Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung

Leonold von

Schroeder

*CY\Y

INDIENS LITERATUR MD CULTUR

*

IN HI8T0RISCHEK ENTWICKLUNG

EIN CYKLUS VON FÜNFZIG VORLESUNGEN

ALS HANDBUCH DER WDISCHEN LITERATURGESCHICHTE. NEBST ZAHLREICHEN, U* DEUTSCHER UEBERSETZUNG M1TGETHEILTEN PROBEN AUS INDISCHEN SCHRIFTWERKEN

D* LEOPOLD v. SCHROEDER I

i _ '

AI» PCR UXIVKRSrTÄT DORPAT.

LEIPZIG

VERLAG VON H. HAE68EL.

1887. * i ' I .

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T!!E NEW YORK

PUBLIC LIBRARY

ASTOH, LENÜX AND TILDEN FOUNDATIONS R 1932 L

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OTTO BÖHTLINGK

DEM GROSSEN INDOLOGEN

DEM VÄTERLICHEN FREUNDE IN VEREHRUNG, LIEBE UND DANKBARKEIT

GEWIDMET

VOM

VERFASSER.

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Inhalt

Seit«

Vorlesung 1 Einleitung. Alter, Umfang und Ortginalitat der indischen IJteratnr. Ursprung and Jbntwickelnng der Indo- logie in Europa» . . . . 7 ~. 1

L Abschnitt,

Das indische Alterthum , die vedische Periode 19

voriOBung n ui& xcriouo uer maopcroiacnon Cjinnoii. i/ie Zeit des nigveaa. LuinirverniUtnisBe zur zeit aos nigYetia

Ol

Yorlesnng III Culturrerhaltnisae zur Zeit des Rigveda (Fort-

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46

Vorlesung V Die Götterwelt des Rigveda (Fortsetzung). . .

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67

Vorlesung VI Die Gotterwelt des Rigveda (Fortsetzung und

Schluss). Polytheismus und Henotheismus. Monotheistische

68

Neigungen. Philosophisches. Literatur zum Studium des RV.

Vorlesung VII Periode des Yajorveda. Die Wandlungen und

Umwälzungen dieser Zeit. Charakteristik der Gottesverehrung

84

Vorlesung VIII Die Gottesyerehrung gor Zeit des Yajurveda

97

Vorlesung IX Die Gottesyerehrung zur Zeit des Yajurveda

110

126

Vorlesung XI Die Priesterschaft zur Zeit des Yajurveda . .

146,

Vorlesung XII Das Entatehungsland des Yajuryeda und der

specinsch brahmanischen Cultur. DerSamaveda. DerAtharva-

163

Vorlesung XIII Die Periode der Brahmana's, Aranyaka's und

179

Vorlesung XIV Die Sütra's. Standische Verhaltnisse. Die

Tier Acrama's oder Lebensstufen. Geistige Bewegung der

193

212

Vorlesung XVI Die Philosophie der Upanishaden (Fortsetzung

226

by VjOOQIC

VI

II. Absohnitt,

Seite

Die Anfange des indischen Mittelalters. Historische Skizze.

All ry/~i 7~i~\ üin l^Ti 1 f 11 »*V*i In ri i *i #i ? f f £\l o I f Ära

Vorlesung XVII Geistige und religiöse Neubildungen der Ueber-

gangsperiode aus der vedischen Zeit in das Mittelalter. Der

männliche Gott Brahma. Die Lehre von der Seelenwande-

Vorlesung XVIII Buddha, sein Leben und seine Lehre

Zbl

Vorlesung XIX Das Nirvana. Moral des Buddhismus. Ge-

270

meinde und Cultus. Conanen nnd Canon. Literatur. . .

Vorlesung XX Chronologische nuckschau Geschichte Indiens

von dflr Zpit Buddhas bis auf Acoka

290

Vorlesung XXI Geschichte Indiens nach Acoka bis auf die

7.ftit dfir firftRflmntmlf1

Vorlesung XXII Die Cultur des indischen Mittelalters. Die

804

rj/iftflrw Alf flipRor 7rnt T^at crmQHA flntt Vinhnn

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Vorlesung aaIII Der grosse Gott Visnnu (Fortsetzung und

329

TT _ ^ _ _ TT T TT T*V _ /*! i.A. /~1 ? __ _

341

Vorlesung XXV Brahma. 8ystem der drei grossen Götter.

3M

Nachrichten der Griechen Uber die indischen Götter . . .

Vorlesung XXVI Die Übrigen Götter des ind. Mittelalters.

Die Weitenhüter. Indra und seine Umgebung u. 8. w. . .

Vorlesung XXVII Allgemeines Cnlturbild des ind. Mittelalters.

Parallele mit Europa. Nähere Bestimmung des ind. Mittel-

381

alters. Mönchthum, Einsiedlerwesen, Askese

Vorlesung XXVIII Die Moral des ind. Mittelalters. Seelen-

39«

Vorlesung XXIX Standische Gliederung der Gesellschaft (Ka-

410

Vorlesung XXX Häusliche Verhältnisse. Ehe und Stellung

der Frauen. Wittwenverbrennung. Kriegswesen. Mandel

427

HL Abschnitt.

Die Literatur des indischen Mittelalters 445

Vorlesung XXXI Allgemeine Charakteristik der Literatur des indischen Mittelalters. Das Epos. Mah&bhärata und Kä-

447

Vorlesung XXXII Das Mahabhärata.

Seine

Entwickelangs-

469

Vorlesung XXXIII Historischer Hinte«

gTund

der Fabel des

MahabhArata. Episoden des Mahabfc

tarata.

Die Sintüuth.

476

NaJ. Sävitri

Diaiti76d bv Coool(

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»

BdtA

Vorlesung XXXIV Episoden doB Mahäbharata: Arjuna, Hi- dimba u. a. Ausgaben dos Mahäbharata. Inhalt des Rä- mayana 491

Vorlesung XXXV EpiBoden des Rftmayana. Ausgaben des- selben. Die Puranas. Die Kavya's ......... 503

Vöries nag XXXVI Die Mänflien- und Fabelliteratur ... 517

Vorlesung XXXVII Die Märchen- und Fabelliteratur (Fort- setzung und Schluss) 532

Vorlesung XXXVIII Die lyrische Poesie. Grössere lyrische

^Dichtungen 548

Vorlesung XXXIX Die kleinen lyrischen Gedichte der Inder 563

Vorlesung XL Der lyrisch - dramatische Gitagovinda .... 577

Vorlesung XLI Das indische Drama. Ursprung. Charakte- ristik. Bluthezeit des Dramas . . . . 591

Vorlesung XLII Die Dramen des Käliriäsa . 610

Vorlesung XLIII Die Mricchakatika des Cüdraka 629

Vorlesung XLIV Die Dramen des foiharsha, Bhavabhüti, Vica- khadatta und andrer Autoren. Krishnamicras Prohodhacan- drodaya 044

Vorlesung XLV Die Sprüchpoesie des ind. Mittelalters. . . 667

Vorlesung XL VI Die philosophischen Systeme 682

Vorlesung XL VII Die Sprachwissenschaft der Inder. Rhetorik

und Poetik. Geschichte 701

Vorlesung XLVIII Mathematik und Astronomie. Medicin . 717

Vorlesung XLIX Die Rechtsliteratur 734

Vorlesung L Musik und bildende Kunst 752

lU'll'X : . . , . , , . . , , . , , : : III)

NB. Bei den indischen Worten und Namen spreche man stets:

c wie tsch j wie dsch y wie j

c, and sh wie sch.

IL

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Schlusswort des Verlages.

Seit einem Jahrzehnt gehört das vorliegende Werk des in Wien verstorbenen, aus Dorpat gebürtigen Sanskritisten zu den seltensten und gesuchtesten Büchern. Durch diese im Jahre 1887 erschienene erste umfassende und erschöpfende Veröffentlichung über „Indiens Literatur und Kultur" wurden derlndologie neue Wege erschlossen, und zahlreiche junge Gelehrte wurden durch dieses trotz seiner wissenschaftlichen Gründlichkeit mit einem unerreichten dichte- rischen Schwünge geschriebene Buch zum indologischen Studium begeistert. Schroedcrs Werk ist eine markante, durchaus eigen- artige Erscheinung in der Entwicklungsgeschichte der Indologie und zugleich einer der bedeutsamsten Ausgangspunkte des heute so tiefgreifenden Interesse^ für Indien in Deutschland. Dem Ver- lage ist es daher als Pflicht erschienen, in einem aufs sorgsamste hergestellten Manuldruck das Werk in einer würdigen Ausgabe erneut aufzulegen. Die Eigenart des Buches gestattet keine über- arbeitenden Eingriffe; sie würden die ausgeprägten Vorzüge des Originalwerkes nur in bedauerlicherweise mindern. Darum wurde im Interesse des Werkes der unveränderte Neudruck beschlossen und durchgeführt.

Leipzig, Sommer 1922. H. Haessel, Verlag.

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Von diesem Werke wurden 750 Exem- plare im Manuldruck im Sommer 1922 bei der Spamerschen Buchdruckerei, Leipzig, gedruckt und bei der Spamer- schen Buchbinderei, Leipzig, gebunden.

Dieses Exemplar trägt die Nummer

Erste Vorlesung

Einleitung.

Alter, Umfang und Originalität der indischen Literatur. Ursprung und

Entwickelung der Indologie in Europa.

Meine Herren!

Erst die letzten hundert Jahre haben uns eine Literatur erschlossen, welche früher so gut wie ganz unbekannt war; eine Literatur, die neben der griechischen sicher die bedeu- tendste von den Literaturen der alten Völker genannt werden muss; deren erste Anfänge in ein graues Allerthum zurück- reichen, höher hinauf als die ältesten griechischen Schrift- werke, und deren letzte Ausläufer sich bis in die neueste Zeit fortgesetzt haben, so dass wir eine Entwickelung durch mehr als drei Jahrtausende an ihr beobachten können; eine Ent- wickelung, die uns die mannigfaltigsten und interessantesten Erscheinungen in reicher Fülle, geistige Wandlungen und Um- wälzungen gewaltigster Art vorfuhrt. Hier treten uns im Laufe der Jahrhunderte Gegensätze vor die Augen, so gross und bedeutsam, dass man .fast darüber staunen möchte, wie Solches innerhalb der Grenzen ein und derselben Nationalitat überhaupt möglich gewesen. Und dies nicht etwa durch fremde Einflüsse, durch Einwirkungen von seiten andrer Völker; vielmehr zeichnet sich die indische Literatur gerade dadurch aus, dass sie sich so durchaus selbständig, so ganz von innen heraus entwickelt hat

Nur auf wenigen Gebieten, wie z. B. dem der Astronomie, und auch dies erst in späteren Jahrhunderten, nicht in der Zeit der grössten und folgenreichsten Bildungen, lassen sich solche fremdländische Einwirkungen spüren, und wo dieselben vorliegen, da sind sie meist nicht sehr tiefgreifender Art und stets in durchaus national-indischer Weise verarbeitet und um-

t. S'farftdar. Indien* Lit. *. Cttlt. 1

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2 -

gestaltet, ähnlich wie auch die nationale Kraft der Griechen alles Fremdländische so umzuformen wusste, dass es als voll- berechtigt Hellenisches erschien. Aber die ganze Culturent- wickelung der Inder darf in noch höherem Grade als eigen- artig und selbständig bezeichnet werden wie die der Griechen, welche letzteren doch frühe schon von Aegypten, Phönizien und andern Ländern her beeinflusst worden sind. Bei den Indern dagegen sehen wir, soweit uns wenigstens bis jetzt die Forschung belehrt hat , wohl über ein Jahrtausend ver- gehen, ehe die geringste Einwirkung von aussen stattfindet, und als dieselbe endlich im Zeitalter Alexanders des Grossen eintritt, da ist die indischo Culturwelt in der Hauptsache schon ganz fest gestaltet und so in sich abgeschlossen, dass sie im Wesentlichen nicht mehr zu verändern oder zu vorrücken war.

So erklärt es sich, warum die indische Literatur überall den Stempel höchster Originalität an sich trägt, welcher ihr für die vergleichende Literatur-Betrachtung stets ein besonderes Interesse sichert Sie ist selbständig und originell sogar bis zur Untugend und Wunderlichkeit; es ist eben Alles aus eigener Kraft geschöpft. Dieser Gesichtspunkt nöthigt uns bei der Betrachtung der grossen und schönen indischen Geistesprodukte die höchste Bewunderung ab, und er ist es auch, der bei der Beurtheilung ihrer Schwächen stets im Auge behalten wenten muss.

Neben diesem hervorstechenden Charakterzug tritt insbe- sondere der vielseitige Reichthum der indischen Literatur hervor.

Die tiefe religiöse und philosophische Anlage des indischen Geistes offenbart sich schon in den ältesten Schöpf- ungen, den Hymnen des JjLigveda; t*nd, was die wertere Ent- wickclung anlangt, so hat der philosophische Tiefsinn der Upa- nishaden und der Bbagavadgit«, um von Anderem zu schweigen, die gerech to Bewunderung der bedeutendsten Geister bei uns erregt

Was die religiöse Begabung anbetrifft, ist es sehr be- merkenswerte, dass die Inder unter allen den, nach so vielen Seiten hin hervorragend begabten, indogermanischen Völkern die einzigen sind, welche als Schöpfer grosser Religionen be- zeichnet werden müssen, nämlich des Brahmaismus und des Buddhismus, welche noch bis in die neueste Zeit viele hundert Millionen von Anhängern zählen, weit über die Grenzen Indiens hinaus, während die ursprünglichen Religionen alle)* andern

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indogermanischen Völker seit vielen Jahrhunderten nur noch ein historisches Interesse beanspruchen dürfen, nachdem sie einer reineren und heiligeren Lehre für immer Platz gemacht haben. Wenn der hervortretendste Charakterzug der hellenischen geistigen Schöpfungen neben aller sonstigen hohen Begabung

der der Schönheit, des Maasses, der vollendeten Harmonie ist, so möchte ich von den Indem sagen, dass bei ihnen der religiöse und der philosophisch-theosophische Zug dem Ganzen das eigentlich entscheidende Gepräge aufdrückt. Ist das Ideal des Griechen von der Welt des Schönen unzertrennlich, so ist der Inder undenkbar ohne religiöse Spekulation. Für Jeden, der ein Interesse nimmt an der Geschichte der nichtchrist- lichen Religionen wird die Entwickelung gerade des indischen Volkes das belehrendste, das wichtigste Objekt der Forschung

Dio analytisch-wissenschaftliche Begabung der Inder zeigt sich am Glänzendsten in ihren Forschungen auf gramma- tischem Gebiete, durch welche sie wenn auch nur indirect

hahnbrechend sogar in die Geschichte der neueren Wissen- schaft eingegriffen haben.

Wenden wir uns dann zu den poetischen Schöpfungen, so ist unter allen Gattungen der Dichtung nicht eine einzige, in welcher die Inder nicht Ausgezeichnetes geleistet hätten.

Auf dem Gebiete der erzählenden Dichtung treten uns die Colossalgestalten der alten Heldengedichte Mahabharata und Raniayana entgegen, mit ihren zahlreichen schönen und tiefsinnigen Episoden; und späterhin die reiche Märchen- und Fabel-Literatur, deren Anziehungskraft so gross war, dass sie schon im Mittelalter durch zahlreiche Uebersetzungen weit über Orient und Occident hin wanderten.

Tief Tind schön ist sodann die religiöse Hymnendich- tung des Veda, reizend die lyrische Poesie, insbesondre die Erotik des Mittelalters; höchst bedeutsam und besonders reich ausgebildet und gepflegt die reflectirende Dichtung der Sen- tenzen und Weisheitssprüche.

Und endlich das Drama mit den zarten, tief poetischen Schöpfungen Kälidasa's, des Dichters der Sakuntala und Urvacl, mit dem dramatisch -lebensvoll bewegten Mricchakatika, dem philosophisch-allegorischen Prabodhacandrodaya, es kann sich in Schönheit und Eigenart dem Drama jedes andern Volkes an die Seite stellen.

Als schwacher und schwächster Punkt dieser sonst so grossartig vielseitigen Literatur tritt uns der Mangel aller zu-

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verlässigen historischeu Werke entgegen. Eine Geschichts- wissenschaft existirt überhaupt nicht, nicht einmal eine zu- verlässige Chronologie. Wenn -uns Könige angegeben werden, deren Regierungszeit sich über mehrere hundert Jahre erstrecken soll, so wissen wir schon, mit welcher Art von Geschichts- schreibern wir es da zu thun haben. Um die Unsicherheit dieser Chronologie zu charakterisiren, genügt es wohl anzuführen, dass man über das Zeitalter eines so wichtigen und keineswegs in grauer Vorzeit lebenden Mannes wie Kalidäsa so ungewiss war, dass man ernstlich darüber discutirte, ob er im 1. Jahr- hundert vor Chr. oder vielleicht gar im 11. Jahrhundert nach Chr. gdlebt habe!1

Wunder, Märchen und mythische Erzählungen von den Göttern durchziehen a e sogenannte Geschichte. Es ist, als ob der religiöse, philosophische und poetische Trieb bei den Indern allen historischen Sinn überwuchert habe, so dass er zu völliger Unbedeutendheit verkümmert ist, eine völkerpsychologisch höchst merkwürdige und ganz vereinzelt dastehende Thatsache; es ist dies ein Mangel, der sich uns im Verlaufe der Betrach- tung leider noch oft genug fühlbar machen wird.

Aber von diesem einen Mangel abgesehen muss die indische Literatur als eine grossartige und weitumfassende bezeichnet werden. Wie umfangreich dieselbe ist, können Sie schon da- raus entnehmen, dass die Zahl der noch in Handschriften vor- handenen Einzelwerke in sanskritischer Sprache nach einer Angabe Max Müller's gegenwärtig auf nicht weniger als 10,000 geschätzt wird.»

Der gewaltige Bau dieser Literatur ist mehrere Jahr- tausende hindurch gewachsen und hat sich immer vollkommener und schöner ausgestaltet, ohne dass das Abendland, ohne dass die stammverwandten indogermanischen Völker eine irgend nennenswerthe Kenntniss davon erlangt hätten.

Wohl haben Reisende schon Jahrhunderte vor Christi Geburt Merkwürdiges und Wunderbares über Indien und

1 Vergl. Weber's Ind. Literaturgeschichte, II. Aufl. p. 218 flg. Mit Genugthuung füge ich übrigens hier die Bemerkung hinzu, dass dieser Streitpunkt gegenwärtig als definitiv erledigt angesehen werden darf. Vergl. weiter unten.

* 8. Max Müller, Vorlesungen über den Ursprung und die Ent- wiekelung der Religion. Strassburg 1880, p. 153. Desgl. M. Malier, Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung. Leipzig 1884, p. 67. 68. „Ich glaube, dies fct mehr al* die ganze klassische Literatur von Griechenland und Italien zusammengenommen", (ebdas. p. 68.)

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die Inder berichtet; wohl schien es zu Alex; uders des Grossen Zeit sogar, als würde diese Welt ihre starren Thore aufthun und des makedonischen Welteroberers Plan, die Cultnr des Orients und des Hellenismus zu verschmelzen, in Erfüllung gehen; wohl waren es interessante und auf wirklicher Sach- kenntnis beruhende Mittheilungen, die der Grieche Megasthe- nes über Indien gab, der als Gesandter de Seleukos um das Jahr 300 vor Chr. am Hofe des Königs (Xndragupta (Sandro- kottos) zu Pataliputra (Palibothra) im Herzen der indischen Culturwelt lebte; w hl brachten auch andere Griechen mehr oder weniger werthvolle Nachrichten; wohl ist auch die Mög- lichkeit eines Einflusses indischer Lehren auf griechische Phi- losoph eme, auf die gnostischen und neupl? tonischen Systeme lange schon bemerkt worden; wohl brachten im Mittelalter die Araber Kunde von der indischen Medicin und lehrten uns mit den indischen Zahlzeichen schreiben, die wir zum Dank nach unseren Lehrmeistern arabische Ziffern nennen, während die Araber selbst vielmehr den Indern die Ehre der Erfindung gaben: wohl wanderten im Mittelalter auch die indischen Fabeln und Märchen über Persien und Arabien nach Europa, befruchtend auf die Phantasie der abendländischen Völker wirkend; aber trotz all dieser immerhin höchst werthvollen Mittheilungen und Nachrichten kann doch von einer wirklichen Kdimtniss der indischen Literatur vor dem Ende des 18. Jahrhunderts nicht die Bede sein. Nur eine unbestimmte, nebelhafte Ahnung da- von, dass in jenem Lande grosse geistige Schätze verborgen lägen, hat sich durch die Jahrhunderte hin erhalten in der sagenhaften Erzählung von der wunderbaren Weisheit der Inder.

Der griechisch-römischen Culturwelt war es nicht be- schieden, die fremde Welt des eigentlich doch stammverwandten Volkes aufzuschliessen. Wohl hatte Alexander ruhmreich ge- siegt über den erlauchten und tapfern indischen König Porös und ihn zur Anerkennung seiner Oberhoheit gezwungen; aber seine Macedonier selbst zwangen den sieggewohnten Beherrscher der Welt umzukehren, bevor er ins Herz von Indien einge- drungen. Alexanders weittragende Pläne erfüllten sich nicht, and volle zwei Jahrtausende sollten noch vergehen, bis die abendländische Cultur in Indien festen Fuss fasste und andrer- seits die indische Cultur ins Abendland getragen, hier mit Eifer studirt, gelehrt und verkündigt wurde.

Die Culturwelt der Inder zu erobern, v den Germanen ▼orbehalten; sie schlössen die langgetrennten äusserten Glieder

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jener grossen Völkerfamilie wieder zusammen, die schon lange mit nicht anpassendem Namen als die indo-germanische be- zeichnet wird.

Während der eine germanische Stamm, die Engländer, mit Waffengewalt und Staatsklugheit sich das reiche Indien Gebiet um Gebiet eroberten, war der andre, waren die Deutschen friedlichere und selbstlosere Ostindienfahrer; und wenn wir auch den Engländern die erste Einfühlung in die Sanskrit- Literatur und manch werthvolle weitere Forschung und Mit- theilung verdanken, insbesondere auf archäologischem Ge- biete, auf weichem sich Männer wie James Prinsep, Cunning- ham, Edw. Thomas, Fergusson, Burgess, Burneil u. a. auszeich- neten, — so fiel doch den Deutschen der LÖwenantheil zu, so- wohl *n der Erforschung der Literatur Indiens, als auon bei der Verwerthung der dort gehobenen geistigen Schätze.1

Die Deutschen haben von allen Gliedern der indogerma- nischen Völkerfamilie die meiste Aehnlichkeit mit den Indern, ja zwischen Deutschen und Indern besteht eine eigentümliche Wahlverwandtschaft, wie der geistreiche dänische Literarhisto- riker Brandes hübsch ausgeführt hat.' Auf den deutschen Geist übt das Wort „Indien" schon seit langer Zeit einen ganz

1 H. Heine sagte vor Jahren in »einem „Buch der Lieder1' In einer Anmerkung zu den an A.W. Schlegel gerichteten Sonetten: „Por- tugiesen, Hollander und Englander haben lange Zeit Jahr aus Jahr ein auf ihren grossen Schiffen die Schatze Indiens nach Hanse geschleppt; wir Deutsche hatten immer das Zusehen. Aber die geistigen Schatze Indiens sollen uns nicht entgehen. Schlegel, Bopp, Humboldt, Frank u. s. w. sind unsre jetzigen Ostindienfabrer: Bonn und Mün- chen werden gute Faktoreien sein'*. Der Dichter bat sich hier als ein guter Prophet bewährt.

1 6. Brandos, Die Hauptströmungen der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, (übers, v. A. Strudtmann). Bd. I (Berlin 1872), p. 270 flg. Er beginnt den Abschnitt „Deutschland und Hindustan" p. 270 mit den Worten: „Es war kein Wunder, dass ein Augenblick in der Geschichte Deutschlands erschien, wo man mit Leib und Seele begann, den Geist und die Cultnr des alten Indiens in sich aufzunehmen und sich zu eigen zu machen. Denn dies grosse, dunkle, traumreiche und gedankenvolle Deutschland ist in Wirklichkeit ein modernes Indien.

Nirgend» hat in der Weltgeschichte die beschauliche Betrachtung, die eigentliche, von aller empirischen Forschung sich losreissende Metaphysik, eine so hohe und so allseitige Entwicklung erreicht, wie in dem alten Indien und dem modernen Deutschland. - Indien zieht die deutschen Dichter wie mit einem geheimen Zauber an. Die Analojgieen zwischen Indien und Deutschlaad sind zahlreich und drängen sich Einem ▼on selber auf. Es folgt dann eine feinsinnige sehr lesenswerthe Durchführung dieser Parallele.

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eigentümlichen Zauber aus. Die Inder sind das V k der Romantik im Alterthum, die Deutschen sind es in der neueren Zeit. In keinem Lande hat das Studium des Sanskrit, trotz seiner geringen praktischen Vortheile, eine so starke An- ziehungskraft für die jungen, strebsamen Geister als in Deutsch- land, nirgends giebt es so zahlreiche uiuLso tüchtige Forscher, uirgends hat auch die Regierung durch (Lrejruu^ von Lehrstellen so viel für die wissenschaftliche Erforschung des Sanskrit gethan als eben in Deutschland. Wer die alt -indische Sprache und Literatur wahrhaft wissenschaftlich studiren will, muss in kein anderes Land als nach Deutschland gehen. Mit wahrhaftem Bieuenfleiss haben die deutschen Gelehrten Ausgaben, Ueber- setzungen, Grammatiken und Wörterbücher der Sanskrit-Litera- tur zusammen getragen und zusammen gearbeitet; und wenn heutzutage die indische Literatur und Sprache in der ganzen cul- tivirtcn Welt hoch geachtet wird, so darf man nie vergessen, mit welch tiefem Verständniss ein Goethe und ein Rückert der indischen Poesie entgegen kamen und ihr Lob verkündigten, und wie andrerseits mit der Kenntniss des Sanskrit durch Friedrich Schlegel und Bopp eine der interessantesten Wissen- schaften begründet wurde, die vergleichende Sprachforschung, die in erster Linie eine deutsche Wissenschaft genannt werden darf.

Und es sind in der That erst die letzten hundert Jahre die uns den ganzen reichen Schatz dieser grossen und be- deutenden Literatur von Indien erschlossen haben.

Im Jahre 1785, also gerade vor 100 Jahren, veröffent- lichte der Engländer Ch. Wilkins seine Uebersetzung des berühmten theosophischen Gedichtes Bhagavadgita, des Liedes von der Gottheit, das erste Werk aus der ganzen indischen Lite- ratur, welches in Europa bekannt wurde. Und erst im Jahre 1792, also nicht viel über 90 Jahre zurück, erschien der erste gedruckte Sanskrittext, Kalidasa's Gedicht Ritusamhara, eine farbenreiche Schilderung der indischen Jahreszeiten.

Ueberschauen wir heute die Gesammtheit dessen, was in diesem doch nicht allzulangen Zeitraum für die Kenntniss der indischen Literatur und Cultur geschehen ist, sind wir da- bei im Stande, die ungeheuren Schwierigkeiten zu beurtheilen, mit denen das Eindringen in viele Gebiete dieser Literatur verbunden war, so ergreift uns unwillkührlich ein Gefühl ehr- fürchtiger Bewunderung, denn fast der ganze grossartige Bau der indischen Literatur steht in zum Theil mustergültigen Aus- gaben bereits vor uns aufgerichtet da, ausgestattet mit den besten,

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ausreichendsten Hülfsmitteln für das Studium, mit mehreren vortrefflichen Grammatiken, mit einem Wörterbuch, so voll- ständig und gediegen, wie es keine der alten klassischen Sprachen noch besitzt, mit zum Theil vorzüglichen Uebersetzungen der wichtigsten uhd interessantesten Werke; und mit Stolz «dürfen wir es sagen, dass diese Arbeit zum grossen, ja zum grössten Theile von Deutschon ausgeführt ist.

Versuchen wir es, in kurzen Zügen die Entwicklung dieses Studiums zu skizziren.

Engländer waren es, welche uns die erste Kenntniss der indischen Literatur vermittelten. Das erste Werk, welches das Interesse der Europäer auf den eigentümlichen, philosophisch und dichterisch bedeutenden Inhalt jener Literatur lenkte, war die schon erwähnte Uebersetzung der Bhagavadgita von Charles Wilkins i. J. 1785.1 Derselbe Forscher Hess dann auch i. J. 1787 eine Uebersetzung des ebenfalls sehr bedeut- samen indischen Fabelwerkes Hitopadega erscheinen und ver- öffentlichte späterhin noch eine Grammatik der Sanskrit- Sprache. *

Weit bedeutender und folgenreicher noch war die Wirk- samkeit des Engländers William Jones, der als Oberrichter , in Fort William in Bengalen lebte und dort i. J. 1784 in CalcutUi die „Asiatic Society« gründete, deren Thätigkeit für die Sanskrit-Literatur von hoher Bedeutung geworden ist Jones war es, der i. J. 1789 eine englische Uebersetzung des schönsten indischen Dramas, der Sakuntala des Kalidasa veröffentlichte und damit zuerst die Europäer ahnen liees, welch ein Reichthum von Poesie in der indischen Literatur verborgen läge. Es ist bekannt, dass Georg Forster diese Jones'sche Uebersetzung der Sakuntala i. J. 1791 in deutscher Uebersetzung herausgab und dass diese Uebersetzung von Männern wie Herder und Goethe mit Begeisterung begrüsst wurde*, so dass die Namen Sakuntala und Kälidäsa mit einem

1 In demselben Jahre noch erschien eine rassische Uebersetzung, 1787 eine französische und 1801 eine deutsche. Vgl. Benfey, Ge- schiebte der Sprachwissenschaft p. 345.

* Im Jahre 1808. Es war die vierte der von Europäern bearbei- teten Sanskritgrammatiken. Die erste war die des Jesuiten Hanxleden, welcher 1699 nach Indien ging und dort Ober 30 Jahre in der malaba- rischen Mission arbeitete (f 1782.) Vgl. Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft, p. 335. 345.

* Herder lenkte die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums durch mehrere Briefe aowie durch eine Einleitung zur zweiten Aurlage der Sakuntala in der Forsterschen Uebersetzung auf dieses poesievolle

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Schlage zu Berühmtheiten bei uns wurden. Jones war es auch, der eine Uebersetzung des wichtigsten Werkes für die Kenntniss indischer Sitten und staatlicher Institutionen, des berühmten sogen. „Gesetzbuches des Manu" herausgab, und endlich verdanken wir ihm auch den ersten Druck eines Sans- kritwerkes in der Sprache des Originals; es war der schon erwähnlc Ritusanihära des Kälidasa, i. J. 1792 zu Cal- cutta erschienen, der bedeutsame Vorläufer einer stattlichen Menge von Sanskrit-Drucken.

Der Erste, welcher sodann mit strenger philologischer Methode an das Studium der Sanskrit-Literatur herantrat und durch eindringenden Scharfsinn und seltene Gründlichkeit nach den verschiedensten Seiten hin bahnbrechend wirkte, war Henry Thomas Colebrooke (geb. 1765, gest 1837), der in Mirza- poor Richter, nachher politischer Resident am Hofe von Berar war. Er erwarb sich die gründlichste Kenntniss vom Sanskrit, arbeitete an der dem Europäer so ungemein schwer verständ- lichen Grammatik des Päuini, der Grundlage der indischen Philologie, sowie an dem Lexicon Amarako^a. Er veröffent- lichte eine höchst werthvolle Sanskrit- Grammatik (1805). betheiligte sich an der Herausgabe vieler Sanskritwerke, des Fabelwerkes Hitopadcc,a (1803. 1804), verschiedener indischer Lexica (1807) und des P an in i (1810); studirte aufs Eingehendste das indische Recht, die Philosophie und Mathematik, und ver- breitete durch seine werthvollen Abhandlungen Licht über viele dor schwierigsten Gebiete der indischen Literatur. Endlich ist er es auch gewesen, der i. J. 1805 zuerst von wirklicher Sach- kenntnis zeugende Mittheilungen über die Veden, die ältesten heiligen Schriftwerke der Brahmanen, machte (s. Benfey, Ge- schichte der Sprachwiss. p. 349). Sanskrit-Grammatiken wurden auch noch von Carey (Serampore 1806) und Forst er (Cal- cutta 1810) herausgegeben. Endlich muss als hervorragender Pionier der jungen Sanskritwissenschaft in England noch H. H. Wilson, der Verfasser des ersten europäischen Sanskritwörter- buches,1 genannt werden.

Drama; Goethe, von Anderem abgesehen, insbesondere durch die be- kannten Distichen:

Willst du die Blüthe des frühen, die Früchte des spateren Jahres, Willst du was reizt und entzückt, willst du was sättigt und nährt, Willst du den Himmel, die Erde mit einem Namen begreifen, Nenn ich Sakontala dir, und so ist Alles gesagt.

1 A Dictionary, 8anscrit and English: translated, amended and ^ularged, from an original eompilation prepared by learned natifes

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Die bahnbrechenden Arbeiten dieser 1 ngländer riefen in Deutschland sogleich das lebhafteste Interesse für die indische Sprache und Literatur wach, und die übersetzten Dichtungen erregten hochgespannte Erwartungen, Vor Allem trafen die Schöpfungen indischen Geistes auf wahlverwandte Gemüther bei den Romantikern, deren Stern damals gerade aufzugchen begann. Die Romantiker, die sich in die mittelalterliche Ritter- zeit als ihr Ideal hinein träumten, erneuerten auch jene Züge der Ritter in den Orient, wenn auch nur auf dem friedlichen Gebiete der literarischen Forschung. In Indien fanden sie eine Welt, die ihrer Idealwelt nahe verwandt war. Die Chorführer der romantischen Schule, die beiden Brüder Schlegel, scheuten die Mühe nicht, die von nur sehr Wenigen gekannte schwierige Sprache selbst zu erlernen, und wurden die Begründer des Studiums der indischen Literatur in Deutschland; Friedrich von Schlegel1 durch sein interessantes und geistvolles Buch „Ueber die Spraclie und Weisheit der Indier," Heidelberg 1808, dem als Anhang deutsche metrische Uebersctzungcn au? dem, Ramäyana, Mahabharata und dem Gesetzbuch des Manu beige- fügt waren; in noch höherein Grade aber sein Bruder August Wilhelm von Schlegel durch eine ganzo Reih? philologisch bedeutender Arbeiten, die von gründlichster Kenntniss des Sans- krit Zeugniss ablegen * und das strengwissenschaftliche Studium desselben in Deutschland einbürgerten. Schon im Jahre 1818 als erster Professor des Sanskrit an die neugegründete Univer- sität Bonn berufen, gab er im Jahre 1823 den Sanskrittext der so hochwichtigen Bhagavadgita nebst einer vorzüglichen lateinischen Uebersetzuüg heraus; desgleichen zwei Bände einer Ausgabe des Ramäyana (Bonn 1829 und 1838), und im Verein mit Lassen i. J. 1820 das mehrfach schon genannte interessante Fabelwork Hitopade$a; auch wirkte er durch seine Zeitschrift „Indische Bibliothek« (3 Bände, 1820—1830) anregend in weiten Kreisen. Zu gloichcr Zeit mit den

for the College of Fort William, by Horace Hayman Wilson, Cal- cutta 1819. Vgl. dazu die Anzeige von A. W. v. Schlegel, ladische Bibliothek, I p. 295 flg. Eine 2. Auflage des Wilson'schen Werkes erschien 1832.

1 Er hatte das Sanskrit in Pari6 von Alexander Hamilton gelernt einem Englander, der sich wahrend Beines Aufenthalts in Indien die Kenntniss desselben angeeignet. Schlegel lebte zu Anfang des Jahr- hunderts in Paris, von wo er einer Napoleon ischen Bestimmung gemäss damals nicht in die Heimath zurückkehren durfte.

1 Seit dem J. 1814 beschäftigte er sich mit dem Sanskrit (s. Benfey, Gesch. der Sprachwiss. p. 372. 379 flg.)

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Brüdern Schlegel hatte der geniale Franz Bopp seine Wirk- samkeit begonnen, der nicht bloss durch seine Schrift „Ueber das Conjugationssy stein der Sanskritsprache in Vergleichnng mit jenem der griechischen) lateinischen, persischen und ger- manischen Sprache" (Frankfurt a M. 1816) den Grund legte für die so eminent wichtige Wissenschaft der vergleichenden Sprachforschung1, sondern auch durch eiue Reihe speciell phi- lologischer Arbeiten für die gründliche Kenntniss des Sanskrit Hervorragendes leistete. Mit glücklichem Instincte hatte er aus dem ungeheuer umfangreichen Mahabharata die schönste Episode, die Erzählung von Nal und Damayanti, herausgegriffen und veröffentlichte dieselbe i. J. 1819 im Urtext mit lateinischer Uebersetzung. ' Dem folgte i. J. 1827 die ungemein werthvolle erste Bopp'sche Sanskrit-Grammatik8, der sich i. J. 1830 noch ein kleines Sanskrit-Glossar anschloss.4

Die durch die Thätigkeit dieser Männer begründete erste Periode des Sanskrit-Stadiums in Deutschland ist dadurch ge- . gekennzeichnet, dass die Forscher sich so gut wie ausschliesslich mit dem sogenannten klassischen Sanskrit, der Literatur des indischen Mittelalters, beschäftigten, während von den Veden zu jener Zeit noch so gut wie gar keine Kenntniss verbreitet war.

Neben den Schlegels und Bopp zeichnete sich bald Chri- stian Lassen aus, welcher schon in den Jahren 1829—1831 mit Schlegel zusaminon den Hitopade$a herausgegeben hatte, dem er i. J. 1836 die Ausgabe des reizenden lyrisch drama- tischen Idylls Gltagovinda folgen liess, i. J. 1832 die des Dramas M&latlmadhava u. so fort.5 Vor Allem berühmt ist

1 Dem tonjugationssystem folgte spater das Hauptwerk „Vergleich- ende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Lit- thauischen, Gothischen und deutschen'*, welches In den Jahren 1838— 1*52 erschien.

- Nalus, carmen sanscritum e Mahabharato, edidit, latine vertit et adnotationibus illustrarit Francis cos Bopp (London 1819).

* Ausführliches Lehrgebäude der Sanskrits -Sprache; yon Franz Bopp, Berlin 1827. 2, Aufl. Berlin 1832 in lateinischer 8prache. Dum eine deutsche „Kritische Grammatik der Sanskritasprache in kürzerer Fassung, 1834, die späterhin noch mehrfach wiederaufgelegt wurde.

4 Glossarium sanscritum a Fr. Bopp (Berlin 1830).

5 Eine Sanskrit- Anthologie gab Laasen 1838 heraus, welche nachher noch mehrfach aufgelegt für die Einbürgerung des Sanskrit- Studiums auf den Universitäten von Bedeutung war. Wichtig waren ferner seine „Institutiones linguae Pracriticae" 1837.

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aber Lassen durch seine grossartig umfasseude „Indische Alterthumskunde" in vier Bänden, welche i. J. 1843 zu er- scheinen begann; in ihr hat er die ganze Fülle seines Wissens von dem indischen Alterthum zu einem reichhaltigen Ganzen vereinigt

Ein anderer etwa gleichzeitig auftretender fleissiger Sans- kritforscher, Poter von Bohlen, Hess im Jahre 1830 sein Werk „Das alte Indien mit besondrer Rücksicht auf Aegypten4* in zwei Bänden erscheinen; gab i. J. 1833 die geistvollen Sprüche des Bhartrihari heraus und i. J. 1840 den IJitusarnhAra.

Von hoher Bedeutung war os für die junge Wissenschaft, dass auch eine nach so vielen Seiten hin hervorragende Per- sönlichkeit wie Wilhelm von Humboldt sich mit Eifer den Sanskritstudien zuwandte. Humboldt trug durch eine höchst interessante Abhandlung „Ueber die unter dem Namen Bbaga- vad-Gita bekannte Episode des Mahäbbarata" 1 wesentlich dazu bei, die Aufmerksamkeit der gebildeten 'Welt auf dieses geist- volle philo80])hi8che Gedicht zu lenken. Er war so entzückt« von demselben, dass er darüber an Gentz schrieb, er danke Gott, dass er ihn so lange habe leben lassen, um dieses Ge- dicht lesen zu können. *

Dabei hatte die SanskritrLiteratur das seltene Glück, neben so manchen Anderen, einen so dichterisch genialen und sprach- gewandten Uehersetzer zu finden wie Friedrich Rücke rt, unter dessen U Übersetzungen ich nur die des Nal (zuerst 1828) und die des Gitagovinda (1837^) als besonders gelungen her- vorheben will; die erstere schon lange in den weitesten Kreisen bekannt, die letztere ein wahres Meisterstück kunstvoller Ueber- setzung. 3

Zu dieser älteren Generation von deutschen Sanskritisten gehört ferner der auch als Sprachforscher rühmlichst bekannte Theodor Benfey, welcher i. J. 1840 seinen werthvollen Ar- tikel „Indien1* in der „Allgemeinen Encyklopädie der Wissen- schaften und Künste von Ersch und Grober« erscheinen liess; zu ihr ist auch Hermann Brockhaus zu rechnen, desgleichen

1 Gelesen 'in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 30. Juni 1825 und 25. Juli 1826.

* Vgl. Boxberger's Uebersetzung der Bhagavadgita Vorwort p.12.

3 Ausserdem 1831 „Achtunddreissig sanskritische Liebesliedchen des Amaru"; 1833 „Ajas und Indumati"; 1837 Verschiedenes aus dem Bhar- trihari; 1838 mehrere brahmanische Erzählungen, darunter die Sa vi tri; 1858—59 ein Stück aus dem Markantfeya- Purana; aus seinem Nachlass - ist auch eine Uebersetzung der Sakuntala veröffentlicht

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der noch lebende hoch verdiente Ad. Friedlich Stenzhi. ferner R. Lenz, J. Gildemeister, Th. Goldstücker, F. Bol- lensen, A. Hoefer und manche Andre.1 Zu ihr gehört voi allen Dingen auch noch Otto Böhtlingk, von dessen Werken ich aus dieser Periode als bahnbrechend vor Allem die Ausgabe des so ungemein schwer verständlichen, ja räthselhaften und doch so wichtigen Grammatikers Panini nebst Erläuterungen dazu hervorheben will * Ausserdem sei nur noch seine Aus- gabe der Sakuntala nebst Uebersetzung, aus dem Jahre 1842. erwähnt.*

In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre vollzieht sich ein Umschwung in den deutschen Sanskritstudien, indem fast alle hervorragenden jüngeren Kräfte zu jener Zeit sich der Er- forschung der so emiuent wichtigen Veden, der ältesten Literatur der Inder, zuwandten, deren Verständniss zuerst fast unüber- windliche Hindernisse entgegen zu stehen schienen. Es war bis dabin nur eine erste sachkundige Mittheilung i. J. 1805 von Colebrooke über die Veden gemacht worden, und Fried- rich Rosen hatte i. J. 1838 das erste Achtel des Rigveda veröffentlicht, wurde aber durch den Tod daran verhindert, das wichtige Unternehmen weiter fortzusetzen. Da war es insbe- sondre der geistvolle französisebe Forscher Burnouf, der sich ernstlich an das Studium des Veda machte und durch seine Vorlesungen am College de France Andre in dasselbe Studium einzuführen und für dasselbe zu begeistern verstand. 4

1 So II. Ewald, F. H. Windischmann, Othmar Frank, Ad. Holtzmann, F. 0. L. Kosegarten, L. Poley, Haeberlin, E. Meier, K. Schütz u. A.: neben Ihnen mögen hier noch genannt werden der Dane N. L. Wcster- g^ard und die Franzosen Chezy und Loisek r Deslongchamps.

* Zwei Bande. Bonn, 1839. 1840. Von hervorragender Bedeutung ist die neue i. J. 188G begonnene und schon ziemlich weit vorgeschrit- tene Ausgabe des Panini nebst deutscher Uebersetzung, Erlaute- rangen und Indices; Leipzig, Verlag von II. Haessel.

' £r gab 1847 die Grammatik des Vopadeva heraus: 1847 mit Charles Rieu zusammen Heraacanrira'b Abhidhanacintäuiani ; 1845 schon eine Sanskrit - Chrestomathie ; spater bewonders nichtig 3 Bände* „Indische Sprüche4', Petersburg 1864 flg. (auch zum zweiten Male aufgelegt^: dann eine vorzügliche Uebersetzung des Dramas Mriccha- katika, Petersburg 1877 u. s. w. Ueber rtas grosse Sanskrit -Wörter- buch s. weiter unten.

4 Ueber den massgebenden Einfluss des grossen französischen Orientalisten auf diesen Umschwung in den Sanskritstudien vgl. M. Maller, Indien In s. culturgesch. Bed. p. 75. 76. Auch in seinem Aufsatz „Damals und Jetzt" in der „Deutschen Rundschau", Jahrgang 1884 85 p. 470 sagt M. Müller von Bnrnouf: „Er war der Erste, der

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Im Jahre 1846 licss Rudolf Roth, ein Schüler Burnoufs, sein Buch „Zur Literatur und Geschichte des Veda" er- scheinen, welches für das Studium des Veda von epochemachen- der Bedeutung war.1

Jetzt folgten die wichtigsten vedischen Arbeiten Schlag auf Schlag.

Im Jahre 1848 erschien Theodor Bonfey's Ausgabe des Samaveda mit Uebersetzung und Glossar.

Im Jahre 1849 begann Max Müller, ebenfalls durch Bur- nouf angeregt, seine berühmte grosse Ausgabe des Rigveda, sammt dem Gommentar des Säyana, erscheinen zu lassen, dio in sechs mächtigen Foliobänden nun schon seit zehn Jahren vollendet vorliegt. Diesem geistreichen Forscher und seinen zahlreichen, demselben Gegenstande gewidmeten Arbeiten, Reden und Auf- sätzen verdanken wir es wohl in erster Linie, dass das Studium des Veda in weiteren Kreisen Beachtung und Interesse ge- bunden hat.

Im Jahre 1852 erschien sodann der „weisse Yajurveda," von Albrecht Wober herausgegeben, dem sich in den folgen« den Jahren das dazu gehörige ^atapathabrahmaiia und Kätya- yana's Qrautasütnt anschlössen.

Den „schwarzen Yajurvecla"* begann Ed. Roer im Jahre 1854 herauszugeben. Eine vollständige Ausgabe dieses Veda lieferte späterhin der unermüdlich thütige Albrecht Weber.»

Den Atharvaveda endlich gab im Jahre 1856 Rud. Roth im Verein mit dem amerikanischen Gelehrten W. D. Whitney heraus.

in seinen Vorlesungen am College de Franre uns in das wahre Studium des Voda einführte". „Im Jahre 1845, als ich meine Vorarbeiten «n einer Ausgabe des Rigveda begaun, war Burnouf der Einzige, der die grosse, zum Veda gehörige Literatur übersah, der Handschriften ge- sammelt und sich mit der eigentümlichen Sprache dieses Literatur- kreises vertraut gemacht hatte".

1 Dieser Arbeit liess Roth i. J. 1852 „J&ska's Nirukta sammt den Nighantavas" folgen, eiue mit werthvollcn Erläuterungen versehene Aus- übe der ältesten einheimisch-indischen Arbeiten zum V*rbtandniss des Veda. Vgl. unten Vorlesung XLVIf.

* D. h. die sogen. SamhitA der mm schwarzen Vajurveda gehörigen Taittiriya-Schule. Von anderen und alteren Schulen schwarzen Yajurveda werden wir weiter unten sprechen.

3 Als 11. und 12. Band seiner sehr reichhaltigen und werthvollen „Indischen Studien" erschienen i. J. 1871 u. 1872.

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Eine vollständige, werthvolle und viel benutzte Ausgabe dos Rigveda in Transscription veröffentlichte Theodor Aufrecht >chon in den Jahren 1861 und 1863 (6. und 7. Band von Weber's Indischen Studien; nachher im Jah^e 1877 in 2. Auf- lage selbständig erschienen).1

Viel Aufhellung verdankte der Rigveda sodann in mytho- logischer und exegetischer Hinsicht einer Reihe von Arbeiten des bekannten Adalbert Kuhn, des langjährigen Herausgebers der sogen. Kuhn'schen Zeitschrift

Von den späterhin für den Veda thätigen Forschern will ich noch Martin Haug's gedenken, der durch seinen längeren Aufenthalt in Indien im Stande war, uns sehr werthvollo, auf Autopsie beruhende Mittheilungon über das indische Opferwesen zu machen, sowie vor Allem des ebenso schlichten als tüchtigen Hermann Grassmann, der als vielbeschäftigter Gymnasial- lehrer in Stettin lebend uns nicht nur ein vorzüglich ange- ordnetes vollständiges „Wörterbuch zum Rig-Veda**8, sondern auch eine vollständige Üebersctzung desselben* dargeboten hat. Eine Üebersctzung des ganzen IJigveda lieferte auch der scharf- sinnige und gelehrte Alfred Ludwig.4 Endlich muss ich noch der exegetischen und culturhistorischen Forschungen des Eng- länders John Muir und der werthvotlen grammatischen Ar- beiten B. Delbrück's Erwähnung thun, sowie der „Siebenzig Lieder des Rigveda, übersetzt von K. Geldnor und Ad. Kaegi, mit Beiträgen von R. Roth"*; und des culturhistorisch wich- tigen und interessanten „Altindischen Lebens" von Hein- rich Zimmer.6

Ich habe hier natürlich nur die hervorragendsten Werko namhaft gemacht und eine Menge wichtiger Arbeiten für dio Erklärung des Veda unberücksichtigt gelassen, aber schon das Angeführte wird genügen, um Ihnen eine Vorstellung davon zu erwecken, welch rege Thätigkoit seit dem Ende dor 40ger Jahre sich auf diesem Gebiete entfaltet hat. Dem verdanken wir. was vor vierzig Jahren noch kaum geahnt und gehofft werden konnte,

1 Neben diesen deutschen Forschern mögen als Herausgeber vedischer Texte noch genannt werden der Inder Bajendralala Mitra nnd der Engländer Cowell.

Leipzig 1P73.

Zwei Bande, Leipzig 1876. 1877.

4 Prag 1876, 2 Bande, denen sp&ter noch drei weitere Bande mit Erlauterungen und Ergänzungen gefolgt sind.

5 Tübingen 1875.

Berlin 1879.

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eine wirklich eindringende Kenntniss auf den meisten Gebieten der so umfangreichen als schwierigen vedischen Literatur.

Als hervorragende Forscher dieser Periode, die sich nicht specieil dem Veda gewidmet, sondern den Schwerpunkt ihrer Wirksamkeit auf das Gebiet der klassischen Sanskrit-Literatur und der Grammatik verlegt haben, waren vor Allem Georg Bühler, F. Kielhorn und der holländische Gelehrte H. Kern zu nennen.1

Auch die allgemeineren Werke dieser zweiten Periode des Sanskrit- Studiums zeugen schon von der bis in die vedische Zeit hin erweiterten Kenntnis der indischen Literatur. So be- reits die im Jahre 1852 erschienene, Scharfsinn und grosse Gelehrsamkeit bekundende „Indische Literaturgeschichte** von Albrecht Weber2; so die ausgezeichnete „Indische Grammatik" von W. D. Whitney, erschienen im Jahre 1879. 3 So vor Allem die grossartigste Schöpfung der gesammten Indo- logie, das „Sanskrit- Wörterbuch" von Otto Böhtlingk und Rudolf Roth, welches im Jahre 1852 zu erscheinen be-

1 In jüngster Zeit (etwa seit den 70ger Jahren^ ist wieder eine gleich- massigere Vertheilung eingetreten, und eine Reihe der tüchtigsten jüngeren Kräfte haben sich jetzt der klassischen Sanskrit-Literatur zugewandt, so C. Cappeller, R. Pischcl, H. Jacobi. F. Johaentgcn, der ta- lentvolle Uebersetzer L. Fritze; ferner Ad. Holtzmann, Th. Zacha- riae, J. Schönberg u. a. Die Mehrzahl der Jüngeren dürfte freilich auch jetzt noch auf dem Gebiete der vedischen Literatur., der Brahma- rta's undSütra's thatig sein; so R.Garbe, A. Hillobrandt, Ad. Kaegi, K. Geldner, G. Tbibaut, B. Lindner, H. Zimmer. Charles R. Lanman, P. von Bradke. F. Knauer, J Schwab und der Verfasser der vorliegenden Literatur-Geschichte; auf beiden Gebieten bewegen sich die Arbeiten von Eggeling, J. Jolly und E. Wiudisch; H. Oldenberg hat auch der vedischen Literatur bedeutende Dienste geleistet, beschäftigt sich aber hauptsachlich mit der vornehmlich im Pali-Dialekl verfassten buddhistischen Literatur, welcher specieil auch die Ar- beiten Ernst Kuhn's und Ed. Müller's gewidmet sind. Werden die Namen dieser jüngeren deutschen Forscher genannt, ho erfordert es die Gerechtigkeit, die hervorragendsten Kenner der buddhistischen Literatur ausserhalb Deutschlands nicht unerwähnt zu lassen. Der erste Platz gebührt unstreitig dem geistvollen Franzosen Burnouf, der auch auf diesem Gebiete bahnbrechend gewesen ist; neben ihm mögen genannt werden Spence Hardy, V. lausböll, R. Cbilders, de Alwis, E. Senart u. A. Auf dem Gebiete der Prakritliteratur specieil Bind Siegfried Goldschmidt und Paul Goldschmidt thatig ge- wesen.

* Akademische Vorlesungen über Indische Literaturge- schichte, Berlin 1852: 2. Aua. Berlin 1870.

3 Indische Grammatik, umfassend die klassische Sprache und die alteren Dialekte, von William Dwight Whitney, au- dem Eng - lischen übersetzt von H. Zimmer, Leipzig 1871*.

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gann und dessen 7. und letzter Band i. J. 1875 abgeschlossen war.1 In diesem gewaltigen Werke, durch dessen Drucklegung sich die Kaiserliche Akademie zu St. Petersburg ein dauerndes Verdienst um die Indologie erworben, hat Böhtlingk die ganze Fülle seines staunenswerthon, fast die gesammte klassische in- dische Literatur umfassenden Wissens niedergelegt, während Roth in dem vedischen Theile desselben für die so überaus schwierige Exegese des Veda das Bedeutendste und Werthvollste lieferte, was überhaupt geleistet worden ist. Dieses grosse Werk ist darum als das Centrum und die Grundlage aller auf die Erforschung der indischen Literatur gerichteten Studien zu bezeichnen.* Es steht da wie ein stolzer, stattlicher Dom in- mitten einer prächtigen Stadt, wo sich mancher Thurm, mancher kunstvoll gebaute Palast erhebt, während auch die zahlreichen wohnlichen Häuser der bescheideneren Einwohner nicht ver- misst werden. Heutzutage, wo wir bis zu den ältesten Quellen mit Glück und Erfolg hinauf gelangt sind, wo der Veda wirk- lich schon als gründlich durchforscht bezeichnet werden darf, ist es wohl der Mühe werth, einmal von der strengen Arbeit auszuruhen und den betrachtenden Blick über den ganzen Reichthum des Gewonnenen und Geschaffenen hinschweifen zu lassen. Heutzutage vermögen wir es, dank der rastlosen Arbeit einer ganzen Reihe hervorragender, ja genialer Köpfe, sowie zahlreicher fleissiger Forscher, die Darstellung der indischen Literatur und Cultur vom grauen Alterthum an bis in die neuere Zeit fortzuführen. Und dies, meine Herren, wollen wir in den uns vorliegenden Stunden versuchen.

Wir wollen die ersten Anfänge des schaffenden indischen Geistes in den Hymnen des Rigveda belauschen; wollen be- obachten , wie er in den Yajurveden, in den Brahmana's und Sütra's immer mehr und immer eifriger sich eine ganze grosse Welt des Gebetes und der Opfer aufbaut, wie er daun im Gangesthaie seinem Staate für immer entscheidend den Stempel aufdrückt, indem er das Gebet und die Beter, Brahma und die Brahmanen, zu seinen obersten Herrschern erhebt und

' Sanskrit- Wörterbuch, herausgegeben von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, bearbeitet von Otto Böhtlingk und Rudolph Roth, St Petersburg 1852—1875, 7 starke Quartbande.

* Zahlreiche werthvolle Nachträge, Ergänzungen und Berichtigungen ru diesem, dem sogen. „Petersburger Wörterbuch ", bietet das „Sanskrit- Wörterbuch in kürzerer Fassung", bearbeitet von Otto Böhtlingk, dessen 1. Theil zu St Petersburg i. J. 1879 erschien; der Druck des- selben ist bereits ziemlich weit vorgerückt, doch noch nicht abgeschlossen.

t. Bekr6d«r, Ud. LH. o. Colt. 2

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das Dogma der Seeleuwanderung schafft; wie durch den über- wuchernden Ceremoniencultus der Drang nach reinerer Gottes- erkenntniss in der Stille der Wälder die Philosophie <*er Upani- shaden entstehen losst, während in einem anderen Landstrich eine andere philosophische Geistesrichtung, die die Achtung vor den alten Göttern völlig verloren hat, nur einem Ziele noch zustrebt: Befreiung von den Fesseln des leidvollen Daseins, Erlösung aus eigener menschlicher Kraft, die Lehre des Buddha; wie dann im Gegensatz zu dieser immer mächtiger werdenden Richtung die Brahmanon ihrer Götterwelt eine neue Gestaltung zu geben suchen, indem sie die Verehrung gewisser allbeliebt*»r Volksgötter mit der Brahma -Vorehrung zu ver- schmelzen suchen; wie tiefer angelegte Gemüther einor mono- theistischen Klärung der alten Götterwolt zustreben, während andere, mehr aufs Praktische gerichtet, die eisernen Ordnungen des brahmanischen Staates immer schroffer ausbauen; wie dann in den prächtig aufblühenden Städten die alten epischen Sagen, die Sagen von Kämpfen der einzelnen Stamme, von Kämpfen der Könige und Priester gesungen und rzählt wurden; wie eine reizende Lyrik aufsprosste, eine gedankenvolle Poesie der Weisheitssprüche, der Fabeln und Märchen, und die Krone der Dichtung, das Drama, in mannigfaltiger und reicher Gestaltung; wie auch das wissenschaftliche Denken wuchs und erstarkte und auf dem Gebiete der Sprachforschung das Bedeutendste, auf dem Gebiete der Philosophie Hervorragendes loistoto. Dies Alles, meine Herren, wollen wir an uns vorüberziehen lassen, indem wir in erster Linie die Literatur und ihre Schöpfungen betrachten, zugleich aber auch die übrigen, mehr oder minder damit in Zusammenhang stehenden Bildungen der Cultur, unter welchen, dem Charakter des indischen Volksgoiftes gemäss, die Geschichte der Religionen die hervorragendste Stelle einnehmen muss.

So werden wir ein lebendiges Bild gewinnen von dem geistigen Wachsen und Werden dieses merkwürdigen, uns frem- den und doch so nah verwandten Volkes, dessen Gedanken- schöpfungen schon jetzt für das geistige Leben unserer Zeit von hoher Bedeutung gewesen sind, unseren Horizont nach vielen Seiten hin erweitert, unsere eignen Leistungen bereichert und vertieft, und so schon jetzt auf verschiedene Gebiete unserer Cultur deutlich erkennbaren Einfluss geübt haben, und solchen Einfluss, solche Bedeutung im Laufe der Zeit gewiss in noch weit höherem Maasse gewinnen werden.

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I. Abschnitt.

Das indische Alterthum, die vedische Periode.

(c. 1600—600 tof Chr. Gek.)

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Zweite Vorlesung.

Die Urzeit. Die Periode der indopersischen Einheit. Ue berein Stimmungen and Abweichungen in Religion, Mythologie and Cultus des Zendvolkes und der redischen Inder. Wanderung der Inder in das Penjab und Aufenthalt derselben ebendort in der Periode des Kigveda. Culturver- haltnisse der Inder in dieser Zeit (Ackerbau, Viehzucht, Gewerbe).

Wenn der forschende Geist sich bemüht, die ersten An- fange des geistigen und religiösen Lebens eines historischen Volkes wie die Inder zu erkunden, so strebt er naturgemäss über die durch geschichtliche Denkmäler bezeugte Zeit hinaus und fragt nach dem Aeltesten, sei es auch nur in nebelhafter Ferne und in dunklen Umrissen zu erschauen. Hier hat uns für rlas indische Volk die vergleichende Sprachforschung unschätzbare Dienste geleistet, und wenn auch in erster Linie die euro- päischen Völker dem Sanskrit für die Aufhellung ihrer ersten sprachlichen und culturgeschichtlichen Anfänge zu Dank ver- pflichtet sind, so hat doch auch die Indologie der Vergieichung mit den verwandten Sprachen viel zu danken.

Wir wissen, dass die Inder, als sie noch mit den anderen indogermanischen Völkern ein Volk bildeten, sei es nun dass sie im Hochlande von Iran oder auch in den Grenzen eines anderen Landes1 ihre Heerden weideten, sich in gesitteten, wenn auch nicht hoch cultivirten Zuständen befanden, dass sie in Stämmen unter einzelnen Herrschern lebten, dass die Familie wohlgeordnet bestand, dass sie neben der Viehzucht bereits den Ackerbau und manches nützliche Handwork pflegten. Ueber

1 Die früher ziemlich allgemein geltende Annahme, dass Iran der Wohnsitz des urindogermanischen Volkes gewesen, erscheint mir auch jetzt noch als die wahrscheinlichste; die Grunde, welche von einigen Seiten für Europa als Wohnsitz unserer indogermanischen Voreltern in geführt worden sind, haben mich nicht überzeugt. Doch will ich nicht unterlassen zu bemerken, dass ich diese Frage noch nicht für eine end- gültig erledigte ansehe.

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ihr religiöses Leben können wir zwar nicht viel Detail angeben; dennoch haben wir neben Anderem insbesondere eine That- sache von unschätzbarem Werthe. Im Veda findet sich eine alte, schon etwas verblassende Göttergestalt, Dyaüs pitar der Himmel- Vater, der Himmel als Vater angerufen. Und dieser Dyaüs pitar ist unzweifelhaft identisch mit Zevg xccrfo,1 dem obersten Gotte der Griechen, dem Vater der Götter, mit dem Ju-piler des lateinischen Volkes, mit dem Tfr der altisländischen Edda und dem Zio der alten Deutschen. Wir wissen also, dass das indogermanische Urvolk den leuchtenden Himmel * als Gott verehrte und dam es sich diesen Gott persönlich dachte, dass es ihn Vater anredete.

Auf die Periode der indogermanischen Einheit folgte die der indopersischen oder arischen, nachdem die anderen Völker sich abgetrennt und nur die späteren Inder und Perser, die man auch unter dem Namen Arier zusammenfasst, noch längere Zeit als ein Volk verbunden lebten« Und während uns an jene früheste indogermanische Periode meist nur noch schwerer zu entziffernde Gedenksteine erinnern, liegt die nahe Verwandtschaft der Inder und Perser, speciell in ihren ältesten Producten, den Hymnen des Rigveda und den Gathas des Zend- Avesta klar am Tage. Wer mit den Hymnen des Rigveda vertraut ist, den berührt es in der That fast wunderbar, wenn er die auf Zarathustra oder Zoroaster zurückgeführten ältesten Lieder des sogenannten Zend -Volkes, des in Nordost- iran oder Baktrien lebenden Zweiges des persischen Volkes, kennen lernt.

Schon die Sprache des Avesta zeigt ihre nahe Verwandt- schaft mit der des Rigveda auf allen Gebieten, oft in ganz überraschender Weise, und für die Aufklärung der sehr corrupt überkommenen Zend-Texte hat der Veda die wichtigsten Bei- träge geliefert. Insbesondere ist es Rudolf Roth, der beste Kenner des Veda, der diesen nahen Zusammenhang stets in lichtvollster und fruchtbarster Weiste hervorgehoben hat.

Der höchste und heiligste Gott des Rigveda ist Varuna, der in einer höchsten Lichtregion über allen anderen thront, umgeben von seinen sechs Brüdern, den Aditya's; eine erhabene,

1 Sehr bemerkenawerth ist die genaue formelle Ueberein Stimmung in dem Accent von dv&üs und Ztvg\ Nom. dyaüa Voc dyftü, Nom.

Religion, 8. 166.

* Dyaua kommt von der Wurzel div „leuchten, glAnien".

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sittlich reine Göttergestalt, die den Weltlauf regelt und über Recht und Unrecht unter den Menschen wacht Dieser oberste Gott Varuna ist, wie Roth bemerkt hat, aller Wahrscheinlich- keit nach arsprünglich identisch mit dem Ahura Mazda des Zend-Avesta, welcher ebenfalls von sechs wesensverwandten Genien, den sogenannten Amesha cpefita's oder „heiligen Un- sterblichen" umgeben in einer höchsten Lichtregion waltet. Diese Uebereinstiinmung wird vor Allem durch die allgemeine Wesensverwandtschaft beider Götter deutlich und tritt auch darin hervor, dass Varuna im Veda gern das Epitheton asura „der geistige oder lebendige", oder „der Herr14 erhält,1 und dieses Wort asura ist identisch mit dem zendischen ahura, indem in dieser Sprache dem sanskritischen s ein h entsprechen rn 1.1 . ,

Unzweifelhaft ist sodann die Uebereinstimmung des vedi- sehen Gottes Mitra, der oft mit Varuna eng verbunden er- scheint, mit dem zendischen Mithra, dessen Oult sich übrigens später in der griechisch-römischen Zeit mit Mysterien verbunden weit verbreitete, ja durch die römischen Legionen sogar bis

1 Dies Epitheton erhalten im Veda übrigens auch noch andere Götter.

* Die Etymologie dei Wortes asura ist nicht ganz sicher. Meist wird es wohl vom sanskrit. asu „Geist, Leben, Lebenshauch-4 abgeleitet, so dass es ursprünglich etwa „der Geistige, Lebendige41 bedeuten dürfte Doch verdient auch die Zusammenstellung mit latein. erus, alt esus, entschieden Beachtung, wonach asura sich etwa durch „der Herr14 wieder geben lieeae. Vgl. Brugman in Kuhn's Zeitachr. XXIII. 95. P. v. Bradke. Dyaus Asura, Ahura Mazda und die Asuras. Halle 1885, p. 85. 86. - Bradke sucht in der letztangeführten lesenswerthen Schrift wahrschein- lich zu machen, dass das Epitheton asura „der Herr" oder „der höchste Gott" in der arischen (indo- persischen) Periode dem alten Dyaus bei- gegeben wurde. Bei den Persern war« ans dam alten Dyaus Pitar Asnr» ein abstracter Ahura mit dem Beinamen Mazda geworden, währen«! bei den Indern die Devas den alten Dyaus Pitar Asura ganz überwuchert hatten (a. a. 0. p. 113). Ich gestehe, daas mir die Construction jenes arischen Dyaus Asura noch nicht ganz gesichert erscheint, utui glaube, dass wir jedenfalls an der Identificirung des Ahura Mazda mit dem ihm wesensverwandten Varuna festhalten müssen. Es ist aber vielleicht mög- lich, beide Ansichten zu vermitteln. Varuna, der Umfassende \pi-»%*tv6e\ ist ursprünglich ebenfalls Bezeichnung des Himmels; es hat sich also bei den Indern der alte Himmelsgott in zwei Gottergestaltcn getrennt \Dyaus und Varuna), von denen die eine mehr die sinnliche Erscheinung, * die andere mehr die sittlichen Qualitäten des alten Himmelsgottes über- nommen hat Der zendische Ahura ist ans Jenem noch ungetrennten Himmelsgott entstanden, und so erklart es sich, wie er zugleich dem Dyaus und dem Varuna der Inder entspricht. Diese Vermuthung scheint mir recht viel für sich zu haben.

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nach Deutschland hin gelangte, wo man am Rhein und in Württemberg Denkmäler dieses Gottes gefunden hat.

Unzweifelhaft ist es ferner, dass der vedische Yama, der Sohn des Vivasvant, der älteste Mensch, der als der erste Ge- storbene nachher Fürst im Todtenreiche wird, mit Yima, aem Sohn des Vivanhvao, im Zendavesta identisch ist, der später in der persischen Heldensage als König Dschemshid erscheint.1

Auch das göttliche oder halbgöttliche Wesen Trita Äptya im $igveda entspricht dem zendischen Thrita oder Thraetaona, Sohn des Äthwya, der später in der persischen Heldensage als Feridun auftritt.

Für die Uebereinstimmung im Cultus der alten Inder und Perser ist vor Allem wichtig der Umstand, dass dem Sorna, dem berauschenden heiligen Trank, den die Brahmanen zum Opfer für die Götter bereiten und der dann selber auch ver- göttlich t wird, bei dem Zendvolke ganz genau der haoma entspricht, welches Wort ja auch identisch ist mit indischem soma. Die Mazdapriester bereiten den Trank ganz wie die Brahmanen; auch die Zumischung von Milch findet sich bei beiden.1

Noch wichtiger aber ist der sehr ausgebildete Feuer- cultus, der sich bei beiden Völkern vorfindet. Bei beiden war es Sitte, das heilige Feuer, dem die Anbetung gezollt wird, durch das Aneinanderreihen bestimmter Hölzer zu erzeugen.3 In dem Hause jedes Mazdaverehrers brannte ein nie verlöschen- des Feuer, dessen Pflege die Pflicht des Familienoberhauptes war4; ganz ebenso wie auch bei den Indern der Hausvater für das heilige Feuer in seinem Hause Sorge tragen muss. Der Feuerpriester wird im Avesta athrawa genannt, welches Wort von ätar, das Feuer, abzuleiten ist, und im Veda begegnet uns Atharvan, ein mythisches Wesen, eine Art indischer Pro- metheus, der das Feuer zuerst erzeugt haben soll6; ausser- dem ist das Wort Atharvan Bezeichnung einer berühmten in-

1 Wie dem Yama seine Zwillingsschwester Yaml zugesellt wird, so in späteren Büchern dem Yima seine Schwester Yimak (s. Justi, Hand- buch der Zendsprache s. yima).

Vgl. W. Geiger, Ostiranische Cultur, p. 467 und 470. Auch Windischmann Ueber den Somacultus der Arier, in den Abhand- lungen der köni?l. bayr. Akad. der Wissensch. 1847. Zimmer, Alt- indisches Leben, p 272 flg.

* Vgl. Geiger a. a. 0. p. 257.

4 Vgl. Geiger a. a. 0. p. 472.

5 Vgl. RV. 6, lfr, 13 tvam agne pushkarad adhy atharva nir aman- thata u. a.

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dischen Priesterfamilie, Es kann kaum einem Zweifel unter- liegen, dass das Wort atharvan in die Periode der indoper- sischen Einheit zurückreicht und dort den Feuerpriester be- zeichnete.

Endlich ist für beide Völker, Inder wie Perser, ganz be- sonders charakteristisch die merkwürdige Verehrung der Kühe, die bis zur Vergöttlichung derselben geht Der Urin der Kühe wird bei beiden Völkern vielfältig als geheiligtes Reinigungs- mittel gebraucht.1

Noch Vielt» Hesse sich neben diesen hervorstechenden Zügen anfuhren, was ich übergehen muss, weil es uns zu weit fuhren würde,1 Sie werden die nahe Verwandtschaft auch in der Ter- minologie dieser Götterverehrung überall beobachten können; so z. 6. werden, die „verehrungswürdigen Götter" im Veda als yajata bezeichnet, im Avesta dem entsprechend als yazata. Das Opfer, die Götterverehrung, heisst im Veda yajfia, im Avesta yacna. Die heiligen Lieder des Avesta werden gathä's genannt, von der Wurzel „singen", und genau ebenso, ohne auch nur in einem Buchstaben abzuweichen, lautet das Wort auch im Indischen. Ja die TJebereinstimmung erstreckt sich zum Tb eil sogar bis auf das Metrum, die Sylbenzahl in den Versreihen dieser Lieder, so dass z. B. die elfsylbigen Verse in den Gäthä's des Avesta den vedischen sogenannten Trishvubh- Versen mit elf Sylben entsprechen, die achtsylbigen den so- genannten Anushtubh- und Gayatri- Versen mit acht Sylben im Veda, und gelesen, bei der Aehnlichkeit der Sprache, einen merkwürdig verwandten Eindruck hervorrufen. Es geht deut- lich daraus hervor, dass in der Zeit der indopersischen Einheit der Cultus schon soweit ausgebildet war, dass es sogar eine religiöse Hymnenpoesie gab, wenn dieselbe auch vielleicht nicht auf sehr hoher Stufe stand. Dieser Punkt scheint mir ein sehr wichtiger zu sein.

Wenn die angeführten Thatsachen nun auch mit Sicherheit darauf schli essen lassen, dass die Inder und das Zendvolk noch

1 Vgl. Geiger, Oatiranische Cultur, p. 268. Ueberhaupt findet sich Uebereinstimmung in den Reinigungsvorschriften; ebenda p. 256 flg.

* Vgl. das Zweigbündel, welches die Mazdapriester tragen, mit dem heiligen Grase bei den Indern (bares man und barhis). Vgl. auch das p&nar astam 6hi „geh wieder heim** RV 10, 14, 8, was dem Todten zu- gerufen wird, mit dem penischen Fravashi - Glauben ; (Geiger a. a. 0. d. 287). Damit steht der Manen-Cult in Zusammenhang. Die Manen, insbesondere der Verwandten werden bei Persern und Indern verehrt als Helfer in der Noth, besonders im Kampfe (Geiger a. a. 0. p. 289).

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ziemlich lange als ein Volk bestanden und ihre religiöse Cultur schon in nicht unbeträchtlichem Grade ausgebildet hatten, ehe sie sich von einander trennten, so tritt doch auch der Gegen- satz zwischen beiden Völkern und ihren Religionen sehr deutlich hervor und an einigen der wichtigsten Punkte in so schroffer und entschiedener Weise, dass dieser Umstand bereits früh zu der Vermuthung gefuhrt hat» die Trennung beider Völker sei gerade durch religiöse Differenzen hervorgerufen. Es ist in der That im allerhöchsten Grade merkwürdig, dass im Zendaresta die bösen Geister und Dämonen, deren Verfolgung und Be- kämpfung beständig anempfohlen und erfleht wird, Daeva's genannt werden, während bei den Indern doch die Deva's gerade die guten Götter sind, in Uebereinstimmung mit den verwandten Sprachen, indem ja deva bekanntlich identisch ist mit latein. deus u. s. w. Got Indra ist der nationale Held der Inder, im Zendavesta aber begegnet uns nur ein böser Dämon Ifidra oder Afidra, der bei der Auferstehung von dem guten Gotte Asha vahista getödtet werden soll. Andererseits finden wir die auffallende Thatsacho, dass das Wort asura, allerdings im Rigveda nur in einem Theile der Stellen, und erst vom Yajurveda an consequent, bei den Indern böse Dämonen bezeichnet, während das entsprechende Wort ahura im Zend die Bezeichnung des grössten guten Gottes ist In den Yajor- veden und Brahmana's stehen immer die guten Deva's gegen- über den bösen Asura's; im Avesta dagegen steht der gute Ahura gegenüber den bösen Daeva's.1

Es erleidet keinen Zweifel, dass die Inder hier im Weser V liehen das Aeltere bewahrt haben. Die Religion, die in den Liedem des Zendavesta verkündigt wird, giebt sich deutlich selbst als eine Reformation zu erkennen, als eine neue reinere Lehre, geknüpft an den Namen eines Mannes, des Zarathustra (Zoroaster), den die persische Legende aus Rai oder Ragha in Medien nach Balkh an den Hof des Königs Vishtaspa kommen

1 Der Umstand, dass das Wort asura im pigveda oft genug noch seine beste , ehrendste Bedeutung bat (wahrend in anderen Hymnen des Rigveda freilich auch die Bedeutung „odser Geist, Dämon" vielfach be- gegnet), macht es unmöglich, die Ausbildung des Gegensatzes zwischen dem zendischen Ahura und den bösen Indischen Asura's, im Yajurveda und weiterhin, in die Zeit der indopersischen Einheit zu verlegen; wir müssen denselben wohl vielmehr auf einen spateren feindlichen Zu- sammenstoss der Ahura verehrenden, die Deva's verabscheuenden Iranier mit den schon zu einem besonderen Volke mit selbständiger Cultur for- rcirtou Indern zurückführen. Das Problem ist gerade in diesem Punkte •twas complicirt. Vgl. P. v. Bradke, Dyaus Asura, p. 106—109.

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und den neuen Glauben lehren lässt. 1 Diese Legende enthält sicherlich einen wahren Kern. Es ist eben jene religiöse Reform, die an den Namen Zarathustra*s geknüpft wird, von Medien ausgegangen und hat sich von dort nach Baktrien in das Land des Zandvolkes Bahn gebrochen.

Der Kern dieser Reformation des Zarathustra muss in der Richtung auf eine höhere, reinere, geistigere Auffassung der Götter bestanden haben, also in einer Richtung, die wir durchaus als einen Fortschritt anerkennen müssen, im Gegensatz zu einer älteren sinnlicheren Auffassung. Der oberste Gott, den die Inder mit dem unzweifelhaft alten Namen Varuna bezeichnen, wird Tom Avesta der Ahura mazda, d.h. der weise oder der reine Geist (oder Herr) genannt; und während die den Varuna umgebenden Genien, die Aditya's, offenbar ältere, zum Theil etymologisch undeutliche Namen tragen,1 sind die Benennungen der den Ahura mazda umgebenden Genien, der Amesha cpefita's, reine Abstracta von offenbar jüngerer Bildung, wie vohu mano die rechte Gesinnung, asha vahista die beste Reinheit, kshathra Tairya die treffliche Streitbarkeit, cpefita annaiti die heilige Andacht, haurvat die Vollkommenheit und ameretat die Un- sterblichkeit Schon die Namen dieser obersten Götter charak- terisiren auf das Deutlichste das Wesen der zarathustrischen Reform. Das sind keine altmythologischen Namen und Gestalten wie Varuna, Mitra, Bhaga das sind abstracto Begriffe, Neu- schöpfungen, die der Reformator an die Stelle älterer Götter- gcstalten gesetzt hat In den Liedern des Avesta sehen wir die Gemeinde der Mazda- Gläubigen noch deutlich als eine ecclesia militans vor uns, die mit Eifer für den neuen reinen Glauben gegen die unreinen Andersgläubigen, die Daeva- Verehrer, kämpft

Während nun das Volk des Avesta unter Leitung des Zarathustra dieser höheren, abstracteren und geistigeren Gottes- erkenntniss zustrebte, blieben die Inder, die sich von ihnen geschieden, nicht nur der alten polytheistischen Naturreligion, dem Glauben an die Deva's, treu, sondern sie haben diese Religion aufs Reichste und Eigenartigste weiter ausgebildet und gestaltet. Bietet uns der Avesta eine reinere und wahrere Auf- fassung der Gottheit, so hat der Veda dagegen lebendigere, plastischere, schönere Gestalten. Darin liegt sowohl die Stärke ab die Schwäche jedes der beiden.

1 Vgl. Geiger, Ostiran. Cultur, p. 489—493. * Mitra, Aryaman, Bhaga, Daksha, Am$a.

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Als Vertreter der alten Naturreligion, die der Avesta be- kämpfte, erscheinen dort die bösen kavi und ucij, und dies sind beides gerade vedische Bezeichnungen der Opferpriester und Hymnensänger. 1 So sehen wir den erwähnten feindlichen Gegensatz der beiden einst so eng verbundenen Völker bis in kleine Einzelheiten hinein sich bewähren.

Von ihren alten Stammesgenossen sich scheidend müssen die Inder aus dem Hochplateau von Iran über das Gebirge ins Land der fünf Ströme, das sogenannte Penjab, gestiegen sein. Hier ist es, wo wir sie zur Zeit des Rigveda ansässig finden. Jene älteste Literaturperiode, in welcher die Hymnen des Rig- veda entstanden, muss sich über eine ganze Reihe von Jahr- hunderten erstreckt haben. Der reiche Schatz dieser Lieder, zahlreichen alten Sängern und Sängerfamilien zugeschrieben, bildet fast eine Literatur für sich, in der wir ältere und jüngere Perioden unterscheiden können.

Die Entstehungszeit der ältesten Stücke dieser Hymnen- poesie werden wir etwa um 1500 v. Chr., wenn nicht noch einige Jahrhunderte früher, anzusetzen haben.* Und eine be- trächtliche Zeit, wenigstens mehrere Jahrhunderte noch früher, muss die Einwanderung der Inder im Penjab stattgefunden haben, da mindestens so viel Zeit dazu nöthig war, bis sich diejenige speeifisch indische Sprache und der opeciell indische Culturzustand herausbilden konnte, wie er uns in den ältesten Hymnen des Rigveda bereits fertig entgegen tritt. Wenn ich das Jahr 1500 v. Chr. als ungefähre Zeitbestimmung für die älteren Rigvoda-Hymnen angegeben habe, so will ich dazu be- merken, dass ich die Begründung für diese jetzt unter den Kennern ziemlich allgemein angenommene Bestimmung mir für eine spätere Betrachtung vorbehalte, da sich dieselbe wesentlich auf das Verhältnis und den Charakter der verschiedenen Lite- raturepochen stützt, welche zwischen der Zeit des Rigveda und der des Buddhismus liegen, welcher letztere, im sechsten Jahr- hundert v. Chr. seinen Anfang nehmend, uns den festen Punkt * bietet, von dem aus wir rückwärts schreitend unsere ungefähren Berechnungen anstellen müssen.

Dass die Inder in jener ältesten Literaturperiode im Lande der fünf Ströme lebten und noch nicht in das weitere Indien vorgedrungen waren, geht aus den Hymnen selbst deutlich her-

1 Vgl. auch Geiger, Ostiran. Cultur, p. 466. a Ja, es ist möglich, dass sie zum Theil sogar bis 2000 v. Chr. hinaufreichen.

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vor. Insbesondere gründet sich diese, jetzt allgemein durch- gedrungene Annahm*1 auf die in den Hymnen vorkommenden Frassnamen , die uns den geographischen Gesichtskreis der Dichter kennen lehren. Es sind die Flüsse des Penjab. In erster Linie, fort und fort erwähnt, finden wir da die Sindhu, heutzutage Sindh genannt; es ist der Fluss, den wir Indus nennen im Anschluss an das griechische Iv66q> welche Namens- form jedenfalls auf die persische Form Hindu, lautgesetzlich für Sindhu, zurückgeht. Ebenso wird die Gomatl erwähnt, heute Gomal genannt; die Krurau, heutzutage Kurum; ferner die Kubhä, von den Griechen Km<prjv genannt, heutzutage der Kabul-Fluss; der Suvästu, von den Griechen Zouörog genannt; die Vitast 4, welche die Griechen YSdojirig oder BtdaOJtTjg nennen; die Asikni, von Alexander dem Grossen mit geschickter Gricisirung lixtoivrjq „der Heilende" genannt1; endlich noch Vipäc, und Qutudri, die beiden Ströme, an welche ein herr- liches Lied des Vigvamitra gerichtet ist (RV 3, 33); Vipac,, bei Arrian "Ytpaoiq genannt, bei Plinius Hypasis, bei Ptolcmaios BLraoig, heutzutage Bias oder Bejah; und die Qutudri, von Ptolemaios ZadaÖQrjq* genannt, heutzutage der Setledsch. 3

Alles dies sind Ströme des Penjab. Dagegen wird der Ganges, oder richtiger die Ganga, später bekanntlich der meistgenannte, wichtigste und heiligste Strom Indiens, bloss in einem Liede namhaft gemacht (RV 10, 75, 5) und zwar gleich- sam im Vorübergehen, neben vielen anderen Strömen, dazu noch in demjenigen Buch des IJigveda, welches sicher die jüngsten Stacke enthält; man sieht offenbar nur eine entferntere Kennt- nis! dieses später wichtigsten Stromes.4, Aueh die Yamuna, der Schwesterstrom der Ganga, wird ausser im erwähnten Liede

1 Dieser FIusb soll damals Candrabh&ga 'Mondstreif) goheissen haben, da aber dieser Name im griechischen Gewände {Snvöapoif-ayos) schlimm gedeutet werden konnte, nämlich „AlexandcrfrcBsor", so soll nach Hesychius Alexander ihm den oben erwähnten günstigen Namen im Anschluss an eine ältere (eben die vedische) Bezeichnung desselben Flosses gegeben haben. Vgl. Roth, Zur Lit und Gesch. des Veda, p. 139. Kaegi, der Rigveda, die älteste Literatur der Inder (2. Aufl.)» p. 146.

var. lect. Zapadpo^.

Für diese Flussnamen vgl. man Kaegi, der Rigveda, die älteste Literatur der Inder (2. Aufl.) p. 146. 147. Auch Max Müller, Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, übersetzt von C. Cappeller, Leipzig 1884; p. 148. 144.

4 Indirect noch erwähnt RV. 6, 46, 81 in dem adj. gäiigya „zur Gafigi gehörig*4. Um die Bedeutung, welche der Gaügä in späterer Zeit beigelegt wurde, zu illuatriren, sei es mir erlaubt nur einen Vers

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nur noch zweim&v genannt. Es sind wahrscheinlich wohl gegen das Ende der vedischen Periode schon einige feste Ansiedlungen der Arier dorthin vorgeschoben gewesen, während die Hauptr masso des Volkes noch im Penjab lebte. 1 Des Vindhyagebirgos and des Narmadaflusses (der Nerbudda) wird in den Hymnen gar nicht Erwähnung gethan.

Mit der Annahme, dass die Inder des rjigveda im Penjab ansässig waren, stimmen auch Fauna und Flora, sowie die sonstigen in den Hymnen erwähnten äusseren Verhaltnisse (das Klimatische, die Bodenverhältnisse u. dgl.) aufs Beste überein.

Die Inder nennen sich in jener Zeit mit dem Gesammt- namen Arya, d. h. die Edlen oder die Volksgenossen, ent- sprechend zendischem airya, und im Gegensatz zu an arya den Unedlen, oder dasyu den Feinden. Diesem Worte dasyu ent- spricht im Zend genau das Wort dahyu. Auch Darius nennt sich in den Keilinschriften „Ein Arier, aus arischem Samen, ein Perser, eines Persers Sohn**, der nicht nur über die Arier, sondern auch über die Dahyu König sei

Es wird in den Hymnen auch von der „schwarzen Haut* oder den „schwarzen Leuten" geredet, welche die Arier mit Indra's Hülfe sich unterwerfen.1 Das sind die dunkelfarbigen Ureinwohner des indischen Landes, welche bekanntlich bis auf den heutigen Tag in manchen Gebieten Indiens noch in grosser Anzahl vorhanden Bind, wenn auch viele von ihnen in jenen alten Kämpfen ausgerottet, viele durch Mischung in dem indi- schen Volke aufgegangen sein mögen.

Die vedischen Inder waren ein pekerbautreibendes Volk. Sie hatten den Ackerhau ja schon in der Periode der indo- germanischen Einheit gekannt, und im IJigveda werben viele Einzelheiten, die sich auf die Ackergerät he, Bestellung des Feldes u. dgL m. beziehen, wiederholt namhaft gemacht Die Ackerfurche (slta) wird sogar vergöttlicht und angerufen. Be- merkenswerth ist in Bezug auf die angebauten Feldfrüchte, dass kn Bigveda der Reis nirgends genannt wird und auch nichts, was auf seine in vieler Hinsicht so besondere Cultur hindeutet Der Reis stammt nach Roxbourgh aus dem südöst-

aus dem Mahabharata (lö, 1793) hier anzuführen: „Wie alle Kasten und die verschiedenen Lebensstadien eines Brahmanen ohne Tugend und ohne Kenntnisse, wie Opfer ohne Somasaft, so wäre die Welt ohne Gaflga." (S. Böhtiingk, Indische Sprüche 4971, V

1 Tgl. auch Zimtner, AlÜnd. Leben, p. 5.

Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 113.

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lieben Indien und war dem Volke des Rigveda offenbar noch unbekannt. 1

Eine weit grössere Rolle als der Ackerbau spielte aber zu jener Zeit die Viehzucht, insbesondere die Zucht der Rinder. Wir haben gesehen, dass schon in der Periode der indopersischen Einheit mit der Kuh ein förmlicher Cultus getrieben wurde, sie war ein heiliges Thier. Diese Richtung steigert sich bei den Indern im Laufe der Zeit noch um ein Bedeutendes und hat sich als charakteristischer Zug bis in die neueste Zeit erhalten. Alles, was von der Kuh stemmt oder mit ihr in Zusammenhang steht, ist späterhin bei den brahmanischen Indern heilig und werth, zu geweihten Zwecken verwendet zu werden; Tödtung eines Rindes gilt als eines der schwersten Verbrechen u. s. w. Die Erklärung für diese Denkart bietet uns gerade der Rigveda, denn wir sehen es deutlich, wie in jener Zeit das Denken und Wünschen des Inders sich hauptsächlich mit dem Besitz und der Pflege der Rinderheerden beschäftigt. Beständige Bitten um Reichthum an Kühen sind ein hervorstechender Zug der Tedischen Lieder, mehr noch als die Bitten um Nachkommen- schaft und Sieg über die Feinde. Der Kampf wird geradezu .»Begierde nach Kühen" genannt (gavish^i); kampflustig heisst „nach Rindern verlangend" (gavyu). Charakteristisch ist es auch, dass die poetischen Bilder nicht selten aus diesem Ge- biete genommen werden. Indra wird oft genug ein starker Stier genannt, desgleichen andere Götter; die Morgenröthe heisst eine rothe Kuh; die Gewitterwolken Kuh , die ihre Milch strömen lassen u. dgl. m. Wie naiv und merkwürdig ist es z. B., wenn ein vedischer Sänger sagt (RV 1, 25, 16): „Es ziehen meine Gebete hin, wio Kühe auf die Weide zieh'n, suchend den Weithinschauenden" (d. i. Varnpa). Oder wenn der Dichter Vasishtha zu Gott Varuna fleht (RV 7, 86, 5): „Nimm weg von uns die Sünden unsrer Väter und was wir selbst begangen, befrei, o König, den Vasishtha wie ein Kalb vom Stricke!" Neben dieser Hauptbeschäftigung werden im Rigveda noch ver- schied ene Gewerbe namhaft gemacht; so das des Zimmer- manns und des Wagenbauers, des Schmiedes, des Töpfers und des Gerbers, während die Frauen die Fertigkeiten des Webens, Nähens und Flechtens ausüben. Der Handel, , soweit er erwähnt wird,, scheint wesentlich noch Tausch- handel gewesen zu sein.

1 Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 239.

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Dritte Vorlesung

Cultunrerhaltnisse der Inder zur Zeit des Rig?eda (Fortsetzung und Schlags). Wohnsitze. Staatliche Organisation. Gab es damals schon Kasten? Streitbarkeit. Die berühmte Schlacht der Bharata und Tritau. Kleidung. Dichtkunst. Musik und Tanz. Wettrennen. WürfelspieL Das Lied eines unglücklichen Spielers. Die Familie. Gab es Wittwen- verbrennung? Bestattung der Todten, Verbrennung und Beerdigung. RV 10, 18. Leben nach dem Tode. Ahnenverehrung.

Zur Zeit des Rigveda lebten die Inder in Dörfern oder Weilern, grama genannt, welche bisweilen auch befestigt sein konnten (pur), nicht aber in eigentlichen Städten, ähnlich wie es nach H. Zimmer's Ausführungen auch bei Germanen, Slaven und Italikern in alter Zeit der Fall gewesen.1

Die staatliche Organisation der vedischen Inder erinnert lebhaft an die Verhältnisse bei den alten Germanen, wie sie uns von Tacitus vorgeführt werden.1 Das Volk zerfällt in Stämme, bei den Indern jana, bei den alten Germanen thiuda genannt, welche wieder in Gaue getheilt sind (bei den Indern vic,, bei den Germanen von Tacitus pagus genannt); endlich Dorfschaften (indisch grama oder vrjana; germ. thorp, vicus).* Diese Eintheilung der Stämme in einzelne Gaue und Ort- schaften, deren Bewohner wohl näher mit einander verwandt waren, scheint auch bei der Anordnung in der Schlacht zur Geltung gekommen zu sein, ebenso wie bei den alten Germanen 4

1 Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 145 flg.

* Zimmer vergleicht sie auch weiter mit altiranischen, altßla- viseben und altitalischen Verhältnissen, worauf ich hier nicht naher ein-

' gehen kann.

Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 160.

4 Aus Tacitus Germania Cap. 7 sowie aus einheimischen Quellen Wissen wir, dass bt den alten Germanen das Heer so geordnet war, , ,dass Gau neben Gt stand und diese wieder nach Verwandtschaften und Familienkreisen s.ch ordneten." Zimmer, Altind. Leben, p. 161.

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und wie es bei den den Indern und Persern verwandten Afghanen noch heutzutage der Fall sein soll; wie es übrigens ähnlich auch Nestor dem Agamemnon anräth, IL 2, 362:

xfftf ayS^ag xaxa tpvka xaxa <pWXQa$, AvafUfiyov,

An der Spitze des Stammes stand ein König oder Herzog, r&jan genannt (das Lateinische rex). Die Wurde des König- thums war in vielen Fällen jedenfalls erblich, und können wir das Geschlecht mehrerer Herrscher durch eine Reihe von Gene- rationen verfolgen; in anderen Fällen wurde aber diese Würde jedenfalls durch Wahl der Stammesversammlung ertheilt1 Das Konigthum war, wie bei den alten Germanen, nirgends ein ab- solutes, sondern durch den Willen der Volksversammlung be- schränkt Wir sehen den König selbst an der Volksversammlung theilnehmen.* Das Volk bringt ihm Geschenke, einen frei- willigen Tribut dar; zu Kriegszeiten ist er der Heerführer, der Herzog, und hierin besteht sein Hauptamt. Sänger und Priester werden von ihm unterstützt und manches vedische Lied erwähnt reiche Geschenke an Kühen, Wagen, Gewändern und Gold, von Königen an fromme Dienter und Opferer gespendet.

Neben den Königen finden wir vielfach schon ihre Porohita's oder Hauspriester, deren Amt mit der Zeit erblich wurde und die uns die Anfänge des später so mächtigen erb- lichen Priesterstandes darstellen. Die Kasteneintheilung hat zur Zeit des Qigveda, so lange die Inder noch im Penjab lebten, jedenfalls nicht bestanden. Diese alte Streitfrage dürfen wir gegenwärtig als endgültig erledigt ansehen. Nur in einem einzigen, jedenfalls späteren Liede des rjigveda werden die Kasten genannt Wohl gab es damals schon Priester (brahman), aber nicht als Kaste, und ebenso Krieger, aber keinen ge- schlossenen Krieger- oder Ritterstand; vielmehr war das ganze Volk in jener vielbewegten Zeit streitbar.

Das kräftige kriegerische Wesen ist für die Inder zur Zeit des Rigveda besonders charakteristisch. Oft genug tönt in den alten Hymnen die flehende Bitte um Sieg und Beutegewinn zu den Göttern empor, und stolze Siegeslieder preisen nach ge- wonnenem Ziel die himmlischen Helfer. Um tüchtige Nach- kommenschaft, um heldenhafte Söhne, die die streitbare Mann- schaft des Stammes mehren, fleht der dem frischen Leben zu-

1 Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 162.

1 tabha oder samiti genannt. " S. Zimmer, a. a. 0. p. 174.

».Schröder, Iadiens Llt. o. C«lt. 3

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gewandte Sinn jener eroberungsfrohen Penjab-Bewohner. Ge- deihen der Heerden, Sieg über die Feinde und tüchtige Nach- kommenschaft, — in diesen dreien zusammen, kann man sagen, besteht das Ideal des vedischen Inders.

Zahlreiche Kämpfe der vordringenden Stämme mit den Urbewohnern fanden statt, und von manchem Siege über das „schwarze Volk** wissen die Lieder zu sagen; aber auch zwischen den einzelnen arisch-indischen Stämmen kam es oft genug zum Kampfe, wenn sie einander das gewonnene Gebiet oder sonstigen Besitz, vor Allem die Heerden,1 streitig machten. Gegen die Dasyu und Ärya zog man zu Felde und wurden die Götter beim Opfer um Beistand im Kampfe angefleht.

Die vornehmste und wichtigste Art des Kampfes bei den vedischen Indern ist die auf dem Streitwagen (ratha).8 Rei- terei im Kampfe wird nirgends erwähnt: man fährt stets zu Wagen, wie die Griechen im homerischen Zeitalter. Auf dem Wagen befinden sich der Kämpfer (asthätar) und der Wagen- lenker (sarathi), welch letzterer Peitsche und Zügel handhabt. Diese Kampfart begegnet uns auch später noch in den Schlachten, von denen das Mahabhärata erzählt, wo selbst Gott Krishna es nicht verschmäht, dem Helden Arjuna die Dienste eines Wagen- lenkors zu leisten. Natürlich kommt neben dem Wagenkampf auch der Kampf zu Fuss, das Handgemenge vor (mushtihatyä).

Hauptvertheidigungsmittel der vedischen Inder war der Panzer (varman), der die Schultern und wichtigsten Theile des Oberkörpers bedeckt; ob derselbe ganz aus Metall geflochten oder nur mit Metall bedeckt war, ist ungewiss. Das Haupt bedeckte ein Helm; goldene Helme werden den streitbaren Sturmgöttern, den Marute, beigelegt. Die wichtigste Waffe der vedischen Inder war der Bogen, dhanus oder dhanvan. genannt. Am Arme trug man einen Schutzriemen (hastaghna) gegen den Anprall der Sehne. Pfeile werden erwähnt mit Hornspitzen, die vergiftet sind, sowie auch Pfeile mit eherner Spitze. Ferner Speere und Lanzen (rshti, caru), Messer, Aexte u. a. m.

Berühmte Schlachten zwischen den einzelnen indischen Stämmen werden in den Liedern des Veda erwähnt, so nament- lich die mehrfach vorkommende „Zehnkönigsschlacht**, in welcher

1 Vgl. d&a oben p. 31 Bemerkte.

* Man kämpft rathena „mit dem Wagen'*; oder arvata „mit dem Ross", da beim Wagenkampf die Rosse mit das Wichtigste sind (im Gegensatz zum FusBkampfe).

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Snd As, König der Tritsu, über die Bharata mit ihren Bundes- genossen, zusammen zehn Könige, siegte. Auf Seiten der Bha- rata steht Vicvamitra als Sänger und leitender Priester, auf Seiten der Tritsu dagegen Vasishtha, zwei Namen, die hier zuerst, und zwar in diesem feindlichen Gegensatz, begegnen. Ein lebensvolles Bild gewähren uns hier die Lieder des Rlgr yeda. Da finden wir zuerst den Gesang Vicvamitra's an die beiden Schwesterströme Vipac und (Jutudri, die er auffordert, sich in ihrem Bette zu trennen und das Volk der Bharata trocknen Fusses hindurchschreiten zu lassen, wie Moses die Juden durchs rothe Meer geführt Man kann es richtiger ein Gespräch Vicvamitra's mit den Flüssen nennen (RV 3, 33).

Die beiden ineinanderströmenden Flüsse schildernd beginnt der Sänger1:

Es eilen lustig aus dem Schooss der Berge Im Wettlauf wie zwei losgelassne Stuten, Wie schmucke Kühe, lockend ihre Kalber, Vipac und fotudrl mit ihren Flutben.

Auf Indra'g Ruf und kaum den Wink erwartend Wie Wagenrenner strebet ihr cum Meere. Zusammenlaufend mit geschwollnen Wogen Ergiesst ihr in einander euch, ihr schöne.

„Wir sind hierher gekommen zu dem mütterlichen Strome, zu den beiden, die in's gleiche Bette strömen", kündigt Vicvamitra an. Und die Flüsse fragen: „Was will der Sänger, dass er die Ströme ruft, die auf göttliches Geheiss dahinfluthen. eilend und nicht zu hemmen?" Da fleht Vicvamitra: „0 bleibet stehen meinem Wort nur einen Augenblick! Hülfesuchend rufe ich zu dem Strome, ich der Sohn des Kucika!" Doch die Flüsse erwidern: „Uns hat der Donnerkeilträger Indra die Bahn gegraben, nachdem er den bösen Dämon getödtet, der die Wasser gefangen hielt; Gott Savitar hat uns geleitet und auf sein Gebot strömen wir dahin.4* Da preist der Sänger die herrliche Kraftthat des Indra in begeisterten Worten, und freundlich neigen sich ihm die Flüsse zu und mahnen ihn, in seinen Liedern rühmend ihrer zu gedenken, ihnen Achtung zu zollen. Da bringt denn auch er wieder seine Bitte deutlicher Tor und spricht:

1 Die metrischen Verse dieses Liedes gebe ich nach K. Oeldner and ^d. Kaegi, 8iebeniig Lieder des Rigveda. Mit Beitragen tos K. Roth (Tübingen 1875), p. 132 flg.

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Und ihr, ihr Schwestern, merket auf den Sanger: Von Ferne kam ich her mit Rosa und Wagen. Drum neiget euch und macht mir leicht den Durchgang, Und netzt die Achsen nicht mit euern Wellen.

Freundlich gewährend erwidern die Flüsse:

Wir merken wohl, o Sänger, deine Worte,

Von Ferne kamst du her mit Ross und Wagen.

Ich neige mich und offne meine Arme

Für dich, wie für den Mann die blühnde Jungfrau.

Und Vi^vainitra sagt:

Wenn erst die Bharata euch überschritten, Die rüstige Schaar, nach Indra's Willen kriegend, Dann mögen pfeilschnell eure Wasser schiessen; Um eure Gnade bitt* ich euch, ihr hehre 1

Und berichtend fügt der Dichter hinzu, dass die kampf- lustigen Bharata wirklich hinüberschritten durch die Gunst der Flüsse, nun mögen sie wieder schwellend eilends in ihrem Bette dahinströmen!

Es kam zur Schlacht, aber der Sieg ward nicht den Bha- rata's, sondern ihrem Gegner, dem Tritsu -Könige Sudas, und freudig feiert dessen Sänger Vasishtha den Sieg (RV 7, 83). Es ist ein Lob- und Danklied an Indra und Varuna, die mäch- tigsten Götter jener Zeit, deren Hülfe der Sänger den Sieg zuschreibt, während er zugleich mit Stolz darauf hinweist, dass die Gebete der Sänger die helfenden Götter herbeigeführt1

Auf euch, auf eure Freundschaft bauend, o Indra und Varuna, so ruft der Sanger, sogen die Kampfer in die Schlacht, mit breiter Axt bewehrt; da schlüget ihr die Feinde, Arier wie Barbaren, und wart dem SudAs nah mit eurer Hülfe.

Man sah der Erde Enden rings in Staub gehüllt, Gen Himmel stieg, Indra- Varuna, Schlachtgeschrei; Der Menschen Hass und Feindschaft standen wider mich, Doch eure Hülfe, treubereite, war mir nah.

Unwiderstehlich träfet ihr mit eurem Wurf, Den Bheda,' rettetet den Sudas aus der Noth. Ihr Rufen im Gebet habt ihr erhört, Und untre Fürsprach für die Tritsu hat gewirkt.

1 Die metrisch gegebenen Verse sind wiederum den ,.9 leben zig Liedern" entnommen (p. 32 flg.).

* Einer der sehn Könige.

* D. h. die Fürsprache, die Gebete und Lieder der opfernden Priester.

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Ei drohte am mich her, o Indra-Varuna, Verderben durch den Hass des hinterlistigen Feinds, Doch ihr allein seid Herren über Schlachtenglück, Auf onarer Seite wart ihr beim EnUcheidungstag.

Der Fürsten sehen, Götterfeinde, konnten nicht Den Sudas niederk&mpfen, Indra-Varuna, Erfolgreich war der Preis der Manner boi dem Mahl,1 Die Götter kamen ja auf ihren Ruf herbei.

Umringt war Sudas in dem Zehenkönigskampf, Doch ihr war't seine Helfer, Indra-Varuna. So neigen jetzt sich euch in glaubigem Gebet Die Triton weissgek leidet mit geflochtnem Haar.

Eigentümlich ist die in den letzten Worten erwähnte Haartracht. Das Haar flechten eben zur Zeit des Rigveda nicht ausschliesslich die Frauen, sondern Dasselbe wird bisweilen bei Männern ausdrücklich erwähnt, wie eben bei dem Priester- geschlecht der Vasishtha's, die als besonderes Merkmal das Haar nach der rechten Seite aufgewunden tragen.* Etwas Aehnliches fuhrt Zimmer9 an von den altnordischen Hadding- jar, dem Königs- und Priestergeschlecht der Astingi bei den Vandalen. Im Uebrigen Hesse sich von der Tracht der ve- dischen Inder noch bemerken, dass dieselbe aus einem Gewand oder Unterkleid (vasas oder vastra) und einem Mantel oder Ueber- wurf (adhivasa, drapi) bestand. Auch mannigfacher Schmuck wird erwähnt: Spangen an Armen und Füssen, goldener Hals- schmuck und goldener Schmuck auf der Brust und am Ohre, Edelsteine an Schnüren u. dgl. m.4

Von den Künsten blühte zu jener Zeit eigentlich nur eine, die Dichtkunst, und zwar speciell die lyrische Hymnen- poeeie. Diese ist in ihrer Art vollendet zu nennen. Da finden wir Kraft, Gedrungenheit und Frische in Gedanken und Aus- druck, in höherem Grade sogar wie späterhin. Wir finden feste metrische Gesetze, mehrere wohlklingende und zum Theil sogar kunstvolle Maasse, unter denen die achtsylbige Gayatrl und Anushtubh sowie die elfsylbige Trishtubh die wichtigsten sind.5 Die Hymnen sind lyrisch und zwar meist religiösen Inhalts;

1 D. h. der Priester bei dem Opfermahl. 1 Daher heissen sie dakshinataskaparda.

3 Altind. Leben p. 264, nach Grimm deutsche Myth. S. 317, Gesch. d. d. 8pr. 814. 333.

« Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 268.

* Aus dem Anushtubh -Metrum hat sich der später am meisten ge- brauchliche Vera, der sogen, (loka, entwickelt.

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doch finden sich auch Anfänge des Didaktischen1 und Epischen; für das Letztere kann uns gerade das vorhin angeführte Lied von der Zehnkönigsschlacht als Beispiel dienen, das man etwa mit dem sogenannten Ludwigslied, auf den westfränkischen König Ludwig nach seinem Siege über die Normannen (im Jahre 881) vergleichen kann. Auch etliche Scherz- und Spotte gediente kommen vor, wie wir späterhin noch sehen werden, doch treten sie dem Religiösen gegenüber ganz in den Hinter- grund.

Die Schreibkunst war damals jedenfalls noch unbekannt; die Hymnen wurden mündlich überliefert. Von der Schrift werden wir darum er'st später handeln.

Die Musik war bei den vedischen Indem sehr beliebt, wenn auch noch nicht zum Range einer Kunst entwickelt. Da werden mancherlei Instrumente erwähnt; so Harfen oder Lauten, jedenfalls Seiteninstrumente (vina); Flöten (väna, vani, tünava); Cymbeln oder Klappern (karkari). Auch zu den Preisliedern der Götter wurde gespielt8 Trommeln (dundubhi) und Blas- instrumente im Kriege (bakura) fehlen natürlich auch nicht

Beliebt scheint auch der Tanz gewesen zu sein, der mehr- fach in Bildern verwandt wird; Ushas, die Morgenröthe, er-

>

In Zusammenhang mit dem kriegerischen Charakter des Volkes steht unter den Vergnügungen das Wettrennen mit Wagen in der Rennbahn. Dass dasselbe beliebt war, sieht man aus den zahlreichen Bildern, die daher genommen sind.* In späterer Zeit war es nicht mehr gebräuchlich.

Von sonstigen Vergnügungen will ich nur noch das Würfel- spiel hervorheben, welches schon zur Zeit des IJigveda mit Leidenschaft betrieben wurde, so dass gar Mancher Hab und Gut und zuletzt die eigene Person verspielte. Dies ist cultur- historisch höchst interessant, denn ganz dasselbe fast berichtet uns bekanntlich Tacitus von der Leidenschaft der alten Ger- manen zum Würfelspiel Es ist für uns ein Cuiturbild im Kleinen, wenn ein Sänger im ßigveda (7, 86, 6) Gott Varuna um Vergebung seiner Schuld anfleht und gleichsam entschuldi- gend hinzufügt: „Es war ja nicht der eigene Wille, o Varuna,

1 So a B. RV 10, 117. » 8. RV 8, 69, 9.

Man kann damit etwa den Waffentanz bei den alten Germanen yergleichen (Zimmer a. a. 0. p. 291), als solche kriegerische Belustigung.

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es war Verführung, der Branntwein, der Jähzorn, die Würfel und der Unverstand."

Wie in späterer Zeit König Nal, von der Würfelleidenschaft bethört, sich selbst und sein treues Weib ins Elend bringt, wird Ihnen bekannt sein. Vielleicht aber ist es Manchem von Ihnen neu, dass wir schon im Rigveda ein Lied vorfinden, in welchem ein unglücklicher herabgekommener Spieler seine un- selige Leidenschaft und das Elend, in das er gerathen, in er- greifenden Worten beklagt. Ich will Ihnen dieses Lied mit- theilen, weil es ein so lebensvolles Bild giebt, und schicke nur erklärend voraus, dass das Spiel mit den beerenartigen Früchten des Vibhidaka-Baumes betrieben wurde und dass man diese in einer Rinne (ab Spielbrett) rollen Hess.1

Der un^tickliche Spieler klagt (RV 10, 34):

1. Die kreisenden (Würfel) des hohen (Baumes) berauschen mich, wenn sie in der Rinne rollen: wie der Trank des Sorna vom Berge Muja- vant, so gefallt mir der lustige Yibhidaka-Baum.

2. Nicht stritt (mein Weib) mit mir, nicht zürnte sie, freundlich war sie den Genossen und auch mir; ach, um des Würfels willen, der mir Alles gilt, habe ich mein treuergebenes Weib Verstössen!

3. Es hasst mich die Schwiegermutter, mein Weib stüsst mich von sich, nicht findet der Bedrängte einen Erbarmer; wie an einem alten Gaul, der theurea Geld kostet, so finde ich keinen Nutzen an einem Spieler.

4. Andre umarmen das Weib desjenigen, nach dessen Besitz der rasche Würfel gierig war; der Vater, die Mutter, die Brüder sagen von ihm: Wir kennen ihn nicht, führt ihn gebunden fort!

5. Wenn ich mir vornehme: Ich will nicht mit ihnen gehen*! Dann werde ich von den weggehenden Genossen verlassen. Die hie ge- worfenen Braunen (d. h. die Würfel) geben ihren Klang, ich geh* zu ihrem Stelldichein wie eine Buhlerin.

6. Ins Spielhaus geht der Spieler, in die Brust sich werfend, indem er zu sich spricht: Ich werde schon siegen! Die Würfel steigern noch seine Begierde, und geben dann doch den Gewinn dem Gegner.

7. Mit Haken sind die Würfel venehen, sie bohren sich ein, sie sind Betrüger, sie quälen und peinigen; hinfällige Gaben nur verleihen

* Man meinte früher, dass diese Früchte des V Nüsse gewesen seien, bis uns Bühler in dem Report seiner Reise nach Kaachmir darüber belehrt hat, dass es besondere Beeren sind. Die Zahl der Würfel war 58 (ef. RV 10, 84, 8): sie wurden in eine Rinne geworfen und es kam aller Wahrscheinlichkeit nach dabei auf Schnelligkeit im Zahlen an. Darauf fahrt uns namentlich auch der Umstand, dass Nal, nachdem er die Kunst des zauberhaft schnellen Zahlens erlangt hat, seinen Gegner ohne Weiteres im Spiele zu besiegen vermag, was bei einem Hasard unmöglich ge- wesen wäre.

Ich leite davishani von du, davati ab, welches mit der Bedeutu „gehen, sich bewegen" Dhatup. und Top. belegt ist.

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sie, indem sie den Sieger wieder zu Fall bringen; für den Spieler aber sind sie voller Süssigkeit.

8. Es tummelt sich ihre aus Dreiundfünfzig1 bestehende Schaar, die ihre Gesetze aufrecht hält gleichwie Gott Savitar; sogar dem Zern eines Gewaltigen beugen sie sich nicht; sogar der König zollt ihnen Verehrung.

9. Sie rollen herab, sie springen empor, ohne Hände bewältigen sie den mit Händen Versehenen; die zaubrischen Kohlen, in die Rinne ge- worfen, versengen das Herz, obschon sie kalt sind.

10. Es quält sich das verlassene Weib deB Spielers, die Mutter des Sohnes, der irgendwo umherirrt; verschuldet, furchtsam, Geld suchend geht er bei Nacht in die Behausung anderer Leute.

11. Es schmerzt den Spieler, wenn er ein Weib sieht, die Gattin Anorer und ihren wohlbestellten Wohnsitz; frühmorgens schirrt er sich seine braunen Rosse (d. h. die Würfel); wenn das Feuer erlischt, dann sinkt der Wicht zusammen.

Und am Schlnss des Liedes fleht der Unglückliche die Würfel an, sie möchten doch endlich von ihm lassen nnd sich ein anderes Opfer ausersehen.

Was die Familie anbetrifft, so herrschte zur Zeit des Ijtigveda noch durchaus Monogamie, während in späteren Zeiten bei den Indern bekanntlich die Polygamie sich einbür- gerte. Von der barbarischen Sitte der Wittwenverbrennung ist hier noch keine Spur wahrzunehmen, und es war eine grobe Fälschung, vermittelst deren die Brahmanen es versuchten, in - den rjigveda das Gebot der Wittwenverbrennung hineinzubringen, an einer Stelle, welche klärlich das gerade Gegentheil, nämlich das Lebenbleiben der Wittwen und ihre Scheidung von dem verstorbenen Gatten besagt.* Obgleich nun also diese Sitte dem Volke des ßigveda durchaus abzusprechen ist, hat Zimmer es doch durch Vergleichung einzelner ähnlicher Vorkommnisse bei den Griechen, Germanen und Slaven wahrscheinlich zu machen gesucht, dass dieselbe, vereinzelt und ausnahmsweise geübt, schon uralt sei. Das nordische Alterthum hat schöne Beispiele. Nanna wird mit Baldr verbrannt, und Brynhild lässt sich mit Sigurd verbrennen. „Wenn ich ihm nachfolge, sagt Brynhild Völs.Cap. 31 fallt ihm die schwere Thür der

1 Vgl. oben die Anmerkung p. 39.

* Nämlich RV 10, 18, 7, wo sie in dem Verse & rohantu janavo yönim agre die letzten Worte änderten zu yönim agn^b, was den Sinn vollständig verschiebt. Vgl. darüber Colebrooke, liiscellaneous Essays 1, 182 flg. ed. Cowell. Wilson, Journ. R. As. 8. 16, 202. Roth, Ztschr. d. Dtsch. Morg. Ges. 8, 468. M. Müller, Essays 2, 80 flg. 278 flg. Kaegi, Rigveda, p. 224.

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Unterwelt nicht auf die Ferse. 4 Der Gudrun gereichte es zum Vorwurf, dass sie ihren Gemahl tiberlebte (Saem. 224, h). Herodot 5, 5 erzählt, dass es bei thrakischen Völkern Sitte sei, dass die liebste Frau eines Mannes auf dessen Grabe ge- testet werde. Mela 2, 2 meldet es als allgemeinen geti sehen Brauch.

Von den Herulern berichtet dasselbe Prokop. Auch über die Slaven finden sich ähnliche Berichte.1 An diese und andere bemerkenswerte Mittheilungen knüpft Zimmer meiner An- sicht nach mit viel Wahrscheinlichkeit die Vermuthung, dass die Wittwenverbrennung vielleicht bei einigen Stämmen der Inder in alter Zeit vereinzelt vorgekommen sei und später dann im mittelalterlich- indischen Staat mit so schauerlicher Conse- quenz auf alle Wittwen ausgedehnt wurde.

Die Todten werden, wie uns die Hymnen deutlich zeigen, theils durch Feuer bestattet, theils beerdigt. Jakob Grimm hat in seiner Abhandlung „Ueber das Verbrennen der Leichen- Ä nachgewiesen, dass bei mehreren indogermanischen Völkern so auch bei den Germanen in alter Zeit Begraben und Ver- brennen neben einander bestand. Dies ist offenbar auch bei den Indern zur Zeit des Rigveda der Fall gewesen, während ' in späterer Zeit bekanntlich die Todten immer verbrannt werden, und das Begraben nur bei Kindern vorkommt.8

In einem Liede des Rigveda (10, 15, 14) werden die Väter angerufen, welche „durch's Feuer verbrannt- und welche „nicht durch's Feuer verbrannt- sind.4 Wir haben, von anderen Er- wähnungen abgesehen, im Rigveda einen Hymnus, der bei der Verbrennung recitirt wurde, wo das Feuer angefleht wird, den Todten nicht zu versengen, seinen Leib nicht zu verletzen. In Leben sich hüllend soll er mit einem neuen Leibe sich ver- einigen, einen Harnisch soll er anthun, das Feuer soll ihn in

1 So bei Maurikios, Bonifacius, Ibn-Dasta, Ibn-Fadhlan und Thiet- mar; s. Zimmer, a. a. 0. p. 330.

* Abhandlungen der Berl. Akad. d. Wiss. 1849.

* Vgl. Jolly's Recension von Zimmer's Altind. Leben, Allgem. Zeitung von 1879. Nr. 199. p. 2915a. Manu 6, 68. 69. 103. Yajna- ▼alkya 3, 1. 2.

4 agnidagdba und anagnidagdha. Im Atharvaveda 18, 2, 34 werden genannt nikhatah, paropta^i, dagdhaji, uddhitah d. b. die Begrabenen, Weggeworfenen, Verbrannten und Ausgesetzten (sc. als Greise). Bei den Weggeworfenen (paroptafr) vermuthet Zimmer eine Sitte, die der erani- schen Ähnlich war, die die Paraen noch heute üben, wahrend Jolly in seiner oberwahnten Recension meint, es sei das Werfen in's Wasier ge- meint; 80 erklart es der Commentator dos Kathakagrihyasutra.

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die Welt der Frommen, zu den Vätern geleiten. Da heisst es (RV 10, 16):

1. Versenge jenen nicht, o Agni, verbrenne ihn nicht, lass seine Haut niAt schrumpfen1 noch seinen Leib! Wenn du ihn gar gemacht hast, o Wesenkenner,* dann sende ihn den Vätern zu.

2. Wenn du ihn gar gemacht, o Wesenkenner, dann übergieb du ihn den Vätern! Wenn er in jenes Geisterleben eingeht, dann soll er nach der Götter Willen sich fuhren.

3. Zur Sonne soll sein Auge gehn, in den Wind der Athem, in Himmel und Erde die Theilo, die ihrer Natur nach dahin gehören; oder geh in die Wasser, wenn dort es dir bestimmt ist, geh in die Krauter mit deinem Leibe u. s. w.

Wiederholt ist nun aber auch von dem Haus der Erde die Rede, in welches der Todte hinabsteigt So fleht ein kranker Sänger Gott Varuna an, er möge ihn noch nicht sterben lassen, mit den Worten: »Möge ich noch nicht, o Varuna, hinabgehen in das Haus von Erde!"8 Es ist uns ein schöner Hymnus er- halten (RV 10, 18), der bei der Beerdigung, von sinnigen Bräuchen begleitet, recitirt wurde-.

Der Liturg beschwört zuerst den Tod, weit weg zu ziehen auf seiner eigenen Strasse, geschieden von dem Götterwege, nicht die Kinder, nicht die Männer zu verletzen.

Entfern dich, Tod, und ziehe deine Strasse Für dich, geschieden von dem Weg der Götter. Du siehst und hörest, was ich zu dir rede, Verletz uns nicht die Kinder, nicht die Mann er 1*

Symbolisch scheidet dann der Liturg die Welt der Lebenden von der Welt der Todten, indem er einen Stein hinsetzt zwischen die Versammelten und den Ort, wo die Leiche liegt, und dazu den Lebendigen alles Glück und langes Leben wünscht:

Ich setz' die Scheidewand für die, so leben, Das s Niemand mehr zu jenem Ziele laufe. Sie sollen hundert lange HerbBte leben, Den Tod durch diesen Felsen Ton sich halten.

Dann fordert der Liturg die unverwittwoten Frauen au£ mit Schmuck und Salben zuerst zum Opfer heranzutreten. Die Gattin allein war bis dahin bei der Leiche sitzen geblieben.

1 So Ludwig und nach ihm Zimmer, Altind. Leben, p. 402.

* Jatayedas, ein Beiname Agni'*, dos Feuergottes.

Vri. auch Atharvaveda 5, 80, 14.

4 Die metrischen Stücke gebe ich nach Roth's Uebersetzung, der dieses Lied aufs SchönBte übersetzt und erläutert hat, Ztschr d. Dtsch. Morg. Ges. 8, 468 flg.

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Jetxt mahnt der Liturg auch sie, sich zu erheben und wieder

in die Welt der Lebenden einzutreten:

Erhebe dich, o Weih, zur Welt des Lebens: Des Odem ist entflohn, bei dem du sitseat, Der deine Hand einst fasste und dich freite, Mit ihm ist deine Ehe nun vollendet.1

Dann nimmt der Liturg aus der Hand des Todten den Bogen, durch diese symbolische Handlung andeutend, dass Kraft und Streitbarkeit bei den Lebendigen bleiben solle:

Den Bogen nehm* ich aus der Hand des Todten, Für uns ein Pfand der Herrschaft, Ehre, Starke. Du dort, hienieden wir als brave Männer, Wir wollen schlagen jedes Feindes Angriff.

Dann endlich wird der Todte mit Segenswünschen in die Gruft gesenkt:

Du Erde thu dich auf für ihn und sei nicht eng, Den Eintritt mach ihm leicht, er schmieg sich an dich an. Bedeck ihn wie die Mutter, die Das Kind in ihr Gewand verhüllt.

Geräumig stehe fest die Erdenwohnung,

Von tausend Pfeilern werde sie getragen.

Von nun an bleibe das sein Haus und Reichthum,

Ein sichres Obdach ihm für alle Zeiten.

Zum Schluss aber fleht der Betende noch, dass Yama dem Verstorbenen im Jenseits den Sitz bereiten möge.

Ueber Scheiterhaufen und Grab hinaus strebte das Hoffen des Inders. Ein Leben nach dem Tode wurde geglaubt in jenen seligen Gefilden, wo Yama Herrscher ist, wo er unter einem schönbelaubten Baume mit den Göttern und Vätern ge- meinsam trinkt (RV 10, 135, 1); wo nie erlöschendes Licht und Himmelsglanz erstrahlt, wo die ewigen Wasser strömen, wo alle Räume glanzvoll sind, wo alle Wünsche ihre Erfüllung finden, wo Lust und Freud' und Fröhlichkeit und Wonne wohnen, dort, wo das Reich der Unsterblichkeit ist, dorthin soll Yama den Gestorbenen fuhren (RV 9, 113, 7 flg.).

Das ist der lichte, hoffnungsvolle Abschluss eines natur- wüchsigen, frischen und freudigen Lebens!

Die in die Gemeinschaft mit den Götter eingegangenen Väter, die sogenannten Pitaras, werden fast göttlich verehrt

1 Und in dieses Lied, wo dieser unzweideutige Vers des weitere Schicksal der Wittwen ausspricht, haben die Brahmanen das Gebot der Wittwen Verbrennung hineinzubringen versucht!

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Sie werden zum Opfer eingeladen und ihnen wird der Trank Svadha dargebracht. Wir finden im Rigveda Hymnen, die an die Väter gerichtet sind, wo sie angerufen werden, zum Opfer zu kommen, sich auf die Streu zu setzen und den dargebrachten Trank Zu gemessen.1 Diese Ahnenverehrung muss sehr feste Wurzeln im indischen Volke geschlagen haben; sie blüht zur Zeit des indischen Mittelalters und hat sich sogar bis in die neuere Zeit noch erhalten.

Dass es nach dem Glauben der vedischen Inder auch einen schlimmen Ort für die Bösen nach dem Tode gegeben, läset sich aus einigen Andeutungen vermuthen, wenn derselbe auch nicht näher geschildert wird und wohl kaum mehr als eine unbestimmte Vorstellung davon existirte.* Gott Yama aber war zu jener Zeit jedenfalls noch der selbst in Seligkeit lebende Herrscher der Seligen und erst später ist er zu einem Gegen- stand des Schreckens, dem fürchterlichen Todesgotte, geworden. Viel später erst bringt die krankhaft gesteigerte Grübelei in dies Gebiet des Denkens ein ganzes Heer unheimlicher Schatten und Schreckgebilde; den Indern des Rigveda aber können wir auch hier diejenige Gesundheit des Denkens und Empfindens zusprechen, die uns überall an ihnen erquickt hat

1 Näheres Qber diesen Manencultus der Inder findet man bei Mai Müller, Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, 191 209. Auch der Hymnus an die Vater RV. 10, 16 ist dort p. 196—197 übersetzt

9 Man beachte die wegebehütenden Hunde des Yama, an denen man erst vorbei muss, wenn man an den seligen Ort kommen will; die Bezeichnung derselben als cabala (Nbf. carvara, karvara, cabara) ist wohl mit griecii. KtQßtQoq zu identificiren (vgl. Weber, Ind. Stud. II, 298; Benfey, Vedica und Verwandtes, p. 149—164). Wahrscheinlich wurde schon zur indogermanischen Zeit ein solcher Ort geglaubt. Man beachte die Uebereinstimmung zwischen dem indischen Bhrigu und den Kriech. <Pkeyvai\ ersterer muss nach dem Catapatha Brahmana wegen Uebermuths die Höllenstrafen ansehen; letztere werden wegen Ueber- muths zu harten Höllenstrafen verdammt (vgl. Zimmer, a.a.O. p. 419; Weber Ztschr. d. D. M. G. 9, 242). Ob vielleicht sogar mit Benfey indisches talatala = TaQxctQoq zu setzen, lasse ich unentschieden.

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Vierte Vorlesung.

Der $igveda und seine Götterwelt. Inhalt, Ursprung and Anordnung dee $igveda. Allgemeiner Charakter der Hymnen. Weltliche Lieder im Kigveda. Varuna und die an ihn gerichteten Hymnen. Die anderen Aditya*s. Eintheilnng der vedischen Götterwelt. Die Götter der himm- lischen Lichterscheinungen : Die Afvinen; die Morgenröthe.

Der Kigveda, dessen Charakteristik wir uns nun speciell zuwenden, ist das älteste Denkmal nicht nur des indischen, sondern des indogermanischen Geisteslebens überhaupt, dem höchstens noch die ältesen Gatha's des Zendavesta an die Seite gestellt werden können. Er hegt uns in einer Sammlung von 1028 Hymnen1 vor, welche in zehn Bücher, Mandala's oder Kreise genannt, zerfallen. Die Art ihrer Entstehung und Ueber- lieferuug wird deutlich dadurch charakterisirt, dass die Mehr- zahl dieser Bücher bestimmten altberühmten priesterlichen Sängerfamilien als specielles Eigenthum zugeschrieben wird; so das zweite Buch den Oritsamada's, das dritte dem Vicva- mitra und seiner Familie, das vierte den Vämadeva's, das fünfte dem Atri und seinen Abkommen, den Ätreya's, das sechste den Bharadvaja's, das siebente Vasish^ha und den Seinigen, das achte vorwiegend wenigstens dem Kanva und den Kanviden. Buch 1, 9 und 10 stammen von verschiedenen Verfassern; das neunte ist speciell dem Somaopfer gewidmet; das erste und zehnte ganz gemischten Inhalts; das zehnte ent- hält jedenfalls die jüngsten Stücke.

Diese Lieder, meist von priesterlichen Dichtern, den so- genannten IJishi's oder Weisen der Vorzeit, verfasst, erbten als werthvolles Kleinod in den Familien ihrer Verfasser von Ge- schlecht zu Geschlecht, so dass einzelne hervorragende Familien schliesslich einen ganzen Schatz von Liedern besassen. Diese verschiedenen Kreise der Hymnendichtung wurden in einer

1 Resp. 1017 Hymnen, je nachdem man nämlich die 11 sogenannten Valakhüya-Hymnen mitrechnet pder nicht

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spateren Zeit, als sich die Priester bereits als geschlossener Stand fühlten und das Bedürfniss nach systematischer Ordnung und Uebersicht ihres gesammten Hymnenschatzes empfanden, in der grossen Sammlung, die den Namen Plig-veda, d. h. der Veda der Lieder oder Hymnen, führt, zusammengefasst. Diese Zusammenstellung fand gewiss erst statt, als die Inder bereits aus dem Penjab in das Gangesthal gewandert waren, und dürfte etwa gegen das Jahr 1000 v. Chr. zu Stande gekommen sein. Die Schöpfung der Hymnen selbst reicht aber ohne Zweifel um Jahrhunderte weiter zurück.

Dies wird einleuchtend, wenn man den ungeheuren Abstand der Cultur betrachtet, wie sie sich in den Liedern des Rigveda darstellt, im Gegensatz zu der Periode, welche etwa mit dem Jahre 1000 v. Chr. beginnt und welche wir die Periode der Yajurveden und Brahmana's nennen wollen. Dieser Gegensatz wird uns bei der Schilderung jener zweiten Periode von selbst in die Augen springen* Für jetzt wollen wir es nur unter- nehmen, den Geist und Inhalt der Hymnen des Rigveda zu schildern.

Charakteristisch ist diesen Hymnen Kraft, Frische und Ursprünglichkeit der Empfindung, gegenüber der in der späteren Poesie sich findenden Zartheit, ja Weichlichkeit und Ueppigkeit; desgleichen Einfachheit und Gesundheit der Anschauungen und nicht selten eine gewisse Naivität der Ge- danken und Bilder, gegenüber später sich findenden Ueber- treibungen, Maßlosigkeiten, ja Ungeheuerlichkeiten. Von den spater so deutlich hervortretenden romantischen Eigenschaften ist im IJigveda gar nichts zu finden, weder nach der guten, noch nach der schlimmen Seite. Kraftvolle poetische Schilde- rungen der Natur, die sich bis zu kühnem Schwung erheben, treten uns hier entgegen. Wie die Culturstufe des Rigveda uns an die Schilderung der Germanen bei Taoitus erinnert, so hat auch die Poesie des Rigveda eine gewisse Wahlverwandt- schaft mit der altgermanischen Poesie. Es ist ein kühner, kraftvoller, streitbarer Geist, der in diesen Hymnen lebt, noch ungebrochen durch die später erst entstehenden priesterlichen Satzungen. Mit freudiger Lust klammert sich der Inder des Rigveda an das frische, blühende Leben. Er will leben, will reichen, tüchtigen Besitz, streitbare Söhne haben und hundert Winter fröhlich und gesund schauen. Seinen Göttern will er gern und freudig dienen, sie sollen ihm dafür aber auch helfen, hier glücklich und reich zu leben und dereinst in die seligen Gefilde Yama's einzugehen.

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Die geistige Verwandtschaft der Poesie des Higveda mit der altjgennanischen lässt es mir nicht als Zufall erscheinen, dass wir gerade deutschen, congenialen Forschern die Auf- hellung dieses ursprünglichen Geistes der Vedalieder verdanken. Denn es ist hervorzuheben, dass bei den Indern selbst das eigentliche Verständuiss für diese ihre älteste Poesie verloren gegangen war. Der Veda war ja für sie ihr heiligstes Reli- gionsbuch geworden, und es war natürlich, dass man ihn später als Object des theologischen Studiums vielfältig miss verstand und Dinge in ihn hineindeutete, welche niemals in ihm gelegen haben. Die Commentatoren und gelehrten Interpreten haben in dieser Hinsicht unglaublich viel zur Verdunkelung des Ver- ständnisses des alten ursprünglichen Charakters der Lieder ge- than~ Die europäische Wissenschaft suchte sich diesen indisch- theologischen Erklärern zuerst ganz anzusch Li essen, erkannte aber mit der Zeit, wie wenig zuverlässige Führer dieselben zu einem wirklichen Verständniss des Higveda waren. Rudolf Roth war der Erste, der sich in seiner ^Ligveda- Forschung kühn von diesen Leitern, unter denen namentlich Sayana her- vorragt, emaneipirte, den Weg der freien vorurteilslosen philo- logischen Forschung betrat und in bahnbrechender Weise uns den ursprünglichen Geist des Veda zur Anschauung brachte. Lange widerstrebten noch einige conservativere Geister, aber die überzeugende Wahrheit der Roth'schen Darlegungen, vor Allem gestützt durch seine eigenen Uebersetzungen und Inter- pretationen, ist im Laufe der Zeit durchgedrungen und hat im Wesentlichen die Zustimmung der sachkundigen Forscher ge- funden.1

Neben dem Schönen und Bedeutenden in der Poesie des rjigveda läuft natürlich auch sehr vieles Unbedeutende und Gleichgültige mit, wie ja so ziemlich in jeder Literatur. Ins- besondere ist eine gewisse Monotonie nicht abzuleugnen, nament- lich wenn man das Ganze überblickt. Es ist dies um so er- klärlicher, als die Lieder ja aus verschiedenen Stämmen des- selben Volkes gesammelt sind, wo dann eine beträchtliche Anzahl gleichartiger Hymnen an gewisse Götter gar nicht zu vermeiden war. Eine grosse und vollständige Sammlung von Völksliedern aus zahlreichen kleinen Stämmen ein und desselben

1 Es ist dabei natürlich nicht ausgeschlossen, dass uns jene indi- schen Gelehrten in ihren Commentaren ausserordentlich viel Werthvolles erhalten haben and dass dieselben bei der Erklärung sehr berücksichtigt werden müssen; wir ordnen uns nur ihrer Autorität nicht bedingungslos anter.

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Volkes wird wohl immer diesen Charakterzug erhalten, und bei der grossen Masse des Gleichartigen wird der Leser leicht eine Ermüdung spüren, was dem bedeutenden Werthe der Sammlung darum keinen Eintrag thut. Wir wissen, welcher Reichthum, wie viel Schönheit und Poesie im deutschen Volksliede steckt; wer aber grosse mehrbändige Sammlungen deutscher Volkslieder sich bemüht durchzuarbeiten, wird eines ähnlichen Gefühles sich gewiss nach einiger Zeit nicht entschlagen können. In höherem Maasse noch dürfte dies für die Hymnen des Rigveda zutreffen.

Der Inhalt der Hymnen ist meist ein religiöser; theils sind es Götteranrufungen, theils Lieder, die gewisse liturgische Handlungen begleiten, wie z. B. die Pressung des Somatranks, die Beeidigung, Verbrennung oder dergleichen. Doch finden sich in der grossen Sammlung auch einige rein weltliche Ge- dichte. So z. B. das Lied des Spielers, welches ich früher angeführt habe (RV 10, 34); derart ist auch z. B. das Lied «ines Arztes (RV 10, 97), welcher, als Arzt und Apotheker in einer Person, mit seinem Kräuterkästchen herumzieht und seine Waare anpreist, in halb humoristischer Weise mit seinen Kräutern sich unterhält und sie recht eindringlich ermahnt, ihm auch richtig zu helfen und ihm seine Kranken gesund zu machen.1

Derart ist auch eine Schilderung der Frösche, wie sie, nach der langen Hitze, zur Regenzeit wieder erwachen und nun lustig an zu quaken und herumzuspringen beginnen. Dies lustige Quaken und Lärmen wird in keineswegs respektvoller Weise mit dem Gesang trunkener Priester verglichen, die um ihre Somakufe herumsitzen, und mit dem Geleier von Schülern, die dem Lehrer das vorgesetzte Pensum wiederholen. Das Lied ist mit entschiedenem Humor und satirischem Talent verfasst.*

Es ist. natürlich eine Albernheit, wenn in späterer Zeit allen diesen Liedern, weil sie einmal dem Rigveda einverleibt sind, bestimmte Gottheiten zugetheilt werden, an welche sie gerichtet sein sollen; wenn z. B. in dem letztangeführten Liede die Frösche als „die Gottheit" genannt werden; oder in dem Spielerliede „das Lob der Würfel und des Spielers Tadel".

1 Dies Lied Ist sehr gelungen von Roth übersetzt, Zuchr. d. D. Morg. Ges. 26, 646. Anoä in die „Siebenzig Lieder" von K. Geldner and Ad. Kaegi aufgenommen, p. 172—176.

Trefflich übewetst in den „Siebensig Liedern'4, p. 169 flg.

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Ein anderes Lied variirt in zum Theil ziemlich derber Weise das sehr wenig geistliche Thema, dass alle Welt hinter dem Erwerb herlaufe, jeder auf seine Weise (RV 9, 112): Ver- schieden ist der Leute Sinn und ihr Beruf so meint der Dichter. Der Zimmermann und der Arzt suchen, wo etwas zerrissen oder zerbrochen ist, der Priester sucht sich einen kelternden Opferer; der Schmied mit seinem Ambos, mit Reisig auf dem Herd und dem Flederwisch, zum Anfachen des Feuers, in der Hand, sucht einen reichen Kunden. Ich bin Poet, mein Vater Arzt, und meine Mutter Müllerin. So jagen wir, Jeder in seiner Art, dem Erwerbe nach.1

Man hat in späterer Zeit den rein weltlichen Charakter dieses Liedes zu verwischen gesucht, indem man jedem Verse als Refrain die absolut nicht dahin passenden Worte anfügte: „0 Sorna, ströme dem Indra zu!" Und so sollte nun das Lied an Sorna als Gottheit gerichtet sein!

Wenn nun auch die angeführten Sachen uns culturhistorisch sehr interessant sind, so stehen sie doch vereinzelt da, und die meisten, so zahlreichen Hymnen bestehen in Anrufung und Preis der Götter, so dass der Veda seinen religiösen Titel im (ranzen durchaus mit Recht trägt. Snchen wir diesen Liedern etwas näher zu treten, so entrollt sich unwillkürlich vor uns das Bild der gestaltenreichen vedischen Götterwelt, die den wesentlichen Inhalt derselben bildet.

Die höchste, reinste und erhabenste Göttererscheinung des IJigveda ist Varuna, von dessen ursprünglicher Identität mit Ahura Mazda ich bereits früher gesprochen habe. Varuna, von der Wurzel var „unihüllen, einschliessen, umfassen", heisst eigentlich „der Umschli essende, Umfassende", und ist ursprüng- lich eine Bezeichnung des allumfassenden Himmels gewesen, identisch mit dem griechischen ovQavog. Wahrscheinlich war dies eigentlich ein Beiwort des alten Dyaus, das sich aber dann als besondere Persönlichkeit ablöste. Im Rigveda ist Varuna über diese ursprüngliche Naturbedeutung hoch hinauf gehoben, in eine höhere, geistigere Region. Hier ist er der hoch über aller Welt im Lichte thronende Herr über alles Licht und Leben, der allwissende Vater aller Wesen. Er hat die Welt geschaffen und geordnet; nach seinen unverbrüchlichen Satzungen

1 Wörtlich: wir laufen den Kühen nach. Die Kühe Bind Wer gleichbedeutend mit Besitz oder, nach moderner Ausdrucks weise, mit dem Gelde. Auch dieses Lied findet man in den „Siebenzig Liedern" in gelungener Uebersetzung.

r. Sekrftdtr, Indiens LH. u. Colt. 4

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wandeln Sonne und Mond; auf sein Geheiss strömen die Ge- wässer, und Niemand vermag seinen Geboten zu trotzen. In ein glänzendes Gewand gekleidet sitzt er hoch oben in seiner Himmels- Veste und schaut hinab in das Verborgene; sieht, was da ist, was war und was sein wird, umgeben von seinen Spähern, die auf der Menschen Wandel merken. Vor des Gottes sittlich reiner, erhabener Erscheinung erschauert der Mensch im Gefühl seiner Sünde und fleht zu ihm, dass er ihm gnädig und ver- gebend, freundlich wieder das Antlitz zuwenden möge. Der erhabene Schwung dieser Lieder erinnert uns bisweilen an die Psalmen des Alten Testamente.

Lassen Sie mich nun in der Uebersetzung Ihnen eine dor zahlreichen Varunahymnen vorführen, in welcher mehr oder weniger diese verschiedenen Züge des Gottes hervortreten, und die Ihnen auch mit der rührenden Naivität ihrer Bilder eine deutliche Vorstellung von dem Charakter der rJigveda-Poesie geben kann.

Der Sänger fleht (RV 1, 26) *:

1. Wenn irgend wir nach Menschenart, o Gott Varuna, dein Gebot verletzen Tag für Tag;

2. So überantworte uns doch nichc der tödtenden Waffe des Zür- nenden, nicht dem Grimm des Wüthenden.

3. Zur Gnade möchten wir deinen Sinn durch Lieder lösen, o Va- runa, wie ein Wagenlenker das geschirrte Roes.

4. Es fliegen meine Wünsche hin, das Heil zu suchen, wie Vögel fliegen in ihr Nest.

5. Wann werden wir wohl ihn, den in der Herrschaft strahlenden Mann, den Varuna herbeischaffen, zur Gnade ihn, den Weithinschauenden?

7. ' Er ist es, der die Spur der Vögel kennt, die durch den Luft- raum fliegen; er kennt die Schiffe als der Meerbewohner.

8. Er, dessen Satzungen unverbrüchlich sind, kennt die 12 Monate sammt ihrer Nachkommenschaft; er kennt auch den, der noch dazu ge- boren wird (d. h. den Schaltmonat).

9. Er kennt die Bahn des weiten, erhabenen, gewaltigen Windes; er kennt auch die, welche darauf sitzen (d. h. die Bewohner der Wind- region).

10. Varuna, dessen Satzungen unverbrüchlich sind, hat sich nieder- gesetzt in seiner Veste, um Herrschaft zu üben, der Weise.

11. Von dort aus schaut er alle Geheimnisse, der Einsichtsvolle, was gethan ist und was noch gethan werden wird.

12. Er,* der weise Aditya (d. h. der Sohn der Unendlichkeit) soll uns auf jede Art gute Bahn bereiten; er soll unser Leben lange wahren lassen.

1 Als Verfasser dieses Liedes wird Cunafccepa Ajigarti angegeben.

8 Vers 6 ist von mir ausgelassen, weil er nur fälschlich in dies Lied hineingerathen ist.

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13. Varuna tragt einen goldenen Mantel und hüllt sich in ein prächtiges Gewand; rings herum haben seine Späher sich niedergesetzt.

14. Er, der Gott, dem die Schadiger nicht zu schaden wagen, noch die Bösen unter den Menschen, noch die Feinde;

15. Der auch unter den Menschen sich unvergleichlichen Ruhm bereitet hat, und auch an unsern Leibern.1

16. Es ziehen meine Gebete hin, wie Kühe auf die Weide ziehn, suchend den Weitbinschauenden.

17. Nun lass uns beide wieder Z wiesprach halten, da mein süsser Trank dargebracht ist und du wie ein Priester die Uebe Speise zu dir

18. Schauen will ich ihn, den Allsichtbaren, schauen seinen Wagen auf der Erde, diese meine Lieder möge er freundlich annehmen.

19. Höre, o Varuna, diese meine Anrufung und sei gnadig heute; hülfesuchend sehne ich dich herbei.

20. Du Weiser herrschest über das All, über den Himmel und die Erde; erhöre mich auf deiner Bahn.*

21. Lose ab von uns die oberste Fessel, knüpfe los die mittlere und was zu untertt ist, damit wir lebent

Gott Varuna hat die Welt geordnet und waltet in ihr. So hören wir im tfigveda (7, 86, 1):

Von tiefer Weisheit zeugen seine Werke! Er hat die beiden weiten Welten (d. h. Himmel und Erde) gefestigt, das erhabene Firmament hat er erhöht und die Sterne und das Erdreich ausgebreitet.

Und ferner (RV 7, 87, 1. 2. 5):

Varuna hat der Sonne ihre Pfade gebahnt, er liess die fluthenden Gewässer strömen, er schuf den Tagen ihre weiten Bahnen.

Sein Odem ist der Wind, der die Luft durchrauscht, wie ein wei- dendes Thier, das im Grase sich stürmisch hin und her bewegt; zwischen Himmel und Erde, den beiden grossen, erhabenen, ist Alles nur dein liebes Reich, o Y am na !

Die drei Himmel sind in ihn hineingesetzt und die drei Erden, die darunter liegen; der kluge König hat dort am Himmel die goldene Schaukel (d. h. die Sonne) geschaffen, damit sie glänze.

Und in einem anderen Hymnus heisst es (RV 5, 85, 2 4):

Er hat den Luftraum mit Wolken durchwoben, er legte Kraft in die Rosse und Milch in die Kühe, in's Herz pflanzte Varuna den guten Willen, setzte die Sonne an den Himmel und den Sorna auf den Fels.

Varuna stürzt die Wolkentonne um und lasst sie strömen über die Welten; da tränkt er die Erde wie der Regen die Feldfrucht, er der König aller Welt

Er tränkt die Erde und den Himmel; wenn Varuna nach dem Nass begehrt, dann hüllen sich die Berge in Wetterwolken und es fühlen sich schwach die starken Helden.

' D. h. er hat für unsere Nahrung gesorgt. * Oder „beim Opfer".

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Besonders schön sind die Vanina-Hymnen des Vasishtha im siebenten Buche des IJigveda.1 Der Sänger rühmt sich in schwungvoll begeisterten Worten, dass er zu dem Gk)tte im innigsten persönlichen Verhältniss gestanden, dass er intim mit ihm verkehrt habe wie ein Freund mit dem Freunde. Er rühmt sich in erhabener Vision, dass er einst den hehren, tausend- thorigen Palast des Varuna besucht habe und dass sein Anblick ihm wie strahlendes Feuer erschienen sei.1 Er rühmt sich dessen, dass ihn Varuna einst zu sich in sein SonnenschifF ge- nommen habe und ihn für immer zu seinem Sänger geweiht, „so lang die Tage und die Morgenröthen dauern." Und er freut sich in prophetischer Vision dessen wie herrlich es sein werde, wenn er wieder einst mit Varuna das Schiff besteigen dürfe, wie sie dann in dem Luftmeer dahin fahren wollen und sich prächtig schaukeln wie in einer Schaukel.3 Um so schmerz- licher drückt es den Sänger, wenn er die alte Freundschaft geschwunden, wenn er sich von dem Gotte verlassen sieht: „Wo ist diese unsre alte Freundschaft geblieben, da wir doch harm- los sonst mit einander verkehrten?" so klagt er zweifelnd.4

Er fühlt es, dass er wohl durch seine Sünde des Gottes Gnade verscherzt haben müsse, und hier tritt nun Varuna mit seiner höchsten« schönsten und erhabensten Seite hervor, als der reine und heilige Gott, den die Sünde beleidigt und der sie ahnden muss, zu dem sich darum aber auch das reuige Flehen des Menschen um Vergebung der Schuld erhebt und das sehnende Verlangen des Unglücklichen, der von göttlicher Strafe heimgesucht zu sein glaubt.

So redet Vasishtha zu dem Gotte:5

Ich spreche zu mir in meinem Herzen: Wann werde ich wohl in Varun. 's Nähe dringen? Wird er wohl meine Opfergabe freundlich an- nehmen? Wann werde ich fröhlich Beine Onade schauen?

Ich forsche nach meiner Sunde, o Varuna, und möchte sie erfahren, ich gehe zu den Weisen, um sie zu fragen; die Seher alle sagten mir das gleiche Wort: Wahrlich, Varuna ist es, der dir zürnet!

Was war das für eine grosse Schuld, o Varuna, dass du den Sanger, deinen Freund, verderben willst? Verkünde mir das, du untrüglicher, selbstherrlicher; entsündigt möchte ich von dir gehen, eifrig dich ver- ehrend.

Von den vorhin angeführton Versen (s. p. 51) stammen auch mehrere von Vasishtha.

RV 7, 88, 2 und 5.

RV 7, 88, 8 und 4. « RV 7, 88, 5.

RV 7, 86, 2-5.

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Löse ab von uns die Sunden unsrer Viter und die wir selbst be- gangen haben! Wie einen Dieb, der sich an Heerden gütlich thut, o KOnig, wie ein Kalb vom Stricke mach los und ledig den Vasishtha a. s. w.

In einem anderen Liede (RV 7, 89) fleht der Sänger, welcher von der schweren Krankheit der Wassersucht1 heim- gesucht ist und sich vor dem Tode fürchtet, zu Varuna:

Ich will noch nicht, o König Varuna, hinabgehn in das Haus von Erdel Sei gnadig, Herr, sei gnadig mir!

Wenn ich zitternd umhergehe wie ein aufgeblasener Schlauch,

sei gnadig, Herr, sei gnadig mlrl

Wahrlich ich habe mich vergangen in der Thorheit meines Hersens, du Reiner! Sei gnadig, Herr, sei gnädig mir!

Ich stehe mitten im Wasser drin, und dennoch quält der Durst deinen Sanger. Sei gnädig, Herr, sei gnadig mir!

Wenn wir, o Varuna, nach Menschenart die Himmlischen verletzen, wenn wir im Unverstände dein Gebot übertreten, dann strafe uns nicht, o Gott, um solchen Frevels willen 1

Und der Gott ist nicht unerbittlich, darum rühmt ihn der Sänger und sagt: „Du bist der Gott, der selbst über den Sünder sich erbarmet." 9

Dieser Varuna, der Alles schaffende, lenkende, richtende, der strafende und vergebende Gott ist eine so sittlich erhabene Erscheinung, wie sie ausser dem Ahura Mazda der Eranier kein indogermanisches Volk hervorgebracht hat.3

Neben Varuna, ihm wesensverwandt, aber von geringerer Bedeutung, stehen seine sechs Brüder, die lichten Äditya's, d. h. Söhne der Aditi oder der Unendlichkeit Der vornehmste unter ihnen ist Mitra, ursprünglich wohl ein Sonnengott, der im Rigveda vielfach dualisch eng verbunden mit Varuna an- gerufen und gepriesen wird Dass wir denselben Gott auch bei den Persern vorfinden, ist schon früher erwähnt worden. Ein anderer von den Äditya's ist Bhaga, der auch im Avesta als Bagha erscheint und der für uns insofern von besonderem Interesse ist, als wir diesen Namen bei den Slaven als Bezeich- nung Gottes bis in die neueste Zeit in der Form 6on wieder- finden. Die anderen Äditya's, Aryaman, Daksha und Amca, sind uns von geringerer Bedeutung; von dem sechsten dieser Brüder des Varuna lasst sich aus den Texten nicht einmal der Name sicher feststellen.

1 Diese Krankheit speciell pflegte als Strafe von Gott Varuna's Hand aufgefasst zu werden. RV 7, 87, 7.

3 Eine Monographie über Varuna verdanken wir Alfred Hille- brandt. Varnna and Mitra, Breslau 1877.

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Im Ganzen treten diese Äditya's neben Varuna nur wenig als selbständige Personen hervor. Sie sind mehr oder weniger nur Entfaltungen einer Idee, nämlich des Varuna, und nur in Gemeinschaft wirksam. Die Namen Mitra und Aryaman deuten auf Freundschaft und Vertrautheit; Bhaga heisst der Gütige. Daksha der Geschickte, Kluge (de^os, dexter), Amca der Zu- theilende, der Spender. Der oberste Gott hat gleichsam einen hohen Rath befreundeter, wesensgleicher Götter um sich, welche eigentlich nur Ausflüsse ein und derselben göttlichen Person sind.

Die ganze Welt der Götter, welche unter Varuna's Lichtregion in den verschiedenen Gebieten der Natur walten, zerfällt in drei Hauptgruppen:

1) die Götter der sichtbaren himmlischen Lichterschei- nungen, der Sonne, der Morgenröthe u. & w.

2) die Götter des Luftraumes, der Luft und der Wind- region.

3) die Götter, welche auf der Erde ihren Sitz haben.

Unter den Göttern der himmlischen Lichterschei- nungen sind zuerst die beiden Agvinen, die „mit Rossen Versehenen" oder „die Ritter" zu nennen, welche als die Ersten am Morgenhimmel erscheinen und das Tageslicht heraufgeleiten. Die Zeit, wo Licht und Dunkel noch ringen und das Licht allmählich siegt, die Morgendämmerung ist nach der indischen Theologie ihre Zeit. Die Acvinen sind ein Zwillingspaar von Rosselenkern, in goldenen Wagen erscheinend, von geflügelten Rossen, Adlern oder Falken gezogen. Ihre Naturbedeutung ist nicht ganz sicher festzustellen. Gegen die Deutung auf die ersten Lichtstrahlen spricht der Umstand, dasB sie als ein Paar auftreten, wofür der Grund dabei ganz unverständlich bliebe. Ebenso wenig befriedigt aber die Deutung auf Morgenstern und Abendstern, da sie doch zusammen erscheinen. Im Uebrigen ist aber der Charakter der Acvinen sehr klar und deutlich. Es sind gütige, rettende und helfende Götter, von denen schon im Veda viel ruhmeswürdige Thaten erzählt und gepriesen, oft auch- nur angedeutet und als bekannt vorausgesetzt werden. Die beiden ewig in jugendlicher Schönheit strahlenden Helden, mit Wunderkraft und Weisheit begabt, sind auch die Aerzte der Götter. Sie heilen Blinde und Lahme, sie helfen den Elenden. Greise, wie den Seher Kali und den alten Cyavana, sollen die Acvinen wieder verjüngt haben, dem Vimada verhalfen

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sie zu einer schmucken Maid, der alternden Ghosha zu einem Gatten. Den Vandana befreien sie aus einer Falle und setzen der lahmen Vigpala in der Schlacht ein ehernes Bein an, so dass sie wieder gehen kann; dem weisen Atri, der sammt Beinen Mannen durch seiner Feinde List in einen heissen Schlund ge- rathen war, bringen sie Kühlung und retten ihn daraus. Ins- besondere aber wird ihnen auch Rettung aus Wassersnöthen nachgerühmt. Die gefeiertste That der Acvinen ist die Rettung des von seinem Vater Tugra im Stiche gelassenen Bhujyu aus den Wasserwogen. Auf sein Hiilfeflehen nahen die Acvinen auf ihrem Wagen mit den von selbst sich schirrenden Flügelrossen und retten den Bedrängten.

Die vergleichende Mythologie hat es lange erkannt, dass dies hülfreiche lichte Brüderpaar von Göttern in die indoger- manische Urzeit zurückreicht und dass sie speciell mit den griechischen Dioskuren ursprünglich identisch sind. Auch diese, auch Kastor und Polluz sind ein Zwillingspaar jugendlich schöner Helden; sie werden in der griechischen Kunst mit Rossen ab- gebildet, was uns deutlich an den Namen der Acvin erinnert; sie sind vor allen Dingen &sol owtrjQeQ, wie auch die Acvinen. Zu Boss und Wagen nahen sie, ihre Freunde zu retten, sie er- scheinen dem vom Sturme bedrängten Schiffe und zeigen ihre Ankunft durch Licht am Mäste an. Insbesondere in Wassors- noth werden die Dioskuren angerufen, und das weist uns deutlich auf die am meisten gepriesene That der Acvinen hin.

Den Acvinen folgt am Morgenhiinmel die schönste und reizvollste Gottheit des Lichtes, die Morgenröthe. Der indische Name für diese Göttin, Uahas, ist mit dem griechischen jJcos, dem lat aurora (aus ausosa) zusammenzustellen, in entfernterer Weise auch mit slavischem ympo und dem deutschen Ostara, Osten. Auch bei Griechen und Römern ist die Morgenröthe eine Gottheit, aber ein eigentlicher Cultus derselben hat sich dort nicht ausgebildet.

Die Morgenröthe wird eine Schwester der Nacht genannt und willig räumt die dunkle der strahlenden Schwester den Platz. Sie heisst Tochter des Himmels, auch der Sonne; viel schöne Hymnen sind an sie gerichtet, aber ein ausgeprägter Mythus ist eigentlich nicht vorhanden. Hervorgehoben wird die unverbrüchliche Regelmässigkeit, mit der die Morgenröthen immer wieder erscheinen. Zugleich wird der Mensch beim An- blick dieser immer wiederkehrenden Morgenröthen an die Ver- gänglichkeit des eigenen Lebens erinnert, und so sagt er, dass üshas die Menschen altern macht, dass „sie die Geschlechter

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der Menseben hinschwinden lässt, während sie die gottlichen Ordnungen aufrecht erhält" (RV 1, 124, 2). Strahlend er- scheint sie des Morgens, eine Erweckerin des Lebens (RV 1, 48):

Leuchte auf ruft ihr der Sauger zu Morgenröthe, du Tochter des Himmele, mit schönem Gut, mit hehrem Glaus, du Strahlende, mit Reichthum, du gabenreiche Göttin l (1) Lau Lobgesange sich bei mir erheben und sporne an die Freigebigkeit der Opferherren (2). Kanva, der beste der Kauviden, preist hier deinen Namen unter den Mannern. (4) Wahrlich wie ein holdes Weib naht sich die Morgenröthe, die erfreuende; sie wandelt dahin und weckt Alles, was Füsse hat, und macht, dass die

Vögel auffliegen (5). Sie entsendet die Geschäftigen zum Verkehr,

nicht bleiben die geflügelten Vögel sitzen bei deinem Aufleuchten, du rossereiche! (6) Sie hat ihre Rosse geschirrt, aus der Ferne, vom Auf- gang der Sonne her, mit hundert Wagen wandelt dort die herrliche Morgenröthe au den Menseben hin (7). Alles Lebendige beugt sich Tor ihrem Anblick, Licht bereitet die Wonnige! Mit ihrem Glänze soll die gabenreiche Tochter des Himmels fortscheuchen die Anfeindung, fort die Gegner (8). Strahle her, o üshas, mit hellem Glanz, du Tochter des Himmels, herfahrend reiches Glück für uub, wenn du aufleuchtest beim Opferfest {$). Denn alles Athmen, alles Leben ruht in dir, wenn da aufleuchtest, Wonnige! Auf deinem hehren Wagen, du Glanzende, höre unsren Ruf, die du strahlende Gaben besitzest (10). Fahre die Götter alle herbei aus dem Luftraum zum Somatrunk, o Morgenröthe! Du sollst uns rinder- und rossereichen, preiswurdigen, heldenhaften Besitz spenden, o Morgenröthe! (12) Wenn dich auch früher schon die alten Weisen zur Labung herbeigerufen haben, so nimm doch jetzt auch unsre Lob- gesange sammt der Spende freundlich an, o Ushas, mit hellem Glanz ! (14) Wenn du, o Ushas, jetzt des Himmels Thore mit Glanz öffnest, so ver- leih' uns sichern, weitreichenden Schutz und Labungen, die reich mit Kühen versehen sind (15). Mit hehrem, allgeschmücktem Reichthum und Labungen beschenke uns, mit auslegendem Glanz, du erhabene Morgen- röthe, mit Beute, o du rossereiche! (16)

Verhält sich dieser Hymnus mehr anrufend und bittend, so Bind andere mehr schildernd, z. B. das Lied RV 1, 124, welches man in den „Siebenzig Liedern** übersetzt findet

Schliesslich sei noch bemerkt, dass auch die Schwester der Morgenröthe, die Nacht, die sterngeschmückte, die Ruhe- bringerin, in einem schönen, stimmungsvollen Liede des Rigveda gefeiert wird.1

1 RV 10, 127; vortrefflich übersetzt in den „8iebenzig Liedern" p. 188. 189.

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Fünfte Vorlesung.

Die Götterwelt des Rigveda (Fortsetzung). Gotter der himmlischen Licht- sncheinungen : Sftrya, Savitar, Püshan, Mitra, Yishnu. Die Götter des Luftraums: Indra, der Gewittergott, der Damonentödter und Helfer in den Schlachten; sein Charakter und sein Cultus; Rangstreit des Indra und Varuna. Vayu, Vata, die Maruts, Rudra, Parjanya, die RibhuV

Den Mittelpunkt der himmlischen Lichterscheinungen bildet natürlich die Sonne selbst, die unter verschiedenen Namen und Gestalten im Rigveda verherrlicht wird.

Surya,* die Sonne, personificirt „der Sonnengott'*, folgt der Spur der strahlenden Morgenröthe wie ein Jüngling der Spur des Mädchens, erhebt sich mit seinen lichten Sonnen- rossen am Rande des Himmels; vorgebeugt klimmen sie empor zur Himmelshöhe und durchmessen in einem Tage den Welt-

Ein anderer und häufiger angerufener, etwas mehr perr wnlich hervortretender Sonnengott ist Savitar, der Beieber oder Erwecker,' der mit seinen goldenen Armen, den Sonnen- strahlen, am Himmel aufsteigt und Alles was lebt und sich regt in Bewegung setzt. Er ist es, der dann auch des Abends Alles wieder zur Ruhe bringt, und so erscheint er dann in doppelter Wirksamkeit, als Lenker und Herr des Tages wie der Nacht. Darum wird er nicht nur in seiner strahlenden Erscheinung bei Tage verherrlicht, sondern auch angefleht, bei Nacht die bösen Träume fern zu halten. An Gott Savitar sind jene Verse gerichtet, die seit Uralten bis auf den heutigen Tag jeder Brahmane tagtäglich zum Himmel emporsenden muss, die hoch- heilige sogenannte Gayatri oder Savitrl. Wenn er sich erhebt,

1 Das Wort surya kommt von der Wurzel Sur oder avar, und ent- ipricht dem griech. fjkios, lat. sol und gothischem sauil.

Von der Wurzel 8n in Bewegung setzen, beleben, erwecken.

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in der frühesten Morgendämmerung, ehe noch die Sonne am

Horizont erscheint, muss er dies Gebet sprechen (RV 3, 62, lO):

tat satitar T&reny&m bhargo derasya dhlm&hi, dhiyo yo nah pracodayat

„Den herrlichen Glanz Gott Savitar's mögen wir erlangen! Er aoll unsre Andacht fördern!"

So ist Savitar seit der Zeit des Rigveda bis in unsere Tage ein viel angerufener Gott

Ganz andersartig ut die Gestalt eines anderen Gottes, den wir ebenfalls deutlich als Sonnengott erkennen, nämlich des Püshan, der als ein Hirt vorgestellt wird, mit dem Ochsen- stachel bewaffnet oben am Himmel wandelt and vor Allem den Heerden Wachsthum und Gedeihen spendet Er ist so recht ein Gott, wie er zu dem Hirtenvolk der alten Arier passt Er wird auch als der Geleitsmann auf Wegen und Strassen, als „Wegesherr* verehrt und angerufen. Vor Allem aber soll er dem Vieb, den Rindern und Rossen der Opferer und Sänger nachgeben und sie behüten, dass keins sich verliert, keins sich verletzt und keins in eine Grube fällt; unversehrt soll er sie alle wieder herbeibringen.1 Wahrscheinlich weil die Ziege von allem Vieb am kühnsten klettert, ist dem Gott auf seiner schwindelnden Höhe ein Ziegenpaar verliehen, das seinen Wagen zieht

Aucb der als einer der Äditya's schon früher besprochene Mitra ist ursprünglich ein Sonnengott.

Ein Sonnengott ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch Vishnu, der Geschäftige oder Wirksame, dessen Gestalt im Rigveda nur wenig hervortritt, der aber berufen war, in spaterer Zeit zu dem Range eines obersten Gottes emporzusteigen. Aus dem vedischen Pantheon könnte er herausgenommen werden, ohne dass die Lücke merkbar würde. Es wird im Rigveda von ihm hauptsächlich das Eine berichtet, dass er mit drei Schritten den ganzen Lichtraum durchmisst; Aufgang, Höhepunkt und Niedergang des Lichtes sind seine drei Fussstapfen, schon nach den indischen Commen tatoren. Auch erscheint er als thätiger Freund des Indra. An diesem bescheidenen Gotte bewährt sich das Wort, dass die Letzten die Ersten werden sollen. Denn er ist es, der später als Erhalter der Welt gefeiert, für die Weltseele selbst erklärt wird, die in wiederholter irdischer Verkörperung der Welt und den Menschen Heil gebracht hat

1 S. RV 6, 54, 5—7.

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Er ist es, dessen Cult sich in späteren Jahrhunderten halb Indien vornehmlich weihte, und bis zum heutigen Tage wird er dort in unzähligen prächtigen Tempeln verehrt.

Wir kommen nun nach den Göttern des Lichtes zu den Göttern des Luftraumes, der Region der Winde und Wolken.

Der Gewaltigste unter ihnen, alle anderen weit überragend, ist Indra, ein starker und streitbarer Gott, dessen Erscheinung uns in kräftigen, ja bisweilen derben und ungeschlachten Zügen im IJigveda vorgeführt wird; ein Gott, so recht nach dem Herzen des kriegerischen Inders im vedischen Zeitalter. Wahr- scheinlich existirte Indra schon in der indopersischen Periode; das können wir aus seiner, wenn auch vereinzelten, Erwähnung im A vesta vermuthen, wo ein böser Dämon Ifidra oder Afidra erscheint. Jedenfalls aber ist er erst bei den Indern, im Zeit- alter des Rigveda, zu wirklicher Bedeutung gelangt In dieser Zeit drängt sich die mächtige Gestalt Indra's immer mehr in den^ Vordergrund, eine grosse Menge Hymnen sind an ihn ge- richtet, preisen seine Thaten, rühmen seine Stärke, bitten ihn um Hülfe im Kampfe und rufen ihn herbei zum Soma-Trinken. Man sieht es deutlich, wie er mehr und mehr der Liebling, der eigentlich nationale Gott der Inder wird, der zuletzt sogar die erhabene Gestalt Varuna's in den Hintergrund drängt Zur Zeit des Rigveda steht Varuna noch hoch und gefeiert da, aber schon merkt man es deutlich, dass das Herz des Volkes sich dem streitbaren Indra zuwendet und dass die bis dahin unbestrittene Herrschaft des alten Himmelsgottes gegen das Ende der Rigveda-Periode gefährdet ist.

Indra ist vor Allem der Gott des Gewitters, der seinen Donnerkeil gegen die bösen Dämonen schleudert, welche die befruchtenden Wasser der Wolken gefangen halten. Er tödtet Vritra, den „Umhüller" oder „Einschliesser", den bösen Wolken- dämon, zerspaltet den Wolkenfels,1 der die Wasser einschloss, und lässt den Regen zur Erde strömen. Der Wolkendämon, den er tödtet, wird auch Ahi „die Schlange" oder der Drache genannt der die Fluth umlagerte; ahi ist das lateinische Wort anguis, griechisches fy/s (t#oVa), zendisches azhi, und der Drachentödter Indra ist von der vergleichenden Mythologie mit dem gernianischen Siegfried, dem griechischen Achilleus zu- sammengebracht Auch andere böse Dämonen werden genannt,

1 Die Wolke wird als ein Wasser bergender Fels aufgefasst.

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die er tödtet, so Vala, Dänu, Danava, Qambara, (Jushna, Kuyava u. a.,1 alles Gestalten ähnlichen Charakters, Dämonen der Dürre und des Misswachses. Er sucht sie in ihren Schlupf- winkeln auf, er entreisst ihnen die Beute, die sie geborgen; er zerschmettert sie und befreit die Kühe, d. h. die Wolken wasser, die sie geraubt Andere stürzt er hinab, wie sie den Himmel erklimmen und stürmen wollen,1 und ▼errichtet noch viele andere Heldenthaten.

Selbst alle Götter können gegen ihn nicht aufkommen:

Eb ist kein höherer als da,

Kein stärkerer, da Vritrsfeind,

Ja keiner kommt auch nor dir gleich.

Und alt die Götter alle dich Ergrimmt bekämpft, den einzigen, Schlugst, Indra, deine Gegner du.*

Aber in der Regel ist er nicht ein Bekämpfer, sondern ein

Beschirmer der Götter. So heisst es RV 4, 19:

Fürwahr, dich, du donnerkeiltragender Indra, erwählen alle Götter hier, die trefflich anzurufenden Helfer, dich den gewaltigen, grossen, erhabenen, erwählen Erd und Himmel als den Einzigen zur Tödtung des Vritra, (1)

Die Götter hatten abgedankt wie Greise, da wurdest da, o Indra, Herrscher auf dem rechten Thron; da tödtetest den Drachen, der die Fluth umlagerte, alltr&nkeude Bahnen hast du gebahnt (2)

Mit Macht erschütterte Indra den Erdboden, wie der Wind das Wasser mit Gewalt; das Fette riss er nieder, seine Kraft aufbietend, er schlug herab der Berge Gipfel. (4)

Nachdem er den Vritra getödtet, liess er die 8tröme rinnen; die rings umstellten, eingeengten Bache bohrte Indra los, dass sie zur Erde strömen. (8) u. s. w.

Diese Heldenthat des Indra gegen den Wolkendämon Vritra wird so oft gepriesen, dafes es für uns schon ermüdend ist Indessen mnss man dabei wohl berücksichtigen, dass die Inder unter anderen klimatischen Verhältnissen lebten wie wir und dass Gewitter und Regengüsse bei ihnen eine ganz andere, weit grössere Rolle spielten als bei uns.

Vor Indra's Hauche zittern beide Welten/ er hat die wankende Erde und die Berge festgestellt, er durchmass den Luftraum, er stützte den Himmel,6 er zeugt das Feuer zwischen

1 So auch Pipru, Arbuda, Varcin.

* Z. B. Rauhma, et RV 2, 12, 12.

» RV 80, 1 und 6; nach den „8iebenzig Liedern", p. 72.

* RV 2, 12, 1. 5 RV 2, 12, 2.

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Himmel und Erde,1 er ist es, der die Sonne und die Morgen- röthe geschaffen, der die Wasser lenkt, unter dessen Befehl Rosse und Rinder, Heerschaaren und Wagen stehen;' ihn rufen beide Heere an, die sich kämpf gerüstet feindlich gegenüber stehn, ihn rufen die Kampfer in der Schlacht um Hülfe an, denn ohne ihn, den starken Gott, der selbst das Unbewegliche erschüttert, können die Völker niemals siegen.8 Den Freyler trifft er, ehe er es ahnt, mit seinem Speere, dem Trotzigen giebt er nimmer nach, er zerschmettert den Bösen.4

Vor ihm veraeigen Himmel sich und Erde, Vor seinem Hauche beben die Gebirge; Den man beim Somatranke sieht, die Keule In seiner Faust, da« ist, ihr Völker, Indral6

Und doch giebt es Zweifler, die an den gewaltigen Gott nicht glauben wollen, die da fragen: wo ist er? und sprechen: er ist ja gar nicht vorhanden! Aber Indra vernichtet des Böeen Besitz, als wäre es nichts, darum glaubet an ihn, so mahnt der Sänger.

Von besonderer Bedeutung ist Indra als Helfer der Helden in der Schlacht, in welcher Eigenschaft ihn viele Lieder preisen.

Und eines solchen streitbaren göttlichen Beistandes be- durften die Inder jener Tage wohl. Mussten sie doch von Kampf zu Kampf schreiten, wenn sie den dunkelfarbigen Ur- einwohnern das Land Stück um Stück abgewannen, und dass es auch an Kämpfen der einzelnen arischen Stämme unter ein- ander nicht fehlte, lehren uns die Lieder des Veda selbst deut- lich genug; das Volk war ja noch nicht zu völliger Seßhaftig- keit gelangt, und territoriale Verschiebungen und Aenderungen mussten immerwährende Reibungen hervorrufen und damit An- la&s zu Kämpfen geben. Indra, der unbesiegbare Held, ward der Liebling des um seine neuen Wohnsitze kämpfenden Volkes.

„Funfzigtausend Schwarze warfst du nieder und haBt ihre Burgen zerschmettert", so rühmt der Sanger*; und ein anderer ruft:

„Welcher Sterbliche wagt es, den anzugreifen, der dich besitzt, o Indra? Wer an dich glaubt, du gabenreicher, gewinnt die Beute am Ende der Schlacht."7

Jeder Sänger und Opferer müht sich, den Gott zu seinem Opfer herbeizuziehen, damit er den Seinen helfe und nicht den Gegnern. In zahlreichen Liedern laden sie den Indra, oft mit

> RV 2, 19, 4. RV 2, 12, 7. 9 RV 2, 12, 8. 9. 4 RV 2, 12, 10. RV 2, 12, 13 in der üebersetzung der „8iebenzig Lieder". RV 4, 16, 18. RV 7, 32, 14.

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stürmischem Drängen, ein, zum Trinken des Sorna herbei zu kommen. Der Sorna ist ein berauschender Trank, aus dem Salt einer bestimmten Pflanze bereitet, deren fleischige Stengel mit Steinen zerschlagen und gepresst wurden. Die dazu ge- brauchte Pflanze ist wahrscheinlich zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene gewesen und heutzutage wohl eine andere als damals, wo die Inder noch in anderen Gegenden lebten. Gegen- wärtig ist es Sarcostemma acidum oder Asclepias acida. Der Trank musste gähren und wurde dann entweder rein oder mit Milch und anderen Zuthaten gemischt dargebracht.

Wenn der Soma-Trunk für den Gott bereit gestellt ist, dann fleht der Sänger etwa folgendermassen (RV 3, 42)1:

1. Komm her zu unsrem gekelterten Trank., zum Sorna, o Indra, der mit Milch gemischt ist, mit deinen beiden Falben!1

2. Komm her, o Indra, zu diesem Rauschtrank, der auf der Opfer- streu steht und mit Steinen gekeltert ist; willst du dich nicht an ihm ergötzen?

3. Zum Indra gehn meine Lieder hin, von hier entsandt, um ihn herbeizuschaffen zum Somatrunk.

4. Den Indra rufen wir zum Trinken des Sorna mit Lobgesangen hier und Liedern. Ob er wohl kommen wird?

5. 0 Indra, hier sind die gekelterten Somatranke, nimm sie in dich auf, du hundertfach kraftiger, rossereicher!

6. Wir kennen dich ja als den Beutegewinner, der kühn ist in den Schlachten, du woiser! Nun bitten wir um deine Gunst 1

7. Trink, Indra, diesen gekelterten Trank, der mit Milch und Gerste gemischt ist, herankommend mit deinen Hengsten.

8. An gewohnter Stätte lasse ich dir, o Indra, den' Sorna zum Trünke strömen; gern weile er in deinem Innern!

9. Zum Trinken des Sorna rufen wir dich, o Indra, den Alten, wir 8öhne des Kucika, Hülfe begehrend.

Und die Sänger rühmen sich, dass der Sorna trank den Indra begeistert und stark macht, so dass er dann erst die rechte Kraft erlangt, die bösen Dämonen niederzukämpfen. Für solchen Dienst beanspruchen sie dann auch in naiver Weise eine Gegenleistung, Hülfe und Förderung von Seiten des Gottes. Das Keltern des Sorna und die Einladung des Indra, zum Trankopfer zu kommen, wiederholt sich so viel, dass wir recht deutlich sehen, welche Rolle dieser Cult des streitbaren trunkliebenden Indra zur Zeit des Rigveda bei den Indern spielte.

Es ist ein derbes sinnliches Bild, wenn der nervige Gott mit der Keule bewaffnet zum Opfer herangefahren kommt, am

Das Lied ist dem Vicvamitra zugeschrieben.

Indra fahrt auf einem Wagen, der von falben Rossen gezogen wird.

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Somatrank sich berauscht, von dem er gewaltige Massen hinab- giessen kann, wie die Sänger mit Behagen ausmalen, und dann in den Kampf gegen die bösen Dämonen stürzt. Diese derb- sinnliche Zeichnung geht so weit, dass wir sogar ein Lied vor- finden, welches ein Selbstgespräch des betrunkenen Indra enthält, der taumelnd kaum weiss, was er sieht und thut, mit seiner Grösse renommirt und im Refrain der Verse immer wiederholt: Hab ich wohl etwa Sorna getrunken?

RV 10, 119:

Wie ist mir eigentlich zu 8inn? 8oll ich erbeuten Rind und Boss? Hab ich wohl etwa Sorna getrunken? (1)

Wie schüttelnde Winde so haben die Tranke mich aufgerüttelt. Hab ich wohl etwa Sorna getrunken? (2)

Die Menflchenstamme alle fünf scheinen mir kaum ein Sonnen- s taubchen gross! Hab ich wohl etwa Sorna getrunken? (6)

Die Welten alle beide sind nicht meiner einen Hälfte gleich! Hab ich wohl etwa Sorna getrunken? (7)

Den Himmel überrage ich weit und diese grosse Erde! Hab ich wohl etwa Sorna getrunken? (8)

Ha, soll ich die Erde wohl hierhin setzen oder auch dorthin? Hab ich wohl etwa etc. (9)

8chnell will ich die Erde zerschmettern, hier oder da! Hab ich wohl etc. (10)

Im Himmel ist meine eine Hälfte, die andre schlepp ich unten! Hab ich wohl etc. (11)

Machtig gross bin ich, hinaufgestreckt zur Wolkenhöhe! Hab ich wohl etc (12)

Nun geh ich nach Hause wohl versehen und bring den Göttern Opfer mit! Hab ich wohl etc. (13)

Dies wird geniigen, um Ihnen von der Derbheit und Sinn- lichkeit der Erscheinung Indra's eine Vorstellung zu geben, und es ist wohl verständlich, dass die einer geistigeren Religion zustrebenden zendischen Arier von einem Gotte, der den Keim zu einer solchen Gestalt in sich barg, nichts wissen wollten und ihn zum bösen Dämon stempelten, während die Inder ihn recht mit Behagen gross wachsen und zu ihrem ecbtnationalen Gotte werden Hessen, was wir dem derbgesunden urwüchsigen Volke weiter nicht verdenken wollen.

Wir haben im Rigveda (4, 42) ein historisch höchst merk- würdiges Lied, in welchem Varuna und Indra selbst redend in einer Art von Rangstreit auftreten und welches zuletzt mit einer Anrufung beider Götter endigt

König Varuna tritt zuerst mit dem ganzen Vollbewusstsein seiner obersten Würde auf und nennt sich den Gott, dem auch die Gotter sich fügen; aber Indra weiss auch seine Bedeutung als Gott der Schlachten in das gebührende Licht zu setzen,

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und der Sänger findet es gerathen, beide, im dualischen Com- positum Indravaruna vereinigt, anzurufen.

„Mein ist fürwahr das Reich, eo beginnt Varuna, der ich der Herr- scher bin! Varuna's Willen folgen die Götter! Ich bin der König Va- runa, mir wurde diese Göttlichkeit festgesetzt zu allererst! Ich, o Indra,1 bin Varuna, durch meine Macht sind die Lufträume festgegründet; au kundiger Schöpfer habe ich alle Wesen (oder Welten) geschaffen, habe Erd und Himmel geschaffen und gefestigt.««

Aber Indra erwidert:

„Ich bin e6, den die reisigen Männer, ich bin's, den die in der Schlacht Bedrängten rufen! Ich errege den Streit, ich der gabenreiche Indra, den Staub lass ich wirbeln, der ich hervorragende Kraft besitze! Das Alles that ich, und keine Götterkraft kann mir, dem Unbezwungenen, wehren! Wenn mich die Somatränke und die Lieder berauschen, dann furchten sich die unendlichen Lufträume.««

Und der Sänger stimmt preisend dem Indra zu und ruft:

„Ja, alle Welten sind dafür die Zeugen, was du dem Varuna da rahmest! Du bist berahmt als der Vritra-Tödter, du Indra liessest die ▼erschlossenen Ströme fliessen!«*

Dann aber fleht er zu beiden Göttern:

„Mögen wir an Reichthum uns erfreuen, die Götter an der Opfer- gabe, die Kühe an der Weide! 0 Indra und Varuna, ihr beide sollt uns aie Milchkuh schenken, die niemals den Melker von sich stösst."

Es scheint mir deutlich, dass hier der Sänger, der zuerst den majestätischen Varuna auftreten lässt, sich doch dann mit seiner Sympathie dem sohlachtenlustigen Indra zuwendet; aber keiner der Götter soll gekränkt werden als ein untrennbares Paar ruft sie darum der Schluss des Liedes bittend an.

Dies ist in der That charakteristisch für den Umschwung in der Rangordnung, welcher sich an diesen beiden Göttern im Laufe der vedischen Periode vollzieht. Indra geht doch eigentlich als der Sieger aus diesem Rangstreit hervor, denn er ist der dem Herzen des Volkes damals näherstehende, der besser verstandene und mehr geliebte Gott!

Neben Indra, dem Gewittergott, finden wir in der Region des Luftraums eine ganze Reihe von Göttern der Winde und Stürme. So zuerst Vayu und Vata, beides Namen des Windes, Götter, bei denen ihre Naturbedeutung überall klar am Tage liegt, während ihre individuelle, persönliche Gestaltung nicht gerade weit ausgebildet ist.

Vayu, der Wehende, der Wind (von der Wurzel va „wehen-*) ist ein geehrter Genosse des Indra. Hervorheben lässt sich,

1 Ich lese V. 8 ah km indra varunas.

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daas anter allen Göttern er den ersten Somatrunk erhält. Vata, der Wind, Yon derselben Wurzel abgeleitet, ist für uns Deutsche insofern ron speziellerem Interesse, als in neuerer Zeit der Nachweis dafür geliefert ist, dass der altgermanische oberste Gott Wotan oder Odin wahrscheinlich mit diesem indischen Vata ursprünglich identisch zu setzen ist. H. Zimmer hat ge- zeigt, dass die Namen nach den Lautgesetzen zusammenstimmen, und marfcher Zug am Wotan zeigt uns noch deutlich seine ursprüngliche Bedeutung als Windgott1 Und Wotan ist es ja, der im germanischen Aberglauben noch bis in die neuere Zeit an der Spitze des tuenden Heeres als wüder Jager ge- spenstisch im Sturme dahinsaust1

Beiläufig ist es nicht uninteressant zu bemerken, wie die Terschiedeoen indogermanischen Völker ganz verschiedene von den alten Göttern zu ihrem obersten Gotte machten. Die Griechen und Römer allein haben den alten Himmel- Vater Zevq xaxTjQi Jupiter als obersten Gott beibehalten; bei den Indopersern trat die vergeistigte Gestalt des Ahura-Varuna an dessen Statt, von dem der griechische Uranos nur ein dunkler Reflex ist. Bei den Slaven finden wir den Bhaga der Indo- perser, der hier nur eine geringe Rolle spielt, als Öon zum höchsten Gott erhoben, und die Germanen endlich machten den Windgott Vata als Wotan (Wodan, Odin) zum Vater der Götter und Menschen. Das deutet auf sehr merkwürdige Wand- hingen und Verschiebungen in der Göttergeschichte dieser einst zu einem Volk verbunden gewesenen Völker.

Neben Vayu und Väta finden wir in der Luftregion vor Allem noch die Marut's oder die Sturmwinde, welche den In- dra als seine rechten Kampfgenossen mit Jubel, Lärm und Gesang begleiten. Sie fahren dahin in grosser Schaar, von bunten Hirschen oder Gazellen gezogen, als kampfgerüstete Männer, geziert mit allerhand Schmuck, Spangen und Gold, mit Speeren und Harnischen bewehrt Die Schilderungen, welche die vedischen Dichter von der wild dahin stürmenden Schaar der Maruts geben, sind oft sehr schön, kräftig und schwungvoll Es ist mit Recht daran erinnert worden, dass jene indischen

1 8. ZUchr. f. deutsch. Alterthum 19 p. 164. Dagegen Btellen Andre, wie F. Kluge, den germ. Wotan, Wodan yielmehr mit latein. ?ates zusammen, und soll der Name darnach eigentlich* etwa „Gesanges- herru bedeuten. Vgl. P. t. Bradke, Dyaus Asura, Vorwort p. X.

* Ein lebendiger Hymnus an Vita findet sich RV 10, 168 (Siebenxig Lieder p. 95).

t. BekrS4«r, lad Um Ut. m. Cmlt. 5

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Poeten die gewaltige Erscheinaug der Monsune kannten und dieselbe bei ihren Schilderungen offenbar vor Augen hatten.1

Ein Gott des Sturmes ist auch Rudra, dessen Name ent- weder der „Heulende, Brüllende" oder der „Rothe" bedeutet.1 Er steht in naher Beziehung zu den Maruts, wird ihr Vater genannt3 und repräsentirt die gefahrliche, vorheorende Gewalt des Sturmes. Aber man rühmt ihn auch, vielleicht mit einer Art euphemistischer Schmeichelei, als einen helfenden, schützen- den .Gott und nennt ihn „Qiya", d. h. den Gütigen. Er ist im Besitz „heilsamer" Arzeneien, ja er wird sogar „der beste der Aerzte" genannt, und es scheint dabei in der That an die heil- same, reinigende Seite der Stürme gedacht zu sein.4 Aus diesem Rudra, oder doch in Anknüpfung an ihn, entwickelt sich in späterer Zeit der grosse Gott Qiva.

Ein uralter Gott, noch aus der Periode der indogermani- schen Einheit stammend, ist der Regengott Parjanya, der mit dem litthauischen Perkunas, wahrscheinlich auch mit dem sla- yischen Perun ursprünglich identisch ist. Im Rigreda hat er sich noch erhalten und wird in herrlicher, hochpoetischer Weise gefeiert, später aber ganz vergessen. Folgendes kraftvoll-schöne Lied des Sängers Atri ist an Parjanya gerichtet (RV 5, 83):

1. Begrüsse den Machtigen mit diesen Liedern, preise Parjanya, ruf ihn her in Denrath ! Mit lautem Brüllen lasst der Stier die Tropfen rinnen and legt seinen Samen als Leibesfrucht in die Pflanzen.

2. Er zerschmettert die Baume und tfldtet die bösen Dämonen, vor seiner machtigen Waffe bebt ein jedes Wesen; vor dem Gewaltigen flüchtet selbst der schuldlose Mensch, wenn Parjanya donnernd die Misse- thater niederschlagt

8. Wie ein Rosselenker, der mit der Peitsche seine Rosse peitscht, so scheucht Parjanya seine Regenboten auf; es erhebt sich wie eines Löwen Gebrüll ans der Ferne, wenn Parjanya sein Gewölk zum Regen sammelt

4. Die Winde wehn, die Blitze schiesBen dahin, die Krauter erheben sich, es schwillt der Himmel; jedwedem WeBen wird ein Labetrnnk zu Theil, wenn Parjanya mit seinem Samen die Erde erquickt.

5. Unter dessen Gebot die Erde sich beugt, unter dessen Gebot sich Alles regt, was Hufe hat; unter dessen Gebot alle bunten Krauter stehen, du, o Parjanya, sollst uns mächtigen Schutz verleihen.

* Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 42 45. Die Hymnen an die Maruts sind von Max Müller nebst englischer Uebersetzung besonders herausgegeben ^London 1869). Vgl. Anhang zu Vorlesung VI.

* VgL A. Barth, Reiigions de l'Inde p. 11. Pischel, Zeitscbr d. D. M. G. Bd. XL. p. 120.

* Man Tgl. den schönen Hymnus RV 2, 33.

* Diese gnädige, heilsame Seite des Rudra durfte etwas zu stark betont sein bei A. Barth, a. a. 0. p. 11.

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6. Spendet uns Hegen, ihr Maruts, vom Himmel her, lasat schwellen die Ströme des starken Rosses; komm herbei mit deinem Donner in ansre Nahe, die Wasser strömen lassend, unser göttlicher Vater I

7. Brülle und donnre, befrachte du, fahr umher mit deinem Wagen, der von Wasser überströmt; den geöffneten Schlauch schlepp dahin, nach unten gekehrt, Thal und Hügel sollen gleich gemacht werden.

8. Heb auf die grosse Kufe and gie&s sie aus, efl sollen die Bache entfesselt vorwärts strömen, benets mit fruchtbarem Nass Erd und Himmel, eine schöne Tranke soll es sein für unsre Kühe.

9. Wenn du, o Parjanya, brüllend und donnernd die Uebelthater xu Boden schlägst, dann jauchzt Alles lustig auf in dir, was irgend auf der Erde lebt.

Ich wüsste wenige Schilderungen, die ein so lebensvolles Bild der mächtigen Gewitter- und Regenerscheinungen dar- bieten, wie dieser Hymnus.

In die Luftregron werden auch die Ribhu's versetzt, welche für uns ein mythologisch-historisches Interesse haben, weil sie ursprünglich identisch sind mit den germanischen Elfen. Die Ribhu' s sind kunstfertige Wesen, die durch ihre Geschicklich- keit1 sich. göttlichen Rang, Opfer und Unsterblichkeit erworben haben. Sie sind es, die den wunderbaren Wagen der Acvinen, die Wunderkuh des Brihaspati und die aufs Wort sich schir- renden Rosse des Indra geschaffen haben. Von ihnen rühmt man auch, dass sie ihre altersschwachen Eltern wieder jung gemacht u. a. m. Ihr am meisten bewundertes Werk bestand aber darin, dass sie ans Tvashtar's, des Götterkünstlers, wunder- barer Schale oder Götterbecher deren vier zu verfertigen wussten, so dass sich Tvashtar vor Scham und Neid versteckte. Sowohl der Name als auch die ihnen nachgerühmte Kunstfertigkeit sichert die Zusammenstellung mit den elbischen Wesen bei den Deutschen.

1 Der Käme Ribhu kommt von der Wnrzel arbb oder rabh „an- futen" und bedeutet eigenüich anstellig, geschickt

5*

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Sechste Vorlesung.

Die Götterwelt des Rigveda (Fortsetzung und Schluss). Die Götter der Erdregion: Agni, Sorna u. a. Brihaspati. Charakter der vedischen Bell- gion. Polytheismus oder Henotheismus? Darlegung von Muller's Be- griff des Henotheismus. Die vedische Religion ein Polytheismus mit ausgesprochener Tendenz zum Pantheismus. Götteridentificationen. Dua- lische Verschmelzung bestimmter Götter. Monotheistische Neigungen und Ansätze. Philosophisches. Anhang.

In der Region der Erde, welcher wir uns nunmehr zu- wenden, ist der wichtigste und vornehmste Gott Agni, der Gott des Feuers, dessen Cult jedenfalls schon in die indoper- sische Periode zurückreicht. Der Name Agni bedeutet „Feuer** und fällt zusammen mit dem lat. ignis, slav. wom. Die Erde kann eigentlich nicht eines grossen Gottes Heimath sein. Auch Agni ist, wie die Sage erzählt, vom Himmel, aus der Götter- welt herabgestiegen. Atharvan oder Matariqvan, eine Art indischer Prometheus, soll ihn von dort geholt haben, aber nicht als einen Raub, sondern als eine Gabe der Götter« Dass diese Sage von der Herabkunft des Feuers uralt sei, hat Adal- bert Kuhn1 gezeigt.

Agni ist der gütige Gott des Feuers, der auch im Dunkel der Nacht dem Menschen *em Heim traulich, warm und hell macht Er ist den Outen ein Schützer, er durchbohrt mit seinen Flammenpfeilen die bösen Dämonen, die Rakshasen, die Zaubrer und Hexen. Er ist selbst ein grosser und heiliger Gott, aber seine Hauptfunction besteht doch darin, dass er der Bote zwischen Menschen und Göttern ist. Er tragt die Opfer- gabe hinauf zum Himmel und an seine Gegenwart ist die Gegen- wart der Götter beim Opfer gebunden. Nicht in Tempeln, sondern unter freiem Himmel, auf schmucklosem Altar wird

1 Ad. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers und des Göttertranks, 1859. Neu herausgegebea von- Ernst Kuhn, Gütersloh 1886.

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dieses Opferfeuer entzündet, und dort erscheinen die Götter. In der Regel und dies ist das Heiligste wird das Feuer durch Reibung zweier Hölzer von verschiedenen Bäumen erzeugt, die seine „Eltern" genannt werden. Das eine Holz wird in einer Vertiefung des anderen gedreht oder gequirlt, bis der Funke herausspringt. 1 Diese Art der Feuererzeugung ist jeden- falls eine uralte, als heilig angesehene Sitte, und ähnlich hat sie sich auch bei anderen indogermanischen Völkern noch lange erhalten, so z. B. in dem germanischen sogenannten Nothfeuer. Dio gewöhnlichste Opferspende ist Butter oder Schmalz, die ins Feuer gegossen werden. Die religiöse Dichtung sucht Gott Agni auch persönlich, menschlich zu gestalten. Er wird ge- schildert als ein kühner Krieger, der auf dem Streitwagen er- scheint, die Flammen sind seine Rosse, aber wenn die Dichter das Feuer schildern wollen, so bricht doch immer wieder die Vorstellung des Naturelements hindurch und die Persönlichkeit' verblasst

Agni erscheint am Himmel als Sonne, er erscheint in der Luit als Blitz, auf Erden als Feuer auf dorn Heord und Altar des Menschen. So ist er überall, in allen dr«i Gebieten geboren, gehört allen dreien an. Er wird auch dor „Sohn der Wassor" genannt, offenbar weil er aus den Wolkenwassern als Blitz entspringt. Man erzählt, dass er, verfolgt, sich in das Wasser flüchtet; so wird das Erlöschen des Feuers im Wasser gedeutet; es ist plötzlich weg, es hat sich im Wasser versteckt. Auch „Sohn seiner selbst" wird Agni oft genannt, d. h. es geht ihm nichts Analoges, Homogenes voraus, er springt scheinbar ganz von selbst aus den Hölzern, wenn sie richtig behandelt werden. Dem Menschen ist Agni der nächste, liebste, trau- teste Gott, der Hausesherr und Hausbewohner, ein willkommener Gast, ein allverehrter, lieber Hausfreund. Unzählige Hymnen sind au ihn gerichtet. Der Rigveda beginnt mit einem Hymnus an Agni, und auch in den weiteren Büchern desselben stehen die Lieder an Agni fast durchweg an erster Stelle, als wenn sich dieser. Vorrang für den priesterlichen Gott von selbst ver- stünde.*

Die Phantasie des Inders bevölkert die Erdregion mit

1 Das eine (das männliche) Holz wird vom Ac vattha- Baum (Ficus religio« L.) genommen; das andere (das weibliche) Holzstuck, in welches das entere hineingesteckt und gedreht wird, stammt von dem $am1- fisum (Acacia Suma).

1 Mit Agni ist, wie ich neuerdings nachgewiesen habe, ursprüng- lich Apollon identbch.

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noch vielen anderen geringeren göttlichen oder halbgöttlichen Wesen, Nixen, Nymphen oder Kobolden. Da werden eine ganze Reihe von Flüssen verehrt und um Beistand angefleht; die Ackerfurche und Anderes, was mit der Bestellung des Ackers zusammenhängt, wird vergöttlicht und angerufen; ein Genius des Hauses, dor Hausesherr genannt (Vastoshpati), wird um Schutz und Förderung gebeten u. dgl m.

Unter' diesen kleineren Genien möchte ich nur noch die eigenthümlich sympathische Gestalt einer Waldfrau hervor- heben, der sogenannten Aranyani, einer Genie des Waldes und der Waldeinsamkeit. Es ist eine harmlos freundliche Er- scheinung, die auch einen Zug von jener naiven Unbeholfenheit an sich hat, welche in der deutschen Sage bisweilen gütigen kleinen Zwergen oder dergleichen beigelegt wird. Der Dichter1 ruft die Waldfrau an, er fürchtet, dass sie sich verirren könne und will ihr helfen, das Dorf zu finden. Wenn die Vögel im Walde sich rufen und Antwort geben und lustig auf den Zwei- gen hüpfen, dann freut die Waldfrau sich. Sie kränkt niemand, der sie nicht selber reizt; sie labt eich an den süssen Früchten des Waldes und legt sich dann behaglich hin zum Ausruhn. Sie duftet lieblich nach Salben; Speisen hat sie im Ueberfluss, ohne dass sie zu pflügen braucht, und als gütige Mutter des Wildes preist sie der Dichter.

Zum Schluss seien nur noch zwei Götter hervorgehoben, die schon mehr den Eindruck priesterlicher Schöpfungen machen und uns so zu einer späteren Periode der indischen Gottes- verehrung hinüberleiten, nämlich Sorna und Brihaspati oder Branmanaspati

Sorna ist eigentlich nur der früher schon besprochene Trank, welchen die Priester den Göttern darbringen, durch den die Götter Kraft und Stärke zu ihren Thaten gewinnen und um des8entwillen sie den Menschen dankbar und freundlich sind. Wegen dieser seiier hohen Bedeutung wird der Sorna dann selbst personificirt, als ein Gott dargestellt, und werden auf ihn eine Menge hoher göttlicher Qualitäten gehäuft. Er verleiht nicht nur Indra die Kraft zu seinen Kämpfen, er wird auch Herrscher und König der ganzen Welt genannt,1 König der Götter uud der Menschen;3 es hoisst, dass er Alle über- wältigt oder überragt;4 ja er wird Vater und Erzeuger der Götter genannt, der den Himmel gestützt und die Erde ge-

1 RV 10, 146: hübsch übersetzt in den „Siebenzig Liedern" p. 140. * RV 9, 96. 10. 3 RV 9, 97, 24. 4 RV 9, 59, 4.

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festigt.1 Er soll die Sünden verzeihen, er dereinst den From- men in das Reich der Unsterblichkeit fuhren.1 Das ganze nennte Buch des ßigveda beschäftigt sich mit ihm, fast alle (114) Hymnen desselben sind an ihn gerichtet

Brihaspati oder Brahm anaspat i, der Gebetesherr, ist ein Ansatz zu einer ähnlichen Schöpfung wie sie der spätere Gott Brahma darstellt, den wir im Ijtigveda noch gar nicht vorfinden, Heldenthaten anderer Götter werden auf diesen Gebetesgott übertragen. Er soll der Erde Enden gestützt haben, er soll das All umfassen. Von ihm wird gerühmt, was sonst Indra's Ruhm war, dass er den Wolkenfels gespalten, die Dämonen besiegt und die befruchtenden Wasser befreit habe.8 Er soll den Göttern erst ihren Opferantheil verschafft haben, eine bedeutsame That* Von dem Werth und Einfluss des Opfers und Gebetes gewann man allmählich immer höhere Vorstellungen, und der, welcher Herr über das Gebet war, hatte damit eine gewaltige Mächt in Händen. Er, der Bändiger auch der Starken, wird angefleht um Schutz und Hülfe gegen jede Anfeindung.5

Nachdem wir so dio vedische Götterwelt in ihren hervor- ragendsten Erscheinungen überblickt haben, wollen wir nun noch einige charakteristische Züge näher in's Auge fassen, durch welche dieselbe als ganz eigenartig gekennzeichnet wird, und welche für das spatere religiöse und philosophische Denken der Inder von hervorragender, folgenreicher Bedeutung gewesen sind.

Henotheismus.

Wenn Sie, meine Herren, die ganze Schaar der von uns besprochenen Götter, mit denen der Inder des Rigveda alle Reiche der Natur und Regionen, die noch darüber hinaus gehen, bevölkert, noch einmal in der Erinnerung an sich vorüber ziehen lassen, so werden Sie kaum zweifelhaft sein, welcher Kategorie von Religionen dieser vedische Glaube zuzuzählen sei; Sie werden wohl unbedenklich sagen, dass uns hier ein gestalten- reicher Polytheismus im grossen Style vorliegt. Dennoch ist diese Bestimmung angestritten worden und zwar von keinem Geringeren als Max Müller, der in dieser vedischen Götter- welt Züge so eigenthümlicher Art ausgeprägt findet, dass er ihr den eigentlich polytheistischen Charakter geradezu absprechen will und eine ganz neue Bezeichnung, eine neue Begriifsbe-

1 RV 9, 87, 2. » RV 9, 118. RV 2, 24. * RV 2, 28, 2. * RV 2, 23.

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Stimmung für sie speciell zarecht macht, indem er den vedischen Glanben Henotheismus oder Kathenotheismns nennt, d. h. Glaube an einzelne Götter, oder an je einen einzelnen Gott Wenn nun ioh persönlich auch die Bezeichnung „Polytheismus* fin- den vedischen Glauben nicht geradezu bei Seite schieben möchte, so ist immerhin die Modincation, welche wir an dem polythei- stischen Begriffe in diesem Falle vornehmen müssen, ungemein wichtig und bedeutsam, und dieselbe dient so wesentlich zum Verständnis der späterhin in Indien sich entwickelnden reli- giösen und philosophischen Ansichten, dass sie in der That einer eingehenderen Besprechung und Erläuterung werth ist

Schon in seiner History of ancient Sanskrit Literature (1853) hat Max Müller auf diesen eigentümlichen Zug des vedischen Glaubens hingewiesen. Er sagte dort: „Wenn diese einzelnen Götter angerufen werden, werden sie nicht dargestellt als beschränkt durch das Machtbereich von anderen, als höher oder niedriger in ihser Stellung. Im Geiste der Andächtigen ist jeder Gott so gut als alle anderen Götter. Er wird im Augen- blicke des Gebets als eine wahre Gottheit, als höchstes unum- schränktes Wesen gefühlt, trotz aller unabweislichen Beschränk- ungen, welche, unserer Ansicht nach) noth wendig mit einer Mehrheit von Göttern verbunden sind. Alle anderen Götter verschwinden aus dem Sehfelde des Dichters, und nur der Gott, der ihre Wünsche erfüllen soll, steht in klarem Lichte vor den Augen seiner Verehrer." 1

Unä schärfer noch präcisirt Max Müller späterhin diesen Begriff des Henotheismus oder Kathenotheismus, der der vedi- schen Religion eigentümlich ist, indem er sagt, es sei dies „ein Glaube an einzelne abwechselnd als höchste hervortretende Götter.** * Dieser Henotheismus, von Big, Gen. ivog „einer* im Gegensatz zu povog „nur einer", dieser Glaube an einzelne, abwechselnd als höchste gedachte Götter ist nach M. Müller „ganz verschieden von Monotheismus, dem Glauben an nur einen Gott mit entschiedener Leugnung der Möglichkeit anderer Götter, und Polytheismus, dem Glauben an viele Götter, die zusammen eine Art von geordnetem Götterstaat bilden.**8 Jbn Veda sagt M. Müller wird ein Gott nach dem anderen angerufen. Für den Augenblick wird Alles, was von einem göttlichen Wesen gesagt werden kann, ihm beigelegt Während

1 Vgl. M. Mflller, Ursprung und Entwickelung der Religion, p. 329 » M. Müller a. a. 0. p. 312. » M. Müller a. a. 0. p.

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der Dichter diese Gottheit vor sich sieht, scheint er keine andere Gottheit zu sehen. Und doch, nicht nur in derselben Sammlung Ton Hymnen, sondern selbst iu demselben Hymnus werden andere Götter erwähnt, und auch sie sind durchaus unabhängig, durchaus die höchsten, durchaus göttlich. Die Aussicht des Dichters scheint sich plötzlich zu verändern, und derselbe Dichter, der noch eben nichts als die Sonne als den Herrn Himmels und der Erde kannte, sieht jetzt Himmel und Erde als den Vater und die Mutter der Sonne, ja als die Eltern aller Götter."1 So ist denn der Henotheismus nach IL Müller „eine Religionsform, die es möglich macht, dass, während ein Gott nach dem anderen angerufen wird, ein jeder die Attribute eines höchsten» von anderen unübertroffenen Wesens erhalt«1

Ich will es versuchen, diese eigentümliche Phase der Religionsentwickclung durch einige Beispiele deutlich zu machen;

Von Varuna hieas es in dem Liede, das ich früher mit- geteilt habe,* dass er über Himmel und Erde herrsche; von im heisst es auch, dass er König sei über Alle, sowohl über die Menschen als über die Götter;4 diese ganze Welt gehört ihm, dem weisen Herrscher.5 Aber auch Indra heisst der Herrscher,6 gegen den alle anderen Götter nicht aufkommen können, der sie alle bezwingt;7 Erd und Himmel haben Indra's Herrschaft anerkannt.8 Aber auch von Püshan wird in einem anderen Hymnus gesagt, dass er der Regierer und Herr sei aber Alles, was sich bewegt und was da feststeht,9 und wieder in einem anderen Hymnus wird Sorna genannt der König der Welt10 und an einer anderen Stelle König der Götter und Menschen.11

Indra soll an Macht und Stärke Alle übertreffen:

„Es ist kein höherer als du,

Kein stärkerer, du Vritrafeind;

Ja Keiner kommt auch nur dir gleich.44"

So rühmt der Sänger. Nichts ist ihm unbezwinglich, ihm gleich ist keiner an Göttlichkeit; " Indra ist mächtiger als Alle, rühmt immerwiederkehrend der Refrain eines Liedes (10, 86). Aber auch von Rudra wird gesagt, dass er der unbesiegbare Sieger ist, der selbstherrliche;14 auch von Sorna heisst es, dass

« M. Moller a, a. 0. p. 313. a. a. 0. p. 884. » RV 1, 25, 20.

4 RV 2, 27. TO. RV 2, 28, 1. RV 4, 19, 2. » RV 4, 80, 8 u. 5.

RV 4 Xlt 1. RV 1, 89, 5. " RV 9, 96, 10. " RV 9, 97, 24.

» RV 4, 80, 1. * RV 1, 165, 9. " RV 7, 46, 1.

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er Alle tiberwältigt,1 der Allbesieger;* und auch von Vishnu rühmt der Sänger, dass kein Gott das äusserste Ende seiner Macht erreicht habe.5

Mitra überragt an Grösse den Himmel und an Ruhm die Erde;4 alle Menschen gehorchen ihm und er trägt alle Götter;6 aber ist es nicht Varuna, von dem es hiess, dass er die Himmel und die Erden umfasst? Varuna ist es, der von sich rühmen darf, dass seinem Willen die Götter gehorchen;6 aber auch von Agni wird preisend erzählt, dass alle Götter sich in Ehrfurcht vor ihm beugten;7 und von Gott Savitar heisst es: „Er, dessen Satzung weder .Indra, noch Varuna, weder Mitra, noch Aryaman, noch Rudra verletzen dürfen!" Aehnlich von Indra: Alle Götter verletzen nicht seine Gebote.6

Varuna wird als Weltschöpfer und -Ordner gepriesen, weil er Himmel und Erde auseinander gestemmt, das erhabene Firmament erhöht und die Sterne und das Erdreich aus- gebreitet habe;* er hat den Sonnenball droben geschaffen, er grub der Sonne ihre Pfade, Hess die fluthenden Gewässer strömen und schuf den Tagen ihre weiten Bahnen;10 er rühmt sich, dass durch ihn die Lufträume festgegründet seien, dass er als kundiger Bildner alle Welten, Erd und Himmel ge- schaffen habe und sie erhalte. Aber auch von Indra wird wiederum gerühmt, dass er der Erzeuger des Himmels und der Erde sei!11 auch von Indra wird gesagt, dass er die Erde und den Himmel gefestigt, Sonne und Morgenröthe erzeugt habe;16 und ebenso an einer anderen Stelle, dass er die wan- kende Erde festmachte, dass er den Himmel stützte.16 Und ein Hymnus an Vishnu sagt wiederum, dass er es war, der Himmel und Erde und alle Welten festigte;14 auch von Vishnu wird gerühmt, dass er das erhabene Firmament gestützt habe.16 Und Sorna hat nach einer anderen Stelle den gleichen Ruhm; Sorna ist der Stützer des Himmels und der Festiger der Erde, singt ein Sänger.16 Von Dyäus und Prithivi, d. h. von Himmel und Erde wird es ebenfalls gesagt, dass sie die Welt geschaffen haben;17 und an einer anderen Stelle wieder heisst es, dass es ein kundiger Werkmeister war, der diese beiden, Himmel und Erde, geschaffen;16 und ähnlich wo anders: „Jener grosse Künstler unter den Göttern war es, der die beiden

1 RV 9, 59, 5. 6 Ebenda 1. * RV 7, 99, 2. RV 3, 69, 7.

RV 8, 69, 8. RV 4, 42, 1 u. 2. * RV 6, 9, 7. RV 3, 82, 8.

RV 7,. 86, 1. >0 RV 7, 87, 5 u. 1. " RV 8, 86, 4. 11 RV 3, 82, 8.

RV 2, 12, 2. " RV 1, 164, 4. " RV 7, 99, 2. " RV 9, 87, 2. » RV 1, 169, 2. »• RV 4, 66, 3.

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Welten erzeugte.*41 Und ein anderer Sänger rühmt, Brihas- pati sei es gewesen, der mit seinem Schall die Enden der Erde auseinander stemmte. *

Von Mitra wird gesagt, dass er die Götter trage oder erhalte;» aber nach einer anderen Stelle sollen Himmel und Erde Alles tragen oder erhalten.4 Es wird von Himmel und Erde gesagt, dass die Götter ihre Kinder seien,6 dass sio also die Götter gezeugt haben,6 aber doch heisst in einem anderen Liede wiederum Sorna der Vater und Erzeuger der Götter!7

Sie sehen also, wie seltsam und widersprechend diese Aus- sagen sind! Sie sehen, wie die Tedischen Sänger bald auf diesen bald auf jenen Gott, jenachdem an wen das Preislied jedes Mal gerichtet ist, die höchsten Auszeichnungen, die ober- sten göttlichen Qualitäten, die grössten Rnhmesthaten häufen. Jetzt ist Varuna der oberste Herr und König der Welt, jetzt ist es Püshan, jetzt Indra, jetzt Sorna. Jetzt Boll Indra alle Götter an Stärke überragen, jetzt Sorna, jetzt Rudra, jetzt Vishnu. Jetzt heisst es, dass Varuna die Welt geschaffen und geordnet, Erd und Himmel gefestigt habe, aber dasselbe wird auch von Indra gerühmt, dasselbe von Vishnu, dasselbe von Sorna, dasselbe von Himmel und Erde, dasselbe auch von Bri- haspati. Jetzt sollen Himmel und Erde die' Götter erzeugt haben, und dann heisst wieder Sorna der Vater und Erzeuger der Götter!

Es ist merkwürdig genug, zu beobachten, wie hier die Phantasie der vedischen Dichter jedesmal bei dem Bilde des einen Gottes verweilend dasselbe in immer höheren und grösse- ren Zügen, in immer mächtigeren Dimensionen sich vorstellt und ausmalt, bis zuletzt vor diesem Bilde in seiner Riesen- grosse die anderen Göttergestalten ganz zurücktreten und ver- blassen. Ein anderer Tag bringt das Opfer und den Preis eines anderen Gottes, und der gleiche Process wiederholt sich mit diesem und weiterhin mit anderen und wieder anderen Göttern. In der That, in einem geordneten Pantheon würden diese verschiedenen allerhöchsten Götter, Weltenschöpfer und Welten herrscher nicht neben einander bestehen können, und in diesem Sinne hat Max Müller Recht, wenn er sagt, es wäre dies eigentlich kein rechter Polytheismus. Aber dennoch ist es Polytheismus, es ist ein Glaube an viele verschiedene Götter,

1 RV 1, 160, 4. * RV 4, 50, 1. » RV 8, 69, 8. 4 RT 1, 186, L 5 8ie werden devaputre genannt, d. h. die Götter an Kindern habend. RV 1, 159, 1. T RV 9, 87, 2.

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deren Gestalten wir trotz all der oben bemerkten Widersprüche sehr wohl von einander zu scheiden vermögen, und die der Inder des rjigveda sehr wohl neben einander kannte und zu unterscheiden wusste. Es ist ein Polytheismus, aber mit einem ganz eigenartig ausgeprägten Charakter, einer eigentümlichen Modification, einer ganz besonderen Tendenz, der Tendenz auf Erweiterung und Vergrößerung der Gestalt, des Wirkens, ,des Gebietes jedes einzelnen Gottes, bis dieselben mit der Ge- stalt, dem Wirken, dem Gebiet anderer Götter zusammenmessen. Es ist eine Tendenz, die uns zuletzt hinfuhrt zu der Erkenntnisa, dasa all die verschiedenen Göttergestalten im Grunde gar nicht von einander unterschieden sind, dass sie alle im Grunde doch nur Einer sind, dass aus dem Einen sie alle sich entfaltet, eine Tendenz zum Glauben an das ev xai xav, zum Pantheismus. Mag immerhin der Name Henotheismus oder Kathenotheismus für diese Phase des religiösen Denkens bestehen bleiben; er ist treffend und gut gewählt; für uns aber bezeichnet er nur einen ganz eigenartig und besonders modificirten Polytheismus, dessen Entwickelung auf den Pantheismus hin gerichtet ist. Be- merkenswerth ist bei diesem Process auf indischem Gebiete die völlige Naivität, mit der er sich entwickelt. Es sind ja noch keine Philosophen, diese vedischen Ijlishi's, es sind priesterliche Sänger, die jedes Mal so durchdrungen sind von der speciellen Erscheinung des Göttlichen, der sie sich eben gerade mit ihrem Loblied e zuwenden, sei es nun der ' allumfassende Himmel, sei es die Sonne, sei es das Feuer, sei es Gewitter und Regen, sei es der berauschende Göttertrank, dass sie seines Ruhms kein Ende finden können. Und erst viel später fragt dann der re- flectirende Verstand, der diese verschiedenen Aeusserungen über- schaut: Wenn dies hier der grosse Eine ist, und jenes dort auch der grosse Eine, und jenes da ebenfalls, ist nicht eben dann dies Alles er der grosse Eine, und jedes Einzelne also nur in ihm und ein Theil von ihm, in dem er sich offenbart und zeigt in seiner Allmacht, seiner Grösse, seiner Güte und liebe?

Indessen, meine Herren, ich bin damit schon über den vedischen Standpunkt hinausgegangen, ich habe eine spätere Phase des Denkens, die aus ihm sich entwickeln musste, anti- eipirt, und es wird besser sein, wieder zurückzugreifen und die vedische Auffassung in ihrer Eigenart nach verschiedenen Seiten hin noch näher zu charakterisiren, weil sie ja eben so beachtens- werth, weil sie so wichtig und folgenreich ist für alles weitere indische Denken.

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Ea ist bei den vedischen Göttern auch dies hervorzuheben, dass viele von ihnen von vornherein in ihrem Wirkensgebiete zusammenfallen, sich in Wesen und Funktionen zum Theil ganz decken und eigentlich nur eine andersartige Auffassung der- selben Erscheinung darstellen. Dyaus war der leuchtende Himmel, aber auch Varuna war ursprünglich der Himmel, sofern er Alles umfasst Surja war die Sonne; aber auch Savitar war die Sonne, sofern sie Alles belebt und in Be- wegung setzt; auch Püshan war die Sonne, sofern sie ins- besondere den Heerden Gedeihen schenkt und sofern sie dem Wanderer Licht und Leitung auf seinen Bahnen giebt; auch Vishnu ist die Sonne, sofern sie den Himmelsraum durch- schreitet Indra war der gewaltige Herr und Erzeuger des Gewitters, des Donnen, Blitzes und Regens; aber auch von Parjanya wird dasselbe berichtet, und auch dem Brihaspati wird die gleiche Wirksamkeit nachgerühmt. Rudra ist der Sturm, aber auch die Marut's sind die Stürme. Vata ist der Wind, aber Vayu nicht minder u. &> w. Es scheint mir ein- leuchtend, dass diese Eigentümlichkeit der vedischen Götter- welt mit dem henotheistischen Charakterzug verwandt ist und sehr wohl zu seiner Ausbildung mit beitragen konnte.

Die eigentümliche Richtung des religiösen Denkens und Gestaltens der vedischen Dichter führte sie zuletzt zu völliger Identificirung verschiedener Götter, und sogar solcher, deren Wesen und Gebiet eigentlich einander vollkommen fern stehen. Es macht den Eindruck, als könne der vedische Sänger immer noch nicht genug haben bei dem Preise des Gottes, den er gerade besingt, als müsse er zuletzt geradezu sich hinreissen lassen zu der Behauptung, dieser Gott sei ja eigentlich auch jener andere berühmte, hochgelobte Gott, oder gar noch din anderer. Insbesondere ist es Agni, der Gott des Feuers, von dem Aehnliche8 gesagt wird. So singt z. B. ein Dichter von ihm: „Du, o Agni, bist Varuna, wenn du geboren wirst; du bist Mitra, wenn du entflammt bist; in dir, du Sohn der Kraft, sind alle Götter enthalten; du bist Indra für den ver- ehrenden Sterblichen. Du bist Aryaman als Werber um die Jungfrauen, geheimnisvolles Wesen trägst du in dir, o selbst- herrlicher I" 1

, Und noch mehr in einem anderen Hymnus:

„Du, Agni, bist der stärkte Indra» du bist der weitausschreitende yerehrungswürdige Vishnn; da, Agni, bist König Varuna mit

* RV 6, 3, 1 und 2

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festen Satzungen, du bist der wunderkraftige, verehrungs würdige Mitra, du bist auch Aryaman, der Heerführer, du, o Gott, bist Amc,a, der beim Opferfest Gaben austheilt; du,o Agni, bist Tvashfar; du, o Agni, bist der lebendige grosse Radra, du bist die Marutschaar, bist Herr der Labung; mit den Winden wandelst du dabin, all Pulhan be- schützest du (Üe Verehrer; Schatzspender bist, o Agni, du dem dienenden Opferer, dn bist Gott 8avitar, der Schatxespender; als Bhaga herrschest du über den Reichthum, o Fürst; du, o Gott Agni, bist Aditi für den Verehrer, als Hotra und Bharatl kräftigst du dich durch das Lied; du bist 14», die hundertjährige, du bist der Vritratödter, dn 8a- rasvati.1

Aehnliche8 findet sich anoh sonst noch vor.1 Sehr merk- würdig aber beisst es in einem Liede8: ^Sie nennen ihn Indra, Mitra, Varuna, Agnil Dann ist es der himmlische Vogel, der Falkel Das, was nur Eines ist, nennen die Weisen auf viele Arten, sie nennen es Agni, Yama, Mataric,van!a

Diese eigonthümliche Neigung, die Gestalten verschiedener Götter in einander übergehen, zusammenniessen und verschmolzen zu lassen, zeigt sich auch in den merkwürdigen, im Veda sich vorfindenden Compositis, in welchen je zwei Götter in einem Worte dualisch zusammengefaßt, gewissermassen als eine Gott-% heit dargestellt und angerufen werden. So war das Siegeslied' des Vasishtha an Indra-Varuna als eine Gottheit gerichtet So finden wir häufig Mitra-Varuna als eine Gottheit;4 ebenso auch Indra-Vayu, d. i. Indra und Vayu als eine Gottheit; desgleichen Indra-Agni, Indra-Püshan, Indra-Brihas- pati, Indra-Vishnu, Indra-Soma, Agni -Sorna, Parjanya- Vata, Soma-Püshan, Soma-Rudra.5 Und diese Verschmel- zung ist dann eine so enge, so sehr wird der eine Gott dem anderen gleich gedacht und gestaltet, dass man z. B. von den beiden Mitra's6 spricht und darunter Mitra und Varuna ver- steht, oder auch von den beiden Varuna 's, was wiederum so viel bedeutet als Mitra und Varuna, und so fort

1 RV 2, 1, 3—7. 11. Hoträ ist die Göttin des Opfergusses, Bha- ratt die der Darbringung, I4& die des LabetrunkB; Sarasvatl die Göttin

der Rede, des Wortes.

* Vgl. RV 3, 6, 4; 7, 12, 3; 10, 8, 6 u. a, 8. ferner M. Maller, Ursprung und Entwickelung der Roligiou, p. 386.

* RV 1, 164, 46.

4 Indisch mltravaruna oder mitravarunaü indrajaruna oder nau u. s. w.

* Vgl. auch M. Mfiller. Ursprung und Entwickelung der Religion, p. 386.

* Indisch mitra oder mitran.

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Monotheistische Neigungen und Ansätze. Philoso- phisches.

Bei diesem eigentümlichen Charakter des vedischen Glau- bens und religiösen Denkens wird es uns nicht Wunder nehmen, wenn wir in den jüngeren Theilen des Rigveda, speciell im zehnten Buche, ein Streben wahrnehmen, in diese zu schwanken beginnenden Verhältnisse Sicherheit und Klarheit zu bringen, sei es nun durch entschiedene Forderung eines einzigen Gottes, sei es durch philosophische Statuirung des „Ignoramus", wenn uns also theils monotheistische, theils skeptische Neigungen und Bestrebungen begegnen. Wir sehen es hier, wie der indische Geist, unbefriedigt von dem bisher Gebotenen, nach Neugestal- tungen bald nach der einen, bald nach der anderen Seite hin ringt, bald positiv fordernd und behauptend, bald hoffend, ahnend und fragend, bald auch zweifelnd oder geradezu negi- rend. Schon in so früher Zeit sehen wir bei den Indern die Richtung auf philosophische Speculation hervortreten, die bei diesem Volke mit dem religiösen Denken fast untrennbar ver- bunden ist

Der Drang darnach, einen Gott als den alleinigen Welten- schöpfer, als den, der hinter allen Erscheinungen doch zuletzt verborgen ist, zu glauben und zu verehren, dieser monothei- stische Drang offenbart sich in mehreren Hymnen des zehnten Baches, die einen Gott Vic,vakarman, den Schöpfer aller Dinge, feiern. So heisst es z. B. in einem derselben l:

Was war das wohl für ein Standort, was war das für ein Stütz- punkt, und wie war es, von wo der Allschöpfer, die Erde erzeugend, den Himmel durch seine Macht eröffnete, der allschauende? (2)

Er, der aberall seine Augen hat und überall seine Münder, überall »eine Arme und überall seine Füsse, mit seinen beiden Armen und mit Schwungfedern (als Flederwischen) schmiedet er Himmel und Erde, er der alleinige Gott (3)

Was war das für ein Holz und welches war der Baum, aus dem man Himmel und Erde zimmerte? Ihr Weisen, forscht darnach mit eurem Geiste, worauf er stand, als er die Welten stützte. (4)

Den Herrn des Worts, den Allschöpfer, der den Geist in Bewegung *itxt, ihn möchten wir jetzt heim Opfer herbeirufen; er möge all unsre Opferungen freundlich annehmen, der Allheilvolle, Rechtwirkende, damit er uns fordere. (7)

Und in einem anderen Hymnus heisst es':

Der als unser Vater, Erzeuger und Schöpfer, die Ordnungen kennt und alle Welten, er, der fürwahr allein den Göttern ihre Namen gab, « Ihm kommen die anderen Wesen, um ihn zu befragen. (8)

1 RV 10, 81. » BV 10, 82.

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Was Ober den Himmel und Ober diese Erde, was Ober die leben- digen Götter hinausragt, welches war der erste Keim, den die Waaser empfingen, als alle Götter sich versammelten? (5)

Diesen ersten Keim empfingen die Wasser, als alle Götter *o- sammen kamen, das Eine, welches eingefügt ist in dem Nabel des Un- geborenen, in welchem (oder auf welchem) alle Wesen stehen. (6)

Den werdet ihr nicht erkennen, der diese ersengte, ein Andres ist für euch dazwischen; von Nebel eingehüllt und von Geschwate, wan- deln dahin die Liedsanger, am Leben sich erfreuend. (7)

Es ist sehr charakteristisch, dass selbst neben der Er- scheinung dieses Gottes, der der einige Weltenschöpfer sein soll, doch die Gestalten der anderen Götter wieder herrortreten» wenn auch in blassen Umrissen, und dass auch hier zuletzt der Sänger in Zweifel verfallt und den Hörern zuruft: Ihr werdet ihn doch nie erkennen, diesen Allschöpfer. Die Gestaltung eines echten und reinen Monotheismus ist unmöglich! Immer wieder drängen sich einerseits die alten Götter, andererseits der grübelnde Zweifel in den Vordergrund.1

Ganz besonders merkwürdig und interessant hinsichtlich dieser monotheistischen Neigungen und Strebungen ist ein Lied, das man fast vergleichen möchte mit jenem Altar, den der Apostel in Athen „dem unbekannten Gotte" aufgerichtet fand. Mit tiefem Sehnen sucht und forscht der Dichter nach dem Gotte, der der Welten Anfang, erster Keim und Schöpfer alles Lebens gewesen, der überall in der Natur sich offenbart. Er siebt das Göttliche in seinen Aeusserungen bald hier, bald da, bald dort, und immer wieder fragt er, zweifelnd, suchend, sehnend wer ist dieser Gott denn eigentlich, dem wir unser Opfer darbringen?

RV 10, 121:

Am Anfang entfaltete sich ein goldner Keim, es war der eingeborene Herr alles Gewordenen; er stützte die Erde und diesen Himmel, wer ist der Gott, dem wir mit Opfern dienen? (1)

Er, der den Odem verleiht und Kraft spendet, dessen Gebot alle GOtter ehren, dessen Schatten die Unsterblichheit und der Tod lind« wer ist der Gott, dem wir mit Opfern dienen? (2)

Der mit Macht König geworden ist über Alles, was da athmet.

1 Es war das Schicksal auch der in spateren Jahrhunderten bei den Indern wiederholt sich kraftvoll geltend machenden monotheistischen Bestrebungen, doch von den alten Göttern niemals loszukommen, immer wieder in den alten Polytheismus au verfallen (man vgl. darüber nament- lich das vortreffliche Buch von A. Barth, Les Reiigions de rinde, Paris 1879). Tief wurzelt im indischen Geiste der Glaube an die Viel- heit der Götter, aber gepaart mit einem unverkennbaren Drange nach Erkenntniss der höheren Einheit, die Allem doch zu Grunde liegt.

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was die Augen bewegt und sich regt, der da herrscht über sweifüssige und Tierfüssige Weaen, wei ist der Gott, dem wir mit Opfern dienen? (3)

Dessen Macht diese Schneegebirge, das Meer sammt dem Ocean anerkennen, dessen Arme diese Himmelsgegenden sind, wer ist der Gott, dem wir mit Opfern dienen? (4)

Durch den der gewaltige Himmel und die feste Erde, durch den der Aether und das Firmament gefestigt sind, der in den Lüften den Dunstkreis durehmisst, wer ist der Gott, dem wir mit Opfern dienen? (5)

Als die gewaltigen Wasser in das All strömten, den Keim em- pfangend, das Feuer gebärend, da entfaltete sich er, der Eine, der Lebenshauch der Götter, wer ist der Gott, dem wir mit Opfern dienen? (7)

Und am Schluss des Liedes redet der Dichter diesen un- bekannten Gott an und nennt ihn „Herr der Geschöpfe", Praj&pati, ein Name, der in der folgenden Periode der Yajur- Teden und Brahmana's eine bedeutende Rolle spielt. Der Sanger fleht:

0 Herr der Geschöpfe, kein anderer als du halt alle diese Wesen umschlossen ; welchen Wunsch hegend wir dir opfern, das werde uns zu Theil! Mögen wir Herren sein über die Reichthumer! (10)

Auch in diesem Liede sind die alten Götter noch nicht ganz verschwunden, aber das monotheistische Streben, das Suchen nach dem Einen ist doch deutlich zu erkennen und mu38 uns gerade dann rührend sein, wenn es bei der Frage bleibt, die in ihrer bescheidenen Wahrheit aller Selbstgewissheit baar ist: Wir sehen ihn doch in seinen Offenbarungen! Wer ist denn dieser Gott? Wir kennen ihn nicht und möchten ihn doch erkennen!

Nach der philosophischen Seite hin ist ein anderes, viel- berühmtes Lied das Gröeste und Bedeutendste, was der Veda uns bietet Mit ihm werde ich daher wohl passend diese Dar- legungen schliessen dürfen, da es mit seinen tiefsinnigen Ge- danken wie ein ernster Meilenzeiger dasteht, der schon weit in die künftige Periode hineinweist. Mit kühner philosophischer Construction boginnt der Dichter, den Weltenanfang schildernd, mit den höchsten Begriffen, Sein und Nichtsein und jenem ersten Einen operirend, bis er zuletzt doch mit einer schweren zweifelnden Frage schliesst.

RV 10, 129:

1. Damals war weder 8ein noch Nichtsein, nicht war der Luftkreis, noch der Himmel drüber. Was bewerte sich? wo? und in wessen Schutze? gab es das Wasser und den tiefen Abgrund?

2. Nicht Tod war damals, nicht Unsterblichkeit, nicht war ein Unterschied von Nacht und Tag, es athmete ohne Hauch durch Selbst- wtsung das Da«1 allein, und ausser diesem gab es gar nichts Anderes!

1 D. h. das erste, uranfanglicbe Sein (tat).

t. 8ekr*d«r. Indieu Lit. u. Cmlt. <i

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3. Finsterniss war von Finsterniss umhüllt am Anfang, ein unter- schiedloses Meer war dieses All; die Oede war vom leeren Raum um- schlossen, da ward geboren das Das allein, durch die Kraft der Warme.1

4. Da entsprang zu Anfang das Verlangen,2 das war der erste Same des Denkens; das Band des Seins an dem Nichtsein fanden die Weisen, im Herzen es suchend mit Andacht

5. Querdurch ist ihre Schnur gezogen; gab es ein Unten V gab es ein Oben? Samengeber gab es, Machte gab es; Selbstsetzung* unten, Gewährung oben.*

<>. Wer weiss es wohl, wer kann es hier verkünden, woher sie ge- kommen, -woher diese Schöpfung? Ob die Götter erst nach ihr ent- standen? Wer weiss es, woher sie geworden?

7. Diese Schöpfung, woher sie geworden, ob sie geschaffen wurde oder nicht? Er, der im höchsten Himmel waltet über dieser Welt, der weiss es wohl, oder weiss auch der es nicht?

Anhang.

Den vorstehenden Capiteln, welche sich mit dem Kigveda speciell beschäftigen, darf wohl als passender Anhang ein Ver- zeichni8s der vornehmsten Ausgaben, Uebersetzungen und son- stigen Hülf8mittel zum Studium desselben beigefügt werden.

Ausgaben:

F. Rosen, Rigvedae speeimen, London 1830.

F. Rosen, Rigveda Sanhita, über primus, sanskrite et latine, Lon- don, 1838.

Max Müller, Rig- Veda-Sanhita, the sacred hymns of the Brau- mans, together with the commentary of Sayanacharya, London 1849—1874 (6 voll.).

Max Müller, The hymns of the Rigveda, London 1873 , 2 voll ; 2. Aufl. Londou 1877. (Enthält nur den Text, in Sanskritlettern.)

1 täpasas; die „Siebenzig Lieder** übersetzen auch „kraft der Warme"; tapas vereinigt spater beide Bedeutungen: „Gluth, Warme" und „Busse*4, welch letztere in den Kosmogonieen der jetztfolgenden Periode eine wichtige Rolle spielt, daher man auch daran denken könnte, diesen Betriff hier suchen zu wollen, der aber freilich auf späteren Ur- sprung des ganzen Liedes deuten würde. Bas Täittiriya Brahmana 2, 8, 9, 4 hat eine beachtenswerte Variante, nämlich tämasas „aus dem Dunkel, aus der Finsterniss". Vielleicht ist dies das Alte, später durch täpasas ersetzt.

2 kama Verlangen, Begehren, Wunsch, oder Liebe, später auch der Liebesgott, Eros.

B svadha Selbstsetzimg, Sitte; auch Bezeichnung eines süssen -Trankes, der insbesondere den Vätern, den Manen dargebracht wird.

4 Ich habe diesen einigermassen dunklen, rätselhaften Vers nicht aus dem Liede ausscheiden wollen. Es scheint darin von der Scheidung der Götter- und der Menschenwelt in kurzen mystischen Worten geredet zu werden.

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Tk Aufrecht. Die Hymnen des Rigveda, Berlin 1861 und 1863. v2 Bande, in Transscription ; bildet deu 6. und 7. Band von Weber's „Indischen Studien"). 2. Aufl. Bonn 1877 <als besonderes Werk).

Roer'» Ausgabe von Text und Commentar des Rigveda (Calcntta 1849} ist über den ersten Anfang nicht hinausgekommen.

lebersetzungen:

F. Max Müller, Rjg-Veda-Sanhita, the sacred hymns of the Brahmans, translated and explained. Vol. I, Hymns to the Maruts or the Storm- Gods. London 1869. (Mehr ist bis jetzt nicht erschienen).

Hermann Grassmann, Rig-Veda, übersetzt und mit kritischen und erläuternden Anmerkungen versehen, Leipzig 1876 u. 1877. 2 Bande.

Alfred Ludwig, Der Rigveda oder die heiligen Hymnen der Brah- mana, zum ersten Male vollständig ins- Deutsche übersetzt mit Oom- mentar und. Einleitung. Band. I u. II, Prag 1876, enthält die üeber- setzung. Band III (1878) eine umfängliche Einleitung; Ba lVu.V den Commentar (1881. 1883).

SUbenzig Lieder des Rigveda, übersetzt von Karl G dner und Adolf Kaegi, mit Beitragen von R. Roth. Tübingen 1875.

Lex italisches:

Ausser den in erster Linie wichtigen, von R. Roth herrührenden vediscaen Artikeln des „Petersburger Wörterbuchs", noch;

Hermann Grassmann, Wörterbuch zum Rig-Veda, Leipzig 1873.

Erläuterndes:

Colebrooke, On the Vedas, As. Res. Calcntta 1806. Deutsch von

L. Poley, Leipzig 1847. R.Roth, Zur Literatur und Geschichte desWeda, Stuttgart 1846. Msx Müller, A History of Ancient Sanskrit Literature, so far

ad it illustrates the primitive religion of the Brahmaus. London 1859. J. Muir, Original Sanskrit Texts on the origin and history of the

people of India, their religion and institutions, collected, translated

and illustrated. Vol. V, London 872. Heinrich Zimmer, Altindisches Leben, die Cultur der vedischen

Arier, nach den Samhita dargestellt, Berlin 1879. Adolf Kaegi, Der Rigveda, die älteste Literatur der Inder. 2. Aufl.

Leipzig 1881.

Als besonders wichtig wären noch viele einzelne Essays und Auf- sitze von Max Müller hervorzuheben die sich nicht alle einzeln

namhaft machen lassen, fh. Benfey, Vedica und Verwandtes, Strassburg und London 1877.

Gram nia tischet»:

B. Delbrück, Das Altindische Verbum, aus den Hymnen des Rig- veda serneni Baue nach dargestellt, Halle 1874. B. Delbrück, in den „Syntaktischen Forschungen" von B. Del- brück und E. Windisch, Bd. I u. II, Halle 1871. 1877. (Bd. 1 der Gebrauch des Conjunctiv und Optativ im Sanskrit und Griechi- schen; Bd. II Altindiscbe Tempuslehre). Charles R. Lanman, Noun-Inflection in the Veda, New Häven 1880.

Das gesammte grammatische Material des Rigveda findet sich be- reits lichtvoll mit verarbeitet in W. D. Whitney 's vortrefflicher „In- discher Grammatik", vgl. oben p. 16.

6*

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Siebente Vorlesung

Uebersiedelung io das Gangesgebiet. Periode des Yajurveda. Grosse Wandlungen und Umwälzungen, welche in dieser Zeit stattgefunden haben müssen. Gegensatz der späteren Zeit verglichen mit der des rjlig- veda. an hervorragenden CnJture räch einungen verdeutlicht. Veränderte äussere Lebensbedingungen. Literarische Denkmäler aus der Zeit de* Ueberganges. Die culturhistorische Bedeutung der Yajurveden. Die fünf uns erhaltenen Sawbita'B verschiedener Schulen des Yajurveda. Allgemeiner Vergleich des Kigveda und Yajurveda und des in ihnen zu Tage tretenden Geistes. Charakteristik der Gottesverehrung zur Zeit

des Yajurveda.

Auf die Periode des Kigveda folgt eine Zeit der bedeut- samsten und folgenreichsten Umgestaltungen in der Geschichte des indischen Volkes. Ein grosser, wohl der grösste Theil der bis dahin im Penjab ansässigen indischen Stämme zog von dort weiter ostwärts und siedelte sich zunächst im oberen Thale des Ganges und der Yamuna, sowie an der Sarasvati uud Drishadvati, zwei kleineren Strömen im Westen der eben- genannten, an, während dann im Laufe der Zeit verschiedene Stämme auch noch weiter nach Osten vordrangen. Hier nimmt das sociale und politische Leben ebenso sehr wie das geistige und religiöse allmählich eine wesentlich veränderte Gestalt an. Die Zeit des Hirtenlebeus ist abgeschlossen, die Inder werden zu einem festangesessenen Volke, bei welchem Ackerbau und Industrie emporblüht. Grosse Städte, Residenzen erheben sich, unter denen manche im Laufe der Zeit als Sitz angesehener Königsgeschlechter bekannt und berühmt werden. Das früher in zahlreiche kleine Stämme gespaltene Volk vereinigt sich zu grösseren Complexen unter dem Scepter dieser Fürsten. Feste ständische Gliederung des Volkes tritt ein, die im Laufe der Jahrhunderte immer straffer zugezogen als Resultat endlich das sogenannte Kastenwesen hervorbringt Vor Allem war es der immer mehr zur Herrschaft gelangende Priesterstand, der dem

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ganzen indischen Leben, den staatlichen und socialen Institu- tionen wie den geistigen Productionen das Gepräge aufdrückte, wie es seinen Anschauungen und Wünschen entsprach.

Wie bedeutend die mannigfachen Umwälzungen und Wand- lungen dieser Jahrhunderte des Ueberganges und der Ent- wickelung gewesen, vermag man am besten abzuschätzen, wenn man sich das Resultat derselben, die Periode des indischen Mittelalters (ca. von dem Jahre 600 v. Chr. an) in ihren her- vortretendsten Zügen vergegenwärtigt. Ein grösserer Gegensatz, als er zwischen der Epoche des Mahabharata, des Ramayana und des Gesetzbuches des Manu im Vergleich mit der Zeit des Rigveda besteht, lasst sich in der That kaum denken, und ich stehe nicht an zu behaupten, dass wir in der Entwickelung keines einzigen indogermanischen Volkes so ungeheuere Um- wandlungen, so schroffe Gegensätze vorfinden. Der Gegensatz des germanischen Mittelalters mit seinem Ritter- und Mönchs- wesen, seinen Kreuzzügen und Wallfahrern, seinem Heiligen- und Madonnencultus, seinen Flagellanten und Eremiten, gegen- über den altdeutschen Zuständen, wie sie Tacitus schildert, ist freilich gross und bedeutend genug, aber doch noch nicht in dem Maas8e schroff wie der Gegensatz zwischen der vedischen Zeit und dem Mittelalter bei den Indern. Ja gerade alle die- jenigen Erscheinungen, welche den fremdländischen Beobachtern spaterer Zeit als die am meisten charakteristischen Eigen- tümlichkeiten des indischen Volkes on vornherein in die Augen sprangen, sind in der Periode des Rigveda überhaupt nicht vorhanden.

Vor allen 'Dingen das Kastenwesen, welches, bei keinem Volke der Erde mit solcher Schroffheit ausgebildet, mit eiserner Gewalt das ganze Leben und Denken der Inder beherrschte and die niederen Gassen des- Volkes in tiefes, grenzenloses Elend stiess. Sodann der unerschütterliche Glaube an die Seelen Wanderung, von wolcher im Rigveda noch keine Spur wahrzunehmen ist und welche doch schon im sechsten Jahr- hundert v. Chr. so allgemein als unumstössliches Dogma geglaubt wurde, dass des Gautama Buddha alleiniges Streben darauf gerichtet war, den Weg zu finden, wie sich der gequälte Mensch von der Nothwendigkeit der Wiedergeburt zu befreien vermag. Ein furchtbarer und schwer lastender Glaube, der in Indien keineswegs auf die Dogmatik von Philosophen und Priestern beschränkt ist, sondern vielmehr das gesammte Volk durchdringt, sein Handeln und Denken beständig beeinflusst Ferner das ausgebildete Einsiedler- und Büsserwesen, jene

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oft unglaublich scheinenden Kasteiungen und Peinigungen, denen sieb die Inder freiwillig unterziehen, in dem Glauben, ein Gott wohlgefälliges Werk zu vollführen oder gar Kräfte dadurch zu gewinnen, durch die sich selbst die Götter zwingen lassen. Ungeheuerliches berichten uns darüber die literarischen Denk- mäler des indischen Mittelalters. Ungeheuerliches und Grauen- volles erzählen Reisende seit Jahrhunderten von diesen Seibet- peinigungen der indischen Asketen, denen sicherlich wieder kein Volk der Erde gleich extreme Erscheinungen an die Seite zu stellen vermag.1 Von alledem war zur Zeit des ftigveda keine Spur zu entdecken, wo wir ein frisches naturwüchsiges Volk vor uns sehen, das selbst von dem Begriff der Sinnen- zügelung, mit dem später so viel operirt wird, noch keine Ahnung hatte.

