 1 E 5 238 Bo — « * ! 1 * . a - 4 8 . Fe I * x 2 N — — — > . 4 y Ba » er. — 14 4 a 1 N 9 — * 5 er I 2 Bi 1 f 22 — * — ——