Es fehlten also in der ältesten Periode gerade die wich- tigsten Factoren, die später das innerste Wesen dieses merk- würdigen Volkes constituiren.

Es fehlten in jener Periode auch die seltsamen, oft kolossalen Tempelbauten mit ihren Götterbildern, deren Fratzonhaftigkeit und Sinnlichkeit den Missionaren ein schwerer AnBtoss, ästhetisch empfindenden Menschen, wie z. B. Goethe, ein Greuel gewesen sind.*

Und um endlich auch das Schöne nicht zu vergessen, es fehlte zur Zeit des Rigveda völlig jene wunderbare Weich- heit und Zartheit, die uns an vielen späteren Poesien ent- zückt, die reiche, blühende, traumhaft und märchenhaft geartete Phantasie, und jenes zartpoetische Zusammenleben mit Blumen und Vögeln, mit Lotos, Mangobäumen, Gazellen und Mondenschein ; es fehlte auch die glühende erotische Richtung der Folgezeit. Im Zeitalter des Kigveda war das Alles, Alles anders.

Bei so ungeheueren Veränderungen und Umgestaltungen wird es eine Aufgabe von hoher culturgeschichtliche Bedeutung sein, die Gründe dieser Wandlungen zu erforschen und die all- mähliche Entwicklung derselben an der Hand glaubwürdiger Denkmäler zu verfolgen.

Es ist in dieser Hinsicht mit Recht schon wiederholt auf

1 Vgl. beiipielsweiae C. Meinera, Geschichte der Religionen, Bd. II (Hannover 1807) p. 168 flg.

1 Vgl. Zahme Xenien, zweite Reihe: , »Nehme sie Niemand zum

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die veränderten geographischen und klimatischen Bedin- gungen hingewiesen worden, in welche die Inder durch die Uebersiedelung in das Gangesland eingetreten waren.1 Die heisse, an Feuchtigkeit reiche Atmosphäre des in seiner tropi- schen Vegetation üppig wuchernden Gangesthaies musste dem Charakter der alten Arier mit der Zeit eine andere Färbuug geben. Der alte streitbare, kühne, frische Sinn musste in diesem Klima allmählich erschlaffen. Leicht war es hier in dem in Ueberfülle fruchtbaren Lande des Reises, des Zucker- rohrs, der mächtigen Feigenbäume und der nahrhaften Bananen seinen Lebeosunterhalt zu finden; um so leichter, als ja der Körper bekanntlich bei dem heissen und feuchten Klima weniger Nahrung beansprucht Die 'Atmosphäre selbst zwingt dort den Menschen zur Ruhe, und leicht vermag sich da der Hang zum beschaulichen Nachdenken und Grübeln zu entwickeln, wofür die Inder offenbar schon eine nicht unbedeutende Anlage mit- brachton.

Aber so wichtig und bedeutsam uns auch dieser klima- tische Factor für dio Erklärung der allgemein veränderten Grundstimraung des indischen Geistes sein mura, so werden vir uns doch daran alloiu nicht genügen lassen können. Wir werden fragen müssen, ob uns denn keine literarischen Denkmäler aus jener Zeit des Ueberganges, der folgenreichen inneren Umwandlungen erhalten und ob dieselben nicht im Stande sind, uns das Verständniss dafür zu eröffnen, welche Wege jener Umwälzungsprocess genommen, welche Kräfte und Gewalten in jener Zeit als die activen, bestimmenden Factoren sich offenbaren. Solche Denkmäler sind nun in der That vor- handen und zwar in ziemlich beträchtlicher Anzahl. Es sind in erster Linie die bisher culturhistorisch noch wenig ver- werteten und ausgebeuteten Yajurveden, an welche sich weiterhin die ihnen im Geiste verwandten sogenannten Brah- mana's anschliessen. Eine spätere Stufe repräsentiren sodann die Sutra's, die Aranyaka's und Upanishaden, in denen die Entwickelung schon bedeutend weiter vorgeschritten ist

Der Schwerpunkt unserer Untersuchung muss zunächst auf den Yajurveden ruhen, weil dies fast die einzigen übrig ge- bliebenen Zeugen aus jener Zeit sind, welche sich unmittelbar an die Periode des rjigveda anschliesst, aus der Zeit etwa zwischen den Jahren 1000 und 800 v. Chr. Wenn irgendwo,

1 Vgl z. B. Kocppen, Religion de» Buddha, Bd. I p. 23. 24, wo dieser Factor wohl mit Recht sehr hoch angeschlagen wird.

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so müssen wir hier den geistigen Wendepunkt in der Ent- wicklung der Inder suchen, von dem aus uns die Folgezeit in ihrer eigenartigen Gestaltung nach und nach verständlich werden kann. Wir werden also zunächst fragen: Welche Werke sind es, die man mit dem Namen Yajurveda bezeichnet? wo- durch sind sie charakterisirt? was ist ihr Inhalt? und welche Stufe der geistigen und sittlichen Entwickelung ist von ihnen repräaentirt?

Ich will mich bemühen, diese Frage möglichst deutlich und eingehend zu beantworten. Und ich unternehme dies um so Heber, als die erwähnte Periode bisher noch nicht die ge- nügende Beachtung gefunden und insbesondere in ihrer cultur- ge8chichtlichen Bedeutung noch 'nirgends deutlich zur An- schauung gebracht worden ist.

Der Yajurveda oder Veda der Opfersprüche, von dem Worte yajus „der Opferspruch", enthält diejenigen Sprüche oder Verse, welche der die eigentliche Opferhandlung verrichtende Priester, der sogenannte Adhvaryu, zu sprechen oder zu murmeln hatte. Diese Sprüche und Verse sind ausserdem von Bemerkungen begleitet, die das oft sehr complicirte Ritual näher erläutern sollen, und es schliessen sich daran Gedanken und Speculationen über das Wesen und den Werth der ein- zelnen Opferhandlungen sowie des Opfers im Allgemeinen» symbolische Deutungen, Legenden, Mittheilungen und Rath- schlage für die Priester, wie sie in gegebenen Fällen am besten in ihrem Interesse verfahren könnten. Diese erörternden, pro- saischen Theile der Yajurveden enthalten, beiläufig bemerkt, die älteste überhaupt bekannte indische, ja wohl die älteste indogermanische Prosa1) und müssen - uns also auch aus diesem Gesichtspunkte als ehrwürdige Denkmäler erscheinen» die der Betrachtung sehr wohl werth sind, mag ihr Inhalt im Uebrigen sein, wie er wolle.

Da der Yajurveda das praktisch wichtigste, das Haupt» buch für den handelnden Priester war, so muss es uns sehr natürlich erscheinen, dass uns derselbe in den mehr oder weniger abweichenden Recensionen verschiedener Priesterschulen vorliegt, die aber doch auf einer der Hauptsache nach durchaus übereinstimmenden Basis aufgebaut sind. Nirgends machen sich ja so leicht abweichende Meinungen und die Neigung zu

1 Nur die prosaischen TheUe des Avesta könnten hier in Con- currenz treten, and es wird kaum möglich sein zu entscheiden, ob Inder oder Perser hier die Priorität für sich beanspruchen dürfen.

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sektarischen Scheidungen geltend als auf dem religiösen und theologischen Gebiete, wofern nicht ein strammes einheitliches Kirchenregiment dem entgegen steht, was bei den Brahmanen bekanntlich nie der Fall gewesen. In Indien müssen sich früh diese verschiedenen Schulen des Opferveda gebildet haben, die in einer Menge unbedeutender Einzelheiten von einander ab- weichen, in allem Wesentlichen aber doch ganz Dasselbe bieten, sowohl in Bezug auf die zu Grunde liegende Opferhandlung als auch hinsichtlich der Art ihrer Erklärung und sonstiger Erörterungen.

Der Yajurveda ist uns bis jetzt in den Recensionen von fünf verschiedenen Schulen bekannt geworden, obgleich es sehr wahrscheinlich ist, dass noch manche andere Recensionen existirt haben. Die drei ältesten unter jenen fünf sind:

1) Das K&thakam oder der Yajurveda in der Recension der Katha-Schule; bisher nur handschriftlich vorhanden.1

2) Die Kapishthala-Ha^ha-Samhita oder der Yajur- yeda in der Recension der Kapishthala-Ka^ha-Schule, der nur in ziemlich corrumpirten Fragmenten handschriftlich vorliegt.*

3) Die Mäitrayani Sämhita oder der Yajurveda in der Recension der Mäitrayaniya- Schule, von welchem ich eine Aus- gabe veranstaltet habe.3

An diese drei reiht sich als ein etwas jüngeres Werk:

4) Die Taittirlya-Samhita oder der Yajurveda in der Recension der Taittiriya-Schule.4

Diese vier Recensionen sind unter einander näher verwandt und werden auch mit dem Gesammtnamen „der schwarze Yajurveda41 bezeichnet Von ihnen scheidet sich

5) Die Vajasaneyi-Samhita, die auch den Namen „weisser Yajurveda" fuhrt.5 Diese Recension des Yajur- veda wird von der Schule der sogenannten Vajasaneyin's be-

1 Die Königl. Bibliothek zu Berlin besitzt das einzige bisher be- kannte vollständige Exemplar dieses Werkes; ich habe es dort durch- gearbeitet.

* Das einzige nach Europa gekommene Exemplar dieses Werkes aabe ich durch Prof. Weber's Freundlichkeit längere Zeit bei mir haben kdnnen und auch einige Mittheilungen darüber gemacht (Einl. zur Aus- gabe der Maitr. SamhA

* Mäitrayani SarahiU, herausg v. Dr. Leopold v. 8chroeder. Her Bande, Leipzig 1881—1886.

4 Herausgegeben yon Albrecht Weber in Transscription, im 11. und 12. Bande seiner Indischen Studien, Leipzig 1871. 1872.

* Herausgegeben von Albrecht Weber, The White Yajur- veda, Part I The V&jasaneyi-Sanhita in the Madhyandina- and the

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nutzt. Sie ist jedenfalls die jüngste, wenn sie auch in der Gegenwart die meisten Anhänger in Indien zählt. Die älteren Schulen sind im Laufe der Zeit verdrängt worden und daher ihre Bücher auch verhältnissmässig spät ans Licht gekommen. Gegenwärtig wendet man ihnen mehr und mehr die Aufmerk- samkeit zu. In allem Wesentlichen übrigens, um das noch einmal zu betonen, stimmen die vier erstgenannten Reoen- sionen des Yajurveda1 ganz überein, so dass man, wenn man das eine dieser Werke charakterisirt, auch die anderen mit schildert. Sehr vielfältig ist diese Uebereinstimmuug eino ganz wörtliche, namentlich in den zu sprechenden Sprüchen und Versen.

Vergleichen wir nun den Yajurveda mit dem lligvoda, worin macht sich da die neue Zeit golteud, worin zeigt sich ein geistiger Umschwung, eine veränderte Richtung der geistigen Ziele?

Zunächst lässt sich nicht leugnen, dass der Yajurveda, wie dies ja bei dem nicht allzugrosson Abstand in der Zeit natürlich ist, in gar mancher Beziehung dem Qigveda noch recht nahe steht.

Wie die Sprache des Yajurveda im Wesentlichen noch mit der des Rigveda übereinstimmt und nur im Einzelnen grammatische und syntaktische Besonderheiten hervortreten lässt, während sie von der sjiäteron sogenannten klassischen Sanskrit-Sprache durch eine bedeutende Kluft getrennt ist, so finden wir im Yajurveda auch im Wesentlichen noch dieselbe Götterwelt, wie sie uns aus dem Kigveda her bekannt ist. Die alten Götter Varuna, Indra, Agni, Mitra u. s. w.. ob auch in einzelnen Zügen verändert, begegnen uns auch hier als die- jenigen, welchen sich Gebot und Opfer zuwendet. Im Einzelnen machen sich aber doch Veränderungen und Verschiebungen be- merkbar, die nicht ohne Bedeutung sind. So z. B. treten zuerst hier im Yajurveda die Asura's als die speeifisch bösen Dämonen auf, während im Kigveda selbst Varuna noch das Epitheton „asura" erhält. Erst im Yajurveda ist die Geistor- welt getheilt in die guten Deva's und die schlimmen Asura's, die als zwei feindliche Parteien sich beständig bekriegen und .

Kauva-^akha with the commentary of Mahidhara, Berlin-London, 185*2. Part II The Catapatha-Brahmana etc. 1855. Tart. III The C'an- tasntra of Katyuyana etc. 1859.

1 Welche eben zusammen den sogenannten „schwarzen Yajurveda" ausmachen.

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gegenseitig zu schaden und zu übery ortheilen suchen; ein Gegensatz, der in den Legenden des Yajurveda eine bedeutende Rolle spielt.

Vishnu tritt im Yajurveda schon etwas mehr hervor als im Rigveda; er wird z. B. wiederholentlich mit dem hier über Alles wichtigen Opfer identificirt Auch Qiva, der im Rig- Ted eigentlich noch ganz fehlte, ist aufgetreten; und der Be- griff des Brau man macht sich vielfach als sehr wichtig geltend, nicht mehr bloss als „Gebet", sondern als Jnbegriff der Ge- bets- und Priesterheiligkeit«, was im Rigveda noch nicht der Fall war.1

Die Apsarasen, eine Art himmlischer Nymphen, die im Rigveda nur wenig bedeuten, aber in der späteren Mythologie, umkleidet mit allen Reizen verführerischer sinnlicher Schönheit, eine bedeutende Rolle spielen, treten im Yajurveda schon mehr hervor, indem eine ganze Menge von ihnen mit Namen auf- geführt werden. Auch der seltsame Cultus von Schlangen- göttern oder göttlich gedachten Schlangen, den der Rig- veda noch absolut nicht kennt, ist im Yajurveda zuerst anzu- treffen.

Endlich tritt auch die Gestalt Prajapati's, des Herrn der Geschöpfe, den wir in späteren Liedern des Rigveda auftauchen sahen, in den Legenden des Yajurveda vielfältig in immer grösseren und kräftigeren Umrissen bedeutsam in den Vorder- grund.

Aber so wichtig und belehrend auch diese einzelnen Ver- änderungen und Ansätze zu Neubildungen sein mögen, so be- achtenswerth sie uns auch für das Verstandniss der allmäh- lichen Entwickclung der indischen Götterlehre sein sollen, nicht dies ist es, was den Werken der Yajus-Periode ihre hervor- ragende Wichtigkeit verleiht. Die neueingetretene wesentliche Veränderung liegt nicht sowohl in irgend welchen neuaufge- tretenen Göttergestalton, als vielmehr in der Art und Weise, wie die Götter behandelt werden, in der Art der Verehrung und des Cultus, der ihnen gewidmet wird; in der Art, wie die Brahmanen über diese Verehrung, hre zwingende Macht und Bedeutung philosophiren und das von ihnen Festgestellte als Glaubenssatz promulgiren; sie liegt end- lich, und nicht zum geringsten Theile, in der Stellung, zu

1 Auch der m&nnliche Gott Brahma taucht an einer Stelle schon auf, nämlich Maitrayani Samhita 2, 9, 1: doch ist dieselbe aller Wahrscheinlichkeit nach spater interpolirt.

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welcher die Brahmanen sich selbst hinaufschrauben. Denn in den Werken der Yajus-Zeit treten uns die Priester entgegen als ein geschlossener Stand, als der eigentlich activ sich geltend machende Factor in dieser Zeit mehr und mehr eintretender Ruhe und Müsse, unablässig daran arbeitend, ein complicirtee System der Gebete und Opfer auszubilden, dessen immer höher steigende Macht und Bedeutung seinen Trägern selbst zur Herr- schaft verhelfen sollte.

Der Geist, der diese ganze weitschichtige Literatur der Yajurveden und der daran sich schließenden Brähmana's beherrscht, ist so grundverschieden von demjenigen, der uns in so vielen Hymnen des Rigveda erfrischt und erhebt, dass wir bald zu der Erkenntniss gelangen: Hier hat eine ganz neue Epoche des geistigen und socialen Lebens Platz ge- griffen, die Art des Empfindens und Denkens ist in ihrem innersten Kerne eine andere geworden.

Eine schwüle, dumpfe Luft weht uns aus diesen priester- lichen Werken entgegen; verschwunden ist der frische Hauch, der über das Land der fünf Ströme dahinzog. Das Opfer und seine in allen Einzelheiten richtige Vollziehung ist der Mittel- punkt alles Denkens und Begehrens. Vor unseren Blicken baut sich hier ein ungeheuer complicirter Apparat von Opfersprüchen und Verrichtungen, Vorschriften und Begehungen aller Art auf. Formel reiht sich hier an Formel; in unsäglich erdrückender Monotonie folgt eine Weisung zur richtigen Opfervollziehung auf die andere. Die Begründungen, meist ziemlich platter und geistloser Natur, können den Leser leicht zur Verzweiflung bringen, bis er endlich resignirt, sich mühsam weiter arbeitet und von dem Folgenden nicht mehr erwartet als von dem Bis- herigen. Und die Masse des Materials ist fast unabsehbar •gross! Es ist gleichsam ein unermessliöhes Moor, dessen Ufer kaum sichtbar werden, über dem eine schwüle Sonne brütet und in dem der Wanderer oft zu versinken furchtet, während an manchen Orten böse Dünste aus ihm empor steigen, die Atmosphäre mit Krankheit bringenden Stoffen erfüllend

Vergegenwärtigt man sich, dass diese Bücher die allei- nigen literarischen Productionen einer Jahrhunderte langen Epoche bildeten, so wird es klar, welcher Geist in dieser Epoche sich über das ganze Volk lagern musste. Ein stumpfes, dumpfes und gedrücktes Wesen musste sich der Söhne jener einst so frischen Arier bemächtigen. Den Priestern, welche durch die Macht des Opfers die Götter selbst in ihren Händen hielten, ja welche sich selbst für leibhaftige Gotter

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erklären, mussten sie den Vorrang lassen und litten es nun in resignirter Ergebung, dass alle freieren, rein menschlichen gei- stigen Regungen und Empfindungen langsam zu Boden gedrückt wurden. Mochten auch manche von ihnen mit Missbehageh diese allmähliche Wandelung des Gottesdienstes mitansehen, sicherlich trat im Laufe der Jahre und Jahrhunderte die dumpfe Empfindung an die Stelle, dass es nicht anders sein könne, ja dass es wohl ewig so gewesen. An Stelle berechtigten Unmuths in freier angelegten Naturen trat andächtige. Scheu vor den Priestern und vor dem Opfer, das im Laufe der Zeit für die anderen Kasten mehr und mehr ein Mysterium wurde, dessen oft halb oder ganz unverständliche Formeln als ein heiliges Abrakadabra wirkten, vor dem man sich in stummer Unter- ordnung beugte.

Und um die Wirkung dieses Rituals richtig zu würdigen, muss man bedenken, wie viel geopfert wurde, wie so manche Opfer nicht bloss Tage, sondern Wochen, Monate und selbst Jahre dauerten, während andere den Menschen Tag um Tag durchs Leben begleiteten.

Die geistige Oedo und Formelhaftigkeit dieses Rituals, von Jahr zu Jahr wachsend, musste sich wie ein schwerer Druck auf die Gemüther der Menschen lagern. Ein beständig geübter Gottesdienst solcher Art musste in tiefei angelegten Naturen mit der Zeit unerträgliche innere Unbefriodigung er- zeugen, und wohl ist es verständlich, wenn eine solche Stim- mung, krankhaft nervös sich steigernd, zuletzt das Einsiedler- wesen, die Büssungen und Kasteiungen ins Leben ruft, wo der Mensch, trotz aller Opfer unbefriedigt, den Grund dafür in sich selber sucht und duren Selbstpemigung die sündige Natur zu läutern oder abzutödten strebt Solch eine Stimmung dumpfer Gedrücktheit vermochte wohl den Geist des Volkes für ein Dogma wie das der Seelenwanderung vorzubereiten, wo der Gläubige sich in die trostlose Vorstellung ergiebt, durch unermesslich weite Zeiträume hin, durch unendlich viele Leiber wandern zu müssen, bis er endlich, endlich nach so manchem Misslingeii das Ziel vielleicht erreichen kann. Hat man doch schon beim blossen Durcharbeiten dieses Opferrituals den Ein- druck einer weiten Wanderung durch öde, traurige Räume, wo blutlose, spukhafte Schatten umherschwirren , und dumpfe Resignation ist die einzige Stimmung, die dabei noch be- stehen kann.

In dieser schwülen Atmosphäre mochten die geschmack- losesten Legenden wuchern, und selbst die fratzenhaftesten

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Gottergestalteu wurden von der glaubigen Menge mit Verehrung begrüast. Solche Stimmung gab den Priestern freie Hand, nicht bloss die Götterwelt, sondern auch Staat und Loben zu formen und zu gestalten nach ihrem Willen und wie es ihnen gefiel

Schrecken Sie nicht zurück, meine Herren, wenn ich Sie jetzt auffordern werde, mit mir gemeinsam die Opferplätze der Brabmanen zu besuchen, ihr Ritual und ihre theologischen Speculationen etwas näher kennen zu lernen. Wenn Sie von diesem Besuch auch keine ästhetische und philosophische För- derung erwarten dürfeo so werden Sie doch, wie ich hoffe und glaube, am Schluss reichlich entschädigt werden durch den tieferen Einblick in die culturhistorischen Zusammenhänge, durch das Verständniss, welches Sie nur von diesem Punkte aus für das gesammte weitere Geistesleben der Inder gewinnen können.

Charakteristik der Gottesverehrung zur Zeit des

Yajurveda.

Versuchen wir es nun, die Art der Gottes Verehrung, wie sie uns aus den Yajurveden entgegen tritt, etwas näher kennen zu lernen.

Es liegt hier ein beständiger, eifriger Verkehr des Menschen mit seinen Göttern vor, aber was bildet den Inhalt des- selben? was bildet den Inhalt der zahlreichen' Sprüche und Verse im Yajurveda? das ist die nächstliegende Frago, die sich uns aufdrängen muss.

Hier ist es nun charakteristisch, dass man sich zunächst wesentlich zu negativen Bestimmungen gedrungen sieht Es ist in der That auffällig, wie wenig in all diesen Sprüchen und Versen ein tieferes inneres Verhältniss des Menschen zu seinen Göttern deutlich erkennbar zu Tage tritt Eine warme innere Betheiligung, eine echte Stimmung religiöser Andacht fühlt man fast nirgends heraus, während uns doch der PJigveda in dieser Hinsicht schon viel Schönes und Bedeu- tendes geboten, wenn Sie sich z. B. der angeführten Hymnen an Varuna u. dgl. m. erinnern. Ja selbst von der im Rigveda so reichlich vorhandenen und bei den einfachsten Naturreli- gionen möglichen Bewunderung der Macht, Grösse und Schönheit der Götter, wie sie sich in den Naturerscheinungen offenbaren, ist hier im Yajurveda auch nicht das Geringste zu spüren !

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Noch wichtiger ist eine andere Bemerkung. Unter all den massenhaften Opferhandlungen finden wir nirgends ein wirk- liches Dankopfer. Alle die Spenden sind immer auf Erlan- gung gewisser Vortheile gerichtet Nirgends fühlt sich der Mensch veranlasst, freudig seine Gaben vor das Angesicht der Götter zu tragen, um ihnen zu danken für alle Güter, mit denen sie sein Leben gesegnet. Trotz all der zahllosen Sprüche und Verse, ein wirkliches Dankgebet oder ein Danklied ist kaum überhaupt vorhanden.

Unter diesen Umständen wird es uns nicht weiter Wunder nehmen, wenn wir auch ein tieferes Schuld- und Sünden- bewusstsein gar nicht vorfinden. Es ist auch hier besonders charakteristisch, dass es in dem ganzen grossen Ritual ein eigentliches Sühnopfer nicht giebt, gelegentliche kleinere Spenden ausgenommen, die gewisse Verstösse, beim Opfer oder sonst, wieder gut machen sollen. Aber in der Masse der grossen und wichtigen Opfer spielt dies Moment gar keine Rolle, und es ist für das Gesammturtheil nicht weiter von Be- lang, dass sich ein paar darauf bezügliche Verse des Rigveda hierher verirrt haben.

Wenn aber dieser Cultus weder tiefere religiöse Andacht, noch Bewunderung der göttlichen Grösse in ihren mannig- faltigen Erscheinungen, weder warmen Dank noch echtes Sündenbewusstsein enthält, worin kann in solchem Falle ein fortgesetzter eifriger Verkehr des Menschen mit seinen Göttern bestehen, als in äusserlichen ceremoniellen Verrichtungen, die das Innerste des Gemüthes unberührt lassen?

Und nach dieser Richtung hin haben denn in der That die Inder zur Zeit des Yajurveda erstaunlich viel geleistet

Wir sehen ein höchst complicirtes Ritual vor uns, be- stehend aus einer Masse äußerlicher Ceremonien, denen zum grossen Theil symbolische Bedeutung beigelegt wird und wo die geringste Kleinigkeit mit dem Nimbus ungeheurer Wichtig- keit umgeben wird, als hänge das ganze Heil und Gedeihen des Menschen von der Beobachtung dieser Aeusserlichkeiten ab. Zahlreiche Sprüche und Verse begleiten diese Handlungen und helfen sio ausfüllen.

Da in den Yajurveden, ihrer eigentümlichen Anlage ge- mäss, die Handlungen für die meisten Sprüche nur mehr an- gedeutet sind und deren systematische Darlegung sich erst in den der folgenden Periode entstammenden Sütrawerken vor- findet, so müssen die letzteren zur Erklärung und Ergänzung mit herangezogen werden, und es ist gerade keine leichte Ar*

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beit, ein Gesammtbild von dem einzelnen Opfer zu entwerfen. Hier verdanken wir wiederum das Meiste den eingehenden und werth vollen Forschungen Albrecht Web er 's,1 neben dem auch noch Martin Haug, Alfred Hillebrandt u. A. zu nennen wären.1

Selbstverständlich werde ich es hier nicht unternehmen, das ganze grosse Opferceremoniell vorzufuhren, aber ich will es doch versuchen, einzelne Theile desselben zu schildern, um Ihnen in Wesen und Charakter desselben einen deutlichen Ein- blick zu verschaffen.

1 Vgl. namentlich Weber's Abhandlungen „Zur Kenntniss des vedischen Opfer-Rituals", Ind. 8tud. X und XIII.

* Auch R. Garbe, B. Lindner und J. Schwab haben dahinein schlagende Materien behandelt.

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Achte Vorlesung.

Charakteristik der Gottes Verehrung zur Zeit des Yajurveda (Fortsetzung). Das indische Opfer. Die Art des Opfers an einem Beispiel, dem um- genannten Darcapürnam&sa oder Neu- und Vollmondsopfer, veranschau- licht. Somaopfer. Agniciti.

Die ganze Masse der indischen Opfer wird in zwei Haupt- gruppen eingetheilt:

1) Die sogenannten Havis-Opfer, d. h. Darbringungen von Milch, Opferbutter, Kuchen, Brei, Getreidekörnern u. dgl.

2) Die sogenannten Soma-Opfer, d. h. Darbringungen des aus der Somapflanze gepressten berauschenden Saftes.

Dazu kommt endlich noch das Thieropfer, welches aber bei der üblichen Klassificirung meist als ein bestimmter Theil der betreffenden Ha vi 8- und Soma-Opfer functionirt

Bei allen diesen Opfern spielt das Feuer eine grosse Rolle. Die erste Opferceremonie, die allen anderen voraus- gehen muss, ist darum das Agnyädhänam, d. h. die Anlegung des Feuers auf dem Altar des sogenannten Agni Garhapatya, d. i. Feuer des Hausherrn, welches von da ab beständig zu erhalten ist. Der Altar für dieses Feuer hat eine kreisrunde Oberfläche. Neben demselben stehen sodann als wichtigste Feuer für die verschiedenen Opfer der Dakshinagni oder das Südfeuer, dessen Altar eine halbkreisförmige Oberfläche hat, and der Ahavanlya oder das Opferfeuer xar £§o;pJ*>, bei dessen Altar die Oberfläche viereckig gestaltet ist. Inmitten dieser drei Feueraltäre befindet sich die sogenannte Vedi, d. L ein vertiefter Platz, einige Finger breit in die Erde hinein gegraben, mit heiligem Gras bestreut, worauf als auf einem Opferaltar verschiedene Spenden für die Götter hingestellt werden. Ich schicke dies nur voraus, damit Ihnen bei der Beschreibung der Opfer diese Haupttheile des Opferplatzes gegenwärtig sind, indem ich von allein Spezielleren zunächst absehe, um nicht zu verwirren. Diesen drei Feuern hat der

v. Behr»d«r, Indien« Lit. u. Cnlt. 7

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Hausvater das ganze Leben hindurch täglich Morgens und Abends das in einer Milchspende bestehende Agnihotra oder Feueropfer darzubringen.

Um nun ein Beispiel aus diesem Ritual und damit einen Begriff von der Art dieser Opfer zu geben, wende ich mich zur eingehenderen Schilderung eines speciellen Opfers, des so- genannten Darcapürn&mäsa , d. h. des Neu- und Voll- mondsopfers, dessen Verlauf uns ?on Alfred Hillebrandt in einer werthvollen Monographie detaillirt dargestellt ist1

Es soll diese Ceremonie dreissig Jahre hindurch immer zur Zeit des Neumonds und des Vollmonds ausgeführt werden. Mit den Sprüchen zu diesem Opfer beginnen alle unsere Yajur- veden, und es gilt dasselbe als die einfache Grundform für all die zahllosen Opfer, welche zur Erlangung bestimmter Wünsche dargebracht werden.* Es empfiehlt sich die Betrachtung dieses Opfers schon darum, weil wir es hier mit einer verhältniss- mässig wenig complicirten und darum leichter zu überblickenden Ceremonie zu thun haben.

Es fungiren bei demselben vier Priester, ausser dem Opfer- herrn, dem sogenannten Yajamäna, d. i. dem Veranstalter des Opfers, zu dessen Nutz und Frommen und auf dessen Kosten dasselbe ausgeführt wird.3 Diese Priester sind: der Brahman, der Hotar, der Adhvaryu und der Agnldh.4 Unter diesen ist der Adhyaryu der vorzugsweise handelnde Priester, und sein Ritualbuch ist der Yajurveda, während der Hotar sich an den Rigveda hält, die Hymnen recitiren muss, der Brahman eine mehr im Allgemeinen leitende und überwachende Function hat

Am ersten Opfertage findet nach einigen einleitenden Cere- monieen das Abschneiden eines Zweiges von einem (Jami- oder Palaca-Baume durch den Adhvaryu statt, der mit diesem Zweige naohher dio Kälber von den zu melkenden Kühen wegzutreiben hat. Er spricht dazu den Spruch: „Zur Labung (schneide ich)

1 Alfred Hillebrandt, Das altindische Neu- und Vollmonds- opfer in seiner einfachsten Form, mit Benutzung handschriftlicher Quellen dargestellt Jena, 1880.

Es sind dies die sogenannten karaya ishtayab.

8 Mit Recht legt A. Barth in seinen Religions de linde (p. 34) ein Gewicht darauf, dass jedes Opfer bei den Indern für eine be- stimmte Privatperson, niemals für mehrere oder gar für eine ganze Gemeinde ausgeführt wird. Es giebt demnach keine öffentlichen Opfer, überhaupt keinen öffentlichen Gottesdienst, keine religiöse Gemeinde- versammlung in jener Zeit.

4 Bei anderen Opfern sind bedeutend mehr Priester erforderlich, so beim Somaopfer sechzehn und mehr, u. dgl.

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dich, zur Speise (schneide ich) dick" Sodann kann der Opfrer die Observanz antreten. Er wandelt nun zwischen dem Garha- patja -Feuer und dem Dakshina- Feuer hindurch hinter das Ahavaniya-Feuer, mit dem Gesichte nach Osten gerichtet, blickt auf das Feuer, berührt mit der Rechten die Wasser und tritt die Observanz an mit dem Spruche: wO Agni, Herr des Ge- lübdes, das Gelübde will ich antreten I Möchte ich das können, möchte mir das gelingen !M Oder: „Hier wandle ich von der Unwahrheit zur Wahrheit"

Nun muas die Milch für das Opfer gemolken werden und es findet zuerst das Wegtreiben der Kälber von den zu melken- den Kühen statt Der Adhvaryu spricht: „Ihr seid Näscherr* Berührt die Kälber mit dem vorhin abgeschnittenen Zweige und treibt sie fort Dann redet er die Kühe an mit dem Spruch: „Lasset schwellen, o ihr Unverletzlichen, für Indra den Opferantheil, an Nachkommen reich, frei von Leid und Krank- heit 1 Nicht soll ein Dieb über euch die Herrschaft gewinnen, nicht ein Uebeldenkender; bleibt fest und zahlreich bei diesem Herrn!" Dabei berührt er eine von den Kühen mit dem Zweige. Dann spricht er: „Des Opfrers Vieh schütze !M An einem ab- geschnittenen Theile dieses Zweiges wird sodaun das sogenannte Pavitra oder Läuterungsmittel befestigt, bestehend in zwei oder drei Halmen des heiligeu Kucagrases, mit dem Spruche: „Für Yasu 1 bist du ein Läuterungsmittel!"

Es folgt das abendliche Agnihotra oder Feueropfer, in diesem Fall mit einigen besonderen Bestimmungen, danach end- lich das Melken der Kühe. Der Adhvaryu ergreift den Kübel, die sogenannte Sthall, indem er spricht: „du bist der Himmel, dn bist die Erde!"* und setzt ihn hin mit dem Spruche: „du bist des Matarigvan Kessel, Alles enthältst du; sei fest durch die höchste Stätte! nicht sollst du zu Fall kommen! nicht soll dein Opferherr zu Fall kommen!" Sodann legt er das Pavitra, jenes Läuterungsraittel, bestehend in einem Zweigstück mit mehreren Kuca- Halmen daran, auf den Kübel (Sthali), indem er den Spruch recitirt: „Vasu's Läuterungsmittel bist du, das tausend Ströme enthaltende." Sodann melkt der Melker, welcher kein Qudra sein darf, die Milch in ein Holzgefäss und giesst sie über das Pavitra in den Kübel, während der Adhvaryu äüstert: „Gott Savitar läutere dich mit Vasu's hundert Ströme

1 Die Vasu's sind bestimmte göttliche oder halbgöttliche Wesen. a Man beachte hier und in anderen Sprüchen die maasslosen Hy- perbeln, in denen Ton den Opfergeratheo gesprochen .wird.

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enthaltendem, schön läuternden Läuterungsinittel!"1 Sodann fragt er laut: „Welche hast du gemolken ?" Der Melker macht die he treffen de Kuh namhaft, und der Adhvaryu sagt: „Diese enthält alles Leben." Der Melker melkt die zweite Kuh, es folgt dieselbe Ceremonie, bis nach Namhaftmachung der Kuü der Adhvaryu spricht: „Diese ist Alles wirkend." Und in der- selben Weise geht es mit den anderen Kühen weiter fort Nachdem die Melkung beendigt ist, spült der Adhvaryu den Melknapf wieder mit einem besonderen Spruch* aus und giesst das Spülwasser in den Kübel. Dann setzt er den Milchtopf nach Norden hin und bringt durch Hineingiessen der sauren Milch, welche vom letzten Abendopfer übrig geblieben ist, die frische Milch zum Gerinnen, indem er den Spruch sagt: „Als Indra's Antheil mache ich dich durch Sorna gerinnen." Dann deckt der Adhvaryu die Milch zu und verwahrt sie mit dem Spruch: „0 Vishnu, schütze die Opfergabe!"

Die Nacht bringt der Opferer mit seiner Frau am Boden neben dem Gärhapatya- oder Ähavaniya- Feuer zu.

Am Morgen des folgenden Tages wird zuerst das Agnihotra (Feueropfer) dargebracht. Dann werden die Sitze zurecht- gestellt und ea folgt die sogenannte Wahl des Brahman.3 Der Opferer sitzt dem Brahman gegenüber, fasst unter Beobachtung gewisser Ceremonieen mit der Rechten das rechte Knie des Brahman, indem er sagt: „0 Brahman aus dem Stamme N. N., mit dem Brahmanen-Namen N. N., mit dem Neumonds- (resp. Vollmonds-)Opfer wollen wir opfern. Du Herr der Erde, Herr der Welt, der grossen Schöpfung Herr, zum Brahman wählen wir dich." Der Brahman, der sich gebadet, den Mund ge- spült und die Opferschnur umgehangen hat, flüstert: „Ich bin der Herr der Erde, der Herr der Welt, der grossen Schöpfung Herrl4 Bhür bhuva^ svafc!6 0 Gott Savitar, hier wählt er dich den Brihaspati zum Brahman. Dies künde ich dem Geiste, der Geist der Gayatri, Gayatri der Trishtubh, Trishtubh der Jagati, Jagat! der Anushtubh, Anush^ubh dem Prajäpati, Praja- pati den Allgöttern; Brihaspati ist der Brahman der Götter,

1 Man beachte die feine Unterscheidung bei den Sprüchen: Einiges wird gesprochen oder redtirt, Anderes geflüstert. * 8. HiUebrandt a. a. 0. p. 13. » Der oberste, das Ganze leitende Priester.

4 Welche Hyperbel 1

5 Oft wiederkehrende heilige Formel, deren Sinn nicht ganz deut- lich ist; bhü bedeutet die Erde, svah der Himmel; bhuvat? wird auf den Luftraum gedeutet, aber ursprunglich wohl mit Unrecht.

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ich der der Menschen.* Nach einigen weiteren Sprüchen und Ceremonieen setzt er sich auf den Brahmansitz nieder mit den Worten: „Hier sitze ich auf dem Sitze Brihaspati's, auf das Geheiss des Gottes Savit&r; dies künde ich Agni, dies Vayu, dies der Erde* Dabei ist sein Gesicht dem Ähavanlya- Feuer zugekehrt.1 Es folgt nun ein Wechselgespräch der Priester, auf die Herbeibringung der Wasser bezüglich, welches damit endigt, dass die Wasser hingestellt werden. Darauf umstreut der Opferer oder der Adhyaryu die Feuer mit Darbha-Gras, beginnt dabei im Osten und schlichst beim Südfeuer (Dak- shinägni), wobei die Spitzen der Gräser nach Osten und Norden gerichtet sind. Die Paddfiati, ein erläuternder Text, giebt fol- gendes Verfahren dabei an: „Er umstreut zunächst das Aha- vaniya- Feuer im Osten, die Spitzen der Gräser nach Norden gerichtet, dann im Süden, die Spitzen der Gräser nach Osten gerichtet, dann im Westen, die Spitzen der Gräser nach Norden gerichtet, schliesslich im Norden, die Spitzen der Gräser nach Osten gerichtet Ebenso geschieht die Umstreuung des Garha- patya und Dakshina."1 Die nun folgende Anordnung der zahlreichen Gefässe und Gerätschaften muss ich übergehen.* Der Adhvaryu stellt sodann den mit der Opfergabe (Körnern von Gerste oder Reis) versehenen Wagen hinter dem Garhapatya auf, die Deichsel nach Osten. Nach einigen Ceremonieen tritt er, mit dem Spruch: „Dem weiten Luftraum wandle ich nach," zum Wagen, lässt sich vorne nieder, berührt das Joch des Wagens und spricht: „Du bist das Joch, schädige4 du den Schädigenden; schädige den, der uns schädigt; schädige den, welchen wir schädigen/' Darauf berührt er die Deichsel und flüstert: „Du bist am besten für die Götter fahrend, gewinnend, spendend, am angenehmsten, die Götter am besten rufend. Nicht strauchelnd bist du, ab Träger der Opfergabe sei fest! Nicht sollst du zu Fall kommen, nicht soll dein Opferherr zu Fall kommen." Dann steigt er hinten um den Wagen über das südliche Rad hinauf mit dem Spruch: „Vishnu besteige dich," blickt auf die Körner mit dem Spruch: „Sei weit für den Wind," und wirft etwaige Erdtheile, Gras u. dgl. fort mit dem Spruch: „Weggetrieben ist das Rakshas."6 Sodann fasst

1 Hiilebrandt a. a. 0. p. 17.

Hillebrandt p. 19

* Hillebrandt p. 20.

4 Wortspiel mit dhur = das Joch und dhürva = schädige. 4 Rakshas ist ein böses dämonisches Wesen.

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er mit dem Spruch: „Fassen sollen die fünf' (d. i. die Finger) eine Handvoll Körner und wirft sie in das bereit gehaltene Gefäss mit dem Spruche: „Auf Gott Savitar's Geheiss, mit den Armen der Acvinen, mit den Händen des Püshan ergreife ich dich, dem Agni erwünscht/' Die auf dem Wagen übrig ge- bliebenen Körner berührt er mit dem Spruche: „(Ich lasse dich) einem wirklichen Wesen, nicht einem Unhold blickt nach Osten mit dem Spruch: „Glanz möchte ich erblicken," und steigt hinab mit dem Spruch: „Fest sollen sein die Woh- nungen auf der Erde." Dann geht er zum Garhapatya-Feuer mit dem Spruch: „Dem weiten Luftraum wandle ich nach," und stellt das Gefäss mit den Körnern dahinter mit dem Spruch: „In der Erde Nabel setze ich dich in Aditi's Schooss; o Agni, schütze die Opfergabe."

Schon diese ersten vorbereitenden Handlungen lassen die Art der Ceremonie einigermassen deutlich erkennen; ich will mich für das Weitere immer kürzer zu fassen suchen, indem ich auf die detaillirte Schilderung bei Hillebrandt verweise.

Der Adhvaryu stellt darauf noch ein Pavitra oder Laote- rungsmittel, bestehend in einigen Kuca- Halmen, hin, läutert damit das Wasser und besprengt sodann die Opfergabe mit Wasser, Alles mit entsprechenden Sprüchen. Dann ergreift er das Fell einer schwarzen Antilope mit den Worten: „Ein Fell bist du," schüttelt dasselbe mit dem Spruch: „Abgeschüttelt ist das Rakshas, abgeschüttelt die feindlichen Gewalten," und breitet es aus mit: „Aditi's1 Fell bist du; Aditi erkenne zu eigen dich." Dann stellt er den Mörser darauf und sagt: „Ein Fels bist du, vom Baume stammend," oder „ein Stein bist du mit breitem Boden" u. s. w. Dann wirft er die Körner hinein, dann den Stössel mit den Worten: „Bereite hier den Göttern diese Opfergabe, in guter Bereitung bereite es!" Nun stösst er die Körner, ruft die Gattin des Opfernden herbei und sie oder der Agnidh besorgen das Enthülsen der Körner, Alles mit begleitenden Sprüchen. Dann werden die Schalen oder Schüsseln8 gewaschen, auf denen der Opferkuchen gebacken werden soll, der Grund in besonderer Weise abgezirkelt, wo sie hinkommen sollen, und dann eine Schale nach der anderen und zwar dicht neben die andere hingelegt. Bei der ersten spricht er: „Fest bist du, festige die Erde, Heiligkeit gewinnend, Herrschaft gewinnend, Verwandtschaft gewinnend lege ich dich

1 Aditi, die Göttin der Unendlichkeit, Motter der sogen. Aditya's. 1 Die sogen. Kap&UY

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an, zur Vernichtung des Feindes." Bei der zweiten: ,.Eine Stütze bist du, festige deu Luftraum, Heiligkeit gewinnend u. s. w." Bei der dritten: „Ein Träger bist du, festige den Himmel u. s. w.<< Und so weiter fori Auf die Anordnung dieser neben einander gelegten Schalen und sonstige Feinheiten bei diesem Verfahren können wir nicht näher eingehen.1.

Unter verschiedenen SprüoLen werden dann die Körner gemahlen, so z. B : „Getreide bist du, erfreue die Götter.' Zum Einathmen (mahle ich) dich, zum Ausathmen (mahle ich) dich, zum Lebensathem (mahle ich) dich."

Nach einigen weiteren Ceremonieen verfertigt der Opferhorr den sogenannten Veda, einen Büschel aus Kuca-Gras; wünscht er Vieh, so macht er ihn einem Kalbsknie ähnlich, nach links gedreht; wünscht er Brahmanglanz (d. h. Olanz der Heiligkeit), dann macht er ihn aus drei Seileu geflochten, die mit Lehm bestrichen sind; wünscht or Speise, dann giebt er ihm die Form eines geflochtenen Korbes.3 Der Adhvaryu legt die beiden Reiniger (d. i. die läuternden Kuca-Gräser) in eine Schüssel und wirft dann das Mehl hinoin mit dem Spruch: „Auf das öehoiss des Gottes Savitar, mit den Armen, der Aerius, mit den Händen des PAshan lege ich dich hinein." Der Agnidh bringt das Wasser herbei und giesst es auf das Mehl, während der Adhvaryu spricht: „Es mögen die Wasser mit den Pflanzen sich mischen, die Pflanzen mit dem Saft" u. 8. w. Er mischt Mehl und Wasser mit dem Spruch: „Ich mische dich zur Zeu- gung." Dann formt er zwei Klösse aus dem Teig und sagt bei dem einen: „Dies gehört Agni;" bei dem anderen: „Dies gehört Agni und Sorna." Denn diesen Gottheiten muss je ein Opferkuchen dargebracht werden, der erste auf acht, der zweite auf elf aneinandergereihten Schalen.

Inzwischen nimmt der Agnidh den Vedabüschel und setzt die Butter zum Kochen an. Der Adhvary legt darauf den einen Kloss auf die betreffenden acht Schalon, den anderen auf die betreffenden elf und spricht: „In grosser Breite breite du weit dich aus, weit soll dein Opferherr sich ausbreiten. Die Schalen waren vorher durch glühende Kohlen heiss gemacht. Jetzt nimmt der Adhvaryu eine Kohle oder einen Feuerbrand und fuhrt die Paryagni-Ceremouie aus, indem er die Kohle um die beiden Kuchen herum führt Dann sagt er: ,3s backe

1 8. Hillebrandt a. a. 0. p. 84 flg.

* Wortspiel mit dhanya Getreide und dhinuhi „erfreue, ergötze

8. Hillebrandt a. a. 0. p. 88.

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dich Gott Savitar auf dein höchsten Firmament," und backt oder röstet die Kuchen der Reihe nach durch darüber gehaltene brennende Halme von Darbha-Gras.

Nach einigen weiteren Ceremonieen folgt das sehr umständ- liche und weitläufige Ausmessen der Vedi, jenes vertieften Altars, auf den die Spenden gelegt werden sollen.1

Aus Schutt und Staub von der Vedi wird sodann nördlich davon der sogenannte Utkara, ein Schutthaufen, angelegt. Dann fasst der Adhvaryu zugleich mit Gras den Opferspan, den so- genannten Sphya, ein messerförmiges Holzstück, mit dem Spruch: „Auf das Geheiss des Gottes Savitar, mit den beiden Armen der Acvinen" u. s. w.; legt ihn in die Linke und fasst ihn mit der Rechten, indem er flüstert: „Du bist des Indra rechter Arm, mit tausend Zacken, hundert Schneiden, du bist V&yu, mit scharfer Schneide, eine Waffe gegen den Hasser.'* Dann legt er unter verschiedenen Sprüchen das vorhin erfasste Gras auf die Vedi, schleudert den Opferspan in solcher Weise auf die Vedi, dass einiger Schutt aufgeworfen wird, fasst diesen sodann und wirft ihn auf den Schutthaufen mit dem Spruch: „Fessle, o GoH Savitar, auf dem fernsten Gebiet der Erde mit hundert Schlingen den, welcher uns hasst, und den, welchen wir hassen; nicht löse ihn (N. N.) davon."

Ein neuer Spruch, und dieselbe sonderbare Ceremonie wiederholt sich. Der Agnidh nimmt darauf den Opferspan, drückt den Schutthaufen mit beiden Händen fest nieder und spricht: „Fliege, o Böser, nicht zum Himmel lu Dann wird das Wasser berührt und der Adhvaryu schleudert zum dritten Mal den Opferspan und verfährt wie vorhin; zum vierten Male ebenfalls, jedoch ohne einen Spruch. Nun muss die Vedi mit verschiedenen Linien umzirkelt werden. Dies thut der Adhvaryu mit dem Opferspan, indem er spricht: „Mit dem Gayatri- Metruni umfriedige ich dich, mit dem Trishtubh- Metrum um- friedige ich dich, mit dem Jagati-Metrum umfriedige ich dich!** Welche einzelnen Linien bei jedem Spruche und nachher ohne Spruch gezogen werden sollen, übergehe ich wohl lieber. Nun wird die Vedi etwas vertieft in die Erde gegraben und dann aufs Neue mit gewissen Linien umzirkelt, wobei wieder andere Sprüche eintreten; der Holzspan wird auf den Schutthaufen geschleudert, die Wasser werden berührt V s. w.

Dann folgt eine Ceremonie mit den verschiedenen Löffeln, welche bei der Opferung verwendet werden. Der Agnidh

1 S. Hillebrandt a. a. 0. p. 44 tig.

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nimmt den sogenannten Sruva- Löffel, über dessen Constructiou natürlich allerlei besondere Bestimmungen vorliegen, macht ihn heiss im Gärhapatya-Fcuer und spricht: „Verbrannt ist das Rakshas, verbrannt sind die feindlichen Gewalten.** Dan» wischt er ihn mit dem Veda- Büschel ab, mit dem Spruch: „Nicht geschärft bist du, ein Vernichter der Nebenbuhler; dich wische ich (darum) ab** u. s. w. Dies geschieht zuerst auf der Innenseite, mit dem Stiel beginnend und mit der Mündung schliessend; sodann dieselbe Ceremonie mit demselben Spruch auf der Aussenseite. Dann macht er den Löffel wieder heiss, berührt die Wasser und übergiebt ihn dem Adhvaryu. Dieselbe Ceremonie wiederholt sich mit dem wieder anders construirteji Juhü- Löffel; sodann mit dem Upabhrit- und mit dem Dhruvä- Löffel.

Darauf wird unter allerlei Sprüchen die Gattin des Opferers durch den Agnidh mit einem dreifachen Band aus Schilfgras umgürtet; am Schluss der Ceremonie fordert er die Gattin auf, die Opferbutter anzublicken.1 Diese blickt auf die Butter mit dem Spruch: „Mit im geschädigtem Auge sehe ich auf dich herab; des Agni Zunge bist du, sei trefflich rufend den Göttern zu jedem Platz von mir, zu jedem Spruch." Die Butter wird durch Berührung mit den läuternden Gräsern unter bestimmten Sprüchen geläutert, und darauf muss der Adhvaryu oder der Opferer sie anblicken mit dem Spruch: „Glanz bist du, leuch- tend bist du, unsterblich bist du/* Der Adhvaryu fasst mit der Linken den Juhü- Löffel und den Veda- Büschel, mit der Rechten den Sruva-Löffel und schöpft mit dem letzteren Butter in den ersteren, indem er spricht: „Eine liebe Stätte bist du für die Götter, ein unangreifbarer Opfer platz.** Dies geschieht noch dreimal ohne Spruch, oder dreimal mit dem Spruch und einmal leise. Sodann schöpft er mit dem Sruva-Löffel Butter in den Upabhrit-LÖffel und zwar einmal mit jenem Spruch und siebenmal leise, oder dreimal mit ihm und fünfmal leise. Dabei soll trotz des häufigeren Eiugiessens weniger Butter in der Upabhrit als in der Juhü sich befinden.2 Endlich wird Butter mit dem Sruva-Löffel in den Dhruva-Löffel geschöpft. Dann folgt unter allerlei Sprüchen die Besprengung des Brenn-

1 Das Anblicken ist hier, wie öfters, ein Theil der Ceremonie. ebenso sonderbar wie in anderen Fällen das Denken an gewisse Dinge; wich das Flüstern, gewisse Fingerkrümmüngen und manches An- dere bei diesen Ceremonieen nimmt sich wohl recht sonderbar aus

* 3. Hülebrandt a. a. 0. p. 62.

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holzes. Das Bündel mit der Opferstreu wird aufgebunden mit dem Spruch: „Du bist Vishnu's Schopf!"1 und die Vedi dann dreifältig (oder fünf-, siebenfältig u. & w.) bestreut mit dem Spruch: „Wollenweich streue ich dich, dass du einen guten Sitz den Göttern bietest" Man beginnt dabei im Osten und schliesst im Westen, doch giebt es auch andere Arten.*

Darauf werden die sogenannten Paridhi, drei Holzstücke yon Armeslänge, um das Opferfeuer, gelegt. Das erste wird westlich vom Feuer hingelegt mit dem Spruch: „Der Gandharve* Vic^avasu lege dich herum, damit Alles unversehrt sei; du bist eine Umhegung für den Opferherrn" u. 8. w. Das zweite Holz- stück südlich mit dem Spruch: „Du bist des Indra rechter Arm, damit Alles unversehrt sei" u. 8. w. Das dritte nördlich mit dem Spruch: „Mitra und Varuna sollen dich im Norden herumlegen nach festem Gesetz, damit Alles unversehrt sei" u. 8. w. Nachdem dann mit besonderen Sprüchen zwei Scheite ins Feuer gelegt sind, blickt der Adhvaryu das Ähavaniva-Feuer an und flüstert: „Die Sonne schütze dich im Osten vor jedwedem Flucht«

Dann legt der Adhvaryu mit dem Spruch: „Savilar's \rme seid ihr," zwei besondere Grashalme, Prastara genannt quer über die Opferstreu, und nach noch einigen weiteren Ceremonieen und Sprüchen werden endlich die vorhin gebackenen Kuchen auf die Vedi niedergesetzt.

Jetzt sind eigentlich erst die einleitenden Ceremonieen be- endigt, Altar, Feuer, Kuchen, Butter u. 8. w. sind bereitet, und es folgt nun erst der Haupttheil des Opfers, die Darbringung der betreffenden Spenden. Indessen glaube ich, dass die bis- herige Schilderung, bei welcher ich noch vielerlei Detail über- gangen habe, ausreichen wird, um den Charakter der Sprüche und Begehungen deutlich erkennen zu lassen. Denn ganz in derselben Weise geht es nun weiter fort, immer neue und andere Ceremonieen, immer neue und andere Sprüche. Ich kann es Ihnen nicht zumuthen, die Entwickelung all dieser Einzelheiten weiter zu verfolgen und will mich für den übrigen Theil des Opfers ganz kurz fassen.

Zuerst wird unter bestimmten Sprüchen, den sogenannten Samidbeni -Versen, Brennholz angelegt; sodann ein kräftiger

1 Wie wanderlich und geschmacklos! 4 S. Hillebrandt a. a. 0. p. 65

9 Gandharven, eine besondere KksBe göttlicher oder halb göttlicher

Wesen.

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Strahl von der Opferbutter .ins Feuer gegossen (der sogenannte erste Äghara); dann folgt eine Bitte an Agni, dem Opfernden halfreich zu sein» wie schon den Vorfahren (der sogenannte Pravara); dann ein zweiter Strahl Butter (der sogenannte zweite Äghara). Daran reihen sich fünf Butterspenden an bestimmte Götter, welche Voropfer (Prayaja) heissen, und die zwei Opferungen von Butter für Agni und Sorna. Dann endlich geht man. mit der Hauptsache, der Darbringung jener beiden Kuchen für Agni und Agni-Soma (resp. Indra-Agui) tot, woran sich noch eine Grabe an Agni Svishtakrit1 anschliesst. Allee Einzelne, die Art wie die Kuchen zertheilt, yon den Priestern und dem Opferer verzehrt werden u. s. w., will ich übergehen. Es folgen die drei Nachopfer (Anuyaja's), die sogenannte Qamyuvaka- Litanei, die Opferung der Butterreste, und noch eine ganze Reihe anderer Ceremonieen und Darbringungen, von denen ich nur noch ganz am Schluss die drei sogenannten Vishnu-Schritte hervorheben wilL Der Opferer erhebt sich und macht von einem bestimmten Punkte der Vedi drei Schritte zum Opferfeuer hin, wodurch Vishnu's Schritte durch den Weltenraum 1 dargestellt werden. Beim ersten Schritte sagt er: „Am Himmel schritt Vishnu aus mit dem Jagati- Metrum; davon ist ausgeschlossen, wer uns hasst und wen wir hassen." Beim zweiten: „Im Luftraum schritt Vishnu aus mit dem Trishtubh- Metrum" u. s. w. Beim dritten: „Auf der Erde schritt Vishnu aus mit dem Gayatri- Metrum" u. s. w.* Nach einigen weiteren Ceremonieen entledigt sich der Opfernde des Gelübdes mit den Worten: „0 Agni, Herr des Gelübdes, das Gelübde trat ich an, das konnte ich, das ist mir gelungen;" oder „Hier bin ich wieder, der ich bin." Noch ein paar Schluss- ceremonieen, und Alles ist beendigt.

Dieses Opfer ist zur Zeit des Neumondes und mit einigen Modificationen zur Zeit des Vollmondes dreiseig Jahre hindurch dauernd auszufuhren. Die Familie der Däkshayana's erfand eine Form, in der das Neumonds« und Vollmondsopfer ver- einigt war. Wer in solcher Weise opferte, brauchte dies Opfer nur fünfzehn Jahre fortzusetzen. Wer es endlich leistete, dies Opfer der Däkshayana's ein Jahr lang täglich zu feiern,

1 D. i. Agni als derjenige, welcher das Opfer glücklich zu Stande bringt.

1 Vom Himmel zur Erde hin (oder umgekehrt). s In umgekehrter Reihenfolge gesprochen bedeuten diese Sprüche dai Hinaufschreiten Vishnus yon der Erde zum Himmel.

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war von da ab für immer vom Neumonds- und Vollmondsopfer befreit.1 Aber freilich, welch eine Aufgabe, das ganze Jahr hindurch beständig sich nur mit dieser Ceremonie zu be- schäftigen!

Schon jetzt muss ich befürchten, Sie ermüdet zu haben, und doch habe ich nur noch eins der einfachsten Opfer und auch nur iu flüchtiger Skizze vorgeführt Von der Art der Opferhandlung werden Sie eine Vorstellung gewonnen haben, und ich darf Ihnen nicht zumuthen, weiteres Detail anzuhören. So will ich denn von den vielen anderen Opfern nur hervor- heben, da8S unter ihnen das Sorna-Opfer von ganz besonderer Wichtigkeit und Heiligkeit, aber auch besonders complicirt ist Es sind schon beim sogenannten Agnishtoma, dem einfachsten Sorna- Opfer, nicht weniger als sechzehn Priester beschäftigt, die alle ihre besonderen Functionen haben. Höchst weitläufig und umständlich sind schon die Ceremonieen, die bloss dazu dienen, um den Opfernden und seine Gattin für das Opfer einzuweihen.1 Dann ko mt das Einleitungsopfer, dann der seltsame sogenannte Somakauf, mit sehr wunderlichen Cere- monieen; das Herumfahren und die gastliche Bewirthung des Sorna; die Tanünaptra- Ceremonie, in der sich Priester und Opferer verpflichten, sich nicht zu betrügen. Endlich die Hauptsache, der Tag, wo der Sorna gepresst wird. Deren giebt es bei den verschiedenen Somaopfern verschieden viele, von einem bis zu zwölf Tagen. Höchst weitläufig ist dann die Schöpfung und Vertheilung der verschiedenen Somabecher an die verschiedenen Gottheiten u. s. w. u. s. w.

Eine ausserordentlich heilige und wunderthätige Ceremonie ist die sogenannte Agniciti oder Schichtung eines Feueraltars, welche beliebig als Theil eines Somaopfers begangen werden kann und sich über mehr als ein Jahr hin erstreckt Sie beginnt mit einem grossen Thieropfer. Dann drehen sich die Ceremonieen lange Zeit um die Herstellung der sogenannten Ukha, einer irdenen Feuerschüssel, in welcher das Feuer während der Zeit der sogenannten Weihe ein Jahr lang unterhalten und zum Theil in besonderer Weise herumgetragen werden muss. Mit welcheu Wunderlichkeiten der Thon zu dieser Schüssel bereitet, geformt, geräuchert, gebrannt wird;

1 8. Weber, Indische Stadien X, p. 337.

* Die sogen. Diksha. Dieser Ceremonie ist eine besondere Mono- graphie gewidmet von B. Lindner, Die Diksha oder Weihe für du Somaopfer, Leipzig 1878.

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wie dann der Feueraltar in einer Reihe verschiedener Schichten mit einer Unmenge von Backsteinen, wo jeder seine besondere Form, seinen Namen, seine Bedeutung, seine gebührenden Cere- monieen und Sprüche hat, langsam und allmählich unter Be- theiligung einer Menge von Priestern aufgebaut wird, mit der Schilderung davon will ich Sie verschonen und muss Sie schon bitten, mir zu glauben, dass die Umständlichkeit, Com- plicirtheit und Langwierigkeit dieser Manipulationen geradezu ans Fabelhafte grenzt Dringt man hier ins Detail ein, so wird es Einem oft zu Muthe, als versinke man in einem Ocean un- absehbaren Formelkrames, wo eine Welle nur sich legt, um einer anderen Raum zu geben. Ja, es scheint fast unglaublich, wie es möglich war, all diese zahllosen Einzelheiten, bei denen die kleinste Kleinigkeit von Bedeutung ist, im Gedächtniss zu haben und genau auszuführen. Und es war dies wohl auch nur möglich in einem Lande, wo ein zahlreicher und mächtiger Stand seine ganze geistige Arbeit, sein ganzes Leben darauf coücentrirte , dieses unermessiiche Ritual auszubilden und fort- zupflanzen.1

1 Abbildungen der zahlreichen, beim indischen Opfer zur Verwen- dung kommenden Gerätschaften, deren wir auch in der vorstehenden Skiüe eine ganze Reihe erwähnt haben, sind von Max Müller ver- öffentlicht im 9. Bande der ZeiUchr. d. D. M. 6. Darstellungen der complicirten Feueraltare bei der sogen. Agniciti hat O. Thibaut ge- liefert im Journal of the As. Soc. of Bengal, Part I, No in (1875. Calcutta).

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Neunte Vorlesung

Charakteristik der Gottes Verehrung zur Zeit deB Yajurveda (Fortsetzung ond Schluss). Hervorhebung einzelner besonders bezeichnender Eigen- tümlichkeiten derselben. Unverständliche Interjectionen und Formeln. Monotone Wiederholungen und Variationen derselben Gedanken und Wendungen. Vergleich mit den schriftlichen Aufzeichnungen Schwach- sinniger. Kraft und Bedeutung der Sprüche und Formeln. Schamani- stiacher Charakter dieser Gottesverehrung. Die Zwecke des Opfers. Stellung des Menschen gegenüber seinen Feinden und Nebenbuhlern.

Versuchen wir es nun noch, einige besonders charakteri- stische Eigentümlichkeiten flcs indischen Opferrituals hervor- zuheben, so wäre da zunächst bemerkenswerth eine Reibe halb oder ganz unverständlicher Ausrufe, Worte oder Formeln, die in feierlicher Weise bei gewissen Stellen der Opferhandlang ausgerufen, gesagt oder geflüstert werden. Derart sind Ausrufe wie svabä, svajä, vashat oder mit eigentümlicher Dehnung vaushak vat oder vot; hin und im; und vor Allem das bis in die neueste Zeit hochheilige und wirkungsvolle Wort om! Einiges davon ist gewiss von vornherein interjectional, in An- derem sind wohl verstümmelte Worte zu vermuthen, die im Laufe der Zeit zu unverständlichen Interjectionen geworden sind. Auch das heilige Om ist vielleicht eigentlich nur Neutrum eines Pronomens, aus avam verstümmelt oder contrahirt, mit der Bedeutung „das" oder , jenes"! Doch ist dies nicht ganz sicher. Manche dieser Interjectionen werden viel gebraucht, wie om, sväha, vashat u. a. Bisweilen reihen sich auch solche interjectionale Worte in vielfacher Repetition, untermischt mit einigen verständlichen Ausdrücken, zu längeren Sätzen zusammen.

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~ ltl -

So z. B. (M&itr. S. 4, 9, 21) h nidh&yo vAf nidh&yo nidhAyo oip vA oip vft oip v& e Äi oip svarflajyotib! Hier ist fast Alles interjectional oder doch bis zur Unkenntlichkeit ver- stümmelt; nur das Letzte: „goldener Glanz" (svarnajyotifc) lässt sich verstehen. Es heisst weiter mit etwas verständlicheren Ausdrücken8: brihadbhä brihadbhä brihadbha, bfihadbha im bfihadbha im brihadbha im, im im im svarnajyotib, d. h. Hell- glänzend, hellglänzend, hellglänzend! Hellglänzend im! hell- glänzend im! hellglänzend im! im im im! goldner Glanz! Derart ist die oft wiederholte Formel bhür bhuvah svab, in deren erstem Theile wir wohl das Wort bbü „die Erde oder Welt" erkennen, so wie am Schluss das Wort svar „Himmels-

1 Mäitr. S. ist Abkürzung für Mäiträyanl Samhitä, d. i. der- jenige Yajurveda, aus dem ich vorwiegend meine Citate im Folgenden tn nehmen gedenke. (S. oben p. 89.) Ich wähle dieses Werk nicht nur, weil ich mit ihm mich am Eingehendsten beschäftigt habe, sondern namentlich auch, weil dies unter den älteren Recensionen des Yajurveda die bestüberlieferte ist. Die verschiedenen Recensionen des schwarzen Yajurveda sind ihrem wesentlichen Inhalte nach so übereinstimmend, dass man mit Charakterisirung einer derselben auch die andere mit charakterisirt, und es wäre ein Leichtes für die zahlreichen Belegstellen, die ich aus der Mäiträyanl Samhitä anführen werde, ganz ahnliche and entsprechende Stellen aus den anderen Recensionen beizubringen. Dies würde indessen ungebührlich viel Raum in Anspruch nehmen, ohne inhaltlich Neues zu bieten und würde die ohnehin grosse Monotonie des Torliegenden Stoffes dadurch noch erheblich vergrossert werden. Wem etwas daran läge, der könnte leicht durch die in meiner Ausgabe der Mäiträyanl Samhitä gegebene Concordanz sich ein reiches Material derart issammenstellen. Die Mäiträyanl Saiphitä ist der Yajurveda in der Recension des Mäiträyanlya-Schuie. Diese Schule muss in alter Zeit eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie zerfiel in sieben Unterabtei- lungen, von denen eine die sogen. Mänava's waren, von denen das Mänavadharma<;ästrara, das sogen. Gesetzbuch des Manu stammt Es zeugt von der hohen Bedeutung und dem Einfluss dieser Schule, dass gerade ihr Gesetzbuch als das für ganz Indien kanonisch gültige aner- kannt wurde. Die Schule der Mäiträyaniya's ist mit der Zeit ganz zusammengeschmolzen und existirt nur noch in einigen Resten. Nördlich von der Narmadä (Nerbudda) fand Bühler noch eine beträchtliche Colonie von Mäitrayanlya's. Gujerat ist ein Hauptsitz derselben gewesen. Vgl. die Einleitung zu meiner Ausgabe der Mäiträyanl Sainhita p. XIX flg. Ferner auch meine Abhandlungen „Ueber die Mäiträ- yanl Samhitä" in der Zeitschrift der Deutsch. Morg. Ges. Bd. XXXIII, p. 177 2U7; und „Das Kä(hakam und die Mäiträyanl Samhitä" in den Monatsberichten der Kön. Akad. der Wiss. zu Berlin, Juli 1879, p. 675-704.

* Vgl. im Täitt Aranyaka 4, 40, 1 nidhäyyo \äyi, ebenso unver- ständlich.

Mäitr. S. 4, 9, 22.

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liebt, Himmel", deren Ganzes aber doch unverständlich bleibt.1 Von dieser Formel bhür bhuval? svah wird gesagt1: „Dies für- wahr ist das Brahman (d. i. der Inbegriff der Heiligkeit), dies die Wahrheit, dies das Recht, ohne dies giebt es kein Opfer." So hoch wird die Bedeutung solch einer Formel geschätzt Wir haben ferner ganze Sätze, in welchen wir die meisten Worte deutlich erkennen, und die doch im Ganzen als unver- ständliche Formeln bezeichnet werden müssen. So z. B. das öfters wiederkehrende makhasya ciro asi, d. h. „Du bist das Haupt des Makha". Die Bedeutung von makha lässt sich aber nicht angeben.9

Solche unverständliche Worte oder Formeln, in geheimniss- voller oder eindringlicher Weise gesprochen oder geflüstert, nehmen geradezu den Charakter von Zauberformeln an; es ist ein mit dem Nimbus religiöser Heiligkeit umgebenes Abra- kadabra.

Höchst charakteristisch für dies Ritual sind ferner die monotonen, immer wiederkehrenden Variationen gewisser For- meln und Wendungen, in welchen nicht selten ein ziemlich gedankenloses Spiel mit den verschiedenen Worten und Be- griffen getrieben wird. Ich will zur Verdeutlichung nur ein Beispiel derart anfuhren.

Die UkhA, jene früher erwähnte irdene Feuerschüssel, die bei der Ceremonie der sogenannten Agniciti4 eine grosse Rolle spielt, wird bei ihrer Verfertigung und Beräucherung von dem Priester folgendermaßen angeredet5:

„Du bist des Makha Haupt! Die Vasu's sollen dich bereiten mit dem Gayatri-Metrum nach der Weise der Augirasen,4 o Ukha! Du bist fest, du bist die Erde, erhalte bei mir Nachkommenschaft, Reichthum, Herrschaft über das Vieh, Heldenkraft, die Verwandten für diesen Opferherrn! Die Rudra's sollen dich bereiten mit dem Trishtubh-Metrum

1 Die indischen Erklärer deuten bhuvah auf den Luftraum, so dass die Formel bedeuten würde: „Erde, Luft, Himmel". Doch kann bhuvafe diese Bedeutung kaum gehabt haben; das Pet. Wörterbuch halt dies Wort für den Plural von bhu „die Erde". Die Sache laset sich nicht sicher feststellen.

Mftitr. S. 1, 8, 5.

a Derart ist z. B. auch die offenbar verstümmelte Formel, welche Mftitr. 8. 1, 9, 1 und 5 und auch sonst vorkommt: v&caspate hinvidhe naman vidhema te nama vidhe tvam asmakam n&ma, wofür ich keine üebersetzung wagen möchte (vgl. übrigens das Petersb. Wörterbuch s. v. 1 vidh).

4 D. i. die Schichtung des Feueraltars, vgl. oben p. 108.

Mftitr. 8. 2, 7, 6.

Ein altes mythisches Geschlecht.

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nach der Weise der Atigi rasen, o Ukha! Da bist fest, du bist der Luft- raum, erhalte bei mir u. a. w. (wie oben); die Aditya's sollen dich be- reiten mit dem Jagati-Metrum nach der Weise der Angirasen. o Ukha! Do bist fest, du bist der Himmel, erhalte du u. s w.: alle Götter, die allverehrten, sollen dich bereiten mit dem Anushtubh-Metrum nach der Weise der Angirasen, o Ukha! Dn bist fest, du bist die Himmels- gegenden, erhalte du u. s. w. Die Vasu's sollen dich räuchern nach der Weise der Angirasen, die Rudra's sollen dich räuchern nach der Weise der Angirasen, die Aditya's sollen dich räuchern nach der Weise der Atigirasen, Indra soll dich räuchern nach der Weise der Angirasen. Varuiia soll dich räuchern nach der Weise der Angiraseu, Vishnu soll dich räuchern Jiach der Weise der Angirasen, Brihaspati soll dich räuchern nach der Weise der Angirasen. Aditi, die göttliche, allgött- liche, soll dich im Schooss der Erde nach der Weise der Angirasen graben, o Grube! Die Götterfrauen, die göttlichen, allgottlichen, sollen dich im Schooss der Erde nach der Weise der Atigirasen hinsetzen, o Ukha u. s. w.

Im gleichen Style geht es noch eine ganze Weile fort.

Derartiges liesse sich noch viel anführen, wenn ich nicht befürchten müsste, Ihre Geduld allzu sehr in Anspruch zu nehmen.

Diese öden und elenden Variationen ein und desselben Gedankens wirken schon bei der Leetüre geradezu nieder- drückend, und es liegt auf der Hand, dass sie auf die andäch- tigen Hörer nicht geistig erhebend, sondern weit eher geistig verödend und lähmend wirken konnten. Man möchte oft ge- radezu daran zweifeln ob man es noch mit verständigen Menschen zu thun hat, und es ist in dieser Hinsicht recht interessant, zu beobachten, dass in den schriftlichen Aufzeich- nungen von Personen im Stadium des Schwachsinus gerade die öden und einförmigen Variationen ein und desselben Ge- dankens besonders charakteristisch sind. So schreibt um ein Beispiel aus dieser, wohl den Meiston unbekannten, Sphäre anzuführen eine schwachsinnige Kranke, die sich früher viel mit Leetüre beschäftigt hatte:

1. Bitte:

Schülers Seele und Bewusstsein erlösen

Jesus Seele und Bewusstsein erlösen

meiner Mutter Seele und Bewusstsein erlösen

van der Velde seine Seele und Bewusstsein erlösen

Trommtitz seine Seele und Bewusstsein erlösen

Gerstacker seine Seele und Bewusstsein erlösen

Voss seine Seele und Bewusstsein erlösen

Seume seine Seele und Bewusstsein erlösen

Körner seine Seele und Bewusstsein erlösen

Arndt seine Seele und Bewusstsein erlösen

und die Seelen und Bewusstsein erlösen aller der Dicnter des Gesangbuchs.

.«chrüd«r, Indiens Lit. u. Cult. 8

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2. Bitte

aller der Namen, die in Schülers Werken stehen

8. Bitte meiner Familie Seele

4. Bitte

mein Bewusstsein Yenlichten und mein Ich.1

Erinnert dies nicht einigermaßen an die oben angeführten Bitten: die Vasu's sollen dich bereiten mit dem Gayatri- Metrum, die Rudra's sollen dich bereiten mit dem Trish^ubh- Metrum u. 8. w.

Ein Kranker der Anstalt Rothenberg bei Riga schrieb Folgendes auf:

Mit Demuth und Rührung die Strasse wandeln, die gewiesen, mit ganzem Wissen die Strasse gehen, die erforderlich ist, um demUthig den Weg an gehen, und mit tiefer Frömmigkeit die Strasse zu gehen, die erforderlich ist, die Kirche bauen und den Frieden zu erhalten, der die Wege weist, die dazu nöthig und wünschenswerth sind, um dann niit Gottes Wunsch die Wege zu bauen, den Frieden zu erkaufen, nnd dann mit frohem Muth die Kirche zu bauen, die dazu erforderlich ist, und mit rechtem Wesen die Lehrstufe zu erringen, die dazu wünschenswerth sein könnte, mit frommem Streben die Anstalt mit Rosen beschenken, Gottes Kirche bauen und mit vieler Demuth seine Unterwürfigkeit zeigen, mit vieler Unterwürfigkeit und vieler Demuth dieselbe zu erreichen suchen, mit vieler Demuth zu erringen suchen, und mit Demuth den Weg wandeln, der dazu erforderlich ist, Gottes Liebe benutzen, mit ganz ten Vorsätzen ein gutes Leben führen, und mit gutem Entschluß» den eg führen, der dazu erforderlich ist, mit guten Vorsitzen den Weg zu gehen, der dazu erforderlich ist, Gottes Liebe zu gebrauchen, mit

Sitem Fortgang den Weg zu gehen, der Gottes Liebe, die Kirche bauen, ottes Liebe, die Kirche bauen, Gottes Liebe, die Kirche bauen, die Kirche bauen und mit gutem Vorsatz, Gottes Liebe, die Kirche bauen, nnd mit gutem Vorsatz, Gottes Liebe, die Kirche bauen (die beiden letzten Phrasen wiederholen sich etwa achtzig Mal nnd ähnlich geht es dann noch über mehrere Seiten weiter fort).

Auf die Frage des Arztes, warum er denn immer dasselbe geschrieben habe, antwortete der Kranke, er habe nichts weiter gowusst.1

Dies Beispiel ist ein sehr extremes, aber dennoch hoffe ich, Sie werden mich verstehen, warum ich dies zum Vergleich heranziohe. Das Charakteristische des schwachsinnigen Geistes besteht eben in der unablässigen, elenden und öden Reposition und Variation ein und desselben Gedankens, derselben Formen

1 S. Dr. Theobald Güntz, Der Geisteskranke in seinen Schriften, Thonberg bei Leipzig, 1861.

4 Private Mitteilung von Seiten eines Irrenarztes.

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und Wendungen, und der Yajurveda bietet uns gar Manches, was dem ganz bedenklich ähnlich sieht, von gar Manchem er- hält man wirklich einen ähnlichen Eindruck, wie hier von dem Geschreibe eines Menschen mit geschwächtem Geiste. Ein Gottesdienst, der diesen Stempel an sich trug, der in so trost- loser Gedankenöde sich hin und her bewegte, an absurden Sprüchen und Wendungen reich, wohlversehen mit allen mög- lichen unverständlichen Formeln und Exklamationen, musste auf die Hörer, die ihm frommgläubig lauschten, wie auch auf die Priester, die ständig sich damit beschäftigten und darin lebten, im Laufe der Zeit eine niederdrückende, geistig lähmende Wirkung üben; das gesunde Denken mussto geschwächt, ja es konnte, wenn Derartiges durch Jahrhunderte seinen Einfluss übte, bis zu einem gewissen Grade zerrüttet werden.

Besonders charakteristisch für diese Gottesverehrung ist sodann die grosse Kraft und Bedeutung, welche den Opfer- spriichen und Formeln beigelegt wird, der Glaube, dass man durch eine bestimmte Reihe gesprochener oder gemurmelter Worte ausserordentliche, ja geradezu zauberhafte Wirkungen hervorbringen könne. So werden z. B.1 die sogenannten Jaya- oder Siegformeln angeführt: „Das Geplante und das Planen, das Gedachte und das Denken, das Ersehnte und das Er- sehnen u. s. w.M* Von diesen Formeln wird sodann gesagt; „Prajftpati erfand die Java-Sprüche, er gab sie dem Indra, durch diese besiegte er fort und fort die Dämonen; fort und fort besiegt derjonige seinen Feind, für den diese dargebracht werden." Solche Kraft soll also diesen, keines- wegs vielsagenden Worten innewohnen! Man wird unwill- kürlich mehr an Zaubern und Besprechen als an irgend welchen Gottesdienst erinnert.

Aehnlich werden an einer anderen Stelle 9 folgende Formeln vorgeschrieben: „Die Freunde tragend, die Herrschaft tragend, Kraft tragend, Stärke tragend, möchten wir siegen, möchten wir bewältigen, möchten wir fortkommen, möchten wir ge- deihen!" Und dazu heisst es: „So (d. h. wenn er diese Worte spricht) siegt er in der Schlacht"

An einer anderen Stelle4 wird gelehrt, wenn Jemand Hegen wünsche, dann solle er eine bestimmte Darbringung mit folgen- dem Spruch mischen: „Welches der himmlische Regen ist, mit

1 Maitr. 8. 1, 4, 14.

1 akütam cakütis ca, cittain ca cittic. ca, adhitam cadhitic ca u. s.w. 1 Mait^ 8. 4, 2, 11. * fcaitr. 8. 4, 6, 9.

8*

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dem mische ich dichl" „Dadurch so heisst es weiter läset er Regen auf das Vieh herabströmen."

Wieder wo anders 1 werden bestimmte Sprüche angegeben, durch welche man Jemanden von den sogenannten Fesseln des Varuna, d. i. schlimmen Heimsuchungen, welche namentlich in Krankheit bestehen, zu befreien vermag. Man spreche zu diesem Zweck die Worte: „O König Varuna, welches deine Fessei bei den Göttern ist, die opfere ich dir hiedurch weg! Dir sei Heill 0 König Varuna, welches deine Fessel in der Speise ist, 1 die opfre ich dir hiedurch weg! Dir sei Heil! 0 König Va- runa, welches deine Fessel beim zweifussigen und vierfüssigen Vieh ist, die opfre ich dir hiedurch weg! Dir sei Heil! 0 König Varuna, welches deine Fessel in den Kräutern, Bäumen, Wassern, auf der Erde, in den Himmelsgegenden ist, die opfre ich dir hiedurch weg! Dir sei Heil!" Und dazu wird die Bemerkung gefügt: „Dies sind die Fesseln des Varuna, von denen befreit er ihn."

Aehnliche8 erzielen auch ein paar andere Sprüche9: »Ge- löst ist die Fessel des Varuna! mit diesen Worten löst er so die Fessel des Varuna. Hingeworfen ist die Fessel des Va- runa! — mit diesen Worten wirft er so die Fessel des Varuna hin" u. dgl. m.

An einer anderen Stelle heisst es3: „Wenn man, ohne das Vieh von Rudra4 frei zu bitten, die Schichtung des Feueraltars vornimmt, dann stellt Rudra dem Vieh des Betreffenden nach. Wenn er spricht: Aus des Rudra Schaarenherrschaft komm herbei! Dann hat er so das Vieh von Rudra freigebeten und schichtet nun Seinen Feueraltar; dann schädigt der Herr des Viehes? nicht sein Vieh/'6

Ebenso wird7 der Spruch gelehrt: „Des Rudra Waffe soll euch rings vermeiden!" und dazu wird bemerkt: „Mit diesen Woiten schützt er sie (<L h. die Kühe) so vor Rudra."8

Ueberall sind es hier also kurze Sprüche, man darf wohl geradezu sagen „Beschwörungen", welche ein drohendes Unheil abwenden, indem sie unfehlbar bestimmend auf den Willen des Gottes wirken sollen.

1 Maitr. S. 2, 3, 1 a. E. * Maitr. S. 4, 8, 5. * Maitr. S. 3, 1, 3.

4 Ein vielgefürchteter Gott Vgl. oben p. 66. Er wird auch als Herr des Viehs (pa^upati) verehrt.

5 D! i. Rudra. cf. Taitt. S. 5. 1, 2, 3. 7 Maitr. S. 4, 1, 1. 8 Vgl. auch Maitr. S. 3, 1, 4 a. E. „Pein kommt dort Uber die

Nachkommen, wo der Feueraltar gegraben oder geschichtet wird; wenn San spricht: Freundlich den Nachkommen, nicht schädigend u. s. w., so hat man ihn auf solche Weise den Nachkommen freundlich gemacht"

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Aber «noch weit mehr wird behauptet.

Ich führte Ihnen in der letzten Vorlesung die Formeln an, welche der Priester beim Hinlegen der Schalen für den Opferkuchen spricht. Deren Wirkung wird nun1 folgendcr- massen beschrieben. Er spricht: „Du bist fest, festige die Erde! Mit diesen Worten macht er so die Erde fest. Eine Stütze bist du, festige den Luftraum! Mit diesen Worten macht er so den Luftraum fest. Ein Träger bist du, festige den Himmel! Mit diesen Worten macht er so den Himmel fest" u. s. w. Hier werden den Opfersprüchen, Worten, die man an ein paar Schalen richtet, Wirkungen zugeschrieben, die sich auf die ganze Natur erstrecken u. dgl m.'

Neben der ungeheuren Complicirtheit, neben der erdrücken- den Weitläufigkeit und Formelhaftigkeit des Rituals werden wir gerade dies als die am meisten charakteristische Seite des- selben erkennen, dass die Sprüche, Formeln und Handlungen geradezu wie Zaubersprüche, Zauberformeln und Zauber hand- lungen betrachtet werden. Mit ihrer Hülfe glaubt man un- bedingt Wirkungen der ausserordentlichsten Art hervorrufen zu können, Natur und Götter selbst zu zwingen, und der kundige Priester ist es, der diese gewaltige Macht in seiner Hand hat.

So haben wir eigentlich in diesem indischen Cultus eine Art Schamanismus vor uns, wenn auch einen verfeinerten und mit manchen geistigen Elementen durchsetzten.

Sehr richtig sagt der bekannte Ethnolog Oscar Pesch el in seiner „Völkerkunde" p. 281: „Nichts wird teichter scha- m&nistisch missbraucht, als das Gebet, denn es wird in dem Augenblicke zur Zauberformel, sobald man seinen Worten irgend eine Wirkung auf den göttlichen Willen zuschreibt" Und p. 283: „Besteht das Wesen des Schamanismus in der Ausübung irgend eines Zaubers, der seinen Zwang auf göttlich gedachte Mächte erstreckt, ihnen die Erfüllung irgend eines Begehrens oder die Offenbarung künftiger Begebenheiten ab- nöthigt, so ist es offenbar ganz gleichgültig, ob das angewendete Mittel im Rühren einer Trommel, im Schütteln einer Klapper, in Opfern, in Gebeten, in Fasten oder Bussübungen, im Be- fragen thierischer Eingeweide oder des Vogelflugs bestehe."

1 Maitr. S. 4, 1, 8.

* Auch Maitr. S. 3, 8, 9 a. A.: „Schreitet mit dem Feuer zum

Firmament! So spricht er, um die Himmelswelt zu erlangen.

Kraftnahrung verleihe uns, den zweifüssigen und vierfüssigen Geschöpfen ! Mit diesen Worten legt er Kraftnahrung in das zweifüssige und vier, füssige Vieh hinein" u. s. w.

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Wir werden somit die Brahmanen des Yajurveda nicht freisprechen können von dem Vorwurf, Gebet und Opfer scha- manistisch zu missbrauchen. Wenn die Inder in späteren Jahr- hunderten dem Fasten und verschiedentlichen Kasteiungen ganz unglaubliche, zaubermächtige Wirkungen zuschreiben und nicht müde werden, Geschichten davon zu erzählen, so ist das nur eine Uebertragung des erwähnten schamanistischen Aber- glaubens auf ein anderes Gebiet. Und wie bei den Brahmanen durch die Macht der Busse, so werden bei den Buddhisten endlich durch die blosse Macht der Heiligkeit Wunder, Zauber und Kunststücke aller Art ausgeführt Das Alles sind bloss Umwandlungen des alten folgenschweren Irrwahns, der im Yajurveda seine Wurzel hat, und die hier gepflegte ungesunde geistige Richtung ist in späteren Jahrhunderten recht üppig weiter ins Kraut geschossen, ja sie hat zum Theil Dimensionen angenommen, dass wir fast von einer partiellen Zerrüttung des Denkvermögens reden möchten.1

Die Zwecke des Opfers.

Das Charakteristische einer Gottesverehrung liegt ferner sehr wesentlich in den Zwecken, welche der Mensch mit der- selben zu erreichen strebt. Werth oder Unwerth des Gottes- dienstes bemisst sich vor Allem nach der Empfindung, die der Mensch seinen Göttern entgegen trägt; ob er sich einem Zuge zu andächtiger Vertiefung hingiebt, oder ob er von anderen Absichten erfüllt ist.

In dieser Hinsicht bieten uns die Yajurveden ein reiches Material, denn auf Schritt und Tritt wird bei den verschiedenen Formeln und Ceremonieen der Zweck angegeben, zu dessen Erreichung man dieselben ausführen soll. Gerade hierin tritt deutlich der vorhin besprochene schäm anistische Zug hervor, und leider sind es vorwiegend ganz materielle und sinnliche Güter, zu deren Erlangung das Opfer verhelfen soll. Die Be- gierde nach Besitz tritt stark dabei hervor, sowie der Wunsch nach Herrschaft und Wohlsein jeder Art Ich will nicht von den Sprüchen und Versen reden, in welchen die Götter um diese Dinge gebeten werden. Weit charakteristischer und wichtiger sind die massenhaft zahlreichen Angaben über Zweck

1 Man vgl. unten Vorlesung XX VII.

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und Folge bestimmter Ceremonieen und Sprüche. Stellt man dieselben zusammen, so orgiobt sieb ein ausgebreitetes System, wo fast für jegliches Begehren, das aufs Wohlbehagen hinzielt, alsbald eine Reihe von Verrichtungen parat sind, durch welche man dasselbe befriedigen kann, vorausgesetzt natürlich dass man kundige und wohlgeneigte Priester zur Hand hat, die das Erforderliche ausführen können.

Wenn z. B. Jemand nach Vieh begehrt, so werden ihm dafür im Yajurveda an einer ganzen Reihe von Stellen wirk- same Ceremonieen gelehrt Wünscht er sich Speise (d. h. reich- liche Nahrung) zu verschaffen, so findet er dafür fast unzählige Begehungen angegeben. Will man Nachkommenschaft er- langen, so werden wirksame Ceremonieen dafür in einer Reihe Ton Capiteln gelehrt Wünscht man Lebenskraft, so finden sich gleich an verschiedenen Stellen entsprechende Ceremonieen; desgleichen wenn man Glanz der Heiligkeit begehrt, ein damals besonders geschätzter Vorzug. Ebenso, wenn man Wohlsein im Allgemeinen, oder Indra-Kraft, oder Herr- schaft und Königthum zu erreichen strebt; desgleichen wenn man den Lebenshauch zu erhalten wünscht Will man die Stellung eines Oberpriesters (purodha) haben, so giebt es auch dafür eine bestimmte Ceremonie. Wünscht man den Besitz eines Dorfes, so stehen Einem eine ganze Reihe solcher zu Gebote. Nicht minder, wenn man Glanz, wenn man Macht oder wenn man Sieg begehrt. Eine ganze Reihe wirksamer Ceremonieen sollen Schutz vor den bösen Dä- monen (rakshas) verschaffen; andere befreien von den Fesseln des Varuna; andere schaffen Schutz vor dem Gegner, oder Schutz im Allgemeinen, oder Unverletzt- heit; andere werden als wirksam gerühmt, wenn man krank ist, oder wenn man sich vor Alter und Tod fürchtet.

Aber weit exorbitantere Wünsche kann man durch diese Opferbräuche befriedigen. So wird gelehrt von bestimmten , Verrichtungen, dass man durch dieselben diese Welten er- langt, oder die Weltgegenden ersiegt oder gewinnt, oder alle Weltgegendon, alle Welten gewinnt. Andere dienen dazu, das Jahr zu erlangen, was am Ende ein un- gefähr ebenso thörichtes Begehren ist, als wenn man den Mond zu erlangen strebt In aller möglichen Art will man durch diese Ceremonieen Einfluss auf dio Natur üben, resp. ihr Hülfe leisten. So finden sich bestimmte Ceremonieen, die den Zweck haben, die Weltgegenden zu festigen, was doch mindestens eir höchst unnöthiges Beginnen ist; andere dienen dazu, diese

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Welten zu festigen, andere das Jahr zu festigen, andere die Kräuter festen Stand gewinnen zu lassen u. dgL m.

Dann fehlen natürlich auch nicht verschiedene Cere- monieen, durch welche man andere Leute bezaubern, oder sie schädigen oder ihnen sonst irgend welche Unan- nehmlichkeiten zufügen kann. Endlich giebt es auch wirk- same Ceremonieen, durch welche man jeden beliebigen Wunsch oder alle Wünsche erlangen kann, wobei gelehrt wird: Was irgend wünschend man dies vollfuhrt, das erlangt man auchl

Man kann die verschiedenen Opfer mit ihren respectiven Wirkungen schliesslich in übersichtliche Tabellen bringen, wo man dann deutlich gleich sieht, was man von jedem einzelnen hat. Die einer folgenden Periode entstammenden Sütra's streben nach solcher Uebereichtlichkeit, und so finden Sie z. B. eine solche Zusammenstellung am Schlüsse des von R. Garbe edirten und übersetzten Vaitäna-Sütra.1 Sie beginnt in Cap. 43 mit § 8 flg.

8. Das (normale) Agnihotra ....

9. Mit (frischer) Milch (geopfert) .

10. Mit saurer Milch (geopfert) . .

11. Mit Schmalz

12. Mit Sesamöl

13. Mit Muss

14. Mit Reisbrühe

15. Mit Reiskörnern

16. Mit Sorna

17. Mit Fleisch

18. Mit Wasser

19. Das Dar capüruamasa- Opfer . . .

20. Das Dakshayana-Opfer

21. Das Sakamprasthayya-Opfer . .

22. Das Sam kram a- Opfer

23. Das Idadadha-Opfer

24. Das Särvasena-Opfer

25. Das faunaka-Opfer

26. Das Vasisbtha-Opfer

27. Das Dyaväprthivyorayana ....

28. Diese (von §§ 21—27 genannten Opfer) des Darcapurnamasa-Opfers.

<5.

W 5"

o

die himmlische Welt Alles

körperliche Kraft Macht Schönheit Kinder

Besitz eines Dorfes Kraft

geistlichen Vorrang Wohlstand langes Leben Alles Kinder Vieh Alles Vieh Kinder

Die Zauberkunst Kinder

einen festen Standpunkt Bind die periodischen Formen

1 Vaitana Sütra, the Ritual of the Atharvaved*, edited with critical notes and indices by Dr. Richard Garbe, London 1878. Vaitana Sütra. das Ritual des Atharvaveda, aus dem Sanskrit Über- setzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. phü. Richard Garbe, Strassburg 1878.

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^ Nahrung

w £ Alles

langesLeben, Kinder u.Yieh

- sf

- Gesundheit und für Einen, ~* der die Welt der Vater •* Kinder

M

4 =

II

"1

29. Das Agrayana

30. Die CAturmasya

31. Das Thieropfer an Indrau. Agni

32. (Die Opferung) eines papa- geigelben oder auch weissen (Stieres) an Yama

33. Eines stuteoähnlichen Heng- stes an Tvashtar

34. Diese beiden (letzten Opfer) sind beliebig.

35. Die Sutyatage | Alles

36. Der ükthya | |*| Vieh

37. Der Vajapeya ( ? unumschränkte Herrschaft

38. Der Atiratra g/g: Wohlfahrt

39. Das Gavämayana ist dem Dvadac&ha gleichwerthig.

40 Der Rajasüya 1 |U unumschränkte Herrschaft

41. Der AcTamedha oder Puru- I g f? shamedha | - ^ Alles

42. Der Sarvamedha IS"* Vorrang

43. Wenn die Wünsche endlos sind, haben in Folge dessen auch die Opfer keine Beschränkung.

Solche „Tabellen der Opferzwecke" sind die natürliche Consequenz der Art, wie das Opfer im Yajurveda schon be- handelt wird.

Stellang des Menschen gegenüber seinen Feinden und

Nebenbuhlern.

Für die Beurtheilung der sittlichen Stufe, auf der sich eine bestimmte Gottesverehrung befindet, ist es von grosser Wichtigkeit, wie sich der Mensch bei Gebet und Opfer seinen Feinden und Widersachern gegenüber verhält; ob er auch vor dem Angesichte der Götter in der Stunde der Andacht und Vertiefung jenen Krieg des gemeinen Lebens fortsetzt, oder ob er im Stande ist, sich zu höheren und reineren Empfindungen zu erheben.

In späteren Jahrhunderten finden wir gerade bei den In- dern in schönster Weise eine liebende, duldende und tragende Moral ausgebildet, nach welcher die Kränkungen und Anfein- dungen von Seiten der Gegner still ertragen und vergeben werden Bollen. Aber in der vedischen Epoche ist von Ge- danken dieser Art nicht die leiseste Spur wahrzunehmen. Im Rigveda finden wir die erste, naturwüchsig naive Stufe, wo der Mensch mit Heerden und Nachkommenschaft sich ausbreitend

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bald hier bald dort auf Widerstand stösst, sich kräftig zur Wehre setzt und den Feind ehrlich und tüchtig als Feind be- handelt Da steigt manch zorniger Hymnus auf, der um Ver- tilgung der Gegner betet. Aber im Yajurveda ist diese Be- kämpfung des Gegners durch Gebet und Opfer mit priester- lichem Raffinement ausgebildet. Wenn im Rigveda der streit- bare Mann zu den Göttern um Hülfe fleht gegen seine Wider- sacher, — da können wir noch recht gut sympathisiren. Ab- stoßend aber sind im Yajurveda die unzähligen Formeln und Verrichtungen beim Opfer, die darauf ausgehen, die Feinde auf alle mögliche Art zu schädigen.

Manche jener zornigen Verse aus dem $igveda sind auch in den Yajurveda übergegangen, gar Manches aber ist auch dem Yajurveda allein eigen. So bittet man z. B.1: „Welcher Mensch uns feindlich ist und welcher uns hasst, welcher uns schmäht und schaden will, alle die sollst du zu Staub zer- reiben!" Der Gott des Feuers wird angefleht*: „0 Agni, mit deiner Gluth glühe los gegen den, weicher uns hasst und welchen wir hassen! 0 Agni, mit deiner Flamme brenne los gegen den, welcher uns hasst und welchen wir hassen! 0 Agni, mit deinem Strahl strahle gegen den, welcher uns hasst und welchen wir hassen! 0 Agni, mit deiner packenden Kraft packe den, welcher uns hasst und welchen wir hassen! 0 Agni, mit deiner spitzigen Schärfe stachle den, welcher uns hasst und welchen wir hassen!4* Oder es wird3 gebetet: „Der Todesgott, das Verderben soll die Nebenbuhler ergreifen!" Agni wird angefleht4: „Erhebe dich, o Agui, spanne den Bogen, senge nieder die Feinde, der du ein scharfes Geschoss fuhrst! Wer uns Anfeindung bereitete, o du Entflammter, den brenne paeder wie trocknes Gestrüpp!" Oder Indra6: „Schmettre auseinander unsre Feinde, o Indra! Wirf nieder die Kämpfenden! Unter die Füsse schaff uns den, welcher uns anfeindet!"

Unzählige Mal kehrt bei bestimmton Opferhandlungen odor Sprüchen die Verheissung wieder, dass man auf solche Weise seinen Gegner bewältigen, schädigen oder vernichten könne.

So heisst es z. B. an einer Stelle6: „Auf solche Weise be- wältigt den Nebenbuhler, den Feind, die Noth derjenige, welcher solches wissend das Feuer anlegt." Und in demselben Capitel: „Wen er hasst, an den möge er dann im Geiste denken, so

1 Mfcitr. S. 2, 7, 7. » Maitr. 3. 1, 5, 2. 9 Mftitr. 8. 2, 5, 6. * MAU. S. 2, 7, 15 « RV 4, 4, 4. « M&itr. 8. 4, 12, 3; vgl. RV 10, 152, 4. « MÄitr. 8. 1, 6, 3.

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schleudert er den Donnerkeil gegen ihn und wirft ihn zu Boden" u. s. w.1

Alle möglichen Ceremonieen gehen darauf aus, den Gregner zu berauben, ihm Besitz, Speise, Kraft u. dgl. zu entwenden.

So wird z. B. bei einer bestimmten Verrichtung 1 gesagt: „So bringt der Opferherr Erwerb, Besitz und Speise des Gegners an sich" (d\ h. enthält sie jenem vor), u. dgl. Öfters.

Bei einer anderen Gelegenheit heisst ea *: An seiner eignen Opferstätte raubt der Opferherr so dem Gegner sein Vieh, und das Vieh geht von ihm nicht fort" An eine andere Ceremonie wird die Verheissung geknüpft4: „Kraftnahrung und Speise raubt der Opfrer so dem Gegner.4* Und ein anderes Mal9: „So raubt der Opferherr dem Gegner den freien Raum und die Speise." Und ferner*: „So raubt der Opferherr dadurch dem Gegner Kraft und Stärke."

Schmerz und Noth aller Art sucht man durch die Opfer- verrichtungen dem Gegner zu bereiten.

So wird z. B. bei einer bestimmten Ceremonie 1 verheissen: „Wen er hasst und wer ihn hasst, die beide bringt er auf solche Weise in Pein." Wo anders8 lautet die Verheissung: „Auf solche Weise schickt er den Hunger zu dem Gegner" u. dgL m.

Häufig kehrt der Gedanke wieder, daes man durch diese oder jene Opferhandlung den Gegner vertreibt oder ganz aus diesen Welten verdrängt. So wird9 erzählt, dass die Götter durch die Upasad- Ceremonie dio Dämonen aus diesen Welten, aus Tag und Nacht vertreiben: „Darum, wer solches wissend sich an die Upasad -Ceremonie macht, der vertreibt seinen Gegner auf solche Weise aus Tag und Nacht und aus diesen Welten; ihm selbst geht es gut, sein Gegner geht zu Grunde."

An gar manche Ceremonie knüpft sich lockend die Ver- heissung: „Wer solches weiss (oder thut), der gedeiht mit seiner Person, der Gegner geht zu Grunde."

An einer Stelle (Mäitr. S. 1, 5, 8) wird von dem Anlegen gewisser Holzscheite geredet und es heisst dann: „Den bÖson Nebenbuhler richtet zu Grunde, wer solches wissend diese

1 Maitr. S. 4, 12 geben Gandharven und Apsarasen einen Rath, wie man opfern solle, um den Ocgner zu besiegen, und dazu heisst es: „Den Gegner bewältigt durch das Opfer derjenige, welcher solches weiss/'

Maitr. a 8, 2, 2. * Maitr. S. 4, 2. 4. 4 Maitr S. 4. 4, 2. s Maitr. 8 4, 6, 9. Maitr. 8. 3, 4, l. T Maitr. S. 4. 1. 4. * Maitr. 8. I, 10, 15. » Mftitr. 8. 3, 8, 1.

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Holzscheite anlegt" Es liegt also eine magische, zauberkräftige Gewalt in diesen, im Opferfeuer verbrannten, Holzscheiten.1

An einer anderen Stelle1 wird eine beim Opfer gebrauchte Haue oder Hacke angeredet: „Du bist die Haue, du bist das Weib; hier schneide ich des Eakshas9 Hals durch; wer mich als ein Gleicher, wer als ein nicht Gleicher anfeindet, dessen Hals schneido ich durch!" Das ist doch ganz Zauberei und Beschwörung, die des Gegners Leben vernichtet I

Wiederholentlich 4 werden verschiedene Gottheiten der Reihe nach angerufen mit der immer wiederkehrenden Wendung: „Die sollen uns gnädig sein! Wen wir hassen und wer uns hasst, den legen wir in ihr Gebiss (oder Rachen).*4

Wir finden ferner an einer Stelle6 folgende Beschwörung: „Hier vernichte ich den N. N., Sohn des N. N., Sohn der N. N., in dieser Himmelsgegeud." Weiterhin heisst es: „Wenn er den Namen nennt, so zerreisst er ihm dadurch die Opferstätte.«4

Man gönnt dem Gegner auch die heiligen Verrichtungen und die himmlischen Güter nicht Sehr charakteristisch ist dafür die folgende Stelle8: „Die Götter gelangten durch das Opfer in den HimmeL Nun dachten sie: Hierdurch werden auch noch Andere als wir in den Himmel kommen! Da erfanden sie die Metra und verflochten sie unter einander

1 Man wird hier wieder auffallend an gewisse Vorstellungen von Völkern auf schamanistischer Religionsstufe erinnert, bei denen Er- krankung und Tod oft der Fernewirkung übelwollender Zauberer zuge- schrieben wird. Interessant zum Vergleich ist z. B. die eigentümliche Nahak-Ceremonie, wie sie sich bei den Papuanen auf der Insel Tanna, einer der neuen Hebriden, vorfindet. Unter Nahak versteht man die vernachlässigten Nahrungsüberreste, welche eigentlich verbrannt oder verscharrt werden müssen. Findet nun der Zauberer eine übriggelassene Bananenschale, so lässt er sie des Nachts langsam am Feuer verbrennen und zieht auf solche Weise unfenbar demjenigen den Tod zu, von dem der Fruchtabfall her stammt. Diejenigen, deren Gewissen belastet ist, bitten einen der Ihrigen, durch die Klange eines Muscholhorns den Schamanen in seinem Beginnen Einhalt thun zu lassen. Dann werden am andern Morgen Lösegelder für das Nahak geboten. Diese Nahak- Ceremonic findet sich mit einigen Abänderungen auch auf der Marquesas- insul Nukahiwa, ferner auf den Fidschiinseln; Aehnliches auch in Austra- lien, wo der feindselige Schamane das sogen. Pringurru, ein heilig ge- haltenes Stück Bein, das auch oeim Aderlasse dient, verbrennen muss, um die betreffende Wirkung zu erzielen. Vgl. Peschel, Völkerkunde p. 276. 277

1 Maitr. S. 1, 2, 10.

* Ein böser Dämon, böser Geist oder Gespenst.

4 Mäitr. 8. 2, 8, 10; 2, 9, 9; 2, 13, 12; 2, 13, 21 u. a.

5 Maitr. 8. 3, 3, 5.

Maitr. S. 4, 7, 5.

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(zu einem Gewebe), damit man die Himmelswelt nicht sehe." Und alsbald folgt die Nutzanwendung auf die menschlichen Verhältnisse: „Wenn er die Metra unter einander verflicht (ver- webt), dann bringt der Opferherr den Raum und die Metra des Gegners in Verwirrung, damit er die Himmelswelt nicht erblicke."

Wenn die Götter mit solchem Beispiele vorangehen, dann trifft die Menschen, welche ebenso handeln, in der That kein harter Vorwurf. Aber freilich, diese Götter mit diesen klaglichen Schwächen haben die Brahmanen sich selbst er- sonnen.

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Zehnte Vorlesung.

Charakteristik der Theologie des Yajurveda. Allgemeine Bestimmung. Das Symbolislren und Identificiren. Etymologieen. Die Lehre Ton der Macht und Bedeutung des Opfers. Bedeutung des theologischen Wissens. Die Legenden. Der Charakter, in welchem die Götter in diesen Er- sahlungen erscheinen. Brahmanisirung der Götter, das Gegenstück

zur Deificirung der Priester.

Nachdem wir uns zunächst mit dorn Cultus zur Zeit des Yajurveda beschäftigt haben, wollen wir nun den Versuch machen, auch die theologischen Speculationen dieser Zeit etwas näher kennen zu lernen.

Wenn ich hier das Wort Theologie gebrauche, so muss ich fast um Entschuldigung deswegen bitten, so wenig dürfte das, was die Yajurveden bieten, mit demjenigen übereinstimmen, was man heutzutage mit diesem Worte bezeichnet und was Sie demnach wohl erwarten dürften. Um Ihre Erwartungen also nicht zu sehr zu enttäuschen, will ich vorausschicken, dass es sich hier nur um die ersten Anfänge und Versuche theologischen Denkens handelt, gewissermassen einen Keim, der noch dazu in seiner Unfbrmlichkeit und Gestaltlosigkeit nur wonig Hoff- nung für die spätere Entwicklung zu erwecken vermag. Dass dennoch das theosophische Denken der Brahmanen in späterer Zeit sich zu bedeutender Höhe aufgeschwungen, ist allbekannt In den Upanishaden, deren Entstehung sich an die der Bräh- mana's und Aranyaka's anschliesst, treten uns wirklich tief- sinnige und bedeutende Gedanken und Betrachtungen entgegen. Aber auch dort ist das Gold noch oft sehr stark mit unreinen Elementen gemischt; abstruse Phantasmen, die sonderbarsten Allegorieen und Legenden treten bisweilen recht störend und unerfreulich in den Wreg. Es gilt da immer erst das reine Metall von den Schlacken zu sondern, und es findet sich wirk- lich schönes und reines Metall. Was uns aber in den Yajur- veden an theologischen Speculationen entgegen tritt, ähnelt fast

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Alles noch diesen Schlacken, und nur selten entdeckt man eine blitzende Ader edlen Metalles.

Wenn man bei den Upanishaden sich bisweilen nicht genug darüber wundern kann, wie bedeutende, ja erhabene Betrach- tungen mit so verworrenem und plattem Zeugo vermischt werden konnten, dann wird zum Verständniss dieser Eigentümlichkeit gerade die Kenntniss der Yajurveden sehr wesentlich beitragen können, denn aus den prosaischen Theilen dieser Werke ent- wickeln sich die Brähmana's und Äranyaka's, und aus diesen keimen sodann die Upanishaden hervor. Diesen Ursprung können sie nie ganz verleugnen, und es ist nicht uninteressant, den unförmlichen Keim in seiner Entwickelung zu beobachten, wo wir ihn dann zuletzt manche schöngestaltete, werthvolle Blüthe hervortreiben sehen.

Erwarten Sie kein theologisches System! Ein solches bietet uns der Yajurveda überhaupt nicht, vielmehr nur eine Menge von Erklärungen, Deutungen und Speculationen über die ein- zelnen Theile der Opferhandlung, wobei ein beständiges Sym- bolisiren und Identificiren derselben uuter einander und mit den verschiedensten Dingen auf der Erde und im Himmel, vor Allem mit deu Göttern selbst, eine Hauptrolle spielt. Dazu kommen dann eine Menge meist recht sonderbarer Legenden, Betrachtungen über die grosse Bedeutung der Opferhandlungen, des heiligen Wissens u. dgl. m. Ist es auch noch keine Theo- logie in unserem Sinne, so werden wir daran doch die Art des theologischen Denkens und Schliessens, die Vorstellungen der Brahmanen jener Zeit über die Götter, die Welt und das Opfer genugsam kennen lernen können, und dies ist es ja, was uns jetzt in erster Linie interessiren muss, sowie es auch in Indien während jener Jahrhunderte den Mittelpunkt des Inter- esses bildete.

Das Symbolisiren und Identificiren.

Wir haben im $igveda eine eigentümliche Richtung des indischen religiösen Denkens beobachtet, die darauf ausging, die Gestalten der verschiedenen Götter in einander übergehen und zusammenfliessen zu lassen, ja schliesslich verschiedene Götter geradezu mit einander zu identificiren. Die Neigung zu solchem Identificiren finden wir nun in der theologischen Speculation der Yajurveda- Periode in noch weit höherem Maasso, und zwar was uns von Interesse sein muss von einer

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ganz anderen Seite ausgehend. Es muss tief in der Eigenart des indischen Geistes begründet sein, wenn derselbe so von verschiedenen Ausgangspunkten beginnend immer wieder gerade dieser Form des Denkens und Vorstellens zustrebt.

Symbolische Deutungeu der einzelnen Theile des Opfers, seiner Geräthe, Spenden u. s. w. bilden einen Haupttheil der theologischen Erörterungen dos Yajurveda. Sie dienen sehr wesentlich dazu, diese Opferhandlungen mit dem Nimbus tiefer, geheimnissvoller Bedeutung zu umgeben, dunkle und wunder- bare Gewalten in ihnen ahnen zu lassen. Vom Symbolisiren ist dann der Schritt zum Identificiren nur ein kleiner, und es ist oft kaum möglich, die Grenze zwischen beiden klar und deutlich zu ziehen, kaum möglich oft zu sagen, ob es nur noch heisst: „Dies bedeutet!" oder schon: „Dies ist!" In dem Denken jener Brahmanen war die Grenze wohl auch schwerlich scharf ausgeprägt. Dennoch können wir viele Fälle, wo nur symbo- lische Beziehung behauptet wird, deutlich scheideu von anderen, die durchaus als Identificationen bezeichnet werden müssen.

Die symbolische Beziehung, die der Theologe des Yajur- veda im Opfer sieht, liegt sehr häufig in gewissen Zahlenver- hältnissen. So z. B., wenn es1 heisst: „Viermal ist die Opfer- butter geschöpft; das Vieh ist vierfüssig; so verschafft man sich das Vieh." Oder an einer anderen Stelle*: „Drei Upasad's* opfert er; drei Welten giobt es; (dies geschieht) um diese Welten zu gewinnen." Oder4: „Dreimal erhebt er die Stimme, denn dreimal wahr sind die Götter** (d. h. in Gedanken, Worten und Werken).6 Offenbar symbolisch ist es auch, wenn es z. B. heisst6: „Er betritt das Bocksfell; das Bocksfell ist das Vieh;

so tritt er iq das Vieh hinein (d. h. gelangt dazu); er

opfert mit einem Löffel aus Udumbara-Holz; der Udumbara- Baum ist die Kraftfulle (Saft und Kraft, stärkende Nahrung); das geschieht, um Kraftfulle zu verschaffen."

Nur symbolisch kann es auch verstanden werden, wenn es z. B. von dem beim Opfer gebrauchten Grasbüschel und der Opferstreu heisst7: „Der Grasbüschel ist der Opferherr,8 die

1 Maitr. S. 8, 7, 5. * Maitr. S. 3, 8, 1. 8 Upasad ist der Name einer bestimmten Ceremonie. 4 Maitr. S. 4, 1, 3.

5 Vgl. auch die 8telle Maitr. S. 3, 2, 2: „Mit zwölf (Sprüchen) ver- ehrt er; zwölf Monate machen das Jahr; so erlangt und verschafft er sich das Jahr.4'

6 Maitr. S. 1, U, 8. Maitr. S. 3, S, 6. * D. h. doch offen- bar „bedeutet, stellt dar den 0."

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Streu seine Nachkommenschaft/* Oder1: „Er bindet die Streu zusammen; die Streu ist die Nachkommenschaft; (das geschieht) damit die Nachkommenschaft sich ununterbrochen fortsetzt und nicht beseitigt wird; darum hängt die Nachkommenschaft durch ein Band zusammen." Bisweilen trägt dies Syinbolisiren schon einen durchaus phantastischen und mystischen Charakter, z. B. wenn es von dem in Gestalt eines Vogels gebildeten Feueraltar bei der Ceremonie der Agnidti1 heisst5: „Ein Adler bist du; der Tri vrit- Lobgesang ist dein Haupt, der Gesang ist dein Auge, die beiden Saman4 Brihat und Rathantaram sind deine zwei Flügel, das Loblied ist die Seele, die Metra sind die Glieder, die Opfersprüche der Name, das Saman Vamadevyam ist dein Leib, das (Saman) Yajnayajniyam ist der Schwanz, die Feuer- stätten sind die Klauen; ein Adler bist du, geh zum Himmel ein, flieg in den Aether!"

Aber der indische Geist drängt über das blosse Symboli- siren hinaus zum Identificiren. Wenn sich auch, wie erwähnt, die Grenze zwischen beiden oft nicht sicher ziehen lasst, so finden wir doch jedenfalls in grosser Anzahl Identificationen, bei denen es sich um symbolische Beziehung gar nicht mehr han- deln kann, wo nicht mehr bloss bestimmte Theilo des Opfers mit Dingen oder Personen aus dem Reiche der Natur oder der Götterwelt gleichgesetzt werden, sondern auch diese Dinge, Personen, Gottheiten, Begriffe aller Art in den mannigfaltigsten Variationen einander gleichgesetzt, für Ein und Dasselbe erklärt werden.

Bisweilen erkennt man den Grund für gerade diese oder jene Identification in irgend welcher Wesensverwandtschaft oder doch einem gewissen Zusammenhang der beiden identificirten Objecte. Sehr häufig läast sich aber auch ein solcher gar nicht wahrnehmen, ja nicht selten tragen diese Identificationen einen geradezu abstrusen und verschrobenen Charakter und machen den Eindruck der Willkür und phantastischen Spielerei. Dies kommt uns besonders deutlich zum Bewusstsein, wenn wir sehen, wie ein und dasselbe Ding oder Wesen an einer Stelle mit dem Einen identificirt wird, an einer anderen Stelle aber mit ganz etwas Anderem, an einer dritten Stelle mit noch etwas Anderem, und so fort, wobei jedes Mal andersartige Schlüsse

1 Miitr. 3. 4, 1, 2.

1 Der Schichtung des Feueraltars.

MAitr. 8. 2, 7; 8.

* Saman sind bestimmte Gesänge beim Opfer (vgl. unten Samaveda, Vöries. XII).

t. Schrödtr, Ind. Lit. a. Colt. 9

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aus der betreffenden Identification gezogen werden. In diesem, leider nur allzuoft in verschrobenen Spielereien sich verirrenden Bestreben, Eins mit dem Anderen zu identificiren, ein Ding oder Wesen in dem Anderem zu sehen und zu erkennen, werden wir trotz aller Ausartungen doch eben jene charakteri- stische Richtung des indischen Geistes wiederfinden, die in der Folgezeit zu der pantheistischen Weltanschauung fuhrt, sur Leugnung aller Unterschiede der einzelnen Dinge und Wesen, indem diese Unterschiede überhaupt für Schein, für eine Täu- schung erklärt werden, welche der Weise durchschauen soll, also zur völligen Aufhebung des principium individuationis, zur Erkenntniss des Einen in dem All und des All in dem Einen; jener Geistesrichtung, die auf moralischem Gebiete dem Indi- viduum lehrt, in jedem Anderen sich selbst zu erkennen, und zu dem berühmten tat tvam asi hinleitet. Ich werde es nicht unternehmen, den Pantheismus und jene Moral im Yajurvoda

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es lässt sich schwer anders bezeichnen auf so früher Stufe zu beobachten, welche späterhin bei gereifterer Entwickel- ung mit zu jenen philosophischen und moralischen Anschau- ungen geführt hat, welche der Beachtung in so hohem Grade würdig sind.

Eine Reihe von Beispielen wird meine Behauptungen an- schaulich machen. Dabei bitte ich stets im Auge zu behalten, dass die Identificirung sich, wie schon erwähnt, bisweilen nicht klar scheiden lässt von dem bloss symbolisirenden: „Es be- deutet, es repräsentirt Dies oder Jenes."

Es heisst z. B.1: „Einen Kuchen auf elf Schalen möge man Agni und Vishnu darbringen, wenn man das Neu- und Voll- mondsopfer beginnen will; Agni ist alle Gottheiten, Vishnu ist da 8 Opfer; auf solche Weise die Gottheiten und das Opfer anfassend beginnt man (fasst man an) das Neu- und Vollmonds- opfer.** Hier liegt eine deutliche Identification, ohne symbo- lischen Charakter, vor.

Es ist verständlich, wenn z. B. an oiner Stelle* der Leben s- hauch, der Athem (Prana) mit dem Winde identificirt wird; weniger leicht ist es dagegen zu verstehen, wenn man an anderen Stellen den Athem, die Lebensgeister mit den Gottheiten*

1 Maitr. S. 1, 4, 14.

* Miitr. S. 3, 9, 7.

* Miitr. S. 2, 3, 5 a. A. prana vai devatah; oder mit den „schatz- spendenden Göttern**, Miitr. S. 3, 2, 1 prana vai deva dr&vinodah.

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identificirt, während an einer anderen Stelle da« Einathmen und Ausathmen offenbar symbolisch der gesprenkelten Butter, d. i. dem mit saurer Milch gemischten Opferschmalz gleich- gesetzt wird.1

An einer anderen Stelle* heisst es: „Das Metrum Gayatri ist das Einathmen, das Metrum Jagati das Ausathmen, das Metrum Trishtubh ist der den Körper durchströmende Athem." Ueberhaupt sind die Metra oft bei diesen Identifikationen an- gewandt. So wird e. B. an einer bestimmten Stelle8 ein Vers mit Trishtubh-Metrum vorgeschrieben, und dazu heisst es: „Die Trishtubh ist Kraft und Stärke; auf solche Weise tritt man in Kraft und Stärke hinein." Hier ist doch ein Gedankenzusammen- hang vorhanden, denn die Trishtubh ist Indra, dem stärksten Gotte, geweiht Bei dem ersten Beispiel war davon nicht die Rede. An einer anderen Stelle heisst es4: „Die Metra sind die Fesseln des Varuna." Wieder wo anders5 wird die Vac, d. i. die Göttin der Rede, mit den Metren identificirt An mehreren Stellen6 wird gesagt: „Die Metra sind das Brahman;" T dann finden wir wieder die Behauptung8: „Brihaspati ist das Brahman, die Metra sind Brihaspati." Wo anders9 heisst es: Jhe Metra sind das Gewand des Agni," Wieder wo anders10 finden wir die Behauptung: „Die Metra sind das Vieh."11 An einer bestimmten Stelle18 werden die Metra Mä, Prama und Pratima für Erde, Luftraum und Himmel erklärt Nach anderen Stellen aber ist das Metrum Gayatri die Erde.18 Wieder wo anders14 wird gesagt, das Metrum Anushtubh sei gleich allen Metren. Wir finden also die Metra gelegentlich identificirt mit den Fesseln des Varuna, mit der Vac, mit Brihaspati, mit dem Brahman, mit dem Vieh; sie werden für Agni's Gewand er- klart, gewisse von ihnen sollen gleich Erde, Luft und Himmel sein, andere gleich dem Einathmen und Ausathmen; endlich wird eines von ihnen auch allen anderen gleichgesetzt!

An einer Stelle18 wird der Termitenbau, welcher bei einer bestimmten Opferceremonie zur Verwendung kommt, für die

1 Maitr. S. 3, 10, 4. Maitr. 8. 3, 4, 4. 1 Maitr. S. 2, 4, 4. 4 Maitr. 8. 2. 3, 3. Ä MAitr. 8. 2, 2, 3. 6 Maitr. S. 3, 1, 2; 3, 1, 7 u. ö.

* Brahman ist in erster Linie „das Gebet'4, dann das Wesen nnd der Inbegriff des Heiligen, wie es in Gebet, im Opfer und in den Priestern erscheint Man darf diesen Begriff hier durchaus nicht mit dem spateren Gotte Brahman verwechseln.

* Maitr. 8. 2, 2, 3. 9 Maitr. S. 3, 1, 5. 10 Maitr. 8. 3, 2, 8. » Vgl such Maitr. 8. 3, 3, 2. » Maitr. 8. 3, 2, 9. * Maitr. S. 3. 1, 1 and 3, 1, 2. M Maitr. S. 3, l, 4. » Maitr. S. 1, 6, 3.

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Brust des Prajapati, des Herrn der Geschöpfe, erklärt Aber an einer anderen Stelle1 heisst es wieder, die Vollmondsnacht und die Neumondsnacht seien die beiden Brüste des Prajapati. Endlich sollen auch1 ein aus Gerste und ein aus Reis ver- fertigter Kuchen die beiden Brüste des Prajapati sein. So kommen in der That die heterogensten Dinge zusammen: ein Termitenbau, die Vollmondsnacht und die Neumondsnacht, end- lich zwei besondere Kuchen, welche alle für die Brust, resp. die beiden Brüste des Prajapati erklärt werden, und das in Capiteln, welche gar nicht weit von einander entfernt sind!

Vielfach erscheinen auch Himmel und Erde bei diesen Identificationen. So heisst es z. B.9: «Das Recht ist die Erde, die Wahrheit ist der HimmeL« Gleich darauf aber wird ge- sagt: „Das Recht ist der Tag, die Wahrheit ist die Nacht,« und so käme denn der Tag in Beziehung zur Erde, die Nacht zum HimmeL Die Erde wurde an mehreren Stellen4 mit dem Metrum Gayatri identificirt; aber dann auch wieder mit dem Metrum Ma.5

Auch soll sie das Rathan taram, ein bestimmter, zu den sogenannten Säman gehöriger heiliger Gesang sein;0 dann heisst es wieder,7 Prajapati sei die Erde, der Termitenbau ihr Ohr, während eine andere Stelle8 erklärt: „Agni Väicjänara9 ist die Erde." Die erste Schicht des Feueraltars bei der sogenannten Agiüciti soll ebenfalls die Erde sein, was aber offenbar nur symbolisch zu verstehen ist. Jedenfalls fällt hiernach auch die Erde mit den allerverschiedensten Dingen zusammen: einmal mit dem. Recht, dann mit dem Metrum Gayatri, mit dem Metrum Ma, mit dem Saman Rathantaram, mit dem Gott Praja- pati, mit dem Gott Agni Vaigvänara!

Dem Himmel widerfährt Aehnliches. Wenn er nach einer vorhin angeführten Stelle10 die Wahrheit war, so heisst e? an einer anderen Stelle,11 die Unsterblichkeit sei die Himmelswelt, die Himmelswelt aber sei das Jahr, daher könne man durch die zwölf Opferungen (welche das Jahr mit seinen zwölf Monaten darstellen) die Unsterblichkeit erwerben.1*

1 Maitr. 8. 1, 6, 9. s Nach Maitr. S. 1, 6, 5. » Maitr. S. 3. I, 6.

* Maitr. S. 3, 1, 1; 3, 1, 2. 5 Maitr. S. 3, 2, y. Maitr. S. 3, 1, 1.

* Maitr. 8. 3, 1, 3. 8 Maitr. S. 2, I, 2.

D. i. Agni als der bei allen Menschen Verehrte.

» Maitr. S. 3, 1, 6. " Maitr. S. t, 10, 17.

" Man beachte, dass hier wie auch sonst noch oft bei diesen Identi- ficationen der Schluss gezogen wird nach dem Grundsatz: „Zwei Grosse*, derselben dritten gleich, sind unter einander gleich."

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Es heisst,1 das Metrum Jagati sei der Himmel; dann wieder* das Metrum Pratiraä; und wieder wo anders8 der Saman-Gesang, welcher den Namen Brihat führt Endlich re- präsentirt die dritte Schicht des Feueraltars bei der Agniciti ebenfalls den Himmel4 So ist er denn die Wahrheit, die Un- sterblichkeit, das Jahr, das Metrum Jagati, das Metrum Pratima, das Sarnau Brihat!

Der Luftraum soll das Metrum Trishtubh sein;5 aber auch das Metrum Prama;6 nach einer Stelle sogar das Vieh;7 endlich die zweite Schicht des Feueraltars bei der Agniciti8

Die Sonne wird an einer Stelle8 mit Indra identificirt, wahrend ihre Strahlen die herumspielenden Maruts, die Be- gleiter des Indra, sein sollen, ganz gegen die gewöhnliche An- schauung, nach welcher Indra Gott des Luitraums, des Don- nere u. s. w. ist Wo anders10 aber heisst es, die Sonne sei

ijftfi

die Sonne mit Prajapati, dem Herrn der Geschöpfe, ident Dagegen soll nach einer anderen Stelle 11 die Sonne das Auge des Prajapati sein; dort heisst es auch, dass der klare Sorna (Qukra) und der mit Mehl gemischte Rührtrank (Manthin) die Augen des Prajapati seien; der klare Sorna aber sei die Sonne, der gemischte der Mond. Dagegen wird wo anders18 gesagt, die Sonne sei das Auge der Götter, der Mond das der Väter oder Manen. Also die Sonne ist Gott Indra, Gott Agni Vaicvanara, Gott Prajapati, das Auge des Prajapati, das Auge der Götter!

Das Jahr wird, wie wir vorhin gesehen haben, mit der Rimmelswelt identificirt;14 aber nach einer anderen Stelle16 soll Indra Qunasira das Jahr sein; und dann heisst es16 wieder, der Götterkünstler Tvashtar ist das Jahr. „Das Jahr ist die Lebens- kraft,1*17 sagt eine andere Stelle. Endlich heisst es18: »Das Opfer ist das Jahr, Prajapati ist das Opfer," wodurch dann wieder das Jahr zu Prajapati ins Verhältnis der Gleichsetzung kommt Bedenkt man dann ferner, mit wie verschiedenen Dingen Prajapati identificirt wird (z. B. mit der Sonne, der Erde u. dgl), die dann wieder allem möglichen Andern gleich-

» MAitr. & 3, 1, 2. * MAitr. 8. 8, 2, <). * MAitr. 8. 3, 1, 1. 4 Mtitr. 8. 8, 8, 8. * MAitr. 8. 8, 1, 2. « MAitr. 8. 8, 2, 9. * MAitr. 8. 8, 9, 7. MAitr. & 8, 8, 3. 9 MAitr. S. 1, 10. 16. 10 MAitr. 8. 2, 1, 2. " Mütr. 8. 2, 8, 8. " MAitr. 8. 4, 6, 8. 1S MAitr. 8. 4, 2, 1. " MAitr. 8. 1, 10, 17. »• MAitr. 8. 4, 3, 3. MAitr & 4, 4, 7. " Avus; MAitr. 8. 4, 6, 8. «• MAitr. 8. 4, 6,

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gesetzt werden, so bekommt man lange Ketten fortlaufender Identificationen.

Das Vieh soll gleich den Kräutern sein (nach Maitr. S. 2, 5, 1); an anderen Stellen1 aber wird das Vieh mit Reis und Gerste identificirt. Dann heisst es (1, 7, 2) sogar, das Vieh seien die lieben Leiber der Götter. An verschiedenen Stellen * wird gesagt: „Püshan ist das Vieh;" dieser Gott wird be- kanntlich als Hirte und Beschützer der Heerden gedacht. An anderen8 aber: „die Schmelzbutter ist das Vieh." Auch wird

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demselben Capitel heisst, das Wasser sei mit der Heiligkeit* identisch, welche ihrerseits wieder so viel wie Agni, der Gott des Feuers, sein soll. Nach einer früher angeführten Stelle4 soll das Vieh sogar der Luftraum sein. Kurz, da haben wir wieder ein buntes Durcheinander.

Die Wasser sahen wir eben mit dem Vieh und mit der Heiligkeit identificirt; dann aber werden sie auch7 dem Donner- keil gleichgesetzt; und ganz abweichend davon auch dem Frieden;8 endlich sollen die Wasser so viel wie alle Götter sein.9

Dass auch ein und dieselbe Gottheit mit sehr Verschiedenem identificirt wird, war schon aus dem Bisherigen zu ersehen.

Agni Vaicvanara, d. i. der bei allen Menschen verehrte Agni, wird wiederholt mit dem Jahr für identisch erklärt;10 dann aber soll Agni Vaicvanara auch die Erde sein, und endlich auch die Sonne, wie in demselben Capitel11 behauptet wird; und diese müssen nun wieder unter einander gleich sein.

Prajapati, den Herrn der Geschöpfe, sehen wir mit der Sonne,11 mit der Erde,18 mit dem Opfer14 identificirt, während wieder an manchen anderen Stellen18 Vishnu mit dem Opfer identificirt wird.

Mitra soll die Wahrheit sein;18 aber in demselben Capitel heisst es auch, Mitra sei das Kriegerthum.17

Die Aditya's sollen nach einer Stelle18 gleich dem Puna- radheyam sein, d. i. der Ceremonie der Wiederanlegung des

1 So Maitr. S. 1, 6, 11; 2, 3, 1. » So Maitr. S. 3, 3, 8; 4. 4, 3: 4, 4, 7. * Maitr. S. 3, 7, 5: 4, 2, 11. 4 Maitr. 8. 3, -8, 4. Brahma varcasa. 4 Maitr. S. 3, 9, 7. ' Maitr. S. 2, 1, 9. * Maitr. S. 4, 6, 4. Nach Maitr. S. 4, 5, 3. 14 So Maitr. S. 2, 1, 2; 2, 3, 6; 2, 5, 6; 3, 1, 10 u. dgl. m. " Maitr. S. 2, 1, 2. " Maitr. S. 2, 3, 3. 14 Maitr 8. 3, 1, 8. 14 Maitr. S. 4, 6, 6. 14 So Maitr. 8. 2, 1, 7; 8, 1, 10; 4, 7, 2. 14 Maitr. 8. 4, 3, 9. " kahatra^ vat mitrah. 18 Maitr. & 1, 7, 6.

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Feuers; dann aber heisst es wieder an mehreren Stellen1: „die Geschöpfe (die lebenden Wesen) sind die Aditya's."

In Bezug auf Agni, den wir ja schon im Rigveda mit verschiedenen Göttern identificirt sahen, wird oft gesagt: „Alle Götter sind Agni."1

Bisweilen liegt bei diesen massenhaften Identificationen ein wirklicher näherer Bezug der identificirten Objecto vor; sehr häufig ist ein solcher aber auch gar hicht wahrnehmbar, und die Zusammenstellung erscheint willkürlich oder absurd.

Verständlich ist es z. B., wenn die Himmelswelt der Un- sterblichkeit gleichgesetzt wird; wenn es aber gleich darauf heisst, das Jahr sei die Himmelswelt, so lässt sich da schwer ein Gedankenzusammenhang finden. Wenn Agni, der Priester und der Götterbote, allen Göttern gleichgesetzt wird, so lässt sich das verstehen; oder auch, wenn die Sonne das Auge der Gotter genannt wird u. dgL m. Dagegen klingt es doch ganz absurd, wenn z. B. die Väter, d. i. die Manen, mit den Jahres- zeiten identificirt werden,8 oder Agni Vaicvanara mit der Erde und mit dem Jahr, oder das Vieh mit dem Luftraum und den Leibern der Götter, oder die Erde mit dem Metrum Gayatri, der Luftraum mit der Trishtubh, dor Himmel mit der Jagati» die Himmelsgegenden mit der Anushtubh.4

Es waltet und wuchert eben zuletzt der Identiticationstrieb mit völliger Zügellosigkeit

Etymologieen.

Ein anderer Theil der theologischen Untersuchungen des Yajurveda besteht in etymologischen Grübeleien nach den Zu- sammenhängen der einzelnen Dinge und Begriffe unter einander, nach ihren Ursprüngen u. dgl. m. Der etymologische Trieb ist tief in dem Wesen des indischen Geistes begründet. In dem Worte selbst, in dem Namen sucht der b rahmanische Theologe die Lösung des Räthsels von dem Wesen eines Dinges. Die so gefundenen etymologischen Begründungen sind zwar oft willkürlich, ja absurd, aber auch öfters ganz richtig und werth- ▼oll, den Anfang bildend für die später so bedeutenden ety* mologisch-grammatischen Forschungen, für welche die Inder

1 Maitr. S. 2, 2, 1; 4, 4, 5. 1 So Maitr. S. 2, 1, 7; 2, 3, 5; 2, 6, 5; 3, 1, 10; 3, 7, 8; 3, 10, 1; 4, 3, 1; 4, 3, 7; 4, 5, 4; 4, 7, 2 u. dgl m. 3 Maitr. S. 1, 10, 17. * Maitr. S. 3, 1, 2.

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eine ausgesprochene Vorliebe und entschiedenes Talent be- sitzen.

Sehen wir uns einige Beispiele dieser etymologischen Ver- suche im Yajurveda etwas näher an. So wird der Ursprung des Pferdes auf diese Weise zu ergründen gesucht. Es wird erzählt,1 dass das Auge des Prajäpati einstmals anschwoll (acvayat, von der Wurzel cri „schwellen"); aus dieser SchweU lung (cvayatha) soll das Pferd (acva) geworden ' sein. Acva „das PferöV und acvayat „es schwoll an" klingen freilich zu- sammen, aber in der That liegt nicht die. geringste etymolo- gische Verwandtschaft vor, und die absurde Legende ist ohne jeden Werth.

An einer anderen Stelle* wird erzählt, die Götter hätten die Viraj, ein bestimmtes mythisches Wesen, durch den Opfer- löffel herbeigerufen. Darum soll der Opferlöffel juhü heissen, von ahvayanta „sie riefen". Auch hier ist Unzusammengehöriges zusammen gebracht; juhü ist von einer Wurzel hu „opfern" ab- geleitet, welche von der Wurzel hu, hve „rufen" ganz ver- schieden ist.

Doch wir finden auch Besseres.

Der Ursprung des Acvattha, des heiligen Feigenbaumes (ficus religioaa), wird9 darauf zurückgeführt, dass Prajäpati, der Herr der Geschöpfe, in Gestalt eines Rosses (acva) ein Jahr lang dagestanden sei, das Haupt zur Erde gebeugt niederhaltend. Da wäre aus seinem Haupte der Acvattha-Baum entsprungen. Die Geschichte ist freilich absurd, dennoch sehen wir, dass die brahmanischen Theologen hier das Wort acvattha bereits richtig in seine Bestandteile aufgelöst haben. Auch das Petersburger Wörterbuch hält acvattha für zusammengesetzt aus acva „das Pferd" und Wurzel stha „stehen" und erklärt es als „Standort der Pferde".4

Prajäpati soll die Asuren durch einen bestimmten Lebens- hauch (asu) geschaffen haben;6 in der That ist das Wort asura wahrscheinlich von asu „Leben, Lebenshauch" abgeleitet6

An einer Stelle wird erzählt: Als es Tag war, schuf Prajäpati die Götter, das ist das Wesen der Götter.7 Auch hier ist ein gewisser richtiger Kern enthalten; das Adverbium diva „bei Tage" ist etymologisch verwandt mit deva „der

1 Maitr. S. 1, ß, 4. * MÜtr. S. 3, 1, 1. * Maitr. 8. 1, 6, 12. * Vgl d. Pet. Wörterb. 8. v. acvattha. 6 Maitr. 8. 4, 2, 1.

6 Eine andere Auffassung s. oben p. 23 Anm. Maitr. S. 4, 2, 1.

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Gott*, in beiden steckt die Wurzel dir „glänzen"; die Legende beruht also doch immerhin auf einer richtigen etymologischen Zusammenstellung.

Es wird erzählt: Als Prajäpati die Götter geschaffen hatte, tann er nach (amanasyata); dadurch schuf er die Menschen; das ist das Wes*n der Menschen.1 Auch hierin ist etwas ganz Richtiges enthalten, denn das Wort manushya „der Mensch44 stammt Ton der Wurzel man „denken, nachsinnen", yon welcher auch die Form amanasyata abgeleitet ist

Wir sehen also die Brahmanen bei diesen etymologischen Grübeleien, ihren frühesten sprachphilosophischen Versuchen, »eh zwar öfters verirren, aber doch einem anerkennenswerthen, richtigen Triebe folgend in glücklichen Augenblicken schon früh ganz die richtigen Spuren finden, deren consequente Verfolgung späterhin zu den schönsten Resultaten fuhren sollte. Wir sehen so den Keim für die spätere etymologisch-grammatische Wissen- schaft schon im Yajuxveda enthalten.

Macht und Bedeutung des Opfers.

Ein weiterer wichtiger Theil der Theologie des Yajurreda besteht in der Lehre von der ausserordentlichen und übernatür- lichen Macht und Bedeutung des Opfers. Manches darauf Be- zügliche haben wir bereits früher kennen gelernt Wir sahen, dass man durch bestimmte Opferceremonieen sich selbst alles mögliche Gute verschaffen, den Feinden Schaden aller Art zu- %en konnte. Aber mehr als das, das Opfer wird von den brahmanischen Theologen als die eigentlich treibende und schaffende Potenz* in der Natur, im Menschenleben und sogar in der Götterwelt gedacht und dargestellt

So heisst es z. B.1: „Die Lebenskraft wird durch das Opfer, der Odem wird durch das Opfer, das Auge wird durch das Opfer, das Gehör wird durch das Opfer, der Geist wird durch das Opfer, die Rede wird durch das Opfer, der Priester wird durch das Opfer, die Höhe* wird durch das Opfer, der Himmel Wjird durch das Opfer, das Opfer wird durch das Opfer«

Beim Schöpfen verschiedener Becher des Somatrankes wird

1 8. Maitr. S. 4, 2, 1.

* Maitr. a 1. 11, 3.

* Die Höhe, prshtham, entweder die Himmelshöhe, oder eine be- stimmte Sarnau - Form dieses Namens.

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gesagt1: »Ich schöpfe dich, um die fünf Winde aufrecht zu halten I Ich schöpfe dich, um die fünf Himmelsgegenden aufrecht zu halten. Ich schöpfe dich, um die fünf Meere aufrecht zu erhalten! Ich schöpfe dich, um die fünf Ge- schlechter* aufrecht zu erhalten!" u. s. w.

Von der richtigen Bereitung des sogenannten Patnivata- Bechers, oder des Bechers der Gattin, hängt das richtige Ver- hältniss der Weiber zu den Männern ab. Es wird gesagt*: „Den Patnivata-Becher kocht man mit Butter; dadurch beraubt man die Gattin der Kraft; darum ist das Weib ohne Kraft, der Mann mit Kraft begabt; darum gehen die Männer in die Versammlung, nicht die Weiber. Wenn man andere Soma's kocht, nicht den Pätnivata, dann möchten wohl die Weiber in die Versammlung gehen, nicht die Männer.*4

Die Naturverhältnisse sind abhängig vom Opfer, ergeben sich aus diesem So heisst es z. B.A: „Die Theologen sagen: Auf welche Weise kommt das beim Opfer zu Stande, dass einiges Vieh mit der Hand fasst, anderes mit dem Munde? (Antwort): Weil der Upämcu- Becher mit der Hand geschöpft wird, darum fasse der Affe, der Mensch und der Elephant* mit der Hand. Das Vayavya-Gefäss ist der Mund; weil mit dem Vayavya-Gefäss die anderen Becher geschöpft werden, darum fasst das übrige Vieh mit dem Munde.4* Gleich darauf wird in ganz ähnlicher Weise durch das Verfahren mit ge- wissen Soma-Bechern begründet, warum das Vieh gleich nach der Geburt gehen und stehen kann, der Mensch aber erst nach einem Jahre u. dgL m.

Dass sich auch die Götter des Opfers und der Sprüche als eines Machtmittels bedienen, sahen wir früher in der Erzählung, wie Indra vermittelst der von Prajapati erfundenen sogenannten Jaya- oder Siegsprüche, welche übrigens ziemlich inhaltsleer sind, fort und fort die Dämonen besiegt. Aehnliches wird nun sehr häufig von den Göttern berichtet Indra, der in Fesseln geboren wird, befreit sich z. B. von denselben durch eine Opferung an Indra und Brihaspati,6 wobei die Absurdität nicht

1 Maitr. S. 1, 4, 9. , 1 Die fünf Geschlechter sind: Götter, Menschen, Gandharven nebet Apsarasen, Schlangen(götter), Vater oder Manen. " Maitr. 8. 4, 7, 4.

* Mütr. 8. 4, 5, 7.

5 Der Rüssel des Elephanteo gilt als Hand. Der gewöhnliche Name des Elephanten, hastin, bedeutet geradezu: der mit einer Hand Ver- sehene, das handbegabte Thier (hasta die Hand).

Nach Maitr. S. 2, 1, 12.

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anetössig zu sein scheint, dass er das Opfer zur Hälfte an sich selbst richtet Es ist eben ein schamanistisches Zaubermittel auch in der Götterhand.

Sehr charakteristisch ist folgende eigentümliche Legende: „Die Götter und die bösen Dämonen waren im Streit begriffen; sie gingen und thaten ganz dasselbe beim Opfer; was die Götter gerade thaten, das thaten auch die Dämonen; sie kamen zu keiner Unterscheidung (Auszeichnung). Da erfanden die Götter die Darbringung eines kleinen (zwerghaften) Opferthiores,1 dies opferten sie als dem Vishnu heilig;* darauf gewann Vishnu diese Welten; darauf trieben die Götter die Dämonen aus diesen Welten fort; da befanden sich die Götter wohl, den Dämonen schlecht." s

Sehr interessant und charakteristisch ist es an dieser Stelle, dass die bösen Dämonen, die Asura's, zuerst den Göttern die Wage halten, und zwar bloss, weil sie beim Opfer immer das- selbe thun wie jene. Götter und Dämonen streiten, nicht mit Waffen, sondern Opfer wider Opfer! Wer den anderen Theil durch wirksame Opfer überbietet, so zu sagen über opfert, der geht als Sieger aus dem Kampfe hervor. Nicht ihre höhere Göttlichkeit, nicht ihre sittlich reinere Natur verschafft schliess- lich den Göttern den Vorrang, sondern die Darbringung eines bestimmten Opferthiores!

Prajapati, der Herr der Geschöpfe, soll4 das Varavan- Üyam, einen bestimmten heiligen Gesang (eine Saman-Art) ge- schaffen haben; nun erreichte er jeden Wunsch, den er irgend dabei hegen mochte, und in gleicher Weise wird demjenigen, der das Varavantiyam singt, die Erreichung jeden Wunsches verhitssen.

Auch durch gewisse Backsteine bei der Schichtung des Feueraltars soll Prajapati * erlangt haben, was er irgend wünschte. Dasselbe vormag nun auch der Opferer durch diese Backsteine zu erreichen.

Ja sogar ihre schöpferischen Thaten vollführen die Götter durch das Opfer, und es erscheint dasselbe geradezu als ein kosmogoni8ches Princip.

So wird z. B.6 erzählt: Prajapati, der Herr der Ge-

1 Eigentlich: sie erfanden das kleine Opferthier (v&mana).

* Vishnu erscheint in einer seiner Verkörperungen als Zwerg (va- mmaV

* Mite. S. 2. 5, 3. 4 Nach Mftitr. S. 1, 6, 7. 6 Nach Maitr. 8. 3, 2, 10. MAitr. S. 1, 8, 1 and 2.

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schöpfe, brachte eine Opferung dar; aas dieser entstand der Mensch. Er opferte das zweite Mal, da entstand das Rose. Er opferte das dritte Mal, da entstand das Rind. Er opferte das vierte Mal, da entstand das Schaf. Er opferte das fünfte Mal, da entstand die Ziege. Er opferte das sechste Mal, da entstand die Gerste. Das siebente Mal, da entstand der Reis. Dann opferte er das achte Mal, da entstand der Frühling. Er opferte das neunte Mal, da entstand der Sommer. Er opferte das zehnte Mal, da entstand die Regenzeit Er opferte das elfte Mal, da entstand der Herbst Er opferte das zwölfte Mal, da entstand der Winter. Die dreizehnte Opferung war erst dargereicht (noch nicht geopfert), da entstand daraus die kühle Jahreszeit

Im allerhöchsten Grade mysteriös und phantastisch wird die Erschaffung der Geschöpfe durch Prajäpati an einer an- deren Stelle erzählt1: „Prajäpati war ganz allein, da fasste er den Wunsch: Zum Opfer werdend möchte ich die Geschöpfe schaffen! Da theilte er sich selbst zum Dacahotar- Opfer;* er machte sich das Denken zum Löffel, das Gedachte zur Opfer- butter, die Stimme (oder Rede) zur Vedi,8 das Beabsichtigte (Ersehnte) zur Opferstreu. Nachdem er sich selbst zehnfaltig getheilt und paarig geordnet, suchte er eine Opferstätte. Er erschaute als Opferstätte den dreifältigen Lebenshauch; damit schuf er die Geschöpfe." Das ist eine so echtindische, über- sinnlich-phantastisch-allegorische Geschichte, dass unser abend- ländisches Denken fast davor erschrickt Der Herr der Ge- schöpfe will die Wesen schaffen, und nicht genug, dass er dies durch ein Opfer bewirkt, nein, er selbst bildet dieses Opfer, indem er seine Person zehnfältig theilt und allerlei abstracte Begriffe als Opfergegenstände benutzt!

Durch die Catur ho tar- Liturgie sollen die Götter den In- dra erzeugt haben.4 Durch die Paflcahotar- Liturgie schufen sie das Vieh. Durch die Saptahotar- Liturgie sind die Götter in den Himmel gekommen. Und an einer anderen Stelle5 heisst es: „Durch das Opfer sind die Götter in die Himmelswelt ge- langt."

Mehr, in der That, kann man nicht verlangen I Wem 1 Maitr. 8. 1, 9, 8.

1 Dacahotar ist ein bestimmter liturgischer Abschnitt; das hier er- wähnte Opfer ist mit dem betreffenden Abschnitt versehen.

* D. h. zu dem Vedi genannten Altar.

* Nach MAitr. 8. 1, 9, 5.

* Maitr S. 4, 7, 5.

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eigentlich geopfert wird und was solch ein Opfer noch für einen Sinn hat, wer will darnach fragen? Das Opfer mit seinen einzelnen Theilen, Sprüchen und Verrichtungen ist hier eben zum machtigen Zaubermittel geworden, das m der Hand des Kundigen zu den höchsten Zwecken verhilft. Sei er Mensch oder Gott, vom Opfer hängt er ab, und Höheres, Mäch- tigeres kann er nicht erringen als jene felsenfeste Kenntniss des Rituals, die auch in den kleinsten Kleinigkeiten nicht schwankt. Sie wird zur Waffe in seiner Hand, zur gewaltigen, siegreichen Waffe, der sich Alles im Himmel und auf Erden beugen muss!

Bedeutung des theologischen Wissens.

Nicht bloss die richtige Opfervollziehung, sondern schon die blosse Einsicht in diese Verhältnisse, das Wissen Ton alledem, was wir hier als „Theologie" bezeichnet haben, wird mit hohem Preise gekrönt Eis ist eine stehende, unzahlige Male in allen verwandten Schriftwerken wiederkehrende Formel am Schlüsse irgend einer Auseinandersetzung: dies oder das erlangt, wer solches weiss!1

Die Legenden.

Einen nicht unwesentlichen Bestandtheil der theologischen Erörterungen des Yajurveda bilden die zahlreichen Legenden, von denen uns im Verlaufe unserer Betrachtung schon manches Beispiel entgegen getreten ist und welche oft zur Begründung bestimmter Ansichten und Behauptungen angeführt werden. Welch wunderliche Phantasmen in diesen priesterlichen Schöpf- ungen ihr Spiel treiben, wird Ihnen insbesondere durch tlie forhin angeführten kosmogonischen Legenden deutlich geworden sein. Sehr charakteristisch sind dabei die phantastischen AUe- gorieen und Personificationen abstracter Begriffe, des Opfers und seiner einzelnen Theile. Wenn z. B.* sich die sogenannten Caturhotaras, d. i. Sprüche, welche einen bestimmten liturgischen Abschnitt bilden, als Priester zum Opfer hinsetzen, indem sie den Sorna zum Hausherrn haben, die Erde als Hotar, den Himmel als Adhvaryu, Gott Tvashtar als Agnidh, Gott Mitra als Upavaktar3; und nun erzeugen sie durchs Opfer den Indra;

1 ya evam veda.

* MAitr. S. 1, 9, 4.

* Hotar, Adhvaryu, Agnidh und Upavaktar sind bestimmte Priester, die beim Opfer fungiren.

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dann wollen sie in den Himmel gehen. Die Paficahotaras, auch ein liturgischer Abschnitt, setzen sich als Priester hin, mit Varuna als Hausherrn u. s. w. u. 8. w. Zum Opferplatz ersahen sie den aus dreimal neun Gliedern bestehenden Lob- gesang. Diesen machten sie zur Brücke und gingen so in den Himmel ein!

Welche Phantasmen sind dies! Welch eine Vorstellung, dass bestimmte liturgische Abschnitte als Priester auftreten, Götter erzeugen, in den Himmel gehen; dass ein bestimmtes Loblied als Opferplatz und dann als Brücke zum Himmel be- nutzt wird u. dgl. m.

Aber es finden sich dazwischen auch schöne und sinnvolle Legenden, die es wohl werth sind, aus der Masse der übrigen hervorgehoben zu werden. So z. B. die kleine Erzählung von der Erschaffung der Nacht, welche in der Maitrayanl Saqihita berichtet wird. Dort heisst es1: „Yama war gestorben; die Götter suchten den Yama der Yami (d. i. seiner Gattin und Schwester) aus dem Sinne zu reden (d. h. sie über seinen Tod zu trösten). Wenn sie dieselbe fragten, dann sagte sie: Er ist ja heute (erst) gestorben! Die (Götter) sprachen: So wird sie ihn nicht vergessen! Wir wollen die Nacht schaffen! Damals war nämlich nur der Tag, nicht die Nacht Die Götter schufen die Nacht; da entstand ein morgender Tag; darauf vergass sie ihn. Damm sagt man: Tag und Nacht lassen das Leid ver- gessen 1"

Eine ganz sinnige Sage ist auch die folgende *: „die Berge waren (zu Anfang) geflügelt; sie flogen umher und setzten sich hin, wo sie irgend wollten. Die Erde aber schwankte da hin und her. Indra schnitt ihnen (den Bergen) die Flügel ab und machte dadurch die Erde fest. Die Flügel wurden zu den Gewitterwolken ; darum schwimmen diese immer zum Ge- birge hin."

Noch Eines muss ich zum Schluss als cultur historisch wichtig bei diesen Legenden besonders hervorheben, das ist die Rolle, welche die Götter in denselben spielen. Es ist charakteristisch, dass dieselbe sittlich keine sehr hochstehende ist und dass die Götter meist in dem Charakter hadernder, selbstsüchtiger Brahmanen auftreten.

Von Varuna, der im Rigveda so hoch dasteht, wird hier3

1 Miitr. S. 1, 5, 12.

M&itr. S. 1, 10, 13. Vgl dazu RV 2, 12, 2.

Miitr. S. 1, 10, 10.

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ertählt, dass er die Geschöpfe, als sie noch schwach waren, packte, und Indra und Agni erst bringen den Bedrängten Hilfe.

Indra und Agni sollen1 dem Prajäpati seine Geschöpfe versteckt haben, und erst als dieser sich mit einer bestimmten Opfergabe an sie wendet, geben sie sie ihm wieder heraus.

Aehnliche ganz unbegründete Willkürhandlungen werden noch oft berichtet Aber auch Schlimmeres kommt vor. So inden wir z. B.* eine Legende, in der es erzählt wird, dass Agni sich als Brahmanenschüler zum Varuna begab. Er fand denselben nicht zu Hause, verging sich mit seinem Weibe und wurde dabei auf frischer That ertappt Dazu ist zu be- merken, dass Unkeuschheit mit der Frau des Lehrers als ganz besonders schwere Sünde gilt; und das wird in so naiver Weise toq Gott Agni berichtet!

Einen kleinlich egoistischen Eindruck macht es, wenn die Götter wie es häufig vorkommt in irgend welche Noth zerathen, sich an einen speciellen Gott um Hülfe wenden, und iieaer nun immer vorher um den Preis der Hülfeleistung feilscht »Es werde mir was dafür zu Theil," ist dann die stetig wiederkehrende Forderung, und dann kommt die Ver- edlung.

So wird z. B. erzählt,3 dass die Götter den Sorna tödten wollten, sie konnten es aber nicht, weil Vayu, der Wind, als L*beoshauch in ihm war. Nun bereden sie diesen, den Sorna u Stich zu lassen. Er erwidert: „Es werde mir etwas zu Heil!** Sodann erhält er auf seinen Wunsch mehrere Gefasse, ihm beim Opfer speciell geweiht sein sollen.

Ein anderes Mal wollen die Götter den Vritra tödten,4 ud Mitra soll es ausführen. Dieser weigert sich, da es seiner N'ttor widerspreche.5 Sie sagen ihm: „Tödte dennoch!" Er ?rach: „Es worde mir etwas zu Theil!" „Wähle!" sprachen sie; W nun giebt er seine Forderung an, die in einer bestimmten Opferspende besteht.

Dann wieder wird erzählt,6 dass Götter und Asuren im Kampfe begriffen waren. Da baten die Götter den Indra, ihnen

Siege zu verhelfen. Er sprach: „Es werde mir etwas zu laeil* Und dann macht er seine Bedingungen.

Sehr charakteristisch ist folgende Legende7: „Shanda und

1 Nach MAitr. 8. 2, 1, 1. 3 Maitr. S. 1, 6, 12. 3 Maitr. S. 4, *. B. « Maitr. 8. 4, 5, 8. * Mitra heisst nämlich „Freund*'. 6 Maitr. 1 Ä. 4. 1. ' Mütr. S. 4. 6, 3.

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Marka waren die beiden Oberpriester der Asuren; die Götter konnten diese (die Asuren) nicht tödten, denn sie waren mit Priestern versehen. Da geboten die Götter den Beiden : „Kommt herbei zu uns!" Die Beiden sprachen: „Es werde uns etwas zu Theill" „Wählet!" sprachen sie. Die Beiden wählten den lautern und den mit Mehl gemischten Sorna. Die Götter dach- ten: „Wenn wir diese beiden Soma's als asurische1 opfern wer- den, dann werden danach die Asuren gedeihen; wenn wir sie nicht opfern werden, dann werden sie nicht gedeihen." Da trieben sie die Beiden weg und opferten dem Indra u. s. w. Die Erzählung ist merkwürdig genug! Götter und Asuren stehen sich gerade so wie der Mensch und sein Gegner gegen- über, beide opfern und haben Priester. Die Götter wollen ihre Gegner Yernichten. Wie sie das der feindlichen Priester wegen nicht können, suchen sie die letzteren abspenstig zu machen XL 8. w.f

Das braiimanisch-schamanistische Operiren mit den Opfer- werken und Sprüchen wird den Gottern in unzähligen Ge- schichten nachgesagt. *

Es heisst z. B.,* dass der Regen und die Speise Ton den Göttern fortgingen; da vertrocknete Alles, Die Götter baten Prajapati um Hülfe; dieser liess sie mit der Opferung Karin opfern und verschaffte ihnen dadurch Regen und Speise wie- der. — Ein anderes Mal4 bewirkt er dasselbe durch bestimmte Backsteine. Indra verliert einmal6 die Kraft und durch Er- findung eines bestimmten Saman oder heilicon Gesanges er- langt er dieselbe wieder. Die Asuren schicken6 den Hunger zu den Göttern; diese werden ihn aber wieder los, indem sie einen bestimmten Opferbrei kochen.

Merkwürdig ist auch folgende Legende.7 Götter und Asu- ren waren im Streit begriffen. Die Gayatri stand mit aller Speise zwischen beiden Parteien. Wohin diese sich wenden würde, derjenigen Partei sollte es gut gehen. Beide Parteien suchen sie nun für sich zu gewinnen. Die Götter sprechen den Spruch: „Du bist die Kraft, du bist die Macht, du bist die

1 Aeurisch waren sie , wenn sie dem Shanda und Marka geweiht wiren.

* Ich erinnere auch an die früher angeführte Legende wie die Götter, nachdem sie den Himmel erlangt, durch eine Verschlingung der Meum allen Anderen den Weg zum Himmel abzuschneiden suchten.

Mai*, ß. 2, 4, 8. « Maitr. S. 3, 3, 1. Maitr. S. 4, 4, & Maitr. 8. 1, 10, 15. * Maitr.- S. 2, 1, 11.

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Stärke, da bist der Glanz, da bist der Götter Sitz genannt« Und durch diese Sprüche gewinnen de sie wirklich.

Wir sehen in all diesen und vielen anderen Beispielen die Götter ganz wie Brahmanen mit Opfern und Sprüchen hand- tieren, wobei man zugleich an ihre Motive und Handlungen keinen allzuhohen sittlichen Maassstab anlegen darf. An diesem merkwürdigen Beispiele bewahrheitet sich auf das Schlagendste der oft ausgesprochene Satz, dass der Mensch sich seine Götter nach dem eigenen Bilde schafft oder doch umgestaltet Schufen sich die kriegs- und eroberungslustigen Inder des ßigveda ihren starken und streitbaren Gott Indra, rüsteten sie ihn aus mit Panzer and Helm und der Donnerkeule und Hessen ihn fort and fort mit starker Hand die feindlichen Dämonen be- siegen, so gaben die Brahmanen des Yajurveda ihren alten Göttern statt dessen Opferlöffel, Butter, Backsteine und heilige Streu in die Hand, und lehrten sie wirksame Sprüche und heilige Gesänge. Und die Götter wurden zu Priestern I

Die Priester ihrerseits aber wurden zu GötternI Wie das geschah, werden wir in der nächsten Vorlesung, der letzten, in der wir uns noch mit der Periode des Yajurveda beschäftigen, näher kennen lernen.

T. Sefarftd«!, InAiMi LH. u. Cult.

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Elfte Vörlesung

Charakteristik der Priesterschaft zur Zeit des Yajurveda. Göttlichkeit der Brahmanen. Yerhaltniss des Priesters zum Yajamana. Verhältnis« der einzelnen Stande zu einander. Nahe Verbindung des Priester- und Ritterstandes, Stellung der Frauen. Sexuelle Verhältnisse. Materielle

Vortheile der Priester vom Opfer.

Wir haben am Schluss unserer letzten Vorlesung die merk- würdige Beobachtung gemacht, dass die Götter in der Periode des Yajurveda ganz den Charakter und das Ansehen von opfern- den Brahmanen angenommen haben, ganz in derselben Weise wie diese denken, schliessen und sich benehmen. Fassen wir nun aber die Brahmanen selbst in's Auge, untersuchen wir etwas näher, welchen Charakter dieser Stand zu dieser Zeit an sich trägt, so gewahren wir zu unserer Verwunderung, dass die Brahmanen ihrerseits sich zum Range von Göttern empor- gehoben haben. Es ist dies in der That nicht etwa eine über- treibende Redensart von meiner Seite, sondern das Gesagte ist durchaus im wörtlichen Verstände zu nehmen. So unglaublich es klingen mag, es ist dennoch wahr, der geistliche Hochmath, die Ueberhebung des Priesterstandes, welcher sich in dem sicheren Besitze des allmächtigen, Natur-, Menschen- und Götterwelt lenkenden Opfers wusste, ist in dieser Zeit so hoch gestiegen, dass uns an mehreren Stellen des Yajurveda unver- hüllt und dreist die anmassende Behauptung entgegen tritt, die Brahmanen seien selbst Götter und als eine besondere Klasse neben die anderen Götter zu stellen. So heisst es z. B.1: „Zweierlei Arten von Göttern besuchen das Haus des Opfer- herrn: die Einen trinken den Sorna, die Anderen trinken den Sorna nicht; die Einen essen das Geopferte, die Anderen essen das Geopferte nicht Die Einen sind die Brahmanen; die hat Derjenige zur Gottheit, der noch nicht geopfert hat; sie herr-

1 Maitr. S. 1, 4, 6.

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sehen über seine Nachkommenschaft und sein Vieh. Wenn sie unbefriedigt sind, dann gehen sie fort und nehmen ihm Saft und Kraft mit Diese (Gottheit) befriedigt man, wenn man den Anvaharya-Brei bereitet; die anderen Götter werden durch die Opferungen befriedigt"

An einer Stelle des Käthakam (8t 13) werden die Brah- manen „verehrungswürdige Götter"1 genannt In der Taittirlya- Sainhita heisst es: „Die Brahmanen lind leibhaftige Götter."8

Dass es zweierlei Arten von Göttern giebt, die eigentlichen alten Götter und die Brahmanen, wird dann später in den Br&hmana's noch mehrfach wiederholt.8

Es liegt mehr als gewöhnlicher geistlicher Hochmuth in diesen maasslos überhebenden Aeusserungen, welche in den priesterlichen Schriften so naiv ausgesprochen werden; hier wird das Heilige der Gottheit selbst verletzt, indem der Priester für sich selbst göttlichen Rang beansprucht

Diese Anschauung von der Göttlichkeit der Brahmanen wird auch in späteren Zeiten beibehalten, ja gesteigert Das Gesetzbuch des Manu4 sagt: „Der Brahmane, er mag ungelehrt oder gelehrt sein, ist eine grosse Gottheit, wie auch das Feuer, es mag zu den Altären hingetragen sein oder nicht, eine grosse Gottheit ist."

Ja es kann uns nicht Wunder nehmen, wenn im Verlaufe der Entwickelung der Brahmane sich sogar über die Götter erhebt und wir schliesslich ähnlichen Sätzen begegnen wie l B.: „Ein Brahmane ist schon durch seine Geburt selbst für die Götter eine Gottheit I" 6 Oder: „Auf die Brahmanen stutzen sich die Welten und Götter immerdar;"6 „Auf alle Weise müssen die Brahmanen geehrt werden, denn sie sind die höchste Gott- heit4« 7

1 a devafc.

8 ete väi deväh pratvaksham yad brähmannh (TS 1, 7, 3, 1).

* So z. B. Catapatha Brahmana 2, 2, 2, 6*: Zweierlei Götter giebt es; die Götter sind Götter (schlechthin); aber die gelehrten und kun- digen Brahmanen sind Menschengötter. Zwieftltig ist ihnen das Opfer xugetheilt: die Opferspenden gehören den Göttern, die Dakshina [d. 1. der Opferlohn) den Menscbengöttern , den gelehrten, kundigen Brahmanen. Durch die Opferspenden befriedigt man die Götter, durch die Dakshina die Menschengötter, die gelehrten, kundigen Brahmanen.1* Vgl. übri- gens die unten angeführte Stelle des Manu, wo die Forderung der Ge- lehrsamkeit ausdrücklich aufgegeben ist. S. Weber, Ind. Stud. X. p. 86. 36.

4 Manu 9, 317 (Böhilingk, Ind. Sprüche 3625).

6 Mann 11, 84 brähmanah sambhavenäiva devänäm api däivatam.

« Manu 9, 316. 7 Manu 9, 319.

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Die Consequenzen der oben erwähnten, schon im Yajur- veda hervortretenden Aoschauung von der Stellung der Brah- manen können wir nicht minder am Buddhismus beobachten, wenn derselbe auch sonst in« Tieler Hinsicht dem Brahmanen- thum feindlich gegenüber tritt Wenn z. B. in der, buddhisti- schen Legende die höchsten Götter dem Gautama Buddha gegenüber eine ganz untergeordnete Stellung einnehmen, ihm huldigen, ihn anflehen u. s. w., so ist hier oben der Mensch auf der höchsten Stufe geistlicher Entwicklung weit über die Götter emporgehoben. Und nicht nur Buddha, sondern jeder buddhistische Arhant oder Mönch des höchsten Grades steht weit über den Göttern, verdient von den Göttern angebetet, verehrt und gegrüsst zu werden.1 Ganz im Einklang damit steht es auch, wenn in späterer Zeit beim buddhistischen Gottesdienst die Götter aufgefordert werden, herbeizukommen und sich durch das Anhören der Predigt belehren und be- kehren zu lassen. * Der Buddha steht über den Göttern, und seine Weisheit ist eine höhere als die der Götter.

Man wird den organischen Zusammenhang dieser später erscheinenden Anschauungen mit dem» was der iajurveda lehrt» gewiss nicht verkennen können.

Verhältniss des Priesters zum Yajamäna

Ein besonders eigentümliches Streiflicht fällt auf die Ge- sinnung und Handlungsweise der Brahmanen durch eine Reihe von Stellen, welche sich auf das Verhältniss des Priesters zum Opferherrn, dem sogenannten Yajamäna, beziehen, d. h zu dem- jenigen Manne, in dessen Dienst und auf dessen Kosten der Priester die heilige Handlung verrichtet Wir finden nämlich in den heiligen Schriften selbst in zahlreichen Fällen mit er- staunlicher Naivität die Regeln dafür auseinandergesetzt, wie der Priester beim Opfer verfahren solle, jenachdem er wünscht, dass es dem Opferherrn gut oder aber sohlecht gehe. Der Priester fühlt sich also nicht gebunden, das Opfer richtig und gewissenhaft auszufuhren, wie es den Göttern wohlgefallt, son- dern das thut er bloss, wenn es ihm beliebt, und er droht damit, dass er es auch anders machen könne, zum grossen

1 8. Koeppen, Religion des Buddha, Bd. I p . 128.

So noch jetzt auf Ceylon, s. Koeppen, Religion des Buddha.

Bd. I p. 123.

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t

Naohtheil des Opferveranstalters. Mehr als ein specielles Un- gemach lehrt man den Priester durch eine geringfügige Modi- fikation bei der Vollziehung des Opfers seinem Opferherrn zu- zufügen, „wenn es ihm so gefällt" 1

Glück und Unglück des Opferherrn liegt in der Hand des opferkundigen Priesters; Ton dessen Laune und Willkür hangt das Schicksal seines Yajamäna ab. Daraus folgt, dass Letzterem Alles daran liegen muss, sich den Priester geneigt zu machen and durch möglichst reiche Geschenke sein Wohlwollen zu ge- winnen.

Die Opferherren sind es, von deren Freigebigkeit die dienst- thuenden Priester leben, von ihnen erhalten sie Essen, Kleider und Geschenke; dessenungeachtet üben sie, „wenn es ihnen so gefallt", den schwärzesten Verrath an diesen ihren Brodherren.

In der That, es lässt sich kaum eine schmählichere Art des Betruges und der hinterlistigen Bosheit denken: Bei einer heiligen Opferhandlung, für welche er zudem von dem betreffen- den Opferherrn besoldet wird, fugt der Priester diesem unver- merkt den grössten Schaden zu, während er doch die Miene annimmt, als führe er das Opfer zu Heil und Frommen seines Yajamäna aus. Und ein solches Verfahren wird in den hei- ligen, für offenbart geltenden Büchern ganz direct gelehrt und an die Hand gegeben. Ganz kühl werden diese Regeln und Handgriffe in den Yajurveden dargelegt, als wenn sich das so ganz von belbst verstünde!

80 lesen wir z. B.f: „Wenn er (der Priester) wünscht: Es möge ihm (dem Opferherrn) weiterhin immer schlechter und schlechter gehen, dann möge er für ihn die Opfergaben ein- zeln (getrennt) darbringen; so hat er ihn getrennt (d. h. vom Opfer und dessen Vortheilen), dadurch geht es Jenem weiter- hin immer schlechter und schlechter. Wenn er aber von Einem wünscht: Es möge ihm nicht besser und nicht schlechter gehen, fe den möge er alle Opfergaben mit einem Male darbringen; •0 hemmt er ihn (hält ihn fest), dadurch geht es Jenem weder besser noch schlechter. Wenn er aber von Einem wünscht: Es möge ihm weiterhin immer besser und trefflicher gehen, dann möge er für den erst dem Agni Pavamana opfern, sodann dem (Agni) Pavaka und $uci zwei weitere Opfergaben auf derselben Opferstreu darbringen; so hat er ihn emporgebracht, dadurch geht es Jenem weiterhin immer besser und besser."

1 y*di kAmayetA. 1 Maitr. S. 1, 6, 8.

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Wenn der Priester z. B. will, dass der Yajamana reich an Vieh werde, dann soll ihm die Thierhäupter beim Opfer so legen, dass sie alle nach der Mitte hingewandt sind.

Wenn er dagegen Einem wünscht: Er möge ohne Vieh sein! Dann soll er ihm die Thierhäupter so legen, dass sie nach verschiedenen Richtungen auseinander streben; dann geht Jenem das Vieh nach verschiedenen Richtungen auseinander, und er wird zu Einem, der ohne Vieh ist1

Wenn er Einem wünscht: Er soll taub werden! Dann möge er für den mit einem Mal alle (Opfergaben), auf einen Sturz opfern; dann vermengt er ihm die Lebensgeister und Jener wird taub.'

Will er, dass seinem Opferherrn ein böser Gegner geboren werde, so kann er ihm denselben durch besondere Art des Opferns an seiner eigenen Opferstätte erzeugen.9

Wünscht der Priester, dass es dem Gegner seines Opfer- herrn gut gehe und dass dieser den Opferherrn verdränge, 80 wird ihm auch dafür der Modus des Opferns gelehrt4 Von der richtigen Ordnung hängt beim Opfer Alles ab; diese kann der Priester, wenn er will, stören und auf solche Weise Unheil bewirken. So heisst es z. B. von einer Ceremonie, bei welcher ein Ross und ein Esel verwandt werden5: „Das Ross fuhrt man voran, den Esel hinterdrein, um Verwirrung zu ver* meiden; wenn er (der Priester) wünscht: Es möge Ver- wirrung sein! Dann führe er den Esel voran, das Ross hinterdrein. Dadurch hat schon Vipüjana Sauraki Verwirrung bewirkt; so bewirkt er Verwirrung." Man beruft sich also noch auf die Autorität eines Priesters der früheren Zeit, der bereits seinem Yajamana diesen Streich gespielt habe. In der That, kein sehr rühmliches Andenken, das seine Glaubensbrüder hier dem Vipüjana Sauraki gestiftet haben!

Hunger kann der Priester bewirken, Regen kommen oder ausbleiben lassen, Saft und Kraft dem Opferherrn verleihen oder entziehen. So heisst es z. B. bei der Zurichtung des Opferpfostens, an welchen das zu tödtende Thier gebunden wird8: „Wenn er (d. h. der Priester) wünscht: Sie mögen den Hunger kennen lernen I Dann errichte er den Opferpfosten ohne Strick; dann lernen sie den Hunger kennen. Wenn er wünscht: Parjänya möge regnen, mit Saft und Kraft möchte ich den Yajamana begaben, dann möge er den oberen

1 Maitr. 8. 3, 2, 7. 9 Maitr. 8. 8, 1, 9 a. A. » 8. 1. B. Maitr. 8. 3, 1, 9. * Miitr. 8. 4, 7, 9. Maitr. 8. 3, 1, 3. Maitr. 8. 3, 9, 4.

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Strick,1 nachdem er ihn herumgeschlungen, heraufschieben; so schiebt er ihn zum Hegen hin und begabt den Yajamäua mit Saft und Kraft. Wenn er wünscht: Parjanya möge nicht regnen, ich möchte dem Yajamana Saft und Kraft rauben, dann möge er den unteren (Strick), nachdem er ihn herum- geschlungen, herunterschieben; so schiebt er ihn sammt dem Regen (weg) und raubt dem Yajamana Saft und Kraft."

Will er Einen des Glanzes, der Gottheiten und der Kraft berauben; will er, dass Einem sein Opfer vom Verderben er- griffen werde, oder wünscht er, dass Einem die Nachkommen- schaft missrathe, so findet er dafür das geeignete Verfahren an bestimmten Stellen angegeben.1 Endlich ist mehr als eine Anweisung für den Prieser sogar direct gegen das Leben des Opferherrn gerichtet. So heisst es z. B.9: „Er (der Priester) möge den Fettstrahl so giessen, dass er gerade und aufrecht ist (d. h. ein gerader Strahl yon oben nach unten). Der Fett-, strahl ist der Lebenshauch; so geht alle Lebenskraft in den Yajamana ein. Wenn er Einen hasst, dann möge er für den, wenn er giesst, (den Strahl) zerreissen, so dass derselbe ver- stümmelt ist; so reis8t er ihm den Lebenshauch entzwei und Jener geht jählings zu Grunde."4

Kurzum es ist eine ganze Serie von Unglücksfällen und Leiden aller Art, für welche die heiligen Bücher selbst dem Priester das Verfahren an die Hand geben, wie er sie dem Opferherrn zufügen könne. Dem wird in der Regel das Glück gegenübergestellt, welches der Priester schaffen kann, wenn er Einem wohlwill.

So bleibt dem Opferherrn denn keine Wahl! Will er nicht in sein Verderben rennen, so muss er Alles dazu thun, ran sich mit den Brahmanen gut zu stellen. Wehe dem, der den Priester erzürnt und so zu Einem wird, den er hasst.6 Bald droht ihm dann Ungemach im Allgemeinen, bald Taub- heit, bald Verlust seines Viehstandes; ein schlimmer Gegner wird, ihm geschaffen, der vorhandene in seinen Unternehmungen unterstützt; Hunger und Dürre kommen über ihn, Saft und Kraft geht ihm aus; sein Opfer wird dem Verderben geweiht, seine Kinder missrathen, bis ihm endlich gar die Lebensgeister *

1 Am Opferpfosten befinden sich zwei Stricke; einer derselben dient rar Fewelang des Opferthiers.

Tftitt 8. 6, 8. 4, 4 and 6; T&itt. S. 6, 6, 5, 4. 1 Mtttr. 8. 4, 1, 14.

* Sehnliches MAitr. 8. 3, 6, 3 und 4, 8, 4.

yam dvishyat, eine viel gebrauchte Bei eichnung.

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zerrissen werden, so dass er elend umkommen muss. Ans alledem klingt immer das eine drohende Mahn wort entgegen: Hütet euch, es mit den Priestern zu verderben!

Man kann die hierarchischen Verirrungen, die durch tausend versteckte Ränke gefährliche Willkürherrschaft kaum deutlicher illustriren, als es die indischen Priester in ihren heiligen Büchern selbst gethan haben.

Wegen derartiger, öfters geübter Verratherei beim Opfer wurde die sogenannte Tanünaptra-Ceremonie eingeführt, deren wesentlicher Inhalt darin besteht, dass Priester und Opferer sich gegenseitig einen heiligen Eid schwören, einander nicht durch absichtliche Fehler bei der Opfervollziehung zu schaden.1

Verhältniss der einzelnen Stände zu einander.

Die Yajurveden sind die ältesten Schriften, in welchen uns das indische Volk bereits durchweg ständisch gegliedert entgegen tritt, und zwar in der bekannten Viertheilung: 1) Brahmana; 2) Rajanya (ein Fürstlicher oder ein Königischer) oder Kshatriya (ein Herrschender, Adliger); 3) Vaicva; 4) Qudra; d. i. also 1) Priester; 2) Ritter oder Krieger; 3) Volk; 4) nicht- arische Bevölkorung.

Hierbei sind genau genommen nur die beiden ersten, Brahmana und Rajanya, wirklich Stände im eigentlichen Sinne des Wortes.1 Der Name Vaicja ist ein Gesammtname für das ganze arisch-indische Volk, soweit es nicht Priester oder Ritter waren, sondern Leute, welche irgend welchen anderen Berufs- zweigen oblagen, während unter dem Worte Qüdra alle die vielen nichtarischen, oder doch nicht rein, arischen Elemente begriffen werden, die doch auch nicht eigentlich einen Stand bildeten.

Ich habe hier absichtlich die Bezeichnung Stände und nicht Kasten gebraucht, denn die Gerechtigkeit erfordert et, ausdrücklich hervorzuheben, dass von dem schroffen und un- barmherzigen Kastenwesen, wie es im indischen Mittelalter er-

f

1 8. M. Haag, 7dt. Br&hman*, Bd. U p. 58.

* Diese beiden obersten St&nde werden auch mit den neutralen Namen: Brahman und Kshatram bezeichnet; Brahman eigentlich Gebet, dann Inbegriff der Gebets-, Opfer- und Priesterheiligkeit, endlich geradezu der Priesterstand; Kshatram eigentlich die Herrschaft, Ober- gewalt, Macht, dann der fürstliche 8tand, Bezeichnung der zweiten, adligen oder ritterlichen Kaste.

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scheint, hier in der Periode des Yajnrveda noch nichts zu spüren ist Wir können hier in der That bloss Ton einer ständischen Ordnung des Volkes reden, die uns bei der all- mählichen Consolidirung der staatlichen und socialen Verhält- nisse, nachdem die Inder sich einmal im Gangesthaie fest an- gesiedelt hatten, durchaus natürlich erscheinen muss.

Es war natürlich, wenn die alten Priester- und Sänger- familien, unter denen vornehmlich die Kunde der Lieder und Opfer gepflegt wurde, z. B. die Vasishtha's, Kncika's, Atri'a, Gautama's u. dgL m sich als ein geistlicher Adel dem übrigen Volke gegenüber mehr und mehr bewusst wurden und sich von demselben absonderten. Es war ebenso natürlich, wenn die zahlreichen kleinen Fürstenfamilien mit ihrem ritterlichen An- hang sich als ein besonderer Stand, als ein ritterlicher Adel zusammenschlössen. Die übrigen arischen Inder hiessen wie früher „das Volk" (vic,), und der Einzelne dazu Gehörige ein „Volksgenosse" oder Vaicja. Dass man endlich die dunkle, nichtarische Bevölkerung, soweit sie sich dem arisch-indischen Staatsvcrbancle eingefügt, resp. untergeordnet hatte, als eine besondere Menschenklasse von den Ariern unterschied, muss uns fast als selbstverständlich erscheinen.1 Von den unüber- stei glichen Schranken zwischen diesen Ständen, sowie insbesondere ▼on der Verworfenheit der untersten Schichten der Bevölkerung ist im Yajurveda nirgends die Rede.

Wir werden es durchaus natürlich finden, dass bei manchen gottesdienstlichen Verrichtungen die Bestimmungen für die ein- zelnen Stände von einander abweichen. So wenn z. B. die Zeit für die Anlegung des heiligen Feuers bei den einzelnen Ständen eine verschiedene sein soll; für den Brahmaneh ist es das Frühjahr, für den Adligen oder den Krieger der Sommer, für den Vaicya der Herbst oder die Regenzeit.* Auch die dab ei zu sprechenden Formeln sind etwas abweichend von einander, schon darum, weil die speziellen Schutzgottheiten der einzelnen Stände andere sind. Der Brahmane hat das Vorrecht deren besonders viele zu besitzen^ Meist wird Brihaspati oder

Brahmanaspati als Gottheit des Brahmanen genannt;8 gelegent-

1 Es ist diese Scheidung der dunklen Ureinwohner von den hellen Ariern sogar wahrscheinlich der Ausgangspunkt für die Kasteneintheiluflg flberhanpt gewesen. Darauf deutet wie schon öfters bemerkt worden ist - das Sanskritwort für Kaste, Varoa, was eigentlich „Farbe" be- deute t.

S. Maitr. 8. 1, 6, 9; C»t. Br. 2, 1, 8, 6.

» Vgl. Maitr. S. 2, 2, 3; 2, 6, 7 und 8; 4, 4, 9; 4, 7, 8.

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lieh auch Mitra,1 oder Mitra-Varuna.Ä Nach einer Stelle hat der Brahmane fünf Schutzgottheiten: Agni, Sorna, Savitar, Brihaspati und Sarasvati, und es heisst dazu: „Darum suchen die anderen Menschen heim Brahmanen Hülfe, denn dieser hat am meisten Gottheiten." 8 Die specielle Gottheit des Ritters oder Kriegers ist Indra, gelegentlich auch Indra-Varuna oder Varuna.4 Der Vaicja hat zur Schutzgottheit die Maruts;6 ge- legentlich auch Agni- Varuna, 8 die Vic,ve Devah oder Allgötter, T oder auch Varuna.8 Man sieht, dass die Scheidung keine scharfe ist.

Auch die vorgeschriebenen Opfergaben sind bisweilen für die einzelnen Stände verschiedene; 8 desgleichen die sogenannte Dakshina oder der Opferlohn, den der Priester zu erhalten hat;10 ebenso die Fasten speise. 11

Wiederholt wird es ausgesprochen, dass der Brahmane an der Spitze aller Stände, ja aller Geschöpfe überhaupt stehe, dem Rajanya aber ist der Vaicja untergeordnet.11 Dem Ritter- stande wird, wenn er den Brahmanen den Vorrang giebt, ver- heissen, dass ihm das Volk (die Vic, die V&icya's) folgen werde.18 Wir sehen also, dass sich die Brahmanen in der That die Superiorität anmassen,14 dieselbe scheint aber so- weit wir nach dem Yajurveda urtheilen können noch keines- wegs eine drückende gewesen zu sein.

Bei allen vorhin erwähnten Bestimmungen war von dem Cüdra gar nicht die Rede. Das kann uns nicht Wunder nehmen, denn die niohtarische Bevölkerung bekannte sich wohl gar nicht zum Glauben an die arischen Götter, oder doch nur in Ausnahmefällen; oder sie wurde dessen auch nicht werth erachtet Es wird ausdrücklich gesagt, dass der Qüdra des Opfers unfähig sei.16 Er ist dessen nicht werth; die historische Erklärung dafür liegt aber offenbar in dem Umstände, dass er einer anderen und andersgläubigen, nur mit Gewalt unter- worfenen Race angehörte und darum naturgemäss an dem Opfer der Arier keinen Antheil haben konnte.

» cf. MAitr. 8. 4, 6, 8; KAth. 12, 1. » cf. MAitr. 8. 2, 3, 1. Miitr. 8. 4, &, 8. 4 cf. MAitr. 8. 2,.<8, 1; 6, 8. cf. MAitr.

8. 2, 2, 3; 2, 6, 7 u. 8; 4, 7, 8. MAitr. 8. 2, 8, L V MAitr. a 4, 4, 9. 8 KAth. 12, 1. cf. MAitr. 8. 2, 6, 7. i0 Vgl. MAitr. 8. 2, 6, 5. 11 cf. TAitt. 8. 6, 2, 5, 2 und 8; TAitt. &r. 2, 8, 8; lud Stud. X, p. 25. 11 cf. MAitr. & 4, 7, 8. * cf. KAth. 29, 10.

" Vits tritt auch darin hervor, dass bei der Besprechung der Stände fast immer die Reihenfolge beobachtet wird: BrAhmana, RAjanya,

88 cf. z. B. TAitt 8. 7, 1, 1, 6.

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l&ö

Den Gegensatz des Cüdra gegenüber jenen drei arischen Ständen kennzeichnet auch das wiederholt vorkommende Com- positum Qüdraryau, d. h. Qüdra und Arier.1 Dieser Gegensatz wird in symbolischer Weise dargestellt in dem merkwürdigen Kampfe, welcher an dem vorletzten Tage (Mahavrata) der so- genannten Gavämayana-Feier, also bei einem Opfer, von einem Qüdra und einem Arier ausgeführt wurde. Sie zerren an einem runden weissen Stück Leder, welches die Sonne vorstellt, um die sich Götter und Dämonen streiten. Zuletzt muss natürlich der Arier als Vertreter der Götter siegen.*

Wir können es den arischen Indern nicht verdenken, wenn sie z. B. die Bestimmung treffen, dass die Kuh beim Agnihotra- Opfer nicht von einem Qüdra gemelkt werden dürfe;9 oder wenn es heisst, der Melkkübel beim Opfer, die sogenannte SthAll, solle von einem Arier (und nicht von einem Cudra) verfertigt sein.4 Das Alles sind gerade keine für den Cudra drückenden Bestimmungen, wenn auch gewiss aus denselben hervorgeht, dass er nicht für voll gerechnet, nicht als rein an- peschcn wird.6

Wir finden im Yajurveda das Gebet«: „Schaff uns Glanz bei den Brahmanen, erhalte den Glanz bei den Rittern (oder Adligen), Glanz bei den Vaicja's und Qüdra's, spende mir Glanz über Glanz!" Hier ist es doch bemerkenswerth, dass auch der Qüdra mit zu Denjenigen gehört, unter denen , der Betende Glanz zu erhalten wünscht; der Qüdra steht, nicht so tief, dass ihm nicht auch daran etwas läge. Aehnliches findet sich im Atharvaveda an mehreren Stellen; so z. B.: Mach mich lieb bei den Göttern (d. h. den Brahmanen), mach mich lieb bei den Rajanya's, beim Qüdra und beim Arier.7 Im Yajurveda

1 Vgl. Maitr. 8. 2, 8, 6. 1 Vgl. Kath. 84, 5; Taitt. 8. 7, 6, 9, 8; lad. Btud. X, p. 4 u. 5. 1 Vgl. Maitr. 8. 4, 1, 8. 4 Mai|r. S. 1, 8, 3.

In den Brahmana's finden wir noch einige weitere Beschränkungen. Z. B. darf der zum Opfer Geweihte (der sogenannte Dlkshita) nicht mit einem Cudra reden, sondern muss das, was er ihm zu sagen hat , durch einen Dritten sagen lassen, weil die Götter nur mit dem B rahm an a, Rajanya und Vaicja reden, nicht aber mit einem Qüdra (£at Br. 8, 1, 1,10). Auch dürfen nur ein Braamana, Rajanya und Vaicja den ver- hallten Schuppen (£ala oder V im i tarn) auf dem Opferplatz betreten, da nur diese opferrein (yajniyatn sind (s. fat Br. 3, 1,- 1, 9). Beim so- genannten Menschenopfer (Purushamedha) wird ein Brahmane dem Brah- man, ein Krieger dem Kshatram, ein Vaicja den Winden, ein Qüdra der Büssung (tapas) geweiht (s. V8 30, 5; Cat Br. 13, 6, 2, 10).

Maitr. S. 3, 4, 8. Fast ebenso TS 6, 7, 6, 4; K&\h. 40, 13; VS 18, 48.

1 AV 19, 62, 1. Vgl. auch AV 19, 32, 8.

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finden wir die Bestimmung, dass man bei einer besonderen Gelegenheit einen Stier nehmen solle ans der Heerde eines V&icja oder eines begüterten Qüdra, die so neben einander genannt werden, dass die Stellung des Qudra als keine ganz schlechte gedacht werden kann.1 Wir finden auch in einem Gebete* die Worte: Was wir gegen einen Qüdra, was gegen einen Arier für eine Sünde begangen haben,

Dies Alles lehrt uns, dass zur Zeit des Yajurveda die ständische Gliederung, speciell jene Viertheilung, zwar schon eingetreten, aber noch nicht zu dem drückenden Kastensystem der späteren Zeit verhärtet ist Den gefahrlichen Keim dazu haben wir aber freilich bereits früher kennen gelernt, er liegt in dem wachsenden Hochmuth und der Herrschsucht dee brah manischen Standes.

Zum Schlus8 dieser Betrachtung ist es der Mühe wohl werth, einen Punkt noch näher zu beleuchten, nämlich das Verhältniss der Priester zu den Rittern, zum kriegerisch-adligen Stande. Der Grundgedanke für dieses Verhältniss wird wieder- holt deutlich ausgesprochen: Priester und Krieger müssen fest zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen; vereint stehen sie fest und unüberwindlich da.

So wird z. B. an einer Stelle ein bestimmter Spruch* ge- lehrt und dazu heisst es: „Mit diesen Worten kraftigt er so das Kriegerthum (den ritterlichen Adel) durch das Priesterthum und das Priesterthum durch das Kriegerthum; so hat er dann das Priesterthum und das Kriegerthum mit einander vereinigt In Bezug darauf ist folgender Vers gesagt: Vereinigt gerathen Priesterthum und Kriegerthum (Ritterthum, Adel) nicht in« Schwanken ! * Das Priesterthum fördert das Kriegerthum (oder die Herrschaft) des Kshatriya,6 das Kriegerthum fördert das Priesterthum des Brahmanen/ wenn 9ie verbunden ihre Thaten ausführen."7

Verschiedene Verrichtungen beim Opfer zielen direct darauf hin, das Priesterthum und den ritterlichen Adel (das brahman

* Maitr. S. 4, 2, 6. Vgl. auch Maitr. & 4, 2, 10 a. E.

* V8 20, 17; Kath. 38, 5.

* ta^Qitain xne brahma sa^cita^ Ttryam balam» <L i. angefeuert (gekräftigt) ist mir das Priesterthum, angefeuert (gekräftigt) Starke und Kraft (Malta:. & 8, 1, 9).

4 brahma kshatra^ sayuja na yyathete.

5 kshatram kshatriyasya. 9 brahma brahmanasya.

' Fast gani dasselbe auch Maitr. S. 2. 7, 7.

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und das kshatram) zu vereinigen. So soll z. B. ein Priester, der gerne die Würde eines Purohita 1 erlangen möchte, ein Muss an Brihaspati opfern. Gelingt es aber auf diese Art nicht, dann soll er dem Indra und ßrihaspati opfern; dann hat er Kriegerthum und Priesterthum vereinigt, und man macht ihn alsbald zum Purohita.* An einer anderen Stelle3 wird ▼erhiessen: »Wenn man mit dem Opferspruch zugleich (die Opfergabe) darbringt, dann vereinigt man so das Kriegorthum mit dem Priesterthum.4*

Insbesondere wird es dem Herrscher, der nicht ganz sicher steht, empfohlen, durch bestimmte Opfergaben dafür zu sorgen, dass Priesterthum und ritterlicher Adel sich vereinige. Es heisst4: „Wessen Herrschaft einigermassen schwankend ist, den möge man mit dieser an Mitra und Brihaspati gerichteten Opferung opfern lassen; Mitra ist das Kriegerthum (od. Ritter- thum), Brihaspati das Priesterthum; so lässt er das Kriegerthum auf dem Priesterthum festen Fuss fassen, damit Festigkeit und kein Schwanken da sei."6

Diese Stellen zeugen von früherwachtem politischen Scharf- blick. Sind doch bis auf den heutigen Tag der ritterliche Adel und das Priesterthum im Verein als die festesten Stützen der Throne, die Wahrer der conservativen Ordnung bekannt. Es darf dabei aber von Seiten des herrschenden Fürsten, der zun Ritterstande gehört, nicht vergessen werden, dass die Herrschaft dem Priesterthum dankbar sein und ihm sich unter- ordnen soll. Darum schliesst eine ähnliche Stelle mit den Worten: „Er bewirkt aber auf diese Weise, dass die Herrschaft (das Königthum) von den Priestern abhängig ist"6

Wir werden uns nach alledem nicht wundern, wenn in den Opfern und Gebeten Priesterthum und ritterlicher Adel (brahman und kshatram) häufig neben einander genannt werden, beiden Gedeihen gewünscht wird.

Indessen liegt es klar am Tage, dass auch dies Verhältnis zu dem Ritter- oder Kriegerstande von den Priestern nur so-

1 D. i. eines Oberpriesters oder Hauspriesters beim Könige.

Maitr. 8. 9, 2, 8.

Mütr. 8. 3, 2, 8 a. E.

Mlitr. 8. 4, 8, 9.

Die Solidarität der Interessen der beiden Stande hebt auch das Gesetzbuch des Manu (9, 822) klar hervor: „Nicht gedeiht das Krieger- thom ohne das Priesterthum, nicht wachst das Priesterthum ohne das Kriegerthum."

atho brahmana eva r&shtram anukam karoti (Maitr. 8. 4, 8, &).

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weit aufrecht erhalten wird, als es ihrem eigenen Vortheil dienlich ist Scheint es ihnen für den Augenblick besser und nützlicher, so scheuen sie sich nicht, diesen Bundesgenossen zu schädigen, ja, wenn sie wollen, zu Grunde zu richten.

Auch für diesen Fall wissen die heiligen Bücher Rath. So heisst es z. B.1: »Einen Kuchen für Indra auf elf Schalen und einen Kuchen für die Maruts auf sieben Schalen möge derjenige darbringen, welcher da wünscht: Ich möchte Händel zwischen dem Volk (den Vaicja's) und den Kriegern hervor- rufen. Dann möge er bei der Indra-Darbringung, nachdem er den Indra-Spruch recitirt hat, mit dem Marut-Spruch [der eigentlich nicht hierher, sondern zum Folgenden gehört] opfern; und möge bei der Marut-Darbringung, nachdem er den Marut- Spruch recitirt hat, mit dem Indra-Spruch opfern [der nicht dahin, sondern zum Kruheren gehört]. So bereitet er ihnen Händel an dem eignen OpferautheiL« f

Indem er also unberechtigter Weise den Marut-Spruch, der den Vaicja's gehört, bei der Opfergabe der Krieger an- bringt und umgekehrt, bringt er die Gebiete beider in Collision und es muss Zank und Streit daraus entstehen. Und solch ein Spiel treibt der Brahmane mit den Opfergaben und Sprüchen, die doch den Göttern dargebracht werden 1 Wenn es in seinem Interesse liegt, dass die beiden anderen Stände sich befehden und gegenseitig aufreiben, so scheut er sich nicht, das Heilige zur Erreichung dieses Zweckes zu miss- brauchen.

An einer anderen Stelle endlich werden dem Priester ge- naue Anweisungen dafür gegeben, wie er beim Opfer zu ver- fahren habe, wenn er die Krieger (Ritter) durch das Volk tödten möchte! Ferner für den Fall, wenn er das Volk durch die Krieger tödten möchte! Sowie endlich auch für den Fall, dass er die Krieger durch die Krieger zu Tür- nich ten wünscht.8

1 Maitr. S. 2, 1, 9.

Aehnlich Taitt. 8. 2, 2, 11, 2.

* Maitr. S. 3, 3, ,10: „Wenn er wünscht: Ich möchte die Krieger (Ritter) durch das Volk tödten! Dann möge er die Reihe (von Spenden oder Sprüchen), welche zum Aranye anuvaka [d. i. einer bestimmten Litanei] gehört, durch die anderen Reihen in Verwirrung bringen; so tödtet er die Krieger durch das Volk. Wenn er wünscht: Ich möchte das Volk durch die Krieger tödten I Dann möge er durch die Reihe (von Spenden oder Sprüchen), welche zum Aranye anuvaka gehört, die anderen Reihen in Verwirrung bringen; so tödtet er das Volk durch die Krieger. Wenn er wünscht: Durch Kriegerthum will ich sein [d. i. des

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So kann denn der Priester, jenachdem es seine Politik erfordert, die Bitter durch das Volk, das Volk durch die Bitter, oder auch die Ritter durch die Ritter zu Grunde richten, wie es ihm gefallt, und das Allee durch bestimmte Verrichtungen bei der Opferhandlung!

Stellung der Frauen. Sexuelle Verhältnisse,

Dass die Stellung der Frauen bei den Indern zur Zeit des Yajurveda eine geachtete war, lässt sich mit Sicherheit daraus schliessen, dass auch die Frau beim Opfer, dem Heilig- sten und Höchsten zu jener Zeit, sich mit betheiligt Nicht nur der Hausherr, sondern auch dessen Gattin hat beim Opfer ihren bestimmten Platz, verschiedene Ceremonieen verrichten die Beiden gemeinsam, andere sind speciell für die Gattin bestimmt

Im Gegensatz dazu Enden wir nun freilich auch Stellen, in denen die Frauen herabsetzend behandelt werden, z. B. wenn es heisst: Das Weib ist die Unwahrheit!1 oder: Das Weib ist das Verderben!* oder: Drei Dinge sind der Göttin des Ver- derbens (Nirrti) geweiht (und darum selbst Verderben bringend), die Würfel, die Weiber, der Schlaf 1 3

Dass die Frau dem Manne gegenüber doch weit weniger geachtet wird, geht schon aus der Bestimmung hervor, dass nur der Mann zur Erbfolge berechtigt ist, die Frau dagegen nicht* Noch mehr aber aus der Angabe, man könne weibliche Kinder aussetzen, männliche dagegen nicht; denn, so lautet die Begründung, Weiber sind überschüssig.6 Es ist dies übrigens

Gegners] Kriegerthum tödten, seines eigenen Sitzes gehe er verlustig! Dann möge er durch die Reihe, welche zum Aranye anuvaka gehört, den beim Feuer befindlichen Wagenuntersatz verstümmeln ; diese (Reihe) ist das Kriegerthum der Maruts; der beim Feuer befindliche Wagen- untersatz tragt das Kriegerthum des Kriegers ; so tfldtet er ihm Krieger- thom durch Kriegerthum. "

1 Mütr. 8. 1, 10, 11.

Mütr. 8. 1, 10* 16.

Mütr. 8. 8, 6, 3.

* Maitr. 8. 4, 6, 4. Vgl. die folg. Anm.

8 Miitr. 8. 4, 6, 4 a. E. yat sthall^ ricanti, na darumayam; tas- mat puman dayadab, stry adiyad; atha yat sthalim paräsyanti na daru- mayam; tasmat striyam jatam paräsyanti, na puma^sam; atha striya evatiricyante. Der äats vom Aussetzen der weiblichen Neugeborenen findet sich wörtlich ebenso im NJrukta 3, 4; der von der Erbfolge ebenda, in geringer Modifikation.

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ein Brauch, der sich, wie bekannt, in einigen Gegenden Indiens leider bis auf die neuere Zeit erhalten hat

Unordnungen in sexueller Beziehung werden keine Selten- heit gewesen sein; darauf lassen bisweilen ein paar kurze Bemerkungen oder Bestimmungen interessante Streiflichter fallen. Wenn z. B. Jemand das grosse und heilige Opfer der Agniciti oder Schichtung des Feueraltars ausgeführt hat, dann ist er damit iu ein höheres Stadium der Heiligkeit getreten, ist wie sich die Texte ausdrücken gleichsam selbst zu einer Opfergabe geworden. Ihm wird nun als besondere Be- stimmung das Verbot auferlegt, nicht die Frau eines An- deren zu besuchen.1 Thut er es dennoch, so muss er sich durch eine bestimmte Opfergabe an Mitra und Varuna reinigen.3 Solch unerlaubter Verkehr muss also doch wohl ziemlich an der Tagesordnung gewesen sein.

Anderes derart will ich lieber übergehen, muss aber doch einer höchst seltsamen Ceremonie Erwähnung thun, die in den Yajurveden Torkommt und einen integrir enden Theil der so- genannten Mahävrata-Feier bildet Sie ist culturhistorisch zu merkwürdig, als dass ich sie übergehen dürfte. Dieselbe be- steht darin, dass ein Brahmanenschüler und ein öffentliches Mädchen (pumccali), letztere ausserhalb der Vedi stehend, sich gegenseitig hart schmähen und dann innerhalb der Vedi in einem verhüllten Schuppen sich sexuell vereinigen.* Als Theil einer religiösen Feier ist dies wohl eine der sonderbarsten und anstössigsten Ceremonieen. Uebrigens wird dieselbe später als „alt, abgekommen und nicht zu vollziehen" bezeichnet4

Die an die Brahmana's sich anschliessenden Sütra-Werke geben recht leichte Bussen für sexuelle Vergehungen an, die also wohl häufig vorkamen. Buddha eifert gegen das zügellose weltliche Leben der Brahmanen, während die späteren Gesetz- bücher, wie z. B. Manu, strenge Vorschriften zum Schutz der geheiligten Ordnung aufstellen. Es ist nicht unmöglich, dass gerade das Auftreten des Buddhismus wesentlich jene schärfere Zucht hervorgerufen habe, wie sie sich in den späteren Gesetz- büchern darstellt, ähnlich wie bei uns der Katholicismus durch unsere eigene Reformation regenerirt und neubelebt wurde.5

1 i c. upa, Bezeichnung der sexuellen Vereinigung. » 8. MAitr. 8. 8, 4, 7.

KAth. 84, 6; TAitt. 8. 7, 5, 9, 4. Vgl. Weber, Ind. Stud. X, p. 12&

* CAfikh. 17, 6, 2.

5 S. Weber, Ind. Studien X, p. 104; Ind. Skizzen, p. 56.

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Materielle Vortheile der Priester vom Opfer.

Bei 'den Opfern des Yajurveda spielt die Dakshina oder der Opferlohn, den der Priester zu erhalten hat, eine wichtige Rolle. Verlangten doch selbst die Götter in den früher von mir angeführten Legenden in der Regel eine Belohuung, ehe sie den Ihrigen Hülfe versprachen, und auch das Verhältniss zwischen Menschen und Göttern beruht auf dem gegenseitigen Vortheil; opfert der Mensch, so beansprucht er auch von den Göttern, dass sie nicht passiv bleiben. Dies charakterisirt treffend folgender Vers: „Spende mir, ich spende dir! Schenke mir, ich habe dir geschenkt! Bring gleichsam als Entgelt herbei! Wer möchte wohl Einem spenden, der selbst nicht spendet?"1 So ist es denn natürlich, dass auch der Priester seinen Lohn beansprucht

Die Dakshina besteht in der Regol aus Rindern, Geld oder Kleidern. Je nach den verschiedenen Opfern werden allerlei Unterschiede gemacht, z. B. in Bezug auf Lebensalter und sonstige Eigenschaf ton der betreffenden Thiere; im Ganzen aber finden wir da ziemliche Einförmigkeit. So fungiren z. B. bei verschiedenen Anlässen als Dakshina: Eine Kuh, die weder trächtig ist, noch ein Kalb nährt (vac,a); eine Milchkuh (dhenufr); eine Stute; eine milchende Stute; eine gesprenkelte Milchkuh; ein bestimmtes Ross; hundert dergleichen Rosse; ein beliebiger Wunsch; ein kleiner Stier; ein Stier (der den Karren zieht); saure Milch und ein Linnengewand; ein erstgeborenes Kalb; ein bestimmter Pflug; ein lastziehender Pflugstier; eine lastziehende Milchkuh; ein mit Fünfen bespannter Wagen; eine zuchtfähige Kuh zwei Stiere; ein Gewand; Goldschmuck; Gold. Die Zahlung hält sich hier in ganz massigen Grenzen, ja sie macht bisweilen sogar einen recht bescheidenen Ein- druck, z. B. wenn als Dakshina beim Punarädheyam , der Wiederanlegung des Feuers,2 vorgeschrieben wird: ein geflicktes Kleid, ein renovirter Wagen, ein ausgemerzter Stier. Doch mochten die Kosten bisweilen auch recht bedoutende sein, ins- besondere bei Opfern, wo viele Priester bethoiligt waren. Da wird z. B.s vorgeschrieben: Ein Goldschmuck für den Hotar, ein Kranzgewinde für den Udgatar, Würfel für den Adhvaryu, ein Ross für den Prastotar, eine Milchkuh für den Pratihartar,

1 Maitr. S. 1, 10. 2; Takt. S. 1, 8, 4, 1; VS 8, 50. « Maitr. S. 1, 7, 2. Maitr. S. 4, 4, 8.

t. Schröder, Indien« Lit. u. Cult. 11

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eine unfruchtbare Kuh für den Mäiträvaruna, ein Stier für den Bramanäcchainsin, ein Gewand für den Potar, ein Laststier für den Ne9htar, eine Kuh desgleichen für den Agüidh, ein einspänuiger Wagen mit Gerste für den Achaväka zusammen schon eine beträchtliche Summe. Für die Dakshina wird nun aber auch dem Opferer viel Schönes in Aussicht gestellt. Z. B. wenn Einer Gold spendet, so wird ihm Lebenskraft und Männlichkeit verhiessen; schenkt er drei Milchkühe, so sollen ihm alle drei Welten zu Milchkühen werden; spendet er den Gelehrten aus altheiligem Geschlecht» so gedeiht er dadurch in der Götterwelt. Es heisst1: „Wenn die Dakshina's gespendet werden, dadurch kommt man in die Himmelswelt."1

Nach der Auffassung des Qatapatha Brihmana steigt das Opfer zum Himmel, die Dakshina hinter ihm drein, und der Opferer mit dieser, indem er sich an ihr festhält

Es ist charakteristisch, dass an einer Stelle, wo die ver- schiedenen Sühnungen für Verstösse beim Opfer aufgeführt werden, bei Weitem die schwerste Pön für ein Opfer ohne Dakshina zu zahlen ist.8

Späterhin, in den Brahmana's und Sütra's, werden die Ansprüche der Brahmanen beträchtlich höhere, ja sie gehen bisweilen ins Maasslose. Um so erfreulicher mag es für uns sein, zu constatiren, dass die Brahmanen im Yajurveda, wenn sie auch ganz gut für sich zu sorgen verstanden, sich in dieser Hinsicht doch noch in massigen Grenzen halten, wie wir ja auch bei der ständischen Scheidung noch ein humanes Maass eingehalten sahen.

1 Maitr. 8. 4, 8, 3.

8 Sehr unzweideutig heisst es auch später in dem Gesetzbuch des Mann [7, 84]: „Das beste von allen Opfern ist das, was man in des Priesters Mund opfert; es fallt nicht vorbei, schrumpft nicht ein und geht auch nimmer verloren" (s. Böhtlingk, Ind. Sprüche 4366).

In sehr naiver Weise findet sich an einer Stelle der Maitr. 8. (1, 4, 5) die Gesinnung der Priester ausgesprochen, denen das Opfer in erster Linie als Quell materieller Vortheile galt. Es heisst dort: „Fol- genden Ausspruch hat Kapivana Bhauvayana gethan: Wozu opfert wohl Derjenige mit dem Opfer, der das Opfer nicht wie eine Kuh melkt? Ja, es lasst sich noch besser melken als eine Kuh!" (sudohatsro hi gor itl)

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Zwölfte Vorlesung:.

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Das Entstehungsland des Yajurveda and der specifisch brah manischen Cultnr. Madhyade?a. Das Land der Koru-Pancala. Kurukshe tra. Be- deotung dieses Landes im Epos und im Gesetzbuch des Manu. Die östlichen Lander. Der Bamaveda. Der Atharvaveda. Beispiele der Besprechungen und Beschwörungen des Atbarvaveda. Uralte Sprüche, die sich im Atharvaveda erhalten haben.

Bevor wir von der Periode des Yajurveda endgültig Ab- schied nehmen, werden wir gut daran thun, uns geographisch ein wenig zu orientiren, um zu sehen, welche Gebiete Indiens als das Entstehungsland der in Rede stehenden culturhistori- ßchen Umwandlungen anzusehen sind.

Zunächst ist es klar, dass uns die geographischen Data sowohl in den Yajurveden als in den daran sich schli essenden Brahmana's nach Madhyadeca, dem heiligsten Theile von Hin- dostan, führen. Madhyadeca oder das „Land der Mitte" ist das Gebiet, welches sich vom Himalaya im Norden bis zum Vindhya im Süden, von Vinacana im Westen (<L i. von der Gegend, wo die Sarasvati sich im Sande der Wüste verliert) bis zum Zusammen- fluss von Ganga und Yamunä im Osten (dem sogenannten Prayaga) erstreckt Jn diesem Tieflande sagt Lassen1 von Madhyadeca ist die indische Cultur ganz eigentlich zu Hause, hier hatte sie sich am frühesten, folgereichsten und vollständigsten entwickelt; ein alter Hauptsitz der Herrschaft, des Unterrichtes und der religiösen Verehrung, des gesetzlichen und verfeinerten Lebens, der Kunst, des Gewerbfleisses und des Handels reihte sich an den andern."

Aber innerhalb dieses Gebietes noch weit specieller be- grenzt ist das Land, welches wir als die Heimath des Yajur- veda und der ganzen im Zusammenhang damit stehenden Cultur- entwickelung betrachten müssen. Uebereinstimmend weisen uns

1 Indische Alterthumskunde, 2. Aufl., Bd. I p. 152.

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alle Yajurveden auf das Land der Kuru und Paücala, welche Volksstämme auch häufig collectiv in dem Compositum Kuru- paöcalah zusammengefasst werden, d. L auf den westlichen Theil von Madhyadeca. Insbesondere gilt Kurukshetra, das Kuruland, in den Yajurveden sowie in den daran sich schliessenden Brah- mana's als das eigentlich heilige Land. Kurukshetra liegt zwischen Sarasvati und Drishadvati, zwei kleineren Strömen der im Westen von Ganges und Yamunä gelegenen Ebene, und erstreckt sich von da noch weiter in südöstlicher Richtung, zur Yamunä hin. Von diesem Lande wird in den Yajurveden wiederholt berichtet, dass die Götter dort ihr Opfer feierten; 1 und auch das (Jatapathabrahmana noch sagt: „In Kurukshetra führen die Götter ilir Opfer aus;8 Kurukshetra ist der Götter Opferplatz.** 3 Daran schliesst sich dann weiter, in der Richtung von Nordwesten nach Südosten zwischen Gangä und Yamunä sich hinziehend, das Gebiet der Paflcala, welche mit den Kuru in engster Verbindung erscheinen. Auch die Stadt Kämpila, welche die Yajurveden erwähnen, hat schon Weber, wohl mit Recht, mit Kämpüya identificirt, welches im Mahäbhärata und Rämäyana genannt wird und im Gebiet der Paflcala, im süd- lichen Madhyadeca liegt

Wir werden nicht daran zweifeln können, dass der Yajur- veda in diesem Lande der Kuru und Pancäla entstanden und ausgebildet ist4 und dass insbesondere Kurukshetra als seine engere Heimath zu betrachten ist. Später hat sich der Yajur- veda in mehrere Schulen gespalten, die sich im Laufe der Zeit über verschiedene Gegenden Indiens ausgebreitet haben. Kuru- kshetra aber ist als das Geburtsland der specifisch brahmanischen Cultur zu betrachten, die in und mit dem Opferwesen sich auf- baut; von dort aus wurde auch das übrige Indien allmählich brahmanisirt In späteren Jahrhunderten finden wir die Schulen

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1 Z. B. Maitr. S. 2, 1, 4; 4, 5. 9 a. A.

* Cat. Br. 4, 1, 5, 13. 3 Cat. Br. 14, 1, 1, 2.

* Janamejaya, König der Kuru, spielt in den Brahmana's eine glanzende Rolle, während sich im Atharvaveda (20, 127, 7) ein Preislied auf seinen Vater Parikshit findet. Wie Parikshit und Janamejaya unter den Königen, so steht Aruni nnter den Opferkundigen, deren die Yajurveden und die Brahmana's gedenken, obenan. Ja, Oldenberg ver- muthet wohl mit Recht, „dass bei Aruni und in den Kreisen, die ihn umgaben, das wichstigste Centrum für die Bildung und Fortpflanzung der Brahmana-Doctrinen gesucht werden muss." (Oldenberg, Buddha, p. 404). Dieser Aruni aber war ein Kaurupancala (s. fat. Br. 11, 4, 1. 2).

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des Yajurveda derartig vertheilt, dass die Katha's und Ka- pishtbala's die westlichen Gebiete, Kaschmir und das Penjab occupirt habeir; die Maitrayaniya's, welche in älterer Zeit den Namen der Kaläpa's trugen, in Gujerat, insbesondere nördlich Ton der Narmada wohnen, während die Täittiriya's den Süden In- diens einnehmen, die Anhänger des weissen Yajurveda dagegen die nord- östlichen Distrikte. Der alte Grammatiker Patafljali nennt uns noch die Katha's und Käi&pa's (d. i. Maitrayaniya's) als die allbekannten Schulen des Yajurveda, deren Bücher in jedem Dorfe verkündigt würden;1 und im Epos werden sie ge- nannt als die, welche auch in Ayodhyä in hohen Ehren standen.1 Später aber haben die jüngeren Schulen der Taittiriya's und Väjasaneyin's sie fast ganz verdrängt; die Katha's finden sich heute nur noch in Kaschmir, die Kapishthala's sind ganz ver- schwunden, und von den Maitrayaniya's giebt es nur noch einige Reste im Gebiete der Narmada (Nerbudda).3

Doch kehren wir zum Stammland des Yajurveda zurück.

Das Gebiet der Kuru-Paficala ist uns auch darum noch Ton besonderer Wichtigkeit, weil es das klassische Land des indischen Epos ist Besteht doch der Kern des Mahäbharata, wie wir später sehen werden, gerade in dem Kampfe der Pafi- cala und Matsya gegen die Kuru.4

Dass der Schauplatz jener hochberühmten Kämpfe, welche das Mahabharata schildert, gerade in jenen Gegenden liegt, wo nach unserer Darlegung die specifisch brahmanische Cultur mit ihrer hierarchischen Tendenz entsprungen ist und ihren Aus- gang nimmt, stimmt aufs Schönste mit der Ansicht, welche von bedeutenden Kennern schon früh geäussert worden ist, dass uns das alte Epos Erinnerungen an jene Streitigkeiten auf- bewahrt, die die allmählich aufwachsende Hierarchie mit ihren neuen staatlichen und socialen Ansprüchen und Tendenzen noth- wendig hervorrufen musste. Als berühmte Residenzen treten uns in jener späteren epischen Zeit in diesen Landstrichen Hastinapura am oberen Ganges, Indraprastha 6 an der Yamuna, und darnach KaucAmbl, nicht weit von der Vereinigung des

1 gräme grame kalapakaro käthakam ca procyate. Vgl. Weber, Ind. Stud. XIII, p. 440, Desgleichen meine Einleitung zur Maitrayanl SamhiüL, Th. I, p. X.

* RaraAy. 2, 32, 18. 19. Schtegel.

1 Man vgl. für diese geographische Frage meine Einleitung zum ersten Buche der Maitrayanl Sarahita, p. XIX— XXYIII.

4 resp. die Bharata.

5 Es ist dies das nachherige Delhi.

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Ganges und der Yamuna entgegen. Den Kuru-Paflcala benach- barte indisch -arische Volksstämme «ind die Matsya und die Qürasena, südlich von der Yamuna, mit den Städten Mathura und Krishnapura.

Es ist Ton hohem Interesse, dass auch das berühmte so- genannte Gesetzbuch des Manu1 ab das Land der Brahmarshi oder Brahma-Weisen gerade Kurukshetra und das Gebiet der Matsya, der Paflcala und Qürasena angiebt, also das Duab des Ganges und der Yamuna. Hier soll es die tapfersten Kshatriya und die heiligsten Priester geben. Die Gebräuche und Sitten dieser Gebiete gelten für die maassgebenden. Voi* einem im Lande der Brahmarshi geborenen Brahmanon sollen alle Xrya den rechten Wandel lernen; dort sollten alle Arya eigentlich wohnen.8

Noch 8pecieller aber nennt das Gesetzbuch den westlich- sten Theil dieses Gebietes, das Land zwischen Sarasvatl und Drishadvati das Brahmävarta oder das eigentliche Brahma- Land.3 Diese Darstellung dee um viele Jahrhunderte jüngeren - Manava-Dharmagastra* stimmt ja genau zu dem Bilde, das wir aus den Yajurveden selbst gewonnen haben. Hier muss die priesterliche Beform der Religion und des Staatswesens ihren Ursprung haben, und vielleicht waren es die Fürsten aus der Dynastie der Päncju, die Herrscher von Käuc&mbi, welche jene Neuerungen mit besonderem Eifer und Erfolg unterstützten,5 und die dafür als Dank ihre Verherrlichung in dem gewaltigen Epos erhielten, welches als ein Werk priesterlicher Dichter gelton muss.

Hier mag auch die Bemerkung Platz finden, dass wir nach der sehr wahrscheinlichen Vermuthung einiger Forscher in jenen Kuru's wohl das schon aus dem Rigveda her bekannte Volk der Bharata, oder doch einen Theil desselben, zu er- kennen haben,6 daher denn auch das Epos den Namen Mahabharata trägt, d. i. das grosse Lied von den Bharatiden.

1 8. Manu 2, 19; 7, 193.

* 8. Mann 2, 18. 20. Man vgl. auch Duneker, Geschichte des Alterthums, Bd. m, 4. Aufl., p. 112; desgl. Oldenberg, Buddha, p. 9 und 10.

S. Manu 2, 17.

4 Dies der indische Titel des bei uns meist „Gesetzbuch des Manu" genannten Werkes; richtiger wäre es zu übersetzen „Gesetzbuch der Mäna?a", d. i. derjenigen Unterabtheilung der Maitrayanlya'i, welche den Namen der Manava trug. 8. oben p. 111 Anm.

* 8. Duneker, a. a. 0. p. 112.

* Vgl. dazu Oldenberg, Buddha, p. 416. 417.

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Wir müssen nun neben den vorhin erwähnten Völkern, welche den eigentlichen Stamm der brahmanischen Cultnr re- prasentiren, noch einige andere nennen, die für die folgende Periode von hervorragender Wichtigkeit sind.

Es sind dies die weiter nach Osten vorgeschobenen Stämme der Inder. Zunächst die Ko$ala, die nordöstlich vom Ganges aasen und deren Hauptstadt das später sehr berühmte AyodhyÄ war, welches wir noch heute als Oudo kennen. Noch weiter östlich finden wir die Videha mit der Hauptstadt Mithila. Am unteren Laufe des Ganges, nach dessen Vereinigung mit der Yamuna residirten die Könige der Kaci in der Stadt Kaci oder Varanasi, dem heutigen Benares; und davon wieder weiter im Osten finden wir den Stamm der Anga mit der Hauptstadt C&mpa. Endlich im Süden vom unteren Laufe des Ganges lag dis Reich der Magadha mit der Hauptstadt Rajagriha. Von diesen östlichen Provinzen, die erst später der brahmanischen Gihur gewonnen wurden, sollte in der Folge die neue Lehre üiren Ausgang nehmen, die dem Brahmaismus lange erfolgreich die Wage gehalten hat, die Lehre des Buddha, und Magadha speciell ist das Stammland des Buddhismus, der sich sewisser- msssen als die Antwort der freier entwickelten Völker des Ostens auf die von Westen, vom K um- Lande aus sich ver- breitende brahmanisch-hierarchischc Strömung bezeichnen lässt.

Der Samaveda.

Von den vier Veden sind uns noch zwei zur Besprechung übrig geblieben, der Samaveda und der Atharvaveda.

Der Samaveda, welcher gewöhnlich im engeren Anschluss tu den Rigveda besprochen wird, hat mit dem Yajurveda dies $snein, dass sie beide ganz speciell für das Ritual, den Cultus vvfettt sind, und nicht etwa, wie der Kigveda, Partieen ent- halten, die mit dem Cultus nichts zu schaffen haben. Ich be- spreche ihn nach dem Yajurveda, weil er diesem an cultur- historischer Wichtigkeit unendlich nachsteht und dazu ganz unselbständig ist Hinsichtlich der Entstehungszeit dürften sie ziemlich auf gleicher Stufe stehen.

Ski n an heisst Gesang, und der Samaveda ist eine Samm- lung von Versen, welche beim Sorna- Opfer gesungen werden, un Gegensatz zu denjenigen, welche recitirt, gesprochen oder geflüstert werden. Der Samaveda ist also ein Gesangbuch, specieU bestimmt für denjenigen Priester, welcher Udgatar heisst and die Function hat, jene Verse zu singen.

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Die in dem Samaveda enthaltenen Verse sind fast alle dem Rigveda entnommen; man zählt deren in zwei Büchern im Ganzen 1549, von welchen sich nur 78 nicht im rjigveda nachweisen lassen; doch entstammen wahrscheinlich auch diese einer Recension des Rigveda, die uns nicht erhalten ist. Die meisten Verse des Sämaveda sind aus dem achten und neunten Mandala des Rigveda genommen. Diese an einander gereihten Verse haben keinen Zusammenhang; ein jeder steht für sich da und hat seine Bedeutung nur in dem Zusammenhang und an der Stelle des Rituals, an welchor er eingefügt wird. Es sind da Verse an Agni und Sorna, und vor Allem an Indra, den Soma-Trinker, gerichtet.

Die sogenannte Samhitä des SAmaveda führt die Verse in der Form auf, wie sie gesprochen werden, also wie im Rigveda, nur mit einem anderen Accentuationssystem versehen. Daneben aber haben wir noch mehrere Gana's oder Gesangbücher, die die Verse in der Gestalt, wie sie eigentlich beim Gesänge er- scheinen, vorführen, d. h. mit besonderen Sylbendehnungen, Wiederholungen von verschiedenen Sylben und Einschiebungen anderer, wie dies für den gesanglichen Vortrag passend erachtet wurde. So das Gramageyaganam, zum Gesang in den Grama's oder Ortschaften bestimmt, und das Aranyaganam, für den Ge- sang im Walde bestimmt.1

Inhaltlich sind die Saman- Verse fast durchgängig höchst un- bedeutend. Es sind die monotonen Gedanken und Anrufungen, die sich im Kreise der Sorna-Bereitung und des Soina-Trunkes bewegen.

Albrecht Weber sprach sich in seiner Indischen Lite- raturgeschichte2 dahin aus, dass die zahlreichen Varianten in den Versen des Samaveda gegenüber denen des Rigveda manches Alterthümliche enthielten und dass daher, diese Verse den Liedern zu einer Zeit entlehnt sein möchten, als dieselben noch nicht zu der gegenwärtig vorliegenden IJigveda^Samhita vereinigt waren. Diesen Eindruck habe ich meinerseits von diesem Verhältniss keineswegs gewonnen , stimme vielmehr Theodor Aufrecht bei, der diesen Varianten so gut wie gar keinen Werth beimisst (in der Einleitung zu den „Hymnen des ljigveda", II. Aufl., 2. Th., p. XLI). Sie tragen durchaus den Charakter von willkürlichen Aenderungen und Umgestaltungen, wie sie bei Verfassern von Gesangbüchern nicht selten sind.3

1 S. Weber, Ind. Literaturgeschichte, 2. Aufl., p. (>9. 4 ± Aufl. p. 10.

3 Um nur ein frappantes Beispiel der Aenderung ad hoc anzuführen, yerweise ich auf SV 10, 340, wo der sehnsüchtige Vers der nach Yama

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Sehr lehrreich ist in dieser Hinsicht eine Znsammen- stellung von P. Gerhardts schönem Liede „Nun ruhen alle Wälder** in seiner ursprünglichen Fassung mit einer anderen Version, wie sie sich in einem 1775 zu Budiszin erschienenen Gesangbuch vorfindet und die uns Aufrecht1 vorfuhrt. Ich setze nur die ersten Verse beispielsweise her:

Gerhardt.

Nun ruhen alle Walder,

Vieh, Menschen, Stadt und Felder,

Es schlaft die ganze Welt;

Ihr aber, meine Sinnen,

Auf, auf, ihr sollt beginnen,

Was eurem Schöpfer wohlgeiallt.

Wo bist du, Sonne, blieben? Die Nacht hat dich vertrieben, Die Nacht des Tages Feind; Fihr hin! Ein ander Sonne, Mein Jesus, meine Wonne, Gar hell in meinem Herzen scheint.

Gesangbuch.

Nun ruht schon in den Waldern, In Städten, auf den Feldern Ein Theil der müden Welt; Ihr aber, meine Sinnen! Sollt noch vorher beginnen, Was eurem Schöpfer wohlgefällt.

Der Sonne Licht und Glänzen Entweicht von unsern Grenzen, Und Dunkelheit tritt ein. Geh immer unter, Sonne! Wenn Jesus, mir zur Wonne, Mich nur erfreut mit seinem Schein.

Und so geht es nun fort durch das ganze Lied, im Wesent- lichen dasselbe darbietend, doch mit beständigen Abweichungen. Achnlich ist das Verhältniss des Samaveda zum Rigveda. Die zahlreichen Abweichungen, die nicht selten seicht oder gesucht, dunkel und unverständlich sind, tragen darum noch durchaus nicht den Charakter von variantes doctiores.

Der Text des Samaveda wurde schon im Jahre 1842 herausgegeben und in genauem Anschluss an die Tradition übersetzt von dem Missionar Stevenson.2 Diese Ausgabe ist indessen so gut wie ganz verdrängt durch die von Theodor Benfey, welche, mit Glossar, Uebersetzung,u. A. versehen, im Jahre 1848 erschien.*

verlangenden Yaml RV 10, 10, 1 ö" cit sakhäyam sakhyä vavrtyam (zu freundlichem Thun möchte ich den Freund herbeilocken) sich vorfindet in der Aenderung a tva sakhayafr sakhyä vavrtyub (es möchten die Freunde dich zu freundlichem Thun oder zum Freundesbund herboilocken), damit er passe anf die Sanger, welche den Gott zum Opfer herbeischaffen mochten, welchen Sinn wohl Niemand in den ursprünglichen Vers wird hineinlegen wollen.

1 a. a. 0. p. XXXIX.

* Nach Roth ist der Text von Stevenson höchst incorrect, die rjebersetznng gänzlich unbrauchbar (s. Zur Lit u. Gesch. d. Veda p. 2).

Die Hymnen des Säma-Veda, herausgegeben, übersetzt und mit Glossar versehen von Theodor Benfey, Leipzig 1848.

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Der Atharvaveda.

Einen völlig anderen Charakter trägt der Atharvaveda oder Yeda der Atharvans an sich, der uns in 20 Kardia 's oder Büchern mit 160 Hymnen, die ca. 6000 Verse enthalten, vor- liegt. Nur der bei weitem kleinere Theii derselben lasst sich auch im Rigveda nachweisen.1 Der Atharvaveda steht dem eigentlichen Gultus gerade fast ganz fern* und enthält »vor- zugsweise Sprüche, welche gegen verderbliche Wirkungen der göttlichen Gewalten, gegen Krankheiten und schädliche Thiere schützen sollen, Verwünschungen der Feinde, Anrufungen heil- samer Kräuter nebst Sprüchen für allerlei Vorkommnisse des gewöhnlichen Lebens, Bitten um Schutz auf Reisen, Glück im Spiele und ähnliche Dinge." 9 Am meisten erinnert der Inhalt des Atharvaveda an die auch im deutschen Volke zahlreich verbreiteten Beschwörungen oder sogenannten „Segen", die mit Vorliebe mit heiligen Dingen, Personen und Begriffen operirend, nicht selten dem Gebete sich nähernd, dennoch nicht zum Gottesdienst gerechnet werden können, sondern jenen Charakter nur um der grösseren Wirksamkeit willen annehmen. Es macht durchaus den Eiudruck, dass der Atharvaveda mehr dem eigentlichen Volke, als den Priestergeschlechtern seinen Ursprung verdankt und dass in ihm die beim Volke beliebtesten und gangbarsten Sprüche und Beschwörungen zu einer Samm- lung vereinigt sind, die sowohl sprachlich als auch in anderer Hinsicht jünger erscheint als die Sammlung der Rigveda- Lieder, ohne dass ich dies deswegen für den ganzen Schatz der im Atharvaveda enthaltenen Verse und Gesänge behaupten will; Vieles darin ist vielmehr jedenfalls uralt4 Für die Kunde des indischen. Volksthums ist dieser Veda weit interessanter als die von uns vorher besprochenen rituellen Veden. Der ganze Charakter des Atharvaveda lässt es uns aber auch

1 Vgl. Roth, Zur Lit und Gesch. des Yeda, p. 5.

* Doch findet der Atharvaveda praktische Verwendung bei gewissen hauslichen Cultushandlnngen , bei der Geburt, Hochzeit und Bestattung; desgleichen bei gewissen Staatsactionen, wie der Königsweihe.

* Roth, Zur Lit. u. Gesch. d. Veda, p. 12.

* Weber sagt bei einem Vergleich des l^igveda und des Atharva- veda: „Der Geist beider Sammlungen ist freilich ein ganz anderer: im $ik weht ein lebendiges Naturgefuhl, eine warme Liebe sur Katar, im Atharvan dagegen herrscht nur Bcheue Furcht vor deren bösen Geistern und ihren Zauberkräften ; dort stand das Volk eben noch in freier Selbst- thatigkeit und Ungebundenbeit da, hier ist es in die Fesseln der Hie- rarchie und des Aberglaubens gebannt Es sind übrigens auch in der

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wiederum vollkommen verständlich erscheinen, warum derselbe sich niemals ganz zum Range eines unbestritten kanonischen Veda hat aufschwingen können, in der That ist er sicher von allen vier Veden zuletzt zur Anerkennung gelangt, und auch späterhin scheint seine Geltung wiederholt beanstandet worden zu sein.1

Nach Burneil, einem der gelehrtesten englischen Sanskrit- Forscher, der leider yor einigen Jahren zu früh verstorben ist, wollen die Brahmanen Südindiens bis in die Gegenwart noch die Autorität des Atharvaveda nicht anerkennen. Seine spe- ciellen Anhänger freilich, deren es auch in der Gegenwart noch manche giebt,* stellen ihn über alle anderen Veden.

Die älteste Bezeichnung dieses Veda ist Atharvafigirasas, i L die Atharvans und die Angiras; dies sind die Namen der ältesten Rishi-Geschlechter, die uns sogar bei dem persischen Bruderstamm begegnen, also wohl noch in die indopersische Periode gehören. Möglich, dass hierin eine Erinnerung daran liegt, dass der Atharvaveda manche uralte Stücke enthält; wahrscheinlich ist es jedoch, dass die Bezeichnung gewählt wurde, „um den darin enthaltenen Verwünschungen etc. eine desto grössere Heiligkeit und Autorität zu leihen«» Sie werden auch mit dem alten Geschlechte der Bhrigu mehrfach in specielle Verbindung gesetzt4 Mit den alten Atharvan's, wfern dies Wort, wie wir früher gesehen, ursprünglich Feuer- priester bedeutet, hat der Atharvaveda nichts zu schaffen; eine besondere Beziehung zum Feuercultus ist in demselben durchaus nicht vorhanden.

In den späteren Atharvan-Schriften wird dieser Veda auch Brahmaveda genannt, was nacn der U eberlief erung so viel bedeutet als »der Veda für den Brahman", d. h. den obersten, das ganze Opfer leitenden Priester, während von den anderen Veden der Ijligveda dem recitirenden Hotar, der Yajurveda dem die Handlung besorgenden Adhvaryu, der Samaveda dem

Atharra-Samhita sicher sehr alte Stücke enthalten, vielleicht solche, die mehr dem eigentlichen Volke, den niederen Schichten desselben, an- gehörten, wahrend die Lieder des Rik mehr den Geschlechtern anzu- gehören scheinen." (Ind. Lit, 2. Aufl. p. 11.) Weber stellt auch die Yermathung auf, dass die Lieder des Ath&rvaveda rielieicht hauptsäch- lich ihre Pflege den unbrahmanisch lebenden westlichen Ariern ver- danken. (S. a. a. 0. p. 85.)

* & Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 165 Anm.

Z. B. in Kaschmir und Gajerat.

1 8. Weber, Ind. Lit., 2. Aufl., p. 164. 4 8. Weber, a. a. 0. p. 165.

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singenden Udgätar gehören, welche alle drei dem Brahman untergeordnet sind. Dieser Anspruch ist aber „durch nichts motivirt als durch den geschickt benutzten Umstand, dass allerdings für den Brahman kein besonderer Veda da ist, in- sofern derselbe sie nämlich alle drei kennen soll." „Je schwächer nun diese Ansprüche sind, um so heftiger werden sie in den Atharvan-Schriftcn geltend gemacht, und ist in der That in ihnen eine sehr grosse Animosität gegen die übrigen Veda zu bemerken."1 Uebrigens erklärt das Petersburger Wörter- buch, dem auch Weber2 beistimmt, das Wort brahmaveda trotz jener Ueberlieferung als „Veda der brahmani", der Ge- bete, d. h. hier prägnant „der Zaubersprüche". Mir scheint das im Hinblick auf die eben besprochene Tradition gewagt zu 'sein.

Die mit dem Rigveda gemeinsamen Verse des Atharvaveda finden sich hier oft in sehr abweichender Gestalt, resp. in be- trächtlicher Umänderung. Nach Weber8 sind diese Varianten den Lesarten des Rigveda meist gleichberechtigt, was wohl eine allzuhohe Schätzung sein dürfte.

Herausgegeben ist der Text des Atharvaveda von R. Roth und W. D. Whitney i. J. 1856.*

Einzelne Partieen desselben sind von Weber, Aufrecht, Grill u. A. übersetzt; eine vollständige Uebersetzung steht aber noch zu erwarten. Der edirte Text gehört der Schule der £aunaka*s an. Es giebt aber noch eine andere Atharvan- Schule, nämlich die der Päippalada's , die insbesondere in Kaschmir ihren Sitz zu haben scheint. Dort entdeckte Bühl er auf seiner durch viele Funde berühmt gewordenen Reise eine werthvolle alte Handschrift des Atharvaveda in der Paippalada- Recension, auf Blättern von Birkenrinde.5 Leider ist sie sehr vielfältig zerrissen und verdorben. Jedenfalls enthält aber diese Rccension Vieles, was in der bisher bekannten nicht vorhanden ist. Roth hat darüber berichtet in seiner Schrift „der Atharvaveda in Kaschmir**.8

.Aeusserlich unterscheiden sich die Manu Scripte des Atharra-

1 Weber, Ind. Lit., 2. Aufl., p. 166.

9 A. a. 0. Anm.

a Ind. Lit., 2. Aufl., p. 164.

* Atharva Veda Sanhita, herausgegeben von R. Roth und W. D. Whitney. Erster Band. Text. Berlin 1856.

4 Ein sogenanntes Bhürja-Ms. (bhürja = Birke).

Tübingen 1875.

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?eda von denen der übrigen Veden durch einige Besonderheiten in der Accentuation.

Ein paar Proben des Inhalts werden Ihnen den Charakter dieses vierten Veda noch deutlicher machen.

Eine grosse Menge von Versen des Atharvaveda dienen zur Besprechung bestimmter Krankheiten. Es werden uns deren viele vorgeführt und zum Theil in ihren Symptomen mehr oder weniger deutlich geschildert, so dass der Atharva- xeda auch als ältestes Denkmal der indischen Heilkunde Werth bat Eine wichtige Krankheit z. B. ist der Yakshma, von welchem es verschiedene Arten giebt, unter denen z. B. Raja- yakshma (der Königs- Yakshma) die Lungenschwindsucht be- deutet. Eine andere sehr gefarchtete Krankheit ist der Takmau, das in jenen Breiten sehr gefährliche Fieber, u. dgl. m.

Eine derartige Besprechung oder Beschwörung von Krank- heiten lautet z. B wie folgt, Atharvaveda 9, 8l:

Kopfschmerz, Kopfleidon, Ohrenstechen, Entzündung (?), jede Kopf- krwkheit bannen wir dir fort mit unserm Spruch (11

Aua deinen Ohren, aus den Kaükftsha,' bannen wir mit unserm Spruche fort das Ohrenstechen, das Reissen, jede Kopfkrankheit (2\

Damit der Yakshma weiche aus den Ohren, aus dem Munde, bannen wir jede Kopfkrankheit dir fort mit unserm Spruch (3).

Dessen fürchterliche Erscheinung den Menscheu zittern lasst, den Tornau, der in jedem Herbste wiederkehrt, bannen wir fort mit unserm Sprach (6).

Der in die beiden Schenkel kriecht und in die Leisten eindringt, den Yakshma, den bannen wir dir aus den Gliedern fort mit unserm Spruch (7).

Aus dem Bauche, der Lunge, dem Nabel, dem Herzen rief ich dir &iler Yakshma- Arten Gift heraus (12).

Die stechenden Schmerzen, welche den Scheitel auf dem Haupte »rreissen, sie sollen ohne zu verletzen, ohne zu schaden heraus laufen (13).

Die das Herz stechen, längs dem Brustbein und den Rippen- knorpeln sich ausdehnen, sie sollen etc. (14).

Die die Seiten stechen, längs den Rippen bohren, sie sollen (15).

Die stechenden Schmerzen, welche querdurch in den Weichen dich quälen, sie sollen (16).

Die in die Gedärme kriechen und die Eingeweide in Unordnung bringen, sie sollen (17).

Die das Mark aussaugen und die Gelenke zerreissen, sie Bollen (18).

Die die Glieder lähmen, die Yakshma's, welche dir Leibschmerz verursachen, aller Yakshma- Arten Gift rief ich aus dir heraus u. dgi um 19

Und gegen das furchtbare Fieber, den Takinan, wendet sich die vorsichtig mit unterwürfiger Verehrung gemischte Be- schwörung (AV 6, 20):

1 VgL auch Zimmer, Altind. Leben, p. 378. a Wahrscheinlich bestimmte Theile des Ohres.

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Verehrung sei dem Rudra, Verehrung dem Takman, Verehrung dem ungestümen König Varunal Verehrung dem Himmel, Verehrung der Erde, Verehrung den Kräutern. (2)

Du, der du glühend bist, alle Körper gelblich machst, dir dem röthlichen, dem braunen, dem ans dem Waide stammenden Takman bringe ich Verehrung dar! (3)

Und an einer anderen Stelle lautet die ans Poetische streifende Beschwörung (AV 1, 25, 2 u. 3):

Wenn du Feuer oder wenn du Gluth bist, oder wenn deine Geburts- statte glimmend ist, Hrü<Ju mit Namen biet du! Du Gott des Gelben, ▼erschone uns als ein kundiger, o Takman! (2)

Wenn du Flamme bist oder sengende Gluth v oder wenn dn König Varuna's Sohn bist, Hrudu mit Namen bist du! Du Gott des Gelben, verschone uns als ein kundiger, o Takman! (3) u. dgl. m.

Ferner AV 5, 22, 2:

Der du Alle (die du erfassest) gelb machest, sie in Flammen setsend wie flackerndes Feuer, mögest du kraftlos werden, o Takman; herab oder herunter geh hinweg!

Auch AV 7, 116, 2:

Verehrung dem hitzigen, erschütternden, aufregenden, ungestümen, Verehrung dem kalten, nach altem Triebe thatigen.* (1)

Der an jedem folgenden Tage, an awei aufeinander folgenden Tagen sich einstellt, auf diesen Frosch soll er übergehen, der verruchte u. dgl. m.

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Der Husten wird beschworen (AV 6, 105):

Wie der Geist mit den Vorstellungen eilends hinweg fliegt, so sollst dn, Husten, wegfliegen mit des Geistes Flug! (1)

Wie der gut geschärfte Pfeil eilends hinweg fliegt, so fliege du, Husten, weg über der Erde Strich! (2)

Wie der Sonne Strahlen eilends weg fliegen, bo flie&e dn, o Husten, weg über des Meeres Abfluss! (3)

Und so werden noch eine ganze Menge von Krankheiten und Gebrechen besprochen, Aussatz, Herzkrankheit, Augen- leiden, Wahnsinn, Würmer, Unfruchtbarkeit der Frauen, Im- potenz u. dgl. m.

Feindlicher Zauber gilt als vornehmste Krankheitsursache, und des kundigen Arztes wichtigste Aufgabe ist es, den wirk- samen Gegenzauber zu finden, ganz im Gegensatz zu jener tiefer ethisch begründeten Anschauung, die uns früher in mehreren Liedern des Vasishtfia im fligveda entgegen getreten ist, wo die Krankheit als göttliche Strafe der menschlichen Sünden gefasst wurde und den Sänger zur Einkehr trieb in

1 Vgl. Zimmer, Altind. Leben, p. 881. Grohmann, Ind. Stud. 9, 868.

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sich selbst. Auch im IJigveda giebt es einige Verse gegen boso Zauberer,1 im Atharraveda aber spielen dieselben eine hervor- ragende Rolle.

Den Zauber sucht man auf den Bösen zurück zu bannen, der ihn entsandt, und wirksame Pflanzen oder dergleichen werden dabei verwandt So heisst es z. B. (AV 5, 14):

Ein Adler fand dich auf, ein wilder Eber grub dich mit der Schnauze; suche «u schaden, o Kraut, dem Schadiger, schlage zurück den Hexen- meister. (1)

Schlage zurück die Dämonen, schlage zurück den Zauberer und den, der uns zu schadigen sucht, schlage du zurück, o Kraut! (2)

Die Zauber sollen auf den Zauberer zurückfallen, der Fluch auf den Fluchenden; wie ein Wagen mit guter Nabe rolle der Zauber wieder zu dem Zauberer zurück. (5)

Wenn ein Weib oder wenn ein Mann den Zauber anthat zum Un- heil, so fahren wir denselben ihm wieder zu wie ein Boss am Zügel. (6)

Wenn du von göttlichen Wesen angethan bist, oder wenn von Men- schen angethan, mit Indra als Genossen führen wir dich dem wieder zu. (7)

Oerader als ein Pfeil soll er (d. i. der Zauber) auf ihn los fliegen, o Himmel und Erde! Er soll ihn ergreifen wie ein Wild, der Zauber den Zauberer wieder. (12) U. s. w.

In dieses Gebiet der Besprechungen und Beschwörungen hat wieder Adalbert Kuhn in interessanter Weise Licht ge- bracht,* indem er solche indische, besonders im Atharvayeda erhaltene Segensformeln zur Bannung von Krankheiten mit ähnlichen germanischen zusammen stellte, welche bei beiden Völkern „nicht nur in Zweck und Inhalt, sondern auch in der Form zum Theil so merkwürdig zu einander stimmen, dass maa in ihnen unbedenklich die Reste einer Art Poesie erkennen muss, welche den Inhalt zu gewissen Zwecken bestimmter Segenssprüohe bereits [in der indogermanischen Urzeit] zu einer festen Form ausgeprägt hatte, die sich nachher durch alle daraus hervorgegangenen Formeln bis auf die neueste Zeit hindurchzieht.** 3

Also uralte Sprüche, die im Munde des Volkes umgingen and die sich bei den Indern wie bei den Germanen als ein sorgsam gehütetes Erbe längstvergangener Zeiten erhalten haben.

Nur ein einziges Beispiel derart will ich anführen, das aus mehreren Gründen für uns von speziellem Interesse ist

» Vgl. z. B. RV 10, 87.

* A. Kuhn, Indische und germanische Segenssprüche; Ztochr. f. ▼gL Sprachforschung, Bd. XIII, p. 49—74 und 113—157.

* Vgl. Kuhn a a. 0. p. 60.

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Es wird Ihnen Allen vermuthlich der von Jakob Grimm herausgegebene, aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. stammende sogenannte „Merseburger Zauberspruch" bekannt sein, der nach einer epischen Einleitung die Besprechung eines verletzten Beines enthält, offenbar aus der heidnischen Zeit stammend: Phol ende Wodan vuorun zi holza etc. Derselbe lautet in neu- hochdeutscher U ebersctzung:

Phol und Wodan

Fuhren zu Holze,

Da ward dem Fohlen Bälden

Sein Fuss verrenket.

Da besprach (besang) ihn Sinthgunt,

Sünna ihre Schwester;

Da besprach ihn Folla,

Frija ihre Schwester j

Da besprach ihn Wodan,

Wie er wohl wusste:

So Beinrenkung,

So Blutrenkung,

So Gliedreokung :

Bein zu Beine,

Blut zu Blute,

Glied zu Gliedern,

Als ob sie geleimet seien.

Im Atharvaveda finden wir nun (4, 12) eine Besprechung oder Beschwörung mit gleichzeitiger Verwendung von Heil- kräutern für einen ganz ähnlichen Fall, die in ganzer Ausführ- lichkeit in Ad. Kuhn's gelungener Uebersetzung 1 folgendor- inassen lautet:

Aufrichtend bist du, Rohani,8 aufrichtend das gebrochne Bein! Richte dies auf, .Arundhatl.*

Was dir verletzt, was dir gebrochen, was dir gequetscht an deinem Leib, Das richte glücklich wieder ein der Schöpfer dir mit Glied an Glied. Zusammen werde Mark mit Mark, und auch zusammen Glied an Glied, Was dir an Fleisch vergangen ist, und auch der Knochen wachse dir. Mark mit Marke sei vereinigt, Haut mit Haut erhole sich. Blut erheb' sich dir am Knochen, Fleisch erhole sich am Fleisch. Haar mit Haar, füg' es zusammen, füge mit der Haut die Haut, Blut erheb* sich dir am Knochen! Was da zerbrach, rieht" ein, o Kraut. Steh auf, geh hin, du, eile fort!

(Wie) schön an Rad, Felge und Nab' ein Wagen (lauft). Steh aufrecht fest!

Wenn in die Grube stürzend es zerbrach, oder ein Stein, geworfen, hat

getroffen,

Zusammen wie des Wagens Theile, so füge Ribhu Glied an Glied!

1 S. Kuhn a. a. O. p. 58. 59.

Ä rohani ein Mittel zum Verheilen (Pet. Wört.); ich vermuthe, eine Pflanze

3 arundbati eine heilkraftige Schlingpflanze.

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Man vergleich* namentlich die eigentliche Beschwörung „Mark mit Marke" etc. mit dem germanischen „Bein zu Beine" u. 8. w. Diese Beschwörungsformel hat Kuhn auch im Letti- schen und Russischen nachgewiesen.1 Im Germanischen ist später an Stelle der alten Götter Jesus gesetzt, wie uns die von J. Grimm mitgetheilten, norwegischen und schottischen Versionen des Spruches lehren.* Interessant ist es speciell für uns Bewohner der baltischen Provinzen, dass ein entsprechender Spruch auch bai den Esten gefunden worden ist» der vermuth- lich in sehr alter Zeit von den Germanen herüber genommen wurde. Die verschiedenen Versionen des Spruches sind vor einigen Jahren in den Sitzungsberichten der hiesigen „gelehrten estnischen Gesellschaff von Dr. Wolf gang Schlüter über- sichtlich zusammengestellt worden.3 Ich will zum Schiusa nur den einen estnischen Spruch noch mittheilen:

Wider Verrenkung.*

Jesus ging dahin zur Kirche Mit dem Rothross, mit dem Rappen, Mit dem lachsschwarz mohrenköpfgen, Mit dem fischfarb mausefahlen. Da verrenkte das Pferd den Fuss; Nieder bei dem Rade Jesus,

1 Kuhn, Ztschr. XIII, p. 161. 153.

« Grimm, Deutsche Mythologie, 3. Aufl. p. 1181 u. 1182.

Norwegische Version, in üebersetzung:

Jesus ritt zur Haide,

Da ritt er entzwei sein Fohlonbein,

Jesus stieg ab und heilte (?) das;

Jesus legte Mark in Mark(?),

Bein in Bein, Fleisch in Fleisch,

Jesus legte darauf ein Blatt,

Dass das sollte sein in demselben Stande.

Die schottische Version, in Üebersetzung:

Der Herr ritt,

Und das Fohlen glitt;

Er stieg ab '

Und er richtete es ein.

Setzte Gelenk zu Gelenk,

Bein zu Bein

Und Sehne zu Sehne.

Heil in des heiligen Geistes Namen!

Sitzungsberichte der gel. estnischen Gesellschaft zu Dorpat, Jahr- gang 1882, p. ttg.

* S. Kreutz wald und Neos, Mythische und magische Lieder der Esten, Petersburg 1854, p. 97. Uebrigens auch schon von Kuhn ver- glichen, a. a. 0. p. 55. 56.

t. Schröder, Iadioas Ltt. «. Colt. 12

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Zu besprechen des Pferdes Fuss: Hier ist ein Gelenk verrenket, Hier die Sehn* Obergesprongen, Hier ein Spruogbein ausgestemmet. Geh Gelenk an Gelenk hinwieder, Gehe Sehn' in Sehn* hinwieder, Gebe Sprang an Sprang hinwieder, Gehe Fleisch an Fleisch hinwieder: Streiche Nass darauf Maria! Vater unser u. ■. w.

Ist es nicht merkwürdig, vereinzelte Theile jenes alten Schatzes indogermanischer Besprechungsformeln , die am voll- ständigsten wohl im Atharvaveda bewahrt sind, in unserer Zeit und in unseren baltischen Landstrich versprengt zu finden?

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Dreizehnte Vorlesung.

Die Periode der Brahmana's, der Aranyaka's, Upanishaden und SütraV Allgemeine Charakteristik. Uebersicht der wichtigsten Brahmana's, Aran-

yaka's und Upanishaden.

Auf die Zeit, in welcher die Hymnen des Rigveda ge- sammelt und zusammengestellt wurden, in welcher der Yajur- yeda, der Saman und der Atharvaveda entstanden, folgt die in mancher Hinsicht merkwürdige Periode der Brahmana's. Von dem Charakter derjenigen Schriften, welche man Brahmana's nennt, oder doch wenigstens der älteren unter denselben, werden Sie sich eine ziemlich deutliche Vorstellung machen können, wenn ich Ihnen sage, dass eben jene prosaischen Theile der Yajurveden, mit deren ausführlicher Schilderung ich in trüberen Vorlesungen Ihre Geduld auf eine vielleicht schon allzu harte Probe gestellt habe, als die ältesten Brahmana- artigen Denkmäler bezeichnet werden müssen. Ja, man kann geradezu sagen, die schwarzen Yajurveden sind die ältesten bekannten Brahmana's, nur verquickt und untrennbar verbunden mit dem, was bei den anderen Veden Sarahita genannt wird, mit den Liedern, den* Versen und Sprüchen. Vom schwarzen Yajurveda muss man ausgehen, wenn man die Periode der Brahmana's schildern will, und so sind denn wir durch das Vorhergegangene einer sehr bedeutenden Mühe überhoben, der Einführung in den Geist und Ton der Brahmana's.

Erläuterungen und Besprechungen des complicirten Opfer- rituals, theologische Speculationen und Meinungen, Legenden aüer Art, praktische Rathschläge für die Priester und Bestim- mungen für verschiedene Vorkommnisse beim Opfer, ab und zu eine historische Mittheilung, meist noch nicht des sagenhaften Gewandes entkleidet, gelegentlich auch eine etymologische Be- merkung, die aus der Sprache philosophische oder theosophische Belehrung zu schöpfen sucht, resp. die Sprache dazu benutzen will, eine bestimmte theologische Meinung zu bekräftigen»

12*

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Dies und Aehnliches bildet den Inhalt der Brähmana-Literatur, die in den nun folgenden Jahrhunderten mächtig emporwächst und durch Zahl und Umfang ihrer Werke in der That verdient, eine Literatur für sich genannt zu werden.

Viele von den Werken dieser Periode sind jedenfalls ver- loren gegangen; das lehren uns die zahlreichen Namen und Anführungen, die in den noch erhaltenen Brähmana's citirt und zum Theil bekämpft werden. Es scheint, dass die in diesen Parteikämpfen siegreichen Werke ihre weniger glück- lichen Rivalen zum Theil so verdrängt haben, dass dieselben spurlos verschwunden sind. Immerhin aber ist noch eine recht bedeutende Anzahl dieser Werke bis heute erhalten.1

Diese Brahmana's sind der geistige Spiegel einer mehrere Jahrhunderte dauernden Epoche; einer Zeit, die uns cha- rakteristisch genug keine literarischen Denkmäler hinter- lassen hat ausser diesen; deren ganzes geistiges Streben sich nur in. dieser Richtung bewegt und überall eine unverkennbar charakteristische Färbung an sich trägt Das Opfer ist der grosse geistige Mittelpunkt, um den sich Alles bewegt Die Beschreibung seiner Ceremonieen, Darlegung ihres Werthes, ihres Ursprunges und sonstiger Beziehungen, darauf con- centrirt sich das Interesse des priesterlichen Denkens jener Tage. Ein Werk dieser Art nach dem anderen %chiesst empor, das eine an diesen, das andere an jenen, das dritte an einen dritten Veda und die Functionen seiner speciellen Priester sich mit seinen Erläuterungen anlehnend. So einförmig diese Lite- ratur im Ganzen ist, so gewahren wir doch eine. Entwickelung, ein Fortschreiten, und ein Werk wie das Qatapatha-Brahmana erhebt sich inhaltlich schon sehr bedeutend über jene ersten und ältesten Brähmana-artigen Bücher.

a n die Brahmana's schliefen sich dann die sogenannten Aranyaka's oder die „Waldbücher*'," bestimmt für die in den Wald sich zurückziehenden Frommen, die keine Opfer mehr ausfuhren, aber im Durchdenken des Rituals und dessen, was damit zusammenhängt, eine- Art Gottesdienst üben sollen. In diesen Äranyakä's nimmt die theosophische Spekulation all- mählich einen immer breiteren Raum ein und gehen aus ihnen schliesslich die sogenannten Upanishaden hervor, die ältesten speculativen Tractate der Inder.

In den Brahmana's liefen Erklärung und Bestimmung des Rituals einerseits, und die daran geknüpften und darüber hinaus-

1 Vgl. Weber, Ind. Lit., 2. AufU p. 13 14.

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gehenden Speculationen andererseits noch neben einander. Das Eine war untrennbar mit dem Andern verbunden. Die Specu- lation knüpfte sich an die Ceremonie an, und die Ceremonie gründete sich auf die Speculation und bewies ihr Recht durch diese. Im Laufe der Zeit gehen sie beide aber mehr und mehr auseinander, und in der auf die Brähmana's folgenden Epoche finden wir beide gesondert behandelt. Es sind andre Werke, die dem Ceremoniell des Opfers dienen, andere, die dem speculativen Bedürfniss Genüge thun. Das Erstere über- nehmen die Sutra's, das Letztere die Äranyaka's und Upani- shaden.

Die Brähmana's boten keine fortlaufende Darstellung des Opt'ers, sondern vielmehr Erläuterungen zu demselben. Der Gang des Opfers wird in ihnen als bekannt vorausgesetzt und nur durch einzelne Anführungen ab und zu ins Gedächtnis* gerufen. Mit der Zeit aber mussto sich das Bedürfniss nach einer systematischen Uebersicht des Opferganges fühlbar machen, und eine solche bieten uns die der folgenden Literaturepoche entstammenden Sütra's, speciell die sogenannten Qrauta- oder Kalpa-Sütra's, neben denen die Grihya-Sutra's wiederum- das häusliche und tägliche Leben des Frommen regeln und die damit verbundenen religiösen Handlungen angeben. Die Qrauta- oder Kalpa-Sütra's sind also Ergänzungen und Fortsetzungen der Brähmana's nach der Seite des Rituals. Aber eine weit wichtigere und bedeutsamere Fortsetzung war die nach der Seite der Speculation, welche ganz eigentlich aus dem Schoosse der Brähmana's hervorgeht und in ganz allmählicher, stufen- weiser Entwicklung aus den jüngeren Brähmana's in die von diesen zuerst nur wenig unterschiedenen Äranyaka's und aus diesen dann in die Upanishaden hinüberleitet, unter denen die älteren zum Theil noch geradezu als Äranyaka's oder Theile von Äranyaka's bezeichnet werden.

Wir wollen nun zunächst einen Ueberblick über die Bräh- mana's und die an dieselben sich anschliessenden literarischen Denkmäler zu gewinnen suchen. Ich werde aber natürlich nur die allerbedeutendsten und bekanntesten unter ihnen hervor- heben, um jede Verwirrung durch Ueberfulle des Stoffes zu ▼ermeiden.

Da sich die Brähmana's immer je an einen speziellen Veda anschliessen, so werden wir am Besten thun, sie in dieser Weise zu gruppiren.

Zum Rigveda speciell gehören zwei Brähmana's, nämlich das Aitareya-Brähmana und das (^änkhäyana- oder

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Kaushitaki-Brahmana. Insbesondere das Äitareya-Brah- mana ist von Wichtigkeit. Dasselbe wurde von Martin Haug sammt Uebersetzung herausgegeben.1 Doch Hessen Text und Uebersetzung gar Manches zu wünschen übrig, wenn auch die Uebersetzung namentlich die Kunde der Brahmana-Literatur wesentlich gefordert hat1 Der Text dieses Brahmana ist später noch einmal, sehr correct und schön, von Th. Aufrecht in Transscription herausgegeben worden.5 Im Aitareya-Brah- mana, welches jedenfalls zu den ältesten Schriften dieser Gattung gehört, wird ganz speciell das Sorna-Opfer behandelt, wobei wesentlich nur Dasjenige Berücksichtigung findet, was dem Hotar, dem die rjigveda -Verse recitirenden Priester, speciell obliegt, da es ja eben ein Brahmana des Jjttgveda ist Inter- essant ist es für uns, dass das Äitareya-Bräbmana uns in geo- graphischer Hinsicht wieder auf das Land der Kuru und Paficala hinweist, denn in demjenigen Capitel (8, 14), welches die verschiedenen indischen Stämme aufzählt, heisst es, dass in der Mitte die Kurupaficala sammt den Vaca und Ucinara wohnen. Die übrigen Stämme gelten als südliche, östliche, nördliche und westliche. Die Kurupaflcala bilden also den Mittelpunkt in dem geographischen Gesichtskreis dessen, der dieses Brahmana verfasst hat Es geht daraus hervor, dass auch die Ausbildung des $igveda-Rituals eben in diesem Landstrich stattgefunden hat, wie wir das ja freilich nach unseren früheren Auseinandersetzungen schon entschieden er- warten mussten. Wir werden auch schwerlich fehlgehen, wenn wir annehmen, dass dasselbe Land als dasjenige anzusehen ist, in welchem die Sammlung und Vereinigung der Rigveda- Hymnen zu der uns vorliegenden Samhita stattgefunden hat.

Das Qänkhäyana-Brahmana steht in naher Beziehung zu dem Aitareya-Brahmana, ist aber mehr ein vollständig ge- ordnetes Werk, systematisch nach einem bestimmten Plane über das ganze Opferwerk vertheilt, obschon auch hier das Sorna-Opfer die Hauptstelle einnimmt4

Viele Sagen und Legenden machen diese Brahmana's wichtig. Die merkwürdige Sage von Quna^cepa, den sein eigner Vater dem Opfertode weinen will und der, schon an den Opferpfahl gebunden, nur durch Gott Varuna's Gnade erlöst

1 In 2 B&nden, Bombay 1863.

Vgl. Weber's Kritik, Ind. Stud. IX, p. 177 flg.

a Bonn 1879.

4 Vgl. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 48.

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wird, hat Roth bereits vor längerer Zeit übersetzt1 and be- sprochen.* An jedes dieser beiden Br&hmana's ist nun noch ein Aranyaka angefügt, und in den Aranyaka's wiederum findet sich je eine Upanishad. Im Aitareya- Aranyaka bilden die vier letzten Abschnitte des zweiten Buches die Aitareya- Upanishad, während das dritte Buch des Kaushltaki- Aranyaka in der sehr interessanten Kaushltaki-Upanishad besteht.3

Die zum Samaveda gehörigen Brahmana's zeichnen sich dadurch aus, dass die phantastischen und mystischen Spielereien in ihnen vielfach alles Maas* überschreiten, wodurch sie natür- lich recht ungenießbar werden,4' wenn sie auch im Uebrigen fiel historisch Interessantes enthalten. Der spielenden Identi- ficationen verschiedener Sarnau -Arten (wie Brihat, Rathan- taram u. s. w.) mit allen möglichen irdischen und himmlischen Dingen werden Sie sich vielleicht noch aus unserer Besprechung des Yajurveda erinnern. Möglich, dass gerade der überaus dürftige Inhalt ihrer Samhita die Anhänger des Samaveda zu diesen übertriebenen Phantasmen verleitete. Da sich an den Stoff selbst gedanklich so überaus wenig anlehnen liess, moaste man umsomehr dafür sorgen, ihn mit einem geheimniss- Tollen Nimbus zu umgeben, und schuf sich aus demselben eine Welt mystischer Gebilde.

Dies gilt gleich in erster Linie von dem umfangreichen Tandy a-Brahmana, das aus 25 Büchern besteht und darum auch Paflcavim^a-Brahmana genannt wird.6 Dasselbe be- schäftigt sich natürlich nur mit den Sorna-Opfern,, auf welche allein ja der Samaveda überhaupt Bezug hat, von den kleineren und einfacheren an bis zu den grösseren, welche Sattra oder Sitzung heissen und hundert Tage, ja sogar mehrere Jahre dauern können« Bemerkenswerth sind neben vielen Legenden und sonstigen Mittheilungen insbesondere die ausführlich ge- schilderten Opfer an der Sarasvati und Drishadvati, welche uns wieder in jene Gegend, das Geburtsland des Opferrituals, ver- setzen. Auch Kurukshetra wird erwähnt, während andere

1 Roth, Ind. Stud. I, 458 flg. * Ind. Sind. II, p. 112 flg.

3 Eine dritte Upanishad des Rigveda ist die sogenannte Vashkala- Upanishad, welche uns nur tat Anqnetil Duporron's Onpnekhat (II, 366 flg.) bekannt ist und einer sonst nicht mehr erhaltenen Schule des Rigveda, den Vashkala's, angehörte. (S.Weber, Ind. Lit, p. 56. 57.)

4 S. Weber, Ind. Lit., p. 72.

5 pancarimva heisst m Sanskrit „aus 25 bestehend, 25 enthaltend".

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Daten auch wiederum nach Osten weisen. Bemerkenswerth sind ferner die sogenannten Vratyastom&b, d. h. diejenigen Opfer, durch welche arische, aber nicht nach brahmanischer Ordnung lebende Inder den Eintritt in den brahmanischen Ver- band gewinnen.1 Bitter wird in diesem Brahmana gegen die Kaushitaki's polemisirt*

Ein Nachtrag zu diesem Brähmana ist das sogenannte Shadviinca-Brahmana, d.«h. „das sechsund zwanzigste Buch".

Das dritte Brahmana des Samaveda ist das sogenannte Chandogya-Brabmana, von dem Wort Chandogya „der Saman-Theologe". Die acht letzten Capitel dieses Br&hmana bilden die sogenannte Chandogya-Upanishad,* die in mancher Hinsicht bedeutungsvoll ist.

Als Rest eines vierten Brahmana des Samaveda gilt die sogenannte Kena-Upanishad oder Talavakara-Upanishad, welche angeblich das neunte Buch desselben bildet4

Beim sogenannten schwarzen Yajurveda bilden, wie schon erwähnt, die früher von uns so ausfuhrlich besprochenen prosaischen Theile der Samhita selbst die ältesten und wich- tigsten Brahmana's. Für die älteren Schulen dieses Veda, die Kat,ha's und Maitrayaniya's (al. Käläpa's), lässt sich ausser jenen Brähmana-Theilen der Samhita's auch weiter kein Brah- mana nachweisen, wenigstens nicht als selbständiges Werk. Wohl aber für die Schule der Taittiriya's, nämlich das von dem Inder Rajendralala Mitra (1855 1870) herausgegebene Täittiriya-Brähmana in drei Büchern, das sich aber übrigens in seinem ganzen Charakter von der Taittiriya-Samhita fast gar nicht unterscheidet und nur als ein Nachtrag zu dieser anzusehen ist, der theils das in der Samhita Behandelte näher ausfuhrt und begründet, theils einige dort noch nicht be- sprochene Opfer6 behandelt. Merkwürdig ist dabei noch, dass die letzten vier Abschnitte des letzten Buches im Taittiriya- Brähmana dem weisen Kat*ha als Verfasser zugeschrieben wer- den, also dem Stifter der Katha- Schule. Dasselbe gilt von zwei Abschnitten, welche sich nur bei den Ätreya's, einer den Taittiriya's verwandten Schule, vorfinden, sowie auch von den beiden ersten Büchern des sogenannten Taittiriya-Äranyaka.

1 S. Weber, Ind. Lit. p. 73.

3 Weber, a. a. 0. p. 75.

S. Weber, lad. Lit. p. 77.

4 S. Weber, a. a. 0. p. 80. 81.

5 Wie - den Purushamedha (das Menschenopfer) and das Opfer an

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Diese acht Abschnitte, welche alle ausdrücklich dem Katha zu- geschrieben werden, unterscheiden sich auch äusserlich schon sehr deutlich vom Taittiriya-Brahmana und -Aranyaka durch das Fehlen der bei den Taittiriya's ganz speciell beobachteten Lautgesetze, insbesondere durch den Mangel der Zerdehuungen von y und y zu iy und uv. Diese acht Abschnitte zusammen werden vennuthlich ursprünglich eine Brahmana- artige, resp. Aranyaka-artige Fortsetzung des Käthaka gebildet haben, die uns aber als selbständiges Buch nicht mehr erhalten ist1

An das Täittiriya-Brähmana reiht sich das schon er- wähnte Taittiriya-Äranyaka, welches mit jenen zwei letzten Katha-Abschnitten beginnt. Die vier letzten Bücher dieses Aranyaka werden durch zwei Upanishad's gebildet, und zwar die Taittiriya-Upanishad und die Yajfiikl- oder Nara- yaaiya-Upanishad.*

Bei der Maitrayani Samhita vertritt ein sogenanntes Ergänzungsbuch (Khilakanda) die Stelle eines besonderen Brahmana oder Aranyaka, und ich glaube, dass wir hierin gerade eine ältere Stufe der Ent Wickelung sehen müssen.8 Die weiterhin auch der Maitrayani Samhita angereihte Upanishad dieser Schule (Mäitri-, Mäiträyana- oder Maitrayaniya-Upanishad) ist von Weber und Cowell früher wiederholt für ein jüngeres Produkt erklärt, während neuerdings M. Müller, wie ich glaube entschieden mit Recht, diese Upanishad mit zu den älteren und wichtigeren Denkmälern dieser Gattung zählt.4

Der sogenannte weisse Yajurveda unterscheidet sich da- durch von dem schwarzen, dass in ihm die Verse und Sprüche nicht mit den Brahmana-artigen erörternden Partieen unter- mischt, sondern streng von denselben unterschieden sind, und hat schon Weber diesen geordneteren, systematischeren Zuschnitt, gewiss mit Recht, als den jüngeren bezeichnet Die Vajasa- neyi-Samhita enthält lediglich die Sprüche und Verse, welche

1 Die gegen Schluss des zweiten dieser Abschnitte (prap. XI, 8) angeführte Legende von dem Besuch des Naciketas in der Unterwelt ?ab den Anlas« zur Entstehung der zum Atharvaveda gerechneten Ka- thaka-Upanishad.

Vgl. Weber, Ind. Lit. p. 103.

* Die alteren Schulen kennzeichneten ihren Nachtrag eben als Nachtrag, wahrend die jüngeren denselben unter dem Namen Brahmana, resp. Aranyaka wichtig aufbauschten. Auch hielten sich die alteren Schulen mit dieser Nachtragsliteratur in massigeren Grenzen als die

jüngeren.

4 F.MaxMüller, Sacred Books of the East, Vol. XV, (Oxford 1884), Introduction, p. XLVII flg.

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der Adhvaryu zu sprechen hat, jede Erörterung ist vermieden. Diese findet sich nun dafür in allerreichstem Maasse in dem zu dieser Schule gehörigen Brahmana, dem sogenannten Qata- patha-Brahmana oder dem „Brahmana der hundert Pfade.**1 Es ist dies das umfangreichste, wichtigste und interessanteste Product der gesammten Br&hmana- Periode, seiner Entstehungs- zeit nach aber jedenfalls eines der jüngeren.

„In keinem der vedischen Texte sagt Ohlenberg* können wir so Schritt für Schritt der Genesis des Gedankens der Einheit in Allem was da ist, von dem ersten leisen Sich- ankündigen dieses Gedankens bis zur selbstgewissen Klarheit nachgehen, wie in dem Werk, das nach den Hymnen des $ig- veda als das bedeutungsvollste der ganzen vedischen Literatur angesehen zu werden verdient, dem Brahmana der hundert Pfade."

Dies hervorragende Werk ist bereits im Jahre 1855 in vortrefflicher Weise von Albrecht Weber herausgegeben wor- den, und bildet den zweiten Band seiner grossen Edition des weissen Yajurveda.8 Uebersetzt sind bisher von dem umfang- reichen Werke nur einzelne Partieen. So das erste Capitel von Weber,4 Verschiedenes von Muir in seinen Original Sanskrit Texte, das Capitel über die Dlksha oder die Weihe zum Sorna- opfer von B. Lindner;6 verschiedene Partieen ferner mit fein- sinnigem Verständnis für den Brahniäna-Styl von Delbrück.6 Endlich ist vor einigen Jahren (1882) als zwölfter Band von Max Müller's bekannten „Sacred Books of the East"7 eine Uebersetzung des ersten und zweiten Buches des Qata- patha-Brahmana von Prof. Julius Eggeling erschienen.8

1 Von cata „hundert" und patha „der Pfad", weil es au* hundert Abschnitten besteht; vgl Weber, Ind. Lit. p. 129.

* Buddha, p. 26.

* VgL oben p. 89.

* Ztschr. d. d. Morg. Ges. IV, 1860.

* S. oben p. 108 Anm.

6 In seinen, mit E. Windisch zusammen herausgegebenen „Syntak- tischen Forschungen"; vgl. namentlich Bd. II and III.

T Besprochen von Whitney im American Journal of Philology, Vol. III, No. 12.

Kancja I— IX des £at. Br. fahren die 18 ersten Bücher des Vajas. SamhitA Wort für Wort auf, erklären sie dogmatisch und begründen Bie rituell. Kano> X enthält das Agnirahasyam, d. i. mystische Feuerlegenden. Käno^a XI ist nur Recapitulation des Rituals und Anleitung zum Studium. Käiuja XII enthalt die Präyaccitta oder Sühnungen; Kanda XIII den Acvamedha oder das Pferdeopfer; Kända XIV das Aranyakam. (VgL Weber a. a. 0. p. 130. 131).

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Das Qatapatha-Brähmana besteht aus vierzehn KanoVs oder Büchern, unter welchen die ersten neun jedenfalls den ältesten Theil des Werkes bilden. Die Bücher X XIII ent- halten theils mystische Legenden und Deutungen, theils Re- capitulation des gegebenen Rituals, theils rituelle Ergänzungen und Nachträge. Das vierzehnte und letzte Buch heisst Aranyaka und die letzten sechs Capitel dieses Buches bilden ein Werk für sich, eine Upanishad, welche den Namen Brihad-Aranyaka, d. L das grosse Aranyaka oder Waldbuch, trägt. Und zwar ist dies mit die gross te und bedeutendste unter den Upanishaden.1*'1

Auch das Qatapatha-Br&hmana weist auf das Land der Kuru-Paficala als Stammland der specifisch brahmanischen Cultur. Gerade im Qatapatha - Brahmana wird Kurukshetra wiederholt der Opferplatz der Götter genannt; hier tritt der berühmte Kuru-König Janamejaya3 auf und jener berühmteste Lehrer der Opferweisheit, Aruni, wird gerade hier4 ein KAurupaflcala genannt Aber nichtsdestoweniger fuhren uns andere Data des- selben Brahmana viel weiter nach Osten, über Madhyadeca hinaus in das Land der Kocala und Videha, und es bewährt sich durchaus die von Weber ausgesprochene Vermuthung, dass der weisse Yajurveda in den östlichen Gebieten Hindostan's redigirt worden sei.6

Yäjftavalkya, die Hauptautorität des £atapatha Brahmana, resp. des weissen Yajurveda, begegnet uns in diesem Brahmana am Hofe des Königs Janaka von Videha, also ziemlich weit im Osten. Janaka ist der Patron und Schirmherr des Yajflavalkya, und am Hofe dieses Fürsten fanden nach dem Berichte des

1 Als Upanishaden des weissen Yajurveda werden ausserdem ge- rechnet Buch XVI der Väjasaneyi-Samhita (fatarudriya); XXXI (Puru- shasükta); XXXII (Tadeva); der Anfang von XXXIV ((ivasamkalpa) ; XL flca-üp.). (cf. Weber a. a. 0. p. 119. 128.)

* Uebrigens ist noch eine andere Gruppirung des Stoffes not- wendig. Die fünf ersten Kän(Ja und die vier letzten gehören insofern enger zusammen, als in ihnen Yajflavalkya die Autorität bildet; auch werden in ihnen fast Hur östliche Völker oder solche des mittleren Hindostan erwähnt, die Kurupancäla , Kocala, Videha, Srnjaya. In Kän<JaVI X ist dagegen Qändilya die endgültige Autorität, und Yäjna- valkya wird gar nicht genannt; die hier erwähnten Völker sind nord- westliche, die Gändhära, Salva und Kekaya. Die Entstehungsseit dieser Bücher ist übrigens wahrscheinlich dieselbe, wie die von Kända I— V (vgl. Weber, a. a. 0. p. 147).

* 8. Weber a. a. p. 135. 4 rjat. Br. 11, 4, 1, 2.

* Vgl. Weber a. a. 0. p. 147, Anm. 143; vgl. ferner namentlich die lichtvolle Darstellung bei Oldenberg, Buddha, p 405.

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CatÄpatha-Brahinana berühmte Redeturniere schriftgelehrter Brahmanen statt Aus diesen theologischen Wettkämpfen geht Yäjfiavalkya als Sieger hervor. Er bringt durch seine über- legend Weisheit alle Brahmanen der Kurupaflcala zum Schweigen, den Uddalaka Äruni, den Acvala, den Vidagdha ^äkalya, den Kahola Kaushitakeya und die Gargi Väcaknavi, die Vertreter des schwarzen Yajurveda und des rjigveda.1 So berichtet das Yäjnavalkiyakanda, einer der späteren Abschnitte des (^atapatha- Brahmana, während eine andere Stelle Yäjfiavalkya als den Schüler jenes Uddalaka Aruni bezeichnet, Ä womit doch wiederum deutlich ausgesprochen wird, dass auch Yäjfiavalkya die Opfer- wissenschaft ursprünglich von jenen Brahmanen des Kurupaü- cala-Landes gelernt hatte, wenn er auch, wie Oldenberg ver- muthet,3 selbst von Geburt ein Videha war. Für die in Rede stehende Culturentwickelung, die Verbreitung der brahmanischen Cultur von Madhyadeca nach Osten hin, sind gerade diese Be- richte des Qatapatha-Brahmana von Wichtigkeit Jene Brah- manen, die am Hofe des über das östliche Land der Videha herrschenden Königs Janaka disputirten, waren fast alle Kuru- paflcala, und die ältere Autorität des Kurupaficala-Landes für das heilige Wissen wird durchaus anerkannt, wenn auch das im Osten redigirte Buch den Hauptlehrer der neuen östlichen Schule als Sieger aus allen Kämpfen hervorgehen lässt

Vielfach werden im ^atapatha-Brahmana die Caraka-Adh- varyavas, d. h. die Adhvaryu-Priester der Caraka-Schule ge- tadelt Darunter sind die Vertreter jener älteren Schulen des sch warzen Yajurveda, die Katha's, Kapishthala's und Maitra- yaniya's (resp. Kalapa's) zu verstehen, welche unter dem ge- meinsamen Namen Caraka's zusammengefasst werden. Aus dem Westen ist die Opferweisheit nach dem Osten vorgedrungen, und hier hat sich eine neue und einflussreiche Schule derselben gebildet, welche sich nun der älteren überlegen erachtet und solche Ueberlegenheit durch Tadeln des Aelteren ins rechte Licht zu setzen sucht

Sehr deutlich ist diese allmähliche Wanderung der brah- manischen Cultur von Westen nach Osten in einer Legende ausgesprochen, die sich im ersten Buche des ^atÄpatha-Brahmam findet4:

1 S. auch Weber, Ind. Lit, p. 142—144. fat. Br. 14, 9, 3. 15; 9, 4, 33. » Buddha, p. 405.

4 gat. Br. 1, 4, 1, 10; vgl. Weber, Ind. Stud. 1, 170 flg. Olden- berg, Buddha p. 406. ,

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„Videgha Mathava, der Stammheros der Videha, zieht über die Sadänira1 nach Osten und begründet dort die Herrschaft der Videha Aber Agni Vaic,vanara,* der von der Sarasvatl kommt, geleitet ihn nicht hinüber; er kann nicht über die Sadänira hinwegflammen» Deshalb gingen früher keine Brah- manen über die Sadänira nach Osten, denn es war schlechtes Land, davon Agni Väicvänara nicht gekostet hatte. 'Jetzt

aber wohnen östlich von dort viele Brahmanen; jetzt ist

es gar gutes Land, denn nun haben Brahmanen es mit Opfern geniessbar gemacht/" 8

Von Interesse und Wichtigkeit ist uns im (Jatapatha- Brahmana insbesondere auch die Beziohung zu denjenigen Ge- stalten, welche später in den grossen Epen erscheinen. So wird z. B. Janamejaya, der aus dem Mahäbhärata berühmte Kuru- König, hier zuerst genannt Es heisst, dass dieser Jana- mejaya, Sohn des Parikshit, mit seinen Brüdern durch ein Pferdeopfer „von aller Uebelthat, allem Brahmanenmorde" 4 be- freit wird;6 dunkle und nicht näher bekannte Greuel, in welchen nach Weber die Grundlage der Sage des Mahäbhärata zu suchen wäre,6 resp. des im Mahäbhärata geschilderten -Unter- ganges des Kuru-Geschlechtes. Das nach dem grossen Epos siegreiche Geschlecht der Pändu begegnet uns noch nirgend« in den Brähmaua's, und es ist bemerkenswerth für die Genesis dieses Epos, dass der Name des Haupthelden der Pändu, des Arjuna, im ^atapatha-Brähmana 7 noch als Name des Indra erscheint, mit dem er aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich identisch ist.6

In jenem schon früher erwähnten König Janaka, dem frommen Schutzherrn des Yäjflavalkya, müssen wir wohl den gleichnamigen Vater der Sitä, der Heldin des Rämäyana, wiedererkennen.

Die Sage von der Sündfluthd begegnet uns zuerst im Qatapatha-Brähmana und ist von dort in das Epos über- gegangen. Desgleichen finden wir hier die rührende Erzählung

1 D.. i. über den Grenzfluss Sadänira.

* D. i. das allvorehrte heilige Feuer.

* Oldenberg, Buddha, p. 406. 407.

* brahmahatyä.

5 Vgl. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 139.

a Weber, a. a. 0. p. 151.

' Wie auch in. der Vajasaneyi-Sainhitt.

8 Weber, a. a. 0. p. 151. Im Epos gilt er als Sohn des Indra.

9 Ueber die auch im Zendavesta (Vendidad, Fargard II) ein Bericht vorliegt.

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von der Liebe und der gewaltsamen Trennung des Purftravas und der Urvaci,1 die den Stoff für eines der schönsten indi- schen Dramen abgeben sollte. Ja, auch Bharata, der Sohn des Duhshanta (Dushyanta) von der Apsaras Qakuntala tritt schon im Qatapatha-Brahmana auf. Wir sehen also eine Fülle der wichtigsten, später viel benutzten Sagenstoffe hier im Qata- patha-Brahmana theils angeführt, theils angedeutet

Auch nach anderen Richtungen hin eröffnet uns das Qata- patha-Brahmana neue Perspectiven. Es finden sich hier Be- rührungspunkte mit der Tradition von der Entstehung der Samkhya-Lehre und mit den Anfängen des Buddhismus. So wird z. B. Asuri von der Tradition als eine Hauptautorität für die Samkhya-Lehre genannt, und Asuri ist der Name eines im Qatapatha-Brähmana vielfach erwähnten Lehrers.*

Die Gautama's, mit welchem Geschlechtsnamen sich auch die Qakya'8 von Kapilavastu nannten, denen Buddha entstammte» sind unter den Lehrern und in den Lehrerlisten des Qatapatha- Brahmana besonders oft genannt, und in dem Lande der Kocala-Videha fasste der Buddhismus ja zuerst festen Fum Bemerkenswerth ist auch das Vorkommen der Worte Arhant,* Qramana4 und Pratibuddha. Wenn dieselben auch noch nicht in dem technischen Sinne der Buddhisten6 gebraucht werden, so ist doch schon das erstmalige Auftreten dieser Worte von Interesse, weil die Buddhisten offenbar hier anknüpften.

Kurzum das Qatapatha-Brahmana ist für uns eine Fund- grube wichtiger und bemerkenswerther Erzählungen und Data, sowie auch die demselben einverleibte Upanishad, das Brihad- Aranyaka, mit Recht für die grösste und schönste aller Upani- shaden gilt6

Als Brahmana des Atharvaveda gilt das sogenannte Go- patha- Brahmana, doch liegt in demselben ein näherer Bezug zur Samhita des Atharvaveda eigentlich nicht vor. Atharvan tritt in demselben als ein Prajäpati auf, der von Brahman äls Demiurgos bestellt ist7

1 Deren übrigens auch schon ein vielfach dunkles Lied des Ri^veda Erwähnung thut (RV 10, 95).

S. Weber a. a. 0. p. 152. a S. gat Br. 3, 4, 1, 3 flg.

* S. Brih. Ar. 4, 1, 22; Taitt Ar. 2,' 7 neben tapasa.

* Vgl. Weber» a. a. 0. p. 152. 153.

6 Aus dieser Upanishad werden wir in den folgenden Capiteln fTTössere Stücke mittheilen.

7 Vgl. Weber, Ind. LH., 2. Aufl., p. 167.

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An Upanishaden wird eine sehr grosse Anzahl zum Atharvaveda gerechnet, aber es sind dies zum grossen Theil viel jüngere Producte, die sogar bis in die Puräna-Zeit hinab- reichen. Man muss in der Upanishaden-Literatur sehr sorg- faltig scheiden zwischen den älteren Werken, die wir bereits als integrirende Bestandteile der drei Hauptveda's kennen ge- lernt haben, und jüngeren oder auch ganz jungen Schriften dieser Art, und darf sich also durch die blosse Bezeichnung „Upanishad" nicht irre leiten lassen. Die Anhänger des Atharvaveda haben auch mehrere der den anderen Veden ein- verleibten oder angehörigen Upanishaden in einer Atharva- Recension ihrem Veda zugezählt. Eine derselben ist uns von Wichtigkeit, weil sie uns nur in dieser Recension erhalten ist, nämlich die Käthaka-Upanisbad,1 die offenbar der alten Schule der Katha's angehört und uns ihres Inhaltes wegen von ent- schiedenem Interesse ist Den Upanishaden der älteren Veda's, die sich mit der Untersuchung über das Wesen des Allgeistes, des Ätman, beschäftigen, stehen unter den speciell zum Atharva- veda gehörigen Upanishaden am nächsten wohl die Mun<)aka- und die Pracna-Upanishad, welche von den späteren Autoritäten der Vedänta-Philo8ophie (Badaräyana und Qamkara) viel citirt werden.* Eine jüngere Kategorie von Atharvaveda-Upanishad's beschäftigt sich nicht mehr mit der philosophischen Unter- suchung des Allgeistes, sondern behandelt den Yoga, d. h. die Versenkung in den Allgeist (Ätman), die Stufen in derselben und die äusseren Mittel dazu;8 während eine dritte, noch be- deutend jüngere Kategorie dieser Atharvaveda- Upanishad's sektarische Zwecke verfolgt, an Stelle des Atman den Vishnu oder Qiva setzt, und offenbar jenen viel späteren Jahrhunderten entstammt, wo sich Indien vornehmlich dem Cultus dieser beiden Götter weihte.

Die Gesammtzahl der bis jetzt bekannten Upanishaden ist schon eine sehr bedeutende. Weber zählte (i. J. 1876) deren 235.4 Doch sind für uns bei unserer gegenwärtigen Unter- suchung nur die ältesten unter ihnen von Bedeutung, d. h. vor Allem diejenigen, welche sich als Schlusstheile der drei Haupt- Veden erhalten haben und welche darum den Namen Vedanta oder „Ende des Veda" tragen; ein Name, der später auf die

1 Oder Katbopanish&d.

* 8. Denssen, Vedanta, p. 12; Weber, Ind. Lit., p. 175.

Weber, a. a 0. p. 180.

Ind. Lit, 2. Aufl., p. 171 Anm.

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orthodoxe Philosophie übergegangen ist, welche ihre Lehi wesentlich auf diese Schriften gründet.1

1 Nach Weber (a. a. 0. p. 172 Anm.) w&ren die ältesten: Aitarej Kaushitaki-, Vaehkala-, Chando^ya-Up., (atarudriya, QikshavalH o* Taittiriya-Samhitopanishad, Tadeva, Qivasamkalpa, Purushasukta, *Ica-i und Brihad-Aianyakam. Zu diesen möchte ich noch KäthaJca-, Mai und C?etac,vatara-Up. hinzufügen; vielleicht auch Mundaka- und Pra«, Up. Vgl. noch M. Müller, Sacred Books of the Eaat, Vol. XV, Int duction.

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Vierzehnte Vorlesung.

Die (ranta- und Smarta- Sütra's. Die wichtigsten Werke der Qr&uta- Literatur. Charakteristik der Grihyasiltra's und Angabe der wichtigsten Werke dieser Art. Einiges über die standischen Verhältnisse. Die vier A.crama'8 oder Lebensstufen. Versuch, deren Entstehung historisch zu begreifen. Allgemeine Schilderung der geistigen Bewegung jener Zeit Der theologische Wettkampf bei König Janaka Ton Videha,

Anf die Periode der Brahmana's folgte, wie früher wähnt, die der Sütra's, welche in ihrer Fortsetzung wohl bis weit in die buddhistische Zeit hineinreicht. Das Wort „Sutra", Ton der Wurzel siv „nähen", heisst eigentlich soviel als „Faden, Schnur**, daher dann auch „Leitfaden, Lehrbuch", und diesen Charakter von Leitfaden tragen die betreffenden Werke in der Tbat an sich. Nach all den weitschweifigen, umfangreichen und oft verworrenen Untersuchungen und Darlegungen der Brahmana's empfand man das Bedürfhiss, die Regeln, nach denen das Opfer wie überhaupt das Leben der Frommen sich richten sollte, in übersichtlicher Gestalt vor sich zu sehen, und es entstanden die Sütra's, welche aber nicht etwa bloss als ein Extract der Brahmana's anzusehen sind, sondern vielmehr sehr Vieles darbieten, was bis dahin nur mündlich gelehrt und über- liefert worden war.

Die Sütra's zerfallen in zwei Hauptabtheilungen: die so- genannten Qräuta- oder Kalpasütra's, welche sich ausschliess- lich mit der systematischen Darstellung des Opferrituals be- schäftigen, und die sogenannten Smärtasütra's, welche das häusliche und bürgerliche Leben regeln sollen.

Qr&utasütra heisst soviel als ein Sütra, welches auf der ^rutd,1 d. h, der heiligen Ueberlieferung, der auf höhere Offen- barung zurückgehenden Tradition beruht, worunter der Veda und

1 £rnti von der Wurzel cru „hören" (cf. xXvw) bedeutet eigentlich das „Hören", das „Gehör".

Scfar&ier, Indiens Ut. ». Cnlt. 13

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hier insbesondere die Br&hmana's Yerstanden werden. Smarta- sütra dagegen kommt von dem Worte Smriti, d. h. Erinne- rung, Gedächtniss, dann speciell eine als massgebende Autorität geltende Ueberlieferung profanen Charakters. Es sind die münd- lich überlieferten Regeln für häusliches und öffentliches Leben, für Sitte und Gesotz, welche nicht den Anspruch erheben, auf göttlicher Offenbarung zu beruhen. Sie zerfallen wieder in die sogenannten Grihyasütra'B oder die Haus-Regeln, welche die im häuslichen und ehelichen Leben zu beobachtenden Cere- monieen behandeln, wie sie z. B. bei der Geburt, beim Eintritt in die Lehrjahre, bei der Verheirathung u. dgl. zu vollfuhren sind; und zweitens die Dharmasütra's oder Gesetzes-Sütra's, welche das Recht darstellen und den späteren Gesetzbüchern zu Grunde liegen.

Auch bei den Sutra's müssen wir ebenso wie bei den Upanishaden stets ältere und jüngere unterscheiden, und die Periode, in welcher diese Werke entstanden, hat sich jeden- falls über mehrere Jahrhunderte hin erstreckt Einen besonders alterthümlichen Eindruck hat mir unter den (Jrautasütra's das sogenannte Manava-Qräutasütra gemacht, zur Schule der MAna- va's gehörig, der auch das berühmte sogenannte „Gesetzbuch des Manu" entstammt und die eine Unterabtheilung der M&iträ- yaniya's bildete.1 Dieses Werk ist noch nicht edirt, es finden sich aber in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek zwei Manuscripte desselben vor, die ich durchgesehen habe.

Das Mänava-Qr&utasütra hat noch mehr einen schil- dernden, darstellenden Charakter, schliesst sich in Styl und Art ganz eng an die Brahmana-Theile des Y%jurveda und unter- scheidet sich von diesen eigentlich nur dadurch, dass es eben auschliesslich den Gang des Opfers darstellt, ohne sich auf weitere Speculationen, Legenden iL dgL einzulassen. In der Folge strebten aber die Verfasser der Sütra-Werke immer mehr nach Gedrängtheit und Kürze im Ausdruck, um auf solche Weise die grösste Uebersichtlichkeit zu erreichen. So bestehen die Sutra's zuletzt nur aus ganz kurzen formelhaften Sätzen, zu deren Verständniss es eingehender Commentare bedarf. Es ist uns ein charakteristischer Ausspruch der Brahmanen hier- über erhalten, des Inhalts, dass der Verfasser eines Sütra sich mehr darüber freue, einen einzigen Buchstaben erspart zu haben, als über die Geburt eines Sohnes.1

1 Vgl. oben p. 111 Anm.

* 8. Max Müller, Ursprung und Entwickelung der Religion, p. 168 Weber Bagt über diesen Punkt in seiner Ind. Literatargesch. II A. p. 17.

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Man kann sich diese Entwickelung sehr anschaulich machen, wenn man z. B. das vorhin erwähnte, mehr darstellende Qrauta- sütra der Manava's mit dem schon ganz formelhaft-kurzen des Katyayana,1 dem Crautasütra des weissen Yajurveda, zu- sammenhält und vergleicht Zum schwarzen Yajurveda gehören ausser dem erwähnten Sütra der Manava's noch mehrere andere. In der Schule der KaYha's war das Sütra des Laugakshi in Geltung. Von den uns bekannten, zur Taittiriya-Schule ge- hörigen, Qrautasutra's gilt als ältestes das des Baudhayana; zur selben Schule gehören das Qrautasütra des Bharadvaja, das des Äpastamba und das des Hiranyake$in.* Ausser diesen Werken müssen vor Allem aber noch die beiden Qrauta- sttra des Rigveda namhaft gemacht werden, nämlich das des Xcvalayana und das des Qankhayana, von denen das entere eich an das Aitareya-Brahmana anschliesst, das letzere an das Qlfikhayana-Brahmana. 8

Zum Samaveda gehören die Qrautasütra des Magaka, des LatyAyana und Drahyäyana.4 Zum Atharvaveda endlich das Vaitanasütra.6

„Die Breite der Darstellung in den Einzelnheiten mnsste einer kurzen Uebersicht der Gesammtheit dieser Einzelnheiten weichen : bei der grossen Misse derselben wir aber die möglichste Kürze nöthig, nm das Gedacht- nisa nicht an sehr zu beschweren, eine Kurze, welche übrigens sehr ge- dringt und anigmatisch ausgefallen ist, und zwar um so mehr, je selbst- itlndiger die Sütra-Literatur ward, je mehr man sich der daraus ent- springenden Vortheile bewusst wurde: je alter daher ein Sütram, desto verstandlicher ist es, je rathselhafter, desto jüngeren Ursprung bekundend." Dem entsprechend unterscheidet auch Panini (4, 8, 105) wie bei den Br&hmana's, so auch bei den Kalpa's, d. h.Kalpa- oder ^rautasütra's, die Ton den Alten herrührenden von denen, die seiner eigenen Zeit naher stehen (Tgl. Weber ebenda).

1 Veröffentlicht als dritter Band von Web er's Ausgabe des weissen Yajurveda, vgl. oben p. 89 Anm.

Auch ein Vaikhanasa-Sntra wird dazu gerechnet. Veröffent- licht ist von allen diesen grautasutra's des schwarzen Yajurveda bis jetzt nur ein Theil des Apastamba-Qr. S., und zwar von R. Garbe in der Bibiiotheca Indica. (The Qr&uta-Sütra of Apastamba, belonging to tbe Taittiriya-Samhitä, with the common tary of Rudradatta edited by Dr. Richard Garbe, Prof., Vol. I Calcutta 1882. Vol. II Calcutta 1883-1886.)

» Vgl. Weber, Ind. Iit, 2. Aufl., p. 57. Das grautaaütr* des Xcvalayana ist sammt dem Commentare des Narayana Gargya ver- öffentlicht in der Bibiiotheca Indica, Calcutta 1864—74, vop Rama- Narayana und Anandacandra. Eine Ausgabe von (ankhayana't fraotasütra hat A. Hillebrandt begonnen (Bibiiotheca Indica, Cal- catta 1886. Fase. I n. II).

4 Näheres s. bei Weber, Ind. Iit, 2. Aufl., p. 82 flg.

5 Das letztere ist herausg. von Dr. Richard Garbe, London 1878

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Für das richtige Verständniss des Opferrituals sind diese Werke von unschätzbarem Werth, ja unentbehrlich, so wenig anziehend und interessant sie im Uebrigen auch sein mögen.

Weit mehr allgemein menschliches Interesse als diese rituellen Bücher können die sogenannten Grihyasütra's für sich in Anspruch nehmen, denn hier blicken wir hinein in das häusliche und tägliche Leben des Inders, wie sich dasselbe altem Brauch gemäss gestaltet, hier hören wir die Rathschläge, denen gemäss der Fromme in den wichtigsten Wechselfällen des Erdendaseins verfahren soll. Manch sinnige, manch merk- würdige Sitte ist in diesen Büchern aufbewahrt, und Manches, das, wie die Vergleichung lehrt, x seinem wesentlichen Inhalt nach in uralte Zeit zurückreicht. Die Grihyasütra's sind die ältesten und wichtigsten indischen Denkmäler für alles das, was wir unter dem Wort „Sitte" zusammenfassen.

Da werden die häuslichen Opfer gelehrt, mit denen der Mann seiner Wohnstätte die rechte Weihe giebt, die Gebete, die er täglich sprechen, die Spenden, die er darbringen soll Da entrollt sich vor uns in lebendigen Zügen das Bild, wie der junge Inder seinen Hausstand begründet, wie er nach einem passenden Mädchen sich umsieht und seine Brautwerber aussendet; wie die Werber im Hause der Jungfrau feierlich ihr Anliegen vorbringen, die Geschlechtsnamen des freienden Jünglings herzählend; wie beide Parteien dann, wenn man sich gegenseitig gefällt, ein Gefäss berühren, das mit Blumen, zer- stossenem Getreide, Früchten, Gerste und Gold gefüllt ist: wio der Lehrer mit segnenden Sprüchen dies Gefäss der Jungfrau aufs Haupt setzt und so die Verlobung geschlossen ist; wie dann der glücklich Verlobte ein feierliches Opfer darbringt und wie die Jungfrau zum Hochzeitsfest bereitet, mit duftendem Wasser gewaschen und in festliches Gewand gekleidet wird. Opfer werden gebracht, junge Weiber führen Tänze auf und man speist die Brahmanen. Der festlich bereitete Bräutigam wird von glücklichen jungen Frauen zum Hause des Mädchens geleitet, wobei auch Scherz und Muthwille ihr Recht finden.1 Nach feierlicher Begrüssung überreicht der Bräutigam der Braut seine Geschenke und erhält vom Schwiegervater eine

(Vaitana Siltra, The Ritual of the Atbarvaveda); und von Demselben übersetzt, Strasburg 1878.

1 Nach Qaükh. 1, 12 wird der Bräutigam bei dieser Gelegenheit von den hingen Frauen ein wenig gehänselt: er darf ihnen aber, wenn sie mancherlei von ihm verlangen, nicht widerstreben, natürlich in den Grenzen des Erlaubten.

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Kuh als Ehrengabe.1 Der Bräutigam fasst mit der Rechten die Rechte der Braut mit den Worten: „Ich ergreife zum Heil deine Hand!*4 und fuhrt sie zu einem bestimmten Stein, den sie mit der rechten Fussspitze betreten muss, ein symbolischer Act, der die Ueberwindung alles Feindlichen in Zukunft be- deutet Dann umwandeln sie gemeinsam das Feuer und die Braut bringt mit eigener Hand ein besonderes Opfer von ge- röstetem Opferschrot, mit Mimosenblütben untermischt, im Feuer dar, wozu der Bräutigam begleitende Sprüche spricht. Dann machen sie zusammen noch sieben feierliche Schritte, und nun gilt der Ehebund als fest besiegelt Die Braut nimmt Abschied vom Elternhaus und es folgt die Brautfahrt, durch manchen sinnigen Brauch ausgezeichnet Im Hause des Gatten wird der Neuvermählten ein Knabe aus guter Familie auf den Schooss gesetzt; das soll eine gute Vorbedeutung sein. Nach Sonnenuntergang zeigt der junge Mann ihr den Polarstern und ermahnt sie, so fest und unwandelbar bei ihm zu vor- harren. Drei Tage sollen sie Enthaltsamkeit üben;2 am vierten erst, nach feierlichen, glückverheissenden Bräuchen, findet die endgültige eheliche Vereinigung statt3 Ist die junge Frau guter Hoffnung, so müssen nun wieder zu bestimmten Zeiten glückbringende Bräuche ausgeführt werden, die endlich in der Ceremorfie für den Neugeborenen und der Namengebung gipfeln. Kach zehn Tagen wird das Aufstehen gefeiert, nach sechs Monaten das Kosten der Speise. Nach einem Jahre endlich, oder im dritten Jahre findet die Ceremonie des Haarschneidens statt4 Der Knabe wird im bestimmten Alter, mit einem Fell oder einem frischen Gewand, mit Gürtel und Stab gerüstet, einem Brahmanen als Schüler zugeführt, und mit sinnigen Sprüchen6 und Wechselreden wird das Vorhältniss zwischen iihrer und Schüler geknüpft Wie dann der Schüler im Hause

* Ein ähnlicher Brauch findet Bich auch hie und da im deutschen Volk; vgl. die schwabische Sitte, „dass man der Braut die schönste Kuh im Stalle mitgab;" nach A. Birlinger angefahrt in Ind. Stud.Vp. 455.

» Man ?gl. die drei Tobiasnachte der Deutschen; 8. Ind. Stud. V, p. 466. 456.

* Die Heirathsgebrauche der I der nach den Grihyasütra sind eingehend behandelt und dargestellt van Haas, Ind. Stud. V, p. 267 bis 412; dazu vgl. Weber ebenda 177—266.

4 So beim Brahmanen; beim Krieger im fünften, beim Vaicja im siebenten Jahre.

a So sagt z. B. der Lehrer: „In meinen Willen nehme ich dein Herz, meinem Denken folge dein Denken; meines Wortes freue dich von ganzer Seele; Brihaspati verbinde dich mir!" (C *•». Grihy. 2, 4; Ind. Stud. XV, p. 52).

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des Lehrers sich zu benehmen, wie und was er zu lernen, welche Opfer und Gebete er auszuführen hat, das Alles wird in den Grihya-Sütren eingehend dargelegt; ebenso wie ein würdiger Gast zu empfangen ist u. a. m. Ist endlich der junge Mann vom Lehrer als reif entlassen und will er sich sein eigenes Haus bauen, so geben wieder die Grihya-Sütren die Regeln und Bräuche dabei an. Dann wird gelehrt, wie er zu verfahren hat und welche Sprüche er sprechen muss, wenn er verreist und wenn er wieder heimkehrt; unter welchen Bräuchen er die Erstlingsfrüchte gemessen soll, was er sprechen soll über die auf die Weide gehenden Kühe und welche Bräuche befolgt werden müssen beim Kennzeichnen der Kühe, beim Zu- lassen des Stieres u. dgL m. Auch die Spende für die Vor- fahren und das Todtenopfer für die Verstorbenen giebt das Sütra an. Es lehrt, wie nun der selbständig gewordene Manu ßelbst bei sich in festlicher Feier die Yedenschule eröffnet, wie er das Studium vorzunehmen hat, bei welchen Vorkommnissen er pausircn darf u. dgl. m. Die Weihe von Teichen, Brunnen und Seeon, die Weihe eines Gartens, das Verfahren nach bösen Träumen oder wenn man schlimme Vorzeichen erblickt hat, wenn eine Eule sich auf dem Hause niedergelassen, wenn eine Krankheit ausgebrochen, wenn sich im Hause Bienen oder Ameisen angesiedelt, dieses und gar manches A eh n Ii che und Andere wird in den häuslichen Sutren angegeben, die nach alledem von hohem culturgeschichtlichen Werthe sind und Jeden fesseln müssen, der für das Leben des Volkes, seine Vorstellungen, Sitten und Gebräuche ein Interesse hat; und dies um so mehr, als sich gar Vieles, was bei den Indern bräuchlich ist, auch bei den stammverwandten Völkern vorfindet, was dann zum Theil bis in die Zeit der indogermanischen Ein- heit zurückreicht

Von den verschiedenen uns vorliegenden Grihyasütra's seien zuerst die beiden zum Rigveda gehörigen genannt, welche dem Acvalayana1 und dem Qankhayana* zugeschrieben werden. Zum schwarzen Yajurveda gehört das Kathaka- Grihyasütra, das hoffentlich bald veröffentlicht werden wird, sowie auch das Man ava- Grihyasütra, über welches P.v.Bradke

x Herausgegeben und übersetzt von Ad. Fr. Stenzler, 1864. 1866. (Abhandlungen d. dtsch. Morgenl. Ges. Bd. III No. 4 and Bd. IV No. 1. Text mit Comm. auch in der Bibliotheca Indica 1866. 1869.) Englisch von H. Oldenberg in den Sacred Books Vol. XXIX.

* Herausgegeben und übersetzt von H. Oldenberg, Ind. Stud. XV p. 1—166. Englisch von demselben in den Sacred Books Vol. XXIX.

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yor einigen Jahren berichtet hat1 Dem weissen Tajurreda gehört das Grihyasütra des Paraskara* an; dem Samaveda das des Gobhila;9 zum Atharvaveda das Kan$ikasütra.4

Die Besprechung der zweiten C lasse Ton Smartasütra, nämlich der sogenannten Dharmasütra oder Gesetzea-Sütra, werden wir am Besten wohl auf eine spätere Zeit Terschieben, wo wir die Rechtsliteratur zu betrachten haben. Sie werden uns dann als Grundlagen der späteren Gesetzbücher oder DharmacAstra's von Wichtigkeit sein.6

Ueberschauen wir im Allgemeinen die Verhältnisse dieser Periode, deren Literatur, mit deu Brahmana's beginnend, sich einerseits in den Sütra's, andererseits in den Aranyaka's und Upanishaden fortsetzt, so gewinnen wir zunächst den Eindruck, dass im Verlaufe dieser Jahrhunderte die specifisch brahma- nische Caltur mit den immer starrer werdenden Schranken und Satzungen, die sie sowohl dem gottesdienstlichen Thun wie auch dem täglichen Verhalten des Menschen auferlegte, sich immer fester und entschiedener ausbildet.

Fester zogen sich die ständischen Verhältnisse zusammen, entschiedener und sicherer traten die Priester mit ihren An- sprüchen auf; doch darf das Vorschreiten in dieser Richtung seit der Zeit der Yajurveden kein sehr bedeutendes genannt werden; es ist mehr Regelung und Ordnung dieser Verhält- nisse, was diese Periode zu Wege gebracht hat Einzelne Notizen, die hierher gehören, dürften indessen doch von Interesse sein.

Ein Schiedsrichter, sagte schon die Taittirlya- Sainhita, hat stets einem Brahmanen, nicht seinem Gegner, der kein Brah-

1 In der Ztschr. d. deutsch. Morg. Ges. Bd. XXXVI, p. 417 flg. Leider ist der Text dieses Sütra sehr incorrect überliefert.

* Dasselbe ist herausgegeben und übersetzt Yon Ad. Fr. Stensler, Leipzig 1876. 1878 (Abhandlungen d. dtsch. Morg. Ges. Bd. VI No. 2 und No. 4.) Englisch Ton H. Oldenberg, Sacr. Books XXIX.

* Der Text von Gobhila's Grihyasütra samxnt Commentar ist in der Bibliotheca Indica durch Chandrak&nta Tarkalafikara (Cal- catta 1880) herausgegeben, und neuerdings wieder von Friedrich Knau er, Dorpat 1884 (Doctor-Diss.); der Letztere hat auch eine vor- treffliche Uebersetzung dieses Sütra nebst eingehenden Anmerkungen veröffentlicht (Leipzig 1886, in Commission bei Simmei). Das Sutra des Gobhila darf als eines der ältesten, vollständigsten und interessantesten Gnhy&werko bezeichnet werden.

* Man vgl. darüber Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 168. 169.

* Tgl. unten Vorlesung XLIX.

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mane ist, Recht zu geben.1 Später wird gelehrt, hartnäckiger Widerstand gegen die Superiorität eines besonderen Gelehrten habe augenblicklichen Tod, ja sogar Verlust der Gebeine des Todten zur Folge.8

An einer Stelle des Qatapatha-Brähmana heisst es sogar: Anderer Todtschlag als der eines Brahmanen ist kein wirklicher Todtschlag.3 Insbesondere zeugen manche Stellen von der schlechten und verächtlichen Behandlung des Qüdra. So sagt eine Stelle des Äitareya-Brähmana,4 der Brah- ma ne sei Gaben empfangend, trinklustig, (überall) einkehrend, nach Belieben sich aufmachend; der Kshatriya wird nach dem Zusammenhang der Stelle übergangen; der Vaic,ya ist den Anderen (beiden Kasten) tributpflichtig, ihnen unterworfen, nach Belieben auszunutzen; der Qüdra ist der Anderen Diener, nach Belieben hinauszuwerfen und zu tödten.6

Die Begehrlichkeit der Priester in materieller Hinsicht scheint mit der Zeit entschieden zu wachsen. Wir sehen im Yajurveda im Ganzen bescheidene Bestimmungen in dieser Hinsicht. Das Qatapatha-Brahmana sagt aber schon z. B.: Bei einem Sorna- Opfer dürfen nicht unter 100 (Rinder) gegeben werden.6 Nach dem Äitareya-Brähmana (8, 20) soll der con- secrirende Brahmane bei der Königsweihe Gold, 1000 Rinder und ein Stück Land erhalten. In dem weit jüngeren Kätyayana Qr. heisst es, dass beim sogenannten Gosava 10000 Rinder zu geben seien;7 beim Abhisheka, einem Theile der Königsweihe, 100000-/ Lätyäyana verlangt sogar 240000'.9

DieBrahmana's erzählen bisweilen von enormen Schenkungen, doch mag dabei auch manche Uebertreibung mit unterlaufen. „Die Habgier der Brahmanen sagt Weber feiert hier wahre Orgien."10 Im Allgemeinen stellt derselbe Gelehrte in dieser Hinsicht den Satz auf: „Je älter, je bescheidener; je später, je massloser 11

Dabei scheint es mit der Sittlichkeit eben nicht besser geworden zu sein. Wenigstens machen die leichten Bussen

1 TS. 2, 6, 11, 9. * S. Weber, Ind. Stud. X, 118.

Cat Br. 13, 3, 5, 3: 8. Weber, Ind. Stud. X, p. 66.

4 Ait. Br. 7, 29.

5 S. Weber, Ind. Stud. X, p. 14.

6 <>t. Br. 4, 3, 4, 3; Ind. Stud. X, p. 52. 1 Katy. 22, 11, 6.

Katy. 15, 4, 51.

Laty. 9, 1, 9—13.

10 Vgl. Ind. Stad. X, p. 54. " Ind. Stud. X, p. 54.

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and Sühnungen, die in don Sütra's für oft recht bedeutende Keuschheitsvergehen vorgeschrieben werden, durchaus den Ein- druck laxer Moral, und die Anklagen, welche Buddha gegen das allzu freie und weltliche Leben der Brahmanen erhebt, werden wohl schwerlich ganz unbegründet gewesen sein.1 lu- dessen zeigt uns doch auch diese Zeit wieder viel zu viel wirkliche geistige Arbeit und ideales Streben, als dass wir ein Recht hätten, die damaligen Brahmanen, die bei der geistigen Arbeit jedenfalls hervorragend betheiligt waren, nur als herrsch- süchtige und begehrliche Pfaffen zu kennzeichnen.

Regelung und Ordnung trat für das Leben jedes Einzelnen in seinen verschiedenen Entwickelungs - Stadien mehr und mehr ein.

Die Kunde der heiligen Schriften sollte eifrig gepflogt werden. Jeder Arya sollte die Veden kennen lernen; das häusliche Leben musste von Opfern und Gebeten begleitet sein. Aber auch dem allmählich erwachenden Drange, in die Stille der Wälder zu flüchten und dort ein beschauliches Leben zu fuhren oder gar, Allem entsagend, als frommer Bettler um- herzuwandern, musste Rechnung getragen werden, und so ent- stand mit der Zeit die Eintheilung des Lebens in vier Stufen oder Stadien, Acrama's genannt, von denen der Theorie nach der Brahmane alle vier, der Kshatriya drei, der Vaicja zwei durchmachen sollte.8

Es sind keineswegs etwa die Brahmanen allein privilegirt, den Veda zu lesen und zu studiren, wie man dies früher wohl fälschlich dargestellt hat, indem man sie als einen Stand be- liehne te, der die heiligen Schriften als sein alleiniges unan- tastbares Eigenthum beanspruchte, seinen Schatz, dessen aus- schliessliche Kunde ihm die Herrschaft über die anderen Kasten Terbürgte, und den er deswegen neidisch vor den Anderen als Geheimlehre hütete. Dies ist völlig unrichtig. Vielmehr war das Studium des Veda auch den anderen arischen Ständen nicht bloss erlaubt, sondern es wurde sogar von ihnen gefordert. Der nichtarische Qüdra allein ist davon ausgeschlossen- Darum soll jeder arische Inder seinen Lebenslauf als BrahmacArin* oder Brahmanenschüler beginnen.

1 Vgl. Weber, Ind. Stud. X, p. 102—104.

a Dem Cüdra bleibt bloss eine, nämlich das ihm ein für allemal ingewiesene Leben, in welchem er jenen Acrama's der arischen Stande KMi fremd bleibt

1 Nach M. Maller „Brahmastudent*?, weil der Veda auch Brahman heisrt. (8. Ursprung und Entwicklung der Religion, p. 390.)

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Ein junger Brahmane soll im achten oder zehnten Jahre nach der Empfängniss, ein Kshatriya im elften, ein Vaicja im zwölften Jahre nach der Empfängniss, also im siebenten bis elften Lebensjahre soll ein jeder Arier- Knabe in das Hans ein es Lehrers gebracht und demselben zum Zwecke des Unter- richtes im Veda-Studium übergeben werden.1 Nur das Vorrecht dieses Unterrichtes scheinen die Brahmanen sich vorbehalten zu haben.

Der Brahmacarin musste Morgens und Abends seine Ge- bete sprechen und im Hause des Lehrers sich manchen Dienst- leistungen unterwerfen. Er müsste bei Haus- und Feldarbeit dem Lehrer helfen; musste das heilige Feuer bedienen, Brenn- holz und Wasser holen, den Boden um den Herd rein halten; das Vieh des Lehrers hüten und im Dorfe herumwandern, um Spenden für den Lehrer einzusammeln.8 Dafür wird ihm nun von dem Lehrer der Veda gelehrt, und zwar besteht der Unterricht im systematischen Auswendiglernen der wichtigsten heiligen Schriften. Der Lehrer spricht bei der Lection immer ein paar Worte vor und die Schüler müssen dieselben nach- sprechen und sich genau einprägen. Ist auf diese Weise ein Abschnitt beendet, so müssen ihn alle mit erhobener Stimme und der richtigen Betonung der Reihe nach wiederholen und lernen, bis sie ihn inne haben, und so geht das fort Es wurde, wie wir jetzt sicher wissen, der Veda auf solche Weise ausserordentlich correct und genau überliefert, mit peinlichster Beobachtung der kleinsten Aeusserlichkeiten; und das hat sich bis zu einem gewissen Grade noch bis auf den heutigen Tag erhalten.8

Als die kürzeste Frist für das Veda-Studium giebt das Sütra des Äpastamba 12 Jahre an, als längste 48 Jahre.4 Ist die Lohrzeit beendet, so muss der Schüler noch gewisse Ge- schenke als Zahlung entrichten und verlasst das Haus des Lehrers als ein Snätaka oder „Einer, der gebadet hat" (oder Samavrtta, d. h. Einer, der zurückkehrt). Einige blieben

1 Bis zum sechzehnten Jahre ist für den Brahmanen die Zeit noch nicht vorüber; bis zum zweiundzwanzigsten für den Krieger, bis zum vierandzwanzigsten für den Vaicva. Nach diesem Termine sind sie nicht mehr als Schüler anzunehmen, nicht zum Vedastudium und Opfer zuzu- lassen, man soll nicht mit ihnen verkehren. (Vgl. £ankh. Grihy. 2, 1.;

* C&rikh. Grihy. 2, 6 „Tägliches Anlegen des Brennholzes, Bettel- gang, Schlafen auf dem Boden, Gehorsam gegen den Meister sind die stehenden Pflichten des Schülers.*1 (S. Ind. Stud. XV, p. 54.)

3 Vgl. M. Müller, Ursprung u. Entw. d. Rel. p. 184.

4 Xp. 1, 2. 12; s. M. Müller, ürspr. u. Entw. d. Rel. p. 390.

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übrigens auch dauernd im Hause des Lehrers als sogenannte Naishtfüka's; andere zogen fort, um im Walde als Einsiedler zu leben, oder als religiöse Bettler herumzuwandern. Die Regel aber ist, dass der Arier nach Vollendung der Lehrjahre sich sein eigenes Haus gründen soll.

Er verheirathet sich und tritt damit in das zweite Lebens- stadium ein, indem er Grihastha oder Hausvater wird.1 Er hat jetzt, abgesehen von seinen Pflichten für Haus und Familie, den Veda selbst zu studiren, resp. auch zu lehren, und es liegt ihm in fest vorgeschriebener Ordnung die Dar- bringung einer ganzen Reihe von Opfern an die Götter, sowie an die Manen seiner Vorfahren ob.

Erst wenn er erwachsene Söhne hat, die selbst ihr Haus sich gründen, mag er sein Haus verlassen und allein oder mit seiner Frau in den Wald ziehen. Er beginnt damit das dritte Leben sstadium oder Äcrama, als Waldeinsiedler oder Vana- prastha. Der indische Wald bot einen angenehmen Aufent- halt zum beschaulichen Leben, und solch ein Einsiedler zu werden bedeutete in jenen südlichen Gegenden ganz etwas Anderes, als es in unseren Himmelsstrichen bedeuten würde. Die Früchte des Waldes boten dem Vänaprastha seine Nahrung dar. Er mochte nun noch diese oder jene fromme Verrichtung ausüben, im Ganzen aber genoss er Freiheit und ruhige Müsse, und sollte vor Allem nur in stiller Vertiefung des heiligen Wissens innerlich recht bewusst zu werden suchen. Den Gang der Opfer und ihre Bedeutung sollte er durchdenken und seinem Geiste vergegenwärtigen. Diesem Zwecke waren jene an die Brahmana's sich anschliessenden Aranyaka's oder Waldbücher gewidmet, von denen ich früher erzählt habe. Bei dieser geistigen Vertiefung sollte er dann bis zur Betrachtung des Allgeistes, der Weltseele, die in Allem wirkt und waltet, gelangen, wie sie in den Upanishaden, den Schlusssteinen der vedischen Weisheit, gesucht und in begeisterten Worten verkündigt wird. Auch konnte Askese verschiedener Art in diesem Lebensstadium geübt werden. Vor Allem aber war es ein still beschauliches Leben, frommen Gedanken geweiht, an- gemessen dem hohen Alter dieser Einsiedler.

Für den frommen Brahmanen gab es dann noch ein viertes Lebensstadium. War es endlich mit aller Lebensarbeit, auch der bloss geistigen Anstrengung meditirender Versenkung und philosophischen Nachdenkens zu Ende, dann sollte er Alles

1 Eigentlich ein „im Hause Befindlicher".

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abthun, er sollte in das vierte Stadium treten und ein Sam- nyasin werden, d. h. eben Einer, der von sich abgelegt,1 auf- gegeben oder entsagt, d. h. der Welt ganz und völlig entsagt hat Er mochte aller Pflichten ledig dann als Bettler1 umher- ziehen nnd von den Spenden frommer Menschen leben, bis der Tod seinem gottgeweihten Leben ein Ziel setzte. Er durfte ruhig sterben; er hatte allen Pflichten genügt.

Dies das ideale Bild von dem Leben des Frommen jener Tage, wie es uns die Bücher der Brahmanen vorführen. Wie weit die Wirklichkeit diesen theoretischen Anforderungen ent- sprochen haben mag, lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Indessen haben wir keinen Grund daran zu zweifeln, dass die Glieder des brahmanischen Glaubens- Verbandes sich im Wesent- lichen nach diesen Vorschriften richteten.

Freilich macht es zunächst einen etwas seltsamen Eindruck, dass man im Alter das Haus verlassen, im Walde leben und zuletzt als Bettler herumziehen solle. Es könnte eingewandt werden, dass diese ganze Lebenseinrichtung doch sehr gekünstelt erscheint. Wer den Drang nach frommer Meditation und dem Einsiedlerleben empfindet, wird ein Solcher warten, bis er er- wachsene und vcrheirathete Söhne hat? Und wer diesen Drang nicht empfindet, wird der sich im Alter den Mühsalen solchen Lebens unterwerfen wollen?

Eine solche Frage ist zunächst durchaus berechtigt, in- dessen muss es betont werden, dass das indische Waldleben, wio schon früher bemerkt, keine so schlimme oder mühselige Existenz war, und ferner, dass die einheimisch-indischen Quellen in diesem Punkte völlig übereinstimmen, dass uns in der Lite- ratur zahlreich gonug die Beispiele entgegentreten, die uns zeigen, dass man wirklich das Leben in dieser Weise gestaltete. Auch den Griechen, als sie im vierten Jahrhundert Indien kennen lernten, fielen vor Allem die zahlreichen Waldeinsiedler, die sie treffend vloßioi nannten, als etwas Wunderbares und Merkwürdiges in die Augen. Ja, bis in die jüngste Zeit be- richtet man ähnliche Fälle vom Sichzurückziehen in's Einsiedler- leben nach vollbrachter Lebensarbeit Wir werden also wohl nicht zweifeln können, dass jene Bestimmungen für das Leben der alten Inder wirklich reale Bedeutung hatten.3

1 Das Wort Sainnyasin kommt von der Wurzel as (werfen) mit den Praepp. sam und nif in der Bedeutung „von sich abwerfen, ablegen".

* bhikßhu oder parivraj, parivrajaka.

Vgl. auch M. Müller, Ursprung u. Eotwickel. d. Religion p. 389. 398—401. Uebrigöns ißt immer im Auge zu behalten, daas dies Einsiedler-

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Ich denke, wir müssen es versuchen, diese merkwürdigen Erscheinungen historisch zu begreifen, dann werden sie uns nicht mehr so unwahrscheinlich vorkommen.

Jene Zeit des immer mächtiger heranwachsenden, Lieben und Denken beherrschenden Opferwesens brachte in notwen- diger Folge den ebenfalls immer mächtiger wachsenden Drang nach innerer Vertiefung, Sammlung, Ruhe hervor. Gerade die tiefer angelegten Naturen konnten von der Ausübung all des unendlichen Geremoniells unmöglich wahrhafte und volle innere Befriedigung erlangen. Sie mussten es empfinden, dass trotz der scheinbar völlig ausreichenden Erfüllung der heiligen Pflichten doch im tiefsten Innern eine Leere blieb, die sich schmerzlieh nach Ausfüllung sehnte. Und es trieb sie hinaus in Wald und Einsamkeit, um 'dem nachzusinnen, was sich da in ihrem Innern regte, ihrem eigensten inneren Wesen und dem Göttlichen und Heiligen, das in der Natur und im Opfer wirken sollte. Noch Andere warfen Alles von sich, zogen als fromme Bettler umher und verzichteten in mönchischer Weise auf alles Lebensglück, um bloss den Gedanken an das Heilige zu loben. Diese Rich- tung wuchs offenbar mit der Zeit immer mehr an Einfluss und Verbreitung, bis zuletzt dadurch die heilige Opferordnung selbst, die Frucht jahrhundertelanger Arbeit und mühevollen Strebens, geradezu völlig in Frage gestellt wurde. Wer sollte denn noch opfern, wer die altberühmten, Welt. Götter und Leben regieren- den Ceremonieen vollziehen, wer den heiligen Pflichten genügen, wenn eine Richtung die Oberhand gewann, die das Alles von sich warf und in den Wald oder in die weite Welt hinaus zog? Das war gleichbedeutend mit oiner Auflösung der socialen Vor- hältnisse, das durfte nicht in gefährlicher Weise um sich greifen. Darum machten die ßrahmanen mit entschieden praktischem Scharfblick den Versuch, jene idealen, aus dem innersten Ge- müth geborenen Strebungen, deren tiefe Berechtigung gerade die Besten unter ihnen gewiss selbst mächtig empfanden, mit den praktischen Forderungen des Lebens und seiner Ordnung zu versöhnen. Sie vindicirten jener Richtung ihr volles Recht, aber sie verlegten sie in ein späteres Stadium des Lebens. Sie sagten: Ja, es ist nicht nur Recht, es ist sogar Pflicht, hinaus zu ziehen und den Gedanken über das Göttliche und Heilige

leben im Alter nur vor den Brahmanen und Kriegern gefordert wurde, nicht aber, wie schon oben erwähnt, von den Vaicjas, die doch jeden- falls die Hauptmasse des Volkes ausmachten; von den C;adra's gar nicht ru reden. Das vierte Lebensstadium endlich war nur dem brahmanischen Stande eigen.

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sich hinzugeben, aber zuvor muss der Mann, der wahrhaft gott- ergebene Mann, den Pflichten, die das Leben, die die Gesell- schaft ihm auferlegt, auch wirklich genügt haben. Er muss zuerst in eifrigem Studium den Inhalt der heiligen Schriften sich angeeignet, er muss die gebotenen Opfer Jahr um Jahr ausgeführt, er muss oinen Sohn gezeugt haben, der einst für ihn das Manenopfer darbringen kann und der an seiner Statt nun den Pflichten eines Hausvaters Genüge leistet, wenn er das Alles vollbracht hat, dann ist die Zeit für ihn gekommen, dann gehe er in den Wald, dann versenke er sich in die Be- trachtung des heiligen Wissens und in die Gedanken, die zur Erkenntniss des Allgeistes hinfuhren. Dann mag er auch zuletzt als Bettler, aller Pflichten ledig, über die Erde hinziehen, wie es ihm behebt, er hat gethan, was ihm obläg, und heilig und gesegnet ist sein Ende.

Sie sehen also, die neuausgebildete brahmanische Lebens- ordnung der vier Äcjama's oder Lebensstufen, sie ist der gross- artige Versuch, jene zwei mächtigen geistigen Strömungen, von denen eine die andere aufzuheben und zu vernichten drohte, die Richtung auf das Veden-Studium und das Opferwerk einer- seits, und die Richtung auf rein geistige, quietistische Ver- tiefung in das Heilige und das Wesen des Allgeistes anderer- seits, ausgleichend und friedlich mit einander zu vermitteln und zu versöhnen. Sie waren beide berechtigt, aber es waren verschiedene Stadien der Entwickelung, und so sollten sie denn auch in verschiedenen Lebensaltern geübt werden.

Ich habe diesen Versuch einen grossartigen genannt, und er verdient die Bezeichnung, denn er hat seine gewaltige Kraft, seine Lebensfähigkeit durch Jahrtausende bewiesen. Wohl ge- lang es dem ganz ideal angelegten Buddhismus, der nur den Mönch, den frommen Bettler als vollberechtigtes Glied der Gemeinde der Heiligen ansieht, sich für Jahrhunderte den Vor- rang zu verschaffen, aber er musste endlich doch weichen und der brahmanischen Lebensordnung wieder Platz machen.

Suchen wir nun noch in kurzen Zügen ein Bild von der geistigen Physiognomie der in Rede stehenden, von den Brah- mana's ausgehenden und in den Upanishaden gipfelnden und abschliessenden Zeitepoche zu gewinnen.

Es muss eine Zeit rastloser geistiger Arbeit gewesen sein, jene Jahrhunderte, wo die mächtigen Veden gesammelt, ge- ordnet und zum Theil neu geschaffen wurden, wo der ungeheure Bau des Opferrituals sich aufthürmte, wo in den prosaischen Th eilen der Yajurveden und Brähmana's die theologischen

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Meinungen und Speculationen der Priester zusammengetragen wurden. Mag man noch so gering über den Werth dieser ganzen Opferweisheit denken, Eines muss unbedingt zugegeben werden und nöthigt uns Achtung ab: Das beständige, rastlose Ringen und Arbeiten, mit dem man jene vermeintlich höchsten geistigen Schätze zu erläutern und zu mehren suchte, mit dem man strebend und immer strebend durch zahllose Mühen sieb hindurcharbeitet. Und soll nicht auch hier das Wort gelten:

Wer immer strebend sich bemüht, Den dürfen wir erlösen!

Aber so leicht war hier ein Uebergang nicht zu finden. Erst nrasste tiefe, schmerzliche Sehnsucht die Gemüther er- fassen, Sehnsucht nach etwas Anderem, Höherem, Besserem, nach dem Höchsten und Besten, was Menschensinn und -Herz ra fassen vermag. Und in der That, wir sehen es, während die brahmanische Cultur von ihrem Geburtslande im Westen aus sich über die anderen indischen Stämme, die Stämme des Ostens zu verbreiten beginnt, bemächtigt sich eine immer wachsende Erregung der Gemüther, geistige Gährungsprocesse Ton unberechenbarer Tragweite nehmen ihren Anfang; ein Drang erwacht, mit dem Auge des Geistes das tiefste Innere der Welt und des eigenen Ich zu erschauen, das Heilige, die Seele der Welt zu erkennen.

Man fragt nach jenem unbekannten Gotte, dem goldenen Keim der Welt, der in allen Bingen sich offenbart; man fragt nach dem Prajapati, dem Herrn der Geschöpfe, der durch sich selbst und aus sich selbst alle Wesen und Welten geschaffen; nach dem Urwesen, dem Purusha, aus dem Alles geworden; nach dem Atman, der Seele der Welt wie des eigenen Wesens, nach dem Brahman, dem Inbegriff aller Heiligkeit und geist- lichen Hoheit. Eine Sehnsucht erwacht nach Frieden und Ruhe in einer höheren Erkenntniss, die dem Herzen mehr zu geben vermag als das bestvollendete* Opferwerk; und zum ersten Mal in der Weltgeschichte, so weit wir sie kennen, er- scheinen Menschen und nehmen immer zu an Zahl, welche die Güter der Erde verschmähen, weil sie nur ein Streben noch kennen: die Erkenntniss des Höchsten. So sagt uns eine Stelle des Brihad-Aranyaka, jener wunderbaren Upanishad, die im vierzehnten Buche des (^atapatha-Brähmana enthalten ist: „Ihn den Atman (die Weltseele) erkennend, stehen Brahmancn davon ab, nach Söhnen zu begehren und nach Reich thum zu be-

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gehren und nach der Welt zu begehren und ziehen als Bettler umher« 1

Aber nicht Brahmanen allein, nein, das Charakteri- stische jener Zeit besteht gerade darin, dass der tiefe theologisch- philosophische Drang ein allgemeiner wird, dass von ihm Stände und Schichten ergriffen werden, die ähnlichen Fragen und Untersuchungen früher gänzlich ferne standen und die nun mit einem Male mit fascinirender Gewalt von ihnen gefesselt werden. Könige veranstalten geistliche Turniere, wo die ge- lehrtesten Brahmanen sich mit ihrer Weisheit messen; ja sie selbst betheiligen sich mit Eifer an der Lösung der theosophi- schen Fragen, und es ist kein vereinzelt dastehendes Bild, wenn im Brihad-Xranyaka der stolze Brahmane Bäläki Gärgya im Wettstreit mit König Ajatacatru von Ka$i über das Wesen des brahman, sich, zuletzt besiegt geben muss und den König bittet: „So belehre denn du mich!" Und der König thut es und yerkündigt ihm seine Gedanken. - Auch der weise Yajfiavalkya lässt sich von König Janaka belehren. Ja, es scheint, dass bei der Schöpfung der theosophischen Upanishaden der Stand der Ritter und Könige in hervorragender Weise be- theiligt war.8 Selbst das weibliche Geschlecht ist nicht aus- geschlossen. Weise Frauen erscheinen in den geistlichen Wett- kämpfen, wie jene streitlustige Gärgi Vacaknavi, die zu Yäjfla- valkya spricht3: „Wie der Sohn eines (Je waltigen von K-kqi oder Videha an seinem Bogen die Sehne aufziehend und zwei feindedurchbohrende Pfeile in die Hand nehmend sich aufmacht so habe ich mich zu dir aufgemacht mit zwei Fragen; die sage du mir!" Und Yajfiavalkya spricht: „Frage nur, Gargi!u Sie fragt er antwortet, und sie preist seine Weisheit

Ein anderes Capitel des Brihad-Aranyaka zeigt uns den weisen Yajfiavalkya im eifrigen Gespräch mit seinem Weibe Mäitreyi, das ihn über die höchsten und letzten Fragen um Be- lehrung bittet u. dgl. m.

Dieser merkwürdige Zug jener Zeit, der uns die allgemeine, gerade auf theologische und philosophische Fragen gerichtete geistige Erregung zeigt, der uns Frauen und Könige mit Brah- manen über die Räthsel der Welt disputirend vorführt, erinnert uns lebhaft an die ersten nachchristlichen Jahrhunderte, wo ja auch die theologischen und dogmatischen Fragen in weiten

1 S. gat. Br. 14, 6, 4, 1.

* Vgl M. Müller, Urspr. u. Entwickel. d. Rel. p. 388; Deussen, Ve<tenta p. 18.

* gat. Br. 14, 6, 8.

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Kreisen die Gemüther erregten, wo man allerorten über diese Fragen disputirte, wie heutzutage etwa über Politik, wo die gnostischen Philosopheme entstanden und gottsuchende Gemüther in die Felsenzellen des Sinai flüchteten, um als Einsiedler und Mönche zu leben.

Gestatten Sie mir zum Schluss, Ihnen als ein rechtes Zeitbild in kurzen Zügen jenen theologischen Wettkampf vor- zuführen, den uns das Brihad-Aranyaka schildert1:

König Janaka von Videha brachte ein Opfer dar mit reichem Opferlohn. Da waren die Brahmanen der Kurupaficala's zusammengeströmt. Janaka von Videha aber wünschte zu er- fahren: Wer von diesen Brahmanen ist wohl der gelehrteste? Er Hess 1000 Kühe absondern und an die Hörner einer jeden waren zehnmal zehn Päda Goldes gebunden. Darauf sprach er zu jenen: „Ehrwürdige Brahmanen! Wer von euch der beste Brahmane (oder Brahman- Kenner) ist, der möge diese Kühe wegtreiben!"2 Die Brahmanen aber wagten es nicht. Da sprach Yäjöavalkya zu seinem Schüler: „Lieber SämaQrava, treibe du die Kühe weg!'* 3 Und er brachte sie hinaus. Da wurden die Brahmanen zornig und sprachen: „Wie? will etwa Dieser unter uns der beste Brahmane heissen?" Es war da aber Ac. vala, der Opferpriester (Hotar) des Janaka von Videha, der fragte ihn: „Bist du wohl etwa, o Yajfiavalkya, unter uns der beste Brahmane?" Jener aber sagte: „Vorehrung bezeige ich gern dem besten Brahmanon, auf die Kühe aber ist nun einmal mein Begehren gerichtet 1" 4

Da begann ihn Acvala, der Opferpriester, zu fragen. Yajfia- valkya aber bekundete bei allen seinen Antworten vollkommene Kenntniss des Rituals und seiner Bedeutung. Gleich bei der ersten Antwort weiss er in schmeichelhafter Weise die hohe Bedeutung des „Opferpriesters" ans Licht zu setzen; die rechte Zahl und die Namen der Gebete, Spenden, Gottheiten und Lobgesänge weiss er richtig anzugehen. Da, so heisst es zu- letzt, verstummte der Opferpriestcr Acvala.

Und nun beginnt Ärtabhaga zu fragen nach all den Graha's und Atigraha's, d. i. den verschiedenen Somabechern und Libationen, und keine Antwort bleibt ihm Yajnavalkya

1 Qat. Br. 14, 6, 1 flg.

- 1). h. als eine ihm zufallende Ehrengabe.

* Da kein Anderer don Kampf aufnimmt und den Anspruch auf die Kühe als Ehrengabe fttr den besten Brahmanen erhebt, thut es Yajfia- valkya.

4 D. h. er fordert also die Anderen zum Wettkampf heraus.

r. Scbrdder, Indiens Lit. u. Cnlt. 14

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schuldig. Da dringt Jener endlich tiefer und fragt: „Wenn der Mensch gestorben ist und seine Stimme in's Feuer geht, sein Odem in den Wind, sein Auge in die Sonne, sein Geist in den Mond, sein Gehör in die Himmelsgegenden, sein Körper in die Erde, seine Seele in die Luft, seine Körperbaare in die Kräuter, seine Kopfhaare in die Bäume, Blut und Same in das Wasser»

wo ist dann dieser Mensch?"

Und merkwürdig genug ist Yajfiavalkya's Antwort. „„Gieb mir die Hand, lieber Artabhäga, spricht er. Wir beide wollen das wissen, aber es ziemt sich nicht für uns darüber zu reden an diesem mit Menschen gefüllten OrteIM" Da gingen sie hinaus

fährt der Text fort und unterredeten sich. Da sprachen sie von dem Thun, da priesen sie das Thun!1 Rein wird man durch reines Thun, böse wird man durch böses Thun I" (Diese Gedanken, welche hier noch wie eine Geheimlohre be- handelt werden, deuten Offenbar die Theorie der Seelen Wande- rung an, nach der der Mensch das wird, was sein Thun, seine Werke verdienen.)

Darnach schwieg auch *Artabhaga.

Und nun fragt Bbujyu Läuhyayani und nach ihm Ka- li od a Käushitakeya: „Das offenbare, nicht verborgene Brah- man, den 'Atman, der in Allem ist, erkläre mir den, o Yajfia- valkya! Welcher Art ist dieser Atman, der über Hunger und Durst, Leid und Bethörung, Alter und Tod erhaben ist? Der Atman, den erkennend Brahmanen ablassen nach Söhnen zu begehren, nach Reichthum zu begehren, nach der Welt zu be- gehren!" Und Yajfiavalkya weiss ihm befriedigende Antwort zu geben.

Darnach fragt auch Ushasta Cakrayana nach dem offen- baren und nicht verborgenen Brahman, dem Atman, der in Allem ist: „Wenn man sagt: Dies ist ein Rind, dies ist ein Boss! so ist das damit aufgezeigt Was aber das offenbare und nicht verborgene Brahman ist, der Atman, der in Allem ist, das erkläre du mir, o Yajfiavalkya!" Und Yajfiavalkya weiss auch ihn zufrieden zu stellen.

Desgleichen giebt er die rechte Antwort auf die Fragen jenes Uddalaka Aruni, der an einer anderen Stelle sein Lehrer genannt wird. „Der ungesehene Seher so lauten die letzten Worte seiner Antwort , der ungehörte Hörer, der ungedachte Denker, der unerkannte Erkenn er, kein anderer Seher ist, kein anderer Hörer, kein anderer Denker, kein auderer

1 Oder die That (karman).

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Erkenn er, das ist dein Ätman, der im Innern weilt; was tob ihm unterschieden ist, ist leidvoll !a Da schwieg auch. Uddalaka Aruni.

Und nun kommt die gelehrte Frau Gärgi V£caknavi mit jener herausfordernden Einleitung, und nachdem ihr Ant- wort geworden, preist sie freudig den Yajfiavalkya vor allen Brahmanen.

Da tritt endlich noch Vidagdha Qäkalya mit seinen Fragen hervor. Aber diesmal nimmt es ein schlimmes Ende. Weil er nicht das Rechte weiss, fällt dem Cakalya nach Yajfla- valkya's Prophezeiung der Kopf herunter!

Da sprach Yajfiavalkya: „Ehrwürdige Brahmanen! Wer von auch es wünscht, der möge mich fragen, oder fraget mich auch Alle! Wer von euch es wünscht, den will ich fragen, oder ich will auch euch Alle fragen!" Sie aber wagten es nicht

In den nächsten Vorlesungen will ich es versuchen, Ihnen ron den philosophischen Gedanken, die das Resultat dieser Epoche sind und die wir vornehmlich in den seit Alters be- rühmten Upanishaden niedergelegt finden, eine Vorstellung zu geben, den Upanishaden, welche die Grundlage der orthodox- brahmanischen Philosophie des Vedänta bilden und auch in neuerer Zeit noch, selbst in der unvollkommenen Uebersetzung des Anquetil Duperron, im Stande gewesen sind, hervorragende Denker mit dem Tiefsinn ihrer Aussprüche zu fesseln.

14*

Fünfzehnte Vorlesung.

Die Philosophie der Upauishaden. Ihre Ursprünge und ihre Entwickelung Vicvakarman, Praj&pati, Purusha; Atman und Brahman. Gespräch det Balaki Gargya mit König Ajatayatru von K&cj, aus dem Brihad-Aranyaka

Frühe schon war in dem Geiste der Inder jener Triefe erwacht, der in die Tiefe des Göttlichen zu dringen strebte. Frühe schon wurden hei ihnen die Fragen nach dem Welten- ursprung, nach dem Geheimniss des Werdens, nach den Grün- den des Seins aufgeworfen. Und was uns hei diesen ersten Regungen des philosophischen, resp. theosophischen Denkens und Suchens der Inder von vornherein charakteristisch er- scheinen muss, das ist der Ernst, der unablässige Eifer, mit dem bald von dieser, bald von jener, bald von einer dritten Seite die Lösung der Fragen versucht wird. Was uns in der Philosophie der Upanishaden als schönes und tiefsinniges Re- sultat vorliegt, das ist nicht das Verdienst, die Schöpfung einiger weniger hervorragender, erleuchteter Geister, nein, wir sehen seit Alters gleichsam das ganze indische Volk an der Lösung dieser Fragen mitarbeiten. Die gesammte Art und Stimmung des religiösen Denkens trägt einen Charakter an sich, der wie mit Naturnotwendigkeit auf jene späteren Resul- tate hindrängt.

Ajrir sahen in den Hymnen des Rigveda die Inder in den einzelnen Reichen und Erscheinungen der Natur das Göttliche suchen und erkennen. Aber, nicht befriedigt durch die be- grenzte Einzelerscheinung des Göttlichen in der Natur, die gerade in ihrer harmonischen Umgrenzung einem mehr ästhe- tisch als philosophisch angelegten Geiste volles Genügen ge- währt hätte, sucht der Inder in dieser einzelnen und begrenzten Erscheinung ein hohes und höchstes Göttliches, das durch keine Schranken mehr in seiner Macht, seiner Grösse, seiner Weisheit und Herrlichkeit beschränkt wird; und indem dieses Suchen, von verschiedenen Punkten ausgehend, sich immer weiter und

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weiter ausbreitet, müssen sich die verschiedenen Gebiete, in denen der gottsuchende Geist das Höchste gefunden zu haben glaubt, mit einander berühren, sie fliessen in einander, er kommt Tom Einzelnen zum Allgemeinen, Allumfassenden, Unumschränk- ten, Höchsten, Ewigen und Unendlichen. Von der Vielheit der Erscheinungen kommt er zu der Einheit, die im Kern und Grunde all der Vielheit verborgen liegt.

Wir sahen darum zuletzt einen monotheistischen Drang erwachen. Einer musste es doch gewesen sein, der all das Viele geschaffen, und man nannte ihn Vicvakarman, den All- schöpfer. Einer musste es doch sein, der goldene Keim der Welt, der Erd und Himmel stützte, dessen Gebot die Götter ehren, der über Alles herrscht, den Schneegobirg und Meer in seiner Macht anerkennen, dessen Arme die Himmelsgegenden sind, der der Lebenshauch der Götter selbst ist, wer ist der Gott, den wir mit unserem Opfer ehren? so fragte der fromme Dichter. Und der letzte Vers desselben Liedes, viel- leicht ein später zugefügter, giebt ihm den Namen Prajäpati, der Herr der Geschöpfe.1

Wir sahen dann in den prosaischen Theilen des schwarzen Yajorveda, in den ältesten Brahmana's die Gestalt dieses Prajä- pati, der den älteren Hymnen des IJigveda völlig fremd ist, mehr und mehr in den Vordergrund treten. Er ist es, der Götter und Asuren geschaffen.1 Prajäpati wird als der Schöpfer der Welt und der Wesen gefeiert

Wir sahen in den formlosen Anfängen theologischer Speku- lation wieder in anderer Gestalt jenes Suchen nach dem Einen, dem Gemeinsamen in der Vielheit, sich offenbaren. Die Sprache jener Zeit, die Sprache der Opfersymbolik findet in den ein- zelnen Theilen des Opfers bald diesen, bald jenen Gott, bald dieses oder jenes Ding, diesen oder jenen Begriff, Und weiter- gehend nennt das Denken jener Tage das Eine mit dem Namen des Anderen, findet das Eine in dem Anderen, aber auch in noch einem Anderen, einem Dritten, völlig Anderen, und so fort, bis es kaum noch Unterschiede zu geben scheint. Es findet den einen Gott in einem anderen und auch in einem dritten Gotte wieder, findet ihn in der Sonne, dem Jahre, den Wassorn, in Himmel und Erde, den Kräutern und dem Vieh;

1 Die beschränkte und wunderliche Theologie der Folgezeit erfand mf Grund dieses Liedes (RV 10, 121) einen besonderen Gott „Ka" oder ».Wer",* weil es ja eben heisst „wer ist der Gott" u. s. w. (kasm&i de- väya haviaha vidhema?) Dieser Gott Ka oder Wer ist Prajäpati.

a Vgl. fat Br. 14, 4, 1, 1 dvaya ha präjapatyah, deyac, casurac. ca /

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aber ebenso oder ähnlich auch einen anderen Gott, und so fort Dieser Process des rastlosen Identificirens, der wie mit dämo- nischem Reiz die theologischen Denker jener Zeit erfasst zu haben scheint, drängt, obschon bisweilen in Aberwitz sich ver- irrend, doch immer hin auf das Erfassen des Gemeinsamen, des Einen, welches die Vielen verbindet, und welches erkennend man sagt; Dies ist das! Und jemehr bei diesem Durcheinander- werfen aller Dinge und Begriffe Verwirrung zu befürchten ist, um so mehr verlangt der Geist nach einem festen Ausgangs- punkt Wo soll ihn das Denken jener Zeit, der Zeit des Opfers und der Ceremonieen, finden als im Opfer? Prajapati opferte, und es wurde daraus der Mensch; er opferte wieder, und es entstand das Roes; und zum dritten Mal, da entstand das Rind; und ein anderes Mal, da entstand der Frühling; und wieder ein anderes Mal, da entstand der Sommer, und so fort Durch ein Opfer schufen die Götter das Vieh, durch ein Opfer den Indra, durch ein Opfer sind die Götter in die Himmelswelt gelangt. Aber mehr als das verkündet die immer tiefer drin- gende mystische Opferweishoit: PrajApati war ganz allein, da fasste er den Wunsch: Zum Opfer möchte ich werden und so die Geschöpfe schaffen! Da theilt er sich selbst zehnfältig zum Dacahotar-Opfer, sucht Opfergeräthe und Opferstätte, und schafft so die Geschöpfe. •—

Hier zum ersten Mal begegnet uns die Idee der Emanation, der Entstehung der Wesen aus einem ersten göttlichen Wesen, das aus seiner Einheit die Vielheit horvorgehen lasst. Mehr als einmal finden wir dies wieder, wie Prajapati allein war und wünschte: Ich möchte eine Vielheit sein, ich möchte mich fort- pflanzen!1 und verschiedenartig wird dann der Schöpfungsmythus erzählt.

Dieser Zeit ungefähr muss auch ein merkwürdiges Lied entstammen, das sich im zehnten Mancjala des Ijtigveda vor- findet, aber offenbar sehr viel später dort eingefügt ist, da es von Anderem abgesehen von rjik, Saman und Yajurveda als schon bestehenden Grössen redet, desgleichen von den vier Ständen oder Kasten. Es ist dies Lied auch als Haupttheil des 31. Buchs der Vajasaneyi-Samhita erhalten und wird seines Inhalts wegen später unter die Upanishaden gerechnet, wird selbst geradezu eine Upanishad genannt Es ist das sogenannte Purushasükta oder das Lied vom Purusha. Der Purosha, Mensch oder Person, ist in diesem Liede ein Urwesen, ein

1 S. s. B. MAitr. S. 4, 2, 8.

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ystischer Urmensch oder Riese, aus dem durch Thoilung im Opfer alle Welten und Wesen entstanden sind, der tausend- köpfig, tausondäugig und tausendfüssig' überall in einem Theile zu schauen ist.

Das Lied lautet folgendermassen (RV X, 90) *:

1. Der tausendköpfige Purusha, der tausend&ugige , tausendfussige, die Erde von allen Seiten bedeckend ragte er noch nm zehn Finger darüber hinaus.

2. Purusha ist dies All, was da war und was da sein wird; auch über die Welt der Unsterblichen ist er Herr, die durch ; Opfer- )Speise gross wachst.

8. So gross ist seine Grösse, und noch grösser ist Purusha; ein Viertel von ihm sind alle Geschöpfe, drei Viertel von ihm ist die Welt der Unsterblichen im Himmel.

4. Mit drei Vierteln ging Purusha aufrecht empor, ein Viertel von ihm aber blieb hier; darauf vertheilte er sich nach allen Seiten, in 4as. *as Speise geniesst und was keine 8peise geniesst.

6. Aus ihm ward geboren Viraj,* aus Viraj aber der Purusha; als er geboren war, da ragte er über die Erde hinaus, hinten und auch vorne.

6. Als die Götter das Opfer zurichteten mit dem Purusha als Opfer- g&be, da war der Frühling dabei die Opferbutter, der Sommer das Brenn- holt, der Herbst die Opfergabe.

7. 8ie beträufelten das Opfer auf der Opferstreu, den Purusha, der za Anfang geboren war; mit ihm opferten die Götter, die man sich ge- neigt macheu soll, und die Jiishi's.

8. Aus diesem vollständig dargebrachten Opfer ward bereitet das gesprenkelte Opferschmalz; er schuf die Thiere der Luft und die in Wäldern und Dörfern leben (die wilden und zahmen).

9. Aus diesem vollständig dargebrachten Opfer wurden erzeugt die Lieder des $igveda und die des Sämaveda ; aus ihm .wurden erzeugt die Zauberlieder;* aus ihm entstand der Yajurveda.

10. Aus ihm entsprangen die Rosse und alle Thiere, die mit zwei Zshnreihen versehen sind: aus ihm entsprangen die Rinder, aus ihm die Ziegen und Schafe.

11. Als sie den Purusha vertheilten, wievielfacb haben sie ihn da umgestaltet? Was war Bein Mund, was seine Arme, was nennt man seine Schenkel und Fasse?

12. Der Brahmane war sein Mund, aus seinen Armen wurde der RÄjanya gemacht; seine Schenkel, das ist der Vaicja; aus den Füssen entsprang der (l&dra.

18. Der Mond entsprang aus seinem Geiste, aus meinem Auge ward die Sonne geboren; aus dem Munde wurden Indra und Agni, aus dem Athem der Wind geboren.

14. Aus dem Nabel ward der Luftraum, aus dem Kopfe entstand der Himmel | aus den Füssen die Erde, aus dem Gehör die Himmels- gegenden; so bildeten sie die Welten.

' Iflit unbedeutenden Varianten auch VS 81, 1 flg. 1 Viraj d. i. „Herrscher44 oder „Herrscherin4*, ein bestimmtes mysti- sches kosmogonisches Wesen; vgl. das Petersb. Wörterbuch s. v. viraj. » D. h. wohl der Atharvaveda (im Text chandamsi).

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15. Sieben Paridhi- Hölzer waren da, dreimal sieben Brennhöker bereitet, als die Götter das Opfer ausführend den Purusha als Opfer- tbier anbanden.

16. Durch Opfer opferten die Qötter das Opfer, das waren die ersten Satzungen; sie die Erhabenen gelangten zu dem Firmament, wo die alten Götter weilen, die man sich geneigt machen soll.

Sie sehen hier also einen phantastischen Schöpfungsmythus, der uns in gar mancher Hinsicht an jene kosmogonischen Le- genden des Yajurveda erinnert. So verschroben und wunderlich hier aber auch Manches sein mag, deutlich tritt immerhin der Gedanke der Emanation hervor. Ein Urwesen gab es; aus dessen verschiedenen Theilen wurde Alles, was da ist, die Welt der Unsterblichen und der Sterblichen, rjtigveda, Samavoda und Yajurveda; der Brahmane, der Räjanya, der Vai$ya und der £üdra; Mond und Sonne, Himmel und Erde, Wind und Luft, Lndra und Agni, Menschen und Thiere.1 Und es stört den Dichter nicht der Widerspruch, dass er die Götter, die doch nur ein Theil des Urwesens sein sollen, doch wiederum handelnd bei der Opfertheilung dieser mystisch -kosmogonischen Potenz auftreten lässt.

Dieser Purusha, das Urwesen, erscheint wiederholt in den späteren Philosophemen und zwar in ganz vergeistigter, abstracter Form; Purusha heisst später geradezu der Urgeist. Man be- merke auch noch speciell die Wendung in Vers 5: „Aus ihm ward geboren Viraj, aus dem Viraj aber der Purusha." Dieser Viraj, übrigens meist als Femininum erscheinend, „Herrscher* oder „Hemcherin", ist auch eine solche kosmogonische Potenz, ein der Speculation angehöriges göttliches Wesen, als Tochter oder Sohn des Purusha oder auch des Prajapati aufgefasst, even- tuell aber auch mit Purusha identificirt; späterhin als Tochter oder Sohn des Brahman, aber auch als Mutter oder Vater des Brahman erscheinend. Es kann uns dies Verfahren nicht Wunder nehmen. Ist man von einer Seite zu einer ersten kosmogoni- schen Potenz, z. B. Viraj oder Prajapati, gelangt, und kommt man nun bei einer neuen Speculation zu einer solchen, die man Purusha nennt, so muss man sich mit der ersteren auseinander- setzen. Man sagt da eben: aus Purusha ist Viraj geworden und aus Viraj Purusha; oder man identificirt sie einfach. Wie sollte auch dieser Purusha wiederum bestehen neben dem welt-

1 Man bemerke, dass boi dieser Emanation, diesem Hervorgehen aus dem Urwesen auch schon verschiedene Stufen angedeutet sind, indem es ja heisst: Per Brahmane ward aus dem Munde, der Rajanya aus den Armen, der V&ieya aus den Schenkeln, der Qüdra aus den Füssen.

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schöpferischen Prajäpati der Brahmana- Legenden, der sich selbst im Opfer theilt und die Welt aus sich entstehen läast? Hier war es nur möglich, sie zu vereinigen, indem man! sie identi- ficirtc. Und so finden wir auch z. B. in dem als eine Upa- nishad gerechneten 31. Buche der Vajasaneyi - Sainhitä den Purusha geradezu als Prajäpati bezeichnet. Es heisst dort in den Versen, welche dem Purusha-Liede folgen:

„Ich kenne diesen Purusha, den grossen, den sonnen farbigen, jen- seits der Finsterniss; diesen erkennend kommt man Über den Tod hin* aber; kein anderer Pfad findet sich da zu gehen. (18)

Praj&pati bewegt sich in dem Keime; ohne geboren zu werden, wird er doch vielfältig; es schauen die Weisen seinen Mutterschoo ss ; in ihm fürwahr sind alle Wesen befindlich. (19)

Der den Göttern Wärme zustrahlt, der der Götter Oberpriester ist, der früher geboren ist als die Götter, Verehrung dem göttlichen Lichte! (20)

Man möchte sich wohl versucht fühlen, bei der Gestalt dieses Purusha, aus dem die ganze Welt gebildet wird, an den Riesen Ymir der altnordischen Sage zu denken, aus dessen Leib die Götter Himmel und Erde, Meer und Berge, Wolken u. 8. w. bilden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in dieser Erzählung ein uralter Kern enthalten ist. Aber sie ist im Indischen so speeifisch national umgeformt, nur noch in die Zeit das Opfer- cnltus hineinpassend, dass wir sie fuglich in diesem Zusammen- hang betrachten müssen.

Es ist das Charakteristische dieser Zeit des Suchens nach dem AU-Einen bei den Indern, dass sie sich nicht dabei be- ruhigen, wenn der eine Versuch anscheinend glücklich gelungen, wenn der Allschöpfer (Vicvakarman), wenn der Herr der Ge- schöpfe (Prajäpati) an die Spitze des Weltprocesses getreten ist. Neue Gedanken tauchen auf, ein neues Suchen beginnt* immer tiefer ist man bemüht in das innerste Wesen der Dinge, der Welt und der Götter zu dringen, und das Neugewonnene, Neuerkannto behauptet sein Recht und muss mit dem Erst- gefundenen in Einklang gesetzt, resp. durch Identification nur als vertieftere Erkenntniss jenes Ersten dargestellt werden

Prajäpati, der Herr der Geschöpfe, Purusha, das Urwesen, sie waren noch zu persönlich, zu menschlich gedacht; ein Höheres, Abstracteres, Geistigeres erstrebte das Denken der Inder.

Zwei Begriffe sind es hauptsächlich, die in der Periode der Brahmana's sich mehr und mehr in den Vordergrund drängen, mehr und mehr an Bedeutung und Inhalt wachsen, bis sie zu- letzt den Charakter weltbeherrschender Potenzen annehmen, der Begriff des IVtman und der des Brahman.

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Ätman heisst zunächst „Hauch, Odem". „Seui Odem ist der Wind, der. die Luft durchrauscht,* sagt Vasishtha in einem Hymnus an Varuna1 und braucht da das Wort Atman; atman, „der Lebenshauch", bedeutet dann soviel als „die Seele", und weil die Seele den Kern unseres Wesens bildet, so bedeutet e6 auch „das Selbst, die Person, das Ich". Der Athem spielt von Anfang an in den brahmanischen Speculationen eine* Rolle. Das Einathmen, das Ausathmen, der den Körper durchdringende Athem u. s. w., kurz die Athemkräftc, die Prana's überhaupt, sind wichtige Potenzen, und es heisst sogar die Prana's sind die Götter. Aber am wichtigsten doch ist der Atman, das Innerste, die Seele; auf ihn gründen sich die Athemkräfte. Er tritt immer mehr hervor als der wichtigste Begriff, der den Kern- punkt des Seins bezeichnet; und wenn das Denken vom indi- viduellen Sein in die objectivo Welt hinübersch weift, muss nicht auch dort jener Kernpunkt, die Seele, zu finden «ein? Lässt doch der Inder die Stimme, den Sinn, das Gohör u. dgl. m. als objectivo Kräfte in der Welt walten, wie sollte dort der Atman fehlen? Das Wichtigste muss er sein von Allem, die innerste, bewogende und schaffende Potenz des Alls.

Und auf der anderen Seite das Brahman. Frühe schon, in den ältesten prosaischen Texten, den schwarzen Yajurveden, tritt uns das Brahman als ein hervorragend wichtiger und be- deutender Begriff entgegen. Das Wort „brahman", welches im Rigveda nur noch Gebet bedeutet, hat hier in der Blüthezeit der Gebete, Sprüche und Opfer, in der Zeit, wo die Götter zu Priestern und die Priester zu Göttern wurden, einen immer tieferen, immer umfassenderen Inhalt gewonnen. Es ist zum Inbegriff der Gebets- und Priesterheiligkeit geworden. Alle jene wirksamen, weltbewegenden Sprüche wie auch die heiligen Lieder des Rigveda, sie gehören zum Brahman, sie sind das Brahman. Das Opfer, die kosmogonische Potenz dieser Zeit, es gehört zum Brahman, es ist im Brahman enthalten. Alles, was an dem Priester gross und heilig ist, Alles das ist das Brahman. Obenan in der Welt wie im menschlichen Leben muss also das Brahman stehen, es ist das Höchste, Heiligste und Gewaltigste. Und ähnlich wie einst die Göttergestalten des Rigveda zuletzt in ihren Umrissen in einander übergingen und sich vereinigten, so wachsen hier Ätman und Brahman in ihrer Bedeutung grösser und grösser, bis sie endlich zusammen- strömen und sich vereinigen. War der Ätman das Innerste

1 Vgl. oben p. 61.

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der Kernpunkt der Welt und alles Seins, der Alles lenkt und regiert, nnd das Brahman doch das Oberste, Höchste, Heiligste, Alles Lenkende, dann ist eben der Ätman das Brahman, und das Brahman ist der Atman, es sind zwei Namen für das Eine, Höchste.

„Es hat, sagt Oldenberg,1 etwas von der ruhig unaufhalt- samen Notwendigkeit eines Naturprocesses dieses Vordringen oder dieses Anschwellen jener beiden Vorstellungen, des Ätman und des Brahman, von denen jede erst in ihrem Kreise den Herrscherplatz gewinnt und dann von dem vorwärtsdringenden Gedanken in Weltweiten hinausgetragen wird und auch da eine immer wachsende Macht bethätigt. So verschieden die Bilder sind, die dem Inder von Haus aus mit Beiden sich verknüpften, so konnte es nicht anders geschehen, als dass im Lauf einer solchen Entwickelung der Gedanke des Ätman sich dem des Brahman, und der des Brahman sich dem des Ätman immer mehr anähnlichte."

Ätman und Brahman, ein jedes wird für sich als Urgrund und Mittelpunkt der Welt erkannt, und die Lösung des Räthsels findet der suchende Geist endlich in der weiteren Erkenntniss, dass Ätman und Brahman identisch sind, dass dies beides nur Namen sind für das grosse ewige Eine, aus welchem Alles ge- worden, in welchem Alles lebt und webt, in dessen wunder- barem Wesen alle Verschiedenheit aufhört, plle Gegensätze ver- schwinden.

Schon im zehnten Buche des Qatapatha-Brähmana (10, 6, 3), das wohl noch nicht zu den jüngsten Partieen dieses Werkes zählt, sehen wir Brahman und Ätman neben einander göttlich verehrt: „Das Brahman ist die Wahrheit! so möge man Ver- ehrung darbringen. Dem Ätman möge man Verehrung darbringen, dem geistigen, dessen Leib der Odem ist, dem lichtgestaltigen, dessen Selbst der Aether ist, der nach Belieben sich Gestalten schafft, dem gedankenschnellen, das mit wahr- haftigem Wollen und wahrhaftiger Festigkeit begabt ist, mit allem Duft und allem Saft, das in alle Himmelsgegenden dringt, dieses AU durchdringt, ohne Wort, nichts beachtend; wie Reis oder Gerste oder Hirse oder ein Hirsekorn (so klein) so ist dieser Geist (Purusha) in dem Ich; goldig wie Licht ohne Rauch, grösser als der Himmel, grösser als der Aether, grösser

1 Buddha, p. 30. Vergl. übrigens auch zu dem Vorausgehenden wie zu dem Folgenden die Entwickelung bei Koeppen, Religion des Bnddha, Bd. I, p. 28-81.

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als diese Erde, grösser als alle Wesen; er ist die Seele (das Selbst) des Odems, er ist mein Selbst (mein Atman); mit diesem Atman werde ich, wenn ich von hinnen scheide, mich vereinigen. Wer also denkt, wahrlich, da ist kein ZweifeL So hat Candilya gesagt."

Man beachte es, dass hier der Atman auch Purusha oder der Geist genannt wird. Jener Purusha, das Urwesen, ist hier eben schon zum Urgeist geworden und ist der Atman. Man beachte ferner, dass der Weise vom Atman, der Weltseele, sagt: „Er ist mein Selbst und im Tode werde ich mich mit ihm vereinigen!" Die Identität der individuellen Seele mit der Welt- seele ist erkannt und ausgesprochen. Und wie hier der Atman geradezu der Purusha genannt wird, so sehen wir ihn auch an die Stelle jenes mehr persönlich gedachten Weltschöpfers, des Prajapati, getreten.

So berichtet uns das Brihad^-Äranyaka 1 im Legendenstyle, zu Anfang sei der Atman dagewesen, geistartig; Ä er habe sich umgeschaut und gesprochen: Ich hm es! Dann habe er sich in der Einsamkeit gefürchtet und keine Freude gefunden. Er sehnte sich nach einem Zweiten, er theilte sich und schuf sich um in Mann und Weib, die sich umschlungen halten; da wurden Menschen gezeugt. Darauf verwandelt er sich mit dieser Doppel- gestalt in Stier und Kuh, und es werden Rinder gezeugt; dann in Hengst und Stute, dann in Esel und Eselin, Bock und Ziege, Widder und Schaf, und immer werden die betreffenden Thiere gezeugt. Dann schuf er das Flüssige und das Feuer, Gott Sorna, Gott Agni u. s. w. Es erinnert diese ganze Schöpfungs- geschichte auffallend an ähnliche Legenden der Brahmana's von Prajapati, dem Herrn der Geschöpfe. Aber alsbald erhebt sich die Darstellung in eine höhere Sphäre, jene legendenhaft-sinn- lichen Vorstellungen abstreifend:

„Er (der Atman) ist hier in diese Welt eingedrungen, bis in die Nagelspitzen; wie ein Scheermesser, das in seiner Scheide ruht, oder wie das allerhaltende Feuer in seinem Behälter, so sieht man ihn nicht, denn er ist nicht vollständig (in seinen Manifestationen erscheinend). Athmend heisst er der Odem (Präna), sprechend heisst er die Stimme, sehend heisst er das Auge, hörend heisst er das Ohr, denkend heisst er der Geist Dies sind die Namen seiner Thätigkeiten. Wer ihn darum

1 Cat. Br. 14, 4, 2.

* Oder Purusha- artig (purusha vidha) ; man sieht hier wieder die Verschmelzung des Atman und des Purusha.

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einzeln verehrt [d. h. nur in einer dieser Erscheinungen], der kennt ihn nicht, denn er ist da nicht vollständig, er wird es durch das Einzelne. Mit dem Worte „Ätinan" möge man ihn verehren; denn in ihm sind alle Diese Eins.1 Darum ist es der Atman, dessen Spur man suchen soll in diesem All, denn mit ihm kennt man dies All. Und so wie man durch eine Fussspur etwas findet, so verschafft sich Preis und Ruhin, wer solches weiss. Dies ist theurer als ein Sohn, theurer als Reichthum, theurer als alles Anderel Dieser Atman ist das Innerste. Wer einen Anderen als den Atman für theuer (d. i. ihm lieb und theuer) erklärt, zu dem kann man sagen: Was dir theuer ist, das wirst du beweinen! Man kann es (sagen), denn so ist es. Den Atman möge man als den Theuren ver- ehren I Wer den Atman also als sein Theures verehrt, dem geht das, was ihm theuer ist, nicht verloren."

Dann hören wir weiter: „Das Brahman war zu Anfang da; da erkannte es sich selbst: Ich bin das Brahman! Darum werde es dies All Darum, wer immer von den Göttern dies begriff der wurde dies, so auch von den $ishi's, so von den Menschen. Solches schauend ist auch der IJishi Vamadeva dahin gelangt: Ich war Manu und die Sonne! So nun auch jetzt, wer solches weiss: Ich bin das Brahman! Der wird dies All* Selbst die Götter haben keine Gewalt über dieses sein Werden (<L h. seine Entwickelung zum All, zum Brahman), denn er wird ihr Selbst" (ihre Seele, ihr Atman). [Verehrt man dagegen nur eine einzelne andere Gottheit, so bleibt man den Göttern unterworfen und ist ihnen dienstbar, wie ein Thier etwa dem Menschen dient.]

Und immer wieder heisst es: Zu Anfang war der Atman allein, zu Anfang war das Brahman allein. Dem Atman möge man Verehrung weihen, dem Brahman möge man Verehrung weihen!8

1 Hier liegt ein Wortspiel im Sanskrit vor mit atman und ete „Diese1*.

1 Und dieses Wissen, durch welches der Mensch sich selbst, sein innerstes Ich im Brahman, in dem All erkennt, es soll fortgeerbt werden als ein theures Vermächtnis« vom Vater auf den Sohn. So lehrt das Brihad - Aranyaka „das Vermächtniss" (Qat. Br. 14, 4, 3, 25): „Wann ein Sterbender es für gut findet, dann spricht er zu seioem Sohne: Du bist das Brahman, du bist das Opfer, du bist die Welt! Und der Sohn erwidert: Ich bin das Brahman, ich bin das Opfer, ich bin die Welt!"

* Man beachte, wie hier Atman und Brahman ganz zusammen und fast schon als ein und dasselbe, gleichsam nur als verschiedene Namen für denselben Begriff behandelt werden.

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Suchen wir nun etwas tiefer in diese Weisheit, die Wissen- schaft vom Ätinan und Brahman, wie sie in den Upanishaden gelehrt wird, einzudringen, und es wird sich vor unserem Blick immer mehr und immer klarer Tiefsinniges und Bedeutendes enthüllen.

Es ist uns im Brihad-Aranyaka ein schönes und merk- würdiges Gespräch zwischen König Ajatacatru von Kac,i und dem stolzen Brahmanen Bäläki Gargya erhalten, das uns ganz in die Tiefen jener Speculation hineinführt.

Es wird erzählt (Qat. Br. 14, 5, l)1:

„Der stolze Baläki war ein Gelehrter aus dem Stamme der GArgya. Der sprach zu Ajatacatru von Kaci: Ich will dir das Brahman verkünden! Da sagte Ajatacatru: Tausend Kühe gebe ich dir für dieses Wort! Janaka, Janaka* (ist es)! so (rufend) werden die Menschen herbeilaufen.

Da sprach GArgya: Der Geist (Purusha), der in der Sonne ist, den verehre ich als Brahman! AjAtac.atru sagte: Ver- suche es nicht, mit mir darüber zu reden! Id. h. es wäre un- nütz; ich kenne ihn schon!] Ich verehre inn schon mit den Worten: Du stehst da als aller Wesen Haupt und König! Wer ihn so verehrt, der wird aller Wesen Haupt und König."

Gargya geht weiter und rühmt sich, er kenne den Geist, der im Monde ist und er verehre ihn als Brahman. Aber auch dies ist dem Könige bekannt, wie auch der Name, mit welchem jenes Brahman zu verehren ist Und weiter rühmt sich GArgya und hebt Eins um das Andere hervor, er kenne den Geist, der im Blitze lebt und den, der im Aether, der im Winde und in dem Feuer, der in den Wassern und in den Himmelsgegenden lebt und waltet, und immer verehrt er ihn als das« Brahman. Aber jedes Mal erwidert der König, auch er wisse und kenne das wohl, auch ihm sei das Brahman

Dieser Abschnitt ist früher bereits übersetzt in H. Th. Cole- brooke's Abhandlung über die heil. Schriften der Indier. Aus dem Englischen übersetzt von L. Poley. Nebst Fragmenten der ältesten religiösen Dichtungen der Indier, Leipzig 1847; p. 166—100.

4 Janaka, der berühmte König der Videha, welchor dem am besten des Brahman kundigen Brahmanen 1000 Kühe als Preis aussetzte; vgl. oben j>. 209. Aj. will gern sich gleichen Ruhm erwerben, wie jener König, und w ürde sich freuen, wenn die Menschen, ihn mit diesem Ehren- namen nennend, herbeiströmen woUten. Aber er kann ea dem Gdrgya nicht ohne Weiteres zugeben, dass dieser wirklich das Wesen des Brah- man erfasst habe, und so muss der Brahmane erst seine Weisheit ent- wickeln, die, wio man aus dem Weiteren sieht, den König nicht be- friedigt.

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in Blitz und Aether, in Wind und Feuer, in den Wassern und Himmelsgegenden wohl bekannt, und er nennt die Namen, mit denen man es verehren soll. Im Blitz ist es das Leuchtende, im Feuer das Ueberwältigende, im Wasser das Sichanschmiegende und so fort Da geht der Brahmane auf immer subtilere Ob- jecto über.

„Der Schall, der sich hinter einem gehenden Menschen erhebt, den verehre ich als Brahman," so sagt er. Doch auch in dieser Erscheinungsform kennt der König das Brahman und nennt es verehrend: Das Leben! „Wer ihn also verehrt, der gelangt in dieser Welt zu aller Lebenskraft, und nicht ver- läset ihn sein Odem vor der Zeit."

Und wieder sprach Gärgya: „Der Geist, der als Schatten erscheint, den verehre ich als Brahman!" Aber Ajätacatru er- widert ihm: „Versuch es nicht, mit mir darüber zu reden! Ich verehre ihn schon mit den Worten: Der Tod! Wer ihn also verehrt, der gelangt in dieser Welt -zu aller Lebenskraft, nicht tritt der Tod vor der Zeit an ihn heran."

Und endlich kommt der Brahmane zum Höchsten und Letzten; er sagt:

„Der Geist, der in der Seele1 ist, den verehre ich als Brahman!" Aber auch dies ist dem König nicht neue Weisheit. Abermals sagt er: „Versuch es nicht, mit mir darüber zu reden! Ich verehre ihn schon mit den Worten: Der Beseelte (oder . Seelenhafte)!* Wer ihn also verehrt, der wird beseelt (oder seelenhaft) und seine Nachkommenschaft wird auch beseelt"

Da wusste Gärgya nichts weiter und verstummte.

„Ajätacatru sprach: Geht dein Wissen nur so weit? Es geht soweit (sprach Jener). Damit ist er noch nicht erkannt! (sprach Ajätacatru). Da sagte Gärgya: Dann will ich dich am Belehrung bitten! Ajätacatru sprach: Es ist wohl ver- kehrt, wenn ein Brahmane einen Kshatriya um Belehrung bittet (denkend): Er wird mir das Brahman verkünden! Ich will es dich aber doch erkennen lehren! Und er ergriff ihn bei der Hand und stand auf. Da gingen sie beide zu einem schlafenden Menschen. Den redete er mit diesem Namen an: Grosser, weiss- gewandiger König Sorna! Er aber stand nicht auf. Da berührte er ihn mit der Hand und weckte ihn auf, und, er stand auf.

Ajätacatru sprach: Als dieser Mensch schlief, wo war da

1 Oder „in dem Selbst" (atman).

» Der Text braucht das Wort atmanvin, d. h. mit Seele (atmaiO begabt, oder atman-artig.

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sein in Erkenntniss bestehender Geist (Purusha), und von wo ist er jetzt wiedergekommen? Gargya aber wusste es nicht Ajatacatru sprach: Wenn dieser Mensch eingeschlafen ist» dann vereinigt dieser in Erkenntniss bestehende Geist seine Erkenntniss mit der Erkenntniss dieser Lebensorgane (nimmt diese also fort, zieht sie in sich hinein) und ruht als Aether drinnen im Herzen. Wenn er diese ergreift (und mit sich ver- einigt), dann schläft dieser Geist; von ihm ergriffen ist der Odem, ergriffen die Stimme, ergriffen das Auge, ergriffen das Ohr, ergriffen der Sinn. Wenn er nun im Traume wandelt, dann ist er bald gleichsam ein grosser König, bald ein grosser Brahmane, bald steigt er aufwärts, bald nach unten. Gleichwie ein grosser König, die Unterthanen festhaltend (regierend) in seinem Lande nach Belieben umherwandelt, so auch dieser, die Lebensorgane festhaltend, wandelt in seinem Leibe nach Be- lieben umher.

Wenn er aber fest eingeschlafen ist und nichts mehr weiss (das Bewusstsein verloren hat, im traumlosen Schlaf), dann ver- breitet er sich in den 72000 Adern, welche Hita heissen und vom Herzen in die Wandung des Herzens eintreten, und ruht in der Wandung des Herzens. Gleichwie ein Kind oder ein grosser König, die höchste Stufe der Wonne erreichend, ruht, so ruht dieser da. Wie eine Spinne mit ihrem Gewebe herauskommt,1 wie aus dem Feuer die kleinen Funken heraus- kommen, so auch aus diesem Atman kommen alle Lebensorgane, alle Welten, alle Götter, alle Wesen, alle Seelen (Atman's) % heraus. Die Unterweisung von dieser Wahrheit ist die Wahr- heit! Die Lebensorgane sind die Wahrheit, und er ist ihre Wahrheit"

Sie sehen in diesem tiefsinnigen Gespräch verschiedene Stufen der Wissenschaft vom Atman -Brahman, welche beide als Bezeichnungen desselben Einen neben einander laufen. Auch was Gargya lehrt, ist Brahman -Weisheit, aber eine tiefere Er- kenntniss hat sich König Ajatacatru erschlossen. Den trau- menden Geist hat er erkannt als den Atman-Brahman, der sich Welten schafft und nach Belieben bald ein König, bald ein grosser Brahmane ist Aber noch eine höhere, seligere Stufe giebt es, wo alle jene Erscheinungen geschwunden sind; das ist der traumlose Schlaf, das Innerste, die höchste Stufe des Atman* Es war die erste, als es noch keine Welten gab , und es wird die letzte sein, wenn der Atman alle Traum -

1 D. b. wohl sich mit demselben oder in demselben heraus bewegt.

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eracheinimgen fahren lässt und mit allen Lebensorganen sich zusammenzieht in die Seligkeit des tiefen, traumlosen Schlafes.

Das Leben ein Traum sagte uns der spanische Dichter; die ganze Welt ein Traum sagt hier der Inder, ein Traum der grossen Weltenseele.

Gewiss ein geistvoller Versuch, das Wesen des All -Einen zu erläutern, das Eines ist und doch auch wieder die ganze Welt

8tkrftd«r, IftdUM Lit. fc. feit. 15

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Sechszehnte Vorlesung.

Die Philosophie der Upanishaden (Fortsetzung und Schluss). Mittheilungen aus der Chandogya-Upanishad, Brihadaranyaka, Ica-Upanishad, K&thaka- Upanishad u. a. Anquetil Duperron's Oupnekhat Urthell Schopenhauer s

über dasselbe.

Wir haben am Schlüsse der letzten Vorlesung ein inter- essantes Gespräch ans dem Brihad-Äranyaka kennen gelernt, in welchem der Versuch gemacht ist, das Wesen der Welteeele in ihren verschiedenen Entwickelungsphasen durch Vergleich mit dem träumenden und endlich traumlos selig schlafenden Geiste deutlich zu machen. Nun begegnen wir, in andere Form gekleidet, einem ähnlichen Versuch auch in der Chandogya- Upanishad, den ich nur in kurzen Zügen skizziren will.1

Dort tritt Prajapati, der, Herr der Geschöpfe, auf und redet weise Worte von dem Ätman, der Seele, dem Selbst, zur Erbauung Aller, die es hören. Er sagt: „Das Selbst, welches frei von Sünde, frei von Alter, von Tod und Kummer, von Hunger und Durst ist, welches Nichts verlangt, als was es ver- langen soll, Nichts denkt, als was es denken soll, das müssen wir zu verstehen suchen. Wer dieses Selbst gefunden und ver- standen hat, erreicht alle Welten und alle Wünsche."

Die Götter und die Asuren hören diese Worte und be- schliessen nun auch nach diesem Selbst zu suchen. Und nun geht von den Göttern Indra, von den Asuren Virocana zu Praja- pati hin, und sie wohnen dort als seine Schüler zweiunddreissig Jahre. Da lässt Prajapati sie in eine Wasserschale hineinsehen, und als sie nun sich selbst, ihr Spiegelbild darin erblicken, spricht er: „Das ist das Selbst, das Unsterbliche, das Furcht- lose, das ist Brahman!" Sie gehen fort, und der Asure

1 Chändogyop. VIII, 7 12« Die Erzählung findet sich übersetzt bei M. Müller, Urspr. u. Entw. d. Rel. p. 367—378. Die wörtlich an- geführten 8tellen sind nach dieser üebersetzung gegeben.

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Virocana predigt fröhlich diese Lehre, deren tieferen Sinn er nicht begriffen hat.1 Aber Indra ist unbefriedigt, denn er sieht die Wandelbarkeit und Mangelhaftigkeit dieses individu- ellen körperlichen Selbst, dessen Abbild im Wasser sich ebenso verändern muss. Er geht zu Prajäpati zurück, bittet um weitere Belehrung und weilt dort wieder zwoiunddroissig Jahre. Da offenbart ihm Prajäpati: „Er, der glücklich im Traume wandelt, das ist das Selbst, das ist das Unsterbliche, das Furchtlose, das ist Brahman." Frohen Herzens geht Indra fort, aber weiter denkend wird er wieder unbefriedigt, denn er erkennt, wenn auch das Selbst im Traume nicht wirklich geschlagen wird, Schmerz leidet und Thränen vergiesst, so ist es doch, als ob es geschlagen wird, Schmerz leidet und Thränen vergiesst. Das kann doch immer noch nicht das höchste Selbst sein. Er kehrt zurück, weilt wiederum zweiunddreissig Jahre bei Prajäpati, und nun offenbart ihm dieser: „Wenn ein Mensch eingeschlafen, gesammelt und ganz zur Ruhe gesunken ist, keine Träume mehr sieht, das ist das Selbst, das ist das Unsterbliche, das Furcht- lose, das ist Brahman/* Aber, als er weggegangen ist, erkennt Indra wieder: „Fürwahr, so kennt er ja nicht mehr sein Selbst, dass es Ich ist, noch diese Wesen; er ist ganz untergegangen. Was hilft mir diese Lehre?" Wiederum kehrt er traurig zu Prajäpati zurück und offenbart ihm seinen Zweifel. „So ist es in der That, sagt Prajäpati; weile noch fünf Jahre bei mir, ich will es dir noch weiter erklären." Und dann erklärt er es Ihm: „Maghavan,* dieser Körper ist sterblich, stets vom Tode gehalten« Er ist die Wohnung des Selbst, welches unsterblich und körperlos ist. Während das Selbst im Körper weilt (indem es denkt, ich bin dieser Körper), ist es unter Freude und Schmerz. So lange es im Körper ist, entgeht es nie der Freude and dem Schmerz. Wenn er aber vom Körper frei ist, wenn er sich ab verschieden vom Körper kennt, «dann berührt ihn weder Freude noch Schmerz" . . . u. & w.

„Er, der weiss, ich möchte dies sagen, er ist das Selbst, die Zunge ist nur das Werkzeug. Er, der weiss, ich möchte dies hören, er ist das Selbst, das Ohr ist nur das Werkzeug.

1 Prajäpati kann von dem individuellen Selbst sagen, dass es „das Selbst, das Unsterbliche, das Brahman" sei, denn er hat erkannt, dass dies individuelle ßelbst identisch ist mit dem grossen Selbst, der Welt- seele. Wem abei diese Erkenntnis» noch mangelt und wer ohne die- selbe das Einzelselbst direct frischweg für die Weltseele nimmt, der bleibt, wie der Asure Virocana, in grober Täuschung befangen.

1 Beiname des Indra, eigentlich der „Gabenreiche" bedeutend.

15*

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Er, der weiss, ich möchte denken, er ist das Selbst, die Seele ist sein göttliches Auge. Er, das Selbst, sieht diese Freuden (welche Anderen verborgen sind wie ein vergrabener Goldschatz) mit seinem göttlichen Auge, der Seele, und ist glücklich.

Die Devas in der Welt des Brahman verehren dieses Selbst (wie es Prajapati Indra und Indra die Devas gelehrt hat). Sie haben dort alle Welten erlangt und alle Wünsche. Wer dieses Selbst kennt und versteht, erlangt alle Welten und alle Wünsche. So sagte Prajapati/'

Doch kehren wir wieder zum Brihad-Aranyaka, der inhalt- reichsten aller Upanishaden, zurück.

Eines der geistvollsten Kapitel dieses Werkes bildet die Abschiedsunterredung des weisen Yajfiavalkya mit seinem Weibe Maitreyi Yajfiavalkya hatte zwei Frauen, Maitreyi und Katyäyanl mit Namen. Maitreyi war eine Brahman-Kundige, Katyäyant hatte nur das gewöhnliche Wissen der Frauen.1 Er wollte Abschied nehmen vom Leben, seine Habe den beiden Frauen vertheilen und in die Einsamkeit ziehen ((Jat Br. 14> 5,4):

„Maitreyi! sagte Yajfiavalkya; höre, ich will von diesem Orte weg in den Wald ziehen! Wohlan, so will ich denn mit dir und der Katyayani abschliessen (d. h. die Theilung machen). Maitreyi sprach: Wenn, o Ehrwürdiger, diese ganze Erde, mit Reichthümern angefüllt, mein wäre, würde ich dadurch unsterblich sein? Nein, sagte Yajfiavalkya. Dein Leben würde sein wie das Leben wohlhabender Leute; auf Unsterblich- keit aber ist keine Hoffnung durch Reichthum. Maitreyi sprach: Wodurch ich nicht unsterblich werde, was soll ic1l| damit thun? Wenn der Ehrwürdige es weiss, so sage er eil mir! Yajfiavalkya sprach: Wahrlich, theuer bist da mht\ Liebes redest du. Komm, setze dich, ich will es dir erklär« J du aber achte auf mich, wenn ich es dir sage! Es rede de 1 Ehrwürdige (sprach Maitreyi). Yajfiavalkya sprach: Fürwakl nicht um des Gatten willen ist der Gatte lieb, sondern m des Atman willen ist der Gatte lieb! Fürwahr, nicht um de Weibes willen ist das Weib lieb, sondern um des Ätman wille i ist das Weib lieb! Fürwahr, nicht um der Söhne willen sin die Söhne lieb, sondern um des Ätman willen sind die Söhn lieb! Fürwahr, nicht um des Reichthums willen ist der Reich thum lieb, sondern um des Atman willen ist der Reichthui lieb! Fürwahr, nicht um der Brahmanen willen sind di Brahmanen lieb, sondern um des Atman willen sind die Brat

1 So in 4er zweiten Fassung dieser Erzählung, Qat. Br. 14, 7, 3

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manen lieb! Fürwahr, nicht um der Krieger willen sind die Krieger heb, sondern um des Atman willen sind die Krieger heb. Fürwahr, nicht um der Welten willen sind die Welten lieb, sondern um des Atman willen sind die Welten lieb! Für- wahr, nicht um der Götter willen sind die Götter lieb, sondern am des Atman willen sind die Götter lieb! Fürwahr, nicht um der Geschöpfe willen sind die Geschöpfe lieb, sondern um des Atman willen sind die Geschöpfe lieb! Fürwahr, nicht um des All willen ist das AU lieb, sondern um des Atman willen ist das All lieb.1 Fürwahr, der Atman ist es, der gesehen werden muss, der gehört werden muss, der gedacht werden muss, über den nachgedacht werden muss, o Mäitreyi! Dadurch, dass man den Atman sieht, hört, denkt und erkennt, ist dieses All erkannt Den verlassen die Brahmanen, der die Brah- manen wo anders sucht als im Atman! Den verlassen die Krieger, der die Krieger wo anders sucht als im Atman! Den verlassen die Welten, der die Welten wo anders sucht als im Atman! Den verlassen die Götter, der die Götter wo anders sucht als im Atman! Den verlassen die Geschöpfe, der die Geschöpfe wo anders sucht als im Atman! Den verlasst das All, der das All wo anders sucht als im Atman! Diese Brah- manen, diese Krieger, diese Welten, diese Götter, diese Ge- schöpfe, dies All ist der Atman!

Wie nun, wenn eine Trommel geschlagen wird, man nicht im Stande ist, die herausgedrungenen Töne zu ergreifen, wenn man aber die Trommel oder den Trommelschläger ergreift, so ist auch der Ton ergriffen. Wie, wenn eine Laute gespielt wird, man nicht im Stande ist, die herausgedrungenen Töne zu ergreifen, wenn man aber die Laute oder den Lautenspieler ergreift, so ist auch der Ton ergriffen. Wie, wenn eine Muschel geblasen wird, man nicht im Stande ist, die heraus- gedrungenen Töne zu ergreifen, wenn man aber die Muschel oder den Muschelbläser ergreift, so ist auch der Ton ergriffen. Wie von einem Feuer, das mit grünem (feuchtem) Holz an- gelegt ist, Rauchwolken gesondert hervorgehen, so auch fürwahr aus diesem grossen Wesen ist hervorgehaucht der Rigveda, der Yajurveda, der Sämaveda, der Atharvaveda, Sage, Legende, Wissenschaften, Upanisbaden, Verse,1 Sütra's, Erklärungen und Commentare, aus ihm ist dies Alles hervorgebaucht" ....

„Wie ein Stück Salz, ins Wasser geworfen, sich im Wasser

1 Alles Dies hat seinen Werth nur, weil der Atman darin steckt Qloken.

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auflöst und nicht herausgenommen werden kann; von wo man aber auch kostet, da ist Salz, so auch dieses grosse Wesen, das unendliche, unbegrenzte, ganz in Erkenntniss bestehend, steigt aus diesen Geschöpfen empor und geht wieder in ihnen unter. Nach dem Tode aber ist kein Bewusstseiu mehr da! Wahrlich, das sage ich! So sprach Yäjfiavalkya.

Mäitreyi aber sagte: der Ehrwürdige hat mich verwirrt mit den Worten: Nach dem Tode ist kein Bewusstsein da!

Yäjfiavalkya sprach: Wahrlich, ich sage dir nichts Ver- wirrtes, dies genügt zur Erkenntniss. Denn wo es eine Zweiheit giebt, da sieht Einer den Andern, da riecht Einer den Andern, da begrüsst Einer den Andern, da hört Einer den Andern, da denkt Einer den Andern, da erkennt Einer den Andern. Wo aber der Atman sein Alles geworden ist, durch wen und wen soll er sehen, durch wen und wen soll er riechen, durch w$n und wen soll er begrüssen, durch wen und wen soll er hören, durch wen und wen soll er denken, durch wen und wen soll er erkennen? Durch welchen er dies Alles erkennt, durch wen soll er den erkennen? Durch wen soll er den Erkenner erkennen?*'

Und in jenem merkwürdigen theologischen Wettkampf am Hofe des Videha-Königs Janaka, sehen wir da nicht oft schon aus der Art der Frage, wie weit jene Wissenschaft, der Glaube an den Atman, der zugleich das Brahinan ist, sich als aner- kanntes Gemeingut der Denker befestigt hatte. So z. B., wenn sowohl Käushitakeya als Cäkräyana den Yäjüavalkya fragen und sagen: „Das Brahman, welches offenbar und nicht ver- borgen ist, den Atman, der in Allem weilt, den erkläre, 0 Yäjfiavalkya! Dieser dein Atman, der in Allem weilt, den erkläre mir, 0 Yäjfiavalkya!" Und dort wird er genannt der, welcher über Hunger und Durst, über Kummer und Bethörung, über Alter und Tod erhaben ist, und es heisst: Was von ihm verschieden ist, das ist leid voll! Nicht kannst du sehen den Seher des Sehens, nicht kannst du hören den Hörer des Hörens, nicht kannst du denken der Denker des Denkens, nicht kannst du erkennen den Erkenner des Erkennens!

In demselben Disput fragt Uddälaka Aruni den Yäjfia- valkya nach der geheimen Kunde von dem „inneren Lenker** (antaryämin), von der sein weiser Lehrer Kapya Patamcala einst hatte bekennen müssen, dass er sie nicht kenne. Und inhaltsvoll ist die Antwort des Yäjfiavalkya1: „der in der Erde

1 Cat. Br. 14, 6, 7.

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befindlich, von der Erde verschieden, den die Erde nicht kennt, dessen Leib die Erde, der die Erde im Innern lenkt, das ist dein Ätman, der innere Lenker, der unsterbliche. Der in den Wassern befindlich, von den Wassern verschieden, den die Wasser nicht kennen, dessen Leib die Wasser, der die Wasser im Innern lenkt, das ist dein Ätman, der innere Lenker, der unsterbliche. Der im Feuer befindlich, vom Feuer ver- schieden, den das Feuer nicht kennt, dessen Leib das Feuer, der das Feuer im Innern lenkt, das ist dein Atman, der innere Lenker, der unsterbliche. Der im Aether befindlich, vom Aether verschieden, den der Aether nicht kennt, dessen Leib der Aether, der den Aether im Innern lenkt, das ist dein Atman, der innere Lenker, der unsterbliche. Der im Winde befindlich, vom Winde verschieden, den der Wind nicht kennt, dessen Leib der Wind, der den Wind im Innern lenkt, das ist u. s. w. Der in der Sonne befindlich, von der Sonne ver- schieden, den die Sonne nicht kennt, dessen Leib die Sonne, der die Sonne im Innern lenkt, das ist u. s. w. Der in Mond und Sternen befindlich, von Mond und Sternen ver- schieden, den Mond und Sterne nicht kennen, dessen Leib Mond und Sterne, der Mond und Sterne im Innern lenkt, das ist u. s. w. Der in den Himmelsgegenden befindlich, von den Himmelsgegenden verschieden, den die Himmelsgegenden nicht kennen, dessen Leib die Himmelsgegenden, der die Him- melsgegenden im Innern lenkt, das ist u. s. w. Der im Blitze befindlich, vom Blitze verschieden, den der Blitz nicht kennt, dessen Leib der Blitz, der den Blitz im Innern lenkt, das ist u. s. w. Der in dem Donner befindlich, vom Donner verschieden, den der Donner nicht kennt, dessen Leib der Donner, der den Donner im Innern lenkt, das ist dein Atman, der innere Lenker, der unsterbliche. Diese Kunde geht über die Gottheiten und über die Welten hinaus. Der in allen Welten befindlich, von allen Welten verschieden, den alle Welten nicht kennen, dessen Leib alle Welten, der alle Welten im Innern lenkt, das ist dein Ätman, der innere Lenker, der unsterbliche. Diese Kunde geht über die Welten und über die Veden hinaus I Der in allen Veden befindlich, von allen Veden verschieden u. s. w. Diese Kunde geht über die Veden und über das Opfer hinaus! Der in allen Opfern befindlich, von allen Opfern verschieden u. 8. w. Diese Kunde geht über das Opfer und über die Wesen hinaus. Der in allen Wesen befindlich, von allen Wesen verschieden, den alle Wesen nicht kennen, dessen Leib alle Wesen, der alle Wesen im Innern

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lenkt, das ist dein Ätman, der innere Lenker, der unsterbliche. Diese Kunde geht über die Wesen und über den Ätman hinaus. Der in dem Athem befindlich, vom Athem ver- schieden, den der Athem nicht kennt, dessen Leib der Athem, der den Athem im Innern lenkt, das ist dein Ätman, der innere Lenker, der unsterbliche. Der in der Stimme befindlich, von der Stimme verschieden u. s. w. Der im Auge befind- lich, vom Auge verschieden u. a. w. Der im Ohre befindlich, vom Ohre verschieden u. s. w. Der im Geiste befindlich, vom Geiste verschieden u. s. w. Der in der Haut befindlich, von der Haut verschieden u. s. w. Der im Lichte befindlich, vom Lichte verschieden u. s. w . Der in der Finsterniss be- findlich, von der Finsterniss veischieden u. s. w. Der im Samen befindlich, vom Samen verschieden u. s. w. Der in der Seele befindlich, von der Seele verschieden u. 8. w. Der ungesehene Seher, der ungehörte Hörer, der ungedachte Denker, 'der unerkannte Erkenner; kein andrer Seher ist, kein andrer Hörer, kein andrer Denker, kein andrer Erkennen Dies ist dein Ätman, der innere Lenker, der unste bliche; was von ihm verschieden ist, das ist leidvolL Da schwieg Udda- laka Äruni.«

Und die weise Frau Gargl Vacaknavl fragt den Tajfia- valkya: „Was über dem Himmel, was unter der Erde, und was (doch) zwischen Himmel und Erde befindlich, was da war, was da ist und was da sein wird, worin ist das eingewebt und ver- webt? (d. i. worin lebt und webt das?). Yajfiavalkya sprach: Was über dem Himmel, was unter der Erde, und was (doch) zwischen Himmel und Erde, was da war, was da ist und was da sein wird', im Aether ist das eingewebt und verwebt! Worin aber ist der Aether eingewebt und verwebt? Er sprach: Das, o Gargl, nennen die Brahmanen das Unvergäng- liche (aksharam), das nicht gross und nicht klein, nicht kurz und nicht lang, ohne Blut und Fett, ohne Schatten, ohne Finster- niss, ohne Wind, ohne Aether, ohne Verbindung, ohne Berührung, ohne Duft, ohne Saft, ohne Auge, ohne Ohr, ohne Stimme, ohne Sinn, ohne Glanz, ohne Athem, ohne Antlitz, ohne Namen, ohne Familie, nicht alternd, nicht sterbend, furchtlos, unsterblich^ ohne Staub, ohne Schall, nicht offenbar, nicht verborgen, ohne Früheres, ohne Späteres, ohne Inneres, ohne Aeusseres, es isset nicht und wird von Niemand gegessen. In dieses Unvergäng- lichen Gewalt, o Gargl stehen Erde und Himmel festgehalten; in dieses Unvergänglichen Gewalt, o Gargl, stehn Sonne und Mond festgehalten; in dieses Unvergänglichen Gewalt, o Gargi,

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stehn Tage und Nächte, die Halbmonate, die Monate, die Jahres- zeiten, die Jahre festgehalten; in dieses Unvergänglichen Gewalt, o Gargi, strömen die einen Flüsse nach Osten aus den weissen Bergen, die anderen nach Westen und in welche Himmels- gegenden es irgend sei . . . Wer dieses Unvergängliche nicht erkannt habend, o Gargi, in dieser Welt opfert, spendet, sich kasteit, auch viele Jahrtausende, endlich ist dem die Welt. Wer dieses Unvergängliche nicht erkannt habend, o Gargi, aus dieser Welt scheidet, der ist beklagenswerth. Wer aber, o Gargi, dies Unvergängliche erkannt habend aus dieser Welt scheidet, der ist ein (wahrhaftiger) Brahmane! Dies, o Gargi, ist das Unvergängliche: das nicht gesehene Sehende, das nicht ge- hörte Hörende, das nicht gedachte Denkende, das nicht er- kannte Erkennende; kein anderes Sehendes ist, kein anderes Hörendes, kein anderes Denkendes, kein anderes Erkennendes! Dies, wahrlich, ist das Unvergängliche, in welchem der Aether eingewebt und verwebt ist! Sie aber sprach: Brähmanen, dies fürwahr sollt ihr hochschätzen! . . . Wahrlich, keiner von euch wird diesen besiegen im Wettstreit um das Brahman!

Und auch wir, sicherlich, werden zugestehen müssen, dass hier wirkliche Weisheit, tiefes philosophisches Denken in Yäjfla- valkya's Worten enthalten ist. So weit wir das Denken des Menschengeschlechtes kennen, ist hier zuerst das Absolute1 erkannt und verkündigt worden; und man fühlt es den warmen, begeisterten Worten an, dass die Denker jener Tage gehoben, stolz und glücklich sind durch diese herrliche neugewonnene Erkenntnis«, und darum auch nicht müde werden, wieder und wieder dieselben Gedanken zu wiederholen, ganz erfüllt von dem schönen und stolzen Bewusstsein, dass hier die wahre Weisheit verborgen ist, unendlich viel mehr werth als Alles, was man in früheren Tagen für begehrenswerth gehalten hatte.

Der Zeit ungefähr, die diese Gedanken hervorbrachte, mag vielleicht auch jenes Lied des Rigveda entstammen, das ich Ihnen früher mitgetheilt habe und das mit den Worten begann: Am Anfang war weder Sein noch Nichtsein u. s. w. Dass es ein späteres Einschiebsel sei, machen die darin enthaltenen Gedanken sehr wahrscheinlich.

Es Hesse sich noch vieles Bedeutende und Schöne aus der Upanishaden-Literatur anführen; doch muss ich mich hier auf einige Hauptsachen beschränken.

Sehr interessant und inhaltreich ist die Käushitaki-

1 Man beachte die negative Bestimmung desselben oben p. 232.

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Upanishad, welche das dritte Buch des zum Kigveda gehörigen Kaushitakaranyaka bildet. Im ersten Abschnitt dieses Buches tritt wieder ein weiser König, Citra G&ngyayani mit Namen, auf, der den Brahmanen Xruni belehrt. Den Inhalt dieser Dar- legung bilden hauptsächlich die Vorstellungen von dem Wege in die jenseitige Welt und die Ankunft daselbst. Dort wird der Ankommende gefragt: Wer bist du? Und wenn er ant- wortet: Ich bin das Brahman! so ist er ein Wissender und geht ein in die Seligkeit. Der vierte Abschnitt enthält wieder in etwas anderer Gestalt die Belehrung eines sich weise dünkenden Brahmanen durch den König von Käcj, Ajatacatru, die ich Ihnen in der Fassung dos Brihad-Aranyaka bereits vorgeführt habe.

Merkwürdig ist auch der Inhalt der, ebenfalls zum Uig- veda gerechneten, Väshkala- Upanishad,1 welcher in seinem Kerne an die griechische Sage von Ganymedes erinnert. Indra, in Gestalt eines Widders, entführt Kanva's Sohn Medhatithi. Während des Fluges befragt ihn derselbe, wer er sei. Indra antwortet ihm lächelnd und giebt sich ihm kund als den All- gott, sich mit dem All identificirend.2

Das vierzigste und letzte Buch der SamhitA des weissen Yajurveda ist ebenfalls eine Upanishad, die wenig umfangreiche "Icopanishad, aus der ich Ihnen als Probe einige Verse an- führen möchte:

Vom Herrn umschlossen ist dies All und was irgend auf der Erde sich bewegt; geniease das, nachdem du darauf verzichtet, begehre nicht nach dem Besitz von irgend Jemand. (1)

Unbeweglich ist das Eine, (und doch) schneller als der Gedanke» eilt voran, nicht erreichen es die Götter; obschon es steht, überholt es doch die Andern, welche laufen; in dies setzt M&taricvan die Ge- wässer. (4)

Es bewegt sich und bewegt sich auch nicht; es ist fern und ist auch nah; es ist in diesem All und ist auch ausserhalb dieses Allf. (5)

Wenn man alle Wesen in sich* sieht und sich selbst in allen Wesen, da giebt es keine Ungewissheit (6)

Für den, welcher erkennt: Das Selbst tder Atman) ist es, in wel- chem alle Wesen sich befinden, was giebt es rar eine Bethörung, was für Kummer für den, welcher die Einheit schaut? (7)

Er verbreitet sich überallhin, strahlend, körperlos, wundenlos, ohne Sehnen,* rein, frei von Fehlern, der Weise, der Seher, der Umfassende,

1 Diese Upanishad ist bis jetzt nur aus Anquetil Duperron's Oupne- khat II, 366-71 bekannt.

1 Vgl. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 57.

* Ssk. atmann eva.

* I». h. Binder.

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durch sich selbst Seiende; in rechter Art hat er die Dinge geordnet seit ewigen Jahren. (8^

Mit einem goldenen Deckel ist der Wahrbpit Mund bedeckt! Der Geist, der in der Sonne ist der hin ich! (17)

Om! Das Brahmair ist der Aother!

Nur noch eine dieser Upanishaden lassen Sie mich zum Schluss besprechen.

In einem jener Abschnitte des Taittiriya-Brabmana,1 welche dem weisen Katha als Verfasser zugeschrieben werden, findet sich die ErzähJung von dem Besuch des Naciketas in der Unterwelt. Er wünscht die Befreiung vom Tode zu erlangen, und der Todesgott lehrt ihm, ganz im Geiste der Brah- mana's , wie er dieselbe durch bestimmte Opfer erreichen könne. Diese Erzählung nun hat den Anlass gegeben zu einer der merkwürdigsten und schönsten Upanishaden, der sogenannten KAthaka- oder Ka^ha-Upanishad, welche in der uns vorliegenden Fassung zum Atharvaveda gerechnet wird.3

Sie erzählt: Ucan, der Sohn des Vajacravas, brachte ein Allopfer dar, wobei er all seine Habe den Priestern hingab. Wie sein Sohn Naciketas die Kühe des Vaters wegführen sieht, kommt ihm der Gedanke über die Vergänglichkeit der Welten, die man durch solche irdische, vergängliche Gaben erlangen kann. Er fragt den Vater: „Wem wirst du mich geben?" Dieser will ihm zuerst nicht antworten, wie aber die Frage zum dritten Mal wiederholt wird, sagt er: „Ich gebe dich dem Tode!" Der Sohn spricht: „Viele werden mir nachfolgen, viele sind vor mir den Weg gegangen; wozu bedarf Yama, der Todesfurst, meiner?" Der Vater erwidert: „Blicke zurück und blicke vorwärts! Wie das Korn reift das Menschengeschlecht und wird neu erzeugt!" Der Sohn steigt nun hinab in die Behausung des Todesgottes. Dort wird er zuerst nicht bemerkt und weilt drei Tage ungeehrt im Todtenreiche. Da wird Yama auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht und, weil es ein Vergehen ist, einen Brahmanen so lange ungeehrt im Hause

1 3, 11, 8.

9 Vgl. oben p. 191. Eine Uebersetzung dieser Upanishad findet •ich schon in H. Th. Colebrooke's Abhandlung über die heil. Schriften der Indier. Aus dem Englischen übersetzt von L. Polcy, nebst Frag- menten der ältesten religiösen Dichtungen der Indier. Leipzig 1847; p. 113—128. S. nun auch M. Müller, Ursprung u. Entwickel. d. Rel. p. 377—382.

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zu haben, will er diese Schuld sühnen, indem er den Naciketas auffordert, drei Wünsche nach Belieben zu wählen. Naciketas wählt als ersten Wunsch, dass sein Vater ihm nicht zürnen möge, wenn er zurückkehre; als zweiten Wunsch bittet er. um die Kunde des Opferfeuers, durch welches man die Himmels- welt erlangen könne. Wie er aber den dritten Wunsch thun soll, da spricht er: „Wenn der Mensch gestorben ist, dann sagen Einige, er ist» Andere, er ist nicht! Diesen Zweifel löse mir, das möchte ich wissen, von dir belehrt, das sei der Gaben dritte." Der Tod erwidert: „Selbst von den Göttern ist vormals hierüber gezweifelt worden, denn es ist nicht leicht zu erkennen, es ist ein feiner Punkt. Wähle, o Naciketas, eine andre Gabe, binde mich nicht an mein Versprechen, erlass mir diese Gabe!" Naciketas sprach: „Selbst von den Göttern ist hierüber gezweifelt worden, und du sagst, dass es nicht leicht zu erkennen ist. Besser als du wird niemand das ver- künden, und keine andre Gabe ist dieser gleich." Aber der Tod sucht ihn zu verlocken und auf andre Gedanken zu bringen: „Wähle doch hundertfache Lebenskraft besitzende Kindeskinder, viel Vieh, Elephanten, Gold und Rosse; wähle ein grosses Gebiet der Erde und lebe selbst soviel Jahre du wünschest! Wenn dieser Wunsch dir gleich erscheint, so wähle Reich thum und langes Leben! Sei gross auf dieser Erde, o Naciketas, ich lasse dich all deine Wünsche gemessen! Die Wünsche, welche schwer zu erlangen sind in der Welt der Sterblichen, alle Wünsche, die dir gefallen, wähle du! Jene reizenden Jungfrauen mit Wagen und Harfen, nicht sind solche zu erlangen von den Menschen, ich schenke sie dir, lass dich von ihnen bedienen, Naciketas, aber frage mich nicht über das Sterben 1" Naciketas erwidert: „Die wechselnden Tage lassen, o Tod, dem Sterblichen aller Sinne Kraft altern, das ganze Leben ist nur kurz, dein sind die Rosse, dein ist Tanz und Gesang. Nicht kann der Mensch durch Reichthum befriedigt werden. Werden wir Reichthum haben, wenn wir dich schauten? Wir werden leben, so lang du gebietest; ich aber w# wählen diesen Wunsch! Worüber man da zweifelt, o Tod, in grossem Streite, das verkünde du mir! Diese Gabe, die im Verborgenen liegt, keine andre als diese wählt Naciketas!"

Und nun endlich ist der Tod durch solche Beharrlichkeit besiegt und enthüllt ihm das Geheimniss von Leben und Sterben. Darnach sind Leben und Tod nur verschiedene Phasen der Entwickelung. Die wahre Weisheit besteht in der Erkenntniss der Identität der Seele mit dem Allgeist, der

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Weltenseele, wodurch inaii über Leben und Tod erhoben wird.1

Der Tod spricht:

„Ein Andres ist das Heil, ein Andres das Vergnügen; die beiden von verschiedenem Wesen fesseln den Menschen. Wer unter diesen beiden das Heil erwählt» der wird glücklich; wer das Vergnügen wählt, der geht des Ziels verlustig. ^2, 1}

Dem Thoren, der genusssüchtig und durch Reichthum bethört ist, ^leuchtet keine Zukunft entgegen. Dies ist die Welt, es giebt keine andre 1 so denkend kommt er wieder und wieder in meine Gewalt (2, 6)

Wer den schwer zu schauenden, ins Verborgene eingegangenen, im Verborgenen liegenden, im Abgrund befindlichen Alten, den Gott, durch Vereinigung mit dem höchsten Atman im Denken erfasst hat, der Weise lässt Freude und Schmerz hinter sich. (2, 12)

Der Weise wird nicht geboren und stirbt auch nicht, er kommt nicht irgendwoher und ist auch nicht irgendwer; ungeboren, beständig, ewig ist er, der Alte, nicht wird er getödtet, wenn der Körper getödtet wird. (2, 18)

Der Atman ist feiner als fein, grösser als gross, verhüllt im Innern der Geschöpfe; wer keine Wünsche mehr hat und frei von Kummer ist, der schaut des Atman Grösse durch die Gnade des Schöpfers. (2, 20)

Sitzend wandert er in die Ferne, ruhend wandelt er überall hin; wer ausser mir kann diesen Gott verstehen, der sich freut und doch nicht freut? (2, 21) #

Wenn der Weise diesen grossen machtigen , Atman, der körperlos in den Körpern weilt, den Bestandigen in dem Unbeständigen, im Denken erfasst hat, dann trauert er nicht (2, 22)

Nicht kann dieser Atman durch die Brahmana's erfasst werden, nicht durch Verstand, nicht durch vieles Lernen. Wen er (d. h. der Atman) erwählt, von dem kann er erfasst werden; dessen Selbst erwählt der Atman als sein eigen. (2, 23)

Wer nicht vom Bösen abgelassen hat, nicht beruhigt und andachtig ist, nicht ruhigen Geistes, der kann ihn nicht durch Erkenntniss er- langen. (2, 24)

Dieser Atman ist in allen Wesen verborgen und erscheint nicht offenbar; er wird aber geschaut von der höchsten, feinen Einsicht der Scharfsichtigen. 12)

Steht auf, erwacht, herrliche Gaben erlangend merket aufl Wie die scharfe, schwer zu überschreitende Schneide eines Scheermessers, schwierig ist dieser Pfad, so sagen die Weisen. (3, 14)

Aus welchem die Sonne aufsteigt und in welchem sie niedersinkt, in dem sind alle Götter enthalten und über ihn hinaus geht keiner. (4, 9)

Merk auf, ich wül dir nun verkünden das geheime, ewige Brahman, und wie die Seele wird im Tode, o Gautama! (5, 6)

Einige Menschen gelangen wieder in den Mutterschooss, um einen neuen Leib anzunehmen; andre gehen in Festes über (wie Stöcke und Steine), je nach, ihrem Thun und Wissen. (5, 7)

Der Geist (Purusha), der in den Schlafenden wacht, nach Belieben sich gestaltend, das ist das Reine, das das Brahman, das fürwahr wird

1 Vgl. anch Weber a. a. 0. p. 174. M. Müller, Urspr. u. Entw. d. Rel. p. 880—382. Indien in seiner weltgeschichtl Bed. p. 212—214.

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das Unsterbliche genannt; in dem ruhen alle Welten, und darüber hinaus geht Keiner. (5, 8)

Wie die Sonne, das Auge der ganzen Welt, durch die äusseren Mängel, auf die das Auge fällt, nicht befleckt wird: so wird auch dieser eine, in allen Wesen befindliche Atman nicht beneckt durch das Leiden dieser Welt, denn er ist draussen. <5. 11)

Er der alleinige Herrscher, der in allen Wesen KMiridliche Atman, der die eine Gestalt vielfältig gestaltet; den Weisen, welche ihn in ihrem eignen Selbst erblicken, denen wird ewige» (iiuik zu Theil, nicht Andern. (5, 12)

Seine Gestalt bietet sich nicht dem Anblick dar, und Niemand schaut ihn mit dem Auge; durch das Herz, Geist und Denken wird er erlangt; die Solches wissen, werden unsterblich. (6, 9)

Er ist nicht durch das Wort, nicht durch den Geist, nicht durch das Auge zu erreichen. Wie kann er anders begriffen werden, als wenn man sagt: Er ist! (6, 12)

Er ist! So soll man ihn begreifen und durch das wahrhaftige Wesen beider (d. h. seiner und der Welt). Er ist! Wer ihn also be- greift, dem wird klar das wahrhaftige Wesen. (6, 13)

Wenn alle Begierden, die im Herzen ruhen, abgelegt sind, dann wird der Mensch unsterblich, dann erreicht er das Brahman. (6, 14)

Wenn alle Fesseln, die das Herz hier binden, zerschnitten sind, dann wird der Mensch unsterblich, soweit geht diese Lehre! (6, 15)

In der Geschichte von der \ ersuc hung des Naciketas durch den Tod , der ihn bewegen will , zeitliche Güter zu wählen und von der höchsten Erkenntniss abzustehen, hat neuere Forschung wohl mit Recht das Vorbild für die Ver- suchungsgeschichte Buddha's durch den Todesgott erkannt1 Mrityu, der Tod, in der Katha-Upanishad, ist ein Synonym von Mara, dem Versucher des Buddha. Auch Mära zeigt dem Buddha schöne Jungfrauen und Herrlichkeiten aller Art, um ihn zu bewegen, dass er von der höchsten Erkenntniss abstehe; aber er lässt sich nicht verlocken und gelangt zur Erleuchtung wie Naciketas in der Upanishad.

Die mitgetheilten Stücke aus der ältesten Upanishaden- Literatur werden, wie ich glaube, hinreichen, um ein deutliches Bild von dem Charakter dieser Schriftwerke zu geben.* Es ist kein geschlossenes System philosophischer Weltanschauung, das hier in logischer Folge entwickelt wird. Es sind vielmehr halb poetische, halb philosophische Phantasieen, Visionen, Dia- loge und Dispute, halb erbaulichen, halb metaphysischen In-

1 Vgl. Oldenberg, Buddha, p. 59.

4 Man vgl. übrigens auch Max Müller, the Upanishads, with an introd. and notes translat Oxford 1879—84. 2 Voll. (Sacred books of the East, Vol. I und XV.)

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halts, und nicht selten erhebt sich die Rede zu hohem Schwünge des Ausdrucks. Die Erkenntniss des Ätman - Brahman , der Weltseele, ist das wesentliche Thema dieser Schriften. Gewisse Grundgedanken darüber kehren oftmals wieder und tauchen auf ganz verschiedenem Hintergrunde in leuchtenden Zügen auf, von einem streng entwickelten System kann aber nicht die Rede sein. Was hier vorliegt ist vielmehr ein rastloses Suchen und Fragen nach jenem höchsten Geheimniss, das man bald unter diesem, bald unter jenem Bilde zu fassen glaubt Gerade die lebendige Unmittelbarkeit, mit der hier, fern von aller Schulweisheit, den neuen Gedanken Ausdruck gegeben wird, die Begeisterung, mit der sie verkündet werden, giobt diesen Schriften ihren ganz besonderen Reiz. In späterer Zeit baute man auf diese philosophisch-poetischen Schriften das System der Vedänta-Philosophie auf, deren Gedankengang wir in der Folge näher kennen lernen werden.1

Der Ruhm der TJpanishaden, von denen die ältesten etwa im siebenten und sechsten Jahrhundert v. Chr. entstanden sein dürften und die in der Folge die Grundlage der orthodox- indischen Philosophie bildeten, hat mehrere Jahrtausende über- dauert. Im siebzehnten Jahrhundert n. Chr. wurden sie, da ihr Ruhm so gross war, auf Befehl des ebenso edlen als unglück- lichen Prinzen Mohammed Daraschakoh, eines Sohnes des Grossmoguls Schah Dschehan, ins Persische übersetzt; aus dem Persischen übertrug sie im vorigen Jahrhundert der verdienst- volle Anquetil Duperron ins Lateinische und gab sie unter dem Titel Oupnekhat* heraus. Obschon diese Uebersetzung, wie man sich denken kann, in vieler Hinsicht mangelhaft sein musste,* so war dieselbe durch den diesen Werken inne- wohnenden Reiz doch im Stande, einen so bedeutenden Denker wie Schopenhauer mit Begeisterung zu erfüllen. Für Schopen- hauer waren die Oupnekhat förmlich seine Bibel, sein Gebet- buch geworden, der Inbegriff der höchsten Weisheit; er hatte sich in dieses Werk und seine eigentümliche Sprache so ganz hineingelebt, dass er auch von directen Uebersetzungen aus dem Sanskrit in europäische Sprachen nicht viel wissen wollte und recht misstrauisch solchen Versuchen gegenüberstand.* Wohl

1 8. Vorlesung XLVI.

* Oupnekhat Ist eine Verstümmelung von Upanishad.

1 Max Müller nennt diese Uebersetzung geradezu eine „fürchter- liche". Vgl. seinen Aufsatz „Damals und Jetzt" in der „Deutschen Rundschau" 1884-^86 p 470.

4 8. Parerga und Paralipomena, 4. Aufl., Bd. II, p. 426- 428 I 186)

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hat das Urtheil dieses grossen Denkers ein Recht, am Schlüsse dieser unserer Betrachtung gehört zu werden. Schopenhauer sagte von dem Oupnekhat: „Es ist die belohnendste und er- hebendste Leetüre, die in der Welt möglich ist: sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens sein."1

1 Parerga und Paralipomena, 4. Aufl., Bd. II. p. 427 185). Eben- daselbst p. 428 nennt er die Upanishaden „die Ausgeburt der höchsten menschlichen Weisheit" (§186). Auch Schelling war, wie sein ein- stiger Zuhörer Max Müller berichtet, von den Upanishaden „ganz ent- zückt"; Müller übersetzte ihm damals mehrere derselben. „Dieses Ent- zücken — fahrt der Erzähler fort theilte er mit seinem Antipoden, Schopenhauer, und wenn zwei so entgegengesetzte Geister so unerwartet

übereinstimmen, so muss wohl etwas Wahres dahinter sein. Schelling,

wie Schopenhauer, hielten die Upanishaden für die Urweisheit der Indier und der Menschheit." Vgl. M. Müller, „Damals und Jetzt" in der „Deutschen Rundschau", Jahrgang 1884—85, p. 469. Als Curiosum mag noch angeführt werden, dass vor einigen Jahren (1882, in Dresden) von einem Dr. med. Franz Mischel ein Buch herausgegeben ist unter dem Titel: Oupnek'hat, die aus den Veden zusammengefasste Lehre von dem Brahm. Aus der sanskrit-persischen Uebersetzung des Fürsteu Mohammed Daraachekoh, in das Lateinische von Anquetil Duperron, und von da in's Deutsche übertragen." Der Recensent im Literarischen Centraiblatt (Wi., lit. Centr. 1882, Nr. 41) nennt das Buch „das Werk eines Schwärmers, der in der Lehre vom Brahma seine Religion gefunden hat" Um das Sanskrit -Original, die directen Uebersetzungen in euro- päische Sprachen und sogar um Weber's Analyse der in Anquetil Duper- ron's Uebersetzung enthaltenen Upanishaden kümmert er sich gar nicht. Noch ganz durchdrungen von dem oben erwähnten Schopenhauerschen Vorurtheil meint er, dass die europäischen Sanskrit -Uebersetzer da* Original nicht treu wiedergeben, und glaubt seinerseits durch Ueber- setzung des Anquetirschen Latein etwas Treueres und Zuverlässigeres zu bieten.

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II. Abschnitt.

Das Mittelalter.

Die Anfänge des indischen Mittelalters. Geistige und religiöse Neubildungen in der Uebergaugsperiode von der vedischeu Zeit zum Mittelalter. Buddha und seine Lehre. Historischer Bückblick und Ausschau in die folgende Zeit Skizze der indischen Geschichte im Mittelalter. Allgemeines Gulturbild des indischen Mittelalters.

v. 3ebr6d«r, Indien« Lit. u. Cult. il»

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Siebzehnte Vorlesung,

Geistige und religiöse Neubildungen der Uebergangsperiode aas der ve- dischen Zeit in da8 Mittelalter. Der männliche Gott Brahma. Die Lehre ton der Seelen Wanderung, ihr Ursprung und ihre erste Entwickelung Buddha und der Buddhismus. Die Quellen cum Studium desselben. Geistiger Zusammenhang Buddha's und seiner Lehren mit der voran- gehenden Epoche.

Mit den Upanishaden hat die vedische Periode ihren Ab- schluss gefanden; Vedanta, Ende des Veda, nennt sie darum der Inder. Sie bezeichnen den Höhepunkt in der Gedanken- entwickelung dieser Zeit, zugleich aber enthalten sie im Keim, zum Theil auch schon mehr oder weniger entwickelt, geistige Elemente, Neubildungen, die in der nun folgenden Periode zu hober Bedeutung gelangen sollten. Diese neue Zeit beginnt etwa mit dem Jahre 600 vor Chr. Sie ist gleich zu Anbeginn dadurch gekennzeichnet, dass in ihr sehr im Gegensatz zu der altvedischen Periode lauter und lauter die Predigt er- schallt, abzulassen von den vergänglichen Gütern und Freuden dieses Lebens und zu fliehen von der Welt Sie ist gekenn- zeichnet durch das Auftreten mehr als eines Mönchsordens, mehr als einer asketischen Gemeinschaft, mehr als eines mön- chischen Lehrers und Sektenhauptes, und ihr ganzes Wesen, die sittlich-religiöse Basis, auf der sie sich constituirt, wie auch dre äussere Physiognomie, die sie gewinnt, ist in so vielen Be- ziehungen aufs Nächste verwandt mit jener Periode in der Ent- wickelung des Abendlandes, die wir mit dem Namen Mittelalter zu benennen pflegen, dass wir dieser Periode in der Geschichte Indiens, wie ich glaube, keinen treffenderen Namen geben können als den des „indischen Mittelalters". Ich behalte es mir für eine der späteren Vorlesungen vor, diese Parallele zwischen dem indischen und dem bendländischen Mittelalter näher auszufuhren,1 und will für jetzt mir nur erlauben, Ihre

1 Einiges darüber habe ich bereits früber bemerkt in meinem Vor- trag „Ueber die Poesie des indischen Mittelalters", Dorpat 1882.

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Aufmerksamkeit auf einige der wichtigsten geistigen und reli- giösen Neubildungen zu lenken, die während der Uebergangs- zeit aus der vedischen in die darauf folgende Periode sich ent- wickelt haben und bestimmt waren, weiterhin eine hervorragende Rolle zu spielen.

Als eine solche Neubildung ist der männliche Gott Brahma zu bezeichnen, oder richtiger der Glaube an einen solchen Gott.

Es ist ein merkwürdiges Schauspiel in der Geschichte des indischen Geisteslebens, dass der auf dem Wege abstracter theosophischer Speculation gefundene Begriff des Brahman zu einem Element des Volksglaubens wird. In keinem Lande hat die philosophisch-theosophische Speculation in den priesterlichen Kreisen so viel bedeutet wie in Indien, und nirgends haben ferner die Priester das religiöse Leben, ja überhaupt das Denken und Empfinden des Volkes so beeinflusst und beherrscht als wiederum in Indien. So allein erklärt es sich, wie es möglich war, dass der Begriff des Gebetes, erweitert zu dem Inbegriff aller Heiligkeit, die in Gebet, Opfer und Priester vereinigt ist, endlich gesteigert dem Begriff des Heiligen und Göttlichen an sich, der Weltenseele, des Absoluten höchstes Object der religiösen Verehrung werden konnte. Dies Brahman, identiffeirt mit dem Atman, war als das Höchste und Heiligste aus der ganzen priesterlichen Ideenentwickelung der vedischen Zeit zu- letzt hervorgesprungen; ihm so erkannten die theosophischen Denker muss die höchste Verehrung gezollt werden, mehr als irgend einer der alten Götter beanspruchen konnte; und dasselbe lehrten sie nun auch das Volk Aber hier tritt als- bald eine wichtige Umwandlung ein. Jenes neutrale abstracto Brahman, der Inbegriff aller Heiligkeit und Göttlichkeit, das Absolute, war seiner Natur nach nur dem Denker möglich zu erfassen. Dies Göttliche, so ganz abstracter Begriff, war doch allzuweit von jeder Vorstellung entfernt, als dass es je vom Volke wirklich aufgenommen werden konnte, gesehweige denn sich irgend welcher Sympathieen erfreuen. Das Göttliche, soll es vom Volke verehrt werden, muss persönlich gestaltot sein, und so erklärt es sich, dass aus dem neutralen Brahman bald der männliche Gott Brahma gebildet wird. Man gab jenem Absolutuni Person und Geschlecht Nun konnte man es sich als Weltenschöpfer denken und als den, zu dem der Fromme sein Gebet empor senden mag.

Diese merkwürdige und interessante Entwickelung des neu- tralen Brahman zum männlichen Gott Brahma können wir in

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unseren Quollen im Einzelnen nicht verfolgen. Soviel aber lässt 91'ch bestimmt behaupten, dass dieselbe vor dem Auftreten des Buddhismus vollendet gewesen sein muss; denn in den Be- richten von Buddha, seinem Leben und Wirken spielt der männliche Gott Brahma Sahapati oder Sahampati 1 eine hervor- ragende Rolle. Kein anderes göttliches Wesen ist der Vor- stellung der Buddhisten so geläufig wie dieser Brahma Saham- pati, Ä Bei allen wichtigen Vorkommnissen im Leben Buddha's steigt dieser Gott aus seinem Himmel, huldigt dem Buddha, lieht ihn an, oder äussert sonstwie seine respectvolle Meinung. Man sieht hieraus deutlich, wie verfehlt es wäre, die Entstehung der Lehre vom Ätman-Brahman zu nah an die buddhistische Zeit heranzurücken. Dieselbe muss lange vor Buddha abge- schlossen gewesen und es muss nachher noch eine geraume Zeit Terflossen sein, in welcher sich aus jenem neutralen Begriff der männliche Gott Brahma herausbilden und zu einem, dem Volks- bewusstsein ganz geläufigen, Gotte werden konnte.

In diesen letzten, dem Buddhismus vorausgehenden Jahr-^ minderten kam noch ein anderer hochwichtiger Glaube auf, der ebenfalls wohl zuerst nur den Kreisen der theologischen Denker angehörte, mit der Zeit aber vollständig zu einem wichtigen Element des Volksglaubens wurde und so allgemein durchdrang, dass derselbe mit dem religiösen Denken des indischen Mittel- alters untrennbar verbunden bis in die neueste Zeit noch fort- lebt Es war dies die Lehre von der Seelenwanderung, die jedenfalls zu Buddha's Zeit, also im sechsten Jahrhundert vor Chr., schon allgemein verbreitet gewesen sein muss.

Es ist nicht ganz leicht, das Entstehen dieser Lehre an der Hand der uns vorliegenden Denkmäler zu verfolgen. Die Quellen gewähren uns über diesen Punkt nur lückenhafte Auf- klärung. Theoretische Construction und Vermuthung muss bald hier bald da die fehlenden Zwischenglieder in der Entwicke- lungsreihe zu ergänzen suchen und sie kann dies nur in un- vollkommenem Maasse. üebrigens ist die Frage auch noch nicht eingehend und gründlich genug untersucht worden, und ist der künftigen Forschung hier noch ein wichtiges Object vorbehalten. Indessen werden wir doch versuchen müssen, so weit uns dies für jetzt möglich ist, einen Einblick zu gewinnen

1 Die Bedeutung dieses dem Brahma gegebenen Epitheton's ist nicht ganz klar. Das Pet. Wort, übersetzt Sahapati „Herr der von den Menschen bewohnten Welt".

* Vgl. Oldenberg, Buddha, p. 60.

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in die Entstehungsgeschichte dieser Lehre in Indien und die Voraussetzungen, auf denen sich dieselbe aufbaut.

Um die Grundstimmung der Gemüther richtig zu verstehen, die das Emporkommen dieses Glaubens möglich machte, müssen wir uns den Charakter jener Zeit ms Gedächtniss rufen, in welcher die Yajurveden und Brähmana's entstanden. Für den düster n, traurigen Glauben, gebunden zu sein an eine endlose Reihe freudloser Existenzen, waren die Gemüther vorbereitet und recht gestimmt durch jene düstere, traurige Zeit, wo das immer mehr anwachsende Opferritual die Geister niederdrückte, wo unter den endlosen Formeln und Ceremonieen der frische freie Sinn der alten Zeit erstickte. Statt des Brodes bot man den lechzenden Herzen Steine zum Bau der Opferaltäre. Eine schwüle Athmosphäre lagerte sich auf das Denken und Em- pfinden der Menschen. Ergebung in das Unvermeidliche, stumme Resignation trat ein, Verzicht auf die Befriedigung freierer, höherer Regungen, indess der Geist, sich ergötzend, sein Spiel trieb mit den zahllosen Phantasmen, die das Denken jener Zeit charak- terisiren, in seltsamen, wirren, verschrobenen Ideengängen sich hin und her bewegend.

Keine unwichtige Rollo spielt dabei die seltsame Identi- ficirungssucht, mit der alle möglichen Dinge, Personen und Begriffe in Einem fort einander gleich gesetzt, für Ein und Dasselbe erklärt werden, bisweilen an gewisse Vergleichs- und Anhaltspunkte angeknüpft,, nicht selten aber auch in ziemlich wüstem, phantastischem Durcheinander. Die Unterschiede der Einzel-Dinge und -Wesen werden verwischt, der Geist gewöhnt sich ganz daran, immer Eins in dem Anderen wiederzufinden, den gleichen Wesenskern durch zahlreiche Erscheinungen zu verfolgen, gewissermaßen von Einem zum Andern wandern zu lassen. Etwas Verwandtes hat auf jeden Fall, wie mir scheint, diese Manie des Identificirens mit dem Wandernlassen ein und derselben Seele durch eine Menge verschiedener Erscheinungs- formen. Sie ist als vorbereitendes Moment von entschiedener Bedeutung.

Durchaus hinein passend in die düstere Phantastik jener Zeit ist nun das Auftreten der Idee, dass der Tod oder ver- schiedene Todesmächte uns beständig verfolgen, wenn wir sie nicht durch Spenden zu befriedigen wissen. Sie setzen solche Verfolgung unerbittlich fort, in dieser und in jener Welt, und lassen den unversöhnten Sünder immer wieder sterben. Wir finden diesen Gedanken namentlich deutlich in dem der jüngeren Brahmana-Zeit angehörigen Qatapatha-Brahmana aus-

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gesprochen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Gedanke des Immerwied ersterbens schon das Durchlaufen verschiedener» dem Tode unterworfener Existenzen, und damit auch die An- nahme neuer Leiber, also Seelen Wanderung voraussetzt. Eis ist aber merkwürdig und sehr charakteristisch, dass gerade dieser Gedanke des Wiedersterbens die erste Form ist, in welcher uns der Glaube an eine Wanderung der Seelen entgegentritt.1 Die bleiche Macht des Todes erscheint hier als das Schreckens- bild, welches die armen geäugsteten Seelen jagt aus einer Exi- stenz in die andere und ihnen nirgends eine ruhige Wohnstatt gönnt.3 Nur eine Möglichkeit giebt es, vor dieser Gefahr sich zu schützen' von dieser quälenden Angst sich zu befreien; sie besteht darin, dass man den Tod und seine Gewalten durch bestimmte Opfer zufriedenstellt, so wird ganz im Geiste jener Zeit der Brähmana's gelehrt. Auf solche Weise kann man sich von dem immer erneuerten Tode erlösen und in das Reich der Unsterblichkeit eingehen.3

Im Qatapatha-Brahmana (10, 4, 3) wird erzählt, dass die Götter sich vor dem Tode fürchteten und ein Opfer nach dem anderen veranstalteten, um von demselben los zu kommen, aber ohne Erfolg.* Da lehrt ihnen Prajäpati ein Opfer, bei welchem

1 Dies hatOldenberg zuerst in das rechte Licht gesetzt ; s. Buddha, p. 45-48.

* Es muss die Frage aulgeworfen werden, oh nicht am Ende diese «rate Form des Seelenwanderungsglaubens in dieser oder jener Hinsicht an die abergläubischen Vorstellungen der Ureinwohner Indiens, ihren Geister- und Gespenstercultus anknüpft. Es wäre wohl denkbar, dass manche der hier auftretenden schreckhaften Wahngebilde von dorther stammen, und die Thatsache, dass der Seelenwanderungsglaube später so absolut fest in dem Denken de» Volkes wurzelt, dürfte eine solche Annahme wohl unterstützen. Aber wir kommen in diesem Punkte nicht Aber vage Vermuthungen hinaus, da uns alle festereu Anhaltspunkte mangeln.

* „Wer, ohne vom Tode sich frei gemacht zu haben, in jene Welt hinübergeht, der wird, wie in dieser Welt der Tod von keiner Rücksicht weiss und, wann er will, ihn tödtet, also auch in jener Welt immer und immer wieder des Todes Beute/' „Durch alle Welten fürwahr walten Todesmachte ; opferte er diesen keine Spenden, würde von Welt zu Welt der Tod ihn finden; wenn er den Todesmächten Spendcu opfert, schlägt er durch Welt auf Welt den Tod von sich zurück." -S. Oldenberg, a. a. 0. p. 45.) In und mit dem Agnihotra-Opfer wird die Erlösung vom Tode zu Wege gebracht Und dazu heisst es: „Eis löst sich vom Wiedertode, wer diese Erlösung vom Tode im Agnihotra also weiss." (8. Oldenberg, a. a. 0. p. 47).

* Es ist zu beachten, dass von dem Tode auch im Jenseits und in der Götterwelt die Rede ist. Das Wandern der Seele nimmt auch in der jenseitigen Welt seinen Fortgang. Es wird von hervorragenden Per-

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sie alle seine Gestalten1 symbolisch in einer Menge besonderer Steine des Opferaltars darstellen. Dadurch werden nun die Götter unsterblich. Der Tod aber murrt und sagt: So werden nun auch alle Menschen unsterblich werden! Was werde ich dann für einen Antheil haben? Die Götter aber versichern ihm, fortab solle Niemand mehr mitsammt dem Körper un- sterblich werden, wenn er (der Tod) diesen (den Körper) als seinen Antheil nehmen wolle. „Nur vom Körper sich trennend soll fortan unsterblich werden, wer überhaupt unsterblich wird, sei es durch Wissen oder Thun. Unter Wissen und Thun ver- standen sie aber hier die Schichtung des Feueraltars. Die, welche nun dieses wissen oder diese That (das Opfer) voll- führen, werden nach dem Tode wiedergeboren, und zwar werden sie zur Unsterblichkeit wiedergeboren.' Welche das aber nicht wissen oder dieses Opfer nicht ausführen, werden nach dem Tode wiedergeboren und werden wieder und wieder seine (des Todes) Beute.«8

Es ist hier also im Catapatha - Brähmana schon vom Wiedergeborenwerden4 die Hede, wenn auch in deutlichem Zusammenhange mit, oder Abhängigkeit von jener Idee des Wiedersterbens, welche, wie erwähnt, die erste Form ist, m der dieser Glaube erscheint5

Bönen bisweilen erzählt, dass sie im Laufe ihrer langen Seelenwanderong wiederholentlich Indra, Brahma u. dgl. gewesen seien , Behauptungen, die sich mit der Vorstellung von ein und demselben alten Gott Indra u. 8. w. nicht vereinigen lassen, zu deren Erklärung man aber vielleicht gerade an die hier vorgetragene Lehre von wiederholtem Sterben auch im Jen- seits erinnern darf. Man bedenke ferner, dass ja in späterer Zeit ge- legentlich auch ein zorniger Heiliger im Stande ist, andere Welten, andere Götter, Indr&'s u. s. w. üu schaffen, und man wird nicht mehr zu sehr vor jenen phantastischen Vorstellungen zurückschrecken. Dem Denken und Vorstellen der Inder ist eben mehr möglich, als unser abend- ländischer Verstand zu fassen vermag. 1 sarväni rüpäni.

* D. h.' natürlich im Jenseits.

Eigentlich seine „Speise".

4 Sanskrit, punafr sam-bhu wieder werden, wieder entstehen.

6 Auch in der früher mitg et heilten Erzählung von Naciketas in der Kathaka-Up. wird von dem sich immer wiederholenden Tode gesprochen, dem der Thor verfallt (s. oben p. 237). Der Tod spricht (Käth.-Up. 2, 6) : „Dem Thoren, der genusssüchtig und durch Reichthum bethört "ist, leuchtet keine Zukunft entgegen. Dies ist die Welt, es giebt keine andere! so denkend kommt er wieder und wieder in meine Gewalt/' Erkenntniss soll davon erlösen. Wie nah noch der Gedankenkreis der Upanishad dem oben aus dem £at. Br. entwickelten steht, zeigt auch der Umstand, dass Naciketas sich als zweite Gabe die Kunde des Opferfeuers aus- bittet, durch welches man die Himmelswelt erlangt. (S. oben p. 236).

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Es ist weiter daran zu erinnern, dass in eben dieser selben Zeit der jüngeren Brähmana's sich auch der Glaube an den Atman-Brabman ausbildete, dessen Entstehung wir bereits früher ausführlich besprochen haben. Der Atman-Brahman, die heilige Weltenseele, zeigte sich als das höchste Ziel, dem wir mit Anstrengung all unserer Kräfte zustreben sollen. Die Erkenntniss seines wahren Wesens führte so wurde gelehrt zur Vereinigung mit ihm, zum höchsten Glück. Aber es war doch offenbar, dass dieses Ziel nur der Vollkommenste erreichen konnte, der sich von den Täuschungen dieser Welt, von den Fesseln irdischer Begier und des Vielheitglaubens wirklich frei gemacht und in Allem den Atman erkannt hat. Was aber soll aus all den Andern werden, die solches Ziel nicht erreichen können? Sollen sie den Höllenstrafen verfallen? Das stände bei den meisten in keinem Verhältnis zu ihrer Verschuldung. Naturgemäss fordert das Gerechtigkeitsgefühl, dass es zwischen der Höllenpein und dem höchsten Heü eine Reihe von Zwischenstufen geben müsse für alle die, welche das höchste Heil noch nicht erreichen konnten, aber doch auch durchaus keine verdammungswürdige Existenz geführt. Da bieten sich nun sehr erwünscht die vielen verschiedenen, oft recht elenden und gequälten Existenzen, in welchen der Mensch immer wieder und wieder des Todes Beute wird. Es sind dies Läuterungsstufen zwischen Hölle und Himmel, dem katholischen Fegefeuer nicht ganz unähnlich.1

Niedrig stehende Seelen gehen, wie die Upanishad's lehren, nach dem Tode in feste Gegenstände (wie Stöcke und Steine) über;2 bessere gelangen aufs Neue in einen Mutterschooss; die Gerechten und Edlen kommen in die Seligkeit der Mondwelt, von wo sie nach einer bestimmten Zeit wieder zur Erde zurückkehren; nur die wahrhaft Wissenden gelangen in die Welt des Brahman.3

Der Atman-Brahman »hat die ganze Welt, all die vielen Einzelexistenzen aus sich hervorgehen lassen. Während nun ein Theil dieser Wesen ihm noch näher steht, sind die andern Wesen in einer Menge von Abstufungen weiter und immer

1 Eine Existenz, fern von der Vereinigung mit dem Atman, kann als Lauterungsstufe wirken, weil sie mit Schmerz verbunden ist. „Was von ihm (dem Atman) verschieden ist, ist leidvoll," sagt das Brihad- Aranyaka. und auch die Käthaka-Up. (5, 11) spricht von „dem Leiden der Welt" (vgl. oben p. 238). Mit dem Glauben an jenes höchste selige Eine tritt auch die Ueberzeugung von der Unvollkommenheit dieser Welt auf.

* Vgl. Kathaka-Ui>. 5, 7 (oben p. 237\

* Vgl. z. B. KAush. Up.

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weiter von ihm entfernt. Nach Maassgabe dieser Entfernung von dem einstigen Ausgangspunkte hat jedes Wesen, oder viel- mehr der Kern, die Seele desselben, einen kürzeren oder wei- teren Weg zurückzulegen, um wieder in den Atman-Brahman einzugehen. Die pantheistische Weltauffassung, ihre Evolutions- oder Emanations-Theorie, die in den Upanishaden in mannig- fachen Bildern vorgeführt wird, gehört aufs Engste mit der Lehre von der Wanderung der Seele durch eine ganze Reihe verschiedener Existenzen zusammen.

Die Stufenfolge dieser verschiedenen Existenzen, welche die Seele zu durchlaufen hat, wird* mit der Zeit immer syste- matischer ausgebildet Von Wichtigkeit ist in dieser Hinsicht vor Allem das Auftreten der Lehre von dem Karman, d. h. dem Thun, der That, welche die Wanderung der Seele bestimmt Wir sind derselben bereits früher 1 in einer Upanishad begegnet, in dem Wettstreit zwischen Yäjfiavalkya und Artabhaga. Dort wurde sie noch wie eine Art Geheimlehre behandelt. „Rein wird man durch reines Thun, böse durch böses Thun," d. h. der Mensch wird nach dem Tode das, was sein Thun, seine Werke verdienen.

Sehr schön spricht sich das Qatapatha-Brahmana über diese Frage in folgender Stelle aus: „Wie eine Weberin von einem bunten Gewände ein Stück abnimmt und eine andere, neue, schönere Form webt, so lässt auch der Geist (im Tode) diesen Leib fallen und das Bewnsstsein erlöschen und bereitet sich eine andere, neue Gestalt, von Manen oder Gandharven, von Brahman's oder Prajapati's Natur, oder eine göttliche oder eine menschliche, oder von anderen Wesen .... Wie er ge- handelt, wie er gewandelt, so wird er: wer Gutes that, wird zum guten Wesen, wer Böses that, zum bösen; rein wird er durch reine That, böse durch böse That .... So wer im Be- gehren befangen ist Wer ohne Begehr, vom Begehren frei ist, wer nur den Ätman begehrt, wer sein Begehr erreicht hat, aus dessen Leib entweichen die Odemkräfte , nicht (in einen anderen Leib), sondern ziehen sich hier zusammen; er ist das Brahman und zum Brahman geht er . . . Und weiter heisst es: „Auf dem Begehren beruht des Menschen Natur. Wie sein Begehren ist, so ist sein Streben; wie sein Streben ist, solche That (Karmar) thut er; welche That er thut, zu einem solchen Dasein gelangt er.** 8

1 S. oben p. 210.

4 8. Oldenberg, a. a. 0. p. 49.

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Wer yon allem Begehren frei ist, gelangt somit zur höchsten Seligkeit Jeder Andere erlangt nach Maassgabe seines Thuns eine andere Existenz.

Es liegt für das sittliche Gefühl etwas sehr Befriedigendes in dieser Annahme, dass der Mensch sein Glück und Unglück, seine ganze Existenz als Lohn für seine Thaten in einem früheren Leben erhält Die scheinbare Ungerechtigkeit im Leben des Einzelnen, die sonst zu so viel Zweifel und Murren wider das Geschick oder die Vorsehung Anlass giebt, erklärt sich von diesem Standpunkt völlig ausreichend, in über- raschender Weise. Wir dürfen wohl annehmen, dass dies Moment die Hauptrolle dabei spielte, wenn die Theorie der Seelenwanderung sich in das indische Volksbewusstsein so un- erschütterlich fest einwurzeln konnte.1 Der Seelen wanderungs- glaube verschmolz vollständig mit dem Moralsystem und musstc ihm als Stütze dienen. Die grösste Schwierigkeit, das stärkste . Hinderniss für den Glauben an eine sittliche Weltordnung war auf diesem Wege weggeräumt Wie sollte das nicht über- zeugend wirken?

In späterer Zeit führte wohl auch die immer fester sich ausbildende Ordnung der Stände oder Kasten den schema- tisirenden Verstand der Inder zur Annahme ähnlicher Verhält- nisse in der ganzen Welt und damit zu einer scharf aus- geprägten Stufenleiter der Geschöpfe nach Werth und Würdig- keit Auf dem Wege der Seelenwanderung war für diese dann die Möglichkeit des Fortschrittes und der endlichen Erlösung geboten. Die systematischere Ausbildung des Seelenwanderungs- glaubens und die des Kastenwesens unterstützen sich gegen- seitig, und müssen wir uns ihr Wachsthum durchaus gemeinsam denken.1

Weiterhin beförderten wohl auch die Brahmanen gerne die Ausbildung und Verbreitung dieses Glaubens, weil die be- ängstigende VorsteUung von einer Wanderung durch endlose Reihen leidensvoller Existenzen ihnen als gewaltiges Schreck- und Bändigungsmittel der abergläubischen Geister dienlich war. Ja, nächst Opfer und Gebet verdanken sie vielleicht ihre

1 Auf dies Moment legt auch Kern das grösste Gewicht, um das Aufkommen des Seelen wanderongsglaubens in Indien zu erklären. (Vgl. H. Kern, Der Buddhismus und seine Geschichte in Indien, übersetzt von H. Jacobi, Bd. I, Th. I p. 12).

a Vgl. auch unten Vorlesung XXVIII. Duncker, Gesch. d. Alterth., Bd. III, 4. Aufl., p. 104— 11G

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vollendete Herrschaft in späterer Zeit in erster Linie gerade diesem Glauben.1

Sehr bemerkenswerth ist endlich noch der Umstand, den ich schon an einem anderen Orte hervorgehoben habe,1 „dass wir bei den Indern nie einem Widerspruch, nie einer Anfech- tung der Seelenwanderungslehre begegnen. Ob eine Wanderung der Seele stattfindet, wird nirgends gefragt, sondern immer nur: wie ist es möglich, ihr zu entrinnen? Sie wird allgemein und unumstösslich geglaubt. Das spricht für eine naturgemässe, folgerechte Entwickelung aus den Prämissen, welche die älteste indische Cultur bot. Die indische Skepsis ist bisweilen kühn genug, sie wagt es an dem Höchsten und Heiligsten zu rütteln, aber an dem Seelenwanderungsglauben meines Wissens nicht. Dieser Glaube gilt von der Zeit an, wo wir ihm überhaupt be- gegnen, gewissermassen als selbstverständlich/1

Zu der Zeit, als Buddha auftrat, muss der Glaube an die Seelenwanderung schon allgemein verbreitet und fest gewurzelt gewesen sein, da ja dieses Religionsstifters alleiniges Streben darauf gerichtet war, den Weg der Befreiung von der qualen- vollen Kette der Wiedergeburten, der Erlösung aus dem Kreis- lauf des Lebens zu finden; und ähnlich war es bei seinen zeit- genössischen Rivalen.

Das Auftreten Buddhas bezeichnet in der indischen Ge- schichte einen Wendepunkt von höchster Bedeutung. War er auch keineswegs der Erste, welcher das Mönchthum aufbrachte und die Weltflucht predigte, so ist er doch weitaus die hervor- ragendste Persönlichkeit, in welcher sich diese neue, das Mittelalter einleitende Geistesrichtung gleichsam klassisch ver- körpert Wir thun daher wohl nicht unrecht, wenn wir die Epoche, in welcher dieser grosse Mönch lebte, als die Grenze zwischen indischem Alterthum und indischem Mittelalter an- setzen.

Die Ansichten über den Buddhismus und seine Stellung in der indischen Geschichte haben sich in neuerer Zeit, in Folge vortiefterer Quellenforschung, nicht unerheblich verändert. Seit den fünfziger Jahren war in dieser Hinsicht vor Allem das Buch von Carl Friedrich Koeppen, die Religion des Buddha,8 maass^ebend und tonangebend gewesen. Es ist

1 Vgl. Koeppen, Die Religion dos Buddha, Bd. I, p. 36. 37. 8 In meiner Schrift „Pythagoras und die Inder", Leipzig 1884, p. 27. 28.

» 2 Bande, Berlin 1857. 1859.

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dies ein ganz vortreffliches, klar und geistvoll geschriebenes Werk, das auch weiterhin stets von Bedeutung bleiben wird und zu Leetüre und Studium warm empföhlen werden kann. Die in demselben gegebene Darstellung von Buddha und dem Buddhismus beruht aber wesentlich nur auf den nordindi- schen, in Sanskrit geschriebenen Quellen, sowie auf den tibe- tanischen und chinesischen Berichten, welche allesammt, wie von den Kennern dieser Literatur einstimmig anerkannt wird, an Alter und Werth bedeutend zurückstehen hinter den süd- indischen, im Pali- Dialekt abgefassten und namentlich in Ceylon erhaltenen Quellen. In den ersteren finden sich sehr viele Zusätze, Erweiterungen, Ausschmückungen und Ueber- treibungen, die offenbar jüngeren Ursprungs sind und den ein- facheren und treueren, durchaus glaubwürdigeren Pali-Büchern fehlen. Hier können wir am ehesten die Buddha-Legende und -Lehre in ihrer ursprünglichen Gestalt kennen lernen, die in den Büchern der nördlichen Buddhisten vielfach entstellt ist.

Als Koeppen sein Buch schrieb, waren die Pali-Quellen noch so gut wie unbekannt, war die Zeit vor Buddha, waren vor Allem die Brähmana's nur noch ungenügend erforscht und verwerthet, und hatte man noch nicht gelernt, die spätere Zeit der brahmanischen Herrschaft, deren sociale Gestaltung uns vor Allem das sogenannte Gesetzbuch des Manu vorführt, deutlich von jener früheren Epoche zu scheiden. Daraus sind nun manche irrige Anschauungen und Voraussetzungen ent- sprungen. Koeppen suchte in Buddha vor Allem den socialen Reformator, der den niederen Classen des Volkes das Evan- gelium der Befreiung predigt und Opposition macht gegen Druck und Tyrannei der oberen; der die furchtbaren Fesseln des Kastenwesens sprengt; der die Armen und Elenden zu sich gerufen und ihnen gelehrt, jenes ungerechte Joch ab- zuwerfen. Diese Auffassung wird nun durch die alten Pali- Qnellen nicht bestätigt Im Lichte der letzteren nimmt sich Buddha's Leben und Lehre einigermassen anders aus. Die aus ihnen sieh ergebenden Resultate sind vortrefflich verwerthet in dem interessanten und gediegenen Werk von Hermann Olden- berg, „Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde."1 Die von uns im Folgenden gegebene Darstellung des Buddhismus schiiesst sich der Hauptsache nach an dieses Werk an.»

1 Berlin 1881.

* Eine weitere Bereicherung unseres Wissens auf diesem Gebiete verdanken wir Heinrich Kern, „Der Buddhismus und seine Ge-

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2.r)4

Für die Treue der alten Päli-Quellen spricht in hohem Ma#sse auch der Umstand, dass das aus denselben gewonnene Bild des Buddha und seiner Zeit aufs Beste stimmt und sich trefflich anschliesst an die vorausgegangene Entwicklung des indischen Denkens und Empfindens, wie sie uns durch die Bruhmanas, Arauyaka's und Upanishaden vorgeführt wird und wie ich versucht habe, sie Ihnen darzulegen.

Wir haben früher gesehen, dass nach Anleitung der ge- nannten Werke in jener Zeit zwar schon eine ständische Glie- derung des Volkes eingetreten war, aber das starre, grausame Kastenwesen, wie es z. B. Manu's Gesetzbuch zeigt, noch nicht - existirte. Ein Kämpfer gegen das Kastenwesen ist denn auch, den besten Quellen gemäss, Buddha eigentlich nicht gewesen.1 Wenn in seinem Mönchsorden der Unterschied der Stände keine Geltung hatte, so hatte er dies mit manchen anderen gleich- zeitigen Orden gemein, und da eben das Ständewesen damals noch nicht so drückend war, so bedeutete dies noch keine sociale Revolution, wenn es auch in der Folge in immer schär- feren Gegensatz zu der brahmanischen Gesellschaftsordnung treten sollte.

Die Ideen Buddha's, seine Ziele und Bestrebungen gehen in so natürlicher Weise aus der vorgeschrittenen brahmanischen Weisheit jener Zeit hervor, theilen mit ihr so viel und sind so eng mit ihr verknüpft, dass oft gerade die Feststellung des Unterscheidenden Schwierigkeiten macht Der schroffe Gegen- satz zwischen Buddhismus und Brahmanismus in späteren Jahrhunderten ist zu einem guten Theil jedenfalls jüngeren Datums.

Das Wissen, die wahre Erkenntniss des Ätman-Brahmau bringt Erlösung, d as war der Hauptgedanke der Upanishaden- Weisheit; Nichtwissen aber bringt Verderben und ein immer neues Verfallen in des Todes Gewalt Das Begehren, der Durst nach dem vergänglichen Glück, nach Sein, Leben, Be- sitz u. dgl. bringt Elend, Wiedergeburt und Tod, die Be- freiung von allen Begierden aber fuhrt zur Erlösung. Dieses Beides, die Erkenntniss des Höchsten und das Ueber- winden alles Begehrens hängt aufs Engste zusammen und lässt sich nicht trennen. „Wenn der Mensch den Xtman er- kennt: das bin ich selbst! was wünschend, um welches Be-

Bchichte in Indien4'. Aus dem* Holländischen ins Deutsche übersetzt von Hermann Jacobi, Leipzig 1882. 1883. (Bisher ist nur der 1. Band und der 1. Theil des 2. Bandes erschienen-.

1 Dieser Punkt wird auch weiter unten noch näher beleuchtet.

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gehrons willen sollte er am Leiblichen haften?" Die wahre Erkenntniss vernichtet alles Begehren, das Nichtwissen aber bewirkt, dass wir am Irdischen hängen bleiben.

Wir befinden uns hier, bei den brahmanischen Weisen, in einem Gedankenkreise, der dem von Buddha's Lehre aufs Nächste verwandt ist „Die Frage, auf der die buddhistischen Gedanken von der Erlösung ruhen, wird schon hier genau in derselben Weise aufgeworfen und es wird dieselbe doppelte Antwort auf diese Frage gegeben. Was hält die Seele fest in dem Kreis- lauf von Geburt und Tod und Wiedergeburt? Auch der Buddhis- mus antwortet: Begehren und Nichtwissen.*1

Freilich, worin nun speciell nach Buddha's Lehre die wahre Erkenntniss, das Wissen besteht, das tritt denn doch, wie wir später sehen werden, als etwas Besonderes hervor, ob auch in mancher Hinsicht verwandt mit anderen damals aufgekommenen Ideen.

Es ist ferner zu beachten, das Buddha auch in der Ter- minologie, die er gebraucht, in Punkten von grosser Wichtigkeit an die vorausgehende brahmauische Weisheit anknüpft. Wir finden, wie bereits früher (p. 190) bemerkt ist, im Brihad- Xranyaka das Wort Qramana, welches Asket, Bettelmönch be- deutet und später insbesondere auch von den buddhistischen Mönchen gebraucht wird. Auch nennt bereits das £atapatha- ßrahmana den, welcher den Atman erkannt hat, einen Prati- buddha, d. h. einen Erweckten, Erleuchteten u. dgl. m.2

Feinsinnig bemerkt Oldenberg auch, dass der Buddhis- mus vom Brahmancnthum nicht nur eine Reihe seiner Dogmen als Erbtheil überkommen habe, „sondern, was dem „Historiker

1 Oldenberg, Buddha, p. 52. 53 Kern a. a. 0. p. 2 sagt geradezu von Buddha: „Der Inhalt seiner Lehre war wenig verschieden von der seiner Zeitgenossen, wie wir sie besonders in den IJyanishad's finden." Vgl. auch ebenda p. 3.

* Vgl. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 152. 153. Ohlenberg, Buddha, p. 53. Ucbrigens gaben auch andere Sekten, ausser der buddhistischen, z. B die Jaina's, ihrem Religionsstiftcr das Epitheton ,. Buddha". Vgl. weiter unten. Ich mache ferner darauf aufmerksam, dass der bei den Buddhisten so wichtige Terminus „Nirvana4* auch in brahmanischen Schriften, allerdings erst der folgenden Periode (z. B. im Mahiibharata) gebraucht wird in dem Sinne „Erlöschen der Lebens- flamme, ewige Seligkeit, Aufgehen in der Gottheit". Vgl. Pet. Wort, s. v. 2. nirvana. Es kommt übrigens auch, mehr präcisirt, die Bezeich- nung brahmanirvana „Verwehen. Aufgehen in Brahma" vor. Es laast sich nicht bestimmt entscheiden, welche von beiden Keligionsparteien das Wort zuerst gebraucht hat. Der Buddhismus hat zun&chst wohl das tfrösserr. Anrecht darauf.

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nicht minder bedeutend ist die Stimmung des religiösen Denkens und Fühlens, die leichter empfunden als in Worte gefasst werden kann" (a. a. 0. p. 54).

In dieser Beziehung verdient auch eine Bemerkung des französischen Indologen A. Barth über die Upanishaden her- vorgehoben zu werden. Derselbe sagt1 von diesen Schriften: „Der Ton, der darin herrscht, besonders in Ansprachen und Gesprächen, in denen er sich zuweilen durch aussergewöhnliche Lieblichkeit auszeichnet, ist der einer vortraulichen Predigt. In der Beziehung giebt es nichts in der Literatur der Brah- manen, was so sehr einem buddhistischen Sütra gleicht, als einzelne Stücke aus den Upanishad's, mit dem Unterschiede indessen, dass an Erhabenheit der Gedanken und des Styles diese Stücke Alles übertreffen, was wir bis anjetzt von den Predigten der Buddhisten kennen."

Buddha leugnete die Autorität der Veden und erklärte, dass sie nicht zum Heile fuhren, aber auch darin waren ihm jene brahmanischen Weisen vorangegangen, die in tiefer Un- befriodigung die alten Veden aufgegeben hatten, um nur dem Suchen nach dem Atman zu leben, und die zuletzt entdeckten und verkündeten, dass nur die Erkenn tniss des Atman (also nicht der Veda) Erlösung bringe.

Im Buddhismus wird die Erlösung gesucht ohne einen Gott, allein aus menschlicher Kraft Der Stifter desselben macht den kühnen Versuch, einen Glauben, eine Religion zu begründen ohne einen Gott. Dem hatte sich aber auch die brahmanische Speculation der vorausgehenden Zeit mehr und mehr genähert. Die alten Götter waren mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, ihre Gestalten verblasst, und der abstracte Begriff des auf den Weltenthron gesetzten, für die Seele der Welt erklärten Brahman bot keinen entsprechenden Ersatz für diesen Verlust. Als die eigentlich handelnde Person in dem grossen Drama der Weltentwickelung und Erlösung er- scheint jetzt der Mensch, der durch richtige Erkenntniss die Fessel, die ihn an diese Welt bindet, zerstören kann.1

Ja, in einigen Kreisen brahmanischer Denker war man in dieser Richtung noch bedeutend weiter gelangt.

Neben jener in den Upanishaden verkündeten Lehre, der gemäss der Mensch durch Erkenntniss des Atman -Brahman

1 In seinen „Religions de 1'Inde", p. 49. 50. Ich gebe die Stelle nach der Jacob lachen Uebersetzung von Kern's „Buddhismus", p. 18. 1 Vgl. dazu Oldenberg a. a. 0. p. 54.

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sich selbst erlöst ist der indischen Tradition zufolge vor Buddha bereits eine andere Lehre ausgebildet gewesen, an welche sich der grosse Religionsstifter angeschlossen haben soll, die Sämkhya-Lehre des Kapila. Es ist nun zwar in neuerer Zeit sowohl von Max Müller1 als von Oldenberg in Abrede gestellt worden, daas zwischen der buddhistischen Weltanschauung und der Sainkhya-Philosophie ein näherer Zu- sammenhang, eine Aehnlichkeit bestehe, aber wie ich glaube mit Unrecht. Es liegen wichtige Uebereinstimmungen vor. Die Samkhya- Lehre, welche wir leider nur aus Werken jüngeren Datums kennen, vertritt gegenüber den idealistischen Doctrinen der Upanishaden einen mehr nüchternen, rationalistischen Stand- punkt Sie weiss nichts von jenen hochfliegenden pantheisti- schen Ideen, denen gemäss die ganze Welt aus dem Atman- Brahman hervorgeht und wieder in ihn zurückkehrt; sie hat bei ihrer Construction des Weltprocesses den Atman-Brahman, die Gottheit überhaupt ganz eliminirt. Sie geht von dem aus, was sich unserer Beobachtung darbietet, der Materie und einer Menge individueller Geister, und sie bleibt auch dabei stehen. Sie löst den Gegensatz dieser beiden Principien nicht in einer höheren Einheit auf, weder auf idealistische noch auf materia- listische Weise, und so ist sie denn durch und durch dualistisch. Sie fordert keinen Gott als Schöpfer der Materie und der indi- viduellen Geister, sondern nimmt einfach beide als einmal ge- gebene Grössen von verschiedener Qualität hin. Die Erlösung tritt ein, Wenn der Geist sich als grundverschieden von der Materie erkannt hat. Dann löst er sich für immer los von ihr. Was weiter folgt, bleibt ungesagt. Von einer Vereinigung mit der Gottheit ist nicht die Rede. Aehnlich aber ist auch Buddha's Gedankengang. Auch er hat die Gottheit aus dem Welt- process eliminirt, er kennt keinen Weltenschöpfer, keinen pan- theistischen Atman-Brahman, der die Welt aus sich hervorgehen lasst und mit dem sich zu vereinigen das höchste Ziel wäre. Die zahlreichen individuellen Seelen sind auch ihm ein Ge- gebenes, das nicht auf eine ursprüngliche Einheit zurückverfolgt wird. Das endliche Ziel besteht in völliger Loslösung der iti-

1 Max Müller 6agt in den Chips from a German Workshop, I, 226: „We hatve looked in vain for any deiinite simUarities between the System of Kapila, as known to us in the Sankhyasütras, and the Abhidharma, or the metaphysict of the Buddhist«." Dem stimmt Oldenberg. Buddha, p. 93 Anm. Yollstandig bei. Ich bin dieser Meinung bereite früher entgegengetreten, in meiner Schrift „Pythagoras und die Inder41 p. 69. 70.

v. 8chr5d»r, Iadkat Lit. a. Cult. 17

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dividuellen Seele von den Banden der Körperwelt Ist diese gelungen, so tritt das Nirvana ein, von dem man nach buddhi- stischer Lehre nicht fragen darf, ob es ein Sein oder Nicht- sein ist

Vor Allem also im völligen Abstreifen der Grottesidee ist die Samkhya- Lehre die directe Vorläuferin des Buddhismus, und beide haben darum auch den Vorwurf des Atheismus tragen müssen. Es liegt kein ausreichender Grund vor, die alte Tradition von einem Zusammenhang zwischen Buddha und der Samkhya-Lehre zu beanstanden, wenn auch im Uebrigen zwischen der ausgebildeten buddhistischen Metaphysik und dem Samkhya-System, wie wir dasselbe aus späteren Schriften kennen, Unterschiede genug vorliegen mögen.

Auch in den äusseren Formen des geistlichen Leben war Buddha und dem Buddhismus durch die unmittelbar voraus- gehende Zeit der Boden bereitet Nicht mit Buddha beginnt das Mönch th um, wenn er auch der hervorragendste Repräsentant desselben ist, sondern schon früher, in der Zeit, wo die Sehn- sucht, den Ätman - Brahman zu erkennen, so viele Gemüther anfing ausschliesslich zu beschäftigen. „Den Ätman erkennend lassen Brahmanen davon ab, nach Reich thum, nach Kindern, nach der Welt zu begehren, und ziehen als Bettler umher,tf so sagt das Brihad-Äranyaka.1 Das aufs Höchste gesteigerte Stieben nach der wahren Erkenntniss lässt alles irdische Glück nichtig erscheinen und bringt Weltflucht, Mönchthum und Askese hervor. Der Inhalt dieser Erkenntniss wandelt sich dann bei den verschiedenen Ordensstiftern und Mönchsgemeinden, aber immer ist es doch wesentlich dasselbe Streben, das immer auf s Neue ähnliche sociale Erscheinungen ins Leben ruft.

Vielleicht waren es zuerst vorzugsweise Brahmanen,* die das Einsiedler- und Mönchsleben ergriffen, äber ein ausschliess- liches Anrecht darauf beanspruchen sie nirgends. Dagegen spräche auch schon durchaus die hervorragende Betheiligung des Standes der Krieger und Könige bei der Schöpfung der- jenigen Literatur, in welcher das Streben nach Erkenntniss dos Ätman seinen Höhepunkt erreicht, der Upanishaden. Im Ein- zelnen lässt sich jene Entwicklung nicht verfolgen, so viel aber können wir mit Bestimmtheit behaupten, dass es vor Buddha und gleichzeitig mit ihm schon eine ganze Reihe solcher Mönchs- und Asketengemeinschaften gab, die jede auf ihre Art die Er-

1 Cat. Br. 14, 6, 3, 2.

Vgl. die oben angeführte Stelle des Brih. Aranyaka.

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lösnng suchte und in denen grossentheils schon Emanripation Ton der Autorität des Veda eingetreten war. Man nannte Personen, die in solcher Art freiwillig ein weltflüchtiges geist- liches Leben auf sich nahmen, Cramana,1 in der Volkssprache Samana» und diese Bezeichnung wurde denn auch Buddha und seinen Anhängern gegeben.

Unter den verschiedenen Mönchsgemeinschaften jener Zeit ragen einige besonders hervor; so die Nirgrantha's, d h. »die von Fesseln Befreiten", zu den sogenannten Jaina's gehörig, welche sich noch bis auf die Gegenwart, besonders im Süden und Westen Indiens, erhalten haben. Die Jaina's stehen den Buddhisten besonders nah und wurden wohl auch darum, als gefährliche Concurrenten, von diesen, die im Ganzen doch tole- rant gegen Andersgläubige sind, in auffallendem Maasse gehasst und geschmäht* Dieser Orden wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von einem älteren Zeitgenossen des Buddha, Vardhamana Jfiataputra (in der Volkssprache Nataputta)5 begründet Noch heute verehren die Jaina's diesen Jfiataputra (Nataputta) als ihren Stifter und Heiland, ihren „Jina", d. h. „Sieger oder Ueber- winder**, auch geradezu als ihren „Buddha".4 Die Buddhisten nennen sechs grosse Lehrer (in ihren Augen natürlich Irrlehrer) als Häupter von sechs andersgläubigen Sekten, darunter auch den Nataputta. Jaina's wie Buddhisten nennen als Ort, wo Nataputta gestorben sei, die Stadt Pavä, welche Ueberein- stimmung ganz verschiedener Quellen die Glaubwürdigkeit der- selben sehr erhöht und die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hier um dieselbe Person handelt, zur Gewissheit macht6

1 „Asket, Mönch, Bettelmönch."

* Vgl. Kern, Buddhismus, Bd. I, p. 566,

Meist mit dem Titel Mahavlra, d. h. der grosse Mann oder Held, bezeichnet

4 Sie gebrauchen in ihren Texten auch eben diesen Namen für ihn. Es ist nicht so verwundern, dass Jaina's und Buddhisten Öfters ▼erwechselt worden sind. Die Hindu's bezeichnen beide Sekten mit demselben Namen, „ohne dass ihnen darum der Unterschied zwischen beiden unbekannt wäre." S. Kern, Buddhismus, Bd. I, Th. 1, p 16.

5 Wir verdanken die obigen Nachweisungen über Nataputta Bühl er, H. Jacobi und Oldenberg. Vgl. Oldenberg, Buddha, p. 78. Kern, Buddhismus, Bd. I, Th. 1, p. 17 Anm. Zu den Jiina's gehören auch noch die Digambara's und andere Sekten. Brahmanische Orden werden in den alteren buddhistischen Schriften selten erwähnt „Der einzige, welcher ausdrücklich genannt wird, ist der der Ajivaka's, welche Ver- ehrer des Narayana sind." Kern, Buddhismus, Bd. I, Th. 1 p. 17. Ueber die Orden und Sekten jener Zeit vgl namentlich auch Olden- berg, Buddha, p. 62—72.

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Ein solches Haupt einer Mönchsgemeinschaft war nun auch Buddha. In der üblichen Tracht der Asketen, mit dem Bettel- napf in der Hand, zog er im Lande umher, verkündete seine Lehren und umgab sich mit einer Schaar ihm treuergebener Jünger, deren Leben er wie sein eigenes nach bestimmten Satzungen regelte. Seine Predigt aber muss eine Gewalt und eine Tiefe gehabt haben, mit der er alle anderen Lehrer weit hinter sich liess, sonst wäre es wohl nimmer geschehen, dass noch heutzutage, nach bald 2ljt Jahrtausenden, ein Drittel der gesammten Menschheit dieser Lehre und Predigt anhängt.

Anmerkung.

Zu derselben Zeit, deren Charakteristik uns soeben beschäftigt hat fand auch, wie ich an einem anderen Orte wahrscheinlich gemacht zu haben glaube, die erste directe Berührung der griechischen Coltnrwelt mit der indischen statt. Sie war individueller Natur, aber die Persön- lichkeit, um welche es sich dabei handelt, hat einen so nachhaltigen Einfluss in der griechischen Welt geübt, dass jene Berührung von den bedeutsamsten Folgen gewesen. Da ein näheres Eingehen auf diese Frage hier nicht am Platze wäre, so begnüge ich mich damit, auf meine diesbezügliche Arbeit zu verweisen (Pythagoras und die Inder. Eine Untersuchung über Herkunft und Abstammung der pythagoreischen Lehren. Leipzig 1884), indem ich zugleich die Bemerkung hinzufüge, dass Ich meine Beweisführung trotz einiger dawider vorgebrachten kritischen Ein- wendungen der Hauptsache nach auch gegenwartig noch durchaus auf- recht erhalte.

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Achtzehnte Vorlesung.

Die Senart 'sehe Theorie. Leben und Wirken Buddha's. Zeit und Ort •einer Geburt. Jugend und Auszug zum geistlichen Leben. Die Zeit des Riegen s und K&mpfens und die Erleuchtung. Erste Ereignisse dar- nach. Die Predigt zu Beraum Die vier heiligen Wahrheiten. Das Anwachsen der Gemeinde in ihrer ersten Form. Mönche und Laien. Hervorragende Betheiligung der oberen Stande, nicht der Armen und Elenden. Gegensatz zu den Brahmanen. Tod. Theoretischer Ursprung and eminent praktische Bedeutung der Lehre Buddha'a. Seine Lehre vom Leiden, dessen Ursache und Aufhebung. Elend des Daseins. Poesie

des Weltschmerzes.

Bevor ich es versuche, in kurzen Zügen ein Bild von dem Leben und Wirken Buddha'a zu entwerfen, ist es noth wendig einer Theorie zu gedenken, die, wenn sie richtig wäre, uns dies Alles in völlig anderem Lichte erscheinen lassen würde. Der französische Gelehrte fimile Senart hat in seinem Buche „Essai sur la legende du Buddha"1 den Nachweis zu liefern gesucht, dass Alles, was uns von dem Lehen Buddhas berichtet wird, völlig unhistorisch und in der That nichts weiter als ein in die Form der Legende umgewandelter Mythus sei. Er be- streitet es nicht, dass einstmals ein Mensch Namens Buddha gelebt, der die nach ihm benannte Gemeinde gestiftet, aber er behauptet, dass das wirkliche Leben dieses Mannes ganz und gar verdrängt worden sei durch die alten Mythen von dem Sonnengott, dessen Geburt aus der Morgenwolke, seinem Kampf mit den Dämonen der Finsterniss und seinem endlichen Er- loschen, die man auf den gefeierten Stifter jener Religions- gemeinschaft übertrug. Das wirkliche Leben des grossen Mönchs wurde mit der Zeit vollständig vergessen und alle Berichte davon sind nur eine lange Reihe umgewandelter Sonnenmythen. Senart hat diese seine Ansicht mit einem

1 Paris 1875.

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grossen Aufwände von Schartsinn und Gelehrsamkeit zu ver- fechten gesucht, doch wird dieselbe sich wohl nur eine be- schränkte Anzahl von Anhängern gewinnen können. Sie ist, wenn auch geistreich durchgeführt, doch zu gesucht, zu wenig wirklich wahrscheinlich, als dass sie jemals durchdringen könnte. Es würde uns hier viel zu weit führen, wenn ich die einzelnen Deutungen, welche Senart von seinem Gesichtspunkte aus den Berichten über Buddha's Leben zu geben sucht, auch nur andeuten wollte. Ich beschranke mich darauf, hervor- zuheben, dass der französische Gelehrte sich ganz an die weit weniger authentische nordindische Ueberlieferung hält und seine Gedanken und Theorieen sehr oft gerade auf viel später hinzu- gefugten Legenden und Ausschmückungen aufbaut, welche die ältere, einfachere und treuere Erzählung von Buddha in den Pali-Texten gar nicht kennt Dies ist ein wesentlicher Fehler» der einer Menge von Senart's Deutungen gerade die scheinbar überzeugendsten Momente ganz entzieht.

Oldenberg hat der Senart'schen Theorie eine so be- sonnene und überzeugende Widerlegung zu Theil werden lassen, dass die innere Unwahrscheinlichkeit und ungenügende Be- gründung derselben wohl hinreichend klargelegt sein dürfte. Ich verweise daher für alles Nähere auf die Ausfuhrungen dieses Gelehrten 1 und hebe hervor, dass wir in den Berichten von Buddha, seinem Leben und Wirken, trotz manch legenden- haften Beiwerks, doch feste historische Traditionen vor uns haben, die in der Hauptsache anzuzweifeln durchaus kein ge- nügender Grund vorliegt

Buddha ist nach der glaubwürdigsten Tradition in der Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Christo geboren. Man rechnet von seinem Tode bis zum Concil der 700 Aeltesten zu Vaic&li 100 Jahre. Dies Concil fand i. J. 380 v. Chr. statt Darnach wäre Buddha gestorben i. J. 480 v. Chr., und da er, der Tradition zufolge/ achtzig Jahre alt wurde, wäre er geboren L J. 560 v. Chr.

Seine Geburtsstadt war Kapilavastu an der Rohini,

1 Oldenberg, Buddha, p 78—96. Leider hat auch Kern die Senart'sche Hypothese ganz adoptirt, wodurch sein Buch über den Bud- dhismus, wie mir scheint, erheblich an Werth verloren hat. Die un- befangene historische Beurtheilung muss nothwendig Schaden leiden, wenn man in jedem Ereigniss, das von Buddha oder seinen Jftngern be- richtet wird, immer irgend welche Vorgange am Firmament, besondere Oestirncombinationen u. dgl. zu sehen sich bemüht, resp. derartiges in alle jene alten Erzählungen irgendwie hineinzudeuten sucht.

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*

einem Flüsschen, welches in die Rapti* strömt, im Nordosten des Kocala-Reiches, in der heutigen Landschaft Oude. Kapila- vastu gehörte dem edlen und zahlreichen Rajanya-Geschlecht der (Jakya und stand in einem gewissen Abhängigkeitsver- häitniss zu den Königen von Kocala. Aus dieser adligen oder fürstlichen Familie der Qakya's stammte nun auch der grosse Mönch, der darum oft (^äkyasimha, der Löwe aus dem Ge- schlecht der Cakya, oder (^akyamuni, der Einsiedler aus dem Qakya- Geschlechte, genannt wird. Er hiess mit seinem persön- lichen Namen Siddhärtha; da aber die (Jakya nach Sitte der Adligen' aufch den Namen eines altvedischen Sängergeschlechtes, der Gautama's oder Nachkommen des Gotama, angenommen hatten, wird er meist der Asket Gautama genannt, von seinen Anhängern und Verehrern der Buddha. Die Qakya's waren ein vornehmes Geschlecht, ähnlich den heute noch erhaltenen Rajputen - Familien ; ein Königssohn in unserem Sinne des Wortes ist aber Buddha nicht gewesen.* Er wurde der Sitte seines Hauses gemäss, in kriegerischen Leibesübungen erzogen, war auch in verschiedenen Künsten und Wissenschaften ge- bildet; vedische Gelehrsamkeit aber wird ihm nicht nach- gerühmt.3

Er vermählte sich und hatte einen Sohn Namens Rahula. Die spätere Legende hat das prächtige, alle weltlichen Genüsse bietende Leben des jungvermählten Qakya-Sohnes in seinem stattlichei Palast, umgeben von schönen Trauen und Dienerinnen, die dann folgende Wandlung in seinem Innern, den Entschluss, Alles aufzugeben und Mönch zu werden, und die nächtliche Flucht aus dem heimischen Palaste, den Ritt auf seinem treuen Rosse Kanthaka u, s. w., zu einem fesselnden, farbenvollen Bilde gestaltet. Sinnreich und eindrucksvoll ist die Erzählung von jenen vier Ausfahrten, die die völlige Sinnesänderung des in Genüssen aller Art lebenden, von seinem Vater absichtlich in völliger Abgeschlossenheit und Unkenntniss des Elends dieser Welt auferzogenen jungen Mannes zu Wege bringen. Auf de ersten dieser Ausfahrten begegnet ihm ein Greis, mit runzlichtem Antlitz und kahlem Haupt, gebeugt und zitternd. Bei der zweiten sieht er einen elenden Kranken, vom Fieber geschüttelt, mit Aussatz und Geschwüren behaftet; bei der

1 Die Rapti ((Jar&Yatl) ergiesst sich in die Sarayü, die wiederum in den Ganges mündet.

8. Oldenberg, a. a. 0. p. 101. Rajput heisst übrigens eigent- Ucluauch Königssohn.

8. Oldenberg. a. a. 0. p. 102.

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dritten einen verwesenden Leichnam, in dem die Würmer hausen. Von seinem. Wagenlenker über diese ihm neuen Er- scheinungen belehrt kehrt, der junge Qakya-Sohn jedes Mal tief erschüttert nach Hause zurück. Zuletzt ruft er: „Wehe der Jugend, die durch das Alter, wehe der Gesundheit, die durch die Krankheit zerstört wird" u. s. w. Er will fortab nachsinnen, wie die Befreiung von diesen Uebeln zu finden sei. Bei der vierten Ausfahrt begegnet ihm ein Mönch, dessen ernstes und würdiges, innere Sammlung bekundendes Wesen ihm tiefen Eindruck macht. Da beschliesst er selbst, der Welt zu entsagen und Mönch zu werden u< 8. w.

Von diesen und ähnlichen, zum Theil sehr schönen und fesselnden Erzählungen der nördlichen Quellen wissen die alten Pftli-Bücher wenig oder nichts zu melden. Dort nimmt sich die Geschichte der inneren Wandlung des Buddha sehr viel schlichter und einfacher aus. Er selbst erzählt sie dort, er schildert den Reich thum, in dem er einst lebte, und sagt:

„Mit solchem Reichthum, ihr Jünger, war ich begabt, in solch übergrosser Herrlichkeit lebte ich. Da erwachte in mir dieser Gedanke: Ein thörichter Alltagsmensch, ob er gleich selbst dem Altern unterworfen und von des Alters Macht nicht frei ist, fühlt Abscheu, Widerwillen und Ekel, wenn er einen Andern im Alter sieht. Der Abscheu, den er da fühlt, kehrt sich gegen ihn selbst. Auch ich bin dem Altern unterworfen und von des Alters Macht nicht frei. Sollte auch ich, der ich dem Altern unterworfen und von des Alters Macht nicht frei bin, Abscheu, Widerwillen und Ekel fühlen, wenn ich einen Andern im Alter sehe? Das käme mir nicht zu. Indem ich, ihr Jünger, also bei mir dachte, ging in mir aller Jugendmuth, der der Jugend innewohnt, unter. Ein thörichter Alltags- mensch, ob er gleich selbst der Krankheit unterworfen und von der Krankheit Macht nicht frei ist," u. 8. f. es folgt dieselbe Gedankenreihe, die eben über Alter und Jugend ge- geben war, jetzt in Bezug auf Krankheit und Gesundheit, so* dann in Bezug auf Tod und Leben. „Indem ich, ihr Jünger," so schliesst diese Stelle, „also bei mir dachte, ging in mir aller Lebensmuth, der dem Leben innewohnt, unier .al

Da ist nichts von den farbenvoll poetischen Schilderungen des nächtlichen Auszuges aus dem Palaste zu finden. Davon berichten die alten Texte nur ganz einfach: „der Asket Gotama ist jung, in jungen Jahren, in blühender Jugendkraft, in der

1 S. Oldenberg a. a. 0. p. 10f flg.

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ersten Frische des Lebens* tob der Heimath in die Heimath- loeigkeit gegangen. Der Asket Gotama hat, ob seine Eltern es gleich nicht wollten, ob sie gleich Thränen vergossen und weinten, sich Haare und Bart scheeren lassen, gelbe Gewänder angethan, und ist von der Heimath in die Heimathlosigkeit gegangen." 1

Er soll zuerst bei Rajagriha sich von zwei berühmten Lehrern1 in der brah manischen Weisheit haben unterrichten lassen* Aber sie schafft ihm keine Befriedigung.

Nun zieht er in die Wälder von UruvilvA* und kasteit sich dort auf alle Art. Dorthin begleiten ihn auch noch fünf andere Asketen, seine Mitschüler bei einem jener brahmanischen Lehrer. Aber auch die furchtbarste Askese nützt ihm nichts, sie giebt ihm nicht den inneren Frieden, nach dem seine Seele dürstet. Er erkennt endlich, dass dieser Weg nicht zur Er- leuchtung fuhrt, giebt die Kasteiung auf und nimmt wieder reichlich Speise zu sich. Da verzweifeln seine fünf Genossen an seiner Kraft und Beharrlichkeit, geben ihn auf und ziehen davon.

Er zieht nun nach Gaya, nach ihm Buddhagaya genannt, und unter dem berühmten Bodhi-Baume, dem Baume der Er- kenntniss, sitzend, gewinnt er endlich die ersehnte Erleuchtung, wird ein Erleuchteter, wird Buddha.

Was der Qakya-Sohn unter jenem Baume durchlebt hat, ist wiederum von der späteren Legende mit phantastischen Ausschmückungen ausgestattet worden. Mära, der Versucher, der Gott des Todes und der Sünde, sieht, dass der Qakya-Sohn nahe daran ist, die Erleuchtung zu erlangen, und er weiss, dass sein eigenes Reich dann gefährdet ist; darum versucht er mit allen Mitteln das Zustandekommen jener Erleuchtung zu hindern. Von unerm esslichen Heerschaaren, Riesen, Löwen, Tigern, Schlangen u. 8. w. umgeben, selbst auf einem 150 Meilen hohen Elephanten reitend greift er den sinnenden Asketen an. Aber alle Angriffe prallen erfolglos ab. Auch in einem Wort- kampf unterliegt der Versucher; und als endlich auch seine verführerisch schönen Töchter mit allen ihren Reizen den (JAkya-Sohn nicht aus seiner Ruhe bringen können, da ist der Sieg gewonnen, und der Versucher muss das Feld räumen.4

1 8. Oldenberg a, a. 0. p. 107.

9 Arata Ealama und Rudraka (auch üdraka, im Pali Uddaka). S. Oldenberg p. 108. Eoeppen a. a. 0. Bd. I, p. 86. » Im Pili Urnvela.

* Vgl. die Schilderungen bei Eoeppen, a. a. 0. p. 88~90.

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Diese Schilderung ist den alten P Ali-Texten fremd. Nach ihnen ist es lediglich eine Reihe verschiedener Seelenzustände, die der Qakya-Sohn dort unter dem Baume, nach der Erkennt- niss ringend, durchmacht. Und endlich geht ihm die Er- leuchtung auf; er erkennt das Leiden der Welt, seine Ursache und den Weg, der zu seiner Aufhebung fuhrt. Er selbst erzählt:

„Da ich solches erkannte und da ich solches schaute, ward meine Seele erlöst von der Sünde der Begier, erlöst von der Sünde des irdischen Wesens, erlöst von der Sünde des Irrens, erlöst von der Sünde des Nichtwissens. In dem Erlösten erwachte das Wissen von der Erlösung: vernichtet ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, gethan die Pflicht, nicht werde ich zu dieser Welt zurückkehren; also erkannte ich « 1

Viermal sieben Tage bleibt er fastend unter dem Baume der Erkenntniss. Er lässt die Verkettungen von Ursache und Wirkung an seinem Geiste vorüberziehen, jenen grossen Causal- nexus, der mit dem „Nichtwissen" als der ersten Ursache be- ginnt und als letzte Frucht „Geburt, Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Kümmerniss und Verzweiflung*' hervorbringt. Wird aber die erste Ursache aufgehoben, so wird auch alles Leid überwunden. In triumphirender Freude über die gewon- nene Erkenntniss bricht er zuletzt in die Worte aus:

Wenn sich enthüllt ewiger Ordnung Walten

Dem Sinnen, dem glühenden, des Brahmanen,

Zu Boden wirft er des Versuchers Schaaren,

Der Sonne gleich, die durch den Luftraum Licht strahlt.2

Nun aber tritt nach einigen, wahrscheinlich jüngeren Be- richten Mära, der Versucher, an ihn heran und will ihn be- wegen, gleich in das Nirväna einzugehen. Er widersteht, denn, wenn er auch selbst schon der Erlösung theilhaftig ist, so weiss er doch, dass er erst noch den anderen Wesen allen die Lehre der Erlösung predigen muss, um auch sie auf die rechte Bahn zu fahren.

Zwei Kaufleute kommen des Weges gezogen, Trapusha und Bhailika mit Namen. Sie sind die Ersten, die den endlich zum Buddha Erhöhten in seiner Grösse erkennen und ihm huldigen.

1 S. Oldenberg a. a. 0. p. 109. 110. S. Oldenberg a. a. 0. p. 116. 117.

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Darnach aber wird Buddha von der quälenden Sorge er- fasst, ob die Menschheit, in ihrem irdisch- thörichten Treiben befangen, ihn auch werde verstehen und begreifen können. Wenn nicht, dann würde er ja nur nutzloser Mühe und Noth sich unterziehen; und er neigt sich dazu, die Lehre nicht zu predigen. Da aber steigt Brahma Sahampati in eigener Person vom Himmel herab und fleht den Erhabenen knieend und mit gefaltenen Händen an, die Lehre dennoch zu predigen, zum Heile der Welt. Endlich gewährt Buddha die Bitte.

Er zieht nun nach Benares, wo seine früheren fünf Ge- nossen weilen, und dort findet in dem Gazellengehölz die be- rühmte erste Predigt statt, wo der Erhabene die vier heiligen Wahrheiten verkündet, welche fortab die Grundpfeiler des Buddhismus bilden.

Der Erhabene sprach: „Thut euer Ohr auf, ihr Mönche, die Erlösung vom Tode ist gefunden!* „Zwei Enden1 giebt ee, ihr Mönche, von denen muss, wer ein geistliches Leben fuhrt, fern bleiben. Welche zwei Enden sind das? Das eine ist ein Leben in Lüsten, der Lust und dem Genuss ergeben; das ist niedrig, unedel, ungeistlich, unwürdig, nichtig. Das andere ist ein Leben der Selbstpeinigung; das ist trübselig, unwürdig, nichtig. Von diesen beiden Enden, ihr Mönche, ist der Vollendete fern und hat! den Weg, der in ihrer Mitte liegt, erkannt, den Weg, der das Auge aufthut und den Geist auf- teilt, der zur Ruhe, zur Erkenntnist, zur Erleuchtung, zum Nirvana führt Und welches, ihr Mönche, ist dieser Weg in der Mitte, den der Vollendete erkannt hat» der das Auge auf- thut und den Geist aufthut, der zur RuhcT, zur Erkenn tniss, zur Erleuchtung, zum Nirvana führt? Es ist dieser heilige aihttheilige Pfad, der da heisst: rechtes Glauben, rechtes Ent- schliessen, rechtes Wort, rechte That, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sich versenken. Dies, ihr Mönche, ist der Weg in der Mitte, den der Vollendete erkannt hat, der das Auge aufthut und den Geist aufthut, der zur Ruhe, zur Erkenntni88, zur Erleuchtung, zum Nirvana führt.

Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von Liebem getrennt sein ist Leiden, nicht erlangen was man begehrt ist Leiden, kurz das fünffache Haften (am Irdischen) ist Leiden.

Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von d«r

1 D. h. rwei Extreme.

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Entstehung des Leidens: es ist der Durst (nach Sein), der von Wiedergebart zu Wiedergeburt fuhrt, sammt Lust und Be- gier, der hier und dort seine Lust findet: der Durst nach Lüsten, der Durst nach Werden, der Durst nach Macht

Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: die Aufhebung dieses Durstes durch gänzliche Vernichtung des Begehrens, ihn fahren lassen, sich seiner entäussern, sich von ihm lösen, ihm keine Stätte ge- währen.

Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von dorn Wege zur Aufhebung des Leidens: es ist dieser heilige achttheilige Pfad, der da heisst: rechtes Glauben, rechtes Ent- schließen, rechtes Wort, rechte That, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken.

Ich habe es erkannt und geschaut: unverlierbar ist meines Geistes Erlösung; dies ist meine letzte Geburt, nicht giebt ee hinfort für mich neue Geburten."1

Jene fünf Mönche bekehren sich nun wirklich zur Lehre Buddha's. Er zieht nach Uruvilva, predigt tausend brahmani- schen Einsiedlern die Lehre, und auch diese bekehren sich zu ihm. Dann zieht er weiter nach Rajagriha, der Hauptstadt des Magadha- Reiches. König Bimbisara zieht ihm mit unge- heurem Gefolge entgegen, hört die Predigt des Buddha und schliesst sich als Laiengenosse der Gemeinde an. Diese Ge- meinde wächst nun bald in gewaltigen Dimensionen; hervor- ragende Jünger werden gewonnen und eine unzählige Menge von Anhängern. Und so zieht Buddha viele Jahre lehrend und predigend, von Almosen lebend, im Lande umher. Insbesondere bewegt er sich im Reiche der Kocala, in Kaci und Magadha, dem heutigen Oude und Bihar, also in den östlichen Gebieten des Ganges -Landes. Die westlichen Lande, der alte und fe- steste Sitz des Brahmanenthums, werden von ihm auf seinen Reisen zwar auch berührt, aber doch seltener. Hauptstationen waren für ihn die Residenzen des Kocala- und des Magadha- Landes, Crävasti und Rajagriha. In der Nähe mancher Städte wurden dor Mönchsgemeinde besondere Haine' zum Aufenthalte eingeräumt und Klöster gebaut Ein berühmter solcher Hain war der Venuvana8 oder Bambushain, vormals ein Lusthain des Königs Bimbisara von Rajagriha, den dieser fromme Fürst den Buddha- Jüngern geschenkt; ein anderer war der Jeta-

1 Nach Oldenberg, a. a. 0. p. 129—131. * Im Pali „Veluvana".

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vana bei Crävasti, Geschenk des reichen Kaufmanns Anatha- pindika

Die engere, eigentliche Gemeinde des Buddha bestand in einem Orden von Bettelmönchen, Bhikshu (Bettler) oder Cranrana (Asketen) genannt In weiterem Sinne konnten sich aber auch Laien der Buddha- Lehre anschliessend die dann in ihren ge- wöhnlichen Lebensverhältnissen verblieben; sie wurden Upä- 8aka'8 oder „Verehrer" genannt. In den engeren Orden wurden ursprünglich keine Frauen aufgenommen, und erst nach einigem Widerstreben 1 entschloss Bich Buddha endlich auf die Fürbitte seines Lieblingsjüngers Ananda, dieselben zuzulassen, wenn auch immer nur in mehr untergeordneter Stellung; so bildete sich neben der Mönchsgemeinde auch eine Gemeinde von Nonnen.

Innerhalb der Gemeinde war der Unterschied der Kasten aufjgehoben. Beim Eintritt in dieselbe musste man auf etwaige Kastenvorrechte verzichten. Darüber sagte Buddha: „Wie, ihr Jünger, die grossen Ströme, so viel ihrer sind, die Gafigä, die Yamuna» die Aciravati, die Sarabhü, die Mahl, wenn sie den grossen Ocean erreichen, ihren alten Namen und ihr altes Ge- schlecht verlieren und nur den einen Namen führen: der grosse Ocean, so auch, ihr Jünger, diese vier Kasten, Adlige und Brah- manen, Väicja und Qudra, wenn sie nach der Lehre und dem Gesetz, das der Vollendete verkündet hat, ihrer Heimath ent- sagen und in die Heimathslosigkeit gehen, verlieren sie den alten Namen und das alte Geschlecht und fuhren nur den einen Namen: Asketen, die dem ^akya-Sohne anhangen."'

Das ist gewiss wichtig; indessen war es nicht Buddha, der den niederen Klassen dieses Recht erstritt Es bestand schon vorher. Der Stand der Qramana, zu dem ein Jeder Zutritt hatte, stand lange schon in öffentlichem Ansehen. Dieser Zu- stand der Dinge war dazumal, der buddhistischen Tradition zufolge, ein unangefochtener und gleichsam selbstverständ- licher.5

In diesem Zusammenhange mag auch noch als bemerkens- werth hervorgehoben werden, dass zu den Jüngern Buddha's gerade vorwiegend Söhne edler Geschlechter gehörten, Brah- manen, viele, die schon früher Einsiedler oder Asketen gewesen waren, Adlige, Söhne reicher Kaufleute und Beamten u. dgl. m. Die Betheiligung der niederen Volksklassen, der Armen und

1 Vgl. Ohlenberg a. a. 0. p. 168. 1 Oldenberg, a. a. 0. p. 154. VgL Oldenberg p. 156.

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Elenden ist eine weit geringere.1 Ausdrücklich werden sogar Sklaven, Soldaten, kränkliche und gebrechliche Leute von der Mönchsgemeinde ausgeschlossen.1

Unter den Gegnern Buddha's bildeten die Brahmanen, die Anhänger des Veda und der Opferwissenschaft, nur einen TheiL Vielleicht damals noch gefährlichere Gegner waren die Häupter anderer Mönchsorden.

Geeen das Oüferwesen nolemisirt Buddha stark, desgleichen gegen die vedische Schriftgelehrsamkeit, die er als hohl und leer darstellt, oder gar als Betrügerei. Ebenso wird der brah- manische Kastenhochmuth von ihm gegeisselt*

So sehen wir denn den Qakya-Sohn in der That als ent- schiedenen Gegner der Brahmanen, aber die braJimanische Speculation hatte ihren Ausgangs- und Stützpunkt, das Opfer, eigentlich bereits selbst aufgelöst, wenigstens theoretisch, Eft war ganz künstlich, wenn man das Alte mit dem Neuen noch zusammen zu erhalten suchte. Buddha wirft jenes Alte, den Veda und das Opfer, ganz fort, und will nur noch die innere Läuterung, Erkenn tniss, Erlösung. Vom Opfer will er nichts wissen. Einem Brahmanen, der ihn nach den Eigenschaften eines rechten Opfers fragt, erwidert er: „Das höchste Opfer, das ein Mensch bringen kann, und der höchste Segen, dessen er theilhaftig werden mag, ist, wenn er die Erlösung erringt und die Gewissheit gewinnt: nicht werde ich wieder zu dieser Welt zurückkehren. Das ist die höchste Vollendung alles Opfers," 4

Die anderen Mönchsorden, namentlich die Jaina's, ähneln in ihren Lehren vielfach sehr den Buddhisten. Ein wichtiger Unterschied von den meisten derselben liegt in Buddha's Ver- werfung aller strengen Askese und SelbBtpeinigung. Er ver- gleicht das rechte geistliche Leben mit einer Laute, deren Saiten nicht zu lose und nicht zu straff gespannt sein müssen, wenn der rechte Ton zu Stande kommen soll.6 In der vorhin mitgetheilten berühmten Predigt im Gazellengehölz zu Benares trat dieser Gegensatz Buddha's zur Askese auch bereits deutlich hervor.

* Vgl. Kern, BuddhismuB, Bd. I. p. 563: „Es las st sich kein Be- weis für die Behauptung aufUhren, dass die Lehre des Meisten in erster Linie oder hauptsächlich für die niederen Klassen bestimmt gewesen sei."

* Vgl. Kern, Buddhismus, Bd. I, p. 563 Anm. Als Laie wurde übrigens Jedermann zugelassen.

* Vgl Oldenberg, a. a. 0. p. 175.

* S. Oldenberg a. a. Q. p. 176.

* Vgl. Oldenberg a. a. 0. p. 179.

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Nach langdauerndem Wirken stirbt Buddha endlich in einem Alter von achtzig Jahren, wohl um 480 v. Chr. Die Sal-Bäume, unter denen der Sterbende sich hinlegt, bedecken sich über und über mit Blüthen, obgleich es damals nicht die Blüthezeit jener Bäume war. Unter ihnen lagert sich Buddha wie ein Löwe. Blüthen fallen auf ihn herab, ein Blumenregen strömt vom Himmel, und himmlische Weisen ertönen von oben, um den sterbenden Heiligen zu ehren.1 Schaaren von Gläubigen strömen herbei Sterbend ermahnt er Ananda, seinen Lieblings- jünger, nicht zu trauern, weil der Meister sterbe: „Die Lehre, Ananda, und die Ordnung, die ich euch gelehrt und verkündigt habe, die ist euer Meister, wenn ich hingegangen bin." Seine letzten Worte zu den Jüngern waren: „Wohlan, ihr Jünger, ich rede zu euch; vergänglich ist Alles, was da geworden ist; ringet ohne Unterlasse Dann ging er ins Nirvana ein. Da soll Brahma diesen Spruch gesagt haben:

In den Welten die Wesen all legen einst ab die Leiblichkeit,

So wie jetzt Buddha, der Siegesfürst, der höchste Meister aller Welt,

Der Machtige, Vollendete, zum Nirvana ist gangen ein.*

Die Lehre Buddha's schliesst sich an die philosophische Gedankenentwickelung der vorausgehenden Zeit an, baut sich auf einer festausgeprägten philosophischen Weltansicht auf, umfasst in sich eine besondere Metaphysik, unterscheidet sich also durch diesen Ausgangspunkt wesentlich von der Lehre anderer Religionsstifter. Man hat sie nicht mit Unrecht einen philosophischen Pessimismus genannt* Durch lange Reihen abstracter Gedanken will Buddha den Beweis hefern, dass in Wirklichkeit alles Leiden schliesslich aus einer Quelle fliesst, dem Nichtwissen.4 Aber trotz dieser abstracten Voraussetzungen trägt die* Lehr'e des Qakya- Sohnes deunoch einen eminent praktischen Charakter an sich. Das sehnsuchtsvoll erstrebte Ziel ist die Erlösung, und der Heilige will der Menschheit nur das offenbaren, was zum Heil, zur Erleuchtung, zur Erlösung dient Darum sagt er: „Wie das grosse Meer, ihr Jünger, nur von einem Geschmack durchdrungen ist, von dem Geschmack

1 S. Oldenberg a. a. 0. p. 205.

* Oldenberg a. a. 0. p. 207.

* Vgl. Kern, Buddhismus, Bd. I, p. 562. Weil sie eben diesen Charakter an sich traft, wendet sie sich durchaus nicht speciell dem Elend der niederen Volksklasaen zu.

4 Die zum Theil ziemlich verzwickte Causalitatsreihe de9 Buddha, die Formel vom „Causalnezus des Entstehens14 kann man näher kennen lernen aus Oldenberg, a. a. 0. p. 22d flg.

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des Salzes, also ist auch, ihr Jünger, diese Lehre and diese Ordnung nur Ton einem Geschmack durchdrungen, von dem Geschmack der Erlösung."1

Den eigentlichen Ausgangspunkt der Lehre Buddha's bildet die tiefe Ueberzeugung von dem Leiden dieser Welt, von dem Elend des Daseins. Die vier heiligen Wahrheiten, welche durchaus den Kernpunkt der buddhistischen Lehre Ä ausmachen, den Angelpunkt, um den sich Alles dreht, handeln nur vom Leiden und seiner Aufhebung. Die meisten anderen Kategorieen und Sätze haben die Buddhisten mit anderen Religiösen Indiens gemein; diese vier heiligen Wahrheiten aber treten stets als dasjenige hervor, was die Anhänger Buddha's von allen Andersgläubigen unterscheidet8 Alles Leben ist Leiden, von dieser Ueberzeugung ist Buddha tief durch- drungen, und sein einziges Streben ist darauf gerichtet, die Erlösung' von diesem Leiden zu finden, in welches die Wesen durch das Gesetz der Seelenwanderung hinein gebannt sind.

Man hat den Buddhismus völlig missverstanden, wenn man ihm die Anschauung zu Grunde legte, dass das wahre Wesen alles dessen, was ist, das Nichts sei. Vom Nichts ist in Buddha's eigner Lehre nirgends die Rede. Wenn Buddha sich von dieser Welt abwendet, so geschieht es nicht, weil er sie für ein blosses Scheinbild erklärt, das eigentlich ein Nichts sei, sondern weil sie Leiden und nichts als Leiden in sich birgt.4

Dieser Gedanke, mit der Kraft einer unerschütterlichen Ueberzeugung ausgesprochen, muss wie mit dämonischer Gewalt auf die Gemüther der Menschen in jener Zeit gewirkt haben. Er' tritt als etwas Neues auf und versetzt die Menschen, die so lange an dem Sein und seiner Lust gehangen und die dann lange, lange schon tiefe Unbefriedigung gefühlt, mit einem Male in eine völlig neue Empfindungswelt und eröffnet ihnen die Aussicht auf Befreiung von dem, was sie unbewusst schon lange als Qual empfunden. Hier muss das Fascinirende von Buddha's Predigt und Persönlichkeit gelegen haben. Alles Vergängliche, Veränderliche ist dem Leiden unterworfen; alles Sein aber ist vergänglich und veränderlich, und darum ist alles Sein dem Leiden unterworfen. Ewig, unentrinnbar scheint

1 S. Oldenberg, a. a. 0. p. 209.

Des sogenannt/m Dharma (im Päli Dhamma).

* Vgl. Oldenberg, a. a. 0. p. 214.

4 Vgl. Oldenberg, a. a. 0. p. 216. 217.

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dieses Leiden, das der Seelen Wanderungsglaube in die Unend- lichkeit verlängert Geburt, Alter und Tod sind es, die das Leiden bedingen; wenn diese drei nicht wären, so wäre der Vollendete nicht erschienen, lehren die buddhistischen Bücher.1

Buddha sagte: „Die Wanderung (sainsara) der Wesen, ihr Jünger, bat ihren Beginn in der Ewigkeit. Kein Anfang lässt sich erkennen, von welchem an die Wesen, im Nichtwissen be- fangen, vom Durst nach Dasein gefesselt, umherirren und wan- dern. Wie meint ihr, ihr Jünger, was ist mehr, das Wasser, •das in den vier grossen Meeren ist, oder die Thräuen, die geflossen und von euch vergossen sind, wie ihr auf diesem weiten Wege umherirrtet und wandertet, und jammertet und weintet, weil euch zu Theil wurde, was ihr hasstet, und nicht zu Theil wurde, was ihr hebtet? Der Mutter Tod, des Vaters Tod, des Bruders Tod, der Schwester Tod, des Sohnes Tod, der Tochter Tod, Verlust der Verwandten, Verlust der Güter, das Alles habt ihr durch lange Zeiten erfahren. Und indem ihr durch lange Zeiten dies erfuhrt, sind der Thräuen mehr geflossen und von euch vergossen, wie ihr auf diesem weiten Wege umherirrtet und wandertet und jammertet und weintet, weil euch zu Theil wurde, was ihr hasstet, und nicht zu Theil wurde, was ihr liebtet, als alles Wasser, das in den vier grossen Meeren ist."2

Macht euch IVei von Lust und Leid dieser Welt, nur dann könnt ihr Erlösung finden!

Laut und eindringlich tönt diese Lehre von der Nichtig- keit aller irdischen Lust, von der Thorheit, ihr nachzujagen, uns aus dem Dhammapada, der schönsten Sammlung buddhi- stischer Sprüche, entgegen. Wie mag man Scherz und Lust pflegen, da doch das Verderben uns rings umgiebt?

„Blumen sammelt der Mensch, nach Lust stoht sein Sinn; wie über ein Dorf Wasserfluthen bei Nacht, so kommt der Tod über ihn und rafft ihn hin."

Aus irdischer Freude, aus irdischer Liebe wird doch nur Leid und Furcht geboren; Leid und Tod verfolgen uns; Be- freiung vermag nur der zu gewinnen, der auf diese Welt hinab- schaut wie auf ein LuftgebiJd, eine Schaumblase; der sich von allen Fesseln löst, die uns an das Dasein knüpfen.3

1 Vgl. die Stelle aus dem Anguttara Nikaya bei Oldenberg a. a. 0.

1 S. Oldeuberg a. a. 0. p. 221.

3 Ygl. Oldenberg a. a. 0. p. 223. 224. Dass übrigens ßuddha mit dieser Lehre von der Notwendigkeit, sich von allen irdischen Banden,

p. 221.

t. Sehrüder, TnOt«n» Lit. u. Cult.

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Es ist die Poesie des Weltschmerzes, die in Buddba's Predigt zum ersten Mal mit räthselhafter Gewalt die Herzen erfasst und bald ganze Völker in ihren Bann zwingt Aber nicht trübsinnig und traurig ist die Stimmung des gläubigen Buddhisten, das lehren uns die buddhistiscnen Bücher mit unzweifelhafter Gewissheit. Nein, ihn erhebt das herrliche Be- wusstsein, die Erlösung aus all diesem Leid gefunden zu haben, und mit siegesfreudiger Gewissheit strebt er dem letzten Ziele zu.

Das Nichtwissen, jene Wurzel alles Uebels, war für den% philosophirenden Brahmaneu das Nichtwissen von der Identität des eigenen Ich mit jenem grossen Ich, welches die Quelle und der Inbegriff aller Ichheit ist. Für den Buddhisten aber ist es das Nichtwissen von den vier heiligen Wahrheiten, also vom Leiden, seiner Entstehung und seiner Aufhebung. Alles Sein ist Leiden, aber das Nichtwissen spiegelt uns statt dessen ein Trugbild von Glück und Lust vor, dem wir nachjagen, nur um in immer neues Leiden zu verfallen. Es verhindert uns daran, den wahren Werth oder richtiger den Unwerth alles Daseins zu erkennen und ist damit die Wurzel alles Leidens.1 Erst die Vernichtung dieses Nichtwissens, die Zerstörung alles falschen Scheines fuhrt zur Erlösung; denn „Leiden nur ent- steht, wo etwas entsteht; Leiden vergeht, wo etwas vergeht*4 »

Noch Eines möchte ich als charakteristisch für die buddhi- stische Weltanschauung hervorheben. Es ist die Ueberzeugung von der absoluten Gesetzmässigkeit des Weltprocesses, von dem unbedingten Walten des Causalitätsgesetzes. Woher diese Cau- salität stammt, wird nicht weiter gefragt. Der Buddhismus führt die Welt und die in ihr wirkenden Gesetze weder auf einen Schöpfer zurück, noch lässt er sie sich aus einer Ur- substanz entwickeln. Er nimmt ihr Dasein und diese Gesetze als ein Gegebenes, eine Thatsache hin.9 Und darin offenbart der Buddhismus wieder seine durchaus praktische Richtung. Die Beantwortung der letzten metaphysischen Fragen weist er ab; er will nur geben, was zum Heil, zur Erlösung dient.

allem Begehren und Wünschen zu befreien, ebenfalls an frühere brah- manische Gedanken anknüpft, geht aus dem hervor, was wir oben z. B. au« der Ka$haka-Upanishad angeführt haben (i. oben p. 238). Er muai oi aber verstanden haben, mit ganz anderer, ganz neuer Gewalt, das Herz der Menschen für diese Lehre zu gewinnen.

1 Vgl Oldenberg a. a. 0. p. 247.

3 Oldenberg, a. a. 0. p. 255.

* Oldenberg. a. a. 0. p. 257.

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„Ihr Jünger, sagt Buddha, denkt nicht Gedanken wie die Welt sie denkt: die Welt ist ewig oder die Welt ist nicht

ewig; die Welt ist endlich oder die Welt ist unendlich.

Wenn ihr denkt, ihr Jünger, so mögt ihr also denken: Dies ist das Leiden! ihr mögt denken: Dies ist die Entstehung des Leidens! ihr mögt denken: Dies ist die Aufhebung des Leidens! ihr mögt denken: Dies ist der Weg zur Aufhebung des Leidens!«*1 *

1 S. Oldenberg, a. a. 0. p. 258.

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Neunzehnte Vorlesung.

Dm Ninrana ein Sein oder ein Nichtsein? Antwort Buddha'» auf diese Frage, nach der Legende. Stellung der altbuddhistischen Kirche diesem Punkte gegenüber. Geschichte des Mönches Yamaka. Antwort der Nonne Khema. Die Moral des Buddhismus. Geschichte des Prinzen Kunala. Hingabe des eigeneu Leibes und Lebens. Meditation und Weis- heit. Die buddhistwebe Gemeinde und der Cultus. Die Concilien und der Canon. Das Dhammapada. Die Jataka's. Anhang (die wichtigsten Quellen zum Studium des Buddhismus und seiner Geschichte).

Das höchste Ziel des gläubigeu Buddbisten besteht darin» dereinst toi den Fesseln der Seelen Wanderung befreit ins Nirvana einzugehen, wie Buddha selbst bei seinem Tode ins Nirvana eingegangen ist. Was aber hat man sich unter dem „Nirväna" zu denken? Es ist in unseren Tagen viel über diese Frage gestritten worden. Das Wort „Nirväna* 1 bedeutet seiner Etymologie nach soviel als „das Verwehen, Verlöschen". Dar- nach war man früher meistenteils der Meinung, es sei mit diesem Worte die allendliche totale Vernichtung der Existenz, das Eingehen in das Nichts bezeichnet1 Aber gegen diese Auffassung erhub Max Müller seine gewichtige Stimme, indem er* zu zeigen suchte, dass das Nir?ana bei den Buddhisten die höchste Vollendung, nicht aber die Aufhebung des Daseins bedeute.11 In der durch ihn angeregten wissenschaftlichen Discussion ist dann weiter noch vou verschiedenen Gelehrten wichtiges Material zur Klarlegung dieser schwierigen und sub- tilen Frage beigebracht worden. Es ist dabei von Wichtigkeit,

1 Von der Wurzel va „wehen-4 mit der Präposition nis „aus, weg.

ver-".

* So fasste es auch Burnouf, und im Anschluss an ihn Koeppen a. a. 0. Bd. 1, p. 306.

* In der EinL zu Rogers, Buddhaghosha'a Parables, p. XXXIX flg

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die Ansichten der Buddhisten späterer Zeit zu unterscheiden von dem, was die Gemeinde in der ältesten Zeit darüber lehrte und als Buddha'8 Lehre angab. Auch in diese Frage hat Oldenberg's Buch neues und interessantes Licht gebracht, wodurch dieselbe, wie ich glaube, wohl als endgültig gelöst betrachtet werden darf. Die alten heiligen Schriften zeigen es nämlich mit unzweifelhafter Deutlichkeit, dass Buddha selbst die Beantwortung der Frage, ob das Nirvana ein Sein oder ein Nichtsein wäre, direct zurückweist und sogar darnach zu fragen verbietet; und dass die älteste Gemeinde auf diese oft gestellte Frage nur eine Antwort kennt: Der Erhabene hat das nicht offenbart!

Wir sehen auch hier wiederum die durchaus ethisch-prak- tische Richtung der Lehre des Buddha klar hervortreten. Es ist uns unter Anderem ein höchst interessantes Gespräch er- halten, in welchem Buddha, gezwungen auf die erwähnte Frage zu antworten, einen Bescheid giebt, der in der That merkwürdig genug ist.

Es wird erzählt, dass einst der ehrwürdige Mälukya zu Buddha kam und sein Befremden darüber aussprach, dass die Predigt des Meisters gerade eine Reihe der wichtigsten und tiefsten Fragen unbeantwortet lässt. „Ist die Welt ewig oder ist sie zeitlich begrenzt? Ist die Welt unendlich oder hat sie ein Erde! Lebt der vollendete Buddha (tathagata) jenseits des Todes fort? Lebt der Vollendete jenseits des Todes nicht fort? Dass dies Alles unbeantwortet bleiben soll, sagt jener Mönch, gefällt mir nicht und scheint mir nicht recht; darum bin ich zum Meister gekommen, ihn über diese Zweifel zu be- fragen. So möge denn Buddha, wenn er kann, antworten. Wenn aber Jemand etwas nicht weiss und es nicht kennt, so sagt ein gerader Mensch: Das weiss ich nicht, das kenne ich nicht"

Und Buddha erwidert:

„Wie habe ich doch früher zu dir gesagt, Malukyaputta? Habe ich gesagt: Komm Malukyaputta, und sei mein Jünger; ich will dich lehren, ob die Welt ewig oder nicht ewig ist, ob die Welt begrenzt oder unendlich ist, ob die Lebenskraft mit dem Körper identisch oder von ihm verschieden ist, ob der Vollendete nach dem Tode fortlebt oder nicht fortlebt, oder ob der Vollendete nach dem Tode zugleich fortlebt und nicht fortlebt, oder ob er weder fortlebt noch nicht fortlebt?"

„Das hast du nicht gesagt, Herr."

„Oder hast du* fährt Buddha fort, zu mir gesagt: ich will

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dein Jünger sein, offenbare du mir, ob die Welt ewig oder nicht ewig ist u. s. w.?u

Mälukya muss auch dies verneinen.

„Ein Mann, so redet Buddha jetzt weiter, wurde von einem vergifteten Pfeil getroffen; da riefen seine Freunde und Ver- wandten einen Sündigen Arzt Wie, wenn der Kranke nun sagte: Ich will meine Wunde nicht behandeln lassen, bis ich weiss, wer der Mann ist, von dem ich getroffen bin, ob er ein Adliger* oder' ein Brahmane, ob er ein Vaicja oder ein (Judra ist oder wenn er sagte: Ich will meine Wunde nicht be- handeln lassen, bis ich weiss, wie der Mann heißet, der mich getroffen hat, und von was für einer Familie er ist, ob er lang oder kurz oder mittelgross ist, und wie seine Waffe beschaffen war, mit der er mich getroffen hat Was würde das Ende der Sache sein? Der Mann würde an seiner Wunde sterben."

Also Buddha antwortet nicht und warum? Weil solches Wissen nicht den Wandel in der Heiligkeit fördert, nicht zum Frieden und zur Erleuchtung dient Was dazu dient und nöthig ist, das hat Buddha offenbart in den vier heiligen Wahrheiten vom Leiden, seiner Entstehung und Aufhebung. „Deshalb, so endet der Meister Malukyaputta, was da von mir nicht offenbart ist, das lass unoffenbart bleiben, und was offenbart ist, das lass offenbart sein."1

Die durchaus praktische Stellung Buddha's diesen und ähnlichen Fragen gegenüber geht aus obigem Dialog und ins- besondere aus dem unstreitig höchst geistvollen Gleichniss mit grösster Klarheit hervor. Wir Menschen hier auf Erden sind allesammt Kranke und Wunde, die des Arztes "bedürfen, der uns den Weg weist, uns zu befreien von den Leiden. Ins Weite greifende Fragen, die hiermit nichts zu thun haben, sind müssig und sogar schädlich, weil sie uns daran hindern, die Heilung zu suchen. In dieser rein praktischen Stellung gegenüber den letzten metaphysischen Fragen erinnert Buddha auffallend an Sokrates, mit dem er auch in der Art, den Dialog zu fuhren, Vieles gemein hat

Ob Buddha selbst über diesen Punkt eine feste Meinung gehabt hat und welche, das lässt sich demnach nur vermuthen, nicht mit Sicherheit entscheiden. Er hat es nicht offenbart

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die alte buddhistische Gemeinde von den Bekennern der Lehre ausdrücklich den Ver-

1 Ich entnehme obige Mittheilungen Ohlenberg, a. a. 0. 281—283.

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zieht auf das Wissen vom Sein oder Nichtsein des vollendeten Seligen verlangte.1

In dieser Hinsicht ist auch die Geschichte des Mönches Yamaka sehr belehrend. Dieser wagte es nämlich, seino Mei- nung dahin auszusprechen, dass ein von Sünden freier Mönch nach dem Tode nicht sei, und erklärte, dio Lehre des Er- habenen eben so zu verstehen. Aber er wurde deswegen der Ketzerei schuldig befunden Aind von dem Jünger Cariputra eines Besseren belehrt.* Es zeigt uns dies deutlich, wie vollständig Diejenigen fehl gingen, welche das NirvAna als ein Aufgehen in das Nichts erklärten, denn diese Ansicht wird hier ganz direct als eine ketzerische gebrandmarkt. Aber auch die Gegenpartei hatte nicht Recht Buddhistisch-orthodox ist nur der Verzicht auf die Beantwortung dieser Frage.

Wie in dem oben angeführten Dialog an Buddha selbst, so tritt dieselbe Frage in der Folge wiederholt an seine Jünger heran, und es ist interessant zu sehen, wie sie sich dem gegen- über verhalten. In der Hauptsache besagen ihre dahingehenden Antworten, dass hier ein Unergründliches, ünfassbares vor uns steht, nach dem wir nicht forschen und fragen sollen. Qari- putra sucht jenen ketzerischen Mönch davon zu überzeugen, dass er das Wesen des Vollendeten schon im irdischen Leben gar nicht zu fassen und zu begreifen vermöge; wie hätte er also ein Recht, direct zu behaupten, dass der Vollendete jen- seits des Todes nicht sei? Und der Mönch sieht seinen Vor- witz ein und bekehrt sich.

Ein König von Kocala wendet sich mit eben dieser Frage an die Nonne KhemfL Er wünscht zu wissen, ob der Voll- endete jenseits des Todes sei, oder nicht sei; oder ob er zu- gleich sei und nicht sei, oder aber zugleich weder sei noch nicht sei. Immer erhält er dieselbe Antwort: Der Vollendete hat das nicht offenbart! Erstaunt fragt der König nach der Ursache, weswegen der Erhabene das nicht offenbart hat. Die Nonne antwortet:

»Wie meinst du, o grosser König, hast du wohl einen Rechner oder einen Münzmeister oder einen Zählbeamten, der den Sand am Ganges zu zählen vermöchte, der da sagen könnte: So viele Sandkörner, oder so viel Hunderte oder Tausende oder Hunderttausende von Sandkörnern sind dort?

Den habe ich nicht, o Ehrwürdige 1

S. Oldenberg, a. a. 0. p. 283.

4 Vgl. Oldenberg, a. a. 0. p. 287. 2*8.

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Oder hast da einen Rechner, einen Münzmeister oder einen Zählbeamten, der das Wasser im grossen Ocean zu messen ver- möchte, der sagen konnte: So viele Maass Wasser, oder so viel Hunderte oder Tausende oder Hunderttausende von Maassen Wasser sind darinnen?

Den habe ich nicht, o Ehrwürdige!

Und warum nicht? Der grosse Ocean ist tief, unermess- lich, unergründlich. So auch, o grosser König, wenn man das Wesen des Vollendeten nach den Prädikaten der Körperlichkeit begreifen wollte: in dem Vollendeten wären diese Prädikate der Körperlichkeit aufgehoben, ihre Wurzel wäre vernichtet, wie ein Palmbaum wären sie abgehauen und beseitigt, so dass sie sich in Zukunft nicht wieder entwickeln können. Erlöst, o grosser König, ist der Vollendete davon, dass sein Wesen mit den Zahlen der Körperwelt zählbar sei; er ist tief, uner- messlich, unergründlich wie der grosse Ocean. Der Vollendete ist jenseits des Todes, dies trifft nicht zu; der Vollendete ist nicht jenseits des Todes, auch dies trifft nicht zu; der Vollendete ist zugleich und ist nicht jenseits des Todes, auch dies trifft nicht zu; der Vollendete ist weder noch ist er nicht jenseits des Todes, auch dies trifft nicht zu."

Also die Nonne. Und der König nimmt ihre Rede mit Freude und Beifall auf.1

Unser Erkennen ist viel zu arm und beschränkt, als dass es diese Fragen aufwerfen dürfte; sie bleiben ihm ewig ver- schlossen.

Es soll nicht gesagt sein, dass sich nicht in späterer Zeit die Ansicht über das Nirvana nach dieser oder jener Richtung gewendet und geändert, einen positiveren, weniger skeptischen Charakter gewonnen hätte.1 Wie aber die altbuddhistische Gemeinde die Sache ansah, dürfte nach dem Gesagten wohl zur Genüge klar sein.

War Buddha wenig geneigt, seine Jünger über die letzten metaphysischen Fragen zu unterrichten, war seine Tendeuz vor- wiegend eine praktische, so ist es natürlich, dass der Moral in seiner Lehre ein breiter Spielraum gewährt war. Die vierte der vier heiligen Wahrheiten, die vom Woge zur Aufhebung

1 So nach Oldenberg, a. a. 0. p. 284—

* Vgl auch Koeppen. a. a 0. Bd. I, p. 307.

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des Leidens handelt, giebt dem Gläubigen die Richtschnur für sein Leben und Thun und begreift also das in sich, was wir Moral nennen.

Das Ideal des Buddhismus war der Mönch, welcher sich von allen Fesseln dieser Welt frei macht und nur dem letzten Ziele zustrebt. Das wahre heilige Leben ist das Leben des Mönchs; das höchste sittliche Ideal muss demnach ein mönchi- sches sein.

Aber auch Laien gehörten zur buddhistischen Kirche und bald in grosser Anzahl; auch ihnen musste der rechte Weg gewiesen, auch ihnen die Moral gelehrt werden, nach der sie handeln sollten; und es hatte das weitergreifende Folgen, als die allein für die Mönche gegebenen Regeln.

Drei Dinge sind es vornehmlich, deren Erreichung dem Frommen an/s Herz gelegt wird; drei Kategorieen, unter welche die verschiedenen Vorschriften für Leben und Thun subsumirt werden: Rechtschaffenheit, Sichversenken und Weisheit.1

Die Rechtschaffenheit begreift das in sich, was wir im engeren Sinne Moral nennen.

Jeder Bekenner Buddha's, auch der Laie, muss vor Allem die fünf grossen Verbote auf sich nehmen:

1. Kein lebendes Wesen zu iödten;

2. Sich nicht an fremdem Eigenthum zu vergreifen;

3. Nicht die Gattin eines Andern zu berühren;

4. Nicht die Unwahrheit zu reden;

5. Nicht berauschende Getränke zu trinken.

Für Mönche tritt natürlich an Stelle des dritten Punktes das Gebot absoluter Keuschheit ein, und haben sie weiterhin sich noch einer ganzen Reihe anderer Vorschriften zu unter- werfen.

Mit jenen fünf Verboten sind natürlich nur die gröbsten Sünden- bezeichnet, die man zu meiden hat Es versteht sich, dass die Reden und Gleichnisse Buddha" s, die Sprüche und Erzählungen der buddhistischen Lehrbücher sehr viel mehr an moralischen Vorschriften bieten, wodurch jene ersten und wicli- tigsten Forderungen wesentlich ergänzt werden.

Milde, Güte und Barmherzigkeit bilden den Grundzug der buddhistischen MoraL Das Wohlwollen allen Wesen gegen- über wird stark betont. Selbst den Feind soll man nicht hassen, ihm nicht zürnen.

* Vgl. Oldenberg. a. a. 0. p. 294.

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„Ein Mönch, sagt Buddha, lasst davon ab, lebende Wesen zu tödten; er enthält sich der Tödtung lebender Wesen. Er legt den Stab nieder; er legt die Waffe nieder. Er ist mit- leidig und barmherzig; freundlich trachtet er nach dem Wohl aller lebenden Wesen.*'1

Und im D h am map ad a, jener berühmten buddhistischen Spruchsammlung, heisst es: „Durch Nichtzümen überwinde man den Zorn, das Böse überwinde man mit Gutem, den Geizigen überwinde man mit Gaben, durch Wahrheit überwinde man den Lügner." *

Güte und Freundlichkeit selbst gegen Böse, gegen die eignen Feinde und Verfolger wird in mancher buddhistischen Erzählung verherrlicht! Em schönes Beispiel ist die Geschichte vom Prinzen Kunäla. Dieser war mit wunderbar schönen Augen begabt und führte ein stilles frommes Leben. Eine von den Königinnen, den Weibern seines Vaters, entbrennt in Liebe zu ihm. Er widersteht, und aus Rache schmiedet die Ver- schmähte einen teuflischen Plan. Sie erlangt es, dass der Prinz in eine entfernte Provinz gesandt wird, dann entwendet sje das Siegel des Königs und fälscht einen Befehl, dass dem Prinzen die Augen ausgerissen werden sollen. Dies geschieht auch wirklich. Der arme Geblendete kommt im Bettlergewand vor des Vaters Palast gezogen und singt zur Laute ein rührendes Lied. Der König, seltsam bewegt, lässt den Sänger herein- Sufen und erkennt entsetzt in dem grausam Verstümmelten seinen Sohn. Alles kommt an den Tag und, überwältigt von Schmerz und Wutb, will der König die schuldige Königin tödten. Kunala aber fleht ihn an, ihr zu vergeben. Wohl- wollen und Geduld zu üben habe Buddha gelehrt. Er fallt dem Könige zu Füssen und ruft: „0 König, ich fühle keinen Schmerz und trotz der Grausamkeit, die mir widerfahren ist, fühle ich nicht das Feuer des Zornes. Mein Herz hat nur Wohlwollen für meine Mutter, die befohlen hat, mir die Augen auszureissen. So gewiss diese Worte Wahrheit sind, mögen meine Augen wieder werden, wie sie waren" und seine Augen glänzten in ihrer alten Schönheit wieder 1 9

Die Hingabe und Aufopferung des eigenen Selbst zum

1 S. Oldenberg, a. a. 0. p. 297.

* S. Oldenberg, a. a. 0. p. 299. Ich bemerke übrigens, dass sich dieser Spruch wesentlich ebenso auch im Mahabhärata 3, 132f>3 (Böhtlingk, Ind. Sprüche 942) vorfindet. Vgl. die Bemerkung im Text weiter unten

3 Vgl. Oldenberg, a. a. 0. p. 303. 304.

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Wohle Anderer, wie sie in den buddhistischen Legenden und Erzählungen Yerherrlicht wird, geht für unser moralisches Gefühl sogar entschieden zu weit. Wenn z. B. dem Buddha nachge- rühmt wird, in' früheren Existenzen wiederholt sein eignes Fleisch hingegeben zu haben, um den Hunger Anderer zu stillen; wenn er als Prinz einstmals seinen Körper einer hung- rigen Tigerin nfit ihren Jungen preisgegeben, als Haschen sich für einen Brahmanen selbst gebraten, ein anderes Mal Alles, zuletzt die eigenen Kinder sogar aus Wohlthätigkeitsdrang weg- geschenkt haben soll, so können wir da nicht mehr sympathi- siren, sondern empfinden mehr Grausen oder Abscheu. Aber von solchen Uebertreibungen und Ausschreitungen abgesehen, lässt es sich nicht bezweifeln, dass der Buddha im Wesent- lichen eine reine, schöne und milde Sittenlehre begründet hat. Schonung und Duldung, ein weicher, weiblicher Zug ist ihr charakteristisch. In der Hauptsache stimmt diese Moral mit derjenigen überein, die späterhin auch in den brahmanischen Büchern gelehrt und anempfohlen wird; nur ist bei den Buddhi- sten die Milde noch mehr vorherrschend, das Gefühl des Mit- leids noch stärker betont.1

Wenn wir späterhin die Moralsprüche des indischen Mittel- alters aus brahmanischen Werken näher kennen lernen werden, wird die nahe Verwandtschaft derselben mit den buddhistischen Lehren in die Augen springen. Ja, wir finden die buddhisti- schen Sprüche nicht selten fast wörtlich in den brahmanischen Büchern wieder,* eine Erscheinung, die noch einer näheren Untersuchung bedarf. Meine Meinung ist dabei die, dass der Buddhismus in den Jahrhunderten, wo er herrschend war, auf die Gesammtmoral des indischen Volkes einen durchgreifenden und nachhaltigen Einfluss geübt hat

Von hervorragendem Werthe für die Heiligkeit ist sodann nach buddhistischer Lehre auch die fromme Meditation, die Versenkung, der man in Waldeseinsamkeit oder in Berg- höhlen nachtrachtet. Wir finden sie in manchem buddhistischen Texte verherrlicht So heisst es z. B.:

„Wenn am Himmel die Donnerwolke die Trommel rührt, wenn Regenströme den Pfad der Lüfte erfüllen und der Mönch in einer Bergeshöhle der Versenkung sich hingiebt, keine höhere Freude mag ihm werden. Am Ufer blumengeschmückter Strome, die mit bunter Waldkrone gekränzt sind, sitzt er

1 Vpl. auch Kern, Buddhismus, Bd. I p. 545. 554. 560 flg. * Ein Beispiel derart habe ich oben p. 282 bemerkt.

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fröhlich der Versenkung hingegeben; keine höhere Freude mag ihm werden.« Und ferner:

„Die weiten, herzerfreuenden Gefilde, von 'Kareri-Wäldern bekränzt, die lieblichen, da Elephanten ihre Stimme erheben, die Felsen machen mich fröhlich. Wo der Regen rauscht, die lieblichen Stätten, die Berge, wo Weise wandeln*, wo Pfauenruf ertönt, die Felsen machen mich fröhlich. Dort ist gut sein, für mich, den Freund der Versenkung, der dem Heil entgegen ringt. Dort ist gut sein für mich, den Mönch, der nach dem wahren Gut trachtet, der dem Heil entgegenringt."1

Am höchsten aber, mehr als Rechtschaffenheit und Versenkung, wird doch die Weisheit gepriesen, die Erkennt- niss, welche das Nichtwissen zerstört und Erlösung schafft Auf den Inhalt derselben brauchen wir nach dem früher Ge- sagten nicht mehr näher einzugehen.

Ein paar Worte seien mir noch gestattet über die bud- dhistische Kirche oder Gemeinde, die in den folgenden Jahrhunderten in Indien eine bedeutsame Rolle spielen sollte.

Wer als Mönch oder Laie neu hinzutreten wollte zur bud- dhistischen Gemeinschaft, musste die Worte sprechen:

Ich nehme meine Zuflucht beim Buddha.

Ich nehme meine Zuflucht bei der Lehre.

Ich nehme meine Zuflucht bei der Gemeinde.

Diese Dreiheit Buddha, die Lehre und die Gemeinde constituirt fortab den Buddhismus.

Derjenige, welcher in den engeren Verband, den Mönchs- orden eintreten wollte, musste zuerst eine niedere oder vor- bereitende Weihe durchmachen, das Hinausgehen2 genannt. Man schied damit aus dem früheren Stande, dem Laienleben oder einem anderen Orden aus. Dem folgte, wenn der Neu- eintretende noch nicht zwanzig Jahre alt war3 oder vorher einem anderen Orden angehört hatte, eine Probezeit, ein Novi- ziat. Dann endlich fand die höhere Weihe oder Ordination statt, das Hingelangen, das Erreichen4 genannt, durch

1 Auf der Theragäthä (Lied der Alten), nach Ohlenberg, a. a. 0.

p. 322. 376.

* Pravrajya, im Pali Pabbajja genannt; s. Oldenberg a. a. 0. p. 354. 8 Vor dem zwanzigsten Jahre, von der Empfängnias gerechnet, durfte Niemand vollberechtigtes Gerne mdeglied werden. 4 Upasarapada

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welche man vollberechtigtes Gemeindeglied wird. Dem neu Aufgenommenen werden die vier grossen Verbote mitgetheilt:

Ein ordinirter Mönch darf nicht geschlechtlichen Verkehr pflegen, auch nicht mit einem Thier.

Ein ordinirter Mönch darf nicht nehmen, was ihm nicht gegeben ist, was man Diebstahl nennt, auch nicht einen Gras- halm.

Ein ordinirter Mönch darf nicht wissentlich ein Wesen des Lebens "berauben, auch nicht einen Wurm oder eine Ameise.

Ein ordinirter Mönch darf sich keiner übermenschlichen Vollkommenheit berühmen.

Wer dawider handelt, der ist kein Mönch mehr, kein Jünger des QakyarSohnes.1

Der Mönch heisst Bhikshu oder „Bettler44 und hat ge- wissennassen schon durch seinen Eintritt in die Gemeinde das Gelübde der Armuth abgelegt Weltliches Wohlsein und Ueppig- keit ist ihm verboten. Nahrung,* Kleidung und Wohnung der Mönche sind geregelt und in sehr bescheidene Grenzen ein- geschränkt Die Mönche sind für ihren Unterhalt auf die Wohl- thätigkeit der Laien angewiesen, die ihnen den Almosentopf füllen und die gelben Gewänder reichen.

Man unterschied vier Grade der Heiligkeit. Der erste war der des Srotaäpanna, d. i. Einer, der den Strom erreicht in die Strömung eingegangen ist; ein Solcher hat nur noch sieben Geburten durchzumachen und kann nicht mehr als Thier« oder böser Geist wiedergeboren werden. Dann folgt der Sa- kridagämin, d. i. Einer, der nur einmal noch auf Erden wiedergeboren wird. Dann der Anägamin, der nicht mehr als Mensch, nur noch in höheren Regionen wiedergeboren wer- den kann. Der Höchste endlich ist der Arhant, der Heilige, welcher nach dem Tode ins Nirvana eingeht3

1 Näheres 8. bei Oldenberg, a. a. 0. p. 368 360.

* Man sollte nach dem auch für Laien geltenden Verbot, kein lebendes Wesen zn tödten, wohl voraussetzen, dass die Nahrung der Buddhisten, insbesondere der Mönche, eine rein vegetarische war, den Genuas von Fleisch absolut ausschloss. Das ist nun aber nicht der Fall gewesen. Die Praxis war der Theorie gegenüber inconsequent. Aus- drücklich wird erzählt, dass Buddha selbst einen Antrag Devadatta's, demgemäss animalische Nahrung den Mönchen gaoz verboten sein sollte, entschieden zurückweist. Ja, die Legende berichtet ganz naiv, dass die letzte Nahrung, welche Buddha vor seinem Tode zu sich genommen, ein Gericht Schweinefleisch gewesen sei. Vgl. Näheres bei Kern, Buddhis- mus, Bd. II, p. 73—87. Oldenberg, a. a. 0. p. 204.

* Diese vier Stufen vergleicht Kern mit den vier Stufen des brah- manischen Yogin; Buddhismus ßd. I, p. 487. 492 flg.

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Der Cultus in der altbuddhistischen Gomeinde, oder rich- tiger das, was in dieser Gemeinde die Stelle des Cultus ver- trat,1 bestand hauptsächlich in der zweimal im Monat (an den sogenannten Fasttagen) stattfindenden Beichtfeier, einer schönen und ansprechenden Institution, wo in feierlicher Ver- sammlung der Mönche die Beichtformel 9 vorgetragen und die Sünden bekannt wurden. Einmal im Jahre wurde die Feier der sogenannten Einladung3 begangen, wo die Brüder sich versammeln und ein Jeder alle anderen bittet, falls er in dieser Zeit irgend etwas Schlimmes oder Verdächtiges begangen habe, es zu nennen, damit er es sühnen könne. Später hat bekannt- lich der buddhistische Cultus durch den Bilderdienst und die sehr ausgedehnte Reliquienverehrung sich in seinem Cha- rakter wesentlich verändert und ist dem Cultus in anderen Religionen ähnlich geworden.4

Ein 'einheitliches Kirchenregiment fehlte den Buddhi- sten. Die einzelnen Gemoinden, die einzelnen Brüder waren der Hauptsache nach gleichberechtigt. Das hat, wie natürlich, zu manchen Misslichkeiten ge fuhrt, unter Anderem auch zur Bildung zahlreicher Sekten. Dieser Umstand war es auch, der in erster Linie die Berufung von Concilien nothwendig machte, behufs der Einigung in strittigen Fragen. Das erste dieser Concilien, die in der Geschichte der buddhistischen Kirche von grosser Wichtigkeit sind, fand der Tradition zufolge weuige Monate nach Buddha's Tode zu fta'j«griha statt, um die Reden und Verordnungen Buddha's zu einem allgemeingilt igen Canon zusammen zu stellen. Das zweite hundert Jahre später, zu Vaicall.6

Die Tradition berichtet, dass auf dem ersten Concil An an da, der Lieblingsjünger des Buddha, von dem der Erhabene selbst gesagt haben soll, dass er „das Meiste gehört und das Gehörte am besten behalten habe", die Aussprüche des Meisters zu- sammenstellen musste, welche er sämmtlich auswendig kannte. Mit der Aufzeichnung der Disciplin -Vorschriften wurde Upali beauftragt, den Buddha selbst für den besten Kenner der

1 Von einem eigentlichen Cultus konnte doch nicht die Rede sein, da kein Gott zu verehren war, nnd Buddha ins Nirvana eingegangen war.

Pratimoksha, im Pali Patimokkha; s. Ohlenberg, a. a. 0. p. 379.

9 Prararani, im Pali Pavarana; s. Ohlenberg, a. a. 0. p. 888.

4 Nicht nur Reliquien Buddha's, sondern auch seiner Jünger, be- stimmter Heiliger u. dgl. wurden verehrt. Näheres s. bei Koeppen, a, a 0. Bd. I, p. 493—586.

» Im Pali Vesali.

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Disciplin erklärt haben soll; mit der Zusammenstellung der philosophischen Lehren endlich Käc,yapa, gewöhnlich der grosse Kacjapa1 genannt.

Der nach der Tradition so zu Stande gekommene 2 buddhi- stische Canon trägt den Namen Tripitaka,1 d. h. der „Drei- korb", weil er nämlich in drei Theile zerfallt: Sütra, Vinaya und Abhidharma. Die Sütra; welche wohl den ältesten Theil dieses Canon ausmachen, enthalten Sprüche und Lehrreden Buddha' s, Unterhaltungen mit seinen Jüngern u. dgh m. Der Vinaya behandelt die Disciplin und den Quasi -Cultus. Der Abhidharma endlich ist dogmatisch -philosophischen Inhalts, enthält die Metaphysik der Buddhisten. Die nördlichen Bud- dhisten besitzen diesen Canon in sanskritischer Sprache, die südlichen im Pali-Dialekt

Ausser diesem ersten und wichtigsten Werke will ich von der spoeifisch buddhistischen Literatur nur noch das Dhamma- pada und die J&taka's hervorheben.

Das Dhammapada ist eine Sammlung von Sprüchen im Pali-Dialekt, die mit das Schönste, Tiefste und poetisch Worth- vollste enthalten, was die buddhistische Literatur hervorgebracht hat.4 Oldenberg nennt dasselbe den „getreuesten Spiegel des buddhistischen Denkens und Fuhlens" (a, a. 0. p. 223).

Manche Gedanken dieses Werkes, dessen ich schon früher erwähnt habe, dürften wohl auch auf die brahmanische Lite- ratur anregend gewirkt haben.6

Ein besonders charakteristischer Theil der buddhistischen Literatur sind die sogenannten Jätaka's, Erzählungen von Buddha aus dessen eigenen früheren Geburten, deren sich der Erhabene deutlich zu erinnern behauptete, ähnlich wie auch Pythagoras sich dessen entsinnen wollte, dass er zur Zeit des trojanischen Krieges der Panthoide Eupborbos gewesen. Da der Buddna 550 Geburten durchgemacht haben soll, war Ge- legenheit zu zahlreichen Geschichten derart geboten. Diese Jätaka's sind sehr belehrend für die buddhistische Lebens- weisheit und Moral. Sie haben aller Wahrscheinlichkeit nach

1 Mahakacjapa.

* Es ist indessen wahrscheinlich, dass nicht der gesammte Canon »nf dem ersten Concil zusammengestellt worden, sondern hauptsächlich nur die Aussprüche und Gebote Buddha's, die sogen. Sütra's.

» Im Pali Tipitaka.

* Aasgabe und Uebersetzungen des Dhammapada s. im Anhang.

* Wenigstens Bind oft die Ueberoinstimmungen so frappant, dass et schwer ist, nicht an Entlehnung zu denken. Vgl. oben p. 283.

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bei der Entstehung der Fabel- und Parabelpoesie eine wichtige Rolle gespielt und manche derselben, wie z. B. die Geschichte von dem Königssohn Vi^vantara,1 der Alles, was er hatte, zu- letzt sogar die eigenen Kinder hingiebt, erfreuten sich grosser Beliebtheit und Berühmtheit bei allen Buddhisten.8

Anhang zu Vorlesung XIX.

Die wichtigsten Quellen zum Studium des Buddhismus, seiner Geschichte und Literatur.

£. Burnouf, Introduction a l'histoire du Bouddhisme indien, 1844 (2. Aufl. 1876).

E, Burnouf, Le Lotus de la Bonne Loi, trad. du sanscrit, accompagne' de vingt et im memoires relatifs au bouddhisme, 1852.

R. Spence Hardy, Eastern monachism, an account of the origin, laws, cet of the order of mendicants founded by Gotama Buddha, 1868 (2. Aufl. 1868^.

B. Spence Hardy, A Manual of Buddhism in its modern development,

1863 (2. Aufl. ISeOX

C. F. Koeppen, Die Religion des Buddha. 2 Bde. 1857. 1859.

W. Wassiljew, Der Buddhismus, seine Dogmen, Geschichte und Lite- ratur (aus dem Russischen). 1860. J. Barthllemy Saint-Hilaire, Le Bouddha et sa religion, 1862 .(2. Aufl.).

Rhys Davids, Buddhism, heing a sketch of the lifo and teaebings of

Gautama, the Buddha (1877). H. Oldenberg, Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde,

Berlin 1881.

H. Kern, Der Buddhismus und seine Geschichte in Indien (aus dem Holland, ins Deutsche übersetzt von H. Jacobi), Bd. I, 1882; Bd. II, 1. Th. 1883.

The Lalitavistara or Memoirs of the early life of Cakya Sinha, ed. by Rajendralala Mitra, Calcutta 1853—1877 (Bibl. Ind.).

Ph. E. Foucaux, Rgya-Tcher-Rol-Pa, ou dlveloppement des jeux, hi- stoire du Bouddha Sakya-Mouni, publ. et trad. du Tibetain 1847 bis 1860 (die tibetanische Version des Lalitavistara).

A. Schiefner, Eine tibetische Lebensbeschreibung Qakyamunrs, 1849.

R. C. Childers, The Mahäparinibbana Sutta, pali text and commentary, Journ. Roy. As. Soc. VII. VIII (new. ser.) ^Bericht über die letzten Tage und den Tod Buddhas). Besonders abgedruckt, London 1878.

S. Beal, The romantic legend of Sakya-Buddha, from the Chinese, 1875.

E. Senart, Essai sur la legende du Buddha, Paris 1875.

1 Im Pali VesBaiitara. Man findet die Geschichte bei Kern, Bud- dhismus, Bd. I. p. 388—406. Vgl. auch Koeppen, a. a. 0. Bd. I, p. 324—326. Oldenberg, a. a. 0. p. 308. 309.

* Ueber den Charakter der Jataka's vgl. auch Kern, Buddhismus, Bd. I p. 332 flg. Ein Beispiel ebenda p. 329. Ein anderes bei Olden- berg, a. a. 0. p. 310. Vgl. ferner Koeppen, a. a. 0. p. 318 dg.

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A. Schiefner, T&ranätha's Geschichte des Buddhismus in Indien, aus dem Tibetischen übersetzt, St Petersburg 1869.

The Vinaya Pitakam, one of the Principal Buddhist Holy Scriptures in the Pali Language, ed. by H. Oldenbere: vol. I The Mahavagga, London 1879. Vol. II The Cullavagga 1880

Dhammapada, ed. V. Fausböll, Havniae 1855.

Dbammapada, ins Deutsche übersetzt von A. Weber, Ztschr. d. D M. G. Bd. XIV p. 29 flg. (cf. auch Ind. Streifen I, p. 112 flg.). "

Dhammapada, ins Englische übersetzt von Max Müller, Einleitung zu „Buddhaghosha's Parables, transl. by T. Rogers", London 1870; desgl. Sacred books of the East, Vol. X (nach dieser englischen Uebersetzung metrisch ins Deutsche übertragen von Th. Schultze, Leipzig 1885; Schultze nennt sich am Schluas des Vorworts, nicht aber auf dem Titel als Uebersetzer); ins Englische auch von S. Beal, Scriptural texte from the buddhist canon commonly known as the Dhammapada, 1878 (aus dem Chinesischen übersetzt); ins Franzö- sische von F. HA 1878.

V. FauBböll. The Jataka together with its commentary, being tales of the anterior births of Gotama Buddha, vol. I, 1877; vol. II, 1879. (Die Uebersetzung dazu sollte R. C. Childers liefern; nach dessen Tode übernahm die angefangene Arbeit Rhys Davids.) Der erste Band der Translation ist erschienen London 1880.

, five Jatakas, 1861.

, Dasarathajatakam 1871.

, ten Jatakas 1872.

The Dlpavamsa, an Ancient Buddhist Historical Record, ed. and

transl at by H. Oldenberg, London 1879. V. Trenckner, The Milindapanho ed., London 1880. H. Oldenberg and R. Piachel, The Thera- and Therl-Gatha, ed., 1S83. L. Feer, Textes tir£s du Kandjour 1869 flg. R. Childers, Khuddakap&tha 1869. Coomara Svämy, Suttanipata 1874.

J. F. Dickson, The Patimokkha, being the buddhist ofrice of the con- fession of priests, pali text and translation, Tourn. Roy. As. Soc. VIII (new ser.). .

Text des Pratimokshasütra nebst russischer Uebersetzung herausgegeben

von J. Minayeff, 1869. Mahavamso, ed. by G. Turnour, Colombo 1837. E. Burnouf et Chr. Lassen, Essai sur le Pali. Paris 1826. R. C. Childers, A Dictionary of the Pali language, 1875 (sehr wichtig,

auch in sachlicher Hinsicht). J. Minayeff, grammaire palie 1874. E. Kuhn, Beitrage zur Pali-Grammatik, 1875. James de Alwis, Introduction to Kacc&yana's Grammar, 1863. E. Senart, Grammaire Palie de Eaccäyana 1871. Stan. Julien, Voyages des p&erins bouddhistes, vol. I Histoire de la

Tie de Hiouen- Thsang et de ses voyages daos 1'Inde, trad. du

chinois 1853; volL II. III Mlmoires sur les contrees oed dentales

par Hiouen-Thsang, trad. du chinois, 1857—1859. S. Beal, The travels of the Buddhist pilgrlm Fah-Hian, translat. with

notes and prolegomena, 1869. S. Beal, Si-yu-ki, London 1884 (Uebersetzung des Hiuen-Thsang aus

dem Chinesischen ins Englische).

T. rieh ro dar, Ind. Lit. U. Cnlt. 19

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Zwanzigste Vorlesung

Chronologische Rückschau auf die alteren Perioden der indischen Lite- ratorgeschichte. Geschichte Indiens Ton Buddha's Zeit bis auf Acoka BlmbisAra, Ajata^atru, KAla^oka, Nanda, Dhananauda. Ausbreitung der arischen Herrschaft in Indien. Bedrohung des Landes von Westen her iKyroB, Darios Hystaspis, Xerxes). Alexander'» des Grossen Einfall und Kampf mit Porös, sein Sieg und Wegzug. Die Satrapen. Porös* Er- mordung. Candragupta, der Begründer der Maurya- Dynastie. Acoka. der grosse Förderer und Beschützer des Buddhismus.

Mit dem Buddhismus betreten wir zum ersten Mal einiger- massen festen historischen Boden ■».! gewinnen einen Anhalts- punkt, von dem aus wir auch die vorangegangenen Literatur- epochen wenigstens annähernd zeitlich zu fixiren im Stande sind

Buddha gehört dem sechsten Jahrhundert vor Chr. an, er war nach der wahrscheinlichsten Rechnung i. J. 560 vor Chr geboren. Wenn wir nun erwägen, dass jene Periode der brah- manischen Speculation, die mit der Aufstellung des Atman- Brahman als höchster Potenz endigt, nicht bloss vorher beendet, sondern dass auch ein beträchtlicher Zeitraum inzwischen ver- flossen gewesen sein muss, in welchem aus dem philosophischen Absolutum „Brahman" der im Volke gekaunte und in den Le- genden der Buddhisten erscheinende männliche Gott Brahma sich entwickeln und einbürgern konnte, und in welchem anderer- seits die mit dem Atman-Brahman auftretende Seelenwandrungs- lehre sich Bahn brach und allgemein verbreiteter Glaube ge- worden., i i welchem endlich auch das Mönchswesen und die Aske-e «standen und sich zu einem nicht unbedeutenden Grade entwickelt, so werden wir für jene Periode der Upam- shaden, Aranyaka's und' jüngeren Brähmana's wohl mindestens bis in das achte Jahrhundert vor Chr. geführt Dieser Periode war aber die Zeit vorausgegangen, in welcher das Opferweser emporwuchs und bis zur äussorsten Complicirtheit ausgebildet

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wurde, die Zeit, in welcher die grosse Masse der Brahmana's bis hinauf, zu den prosaischen Theilen der Yajurvedeu ent- standen. Wir greifen schwerlich zu hoch, wenn wir für diese Zeit mindestens zwei Jahrhunderte beanspruchen, das wäre das neunte und zehnte Jahrhundert vor Chr. In den unmittelbar vorausgehenden Jahrhunderten haben sich vennuthlich die Inder in ihren neuen Wohnsitzen im Gangeslande festgesetzt und der Hauptsache nach die socialen und religiösen Zustände geschaffen oder doch angebahnt, deren Resultat die Br Ahmana - Periode wiederspiegelt; in diesen, dem elften und zwölften Jahrhundert vor Chr. dürften wohl auch die Hymnen des Rigveda noch ver- vollständigt und vielleicht auch schon gesammelt und theilweise zusammengestellt, sowie die SamMta-Theile der anderen Veden der Hauptsache nach geschaffen worden sein. Für die Periode des Rigveda, das Leben im Indusgebiet und Fünfstromlande, werden wir dann die voraufgehenden Jahrhunderte in Anspruch nehmen; wie viele? das lässt sich auch annähernd kaum bestimmen.

Wir bekämen also:

1) Periode des Rigveda und des Lebens im Pendschab 1200 vor Chr. aufwärts bis vielleicht 2000 vor Chr.

2) Periode der Festsetzung im Gangeslande und Arbeit au den Samhita's 1200—1000 vor Chr.

3) Periode der prosaischen Yajus-Theile und der Brah- mana's 1000—800 vor Chr.

4) Periode der jüngeren Brahmana's, Aranyaka's und Upa- nishaden 800—600 vor Chr.

5) Periode der Sütra's 600—400 oder 300 vor Chr. Selbstverständlich sind dies nur annähernde Bestimmungen

die aber schwerlich zu hoch gegriffen sein dürften.

Max Müller hat früher1 die Periode des Rigveda mit grös8ter Vorsicht, um nicht zu hoch zu greifen, zwischen 1200 bis 1000 vor Chr. angesetzt, empfand dies aber selbst später als zu niedrigen Ansatz und nahm 1500 1200 vor Chr. als Periode der vedischen Hymnendichtung an,1 was mit unserer Berechnung sich ganz gut verträgt.

Hang8 setzte jene Periode in die Zeit von 2400—1400 vor Chr., wobei die obere Zahl wohl ziemlich willkürlich ge- griffen ist

History of Anc. 8*k. Lit p. 572.

Esiays I1, 11—1*, 18.

Introduction in Xit Br, 1. *7 flg.

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Whitney 1 nimmt als Entstehungszeit der vedischen Hymnen 2000 1500 vor Chr. an. Auch dieser Ansatz dürfte wohl noch nicht zu hooh gegriffen sein und ist vielleicht sogar der wahr- scheinlichste. Trifft man doch wohl kaum das Richtige, wenn man jenen grossen Entwickelungsperioden der indischen Cultur immer nur das kleinstmögliche Zeitmaass zuweist Aber frei- lich, — Vorsicht ist geboten. Unsere obige Berechnung ist wohl eher zu niedrig als zu hoch angesetzt.

Doch kehren wir von dieser rückschauenden Perspective zu dem neugewonnenen historischen Boden zurück und sehen wir, wie weit sich für uns von jetzt ab auch eine Geschichte Indiens aus dem lang andauernden Nebel der Vorzeit enthüllt, die uns als fester Hintergrund für unsere Literaturbetrachtung dienen kann.

Dasjenige Reich, welches in den auf Buddha folgenden Jahr- hunderten zuerst hervortritt und sich zur mächtigsten Stellung in ganz Indien emporarbeitet, ist das Reich von Magadha, dessen König Bimbisara wir als Zeitgenossen des Qakya- Sohnes bereits kennen gelernt haben, der mit grossem Gefolge aus seiner Hauptstadt Rajagriha dem Erhabenen eutgegerzog, seine Lehre annahm und eifrigst förderte, seinen Luschain Venu- vaua den Mönchen als Aufenthaltsort einräumte u. a. w. Dieses Reich sollte auch weiterhin mit der Geschichte des aufstrebenden Buddhismus eng verbunden bleiben, und von der grossen An- zahl der buddhisch- mönchischen Aufenthaltsorte oder Vihära's hat das Land zuletzt sogar seinen Namen Vihar oder Bihar erhalten, den es heute noch trägt. Bimbisara soll der Dynastie der CAicunaga angehört haben, die dem aus der Sage berühmten Geschlochte des Pradyota auf dem Throne von Magadha folgte. Das Ende dieses Königs war ein trauriges. Sein Sohn Ajata- c.atru soll ihn vom Throne gestossen und ermordet, den Bud- dha aber feindselig verfolgt haben. Nachmals bekehrte sich indessen auch dieser Ajatacatru zur Lehre des Vollendeten, wurde einer seiner eifrigsten Verehrer und beanspruchte nach dem Tode des Meisters sogar dessen sterbliche Ueberreste, Asche und Knochen für sich. Da aber auch verschiedene andere An- sprüche sich geltend machten, wurden diese Ueberreste zuletzt

1 Oriental and Ling. Studie« 1, 21 u. a. a. 0. Vgl. auch Whit- ney-Leskien „Leben und Wachsthum der Sprache" (1876) p. 197: „Als die Zeit, aus der die ältesten Lieder stammen, ist zu vermuthen das Jahr 2000 vor Chr. , oder eine dem naheliegende Zeit." S. auch Duncker, Gesch. des Alt. III, 4. Aufl. p. 60. Kaegi, der Rigveda j». 144. 145

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in acht Theile zerlegt und vertheilt. Seinen Antheil an diesem köstlichen Kleinod legte König Ajatacatru in einem sogenannten Stüpa, einem kuppel- oder glockenförmigen Thurme, bei Raja- griha nieder. Diese Stüpa's (Topen), die Bewahrorte der bud- dhistischen Reliquien, haben seit der Zeit eine immer wach- sende Bedeutung in Indien gewonnen. Ajatacatru war es auch, der am Eingang der Nyagrod ha -Höhle bei Rajagriha eine be- sondere Hallo erbauen Hess, wo nach dem Berichte der Tradi- tion bald nach Buddha's Tode das erste Concil tagte.

Von den nächsten Nachfolgern des Ajatacatru wird uns nur berichtet, dass jeder von ihnen seinen Vater umbrachte und so auf den Thron gelaugte. Von Bedeutung ist uns erst wieder König Kalagoka, unter dessen Regierung das zweite buddhistische Concil zu Vaicali stattfand, der also um 380 Tor Chr. gelebt haben muss. Dieser Kalacoka hat sein An- denken auch noch durch die Gründung der Stadt Pätaliputra unsterblich gemacht Diese Stadt, das Palibothra der Griechen, lag am Ganges, dort, wo der von Südwesten kommende (Jona- Fluss in denselben einmündet, ein beträchtliches Stück unter- halb Kaci oder Benares, etwas oberhalb des heutigen Patna. P&taliputra, dessen künftige Grösse schon Buddha einst ge- weissagt haben soll, erkor sich Kalacoka zur Residenz an Stelle des alten Rajagriha. Zu Megasthenes' Zeit, also bald nach Alexander dem Grossen, war Palibothra, wie dieser Grieche erzahlt, bereits dit gross te und berühmteste Stadt von Indien, mit herrlichem Königspalast und grosser Einwohnerzahl.

Die Dynastie der (Jaicunaga, der auch Kalacoka noch an- gehörte, wurde nach buddhistischer Ueberlieferung durch einen Räuber namens Nanda gestürzt, der den Sohn des Kalacoka entthronte. Die hervorragende Stellung, zu der das Reich Magadha unter Ajatacatru und Kalacoka gelangt war, wurde auch von der Dynastie der Nanda behauptet und wohl noch erhöht Diese Dynastie war übrigens wahrscheinlich dem brah- manischen Wesen zugethan, sollte aber den Thron von Magadha nicht lange inne haben. Der letzte echte Nanda wurde der einheimischen Tradition zufolge von einem Buhlen seines Weibes, einem Barbier namens Indradatta gestürzt. Dessen Sohn, Dhanananda mit Namen, regierte bis zum Jahre 315 vor Chr. und sass am dem Throne von Magadha, als Alexander von Macedonien die Grenzer. Indiens mit seinem Heere überschritt und die Freiheit des Landes bedrohte. P klassischen Schrift- steller berichten, dass der damals im Osten Indiens herrschende mächtige König der Prasier, den sie übrigens Xandrames oder

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Agrames nennen, aus niedrigem Geschlechte stammte, dass er der Sohn eines Barbiers gewesen, der durch seine Schönheit das Herz der Königin gewonnen, welche aus diesem Grunde ihren Gatten mordete und den Geliebten zum König machte. Mr sieht, dass dieser Bericht der klassischen Schriftsteller garz mit dem der einheimischen Tradition übereinstimmt Die Prasier, wie die Griechen jenes mächtige Volk des Ostens nannten, sind nichts weiter als die Pracya, d. h. die Oestlichen. Der Name Xandrames scheint mir das sanskritische CandramAs „der Mond" zu sein, wahrscheinlich ein ehrendes Beiwort des Dhanananda.

Die Macht dieses Königs der „Prasier" wurde dem Alexander als eine ausserordentlich grosse geschildert, und es scheint, dass diese Schilderungen nicht wenig dazu beigetragen haben, dass der sieggewohnte Eroberer trotz der Unterwerfung des west- lichen Königs Porös darauf verzichtete, weiter nach Osten vor- zudringen, und Indien wieder verliess, ohne das Gangesland betreten zu haben. Wir dürfen aus jenen Schilderungen wie auch aus den bald darauf folgenden Ereignissen mit Sicherheit schli essen, dass das Reich von Magadha zu jener Zeit eine dominirende Stellung im Gangeslande einnahm und dass es somit wohl seit Bimbisara's Zeiten stetig an Macht und An- sehen gewachsen war. Auch hatte sich in diesen Jahrhunderten die arische Cultur immer weiter über das indische Land aus- gebreitet. Bis in den Süden des Dekhan war die Kastenordnung und das brahmanische Staatswesen getragen worden, und die ursprünglichen Einwohner der Gebiete tamulischer Sprache, die sich nicht fugen wollten, die Paria's, wurden unterdrückt und Verstössen und geriethen im Laufe der Zeit in eine noch elen- dere Lage als die Candala's1 im Gangeslande. Auch Ceylon wurde in diesen Jahrhunderten von Ariern besetzt. Die Völker der Kaiinga, Telinga und Tamila auf der Ostseite Indiens wurden von den Ariern unterworfen und in arische Lebens- und Staatsformen gezwungen, wie auf der Westseite die Kar- näta, die Tuluva und die Malabaren. Doch gab es auch ein- zelne schwerzugängliche Gebiete, die der arischen Cultur das Vordringen fast unmöglich machten, wo sich darum die alten Völker in ihren ursprünglichen Zuständen erhielten; so die

1 Die nach der brahmanischen Theorie verworfensten und niedrig- sten aller Menschen, tief unter den £üdra stehend; der Theorie nach MischUnge von fadra -Vätern und Brahmanen- Müttern, welche Ver- mischung an sich eine schwere Sünde war.

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Gonda's im Vindhya- Gebirge, die Toda's in den blauen Ber- gen* u. a. m.

Zu derselben Zeit aber, wo die arischen Inder in solcher Weise ihre Herrschaft erweiterten, begannen von Westen her stammverwandte Völker sie in ihrem Besitze zu gefährden. Soll schon Kyros sich den ganz im Nordwesten lebenden in- dischen Stamm der Gandhara unterworfen, soll schon er den Assakenern oder Assakanern, d. h. den indischen Acvaka, Tribut auferlegt haben,* so steht es von Darius Hystaspis durch die Inschriften von Behistan und Persepolis fest, dass er Harauvatis, Idhus, öandara zu seinem Reiche zählt, wo also zu den Gandara auch noch die Anwohner des Indus hinzugekommen sind. Er rühmt sich, Gandarer und Inder zu beherrschen. Auch Herodot berichtet, dass Darius sich „die. nördlichen Inder", wie er sagt, unterworfen habe, und auf Darius' Befehl soll der Grieche Skylax i. J. 509 vor Chr. eine Reise durch indisches Gebiet unternommen und den Indus befahren haben.3

In dem gewaltigen Heere, das Xerxes gegen die Hellenen führte, werden auch die Abtheilungen der Gandarer und Inder namhaft gemacht, deren Kleidung und Ausrüstung uns Herodot beschreibt Die Satrapie der Inder soll nach demselben Schrift- steller sogar den höchsten Steuersatz im ganzen persischen Reiche gezahlt haben.4 Sie brachten das Gold dazu aus einer nach Osten gelegenen grossen Wüste, wo, wie der fabelhafte Bericht lautet, Ameisen, grösser als Füchse, aber kleiner als Hunde, den Goldsaud aufgruben.

Der gewaltige Eroberer, dem das Perserreich als Beute zufiel, führte sein Heer auch bis in diese östlichsten Theile persischer Herrschaft und griff mit seinen kühnen Plänen noch «Bit darüber hinaus. Sein Einfall zuerst bedrohte Indien mit ernstlicher Gefahr, denn wenig hatten sich bisher die brah- manischen Bewohner des Gangeslandes darum gekümmert, dass ein Theil ihrer weitab wohnenden Stammesgenossen im Indus- gebiet, von denen sie sich durch eine jahrhundertelange Cultur- entwickelung' geschieden fühlten und die sie gar nicht voll zu sich rechneten, den persischen Herrschern Tribut entrichtete. Jetzt aber wurde es Ernst mit der von Westen herannahenden Gefahr.

1 Nilagiri, Nügherry.

VgL Duncker, Gesell, des Alterth. Bd. III (4. Aufl.) p. 14. 3 S. Lassen, Indische Alterthumskunde II (2. Aufl.) p. 634.

* Vgl. Duncker, Geich, des Alt. in (4. Aufl.) p. 295.

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Im Jahre 327 vor Chr., zur Frühlingszeit, überschritt Alexander der Grosse den Hindukusch mit einem Heere von 120,000 Fussgängern und 15,000 Reitern.1 Nach einer Be- lagerung von dreissig Tagen nahm er die Stadt Pushkalayati, von den Griechen Peukelaotis genannt, am Einfluss des Kabul in den Indus, ein. Bevor er aber weiter nach Osten vordrang, mussten zuerst die Völkerschaften der Acvaka, nördlich vom Kabulflusse, und der Gandhära, südlich von demselben, be- zwungen werden. Insbesondere die Acvaka, von den klassischen Schriftstellern Assakaner, Aspasier und Hippasier genannt, be- reiteten dem stolzen Eroberer grosse Schwierigkeiten. Nach vielen Kämpfen, Belagerungen und Verhandlungen durfte end- lich der Krieg gegen dieses Volk als beendigt angesehen werden; darüber aber war das Jahr 327 hingegangen, und Alexander inusste sein Heer im Gebiete der Acvaka überwintern lassen.

Zu Anfang des Jahres 326 überschritt er den Indus und näherte sich dem Reiche von Takshacila, welche Stadt zwischen Indus und Vitasta gelegen ist; die Griechen nennen es das Reich des Taxi 1 es. Der Fürst dieses Reiches, seit Alters ver- feindet mit« dem benachbarten Herrscher aus dem Stamme der Paurava oder Paura, den die Griechen Porös nennen, ergriff die Gelegenheit, den mächtigen Ankömmling seinen Interessen zu gewinnen, und sandte dem Alexander Boten entgegen mit dem Anerbieten, sich ihm zu unterwerfen und mit ihm zu ver- bünden. Dieser Antrag wurde angenommen, und die Griechen rückten in Takshacila ein.1 Hierher kam auch der Bruder des Königs von Kaschmir um Alexander die Unterwerfung dieses Fürsten anzukündigen, desgleichen eine Reihe kleinerer Fürsten, die persönlich dem Macedonier ihre Verehrung bezeugten.

Um so entschiedeneren Widerstand sollte Alexander dafür von dem Fürsten des Reiches erfahren, das sich zwischen der Vitasta und Asikni, von den Griechen Hydaspes und Akesines genannt, ausdehnte. Es war das Reich der Paurava oder Paura, welches das Mahabharata als in der Nähe von Kaschmir liegend erwähnt, dessen Fürsten die Griechen, offenbar nach seinem Geschlechtsnamen, Porös nennen.

1 S. Duncker, a. a. 0. p. 301.

* Hier sahen die Griechen zum ersten Mal einige von den „weisen Männern" der Inder, den brahmanischen Asketen, und wardn erstaunt über deren seltsame Askese und ihre merkwürdigen Lehren. Wir er- sehen aus ihren Berichte ., dass die brabmanische Cultnr übereinstimmend mit den buddhistischen Angaben, damals schon bis in den äussersten Westen Indiens vorgedrungen war.

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Dieser tapfere König führte Alexander ein bedeutendes Heer (50,000 Fussgänger, 4000 Reiter, 200 Elephanten und 400 Streitwagen) entgegen,1 dem aber Alexander^ Heer doch etwa um das doppelte überlegen war, abgesehen davon, dass auch der Fürst Ton Takshacilä, der Feind des Porös, ihn mit seinen Truppen unterstützte.

An den Ufern des Grenzflusses Hydaspes, der vedischen Vitasta, lagerten die beiden Heere einander gegenüber. Ob- gleich der Strom gefahrlich angeschwollen war, entschloss sich Alexander doch zum fJebergang, als er erfuhr, dass der König von Kaschmir, trotz seiner angeblichen Unterwerfung, mit einem ungefähr gleichstarken Heere dem Porös zu Hülfe ziehe und nicht mehr weit entfernt sei. Er theilte sein Heer und be- werkstelligte an einer geschickt gewählten Stelle den Ueber- gang. Porös musste einen Theil seines Heeres den Trupper des KrateroS gegenüber zurücklassen und eilte mit der Haupt- macht dem Alexander entgegen. Die jetzt gelieferte Schlacht gehört zu den berühmtesten in der alten Geschichte. Mace- donische und indische Kriegskunst massen sich hier, und wohl nur die überlegene Macht und das seltene Genie Alexanders gaben diesem nach schwerem Kampfe den Sieg. In langer Linie standen die Elephanten des Porös als ein mächtiges Boll- werk im Vordertreffen; sie schlugen die Reiterei der Mace- dohier in die Flucht, richteten Verwüstungen in der todes- muthig kämpfenden Phalanx an. Nachdem Alexander wieder- holt die Angriffe der indischen Reiter wie auch das Fussvolk zurückgeschlagen hatte, die sich beide hinter die Elephanten zurückziehen mussten, wurde auch dies furchtbare Bollwerk zuletzt bezwungen. Die Macedonier wichen dem Anlauf der Elephanten aus, verwundeten die umkehrenden mit Speeren oder schlichen ihnen nach und hieben ihnen mit Beilen die Fersen durch. Porös selbst, der als Heerführer wie als Kämpfer gewaltige Thaten verrichtete, wurde an der Schulter verwundet, nachdem schon vorher sein Sohn gefallen war. Dennoch ge- hörte der heldenmüthige König zu den Letzten, die da wichen. Der Fürst von Takshagila sprengte an ihn heran und forderte ihn auf sich zu ergeben, wäre aber fast vom Speere des Porös, der rasch seinen Elephanten gegen den alten Feind umkehrte, durchbohrt worden. Alexander bewunderte den indischen König und sandte ihm einen alten Freund aus früherer Zeit zur Unterhandlung zu. Porös, von Durst übermässig gequält, stieg

1 Vgl. Lassen, Ind. Alterthumskunde, II" p. 155.

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von seinem Elephanten herab und Hess sich vor Alexander führen. Als dieser, seine hohe Gestalt und Würde bewundernd, ihn fragte, wie er behandelt zu werden wünsche, antwortete Porta: Königlich! Das thue ich schon um meinetwillen, soll Alexander erwidert haben, aber sage, was du wünschest In diesem Worte ist Alles enthalten! war die Antwort des indischen Königs.

Alexander beliess den Porös nicht blossen seiner Herr- schaft, sondern er vergrösserte dieselbe sogar noch um ein Be- deutendes. Der König von Kaschmir wagte es jetzt nicht mehr, mit Alexander zu streiten, und unterwarf sich ihm. Alexander rastete dreissig Tage im Lande des Porös und gründete zwei Städte am Hydaspes. Die eine, an der Stelle, wo er den Fluss überschritt, nannte er . Bukcphala , zum Andenken an sein in der Schlacht gefallenes Ross; die zweite Nikaea, au der Stelle, wo der Sieg erfochten wurde. Dann zog er weiter nach Osten, besiegte die Kathaier, Kekaya, Kshudraka, Malava u. A. und drang bis zur Vipac und Qutudri (Hyphasis und Zadadres) vor. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass Alexander die Absicht hatte, noch weiter nach Osten vorzudringen und auch das Gangesland sich zu unterwerfen. Aber seine gewaltigen Pläne scheiterten an dem hartnäckigen Widerstand seiner Mace- donier, die sich weiter zu ziehen weigerten. Die furchtbaren Strapazen der letzten Zeit hatten das stolze Heer saumselig gemacht; insbesondere hatte ihnen die indische Regenzeit grosse Mühsale bereitet Dazu kam die hervorragende Tapferkeit der indischen Völker und Fürsten, die sie besonders im Kampfe gegen Porös, aber auch sonst, kennen gelernt hatten. Endlich die Berichte von der gewaltigen Macht des im Osten herr- schenden Königs der Prasier und Gangariden, der, wie es hiess, über ein Heer von 200,000 Fusssoldaten, 20;000 Reitern, 2000 Kri egs wagen und 4000 Kriegselephanten gebiete.1 Alexander, der mit einem unzufriedenen Heere wohl auch schwerlich das grosse Unternehmen zu einem glücklichen Ende geführt hätte, sah sich genöthigt, umzukehren, ohne das Pendschab über- schritten zu haben. Er gründete noch an der Asikni eine Stadt Alexandria und eine gleichen Namens am unteren Laufe des Indus, setzte den Philippos zum Satrapen des Fünfstrom- landes ein, den Peithon zum Satrapen des unteren Indusgebietes, befuhr noch die Mündungen des Indus und zog dann durch Gedrosien nach Persien zurück.

1 8. Leb sen, Ind. Alterthumskunde, II* p. 2rO.

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Philippos wurde bald nachher von meuterischen Söldnern erschlagen; an seine Stelle setzte Alexander den Endemos. Nach Alexanders Tode bestimmte der Reichsverweser Perdikkas, dass die Verhältnisse in Indien so bleiben sollten, wie der grosse König sie geordnet t)es Porös Gebiet ward später noch vergrössert; aber schändlicherweise Hess jener Endemos den tapfern nnd mächtigen Inder meuchlings ermorden. Dieser elende Mord ihres erlauchten nnd ehrwürdigen alten Königs erbitterte die Inder auf das Aeusserste. Die Folge davon war ein Aufstand, in welchem sie das griechische Joch abschüttelten. Dieser Aufstand bildet einen Wendepunkt in der indischen Geschichte, und als Hauptleiter desselben erscheint ein kühner junger Abenteurer, der die Gelegenheit benutzte, sich selbst ein mächtiges Reich zu gründen, das mächtigste, welches auf indischem Boden bisher bestanden. Dieser Mann hiess Can- dragupta, von den Griechen Sandrakottos genannt.1 Er war, wie die Griechen berichten, von niederer Herkunft und es ist wenig Gewicht darauf zu legen, wenn die Buddhisten sich bemühen, sein Geschlecht es ist das der Maurya an die Qakya von Kapilavastu anzuknüpfen; es lag ihnen offen- bar daran, seinem Enkel Acoka, dem grössten buddhistischen Herrscher, zu so erlauchtem Ursprung zu verhelfen. Candra- gupta muss in früheren Jahren im Dienste des Magadhakönigs Dhanananda gestanden, dort aus irgend einem Grunde in Un- gnade gefallen und flüchtig geworden sein. Er soll als junger Mann den Alexander selbst gesehen haben, musste also damals (326) im Induslande gewesen sein. Im Jahre 321 finden wir Porös noch als regierenden Fürsten erwähnt; einige Jahre darauf muss er ermordet worden sein; der Aufstand der Inder brach aus, die griechischen Satrapen Eudemos und Peithon mussten weichen, und im Jahre 317 w&r Candragupta Herr des Indus- landes. Von dort aus wendet er sich nun gegen. des Ostreich, vor dessen König Dhanananda er einst hatte fliehen müssen. Er wusste von diesem, dass er beim Volke wegen seiner Schlechtig- keit und niedrigen Herkunft missachtet war. Er entthront und tödtet ihn, erobert P&taliputra und ist im Jahre 315 Herr von Magadha und damit auch vom ganzen Gangeslande. Er nimmt seinen Sitz in Pa^aliputra; die Herrschaft der Nanda hat ihr Ende erreicht, und es folgt die Dynastie der Maurya des Ge- schlechts des Candragupta.

1 Athen &us schreibt XavÖQoxvnroQ, was der indischen Namensform noch naher kommt. Vgl. Schlegel, Ind. Bibl., I p. 246. II p. 168. 175.

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Candragupta hatte ein grösseres Reich gegründet, als irgend ein indischer König vor ihm. Das ganze Gangesland bis zur Mündung dieses Stromes und das Gebiet, des Indus, Alles, was zwischen Himalaya und Vindhya liegt, gehorchte seinem Scepter; selbst die Halbinsel Gujerat im Südwesten fügte er seiner Herrschaft noch hinzu. Wir werden uns daher nicht wundern, von klassischen Schriftstellern zu hören, dass Sandrakottos Herr über ganz Indien war.1

Ueber die Ordnung, die guten Einrichtungen und den blühenden Zustand dieses gewaltigen Reiches sind uns von den Griechen manche Schilderungen aufbewahrt. Die Heeres macht des Candragupta wird als eine sehr grosse angegeben; er soll 600,000 Fusssoldaten, 30,000 Reiter, 9000 Elephanten zur Ver- fügung gehabt haben.*

Der Grieche Seleukos, der auch einst unter Alezander im Induslande mitgekämpft, hatte sich inzwischen ein bedeutendes Reich im Euphratlande, Persien und Medien gegründet Er machte den. Versuch, auch das Indusland wieder zu erobern, muss aber bald die Unmöglichkeit eingesehen haben, gegen Candragupta's Macht zu kämpfen. Ueber den Verlauf dieses Angriffs erfahren wir nur wenig. Er war jedenfalls für Seleukos nicht glücklich, das sehen wir aus den Friedensbedingungen, in denen Seleukos gegen geringe Zahlung grössere Länder- strecken dem Candragupta abtrat Appian berichtet, dass Se- leukos den Indus überschritt, mit Candragupta kämpfte, und dass dem Kampfe dann ein Bündniss und Verschwägerung der beiden Herrscher folgte.? Seleukos sandte nachher den Mega- sthenes als Gesandten an den Hof von Pataliputra, und diesem Griechen, der längere Zeit im Herzen Indiens gelebt, ver- danken wir werth volle, immer mehr als zuverlässig sich be- währende Schilderungen der Inder und indischen Verh nisse zu jener Zeit.

Candragupta regierte 24 Jahre lang und starb L J. 291 vor Chr. Ihm folgte auf dem Thron von Pataliputra sein Sohn Vindusara,4 dessen Regierung durch keine hervorragenden Ereignisse gekennzeichnet ist Um so mehr lässt sich dies von seinem Sohn und Erben sagen, dem mächtigen und berühmten

1 Vgl. Duncker, Gesch. d. Alterth. III4, p. 339. 4 Vgl. Lassen, Ind. Alterthumskunde, II*, p. 222.

3 S. Lassen, Ind. Alt. II*, p. 218.

4 Von den Griechen Amitrochätes, d. h. Amitraghäta „Feindetödter", gCDaimt.

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König A$oka, der vom Jahre 259 222 vor Chr.1 regierte, dem grossen Reiche noch manche weitere Gebiete hinzufügte und seine Regierung durch den Uebertritt zum Buddhismus und die mächtige Förderung und Verbreitung der Lehre des Allerherrlich8t -Vollendeten denkwürdig gemacht hat. Unter seiner Regierung fand das dritte buddhistische Concil statt. Er ist der erste indische König, der uns historische Urkunden hinterlassen hat, die berühmten Inschriften des Acoka auf Felsen und Säulen, die in weit von einander entfernten Ge- bieten Indiens von jenen Tagen und dem frommen König Acoka «jrzählen.

Der Anfang k seiner Regierung war kein sehr würdiger. Er liess fast alle seine Brüder umbringen, regierte streng und grausam und betheiligte sich persönlich an der Hinrichtung der Personen* die ihn erzürnt hatten. Dabei speiste er wie sein Vater täglich 60,000 Brahmanen. Einst liess er den Bud- dhisten Samudra aus (Jrävasti in einen Kessel /oll siedenden Fetts und Wassers werfen; aber dem Frommen geschah da- durch kein Leid, und es war unmöglich, das Feuer unter dem Kessel zu entzünden. Als der König dies Wunder sah, ward er von Reue erfasst, ging in sich, bat den frommen Mann, ihm seinen Frevel zu verzeihen, bekehrte sich zum buddhistischen Glauben und gelobte, die Erde mit Denkmalen zu Ehren des Vollendeten zu bedecken. Er hat dies Versprechen gehalten, wenn es auch eine sagenhafte Uebertreibung der Buddhisten sein mag, dass er 84,000 Stüpa's für die Reliquien, und eben- soviel Vihara's oder Mönchswohnungen errichtet habe.

Sein eigener Sohn Mahendra trat in den Stand eines bud- dhistischen Bettlers, desgleichen seine Tochter.

Dieser Mahendra soll die Lehre des Buddha in Ceylon gepredigt und die Insel bekehrt haben. Acoka' sandte den Almosentopf des Buddha und dessen rechtes Schulterbein nach Ceylon, und diese hochheiligen Reliquien wurden vom König der Insel in einem Stüpa niedergelegt. Auch ein Zweig des heiligen Feigenbaumes, unter welchem Buddha die Erkenntniss erlangte, wurde nach Ceylon gebracht und erwuchs dort zum stattlichen Baume. Bis heute sind die Bewohner Ceylon's die treuesten Bewahrer der buddhistischen Traditionen geblieben.

König Acoka soll täglich 60,000 Bhikshu gespeist und während der Regenzeit 300,000 Jünger des Buddha unterhalten

1 Lassen gab 263—226 als Regierungszeit A^oka's an; vgl. aber M Müller, Indien in s. w. B. p. 2t51.

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haben. Unter seiner Regierung fand das dritte buddhistische Concil zu Patali putra statt1 Es ist uns in der Inschrift von Bhabra bis heute noch ein Sendschreiben enthalten, welches Acoka an diese ehrwürdige Versammlung richtete, und in wel- chem er seine Verehrung für Buddha, die Lehre und die Ge- meinde ausdrückt, dem Concil zu seinen Arbeiten Glück wünscht, seine eigene Ansicht darüber kund thut und eifrigste Förderung verspricht. „Dies ist der Ruhm, auf den ich das grösste Ge- wicht lege. Deswegen lasse ich euch dies schreiben. Es ist mein Wille und meine Erklärung.** Ä

Die Fassung, in welcher uns der buddhistische Canon jetzt vorliegt, hat derselbe wahrscheinlich auf diesem Concil erhalten, wenn auch Vieles davon bereits früher zusammengestellt worden. Nach diesem Concil wurde einer der Aeltesten nach Kaschmir und ins Land der Gandhara gesandt, um auch diese zu be- kehren. Es gelang, und Kaschmir ist seit jener Zeit ein Haupt- sitz des Buddhismus geblieben.

Aber obschon Acoka so dem Buddhismus die eifrigste Förderung angedeihen liess, so wurden doch auch die Brah- manen von ihm keineswegs verfolgt und bedrückt, vielmehr besagen seine Inschriften, in denen bisweilen die Brahmanen sogar vor den Cramana's genannt werden, dass man auch jene ehren und beschenken müsse.3 Ja, Acoka erhebt sich sogar zu einem noch höheren humanen Gesichtspunkt, wenn er in der Inschrift von Girinagara sagt: „Der von den Göttern ge- liebte, hebevoll gesinnte4 König ehrt alle Religionen wie die Bettler und Hausherron durch Almosen und andere Beweise der Achtung. Man soll seinen eigenen Glauben ehren, man darf aber den Anderer nicht schelten. Nur Eintracht frommt Möchten die Bekenner jeden Glaubens reich an Weisheit und glücklich durch Tugend sein." 6

Die Inschriften des Acoka sind die ältesten indischen Schriftdenkmal e, die wir überhaupt besitzen und darum von unschätzbarem Werthe. Sie finden sich an ganz verschiedenen Orten des weiten Reiches, theils in Felsen eingehauen, theils

1 Vgl. Lassen, Ind. Alt. II*, p. 240.

» Vgl. Duncker, Gesch. d. Alt. III*, p. 409. B&rnouf, Iotas de la bonne loi p. 725. 727.

8 8. Lassen, Ind. Alt II*, p. 276.

4 Devanampriya Priyadarcin (in dem Volksdialekt, welchen die In- schriften ceigen, Piyadasi). So nennt sich Acoka auf seinen Inschriften

6 Vgl. Duncker, Gesch. d. Alt. III*, p. 414. Burnouf, lotos de la bonno loi p. 762. Koeppen, Rel. d. Buddha, Bd. I, p. 464. 465.

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auf hoben Säulen, Gesetzessäulen (dharmastambha) genannt, die über einem Kapital von Lotosblättern einen Löwen tragen, das Sinnbild des Buddha, des Löwen ans dem Stamme der (j&kya.1 Diese Säulen sind einander gl* ^ h gebaut und ent- lialten im Wesentlichen die gleichen Inschriften. Acoka soll ihrer viele errichtet haben; uns ist wenigstens eine kleine An- zahl erhalten.* Felseninschriften des Acoka finden sich auf der Halbinsel Gujerat bei Girnar (Girinagara), bei Dhauli in der Nähe der Hauptstadt von Orissa, sowie nördlich vom Kabul- strome bei Kapur-di-Giri, in der Nähe des heutigen Peschawar, und endlich bei Khalsi.8 Alle diese Inschriften hatten den Zweck, der Verbreitung des Buddhismus, des „guten Gesetzes", Vorschub zu leisten.

Das mächtige Reich seiner Väter hatte Acoka noch ver- größert, er hatte Kaschmir demselben hinzugefügt,4 beherrschte die Gandhara und unterwarf sich das Reith der Kaiinga im Süden von Orissa. So reichte denn seine Herrschaft von der Gangesmündung bis in den äussersten Westen von Iudien, von Kaschmir und dem Himalaja bis zum Godaveri- Flusse. Er rühmt sich auf seinen Inschriften mit echt orientalischer Ueber- treibung, dass auch Antiyoka, der König der Yavana (d. h. der Griechen), und vier weitere Könige: Turamaya, Antikina, Maga und Alikasandara die Gesetzesvorschrift des göttergeliebten Königs befolgt hätten. Diese Könige sind: sein Nachbar Anti- ochos, sowie ferner Ptolemaeos (Philadelphos) von Aegypten, Antigonos (Gonnatas) von Makedonien, Magas von Kyrene und Alexander von Epeiros.6

Uebertreibt Acoka auch seinen Einfluss, so sieht man doch, wie weit seine Beziehungen reichten.

Und dieser mächtige König weihte sein Leben vornehmlich der Ausbreitung der Lehre des vollendeten Buddha. Es war der Glanzpunkt, die Blüthezeit, die der Buddhismus in Indien erlebt hat.

1 £akyasiinha.

* S. Lassen, Ind. Alterth. II« p. 224 flg.

» S. Lassen, a. a. 0. II*, p. 227—230. Weber, Ind. Lit. »2. Aufl. p. 195.

4 S. LasBeo, a. a. 0. II*, p. 258.

6 8. Lassen, Ind. Alterth. II», p.253. Duncker, Gesch. d. \lt.lll\ p.406. Oldenberg, Ueber Sanskritforschung, Deutsche Rundschau XII, 9 p. 408 (1886).

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Einundzwanzigste Vorlesung,

Die geschichtlichen Ereignisse Indiens im Mittelalter (Fortsetzung und Schlnss). Acoka*s Söhne und Nachfolger. Die Dynastie der $ufiga in VidiciL Das griechisch- bak tri sehe Reich. Das griechisch-indische Reich. Die Indoskythen; Yue-tschi, Qaka. Kanishka oder Kanerki. Das vierte buddhistische Concil. Die Dynastie der Gupta. Die Valabht- Könige. Der Vikramaditya des Kalidasa (Harsha von Ujjayini) und seine Nach- folger. Einfalle und Eroberungen der Mohammedaner. Mahmud von Ghasna. Timur (Tamerlan). Baber und das Reich der Grossmogule.

Bevor wir auf die Culturverhältnisse des indischen Mittel- alters eingehen, erlauben Sie mir noch, die Schilderung der politischen Ereignisse jener Zeitperiode weiter fortzufuhren und wenigstens die wichtigsten Umwälzungen und Neugestaltungen der folgenden Jahrhunderte kurz anzudeuten.

Wenn es zu der Zeit, da Candragupta und seine nächsten Nachfolger den Thron von Pataliputra inne hatten, wohl scheinen konnte, als solle Indien jetzt zu einem grossen Reiche zu- sammen wachsen und der Segnungen eines einheitlichen Regi- mentes gemessen, so brachte schon die Zeit unmittelbar nach Acoka Ereignisse, welche die politische Entwickelung des Landes in wesentlich andere Bahnen lenken sollten.

König A$oka starb im Jahre 222 vor Chr. nach einer 37jährigen segensreichen Regierung. Nach Beinern Tode zer- fiel das grosse Reich der Maurya in drei kleinere, indem nach der wahrscheinlichsten Annahme die Söhne Acoka's sich in das Erbe ihres Vaters theilten.1

In Magadha, dem Stammland des alten Reiches, herrschte Suyacas und dessen Nachkommen. Kaschmir und ein grosser Theil des nordwestlichen IndienB fiel dem Jaloka zu, welchen die Griechen Sophagasenos (d. i. Subhagasena) nennen." Im

1 S: Lassen, Ind. Alterth. II» p. 284. 360. * S. Lassen, a. a. 0. II», p. 360.

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südwestlichen Theilc von Acoka's Reich gelangte Sampadi zur Herrschaft, der seine Residenz wahrscheinlich in Vidicä (Bidic,a) aufschlug, dem heutigen Bhilsa, welche Stadt am obersten Laufe der Vetravati, eines von Süden kommenden Nebenflusses der Yanmnä, gelegen ist. Nach Lassen's Annahme wäre nach Acoka's Tode ein Streit zwischen den drei Brüdern ausgebrochen, in welchem Jaloka Sieger blieb uud den grösseren Theil des väter- lichen Erbes gewann, während dem Suyagas der Osten, Sampadi der Südwesten zufiel.

Im Ganzen soll das Geschlecht der Maurya 137 Jahre regiert haben, also bis zum Jahre 178 vor Chr. In diesem Jahre gelangte Pushpamitra zur Regierung, der Gründer der Dynastie der £unga. Wahrscheinlich stand dieser Pushpamitra früher in Diensten des letzten Maurya-Königs von VidicÄ, ver- drängte diesen von seiner Herrschaft, sowie später auch den König von Magadha.1 Nach Angabe der Buddhisten sowie der Puranas residirte er in Patali putra, nach Lassen in Vidicfi..1 Dieser Pushpamitra, der erste Herrscher aus der Dynastie der tyinga, ist der Vater des Königs Agnimitra, den uns Kalidasa in seinem Drama Malavi kägnimitra als Herrscher von Vidi^a vorführt.

Die Dynastie der Qunga war den Brahmanen freundlich und wird von ihnen gegen die Buddhisten aufgereizt. Es sollen Verfolgungen stattgefunden haben. Viele Buddhisten wandern aus und ziehen sich in audere Länder. Dies ist wohl auch der Grund, weswegen das vierte buddhistische Concil (im 1. Jahrh. nach Chr.) in Kaschmir abgehalten wurde.

Der Zerfall des grossen Reiches, das Candragupta ge- gründet, trug wohl sehr wesentlich die Schuld, wenn die von Westen das indische Land bedrohenden Feinde jetzt glücklicher in ihren Unternehmungen waren wie ehedem. Ist es auch bei dem sehr lückenhaften Zustande der Quellen, unter denen die zahlreichen Münzfunde eine wichtige Rolle spielen,3 kaum mög- lich, ein allseitig klares Bild über die Vorgänge zu gewinnen, die sich in jenen Jahrhunderten im westlichen Theile Indiens abspielten, so viel ist gewiss, dass hellenische Könige

1 S. Lassen, Ind. Alt. H\ p. 361.

* Vgl. Weber im Vorwort seiner üebersetzung Ton „Malavika und Agnimitra", p. XI.

9 Eine sehr werth volle Uebersicht dieser Münzfunde hat A. v. Sal let gegeben in seiner interessanten Abhandlung „die Nachfolger Alexanders des Grossen in Baktrien und Indien", Zeitschrift für Numismatik Bd. VI. p. 165 flg., p. 271 flg. (mit einem Nachtrag in Bd. VII, p. 296 flg.).

t. Schröder. Indiens Lit. n. Cult. 20

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scm;

wiederholt nicht unbedeutende Theile Indiens erobert und be- herrscht haben.

Westlich von Indien hatte sich, wie wir früher gesehen, das mächtige Reich der Seleukiden erhoben, dessen Stifter nach einem wahrscheinlich nicht glücklichen Feldzuge in freundliche Beziehungen zu Candragupta getreten war. Im Bestände des Seleukiden-Reiehes waren indessen im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen eingetreten, insbesondere durch die Gründung des griechisch-baktrischen Reiches.

Der Seleukide Antiochos, Mitte des dritten Jahrhunderts vor Chr., war in verschiedene schwierige Kämpfe verwickelt, und diesen Umstand benutzte sein Statthalter Diodotos, sich unabhängig zu erklären und das griechisch- baktrische Reich zu gründen, einige Zeit vor d. J. 250 vor. Chr.1 Einige Decennien später (220 vor Chr.) empört sich der Magnesier Euthydenios, der wahrscheinlich Satrap von Areia war, gegen <lie neubegründete Dynastie und gewinnt die Herrschaft über das Reich. Als später Antiochos III, der Grosse, gegen diesen mit Waffengewalt vorrückte,2 kam es zu Verhandlungen, deren Resultat die Anerkennung der Unabhängigkeit und der Königs- würde des Euthydemos von Seiten des Antiochos war. Insbe- sondere soll der Seleukide durch die einnehmende Persönlich- keit des Demetrios, Sohnes des Euthydenios, für diesen ge- wonnen sein.3 Antiochos versprach dem Demetrios seine Tochter zur Frau zu geben, überschritt den indischen Kaukasos und befestigte die angestammte Freundschaft mit dem indischen Könige, den die Griechen Sophagasenos nennen; es ist Jaloka, der Sohn des Ac,oka, der in Kaschmir herrschte. Dieses Bünd- niss war dem Seleukiden ohne Zweifel von Wichtigkeit wegen der gefährlich anwachsenden Macht der griechisch-baktrischen Herrscher. Er zog dann wieder in sein Land zurück,

Euthydemos dehnte seine Eroberungen bis an den Hydaspes aus, wo er eine nach seinem Namen benannte Stadt gründete-,4 ei besass eine sehr bedeutende Macht, scheint aber von Jaloka bei einem Angriff auf dessen Reich geschlagen worden zu sein.5

1 S. Lassen, Ind. Alterth. II*, p. 295. 296. A. v. Sallet, in der Ztschr. f. Numismatik Bd. VI, p. 165. 191.

* S. Lassen, II*, p. 311. Die Kampfe des Antiochos III. gegen Euthydemos fallen nach Droysen «Gesch. d. Hellenismus) in die Jahre 212—205 vor Chr. Vgl. A. v. Sallet, Ztschr. f. Numismatik, Cd. VI, p. 167.

a S. Lassen, Ind. Alt. II«, p. 310. 4 Vgl. A. v. Sallet, a. a. 0. p. 168.

6 Nach der Chronik von Kaschmir. S. Lassen, a. a. 0. p. 312. 313.

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Des Euthydemos Sohn Demetrius (ca. 200 vor Chr.) drang mit seinen Eroberungen schon bedeutend weiter in das indische Land vor. Er soll das Gebiet des unteren Indus (Pattalene), die Landschaft Mailava und die Halbinsel Gujerat beherrscht haben, aller Wahrscheinlichkeit nach auch Kaschmir.1 Derne- trios war der Erste, der die griechische Macht bis nach Gujerat ausdehnte. So wird er denn auch schon „König der Inder" genannt.* Er zuerst prägt zweisprachige Münzen, auf der Vorder- seite griechisch, auf der Rückseite indisch eine Con- cession an die von ihm beherrschte Nationalität3 Die Regie- rung des Euthydcmos und die des Demetrios bilden die Glanz- zeit des griechisch -baktrischen Reiches.* Inzwischen empörte sich wieder ein Gewalthaber von unbekannter Herkunft, Eukra- tides, in Baktricn gegen seinen Oberherrn Demetrios, und wenn derselbe auch zuerst zurückgedrängt wurde, so war er schliess- lich doch siegreich, dehnte seine Eroberungen bis in das in- dische Land aus und unterwarf sich das Fünfstromland bis an den Hyphasis (Vipac,). Eukratides giebt sich selbst den Bei- namen „der Grosse" und wird auch von Justin so genannt. Sein Regierungsantritt fällt nach Ausweis der Münzen in den Anfang des 2. Jahrhunderts vor Chr., etwa um das Jahr 195 vor Chr/' Er herrschte lange noch über das Jahr 165 hinaus6 , soll aber von seinem Sohne nnd Mitregenten Heli- okles auf dem Rückmarsch aus Indien ermordet worden sein.7

Das griechisch-baktrische Reich wurde zerstört, nach Angabe der Alten durch die Skythen, nach Lassen durch Mithridates.* In Indien aber erhob sich nun das griechisch- indische Reich, dessen Stifter nacli Lassen's Annahme Apollo- dotos war, ein anderer Sohn des Eukratides, der seinem Bruder

' S. Lassen, a. a. 0. p. 314. 315.

2 S. A. v. Sallet, a. a. 0. p. 170. 174.

3 Die Münzen der vorausgehenden Könige waren sämmtlich rein

griechisch. Vgl. A. v. Sali et, a. a. 0. p. 174. 192.

4 S. Lassen, a. a. 0. p. 316.

» S. A. v. Sallet, a. a. 0. p. 170—172. Cunningham setzte den Regierungsantritt des Eukratides in d. J. 190 vor Chr. (s. A. v. Sallet a a. 0. p 172 Amn.). Lassen setzte ihn in d. J. 181 v. Chr. (Ind. Alt. II*, p. 318. 319). Nach A. v. Sallets ansprechender Vermuthung versöhnten sich Eukratides und Demetrios nach ihrem oben erwähnten Kriege und Eukratides vermählte seinen Sohn Heliokles mit des Demetrios Tochter Laodike (vgl. a. a. 0. p. 188. 189).

6 S. A. v. Sallet, a. a. 0. p. 190.

7 S. Lassen, Ind. Alt. II-, p. 325. * S. Lassen, a. a. O. p. 333.

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Heliokles die indischen Provinzen abgewann.1 Die von ihm geprägten Münzen sind hauptsächlich im Penjab gefunden. Er regierte gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Chr. Die Ostgrenze seines Reiches bildete wahrscheinlich der Hy- phasis.*

Der hervorragendste unter seinen Nachfolgern war Me- nandros, der wohl noch im zweiten Jahrhundert oder um das Jahr 100 vor Chr. regierte; genau lässt sich die Zeit nicht bestimmen.8 Dieser Menandros erscheint als König „Milinda*4 in buddhistischen Schriften, namentlich dem sogenannten Mi- lindapafiha.4 Er beherrschte Guj erat, drang nach Strabo bis zur Yamuna vor, nach indischen Quellen sogar bis Pataliputra, und belagerte die Stadt Ayodhyä, das heutige Oude.5 Münzen dieses Königs sind in grosser Anzahl gefunden worden und er- scheint sein Gesicht auf denselben bald als ein jugendliches, bald als alt und gefurcht; offenbar war die Dauer seiner Re- gierung eine ziemlich beträchtliche.6 Seine Nachfolger haben indessen diese östlichen Länder schwerlich beherrscht, be- schränkten sich vielmehr wohl auf die westlichen Gebiete.7

Der letzte König dieser Dynastie scheint Hermaios ge- wesen zu sein, der im ersten Jahrhundert vor Chr. regierte

1 S. Lassen, a. a. 0. p. 336. 339. Leider wissen wir nor sehr wenig Sicheres über die in dieser und der folgenden Zeit in Indien und Baktrien herrschenden griechischen Fürsten zu sagen. Die Zahl der- selben ist nach Ausweis der Münzen für die verhaltnisBmasaig kurze Zeit (von 165 v. Chr. an, wahrscheinlich kein volles Jahrhundert) eine auffallend grosse (ca. 24); sie scheinen theils nach einander, theils aber auch gleichzeitig über verschiedene Theile des Landes geherrscht zu haben. Eine fortlaufend herrschende Dynastie scheint nicht vorzuliegen. Die Herrscher sind aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem grossen Theile Nachkommen verschiedener Generale und Beamten Alexanders des Grossen. Aus den Schriftstellern kennen wir von ihnen allen nur Apollodotos und Menander, die von Justin als „indische" Könige erwähnt werden. Vgl. A. v. Salle t, a. a. 0. p. 194—207.

* Lassen, a. a. 0. p. 339. 340.

Lassen (a. a. 0. p. 343) nimmt 144 vor Chr. als das Jahr seines Regierungsantritts an, doch wie mir scheint etwas willkürlich. S. auch Oldenberg, Buddha p. 260.

* „Fragen des Milinda". Einen höchst interessanten und geistvollen Dialog zwischen Milinda und dem buddhistischen Heiligen Nagasena, über das Wesen der Persönlichkeit, des Ich, findet man mitgetheilt bei Oldenberg, Buddha p. 260 -263.

5 S. Lassen, a. a. 0. p. 341. 342. A. v. Sallet, a. a. 0. p. 196. Strabo 355. 356.

0 A. v. Sallet, a. a. 0. p. 196.

1 S. Lassen, a. a. 0. p. 351.

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und dessen Herrschaft von den Indoskythen gestürzt wurde.1 Damit endete überhaupt die Herrschaft der Griechen in diesen östlichen Ländern, denen sie durch bald zwei Jahrhunderte hindurch sich so oft als gefährliche Gegner und siegreiche Er- oberer gezeigt hatten.

Die Völker, denen das Erbe der Griechen im westlichen Indien zufiel, waren nicht so edlen Stammes wie die Hellenen, und wenn die Herrschaft der letzteren neben dem Drückenden dem Lande doch auch manche neue geistige Anregung, manche Bereicherung der Cultur brachte, so konnte davon bei ihren Nachfolgern nicht wohl die Rede sein. Indoskythen nennen die Griechen diese neuen Eindringlinge auf indischem Boden und fassen unter diesem Namen, der nur „in Indien wohnende Skythen** bedeuten soll, mehrere turanische Völker von ver- schiedener Abstammung zusammen, über deren ethnologischen Charakter wir zum Theil nicht sicher urtheilen können.

Chinesischen Berichten zufolge begann die sogenannte indoskythische Völkerwanderung i. J. 165 v. Chr.,' veranlasst durch das türkische Volk der Hiungnu, welches am oberen Hoangho in der Gegend des Schneegebirges Inshan wohnte und wiederholt Einfälle nach China gemacht hatte. Die wichtigsten Völker, die bei dieser Wanderung und Verschiebung der alten Sitze betheiligt waren, simd die Yuei-tschi, ein tibetisches Volk, die Sse und die Usun. Am meisten im Gebrauch ist aber der NameQaka, mit welchem die alten Perser alle skythischen Völker bezeichneten.

Die Herrschaft der sogenannten Qaka- Könige in Indien begann im ersten Jahrhundert v. Chr. und dauerte etwa bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr.5 Der berühmteste unter ihnen, ja wohl der einzige von allen indoskythischen Königen, dessen Ruhm sich weit über Indien hinaus, bis in das innere und östliche Asien hinein, verbreitete, war Kanishka

1 Nach Lassen i. J. 85 vor Chr.; vgl. a. a. 0. 351—353. Nach A. v. Sallet trat dies wahrscheinlich etwas später ein (s. a. a. 0. p. 202). DeB Hermaios unmittelbarer Nachfolger ist Kadphises, also ein König ungriechischen Namens, der aber die grieeb. Münzaufschrift des H. bei- behalt Vgl. A. v. Sallet, a. a. 0. p. 201.

* S. Lassen, a. a. 0. p. 372.

* Der letzte dieser indoskythischen Herrscher regierte, nach einem numismatischen Zeugniss, bis ungefähr 178 nach Chr. Vgl. M. Müller, Indien in 8. w. B. p. 261. Das heute noch im Penjab ansässige Volk der Jät's (Dschafs) gilt als Abkömmling jener indoskythischen Stämme, die in den Jahrhunderten um Christi Gebort herum in jenen westlichen Gegenden Indien's kämpften und herrschten.

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oder Kanerki, welcher im ersten Jahrhundert n. Chr. in Kaschmir herrschte.1 Die Buddhisten sind es. die sein An- denken feiern, denn er war ein mächtiger Beförderer ihrer Lehre. Die Länder des Nord-Westens, Kaschmir und Gandhära, wohin die buddhistischen Sendboten nach dem dritten Concil unter Acoka im dritten Jahrhundert v. Chr. ihre Lehre getragen hatten, machte er zum Hauptsitze des Buddhismus, und unter seiner Regierung fand in Kaschmir das vierte buddhistische Concil statt

Das Andenken an die Herrschaft der ^aka- Könige bewahrt die indische Zeitrechnung bis auf den heutigen Tag; die so- genannte (Jaka-Aera beginnt mit dem Jahre 78 n. Chr., ver- muthlich das Jahr, in welchem die Königsweihe des Kanishka stattfand.8

Kanishka schuf sich eine mächtige Herrschaft, indem er nicht nur bedeutende Gebiete des inneren Asien seinem Reiche (Kaschniir) hinzufügte, sondern auch Kanyakubja am Ganges eroberte und auch weiter nach Süden hin seine Herrschaft ausdehnte. Der Himalaya trennte sein Reich in zwei Theile, und schon durch diesen Umstand war dasselbe einem baldigen Zerfall geweiht.3

König Kanishka soll ursprünglich den Buddhisten feind- selig gewesen sein und ihre- Lehre verachtet haben. Aber er wurde bekehrt und aus einem Gegner einer der eifrigsten An- hänger des Buddha und einer der gefeiertsten buddhistischen Könige. Täglich so berichtet die Tradition liess er sich von dem Patriarchen Parcvika die drei Pi^aka, den buddhisti- schen Canon, erklären und studirte selbst eifrig die buddhi- stischen Schriften. Auf dem unter seiner Regierung abgehaltenen Concil, das charakteristisch für die Stellung des Buddhismus in jener Zeit und die Verdrängung aus seinen früheren Sitzen in Kaschmir stattfand, soll die reine Lehre aufs Neue end- gültig festgestellt und sollen ausserdem Erklärungs werke zu

1 8. Lassen, Ind. Alt II*, p. 848. Er gehört specieil zu den sogenannten Turushka-Königen.

8 So nach Fergnsson's und Oldenberg's Vermuthang; vergl. H. Oldenberg, Ueber die Datirnng der älteren indischen Münz- und Inschriftenreihen, Ztschr. f. Numismatik Bd. VIII p. 290 flg.; M. Müller, Indien in s. w. B. p. 265—261. Neben der Qaka-Aera ist hei den Indern insbesondere die sogenannte Vikrama-Aera für die Zeitrechnung ge- bräuchlich; dieselbe beginnt 1. J. 66 vor Chr. and verdankt ihre Ein- führung einem König Vikramaditya aus dem 6. Jahrh. nach Chr., wie wir späterhin sehen werden.

1 S. Lassen, a. a. 0. II*, p. 848—863.

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ahen Theilen des Tripitaka verfasst worden sein.1 Mit diesem Concil schliesst die erste Periode des Buddbismus, in welcher durch die vier allgemeinen Concile die heiligen Schriften und die Verfassung der buddhistischen Kirche wiederholt festgestellt und von Verderbnissen und Fehlern gereinigt worden waren. Die Spaltung zwischen den südlichen und nördlichen Buddhisten war aber schon früher eingetreten, veranlasst dadurch, dass die Einen von ihnen ein anderes drittes Concil als das gültige an- erkennen wie die Anderen. Auf den Münzen des Königs Ka- nishka oder Kanerki* sehen wir Bild und Name des Buddha erscheinen.8 Kanishka gründete auch verschiedene Klöster und Stüpa's und hat der Verbreitung des Buddhismus nach Inner- asien jedenfalls erheblichen Vorschub geleistet

Die welthistorische Bedeutung des Buddhismus war in diesen Jahrhunderten immer deutlicher zu Tage getreten. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte wurden die Schranken der Nationalität durchbrochen durch eine weitherzige Religion, die aller Welt, allen Stämmen und Völkern das Heil ver- kündigen will. Schon auf dem dritten Concil unter Acoka wurde der Beschluss gefasst, überall hin Missionen zu senden. Zu jener Zeit schon drang der Buddhismus nicht nur nach Ceylon und Kaschmir, sondern auch nach Baktrien. Dann wurde er im ersten Jahrhundert n. Chr. auch in China ein- geführt und vom kaiserlichen Hofe anerkannt.4 Aus Kaschmir, wo ihm insbesondere Kanishka eine Stätte bereitete, drang er dann weiter nach Nepal und Tibet; aus Ceylon nach Hinter- indien. In China gewann er insbesondere im dritten Jahr- hundert n. Chr. grossen Zuwachs an Bekennern.5

Auch der Brahmanismus war durch Ansiedler in andere Gebiete Asiens getragen worden. Brahmanen, die im zweiten Jahrhundert nach dem westlichen Hinterindien auswanderten, brachten den Cultus des Vishnu dorthin.6 Nach Java war der Cultus dieses Gottes und anderer brahraanischer Götter schon

1 Angeblich in 300,000 ?loken: vgl. Lassen, Ind. Alt. II* p. 856.

* Kanerki ist die Nainensform des Königs auf den Münzen.

* Vgl. Cunningham, Journ. As. Soc. Bengal p. 430 und Tafel 2; A. v. Sallet, Ztschr. f. Numismatik Bd. VI p. 387 tig., Bd. VIII p. 114 flg.

4 Vgl. Lassen, a. a. 0. II*, p. 443.

* Lassen, a. a. 0. p. 1100.

* Als Vasudeva und Rama. Die ältesten Ansiedler in Java sollen den Vishnulsmus dort eingeführt haben. Brahmanen, welche 318 dort- hin übersiedelten, brachten ein besonderes Göttersystem mit. mit Batara Guru an der Spitze. & Lassen a. a. 0. II1, p. 1112. 1113.

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früher gedrungen. Aber der Buddhismus zeigte doch eine ganz andere, neue, jugendliche Kraft bei dieser Verbreitung in andere Länder. Die humanen Ideen eroberten ihm die Herzen. Er vereinigte zuletzt eine Menge von Völkern durch das gemein- same Band derselben Religion und derselben, damit in Zusammenhang stehenden Literatur. Darunter nehmen die turanischen Völker, denen ja auch Kanishka angehört, keine unbedeutende Stelle ein.1

Unter den Fürstengeschlechtern, welche im Laufe der nächstfolgenden Jahrhunderte in Indien eine hervorragende Holle spielten, muss vor Allem eines besonders hervorgehoben werden, das der Gupta, mit dessen Namen eine neue ruhm- volle Periode der indischen Geschichte verknüpft ist. Denn unter diesen Herrschern finden wir wieder eineu grossen Theü von Indien zu einem Reiche vereinigt, das einheimischen Fürsten gehorchte, nahezu einen so grossen Theil von Indien, wie dies zu den Zeiten Candragupta's und seiner ersten Nachfolger der Fall gewesen. Die Dynastie der Gupta, deren Herrschaft, mit dem Jahre 319 beginnend, in das 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. fällt,* hatte auch mit auswärtigen Völkern und Fürsten ihre Beziehungen, z. B. mit den persischen Sassaniden. Sie beför- derte einheimische Literatur, Dichtkunst und Gelehrsamkeit, sowie die brahmanische Religion.8 Diese Dynastie trägt also wieder einen indisch- nationalen Charakter in grossem Sinne. Die Gupta, von denen uns Münzen und Inschriften reichlich erhalten sind, hatten ihre Herrschaft zunächst längs dem Ganges bis zum Zusammenßuss dieses Stromes mit der Yamuna, sowie in Ayodhyä und Magadha. Der Stifter dieser Dynastie, die der Tradition zufolge aus der Kaste der Vaicva stammte, hiess Gupta oder Qrlgupta. Unter seinen Nachfolgern ist vor Allem

1 Als Nachfolger des Kanishka und hervorragende Glieder der- selben Dynastie der Turashka sind Huvishka und Vasudeva zu nennen, welche auf den Münzen als Ooerki und Bazodeo erscheinen.

3 Diese Zeitbestimmung halte ich, im Anschluss an die Ausfüh- rungen Oldenberg's, für die richtige. Man Tgl. den wichtigen und interessanten Aufsatz dieses Forschers „Ueber die Datirung der alteren indischen Münz- und Inschriftenreihen", Ztschr. f. Numismatik Bd. VTCI p, 289—329; namentlich p. 300 flg. Dazu den Nachtrag Bd. IX p. 90 flg. Die sogenannte Gupta-Aera beginnt darnach mit d. J. 319 nach Chr. Cunningham und Cleve Bayley setzen den Beginn der Aera in das Jahr 195 nach Chr., wogegen Oldenberg mit Recht Opposition macht (vgl. a. a. 0. Bd. IX p. 91). Noch weniger kann Lassend Zeitbestimmung angenommen werden (vgl. a. a. 0. Bd. VIII p. 805).

s S. Lassen a. a. 0. II* p. 957.

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Samudragupta zu nennen, von dem wir eine historisch höchst wichtige Inschrift besitzen, auf der in stattlicher Reihe die Namen der Fürsten, die dieser König überwunden, und der Länder, die er beherrschte, aufgezählt werden. Die wichtigsten Theile des Gangeslandes waren ihm unterworfen1, wahrscheinlich auch ein grosser Theil von Bengalen; Malava war ihm tribut- pflichtig, sowie bestimmte Völker des Penjab und Indusgebietes, vielleicht auch einige Völker in der Nahe Kaschmir's.1 Später- hin fugte Skandagupta dem mächtigen Reiche noch die Halb- insel Gujerat hinzu, sowie die gegenüberliegende Küste des Fest- landes.' Dort bewahrt eine Inschrift in Girinagara sein An- denken bis auf den beutigen Tag.

Die Dynastie der Gtipta brachte nach so manchen schlim- men Einfällen und Gewaltherrschaften fremder Völker, nach so manchem Durcheinander in der indischen Staatenentwickelung endlich wieder ein grosses und starkes Reich, von einheimischen Fürsten regiert, das den grössten Theil des nördlichen Indiens nebst mehreren anderen Gebieten noch umfasste. „Mit der Machterlangung der Gupta's sagt Lassen trat ein glück- licher Zustand der Ruhe und der gesetzlichen Ordnung, der nur selten von Kriegen gestört ward, wieder ein. Während der über hundertundsiebenzig Jahre fortdauernden Herrschaft der Gupta mussten die verheerenden Eroberungszüge der rohen mdoskythischen Kriegerschaaren und die Vertreibung der in- dischen Völker aus ihren Stammsitzen ihr Ende erreichen.'1 s

Es ist ein bedeutsames Factum, dass der Beginn der Gupta- Herrschaft zusammenfällt mit dem Beginn derjenigen Epoche, welche Max Müller als die Renaissance der Sanskrit-Literatur bezeichnet hat (von ca. 300 nach Chr. an). Unter dem Schutze dieser Fürsten fasste die indische Literatur aufs neue Wurzel und bereitete sich auf ihre schönste Blütbe-Periode vor.

Dabei verstanden die Gupta ihr grosses Reich nach einem

1 Lassen, a. a. 0. p. 981. Die Inschrift des Samudragupta be- richtet auch, dass er die Gelehrten beschützte und durch eigene Gedichte den Ruhm eines Dichterkönigs erworben habe. In der Musik will er sogar die halbgöttlichen Närada und Tumburu übertroffen haben. Siehe Lassen, a. a. 0. p. 939. 958.

* Lassen a. a. 0. p. 987. Die inschriftlichen Daten des Skanda- gupta reichen Ton dem Jahre 130 146 der Gupta- Aera, d. h. 449—465 nach Chr. Vgl. Oldenberg, Ztschr. f. Numismatik Bd. VIII p. 801. Grosse Mengen von Manzen des Skandaguptc wie auch seines Vaters Kumaragupta haben sich in Kathiawad iGujerat) gefanden (Oldenberg, a. a. 0. p. 301).

S. Lassen, a. a. 0. II», p. 1000. 1001.

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vortrefflichen, wohldurchdachten System zu verwalten, indem sie richtig zu unterscheiden wussten, welche Gebiete sie ihrer Herrschaft ganz einverleibten, welche sie ihren früheren Fürsten Hessen, indem sie dieselben nur zu Tributzahlungen verpflich- teten. 1

Von Bedeutung war es für das indische Land, dass die Gupta- Könige dem Brahmanismus ergeben waren, die brah- uianischen Götter verehrten uud denselben Opfer darbrachten.* Doch behandelten sie die Buddhisten keineswegs feindselig, sondern Hessen auch ihnen Schutz und Hülfe angedeihcn.9 Immerhin aber war es natürlich, dass die crstere Religion er- starkte und sich immer sicherer zu fühlen begann, während der kosmopolitisch angelegte Buddhismus mehr und mehr über die Grenzen Indiens hinaus strebte.

Gegen das Ende des 5. Jahrhundert nach Chr. wurde die Herrschaft der Gupta-Könige in Gujerat durch die sogenannten Valabhi-Könige zu Fall gebracht, welche etwa seit dem Jahre 480 nach Chr. daselbst regieren 1 und sich bei ihren chrono- logischen Angaben der Gupta- Aera (319 nach Chr.) bedienen.5

Unter den indischen Regenten der folgenden Jahrhunderte strahlt vor Allem ein Name in unvergänglichem Glänze. Es ist der des Vikramäditya Harsha von Ujjayini,6 meist Vikrama genannt, welcher, wie wir jetzt mit Bestimmtheit behaupten können, im sechsten Jahrhundert nach Chr. lebte. Er ist es, an dessen Hofe , einer überlieferten Angabe zufolge die sogeuannten „neun Edelsteine**, neun berühmte Dichter und Gelehrte lebten, deren bedeutendster unstreitig Kalidasa war. An den Namen dieses Vikramaditya oder Vikrama ist die so- genannte Vikrama- Aera geknüpft, die mit d. J. 56 vor Chr. beginnt und neben der Qaka-Aera noch heute von den Indern am meisten angewendet wird. Dieser Umstand veranlasste früher die Gelehrten, den Vikrama selbst und mit ihm auch den Kali- dasa in das erste Jahrhundert vor Chr. zu setzen; doch dürfte

1 Dasselbe System ist nachher von den Engländern sehr erfolgreich gehandhabt worden.

8 S. Lassen, a. a. 0. II«, p. 1001. 1002.

3 S. Lassen, a. a. 0. p. 1001.

4 S. Oldenberg. a. a. 0. Bd. VIII p. 326.

5 Man hat früher irrigerweise angenommen, dass die Herrschaft der Valabhi-Könige i. J. 319 begann und dass die der Gupta-Könige damals schon zu Ende ging. Vgl. die Zurechtstellung von Oldenberg, a. a. 0. Bd. VIII p. 300 flg.

Ujjayini ist das "O^tjvtj der Griechen, später Udschayn, Odschein, im westlichen Indien, am Nordrand des Yindhya-Gebirgei.

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dieser grobe Irrthum nun wohl genügend aufgeklärt sein. Eine ganze Reihe wichtiger historischer wie literargeschichtlicher Thatsachen lassen es unzweifelhaft erscheinen, dass die Regie- rung dieses Vikrama yielmehr in das 6. Jahrhundert nach Chr. fällt Kein urkundliches Zeugniss weiss etwas von einem König Vikrama im ersten Jahrhundert vor Chr. und in keiner Inschrift vor dem 6. Jahrhundert ist seine Aera gebraucht

Der scharfsinnige Fergusson hat uns das Räthsel gelöst, wie gerade das Jahr 56 vor Chr. zum Ausgangspunkt der Aera des Vikrama werden konnte. Im Jahre 544 schlug nämlich Vikramaditya in der grossen Schlacht bei Korur die Barbaren (Mleccha) entscheidend aufs . Haupt An dies Erei'gniss an- knüpfend wurde eine neue Zeitrechnung eingerührt, deren An- fangspunkt gerade 600 Jahre vor das Datum jt-ner Schlacht, also auf das Jahr 56 vor Chr. festgesetzt wurde.1

Neben dem Ruhm, den jene Schlacht und die nach ihm benannte Zeitrechnung dem Vikrama verleihen, schmückt ihn ein noch höherer, der Ruhm, um seinen Thron jene schon er- wähnten Dichter und Gelehrten versammelt zu haben: Dhan- vantari, Kshapanaka, Amarasimha, Kalidasa, Ghatakarpara, Va- rähamihira, Vararuci, Canku und Vetalabhatta. Kalidasa's Name genügt, um die Zeit Vikramaditya's als Blüthezeit der indischen Poesie erscheinen zu lassen.

Diese Blüthezeit der Literatur dauerte nun auch in den nächstfolgenden Jahrhunderten noch weiter fort Auf Vikra- maditya folgte in der Regierung Qiladitya PratapacUa;2 dann Prabhäkara; dann dessen Sohn Rajyavardhana, und dann des letzteren Bruder Qiläditya Harsha, unter dessen langdauern- der Regierung der berühmte chinesische Pilger Hiuen-Thsang Indien bereiste, weiche Reisen nach der chinesischen Chrono- logie von 629—645 dauerten.3

In dieser Zeit, dem sechsten und siebenten Jahrhundert nach Chr., scheinen Brahmanen und Buddhisten leidlich gut neben einander existirt zu haben, wie etwa Katholiken und

1 Man vgl. über dies Alles namentlich die interessanten und ein- gehenden Erörterungen bei M. Müller, Indien in s. w. B. p. 245 flg. Die Literaturgeschichte des ind. Mittelalters, die wir weiter unten be- handeln, Wird noch mehr als ein wichtiges Factum zur Bestätigung der oben behaupteten Datirung beibringen. Vgl unten namentlich Vor- lesung XLI.

Etwa von 550 nach Chr. an; vgl. M. Müller, Indien in s.w. B. p. 264. 255.

» 8. Müller, a. a. 0. p. 251.

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Protestanten bei uns. Aber in der Folge haben doch die Buddhisten das Feld vollständig räumen müssen. Das achte bis zehnte Jahrhundert dürfte ungefähr die Zeit sein, wo sie ihren brahmanischen Rivalen weichen.

Aber jetzt brachen andersgläubige Eroberer, einer nach dem anderen, in Indien ein, und es folgten die Jahrhunderte der mohammedanischen Fremdherrschaft.

Der erste dieser mohammedanischen Eroberer war Mahmud der Ghasnewide, der um das Jahr 1000 nach Chr. lebte.1 Er entstammte einer Dynastie deren ursprünglicher Sitz Ghasna in Afghanistan war. „Mit dem Zuge Mahmud's nach Indien sagt E. Schlagintweit beginnt für Hindostan eine der entsetzlichsten Perioden seiner Geschichte. Ein Monarch stürzt den anderen, keine Dynastie ist von Dauer, jede Thronbesteigung beginnt mit Verwandtenmord, mit Pjünderung von Städten, Verwüstung des platten Landes und dem Hinschlachten Tausen- der von Männern, Frauen und Kindern der Anhänger des Vor- fahren; buchstäblich raucht während fünf Jahrhunderten das nordwestliche und nördliche Indien von der Menge des ver- gossenen Blutes."8 Mahmud, der sein Reich auch nach Iran und Turkestan ausdehnte, plünderte auf seinen Zügen durch Indien die Tempel, äscherte die Städte ein, tödtete die Ein- wohner und wollte dem Islam eine Stätte in Indien bereiten. Unendliche Schätze wurden nach Ghasna geführt, wo Mahmud glänzend Hof hielt.

Der Ghasnewide Masüd (um 1100) war der erste dieser mohammedanischen Herrscher, der seine Residenz ganz nach Indien, und zwar nach Lahore, verlegte. Die Dynastie erlosch Ende des zwölften Jahrhunderts.3 Es folgte eine ganze Reihe anderer Dynastieen, meist afghanischer Herkunft, die zum Theil schrecklich im Lande hausten. Unter Kutab ed din, etwa um d. J. 1200, wurde die Residenz nach Delhi verlegt. Im Jahre 1398 brach der gewaltige Mongolenfurst Timur oder Tamerlan in Indien ein, hauste hier in schrecklichster, blutigster Weise, Hess sich in Delhi zum Kaiser von Hindostan ausrufen und kehrte 1399 dem Lande wieder den Rücken.

Ein Nachkomme Timur's, Baber, ursprünglich Fürst von Ferghana, überschritt im sechzehnten Jahrhundert die Grenzen Indiens, nahm im Jahre 1526 Delhi ein, warf die tapferen

1 Er regierte von 997 1028 nach Chr.

' S. E. Schlagintweit, Indien in Wort und Bild, Bd. II p. 26. 27. 9 1186 mit Khosru Malik.

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Rajputen 1527 in einer furchtbaren Schlacht nieder und be- gründete die ruhmreiche Herrschaft der sogenannten Gross- mogul e in Indien. Unter seinen Nachfolgern ragt, im sech- zehnten Jahrhundert, sein Enkel, der edle und freisinnige Akbar hervor. In demselben Jahrhundert beginnen auch die Europäer an verschiedenen Punkten des Landes festen Fuss zu fassen, und es bahnt sich eine neue Zeit für Indien an, die in der endlichen Begründung der englischen Herrschaft ihre Vollendung finden sollte.

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Zweiundzwanzigste Vorlesung

Die Cultur des indischen Mittelalters. Quellen für dieselbe. Die Götterwelt dieser Zeit. System der drei grossen Götter: Brahma, Vishnu, £iva. Genesis desselben. Vishnu im Rigveda; im Yajurveda and in den Brahmana's. Vishnu wird Lieblingsgott der wichtigsten Stamme des Gangeslandes. Verschmelzung des Vishnu mit verschiedenen Volksgöttern : Hari, Jan Ardana, Vasudeva. Förderung dieses Cultus durch die Brah- manen im Kampfe gegen den aufstrebenden Buddhismus.

Nachdem wir in den letzten Vorlesungen die wichtigsten politischen Ereignisse des indischen Mittelalters an uns haben vorüberziehen lassen, wollen wir es nun versuchen, die Cultur und ihre Entwickelung in dieser Periode etwas näher ins Auge zu fassen.

Fragen wir zunächst nach den Quellen, aus denen wir unsere Kenntniss der Cultur des indischen Mittelalters schöpfen, so sind es in erster Linie die literarischen Denkmäler Indiens selbst, und zwar lassen sich insbesondere die grossen Epen Mahäbhärata und Rämäyana sowie das sogenannte Gesetz- buch des Manu als diejenigen Werke bezeichnen, die uns am Ausgeprägtesten, am Vollständigsten und Treusten das Bild der mittelalterlich - brahmanischen Cultur vor die Augen fuhren. Misslich sind uns diese, sonst so ungemein werthvollen, Bücher nur vor Allem wegen der Chronologie; denn schwer, und nur unter Zuratheziehung anderer Quellen, lässt sich die Ent- stehungszeit der uns dort vorgeführten brahmanischen Cultur feststellen, schwer lassen sich die verschiedenen Phasen ihrer Entwickelung scheiden. Was uns im Mahabharata, im Ramayana und im Gesetzbuch des Manu fertig entgegentritt, muss Jahr- hunderte hindurch gewachsen sein, und eben dies Wachsthum in seinen verschiedenen Stadien festzustellen und auch zeitlich zu bestimmen, würde uns doch gerade von besonderem Interesse

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sein. Leider ist die Unsicherheit in dieser Hinsicht so gross und auch die Abweichung in den Meinungen der Gelehrten verhältnissmässig so bedeutend, dass wir uns nur mit grosser Behutsamkeit auf diesem Boden bewegen dürfen.

Hier kommen nun als eine willkommene Ergänzung die buddhistischen Texte hinzu, namentlich die im Päli-Dialekt geschriebenen, die in historischer Beziehung viel zuverlässiger und werthvoller sind als die der Brahmanen1 und deren Er- wähnung brahmanischer Götter und Culturverhältnisse uns wiederholt die wichtigsten Anhaltspunkte bieten. Diese Texte sind uns um so wichtiger, als in den brahmanischen Büchern der Buddhismus fast gar nicht berücksichtigt und offenbar ab- sichtlich ignorirt wird; und doch spielt derselbe in der grösseren Hälfte des indischen Mittelalters eine ganz eminente Rolle und ist auch auf die Umgestaltung der brahmanischen Staatsordnung aller Wahrscheinlichkeit nach von grossem Einfluss gewesen. Das Nebeneinanderbestehen der brahmanischen und buddhisti- schen Riiiitungen, oder, wie die Griechen sageu, der Brah- manen und der Samanäer, und ihr theils offener, theils ver- steckter Widerstreit gehört sehr wesentlich zur Charakteristik dieser Zeit Die ältesten Bestandteile der erwähnten buddhi- stischen Texte, speciell der sogenannten Sütra, sind nach dem Urtheil eines Kenners wie Oldenberg jedenfalls vor dem zweiten buddhistischen Concil (zu Vaic&li), d. h. vor dem Jahre 380 vor Chr. verfasst,' wahrscheinlich zum Theil sogar schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, welches auf Buddha's Tod folgt'

Dazu kommen als eine weitere nicht unwichtige Ergänzung die Inschriften und Münzen der indischen Herrscher, für deren Vermittelung wir insbesondere englischen Forschorn wie Cunningham, Prinsep u. A. zu Dank verpflichtet sind.

Endlich und es ist dies nicht das Geringste haben wir auch noch die Nachrichten der griechischen Schriftsteller über Indien in jenen Jahrhunderten.

Der erste Grieche, von dem die Alten berichten, dass er Indien bereiste und Mittheilungen über dieses Land gab, war der schon früher erwähnte Skyl.uu4 welcher seine Reise im Jahre 509 vor Chr. auf Befehl des Darius ausführte. Aus

1 S. Lassen, Ind. Alt. II8, p. 10.

* S. Oldenberg, Bnddba, p. 77.

' Wir setzen denselben in das Jahr 480 vor Chr.

4 S. oben p. 295.

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seiner Schrift schöpften manche griechische Schriftsteller ihre Nachrichten über Indien, darunter auch Herodot.1

Wir haben dann ferner die Nachrichten des Ktesias, welcher als Arzt am Hofe des Artaxerxes Mnemon lebte, von den Persern Vieles über Indien erfuhr und auch selbst weisse Inder persönlich kennen lernte. Er verfasste seine Schrift, nachdem er i. J. 398 vor Chr. in sein Vaterland zurückgekehrt war. Leider sind uns seine Berichte nur höchst mangelhaft überliefert. Der Patriarch Photios, ein Byzantiner des neunten Jahrhunderts nach Chr., hat uns einen Auszug derselben hinter- lassen, der so voll des Wunderbaren und Fabelhaften und so nachlässig gearbeitet ist, dass es sehr schwer wird, das Richtige und Glaubwürdige herauszusuchen. Ktesias selbst wurde schon von den Alten der Lügenhaftigkeit beschuldigt; doch ist es jetzt erwiesen, dass so manches Fabelhafte, was er berichtet, aus den Dichtungen der Inder selbst stammte, von denen Ktesias gehört hatte.8

Von den Schriften der Männer, die Alexander auf seinem Zuge nach Indien begleitet hatten, ist uns keine erhalten; wir finden nur Mittheilungen über dieselben in Werken späterer Zeit. Von grossem Werthe aber sind für uns die Nachrichten des Megasthenes, der, wie schon früher erwähnt, etwa um das Jahr 300 vor Chr. als Gesandter des Seleukos Nikator am Hofe des Candragupta längere Zeit in Indien verweilte und seine Beobachtungen und Erkundigungen in einer Schrift, be- titelt tu /vötxä, niederlegte. Er war nicht nur kenntnissreicher und mit besserem Urtheil begabt als seine Vorgänger, sondern hatte auch durch längeren Aufenthalt im Lande selbst, in be- günstigter Stellung, Gelegenheit, sich mit dem Volk und den Verhältnissen wirklich vertraut zu machen. So zeugen denn seine Nachrichten von wirklicher Sachkenntniss und bilden eine unserer wichtigsten Quellen für die Culturgeschichte Indiens zu jener Zeit.

Alle diese verschiedenen und sehr verschiedenartigen Quellen die Epen und Manu, die buddhistischen Texte, die Inschriften und Münzen, die Mittheilungen der Griechen mit einander in Einklang zu bringen und ein einheitliches Bild daraus zu gewinnen, ist keine ganz leichte Aufgabe. Es wird uns aber bei den bedeutenden Vorarbeiten anderer Forscher hoffentlich nicht unmöglich sein, sie wenigstens annähernd zu erfüllen.

4 Vgl. Lassen, lud. Alt. II*, p. G34. * S. Lassen, a. a 0. II*, j>. G41.

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Die Götterwelt des indischen Mittelalters.

Bei keinem Volk der Erde hat Religion und Theosophie in dem Maasse alles Leben und Denken beherrscht wie bei den Indern, und zu- keiner Zeit tritt dieser Zug so bedeutsam hervor wie gerade zur Zeit des indischen Mittelalters. Es ist darum billig und natürlich, wenn eine Schilderung der Cultur jener Zeit ihren Anfang nimmt mit der Darstellung der reli- giösen Neubildungen und Umgestaltungen, der brahmanischen Reformen und der neuen Göttergestalten, die aus dem Schoosse des Volkes heraus jenen brahmanischen Reformen entgegen- wuchsen.

Der Brahmani8mus des indischen Mittelalters unterscheidet sich sehr wesentlich von der brahmanischen Religion der früheren Jahrhunderte. Es lässt sich diese neue Zeit charakterisiron als die Periode der drei grossen Götter: Brahma, Vishnu und Qiva. Sie sind jetzt die höchstverehrten, wenn auch keineswegs die Einzigen. Neben ihnen finden wir noch immer den streitbaren Götterkönig Indra, dessen Himmel als verheissungsvollor Wonneeitz Kriegern und Helden entgegen winkt Neben ihnen findet sich ferner eine ganze Reihe von Göttern zweiten und dritten Ranges, theils aus alter Zeit ererbt und umgestaltet, theils auch neu entstanden: so die Lokapala oder die Hüter der acht Weltgegenden, Agni der Feuorgott, Varuna der Wassergott, Kubera der Gott des Reichthums. Yama der Todesgott, Ganec,a der Gott der Wissenschaften, Kärttikoya der Kriegsgott, Qri oder Lakshmi die Göttin der Schönheit und des Glückes, Durga oder Parvatl die furchtbare Gemahlin des Qiva; daneben auch, sehr verblasst, Sorna, Väyu und Sürya; dann die göttlichen Genien und Geister, die musikliebenden Gandharven und die üppigen Apsarasen, die Bewohner des Indra-Himmels, die Kinnara's und Yaksha's, die Siddha's, Carana's und Vidyadhara's; die Schlangengötter; die bösen Geister. Gespenster und Riesen, die Räkshasa's und ihre Genossen. Allen voran stehen aber doch immer an Macht und Bedeutung jene drei grossen Götter.

Hinsichtlich der Zeit, in welche wir das Auftreten der drei grossen Götter zu setzen haben, ist es von Wichtigkeit dass wir denselben bereits in den ältesten buddhistischen Texten begegnen, die wohl schon im fünften und vierten Jahrhundert vor Clir. entstanden sein dürften. Diese Texte führen uns die betreffenden Götter als zu Buddha's Zeit bereits von den Brah-

y. Sehrftdtr, Iadieat Lit. n. Call. 21

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raanen verehrt vor. Damit soll indessen keineswegs gesagt sein, dass damals schon das fortige System der Dreigötter bestand, wie es später erscheint, oder dass die betreffenden Götter schon die Ausbildung und die hervorragende Bedeutung er- langt hatten, mit der sie uns z. B. in deu epischen Dichtungen entgegentreten. Keineswegs! Immerhin aber bleibt es von Wichtigkeit, dass nach den ältesten buddhistischen Texten jene Götter schon zu Buddha's Zeit verehrt wurden. Es ist nicht nur Brahma, der mit dem Beinamen Sahämpati oft in jenen buddhi b tischen Schriften genannt wird. Wir begegnen in den- selben auch den Namen Hari, Janardana und Narayana und dies sind späterhin Bezeichnungen des Vishnu. Wir be- gegnen den Namen Qiva und Qamkara, welches letztere auch nur eine Bezeichnung des Qiva ist Wir begegnen dort neben Indra und Varuna auch dem Kubera und finden die Namen Vicvakarman, Gandharva, Kinnara, Gannja;1 es werden ferner die Yaksha, die Asura, Danava und andere böse Genien, sowie die Schlangengötter erwähnt. Am häufigsten aber und das ist zu beachten wird Indra genannt mit verschiedenen Bei- namen, wie Qakra, Vasava, Kaugika, Qacipati.* Sehr wichtig ist es, dass der Name des Krishna in den alten buddhistischen Sütren noch nicht erscheint und dies war ja die später be- sonders bedeutsame Form, in welcher Vishnu verehrt wurde.

Wir können im Ganzen schliessen, dass zu Buddha's Zeit verschiedene vedische Götter, namentlich Indra, im Volke ver- ehrt wurden, dass der männliche Gott Brahma eine wichtige Rolle spielte, auch Vishnu und Qiva Verehrung genossen, im Ganzen aber doch die späteren drei grossen Götter noch nicht die hohe Stellung erhalten hatten, die ihnen in der Folge zu Theil wurde.5

Wie sollen wir uns nun die Genesis des Systems der drei grossen Götter denken?

Brahma's Ursprung ist uns bereits bekannt Wir haben gesehen, wie in der Periode der Brahmana's und Upanishaden das neutrale Brahman, das Gebet, in seiner Bedeutung immer höher gesteigert, zum Heiligen an sich, zum Höchsten, zur Weltseele, zum Absolutum wird. Dies neutrale Brahman wurde dann später, um es dem Verständniss des Volkes näher zu bringen, mit Person und Geschlecht begabt, und so entstand

1 Der Vogel des Vishnu, auf dem derselbe reitet. 8 D. h. Gemahl der Qaci.

8 Vgl. Lasten Ind. Alt I*, p. 862. 863. Burnonf hat zuertt diese religionsgeschichtlich wichtigen Aufhellungen gegeben.

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der männliche Gott Brahma, der schon zu Buddha's Zeit ver- ehrt wurde.

Aber es erwies sich, dass auch dieser Schritt nicht genügte. Wenn, auch das Volk andächtig und gläubig die neue Götter- gestalt aus den Händen der Brahmanen entgegennahm, seinem Herzen stand er nicht nah und konnte er nicht näher treten. Seinen abstract -philosophischen Ursprung konnte er niemals ganz verleugnen. Es fehlte ihm ein Etwas, ein Lebens- element, das ihn den Menschen wahrhaft lieb und werth hätte machen können; es fehlte ihm, was bei allem Heiligen und Religiösen ?on eminenter Bedeutung ist, die Tradition im Volke!

Andere Götter waren es, die das Volk liebte und ver- ehrte. Und auch die Brahmanen selbst waren doch nicht lauter abstract philosophische Denker, auch sie gehörten zum Volke, auch sie trugen ein ähnliches Herzensbedürfnis in sich und sie mussten es begreifen und selbst mitempfinden, wenn eben das Volk andere Götter begehrte, als den Brahma der Philosophenschulen.

Hier ereignet sich nun das Merkwürdige, was uns in der Geschichte der indischen Religion mehrmals begegnet, dass gerade Göttergestalten, die bisher eine anscheinend nebensäch- liche Rolle gespielt, mehr und mehr in den Vordergrund treten, weil sie in ihrem besonderen Charakter den veränderten Be- dürfnissen des Volkes in höherem Maasse entsprachen.

Wir sahen, wie im Induslande an Stelle Varuna's, des alten Himmelskönigs, sich allmählich mehr und mehr der streit- bare Gewittergott Indra in den Vordergrund drängte, der in der vorhergegangenen indopersischen Periode zweifelsohne nur eine geringe Rolle gespielt hatte, den aber die damals beständig kämpfenden und erobernden indischen Stamme in der Schlacht zu Hülfe riefen und mit dem Sorna-Trank zum Kampfe kräf- tigten, — ein Gott nach ihrem Herzen; der ihnen auch schon um seiner Naturbedeutung willen von besonderer Wichtigkeit war in einem Lande, wo Gewitter und Regen eine weit stärker hervortretende Rolle spielen als in anderen Gegenden. Jetzt aber waren die Gestalten der vedischen Götter mehr und mehr verblasst, ein neues Leben, im Ganzen ruhig und friedlich, in festen, geordneten staatlichen und socialen Verhältnissen, in weiten, behaglichen, sicheren Wohnsitzen, inmitten einer reichen, üppigen, von Leben überquellenden Natur, unter einer heissen Sonne, war eingetreten. Derjenige Gott, welcher nun beim Volke des Gangeslandes immer mehr hervortrat, immer mehr

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geliebt und verehrt wurde, war Vishnu, der „Wirkende" oder „Thätige",1 einer der alten Sonnengötter, die Sonne als die Leben wirkende Kraft in der Natur, aber wohl nicht Sonnen- gott allein, in der Zeit des rjigveda auf eine mehr neben- sächliche und untergeordnete Stellung beschränkt.

In jener ältesten Zeit wird dem Vishnu vor Allem immer wieder eine Heldenthat nachgerühmt, dass er mit drei ge- waltigen Schritten den ganzen Luftraum durchmessen habe! Es ist die den Himmel durchwandelnde Sonne. Seine drei ofterwähnten Fussstapfen sind Aufgang, Höhepunkt und Nieder- gang der Sonne, und vor Allem wird die höchste Stapfe ge- priesen als seliger Ort Es heisst, dass auf den drei weiten Schritten des Vishnu alle Wesen wohnen;1 dass er allein die dreigetheilte Welt, Erö? und Himmel und alle Wesen stützt und erhält.3 Der Sänger sehnt sich, des Vishnu liebe Stätte zu erreichen, wo sich die frommen Männer freuen, die Freundes- schaar des Weitschreitenden; und er rühmt: an Vishnu's höch- ster Stapfe ist des Süssen Quell!4 Diese dritte Fussstapfe des Vishnu, die auch die beschwingten Vögel nicht erreichen, ist eben die Himmelshöhe.

Besonders oft tritt Vishnu im liigveda in Verbindung mit Indra auf, und dies leg die Vermuthung nahe, dass in seiner, im Rigveda keineswegs klar und scharf hervortretenden Per- sönlichkeit auch andere Seiten noch als die des Sonnengottes zu suchen sind, welche letztere übrigens ja auch einigermassen verhüllt und verschleiert hervortritt, keineswegs so deutlich ist, wie otwa bei Surya, Savitar und Pushan, Bondern nur erschlossen und vermuthet werden kann. Mit Indra vereint wird Vishnu geladen, zum Somatrunk herbei zu kommen mit den feinde- besiegenden Rossen. Mit Indra vereint kämpft er in der Schlacht gegen den Wolkendämon Vritra. Bald erscheint er als von Indra gesendet, bald Indra von ihm gekräftigt und gestützt. Im Rausch des Sorna schreiten sie beide weit aus und besiegen den Feind. „Ihr siegtet beide rühmt der Sänger nicht wurdet ihr besiegt, nicht wurde je besiegt einer von euch Beiden!««

1 Von dor Wurzel vish „wirken" oder „thfttig sein".

* Vgl. RV 1, 154, 2. 1 Vgl. RV 1, 154, 4. 4 Vgl. RV 1, 154, 5.

T- Dualisch verbunden erscheinen sie in dem Compositum indri- vishmi Indra und Vishnu.

Vgl. RV 6, 69, 9.

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Nächst der Verbindung mit Indra erscheint Vishnu am häufigsten neben Püshan, und darin offenbart sich wieder sein Charakter als Sonnengott; Vishnu und Püshan der Wirkende, Thätige und der Gedeihen Schaffende beides sind nur zwei Aeusserungen derselben, Leben wirkenden Sonnenkraft.

Es ist möglich, dass gerade das etwas Verhüllte und Ver- deckte in Vishnu's Person und Wesen mit dazu beitrug, dass gerade er zur verborgen schaffenden und wirkenden Potenz in der Natur erhoben wurde. Es dürften aber wohl auch noch andere Gründe nöthig sein, um es zu erklären, warum gerade er zu so hohen Ehren gelangte.

Hier liegt nun die Vermuthung nicht ferne, dass bei den verschiedenen indischen Stämmen auch verschiedene von den zahlreichen Sonnengöttern vorwiegend oder auch ausschliesslich verehrt wurden, und dass eben gerade der oder diejenigen Stämme, bei welchen seit Alters Vishnu besonders verehrt wurde, gerade zu jener Zeit und bei jener religiösen Bewegung, die auf einen lebendigen, persönlichen Gott, im Gegensatz zum , Brahma, hindrängte, eine entscheidende Rolle gespielt haben. Dass im rjigveda gewisse Götter wenig hervortreten, hat zum Theil wenigstens jedenfalls auch darin seinen ' Grund gehabt, dass diejenigen Stämme, bei welchen diese Götter besonder! verehrt wurden, bei der Schöpfung der Rigveda-Hymnen weniger betheiligt waren.

Es waren jedenfalls wohl Stämme des Gangeslandes, die jenen Cultus des Vishnu schon in früherer Zeit besonders pflegten; und es scheint, dass insbesondere die Qurasena und die Qibi zu diesen Stämmen zu rechnen sind.1

In der Periode des Yajurveda und der Brahmana's ist zwar Vishnu auch nur ein Gott neben vielen anderen Göttern, unter denen damals ja nur Prajäpati etwa als Prätendent der höchsten Götterwürdo bezeichnet werden könnte. Indessen tritt doch in einer Beziehung Vishnu bedeutsam hervor; nämlich darin, dass in den Büchern dieser Zeit, schon in den Prosa- t heilen des schwarzen Yajurveda, häufig der Satz wiederkehrt: Vishnu ist das Opfer! Es ist bekannt, welche dominirende Stellung in jenen Jahrhunderten das Opfer einnimmt, und die Identification mit dem Opfer lässt Vishnu entschieden als keinen untergeordneten Gott erscheinen. Er muss bei den Stammen, die den Yajurveda schufen, d. h. bei den Euru und Paficftla eine gewisse Bedeutung und Wichtigkeit gehabt haben. Auf

1 Vgl. Arrian Ind. 8, 5; 5, 12. Du&cker, Gesch. d. Alt in«, p. 326.

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die zum Theil recnt thörichten Legenden, die von Vishnu in diesem Zusammenhang erzählt werden, wie ihm einmal der Kopf abgerissen und später wieder angefügt wird, wie man ihn in drei Theile theilt iL dgl. will ich nicht näher eingehen.1 Es genügt hervorzuheben, dass diese Identificirung mit dem Opfer in Vishnu's Gestalt einen Keim legt, der vielleicht an sich schon fähig war, ihn zur grössten, heiligsten Gestalt des Pantheons heranwachsen zu lassen.

Dieser Gott nun, der Held, von dem der alte Mythus rühmte, dass er den weiten Luftraum in drei Schritten durch- messen habe; der Wirkende, Thätige, die wohlthätige, warme, lebenwirkende Sonnenkraft; der Genosse des Indra, der mit diesem vereint den bösen Wolkendämon geschlagen und die befruchtenden, lebenzeugenden Wasser zur Erde gesandt; dieser lichte, freundliche, milde, wohlthätige Gott, der die Sonnen- wärme und die befruchtende Kraft der feuchten Niederschläge in sich vereinigt; der Gott, der das heilige Opfer, die höchste , lobenschaffende Potenz der Brahmana-Zeit, m eigener Person repräsentirt, er ist es, den eine Reihe der wichtigsten Stämme des Gangeslandes zu ihrem Lieblingsgott erwählten, der ihnen höher, schöner, liebevoller und liebenswerther erschien, als der alte Schlachtengott Indra, während man an den einst so hoch gefeierten Varuna kaum noch dachte.

Und nun spielt sich ein religionsgeschichtlich sehr inter- essanter und merkwürdiger Process ab, den wir aus den uns vorliegenden Daten und Andeutungen mit ziemlicher Sicherheit erschliessen können; es ist dies das Zusammenschmelzen der Gestalt des Vishnu mit mehreren anderen, bei verschiedenen Stämmen des Gangeslandes besonders verehrten Volksgöttern.

Ich erwähnte es bereits, dass sich aus den alten buddhi- stischen Sütra's eine Verehrung des Hari und Janardana er- giebt, was später Namen des Vishnu sind. Es ist nun schon seit längerer Zeit üi hohem Grade wahrscheinlich gemacht worden, dass dieser Hari sowohl als auch Janardana ursprünglich besonders beliebte Volksgötter bestimmter indischer Stämme waren, welche

1 Eine Legende der Brahmana's erzahlt, dass die Asuren den Göttern die Welt entrissen hätten und dass es Vishnu gewesen, der sie ihnen wieder zurückgegeben habe. Spaterhin wird diese Erzählung mit dem alten Mythus von den drei Schritten des Vishnu sowie mit der ßpateren Lehre von den Verkörperungen desselben in Zusammenhang gebracht und es heisst, dass Vishnu, in einen Zwerg verwandelt, durch jene drei Schritte dem Asuren Bali listig die Erde abgewonnen habe. Vgl. Muir, Or. Sanskr. Texts IV, p. 131. 262 flg. Duncker a. a. 0. p. 261; vgl. auch unten am Schiusa der folg. Vorlesung.

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die Brahmanen, die sich für die Ausbreitung und Erhebung dos Vishnu-Cultus interessirten, eben mit Vishnu identificirten, indem sie den betreffenden Stämmen mit Freuden die Verehrung ihres lebendigen, persönlichen, angestammten Gottes liessen und sie bloss weiter über die Natur, das wahre Wesen desselben aufklarten, indem sie sagten: Euer Hari ist ja unser Vishnu, der Alles wirkende, der Leben schafft durch das Sonnenlicht und das Nass des Regens! Verehret ihn nur, und auch wir wollen ihn verehren, er ist von unserem Gotte nicht ver- schieden! Und ihr, die ihr den Janärdana anbetet, verehret ihn nur, auch er ist Vishnu, auch er ist unser Gott! Die letztere Identification ist um so bemerkenswerther, als dieser Gott wenigstens seinem Namen nach zu schliessen in seinem Wesen wahrscheinlich erheblich von Vishnu verschieden war, denn „Janärdana" heisst soviel als „die Menschen auf- regend, bedrängend, beunruhigend". Gerade dies macht es nur noch wahrscheinlicher, dass Janardana ursprünglich ein ganz anderer als Vishnu, der nationale Gott eines bestimmten indischen Stammes war.1

Dies ist endlich sicher von einer dritten Göttererscheinung, die auch als Vishnu, als ein anderer Name des Vishnu dar- gestellt und verehrt wird, nämlich dem Vasudeva, welcher ursprünglich der oberste Gott des Volkes der Pumjra war und auch den Beinamen Purushottama trug.2 Auch unter diesem Namen wird in späterer Zeit Vishnu viel gepriesen und verehrt In den ältesten buddhistischen Schriften kommt derselbe noch nicht vor, wohl aber der Name Narayana, unter dem späterhin ebenfalls Vishnu verehrt wird. Indessen hat Lassen gezeigt, dass Narayana in diesen ältesten buddhistischen Texten eine Bezeichnung des Brahmä Svayambhü ist, des durch sich selbst seienden Weltenschöpfers. Diese Bezeichnung wurde später auf Vishnu übertragen, resp. der Narayana der Brahmanen-Schulen mit dem bereits einen verbreiteten Cult geniessenden Vishnu verschmolzen, was um so eher möglich war, als von Narayana die Ansicht galt, dass er sich zum Opfer hingab, um die Welt zu erschaffen.3

1 Von Janardana heisst 66 im Mahabharata: „Wird auf die eine Seite die ganze Welt gestellt, auf die andere Janardana, so überwiegt Janardana die ganze Welt durch seine Wesenheit (sara). Janardana kann durch seine Gedanken die ganze Welt in Asche verwandeln, nicht aber die ganze Welt den Janärdana." 8. Lassen, Ind. Alt. Is, p. 919 Anm.

S. Lassen, Ind. Alt. I«, p. 754.

Vgl. Lassen, Ind. Alt. I* p. 918—920.

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So scheint denn die Gestalt des grossen Gottes Vishnu zusammengeschmolzen zu sein aus dem vedischen Vishnu mit dem Narayana der Brahmanen-Schulen und mit den Volksgöttern Hari, Janardana und Vasudeva, eine Genesis, die gewiss merkwürdig genug genannt zu werden verdient.

Dass bei diesem Process, aus welchem der grosse Gott Vishnu hervorgeht, die Brahmanen des Gangeslandes bewusst handelnd, mit der Absicht einer religiösen Reform, eingriffen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Es war ja nicht bloss der abstracto und wesenlose Charakter jenes obersten Brahman , in welchem die Brahmanen den ganzen Pantheon aufgelöst hatten und der doch selbst nie zu rechtem Leben gelangen konnte; nicht nur das Verblassen der vedischen Götter, was eine reli- giöse Verödung, eine Lücke im Gemüthsleben hervorrief und so zu einer Reform drängte. Es war vielmehr auch ein positiver Feind, der jetzt den Brahmanen gegenüber stand, der Bud- dhismus! Drang die Lehre des Cakya- Sohnes durch, dann bedeutete dies eine Auflösung der ganzen religiösen und so- cialen Ordnung des Brahmanenthums, an der so viele Jahr- hunderte gearbeitet Dann waren die Götter beseitigt, das Opfer, die so unsäglich mühsam erarbeitete Opferordnung ab- gethan, dann fielen die Kasten zusammen, und das Mönchthum vernichtete die Wurzeln des erblichen Priesterstandes. Gegen den Buddhismus zu kämpfen, wenn auch mit friedlichen Mitteln, war darum die erste Aufgabe der Brahmanen in den Jahr- hunderten unmittelbar nach Buddha. Es war dies geboten durch den Selbsterhaltungstrieb, mächtig angespornt durch die unglaublichen Erfolge, die die Lehre des Buddha in Kurzem errang.

Nicht ablassend von den Resultaten ihrer früheren Specu- lation, fühlten die Brahmanen doch deutlich, dass das Volk eines lebendigen, persönlichen, gütigen Gottes bedurfte, dessen Verehrung seit Alters schon im Volksbewusstsein fest wurzelte. Hier war eine Handhabe, hier das einzige Mittel geboten, wirk- sam jenen erkenntnissstolzen Jüngern des Buddha zu begegnen, die einen Menschen über alle Götter setzten, und das Opfer ver- achteten. So beförderten denn die Brahmanen die bei mehreren Stämmen des Gangeslandes herrschende Verehrung des Vishnu, verschmolzen ihn mit Narayana, dem höchsten Herrn, den sie verehren wollten, identificirten ihn mit den bei anderen Stämmen einheimischen Volksgöttern Hari, Janärdaua und Vasudeva, und schufen endlich so Vishnu, den grossen Gott des Gangeslandes.

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Dreiundzwanzigste Vorlesung.

Die Lehre ron den Verkörperungen oder Avatara's des Visbnu, speciell &la Krishna and als Rama. Mathmaaslicher Einfluss des Buddhismus auf Entstehung und Entwickelang dieser Lehre. Krishna im Mahabha- rata in seiner doppelten Eigenschaft, als menschlicher Held and als Gott. Rama im Rainayana. Die weiteren Verkörperungen Vishnu's : als Zwerg, alt Fisch, als Schildkröte, Eber, Mannlöwe, Paracurama, Buddha and Kalki. Aeussere Erscheinung des Vishnu. Cultus.

Die Erhöhung Vishnu's zum grossen, hoch über andere emporragenden Gotte ging wahrscheinlich schon in den ersten Jahrhunderten nach Buddha's Tode, d. h. im fünften und vierten Jahrhundert yor sich, denn um das Jahr 300 vor Chr. war diese Bewegung wohl bereits zum Abschluss gekommen oder doch weit vorgerückt, das lehren uns die Mittheilungen des Megasthenes.*

Die Brahmanen, welche den Cultus des Vishnu und der mit ihm identificirten Volksgötter beförderten, thaten inzwischen noch einen weiteren, eminent wichtigen Schritt auf diesem Wege. Sie nahmen in das Dogma von dem grossen Gotte Vishnu die Lehre von den Incarnationen oder Verkörperungen, den sogenannten Avatara's, d. h. „Herabeteigungen", auf.' Vor Allem wichtig war die Identification Vishnu's mit den beiden gepriesensten Helden, deren Andenken die Völker des Ganges- landes feierten, deren Thaten sie in ihren epischen Gedichten verherrlichten, dem Krishna des Mahäbhärata und dem Rama des Ramayana, resp. die Lehre, dass Krishna sowie Rama als Verkörperungen, als Menschwerdungen des grossen Gottes Vishnu aufzufassen seien.

Hatten die Brahmanen früher in ihren Speculationen den höchsten Gott aller persönlichen, menschlichen Eigenschaften

1 Wir werden dieselben weiter unten naher kennen lernen. * Von ava-tar „herabsteigen".

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entkleidet und in ein neutrales Absolutum aufgelöst, so gingen sie jetzt nach der anderen Seite ins Extrem, liessen die Re- action des religiösen Anthropomorphismus gegen jene Richtung auf äusserste Abstraction um so gründlicher sein. Denn nicht genug, dass sie den höchsten Gott wieder mit Entschiedenheit anthropomorphisirten, ihn persönlich und menschlich gestalteten, sie lehrten auch, dass dieser höchste Gott selbst als Mensch auf Erden gewandelt und dass er die Völker des Gangeslandes begnadet habe, als ihr nationaler Heros wiederholt leibhaftig zu erscheinen und ihnen seine Güte und Grösse wie ein Freund und Verwandter zu beweisen.

Es scheint mir in hohem Grade wahrscheinlich zu sein, dass gerade diese neue und merkwürdige Lehre von den Ava- tara's des Vishnu durch die buddhistischen Lehren beeinflusst und indirect durch dieselben erzeugt worden ist

Der Buddhismus war damit vorangegangen, das Höchste und Heiligste, was alle Götter überragte, in einem Menschen offenbart zu finden, und die Brahmanen mussten es sehen und wohl selbst mitempfinden, welch mächtige Anziehungskraft, wel- chen Reiz es hatte, den Helden, den Lehrer, den grossen Mann, der unter uns gewandelt, als den erkennen und verehren zu dürfen, der der Menschheit das Heil gebracht, der die Macht der Hölle und des Todes bezwungen, der höher und herrlicher war als alle die landläufig verehrten Götter. Ja, Buddha war doch selber früher schon Gott gewesen, sogar mehr als ein Mal, war aus dem Götterhimmel hinabgestiegen in den Schoo ss der Mäyä und hatte sich nur als Qäkyasohn gebären lassen, um eine noch höhere Stufe zu erreichen. Unter den vielen früheren Geburten, die Buddha seiner eigenen Erinnerung ge- mäss erlebt, ehe er in Kapilavastu als Sohn des Quddhodana geboren wurde, finden wir ihn zwanzig Mal als Gott Indra und vier Mal als Mahäbrahman d. h. als der grosse Brahma geboren.1 Lag es nicht solch phantastischem Dogma gegenüber sehr nahe, den Gedanken zu fassen: Wie hier ein Mensch ge- lebt haben soll, der früher Gott und höchster Gott gewesen, warum soll nicht auch unser Gott Vishnu, der Höchste, den wir kennen, Mensch geworden sein und als Held und Kämpfer sich gemüht haben zum Segen des Menschengeschlechtes? Eis liegt auf der Hand, dass beide Dogmen einander sehr nahe verwandt sind, und die eine Annahme hat kaum grössere Schwierigkeiten als die andere. Hier hatten die Brahmanen

1 S. Koeppen, Religion des Buddha, p. 320.

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wohl die Empfindung des Volkes ganz für sich, denn sie Hessen demselben nicht nur seinen angestammten Gott, sondern sie verklärten ihm auch noch das Bild seiner geliebten nationalen Heroen und umgaben deren wohlbekannte Gestalt mit dem hehren Schimmer der Göttlichkeit. Und wenn die Buddhisten ihr Dogma weiter bildeten und lehrten, dass nicht nur der eine Buddha geboren sei, um der Welt das Heil zu bringen, sondern dass schon vor ihm andere Buddha's dagewesen und dass nach ihm noch andere kommen werden; dass jedesmal, wenn in einem Zeitalter Schlechtigkeit und Irrthum zu weit gediehen sind, ein neuer Buddha erscheine, um das Rad der Lehre in Schwung zu setzen wie sie sich ausdrücken , so lehrten in der Folge auch die Verehrer des Vishnu, dass ihr Gott eine ganze Reihe von Malen sich verkörpert habe, um der Welt Heil zu bringen in verschiedener Gestalt. Es ge- mahnt ganz eigenthümlich an jenes Dogma der Buddhisten, wenn Vishnu von sich selbst in der Bhagavadgita sagt1:

„Immer wieder und wieder, wenn Erschlaffung der Tugend eintritt, o Bharatide, und das Unrecht emporkommt, dann er- schaffe ich mich selbst Zum Schutze der Guten und zur Ver- nichtung der Uebelthäter, mit dem Zwecke, die Tugend wieder zu festigen, entstehe ich in einem Zeitalter nach dem andern."

Ohne Wahrscheinlichkeit ist dagegen wohl die Ansicht, welche Weber vor längerer Zeit* aufgestellt hat, und die schon von Lassen bekämpft wurde, dass nämlich das System der Ava- tara's aus einer Nachahmung des christlichen Dogmas von der Menschwerdung Gottes entstanden sei. Von anderen Gründen abgesehen fällt diese Annahme von selbst zusammen mit dem Nachweis, dass schon zu Megasthenes' Zeit, also 300 vor Chr., Vishnu in der Gestalt des Krishna, seiner vornehmsten Mensch- werdung, verehrt worden ist3

Krishna war ursprünglich der nationale Held des Volkes der Yadava, welches, in mehrere Stämme zerfallend, im Süden von der Yamunä ansässig war. Diese Yadava, hauptsächlich ein Hirtenvolk, spielen neben den ihnen benachbarten und ver- wandten Völkern der Matsya, Qürasena und Paftcala eine nicht unbeträchtliche Rolle in dem gewaltigsten Epos der Inder, dem Mahabharata. Sie treten hier als Helfer und Verbündete der Panduiden au£ denen ihr Held Krishna sehr wesentlich mit zu

1 Bhag. 4, 7 und 8.

* Ind. Stud. II p. 169.

* S. Lassen a. a. 0. II*, p. 1126; 4G5; p. 922.

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dem Siege über die Kuruiden verhilft. Diesen epischen Sagen liegt ohne Zweifel ein historischer Kern zu Grunde. Wir werdeii schliessen dürfen, dass die Yadava in der That als mächtige und einflussreiche Bundesgenossen demjenigen Stamme oder Geschlecht zur Seite gestanden, welches sich die Herrschaft im Gangeslande in feindlichem Gegensatz gegen das altberühmte Geschlecht der Kuruiden erstritt, und wir werden es billig und natürlich finden, dass diese neuen Herrscher von Madhyade^a die Verehrung des nationalen Heros ihrer Verbündeten gern zu fordern und zu verbreiten bereit waren, gern den Nimbus des Helden, welcher nun auch ihr Held geworden war, noch zu er- höhen sich bestrebten.

Will man die urspiiingliche Gestalt des Helden Krishna, wie er bei den Tadava gefeiert wurde, sich vor die Augen führen, so muss man sich bemühen, die älteren Züge der Sage von den späteren, zum Theil tendenziösen Zusätzen zu scheiden, was in vielen Fällen sich mit Evidenz thun lässt. Krishna er- scheint in der alten Sage als der Sohn eines Kuhhirten Nanda und erhält als solcher den Namen Govinda oder Besitzer der Kühe. Er erscheint als Anführer von Gopa's oder Hirten- schaaren, mit denen er Königen zu Hülfe zieht. Eine spätere Zeit liebte es, insbesondere dieses Hirtenleben des Krishna oder Govinda mit üppigen erotischen Tändeleien auszufüllen, im Tanz und Scherz mit den Schaaren der reizenden Hirtinnen. So sehen wir ihn später namentlich in dem schönen lyrisch- dramatischen Idyll Gitagovinda vorgeführt Die ältere Sage weiss von diesen pikanten Abenteuern wenig, sie berichtet da- gegen von Heldenthaten, sie erzahlt, wie der Hirtensohn Könige und Helden besiegt und vernichtet.1 Besonders viel gefeiert war seine Bezwingung und Tödtung des Tädava-Königs Kansa von Mathurä. Aber auch sonst wird ihm manche Heldenthat nachgerühmt Er hatte den bösen Stier, der die Rinder tödtete, bezwungen, hatte den grossen Asura Pitha erschlagen, hatte Jarasamdha, den mächtigen König von Magadha und noch so manche andere gefährliche Gegner besiegt

Bei den Thaten und Rathschlägen, die das Mahabharata von Krishna berichtet, zeigt er sich in der Wahl seiner Mittel keineswegs skrupulös, wendet ohne Scheu List und Trug an, um die Gegner zu fällen, kämpft mit Verschlagenheit und Treulosigkeit nicht minder als mit der Kraft der Anne und offenbart also sehr menschliche Schwächen und sehr wenig Ton

1 S. Lassen, Ind. Alt. I4, p. 768. 769.

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der Natur eines höchsten und heiligsten Gottes, welche später in ihn hineingedichtet wurde. Neben jenen Zügen der älteren Sage bietet uns aber das Mahäbharata andere Abschnitte, in welchen Krishna bereits vergöttert und als eine Incarnatiou des Vishnu dargestellt wird. Schroff und unvermittelt stehen sich diese seltsamen Gegensätze gegenüber, und es erleidet kaum einen Zweifel, dass das grosse Epos, welches zu einem bedeutenden Theil zweifelsohne alte Sagen vorführt, später eine Ueberarbeitung im Sinne der speciellen Vishnu -Verehrung er- fahren hat, wobei man sich bemühte den Helden Krishna als Incarnation des grossen Gottes darzustellen. Die Pandava, die Helden des Mahäbharata, erscheinen als Beförderer des krishna- Dienstes.1

Es scheint nach alledem, dass die Brahmanen, welche den Cultus des Vishnu zu verbreiten strebten, die Verehrung des Helden Krishna, die beim Volke, bei Königen und Kriegern wichtiger Stämme des Gangeslandes feste Wurzeln hatte und behebt war, in dem Sinne acceptirten und benutzten, dass sie auch jenen Helden wieder mit ihrem Gotte identificirten."

Aehnliches gilt nun auch von dem Helden des zweiten grossen Epos der Inder, dem Rama des Ramäyana. Auch er, ursprünglich ein durchaus menschlicher Held, wird als Ver- körperung des Vishnu dargestellt, aber in Stücken, welche offenbar jüngeren Datums sind; und auch hier liegt ohne Zweifel die Tendenz vor, die Liebe und Verehrung, welche der Held Rama im Volke genoss, auf einem Umwege wieder Gott Vishnu zuzuwenden.

„In den epischen Gedichten, sagt Lassen, erscheinen Rama

1 S. Lasten, a. a. 0. I\ p. 821.

4 Adolf Holtzmann bemerkt in seinem „Arjuna" Strassburg 1879) p. 61 Qber den Kriahna im Mahäbharata und seine Vergötterung: „Im alten Gedichte war Krishna nur ein Mensch, der listige aber moralisch zweideutige Anführer eines Hirtenvolkes, das sich sogar von ihm lossagt and gegen ihn kämpft Welches Verhangniss die Inder trieb, einen solchen Menschen in einer Incarnation des höchsten Gottes zu erheben, das ist für uns noch ein unerklärtes Rathsel ; es müssen gewaltige poli- tische wie religiöse Umwälzungen gewesen sein, welche dieses Resultat herbeigeführt haben. Der alte Krishna des Mahäbharata muss ver- schmolzen worden sein mit einem ganz anderen Krishna, wie er uns s. B. im Harivamca sich darstellt, dem vergötterten Stammeshelden einer tapferen und siegreichen Völkerschaft, mit deren mythologischen Vor- stellungen die alte indische Götterwelt sich zurechtfinden musste." Diese Hypothese ist mindestens sehr fraglich. Zum Verständnis» der doppel- gestaltigen Schilderung des Krishna im Mahabh. Tgl. man namentlich unten Vorlesung XXXIII.

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und Krishna zwar als Verkörperungen des Vishnu, aber zu- gleich als menschliche Heroen, und diese zwei Vorstellungen sind so wenig mit einander verschmolzen, dass beide gewöhn- lich nur wie andere höher begabte Menschen auftreten, nach menschlichen Motiven handeln und ihre göttliche Ueberlegen- heit gar nicht geltend machen; nur in einzelnen, eigens zur Einschärfung der Göttlichkeit hinzugefügten Abschnitten treten sie als Vishnu hervor. Man kann beide Gedichte nicht mit Aufmerksamkeit lesen, ohne an die spätere Hinzufugung dieser vergötternden Abschnitte, an ihre oft ungeschickte Einführung, ihre lose Verbindung und ihre Entbehrlichkeit für den Fort- gang der Erzählung erinnert zu werden. Krishna ist, auch wie das Mahabbarata jetzt uns vorliegt, nicht der Hauptheld des Gedichts; dieses sind die Pändava. Er gehörte gewiss schon zur ursprünglichen Pandavasage, aber als Held seines Stammes und nicht höher stehend als die Pandava; seine Er- hebung über die Nebenhelden gehört späteren Bemühungen, durchdringt aber nicht das ganze Werk, und nur in sehr seltenen Stellen haben die späteren Bearbeiter gewagt, das Bharata das heilige Buch von Krishna zu nennen."1

In wesentlich gleichem Sinne hatten sich übrigens bereits früher Kenner wie Wilson und A. W. v. Schlegel ausge- sprochen.1

Lassen ist der Ansicht, „dass wir die epischen Gedichte in wesentlich derselben Form vor uns haben, die sie schon bei den eigentlichen Diaskeuasten besassen und dass nachher vor- züglich nur die Bearbeitung im Sinne der ausschliesslichen Vishnu -Verehrung hinzukam; denn diese Auffassung ist an- geklebt, nicht mit dem inneren Wesen der alten Sage ver- wachsen."8

Das Mahabharnta erzählt, dass die Götter den Vishnu baten, sich auf Erden gebären zu lassen. Da zieht er sich zwei Haare aus, ein weisses und ein schwarzes. Diese Haare gehen in zwei Yadava- Frauen, die Weiber des Vasudeva, ein. Aus dem weissen wird Balarama, der Bruder des Krishna, ge- boren, aus dem schwarzen Krishna. Auf diese Theilung wird aber weiterhin keine Rücksicht genommen, vielmehr erscheint Krishna als der ganze Gott Vishnu in eigener Person. Er ist der höchste Gott, obschon die von ihm berichteten Thaten sehr

1 8. Lassen, Ind. Alt. If, p. 586.

1 8. ebenda, Anm.

* Lassen, a. a. 0. If, p. 590

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oft keineswegs den Stempel sittlicher Reinheit tragen. Es heisst von Krishna, dass zu Anbeginn der Welt Brahma, welcher das All ist, aus dem Lotus seines Nabels entsprungen sei, dass alle Götter aus ihm hervorgegangen seien und ihm gehorchen. Brahma selbst sagt zu den Göttern: „Ihr müsst diesen Vasu- deva,1 dessen Sohn ich, Brahma, der Herr der Welten bin, ▼erehren. Nimmer, o ihr grossen Götter, darf der mächtige Träger der Muschel, des Diskus und der Keule* für einen ein- fachen Menschen geachtet werden. Dies Wesen ist das höchste Mysterium, die höchste Existenz, der höchste Brahma, die höchste Macht, die höchste Freude, die höchste Wahrheit. Dies Wesen ist der Unvergängliche, der Ununterscheidbare, der Ewige. Vasudeva (Krishna), von unbegrenzter Macht, darf deshalb nicht von den Göttern, auch von Indra nicht oder von den Asura als nur ein Mensch missachtet werden. Wer sagt, dass er nur ein Mann sei, dessen Verständniss ist verkehrt; wer den Krishna verachtet, den wird man den niedrigsten der Menschen nennen. Wer Vasudeva verachtet, der ist voll Finster- mgs. Wer den glorreichen Gott nicht kennt, dessen Selbst die Welt ist, der ist voll Finsterniss. Der Mann, welcher dieses grosse Wesen verachtet, das Krone und Juwel tragt, das seine Verehrer von Furcht befreit, der ist in tiefe Finsterniss ge- stürzt«»

Diese Aussprüche machen den Eindruck einer leidenschaft- lichen Verteidigung oder Propaganda; sie entstammen darum wohl einer Zeit, in welcher noch eifrig für weitere Verbreitung der Krishna- Verehrung gekämpft wurde. Wir sehen in den- selben den Krishna -Vishnu sogar über Brahma erhoben, der sich willig vor ihm beugt. Urd das war auch eigentlich nur die natürliche Folge jener Strömung, die den Vishnu zum höchsten Gott erhob. Auch Brahma musste zuletzt in ihm aufgehen. Vishnu ist gber alle anderen Götter hinausgewachsen, hat den Thron des Brahma eingenommen. Diese Auffassung tritt nun auch deutlich aus manchen anderen Stellen des Mahabharata hervor. Dort heisst es: „In ihm, dem Hern» aller Wesen, sind alle Wesen als seine Eigenschaften enthalten, wie Edelsteine auf die Schnur gereiht; auf ihm ruht das seiende und nicht seiende All. Hari (Vishnu) mit tausend Häuptern,

1 Dies Patronymicum bezeichnet den Krishna, weil er als Sohn des Vasudeva gilt.

* Embleme des Vi6hnu-Krisbna.

Duncker, Gesch. d. Alterth. III4, p 386. nach Muir, Original Sanskrit Texts, Bd. IV j.. 21«.

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tausend Füssen, tausend Augen glänzt mit tausend Gesichtern; er, der Gott, der über Alles hinausragt, der Kleinste der Kleinen, der Weiteste der Weiten, der Grösste der Grossen, der Hervorragendste der Hervorragenden, ist die Seele von Allen j er, der Alles Wissende, der Alles Kennende, ist der Herrorbringer von Allem; in ihm schwimmen die Welten, wie Vögel im Wasser. Vishiju ist ohne Anfang und ohne Ende, die Quelle der Existenz aller Wesen. Von dem tausendarmigen Vishnu, dem Haupt und dem Herrn der Welt, entsprangen alle Wesen im Anfang der Zeiten, in ihn kehren sie zurück am Ende der Zeiten. Hari ist der ewige Geist, glänzend wie Gold, wie die Sonne am wolkenlosen Himmel. BrahmA ist aus seinem Leibe entsprungen und wohnt mit den übrigen Göttern in seinem Körper; die Lichter des Himmels sind die Haare seines Hauptes. Ihn, den lotusäugigen Gott, preiset der ewige Brahma, ihn beten die Götter an."1

So ist Vishnu denn auch der grosse Gott der pantheistischen Weltauffassung geworden. Alle Herrlichkeit, die einst dem Atman-Brahman nachgerühmt wurde, wird jetzt auf Vishnu übertragen. In der Bhagavadgita, jener berühmten Episode des Mahäbhar&ta, offenbart sich Vishnu -Krishna dem Arjuna auf dessen Bitte in seiner wahren Gestalt Da erscheint er hoch zum Himmel emporragend, mit einer Menge von Köpfen, Armen und Augen, ohne Anfang, Mitte und Ende, eine unzählige Menge von Leibern und Gestalten in sich bergend. Alle Götter, und die Schaaren der verschiedenen Geschöpfe, alle Weisen der Vorzeit, alle Helden, die himmlischen Schlangen, ja BrahmA selbst auf seinem Lotussitze erscheinen im Leibe des Allgewaltigen, sind nichts als Theile seines unermesslichen, Staunen und Schrecken erregenden Leibes.1

Im Ramäyana wird erzählt, dass der furchtbare Riese Ravana von Brahma die Gunst erbeten* und erhalten hatte, durch Götter, Gandharven, Yaksha's, Dänava's und Rakshasa's unverwundbar zu sein. Er richtet nun den gräulichsten Unfug an und versetzt die Götter in den grössten Schrecken, ohne dass sie etwas gegen ihn thun können. Ravana hatte in seinem Hochmuth es verschmäht zu bitten, dass er auch durch Menschen unverwundbar sein möge. Nun feilen die Götter vor Vishnu

1 S. Duncker, Gesch. d. Alt. III« p. 379, nach Muir. Original Saaskr. TexU Bd. IV, p. 271 flg.

* Vgl. den elften Gesang der Bhagavadgita, insbesondere ycd Vers 15 aa; auch Humboldt, Ueber die unter dem Namen Bhaga- vadgita bekannte Episode des Mahabharata p. 13.

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nieder und flehen ihn an, sich als Mensch gebaren zu lassen, um die Welt von dem Ungeheuer zu befreien. Vishnu gewährt die Bitte und wird als RAma, Sohn des Königs Dacaratha von AyodhyA, geboren. Als solcher vollführt er Heldenthaten aller Art, in denen er aber durchaus als menschlicher Held und Kämpfer erscheint. Gegen das Ende des Epos aber kommen BrahmA und die anderen Götter zu ihm, um ihm zu verkünden, wer er eigentlich sei» nämlich «der uranf&n gliche Schöpfer des Universums, das Haupt der Götterschaar, dessen Augen Sonne und Mond, dessen Ohren die Acyinen sind.* BrahmA selbst redet ihn an und sagt: „Du, o Wesen ursprünglicher Gewalt, du bist der ruhmreiche Herr, mit dem Diskus bewaffnet, du bist der Eber mit einem Horn, der Ueberwinder der gegen- wärtigen und zukünftigen Feinde, du bist der wahre unvergäng- liche BrahmA in der Mitte und am Ende, du bist die höchste Rechtsordnung der Welt, der Bogenträger, der höchste Geist, der Unbesiegte, der Schwinger des Schwertes. Du bist Einsicht, Geduld, Selbstbezwingung. Du bist die Quelle des Entstehens und die Ursache des Vergehens. Du bist Mahendra,1 du voll- ziehst die Funktionen Indra's. Du hast die Veden gebildet; die Veden sind deine Gedanken, du erstgeborener, nur von dir ab- hängiger Herr. Du bist in allen Kreaturen, in den Brahmanen und in den Kühen, du 'haltst die Geschöpfe und die Erde mit ihren Bergen, du bist am Ende der Erde, in den Wassern, eine mächtige Schlange, welche die drei Welten trägt. Die ganze Welt ist dein Körper, Agni ist dein Zorn, Sorna ist deine Freude, und ich (BrahmA) bin dein Herz."'

Also auch dieser RAma- Vishnu ist der pantheistische Gott der Brahmanen.

Die Lehre von den Incarnationen wurde noch bedeutend weiter ausgedehnt und bot den Brahmanen einen sehr bequemen Weg, Vishnu zum Mittelpunkte einer ganzen Reihe der wich- tigsten und im Volke angesehensten Sagen- und Mythenkreise zu machen und so dem neuen grossen Gotte auf einem Umwege die Sympathie und Verehrung einer grossen Menge von Völkern und Stämmen des Gangeslandes zuzuwenden.

Die Zahl der Verkörperungen oder AvatAra 's des Vishnu wird zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Werken anders angegeben. Meist sind es ihrer zehn, es werden aber

1 D. h. „der grosse Indra 4

* Duncker. a. a. 0. III* p. 383. 384. nach Muir, Orig. Sanskrit Text» IV p. 178 flg.

v. Sefcrödtr. Indion« Lit. u Oult. 2*2

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auch Doch mehr erwähnt.1 Die wichtigsten, ausser der schon Gesprochenen Verkörperung als Krishna und der als Rama, seien hier kurz angedeutet.

Oft erwähnt ist die Verkörperung Vishnu's als Vämana oder Zwerg, in welcher Gestalt er den Asura Bali überlistete und ihm durch die altberühmten drei grossen Schritte die Welt abgewann. Schon in den Brahmana's wird erzählt, dass einst die Asuren den Göttern die Welt entrissen hätten und dass es Vishnu gewesen, der sie ihnen wieder gegeben. In den epi- schen Dichtungen wird nun späterhin diese Erzählung mit dem alten Mythus von den drei Schritten des Vishnu in Zusammen- hang gebracht und zugleich mit der Lehre von den Incar- nationen, indem es heisst, dass der böse Asura Bali einst die Götter besiegt und die Erde gewonnen habe. Da soll Vishnu die Gestalt eines Zwerges (Vämana) angenommen und den Bali gebeten haben, ihm soviel Raum zu schenken, als er mit drei Schritten durchmessen könne. Als ihm der Asura dies zugestanden, habe Vishnu seine wahre Gestalt angenommen, mit drei Schritten Erde, Luft und Himmel durchmessen und den Asura in die Hölle gestossen. j

In dieser Erzählung steckt, wie man sieht, ein uralter Kern.

Dasselbe ist der Fall bei Vishnu's Verkörperung als Matsya oder Fisch. Als solcher erscheint er nämlich zur Zeit der grossen Fluth und zieht das Schiff des frommen Königs Satya- vrata, der auf seinen Befehl sich mit den sieben Eishi's darin geborgen, durch das gewaltige Wasser. Hier hegt unzweifel- haft dem Kerne der Erzählung die alte Sinfcfluthsage zu Grunde, die wir ja bei so verschiedenen Völkern wiederfinden. In der älteren Sage des Mahabharata erscheint indessen Brahma als Fisch uud der Gerettete ist Manu, der Vater des Menschen- geschlechtes.

Als Schildkröte oder Kurma spielt Vishnu eine Rolle in der phantastischen Mythe von der Quirlung des Weltmeeres und Gewinnung des Amrita oder des Unsterblichkeitstrankes und noch verschiedener anderer kostbarer Güter. Er lässt die Spitze des Berges Mandara sich auf den Rücken setzen; Götter und Dämonen binden die Schlange Vasuki als Seil um den Berg und drehen denselben nun als Quirl in dem Weltmeere, bis die herrlichsten Dinge zum Vorschein kommen.1

1 Das Bhagavata-Purana kennt z. B. deren zwanzig. a Im Berg Mandar be.im heutigen Bhagalpur in Behar am rechten Gangesufer verehren die Hindu diesen Quirl; am Abhang desselben findet

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Als Eber oder Varaha rettete Vishnu die Erde au* der Gewalt des bösen Dämon Hiranyaksha, d. i. des Goldäugigen, der dieselbe auf den Boden des Oceans hinabgezogen hatte. Nach einem tausend Jahre dauernden Kampfe tödtet Vishnu das Ungeheuer und trägt die Erde auf seinen Hauern an den alten Ort

Als Nrisimha oder Mannlöwe, mit- einer Gestalt, halb Mann halb Löwe, zerriss er den bösen Dämon Hiraoyakacipu mit seinen Tatzen.

Als Paracnräma oder „Rama mit dem Beil", wohl zu unterscheiden von dem Rama des Ramayana, machte Vishnu den langdaueruden Kämpfen zwischen Brahmanen und Kriegern ein Ende, indem er die übermüthigen Kshatriya- Geschlechter vernichtete und so als Mitbegründer der brahmanischen Staats- ordnung erscheint.

Ja sogar Buddha soll nach der späteren Lehre der Brah- manen eine Incarnation des Vishnu gewesen sein, einzig und allein zu dem Zwecke, um die schlechten Menschen und Dä- monen sich selbst vernichten zu lassen, indem sie durch Buddha dazu gebracht wurden, das Kastengesetz zu missachten und die Verehrung der Götter über Bord zu werfen eine sehr ab- sonderliche Idee.

Am gefeiertsten aber blieb doch immer die Incarnation Vishnu'b als Krishna.

Die zehnte und letzte Incarnation des Vishnu, als Kalki, wird erst in der Zukunft erwartet. Wenn die Welt in Schlechtig- keit ganz versunken ist, wenn die heiligen Schriften ihr An- sehen verloren haben und das Lebensalter der Menschen nur noch 23 Jahre beträgt, dann wird Vishnu wieder leibhaftig erscheinen, das böse Weltalter, Kaliyuga, in dem wir jetzt leben, wird zu Ende gehen und es wird ein neues, vollkommenes Zeit- alter, ein Kritayuga folgen.1

Vishnu, der Gott der Lebenskraft, die durch die ganze Natur geht und sie erhält, schläft nach dem Glauben der Jnder während der Regenzeit, auf einem Lotusblatt im Weltmeer schwimmend. Dann erwacht er wieder zu neuer Thätigkeit. Er wird in der mittelalterlichen Mythologie gedacht und dem- gemäß auch abgebildet mit vier Armen, eine Keule tragend,

sich eine Göttermaske von unsicherer Deutung. 8. Schlagintweit, Indien in Wort und Bild, Bd. I p. 170 Anna.

1 Dieses Dogma erinnert wieder auffallend an die Lehre der Bud- dhisten, nach welcher in der Zukunft noch ein grosser Buddha, mit Namen M&itreya, erscheinen soll.

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mit Muschel und Diskus versehen. Er reitet auf dem Vogel Garuda, ursprünglich wohl der Sonnenvogel, da im Rigveda die Sonne auch als Vogel, als Adler gedacht wird. Seine Ge- mahlin ist <Jri oder Lakshmt, die Göttin der Schönheit und des Glückes.

Der Cultu8 des Vishnu wuchs im Mittelalter immer mehr an Einflus8 und Verbreitung und hat sich allen Wechselfällen der Geschichte, allen feindlichen Gegenströmungen zum Trotz in weitem Umfang bis zum heutigen Tage erhalten Zahllose Tempel in Indien sind heute noch diesem Gotte geweiht und die Schaar seiner Anhänger wird nach Millionen gezählt.

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Vierundzwanzigste Vorlesung.

Der grosse Gott £iva, seine Herkunft und seine Entwidkelung. Rudra im Rigveda. Rudra-Qiva in den Yajurveden; seine Epitheta und ter- schiedenen Erscheinungsformen. Verschmelzung des Rudra- Qiva mit ver- schiedenen anderen Göttern, wie Bhava und Qarra, Der Name wird Hauptname des Gottes. Die Gegenden, wo sein Cultus zuerst hei- misch zu sein scheint. Verschmelzung des Qiva mit dem Gotte Hara. Vereinigung des Phallusdienstes mit Beinern Cultus. Aeussere Erschei- nung des £iva. Verherrlichung desselben als obersten Gottes in der mittelalterlichen Poesie. Beziehung zu Vishnu.

Während im Gebiete des Ganges sich die Verehrung des Vishnu mehr und mehr eingebürgert hatte, war in anderen Theilen Indiens die Gestalt eines anderen Gottes empor- gewachsen, eines furchtbaren und gewaltigen Gottes, der jenem freundlichen Vishnu als gefährlicher Rivale zur Seite trat und eigentlich bis auf den heutigen Tag noch mit ihm um den Vorrang kämpft Zwar haben es die Brahmanen verstanden, beide Götter in ihrem theologischen Systeme zu vereinigen, aber es haftet diesen dogmatischen Versuchen doch immer einigermassen der Schein der Künstlichkeit an. Genau ge- nommen sind diese Gegensätze bis heute noch nicht ausgeglichen, und auch die Hindu unserer Tage lassen sich der Hauptsache nach scheiden in Verehrer des Vishnu und Verehrer des §iva» Welches war nun die Herkunft dieses Gottes und was war es, das seine Verehrer an ihn fesselte?

In den Hymnen des Rigveda begegnen wir noch keinem Gott Civa, er ist denselben fremd; indessen ist es bereits lange klargelegt, dass der vedische Rudra als derjenige Gott be- trachtet werden muss, aus dessen Gestalt nach manchen Um- wandlungen und Verschmelzungen mit anderen Göttergestalten der grosse Gott £iva hervorgegangen ist.

Rudra, der „Brüllende" oder „Heulende",1 der Vater der

1 Von der Wunel rud; nach Anderen „der Böthliche, der Rothe".

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Maruts, der Stnrmgötter, repräsentirt die tosende und ver- heerende Gewalt des Sturmes. Er wird gedacht als bewehrt mit starkem Bogen und raschem Pfeil, und gefürchtet ist sein Geschoss, mit dem er die Bösen vernichtet. Immer wieder be- gegnet uns die angstvolle Bitte: Des Rudra Waffe möge uns verschonen! Er möge Menschen und Vieh nicht verderben! Rudra wird geschildert als röthlich oder braun,1 mit goldenem Schmuck geziert, das Haar geflochten oder in Form einer Muschel aufgewunden tragend,1 eine Tracht, die in vedischer Zeit auch sonst bei männlichen Personen erwähnt wird* and bei diesem Gotte nach Roth wohl auf die im Knäuel geballten dunklen Wolken zu deuten ist4 Wir werden sehen, dass die- selbe Haartracht auch bei Gott Civa uns wieder begegnet

Neben dieser furchtbaren und schreckenerregenden Seite seines Wesens zeigt Gott Rudra aber auch eine gütige und wohlthätige, dieselbe, die die späteren Namen Qiva und Qamkara besonders hervorheben. Er wird nicht nur der Stärkste unter den Starken genannt, sondern auch der allerbeste Arzt,5 der reich versehen ist mit den trefflichsten Heilmitteln und an- gefleht wird, Noth und Leid zu lindern. Nach ihm sehnt sich der Fromme wie ein Knäblein nach des Vaters Grass. Es ist mit dieser heilenden und beglückenden Eigenschaft, die in Rudra neben seiner Schrecklichkeit liegt, ursprünglich wühl die heilsame, reinigende, schlechte Stoffe der Atmosphäre fort- schaffende Seite der Stürme gemeint.

Hören wir einen Hymnus des Vasishtha an Rudra! Er singt*:

1. Bringet die Lieder dar dem Rudra mit starkem Bogen und schnellem Pfeil, dem selbstherrlichen Gotte, dem unbesiegbaren, sieg- reichen, trefflichen, der mit scharfer Waffe bewehrt ist! Erhören mög er uns!

2. Von seinem Sitze scLaut er mit Selbstherrschermacht herab auf irdische und himmlische Geschlechter; o nahe dich freundlich unsern Häusern, die dich lieben! Nahe dich, o Rudra, unsern Kindern ohne Leid!

3. Mög uns verschonen dein Blitz, der vom Himmel herabgeschleudert Aber die Erde hinfahrt! Du, vielersehnter, hast ja tausend Heilmittel. nicht schädige uns an Kind und Kindeskindern!

4. 0 Rudra, triff uns nicht, gieb uns nicht preis! Nicht möge dein Zorn losstürmen gegen uns! Schenk uns die heilige Opferstreu und Preis unter den Lebendigen! Ihr Götter schirmet uns in steter Wohlfahrt!

1 arusha oder babhru.

« kapardin; vgl. das Petersb. Wörterbuch unter diesem Worte.

Vgl oben p. 37.

4 S. Lassen, Ind. Alt I*, p. 901.

bhiahajam bhishaktama RV 2, 83, 4.

RV 7, 46.

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Vollständiger und deutlicher noch als in diesem Liede treten uns beide Seiten des Rudra, die heilende und die schrcckvolie, in einem anderen Hymnus des Rigveda entgegen1:

1. Da Vater der Maruts, es komme zu uns deine Huld! Beraube uns nicht des Anblicks der Sonne! Der Held sei gn&dig unsern Rossen! 0 Rudra, schenk uns reichen Eindersegen!

2. Durch die heil vollen Arzeneien, die du spendest, o Rudra, möchte ich hundert Winter noch erleben! Scheuche weit weg von uns die Noth, die Anfeindung, die Uebel weg nach allen Seiten!

3. Du, Rudra, bist an Schönheit der Schönste der Geborenen, der Stärkste der Starken, du Donnerkeilträger! Bring rettend uns ans andre Ufer der Noth, zum Heile, halte fern von uns alle Angriffe der Krankheit!

4. 0 möchten wir dich nicht erzürnen, Rudra. durch unsre Ver- ehrung, nicht durch ein schlechtes Preislied und Geschrei.2 Hilf unsern Helden auf mit deinen Arzeneien! Den besten der Aerzte hör ich dich nennen.

5. Ihn, der durch Anrufung und Opfer herbeigerufen wird, den Rudra möchte ich mit Preisliedern befriedigen; der süssen Trank ver- schafft und trefflich anzurufen ist, nicht möge uns der schönwangige Braune dem Zorne überantworten.

6. Der Stier,* den die Maruts umgeben, hat mich mit rüstiger Kraft erfreut, da ich flehte. Möchte ich des Rudra Huld erreichen unversehrt, wie den Schatten aus der Sonnenghtfh.

7. Wo ist denn, Rudra, deine gnadige Hand, die heilt und lindert? Der du die gottgesandte Krankheit wegnimmst, sei gnädig mir, o Stier!

8. Dem braunen Stier, dem glänzenden, lass ich erschallen laut den grossen Lobgesang! Verehre dpa k+llfuakelnden iu Demuth! Wir preisen des Rudra gewaltiges Woeea.

9. Mit starken Gliedern, vielgestaltig, furchtbar, schmückte der Braune sich mit leuchtendem Goldschmuck. Von ihm, dem Herrn der grossen Welt, von Rudra weichet nicht göttliche Lebensfülle.

10. Wohl würdig dessen trägst du Pfeil und Bogen, wohl würdig dess den hehren bunten Goldschmuck, wohl würdig dess besitzest du all diese Macht; nichts Stärkeres giebt es als dich, o Rudra.

11. Preise den berühmten jugendlichen, der auf dem Streitwagen sitzet, den furchtbaren, der wie ein wildes Thier (den Gegner) anfällt! Sei gnädig dem Sänger, o Rudra, wenn du gepriesen wirst! Einen Andern als uns mögen deine Geschosse treffen.

12. Wie ein Knäblein, das seinen Vater begrüsst, so neige ich mich dem Herannahenden, o Rudra! Ich preise den Spender des reichen Gutes, den Heerführer; du, der Gepriesene, spende die Heilmittel uus

13. Eure strahlenden Arzeneien, o Maruts, die sehr heilvoll und wohithätig sind, ihr Starken, die unser Vater Manu sich erwählte, die wünsche ich von Rudra zu Heil und Segen.

14. Des Rudra Waffe möge uns erschonen! Vorüber gehen mög an uns die schwere Ungunst des Gewaltigen! Was allzu straff ist, spanne

1 RV 2, 83; Verfasser Gritsamada.

1 Eig. Zusammenrufen, d. h. wohl Durcheinanderufen. Schreien beim Gebete.

Stier, starker Stier, brauner Stier - ehrendes Beiwort so mancher Götter, und auch des Rudra.

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du ab für unsre Opferherrn! 0 gütiger, sei gnädig da Kind und Kindes- kindern !

16. Da brauner Stier, wenn du erscheinst, so zeig dich nicht im Zorn und tödte nicht! Höre, o Rudra, uoser Gebet! Laut mög im Rath der Untern Stimme schallen!

So der Rigveda. \

Gehen wir nun zu der folgenden Periode, zu den Yajur- veden, über, so finden wir in denselben ganz besondere Ab- schnitte specieU der Verehrung des Rudra gewidmet,1 und es machen dieselben im Ganzen einen jüngeren Eindruck als diese Texte sonst2 Wahrscheinlich kam im Laufe der Brähmana- Periode mehr und mehr die Verehrung des Rudra in seinen mannigfaltigen Gestalten und Erscheinungsformen auf, und die grosse Bedeutung, welche dieser Gott allmählich erlaugte, ver- anlasste die Brahmanen, die an ihn gerichteten Gebete und Anrufungen in die, einer früheren Periode entstammenden, Yajus- Bücher einzufügen.

Diese Abschnitte der Yajurveden sind für uns von bedeu- tendem religionsgeschichtlichen Interesse, denn sie sind es, aus denen wir mit unzweifelhafter Deutlichkeit ersehen können, dass in der That der spätere Gott Qiva aus dem vedischen . Rudra sich herausgebildet und antwickelt hajL

Es ist Rudra, der hier gefeiert wird, der furchtbare Bogenschütze, der braunrothe Flechtenträger, der angefleht wird, seine Waffe gnädig vorübergehen zu lassen. Aber dieser, mit seinem alten Namen und allen alten Abzeichen viel an- gerufene Gott wird hier in einer Mannigfaltigkeit von Erschei- nungen gedacht und erhält eine ganze Reihe von Beinamen und Epithetis, in denen uns schon ganz unzweideutig der spätere Gott 4'iva mit allen seinen wesentlichsten Benennungen ent- gegentritt. Er wird Qiva „der Gütige" und Qamkara „der Heilbringer" genannt, Mahadeva „der grosse Gott", Bhava und £arva, später geläufige Namen des Qiysl; Nllagrlva „der Blaunackige", ein bekanntes Epitheton des (Jiva, Girica und Giri^anta „Herr der Berge", Pagupati „Herr des Viehs" u. dgL m.

Einige dieser Namen sind ohne Zweifel ursprünglich Be- zeichnungen anderer Götter, die in bestimmten Stämmen des

a Die sogen. Rudrajapa's.

1 Dass sie später in dieselben eingeschoben sind, halte ich auch deshalb mr wahrscheinlich, well das entsprechende Stock, der Rudra« japa, im Manava-Qrftutasütra, welches wohl das älteste grautasütra sein dürfte, Bich selbst als ein jüngerer Nachtrag (ein ParicUhta) kennzeichnet.

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«

indischeu Volkes eine besondere Verehrung gemessen mochten, und wir finden hier wieder, ähnlich wie bei Vishnu, die Gestalt des Rudra- Qiva aus verschiedenen Elementen, verschiedenen Göttergestalten zusammengeschmolzen. Es ist dies mehr als blosse Vermuthung, es lässt sich mit Evidenz erweisen. Z. B. die Namen (Jarva und Bhava, später Bezeichnungen des Rudra- Qiva, treten uns im Atharvaveda als Namen zweier Götter entgegen, die nicht bloss von einander, sondern ebenso auch von Rudra unterschieden, und nur gelegentlich neben diesem genannt werden, weil sie ihm jedenfalls in einigen Stücken wesensverwandt waren.1

Wenn es z. B. im Atharvaveda (6, 93, 2) heisst: „dem Bogenschützen Qarva und dem König Bhava, den verehrungs- würdigen, ihnen bringe ich Verehrung dar,4' so kann nicht daran gezweifelt werden, dass hier Bhava und £arva als zwei Götter neben einander genannt werden. Dasselbe ist ebenso unzweifelhaft der Fall in dem, mehrfach im Atharvaveda be- gegnenden Copulativ-Compositum JBhaväcarvau", d. h. „Bhava und Qarva*. So heisst es z. B. im Atharvaveda (11, 2, 1): »0 Bhava und (Jarva, seid gnädig, wendet euch nicht gegen (uns), ihr Herren der Wesen, Herren des Viehs, Verehrung euch! Entsendet nicht den aufgelegten, angezogenen Pfeil! Verletzet uns nicht die zweifüssigen, nicht die vierfüssigen Wesen!"

Aufs Deutlichste wird man hier an jene vedischen Bitten an Rudra erinnert, aber es sind Bhava und Qarva, zwei unter- schiedene Götter, die hier angerufen werden.

An einer anderen Stelle heisst esf: „Zu Bhava und Qarva sagen wir dies, zu Rudra und zu dem, der der Herr des Viehs; ihre Pfeile, die wir kennen, sollen uns immerdar gnädig1 sein!"

Hier sind also Bhava und (Jarva neben Rudra und dem Herrn des Viehs genannt, als wesensverwandte Götter, Pfeil- schützen, die um Schonung gebeten werden.4

Die Verschmelzung und endliche Identificirung dieser ver- schiedenen Götter mit dem Rudra- (Jiva zu einer Person wird vermittelt durch die Vorstellung von den verschiedenen Er- scheinungsformen oder Gestalten des Rudra. Schon im Rigveda

1 8o wird i. B. ^arva ein Bogenschütze (astar) genannt, wie Rudra. 1 AV 11, 6, 9.

„Gaidig" Ut durch dai Wort (Iva aasgedrückt.

* Andere ähnliche Stellen findet msa im Petersburger Wörterbuch i v. bhava.

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kommt ein Plural „die RudraV Tor. dieselben bilden da eine besondere Götterordnung neben den Vasu's und Xditya's. Im Yajurveda ist nun in viel weiterem Maasse von verschiedenen Rudra'8 die Rede, und doch auch immer wieder von dem einen eigentlichen Rudra, der eine ganze Reihe von wichtigen Rei- namen erhalt, bei denen es aber nicht immer ganz deutlich ist, ob das Wort nur als ein Epitheton, oder als eine besondere Erscheinungsform des Rudra, oder aber am Ende noch als ein selbständiger, nahestehender, wesensverwandter Gott zu fassen ist

Sehen wir uns beispielsweise jenes Capitel der Gebete an Rudra-^iva in der Maitrayani Samhita an.1

Es beginnt folgcndermasseu :

„Die klugen Falben sammt den weissen, lichten Rossen, den wind- schnellen. kraftvollen, gedankenschnellen sollen dich hierher fahren zu meiner Spende bei diesem Opfer, o Carva!

Ihn, der früher geboren war als Götter. Rishi's und Asuren, den tausendäugigen grossen Gott* £ivas möchte ich herbei fahren lassen.

Dies (Opfer) bringen wir dem höchsten Geiste4 dar, wir wollen ei spenden dem grossen Gott, dann möge uns Rudra fördern !u

Hier sehen wir Rudra bezeichnet als Purusha oder höchster Geist, als Mahadeva oder grosser Gott und Qiva. und auch die erste Anrufung £arva kann wohl nur auf ihn gehen.

Dann wird weiter der Zorn und die gefährliche Waffe des Rudra in vielfältiger Variation beschworen5:

„Verehrung, Rudra, deinem Zorn und Verehrung deinem Geschoss ! Verehrung deinem Bogen und Verehrung deinen Armen!

In deiner freundlichen Gestalt,0 o Rudra, der nicht furchtbaren, nicht hasslichen, in dieser heilvollcn Gestalt, du Bergesherrscher, blick uns an!

Der Pfeil, den du, o Bergeeherrscher, in der Hand trägst, um Um abzuschiessen, lass ihn gnädig 7 sein, o Bergesherr, nicht schadige da Mensch und Thier! u. s. w.

Löse du die Sehne vom Bogen, von den beiden Bogenenden! Die Pfeile, die du in der Hand hast, wirf sie weg, du heiliger!

Abspannend den Bogen, du tausend&ugiger, hundert Köcher be- sitzender, der du schärfest die Spitze der Pfeile, sei uns ein Gnädig*: (ci?a), Wohlwollender! u. s. w.

Auch der Name ßhava taucht dazwischen auf8: „Ver- ehrung der Waffe des Bhava, Verehrung dem Herrn der lebenden Wesen Iu

1 Es ist Maitr. S. 2, 9. * Mahadeva, der grosse Gott. 3 Ode: „den Gütigen, Gnadigen". 4 Im Texte purusha. 5 Maitr. S. 2, 9. S. Im Texte civa taniüj. 7 Im Texte civa. " Maitr. S. 2, 9, 3.

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Und weiterhin heisst es1* „Verehrung dem Bhava und dem Qarva, Verehrung dem Rudra und dem Herrn des Viehs, Verehrung dem mit geschorenem Haar und dem Flechtenträger,2 Verehrung dem Blauhalsigen und dem Weisshalsigen, Verehrung dem Tausendäugigen und dem hundert Bögen Besitzenden, Ver- ehrung dem Bergesherrn und dem CipivisH**5 Verehrung dem sehr Gnädigen und 4em mit Pfeilen Bewehrten" und so fort in langer Reihe.

Verehrung wird weiterhin4 gezollt dem Sorna und dem Rudra, dem Dunklen und dem Röthlichen, dem, der heilvoll ist den Kühen, dem Herrn des Viehs, dem Furchtbaren und dem Schrecklichen, dem von vorne Treffenden und dem weithin Treffenden, dem Tödter und dem viel Tödtenden, dem zum Heil Gereichenden und zur Freude Gereichenden, dem Heil Schaffenden (camkara) und Freude Schaffenden, dem Gütigen (cWa), dem sehr Gütigen!

Hier begegnen uns wieder deutlich Qiva und (.'amkara als Namen Rudra's!

Dann heisst es weiter5:' M0 Rudra, mit deiner freundlichen Gestalt, die freundlich und heil voll ist ganz und gar, freundlich und heilend das Gebrochene, mit der sei uns gnädig, damit wir leben \u

„Sehr gnädiger, sehr gütiger, sei gütig (civa) uns und wohl- wollend" u. s. w.

Endlich werden ganze grosse Schaaren von Rudra's, Bhava's und Qarva's aufgeführt6:

Die unzähligen Tauseode von Rudra's, die auf Erden sind, deren Bögen spannen wir ab auf eine Entfernung von tausend Yojana.*

Die Bhava's, die in diesem grossen Meer, in der Luft sich befinden, deren Bögen etc.

Die blaunackigen, weisshalsigen Rudra's, die sich im Himmel be- finden, deren Bögen etc.

Die blaunackigen, weisshalsigen farva's, die unten auf der Erde wandeln, deren Bögen etc.

Die Herren der Geschöpfe, die ohne Haarbusch, die mit Flechten versehen sind, deren Bögen etc.

Und dann werden nachher die Feinde, nach Art des Yajnrveda, diesen verschiedenen Rudra's „in ihr Gebi&s gelegt". Wenn wir nun auch hier von einer grossen Vielheit von

1 Maitr. S. 2, 9, 5. * kapardin. * Bezeichnung Rudra-fiva's * Maitr. S. 2, 9, 7. * Maitr, 8. 2, 9, 9. Maitr. 8. 2. 9, 9. T Ein bestimmtes Langenmaass.

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S48

Rudra's, Bhava's und (Jarva's hören, so tritt doch an bestimmten Stellen deutlich hervor, dass dies immer verschiedene Gestalten, Erscheinungsformen (rüpani) des einen Rudra sind. So heisst es am Schluss1: „Verehrung, o Rudra, sei deinen Gestalten, den nicht furchtbaren und den furchtbaren, den nicht furcht- baren und den sehr furchtbaren" u. s.w. Und die letzten Worte lauten charakteristisch: „Verehrung sei dir! Verletze mich nicht!"

Die anderen Yajurveden stimmen mit dem hier Gegebenen in allem Wesentlichen überein.

Mehr und mehr muss dann in der folgenden Zeit dieser Rudra -Qiva mit seinen zahlreichen Erscheinungsformen einen einheitlichen Charakter gewonnen haben, sich zu dem grossen Gott Qiva gestaltet oder verdichtet haben, bei welchem nun die Namen jener verschiedenen Erscheinungsformen als mehr oder weniger geläufige Beinamen sich vorfinden. In den alten bud- dhistischen Sütra's begegnet er uns, wie früher erwähnt, unter den Namen <Jiva und Qamkara, der Heilvolle, und der erstere Name erscheint jetzt als seine eigentliche und vorherrschende Bezeichnung. Diesen Namen Qiva,* d. h. der Gnädige oder Gütige, wie auch den Namen (Jamkara erhält er zum Theü jedenfalls durch eine Art Euphemismus, weil man wünschte, dass der furchtbare und gewaltige Gott dem Menschen seine gütige, heil volle Seite zukehren möge; dass ihm diese andern- theils aber in der That nicht mangelte, geht schon aus den ältesten Schriften, aus Rigveda und Yajurveda hervor, wie wir früher gesehen haben.

Qiva erhält weiterhin ausser den schon erwähnten Namen

1 Maitr. 8. 2, 9, 10.

* Benfey bat den Namen £iva von der Wurzel cn, (vi „wachsen, schwellen", ableiten wollen, also etwa „der Wachsende, Schwellende", weil (iva auch der Gott der gewaltigen Zeugungskraft in der Natur ist; und auch Lassen nahm dies als wahrscheinlich an. (Vgl. Benfey, Indien p. 179; Lassen, a. a. 0. I', p. 923). Meiner Ansicht nach machen sowohl etymologische als historische Gründe diese Annahme unmöglich. Bei dieser Ableitung soll das Wort c.iva aus $va mit Einschiebung von i gebildet sein, was schwerlich angeht Und dann finden wir diesen Namen dem Gotte schon im Yajurveda beigelegt, wo von seinem zeugungs- kraftigen Wesen noch nicht die Rede, wo er noch der alte gefürchtete Rudra- Qiva ist, den man anfleht, gnädig Mensch und Vieh mit seiner Waffe zu verschonen, gnadig von seinen Arzeneien zu spenden; die Be- ziehung zu der Zeugungs kraft in der Natur ist erst spater in diesen Gott hineingelegt, nachdem derselbe schon zu einer der ersten und grö ästen Göttergestaiten herangewachsen war. Das Wort c>a ist ein gelaufiges Adjectivum, mit der Bedeutung „gnädig, gütig, freundlich".

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Mahadeva „der grosse Gott", Girica „der Bergesherr", Pacu- pati „der Herr des Viehs", Bhava und Qarva noch manche andere. So wird er AI$vara, d. h. der Herr, genannt, Devadeva „der Gott der Götter", Sarvadeveca „der Herr aller Götter« u. dgL m. Diese letzteren Bezeichnungen entstammen offenbar erst der Zeit, wo Qiva zum Range eines höchsten Gottes er- hoben wurde. Es geschah dies wohl ebenso wie bei Vishnu in den ersten Jahrhunderten nach Buddha, und die Gründe seiner Erhöhung waren wesentlich dieselben wie bei Jenem. Das Volk war in verschiedenen Theilen Indiens dem Dienste des Rudra-Qiva zugethan, und die Brahmanen, welche gerade dem Buddhismus gegenüber den Cultus eines persönlichen Gottes nach Kräften stützten und förderten, lieesen dem Volke nicht nur diesen seinen Gott, den es fürchtete und verehrte, sondern sie umkleideten denselben immer mehr mit den Attributen und dem Nimbus der höchsten Gewalt und Götterwürde. Es war dies möglich zu derselben Zeit, wo die Vishnu -Verehrung emporkam , weil es in anderen Gegenden Indiens stattfand. Nach Lassen wurde Qiva im östlichen Indien in Magadha und bis zum Flusse Vaitarani in Kaiinga verehrt, desgleichen an der Westküste in Gokarna Ganz besonders aber war die Ver- ehrung dieses Gottes im westlichen Himalaya heimisch. Gafi- gadvära, der Ort, wo die Ganga aus dem Gebirge hervortritt, gilt als ein Hauptsitz seiner Verehrung. Aui dem Berge Kailasa im Himalaya soll er thronen. Arjuna ging zum höchsten Himalaya, um von Qiva die göttlichen Waffen zu erhalten. Auch in Kaschmir wurde er früh verehrt Darum wird nun auch Qiva der Herr der Berge, Girica oder Girica, genannt; und ebendarauf deuten auch die Namen seiner Gemahlin Parvati oder Durgä, deun Parvati heisst „die Bergestochter", und Durga „die schwer Zugängliche", Bezeichnung eines Gebirgspasses. Die Sage lässt die Gaßga vom Himmel herab auf das Haupt des Civa stürzen, und von dort erst gelangt sie dann zur Erde, offenbar wieder weil Qiva dort heimisch war, wo der heilige Strom ent- springt Dort im Gebirge ist ja auch der Sitz der furchtbarsten Stürme, dort musste man der schreckenerregenden Gewalt dieses Gottes sich beugen. Für diese, an erhabenen Schrecknissen der Natur reichen Gegenden war Qiva der rechte Gott, wie für das Gangesland der milde, wohlthätige Vishnu. Es war der dämonische Reiz des Furchtbaren und Uebergewaltigen, was unzählige Inder zur Verehrung des Rudra-Qiva in schauernder Denrath zwang.

Man übertrug auf Qiva auch manche Züge des alten Gott

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Agni.1 Mit ihm wurde ferner noch die Gestalt eines anderen Gottes verschmolzen, nämlich des H ara» d. h. des 1#Nchniers oder Entreissers*4, der ihm wohl im Wesen ähnlich sein mochte und vermuthlich ebenfalls ursprünglich der Gott eines bestimmten indischen Stammes war. Hara ist später ein beliebter Name des (Jiva, wie Hari des Vishnu, und das Compositum Harih&rau, d. L Hari und Hara, bezeichnet darum Vishnu und Qiva zu- sammen.

Dass mit der Gestalt des Qiva auch noch die anderer Volksgötter verschmolzen wurde, können wir wohl auch daraus schliessen, dass auf ihn der Dienst des Linga oder Phallus übertragen wurde. Von einem Phallus-Dienst ist im Veda, in der älteren indischen Zeit überhaupt nicht die Rede.9 Es wird lies Symbol besonders unter den Qivaiten des südlichen Indien verehrt, und es ist die wahrscheinlichste Annahme, dass die Urbewohner in jenen Landstrichen dem Phallus- Dienste hul- digten und dieser dann auf Qiva übertragen wurda Damit erhielt er dann auch die früher erwähnte Beziehung auf die Zeugungskraft in der Natur. In der Aufnahme des Linga in den ^iva- Dienst wäre also wieder eine Concession an einen bestehenden Cultus im Volke zu erblicken, und zwar im nicht- arischen Volke, das sich wohl auch nicht so ohne Weiteres seine alten Götter und heiligen Symbole rauben liess.5

Gott Qiva wird uns geschildert als bewaffnet mit dem Dreizack (tricüla) und versehen mit einem Netz (päca), das seine Herrschaft über die Thiere andeuten soll. Ihm ist der Stier heilig; er wird Vrishadhvaja genannt, d. h. der Träger des Stierbanners. Er trägt das Haar geflochten, wie Rudra im Rigveda, und heisst darum Jatadhara oder Dhürjati, d. h, der Träger des Haarzopfes. Dies war nun auch die Tracht der brahmanischen Büsser und Asketen, und so gestaltet es sich ganz natürlich mit Anlehnung an jenen alten mythischen Zug dass Qiva als Büsser gedacht wird, ein Büsser, der

1 S. Lassen, Ind. Alt. I«, p. 924.

1 Falls übrigens R. Garbe s Erklärung des Wortes cicnadeva im Rigveda (nämlich „den Phallus zum Gotte habend4') richtig ist, so werdet dort Phall us-Diener mit Abscheu genannt

8 Die sogen. Lingaiten, welche Gott Qiva unter dem rhallus-Symbol verehren, sind noch heutzutage im Süden Indiens zahlreich vertreten und sollen anderen brahroanischen Sekten gegenüber einigermassen intolerant sein (vgl. Schlagintweit, Indien in Wort und BUd, Bd. I p. 147). Nach dem Berichte des Missionars Stevenson sollen übrigens noch in der Gegenwart die Brahmanen des Südens den Dienst bei Tempeln, wo das Linga verehrt wird, verachten.

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die furchtbarste Busse übt und Gewaltiges dadurch erreicht. Es entspricht durchaus dem Geiste der späteren Zeit, welche der Busse die höchste Gewalt im Himmel und auf Erden zu- schreibt, dass auch der gewaltigste Gott ein Büsser ist.

Qiva trägt den Mond auf seinem Haupte und heisst darum auch Candracekhara, d. L den Mond als Kopfschmuck tragend.1

Die zerstörende Gewalt des alten Rudra und Agni in sich vereinigend, ist er zum furchtbaren Gotte der Vernichtung und des Todes geworden, und als solcher trägt er eine Kette von Todtenschädeln um den Hals.2 Ihm, dem furchtbaren Zer- störer, werden Opfer von Thieren dargebracht3

So war denn (^iva fair einen grossen Theil Indiens zum höchsten Gotte herangewachsen, und die Brahmaneu, welchen es daran lag, dem ganzen Indien seine Religion zu geben, mussten wohl oder übel die beiden Götter, Vishnu und Qiva, neben einander als höchste Götter bestehen lassen.

Wir sahen, wie im Mahäbharata und Ramäyana Vishnu als höchster Gott gepriesen wird, aber es finden sich nun auch andere Stellen in diesen Epen, die den Qiva im gleichen Sinne

ICloi LI.

Von ihm wird im Mahabharata gesagt, „er sei die Zuflucht der Götter, der Ursprung der Welt, unbesiegbar in den drei Welten von den Göttern, den Asura und den Menschen."4

JEr ist die Quelle, die ungeborene Ursache der Welt, der Bildner des Alls, der Beginn aller Wesen, der Former der Götter, der unerzeugte, unvergängliche Herr, der Ursprung der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft Er ist der höchste Geist, die Heimath der Lichter, der Himmel, der Wind, der Schöpfer des Oceans, die Substanz der Erde, das Brahman

1 Man hat es sogar versucht, den $va ganz zu einem Mondgotte in machen, indem man seine Beziehung zur Zeugungskraft betonte, die mit dem Monde in gewissem Zusammenhang steht; dabei wurde dann der Zusammenhang £iva*s mit Rndra bezweifelt. Der letztere dürfte in- dessen durch das oben Gegebene zur Genüge festgestellt sein, und behalt die indische Theologie in diesem Punkte vollständig Recht. Der Zusammen- hang Qiva's mit dem Monde dagegen ist viel zu oberflächlich, als das* sich darauf viel bauen liesse.

a S. Lassen, Ind. Alt I* p. 924.

* Wenn wir dem Berichte des Megasthenes Glauben schenken können, so fanden zu den Festen des (»Uva, den er Dionysos nennt, »»Auf- züge statt, bei denen die Könige, Glocken tragend und Pauken schlagend, mhzogen, die Leute gesalbt und bekränzt". (S. Lassen, a. a. 0. I* p. 925). Die Inder berichten uns nichts derart, doch ist es deswegen noch nicht unmöglich, sondern könnte ganz wohl stattgefunden haben.

4 8. Lassen, Ind. Alt. I4, p. 926 Anm.

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*

selbst Aber er ist auch der höchste Zorn; der Schöpfer der Welt und ihr Zerstörer. Er, der Alles durchdringende Gott, ist der Schöpfer und Herr des Brahma, Vishnu und Indra; sie dienen ihm, der über die Materie und den Geist hinausreicht, der zugleich nicht ist und ist Als er durch seine Kraft Materie und Geist in Bewegung setzte, da schuf Qiya, der Gott der' Götter, der Schöpfer (Prajapati), aus seiner rechten Seite Brah- man, aus seiner linken Vishnu. Seine Eigenschaften können in hundert Jahren nicht erklärt werden. Er ist Indra, er ist Agni, er ist die Acrin, er ist Sürya, er ist Varuna. Nichts ist über ihn und nichts kann seiner grossen Gottheit widerstehen. . Das Herz der Götter erschrickt im Kampfe, wenn sie seine furcht- bare Stimme hören, keiner kann den Anblick des zürnenden Bogenhalters ertragen. Er hat zwei Körper und diese haben mannigfaltige Formen. Der eine Körper ist wehevoU, der andere günstig. Wenn er heftig und zornig ist, ist er ein Esser von Fleisch und Blut und Mark, dann heisst er Rudra. Wenn er zürnt, sind alle Welten verwirrt beim Klange seiner Bogensehne, Götter und Asuren hülflos und niedergeschlagen, die Wasser in Aufruhr, und die Erde bebt, die Berge sinken, das Licht der Sonne erlischt, der Himmel ist zerrissen und in dichte Finster* niss eingehüllt Qiva ist die Seele aller Welten; er wohnt im Herzen aller Kreaturen, er kennt alle Begierden, er ist sicht- bar und unsichtbar; Schlangen sind sein Gürtel und Schlangec- bäute sein Gewand."1

Natürlich verträgt sich solch eine Verherrlichung des Q'ith schlecht mit dem, was wir früher aus den Epen über Vishnu und den eine Incarnation Vishnu's darstellenden Krishna an- geführt haben. Indessen war man ja bei den Indern an ähn- liche Widersprüche schon seit den Zeiten des Rigveda gewohnt*

Wir finden im Mahäbharata auch den Versuch, die beiden höchsten Götter mit einander zu vereinigen, sie als eine Einheit1 darzustellen. Es heisst dort in einer Anrufung: „Heil dem Vishnu-gestalteten Qiva, dem Qiva-gestalteten Vishnu, dem Ver- tilger des Opfers des Daksha, dem Hari-Rudra!"*

r-

1 8. Duncker, Gesch. d. Alt. III4, p. 386. 387; Muir, Orig. 8anik. Texte Bd. IV, p. 184. 188. 205. 203. 191 flg.

* An einigen Stellen dea Mahabbarata wird Krishna als dem Maha- de?a, d. h. Civa, untergeordnet dargestellt, and wahrscheinlich fand di? Verehrung des Krishna als eines höchsten Gottes besonders grossen Widerstand hei den £i?aiten. (Vgl. Lassen, a. a. 0. IÄ, p. 936; Muir, a. a. 0. IV, p. 239 flg.)

* S. Lassen, Ind. Alterth. I«, p. 926 Anm.; Muir, a, a. O. IV, p. 231 flg. A. Holtsmann Bagt über diesen Punkt (Ztschr. <L D. M.

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Indessen sind die Gestalten dieser beiden grossen Götter doch zu Verschiedener Art, sie lassen sich nicht vereinigen. Und doch ist wieder ein Jeder von ihnen zu gross und gewaltig, sein Ansehen zu fest als das des höchsten Gottes bei seinen zahlreichen Anhängern begründet, als dass Einer dem Andern sich unterordnen könnte. So bleiben sie denn Beide als höchste Götter neben einander bestehen, und bald wird dem Einen, bald dem Andern der höhere Preis zu Theil.

Ges. XXXVIII p. 203) : „Der Fried ensschluss zwischen beiden Göttern oder historisch gesprochen der Versuch einer Versöhnung und Verschmelzung des Vishnuismus mit dem £ivaismu8 ist vielleicht unter den in unserem Gedichte nachweisbaren geschichtlichen Thatsachen die jüngste. Das Mahabhärata in seiner jetzigen Gestalt und in seinen jüngsten Stöcken stellt jene beiden Götter als gleichberechtigt neben einander und sucht sorgfaltig den civaitischen Leser ebenso zufrieden zu stellen wie den vishnuitischen."

t. 8chröd*r. U4i«Bi Lit. n. Cult.

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Fünfundzwanzigste Vorlesung.

Brahrai auch ferner noch verehrt. Sein Charakter und seine Bedeutung im indischen Mittelalter, insonderheit im Mahabhärata. Verhältnis an Vishnn und Civa. System der drei grossen Götter. Die Lehre ton der Dreieinigkeit (Trimürti . Nachrichten der Griechen über die bei den Indern verehrten Götter. Der regenbringende Zeus. Der Ganges. In den Bergen Dionysos, in der Ebene Herakles verehrt. Heraklee identisch mit dem V ishnu - Kriahna der Inder; Dionysos mit £iv». Der Cult des Rudra-Qiva und des Vishnu-Krishna muss um 300 vor Chr. schon aus- gebildet gewesen sein. Die acht Lokapala oder Weltenhüter. Indra, der

Götterkönig, und seine Umgebung.

Wir haben in unseren letzten Vorlesungen das Empor- kommeD der beiden grossen Götter V ishnu und Qiva be- trachtet, welche beide bei ihren Verehrern als höchste Götter gelten und deren Cultus, im Volke seit Alters wurzelnd, von den Brahmanen befördert wurde. Den Brahmanen aber hatte doch früher schon ein anderer Gott als der höchste gegolten und sie Hessen ihn nicht fallen, wenn sie auch aus Terschiedenen früher entwickelten Gründen die Vishnn- und (^iva -Verehrung eifrig pflegten: Das war Brahma, der grosse Gott, der schon in 8einom Namen seinen innigen Zusammenhang mit den Brah- manen bekundet und als ihr Ahnherr gilt. Die Verehrung des Brahma als höchsten Gottes war gleichsam als letztes Resultat aus der gesammten religiös -philosophischen Entwickelung der vedischen Periode hervorgegangen; und wenn auch dieser Gott im Volke keinen Boden hatte, wenn auch sein Cultus nie eigent- lich populär werden konnte, so Hessen die Brahmanen dennoch nicht ab von ihm, den sie einmal als höchsten Herrn erkannt und yerkündigt hatten. Er Wieb bestehen in seiner Würde auch neben Visbnu und Qim

Die Verehrung des Brahma, VishnU und Qiva, die neben einander alle drei als höchste Götter gelten, nennen wir das System der drei grossen Götter.

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In ihrem Ursprung, wie wir gesehen haben, sehr von ein- ander verschieden, behauptet doch Jeder von ihnen unabhängig seine Würde.

Brahmä ist in seiner Eigenschaft als grosser Gott der älteste unter den dreien. Er gehört bereits durchaus der alten epischen Poesie an, spielt in den älteren Partieen des grossen Epos seine Rolle, während die Verherrlichung Vishnus und (Jiva's als höchster Götter vielmehr in jüngeren Theilen des- selben hervortritt1

Im Mahäbharata erscheint Brahma als das personi- iicirte Schicksal und Orakel der Götter. In erhabener Ruhe thront er auf seinem Herrschersitz und steht den Göttern mit seinem Rathe bei, die sich in jeder Bedrängniss zu ihm als ihrem Schutz und Hort flüchten. Er kennt nicht nur das Ver- gangene, sondern auch die Zukunft und weiss den Göttern stets das geeignete Mitte) an die Hand zu geben, um sich aus der Verlegenheit zu helfen; doch greift er selbst nicht han- delnd ein.

„In allen alten Stücken dieser Art sagt Holtzmann* ist nicht nur der allgemeine Verlauf derselbe, sondern auch der Ausdruck im Einzelnen: die Götter kommen durch einen Asura oder durch einen büssenden Heiligen in Bedrängniss, sie wenden sich an Brahma, welcher atzend und lächelnd, wie etwa ein Grossvater5 die kleinen Leiden seiner Enkel anhört, ihre Klagen entgegennimmt und, nachdem er einen Augenblick nachgedacht, ihnen die Mittel anweist, wie sie dem üebelstande abhelfen können; wobei er regelmässig erklärt, er habe diesen Unfall schon lange vorhergesehen und auch die Abhülfe schon gefunden. Aber die Auifulrung überläset er den Göttern." Er tritt aus seiner beschaulichen Ruhe nicht heraus.

Brahma erscheint im grossen Epos als Lehrer und als der Herr der Götter, die nur unter seiner Autorität ihre Herr- schaft ausüben.4

Er ist der Schöpfer der Welt und viele Namen feiern ihn als solchen.6 Eine entschieden jüngere, speciell vishnui tische Darstellung ist die, dass Brahma die Welt im Auftrage des

1 Hin vgl. den werthvollen Aufsatz von Ad. Holtmann, „Brah- man im MahAbharata14, ZUchr. d. D. M. Gk XXXVIII, p. 168. 1 In »einem eben erwähnten Aufsatz p. 168. 1 pitAmaha, einer seiner häufigsten Namen. 4 Vgl. Holtsmann, a. a. 0. p. 177. 178.

So heUst er lokaarit, lokakartar, samlokakTh, jagatsraahUr. Vgl. Holtmann a. a. 0. p. 180.

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Vishnu erschaffen habe. Sie erscheint an mehreren Stellen des grossen Epos und ist dort jedenfalls erst später eingedrungen. Die vishnuitische Bearbeitung des Mahabharata konnte Brahma seinen alten Ruhm als Weltenschöpfer doch nicht nehmen und suchte die -Superiorität Vishnu's nun in der Weise zu wahren, dass sie Brahma als in Vishnu's Auftrag handelnd darstellt1

Von Brahma stammt die Ordnung der Welt; er erhalt und regiert sie. Von ihm stammt Recht und Sitte, und er hält sie aufrecht. Er hat die Ehe gestiftet, das König thum eingesetzt und die Kastenordnung geschaffen. Am nächsten stehen ihm natürlich die Brahmanen. „Nichts geht über einen Brahmanen" soll der grosse Gott selbst gesagt haben.1 Er hat der Sage nach die Erde einem Brahmanen3 geschenkt, und trotz ihres Widerspruchs muss sie sich zuletzt d§rin finden.4

Von Brahma stammt auch das Opfer, der ganze Cultus her; von ihm die Busse, deren gewaltige Macht das indische Mittelalter so über alles Maass verherrlicht Brahma ist es auch, der die heiligen Veden geschaffen.5 Er ist ewig, all- wissend und heilig.

Wenn der grosse Gott als Weltenseele gefeiert wird, aus der Alles hervorgegangen und in die Alles wieder zurückfluthet, dann erscheint er auch im Mahäbharata als .ein Neutrum, als das Brahma n. 6 Und dies ist zweifellos die alte und ur- sprüngliche Auffassung. Aus jenem, in alter Zeit gefeierten neutralen Brahman, dem Absolutum, der \Yeltseele, hat sich ja, wie wir gesehen, erst der männliche Gott Brahma entwickelt, ist aus ihm geworden.

1 8. Holtzmann a. a. 0. p. 182. „Es ist wohl nur Zufall, sagt Holtzmann ebenda dass wir diesen viahnuitischen Kosmogonieen kern cWaitisches Gegenstück zur Seite stellen können; denn im Allge- meinen wird in unserem Gedichte angstlich darauf gesehen, dass keiner jener beiden Götter hinter dem anderen zurückstehe, und was von dem einen behauptet wird, muss an einer andern Stelle auch von dem anderen gesagt sein. Doch findet sich der Satz, Qiva habe die Welt durch Ver- mittelung des Brahma erschaffen , nicht ausdrücklich ausgesprochen. Bestimmt aber wird Brahma von £iva als Weltenschöpfer anerkannt, und ebenso bestimmt ist Brahma eine Schöpfung des £iva."

* S. Holtzmann a. a. 0. p. 186.

* Dem Kacyapa.

4 Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 186: ,.Der Sinn der Sage ist deutlich: die eigentlichen Götter der Welt sind die Brahmanen und jeder Protest dagegen ist vergeblich. In den spatesten Stöcken weiss Brahma Göttern und Menschen nichts dringender anzuempfehlen als Gehorsam und Ehr- erbietung gegen die Brahmanen/'

Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 187—189.

Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 193.

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Brahma erscheint in der bildlichen Darstellung mit vier Köpfen, vier Gesichtern, welche den vier Veden entsprechen.1 Er hat vier Arme; in einem derselben hält er die heiligen Schriften, im zweiten einen Rosenkranz, im dritten ein Opfer- gefäss oder einen Almosentopf, im vierten einen Opferlöffel. So ist in ihm der fromme Asket symbolisirt. Er thront in seinem Himmel auf einem Lotossitze. Ihm ist der Lotos heilig und der Schwan. Seine Gattin ist Sarasvatl, die Göttin der Rede, des Lernens und Lehrens.2

Von einem eigentlichen Cultus des Brahma ist kaum die Rede.3 Das liegt in seinem abstract philosophischen Ursprung und seinem ganzen Charakter begründet. Nur wenige, ver- einzelte Tempel sind in dem ganzen grossen Indien ihm geweiht gewesen, und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben, während die Tempel des Vishnu und Qiva nach Tausenden und Abertausenden zählten und heute noch zählen.4

Im Mahäbharata sehen wir an Stellen, welche auf höheres Alter und reinere Ueberlieferung Anspruch machen dürfen, Vishnu und Qiva noch dem Brahma untergeordnet auftreten.6 Sie ver- ehren ihn, wenden sich ebenso wie die anderen Götter an ihn um Rath und führen aus, was er ihnen aufträgt.

Aber weit grösser ist die Zahl der Stellen, wo eine um- gekehrte Auffassung, die jedenfalls jüngeren Datums ist, in dem grossen Epos Platz gegriffen hat, wo Brahma als dem Qiva, resp. dem Vishnu untergeordnet dargestellt wird.

An cWaitisch gefärbten Stellen des Mahäbharata heisst es, dass Qiva der Schöpfer und Herr des Brahma, Vishnu und der anderen Götter sei; dass er, und nicht Brahma, die Welt geschaffen habe. „Du, Qiva, bist es, den sie für Brahma halten, in dir sind alle Götter enthalten wie die Kühe im Kuhstalle," heisst es einmal. Ja (Jiva ist geradezu Brahma selbst, er

1 So erscheint er auch im Mahäbharata; s. Holtzmann, a. a. 0. p. 204.

* Im Mahäbharata wird übrigens nur an einer Stelle die Gattin Brahma's erwähnt, und da heisst sie Sävitri (Holtzmann a. a. 0. p. 206).

* Auch das Mahäbharata constatirt diese Thatsache und begründet sie mit der rabigen Unparteilichkeit Brahmas. „Die Menschen, heisst es hier, verehren Götter wie Indra, Agni, Varuua, Yama, Rudra, Skanda, von welchen sie Sieg über ihre Feinde erhoffen, aber nicht die gegen alle Wesen unparteiischen und geduldigen Götter wie Brahma, Dhatar, Püshan." S. Holtzmann a. a. 0. p. 207. 208.

* Die Inder zerfallen der Hauptsache nach in Vishnuiten und Ra- iten; aber Brahmaiten wenn das Wort erlaubt ist , specielle Ver- ehrer des Brahma, giebt es nicht.

$ Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 197. 200.

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ist auch das höchste Brahman, jenes neutrale Absolutum, aus dem Alles stammt.1 Aber dennoch tritt auch an manchen der- artigen Stellen, die den Qiva über alle anderen Götter heben, deutlich zu Tage, dass diese seine hohe Stellung jüngeren Ur- sprungs ist. Ganz naiv giebt uns der Dichter dies zu erkennen. Brahma kommt erst durch langes Nachdenken zur klaren Er- kenntniss von (Jiva's Wesen, erklärt ihn dann für den höchsten Gott und betet ihn an.* An einer Stelle des MahäbhArata er- scheint Qiva als kleines Kind, das die anderen Götter nicht erkennen. Indra will den Donnerkeil nach ihm schleudern, aber sein Ann erlahmt Da belehrt BrahmA sie, dies sei Qiva, der höchste Gott, den sie verehren und um Gnade bitten müssten.9

An visbiuitisch gefärbten Stellen des Epos heisst es, dass Vishnu selbst den Brahma überrage. Brahma betet ihn an, opfert ihm und erkennt ihn ausdrücklich als höchsten Gott, als seinen und der Welt Schöpfer an. Ueber dem Himmel des Brahma erhebt sich der des Vishnu.4 Wiederholentlich wird Vishnu als der pantheistische Gott, als die Weltseele gefeiert, wie früher Brahmas Bei dieser Auffassung erscheint Brahma als ein Theil des Vishnu, wohnend im Nabel des Vishnu. Aber auch hier finden wir Stellen, aus denen man deutlich sehen kann, dass Vishnu's hohe Stellung jüngeren Ursprungs ist Auch Vishnu erscheint mehrmals als den übrigen Göttern noch unbekannt und unverstanden, und Brahma ist es dann, der die anderen über das wahre Wesen des Vishnu als höchsten Gottes belehrt.5

Gerade die Hinneigung zum Vishnuismus ist in den grossen epischen Gedichten, so wie dieselben uns gegenwärtig vorhegen, besonders stark ausgeprägt und tritt auch namentlich in der Annahme zu Tage, dass die Haupthelden dieser Gedichte, Rama und Krishna, selbst Verkörperungen des Vishnu seien. Aber BrahmA bleibt dennoch in seiner Würde bestehen, Qiva gilt als dritter grosser Gott, und diejenigen Abschnitte, welche den Vishnu ausschliesslich verherrlichen, ihn zum höchsten und ein-

1 Vgl. Holtzmann a. a. 0. p. 199. 200.

1 S. Holtzmann a. a. 0. p. 198. 199. „Also selbst nach dieser spaten und streng cjvaitischen Stelle ist Brahma sich der Superioritat des £i?a nicht von vornherein bewusst, er gewinnt diese Einsicht erst nach längerer Ueberlegung. Deutlicher kann nicht angedeutet werden, dass £iva ein Gott jüngeren Datums ist als Brahma"

* 8. HoltzmaDn a. a. 0. p. 199.

4 S. Holtzmann a. a. 0. p. 202.

5 S. Holtzmann a. a. 0. p. 201. 202.

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zigen Gotte machen wollen, sind jüngeren Datums und stehen im Widerspruch mit älteren Theilen. Beachtet man diese letzte- ren wohl und überblickt die Epen im Grossen und Ganzen, so kommt man zu dem Schlust, dass sie eben die Religion der drei grossen Götter, Brahma, Vishnu und Qiva verkünden, von denen ein Jeder an seinem Ort als der höchste Gott ge- feiert wird.1

Dies System der drei grossen Götter ist wohl zu unterscheiden von der Lehre einer wirklichen Dreieinigkeit oder Trimürti, wie sie erst bedeutend später auftaucht.

Wir haben gesehen, dass £iva mit Brahma identificirt wird, dass man Brahma in Vishnu sucht, dass auch eine Vereinigung von Qiv& und Vishmi versucht wird, wenn auch erst in den jüngsten Stücken des grossen Epos. Dies Alles sind Gedanken, welche die Dreieinigkeitslehre anbahnen, aber diese selbst ist damit doch noch nicht gegeben.

Jene drei grossen Götter standen ungefähr gleich hoch, gleichwertig neben einander. Der Versuch, sie alle drei irgend- wie mit einander zu vermitteln oder zu vereinigen, lag am Ende nicht so ganz ferne, aber dieser Gedanke ist im Maha- bhaxata doch noch so gut wie gar nicht vertreten. Eine ein- zige, offenbar ganz junge Stelle fuhrt Hol tz mann aus dem ganzen grossen Mahabhärata an, welche, wie es scheint, aller- dings den Dreieinigkeitsgedanken deutlich ausspricht: „Es er- schafft die Brahman- Gestalt, es erhält die Form als Purusha, mit der Natur des Rudra zerstört er, dies sind die drei Zu- stände des Herrn der Geschöpfe.** Ä Noch deutlicher zeigt sich diese Idee der Trimürti in einer Stelle des Harivamga, eines epischen Werkes, welches als Nachtrag zum Mahabhärata gilt und jedenfalls beträchtlich jünger ist als dieses. Dort heisst es (10662): „Er, der Vishnu ist, ist auch tjiva, und er, der fyiva ist, ist auch Brahma: ein Wesen, aber drei Götter, Qiva, Vishnu, Brahma/43

Das ist die Idee der Trimürti oder Dreieinigkeit es sind drei Götter und doch nur ein Gott: Brahma ist der Schöpfer, Vishnu der Erhalter, (Jiva der Zerstörer.

1 Vgl. auch Lassen, Ind. Alt. 1% p. 591.

* S. Holtzmann a. a. 0. p. 204. Purusha- Vishnu; Rudra-pva.

' Vgl. Holtzmann a. a. O. p. 204. Das Alter des Haritaraga ist schwer bestimmt anzugeben. Zu Albiruni's Zeit d. h. im 11. Jahrh. galt dasselbe bereits als wichtige Autorität und war nach Weber auch schon dem Subandhu, Verfasser der Vasaradatta (7. Jahrh.) bekannt. Vgl. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 206 Anm.

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Diese Idee ist weiter aus dem 15. Jahrhundert bezeugt durch eine Inschrift des Königs Devaräja von Vijayanagarsu der von 1420 1445 regierte.1

Im Ganzen findet sich der Dreieinigkeitsgedanke im in- dischen Mittelalter nur spärlich vertreten. Wir haben darum ein Recht zu behaupten, dass derselbe zu jener Zeit eine nur geringe und nebensächliche Rolle gespielt haben kann. Ueber- haupt ist in Indien von der Trimürti oder Dreieinigkeit lange nicht so viel die Rede, als man wohl in Europa angenommen hat.

Dass die indische Lehre von der Dreieinigkeit sowohl in ihrem Ursprung als auch in ihrem ganzen Wesen von der Dreieinigkeitslehre der christlichen Kirche völlig verschieden ist und mit derselben so gut wie nichts gemein hat, braucht nach Allem, was über dieselbe bereits gesagt ist, kaum noch ausdrücklich hervorgehoben zu werden.

Wir müssen nun auch noch die Nachrichten der Griechen, insbesondere die des Megasthenes, über die bei den Indern ver- ehrten Götter kennen zu lernen suchen. Dieselben sind von hohem Interesse und namentlich auch für die Bestimmung der Zeit, in welcher die besprochenen Umwandlungen des indischen Göttersystems vor sich gingen, von entschiedener Wichtigkeit.

Die griechischen Berichterstatter erzählen, dass die Inder den regenbringenden Zeus verehrten, sowie andere ein- heimische Götter, und auch den Ganges. Von den Göttern der Griechen würde dort Dionysos in den Bergen, Herakles in der Ebene verehrt*

Mit dem regenbringenden Zeus bezeichneten sie ohne Zweifel Indra, den Götterkönig, der das befruchtende Wasser der Wolken befreit und zur Erde strömen lässt. Der Ganges muss in jenen Jahrhunderten schon jedenfalls zum heiligen und verehrten Strom geworden sein. In dem bergbewohnenden Dionysos aber und in dem Herakles, den die Bewohner der Ebene verehren, hat man schon lange die beiden grossen Götter (Jiva und Vishnu-Krishna erkannt. Dies mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, denn die betreffenden Götter sind sich doch keineswegs so unmittelbar ähnlich. Es bedarf diese Behauptung daher einer näheren Prüfung und Begründung. Bekannt ist es ja freilich, wie sehr gerade die Griechen geneigt

1 Vgl. Lassen a. a. 0. I5, p. 926.

* S. Duncker, Gesch. d. Alt. III4, p. 325. 326.

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waren, ihre Götter bei anderen Völkern wiederzufinden; es genügte ihnen zum Aufstellen ähnlicher Behauptungen oft eine nur flüchtige Aehnlichkeit und sie übersahen nicht selten sehr wichtige Verschiedenheiten. Immerhin aber werden für die Identihcirung irgend welche Gründe vorliegen müssen.

Ich beginne mit Herakles, weil mir hier die Identität mit Vishnu-Krishna frappanter in die Augen zu springen scheint

Megasthenes berichtet, der indische Herakles habe alle Menschen an Stärke des Körpers und des Geistes übertroffen, er habe die ganze Erde und das Meer von Uebeln gereinigt und viele Städte gegründet. Er habe viele Frauen gehabt und ▼on diesen eine Menge Söhne. Unter diese habe er Indien vertheilt und lange noch hätten seine Nachkommen geherrscht; noch zu Alexanders Zeit sollen einige ihrer Reiche bestanden haben. Er habe auch eine Tochter gehabt, namens IlavöaiTi. Nach seinem Tode sei ihm göttliche Verehrung zu Theil ge- worden. Er sei in der Ebene verehrt worden und besonders bei dem Volke der (Jürasena am Jomanes (d. h. an der Yamunä), deren Städte Mt&oQa und KXeiöoßoQa seien; auch bei den Qibi, welche Thierfelle und Keulen wie Herakles trügen und ihren Rindern und Maulthieren das Zeichen der Keule ein- brennton.1 Auch der indische Herakles habe Keule und Löwen- haut getragen.2

Wenn uns hier schon die Bemerkung, dass Herakles in der Ebene, d. h. im Gangeslande, verehrt werde, auf die Ver- muthung führen könnte, dass der Grieche den Vishnu, resp. Vishnu-Krishna im Auge habe, so wird diese Vermuthung zur Gewissheit durch die specielle Angabe, dass dieser Herakles besondere Verehrung bei den Curasena an der Yamunä genoss, deren Städte Me&oQa und KXtiöoßoQa seien, denn Mtd-oQa ist ohne Zweifel das indische Mathurä, und diesen Ort kennen wir als die Hauptstadt der Yadava, als den Ausgangspunkt und Hauptsitz der Verehrung des Krishna, während KXttöoßoQa bei Plinius Carisobora. Cyrisobora oder Chrysobora genannt wird,8 und es ist evident, dass Peter von Bohlen das Richtige getroffen, wenn er schon in seinem Werke „das alte Indien" (1, 233) diese Stadt Cyrisobora oder Chrysobora für die gräci- sirende Wiedergabe des indischen Krishnapura erklärte, die „Stadt des Krishna", die an der Yamunä gelegen ist Wir

1 Vgl. Duncker a. a. 0. p. 326.

* Vgl. Lassen a. a. 0. p. 795 flg.; Duncker a a. 0. p. 313. 329 3 S. Lassen, Ind. Alt. p. 7% Anm.

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haben hier also einen festen Ausgangspunkt und können kaum daran zweifeln, dass mit dem Herakles der Krishna -Vishnu der Inder gemeint ist; dazu stimmen nun auch die übrigen Angaben.

Wenn es bei den Griechen heisst, dass der indische Herakles Erde und Meer von üebein, bösen Thieren und der- gleichen gereinigt habe, so werden wir uns alsbald erinnern, dass von Krishna in der That ähnliche Heldenthaten berichtet wurden: Tödtung eines wilden Stiers, eines bösen Dämon u. dgl. m. Vielleicht wurden auch die Heldenthaten des Rama dem noch hinzugefügt, denn auch er war ja Vishnu. Wenn Megasthenes berichtet, dass dem Herakles nach seinem Tode göttliche Ver- ehrung zu Theil geworden sei, so stimmt das ganz zu der Person des Krishna, der ja auch als menschlicher Held auf Erden gelebt und dann nachher als Heros göttlich verehrt und mit dem grossen Grotte Vishnu zu einer Person verschmolzen wurde Der indische Herakles trug nach Megasthenes Keule und Löwenhaut; und in der That wird Krishna mit einer Keule bewaffnet gedacht, weswegen er auch Gadädhara oder Gadäbhrit, der Keulenträger, heisst. Die Keule des Vishnu -Krishna ist ihm von Varuna verehrt und trägt den Namen Kaumodaki. 1 Krishna's Volk, die Yadava, trugen als Waffe die Keule. Ä Wenn Megasthenes dem indischen Herakles auch die Löwenhaut zu- schreibt, so beruht das vielleicht auf einer Ausschmückung, die den indischen Herakles dem griechischen ähnlich zu machen strebt Bei den Indern vermag ich diesen Zug wenigstens nicht nachzuweisen. Vielleicht aber dürfte auch Vishnu's Er- scheinung als Nrisimha oder Mannlöwe darauf von Einfluss ge- wesen sein.*

Wenn Megasthenes sagt, dass der indische Herakles viele Frauen und von diesen viele Söhne gehabt habe, so passt auch dies auf Krishna, den üppig erotisch angelegten Weiberfreund, von dem das Vishnu-Purana berichtet, er habe 16100 Frauen gehabt und mit diesen 180000 Söhne erzeugt4

Mit den Königsgeschlechtern, welche durch Söhne des indischen Herakles begründet sein sollen, sind wohl die Pan<}ava- Geschlechter gemeint, welche in mehreren Gegenden Indiens

1 Vgl das Petersburger Wörterbuch unter diesem Worte. 9 S. Duncker a. a. 0. p. 329.

* Oder darf auch daran noch erinnert werden, dass die (ibi, bei welchen gerade der indische Herakles verehrt wurde, Thierfelle und Keulen trugen? Vgl. oben p. 361.

4 S. Lassen a. a. 0. 1Ä, p. 797 Anm.

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herrschten. Die Pandava oder Panduiden stehen nach der indischen Sage im nächsten Zusammenhang mit Krishna und dessen Cultus, wenn sie seine bonne an-

gesehen werden.

Merkwürdig und ebenfalls hierher gehörig ist das, was Megasthenes von der einzigen Tochter des Herakles, Uav6cur\ mit Namen, erzählt Er berichtet nämlich, Herakles habe dieser Tochter die am südlichen Meere gelegenen Gebiete von Indien geschenkt und sie dort als Herrscherin eingesetzt. Auch habe er im Meere einen weiblichen Schmuck, Perlen nämlich, gefunden; habe alle Perlen aus dem indischen Meere gesammelt und dieselben seiner Tochter zum Schmuck gebracht Als er seinen Tod herannahen sah und keinen Mann wusste, den er der Tochter geben sollte, machte er sie, die erst siebenjährige, mannbar und erzeugte mit ihr das königliche Geschlecht des Landes, das er ihr geschenkt und das er nach ihr Pandaia benannte. Von jener Zeit an sollen die Mädchen dieses Lan- des den Vorzug gehabt haben, so früh mannbar zu werden. Die Früchte reiften und welkten dort früher als in anderen Theilen Indiens; die ältesten Leute wurden nicht über 40 Jahre alt; es lag am südlichen Meere und von dorther kamen die Perlen.1

Der Name dieser Tochter IJavöaitf hängt nun offenbar wieder mit dem Geschlechte der Pandava zusammen und stimmt zu dessen Namen besonders in Ableitungsformen wie Pandavya, Pandaviya. Und nun finden wir in der That ganz im Süden Indiens das Reich der Pandya, welche Namensform wohl, wie Lassen annimmt, durch Einfluss einer dekhanischen Sprache aus PancJ&vya verstümmelt worden ist Es kann kaum daran ge- zweifelt werden, dass dieses südliche Pandya-Reich eben jenes Reich Pandaia ist, von welchem Megasthenes berichtet Offenbar hatte sich zu jener Zeit in Indien die Tradition von der Stiftung des südlichen Pandya- Reiches durch die Panduiden erhalten, und dieser Zusammenhang wird in überraschender Weise be- stätigt durch die Thatsache, dass die Hauptstadt des Pamjya- Reiches auch den Namen Mathura trug, also ebenso hiess wie die alte Hauptstadt der Yadava, wo der Ursprung und Mittel- punkt des Krishna- Dienstes zu suchen ist, und die nach den im Mahabharata geschilderten grossen Kämpfen den Pänc-uiden gehörte! Auch wird in der einheimischen Geschichte des Landes eine der späteren Dynastieen in der Eigenschaft von

1 S. Lassen, a. a. 0. I* p. 797.

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Unterkönigen im Reiche der Nachfolger jener Panduiden vor- geführt.1

Was die Erzählung von dem Perlenschmuck betrifft, den Herakles seiner Tochter aus dem Meere geholt haben soll, so lasst sich daran erinnern, dass zu den Heldenthaten des Krishna auch die Bezwingung des Riesen Paäcajana gehörte, welcher im Meere in Gestalt einer Seemuschel lebte.2 Vishnu heisst bei den Indern der Träger der Muschel, der Herr des Juwels» und die Perlenfischerei kann allein im südindischen Meere, zwischen Mathurä und Ceylon, betrieben werden.

Wenn Megasthenes erzählt, dass die Tochter des Herakles im siebenten Jahre mannbar gemacht wurde und dass dies auch weiterhin den Mädchen des Landes geblieben sei, so ist auch diese letztere Thatsache keine Erfindung, sondern die Folge der sehr südlichen Lage des Landes, das sich ja stark dem Aequator nähert.

Auf eine weitere Untersuchung der Frage, welche Gestalt . aus der indischen Sage diese Uardaitj repräsentire, ist es wohl nicht nöthig, näher einzugehen. Es genügt, dass die Zusammen- hänge durchaus deutlich sind und der indische Herakles bei Megasthenes sich unzweifelhaft als der indische Vishnu-Krishna, darstellt.

Schon fünfzehn Menschenalter früher, als Herakles so berichten die Griechen soll Dionysos in Indien gewesen sein und den Indern den Ackerbau und Weinbau gelehrt haben; auch soll er das Königthum gegründet und die Inder gelehrt haben, die Mitra zu tragen und den Kordax, einen bakchischen Tanz, zu tanzen.3

Megasthenes sagt, dass die Inder in den Bergen den Dio- nysos verehrten, wie die in der Ebene, d. h. im Gangeslande, den Herakles. Diese Angabe legt uns die Vermuthung nahe, dass die Griechen unter dem „indischen Dionysos" den Qiva verstanden, denn wie im Gangeslande Vishnu -Krishna verehrt wurde, so war doch das indische Bergland, welches die Griechen kennen lernten, der westliche Himalaya, der Hauptsitz des Civa- Dienstes.

Wir kennen ja £iva bereits als den Herrn der Berge, über dessen Haupt der Grnges herabströmt, dessen Gemahlin Parvati

I Vgl. Lassen, a. a. 0. Ia, p. 798.

» Vgl. Lassen, a. a. 0. I*, p. 798 Anm. Vishnu-Pur. p. 562.

II Duncker a. a. 0. p. 325; Arrian Ind. 7. Diod. 2, 38. 39. Pol} strateg. 1,1.

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„die Berggeborene** war; der Gott der wilden Stürme, die das Hochgebirge durchbrausten.

Diese Ansicht ist denn auch schon lange als wahrscheinlich erkannt; immerhin aber erscheint es auffällig, wie die'Griechen dazu kamen, in Qiva gerade ihren Gott Dionysos zu suchen, denn die Vergleichungspunkte sind hier doch anscheinend nur dürftige, und jedenfalls viel geringer als zwischen Herakles und Vishnu-Krishna.

Bei näherer Untersuchung ergeben sich indessen doch eine Reihe von Punkten, die jene Identificirung, bei dem allgemeinen Hang der Griechen, ihre Götter bei fremden Völkern wieder- zufinden, nicht so unnatürlich erscheinen lassen.

Der Rudra-4Jiva der Inder war ein stürmischer und wilder Gott Auch sein Cultus hatte Züge der Wildheit in sich,, die bis zur Bohheit und Unsittlichkert sich steigern konnten. Ein stürmischer Gott War auch Dionysos, wild und schwärmerisch war sein Cultus. Rudra-Qiva wurde als Herr der Berge an- gerufen, ebenso wie Dionysos; und auch in Rudra-Qiva's Per- sönlichkeit lag eine deutliche Beziehung zum Wachsthum, zur Fruchtbarkeit, zur zeugenden Kraft in der Natur.4

Dazu kamen nun wohl noch ganz specielle locale Eindrücke, die die Griechen in dieser Identification bestärkten.

Von Nordwesten kommend betraten sie zuerst das bergige Land der Acvaka, welche nördlich vom Kabul-Strome ansässig waren. Dort fanden sie den Weinstock wild wachsen, der mit Ausnahme von einigen Gebieten am Indusflusse in Indien nicht recht gedeiht. Die Bewohner der Ganges-Ebene tranken keinen Wein, dagegen berichten noch neuere Reisende, dass einige Stämme im Hindukusch den Wein, der reichlich im Gebirge gedeihe, sehr lieben und ein fröhliches Leben führen * Die Griechen werden nach dem Grotte gefragt haben, der hier ver- ehrt werde, und wenn ihnen dann der Name des fiva, des stürmischen, wilden Gottes genannt wurde, wenn ihnen auf die Frage, wer den Wein hierher gebracht und ihnen diesen Segen geschenkt, wieder Qiya, der Gott der Fruchtbarkeit genannt wurde, so konnten sie wohl veranlasst sein, diesen Qiva für ihren Dionysos zu halten, um so mehr, als auch der Cult des indischen Gottes dem des griechischen ähnlich war; wenigstens erzählt Megasthenes ausdrücklich von den Festen zu Ehren dieses Gottes, den Aufzügen, bei denen Könige Glocken tragend

1 VgL Duncker, ». a. 0. p. 328.

1 VfL Duncker, a. a. 0. p*. 328. 329.

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und Pauken schlagend mitzogen, die Leute gesalbt und be- kränzt.

Nun berichten die Griechen ferner, dass zum Alexander, als er im Lande der Acvaka weilte, eine Gesandtschaft der Nysaeer gekommen sei, mit der Mittheilung, dass Dionysos ihre Stadt gegründet, ihr den Namen Nysa gegeben und den Berg in der Nähe Meron genannt habe. Mit dem gräcisirten Namen der Nysaeer ist aller Wahrscheinlichkeit nach der in- dische Stamm der Nishada gemeint, die vermnthlich* dem giva dienten; und. auf die Frage nach den Sitzen des Gottes werden sie den Namen des berühmten indischen Götterberges Meru genannt haben, der offenbar mit dem Meron der Griechen bezeichnet ist. ,

„Die Griechen sagt Duncker in seiner Geschichte des Alterthums 1 sahen in den Thälern und Bergen der Acvaka den Weinstock wild wachsen, die dichten Ranken einer dem Epheu ähnlichen Schlingpflanze, Myrthe, Lorbeer, Buxbaum und anderes Immergrün, neben üppigem Obstwuchs, eine Vege- tation, die sie an die Heimath und die heiligen Stätten des Dionysos gemahnte. Als sie im Hindukusch den indischen Namen des Stammes Nishada hörten und dazu den Namen des Götterberges Meru vernahmen, der den Indern jenseit des Himälaya lag (die höchsten Gipfel waren ihnen der Südabhang des Götter berges), da war kein Zweifel mehr, dass der Gott von Nysa, der in der nysäischen Höhle, auf den nysäiscben Bergen gross geworden, wie er die übrigen Völker von Klein- asien bis zum Euphrat hin bezwungen haben sollte, so auch einst nach Indien gezogen sei. So wurde der nysäische Berg, der den Griechen zuerst in Boeotien und Thrakien lag, dann an die Grenze Aegyptens, dann nach Arabien und Aethiopien gerückt worden war, auch nach Indien verlegt Den Griechen waren die Nishada Nysaeer, und ihre Stadt hiess alsbald Nysa; sie waren sofort überzeugt, dass der Meru von Dionysos oder zu Ehren des Dionysos, den sein göttlicher Vater einst in den Schenkel (prjQoq) geborgen, den Namen erhalten habe."

„Es kam dazu fahrt Duncker weiter fort dass die Auszüge der indischen Fürsten zu den Opfern und zur Jagd die Griechen an die dionysischen Pröcessionen der Heimath erinnerten. Sie vernahmen den Lärm der Pauken, Cymbeln und Becken; sie sahen die Menge der königlichen Weiber mit ihren Dienerinnen in diesen Zügen, den König und seine Um-

* UI*, p. 827.

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gebung in ihren langen, bunten, geblümten Gewändern mit Turbanen auf dem Haupte, die sie an die Stirnbinde des Dio- nysos erinnerten; sie sahen grosse Schalen und Becher, die Schätze der königlichen Paläste, endlich Löwen und Panther, die Thiere des Dionysos, in diesen Zügen aufgeführt; man sah gefärbte Gesiebter und Barte, wie die Hellenen an den Feston des Dionysos das Gesicht zu bemalen pflegten."1

Alle diese Eindrücke zusammen brachten die Griechen dazu, in dem Gotte £iva ihren Dionysos zu finden, und wenn sie den Cult desselben auf die Berge beschränken, so ist daran ' zu erinnern, dass sie ja nicht ganz Indien kennen lernten, sondern wesentlich nur den westlichen Himalaya, das Indusland und die Ebene des oberen Ganges und der Yamuna; und in diesen Gebieten vertheilte sich che Verehrung des Vishnu und Qiva der Hauptsache nach wirklich in der von den Griechen angegebenen Weise.

Wir können nach alledem aus den griechischen Nachrichten jedenfalls wohl schliessen, dass im Jahre 300 vor Chr. der Cult des Rudra-Qiva und der des Vishnu als höchster Götter bereits ganz in den Vordergrund getreten war, dass der erstere im Bergkrid, der letztere in der Ganges-Ebene verehrt wurde, und dass schon damals der Heros Krishna, vielleicht auch Rama, als Incarnatiön Vishnu s angesehen und göttlich verehrt wurde.

Bei dem Stande der indischen Chronologie ist auch dies schon ein Resultat von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

1 & Duncker, a. a. 0. p. 327. 328.

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Sechsundzwanzigste Vorlesung.

Die den drei grossen Göttern untergeordneten Göttergestalten. Die acht Lok&p&l*. Indra, der Götterkönig Sein Himmel und sein Hofstaat Gandhar?en, Apsarasen. Kinnara's und Carana's. Siddha'ß und Vidyi- dhara's. Yama, der Todesgott. Varuna, der Wassergott. Kubera, der Gott des Reichthums. Agni, Surya, Vayu, Sorna. Gaoega, der Gott der Klugheit und der Wissenschaften. Skanda, der Kriegsgott. Kama, der Gott der Liebe. Die Schlangengötter. Niedere Gottheiten, Genien, Geister, Gespenster und Riesen. Tempel und Götterbilder.

Unter den drei grossen Göttern Brahma, Vishnu und Qiva stehen in dem Göttersystem des indischen Mittelalters noch als hervorragende Gestalten die acht Lokapala oder Welthüter, von denen ein jeder als Schirmherr einer bestimmten Weltgegend gedacht wird. Die meisten dieser Götter stammen noch aus der vedischen Zeit, wenn sich ihr Charakter und Aussehen auch zum Theil nicht unwesentlich verändert hat; nur Kub6ra, der Gott des Reich thums, ist im Veda noch nicht vorhanden. Die acht Lokapala sind folgende: Indra, Yama, Varuna, Kubera, Agni, Sürya, Vayu und Sorna.

Indra wird als Hüter des Ostens gedacht, weil dies die vorzüglichste Weltgegend ist und er unter den genannten Göttern den höchsten Rang einnimmt Yama ist der Hüter der südlichen Weltgegend, wo die Unterwelt als feuriger Ort gedacht wird. Varuna hütet den Westen, wo den Indern das Weltmeer gelegen war. Kub6ra, der Gott des Reichthums, waltet im Norden, weil dort die goldhaltigen Berge sich be- finden. Die anderen vier Götter werden als Hüter der vier Zwischengegenden gedacht.

Der hervorragendste unter diesen Göttern ist jedenfalls Indra, der seit der Zeit des Rigveda ein beliebter Volksgott geblieben war, wenn auch seine Bedeutung im Laufe der Jahr-

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hunderte gradatim sich verringerte.1 Jene vedische Zeit der beständigen Kämpfe und Fehdezüge hatte den Dämonentödter zum obersten und belebtesten Gott gemacht; aber friedlichere, ruhigere Zeiten liessen den Helfer im Kampf nicht mehr so wichtig erscheinen und machten es möglich, dass andere Er- scheinungen in den Vordergrund traten und ihn verdunkelten. Noch hoisst er der Götterkönig und nimmt den Thronsitz in seinem Himmel ein, aber er wird doch den drei grossen Göttern untergeordnet gedacht.

Zwar ist Indra noch immer der muthige Held, der auf dem Streitwagen dahinfährt, mit dem Donnerkeil bewaffnet, Dämonen und Götterfeinde bekämpfend. Aber es bildet dies nicht mehr so ausschliesslich sein Wesen, wie in den Tedischen Gesängen. Auch er ist in einen friedlicheren Zustand versetzt worden, dessen er sich mit Behagen erfreut. Noch schmückt ihn der altberühmte Donnerkeil, aber es ist dies doch nicht mehr jene gefeierte, immer und unwiderstehlich siegreiche Waffe, von der die Lieder des Veda sangen, deren gewaltige Macht sie nicht aufhören konnten zu preisen, von der man Heil, Ge- deihen und Sieg erhoffte. Nicht selten erbittet sich Indra jetzt, weil er allein mit den Feinden nicht fertig werden kann, die Hülfe Anderer, auch irdischer Helden und Könige, die er auf seinem Wagen zum Dämonenkampfe abholen lässt Auch sind ihm im Laufe der Zeit gefährlichere Feinde als die alten Dämonen in den frommen Büssern und Heiligen erwachsen, die ihn vor der Macht ihrer Busse erzittern lassen. Betrug und Mord wendet der Götterkönig ebenso an wie die Lockungen der Sinnenlust, um sich dieser gefährlichen Gegner zu ent- ledigen.

Gewissermassen als Ersatz für all diese Einbusse an Macht und Bedeutung hat Indra nun seinen prächtigen Sitz im lndra- Himmel, dem Svarga, erhalten, wo er haust in Glanz und Ueppigkeit nach Art eines irdischen Königs, wovon in der alten Zeit noch nicht die Rede war. Wenn der beständig kämpfende vedische Indra das ideale Abbild der streitbaren Fürsten und Herzöge der noch nicht sesshaft gewordenen vedischen Stämme darstellte, so erkennen wir in dem Bilde des mittelalterlichen Gott Indra in seinem Himmel die mächtigen prunkliebenden Könige des indischen Mittelalters in ihren sicheren, prächtigen, üppigen Residenzen wieder. Noch ist Indra der Herr der

1 Ueber „Indra nach den Vorstellungen des Mah&bhärata" vgl man A. Holtsmann, Ztschr. d. D. M. 0. Bd. XXXIII, p. 290 flg.

t. 8ekr«d«r, lad. Lit. «. Ctlt. 24

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Maruts, der streitbaren Sturmgötter, seiner alten Genossen und Helfer im Kampfe, aber neben diesen nmgiebt ihn jetzt ein andersartiges Gefolge, ein grosser Hofstaat von Genien und halbgöttlichen Wesen aller Art, von Gand harren und Apsarasen, Siddha's, Sadhya's, Carana's u. 8. w., entsprechend dem üppigen Hofstaat der indischen Fürsten. Neben dem alten Streitwagen besteigt er nicht selten den Elephanten, das Reitthier der in- dischen Könige.1

Der Palast des Indra befindet sich in der himmlischen Stadt Amaravati, zu welcher auch der herrliche Lusthain Nan- dana gehört Dort sitzt der Götterkönig mit seiner Gemahlin Caci auf dem Throne, umgeben von seinem Gefolge, während Uandharven und Apsarasen ihn mit Lobgesängen feiern, mit Musik und Tanz ihn ergötzen. Helden und himmlische Weise besuchen ihn dort Dort waltet ungetrübte Seligkeit, überall blühen und reifen himmlische Bäume, und herrliche Sitze laden zur Ruhe ein. f

Sehen wir uns den Hofstaat des Indra ein wenig näher an.

Da treten vor Allem Gandharven und Apsarasen stark hervor, deren Gestalten in der vedischen Poesie noch nicht in näherer Beziehung zu Indra stehen.

Im Veda ist in der Regel von einem Gandharven die Rede, er erscheint als Finder und Hüter des himmlischen Sorna und steht jedenfalls zum Luftmeer in naher Beziehung. Der Himmel des epischen Indra kennt Gandharveu m grosser Anzahl. Es sind üppige Halbgötter, die sich besonders durch ihre Kennt» niss der Musik und des Gesanges hervorthun und den erotischen Freuden sehr ergeben sind.2 Sie erscheinen besonders als Be- sitzer von göttlichen Pferden, zugleich als Kampfer in Indra's Schlachten.' Sie werden von einem Gandharven -Könige be- herrscht und haben einen besonderen Wohnsitz im Norden, in der Nähe des Man asa- Sees, wo sie von Kubera's Sitz nicht weit entfernt sind. Viele Einzelheiten sprechen dafür, dass

1 Der Elephant des Indra heisst Airavata. In der alten vedischen Zeit ist der Elephant als Reitthier noch durchaus unbekannt, derselbe gehört aber spater sehr wesentlich zu dem Pompe, welchen die indischen Herrscher entfalten.

8 Als Frauenliebhaber werden die Gandharven schon in den ältesten Brahmana-Texten, den prosaischen Theilen des Yajurveda, gekennzeichnet; vgl. Maitr. 8. 3, 7, 3 strlkama vai gandharvah.

* Ihro Gestalt ist bisweilen eine halb oder theilweise thierische. Die Kirtmaras, welche in der epischen Poesie erscheinen und zu den Gandharven gerechuet werden, sind Dämonen mit Pferdeköpfen.

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Adalbert Kuhn Recht hatte, die Gandharveii mit den grie- chischen Kentauren zu identificiren, die ja auch Pferdgötter sind, ein streitbares Volk, das die Frauen sehr liebt. Kenntniss der Musik wird wenigstens dem berühmtesten unter den Ken- tauren, dem Cheiron, nachgerühmt Wie die Gandharven Närada und Tumbu ru, so ist er ein halbgöttlicher Lehrer der musi- kalischen Kunst. Es liegt allerdings eine lautliche Schwierigkeit bei der Zusammenstellung der Worte Gandharva und Kentauros vor, aber dieselbe läset sich wohl durch Annahme von Volks- etymologie und Anlehnung des griechischen Namens an das Wort xavQoq „der Stier** wegräumen.1

Neben den Gandharven gehören zum Hofstaat des epischen Indra vor Allem die Apsarasen, üppig-schöne halbgöttliche Weiber, die zu den Gandharven in den intimsten Beziehungen stoben, untrennbar mit ihnen verbunden sind.2 Der Name Ap- saras bedeutet nach meiner Ansicht ursprünglich wohl „im Wasser sich bewegend4*, von ap „das Wasser** und sar „sioh bewegen**.8 Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Apsarasen ursprünglich Göttinnen der Wolken und des Wolkenwassors, himmlische Wasserfrauen, dann Nixen und Nymphen. Als solche treten sie z. B. in einer märchenhaften Sage des Qatapatha- Brahmana hervor, wo sie ganz die Rolle der germanischen ßchwanenjungfrauen spielen.4 Dort erscheint die berühmte Urvacl wieder, die uns schon im Rigveda als Geliebte des Pururavas begegnet.6

1 Man vgl. übrigens die Arbeit von Elard Hugo Meyer, Gan- dharven-Kentauren (Berlin 1883), in welcher die ursprüngliche Iden- tität dieser zwei Gruppen von Halbgöttern mit Recht festgehalten und ihre Verwandtschaft eingehend untersucht wird. Die Deutung der Gan- dharven-Kentauren als ursprüngliche Windgötter hat Vieles für sich.

* „Beide Namen gehören zusammen wie Satyrn und Nvmphen, Nereiden und Tritonen." 8. Holtzmann Ztschr. d. D. M. G. XXXIII, p. 685.

* Diese Etymologie findet sich übrigens schon bei den Indern. Vgl. Holtzmann, „Die Apsaraa nach dem Mahabharata", Ztscbt*d. D. M. G. Bd. XXXIII, p. 688. Einige europaische Gelehrten haben andere Ety- mologieen versucht, die Ich hier wohl Übergehen darf. Vgl. E. H.Meyer a. a. 0. p. 183.

* Qat Br. 11, 5, 1, 4—6. Urvacl und mehrere ihrer Genossinnen erscheinen dort dem Pururavas als Wasservögel (atayah) im Wasser schwimmend; dann nehmen sie ihre wahre Gestalt an und Purüravas erkennt, nun die verlorene Geliebte.

* RV 10, 9B. Sie dort als Morgenröthe zu deuten, liegt kein ge nügender Grund vor. Wahrscheinlicher ist eine ursprüngliche Identität des Pururavas mit Peleus, dem Geliebten der Nereide Thetis. Vgl E. H. Meyer a. a. 0. p. 184.

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Dio Verbindung der Apsarasen mit den Gandharven ist uralt, denn schon im Rigveda erscheinen sie mit einander ver- mählt. Auch dort ist ihre Beziehung zum Wasser, zum Luft- meer erkennbar, und wenn in den Hymnen von dem Gandharven und dem Wasserweib oder den Wasserweibern geredet wird, so sind mit den letzteren die Apsarasen gemeint1

Die Yajurveden zählen eine Menge von Apsarasen mit Namen auf.

In der mittelalterlichen Poesie ist bei den Apsarasen die sinnliche Schönheit, das erotische Element ganz in den Vorder- grund getreten. Es sind verführerisch schöne, üppige Weiber, die Buhlerinnen in der Residenz des Götterkönigs, die in- dischen Houris. Ihre Lotusaugen, ihr langes, schön gelocktes, mit Blumen geschmücktes Haar, ihre schwellenden Brüste und Hüften werden oft gepriesen.* Durch Tanz, Musik und fröh- liches Lachen erheitern sie den Götterkönig. Sie besingen preisend seine Helden thaten, sie bedienen und umtanzen ihn und begleiten ihn in hellleuchtenden Wagen, wenn er ausfahrt; sie werden geradezu die Madchen des Indra genannt3 Sie wohnen in Indra's Himmel und halten sich besonders gern im Lusthain Nandana auf. An der Gaiigä dos Himmels stehen ihre goldenen Paläste, an himmlischen Seen und Teichen wan- deln sie im Verein mit frommen Verstorbenen.* „Dem Helden, welcher in der Schlacht gefallen ist sagt Indra laufen Tausend c der schönsten Apsaras ' entgegen und rufen:. Sei da mein Gatte." Wer eifrig fastet und wallfahrtet, dem wird als Lohn dereinst das Zusammenleben mit den schönen Apsaras verheissen.6

Bisweilen steigen die Apsarasen auch zur Erde nieder und lassen sich nach Gefallen in zeitweilige Liebesbündnisse mit hervorragenden Sterblichen, Königen und Helden ein. Insbe- sondere werden sie auch ihrer sinnlichen Vollkommenheit wegen

1 So sagt z. B. Yama zur Yami (RV 10, 10, 4): Der Gandharve in den Wassern und das Wasserweib, das sind unsere nächsten Verwandten (gandharvo apsv apya ca'yosha). Desgl. RV 10, 11, 2 (gandharvlr apya ca yoshana). Aach die Apsaras Urvact scheint dies Epitheton - zu er- halten RV 10, 95, 10. Die „Wasserweiber" erscheinen auch RV 3, 56, 5. Die ursprüngliche Identität der Apsarasen und der Nereiden findet man bei E. H. Meyer a, a. 0. p. 183 flg. naher beleuchtet.

* Vgl. Ad. Holtzmann, a. a. 0. p. 631. 8 Vgl. Holtzmann, a. a. 0. p. 634.

* Vgl. Holtzmann, a. a. 0. p. 640.

5 Durchaus an Mohammeds Himmel erinnernd. Vfel. Holtzmann, a. a. 0. p. 642.

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Ton Indra gerne zu delikaten Missionen benutzt/ aus welchen man deutlich sieht» wie sehr der ganze Götterstaat in sittlicher Beziehung in den Augen der Inder gesunken war. Wenn ein frommer Büsser in seinen Kasteiungen allzu energisch und aus- dauernd ist und durch dieselben endlich so grosse Macht er- langt, dass selbst die Götter in Angst und Schrecken gerathen, dann wird ihm in der Regel eine recht verführerische Apsaras zugesandt, die ihn zur Sinnenlust verlockt und so das Ver- dienst seiner Busse schmälert oder vernichtet Nach voll- brachter Lust wird die schöne Sünderin dann bisweilen von dem erzürnten Büsser, wie er den Schaden gewahr wird, ver- flucht, aber die Absicht der Götter ist dennoch erreicht

Zu den Genien und halbgöttlichen Wesen, welche den Himmel des Indra bevölkern, gehören auch die Kimnara's, die halb Mensch halb Thier mit Pferdeköpfen gedacht, auch zu den Gandharven gezählt und wie diese als Sänger gerühmt werden; desgleichen die Carana's, welche ebenfalls himm- lische Sänger sind. Ferner die Siddha's,1 die Vollendeten oder Glückseligen, eine Klasse von Halbgöttern, denen über- natürliche Kräfte, besonders das Fliegen durch den Luftraum zugeschrieben wurde. Ferner auch die Vidyadhara's, Luft- genien, die auch im Gefolge des Civa im Himalaja wohnen und im Besitze der Zauberkunst Btehen u. dgl. m.

Der Himmel des Indra war das Ideal der Helden und Könige. Dorthin hofften sie nach dem Tode zu gelangen, und in den epischen Gedichten, die in erster Linie für Krieger und Könige berechnet waren, spielt der Indra- Himmel eine grosse Rolle. „Wer ohne zu fliehen in der Schlacht den Tod findet, kommt in den Palast des Indra zu ewiger Freude4*, heisst et? im Mahabharata.1 In der Schlacht sterben heisst „den Indra -Weg gehen". „Jetzt werde ich dem Indra einen Gast schicken4«, ruft Arjuna, indem er den Bhagadatta tödtet Und vor der Schlacht erinnert der Heerführer die Krieger, dass nun wieder dem Tapfern die Pforten zum Paradies des Indra geöffnet seien.8

Ja in der mittelalterlichen Poesie, die so reich ist an phantastischen, märchenhaften Zügen, besteht sogar bei Leb- zeiten der Könige und Helden ein harmloser und ungezwungener Verkehr zwischen ihnen und Indra, der seinen Götterwagen mit

1 Vgl. das Petersb. Wort, b. v. 2. sidh, partic. * Vgl. Holtmann a. a. 0. p. 322. 9 Vgl Holtzmann a. a. 0.

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dem Wagenlfcnker Matali aussendet, um bewährte Kämpfer zum Beistand in der Schlacht gegen die Götterfeinde abzuholen, aber auch ohne solchen Anläse die tapferen Helden gerne bei sich sieht So wird z. B, Dushyanta in der QakuntaJA ab- geholt, während Arjuna im MahÄbhärata dem Indra in seinem Himmel einen Besuch abstattet1

Gehen wir nun auch auf die übrigen Lokapala noch etwas Daher ein, so ist zunächst Yama, der Hüter der südlichen Weitgegend, keineswegs mehr jener selige König Yama im lichten Himmelsraum, zu dem sich die Frommen in der vedi- dischen Zeit sehnten, der Erste der Gestorbenen, der mit den Vätern unter einem schönbelaubten Baume zecht, nein, dieser mittelalterliche Yama ist der Gott des Todes mit allen seinen Schrecken, der Herrscher in der Unterwelt, wo die Sünden mit unzähligen Martern gestraft werden. Im Maha- bharata erscheint Yama der Savitri als ein Mann von furcht- erregendem Aussehen, in rothem Gewände, schwarz, gelb und rothäugig, in der Hand einen Strick, mit dem er die Seele ans dem Leibe des Todten zieht* Immer schrecklicher malte mit der Zeit die Phantasie das Bild des Todesgottes aus und grausen- voll sind die mannigfaltigen Qualen, die z. B. nach dem Gesetz- buch des Manu in Yama's Reich den Sündigen erwarten.

Varuna, der Lokapala des Westens, ist längst nicht mehr der hohe, reine Himmelsgott, der heilige, den einst Vasishtha pries. Er ist herabgesunken zum blossen Gotte der Gewässer, etwa einem griechischen Moergott zu vergleichen. Man hat indessen früher mit Unrecht angenommen, dass diese Beziehung dee Varuna zu den Gewässern ihm erst ganz spät zuertheilt worden sei. Schon im Veda das hat namentlich Alfred Hillebrandt deutlich gemacht9 erscheint er als ein Herr der Gewässer, insbesondere der Wolkenwasser, in deren Mitte er, der König, wandelt* Er war es auch, der die Flüsse auf Erden strömen Hess. Er taucht in's Meer hinab und herrscht in der Tiefe, wie droben in der Höhe. Die Krankheit, die er als Strafe zu senden pflegte, war die Wassersucht Von all den schönen und reichen Zügen, die das Wesen des vedischen Gott Varuna ausmachten, ist ihm nur noch diese verhältniss-

1 Diesen Besuch schildert die von Bopp edirte Episode des Maha- bharata „Indralokagamanam" oder Arjuna s Reise tu Indra'i Himmel. Näheres Qber dieselbe s. unter Vorlesung XXXIV.

1 Die 8eele in Gestalt eines daumengrossen Mannchens (puroshaV

In seiner Schrift „Varuna und Mitra", Breslau 1877, p. 83 flg.

* 8. RV 7, 49, 8.

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mäagig nebensächliche Beziehung zum Wasser geblieben. Allee Andere ist dem einst so gefeierten König des Himmels und der Erde geraubt Eine gesunkene Grösse waltet er in der einzig ihm gelassenen Domäne, im Meere des Westens. Noch tragt er freilich jene Schlinge in der Hand, mit der er einst im Veda die Bösen fesselte, vor der die Sünder sich fürchteten. Aber diese Furchtbarkeit ist jetzt geschwunden. Kaum ver- steht man noch die Bedeutung dieser Schlinge; der altgewor- dene Gott trägt sie in der Hand wie ein Emblem, ein müssiges Beiwerk.

Kuvära oder Kubera,1 der Gott des Reichthums, der Hüter der nördlichen Weltgegend, war nach Rath ursprünglich wohl ein Erdgeist, der in der Tiefe, im Dunkel der Erde waltete und die metallischen Schätze hütete. Er wird zwerg- haft, missgestaltet gedacht; schon sein Name soll dies anzeigen.1 Diese Missgestalt des Kubera erklärt sich gerade aus der An- nahme, dass er eigentlich als Erdgeist in den Höhlen und Schlüften der Erde lebte. Man braucht dabei wohl nur an die germanischen Zwerge zu erinnern. Kubera residirt auf dem Berg Kailasa im Himalaja. Seine Untergebenen sind die Yaksha'8, eine besondere Klasse dämonischer oder halbgött- licher Wesen.8

Die vier Hüter der Zwischengegenden, Agni, Sürja, Vayu und Sorna, sind sämmtlich die bekannten vedischen Götter, nur in verblasster Gestalt.

Wir haben nun noch eine Reihe von anderen Göttern und göttlichen Wesen zu nennen, die zum grössten Theil in der alten Zeit noch nicht vorhanden waren. Vor Allem drei wich- tige Götter: Ganeca, Skanda oder Karttikeya, und Kama oder Kamadeva.

Ganec,a gilt als ein Sohn des (Jiva und seiner Gemahlin, der Parvati. Sein Name, für den auch das gleichbedeutende (xanapati gebraucht wird, bedeutet eigentlich Schaarenherr, An- führer der Schaaren; er ist der Anfuhrer von Civa's Gefolge. Ganeca ist der Gott der Klugheit und der Wissenschaften, darum finden wir meist am Eingang der indischen Schriftwerke eine Aiirufung dieses Gottes.4 Seine bildliche Darstellung ist

1 Aach Vaicravana genannt, weil er Sohn des Vi;ravas ist

* Nach den indischen Lexicographen von ka and vera „Körper** 1

s Der berühmte Meghadftta oder „Wolkenbote" des Kalidasa ist

das Lied der Sehnsucht eines Yaksha.

4 criganec&ya namafc „Verehrung dem heiligen Ganeca!" u. dgl.

Auch namab ganeciyu vighnecvaraya „Verehrung Ganeca', dorn Herrn

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sehr abschreckend. Er tragt das Gesicht eines Elephantea, wahrscheinlich weil der Elephant für das klügste Thier gilt; hat nur einen Zahn und einen Hängebauch. Dazu reitet er auf einer Ratte, wahrscheinlich weil dieses Thier in die Ter- borgenen Schlupfwinkel eindringt Die Schaaren des Qiva, welche Ganeca anfuhrt, waren ursprünglich wohl koboldartige Berg- geister, und damit dürfte es in Zusammenhang stehen, dass ihm gerade die in verborgenen Gängen umherschlüpfende Ratte heilig ist. Uebrigens wird auch der Irrsinn von Ganeca be- wirkt, wahrscheinlich weil er, als der Gott der Klugheit, wenn er übelwollend ist, diese dem Menschen rauben kann. Bis auf den heutigen Tag geniesst dieser Gott in Indien noch viel Verehrung.*

Skanda oder Karttikeya gilt ebenfalls als ein Sohn des Qiva, nach anderen Angaben freilich als Sohn des Agni Er ist der indische Kriegsgott, der Heerführer der Götter.1 Man stellt ihn auf einem Pfauen reitend dar. Der Kau ist dem Inder ein kriegerischer Vogel, weil er das kleine giftige Gewürm vertilgt, nicht Sinnbild der Eitelkeit wie bei uns. Der Name Skanda bedeutet „der Ueberfaller". Auch gilt dieser Gott als ein ewiger Jüngling und wird darum Kumara oder Sanatkumara genannt

Käma oder Kamadeva ist der Gott der Liebe, der in- dische Eros, ein Sohn Dharma's;» er ist Gemahl der Rati, d. h. der Wollust Auch er tritt verhältnissmässig spät auf, ist aber in der mittelalterlichen Literatur einer der beliebtesten und häufigst vorkommenden Götter. Man stellt ihn als einen Knaben dar, mit Pfeil und Bogen bewehrt, einen Köcher auf

über die Hindernisse'4. Den letzteren Namen erhalt er, weil es heisst dass er Hindernisse bereitet, aber dieselben anch wegzuräumen weiss, wenn er wohlwollend ist; man muss ihn sich deshalb geneigt machen.

1 Den Beginn eines jeden Geschäftes eröffnet ein Gebet an Ganeca. Jeder Geschäftsbrief, jedes Bach beginnt mit einer Anrufung an Aul Händler bringen sein Bild über den Läden an. Jede Stadt hat Ufr Ganeca-Thor. Zum Jahresfeste dieses Gottes finden öffentliche Umfüge statt, bei denen das Bild desselben zuletzt in einem heiligen Teich oder Fluss versenkt wird. In Benares finden sich 200 Tempel dieseß Gottes. Die Sekte der Gauapatya, die ihn als höchsten Gott verehrt, ist dort stark vertreten. An seinem Feste wird das Bild de* Gottes auf Bootes umhergefahren unter feenhafter Beleuchtung. S. Schlagintweit, Indien in Wort und Bild, II. p. 2.

* Er ist auch das Haupt der Kinder befallenden Krankheitsdämonan Vgl. Petersburg. Wörterb. i. v.

9 Auch Brahman's, Samkalpa's oder Sahishnu's; vgl Petersburger Wörterbuch.

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dem Rücken, also ganz ähnlich dem griechischen Eros, der auch nach Ansicht einiger Forscher sein Vorbild ist Seine Pfeile sind aus Blumen, sein Bogen ist aus Zuckerrohr, sein Reitthier ist ein Papagei. Er heisst auch Ananga „der Körper- lose", weil er der Sage nach einst von <Jiva im Zorn zu Asche verbrannt wurde und seitdem seinen eigentlich leiblichen Körper verloren hat Man nennt ihn ferner Manmatha „den Erreger4'; auch fuhrt er ausserdem noch eine ganze Menge von Beinamen, welche alle aufzuzählen uns zu weit führen dürfte.

Zu den göttlichen Wesen, deren Verehrung in der ältesten Zeit noch nicht vorhanden war, gehören auch die Schlangengötter.

Im Rigveda sind dieselben ganz unbekannt, im Yajurveda aber finden wir bereits Anrufung und Verehrung .verschiedener Schlangen.1 So heisst es z. B. (Maitr. S. 2, 7, 15):

Verehrung sei den Schlangen, die irgend auf der Erde sind; die in der Luft, die im Himmel, diesen Schlangen sei Verehrung!

Welche die Pfeile der Zauberer sind, welche den Bäumen ange- hören, welche in den Brunnen liegen, diesen Schlangen sei Verehrung!

Jene» die in dem Glanzraum des Himmels oder In den Strahlen der Sonne, die in den Wassern sich niedergelassen haben, diesen Schlangen sei Verehrung! u. s. w.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Schlangenverehrung ursprünglich bei den Ureinwohnern des eigentlichen Indien zu Hause war und dass die arischen Inder, die im Pendschab zur Zeit des Rigveda nichts davon wussten, sie späterhin von den Eingeborenen übernahmen und ihrem System einverleibten, eine Concession an die altgewohnten Bräuche des Urvolks, wie sie uns in noch mehr als einem Punkte begegnet Dass die Schlangen- verehrung eigentlich dem nordwestlichen Indien, Kaschmir und dem Land am oberen Indus angehörte, wie Lassen will, halte ich noch nicht für ausgemacht. Ä Jedenfalls aber war dieser Cult zur Zeit Alexandcr's in jenen Gegenden vorhanden. Nach dem Inder Babu Pratapacandra Ghosha war der Schlaugen- dienst ein Zugeständniss der Arier an das einheimische Volk der Näga, welche nach Cunningham in Hindostan, zwischen Ganges und Yamuna lebten.9

Die SchlangongÖtter spielen in den epischen Gedichten keine unwichtige Rolle,4 und noch heutzutage ist die Schlangen-

1 Z. B. Maitr. 8. 2, 8, 10; 2, 7, 15; Ka*h. 6, 6.

* S. Lassen, Ind. Alt. I', 856.

* 8. Schlagintweit, Indien in Wort und Bild, I p. 6.

4 Das Mahabharata soll von Vai^ampayana, dem Schüler des VjAsa, der als Verfasser des grossen Epos gilt, bei Gelegenheit eines grossen Schlangenopfers, das König Janamejaya feierte, vorgetragen worden sein.

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Verehrung in Indien weitverbreitet. Alljährlich werden grosse Feste gefeiert, bei denen die Schlangen durch die Strassen der Städte getragen und mit Milch gefüttert werden. Schlagintweits „Indien" zeigt uns das Bild eines solchen Festes aus Bombay.1

Endlich müssen noch die bösen Geister und Gespenster angeführt werden, unter denen die Rakshas oder Rakshasa die Hauptrolle spielen. Diese Rakshas sind schon im Rigveda oft genannte böse Geister und Unholde, gegen die man sich auf verschiedene Art, durch Beschwörung, Götteranrufung u. dgl. zu schützen sucht. Ihre Gestalten werden von der indisch- mittelalterlichen Phantasie noch vielfältig ausgemalt und grauen- voll dargestellt. Es . sind ursprünglich Geister der Finsterniss. Sie nahen sich den Opfern, um sie zu stören. So wird z. B. König Dushyanta in der Qakuntala von den Einsiedlern ange- fleht, ihr Opfer vor den Rakshas zu schirmen, die dasselbe störten.* Die Rakshasa spielen in den Volksmärchen eine grosse Rolle. Sie gehen durch die Luft, können sich verwandeln, sind riesenstarke Menschenfresser. In diese Vorstellungen ist wohl Manches von dem Glanben der Ureinwohner an böse Geister mitverwebt.

Auch Riesen fürchterlicher Art, wie der berühmte RAvana von Lanka im Ramayana, und ähnliche Schreckgestalten, kennt das indische Mittelalter. Doch verlassen wir mit diesen Wesen bereite das Gebiet des eigentlichen Göttersystems, dessen Be- trachtung zunächst unsere Aufgabe war.

Wenn wir zum Schluss noch die äussere Form der Götter- verehrung im indischen Mittelalter mit derjenigen der vedischen Zeit vergleichen, so liegt der augenfälligste Unterschied wohl in den zahlreichen Tempeln und Götterbildern, die der reli- giöse Cultus des Mittelalters sich geschaffen. Dem Alterthum, der vorbuddhistischen Zeit sind beide noch völlig fremd. Zur Zeit des Mittelalters aber erheben sich an den verschiedensten Orten des indischen Landes den Göttern geweihte Tempel deren Dach von zahlreichen Säulen, mit krauser, theils wunder- licher und phantastischer, theils auch geschmackvoller Orna- mentik, getragen wird, meist eine in der Form von der anderen abweichend. Zu dieser Zeit entstehen auch die Höhlen-Tempel, seltsame, in ihrer Art grossartige Schöpfungen, durch Aus- höhlung massiver Felsen geschaffen, staunenswerth , wenn auch keineswegs unseren ästhetischen Geschmack befriedigend. Dort

1 8. Schagintweit, Indien in Wort and Bild, I p. 6. 1 Am Ende des zweiten Aktes.

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finden wir Statuen der Götter der frommen Verehrung errichtet, während reliefartige Darstellungen aas Mythologie und Gotter- geschichte die Wände, auch die Säulen und Aussenmauern be- decken.

Leider sind wir nicht im Stande, über die Entstehung dieser neuen Form des Cultus und namentlich auch über die Zeit der Entstehung Genaueres anzugeben. Soviel aber scheint festzustehen, dass die entsprechenden religiösen Bau- und Bild- werke der Buddhisten älter sind als die der Brahmanen und dass die letzteren zunächst durch die enteren angeregt ins Leben traten.1

Bei den Buddhisten entwickelte sich zunächst nach dem Tode ihres Religionsstifters ein Reliquiendienst, der immer grössere Dimensionen annahm. Es wurden zahlreiche Stüpa's (Topen) oder Thiirme zur Aufbewahrung der Reliquien erbaut, während andererseits auch die Zahl der Vihara's, der Klöster und Versammlungshallen für die buddhistischen Mönche be- ständig wuchs. Dann wurden endlich auch Bilder des Buddha in den Versammlungshallen aufgestellt, und es wurde üblich, denselben anzurufen, sich in diese Bilder niederzulassen. Zu welcher Zeit solche Bilder zuerst entstanden, lässt sich leider nicht sagen. Die Legende behauptet, die ältesten derselben seien noch zu Lebzeiten Buddha's geschaffen,' doch können wir darauf wohl kein Gewicht legen. Die zu Mathura gefundenen Bilder des Buddha und des Stifters der Jaina-Religion stammen zum Theil wohl aus dem ersten Jahrhundert nach Chr. Geburt.8 Diese Bilder sind schwerlich die ältesten und man wird daher annehmen dürfen, dass schon in den letzten Jahrhunderten Tor Chr. ähnliche Bildwerke geschaffen wurden.4

Wann die Brahmanen damit begannen, ihren Göttern Tempel zu bauen und Bildnisse derselben aufzustellen, können wir leider nicht angeben. Wahrscheinlich auch schon in den

1 Einiges Nähere aber diese dem Caltus geweihten Schöpfungen der bildenden Kunst s. unten, Vorlesung L.

* Vgl. Kern, Buddhismus, Bd. II, Th. 1 p. 199. Koeppen, Rel d. Buddha, Bd. I, p. 494.

Vgl. Kern, Buddhismus, Bd. II, Th. 1 p. 201.

4 Koeppen meint, dass vielleicht Bchon die unmittelbaren Schüler and Freunde Buddha's zu der späteren Bilderterehrung den ersten An- »toBB gaben. 9ie sollen ein Abbild desselben entworfen haben u. dgl. (Rel. d. B. p. 496 flg.). Zn der Zeit, als Acoka zum Buddhismus über- trat (Mitte des dritten Jahrhunderts), bestand jedenfalls der Reliquien- dienst; Bilderdienst aber wird nicht erwähnt. In den Grotten von Bud- de agaya, die Ton Acoka und seinem Enkel herrühren, finden sich zwar

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letzten Jahrhunderten vor Chr. Gebort Soviel aber ist gewiss, dass die Blüthezeit dieser Tempelbanten und Bildwerke durch- aus in die Jahrhunderte nach Christi Geburt zu verlegen ist1

keine Bilder, aber Sockel and Nischen für dieselben, so dass ihr einstiges Vorhandensein wahrscheinlich wird (vgl. Cunningham, Snrvey 1, 46). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Bilderdienst zu Ende des dritten Jahrhundert« vor Chr. zur Geltung kam und rasch weite Verbreitung erlangte. Vgl. Duncker, Gesch. d. Alt. III*, p 366 Anm. p. 371.

1 Nach Lassen findet sich die älteste Erwähnung von Götterbildern im Adbhuta Brahmana, wo es heisst, „dass sie lachen, schreien, singen, tanzen, schwitzen und blinzeln". Aehnlich im Mababharata: „Die in den Tempeln stehenden Gottheiten des Beherrschers der Kaurava leben und lachen, und tanzen und weinen." „Diese Götterbilder waren in Tempeln aufgestellt und das abergläubische Volk glaubte, dass sie von den Gottheiten belebt seien, welche sie darstellten." S. Lassen, Ind. Alt. I* p. 939.

Rajendralala Mitra folgerte aas Panini, dass es zu dessen Zeit kleine Idole von Vasudeva, Vishnu, £iva und den Aditya gegeben habe (antiq. of Orissa p. 152; Duncker, Gesch. d. Alterth. III4, p. 366 Anm.).

Dass in der That Panini von Götterbildern redet, die in Tempeln zur Verehrung aufgestellt werden und dieselben unterscheidet von Idolen, die in den Handel kommen, zu diesem Schluss gelangt auch Böhtlingk, ohne Zweifel der competenteste Beurtheiler (vgl. Ztschr. d. D. M. G. Bd. XXXIX, p. 529). So fasste auch schon Patanjali, der im 2. Jahrh vor Chr. lebende Commentator des Panini, die betreffende Stelle auf. Da nun Panini aller Wahrscheinlichkeit nach, im 4. Jahrh. vor Chr. lebte, müssen wir die Anfertigung von Götterbildern mindestens in diese Zeit hinaufrücken. Wie vollkommen dieselben waren, bleibt dabei frei- lich ganz ungewiss.

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Siebenundzwanzigste Vorlesung.

Allgemeines Cnltarbild des indischen Mittelalters. Parallele zwischen dem Alterthum, Mittelalter und der neueren Zeit in Europa und in Indien. Nähere Bestimmung des indischen Mittelalters. Mönchthum und Ein- siedlerleben. Busse und Askese. Wunderbare Macht der Askese. Nach- richten der Griechen über 'die indischen Asketen.

Nachdem wir in den letzten Vorlesungen das Göttersystena des indischen Mittelalters entwickelt haben, müssen wir nun noch ein allgemeines Bild von den brigen Culturersch einungen dieser Zeit zu gewinnen suchen, bevor wir zur Schilderung ihrer literarischen Schöpfungen übergehen.

Wie schon aus dem Frühergesagten hervorging, lässt sich die Geschichte Indiens ebenso wie die der abendländischen Welt deutlich scheiden in ein Alterthum, ein Mittelalter und eine neuere Zeit.

Diese Eintheilung ist keineswegs nach der Schablone unserer abendländischen Geschichtsdarstellung künstlich zugeschnitten, vielmehr ergiebt sie sich dem tieferschauenden Blicke als durch- aus naturgemäss und in den Verhältnissen begründet

Es ist in der That auffallend und merkwürdig genug, wie sehr die tlrei grossen Epochen der indischen Entwickelung dem Alterthum, Mittelalter und der neueren Zeit Europa's ähnlich sehen, ohne dass - mit Ausnahme der letzten Jahrhunderte eine nähere Berührung oder irgend bedeutende Beeinflussung zwischen den beidenV grossen Culturgebieten stattgefunden hätte.

Da haben wir zuerst das Alterthum mit seinen naiven und urwüchsigen Schöpfungen, seinem kräftigen, gestaltenreichen Polytheismus, seiner Heroenzeit, seinem Opfercultus, den ersten bedeutenden staatlichen Bildungen, den ersten grossen und auch für die Folgezeit bestimmenden Gestaltungen des philosophischen Triebes. Dann eine Zeit des Uebergangs, der Verinnerlichung, der religiösen und sittlichen Einkehr der Menschen in sich selbst, und daraus entspringend das Mittelalter mit seinem

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Mönchthum und Einsiedlerwesen, seinen Wallfahrten, seiner Busse und asketischen Selbstpeinigung, dem Ueberwuchern der religiös-asketischen Empfindung, mit seinen romantisch-phanta- stischen Schöpfungen auf dem Gebiete der Poesie, seiner Ethik des Duldens und Leidens, des Gehorchens und der Selbst- entäusserung, mit seinen streng geschlossenen Ständen, seiner Priesterherrschaft, seinem ritterlichen Adel, den Städten und ihren Corporationen, eine reiche und eigenartige Blüthe der Cultur, zuletzt aber doch in religiöser Versumpfung endigend Dann der Uebergang zu einer neuen Zeit, bewirkt durch die Berührung mit fremden, weit entlegenen Landern und Völkern, und das Auftreten religiöser Reformatoren, in Europa Luther, Zwingli, Calvin, in Indien Kabir,1 Nänak,* Caitanya.9 Nur ver- hält sich Indien bei den fremdländischen Einflüssen mehr passiv. Die mohammedanischen Eroberer, die Portugiesen, Holländer, Franzosen und vor Allem die Engländer brechen die Herrschaft der mittelalterlichen Cultur Indiens und inauguriren eine neue Zeit freierer und vielseitigerer geistiger Bildung, während in Europa die leitenden Völker activ vorgehend durch Entdeckung einer neuen Welt, Eroberung fremder, ferner Länder und Wieder- erweckung der antiken Cultur, dem bisher begrenzten Bildungs- horizont ungeahnte Erweiterung schufen; auch ist die Wirkung der erwähnten religiösen Reformatoren in Europa viel starker und weiter reichend als die der indischen. Aus diesen Grüuden

1 Kabir, der kühne Reformator, der Hlndu's und Mohammedanern in gleicher Weise gerecht zu werden wusste, lebte wahrscheinlich n Ende des 14. oder zu Anfang des 15. Jahrb. Einiges Nähere siehe bei A. Barth, Religion« de rinde p. 143 flg.; auch E. Schlagint weit, Indien in Wort und Bild I, p. 172. Viele von Kabir stammende Vers« und Lehren sind in das heilige Buch der Sikhs fibergegangen. Einiges davon findet man in dem in der folgenden Anmerkung citirten Trumpp- scheh Buch Ober die Sikh-Religion.

* Naaak, der Stifter der sogenannten- Sikh- Religion, wurde im Penjab im Jahre 1469, also 14 Jahre vor Luther, geboren. Näheres über ihn und seine Lehren siehe in dem hübschen Buche von Ernst Trumpp, Die Religion der Sikhs (Leipzig 1881). Weitere Quellen zum Studium dieser reformatorischen Religionsbewegung siehe bei A. Barth, a. a. 0. p. 145 Anm.

* Caitanya, geb. in Bengalen im Jahre 1485, also 2 Jahre nach Luther. Er ist der Hauptvertreter derjenigen viahnuitischen Reform- bewegung, welche das Heil in der Bhakti (d. i. Eingebung, auf Glauben beruhende Liebe) suchte. S. Barth, a. a. 0. p. 139 flg. und vorher; Schlagintweit, I p. 173. Als Vorläufer dieser und der obengenannten Reformbewegungen sirld Ramanuja (im 12. Jahrh.) und Ramananda (im 14. Jahrh.) zu bezeichnen (s. Barth a. a. 0. p. 11G> Schlagintweit I, p. 172).

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geht denn auch der Procees der Umwandlung des Mittelalters in die neuere Zeit in Indien weit langsamer vor sich als in Europa.

Den Beginn des indischen Mittelalters setzen wirin das sechste Jahrhundert yor Chr, die Zeit, wo Buddha auftritt, wo wir das Mönchthum und Einsiedlerwesen, jene specifisch mittelalterlichen Erscheinungen, zuerst fertig und voll ausge- bildet Tor uns sehen, bestimmend auf das ganze Leben wirkend und dasselbe regelnd, die Zeit, wo die Predigt vom Leiden der Welt, von der Abtödtung des irdischen Begehrens die Gemüther erfüllte, wo an die Stelle des irdischen Wollens und Wün- schens ein überirdisches Sehnen trat, die Quelle und Wurzel der romantischen Empfindung.

Wohl waren auch vorher schon Brahmanen „aus der Heimath in die Heimathlosigkeit" gegangen, um, ablassend von allem ir- dischen Begehren, der Erkenntniss der Weltenseele zu leben, wie anch in den ersten Jahrhunderten nach Christo schon welt- verachtende Einsiedler in den. Felsenhöhlen am Sinai hausten, als die Vorboten einer neuen Periode der Weltgeschichte. Aber erst im sechsten Jahrhundert vor Chr. Behen wir bei den Indern diese Neubildungen zu der Macht und dem Range grosser ge- schichtlicher Factoren herangewachsen, wie dies im Abendlande etwa im vierten bis sechsten Jahrhundert nach Chr. eintrat Das indische Mittelalter beginnt demnach ungefähr ein Jahrtausend früher wie unser abendländisches, es fällt aber in seinem Ausgang ungefähr mit dem letzteren zusammen, denn das Auftreten und Wirken jener religiösen Reformatoren wie Kabir, Nanak, Caitanya fallt in das 14., 15. und vor Allem in das 16. Jahrhundert n. Chr.; die mohammedanischen Eroberungen, die schon Jahrhunderte vorher begonnen hatten, kamen im 16. Jahrhundert durch die Begründung des Reiches der Grosamogule zum vollen Abschluss, während im 16. Jahr- hundert auch die europäischen Volker damit begannen, ver- schiedene Theile Indiens zu besetzen und die Bildungselemente einer neuen Zeit in dieselben hinein zu tragen. Das indische Mittelalter hat demgemäss etwa doppelt so lange gedauert wie das europäische, nämlich mehr als zwei volle Jahrtausende, vom 6. Jahrhundert vor Chr. bis zum 16. Jahrhundert nach Chr. Es ist darum begreiflich, dasB die mittelalterlichen Vorstellungen und Institutionen sich ziel tiefer und fester im Denken und Leben der Inder festsetzen konnten als dies jemals bei einem europäischen Volke der Fall gewesen. Die Inder mit ihrer im Ganzen entschieden weichen und fügsamen Naturanlage ver-

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mochten sich nicht durch eigene Kraft ans diesen Fesseln zu befreien. Wie kein anderes Volk in gleichem Maasse standen sie im Banne der Vergangenheit, und erst den kräftiger und freier entwickelten europäischen Bruderstämmen sollte es ge- lingen, durch thatkräftiges Eingreifen die mehr passiv ge- wordenen, oft genug widerstrebenden Inder einer neuen freieren Zeit entgegen zu Ähren und ihnen die geistigen Fesseln ab- zunehmen, die sie als etwas Selbstverständliches trugen und weiter tragen wollten.

Nicht grosse politische Umwälzungen, sondern geistige Wandlungen waren es, die aus der alten Zeit der Inder das Mittelalter hervorgehen Hessen. Die geistigen und religiös- sittlichen Factoren dieser neuen Epoche werden wir darum billig zuerst ins Auge zu fassen haben.

Da treten vor Allem das Mönchthum und das Ein- siedlerwesen, die Ausbildung der Askese und die Verän- derung der ethischen Ideale hervor, welche mir die am meisten charakteristischen Symptome der eingetretenen inneren Wandlung zu sein scheinen. Es sind dies möchte ich sagen die xaz* igoxyv mittelalterlichen Erscheinungen.

2ur Zeit des Rigveda hatten die Inder wie wir früher gesehen das Leben frisch und derb angefasst, in nairein Egoismus nach den irdischen Gütern, nach Besitz und Beute, nach Nachkommenschaft und Sieg über die Feinde Btrebend. Auch in der darauf folgenden Periode des Yajurreda und der Br&bmana's war das Streben noch immer wesentlich auf die Erlangung dieser irdischen Güter und Vortheile gerichtet, und das vielgepflegte Opfer sollte als Mittel dazu dienen; durch das Opfer thal; man auch den Feinden gern nach Möglichkeit Böses an. Als aber dann das ungeheure Opferritual immer schwerer auf den Menschen zu lasten begann, als ein immer tieferes Gefühl der Unbefriedigung die Gemüther erfasste und sie antrieb, nach Besserem, nach höherer Erkenntniss zu streben; als der grübelnde Geist nach dem Atman, der Weltenseele, » suchen anfing und den Denkern in stillen, weihevollen Stunden wunderbare Einsichten aufgingen, tiefsinnige Wahrheiten sich enthüllten, da regten sich immer mächtiger schwärmerisch- sehnsüchtige Empfindungen; da erschien irdisches Glück, irdischer Besitz nur klein und gering gegenüber dem erhabenen Glück, das die Erkenntniss des Atman verlieh; da erwachte mit Macht ein früher ungekannter Trieb nach Einsamkeit und beschaulichem Leben.

In die Waldesstille zog man hinaus, um ungestört über

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das Höchste und Heiligste nachzusinnen, um den Atman, die Erkenntniss, die Erlösung zu suchen und das Herz zu reinigen von allem irdischen Begehren, das die Verfolgung solcher Ge- danken hätte stören können. Die Upanishaden, in denen uns die ersten Gestaltungen des philosophischen Tiefsinns der Inder entgegentreten und die etwa his zum Jahre 700 vor Chr. hinaufreichen, zeigen uns auch die ersten Spuren von dem Beginn jener Richtung auf das contemplative einsiedlerische Leben.1

Und wie sehr war die Natur des Gangeslandes dazu äu- ge chan, der erwähnten Richtung Vorschub zu leisten! War doch das Klima köstlich milde, und die kühlen schattigen Wälder boten mit ihren mannigfaltigen Früchten und Wurzeln Nahrung in reicher Fülle dar. Sorglos durften die frommen Einsiedler dort ihren Gedanken leben. Oft genug begegnen wir in indi- schen Gedichten Verherrlichungen dieses Eremiten-Daseins, und lockend wird die Waldesstille geschildert, die den Menschen zum beschaulichen Leben einlädt

Doch nicht allen diesen Erkenntniss und Erlösung Suchen- den genügte das bloss beschauliche Leben. Es griffen Manche nach energischeren Mitteln, fingen an auf mancherlei Art den eigenen Leib zu kasteien und zu peinigen, um so die innere Ruhe zu finden, die sie auf anderem Wege vergeblich gesucht.

Zu der Zeit, als Buddha auftrat, gab es bereits Einsiedler, Mönche und Asketen in bedeutender Anzahl. Sie suchten das Heil auf verschiedenen Wegen, und Buddha war nicht der Erste, der Mönchthum und Entsagung predigte. Aber er verstand es, durch seine Predigt vom Leiden der Welt und von der Er- lösung aus solchem Leiden mehr als irgend ein Anderer dio Herzen zu erschüttern, und zahllos waren bald die Schaaren der Mönche, die ihm anhingen.

Das Mönchthum wurde durch Buddha und seine Jünger in ungeheurem Maassstabe über ganz Indien ausgebreitet Galt es doch nach seiner Lehre als die nothwendige Vorbedingung zur Erreichung der rechten inneren Heiligung. Vollgültiges

1 In dem Brihad-Aranyaka nimmt der berühmte Yajüavalkya Ab- schied Ton seinen beiden Frauen, weil er sich vom Lehen zurückziehen und in die Einsamkeit gehen will. Er belehrt sie, daas die höchste Seligkeit in der Erkenntniss des Atman bestehe, und diesem Gedanken will er leben. In demselben Texte hiess es auch: „Ihn den Atman erkennend stehen Brahmanen davon ab, nach Söhnen zu begehren und nach Reichthum zu begehren und nach der Welt zu hegehren und ziehen als Bettler umher44. t^at. Br. 14, 6, 4, 1).

t, SehrödeT, Indiens LH. n. Colt.. 25

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Mitglied der buddhistischen Gemeinde konnte ja nur ein Mönch sein. In den Jahrhunderten, die auf Buddha folgten, vor Allem zur Zeit des glaubenseifrigen Acoka, wuchsen allenthalben Wohn- stätten dieser Mönche empor; in Klöstern und Hainen in der Nähe der Städte und' Dörfer wohnten sie beisammen, ihr Leben ganz der Erbauung und dem Andenken an den Vollendeten weihend, oder sie zogen bettelnd und lehrend im Lande umher. Das buddhistische Mönchthum hat im Culturleben Indiens eine hervorragende Rolle gespielt.

Andererseits entwickelte sich nun auch bei den Brah- manen das Einsiedler- und Büsserwesen in immer reicherem Maasse. Wir wissen, dass seine Anfänge älter sind als Buddha. Seine weitere Entwickelung, bei der wohl auch der Einfluss der buddhistischen Richtung und der Gegensatz zu derselben eine Rolle gespielt haben mag, im Einzelnen zu verfolgen, ist nicht leicht In vollendeter, festgeordneter Form fuhrt es uns das Gesetzbuch des Manu vor. Demgemäss soll ein Jeder, der zu den drei oberen Kasten gehört, wenn er seine Pflicht als Haus- vater erfüllt hat, „wenn er Runzeln, graue Haare und Nach- kommenschaft seiner Nachkommenschaft erblickt Dorf oder Stadt verlassen und in den Wald ziehen. Er wird dann Väua- prastha oder Waldeinsiedler.1 Als solcher soll er von Früchten, Wurzeln und Wasser leben, gekleidet in ein Bastgewand oder das Fell einer schwarzen Antilope. Das heilige Feuer nimmt er mit, verrichtet noch bestimmte Opfer, liest die heiligen Bücher, Veden und Upanishaden, und bemüht sich, der höchsten Erkenn tniss theilhaft zu werden. Auch sind ihm verschiedene Büssungen und Kasteiungen vorgeschrieben, die den Geist von den sinnlichen Leidenschaften befreien sollen. Zwischen vier brennenden Feuern, der Sonne als fünftem ausgesetzt, soll er in der heissen Jahreszeit leben, in der Regenzeit unbekleidet sein, in der kalten Zeit ein nasses Gewand tragen u. dgl. m.

Diese Bestimmungen des kanonischen Gesetzbuches haben sicherlich nicht bloss in der Theorie bestanden, das lehren uns so wohl die einheimischen Bücher, wie auch die Berichte der Fremden.* ihre systematisch geordnete Form verdanken sie sehr wahrscheinlich dem Gegensatze zum Buddhismus, als es für die Brahmanen galt, dem überwuchernden Hange zum völligen Möuchthum in einer Weise die Spitze zu bieten, die den Bestand der brahmanischen Staatsordnung nicht gefährdete.

1 vkoßioq, wie der Grieche Megasthenes sagt. a Mega&theneB schildert uns das Einsiedlerleben genau so, wie es im Geeetzbuche vorgeschrieben wird. Vgl. Lassen, Ind. Alt II*, p. 46i

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Die grossen Epen der Inder zeigen uns das Einsiedler- wesen in üppigster Blüthe. Immerwährend begegnen wir in denselben Einsiedeleien in der Stillo der Wälder, oder ganzen Kreisen von Einsiedeleien, Äcrama-mamjtoda genannt So be- sucht König Dushyanta. im Mahabhärata den Kanva in seiner Einsiedelei, wo er mit anderen Eremiten zusammen haust.1 So findet Rania im Dancjaka-Walde einen Äcrama-mandala, be- wohnt von Büs8ern, alten Weisen (Muni) und den vorzüglichsten IJishi, eine Zufluchtsstätte für alle Wesen. * Bisweilen werden auch einzeln lebende Einsiedler erwähnt, und dies dürfte wohl gerade das A eitere und Ursprünglichere sein.9

Eine wichtige Rolle spielen bei diesem b rahmanischen Einsiedlerleben die sogenannten Tirtha. Es sind dies heilige Badeplätze an Flüssen, Seen und Teichen, wo die frommen Männer die üblichen entsündigenden Bäder nehmen. Solche Stätten stehen in besonderem Ansehen, wenn dort besonders heilige Weise schon früher sich aufgehalten haben. Sie werden dann ein Zielpunkt frommer Wallfahrten, wiederum eine echt mittelalterliche Erscheinung. Schliesslich heissen Tirtha überhaupt heilige Stätten, zu denen gewallfahrtet wird, doch war dort in der Kegel Wasser zu finden.

In dem Epos wird das Wallfahrten zu diesen Tirtha als ein hohes Verdienst bezeichnet. Der heilige Narada sagt,4 die Opfer könnten nur von Königen und reichen Mannern gebracht werden, weil dazu grosse Hülfsmittel gehörten. „Höre von mir so fahrt er fort welche fromme Handlung, die den Früchten der heiligen Opfer gleich ist, auch von den Armen ausgeführt werden kann. Dieses ist das höchste Geheimnis« der Llishi: Der Besuch der Tirtha ist verdienstlicher als selbst die Opfer. Wer nicht drei Nächte fastot, die Tirtha nicht be-

1 Besonders an der Sarasvati lebten nach dem Mahabhärata Yiele Einsiedler. So heisst es dort z. B.: „Darauf erblickten sie (die Pan4ava) an dem Ufer der Sarasvati in der ebenen Wüatengegeod den von den Muni geliebten Kamyaka-Waid; dort liessen sich die Helden nieder in dem an Gazellen und Vögeln reichen Walde, begleitet und getröstet von den Muni." Und wie sie in den Dvaitavana-Wald ziehen, „begleiten sio viele Braumanen, solche, die ein heiliges Feuer unterhalten und die es nicht thun, dem Studium der heiligen Bücher sich widmende und wald- bewohnende Bhiltshu" (s. Lassen, a. a. 0. I1, 697 Anm.).

* Ram. III, 1. 3, s. Lassen, Ind. Alt I*, (594.

3 Lassen I*, 695. Nach Lassen dürften dieso Einsiedlercentren auch eine culturhistorische Mission erfüllt haben, indem sie die brah- manische Civilisation namentlich nach Süden weiter vorschoben. Darauf deuten verschiedene Stellen des Ram. (s. Lassen, a. a. 0. Ia, 695. 696).

* In der TlrthayAtra.

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sucht und nicht Gold und Kühe schenkt, wird arm geboren (ä. h. wiedergeboren). Man gewinnt nicht die Frucht durch das Agniahtoma und die übrigen kostspieligen Opfer, die durch den Tirthabe8uch gewonnen wird." Diese Frucht soll so viel werth sein wie ein Opfer oder Geschenke von hundert oder tausend Kühen, man erlangt dadurch den Himmel des Brahma, Vishnu etc.1 Wie sehr der Besuch und das Wohnen an den Tirtha üblich war, beweist auch der Umstand, dass die Brah- manen von den Buddhisten geradezu Tirthika oder Tirthopasika (Tirtha-Besucher oder -Bewohner) genannt werden.8

Aber als höchstes Verdienst, höher als alles bisher An- geführte, galt bei den Brahmanen doch die Kasteiung des eigenen Leibes, die Busse oder richtiger die Askese.3

In den Yajurveden und Brahmana's können wir höchstens schwache Anfänge dieser Richtung wahrnehmen in gewissen Fasten und Observanzen, die bei bestimmten Opfern vor- geschrieben werden. Zu Buddha's Zeit muss aber die Askese schon öfters geübt worden sein, denn Buddha selbst, wie auch Andere neben ihm, peinigt sich längere Zeit mit harten Kastei- ungen. Aber er findet in denselben nicht den Frieden, und in der Folge richtet sich seine Predigt gerade gegen alle strenge Askese, da dieselbe nicht zum Heile führe. Bei den Brahmanen dagegen wurden die Ansprüche in dieser Hinsicht immer höher geschraubt, immer bedeutender wurde das Ansehen, welches man der Kasteiung zollte, und langsam, allmählich wurde der ganze Nimbus, der einst das Opfer umgeben hatte, auf die Busse oder Askese übertragen. Es ist nicht unmöglich, dass auch bei dieser Steigerung der Gegensatz zu dem immer mäch- tiger werdenden Buddhismus von Einfluss war. Gerado das Mittel der Heiligung, welches die Buddhisten verschmiihteu, wurde in seinem Werthe von den Brahmanen immer höher und höher gepriesen.

Wie man früher durch bestimmte Gebete und Opfercere- monieen übernatürliche Wirkungen zu erzielen, Natur und Götter zu beherrschen wähnte, so wird jetzt der Macht der Busse, der Askese Aehnliches und mehr noch zugeschrieben. Durch das Opfer konnte man früher geradezu Zauber üben und

1 S. Lassen, a. a. 0. IV 698 Anm.

2 S. Lassen, a. a. 0. II9, 467. Im Mahabharata werden ans eiae ganze Reihe solcher heiliger Tirtha aufgeführt und Legenden von ihnen ^rz&hlt (Lassen a. a. 0.)

8 Im Sanskrit „tapas" genannt, welches Wort eigentlich Hitze, Gluth bedeutet.

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gewisse Sprüche galten als Zauberformeln. Jetzt waltet der Glaube, dass ein Mann, der gewaltige Busse geübt, dadurch die Kraft erlangt habe, beliebig Zauber und Wunder aller Art aus- zuüben, dass er über die für gewöhnlich waltenden Gesetze der Natur völlig erhaben sei und selbst die Götter durch seine Macht in Schrecken setzen könne.

In ungeheuerlichen Dimensionen sind die Wirkungen dieser Busskraft z. B. in der bekannten Erzählung des Ramayana vom Streite des Vasishtha und Vicvamitra dargestellt.1

Diese Erzählung ist so charakteristisch für die bezüglichen Vorstellungen des indischen Mittelalters, dass ich mir nicht ver- sagen kann, den Gang derselben kurz anzudeuten.

König Vicvamitra begehrt die wunderbare Kuh des heiligen Vasishtha zu erlangen, die dem letzteren jeden seiner Wünsche erfüllt. Als Vasishtha dieselbe nicht hergeben will, braucht Vicvamitra Gewalt Seine hundert Söhne stürmen auf Vasishtha ein, aber dieser verbrennt sie einfach durch die Gluth der An- dacht, die aus seinem Munde hervorgeht. Vicvamitra sieht kein anderes Mittel, als durch die unerhörtesten Bussübungen sich die Kraft zur Besiegung des Vasishtha zu erwerben. Er begiebt sich in die Einsamkeit, steht hundert Jahre auf den Zehen und lebt nur von Luft Dadurch erlangt er die Waffen der Götter und greift nun aufs Neue den Gegner an. Dieser aber schlägt all diese Waffen, selbst die des Brahma mühelos zurück, weil er durch seinen Rang als Brahmane dem König Vicvamitra weit überlegen ist. Nun unterwirft sich Vicvamitra den härtesten Kasteiungen, um durch dieselben den Bang eines Brahmanen zu erreichen. Nach tausend Jahren verleiht ihm Brahma den Titel eines „königlichen Weisen" (Rajarshi); aber das genügt ihm nicht, er will Brahmane werden und büsst darum weiter. Durch diese Busse hat er bereits solche Wunder- kraft erlangt, dass er den Tricafiku, welcher lebendigen Leibes in den Himmel zu gelangen wünscht, wirklich dahin emporhebt. Als aber Indra Diesem den Eintritt in den Himmel wehren will, schafft der erzürnte Vicvamitra im Süden einen neuen Himmel und neue Götter, bis endlich die Götter sich über- wunden fühlen und den Tricafiku aufnehmen müssen. Nach weiteren tausend Jahren der Busse begrüsst Brahma selbst den Vicvamitra als einen „Weisen" (Rishi), aber immer hoch nicht als Brahmanen; so büsst er denn weiter. Eine schöne Apsaras

1 Diese Geschichte findet sich im Auszug übersetzt von F. Bopp internem „Conjugationssystem der Sanskritsprache".

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▼erlockt ihn inzwischen zur Sünde. Er thut aufs Neue Busse, tausend Jahre lang, bis er von Brahma als „grosser Weiser*' hegrüsst wird. Aber auch das genügt ihm nicht, und so büsst er weiter. Die Arme emporgestreckt steht er auf einem Beine, unbeweglich wie ein Pfahl, nur von Luft lebend u. s. w. Weitere Anfechtungen überwindend steigert er seine Busse noch mehr, zuletzt kein Wort sprechend, auf einem Beine stehend, sogar des Athmens sich enthaltend, tausend Jahre lang. Da bricht endlich Rauch aus seinem Haupte, die Welten erzittern, die Sonne will erlöschen, und die Götter flehen den Brahma an, Vicvamitra's Wunsch zu erfüllen, weil er sonst durch die Kraft seiner Busse die ganze Welt zu Grunde richten werde. Brahma willfahrt ihren Bitten und erhebt den Vicvamitra zu dem Range eines Brahmanen, nach dessen Erlangung der Streit mit Va- sishtha beigelegt wird.

So alles Maass überschreitend sind nach dem Epos die Wirkungen der Busse.1

Nicht jeder Büsser erlangt so viel wie Vicvamitra, über- natürliche Kräfte werden ihnen aber auch sonst ganz gewöhn- lich zugeschrieben.

Hellsichtig schauen sie auch das, was ihren Augen ent- rückt ist. Als z. B. Cakuntala mit ihrem Gatten wieder ver- einigt wird, wünscht sie, dass auch ihr frommer Pflegevater Kanva davon erfahre. Die Antwort lautet, dies sei nicht mehr nöthig, denn dem heiligen Kanva wäre dies Alles schon durch die Macht der Busse offenbar.

In der Erzählung von König Nala im Mahabbärata findet die in der Wildniss irrende Damayanti eine Schaar von Ein- siedlern, und diese weissagen ihr eine schöne Zukunft: „Wir schauen es durch unsere Busse, bald wirst du den Nisbadher sehen!" so sagen sie.2

Höchst gefährlich sind die Flüche solcher Bussereichen, denn was sie sagen, geht in Erfüllung, das muss ja auch die arme Qakuntalä an sich erfahren.

Zur Veranschaulichung dessen, wie naiv man sich schliess- lich die Zauberkraft dieser bussereichen Brahmanen dachte, will ich nur eine charakteristische Geschichte mittheilen. Es ist die zwölfte Erzählung im dritten Buch des Pancatantra: „Die verwandelte Maus soll sich einen Bräutigam wählen."

1 Im JÄahabharata erbalt auch sogar ein Raubthier seine Kraft als Lohn seiner Basse von Brahma! (s. Holtzmann, Brahman nach

den Vorstell. des Mhbh p. 214).

4 Nala 12, 92. 3 Benfey's üebersetzung, p. 262.

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„Am Ufer der Gangä ist "ein Gefilde von Einsiedeleien, voll von Büssern, welche sich einzig mit der Vollziehung der Werke des Gebets, der Sinnenbändigung, der Busse, des Stu- diums der heiligen Schriften, des Fastens und der Meditation beschäftigen, welche nur nach sehr reinem, wenigem Wasser verlangen, ihren Körper durch den Genuss von Knollen, Wurzeln, Früchten und Wasserpflanzen kasteien und weiter keine Be- deckung tragen, als einen aus Baumrinde gefertigten Schurz. Da war ein Familienhaupt namens Yajftavalkya. Dieser hatte sich in der Tochter des Jahnu (d. h. der Gangä) gebadet und war eben im Begriff sich den Mund auszuspülen, als ihm ein Mäuschen, aus dem Munde eines Falken stürzend, in die Hand fiel. Nachdem er dies erblickt, setzte er es auf ein Feigenblatt, badete sich von Neuem, spülte sich den Mund aus, vollzog die Sühne und übrigen Andachtsübungen, verwandelte dann das Mäuschen durch die Macht seiner Busse in ein Mädchen, ging mit diesem in seine Einsiedelei und sagte zu seiner Frau, die kinderlos war, Folgendes: Liebe, nimm hier diese an Tochterstatt an und erziehe sie sorgfältig!" Darauf erziehen sie nun das Mädchen, bis dasselbe herangewachsen ist und der Vater daran denkt, ihm einen Gatten zu geben. Seine Wahl fallt zuerst auf den Sonnengott „Darauf rief der Weise die Sonne. Durch die Macht der Anrufung vermittelst Veden- sprüche kam die Sonne augenblicklich herbei und sprach: Er- habener, warum rufst du mich?" Der Weise erklärt ihm nun sein Begehr, aber die Tochter findet kein Gefallen an dem Bräutigam, da er zu heiss sei Der Weise schafft dann der Reihe nach das Gewölk, den Wind, einen Berg herbei; alle missfallen dem Mädchen, bis er endlich einen Mäuserich ruft Bei dessen Anblick geräth das Mädchen in Entzücken und be- gehrt ihn zum Manne. „Er aber verwandelte sie darauf durch die Macht seiner Busse in ein Mäuschen und gab sie jenem zur Frau."

Durch die Macht seiner Busse erlangt hier also der Brah- mane ganz den Charakter eines Hexenmeisters in optima forma. Und in der That gehen offenbar die Gestalten jener weisen indischen Zauberer, von denen im Mittelalter viel gefabelt wurde und die in so manchen Märchen und Abenteurer- Geschichten auftreten, auf eben diese mit übernatürlichen Kräften ausge- rüsteten Büsser und Heiligen als ihre Vorbilder zurück.1

1 Uebrigens verrichten auch- in den buddhistischen Erzählungen die Heiligen Zauber und Wunder aller Art, und zwar thun sie das hier

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Wenn in früheren Jahrhunderten das Opfer zum Range einer kosmogonischen Potenz emporgestiegen war, so fand jetzt ganz dasselbe mit der Macht der Busse statt Durch sie soll die ganze Welt geschaffen sein. Das Gesetzbuch erzählt, Brahma selbst habe sich harten Bussungen unterzogen und dadurch den Manu hervorgebracht. Dann habe wiederum Manu die schwerste Busse geübt und so die zehn grossen Weisen ge- schaffen. Diese wiederum büssen und erschaffen alle Wesen, die Götter, die verschiedenen Himmel, die anderen Heiligen u. s. w. Man sieht, die Busse ist das eigentlich schaffende Princip ge- worden. Auch die alten Sänger der Vedahymnen werden jetzt zu grossen Büssern umgestempelt, und Civa, der gewaltige Gott, wird als ein furchtbarer Büsser gedacht und dargestellt Askese ist die höchste Leistung nicht nur für Menschen, sondern selbst für die obersten Götter. Busse, Askese schafft und regiert die Welt.

durch die blosse Kraft ihrer Heiligkeit, da Askese bei den Buddhi- sten ja nicht geübt wird. Vieles der Art findet man in „Täranätha's Geschichte des Buddhismus in Indien", übers, von A. Schiefner (Petersburg 1869). Häutig kommt es vor, dass die Heiligen oder Arhant's in Schaaren weithin durch die Luft an einen beliebigen Ort fliegen; oder sie zaubern die wunderbarsten Dinge herbei, nehmen alle mög- lichen Verwandlungen mit ihrem Körper vor u. dgl m. Die Buddhisten wollten sich eben in Wunderdingen nicht von den Brahmanen übertreffen lassen. Merkwürdig und charakteristisch i9t nm nur dies Beispiel anzuführen ein Wettstreit in Zauberkünsten zwischen Buddhisten und Brahmanen, der bei Taranatha (p. 8 der Uebers.) berichtet wird. Es heisst dort, daas der in Zauberkünsten überaus bewanderte Brahmane Bharadväja zur Zeit des Königs Aj&tacatru nach Magadha gekommen sei, um mit den Bhikahu's, d. h. den buddhistischen Mönchen, in Ver- wandlungen zu wetteifern. „Da er in Gegenwart des Königs und der übrigen Menschen vier Berge aus Gold, Silber Krystall und Lasurstein, auf jedem der vier Berge vier Edelsteinhaine in jedem Hain vier Lotua- teiche, angefüllt mit allerlei Vögeln, gezaubert hatte, zauberte der ehr- würdige Ananda viele wilde und unbändige Elephanten, diese verzehrten die Lotusse und zertraten die Teiche; dann entsandte er einen heftigen Wind, welcher die Bäume niederwarf; ein Donnerkeil-Regen vernichtete spurlos die Gehege und Berge. Darauf zeigte der ehrwürdige Ananda fünfhundert Körpergcstal hingen, einige gaben Licht von sich, andere Regen, einige vollzogen die vier Bewegungen in der Luft, andere Hessen von oben Feuer flammen, von unten Wasser strömen, und nachdem sie diese und andere gemischte Verwandlungen gezeigt hatten, sammelte er sie wieder In sich. Dem mit Jambhala verwandten Bharadväja und den übrigen Menschenschaaren, welche gläubig geworden waren, trug er die Lehre wiederholt vor im Laufe von sieben Tagen und führte Bharadväja an der Spitze der 500 Brahmanen und andere Menschen 80,000 in die Wahrheit ein." Sie überbieten sich also in Hexenmeisterstücken und suchen damit die Richtigkeit ihres Glaubens zu beweisen.

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Von grossem Interesse sind für uns die Berichte der Griechen über die indischen Asketen, weil sie uns in allen wesentlichen Punkten die Glaubwürdigkeit der- indischen Darstellungen be- stätigen. Die indischen Weisen1 so erzählen die Griechen haben das schwerste Leben. Sie werden von klein auf zur Weisheit erzogen und leben dann als erwachsene Männer „meist in Hainen in einiger Entfernung von den Städten, liegen aif der Erde, bekleiden sich mit Thierfellen, essen nichts Lebendes, enthalten sich des Beischlafes, üben viele Standhaftigkeit sowohl im Ertragen der Schmerzen wie durch Ausdauer, indem sie un- bewegt den ganzen Tag in einer Stellung bleiben, oder lange Zeit auf einem Beine stehen, und fuhren Gespräche über wichtige Gegenstände." „Andere Weise zieuen, mit dem Baum- wollengewande bekleidet, in den Städten umher und lehren und sind meist von Schülern begleitet Die meiste Zeit verweilen sie auf dem Markte, wo sie von Vielen um Rath gefragt werden. Wieder andere leben im Walde, unter den grossen Bäumen, und essen nichts als Baumrinde und die reifenden Kräuter. Im Sommer ertragen sie nackt die brennende Hitze des Mittags, und den Winter bringen sie ebenso die Regengüsse aushaltend unter freiem Himmel zu."f

.Megasthenes sagt, die indischen Weisen seien in zwei Secten getheilt, die Brahmanen und die Sarmanen. Mit letzteren meint er offenbar die indischen Qramana, Asketen und religiöse Bettler, brahmanische wie buddhistische. Die Brahmanen würden höher geachtet als die Sarmanen, da sie in ihren Lehren mehr übereinstimmten.8 Für die geehrtesten Sarmanen soll Megasthenes die vXoßwc oier Waldbewohner erklärt haben, „die m Wäldern lebten von Blättern und wilden Früchten, mit Kleidern aus Baumrinde, ohne Iiebesgenuss und Wein."4

Als die Griechen unter Alezander d. Gr. die Stadt Takshacila im Indusgebiete erreichten, wurden sie durch die seltsame Erscheinung solcher weisen Männer in Erstaunen ge-

1 Es ist charakteristisch und bemerkenswerte, dass sie den Griechen als Weise oder Philosophen (Gymnosophisten) erschienen, nicht als ein priesterlicher Stand.

1 8. Dancker, Gesch. d. Alt III4 p. 321.

' Dancker, a. a. ö. p. 822.

4 Nach Strabo 15, 60 p. 713. „Tobq 6h raQ/uävas (lies HctOfiavao) xotQ fib> ivzijuotaxovc vXofjlovq <pt]olv (b Mevao&tvTjs) Svo/ud\ea^ai. gwvrcrc iv talq vXaig unb (pvXXmv xal xuQnüv dypl&v, da&rjroz <pXoiwv öevÖQtliov, <x(pQodiala>v £a>(»2c x*l otvov." Vgl. Kaegi, der $igveda, p. 132. Duncker a. a. 0. p. 322.

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setzt. Aristobulus berichtet,1 er habe dort zwei Brahniauen gesehen, die sehr geehrt herumwandelten und auf dem Markte nehmen konnten, was ihnen gefiel. „Unfern der Stadt hätten sie Standhaftigkeit gelehrt, indem der ältere sich, auf der Erde liegend, der Hitze der Sonne und danD den Regengüssen aus- setzte; der jüngere aber hätte diesen übertroffen, indem er auf einem Beine stand und mit beiden Händen ein drei Ellen langes Holzscheit emporhielt, und wenn der eine Schenkel er- müdet war, stand er auf dem anderen, und so fuhr er den ganzen Tag hindurch fort.** „Onesikritos erzählt,* er habe fünfzehn von diesen Weisen südwärts von der Stadt gefunden, jeden in einer anderen Haltung, den einen sitzend, den anderen stehend, den dritten nackt und bis zum Abend unbewegt auf der Erde liegend. Das Schwerste sei, die Hitze zu ertragen, die um Mittag so stark sei, dass kein Anderer den Boden mit nacktem Fuss zu betreten vermöge. Mandanis,* welcher unter ihnen an Alter und Weisheit der erste war, habe gesagt: die Lehre sei die beste, welche die Lust und den Schmerz aus der Seele entferne*' u. s. w.4

Alexandor soll ein grosses Interesse an diesen merk- würdigen Männern genommen und sich sehr bemüht haben, einen derselben an sich zu fesseln, um ihre Lehren kennen zu lernen. Es gelang ihm dies auch. Kalanos, einer von Denen, die dort bei Takshacila auf den Steinen gelegen, folgte dem macedonischen Eroberer, obgleich ihn die anderen Weisen des- wegen tadelten. Merkwürdig war auch der Tod dieses Mannes. Es heisst, dass er, dem Alezander nach Persien gefolgt, dort schwer erkrankt sei „Alezander habe vergebens versucht, ihn von dem Entschluss abzubringen, sich zu verbrennen. Zu schwach, um zu gehen, sei Kalanos zum Scheiterhaufen getragen worden, nach indischer Weise bekränzt und Hymnen in indischer Sprache singend. Und als der Scheiterhaufen entzündet wurde, habe er mitten in den Flammen gelegen, ohne sich in rühren.**6

Megasthenes berichtet, dass die indischen Weisen sich nicht nur durch Feuer tödteten, sondern auch indem sie sich in Abgründe und Wasser stürzten. Doch sagt er ausdrücklich,

1 Bei Strabo p. 714. » Bei Strabo p. 715.

Bei Aman, Anab. 7, 2 und Plutarch Alex. 65 heisst er Dandamia.

* S. Duncker, a. a. 0. p. 305.

5 So enihlen Arrian, Onesikritos und Plutarch. S. Duncker, a. a. 0. p. 389.

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dass der Selbstmord kein Dogma der indischen Weisen sei und dass die, welche sich selbst tödteten, für übereilt und verwegen gehalten würden.1

So lehren uns denn die Griechen deutlich, dass im vierten Jahrhundert vor Chr. die Askese und das Emsiedlerwesen in Indien weitverbreitet war, und ihre diesbezüglichen Mitthei- lungen stimmen durchaus zu den Angaben der indischen Bücher.

1 Duncker a. a. 0. p. 390. 391. Vgl. zu dem Allem auch Lassen, Ind. Alt II», p. 705-714.

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Achtundzwanzigste Vorlesung.

Die Veränderung in den ethischen Anschauungen und Idealen. Ent- sagung, Selbstlosigkeit, Güte, Müde, Nachsicht u. s. w. Charakteristische Sprüche als Beispiele für diese Anschauungen. Die Lehre Ton der Seelenwanderung und ihre Beziehung zur Moral Systematische Aus- bildung und Erweiterung dieser Lehre. Die Beinheitsvorschriften, Speise-

gesetze u. dgl. m.

In unverkennbar deutlichem Zusammenhange mit der das indische Mittelalter charakterisirenden Richtung auf Weltflucht und Askese steht die ungeheure Umwandlung, welche die ethischen Anschauungen und Ideale der Inder in diesen Jahrhunderten erfahren haben. Nicht mehr Besitz, Reichthum, Genuss des irdischen Glücks, wie in der alten Zeit sondern Entsagung wird jetzt das Losungswort Vergänglich sind die irdischen Güter, vergänglich alle Lust, die sie gewähren! Leiden Bchliessen sie in sich, es ist nicht werth, sich um sie zu be- mühen! Dieser Gedanke, der zuerst in den Upanishaden auf- taucht, den dann Buddha der Qakyasohn. in mächtigen Worten gepredigt, er ist auch für die Ethik der Brahmanen jetzt der leitende und massgebende. Sich selbst soll man hingeben mit allen seinen Wünschen und Leidenschaften, sich opfern für das Wohl der anderen Wesen. Mit den vergänglichen Gütern suche man unvergänglichen Besitz zu erringen, indem man Anderen Gutes thut; die gute That aber ist ein unvergänglicher Schatz, der auch im Tode uns treu bleibt Ein jedes Wesen soll der Mensch anschauen, als wenn er es selbst wäre, und demgemass handeln, so durch die That beweisend, dass er die hohe Weis- heit der Upanishaden in sich aufgenommen, die uns lehrt, dass in dir und mir und in uns Allen derselbe Ätman lebt, dass wir in. Wahrheit nicht von einander unterschieden, dass wir

Alle Eins sind.1 Man füge Niemandem Leid zu, Jedermann

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1 Dies der Sinn des berühmten tat tvam asi, auf welches auch Schopenhauer in so bestechender Weise seine Moral aufbaut.

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suche man Hülfe und Schutz zu gewähren. Man übe Mitleid, Milde, Güte und Nachsicht, selbst gegen die Bösen. Man sei fugsam und gehorsam. Man bezwinge den Zorn, man vergelte nicht Böses mit Bösem. Man ertrage die Schmähung und handle freundlich gegen die, die uns kränken!

Wahrlich, solche Worte sind in der alten Zeit nicht ge- sprochen worden! Vergeblich wird man auch nur annähernd Aehnliches im Rigveda oder in den Yajurveden suchen. Es ist eine völlig neue Zeit, die in diesen Gedanken sich aus- spricht Es war zu den Alten gesagt: Auge um Auge, Zahn um Zahn, aber jetzt gilt eine neue Lehre, das ist die liebende, leidende, duldende und tragende Moral des indischen Mittelalters.

Es springt in die Augen, wie sehr in allen wesentlichen Zügen diese neue Ethik der Brahmanen mit der der Buddhisten übereinstimmt, es ist aber nicht ganz leicht, die Beziehung beider zu einander präcise zu bestimmen. Oft gleichen die Moralsprüche der brahmanischen Bücher fast Wort für Wort deuen der buddhistischen. Die ersten Keime und Anfänge dieser Gedanken finden sich jedenfalls schon in den Torbuddhi- stischen Werken der Brahmanen. Dann sind sie von Buddha machtvoll erfasst, vertieft und begeistert verkündigt, und wohl liegt die Vermuthuug nicht so ferne, dass die Predigt des Qäkyasohnes auch auf die ethischen Lehren der Gegner nicht ohne Einfluss gewesen, dass auch die Brahmanen im gleichen Sinne ihr System immer mehr und mehr vertieften. Eins müssen wir jedenfalls behaupten: Die Ethik des Buddha und die neue Ethik der Brahmanen, sie tragen den Stempel ein und derselben Zeit, sie sind aus demselben Geiste geboren, dem Geiste des indischen Mittelalters.

Wie nach den glänzenden, freudigen Tagen des hellenisch- römischen Alterthuni8, nach Zeiten des Ruhmes, Sieges und Genusses die alte Welt in ihren innersten Fugen erschüttert ward, überall Bussprediger auftauchten, Entsagung, Flucht von der Welt predigend, und das Wort: „Liebet eure Feinde !M er- scholl, — so hier in Indien zu der Zeit, wo die alten Ideale des Lebens und Strebens nach Besitz, Sieg und Herrschaft als ungenügend erkannt sind, wo die Menschen gleichsam er- schrecken über die Thorheit ihres bisherigen Wollens und voll Schmerz, Enttäuschung und Ekel einen neuen, ganz neuen Weg zum Heile und inneren Frieden suchen.

Lassen Sie mich nun noch einige Sprüche aus brahmani- schen Werken dieser Periode anführen, die Ihnen die vorhin

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allgemein ausgesprochenen moralischen Lehren näher erläutern

und lebendiger vorfuhren werden.

Vergänglich sind die irdischen Güter, das ist die erste

Erkennt niss, die den Menschen zur Einkehr in sich selbst

treibt. heisst es z. B. in dem geistvollen Spruchwerke des

Bhartrihari1:

„Reizend sind des Mondes Strahlen, reizend der Grasplatz im Walde, reizend das Glück, das aus dem Umgange mit Guten hervorgeht reizend die Erzählungen in den Werken der Dichtkunst, reizend der Geliebten Antlitz, das von den Thranen tropfen , die der Zorn hervor- lockte, erzittert; Alles ist reizend, hat aber der Geist die Vergänglich- keit dieser Dinge erkannt, so ist nichts mehr reizend.4'

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Und ferner2:

„Das Haus ist hoch, die Söhne sind von Edlen geachtet, das Ver- mögen unzählbar, die Geliebte schön, die Jugend im ersten Beginnen; so sagt der durch Unwissenheit bethörte Mensch zu sich, hält Alles für unverfänglich und begiebt sich in das GefaDgniss, das Welt heisst; der Glückliche aber, der erkannt hat, dass alles Dieses nach einem Augen- blick zusammenstürzen kann, entsagt der Welt und ergiebt sich dem beschaulichen Leben."

Oder auch8:

„Die Gegenstände des Sinnengenusses gehen, wenn sie auch längere Zeit bei uns verweilen, doch nothwendig einst von dannen. Was fttr ein Unterschied ist es, wie sie sich trennen, dass der Mensch sie nicht selbst fahren lasst? Gehen sie von selbst davon, so bereiten sie dem Herzen unsäglichen Schmerz, giebt man sie dagegen freiwillig auf, so gewähren sie das unendliche Glück der inneren Ruhe.4*

Die Unstätheit und Vergänglichkeit aller irdischen Güter soll uns mahnen, nach Möglichkeit Anderen damit Gutes zu thun. So heisst es in dem bekannten Fabelwerk Hitopadega4:

„Der Kluge gebe Belchthümer und Leben für einen Andern hin. Da Beides doch einst nothwendig zu Grunde geht, so ist es besser, dass sie für eine gute Sache geopfert werden."

Und an einer anderen Stelle5:

„Das Leben der Menschen ist so unstät wie das Bild des Mondes im WasBer; hat man Solches erkannt, so übe man stets Gutes."

Und derselbe Text mahnt uns6:

„Wie dir selbst das Leben lieb ist, so auch den übrigen Geschöpfen;

1 3, 80; Ind. Spr. 2590. Die Uebersetsung dieses und der folgenden Sprüche ist Böhtlingk's Indischen Sprüchen 1 Bhartrih. 3, 21 (Ind. Spr. 1039).

* Bhartrih. 3, 13 (Ind. Spr. 243).

* Hit lf 38 (Ind. 8pr. 1297).

Hit 4, 127 (Kam. Nitis. 3, 12; Ind. Spr. 946).

Hit. 1, 10 Ond. Spr. 1895).

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edle Menschen üben gegen Jedermann Mitleiden, Indem fle aber all

sich selbst sehen."

Und wieder an einer anderen Stelle1 heisst es:

„Manner, die sich jeglicher Leidsufügung enthalten, Alles geduldig ertragen und Jedermann Schutz gewahren, gehen in den Himmel ein.44

Ja sogar1:

„Gute üben Mitleid auch gegen Geschöpfe, die keine Vorzüge be- sitzen. Der Mond entzieht ja nicht sein Licht der Hatte des Pariah."

Hohe und schöne Lehren dieser liebenden und duldenden

Moral finden wir auch in dem grossen Epos der Inder, dem

Mahabharata, ausgesprochen. So heisst es z, B. sehr schön9:

„Den Habsüchtigen gewinne man durch Freigebigkeit, den Lügner durch Wahrheit, den rohen Uebeithater durch Nachsicht, den Bösen durch Gate.44*

Und ferner6:

„Wer den Zorn zurückhält, wer Beleidigungen ruhig ertragt und wer, von Anderen gepeinigt, nicht wieder peinigt, der ist ein festes Ge- fias für die Glücksgüter (d. L dem fallen alle Glücksgüter au)."

Den Zorn sollen wir völlig bezwingen. Das Mahabharata

sagt":

„Wer den ausgebrochenen Zorn in aller Ruhe abschüttelt, der hat, dies wisse, o Devayanl, diese ganze Welt erobert"

Ja es heisst sogar7:

„Fragt man, wer höher stehe, derjenige, der unermüdlich jeden Monat hundert Jahre hindurch opfert, oder derjenige, der Niemand zürnt, so lautet die Antwort: Derjenige, der nimmer sttrnt."

Das Gesetzbuch des Manu8 sagt:

„Man soll Niemand einen Schmerz bereiten, selbst wenn man be- leidigt worden wäre; man soll keine Feindschaft gegen den Nächsten an

' Hit. 1, 58 (Ind. Spr. 3215). 1 Hit 1, 56 (Ind. fyr. 1605). 3 Mhbh. 3, 13253 (Ind. Spr. 942).

' Sehr ähnlich im buddhistischen Dhammapada 223. Vgl. oben p. 282. 8. auch die übernächste Anm.

Mhbh. 1 3323 (Ind. Spr. 2451).

Mhbh. 1, 3321 (Ind. Spr. 2454). Man vgl. auch den Spruch Mhbh. 1, 3820 (Ind. Sur. 2453): „Wer den ausgebrochenen Zorn wie ein Robb zurückhält, den nennen Weise einen Wagcnlenker, nicht den, der die Zügel schiessen lasst " Und damit stimmt wiederum merkwürdig überein der Spruch Dhammap. 222: „Wer den Zorn, der sich in ihm erhebt, in der Gewalt halt, wie einen rollenden Wagen, den nenne ich den wahren Wagenlenker; ein Anderer ist nichts als ein Zügelhalter." (Oldenb. p. 298).

7 Mhbh. 1, 3324 lind. Spr. 2555).

Manu 2, 161 (Ind. Spr. 1553). .

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den Tag legen, weder durch die That noch in Gedanken, man soll kein unangenehme!» Wort aussprechen, durch das der Andere sich gekrankt fohlen könnte.'4

Und wieder im Mahäbharata1 heisst es:

„Harte Worte ertrage er (der Asket) geduldig, Niemanden achte er gering; wird er gereUt, so sage er etwas Liebes; wird er geschmäht, so spreche er: Es ergehe dir wohl!'4

Also: Segnet» die euch fluchen 1

Welch ein ungeheurer Fortschritt in dieser Moral gegenüber der einer früheren Zeit!.

Fest verwachsen mit den ethischen Anschauungen des in- dischen Mittelalters und von hervorragender Bedeutung für dieselben war der Glaube an die Seelenwanderung.

Diese Theorie verdankt, wie wir früher gesehen haben, ihren Ursprung der unmittelbar vorausgehenden Epoche und war zu Buddha'8 Zeit bereits ziemlich weit verbreitet und in den geistig leitenden Kreisen allgemein angenommen. Gleich zu Anfang oder doch schon früh hatte sich dieselbe mit den Vorstellungen von Schuld und Strafe eng verbunden. Man glaubte, dass die Qualität der Existenz eines Menschen nach dem Tode, der irdischen wie der himmlischen, denn durch beide Bereiche erstreckte sich der Kreislauf der Geburten bestimmt würde durch die Qualität seines Handelns im Leben. „Wie er gehandelt, wie er gewandelt, so wird er sagte schon das Catapatha Brähmana wer Gutes that, wird zum guten Wesen, wer Böses that, zum bösen; rein wird er durch reine That, böse durch böse That" u. a. w. Das ist die Lehre vom Karman, von der bestimmenden Macht der Thai Diese Lehre wird nun in der nachbuddhistischen Zeit, im Mittelalter, sehr viel weiter ausgebildet und entwickelt Der grübelnde Geist der Inder, dem Schematisiren und Systematisiren fast leiden- schaftlich ergeben, baute sich jetzt allmählich ein grosses, complicirtes System der Wiedervergeltung durch die Art der künftigen Existenz auf. Für die scheinbar oft so grosse Un- gerechtigkeit im Leben des Einzelnen bot sich hier ein ganz überraschender Erklärungsgrund. Wer unschuldig zu leiden schien, von dem Hess sich alsbald annehmen, dass er dies in einer früheren Existenz verschuldet; wem es ohne Verdienst gut ging, der hatte so meinte man dies wohl durch seine Thaten in einem früheren Leben verdient. Wo unsere

1 Mhbh. 12, 9972 (Ind. Spr. 3410). Mehr Beispiele ähnlicher Sitten- sprQche findet man unten iu Vorlesung XLV.

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theologischen Denker mit dem Begriff der Erbsünde operiren, da hat der Inder die frühere Geburt zur Erklärung bereit, und diese Erklärung mag man im Uebrigen noch so viel dagegen einwenden hat den Vorzug der grösseren Gerechtig- keit für sich und musste schon aus diesem Grunde anziehen und überzeugend wirken. Dabei ist es von grosser Wichtigkeit, dass diese Lehre durchaus nicht etwa ein Theorem der Moral- philosophen geblieben, Bondern tief in das Bewusstsein und die Empfindung des indischen Volkes eingedrungen ist und darin fest wurzelt bis auf den heutigen Tag.

Dieser Glaube wennschon ein Irrthum hat unleugbar seine grosse sittliche Wirkung! Denn er bringt deu Menschen dazu, die Ursache des Unglücks, das ihn trifft, in sich selbst, in seinem eignen Wesen und Thun zu suchen, sie macht ihn demüthig und ergeben.

Ist es nicht rührend, wenn z. B. die reine, schuldlose Damajanti, im Elend umherirrend, von immer neuen schweren Schicksalsschlägen getroffen, dennoch nicht murrt und zürnt, sondern meint: Das muss ich doch wohl Alles selbst in einer früheren Existenz verschuldet haben!

An die eigene Brust schlägt also hier der Mensch, statt Andere oder das Schicksal anzuklagen, wie das sonst wohl üblich ist Sehen wir uns dies System der Vergeltung noch etwas näher an!

Zwischen dem höchsten Lohn, dem Eingehen in das Brahman, und der schwersten Strafe, dem Versinken in eine der Höllen, lag eine unabsehbare Reihe verschiedener belebter und unbelebter Existenzen, die einem Jeden nach Maassgabe seiner Thaten zu Theil werden konnten, von den Göttern und Heiligen an, durch die verschiedenen Stände und Ordnungen der Menschen, Brahmanen, Krieger, Vaicja, Qüdra, die Mleccha oder barbarischen Völker und all die zahllosen Thierordnungen hindurch bis hinab zu den Pflanzen, Steinen und anderen leb- losen Gegenständen. Aus dem Brahman waren sie alle - direct oder indirect ausgeströmt, zum Brahman strebten sie wieder zurück. Aber nur wer die höchste Stufe der Reinheit und der Erkenntniss, der Loslösung von dem Irdischen erlangt hatte, war im Stande dies höchste Ziel zu erreichen, ganz und für immer in dem höchsten unpersönlichen Brahman zu ver- wehen. Die Anderen durften höchstens hoffen, nach dem Tode eine oder einige Stufen höher zu steigen, liefen aber beständig Gefahr, durch irgend welchen Fehltritt tief unter das bereits erreichte Niveau zu sinken.

v. Schröder, Indiens LH. «. Colt. 26

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Wer ein gerechtes, fromme« Leben geführt, alle Satzungen wohl erfüllend, ohne doch die höchste Erkenntnis zu erreichen, konnte für eine bestimmte Zeit in die Seligkeit des Mondes, in den Himmel des persönlichen Brahman gelangen. War das Verdienst seiner Werke dort aufgezehrt, so kehrte er nieder in andere Existenzen zur Erde zurück. Tapfere Krieger, Könige und Helden gingen in den Himmel des Indra ein, aber immer nur für bestimmte Zeit, denn der Kreislauf der Geburten konnte damit nicht abgeschlossen sein. Der Krieger musste erst noch zum Brahmanen emporsteigen, ehe er das höchste Ziel erstreben konnte; der Vaicya musste erst Krieger, der £üdra Vaicya geworden sein und dann so weiter fort auf der Stufenleiter der Existenzen. Glücklich Derjenige, dem es gelang überhaupt empor zu steigen. Schon geringere Sündhaftigkeit konnte es bewirken, dass er hinabstieg, dass er als Qudra oder Glied einer anderen, noch verach toteren Menschenklasse oder als eines der besseren Thiere, als Elephant, Löwe, Tiger, Eber oder Vogel wiedergeboren wurde.1 Schlimmere Thaten ver- setzten ihn in die vegetabilische Welt oder brachten ihn in eleu Leib verachteter Thiere, wie Esel, Hund, Fisch, Schlange, Schakal, Schildkröte, Frosch, Ratte, Insect, Wurm u. dgl. m.Ä Wer sich Grausamkeiten zu Schulden kommen liess, wurde als reissendes Thier wiedergeboren;3 wer eine Kuh geraubt, als Eidechse oder Krokodil;4 wer Früchte und Wurzeln gestohlen, als Affe:f> wer Korn gestohlen, als Maus;* wer Honig gestohlen, als Stechfliege;7 wer Milch, als Krähe;8 wer Fleisch, als Geier;9 wer verbotene Speise gegessen, als Wurm10 u. dgL m. Wer ein schweres Verbrechen begangen, sinkt in die Hölle, um dort lange Jahre hindurch gemartert zu werden. Das schwerste Verbrechen ist Brabmanenmord. Hat Einer auch nur den Ver- such gemacht, einen Brahmanen zu tödten, so soll er hundert oder tausend Jahre in der Hölle gepeinigt werden, je nachdem, wie weit er dabei gekommen. Ist Blut dabei geflossen, so bleibt er so viel tausend Jahre in der Hölle, als das Blut des Brahmanen Sandkörner berührt hat.11 Hat der Sünder sein Verbrechen in der Hölle gehörig gebüsst, so beginnt er aufs Neue den Kreislauf der Geburten als eines der niedrigsten

1 Vgl. Manu 12, 43. 44. YftjSa?. 3, 134. 135. * Vgl. Manu 12, 42. 55. 58. 64. 65. Yajn. 3, 136. 207 flg. 4 Manu 12, 59. 4 Manu 12, 64. Yajn. 3, 215. * Manu 12, 67. Yajfi. 3, 214. Manu 12, 62. Yajn. 3, 214. ' Manu 12, 62. Yajfi. 8, 215. Manu 12, 62. Yajn. 3, 214. Manu 12, 63. Yagfi. 3, 215. 10 Manu 12, 59. »• Manu . 11, 206. 207.

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Thiere oder Mitglied der verworfensten Menschenklasse,1 und wieder lag eine lange Reihe elender Existenzen vor ihm, die er zu durchwandern hatta*

Es war eine furchtbare Vorstellung, dieses endlose, ruhe- lose Wandern durch undenkliche Zeiträume hindurch, wohl ge- eignet, zum Gehorsam gegen das als göttlich verkündete Gesetz zu mahnen. Das Gesetzbuch des Manu ruft dem Sünder zu, wohl zu bedenken, in welche Qualen er sich selbst, resp. seine Seele stürzen könne: JEr gedenke der Wanderung seiner Seele durch tausend Millionen von Mutterschössen !M 3

Gerade fiir den Geist des ruheliebenden und ruhesuchen- den Inders war diese Vorstellung schon schrecklich genug, nicht zu gedenken der fürchterlichen Höllenqualen, die bei schwereren Vergehen eintraten, und die die Phantasie der Inder des Mittel- alters aufs Aeusserste zu steigern, mit dem grössten Raffinement auszumalen wusste, wie die Geistlichkeit Aehnliches ja auch in unserem Mittelalter sehr wohl verstand und als Schreckmittel benutzte. Das Gesetzbuch, des Manu kennt eine ganze Menge (21) Höllen mit verschieden abgestuften Qualen.4 Da giebt es den Ort der Finsterniss und den Wald, dessen Blätter Schwerter- klingen sind u. dgl. m.ft Die Seelen der Verbrecher werden von Krähen und Eulen zerfleischt oder in Töpfen gesotten; sie müssen glühend heissen Sand verschlingen und noch viel andere furchtbare Qualen erdulden.6

Alle diese Vorstellungen mussten wohl die Gemüther der Menschen mit scheuem Bangen erfüllen und ihnen unbedingten Gehorsam, völlige Fügsamkeit gegenüber der bestehenden Ord- nung als einzige Rettung erscheinen lassen.

Aber es war wirklich keine leichte Aufgabe, dieser be- stehenden Ordnung allseitig gerecht zu werden, denn eine Un- masse von einzelnen Vorschriften, Bestimmungen und Geboten, die sich in den Gesetzbüchern vorfinden, regeln das Leben des brahmanischen Inders, zwängen sein ganzes Thun und Sein fast auf jedem Schritt in enge Schranken hinein, die er nicht miss- achten darf, wenn er sich nicht einer Pflichtverletzung, einer

1 Vgl. Manu' 12, 54 flg.

* Ein Brahmanenmorder wird dann als Hund, Eber, Esel, Cancjala u. dgl. wiedergeboren; ein Brabmane, der geistige Getränke getrunken, als Wurm, Iosect u. dgl.; wer das Bett seines Lehrers befleckt batte, soll hunderte von Malen als Gras, Busch, fleischfressendes Thier u. dgl.

. geboren werden. Vgl. Manu 12, 55-58.

Vgl Manu 6, 63. * Vgl. Manu 4, 87-90. 12, 76 flg. * Manu 12, 75. Manu 12, 76.

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Sünde schuldig machen will. Wie sehr der Inder des Mittel- alters umgehen war von Gefahren, in Sünde zu gerathen, wie ängstlich er über sich wachen musste, um nicht der Früchte seiner guten Handlungen verlustig zu gehen, kann uns das Beispiel der Reinigungsvorschriften und Speisegesetze zeigen.

Einiges von diesen Vorschriften mag wohl schon in hohes Alterthum zurückreichen. Dafür spricht die Uebereinstimmung, die wir in manchen hierhergehörigen Punkten zwischen Indern und Iraniern wahrnehmen, so namentlich die eigentümliche Rolle, welche dem Urin und den Excrementen der Kühe bei den Reinigungen zugewiesen ist. Es unterliegt indessen keinem Zweifel, dass die eigentliche Ausbildung des Systems von den Befleckungen und Reinigungen durchaus erst dem indischen Mittelalter angehört und dass die Vorschriften darüber erst in dieser Zeit eine grosse, weitreichende Bedeutung gewannen, beständig aufs Wirksamste unterstützt durch die Androhung von Schädigung und Strafe, die den Verächter dieser Bestim- mungen wie auch den Fahrlässigen nach dem Tode in einer künftigen Existenz sicher ereilen werde, falls nicht die nöthige Reinigung und Sühnung für das Vergehen stattgefunden.

Die körperliche Berührung mit unreinen Dingen soll streng- stens gemieden werden. Daher darf man nicht in der Nähe von Excrementen, Blut, Schleim, Speichel, gebrauchten Salben oder Badewasser stehen 1 oder gar auf dergleichen Dinge treten, * denn sie sind unrein. Man darf nicht stehen auf Haar, Asche, Knochen, Topfscherben oder Spreu.3 Daher schliesst eigentlich jeder Schritt, jede Bewegung die Gefahr einer Verunreinigung, resp. Versündigung in sich.4 Dinge, die mit Unreinem in Be- rührung gekommen, sind selbst unrein. Es muss daher die grosste Sorgfalt darauf verwendet werden, Alles, was man be- rührt, vorher von eventueller Befleckung zu reinigen, zu sühnen. Dies geschieht durch Waschen mit Wasser, Abreiben mit Kuh- haaren, durch Fegen, Besprengen mit Kuhurin und Bewerfen mit Kuhmist u. a m.6

1 Vgl. Manu 4, 132. » Vgl. YajÄ. 1, 162.

Vgl. Manu 4, 78. YajÄ. 1, 189.

4 Uebrigens liegt aber eine bedeutende Milderung der Gefahr in der Angabe der Gesetzbücher, dasa Dinge, von deren Unreinheit man nichts weiss, in der That nicht verunreinigen sollen. Vgl. Manu 4, 127. YajÄ. 1, 191.

Genaue Regeln darüber, bei welchen Gegenständen diese oder jene Reinigung vorzunehmen ist, finden sich bei Manu 5, 111—126; Yajn. 1, 182-191.

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För sehr unrein gilt ein Leichnam. Stirbt daher Jemand, so ist die Familie eine Zeitlang unrein. Sie müssen drei Tage lang baden, dürfen kein Fleisch essen und müssen von einander gesondert auf der Erde schlafen.1 Je nach der Natur des Falles, und dem Charakter der betheiligten Personen ist die Zeit der Unreinheit verschieden normirt Im Allgemeinen wird der Brah oaane nach zehn Tagen wieder rein, der Kshatriya nach zwölf, der Vaicja nach fünfzehn und der Qudra nach dreissig Tagen.* Unrein wird man durch die Berührung einer Frau, die ihre Regeln hat, oder eines unreinen Menschen, Paria u. dgL; oder auch eines solchen Menschen, der von Jenen be- rührt worden ist Bäder, Wasserschlürfen, Gebete, speciell die heilige sogenannte Gayatri (RV 3, 62, 10) machen den Mann wiederum rein.8 Haare- und Nägel des Zweimalgeborenen müssen beschnitten sein, er darf dies aber nicht selbst thun, da es ihn verunreinigen würde.4 Er darf auch nicht die Nägol mit den Zähnen abbeissen,6 darf nicht mit den Zahnen knirschen,6 nicht aus einer zerbrochenen Schüssel essen7 u. dgl. m. Die Art, wie er seine Ausleerungen vornehmen soll, wie und in welcher Weise, mit welchen Theilen der Hand oder des Fingers er die reinigenden Abwaschungen zu verrichten hat, das Alles und vieles Andere ist genau geregelt.

Eine Unachtsamkeit in irgend einer Richtung kann alsbald den bösen Geistern Gewalt über den Menschen geben, wie ein solches Vorkommniss z. ß. in der Geschichte des Nal eine Rolle spielt8

Verunreinigung und Sünde kann der Mensch auch durch den Genuas gar mancher Nahrungsmittel auf sich laden, und es waren vielerlei Beschränkungen, die die Brahmauen in dieser Hinsicht aufstellten.

1 Vgl. Manu 6, 73; 8. auch YftjS. 3, 16.

VgL Manu 5, 83, YajS. 3, 18. 22. - Näheres siehe bei Manu 5, 59-83. Yajü. 3, 16 flg.

Tgl. Manu 5, 85. 86. YajS. 3, 30.

4 8. Manu 4, 69. Das Geschäft soll von einem Manne niederer Kaste verrichtet werden. 8 Mann 4, 69. 71. 0 Manu 4, 64. ' & Manu 4, 65.

Der höbe Geist Kali verweilt lange in der Nähe des König Nal, ohne ihm etwas anhaben zu können, bis im zwölften Jahre Nal eines Tages eine vorschriftsmassige Reinigung der Füsse sub Unachtsamkeit unterlasst. Da dringt Kali in ihn ein, er kann sich seiner nicht er- wehren und jahrelanges Elend kommt über ihn. Nalop. 7, 2. 3.

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In der alten Zeit war von Speisegesetzen kaum die Rede. Wir finden nur einen Anfang dazu im Yqurveda, wo bei der Vorbereitung zum Opfer der Genuss von Fleisch, Bohnen u. dgl. verboten wird. Jetzt aber wird solchen Verboten eine ganz andere Ausdehnung, eine ganz andere Bedeutung gegeben.

Offenbar in Zusammenhang mit der allgemeinen ethischen Richtung, gemäss welcher die Schonung alles Lebendigen, Mit- leid mit jedem Wesen, „NichtVerletzung*' (ahimsA) anbefohlen wurde, sowie wohl auch unter dem Einfluss des immer mäch- tiger wirkenden Glaubens an die Seelenwanderung, nach wel- chem in den Thieren eventuell auch Seelen unserer Vorfahren, Freunde u. s. w. stecken können, wurde jetzt im Prinzip jede Fleischnahrung perhorrescirt und insbesondere die Jagd zu einem durchaus sündlichen Thun gestempelt, vor welchem der Fromme zurückschaudern musste.

Indessen war es den Brahmanen nicht möglich, die Ent- haltung vom Fleischgenuss praktisch wirklich durchzusetzen. Eine Macht, die stärker war, als die Theoreme der Priester, verhinderte dies; die Forderung des Naturtriebes war dagegen.

Das Gesetzbuch des Manu hebt das Verdienst der Ent- haltung von aller Fleischnahrung stark hervor: wer kein Fleisch esse, erwerbe sich dadurch das gleiche Verdienst, wie Einer, der hundert Jahre lang Jahr um Jahr das heilige Rossopfer darbringe.1 Aber alles Fleisch wirklich zu verbieten, war un- möglich. Daher begnügt man sich damit, gewisse Beschrän- kungen einzuschärfen. Für eine besonders grosse Sünde galt das Tödten und Essen der Rinder, denn dies sind heilige Thiere. Die Gesetzbücher fuhren ferner eine Reihe von Thieren auf, deren Fleisch zu essen verboten war, eutweder weil sie für unrein galten, oder auch aus anderen Gründen. Sa verbietet Manu das Essen von fleischfressenden Vögeln, von Vögeln, die in Städten oder Dörfern nisten, von Sperlingen, Flamingos, Kuckucks, fischessenden Tauchern und Papageien, von Haas- hahn, Rabe, Kranich und anderen Vögeln; verboten ist ferner das Fleisch von zahmen Schweinen, und verschiedenen Fischen;9 desgleichen Fleisch vom Schlachter und gedörrtes Fleisch;' Fleisch von unbekannten Thieren oder Vögeln, sowie von allen denen, die fünf Klauen haben.4 Dagegen werden nun eine Reihe von Fischarten ausdrücklich erlaubt,6 desgleichen unter

* S. Manu 5, 63. Aehnlich auch Yajn. 1, 181. * VgL Mm- 5, 11—14. Aehnlich Yajn. 1, 172—176. a S. Manu 5, 13. Yajä. 1, 175. « Manu 5, 17. 5 8. Manu 5, 16. Yajfi. 1, 177. 178.

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den Thieren, welche fünf Klauen haben, der Hase, die Schild- kröte, das Rhinocero8, Igel, Stachelschwein, Eidechse nnd alle, die nur eine Reihe von Zähnen haben (aasgenommen das Kamee!).1 Vor Allem wichtig aber erscheint die Bestimmung, dass es er- laubt war, Fleisch von den Opfern für Götter und Manen zu geniessen. Man brauchte daher nur Fleisch, welches man ge- kauft oder sich sonst verschafft hatte, vorher den Göttern und Manen zu weihen, indem man ihnen einen Theil davon dar- brachte, und das betreffende Fleisch war damit zu Opferfleisch geworden, durfte somit genossen werden.1 Dadurch ist das ganze Verbot eigentlich illusorisch geworden; und es wird dies noch mehr durch die Bestimmung, dass man Fleisch essen dürfe, wenn man es zum Lebensunterhalt durchaus nöthig habe.8 Wenn man freilich Fleisch leichtsinnig, ohne zwingenden Grund oder ohne Beobachtung der heiligen Regeln geniesst, so wird Einem das im Jenseits als eine schwere Sünde angerechnet4 Hat man Fleisch gegen die Regel gegessen, so soll man im Jenseits von Thieren gefressen werden.6 Vor Allem ist es dem Brah- manen streng verboten anderes Fleisch als solches, welches durch die vorgeschriebenen Gebete geweiht, Opferfleisch ge- worden ist, zu geniessen, oder ein Thier anders als zum Opfer zu tödten. Thue er dies dennoch, so soll er bei seinen späteren Geburten so oft eines gewaltsamen Todes sterben, als das ge- testete Thier Haare auf dem Leib hatte.8 Wenn er dagegen ein Thier zum Opfer für Götter oder Manen tödtet, dann begeht er nicht nur kein Unrecht, sondern bereitet sich sowohl als auch dem Thiere Heil,7 welchem letzteren nach dem Tode höhere Geburten in Aussicht gestellt werden.8

1 8. Manu 6, 18. Vgl. Yajü. 1, 177. 1 S. Manu 5, 31. 32. Yajn. 1, 179. Manu 6, 27. 33. Yajn. 1, 179. 4 8. Manu 5, 33. 34. * 8 Manu ft, S3

S. Manu' 5, 36—38. Bei Yajft. 1, 180 heisst es: „Wer Thiere gegen die Vorschrift tödtet, dieser Böse wird so Yiele Tage in einer fürchterlichen Hölle wohnen, als das Thier Haare hat.14

' 8. Manu 5, 42.

S. Manu 5, 40. Die Gesetzbücher geben auch z. B. an, welche specielle heilsame Wirkung den einzelnen Fleischsorten beim Manen- opfer zukommt. Wer Fisch darbringt, befriedigt die Manen auf swei Monate; wer Wildpret, auf drei Monate; Hammelfleisch befriedigt sie für Tier Monate; Vogelfleisch für fünf Monate; Ziegenfleisch für sechs Monate; Fleisch der gefleckten Antilope für sieben Monate; Fleisch der Ena -Antilope für acht Monate; Fleisch des Ruru- Hirsches für neun Monate; Fleisch von Schweinen und Büffeln für zehn Monate; Fleisch TOD Hasen und Schildkröten für elf Monate; Fleisch des Bhinoceros und der rothen Ziege für ewig. (8. Manu 3, 268—272; Aehnliches Yajn. 1, 257— 2ö9.)

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Es werden in den Gesetzbüchern noch eine lange Reihe speciellerer Beschränkungen hinsichtlich der Nahrung aufgestellt. Was über Nacht aufbewahrt gewesen, was ein Vogel angepickt ein Hund berührt, ein menstruirendes Frauenzimmer angefasst, eine Kuh berochen, was Einem ohne Ehrerbietung angeboten ist oder was Jemand absichtlich mit dem Fusse berührt hat, soll man nicht essen. Ebensowenig die Speise eines Wahn- sinnigen, eines Kranken, eines Diebes, eines Sängers, eines Schauspielers, eines Heuchlers, eines Gefangenen, eines Eunuchen, einer Ehebrecherin, eines Jägers, eines Wucheres, eines Schnei- ders, eines Schmieds, eines Waffen Verkäufers, eines Hunde- abrichters, eines Branntweinverkäufers, eines Kloiderwäschers, eines Färbers, eines Mannes, der einen Galant seiner Frau im Hause duldet, sowie eines solchen, der seiner Frau ganz unter- worfen ist u. s. w. u. s. w.1 Die Milch einer Kuh, die vor weniger als zehn Tagen gekalbt oder die ihr Kalb verloren hat, soll man vermeiden; desgleichen Milch von Kameelen, Ein- hufern, Waldthieren, Getränk, das sauer geworden ist u. s. w. u. s. w.*

Wenn ein Verstoss gegen eines der Speiseverbote vorge- kommen ist, so muss derselbe durch verschiedene Bussen ge- sühnt werden. Diese bestehen hauptsächlich in Gebeten und bestimmt geregelten Fasten oder Beschränkung auf ein be- stimmtes Quantum von Reisnahrung, oder auf Milch, die mit Kuhurin und Kuhmist gemischt ist u. dgl. m.9 Besonders streng sind die Bussen für den Genuss berauschender Getränke. Wer sich absichtlich berauscht hat, der soll dasselbe Getränk in glühendheissem Zustande, oder auch Wasser, Milch, Schmelz- butter, Kuhurin oder den Saft des Kuhmistes alle kochend heiss trinken, bis er stirbt; dann ist er rein.4 Es werden aber allerdings gleich auch leichtere Bussen für dasselbe Ver- gehen angegeben, und diese wurden ohne Zweifel von den In- culpaten vorgezogen.5

Die Reinheitsvorschriften erstrecken sich nicht bloss aaf die eigene Person. Auch Feuer und Wasser dürfen z. B. nicht verunreinigt werden. Man darf nichts Unreines in das Fener

1 Vgl. Manu 4, 207—217. Yajfi. 1, 161—109.

* S. Mamu 5, 8—10. YAjn. 1, 170. 167.

Dieselben sind bei Manu im 11. Buche mitgetbeilt; Einiges dsror. so die „Mondbusse4' und die Busse Sanitapana, findet man beschrieben

bei Duncker a. a. 0. p. 130.

S. Manu 11, 91. 92. YajS. 3, 258.

» S. Manu 11, 93. 250. Yajfi. 3, «64. 304.

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werfen, darf das Feuer nicht mit dem Munde anblasen, noch seine Füsse daran wärmen oder über dasselbe hinweg schreiten oder springen. Von dem heiligen Feuer müssen Speisereste, Urin, Fusswasser u. dgl. sogar weit weggebracht werden.1 Auch in 8 Wasser dürfen unreine Dinge nicht geworfen werden, Un- rath, Exeremente, Blut, Gifte und was damit in Berührung gekommen, noch darf man in das Wasser speien.2 Eis ist yerboten, Wasser aus der hohlen Hand zu trinken,9 über einen Fluss zu schwimmen,4 nackt zu baden u. dgl. m.5 Ein Brahmane mit Speise im Munde darf nicht mit seiner Hand eine Kuh, einen Brahmanen oder Feuer berühren; noch darf er, wenn er unrein, aber doch bei guter Gesundheit ist, zu den Himmelskörpern aufschauen.6 Auf den Schatten eines Gotterbildes, eines geistlichen Lehrers, eines Opferpriesters, eines Königs, eines Brahmanenschülers, der seine Studien be- endigt hat (snataka) oder der Frau eines Andern soll man nicht treten7 u. dgl. m.

Was ich angeführt habe, ist ▼erhältnissmässig wenig, aber es genügt vielleicht, um deutlich zu machen, welch ein aus- gebreitetes System yon Geboten und Verboten hier vorlag, bis in welche minutiösen Details sich dieselben erstreckten, und wie unendlich schwierig es gewesen sein muss, allen diesen Forderungen auch nur halbwegs zu entsprechen.

> Vgl. Manu 4, 58. 64. Yajä. 1, 187. Manu 4, 161. Yajn. 1, 154,

» Vgl. Manu 4, 56. YajiL 1, 187. *

Tgl. Manu 4, 63. Yljn. 1, 138.

* Vgl. Manu 4, 77. YAjfi. 1, 139.

* Vgl. Manu 4, 129. Mau findet noch eine Keine ähnlicher Ver- bote bei Duncker a. a. 0. p. 183. 183.

Vgl Manu 4, 142. Aehnlich YajiL 1, 155. ' Vgl. Manu 4, 180. YajÄ. 1, 162

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Neunundzwanzigste Vorlesung.

III

Die ständische Gliederung der Gesellschaft im indischen Mittelalter. Das Kastenwesen. Schroffe Ausbildung desselben. Reaction gegen den Buddhismus. Bevorzugte Stellung und Herrschaft der Brahmanen. Keine geistliche Centraigewalt Das Königthum und seine Bedeutung im in- dischen Mittelalter Strafgewalt und Steuererhebung. SelfgOTernment auf manchen Gebieten. Einfluss der Brahmanen auf die Regierung. Ihre rechtliche Stellung. Kshatriya, Vaicja und Qudra. Beschränkung des Connubium's der Stande. Mischkasten. Paria's. Spaltung der Kasten in viele Unterabtheilungen, die grossentheils den Charakter der Zünfte oder Gilden tragen. Angabe der Griechen über die indischen Kasten.

Höchst charakteristisch für das indische Mittelalter und von hoher Bedeutung für diese Zeit ist die scharfe ständische Gliederung, die schroffe Ausbildung des Kastenwesens.

Starr und hart wie nie zuvor wurden jetzt allmählich die Schranken, welche die verschiedenen Menschenklassen von ein- ander schieden. Die staatlichen und gesellschaftlichen Ein- richtungen krystallisirten in einer festen Form, um in derselben dann für lange unverändert zu verharren.

Auch für unser abendländisches Mittelalter ist eine feste standische Gliederung charakteristisch; der Gegensatz der Geist- lichen, des Adels, der Bürger mit ihren Gilden und Zünften war damals schärfer denn je. Standesvorurtheile pflegt man noch heute als „mittelalterlich" zu bezeichnen, so sehr sind sie gerade in jener Zeit zu Hause, haben damals ihre eigentliche Blüthe erlebt. Es hängt dies wohl zusammen mit der stark ausgeprägten Richtung auf fromme Ergebung, Duldung» Ver- tiefung in das Ewige, die hier wie dort dem Mittelalter eigen und mehr dazu angethan sind, den Menschen zum Verharren in bestehenden Verhältnissen zu veranlasoen, als zum freien, kräftigen Schaffen neuer Lebensformen. In gleicher Scharfe wie in Indien hat aber solche ständische Gliederung im Abend-

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lande niemals Platz gegriffen; nie war sie hier so raffinirt bis ins Detail ausgebildet, so fest versteinert, so unbarmherzig, einer gefühllosen Naturgewalt ähnlich, wie dies in dem indischen Mittelalter der Fall war.

Die Gliederung in die vier Stände oder Klassen der Brah- manen, Kshatriya, Vaicja und Qüdra datirt allerdings schon einige Jahrhunderte vor Buddha zurück, findet sich schon im Yajurveda, aber sie trägt da noch einen barmloseren Cha- rakter und entbehrt jener ehernen Härte und Schroffheit, die sie späterhin so schrecklich macht Diesen schroffen Charakter gewann sie erst im Mittelalter.

Gerade in diesem Punkte war die frühere Auffassung von Buddha zu berichtigen gewesen, der gemäss er in erster Linie socialer Reformator war, der die furchtbaren Fesseln des Kasten- zwanges sprengte. Diese Fesseln sind vielmehr erst später, erst im Mittelalter so fest geschmiedet worden. Es geschah dies nicht zum geringsten Theile in Folge einer brahmanisch-reac- tionären Bewegung gegen den Buddhismus und überhaupt gegen die überspannt mönchischen Tendenzen, die an der Scheide der alten Zeit und des Mittelalters die gesammte bisherige Ordnung der Gesellschaft aufzulösen drohten. Dieser Feind war nicht mit schwachen Mitteln zu bezwingen; es mussten ihm eherne Fesseln und Schranken der gesellschaftlichen Ord- nung entgegen stehen. Und ähnlich wie der Jesuitenorden erst nach der Reformation entstand, die alten katholischen Tendenzen unerbittlich auf die Spitze treibend, so in noch höherem Maasse gaben die Brahmanen erst nach Buddha ihrem 8ystem die Wendung auf die extremste Schärfe hin, schufen . die Ordnungen von Staat und Gesellschaft in diesem hyper- reactionären Sinne um und brachten wirklich einen Bau zu Stande, der an Starrheit und Unbewegiichkeit seines Gleichen sucht. So konnten sie später lehren, und man glaubte es ihnen, däss diese Ordnung der Dinge seit Anbeginn der Welten schon fest bestehe.

Die Brahmanen hatten es durchzusetzen gewusst, dass ihr Stand durchaus als der oberste, der vornehmste und wür- digste anerkannt wurde, und in einer Menge von Vorrechten prägte sich diese höhere Stellung aus. Ein Brahmane stieg herab, wenn er die Tochter eines Ritters oder Kriegers zum Weibe nahm. Ihm zu dienen, ihn zu schützen waren die anderen Stände verpflichtet. Die Richtung auf das Heilige, Himmlische beherrscht das ganze indische Mittelalter; der Brah- mane trug das Heilige in sich, er stand der Gottheit am

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nächsten, nur er konnte unmittelbar in das Brahman eingehen, ihm gebührte darum auch die höchste Verehrung auf Erden.1 Nichtsdestoweniger versuchten es die Brahmanen nicht, die unmittelbare irdische Herrschaft, das Königthum an sich zu reissen, wie etwa die Päpste bei uns im Mittelalter sich zu weltlichen Souveränen machten. Diesen Weg haben die indi- schen Priester verschmäht, und sie hätten auch schwerlich dabei gewonnen. Um so unbedingter nur herrschten sie über die Gewissen und Gemüther der Menschen und dadurch wieder hatten sie den gesammten Staat und alle gesellschaftlichen Ordnungen in ihrer Hand. Sie nahmen die geehrteste, am meisten bevorzugte Stellung für sich in Anspruch, ohne die Last und Verantwortung der Regierung auf sich zu laden. Der König sollte sich zu Rathgebern vornehmlich Brahmanen wählen; aber er allein hatte die executive Gewalt Dieser Weg führte die Brahmanen zur sichersten, unerschütterlichsten Herrschaft Er war klar und einfach und ohne Widersprüche. Der Versuch, geistliche und weltliche Herrschaft zu vereinigen, hat stets etwas Gefahrliches und hat den europäischen Kirchen- forsten Missliches genug eingetragen. Gerade die neuere Zeit hat uns gelehrt, dass der Papst, seitdem er seine weltliche Herrschaft verloren, nur um so mächtiger und einflussreicher geworden ist Vor den Waffen der weltlichen Souveräne, die sein Gebiet besetzen könnten, braucht er jetzt nicht mehr zu bangen. In ähnlicher Weise unabhängig standen die indischen Priester da.

Von der katholischen Hierarchie unterschied sich die der Brahmanen merklich dadurch, dass die letzteren keine Rang- abstufungen unter einander, kein eigentliches Kirchenregiment» keine geistliche Centraigewalt, resp. kein geistliches Ober- haupt besassen, von dem sie regiert worden wären. Alle Brah- manen waren als solche im Range sich gleich. Dies ist wichtig und interessant genug, denn es zeigt uns das Uebergewicht» die Herrschaft der Brahmanen wie etwas Natürliches und Selbst- verständliches, das aus der allgemein herrschend gewordenen Geistesrichtung gleichsam mit Nothwendigkeit resultirte. Es waren nicht die ehrgeizigen Pläne einzelner Männer, durch welche die Stellung der Brahmanen so hoch hinauf geschraubt

1 Der B rahm an e war ja geradezu selbst göttlich: „Wissend oder unwissend, der Brahmane ist immer eine grosse Qottheit, gleichwie das Feuer eine grosse Gottheit ist, mag es zum Altar getragen sein oder nicht. Immerdar müssen die Brahmanen verehrt werden, denn dies ist die höchste Gottheit" so lehrt das Gesetzbuch des Manu ft, 317. 319).

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wurde, sondern die ganze Bevölkerung war erfaast und ergriffen von der Sehnsucht nach dem Heiligen» nach Loslösung von dieser Welt, und wie von 8elbst fiel den Brahmanen, den obersten Vertretern dieser Richtung, der Vorrang vor allen Anderen zu. Merkwürdig aber bleibt es für alle Zeit, dass gerade eine so organisirte oder vielmehr gar nicht organi&irte Hierarchie die mächtigste und einflussreichste gewesen ist, welche die Geschichte überhaupt kennt

Das Königthum blieb also den Kshatriya's und es war dasselbe in seiner Machtstellung im Vergleich zu früheren Zeiten noch bedeutend gewachsen. Waren doch jetzt an die Stelle der früheren zahlreichen kleinen Stamme mit ihren Fürsten grössere Staatenbildungen getreten, deren Herrscher ihren Untergebenen, den Edlen wie den Niederen, in ganz an- derer Weise machtgerüstet und unabhängig gegenüber standen. Die Priester selbst bemühten sich, das Königthum mit einem hohen Nimbus zu umgeben, immer aber nur unter der Voraus- setzung, dass der König sich ihnen willig unterordnete, ihren höheren Rang anerkannte, ihre Privilegien schützte, ihren Rath annahm. Was sie brauchten, waren gerade mächtige und zu- gleich ihnen ergebene Könige. Der Hauptsache nach war dies Vorhältniss ja schon in früheren Jahrhunderten entschieden, das Mittelalter aber Hess beide vereint noch um ein Bedeu- tendes emporsteigen, erhob beide Verbündete, den Einfluss der Priester wie die Machtstellung der Könige auf den Höhepunkt ihrer Bedeutung.

Im Gesetzbuch des Manu werden die Könige mit Göttern verglichen. „Einen König heisst es dort darf man, selbst wenn er noch ein Kind ist, nicht als gewöhnlichen Menschen betrachten und ihn darum gering achten; er ist eine grosse Gottheit in Menschengestalt.*41

Das ist also mehr noch als das Königthum von Gottesgnaden in unserem Mittelalter; es ist die orientalische, die indische Ge- stalt eines solchen.

Mächtige Königreiche mit stolzen Herrschern waren im Gangeslande emporgewachsen, und das indische Mittelalter sah zeitweilig sogar das Land des Ganges und Indus zu einem gewaltigen Reiche vereint Jene Zeiten, in denen das Ruhe- bedürfniss ein so grosses war, überliessen gern kräftigen Händen die Executive der Staatslenkung.

Der König soll nach dem Gesetzbuch vor Allem Ordnung

* Manu 7, 8 (Ind. 8pr. 1967).

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und Recht im Staate durch Handhabung der Strafgewalt gegen die Uebelthäter aufrecht erhalten. TÖdtung, Verstümmelung, Brandmarkung u. a. sind die Mittel, mit denen er diese wichtige Aufgabe erfüllt Dafür mag er nun auch durch weitgehende Steuererhebung sich die Mittel verschaffen, um sich mit Glanz und Macht wie sichs gebührt zu umgeben. Der König, welcher sein Volk durch Handhabung der Strafgewalt schützt, kann den sechsten Theil der Ernte erheben und es fällt ihm nach der Theorie auch noch der sechste Theil des Verdienstes für alle frommen und guten Handlungen seiner Unterthanen zu.1

Wenn der König aber die Steuern erhebt, ohne sein Volk zu schützen, fährt er zur Hölle.2

Von der weitausgedehnten Steuerpflicht des Volkes sind nur die schriftkundigen Brahmanen ausgenommen; nie darf der König von diesen Steuern erheben, und wenn er auch selbst darüber Hungers stürbe.3

Das System der Verwaltung durch Beamte verschiedener Katogorieen, wie es in Manu's Gesetzbuch dargelegt wird, lässt schon auf einen recht complicirten Staatsorganismus schliessen. Waltet auch im Ganzen eine despotische Verfassung vor, so ist doch nicht zu übersehen, dass dem indischen Staatswesen auch das Selfgovernment durchaus nicht ganz fehlt Es wird ein solches z. B. durch die geschlossenen Verbände der alten Familien geübt, die über das moralische Verhalten ihrer Mit- glieder wachten, dieselben vorkommenden Falls mit gewissen Strafen belegen und bei gröberen Verstössen ganz aus der Familie und damit auch aus der Kaste ausschliessen konnten. Ein so Ausgestossener war ein geächteter und in seiner gesell- schaftlichen Stellung ruinirter Mann; es hatten also die Ge- schlechter damit ein ungeheures Machtmittel in Händen. Self- government finden wir vor Allem auch in der Einrichtung der Dorfgemeinden, welche offenbar in sehr alte Zeit zurück- geht und sich zäh conservativ im Wesentlichen bis heute er- halten hat Der Dorf-Aelteste vertheilt die Steuern unter den Gliedern der Gemeinde, vertheilt das Land und Wasser unter ihnen, und übt die Gerichtsbarkeit innerhalb des Dorfes,4 Beisitzer oder Schöffen unterstützen ihn. Er übt seine Thätig-

> Manu 8, 304. Yajn. 1, 334. * Manu 8, 307.

3 Manu 7, 133.

4 Ueber Gemeindebesitz und Privatantheil am Gemeindelande vgl. Jolly, Outlines of an Hist. of Hindu Law p. 88 flg. Familienbesitz und Theilung desselben ebenda p. 89 flg.

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keit Yor versammelter Gemeinde, unter einem grossen Baume aus u. s. w. Wir werden hiermit lebhaft an fintsprechendes in germanischen Landen erinnert und haben, wie erwähnt, hier offenbar uralte Einrichtungen vor uns.

Es ist auch nicht bedeutungslos, wenn es im Gesetzbuch des Manu heisst: „Der König, welcher des Rechts kundig ist, möge sein eigenes Gesetz zur Geltung bringen, nachdem er zuvor die Rechte der Landbewohner, der Zünfte und Gilden, der Geschlechter und Familien wohl ins Auge gefasst hat,"1

Die Könige wohnen in burgartig befestigten Residenzen, in deren Mitte sich der Königspalast erhebt. Die Pracht und Herrlichkeit, mit der sie sich umgeben, der Reichthum ihres Hofstaates, der Glanz, den sie bei festlichen Gelegenheiten ent- falten, tritt uns nicht nur aus einheimischen Quellen entgegen, sondern auch die Griechen schildern dieselben als ausser- ordentlich. Gold, Silber, Edelsteine, Elephanten u. dgL hätten die Könige der Inder in ungeheurer Menge; sie gingen mit Gold und Purpur geschmückt, trügen Arme und Hals mit Perlen- schnüren umwunden, und selbst die Sohlen ihrer Schuhe glänzten von Edelsteinen u. s. w.f

Den Residenzen der Könige, wie überhaupt den hervor- ragenden Städten des indischen Mittelalters fehlt auch das grossstädtische Raffinement nicht, wie uns aus vielen Stellen der indischen Bücher entgegen tritt

Auf die Regierung hatten die Brahmanen besonders dadurch grossen Einfluss, dass die Könige dazu angehalten wurden, ihre Minister und höheren Beamten vor Allem aus dieser Kaste zu wählen, ihnen gehorsam zu sein9 und keinen wichtigen poli- tischen oder socialen Schritt zu thun ohne den Rath gelehrter Brahmanen.

Diesen Vorschriften leisteten die indischen Könige that-

1 S. Manu 8, 41.

a Mit phantastischer Pracht schildern die Griechen besonders den Aufzag der Könige, wenn sie sich zum Opfer begeben, unter Pauken- schlag und Glockenspiel, mit gold- und silbergeschmückten Elephanten, Zügen von Wagen und gerüstetem Kriegsvolk, herrlichen Gerathen und Kostbarkeiten aller Art. Auch wilde Thiere werden im Zuge geführt, gebändigte Löwen und Tiger, Panther und Büffel ochsen; gross blättrige Bäume auf vierrädrigen Wagen, besetzt mit prachtvoll gefiederten zahmen Vögeln tl dgl. m. (S. Duncker a. a. 0. p. 315; nach Strabo 688. 703. 710. 718).

* „Nie in der Schlacht zu weichen, die ünterthanen zu beschützen und den Brahmanen zu gehorchen, das ist die oberste Ursache für das Glück der Könige," so sagt das Gesetzbuch des Manu (7, 88).

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sächlich Folge, wie aus dem Epos und anderen Werken des Mittelalters deutlich zu Tage tritt1 Ja, dies Verhältniss hat sich zum Theil bis in die neuere Zeit bewahrt. „Noch heute sagt ein neuerer Schriftsteller über Indien* ist in Hindu- Fürstenthümern den Brahmanen ein grosser Einfluss auf die Regierung beigelegt; wie in alter Zeit verbleibt der Titel dem Fürsten, die Macht ruht bei den Brahmanen."3

Unaufhörlich werden in den mittelalterlich - indischen Schriften die Fürsten ermahnt, die Brahmanen zu schützen und in freigebigster Weise zu beschenken. Was der König den Brahmanen schenkt, das ist ein unvergänglicher Schatz, den Diebe und Feinde nicht rauben können, so lehren die Gesetz- bücher;4 was man in des Brahmanen Mund opfert, das ist besser als Feueropfer, das geht nimmer verloren und trägt Frucht hundert- und tausendfältig.6 „Es giebt keine höhere Pflicht für die Könige, als die im Kriege erbeuteten Schätze den Brahmanen zu geben und den Unterthanen beständige Sicherheit zu gewähren«* so sagt das Gesetzbuch des Yajfla- valkya.6

Immer wieder und wieder wird das Lob der freigebigen Fürsten gesungen, und mit unglaublichen Uebertreibungen er- zählen das Epos und andre Bücher von diesen gottgefälligen Thaten, zu Nachachtung und Beispiel Aller, die Solches angeht Furchtbar dagegen sind die Strafen, welche den Brahmanen- Verächter im Jenseits erwarten.

Die bevorrechtete Stellung der Priester zeigt sich ausser der Exempthoit von den Steuern vor Allem auf dem Gebiete der Strafjustiz. Während Anderen gegenüber Strafen der

1 Im Epos Anden sich noch manche Spuren eines älteren Zustandes bewahrt; das Gesetzbuch des Manu dagegen zeigt uns die Könige in vollendeter Unterwürfigkeit gegenüber den Brahmanen. „Nachdem er frühmorgens aufgestanden sagt das Gesetzbuch soll der König die in dem Studium der drei Veden ergrauten kundigen Brahmanen verehren und in ihrem Befehle verharren. Von ihnen soll er stets be- scheidenen Anstand lernen, selbst wenn er schon bescheiden gesinnt ist, denn ein bescheiden gesinnter Fürst geht nimmermehr zu Grunde. Durch unbescheidenes Benehmen sind viele Könige sammt ihrem Anhang zu Grunde gegangen; durch bescheidenes Benehmen aber haben selbst Waldsiedler Königreiche erlangt." (Manu 7, 37. 39. 40. Vgl. auch Lassen, Ind. Alt. I*, p. 953.)

* E. Schlagintweit, Indien in Wort und Bild, I p. 68. 3 Es mag dies wohl etwas zu stark ausgedrückt sein.

* S. Manu 7, 82. 83 Yajfi. 1, 314. 6 S. Manu 7, 84. 85.

6 Yajn. 1, 822.

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rohesten Art, nicht nur grausame Hinrichtungen, sondern Ver- stümmelung uud Misshandlung ganz üblich und vom Gesetz- buch anbefohlen sind, darf der Brahmane nie und nimmer körperlich gestraft,1 nicht einmal sein Vermögen darf einge- zogen werden. Aueh bei den schwersten Vergehen ist es nicht erlaubt, über ihn die Todesstrafe zu verhängen. Verbannung ist das Schlimmste, was ihn treffen kann.' Tödtung eines Brah- manen ist das fürchterlichste Verbrechen, das es giebt. Darum soll der König auch nicht einmal in Gedanken eine solche Ab- sicht hegen, geschweige denn dieselbe zur That worden lassen.3 Für die anderen Kasten dagegen tritt z. B. die Todesstrafe nach Manu's Gesetzbuch schon bei Diebstählen ein, die über zehn Maass Getreide hinausgehen;4 desgleichen bei Diebstählen von Gold, Silber u. dgl. im Gewicht von mehr als 100 Pala's, sowie den feinsten Kleidern;6 Todesstrafe trifft auch alle die- jenigen, welche Elephanten, Pferde oder Wagen stehlen.6 Bei geringeren Diebstählen kann Verstümmelung von Hand oder Fuss erfolgen, und nur in den unbedeutendsten Fällen treten Geldstrafen ein.7 Einem Einbrecher sollen die Hände abge- hauen und er dann gepfählt werden.8 Wer eine Kornscheune, ein Arsenal oder einen Tempel zerstört, wird unbedenklich hingerichtet.* Wer ein Feld, ein Haus, einen Wald, eine Scheune anzündet, soll nach Yajfiavalkya mit Strohfeuer verbrannt wer- den.10 Wer durch Betrug einen Anderen um sein Vermögen bringt, wird sammt seinen Complicen öffentlich mit dem Tode bestraft.11 Taschendieben soll man zwei Finger abschneiden, bei einem Rückfall eine Hand und einen Fuss; beim zweiten Rückfall müssen sie sterben.1* Trinker werden auf der Stirn gebrandmarkt u. s. w. Dieser Praxis gegenüber muss jene Exiinirung der Brahmanen von allen Leibesstrafen in der That als ein ungeheures Privilegium angesehen werden.

1 S. Manu 8, 124.

* S. Manu 8, 380. Auf diese Bestimmung des Manu beruft sich auch der Richter bei dem Process gegen Carudatta im vorletzten Akte der Mricchakatika (Böhtüngk's Uebers. p. 157). Kahlscheeren des Hauptergilt beim Brahmanen als Aeqmvalent da, wo Mitglieder der anderen Kasten die Todesstrafe erleiden Bollen (s. Manu 8, 379).

3 S. Manu 8, 881.

4 8. Manu 8, 320. Ein Maass (Kumbha) = 20 Drona, zwischen 8 und 4 englische Scheffel (vgl. Burneil, Ordin. of Manu p. 229; Colo- brooke, Essays 1, 534).

* S. Manu 8t 321. a S. Manu 9, 280. Auch Yajii. 2, 273. f S. Manu 8, 320. 322. 325-329. Vgl. Yajn. 2, 274. 275. 9 S. Manu 9, 276. Yajn. 2, 273. S. Manu 9, 280. 10 S. Yajii. 2, 282. » 8. Manu 8, 193. 15 S. Manu 9, 277; Yajfi. 2, 274.

t. Schröder, Indien* Lit. v. Colt. 27

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Ueberhaupt, je höber der Stand, um so leicbter im Ganzen die Strafe. Der Brabmane hat bei Beleidigungen nur ver- hältnissmassig kleine Strafsummen zu entrichten, und zwar um so weniger, je niedriger der Beleidigte steht.1 Kshatriya und Vaicja müssen schon bedeutend mehr zahlen.' Aber ganz furchtbar grausam wird der Qüdra bestraft Schon bei ge- ringen Beleidigungen gegen Brahmanen wird er körperlich ge- straft.9 Bei schwereren Beleidigungen gegen ein Mitglied der höheren Kasten, soll ihm die Zunge aufgeschlitzt oder heisses Eisen in den Mund gestossen werden;4 wagt er es, Priester über ihre Pflicht zurechtzuweisen, so soll ihm kochendes Oel in Mund und Ohren gegossen werden.5 Hebt er die Hand gegen einen Zweimalgeborenen, so soll sie ihm abgeschnitten werden; stösst er ihn mit dem Fuss, so wird ihm der Fuss abgeschnitten; packt er ihn bei den Haaren, so soll er beide Hände verlieren; speit er ihn an, so werden ihm die Lippen abgeschnitten;6 und überhaupt, ein jedes Glied, mit dem er sich gegen ein Mitglied der höheren Kasten vergeht, soll ihm abgeschnitten werden, so lehren die. Gesetzbücher.7 Dies allein wird genügen, um die ungeheuren rechtlichen Unter- schiede zwischen den einzelnen Kasten klar zu machen.

Um aus anderen Gebieten noch Einiges anzuführen:

Für entliehenes Geld zahlt der Brahmane 2 Procent, der Kshatriya 3, der Vaicja 4, der Qudra 5 Procent8 Hat ein Mitglied der anderen Kasten einen Schatz gefunden, so muss es dem König einen bestimmten Antheil davon abgeben; nur der gelehrte Brahmane braucht dies nicht zu thun, „denn er ist Herr über Alles.«* u. s. w.

Der Stand der Kshatriya, des ritterlichen Adels, wurde, nachdem einmal seine Unterordnung unter die Brahmanen end- gültig entschieden und anerkannt war, von diesen letzteren in seiner Stellung und Bedeutung den anderen Ständen gegenüber durchaus gestützt; war er doch unentbehrlich zur Sicherung des Staates und zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ord- nung, an der den Brahmanen Alles lag. Gelegenheit, ihr Ritter- thum zu bewähren, gaben die Kämpfe des Mittelalters den Kshatriya oft genug. Dennoch wurde die Bedeutung dieses Adels einigermassen durch die hohe Stellung des Königthums

1 S. Manu 8, 268. » 8. Manu 8, 267. 8. Manu 8, 267

* S. Manu 8, 270. 271. 8. Manu 8, 272. 8. Manu 8, 2S0.

282. 283. ' 8. Manu 8, 279 flg. Yajfi. 2, 215. S. Manu 8. 142 Yajn. 2, 37. 8. Manu 8, 37.

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herabgedrückt Nur im Pendschab erhielt sich derselbe in einer freieren, unabhängigeren Stellung.1

Die Vaic,ya und Qüdra sind, wie schon früher erwähnt ist, eigentlich gar keine geschlossenen Stände. Vaicja hiessen alle arischen Inder, die nicht Priester oder Ritter waren, und Qüdra nannte man die unarischen Inder, die sich der brab- manischen Staatsordnung gefugt hatten, die ihrerseits aber aus mancherlei verschiedenen Völkerschaften sich recrutirten. Unter den Namen Vaicja und Qüdra wird demnach zum Theil ganz Ungleichartiges vereinigt und hat die ständische Viertheilung eigentlich nur in der Theorie bestanden. Gegenwärtig sind die Bezeichnungen Vaicja und Qüdra ganz bedeutungslos geworden und so gut wie vergessen, aber auch schon für jene alte Zeit bemerkt Schlagintweit * treffend: „Die Worte Vaicja und Qüdra könnten aus Ramäyana und Mahabharata ausgemerzt werden, ohne dass sich eine der beiden Sammlungen als un- vollständig erwiese; wollte man aber die Worte Brahmane und Kshatriya ausstreichen, so würde der Rahmen der Gedichte sofort zusammenbrechen."

Die Beschäftigung der einzelnen Kasten und die Art, wie sio sich ihren Lebensunterhalt erwerben sollen, wird von den Gesetzbüchern genau normirt. Die Brahmanen sollten ihr Leben mit Opfern, Gebeten, Bussübungen, dem Studium des Veda und der anderen kanonischen Schriften hinbringen. Ihren Unterhalt sollten sie vom Opferlohn, von der Bezahlung für den Unterricht im Veda, von der Freigebigkeit der Könige und anderer mildthätiger Menschen beziehen.8 Den anderen Kasten ist diese Art des Erwerbes verboten.4 Krieger und Vaicja sollen zwar auch die heiligen Texte lesen und für sich opfern oder opfern lassen; seinen Lebensunterhalt soll aber der Kshatrija durch den Kriegsdienst, durch Schwert und Speer gewinnen; der Vaic,ya durch Handel, Viehzucht und Ackerbau.6 Aber in aller Strenge Hessen sich diese Bestimmungen nicht durchführen und daher sahen sich die Gesetzbücher zu wich- tigen Einschränkungen veranlasst. Nur eine beschränkte An- zahl der ganzen grossen Brahmanenkaste konnte doch von Opfer und Unterricht wirklich leben, und wenn es auch Könige gab, denen man nachrühmte, dass sie 60,000 und 80,000 Brahmanen täglich speisten, wenn auch Viele bettelnd umherzogen und

1 Es sind die bekannten sogenannten Rajputen. 9 Schlagintweit, Indien I p. 63. * 8. Manu 10, 76. 76. * Manu 10, 77. 78. a Manu 10, 79.

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auch die Griechen uns berichten, dass sie mit Geschenken überhäuft wurden, auf dem Markte nehmen konnten, was sie wollten u. s. w., so blieb doch immer eine grosse Zahl übrig, insbesondere von denen, welche als Hausväter Frau und Kinder zu ernähren hatten, die in dieser Weise absolut nicht existiren konnten. Die brahmanischen Gesetzgeber sahen sich hier ge- nöthtgt, dem Zwange der Verhältnisse nicht unbedeutende Con- cessionen zu machen. Das Gesetzbuch des Manu gestattet es, dass mittellose Brahmanen Kriegsdienste nehmen, als Kahatriya leben;1 im Nothfall ist ihnen auch der Ackerbau, die Vieh- zucht* und der Handel in gewissen Grenzen8 gestattet Manche Branchen desselben sind ihnen aber aufs Strengste verboten, wie z. B. der Handel mit berauschenden Getränken, mit Essenzen und Wohlgerüchen, Fleisch, Milch, Schmalzbutter, Honig, Sesam, Salz, Vieh und Menschen, mit gefärbten Geweben, mit Sachen, die aus Hanf, Flachs oder Wolle verfertigt sind, mit Wurzeln und Kräutern, Waffen und Giften, Süssigkeiten, Indigo, Lack u. a. m.* Aehnliche Zugeständnisse werden auch den Ksha- triya gemacht;5 und auch der Vaicya darf im Falle der Noth die Beschäftigung eines Qüdra auf sich nehmen.6 Aufs Strengste aber und das ist wichtig bleibt es den niederen Kasten verboten, sich die Beschäftigungen der höheren anzumaasen, unter Androhung empfindlicher Strafen.7 Hierin tritt sehr be- zeichnend der Hochmuth der höheren Stände hervor, die das Emporkommen der niederen schlechterdings verhindern wollten und das Emporstreben zu ihren Beschäftigungen als ein gott- loses Beginnen stempelten. #

Der Qüdra soll den oberen Kasten dienen, die Knecht- schaft ist ihm eingeboren und unabänderlich.8 Er mag seinen Lebensunterhalt durch Dienst bei einem Kshatriyä oder einem wohlhabenden Vaicja gewinnen;9 vor Allem aber soll er den

1 S. Manu 10, 81. Tain. 8, 35.

S. Manu 10, 82. Allerdings wird in den anmittelbar folgenden Versen des Gesetzbuches vor dem Ackerbau nachdrücklich gewarnt, weil man bei demselben die Erde mit dem Pfluge aufreisst und Thiere, die in der Erde wohnen, tödtet (s. Manu 10, 83. 84).

8. Manu 10, 86.

4 S. Manu 10, 86—89. 6 S. Manu 10, 95. 6 S. Manu 10, 98.

' Wer dawider handelt, dem soll der König sein Eigenthum weg- nehmen und ihn verbannen (Manu 10, 96). 0 S. Manu 8, 414.

S. Manu 10, 121.

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Brahmanen dienen, ob bezahlt oder unbezahlt1 Dem Brah- manen zu dienen ist die vorzüglichste Beschäftigung, die oberste Pflicht des Qudra;1 dies bedingt sein Glück, denn er kann dadurch nach dem Tode höhere Geburten erlangen; s dazu ist er geboren.4 Der Brahmane darf ihn ganz als seinen Sklaven betrachten und ist daher auch befugt, ihm sein Eigenthum wegzunehmen, denn der Besitz des Sklaven gehört seinem Herrn.6 Der Qüdra soll, auch wenn er dazu in der Lage ist, keine Reich thümer erwerben, denn dies beleidigt den Brah- manen!4 Dem (Jüdra darf man endlich unter keinen Umständen über das Gesetz oder die religiösen Observanzen Mittheilung machen. Wer solches thut, fährt sammt demjenigen, den er belehrt, in die Hölle Asamvritta.7

Die hochmüthige Abgeschlossenheit der oberen Stände zeigt sich vor allen Dingen in den Gesetzen über das Gonnubium.

War es schon eine scharfe, ja eine eherne Grenze, wenn die Bestimmung durchgedrungen war, dass Niemand aus der Kaste, in welcher er geboren, in eine andere übertreten konnte, so wurde dieselbe noch um ein Bedeutendes dadurch ver- schärft, dass man auch die Ehen mit Weibern aus anderer Kaste nach Möglichkeit zu verhindern suchte, um so die Tren- nung des Blutes zu einer vollständigen zu machen. Diesen Zweck zu erreichen, wurden den natürlichen Empfindungen die härtesten, unnatürlichsten Fesseln auferlegt und unzählige menschliche Wesen ohne jede Schuld von ihrer Seite zu einem Dasein des Elends und Jammers bestimmt Zuerst mochte man sich wohl darauf beschränkt haben, dass man von den Männern verlangte, als erste, legitime Frau ein Weib aus der eigenen Kaste heimzuführen, während es ihnen weiter gestattet war, Nebenfrauen auch aus niederen Kasten zu wählen. Diese Erlaubniss erhält indessen in Manu's Gesetzbuch eine schwer- wiegende Beschränkung durch die Bestimmung, dass alle Kinder von Frauen, die nicht der Kaste des Mannes angehören, selbst auch nicht zu_ dieser Kaste gerechnet werden dürfen, sondern den Stand des Vaters verlieren und in eine der zahlreichen Mischkasten fallen, deren Stellung im starren brahmanischen Staats verbände eine äusserst missliche war. Nur Kinder von Frauen der gleichen Kaste behalten die Kaste des Vaters.8

Die Vereinigung mit einem Weibe aus anderer Kaste wird

1 S. Manu 10, 122. 8, 413. * Manu 10, 123. v. 334. 8 8. Manu

9, 334. 335. 4 S. Manu 8, 413. 5 S. Manu 8, 417. 416. S. Manu

10, 129. 1 S. Manu 4, 80. 81. 8 8. Manu 10, 6. Vgl. auch 10, 69.

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als unrein, als sündig gekennzeichnet, und so sind auch die unglücklichen Geschöpfe, die solcher Verbindung entspringen, von Natur schon unrein, schlecht und verworfen. Dabei hält die brahmanische Theorie den Grundsatz aufrecht, dass guter Same auf schlechtem Boden noch leidliche Früchte bringen könne, schlechter Same dagegen auf gutem Boden die abscheu- lichsten Resultate zur Folge hat. Demgemäss gelten die Kinder eines Brahmanen von Frauen niederer Kaste, selbst von Qüdra- frauen, noch nicht für völlig schlecht, während dagegen die elendesten und verworfensten Wesen aus der Verbindung eines Qudra mit einem Brahmanenweibe entspringen mussien.1 Zahl- reiche Abstufungen sind hier möglich, und demgemäss giebt es denn auch eine ganze Menge unreiner Kasten.

Das Gesetzbuch des Manu nennt alle Kinder eines Brah- manen, Kshatriya oder Vaigya von einer Frau aus niederer Kaste als die des Vaters Ausgestossene (apasadas).* Indessen sollen doch diejenigen, deren Mutter nur um eine Kaste tiefer stand als der Vater, nach dem Gesetze der Zweimalgeborenen leben;9 die anderen aber nach dem Gesetze der Qüdra's und schlimmer als Qüdra's. Der Sohn eines Brahmanen von einem VaicjarMädchen ist ein Ambashtha; von einem Qüdra-Mädchen ein Nishäda oder Paracava.4 Der Sohn eines Kshatriya von einem Cudra-Mädchen heisst ein Ugra;6 von einem Brahmanen- mädchen Süta; der Sohn eines Vaicja von einem Kshatriya- mädchen ist ein Magadha; von einem Brahmanenmädchen ein Vaideha.6 Der Sohn eines Qüdra von einer Vaicjafrau ist ein Äyogava; von einer Kshatriyafrau eia Kshaftar; von einer Brahmanenfrau ein Candala, der niedrigste der Men- schen, wie ihn das Gesetzbuch nennt.7 Weitere Mischung giebt immer neue Kasten. Der Sohn eines Brahmanen z. B von einem Ambashtha- Mädchen ist ein Äbhira;* der Sohn eines Nishäda von einer Qüdrafrau ist ein Pukkasa9 u. s. w. Wenn schon die Kinder eines Qüdra von einer Brahmanin als Ver- worfene, Kastenlose gelten, so ist die Verworfenheit der Kinder eines solchen Kastenlosen mit einem Weibe aus einer der vier legalen Kasten noch grösser, und so kann sich nach der Theorie des Gesetzbuches die Verworfenheit noch immer weiter poten- ziren.10 Der Sohn eines Candala von einem Nishäda-Weibe ist

1 S. Manu 10, 66. 67. * Vgl. Manu 10, 10. 5 S. Manu 10, 41 4 S. Manu 10, 8. 5 8 Manu 10, 9. S. Manu 10, 11. 1 S. Manu 10, 12. 8 S. Manu 10, 15. 9 S. Manu 10, 18. 10 S. Manu

10, 31. 32.

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ein Antyavasayin, der an Stätten der Leichenverbrennung leben soll und sogar von den Kastenlosen verachtet wird1 n. dgl m.

Merkwürdig ist der Umstand, dass eine ganze Reihe von Namen dieser unreinen Mißchkasten ursprünglich offenbar nichts weiter sind, als die Namen verschiedener unarischer Völker- schaften, welche auf solche Weise mit in das brahmanische System eingereiht werden. So sind die Nishada ein bekannter Volksstamm, die Ambash^ha ebenso, die Abhira ein Volk im unteren Indusgebiet, die Cancjala ein recht bedeutender Volks- stamm, der noch heute im unteren Gangeslande lebt; die Mä- gadha und Vaideha sind Bewohner der Provinzen Magadha und Videha u. s. w. Damit soll nun nicht behauptet werden, dass nicht wirklich Mischkasten existirten, welche jene Namen trugen. Die brahmanische Theorie gefällt sich nur darin, die einzelnen, aus bestimmten unerlaubten Mischungen hervor- gegangenen Sprösslinge auf gleiche Stufe mit je einem jener unreinen, ausserhalb des brahmanischen Staatsverbandes leben- den Völkerstämme zu stellen, bei welchen ein verschiedener Grad der Unreinheit angenommen wird.1 Die Beschäftigung, welche von dem Gesetzbuch diesen Mischkasten zugewiesen wird, scheint auch nur die gewohnheitsmässige Beschäftigung der betreffenden Stämme gewesen zu sein. Es ist dies eine theoretisirende Spielerei, wie sie die Inder liebten.

War schon die Stellung des (Judra gegenüber den drei oberen Kasten eine sehr precäre und in vieler Beziehung eine geradezu recht- und schutzlose,8 so gilt dies noch in weit höherem Grade von den Mischkasten und am meisten natürlich von den niedrigsten, die für die unreinsten und verworfensten gehalten wurden.4

Ein elendes Dasein schreibt das Gesetzbuch dem Candala vor. Fern von den Wohnsitzen anderer Menschen soll er hausen, Zeichen an sich tragend, durch die ihn Jeder erkennen und meiden kann, denn die Berührung mit ihm verunreinigt. Nur bei Tage darf er in die Dörfer kommen, damit man ihm aus- weichen kann. Er soll nur gemeine Thiere, wio Hunde und Esel besitzen, nur aus zerbrochenem Geschirr essen, sich nur

1 S. Mann 10, 39.

* Auch die in südindischen Dialekten Paria's genannten Völker- ■tamme Bind bekanntlich zu ganz niedrigen, unreinen Kasten gestempelt.

Vgl. oben p. 420. 421.

4 Ihr Leben hinzugeben für die Sache eines Brahmanen oder einer Kuh soll für die Kastenlosen das höchste Glück sein. S. Manu 10, 62.

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in die Gewänder von Todten kleiden u. dgl Sie sollen Dienste als Henker verrichten, Jedermann soll sie meiden n. s. w.1 Es ist Verachtung, Jammer und Elend in höchster Potenz, die der stolze Brahmane üher diese Elenden verhängt.

Leider sind diese anwürdigen Theorieen auch in die Praxis» ja sie sind in Fleisch und Blut des indischen Volkes über- gegangen. Es ist bekannt, welch entsetzliche Eindrücke Euro- päer oft genug empfingen, wenn sie die entwürdigende Behand- lung dieser verworfenen Kasten seitens der höheren ansehen mussten.1

„Paria" ist darum auch heute noch bei uns die Bezeich- nung für einen elenden, von Allen getretenen, verstossenen und verachteten Menschen.

Mit tiefem Mitleid erfüllte die europäischen Beobachter die dumpfe Ergebung, mit welcher diese Unglücklichen ihr elendes Loos tragen, fest überzeugt, dass ihnen nichts Anderes

1 S. Manu 10, 51—66.

* Beispielsweise führe ich nur an, was der Franzose Sonnerat berichtet, der vor ca. 100 Jahren (1774 1781) Indien bereiste. (Reise nach Ostindien und China, deutsche Uebers. Bd. I p. 47): .Die Parias machen den letzten Stamm aus; Bie werden von den übrigen Indiern als unehrliche, unreine, abscheuliche und verworfene Leute an- gesehen. In öffentlichen Unterhandlungen und im bürgerlichen Leben setzt man sie nicht einmal unter die Stämme. Zufolge dieser Ver- achtung sind sie von aller Gesellschaft verbannt und haben ihre Woh- nungen an abgelegenen Plätzen. Noch ist man nicht damit zufrieden, dass sie von den Städten, Flecken und Dörfern, den gemeinschaftlichen Wohnplätzen der übrigen Nation entfernt seien. Sie müssen sich sogar auf eine beträchtliche Weite davon wegflüchten, damit der Wind keine unreinen und ansteckenden Dürste aus ihrer Nachbarschaft verbreite; denn dies würde man wirklich in ihrer Nähe befürchten. Ihre Häuser sind elende Hüttchen, in die kaum ein Mensch hineingehen kann; und aus solchen bestehen ihre kleinen Dörfchen, die man Paretschari nennt. Sie dürfen kein Wasser aus den Brunnen der anderen Stamme schöpfen, sondern haben eigene Quellen bei ihren Wohnungen, die sie mit Knochen von Thieren einfassen müssen, damit man sie kenne und vermeide. Ueoer- haupt bestehen die Geschäfte der Parias in den niedrigsten und ekel- haftesten Verrichtungen. Wenn ein Indier eines anderen Stammes [d. h. anderer Kaste] einem solchen ihn anzureden erlaubt, muss der elende Wicht eine Hand vor den Mund halten, damit sein Athem nicht gegen den Andern zu komme, und wenn er einem auf der Strasse begegnet, muss er sich umwenden, bis der andere vorbei ist. Trifft sich's, dass ein Indier, sollt er auch' nur ein Schutre [d. h. Qüdra] sein , aus Unvor- sichtigkeit einen Paria berührt, so muss er sich stracks in einem B&d reinigen. Die Brahmanen dürfen dieselben vollends nicht ansehen, und die Parias müssen fliehen, sobald sie nur einen solchen zu Gesichte be- kommen»1 u. s. w.

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gebühre, und ängstlich darauf bedacht, durch ihre Nähe nicht am Ende Andere zu beflecken.

Noch heute bilden die verworfenen Kasten nach Schlag- intweit's Angabe ca. 14 Procent der Hindubevölkerung. 8ie dürfen nicht in den Dörfern selbst wohne d, sondern nur ausser- halb derselben. Der Brahmane nimmt nichts aus ihren Händen. Sie müssen die Waaren auf die Erde stellen, ehe er sie an- fasst u. dgl1

Im Laufe der Zeit haben sich die Kasten mehr und mehr in eine ganze Menge von Unterabtheilungen geschieden. Dabei waren weniger die vorhin besprochenen Mischungen von Wichtig- keit, als vor Allem die verschiedenen Berufsarten, denen sich die Glieder ein und derselben Kaste widmeten. Diejenigen Brahmanen, welche wirklich opferten und Veda lehrten, schieden sich von denen, welche Kriegsdienste nahmen, wie auch von denen, die Handel trieben oder sonst von einem anderen er- laubten Erwerb lebten. Diese zerfielen weiter nach den ein- zelnen Gegenständen des Handels u. 8. w. in Unterabtheilungen. Aehnlich war es in der Kaste der Kshatriya, und vor Allem wichtig waren diese Unterscheidungen bei den Väicya und Qudra, welche, wie erwähnt, eigentlich nie eine geschlossene Kaste mit festbestimmter Beschäftigung ausmachten. Bei ihnen musste darum die Scheidung nach der Berufsart von besonderer Bedeutung sein. Die Schmiede, die Zimmerleute, die Weber, die Töpfer, alle die verschiedenen Händler und Handwerker, die Fischer u. s. w. trennten sich im Laufe der Zeit von einander ab, heiratheten nur noch unter einander, machten so ihre Be- rufsarten erblich und wurden zu mehreren hundert kleinen, streng geschiedenen Kasten, die neben einander bestanden, ohne sich viel zu berühren. Dieser Zustand ist der in der Neuzeit noch bestehende.2 Die Scheidung nach der Berufsart, dem Erwerbszweig Hess diese Kasten den ersten europäischen Beob- achtern in erster Linie als streng gesonderte Gilden oder Zünfte erscheinen und als solche werden sie z. B. auch von dem französischen Reisenden Sonnerat im vorigen Jahrhundert geschildert. Von einer Viertheilung konnten die Europäer in Praxi gar nichts wahrnehmen. Sie bestand nur in der Theorie des Gesetzbuches.

Auch E. Schlagintweit, der das moderne Kastenwesen der Inder gründlich studirt hat und dem wir einen werthvollen

1 Schlagintweit, Indien, I p. 56.

8 Es kamen dann auch noch locale Scheidungen dazu.

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Artikel darüber verdanken,1 sagt, die indischen Kasten ent- sprächen — Brahmanen und Rajputen (d. h. Adlige) ausge- nommen — „den geschlossenen Gilden, welche im Mittelalter eine so grosse Rolle spielten." Ä

Die Spaltung in weitere Unterkasten je nach der Be- schäftigung nimmt nach Schlagintweit noch jetzt bestandig ihren Fortgang.9 Es giebt ihrer gegenwärtig mehr als vor einem halben Jahrhundert, und jede neue Zählung bringt ihrer mehr zu Tage. Auch das religiöse Sectirerwesen hat an diesen weiteren Spaltungen keinen unwesentlichen Antheil.4

Dass übrigens die Viertheilung der Rasten schon in der alten Zeit eine vorwiegend theoretische Bedeutung hatte und das Bild sich in Praxi wesentlich anders ausnahm, scheint mir ausser Anderem auch daraus hervorzugehen, dass die griechischen Beobachter, denen wir entschiedenen Scharfblick nicht ab- sprechen können, uns die Zahl der indischen Kasten oder wie sie sich ausdrücken der Stämme nicht auf vier, sondern auf sieben angeben. Es seien dies nämlich 1) der Stamm der Weisen; 2) die Beamten; 3) die Aufpasser oder Spione, die das Land im Auftrag des Königs überwachen; 4) die Krieger; 5) die Künstler, Handwerker und Kauf- leute; 6) die Bauern; 7) die Jäger und Hirten. Diese sieben Stände hätten kein Connubium unter einander und Niemand dürfe aus einem in den anderen übertreten.5

Unter der letzten Klasse, den Jägern und Hirten, dürften wohl jene unarischen Stämme zu verstehen sein, die das Ge- setzbuch als Mischkasten bezeichnet und denen es diese Be- schäftigungen zuweist Wenn aber auch die „Beamten" und die „Aufpasser" als besondere Stände neben die Weisen, Krieger u. s. w. gestellt werden, so war dabei offenbar ihre besondere Berufsart maassgebend. Was die Griechen gerade zur Angabe der Siebenzahl brachte, ist nicht genügend auf- ehellt; dass sie aber keine ständische Viertheilung wahrnahmen, £eht jedenfalls klar daraus hervor.

* „Ostindiache Kaste in der Gegenwart" von Emil Schlag- intweit In der Ztschr. d. D. Morg. Gea. Bd. XXXIII, Heft IV, p. 549 flg.

* S. Schlagintweit, Indien, I p. 66.

3 „Gegenwärtig bildet jede Beschäftigung eine Kaste." Schlagint- weit. Indien I p. 56.

4 Schlagintweit, Indien, I p. 56.

6 S. Duncker, a. a. 0. p. 316—318.

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Dreissigste Vorlesung.

Die hauelichen Verhältnisse der Inder zur Zeit des Mittelaltert. Not- wendigkeit der Ehe. Ahnencultus. Adoption. Leviratsehe. Die ver- schiedenen Arten der Eheschliessung. Polygamie. Rechtliche Stellung der Frauen. Hingehung, die von den Frauen gefordert wird. Wittwen- v erb rennung. Kriegswesen. Handel und Industrie. Die Schrift und ihr rauthmaasslicher Ursprung. Die Sprache und ihre Entwickelang in

dieser Zeit.

Wenden wir uns nun zur Besprechung der häuslichen Verhältnisse, wie sich dieselben bei den Indern zur Zeit des Mittelalters gestalteten, so ist zu bemerken, dass auf diesem Gebiete die Sitte vieles Alte bewahrt, aber freilich auch manches Neue eingeführt, oder doch manchem* Alten eine un- erwartete Entwicklung, eine neue Gestalt gegeben.

Für den brahmanischen Inder, im geraden Gegensatz zu dem mönchischen Buddhisten, war die Ehe obligatorisch. Die Gesetzbücher schreiben ihm vor zu heirathen. Es ist dies noth wendig zur Aufrechterhaltung der brahmanischen Gesell- schaftsordnung. Der brahmanische Inder muss das Stadium des Hausvaters (Grihastha) durchmachen, muss einen Sohn haben, der nach seinem Tode für ihn die Todtonspenden und Ahnenopfer darbringen kann.

Es war eine uralte, bei den Indern festgewurzelte Sitte, den abgeschiedenen Geistern der Vorfahren bestimmte Opfer- ungen darzubringen, sie zum gemeinsamen Mahle herbeizurufen.1 Diese Sitte passte nun allerdings eigentlich nicht mehr in eine Zeit, welche den Glauben an die Soelenwanderung angenommen hatte. Denn nach diesem Glauben weilten die abgeschiedenen Seelen, die Geister der Ahnen ja nicht mehr als Heroen oder Halbgötter in dem lichten Himmel Yama's, aus dem sie, wie

1 Wir haben schon im Rigveda Hymnen, die an die Väter gerichtet sind und sie mm Opfermahle' einladen; so RV 10, 15. Vgl., oben p. 44.

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man früher glaubte, zum Opfer herbeikamen, vielmehr musste man sie sich doch irgendwo auf der weiten Reise der Seelen Wanderung denken, wo sie die Anrufung des Nachkommen nicht vernehmen, also auch nicht zum Mahle kommen konnten. Indessen, merkwürdig genug, die alte Sitte, der alte Glaube, sie erwiesen sich mächtiger als diese Ueberlegung. Man hielt an dem Ahnencultus fest, und die Brahmanen suchten sich die Sache zurecht zu legen, indem sie lehrten, die Todtenopfer seien nöthig, um die Seelen der Vorfahren aus einer bestimmten Hölle zu befreien.1

Jedes Mitglied der drei oberen Kasten hatte täglich durch eine, übrigens sehr einfache, Ceremonie die Ahnen zu ehren.* Ausserdem aber fanden zu bestimmten Zeiten und bei gewissen Gelegenheiten grössere Opfer, Todtenmahle oder Gedächtniss- opfer an die abgeschiedenen Geister der Vorfahren statt, bei welchen einer oder mehrere Priester fungirten.5 Diese berei- teten die Leichenkuchen aus Reis und Butter und nahmen be- stimmte Spenden als Stellvertreter der Ahnen in Empfang.4 Ausser den Leichenkuchen wurden auch noch andere Speisen dargebracht, so verschiedene Sorten von Fleisch, welche je nach ihrer Qualität die Geister für längere oder kürzere Zeit be- friedigten.6

Diese Opfer galten für so unerlässlich, dass Männer, welche keine leiblichen Söhne hatten, durch Adoption welche annahmen, damit dieselben nach ihrem Tode für sie den Loichenkuchen darbringen könnten.6

Es gab übrigens noch einen anderen Weg, auf welchem der kinderlose Mann* zu einem Sohn gelangen konnte, nämlich durch die sogenannte Levirats -Ehe (Niyoga). Diese bestand darin, dass die Frau, resp. die Wittwe durch den Schwager oder einen anderen nahen Anverwandten einen Sohn zu er-

1 Es ist die Hölle Put ; vgl. Manu 9, 138.

Pitriyajna, eines der fünf täglich darzubringenden sogen, grossen Opfer. Vgl. über diese Ceremonie Malier, Indien in 8. v. Bd. p. 198. 199.

Es waren dies die sogen. Pincjapitriyajiia und £raddba- Opfer. Vgl. Näheres über dieselben bei M. Müller a. a. 0. p. 197—208. Ueber das Pindapitriyajua hat 0. Donner eine Monographie veröffent- licht (Pindapitriyajna, Das Manenopfer mit Klössen bei den Indern, 1870).

4 Nämlich bei den sogen. Qraddha-Opfern. Bei diesen stellten die Brahmanen das Opferfeuer vor, in welches die Gaben geworfen werdeu sollten. Vgl. Apast. 2, 16, 3. Müller a. a. 0. p. 208.

6 Vgl. oben p. 407 Anm.

Es gab verschiedene Arten der Adoption. Man kann darüber vergleichen Jolly, Outlines of an History of the Hindu Law p. 156 flg.

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langen suchte. Schon im Rigvoda finden wir diesen Brauch an einer Stelle (10, 42, 2) erwähnt; das Epos bietet fernere Bei- spiele, und das Gesetzbuch des Manu gestattet ihn ausdrücklich (9, 55 flg.). Es wird dieser Brauch sogar noch bei Lebzeiten des Mannes geübt, natürlich mit dessen Einwilligung; nach Er- zeugung eines Sohnes darf aber bei schwerer Strafe kein weiterer geschlechtlicher Verkehr stattfinden. Uebrigens scheint diese Sitte schon frühzeitig veraltet zu sein und ist in praxi abgekommen.1

Es gab verschiedene Formen des Freiens und der Ehe- schliessung. Das Epos führt uns wiederholt Frauenraub vor. In anderen Fällen gewinnen die Helden die Frau durch Be- weise ihrer männlichen Kraft und Tüchtigkeit, wie z. B. Arjuna und Rama durch die Spannung eines schwer zu hand- habenden Bogens. Eine andere Form ist die Selbstwahl eines Gatten von Seiten des Weibes (Svayamvara); diese tritt uns wiederholt in schöner Schilderung im Epos entgegen, so bei Damayantl, bei Kunti, bei Savitri.»

In den Gesetzbüchern werden verschiedene Arten einer guten und verschiedene Arten einer schlechten Eheschliessung aufgeführt und in ihren Folgen erläutert. In der Regel sind ihrer im Ganzen acht; so im Gesetzbuch des Manu. 5 Die beste Art ist die, dsss der Vater das Mädchen gebadet und geschmückt einem im Veda wohlbewanderten Manne von gutem Charakter schenkt, den er ehrenvoll in sein Haus geladen; das ist die Brahman-Ehe.4 Nächstdem kommt die Art, dass der Vater das Mädchen dem opfernden Priester schenkt; diese Art wird die Götter -Ehe (däiva) genannt.6 Wenn der Bräutigam dem Vater der Braut ein Rinderpaar schenkt, so ist das die Ehe der Rishi.6 Wenn der Vater die Beiden zusammengiebt mit den Worten: Vollzieht mit einander die Pflichten! so ist das die Ehe des Prajapati. Dies sind die vier guten Formen

1 Vgl. über den Niyoga Jolly, Outlines of an Hist. of the H. L. p. 152 flg.

8 Die Selbstwahl tritt in den Gesetzbüchern nur nebensächlich hervor und scheint im Laufe der Zeit abgekommen zu sein. Vgl. Jolly, Die rechtliche Stellung der Frauen bei den alten Indern (Sitz. Ber. phil. hist. Cl. d. Ak. in München, 1876) p. 426.

* Vgl. Manu 3, 20. YajB. 1, 58—61.

* Vgl. Manu 3, 27.

* 8. Manu 3, 28.

8 Dies Rinderpaar hatte eine symbolische Bedeutung und sollte nicht etwa ein Kaufpreis sein. Vgl Jolly, Rechtliche Stellung der Fraoen p. 433.

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der Eheschliessung, bei welchen der darin geborene Sohn jedes- mal eine bestimmte Anzahl von Vorfahren und Nachkommen „reinigt". Zu den schlechten Arten gehört erstens die Ehe aas gegenseitiger Neigung, ohne Wissen des Vaters und der Mutter ; das ist die Ehe der Gandharven, wie sie z. B. ^akuntalä und König Dushyanta eingehen. Ferner die Eheschliessung, bei welcher der Vater die Tochter verkauft hat; das ist die Ehe der Asura oder bösen Götter. Dann Eheschliessung durch ge- walttätige Entfuhrung die Ehe der Rakshasa; und endlich die Ehe der PicAca, in welche das Mädchen durch List und Betrug wider ihren Willen hineingebracht ist.1

Die Mädchen wurden schon in sehr zartem Alter verlobt und verheirathet und stets mit dem Beginn der Geschlechtsreife oder unmittelbar darauf dem Bräutigam ausgeliefert1 Es wird als Pflicht des Vaters angesehen, die Tochter zu rechter Zeit zu verheirathen.8 Thut er das nicht, so gewinnt sie, drei Jahre nach Erlangung der Mannbarkeit, das Recht, sich selbst einen Gatten zu wählen.4

In den ältesten Zeiten waltete bei. den Indern die Mono- gamie vor. Im Laufe der Zeit drängte sich aber mehr und mehr die Polygamie in den Vordergrund. Schon der heilige Yajfiavalkya im Brihadäranyaka hat zwei Frauen. Die Gesetz- bücher gestatten ausdrücklich mehrere Frauen. Doch ist immer nur emo von ihnen die erste und eigentlich legitime Frau, die darum aus derselben Kaste genommen werden soll. Die Strenge der Kastenordnung Hess sich dabei besser durchfuhren, denn es war leichter, das Heirathen einer Frau aus derselben Kaste zu erzwingen, wenn nachher auch andere Frauen gestattet waren.

1 Vgl. Manu 3, 20—84. Yöjnav. 1, 58—61. Auch Doncker a. a. 0. p. 194. Nach einigen alteren Rechtsbüchern (DhannasütraV gab es nnr 6 Arten der Eheschliessung (so im Ap. Dharm. u. Vas. Dh.) (Jolly, Rechtl. Stelig. d. Fr. p. 432; Outlines of an Hist. of the H. L. p. 73 flg.). Nach Jolly dürften es ursprünglich wohl nur drei Arten gewesen sein: l) die Brahma- Art oder feierliche Schenkung der Braut; 2) die Kshatra- oder Krieger -Art, gewaltsame Wegführung; 3) die Manusha-Art, der Kauf; je einer der drei oberen Kasten entsprechend (Tgl. Jolly, Outlines oet p. 74).

* S. Jolly, Rechtl. Stell, d. Fr. p. 424.

* S. Manu 9, 88.

4 S. Manu 9, 90. 91. Sehr interessant, cum Theil ansprecnend und poetisch sind die Brauche bei der Hochzeit und die dabei ge- sprochenen Sprüche, die uns in den Orihyasütren und im Atharvaveda vorliegen. Wir haben dieselben schon früher besprochen und dürfen daher an diesem Orte davon absehen. Vgl. Vöries. XIV; ferner Haas und Weber in den Ind. Stud. 5, 281.

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Auch der früher besprochene Umstand, dass der brahmanische Inder durchaus einen Sohn für die Todtenspenden brauchte, drängte in manchen Fällen auf das Nehmen mehrerer Frauen.1

Dagegen kam die Polyandrie, d. h. dass ein Weib mehrere Männer hatte, jedenfalls nur sporadisch vor. Ein berühmter Fall der Art findet sich im Mahabbärata, wo die fünf Pändusöhne zusammen nur eine Gattin haben.1

Rechtlich waren die Frauen den Männern völlig unter- geordnet, ja sie gelten im Allgemeinen gar nicht als selbst- ständige Rechtssubjecte,8 stehen vielmehr unter der Vormund- schaft zuerst des Vaters, dann des Gatten, des Bruders oder eines sonst berechtigten männlichen Anverwandten. Vor Allem die gänzliche Unterordnung unter den Gatten gilt für ganz selbstverständlich. Indessen wird das Recht des Eheherrn doch nach zwei Seiten hin bedeutsam eingeschränkt Erstens hat der Mann kein Recht über Leben und Tod der Frau, er darf sie überhaupt keinen schweren körperlichen Züchtigungen unter- werfen, höchstens durch Schläge mit einem Strick oder einem Bambus8töckchen bestrafen.4 Zweitens konnte die Frau in be- schränkten Grenzen auch ihren eigenen Besitz haben (das sogenannte Strldhana oder Frauengut), und in dieser Beziehung gestalteten sich im Laufe der Zeit die Gesetze mehr und mehr zu Gunsten der Frau.6

Im Allgemeinen fordern die luder des Mittelalters von den Frauen die äusserste Hingebung an ihre Männer. Das Weib soll seinen Gatten wie einen Gott ehren, selbst wenn derselbe von schlechtem Charakter ist und allen seinen Lüsten fröhnt, so lehrt das Gesetzbuch des Manu.6 Die mittel- alterlich-indische Poesie hat diese unbedingte, hebende Hin-

1 Vgl. über die Polygamie der Inder auch Jolly, Rechtl. Stellung der Frauen p. 445.

9 Es haben sich noch einige andere Spuren dieser Sitte in alten Schriften erhalten. Bühler bemerkte, dass Xpastamba in seinem Dhanna- sütra (2, 10, 27, 2—4) von der verbotenen Praxis spricht, eine Braut einer ganzen Familie (kula) zu übergeben; ahnlich Brihaspati. Vgl. Jolly, OutUnes of an Hist of H. L. p. 166. Dass bei den Dra vidiere in Südindien noch heute Polyandrie geübt wird, ist bekannt.

Vgl Jolly, Rechtl. Stellung der Frauen p. 421. 4 Vgl. Manu 8, 299.

* Vgl Jolly, a. a. 0. p. 489 flg.; 478 flg.

6 Manu 5, 154. Dagegen war Verstossung die geringste Strafe, welche die Ehebrecherin treffen konnte (?gl. Jolly a. a. 0. p. 421). Der Mann konnte sich auf verhaltnissmassig sehr unbedeutende Gründe schon von seiner Frau scheiden: wenn sie längere Zeit nur Madchen geboren hat, wenn sie ihren Gatten nicht liebt, wenn sie zankisch, ver-

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gebung der Frauen in unvergleichlich schöner Weise geschildert Eine Damayanti, eine Savitri stehen als die reizendsten, liebens- würdigsten weiblichen Charaktere da, welche die Literatur aller Zeiten und Völker geschaffen.

Den Gipfelpunkt dieser Denkungsart erkennen wir in der furchtbaren, aber doch auch so ergreifenden und rührenden Sitte der Wittwenverbrennung. Der Rigveda und überhaupt die ältere Zeit kennt dieselbe noch nicht, wenn es auch nicht unmöglich ist, dass sie schon damals bei vereinzelten Stämmen der Inder gelegentlich vorkam, ohne dass uns die Kunde davon bewahrt ist.1 Erst im indischen Mittelalter tritt uns die Wittwenverbrennung sicher bezeugt entgegen , immer höher preist man ihre Verdienstlichkeit, und im Laufe der Jahrhun- derte wird sie allmählich zur allgemein angenommenen Sitte für die oberen Kasten. Die Gesetzbücher fordern sie nicht, ja die meisten und darunter die wichtigsten erwähnen ihrer nicht einmal; so Manu, Yajflavalkya, Närada, Gautama und Äpa- stamba.2 Andere empfohlen sie allerdings, aber doch immer nur facultativ.9 Das Gesetzbuch des Manu verlangt bloss, dass die Wittwe nicht wieder heirathe. Einsam soll sie leben, ein Leben der Entsagung, Kasteiung und der frommen Werke; dann gelangt sie nach dem Tode in den Himmel und zur Ver- einigung mit dem Gatten.4 Bei dieser Stellung der Gesetz- bücher müssen wir um so mächtigere Faktoren innerhalb der * Gesellschaft vermuthen, die die allmähliche Einbürgerung einer so ausserordentlichen Sitte bewirkten.

Im Epos begegnen wir bereits der Wittwenverbrennung, wenn auch nur in vereinzelten Fällen. So streiten sich z. B.

BchwenderiBch, kränklich, trunksüchtig oder betrügerisch ist u. dgl. m., von Ehebruch und Unfruchtbarkeit gar nicht zu reden. Dagegen vermochte die Frau ihrerseits nur bei sehr schwerwiegenden Gründen sich von ihrem Manne loszumachen, wenn derselbe nämlich impotent, aus der Kaste gestossen oder wahnsinnig war. Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 443—445. (Für das Verhaltniss von Mann und Frau nach den indischen Gesetzbüchern ist überhaupt dieser Aufsatz von Jolly zu vergleichen; desgl. Jolly, Outlines of an Hist. of H. L. p. 77 flg.)

1 Darauf führt, wie wir früher gesehen haben, die Vergleichung mit entsprechenden Sitten verwandter Völker. S. Yorlesuug III (p. 40).

* Vgl. Jolly, Rechtl. Stellung der Frauen p. 447.

1 SoVishnu, Par&cara, Vyasa und Daksha (s. Jolly a. a. 0. p. 447). Das älteste Rechtsbuch, welches der Wittwenverbrennung (Sati) Erwäh- nung thut, ist die- Vishnusmriti. Es stellt der Wittwe die Wahl, ent- weder unverheirathet zu bleiben oder den Scheiterhaufen zu besteigen (vgl. Jolly, Outlines of an Hist. of H. L. p. 79).

Vgl. Manu 5, 160— 165.

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im Mahabhärata nach dem Tode des Pandu dessen beide Frauen, Kuntl und Madri, um die Ehre, mit dem verstorbenem Gatten verbrannt zu werden. Kunti ist die erste Frau des P&ndu, Madri aber fuhrt dagegen an, dass sie von dem Gatten mehr geliebt worden sei. Und die Brahmanen, welche darüber entscheiden, geben der Madri Recht; sie wird mit der Leiche des Gatten verbrannt Andererseits begegnen uns im RAmayana Königinnen, die als Wittwen geehrt fortleben.1 Bei König Dacaratha's Bestattung wird keines seiner Weiber mit ihm verbrannt

Die Begleiter Alexanders des Grossen fanden die Sitte bereits vor, wenn auch nicht als einen überall in Indien gel- tenden Brauch. Sie berichten,* dass bei einigen Indern die Wittwen sich freiwillig mit den Leichen ihrer Männer zu ver- brennen pflegten; die es nicht thäten, hätten keinen Ruhm. Ein interessantes Beispiel wird uns speciell berichtet Bei dem Heere des Eumenes, als derselbe i. J. 316 mit Antigonos die Schlacht bei Paraetakene ausfocht, befand sich auch eine Ab- theilung Inder. Der Anführer derselben die Griechen nennen ihn Keteus fiel in der Schlacht Nun stritten sich seine beiden Weiber, die ihn begleitet hatten, um die Ehre, mit ihm verbrannt zu werden, ganz ähnlich wie im Mahabhärata Kunti und Madri Da die Aeltere gerade schwanger war, wurde für die Jüngere entschieden. Während die Aeltere diese Zurück- weisung für das grösste Unglück hielt und sich jammernd das Haar zerraufte, bestieg die Jüngere, bekränzt und geschmückt, freudig den Scheiterhaufen, geleitet von ihrem Bruder und ihren Frauen, die einen Hymnus sangen. Sie beugte sich über den Leichnam des Mannes und liess, als- das Feuer empor- loderte, keinen Laut der Klage vernehmen, alle Zuschauer mit Mitleid und Bewunderung zugleich erfüllend.8

Für das vierte Jahrhundert vor Chr. ist uns also die Wittwenverbrennung sicher bezeugt und sie wird weiterhin von den klassischen Schriftstellern als alter indischer Brauch an- geführt.4

Es steht diese seltsame und schreckliche Sitte offenbar in Zusammenhang mit der extremen Richtung des indischen Mittel- alters auf Selbstentäus8erung, Hingabe der eigenen Person bis

1 S. Lassen, Ind. Alt. I\ p. 592.

So Aristobul bei Strabo p. 714. Vgl. Duncker, a. a. 0. p. 391. s 8. Duncker, a. a. 0. p. 392, nach Diod. 19, 33. 34, vgl. auch Lasten, Ind. Alt III, 347.

4 S. Lassen a. a. 0.; Duncker a. a. 0.

t. Sckrftdtr, Indien» Lit. v. Cnlt. 28

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zur Vernichtung. Obschon nicht vom Gesetzbuch gefordert, scheint sie doch einen dämonischen Reiz gehabt zu haben, denn sie verbreitete sich mehr und mehr und wurzelt* so fest, dass es den Engländern erst in diesem Jahrhundert mit der grössten Mühe gelungen ist, sie zu unterdrücken.

Es heisst in einem indischen Spruch1:

„Die Gattin, welche den entseelten Gatten auf dem Scheiterhaufen umschlingend ihren eigenen Körper opfert, gelangt, selbst wenn sie Sunden hundert an Zahl begangen hat, in die Götterwelt mitsammt dem Gatten."

Ja, eine sühnende, reinigende Kraft hat solch ein Tod auch in unseren Augen, wie dies von Goethe so wunderschön geschildert ist in seiner Ballade „Der Gott und die Bajadere*:

Es freut sich die Gottheit der renigen Sünder, Unsterbliche heben verlorene Kinder Mit feurigen Armen zum Himmel empor.

Kriegswesen.

Ueber das Kriegswesen der Inder erfahren wir Rühm« liches durch die Griechen. Es war ein schwerer Kampf, den Alexander mit Porös auszufechten hatte. Der indische Feld- herr, seine Krieger und die furchtbare Macht der Elephanten fiös8ten dem grossen Mazedonier Respect vor einem solchen Feinde ein, und schon dies allein ist ein ehrenvolles Zeug- niss für die kriegerischen Leistungen der luder.

Was die Verwendung des Elephanten im Kriege anbetrifft, so ist dieselbe in der alten Zeit bei den vedischen Indern < durchaus unbekannt Wann dieselbe aufkam, lässt sich nicht sicher sagen, aber schon dem Kyros sollen die Inder (529 v. Chr.) Elephanten entgegen gestellt haben, und Ktesias berichtet (400 v. Chr.) ebenfalls von ihrer Verwendung im Kriege. Im Heere des Porös bilden sie diejenige Truppe, welche den Griechen am gefährlichsten wird und lange den Sieg Alexanders in Frage stellt.

Als Hauptwaffe der Inder nennen die Griechen den manns- hohen Bogen, dessen mächtige Pfeile durch Schild und Panzer drangen. Aus den einheimischen Büchern, schon seit Alters,

J Hit. 3, 31 (Böhtlingk, Ind. 8pr.911). Ursprünglich ist die Wittwen- verbrenuimg wohl nur bei Königen und vornehmen Mann ern geübt worden Sie war auch spater hauptsächlich in der Kriegerkaste, bei den Rajput» im Schwange. Vgl. Jolly, Outlines of a. Hiitory of H. L. p. 80.

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kennen wir den Bogen in seiner hervorragenden Bedeutung. Auch der Kampf auf Streitwagen, welche den Kämpfer und den Wagenlenker tragen und schon aus dem Veda uns wohl- bekannt sind, wird uns von den Griechen bezeugt1 Die Könige im Epos fahren noch meist auf Streitwagen in die Schlacht. Dann verdrängt sie allmählich der Kriegselephant; auf einem solchen reitet Porös in der berühmten Schlacht.

Manche Fussgänger tragen nach Angabe der Griechen statt des Bogens Wurfspiesse und lange schmale Schilde; im Handgemenge brauchen sie breite, mehrere Ellen lange Schwerter, die mit beiden Händen geführt werden müssen. Die Reiter haben kleinere Schilde und zwei Wurfspiesse. Zum An- griff wird auf Muscheln geblasen; auch Pauken und Becken geben kriegerischen Klang.* Es stimmen diese Schilderungen sehr gut zu den einheimischen Quellen.

Handel und Industrie.

Handel und Industrie blühten im indischen Mittelalter. Diese Blüthe reicht allerdings schon in frühere Zeiten zurück, denn seit dem grauen Alterthum gingen indische Waaren in ferne Länder. Es ist bekannt, dass die Juden zur Zeit Salomo's durch Vermittelung der Phönizier Gold, Silber, Edelsteine, Elfenbein, Sandelholz, Affen und Pfauen aus Ophir bezogen. Sollte nun auch dieses berühmte Land nicht, wie Lassen an- genommen, Abhira an der Indusmündung sein,8 sondern, wie man neuerdings annimmt, Südarabien,4 so beweisen doch schon die Namen der erhandelten Gegenstände, dass dieselben in der That zum Theil jedenfalls indischen Ursprungs waren.6 Seil etwa dem 10. Jahrhundert vor Chr. bis ungefähr zum dritten war in Yemen (Arabien) der grosse Markt für den Handel der indischen Waaren nach Westen. Die Sabäer sollen ihren sprich-

1 Nur befinden sich nach den griech. Angaben ausser dem Wagen- lenker zwei Kampfer auf dem Wagen. S. Dancker, a. a. 0. p. 335.

Vgl. Duncker, a. a. 0. p. 335.

* Vgl. Lassen, Ind. Alt. II*, 557.

* 8. z. B. Eduard Meyer, Geschichte des Alterthums, I (1884) p. 845. 226.

Das hebräische qof entspricht dem indischen kapi „der Affe" nnd ist daraus entstanden. Der Pfau ist ein indischer Vogel und die he- bräische Bezeichnung tukhiim geht, wie Lassen gezeigt hat, auf eine dekhanische Form des sanskritischen cfrhin „der Pfau" zurück. Auch das Sandelholz ist ein indisches Produkt.

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wörtlichen Reichthum wesentlich daher gewonnen haben.1 Ein anderer in dieser Hinsicht hochwichtiger Punkt war die Insel Socotora.

Unter den Griechen berichtet uns schon Herodot über indische Waaren, die in den Handel des Westens kamen Als solche lernen wir namentlich bestimmte feine Zeuge kennen, oivömv mit Namen, welches Wort offenbar vom sanskritischen sindhu herstammt Nach Lassen dürften dies feine Baumwoll- gewebe gewesen sein.* Ferner macht Herodot verschiedene Gewürze namhaft, wie Kassia, Kimiamomon (Zimmt); sowie die indischen Jagdhunde, die sich die Perser kommen Hessen.

Unter den indischen Handelserzeugnissen, die Ktesias nam- haft macht, erscheint eines von besonderer Wichtigkeit Er erzählt, t es gäbe in Indien bestimmte Bäume (Siptachora), auf denen kleine, weiche, käferartige Thiere lebten. Wenn man diese zerreibe, so quelle aus ihnen eine Purpurfarbe, schöner und glänzender als der hellenische Purpur. Es sind dies offenbar die Schildläuse des Lackbaumes, und die Inder müssen somit schon vor 400 v. Chr. die Lackfarbe bereitet haben. Nach Ktesias schätzten die Perser diese Farbe sehr und färbten ihre purpurnen Kleider damit8 Ferner hebt Ktesias die indi- schen Schwerter hervor, denen er freilich ganz fabelhafte Eigenschaften beilegt; sowie auch das wunderbar riechende Oel eines bestimmten Baumes, xclqjilov genannt.4 Es werden später noch verschiedene Gewürze, wie Agallochum, Kardamomon, Pfeffer,6 und sonstige Handelsartikel als von Indien, kommend von klassischen Schriftstellern namhaft gemacht Diese Waaren gingen theils den Landweg über Persien, theils zu Schiff, und wurde die Schifffahrt im persischen Meerbusen etwa 1000 v. Chr. wohl schon schwunghaft betrieben.

Auch mit den Chinesen und anderen asiatischen Völkern trieben die Inder Handel und importirten Mancherlei von dort Aus China erhielten sie namentlich die Seide. Nearchos, der bekannte Begleiter Alexanders d. Gr., berichtete über das Vor-

1 Vgl. Cust, Origin of the Indian aiphabet, Journ. R. As. Soc. Vol. XVI, Part. 3, p. 2o.

* S. Lassen, Ind. Alt. II*, 569. Vgl. auch weiter unten p. 457.

* S. Lassen, a. a. 0. 11% 562; Duncker, a. a. 0. p. 334.

* Vielleicht Zimmtöl; s. Lassen, a. a. 0. II*, 565; die indischen Schwerter werden auch in den altarabischen Gedichtcu gerühmt (vgl. Alfred y. Kremer, Culturgeschichte des Orients, Bd. I (Wien 1875), p. 79.

* Lassen, a. a. 0. p. 561.

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kommen serischer Zeuge in Indien, die er naher beschrieb und mit denen offenbar seidene Stoffe gemeint sind.1

Für den Handel innerhalb des Landes selbst war es von Wichtigkeit, dass die Inder schon früh die Kunst Strassen an- zulegen verstanden.1 Eine ganze Reihe derselben durchzogen das Land in verschiedenen Richtungen, und wurde der Handel in grösserem Style auf denselben durch wohlorganisirte Kara- wanen betrieben,3

Auf industriellem Gebiete sind die Inder seit Alters bis auf die neuere Zeit vor Allem durch ihre feinen Webereien (namentlich bunte Baumwollweberei) sehr bekannt und be- rühmt, desgleichen durch ihre hohe Kunst in Bearbeitung der Metalle und Edelsteine; feine Gold- und Silberarbeiten werden dort bis auf den heutigen Tag in hoher Vollendung geschaffen, Ebenso die schönsten Gold- und Silberwebereien. Feine Mosaikarbeiten werden früh erwähnt4 und bilden den schönsten Schmuck der Wunderbauten in Delhi und Agra aus der Zeit der Grossmogule. Auch in Bereitung von Lack- arbeiten,5 Farben, köstlichen Essenzen und Parfumerieen 6 waren die Inder bedeutend, und hat überhaupt das Kunst- gewerbe während der Blüthezeit ihrer Cultur einen hohen Grad der Vollendung erreicht

Schrift und Sprache.

Wir haben nun endlich noch eine Seite der Culturent- wickelung zu besprechen, welche uns bereits dem Hauptgegen- stande unserer Betrachtung, der Literatur, ganz nahe bringt. Ich meine die Schrift und Sprache der Inder.

Es ist eine auffällige Thatsache, dass der Gebrauch der Schrift bei den Indern uns erst aus der Zeit ihres Mittelalters mit Sicherheit bezeugt ist Aus der alten Zeit, der Zeit vor Buddha sind uns nicht nur keinerlei inschriftliche Denkmäler erhalten, sondern es begegnet uns auch in der ganzen umfang- reichen Literatur jener Jahrhunderte nicht die mindeste An- deutung, die auf den Gebrauch der Schrift in jener Zeit mit irgendwelcher Sicherheit schliessen Hesse.

1 S. Lassen, a. a. 0. II*, p. 567. » S. Lassen, a. a. 0. IP, p. 533.

* 8. Lassen, a. a. 0. II1, p. 666.

4 Vgl. Lassen, Ind. Alt. II, 427. 513.

5 Vgl. Schnaase. Gesch. d. hild. Künste bei den Alten, 2. Aufl. p. 144.

Vgl. Weber, Ind. Ut. 2. Aufl., p. 293.

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Es ist daher von ausgezeichneten Kennern1 die Ansicht aufgestellt und vertheidigt worden, das indische Alterthum habe die Schrift in der That gar nicht gekannt und die literarischen Schöpfungen jener Zeit, poetische wie prosaische"; seien dazumal bloss mündlich überliefert worden.

Diese Annahme erhält eine wesentliche Stütze durch die seit Alters bezeugte und bis in die Gegenwart fortgesetzte Praxis der Inder beim Unterricht in ihren kanonischen Schriften. Diese Praxis ist nämlich durchaus auf mündliche Ueberlieferung gegründet und besteht im Wesentlichen darin, dass jene um- fangreichen und schwierigen alten Werke mit der grössten Akribie von den Schülern auswendig gelernt werden, so dass dieselben schliesslich bis auf den letzten Accent im Kopfe des Schülers vorhanden sind. Fast der ganze, Jahre hindurch fort- gesetzte Unterricht beschränkt sich auf dieses Auswendiglernen, und es ist in der That Staunenswerth, was dabei geleistet wird. Noch aus neuester Zeit liegen uns darüber merkwürdige Mit- theilungen von europäischen Beobachtern vor. So berichtet uns z. B. Haug,* der Jahre lang in Indien lebte, dass er im Jahre 1861 bei einer Versammlung, wo mehrere Hundert veda- kundige Brahmanen zur Empfangnahme bestimmter Stipendien zusammen kamen, sich von ihrem Wissen thatsächlich über- zeugt habe. Es waren, wie er erzählt, Kenner verschiedener Texte, des Rigveda, des weissen Yajurveda, auch des Atharva- veda. Die besten Rigveda-Kenner waren die sogenannten Daca- granthi's, d. h. Kenner der zehn Texte, nämlich des Rigveda im Samhitä-, Pada- und Krama^Text, des Aitareya-Brahmana und der sechs Vedaüga, Nirukta, Panini u. s. w. Sie kannten alle diese Texte auswendig.

„Dass dieses Auswendigwissen sagt Haug nicht etwa blosse Prätension war, davon hatte ich mehr als einmal Gelegen- heit mich zu überzeugen. Jeder mit den Anfangs worten an- geführte Vers des Rigveda oder Stück eines Brähmana oder eines anderen vedischen Buches wurde sofort auf Verlangen vollständig mit Beobachtung des Accents ohne einen Fehler aus dem Kopfe hergesagt. Auf mein Befragen, wie viel Zeit gewöhnlich auf das Auswendiglernen eines so massenhaften Stoffes verwandt werde, erhielt ich zur Antwort: zwölf bis

1 Vor Allem von Max Müller; vgl. seine History of Ancient Samkrit Literature p. 600. 601. 515. 516. 524. Dieselbe Ansicht vertritt H. Osen- berg, Ueber San&kritforschung, Deutsche Rundschau XII, 9 (1886) p. 898 Haug, Brahma und die Brahmanen, München 1871, p. 47.

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fünfzehn Jahre, was auch sehr glaublich klingt Brahmarten versicherten mir oft, die Kenntniss der vedischen Texte stehe so fest in den Köpfen der Bhatta'g, dass, wenn man alle vor- handenen Exemplare der VeöYs sammeln und verbrennen würde, innerhalb eines Jahres alle genau in derselben Form, demselben Wortlaut und mit denselben Accenten wiederhergestellt werden könnten."

Diesen und ähnlichen Zeugnissen gegenüber ist die An- nahme einer bloss mündlichen Ueberlieferung der vedischen Literatur in der alten Zeit vielleicht nicht so ungeheuerlich, wie sie auf den ersten Blick den Meisten erscheinen dürfte. Dennoch glaube ich kaum, dass die erwähnte Annahme aufrecht erhalten werden kann.

Wäre jene alte Literatur eine bloss poetische, wären es nur Lieder, Hymnen, Epen u. dgl., seien sie auch noch so um- fangreich, ich würde eine bloss mündliche Ueberlieferung für durchaus möglich halten. Nun aber ist ja die vedische Literatur zu einem grossen Theil prosaischer Natur, eine fast endlose Menge umfangreicher und weitläufiger Prosawerke 6ind damals entstanden. Dass dies Alles, dass eine mächtige und umfassende Prosa-Literatur bei einem Volke sich entwickeln kann, dem der Gebrauch der Schrift noch unbekannt, ist eine Annahme, die mir in der That unmöglich erscheint

Langathmige theologische Erörterungen und Speculationen, Lehrbücher und Abhandlungen, grammatische Werke, wie die Praticö.khya'8, ja die Anfänge einer lexicalischen Wissenschaft xt. a. m. sind undenkbar ohne Kenntniss der Schrift, ohne ge- schriebene Literatur. Ebensowenig hätte die Sammlung und systematische Ordnung des ungeheuren Schatzes der vedi- schen Lieder die doch wohl ebenfalls in jene Zeit (ca. das 10. Jahrh.) zurückreicht, ohne diese Voraussetzung geschehen können.1

1 Wesentlich in diesem Sinne sprach sich R. Roth auf dem Inter- nationalen Orientalisten- Congress an Leyden (1888) ans. Er hielt die schriftliche Fixirung für eine conditio sine qua non für die grossen Liedersammlungen und betonte, dasB ein Pr&ticÄkhya oder eine vedische Grammatik nicht verfasst werden konnte, ohne dass geschriebene Texte vorlagen. Vgl. Cust, Origin of the Indian aiphabet p. 3. Wenn es im Mahäbharats heisst, dass sowohl die, welche den Veda schrieben, als die, wekhe ihn verkauften, zur Hölle führen, so entstammt dies Verbot, wie mir scheint, auch erst einer späten Zeit, wo jene Praxis des Auswendiglernens sich fest eingebürgert hatte und man die Be- fürchtung hegte, dass durch Niederschreiben des Veda derselbe in un- heilige Hände gerathen möchte.

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Wohl ist es begreiflieb, dass späterhin manche Prosawerke, die im Laufe der Zeit mit dem Nimbus göttlichen Ursprungs umgeben worden sind, peinlich genau auswendig gelernt werden, wie dies in Indien thataächlich geschehen ist und noch ge- schieht; abei die Entstehung und Entwickelung solcher Werke, einer ganzen derartigen Literatur ist nur bei schriftlicher Fixi- rung derselben begreiflich und möglich.

Wenn in der vedischen Literatur weder Schrift noch Schreib- material erwähnt wird, so ist das allerdings auffällig, aber wir müssen eben wohl annehmen, dass für die Schriftsteller keine directe Veranlassung zu einer solchen Erwähnung vorlag. Diese Annahme ist jedenfalls lange noch nicht so schwierig, wie die von uns vorhin bestrittene.

Megasthenes sagt freilich, dass die Inder keine geschriebenen Gesetze hätten und dass sie den Gebrauch der Schrift nicht kannten. Das Erstere mag richtig sein, dem Letzteren aber widerspricht die Angabe des Nearchos, dass die Inder ihre Briefe auf fest zusammengeschlagener Baumwolle schrieben; ebenso Q. Curtius, welcher (8, 9) die Mittheilung macht, da« sie zarte Baumrinde als Schreibmaterial benützten.1

Die ältesten uns erhaltenen Denkmäler indischer Schrift sind die berühmten Inschriften des Königs Acoka, aus der Mitte des dritten Jahrhunderts vor Chr., deren wir früher in anderem Zusammenhange schon Erwähnung gethan haben. Und zwar begegnen uns hier gleich zwei verschiedene Alphabete, in denen diese Inschriften geschrieben sind:

1) Das nördliche Acoka- Alphabet oder das indo-arianische Alphabet;

2) Das südliche oder auch xar £(sQfflv Acoka -Alphabet genannte. '

Das erstere von diesen beiden Alphabeten ist unzweifelhaft semitischen Ursprungs; es wird von rechts nach links gelesen und manche Charaktere stimmen genau zu den entsprechenden aramäischen.*

Ueber den Ursprung des zweiten aber, des südlichen Acoka- Alphabets, welches von links nach rechts geschrieben wird, sind

1 Vgl. Cust, a. a. 0. p. 8; Muller, Hiitory of A.S.L. p. 615.616; Lasten, Ind. Alt lf, p. 1006. Auf die Angebe des LalitaTistera, daee der junge Buddha schreiben gelernt habe, lege ich kein betender«!

Gewicht.

Vgl. Cust, Origin of the Indien Alphabet, p.7. Halery, L'origine det äcritures indiennes, in den Comptes rendus in Paris. October 1884 M. Mal ler. Indien in seiner weltgetch. Bed. p. 179.

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unter den Kennern sehr verschiedene Meinungen laut geworden,1 und gerade dieses ist das wichtigere, denn von ihm stammen die späteren indischen Alphabete ab.

Bedeutende Autoritäten, wie Edward Thomas, Lassen, der General Cunningham u. A. sprachen sich für einheimisch indischen Ursprung dieses Alphabets aus, während Andere, wie Kopp, Lepsius, Weber,* M. Müller,3 Burnell, Kern und Cust, auch dieses Alphabet auf eine semitische Quelle zurückfuhren.

Es ist unmöglich, diese schwierige Frage an diesem Orte näher zu erörtern. Nur so viel sei gesagt, daas die Meinung der meisten Forscher gegenwärtig entschieden der zweiten An- nahme zuneigt und dass auch meiner Ansicht nach so- wohl die allgemein culturhiBtorischen als auch die speciell pa- läographischen Thatsachen für semitischen Ursprung des süd- lichen Acoka-Alphabets sprechen.

Auf welchen speciellen Zweig des weitverbreiteten semiti- schen, resp. phönizischen Alphabets das südliche Agoka-Alphabet zurückgeht, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit behaupten, indessen scheint mir doch sehr Vieles für die Ansicht zu sprechen, welche zuerst Lenormant und nach ihm Cust und Isaac Taylor verfochten haben, dass wir nämlich im himyaritischen Alphabet die nächste Quelle für das indische zu suchen haben.4

Das himyaritische Alphabet war in Yemen zu Hause und mit diesem Laude hatten die Inder etwa seit dem Jahre 1000 Tor Chr. Schifffahrtsverbindung; gerade den Zügen dieses Alpha- bets sieht aber das südliche Acoka-Alphabet besonders ähnlich. Ist es da nicht in der That eine sehr naheliegende Combination, wenn man sagt: das nördliche Acoka- Alphabet war auf dem Landweg nach Indien importirt und herrschte im Norden des Landes, das sudliche dagegen kam auf dem Seeweg aus Yemen und bürgerte sich darum im Süden ein? Die Spaltung Indiens in zwei semitische Alphabete verschiedenen Charakters erklärt aich so ganz ungezwungen.

1 Diese verschiedenen Meinungen sind neuerdings klar und vor- trefflich zusammengefasst von R. N. Cust, On the Origin of the Indien Alphabet, in Journ. Roy. As. Soc. Vol. XVI, part 3.

1 Weber, Ueber den semitischen Ursprung des indischen Alphabets, Ztschr. d. D. M. G. X p. 389 flg.

M. Malier, Indien in s. w. Bed. p. 179.

* Vgl. Cust, a. a. 0. p. 26—29. Die sabaischen Inschriften werden übrigens sowohl von links nach rechts als von rechts nach links ge- schrieben; Cust, a. a. 0. p. 27.

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Fragt man nach dem muthmaasslichen Zeitpunkt der Im- portirung, so bebe ich hervor, dass die Entwickelung der Prosa- Literatur in Indien etwa im zehnten Jahrh. tot Chr. beginnt; derselben Zeit ungefähr gehört auch die systematische Samm- lung und Ordnung der Veda- Hymnen an. Beides setzt nach meiner Meinung die Kenntniss der Schrift voraus, und würde ich demnach jene Einfuhrung zum mindesten bis in diese Zeit hinaufrücken.1

Wir hätten endlich noch Einiges über die Sprache zu bemerken.

In den letzten Jahrhunderten, welche dem indischen Mittel- alter vorausgingen, hatte sich aus der Sprache des ttigveda die Sprache der Brahmana's, Aranyaka's und Upanishaden entwickelt, die als feststehende Literatursprache allgemein durchdrang.* Welchem Gebiete dieselbe ursprünglich entstammt, wissen wir nicht sicher anzugeben. Indessen lässt sich doch das Land der Kuru-Pancala, oder specieller noch Kurukshetra als Heimath dieser Sprache vermuthen, weil von dorther jene literarische Epoche ihren Ursprung nahm.

Während diese Literatursprache sich selbständig weiter entwickelte, nahm auch die Entwickelung der verschiedenen Volksdialekte ungestört ihren weiteren Fortgang. Mehr und mehr trennten sie sich von einander und gingen ihre eigenen Wege. Diesen Process müssen wir uns insbesondere in den Jahrhunderten, welche das indische Mittelalter einleiteten, fort- gesetzt denken.

Die Literatursprache, zugleich Sprache der höher gebildeten Kreise, wurde von den Gelehrten, die ihr besondere Pflege und Beachtung angedeihen Hessen, in mancher Hinsicht purificirt und in strenge Controle genommen. Das rasch aufblühende grammatische Studium that das Seinige dazu, um ihr immer mehr den Stempel der Reinheit und Regelmässigkeit aufzu- drücken, unter Conservirung der alten vollen Lautgestaltung. Das Resultat dieser Entwickelung ist die Sprache, welche die Inder samskrita bhashä zu nennen pflegen, d. h. die geordnete, gebildete, regelmässige, correcte Sprache, die Literatursprache des indischen Mittelalters, das Sanskrit im eigentlichen Ver- stände.3 Man könnte diese Sprache, welche den Volksdialekten

1 Natürlich nur vermuthungs weise.

* Wie etwa das Schwäbische im 18. Jahrhundert, das Sachsen- Meisen ische zu Luthers Zeit.

8 Wir nennen diese Sprache meist „das klassische Sanskrit14, bei den Indern selbst wird aber die Sprache der alten, der vedischen

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gegenüber eine Hochsprache darstellt, ganz wohl Mittelhoch- indisch nennen, wie wir yon einem Mittelhochdeutsch reden.1 Im Gegensatz nun zu dieser Sprache der Gebildeten gingen die Volksdialekte in lautlicher wie in grammatischer Hinsicht rapid bergab.

Nachlässigkeit und Bequemlichkeit der Aussprache brachten im Laufe der Zeit ungeheure Veränderungen hervor. Die gram- matischen Endungen stumpften sich ab und und gingen zum Theil ganz verloren. In lautlicher Hinsicht traten massenhafte Assimilationen ein, Abwerfung von Consonanten am äohluss und am Anfang des Wortes, Ausstossung derselben im Innern, so d&ss unzählige Hiaten entstanden und die Gestalt der Wörter gegenüber der conservativeren Literatursprache sich oft bis zur Unkenntlichkeit veränderte. Jene ältesten Schriftdenkmäler In- diens, die Inschriften des A$oka in Girnar auf Gujerat, bei Dhauli in Orissa, bei Kapur-di-Giri in Kabul, aus dem dritten Jahrhundert vor (?hr., sind gerade im Volksdialekt geschrieben und zeigen uns denselben schon in hochgradig depravirtem Zu- stande, so dass die erwähnte Entwickelung durchaus vor das Jahr 300 vor Chr. gesetzt werden muss.

Die wichtigsten dieser Volksdialekte sind das Pali und das Präkrit

Das Pali, die heilige Sprache der südindischen, speciell der ceylonesischen Buddhisten, ist nach Annahme dieser Leute die Sprache, in welcher Buddha selbst geredet, der Dialekt des Landes Magadha.* Diese Ansicht ist jedenfalls unrichtig. Wir vermögen aber leider nicht mit Bestimmtheit zu sagen, welchem Theile Indiens das Pali entstammt. Die Ansichten der speciellen Kenner dieses Dialektes weichen in dieser Frage erheblich von einander ab. Nach Westergaard und £. Kuhn wäre es die Sprache von Ujjayini;3 nach Oldenberg's An- nahme die Sprache der südindischen Länder, welche an der Bekehrung Ceylon's zum Buddhismus den wichtigsten Antheil

Zeit gar nicht „SanBkrit" genannt; diesen Namen erhalt vielmehr bloss unser „klassisches Sanskrit die Literatursprache des indischen Mittel- alters.

1 Es dürfte die Entwickelung dieser Sprache etwa im vierten Jahr- hundert v. Chr. zum Abschluss gekommen sein, wenn eine annähernde chronologische Vermuthung erlaubt ist. Dies ist vermuthlich das Zeit- alter des grossen Grammatikers Panini, welcher diese Sprache als eine lebendige, als Sprache der Gebildeten kennt. ■Das sogenannte Magadhl.

» 8. Kuhn, Beitrage zur Pali - Grammatik p. 7. Man findet dort auch die abweichenden Ansichten der anderen Gelehrten besprochen.

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hatten.1 Ganz anders urtheilten Pischel und Kern.1 "Wie dem auch sei, das Pali ist auf jeden Fall einer der wichtig- sten indischen Dialekte und hat seine ganz besondere literarische Entwicklung gehabt; die wichtigste und älteste buddhistische Literatur ist in der Pali-Sprache geschrieben.8

Das Prakrit wiederum zerfallt in eine ganze Reihe von besonders uiiancirten Dialekten, auf welche wir hier nicht näher eingehen können. Die wichtigsten derselben sind Qäu rasen! und Maharashtri.4 Es spielt das Prakrit Tor Allem in der dramatischen Literatur eine Rolle, wo nur ein Theil der Per- sonen Sanskrit, die Hochsprache, die anderen aber Prakrit, den Volksdialekt, reden. Ausserdem hat sich aber auch eine ganz selbständige Prakrit- Literatur gebildet, von der wir in- dessen zunächst absehen können.6 Für uns steht das Sanskrit als die eigentliche Literatursprache des indischen Mittelalters ganz im Vordergrunde des Interesses.

* Oldenberg, Buddha p. 76. 1 S. Kahn a. a. 0. p. 8.

1 Eine Zusammenstellung der wichtigsten Hülfsmittel zum Studium des Pili und seiner Literatur ist oben im Anhang zu Vorlesung XIX gegeben.

4 Einige andere werden wir unten bei Gelegenheit der dramatischen Literatur erwähnen müssen! Ein vortreffliches Handbuch zur Einfuhrung in das Studium des Prakrit, speciell des Maharashtri ist neuerdings ron Jacobi herausgegeben (Ausgewählte Erzählungen in Maharashtri. Gram- matik. Text. Wörterbuch. Herausgegeben von Hermann Jacobi, Leipsig 1886).

Im Mah&r&shtH-Dialekt sind berühmte Gedichte wie der Betn- bandha und das Saptacatakam des Hala (eine lyrische Anthologie) ge- schrieben. Auch die umfängliche Literatur der Jaina's ist in einen modificirten Maharishtri abgefasst. Aus dem Maharashtri ist sp&ter du Marathl geworden. In demjenigen Prakrit-Dialekt, der' PaicAci genannt wird, ist die grosse Marchensammlung Brihatkatha abgefasst.

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in. Abschnitt.

Die Literatur des indischen Mittelalters.

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Einunddreis8igste Vorlesung.

Die Literatur des indischen Mittelalters. Allgemeine Zuge denelben. Ro- mantische Eigenthürolichkeiten: Richtung auf das Phantastische, Schwär- merische, Wunderbare) Ueberirdische ; Innigkeit der Empfindung; Maass- und Formlosigkeit Mangel der Prosa. Das Epos. Bei den Indern nicht die älteste Dichtungsform, sondern erst im Mittelalter nachweisbar. Bedeutende Autoritats-Stellung des Epos im Mittelalter. Itihasa-Purana und Kavya. Verschiedenheit des Mahäbbärata und Ramayana. Die muth- maaaslichen Anfange de9 Mahabharata und seine allmähliche Umformung.

Die Literatur des indischen Mittelalters, deren Be- trachtung wir uns nunmehr zuwenden, ist ein getreuer Spiegel des Lebens, Denkens und Empfindens jener Zeit, und wie die letztere in ihren charakteristischen Zügen uns lebhaft an unser eigenes Mittelalter, die goldene Zeit der Romantik, erinnert,1 so trägt auch die Literatur des indischen Mittelalters deutlich die romantischen Züge an sich.

Das phantastische Element, das hier vorwaltet; die Neigung zum Wunderbaren auf allen Gebieten und in allen Formen; die ausgeprägte Richtung auf das Ueberirdische; da« Schwärmerische, die Hingebung und süsse Innigkeit in der Empfindung; die Maass- und Formlosigkeit in den Gebilden des schaffenden Geistes, es sind Alles romantische Eigenthümlichkeiten, im Gegensatz zu dem Maass, der Ruhe und Klarheit klassischer Schöpfungen.

Phantastisch war jene ganze Weltanschauung der Brah- manen, nach welcher die Stufenleiter der Wesen vom höchsten ßrahman durch die Reiche der Götter , Geister und Heiligen, durch die Menschenwelt und das Thierreich hindurch bis zu den untersten Stufen der Existenz führte: wo in diesem un-

1 Nnr dass diese Züge in Indien entschieden noch verschärft, zum Theil übertrieben erscheinen, wie z. B. in dem überspannten Basier- wesen, der schroffen standischen Sonderung u. A.

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geheuren Bereich die Seelen hin und her wanderten, auf und ab stiegen, als wären keine Schranken zwischen Himmel and Erde; wo die Busse der Heiligen Götter und Welten erzittern machte und jedes Wunder, jede Ungeheuerlichkeit bewirken konnte; wo die gesammte Staatsordnung, das Kastenwesen, der Priestervorrang u. s. w. angesehen wurde als bestehend seit Urewigkeit. Und phantastisch ging es denn auch vor Allem in der Dichtung her. Heilige und Seher (wie Narada) wandern zwischen Himmel und Erde hin und her; die Könige der Men- schen steigen zum Himmel auf und besuchen Indra, den Götter- könig, in seinem Palaste, der ihnen gelegentlich seinen Wagen zuschickt, um sie zum Dämonenkampfe abzuholen; Brahma selbst und seine Schaaren kommen zur. Erde herab, fromme Büsser zu begrüssen u. dgl. m.

Maasslos waren die Dimensionen in den Gebilden des mittelalterlich-indischen Denkens. Die Welt und die Geschichte der Menschen hatte nach dem Gesetzbuch des Manu schon un- ennessliche Zeiträume durchlaufen. Vier Weltalter giebt es, nach der Lehre dieser Zeit: das Kritayuga oder die Periode der Vollkommenheit; das Tretayuga oder die Periode der drei Opferfeuer, der Erfüllung der heiligen Pflichten; das Dvapara- yuga oder die Periode des Zweifels; und das Kaliyuga oder das Zeitalter der Sünde, in welchem wir uns noch gegenwärtig befinden. Das erste, das Zeitalter der Vollkommenheit, Boll 4800 Götterjahre gedauert haben; ein Götterjahr aber dauert 360 Jahre der Menschen; somit währte jene erste Periode nach menschlichem Maasse 1,728,000 Jahre. Das war die Zeit, wo Yama und Manu lebten. Damals wurden die Menschen 400 Jahre alt. Dann kam das zweite, das Zeitalter der drei Opfer- ieuer, in welchem die grossen Opferer und Sänger lebten; das dauerte 3600 Götterjahre oder 1,296,000 Jahre nach mensch- licher Rechnung. Das Lebensalter der Menschen betrug 300 Jahre. Dann in der dritten, der Periode des Zweifels oder der Verdunkelung, lebten die grossen epischen Helden. Das dauerte 2400 Götterjahre oder 864,000 Jahre der Menschen. Das Lebensalter der Menschen betrug 200 Jahre. Endlich viertens das Zeitalter der Sünde, in welchem wir noch leben, soll 1200 Götterjahre oder 432,000 Jahre der Menschen dauern; und das Maximum rar die Lebensdauer der Menschen ist 100 Jahre. Das Gesetzbuch des Manu schiebt seine eigene Ent- stehung somit mehrere Millionen Jahre zurück, da es der ersten Periode entstammt; die europäischen Gelehrten haben aber allen Grand daran zu zweifeln, ob dieses Werk auch nur ein vorchriat-

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liches ist. Ebenso maasslos wie diese Bestimmungen waren z. B. jene Berichte von dem König Vicvamitra, der, wie wir früher gesehen haben, ein Jahrtausend über das andere die unglaublichste Busse übt u. dgl. m. Dieser Mangel des Maasses bringt auf dem Gebiete der Dichtung die Formlosigkeit hervor, denn das Maass ist die Bedingung der Formvollendung.1 Maass- los und formlos ist eine Dichtung wie das Mahäbhärata, das man einem ungeheureu Urwald vergleichen könnte, wo es schwer ist Weg und Steg zu finden, das durch die Riesenhaftigkeit seines Umfangs, die Complicirtheit der Handlung, die Fülle der Episoden, die oft völlig von der Handlung ablenken, den Geist vorwirrt und ermüdot. Das Charakteristische der grie- chischen Dichtung ist da« Maass; das Charakteristische der mittelalterlich-indischen die Maasslosigkeit.

Dafür aber bieten diese indischen Dichtungen wiederum jene schwärmerische, süsse Empfindung, die dem roman- tisch angelegten Gemüthe durch kein Ebenmaass der Form er- setzt werden kann; die sich offenbart in der tiefen, innigen, sich selbst vergessenden, Alles opfernden Liebe, der beim Schauen des einen, schwärmerisch geliebten Wesens alles Andere aus dem Gesichtskreis schwindet; die sich ferner offenbart in der Hingabe an das Ueborirdischo, in jener Sehnsucht nach einem fernen, fernen Ziel, das wir im Leben nimmer erreichen, das nur ein entzückendes Vorgefühl hienieden uns ahnen lassen kann; die sich endlich auch offenbart in der innigen, liebevollen Versenkung in die Natur und ihre Wunder, in dem glühenden Colorit, mit welchem der Dichter seine Bilder überhaucht und durchwärmt. Jene Richtung auf schwärmerisch -liebende Hin- gabe der eigenen Person laset uns verstehen, warum der indisch- mittelalterlichen Literatur gerade die Schilderung weiblicher Ideal gestalten so wunderbar gelingt; denn hior liegt ja der Quell und Kernpunkt dessen, was das Weib liebonswürdig, ent- zückend und gross macht Heroengestalten haben andere Völker besser zu schildern gewusst, aber keine Literatur übertrifft die bezaubernden Frauentypen des indischen Mittelalters. Ja, wir müssen der ganzen Literatur dieser Zeit einen weichen, weib- lichen Zug zusprechen; aus ihm vielleicht mehr als aus irgend einem anderen Zuge springen ihre Vorzüge und Schwächen.

Endlich bringt die sinnende Zurückgezogenheit und Ver-

1 Schon Hegel hat die Maasslosigkeit als Charakteristikum der ludischen Welt hervorgehoben. Vgl. auch K. Rosenkranz, im Vorwort aar Ueberseteung de« Prabodha-Candrodaya (Königsberg 1842) p. XV flg.

t. Schröder, Indien» Lit. a. Colt. 29

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Senkung in das eigene Innere, welche dem indischen Mittelalter eigentümlich ist, auch jene reichen Blüthen einer beschaulichen, reflectirenden Poesie hervor, die nicht nur in den Märchen und Fabeln ihrem eigensten Gebiete blühen, sondern auch durch Epos, Drama und Lyrik als ein schöner sinnvoller Schmuck sich hindurchziehen.

Ausser diesen allgemeinen Bemerkungen, die Inhalt und Wesen der mittelalterlich-indischen Literatur charakterisiren, ist noch hinsichtlich der Form Eines besonders hervorzuheben; ich meine den fast vollständigen Mangel der Prosa in dieser Zeit

In der alten Zeit hatte sich in den Yajurvedon und Brah- mana's ein prosaischer Styl angefangen zu entwickeln, welcher zuerst sehr schwerfällig im Laufe der Zeit in den jüngeren Brähmana's1 und den Upanishaden sich schon zu einer* gewissen Vollkommenheit entwickelt hatte. Diese Entwickelung gerieth nun im indischen Mittelalter ganz in's Stocken. Im Zusammen- hang mit dem Zuge der Zeit zum Erhabenen, Hohen, Poetischen, zum Reich der Poesie und Phantasie drängte sich auch die poetische Form ganz in den Vordergrund. Alle Gegenstände sollten in diese höhere Sphäre gezogen und in das poetische Gewand gekleidet werden. Die nüchterne, einfache Prosa wurde so gut wie ganz verlassen und vernachlässigt, sehr zum Schaden derjenigen Seite der Literatur, die naturgemäss eine mehr ver- standesmässige Behandlung verlangt Nicht nur die Gesetz- bücher, sondern auch die speciell wissenschaftlichen Werke wurden in metrischer Form', vor Allem in dem sogenannten epischen Qloka abgefasst, der sich aus dem vedischen Metrum Anushyubh* herausgebildet hatte und für eine gleichmassig fortschreitende Darstellung sehr geeignet war. Nur die gram- matischen und philosophischen Sütra* erhielten ihren speciellen, gedrängt kurzen, formelhaften Styl, der zwar nicht metrisch war, aber auch durchaus keine lebendige Prosa, sondern wie gesagt mehr in Formeln bestand. Alle anderen wissenschaft- lichen Werke wurden metrisch abgefasst, was wie mau sich wohl denken kann ihrem Inhalte nicht gerade orspriesslich sein konnte. Prosaische Rede zeigte sich noch in gewissen Partieen des Drama's sowie der Märchen- und Fabelwcrkc. Auch die buddhistischen Legenden bildeten einen bestimmten

1 Namentlich dem Qatapatha Brahmana.

* Das Anushtubh-Metrum besteht aus zwei Zeilen, von denen jede In zweimal acht Sylben zerfallt; also 8 -f- 8 / 8 -j- 8 Sylben. Deutsche Nachbildungen des Cloka werden weiter unten mehrfach vorkommen.

» D. h. Leitfaden, Lehrbuch.

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prosaischen Styl aus. Im Ganzen aber wurde die Prosa so sehr vernachlässigt, dass sie auf einer ganz niedrigen Stufe stehen blieb, ja gegenüber der alten Zeit sogar einen Rückschritt be- kundet, während die metrische Kunst im Laufe der Zeit zu hoher Verfeinerung hcrangedieh. Die Prosa, welche uns später- hin in den indischen Romanen sowie in den Commentaren ent- gegentritt, ist im allerhöchsten Maasse ungeschickt und schwer- lallig. Die Ausbildung der Syntax blieb eine äusserst mangel- hafte.

Wenn wir demnach im indischen Mittelalter die poetische und die wissenschaftliche Literatur scheiden, so ist von vornherein hervorzuheben, dass dies sich nur auf den Inhalt bezieht, während die Form fast durchgängig die poetische, d. h. die metrische ist.

Auf dem Gebiete der mittelalterlich- indischen Poesie tritt uns zuerst das Epos entgegen.

Das indische Alterthum hatte von allen Dichtungsgattungen eigentlich nur eine einzige zu wirklicher Blüthe gebracht. Es war dies die lyrische, und zwar speciell die religiöse Hymnen- dichtung. Mit der reichen Fülle der vedischen Lieder beginnt die Literatur des indischen Alterthums, sie wendet sich dann mit grübelndem Ernste der Betrachtung und Darstellung des Opfers zu, um endlich auf wunderlichen Irrgängen in den Aranyaka's und Upanishaden die Höhe philosophischen Denkens zu erreichen. Epos und Drama gehen von unbedeutenden Anfängen abgesehen1 in dieser ganzen, jahrhundertelangen EntwickeJung leer aus.

Ganz anders war es bekanntlich bei den Griechen, wo am Eingang der ganzen Literatur Homer steht, welchem dann erst allmählich lyrische und dramatische Dichtungen folgen. Man hat vielfach bei uns diese historische Folge, die mit dem Epos

1 Die ersten Anfänge epischer Dichtung finden sich in einigen * Liedern des Jiigvcda und dann namentlich in den kurzen prosaischen Legenden und Sagen, Itibasa genannt, von denen sich eine ganze Reihe in den Bräbmana's. einige auch im Nirukta vorfinden (vgl. auch Lassen, Ind. Alt. I*, 1UU3; Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 200). Biawoilen treten diese. Legenden und Sagen auch schon in metrischer Form auf, wie z. B. die Geschichte des IIan\candra im Aitareya Br., und erkennen wir in solchen Stücken die Keime des Epos (s. Lassen und Weber a. a. 0.). Andererseits haben sich von jenen alten prosaischen Erzählungen manche sogar noch in das sonst durchaus metrisch gebaute Mahabharata hinein gerettet.

29*

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beginnt und mit dem Drama endet, als die naturgemässe dar- gestellt und psychologisch zu begründen gesucht. Die Inder zeigen uns, dass dies ganz von der Individualität des einzelnen Volkes abhängt. Sie beginnen mit der lyrischen Erhebung, und erst viel später entwickeln sie Epos und Drama.

Das Epos der Inder unterscheidet sich denn auch in seinem Charakter ganz wesentlich von dem der Griechen. Es ist ein Produkt des Mittelalters und trägt ausgesprochen die romantischen Züge, während die Dichtungen Homer's durch- aus naiv und klassisch einfach sind.

Einmal beim indischen Mittelalter und seiner Poesie an- gelangt, haben wir allen Grund mit der Betrachtung des Epos zu beginnen, denn ihm gebührt vor den lyrischen und drama- tischen Schöpfungen dieser Periode der Vorrang nicht nur wegen des verhältnissmässig hohen Alters, in das manche Partieen desselben hinaufreichen, sondern vor Allem wegen der hervor- ragenden autoritären Stellung und des mächtigen, tiefgreifenden Einflusses, die gerade ihm innerhalb des mittelalterlich-indischen Staates zugesprochen werden müssen.

Die epischen Dichtungen der Inder zerfallen in zwei Haupt- Kategorieen. Die erste umfasst die sogenannten Itihasa, Pu- rana oder Äkhyäna, d. h. Sagen, alte Geschichten oder Mähren; die zweite die sogenannten Kävya oder Kunstgedichte. Haupt- repräsentaut der ersten Kategorie, der Itihasa -Purana, ist das Mahabharata; Hauptrepräsentant der zweiten das R&ma- yana. Diese Verschiedenheit im Charakter der beiden grossen Epen finden wir schon bei den Indern selbst ausdrücklich betont1

ltihasa-Puräna werden schon in den jüngeren Brahinana's die sagen- oder legendenhaften Stücke genannt, .die uns dort begegnen.* Itihasa heisst eine „Sage" oder „Legende"; Purana eine „alte Geschichte"; Akhyana eine „Erzählung" oder „Mähr". Alle diese Namen werden dem Mahabharata beigelegt, und wird es damit als eine Dichtung bezeichnet, in welcher die Sagen und Erzählungen der alten Zeit aufgenommen sind.8 Das Ramayana dagegen trägt mit Recht den Titel eines Kävya oder kunstgerechten Gedichts, denn es ist von einem einzelnen Dichter nach einem bestimmten Plane angelegt und ausgeführt; es zeigt uns die epische Kunstdichtung der Inder in ihrer höchsten Vollendung.4

1 \M. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 200; Lassen, Ind. Alt. Iä, 583.

1 Vgl. Weber a. a. 0. p. 200.

J Vgl. auch Lassen a. a. 0. IÄ, 583 Anni.

4 Vgl. Ussen, a. a. 0. I*, 100G.

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Das Mahäbharata steht namentlich mit jenen Theilen, die vom grossen Kampfe der Kuru und Pan<}usöhne handeln neben dem Ramayana ähnlich da, wie etwa im 13. Jahrhundert bei uns das Nibelungenlied neben einem Epos Wolfram's von Eschenbach oder Hartmann's von der Aue. Ich wüsste wenig- stens keinen treffenderen Vergleich.

Es ist aber insbesondere noch ein anderer Punkt» in wel- chem sich das Mahäbharata von dem Ramayana unterscheidet. Während das letztere wesentlich nur die eine Sage von Rama erzählt und in harmonisch abgerundeter Ausführung diesen Zweck beständig verfolgt, trägt das Mahäbharata mit dem ge- waltigen Umfang seiner 100,000 Qloken oder epischen Doppel- verse den Charakter eines riesigen encyklopädischen Werkes, das alle Sagen und Erzählungen der Vorzeit in sich vereinigen, alle Weisheit von Göttern und Menschen verkünden will. Nur etwa ein Viertel des ganzen Werkes, einige 20,000 Qloken be- ziehen sich auf seinen Hauptgegenstand, den grossen Kampf der Kuru- und Pan<}u-Söhne und die damit verschmolzenen Mythen und Sagen.1 Alles Andere sind Zusätze, Einschiebungen, Episoden der mannichfachsten Art. Vor Allem enthält es eine ungeheure Menge alter Sagen von Göttern, Königen und den alten Heiligen; auch Rama's Geschichte fehlt nicht darin; ferner eine Menge lehrhafter Abschnitte, Kosmogonieen und Theogo- nieen, Darlegungen der Gesetze und der religiösen Dogmen; didaktische Partiecn, die insbesondere den Kriegerstand über seine Pflichten gegenüber den Priestern belehren sollen; Ab- schnitte, welche wie z. B. die Bhagavadgita als philoso- phische Werke für sich gelten müssen u. dgl. m.*

Das Alles muss in dem Rahmen der Geschichte von den Thaten und Abenteuern der Kuru- und Pancju- Söhne Platz finden. Die Einschiebungen oft von sehr bedeutendem Umfang stören den Verlauf der Erzählung sehr erheblich, und um so mehr, als sie oft ganz heterogener Natur sind, so dass es ordentlich Mühe kostet, den Faden der Erzählung wiederzufinden. Zur Erläuterung irgend eines Satzes werden uns wiederholt umfängliche Dichtungen , förmlich Werke für sich, vorgetragen. An manchen Stellen lasst sich dies noch allenfalls vertragen. Wenn z. R die Pändu-Söhne jahrelang verbannt im Ödei Walde umherirren, da bietet es eine an- genehme Abwechselung, dass sie einen weisen Brahmanen treffen,

1 S. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 204.

* Vgl. Lassen, Ind. Alt. 1», 584; Weber, a. a. 0. p. 204.

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der ihnen Belehrung und Unterhaltung spendet und mit der Erzählung alter Sagen den Kummer der Vertriebeneu zu lindem sucht Wouu aber z. B. die Heere sich schon kampfbereit gegenüberstehen und dann noch einem der Helden, der vor- zugehen zaudert, ein philosophisches Gedicht von 18 Gesängen vorgetragen wird, um ihn über seine Pflicht zu belehren, da mus8 uns wohl die Geduld im Stiche lassen. Es ist dies form- los und unkünstlerisch im höchsten Maasse; und dennoch müssen wir versuchen, uns damit zu versöhnen, denn oft gehören gerade diese Einschiebungen, wie auch speciell das erwähnte philo- sophische Gedicht, zu den köstlichsten Perlen, die dieser Ocean epischer Dichtung in dich birgt.

Das Mahäbhärata will ein umfassendes Lehrbuch sein, es will alle Dichtung, alle Kunde der Vorzeit, aMe Weisheit in sich vereinigen. Es sagt von sich selbst (1, 307):* „Es giebt keine Mahre auf Erden, welche sich nicht auf diese Erzählung stützt, sowie keine Erhaltung des Leibes ohne Nahrung.** (1, 645): „Der Zweimalgeborene, welcher die vier Veda nebst den Aüga und Upänga kennt und nicht dieses Epos, der ist nicht ein erfahrener." (040): „Es ist ein grosses Lehrbuch des Nütz- lichen, ein Lehrbuch des Rechts, ein Lehrbuch des Angenehmen, ausgesprochen von Vyasa von unermesslichem Geiste.1,1

Die hier beanspruchte Autoritatsstellung wird dem Mahä- bhärata von den Indern thatsächlich eingeräumt.

Das hohe Ansehen, in welchem die alte Heldensage stand, veranlasste die Priester, gerade diesem Werke Alles einzuve*> leiben, was allgemein wissenswürdig war, und namentlich auch dasjenige, was zur rechten »Belehrung der Krieger und Könige geeignet schien. So hat die Masse des hinein verarbeiteten Stoffes das Ganze endlich zu einem formlichen Labyrinthe ge- staltet

So angesehen und beliebt das Rämäyana bei den Indern ist, dem Mahäbhärata kommt es in seiner Stellung nicht gleich, hat auch durchaus nicht den universalen Charakter, welchen wir an dem grossen Epos hervorgehoben haben.

Als Verfasser des Ramäyana wird Valmiki angegeben, und wir haben keinen Orund daran zu zweifeln, dass dieses Epos das Werk eines Dichters ist Das Mahäbhärata dagegen wird dem Vyäsa zugeschrieben, einem mythischen Weisen, der theils als Verfasser, theils als Sammler und Ordner einer Menge umfangreicher und zum Theil uralter Texte gilt, der Veden,

1 Vgl. Las Ben, Ind. Alt. I», 583 Anm.

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der Puräna, des Ved&nta u. a. m. Die fabelhafte Rolle, welche dieser Vyasa in den* MaMbhärata selbst spielt, benimmt uns den letzten Zweifel darüber, dass wir es hier nur mit einer fingirten Persönlichkeit zu thun haben.1

Es scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen, dass Ton den beiden grossen Epen das Mababharata den Anspruch auf höheres Alter erheben darf, wenigstens in denjenigen Theilen, welche den Kampf der Kuru und Pan<}u-Söhne besingen; dass in ihm trotz aller späteren Ueberarbeitungen und Einschiebungen Bich doch noch Vieles von der ursprünglichen alten Dichtung unverfälscht erhalten hat Noch lebt in vielen Theilen des grossen Epos die alte Kampfesfreudigkeit, das stolze, un- gebrochene Heldenthum einer früheren Zeit, wenn auch im Uebrigen der mittelalterlich -brahmanische Staat dem Gedichte nach Möglichkeit seinen Stempel aufgedrückt hat Im Ramayana dagegen ist von jenem alten Heldenthum nichts zu spüren, es ist durchweg Product der späteren Zeit und bewährt diesen Charakter bis in alle einzelnen Theile hinein. Bein Held ist ein Tugendheld, kein kühner Recke, wie die Alten waren. Ge- horsam, Fügsamkeit, Entsagung, Frömmigkeit, Pietät, leiden- schaftslose Pflichterfüllung das sind die Tugenden, die an dem Helden gepriesen, die in dem ganzen Gedicht verherrlicht werden. Eis treten bisweilen weichliche, sentimentale Züge her- vor, die uns geradezu abstossen. Und wird auch der starke Arm des Helden gepriesen, so geschieht dies doch vor Allem, weil er die Einsiedeleien der frommen Asketen beschirmt.*

Im Mahabhärata bewegen wir uns auf dem Boden der alten Heldensage, im Ramayana dagegen hat bereits Alles mehr einen märchenhaften, romantisch-abenteuerlichen Charakter an- genommen. Rama's Gegner ist der fabelhafte Riesenkönig Ravana mit seinem Volke in Lanka, seine Bundesgenossen sind der Geier Jatayu, die Affen mit Hanuman und Sugrlva an der Spitze, mit denen er sich befreundet und die ihm mit den

1 Lassen bemerkt« Vyasa heisse „der Sammler oder Ordner*' und damit trüge das Gedicht den Namen der personificirten Dia&keuase an der Spitze (Ind. Alt. I9, 582) Das klingt ansprechend, die Etymologie ist aber nicht richtig. Das Subst. ryasa bedeutet „Ausführlichkeit, aus- führliche Danteilung"; der Käme dürfte demnach etwa „ausführlicher Erzähler" bedeuten (die Wurzel a* c. vi bedeutet nicht „sammeln, ordnen", sondern „auseinander bringen, auseinander werfen, zerstreuen"). In der Sache hat übrigens Lassen Recht: Vyasa ist in der That die personi- ficirte Diaskcuase.

* Vgl. Lassen, Ind. Alt. II«, 504; Duncker, Gesch. d. Alt III4,

p. 83.

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Bären zusammen eine Brücke nach Lankä (d. i. Ceylon) hinüber bauen, das Alles ist durchaus märchenhaft. Zwar sind auch in das Mahabh&rata romantisch- märchenhafte Züge mit hinein verwebt, aber deutlich hebt sich doch davon der eigentliche Kern des Epos ab, die alten Völkerkämpfe, denen ein grosser historischer Hintergrund nicht abzusprechen ist. A. Weber hat sogar die Ansicht verfochten, dass wir uns im R&mäyana wesentlich auf dem Boden der Allegorie bewegen. Die Fabel dieses Gedichtes stellt nach ihm die Ausbreitung der arischen Cultur, speciell des Ackerbaues nach dem Süden hin dar. Die handelnden Personen sind wie er sich ausdrückt „nicht wirkliche, historische Gestalten, sondern nur Personificationen gewisser Begebenheiten und Zustände." 1 Vor Allem identificirt er Sita, die von dem Riesen geraubte Gattin des RAma, mit der schon im Rigveda und dann im Grihya- Ritual göttlich verehrten Ackerfurche (sitA); und Rama selbst „mit dem später von ihm getrennten Balararaa halabhrit, dem Pflugträger4'. Die Riesen lind Dämonen stellen die feindselig abgeneigten Elemente der südlichen Ureinwohner dar, während die der arischen Cultur sich geneigt zeigenden Ureinwohner als Affen erscheinen.1 Mag diese Auffassung auch in der Deutung des Einzelnen zu weit gehen, das Eine scheint mir doch vor Allem klar zu liegen, dass wir es hier mit dem freien Spiel eines romantischen Dichtergeistes zu thun haben, während dem Mahabhärata ein altererbter Lieder- und Sagenschatz zu Grunde liegt3

Die Ereignisse, welche den Hauptinhalt des Mahabhärata

1 Weber, Ind. Lit. p. 181; 2. Aufl. p. 209.

* Weber 's später entwickelte Ansicht (lieber das RAmAyana, Ab- handl. d. Berl. Ak. 1870), dass das RAmayana Dicht den Kampf der arischen Inder mit den Urbewohnern, sondern den feindlichen Gegensatz der Buddhisten und Brahmanen zum poetischen Ausdruck bringe, dass wir Nachklänge einer Bekanntschaft mit den homerischen Gedichten darin finden u. dgl. m. halte ich für* wenig wahrscheinlich; man findet sie besprochen bei Lassen« Ind. Alt. II*, 502 flg.

9 Diesen und anderen Gründen gegenüber scheint es mir nicht von grossem Belang, was Lassen für eine grössere Alterthümlichkeit des Rämäyana in's Feld führt (Ind. Alt 684). üebrigens giebt er selbst später zu, dass einige Züge jedenfalls für höheres Alter des Mahabhärata sprechen (II*, 504). Die geographisch beschränktere Sphäre des Dichten des RAmayana kann ebensowenig wie die Nichterwähnung des Buddhis- mus als ein Beweis höheren Alterthums gelten. Wenn der Dichter dea Rämäy. das südliche Land noch als wild und uncultivirt schildert, so zeigt dies nur, dass er seine Aufgabe, das Vordringen der Arier nach Süden darzustellen, richtig erfasst und dem entsprechend die Schilderung des Südlandes eingerichtet hat. Vgl. übrigens auch Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 210.

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bilden, reichen in ein hohes Alterthum zurück. Der Kernpunkt des Epos besteht in dem Kampfe der Kuru und der Paficala, welche beiden Völker zuletzt friedlich mit einander zu einem Volke vereinigt werden. Da nun schon in den Yajurveden die Kuru- Paficala zu einem Volk verbunden auftreten und gerade diese Vereinigung das Resultat jener Kämpfe ist, da ferner in einem der ältesten Yajurveden, im Kathaka nämlich, eine der Hauptgestalten des Mahäbhärata, König Dhritarash^ra Vaicitra- virya als eine bekannte Person genannt wird, so müssen jene Kämpfe, die das Epos schildert, jedenfalls vor der Zeit des Yajurveda, d. h. also wohl vor d. J. 1000, spätestens im 10. Jahr- hundert vor Chr. stattgefunden haben.

Wann die epische Dichtung sich dieses Stoffes bemächtigt, wann zuerst die Thaten und Leiden jener Helden im Liede besungen wurden, das lässt sich natürlich nicht sicher fest- stellen. Es ist indessen nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass schon bald nach jenen grossen Ereignissen Berichte davon dem lauschenden Volke vorgetragen wurden, die dann immer reicher und voller von der dichtenden Sage umrankt und verschönt als ein werther, wenn auch nicht un- veränderlicher Besitz von einer Generation auf die andere fort- erbten.

Bei feierlichen Gelegenheiten, festlichen Versammlungen des Volkes oder grossen Opfern, die die Könige abhielten, pries dann der Sänger die Thaten der Vorzeit und klagte um die gefallenen Helden.1 Es leidet wohl keinen Zweifel, dass in jener alten Zeit die Ueberlieferung der Sage nur eine münd- liche war. Direct ist uns darum von jener alten epischen Dichtung nichts erhalten und Weniges mag wohl unverändert geblieben sein. Das Mahäbhärata aber hat eine solche, durch Jahrhunderte fortgepflanzte Sagendichtung zur nothwendigen Voraussetzung, in ihm ist ein gewaltiger Reichthum epischer Tradition zusammengeströmt, und vieles Alte ist hier in seinem wesentlichen Charakter unversehrt und unverfälscht erhalten.

1 Wie sich das Epos selbst jene alte Sagenüberlieferung denkt, geht aus manchen Stellen hervor. Es sind vor Allem grosse feierliche Opfer, bei denen die Recitation stattfindet. Vai^ampayana, der Schüler des Vyasa, trägt das Mahäbhärata bei dem grossen Schlangenopfcr des Königs Janamejaya vor, und dieselbe Dichtung twird nachher auch von dem Sota oder Barden Ugracravas beim Opfer des Brahmanen Qaunaka recitirt. Oleichermaassen soll das Ramilyana von den beiden Söhnen des Rama, Kuca und Lava, bei einem grossen Pferdeopfer vorgetragen worden sein. Vgl. Lassen, Ind. Alt. I*, 580.

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Im Grossen und Ganzen erhielt freilich die alte Dichtung nach und nach den Stempel einer neuen Zeit. Die Priester waren es, die sich der epischen Tradition bemächtigten und sie in ihrem Sinne umgestalteten; sie fanden hier, hei dem grossen Ansehen der alten Sage, ein geeignetes Mittel, weit- greifenden Einflu88 auf das Volk, vor Allem aber auf die Krieger und Könige zu üben. Ja, so sehr hat sich der hierar- chische Geist des grossen Epos bemächtigt, dass dasselbe im Ganzen als ein treuer Spiegel des mittelalterlich - indischen Staates gelten kann. Hier herrschen die Lehren von der Un- wandelbarkeit und dem göttlichen Ursprung der brahmanischen Staatsordnung, von der Scheidung der Menschen in die vier Kasten seit Anbeginn der Welt, von der unbedingten Unter- ordnung Aber unter die Priester, von der Seelenwanderung und den drei grossen Göttern Brahma, Vishnu und Civa, und nur das prüfende Auge des Forschers vermag in dem Labyrinth dieses grossen Baues die wirklich alten Stücke, die Reite und Ruinen noch zu erkennen, in welchen Bausteine und Mörtel der alten Zeit so fest gefügt, so ganz zu härtestem Gestein verwachsen waren, dass die neuen Baumeister es gerathen fanden, stehen zu lassen, was doch nicht zu stürzen war, ohne das Ganze zu zerstören, und lieber den alten Bau mit neuen Bögen und Pfeilern zu schmücken und zu überbauen, um endlich das Ganze dem andächtig staunenden Volke stolz zu weisen als einen mächtigen Tempel ihres alleinseligmachenden brahma- nischen Glaubens.

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Zweiunddreissigste Vorlesung.

Die verschiedenen Bearbeitungen des Mahabbarata. Zeitpunkt der Ab- fassung und der endlichen Redaction des Ganzen. Inhaltsangabe des Mahabharata: der Kampf der Kuru und Pao4usöhne.

Ad dem Riesenbau des Mahabharata haben Genei-ationen geschaffen, und mehr als eine Bearbeitung hat dtfs grosse Werk im Laufe der Jahrhunderte erfahren. Dies lehrt uns nichC nur die kritische Forschung, sondern das Gedicht sagt es uns selbst. Gegenwärtig besteht das grosse Epos, wie schon erwähnt, aus 100,000 Doppelversen oder Qloken, wir finden in demselben aber die directe Angabe, dass es früher aus 24,000 (Jloken bestanden habe, ja im Eingang des Werkes 1 begegnet uns sogar die Nachricht, dass dasselbe ursprünglich nur 8800 Qloken enthalten habe, so dass also jene Zahl von 24,000 Qloken schon einer zweiten Bearbeitung angehörte.* Auch die Notiz in der Einleitung des Werkes, dass dasselbe drei verschiedene Anfänge habe, deutet wohl auf eine dreimalige Bearbeitung.9

Es leuchtet ein, wie sehr diese Angabe des Gedichtes selbst zu seinem ganzen Charakter, vor Allem auch den massen- haften Episoden und späteren Einschiebungen stimmt und wie glaubhaft sie daher klingt.4

Wann diese verschiedenen Bearbeitungen des grossen Epos stattfanden und in welcher Weise sich dasselbe dabei um-

1 I, 81; 8. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 204.

* S. Lassen, Ind. Alt. II*, 499.

S. Lassen a. a. 0. I«, 589; II» 496. Es heisst im Mahabh. (1, 51. 52), dass Vyasa das Werk in einer ausführlicheren und einer kurzen Fassung vorgetragen habe und dass einige Brahmanen das Bha- rata mit Manu beginnen, andere mit Astika , andere endlich mit Upari- cara ^vgl Lassen a." a. 0.). Lassen hat es versucht diese verschiedenen

I Anfange nachzuweisen (a. t 0. p. 495 flg.).

4 Die Bearbeitung in 24,000 £loken soll wie das Werk selbst angiebt (1, 102 flg.) noch, ohne die Upakhyana, d. h. ohne die episo- dischen Einschiebsel gewesen sein. Yj&\. Lassen, a. a~ 0. II*, 495.

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gestaltete, darüber stehen uns nur mehr oder minder wahr- scheinliche Vermuthungen zu Gebote.

Es erscheint wahrscheinlich, dass die alten Sagen, welche das Mahäbhärata enthält, Allem voran die Erzählung von dem grossen Kampfe der Kuru, zuerst in einzelnen, noch nicht zu einem Ganzen verbundenen Liedern und Gesängen von Gene- ration zu Generation sich forterbten. Es erscheint ferner wahr- scheinlich, dass dann ein grosser dichterischer Genius erstand,1 der mit genialer Hand ein grosses Epos schuf, dessen Mittel- punkt der tragische Untergang des altberühmten Kuru- Ge- schlechtes bildete; dass in diesem Gedichte Recht und Tugend und alte Heldensitte auf Seiten der Besiegten, der Kuru, war, deren Fall der Dichter schmerzlich betrauerte, während die Sieger, die Pändusöhne mit Krishna an der Spitze, nur durch List und Verrath und unritterliches Thun zum Siege gelangten; dass in diesem Gedichte Brahma als der oberste Gott, das lenkende Schicksal der Welt erschien. Es kann ferner kaum einem Zweifel unterliegen, dass eine spätere Bearbeitung sich geflissentlich bemühte, die Schuld der Pändusöhne abzuschwächen, ihre Hinterlist und Tücke zu entschuldigen und dagegen die Kuru mit Vorwürfen zu überhäufen, ihren Untergang als wohl- verdient darzustellen sehr im Widerspruch zu dem alten Gedichte, das durch solche tendenziöse Entstellung die schwerste Schädigung erlitt und in seiner inneren Einheit und Consequen* für immer unheilbar gestört wurde. Zu gleicher Zeit wurde neben die Verehrung des Brahma auch die der beiden anderen grossen Götter eingefügt, vor Allem die des Vishnu, der sogar in Krishna, dem leitenden Helden der PAndu- Partei, persönlich incarnirt erscheint. Dass diese, den Vishnu-Krishna verherrlichenden Stücke, wie auch die, welche den Qiva feiern, spätere Einschiebungen sind, hat man lange schon erkannt* Es haben dann, zur selben Zeit, oder auch noch später, eine Menge anderer "Einschiebungen und Erweiterungen des grossen Epos stattgefunden, theils sagenhaften, theils hierarchisch- didaktischen Inhalts, wodurch dann endlich das Ganze zu dem gewaltigen Umfang angeschwollen ist, in welchem es uns gegen- wärtig vorliegt.3

1 Der „grosse Unbekannte", wie ihn Ad. Holtzmann (der Jüngero * neunt. „Ucber das alte indische Epos", Durlach 1881 «.Programm) p. 10.

- Dies hat namentlich Lassen in seiner Ind. Alterthumskunde wiederholt deutlich hervorgehoben.

9 Die Rcconstruction des alten ursprünglichen Epos vom Untergang des Kuru-Gcschlecbtes hat zuerst mit viel Geist der auch als Germanist

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Für die Bestimmung der Zeit, in welcher der unbekannte Dichter die Erzählung vom Untergang des Kuru- Geschlechtes zuerst zum grossen Epos gestaltete, ist es von Wichtigkeit, dass in dieser ursprünglichen Fassung des Gedichtes durchaus Brahma als der oberste, der höchstverehrte Gott erscheint,1 während die Verehrung des Yishnu und (^iva als grosser Götter offeubar erst später hinein gekommen ist. Nun aber ist uns die Ver- ehrung des persönlichen Brahma zuerst sicher für die Zeit Buddha s bezeugt, über das siebento Jahrhundert vor Chr. kann de schwerlich hinausgehen; im vierten Jahrhundert ist wie wir durch Mogasthenes wissen bereits die Verehrung des Vishnu und £iva ganz in den Vordergrund getreten und stellt die Verehrung Brahma's in den Schatten; Megastheues führt uns das Volk der Inder schon in Vishnuiten und ^ivaiten ge- spalten vor. Die Zeit, in welcher der persönliche Gott Brahma als erster, unbestritten oberster Gott verehrt wurde, liegt also etwa zwischen dem siebenten und dem vierten Jahrhundert vor Chr., und in diesem Zeitraum mussto nach meinem Dafürhalten darum wohl die erste Abfassung des Mahabharata als eines grossen Heldengedichtes statt- gefunden haben.

Das älteste Zeugniss für d;is Vorhandensein des Maha- bharata liegt wie schon Lassen bemerkt hat im Grihya- sütra des Ä^valayana vor, wo ein Bhärata und Mahabharata erwähnt wird.1 Dieses Werk dürfte etwa dem vierten Jahr-

bekannte Adolf Hol tz mann (Professor in Heidelberg) versucht, im ereten Bande seiner „Indischen Sagen" (2. Aufl. Stattgart 1854) (Die Kuruinge). Der gleichnamige Neffe dieses Forschers, Dr. Adolf Holtzmann (zuerst in Durlach, jetzt in Freiburg i. Bt.\ hat die Arbeit seines Oheims fortgesetzt und uns eine ganze Reihe sehr werthvoller Arbeiten über das Mahabharata geschenkt. Sein oben citirter Aufsatz „TJeber das alte indische Epos" dürfte wohl das Beste sein, was neuerdings für die Kritik des Mahabharata geschehen ist. Vgl. auch desselben Forschers „Arjuna, ein Beitrag zur Reconstruction des Maha- bharata" (Strassburg 1879); sowie die früher citirten Aufsätze über Brah- man. Indra, dieApsaras im Mahabharata (Ztschr. d. I). M. G. XXXII, XXX11I u. XXXVIII). Agni, nach den Vorstell d. Mhbh. Strassburg 1878.

1 Es geht dies insbesondere sehr deutlich aus der Abhandlung von Ad. Holtzmann Über ,.Brahman im Mahabharata" hervor (Ztschr. d. D. M. G. XXXVIII).

* Vgl. Lassen, Ind. Alt. F, 58D: ganz ohne zureichenden Grund meint Weber, dass diese Erwähnung des Mahabharata in dem Grhyas. als eine Interpolation oder als ein Zeichen ganz moderner Abfassung»- zeit zu betrachten sei (Ind. LH. 2. Aufl. p. 202). Dem Verfasser des Grhyasütra hat natürlich das grosse Epos nicht in seiner jetzigen Gestalt vorgelegen.

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hundert vor Chr. entstammen und wir könnten demnach etwa für das fünfte Jahrhundert, vor Chr. die Existenz des Epos annehmen, welche Annahme ja durchaus mit unserer obigen Zeitbestimmung harmoniren würde.

Die wesentlichste Umgestaltung des grossen Epos, welche die Pan<Jusöhne in ein besseres Licht setzt und die Verehrung des Vishnu-Krishna und (Jiva hineinbringt, muss jedenfalls erst nach dem Jahre 400 stattgefunden haben, als die Verehrung jener grossen Götter so stark in den Vordergrund getreten war; vielleicht nicht lange nachher, schon in der ersten Zeit dieses hervorragenden £iva- und Vishnu-Cultus, denn die leiden- schaftliche Sprache jener Einschiebungen, die den Vishnu und Qiva als oberste Götter feiern, und den Krishna vergöttern» verrath es uns deutlich, dass für den Cultus derselben noch mit Leidenschaft gekämpft wird.1

Wann aber die letzte Redaction des grossen Epos statt- fand, wann es in derjenigen Form, die wir kennen, mit all den vielen Episoden und lehrhaften Abschnitten fertig abgeschlossen vorlag, das lässt sich schwer bestimmen. Wahrscheinlich aber ist es doch, dass dies erst in nachchristlicher Zeit der Fall war. Die Zeit, in welcher der mittelalterlich -indische Staat und die klassische Sanskrit- Literatur ihre höchste Blüthe er- lebt,* und welche sich etwa vom vierten bis zum neunten Jahr- hundert nach Chr. erstreckt, dürfte am Ende wohl auch die Zeit gewesen sein, wo die letzte Hand an das grosse Epos ge- legt wurde, wo man es zu dem grossen Lehrgedicht machen wollte, das alle Kunde der Vorzeit, alle Weisheit der Welt urafasst, und wo es dann in seinem Bestände endgültig fest- gestellt wurde.3

Jene erste Fassung des grossen Epos, vor dem Jahre 400 vor Chr., dürfte dann vielleicht dieselbe gewesen sein, in welcher es nach seiner eigenen Aussage 8800 Qloken enthielt; die

1 leb erinnere daran, dass die Verehrung dieser Götter and nament- lich des Vishnu-Krishna seine Verbreitung wahrscheinlich gerade dem Gegensatz zum Buddhismus verdankt; die Brahmanen beförderten diese Culte, wie wir früher gesehen haben, um der Buddha -Verehrung ent- gegen zu wirken; die Leidenschaft ist daher sehr erklärlich. (Vgl. auch Lassen a. a. 0. I-, 5U1\

* Es ist dies die Periode, welche M. Müller die „Renaissance der Sanskrit-Literatur" genannt hat. »S. Indien in s. w. Bcd. p. 246 flg.: ebenda p. 308.)

3 Eine Episode wie die BhauavadgitÄ u. a. kann doch schwerlich einer früheren Periode zugewiesen werden.

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zweite Bearbeitung wohl erat nach dem Jahre 300 Chr. hätte das Werk dann Tielleicht bis anf 24,000 Cloken er- weitert, während es erst bei der letzten Bearbeitung in nachchristlicher Zeit zu dem riesigen Umfang der 100,000 £loken angeschwollen wäre.

So etwa Hesse eich der von uns vormuthete Werdcprocess des riesigen Werkes mit den in ihm selbst enthaltenen Angaben in Einklang setzen.

Für die Zeitbestimmung ist ee von Wichtigkeit, dass in dem Mahäbharata die Yavana, d. h. die Griechen, als Bundes- genossen der Kuru genannt werden; es muss also dieses Volk damals schon ganz in den Gesichtskreis der Inder gerückt ge- wesen sein. Es kommt ein Yavanakönig Dattamitra vor vielleicht Derne trios, und ein anderer Yavanakönig Bhaga- datta 1 nach v. Gutschmid vielleicht Apollodotos, der Stifter des griechisch-indischen Reiches (zweites Jahrhundert vor Chr.). Neben den Yavana werden auch schon die Qaka und Pahlava genannt* Auch die Schilderung der indischen Bauten, der hohen Tempel, die bei den Brahmanen sich erst im Gegensatz zu den Klöstern und Stüpa's od i Rcliquiongcbäudcn der Bud- dhisten entwickelten und der älteren Zeit durchaus fremd sind, führt uns in eine verhältnissmässig spate Zeit* Alles dies kann bei der zweiten, resp auch bei der dritten Bearbeitung in das grosse Epos gedrungen sein.4

Aus dem ersten Jahrhundert nach Chr. scheint ein directes Zeugniss für das Vorhandensein des grossen indischen National- epos vorzuliegen. Der Rhetor Dio Chrysoatomog berichtet nämlich, dass von den Indern die homerische Poesie ^in ihrer Sprache gesungen werde: die Leiden des Priamos, die Klagen der Hekabe und Andromache, die Tapferkeit des Achilleus und

1 Der Yaranafürst Bhagadatta erscheint als Herrscher von Maro (Marwar) und Naraka, als Varuua-ähnlich den Westen beherrschend, als alter Frennd des Vaters des YudhisMhira. Vgl. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 205 Anra. Ind. Stud. V, 152.

* S. Weber a. a. 0. p. 204. Laasen, Ind. Alt. l\ 495.

3 Vgl. Duncker, a. a. 0. p. 62 Anm. Die Reliquientempel der Buddhisten werden auch direct im Mahäbharata erwähnt in der prophe- tisch gehaltenen Schilderung des Kaliyuga, wo die „Verehrung von Knochengebäuden", die Ausschliessung der Götter, die Auflösung der Kasten u. dgl. vorkommt. (S. Lassen, a. a. 0. I', 589 Anm.)

4 Wahrscheinlich wohl bei der zweiten, die ja wohl erst nach dem Jahre 300 vor Chr. stattfaud, vielleicht erst um Christi Gehurt herum. Die Krwähnung der Griechen Demetrios und Apollodotos, wie auch der £aka würde zu jener Zeit am meisten motivirt erscheinen.

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Hcktor sei ihnen nicht unbekannt.1 Diese Angabe ist gewiss mit Recht von Lassen, Weber, Duncker u. A. auf das Mahäbharata bezogen worden. Der indische Priamos ist Dhritarashtra, Androuiache und Hekabc sind durch Gaudharl und Draupatli, Achilleus und Hektor durch Arjuna, Duryodhana oder Karna vertreten.2 Welche Bearbeitung des grossen Epos hier genieint wird, lüsst sich aus dieser kurzen Notiz allerdings nicht schliessen.*

Der Name des Mahäbharata bedeutet „das grosse, auf die Bharata sich beziehende, von ihnen handelnde Gedicht".4 Die Bharata aber waren ein altberühmter indischer Stamm, dor schon in den Liedern des Bigveda bedeutsam hervortritt.6 Sie waren es, die das Land des oberen Ganges und der YamunA, der Sarasvati und Drishadvati besetzten und von hier aus nachdem sie sieh vielleicht mit noch einigen anderen vedischen Stämmen verschmolzen hatten eine für die indische Cultur massgebende Bedeutung gewannen. Einen ihrer alten Herr- scher nennen sie Kuru, und nach ihm wird das Herrscher- geschlecht das der Kuru.. Kaurava oder Kuruiden0 genannt;

1 8. Lassen. Intl. Alt. II*, 4M Anm. Weber, Ind. Stud. II, p. 161 flg

« Lassen, a. a. 0. I2, p. 409; Weber, lud. Lit. 2. Aufl. p. 202 flg. Duncker, Gesch. d. Alt III*, p. 63 Anm.

a Die dritte und letzte aber doch wohl gewiss nicht, da in ihr das Epos schon als ein riesiges Lehrgedicht erscheint und nicht eigentlich wie ein Heldengedicht, dem homerischen vergleichbar. Weber will übrigens, da Megastheues das grosse Epos nicht erwähne, die Entstehung desselben zwischen seine Zeit und die des Dio Chrysostomos setzen (Ind. Lit. p. 203). Aber bei der fragmentarischen Ueberlieferung des Mega- sthene8 darf man doch wohl aus einer Nichterwähnung bei ihm nicht allzuviel schliessen. Ferner ist es auch noch gar nicht so sicher, das* M. das Epos nicht erwähnt. Lassen will die Notiz des Dio Chryso- stomos sogar direct auf Megasthenes zurückführen (II2, 499); Duncker meint es wäre dies zweifelhaft scheint es aber nicht für unmöglich zu halten (Gesch. d. Alt. III4, p. 63 Anm.); ja Weber selbst sagt (Ind. Stud. XIII, 356 flg.; Ind. Lit. 2. Aufl. p. 205 Anm.), dass die Angabe des Chrysostomos offenbar aus älterer Zeit" datire, „wenn auch nicht nothwendig von Megasthenes selbst her, wie Lassen meint"; noth wendig ist es gewiss nicht, dass die Notiz des Chrys. von Megasthenes stammt, aber unmöglich ist es auch gewiss nicht, und man kann daher nicht von einer „Nichterwähnung" bei M. reden und darauf wichtige Schlüsse bauen.

* Bharata allein bedeutet schon „das auf die Bharata sich be- ziehende Gedicht", und wird das Epos auch so genannt; dieser Name ist dann noch mit dem Adj. mahu (gross) componirt, also „Mahä bharata". Vgl. über den Nancn auch Lassen. Ind. Alt. I2, 534 Anm.

5 Vgl. oben p. 35 flg.

A. Holtzmann nennt sie mit germanischer Endung Kuruinge.

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dieser Name übertragt sich mit der Zeit auf das ganze Volk und verdrängt zuletzt sogar den alten Namen Bharata. Ihr Land heisst Kurukshetra, das Kuru-Land, und ist uns dasselbe ja bereits früher als Heimath des Yajurveda, als Ursprungsland der eigentlich b rahmanischen Cultur, als das heiligste Gebiet nach Ansicht der Brahmanen, bedeutsam entgegen getreten.1

Die Fabel des grossen Epos besteht der Hauptsache nach in Folgendem.

Im Lande der Bharata, in Hastinapura, der „Elephanten- stadt",* herrschte König Qantanu, aus dem Geschlechte des Kuru. Dieser hatte bereits einen Sohn, namens Bhishma, den er zum Yuvaraja oder jungen König, zum Mitregenten und Nachfolger weihen Hess. Da erblickte der schon alternde König am Ufer der Yamunä die schöne Satyavati, Tochter des Königs Vasu von Magadha, und von ihrem Liebreiz gefesselt begehrte er dieselbe als sein Weib heimzufuhren. Satyavati war aber schon früher von dem Rishi Paragara, der ihr auf einer Pilger- fahrt begegnete, geliebt worden und hatte ihm einen Sohn Vyäsa geboren, denselben, welcher als Ordner der Veden und als Verfasser des Mahäbhärata gilt, zugleich aber in dem Gedichte selbst eine bedeutsame Rollo spielt.8 Satyavatfs Vater wollte die Tochter nur dann dem (^äntanu zum Weibe geben, wenn deren Sohn dereinst das Reich erben würde, und Qäntanu kehrte, da er diese Bedingung um Bhishma's willen doch nicht erfüllen konnte, bekümmert heim. Als Bhishma nun den Grund der Trauer seines Vaters erfuhr, beschloss er edlen Sinnes, auf Krone und Reich zu verzichten, niemals zu heirathen und das Leben eines Brahmacarin zu fuhren. Er machte sich selbst auf, um für den Vater um Satyavati zu werben, und da er feierlich jenen Verzicht gelobte, stand der Werbung kein Hinder- niss im Wege.

Satyavati wurde nun mit Qantanu vermählt und gebar demselben zwei Söhne, Citrängada und Vicitravirya. Nachdem

1 Nach dem Epos in seiner jetzigen Fassung gehören auch die P&nduiden zum Stamme der Bharata, doch ist dies wahrscheinlich spätere Aenderung (vgl. die folg. Vorl.). In den Formeln, mit denen bei der Königsweihe das Volk angeredet wird, wechselt die Bezeichnung Bharatah mit Kuravah, Pancalah und Kurupancalah. Vgl. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 126 Anm.; auch Oldenberg, Buddha, p. 415 tig.

Ä Von hastin „der Elephant".

* Diese Einschiebung des Vyasa in die Verwandtschaft des Kuru- Geschlechtes ist unzweifelhaft jüngeren Ursprungs, gehört wahrscheinlich erst der letzten Redaction des Gedichtes an.

▼. Schröder, Indiens Lit. n. Colt. 30

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der Vater und der ältere der beiden Brüder gestorben, weihte Bhishma den Vicitravirya zum König und vermählte ihn mit zwei Töchtern des Königs von KäcL Leider aber starb Vici- travirya schon in jungen Jahren, ohne Nachkommenschaft Nun herrschte grosse Trauer, denn die Gefahr war nahe, dass der Stamm der Kuru erlösche, da sich Bhishma, der einzig Ueber- lebende, durch ein Gelübde zur Ehelosigkeit vernichtet hatte. In dieser Noth griff Satyavati zu jenem Mittel, welches auch im Gesetzbuch des Manu gebilligt wird, dass nämlich der Wittwe eines kinderlos gestorbenen Mannes durch deren Schwa- ger Kinder geschenkt werden dürfen.1 Sie berief den weisen Vyasa, ihren Sohn, den sie dem Paräc,ara geboren und der also ein Halbbruder des verstorbenen Vicitravirya war. Mit Bhishma's Zustimmung gebot sie ihm, den beiden Wittwen seines Bruders Kinder zu erwecken.' Als nun Vyasa in der Büssertracht, mit den Haarflechten, blitzenden Augen und dichten Augenbrauen, beim Scheine der Lampe der ersten Wittwe nahte, erschrak dieselbe und schloss die Augen. Darum wurde der von ihr geborene Sohn Dhritarashtra blind. Ab sich der Heilige dann der zweiten Wittwe nahte, erbleichte dieselbe, und der Sohn, den sie gebar, Pandu , wurde ein bleicher Mann.8

So waren nun wiederum zwei Stammhalter des Geschlechtes da, Dhritarashtra und Pandu. Dhritarashtra vermählte sich mit der Gändhari, Tochter des Königs der Gandhara am Indus. Diese gebar ihm den Duryodhana, der auch Suyodhana genannt wird, und noch viele andere Söhne, zusammen 100 an der Zahl. Pandu wurde von der Pritha oder Kunti, Tochter des Fürsten dei Bhoja, bei der Selbstwahl zum Gatten gewählt; sie gebar ihm an demselben Tage, wo Duryodhana das Licht der Welt erblickte, den Yudhishthira, ferner den Arjuna und den Bhlma. Pandu gewann noch ein zweites Weib, Madri, die Schwester des Fürsten der Madra, und diese gebar ihm Zwillinge, den Nakula und den Sahadova. Die Sage umgiebt diese fünf Pancju- söhne aber noch mit einem besonderen Nimbus, indem sie be- hauptet, dass dieselben eigentlich von Göttern gezeugt seien, und zwar soll Yudhishthira den Dharma, Gott der Gerechtigkeit, zum Vater gehabt haben, Arjuna den Indra, Bhlma den Vayu,

1 Vgl. oben p. 42a 429.

2 Sehr wahrscheinlich ist es mir, dass wie schon Holtzmann (d. A.) vermuthet hat im alten Gedichte Bhishma diese Rolle des Kinder erweckenden Schwagers spielte. Vyasa ist jedenfalls spater eingeschoben. Vgl. Holtzmann, Indische Sagen, Einl. p. XII.

pan(Ju heisst nämlich „bleich44.

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Gott des Windes; die beideü Zwillinge Xakula und Sahadeva sollen Ton den beiden Acvinen stammen.

Da Dhritarashtra blind war, wurde der jüngere Bruder Pandu zum König von Hastinapura eingesetzt und regierte mit Kraft und Geschick. Er war ein gewaltiger Krieger, und das Reich wurde gross und mächtig unter ihm. Aber noch jung an Jahren zog er mit seinen Frauen in den Himalaya und starb daselbst.

Nun übernahm der blinde Dhritarashtra die Regierung über das Reich der Bharata. Auch Kunti kam mit den fünf Söhnen des Pandu nach Hastinapura, und Dhritarashtra nahm dieselben zu sich in den Palast, um sie erziehen und in allen ritterlichen Künsten unterrichten zu lassen. Bei einem grossen Wettkampfe, den König Dhritarashtra veranstaltete, zeichneten sich die Pandusöhne vor allen Anderen in der Führung der Waffen aus. Bald bewährten sie ihr Heldenthum noch nach- drücklicher, indem sie dem Dhritarashtra zum Siege über das Volk der Paficala verhalfen, welche den Duryodhana zuvor ge- schlagen hatten. Dies bewog den Dbritarashtra, Yudhishthira den ältesten der Pandusöhne, zu seinem Nachfolger zu bestim- men, wodurch sein eigener Sohn Duryodhana, an Alter Jenem vollkommen gleich, da sie an demselben Tage geboren waren, *on der Thronfolge ausgeschlossen wurde. Dieser aber wollte sich das Reich nicht rauben lassen und bewirkte es endlich bei km schwachen und bestimmbaren Dhritarashtra, dass die Pandu- «ohne nach Varanavata, einer acht Tagereisen von Hastinapura ah der Gafiga gelegenen Stadt, verwiesen wurden. Dort suchte er sich ihrer auf heimtückische Weise zu entledigen, indem er ihr Haus bei nachtschlafender Zeit anzünden liess.1 Aber sie ntkamen den Flammen und retteten sich in die Wildniss. Ein Zufall brachte ihnen die Kunde, dass Drupada, der König des Paficala -Volkes, seine Tochter demjenigen Helden zum Weibe geben wolle, der im Stande wäre, seinen grossen Bogen zu spannen und ein bestimmtes Ziel zu treffen. Könige und Helden versuchen dort vergeblich das schwere Werk, da erscheinen die Pandusöhne, als Brahmanen verkleidet, und Arjuna gelingt es. den Bogen zu spannen und das Ziel zu treffen. Nun gebort die Draupadl ihnen. Aber alle fünf Brüder hatten sich in das schöne Mädchen verliebt, und damit nun kein Zwist unter ihnen

1 Diese gemeine That des Duryodhana ist sicher ein späteres Ein- tchiebftel, durch welches D. herabgesetzt, die Pändusöhne in ihrem spa- teren Vorgehen gerechtfertigt werden solleo.

30*

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entstehe, beschlicssen sie, dass Draupadi ihre gemeinschaftliche Frau sein und abwechselnd einem Jeden der Brüder gehören solle. Dieser Bcschluss wird durch den heiligen Vyäsa gerecht- fertigt, der ihnen mittheilt, dass es der Draupadi bei einer früheren Geburt durch Qiva bestimmt sei, dereinst fünf Männer zu erhalten.1

Durch diese Heirath sind die Pan<Jusöhne fortab auf das Engste mit dem Könige der Paficala verbunden. Zugleich aber fand noch eine andere , für die Pandava folgenreiche Verbin- dung statt.

Bei der Selbstwahl der Draupadi lernten sie Krishna, den Helden der Yadava, kennen, der sich ihnen alsbald freund- schaftlich geneigt erweist, sie beschützt und von dieser Zeit an ihr treuester Freund und Berather bleibt. Diese Verbindung mit Krishna und mit dem Könige der Paficala bildet den wichtigsten Wendepunkt in der Geschichte der Pandugöhne.9

Als die Kuru von diesem Doppel bündniss Kunde erhielten, fürchteten sie sich vor der Macht der Paficala und Yadava und beschlossen, die Pan(Jara Wiederau versöhnen. Auf Bhishma's Rath theilte Dhritarash^ra das Reich und überliess die eine Hälfte desselben den Pandusöhnen. Diese gründeten in ihrem Antheile die Stadt Indraprastha an der Yamuna* und residirten daselbst. Von hier aus besiegten sie viele andere Fürsten und Völker und regierten mit grosser Gerechtigkeit und Weisheit; Yudhishthira aber brachte das grosse Königsopfer dar.

Das glänzende Geschick der Pancjusöhne machte den Duryo- dhana neidisch und seine Erbitterung wuchs, als er bei einem Besuch in Indraprastha wegen seiner schwachen Einsicht aus- gelacht worden war.4 (JJakuni, der Bruder seiner Mutter GAn- dhari, der sich vorzüglich auf das Würfelspiel verstand, rieth ihm, da die Pandava im Kampfe unbesiegbar seien, den Ver- su h zu machen, sie durch die Würfel zu Fall zu bringen. Der alte schwache Dhritarastyra wurde denn auch wirklich durch Duryodhana dazu bewogen, den Yudhishthira zum Würfelspiel

1 Diese Rechtfertigung ist zweifellos spätere Einschiebung, während die Thatsache der Polyandrie bei den PancJaTa sicher ein uralter Zog

der Sage war.

2 S. Lassen, a. a. 0. 1\ 795. „Mit ihrer Verbindung mit den Y&dava und den Pancala beginnt die zweite Periode ihrer Geschichte, die Erlangung oiner selbständigen Herrschaft.** (Lassen, I\ 815).

3 In der Nähe des heutigen Delhi; man glaubt die Ruinen des alten Indraprastha dort auch thatsächlich gefunden zu haben.

4 Lassen, a. a. 0 825.

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nach Hästinapura zu laden. Die Pändusöhne erschienen, und Yudhisht-hira verlor im Spiele mit (Jakuni sein Reich, seine Schätze, sein Heer, endlich sogar seine Brüder, sich selbst und die Draupadi. Triumphirend gebietet jetzt Duryodhana dieser, als Sklavin zu erscheinen und die Zimmer zu kehren. Als sie sich zu kommen weigert, wird sie von einem der Brüder des Duryodhana, dem schlimmen Duhcäsana, an den Haaren in die Versammlung geschleift Jetzt aber erscheint der alte Dhrita- räshtra, durch Zeichen übler Vorbedeutung erschreckt, tadelt das Betragen seiner Söhne, sucht die beleidigte Draupadi zu begütigen und giebt den Pancjusöbnen, die in den Zustand von Sklaven gerathen waren, ihre Freiheit und ihren Besitz wieder. So ziehen sie wieder heim nach Indraprastha.

Aber Duryodhana konnte es nicht verwinden, dass die Pändava so leichten Kaufes davon gekommen waren. Er er- klärte dem Vater, er und seine Brüder würden zu den Waffen greifen, wenn die Pändusöhne nicht aufs Neue zu einem Würfel- spiel geladen würden. Die Bedingungen sollten jetzt etwas massigere sein. Wer unterliege, solle für zwölf Jahre in die Verbannung wandern; im dreizehnten sollten sie noch als Un- bekannte leben, im vierzehnten aber zurückkehren dürfen und ihr eigenes Reich wieder erhalten. Yudhish^hira wagte es nicht, die Aufforderung des Dhritarashtra zurückzuweisen. Er kam und wurde zum zweiten Male von (Jakuni im Spiele besiegt.

Nun mussten die Pändusöhne als Verbannte in die Wild- niss ziehen.

Von ihrem Purohita oder Hauspriester geführt wanderten sie in Einsiedlertracht durch Kurukshetra über die Drishadvati zur Sarasvati in den Kämyaka-Wald, befreiten denselben von einem menschenfressenden Riesen und versammelten viele Brah- manen um sich. Sie lasen den Veda, übten sich im Bogen- schiessen und verschafften sich und den Brahmanen ihren Unterhalt durch die Jagd, theils im Kämyaka- theils im be- nachbarten Dvaitavana-Waldc lebend. In diese Periode des einförmigen Waldlebens konnten nachher manche Episoden passend eingeschoben werden.

Im dreizehnten Jahre begaben sie sich verkleidet in die Stadt des Königs der Matsya, Virata; Yudhishthira als Brah- mane und Gesellschafter im Würfelspiele für den König; Bhima als Koch und Ringer; Arjuna in Frauentracht, als Eunuch und Lehrer im Gesang, im Tanzen und in der Musik. Im Frauen- gemache angestellt gab er der Tochter des Königs und ihren

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Gespielinnen Unterricht Nakula gab sich als einen Stallmeister, Sahadeva als Aufseher der Heerden aus. Die Draupadi endlich trat als Dienerin in die Dienste der Königin.

So lebten sio dort am Hofe des Königs der Matsya in untergeordneter Stellung.

Da geschah es, dass die Kurusönne im Verein mit dem König der Trigarta das Land des Königs der Matsya mit Krieg überzogen, den König Virata fingen, seine Heerden wegtrieben und grosse Noth bereiteten. Da erhoben sich die Pändusöhne als Helfer, befreiten den König, schlugen das feindliche Heer in die Flucht und gewannen die geraubten Heerden wieder. Jetzt legten sie die unwürdige Verkleidung ab und gaben sich zu erkennen. Der erfreute König der Matsya schloss einen Bund mit ihnen und vermählte seine Tochter mit Arjuna's Sohne Abhimanyu. Zu der. Hochzeit erschienen auch der Paficalakönig Drupada, sowie die Helden der Yadava, vor Allem Krishna, und noch manche andere Fürsten.

Am Tage nach der Hochzeit traten die Könige in der Halle des Virata zusammen, um die Sache der Pan^ava zu berathen. Es wurde ein Bote nach Hastinapura geschickt, um von den Kuru einen Antheil des Landes für die Pandusöhne zurückzufordern, da die Zeit der Verbannung vorüber sei1 Er wurde ohne Antwort zurückgeschickt, und nachdem auch weitere Versuche einer friedlichen Ausgleichung gescheitert, war der Kampf unvermeidlich.

In Kurukshetra, jenem seit Alters heiligen Gebiete zwischen der Yamuna und Drishadvati, stiessen die Heere zusammen.

Es waren gewaltige Völkermassen, die dort zusammen strömten, um die entscheidende Schlacht zu schlagen. Zu den Kuru atiessen als Bundesgenossen die östlichen Völker der Kocala und Videha, der Anga, Banga (d. i. Bengalen), Pauncjra und Kaiinga; ferner die Curasena, und weiter von, Westen her Bhüricravas,, der König der Bahlika; 1 Sudakshina, der König der Kamboja, sammt den (Jaka und Yavana (d. i Griechen); König Jayadratha mit den Sindhu und Säuvira, die fünf Brüder- Könige der Kekaya, die Gändhara und der König der Madra;

1 Sie fordern übrigens nicht das alte Gebiet um In drapras tha, sondern die Städte Kucasthala, Varanavata, Makandi und Vrikasthals, von denen die drei ersten im Gebiete der Pancala, die vierte in dem der Matsya lag. Dies ist beachtenswerth ; sie erscheinen hier also nicht als Vertreter der eigenen Ansprüche, sondern derjenigen der verbündeten Herrscher. S. Lassen, a. a. 0. I\ 840. 841.

D. i. Balkh.

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endlich noch von den südlichen Völkern ein Theil der Yadava, sowie zwei Könige von Avant! oder Ujjayini. Auf der Seite der PAndusöhne aber standen vor Allem die Paficala mit ihrem Könige Drupada an der Spitze, die Matsya und Krishna, der göttliche Held der Y&dava, mit einem Theile dieses Volkes; ferner der König von Kaci am Ganges (bei Benares); Drishta- dyumna, der König des Cedi- Volkes; die Magadha unter ihrem Könige Jayatsena, und das Volk der Dacarna; endlich noch der König des südlichen Pan^ya-Reiches. Die meisten dieser Völker, die mit den Panda va verbündet erscheinen, sassen auf dem rechten Ufer von Ganges und Yamuna, nach Osten bis Magadha, während die Kuru vor Allem mit den Völkern nördlich vom Ganges und weiter im Osten, sowie mit denen des fernen Westens vereinigt kämpfen.

An der Spitze des Kuru-Heeres standen der alte Bhishma, der Senior seines Geschlechtes, Grossoheim der Söhne des Dhritarashtra wie auch der Pandava, und neben ihm Duryo- dhana, der erbittertste Gegner der Pandusöhne. Im Heere der Pandava spielt vor Allem Krishna, der den Wagen des Arjuna lenkt, als Leiter und Rathgeber in der grossen Schlacht eine wichtige Rolle. Allen voran erscheinen die fünf Söhne des Pän<Ju auf ihren mit Standarten geschmückten Streitwagen; Yudhisbthira und der furchtbare finstere Bhima mit dem Streit- kolben, Arjuna, der gewaltige Bogenschütze, Nakula und Sahadeva,

Als die Heere gegen einander anrückten, da rief der alte Bhishma mit donnerähnlicher Stimme seinen Kriegern zu: „Heute sind dem Tapferen die Pforten des Himmels geöffnet! Wandelt den Weg, den schon eure Väter gegangen, nach ruhm- vollem Tode zum Himmel des Indra emporsteigend! Oder wollt ihr lieber kläglich daheim auf dem Lager durch Krank- heit sterben? Nein, nur im Felde ziemt sich dem ächten Kshatriya zu fallen!*;

Und dann blies er zum Angriff auf der grossen gold- geschmückten Muschel.

Da begann ein furchtbares Kämpfen und Morden, das uns im Epos mit lebendigen, kraftvollen Zügen vorgeführt wird. Die Fürsten überschütten einander mit Pfeilen; Wagen, Rosse, Elephanten stürmen zusammen. Wenn die Pfeile ausgegangen und die Bögen zerbrochen, dann springen die Kämpfer von den Wagen und gehen mit den Schwertern oder den wuchtigen Streitkolben auf einander los. In der Ferne aber krächzen die Raben und heulen die Wölfe, das furchtbare Leichenmahl voraus verkündend.

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Es sind Züge gewaltiger Kraft, ja urwüchsiger Wildheit in diesen Schildeningen, die uns nicht selten an altgermanische Dichtungen erinnern.1

Neun Tage lang wogt der Kampf. Die Kuru sind im Vortheil, vor Allem weil der alte Bhishma so furchtbar streitet. Da giebt Krishna dem Arjuna den Rath, die Rüstung Qikhandin's, des jungen Königssohnes der Paficala, anzulegen und dessen Wagen zu besteigen. Gegen den zarten Jüngling werde Bhishma nicht fechten wollen und dann habe er gewonnen Spiel.* Es geschieht, und wie nun Bhishma den Arjuna in Qikhandin's Rüstung und auf dessen Wagen nahen sieht, da ruft er ihm zu: Du magst auf mich schiessen, gegen dich kämpfe ich nicht! Aber nun trifft ihn ein Regen von Arjuna's furcht- baren Pfeilen, die ihn schmerzlich verwunden. Da ruft der gewaltige, streitbare Greis: Das sind (JikhancJhVs Pfeile nicht! Sie durchdringen meinen Panzer, sie trinken meines Herzens Blut, es sind Yama's Boten, Arjuna*s Pfeile sind es! Und in gewaltigem Falle stürzt er bluttriefend herab vom Wagen.

Da entsetzten sich die Kuru, denn ihr starker Hort im Kampfe war gefallen; das Heer der Pandusöhne aber jubelte laut.

Nun führte Drona das Heer der Kuru, derselbe, welcher einst die jungen Pändava im Gebrauche der Waffen unter- wiesen hatte. Es gelingt ihnen nicht, den alten Lehrer zu Fall zu bringen. Da rufen ihm plötzlich Yudhishthira und Bbima auf Krishna's Rath zu, sein Sohn A§vatthaman sei soeben gefallen, und als der Held erschreckt die Waffen sinken lässt, da schlägt ihm der Bruder der Draupadi den Kopf ab.

Darnach führte Karna,8 der Fürst der Anga, ein gewaltiger Kämpfer, das Heer der Kuru an.

' Diese kraftvollen alten Züge des grossen Epos sind wohl von keinem Anderen mit so viel Yerstandniss erfasst und wiedergegeben wie von Holtzmannin seinen „Indischen Sagen" (Bd. I a. A., Die Kuruinge).

3 Warum Bhishma um keinen Preis gegen Qikhandin fechten will, wird von ihm seihst durch eine sehr seltsame Geschichte motivirt. Qi- khandin ist nämlich eigentlich ein Weib und zwar ein Weib, dem Bhishma in einer früheren Geburt grossen Schaden zugefügt hat Gegen ein Weib will aber der v ritterliche Bhishma durchaus nicht kämpfen und dieser Umstand wird von den Panqlusöhnen höchst unedel benutzt um den greisen Helden zu Fall zu bringen. Man vgl. auch die Erzählung Am ba in Holtzmann's Ind. Sagen, Bd. I p. 209.

3 Dieser Held ist wahrscheinlich eine der ältesten Gestalten der Sage, bis in die mythologische, die urindogermanische Zeit zurückreichend. Die neuere Forschung hat ihn mit Achilleus und mit dem Siegfried der

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Dieser herrliche, unüberwindliche Held, der bisher sich gekränkt grollend vom Kampfe fern gehalten, ein Sohn des Sonnengottes,1 wird nach ruhmvollem Kampfe in schmählicher Weise zu Fall gebracht, £alya, der Fürst der Madra der ihm Wagenlenkerdienste thun muss und über diese Erniedrigung * erbittert ist, fährt ihn in einen Sumpf, und als er herabspringt, um den Wagen wieder frei zu machen, schiesst ihm Arjuna unritterlicher Weise seinen Pfeil in den Rücken.

Furchtbar wogte der Kampf nun weiter. Die Kuru ver- loren einen Helden nach dem anderen. Am achtzehnten Tage kam es endlich zum Kampfe zwischen Duryodhana und Bhima. Mit Streitkolben stürmen die beiden Helden auf einander los. Zuerst gelingt es dem Duryodhana, einen Streich auf Bhlma s Brust zu führen, aber auf Krishna's Rath trifft Bhima den Feind auf die Schenkel und zerschmettert ihm die Schenkel- knochen, so dass er zusammenbricht. Sterbend aber klagt Duryodhana die Pandusöhne an, dass sie unehrlich, unritterlich gefochten und den Sieg mit Schande errungen, dass sie den Bhlshma und Drona durch schnöde List gefällt, den Karna schimpflich von hinten erschossen und ihn selber auf unehrliche Weise getroffen, denn schmachvoll sei es, „im Kampf mit der Keule den Gegner unter den Nabel zu treffen." Bhima aber, zornroth, stösst ihm den Schädel mit dem Fusse ein und ruft: Wir haben kein Feuer angolegt, unsere Feinde zu verbrennen, wir haben sie nicht im Spiel betrogen, wir haben ihre Weiber nicht beschimpft; durch die Kraft unserer Arme allein vernichten wir unsere Feinde.

An diesem Tage dem achtzehnten Tage des grossen Kampfes ward das ganze Heer der Kuru vernichtet, alle Fürsten, alle Krieger getödtet. Im Heere der Pandusöhne blasen die Muscheln Sieg und Yudhishthira wird zum König ausgerufen.

Nur drei Streiter des Kuru-Heeres waren entkommen und in den nahen Wald geflohen, darunter Acvatthaman, der Sohn des Drona. Er kann keinen Schlaf finden; da gewahrt er ein unzählbares Heer von Krähen auf den Aesten schlafend; ein

deutschen Sage identificirt. Vgl. auch Holtzmann, „Ucber das alte indische Epos" (1881) p. 5. Es mangelt uns leider bei unserer flüch- tigen Skizze der Raum, auf diese Frage näher einzugehen.

1 Auf Erden gilt er als niederen Ursprungs, als der Sohn eines Fuhrmanns, und darum besonders fühlt sich der Fürst der Madra so be- leidigt, als ihm die Rolle des Wagenlenkers bei dem „Fuhrmannasohne41 tibertragen wird.

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Uhu mit feurigen Augen fliegt leise herzu und mordet eine nach der anderen. Da springt er auf, das ist ihm eine Weisung. Er weckt die Gefährten und während das Heer der Pandava in tiefem Schlafe liegt, schleichen sie leise heran und tödten Einen nach dem Anderen, bis das ganze Heer vernichtet ist. Dann bringt Acvatthäman die wichtige Kunde dem noch mit den Todesqualen ringenden Duryodhana, der nun gern und freudig stirbt

Nur die Pandusöhne, Krishna und sein Wagenlenker waren dem grossen Blutbade lebendig entronnen.

Nun wurden die Todtenopfer für die Gefallenen verrichtet, und Vyasa, der alte Weise, erschien und vermittelte eine Ver- söhnung zwischen den Pandava und dem blinden, alten, seiner Söhne und Helden beraubten König Dhritarastyra. Mit Dhri- tarashtra an der Spitze zogen sie sodann Alle in der Stadt Hastinapura ein. Yudhishthira verehrte im Palaste die Götter, wurde mit Glückwünschen von den Brahmanen begrüsst und empfing die Huldigungen der Unterthanen. Sodann wurde er unter Leitung des Krishna gekrönt, erklärte aber den Dhrita- rashtra für sein Oberhaupt. Gandhari, die Frau des Dhrita- räshtra, konnte den Verlust ihrer Söhne nicht verschmerzen und fluchte dem Krishna, weil er dieselben zu Grunde ge- richtet habe.

Darnach veranstaltete Yudhishthira auf Krishna's Rath ein grosses Pferdeopfer, zu welchem viele Könige herbeiströmten. Die Pandava besiegten noch viele fremde Völker und unter- warfen sie ihrer Herrschaft. Der gebeugte alte König Dhrita- rastyra zog sammt seinem Weibe Gandhari fort und kam nach einiger Zeit bei einem Brande in den Dschungeln des Ganges um.

Auch Krishna wurde zuletzt von dem Fluche der Gandhari ereilt In seinem Volke, das wir bei der grossen Schlacht getheilt in den beiden feindlichen Heerlagern vorfanden, ent- stand nach Verlauf mancher Jahre ein Zwist über jene Vor- gänge, in Folge dessen sie sieb gegenseitig vernichteten. Traurig zog Krishna selbst in die Wildniss und wurde dort im Versehen durch den Pfeilschuss eines Jägers getödtet.

Endlich zogen auch die Pandusöhne auf Vyasa's Rath mit der Draupadi in den Wald und starben auf einer Pilgerfahrt zum Götterberge Meiu

In Hastinapura aber wurde Parikshit Herrscher, der Enkel des Arjuna, Sohn jenes Abhimanyu, der die Königstochter der Matsya heimführte. Dieser starb nach langjähriger Regierung

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la einem Schlangenbiss. Sein Sohn Janamejaya veranstaltete jenes grosse Schlangenopfer, bei welchem Vaicampavana auf Yjasa's Aufforderung das grosse Lied vom Kampfe der Kuru und Pän4u8Öhne vorgetragen haben solL Und noch durch viele Geschlechter herrschte der Stamm des Pändu über das Volk der Bharata, oder, wie sie jetzt meist genannt werden, der Kuru-Pancala.

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Dreiunddreissigste Vorlesung.

Die muthmaasslichen historischen Vorgänge, welche der Erzählung des Mahabhärata zu Grunde liegen. Die Episoden des Mahabhärata. Di« „Geschichte vom Fisch" oder die Sintfluthaage. Nal und DamayanÜ.

Savitrt.

Wir haben in unserer letzten Vorlesung in grossen Zügen die Erzählung des Epos von dem altberühmten Kampfe der Kuru- und Pandusöhne kennen gelernt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Heldensage grosse historische Vorgänge zu Grunde liegen, und es ist von Interesse und Wichtigkeit, diesen geschichtlichen Kern aus der reichen sagenhaften Um- hüllung loszulösen.

Schon lange hat man erkannt, dass dieser Kern des Epos vor Allem darin zu suchen ist, dass das alte Geschlecht der Kuru, welches in Hastinapura über die Bharata herrschte, durch ein jüngeres Geschlecht, die Pändava, aus dieser Stellung verdrängt und wahrscheinlich vernichtet ward. Dieses jüngere Geschlecht gründet sich einen Vorort in Indraprastha 1 an der Yamunä und es gelingt ihm von dort aus, das Reich der Bharata zu gewinnen. Es stützt sich dabei auf die Macht der Paficala, wie auch der Matsya, und wird von dem Helden der Yadava eifrig gefördert. In diesem feindlichen Zusammenstoss des alten mächtigen Volkes der Bharata mit den Paücäla und deren Bundesgenossen liegt der Schwerpunkt der Handlung des Gedichtes; und das Ergebniss des grossen Kampfes ist die Vereinigung des Gebietes der Bharata oder Kuru mit dem der Paficala, die Gründung eines bedeutenden mittelindischen Reiches, das diese Völker in sich fasst.

Die Sage hat sich bemüht, jenen Sturz und Untergang des alten Kuru-Geschlechtes durch ein fremdes, bis dahin un- bekanntes Geschlecht mit einem versöhnenden Schleier zu ver-

1 Dem nachherigen Delhi.

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hüllen. Sie stellt die Sache so dar, als wenn auch die Pändu- *öbne eigentlich zum Kuru- Stamme gehörten. Äher unschwer liisst sich liier die sagenhafte Erfindung erkennen. Dem stegenden Geschlechte musste ja viel daran gelegen sein, seinen Anspruch auf die Herrschaft als einen altererbten dar- zustellen, sich selbst die erlauchte Ahnenreihe der Kuru-Fürsten anzumassen.

Seltsam und phantastisch genug ist dieser Versuch, das Paudugeschlecht an den Kuru -Namen anzuknüpfen. Die Sage laast den letzten ächten Kuru-Sprössling kinderlos bleiben und dann inuss der heilige Vyasa selbst, der zugleich Autor des grossen Epos sein soll, als angeblicher Halbbruder dieses letzten Kuru-Sprüsslings auftreten und dessen Wittwen Kinder erwecken, den Dhritarashtra und den Pändu. die nun doch beide keine wirklichen Kuru-Söhne sind, da ja Vyasa der Sohn des Brah- manen Paräcara ist und keinen Tropfen Kuru Blutes in sich tragt.1 De jure aber sind sie Vicitravirya's Söhne, gelten also als Kuro-Sprösslinge. Im Grunde giebt aber die Sage bei dieser Darstellung das Aussterben des Kuru-Stammes selbst zu, und mit dem Fall des alten Bhishma verlöscht in Wahrheit das Kuru - Geschlecht So war es vermuthlich auch in der ältesten Fassung der Sage dargestellt, dass der gewaltige Bhishma, der letzte Kuru-König, in tapferem Kampfe gegen das fremde; Geschlecht der Pandava fallt und diesem damit der Herrschersitz zufällt Aber in geschraubtester Weise ist diese alte Thatsache in dem Epos, wie es uns jetzt vorliegt, umge- staltet. Man könnte sagen, dass das Epos selbst, indem es den Vyasa seinen Autor ah Erzeuger des Dhritarashtra wie des Pandu darstellt, in naiver Weise das Bekenntniss ab- legt, dass jene Gestalten Schöpfungen des Dichters seien. Diese Darstellung bringt es zu Wege, das Kecht des letzten Kuru- Konigs Dhritarashtra und das des Pantju ganz auf gleiche Stufe zu stellen, nur dass der erstere die Erstgeburt für sich hat, dafür ist er aber wiederum blind und unfähig zu herrschen. Bei der folgenden Generation #wird auch dieser Punkt noch künstlich geschraubt, indem Duryodhana und Yudhishthira, die beiden Rivalen, an ein und demselben Tage geboren sein sollen. Um die Ansprüche des Yudhishthira noch lieberer festzustellen und über allen Zweifel zu erheben, läast Sage den blinden Dhritarashtra selbst diesen zuerst zu

1 Dass in einer Uferen Bearbeitung der Sage wahrscheinlich Bhi- ihmt die Rolle des kinderzeugenden Schwagers aufie), ist schon oben aaigesprochen worden.

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seinem Nachfolger bestimmen, nachdem sich die Pändava in Krieg und Kampfspiel vor Allen hervorgethan, und erst nachher giebt er in seiner Schwäche dem Drängen Duryodhana's nach lind verbannt die Pändava aus Hastinapura nach Växanavata. So erscheinen sie schon hier als ihres Rechtes Beraubte, denn dem Könige stand es frei, seinen Nachfolger zu bestimmen. Sie werden dann auf heimtückische und meuchlerische Weise von Duryodbana verfolgt und als ihnen endlich die Kuru aus Furcht vor dem Paficala- König einen Antheil Landes hatten zugestehen müssen, werden sie durch Würfelspiel um diesen gebrächt, wandern dreizehn Jahre in der Verbannung, und wie sie dann ihr berechtigtes Erbe wieder verlangen, werden sie höhnisch abgewiesen. Sie sind die unschuldig Gekränkten, ihres Besitzes Beraubten, und haben das volle Recht, zu den Waffen zu greifen und die Kuru vom Throne zu stürzen.

Das Epos scheint den dunklen und zweifelhaften Ursprung der Pändava selbst noch in einigen Zügen anzudeuten. Pandu zieht in den Wald, und nach Jahren werden aus dem Walde die fünf Kinder nach Hästinapura gebracht. Heilige Rishi's bringen sie, sagen, dass es die Söhne des Pandu seien, und verschwinden alsbald, aber so berichtet das Epos »einige sagten, sie sind die seinigen, andere, sie sind es nicht; noch andere, wie können sie Pändu's Söhne sein, da er seit langer Zeit todt ist?«1 Also ihr Ursprung wird alsbald bezweifelt, sie tauchen aus der Dunkelheit auf.

Wo dies Geschlecht in Wirklichkeit hergekommen, darüber lassen sich schwer Vermuthungen aufstellen.8 Nur soviel scheint gewiss, dass sie zuerst bei den Paficala zu einer festen Stellung und gewissem Einrluss gelangen und von dort aus dann weiter operiren, und zwar stellt die Sage die Verbindung der Päncjava mit den Paficala in der Form einer Heirath dar; die fünf Pancju- Söhne vermählen sich mit Dräupadi, der Tochter des Königs der Paficala.

1 Vpl. Lassen,, a. a. 0. I», 788.

* Vielleicht, dass die merkwürdige Polyandrie der Pamju -Sohne, zweifellos ein alter Zug der Sage, auf eine solche Vermuthung leiten könnte. Holtzmann meint, dass die Pändava wohl einen nicht arischen, von Norden her eingedrungenen Stamm' bezeichnen (s. „Ueber das alte indische Epos", Anm. 27 p. 19\ lieber Polyandrie im Himalaja findet sich ein Aufsatz von Stulpnagcl im Indian Antiquary VII (1878); über Polyandrie, namentlich in Südindien vgl. auch Schlagintweit, Indien in Wort und Bild, Bd. I p. 100. Die Bundesgenossen, welche die P&n4ava im Kampfe unterstützen, lassen es mir eher wahrscheinlich erscheinen, dass dieselben aus dem Süden kamen.

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Was bewog nun wohl so müssen wir fragen die späteren Bearbeiter des Mahäbharata, die Pändusöhne, welche in der alten Gestalt des Epos eine offenbar sehr hässliche Rolle spielten und nur durch Tücke undVerrath zum Siege gelangten, geflissentlich zu rechtfertigen und zu rühmen, die Kuru dagegen, die herrlichen Helden des alten Gedichtes, mit Anschuldigungen und Schmähungen aller Art zu überhäufen? Welches Motiv war stark genug, um in späterer Zeit so geradezu die völlige Umkehrung in der Beurtheilung von Sieger und Besiegten zu bewirken, das alte Epos gewissermassen auf den Kopf zu stellen?

Dies seltsame Factum ist in der That nicht leicht zu er- klären, und werden wir bei einem Volke wie die Inder ausser den politischen Motiven von vornherein auch religiöse als mit- wirkend vermuthen müssen, aber welche waren es und wie hing die Sache näher zusammen?

Meine natürlich nur vermuthungsweise auszusprechende Ansicht darüber ist in Kürze etwa folgende.

Der alte Dichter des Mahäbharata lebte in jener Zeit, wo Brahma als der oberste Gott des indischen Pantheons galt (d. i. zwischen dem siebenten und fünften oder vierten Jahrh. v. Chr.) und war vermuthlich ein Sohn des Kuru-Landes, wo der Brah- manismus und die aus demselben hervorgegangene Brahma- Verehrung ihren ersten und festesten Sitz hatten. Er hörte in alten Volksgesängen, in epischen Liedern bei Festen und Opfern und vielleicht auch in mündlicher prosaischer Rede er- zählen von dem alten ruhmreichen Kuru -Geschlecht, das einst in seinem Lande geherrscht und echtes Helden- und Ritterthum gepflegt hatte, aber dann durch ein fremdes, freches Geschlecht von Eindringlingen in unehrlichem Kampfe zu Fall gebracht und vernichtet war, sein altes ehrliches Heldenthum mit dem Tode besiegelnd. Diesen tragischen Untergang besang joner grosse alte Dichter in ergreifender Weise; ihm standen die Helden seines Landes als Musterbilder ritterlichen Wesens da, die siegreichen Gegner aber, die Pandava, die Paficala und Matsya, mit dem Yädava-Helden Krishna an der Spitze, hatten unredlich gefochten, den Sieg mit Schande erkauft. Dies war das alte Bhärata-Lied , das schon in den Grihyasütra's er- wähnt wird.

Aber die Zeiten änderten sich. Jene Völker, die damals die Kuru besiegt und ihr Land gewonnen, traten mehr und mehr in den Vordergrund und erlangten im Gangeslande, in Madhyadeca, durchaus die beherrschende, maassgebende Stellung. Sie waren es und ihre Priester vor allen Dingen, welche den

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Kampf gegen den immer mächtiger werdenden Buddhismus aufnahmen. Ihren Volksgott Vishnu, der in dem gefeierten populären Helden Krishna sich verkörpert haben sollte, stellten sie dem (Jäkya-Sohne entgegen und machten auf alle Weise Propaganda für seinen Cultus. Der Erfolg war glänzend, im Gangeslande wurde Vishnu-Krishua der herrschende Gott (etwa vom vierton Jahrhundert vor Chr. an). Die Priester dieses Gottes und Angehörige der über die Kuru siegreichen Stämme waren es, welche jetzt das alte Gedicht vom Falle der Kuru einer vollständigen Umarbeitung unterzogen. Es war ja ehren- voll für sie, ihr Volk und ihre Helden, dass sie einst die Kuru zu Fall gebracht, a,ber sie fanden in dem Epos ihre siegreichen Helden geschmäht, die Kuru verherrlicht, das umsste um- geändert werden, das herrliche, vom Volke mit Begeisterung gehörte Gedicht sollte den Ruhm ihrer Helden und ihres Gottes verkünden. So entstanden alle jene Aenderungen, welche die Pandava rechtfertigen sollten und was zu dem selben Ziele führte die Gegner schmähten und tadelten. So ent- standen vor Allem auch alle jene Abschnitte, welche den Krishna als höchsten und heiligsten Gott, als Incaruation des Vishnu feiern und die in so grellem Widerspruche stehen mit all den erbärmlich hinterlistigen Thaten und Rathschlägen, durch welche sich Krishna im Kampfe auszeichnet. Der zuerst fast unbegreifliche Widerspruch löst sich aufs Schönste bei unserer Annahme: dem ersten alten Dichter, dem Sohn des Kuru%Landes, musste Krishna im schwärzesten Lichte erscheinen; den späteren Bearbeitern aber war er der erste, berühmteste Held ihres Stammes, die Gottheit selbst und in diesem Sinne feierten sie ihn. Man braucht darum nicht wie Holtzmann es thun will1 zur Lösung des Widerspruches Verschmelzung des alten epischen Krishna „mit einem ganz anderen Krishna, dem vergötterten Stammeshelden einer tapferen und siegreichen Völkerschaft** anzunehmen. Es war vielmehr ein und derselbe Krishna, zuerst vom Standpunkt des Kuru- Dichters angesehen, dann aber vom Standpunkt der siegreichen Stämme, der Yadava Matsya Paficala.*

Eine ungezwungenere Erklärung dürfte sich schwerlicn

1 Vgl. Holtzmann, Ueber das alte indische Epos (1881) p. 11 Auch Arjuna, Ein Beitrag zur Reconstruction des Mahäbharata

p. 61.

* Man denke sich einmal Bismarck vom Standpunkt der Fran- zosen, dann von dem der Deutschen geschildert, es werden wohl sehr verschiedene Bilder sein.

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für den bisher noch nicht gelösten Widerspruch auffinden lassen.

Vom Standpunkte der späteren Bearbeiter ist es ganz natürlich, dass sie Duryodhana und die Seinen als Ketzer schildern, denn Duryodhana ist ja der Feind des Krishna und weiss nichts von dessen Göttlichkeit Wenn es richtig ist, was Holtmann wahrscheinlich zu machen sucht, dass manche Züge des Gedichtes den Duryodhana der Hinneigung zum Buddhis- mus beschuldigen,1 so käme mir auch das sehr natürlich vor bei den leidenschaftlichen Krishna -Verehrern, die vor Allem mit dem Buddhismus kämpften und keine schlimmere Ketzerei kannten als diese, bei denen der Name „Buddhist4* das grösste Schmähwort war.

Die Pan<Ju8Öhne dem gegenüber sind in der letzten Be- arbeitung durchweg als fromme, dem Krishna und den Priestern ergebene Fürsten geschildert, sie werden darum gepriesen und deutlich wird zu erkennen gegeben, dass sie dieser Ergebenheit vor Allem ihren endlichen Erfolg verdanken, zu Nutz und Nachachtung aller Könige und Fürsten!

Die feindselige Behandlung des Duryodhana und der Seinen hindert indessen nicht, dass schliesslich doch eine Versöhnung mit der Kuru-Partei, resp. mit Dhritarash^ra, stattfindet. Yudhi- shthira wird in Hastinapura gekrönt, erklärt aber selbst den Dhritaräshtra für sein Oberhaupt. Es kam den glücklichen Siegern gerade darauf an, die ruhmreichen Traditionen des Kuru-Landes aufrecht zu erhalten, sie bemühten sich nu£ die- selben gewissermassen flir sich in Anspruch zu nehmen, sich selbst als echte und rechte Besitzer und Erben des Landes darzustellen, daher die Einfügung der Pändava in den Kuru- Stammbaum. Auch in religiöser Hinsicht verstanden die letzten

1 Dahin rechnet H., dass Duryodhana's Freund und geistlicher Rath- geber Carvaka als Buddhist erscheint, ein umherziehender Bettelmönch, ein „schamloser Unhold4'. Ferner, daas die Ratbe oder Priester des Duryodhana hellrothe oder gelblichrothe Gewänder tragen, die Tracht der buddhistischen Lehrer. Auch in dem Namen des A?vatthäman sieht H. einen Anklang an Arvattba, den heiligen Feigenbaum der Buddhisten; der seltsame Stirnschmuck desselben erinnert nach ihm an die ,.protube>ance du craneu bei Buddha. Es sind dies feine und werthvolle Bemerkungen, aber keinesfalls mochte ich daraus mit H. den Schluss ziehen, dass „der grosse Unbekannte", der erste eigentliche Dichter des Mahäbhärata* während der Blüthezeit des Buddhismus, vielleicht am Hofe desAcokai!) lebte. Vgl. „Das alte indische Epos" p. 13. 14. Mit Aroka und dem Buddhismus hatte doch der tragische Untergang des alten Kuru- Ge- schlechtes gar nichts gemein. Das sind spater eingefügte Züge.

t. Schr*d«r, Indiens Lit. u. Cult. 31

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Bearbeiter des Epos eine Versöhnung der älteren und der spä- teren Zeit zuwege zu bringen. Wurde auch. Krishna-Vishnu am meisten gefeiert, so blieb doch der alte Brahma in seiner Würde als grosser Gott unangetastet, und auch Qiva, die Haupt- gottheit eines anderen grossen Theils der Inder, wurde in gleichem Rang in das Epos Aufgenommen. So zeigt uns das- selbe jetzt die Religion der drei grossen Götter, wird damit den grössten religiösen Parteien der Brahmanen gerecht und darf den Anspruch erheben, dem ganzen Inderlande Autorität zu sein.

An dem Reichthum der in das Mahabharata episodisch eingefugten Dichtungen dürfen wir nicht vorüber gehen, ohne wenigstens Einiges davon kennen gelernt zu haben. Sie bilden ja, wie früher erwähnt, nicht weniger als drei Viertel des grossen Epos.

Da ist zuerst historisch von hohem Interesse die Sage von der Sintfluth, von welcher wir bekanntlich bei den verschie- densten Völkern Berichte finden. Im Mahabharata ist ihr In- halt im Wesentlichen folgender1:

König Manu, der Sohn des Vivasvant, ein altberühmter Weiser, übte gewaltige, strenge Busse, mit emporgestreckten Armen, auf einem Beine stehend, und auch in anderer Weise. Als er einst am Ufer der Virini büsste, ward er voir einem kleinen Fische angeredet, der zu ihm sprach: „Rette mich vor den grossen und starken Fischen, die mich bedrängen!** Manu nahm den Fisch und that ihn in ein Geiäss. Daselbst wuchs er zusehends, so dass er bald keinen Platz mehr im Gefass hatte. Da trug ihn Manu in einen grossen See. Aber der Fisch wuchs weiter und war in einigen Jahren zu riesenhafter Grösse herangewachsen. Auf seine Bitte brachte ihn Manu darauf in die Ganga, und als er auch dort keinen Platz mehr hatte, in den Ocean. Der Fisch aber, um sich dankbar zu er- weisen, verkündete dem Manu: „Wisse, in Kurzem wird eine Ueberschwemmung kommen über alles Feste und Bewegliche. Die Abwaschungszeit der Geschöpfe ist nahe; Allem, was sich reget und was sich nicht reget, ist genahet eine überaub schreck-

, 1 Es ist die Episode „Matsyopäkhyanam*', d. i. die Erzählung von dem Fisch; im Mahabharata, Calcutt. Ausg. Bd. I p. 663 665. Be- sonders herausgegeben von Bopp in seinem Buch: „Diluvium com tri hu« aliis Mabäbhärati praestantisBimis cpisoduV' Aucii in Joh. Schmidts Sanskrit-Chrestomathie. Weimar 1868.

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liehe Zeit Baue ein Schiff, ein festes, mit einem Seile ver- sehenes, und steige sammt den sieben Weisen (Rishi's) in das- selbe hinein. Und alle Samen auch, wie imme» sie Ton den Brahmanen genannt sind, bring in dieses Schiff, wohlverwahrt und abgesondert. Dann werde ich gehörnt erscheinen und dich retten." Und Aljes geschah so, wie der Fisch gesagt hatte. Manu baute sich das Schiff, nahm die sieben Weisen und aller- hand Samen mit hinein, und als die Fluth eingetreten war, erschien der Fisch wirklich. Manu aber band das Schiff mit dem Seile an das Horn des Fisches und wurde von diesem letzteren durch die Meeresfmth gezogen; Da war Alles mit Wasser bedeckt, von der Erde war nichts mehr sichtbar. So fuhren sie Jahre lang umher. Da zog der Fisch das Schiff zum höchsten Gipfel des Himalaya und gebot dem Manu, es daselbst festzubinden. Also geschah es, und seit jener Zeit heisst der Gipfel Näubandhanam, d. h. Schiffsbindung. Der Fisch aber verkündete jetzt dem Manu und sprach: „Ich bin der Herr der Geschöpfe, Brahma! Höheres, als ich bin, giebt es nicht!" Und er gebot ihm, nachdem die Fluth sich ver- laufen, alle Geschöpfe neu zu schaffen, alle Welten, was sich regt und was sich nicht regt, und Manu, vermöge seiner ge- waltigen Busskraft, führte Solches auch wirklich aus.

Hierbei ist zu beachten, dass der Fisch sich als Brahma zu erkennen giebt, nicht als Vishnu, woraus wir schliessen können, dass die Sage in dieser Form älter ist, als die zweite Bearbeitung des Mahabharata, die ja im Sinne der vornehm- lichen Vishnu- Verehrung ausgeführt wurde. In dem Bhägavata Pur Ana, wo die Geschichte auch erzählt wird, giebt der Fisch sich als Vishnu zu erkennen.

Uebrigen8 wird uns die Sage von der Sintfluth und der Rettung des Manu durch den Fisch in schlichter,, anspruchs- loser Weise schon im ^atapatha-Brahmana (1, 8, 1) erzählt, und das ist die älteste Version, in der wir dieselbe auf indischem Boden vorfinden. Aus welchem Grunde die grosse Fluth eintritt, ist in unserer Erzählung nicht deutlich angegeben, da aber der Fisch sagt: die Abwaschungszeit der Geschöpfe ist nahe, die überaus schreckliche, so darf darin vielleicht eine Andeutung gesehen werden, dass die grosse Fluth die Folge der Verderb- niss unter den Geschöpfen ist, dass sie als ein Reinigungs- und Sühnungsbad sich über die Welt ergiesst, als eine wirkliche Sünd fluth; doch bleibt dies zur Hälfte immer noch Vermuthuug.

Vielleicht die schönste,, poetisch vollendetste unter allen Episoden des Mahabharata ist die Erzählung von Nal und

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Damayanti, der gattentreuen Königin. Sie ist vor Allem durch die reizvolle Uebersotzung von Friedrich Rückert schon lange in weiten Kreisen bekannt, und darf ich daher wohl von einer näheren Angabe des Inhalts absehen. Schon im Jahre 1819 gab Bopp den Originaltext heraus,1 und A. W. v. Schlegel urtheilte über den Werth des Gedichtes in .seiner „Indischen Bibliothek" in einer für immer maassgebenden Weise. Er sagte daselbst*:

„Hier will ich nur soviel sagen, dass nach meinem Gefühl dieses Gedicht an Pathos und Ethos, an hinreissender Gewalt der Leidenschaften wie an Hoheit und Zartheit der Gesinnungen, schwerlicli übertroffen werden kann. Es ist ganz dazu gemacht, Alt und Jung anzusprechen, Vornehm und Gering, die Kenner der Kunst und die welche sich bloss ihrem natürlichen Sinne überlassen. Auch ist das Märchen in Indien unendlich volks- massig und verschiedentlich in neueren Formen und Mundarten behandelt worden. Dort ist die heldenmüthige Treue und Er- gebenheit der Damayanti ebenso berühmt, als die der Penelope unter uns, und in Europa, dem Sammelplatze der Erzeugnisse aller Welttheilo und Zeitalter, verdient sie es ebenfalls zu werden."

So angekündigt wurde das Gedicht bald bei uns bekannt und berühmt, vor allem seitdem es durch Rückert i. J. 1328 übersetzt worden. Zwar erschienen Uebersetzungen des Nal auch noch von Kosegarten (1820), von Bopp (1838), von Ernst Meier 8 (1847) und Ad. Holtzmann4 (1854), aber die Rückert'sche blieb der Liebling des Publikums. Und mit Recht, denn sie ist mit bestrickend poetischem Zauber umgeben, und auch das Fremdartige darin niuthet uns an mit seltsamem Reize. Aller- dings ist es wahr, dass Manches wie namentlich die starken Wortzusammensetzungen im Deutschen bisweilen höchst selt- sam und dunkel oder auch geziert klingt, was im Indischen ganz natürlich und einfach ist, so dass man sagen kann, es wirke im Original wesentlich anders als in der Uebersetzung, sei also nicht entsprechend wieder gegeben; aber doch steigt

1 3. Aufl. Berlin 1868. 1 Ind. Bibl. I, p. 98 flg.

3 Ernst Meier, Klassische Dichtungen der Inder, Bd. I, Statt- gart 1847.

4 Ad. Holts mann, Indische Sagen, Stuttgart 1854, Bd. II; es ist dies eigentlich mehr eine Cmdichtung als eine Uebersetzung. VgL auch Edmund Lobedanz, König Nal und sein Weib. Indische Sage Deutsch metrisch gearbeitet (Leipzig, Brockhaus).

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dem Leser damit eine Ahnung auf von dem eigentümlichen Sprachgeiste, in welchem das Original gedichtet ist. Bedenk- licher scheint es, dass Rückert sich bisweilen ausschmückende Zusätze erlaubt hat Indessen überwiegen die Vorzüge des Buches doch so sehr, dass es seinen Ruf mit vollem Rechte gen i esst.

Das Nalopakhyanara oder die Erzählung vom Nal findet sich im dritten Buche des Mahäbbarata, im sogenannten Vana- parvan oder „Waldthcile". Die Pändusöhne sind in der Ver- bannung im Walde, und dort erzählt der weise Brihadacva dem Yudhishthirn die Geschichte des Nal, um ihn mit dessen Schicksal zu trösten, da ja auch Nal durch das Spiel elend geworden, in der Wildniss in weit schlimmeren Verhält- nissen umherirrte und schliesslich doch wieder zu Glück und Freude kam.

Wenn es der mittelalterlich -indischen Poesie mit vollem Rechte nachgerühmt wird, dass sie vor Allem Frauengestalten von unnachahmlicher Schönheit geschaffen, so strahlt die Ge- stalt der Damayanti als schönster Stern, als edelste Perle unter ihnen allen. Es ist in der That sehr reizend erzählt, wie die Vidarbha- Königstochter unter Göttern. Königen und Helden sich Nal, den Nishaderkönig, zum Gemälde wählt; und wie sie die Götter, die selbst um ihre Hand werben, demüthig. inbrünstig, rührend anfleht, ihr doch den Nal und seine Liebe zu gönnen. Wie sie dann glücklich vereinigt leben, bis das schlimme Verhängniss über Nal hereinbric ht und er im Spiele, vom bösen Dämon besessen, sein Reich verliert und Alles, was er besitzt, nur nicht sein Weib, hier kommt ihm die Be- sinnung wieder! Damayanti verspielt er nicht! Sehr reizend, unendlich rührend ist es, wie sie dann in die Wildniss wandern, beide zusammen nur mit einem Gewände bekleidet, wie dann Nal vom bösen Geiste berückt die schlafende Gattin verlässt und wie die zarte Damayanti, erwachend, im wilden Walde sich allein sieht und mit Entsetzen darüber klar wird, dass sie von ihrem Gatten verlassen worden. Wie sie dann im Walde trostlos umherirrend, in den süssesten und schmerzlichsten Tönen klagend, den einzig Geliebten sucht; wio sie zum Berge, zum Tiger, zum Acokabauin spricht, sie alle bittend, flehend, ihr von dem Gatten Kund."» zu geben: nicht sorgend um sich, sondern nur um ihn, wie er jetzt so allein ohne Trösterin in seinem Elend wandern muss. Wer die Töne des Herzens kennt, die Laute echter, reiner, aus dem Innersten geborener Poesie, der rauss sie hier in diosen Gesängen tindon. Des

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tropischen Urwaldes Schrecken und 6eine Schönheit treteu in lebendigen Schilderungen hervor, all die zahllosen, mannig- faltigen Bäume, Sträucher und Pflanzen, die wilden Thiere aller Arten, die Berge und Gewässer, von Vögelschaaren durch- tönt, und zwischeni Allem dahin wandelt die reine Vidar- bherin, die schuldlose zarte Damayanti, mit zerrissenem Herzen, um den Gatten klagend. Kaum hat sie Zuflucht gefunden bei einer walddurohziehcndcn Karavane, so bricht erneutes Unheil herein; die Karavane wird von einer Heerde wilder Elephanten vernichtet. Sie, die Fremde, wird als die Schuldige verklagt, deren Sünde dies Missgeschick heraufbeschworen haben müsse Schmähung, Misshandlung, Verfolgung. Alles bricht über sie herein; sie duldet es still und ergeben, obschon sie sich doch schuldlos weiss, bis sie endlich ein Asyl bei der Cedi- Königin findet. Nach Schicksalen mannichfachstcr Art, nach deu aben- teuerlichsten Verwandlungen, Jahren des Leides und der Schmach, gewinnt endlich Nal die Geliebte wieder. Und hiureissend schön ist es geschildert, wie sie aufjauchzt iu dem wieder er- langten Glück, wie sie dem Geliebten Alles, Alles vergiebt und dann wieder im Nishaderland mit ihm das Glück geniesst, das sie durch unendliches Ixsid hundert und tauseud Mal ver- dient hat.

Ein Märchen nennt Schlegel die Dichtung in der vorhin angeführten Beurtheilung, und es sind in der That phantastisch- märchenhafte Züge darin. Die Verwandlung von NaTs Gestalt iu die eines anderen Mannes, die zauberhafte Würfel- und Zählekunst, die geschenkweise von Einem auf den Anderen übertragen wird, die Fahrt mit den Rossen durch die Lüfte, hundert Meilen an einem Tage, die Unterhaltung mit dem Schlangenkönig, die Erscheinung von heiligen Büssern, die nach gethaner Prophezeihung alsbald wieder verschwinden, das Alles sind Züge, wie sie so reoht in die romantisch-phantastische Dichtung hineingehören. Im Ganzen aber muss man durchaus hervorheben, dass dies Gedicht sich frei hält von allzu weit- gehenden Uebertreibungen, dass es getragen und durchdrungen ist von dem Geiste echter poetischer Schönheit

Sehr schön und tief angelegt ist ferner auch die Episode von Sa vi tri, und in ihr tritt uns gleich wieder eine der reizendsten Frauengestalten der indischen Dichtung entgegen.

Sävitri war die Tochter des Königs Acvapati. der in Madra regierte. Hold und schön wie Lakshmi1 wuchs aae

" Die Göttin der Schönheit und des Glückes.

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heran, bis die Zeit herangekommen war, wo sie sich nach eigener Wahl vermählen sollte. Da wählte sie Satyavan zum Gatten, den Sohn des blinden, verbannten, seines Reiches be- raubten Königs Dyuniatsena, der mit Gattin und Sohn still im Büsserwalde lebte. Sie kündet dem Vater ihren Entschluss an. Narada, der göttliche Seher, ist gerade bei ihm und warnt eindringlich vor dieser Wahl, /war muss der* Heilige zugestehen dass Satyavan schön, edelmüthig, fromm, wahrhaftig, freundlich1 mit allen Tugenden begabt ist, aber einen Fohler hat er1 und der ist entscheidend. Es ist ihm bestimmt, nach einem Jahre schon zu sterben. Trotz dieser Mittheilung schreckt Savitri nicht zurück, sie geht nicht ab vor. ihrem Entschluss, sie hat einmal dem Satyavan ihre Liebe zugewandt, und sie bleibt dabei, es mag kommen, was da wolle:

„Lebensrcich oder lebensarm; tugendhaft oder tugendlos, einmal ist er gewählt von mir zum Gatte», nicht einen zweiten wähle ich.« »

Dies rührt endlich auch den heiligen Narada und er billigt die Verlobung.

König Acvapati kommt nun in die Einsiedelei zum blinden Dyumatsena und verküudct ihm den Entschluss seiner Tochter, den Satyavan zum Gatten zu wählen. Da sprach Dyumatsena. „Des Reiches beraubt, zur Waldwohnung gekommen, üben wir bezälirater Büsser Pflicht; wie aber wird deine Tochter, in Palästen zu wohnen würdig, in der Einsiedelei diese Mühsal ertragen?" Acvapati aber erwiderte: „Freud und Leid von Besitz und Entbehrung hat stets gekannt meine Tochter, und so auch ich; es ziemt sich nicht zu Meinesgleichen solche. Rede zu richten; mit festem Entschluss bin ich zu dir ge- kommen, Fürst!'*

Die Vermählung kommt wirklich zu Stande, Savitri zieht zu dem Gatten in die Waldsiedelei , gt ein Gewand von Baumrinde an, und das junge Paar lebt nun ein Leben selig- sten Glückes. Savitri weiss durch Dienstwilligkeit, Bescheiden- heit, Sanftmuth und freundliche Rede die Merzen Aller zu ge- winnen, liebevoll pflegt sie die alten Schwiegereltern, vor Allem aber ist sie des jungen Gatten Trost und Freude. Aber je näher die verhänguiss volle Zeit heranrückt, um so mehr wird sie geheim von Angst und Bangen gequält, immer der Worte gedenkend, welche der weise Narada zu ihr gesprochen. Die letzten drei Tage und Nächte verbringt sie in unausgesetzter

I, V. 27 bei Bopp.

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strenger Büssung, voll Angst um den Gatten und in Ver- zweiflung es versuchend, dem Himmel den Geliebten abzuringen. Als jener Tag gekommen war, den Närada ihr als Todestag des Gatten prophezeit hatte, nahm Satyavan das Beil auf die Schulter, um in den Wald zu gehen. Savitri will ihn begleiten. Der Gatte sucht die durch Kasteiung und Fasten Erschöpfte davon abzuhalten, 'aber sie bleibt standhaft, und er muss sie endlich gewähren lassen. Von den Schwiegereltern beurlaubt, zieht sie nun mit dem Gatten, lächelnd, aber mit bebendem Herzen, in den Wald. Durch mannigfaltige, reizende, von Pfauer durchtönte Wälder wandern sie dahin, an blühenden, herrlichen Bäumen, an klarüuthigen Flüssen vorüber. „Sieh!" sprach Satyavan zu ihr. Sie aber schaute nur immer auf den Gatten, angstvoll den bösen Augenblick erharrend. Nun sam- melten sie zusammen Früchte in einen Korb und Satyavan be- gann Holz zu spalten. Da bricht ihm der Schweiss aus, er fühlt Müdigkeit und Schmerz im Kopfe, alle Glieder brennen ihm. Er muss sich niederlegen, und Sävitrl bettet sein Haupt in ihren Schooss. Da erscheint ein Mann im rothen Gewände, strahlend, 6chwarz und gelb, roth äugig, einen Strick in der Hand, Furcht einflössend. Sic aber sprach, die Hände faltend, bebenden Herzens: „Wer bist du? 0 sage es mir, der du mit nicht menschlicher Gestalt mir nahst?" Und Jener erwiderte: „Ich bin Yama, der Todesgott I Deines Gatten Leben ist ab- gelaufen, ich muss ihn mit mir fortführen!" Und aus dem Körper des Satyavan zog er mit Gewalt einen daumengrossen Geist, an den Strick gefesselt. Da lag Satyavän's Leib entseelt da. Yama aber schritt fort, nach Süden gewandt, zur Todes- gegend, und Savitri, die gatten treue, folgte ihm. Da sprach Yama, der Todesgott: „Kehre zurück, Savitri! Geh und ver- richte die Todtenfeier! Du hast gethan, was du deinem Gatten schuldig bist!" Aber Savitri erwidert: „Wohin mein Gatte geht, wohin er geführt wird, dahin muss auch ich gehen, das ist meine ewige Pflicht! Um meiner Busse und um der Liebe zu meinem Gatten, um deiner Gnade willen sei mir dieser . Gang nicht verwehrt!" Durch ihre Bitten gerührt, gewährt ihr der Todesgott einen Wunsch, ausgenommen ihres Gatten Leben. Sie bittet, dass ihrem Schwiegervater, dem blinden Dyumatsena, sein Augenlicht wieder gegeben werde. Aber die Gewährung des Wunsches hindert sie nicht, dem Gotte des Todes weiter zu folgen. „Kehre zurück, spricht Yama, ich sehe es ja, wie beschwerlich dir der Weg, wie du von Ermüdung befangen bist." Aber sie antwortet: „Wie sollte ich Müdigkeit fühlen

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in meines Gatten Nähe? Wobiu mein Gatte geht, dahin ist auch mein Gang gerichtet!4' Yama gewährt ihr eine zweite Gnade, nur ihres Gatten Leben ausgenommen. Sie bittet, dass ihrem Schwiegervater sein verlorenes Königreich wiedergegeben werden möge. Yama gewährt es und fordert sie auf, endlich doch umzukehren. Aber sie sucht sein Mitleid zu erregen, sie schildert es, wio Milde, Schutzgewähning und Freigebigkeit die ewige Pflicht der Guten sei; wie Gute selbst gegen Feinde, die ihnen nahen, Erbarmen üben." Wieder gewährt der Todesgott eine Gnade, und sie bittet, es mögen ihrem Vater hundert Söhne geschenkt werden. Auch dies erlangt sie, und Yama spricht: „Nun kehre um, Fürsten tochter, denn einen weiten Weg bist du gegangen!" „Nicht weit ist dies in meines Gatten Nähe, denn weiter eüt mein Herz!" so redet sie, und schmeichelnd fügt sie hinzu: „Du bist Vivasvant's Sohn, der Erhabene! Ein König des Rechts bist du über die Geschöpfe. Nicht auf sich selbst setzt man so grosses Vertrauen wie auf die Guten; darum zu den Guten fühlen wir uns hingezogen!" Yama ge- währt ihr wieder eine Gnade, ausgenommen ihres Gatten Leben. Sie wählt hundert leibliche Söhne für sich und Satya- van. Auch dies erhält sie, aber nun dringt der Todesgott in sie, endlich umzukehren. Da rafft sie ihre letzte Kraft zu- sammen und schildert mit begeisterten Worten, wie wahre Güte handelt, was der wahrhaft Guten Pflicht und Aufgabe ist, und welch ein Segen von ihren Thaten träuft. Entzückt von ihrer Rede gewährt ihr Yama wieder eine Gnade, ohne weiter etwas hinzuzufügen. Da ruft sie freudig aus: „Du hast die Gabe des Segens nicht beraubt! Es lebe Satyavan, diese Gnade wähle ich, denn wie eine Todte bin ich ohne den Gatten. Keine Freude begehre ich ohne den Gatten, nicht den Himmel begehre ich ohne den Gatten, nichts Liebes begehre ich ohne den Gatten, des Gatten beraubt vermag ich nicht zu leben." Und nun gewährt es ihr Yama gern und freudig und spricht zu ihr: „Heil dir, du Erfreuerin des Geschlechtes! Gesund und glücklich wird er sein. Hundert Söhne werdet ihr zeugen und nach deinem Namen werden sie hier genannt sein ewige Jahre!" Hocherfreut kehrt sie zurück zu dem Körper des Satyavan und legt sein Haupt wieder auf ihren Schooss. Da erwacht er und spricht: „Sehr lange habe ich geschlafen, warum hast du mich nicht geweckt? Wo ist jener Mann, der schwarze, welcher mich fortzog?" Verwirrt weiss er sich nicht zu besinnen, was eigen t- lich mit ihm geschehen. Geängstigt fragt er sie. Sie beruhigt ihn und verspricht, ihm anderen Tages Alles zu erzählen. Die

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Nacht ist hereingebrochen; sie will ein Feuer anmachen und nöthigt den Kranken zur Ruhe. Aber er will fort, denn es quält ihn der Gedanko, wie die alten Eltern um ihn sich äng- stigen werden. Sic hebt ihn auf, mit den Arm^n ihn umfassend, sie logt seinen Arm auf ihre Schulter und stützt ihn im Gehen, sanft dahin schreitend. Durch alle Schicken des nächtlichen Waldes geleitet sie ihn stark und inulhi?, bis sie endlich daheim sind. Vnd nun herrscht Freude und Wonne, der blinde König ist sehend geworden, er hat sein Reich wieder erlangt, und Savitri, die gattentreue, lebt mit ihrem Satyavan glücklich ver- eint noch lange Jahre.1

Ich habe mich bei dieser Episode etwas länger aufgehalten, weil die Schilderung dieser Frauengestalt so ungemein charak- teystisch ist für die Poesie des indischen Mittelalters. Man mag sonst urtheilen, wie man will, Gestalten wie Dania- yanti und Saritri wird man Interesse und Theilnahme doch nimmermehr versagen können.

1 Sa vi tri ist übersetzt von Bopp, Berlin 1829 (In ,.Die Sumi- flnth" etc. p. 11 flg.) in freierer Weise von ttückert i. J. 1838 (mit anderen brahmaniseben Erzählungen»; desgl. von Hoefer, Indische Ge- dichte, 2 Th. p. 77 flg. (1844). und von A. Holtzmann. Indische Sagen. Bd. I. p. 243 flg (2. Aufl., 1854): von J. Merkel, Aschaffenburg 1839.

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Vierunddreissigste Vorlesung.

Mittheilung weiterer Episoden des Mahäbhnrata: Arjuna's Reise zu In- dra's Himmel. Hidimba's Tödtung. Die Webklage des Brahmanen, 8unda und Upasunda. Der Raub der Draupadi u. a. m. Editionen des Maha-

bharata. Inhalt des Ramäyana.

Eine in maneber Hinsicht interessante Episode des Maha- bharata ist die Reise Arjuna's zum Himmel des Indra. In ihr tritt uns mit lebhaften Farben der Wohnsitz des Götter- königs vor Augen, wie ihn die luder des Mittelalters sich aus- zumalen pflegten. Hier sehen wir, wie der alte Vritratödter Indra, der in den Lüften d ah erfahrende gewaltige Wolkenspalter und Regenspender, der fast immer mit den bösen Dämonen kämpfend erscheint, sich umgewandelt hat in den behaglich in seiner himmlischen Residenz thronenden Götterkönig, der um- geben ist von allen Reizen und Lüsten, die eines Herrschen» Herz orfreuen, mit glänzendem Hofstaat, mit aller Pracht, die sich das Auge nur wünschen mag, ein verklärtes Abbild der in ihren stolzen Residenzen thronenden Könige des indi- schen Mittelalters, die sich sehr unterschieden von den in immer- währenden Kriegszügen und Fehden umherziehenden streitbaren Herzögen der vedischen Zeit

Es spielt sich diese Episode während der Zeit ab, wo die Pandusöhne in der Verbannung leben mussten und findet sich im dritten Buche des Mahabharata, dem Vanaparvan oder nWaldtheile'\

Auf den Rath des Vyäsa begiebt sich Arjuna in das Ge- birge Himavant,1 um zur Besiegung der Kuru die Götterwaffen zu erlangen. Qiva, Yama, Varuna und Kuvera erscheinen und beschenken ihn mit den ihnen eigentümlichen Waffen. Indra aber, welcher zugleich der wahre Vater des Arjuna ist, sendet demselben seinen lichtglänzenden, von zehntausend falben RosseD

* D. i. der Himälaya.

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gezogenen Wagen zu, sammt Matal), dem Wagenlenker. Dieser verkündet dem Arjuna, dass der Götterkönig ihn einladen lasse, zu ihm in seinen Himmel zu kommen und dort die Waffen in Empfang zu nehmen. Da nimmt Arjuna Abschied von dem schönen Berge Mandara, auf dem er fröhlich gehaust, „wie ein Kind vergnügt weilet auf Vaters Schooss." Er besteigt den Wagen und fährt mit Matali zum Himmel empor.1

Als er nun dorn Bezirk nahte, der unsichtbar den Sterblichen,

Erdewand efoden, sah Wagen, wunderschön' er zu Tausenden.

Dort scheinet Sonne nicht, Mond nicht, dorten glänzet das Feuer nicht,

Sondern in eigenem Glanz leuchtet allda, durch edler Tbaten Kraft,

Was in Sternengestalt unten auf der Erde gesehen wird,

Ob grosser Ferne gleich Lampen, obwohl es grosse Körper sind.

Diese schaute daselbst leuchtend und voll Schönheit des Pandu Sohn.

An seinem eignen Ort jeden, und auch glänzend mit eignem Glanz.

Allda waren vereint Siddha's, kampferschlagene Helden auch,

Forstliche Weisen und Büsscr waren daselbst zu Hunderten;

Tausendc auch von Gandharven, welche der Sonne gleich an Glans,

Der GubyakaV und Hochweisen, der Apsarasen Schaaren auch,

Sämmtlich mit eignem Glanz leuchtend; sie sehend staunte Arjuna.

Den Matali entzückt fragt* er, dieser gab ihm zur Antwort drauf:

„Vollbringer edler That sind es, welche da stehn an ihrem Ort,

Die in Sternengestalt, Edler, du gesebn von der Erde hast'4

Den Airavata,3 vierzähnig, dem gipflichten Kailasa gleich,

Sab er dann an der Thür steheu, den hehren Sieges-Elepbant.

Der Siddha-Strass genaht war er, der Edelste der Päudava's,

Und freute sich so wie vormals MändhAtri, jener grosse Fürst.

Den Königswelten nun nahte Lotos-ähnlich von Augen er.

Also im Himmehraum wandernd, sah Arjuna von grossem Ruhm

Des Güttcrlürsten Stadt endlich, dio Amaravati genannt.

Jene reizende Stadt sah er von Siddha's, Carana's bewohnt, Mit Blumen aller Art prangend und mit Baumen gezieret schön. Ein sanftes Wehn umfing Arjun von Winden mannigfach daselbst, Dio ihm lieblichen Duft brachten der wohlriechendsten Blumen all. Und Nandana, den Wald, sah er, von schönen Nymphen angefüllt, Und mit Blumen geziert himmlisch, die mit Baumen vergleichbar solbst. W:ir nicht Busse geübt strenge, nicht dem Feuer gehuldigt fromm, Und wer dem Kampf entflobn feige, Behaut jene Welt der Guten nicht. Wer dem Opfer, der Entsagung und den Veda's ein Fremdling blieb, Und den heiligen Badeplätzen Opfergabe gespendet nicht,

1 Die folgende metrische Uebersetzung ist entnommen Bopp, Ard- schuna's Reise zu Indra's Himmel, nebst anderen Episoden des Mahabhärata, Berlin 1824 p. 3 flg. Ich habe mir nur in der Namen- Schreibung eisige Aenderungen erlaubt, um nicht in Disharmonie mit meiner sonstigen Schreibweise zu gerathen. So schreibt Bopp z. B. PanduB, Indras, Arjunas mit dem nominativi sehen s u. dgl. zn. Im Vers- maass versucht Bopp den indischen ^loka nachzuahmen.

Eine Klasse von Halbgöttern, im Gefolge des Kuvdra.

Es ist dies der Elephant, auf welchem Indra reitet.

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Wer die Opfer zerstört ruchlos, kann jenem Räume niemals nahn;

Blutschänder nicht und Trinksüchtge und Fleischesser, die schändlichen.

Jenen himmlischen Wald sehend, der von himmlischem Sang erklang,

Trat er nun ein, der Machtvolle, in des Indra geliebte Stadt.

Der Götter Wagen, sah Arjun Tausende , welche gehn nach Wunsch,

Sowohl stehend als auch gehend, in unbegrenzter Zahl allda.

Gepriesen von den Gandharven und von der Apsarasen Schaar,

Von sanftem Wind umweht ferner, der Ihm Blumengerüche bot.

Die Götter nebst den Gandharven, die Siddha's und die Heiligen,

Ehrten erfreut den Sohn Kunti's, unermüdlich in Thatkraft ihn.

Mit HeiUpruchen begrüsst also und Himmelsinstrumentenklang,

Nahete nun der Machtvolle, unter Muschel« und Trommelschall,

Der grossen Stern en-Heerstrasse, Suravlthl wird sie genannt.

Auf Indra's Macbtgebot ward er von allen Seiten her begrüsst.

Dort waren Sadbya's und Vicva's, die Winde und die Acvina's,

Die Sonnen, Vasu's und Rudra's, fleckenlose Brahmarahi's so,

Und von Rajarshf b - auch viele, Fürsten, Dilip und andere,

Tumburu, Narada ferner, die Tongeister Haha, Huhu;'

Diesen nahte gesammt dorten, nach Sitte, jener Kuru-Sproas.

Hierauf naht' er dem Machtvollen, Indra, dem Feindebandiger.

Von dem Wagen sogleich stieg er, dem herrlichen, der Kuntl Sohn,

Sah den Erzeuger dann vor sich, den Göttfürsten Catakratu,

Mit einem gelben Sonnenschirme, dess Stab von Gold und voller Pracht,

Athmend himmlischen Duft, welchen ein Fächer zu ihm wehete.

Gerühmet von den Gandharven, Vicv&vasu's und anderen,

Und von des Priesterstamms Ersten, durch Rig-, Yajus- und Saman-Lob.

Aber ihm nahte jetzt Arjun, der Starke, mit gesenktem Haupt.

Mit den Armen umfing diesen der Gott, starken, gewölbeten,

Fasste ihn bei der Hand freundlich, setzte ihn zu sich auf den Thron,

Den hehren Cakra-Thron dorten, welchem DevarshTs huldigen:

Und auf das Haupt hierauf küsst ihn der Gottfürst, der den Feind erschlagt,

Drückte an seine Bruat zärtlich ihn, der in Demuth war gebeugt.

Beide auf einem Thron «itzend überstrahleten den Palast,

Als leuchteten vereint Sonne und Vollmond durch den Himmelsraum.

Lieder stimmeten an dorten, mit entzückendem Lobgesang.

Gandharven, in Gesang trefflich, die von Tumburu augefuhrt.

Gbritacl, Menaka, Rambha, Pürvacitti; Svayamprabhä,

Urvac.1, Mi^rakeci auch, Kumhhayoni, Prajagara,

Citrasenä, Citralekha, ünd Saha auch mit süssem Laut.

Diese und andere noch tanzten, Nymphen mit holdem Lächeln dort,

Welche der Siddha's Herz fesseln, Lotos-ahnlich von Augen all,

Mit starken Hüften, voll Liebreiz, und mit schwellenden Brüsten auch.

Durch verstohlenen Blick, Tändeln, fesselnd Sinn und Verstand und Herz.

Darauf bringen Götter und Gandharven dem Pandusohnc die Ehrenspende dar und bedienen ihn mit Fusswaschung und Mundwaschung. Er lernt die himmlischen Waffen kennen, lernt Gesang, Spiel und Tanz von den Gandharven und lebt fröhlich in Indra'8 Palaste. Indra aber hatte bemerkt, dass Arjuna sein Auge lang auf der reizenden Apsaras Urvac,i ruhen liess; als- bald beauftragt er heimlich den König der Gandharven, der

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schönen Nymphe zu sagen, dass sie den Arjuna in seinem Palaste aufsuchen und mit ihrer Guus beglücken möge. Diese, die Nieverschmähete, erklärt lächelnd und diese Auszeichnung würdigend, dass sie schon ganz von Sehnsucht nach dem treff- lichen Helden erfüllt sei und den Auftrag mit Freuden aus- führen wolle.

Darauf badet sie sich, schmückt sich mit herrlichen Schmuck und duftenden Blumenkränzen, und als am Himmel der Mond erglänzt, wandelt sie aus ihrem Gemache zu Arjuna's Paläste hin. Mit berückendem Liebreiz geschmückt tritt sie vor den Pandusohn, offenbart ihm Indra's Auftrag und ihre Bereit- willigkeit, denselben zu erfüllen. Arjuna geht indessen nicht auf das Abenteuer ein, da er in der schönen Apsaras die Stammmutter seines Geschlechtes verehrt

Sie sehen, es sind das Schilderungen, wie aus dem Leben einer üppigen Residenz gegriffen, noch mit einigen himmlischen Zuthaten verschen, und sie geben uns ein lebendiges Bild davon, wie sich die Inder des Götterkönigs Wohnort dachten.

Ein seltsames Abenteuer der Pandusöhne berichtet die Episode von Hidimba's Tödtung. Während einstmals die Brüder im Walde ruhen, kommt eine Riesin herbei, die sich in den Bhima verliebt und ihm diese ihre Liebe auch erklärt. Ihr Bruder Hidimba, ein schrecklicher Riese, naht sich wüthend und wird nach furchtbarem Kampfe von Bhima getödtet Dann nimmt die Riesin eine schöne Gestalt an und lebt mit Bhima, bis sie demselben einen Sohn, Ghatotkaca mit Namen, gebiert

Eine andere Episode ist die Tödtung des Riesen Baka, dem im Lande der Kicaka täglich ein Mensch nebst anderen Dingen als Speise dargebracht werden musste. Als die Pandu- söhne dort anlangen, ist die Reihe gerade an eineu Brahmanen gekommen, einen Familienvater, der nun mit bitterstem Schmerz sein und der Seinigen Iieid beklagt Auch diesen Riesen tödtet Bhima und befreit das Land so von der argen Plage.1

Andersartig ist die Erzählung von Sunda und Upa- sunda.' Als die Pandusöhne in Indraprastha lebten, besuchte sie einst der göttliche Seher Narada und ermahnte sie, sich

1 Diese Episode ist unter dem Titel „des Brahmanen Weu- !<lage" übers. vorrBopp, Ardschuna's Reise zu Indra's Himmel, p. 29 flg.

* S. Vorrede zu Bopp, Ardschuna a Reize zu Indra's Himmel, p. XV

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niemals wegen der Draupadi zu entzweien, die ihrer Aller rechtmässige Gemahlin sei. Zu ihrer Belehrung erzählt er ihnen die Geschichte von Sunda und Upasunda, zwei Brüdern, die in innigster Liehe eng verhunden, Reich, Wohnung, Bett, Sitz und Nahrung mit einander theilten, dann sich aher wegen der von Brahma ihnen zugesandten, mit allen Reizen ausge- statteten Nymphe Tilottama veruneinigten und endlich in wüthen- dem Kampfe sich gegenseitig erschlugen:

Getroffen von den Streitkolben stürzten sie hin, die Schrecklichen, Blutumflossen, wie swei Sonnen, die vom Himmel gefallen sind.1

Eine Episode, die uns wiederum in das bewegte, an kriege- rischen Abenteuern reicho Leben der alten Helden und Könige führt, ist „der Raub der Dräupadi".*

Als die Pandusöhne verbannt im Kamyaka- Walde hausten, waren sie einst alle auf die Jagd ausgezogen. Da begab es sich, das8 Jayadratha, der König von Sindhu, mit grossem Heergefolge zu ihrem Wohnsitz kam, die Draupadi sah und sich sogleich von einer heftigen Leidenschaft für sie ergriffen fühlte. Mit kecker Rede spricht er zu ihr, sie solle doch dio vom Glücke verlassenen, des Reiches beraubten Pandusöhne im Stich lassen und mit ihm ziehen: „Vorständige Frauen lieben nicht einen vom Glücke verlassenen Gemahl; den Glücklichen lieben sh>, bleiben aber beim Untergange des Glückes nicht Dee Glückes und des Reichs beraubt sind Jene, verloren sind sie auf ewige Jahre. Weg mit der Liebe der Pandusöhne! Sei meine Gattin, du Schönhüftige! Verlasse Jene, erlange Freude und das ganze Land von Sindhu und Säuvira mit mir zugleich!" Von edlem Zorn entflammt wehrt sich Dräupadi gegen den frechen Verfuhrer, aber sie wird zuletzt auf den Wagen gehoben und mit Gewalt fortgeführt.

Die Pandusöhne, von der Jagd heimkehrend, hören links von ihrem Wege einen Schakal heulen und fassen es als böses Omen auf, da kommt ihnen auch schon weinend die Amme der Geliebten entgegen und verkündet ihnen das geschehene Unheil.

„Folget schnell den Räubern, ruft sie ihnen zu, noch frisch sind die Wege und gebrochen von ihnen welken die Bäume. Rettet sie, ehe sie betäubt und geistesverwirrt einem Unwür-

1 S. Bopp's Ueberaetzuiig, in „Ardschuna's Reise zu Indras Him- mel", p. 45.

* Uebersetxt von Hopp, in „Die Sündflutb nebBt drei anderen der wichtigsten Episoden des Mababharata«, p. 17 flg. (Berlin 1829).

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digen ihren Leib giebt, ehe ein Schakal das Lotosfeld zerstört, ehe ein Blumenkranz auf einer Leichen&tätte entblättert wird, ehe ein Hund die Somapflanze auf dem Altar beleckt!"

Aber Yudhishthira ruft ihr zu: „In unserer Gegenwart sprich keine Lästerungen! Seien es Könige oder Königssöhne, sie werden getäuscht werden."

Und nun verfolgen die Pandusöbne das Heer des Jayadratha, Draupadi aber erkennt jubelnd die Herannahenden und weist mit edlem Stolz dem Räuber ihre Retter, die ruhmvollen Helden. Wie fünf Indra's fallen die ergrimmten Pändusöhne über die Feinde her, ein furchtbarer Kampf beginnt, in lebendigen, kraftvollen Zügen vom Dichter geschildert, bis das Heer ver- nichtet, Draupadi befreit ist, und der unwürdige Räuber, be- schämt und erniedrigt, kläglich um sein Leben fleht und be- schimpft in die Heimath abzieht.

Die ebenfalls im Mahäbharata enthaltene Geschichte von ^akuntalä und Dushmanta (al Dushyanta) hat den Stoff zu dem so berühmten Drama des Kalidasa abgegeben. Eine fein- sinnige Ucbersetzung dieser Episode hat mit bekannter Meister- schaft Graf Adolf Friedrich v. Schack geliefert1

Eine Reihe anderer Episoden des Mahäbharata findet man übersetzt in Adolf Holtzmann's „Indischen Sagend*

Vou besonderer Bedeutung ist endlich die schon früher erwähnte Episode, welche den Namen Bhagavadgita tragt, ich

1 Stimmen vom Ganges, eine Sammlung indischer Sagen, 2. Aufi Stuttgart 1877, p. 32 flg.

* 2. Aufl., Stuttgart 1854. Da findet aich Fiachma's (d. h. Bhi- shma's) Geburt, Amba, Savitri, Rohini, Nahusha, Yay-ati: di« Episode „das Meer" enthalt die Geschichte von der Herabkunft der Gang*, die wir weiter unten nach dem Ramayana mittheilen werden: „das Schlangenopfer14 erzahlt auch von der berühmten Butterung oder Quirlung des Oceans, bei welcher die Göttin der Schönheit u. A. entsteht. Köstlich ist die kleine Geschichte von Ri^ya^ringa (Ri- schiasringa, ebenda Bd. 1 p. 301 flg.). Bemerkenswerth linde ich die Erzählung vom König (Jcjnara (Usinar, Bd. I p. 275' Zu diesen: flüchtet sich eine von einem Habicht verfolgte Taube. Der König be- schützt sie, aber der Habicht verlangt, er solle sie herausgeben, da die- selbe einmal ihm als Speise bestimmt sei, er und die Seinen ohne solche Speise verhungern mQssten. Der König erklart, man müsse Schutz- bedürftige schützen. Der Habicht verlangt dann soviel von dem eigenen Fleische des Königs, wie die Taube wiegt. Der König schneidet sich wirklich soviel Fleisch ab, da verwandelt der Habicht sich in Indra und verheiast ihm den Himmel. Diese Geschichte erinnert ganz merkwürdig an gewisse buddhistische Legenden, namentlich in den Jataka's. In diesem wie noch in einigen anderen Punkten scheint Buddhistisches ins Mahäbharata gedrungen zu sein. Vgl. oben p. 399.

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behalte mir aber vor, dieselbe später zu behandeln, da sie durchaus philosophischer Natur ist und also im Zusammenhang mit dem sonstigen philosophischen Denken der Inder betrachtet werden muss.

Herausgegeben ist das Mahäbhärata in Calcutta, schon in den Jahren 1834—39, in vier Bänden, zugleich mit dem Harivarac.a, einem Werke, das als Nachtrag dazu gilt. Später, im Jahre 1863, erschien eine Ausgabe des grossen Epos in Bombay, welche in mancher Hinsicht besser ist, als die von Calcutta. Von den Episoden hat schon Bopp eine ganze Reihe edirfc und übersetzt.

Wir wenden uns nun /u dem zweiten grossen Epos der Inder, dem Ramayana.

Stolz verkündet das Gedicht von sich selbst:

So lange dio Oebirge stehn und Flüsse auf der Erde sind, ' So lange wird im Menscheumund fortleben das Ramayana!

Den Anfang macht eine offenbar später zugesetzte Ver- herrlichung des Valmlki, des angeblichen Verfassers, sowie des Gedichtes selbst:

Heil dem Fürsten der Einsiedler, jenem Büsser in selgem Glanz. Aller Weisheit Besitzberren , ihm, Valmiki dem Seher, Heil! Sie, die stets Rama, Räma singt, Süsses mit süssem Klange sagt. Geschwungen auf des Dichters Zweig, grüss' ich VAlmiki s Nachtigall! Wer dieses Einsiedlerlöwen, der im Haine des Dichters wohnt, Valmiki's Lied von Räma hört, wohl erreicht der das höchste Glück, Valmiki's Bergen entsprungen, hin sich stürzend in Rixma's Meer, Verherrlicht herrlich das Weltall Raraayana's gewaltiger Strom. Welches von Flecken ganz rein ist, auch an Bächen und Blumen reich. Heil dem, der es hervorbrachte, Ramayana's erhabenes Lied! Wer immer trinkt, so lang er lebt, des Ramayana's Göttertrank, Nimmer satt, der sei mir gegrüsst, als frommer Weiser, rein von Schuld 1

Die Einleitung berichtet, wie Valmiki durch die Anregung des göttlichen Sehers Narada dazu kam, die Geschichte des lUma zu besingen, und wie er durch wunderbare Eingebung die dazu geeignete Form, den epischen ^loka fand. Der Gang der Erzählung ist dann etwa folgender:

Im Lande der Kocala, nördlich vom Ganges, in der Stadt Ayodhyft (Oude) herrschte der mächtige König Dacaratha. Dieser hatte drei Frauen, Kaucalya, Käikeyi und Sumiträ; die erste ge-

1 So nach F. Schlegel's, Sprache und Weisheit der Indier (1808) p. 233. 34, mit geringen Abänderungen. Das Metrum versucht den in- diachen £loka nachzuahmen, und wie »oir scheint mit viel Glück. ▼• Sehr«d«r, lad. LH. t. Cult. 32

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bar ihm den RAma, die zweite den Bharata, die dritte den Lakshmana. Rama war vermahlt mit Sita, der Tochter Ja- naka's, des Königs tob Videha.

Als die Zeit gekommen war, verkündete König Dacaratha eines Tages in grosser Versammlung, dass er sein Alter heran- nahen fühle und darum seinen ältesten Sohn Rama zum Yu?a- raja, d. i. zum jungen König und Thronfolger weihen wolle. Alles jubelt dem Fürsten lauten Beifall zu, denn Rama ist um seiner hohen Tugenden willen allgemein beliebt Er wird in die Versammlung geführt, vernimmt des Vaters Beschluss und wird freudig vom Volke begrüsst

Aber die bucklige intrigante Zofe der zweiten Königin Käikeyi eilt zu dieser hin, berichtet ihr die Sache als ein schweres Unglück und räth ihr, ohne Verzug den König, der sie zärtlich liebe, durch List und Ueberredung dazu zu bringen, dass er das Reich dem Rama entziehe und ihrem, der Käikeyi, Sohn Bharata übergebe. Die Königin sträubt sich zuerst, geht aber dann vollständig und leidenschaftlich auf die Pläne der Zofe ein. Kaikeyi hatte einst den schwerverwundeten König aus dem Kampfgewühl geführt, g< -pflegt und vom Tode errettet, und damals hatte Dacaratha ihr erlaubt, zwei Bitten zu thun, die er ihr nicht weigern dürfe. Sie hat dies noch nicht be- nutzt und es giebt ihr jetzt die Handhabe zur Ausfuhrung ihres hässlichen, hinterlistigen Planes.

Als der König seine geliebte Gemahlin Kaikeyi aufsucht, findet er sie auf blosser Erde liegend, ohne Schmuck, die Per- lenschnüre rings zerstreut, mit allen Zeichen des Grames und der Verzweiflung. Erschreckt fragt er sie, was ihr widerfahren sei. Sie schweigt. Er betheuert, Alles thun zu wollen, was sie begehre. Endlich lässt sie ihn ein Gelöbniss thun, d&ns er erfüllen werde, wonach ihr Verlangen stehe. Dann erinnert sie ihn an jene zwei noch nicht ausgesprochenen Bitten und fordert von ihm, er solle den Bharata zum jungen König und Thronfolger weihen, den R&ma dagegen auf vierzehn Jahre ver- bannen. Der König kann ihre Worte kaum fassen; er weiss, dass auch sie dem Rama stets freundlich war; er glaubt, sie scherze. Als es ihm aber endlich klar wird, dass sie im Ernst spreche, dass sie jene Forderungen wirklich stelle und dass er in eine Falle gerathen sei, da bricht er in wilden Zorn ans gegen das tückische Weib. Er weigert sich, die Forderung zu erfüllen. Sie bleibt indessen ruhig und erinnert ihn nur immer wieder daran, dass er durch den Schwur gebunden sei und nun •nicht anders könne. Des Königs Herz ist zerrissen. Seinen

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geliebten, guten Räma soll er enterben und verbannenl Ver- zweifelt, gebrochen stürzt er ihr zu Füssen, fleht sie um Er- barmen, fleht sie an, ihre Bitte zurückzunehmen. Sie bleibt kalt und ungerührt und verharrt auf ihrem Willen. Ihr gefühl- loses Gebahren tilgt alle Liebe aus dem Herzen des unglück- lichen Königs. Jetzt ist er nur noch der schwergekränkte Vater, von Gram und Schmerz gebeugt und völlig fassungslos. Schlaflos bringt er die Nacht zu.

Andern Tags sollte feierlich die. Weihe des Rama statt- finden. Alles ist schon versammelt, nur der König fehlt Da wird Rama zum Vater entboten und erfährt, wie sein Geschick sich gewandt habe. Er bleibt indessen vollkommen ruhig und erklärt, ohne Weiteres dem Gebote Folge leisten zu wollen, denn nicht nach irdischem Gewinn strebe er, sondern nur nach Tugend und Pflichterfüllung, keine Pflicht aber sei heiliger, keine Tugend grösser, als des Vaters Worte zu vollziehen, den Eltern stets Gehorsam zu leisten. Als er aus dem Palast zu seinem Gefolge heraustritt, hat sich kein Zug in seinem Antlitz verändert Er geht, der Mutter, der Gattin, dem Bruder Lak- shmana das Unabwendbare zu verkünden. Alles geräth in Schmerz, Aufregung, Zorn, er allein bleibt ruhig. Seine treue Gattin Sita erklärt in der rührendsten Weise, nie von ihm zu lassen, Allee mit ihm leiden zu wollen, denn für sie gebe es kein Glück ohne ihn. Auch der Bruder Lakshmana will ihn be- gleiten. Schwer und bitter ist der Abschied, der Schmerz des alten Königs grenzenlos. Er zieht sich ganz von Kaikeyi zu- rück und lebt mit Kaucalya, der Mutter des Rama. Ihr ver- traut er in der Todesstunde an, dass er sein schweres Geschick, ohne den geliebten Sohn zu sterben, selbst verschuldet habe, da er einst unbedacht im Venehen einen frommen Jüngling, den einzigen Sohn blinder Eltern, getödtet und des Greises Fluch auf sich geladen habe, in der Todesstunde gleiches Leid zu fühlen. Mit Klagen um Rama scheidet er vom Leben.1

Rama aber lebt inzwischen mit seiner geliebten Sita und dem treuen Bruder Lakshmana still und glücklich im wilden Walde Dandaka.

Als der alte König gestorben, wird Bharata heimberufen, der inzwischen bei den Eltern seiner Mutter gelebt hat. Er vernimmt, dass er das Reich erben solle, aber in edlem Un-

1 Diese Erz&hlung des sterbenden Königs findet man wunderhübsch wiedergegeben von Arf. Fr. ?. 8chack, Stimmen vom Ganges, 2. Aufl. p. 106 flg.

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willen weigert er sieb dessen und weiss der Mutter keinen Dank für ihre Thai Rama gehöre das Reich, er solle herr- schen. Und nun zieht ßharata selbst in die Wildniss, um Rama wieder nach Ayodbyä zu fuhren. Dieser ist durch das Anerbieten innig gerührt, umarmt den Bruder, weigert sieb aber, heimzukehren, da er das Gelübde treu erfüllen müsse Er zieht seine goldgestickten Schuhe aus und übergiebt sie Bbarata als Zeichen dessen, dass er ihm seinen Besitz über- lasse. Der edle Bharata kehrt heim, setzt die Scbuhe des Rama auf den Thron, hält den gelben Sonnenschirm, das Zeicher, der Königswürde, über ihnen und pflegt daneben Rath und Gericht.

Nun macht es sich Rama zur Aufgabe, die furchtbarer Riesen zu bekämpfen, welche den Dandaka-Wald unsicher machen und ein Schrecken der frommen Büsser sind, die sich dort angesiedelt haben. Manche Heilige besucht er in ihren Siedeleien, so den berühmten Agastya und dessen Bruder u. a. m Andere wiederum kommen zu ihm. Sie berathen sich über die Bekämpfung der Riesen, und auf Agastya'ß Rath verschafft sich Rama zuerst die Waffen des Indra. Dann beginnt er einen erfolgreichen Kampf gegen das Riesenvolk und tödtet viele Tausende von ihnen. Darüber entbrennt der Riesenkönig Ra- vana, der in Lanka oder Ceylon haust, in wildem Zorn und sinnt auf Rache. Er verwandelt einen der Seinigen in eine goldene Gazelle und macht, dass Sita dieselbe erblickt Diese wird lüstern nach dem wunderbaren Thier und bittet Rama. ihr dasselbe zu verschaffen. Während nun Rama und Lak- shmana der Goldgazelle nachjagen, erscheint Ravana in Büsser- traoht bei Rama's Wohnung, raubt mit Gewalt die Sita und tödt t den wunderbaren Geier Jatayu, der Rama's Behausung bewacht Als Rama heimkehrt, wird er von Schmerz und Ver- zweiflung ergriffen. Er verbrennt den Leichnam des Geiers, und aus dem Holzstoss hervor tönt eine Stimme, die ihm verkündigt, wie er seine Feinde bezwingen und die Gattin wiedergewinnen könne. Nun schliesst er Freundschaft mit den Affenfürsten Hanuman und Sugriva, und sie geloben ihren Bund feierlich beim heiligen Feuer. Darauf tödtet Rama mit Sugri- vas Hülfe den furchtbaren Riesen Bali. Hanuman aber schwimm: nach Lanka hinüber und spürt die Sita auf. Er rindet sie trauervoll in einem Haine wandelnd und verkündet ihr, dass das Rettungswerk im Gange sei. Nachdem er dann noch viele Riesen getödtet kehrt er zurück und berichtet Rama, dass die gefangene Sita aufgefunden sei. Nun wird der Schlachtplan

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entworfen. Die Affen bauen auf wunderbare Weise eine Brücke vom Festland nach Lanka hinüber, wobei Samudra selbst, der Meeresgott, guten Rath giebt Dann fuhrt Rama sein Heer über die Brücke nach Lanka hinüber, erschlägt den Ravana und gewinnt seine geliebte Sita wieder. Diese reinigt sich von dem Verdachte der Untreue durch die Feuerprobe, und nun zieht Rama fröhlich mit ihr vereint in die Heimath zurück, wo er mit dem treuen Bruder Bharata zusammen in Glanz und Herrlichkeit regiert und sein Land mit einem neuen goldenen Zeitalter beglückt.

Dies ist die vielberühmte Geschichte von Rama's Tugend und Heldenthum, seinen Thaten und Abenteuern.1 Sie ist in der uns vorliegenden Bearbeitung des Epos im Sinne der spe- ciellen Vishnu-Verehrung eigentümlich eingekleidet Es wird nämlich erzählt, dass der furchtbare Riese Ravana von Brahma die Gunst erbeten hatte, unverwundbar zu sein durch Götter, Gandharven, Yaksha's, Danava's und Rakshasa's. Sie war ihm gewährt worden und er missbraucht sie auf entsetzliche Weise, so dass die Götter in Angst und Schrecken gerathen und nicht wissen, was sie thun sollen. Der übermüthige Riose hatte es aber versäumt zu bitten, dass er auch durch Menschen nicht verwundet werden könne. Nun flehen die Götter den Vishnu an, sich als Mensch gebären zu lassen und den Schändlichen zu vernichten. Vishnu lässt sich dazu bewegen und wird nun als Rama, Sohn des Königs Dacaratha, in Ayodhya geboren. Als solcher vollfuhrt er die übernommene Aufgabe in der früher, mitgetheilten Weise. Am Schlüsse des Epos kommen Brahma und die andern Götter zu ihm, um ihm zu huldigen, und ver- künden ihm, wer er in Wahrheit sei: Du, o Wesen ursprüng- licher Gewalt, du bist der ruhmreiche! Herr mit dem Diskus bewaffnet, du bist der Eber mit einem Horn, der Ueberwinder der gegenwärtigen und zukünftigen Feinde u. s. w.2

Das Ramayana ist eines der beliebtesten, wenn nicht das beliebteste und populärste Gedicht der Inder. Es ist in eine Menge Ton Volkssprachen übersetzt und bildet den Stoff viejer Schauspiele. Bis ruf den heutigen Tag erfreut die Geschichte

1 In poetischer Form findet man die Geschichte Rama's bis zu dem Punkte, wo er seine goldgestickten Schuhe auszieht und dem Bharata übergiebt, wiedergegeben bei Adolf Holtzmann, Indische Sagen, 2. Aufl. Stattgart 1864, Bd. II, p. 181 flg. Vorher schon selbständig erschienen, unter dem Titel: Rama, ein indisches Gedicht nach Walmiki. Deutsch Ton Adolf Holtmann, 2. Aufl., Karlsruhe 1843.

Vgl. oben p. 837.

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Rama's von der Bühne und aus dem Munde der Recitatoren Herz und Gemüth des indischen Volkes.1

1 Vgl. Reulaux, Quer durch Indien (Berlin 1884), p. 231: „In Benares findet alljährlich eine Mela (Fest) zu Ehren Rama's statt, die Kam- Lila oder das Ramaspiel. An einem der ersten Festtage wird das ganze Ramayana von Anfang bis zu Ende(?) öffentlich vorgelesen, an manchen Stellen der Stadt werden mit enormem Pomp Episoden daraus aufgeführt; bei der letzten, wo Rama mit Ravana. dem Beherrscher von Lanka (Ceylon) kämpft und diesen tödtet, soll die Zuschauerin enge sieb meist auf mehr als 30,000 Köpfe belaufen." Vgl. ebenda p. *>8 flg.

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t

Fünfunddreissigste Vorlesung.

Episoden des R&mayana. Die Herabkunft der Ganga. Entstehung des floken-Versmaasses. Vicvamitra. Ausgaben des Ramayana. Die Purana- LUeratur. Einige Proben aus derselben. Die Literatur der Kavya oder

Kunstgedichte.

Aach das Ramayana enthalt manche interessante Episoden, wenn es in dieser Hinsicht auch mit dem Reichthum des Ma- hiibhÄrata sich nicht vergleichen lässt

Eine sehr eigenthüm liehe, echt indische Geschichte, voller üebertreibungen und Unmöglichkeiten ist z. B. die Herab- kunft der Ganga, die uns im Ramäyana erzählt wird.1

In Ayodhya herrschte vor Zeiten der König Sagara. Dieser erhielt gemäss der Prophezeiung des weisen Bhrigu, den er durch seine Busse erfreut hatte, von der einen seiner Ge- mahlinnen einen Sohn, Asamafija, welcher der Stammhalter des Geschlechtes sein sollte; die andere Gemahlin gebar eine Frucht in Kürbis-Form, aus welcher 60,000 Söhne stiegen. Der Stamm- halter Asamailja bekam einen Sohn, Aincumant mit Namen, der ein tapferer und geehrter Held wurde. Da begab es sich, dass König Sagara ein Rossopfer eines der complicirtesteu und langwierigsten Opfer darbringen wollte. Als dasselbe schon im Gange war, entwendete Indra in Gestalt eines Riesen das "pferross. Bestürzt brachten die Priester diese Kunde dem Konig und erklärten, das sei ein Opferbruch, der Allen Unheil bringen würde; das Opferross müsse auf jede Weise wieder-

1 Diese Episode des R&mäyana ist metrisch wiedergegeben von Albert Hoefer, Indische Gedichte in deutschen Nachbildungen, Leipzig 1844 (F. A. Brockhaas), Bd. II p. 35 flg. Die von mir metrisch ebenen Stacke sind dem entnommen. Schon früher hatte A. W. * Schlegel dieselbe Episode übersetzt, in seiner Indischen Bibliothek. 1 p. ;V)-96. Die Version des Mahabhärata von dieser Sage bietet üb» Ad. Holt/mann in der Erzählung ,.das Meer" Ind. Sagen, Bd. I, ? flg.

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geschafft, der Räuber gctödtct werden. Nun sandte der König seine 60,000 Sühne aus, um Ross und Räuber zu suchen, die Erde zu durchforschen und aufzugraben, wenn etwa der Ver- brecher in die Unterwelt geflüchtet sei.

Die Königssöhne, groätstarke, Die gingen alle froh im Sinn Hin über all der Erd' Lander , Ermuntert durch des Vaters Wort.

So weit sich eine Meil' strecket, Da gruben Jeder einzeln sie Den Erdgrund auf, die Manntiger, Mit Annen wie des Blitzes Schlag.

Mit Keulen, donnerkcilartig, Und Aexten grimm und fürchterlich Zerspalten stöhnte aufächzend Die Erd, als ob sie Schmerzen litt.

Von Schlangen, die im Tod rangen, Titanen und dämonischen Und andern Wesen scholl aufwärts Manch dumpf Geheul und Angstgeschrei.

Sie wühlten auf den Erdboden Wohl sechzigtausend Meilen hin Und gruben Alle zornschnaufend,

Bis sie der Hölle Grund erreicht.

Also schweiften umher immer Die Königssühne allerseits, Bi3 Jambudvipa1 vollständig, Das bergumschlossne, ausgehöhlt.

Bestürzt klagen Gandharven, Schlangen und andere Wesen

dem Urvater:

O Herr, das ganze Erdrund ist Von Sagariden aufgewühlt, Und durch ihr Grabeu schreckvolle Wesenvertilgung schon entstand.

Aher der Gott beruhigt sie, das werde bald ein Ende nehme.!.

1 Jambudvipa ist „Bezeichnung einer der sieben grossen Inseln, die sich nach der Vorstellung der Inder um den Mern lagern; sie be- grflift Indien in sich und bezeichnet daher bei den Buddhisten Indien selbst. Den Namen hat die Insel von einem riesigen Jambu-Baum, der auf der Spitze dos Meru (Merumandara, Gandhamädana) als Standarte über das ganze Land erhoben ist." S. Petersb> Wörterbuch s. v.

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Diu Sagariden hatten nichts gefunden. Sie kommen heim und verkünden es dem Vater. Dieser erklärt, sie müssten immer weiter graben, bis sie das Ross gefunden. Sie stürzen sich denn auch alle 60,000 in die Unterwelt und graben immer weiter fort, bis sie auf die vier Weltelephanten stossen, auf denen die Erde ruht. Sie begrüssen und verehren diese Welt- träger, finden aber das Ross noch immer nicht, bis sie in nord- östlicher Richtung gehend auf Väsudeva, d. h. Vishnu, in der Gestalt des Weisen Kapila, stossen und nahe bei ihm das Opfer- ross erblicken. Wüthend stürzen sie auf ihn als den Ross- räuber los, aber durch Ausstossung eines einzigen Lautes ver- wandelt der zornige Weise alle 60,000 in einen Aschenhaufen.

Als sie nun lange fortbleiben, sendet König Sagara seinen Enkel Amgumant aus, die Oheime zu suchen. Dieser geht ihren Spuren nach, erhält von den Weltelephanten tröstenden Bescheid und findet endlich wirklich das Opfcrross, aber die Oheime daneben in oinen Aschenhaufen verwandelt. Betrübt will er ihnen das erforderliche Trankopfer spenden, aber es ist kein Wasser vorhanden und es wird ihm verkündet, dass diesen von Kapila Verbrannten kein irdisches Wasser gespendet werden dürfe. Nur wenn er es bewirken könne, dass die Gangä vom Himmel herab komme und die Asche der Todten benetze, dann würden sich alle 60,000 entsühnt zur Himmelswelt erheben. Gaftga, die Tochter Himavant's, weilte also damals noch im Himmel.

Amcumant kann nun das Ross heimführen und das Opfer wird regelrecht vollbracht Um so schlimmer steht es jetzt mit der neuen Aufgabe, die Asche der 60,000 Söhne des Sagara durch das Wasser der himmlischen Gangä zu entsühnen. König Sagara stirbt, ohne Rath dafür gefunden zu haben. Ihm folgt Aiu^umant in der Herrschaft Nachdem dieser dann seinem Sohne Dilipa das Reich übertragen, sucht er durch strenge Busse die Herabkunft der Gangä zu erringen, und verlebt 32,000 Jahre im Büsserwalde; dann stirbt er, ohne das Ziel erreicht zu haben. Dilipa denkt ebenfalls schmerzerfüllt darüber nach, wie die Gangä herabzubringen wäre, regiert 30,000 Jahre, erlangt aber das Gewünschte nicht. Sein Sohn, der pflicht- getreue Bhagiratha, sollte glücklicher sein. Nachdem er die Herrschaft seinen Räthen übertragen, büsst er manches Jahr- tausend in furchtbarster Weise:

Die Arm empor, in fünf Feuern. Wenig essend, besiegten Sinns, Stand Winters er im Flusswasser, Beim Hegen in der freien Luft.

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Brahma wird ihm geneigt, erscheint mit grossem Gefolge und gestattet ihm, eine Gnade zu wählen. Er bittet, dass die Fluth der Gafiga sich über die Asche der Sagara- Söhne er- giessen möge. Brahma gewährt es ihm und giebt der Ganga die erforderliche Weisung. Aber zuvor bedarf es der Gnade des Qiva, denn die Erde hätte den Fall der Ganga nicht er- tragen können; Qiva soll sie zuerst aufTangen. Durch strenge Busse macht Bhagiratha endlich den £iva dazu geneigt; er be- steigt den Gipfel des Himavant und ruft der Ganga zu: „Falle nieder \u Da stürzt sie wirklich vom Himmel herab auf ^ivas heiliges Haupt; von dort braust sie an den Wänden des Hima- laja in gewaltigem Fall zur Ebene hinab. Götter und Halb- götter schauen staunend das Wunder. Bhagiratha auf dem Kriegswagen zieht mit ungeheurem Gefolge von Göttern, Genien, Nymphen u. dgL voran» und die Ganga folgt ihm überall, wohin er sich wendet. Als auch die Wohnstätte des heiligen Jahnu vom Wasser bespült wird, trinkt dieser zornig die ganze Gafiga auf. Nur die dringendsten Bitten und das Versprechen, dass die Ganga fortan seine Tochter heissen solle, bewegen ihn, sie wieder aus den Ohren hervorströmen zu lassen. Seitdem heisst sie Jahna?!, d. i. Tochter des Jahnu. Und immer weiter folgt sie dem Bhagiratha, bis sie zum Meere gelangt Dort taucht sie unter und entsühnt in der Unterwelt die Asche der Saga- riden, die nun in den Himmel eingehen. Die durch Genera- tionen fortgesetzte Busse des Königshauses hatte endlich ihr Ziel erreicht, und nach Bhagiratha, dem glücklichen Vollbringer des Werkes, heisst die Ganga fortan Bhägirathi.1

Originell und sinnvoll ist die Geschichte von der Ent- stehung des Qloken-Versmaasses, welche uns ebenfalls im Ramayana berichtet wird.

Valmiki, der fromme Seher, bereitet sich in der Stille des Waldes in andächtiger Sammlung durch heiliges Bad und Ge- bete zu dem grossen Werke vor, die Schicksale und Thaten des Rama würdig zu schildern. Am Gestade eines Flusses wandelnd beobachtet er ein liebendes Pärchen, einen Kräuöca. d. L einen Brachvogel, mit seinem Weibchen, in zärtlicher Ver- einigung. Als er noch an dem lieblichen Schauspiel sich er- götzt, wird plötzlich das Männchen von einem mordlustigen Jäger, einem Nishada, nieder geschossen, so dass es sich wunden- voll im Blute auf der Erde wälzt Grenzenlos ist der Schmerz des Weibchens, jammernd klagt es um den Tod des Geliebten.

1 Es ist die» ein Patronymicum von Bhagiratha.

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und auch Välmiki's Herz wird von tiefstem Mitgefühl bewegt. Da bricht er unwillkürlich in Worte aus, die den Todten be- klagen, dem bösen Mörder Rache drohen. Aber seltsam! Die Worte haben sich ihm in wunderbarer Weise gefügt, das ist nicht gewöhnliche Rede, in melodischer Ordnung strömen ihm die Klagelaute dahin, er weiss selbst nicht, wie das ge- schehen. Er sinnt darüber nach und wandelt in Gedanken seiner Hütte zu. Da erscheint Brahma und verkündet ihm lächelnd, dass er im tiefen Schmerz des Mitgefühles, sich selbei unbewus8t, das Lied, die rhythmische Rede, den Cloka geschaffen habe: „Wahrlich, das ist durch Sarasvati, des Gesanges Göttin geschehen! In solcher Weise ordne du Leben und Thaten des Rama, so bilde du das göttliche Gedicht von Rama!"

So ist die Kunst des Gesanges von Valmiki dort gefunden worden. Gewiss ein hübscher, poetischer Gedanke!1

Eine der merkwürdigsten Episoden des Ramayana ist die Geschichte von Vicvamitra, die wir in anderem Zusammen- hange schon früher besprochen haben.1 Nachdem Rama schon mehrere Riesen besiegt hat, geht er mit seinem Bruder Lak- shmana und seinem Lehrer Vicvamitra nach Mithila, wo König Janaka ein grosses Opfer feiert. Dort wird ihm nun von Qa- tananda, dem Priester des Königs, erzählt, wie Vicvamitra, der von Geburt ein Kshatriya gewesen, sich durch die härtesten, Jahrtausende lang fortgesetzten Büssungen zum Brahmauen auf- büsste. Da ich den Gang dieser höchst seltsamen Geschichto schon früher erzählt habe, will ich nur noch eine kleine Probe von der Art der Darstellung dieser Büssungen im Texte durch die Uebersetzung eines Stückes daraus geben. Ich wähle dazu das letzte Capitel der Episode, wo die auf 8 Höchste gesteigerten Bussübungen dem Vicvamitra endlich zu seinem Ziele, der Brah- manenwürde, verhelfen. Nachdem er die letzte Anfechtung durch die schöne Nymphe Rambha siegreich bestanden, heisst es in Bopp's Uebersetzung1:

Nun dann den H'mavant lassend, Vicvamitra, der Seher Fürst, Ostwärts ging er und dort übte gar strenge Büssung er hierauf.

1 Die kleine Episode ist übersetzt von F. v. Schlegel, Ueber die Sprache und Weisheit der Indier, Heidelberg 1808, p. 266. Im Original haben wir ein Wortspiel: durch 90k a (Kummer) findet Valmiki den cloka (das Lied, d. Metrum). Schlegel sucht dies nachzuahmen: durch Leid findet VMmiki das Lied, aus dem Leid wird das Lied geboren.

* S. obe.r, Vorlesung XX VII.

3 Si ßopp, Conjugationssystem der Sanskritsprache, Frankfurt a. M. 1816. p. 230 flg. Ich habe mir nur einige kleine Aenderungen erlaubt.

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iJenn tausend Jahre nicht sprechend, dem erhabnen Gelübde treu, Unvergleichliche Buss' übete Vicvamitra, der Seher, nun. Als verflossen das Jahrtausend, einem Stamme dann war er gleich. Manche Störung versucht habend mochte Zorn nicht mehr nahen ihm. Als den Entschluss erfüllt er so, die anendliche Busse nun, . Sein Gelübde vollbracht endlich, des Jahrtausends, mit festem Sinn, Begann zu essen der Einsiedler Vicvamitra ein Reisgericht. In Brahmanengestalt bat ihn um die Speise Indra der Gott Ihm gab Jener den Reis gänzlich, dem Brahmanen, entschlossen hin. Als ihn verzehrt der Glückselge, ass der Büssende ferner nichts, Zum Brahmanen kein Wort sprechend, dem Gelübde des Schweigens treu. Und so war es, er schwieg tief, unterdrückend den Athem auch. Und als er so ein Jahrtausend nicht geathmet, der Seher Fürst, Sieh! Da brach aus dem Haupt dessen, der nicht athmetf, ein Dampf

hervor.

Schrecken ergriff die drei Welten, von der Flamme gleichsam erhellt. Die Heilgen dann, die Gandharva's, die Schlangen und die Rakshasa's, Durch seine Busse betäubt, auch ganz verfinstert durch seinen Glanz Von Bestürzung erfüllt sammtlich, sprachen zum Welt-Urvater sie: „Auf mannigfaltige Art wurde Vicvamitra, der Seher Haupt, Gereizt zur Liebe, zum Zorn auch; doch an Busse wächst er noch stets. Keinen Fehler gewahren wir an dem Büsser, den kleinsten nicht. Wird nicht baldigst vergönnt Jenem, was er im Geiste stets verlangt, So zerstört er die drei Welten durch die Busse, was geht m.d steht Zerrüttet sind die Raum* alle, und nichts wagt sich zu zeigen mehr, Wild aufbrausen die Meeresüuthen , und es wanken die Berge selbst, Und es zittert der Erdkreis auch, der Winde Wehen stocket ganz. Der Sonne ist geraubt ihr Licht durch den Glanz jenes Büssers dort Eh' er fasst den Entschluss, Heiliger ! zu vernichten, der Seher Fürst, Spend' ihm den Wunsch, o Glückßelger! dem Hochstrahler, dem Feuer

gleich,

Eh* er verzehrt die drei Welten mit dem Feuer des Untergangs, Rette der Götter Reich, Brahma! Der Wunsch werde gewähret ihm." Die Himmlischem hierauf sammtlich, von dem Urvater angeführt, Zu Vicvamitra hochsinnig sprachen die holde Rede sie: „Sei gegrüsset, o Brahmane, wir sind dir ob der Bubso hold. Brahmanenwürde, Kau^ika,1 hast durch die Busse du erlangt. Lebenslänge, Brahmane, auch ertheü* ich dir, der Winde Herr. Unsern Segen empfang also, gehe friedsam, wohin du willst!"

"Nun ist Vicvamitra hocherfreut. Er erlangt noch die Kunde der Veda's und andere Vorzüglichkeiten, die mit dem Brahmanen- thum zusammenhängen, und versöhnt sich mit seinem bisherigen Widersacher Vasishtha.

Der Text des Ramayana liegt uns in mehreren verschiedenen Kocensionen vor, welche zwar in der Hauptsache des Inhalts übereinstimmen, aber in der Anordnung wie im Ausdruck viel- fach, und oft sehr bedeutend, von einander abweichen. Nach Lassen sind es ihrer drei, nach Weber noch mehr.' Dem ent-

1 Geachlechtsname des Vicvamitra.

* Vgl. Lassen, Ind. Alt. I«, 1005; II8, 501.

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sprechend finden wir denn auch bedeutende Verschiedenheiten in den Ausgaben. Eine vollständige Textausgabe des Ramayana Terdanken wir dem Italiäner G. Gor ratio, welche die soge- nannte bengalische Recension bietet.1 Ferner erschienen voll- ständige Ausgaben in Calcutta (1859—60) und in Bombay (1859), nachdem schon in früheren Jahren zwei Ausgaben ver- öffentlicht worden, die mit dem zweiten Buche abbrechen, die eine in Serampore durch Carey und Marshman,* die andere in Bonn durch A. W. v. Schiegel,3 welche die sogenannte nördliche Recension darbietet.

Nach Besprechung der beiden grossen Epen hätten wir nun noch die übrigen epischen Dichtungen der Inder, die sich in ihrem Charakter theils mehr dem Mahäbhärata, theils dem Ramäyana nähern, ins Auge zu fassen.

An das Mahäbhärata schliessen sich in vieler Hinsicht die grossen episch -didaktischen Dichtungen an, welche xar i§0X7lv ^ Namen Purana führen.

Dieser Name begegnet uns schon in den Brahmana's und zwar als Bezeichnung der zahlreichen dort sich vorfindenden koe»mogoni8chen Untersuchungen.* Derselbe wird, wie früher erwähnt, neben Itihasa und Akhyana, auch vom Mahäbhärata gebraucht, welches ja auch die Geschichte der Vorzeit bis zum Weltenanfang in sich schliesst. Ganz speciell wird aber nun das Wort Purana zur Bezeichnung einer bestimmten Klasse Ton Dichtungen gebraucht, die man wohl episch - didaktisch nennen darf. Sie schildern die Kosmogonie, den Weltenanfang, aber dann auch weiter die Entwicklung dor Welt, die Ge- schichte der Vorzeit, die Thaten und Schicksale der alten Göt- ter, Heiligen und Helden, entwickeln die Lehre von den Yuga's oder Weltaltern, die wir früher berührt haben, u. dgL m.

Nach älteren Angaben soll ein Purana fünf Gegenstände befassen. 1) Sarga oder die Schöpfung, Kosmogonie; 2) Prati-

1 Ramajana, poema Indiano di Valmici, Testo Sanskrito secotido I codici manoscritti della scuola Gandana. Per G Gorresio. Torino 1843 flg. (beendet i. J. 1867).

* Die Seramporer Ausgabe von Carey und Marshman umfasst drei Binde, erschienen 1806. 1808. 1810.

' Ramtyana, Id est Carmen epicum de Ramae rebus gestis poe- tac antiquissimi Valmicis opus. Textum codd. mss. collatis recensuit, interpretationem laünam et annotationes criticas adjecit Aug. Guil. a Schlegel. Bonn 1829. 1838. Vgl. auch Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 211. Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft, p. 402 flg.

* VgL Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 206. Lassen, a. a. 0. 1% F- 578

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sarga, Wiederschöpfung, d. i. die Lehre von der Zerstörung und Erneuerung der Welten; 3) Vamca, Geschlecht, d. i Genea- logie der Götter und Patriarchen; 4) Manvantara, Manu -Zeit- räume, d. h. die Regierungen der verschiedenen Manu's; 5) Vamcanucarita, Nachfolge der Geschlechter, d. i. die alten Dy- nastieen der Könige.1

Aus der älteren Zeit sind uns nun solche Puräna's nicht erhalten. Die uns vorliegenden Werke dieses Namens stammen alle aus einer verhältnissmässig späten Zeit, d. h, etwa aus den letzten tausend Jahren, und es entspricht keines von ihnen ganz der Beschreibung, die aus früherer Zeit über Inhalt und Umfang eines Purana überliefert ist* Für diese uns vorliegen- den Purana ist es charakteristisch, dass sie die, im Laufe der Zeit sich mehr und mehr verschärfende, sektarische Spaltung der Inder in specielle Qiva- und Vishnu -Verehrer scharf aus- gebildet zeigen und dass sie im Interesse und zur Empfehlung dieser Secten, vor Allem der vishnuitischen, geschrieben, resp. so gefärbt sind. Die Mythengeschichte ist immer in diesem Sinne gemodelt, bald steht Qiva, bald Vishnu im Mittel- punkte derselben, und auch auf die historische Sage war diese Richtung von Einfluss.8

Der Hauptsache nach schliessen sich die Puräna's für die Sagen der Vorzeit an das Mahabharata an, und dieses ist als die Hauptquelle derselben zu bezeichnen. Anderes, was ihnen speciell angehört, findet sich in den verschiedenen Puräna's so übereinstimmend, oft wörtlich gleichlautend vor, dass wir durch- aus eine gemeinschaftliche Quelle annehmen müssen. Nach der Ueberlieferung hat es ursprünglich sechs grosse Sammluugen unter dem Namen Purana gegeben.4 Aus diesen alten Purä- na's sind die uns vorliegenden achtzehn, wahrscheinlich durch verschiedene Entwicklungsstufen, abgeleitet. „Für die alten, zum Theil verkürzten, zum Theil weggelassenen Erzählungen sind theologische und philosophische Belehrungen, rituelle und asketische Vorschriften und namentlich Legenden zur Empfeh- lung einer besonderen Gottheit und gewisser Heiligthümer an die Stelle gesetzt" 6

Die Puräna's sind umfangreiche Werke, grosse Sagen- und Legenden-Gompilationen, welche in der späteren Sanskrit-Lite-

1 Vgl Lassen, Ind. Alt. I*, 576 Anm. Weber a. a. 0.

* S. Lassen, Ind. Alt. I». 676.

» 8. Lassen, a. a. 0. P, 676. 577. 4 Lassen, a. a. 0. I*, 677.

8. Lassen, a, a. 0. If, 579.

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rafcur eine nicht unwichtige Stellung einnehmen. Ich hebe unter ihnen hervor das grosse Bh&gavata-Pur&na, welches von dem ausgezeichneten E. Burnouf edirt und übersetzt ist.1 Ferner das Vishnu-Pur&na, von welchem Wilson eine Uebersetzung lieferte;* dann das M&rkandeya-Pur&na,' das Agni-Pu- r&na,' das Kalki-Pur&na,6 Linga-PurAna,6 Padma-Pu- räna, Skanda-Pur&na, Garurja-Purana, Brahmavai- ▼arta-Purana, Vayu-Purana, Matsya-Purana,

Eine Reihe von interessanten Episoden aus diesen Purana's findet man in poetischer Form sehr ansprechend wiedergegeben in des Grafen Adolf Friedrich v. Schack „Stimmen vom Ganges".7

Da finden wir z. B. die erbauliche Geschichte von Pra- hrada, dem frommen Sohne des Riesenkönigs Hiranyakacipu,8 aus dem Bhägavata-Purana, welches speciell der Verehrung des Vishnu geweiht ist Der gottlose Riese hasst den Vishnu und sucht in blinder Wuth alle Verehrer des Gottes zu vertilgen. „Auf!44 ruft er seinen Genossen zu,

„Auf zum Kampfe! Alle Vedaleser, Alle Büsser, Alle, die zu Vishnu Beten, mordet mir! Kein frommer Siedler, Kein Brahmane sei verschont! Mit Fener Und mit Schwert verwüstet alle Lander!

1 Paris 1840. 1844 (2 Bände) mit französischer Uebersetzung. Das Bhägavata-P. ist auch in Bombay herausgegeben, 1839; 1860; 1880.

* DasVishnu-P. ist in Bombay edirt (1867); Wilson's Uebersetzung desgelben ist von F. E. Hall in 6 Banden neu herausgegeben (1864—1870).

* Markandeya-P. edirt in der Bibl. Indica von Banerjea (1855—1862). Buch 7 *und 8 des Mark -Pur., die Hariccandra-*Sage enthaltend, iBt von Fr. Bockert übers. Ztschr. d. D. M. G. XIII, p. 103 flg.

4 Agni-P. in der Bibl. Ind. 1870—1879 (von Rajendralala Mitra); von Jlvananda Vidyasagara Calcutta 1882.

* Kalki-P. edirt Calcutta 1878.

* Lifiga-P. , Uthograph. Ausgabe in Bombay 1858; desgl. Stücke der weiteren, oben genannten Purana's. Vgl. Weber, Ind. Ut, 2. Aufl. p. 208 Anm.

7 Zweite Auflage, Stuttgart 1877. Sind dies auch nicht eigentliche Uebersetzungen, bo sind sie doch durch die ebenso treue wie feinsinnige Wiedergabe der indischen Stoffe vortrefflich dazu angethan, dem Ferner- stehenden einen Begriff von Geist und Ton jener grossen theosophisch- epischen Dichtungen, die verschiedene Götter, vor Allem aber den Vishnu verherrlichen und „in der Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben, der Nichtigkeit und Traumhaftigkeit der ganzen Erschei- nungswelt vielfach an die heiligen Schriften der Buddhisten anklingen", zu verschaffen. Vgl. a. a. 0. das Nachwort p. 215.

* Diese Geschichte enthalt die Schilderung von dem früher er- wähnten Avatara des Vishnu als Mannlöwe.

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Feuerbr&nde schleudert auf die Tempel, Die dem Gott geweiht sind, und zertrümmert Jeden Altar, dass fortan kein Opfer Mehr ihm leuchte! Sein und alier Götter Dienst soll aus der Welt fortan verschwinden!"

Verheerend breiten eich die Riesen über die ganze Erde aus und vertilgen alle Frommen, der Riesenkönig aber baut sich ein herrliches Schloss auf dem Hiinalaya und freut sich seines Sieges. Er hat einen Sohn, Prahräda mit Namen, einen Knaben sanften und nachdenklichen Sinnes. Der Name Vishnu's darf vor ihm nicht genannt werden, aber dennoch wunder- bar! — keimt schon früh in der Seele des Knaben die Ver- ehrung zu dem Gotte, und als eines Tages der Vater ihn fragt: „Sag, mein Söhnchen, was du gelernt hast!" da erwidert er:

„Eins hab' ich gelernt, das Eine, was zu Wissen noth thut, Andacht und Verehrung Zu dem Urgrund alles Seins zu hegen« Zu dorn unvergänglichen Herrn des Weltalls, Der nicht Anfangt Mitte nicht, noch Ende Hat, und der in Allem ist, wie Alles Nur in ihm!"

Wüthend fährt der Vater über den erschrockenen Lehrer her, aber Prahrada bestätigt, dass er selbst, ganz allein zu dieser Erkenntniss gekommen sei, denn „wie der Demantstein das Eisen* ziehe der Gott der Götter seinen Geist an. Da er hartnäckig bei diesem Bekenntniss bleibt, überantwortet der Vater ihn den Henkern. Aber Schwerter verwunden ihn nicht! Er wird unter die Ijüsse wüthender Elephanten geworfen, sie thuen ihm keinen Schaden. Erneute Versuche, ihn* zu an- dern Ansichten zu bringen, schlagen fehl. Er wird in einen Abgrund gestürzt, ohne Erfolg. Da versenken ihn endlich die Riesen tief ins Meer hinab und thürmen Berge über seinem Haupte auf. Aber auch dort in der grausigen Tiefe hört Pra- hräda nicht auf, Vishnu als die Seele des Weltalls zu preisen. Da gewinnt er Kraft, die Gebirge von sich abzuschleudern, und tritt unversehrt wieder vor den Vater. Wutb schnaubend be- gegnet dieser seinem erneuten Bekenntniss von Vishnu, der ihn gerettet „Was fabelst du?" ruft der gottlose Riese; „wenn Vishnu überall in allen Dingen ist, sprich, warum ist er dann nicht auch in dieser Säule?*' Und mit diesen Worten schlägi er mit geballter Faust gegen die Jaspissäule. Sieh, da spaltet sich die Säule, und hervor tritt in furchtbarer Gestalt, halb Mann halb Löwe, Vishnu und zerreisst mit seinen Tatzen den

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Frevler, dessen Maass nun endlich voll ist. Den frommen Pra- hräda aber setzt der Gott zum Herrscher ein.

Sehr anmuthig ist die Geschichte von König B ha rata, die ebenfalls dem Bhägavata-Purana entnommen ist. Dieser Fromme hat nach einem gerechten und weisen Leben in die Wiidniss ach zurückgezogen, um nur noch den Gedanken an die Gott- heit 7v loben. Alle Liebe zu den Erdendingen hat er abge- ^reift und abgetüdtet. da läuft ihm eines Tages eine arme kleine Antilope in den Weg. deren Mutter, von einem Löwen verfolgt eben im Bergstrom ertrunken ist. Mitleid erfaßt den König, er nimmt das Thierchen auf, beschirmt und pflegt es. und zärtlich vergilt ihm das hülflose Geschöpfchen seine Liehe. Und nuu hangt der König mehr und mehr sein Herz an die- ses Thier, das treu bei ihm ausharrt bis zu seinem Tode und :;<jch neben seiner Leiche wimmernd dasteht. Aber weil der König so seiue Gedanken wieder auf das Zeitliche gerichtet, nicht gänzlich in den Urgeist sich vertieft hatte, inuss aufs Neue er die Körperwelt durchwandern, und man sagt, duss nach dem Tode er als Gazelle wiedergeboren sei.

Auch die Erzählung von dem frommen Dhruva. Oer zu- letzt zum Lohn für seine Frömmigkeit zum Polarstern erhöht wird, gehört dem Bh&gavata-Puräua an. Desgleichen die merk- würdige Geschichte vom Sohn des Königs Tschitraketu.

Merkwürdig ist auch die Erzählung \on Räivata, welche »ehr an die bekannte Sage vom Mönch Petrus erinnert, aus dem Vishnu- Purana. König Raivata hat eine schöne Tochter und weiss nicht, welchem Eidam er sie geben soll. Da ent- schhesst er sich, mit ihr vor Brahma's Angesicht /.u treti-n, ihn um Rath zu fragen. Er findet auch den Weg zum Himmel Brahma s, freut sich dort der Herrlichkeit des Gottes und lauscht dem Liede der himmlischen Säuger. Wenig Augenblicke glaubt er dort zu weilen, aber als er wieder zur Erde zurückkehrt, findet er Alles verwandelt, Niemand lebt mehr, den er gekannt, and» Menschen, andre Tempel und Paläste erblickt sein Auge, dam, viele Menschenalter sind indess vergangen. Dem Rathe Brahma's gemäss vermählt er seine Tochter dem inzwischen Mensch gewordenen Vishnu, selbst aber zieht er sich für die letzten Lebenstage in die Einsamkeit des Himalaya zurück.

Dem Vishnu-Puräna entstammt auch die Geschichte von Siubhari, einem Siedler, der nach zahlreicher Nachkommen- schaft sich sehnt und dem dieser Wunsch in ungemeiner

S. Schick, a. s. 0. p. 138.

» Sekr»4«r, fodi«as Lit. u. Cult. 33

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Weise, eine Generation um die andre, erfüllt wird, bis er end- lich zur Erkenntnis kommt, dass man auf solchem Wege nie an's Ende der Wunsche gelangen kann.

Ganz andersartig ist die von Ho ef er1 bearbeitete Episode vom weisen Kandu, aus dem Brahma-PurAna. Dieser Fromme setzt durch allzu grosse Busse die Götter in Angst, sie senden ihm die schöne Nymphe Pramlocä zu, und seine Busse wird denn auch erfolgreich durch sie gestört.

Aehnlich wie die Purana's mit dem Mahabharata in näherer Verwandtschaft stehen, wenngleich sie durch eine be- deutende Kluft von demselben geschieden sind, reihen sich an das Ramayana noch eine Anzahl anderer, jüngerer K&vya oder Kunstgedicbte, d. h. Kunstepen.

Am Bedeutendsten und Selbständigsten sind unter den- selben zwei Dichtungen, welche dem Kalidasa zugeschrieben werden, also wohl dem sechsten Jahrhundert nach Chr. ent- stammen: der Raghuvamca,* d. i. das Geschlecht des Raghu, und der Kumärasambhava,* d. i die Geburt des Kriega- gottes, beide durch bedeutende Schönheiten ausgezeichnet und aller Wahrscheinlichkeit nach echt

Die übrigen Kavya schliessen sich in Bezug auf ihren In- halt meist an Mahabharata und Ramayana an. Sie mischen allmählich mehr und mehr erotische, lyrische und didaktische Elemente in das Epische hinein und verfallen schliesslich in Schwulst und Künsteleien aller Art Die Inder führen sechs Kunstepen an, denen sie den Titel Mahakavya oder „grosse Kavya" zuerkennen. Es sind dies ausser den beiden eben- genannten Epen des Kälidasa noch: das Bhattikavya,4 welches

1 Albert Roefer, Indische Gedichte, Leipzig 1844, Bd. I p. 43flg

2 Herausgegeben und übersetzt von A. F. Stenz ler, mit lateini- scher Uebersetzung, London 1832. Auch herausgegeben Calcutta 1832. 188Q u. 1884; Bombay 1880; und ferner von Shankar P. Pandit. Bombay 1869—74. Eine Episode des R. (Ajas u. Indumati) veröffentlichte Rückert in deutscher üebertragung i. J. 1838.

3 Herausgegeben und tibersetzt von Stenzler, Berlin-London 1838. Auch von Bhan Dhaji, Bombay 1871; von Taranitha Tarkavacss- pati. Calcutta 1875 (3. Ed.). Ins Englische übersetzt von R. T. R Griffith, 2. AuÖ. London 1879.

* Verfasst in Valabht unter König (^ridharaseaa, 6. oder 7. Jairh Vgl. Weber a. a. 0. p. 213 Anm. Herausgegeben Calcutta 1828. „Fünf Gesänge des Bhatti- Kavya" (18-22) sind in deutscher Uebersetzung, nebst orientirender Einleitung, herausgegeben von dem verdienstvollen Dr. <\ Schütz, Bielefeld 1837.

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die Geschichte Ruma's behandelt und dem Bhartrihari zuge- schrieben wird; das Maghak ävya oder Qicupalabadha des Magna,1 und das Kiratärjunlyam des Bh&ravi;* endlich noch das Nftishadhiyam.3

Der Nalodaya wird dem Kalidasa zugeschrieben, aber schwerlich mit Recht. Es ist dies ein echtes Produkt der späteren Zeit, ein Gedicht, überreich an Künsteleien in Vers und Form. Es erzahlt die uns bereits bekannte Geschichte von Nal und Damayantl, aber die Axt, wie der Dichter hier seinen Stoff behandelt, ist so grundverschieden von der Art der Erzählung im Mahäbhärata, dass es kaum ein lehrreicheres Beispiel giebt, um den Unterschied der älteren und der spä- teren epischen Dichtung deutlich zu macheu. Der Dichter des Nalodaya weiss nichts mehr von der echtepischen Schlichtheit des alten Gedichtes. Er bemüht sich vor Allem durch die mannigfaltigsten künstlichen Metra, mit Endreimen und Binnen- reimen, Alliterationen u. dgl m., seine Virtuosität in der Form darzuthun. Das eigentlich Epische macht er oft sehr kurz ab, gefällt sich dagegen in langen lyrischen Ergüssen und Schilde- ningen. So ist z. B. von den vier Gesängen des Gedichtes das zweite, die anderen an Umfang noch überragende, rein ly- rischer Natur, das Glück des neuvermählten Paares schildernd, mit allerlei Zuthaten, die gar nicht dahin gehören.4

Auf was für sonderbare Künsteleien diese späteren Dichter bisweilen verfallen, kann das Beispiel des Bhattikavya be- weisen, welches Gedicht ganz eigentlich mit dem Gesichtspunkte verfasst ist, die Grammatik zu erläutern und insbesondere die

1 J edenfall 8 vor dem End» des 10. Jahrhundert v erfasst (t. Weber a. a. 0.)* Herausgegeben von Jivananda Vidyäsagara, Calcutta 1884; aach Benares 1883. Magha's Tod des ^icupala, übersetzt und erläutert von C. Schütz, I. Abth. Bielefeld 1843. (Nicht mehr erschienen).

* Der Käme des Bharavi erscheint auf einer Inschrift aus dem Jahre 634 nach Chr., der Dichter muss also früher gelebt haben, viel- leicht im 6. Jahrhundert Vgl. M. Müller, Indien in s. B. p. 262. Das Kir. ist herausgegeben von Jivananda Vidyäsagara, Calcutta 1875; auch Calcutta 1879. I. und II. Gesang übersetzt von C. Schflti, Bielefeld 1845.

* Aas dem 12. Jahrhundert stammend. Vgl. Bühler, Jonmal Bombay Branch R. As. Soc. X, 35. Weber a. a. 0. p. 213. Heraus- gegeben Benares 1880 (lith.).

4 Der Nalodaya ist schon im Jahre 1830 von F. Benary heraus- gegeben; im Jahre 1844 von Yates in Calcutta. Uebersetzt ist er in vortrefflicher Weise von Ad. Fr. v. Sc hack, als Anhang zur 2. Aufl. seiner „Stimmen vom Ganges "\1877). Mit Glück sucht Schack den Formkünsteleien des Originals In der Uebersetzung gerecht zn werden.

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unregelmäßig flectirten Formen vorzuführen! Ein noch wunder- bareres Kunststück ist aber das Räghavapfindaviyam des Kaviraja, das jedenfalls erst nach dem zehnten Jahrhundert verfasst ist. Dieses Gedicht behandelt nämlich mirabüe dictu in denselben Worten zugleich die Fabel des Ramäyana und die des Mahabhärata,1 was natürlich nur durch eine Un- menge doppelsinniger Worte und Wendungen zu Wege gebracht wird. Es wird sich kaum aus anderen Literaturen dem Etwas würdig an die Seite stellen lassen.

Zum Schluss sei noch ein episches Gedicht in Prakrit er- wähnt, das dem berühmten Kalidäsa zugeschrieben wird: der Setubandha* oder Ravanabadha, welches die Geschichte Ramas behandelt

Der deutsche Leser wird durch diese Uebersetzung vielleicht am ehestes sich einen Bugriff machen können von der Dichtungsart der jüngeres Kavya. Beispielsweise höre man ein paar Strophen des ersten Gesanges .

Hört denn von Nal, dem gewaltigen Herrn and Gebieter der Ni- schada-Lander,

Dem schlanken, hochgestaltigen Volksbehüter und Gabenspender,

Der edel, weise -geschäftig ob seinem Reiche waltete,

Und die Schädel der Feinde kräftig mit einem Streiche spaltete.

Der Keinem an Schönheit Weichende, Dem Gotte der Liebe Gleichende, Zermalmte kämpfend die brausenden Heeresreihen zu Tausenden.

In Wagenlenkung, in Waffenschwenkung Kam Keiner ihm gleich, dem grössten der Fürsten; Vergessend der Kränkung, Hess ohne Trankung Den Feind er, den httlfentblössten, uicht dursten.

Verdrossen war nie sein Geist, sein klarer; Entsprossen von Virasena war er, Entschlossen als Land- und Meerbefahrer, Genoasen und Freunden ein Schirmer und Wahrer.

Im Ruhme des Sieges durchsog er das Land,

Die „Blume des Krieges", so wird er genannt u. e. w.

1 S. Weber, a. a. 0. p. 218 Anm.

Prakrit und Deutsch, herauag. von 8. Goldschmidt (1880-1884). Zwei Capitel desselben waren schon früher (1873) von P. Goldschmidt veröffentlicht. Ueber den Anlass des Kalidäsa an diesem Gedicht und seine Beziehung zu König Pravarasena von Kaschmir, dem Erbauer einer berühmten Schiffsbrücke über die Vitasta (d. L Hydaspes), vgl. M. Müller, Indien in s. weltgeschichtl. Bed. p. 274. Das Gedicht ist im MahA- rasbtri-Dialekt geschrieben.

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I

Sechsunddreissigste Vorlesung.

Die Märchen- und Fabel -Literatur des indischen Mittelalters. Ueber- einstimmung vieler Fabeln mit den äsopischen. Die Streitfrage, ob Ent- lehnung dieser Fabeln von der einen oder anderen Seite stattgefunden. Das Pancatantra und seine Wanderung durch eine Menge fremder Lite- raturen. Form und Anlage den Pancatantra sowie des daraus hervor- gegangenen Hitopadeca. Die Reflexionen. Der Humor. Einleitung und Rahmenerzählung des Pancatantra. Erzählung von der „Katze als Richter."

„Der Esel als Sänger."

Es bleibt uns nun noch eine wichtige Klasse epischer Dichtungen zu besprechen übrig, welche zum Theil schon stark in das Gebiet der Rellexionspoesie hinübergreift. Es ist dies die bei den Indern reichhaltig entwickelte Literatur der Mär- chen und Fabeln, welche beiden Gattungen hier so eng mit einander verbunden, ja verwachsen erscheinen, dass es kaum möglich ist, sie gesondert zu behandeln, wennschon die Fabel sich ja streng genommen vom Gebiete der Epik entfernt and in das der Didaktik eintritt. Uebrigcns aber ist schon die eigentliche Epik, ist vor Allem schon das indische Epos %ax t§0Z>j»» das Mahabharata, wie überhaupt der grössere Theil der mittelalterlich indischen Literatur, so stark mit didaktischen Elementen durchsetzt, dass wir bei der Sonderung des Epischen und Didaktischen, Sententiösen nicht allzu peinlich verfahren dürfen.

Bei der Märchen- und Fabel - Literatur der Inder zeigen sich nun ganz im Gegensatz zu den bisher be- sprochenen Dichtungen zahlreiche und nahe Beziehungen zu den verwandten Schöpfungen andrer Länder und Völker. Die Art dieser Beziehungen liegt für die Märchen speciell ziem- lich klar am Tage. Dieselben sind nämlich in reicher Anzahl auf den verschiedensten Wegen, beständig sich umgestaltend, weithin gewandert zu den verschiedensten Völkern und haben sich bei denselben das Heimathsrecht zu rwerben gewusst.

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Dasselbe hat nun freilich auch bei den Fabeln stattgefunden, insbesondre soweit dieselben mit Märchen verbunden und ver- webt in dem berühmten Paflcatantra sich vorfinden, dessen mannigfache Wanderungen und interessante Schicksale wir später- hin betrachten wollen. Es tritt aber bei den Fabeln eine andre und schwierigere Frage ein, deren Lösung nur durch eingehende vergleichend -literarhistorische Studien gewonnen werden kann, die Frage nämlich, ob und wieweit dieselben ureprüngUch indisch« Schöpfungen sind, ob und wieweit hier vielleicht Ent-' lehnungeu von andern Völkern, insbesondere den Griechen, statt- gefunden haben.

Es lässt sich nämlich garnicht verkennen, und darin stimmen alle Forscher überein , dass eine bedeutende Anzahl der indischen Fabeln, wie sie uns im Paflcatantra, im Hitopa- deca, und zum Theil auch schon in einigen älteren Werken1 torliegen, augenfällig verwandt sind mit Fabeln, Welche sich bei deu Griechen besonders an den Namen des Aesop knüpfen und die uns als Fabeln des Babrius erhalten sind.

Albrecht Weber hatte sich zuerst (L J. 1852) in seiner Indischen Literaturgeschichte dahin ausgesprochen, dass die Ori- ginale für viele jener griechischen Fabeln sich bei den Indern nachweisen liessen;8 und diese Ansicht war auch von A. Wage- ner in einer besonderen Schrift eingehend vertheidigt worden.* Weber aber kam nachher, und speciell bei einer gründlichen Besprechung der Wagener'schen Arbeit, zu dem gerade ent- gegengesetzten Resultate, dass nämlich „bei fast jedem Beispiel in der griechischen Fabel der indischen gegenüber die Spuren der Originalität zu erkennen" wären;4 dass somit von Seiten der Inder eine Entlehnung stattgefunden habe. Als specielle Vermittler glaubte er dabei die Buddhisten annehmen zu müssen.

Diese spätere Web ersehe Ansicht wurde wiederum von

1 Wie im Mahabhärata und in der Chandogya-Upanishad (g. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl. p. 228).

1 Ind. Lit. 1. Aufl., p. 196.

3 Essai sur les rapports qui existent entre les apologues de linde et les apologues de la Grece par A. Wagen er, professenr agr^ge* 4 runiversitä de Gand. Memoire* couronnes et mlmoires des savants etrangers, publies par lacaderaie royale des Bciences, des lettres, et des beaux arts de Belgique, tarn. XXV. 1851—1858. BruxeUes 1852. (Diese Schrift hatte schon im Jahre 1849 einen Preis- der philosoph. Fakultät in Bonn gewonnen und war im Jahre 1852 der Belg. Academie über- reicht worden).

4 8. Weber, Ueber den Zusammenhang indischer Fabeln mit grie- chischen, Ind. Stud. III, p 327; Ind. Lit. 2. Aufl. p. 228 Anm.

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Otto Keller in seiner Schrift „Ueber die Geschichte der griech. Fabel** (1862) bekämpft, indem derselbe durchaus an dem in- dischen Ursprung dieser, den Indern und Griechen gemein- samen, Fabeln festhielt und eine alte assyrische Vermittelung annahm. Weber ist indessen bei seiner Ansicht geblieben und ▼ertheidigt dieselbe, wenn auch kurz, wieder in der zweiten Auflage seiner Indischen Literaturgeschichte. Nach Weber's Meinung wäre dann weiter die griechische Thierfabel semi- tischen Ursprungs.1

Auch Benfey war der Meinung, dass die indischen Thier- fabeln meist griechischen Ursprungs wären, wenn er auch den Indern die Selbständigkeit nicht ganz abspricht Er präcisirt das Ergebniss seiner Untersuchungen dahin, „dass im Allge- meinen die meisten Thierfabeln aus dem Occident stammen, mehr oder minder umgewandelte sogen, äsopische sind; doch tragen einige auch das Gepräge indischen Ursprungs, sowie denn überhaupt die grosse Fülle indischer Fabeln, die Freiheit, mit welcher die entlehnten behandelt sind, und manche andre Momente dafür sprechen, dass die Inder schon vor Bekannt- schaft mit der von den Griechen überkommenen äsopischen Thierfabel eigene Gebilde von wesentlich gleicher Art und zwar wahrscheinlich in groaser Menge geschaffen hatten."2 1

Wir stehen hier vor einer schwierigen Streitfrage. Wage- ner und Keller sind gegen Weber und Benfey entschieden im NachtheU dadurch, dass sie sich auf dem indischen Gebiete nicht mit der Sicherheit dieser Kenner bewegen. Andrerseits aber muss ich persönlich bekennen, daas mich Weber's Dar- legungen von dem griechischen Ursprung der indischen Fabel keineswegs überzeugt haben.

Keller hob besonders hervor, dass das in der griechischen Fabel bestehende Verhaltniss des Fuchses zum Löwen in der

1 S. Ind. Lit. 2. Aufl. p. 228 Anm.

* Vorrede zur Uebersetzung des Pantschatantra, Th. I p. XXI. Den Märchen und Erzählungen vindicirt Benfey durchaus indischen Ursprung. Er ist der Meinung, „dass wenige Fabeln, aber eine grosse Anzahl von Märchen und Erzählungen von Indien aus sich fast über die ganze Welt verbreitet haben" (a. a. 0. p. XXI. XXII).

Es wäre noch eine dritte Ansicht möglich und dieselbe ist von Jakob Grimm ausgesprochen worden, dass nämlich die Thierfabel schon in der indogermanischen Urzeit ausgebildet gewesen und dass die Ucber- einstimmungen der deutschen Thierfabel mit der griechischen und indischen sich eben durch die Urverwandtschaft dieser Völker erklären dürften. (Vgl. J. Grimm, Reinhart Fuchs p. CCLX—LXV; Weber, Ind. Stnd ifl p. 862.)

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Natur beider Thiere keinen Halt habe, während der Schakal zu dem Löwen in der That in dem in der griechischen Fabel geschilderten Verhältniss stehe. Weber aber, der semitischen Ursprung der griechischen Fabel annimmt, meint dagegen, dass es Schakale ja auch in den von Semiten bewohnten Ländern gehe, dass der semitische Schakal sich bei den Griechen in den Fuchs, der griechische Fuchs sich aber beim Uebergang zu den Indern wieder in den Schakal habe verwandeln können eine Annahme, die doch sehr künstlich und unwahrscheinlich sein dürfte 1 Es ist ferner sehr beachtenswerth, dass sowohl Ben- fey* als Weber zugeben, dass die Inder schon vor jenen Ent- lehnungen von den Griechen eine selbständige Fabeldich- tung geschaffen haben, wofür ausser Anderem namentlich auch die in der Chändogya-Upanishad sich findenden Fabel- Ansätze als Beweis dienen.9 Sodann war wohl auch die Lehre von der Seelenwanderung besonders geeignet, dem Entstehen der Thier- fabel den Boden zu bereiten. Wir gewahren namentlich bei den Buddhisten frühe schon eine Neigung zu parabolischen, be- lehrenden Geschichtchen, unter denen die sogenannten J&taka's, Erzählungen von früheren Existenzen des Buddha, besonders wichtig sind; da tritt nun auch der Buddha bald als dieses bald als jenes Thier handelnd au£*

Andrerseits hat Weber gewiss mit Recht betont, dass Wagener und Keller das Alter der betreffenden indischen Auto- ren überschätzen.5 Desgleichen, dass wir bei einem indischen Ursprung der Fabeln wohl öfters den Indien eigentümlichen Thicron, wie dem Papagei, dem Elephanten u. a. m. begegnen würden. Das ist nun in der That nicht der Fall.6 Endlich wird durch eine sehr interessante archäologische Thatsache die Existenz äsopischer Thierfabeln in Griechenland schon für »las sechste Jahrhundert vor Chr. sicher bezeugt, also für eine

' Ind. Lit. 2. Aufl. p. 228 Anm. 1 S. oben p. 519.

' S. Ind. Stud. III p. 361. „Von dergleichen einst bestehende», aber nun verlorenen Fabeln baben wir wenigstens in einigen sprüch- wörtlichen Redensarten, z. B. kakatallya, ajakrp*n!ya hinlängliche Spa- ren." Ind. Stud. III, p. 862.

4 Eine beträchtliche Menge der Fabeln und Erzählungen des Pan- catantra lassen sich auch in buddhistischen Sehriften nachweisen and nach Benfey's Darlegungen ist es wahrscheinlich, dass das Pancatantra ursprünglich ein buddhistisches Werk war, aas dem buddbist. Literatur- kreide hervorging. (S. Vorrede zu Pantsch. Th. I p. XI.) S. Ind. Stud. III, 330. Ind. Lit 2. Aufl. p. 229.

'* S. Weber, Ind. Stud. III, 333.

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Zeit, wo an eine Entlehnung von Indien her nicht wohl zu denken ist1

Bei dem gegenwärtigen Stande der Frage wage ich es nicht, ein abschliessendes Urtheil auszusprechen. Es wäre da- zu eine weitgehende vergleichend - literarhistorische Unter- suchung nöthig, die wir hier unmöglich anstellen können. Wir müssen uns begnügen, die Hoffnung auszusprechen, dass die Frage von kundiger Hand noch einmal aufgenommen und end- gültig gelöst werde.

Das reichhaltigste, literarhistorisch wichtigste und inter- essanteste Märchen- und Fabelwerk der Inder ist das so- genannte Paflcatantra oder „das Fünfbuch", dessen Ent- stehungszeit wir gar nicht mit Sicherheit angeben können, von dem wir aber doch wissen, dass es im sechsten Jahrhundert nach dir. bereits existirte, denn zu dieser Zeit wurde «I auf Befehl des berühmten persischen Herrschers KhOr.ru Anu- shirvan* in das Pehlewi, d. i. die damals geltende persische Sprache übersetzt. Man darf wohl annehmen, dass das Werk schon längere Zeit vorher in Indien bekannt und berühmt war, ehe ihm eine solche Anerkennung ausserhalb der Grenzen des Ursprungslandes zu Theil wurde; wie lange vorher, das können wir aber freilich nicht sagen.3

Das Paflcatantra war aller Wahrscheinlichkeit nach ur- sprünglich ein buddhistisches Werk oder ist doch aus bud- dhistischen Quellen geflossen. Dies hat schon Benfey ausge- sprochen. Er schlos8 es vor Allem aus der ziemlich beträcht- lichen Menge von Fabeln und Erzählungen unseres Werkes, die sieb in buddhistischen Schriften nachweisen Hessen. „Gerade die Menge, sowie das Verhältniss ihrer Darstellung in unserm Werk zu der in den buddhistischen Schriften erscheinenden^

1 Ich verdanke diese wichtige Notiz Herrn Prof. LwBBchcke. Siehe A. Furtwaengler, Vasencatalog des Berliner MuaeumB (Berlin 1885). Auf einem thönernen Täfelchen Pinax) aus Korint h lasst sich deutlich die Darstellung der äsopischen Fabel von uem Fuchs und Raben er- kennen; das Stück stammt ebenso wie die meisten anderen korinthischen Pinakes noch aus dem 6. Jahrhundert vor Chr. (Antike Denkmäler I Taf 8 4')

* Zwischen 531—570 nach Chr.

' Nach Benfey, der eine, Menge äsopischer Fabeln in dem P. an- nimmt, waren die Grenzen dfcr Entstehung das 2. Jahrhundert vor Chr. (denn erst dann war eine irjiige Berührung der Inder und Griechen ein- getreten) und das 6. Jahrhundert nach Chr. (8. Vorrede au Pantsch.

Th. I p. XI.)

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bewegt, ja nöthigt zu der Annahme, dass die letzteren die Quelle waren, aus der unser Werk im buddhistischen Litera- turkreise hervorging." 1

Für diese Ansicht spricht auch der Umstand, dass der Buddhismus ganz besonders ein Freund von Fabeln, Parabeln und Legenden war. Stanislas Julien hat in zwei chine- sischen Encyklopädieen, deren ältere im Jahre 668 vollendet ward, eine grosse Menge indischer Fabeln in chinesischer Ueber- setzung gefunden, und es werden in einer dieser Encyklopädieen nicht woniger als 202 buddhistische Werke citirt, aus denen sie geschöpft hat.5

Seinem ursprünglichen Zwecke nach war das Paficatantra vermuthlich ein „Fürstenspiegel", ein Lehrbuch der Lebensweis- heit für Prinzen und Könige.8 Der Umfang des Werkes be- trug früher wie wir aus den ältesten Uebersetzungen sehen nicht 5 Bücher, sondern 12, und erst später wurde es zum eigentlichen Paficatantra oder „Fünfbuch".4 Der Name muss ursprünglich natürlich auch ein anderer» .gewesen sein; doch wissen wir nicht, wie er gelautet.6

Merkwürdige Schicksale hat das Paficatantra durchgemacht und viel Hesse sich davon erzählen. Fast gleicht es selbst eiuem Märchen, wie dieses Werk . gewandert ist von Land zn Land, von Jahrhundert zu Jahrhundert, überall sich heimisch zu machen wusste, die Sympathie der Ungelehrten, Unterhal- tungslustigen, die Bewunderung der Gelehrten und Weisen der fernsten Länder errang. Die verschlungenen Wege dieser Wan- derung sind vor Allem durch Benfey's bahnbrechende Unter- suchungen in seiner Einleitung zur Uebersetzung des Pafica- tuntra klargelegt worden.6 Suchen wir diese Wanderung we- nigstens in ihren Hauptzügen zu verfolgen.

1 Vorrede zu Pantsch. Th. I p. XI.

Benfey, a. a. 0. p. XII.

Benfey, a a. 0. p. XV. XVI.

4 D. h. ein aus fünf Büchern bestehendes Werk.

5 Man könnte vermuthen, dass das Werk ursprünglich, ebenso wie in den ältesten Uebersetzungen, nach den beiden Schakalen benannt war, die im ersten Buche die Hauptrolle spielen. Darnach hatte es etwa Karatakadamanakiyam heissen können, d. i. die Geschichte von Karataka und Damanaka, wie es im Arabischen Kaliiah und Dimnah, im Syrischen Kaiilag und Daninag heisst. Der Titel des ersten Buches hatte sich dabei zur Bezeichnung des ganzen Werkes erweitert, wie dies im Ara- bischen u. 8. w. thatsächlich der Fall war.

Pantschatantra, Fünf Bacher indischer Fabeln» Märchen und Erzählungen. Aus dem Sanskrit übersetzt mit Einleitung und Anmer- kungen von Th. Benfey. Erster Theil, Einleitung: üeber das indische

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Das Paficatantra wurde, wie schon erwähnt, im sechsten Jahrhundert unter Khosru Anushirvan in das Pehlewi, übersetzt Aus dem Pehlewi wurde es dann weiter in's Ara- bische übertragen. Die Pehlewi- Uebersetzung selbst ist uns nicht erhalten, wohl aber die arabische, und zwar in mehreren Recensionen. Hier trägt das Werk den Namen Kalilah und Dimnah. Dies sind die Namen zweier Schakale im Indi- schen Karataka und Damanaka welche im ersten Buche des Paficatantra die Hauptrolle spielen. Nach ihnen ist also hier das ganze Werk benannt1 und diesen Namen behält es auf seiner Wanderung noch lange bei. Aus dem Arabischen wurde es dann im 11. Jahrhundert durch einen gewissen Symeon 8eth in's Griechische übersetzt Im 12* Jahrhundert wiederum in's damalige Persisch, durch Nasr Allah. Auf dieser Ueber- setzung beruht die drei Jahrhunderte später verfertigte Bear- beitung von Hu sa in Va'iz, unter dem Titel Anvar-i-Suhaill, und ans dieser ist dann wiederum die türkische Recension geflossen. Auch in das Syrische fand unser Werk aus dem Arabischen seinen Weg, und ist diese syrische Uebersetzung erst in neuerer Zeit durch So ein aufgefunden und von B icke 11 edirt worden.* Am Wichtigsten für die Culturgeschichte sollte aber die Uebersetzung aus dem Arabischen in's Hebräische werden, die wahrscheinlich von einem Rabbi Joel angefertigt wurde, jedenfalls vor dem Jahre 1250. Diese hebräische Ueber- setzung wurde noch im 13. Jahrhundert durch Johann von Capua in's Lateinische übersetzt, und zwar sehr steif, mit fast sklavischer Treue.9 Aus dem Lateinischen des Johann von Capua wurde nun endlich im 15. Jahrhundert unter den Auspicien des bekannten Grafen Eberhard von Württemberg eine vortreffliche deutsche Uebersetzung angefertigt Die- selbe wurde gedruckt und gehörte sogar zu den ersten Erzeug- nissen der deutschen Buchdruckerkunst, die ja bekanntlich da- mals erst in's Leben trat, immerhin doch auch keine geringe Ehre, die dem indischen Fabelwerke gleich in Deutschland zu Theil wurde. Sie erschien zuerst sine loco et anno, wahrschein-

Grundwerk und dessen Ausflüsse, sowie über die Quellen und Verbrei- tung des Inhalts derselben. Zweiter Theil,. Uebersetzung und Anmer- kungen. Leipzig 1659.

1 VgL oben p. 522 Anm.

4 Als Kalilag and Damnag, mit noch sehr alterthümlicher Namens- form (Leipzig 1876).

* Die Utein. Uebersetzung fallt in die Jtfhre von 126a— 1278. Vgl. Benfey, Pantsch. I p. 15.

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lieh aber im Jahre 1480, unter dem Titel „Buch der Byspel der alten Weisen." Das Interesse an diesem Buche muss in Deutschland gleich ein bedeutendes gewesen sein, denn es er- lebte in kurzer Frist mehrere Auflagen, was für jene Zeit, wo der Bücherhandel erst im Entstehen war, gewiss viel sagen will Es wurde im Jahre 1483, dann 1484 und 1485 in Ulm neu aufgelegt, während zugleich 1484 auch in Augsburg eine neue Ausgabe erschien. Mehrere Jahrhunderte hindurch wurde es dann noch vielfach neu gedruckt, wenn auch leider in ziemlich schlechten Abdrücken.

Auf diese deutsche Uebersetzung legt Benfey ein grosses Gewicht, und mit Recht. In Indien wurde das Werk nämlich im Laufe der Jahrhunderte bedeutend umgestaltet, wie das bei indischen Profan-Dichtungen überhaupt häufig vorkam, so dass wir als die älteste Recension diejenige ansehen müssen, auf welcher die alte Pehlewi- Uebersetzung und darnach die ara- bische Uebersetzung beruhten, welche Recension wir aber nur aus diesen, resp. den daraus geflossenen Uebersetzungen kennen. Nun aber ist die Pehlewi-Uebersetzung verloren, die arabische im Laufe der Zeit vielfach umgestaltet, so dass wir als treu- esten Reflex der alten arabischen Uebersetzung die früher er- wähnte hebräische des Rabbi Joel betrachten müssen. Diese letztere ist nun freilich theils verloren, theils noch nicht edirt und muss man sich, um dieselbe kennen zu lernen, am Besten an die lateinische Uebersetzung des Johann von Capua halten. Diese aber ist wiederum ihrer schlechten Sprache wegen fast unlösbar, und so ergiebt sich merkwürdig genug , wie Benfey zeigt, die aus der lateinischen geflossene deutsche Ueber- setzung „gewissermassen als lesbar treuester Spiegel des alten indischen Grundwerkes.4*1

Die deutsche Uebersetzung vertritt also eine ältere Recen- sion, als wir sie jetzt irgend noch in Indien selbst vorfinden, und verdient demnach in hohem Grade uuser Interesse. Aus diesem Grunde habe ich es mir nicht versagen wollen, Ihnen einen Abdruck derselben vorzulegen, den die hiesige Universitäts- bibliothek besitzt, wenn derselbe auch erst aus dem Jahre 1545 stammt.*

1 S. Benfey, Vorrede zum Pantsch. I p. XXI.

* Der Titel lautet hier : „Der Alten Weisenn exempel sprach mit viel schönen Beyspilen und figuren erleuchtet. Darinnen fast alter menschen Wesen, Handel, Untrew, List, Geschwindigkeit, Neyd und Hafe? figuriert und angezeygt werden. In welchem auch nicht weniger der heymlich heyd und hafss, so sich bey weilen an Küniglichen und Fürst-

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Die deutsche Uebersetzung ist nach Benfey auch von wesentlichem Einfluss auf die spanische gewesen;1 aus der spanischen ist die italienische geflossen*, und auf dieser be- ruhen wieder die französische und die englische Ueber- setzung des Werkes.

Es Hessen sich die vielverschlungenen Bahnen, die unser Werk gewandert ist, noch sehr viel weiter verfolgen, aber das Angeführte wird vielleicht genügen, um eine Vorstellung davon zu geben, wie sich das Interesse an demselben von einer Nation zur anderen fortpflanzte, welche Bedeutung es für die Welt- literatur gewonnen, und wir thun wohl besser, wenn wir jetzt Einiges von dem Inhalte desselben kennen zu lernen suchen.

Hinsichtlich der Form und Anlage des Paficatantra, wie auch der anderen indischen Fabel- und Märchenwerke, ist vor Allem zu bemerken, dass in denselben eine Menge ver- schiedener Erzählungen in den Rahmen einer Erzählung eingefügt sind. Die in der Haupt- oder Rahmenerzählung auf- tretenden Personen erzählen sich die verschiedenen Geschichten wechselseitig, zur Belehrung oder zum Beweise der Richtigkeit ihrer speciellen Ansichten. In eine der erzählten Geschichten können dann wieder andere in gleicher Weise eingefügt sein, so dass wir schliesslich ein buntes, mosaikartig zusammen- gesetztes Bild vor uns haben, das, durch einen einheitlichen Rahmen zusammengehalten, doch eine Menge verschiedenartiger Geschichten und Bilder enthält.

Diese eigentümliche Rahmeneinkleidung ist mit den Mär- chen- und Fabelwerken der Inder auch in andere Länder ge- wandert und von manchen orientalischen Völkern, wie nament- lich den Arabern, Persern u. a. vielfach nachgeahmt worden, ja hat sich dort iür ähnliche Schöpfungen ganz eingebürgert; man denke nur an Tausend und Eine Nacht Nachahmungen derselben begegnen wir aber auch in unserer modernen Lite- ratur; ich brauche wohl nur an Dichtungen wie die Hauffschen

liehen höfen, zwischen Rhaten vnnd anderen des Regiments verwandten, mit falscher schmeychJerey vnd verrhaterey der bosahafftigen wider die getrewen vnd frommen antragen, gleich wie in eim Spiegel ersehen vnd erkant werden. Allen menschen mt alleyn fruchtbarlich vnd kurtzweilig, sonder auch schimpflich vnd ernstlich zu lesen vnd hören. Getruckt vnd volendt in der Loblichen Statt 8trassburg bei Jacob Frölich, als man zalt nach der Geburt Christi unsers Herren Tausend Fünfhundert Viertalg vnd fünff jar." Auch hier sind Kellila und Dimna die Haupt- personen.

* 8. Benfey, Vorr. s. Pantsch, p. VIII.

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r

Märchen (die Karavane, das Wirthshaus im Spessart u. dgL m.) zu erinnern.

Sehr charakteristisch für die indischen Fabeln und Märchen ist der Umstand, dass in dieselben eine reiche Fülle von Re- flexionen, Sentenzen, Sprüchen der Lebensweisheit ein- gefügt ist. Dies Element spielt überhaupt in der indischen Poesie eine grosse Rolle. Das Mahäbhärata ist ausserordent- lich reich daran, und auch andere Werke bieten uns viel der Art. Die Fabel mit ihrer Moral ist aber der Reflexionspoesie besonders nahe verwandt, und da können wir uns über das Hervortreten dieses Elements am wenigsten wundern, wenn es auch freilich bisweilen, wie z. B. in dem aus dem Paficatantra hervorgegangenen Hitopadeca sich fast über Gebühr vordrängt Im Uebrigen kann ich auf den Charakter dieser Sentenzen und Weisheitssprüche hier noch nicht näher eingehen. Es wird den- selben späterhin ein besonderes Capitel gewidmet werden.

Charakteristisch ist den Erzählungen des Paficatantra und der verwandten Werke ferner ein eigentümlicher Humor, mit dem alle möglichen menschlichen Verhältnisse in das Thierreich übertragen werden. Es muthet uns seltsam genug an, wenn Thiere sich in das Vedenstudium vertiefen, wenn sie sich äusserst weise über die Götter, die Heiligen und Helden der Vorzeit unterhalten oder die subtilsten Regeln menschlicher liebens- klugheit austauschen, dann aber plötzlich wieder das thierische Wesen durchbricht und sich mit einem Schlage der Tatze oder Aehnlichem zu seinem Rechte verhilft Ironie und Satire sind hier zu Hause, und in schonungsloser Weise werden die verschiedensten menschlichen Untugenden gegeisselt: das gleiss- nerische, intrigante Wesen der Höflinge, die Untreue der Weiber, die Heuchelei und Habsucht der Brahmanen, und vieles Andere.

Es waltet in diesen Schöpfungen durchaus eine gesunde Lebensbetrachtung vor, die einen heilsamen Gegensatz bildet zu den maasslosen tendenziösen Uebertreibungen anderer Dich- tungen, wo Alles immer darauf hinausläuft die Hoheit und Heiligkeit der Brahmanen zu ülustriren. Im Paficatantra re- agirt ein gesunder und kräftiger Volksgeist gegen solche Ueber- treibungen.

Eingeleitet wird das Paficatantra durch die Erzählung von einem König Amaracakti in Mihilaropya, einer Stadt des Südens. Dieser König hatte drei sehr dumme Söhne, bei denen

einen weisen Brahmanen namens Vishnucarman aufmerksam

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gemacht, wendet sich an ihn, und derselbe übernimmt es, die Königssöhne in sechs Monaten so weit zu bringen, dass sie an Lebensweisheit alle Anderen übertreffen. Darauf verfasst er das Paöcatantra* sie studiren es gemeinsam, und der Zweck wird wirklich in secjis Monaten erreicht1

Die Rahmenerzählung des ersten Buches,1 von welcher in Persien und Arabien das ganze Werk seinen Namen erhielt, ist in kurzen Worten folgende.

Ein Kaufmann Vardhamanaka zieht mit einer Karavane, um Handel zu treiben, über Land und hat zwei gute Stiere ror einen Wagen gespannt In einem Walde hat einer der Stiere, Samjivaka mit Namen, das Unglück, sich das Bein zu brechen, und wird von der Karavane im Stich gelassen. Aber durch die schöne Weide, die er dort findet, erholt er sich all- mählich wieder und wird zuletzt ganz gesund, so dass er freudig brüllend umhergeht Dies Gebrüll hört der Löwe Pingalaka, als er zum Ufer der Yamuna gehen will, um dort zu trinken, wird dadurch sehr in Furcht versetzt, glaubt, dass es ein un- geheures Thier sein müsse, welches so brülle, und kehrt um. Es sind aber zwei Schakale in seinem Gefolge, Söhne von früheren Ministern, Karataka und Damanaka mit Namen.9 Diese bemerken, dass der König von Muthlosigkeit befallen ist und berathen sich darüber. Karataka räth davon ab, sich mit Dingen zu befassen, die Einen nichts angehen, und erzählt zur Warnung die Geschichte vom übergeschäftigen Affen. Aber Damanaka will von den Plänen, die er sich geschmiedet hat, nicht ablassen. Er will den Grund der Furcht des Löwen er- forschen, ihn davon befreien und dadurch zur Ministerstellung gelangen. Es gelingt ihm auch, im Geheimen von dem Löwen zu erfahren, wovor er sich furchte. Darauf kundschaftet er den Stier aus und setzt ihn in Schrecken durch die Botschaft, dass der Löwe Pißgalaka, der in diesem Walde König sei, ihn vor sich fordern lasse, verspricht ihm aber dann, bei dem Löwen um Gnade für ihn zu bitten. Dem Löwen wiederum fabelt er vor, es sei dies der Stier des £iva und der Wald sei ihm von dem Gotte verliehen worden.

Der Löwe ist nun sehr froh, als der Schakal es zu Wege bringt, dass der Stier sich ihm als Gast nahen und in Freund-

Ganz Ähnlich ist die Einleitung zum Hitopadeca; nur ist es dort ein König Surtarcana in Pataliputra.

* Dies erste Buch ist '„Verfeindung Yon Freunden" genannt 3 Die arabischen KaliJah und Dimnah.

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schaft mit ihm leben will. Beide sind dein listigen Schakal äusserst dankbar dafür, dass er sie von der Furcht befreit hat, und Damanaka wird zum Minister erhoben. Pingalaka und Samjivaka befreundeten sich nun immer mehr, und der Iiöwe gab sich „dem Genuss der schönen Unterhaltung und Gesell- schaft des Samjivaka hin. Durch Samjivaka aber, welcher durch mancherlei Wissenschaften eine höh« Verstandesbildung sich erworben hatte, wurde in wenigen Tagen schon sogar der stumpfsinnige Pingalaka verständig gemacht. So Hess er ab vom wilden Leben und gewöhnte sich an gesittete Lebens- weisen." 1 Löwe und Stier pflegen jetzt Tag für Tag im Ge- heimen Rath, das Gefolge aber muss in der Ferne bleiben, so dass auch die beiden Schakale ganz zurückgesetzt werden. Darüber ist der Schakal Damanaka sehr ergrimmt und troti des Abrathens von Seiten seines Genossen Karataka setzt er eine schändliche Intrigue ins Werk. Dem Löwen sagt er, der Stier habe Verrätherei im Sinne, habe ihm gesagt, er wolle den Löwen tödten und ihn, den Schakal, dann zu seinem Mi- nister machen. Dem Stiere berichtet er, der Löwe habe ge- sagt: „Morgen bringe ich den Samjivaka um!" Als nun Samji- vaka anderen Tags mit unsicherem und Verdacht erregendem Wesen auftritt, fällt der Löwe über ihn her und zerreisst ihn, während er selbst von den Hörnern des Sjtierea verwundet wird. Dann aber überkommt ihn Schmerz um den verlorenen, einst geliebton Freund. Doch Damanaka weiss ihm auch dies auszureden. Der listige Schakal wird wieder Minister und ge- niesst ungestört die Früchte seiner Intrigue.

Die Gespräche zwischen den beiden Schakalen, zwischen dem Löwen und Schakal, dem Stier und Schakal u. s. w. geben Anlass zum Erzählen einer Menge von Geschichten.

Lassen Sie mich nun als Probe des köstlichen Humors, verbunden mit deutlicher Satire, eine der Erzählungen ans dem Paflcatautra herausgreifen.* Eine Krähe erzählt dort: Die Katze als Richter zwischen Sperling und Hase.5 Ich wohnte einst in einer gewissen Waldgegend auf einem grossen Feigenbaum. Darunter nistete in einer Höhlung ein Sperling, namens Kapiftjala. Wir brachten beide die Zeit damit zu, dass wir stets um Sonnenuntergang zusammenkamen, uns mannigfach schön unterhielten, die alten Thaten der Götter-

1 Benfey. Pautsch. I p. 32.

* Pafreatantra III. 2. Erzählung.

8 S. Benfey'a Ueberaetiung p. 231 flg.

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weisen, Königsweisen und Pricsterwoisen rühmten, und uns die ▼ielen Wunderdinge erzählten, welche wir auf unseren Wande- rungen gesehen hatten, und so genossen wir das höchste Ver- gnügen. Einstmals aber entfernte sich Kapifljala uud kam lange Zeit gar nicht mehr wieder, so dass ich um ihn trauerte und glaubte, er müsse umgekommen sein. Da kam einst ein Hase des Weges daher und nahm von der Sperlingsliöhlung Besitz, and da ich den Sperling todt glaubte, wehrte ich es ihm nicht. Aber eines Tages kam plötzlich der Sperling wieder und war von vielem Reisfressen ganz dick und fett geworden. Als er nun den Hasen gewahrte, rief er; „He, Häschen! Du thust Unrecht, dass du meine Wohnung eingenommen hast. Mach, dass du fortkommst !" Der Hase aber erwiderte: „Keineswegs! Dies ist nicht dein Haus, sondern gerade das meinige!*' Der Sperling sagte: „Dann müssen die Nachbarn gefragt werden, denn, wie Manu lehrt, gilt für Brunnen, Teiche, Cisternen wie Hauser und Lustgärten als Beweis der Nachbarn Versicherung."

Aber der Hase widerspricht ihm und sagt: „Thor! kennst du denn nicht den Spruch des Gewohnheitsrechtes:

Hat wer öffentlich zehn Jahre Felder und Aehnliches in Besitz, dann ist nur der Besitz Richtschnur und weder Schrift noch Zeuge gilt.

Ebensowenig, du Thor, hast du Narada's Urtheil berück- sichtigt:

Für den Menschen gilt als Richtschnur zehn Jahr ge- dauerter Besitz, für die Vögel und Vierfussler die Zeit, seitdem sie drin gehaust."

Da sagte der Sperling: „Dann müssen wir unseren Rechts- streit vor einen Gelehrten bringen.** Das Häschen fragte: „Lieber, wer soll denn über unseren Process entscheiden?** Der Sper- ling erwiderte: „Sollte es nicht die Katze, namens Dadhikarna (Milchohr), welche auf einer Insel der erhabenen GangA, ihre Tage in Busse, Kastoiung, Gelübden und tiefer Andacht zu- bringt, und Mitleid gegen alle Geschöpfe hegt?** Der Hase aber fühlte sein Innerstes vor Furcht erbeben und rief: „Nichts von diesem Bösewicht! Es heisst ja:

Nimmer sollst du Vertrauen schenken dem Bösen, heuchelt er Bosse gleich; auch an Pilgerorten sieht man Büsser, die fxöhnen ihrem Hals."

Mittlerweile ging die Waldkatze, namens Dadhikarna, nach- dem «e den Streit, welchen die beiden führten, gehört, um ;hnen Zutrauen einzuflössen, zu dem Ufer eines nahen Flusses, und eine Handvoll heiliges Gras haltend, ein Auge zukneifend,

v. Sehr$i*r, Indien* Ltt. «. Cttlt. 34

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die Arme in die Höhe gehoben, mit einem halben Fuss nur den Boden berührend, mit dem Gesicht zur Sonne gewandt, gab sie folgende Sittensprüche von sich: „Ach, wie schaai ist dieses All! Das Leben Täuschung eines Augenblicks! einem Traum ähnlich die Verbindung mit Geliebten! einer Sinnen- täuschung gleich die Umarmung der Seinigen! So giebt es denn kein Heil ausser der Tugend! Denn es heisst auch:

Alle Körper sind hinfällig; das Glück ruht nicht in eigner Hand; zu jeder Zeit ist Tod nahe; drum halte dich an Tugend fest!"

Als der Hase diese und andere Sittensprüche horte, sagt« er: „Hör! hör! Kapifijala, da steht der Büsser Tugend lehrend am Ufer des Flusses! Lass uns ihn fragen!" Der Sperling erwiderte: „Schön! Doch lass uns etwas entfernt bleiben. Es könnte geschehen, dass seine Gelübde nicht stark genug sind.0 Darauf riefen sie: „He! he! Büsser! Wir haben einen Rechts- streit! Du sollst entscheiden, und wer Unrecht hat, den sollst du fressen." Jener aber sprach: „Meine Lieben! Ums Himmelswillen sprecht nicht so! Ich habe den Weg, welcher zur Hölle führt, verlassen. Der Weg der Tugend ist: Nichts Lobendes zu verletzen. Darum werde ich Keinen essen, sondern nur entscheiden, wer Recht hat Allein ich bin ah und kann aus der Ferne den Inhalt eurer Rede nicht gut hören. Dies beherzigt und kommt in meine Nähe, um vor meinen Augen euer Recht auszuführen, damit ich mit richtiger Einsicht einen den innersten Kern des Processes treffenden Spruch falle und nicht meine ewige Seligkeit verscherze. Denn es heisst ja:

Wer, sei's aus Hochmuth, aus Habsucht, oder aus Feind- schaft oder Furcht in einem Rechtsstreit falsch urthedlt, wird fahren in den Höllenschlund.

Deswegen setzet eure Sache voll Vertrauen deutlich in der Nähe meiner Ohren auseinander!** Um es kurz zu machen: Der Bösewicht wusste allen Beiden rasch so viel Vertrauen ein- zuflössen, dass sie sich in seinen Schooss begaben. Alsdann aber packte er in einem und demselben Augenblick den einen mit dem Ende seines Fusses, den anderen mit seinem säge- gleichen Gebiss. Darauf verloren sie ihr Leben und wurden von ihm gefressen. Daher sage ich:

Der Hase und Kapifijala, auf ihres Rechts Entscheidung er- picht, wählten den Bösewicht zum Richter und kamen alle beide um.

Allerliebst humoristisch ist auch die Geschichte von dem Esel als Sänger erzählt1:

1 Pancatantra V, 7. Erzählung; vgl. Bonfey s üebersetzung.

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Ein Esel hatte Freundschaft mit einem Schakal geschlossen, sie brachen Nachts durch die Umzäunungen der Gurkenfelder und schmausten nach Herzenslust ihre Früchte. Einst sprach der Esel vor Stolz übermüthig zum Schakal: „Schwestersohn, sieh! die Nacht ist so klar, darum will ich einen Sang an- stimmen!" Aber der Schakal sprach: „Lieber, wozu unnützes Gelärm? Wir treiben Spitzbubenhandwerk! Diebe und Verliebte müssen sich versteckt halten! Ausserdem klingt dein Gesang keineswegs angenehm. Die Feldhüter werden erwachen und uns den Tod bereiton. Darum lass uns lieber die Gurken schmausen!" „Ach. sagte der Esel, du kennst den Zauber der Musik nicht, weil du im Walde wohnst!" Und nun recitirt er einen schwärmerischen Vers von der Seligkeit, die bei des Herbstes Mondenschimmer des Liedes Göttertrank gewährt. Der Schakal sprach: „Lieber, das ist wahr, aber du singst viel zu rauh, es würde uns nur schaden!" „Pfui, pfui, du Un- wissender, rief der Esel, ich sollte nicht wissen, was Gesang ist? So höre denn die Eintheilung: Sieben Töne und drei Ok- taven und einundzwanzig Intervall', und neunundvierzig Takt- arten, Quantitäten und Tempi drei." Und nun recitirt er in Strophen seine theoretischen Musikkenntnisse und fragt belei- digt: „Warum nennst du mich denn einen Unkundigen nnd willst mir wehren?" „Nun, sagte der Schakal, wenn du denn durchaus willst, so magst du singen, aber ich will mich nur vorher an die Thür der Umzäunung stellen, damit ich mich schnell retten kann." Da streckte denn der Esel den Hals aus und fing fürchterlich an zu schreien. Der Feldhüter erwachte, kam mit einem Knüppel herbei, prügelte den Esel weidlich durch und hing ihm einen durchlöcherten hölzernen Mörser um den Hals, Dann legte er sich wieder schlafen. Der Esel aber zertrümmerte den Zaun und machte sich mitsammt dem Mörser auf die Flucht. Da erblickte ihn der Schakal aus der Ferne und sagte lachend: „Obgleich ich dir doch sagte: Onkel, lass das Singen! liessest du doch nicht ab; nun ist als Lohn des Sangs dieser ganz neue Schmuck dir umgehängt"

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Siebenunddreissigste Vorlesung.

Beispiele von Fabeln, die ans Indien bis zu uns gewandert sind: Der Plane machende Brahmane. Die unfolgsame Schildkröte. Der gierige Schakal u. a. Beispiele von Erzahlungon, die buddhistischen Parabeln gleichen: Die Tauben. Der „Mann im 8yrerlandu. Beispiel eines ge- wanderten Marchens: Die Geschichte vom verwandelten König. Aus- gaben und Uebersetzungen des Pancatantra. Der Hitopadeca; Ausgaben und Uebersetzungen desselben. Verschiedene indische Marchenwerke. Wanderung der Märchen. Einiges aus der Vetalapancavimcati. Romane.

Wir wollen nun einige jener Geschichten uns etwas näher ansehen, die in so merkwürdiger Weise cfen Weg von Indien über so viele Länder bis zu uns gemacht haben. o

Sie entsinnen sich ohne Zweifel der Lafontaineschen Fabel von dem Mädchen, das mit dem Milchtopf auf dem Kopfe zu Markte geht, auf den Erlös der Milch in Gedanken schon alle möglichen Luftschlösser baut und dann, durch einen Freuden- sprung über das zukünftige Glück, den Topf mit Milch fallen lässt und damit all das erträumte Glück in Scherben schlägt Hören Sie nun das Urbild zu diesem lehrreichen Geschichtchen im Paficatantra1:

In einem gewissen Orte wohnte ein Brahmane, namens Svabhävakripana (von Natur ein Unglücksvogel). Dieser hatte mit dem erbettelten Reisbrei, der ihm nach dem Essen übrig blieb, einen Topf angefüllt; diesen Topf hatte er an einen Nagel an der Wand gehängt, darunter seine Bettstelle gestellt und schaute ihn nun in der Nacht ohne einen Blick davon zu ver- wenden, an und dachte dabei: „Dieser Topf ist doch über und über voll von Reisbrei.« Wenn nun eine Hungersnoth entsteht, dann wird er hundert Silberstücke einbringen. Dafür werde ich alsdann ein Paar Ziegen kaufen; da diese alle sechs Monat Zicklein werfen, so wird daraus eine Heerde Ziegen entstehen.

1 Pancat. V, 9. Erzählung; s. Benfey's Uebersetzung p. 345. »

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Dann für dio Ziegen Rinder! Sobald die Kühe gekalbt haben, verkaufe ich die Kälber. Dann für die Rinder Büffel! Für die Büffel Stuten! Sobald die Stuten geworfen haben, werde ich viele Pferde besitzen. Aus dem Verkauf von diesen löse ich viel Gold. Für das Gold bekomme ich ein Haus mit vier Ge- bäuden in einem Viereck. Dann kommt ein Brahmane in mein Haus und giebt mir ein sehr schönes Mädchen mit grosser Mitgift zur Frau. Die wird einen Sohn gebären. Dem werde ich den Namen Somacarman geben. Wenn dieser dann alt genug ist, um sich auf meinen Knieen zu schaukeln, dann werde ich ein Buch nehmen, mich hinten in den Pferdestall setzen und studiren. Mittlerweile, sieht mich Somacarman, und begierig, auf meinen Knieen zu schaukeln, klettert er von seiner Mutter Schooss und kommt zu mir dicht an die Hufen der Pferde. Dann werde ich, von Zorn erfüllt, der Brahmanin zu- rufen: Nimm das Kind! Nimm das Kind! Sie aber, mit Hausarbeit beschäftigt, hört meinen Ruf nicht Dann spring ich auf und gebe ihr einen Fusstritt." Indem er so in diese Gedanken versenkt war, sticss er mit dem Fusse so aus, dass der T pf zerbrochen und er selbst von dem Reisbrei, welcher sich im Topfe befand, weiss gefärbt ward. Daher sage ich: Wer unvernünftige Projekte über die Zukunft spinnet aus, dem geht's wie Somacarman's Vater: er liegt von Reisbrei weiss gefärbt

Hören wir nun, wie sich diese Geschichte in unserer alten deutschen Uebcrsetzung ausnimmt1:

Niemand soll in seinen Anschlägen zu stark fantisiren,2 dass er sein solbs nit vergess, dass ihm nit geschehe als dem Bruder,» der sein Fässlin mit Honig zerschlüge.

Man sagt, es wohnet einsmals ein Bruder der «dritten Regel, der Gott fast dienet,4 bei eins Künigs Hof, den versähe der Künig und gab ihm alle Tag zu Auffenthalt0 seins Lebens sein Kuchenspeiss 6 und ein Fässlin mit Honig. Dieser ass alle Tag die Speiss vor der Kuchen7 und den Honig behielt er in ein irden Fässlin, das hieng ob seiner Bettstatt, so lang bis dass es voll ward. Nu kam bald ein grosse Theurung in den Honig,

1 Daselbst p. LXXIII. Ich habe die, übrigens recht inconsequente, Orthographie des Originals der unserigen naher zu bringen gesucht, im Uebrigen aber die alte Sprache nach Möglichkeit in ihrem eigentüm- lichen Charakter beibehalten.

* phanta&iren. * d. i. Mönch. * Gott eifrig diente. 5 d. h- zur Erhaltung. Küchenspeise. * die Speise vor der Köche.

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und eines Morgens früh lag er in seinem Bett und sähe den Honig in dem Fässlin ob seinem Haupt hangen. Da fiel ihm in sein Gedanken die Theure des Honigs und fieng an mit ihm selbs zu reden: Wann dies Fässlin ganz voll Honig wird, so verkauf ich das umb fünf Gulden. Darumb kauff ich mir zehen guter Schaf, und die machen alle Jahr zwei Mal Lämmer. Und dann werden eins Jahrs zwentzig,1 und die und das von ihnen kummen mag,1 in zehen Jahren werden tausend. Dann kauff ich umb vier Schaf ein Kuh, und kauff dabei Ochsen und Aecker, und die mehren sich mit ihren Früchten, und dann nimm9 ich die Ochsen zu Arbeyt der Aecker. Und von den andern Kühen und Schafen nimm ich4 Milch und Wollen; eh dass nun fünf Jahr für kummen,.5 so würd es sich mehren, dass ich ein grosse Hab und Reichthumb überkommen würd Dann will ich mir selbs Knecht und Magd' kauffen und hohe und hübsche Bau thun* und darnach nimm ich ein hübsch Weib von einem edlen Geschlecht Und so empfaht sie1 und gebiert mir einen schönen, glückseligen und gottsforch- tigen8 Sühn* und der wird wachsen in Lehre und in Künsten und in Weisheit. Durch den lass ich ein guten Leimut10 nach meinem Tod. Aber wird er nicht gefolgig11 sein und meiner Straf nicht achten, ich wollt ihn mit meinem Stecken über die Lenden schlahen.11 Und nahm seinen Stecken, damit man pflag das Bett zu machen, ihm selbs zu zeigen, wie frevenlich11 er seinen Suhn schlagen wollt. Und schlüge das irden Fass, das ob seinem Haupt hieng, zu Stücken, dass ihm der Honig unter sein Antlitz und in das Bett troff Und warde ihm von allen seinen Gedanken nichts, dann dass er sein Antlitz und Bett waschen musst.

In diesem Fall, wie noch in vielen anderen, scheint mir die deutsche Uebersetzung deutliche Spuren davon zu tragen, dass sie eine ältere Recension repräsentirt, als die gegenwärtige sanskritische. So ist das Schlagen des zu erziehenden Sohnes weit natürlicher und einfacher als die künstliche Geschichte von dem Fusstritt gegen die Frau, die das Kind nicht zeitig von den Pferden wegnimmt Durch mancherlei Wandlungen ist dann bei Lafontaine aus dem Projekte machenden Bralimanen ein munteres Milchmädchen geworden, und wie hübsch und

1 Zwanzig. 1 die und was von ihnen kommen mag, d. b. ihre Nachkommenschaft. nehme. 4 nehme ich. 5 vergehen. Ge- bäude aufführen. 7 empfangt sie. * gottesfürchtigen. * Sohn. 10 Leumund, Ruf. 11 gehorsam. If schlagen. 13 rücksichtslos

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natürlich dort die Geschichte sich entwickelt, ist bekannt Aehn- liche Umwandlungen hat sich manche jener alten Fabelgestalten gefallen lassen müssen.

Als weiteres Beispiel einer so gewanderten Fabel diene uns die von der unfolgsamen Schildkröte1:

In einein gewissen Teiche wohnte einst eine Schildkröte namens Kambugriva Diese hatte zwei Freunde aus dem Ge- schlechte der Gänse, die die höchste Liebe zu ihr gcfasst hatten. Stets kamen diese zum. Ufer des Teiches; da erzählten sie sich viele Geschichten von den Weisen unter den Göttern, Brah- manen und Königen, und zur Zeit des Sonnenuntergangs gingen jene in ihr Nest zurück. Aus Regenmangel fing der Teich aber an auszutrocknen. Da sagten jene: „Ach, Freund, wie wirst du nun bestehen können? In unserem Herzen ist Betrübniss!" Da sprach Kambugriva: „Ich kann ohne Wasser nicht leben, aber lasst uns ein Hülfsmittel ersinnen. Sucht einen Teich auf, der viel Wasser enthält Bringt einen Stock, den fasse ich in der Mitte mit den Zähnen,» ihr ergreift die beiden Enden mit den Schnäbeln und fuhrt mich so zu jenem Teich." Die Beiden sagten: „0 Freund, das wollen wir thun! aber du musst still- schweigen wie ein Heiliger, der Schweigen gelobt hat; wo nicht, so wirst du vom Stock herabfallen und dann in Stücke bre- chen." Die Schildkröte sagte: „Gewissl ich übernehme das Gelübde zu schweigen von jetzt an, bis ich vermittelst des Fluges durch die Luft den Teich erreicht habe." Nachdem so geschehen, erblickte Kambugriva auf seinem Fluge eine unter ihm befindliche Stadt; deren Bewohner, da sie ihn so fortge- führt sahen, riefen voll Erstaunen: „Ah! da wird etwas von «wei Vögeln durch die Luft gefahren! seht! seht!" Kambugriva aber wollte eben sagen: „Ach, was ist das für ein Lärm?" aber ehe er 9 es noch halb gesprochen, fiel er herab und wurde von den Stadtbewohnern in Stücke zerrissen.

Lassen Sie mich diese Geschichte nun noch in der Fassung der alten deutschen Uebersetzung vorführen4:

Es waren in einem Feld bey einem Brunnen bey einander in Gesellschaft zween Vögel und ein Schildkrot* Und auf ein Zeit begab sich dass es nit regnet und versiege0 der Brunn

*

1 Pancat: I, 13. Erzählung; s. Benfey's Uebers. p. 90. 1 Ich habe dies nach der Berliner Handschr. gegeben, vgl. Benfey Amn 365.

3 Die Schildkröte ist im Sanskrit mannlichen Geschlechts. * Daselbst p. XXVUI a. 5 Schildkröte. versiegte.

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und warde das Erdrich 1 fast' dürr. D esshalben wurden die Vögel zu Rath, sich von der Statt an ein ander Ort, da nit G ehrest 8 des Wassers wäre, zu thun,4 und giengen zu der Gcbildkrotten, Urlauh5 von ihr zu nehmen, und sagten ihren Sehresten des Wassers. Die Schildkrot gab ihn* Antwurt und sprach: Ich weiss, dass euch nit Wasser gebresten mag, ihr mügent 7 das allweg zu euer Nothdurft erholen.8 Aber mir armen, die alleyn im Wasser leben muss, mag daran gebresten, und bitt euch, thut mir Gnad* und nehmet mich mit euch! Sie sagten ihr das zu und sprachen: Nun luge, wenn wir dich durch den Luft10 fuhren, bekumpt dir jemands,11 dass du nit redest Oder fragt dich jemands, so hüt dich, dass du nit Antwurt gebest. Sie sagt das zu ze thun. Da sprachen sie zu ihr: Nimm ein klein Hölzlin11 in deinen Mund und behalt das gar hart19 in deinen Zähnen, so will ich das an eim End14 und mein Gesell an dem andern End nehmen und dich also fliegend mit uns durch die LüfV führen an die Statt, die wir auserwählt haben. Das geschähe also. Und da sie ihn durch die Lüft' in der Höhe führten, da sahen sie, dass etliche seins Geschlechts schrawen15 zu ihm: Wunder, sehet und schauwet Wunder, da fleugt die Schildkrot durch die Lüft* zwischen zweien Vögeln. Da das die Schildkrot erhört,16 ab sie Ant- wurt: Ja, ich fleug hie, ob euch das weh thut!17 Und als sie ihren Mund aufthat zu reden, da entgienge ihr das Hölzlin aus ihren Zähnen, und fiel hernieder zu der Erden, dass sie starb.

Hier scheint mir wieder in der alten deutschen Ueber- setzung manches besser motivirt als in der sanskritischen Version. So ist es gewiss besser, wenn die Vögel der Schildkröte den klugen Vorschlag1 machen, sie durch die Luft zu fahren, als wenn die Schildkröte, die sich doch gleich so thöricht erweist, selbst auf diesen Einfall kommt. Auch das Sprechen wird hier besser motivirt, indem sie, durch die Worte der andern Schild- kröten gereizt, ihnen gegenüber gross thun will und nun gleich bestraft wird. Endlich ist es auch in der sanskritischen Version ganz unnütz, dass sie noch von den Stadtbewohnern in Stücke gerissen wird. Ich glaube, wir sehen auch hier wieder in so einzelnen Zügen, dass die deutsche Uebersetzung eben eine

1 Erdreich. 1 sehr. 3 Mangel. 4 zu begeben. 6 Abschied. 6 ihnen. T ihr möget, könnet. * für enre Nothdurft beschaffen. 9 thut mir die Gnade. 10 durch die Luft " triffist du Jemand. " Hölzlein, 8tock. recht fest 14 an einem Ende. 15 schrieen. 16 hörte. " wenn euch das auch weh thut, Ärgert.

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ältere und bessere Reccnsion wiederspiegelt Die Fabel, wie sie Lafontaine erzählt, brauche ich wohl nicht wiederzugeben; sie stimmt im Wesentlichen mit dem eben Erzählten überein.

Auch die Geschichte des Paficatantra vom allzu gierigen Schakal finden wir in der alten deutschen Uebersetzung wie auch bei Lafontaine wieder, nur ist hier aus dem Schakal ein Wolf geworden.

Das Paficatantra erzählt1: Einst stiess ein Jäger im Walde auf einen grossen Eber. Er schoss denselben nieder, aber der Eber hatte noch gerade Kraft, ihm mit seinen Hauern den Leib aufzureissen. Nun lagen beide, Jäger und Eber, todt da. Da kam ein Schakal von ungefähr herbei und als er die beiden Leich- name erblickte, rief er voll Freude: „Haha! Das Schicksal ist mir gewogen! Darum wird mir diese unerwartete Speise zu Theil! Ich will dies aber nun so gemessen, dass ich für viele Tage Lebens- unterhalt habe; darum will ich jetzt nur die Sehne des Bogens essen!" Er nahm darauf die eine Spitze des Bogens dort, wo die Sehne daran befestigt ist, in den Mund und fing an, die Sehne zu zernagen. Aber sobald sie durchgebissen war, fuhr die Spitze des Bogens ihm mit Gewalt den Gaumen zerreissend in den Kopf, sodass er todt war.

Es ist hier offenbar ein sehr grosser, starker Bogen ge- meint, wie ihn ja die Inder trugen (mannshoch). Bei Lafon- taine ist der Bogen gerade gespannt, und wie der Wolf sich mit ihm zu schaffen macht, geht er los und der Pfeil tödtet ihn.

Eine andere Erzählung, die ganz den Eindruck einer bud- dhistischen Parabel macht, findet sich nicht in dem sanskriti- schen Paficatantra, wie uns dasselbe jetzt vorliegt, wohl aber in der alten arabischen Uebersetzung und den auf ihr beruhenden weiteren Uebertragungen, so auch in der alten deutschen. Es ist jene geistvolle Parabel, die den Stoff geliefert hat zu Rückert's bekanntem Gedicht: Es ging ein Mann im Syrerland u. 8. w, Sie schildert das leichtsinnige Treiben der Menschen, die, um- ringt von den schrecklichsten Gefahren, rettungslos dem Elend und Tod verfallen, doch noch gedankenlos in den wenigen ihnen geschenkten Augenblicken sich dem Genuss der sinnlichen Freuden hingeben.2

1 Paöcat. II, 3. Erzählung.

* Vgl. Benfey's Pantschat. Th. I p. 80. 81. Das Thier, vor wel- chem der Mann flieht, ist in der arabischen Uebersetzung ein Elephant ; bei Johann von Capna and der nach ihm angefertigten deutschen Ueber- setzung ist es ein Löwe.

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Noch eine andere Geschichte, die ebenfalls ganz einer buddhistischen Parabel ähnlich sieht, die sich aber fast wörtlich ebenso auch im Mahabharata findet,1 ist die vom Jäger und den Tauben.

Ein Jäger schweifte im Walde umher und fing ein Taubeu- weibchen, das er in einen Käfig setzte. Da brach ein schreck- liches Unwetter aus. Der Jäger flüchtete schutzsuchend zu einem Baum, berührte denselben und sprach: „Wer immer hier wohnt, zu dem komme ich schutzflehend als ein Gast." Es wohnte dort aber der Tauberich, der um die verlorene Gattin klagte. Das Taubenweil aen aber sprach zu seinem Männchen: „Höre, Geliebter, der Vogelsteller liegt Zuflucht suchend vor deinem Haus, gequält von Kälte und Hunger. Vollziehe an ihm die Pflicht der Gastlichkeit; denn mit dem Leben selbst musst du beschützen, wer um Schutz dir naht Sei auch jenem nicht feindselig, weil er deine Geliebte fing! Mich fingen meine eignen Thaten, die Banden meines früheren Thuns!" Als der Täuberich diese Worte hörte, sprach er zu dem Jäger: „Lieber, du bist willkommen! Sieh dies Haus wie dein eigenes an! Sage, was kann ich für dich thun?" Der Jäger erwiderte: „Täub- chen, mich quält die Kälte, schaff mir Schutz vor dem Froste." Da machte die Taube schnell ein Feuer an, und als dieses hell brannte, sprach sie: „Ich bin sehr arm und habe nichts zu essen vorräthig für dich. Darum will ich denn meinen eignen schmerzvollen Körper dazu verwenden! Ich werde dich sättigen, warte nur einen Augenblick!" Damit stürzte sich das Täubchen selbst in die Flamme. Den Jäger aber ergriff heftiges Mitleid um die hochherzige Taube, er klagte sich selbst der bösen Sünden an und gelobte Busse. Dann zerbrach er Knittel und Spiess, zerriss das Netz und Hess das Taubenweibchen fliegen. Diese« aber klagte: „Jetzt kann mir das Leben nichts mehr nützen, da mein Geliebter todt ist!" Und damit stürzte es sich auch in die Flamme. Da sah es seinen Täuberich mit himm- lischem Leibe und himmlischem Schmuck auf einem Götter- wagon stehen. Freudig begrüsste er sein Weib, das ihm in rechter Weise nachgefolgt war, und nun genossen sie gemein- sam die Freuden des Himmels als Folgen früherer Verdienste.

Diese Hingabe des eigenen Leibes zur Sättigung eines Anderen ist echt buddhistisch und manche analoge Geschichte wäre leicht aus dem buddhistischen Parabelschatze dem an die

1 MahÄbh. XII, 5462—5592.

* 8. Benfey'a Uebera. p. 247; Einleitung p. 365.

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Seite zu stellen. Es ist dies denn auch nach Benfey ursprüng- lich eine buddhistische Legende, oder doch durch eine solche veranlasst1

An hübschen und originellen Märchen birgt das Pafica- tantra eine bedeutende Anzahl, und manches Interessante liesse sich über die Wanderang derselben erzählen. Als Beispiel mag uns ein Märchen dienen, das auf dem Glauben beruht, man könne durch Zauberkünste seine Seele in todte Körper von Menschen und Thieren versetzen Dasselbe hat sich in einer Fülle von Umgestaltungen im Morgen- wie Abendlande ein- gebürgert und ist ebenso originell in seiner Komposition wie merkwürdig durch seine Geschichte.

Es wird erzählt: In der Stadt Lilavati lebte ein König namens Mukunda. Dieser hatte einen buckligen Possenreisser, den er nie von seiner Seite Hess, auch nicht, wenn er geheimen Rath pflegte, obgleich sein greiser Minister ihn ernstlich davor warnte. Einst kam ein zauberkundiger Büsser zu dem König und lehrte ihn das Geheimniss, wie man in todte Körper fahren könne. Während nun der König sich die Formel dieser Be- schwörung einübte, war der Bucklige neben ihm und lernte dieselbe heimlich ebenfalls. Einst stiess der König im Walde während er jagte, auf den Leichnam eines Brahmanen, der da- selbst vor Durst gestorben war. Er gedachte nun die Wirk- samkeit der Beschwörung zu prüfen, sprach die Formel und fuhr alsbald in den Leichnam des Brahmanen. Als aber der Bucklige dies sah, sprach er sogleich auch die Formel und ver- setzte seine Seele in den leblos daliegenden Körper des Königs. Darauf bestieg er rasch des Königs Pferd und sagte zu diesem: „Jetzt werde ich König sein, du aber gehe, wohin du wülst." Damit ritt er fort und wurde im Palast als König empfangen. Der wahre König aber ging traurig in dem Körper des Brah- manen fort und klagte sich selbst bitter an wegen seiner Un- vorsichtigkeit. Er wagte es nicht, in den Palast zu gehen, weil er einsah, dass er mit seiner Erzählung doch keinen Glauben finden würde. Der Bucklige aber in dem Körper des Königs führte sehr unzutreffende Rede, sodass die Königin zu dem greisen Minister sagte: „Dies ist auf keinen Fall der wirkliche König, denn er spricht ganz unzutreffende Worte, die gar nicht zu den Fragen passen." Der Minister überzeugte sich auch davon und sann auf ein Mittel, den wahren König ausfindig zu machen. Er Hess alle Tage Speisen an die bedürftigen Fremd-

1 Benfey, PanUchatantra 1 p. 366.

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linge vertheilen, wusch jedem derselben selbst die Füsse, und recitirte dabei einen Halbvers, von welchem nur der König die andre Hälfte kannte. Als der König davon hörte, ahnte er den Sinn dieser Maassregel. Er ging hin, liess sich ebenfalls speisen und von dem Minister die Füsse waschen, und als dieser den einen Halbvers sagte, fügte er sogleich die zweite Hälfte desselben dazu. Da erkannte ihn der Minister, fragte ihn aus, und ht König erzählte seine ganze Geschichte. Da ersann der Minister eine List Der Königin war eben ihr Papagei gestorben und sie jammerte über seinen Verlust. Da sagte der Minister zu ihr: „Herrin, dieser Papagei wird uns als Mittel dienen, unsern Zweck zu erreichen. Rufe den falschen König und sage ihm: Giebt es einen Zauberer in dieser Stadt, welcher bewirken kann, dass dieser Papagei nur ein einziges Wort noch spricht? Dann wird jener, stolz auf seine Wissenschaft, sich damit brüsten wollen und aus dem königlichen Leib in den des Papagei fahr an. In demselben Augenblick wird der wahre König, hinter mir stehend, sich in seinen eignen Körper versetzen und seine könig- liche Herrschaft wiedererlangen." So geschah es auch wirklich. Der Minister aber nahm den Papagei, in welchem nun die Seele des Buckligen steckte, und brachte ihn um.

Dieses Märchen findet sich schon bei den Indern selbst in noch mehreren anderen Versionen; so in Somadeva's Märchen- sammlung und in einer Geschichte der indischen Könige. Es ist dann weiter in eine ganze Reihe orientalischer Märchen- bücher übergegangen, zum Theil in ziemlich starker Umgestal- tung. Es findet sich in dem nach einem persischen Original bearbeiteten türkischen Papageienbuch es ist auch zu den Juden gewandert und ist dort Salomo zum Helden der Erzäh- lung gemacht, deren Motive aber stark geändert sind, indem der König für seinen strafbaren Hochmuth von Gott selbst ge- züchtigt wird. Der Dämonenkönig Aschmedai nimmt in Gestalt des Salomo dessen Thron ein, und Salomo irrt Verstössen umher, sprechend: „Ich Prediger war König!"1 bis er, genug gsdemü- thigt, wieder in die Herrschaft eingesetzt wird. Auch der babylonische Talmud und die Kabbala haben die Legende.'

Endlich ist das Märchen auch ins Abendland gewandert und hat eine Fülle von Bearbeitungen erfahren, deren inter-

1 Diese Worte des Predigers Salomo haben oflenbar den Anlssa dazu gegeben, die Geschichte auf Salomo zu übertragen, weil sie den Anschein erwecken, als wäre Salomo eine Zeitlang nicht König gewesen.

a S. Varnhagen, p. 18. 19 der in der folg. Anm. citirten Schrift

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essante Geschichte von H. Varnbagen in einer besonderen Schrift entwickelt ist.1

Der Grundtext, auf welchen die occidentalischen Bearbei- tungen zurückgehen, hat etwa folgende Gestalt:

Ein gewaltiger, stolzer König überhebt sich und glaubt, dass seine Macht der Macht Gottes gleich käme. Eines Tages auf der Jagd will er ein Bad nehmen, entfernt sein Gefolge und steigt ins Wasser. Da erscheint ein Engel, nimmt des Königs Gestalt an, bekleidet sich mit seinen Kleidern, geht zu dem Gefolge und kehrt als König im Paläste ein. Der wahre König muss nackt um Schutz und Hülfe suchen, wird aber von den Seinigen verlacht, geschlagen und fortgejagt. Sein eigenes Weib verleugnet ihn. Er wird in das tiefste Elend gestürzt. Da erkennt er seine Sünde, demüthigt sich vor Gott und erhält von dem Engel endlich Reich und Herrschaft wieder.1

Sie sehen hier schon eine sehr starke Umwandlung der Motive, dennoch erkennt man den ursprünglichen Kern des Märchens wieder. ist im Abendlande moralisch vertieft und hat einen christlich-legendären Charakter bekommen. Im Mittel- alter vi dieser Stoff behandelt worden in den Gesta Romanorum, vom Stricker, von H. v. Wildonie, Rosenblüt, Reimundus u. A. In der neueren Zeit von Hans Sachs, nicht nur in einem Meister- liede, sondern auch in einem fiinfaktigen Drama, betitelt „Ju- lianus der Kayser im Badt"; ferner von Abraham a S. Clara, von Langbein, Longfellow u. a.; er liegt einem englischen wie auch einem dänischen Drama zu Grunde u. s. w.3

Noch manches Märchen, manche Geschichte des Paficatantra wäre wohl werth, besprochen zu werden, aber wir dürfen uns nicht länger bei diesem Werke aufhalten, und so will ich denn nur noch bemerken, dass der Text desselben herausgegeben ist von J. G. L. Kosegarten;4 und dann später von Kielhorn und Bühler.6 Die Ueberaetzung von Benfey haben wir be- reits erwähnt Neuerdings ist aber auch noch eine von L. Fritze erschienen.6

1 Hermann Varnhagen, Ein indisches Märchen auf Beiner Wande- rung durch die asiatischen und europaischen Literaturen, Berlin 1882.

* Vgl. Varnhagen a. a. 0. p. 28.

* Man Tgl. die Stammtafel am Schluss von Varnhagen's interessanter Abhandlung.

* Bonn 1848.

* Bombay Sanskrit Serie*, 1868 flg.; 2. Aufl. Bombay 1882.

4 Pantschatantra. Ein altes indisches Lehrbuch der Lebens- klugheit in Erzählungen und Sprüchen. Aus dem Sanskrit neu übersetzt von Ludwig Fritze, Leipzig 1884.

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Zum grössten Teil aus dorn Paficatantra geschöpft ist auch das berühmte Fabelbuch Hitopadeca oder „der gute Rath, die nützliche Unterweisung". Schon die Einleitung stimmt mit der des Paficatantra überein, nur dass der König, dessen Söhne gebildet werden sollen, hier Sudar^ana von Pätaliputra heisst Die früher besprochene Rahmenerzählung des ersten Buchs im Paficatantra, von den beiden Schakalen, bildet im Hitopadeca das zweite Buch, während wiederum das erste Buch des Hito- padeca dem zweiten des Paficatantra entspricht In Bezug auf die Art der Erzählung mag noch bemerkt sein, dass im Hito- padeca das sententiöse Element weit stärker hervortritt als im Paficatantra. Die Zahl der schönen und tiefsinnigen Sprüche ist hier sehr reiche bisweilen aber so gross, dass der Gang der Erzählung dadurch einigermasson behindert wird.1

In Indien ist dies eines der beliebtesten und bekanntesten Bücher. Schon im J. 1787 erschien eine englische Ueber- setzung desselben in London von dem verdienten Wilkins. durch die das Interesse für den Hitopadeca auch in Europa geweckt wurde. Die beste' Textausgabc des Werkes ist die von A. W.v.Schlegel nebst kritischem Commentar von Chr. Lassen.1 Eine treffliche Üebersetzung veröffentlichte Max Müller schon im J. 1844. 3 Auch Ludwig Fritze gab das erste Buch des Hitopadeca in deutscher Uebersetzung heraus (Breslau 1874), und neuerdings ist das ganze Werk in sehr hübscher, angenehm lesbarer Form von J. Schoenberg übersetzt4

Wir haben weiter noch eine Reihe von Märchen- und Erzählungswerken anzuführen, die zum grossen Theil ebenfalls für die Weltliteratur von Bedeutung geworden sind. So z. B.

1 Proben der Fabeln des Hitopadeca brauche ich wohl nicht an- zuführen, da das Meiste eben aus dem Paficatantra stammt Von den Sprüchen ist Einiges bereits früher angefahrt und wird weiter unten noch eine Anzahl vorkommen.

1 Schlegel'* Text erschien in Bonn 1829; Lassen's Commentar 1831. Die erste Textausgabe veranstaltete Carey schon i J. 1804. zu Serampur; an diese schlosa sich i. J. 1810 die Ausgabe von Hamil- ton (London); in Deutschland wurde die Einleitung und das 1. Buch durch G. H. Bernstein, Breslau 1823, herausgegeben; dann folgte die, alles Frühere weit überragende Ausgabe von Schlegel. Spater auch noch herausgeg. Bombay 1872; Calcutta 1880.

8 Leipzig 1844.

* Der H itopadescha. Altindische Märchen und Sprüche. Au* dem Sanskrit übersetzt von J. Schoenberg, Wien 1884. Eine deutsch* Uebersetzung des Hitopadeca lieferte auch Dorsch, Tübingen 1853; eine sehr gute französische Lancereau, Paris 1855; eine griechiarJi^ Galanos (vgl. Benfey, Pantschatantra I p. 19 Anm.).

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dia Vetälapancavimcati oder „25 Erzählungen eines Vetala«, d. i. einer Art Dämon, wie sie in die Körper Verstorbener zu fahren pflegen. Ferner die, (Jukasaptati oder „70 Erzählungen eines Papageien"; dann die Simhasanadvatrimgati oder „32 Erzählungen des Thrones des Vi'kramaditya", auch Vi- kramacarita oder „Abenteuer des Vikrama" genannt; weiter das schon früher erwähnte grosse Märchenwerk des Somadeva, genannt Kathasaritsagara oder „Meei der Märchenströme"; endlich das zu vennuthende Original des sogenannten Sind ab ad - Kreises.

Auch diese Märchen sind nun auf verschiedenen Wegen durch Orient und Occident gewandert Theils waren es die Perser, die Araber und andere mohammedanische Völker, die sie aufnahmen und verbreiteten, theils die buddhistischen Völker, unter denen insbesondere die Mongolen hervortreten. Der Buddhismus zeigt sich als der „ganz eigentliche Träger von Fabeln und Märchen'4,1 and hat Benfey bei mehreren dieser Sammlungen ihren ursprünglich buddhistischen Charakter auf- gezeigt."

Die Araber verschafften diesen Märchen insbesondere in: Süden von Europa durch ihre langdauernde und culturgeschicht- bch so wichtige Herrschaft in Spanien Eingang; hier fand die Uebertragung vor Allem schriftlich, aus einer Literatur in die andere statt Die Mongolen wiederum bürgerten dieselben durch ihre 200jährige Herrschaft in Russland wie auch durch noch andere Berührungen im Osten ein, und hier fand die Mittheilung hauptsächlich auf dem mündlichen Wege statt Doch warer. diese Sammlungen zum Theil auch hier schriftlich fixirt und in die mongolische Literatur übergegangen. So besitzen wir eine höchst werthvolle. mongolische Bearbeitung der Vetala- cavimcati unter dem Titel Ssiddi-kür,3 was etwa so viel eutet wie „Vetalazauber".4 Ferner eine mongolische Be- arbeitung der 32 Erzählungen des Thrones des Vikramaditya, unter dem Titel „Geschichte des Ardschi Bordschi Chan".6

1 S. Benfey, Pantsch. I p. 24.

* So Vetalapaftcavinicati und Smihasanadvatriincati; vgl. Benfey, Pantschat. I p. 21 und 23.

3 Id deutscher Uebersetzung von Benjamin Bergmann, Noma- dische Streifereien im Lande der Kalmücken, I 247 flg.; theil weise auch in Kletke's Märchensaal III, 1 flg. S. Benfey a. a. 0. p. 2? Anm. 1.

* Sanskr. Vetalasiddhi; kür ist ein mongolisches Wort. 8 S. Benfey, Pantsch. I p. 23.

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DieVetalapaficavimc,ati hat in Kürze folgende Rahmen- einkleidung. Zu dem Könige Vikramaditya, der in Ujjayini re- sidirte, kam ein zauberkundiger Yogin oder Büsser, der durch Geschenke wunderbarer Art die Aufmerksamkeit des Königs erregte. Im Geheimen befragt, theilt er dem Könige mit, dass er in der vierzehnten Nacht der dunklen Monatshälfte eine Beschwörung auf einem grossen Kirchhofe veranstalten werde, zur Erlangung hoher Zauberkräfte; er fragt ihn sodann, ob er nicht mit ihm gemeinsame Sache machen wolle. Der König willigt ein und kommt zur bestimmten Zeit wirklich an den unheimlichen Ort. Dort erklärt ihm nun der Zauberer, er müsse von einem Baume in bestimmter Entfernung einen Leichnam, der dort aufgehängt sei, herabnehmen und an den Ort der Beschwörung tragen, dürfe aber während dieses Werkes kein einziges Wort reden. In dem Leichnam aber hatte ein VetAla, ein Dämon, wie sie in die Körper Verstor- bener zu fahren pflegen, seinen Sitz genommen. Wie nun der König den Leichnam heruntergenommen und ihn auf seinen Schultern zu dem Zauberer hui tragen will, fangt der Dämon in der Leiche plötzlich an zu reden und sagt: „Höre, König, ich will dir eine Geschichte erzählen !" Und dann erzählt er ihm ein hübsches sinnreiches Märchen. Am Schluss aber fragt er: „Nun, König, sage, wer trägt denn hier die Schuld? Wenn du es weisst und nicht sagst, wird das Herz dir zerreissen und du wirst sterben« Als aber der König seine Meinung sagt, da geht der Leichnam plötzlich von ihm fort und hängt wieder an dem Qimcapa-Baume. Nun muss er den Weg zurück machen und die Leiche noch einmal herunterholen. Wie er sich aber aufs Neue auf den Weg macht, fängt der Dämon wieder an: „Höre, König, ich will dir was erzählen." Und dann spitzt sich die Geschichte am Ende wieder zu einer Frage zu, und wenn der König sie beantwortet, hängt der Leichnam plötzlich wieder da, wo er zuerst gehangen. Das wiederholt sich 25mal. So entstehen die 25 Erzählungen des Dämonen. Es sind dar- unter sehr hübsche, echt orientalische, sinnvolle und farben- prächtige Märchen.1 Vor allem aber sind sie darauf angelegt, auf ein spitzfindiges Problem am Ende auszulaufen, oft mit viel Geist componirt. Ich will nur eine kurze Probe dieser Art geben. Der Dämon erzählt:

1 In dem ersten Märchen ist die echt orientalische Art, mit der sich Liebende durch Zeichen und Symbole, z. B. aus der Pflanzenwelt u. ohne Worte verständigen, in sehr habscher Weise durchgeführt

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„In einer Stadt lebte ein Brahmane, der hatte eine sehr schöne Tochter. Um die bewarben sich vier Freier, Brahmanen ▼on gleicher Trefflichkeit, sodass der Vater nicht wussto, wel- chem er sie geben sollte. Da wurde das Mädchen von einer Schlange gebissen und starb. Keine Beschwörung vermochte sie wieder ins Leben zu rufen, und sie wurde endlich auf dem Kirchhofe verbrannt Die vier Freier waren mit hinausgegangen. Der Eine von ihnen stürzt sich in die Flammen und verbrennt mit der Leiche der Geliebten. Der Zweite sammelt die Aschen- Überreste und bleibt ganz auf dem Kirchhofe, um sie beständig zu hüten. Der Dritte geht einfach nach Hause, der Vierte aber wandert in die weite Welt Dieser letztere kommt nun zufällig in das Haus eines Brahmanen. Bevor sie zu Tische gehen, wird das Kind im Hause durch Schreien und Weinen lästig, da nimmt Brahmanin und wirft es ins Feuer. Höchlichst

entrüstet will nun unser Wanderer nicht mit speisen in einem Hause, wo so gräuliche Dinge geschehen. Der Hausherr hält ihn aber zurück, holt ein Büchelchen hervor, murmelt einige Sprüche, und das verbrannte Kind wird wieder lebendig. Das merkt sich unser Wanderer; er bleibt da und stiehlt bei Nacht das Büchelchen mit den Sprüchen, die so gewaltige Kraft in sich tragen. Dann geht er auf den Kirchhof zu den Gebeinen der Geliebten, murmelt die Sprüchlein, und siehe, sie wird wieder lebendig. zugleich aber auch der erste Freier, der sich mit ihr verbrannt hatte. Auch Jener, der in sein Haus gegangen war, hört davon und kommt herzu, und die Vier fangen nun an, blind vor Zorn, sich miteinander um das Mädchen zu streiten. Nun, König, sage, welchem von ihnen wird sie gehören?" Das ist doch eine hübsche verwickelte Räthsel- frage. Die Antwort des Königs wird Sie wohl weniger befrie- digen, denn dieser meint: Derjenige, welcher ihr das Leben neu schenkte, ist gewissermaassen ihr Vater geworden! Der, welcher sich mit ihr verbrannte ist einem Bruder gleich zu achten! Der, welcher die Knochen beständig bewachte, verdient ihr Sklave zu sein! Der aber, welcher einfach nach Hause ging, der soll sie als sein Weib heimführen!1

Sehr fein ist die Rahmeneinkleidung in der Qukasaptati oder den 70 Erzählungen eines Papageien.

1 Es ißt dies die 2. Erzählung der Vettlap. Den Sanskrit-Text derselben findet man auch in Lassen's Anthologie, p. 12 flg. Die Ve* talapaScavim^ati ist edirt von H. Uhle, Leipzig 1371 (mit krit. Gommentar; in Transscription). Abhdl. d. D. Morg. Ges.

t. Schröder, Indiens Lit. u. Colt. 35

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„Eine Frau, deren Mann sich auf eine Heise begeben, wird während seiner Abwesenheit nach fremden Männern lüstern. Der Mann hat ihr einen klagen Papagei und ein Drosselweib- chen hinterlassen. Sie fragt das letztere, ob sie ihrer Neigung folgen soll; dieses tadelt sie darüber heftig und wird deshalb von ihr getödtet. Dann wendet sie sich mit derselben Frage an den Papagei. Dieser, durch das Schicksal seiner Gefährtin gewarnt, billigt ihr Verlangen, macht sie aber auf die Gefahren aufmerksam und bedingt, dass sie nur dann gehe, wenn sie sich aus einer Gefahr oder Verlegenheit so geschickt zu ziehen wisse, wie die oder der. Sie fragt dann, was das für eine Geschichte sei. Der Papagei erzählt nun eine Geschichte bis zu der Ver- legenheit, dann sagt er: „Nun ist die Frage, was thut sie oder er?" Die Frau kann nicht antworten, Dann sagt der Papagei: „Wenn du heute zu Hause bleiben willst, so will ich es sagen." Auf diese Weise geht es siebzig Nächte. Dann kehrt der Mann zurück.411

Dieses Märchenwerk spielt auch in der türkischen Lifte- tur als Tütin amen oder Papageienbuch ejne Rolle.

In der Simhäsanadvatrimc,ati ist es der Thron des Königs Vikramäditya, welcher die Geschichten erzählt.

Von besonderer Bedeutung ist die Märchensammlung des Somadeva aus Kaschmir, Kathäsaritsagara genannt, d. h. Meer der Ströme der Erzählungen (<L i. ein Meer, in welchem Ströme von Erzählungen oder Märchen zusammenfliessen). Dieses Werk stammt aus dem 11. Jahrhundert n. Chr., und ist dem- selben auch ein Auszug aus den drei ersten Büchern des Paflca- tantra einverleibt.' Eine Ausgabe desselben nebst Uebersetzung ist von H. Brockhaus veranstaltet worden.? Eine einzelne

1 S. Benfey, Pantsch. I p. 273 flg. Den Text dieser Einleitung findet man in La säen 'a Anthologie. Eine neogriechische Uebersetzung der Qukaeaptati lieferte Demetrios Oalanos, heraosg. von Typ&ldoa, unter dem Titel Vixxaxov pvd-okoylat wxrtQivai.

* Tarafiga 59—61. Brockhaua hatte das 12. Jahrhundert als Entstehungszeit des Kath&saritsagara ansetzen zu müssen geglaubt, und ist diese Angabe auf aeine Autorität hin vielfaltig wiederholt werden Dass das Werk indessen vielmehr dem 11. Jahrhundert entstammt (ca zwischen 1063 und 1082 p. Chr.), hat Bühler in einem besonderen Artikel über diese Frage nachgewiesen. (Ueber das Zeitalter des kasch- mirischen Dichters Somadeva, Wien 1885. Sitz.-Ber. d. phil. bist O. d. Kais. Ak. d. Wisa. CX Bd., Heft II, p. 646 flg.).

Katha Sarit Sagara. Die Marchensammlung des Sri Somadeva Bhatta aus Kashmir. Buch X 6 Sanskrit und Deutsch herausgegeben von H. Brockhaus, Leipzig 1839. Das Weitere (Buch 6— 18) Leipzig 1862—1866 (2 Theile) Abh. f. d. K. d. M. (Die Uebersetzung ist auch

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Geschiebte desselben, welche die Verderbtheit der Brahmanen geissei t, findet mm von A. Hoefer in seinen „Indischen Ge- dichten44 metrisch wiedergegeben.1

Von manchen anderen Sammlungen sind uns nur die Namen bekannt. Sie haben vielleicht in früheren Jahren ein- mal die „Abenteuer Sindbad des Seefahrers" gelesen, ein Buch, das noch in unserer Zeit manches jugendliche Herz er- freut hat Dieses Werk, welches ebenfalls im Mittelalter weithin durch Orient und Occident gewandert ist und theils ab Buch der sieben Veziere44 oder der „sieben weisen Meister44 bekannt ist, theils als Sindabad oder Sendebar, nach dem Namen der Hauptperson, geht, wie Benfey gezeigt hat, aller Wahrschein- lichkeit nach auf ein sanskritisches Original zurück, Siddhapati, d. L „Meister der Zauberer oder Weisen44. Es scheint aber dieses Werk bei den Indern selbst ganz verloren gegangen zu sein.1

Zum Schluss Hessen sich noch einige bemerkenswertbe romanartige Dichtungen anfuhren, doch sind die Leistungen nicht sehr zahlreich. Dahin gehört z. B. das Dagakumära- caritam von Dandin,3 wohl aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. stammend; ferner die Vasavadatta des Subhandhu4 und die Kadambarl des Bana,6 beide wohl dem 7. Jahrhundert angehörig.

besonders erschienen, 2 Bde., Leipzig 1848). Diesem Werke soll su Grande liegen die Vrihatkatha des Guna^hya, vielleicht aus dem 6. Jahrhundert. Neuerdings davon die Bearbeitung des Kshcmamkara aufgefunden durch Burnell und Buhler; s. Ind. Antiq. I, 802 flg. Weber, Ind. Lit., 2. Aufl. 229 Anm.

1 Ind. Gedichte, II p.c207 „Vom gefoppten Priester14.

» S. Benfey, Pantsch. I p. 23; Mel. aaiat. III, 188 flg. Orient und Occident, Bd. DI, p. 171— 180.

* Herausgeg. von Wilson L J. 1846; von Bühler i. J. 1873, tgl. über Dandin auch M. Müller, Indien in s. weltgesch* Bed. p. 286. Weber, Ind. Lit 2. Aufl. p. 223. 229 Anm.

4 Herausgeg. von Hall, mit guter literarhistorischer Einleitung, in der BibL Indica 1859.

5 Herausgeg. in Calcutta i. J. 1850; neuerdings wieder mit literar- historisch, wichtiger Einleitung von P. Peter son in Bombay, 1883 (Bom- bay Sanskrit Series No. XXIV); auch von Taranath* Terkevacas- pati, Calcutta 1888 (2. ed.). üeber alle diese Werke vgl. Weber, Ind. Lit 2. Aufl. 229 Anm.; Ind. Streifen I, 808—386. üeber Bana Tgl. auch M. Müller, Indien in s. w. Bed. p. 262 flg. 282 flg.

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Achtunddreissigste Vorlesung.

Die lyrische Poesie. Grössere lyrische Dichtungen. Meghadüta, der Wolkenbote. Ghatakarpara. Caurapaficacika. Ritusamhara, der Kreil

der Jahreszeiten u. a.

Auf dem Gebiete der lyrischen Poesie, begegnen wir nur wenigen grösseren Dichtungen, darunter aber einigen voll- endet schönen Schöpfungen des Kalidäsa, die dieses grössten indischen Dichtergenius durchaus würdig sind. Kaiida sa, der im 6. Jahrhundert n. Chr. lebte,1 zeichnete sich, wie auch schon seine Dramen £akuntala und Urvacl bekunden, durch hervorragende lyrische Begabung aus. Sein Meghadüta, „der Wolkenbote", ist ein Kleinod von unschätzbarem Wertha Ais Goethe in den „Zahmen XenienMf mit begeisterten Worten von der reizenden Poesie der (Jakuntala und des Nala redete, da fügte er auch die Worte hinzu:

Und Meghadüta, den Wolkengesandten,

Wer schickt ihn nicht gerne zu Seelenverwandten!

Lassen Sie uns nun diesen Meghadüta etwas näher kennen lernen und sehen, ob auch wir zu den Seelenverwandten ge- hören, von denen der Dichterkönig redet.

Den Inhalt des Meghadüta bildet eine Botschaft, welche ein Verbannter einer Wolke an die ferne, unerreichbare Ge- liebte aufträgt, wobei er ihr zugleich in farbenprächtiger Schil- derung den Weg beschreibt, welchen sie nehmen soll Jener unglückliche Verbannte, der die Wolke zum Boten seiner Sehn- sucht macht, ist ein Yaksha, ein halbgöttliches Wesen, wie sie die Umgebung des Kuvera, des Gottes der Reichthümer, bilden, und wie sie in Alaka, der prächtigen Stadt jenes Gottes, auf

1 Die Begründung für diese Zeitbestimmung wird weiter unten ge- geben werden.

* Zahme Xenien, Zweite Reihe.

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dem Käilasa- Berge im Himalaya wohnend gedacht werden. Alle Motive und Empfindungen des schönen Gedichtes sind aber durchaus menschlich, sodass uns die halbgöttliche oder elfenhaflo Natur des Verbannten nirgends stört, wie sie wohl auch nur dazu dienen soll, das Ganze in eine höhere Sphäre zu heben.

Ein Vergehen hat dem Yaksha den Fluch seines Herrn und die Verbannung zugezogen. * Zwölf Monate soll er fern bleiben. Am Ramaberg, in einem Büsserwald, dort, wo einst rUma mit Sita und Lakshmana gehaust, nimmt er seinen Aufent- halt Die Trennung von dem geliebten Weibe macht ihn krank und traurig, er magert ab, das goldene Armband gleitet von dem welken Arme. Da wird er beim Herannahen der Regen- zeit eine dunkle Wolke gewahr, die nach Norden zieht, einem mächtigen Elephanten ähnlich gestaltet. Mit erneuter Kraft erwacht in ihm der Sehnsucht Leid und schweren Herzens schaut er das Luftgebilde an. Dann aber steigt ein tröstender Gedanke in ihm auf. Er grüsst die Wolke, bringt ihr als Ehrenspende Ku^aja-Blüthen dar und floht sio an, der Liebsten Botschaft von ihm zuzutragen1:

Du bist die Zuflacht Aller, welche klagen In heissem Leid: erbarme dich auch mein! Da sollst von mir der Gattin Botschaft sagen; Hier leb ich. weil der Gott mir zürnt, allein. Du musst nach Alaka dich hinbegeben, Der Stadt, In der die Yaksha- Fürsten leben; Gott fiva wohnt in ihrem Gartenkranz, Sein Mond verleiht dort den Palasten Glanz.

Zieh hin, o Wolke, ruft der Verbannte, mit günstigem Winde, der dich gemächlich treibt! Der Vogel Cätaka zieht singend neben dir dahin, die Kranichschaar en grüssen dich; im Herzen der Schwäne erwacht, wenn sie dein Donnern hören, die Sehnsucht nach dem Mänasa-See, und mit jungen zarten Lotusschossen für die Fahrt versehen, eilen sie freudig mit dir durch die Lüfte, indessen die Erde unter dir gleich Sonnen- schirmen Pilze emportreibt Nimm Abschied jetzt vom Rama- berg, o Wolke! Doch eh' ich dir die Botschaft sage, lass mich den Weg beschreiben, den du gehen musst, die Bergesspitzen, wo du ruhen kannst, die Flüsse, die dir neues Wasser bieten.

1 Die folgenden Verse sind nach der Uebersetzung von Ludwig Fritze gegeben (Meghadüta, das ist der Wolkenbote, ein Gedicht von KtUidasa, aus dem Sanskrit metrisch übersetzt, Chemnitz 1879j.

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Nach Mala, wo dich, Freund, des Landes Frauen,

Weil du bedingst des Ackerbaus Gedeihn, Mit ihren Augen, die vom Spiel der Brauen Noch nichts ?erstehn, voll Liebe schlürfen ein, Nach Mala steig empor, aus dessen Fluren Sich süsser Duft erhebt der frischen Spuren Des Pflugs; geh westlich dort In leichtem Lauf Und nimm dann bald den Weg nach Norden auf.

Durch deine Regenschauer stillst du die Qualen des Waldes, drum wird dich Wegemüden gern der Amraküta-Berg auf seinem Haupte tragen. Wenn du, o Wolke, auf dem Berge lagerst, den rings am Rande Waldmangos in dem Schein der reifen Früchte beschatten, dann wird er würdig sein, dass Götter ihn betrachten. Dort magst du weilen, in den Lauben kosen der Waldbewohner Frauen gern. Am Fuss des Vindhya schaust du dann die Reva, die über Steine zerrissen hinströmt, während Jambu-Gruppen den raschen Lauf ihr hemmen; dort nimm Tom dufterfüllten Wasser in dich auX

Staubfaden, welche halb herausgedrungen. Bewirken, dass der Nipa grünlich braun Erglänzt; die ersten Knospen sind entsprungen Der Pisangs an den Ufern; o, dies Schaan Die Cat&ka's, und süsser Duft der Felder Verbreitet sich zu ihnen in die Walder. Die brandzerstörten und sie künden dann, 0 Tropfenspender, deine Strasse an. (21)

Wenn du dich nahst so wird man au den Haine Im Land Dacarna weiss1 die Z&une schaun Durch Ketaka's, die blühen, von den feinen Staubfäden aufgesprengt; ihr Nest zu baun, Beleben Krähn der Dörfer heiige Bäume: Yon reifer Frucht sind dunkelblau die Räume, Die Jambu- Wälder decken, und von dort Ziehn Schwäne erat nach ein'gen Tagen fort (23)

Dann wirst du VidicÄ schaun, die weitberühmte Stadt und kannst vom lieblichen Wasser der Vetravati trinken, die mit ihren krausen Wellen dem schmollenden Antlitz der Geliebten ähnlich sieht. Dann magst du ausruhen auf dem Nicais-Berge, wo die Kadamba-Bäume in der Pracht der Blüthen stehn, ab schauerte der Berg Tor Lust, weil die Wolke ihn umschlossen. Dann aber

1 Ich habe mir hier aus Geschmacksrttcksichten eine kleine Aende- rung erlaubt; Fritze schreibt ,,bleich" ,

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Verschmäh es nicht, o Wolke, dich den Zinnen

Der Schlösser in Ujjayini1 zu nahn;

Zum Umweg freilich zwingt dich dies Beginnen,

Denn nach dem Norden weist dich deine Bahn.

Wenn dort die Fraun nicht Freude dir erregen,

Die ihre Augenwinkel gern bewegen,

Sie zittern, wenn die Blitze schaut ihr Blick,

Dann bist du, ach, betrogen vom Geschick. (27)

Im Lande Avaati, wo den Greisen in den Dörfern die Ge- schichten Tom König Udayana wohlbekannt sind, dort liegt die hochgepriesene Stadt Ujjayini

Dort fuhrt der Wind, der morgens von dem Strande Der Sipra weht, der Kraniche Getön, Das helle, liebessüsse, in die Lande. Er duftet nach dem offnen Lotus schön, Mit dem er Freundschaft hält; (31)

Dann magst du dir beschaun

Die Pracht der Stadt und auf den Schlössern bleiben Und deine Madigkeit daselbst vertreiben. (32)

Mit dem schönen Strom, der Nirvindhya, soll sich die Wolke befreunden, Nirvindhya, deren tonendes Gürtelband die Vögelreihen darstellen, die auf ihr schwimmen, die hold in ihrem Laufe strauchelt, wie ein tändelndes Weib. Auch Mahakäla, Qiva's heiligen Ort, soll sie besuchen und den Frauen, die in der dunklen Nacht zum Liebsten wandeln, durch helle Blitze den Weg zeigen.

Begieb dich, wenn dein Schatten eingedrungen Ina Brahmararta - Land , nach jenem Feld Der Kuro, wo im Kampf einst ward gerungen Von Kriegern, wo einst Arjuna, der Held, Der Königssöhne Antlitz übergössen Mit scharfen Pfeilen, die er abgeschossen Zu Hunderten, wie sich dein Strom ergiesst, Wenn er auf Wasserrosen niederfliesst. v48)

Dann nahe dich der Tochter Jahnu's, der heiligen Gangä, die von höchster Bergeskette sich niedersenkt, sie, die den Söhnen Sagara's zur Himmelstreppe wurde. Zum Berg, der sie gebar, wirst du gelangen, der von Schneefeldern weiss erglänzt, wo die Felsen duften nach den Moschusrehen, die dort lagern. Dort musst du Qiva's Fussspur ehrfurchtsvoll begrüssen. Die winderfullten Bambusrohre erklingen lieblich und KinnarTs be-

1 Ujjayini ist die Stadt, wo Vikrama König war. wo Kalidasa selbst lebte fl**d dichtete.

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singen Qivas Thaten, da magst du auch mit deiuen Donner- tönen dich mischen in den Chor. Dann aber eile zum Käilasa- Berg, nach Alakä, wo meine Liebste weilt.

Du sahst schon Alaka und kennst sie wieder, Die Stadt, o Freund, die auf dem Schoosse hält Der Berg als Liebste, sie, von der hernieder. Als war es ein Gewand, die Gaiigft fallt. Auf hohen Schlössern trägt sie Wolkenmassen, Zu eurer Zeit,1 die Regen strömen lassen, Gleichwie Gelock der Liebsten Haupt umringt, Durch welches sich ein Neu von Perlen schlingt. (63)

Dort ist zum Spiel ein Lotus in den Händen

Der Fraun; mit frisch entfaltetem Jasmin

Durchwinden sie die Locken; sie verwenden

Kuravaka's, sie durch den Zopf zu ziehn;

£9 dient, das schöne Antlitz weiss zu schminken,

Der Staub des Lodhra; an den Ohren blinken

firisha's; die Kadambablume prangt

Am Scheitel, die durch dich zum Bltthn gelangt (65)

Dort steigen Yaksha's, mit den schönsten Frauen Vereint, zu Söllern von Krystall empor; Man kann der Sterne Bild in diesen schauen, So dass sie strahlen wie ein Blumenflor. Und jene schlurfen Meth vom Wunderbaume, Wie Liebeslust so süss, in solchem Baume; Dabei erklingen Trommeln sanft und lind, So dumpf, wie deine tiefen Töne sind. (66)

Auf welchem Weg verliebte Fraun dort schreiten

Bei Nacht, das lassen früh am Morgen sehn

Mandära-Bluthen, die dem Haar entgleiten,

Dem lockigen, weil jene zitternd gehn,

Und Goldlotusse, die sie von den Ohren

Nebst Schmuck in Blattgestalt von dort verloren,

Auch manches Perlennetz, manch Perlenband,

Das auf der Brust zerriss, um die aich's wand. (70)

Dort steht nun auch die Wohnung von uns beiden, Vom Haus Kubera's nördlich; an dem Thor Kann man es schon von weitem unterscheiden, Das schön wie Indra's Bogen ragt empor. Für die Mandärabäumchen sorgt im Garten, Als gelt* es, eines Pflegesohns zu warten, Die Gattin; jenes beugt sich vor der Last Der Blüthen, die bequem die Hand erfasse (72)

In diesem Garten ist ein Teicb, ihn fallen Erblühte goldne LotusBe, gar fein

1 D. h. zu der Zeit, wo die Wolken der Kegenzeit ziehen.

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Erglänzend mit den Stengeln aus Beryllen;

Es führt die Treppe von Smaragdgestein

Zu ihm herab. Die Wohnung dort genommen,

Die Schwäne, sind, obgleich du angekommen,

Von Sorgen frei und richten fhren Sinn

Nicht nach dem Mänasa, dem nahen, hin.1 (78)

Ein Lustberg, dem aus prächtigen Sapphiren Der Gipfel ward gebildet, steht am Saum Des Teichs; ihn einzufassen und zu zieren, Umgiebt den Berg manch goldner Pisangbaum. Ihm pflegt besondre Gunst mein Weib zu schenken, Verzagten Geistes muss ich sein gedenken, Indem auf dich mein Blick, o Wolke, fällt, Die rings am Rand der Blitze Spiel erhellt. (74)

Der Roth-Acoka, dessen Zweige beben, Steht dort, gesellt dem schönen Kecara, Der Laube, die Kuravakas umgeben Und eine Madhavi umrankt, so nah u. s. w

Dort auf dem Lustberg soll die Wolke sich niederlassen und in das Haus hineinleuchten. Mit glühenden Farben schil- dert der Verbannte dem Wolkenboten der Geliebten Schönheit ach, jetzt wird wohl auch sie durch den Trennungsschmerz verändert sein. Vielleicht bringt sie ein Opfer dar, vielleicht auch plaudert sie mit ihrer Drossel, die im Käfig sitzt, und fragt: Erinnerst du dich wohl des Herrn ?* Vielleicht auch nimmt sie ihre Laute in den Schooss, ein 'Lied zu singen, das ▼om Liebsten spricht, doch Thränen, ach, verhindern es! Sieh« *ie sie schlaflos daliegt in der Nacht!

Auf ihrem Trennnngslager, durch die Sorgen So schmächtig, gleicht sie, seitlich hingestreckt, Des Mondes Körner, wenn ihn tief im Morgen Als schmale Sichel unser Blick entdeckt. Sie bringt mit heissen Tbranen bin die Stunden Der Nacht, die ihr als Augenblick entschwunden, Wenn sie im Glück der Liebe mich umschlang; Wie ist ihr nun; allein, die Nacht so lang! (86)

Sie wirft mit Seufzen die Locken hin und her, doch ihr Auge

bei deinem Nahen

Da ruckt es in die Höh und wird empfahen, So denk ich mir, der Wasserlilie Pracht, Die eines Fisches Anstoss zittern macht.

1 Sonst pflegen die Schwäre zur Regenzeit nach dem Manasa-See, im Norden , zu ziehen.

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Und wenn sie sich erhebt und auf dem Fenster, deinem Sitze, das Auge ruhen lässt, dann mit Donnerlaut sprich du zu ihr, sag ihr, dass ich als Boten dich gesandt, sag, dass ich lebe, dass ein feindlich Schicksal mich ferne halt, dass ich in Thränen und in Seufzern lebe, und sprich zu ihr die Worte meiner Sehnsucht1:

Ick sehe wohl in krauser Fluth das muntre Spielen deiner Brauen, Im Aug' des Rehes deinen Blick, dein Haar im vollen Schweif de> Pfauen. Ich seh im Monde dein Gesicht und im Priyaögu deine Gliedert Doch ach! an einem Ort vereint find ich dein BUdniss nirgends wieder.

Als Zürnende mal* ich dich oft mit rother Färb auf glatten Steinen! Und machte dann mein eignes Bild zu deinon Fussen dir vereinen, Doch langsam steigt die Turin* empor und hüllt in Dunkel meine Blicke Ach! hier auch werden wir getrennt von unsrem feindlichen Geschicke

Wenn mich des Waldes Götter sehn, wie ich nach dir die Anne breite. Um dich an meine Brust zu zielin, sah ich im Traum dich mir zur Seite, Dann, glaub* ich, werden oftmals auch aus ihren Augen Thranen sinket* Die, gross wie Perlen, in dem Wald rings an den frischen Knospen blinken

Des Schneegebirges Winde, die soeben die Devadaru- Knospen blühen machten,

Wie innig werden sie von mir umschlungen! Vielleicht geschah's ja. dass dein Körper auch, Du Gute, ward berührt von ihrem Haucht

Doch fasse Muth, es muss das Leid sich enden! Der Fluch, der mich getroffen, geht zu Ende, sobald Gott Vishnu sich vom Schlangenlager hebt Ist erst die Trennungszeit vor- über, dann wollen wir in mancher vollmondheilen Nacht Alles gemessen, was wir jetzt ersehnen.

Bald wirst du wieder auf dem Lager liegen

Und, etwas eingeschlafen, .wie auvor

An meinen Hals, du Liebliche, dich schmiegen;

Dann fahrst du weinend aus dem Traum empor.

Ich frage dich, und muss es wiederholen,

Was dir geschah; du sprichst« und lachst verstohlen:

Ich bab im Traum, du loser Mann, geschaut,

Wie du mit einer Andern thatst vertraut. (108^

Und so mit den Bildern des süssesten Glückes, das die Zukunft in ihrem Schoosse birgt, mit innigen Dankesworten an den Wolkcnboten, so endet der Verbannte seine Rede.2

1 Die folgenden schönen drei Strophen sind nach M. Müllers Uebersetzung gegeben.

Herausgegeben ist der Meghadüta schon i. J. 1813 von Wilson, nebst englischer Uebersetzung (Calcutta); dann von J. Gildemeister

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Wenn schon hier im Meghadüta neben dem lyrischen Element das schildernde, beschreibende vielfach stark hervor- tritt, so ist dies in noch weit höherem Maasse der Fall in dem anderen hierher gehörigen Gedichte des Kalidasa, dem Bitu- samh&ra, d. h. Vereinigung oder Kreis der Jahreszeiten. Es ist dies eine höchst poetische Schilderung der sechs indischen Jahreszeiten: Sommer (grlshma), Regenzeit (varshä), Herbst (carad), Winter (hemanta)', Thaueszeit oder kühle Zeit (peira) und Frühling (vasanta), welcher hier, ganz gegen unsere Art der Anordnung, an letzter Stelle erscheint. Prächtige, glühende, lebenathmende Schilderungen der Natur wechseln hier mit der Vorführung erotischer Scenen und Em- pfindungen.

Das feine Gefühl Kälidasa's für die Natur und ihre Schön- heit, sein reiches Beobachtungstalent, dem auch das Kleine und Kleinste nicht entgeht, seine ebenmassig schöne, bald zarte, bald kräftige, ja glühende Farbengebung, die wir auch aus seinen Dramen kennen, zeigen sich deutlich und sehr vorteil- haft in diesem Gedichte. Schilderungen können leicht, ermüdend werden, hier aber kommt überall Leben und Beseelung in die Natur, und geschickt versteht es der Dichter, die Stimmungen des Mensehenherzen8 mit in das Bild hineinzuwebon.1

Der erste Abschnitt (Sommer) beginnt mit einer eroti- schen Schilderung. Wenn zur Sommerzeit am Tage die Sonne glüht, sind um so entzückender die Nächte, die des Mondes Glanz erhellt Um Mitternacht erfreuen sich die Liebenden im herrlich duftenden Gemache an Sang und Spiel und Wein- gen uss. Mit dem Seidengurt um die runde Hüfte, mit Perlen- schnüren, die den Busen schmücken, mit Blumen und Wohl- gerüchen in den Locken, entzückt die Schöne ihren Freund. Am zarten Fusse, den die Schminke noch lieblicher macht, klirrt bei jedem Schritte die goldene Spange, den schönen

i J. 1841; ferner mit kritischen Anmerkungen und Wörterbuch von Ad. Fr. Stenzler, Breslau 1874. Eine sehr geschmackvolle Ueber- •etWM veröffentlichte Max Müller, schon i. J. 1847 (Königsberg); iaon folgte die treffliche prosaische Uebersetzung von C. Schütz, mit »«■hr werthvollen Anmerkungen (Bielefeld 1859); endlich die von Ludwig F ritte (Chemnitz 1879); vgl. oben p. 549.

1 Dies Gedicht wurde schon L J. 1792 in Calcutta durch W. Jones veröffentlicht; dann ist es mit lateinischer und metrischer deutscher CeberseUung herausgegeben von P. v. Bohlen; Ritusanhära, id est tempestatum eydus Lipsiae 1840. Die weiterhin von mir gegebenen frischen Stücke sind der Bohlcnschen Uebersetzunaj entnommen, wobei our in der Schreibung der Kamen Einiges geändert Ist

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Busen kühlt die duftige Sandelsalbe, Wohlgerüche ziehen durch die Luft, die Laute klingt, da erwacht die Liebealust aus ihrem Schlummer, die jugendlichen Glieder umschlingen sich, der Mond aber, der im schimmernden Gemache der Jung- frau holdes Angesicht erblickt, will vor Eifersucht vergehen.

Dann erzählt der Dichter von dem Wanderer, den der Schmerz über die Trennung von der Liebsten brennt, und der kaum den Boden unter sich erkennen kann,

Penn ausgcdörret von der Sonne Gluthen Umhüllen Staub und Wirbelwind da« Land.

Und nun folgt eine prächtige Schilderung der eigentlichen Sommergluth:

Nach Wasser eilt die durstende Gazelle, Vor Hitze glühend und mit trocknem Gaurn, Wenn, ähnlich einem trunknen Elephanten, Gewölk erscheint am fernen Waldessaum. (11)

Die Schlange, von der Sonne Strahl durchglühet,

Im brennendheissen Staube hingestreckt,

Hat endlich seufzend sich herangewunden,

Wo schattig sie der Schweif des Pfauen deckt (12)

Der Löwe keucht mit durstigwundem Rachen, Verfolget nicht den Elephanten mehr; Der kühne Muth ist ihm dahingeschmachtet, Die Mahne starrt, die Zunge zittert schwer. (13)

Der Elephant, Ton heissem Durst getrieben, Und aufgezehret von der Sonne Gluth, Er schlürft mit trocknem Rüssel Thauestropfen, Ist unbekümmert um des Leuen Wuth. (14>

Der Pfau, am Körper matt und sinnverwirret Durch Strahlen, die wie Opferfeuer glühn, Verschonet nun die hingestreckten Schlangen, Die unter seines Schweifes Schatten fliehn.1 (15)

Der Eher wühlt sich mit des Rüssels Scheibe In Ried und gelben Schlamm des Sumpfes ein Und möchte ganz sich in die Erde graben Zum Schutze vor der Sonne Flammenschein. (16)

Getroffen von dem strahlbekranzten Gotte, Entspringt der Frosch des trüben Teiches Schlamm, Und flüchtet müde sich zu einer Schlange, Die ausgebreitet ihren Schattenkamm. (17)

1 Der Pfau verfolgt und tödtet sonst die kleinen giftigen Schlangen.

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Ihr aber ist das Stirnjuwel gespalten, Vor Sonnengluth ihr Inneres verzehrt; Sie züngelt gierig nur der Luft entgegen Und lasst die nahe Beute unversehrt. (18)

In einem Netz von Lotusfibern hangen Betäubte Fische, und der Kranich flieht, Denn Elephanten stampfen in dem Teiche, Bis er dem dicken Schlamme ähnlich sieht. (19)

Mit welker, schaumbedeckter Lippe stürzet Aus Bergeskluft die Büffelschaar hervor; Die Zunge hangt ihr glühend aus dem Munde, Nach Wasser schaut der wilde Blick empor. (20)

Es hat verheerender Waldbrand das junge Gras verdorrt, Und heftig treibt die Windsbraut die trocknen Blatter fort; Ringsum sind die Gewässer versiegt in jedem Teich, Entsetzen erwecken die Haine, noch jüngst so blüthenreich. (21)

Auf Bäumen mit welken Blattern erseufzt der Vögel Sang, Die müden Affen schleichen sich an dem Berg entlang; Es waudern die Biiffelschaaren und schaun nach Nass empor Und in des Brunnens Tiefe schlürft ein Phalanenchor. (22)

Mit Windesschnelle getrieben umarmt die Feuergluth Der Baum* und Strauche Wipfel, verzehret mit rascher Wuth, Da springen die rothen Funken, als würde von Ort zu Ort Zinnober und Saffranblüthe gestreuet fort und fort. (23)

Und aus der Berge Spalten braust Sturmgeheul hervor,

Es tönt ein helles Pfeifen im trocknen Bambusrohr;

Dann fliesst im Nu die Flamme hernieder in die Schlucht

Und scheuchet die Schaar des Wildes empor zur raschen Flucht (24)

Und wenn in Baumwollstauden das Feuer nun starker loht, So dringt aus Baumesritzen die Flamme wie goldnes Roth; Sie springt mit Zweig und Blattern von Aesten hier und dort, Und rast, vom Winde getrieben, im Walde weiter fort (25)

Leu, Elephant und Büffel, verscheucht von Gluth und Dampf, Sie gehen wie Freunde beisammen und denken nicht an Kampf: Aus branderfülltem Walde sieht man sie ängstlich fliehn Und in die feuchte Niedrung zu Inselgründen ziehn. (26)

Doch wer an Lotusschimmer und Pataladuft sich letzt,

Des Hauses hohen Söller mit frischer Kühlung netzt,

An Sang und Scherz sich labet mit der Geliebten vereint,

Dem schwinde des Sommers Hitze, wenn hell der Mond erscheint. (27)

Auf diese Zeit der schwülen Hitze folgt, von dunklen Wolken angekündigt, die tropische Regenzeit. Einem Fürsten gleich naht sie heran, getragen von dem Wolken-Elephanten,

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i

der Blitz ist ihre Fahne, der Donner ihre Pauke, Frende erregt sie mit und hreit. Die dunklen Wolken, die den Himmel be- decken, ähneln dem blauschimmernden Lotus, bald zeigen sie die Gestalt eines Elephanten, bald die der Brüste eines Weibes. Durch die Wassermassen beschwert, ziehen sie langsam dahin, von den Schaaren der durstigen Cataka's1 begleitet Da be- ginnt es mächtig zu donnern und scharfe Regentropfen fallen. Die Erde bedeckt sich mit den jungen Keimen der Gräser, die Schaar der Pfauen tanzt vor Freude:

Die wilden Ströme, gleich den losen Madchen, Ergreifen lie bei Ostern wie im Na Die Uferbaume, welche ringsum taumeln, Und eilen rasch dem Oceane iu. (7)

Die Wälder kleiden sich mit goldnen Knospen, Dass sich der Geist an ihrer Fracht ergötzt; Das junge Gras entkeimt mit ipitien Blättern, Dass sich der Hindin weicher Mund verletzt. (8)

Der Wald ström windet seine bleichen Wogen, Mit offnem Schlund der Schlange gleich daher, Gefleckt mit Spreu, Insekten oder Staube, Dass drob erschrickt der Frosche banges Heer. (13)

Entzückend sind die Berge anzuschauen, Wenn ihren Gipfel das Gewölke kuast, Wenn rings herab die Ströme niederwallen, Und tanzend sie die Pfauenschaar begrüsst (16)

Nun haben Frauen in die Locken den Kranz gewunden

Von jungen Kecara, Ketakl und Kadamba;

Am Ohreszipfel eine Ariunadolde schwanket,

Dem Ohre zierlich als Gehänge hineinge füget. (21) u. a. w.

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I

Ist der Regen vorüber, so naht die Herbsteszeit, schön wie eine Neuvermählte, mit einem Antlitz von Lotusblüthen, in einem Gewände von Zuckerrohr, mit reifendem Reise um- gürtet; die girrenden Flamingo's stellen ihren klingelnden Fuss- schmuck dar. Die Erde ist mit Zuckerrohr bedeckt, die Ströme mit Flamingos, die Teiche mit Lotus, die Gärten mit MalaÜ- blüthen. Der Kovidara schaukelt seine Aeste, di6 Flur be- decket sich mit reicher Frucht, das Reisgefilde schwankt im Hauch des Windes, Kranichschaaren wandeln den Fluss ent- lang, weidende Heerden sieht man ziehen und von allen Zwei- gen tönt der Vögel Sang.

1 Die Cataka's sind Vögel, die nach indischem Glauben kein andern Wasser als das der Wolken trinken.

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Ö69

Wetteifernd mit dem Sehmacke schöner Arme Sieht man Linnen überall erblühn, Und wie der Zahne Schmeli durch rothe Lippen, So lächelt durch Acoka der Jasmin. (18)

Es schwebet wnndergestaltet die Segensgöttin her, Von reiner Luft getragen, mit Mona and Sternenheer; Sie raht auf dem Gewässer, das in Jnwelenpracht Von königlichen Schwanen und Lotusblüthen lacht (21)

Nun wehet mit Lilienschwanken der Zephyr Kühlung zu, Die Wolken sind verschwunden, der Himmel athmet Ruh, Das Land bringt reife Saaten, die Ströme fliessen rein, Der blaue Aether funkelt mit Mond und Sternen drein. (22)

Dann folgt der Winter, aber es ist ein ganz anderer, als der, den wir kennen!

Ea ist die Winterzeit herangekommen, Die Feige knospet, zeitig wird der Reis, Am zarten Halme volle Aehren prangen, Doch welkt der Lotus von des Reifes Eis. (1)

Nun schmücken ferner sich die holden Frauen Mit frischen Kränzen yon Jasmin nicht mehr. Sie winden keine duftende Guirlande Zur Kühlung um den hohen Busen her. (2)

Zum Freudenfeste reiben sich die Schönen Mit gelbem Sandelstaube rein und klar, Durchwürzen sich den Mund mit Wohlgerüchen Und räuchern dunklen Aloe in das Haar. (5)

Die Gräser sind morgens mit kaltem Reif bedeckt, aber

die Flur bekleidet sich mit jungem Reise, und munter tönt des

Kranich Ruf.

Wie sich die Gattin um den Fernen grämet,

So bleichet allgemach die reife Saat,

Weil sie vom Windeshauche ward geschaukelt,

Den Schneegestöber durchgekältet hat (10) tu s. w.

Es folgen dann noch glühende," üppige Schilderungen des Liebesglücks zur Winterzeit, dann schliesst sich fünftens die Zeit des Thaues oder die kühle Jahreszeit an:

Vernimm, o Schöne, welche Froudenwonne Nunmehr die Zeit des kühlen Thaues bringt, Wenn noch das Feld mit reifem Reise woget Und aus dem Schlaf erwacht der Kranich singt (1)

Es freuen nun die jugendlichen Gatten Am Feuer sich und mildem Sonnenschein,

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Doch schliessen sie des Schiafgemaches Fenster Und hallen sich in wanne Kleider ein. (2)

Kein Sandel, von der feuchten Nacht gekühlet, Kein Söller mit des vollen Mondes Schein Und keine Lüfte, die der Schnee gek&ltet Anjetzt der Liebenden Gemüth erfreun. (3)

Die Nacht ist kalt und lockt die Menschen nicht; selbst des Mondes Glanz ist kühl geworden, und hlass nur strahlen die Sterne.

Zur stillen Klause ziehn die muntern Frauen, Mit weihrauchduftendem Gewand umschürzt, Mit Betel, Perlenschnur und Salbenschminke, Den Lotusmund mit süssem Wein durchwürzt. (5)

Es sind dann wieder vorwiegend erotische Schilderungen, die uns aus dieser Jahreszeit vorgeführt werden.

Endlich naht sich nun die sechste und letzte Jahreszeit, der Frühling, der wieder der Naturschilderung den dank- barsten Stoff verleiht:

Die Herzen froher Menschen zu verwunden, Geliebte, nahet sich der Frühlingsheld, Der Bienen sich zur Bogensehne füget Und Mangoblathen statt der Pfeile halt. (1)

Die Jungfrau liebt, der Zephyr weht mit Düften, Die Baume blühn, der Lotus schmückt die See'n, Die Nachte ruhig und die Tage labend, Wie ist im Frühling Alles doch so schön. (2)

Wo Teiche mit Juwelengürtel prangen Und gleich dem Monde glänzt die Madchenschaar, Wo unter Blumen Mangobäume schwanken, Da bietet sich des Lenzes Wonne dar. (3)

Guirlanden um die Brust, mit kühlem Sandel, Den Odem würzig von des Betels Duft, Den Leib umgürtet, gehen ohne Bangen Die Schönen, wo AnafigaV Freude ruft. (4)

Am Ohre schwanken Kamikara- Blumen,

Ja dunklen Locken der Acoka glüht,

Und auf dem Scheitel duften Jasmindolden,

Wenn freudig sie dem Freund entgegenzieht (6)

Doch wo der Gatte von der Heimath ferne, Da färbt Anafiga ihre Lippen blass, Vor Sehnsucht zittern ihre zarten Glieder, 8ie weint und seufzet ohne ünterlass. (9)

1 Der Gott der Liebe.

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Es füllt mit Wonne sich des liebenden Jünglings Busen,

Wenn Atimukta ihre duftigen Kelche öffnet.

Wenn trunkne Bienen ihre glänzenden Blüthen küssen

Und zart die Ranken von des Zephyres Hauche schwanken, (il)

Und wer, Geliebte, von der Tbeuersten wird gemieden, Dem muss die Liebe wie mit Pfeilen das Herz verwunden, Wenn schnell entsprossen des Kuravaka schöne Aehren Mit Blüthenschimmer Uber liebliche Lippen siegen. ^18)

Die Walder wogen mit des Kimcuka Blumenröthe

Und Pärijäta's wie von glühender Feuerflamme;

Es glänzt und flimmert überall, wo der Lenz erscheinet,

Gleich einer Jungfrau nun im Purpurgewand die Erde. (19)

Entzückend glänzen in den Garten Jasmin-Gebüsche, Mit weissen Blüthen, wie der tändelnden Jungfrau Lächeln, Sie fesseln selber wohl das fromme Gemüth des Weisen, Und wie viel mehr noch wessen Seele die Lieb* erfüllet. (23>

Die Berge schimmern von unzähligen Blüthenbäumen, Und ihre Gipfel sind geschmücket mit Kuckuk sc haaren; Die Felsen schauet wie besponnen mit Bienennetzen Wohin sich wendet überall nur das trunkne Auge. (25)

Doch wer anjetzo von der liebenden Gattin ferne Betrübten Herzens auf den blühenden Mango schauet, Der schlägt mit Seufzen und mit Klagen das Auge nieder, Und ruft verzweifelnd ihren Namen mit lauter Stimme. (26)

Wenn trunkne Bienen summen und Mangobäume blühn, Wenn Kokilasang ertönet und Karnikären glühn, Das sind die scharfen Pfeile, womit der Jungfrau Brust Die blumenbogige Gottheit entflammt zur Liebeslust (27)

Der Zephyr schaukelt leise die Bäume mit Blättern schwer, Und schüttelt den Blumenregen wie goldnen Glanz umher, Voll Sehnsucht bleibt der Pilger ermüdet am Wege stehn, Mit abgewandten Blicken , und will vor Schmerz vergehn. (28)

Den Schönen gehet der Frühling an Lieblichkeit zuvor:

Er fahrt statt muntrer Reden ein fröhliches Sängerchor,

Die hellen Jasmin - Blüthen statt weisser Zähne Glanz

Und statt der Fingersprossen den rechlichen Knospenkranz (29)

Honig trieft dem Blumenlenze von Ac,oka's Blüthenmund, Der berauschten Biene Summen machet seine Rede kund; Sein Gesicht der volle Lotus, seine Zähne von Jasmin Und sein Odem Mangodüfte, wenn die lauen Weste ziehn. Aloe, sein Liebesopfef, bringt er Madana1 zum Heil, Und so werden denn auf immer Lenzeswonnen euch zu Thcill

1 Ein Name de« Gottes der Liebe.

* 8«krA«Ur, laii«o> Lit. «. Cult. 36

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Als ein grösseres lyrisches Gedicht muss noch Ghata- karpara, der zerbrochene Krag oder die Topfscherbe, genannt werden. Als Verfasser dieses sehr künstlichen Produktes wird Ghafakarpara angegeben, der auch unter den neun Edel- steinen am Hofe des Vikrama erscheint, also wohl dem 6. Jahr- hundert nach Chr. angehört Derselbe hat in die letzte Strophe des Gedichtes seinen Kamen eingeflochten und darnach ist das- selbe weiterhin einfach Ghatakarpara genannt worden. Heraus- gegeben ist es von Dursch (L J. 1828) und von H. Brockhaus (i. J. 1841); eine metrische Uebersetzung lieferte A. Hoefer (Ind. Gedichte II p. 129 flg.)* Bs umfasst 22 Strophen.

Ein merkwürdiges Produkt ist endlich noch die Caura- paflcacika oder 50 Strophen des Caura, auch schlechtweg Pafica<jika genannt. Der Dichter gedenkt in glühend sinnlichen Schilderungen des Liebesglückes, das er einst genossen. Als Verfasser dieses, an manchen Schönheiten reichen Gedichtes ist aller Wahrscheinlichkeit nach Bilhana anzusehen, der nach Bühler's Bestimmung in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts lebte.1 Nach der etwas romantisch klingenden Angabe der Tradition seil der Dichter heimlich die Liebe der Königstochter genossen haben und, als dies an den Tag kam, zum Tode yer- urtheilt worden sein. Da dichtete er im Angesicht des Todes jene 50 begeisterten Strophen, von denen eine jede mit den Worten beginnt „Auch jetzt noch gedenke ich" etc.; sie ver- schafften ihm die Verzeihung des Königs und die Hand der Königstochter.1 Herausgegeben ist das Gedicht von Bohlen, mit dem Bhartrlhari zusammen, Berlin 4833, metrisch über- setzt von A. Hoefer (Ind. Ged. I p. 117 flg.). Eine Ausgabe der sehr werthvollen, von Bühler entdeckten Kaschmirer- Hand- schrift dieses Gedichtes nebst trefflicher Einleitung und sehr lesbarer Prosaübersetzung verdanken wir Dr. W. Solf (fgL d. Anm.).

* Vgl. W. Solf, die Kagmir-Recension der Pancft^ik , Kiel 1886. Einl. p. XIX.

* Vgl. das Vorwort zu Bohlen's Ausg. p. XXVI; W. Solf a. a. 0. Einl. p. XII flg.

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Neununddreissigste Vorlesung.

Die kleinen lyrischen Gedichte der Inder. Bhartrihari und sein £rifl- garacaUkam. Das Qrifigarat ilakam. Das Amarugatakam. Proben aus anderen lyrischen Samminngen. Eine lyrische Anthologie im Prakrit-

Dialekt (das Saptacatakam des Hala).

Die Hauptmasse der lyrischen Schöpfungen des indischen Mittelalters stellt ein ganz besonderes, scharf ausgeprägtes Genre dar. Es sind kleine Gedichtchen, die in wenigen Zügen, mit knappen Worten, meist nur in einige Zeilen zusammengedrängt, ein Bild, eine Situation, eine Empfindung vorführen. Dieses Genre, das sich in mancher Hinsicht mit der reflectirenden Poesie der Sprüche berührt, ist bei den Indern unendlich viel geübt und zu hoher Vollkommenheit ausgebildet Es sind kleine, scharfumrissene Bilder, die einen Reichthum an feiner Beobach- tung und tiefer Empfindung bekunden, wo oft wenige Striche uns die Meisterhand verrathen, dazu nicht selten in vollendet schöner Form. Gerade von der Form können wir aber leider bei unseren Nachbildungen gar keine Vorstellung geben, weil die dieser indischen Gedichte mit ihrer ungemein fein aus-

lässt Wir müssen entweder bei der prosaischen Wiedergabe des Gedankens stehen bleiben, bei der natürlich viel von dem Reiz des Originals verloren geht, man denke nur an eine prosaische Uebersetzung Goethescher oder Heinescher Lieder in eine fremde Sprache! oder wir müssen es versuchen, diese kleinen lyrischen Edelsteine in die bei uns geltende Form lyrischer Gedichte umzusetzen. Beides soll in den folgenden Mittheilungen abwechselnd geschehen.

Hier tritt uns nun gleich eine merkwürdige Dichtergestalt in Bhartrihari entgegen. Derselbe war Dichter, Grammatiker und Philosoph in einer Person und lebte aller Wahrscheinlich- keit nach im siebenten Jahrhundert nach Chr. Der chinesische Schriftsteller I-tsing, dem wir diese Mittheilung verdanken,

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erzählt, dass Bhartrihari von der Lehre des Cakya-Sohnes er- griffen buddhistischer Mönch geworden sei, aber nach einiger Zeit, von Weltlust erfasst, wieder Laie wurde und nun zwischen beiden Ständen hin und her schwankte, so dass er schliesslich siebenmal Mönch geworden war und siebenmal zur Laionschaft zurückkehrte. Er tadelte sich selbst wegen dieser Unbeständig- keit, war aber offenbar nicht im Stande derselben Herr zu werden.1 Wir besitzen von ihm drei Qataka's oder Centarien vorzüglicher kleiner Gedichte, von denen die zweite und dritte Centurie, der Lebensweisheit und Weltflucht gewidmet, durch Geist und einen überlegenen Humor ausgezeichnet sind; wir werden ihrer später bei Besprechung der gnomischen Poesie zu gedenken haben. Hierher gehört nur die erste Centurie, das Qringarac,atakam, welches die Liebe in graciösen und gedankenvollen Gedichtchen behandelt* Der Dichter versteht sich auf die Reize der Frauen und die weibliche Koketterie, mit der sie die Herzen der Männern fesseln. So sagt er:

Die reizenden Brauen, die Seitenblicke, die liebevollen Reden, das verschämte Lächeln, der erkünstelt langsame Gang, und darauf du Stillstehen sind der Weiber 8chmuck und Waffen zugleich.» Oder auch: Ein leises Lachein auf den Lippen, ein Reichthum an geraden und beweglichen Blicken, ein sanfter Fluss der Rede, welchem Worte jugendlicher Ausgelassenheit besondern Reiz verleihen, die Art und Weise aufzubrechen, ein Ueberfluss an üppigen Spielen und Scherzen: wai ist denn hier auf Erden nicht entzückend an einer Gazellenaugigen, die an die erste Jugend streift?*

1 Diese interessanten Nachrichten über die Person Bhartriharft verdanken wir Max Müll er 's geistvollem Excurs über „die Renaissance der Sanskrit-Literatur" in seinem Buche „Indien in seiner weltgoschichtL Bedeutung" p. 302 flg. Daselbst findet man auch ein Gedicht angeführt, in dem Bhartrihari sich selber tadelt, weil Laienschaft und Priesterthoxa mit ihm wie mit einem Kinde spielten; desgL eine hübsche kleine Ge- schichte, wie er, als Mönch im Kloster lebend, einen Studenten veran- lasst habe, ihm einen Wagen ausserhalb des Klosters bereit an halten für den Fall, dass die weltlichen Leidenschaften zu stark in ihm die Oberhand gewinnen möchten. (KB. Es war den buddhist. Mönchen ge- stattet, wieder aus dem Kloster auszuscheiden.)

» Bhartrihari wird wiederholt auch als Autor des sehr künstlichen Bhattikavya genannt. Vgl. oben. M. Müller a. a. 0. p. 306. Die drsl Centurien des Bhartrihari sind von P. v. Bohlen herausgegeben (Bhar- triharis Sententiae, Berlin 1833); von demselben metrisch ins Deutsche übersetzt (Hamburg 1835).

3 Bhartrih. a. a. 0. 3. Ind. Spr. 2061. Die prosaischen üebcr- setzungen im Folgenden sind meist nach Böhtlingk's „Indischen Sprüchen'4 gegeben; die metrischen stammen von mir.

* Bhartrih. a. a. 0. 6. Ind. Spr. 3318.

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Ein anderes Gedichtchen klagt ähnlich wie Heine's „Ein Jüngling lieht eine Jungfrau", wie gar verkehrt die Neigungen sich vertheilen:

Die ich liebe, liebt einen Andern, und der Andre wieder eine Andre, and an mir findet wieder eine Andre Gefallen! Ach, über das Treiben des Liebesgottes!1

Und doch, wer kann ihm wiederstehen?

Wer wird nicht von Sehnsucht ergriffen im Frühling, wo die weite- sten Fernen vom Wohlgeruch der grossen Menge von Staubfaden der Mangoblüthen erfüllt und die Bienen vom süssen Honig aufgeregt werden?*

Nur bei Gelehrten, die ob der heiligen Schrift den Mund voll neh- men, ist vom Aufgeben der Liebe die Rede, aber auch bei ihnen nur in Worten: wer vermag den Hüften der lotusäugigen Madchen zu entsagen, den Hüften, die ein klingender Gürtel mit röthlichen Perlenknöpfen um- schliesst?»

Rehaugige Mädchen mit Händen, feucht von klarem Sandelwasser, Badehauser, Blumen, Mondschein, gelinder Wind, Blüthen und ein glan- sender Söller mehren im Sommer den Wonnerausch und die Liebe.4

Ist aber das Mädchen stolz und spröde, so warnt der Dichter und sagt:

So lange nur darf im Herzen der Jungfrauen in Gegenwart des Geliebten der Stolz Platz greifen, als nicht der reine Frühlingswind mit dem Dufte des Sandel zu wehen beginnt. (82)

In einem anderen .Gedichte klagt der Dichter, dass fern von des Mädchens Rehaugen die ganze Welt ihm dunkel ist. Ich habe dies metrisch frei wiederzugeben gesucht (14):

Wo du nicht bist und deiner Augen Schimmer, Ist's dunkel mir;

Auch bei der Kerzen strahlendem Geflimmer Ist's dunkel mir;

Selbst bei des Heerdes tranlich stillen Flammen Ist's dunkel mir;

Wo Mond and 8terne leuchten hell zusammen, Ist's dunkel mir;

Der Sonne Licht vermag mich nur zu quälen, S* ist dunkel mir;

Wo du, mein Reh, und deine Augen fehlen, Ist's dunkel mir!

Ein anderes Gedicht findet wieder alles Glücks und alles Leidens Grund in den Frauen:

1 Bhartrih. a. a. 0. 2. Vgl. Ind. Spr. 2461. 8 37. Ind. 8pr. 8224 53. Ind. Spr. 2701. 4 88. Ind. Spr. 31.

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Nichte Anderes entzückt dae Herz als die öchönhüftigen und keinen anderen Grund der Leiden giebt es als sie.1

Und ein anderes warnt:

0 Wandrer Herzt lustwandle nicht im dichten Walde, dem Körper der Geliebten, dort hauset ein Rauber, der Liebesgott!'

In einem anderen wird der Liebesgott scherzhaft als Fi- scher dargestellt, der die Menschen fängt und am Feuer der Liebe brät:

Angelnd sitzt der Gott der Liebe An dem Meere dieser Welt Und am Ende seiner Angel Er ein Weib gebunden halt; Kommen dann die Menschenfischlein, Sind nur wenig auf der Hut, Fängt er sie geschwind und brat sie In des Liebesfeuers Glutn.*

Wieder ein anderes Gedicht kann sich nicht genug darüber wundern, wie ein Wesen, das uns Schmerz, Verwirrung, Stö- rung aller Art verursacht, uns noch immer als Geliebte er- scheinen mag:

Denk* ich ihrer, ach, so fühlet Sehen mein Herz der Sehnsucht Pein, Schau' ich sie, so dringt ein Toben Mächtig in die Brust hinein, Brück' ich sie an's Herz, so schwinden Sinnen und Gedanken mein, Kann sie denn trotz allem Diesem Dennoch mir Geliebte sein?4

Und endlich wendet sich des Dichters Herz ganz ab tob der Sinnenwelt, von den Freuden der Liebe. Er ruft:

Lass ab, du Schöne, mit den Feuerblicken, Vergebens willst du unser Herz berücken. Wir sind verwandelt, Jugend ist dahin, Nach stillen Wäldern trachtet unser Sinn, Es wich die Thorheit und das Netz der Welt Für uns nur eitel Spreu und Gras enthalt»

Und endlich gar:

He, Liebesgott, wozu quälst du die Hand mit dem Gesumme des Bogens? He, Kokila, wozu lassest du deinen weichen zarten Gesas g unnütz erschallen? 0 Schöne, lass die freundlichen, schlauen, schönen, süssen, beweglichen Seitenblicke! Mein Herz lebt in dem Nektar der Vertiefung in giva's FüBse, die ich küsse.1

1 54. Ind. Spr. 3127. * 86. Ind. Spr. 642. » 84. Vgl. auch Ind. Spr. 2877. * 73. Vgl. Ind. Spr. 3320. 5 93. Vgl. Ind Spr. 1966 97. Ind. Spr. 2640.

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So kommt der Dichter endlich hei der Entsagung an, deren Verherrlichung noch die ganze dritte Centurie gewidmet ist.

Zum Schluss sei noch das folgende allerliebste Bild aus dem Bhartrihari angeführt:

Der Wind, den wir jetst in der kalten ahreszeit haben, pflegt den Schönen gegenüber den Liebsten zu spielen: er verwirrt ihnen das Haar, liest sie die Augen schliefen, zupft gewaltsam an ihrem Gewände, er- zeugt ein allgemeines Rieseln der Haut, presst sich fest an sie, bringt sie allmählich zum Zittern und setzt den hörbar bebenden Lippen ohne ünterlass zu.1

Eine Sammlung sehr anmuthiger kleiner Gedichte ist das sogenannte Qringaratilakam, welches von der Tradition dem Kälidasa zugeschrieben wird.1 Eoht orientalisch ist die erste dieser Strophen gedacht:

Der Schöpfer hat einen reizenden See zum Baden für die durch das Feuer der Pfeile des Liebesgottes Versengten geschaffen: die zwei Arme der Geliebten sind die Stengel der Wasserrose, ihr Antlitz ist die

Lotusblume, ihre Anmuth das Wasser zum Plätschern, ihre Augen

die Fische Qaphara, ihr aufgewundenes Haar die Vallisneria und ihr Busen das Cakravaka-Parchen.*

Derartige mit kühner Phantasie ansgesponnone Verglei- chungen sind bei den Indern sehr beliebt.

Ein anderes Mal fragt der Dichter, wie es möglich sei, dass die Geliebte, die doch sonst ganz aus Blumen gebildet erscheine, ein Herz von Stein habe:

V

»

Deine Augen blaue Lotus, Deine Zahne aus Jasmin, Wie die herrlichste Nymphae Seh* ich dein Gesichtchen glühn.

Aus den Blattern zarter Pflanzen Mubs dein Leib gebildet sein, Ach, wie kam es, dass der Schöpfer Nur dein Hers geformt aus Stein?4

In allerliebster Weise stellt ein anderes Gedicht das Mäd- chen als einen Jager dar, der das Herz des Dichters verfolgt:

Mein Mädchen ist ein Jägersmann, Kömmt Btolz daher gezogen, Die Augenbrauen schlank und kühn Die sind des Jagers Bogen.

1 60. Ind. Spr. 738. 2 Eb sind 23 Strophen. Mit dem Meghadfita zusamment nebst Glossar, herausgeg von J. Gildemeister, Bonn 1841. * Qrngar. 1. 8. Ind. Spr. 1970. 4 3. Vgl. Ind. Spr. 423.

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Die Seitenblicke Pfeile sind, Sie treffen gar so schnelle, Mein Herz das ist die flüchtige Verwundete Gazelle.1

Voll Schmerz und edlen Unmuths aber sind die Worte eines Madchens gegen den untreuen Liebsten, der ihre Gunst wieder sucht:

Was kommst da zu mir nnd küssest mir Gewaltsam Wangen und Mund, Und heuchelst Reu und heuchelst Scham, Du Falscher, zu dieser Stund!

Lass los, lass los des Gewandes Saum, Was soll der falsche Schwur? Ein Blumenkranz, verworfen, verbraucht, Ach das, das bin ich ja nur!9

Es Hesse sich noch manch hübscher Gedanke aus dieser Sammlung anführen, doch ist es wohl richtiger, wenn wir uns dem Hauptwerk dieser erotischen Poesie, dem Amaruc. atakam, d. i. Hundert Strophen des Amaru, zuwenden.

Amaru ist vor Allem ein Meister in der feinen Situations- malerei. In seinen Gedichten treten uns die Liebenden vor Augen im Glück und im Sehnen, im Liebeszwist, im Schmollen und der endlichen Versöhnung, und immer neue, feine und überraschende Züge weiss der Maler diesen Bildern zu geben. Nur Eines darf man hier ja nicht erwarten, das ist eine romantisch vergeistigte Liebe; wir bewegen uns bei Amaru vielmehr durchaus in der Sphäre des sinnlichen Eros, aber die Zartheit der Empfindung, die Feinheit der Gedanken werden wir oft genug bewundern können.

Wie fein ist z. B. das Benehmen des jungen, neuvermählten

Weibes geschildert:

Schmiegt sich der Gatte an's Gewand, so neigt die Sittsame ibr Gesicht; begehrt er eine heftige Umarmung, t»o bewegt sie unbemerkt die Glieder zur Seite; sie richtet den Blick auf die lächelnden Freun- dinnen, vermag aber nichts zu sagen: es vergeht die Neuvermählte im Innern vor Scham beim ersten Scherze.*

Reizend benimmt sich das junge Weib bei der ersten

Kränkung, die sie von Seiten des Geliebten erfährt:

Bei der ersten Beleidigung des Gatten weiss das junge Weib, ob- gleich ihre Glieder in heftiger Bewegung sind, ohne der Freundin Unter- weisung kein stechendes Wort anzubringen; sie las st die Augen- Lotus

1 13. Vgl. Ind. Spr. 427. * 40. Vgl. Ind. Spr. 688. 3 Am. 37 Ind. Spr. 1675.

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umherschweifen und kann nur weinen, so dass die hellen Thranen auf die reinen Wangen stürzen and die beweglichen Locken flattern.1

Wie lieblich wagt sich wieder in einem anderen Bilde die

schüchterne Liebe hervor:

Ein junges Weih Bieht, dass Niemand im Schlafgemach ist; da er- hebt es sich leise ein wenig vom Lager, betrachtet gar lange das Ge- sicht des Gatten, der sich stellt, als ob er schlafe, und kdsst es wieder- holt und ohne Scheu; da sie aber gewahr wird, daas sich die Härchen auf seinen Wangen erheben, da neigt sie vor Scham das Antlitz und wird nun von dem auflachenden Liebsten lange geküsst*

Und wie schmerzlich klagt das junge Weib sich selbst an:

„Warum schloss ich Tbörichte den Gatten nicht in meine Arme? Warum bewegte ich mein Gesicht zur Seite, als er mich küsste? Warum blickte ich ihn nicht an? Warum richtete ich keine Worte an ihn?44 Indem ein gefühlvolles junges Weib bei aufgekeimter Neigung solche Betrachtungen über ihr Betragon als Neuvermählte anstellt, giebt sie sich der Reue hin.*

Wie zart ist auch das Folgende:

„Woher diese überaus grosse Magerkeit der Glieder? Woher das Zittern? Woher, du Liebliche, das Gesicht mit den bleichen Wangen?44 Auf diese Fragen des Gatten erwiderte die Schlanke: „Alles dieses ist von selbst gekommen* \ entfernte sich und entliess aufseufzend anderswo die Thränenlast, welche ihre Wimpern erfüllte.*

Ein Bild ganz anderer Art giebt wieder das folgende Gedicht:

Glücklich der Geliebte hier, den die Geliebte im Zorn mit ihren Fesseln, den zarten beweglichen Armlianen, fest umschlingt, am Abend in Gegenwart der Freundinnen in das Lusthaus abführt, dem sie dort mit den zarten Worten „schon wieder so44, die sie herausstammelt, seine Sünden vorhält und den sie schliesslich weinend schlagt, wahrend er lacht und nur darauf bedacht ist, Alles zu leugnen.5

Wie fein ist das sehnsüchtige Harren des liebenden Weibes geschildert:

Die Frau eines auf Reisen befindlichen Mannes schaut nach dem Pfade, auf dem dieser ihr Geliebter kommen soll, so weit das Auge nur reicht; wie aber bei des Tages Neige und bei hereinbrechender Finster- niss die Wege nicht mehr zu erkennen sind, da ist sie des Wartens müde und thut betrübt einen Schritt zum Hause hin; darauf denkt sie bei sich: „in diesem Augenblicke wird er 'gekommen sein,44 wendet rasch den Kopf und schaut wieder hin.4

1 Am. 26. Ind. Spr. 3^35. 2 Am. 77. Ind. Spr. 3010. Dass die Härchen der Haut sich vor Wonne emporrichten, ist ein häufig vor- kommendes Motiv in der erotischen Poesie der Inder. * Am. 66. Ind. Spr. 3055. * Am. 45. Ind. Spr. 27. 5 Am. 8. Ind. Spr. 751.

Am: 74. Ind. Spr. 343.

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Selbst der Humor kommt bei der Sehnsucht bisweilen zu seinem Rechte. So z. B. in folgendem Bilde:

Ein Reisender, der um Mitternacht den tiefen Ton einer ihr Wasser entsendenden Wolke vernahm, dachte lange anter tiefem Seufzen und mit Thr&nen im Auge der Geliebten in der Ferne and heulte di4 ganze Nacht aus vollem Halse dermassen, dass die Dorfbewohner dem wan- dernden Manne den Aufenthalt in ihrem Dorfe untersagten.1

Mit besonderer Feinheit sind die verschiedenen Stadien und Arten des Schmollens, des Zwistes und der endlichen Ver- söhnung zwischen den Liebenden geschildert. So z. B.:

„Las* fahren, o Schlanke, den Zorn ! Sieh mich zu Füssen dir liegen! Noch niemals gabst du solchem Zoro dich hin!1' Als so der Gatte sprach, da richtete die Geliebte die halbgeschlossenen Augen seitwärts, Hess reichliche Thr&nen fliessen, aber kein Wort über ihre Lippen kommen.1

Oder auch folgendes Bild:

Erwartet sie einen Fussfall von meiner Seite, so bedeckt sie sorg- fältig die Füsse mit dem Saume des Gewandes; eifi Lachen, das {Iber sie kommt, sucht sie durch eine List xu verbergen; gerade in*s Antlitz schaut Bi'e mir nicht; wenn ich Etwas sage, so sagt sie das Gegentheü davon, richtet die Rede aber an die Freundin: mag sie die heisse Zu- neigung immerhin zurückhalten, auch das Schmollen nimmt einen rei- zenden Ausgang.*

Energischer ist eine Andere, und doch gelingt es auch ihr nicht, der Liebe Herr zu werden:

„Das Herz berste mir, der Liebesgott mache nsch Herzenslust den Leib mir schmachtig, ich habe, o Freundin, mit dem Geliebten, da seine Zuneigung so unbeständig ist, nichts mehr zu schaffen!*' Solche Worte stiess eine Gazellenaugige im Uebermass ihres Grolles heftig aus und schaute dabei angstlich auf den Pfiad, auf dem der Geliebte zu kommen pflegte.4

Und wie fein ist die folgende Schilderung:

0 wie das Auge der mit dem untreuen Liebsten Schmollende) ein Meister geworden ist in der Kunst, die mannigfachsten Formen anzu- nehmen! Ist er noch in der Ferne, so blickt es sehnsuchtsvoll; ist er herangetreten, so wendet es sich zur Seite; redet er sie an, so thut es sich weit auf; umschlingt er sie, so wird es roth; ergreift er ihr Ge- wand, so runzelt es ein wenig die Brauenliane; macht er Anstalt sich ihr zu Füssen zu werfen, so füllt es sich mit Thranonnass.8

Wie reizend ist es, wenn die Liebende schmollen will und zaghaft beim Versuche stehen bleibt:

Wenn auch die Branen gefurcht werden, so blickt das Auge doch überaus sehnsuchtsvoll; wenn auch die Bede unterdrückt wird, so zeigt dieses betrübte Gesicht doch ein Lachein; wenn auch das Herz zur Harte

1 am. 11. Ind. Spr. 1335. * Am. 8&. Ind. Spr. 8237. * Am. 42. Ind. Spr. 396. 4 Am. 71. Ind. Spr. 3316. 6 Am 44. Ind.. Spr. 1219.

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hingeleitet wird, so fingt die Haut am Körper doch an zu rieseln: wie wird beim Anblick des Geliebten des Schmollens Ausgang sein?1

Dann nimmt die erfahrene Freundin sie bei Seite und will ihr einen guten Rath geben:

„Einfältige, warum gedenkst du all die Zeit in blosser Einfalt zu- zubringen? Lege Selbstgefühl an den Tag, zeige Entschlossenheit, gieb gerade Wesen gegen den Geliebten auf!" So von der Freundin er- mahnt, giebt sie mit erschrockenem Gesicht folgende Antwort: „Sprich leiae, der mir im Herzen wohnende Liebste könnte es ja hören!"*

Aber wenn die Liebende, auch der Freundin folgen will, Sure eigentliche Gesinnung tritt nur zu bald zu Tage:

Nachdem sie gerade so viele Worte, als die hinterlistigen Freun- dinnen sie gelehrt, eiligst tor dem Gatten, als er eines Vergehens sich •chuldig machte, vorgebracht hatte, begann sie gleich darauf sich so zu benehmen, wie es der LiebeBgott erheischte: dies ist eine der reizen- den Verfahrungsweisen, die der durch Unschuld gezierten Zuneigung eigen ist*

Sie schmollt, aber die Thräne spricht besser von ihrer

Liebe, als Worte es vermöchten:

Als ihr Groll im Verrauchen war und sie ihren Antlitzmond in die Hände brückte, als ich alle Mittel schon erschöpft hatte und mir nur noch die eine Zuflucht blieb, mich ihr zu Füssen zu werfen; da verkündete sie mir plötzlich ihre Gunst durch einen Thr&nenstrom, der, bis dahin in der Höhlung der dichten Augenwimperspitzen zurückgehalten, jetzt an ihrem Busen zerstob.4

Und wie reizend ist es, wenn die Schmollenden sich ver- söhnen:

Mann und Frau ruhen auf demselben Lager mit abgewandtem Ge- sichte, reden nicht mit einander und sind arg verstimmt; obgleich in Beider Herzen Zuneigung vorhanden ist, so bewahren sie doch die an- genommene Würde; allmählich wenden Bich die Augenwinkel und wie ihre Blicke zusammentreffen, so ist der Groll gebrochen, so dass sie unter Lachen sich leidenschaftlich umarmen.6

Ist aber das Schmollen zu weit getrieben, dann kann es

den Verlust der Liebe zur Folge haben:

Warum weinst du, o Zornige, still für dich hin und stössest be- standig mit der Fingernagelspitze das Thr&nenwasser herab? Du wirst noch mehr und laut weinen, da dein Geliebtester, überdrüssig deines Schmollens, das durch die Rathschl&ge von Zuträgern einen hohen Grad erreicht hat, gegen deine Zuneigung gleichgültig werden wird.6

1 Am. 24. Ind. Spr. 2083.

* Am. 67. Ind. Spr. 2215. Dleg reizende kleine Gedicht habe ich versucht in freierer Weise metrisch wiederzugeben, In meinem Vor- trag „Ueber die Poesie des indischen Mittelalters" (Dorpat 18811 p zl.

* Am. 43. Ind. Spr. 3244. * Am. 19. Ind. Spr. 530. * Am. 19. Ind. Spr. 530. Am. 80. Ind. Spr. 28.

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0 da mit dem unbeständigen Herzen! Weshalb hast du den Ge- liebten, als er ans freiem Antriebe, von Liebe überfliessend, auf solch« Weise in dein Gemach kam und sich dir zu Füssen warf, nicht be- achtet? Nun so trage denn jetzt, so lange du lebst, die Frucht deines bösen Zorns: das Glttck wird dir nimmermehr aufgehen, dein Schutz und Hort werden die Thränen sein.1

Und schmerzvoll klagt das Mädchen, das die beglückende Liebe wirklich verloren:

Der Liebe Band ist zerrissen, die aus der Zuneigung entspringende Achtung verschwunden, das freundliche Wesen dahin, der mir zunächst Stehende bricht vor meinen Augen auf, als wäre er ein mir Fremder: so oft ich daran und an jene dahingeschwundenen Tage zurückdenke, kann ich nicht begreifen, warum das Herz mir nicht in hundert 8tücke springt.*

Viel reizende Bilder, viel innige Aeusserungen der Liebes- empfindung Hessen sich aas Am am 's Gedichten dem hier Ge- botenen noch anreihen. Es ist überraschend , wie der Dichter es versteht, in einem verhältnissmassig beschränkten Kreise, bei Situationen und Empfindungen, die einander sehr ähnlich sehen, durch immer neue Züge, immer neue Wendungen das Interesse zu fesseln, so dass wir gern immer weiter lesen.9

Aber auch andere Dichter, andere Sammlungen bieten des Schönen und Interessanten viel, und wir wollen doch wenigstens einige Proben davon kennen lernen.

Wie herzgewinnend spricht z. B. ein liebendes und ge- liebtes Mädchen im Sahityadarpana, einem rhetorischen Werke, das manche poetische Perlen aufbewahrt hat:

Meine Kleider sind, o Freundin, nicht hübsch, mein Halsschmuck nicht glänzend mein Gang nicht tänzelnd, mein Lachen nicht laut- schallend, auch habe ich nicht den geringsten Hochmuth; dafür sagen aber sogar die andern Leute, dass mein Liebster, obgleich er schön sei, seinen Blick auf keine Andere werfe, und ob solchen Besitzes halte ich Jedermann für arm.4

In einem anderen Gedicht derselben Sammlung fragt die Liebende sorgend:

1 Am. 96. Ind. Spr. 901. 8 Am. 88. Ind. 8pr. 817.

* Der Text des Amarucatajka ist herausgegeben und ins Franzö- sische übersetzt von A. L. Apudy (pseudon. f. Chezy), Anthologie ero- tique d'Amarou, Paris 1881. Rackert gab im Jahre 18S1 „Achtand- dreissig sanskritische Liebesliedchen" des Amaru in deutscher lieber- tragung heraus. (Musenalmanach f. 1881.) Ich habe, durchgangig die pros. Üebersetzung von 0. Böhtlingk in dessen Indischen Sprüchen vorgezogen.

* 8ah. D. 84. Ind. Spr. 3659.

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„Hat. ihn eine Geliebte gefesselt oder meine Freundin zurück- geschreckt? Oder ist irgend ein wichtiges Geschäft die Ursache, dass der Geliebte heute nicht gekommen ist?" Unter solchen Betrachtungen drückt die Gazellenaugige ihr Lotusantlitz in die geöffneten Hände, seufzt tief auf, weint lange und wirft die Blumenkranze von sieh.1

Welch ein anmuthiges Bild!

Sehr zart heisst es in demselben Werke:

Obgleich meine Schuld offen zu Tage liegt, so spricht die Geliebte doch kein hartes Wort, zeigt keine gerunzelten Brauen, wirft nicht 'vom Ohr den Schmuck zur Erde, richtet nur die thranenvollen Augen auf das Antlitz der Freundin, die draussen die Augen auf die Fensteröffnung Im Schlafgemach geheftet hat.*

Und eben dort fragt der entzückte Liebende:

Wem, wenn er der Zartheit deines Leibes inne wird, scheint nicht Jasmin, Mondsichel und Pisang hart?»

Sehr reizend sagt ein anderer Dichter:

Als du, o Schlanke, ins Wasser stiegst, um zu baden, hat sicherlich die weisse Wasserlilie dir die Anmuth des Lachens gestohlen, die blaue Wasserlilie die Anmuth der Augen und die am Abend sich schliessende Wasserrose die Anmuth des Antlitzes.4

Ein anderes» wunderschönes Gedicht beruht auf dem poeti- schen Glauben, dass die rothen Blüthen des Acokabaumes nur dann sich erschli essen, wenn eines schönen Mädchens Fuss sie berührt hat Ich gebe dasselbe in metrischer Form wieder:

Wie reizend, du holder Acokabaum, Deine röthlichen Blüthen prangen! 0 sprich, wo ist die Schlanke mein, Wo ist sie hingegangen?

Du schüttelst im Winde dein blühendes Haupt, Als wüsstest du nichts zu sagen, Do holder Acoka, und kannst doch gewiss Stillen die bangen Fragen.

Es blühn ja deine Blüthen nur, Wenn dich ein Fuss gestreifet, Ein Fuss Ton der allerschönsten Maid. Die liebetraumend schweifet.

Du könntest nimmer so Toll, so schön Im 8chmucke der Blüthen prangen, Wenn meine Liebste dich nicht berührt, 0 sprich, wo sie hingegangen!6

* Sah. D. 49. Ind. Spr. 663. 2 Sah. D. 53. Ind. 8pr. 1426.

Sah. D. 298. Ind. Spr. 1080. * Kavyad. 2, 274. Ind. 8pr. 4269.

* Kavyapr. 105. Vgl. Ind. Spr. 2580.

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In jenem „rothblühenden Garten im stillen Mondenschem", auf den Fluren des Ganges, von dem der Dichter singt, da müssen wir uns Ac,okabäume blühend denken I Ein anderes Mal erscheint dem Dichter die Geliebte im Traum:

Ich erinnere mich, dass ich hente im Traume die Geliebteste sah, wie sie vor Zorn das Gesicht von mir ab wandte und darauf mit den Worten „berühre mich nicht mit der Hand" weinend tu gehen sich an- schickte; noch ehe ich aber die Geliebte mit Hunderten von Schmeichel- worten zurückgehalten hatte, ward ich, o Bruder, durch das böse Schicksal um meinen Schlaf gebracht1

Bei einem anderen Dichter spricht das liebende Mädchen

verwundert zu sich selbst:

Der Geliebteste in der Ferne, die Regenzeit soeben eingetreten, die Nicola in Blüthe gesehen und ich nicht todt was ist das?«

Bisweilen begegnet uns auch ein schalkhafter Humor. So

klagt ein Dichter:

Als wir erfuhren, dass das Herz ein Neutrum (Eunuch) sei, sandten wir es als Boten zur Liebsten; es fst aber dort geblieben und buhlt mit ihr: Panini hat uns in*s Verderben ge9türst*

In reizend poetischer Weise wird das Reich der Pflanzen und Thiere in dieser Poesie behandelt; z. B.:

„Den lieben Freund, der uns Gutes erwies, den Sonnengott möchten wir nicht strahlenlös hinabsinken sehen." So dachten gleichsam seine Frauen, die Tag Wasserrosen, und schlössen ihre Augen, die Blüthen.4

Es ist dies das Gegenbild zu Heine's Lotusblume, die nur dem Monde sich öffnet, ein Bild, das übrigens gleich- falls dieser Poesie entstammt.

Wie tief und fein heisst es bei einem Dichter:

Sieh, während alle anderen Vögel sich frei ergehen dürfen, wirst du, o Papagei, zum Lohn für deine süsse Stimme in einen Käfig gesperrt!*

Und wie rührend ist der kurze Traum einer Biene:

„Die Nacht wird vorübergehen, ein schönes Margenroth anbrechen, die Sonne aufgehen, die Pracht der Tag Wasserrosen sich entfalten/' W&hrend eine in einem Blumenkelch eingeschlossene Biene solchen Ge- danken sich hingiebt, hat, sieh da, ein Elephant, o weh, die Lotas- pflanze ausgerissen!6

Wie anmuthig erzählt diese Poesie von dem Vogel Cakora, der die Strahlen des Mondes trinken soll; ihm wird der he- bende Jüngling verglichen, der mit seinen Augen die Strahlen

* Kuvalay. 126, b. Ind. Spr. 1417. Panini ist Verfasser der berühm- testen Sanskrit-Grammatik. * Bhojaraja', Ind. Spr. 3966. » Euvalay 162, a. Ind. Spr. 3881. * Bhramarashtaka 8. Ind. Spr. 2625.

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aas der Liebsten Antlitz trinkt. Ein Bild edlen Stolzes .stellt der oft erwähnte Vogel Cataka dar, von dem es heisst, dass er kein andres Wasser trinke, als dasjenige, was die Wolke, was Gott Indra, der Regenspender, vom Himmel sendet; er verdurstet lieber, als dass er sich nach irdischen Wassern bückt. Ein andrer Mythus sagt von den Cakravaka- Vögeln, dass sie einem Fluche zufolge Nachts sich trennen müssen. Dann rufen sie sich wehmiithjge Klagen zu, ein Sinnbild der ge- trennten Liebenden.

Es ist eine Welt voll Ptoesie und Schönheit, die sich hier vor uns aufthut, eine reizvoll anziehende, blühende, duftende Welt, mit hochragenden Bäumen und entzückend schönen Blumen in endloser Fülle, mit buntbefiederten, lieblich singenden Vögeln, schlanken Fl&mingo's und treublickenden Gazellen, und lockend grüssen uns die Augen der indischen Mädchen, von deren Schöne diese Dichter so viel zu singen wissen.

Es liegt uns nun auch noch eine sehr bedeutende Anzahl kleiner lyrischer Gedichte im Prakrit-Dialekt vor, vor Allem in einer umfangreichen Anthologie, dem sogenannten Saptaga- takam des Hala, das uns durch A. Weber zugänglich gemacht worden ist1 Die hier enthaltenen Poesien sind grösstenteils erotischen Inhalts, und finden wir neben so manchen üppigen Ausgelassenheiten eine Fülle der lieblichsten Dichtungen. Viele sind ganz lyrisch, während andre mehr allerliebsten kleinen Genre-Bildern gleichen, und bewährt sich auch hier wieder das Talent der Inder für die feine KleinmalereL Ein reicher Schatz indischer Volks lyrik ist hier erschlossen.

Nur einige Proben aus der Sammlung des Hala seien hier in der wohlgelungenen metrischen Uebertragung von Hermann Brunnhofer* mitgetheilt, um das Interesse auch diesem sehr beachtenswerthen Gebiete der indischen Lyrik zuzuwenden.

Beizend und durchaus originell indisch ist z. B. das fol- gende Bild der Mondnacht:

Oleich als ein weisser Flamingo Wandelt in gilberner Pracht Der Mond am fleckenlosen Himme Isteiche der Nacht

1 Weber's Ausgabe des Hala ist erschienen in den Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, Bd. VII No. 4, Leipzig 1881. Weber giebt auch eine prosaische Uebersetzong der kleinen Gedichte. (Die ersten 400 schon Abhdl. f d. K. d. Morg. Bd. V, No 8).

üeber den Geist der indischen Lyrik von Hermann Brunnhofen Leipzig 1882. Man findet dort eine grössere Anzahl von Liedern des H&la sehr ansprechend metrisch übersetst.

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Kein Wölkchen trübt die Klarheit, Die Luft ist göttlich rein; Es funkeln die Sternenblumen Leuchtend in*s All hinein.

Der Liebende spricht:

Schweift auch mein Blick in ungemessne Feme, Stehst du vor mirl

Sind doch der Himmel und die Pracht der Sterne Ein Bild von dirl

Wie hübsch ist manches Genre-Bild in dieser Sammlung. Ein Mädchen z. B., das das Reisfeld hüten soll, aber um seiner Anmuth willen von Jedermann unnöthig nach dem Wege ge- fragt wird, ruft zuletzt ganz ärgerlich:

Mag das Feld nicht länger hüten! Sollte selbst ein ganzei Schwärm Fapagefn im Reise brüten, Schüfe das mir keinen Harm.

Wer nur immer rein zufallig

An dem Feld vorrüberrennt,

Halt und fleht: „den Weg gefallig!"

Wenn er auch ihn trefflich kennt

Eine schöne Müllerin bezaubert aller Herzen:

Unverwandten Auges blicken Wandrer auf die Bauernmaid, Deren Reize sie bestricken, Ob auch mehlbestaubt ihr Kleid.

Und die mahlgeachaftverlorne Müllerin feiert solchen Sieg, Wie dereinst die Schaumgeborne, Als sie aus dem Milchmeer stieg.1

Ein Blumenmädchen hat mit den glänzend weissen Armen Unheil angerichtet:

Blumenmädchen mit schneeigen Annen, Die uns soeben mit Kränzen geschmückt, Hast, wie die Blumen, so auch ohn' Erbarmen Uns mit den Armen die Herzen zerpflückt!

Doch genug! Nicht weiter darf ich diese Mittheilungen ausdehnen. Meine Absicht wird erreicht sein, wenn Sie, meine Herren, deutlich den Eindruck gewonnen nahen, dass auch an echter, tiefer Lyrik, an feiner Liebespoesie die Inder einen reichen Schatz besitzen, an dessen origineller Schönheit wir Auge und Herz erquicken und erfreuen können.

L Lakshmi, die indische Aphrodite, entstieg dem Ocean bei desien Quirlung durch Götter und Dämonen.

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Vierzigste Vorlesung.

-

Jsvadeva'i Gltagovinda, eine lyrisch -dramatische Dichtung. Bedeutung dieses Werks für die Geschichte des Dramas. Entstehung des Dramas ia Kreise der Vishna-Krisbna- Verehrer, mysterienartig. Die bengalischen Vitra' s. Formschönheit des Gltagovinda. Mittheilungen aus Rückert's

üebersetzung des Gltagovinda.

Bevor wir uns von der lyrischen Poesie der drama- tischen zuwenden, müssen wir unsre Aufmerksamkeit noch auf eine interessante und viel gefeierte Schöpfung dos indischen Mittelalters richten, welche gewissermassen gerade in der Mitte zwischen den genannten Dichtungsarten steht. Es ist dies das berühmte Gedicht Gltagovinda, dessen Dichter Jayadeva einem unverdächtigen Zeugniss zufolge im zwölften Jahrhundert nach Chr. lebte, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach in Bengalen.1 Wir können diese Dichtung eine lyrisch-drama- tische nennen und leitet uns dieselbe in ganz naturgemässer und passender Weise zum Gebiete des Drama's hinüber, um so passender, als diese Compositum, wie wir gleich sehen werden für die Erkenntniss der ältesten Geschichte des Drama's nicht ohne Bedeutung ist.

Den Inhalt des Gltagovinda bildet die Liebe des Krishna zur schönen Hirtin Rad ha, ihre Entzweiung und endlich ein- tretende glückliche Versöhnung. Diese Dichtung versetzt uns in jene Periode von Krishna's Leben , wo er selbst als Hirt (Govinda) anter den Hirtinnen am blühenden Ufer der Yamunä lebte und die Lust des Lebens und Ließesglückes in vollster üppigster Weise genoss. Die einzelnen Personen dieses Liebes- dramas, Krishna, die Geliebte Radha und deren vertraute Freundin treten in einer Art lyrischer Monologe auf, wobei bald eine

1 Jayadeva lebte zur Zeit des Königs Lakshmanasena, unter welchem nur der Vaidyakönig von Bengalen verstanden werden kann, von dem wir eine Inschrift a. 4. J. 1116 besitzen. (Vgl. Buhler, Re- port p. 64. Pischel, Gott. Gel. Anz. 1883. Stück 39, p. 1222.)

t. Schröder, Indien* Llt. u. Calt. 37

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zweite Person als Zuhörer gedacht wird, hald auch nicht Eigentlicher Dialog findet nicht statt. Der Dichter selbst fuhrt in kurzen einleitenden Strophen die Personen vor und beschreibt kurz die Situation und Geraüthsverfassung, in der sie sich be- finden, — dann beginnt der Gesang.

Lassen hat nun schon vor längerer Zeit die Ansicht ausge- sprochen, — und dieselbe hat entschieden viel Wahrscheinlich- keit für sich, dass die dramatische Poesie sich zuerst in den Kreisen der Vishnu- Verehrer entwickelt habe, und dass wir in dem Gitagovinda, wenn dieses Werk auch aus viel späterer Zeit stammt, ein Beispiel, oder richtiger ein Abbild jener äl- testen dramatischen Dichtung vor uns haben. Selbstverständ- lich hat* er damit nur sagen wollen, „dass in einer viel früheren Zeit Scenen aus der Geschjchte Krishna's oder Vishnu's auf eine ähnliche Weise dargestellt worden seien, ohne an eine Aehnlichkeit mit der sehr künstlichen Sprache und der aus- gebildeten Verskunst des späteren Gedichts zu denken." 1 Es wurde der Gitagovinda bei dem zu Ehren des Krishna gefeierten» Rasa genannten Feste vorgetragen, und wurden bei dieser Ge- legenheit auch Tänze aufgeführt und Lieder zu Ehren des Krishna gesungen.*

Zu der Annahme, dass das älteste Drama mit dem Cultus des Vishnu-Krishna in nächster Beziehung stand, stimmt auch Dasjenige, was die einheimische Tradition über die Anfänge des Dramas zu berichten weiss. Das Schauspiel, welches Bha- rata, der mythische Schöpfer des Dramas, vor den Göttern aufgeführt haben soll, war die Gattenwahl der Laksbml, der Frau des Vishnu. Ferner sagt die Tradition, dass das Samgita, eine aus Musik, Tanz und Gesang gemischte Aufführung von Krishna und den Hirtinnen ausgegangen sei.8 Es ist diese An- nahme weiter noch glänzend bestätigt worden durch den Nach- weis, dass das Mah&bhashya, ein berühmtes grammatisches Werk, das etwa aus dem zweiten Jahrhundert vor Chr. stammen dürfte, unzweideutig dramatische Aufführungen der Tödtung des Kamsa und der Gefangennahme des Bali4 erwähnt, und dies sind ja gerade wieder Vorgärige aus der Geschichte des Krishna.5 Es

1 S. Lassen, Ind. Alt. II9, p. 509.

* S. Landen a. a. O., sowie auch in den Prolegomena zu seiner Ausgabe des Gitagovinda p. VII.

8 Lassen, Ind. Alt II* p. 609; Prolegom. zum Gltagov. p VII.

4 Kamsavadha und Balibandha.

5 8. Weber, Ind. Lit. '2. Aufl. p. 215 Anm. Windisch, der grieeb. Einfluss im indischen Drama, p. 6.

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handelt sich bei alledem um eine Art religiöser Festspiele und Aufzüge, ähnlich den Mysterien des christlichen Mittelalters. An bestimmten Tagen, die dem Andenken des Gottes Vishnu- Krishna geweiht waren, führte man zu Ehren desselben hervor- ragende Scenen und Vorgänge aus der Geschichte oder Sage dieses Gottes vor versammeltem Volke auf. Tanz, Musik und Gesang spielten bei diesen Aufführungen die wichtigste Rolle, und wurde von der eventuell eintretenden prosaischen Rede oder dem Dialog vermuthlich das Meiste der Improvisation überlassen. Aus solchen Festspielen entwickelte sich dann das Drama, ähnlich wie die griechische Tragödie aus den Fest- spielen zu Ehren des Dionysos.

Von hohem Interesse für diese Frage sind die sogenannten Yatra's1 oder volksmässigen Schauspiele, welche sich bis auf den heutigen Tag in Bengalen erhalten haben. Dieselben stellen in dfr Regel Begebenheiten aus dem Leben des Krishna dar und bestehen, wie uns schon Wilson unterrichtet hat, aus Liedern, untermischt mit extemporirtem Dialog. Die Personen sind gewöhnlich Krishna, seiue Geliebte Rädhä, sein Vater, seine Mutter, die Hirtinnen und der Spassmacher Narada.* Neuerdings sind diese Yatra's auch von einem Inder, Nisikanta Chattopadhyäya aus Calcutta, näher beschrieben worden.8 Derselbe hebt die Aehnlichkeit dieser Hindu-Festspiele mit den christlichen Mysterien stark hervor.4 Sie haben nach seiner Darstellung ihren Ursprung in Festen und Processionen, die zum Cult des Krishna und andrer populärer Götter gehörten und haben hauptsächlich die Erlebnisse Krishna's zu ihrem Gegenstand.5 Der Hauptinhalt dieser Festspiele besteht in ly- rischen Strophen, die theils gesungen, theils recitirt werden (Arie und Recitativ), während der Dialog nur mangelhaft aus-

1 yatra bedeutet eig. Gang, Fahrt (von der Wurzel ya gehen); dann festlicher Zug, Procession; dann bezeichnet es die im Text besprochenen Schauspiele, deren Name somit schon ihren Ursprung aus den „Proces- siooen4* der Feste bekundet.

* H. H. Wilson, Theater: der Hindu's, Einl. p. IX der deut- schen Uebersetzang (Th. I Weimar 1828; Th. II 1831).

The Yltras or the populär dramas of Bengal, by Nisikanta Chattopadhyaya, of Calcutta, London 1882 (Doctorschrift der UnU ▼ersitat Zürich).

4.Vgl. Nisikanta Cbajtopadhyaya a. a. 0. p. 43.

5 Oder doch Vorginge, die zum Vishnu- Mythus gehören. Weit seltener sind die Yatra's, die im Kreise der Qiva -Verehrer entstanden, Stoffe behandeln, die in Beziehung zu diesem Gotte stehen. Vgl. Nisi- kanta a. a. 0. p. 4 und 43

37*

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gebildet ist, Manches der Improvisation überlassen bleibt Die Verfasser der Yatra's sind auch heutzutage noch hauptsächlich brahmanische Priester.1

Wir dürfen nach alledem also wohl behaupten, dass solche halblyrische Darstellungen aus der Geschichte des Krishna sich viele' Jahrhunderte hindurch in dem indischen Volke er- halten haben.1 Der Charakter derselben, wie ihn der Gitago vinda wiederspiegelt, hat sich bis auf den heutigen Tag wesent- lich unverändert erhalten. Der G i tag o v i n d a ist geradezu nichts als eine verfeinerte Yaträ.8 Der Dichter Jayadeva, aller Wahrscheinlichkeit nach selbst ein Bengale, fand diese Auf- führungen in seinem Volke vor und verstand es, mit genialem Geiste, eine lyrisch-dramatische Dichtung dieser Art zu schaffen, die nun freilich durchaus Kunstdichtung ist aber nichts- destoweniger in Anlage und Inhalt eben jene volksmässigen Darstellungen aus Krishna's Leben wiederspiegelt

Sehen wir uns nun den Gitagovinda selbst etwas näher an. Es ist dies eine Dichtung von höchster Formvollendung, von einer Anmuth und Leichtigkeit in der Behandlung der schwierigsten Formen, die wirklich staunenerregend ist und nicht ohne Grund das Entzücken der indischen Aesthetiker bildet Hier entfaltet sich ein Reichthum der mannigfachsten Maasse in reizender, weicher, melodischer Sprache, durchaus dem erotischen' üppig sinnlichen Inhalt entsprechend. Prächtig fluthen, stürmen, tanzen und gleiten diese Rhythmen dahin, unter Alliterationen und vielfach verschlungenen Reimen, die nicht nur am Ende der Zeilen, sondern auch innerhalb der- selben auftreten. Die Gluth und Leidenschaft, die sinnliche Trunkenheit, die alle Empfindungen und Gedanken hier durch- zittert, hat sich in Formen ergossen, die entzückender, berau- schender, bestrickender kaum gedacht werden können.

Herausgegeben ist der Gitagovinda von Lassen, nebst Einleitung und lateinischer Uebersetzung, Bonn 1836.4 Bald darauf1 erschien auch eine kunstvoll schön gelungene Ueber-

1 Nisikanta a. a. 0. p. 43. Es hat sich neuerdiflgs als Verfasser

solcher Stacke £rl Erishnakamala Gosvaml zu Dacca in Bengalen hervor- gethan. Vgl. a. a. Ö. p. 8 flg.

ä Falls auch die im Mahabhashya erwähnten Darstellungen, aus der Geschichte. Krishna's denselben halblyrischen Charakter trugen wie doch wohl anzunehmen ist so dürfen wir sagen, dies Genre habe sich ca. zwei Jahrtausende hindurch erhalten.

* Vgl. Nisikanta a. a. 0. p. 8.

* Auch von Jlvananda Vldyäsagara, Calcutta 1882.

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setzung desselben von Rück er t,1 und wenn sie auch natürlich die Schönheit des Originals nicht erreicht, so kommt sie der- selben doch vielleicht so nah, wie dies in deutscher Sprache überhaupt möglich ist Mit ihrer Hülfe wollen wir es ver- suchen, einen Ueberblick über das Gedicht zu gewinnen.1

Der Gltagovinda beginnt derart, das 3 Radha, von Liebes- kummer bedrängt, im Walde trauernd Krishna sucht» der mit den Schaaren der scbönen Hirtinnen an üppigen Tänzen sich ergötzt und die einst so glühend Geliebte vergessen zu haben scheint. Die Freundin tritt zu ihr und berichtet ihr von des Geliebten Treiben.

Im Frühlingshauch, mit frühlingsblumenzartem Leib, Im Walde wallend, Krishna suchend überall. Von Käma's Kammer schwor bedrängt, verwirrten Sinns, Ward Radhä von der Freundin angeredet so:

Unter malayischem , duftende Nelkengebusche besuchendem Hauche, Unter dem bienenumschwärmten, Yon Kokila's Rufen ertönenden Strauche,

Hari* nun spielet im Lenze, dem frohen, Tanzet, o Freundin, mit Mädchen, zur Zeit, die nicht süss ist wo Liebe

geflohen.

Wo sich von Frau'n der Verreisten erheben aus sehnender Liebe die Klagen, Vakula- Kronen den immenbelagerten Blüthengeweben entragen,

Hari nun spielet im Lenze, dem frohen, Tanzet, 0 Freundin, mit Madchen, zur Zeit, die nicht süss ist wo Liebe

geflohen.

Wo sich mit Mosohusgedüfte berauschet das junge Gespross der Tamalen, Kiincuka-Blüthen wie Madana's Nagel, die herzenzerreissenden strahlen; Hari nun spielet u. s. w.

Wo wie die Scepter des Königs Anaöga4 Bind blühende Kecara's golden, Bienengefüllet wie Köcher Kandarpa's sich zeigen die Patali-Dolden: Hari nun spielet u. s. w.

Wo, die entfesselte Schöpfung erblickend, die spriessenden Karuna's lachen, Ketaki-Stengel wie liebeverwundende Spiesse die Gegend umwachen; Hari nun spielet u. s. w.

1 Erschienen in den Abhdl. f. d. Kunde d. Morgenl. Bd. I. Es war übrigens früher schon eine prosaische Uebersetzung des Gitag. er- schienen von F. H. v. Dalberg, Erfurt 1802; desgl. eine metrische von A. W. Riemschneider, Halle 1818.

3 Ich halte die folgenden Mittheilungen aus Rückert's Uebersetzung am so mehr für angezeigt, als dieselbe verhaltnissmässig nur wenig be- kannt und verbreitet ist. Eb wäre zu wünschen, dass sie einen Neu- druck erführe. Ich habe mir wieder nur in der Namenschreibung Aende- rnngen erlaubt, um keine Inconsequenzen entstehen zu lassen.

* Hari, ein Beiname des Vishnu-Krishna.

* D. i. der Liebesgott.

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Wo, vom Gerank Atimukta's umarmet, der Amra, der knospende, schaudert Düren Vrindavana's Dickicht sich schlingend die schlängelnde Yamaoi

zaudert;

Hari nun spielet u. s. w.

Nun in dem Mädbavi-Düfte verhauchenden, Malika-Balsam-bethauten, Selber die Sinne des Bussers berauschenden, zaubrisehen Jugend-

vertrautere -

Hari nun spielet im Lenze, dem frohen, Tanzet, o Freundin, mit Mädchen zur Zeit, die nicht süss ist wo Liebe

geflohen.

Aus Blumenstaube, der entstiebt gespaitnem Schoosse Der Malli-Blütho, webt ein hainbeflorend Flonelt Er jetzt, der sengt das Herz wie Pancabäna's 1 Odem, Ketaki's Duftgespiel, Duftwagenlenker Lenz wind.

Und wieder redet dann die Freundin zu R&dhä, auf den liebreizenden, hundert Frauen „zu umfangen geizenden" Krishrui in der Nähe hinzeigend:

Sandelgcsalbeten bräunlichen Leibes im gelblichen Kleid, der Bekränzte, Ringe des Ohres im Tanze bewegend um Wangen, vom Lächein beglanxt«, Hari im munteren Mädchengedräng, Mit scherzenden scherzt er im Freudengepr&ng 2

Mit den erschwellenden wallenden Brüsten umfangend den Hari voll Preise Singet ihm eine der Hirtinnen nach die gewirbelte Paüeama- Weise; Hari im munteren Madehengedrang, Mit scherzenden scherzt er im Freudengepr&ng.

Eine, die Lust hat aus lauschender Losheit der lockenden Augen getrunken. Steht in Gedanken nun in Madhusüdana's Antlitziiymphäe versunken; Hari u. s. w.

Eine, geschmiegt an die Seite der Wangen, um etwas in's Ohr ihm zu raunen. Küsset geschwinde den Liebsten und machet den wonnedurchschauerton

staunen.

Hari u. s. w.

1 Beiname des Liebesgottes.

' Ich kann es mir nicht versagen, die ersten dieser Strophen bei- spielsweise im Original mitxutheilen ; man kann daraus ersehen, wie fein Kückert auch die Form desselben nachzuahmen weiss.

candanacarcitanilakalevarapitavasanavanamäll kelicalanmanikundalamanditagandayugasmita^ali harir iha mugdhabadhünikare / viläsini vilasati kelipare //

piuapayodharalihärahharena harim parirabhya saragam / gopabadhür anugayati kacid udancitapancamaragam / harir iha cet.

kapi vilasaviiolavilocanakhelanajanitamanojam / dhyäyati gopabadhür adhikam madhusüdanavadanasarojam harir iha cet.

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Eine des Wirbels der Wonne verfangende ziehet am Yamuna- Strande Jenen zur luftigen Laube gewandten zurück mit der Hand am Gewände. Hari u. s. w.

Wie die vom Taktschlag schlitternden Spangen die Flöte begleiten im

t Schwünge,

Schwingt sich im rauschenden Reigen die andre, und Ilari belobet die junge. Hari u. s. w.

Eine die halset er, eine die küsset er, herzet der herzigen eine, Blicket nach jener mit lieblichem Lächeln und haschet die andere feine. Hari u. s. w.

Doch während Hari-Krishna so mit den üppigen Hirtinnen scherzt, geht RAdhä, schmerzbewegt und eifersüchtig ob des verlorenen Vorzugs, weg. Trauernd denkt sie des Liebsten, flüchtet sich in eine Laube, in deren Wipfel Bienenschwärme summen, und klagt der Freundin, dass sie stets an ihn denken müsse, der ohne sie ausgelassen fröhlich im Reigen scherze, den bezaubernden Ton der Flöte noch mit dem Nektar seiner Lippen versüssend:

Mit den erschaudernden Ranken des Armes ein Hirtinnentausend um- kränzend,

Mit bejuweleten Händen und Füssen und Busen das Dunkel durchglanzend, Dort wie sich Hari geberdet im Reigen Denk ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

Schimmer von sandelbemaleter Stirn zu des Mondes Beschämung ergiessend, Schwellende Brüste mit ungestüm pochender Pforte des Herzens um-

schliessend,

Dort wie sich Hari geberdet im Reigen Denk ich, wo munterer Scherz ihm Ist eigen.

Dann fleht sie die Freundin in beweglichen, von Liebes- sehnsucht überströmenden Strophen an, ihr doch den Geliebten zu liebender Vereinigung zuzuführen. Hari indessen gedenkt plötzlich der Radhä, und fühlt die Wunden vom Pfeile des Liebesgottes. Reuevoll entfernt er sich aus dem Chor der Hirtinnen, lässt sich bei einem Busch am Gestade des Flusses nieder und klagt sich selber schmerzlich an:

O! sie ging, wie sie hier umrungen mich sah von Frauengestalten. Im Gefühle der Schuld auch ward sie von mir zurück nicht gehalten: Harihari! Die Gekränkte, gegangen ist sie im Zorne!

"Was beginnet sie? was wohl sinnet sie, die Verlassne voll Beben? Was kann Gold nun und Gut mir gelten, was gelten Welt mir und Leben? Harihari! Die Gekränkte, gegangen ist sie im Zorne!

Ihres Antlitzes denk ich unter den Brau'n, vom Zorne verzogeu, Gleich der rothen Nymph&e, dunkel von Bienenschwarm überflogen, Harihari! Die Gekrankte, gegangen ist sie im Zorne!

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Du erscheinest mir! Ja, ich sehe vor meinen Augen dich schweben; Warum willst da mit froher Hast mir wie sonst Umarmung nicht geben? Harihari! Die Gekränkte, gegangen ist sie im Zorne 1

0 verzeih mir! und nimmer wieder von mir soll solches geschehen. Gieb, o Schönste, mir deinen Blick! ich vergeh' in ManmathaV Wehen. Harihari! Die Gekränkte, gegangen ist sie im Zorne!

So klagt und fleht er und dann wendet er sich au den Liebesgott und ruft:

Nimm zur Hand den Amra- Pfeil nicht! spanne nicht den Bogen straff! Spielender Weltbesiegerl ist Ohnmächtge fallen, Heldenthat? Schon vom Liebesblick geschosso der Gazcllenäugigen Ist dies Herz genug verwundet, das bis heut sich nicht erholt

Zu ihm, der voll Liebesunruh am Ufer der Yamunä weilt» tritt nun die Freundin Radb&'s, schildert ihm die brennende Liebesqual der Geliebten und fordert ihn auf, 2u ihr zu kommen. Sie berichtet von Rädhä:

Um vor den dicht sich ergiessenden Madana-Pfeilen* dir Schirmung zu

geben,

Wölbt sie um's Herz, wo du wohnest, ein Schild sich aus thauigen

Lotusgeweben,

Sie, von der Trennung erkrankend, Krishna! geschreckt von Anaüga's Geschossen als einzigen Hort dich

umrankend.

Ihres Gesichtes Nymphäe bewegt sie, von rinnenden Thränen umflossen, Aebnlich dem Mond, der vom Rachen des Rahu3 bedrängt hat sein

Amrit* vergossen,

Sie, von der Trennung erkrankend, Krishna! geschreckt von Anaüga's Geschossen, als einzigen Hort dich

umrankend u. s.w.

Ihre Wohnung dünkt ein wilder Wald ihr, Und ihr Mägdechor ein Jägernetz, Während ihre glühnden Seufzerhauche Bilden eines Waldbrands Flammenkranz n. s. w.

Selber vom lieblichen Kranz, der sie schmücket, Fühlt die gemagerte »ich wie gedrücket, Rädhä, in deiner Trennung, o Kecava!6

Saftige weichliche Salbe von Sandeln

Fühlt sie in Gift auf dem Leib sich verwandeln,

Rädhä, in deiner Trennung, o Kecava I

1 Manmatha, d. i. der Liebesgott.

* D. i. vor den Pfeilen des Liebesgottes.

3 Rahu, ein böser Dämon, der den Mond zu verschlingen droht

4 Amrjt ist Nektar; der Mond enthält Nektar.

5 Ein Beiname des Krishna.

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Still auf die Hand nur die Wange«aie leget, Wie sich am Abend der Mond nicht beweget, Radha, in deiner Trennung, o Kecava!

Bari, o Hari! so ruft sie erbangend,

Selbst in der Trennung zu sterben verlangend,

Radha, in deiner Trennung, o Kecava!

Sie schauert, stöhnet, winselt, zittert, schweigt, Sinnt, schwärmet, nickt, fallt, strebet, schwiemet hin; Nur deine Huld erhalt die Holde noch, 0 Himmelsarzt, sonst bleibt kein Anhalt ihr.

Wenn die Liebeskranke, süsser Götterarzt,

Deren Heilung deines Leibes Axnrit ist,

Wenn du Radha von dem Weh nicht retten willst,

Indra's Bruder! bist du hart wie Indra's Keil! u. s. w.

Hari-Kriehna beauftragt nun die Freundin, zu Radha zurück- zukehren, ihr seine Werbung zu melden und sie selbst zu ihm zu führen. Sie geht und schildert nun wieder der Radha den Zustand des Hari:

Wo malayische Lüfte1 w£hn,

schwebend Anafiga zu tragen, Blühende Knospen aufgehn,

Herzen getrennter Verliebten zu nagen, Freundin! wie schmachtet der Hainbekränzte, getrennt von dir!

Glühend am thanigen Mondenstrahl,

stellt er sich an zu sterben; Fühlend Madana's1 Pfeilqual,

klaget er laut das gedrohte Verderben. Freundin! wie schmachtet der Hain bekränzte, getrennt von dir!

Wälder wählt er zum Aufenthalt,

glanzende Schlösser verlassend, Wälzt am Boden sich stumm bald,

bald bei dem Namen dich ruft er erblassend; Freundin! wie schmachtet u. 8. w.

Dann richtet sie an Radha die Aufforderung, sich schleunig zu rüsten und zum Geliebten zu eilen, der unter einem duften- den Strauche am Ufer des Flusses ihrer harre, sehnsüchtig ihren Namen hauchend, schon in der höchsten Aufregung der Erwartung:

Schwingt eine Taube sich, regt es im Laube sich, meinet er, dass du

gekommen,

Schmücket das Lager dir, blicket mit zager Begier dir entgegen beklommen; Unter dem Duftstrauch an Yamunä's Lufthauch harret der Hainbekränzte.

1 D. h. Lüfte, die vom Malaya -Gebirge kommen. Madana, der Liebesgott

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Lass die umzingelnden, plaudernaft klingelnden, liebesverräthrUcbeD

Spaugen,

Freundin, o husche tum dämmrigen Busche, von nachtlichen Schleien

umfangen I

Unter dem Duftstrauch an Yamunä's Lufthauch harret der Haiabe-

kränzte u. i v.1

Doch Radha, durch die Liebeskrankheit zu schwach, um zu gehen, muss in dem Rankenhause liegen bleiben. Die Freun- din eilt nun wieder zu Hari, ihm diesen Zustnnd der Geliebten zu verkünden:

Ueberall schaut sie, wohin sie nur schauet. Dick, dem die Lippe von Honige thauet

Hari, o Hort! Rädhä erliegt in der Laube dort.

Hebt, dir entgegenzugehn, sie die Glieder, Sinkt sie nach wenigen Schritten danieder,

Hari, o Hort! Rädhä erliegt in der Laube dort.

Blüthen und Blätter zu Ketten verwebend. Schwärmt sie, von deiner Erinnrung nur lebend,

Hari, o Hort! Rädhä erliegt in der Laube dort

„Warum zum Ort der Bestimmung nicht eilt er?" Fragt sie bestandig, „o Freundin, wo weilt er?"

Hari, o Hort! Rädhä erliegt in der Laube dort

Küssend umarmt sie der nächtlichen Schatten Wolkengebild, das sie halt für den Gatten,

Hari, o Hort! Rädhä erliegt in der Laube dort.1

W&hrend du säumest, erliegt sie dem Drange, Jammert und harret, bereit zum Empfange, Hari, o Hort! u. s. w.

1 Beispielsweise will ich auch hier wieder einmal die beiden letrt- angeftthrten Strophen zur Vergleichung im Original mittheilen:

patati patatre vicalati patre caökitabhavadupayänam / racayati cayanam sacakitanayanam pacjati tava pantb&nam / dhirasamire yamunätire vasati vane vanamäli // mukharamadhirara tyaja manjiram ripum iva kelisololam / cala sakhi kunjam satimirapunjam cÜaya nilanicoiam / dhirasamire yamunätire vasati vane vanamäli // u. s. w.

* Die letzten beiden Strophen lauten im Original:

tvaritam upäiti na katham abhisäram / harir vadati Bäk h im anuväram / nätha hare / sldati rädhä väsagrihe //

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Bis zum Ohrläppchen schaudernd, seufzersch wellend. Mit stockender erstickter Stimme stammelnd, Auf dich, Treuloser, richtend tiefe Sehnsucht, Denkt, lustversenkt, nur dich die Rehgeaugte.

Inzwischen ist der Mond aufgegangen, und die einsame Radha, die sich auch von der Freundin betrogen glaubt, macht ihrem Gram in schmerzlicher Klage Luft:

Ach! der Freund laast zur Frist mich im Hain, unbesucht!

Welken znuss meines Leibs Jugendblüth' ohne Frucht.

Ha, an wen wend' ich mich? auch der Herzfreundin Wort ist Betrug.

Dem ich nachgehe Nachts tief in Waldwüstenein,

Madana's Pfeile bohrt er in's Herz mir, o Pein!

Ha, an wen wend* ich mich? auch der Herzfreundin Wort ist Betrug

Sterben! was bleibt mir sonst? Soll ich mit krankem Leib, Sinnberaubt, diese Gluth tragen, glückloses Weib? Ha, an wen u. s. w.

Ach, wie bringt Kummer mir diese lenzlaue Nacht! Welche Glückselge hat sie in Lust dort durchwacht? Ha, an wen u. s., w.

Wie nun die Freundin zu ihr zurückkehrt ohne den Ge- liebten, da hält ihr eifersüchtiger Sinn es für gewiss, dass eine Andere jetzt an Hari's Busen liegt und sogleich malt sie sich mit lebhaften Farben dieses Bild:

Trunken von Hari's Umarmung durchzittert. Während der Schmuck auf dem Busen ihr schüttert.

Liebend mit Hari vereint Scherzt Eine, die mir selig scheint.

Mond, des Gesichtes von Locken umflogen, Saugend an Lippen und müde gesogen,

Liebend mit Hari vereint, Scherzt Eine, die mir selig scheint.

Lächelnd am Blicke des Liebsten erröthond, LiebesentzUckungen wonniglich flötend.

Liebend mit Hari vereint Scherzt Eine, die mir selig scheint u. s. w.

(lishyati cumbati jaladharakalpam / harir upagata iti timiram analpam / uatha hare cet.

Man sieht, wie es Rückert verstanden hat, den wechselnden Maassen gerecht zu werden.

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Unter dem Hauche vom blühenden Munde Fühlet sie nicht von Anaüga die Wunde, Sie, o Freundin, mit der Vanamali1 spielt

Unterm ambrosischen Kosen gelinde Trinket sie Gluth nicht im Malaya -Winde, Sie, o Freundin, mit der Yanamali spielt.

Unter dem Schirme des Schönsten von allen Trifft sie kein Weh, denn sie hat ihm gefallen, Sie, o Freundin, mit der Vanamali spielt u. 8. w.

Und endlich ruft sie verzweifelt aus:

Malaya -Luft, gieb mir den Tod! Fünfpf eiliger, * Nimm meinen Hauch hin! nicht nach Hause geh ich mehr. Was, Yaraa's Schwester,3 schonest du? In deine Floth Tauch meine Glieder, lösche dieses Leibes Brand!

Die Nacht ist vorüber, und nun tritt Hari vor die Ge- liebte. Sie aber, noch immer voll eifersüchtigen Grolles, weist ihn zurück:

Dein von beschwerlicher nächtlicher Wache geröthetes Auge, das trage Blinzende, tragt es nicht gleichsam zur Schau des erwünschten Genusses

Gepräge?

Harihari! geh nur, Madhava!4 geh nur, Kecava! rede nicht tfügliche Worte! Lotusgeaugter! suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

>

Spuren verwundender Zahn' auf den Lippen erregen mir Gram im Gemüthe, Fragen mich, ob unversehrt ich bei mir nun den Leib des Geliebten

wohl hüte?

Harihari! geh nur, Madhava! geh nur, Kegava! rede nicht trügliche Worte! Lotusgeaugter! suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte! u. b. w.

Ihr Groll ist jetzt nicht zu bezwingen, Hari muss weichen. Da aber tritt wieder die Freundin zu RadhA und macht ihr Vorwürfe wegen dieses spröden, eifersüchtigen Wesens:

Hari auf Flügeln der Lenzluft besucht dich! Locket auf Erden wohl süssere Frucht dich?

Gegen Madhava thu Nicht spröd', o spröde du!

Deine die Dattel beschämende Brust hier, Sprich, was entziehest du selber die Lust ihr?

Gegen Madhava thu Nicht spröd', o spröde du!

1 Vanamali, Beiname des Krishna (mit einem Kranze von Wald- blumen geschmückt). Rück er t giebt das Wort oben nicht ganz treffend durch „der Hainbekranzte" wieder.

9 Bezeichnung des Liebesgottes.

3 D. i. die Yamuna.

4 Beiname des Krishna.

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Sieh auf dem Lager Ton Blüth' und von Blatt da Lagert er, mache die Augen dir satt da! Gegen Madhava thn u. s. w.

Hari soll kommen und kosen genussreich; Freundin, was machst du das Herz dir Terdrussreich? Gegen Madhava thu u. a. w.

Wenn du hart dem weichen, wenn du starr biBt dem sich schmiegenden, Abgeneigt dem zugeneigtenv feindlich einem solchen Freund; Billig wird dann, o Verkehrte, Sandelsalbe dir zu Gift, Mondstrahl Sonnenbrand, Schnee Feuer, Minnelustspiel Todeskampf.

Und wie der Abend genaht ist, da tritt wieder Hari zu der Geliebten und spricht flehend mit holdem Stammeln also:

Wenn du nur ein Wörtchen sprichst, wird des Zahnes Lilienglanz dieses

Bangens Nacht mir entfloren;

Deines Angesichtes Mond mit dem Lippennektarstrom labt der Augen

durstige Cakoren.1

Freundin! anmuthreiche I lass den Stolz, den grundlosen, sinken!

Von Kandarpa's* Feuer ging meine 8eel' in Flammen auf ; rieb des Mundes

Meth mir zu trinken!

Dm allein bist meine Zier, du allein mein Leben hier, mein Juwel in

irdischen Schachten;

Herrin, dass du gegen mich immer freundlich seiest, das ist des Herzens

eifrigstes Trachten.

Freundin! anmuthreiche! u. s. w.

In den glühendsten, schwärmerischsten Worten redet er zu ihr von seiner Liebe. Alles mag sie mit ihm thun, nur ihn wieder lieben! Dann, nachdem er sie lange geliebkost, geht er zurück zu seinem laubigen Lager.

Jetzt ist Radha's Herz der Liebe wieder zugewendet. Fröh- lich schmückt sie sich und die Freundin spricht auffordernd also zu ihr:

Der da mit schönen versöhnenden Tönen die Fasse dir flehend umfangen, Nun in der luftigen Laube zum lockenden Lager der Lust ist gegangen,

Madchen! dem Madhu-Bemeistrer,1 Dem genaheten, nahe dich, Radhika!

Hörst du des Madhu-Befehders die frauenbezaubernde Stimme, die süsse? Unter dem Kokila- Chore, dem Liebe besingenden, suche Genüsse, Madchen! dem Madhu-Bemeistrer u. s. w.

Winkend im Winde, mit blattergefingerten Händen, die Winden der Baume Mahnen dich lange zur Eile des Gangs, Baumselige, länger nicht säume! Madchen! u. s. w.

1 Vgl. oben p. 574.

* Bezeichnung des Liebesgottes.

1 Madhu war ein böser Dämon, den Kfishna besiegte.

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„Schauen wird sie mich, wird kommen, bringen süsBen Liebesgruss, Mit Umfang Bich letzen, lustvereinigt!*4 so gedankenvoll Blickt er, Freuodin, dort nach dir aus, zittert, schaudert, jauchzt, zerfliegst, Springt empor und sinkt zurück, im dunklen Laubgewölb, dein Freund.

Radhä geht. Aber am Eingang der Laube, wo Krishna auf dem Lager ruht, bleibt sie verschämt stehen, und wieder redet nun die Freundin ermunternd zu ihr:

Hier in des Laubrankengeflechts Freudengemache,

Radha! tritt ein in Madhava's Nähe, Spiele du hier, wonnebegierblickende, lache!

Wo sich ein frisch grünes Gebüsch wölbet zum Bette,

Radhä! tritt ein m Madhava's Nahe, Spiele du hier, lass auf der Brust klingen die Kette!

Wo den Palast blühender Ast baut, der bethaute,

Radha! tritt ein in Madhava's Nahe, Spiele du hier, zierliche, zartblumengebaute !

Wo von, der Duftmalayaluft kühl sind die Hallen,

Radhä! tritt ein in Madhava's Nahe, Spiele du hier, lass den Gesaug lockend erschallen!

Und mit verlangendem Lustbangen tritt Radhä in das Haingemach. Die Liebenden finden sich zu seligstem Genüsse.

Ueber den Schluss des Gedichtes darf ich wohl hinweg- gehen. Von der Anlage und Entwickelung des Stückes, von dem Styl und Ton, der in dem Ganzen herrscht, von der eigen- thümliehen Art der dasselbe zusammensetzenden Gesänge, ihrem Rhythmus, ihrer reich und mannigfaltig ausgebildeten Form, werden Sie, wie ich hoffe>, durch das Mitgetheilte einen hin« reichend deutlichen Eindruck gewonnen haben.

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass dies so durchaus sinn- liche, von glühendster Liebe trunkene Gedicht von den indischen Erklärern in mystisch-religiöser Weise gedeutet wird, und scheint in der That der Dichter selbst eine solche mystische Beziehung mit haben hineinlegen zu wollen.1 Man darf dieselbe aber weniger in Einzelheiten als in der leitenden Idee des Ganzen suchen. Das Verhältniss Krishna's zu Radha, ihr Getrenntsein, ihr Sichsuchen und ihre, endliche Vereinigung würde die Be- ziehung der höchsten Gottheit zur menschlichen Seele im Bilde darstellen sollen. Eine solche mystisch-religiöse Deutung ero- tischer Schilderungen steht in der Weltliteratur bekanntiieh nicht ganz vereinzelt da.

1 VgL Lassen 's Prolegomena zu seinor Ausgabe des GltagOTinda p. XI flg.

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Einundvierzigste Vorlesung.

Das indische Drama. Sagen and Vermufhungen über den Ursprung desselben. Die verschiedenen Arten von- Schauspielen nach der Theorie der Inder. Die Form der Dramen. Prolog und Akte. Einheit der Zeit und des Ortes nicht beobachtet. Die Sprache. Der scenische Apparat. Die Weber-Windisch'Bche Theorie über den Einfluss des griechischen Dramas auf das indische. Berührungspunkte des indischen Dramas mit dem Shakespeare'schen. Die BlQthezeit des indischen Dramas: ?üdraka, Kalidasa, Bhavabhüti. Chronologische Bestimmung dieser Blütheperiode.

Die Anfange des indischen Dramas sind begreiflicher- weise in Dunkel gehüllt, wir haben keine historischen Nach- richten darüber, wo und wie dasselbe entstanden. Aber sowohl die Sprache wie auch die Tradition der Inder giebt uns eine Reihe von Anhaltspunkten, mit Hülfe deren wir jenen Ursprung wenigstens vermuthungs weise erschliessen können, und sind die dahinein schlagenden Thatsachen vor Allem von Lassen in lichtvoller Weise dargelegt worden.

Die Inder selbst nennen als Erfinder des Schauspiels eine mythische Persönlichkeit, den Bharata, welcher zuerst Tänze nnd Schauspiele vor eleu Göttern aufgeführt haben soll, wo- bei Gandharven und Apsarasen die Schauspieler abgaben.1 Als das älteste Schauspiel, welches noch Bharata selbst vor den Göttern zur Auffuhrung brachte, wird, wie schon früher er- wähnt, die „Selbstwahl der Lakshmi" genannt Ferner wird dem Bharata eine Reihe von Sütra's oder Regeln über die Schauspielkunst zugeschrieben. Das Wort Bharata bedeutet ün Sanskrit unter Andrem auch „Schauspieler", und es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass jener fabelhafte Bharata bloss als eine Personificalioü der Schauspielkunst aufzufassen ist

1 Bharata wird ein Muni oder Einsiedler genannt. Nach Andern soll Brahma selbst die Kunst aus den Veda's gesammelt und sie dem Mnni mitgetheilt haben. (Vgl. Wilson, Theater der Hindu'*, deutsche t/ebers. p. 3.)

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Es ist ferner sehr zu beachten, dass das Wort Bharata in mehreren Volkssprachen „Sänger" bedeutet,1 und sah schon Lassen darin einen deutlichen Hinweis darauf, dass „ursprung- lich der Gesan g emen Hauptbestandteil des Schauspiels bildete.-1

Weiter tritt es deutlich, hervor, dass bei jenen ältesten Aufführungen auch der Tanz eine wichtige Rolle spielte.

Die indische Tradition giebt an, dass jene ersten drama- tischen Darstellungen vor den Göttern in drei Arten bestanden haben sollen, nämlich 1) nrifrta d. h. blosser Tanz; 2) nritya, d. h. Tanz mit Geberden, Mimik, aber ohne Worte; 3) .natya. d. h. Tanz, mit Geberden und Worten verbunden. Diese letzter© Art wäre als der erste Anfang einer eigentlich dramatischen Aufführung anzusehen. Die Sprache giebt uns hier noch weitere deutliche Hinweiße. Die Verbalwurzel nat, eigentlich nur eine prakritisirte Form von nart,* bedeutet „tanzen"; im Causativum „nätayati" bedeutet es aber *als Schauspieler etwas darstellen, aufführen"; natya bedeutet „Tanz, Mimik, Darstellung auf der Buhne, Schauspielerkunst;"4 nata sowie nätaka, von derselben Wurzel, bedeutet „Schauspieler", eigentlich also „Tänzer"; das Neutrum nätaka bezeichnet ein Schauspiel, und zwar die her- vorragendste Art desselben. Diese sprachlichen Thatsachen rüeken Tanz, Mimik und Schauspielkunst auf das Engste zu- sammen und stimmen durchaus zu der Tradition von jenen ältesten Aufführungen vor den Göttern, welche Nachrichten ja an sich fabelhaft sind, aber immerhin als Hinweise auf die ältesten dramatischen Darstellungen beachtet werden müssen. Wir haben demnach wahrscheinlich den Ursprung des Dramas in Tänzen und Gesängen zu suchen, die bei festlichen Gelegen- heiten stattfanden und bei denen mehr und mehr die Mimik, das gesprochene Wort, endlich der Dialog sich in den Vorder- grund drängten.5

Dass diese ältesten dramatischen Auffuhrungen wahrschein-

1 Nämlich bharot in Gujerat, und bhat bei den Rajaputra, 8. Lassen. Ind. Alt II', p. 507 Anm.

* S. Lassen, a. a. 0. II*, p. &07.

* nart ist die gewöhnliche Wureel, die „tanzen" bedeutet

* Vgl. das Petersburger Wörterbuch s.

* Auch Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 213 sagt vom Drama: „Der Name dafür ist Nataka und ein Schauspieler heisst Nata, d. i. Unser. Die Etymologie weist uns also darauf hin, dass das Drama aus dem Tarn sich entwickelt hat, der ursprünglich wohl nur mit Spiel und Gesang, allmählich aber mit pantomimischen Darstellungen, Aufzügen und Dia- logen begleitet wurde."

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lieh dem Kreise der Vishnu-Krisbna-Legende angehörten, dass uns in den bengalisehen Yaträ's Reste jener Art des ältesten Dramas erhalten sind und dass Jayadeva's Gltagovinda wohl als eine Art kunstvoll verfeinertes Abbild desselben anzusehen ist, dies Alles habe ich bereits früher hervorgehoben.1

Diese ganze Theorie über den Ursprung des indischen Dramas hat trotz einiger dagegen erhobener Einwendungen doch immer noch die grösste Wahrscheinlichkeit für sich, und es ist merkwürdig, wie sich dieselbe in wesentlichen Punkten mit der Theorie vom Ursprung des griechischen Dramas berührt

Das Drama ist bei den Indern reich und mannigfaltig ausgebildet Wir sehen dies sowohl aus den auf uns gekom- menen Stücken, die eine seltene Vielseitigkeit dramatischen Lebens bekunden, wie auch aus den einheimischen Werken, die von Wesen und Art der Schauspielkunst handeln. Die Inder theilen alle dramatischen Dichtungen in zwei Haupt» kategorien: 1) die sogenannten Rüpaka's oder Schauspiele höherer Ordnung und 2) die Uparüpaka's oder Schauspiele geringerer Art Es giebt 10 Arten der ersteren und 18 der letzteren Kategorie, also werden im Ganzen nicht weniger als 28 Arten von Schauspielen gerechnet. Wenn man nun auch durchaus zugeben muss, dass diese Artenein th ei lung sehr oft vor dem Richterstuhl der Logik nicht standhält, dass die Unter- scheidung vielfach auf sehr äusserhehen, spitzfindigen und nich- tigen Gründen aufgebaut ist, entsprechend dem zu spitzfindigem Systematisiren besonders hinneigenden indischen Geiste, so wird man doch aus jener Scheidung der Schauspiele in 28 Arten un- bedingt schliessen müssen, dass es eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Dramen gegeben haben muss.

Die am höchsten stehende Dramengattung,, das erste in der Zahl der sogenannten Rüpaka's ist das Nataka, das Schau- spiel par excellence. Der Gegenstand eines Nä^aka muss immer berühmt und bedeutend sein. Die Begebenheit soll aus der Mythologie oder Geschichte genommen sein, wobei theilweise auch freie Erfindung des Autors zugelassen wird. Das Na^aka darf nur würdige oder erhabene Personen darstellen. Der Held muss ein Fürst wie Dushyanta, oder ein Halbgott wie Rama, oder eine Gottheit wie Krishna sein. Nur Liebe oder Herois- mus darf den Inhalt, die bewegende Leidenschaft bilden. Die Diction muss bedeutend und wohlabgerundet sein. Das Nä^aka darf nicht weniger als fünf und nicht mehr als zehn Akte

1 Oben p. 578—580.

r. Schröder, Indien» LH. u. Cult. 38

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haben.1 Auch dieses höchste und würdigste Drama schliesst aber heitere und komische Elemente in sich, und niemals darf der Schlus8 ein trauriger sein. Eine Tragödie dies ist sehr zu betonen kennen die Inder nicht*

Als Beispiel eines solchen Nätaka oder Drama ersten Ranges gilt die Qakuntalä des Kälidasa; auch Mudrärakshasa, Venisamhara u. a.

Als zweite Art der Rüpaka's gilt das sogenannte Praka- rana, welches in den meisten Punkten mit dem Nätaka über- einstimmt, nur dass es keinen so hohen Rang einnimmt Die Begebenheit soll eine Fiction aus dem wirklichen Leben sein, aber sich innerhalb einer achtungswerthen C lasse der Gesell- schaft abspielen. Der passendste Gegenstand ist die Liebe. Der Held soll den Rang eines Ministers, Brahmanen oder ange- sehenen Kaufmanns inne haben. Die Heldin ist ein Mädchen aus guter Familie oder auch eine Hetäre eine Klasse, die, wie wir später sehen werden, bei den Indern nicht missachtet war, so wenig als eine Aspasia bei den Griechen. Als Beispiel eines Prakarana gfilt Cudraka's Mricchakatika sowie Bhava- bhuti'8 Mälati und Madhava.3

Von den übrigen Rüpaka's will ich nur noch das Praha- sana erwähnen, ein possenhaftes oder satirisches Stück in einem Akte, in welchem Sinnlichkeit und Heuchelei gegeisselt werden« Der Held ist ein Asket, ein König, ein Brahmane oder ein Schuft.1

Unter den Uparüpaka'e steht obenan das Nätika, wel- ches sieb von dem erstbesprochenen Nätaka einzig und allein dadurch unterscheidet, dass es auf vier Akte beschränkt ist Ein Beispiel dieser Kategorie ist die Ratnavali.

Eine weitere wichtige Kategorie der Uparüpaka's ist das

1 S. Wilson, Theater der Hindu's, deutsche Uebers. p. 10 and 11.

* Eine tragische Katastrophe darf im indischen Drama über- haupt nicht stattfinden. Der Tod des Helden oder der Heldin darf nie auch nur angezeigt werden. Nie darf Jemand yor den Augen des Zu- schauers sterben, und ist es nicht erlaubt, die Scene irgendwie mit Blut zu färben. Die Rücksicht auf den Anstand wird ziemlich weit ge- trieben. Eine Menge von Verboten hindern unliebsame Erscheinungen, sowohl ernsten als komischen Charakters. Die ausgenommenen ernsten Dinge sind: feindliches Herausfordern, feindliche Verwünschung, Ver- bannung, Degradation und nationale Unglücksfalle; die komischen da- gegen: Beissen, Kratzen, Küssen, Essen, Schlafen, Baden, Salben und Heirathen. (Vgl Wilson, a. a. 0. deutsche Uebers. p. 14). Mäh sieht, dass bei den Zuschauern des indischen Theaters im Ganzen recht zarte Nerven vorausgesetzt werden,

S. Wilson, a a. 0. p. 15.

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sogenannte Trotaka, von welchem es heisst, dass es aus fünf, sieben, acht oder neun Akten besteht und dass die Begeben- heit theils irdisch, theils himmlisch ist, eine Definition, die als solche wohl einen sehr schwachen und fadenscheinigen Ein- druck macht Als Beispiel dieser Oattung gilt die Urvaci des Kälidäsa.

Doch ich will von einer weiteren Aufzählung dieser von der indischen Theorie statuirten verschiedenen Dramen-Arten absehen, da diese Eintheilungen für uns im Ganzen wenig Werth haben. Suchen wir lieber selbst unsern Gegenstand in seinen hervorstechendsten Zügen zu charakterisiren.

Was die Form der indischen Dramen betrifft, so ist die- selbe eine sehr mannigfaltige nnd bietet der Entfaltung indi- vidueller Freiheit reichlichen Spielraum.

Ein jedes Stück beginnt mit einem Prolog oder Vor- spiel, welches mit einem Gebet oder Segensspruch, der soge- nannten Nandi, eröffnet wird. Auf die Nandi folgt meist eine kurze Mittheilung über das aufzuführende Werk und dessen Dichter, sowie ein Dialog, den meist der Schauspieldirektor und eine Person aus der Truppe ausführen und der eine Art Captatio benevolentiae des Publikums enthält. In der Qakun- talä trägt die Schauspielerin des Dialogs ein Lied zur Ergötzung der Zuhörer vor; in andern Stücken ist der Inhalt dieses Vor- spiels anders angelegt, immer aber endet dasselbe mit einem Hinweis auf die dann eintretenden Personen des eigentlichen Schauspiels.

Die Anzahl der Akte schwankt von einem bis zu zehn, und haben wir bereits gesehen, dass dies bei den einzelnen Dramengattungen bis zu einem gewissen Grade normirt ist; doch ist im Ganzen ziemlich viel Freiheit vorhanden. Die Dauer eines Aktes ist gewöhnlich die der Darstellung, oder höchstens ein Tag. Die Nacht verstreicht dann zwischen den einzelnen Akten. Doch kommen auch bedeutend grössere Zwi- schenräume vor. So tritt uns z. B. im letzten Akte der Qa- kuntalä das Söhnchen der Heldin als herumspielendes und sprechendes Kind entgegen, während wir in dem ersten Akte des Drama's bekanntlich den Anfang jenes Liebesverhältnisses vorgeführt sehen, dessen Frucht der Knabe ist. Es liegen also zwischen Anfang und Ende des Stückes im Ganzen mindestens einige Jahre. Ganz dasselbe findet in Kalidasa's Urvaci statt, wo das inzwischen herangewachsene Söhnchen sieh sogar schon als Bogenschütze auszeichnet. In dem berühmten Drama Ut- tara-Räma-Carita liegen zwischen dem ersten und zweiten

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Akte sogar zwölf Jahre,1 womit wir doch unmittelbar an Aehn- 1 ich es im romantischen Drama erinnert werden.

Ebensowenig wie die Einheit der Zeit wird in dem in- dischen Drama die Einheit des Ortes beobachtet, vielmehr haben wir hier durchaus die freie Beweglichkeit des roman- tischen Schauspiels. Wir werden von einem Orte der Erde zum andern versetzt; auch innerhalb eines Aktes kann Orts- wechsel stattfinden. Ja, die Scene erhebt sich bisweilen sogar in höhere Regionen, in's Bereich der Lüfte, wo Nymphen, Dämonen und Halbgötter walten. Wir sehen den König Du- shyanta mit Indra's Wagenlenker Matali zum Hemakuta-Berge über den Wolken dahinfahren u. dgl. m.

Die Zahl der Personen ist nicht beschränkt und stei- gert sich dieselbe bisweilen zu einer bunten Menge der ver- schiedenartigsten Gestalten.

Die Sprache ist ungemein mannigfaltig und individuell gefärbt. Prosaische Rede und poetische Rhythmen verschiedenster Art wechseln in bunter Folge. Dazu kommt, dass die Per- sonen, je nach ihrem Charakter verschiedene Dialekte sprechen. Denn nur die Könige, Helden, Brahmanen und sonst Männer höherer Ordnung reden Sanskrit, während alle Frauen sowie auch die Männer untergeordneten Schlages sich des Prakrit bedienen. Und hier tritt wiederum eine Mannigfaltigkeit von verschiedenen Prakrit-Dialekten zu Tage. Frauen edlerer Art und höheren Standes bedienen sich in ihren Liedern des soge- nannten Maharashtii-Dialektea, während sie im Dialog Qäuraseni sprechen; der letztere Dialekt wird auch von Kindern, Mägdec besseren Schlages, Eunuchen u. A.f gesprochen. Andere Per- sonen sprechen Magadhi, wieder andere Abhlri und die Sprache von Avant!, während endlich die niedrigsten und verachtetsten Menschen sich des Paic&ci- und des Apabhraipcl-Dialektes be- dienen.* Haben diese Dialekte auch Vieles mit einander ge- mein, so sind sie doch in mancher Hinsicht stark von einander verschieden, und Sie sehen, welch ein Reichthum ganz indivi-

1 Vgl. Wilson, a. a. 0. p. 12.

* So von Astrologen niederen Grades; „eadem foribundis atque aegrotis, quibus interdum Sanacrita datur." S. Lassen, InstitutioDes linguae Pracriticae (Bonn 1837) p. 37.

3 Magadhi sprechen z. B. homines, qui intimum regis palstiam colunt (Lassen, a. a. 0. p. 36); die Sprache von Avant! Schurken tschol Spieler) (a. a. 0. p. 36); Abhlri Rinderhirten (p. 37); Paicaci die nied- rigsten Menschen, wie z. B. Köhler, niedrige Mägde (a. a. 0. p. 37): Apabhramc^ auch nur die niedrigsten Menschen, Barbaren a. dfL

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dueller Sprechweisen sich demnach in dem Drama der Inder entfaltet

Der scenische Apparat war, wie es scheint, ein ziem- lich einfacher, und die Phantasie der Zuschauer musste Vieles hinzu ergänzen, ähnlich wie dies bekanntlich bei der Bühne Shakespeare's der Fall war. Es gab keine besonderen Theater- gebäude, kein complicirtes System von Dekorationen und Ma- schinerien.1 Die Könige hatten in ihren Palästen eine be- sondere Halle, Samgita-c&lä oder Concertsaal genannt und in diesem scheinen auch die Schauspiele aufgeführt worden zu sein. An der überhaupt einfachen Bühne will ich nur dies besonders hervorheben, dass dieselbe vom Zuschauerraum nicht wie bei uns durch einen Vorhang getrennt war, dass der Vorhang viel- mehr, wie im griechischen Theater, den Hintergrund der Bühne bildete, dass dahinter sich der Nepathya genannte Raum befand, die Garderobe, von wo aus die Schauspieler auftraten, und dass dieser Vorhang hinter der Bühne merkwürdig genug Yavanikä* genannt wird, was wir etwa durch Äder griechische Vorhang** oder „die griechische Wand** wiedergeben könnten, wie man bei uns von einer „spanischen Wand" redet Dieser bemerkenswerte Umstand gilt als eine Hauptstütze für die Ansicht derer, die an eine Beeinflussung des indischen Theaters durch das griechische glauben. Dieser, neuerdings namentlich von E. Windisch eifrig verfochtenen Ansicht werde ich einige Worte widmen müssen.

Albrecht Weber war der Erste, der die Vermuthung aussprach, es könnte vielleicht die Aufführung griechischer Dramen an den Höfen der griechischen Könige in Baktrien, im Penjab und in Gujerat die Nachahmungskraft der Inder geweckt und den Anstoss zur Entstehung des indischen Dramas gegeben haben. Ausdrücklich aber constatirte Weber, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem indischen und dem griechischen

1 Die himmlischen Luftwagen, die bisweilen in den Dramen vor- kommen und in denen der Zuschauer angeblich bestimmte Personen durch die Lüfte fahren sieht, existiren entweder selbst bloss in der Phantasie oder es ist doch dieses Fahren von der Phantasie hinsuzu- lenken (vgl. Okuntala, 7. Akt; Mahavlracaritam 7. Akt, unten Cap. 44); yx es i*t sogar nicht einmal wahrscheinlich, dass die Wagen mit lebenden Thieren bespannt, die ebenfalls öfters erscheinen, in Wirklichkeit pro- dacirt vorden. Maoehe scenische Bemerkung spricht durchaus dagegen. Iter Wagenlenker soll s. B. durch Bewegungen, Gesten die Schnelligkeit de« Wa*en* ausdrücken u. dgl. m. Sie machten wohl bloss so, als ob »ie fahren, ankamen u. s. w.

* Von yavana „der Jonier, der Grieche" abgeleitet.

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Drama nicht vorliege, so dass es sich hier mehr um eine äusserliche Anregung handelte.1

Diese Ansicht fand im Ganzen bei den Indologen werig Beifall, es wurde dieselbe aber vor wenigen Jahren von Ernst Windisch wieder aufgenommen und in einem besonderen Vor- trag auf dem Internationalen Orientalisten-Congress zu Berlin im Jahre 1881 vertheidigt Dieser Vortrag findet sich, er- weitert und ergänzt, als ausführliche Abhandlung in den Ver- handlungen des Congresses abgedruckt,2 und lässt es sich nicht leugnen, dass Windisch hier viel Interessantes und Beachten»- werthes zusammengebracht hat und als geschickter Anwalt seiner Theorie erscheint. Wenn es ihm trotzdem meiner Meinung nach nicht gelungen ist, dieselbe plausibel zu machen, so dürfte dies nicht an seinem Ungeschick, sondern an der Unrichtigkeit der erwähnten Hypothese liegen. Dieselbe erfuhr bereits auf dem Congress sogleich entschiedene Opposition, namentlich vou Seiten M. Jacobi's und R. Pischel's, und hat der Letztere sich auch später noch entschieden dagegen erklärt.

Windisch hält es zwar für feststehend, „dass dramatische Auffuhrungen schon frühe in Indien entstanden sind ohne jeder fremden Einfluss,"5 glaubt also nicht, dass die Griechen die erste Anregung zum indischen Drama gaben, er geht aber andrerseits weit über Weber's Vermuthung hinaus, indem er einen wirklichen inneren Zusammenhang zwischen dem grie- chischen und dem indischen Drama glaubt nachweisen zu können, was Weber, wie schon erwähnt, nicht zu behaupten wagte.

Windisch weist zunächst auf die von 0. Lüders dar- gelegte Thatsache hin, dass schon Alexander der Grosse Schaaren von Künstlern, darunter auch Schauspieler, mit sich führte und dass dieselben nach errungenen Siegen und an Festtagen sce- nischo und musische Spiele auffuhren mussten. Dasselbe scheint auch bei seinen Nachfolgern vorgekommen zu sein. Die Griechen hatten von Alexander d. Gr. an für längere Zeit in Indien festen Fuss gefasst. Die indischen Gebiete gehörten nach Alexander verschiedenen der Diadochen, schliesslich den sogenannten grie- chisch-baktrischen Königen, bis Apollodotos im 2. Jahrhundert

1 S. Ind. Lit. 2. Aufl. p. 224.

* Ernst Windisch, der griechische Einfluss im indischen Drams. Verhandlungen des fünften internationalen Orientalisten - Congresses, ge- halten zu Berlin im September 1881. Zweiter Tbeil. Abhandlung« und Vortrage. Zweite Hälfte, Berlin 1882, p. 8 flg.

9 A. a. 0. p. 8. .Er meint aber zugleich, dass dieselben sich nickt aus einem alteren Sing- und Tanzspiel entwickelt zu haben brauchen.

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vor Chr. das griechisch-indische Reich gründete, welches bis nun Jahre 85 Vor Chr. existirte. Nicht nur das Penjab, son- dern zeitweilig auch Gujerat hatten die Griechen besessen. Zugleich fand in jenen Jahrhunderten zwischen dem hellenisti- schen Alexandria und der indischen Westküste, besonders Bary- gaza, ein reger Handelsverkehr statt, und die letztere Stadt war mit Ujjayini, dem griech. Ögjfity welches in der Geschichte des indischen Dramas eine bedeutende Rolle spielt, durch eine Handelsstrasse verbunden.1 Also auch auf diesem Wege hätte eine Beeinflussung stattfinden können.

Wenn nun auch diese Berührungen und Beziehungen keines- wegs geleugnet werden sollen, so bleibt es doch noch durchaus fraglich, ob jemals in Indien wirklich griechische Dramen auf- geführt worden sind. Die Möglichkeit dafür mag zugegeben werden, aber jeder wirkliche Beweis, jeder sichere Anhalt fehlt, es ist uns keinerlei Notiz darüber erhalten.

Nua will ja aber Windisch die Einwirkung jener grie- chischen Aufruhrangen an den indischen Stücken selbst wahr- nehmen. Sehen wir zu, in welchen Punkten dieselbe zu Tage treten soll

Sehr richtig ist es Ton Windisch, dass er von vornherein die griechische Tragödie von dieser Betrachtung ausschlief; dieselbe ist ja in der That dem indischen Drama diametral entgegengesetzt Nach ihm war es die neuere attische Ko- mödie, wie sie in Menander gipfelte, welche jenen Einfluss geübt haben soll und welche wir, da die Originale bis auf einzelne Fragmente verloren sind, wesentlich aus ihren Nach- bildern, den Komödien des Plautus und Terenz, kennen lernen Die Blüthe der neueren attischen Komödie fällt in das 3. und 4. Jahrhundert vor Chr. und jener Einfluss miisste gerade in den drei ersten Jahrhunderten vor Christi Geburt, während deren die Griechen in Indien etwas bedeuteten stattgefunden haben. Nun aber stammen die uns erhaltenen indischen Dramen und auch dasjenige, auf welches Windisch hauptsächlich seine Beweisführung stützt, die Mricchakatika, aus einer viel späteren Zeit Die Mricchakatika, das älteste dieser Dramen, kann frühe- stens in das Ende des 5. Jahrhunderts nach Chr. gesetzt werden.* Schon das ist misslich für den behaupteten griechischen Ein- fluss. Weit misslicher aber steht es noch mit den eigentlichen

1 S. Windisch a. a. 0. p. 5.

* Vgl. PiicbeTs höchst werth volle Recension von L. Fritze, Kau- ftika'i Zorn, Oött. Gel Arn. 1883. Stück 39, p. 1229 flg.

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Vergleichspunkten, und auf diese kommt es doch in erster Linie an.

Schon die Eintheilung in Akte, die Anwendung des Pro- logs im indischen Drama wäre nach Windisch der griechischen Komödie* entnommen; aber ich glaube schwerlich, dass Dinge, die ungefähr so nahe liegen wie Capiteleintheilung und Vor- rede bei einem Buche, auswärtigen Einfluss begründen helfen können. Auch die Auffuhrung der Dramen bei festlichen Ge- legenheiten , bei der Feier eines Gottes wird von Windisch in der Reihe der Vergleichungen mit verwerthet, Qiva mit Diony- sos, das indische Frühlingsfest mii den griechischen Dionysien in Parallele gesetzt Vergleichen lässt sich das allenfalls, aber dass auf dem Gebiete religiöser Festfeier bei den Indern irgend welche Nachahmung ausländischer, für sie barbarischer Muster stattgefunden haben könnte, scheint mir völlig ausgeschlossen. 1 Auch die Zusammenstellung des indischen Sütradhaxa oder Schauspieldirektors mit dem griechisch-römischen XQa>rcc/a>viCXf^ und dux gregis hat wenig Ueberzeugendes.*

In der Fabel der Stücke hebt Windisch besonders den dvayvcoQiafioq und die avayvcoQlopaxa der griechischen Ko- mödie hervor und parallelisirt damit verschiedene Erkennungs- gegenstände, die in indischen Dramen vorkommen. Aber abge- sehen davon, dass wir den indischen Geist kaum für so ernn- dungsarm halten dürfen, dass er so nahe liegende Motive nicht selbst ebenso gut wie die Griechen anwenden konnte, hob auch Prof. Jacobi in seiner Opposition gleich hervor, dass der dva- yvcDQiOiiog auch sonst in der indischen Poesie, so namentlich

1 Wenn Brockhaus in Bekämpfung der Weber'schen Ansicht vom Einfluss des griech. Dramaa*auf das indische im Jahre 1872 sagte: „Von den Barbaren nahm der stolze, ja hochmüthige Brahmane nichts an" (Rectoratsrede p. 28), so gilt dies in weit höherem Maasse noch ?on allen Dingen, die mit der Religion oder religiösen Festlichheiten in Be- ziehung stehen.

* Weit mehr Wahrscheinlichkeit hat die Ansicht Shankar Pandit's für sich, die derselbe in seiner Ausgabe der Vikramorvacl, Note« p. 4 aufstellt, der Sütradhara sei ursprünglich „an exhibitor of dolls and paper-figures*4 gewesen, wie solche noch jetzt auf den Dörfern herum- zögen und das Wort bedeute daher ursprünglich „threadpuiler". (Siehe Windisch a. a. 0. p. 76.) Auch Pischel in seiner eben citirteo Reeen- sion von Fritze, Kausika's Zorn, p. 1234 spricht, sich für die von Shankar Pandit aufgestellte Erklärung des Sütradhara aus, die eine Bestätigung finde durch Balaramäyana 118, 8. 207, 17. „Der Sütradhara ist, wie Alles im indischen Drama, echt indisch und jede, auch die leiseste Spar griechischen Einflusses hier wie überall im indischen Drama gänzlich ausgeschlossen."

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in der Märchenliteratur, ein vielfach verwendetes Motiv sei nnd sich keineswegs im Drama allein vorfinde.1

Wichtiger ist dann weiter bei 'Windisch der Versuch, auch die typischen Charaktere der griechisch-römischen Komödie in den indischen Stücken nachzuweisen, aber auch hier ver- mag ich ihm nicht beizupflichten. Er stützt sich bei diesen Ausführungen ganz vornehmlich auf die Mricchakatikä, während die andern Dramen nur sehr dürftige Vergleichspunkte bieten.1 In der Mricchakatikä kommt eine Hetäre, eine Kupplerin, ein Parasit vor, und diese Gestalten wären nach Windisch der griechischen Komödie entnommen. Aber das üppig entwickelte Leber der indischen Grossstädte bot Charaktere dieser Art in Menge dar, und wenn der Dichter dieselben in dem bunten Schwarme seiner Personen mit verwerthet, so ist das sehr na- türlich. Mit kühner Hand greift er seine Gestalten unmittel- bar aus dem Leben, und Nichts an ihnen deutet auf Nach- ahmung fremder Schauspieltypen. In der Mricchakatikä kommt ferner ein frecher, einfältiger und gemeiner Renommist vor, ein Schwager des Königs, und dieser soll wiederum eine Nachbildung des plautinischen Miles gloriesus sein. Aber gab es denn bei den Indern nicht auch freche Renommisten und durfte der indische Dichter dieselben etwa nicht verwerthen? Dieser Schwager des Königs trägt zudem so durchaus ein rein persönliches, individuell gefärbtes Gepräge, ist so durchaus keine typische, sondern eine ganz individuelle Gestalt, dass mir Nachahmung eines fremden Typus ausgeschlossen zu sein scheint.

Noch weniger gelungen ist der Versuch, den Vidüshaka der indischen Dramen, den mit dem Helden vertraulich ver- kehrenden Spassmacher, die komische Person des Stücks, als eine Nachbildung des vertrauten schlauen Sklaven, des servus currens der griechisch-römischen Komödie zu erweisen. Der Vidüshaka ist gerade eine echtindische Figur, wie auch Jacobi in seiner Opposition gleich hervorhob; er ist aus dem Leben

1 S. Yerhandl. d. fünften Oriental. Congr., Th. I p. 81.

2 Hierin liegt eine bedeutende Schwierigkeit, die nur scheinbar weggeräumt wird durch Windiich's Annahme, dass in den anderen in- dischen Dramen der griechische Einfluss Bchon verblasst sei. Pischel (a. a. 0. p. 1229) erklart die Thatsache, dass Bhavabhüti den Vidüshaka nicht mehr hat, vielmehr daraus, dass er ein witzloser Autor sei. Dies werde um so einleuchtender dadurch, dass RAjacekhara drei Jahrhunderte spater (im 11. Jahrhundert) in zwei Stüclen den Vidüshaka wieder an- wende.

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gegriffen und noch jetzt sind dort an den Höfen der einhei- mischen Fürsten dergleichen Leute anzutreffen.1

Wenn demnach schon für die Mricchaka^ika der grie- chische Einfluss sich* nicht ausreichend nachweisen lasst, so gilt dies in weit höherem Maasse noch für die andern Dramen, die total von den griechisch-römischen Stücken verschieden sind und auch von den erstbesprochenen Charakteren nur wenig überhaupt aufweisen. Der Vidüshaka freilich findet sich in vielen derselben vor, aber dieseu aus dem griechisch-römischen Sklaven abzuloiten, ist meiner Meinung nach unfraglich ein Missgriff.

So bleibt von der ganzen Beweisführung schliesslich nur die früher schon beachtete Thatsache übrig, dass der Vorhang im indischen Drama Yavanika, d. i. griechischer Vorhang oder griechische Wand genannt wird. Dazu aber war es nicht nöthig, dass die Inder griechische Schauspiele sahen. Viel wahrscheinlicher ist es mir. dass gelegentlich Griechen sich in- dische Schauspiele ansahen waren sie doch im Inderlande! und dass sie dann, die Ulivollkommenheit der Bühne bemer- kend, den Indern den Gebrauch eines Vorhangs im Hinter- grunde lehrten. Die. Inder nahmen dies an, und es war sehr natürlich, dass sie diesen Vorhang nun als eine griechische Einrichtung, als Yavanika bezeichneten. Gerade der Umstand, dass nur eine bestimmte Einzelheit im indischen Theater aus- drücklich als griechische Einrichtung gekennzeichnet ist» scheint mir auf das Singulare dieses Punktes hinzudeuten. Nichts als ihren Vorhang im Theater nannten die Inder nach den Griechen, und in keinem andern Punkte können wir griechischen Einfluss nachweisen, als nur in diesem.

Sehr viel mehr innere Verwandtschaft besteht zwischen dem indischen Drama und Shakespeare. Sowohl in der Form wie in Bezug auf Geist, Ton und Inhalt der Stücke liegen hier wirklich merkwürdige Berührungspunkte vor.

Im indischen Drama ebenso wie bei Shakespeare ist Alles bis in das bunteste Detail individuell charakteristisch gefärbt, wälirend im griechisch-römischen Theater die Gestalten viel- mehr durchaus typisch sind. Mit romantischer Willkühr setzen sich die Inder so gut wie Shakespeare über die Einheit von Ort und Zeit hinweg. Bunter Scenenwechsel fuhrt uns hin und her. und wenn im Wintermärchen ein Kind, das in den ersten Akten erscheint, uns am Schluss als Jungfrau entgegen-

Verhandl. d. fünften Orient. Congr. Th. I p. 81.

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tritt, so liegt auch im Uttararämacarita, wie erwähnt, zwischen zwei Akten ein Zeitraum von vollen zwölf Jahren. Der bunte Wechsel von metrischen Stücken und prosaischer Rede, wir haben ihn bei Shakespeare wie bei den Indern.1 Die Art des entwickelten Humors, der Wortspiele, komischen Verdrehungen und dgL ist oft zum Verwechseln ähnlich.2 Auch die Mischung von Ernst und Komik in ein und demselben Stücke, die un- gemeine dramatische Lebendigkeit und Vielseitigkeit, die Menge von Einzelheiten, von Details in Ton und Sprache, in Anlage und Entwickelung der Fabel bietet viel Aehnliches, und wir finden in Shakospeare's romantischen Dramen auch das Wunder» das märchenhafte Element reichlich vertreten, welches in den indischen Schauspielen eine so grosse Rolle spielt Bildlich wenn man schon einzelne Charaktere herausgreifen will, so wüsste ich wirklich für jenen königlichen Schwager, den Win- disch auf den Miles gloriosus zurückfuhrt, kein frappanteres Elbenbild als den Cloton in Shakespeare 's Cymbeline; dem Vi- düshaka aber, dem närrischen Begleiter des Königs oder son- stigen Helden, entspricht der Shakespeare'sche Narr, während der vertraute Sklave bei Plautus kaum irgend welche ähnliche Züge aufweist. Gerade diese Uebereinstimmungen zwischen Shakespeare und dem indischen Drama sind merkwürdig und belehrend zugleich. Da an eine historische Beziehung hier nicht zu denken ist, so lernen wir daraus, wie viel überraschend ähn- liche Züge eine bestimmte Dichtungsgattung bei verschiedenen Völkern entwickeln kann und wie leicht man irre gehen könnte, wenn man auf Grund solcher Uebereinstimmungen gleich auf Beeinflussung von der einen oder der andern Seite schliessen wollte.

Doch genug! Wenden wir uns wieder ganz dem indischen Drama speciell zu.

Die Zeit, in welcher die Anfänge des indischen Dramas liegen, vermögen wir nicht zu bestimmen. Wohl aber siud wir jetzt über die Blüthezeit desselben einigermassen orientirt, nach- dem lange genug auch in dieser Hinsicht die gross te Unsicher- heit geherrscht hat.

Es handelt sich dabei wesentlich um die Zeitbestimmung der drei wichtigsten Dramatiker: des Kalidasa, des Qüdraka, angeblichen Verfassers der Mricchakatika, und des Bhavabhüti.

1 Nur dass im indischen Drama viel mehr Lyrik au finden ist * Namentlich die Mricchakatika erinnert in' dieser Hinsicht ganz merkwürdig an Shakespeare.

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Zum Glück sind wir wenigstens über den letzten dieser drei, Bhavabhüti, einigermassen sicher berichtet, und ist der- selbe schon lange in das 8. Jahrhundert nach Chr. gesetzt1 Er lebte zur Zeit und unter dem Schatze des Königs Yaco- v arm an von Kanyakubja, dessen Regierung in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderte fällt* Sehr misslich stand es dagegen lange mit der Zeitbestimmung des Kalidasa, des vorzüglichsten unter allen indischen Dramatikern, von welchem wir bereits epische und lyrische Dichtungen ersten Ranges kennen gelernt haben.

Man pflegte früher für Kalidasa das 1. Jahrhundert vor Chr. als Lebenszeit anzugeben, und wurde dabei speciell die Zahl 56 vor Chr. genannt, angeblich zufolge einer indischen Tradition. An und für sich war dies nun schon ziemlich un- wahrscheinlich, denn es müssten dann zwischen Kalidasa und Bhavabhüti circa acht Jahrhunderte liegen, was kaum glaublich ist, da ihre Werke dann doch wohl den Geist ganz verschie- dener Epochen zeigen müssten. Sie stehen sich aber im Gegen- theil in Anlage und Behandlung des Stoffes in vieler Hinsicht nahe, sodass eine so bedeutende zeitliche Differenz fast unmög- lich erscheint Nun hat aber auch schon Weber in seiner Ind. Literaturgeschichte3 klar gezeigt, dass jene angebliche Tradition gar nicht existirt, dass die Inder für Kalidasa keines- wegs das 1. Jahrhundert vor Chi*, als Lebenszeit angeben, dass man sie vielmehr nur gründlich missverstanden hat Es beruht nämlich jene ganze Behauptung blos auf einem Denkverse an- bekannten Ursprungs,4 in welchem neun hervorragende Männer, darunter auch Kälid&sa als die „neun Edelsteine" am Hofe des Königs Vikrama genannt werden.* Nun ist wie ich schon früher in anderem Zusammenhange dargelegt habe6 für die Zeitrechnung in Indien die Aera des Vikrama oder Yikramä- ditya vielgebraucht und diese beginnt mit dem Jahre 56 vor Chr. Man nahm nun ohne Weiteres an, dass dies derselbe Vikrama sei, unter dem Kalidasa lebte, und setzte ihn wie auch den Kalidasa in da» erste Jahr seiner Aera, also das Jahr

1 Vgl. 2. B. Weber, Ind. Lit 1. Aufl. p. 191; 2. Aufl. p. 222.

Vgl. M. Müller, Indien in seiner weltgesch. Bed. p. 286—288. Bhandarkar, Vorrede zu seiner Ausgabe des Malatimadhava (1876).

" 2. Aufl. p. 217 flg. « 4 Vgl. ttber diesen Vers M. Müller, Indien in s. weltgesch. Bed. p. 246 Anm.

VgL oben p. 816.

Vgl. oben p. 814 flg.

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56 vor Chr., eine Annahme, die in der That völlig unbegründet, auf groben Fehlschlüssen aufgebaut war. Es hat m Indien mehr als einen Fürstön Vikrama oder Vikramäditya gegeben, und hätte daher erst nachgewiesen werden müssen, dass der Vikrama des Kalidasa wirklich identisch Bei mit dem Vikrama, nach welchem die Aera benannt ist.1 Dann aber lag vor allen Dingen absolut kein Grund dafür vor, diesen Vikrama selbst in das 1. Jahrhundert seiner Aera zu setzen. Es konnte dies, wie Ad. Holtzmann schon im Jahre 1841 schneidig hervor- hob, „ein ebenso grosser Fehler sein, als wenn man Papst Gregor XIII. ins Jahr 1 des gregorianischen Kalenders oder gar den Julius Caesar ins erste Jahr der nach ihm benannten julianischen Periode, d.d. ins Jahr 4713 a. Chr. setzen wollte."1 Wir wussten nur, dass die mit dem Jahre 56 vor Chr. begin- nende Aera ihren Namen nach einem König Vikrama trug; wann aber dieser selbst der muthmassliche Begründer dieser Zeitrechnung, lebte, war damit absolut nicht gesagt oder auch nur angedeutet.

Es war der holländische Indologe Heinrich Kern, der zuerst Licht in diese schwierige Frage brachte und uns den ersten sichern Anhaltspunkt für 4je Bestimmung von Kalidasa's Lebenszeit gab. Unter jenen „neun Edelsteinen" am Hofe des Vikrama wird nämlich auch der berühmte Astronom Varäha- mihira genannt, und dieser das lässt sich durch astrono- mische Daten feststellen lebte in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts nach Chr. Wenn nun Varahamihira, wie jener Spruch besagt, ein Zeitgenosse des Vikrama und des Kalidasa war, so lebte eben auch Kalidasa in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts nach Chr.8

* Ja, die Tradition einiger neueren indischen Werke giebt aus- drücklich einen anderen, nämlich den König Bhoja, Herrscher von Ma- lava, residirend in Dbara and Ujjayinl, als denjenigen Vikrama an, an dessen Hofe die neun Edelsteine lebten. Dieser Bhoja aber lebte im 11. Jahrhundert nach Chr. (■. Weber, Ind. Lit 2. Aufl., p. 218. 219). Dass dies nicht das Zeitalter des Kalidasa sein kann, geht indessen von Anderem abgesehen schon aus der Thatsache hervor, dasB der Name desselben neben dem des Bharari auf einer Inschrift aus dem Jahre 634 nach Chr. (faka 556) erscheint. Vgl M. Muller, Indien in s. w. B. p. 262.

* Holtzmann, üeber den griech. Ursprung des indischen Thier- kreises, Karlsruhe 1841, p. 19. 8. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 219. 220.

* Kern kam aus dem angegebenen Grunde in dem Vorwort zu seiner Auagabe von Varahamibira s Brihatsamhita (Bibl. Ind. 1864. 651 p. 20 zu dem Resultat, dass die neun Edelsteine in der ersten Hälfte des 6. Jahrhundert gelebt haben müssten.

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Diese Annahme stimmt nun auch aufs Beste zu der früher erwähnten Unmöglichkeit, den Kälidasa gar zu weit von Bha- vabhüti, also vom 8. Jahrhundert, wegzurücken. Kälidäsa ist älter, reiner, strenger in seiner Kunst als Bhavabhüti, aber etwa zwei Jahrhunderte wären da gerade das Maass, welches nach der inneren Beschaffenheit ihrer Werke die wahrschein- liche zeitliche Differenz bilden könnte; viel darüber hinaus konnte es keinesfalls sein. Die chronologische Stellung, die wir dem Dichter nach dem Inhalt seiner Werke zuweisen möchten, stünde somit im besten Einklang mit der Tradition von seiner Gleichzeitigkeit mit Varahamihira.

Ich bekenne, dass diese Thatsache mir schon seit Jahren bedeutsam genug erschienen ist, um angesichts der absoluten Unbegründetheit der früheren Ansicht von Kälidasa's Zeitalter, es im höchsten Grade wahrscheinlich zu machen, dass der ge- feierte Dichter dem sechsten Jahrhundert angehörte, und habe ich dies in meinen Vorlesungen schon seit längerer Zeit gelehrt

Es sind indessen von den verschiedensten Seiten noch eine solche Fülle wichtiger Argumente zur Stütze dieser Ansicht beigebracht worden, dass dieselbe mehr und mehr an Wahr- scheinlichkeit gewonnen hat und gegenwärtig, wie ich glaube, als vollkommen sichergestellt bezeichnet werden darf.

Es war schon beachtenswerth, dass H. Jacobi auf Grund der astrologischen Angaben im Kumärasambhava und Raghu- vamca zu dem Resultat gelangte, dass deren Verfasser nicht vor etwa 350 nach Chr. gelebt haben könne.1 Es lag kein Grund vor, die Autorschaft; des Kälidasa zu bezweifeln, und wäre also auch damit schon die frühere Ansicht von dessen Lebenszeit unmöglich geworden. Man hätte auch wohl früher schon den Umstand mit berücksichtigen sollen, dass die süd- lichen Buddhisten den Kälidäsa in das 6. Jahrhundert setzen.'

Vor Allem aber wichtig und maassgebend waren die schon früher von mir erwähnten 3 bahnbrechenden Untersuchungen und Constructionen von Fergusson über das Zeitalter des Vi- krama oder Vikramaditya, nach dem die Aera benannt ist4

Kein urkundliches Zeugniss, keine Inschrift, keine Münze wusste etwas von einem König Vikrama im 1. Jahrhundert vor Chr. Fergusson suchte nun zu zeigen, dass der Vikrama

1 Monatsbtr. d. Berlin. Akad. d. Wiss. 1873 p. 566. 8. Knighton, Ztschr. d. D. M. G. XXII, 730. Weber, Ind. Lit 2. Aufl. p. 2*21 Anm. * 8. oben p. 815.

4 Journ.R. As. Soc. 1880. S. M. Müller, Indien in 8. w. Bed. p. 246.

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oder Vikramäditya, nach welchem die Aera benannt ist, der- selbe war, welcher im Jahre 544 nach Chr. die Barbaren in der Schlacht bei Korur1 aufs Haupt schlug und welcher sonst auch als Harsha von Ujjayini bekannt ist. Das Datum dieser Schlacht wurde zum Ausgangspunkt für eine neue ZeitrechnuDg genommen, deren Anfang man gerade 600 Jahre zurück, d. i. auf das Jahr 56 vor Chr. ansetzte.*

Diese Annahme würde zusammenbrechen, sobald sich ein sicher beglaubigtes urkundliches Denkmal aus der Zeit vor dem 6. Jahrhundert nachweisen liesse, in welchem die Vikrama-Aera bereits gebraucht wird. Dies ist aber thatsächlich nicht der Fall, und je mehr dio Frage weiter untersucht und verfolgt worden ist, um so mehr hat sich die erwähnte Annahme als eine sehr plausible herausgestellt.

Es ist insbesondere Max Müller, der die Frage nach dem Zeitalter des Vikrama, des Kalidasa und was weiter damit zu- sammenhängt in geistvoller, eingehender und überzeugender Weise behandelt hat in seinem Excurs über „die Renaissance der Sanskrit-Literatur*4.3 Auf die Details dieser interessanten Untersuchung an diesem Orte näher einzugehen, muss ich' mir leider versagen. Nur soviel sei als Ergebniss derselben hervor- gehoben, dass alle historischen und literargeschichtlichen That- sachen aufs Beste zu der Annahme stimmen, dass Kalidäsa im 6. Jahrhundert nach Chr. lebte, und wenn diese Ansicht zur allgemeingültigen wird oder vielleicht schon jetzt als solche bezeichnet werden darf, so ist dies nicht zum geringsten Theile das Verdienst der Müller 'sehen Erörterungen.

Was nun endlich Qüdraka, den angeblichen Verfasser der MricchakatikÄ betrifft, so ist derselbe wahrscheinlich älter als Kalidasa, aber sehr weit von dem Zeitalter dieses Dichters kann er auch nicht entfernt sein. Die Schilderung der Sitten in der Mricchakatika erinnert stark an das Da^akumäracaritam4 und auch alles Uebrige darin weist etwa auf das 6. Jahrhundert

1 Nach Albiruni zwischen Maltan und dem Schlosse Luny gelegen; g. Maller a. a. O. p. 246 Anm. Es ist dies wohl dieselbe Schlacht, welche Taranatha die Schlacht bei Multan nennt; s. ebenda p. 247.

* Aehnlich ist die sogenannte Harsha- Aera dadurch gewonnen, dass man den Anfang derselben am 1000 Jahre zurück, d. L auf das Jahr 456 vor Chr. ansetzte S, Maller, *. a. O. p. 247.

* In seinem Buche „What can India teach us" (1882\ deutsch unter dem Titel: Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeu- tung (Leipzig 1884), p. 245 flg. (übersetzt von Prof. C. Cappeller).

4 Vgl Weber, Ind. Lit 2. Aufl. p. 223 Anm. Das Dacakumara- caritam entstammt wahrscheinlich dem 6. Jahrhundert.

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nach Chr.; höchstens aber könnte dieses Stück nach Fischöl dem Ende des 5. Jahrhundert angehören. Die Gründe, die man sonst für ein höheres Alter der Mricchakatikä und des Qudraka angeführt hat (1. oder 2. Jahrb. nach Chr.), sind sammtlich hinfällig. „Es ist also möglich scbliesst Pischel eine darauf bezügliche Auseinandersetzung und sogar wahr- scheinlich, dass Qudraka älter ist als Kälidäsa; was ich aber entschieden in Abrede stellen muss, ist, dass Qudraka Jahr- hunderte älter ist als Kalidasa und einer Zeit angehört, in der das griechische Drama irgend einen Einfluss auf das indische hätte ausüben können."1

Die Blüthezeit des indischen Dramas erstreckt sich nach alledem etwa vom 5. bis zum 8. oder 9. Jahrhundert nach Chr. In das fünfte (vielleicht auch schon in das sechste) Jahrhundert fällt Qüdraka, der Verfasser der Mricchakatikä; in das sechste K&lidäsa; in das siebente Qrlharsha, der an- gebliche Verfasser der Ratnavali* und des Nagananda; in das achte endlich Bhava-bhüti. Auch Vic,äkhadatta, der Ver- fasser des in vieler Hinsicht ausgezeichneten Mudrarakshasa, lebte wahrscheinlich im siebenten oder achten Jahrhundert nach Chr.8

Das sechste Jahrhundert nach Chr. bezeichnet für uns den Gipfelpunkt der klassisch -indischen Literatur. In ihm, dem Zeitalter Kälidasa's, entsprangen nicht nur die schönsten Dra- men, sondern auch die nächst dem Ramäyana am höchsten geschätzten Kavya's oder Kunstepen: Kumärasambhava und Raghuvanica, und lyrische Dichtungen von dem Werthe des Meghadüta und Ritusamhära. In demselben Jahrhundert er- langte die Fabel- und Märchenpoesie der Inder so weiten Ruhm, dass ein persischer König eine Uebersetzung des Hauptwerkes dieser Dichtungsgattung veranstalten liess. Derselben Zeit ge- hörte der Roman- und Spruchdichter Dandiu, der Lyriker Ghatakarpara, der Spruchdichter Vetalabhatta an, und Gelehrte ersten Ranges, wie der Astronom Varahamihira, der Lexico- graph Amarasimha, der Grammatiker Vararuci, der Philosoph Dignäga* und so manche Andere.

Diese Blüthe dauert auch im 7. Jahrhundert noch weiter

1 S. Pischel, in der Recension von Fritze, Kausika's Zorn. Gört. Gel. Anz. 1883. Stück 39, p 1231; s. auch p. 1229. 1230.

S. M. Müller, a. a. 0. p. 283; Pischel a. a. 0. p. 1229.

* Vgl. HiHebrandt, Ztschr. d. D. M. G. XXXIX p. 130—132

* Vgl. Müller, Indien in s. w. Bed. p. 267.

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fort, dem Zeitalter des geistvollen Spruchdichters und Gelehrten Bhartrihari, der Romandichter Bana und Subandhu, des Drama- tikers Dhavaka, des Mayura u. a,; in demselben Jahrhundert entstanden gelehrte Werke wie die Ka^ikä u. a. Auch das achte Jahrhundert hat noch Dichter wie Bhavabhüti aufzu- weisen, im achten Jahrhundert wird der grosse Vedanta-Philo- soph Qamkara geboren. Viel Schönes und Bedeutendes bringen auch die folgenden Jahrhunderte noch hervor, aber die des 6. Jahrhundert wird doch nicht wieder erreicht

Sear64«r, lad. LH. «. Ctlt.

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Zweiundvierzigste Vorlesung.

Die Dramen des K&lidisa. Charakteristik und Analyse, gakuntali.

Urva$i. Malavikagnimitram.

Lassen Sie uns die nähere Betrachtung einzelner indischer Dramen mit den schönsten unter ihnen, den Dramen des Kali- dasa, beginnen.

Es sind im Ganzen drei Dramen, welche diesem gefeiert- sten unter den indischen Dichtern zugeschrieben werden i die reizende, vielbewunderte Qakuntala; die Urva$i odefi wie sie im Original heisst, Vikramorvaci, und endlich das Malayi- kägnimitram oder Mälavikä und Agnimitra. Die Echtheit dieses letzteren Stückes ist eine Zeitlang beanstandet worden, darf aber jetzt, wie ich glaube, als erwiesen angesehen werden.

Unter diesen Dramen gehören Qakuntalä und Urva$i ihrem ganzen Charakter, dem Stoff wie auch der Ausfuhrung nach näher zusammen. Beide versetzen uns in die graue, sagenhafte Vorzeit Indiens, wie sie uns vor Allem durch das grosse Epos übermittelt ist Beide fuhren uns altberühmte Könige jener Sage, den Dushyanta und Pururavas, vor und schildern ihre Liebesabenteuer, das Unheil das über sie hereinbricht und die endliche versöhnende Auflosung dieses Unheils. Ich möchte Cakuntala und Urva$t als die recht eigentlichen Repräsentanten des romantischen Wunder- und Märchendramas der Inder bezeichnen, während das Malavikagnimitram ein Palast- und Haremsdrama, ein modernes Liebes- und lntriguenstück dar- stellt. In den beiden erstgenannten Dramen sind wir den Grenzen der prosaischen Wirklichkeit entrückt, das Wunder- bare waltet hier und übt sein Recht uneingeschränkt. Irdisches und Himmlisches ist ungeschieden. Menschen, Halbgötter, Nym- phen und Heilige wogen in buntem Gedränge durcheinander. Aus den Lüften steigt Indra's Wagenlenker zur Erde nieder, um den streitbaren König zum Kampfe gegen die bösen Dä- monen abzuholen. Die himmlische Nymphe wird von dem

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irdischen Heidan beschützt nnd sie, die eben noch den Götter- könig mit ihrem Spiel ergötzt, naht sich dem irdischen König, um ihm ihre Liebe zu schenken. Der Fluch eines Heiligen übt übernatürliche Wirkungen ans; dem Liebenden ist durch die Kraft desselben plötzlich die Erinnerung an die Geliebte aus dem Gedächtniss geschwunden, und nur der Anblick eines bestimmten Ringes vermag ihm dieselbe wiederzugeben. Die fliehende Urva$i wird in dem Zauberhaine, den kein Weib be- treten darf, plötzlich, wie in einem Märchen, in eine sich ran- kende Winde verwandelt, um dann später nach Lösung des Zaubers in den Armen des Königs wieder zur verlorenen Ge- liebten zu werden.

Diese Dramen sind von einer wirklich vollendeten, un- nachahmlichen Zartheit und Feinheit aller Empfindungen und Motive. Nichts Rauhes, nichts Schreckendes, nichts Gewalt- sames stört hier die schöne Harmonie der zartpoetischen Em- pfindung, — wie dies doch bei den grossen Dramen der Grie- chen, Shakespeares und der Modernen oft genug der Fall ist ja geradezu als ein Kennzeichen dramatischer Kraft betrachtet wird. In Qakuntala und Urvacl ist Alles, ist jede Leidenschaft gesänftigt, abgeklärt, ohne darum doch irgend matt zu werden. Die Liebe erscheint hier in höchst anmuthiger Gestalt und selbst wenn ihre Gluth schon verzehrend zu wirken droht bleibt sie dennoch in den Grenzen der Schönheit, ist sie nicht im Stande, wilde Eifersucht zu gebären oder in Hass umzu- schlagen; der wilde qualvolle Schmerz zeigt sich hier zur tiefen, rührenden Wehmuth gemildert und so fort Hier hat der in- dische Geist das Maass zu finden gewusst welches das Kenn- zeichen echter, vollendeter Schönheit bildet; hier hat er darum für alle Zeiten mustergültig Schönes geschaffen.

Die letztentwickelten Eigenschaften begründen eine unver- kennbare Verwandtschaft dieser Schöpfungen mit denen des Goetheschen Genius, und es erscheint in jeder Hinsicht ver- ständlich, warum gerade Goethe von dieser Poesie sich so leb- haft ergriffen, so sympathisch angezogen fühlte; Goethe, dessen ganzes Streben in seinen reifen Jahren darauf ausging, Alles mildernd, sanftigend, versöhnend, im Lichte ruhiger Schönheit zu verklären.

Man wird andererseits zugestehen müssen, dass gerade die genannten Eigenschaften, vor Allem die Zartheit in allen Em- pfindungen und Motiven, diese Stücke wenig geeignet erscheinen lassen, von der Bühne aus bedeutende Wirkung zu üben, zu Spannen » zu ergreifen, zu erschüttern. Gerade was wir von

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zugkräftigen Stücken verlangen, geht diesen Schauspielen un- geachtet ihrer hohen poetischen Vollendung fast völlig ab, und der Versuch, sie auf unserer Bühne heimisch zu machen, wird wohl nie von Erfolg begleitet sein.1

Einen weiteren charakteristischen Zug dieser Dramen, im Gegensatze zu denen der Griechen wie der modernen Dichter, bildet das starke Hervortreten der Naturpoesie. Der Mensch erscheint hier im traulichsten, innigsten Verkehre mit der Natur, mit Mango- und Kecara-Bäumen, mit Lianen, Lotus und P&tala- Blüthen, mit Gazellen, Flamingos, bunten Papageien und Ko- kila's. Zu ihnen redet er, mit ihnen lebt er: Diese Natur- poesie bildet ja überhaupt einen stark hervortretenden Zug der indischen Dichtung, im Drama aber würden wir denselben am wenigsten erwarten, und gerade hier tritt er so bedeutsam her- vor, gerade hier ist er so reich, so tief, so schön entwickelt, weiss sich mit so gewinnender Liebenswürdigkeit in unser Herz zu stehlen, dass wir ihn um keine Preis missen möchten, dass wir gakuntala und Urvacl uns ohne ihn gar nicht denken könnten.

Wenn wir Georg Forster's im Jahre 1791 erschienene, wohlgelungene Uebersetzung der Qakuntalä nach dem Eng- lischen von William Jones zur Hand nehmen und uns in die Lektüre derselben vertiefen, so vermögen wir noch heutzutage die Ueberraschung, das freudige Staunen zu begreifen, mit welchem dieselbe die ästhetisch höchststehenden Geister jener Zeit ergriff und erfüllte. Man wusste wohl, dass die Inder Dramen besässen, dass aber eine so reizende Blüthe der Poes je jenem fernen Boden entsprossen, das hatte Niemand auch nur ahnen können.

Rasch wurde die (Jakuntala bekannt und berühmt, und die Begeisterung, mit der die grössten Dichter sie begrüssten, war von hoher Bedeutung für das baldige Aufblühen der jungen Sanskrit- Wissenschaft. Herder veröffentlichte Briefe über die

1 Es ist .gewiss werth zu bemerken, dass 8chiller in seinem Briefwechsel mit Goethe berichtet, er habe die Cakuntala „auch in der Idee gelesen, ob sich nicht ein Gebrauch fur's Theater davon machen Besse; aber es scheint, dass ihr das Theater direct entgegensteht, das* es gleichsam der einzige von allen zweiunddreissig Winden ist, mit dem dieses Schiff, bei uns, nicht segeln kann. Dies liegt wahrscheinlich in der Öaupteigenschaft derselben, welche die Zartheit ist, and tngleich in einem Mangel der Bewegung, weil Bich der Dichter gefallen hat, die Empfindungen mit einer gewissen bequemen Behaglichkeit auaau- spianen, weil serbet das Klima zur Ruhe einladet." ^Briefwechsel No. 843 )

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Qakuntala 1 und verfasste eine Einleitung zu derselben. Die zweite Auflage der Forsterschen Uebersetzung ist von ihm herausgegeben (im Jahre 1803). Goethe bekannte in seinen Annalen, dass er sich Jahre lang in die Bewunderung der Qakuntala versenkt habe. Hier schien ihm m vollendeter Harmonie Alles vereinigt zu sein, was des Menschen Herz begehren, sein Sinn zu 'um- fassen vermag, das Schöne, Zarte, Reizende und Bestrickende eben- sowohl als das Schlichte, Ernste, Dauernde, das tägliche Brod, das unserem geistigen Leben den Bestand verbürgt, die Natur, der Mensch und der Himmel der Götter, mifc welchem die Menschen noch harmlos-naiv verkehren. Das ist der Sinn der begeisterten Distichen, die er Kalidasa's Dichtung widmete:

Willst du die Blüthe des frühen, die Früchte deB späteren Jahres, Willst da was reizt und entiückt, willst da was sattigt and nährt, Willst du den Himmel, die Erde mit Einem Namen begreifen, Nenn ich, Saknntala, dich, und so ist Alles gesagt

Wie viel wir auch später von der indischen Poesie kennen gelernt haben, Qakuntala bleibt doch die schönste, die reizendste Blüthe, die in indischen Landen erblüht ist; ihr Duft kann nie vergehen, so lange es noch Menschen giebt, die für das Schöne in der Dichtung Herz und Verständniss haben.

Qakuntalä ist das Muster eines Na^aka oder Schauspiels höchster Kategorie; der Held ein König der sagenhaften Vor- zeit; die Heldin Tochter der himmlischen Nymphe Menaka und des Weisen Vicvamitra; ihr Sohn Bharata Stammvater des be- rühmten Bharatiden- Geschlechtes. Sie können daraus entneh- men, in wie hohem Alterthum die Begebenheit spielt, weit früher als die Kämpfe, welche das Mahabharata besingt

Das Stück umfasst sieben Akte.

Nach dem hübschen Vorspiel, in welchem die Schauspielerin ein allerhebstes Liedchen von der Sommerzeit singt, sehen wir König Dushyanta auf der Jagd, eine Gazelle verfolgend Ein- siedler treten ihm in den Weg, das Thierchen schützend, d* es zu ihrem Andachtshaine, dem Wohnort des heiligen Kanva, gehört Der Heilige ist nicht daheim, er hat aber seine Pflege- tochter QakuntalA mit der freundlichen Aufnahme der Gäste beauftragt. Den Hain betretend wird der König heimlich Zeuge eines reizenden Schauspiels, (Jakuntala mit ihren Freun- dinnen Anasüyä und Priyamvada, unter den Br m und Bäumen

1 Damals meist Sacontala oder S&kontala geschrieben.

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des Haines umherwandelnd und unter harmlos anmuthigem Ge- plauder ihnen aus der Giesskanne Erquickung spendend. Ob auch in ein rauhes Bastgewand, das Kleid der Büsser, gehüllt, nimmt ihre jugendliche Schönheit doch alsbald des Königs Herz gefangen. Ein anmuthiger Zwischenfall giebt ihm den Anlass zu überraschendem Hervortreten. In dem nun folgenden Ge- spräche wächst die Neigung in Beider Herzen rasch empor, und wie sie scheiden müssen, zögert Qakuntala verstellter Weise, indem sie thut, als ob ihr Bastgewand an einem Zweige hangen geblieben sei, und blickt beim Losmachen desselben noch ein- mal den König an. Dieser fühlt, dass es ihm jetzt unmöglich ist, den Büsserhain zu verlassen und in seine Residenz zurück- zukehren:

Mein Körper zwar geht vorwärts, doch das Herz Fliegt unbefriedigt Immer mir zurück, So wie das seidne Fahnlein der Standarte, Die man dem vollen Wind entgegen tragt.1

Als Gegengewicht gegen allzu sentimentale Stimmung tritt nun im zweiten Akte der Vidüshaka Mäthavya auf, des Königs Narr, komisch ärgerlich über die Jagdleidenschaft wie üher die Verliebtheit seines Herrn, ergötzlich und vertraulich mit ihm schwatzend. Der König bestellt die Jagden ab und schützt das Opfer der Einsiedler vor dem Angriff böser Dämonen. Den Narren sendet er an seiner Statt in die Residenz.

Sehr reizend ist der dritte Akt, wo Cakuntala, krank, er- griffen von LiebeSweh, von den zärtlichen Freundinnen gepflegt in der Laube auf einem Blumenlager gebettet wird, während sie ihr mit Lotusblättern Kühlung zufächeln. Ihr ganzes Herz offenbart sich im vertrauten Gespräche. Der König hört es im Versteck, er tritt zu ihr, und die Herzen der Liebenden finden Bich. Er trägt ihr die Ehe nach Gandharven-Art an, sie zau- dert, schwankt, da werden sie gestört, aher wir wissen nun. dass ihre Verbindung gewiss ist.

Ein Zwischenspiel belehrt uns üher einen unheildrohenden Vorfall, der den tragischen Knoten des Stückes schürzt. Qa- kuntala hat, in ihre Liebeseedanken versenkt, das Nahen des heiligen Büssers Durvasa nicht bemerkt und ihm nicht die er- forderliche gastliche Begrüssung gewidmet Der jähzornige Hei- lige flucht ihr sogleich, nun solle auch ihr Geliebter ihrer ver- gessen. Nur mit Mühe lässt er sich erbitten, den Fluch dahin

1 Diese Verse, wie auch die meisten weiter unten metrisch ge- gebenen 8tttcke, sind der Ueber**t*nng von E. Meier entnommen.

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zu mildern, dass beim Anblick des Ringes, den Qakuntala als Erinnerungszeichen vom König erhalten, diesem das Gedächtniss an das Geschehene wiederkehren solle. Qakuntala erfahrt von dem ganzen Vorfall nichts.

Der König, der sich heimlich mit ihr vermählt hat, ist fortgezogen und hat sein Versprechen, sie abholen zu lassen, nicht erfüllt Der heilige Kanva, der die Verbindung nach- träglich gebilligt, beschliesst, die Tochter, die inzwischen schon guter Hoffnung ist, mit passendem Geleit dem Gatten zuzu- senden. Höchst anmuthig, zart und poetisch ist der Abschied, den nun im vierten Akte Qakuntala von dem Andachtshaine nimmt, in dem sie aufgewachsen, von den Freundinnen, von dem Gazellchen, das sie aufgezogen, und der Blume Waldmond- schein, die sie gepflegt. Ja, die Waldgottheiten selbst bieten ihr „mit Händen, jungen Baumessprossen ähnlich" Abschieds- geschenke dar, Stimmen aus der Luft wünschen ihr Segen und Glück auf den Weg. Ihr Pflegekind, das Gazellchen, schmiegt sich ängstlich- traulich an ihr Gewand; die Freundinnen aber trauern, weil jetzt der Andachtshain für sie verödet ist.

Im fünften Akte tritt Qakuntala, von den Einsiedlern und der alten Mutter Gautami begleitet, vor den König. Die Scene, die sich nun entwickelt, ist unendlich rührend, wehmüthig und schmerzlich, ja von tiefer tragischer Wirkung. Der König er- kennt die einst so heiss Geliebte nicht wieder, er weiss nicht, wer sie ist. Er ist nicht rauh, nicht roh gegen sie, er kann sich nur auf nichts besinnen. Er sieht sie sinnend lange an; als ein schönes Weib erscheint sie ihm, das Weib eines Andern wohl, er kennt sie nicht! Gerade dies ist von erschütternder Wirkung. Ware er roh gegen sie, wir würden erbittert sein, aber so lagert es sich wie mit bleierner Schwere nieder, wie ein unerbittliches dunkles Fatum, das zwei einst sich Liebende für immer und ewig scheidet Mit Schrecken und Entsetzen weist der König ihr Ansinnen, das Begehren der frommen Begleiter zurück, sie als sein Weib bei sich zu behalten. Wie dürfte er das Weib eines Andern berühren? Sie erinnert ihn an liebliche Ereignisse der Vergangenheit, an Worte, die er einst zu ihr gesprochen, er weiss nichts mehr davon. Mit zerrissenem Herzen, verzweifelnd, Liebe nicht mehr hoffend, gedenkt sie seines königlichen Ringes, den er ihr ge- geben, und um nicht entehrt fortgeschickt zu werden, will sie ihn dem Könige weisen, aber der Ring ist fort, sie hat ihn im heiligen Teiche, wo sie dem Wasser ihre Huldigung darbrachte, verloren. Nun ist keine Rettung, keine Hülfe mehr

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ni hoffen. Mit dumpfen Schmerz ergieht sie sich in ihr schweres Schicksal.

0 faeüge Erde! Thn deinen Scbooss mir auf!

So ruft sie verzweifelnd aus, da unmittelbar nach Schluss dieser Scene wird sie von einem höheren Wesen in die Lüfte entführt und sinnend, trauernd, träumend bleibt der König zurück

Auf die tragischste Scene folgt die am meisten komische und derbe: Polizeimeister und Schergen, die einen Fischer mit einem kostbaren königlichen Ring erwischt haben, den er vor- giebt in eines Fisches Magen gefunden zu haben. Sie höhnen und misshandeln ihn wegen dieses Märchens, aber der König, sobald er den Ring gesehen, befiehlt, den Fischer freizulassen und belohnt ihn königlich; die Polizeisoldaten aber sind hoch- erfreut, wie nun der plötzlich Reichr/ewordene sie als wohl- wollender Gönner in die Schenke führt eine fast Shake- spearesche Scene.

Der König hat sogleich den Ring erkannt und mit dem Ringe ist ihm die Erinnerung an alles Geschehene wieder- gekehrt Jetzt trauert er in- tiefem Schmerze, dass er so ra- send, so verblendet sein konnte, die Geliebteate zu Verstössen. Das Prühlingsfest, zu dem die Vorbereitungen schon getroffen waren, wird abbestellt, und in seinem Grame tröstet den König nur das gemalte Bildniss der Geliebten, zu dem er redet, vor dem er seufzt, aber es ist ein schmerzlicher, trügerischer Trost Eine himmlische Nymphe sieht ihn so in Weh und Leid versunken und will dies Alles der Qakuntala berichten. Indras Wagenlenker Matali steigt aus der Luft herab, um den König zum Kampfe gegen die bösen Dämonen abzuholen.

Nachdem er dieses Werk rühmlich vollbracht hat, sehen wir im siebenten und letzten Akte diese Beiden in Indra's Wagen über die Wolken dahinfahren. Sie landen auf dem Gipfel des Gandharvenberges Hemaktita. Dort begegnet dem König ein muthwillig lustiger, hübscher kleiner Knabe, mit einem Löwonjuogen spielend, von einer Einsiedlerin geleitet Es ist sein Sohn, den ihm Qakuntala in der Verborgenheit geboren. Mit Entzücken begrüssi ihn der König und findet nun auch die verlorene Geliebte wieder, die hier beim göttlich heiligen Kacjapa, dem Vater des Indra, stillverborgen gelebt Einer Versöhnung bedarf es nicht, denn der König trägt ia keine Schuld, er stand unter dem Banne höherer Mächte. Mit dem seligen Glück der Wiedervereinigung schliesst das Stück

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So fein und schön die ganze Anlage und Durchführung der dramatischen Fabel ist, so vollendet, so graciös und an- muthsvoll sind auch eine Menge von Einzelheiten. Nur Weniges davon will ich, Sie daran erinnernd, hervorheben.

Wie schön sagt z. .6. der König, als er die zarte, reizende

Qakuntala im rauhen Büssergewande erblickt:

Der Weise, welcher diesen ohne Kunst Entzückenden Leib zur Busse eignen will, Er unternimmt, Schlingpflanzen abzuschneiden Mit eines Lotusblattes feinem Rande.

Und weiter:

Das rauhe Büsserkleid, das, auf der Schulter Fein zugeknotet, deckt den vollen Bosen, Verdunkelt ja den Glanz des jungen Leibes, Gleich einer Blüth', vom gelben Blatt umschlossen.

Und dennoch:

Die Lotusblum* ist lieblich immerdar, Auch wenn ein ßumptgewachs sie überdeckt; Und selbst des Mondes Fleck, ob dunkel auch, Vermehrt nvr seiner Schönheit lichten Glanz. So scheint auch in dem Bastgewande hier Das schlanke Madchen nm so schöner nur: Denn was gereichte nicht zu Schmuck und Zier Solch schönem Wesen, solcher Hnldgestalt!

Wie plastisch anschaulich, wie reizend schildert er nach* her die Geliebte, die von der Arbeit des Blumenbogiessens an- gegriffen ist Sieh! sagt er zu der Freundin

Wie ihre Schultern schlaff vom Kanneheben, Wie ihre Bande hochroth sind im Innern! Vom angestrengten Athemholen Sieht man noch jetzt den vollen Busen wogen; Ein Netz von heissen Tropfen deckt ihr Antlitz, Dass der £irishen- Schmuck am Ohre klebt; Und mit der Hand h&lt sie ihr wallendes Haar, Das sich beim Fall des Bandes aufgelöst.

Wie fein sagt er dann von ihr, als er forschend späht, ob sie sich ihm wohl zuneige:

Wenn sie auch nie ihr Wort in meines mischt, So horcht sie doch auf mich, sobald ich rede;. Und kehrt sie auch ihr Antlitz mir nicht zu. So sucht ihr Auge meist doch auch nichts Andres.

Und später wieder schildert er dem Vertrauten ihr rei- zendes Zögern beim Weggehen:

Nur wenig Schritte ging die Schlanke vorwärts, Da blieb sie stehn. und sagte, sich verstellend: „Ein Kuca-Halm hat mir den Fuss geritzt Sodann mit ruckgewendetem Gesicht

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Begann ihr Bastkleid fiie Ton dem Gezweige Der Baume loszumachen, ob es gleich An keinem Zweige hangen war geblieben.

Und allerliebst wieder sagt er Ton ihr, wie er sie beim Dichten eines Liebesbriefchens an ihn selbst belauscht:

Indessen eine ihrer Augenbrauen Beim Dichten sich ein wenig aufwärts zieht, Durchzuckt die Wang1 ein leiser Wonneschauer, Der ihre liebe deutlich mir verrath.

Sehr anmuthig und fein ist auch das Lied der Königin.

in welchem sie dem König seine Unbeständigkeit vorhält:

0 Biene, nach der Mangoblttthe,

Nach ihres Mundes süssem Kuas

Stand einst dein Sinn, dein Herze glühte,

Und selig warst du im Genuss!

Nun hast du treulos sie Yergessen,

Die du yoII Wonne oft geküest,

Die Lilie an die Brust zu pressen,

0 Biene, wie du grausam bist!1

Und endlich, wie schön, wie tief und zart empfunden sind des Königs Worte, als er seinen kleinen Sohn findet und, zuerst ihn noch nicht kennend, halbschmerzlich das Vaterglück schildert:

Sern Kind, wenn es ihm hold entgegen lächelt. Die zarten Enospenreihn der Zahne zeigend, Wenn's lieblich an zu reden fangt und stammelnd Schwerzuverstehnde kindische Worte lallt» Wenn es zum Schoosse seine Zuflucht nimmt, Es dann zu heben, auf dem Arm zu tragen, Ob auch beschmutzt von seiner Füsse Staub: 0 dai, o das ist eines Täters Gluck!

Der Text der (Jakuntala liegt uns in zwei, einigennassen von einander abweichenden Rezensionen vor: der bedeutend breiter ausgeführten bengalischen, und der kürzeren, knap- peren Devanagari-Recension, welche ich, mit manchen anderen Indologen, im Ganzen für die ältere und bessere halte.* Die erstere lag den Uobersetzungen von Jones und Förster m Grunde; sie ist früher von Chezy,* in neuerer Zeit von Piscnel* herausgegeben; die Devanagari-Recenhion von Böhtlingk.5

1 Diese Strophe ist nach Lobedanz' Uebersetzung gegeben.

3 Pischel und Fritze sind entgegengesetzter Meinung. Sehr be- acbtenswerth für die Recensionen- Frage ist ein Artikel von C Cap- peller, Jenaer Literaturzeitung 1877 (Artikel 117).

s p£fjg 1830

« KaiidaBa s (Jakuntala. The Bengali Recenrion, with critical notes ed. by Richard Pischel. Kiel 1877.

5 Qakuntala annulo recognita, drama indicum KaLidasae ad- scriptum. Ed Otto Böhtlingk, fasc. prior, Bonnae 1841. (Der zweite

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Unter den ziemlich zahlreichen Übersetzungen finde ich die alte Forster 'sehe immer noch besonders anziehend,1 wenn auch Manches an ihr zu bessern ist. Es hegt ein feiner poe- tischer Duft über dem Ganzen. Das Stück ist hier durchweg in Prosa gegeben. Wenig befriedigend war die auf Chezy's Ausgabe beruhende Uebersetzung von B. HirzeL* Ungleich besser die von Ernst Meier, welche nach Böhtlingk's Vor- gang sich dem Text der Devan&garl - Recension anschloss; hier wechselt, wie im Original, Prosa mit gebundener Rede. Meier gab in einer späteren Bearbeitung den Text durchgängig versi- ficirt, funffiissige Jamben, unterbrochen durch verschiedene an- dere Strophen.3 Diese Uebersetzung muss als sehr vorzüglich bezeichnet werden; sie ist geschmackvoll, poetisch und zugleich sehr treu, wohl die besce von allen, die wir bis jetzt besitzen. Recht formgewandt und hübsch, aber weniger treu ist die Uebersetzung von Edmund Lobedan z, die schon eine ganze Reihe von Auflagen erlebt hat. Sie ist im fönffüssigen Jambus verfasst, ebenso wie auch die den Text der bengalischen Re- cension wiedergebende Uebersetzung von L. Fritze.5 Es fragt sich, ob diese Anwendung des fünffussigen Jambus, der dem Orginal völlig fremd ist, das Richtige sein dürfte. Mir will es scheinen, dass das klassische Gewand der Inderin nicht ganz gut zu Gesichte steht. Eine Uebersetzung, die das Original auch in der Form wirklich treu wiederspiegeln wollte, müsste, wie dieses, Prosa und lyrische Strophen wechseln lassen.6 Dies

Fascikel 1842, enthalt eine Uebersetzung in Prosa.) Auch Monier Williams hat, im Anschluss an Böhtlingk, die Devanagarl- Recension herausgegeben, Oxford 18&3; 2. Aufl. 1876. DesgL C. Burkhard Breslau 1872. Jlvananda Vidyasagara, Calc. 1880.

1 Sakontala oder der entscheidende Ring. Ein indisches Schau- spiel von Kaiidas. Aus den Ursprachen Sanskrit und Prakrit ins Eng- lische und aus diesem ins Deutsche übersetzt mit Erlauterungen von Georg Förster. Zweite rechtmassige von J. G. v. Herder besorgte Ausgabe. Frankfurt a. M. 1803 (1. Aufl. 1791). Eine neue Ausgabe dieses Buches erschien Leipzig 1879.

* Zürich 1833 ; 2. Aufl. 1849. (Bengalische Recension.)

* Ernst Meier's Uebersetzung in ihrer ersten Form erschien Stuttgart 1852; die spatero, weit vorzüglichere Bearbeitung ist vom Bibliographischen Institut in Leipzig verlegt.

4 Sakuntala. Indisches Schauspiel von Kalidaäa. Deutsch me- trisch bearbeitet von Edmund Lobedanz. 6. Aufl. Leipzig 1878. 7. Aufl. Leipzig 1884. (Die 1. Aufl. erschien 1854.)

6 Sakuntala Metrisch ubersetzt von Ludwig Fritze. Schloss- Chemnitz, 1877.

* Dieser Meinung ist auch Cappeller in seinem oben citirten Artikel (vgl. das Ende desselben). Treffend bemerkt er: „Einzelne

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versuchte Meier in seiner ersten Uebersetzung, wurde aber den lyrischen Schönheiten des Originals keineswegs gerecht. Dies hat auch Rückert versucht in einer erst nach seinem Tode herausgekommenen Uebersetzung,1 die aber leider 90 wenig gelungen ist, dass man die Aufgabe als noch ungelöst bezeichnen muss.*

In ein noch höheres Alterthum hinauf fuhrt uns das zweite Stück des Kalidasa, die Vikramorva$l, d. L die durch Tapfer- keit errungene Urvaci, zurück. Es schildert die Liebe des Königs Purüravas und der schönen Nymphe Urvaci. Purüravas und Urvaci treten uns schon im Rigveda als ein Liebespaar entgegen. Max Müller hat es versucht, in der Erzählung von ihnen einen alten Mythus von Sonne und Morgenröthe nach- zuweisen, doch, wie ich glaube, ohne genügende Anhaltspunkte. Purüravas gilt als Sohn des Budha, der ein Soha des Mondes gewesen sein soll, und seine Herrschaft liegt Generationen zurück vor der des Dushyanta. Uebrigens merkt man das hohe Alter- thum, in welchem das Stück spielt, demselben ebensowenig an als der QakuntalA, da sie beide zwar mit romantisch märchen- haften Zügen reichlich ausgestattet sind, im Uebrigen aber in der Schilderung der Zustände und Personen, des Königs, seines

Scenen im indischen Drama, wie die Gespräche der Madchen, die Rede dee Vidüshaka u. dgl. sind durchaus prosaisch gehalten und ertrag« die metrische Form nicht; andererseits würden sieh gerade die lyrisch«: Stellen, in kunstvolle Strophen gebracht, dann um so mehr von des prosaischen Hintergrunde abheben und doppelt wirksam sein.44 Wir sind auch von Shakespeare her schon an den Wechsel gebundener and ungebundener Rede im Drama gewöhnt. Uebrigens ist es weder Cap- peller*e Ansicht noch die meinige, dass man die unnachahmlichen indi- schen Metra nachzubilden suchen solle. Es müssen uns vertraute, dem jeweiligen Gedanken angemessene lyrische Maaase an deren Stelle treten.

1 Sakuntala, Schauspiel von Kalidasa. Aus dem Sanskrit über- setzt von Friedrich Bockert Leipzig 1876.

1 Freiere Bearbeitungen der Gakuntala lieferten W. Gerhard (Leipzig 1880; Sakontala, metrisch für die Bühne bearbeitet); Höppl 11854); Wolzogen (1869); die letztere ist auch mehrfach aufgeführt worden. Endlich haben wir sogar: Sakuntala, Ballet in zwei Akten und fünf Bildern, nach Kalidasa's Dichtung (anonym); Musik von 8. Bachrick; in 8cene gesetzt von Carl Teile. Wien 1884. Carl Wittkowski, Sakuntala. Dichtung. Musik von Ph. Scharwenka (Berlin, Bote and Bock). Unter den Uebersetzungen In fremde Sprachen ist vor Allem die von W. Jones ins Englische hervorzuheben (1789), auf welcher die Forstersche Uebersetzung beruht. Ins Danische wurde die Cakuntili von Martin Hammerich übersetzt (Kopenhagen 1879>: ins Kassische von Putjata (Moskau 1879).

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Hofes u. s. w. wesentlich die Verhältnisse des indischen Mittel- alters wiederspiegeln.

Die Vikramorvaci gehört zu der Gattung derjenigen Stücke, welche Tro^aka genannt werden und in welchen die Begeben- heit theils irdisch theils himmlisch' sein soll. Es umfasst fünf Akte.

Der Inhalt ist in Kürze etwa folgender*

Nymphen in stürmischer Bewegung treten auf, wehklagend, dass ihre Gespielin Urvaci von bösen Dämonen geraubt sei. König Purüravas erscheint, hört ihre Klage und macht sich so- fort auf den Weg, die Geraubte zu befreien. Die That gelingt. Halb ohnmächtig* noch vor Schreck wird Urvaci von ihm auf seinem Wagen zurückgebracht. Er ist entzückt von ihrer Schön- heit, und auch Urvaci's Herz ist sogleich durch den Anblick ihres kühneu Retters gefangen. Sie müssen aber für's Erste scheiden, da Urvaci mit ihren Genossinnen vor Indra's Thron erscheinen soll.

Im zweiten Akte wird das süsse Geheimniss des Königs von dem geschwätzigen Vidushaka einer Zofe der Königin ver- rathen. Der König, von Liebessehnsucht verzehrt, ergeht sich in dem Garten des Palastes und sucht vergebens bei Mango- und Madhavi-Blüthen Trost. Urvaci erscheint in der Luft mit ihrer Freundin Citralekha, von unüberwindlicher Sehnsucht ge- trieben. Den Augen der Menschen unsichtbar erfährt die schöne Nymphe nun durch das Gespräch zwischen dem König und seinem närrischen Begleiter, wie es um des Geliebten Herz be- stellt ist. Auf einem Bhurja- Blatte schreibt sie ihm das Ge- ständniss ihrer Liebe. Das hingeworfene Blatt wird gefunden und beglückt den Liebenden. Dann tritt Urvaci selbst vor ihn hin, doch schon nach wenigen Worten, die sie mit dem Ge- liebten gewechselt, wird sie durch einen Götterboten abgerufen, weil sie vor Indra in einem Schauspiel, welches Bharata ver- anstaltet, auftreten soll. Sie scheiden voll Betrübniss. Inzwi- schen hat der leichtsinnige Narr das Bhürja-Blatt, das ihm zur Bewahrung übergeben war, fallen lassen. Die Königin, schon voll Eifersucht, kommt mit ihrer Zofe herbei. Sie finden das Blatt, und der König wird nun in die grösste Verlegenheit ge- setzt. Die Königin ist höchst empfindlich und zornig, und ver- gebens versucht Purüravas die Gekränkte zu begütigen.

Zu Anfang des dritten Aktes erfahren wir durch ein Ge- spräch zweier Schüler des Bharata von einem argen Verstoss, den Urvaci bei der Aufführung des himmlischen Schauspiels „Gattenwahl der Lakshmi" begangen hat Sie spielte die Rolle

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der Lakshmi. Auf die Frage: „Zu wem neigst du dein Herz?"

mn8ste sie sagen: „Zu Purushottama", d. h. Vishnu; statt dessen entschlüpfte ihr: „Zu dem Pururavasl* Ihr göttlicher Lehrer Bharata verflucht sie deswegen, ihre Stelle im Himmel zu verlieren, doch Indra selbst begnadigt sie und vergönnt ihr, die liebe des Pururavas zu gemessen, bis er Nachkommenschaft von ihr erblickt. Zu dem Könige, der auf dem Söller des Edelsteinpalastes lagert, kommt die Königin, um den Gatten wegen ihres Betragens von neulich zu versöhnen. Sie hat die schmerzliche Eifersucht überwunden und erklärt, sie werde dem Gemahl nicht zürnen, wenn er sich mit dem Weibe, das er liebe, vereinigen wolle. Als sie fort ist, tritt Urvaci im Braut- gewande hinter den König, mit neckischem Spiel ihm die Augen mit den Händen bedeckend. Die Liebenden sind nun endlich glücklich vereinigt

Der vierte Akt ist sehr eigentümlich angelegt. Er ist fast durchweg lyrisch, eine Art Singspiel.1 Zu Anfang erfahren wir durch ein Gespräch zweier Gespielinnen der Urvaci von einem schweren Unheil, das inzwischen hereingebrochen. Ur- vaci lustwandelte mit dem Geliebten im Gandhainadana- Walde in der Nähe des Käilasa- Berges. Da sahen sie am Ufer der Mandäkini ein halbgöttliches Mädchen sitzen, mit Sandhügeln spielend. Als der König dieses eine Zeit lang wohlgefällig an- gesehen, ward Urvaci von so heftigem Zorne ergriffen, dass sie, die Liebkosungen des Gemahls von sich weisend, sinnbethört durch den Fluch des Lehrers, von ihm floh, und vergessend, dass nach Götterausspruch kein weibliches Wesen den Kumara- hain betreten dürfe, in diesen sich hineinbegab. Da wurde sie gleich beim Eintritt in eine sich rankende Winde verwandelt Und nun irrt der König, vor Schmerz über den Verlust der Geliebten bis zum Wahnsinn getrieben, sie suchend umher. Nur ein Kleinod, der wunderbare Vereinigungsstein, könnte hier Rettung bringen, aber wo ist der zu finden? Der König erscheint, starr in die Luft blickend, wahnsinnig, mit Wesen redend, die gar nicht da sind: „Ha, du feindlicher Dämon, halt, halt! Wohin willst du mit meiner Geliebten?" so ruft er wild, ergreift eine Erdscholle und läuft zum Angriff,

da erschallt Gesang:

i

Tragend im Herzen der Liebe Weh, Schüttelnd die Flügel, auf kühlem See

1 Dieser vierte Akt der Urvaci bt in Indien mehrfach nachgeahmt worden; vgl. Pischel, Gött. Gel. Anz. 1885. No. 19 p. 760.

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Die Aeuglein netzet ein Tbränenstrom Trauert ein junger Schwanensohn.1

Da erkennt der König traurig, dass er eine dunkle Wolke für einen bösen Dämon gehalten, und während er sich nun weiter suchend, seufzend, weinend, bald hierhin bald dorthin wendet, erschallt ein Lied nach dem andern. Stolz schaut er sich im Walde um:

Ist die blitzdurchzuckte Wolke doch mein golddurchwirktes Throndach, Und das Niculabaumgezweige regt Bich, Kühlung mir zu fächeln, Bardengleich mich preisen Pfauen, heller bei der Hitze Weichen, Unterthane Berge bringen als Tribut mir Kegenschauer.

Aber ach, was hilft ihm das, so lange er seine Geliebte nicht gefunden hat Jetzt glaubt er, ihr Busentuch, grün wie der Bauch des Papageien, zu erblicken, weinend erkennt er, dass es nur ein Rasenplatz mit Indragopen ist Jetzt redet er zum Pfauen, der im Walde schwärmt, flehentlich bittend, ihm der Geliebten Aufenthalt kund zu thun, doch vergeblich, keine Antwort erfolgt, und auch das Kokilaweibchen, das süss- girrende, bleibt dem Gequälten die Antwort schuldig. Jetzt erblickt er den Königshansa, den Flamingo. Er hat den leichten, schwebenden Gang der Geliebten an sich, er muss ihn ihr ge- raubt haben, er muss es wissen, wo sie weilt:

Warum, Hansa, verhehlst du s mir? Hättest du nicht an des See's Gestade Meine Geliebte mit den gebogenen Brauen gesehn, Sage, du Dieb, wie könntest du grade wie jene Kit so liehlieh tändelndem Gange denn gehn?

(Unter Gesang naher gehend, die Hände faltend)

Vögelchen, gieb das Liebchen mir,

Hast ihr ja doch den Gang geraubt,

Ist erst das eine Stuck erkannt,

So gieb auch, was dazu gehört!

Du hast sie gesehn, die Hüftenschwere,

Nur sie den spielenden Gang dich lehrte! u. s. w.

Er wiederholt das „Vögelchen gieb" u. s. w. bald schmei- chelnd, bald zornig, aber der Flamingo fliegt auf und davon. Nun wendet er sich zumCakravaka:

Rothgelbfarbiger Vogel, erhöre mein zärtliches Flenn, Hast du die Huldin spielend am Frühlingstage gesehn?

Aber auch hier erhält er keine Antwort. Nun redet er eine Biene an:

1 Die metrisch gegebenen Anführungen aus diesem Stücke ent- stammen der Uebersetzung von A. Hoefer, rgL weiter unten.

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Bieochen, erzahle von ihr, die mit den Augen berauschet, Oder du bist woh) nie meine Geliebte gesehn? < Hättest du ihres Mundes schönduftigem Athem gelauschet, Nein, es triebe dich nicht, jetzt zu dem Lotus zu gehnt

An einem Nipa- Baume leimt der Elephanteiifurst, ihn fragt der arme Verlassene:

Der du die stattlichsten Baume dir beugest im Liebesspiel, Hast du denn niemals erschauet mein Sehnsuchtsziel, Jene Berauschende, Herzenaufthauende, Mehr als des Mondes Glanz Holdanzuschauende?

Der reizende Berg soll ihm Kunde geben:

Berg mit krystallenflächlauterem Wasserfall, Du mit Gesängen der Genien entzückender. Du deinen Gipfel mit Blumen bunt schmückender, Träger der Erde, o zeig die Geliebte mir!

Und wie er den Bergstrom erblickt, da wähnt er, es müsse die Geliebte selber sein, die sich verwandelt:

Seine Wellen sind die Brauen, scheuer Vögel Schaar der Gürtel, Und der Schaum, der hochge worfoe , ist das flatternde Gewand, Grade so wie die Geliebte rauscht er krumm und strauchelnd fort, Ja sie ist in ihrem Zorne ganz gewiss zum Fluss geworden!

Er geht heran und fallt auf die Kniee:

0 du Bussredendes, du mein ersehntes Weib, Hab ich doch treulos von dir nie das Herz gewandt! Sahst du ein Funkchen von Unrecht in meinem Thun, Dass du erzürnet mich Sklaren Terlassen hast?

Nachdem er dann auch noch eine Gazelle lange vergeblich um Kunde angefleht, fällt ihm durch ein günstiges Geschick jener rothblüthenfarbige wunderbare Vereinigungsstein in die Hände. Von unerklärlichem Drange getrieben umarmt er die Winde, die ihn an die schlanke, zarte Geliebte erinnert, und selig hält er die Verlorene wirklich in seinen Armen.

Zwischen dem vierten und fünften Akte müssen Jahre verstrichen sein, in deinen Purüravas und Urvaci glücklich mit einander gelebt haben. Im fünften Akte wird Alles in Auf- regung gesetzt durch die Kunde, dass ein Geier jenen roth- glänzenden Vereinigungsstein geraubt habe. Bald aber kommt beruhigende Nachricht Der Vogel ist von einem Pfeil getroffen zu Boden gesunken, und so der Stein wiedererlangt Als der glückliche Bogenschütze erweist sich ein Kshatriya-Knabe, wel- cher in einer Einsiedelei unter der Pflege einer Büsserin lebt Er wird vor den König gebracht und es zeigt sich, dasa es Ayus, der Sohn des Purüravas uud der Urvaci ist, welchen

diese im Geheimen geboren und vor dem Gatten verborgen hat

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aufziehen lassen, weil sie nach dem Worte des Indra nur so lange bei Purüravas bleiben sollte, bis dieser Nachkommenschaft von ihr erblickt hätte. In die Freude des Königs über den herrlichen Knaben mischt sich bald Betrübniss, denn Urva^i thut ihm trauernd kund, dass sie ja nun scheiden müsse. Aber, da nun einmal das indische Drama nicht traurig enden darf, so wird auch dies noch abgewendet Als ein Deus ex machina erscheint Narada, der Götterbote, und verkündet dem Könige, dass Indra seiner bald dringend in bevorstehenden Dämonen - kämpfen bedürfen werde und dass er ihm als Gunst gern ge- wahre, Urva^i lebenslänglich bei sich zu behalten. So endet denn Alles in eitel Freude und Wonne.

Anders ist es in der alten ursprünglichen Sage, die uns im Qatapatha-Brahmana (11, 5, 1) berichtet wird, einer ernst und tief angelegten Erzählung, die in vielen Punkten von der Fabel bei Kalidasa ganz verschieden ist. Dort endet das glück- liche Zusammensein mit einem traurigen Scheiden und Meiden. Unerbittlich muss Urvaci in ihren Himmel heimkehren.

Der Text der VikramorvacJ ist zuerst herausgegeben •von R. Lenz,1 später mit prosaischer deutscher Uebersetzung von F. Bollensen.3 In poetischer Weise wurde das Stück im Jahre 1837 übersetzt von Albert Hoefer,8 der sich auch iu der Form an das Original Prosa, gemischt mit lyrischen Stro- phen — anschließt Ihm folgte im Jahre 1838 B. Hirzel. Eine geschmackvolle Uebersetzung der Urvaci in fünffüssigen Jamben lieferte auch noch Edmund Lobeda nz.4 Endlich ist noch die auf gründlichster Kenntniss des Originals beruhende werthvolle Uebersetzung von L. Fritze6 besonders hervorzuheben.

1 Mit lateinischer Uebersetzung und NoteD, Berlin 1833. Eine für die damalige Zeit sehr respectable Arbeit.

* Nebst ausgiebigen Anmerkungen, Petersburg 1846. Eine sorg- fältige Ausgabe der VikramorvacJ veröffentlichte auch Shankar P. Pandit, Bombay 1879. Die südindische Rccension des Stückes gab R. PI sc hei heraus.

' Kalidasa's Urvasi. Ein Schauspiel mit Gesangen, deutsch von Dr. Karl Gustav Albert Hoefer. Berlin 1887„ Das Stock war vorher Bchon deutsch erschienen im „Theater der Hindus'1, Bd. I p. 283 flg. (Weimar 1828 >, hier aber nicht aus dem Sanskrit übersetzt, sondern nach Wilson's englischem Werk (Seiect Specimens of the Theatre of the Hindus).

4 Urvasi. Indisches Schauspiel von Kalidasa. Deutsch metrisch bearbeitet von Edmund Lobedanz, Leipzig 1861; 2. Aufl. Leipzig 1873. 3. Aufl. 1884.

Leipzig 1880 (Reclam, Univ.-Bibl. No. 1465). Eine franz. Ueber- setzung der Vikramorvacl gab Ph. E. Foucaux heraus, Paris 1879.

▼. Bckröder, Indien* Lit. u. Cult. 40

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Wir haben endlich noch das dritte Drama des Kalid&sa, das Malavikagnimitra oder Malavika und Agnimitra, mit einigen Worten zu besprechen.

In dem Prolog des Stückes nennt sich Kalidäsa als Ver- fasser dosselben. Es ist indessen, wie früher erwähnt, die Echt- heit seiner Autorschaft eine Zeitlang bestritten worden, weil das Stück zu sehr von KaiidAsa's anderen Dramen abweiche, zu wenig ihnen an Werth gleichkomme. Diese Ansicht ist von Albrecht Weber, wie ich glaube mit Erfolg, in einem länge- ren Vorwort zu seiner Uebersetzung des Malavikagniniitra (im Jahre 1856) widerlegt worden. Es liegt in der That kein ge- nügender Grund vor, die Echtheit des Stückes „und die Richtig- keit jener Angabe des Prologes zu bestreiten. Es ist ein feines, geschmackvolles Drama, mit vielen poetischen Schönheiten. Dic- tion und Gedanken stimmen durchaus zu den anderen Stücken desselben Autors, wie Weber das in einer ganzen Reihe von Einzelheiten nachweist1 Wenu im üebrigen das Stück nicht ganz auf der gleichen Höhe vollendeter poetischer Schönheit steht wie etwa die QakuntalA, so braucht es doch wohl nicht besonders nachgewiesen zu werden, dass ein Dichter nicht mit jedem Wurfe das Höchste erreicht. Ausserdem ist das hier speciell in der Natur des Stoffes sehr wesentlich mitbegründet Malavikagniniitra ist eben kein Drama höchster Kategorie, kein romantisches Helden- und Götterdrama wie Qakuntala und Ur- vac/i, sondern ein Stück, unmittelbar aus dem Palast-, Hof- und Haremsloben der mittelalterlich-indischen Fürsten gegriffen, eine Art Sittengemälde, das in dieser Sphäre spielt. Uebrigens aber haben auch Qakuntalä und Urvari manche Züge, die derselben Sphäre angehören und direkt an Aehnliches im Malavikagni- mitra erinnern; so z. B. die zornige Eifersucht der Königin mit dem obligaten Fussfall seitens des Königs in der UrvacL die mehr schmerzliche Eifersucht der Fürstin Hansapadika in der (^akuntala u. dgl m.

Das Stück behandelt die Liebschaft des Königs Agnimitra und der schönen Malavikä, die sich unter den Dienerinnen seiner Gemahlin, der Königin Dharini, befindet und von dieser, ihrer Schönheit wegen, ängstlich vor den Augen des Gemahls ver- borgen gehalten wird. Die verschiedenen Versuche des Königs, mit Hülfe seines Vertrauten Malavika zu Gesichte zu bekommen, sich mit ihr zu verständigen, zu ihr zu sprechen, geben Anlass zu einer Menge von Intriguen und kleinen Kriegen bei Hofe,

1 Vgl. a. a. 0. p. XXIII.

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die einen ebenso harmlosen als aninuthigen Charakter tragen. Der König erscheint dabei keineswegs als ein genusssüchtiger Despot, der Alles sein zu nennen beansprucht, vielmehr tragt seine Neigung den Stempel grosser Zartheit, und mit äusserster Rücksicht ist er bemüht, jede Kränkung seiner anderen Ge- mahlinnen — er hat deren natürlich mehrere zu vermeiden. Ein komischer Streit zwischen zwei Lehrern der Musik und des Tanzes bei Hofe, Haradatta und Ganadäsa, von denen der eine zum König, der andere zur Königin hält, giebt dem König Gelegenheit, Malavikä ihre ganze Anmuth entfalten zu sehen da sie als beste Schülerin des einen dieser eitlen Musiker sich in Gesang und Tanz vor dem versammelten Hofe produciren mnss. Eine würdige alte buddhistische Schwester, Kaucikt, bildet eine sehr gelungene Figur in diesem Ensemble, indem sie zuerst als geehrte Rathgeberin und Kunstkritikerin auftritt, später sich als die geheime Beschützerin und Helferin der Ma- lavikä erweist Die verschiedenen Versuche des Königs, zu einem vertraulichen Gespräch mit Malavikä zu gelangen, werden in ergötzlichster Weise durch die Eifersucht insbesondere der zweiten, bisher begünstigten Königin Iravati gestört, die der König dann mit grösster Mühe zu versöhnen suchen muss. MAlavika wird endlich von der Königin eingesperrt, aber durch eine sehr gelungene List des Vidushaka wiedei befreit, und so geht das kleine Intriguenspiel weiter fort, bis sich endlich zu allseitiger Ueberraschung plötzlich herausstellt, dass Mala* vikA von Geburt eine Prinzessin ist, die durch verschiedene unglückliche Umstände von den Ihren getrennt, in Räuberhände gefallen und als Dienerin an den Hof Agnimitra's gekommen, was . aus bestimmten Gründen nicht früher offenbart werden konnte, obgleich jene alte buddhistische Schwester Alles genau wusste. Nun können die Königinnen nichts weiter gegen die Neigung ihres Gemahls einwenden, und es endet Alles in Lus und Heiterkeit

Das Ganze lässt sich in Anlage und Charakter am ehesten vielleicht mit einer Shakespeareschen Komödie vergleichen. Hei- tere und -ernste Momente greifen in einander, aber Alles ist dach mehr von leichter. Art. Gar manche humoristische Mo- tive und Reden erinnern an Shakespeare. So z. B. der Streit zwischen den beiden Musiklehrern, von denen der eine zum anderen prahlend sagt: „Du bist nicht meinem Fussstaube zu vergleichen Iu Und dieser erwidert: „Zwischen Euch und mir ist ein Unterschied wie zwischen dem Meer und einer Pfütze!" Nach diesen Beleidigungen muss ein Wettkampf stattfinden.

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Wie. Malavikä mit Gesang und graciösem Tana ganz reizend ihre Aufgabe gelöst hat, zieht der närrische Vidüshaka das Armband von des Königs Hand und giebt es ihr. Die eifer- süchtige Königin fthrt auf ihn ein : „Wie darfst du den Schmuck verschenken?" Der Vidüshaka erwidert keck: „Nun, ganz ein- fach, weil er nicht mir gehört I" iL dgL m.

Das Stück umfas8t fünf Akte. Der König Agnimitra ist übrigens eine historische Person. Er gehörte zur Dynastie der (Junga, lebte im zweiten Jahrhundert vor Chr. und regierte in der Stadt Vidiga,1 an dem gleichnamigen Flusse.

Der Text des Malavikagnimitra ist von F. Bollensen herausgegeben.* Eine Uebersetzung desselben verdanken wir Albrecht Weber;3 eine andere Ludwig Fritze;4 eine eng- lische C. H. Tawney (Calcutta 1876); eine französische P. E. Foucaux (Paris 1877).

Diesem Drama des Kalidasa nah verwandt und, wie es scheint» demselben nachgebildet, ist RatnavaÜ oder „die Perlen- schnur", deren Verfasser nach der Ueberlieferung und dem Vor- spiel des Dramas der König Crlharsha oder Qrlharshadevp von Kaschmir sein soll, welcher in der ersten Hälfte des sie- benten Jahrhunderts lebte. Indessen darf es als wahrscheinlich bezeichnet werden, dass nicht dieser König, sondern ein am Hofe desselben lebender Dichter dasselbe verfasst hat5 Die Vermuthungen über die Person desselben werden wir später in anderem Zusammenhange kennen lernen.6

1 VidicA oder BicJicA, das nachherige Biiaa, Bhilsa. Vgl. übrige"

oben p. 306.

* Leipzig, 1879 (mit kritischen und erklärenden Anmerkungen! Auch von 0. F. Tullberg, Bonn 1840, und von Shankar P. Pandit, Bom- bay 1869.

» Malaviki und Agnimitra. Ein Drama des Kalidasa in fünf Akten. Zum ersten Mal aus dem SanBkrit übersetzt von Albrecht Weber. Berlin 1856.

4 Leipzig, 1881.

* Vgl. Fritze, Uebersetznng der RatnAvali, Vorr. p. XI. Weber

Ind. Lit 2. Aufl. p. 224. 838. Malier, Indien in «. w. B. p. 282. MB

* Vgl. unten Vorlesung XLIV.

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Dreiundvierzigste Vorlesung.

Die Mricchakatika oder „Dm irdene Welchen" des (^draka.

Das Drama, dessen Charakteristik ich heute versuchen will, ist so sehr von den bisher besprochenen Stücken verschieden, so merkwürdig, so voll dramatischen Lebens, voll Kraft und Frische, voll übersprudelnden Humors und Witzes, dass man die Vielseitigkeit des indischen Geistes nicht genug bewundern kann, der ein solches Stück neben den zartpoetischen Schöpf- ungen des KAlidasa hervorbringen konnte. Es liegt urwüchsige, gesunde Kraft in diesem Schauspiel. Wenn das Talent Kali- d&sa's eine gewisse Verwandtschaft mit dem Goethe's zeigt, so erinnert dagegen der ganze Geist, Charakter und Diction dieses Stückes ganz merkwürdig an Shakespeare. Sein Name ist Mricchakatika, d. h. das irdene Wägelchen, angeblich von einem Könige namens Qüdraka verfasst, der im Prolog des Stückes mit überschwänglichen Worten gepriesen wird. In- dessen muss es als wahrscheinlich bezeichnet werden, dass nicht Cudraka selbst das Stück geschrieben, sondern ein ihm er- gebener, von ihm unterstützter Dichter, der dann aus Höflich- keit and Dankbarkeit dem Könige die Autorschaft seines Werkes abtrat, wie dies auch sonst in Indien öfters vorgekommen ist1 Der Name des wirklichen Dichters lässt sich aber nicht mit Sicherheit ermitteln, und so behalten wir bis auf Weiteres den traditionellen Autornamen bei* Das Stück dürfte etwa dem

1 Vgl. oben p. 628.

Pischel hat vor einigen Jahren die Vermuthung ausgesprochen, ein Ton Bana im Hanbaearitam erwähnter Dramatiker Bhasa, in dessen Stacken senr viele Personen aufgetreten sein sollen, mochte der Ver- fuser der Mricchakatika sein. (Tgl. Gott Gel. Ans. 1888. Stück 89. p 1283—1234.) Er ist indessen jetzt der Ansicht, dass vielmehr D and in die Mricchakatika verfasst habe und glaubt den Kachweis dafür liefern sa keimen. (Vgl. Gott Gel. Ans. 1886 No. 19, p. 766.) Ist dies richtig, ss gehört die M. wohl dem sechsten Jahrhundert nach Chr. an. Die er- w ahnte Vermuthung hat nach dem, was Pischel neuerdings in der Ein- leitung an Rudrata'i Crif giratilaka etc. p. 16 flg. anfahrt, allerdings Manches für sich, 'scheint mir aber doch nicht gesichert

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Ende des fünften oder dem sechsten Jahrhundert nach Chr. entstammen1 und hat den Anspruch, unter den auf uns ge- kommenen Dramen der Inder das älteste zu sein. Es gehört *ur Gattung der sogenannten PrakaranaV und umfasst zehn Akte.

Der Name des Stückes, „das irdene Wägelchen", ist eigent- lich wenig charakteristisch, da das irdene Wägelchen darin nur eine nebensächliche Rolle spielt, wie wir späterhin sehen werden. Der Schauplatz der Handlung ist Ujjajini und Umgebung. Die Zahl der auftretenden Personen ist eine sehr bedeutende, und eine Fülle der verschiedensten Charaktere bewegt sich scharf und klar gezeichnet vor unserem Auge in buntem Durcheinander.

Die Hauptpersonen des Stückes sind Carudatta, ein ehe- maliger Handelsherr aus der Kaste der Brahnianen, der durch zu grosse Freigebigkeit sein Vermögen eingebüsst hat, und Vasantasenä, eine reiche Hetäre, die den armen aber edlen Carudatta leidenschaftlich lieb gewinnt und durch diese Liebe gehoben und veredelt wird, bis sie endlich ihr höchstes Ziel erreicht und seine rechtmässige Gattin wird. Es treten ferner in dem Stücke auf: die erste Gemahlin des Carudatta und sein Söhnchen Rohasena; Maitreya, ein Brahmane, Freund und Spaß- macher im Hause Carudatta 's; Samsthanaka, der Schwager des Königs Palaka, jener freche, dumme und gemeine Renommist den ich dem Shakespearescnen Goten an die Seite stellte; er bemüht sich in brutalster Weise, die Hetäre für sich zu ge- winnen, wird aber von ihr hartnäckig mit Verachtung zurück- gewiesen. Es erscheinen ferner: ein Schmarotzer im Gefolge des Samsthanaka; Aryaka, ein junger Hirte, der durch eine Revolution den Thron des Palaka besteigt; Qarvilaka, ein Brah- mane, zugleich Liebhaber der Madaniki, der Dienerin der Vs- santasenä, und Dieb nach allen Regeln der Kunst; femer eis Bader, der Unglück im Spiele hat und in Folge dessen bud- dhistischer Mönch wird; ein Spielhalter und mehrere Spieler; Richter, Gerichtsdiener, Schreiber, Wächter der Stadt, Henkers- knechte; die Mutter der Hetäre, eine alte Kupplerin; Diener und Dienerinnen aller Art.

Der erste Akt, betitelt „die Anvertrauung des Schmuckes*,3

1 Vgl. oben p. 606. 8 Vgl. oben p. 594.

* Nach indischer Sitte bekommt jeder Akt seinen Titel, eine Art Ueberschrift, wie wir sie den einzelnen Capiteln zu geben pflegen. Den Prolog habe ich weggelassen. - Alle direkten Beden der einsehen Personen gebe icji nach Böhtlingk's üebersetsung. Tgl. der dieses Capitels.

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beginnt mit einem Zwiegespräch zwischen Carndatta und seinem munteren Freund und Begleiter Maitreya, in welchem der erstere seinem Grame über die veränderten Glücksumstände und die bitteren Erfahrungen, die er seither gemacht» Ausdruck giebt »Freund! sagt er es ist nicht das Geld, daa mich niederbeugt. Das aber, sieh, zehrt an mir, dass die Gäste unser Haus meiden, weil das Gold daraus verschwand."

Die Hetäre Vasantasenä tritt auf, verfolgt von Samsthanaka, dem Schwager des Königs, 8thavaraka, dem Diener des 8amsthanaka, und einem Schmarotzer. Sie rufen ihr alle zu, sie möge doch stehen bleiben. Der Samsthanaka ruft: „Bleib stehen, Vasantasena, bleib stehen! Waa soll das Gehen, Laufen, Fliehen und Stolpern? Lass Gnad' ergehen, Mädchen! Du wirst nicht sterben, bleib einen Augenblick stehen! Mein armes Herz verbrennt vor Liebe wie ein in einen Kohlenhaufen gefallenes

Fleischstock. Bleib stehen! Ich habe dich schon in meiner

Gewalt, wie einst Rävana die Kunti."1 Und dann bricht seine ganze Rohheit her?or. Er Bagt zu dem Schmarotzer: „Kluger Herr! Die da ist die Peitsche des Geldstücke stehlenden Liebesgottes, eine Fischesserin, eine Tänzerin, ein Stumpfnaschen, eine nicht zu bändigende Gescblechta- schänderin, ein Schmuckkästchen des Liebesgottes, eine Hurenmutter, eine Zierpuppe, eine Metze und eine Hure. Diese zehn Namen habe ich ihr gegeben, und noch immer will sie nichts von mir wissen!" 8chmarotzer und Diener bemühen sich nun auch endlich, die Hetäre zn rufen, zn fangen. Sie ruft nach ihrer Dienerschaft, ihren Madchen. „Ha, ruft der Samsthanaka wenn es Frauenzimmer sind, so kann ich ihrer hundert niedermachen. Ich bin ein Held!" Dann wieder wendet er sich mit renommistischer Werbung an die Hetäre: „Ich, ein Gottmensch, ein Mann, ein Väsudeva, bewerbe mich um deine Liebe." Der Schmarotzer fragt ihn, ob er nicht das Klingeln der Schmuck- aachen der Hetäre bore oder den Duft ihres Kranzes spüren könne. Er antwortet: „Den Geruch des Kranzes höre leb, aber das Geklingel eines Schmuckes kann ich nicht deutlich sehen, weil die Finsterniss mir die Nase verstopft hat" fDas sind solche unsinnige Verdrehungen, wie sie gerade auch die Dummköpfe bei Shakespeare, Cloton und ähnliche, nicht selten produciren.) Die Thür von Cärudatta's Hause öffnet sich in- zwischen, Mäitreya kommt mit der Magd Radanikä heraus, und Vasan- t&senä schlüpft hülfesuchend in die offene Thür. In der Dunkelheit Buchend packt der Königsschwager plötzlich den Schmarotzer und schreit: „Ich habe sie, ich habe siel" „Thorl ich bin es ja!" ruft dieser ärgerlich. Dann packt er wieder seinen eigenen Diener: „Ich habe sie! ich habe sie!" Endlich aber glaubt er sie wirklich zu haben; er hat Cärudatta's Magd Radanikä, die eben auf die Strasse getreten, an den Haaren gepackt:

„So wirst du denn, Mädchen, am Kopfe gepackt, an den Haaren,

1 Man sieht, der Königsschwager liebt seine Gelehrsamkeit anzu- bringen, aber es ist verkehrtes Zeug; Rävana packt bekanntlich nicht die Kunti, sondern Sltä. Aehnlich sagt er nachher: Warum fliehst du unter dem Geklingel der vielen Schmucksachen wie Dräupadi vor RamaV Die Personen des Rämäyana und MahäbhArata werden wüst durch- einander geworfen.

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an der Frisur, an dan Locken! Schreie, wehklage und rufe Canda, <>mbhu, Qlva, (tonkara oder *IcvaralM

Radanika (erschrocken): Was habt ihr, hochverehrte Herren, Im

Sinne?

Schmarotzer: Bastard! Das ist ja eine fremde Stimme.

Samsthan. Klager Herr! Die Tochter einer Sklavin hat Ihre Stimme gewechselt wie eine Katze, wenn sie nach saure~a Rahm ein heftiges Verlangen hat

Der Irrthum stellt sich aber doch heraus und der Schmarotzer be- müht sich, den erzürnten Brahmanen Maitreya zu begütigen. Er be- nimmt sich dabei recht manierlich und sucht die Rohheiten des Sam- Bthinaka, den er innerlich Terachtet und oft genug „Thor" anredet einigermassen auszugleichen, wie er auch vorhin schon selbst heimlich der Yasantasena zur Flucht verholfen. Er sucht dem Samsthanaka klar zu machen, dass hier ein so ehrenwerther Mann wie Carudatta beleidigt sei, dieser aber laset sich durch nichts imponiren, lärmt und schimpft in der pöbelhaftesten Weise. „Du erbärmlicher Brahmanen-Junge! Du Krahenfusskopfschadel!" schreit er den Maitreya an und befiehlt ihm, Cirudatta zu sagen, die Hetäre sei zwar in ihn (Carudatta) verliebt wenn er ihm dieselbe aber nicht ausliefern werde, so sei ihm ewige Feindschaft geschworen. „Sprichst du anders, so zerschmettere ich dir den Kopf wie eine Kapittha- Frucht, die man unter einen Thürflügel steckt" Dann Hast er sich vom Diener sein Schwert reichen, faaat et aber verkehrt an und geht unter allerlei albernen Redensart« n ab.

In der nun folgenden Scene bittet die Hetäre den Ciru- datta, ihr Schmuckkästchen in Verwahrung zu uehmen, da sie um dessentwjllen von jenen Leuten verfolgt werde. Es ist die« aber nur eine List von ihr, um in Beziehung zu Carudatta zu bleiben, den nie heimlich liebt Maitreya empfangt den Schmuck, und die Hetäre wird hinausgeleitet

Im zweiten Akte finden wir die Hetäre Vasantasena im Gespräch mit ihrer vertrauten Dienerin Madanika. Schon laiige hat die Dienerin ein seltsam veränderte« Wesen an ihr wahr- genommen; jetzt offenbart ihr die Herrin, dass sie von einer tiefen Neigung zu Carudatta erfasst sei Zwar wendet Mada- nika ein: „Hetäre, es heisst, dass er arm sei** Aber Vasan- tasena erwidert: „Darum liebe ich ihn gerade. Eine Hetäre entgeht allem Tadel in der Welt, wenn sie ihr Herz an einen armen Mann hängt" Die Einwendungen der Dienerin ver- schlagen nichts. Sie hebt Carudatta und verabscheut Sarastba- naka, wenn er sie auch mit Reichthümern überhäufeu will.

Ein Bader, der im Spiele mehr verloren hat, als er besitzt, kommt verwirrt auf die Bohne gestürzt. Er ist dem Spielhalter entlaufen, als dorselbe beim Anschreiben begriffen war. Jetzt sind ihm die Verfolger auf den Fersen. Rückwärts gehend betritt er ein*n leeren Tempel und stellt sich in demselben als Gottesbild auf. Der Spielhalter und ei* Spieler, denen er zehn Goldstücke schuldet, kommen ihm schreiend nachgelaufen, und es entwickelt sich nun eine höchst lebendige, ganz Shakespearesche 8cene. Sie treten in den Tempel, merken die List und

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fangen nun an, das vermeintliche Gottesbild hin and her zu wenden. Dann verständigen sie sich durch Zeichen und setzen sich zum Spiele hin. Nun gerath der Bader als leidenschaftlicher Spieler in die grtsste Aufregung. „Hei sagt er zu sich das Geklapper der Würfel reisat das Herz des seiner Goldstücke losgewordenen Mannes mit sich fort, so wie das Gedröhne der Trommel das Herz eines um seine Herrschaft ge- kommenen Fürsten. Ich weiss, dass ich nicht spielen werde spielen heisst so viel als vom Gipfol des Sumeru herabstürzen und dennoch reiset das an den süssen Gesang des Kokila erinnernde Geklapper der Würfel mein Herz mit sich fort" Jetzt ruft der

Spieler. Ich muss werfen, ichl

Spielhalter. Nein, ich muss werfen, ichl

Da springt der Bader plötzlich hervor: „Ich muss ja werfen lu Nun wird er gepackt „Bezahle! bezahle auf der Stelle!4' Er kann sich nicht losmachen, sie wollen akkordiren; er versucht nun durch verschiedene Kniffe die Beiden um das Ihrige zu prellen und will dann fort Aber er wird nicht losgelassen. „Ich bin wohl ein geriebener Schelm ruft der Spielhalter aber auf solche Gaunerstreiche verstehe ich mich nicht. So gieb denn jetzt, Schurke, das ganze Geld heraus!41

Bader. Wie Boll ich das bezahlen?

Spielhalter. Verkaufe deinen Vater, aber bezahle!

Bader. Woher käme der Vater?

Spielhalter. Nun, so verkaufe deine Mutter, aber bezahle! Bader. Woher käme die Mutter? Spielhalter. Nun verkaufe dich selbst, aber bezahle! Bader. Erweist mir die Gnade und führt mich auf die Haupt- etrasse!

Und nun bietet er sich selbst für zehn Goldstucke zum Verkauf aus, geführt von dem Spielhalter; aber er findet keinen Kaufer. Der Spielhalter misshandelt ihn, schleift den auf die Kniee Gefallenen am Boden hin, da kommt ein anderer Spieler, Darduraka, herbei. Dieser nimmt die Partei des Baders und sucht ihn auf jede Weise loszumachen. Endlich proponirt er dem Spielhalter:

Gieb dem Manne zehn andere Goldstücke, damit auch er das Spiel betreibe!

8pielh alter. Was soll denn daraus werden? Darduraka. Gewinnt er, so bezahlt er dir. S piel halte r. Falls er aber nicht gewinnt? Darduraka. Dann bezahlt er nicht

Spielkalter. Geschwätz ist hier nicht am Platz. Wenn du, Schelm, so redest, dann gieb du ihm das Geld. Auch ich heisse ja der 8chelm MAthura und lehre falsch spielen. Auch fürchte ich mich vor Niemandem. Du, Schelm, bist ein bescholtener Mann.

Darduraka. Wer ist ein bescholtener Mann?

Spielhalter. Du bist ein bescholtener Mann!

Darduraka. Dein Vater ist ein bescholtener Mann.

Und nun gerath en sie in wüthendes Gezänk, endlich fangen sie sich an zu prügeln. Der Spielhalter giebt dem Bader einen Faustschlag auf die Nase, dass er blutet, Darduraka aber wirft dem Spielhalter Sand in die Augen. Unterdessen entflieht der Bader und nimmt seine Zu- flacht zur VasantasenA. Diese wird ganz für ihn gewonnen, als er ihr erzählt, dass er einst bei Carudatta gedient habt, und dessen edle Eigen- schaften nicht genug preisen kann. Carudatta's Verarmung hat auch

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ihn brodlos gemacht, da hat er sich dem Spiele ergeben. Als der Spiel- halter den Armen nun auch bis hierher verfolgt, wird er Ton der Hetäre in glänzender Weise abgefunden. Der Bader aber beschliestt, nachdem er so viel Ungemach und Geringschätzung erfahren, ein buddhistischer Bettelmönch zu werden. Die Hetäre warnt ihn: „Bote dich vor üeber- eilung!" Aber der Bader erwidert: „Hetäre! der Entschluse ist gefaxt Dem Spiele habe ich es zu verdanken, dass alle Welt vor mir einen Abscheu hat Von nun an kann ich unverhüllten Hauptes auf der Haupt- strasse einherschreiten."

Im dritten Akte der Einbruch genannt kehren Carudatta und Maitreya von einem Conoert nach Hause zurück. Carudatta ist noch ganz entzückt, schwärmt von den Tonüber- gängen, der sanften Stimme u. dgl. Für Maitreya scheint der Gesang des Künstlers zu zart gewesen zu sein; er sagt. „Mich bringen indess zwei Dinge zum Lachen: wenn eine Frau Sans- krit spricht und wenn ein Mann pianissimo singt," Unter solcherlei Gesprächen legen sie sich schlafen. Maitreya hat das Kästchen mit Vasantasena's Schmucksachen bei sich, um es bei Nacht zu behüten. Nun tritt Qarvilaka auf, ein herunter- gekommener Brahmane, der in Madanika, die Dienerin der Vasantasena, verhebt ist und, um sie loskaufen zu können, jetzt einen Diebstahl begehen will Er ist aber, wie wir bald merken, ein Kenner des Diebeshandwerks. Er introducirt sich gleich mit trefflichster Selbstironie: „Die Nacht, mit dichter Finster- niss die Gegenstände verdeckend, verhüllt wie eine Mutter einen Helden sonder Gleichen, der ein fremdes Haus zu schädigen entschlossen ist ... . Hart am Baumgarten habe ich eine Oeff- nung gemacht und durch sie bin ich hineingeschlüpft Jetzt gilt es auch das Haus zu schädigen. Wohl nennen die Leute es gemein und sagen, dass es Diebstahl, nicht Heldenmuth sei, wenn es zur Schlafenszeit geschieht und wenn man solche, die kein Arg haben, auf eine hinterlistige Weise beeinträchtigt; aber, ehe ich im Dienst ehrerbietig die Hände falte, lasse ich mir lieber sogar den Tadel gefallen, da ich diesen aus freien Stücken erwähle. Diesen selben Weg hat ja Acvatthaman, Drona's Sohn, beim nächtlichen Morde der Fürsten einge-

wo

er die Oeffnung anbringen könne; er betastet die Wand: JDiese Stelle ist durch beständigen Sonnenschein und Regengüsse be- schädigt und auch vom Salpeter angefressen. Auch ist ein Mauseloch hier. So hätte ich denn mein Ziel erreicht Jenes ist bei den Söhnen des Gottes Skanda (den Dieben) das erste Zeichen für einen glücklichen Erfolg. Ehe ich aber hier an's

1 Tgl. oben p. 478. %47i.

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Werk gehe, fragt es sieb, welche Art Y<ra Oeffnung ich machen solL Da hat nun der Gott mit der goldenen Lanze vier Mittel zur Bildaug einer Oeffhung angegeben, als da sind: gebrannte Ziegel muss man herausziehen, ungebrannte zerschlagen, Lehm- klumpen mit Wasser begiessen, und Holzwerk spalten. Da ich hier gebrannte Ziegel vor mir habe, so muss ich sie heraus- ziehen. Die Form der Oeffhung kann sein: eine aufgeblühte Lotusblume, eine Sonne, ein zunehmender Mond, ein länglicher Teich, ein Svastika oder ein Wassertopf. An welcher Stelle soll ich nun meine Kunst zeigen, damit die Bürger, wenn sie morgen die Form erblicken, in Staunen gerathen? Bei ge- brannten Ziegeln nimmt der Wassertopf die oberste Stelle ein. So will ich denn diesen bilden!" Dann verrichtet er noch sein Gebet: Jch verneige mich vor dem Gnaden ertheilenden, ewig jungen Kärttikeya! Ich verneige mich vor dem Lehrer aller Zauberkliffe und nenne mich seinen ersten Schüler.** Dann macht er sich an's Werk, wobei ihm die Opferschnur, die er als Brahmane bei sich trägt, als Messschnur dient Wie die Oeffuung fertig* ist, steckt er zuerst eine Puppe durch dieselbo hinein. Wenn wachende Menschen drinnen sind, werden sie es bemerken und Lärm machen. Alles bleibt still. Nun kriecht er selbst hinein und sieht C&rudatta und MAitreya schlafen. Er kann aber in dem Gemache nichts Werthvolles entdecken. Da fängt Maitreya an, im Schlafe zu sprechen. Er furchtet sich vor Dieben und bittet den Caxudatta, das Kästchen mit den Goldsachen zu sich zu nehmen. Qarvilaka, unser Dieb, wird aufmerksam, zögert aber noch. Da wiederholt Maitreya: „Freund! Ich beschwöre dich bei meiner Liebe zu Kühen und Brahmanen! Nimm dieses Kästchen mit den Goldsachen <■ zu dir!" Da erwidert Qarvilaka: „Diese hehre Liebe zu Kühen und Brahmanen darf ich nicht unberücksichtigt lassen. So stecke ich es denn zu mir.4*

Maitreya. Jetst werde loh rahig schlafen wie ein Kaufmann, der seine Waare abgesetzt hat.

(arrilaka. Schlafe, grosser Brahmane, hundert Jahre!

Er hört Tritte, erschrickt, faast sich aber gleich. Was Bollte mir das schaden? „Ich bin ja eine Katze, wenn es zu schleichen gilt; eine Gazelle, wenn es zu laufen güt; ein Falke, wenn es eine Beute zu rupfen gilt; ein Hund, wenn es gilt die Kraft eines schlafenden oder wachenden Menschen abzuwägen; eine Schlange, wenn es zu kriechen gilt; der leibhaftige Zauber, wenn es ilt Jemandes Gestalt, Körper oder Anzug anzunehmen; die Göttin 'der Bede, wenn es sich um eine andere Landessprache handelt; eine Leuchte bei Nacht, eine Eidechse in engen Spalten, ein Schiff auf dem Wasser. Und ferner: In Bewegungen bin ich wie eine Schlange, beim Feststehen ein Berg, im Fliegen gleiche

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ich dem Fürsten der Vögel; ein Hase bin ich, wenn es auf den Boden zu schauen gilt; ein Wolf, wenn es zu packen gilt; an Kraft bin ich

ein Löwe.14

Die Dienerin Radanika tritt auf, der Dieb entflieht Sie schlagt sogleich Lärm und weckt den Maitreya: „8teh auf; steh auf! Ein Dieb hat eine Oeffnung in unser Haus eingeschlagen und ist jetzt daronge- schlichen!" - Maitreya fahrt aus dem 8chlafe: „Was sagst du, Tochter einer Sklavin? Ein Dieb sei eingeschlagen und die Oeffnung davon- geschlichen?"

Radanika. Verlorener Mensch! Lass den Scherz! Siehst du denn nicht?

Der Schade wird nun offenbar, und Carudatta Ist ausser sich aber den Verlust des anvertrauten 8chmuckes. Seine Gemahlin aber giebt ihm ihre Perlenschnur, die an Kostbarkeit jepen Schmuck weit übertrifft, um der Hetäre ihren Verlust zu vergüten. Noch klagt Carudatta über die unwürdige Lage, in die er durch seine Verarmung gerathen, ver- bessert sich aber gleich und sagt zu Maitreya: „Doch nein, ick bin nicht, arm, da mir ein Weib cor Seite steht, das Reichthum aufwiegt, da ich dich habe, der Freude und Leid mit mir theilt, und da Ehr- lichkeit, die bei Armen so selten angetroffen wird, nicht zu Schanden geworden ist."

Der vierte Akt genannt „Madanika nnd Qarvilaka" fuhrt uns wieder in den Palast der Hetäre, welche mit Ma- danika im Gespräch erscheint Eine Dienerin meldet, da» der Schwager des Königs ein Geschenk im Werthe yon 100,000 Goldstücken gesandt habe, zugleich einen verhängten Wagen, um sie abzuholen. Die Hetäre jagt sie zornig hinaus. Carri- laka erscheint, um die geliebte Madanika loszukaufen. Er ge- steht ihr: „Von Armuth gedrückt u von Liebe zu dir ge- trieben, habe ich diese Nacht deinetwegen, o Schüchterne, eine unbeconnene That verübt" Als es herauskommt, dass er bei Carudatta eingebrochen, sind die Hetäre und Madanika zuerst höchlich erschrocken, beruhigen sich aber, als sie hören, dass er Niemandem dort ein Leides angethan. Die Hetäre nimmt den ihr gehörigen Schmuck und giebt Madanika frei. Auf der Strasse hört man eine Proclamation verkünden: Aryaka, ein junger Hüte, von dem ein Wahrsager verkündet, dass er den Königsthron besteigen werde, ist auf Befehl des Königs in Banden geschlagen und ins Gefängniss geworfen. Aryaka ist ein naher Freund des (Jarvilaka, und dieser beschliesst sogleich, Alles, was in seinen Kräften steht, zu dessen Befreiung zu thuiL Schon früher hatte auch jener Spieler Darduräka beschlossen, sich zu Äryaka's Partei zu schlagen. Man beginnt zu ahnen, dass sich im Volke eine Revolution vorbereite. Indessen naht ich Maitreya dem Palaste der Hetäre, beauftragt von Carudatta, ihr jene Perlenschnur als Ersatz für den verlorenen Schmuck zu überbringen. Die Schilderungen, die nun, Maitreya

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▼on der Herrlichkeit des Palastes der Hetäre und den dazu gehörigen Höfen macht, ist sehr merkwürdig und lässt uns, wenn auch von der Phantasie mit grosser Uehertreihung aus- geschmückt, ein Bild des damaligen grossstädtischen Luxus er- blicken. Er betrachtet sich muerst verwundert das Portal: „Wie prachtvoll ist das Portal am Hause der Vasantasena! Mit Wasser besprengt, gereinigt und grün angestrichen! Die Schwelle mit verschiedenartigen Blumen reich ausgeschmückt! Das Ober- theil ragt hoch hinauf, als hätte es ein Verlangen, das Himmels- gewölbe su schauen! Geschmückt mit einem hohen Bogen von Elfenbein! Besteckt mit einer Menge bunter Fahnen! Auf den Sockeln der Pfeiler krystallene Töpfe, aus denen grüne Mango- reiser als Zierde emporschiessen! Goldene, mit Diamanten be- setzte Thorflügel« u. s. w. Eine Dienerin fordert ihn auf, in den ersten Hof zu treten.

Maitreya (eintretend) Haha! Reihen von Palasten im reinsten Glänze wie der Mond, eine Muschel oder eine Lotuswurzel! Diese Pa- läste, weise von einer darauf gestreuten Handvoll wohlriechenden Palvers und geschmückt mit von Gold -and eingelegten Edelsteinen gebildeten Treppen, seheinen mit ihren runden Gesichtern, den krystallenen Guck- löchern, in denen Perlenschnüre herabhängen, in Gedanken sich in die Stadt Ujjaylnl in vertiefen. Der Thürsteher sitzt wie ein gelehrter Brah- mane behaglich da und schlummert u. s. w. Dann wird er in den sweiten Hof geführt Da erblickt er Stiere, die zum Wagenziehen bestimmt sind, Rosse, Büffel Böcke, Affen, einen Elephanten, der gefüttert wird u. s. w. Im dritten Hofe sieht er die für die vornehmen jungen Herren bestimmten Sitze hergerichtet; ein Würfelbrett mit Figuren von Edelstein; umher- wandelnde Hetären und alte Schmarotzer u. s. w. Dann führt ihn die Dienerin in den vierten Hof. Maitreya (eintretend): Haha! Hier im vierten Hofe ertönen von Madchenhanden geschlagene Trommeln in tiefen Tönen wie Wolken; fallen Cymbeln nieder wie Sterne vom Him- mel; erklingt eine Flöte lieblich wie Bienengesumm. In einiger Ent- fernung haben Hetarentöchter wie von Blütbenseim berauschte Bienen einen gar lieblichem Gesang angestimmt. Ein Tanz wird aufgeführt und mit liebeathmendem Ausdruck etwas deklamirt. In Gucklöchern auf- gehängte Krüge ziehen frische Luft ein u. s. w. Im fünften Hofe be- gegnet ihm eine Menge appetiterregender Gerüche. Die verschieden- artigsten Speisen werden bereitet, Confect in Formen gebracht, Kuchen gebacken u. s. w. Dann tritt er in den sechsten Hof: Haha! Hier im sechsten Hofe sieht man zunächst, wie Gold und Edelsteine bearbeitet werden. Die mit Sapphir ausgelegten Thorbögen erinnern an die Gestalt des Regenbogens. Juweliere wagen Berylle, Perlen, Korallen, Topase, Sapnhire, Katzenaugen, Rubine, Smaragde und andere Edelsteine sorg- fältig gegen einander ab. Hier werden Rubine in Gold gefasst, Schmuck- aachen von Gold verfertigt, Perlen auf rothe Faden gereiht, Berylle ge- schickt polirt, Muscheln durchbohrt, Korallen auf einem Probir steine gerieben, ausgebreiteter frischer Safran getrocknet, Moschus flüchtig ge- macht, Sandelwasser kunstvoll ausgepresst und Wohlgerüche gemischt Den Hetären und ihren Liebhabern werden Bete) und Kampher gereicht, Seitenblicke werden geworfen, man lacht und schlürft unter Zittern Wein

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ein Mal um das andere. Hier stehen Diener, dort Dienerinnen, in weiterer Entfernung verheirathete Manner, die Kind, Weib und Habe im Stick liessen, um jetzt Liqueure zu bereiten. ' Wen die berauschten Hetären fahren Hessen, der macht sich an's Trinken. Fahre mich weiter, Ge- ehrte! Er kommt nun in den siebenten Hof und sieht dort Tauben, Papa- geien, Kokila's, Wachteln, Haselhühner, Pfauen, Flamingos, Reiher u. s. w. „Wahrhaftig, die Wohnung der Hetäre hat ganz den Anschein dee Götter- hains/' Endlich tritt er in den achten Hof und sieht dort auf hohem Thron eine Dame in bauschigem Gewände sitzen. Die Dienerin belehrt ihn, dass dies die Mutter der Hetäre sei.

Maitreya. Was die unsaubre Hexe für einen dicken Bauch hat! Hat man sie wie eine Statue des £i?a zuvor hereingebracht und dann erst das prachtige Portal an diesem Hause aufgeführt?

Dienerin. Nichtsnutziger Mensch! Du sollst unsre Mutter nicht auf die Weise verhöhnen! Sie leidet ja am Quartann eher.

Maitreya (auflachend). Heiliges Quartanfieber! Schau doch auch mich Brahmanen auf dieselbe gefallige Weise an!

Dienerin. Nichtsnutziger Mensch! Du bist des Todes!

Maitreya (auflachend). Du Tochter einer Sklavin ! Wenn man einen solchen dick angeschwollenen Bauch hat, dann ist es besser, dass man stirbt Die Mutter ist in diesem Zustande, weil sie sich an Rum, Branntwein und Liqueuren berauscht Stirbt sie, so haben tausend Scha- kale Atzung genug.

Endlich wird er in den prachtigen Baumgarten der Hetäre geführt, findet Vasantasenä dort und übergiebt ihr in Carudatta'B Namen die Perlenschnur als Ersatz für den verlorenen Schmuck. Die Hetäre lasst dem Carudatta zurück melden, sie werde gegen Abend kommen, ihn zu

besuchen.

Der fünfteAkt das Unwetter genannt fuhrt diesen Besuch der Hetäre bei Carudatta uns vor. Ein heftiges Un- wetter — sehr beliebtes Motiv erschwert denselben und macht die Vereinigung nachher um so beglückender. Auf Einzel- heiten will ich hier nicht eingehen. Es geniige zu bemerken, dass Carudatta und die Hetäre sich in Liebe finden. Es ist dies Verhäitniss aber nach indischer Auffassung durchaus nicht anstössig; selbst die Gemahlin Carudatta's sieht nichts An- stößiges darin. In dieser Hinsicht muss die Vielweiberei sehr abstumpfend gewirkt haben.

Der sechste Akt heisst „die Verwechselung der Wagen" und legt durch die in ihm vorkommenden Ereignisse den Grund zu vielem Unheil, das nachher geschieht Die Hetäre ist am Morgen noch im Hause des Carudatta. Sie zeigt sich sehr zärtlich gegen das Söhnchen des Geliebten. Der Knabe weint, weil er der Armuth des Vaters wegen nur ein irdenes Wägel- chen zum Spielen hat, während der Sohn des Nachbars ein goldenes besitzt Vasantasenä kann ihre Thränen nicht be- meistern. Sie nimmt ihren Schmuck ab, füllt das Wägelchen damit an und sagt, der Knabe solle sich ein goldenes Wägeichen

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daraus machen lassen. Diese Episode mit dem irdenen Wägel- chen bat dem Stück seinen Namen gegeben. Die Schmuck- sachen werden übrigens, wie wir sehen werden, später noch sehr verhängnissvoll. Die Hetäre soll nun in dem verhängten Wagen des Carudatta fortfahren, durch Zufall hält aber gerade der Wagen des Samsthänaka, des verruchten Königsschwagers, vor der Thür, da der Weg eben durch ein Gedränge von Bauer- karreu versperrt ist. Ein Missverständniss ist daran schuld, dass die Hetäre iu diesen, den Wagen ihres schlimmsten Feindes, hineinsteigt, ohne dass der Kutscher es bemerkt, der nach einigem Warten mit ihr davon fahrt In den Wagen des Caru- datta aber flüchtet sich Äryaka, jener junge Hirte, der durch (^arvilaka s Hülfe aus dem Gefängniss entsprungen ist und nun von den Häschern und Wächtern verfolgt wird. Er besteigt den Wagen von hinten. Der Kutscher, der nicht hingesehen, glaubt, es sei die Hetäre gewesen. Ein paar Wächter fallen über den Wagen her, um ihn zu untersuchen. Der Eine sieh' hinein, erblickt und spricht den Aryaka, nimmt abor Partei für denselben und verhindert den Anderen an der Visitation des Wagens, da derselbe einem so ehrenwerthen Manne wie Caru- datta gehöre und die Hetäre Vasantasena darin sitze. Die Scene zwischen dem Kutscher und den sich streitenden und prügelnden Wächtern der Stadt ist sehr ergötzlich und %voll dramatischen Lebens.

Im siebenten Akte sehen wir Carudatta in dem ver- fallenen Garten Pushpakarandaka, wo er die Hetäre in seinem Wagen erwartet. Der Wagen kommt, aber statt der Hetäre sitzt Xryaka darin. Carudatta thut nun Alles, um dem hülfe- flehenden beizustehen und seine Flucht zu befördern, wodurch er ihn sich sehr verpflichtet. Dann entfernt er sich, da er die Hetäre nun nicht mehr erwarten kann.

Der achte Akt, die Erdrosselung der Vasantasenä, spielt in demselben verfallenen Garten Pushpakarandaka. Ein buddhi- stischer Bettler tritt aut. es ist jener ehemalige Bader, dessen Spielerunglück wir miterlebt haben. Jetzt verkündet er mit lauter Stimme: .„He, ihr Thoren! sammelt gute Werke ein! Bändigt euren Bauch und wachet beständig unter den Pauken- schlägen religiöser Vertiefung!" u. s. w. Er will sein Gewand im Teiche des Gartens ausspülen. Samsthänaka, der Schwager des Königs, dem der Garten vom Könige geschenkt ist, kommt mit dem Schmarotzer herbei und fährt über den Bettler her, schimpft und schlägt ihn: „Ich zerschlage dir den Kopf, wie dem rothen Rettig, der in die Trinkstube gerieth!" Vergebens

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sucht der Schmarotzer dem rohen Wüstling klar zu macheu, dass man einen frommen Bettler nicht schlagen dürfe. Als er hört, dass der Bettler sein Gewand dort ausspülen wolle, fallt er wieder über ihn her, schlägt und maltraitirt ihn noch längere Zeit Endlich kommt der arme Kerl doch los und tritt ab. Nun kommt der Wagen des königlichen Schwagers angefahren, in welchem, wie wir wissen, durch unglücklichen Zufall die Hetäre sitzt. Samsthanaka sieht den Wagen kommen und schreit den Kutscher an:

Samsth. SShnchen! Sthavaraka! Diener! Bist du da?

Sthavaraka. Ja.

Samsth. Ist auch der Wagen da?

Sthavaraka. Ja.

Samsth. Sind auch die Stiere da?

Sthavaraka. Ja.

Samsth. Bist auch du da?

Sthavar. (auflachend) Hoher Herr! Auch ich bin da.

Samsth. So fahre denn den Wagen herein!

8thavar. Welches Weges?

Samsth. Durch diesen eingefallenen WaiL

Sth'ivar. Hoher Herr! Dabei finden die Stiere den Tod, der Wagen zerbricht, und auch ich der Diener bin des Todes.

Samsth. Bedenke, dass ich des Königs Schwager bin! Finden die Stiere den Tod, so kaufe ich mir andere ; bricht der Wagen, so lasse ich einen anderen anfertigen; bist du des Todes, so wird ein Anderer mein Kutscher werden u. s. w. Samsthünaka will in den Wagen steigen, fährt aber entsetst zurück und wirft sieb dem Schmarotzer an den Hals: „Kluger Herr! Du bist des Todes, ja des Todes! Im Wagen Bitzt eine Hexe, oder ein Dieb steekt darin. Ist es eine Hexe, so be- Htiehlt sie uns Beide; ist es ein Dieb, so friast er uns beide * Mit Mühe beruhigt der Schmarotzer den Feigling, sieht selbst nach, erblickt Vasantasena und sucht dieselbe nun durch eine List den Augen des Schurken zu entziehen. Es gelingt aber nicht; die -Hetäre steigt aus, und der königliche Schwager will sich nun gleich wieder um ihre Liebe bewerben. Voll Verachtung weist sie ihn zurück und stösst ihn mit dem Fusse von sich. Wüthend will er sie nun verderben. Er wendet sich zum Schmarotzer, verspricht ihm schöne Geschenke und sagt: Dann sollst du mir einen Gefallen erweisen.

Schmarotzer. Sehr gern, wenn es keine Unthat ist.

Samsth. Kluger Herr! Kein Geruch von einer Unthat! Auch ist keine Hexe dabei

Schmarotzer. Dann sage es.

Samstb. Bring die Vasantasena um!

Sch marotzer. Wenn ich dieses schuldlose junge Weib, eine Zierde der Stadt, umbringe, auf welchem Kahne soll ich dann über den zur anderen Welt führenden Fluss übersetzen?

8amsth. Ich verschaffe dir einen Kahn. Auch musst du bedenken, dass in diesem einsamen Garten dich Niemand sehen wird, wenn du sie umbringst.

Der Schmarotzer weigert sich standhaft, eine so sündhafte That zu thun. Samsthanaka ist wüthend: Dieser alte Eber fürchtet sich vor

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einer sündhaften That Nun so will ich den Diener Sthavaraka zu ge- rinnen suchen. Mein Söhnchen Sthavaraka, mein Diener! Ich schenke dir goldene Armbander.

Sthavar. Und ich lege sie an.

Samsth. Ich lasse dir einen goldenen Stuhl machen.

Sthavar. Und ich setze mich auf ihn. *

Samsth. Ich gebe dir alle Ueberbleibsel von meinem Tische.

Sthavar. Und ich verzehre sie.

Samsth. Ich setze dich Ober alle meine Diener.

Sthavar. Und ich werde ein Herr sein.

Samsth. Nun, dann achte auf das, was ich dir sage!

Sthavar. Hoher Herr, Alles thue ich, nur keine Ünthat.

Samsth. Auch kein Geruch von einer Unthat.

Sthavar. So sprich, hoher Herr!

Samsth. Bring die Vasantasena um!

Sthavar. Habe Gnade mit mir, hoher Herr! Diese Ehrenwerthe habe ich Unehren werther durch eine Verwechselung der Wagen hierher gebracht.

.Samsth. Ha, Diener! Auch über dich habe ich keine Macht?

Sthavar Du hast, hoher Herr, Macht aber meinen Leib, aber nicht Ober meinen guten Wandel. So habe denn Gnade mit mir, hoher Herr! Ich bin ganz erschrocken.

Samsth. Vor wem fürchtest du dich, wenn du mein Diener bist?

Sthavar. Vor der jenseitigen Welt, hoher Herr!

Der königliche Schwager fangt ihn nun an zu prügeln. Schliess- lich weiss er durch eine List den Schmarotzer und den Diener zu ent- fernen, fällt selbst über die Hetäre her und erdrosselt sie: „Nun ist sie miusetodt wie die Sita im Mahabharata!" Dann bedeckt er sie mit trocknen Blattern und beschliesst, hinzugehen und den verhassten Caru- dattsv dieses Verbrechens anzuklagen. Nachdem er weggegangen, kommt jener buddhistische Bettler wieder, legt sein nasses Gewand auf den vermeintlichen Blätterhaufen, entdeckt die Hetäre, bringt sie wieder in's Leben zurück und rettet sie in ein nahes Kloster.

Der neunte Akt bringt die Gerichtsverhandlung, sehr lebendig dramatisch vorgeführt Der königliche Schwager tritt prächtig geschmückt in die Gerichtshalle und brüstet sich in der albernsten Weise mit seiner eigenen wunderbaren Herrlich- keit. Dann wendet er sich zum Gerichte: „Ich, der vorzügliche Mensch, ein Mann, ein zweiter Vasudeva, der königliche Schwa- ger, der Schwager des Königs, habe eine Sache vorzubringen/* Aufgefordert zu reden, beginnt er: „Mein Vater ist des Königs Schwiegervater, der König ist meines Vaters Schwiegersohn, ich bin des Königs Schwager und der Köuig ist meiner Schwester Gemahl." Endlich kommt er denn mit der Anklage heraus: Carudatta habe die Hetäre Vasantasena um ihres Schmuckes willen im Garten Pushpakarandaka ermordet und beraubt. Es sprechen bedenkliche Indicien gegen den Armen. Die alte Küpplerin sagt aus, dass ihre Tochter zu einem Stelldichein mit Carudatta gefahren sei. Die Stadtwächter bezeugen, dass

v. tJ. hr oder. In4i«a» Lit. u. Cult. 41

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sie Carudatta's Wagen, in welchem nach Aussage des Kutschers Vasantasena sass, haben fahren sehen. Endlich kommt Maitreya herzu, der bei allzu eifriger Vertheidigung seines Freunde» mit Sarasthanaka in eine Prügelei geräth und dabei die goldenen Schmucksachen fallen lässt, die die Hetäre dem Söhnchen Caru- datta's geschenkt. Dies spricht nun als Hauptbeweis gegen den Armen, der zu stolz ist, sich zu vertheidigen. Als Brahmatie darf er nach Manu's Gesetz eigentlich nicht getödtet, sondern nur verbannt werden. Trotzdem verfugt der König, dass er wegen so schändlicher Unthat den Tod durch Pfahlung er- leiden solle.

Im zehnten und letzten Akte wird Carudatta von zwei C&ndäla's als Henkersknechten zur Hinrichtung geführt, auf der einen Schulter den Verbrecherkranz, auf der andern den Pfahl tragend. Verbrechen und Urtheil wird öffentlich verkündet. Maitreya und das Söhnchen Rohasena drängen sich jammernd an den Verurtheilten heran, um Abschied zu nehmen, vergebens sich selbst an seiner Statt zum Tode anbietend. Der Diener des königlichen Schwagers, den dieser geknebelt und eingesperrt hatte, ist freigekommen und zeugt gegen seinen Herrn, aber er dringt nicht durch, es ist Alles vergeblich. Die Trommel wird gerührt, das Urtheil nochmals verkündigt. Die Schrecken eines fürchterlichen Todes umgeben den Armen. Wie die Hin- richtung beginnen soll, will ein jeder der beiden Can^ala es dem andern zuschieben, keiner will Hand anlegen. Endlich ist es dem Einen nachgewiesen, dass er an der Reihe sei. Aber wie er das Schwert hebt, lässt er es wieder fallen, er kann sich nicht entschliessen, die Execution an diesem Manne zu vollziehen. Da drängt sich plötzlich Vasantasena selbst mit dem buddhistischen Bettler heran, laut rufend: „Haltet ein! haltet ein!" Nun kommt Alles an den Tag, und während die Scene noch in höchster Aufregung ist, erschallt lautes Geschrei hinter der Bühne. Die Revolution ist ausgebrochen, der König entthront, und Aryaka an seiner Stelle König geworden. Der verruchte Königsschwager wird in Fesseln geschlagen, und nur die dringende edelmüthige Fürbitte Carudatta's, den er kläglich jammernd anfleht, erhält ihm sein elendes Leben. Vasantasena wird von dem neuen König zur rechtmässigen Gemahlin Caru- datta's erhoben und hat nun endlich das ersehnte Glück ganz und voll erreicht. Der buddhistische Bettler aber, dein auch eine Gunst gewährt werden soll, erwidert ernst: „Wenn ich mir eine derartige Vergänglichkeit vergegenwärtige, schlage ich <ks umherziehende Bettlerleben noch einmal so hoch an."

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So enthält dieses Stück, von dem ich Ihnen nur einen unvollkommenen Abriss gegeben, neben einer Fülle von Komik auch viel ernste und tiefe Momente und darf als ein drama- tisches Meisterstück bezeichnet werden. Stand Kälidasa in poe- tischer Feinheit, Zartheit und Tiefe obenan, so muss die Mriccha- katika doch gerade in Bezug auf die eigentlich dramatischen, scenisch wirksamen Eigenschaften, Kraft, Leben und Be- wegung m der Handlung, Schärfe der Charakteristik u. s. w. als die bedeutendste Leistung der Inder bezeichnet werden.

Der Text der Mricchakatika wurde in Calcutta schon i. J. 1829 herausgegeben. Dann veranstaltete Ad. Fr. Stenzler eine kritische Ausgabe des Stückes i. J. 1847. Es folgte eine weitere Ausgab« in Calcutta i. J. 1876 (Qaka-Aera 1798).

Eine vorzügliche deutsche Uebersetzung, der im Vorstehen- den viel entnommen ist, verdanken wir Otto BÖhtlingk;1 eine andere Ludwig Fritze.1 Auch ist das Stück noch in ver- schiedene andere europäische Sprachen übertragen worden.8

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1 Mricchakatika, d. i das irdene Wägelchen, ein dem König Cadraka zugeschriebenes Schauspiel, üebersetzt von Otto Böhtlingk, St Petersburg 1877.

* Chemnitz 1879. Die Mricchakatika war von H. H. Wilson ins Englische übersetzt in seinen Select Specimens of the Theatre of the Hindus, Bd. I; darnach findet sich dieselbe auch ins Deutsche übertragen in der deutschen Ausgabe des Wilson'schen Werkes (Theater der Hindus, Bd. I p. 75 flg.; Weimar 1828).

* So in's Danische von E. Brandes (Kopenhagen 1870) und in's Französische von P. Regnaud Paris 1876. 1877), welche beide Ueber- setzungen gerühmt werden. Eine russische veröffentlichte C. Kosso- witsch (im Moskwitjanin, September 1849).

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Vierundvierzigste Vorlesung,

Die dem König frlharsha zugeschriebenen Dramen und ihre muthmaass- lichen Verfasser. Bhavabhüti und seine Dramen. VicikhJuUtta's Mu- dräräkshasa. Bhattanarayana'a Veniaamhara. Rajacekhara. Kaheml- (, vara oder Kshemendra. Jayadeva. Stücke possenhaften und satirischen Charakters. Krishnamicra's Prabodhacandrodaya.

Verfolgen wir die Entwickelung des indischen Schauspiels von Kalidasa ab chronologisch weiter, so wären aus dem sie- benten Jahrhundert nach Chr. vor* Allem die dem König £ri- harsha oder Qriharshadeva zugeschriebenen Dramen hervor- zuheben: Ratnävali, Nägänanda und PriyadarQika.

Ratnavali oder „die Perlenschnur", deren wir schon früher Erwähnung gethan haben, ist ein hübsches Stück mit manchen poetischen Schönheiten und fein gezeichneten Charakteren. Es führt uns in das Hof- und Haremsleben des indischen Mittel- alters und lehnt sich in vieler Hinsicht an Kalidasa's Malavi- kagnimitra an. Auch hier liebt der König eine Dienerin seiner Gemahlin, die sich schliesslich als die bei einem Schiffbruch verloren gegangene Prinzessin eines anderen Reiches heraus- stellt, mit der er sich nun ohne Anstand vermählen darf. Ein Reflex der historischen oder epischen Ueb erLieferung, die dem Dichter vorgelegen zu haben scheint, findet sich in Sonia- deva's Kathasaritsagara. 1 Originell ist in unserem Drama das Auftreten eines Zauberers, der sich vermisst, dem König und seinem Hofe die wunderbarsten Dinge zu zeigen und dies Ver- sprechen auch glänzend löst. Sprich! sagt er zu dem König Udayana

Sprich, o Herr, was soll ich zeigen? Willst da, da&B die Berge steigen In die Luft? Dasa dunkle Nacht Eintritt, wenn der Mittag lacht?

1 Vgl. darüber die Einleitung zu Fritze's Uebersetzung der Ratni- vall, p. XII flg.

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Dass der Mond vom Himmelszelt Nieder auf die Erde fällt? Willst da sehn, dass Feaersgluth Lodert in der Wasaerfluth? GroßBer König, (rieb Bescheid; Was da magst, ich bin bereit.1

Dann schwingt er seine Pfauenfedern und, siehe da, in den Lüften zeigen sich zum höchsten Erstaunen des Königs und seines Hofes die grossen Götter selbst, Qiva, Vishnu und Brahma auf seinem Lotussitz, Indra auf seinem Elephanten reitend,

Vidyadhara- und Siddhaschaareo, Die tanzend durch die Lüfte fahren.

Die Ankunft eines fremden Ministers, den der König em- pfangen muss, unterbricht das Zauberspiel. Plötzlich gerath Alles in Aufregung, Geschrei und Getümmel erschallt eine furchtbare Feuersbrunst ist in dem Frauenhause ausgebrochen! Der König in höchster Angst, dass die Geliebte mit verbrennen mochte, lässt sich durch nichts zurückhalten, stürzt sich in Flammen und Rauch, findet sie, umarmt sie, will sie retten, da ist plötzlich Feuer und Gluth verschwunden und das Frauen- haus steht unversehrt in seinem alten Zustand da, auch dies war nur ein Spiel der Zauberei gewesen, die dem König so zur lang ersehnten Berührung mit der Geliebten verhelfen.

Die Ratnävali ist in vortrefflicher Weise von Carl .Cap- peller herausgegeben.» Eine geschmackvolle und treue Ueber- setzung de9 Stückes verdanken wir dem um das indische Drama sehr verdienten Ludwig Fritze»

Einen ganz anderen Charakter als dieses Stück- hat der ebenfalls dem König Qriharsha zugeschriebene Nagananda, ein durch bedeutende Vorzüge ausgezeichnetes Sensationsstück mit buddhistischer Färbung, dessen Held ein Buddhist ist, in dessen Nandl Buddha gepriesen wird. Der Nagananda ist von

1 8. Fritze's Uebersetzuog der Ratnav. p. 88.

1 In der 2. Aufl. Ton 0. Bohtlingk's Sanskrit -Chrestomathie, St Petersburg 1877, p. 290 flg. Ausserdem sind mehrere Ausgaben des Stückes in Calcutta erschienen; so i. J. 1832; i. J. 1864; i. J. 1871; ferner eine Ausgabe in Bombay, 1888.

* Ratnävali oder die Perlenschnur. Ein indisches Schauspiel. Aus dem Original zum ersten Male ins Deutsche übersetzt von Ludwig Fritze, Chemnitz 1878. Eine englische Uebersetzung hatte schon vor Jihren H. H. Wilson in seinem 8elect Specimens of the Theatre of the Hindus geliefert, welche dann auch (von 0. L. B. Wolf!) mit dem ganzen Werke ms Deutsche übertragen wurde. (Theater der Hindus, Bd. II, Weimar 1831, p. 128 flg.)

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Palmer Boyd in'a Englische übersetzt worden,1 und Cowell hat dieser Üebersetzung eine werthvolle Vorrede beigefügt.

Dass König Qrlharsha, der in der ersten Hälfte des sie- benten Jahrhunderts regierte, wirklich Verfasser der genannten Dramen sei, wird wohl nur von wenigen Forschern noch ge- glaubt Die Autorschaft dieser Stücke ist ihm aller Wahr- scheinlichkeit nach nur ehrenhalber von dem Dichter oder den Dichtern, die an seinem Hofe lebten und seine Gunst genossen, zugeschrieben worden. Schwieriger aber ist es zu ermitteln, wer dieser oder diese Dichter waren. Hall versuchte es wahr- scheinlich zu machen, dass Bäna. der bekannte Verfasser der

mr^rmwm mrm mmmb-m^mrmtmm mm mm mmmmmmrmmmm -+rm^ m mtm* mW * mm m ^mmmfm mm* mmm^mmmim\ w m*m* mmmmhmmw^mmt ^mwmrmt

Kadambari und des Harahacarita. der wirkliche Dichter der Ratnavali sei;Ä ihm stimmten Bühler und Weber, und nach deren Vorgang auch andere Forscher bei. Der Nagananda da- gegen, dessen buddhistischer Charakter es wahrscheinlich macht, dass derselbe von einem andern Autor wie die Ratnavali her- rührt, wäre nach Cowell's Vermuthung dem Dichter Dhavaka, der ebenfalls an (Jriharsha's Hofe lebte, zuzuschreiben. 1 In- dessen hat Pischel mit nicht zu unterschätzenden Gründen die Annahme Hall's, Bäna habe die Ratnavali verfasst, zu be- kämpfen gesucht4 Er zeigt, dass das Hauptargument Hall's die Uebereinstimmung einer Strophe in der Ratnavali and im Harshacarita keine ausreichende Beweiskraft habe und dass das unter Bäna's Namen auf uns gekommene Drama Par- vatlparinayanataka so unvortheilhaft von den drei unter Cri- harsha's Namen gehenden Stücken absticht, dass es sehr be- denklich erscheinen muss, ihm eines derselben zuzusprechen. Pischel ist der Meinung, dass jene drei Stücke von ein und demselben Verfasser herrühren, da die Tradition eben nur einen Verfasser (den Qriharsha) nennt; der buddhistische Charakter des Nagananda spreche nicht dagegen, da in dem Stück auch Gäuri, die Gemahlin Qiva's eine wichtige Rolle spielt und das- selbe an einem Feste zu Ehren Indras aufgeführt wird, abo keineswegs rein buddhistisch genannt werden darf. Buddhisten und Brahmanen lebten zu jeper Zeit, in welcher unser Stück

1 London 1872. Ins Französische übersetzt von A. Bergaigne, Paris 1879.

In der Vorrede zu Subandhu's VasavadattA, p. 15 flg. Vgl auch Bühler, Indian Antiquaiy II, 127 flg.; Weber, Ind. Lit 2. Aufl. p. 224 Anm. u. p. 338.

In der Vorrede zu P. Boyd's üebersetzung des Nagananda, p. II flg. p. VIII.

Gött Gel. Anz. 1883. Stück 39, p. 1235—1241.

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entstand, friedlich neben einander und es wurde die religiöse Toleranz von Seiten der Regierung ostentativ gefördert1 Rachel neigt zu der Ansicht, der vorhin genannte Dichter Dhavaka möchte der Verfasser jener drei Stücke sein.1 Es ist wohl möglich, ja wahrscheinlich, dass er darin Recht hat Mir scheint es indessen nicht nothwendig, dass alle drei unter (Jrlharsha's Namen gehenden Stücke auch einen und denselben Verfasser haben müssen. Wenn an dem Hofe (^riharsha's mehrere Drama- tiker lebten, konnte nicht der eine so gut wie der andero dem König die Verfasserschaft seines Dramas beilegen? Darin aber hat Pischel Recht dass die Gründe für Bäna's Autorschaft der Ratnavali schwach sind. Bevor wir indessen einen andern Dichter mit Sicherheit als Verfasser der betreffenden Dramen nennen können, thun wir besser, dieselben nur als die dem (Jrlharsha zugeschriebenen Dramen zu bezeichnen.8 Soviel hat die höfische Schmeichelei jener Dichter denn doch erreicht.

Dem achten Jahrhundert nach Chr. gehört Bhavabhüti an, welcher gewöhnlich neben Kalidasa und (Jüdraka als der dritte hervorragende indische Dramatiker genannt wird. Aus den Prologen zu seinen Schauspielen erfahren wir, dass er aus dem Süden stammte 4 und einer Brahmanen-Familie entsprossen war, die zu den Taittiriyaka's, einer Schule des schwarzen Yajurveda, gehörte. Ujjayini, den Vorort des indischen Dramas, kennt er genau und hat wenigstens einen Theil seines Lebens aller Wahrscheinlichkeit nach dort zugebracht.6 Als Schutz- herr des Bhavabhüti wird König Yacovarman von Känyakubja genannt, der in der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts re- gierte.8

1 Vgl auch Weber, im Liter. Centralbl. 1872, p. 613. Pischel a. a. 0. p. 1237.

Nach dem Kävyaprakäca empfingen Dhavaka u. A. reiche Beloh- nung von priharsha, und die Scholien bezeichnen den letzteren als König, Dhavaka aber als den eigentlichen Autor der Ratnavali (vgl. Weber, Uter. Centralbl. 1872 p. 614). (Ein neuerer ScholiaBt nennt statt Dha- vaka vielmehr Bäna, ohne jedoch die Ratnavali dabei als dessen Werk zu nennen; cf. Hall, Väsavadatta, pr. p. XVI; Weber, a. a. 0.)

3 Der Kürze halber darf man wohl auch „Criharsba's Dramen" sagen, wie man von £üdraka's Mricchakatika spricht.

* Aus dem heutigen Berar; vgl. M. Müller, Indien in s. w. Bed. p. 288.

* Vgl. Wilson, Theater der Hindus, Th. II, Einl. p. 4 (deutsche Ausgabe).

Vgl. M. Müller, Indien in s. w. Bed. p. 286—288; Bhandarkar .in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Mälatimidhava.

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Von diesem Dichter1 sind uns drei Dramen erhalten: Das Malatimädhava oder Malati und Madha?a, das Mahavira- carita und das Uttararämacarita, Dieselben sind reich an poetischen Schönheiten. Bhavabhüti versteht es, in den Schilderungen der Natur auch das Grosse und Erhabene vor- zuführen, wie es z. B. eine Berglandschaft bietet Dies finden wir im Ganzen bei den indischen Dichtern nicht häufig, 90 hervorragend sie auch in der Auffassung des Zarten und Schönen in der Natur sind, und schon Wilson erkannte darin wohl mit Recht den Einfluss der südlichen Berge, in denen des Dichters Heimath lag.* Derselbe bewährt sein Talent vor Allem in der Darstellung der zarteren, feinen, edlen und innigen Empfin- dungen des menschlichen Gemüths und in der Zeichnung von Charakteren, deren Schwerpunkt nach dieser Seite hin liegt Tiefe und Kraft menschlicher Leidenschaft» vor Allem der Liebe, versteht er zum Ausdruck zu bringen, Hoheit und A<fol der Gesinnung weiss er zu schildern. Dagegen tritt bei ihm das Komische und Witzige mehr in den Hintergrund und ist es in dieser Hinsicht ganz charakteristisch, dass seinen Stücken die Gestalt des Vidüshaka fehlt3

Das bekannteste und beliebteste von den Dramen des Bhavabhüti ist das Malatimadhava oder Malati und Ma- dhava, ein Stück, das zu der 'Gattung der Prakarana's ge- rechnet wird und zehn Akte umfasst. Wir könnten es viel- leicht am besten ein bürgerliches Schauspiel nennen, doch ist auch diese Bezeichnung nicht ganz treffend. Es spielt dieses Stück wiederum in Ujjayini und behandelt die Liebesgeschichte der Malati, einer Tochter des Staatsministers Bhürivasu und des Madhava, eines jungen Mannes, der in Ujjayini studirt, Sohnes des Devaräta, der bei einem andern Fürsten Minister ist In diese Hauptfabel ist sehr geschickt auch die Liebes- geschichte des Makaranda, eines Freundes dos Madhava, und der Madayantika verwebt Als eifrige Vermittlerin dieser zarten Beziehungen erscheinen ein paar buddhistische Nonnen; vor Allem die würdige Kämandaki, Amme der Mälati und Lehrerin des Madbava; ferner deren Schülerinnen Saudamini, Buddharakshita

1 Man beachte hinsichtlich Bhayabhüti's auch den werthvollen Ar- tikel von Anundoram Borooah, Bhavabhnti and hls place in Sanscrit Literatare, Calcutta 1878. Desgleichen die Introduction sn F. Nete's Uebersetzung des Uttararämacarita (Le Denouement de rHUtoire de R&ma cet. Bruxellet-Paris 1880).

* S. Wilson, a. a. 0. p. 4.

1 Vgl. anch>Piachel, a. a. 0. p. 1228. 1229

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und Avalokita. In grellem und grausigem Contrast zu diesen mit Liebe gezeichneten Anhängerinnen des Buddha steht Aghora- ghanta, Priester der Camuncja, d. i. Durgä, der entsetzlichen Gemahlin des Qiva, deren Dienst mit Menschenopfern verbunden ist, und KapAlakundala, Priesterin derselben Gottheit.

Der Inhalt ist in Kürze etwa folgender. Mälati und Ma- dhava sind als Kinder von ihren beiderseitigen Vätern für ein- ander bestimmt worden. Inzwischen aber haben sich die Be- ziehungen einigermassen geändert Madhava studirt in Ujjayini, ohne etwas von jener früheren Abmachung der Väter und von Malati überhaupt zu wissen, und Bhürivasu, Malati 's Vater, hat einem ausdrücklichen Wunsche des Königs zufolge bestimmt, dass seine Tochter sich mit Nandana, dem Günstling des Für- sten, vermählen solle. Die Nonne Kamandaki, Amme der Malati, ist die Einzige, welche jene alte Abmachung in treuem Ge- dächtniss behalten hat und nun behutsam und fein die Faden der Liebesintrigue anknüpft, wobei sie von ihren Schülerinnen eifrigst unterstützt wird.

Malati und Madhava haben sich wiederholt gesehen und sind in einander verliebt Es kommt zum Austausch beider- seitiger Zeichen der Neigung; Kränze, Bilder, die sie gegen- seitig von einander gemalt, spielen dabei eine Rolle. Endlich folgt eine Scene, wo sie in Gegenwart der alten Nonne und anderer Freunde auch in Worten sich verstehen, wenn es auch fuVs Erste bei den zartesten Andeutungen bleibt Grausam tritt die Verkündigung von Malati's bevorstehender Hochzeit mit dem Königsgünstling, den sie durchaus nicht mag, dar zwischen. Beide sind sehr unglücklich. Da wird Malati von dem Priester und der Priesterin jener schrecklichen Göttin Camundä geraubt Wir werden auf das Feld geführt, wo die Leichen verbrannt werden. Dort steht der Tempel der Göttin Schon soll im Dunkel der Nacht die grausige Geremonie vor sich gehen, Malati als Opfer am Altare geschlachtet werden, da erscheint Madhava als Retter. Ein glückliches GescBick hat ihn in die Nähe des Tempels gefuhrt, er hört die Stimme der Geliebten, er dringt hinein, erschlägt den schändlichen Priester und befreit die Geliebte. Die Hochzeit der Malati mit dem Günstling des Königs soll nichtsdestoweniger stattfinden. Hier üben die Freunde nun einen lustigen Streich aus. Makaranda, der Freund des Madhava, welcher zugleich der Geliebte Mada- yantika's, der Schwester des Günstlings, ist und dieser vor einem Tiger das Leben gerettet hat, wird in Malati's Kleider gesteckt und an ihrer Stelle mit dem Günstling vermählt, ein Motiv,

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das uns bekanntlich auch bei Shakespeare begegnet Natürlich spielt nachher der junge Mann als Neuvermählte dem Günst- ling übel mit Nach einer Scene, in welcher sich Mälaü und Mtidhava zum ersten Mal in den Armen liegen, wird Malati Ton der rachsüchtigen Priesterin der Schreckensgöttin geraubt. Eine zaubermächtige Schülerin der buddhistischen Nonne be- freit sie aber wieder und fuhrt sie dem verzweifelnden Madhava, der sich schon das Leben nehmen will, in die Arme. Das Stück endigt mit der glücklichen Vereinigung beider Liebespaare.

Nicht unzutreffend nennt Klein dies Stück des Bhava- bhuti „Das Romeo und Julia-Drama der Inder mit glücklichem Ausgang; leidenschaftsvoll, aber nicht tragisch."1 Schon das erste Auftreten des Madhava erinnert an das des Helden der Shakespeareschen Tragödie. Sein Freund Makaranda sieht ihn kommen und deutet seine Stimmung an:

Ha! dort kommt er Doch Etwas trübt, verstört ihn, denn sein Gang Zeigt nicht den muntern Schritt von sonst; ins Leere Starrt hin sein Aug', in Unordnung erscheint Sein Anzug; schwer von Seufzern wogt die Brust u. s. w.

Madhava (eintretend, für sich)

S'ist seltsam, höchst seltsam, mein irrer Oeist Kehrt mir nicht mehr zurück. Selbstachtung, Scham, Vergessne Scham, Beherrschung, Mannheit, Urtheil, Sie ruhn, verkehrten Sinns, auf einem Bild, Dem Bilde des mondwangig holden Wesens Ein Wunder nur durchgoss mit höhrer Kraft Mein ganzes Selbst, als ich verzückt sie schaute Und wie getaucht in Himmelsnektar glüht mein Herz Berückend Lustgefühl! Zu spat, ach,. fühl' ich's: Verzehrend Feuer nähr' ich in der Brust.

Dann schildert er schwärmerisch entzückt dem Freunde den Eindruck, welchen Malati beim ersten Anblick auf ihn gemacht:

Wie möchten Worte dir den Eindruck schildern? . . .

Der Augen Wirkung, dieser süssen Augen,

Die, strahlend schüchtern sanft in feuchtem Schmachten

Mein Herz aufsogen; aus dem Busen mir's,

Von Wunden triefend, mit den Wurzeln rissen . . .

Des Mondes thauger Strahl, der eisge Strom,

Vermögen nicht die Fiebergluth zu kühlen,

Die mich verzehrt, und wie ein Feuerrad

Schwingt rastlos um mein Oeist und ruhelos.*

1 J. L. Klein, Geschichte des Dramas. Bd. III, Leipzig 186G, p 136. Vgl. Klein, a. a. 0. p. 139. 140.

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Die vermittelnde Rolle, welche die Nonne K&mandaki spielt, erinnert lebhaft an die des Pater Lorenzo bei Shakespeare. Einen wirkungsvollen, wenn auch bisweilen etwas zu grellen Contrast zu den Scenen, wo die zarteste, innigste Liebesempfin- dung zum Ausdruck kommt, bilden diejenigen, in welchen der Priester und die grassliche Priesterin der Schreokensgöttin Camunda auftreten. Etwas zu häufig finden hier wie auch sonst bei Bhavabhüli die Ohnmächten statt, von denen sich die betreffenden Personen übrigens meist recht bald wieder erholen.

Herausgegeben ist das* Malati madhava nebst einer vor- trefflichen Einleitung von Ramkrishna Gopal Bhandarkar (Bombay 1876). 1 Eine englische Uebersetzung des Stückes Teröffentlichte schon H. H. Wilson* und darnach wurde das- selbe (von 0. L. B. Wolff) auch in's Deutsche übertragen.3 Die erste nach dem Original verfasste deutsche Uebersetzung ver- danken wir dem schon oft genannten Ludwig Fritze.4

Die beiden anderen Stücke des Bhavabhüti haben den- selben Nationalheros zu ihrem Helden. Das Mahaviracarita oder Leben und Thaten des grossen Helden, behandelt in sieben Akten die Geschichte des Rama, wie dieselbe im Epos geschil- dert wird und uns der Hauptsache nach bereits bekannt ist. Die Abweichungen des Dramatikers von der Fabel des Epos sind nicht wichtig genug, um erwähnt werden zu müssen. Die Zahl der auftretenden Personen ist dem Stoffe entsprechend eine sehr grosse und echtromantisch bunt zusammengesetzte. Da haben wir ausser dem berühmten Heros, den Königen, Prinzen und Prinzessinnen, Götter wie Indra, Halbgötter wie Paracuräma, heilige Weise wie Vicvamitra, Riesen und Riesinnen, Geister, Dämonen, die Affonfursten Bali, Sugriva und Hanuman, zwei mythologische Geierfürsten, Ja^ayu und Samp&ti, die sich in schwungvollem Dialog von Rama's Thaten und Siegen unter-

1 Schon frflher Calcutta 1830; ferner ?on Trithen im Jahre 1848; toq Jlvan&nda Vidy&sAgara, Calcutta 1876; von Viveka Kalanidhi, Ma- drat 1883.

* In seinen Select Spedmens of the Theatre of the Hindus (So. III), aoeh jetzt obschon vielfach stark veraltet das umfassendste Werk Qber indische Dramatik (Calcutta 1826).

Theater der Hindus, Th. II (Weimar 1831).

4 Malati und Madhava. Ein indisches Drama von Bhavabhüti. Zum ersten Male und metrisch aus dem Original in's Deutsche übersetzt Leipzig 1884 (Reclam, Univ.-Bibl. No. 1844). Eine franaös. üeber- letaung unter dem Titel Madhava et Malati ist von O. 8trehly ver- öffentlicht, Paris 1886; derselben ist ein Vorwort von Bergaigne bei- geben.

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halten u. dgl. hl Die Sprache ist kräftig und klar, dem he- roischen Stoffe angemessen.

Scenisch bemerkenswert, insofern man sieht, wie viel hier der Phantasie der Zuschauer zugemuthet wird, ist der letzte Akt, in welchem Rama mit den Seinigen einen Wagen besteigt, um durch die Luft aus Ceylon nach Ayodhya heimzufahren. Die Reisenden thun, als führe der Wagen durch die Luft und es beschreibt immer eine Person der GeselÄfchaft die Gegenden, über welche sie angeblich hinfliegen, so Rama's Brücke, da* Malaya-Gebirge, Agastya's Einsiedelei u. s. w. Sie steigen hoch in die Luft bis in die Nähe der Sonne, landen auf der Spitze des Himalaya- Gebirge und gehen von dort nach Ayodhya hinunter. Mit der Krönung Rama's schliesst das Stück.1

Das dritte Schauspiel des Bhavabhüti, Uttararämaca- rita oder „die weiteren Schicksale des Rama" genannt, schil- dert Rama'8 und Sitä's Erlebnisse nach der Besiegung des Ravana und glücklichen Heimkehr nach Ayodhya. Es ist dies ein durch hohe Schönheiten ausgezeichnetes Drama, in welchem die zärtliche Gattenliebe des Helden und der Heldin verherr- licht wird und, durch Trübsal und bitteres Weh geläutert, im Glorienscheine der Verklärung schimmert. Romantisch in seiner ganzen Anlage und Entwicklung, erinnert dieses Stück in meh- reren Punkten überraschend an Shakespeare. Das Volk von Ayodhya will sich nicht von Sita's Schuldlosigkeit in ihrem Verhältniss zu Ravana überzeugen lassen und setzt ihre Ver- bannung durch. Mit blutendem Herzen muss sich Rama fügen Die Ruhe, das Wohl des Volkes fordern dieses fast übermensch- liche Opfer. Fern von ihm gebiert Sita zwei Knaben, Kuca und Lava, die von Ganga und der Erdgöttin in Schutz ge- nommen, der Mutter entzogen, unter Aufsicht des Dichterweisen Välmiki, des Verfassers des Ramäyana, aufwachsen. Im ersten Akte noch nicht geboren, treten sie uns späterhin als streitbare Jünglinge entgegen, die wie junge Löwen sich im Kampfe be- währen. Ohne etwas von ihrem königlichen Ursprung zu wissen, sich für Söhne des V&lmiki haltend, bei dem sie leben, sind sie in der Wrldniss aufgewachsen und haben von ihrem weisen Lehrmeister das Lied von Rama's Thaten gelernt Dies Prinzen- paar und sein Verhältniss zu dem Einsiedler Valmiki erinnert merkwürdig an die Prinzenbrüder Gniderius und Arviragus, die

1 Das Mahavlracarita ist herausgegeben von F. H. Tritben, London 1848; desgl. mit sanskrit-engl. Glossar von Anund. Borooah. Calcutta 1877. In's Englische wurde dasselbe übersetzt von J. Pick- ford, London 1871.

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in Shakespeare^ Cymbeline unter der Aufsicht des verbannten, als Einsiedler lebenden Bellarius aufgewachsen sind.1

Zwölf Jahre sind zwischen dem ersten und zweiten Akt dahingegangen, Jahre des bittersten Trennungsschmerzes für die liebenden Gatten. Geduldig und ergeben trägt Sita ihr schweres Geschick, .verbannt, allein, ohne den Gatten, ohne die Kinder leben zu müssen unter dem schweren Druck einer un- würdigen Anklage. Reizend und herzbewegend ist die Erschei- nung der frommen Dulderin geschildert Ihre hülfreiche Freun- din, die Flussgöttin Tamasa, sieht sie kommen und sagt:

Sieh, Sita ist's! Wie hold erscheint Ihr Angesicht, oh auch verweint. Und durch das Haar, das lose wallt, Blickt reizend ihre Huldgestalt. Sie geht einher wie Zärtlichkeit, Gehüllet in ein irdisch Kleid; Sie dünkt mir wie der stille Gram Verkörpert, dem der Trennung Schmerz Gebrochen hat das zarte Hers Und dem der Abschied Alles nahm.1

Durch göttliche Fügung anderen Wesen unsichtbar weilt sie in der Wildniss, von freundlichen Gottheiten gestützt und getröstet. Neue Thaten, die Rama vollbringen muss, führen ihü dorthin, wo er vor Jahren einst mit ihr vereint in der Verbannung selige Zeiten verlebt hat, und hier entwickelt sich eine unendlich rührende Scene, in welcher Sita dem geliebten Manne nah ist, ohne dass er sie sehen kann. Der Anblick der bekannten Gegend, die schmerzliche Erinnerung an das ent- schwundene Glück, das er einst hier genossen, überwältigt Rama und laset ihn ohnmächtig zu Boden sinken. Sita, vor süssem Weh kaum ihrer selbst noch mächtig, kniet nieder, fasst mit einer Hand die Hand des Gatten und legt die andere Hand ihm auf die Stirn. Ihre Berührung giebt ihm das Leben wieder, er fühlt ihre Nähe, er ruft nach ihr, aber er sieht sie nicht. Er will verzweifeln, Sita vergeht fast vor Schmerz, die zärtlich liebenden Gatten sind sich so nah und doch unerbittlich ge- trennt! Wie schön ist dies erdacht, wie wirkungsvoll! In einer späteren Scene folgt eine Begegnung zwischen Lava, dem einen von Rama's und Sita's Söhnen, mit seinen Grosseltern, dem alten König Janaka von Mithilä und Rama's Mutter Kau- calya, denen er von dem grossen Liede Välmiki's zu Ehren

1 Diesen Vergleich zieht schon Klein, a. a. 0. p. 191. ' Vgl. Theater der Hindus, Bd. II p. 317.

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des Helden Rama begeistert zu erzählen weiss, ohne zu ahnen, dass er selbst Rama's Sohn und selbst der kleine Held von Sitä's Kindesnöthen ist, die das Gedicht erwähnt. Der muthige Knabe geräth in Streit mit seinem Vetter Candraketu, ein Kampf beginnt, in welchem beide sich prächtig ritterlich be- nehmen, doch Lava geht als Sieger aus dem Kampf hervor. Rama erscheint und lernt mit freudigem Staunen den jungen Helden kennen, dessen ganze Art ihm königliche Abstammung bekundet Wie der Jüngling erfährt, dass Rama selbst, der gefeierte Held des grossen Gedichtes vor ihm steht, da beugt er ehrfurchtsvoll das Knie vor ihm; aber Rama hebt ihn auf und zieht ihn an sein Herz. Nun kommt auch der andere Bruder, Kuca, herbei, ein junger Löwe, schon jetzt ein Held in der Erscheinung, so dass Räma überrascht ausruft:

Welch kühnes Wesen athmet dieser Jüngling, Welch edler Trotzblick strahlt aus seinem Aug. Es ist, als dünken Welten ihm in Waffen Nur Riedgras, das sei;;' Fuss zu Boden tritt. Die Erde schüttert unter seinem stolzen Schritt, Und obgleich zart an Jahren, zeigt er doch Felsartgen Wuchs. Ein sterblich Wesen? oder Des Muthes Geist in menschlicher Gestalt?1

Auch er beugt ehrfurchtsvoll das Knie vor Rama. Die jungen Helden werden nach Valmikis grossem Gedichte aus- gefragt und Kuca recitirt einige Verse, die Rama's und Sita'g Liebe schildern, so dass Rama von Rührung überwältigt wird:

Ich kann nicht hemmen meine Thranen, So treu ist dies geschildert!1

Und er versinkt in die Erinnerung des verlorenen Glücks.

Im siebenten und letzten Akte lässt Lakshmana in Val- miki'8 Auftrag vor Rama und den Seinigen ein Drama im Drama auffuhren. Götter und Menschen, Geister der Erde, der Luft und des Meeres sollen als Zuschauer erscheinen. Dies Drama im Drama erinnert wieder merkwürdig an die berühmte Scene im Hamlet König Rama's Herz will fast zerspringen vor Weh, denn auf der Bühne erscheint die geliebte Sita selbst, die er verbannen musste, geleitet von zwei göttlichen Frauen, der Erde und der Flussgöttin Gangä, von denen jede ein neu- geborenes Kind der Sita auf dem Arme trägt Ueberwältigt von dem Eindruck will Rama hin zu ihr und nur mit Mühe

1 S. Klein, a. a. 0. p. 195. S. Klein, a. a. 0. p. 197.

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hält ihn der Bruder zurück, ihm bedeutend, es sei ja nur ein Spiel. Nun spielt sich vor dem hocherregten König ab, was Sita wirklich erlebt hat. Es endigt mit einer glänzenden Recht- fertigung der Sita aus Göttermund. Das Volk von Ayodhyä wird aufgerufen, seinen Irrthum zu erkennen und die edle, reine Königin voll Ehrfurcht bei sich aufzunehmen. Himm- lische Zeichen begleiten die herrliche Scene, das Volk beugt sich vor der Dulderin, und Valmiki, der weise Seher und Dichter, fuhrt den entzückten Eltern ihre Heldensöhne Kuca und Lava in die Arme, die ja auch Sita jetzt zum ersten Male an ihr Herz schliessen darf. Ein schönes, gedankenvolles Schluss- wort aus König Rama's Munde scnliesst das Stück.1

Unter den zahlreichen sonstigen Dramen der Inder ver- dient das Mudrarakshasa oder „das Siegel des Ministers * Rakshasa41 von VicAkhadatta besonders hervorgehoben zu werden. Es ist dies ein politisches Intriguenstück, unleugbar mit grossem dramatischem Talent componirt, voller Leben, Be- wegung, Spannung. Ja, Pischel nennt den dritten Akt des Mudrarakshasa geradezu „ein Meisterwerk dramatischer Kunst", das durch nichts in Indien überboten werde.9 Es legt dies von den bisher besprochenen Dramen ganz verschiedene, seinen ganz besonderen Charakter habende Stück ein glänzendes Zeug- niss ab von der Vielseitigkeit des dramatischen Genius der Inder. Die Entstehungszeit desselben ist leider noch nicht ganz sicher gestellt. Wilson wollte es in das 11. oder 12. Jahr- hundert nach Chr. setzen; Pischel glaubte den Anfang des 11. Jahrhundert's (ca. 1010) als Lebenszeit des Vicäkhadatta annehmen zu müssen;8 neuerdings aber hat der Inder Kashi- nath Trimbak Telang den Nachweis zu liefern gesucht,4 dass das Stück nicht so späten Ursprungs sein könne, sondern etwa dem 7. oder 8. Jahrhundert angehören dürfte. Seinen Aufführungen stimmt Alfred Hillebrandt im Wesentlichen bei und sucht es wahrscheinlich zu machen, dass Vic&khadatta annähernd ein Zeitgenosse Hiuen Thsang's gewesen, also im

1 Herausgegeben ist das Uttararamacarita in Calcutta 1831; Madras 1882 (2. ed.). Eine eDglische Uebersetzung veröffentlichte H. H. Wilson, Calcutta 1826 (Heft IV der Select Spec. of the Theatre of tbe Hind.); eine französische Y Neve (Le Dönouement de l'Histoire de Rama, Outtara- Rama-Charita, Drame de Bhavabhuti; trad. du Sanscrit avec une introduetion sur la vie et les oeuvres de ce poete). Bruxelles-Paris 1880.

8. Pischel, a. a. 0. p. 1227.

S. Pischel, a. a. 0. p. 1226. 1227.

4 In der Einleitung zu seiner Ausgabe des Mudrarakshasa, Bom- bay 1884.

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siebenten Jahrhundert nach Chr. lebte.1 Diese Anuaiftne, die freilich noch nicht als gesichert betrachtet werden darf, hat auch darum etwas Bestechendes, weil damit dies vorzügliche Stück der Blüthezeit des indischen Dramas zugewiesen würde, in welche man es seiner Qualität nach gerne setzen möchte.

Das Mudrarakshasa spielt zur Zeit des berühmten Königs Candragupta (Sandrakottos), welcher bald nach Alexander d. Gr. den letzten König der Nanda-Dynastie in Pataliputra entthronte und ein mächtiges Reich begründete. Rakshasa, der Minister des letzten, um Thron und Leben gekommenen Nandu, will um keinen Preis Candragupta's Herrschaft anerkennen, sucht viel- mehr im Bunde mit früheren Bundesgenossen seines Herrn den Tod desselben an dem glücklichen Nebenbuhler zu rächen. Die Handlung des Stückes dreht sich nun wesentlich darum, dass der Brahmane Canakya, Minister des Candragupta, sich bemüht mit allen Mitteln, einer ganzen Reihe von Intriguen und mac- chiavellistischen Machinationen, den durch viele vorzügliche Eigenschaften hervorragenden Rakshasa seinem Bundesgenossen abspenstig zu machen und für die Sache des Candragupta zu gewinnen. Er bringt es zu Stande, den Rakshasa seinem Bundes- genossen, dem Prinzen Malayaketu, dermassen verdächtig zu machen, dass dieser ihn vollständig fallen lässt und von sich stösst Den Ausschlag aber giebt flir Rakshasa der Umstand, dass sein Freund, ein Juwelier, der für ihn bei Candragupta Bürgschaft geleistet hat, hingerichtet werden soll. Da stellt er sich dem Feinde und bietet sein Leben für das des Freundes. Er wird aber nicht nur nicht gestraft, sondern durch Verleihung des Dolches, des Zeichens der Ministerwürde, für immer an Candragupta's Sache gefesselt.*

Ein Stück, das jedenfalls im 10. Jahrhundert schon be- kannt und beliebt gewesen sein muss,5 wenn wir auch seine

1 In seiner Anzeige der Telang'schen Ausgabe, Ztschr. d. D M. ö XXXIX, Heft 1, p. 130—132.

* Als Ausgabe des Mudrarakshasa ist die von Kashinath Trim- bak Telang zu empfehlen, Bombay 1884 (Bombay Sanskrit Series XXVII; vgl. Hillebrandt's Anzeige Ztschr. d. M.G. XXXIX p. 107 flg Weniger befriedigend waren die früheren Ausgaben, von denen eine i. J. 1831 in Calcutta erschien, eine andere von Taranatha Tarkavi- caspati i. J. 1870 (samvat 1926), eine dritte von Jivananda Vidya- sagara i. J. 1881 veröffentlicht wurde. In's Englische übersetxt von Wilson (Select Specimens cet No. V; Calcutta 1826). Deutsch bearbeitet von 0. Wilmans. Eine Probe davon im Magazin f. d. Lit des Aus- landes 1833, No. 55. 56.

» Vgl. Weber, Lit. Centralbl. f. 1872 p. 612; Ind. Lit., 2. Ann, p. 224.

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Entstehungszeit näher nicht präcisiren können, ist Bhatta Narayana's Veniaanihara, das Binden der Haarflechte, ein Drama in sechs Akten. Der Stoff ist dem Mahabharata ent- nommen und hat seinen Schwerpunkt in jenem Vorfall, wo Draupadl von ei#em der Brüder des Duryodhana an den Haaren in die Versammlung geschleift wird. Poetisch steht das Stück nicht hoch, ist aber seit lange bei den Indern in weiten Kreisen beliebt, weil es mit ausgesprochener Tendenz den Krishna ver- herrlicht, dessen Anhänger bekanntlich sehr zahlreich sind.1

Etwa um das Jahr 900 nach Chr. lebte der Dramatiker R&ja£ekhara,* welcher besonders durch seine leichte und ge- fällige Sprache ausgezeichnet ist Von ihm sind uns vier Dramen erhalten: das Balaramäyana 3 und das Pracandapaijdava 4 (auch Bälabharata genannt), die ViddhacälabhaUjika6 und die Kar- püramafijari.6 Von Kshemendra oder Kshemicvara, einem Dramatiker, welcher wahrscheinlich zu Anfang dos 11. Jahr- hunderts in Kanyakubja unter König Mahipala lebte, stammt das Candakaucika, von welchem unter dem Titel „Kausika's Zorn" eine Uebersetzung durch Ludwig Fritze veröffentlicht worden ist.7

Dem 11. Jahrhuudert gehört auch Dämodara Mi$ra an.

1 Herausgegeben von J. Grill, Leipzig 1871. In's Englische ist das Stück übersetzt von Sourindro Mohun Tagore, Calcutta 1880.

* Wilson hatte für Rajacekhara das Ende des 11. oder den An- fang des 12. Jahrhunderts angesetzt. Pischel suchte die Zeit desselben anf den Anfang des 11. Jahrhunderts zu fixiren. (Gött. Gel. Anz. 1883. Stack 39, p. 1-221 flg. 1227.) Nach Cappeller 's Ansicht lebte R. etwa um das Jahr 1000 nach Chr. (S. Einleitung zum Pracan(Jap.> Seitdem aber Peterson neuerdings gefunden, dass Rajacekhara von dem Autor des Yacastilaka (^akasamvat. 881 -«959 nach Chr.) als eine literarische Berühmtheit erwähnt wird, muss man circa hundert Jahre weiter zurück- gehen. Viel früher als 900 nach Chr. kann aber R. nicht angesetzt werden, da er, wie Pischel gezeigt hat, „den reizenden Ratnakara" citirt, einen kaschmirischen Dichter, welcher im 9. Jahrhundert, circa um das Jahr 850 nach Chr. lebte. Vgl. darüber Bühl er, Oesterreich. Monats- schrift für den Orient, 1885, No. 12 p. 281. (S. auch Pischel a. a. 0. p. 1222.)

3 Herausgegeben von Govinda Deva Sästri, Benares 1869; desgl. von Jlvananda Vidyasagara, Calcutta 1884.

4 Neuerdings herausgegeben von C. Cappeller, Strassburg 1885.

5 Herausgegeben von Jlvananda Vidyasagara, Calcutta 1883.

6 Herausgegeben im PanoMt, Vol. VII.

T Leipzig, Reclam's Universal-Bibl. No. 1726. Vgl. Pischel's An- zeige dieser Uebersetzung, Gött Gel. Anz. 1883. Stück 39, p. 1217 flg. Ueber das Zeitalter des Dichters vgl. ebenda p. 1219 flg. Der Sanskrit- Text des Candakaucüca ist herausgegeben von Jayaumohana Qarmau im Jahre 1867 (Samvat 1924).

t. Schröder, Indi«M Lit. u. Cvlt. 42

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der Verfasser des Hanumannä^aka oder Mahänataka (d. i. das grosse Schauspiel). Er lebte der Tradition zufolge am Hofe des Königs Bhoja von Mälava, der in Dhara und Ujjayini re- sidirte; die Zeit dieses Königs wird durch eine Inschrift als das 11. Jahrhundert bestimmt (vgl Weber, Iid. Lit, 2 AufL, p. 218. 219). Das Hanumannätaka behandelt in 14 Akten die uns bekannte Geschichte des Rama und steht als künstlerische Leistung nicht hoch. Es scheinen mehrere Hände daran ge- arbeitet zu haben; das Stück macht den Eindruck eines Flick- werks, einer Zusammensetzung von Fragmenten. Originell genug sind die am Schluss gegebenen Nachrichten über die Geschichte des Stückes. Darnach soll kein Geringerer als der göttliche Affe Hanuman selbst, der ruhmreiche Kampfgenoss des Rama, dies Schauspiel verfasst und auf Felsen niedergeschrieben haben, ein Schreibmaterial, ganz würdig eines so erlauchten Autors. Välmiki aber fürchtete, die Anmuth dieser Dichtung werde sein Ramäyana ganz verdunkeln und war von Schmerz darob erfüllt Da war der göttliche Affe so edelmüthig und so wenig eitel, dass er ihm rieth, die versbeschriebenen Felsen ins Meer zu werfen. So geschah's und lange ruhten sie verborgen, bis viele Jahrhunderte später einzelne Theile jener Felsdichtung aufgefunden und zum König Bhoja gebracht wurden. Auf seinen Befehl stellte Däinodara Micra die Fragmente zusammen, ergänzte die Lücken und machte ein einheitliches Werk daraus. So wird das Fragmentarische des Stückes erklärt und ent- schuldigt

Von einem Dichter Jayadeva stammt das Drama Pra- sannaraghava.1 Es ist dies aber ein anderer Jayadeva als der Verfasser des Gltagovinda.'

Nur ein einziges Drama will ich zum Schluss noch etwas genauer schildern, da mir dasselbe eines der eigenartigsten und merkwürdigster Produkte der indischen Literatur zu sein scheint und jedenfalls in hohem Grade unsere Beachtung ver- dient Es ist dies ein allegorisches Stück, theologisch- philo- sophischen Inhalts, in weichem so gut wie nur abstracte Be- griffe, allegorische und symbolische Gestalten als Personen fun- giren und welches nichtsdestoweniger voll dramatischen Lebens, voll Kraft und Spannung in der Entwickelung ist, eine Lei- stung, die gewiss keine geringe genannt werden darf. Betitelt

1 Herausgegeben Ton Govinda Deva Sastri Ben am 1868 ; auch Madras, 1882 (3. ed.).

1 Vgl. Pischel a. a. 0. .p. 1222.

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ist dieses Drama Prabodhacandrodaya, <L h. der Aufgang des Mondes der Erkenntniss. Es umfasst sechs Akte, stammt frühestens aus dem 12. Jahrhundert nach Chr. und hat den Krishna-Mic,ra zum Verfasser. Der Text desselben ist schon im Jahre 1834 von Hermann Brockhaus herausgegeben wor- den-. Auch besitzen wir eine werthvolle Uebersetzung aus der Feder Goldstückers, welche mit einem doppelten erläuternden Vorwort im Jahre 1842 von Karl Rosenkranz herausgegeben wurde.1

Die Tendenz des Drama's ist eine Verherrlichung des ortho- dox brahmanischen Glaubens, speciell mit vishnuitischer Fär- bung. Man kann die allegorischen Dramen Calderons, die den christkatholischen Glauben verherrlichen, ungefähr damit ver- gleichen. Geist und Ton der Calderonschen Stücke sind aber völlig von denen des indischen Dramas verschieden. Ueber den Schöpfungen des Spaniers ruht ein Geist religiöser Weihe und Feierlichkeit, den man in dem Stücke des Inders nicht suchen darf. Der Reiz des letzteren beruht vornehmlich in der Um- schaffung der abstracten Begriffe zu wirklich lebensvollen Per- sonen.

Es treten in diesem Drama auf: der Urgeist, das Vor- stellungsvermögen , die Offenbarung, die Vishpu Verehrung, die Beredsamkeit, das Nachdenken, die Leidenschaftslosigkeit, der Wille, die richtige Erkenntniss; der Verstand und seine Gattin, die Meinung; die Religion und ihre Tochter, die Ruhe; die Freundschaft, das gründliche Urtheil, die Genügsamkeit, die Geduld, das Mitleid, die Schriftgelehrsamkeit, der lrrthum: der Egoismus; die Scheinheiligkeit als Brahmane; Wollust, Ketzerei, Zorn, Zerstörungssucht, Geiz; ein Carvaka oder Materialist, ein buddhistischer Bettler u. A.

Die Entwickelung ist etwa folgende.

Der grosse König Irrthum herrscht in Benares und seine Getreuen, alle die Thorheiten, Laster und Schlechtigkeiten der Menschen, treiben üppig und frech ihr Wesen im Lande: die Wollust und die Scheinheiligkeit sammt ihrem Grossvater, dem Egoismus, Zorn, Geiz, Habsucht, Ketzerei, falsche Religionen und Philo8opheme aller Art, während die Offenbarung, die rechte

1 Prabodha-Ch androdaya oder die Geburt des Begriffs. Ein theologisch-philosophiBche? Drama von Kriahna-Micra. Zum ersten Mal aus dem Sanskrit ln's Deutsche übersetzt. Mit einem Vorwort eingeführt von Karl Rosenkranz. Königsberg 1842. iDer Name des Uebersetzers ist nicht genannt, es ist aber Tb. Goldstücker Später ist das Stück noch übersetzt von B. Hirzel, Zürich 1840.

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Religion, die Vishnuverehrung, der edle König Verstand und Alle, die zu ihm gehören, die guten und edlen Eigenschaften und Geistesrichtungen schmählich verbannt und Verstössen sind. Aber es hat sich eine Weissagung verbreitet, welche das Reich des Irrthums schreckt und die Unterdrückten erhebt und trö- stet: dass nämlich dereinst der König Verstand sich mit der schon lange von ihm getrennten Offenbarung vereinigen werde und dass aus dieser Verbindung die richtige Erkenntniss ent- springen solle, durch welche des Irrthums Reich und Herrschaft zu Fall kommen werde. Der Kampf um das Zustandekommen dieser Vereinigung und der endliche Sieg und Triumph der guten Partei bildet den Inhalt des Stückes.

Im ersten Akte treten zuerst Kama, der Liebesgott, und sein Weib, die Wollust, auf, brüsten sich in frechster Weise mit ihrer unwiderstehlichen Macht und reden hohnlachend über die Thoren, die sich einbilden, gegen sie aufkommen zu können. So lange sie beide leben, kann jene Weissagung keine Sorge bereiten. König Verstand kommt ernst und nachdenklich mit seinem Weibe, der Meinung, gegangen und sie besprechen sich über die traurigen Verhältnisse, in welchen sie und ihre Freunde leben. Gicht es da eine Rettung? Nur schüchtern und schonend beginnt der Verstand von dem einzigen Wege zur Rettung zu reden. Die Eifersucht beherrsche ja gewöhnlich das Herz 3er Frauen, und doch ist nur dann Hoffnung vorhanden, wenn sie, sein Weib, die Meinung, sich entschliessen könnte, eine Zeitlang sich der weltlichen Lust entziehend in Ruhe zu leben und es zuzugeben, dass er, der Verstand, inzwischen eine Ver- einigung mit der Offenbarung anstrebe, die durch die lange Trennung und mancherlei Verläumdungen erzürnt und aufgeregt sei. Nur dann könne die richtige Erkenntniss geboren werden. Das edle Weib ist um so hohen Zieles willen gleich grossmüthig zu dem Opfer ihrer Liebe bereit und so schöpft der Verstand denn Hoffnung und Trost.

Im zweiten Akte erscheint die Scheinheiligkeit, als Brah- mane. König Irrthum hat sie beauftragt, eifrigst der drohenden Gefahr entgegen zu arbeiten und die Andacht aller frommen Leute zu hindern. Diesen Befehl hat Scheinheiligkeit treulich ausgeführt und ist mit dem Erfolge sehr zufrieden. Die Leute, welche sich bei Tage als fromme Priester und Vedenkenner geriren bringen die Nächte beim Wein und losen Dirnen zu. Ein Wanderer kommt des Weges daher, es ist der Egois- mus, der die Scheinheiligkeit begrüsst, aber von ihr mit hoch- müthigar Verachtung behandelt wird, bis endlich nach einem

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längeren Zanke der Egoismus sich zu erkennen giebt. Da ist Scheinheiligkeit sehr erfreut:

Ach, du bist ja mein lieber Grossvater Egoismus! Theuerster, ich bin Scheinheiligkeit, mein Vater ist der Geiz. Sei mir willkommen!

Egoismus. Lange magst du leben, mein Geliebter. Als Kind sah ich dich am Ende des dritten Weltalters, und jetzt nach der langen Trennung erkannte ich dich nicht gleich, da mich das Alter drückt. Ist dein Söhnchen, der Trug, bei guter Gesundheit?

Scheinhciligkeit. Nicht einen Augenblick lebe ich ohne ihn. Er ist hier auf Befehl des grossen Königs Irrthum.

Egoismus. Sind deine Eltern wohl, der Geiz und die Habsucht?

Scheinheiligkeit. Auch sie sind hier. Nicht einen Augenblick verlasse ich t»ie. Wie komme ich aber zu der Ehre deines Besuches, mein th eurer Gross vater?

Egoismus. Bester! Ich habe gehört, dass der Irrthum gewaltige Furcht vor dem Verstände habe, und deshalb bin ich hergekommen, um darüber Gewissheit zu erlangen.

Während sie noch mit einander plaudern, wird hinter der Buhne die Ankunft des grossen Königs Irrthum verkündigt, der denn auch alsbald mit angemessenem Gefolge sehr zufrieden auttritt Er lacht:

0 die Dummköpfe sind ganz zügellos! Denn sie sagen, die Seele sei verschieden vom Körper und geniesse Lohn in der andern Welt. Da hoffe ich doch lieber, dass Bäume, die in der Luft wachsen, aas ibren Blüthen süsse Früchte treiben. Und dieses ungelchrte Volk be- trügt die Welt, indem es Dinge aufstellt, die nur in seinem Gehirn vor- handen sind. Denn sie lehren die Existenz von Dingen, die nicht sind, und zahlreich und geschwätzig machen sie als Theisten die Atheisten lächerlich, welche die Wahrheit lehren. Ei, seht dochl Wenn das die Wahrheit ist, wer sah denn je vom Körper getrennt die Seele, die nur

eine von seinen Veränderungen geformte Masse ist? Nur die Lehre

des Carvaka hat Werth: „Was man sehen kann, ist Mittel der Erkennt- niss. Wahrheit hat nur Erde, Wasser, Feuer, Luft. Dem Menschen wesentlich sind der Zweckbegriff und die Liebe. Die Elemente sind auch denkende Wesen. Ein Jenseits giebt es nicht. Der Tod ist das Ende." Dies hat Väcaspati gelehrt und, da ich es wünschte, dem Car- väka uberliefert, und dieser hat die Lehre in der Welt durch seine Schaler und deren Schüler verbreitet.

Cärvaka (tritt auf mit seinem Schüler): Mein Lieber, du weisst, Politik ist eine Cardinalwissenschaft. Auf sie beziehen sich alle Ge- schäfte. Die Veden enthalten nur dummes Geschwätz.

Und nun begründet er seine Ansicht.

Der Schüler meint: Wenn also für den Menschen Essen und Trinken Hauptsache ist, wozu quälen sich denn jene Wallfahrer durch die furchtbaren und schrecklichen Fasten und fliehen die Freuden dor Welt?

Cärväka. Die Thoren sind durch lugenhafte Lehrbücher betrogen und ergötzen sich an den Leckerbissen der Hoffnung. Sieh nur, wie tat nicht die Lust bei der Umarmung eines schönen Weibes besser als . thörichte Kasteiung des Körpers durch Betteln, Fasten, Enthaltsamkeit und Sonnengluth?

Schüler. Aber die frommen Leute meinen doch, man müsse des- halb die Vergnügungen der Welt meiden, weil sie mit Leiden verbun- den sind.

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C&rvik*. Das dumme Volk hat keinen Verstand. Welcher Vernünftige wirft die Gerste mit ihren weissen, schönen Körnern fort, well diese von Hülsen umgeben sind?

Irrthum. Diese überzeugenden Reden machen mir schon lange viel Vergnügen. Ei, das ist ja mein lieber Freund Carvaka.

Carvaka (sich umsehend). Das ist der erhabene König, der grosse Irrthum. Heil, Heil dir. grosser König! Dein Diener bückt sich v,or dir.

Irrthum. Sei mir willkommen, Carvaka! Nimm Platz!

Carvaka. Der jetzige Zeitgeist bringt dir seine tiefste Ver- ehrung dar.

Irrthum. Befindet er sich bei gutem Wohlsein? Carvaka. Durch deine Gnade ist er glücklich u. s. w.

Carv&ka macht nun den König darauf aufmerksam, d ass eine fromme Frau, die Vishnuverehrung , ihnen leicht gefährlich werden könnte; der König sieht es ein und ruft nach dem Thürhüter:

Sündenfreund! Sage meinen Dienern, Liebe, Zorn, Geiz, Stolz uod den andern, sie möchten sich bemühen, die Büsserin Vishnuverehrung zu vernichten.

Ein Bote tritt mit einem Briefe auf. Stolz und Hochmuth melden dem Könige von dem Tempel Puruehott&ma in Orissa, daas Ruhe uod ihre Mutter Religion Gesandte des Verstandes geworden sind und T&g und Nacht in die Offenbarung dringen, dass Bio sich mit ihm vermähle. Die Lage wird kritisch. Die Vasallen des Königs treten auf Zorn, Geiz, Habsucht, Zerstörungssucht und erhalten gemessene Befehle für ihr Verhalten. Sie sollen vor Allem Ruhe, die Tochter der Religion, in ihre Gewalt bringen. Endlich kommt auch die Geliebte des Königs, die Ketzerei. Er ist entzückt von ihrem Anblick : „Komm an mein Herr du holdes Mädchen, und mich umarmend, du lieblich Blickende, ahme nach im himmlischen Liebesscherz der Tochter des Himavant, wenn sie auf Civa's Schoosse sitzt" Dann erzahlt er ihr, dass das elende Weib, die Religion, zur Kupplerin geworden sei, um die Offenbarung mit dem Verstände zu verbinden. „Sie nun, die feindlichgesinnte, niedriggeborene gottlose Frevlerin, bring bei den Haaren als Wittwe zu den Ungläubigen!**

Ketzerei. Wenn es sich nur darum handelt, so kannst du un- besorgt sein, König! u. * w.

Weinend und jammernd tritt im dritten Akte die Ruhe auf. Ihre geliebte Mutter, die Religion, ist in die Hand der Hetzer gefallen, in's Haus der Can(}ala's gekommen: „Mutter, Mutter! zeige mir dein holdes Gesicht!" jammert sie; jetzt will sie nur noch den Tod. Die Mitleidigkeit, die sie begleitet sucht sie zu trösten und aufzurichten. Ein Digambara, Mit- glied einer Jäinasekte, tritt auf, seine Lehren verkündend- Er ruft nach der Religion. Sie erscheint, aber es ist eine falsche, sündhafte Religion, bei deren schrecklichen? Anblick die Ruhe in Ohnmacht fällt. Ein Buddhist erscheint, seine Weis- heit vortragend. Auch seine Religion kommt herbei; aber sie ist, wie die vorige, eine Tochter der Sünde. Auch ein Ksha- panaka, Mitglied einer andern Jäinasekte, erscheint und endlich gar ein Kapalika, Verehrer der schrecklichen Göttin Bhavani

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oder Durga, Gemahlin des Qiva, deren Dienst mit Menschen- opfern yerbnnden ist. Er verkündet seine grausigen Bräuche: »Wir trinken aus Brahmanenschädeln geistige Getränke, während wir Fleisch in Menge mit Hirn und Mark im Feuer opfern" u. s. w. Buddhist und Kshapanaka sind ausser sich, werden aber von dem KäpMika mit derben Schmähreden angefahren. Auch seine Religion erscheint, eine üppige, freche Dirne , sie ist die Tochter der Leidenschaft Der Käpälika trägt mit ihrer Hülfe über die Andern den Sieg davon. Er veranlasst sie, den Bud- dhisten und den Kshapanaka zu umarmen. Diese gerathen bei der Berührung ganz süsser sich vor Entzücken und wenden sich ohne Weiteres der neuen Lehre zu. Nun beginnen sie sich gemeinsam an Wein zu berauschen und feiern eine wüste Orgie, der die Ruhe und Mitleidigkeit als entsetzte Zuschauer beiwohnen.

Im vierten Akte erscheint die Religion, mit zitternder Stimme von dem Ungemach berichtend, das ihr die Schreckens- göttin bereitet König Verstand rüstet sich zu dem Kriege gegen den verbrecherischen Irrt hu ra, dessen Ende sein wird, wenn man die Identität der Seele mit Gott (das tat tvam asi) erkannt hat Er lässt das gründliche Urtheil rufen und erklärt ihm, dass es KAma, die sinnliche Liebe, besiegen müsse. Die Geduld wird mit der Besiegung des Zornes, die Genügsamkeit mit der des Geizes beauftragt. Ein Bote meldet dass die Au- spizien glücklich und die von dem Astrologen für den Aufbruch bestimmte Stunde da sei.

Ter stand. Dann mögen die Feldherren den Befehl erhalten, dass da* Heer aufbreche.

Der Bote tritt ab; man hört hinter der Bohne rufen: Macht die Elephanten fertig, auf deren Stirn sich die Bienen sammeln, um an dem am ihr fliessenden Safte sich zu ergötzen! Spannet an die Wagen die Rosse, die durch ihre Schnelligkeit den Wind beschämen 1 Lasst die Fasstruppen aufmarschieren, deren Speere in der Luft gleichsam einen Wald Ton Lotusblumen bilden, und die Reiter, in deren Händen die Schwerter spielen!

Verstand. Wohlan! Die Auspicien sind gut Ich will hinaus. (Zu einem Diener) Lass den Wagenlenker mit dem Kriegswagen hierher kommen.

Diener. Nach deinem Befehle, König.

Ehe er aber in den Kampf zieht, tritt der König noch in den Tempel des Vishnu, den Gott in brünstigem Gebete um 8egen und Heil für das grosse Werk anzuflehen.

Im fünften Akte hören wir von dem furchtbaren Kampfe,

der nun wirklich stattgefunden bat. Voll freudiger Aufregung

berichtet die Religion darüber der Ruhe und der Vishnuver-

ehrung. Mit lebhaften Farben malt sie den gewaltigen Zu-

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sammensto88 aas: „Höre! Die Sonne verlor von ihrer Rothe, die Luft erschallte von dem Siegesgeschrei der unzähligen Kriegeshelden, die Sonnenstrahlen wurden von dem Staube verdunkelt, welchen die Wagen und die Hufe der Rosse aus der zerspalten en Erde aufwirbelten." Zuerst schickte der König Verstand an den König Irrthum einen Boten mit einem Lehr- buche der Nyaya-Philosophie (d. i. des orthodoxen Systems der Logik), der ihn so anredete: „Verlass die Altäre des Vishnu, die Ufer der Flüsse, die heiligen Wälder, den Geist der From- men, und ziehe mit deinem Gefolge zu den Barbaren! Wenn nicht, so sollen euch bösen Buben die £öpfe gespalten werden, und das Blut soll in Strömen aus euren jämmerlich zerfleischten Gesichtern fliessenl" Hierauf erwiderte zornig der Irrthum, dessen Augenbrauen sich auf seiner breiten Stirn zusammen- zogen: „Der Bösewicht Verstand bekomme den Lohn seines gottlosen Handelns!" Und dann beorderte er zuerst die Lehr- bücher der Ketzer mit ihren Logiken zum Kampfe. Aber in den Köpfen unserer Krieger offenbarte sich plötzlich die lotus- händige, mondähnlich glänzende Sarasvati mit dem wohlthätigen Einflüsse der Vedas, Upavedas, Vedangas, Puranas, Gesetzbücher, Legenden und der übrigen heiligen Schriften. -7 Dann trat auch die Mimamsa- Philosophie in den Kampf, umgeben von den Sankhya- und Nyayabüchern, denen des Kanada, dem Mahabhashya und den andern philosophischen Werken und er- leuchtete die Welt durch die Menge ihrer schlagenden Beweise.

Hier wendet die Ruhe fragend ein: „Wie konnten sich aber die 8chriften der Offenbarung und der Vernunft, die doch von Natur ver- schieden sind, vereinen?"

Religion: „Liebe Tochter I Desselben Ursprungs befeindeten sie sich gegenseitig und wurden von Andern besiegt. Ihre Vereinigung bringt nur Segen. Denn was die wissenschaftlichen Schriften anlangt, so sind sie, da ihr Ursprung in don Veden ist, wenn sie auch sonst mit- einander streiten, doch immer einig, wenn es gilt, die Veden zu schätzen und die Atheisten zu widerlegen; und den heiligen Schriften wider- sprechen sie nicht, da wo sie von dem Wahren handeln1* u. s. w. Dann fährt sie in dem Berichte fort: „Dann wurde der Kampf stürmisch, um dichtgereihete Leichen flössen Ströme reichlichen Blutes, welches die Krieger vergossen hatten und in ihnen lagen Schirme und anderer Schmuck umher, welchen die berghohen Elephanten, von Pfeilen durch- bohrt, wuthend von sich geworfen. In diesem grossen, fürchterlichen Kampfe, in welchem Feind gegen Feind stritt, wurde die Lehre des Lokayafa [d. 1. der Materialismus] im Angesichte der von den Ketzern für heilig gehaltenen Schriften zu Wasser gemacht; die andern Schriften der Ketzer aber, weil sie keine feste Wurzel mehr hatten, zerstreuten sich in dem Meere der wahrhaft helligen Bücher; die der Buddhisten zogen in die Lander, welche besonders Barbaren inne haben, nach Sindh, Kandabar, Behar, Telingana, dem Hunnenlande, dem östlichen Bengal.

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ier Coromandelküste und weiter; die der ketzerischen Digarabaras, Ka- palika's and der übrigen leben im Verborgenen unter den Dummköpfen, die in Paficala, Malva und an der Westküste wohnen. Die Logiken der Atheisten wurden von der Mimamsa, welche der Nyaya und die andern Philosophieen begleiteten, ihrer Kraft beraubt und folgen jetzt denselben

heiligen Büchern. Dann todtete das richtige Urtheil den Kama;

die Geduld besiegte den Zorn, die Zerstörungssucht und deren Genossen; die Genügsamkeit brachte den Geis, die Habsucht, die Engherzigkeit, den Trug, die Bosheit, den Diebstahl und die Bestechlichkeit in ihre Gewalt; die Milde unterwarf die Schmähung; die Anerkennung fremder Verdienste zerstörte den Hochmuth; den Stolz besiegte die Einsicht in die Vorzüglichkeit Anderer."

Kurz der Sieg der guten Partei ist ein vollständiger. Das Vor- -tel longa vermögen aber, dem seine Söhne nnd Enkel getödtet sind, ist ausser sich vor Schmerz und will aus dem Leben scheiden. Weinend tritt es auf: „Meine geliebten Söhne! Wohin seid ihr gegangen? Zeigt mir doch euer liebes Gesicht! 0 meine theuren Söhne, Stolz, Hass, Hochmuth and ihr andern, kommt und umarmt mich! Mein Körper wankt, keiner er- halt mich Alten, Schwachen. Und wo seid ihr, meine theuren Töchter, Schmähung und ihr übrigen? und ihr, meine Schwiegertöchter, Hoffnung, Zerstörungssucht, Habsucht? Wie, auch sie hat zur selbigen Zeit das grause Schicksal mir Elendem geraubt?'* Von Schmerz und Gram verzehrt fallt es in Ohnmacht Die Beredsamkeit des Vyaaa tritt zu ihm, sucht es tu trösten, zu beruhigen und von dem Selbstmorde zurück zu halten. Es gelingt ihr dies auch nach eingehender freundlicher Belehrung. Die Leidenschaftslosigkeit kommt auch dazu und wird von dem Vorstellungs- vermögen voll Liebe an's Herz geschlossen. Zum Schluss machen sich Alle auf, um den gestorbenen Verwandten die Todtenspenden darzubringen.

Im sechsten und letzten Akte übersendet König Ver- stand der Offenbarung seine feierliche Werbung. Diese hat viel von dem schrecklichen Ungemach, von all der Misshand- lang zu erzählen, die sie erleiden musste, so lange sie von dem Verstände getrennt war. Es kommt endlich zur glück- lichen Hochzeit des Verstandes mit der Offenbarung und aus ihrer Vereinigung entspringt sogleich Prabodha, die richtige Erkenn tniss, die von dem Urgeist selbst aufs Freudigste be- grüsst und umarmt wird.

Die dramatische Schöpfungskraft der Inder, die während des Mittelalters, in der Zeit vom 5. bis in's 12. Jahrhundert nach Chr. so reiche und mannigfaltige Blüthen getrieben, ist auch in der Folgezeit nicht versiegt Es liegen uns eine ganze Reihe von Dramen vor, welche den letzten Jahrhunderten ent- stammen und deren Verfasser zum Theil auch Europäern be- kannt gewesen sind. Schon Wilson führte eine Anzahl solcher neueren Dramen auf und es liesse sich sein Verzeichniss jetzt leicht vermehren. Die Stoffe der ernsteren Stücke sind grössten- teils dem Mahabharata und Ramayana entnommen oder ge- hören zum Kreise der Krishna- Legende; daneben stehen ein-

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oder mehraktige Possen, meist recht derb und undelikat, in denen verschiedene Schaden der Gesellschaft gegeisselt werden.1 Im Ganzen steht der Kunstwerth dieser späteren Produkte sehr beträchtlich hinter den Leistungen des Mittelalters zurück. Näher darauf einzugehen liegt ausserhalb des Rahmens unserer Betrachtung.

1 Dahin gehören Stücke wie Hasyarnava, Dhürtasamagama, Kaotu- kasarvasva, Dhürtanartaka. Die beiden enteren sind von Cappeller in lithograpb. Abdruck herausgegeben i. J. 1880. Im Dhürtasamäganm (d. i. Versammlung der Gauner) streiten sich z. B. ein religiöser Bettler und sein Schüler um den Besitz eines Mädchens. Ein Brahmane, der den Fall schlichten soll, entscheidet dahin., lass die Dirne bis auf Weiteres unter seinen Schutz zu stellen sei.

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Ftinfundvierzigste Vorlesung.

Die Spruchpoeeie des indischen Mittelalters.

Die Neigung zum Reflectiren und Speculiren ist tief im Wesen des indischen Volkes begründet, ja sie bildet einen seiner hervorstechendsten Charakterzüge. Dieselbe hat auf re- ligiösem und wissenschaftlichem Gebiete bedeutende Leistungen zu Wege gebracht, aber auch die Poesie ist nicht leer dabei ausgegangen; auch ihr sind aus derselben Quelle reiche Schätze zugeströmt, die wohl wetteifern können mit den Edelsteinen

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itheit gelangten Literatur der Fabeln sind es vor Allem die Sprüche der Weisheit, in welchen die Reflexion der Inder poetischen Ausdruck ge- wonnen hat. Eine Fülle tiefsinniger, weiser, edler, oft im höch- sten Grade origineller und frappirender Gedanken findet sich bier in scharfer, klarer, oft sehr kunstvoller Form ausgeprägt. An ihrer Spruchweisheit besitzen die Inder ein eigenartiges Kleinod, dem nur wenig Aehnliches aus andern Literaturen ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann. Um diesen Zweig ibrer Poesie und sein Verständniss hat sich vor Allem Otto Böhtlingk ein hervorragendes Verdienst erworben, durch seine »Indischen Sprüche 'S1 welches Werk nicht nur philologisch eine bedeutende Leistung, sondern durch die jedem Spruch bei- gegebene meisterhafte Uebersetzung höchst werthvoll ist für Jedermann, der einen Blick in die Gedankenwelt der Inder thun will.

Es finden sich diese gnomischen Dichtungen der Inder nur zum kleineren Theile in besonderen Werken vereinigt, die aus- schliesslich Sprüche enthalten; so vor Allem in den beiden Cen- turien des geistvollen Dichters Bhartrihari, dem Nltigataka

1 Indische Sprache. Sanskrit und Deutsch. 3 B&nde, St Peters- burg, 1863 1865 ; 2. Aufl., 1870—1878. Die 1. Auflage enthält 5419 Vene, die 9. Auflage 7618.

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oder der Centurie der Lebensweisheit und dem Vairagya- $ataka oder der Centarie der Entsagung; so ferner m dem Qanti^ataka oder der Centurie des Seelenfriedens, und in dem Mohamudgara oder dem Hammer der Thorheit, einem Werke, das sich vermisst, wie ein Hammen, die Thorheit der Menschen zu zerstören. Die Hauptmasse der indischen Sprüche findet sich in den verschiedensten dichterischen Schöpfungen ▼erstreut, in der Fabel- und Märchenpoesie, im Epos, im Drama, im Gesetzbuch des Manu und noch vielen anderen Werken; und gerade hieran sehen wir, wie diese Art, seine Gedanken auszuprägen, dem Inder gleichsam zur zweiten Natur geworden war, da er in so heterogenen Schöpfungen immer wieder in solchen „Sprüchen der Weisheit* redet, mögen sie nun, wie im Epos und Drama, aus dem Munde von Helden, Heiligen und Göttern ertönen, oder, wie in der Fabelpoesie, von philosophirenden Katzen, Schlangen, Schakalen und Tigern verkündet werden. Vor Allem ist es natürlich, dass wir in der Literatur der Fabeln, die als Reflexionspoesie den Sprüchen am nächsten verwandt sind, eine besonders reiche Fülle der- selben aufbewahrt finden; so im Hitopadega und im Pail- catantra. Dann aber ist es vor Allem das Mahäbharata, das in der ungeheuren Ausdehnung seines, im Laufe von Jahr- hunderten emporgewachsenen Baues Alles für den frommen Inder Wissenswerthe encyklopädisch bergen will und darum auch eine fast unerschöpfliche Fundgrube für die Sprüche der Weisheit bildet Als ein schöner, sinnvoller Schmuck ziehen sie sich durch alle Theile der vielverschlungenen wunderbaren Dichtung, ähnlich den Koransprüchen, die, zwischen den ver- schlungenen Arabesken maurischer Tempelbauten, dem bewun- dernden Beschauer ernste, heilsame, weise Worte zurufen.

Versuchen wir nun die Gedankenwelt, die in den indischen Sprüchen zu uns redet, etwas näher kennen zu lernen.

An der Schwelle des indischen Mittelalters ist es ein Gedanke, der, zum ersten Male auftretend, sogleich mit siegender Gewalt die Gemüther erfasst und beherrscht, der, von den Lippen un- zähliger Bussprediger verkündet, fort und fort durch die Jahr- hunderte seine Macht behält. Das ist der Gedanke der Ver- gänglichkeit und Nichtigkeit aller irdischen Güter und Freuden.

1 Herausgegeben dnd alle drei Centarien des Bh. vonP. v. Bohlen, nebst Einleitung und lateinischer Uebersetzung (Bhartriharis sententiae, Berlin 1833). Vgl. oben p. 564. Das Nlticataka und Vairagyacataka auch fon Kashinath Trimbak Telang, Bombay 1874.

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Mit Leiden, mit Enttäuschung ist alles Glück hier auf Erden verbunden, und nur den Unwissenden vermag seine glanzende Außenseite zu blenden. Es giebt kein Heil, keine reine Freude als in der Entsagung, im Aufgeben aller Wünsche, in der Flucht vor der Welt. Reich und blühend liegt vor dem Auge des Inders Natur und Leben ausgebreitet; er kennt ihre, Schönheit, er hat ihren Reiz empfunden, und dennoch wendet er sich enttäuscht und trauernd von diesem lockenden, lachenden Bilde ab und sucht in stiller Einsamkeit nach dauernderem Glück, nach wahrem Seelenfrieden

Wir haben früher in anderem Zusammenhange1 schon einen Spruch des Bhartrihari kennen gelernt, in weichem der Dichter gerade hervorhebt, wie reizend schön so Vieles in der Welt ist; „hat aber der Geist die Vergänglichkeit dieser Dinge er- kannt, so ist nichts mehr reizend." Welch eine Thorheit ist es, den Sinnengenüssen nachzujagen!

Bhartrihari 3, 19 (lad. Spr. 36).* Die Lichtmotte fliegt in das Feuer der Lampe, weil sie den Schmerz des Verbrennens nicht kennt; auch der Fisch verschlingt das Fleisch am Angelhaken, weil er die Ge- fahr nicht kennt; wir aber hier lassen nicht ab von den SinnengenüsBen, obgleich wir recht gut wissen, dass sie mit einen Netz von Unheil' um- strickt sind: Wehe über die unergründliche Tiefe des Unverstandes!

Es sind Worte schmerzlichen, bitteren Pessimismus, die wir hier oft zu hören bekommen:

Bhartrihari 3, 38 vInd\ Spr. 711). In des Mutterleibes unreiner Behausung wohnen wir in Peil* mit zusammengedrucktem Körper; im Jünglingsalter wird uns der Oenuss verkümmert, indem wir mit Schmer- zen über die Trennung von der Geliebten zu schaffen haben; auch das Greisenalter ist abscheulich, da die Schönaugigcn über unser Aeusseres verächtlich lachein. Nun sagt mir, o Menschen, ob es in der Welt irgend eine, wenn auch noch so geringe Freude giebt?

Cantig. 2, 1 (Ind. 8pr. 3576). Schön erscheint uns diese Welt, weil wir über ihre Reize nicht gehörig nachgedacht haben; für Die- jenigen dagegen, die die Wahrheit schauen, ist auch nicht das geringste Güte darin.

Mahäbh. 12, 7465 (Ind. Spr. 5249). Es sind mehr Leiden als Freuden im Leben, dsrüber besteht kein Zweifel, aber dem an den Sinnesgegonstanden Hängenden ist ob seines Unverstandes das Sterben nicht Geb.

Yaifi. 8, 8 (I. 8. 4712). Wer in dem menschlichen Leben, das marklos ist wie der 8tamm der Kadall und einer Wasserblase ähnlich, «in Mark sucht, der ist thöricht

Bhartrih. 3, 68 (I. 8. 1903). Erlangte man auch Glücksgüter, die alle Wünsche erfüllten, was hätte man davon? Setzte man auch

1 Vgl. oben p. 398.

* Ich gebe den Text der Sprüche in Böhtlingk's vorzüglicher Ueber- setzung, nach der 1. Aufl. seiner „Indischen Sprüche"

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den Fuss auf der Feinde Haupt, was hätte man davon? Beehrte man auch seine Lieblinge mit Reichthümern , was hatte man davon?

Alles, was ein Schopenhauer, ein Leopardi in neuerer Zeit über das Elend des Daseins gelehrt, findet man hier in etwas andern Worten wieder.1 Die Inder waren früh zu dieser Weisheit gelangt, früh fertig mit der Eitelkeit dieses Lebens, denn mindestens seit dem 6. Jahrhundert vor Chr. hören wir diese Predigt unablässig bei ihnen erschallen.

Nur die Entsagung, nur das Aufgeben aller Wünsche kann uns Glück und Frieden bringen. So heisst es z. B. im Maha- bharata 12, 6583 (L S. 4386):

Wer nicht entsagt, gelangt nicht snr Frende; wer nicht entsagt» findet nicht das Höchste; wer nicht entsagt, schlaft nicht ohne Furcht; darum entsage Allem und werde froh. Und ferner heisst et Ind. Spr. 224. Der Bedürftige jammert; wer Reichthümer erlangt hat, ist stolz und unzufrieden; wer sein Vermögen verloren hat, ist betrübt; wohl befindet sich der Mensch, der keine Wunsche hat.

Bhartrihari sagt (3, 32: I. 8. 2075). Beim Genuas ist Gefahr vor Krankheit, bei hohem Geschlecht Gefahr vor Fall, bei Vermögen Gefahr vor dem Fürsten, bei hoher Stellung Gefahr vor Erniedrigung, bei Macht Gefahr vor Feinden, bei schöner Gestalt Gefahr vor einer zarten Jungfrau, bei Gelehrsamkeit Gefahr vor Worthelden, bei Vor- zügen Gefahr vor bösen Menschen, beim Körper Gefahr vor dem Todes- gott: jede« Ding auf Erden ist mit Gefahr verknüpft, nur die völlige Entsagung der Menschen ist frei von aller Gefahr.

Der Hammer der Thorheit aber ruft mahnend (Ind. Spr. 4707):

Brüste dich nicht mit Reichthümern, Untergebenen und Jugend, da die Zeit Alles in einem Augenblicke hinwegrafft. Gieb diese ganze auf Täuschung beruhende Welt auf, gewinne die wahre Erkenntnis* und gehe eiligst in Brahma's Statte ein.

Mhbh. 12, 4766 (L 8. 4515). Der Mann, der Beides, die Leiden und die Freuden aufgiebt, geht vollständig in's Brahman eiu und den beklagen nicht Weise.

In der Stille des Waldes, in Bergeshöhlen, am Ufer heiliger Flüsae, im Einsiedlerleben, da soll das gequälte Herz den Frieden finden.

Mo harn. (I. S. 5265). Ein Obdach an der Wurzel eines Baume* bei einem Tempel, der Erdboden als Lager, ein Fell als Kleid, das Auf- geben alles Besitzes und aller Genüsse: wem bereitet nicht eine voll- ständige Entsagung Freude?

Qantic,. 2, 19 (I. 8. 2784). Baumrinde als Gewand, junge Zweige als Lager, der Fuss eines Baumes als Haus, Wurzeln zum Stillen des Hungers, Wasser aus Gebirgsbächen zum Löschen des Durstes, Spiel mit unschuldigen Gazellen, Vögel als »Freunde, in der Nacht den Mond

1 Wir finden den Weltschmerz geradezu verherrlicht als höchste und beste Geistesrichtung, Bhag. Pur. 8, 7, 44 (I. S. 4106): Gute Men- schen pflegen Bich über das Weh der Welt zu härmen, da dieses der höchste Dienst ist, den man Purusha, der Seele des Weltalls, erweisen kann

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als Leuchte: dass Elende dennoch betteln, obgleich sie aber, solche Bei chth Omer frei verfügen können, ist gar seltsam !

Wasche, o Herz, den Unverstand ab! so ruft Bhartrih ari (3, 65) Habe deine Freude an dem, der den Halbmond zum Diadem hat! [d. i. Gott £iva]; Finde Gefallen am Uferabhange des Götterflusses! Ist wohl irgend ein Verlass auf Wellen, Wasserblasen, Blitze, Glucks- güter, Flnmmenspitzen, Schlangen und auf schwierige Fürthen?

Dort in der Einsamkeit findet man das Heil durch Contempl&tion, durch Vertiefung in die Gottheit und die höchste Erkenntniss.

Bhartrih. 3, 36 (I. S. 2072). Die Genosse der Menschen sind un- stat wie die in den Wolkenmassen zuckenden Blitze; ihr Leben ver- ein gl ich wie das Wasser, das in den dichten Wolken ruht, die der Wind zersprengt; die Wünsche ihrer Jugend .von keinem Bestände. Habt ihr, Verständige, solches erkannt, so richtet alsbald die Gedanken auf die Vereinigung des Geistes mit der Gottheit, wenn euch durch Be- harrlichkeit die Vertiefung gelingt.

Cantic, 4,. 16 (I. S. 4568). Wohl ehrte ich ehemals, da die be- weglichen Augenwinkel der lotusaugigen Madchen mein Herz heftig an- zogen, die Anmuth der Jugend; jetzt aber ist ein (anderes) unbeschreib- liches Gefühl in meinem Herzen, das rein ward durch die Erkenntniss, die ich von dem in mir ruhenden Guten und Bösen gewann, und durch das Zurückziehen der Sinne von den Sinnesgegenständen,

Das Bild der frommen, in Vertiefung lebenden Anachoreten wird oft mit begeisterten Worten ausgemalt Diese Männer in ihrer Freiheit von allen Wünschen erscheinen dem Inder reich und gross wie Fürsten. So heisst es z. B. (Ind. Spr. 2054):

Der Erdboden ist sein Lager, die eigenen Armlianen sind sein Kopfkissen, der blaue Himmel sein Zelt, der Mond seine Leuchte, seine Lust hat er an dem ihm zugefallenen Umgange mit seinem Weibe Ent- ft&jpng, die Himmelsgegenden sind die Jungfrauen, die ihm mit den binden als Fliegenwedeln Ton allen Seiten zufächeln; so ruht der Bettler [d. h. der religiöse Bettler, der Anachoret], obgleich er alle Wünsche aufgegeben hat, wie ein Fürst auf der Erde.

Bisweilen mischt sich in diese Schilderung des contem-

plativen Lebens ein Anflug von Humor:

Bhartrih. 8, 92 (I. 8. 808). Werden wohl die schönen Tage für mich kommen, wo ich am Ufer der Ganga auf einem Felsblock des Hi- mAUya mit gekreuzten Beinen sitzen und durch bestandig fortgesetztes Naehainnen über das Brahman in einem schla Ahnlichen Zustande von Versenkung mich befinden werde, die schönen Tage, wo alte Gazellen unbesorgt ihre Hörner an meinem Körper reiben werden?

Es sind besonders drei Werke, in welchen Entsagung, Weltflucht und die Herrlichkeit der Gontemplation geschildert werden: Mohamudgara oder der Hammer der Thprheit, Can- tic,ataka oder die Centurie des Seelenfriedens, und Bhar- trihari's Centurie der Entsagung (Vairagyacataka). In der letzteren geschieht dies bisweilen mit humoristischem oder iro- nischem Beigeschmack, und es stimmt dies vortrefflich zu der

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Persönlichkeit des merkwürdigen Dichters, der, wie wir jetzt

wissen, zwischen dem geistlichen und weltlichen Leben hin und

her schwankte und sieben Mal in's Kloster ging.1

Mag nun aber das Einsiedlerleben noch so hoch gepriesen,

noch so schön und grossartig ausgemalt werden, Eines fehlt

hier doch und dies Eine ist in einem der Spräche schön und

treffeud hervorgehoben (I. S. 2958):

Ein Rasenplatz als Lager, ein reiner Steinblock als Sitz, der Fuss der Baume als Wohnung, kaltes Wasser von Wasserfallen als Trank, Wurzeln als Speise, Gazellen als Gefährten. Am Walde, der allen diesen Reich thum darbietet, ohne dass man darum zu bitten brauest, ist nur der eine Fehler, dass man da, weil Bedürftige in ihm schwer anzutreffen sind, lebt ohne die Mühen der Arbeit für Andre.

Das trifft den Kern der Frage, das ist schön und edel gedacht: die Mühen der Arbeit für Andre dürfen unsrem Leben nicht fehlen, wenn es wahren Werth und Inhalt haben soll.

Es wäre in der That schlimm und traurig, wenn -die ab- solute Weltflucht als der Weisheit letzter Schluss gelten sollte. Ein gesunder Sinn weist hier auch bei den Indern richtigere Bahnen und findet in der Vergänglichkeit aller irdischen Güter vor Allem eine ernste Mahnung zur Tugendübung So heisst es z. B. im Hitopadeea (4, 127; L S. 946):

Das Leben der Menschen ist so unstat wie das Bild de*s Mondes im Wasser; hat man Solches erkannt, so übe man stets Gutes.

Und ferner:

Hitopadeea 4, 128 (I. S. 2253) Hat man es erkannt, dass das Leben wie eine Luftspiegelung in einem Augenblick zusammenbrechen kann, dann schliesse man sich den Guten an, der Tugend und des Glückes wegen.

Bhartrih. 3, 99 (L S. 2917). Das Alter steht drohend da wie eine Tigerin, Krankheiten stürmen wie Feinde auf den Körper ein, das Leben ▼errinnt wie Wasser ans einem zerbrochenen Kruge : dass die Welt dennoch Böses thut, ist ein Wunder.

Mit den vergänglichen irdischen Gütern erwerbe man sich

unvergängliche Schätze. Unvergänglich aber bleibt uns nur

Eines: das sind die guten Werke, die wir gethan, die Tugend,

die wir geübt haben. So heisst es in den indischen Sprüchen:

I. S. 398. Bis zur Leichenstatte nur gehen Verwandte und Freunde mit dir; dann kehren sie um und du musst nun ganz allein weiter gehen ; thue also gute Werke (damit du nicht ohne Geleite seiest).

I. S. 516. Kur einen Freund giebt es, der auch im Tode uns folgt, die Tugend; alleB Andere fallt ja mit dem Körper der Vernichtung anheim.

1 Vgl. oben p. 664.

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I. S. 1548. Nicht Vater, nicht Mutter bleiben ja bei ihm als Ge- führten aaf dem Gange in's Jenseits; nicht Söhne und Gattin, nicht die Verwandten; die Tugend allein bleibt bei ihm.

Darum achte man wohl auf die warnende Stimme im eigenen Busen, das Gewissen, welches der Inder mit einem schönen und originellen Bilde den alten Einsiedler im Herzen nennt.

I. S. 562. Wenn du meinst, du seiest allein, so kennst du den im Herzen sitzenden alten Weisen nicht: du begehst ja die Sunde in Gegen- wart dessea, der die böse That kennt.

Die allgemeine Menschenliebe wird von den Indern begeistert verkündigt; wie sie aber in Allem in's Extrem gehen» so dehnen sie ihre Weitherzigkeit auch weit über die Grenzen der Menschheit aus, indem sie lehren, dass man alle lebenden Wesen mit seiner Liebe umfassen, iu allen Wesen sich selbst sehen, aller andern Wesen Leid und Freude wie seine eigne empfinden solle. So heisst es:

Vikramac. 169 (I. 8. 2683). Wer beim Anblick betrübter Ge- schöpfe betrübt oder beim Anblick froher Geschöpfe froh wird, der kennt das Gesetz bis auf den Grund.

Mob am. (I. S. 4155). In dir, in mir und auch im Andern ist nur <ler eine Vishnu; unnützer Weise zürnst du Unduldsamer mir! Erblicke Jedermann in dir und dich in Jedermann und gieb es auf, überall Ver- schiedenheit zu sehen!

Mhbh. 12, 9923 (I. S. 5005). Der Weise benimmt sich gegen alle Geschöpfe wie gegen sich selbst und giebt, zufriedengestellt und reines Herzens, Alles auf.

Agni-P. im CKDr. (I. S. 1701). Edle Menschen, stets betrübt über die Leiden Andrer, achten nicht des eigenen Glückes, wäre dieses such noch so gross; sie haben ihre Freude an dem Wohl aller Geschöpfe.

I. S. 3046. Hört die Summe des Gesetzes, die in Millionen von Lehrbüchern verkündet wird : Andern zu helfen bringt Verdienst, Andre so peinigen Sünde.

Bhartrih. (I. 8. 203). „Dieser ist entweder Einer von den Unsrigen oder ein Fremder /' so rechnen Menschen von niedcrem Sinne; Männer ton edler Handlungsweise dagegen betrachten die ganze Erde als ihre Familie.

Mbbb. 3, 16782 (I. S. 78). Keinem Wesen etwas zu Leide zu thun, weder durch That, noch durch Gedanken, noch durch Worte, wohlwollen and spenden ist der Guten ewiges Gesetz.

Die höchstdenkbare Selbstlosigkeit, in der der Mensch auf jeden Lohn verzichtet, verherrlicht folgender Spruch:

Vikramac. 140 (I. S. 1731). Solche edle Menschen, die daran Gefallen finden, Andern Dienste zu leisten, und die nicht einmal ein Verlangen haben nach deu Freuden des Himmels, sind zum Heil der Welt auf Erden erzeugt

Sehr schön heisst es auch Vikramac. 65(1. S. 921): Grosse Bäume (Feigenbäume) inachen Andern Schatten und stehen selbst in der Sonnen* gluth. tragen Früchte für Andre, nicht für sich.

v. Schröder, Indien» Lit. u. CuH. 43

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Kennzeichen des edlen Menschen ist, für seine guten Thaten keine Gegenleistung zu erwarten oder auch nur zu wünschen.

So heisst es:

Mhbh. 2, 2439 (I. 8. 5329). Gute gedenken nur der ihnen er- wiesenen Wohlthaten, nicht aber der Feindseligkeiten; wenn sie eines Andern Sache betreiben, rechnen sie auf keine Wiodervergeltung.

f'ärng. Paddh. (I. S. 3754). Grossen Männern hohen und edlen Wesens ist eine gewisse Hartherzigkeit eigen, die darin besteht, dass sie, wenn sie Jemand einen Dienst erwiesen haben, sich fern halten ans Furcht, der Andre möchte ihnen einen Gegendienst leisten.

Gehen wir specieller auf die einzelnen Tugenden ein,

die wir gemäss den indischen Sprüchen im Dienste Andrer

üben sollen, so treten in Uebereinstimmung mit dem gesammten

Wesen des Inders die weichen und weiblichen Züge, Güte, Milde,

Nachsicht u. s. w. besonders stark darin hervor. Es ist eine

liebende, dnldonde, tragende und vergebende Moral, die hier

gelehrt wird So heisst es:

C&rüg. Paddh. (I. 8. 850). Mitleid, Nachsicht, Wahrhaftigkeit, Schonung alles Lebenden, Selbstbezahmung, Rechtlichkeit, Zuneigung. Gewogenheit, Liebenswürdigkeit und MUde sind die zehn Formen der Selbstverläugnung.

Und ferner Mhbh. 12, 12433 (I. S. 3708). MUde ist die höchste Tugend, Nachsicht die grösste Macht, die Kenntniss der Seele die höchste Kenntniss, und etwas Höheres als die Wahrheit giebt es nicht.

£atr. 2, 186 (I. S. 1064). Thue Niemand Schaden, übe Mitleid, beobachte das ewige Gesetz und bringe selbst mit Aufopferung des eigenen Lebens Hülfe den Geschöpfen.

Sehr schön sagt das Mahabharata (3, 13253: I. S. 942): Den Habsüchtigen gewinne man durch Freigebigkeit, den Lügner durch Wahrheit, den rohen Uebelthäter durch Nachsicht, den Bösen durch Gü*

I. S. 5129. Wer Wahrhaftigkeit und Mitleiden mit Bedrängten in allen Fällen sich zur Aufgabe gestellt hat, und wer die Liebe und den Zorn in seiner Gewalt hat, der hat die drei Welten erobert

Mit Güte und Liebe sollen wir gege,n Jedermann ohne Unterschied verfahren:

Hit. 1, 55 (I. S. 1665). Gute üben Mitleid auch gegen Geschöpfe die keine Vorzüge besitzen; der Mond entzieht ja nicht sein Licht der Hütte des Pariah.

Selbst dem Feinde sollen wir nichts Böses thun.

Manu 2, 161 (I. S. 1553). Man soll Niemand einen Schmerz be- reiten, selbst wenn man beleidigt worden wäre.

Paficat. 1, 171 (I. S. 136). Sinne niemals Böses gegen diejenigen, welche dir etwas zu Leide thun; sie werden von selbst fallen, wie Bäume, die am Ufer wachsen.

Das Unrecht, das uns angethan wird, sollen wir zu Ter- geben wissen. So heisst es:

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Mhbh. 12, 11009 (I. 8. 4583). Man verzeihe es einem Schlechteren, einem Besseren und auch einem Gleichen, wenn man bei der Ehre an- gegriffen, geschlagen oder angeschrieen wird; so wird man zur höchsten Glückseligkeit gelangen.

Haben wir selbst ein Unrecht begangen, so kann nns wahre Reue davon befreien.

Manu 11, 280 (I. 8. 8967). Hat man eine Sunde begangen, so be- freit man sich von dieser Sünde dadurch, dass man Reue empfindet, und rein wird der, der ihr entsagt, indem er zu sich spricht; so will ich nicht wieder handeln.

Der Niedriggesinnte spürt bei Andern das Schlechte auf,

will es bei sich selbst aber nicht wahrnehmen. So heisst es:

Mhbh. 1, 8069 (I. 8. 800). Der böse Mensch sieht bei Andern Ge- brechen von der Grösse eines Senfkorns, seine eigenen dagegen, die so gross wie Vilva- Früchte sind, sieht er wohl, will sie aber nicht sehen.

Er sieht also den Splitter in des Bruders Auge, wird aber des Balken im eigenen Auge nicht gewahr. Ganz anders der edle Mensch.1

16, 30 (I. S. 1825). M&nner von edler Gesinnung besitzen eine grosse Geschicklichkeit, sogar offen zu Tage tretende Fehler Andrer lange geheim zu halten; wenn es dagegen gilt, die eignen Vorzüge zu entfalten, so verrathen sie eine ausserordentliche Unbeholfenheit.

Und ferner heisst es:

I. S. 2026. Ueberaus schön ist die Erscheinung eines edlen Men- schen, wenn er die Vorzüge Andrer aller Welt kund thut; des Mondes Strahlen zeigen doppelten Glanz, wenn er der Nachtwasserrosen Kelche öffnet

Der edle Mensch ist demüthig und bescheiden:

Bhartrih. 2, 62 (I. S. 2029). Die Baume neigen sich unter den angesetzten Früchten, die Wolken senken sich stark ob der neu hinzu- gekommenen Wasser, edle Menschen tragen das Haupt nicht hoch ob der Reichthümer; dies ist das angeborene Wesen derer, die sich dem Dienste Andrer weihen.

Besonders erfreulich muss es uns berühren, wenn selbst die bei den Inder u sonst so schwerwiegenden und drückenden Kastenunterschiede gegenüber den sittlichen Eigenschaften in den Hintergrund gestellt werden. So heisst es z. B.:

Mhbh. 13, 2610 (I. S. 4096). Sogar einen Höheren ehrt man nicht, wenn ihm edle Sitten abgehen, und selbst einen £udra ehrt man, wenn er seine Pflichten kennt und sich gut beträgt. Und ferner:

Mhbh. 3, 14075 flg. (I. S. 4641. 42). Ein Brahmane, der uner- laubte, zum Verluste der Kaste führende Handlungen verübt, der ein

1 Tgl. auch Can. 58 (I. S. 4680). Fliegen spüren Wunden auf, Bienen Blumen; gute Menschen Vorzüge, gemeine Menschen Fehler.

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Heuchler ist und Verstand zu Missethaten besitzt, Ist einem Cüdra gleich Einen ^üdra dagegen, der bestandig Selbstbeherrschung, Wahrheit und Gerechtigkeit sich angelegen sein läast, halte ich für einen Brahmanec, da er seinem Betragen nach ein Zweimalgeborener ist.

Was uus auf unserer jetzigen Culturstufe die in den Sprüchen zu Tage tretende indische Welt- und Lebensan- schauung besonders nahe bringt, ist die hohe und aufrichtige Werthschätzung echter Wissenschaft, während das Wort- heldenthum und die aufgeblähte Scheingelehrsamkeit energisch bekämpft werden. So heisst es z. B.:

Hit. Pr. 4. Unter allen Schätzen ist, wie man sagt, das Wissen der höchste Schatz, da er weder gestohlen noch abgeschätzt werden kann und auch nimmer zu Ende geht.

Hit. Pr. 9 (I. S. 111). Wem Wissenschaft abgeht, die mannigfache Zweifel löst, Unsichtbares offenbar macht, das Auge für Alles ist, der ist blind.

I. 8. 985. Das Juwel Gelehrsamkeit ist ein grosses Vermögen, das die Angehörigen nicht unter sich vertheilen, das kein Dieb forttragt und das durch Verschenken nicht aufgezehrt wird.

Vriddha-Can. (I. S. 4242). Wer des Geldes ermangelt, dem mangelt es noch nicht, der ist sicher noch ein reicher Mann; wer aber der rerle des Wissens ermangelt, dem mangelt es in allen Dingen.

Bhartrih. 2, 13 (I. S. 3346). Gegen Diejenigen, die einen inneren Schatz, Wissen genannt, besitzen, einen Schatz, der nicht in den Bereics eines Diebes kommt, der stets um ein Weniges zunimmt, der, an Bittende gegeben, dennoch bestandig wachst, und der sogar am Ende der Weit nicht zu Grunde geht, gegen solche musst ihr, o Fürsten, den Stolz auf- geben! Wer wird mit ihnen wetteifern?

Cän. 3 (I. S. 2804). Der Stand der Gelehrten und der der Förster sind nimmer gleich; nur im eigenen Lande wird der Fürst geehrt, der Gelehrte aber tiberall.

Und was uns am meisten mit Hochachtung Tor diesen Anschauungen erfüllen inuss, ist der Gedanke eines andern Spruches:

Mhbh. 5, 1010 (I. S. 3591). Wer, wenn er zu grossem Vermögen, zu Wissen und Herrschaft gelangt ist, bescheiden auftritt, der wird für gebildet erklärt.

Im Gegensatz dazu wird nun die falsche Gelehrsamkeit und Unbildung geschildert:

Sucr. 1, 13 (I. S. 4780). Wie ein Esel, der eine Last Sandelholl1 trägt, einen Begriff von der Last, aber nicht vom Sandelholz hat, gerade so tragen ja Diejenigen, die viele Bücher gelesen, aber nicht den Sinn begriffen haben, Lasten nach Art der Esel. Und ferner:

Mhbh. 2, 1945 (I. 8. 2434). Wer keinen eignen Verstand besitzt sondern nur Vieles gelernt hat, der kennt den Sinn der Lehrbücher nicht wie der Löffel den Geschmack der Brühe.

1 Ein kostbares, schon duftendes Holz.

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Wer aber aller höhereu Cultur fern bleibt, der bekommt

harte Worte zu hören:

Bhartrih. Suppl. 2 (I. S. 3250). Wer sich weder mit der Dicht- kunst noch init der Musik, noch mit irgend einer andern Kunst be- schäftigt, der ist ein leibhaftiges Vieh, dem nur Schweif and Horner fehlen. Wenn er, auch ohne Gras zu fressen, am Leben bleibt, so ist dies das höchste Glück, das dem Vieh zu Theil ward.

Ein wichtiger Maassstab für die Beurtheiiung der Cultur eines Volkes ist bekanntlich die Stellung, welche die Frauen bei demselben einnehmen. Ueber Weiber und Weibernatur fällt nun freilich manches bittre Wort in den indischen Sprüchen. So z. B.:

Kathas. 37, 143 (I. S. 5158). Der Weiber Zuneigung wahrt nur einen Augenblick wie die Farbe der Morgen- und Abendröthe ; ihre Ab- sichten sind gewunden wie das Bette eines Flusses ; man darf den Weibern ebensowenig wie Schlangen trauen, und unstät sind sie wie der Blitz.

KathAs. 36, 87 (I. S. 5309). Wo Weibernatur, Rausch, ein ein- samer Ort, das Antreffen eines Mannes und Unbeschr&nktheit , diese fünf Feuer lodern, wie kann da noch vom Strohhalm Sittlichkeit die Rede sein?

Mhbh. 13, 1473 (I. 8. 5213). Bekanntlich trifft man unter tausend Frauen irgend ein Mal eine einzige, oder gar unter hunderttausenden eine, die dem Gatten ergeben wäre.

In erfreulichem Gegensatze zu solchen und ähnlichen pessi- mistischen Aeusserungen stehen nun aber gar manche andre, in denen wir einer edlen Auffassung vom weiblichen Geschlechte begegnen. So sagt z. B. das Gesetzbuch des

Manu 3, 56 (1. S. 4772): Wo die Frauen geehrt werden, da freuen sich die Götter; wo aber jene nicht geehrt werden, da bleiben alle hei- ligen Werke fruchtlos. Und ferner heisst es:

Dampatlc. 59 (I. S. 4781). Wie durch ein Bad in der Gaflga der Körper rein wird, so wird man beim Anblick eines treuen Weibes durch ihr Glück rein.

Vor Allem von dem ohelichen Vnrhältniss, von der Stellung der Gattin bei den Indern müssen wir aus den Sprüchen einen sehr günstigen Eindruck gewinnen:

Mhbh. 1, 3028 (I. 8. 230). Die Gattin ist die eine Hälfte des Men- schen; die Gattin ist der beste Freund; die Gattin ist die Wurzel des Reichthums, der Annehmlichkeiten und der Tugend.

Mhbh. 12, 5508 (I. S. 4448). Kein Freund ist einer Gattin gleich, keine Zuflucht ist einer Gattin gleich, kein Gehülfe beim Einsammeln guter Werke ist in der Welt einer Gattin gleich.

Mhbh. 12, 5607 (I. S. 4102\ So giebt es auch für de von Krank- heit heimgesuchten, in steter Noth befindlichen, unglücklichen Mann keine Arznei, die der Gattin gleichkäme.1

> Aehnlich Mhbh. 3, 2325 (I. S. 1373\

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Vi kram ac. 284 (I. S. 1200). Eine Gattin, die ganz der Tagend lebt, errettet den Gatten, sowohl den unglücklichen als auch den gluck- lieben, und auch ddo, der an allem Bösen Gefallen findet

I. S. 3494. Eine Gattin, die einen blinden, buckligen, aussätzigen, von Krankheiten heimgesuchten und in's Unglück gerathenen Gatten nicht verlasst, heisst eine Hochtreue.

Paücat 3, 152 (1. S. 1868). Man sagt, dass nicht ein Haus das Haus mache; eine Hausfrau macht, so heisst es, das Haus, da ein Haos ohne Hausfrau, so meint man, einer Wildniss gleicht

Auch über die rechte Freundschaft, die Verbindung mit Edlen u. dgl. begegnen wir manch schönem Gedanken.

So Paücat. 2, 172 (L S. 177). Diejenigen nennt man wahre Freunde, welche hier den Menschen Heilsames sagen, selbst wenn dieses nicht angenehm zn hören ist; die übrigen fuhren nur den Namen von Freunden.

Paücat. 2, 118 (I. S. 4987). Wessen Herz durch Reichthümer nimmer einen Wandel erleidet und wer zu jeglicher Zeit Freund ist, den Vorzüglichen wähle man sich zum Freunde.

Hit 1, 86 (I. 8. 2253). Ein böser Mensch ist wie ein irdener Krug leicht zu trennen und schwer zu einen, der gute Mensch dagegen wie ein goldener Krug schwer zu trennen und schnell zu einen. Ein schönes Bild!

Pancat. 3, 58 (I. S. 2145). Wen erhebt nicht die Berührung mit einem Grossen? Ein Wassertropfen auf dem Blütenblatte einer Wasser- rose zeigt einer Perle Pracht.

Von hervorragender Wichtigkeit ist in der indischen Spruch- weisheit die Vorstellung vom Schicksal. Wie eine dunkle Macht tritt es ein in's Leben, Glück oder Schrecken bringend, wie es ihm beliebt, da giebt es kein Entrinnen.

Bhartrih. 2, 91 (I. S. 2065). Man wende alle seine Kraft an. tauche in's Meer, steige auf des Meru Gipfel, besiege die Feinde in der Schlacht, erlerne den Handel, den Ackerbau, den Dienst und andere Gewerbe, alle Wissenschaften und die Künste, erhebe Bich wie ein Vogel in den weiten Himmelsraum: was nicht geschehen soll, geschieht durch des Schicksals Willen hier auch nicht; wie sollte das, was geschehen soll, unterbleiben?

Paücat 2, 87 (I. S. 740\ Ein armer Karpfen entschlüpfte der rauhen Hand eines Fischers, die ihn gepackt hatte, fiel aber wieder ia'f Netz hinein; dem Netze entkam er wieder, wurde aber darauf von einem Reiher verschluckt, wenn, o wehe, das Schicksal feindlich ist, wie sollte man dann dem Unglück entrinnen?

Aber dennoch nimmt die Vorstellung vom Schicksal hier keineswegs einen solchen Charakter an, dass sie alle Thatkraft lähmt. Als Schicksal gelten nämlich den Indern, gemäss ihrem Glauben an eine Seelenwanderung, die eigenen Thaten der Menschen, die sie in einer früheren Existenz gethan haben, deren Lohn und Strafe sie nun hier ernten. Nach diesem Glauben sind wir an unserem Schicksal selbst schuld, wenn wir uns dessen auch durchaus nicht bewusst sind, und nach

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eben diesem Glauben sind wir im Stande, durch die rechte Handlungsweise wenigstens für die Zukunft unser Schicksal selbst zu bestimmen. So heisst es z. B.:

Hit Pr. 32 (I. S. 1817). Die Werke, die man in einem früheren Leben vollbracht hat, heissen Schicksal; darum sollen wir mit der uns eigenen Menschenkraft unverdrossen uns anstrengen.

Und deutlich wird es ausgesprochen, dass das Schicksal nur einen, wenn auch einen wichtigen Faktor beim Zustande- kommen der Ereignisse bildet, dass die eigne That des Men- schen ihm ebenbürtig zur Seite steht.

Yäjii. 1, 348 (I. S. 4222). Vom Schicksal und von der That des Meuschen hängt das Gelingen eines Unternehmens ab: das Schicksal ist aber offenbar nur die That des Mannes in einem friiberen Leben.

Immer wieder und wieder hören wir die Mahnung, nicht die Hände in den Schooss zu legen und auf das Schicksal zu warten; die eigne That des Menschen darf nicht fohlen.

Hit. Pr. 29 (I. S. 1400). Man gebe nicht die eigene Arbeit auf, bei sich denkend: das Schicksal wird es thuu! Wer vermöchte ohne Arbeit Oel aus Sesamkörnern zu gewinnen?

Mhbh. 13, 301 (I. S. 2315). Wie Samen, der ausserhalb eines Feldes ausgesäet wird, keine Frucht tragt, so geht auch das Schicksal ohne die Arbeit des Menschen nicht in Erfüllung.

Mhbh. 3, 1215 (1. S. 4916). Der Thörichto, welchor, auf das Schicksal wartend, ohne sich zu regen behaglich ruht, geht ja zu Schanden wie ein ungebrannter Topf im Wasser.

Dem gegenüber wird denn auch Statthaftigkeit, Festig- keit, Charakter, Weisheit gegenüber den Schicksalsschlägen oft genug gepriesen.

Kam. Nitis. 13, 6 (I. S. 2650). Das Glück weicht nicht von dem, der mit festem Willen ausgestattet ist und ehrlich zu Werke geht, eben- sowenig wie der Schatten vom Körper; wohl aber wachsen beide.

PaBcat. 2, 7 (I. S. 3187). Im Glück wie im Unglück bleiben grosse Charaktere sich gleich; roth ist die Sonne beim Aufgang, roth auch beim Untergang.

Bhartrih. 2, 81 (I. S. 1581). Kenner der Lebensklugheit mögen sie tadeln oder loben, das Glück kehre bei ihnen ein oder ziehe von dannen, wohin es ihm beliebt; der Tod komme schon heute oder erst nach Ablauf eines Weltalters; charakterfeste Männer weichen keinen Schritt vom rechten Pfade.

Bhartrih. 2, 56 (I. S. 3188). Im Glück ist das Herz bei Männern hohen Sinnes zart wie Lotus und im Unglück hart, wie wenn ein Stein mit einem mächtigen Felsen zusammenstiesse.

Bhartrih. Suppl. 17 (I. S. 1906). Wenn ein Edler auch fällt, so pflegt er wie ein Spielball zu fallen, indem er sich wieder erhebt; der Unedle fällt aber nach Art eines Erdenklosses.

Wahre Weisheit, die die Notwendigkeit des Ge- schehens erkennt, vermag uns ruhig und fest zu machen in allem Ungemach.

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Mhbh. 12, 8201 (I. S. 513). Heilige, Götter, m&chtige Dämonen, in dem Studium der drei Veda Ergraute und Einsiedler im Walde, oder wen sonst wohl trifft in der Welt nicht Unglück? Diejenigen aber, die den Zusammenhang von Ursache und Wirkung kennen, lassen sich da- durch nicht irre machen.

Mhbh. 12, 12491 (I- S. 4442). Diejenigen vergiessen keine Thräneo, die in ihrem Geiste den Zusammenhang der Dinge in der Welt erkannt haben ; für den, der Alles richtig ansieht, giebt es kein Thränenvergiesseo.

Dio Zufriedenheit wird hoch gepriesen:

Paiicat. 2, 163 (I. 8. 1781) Denen, die Zufriedenheit wie Nektar schlürfen, wird die höchste Glückseligkeit zu Theii, ununterbrochenes Leid dagegen dem unzufriedenen Menschen.

Wen Ehrgeiz oder Gewinnsucht zum Fürstendiensto

treibt, der muss die Warnung hören:

Knvalay. 69 (I. S. 2609). Den Fürsten dienen heust so viel wie die Schneide eines Schwertes belecken, einen Löwen umfangen, den Mund einer Schlange küsson.

Aber freilich, das Elend der Armuth, die dämonische

Macht des Geldes wird oft genug mit schmerzlichen oder bitteren

Worten geschildert:

Paiicat. 5, 5 (I. S. 2830). Selbst eines hochweisen aber armen Mannes Verstand schwindet dahin ob der beständigen Sorgen für Butter, Salz, Oel, Reis, Kleidung und Feuerung.

Paiicat 5, 24 (I. S. 446). „Stehe auf, o Freund, und trage einen Augenblick die Last meiner Armuth, indess ich Müder nach langem Harren dein Glück, das du dem Tode dankst, geniesse." So angeredet von einem Armen, der stracks zur Leichenstätte geeilt war, bb'eb der Todte ruhig liegen, da er wohl erkannt hatte, dass der Tod ein grösseres Glück als Armuth ist.

Vikramac. 155 (I. S. 1148). Ich verbeuge mich tief vor dir, o Ar- muth, weil ich durch deine Gnade übernatürliche Kraft erlangt habe, indem ich die Welt wohl sehe, die Welt aber mich nicht sieht.

So hören wir denn auch den Rathschlag:

Prasangabh. 4 (I. S. 4238). Geld sollst du erwerben, o Kakutstba! Im Gelde wurzelt die Welt; keinen Unterschied kenne ich »wischen einem Armen und einem Todten.

Und der ironische Bhartrihari sagt:

2, 33 (L 8. 2447) Wer Reichthümer besitzt, ist ein Mann aas edlem Geschlecht, ist klug, gelehrt, versteht die Vorzüge zu schätzen, ist ein gewandter Redner und auch schön: alle Torzüge beruhen auf dem Golde

Weit bittrer und höhnender aher in einem andern Spruche:

Bhartrih. 2, 32 (LS. 965). Der Stand fahre zur Hölle, die ganse Schaar der Vorzüge sinke noch tiefer hinab, die gute Gemüthsart stürz« vom jähen Felsen, das edlo Geschlecht werde vom Feuer verzehrt, aaf den Heldenmuth falle wie auf ein«>n Feind schnell der Donnerkeil nieder, Geld allein bleibe uns, da ohne dieses eine alle Vorzüge so viel werth sind wie ein Häuflein Gras.

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Solchen Sprüchen muss man nun aber andre entgegen- stellen, die sehr anders reden. So hören wir:

I. S. 1288. Reichthümer sind zunächst schwer zu erwerben; sind de erworben, so ist es schwer sie zu hüten; der Verlust des Erworbenen ist wie der Tod: darum denke man nicht an Reichthümer.

Pancat. 1, 312 (I. S. 2726). Besser der Wald, besser Almosen, besser ein Lebensunterhalt durch Lasttragen als Gewinnung von Reiöh- thümcrn durch Dienst bei dummen Menschen.

Und aus Bhartrihari's Sprüchen wird uns energisch mahnend zugerufen (2, 77; I. S. 2731):

Besser, dass dieser Leib von einem mit seinem Gipfel emporragen- den, ehrwürdigen Berge auf irgend eine rauhe Stelle fällt und zwischen birten Felsen zcr&tbmettert wird, besser die Hand in den scharfzahnigen Rachen einer riesigen Schlange zu stecken, besser sich in's Feuer zu stürzen, als dass die edlu Gemüthsart zu Grunde gehe.

Der Edle aber, der verkannt und gering geachtet wird, darf ruhig bleiben im Bewusstsein seines Werthes:

NHiratna 121. Ein Edelstein liegt zu den Füssen, ein Glasstück wird auf dem Haupte getragen; mag es ihnen immerhin so ergehen, wie es ihnen ergeht, Glas bleibt doch Glas, und Edelstein bleibt Edelstein.

In reieber Anzahl würden sich noch andre Sprüche dar- bieten, die es in hohem Grade verdienen dürften, angeführt zu werden; doch wir müssen uns an den gegebenen Beispielen ge- nügen lassen. Möchte es mir gelungen sein, durch diese frei- lich nur flüchtige Skizze Ihr Interesse für den roichen und originellen Gedankcngehalt der indischen Spruchweisheit nach- haltig erregt zu haben.2

* Vgl. Ind. Spr. 2086.

* Eine Auswahl von 387 Sprüchen der Böhtlingk'schen Samm- lung hat Ludwig Fritze in metrischer Form herausgegeben. (Indi- sche Sprüche. Aus dem Sanskrit metrisch übersetzt. Leipzig, Reclam's l'niv.-Bibl \ Die Sprüche des Bhartrihari sind schon vor längerer Zeit von P. v. Bohlen in metrischer Uehertragung einem weiteren Publi- kum zugänglich gemacht worden. (Hamburg 1835). Lange vorher hatte schon der Missionar Abraham Roger das 2. und 3. Buch der Sprüche des Bh. in's Hollandische übersetzt, in seiner Open Deure cet. i. J. 1651. Deutsch, Nürnberg 1G03, unter dem Titel: Neu eröffnetes Indisches Heidenthum]. Herder machte Einzelnes davon in geschmackvoller Form als „Gedanken eines Brahmancn" bekannt. Die indischen Weisheits- sprüche sind übrigens auch nach Birma hinübergewandert und finden sich dort hauptsächlich in drei Sammlungen, Lokaniti, Dhammaniti und Rajaniti genannt, die im l'ali- Dialekt vorfasst sind.. Eine engl, lieber- Setzung derselben veröffentlichte James Gray. Ancient Proverbs and Maxims from Burmese Sources or the Niti Literature of Burma. Lon- don 1886.

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Sechsundvierzigste Vorlesung.

Die philosophischen Systeme. Die Bhagavadgita.

Unter den verschiedenen philosophischen Systemen des in- dischen Mittelalters gelten sechs als orthodox oder vereinbar mit dem orthodox -hrahmanischen Glauben. Von diesen sechs Systemen stehen immer je zwei und zwei in näherer Beziehung zu einander. Es sind:

1) Das Sänikhya- System des Kapila; damit in näherem Zusammenhang stehend:

2) Das Yoga- System des Patafijali.

3) Das Vai$eshika-System des Kanada; damit in nähe- rem Zusammenhang stehend:

4) Das Nyaya-System des Gotama.

5) Die Karma-Mimamsa oder Pürva-Mimämsä, auch schlechthin Mimamsä genannt, geknüpft an den Namen de9 Jaimini; damit zusammenhängend:

(>) Die Qariraka - Mimamsa oder Uttara-Mimämsä. gewöhnlich Vedanta genannt, deren Lehrbuch den Badarä- yana zum Verfasser hat.

Genau genommen hätten nach unseren Begriffen nur die beiden letzteren Systeme, Mimämsa und Vedanta, ein Aurecht darauf, als orthodox-brahmanische Philosophie zu gelten; doch haben es auch die vier enteren verstanden, sich zu dieser Stellung und Anerkennung durchzukämpfen.

Ueber den Ursprung und die Entwickelung dieser Systeme, insbesondere auch über die Zeit, in welcher dieselben ent- standen, sind wir leider noch durchaus nicht zu genügender Klarheit gelangt Man pflogte dieselben früher chronologisch ziemlich hoch hinauf zu rücken, ist aber gegenwärtig ganz davon zurückgekommen. Bei der Discussion dieser Frage ist es indessen von grösster Wichtigkeit, wohl zu unterscheiden zwischen den systematisch, mit wissenschaftlicher Strenge und Vollständigkeit vorgetragenen Lehren, und den ersten specula-

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tiven Anfängen, Ahnungen, Apergu's, auf welche eben diese Lehren als auf ihren Ausgangspunkt sich zurückfuhren lassen. So viel darf am Ende wohl gegenwärtig als feststehend be- trachtet werden, dass die uns vorliegenden Lehrbücher der genannten philosophischen Systeme einer ziemlich späten Zeit entstammen, dass sie alle zum mindesten nachchristlich sind, ja wohl schwerlich über das vierte oder gar fünfte Jahrhundent nach Chr. hinaufreichen. Damit ist aber natürlich durchaus nicht gesagt, dass nicht die Grundgedanken dieser Systeme und auch manches Speciellere, das ihnen anhängt, bedeutend älter sein könnten; dies ist vielmehr sogar durchaus wahrscheinlich und in einem Falle wenigstens sogar über allen Zweifel erhaben.1 Der Max Müllersche Gedanke einer Renaissance der Sanskritliteratur scheint mir gerade bei diesem Gebiete der Literatur sehr viel für sich zu haben. Die alte Zeit, die Zeit vor Alexander dem Grossen und vor Buddha hatte bereits eine nicht unbeträchtlicho Summe philosophischer Ideen hervorge- bracht. Es folgte dann eine längere Zeit der Ruhe, des Still- stands, eine Pause in der Entwicklung, und dann unter günstigeren politischen Verhältnissen eine neue Periode des Aufschwungs, in weicher die alten Gedanken wieder aufgenommen, fortgebildet, ergänzt, erweitert und zum ersten Ma e in eine wirklich wissenschaftliche, systematische Form gebracht wurden. Diese zweite Periode dürfte schwerlich früher als mit dem Jahre 300 nach Chr. begonnen haben.8

Am Klarsten liegt das Verhältniss zwischen den philoso- phischen Schöpfungen einer früheren und einer späteren Zeit bei dem sogenannten Vedanta- System am Tage. In den noch vor die Zeit Buddha's hinaufreichenden ältesten Upanishadeiv, deren Inhalt ich in früheren Vorlesungen zu schildern gesucht habe, finden wir den Grundgedanken des Systems, die Identität der Seele und der ganzen Welt mit dem Ätman-Brahman , die AUeinslehrc, klar und deutlich ausgesprochen, in begeisterten Worten verkündigt, mit geistvollen Bildern u. dgl. m. erläutert. Aber ein eigentliches philosophisches System, eine systematisch- wissenschaftliche Durchführung jener Grundgedanken liegt in den erwähnten alten Schriften noch nicht vor: diese finden wir erst m den späteren Werken, dem mittelalterlichen System des Badarayana und seiner Gesinnungsgenossen, welche durchaus auf den Upanishaden fussen, sie als höchste Autorität anerkennen,

1 Ich meine natürlich die Vedänta-Philosophie.

* Vgl. auch M. Müller, Indien in s. weltg. Bed. p. 312—316.

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und sich nach dem treffenden Vergleich eines neueren Kenners dieser Literatur zu jenen alten Schriften etwa so verhalten wie die christliche Dogmatik zum Neuen Testament1

Weit misslicher steht die Sache hei den andern Systemen, da uns keine Schriften aus der alten Zeit erhalten sind, in denen auch nur die Hauptgedanken jener Systeme ausgesprochen wären, und wir in Betreff ihrer früheren Phasen auf Vennuthungen und spärliche Andeutungen in einigen Büchern andersgläubiger Schulen angewiesen sind, und im Uebrigen nur die spateren, mittelalterlichen Werke vor uns haben, hei denen wir durch- aus nicht sicher wissen, wie weit dieselben den schon in alter Zeit vorauszusetzenden Systemen wirklich entsprechen und sich aus denselben organisch heraus entwickelt haben.

Als eines der ältesten und angesehensten Systeme, wenn nicht gar als das älteste, gilt das Sämkhya-System, welches auf den berühmten Kapila zurückgeführt wird, und der Tra- dition zufolge dem Buddhismus als Grundlage gedient hat Dieselben Forscher, welche mit Entschiedenheit dafür einge- treten sind, die uns vorliegenden Lehrbücher des Sarakhya- Systems in eine sehr späte Zeit zu verlegen, halten die Lehre ihrem Kerne nach für sehr alt. So Weber, der die Samkhya- Lehre geradezu das älteste philosophische System nennt;1 so Cowell, der dieselbe für eines der ältesten erklärt3 Auch Hall, der die vorliegenden Sütra des Kapila für ein sehr se- kundäres Produkt hält hebt hervor, dass die Alterthümlichkeit des Kapila selbst dadurch natürlich in keiner Weise angefochten werde.4 Aber da uns von den altberühmten Lehrern dieser Schule, von Kapila, Paflcacjkha und Asuri nichts erhalten ist, was wir mit Sicherheit auf sie zurückfuhren können, so sind wir in Bezug auf den ursprünglichen Inhalt des Systems doch mehr oder woniger auf Vermuthungen angewiesen und es ist sehr wohl möglich, dass die alte Lehre sogar in wesentlichen Punkten von dem aus späterer Zeit uns bekannten Sämkhya- System unterschieden war.

Besonders hemerkenswerth bleibt mir immer der Umstand, dass die Legenden des Buddhismus den Kapila und Pafica- cjkha stets als lange vor Buddha vorausgegangen erwähnen' und dass der Tradition zufolge Buddha in seiner Weltanschauung

1 Deussen, System des Ved&nta, p. 22. » S. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 252.

* Cowell, zu Colebrooke's Mise. Ess. I, 354.

* Vgl. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 254.

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sich au das System des Kapila angeschlossen, auf demselben weitergebaut haben soll. Allerdings ist es von competenter Seite in Abrede gestellt worden, dass zwischen der Metaphysik der Buddhisten und dem System des Kapila, so weit wir es aus den (späteren) Säinkhyasütra's kennen, irgend welche be- stimmte Aehnlichkeit vorliege;1 aber ich glaube doch schon an einem andern Orte gezeigt zu haben, dass sich die Weltanschau- ung Buddha's wenigstens mit gewissen#Grundgedanken der Säm- khya-Lehre, selbst wenn wir die späteren Sütra's zur Richtschnur nehmen und aus ihnen den alten Kern zu eruiren suchen, deut- lich berührt.1 Ist dies richtig und hat die Tradition Recht woran ich nicht zweifle so ist das hohe Alter der Samkhya- lehre schon damit erwiesen.

Die alte Samkhya- Lehre vertrat offenbar, gegenüber den pantheistischen und hochidealistischen Ideen der Upanishaden, eine weit nüchternere und so zu sagen naturwissenschaftliche Auffassung. Ohne sich auf hoefifliegende Speculationen einzu- lassen, ging sie davon aus, dass unsrer Beobachtung einerseits die Materie, andrerseits eine Pluralität individueller Geister gegeben sind, welche letzteren nach dem schon damals herr- echenden Glauben durch eine Menge von Existenzen wanderten. Den Ursprung dieser beiden Weltfactoren erklärte sie nicht weiter, forderte keinen Gott oder Götter als Schöpfer oder erste Ursache der Materie und der zahlreichen individuellen Geister, sondern nahm beide als gegeben hin, als wohl seit Ewigkeit existirende* Factor en, durch deren Vereinigung die Welt entsteht. Das Ziel des Weltprocesses ist die end- gültige Befreiung des Geistes von den Banden der Körperwelt.

Diese Befreiung tritt ein, sobald der Geist erkannt hat, dass er in seinem Wesen völlig verschieden ist von der Materie; dann trennt er sich für immer von ihr, ohne wieder in den Weltlauf einzutreten. Er ist erlöst.

Das Samkhya-System, so geistvoll und bedeutend dasselbe auch ist, bleibt doch bei einem unüberwundenen Dualismus der Urmaterie (prakriti, pradhanam genannt) einerseits und der gleich- falls von Uranfang existirenden individuellen Geister andrerseits stehen. Diese beiden Principien werden nicht, wie in der Ve- danta-Lehre, in einer höheren Einheit aufgelöst; nicht einmal

1 Nämlich von Max Mailer und Oldenberg; vgl. oben p. 257 Anm. » S. meine Schrift „Pythagoras und die Inder" p. 69 flg.; auch oben p. 257 flg.

3 Vielleicht anknüpfend an uralte Vorstellungen. Vgl. „Pythagoras

und die Inder" p. 70 Anm.

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werden die zahlreichen individuellen Geister auf einen Urgeist, aus dem sie entstanden oder emanirt wären, zurückgeführt, eben- sowenig wie dies im Buddhismus der Fall ist Nüchterneren Geistern, denen nichts lag an der doch nur scheinbaren Ueberbrückung thatsächlich gegebener Gegensätze durch specu- lative Träumereien, musste dies System sympathischer sein als das des Vedänta. Einen Gott sehen wir hier in den Welt- process nicht eingreifen, «und so ist denn auch die Samkhya- Lehre ebenso wie der Buddhismus geradezu als eine atheistische bezeichnet worden.

Das .uns vorliegende Lehrbuch der Samkhya- Philosophie, Sämkbyakarikä genannt, hat den AIc,vara Krishna zum Ver- fasser und dürfte etwa im 6. Jahrhundert nach Chr. entstanden sein.1 Ein anderer hervorragender Lehrer dieser Schule, un- gefähr aus derselben Zeit, ist Gäudapäda.* Das Sämkhya- praväcana, welches angeblich die Sütra des Kapila enthält, ist nach dem Urtheil der Kenner noch späteren Ursprungs, als das Werk des *Icvara Krishna.8

Zur Zeit des berühmten Vedänta-Lehrers Qamkara* stand das Samkhya -System in hohem Ansehen.5 Nicht wenig mag dazu wohl auch der Umstand beigetragen haben, dass das Gesetzbuch des Manu im Wesentlichen dieser Lehre folgt, frei- lich mit ausdrücklicher Einfügung der Gottheit in den Welt- process.*

Dass die Anerkennung der Gottheit für den Anhänger der Samkhya- Lehre keineswegs unmöglich war, wemi das System in seiner ursprünglichen Strenge derselben auch nicht bedurfte, geht schon aus der so oft erwähnten engen Verbindung des-

1 8. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl. p. 254. M. Müller, Indien in 8. w. B. p. 813. 314. Die Sarokhyakarika de« *Icy. ist in's Englische übersetzt von H. Th. Colebrobke, Oxford 1837.

* Vgl. Weber a. a. 0

Vgl. Hall, Samkhyasara pref. p. 12. Weber a. a. 0. M. Müller, Indien In b. w. B. p. 314.

4 D. I. um d. J. 800 nach Chr. Vgl unten. 6 8. DeuBsen, Vedanta p. 23.

9 8chon Colebrooke bezeichnete in Uebcreinstimmung mit den in- dischen Commentatoren die Säipkhya- Lehre als diejenige, welcher das Gesetzbuch folgt, und zwar nannte er sie speciell „Puranic Samkhya". Der Dialog, welcher das Werk einleitet, ist ganz im Style der Purana s (Vgl. Burnell, Qrdinances of Manu, pref. p. XXII.) Es liegt hier offen- bar eine spatere Form der Samkhya-Lehre vor, in welcher dieselbe den Theismus aeeeptirt hat, nicht eme ältere Phase derselben, wie Jo- haentgen in seißer werthvollen Schrift „Ueber das Gesetzbuch des Manu" (Berlin 1863) glaubte nachweisen zu können.

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selben mit der Yoga-Lehre des Pataüjali zur Genüge her- Tor. Auch in dieser Lehre finden wir nämlich einen ursprüng- lichen Dualismus von Materie und Geist Aber der Yoga trägt durchaus eiuen theistischen Charakter; er nimmt einen Urgeist an, aus welchem die einzelnen Geister stammen. Das Ziel, auf welches wir hinstreben müssen, ist nach dem Yoga die Vereinigung mit dem höchsten Wesen, die Versenkung in dasselbe kraft angestrengter Meditation. Hierauf legt diese Lehre das grösste Gewicht und hiervon trägt dieselbe auch ihren Namen, denn Yoga bedeutet „angestrengte Concentration des Geistes, Contemplation". Sie giebt auch die äusseren Mittel, bestimmte Büssungen und Kasteiungen an, welche zur erwähnten Vereinigung fuhren sollen, und gerade diese Yoga- Praxis ent- wickelte sich im Laufe der Zeit sehr üppig.1 Oft erscheint diese Lehre, wie schon erwähnt, in nächster Verbindung mit der Samkhya-Lehre, so in dem häufigen Compositum Sämkhya- yoga, einer dualischen Verbindung. Im Einzelnen ist dies Ver- hältnis der beiden Systeme zu einander übrigens noch nicht völlig aufgeklärt. Was sie verbindet, ist offenbar die Annahme eines ursprünglichen Dualismus von Geist und Materie. Die Yoga-Lehre ist die jüngere und ist nach meiner Meinung als die theistische Fortbildung oder Ergänzung der Samkhya-Lehre anzusehen, welch letztere aller Wahrscheinlichkeit nach nur durch die Verbindung mit dem Yoga- System dazu gelangt ist, als ein orthodox brahmanisches System anerkannt zu werden. Eine entschieden atheistische Philosophie dürfte doch wohl als unvereinbar mit der brahmani sehen Orthodoxie erscheinen.

Die Väi$eshika-Lehro des Kanada und die Nyaya- Lehre des Gotama stehen sich sehr nah und sind längere Zeit zum Schaden der wissenschaftlichen Klarheit gerade- zu als ein System behandelt, vermischt und verwechselt worden.2 Es unterliegt indessen keinem Zweifel, dass dies ursprünglich zwei verschiedene Systeme sind.* In beiden wurde die Frage nach dem Wie unserer Erkenn tuiss besonders eingehend und 8char&innig behandelt Auf diesen, den formell logischen Theil

1 Die Yoga -Lehre behandelt den Weg zur Vereinigung mit Gott in vier Abtheilungen: a) samadhi, d. i. Contemplation; b) sadhanam, d. L Büttel cur Erreichung derselben; c) vibhüti, d. i. die dadurch er- langte Herrschaft aber die Natur; d) kaivalyam, d. i. der Zustand der Abaolutheit, Vgl. Deussen, Ved. p. 20.

* Nach dem Vorgang von Colebrooke; vgl. M. Müller in der Ztschr. d. D. M. G. VI, p. 8. 9.

» Vgl. M. Müller, Ztschr. d. D. M. G. VI, p. 9.

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gründet sieb ganz besonders der Ruhm dieser Systeme, und daraus erklärt sieb aueb der Irrthum, als hätten wir es hier nur mit Systemen der Logik zu tbun.1

Die Väi^eshika-Lehre des Kanada ist eine atomistische Doctrin. Die Welt entsteht aus Atomen, Paramanu genannt,' die sieb nach dem Willen eines höheren Wesens mit einander vereinigten.3 Das System trägt den Namen Väi^esbika-Lebre, weil seine Anhänger für die Atome die Kategorie des Vigesha oder der Besonderheit geltend machen.4 Kanada's Lehrbucb der Väi$eshika-Philosophie ist von £. Roer in's Deutsche über- setzt und erläutert worden,5 und schon früher hatte Max Müller dieser Philosophie mehrere interessante Artikel ge- widmet,6 aus denen man unter Andrem siebt, wie scharfsinnig hier die gesammte Erfahrungswelt unter sieben Kategorieeu gebracht wird.7 Als originell und werthvoll bebt Müller be- sonders die Kategorie der Inbärenz hervor.8

Das Nyaya-System des Gotama ist allerdings in erster Linie System der Logik, greift aber doch weit darüber hinaus und stellt ein vollständiges System der Philosophie dar.9 In der Gegenwart sollen in Indien gerade die Nyaya- und die Vaicesbika-Lebre die beliebtesten philosophischen Systeme sein.1*

Endlich haben wir noch die streng orthodoxen Systeme der beiden Mimamsa,11 welche sich ganz auf die heiligen Schriften, die Veden, Brahmana's und Upanishaden stützen und wiederum beide mit einander in näherem Zusammenhang stehen.

1 Vgl. M. Müller, Ztschr. d. D. M. G. p. 15.

* Paramanu bedeutet eigentlich „das höchste Kleine oder der äusserste feine Theil", d. i. eben das Atom.

» Vgl. Weber, Ind. Lit., 2. Aufl., p. 261. Auch bei den Jaina's findet sich die atomistische Lehre und zwar „in materialistischer Form, jedoch so, dass Atomstoff und Lebensgeist in ewiger inuiger Verkettung gedacht werden.** (S. Weber a. a. 0. Anm.)

* Vgl. M. Maller, Ztschr. d. D. M. O. VI, p. 9 Anm.; VII, p. 297. Weber a. a. 0., p. 262.

6 In der Zeitschr. d. D. M. G., Bd. XXI und XXII.

8 In der Zeitschr. d. D. M. G., Bd. VI, p. 1 flg. und 219 flg.

T Vgl. M. Malier a. a. 0., p. 10 flg.

8 M. Maller a. a. 0., p. 33.

* Textausgabe und UeberBeteung des Nyaya-Lehrbucha verdanken wir J. Ballantyne (The Aphorisms of the Nyaya -Philosophy by Gau- tama, with illustr. Extracts from the Commentary by Vicvan&tha. Alla- habad 1850). Der Text der Nyaya-sütra-vritti kam auch schon Cal- cutta 1828 heraus, sammt dem Comm. des Vicvanatha.

10 Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 263.

" mimamsa, von dem Desiderat! vum der Wurzel man (denken), bedeutet „Speculation".

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Die erste von den beiden heisst Karmamimärasä, d. i. die Mimärasa der Werke; auch Purvaraimamsa, d. i. erste M., oder Mini&msa (Speculation) schlechthin genannt. Es ist dies ein System des Workdienstes, in welchem die auf dem Veda fussen- den heiligen Pflichten (dharma) und die dafür versprochene Be- lohnung oder Frucht (phalam) erörtert werden. Als Urheber dieser Lehre wird Jaimini genannt, der jedenfalls in kein hohes Alterthum zurückreicht. Es stützt sich dieses System auf die Vedas und Bräbmana's.

Daran schliesst sich dann sechstens die Brahmamimamsä oder Speculation über das Brabman. Dasselbe Systom wird auch noch mit verschiedenen anderen Namen bezeichnet. So heisst es auch Uttaramimamsä, d. i. weitere oder höhere Speculation; Qariraka-m., d. i. Verkörperungslehre; oder end- lich Vedanta, d. i. Ende des Veda. Der letzto Name ist gegenwärtig der gebräuchlichste. Dies System stützt sich auf die philosophischen Schriften der vedischen Periode, d. h. vor Allem auf die Upanishaden. Diese bilden die letzten Ausläufer der vedischen Literatur und heissen darum auch vedanta, d. h. Ziel oder Ende des Veda. Daher der Name des auf ihnen fussenden philosophischen Lehrgebäudes.

Das Werk, in welchem die Vedänta-Lchre entwickelt wird, ist das Brahmasütra des Badarayana, von dessen Zeit wir auch nur sagen können, dass es in kein hohes Alterthum zu- rückreicht 1

Der Gegensatz der beiden Mimämsa's hat seinen Grund im Veda selbst, denn dieser zerfällt in einen Werktheil (karma- kanda), die vedischen Lieder und Bräbmana's umfassend, und einen Erkonntnisstheii (jilänakän<jia), insbesondere die Upani- shaden umfassend.2 Zu den Upanishaden verhält sich das Vedanta- System des Badarayana etwa so wie die christliche Dogmatik zum Neuen Testament.3 Das Werk des Badarayana ist eingehend commentirt durch den berühmten (Jamkara, der um- das Jahr 800 nach Chr. lebte,4 und an dessen Namen eine Regeneration des brahmanischen Glaubens geknüpft ist. Das

1 £s gehört wohl der von M. Müller sogenannten Renaissance- Periode des Sanskrit an«

* Und was an ihnen gehört, wie z. B. das Agnirahasyam, £atap. Br. X.

* 8. Deussen, Vedanta p. 22.

* Caipkara Ist im Jahre 788 nach Chr. geboren, Muni geworden im Jahre 820; erreichte vermuthllch ein ziemlich hohes Alter icf. M. Malier, Indien in s. w. Bed., p. 313). Vgl. auch Windischmann, Sancara aive de theologumenii Vedänticorum, Bonn 1833.

t. Schröder, Irftau Lit. ». Cult. 44

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System des Vedftnta ist neuerdings durch Paul Deussen sebr eingebend untersucht und in vortrefflicher Weise dargestellt worden.1 Dieses wichtigste aller brahmanischen Systeme wollen denn auch wir uns etwas näher ansehen.

Der Grundgedanke des Vedanta ist die Identität der Seele mit dem Brahman. Dies sprechen am kürzesten aus die Upanishaden- Worte aham brahma asmi „ich bin das Brah- man"; und tat tvam asi „das bist duM. Es wird also gelehrt, „dass das Brahman, d. h. das ewige Princip alles Seins, die Kraft, welche alle Welten schafft, erhält und wieder in sich zurückzieht, identisch ist mit dem Atman, dem Selbst oder der Seele, d. h. demjenigen an uns, was wir bei richtiger Erkennt- niss als unser eigentliches Selbst, als unser inneres und wahres Wesen erkennen. Diese Seele eines Jeden unter uns ist nicht ein Theil, ein Ausfluss des Brahman, sondern voll und ganz das ewige, untheilbare Brahman selbst." (Deussen a. a. 0. p. 487.)

Dieser Satz widerspricht nun freilich der Erfahrung, die uns eine Vielheit von Namen und Gestalten zeigt, unter welchen unser Selbst nur ein Theil ist; desgleichen auch dem vedi- schen Ritualgesetz, welches eine Vielheit umherwandernder Seelen lehrt. Aber beide, sowohl die Erfahrung als der vedische Gesetzeskanon beruhen auf einer falschen Erkenntniss (mithyä- jfiänam), einer angeborenen Täuschung, welche Avidya, das Nichtwissen, heisst, „und deren Aussagen, vergleichbar den Bil- dern des Traumes, nur so lange wahr sind, bis das Erwachen eintritt (a. a. 0. p. 488). Es besteht diese angeborene Avidya darin, dass die Seele nicht im Stande ist, sich zu unterscheiden von den Bestimmungen, mit welchen sie umkleidet ist, <L h. dem Leibe, den psychischen Organen u. 8. w. Dem gegenüber steht die Vidya, das Wissen, oder die universelle Erkenntniss, ver- möge deren sich die Seele von diesen Bestimmungen unter- scheidet und erkennt, dass dieselben bloss auf der Avidya, dem Nichtwissen, beruhen, dass sie bloss ein Blendwerk (mayä) oder ein Wahn sind, und dass sie selbst, die Seele, identisch ist mit dem einen unth eilbaren Brahman.

Diese Erkenntniss ist nicht durch weltliche Erkenntniss- mittol zu erlangen, sie ist uns aber offenbart in dem Jfiäna-

1 Das System desVcdanta nach den Brahma-Sütra's des Bada- rayana und dem Commontare des Qamkara Ober dieselben als ein Com- pendium der Dogmatik des Brahmaiiismas, vom Standpunkte des fam- kara aus dargestellt von Dr. Paul Deussen, Leipzig 1883. Auf diesem Werke beruht auch unsere im Folgenden gegebene Darstellung der Vedanta -Lehre.

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kandam oder Erkenntnisstheil des Veda, d. h. vor Allem in den Upanishaden.

Das Ziel des Menschen ist die Erlösung (moksha), d. h. das Aufhören der Seelenwanderung (samsara). „Die Erlösung der Seele von der Umwand erung aber wird dadurch vollbracht, daas man sein eigenes Selbst (atman) als identisch erkennt mit dem höchsten Selbst (parama- Atman), d. h. dem Brahman. Der ganze Inhalt der Vidya ist somit Erkenntniss des Atman oder Brahman." (VgL Deussen, a. a. 0. p. 489.)

Der Vedänta lehrt eine doppelte Wissenschaft vom Brah- man, eine höhere (para vidya) und eine niedere (aparä vidya). Es giebt nach ihm ein höheres, attributloses, und ein niederes, attributhaftes Brahman; auf das entere erstreckt sich- die höhere, auf das letztere die niedere Wissenschaft. Das höhere Brahman ist ohne alle Attribute, ist gestaltlos, unter- schiedslos, bestimmungslos. Es ist „nicht grob und nicht fein, nicht kurz und nicht lang" (Brihadar. 3, 8, 8); „nicht hörbar, nicht fühlbar, nicht gestaltet, unvergänglich" (Räthop. S, 15); es ist „nicht so und nicht so", dVh. keine Gestalt und keine Vorstellung entspricht seinem Wesen; „die Worte und Gedan- ken kehren vor ihm um, ohne es zu finden". Das niedere Brahman dagegen ist mit verschiedenen Attributen behaftet; es ist die Seele der Welt, all wirkend, aU wünschend, das All umfassend; es ist die Quelle des Lichts; das Leben, aus dem die Wesen entspringen; Mond und Sonne sind seine Augen, der Wind sein Hauch u. s. w.; es ist der innere Lenker, der Alles im Innern lenkt; es weilt als Seele in unser aller Herzen; es ist der Gott, der Herr (levara), der die Welt geschaffen, der uns den Lohn für unsere Thaten in einem folgenden Leben empfangen lässt, und dessen Gnade uns endlich die Erlösung schenkt. Nun kann freilich nicht ein und derselbe Gegen- stand zugleich attributlos und attributhaft, gestaltlos und ge- staltet sein. Dieser Widerspruch löst sich durch die Lehre des Vedanta, dass das niedere Brahman im höchsten Sinne über- haupt keine Realität hat. Das höhere Brahman wird dadurch zum niederen, dass ihm das Nichtwissen zum Zwecke der Ver- ehrung die Bestimmungen oder Qualitäten beilegt. Somit be- ruht das Behaftotsein des Brahman mit diesen Bestimmungen nur auf einer Täuschung, die verschwinden muss, wenn das Nichtwissen verschwindet

Nur ein niederes, attributhaftes Brahman kann als Welt* Schöpfer gedacht werden. Die ganze Vielheit der Weit ist aber „ein blosser Wahn, welcher durch die richtige Erkenntniss, das

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Samyagdarcanam, widerlegt wird, ganz ebenso wie der Wahn, dass eine Schlange sei, wo nur ein Strick, ein Mensch, wo nur ein Baumstamm, eine Wasserfläche, wo nur eine Wüstenspiege- lung ist, durch die nähere Betrachtung widerlegt wird und ver- schwindet. Die ganze Welt ist nur ein ßlendwerk (maya), welches Brahman als Zauberer (mayavin) aus sich heraussetzt und von dem er wie dieser von dem durch ihn geschaffenen Zauber nicht berührt wird; oder, mit anderer Wendung des Bildes, Brahman wird durch das Nichtwissen, sowie der Zauberer durch das Blendwerk, als nicht einheitlich erscheinen gemacht** Das ganze Bestehen der Welt beruht nur auf dem Nicht- wissen, der falschen Erkenntniss. „An diesem Begriffe prallt nun jede weitere Untersuchung ab; woher dieses Nichtwissen, wel* ches uns allen angeboren wird, entspringt, erfahren wir nicht" (Deussen, p. 501.)

Einen* Punkt aber giebt es im Universum, der nicht auf Täuschung beruht, das ist unsre Seele, unser eigenes Selbst „Dieses Selbst lässt sich nicht beweisen, weil es die tragende Basis jedes Beweises ist, aber auch nicht leugnen, weil jeder, indem er es leugnet, dasselbe voraussetzt" (a. a. 0. p. 502). Wie verhält sich nun dieses zum Brahman? Der Vedaiita ant- wortet: „Die Seele kann 1) nicht von Brahman verschieden sein, weil es kein Seiendes ausser Brahman giebt; sie ist 2) aber auch nicht als eine Umwandlung des Brahman anzu- sehen, weil das Brahman unveränderlich ist; und ebensowenig ist sie endlich 3) ein Theil des Brahman, da dasselbe keine Theile besitzt. Somit bleibt übrig, dass die Seele mit Brah- man identisch ist, dass jeder von uns das ganze untheilbare, unwandelbare, alles Sein befassende Brahman selbst ist". (D. p. 503.) Demgemäss müsste alles, was vom Brahman ausgesagt wird, ebenso von der Seele gelten. In Wahrheit ist das nun auch der Fall, aber vom empirischen Standpunkte der Avidya erscheint die Seele beschränkt, von anderen unterschieden und mit verschiedenen Bestimmungen behaftet Sie ist begabt mit den fünf sinnlichen Erkenntnissvermögen: Gesicht, Gehör, Ge- ruch, Geschmack und Gefühl; und den fünf Thatvermögen: Greifen, Gehen, Reden, Zeugen, Entleeren (zusammen die zehn Indriya's), 1 nebst dem Mauas, d. i. dem Sinn oder Geist an deren Spitze. Dazu kommt noch der Mukhya Prana, der Haupt- lebenshauch oder das vitale Princip, und der sogenannte feine

* indrtya, gewöhnlich „Sinn" übersetzt, hat, wie man sieht, eine umfassendere Bedeutung. ,

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(geistige) Leib, in welchen dieser ganze psychische Apparat hineingehört Dazu kommt ferner ein veränderlicher Faktor, die moralische Bestimmtheit, welche von den eigenen Thaten im Leben abhängt Mit diesem ganzen Apparate von näheren Bestimmungen ausgerüstet wandert nun die Seele aus einem Leibe in den andern. Die fünf sinnlichen Erkenntnissvermögen schaffen sich die fünf Sinne, der feine Leib schafft sich den groben Leib nach seiner eigenen Qualität, und so fort. Die- jenigen, welche im Leben fromme Werke geübt haben, ohne die höhere oder die niedere Wissenschaft vom Brahman zu be- sitzen, wandern nach dem Tode zum Monde, wo sie die Ver- geltung ihrer guten Werke gemessen, um dann wieder nach Maassgabe ihrer Thaten in einen irdischen Leib einzugehen. Diejenigen, welche die niedere Wissenschaft vom Brahman be- sitzen, die frommen Verehrer des persönlichen Brahman, gehen in da« niedere Brahman ein, von wo sie durch Stufenerlösung auch bis in das höhere Brahman gelangen können. Die sofortige, vollkommene Erlösung erlangt aber nur derjenige, welcher die Wissenschaft vom höheren Brahman besitzt, welcher das Nicht- wissen ganz in sich vertilgt und die Identität seiner Seele mit dem Brahman erkannt hat Aua der Erkenntniss die Er- lösung (jfianan mokshafc), so lehrt der Vedanta. Sobald das Brahmansein der Seele erkannt ist, ist auch die Erlösung ein- getreten. Gute Werke und Meditation können uns den Weg dazu bahnen, aber erst die volle Erkenntniss, die unmittelbare Intuition der Identität der Seele mit Brahman schafft die Er- lösung. „Wer diese, und mit ihr die Ueberzeugung von der Nichtigkeit der vielheitlichen Welt und der Seelenwanderung erlangt hat, dessen vergangene Werke werden zu nichte und künftige kleben ihm nicht mehr an," (D. p. 513.) Der Same der Werke "ist damit vollständig vernichtet, es ist kein Stoff mehr da zu einer abermaligen Wiedergeburt, der Kreis der Seelen Wanderung ist abgeschlossen. „Hingegen vermag das Wissen nicht die Werke zu vernichten, deren Saat schon aufgegangen ist, d. h. diejenigen, aus welchen der gegenwärtige Lebenslauf gezimmert ist Hierauf beruht es, dass der Leib, auch nach- dem die Erweckung (prabodha) vollbracht ist, noch eine Weile fortbesteht, ähnlich wie die Töpferscheibe noch fortrollt, auch nachdem das Gefass, dem sie als Unterlage diente, vollendet ist." Dies Fortbestehen ist aber nur ein Schein. Mit dem Augenblick des Todes tritt fiir den Wissenden die völlige und ewige Erlösung ein; „seine Lebensgeister ziehen nicht aus, son- dern Brahman ist er und in Brahman löst er sich auf."

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„Wie Ströme rinnen and im Ocean, Aufgebend Name und Gestalt, verschwinden, So gebt, erlöst von Name und Gestalt, Der Weise ein zum göttlich-höchsten Geiste."1

Dies die geistvolle, hoch-idealistische orthodox- brahmanische Philosophie des Vedanta.

Neben den sechs für orthodox geltenden philosophischen Systemen haben wir nun auch andere, die als ketzerisch ge- stempelt werden, so z. B. das grobmaterialistische System der Carvaka* (Laukayatika, Barhaspatya) u. a., auf welche wir nicht mehr näher eingehen können. Ein Werk philosophischen Inhalts dürfen wir aber seiner hohen Bedeutung und Berühmt- heit wegen nicht so kurz abthun. Es gehört dasselbe zu den schönsten und originellsten Schöpfungen der indischen Litera- tur. Ich meine die Bhagavadgitä, das heilige Lied oder das Lied von der Gottheit, ein theosophisches Gedicht voll tief- sinniger Gedanken, voll erhabensten Schwunges, welches wir als eine Episode in das grosse Epos Mahabharata eingefügt finden.

Schon im Jahre 1785 wurde diese geistvolle Dichtung durch den Engländer Wilkins übersetzt und gehörte somit zu den ersten Veröffentlichungen, die das Interesse der Europäer auf den bedeutsamen Gehalt der indischen Literatur lenkten. Das Original wurde 1808 zu Calcutta herausgegebon, dann im Jahre 1823 von A. W. v. Schlegel. Dieser hat seiner Ausgabe eine wahrhaft klassische Uebersetzung ins Lateinische beigegeben.*

Wilhelm v. Humboldt wurde mächtig ergriffen von dem Inhalt dieses Gedichtes. Er schrieb damals an Gentz: er danke Gott, dass er ihn so lange habe leben lassen, um dieses Ge-

1 S. Deussen a. a. 0.. p. 514.

* Der erste Artikel von Madhava Acarya's Sarvadar^anasam- graha (d. i. Inbegriff der verschiedenen Systeme der ind. Philosophie) behandelt das System des Carväka (vgl. Ztschr. d. M. 0. XIV, p. 517 flg.).

* Die 2. Auflage dieser Edition wurde im Jahre 1846 von Lassen besorgt: Bhagavad-Gita id est Qtontaiov Mt).oq sive almi Crishnae et Arjunae colioquium de rebus divinis. Textum recensuit, annotationes criticas et interpretationem latinam adjecit Aug. Guil. a Schlegel. Ed. altera auetior et emendatior cura Christiani Lasseni. Bonnae 1846. Eine Ausgabe der Bh. nebst französischer Uebersetzung veranstaltete der bekannte Burnouf: Bhagavad-Gita, le divin chant du bien- heureux. Texte sanscrit (en caract. lat.) et traduet. franc,. par Burnouf, Nancy 1861. Eine andere J. C. Thomson (Bhagavad-Gita, new edition of the Sanskrit text by J. G. Thomson, Hertford 1855). Sehr zahlreich sind die in Indien erschienenen Ansgaben dieses Werkes, deren Auf- zahlung hier zu viel Raum beanspruchen dürfte.

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dicht lesen zu können. 1 Er widmete demselben eine eingehende geistvolle Abhandlung, die noch jetzt als das Beste bezeichnet werden muss, was über den Inhalt der Bhagavädglta geschrie« ben worden.1 In's Deutsche wurde dieselbe* wiederholt über- setzt; so vou Peiper (.1834), Lorinser (1869)Ä und R. Box- berger;4 von den Uebersetzungen in andere Sprachen zu ge- schweige*.6

Krishna, eine Incarnation des Gottes Vishnu, geleitet den Pän4niden Arjuna als dessen Wagenlonker in den grossen Kampf der Kuru- und Pan<Jusöhne. Als Arjuna seine Ver- wandten, Freunde und Lehrer vor sich in den Reihen der Feinde erblickt, zögert er vorzugehen, wird unschlüssig und kleinmüthig. Wie soll er mordend vorgehen gegen diese ihm nahestehenden Menschen? Da ermahnt ihn Krishna, solche Bedenken fahren zu lassen und seine Pflicht als Kämpfer zu thun. Es entspinnt sich ein Gespräch und Krishna entwickelt nun angesichts beider Heere in 18 Gesängen dem Arjuna seine ganze Welt- und Lebensanschauung, aus welcher die Pflicht, handelnd vorzugehen, als praktische Conseuuenz resultirt.

Das philosophische System, welches die Grundlage dieser Erörterungen bildet, ist im Allgemeinen die Yoga -Lehre des

1 Vgl. Boxberger'f» Uebersetzung der BhagavadgltA, Vorwort p. 12.

* W. v. Humboldt, Uober die unter dem Namen Bhagavad-Gitd bekannte Episode des Mahä-Bhärata (Gelesen in der Berliner Acad. <L Wiss. am 30. Juni 1825 und 15. Juni 1826). Humboldt nannte mit Recht die Bhagavadgita „das schönste, ja vielleicht das einzig wahrhafte philosophische Gedicht, das alle uns bekannte Literaturen aufzuweisen haben." (Indische Bibliothek II, 219.) Muir, in der Einleitung zu seinen Metrical Translation* from Sanskrit Writers (London 1879) bespricht das Verhältniss der Bhagavadgitii zu den Lehren des Christenthums.

8 Bhagavad- Gita, übersetzt und erläutert von J. Lorinser, Breslau 1869.

4Bhagavad-Glta oder das Lied der Gottheit. Ans dem Indi- schen übersetzt von Robert Boxberger, Berlin 1870. Bruchstück- weise war die Bh. auch von F. Schlegel in seiner „Sprache und Weis- heit der Inder", sowie von Humboldt in der erwähnten Abhandlung übersetzt.

5 In's Englische übersetzt, ausser von Wilkins, auch von Gar- rett (Bangalore 1848); von J. C. Thomson (Hcrtford 1855); von K&- shinäth Trimbak Telang, Bombay 1875 (Bhagavadgita, transl. into English Blank Verse cet); von demselben im VIII. Bd. der Sacr. Books of the East (Bhagavad-Gita, with the Sanatsngätiya and the Anuglta, transl. by K. Tr. Telang, Oxford 1882); desgl. von J. Davies ^Bhagavad- Gita, transl. with notes by J. Davies, London 1882). In's Französische von Languinais (Paris 1832); von Burnouf iNaucy 1861; vgl. oben p. 694 Anm. 3). In's Neugriechische von Demetrius Galanos (Athen 1848).

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Patatijali, oder vielmehr die vereinigten Sftmkhya-Yoga.1 Dem entsprechend wird ein ursprünglicher Dualismus von Natur und Geist gelehrt. Beide sind anfangslos und ewig.1 Der Körper, dem Bereich der Natur angehörig, ist zusammengesetzt und vergänglich, an seiner Erhaltung nichts gelegen. Die Seele ein- fach und unvergänglich, mit verschiedenen Körpern sich um- kleidend, his sie die Vereinigung mit dem höchsten Wesen er- langt. Diese Vereinigung soll aber nicht in absolut unthätiger Meditation gesucht werden, wenngleich die zeitweilige Medita- tion ihre hohe Berechtigung hat. Wir sollen vielmehr han- deln, unsre Pflicht erfüllen, aber mit absolutem Gleichmut!*, ohne Rücksicht auf die Folgen, ohne Begier nach den Früchten des Handelns, nur dem Gebote der Pflicht folgend. Es baut sich demnach hier auf dem Grunde der metaphysischen Speku- lation eine erhabene Sittenlehre auf, wie wir sie in den eigent- lichen Systemen der indischen Philosophie vermissen, und die in ihrer Strenge und Reinheit wahrhaft imponirend wirkt

Eine strengsystematische Gedankenentwickelung darf man in dem Gedichte natürlich nicht erwarten. „Es ist ein Weiser, der aus der Fülle und Begeisterung seiner Erkenntniss und seines Gefühls spricht, nicht ein durch eine Schule geübter Philosoph, der seinen Stoff nach einer bestimmten Methode ver- theilt und an dem Faden einer kunstvollen Ideenverkettung zu den letzten Sätzen seiner Lehre gelangt."3

Zum Arjuna, der sich weigert, mordend gegen die Ver- wandten vorzugehen, spricht Krishna lächelnd4:

„Du klagst um die, die nicht beklagenswerte ; Ein Weiser klagt um Keinen, sei ihm Leben oder Tod bescheert. Nie war die Zeit, da ich nicht war und du und diese Fürotenschaar, Nie kommt der Tag, da wir nicht sind, im Lauf der Zeit herbei fürwahr.

Nie wird das Nichtsein wesenhaft, und wesenlos wird nie das Sein, Des Seins und Nichtseins Unterschied sieht jeder Wahrheitskundge ein. So bleibt der Urgrund ewiglich, von dem dies All ist ausgespannt, Des Ewigen Vernichtung, traun! bewirket keines Menschen Hand Dies Endliche ist nur der Leib der ew'gen Seele dieser Welt, Die ohne Ziel und Ende ist; drum kämpfe unverzagt, o Held? Wer meint, der Geist vernichte je, und wer ihn für vernichtbar halt, Sie hegen beide falschen Wahn, nicht fällt er, nicht wird er gefallt

1 Vgl. oben p. 687.

Vgl. Bhag. XIII , 19.

9 Humboldt a. a. 0., p. 45.

4 Bhag. II, 12 flg. Ich gebe die anzuführenden Stellen durch- gängig in der fioxberger'schen Uebersetzung. Ein paar kleine Ab- weichungen werden in den Anmerkungen als solche hervorgehoben.

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Nicht entsteht er, nicht vergeht er; wie er war, so bleibt er immer, ün geboren, unvergänglich; stirbt der Leib auch, er stirbt nimmer. Wer weiss, dass dieser ewig bleibt, wie er von je gewesen schon, Wie kann der einen Mord begehn, wie Mord anstiften, Pritha's Sohn? Wie die Menschen sich des neuen Anzugs nach dem alten freuen, Also tauscht die Seele immer alte Leiber mit den neuen.

Du siehst der Wesen Ursprung nicht, und auch ihr Ende siehst du nicht. Du kennst nur, was dazwischen liegt, darum, o Trauter, klage nicht. Als ein Wunder sieht's der Eine, von dem Wunder redet Einer, Von dem Wunder hört ein Dritter, doch ergrunden kann es Keiner. Die Seel* in eines Jeden Leib ist ewig und unwandelbar, Drum klage du, o Arjuna, um keines aus der Wesenschaar."

Deine Pflicht als Krieger musst du erfüllen, das ist ewiges Gebot!

„Oleich achtend Glück und Ungemach, Gewinn, Verlust, Tod oder Sieg, Dass dich nicht treffe bittre Schmach, bereite dich sogleich zum Krieg."

Thu deine That, nur um die Pflicht zu erfüllen, frei von irdischer Begier, nicht sorgend, was der Ausgang sei. Solcher Glejchmuth ist wahre Andacht.

Arjuna wendet ein, Erkenntniss stehe doch höher als das Handeln. Krishna erwidert, es sei Thorheit, sich dem Handeln entziehen zu wollen. So lange wir als Menschen in irdischem Leibe leben, sind wir naturgeinass auf das Handeln angewiesen; sind gar nicht fähig, es aufzugeben, auch wenn wir wollten. In diesem Sinne sagt er III, 5 flg.:

„Nicht einen Augenblick verbringt der Mensch in blossem Müssiggang, Auch unwillkürlich handelt er nach des Naturgesetzes Zwang. "Wer müssig, still in »ich versenkt nachsinnt den Dingen der Natur Und seines Leibes Thatkraft schwächt, der ist ein Thor und Heuchler nur. Doch wer mit allen Sinnen sich, o Freund, dem Handeln zugewandt, Ton Selbstsucht frei und Leidenschaft, des Name wird mit Ruhm genannt. Vollziehe die gebotne That, hoch steht dies überm Müssiggang; Bei thatenl08em Müssiggang gedeihet auch der Leib nicht lang.

Drum handle ruhig, weise nicht die auferlegte That zurück;

Wer handelt ohne Leidenschaft, der Mensch erreicht das höchste Glück.4*

Und ferner (IV, 19):

„Wer mit des Wissens Feuerstrahl die Thatenleidenschaft verbrannt, Wes Thaten frei sind von Begier, der wild ein Wissender genannt/4

(V, 8): „Entsagung zwar and Tbatigkeit, sie führen beide wohl zum Heil, Doch wird vor dem Entsagenden dem Thätigen der Preis zu Theil."

Dann giebt Krishna dem Arjuna Anweisung, wie er in stiller Einsamkeit und Vertiefung die Andacht üben solle. Dann werde ihm die wahre Erkenntniss von der Gottnatur aufgehen (VI, 30 flg.):

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„Wer mich im Welteolli erblickt und auch das AU in mir erblickt. Dem werd' ich nimmermehr entrückt, and er wird nimmer mir entrückt Wer mich in jedem Ding verehrt und aller Wesen Einheit kennt, Der Fromme, wo er wandeln mag, wird nimmermehr von mir getrennt.**

Er sagt von sich (VII, 6 flg.):

„Ich bin der Ursprung dieser Welt und auch der Wesen Untergang.

Nichts Höhres lebet ausser mir im ganzen Reiche der Natur,

An mich ist dieses All gereiht wie Ferien an die Seidenschnur.

Ich bin der bei Ige Laut der Schrift, der Glanz im Mond- und Sonnenschein,

Der Klang im Aether, Manneskraft im Menschen, süsser Duft im Wein/* etc

In allen Dingen ist er das, was sie gross und schön macht Wer ihn erkennt und recht verehrt, der geht nach dem Tode ohne Wiedergeburt in ihn ein.

X, 2: „Es kennen meinen Ursprung nicht die Götter noch der Seher Schaar, Weil ich der Götter Anbeginn und früher als die Seher war.*1

20: „Ich wohne, Ringellockiger, als Seele allen Wesen ein, Ich bin ihr Anfang und ihr Ziel, und ihre Mitte, ich allein."

41: „Was irgendwo auf Erden glänzt durch Grösse, Seligkeit und Hell, Das wisse, Arjuna, das ist von meiner Kraft und Macht ein Theil.

42: Was nützet weitres Forschen noch und weitre Kenntnis! dir, o Held? Mit einem Theile meines Seins hab* ich dies Weltall festgestellt."

Arjuna hegehrt den Gott in seiner wahren Gestalt zu

schauen. Krishna verleiht ihm ein göttliches Auge und nun

schaut er staunend und zittrrnd (XI, 15 flg.):

„Alle Wesen, alle Götter seh an deinem Leib ich hangen,

Brahma auf dem Lotussitze sammt den Sehern und den Schlangen.

Viel Gesichtor, Arme, Leiber, viele Augen, du Gewaltger,

Aber weder Ziel noch Anfang seh an dir ich, Vielgestaltger.

Auf dem Haupt glänzt die Tiare, in der Hand trägst du die Keule,

Unermeselich , schwer zu schauen, strahlst du wie des Feuers Säule.

Unzertrennlich, ewig bist du, und des höchsten Schatzes Hüter,

Unvergänglich, Schutz des Rechtes und des Weltenalls Gebieter.

Unvertilgbar deine Kräfte, ohne Ende deine Arme,

Mond- und sonnenhaft dein Auge, dass von ihm das All erwarme.

Erd und Himmel, Ost und Westen, wird von dir allein umhüllet

Uud das All, das Wunder schauend, wird von banger Furcht erfüllet.

Mit gefaltnen Händen treten Götter vor dich hin und beten,

Seher. Weise grüssen leise, andre preisen dich mit Reden.

Staunend sehn dich Rudra's, Vasu's, Sädhya's, Xditya's. Gandharven,

Vicva's, Maruta's, Agvinen, Yaksha's, Asura's und Larven4' u. s. w.

36 flg. : „Ja, mit Recht, o Gott der Götter, beugt sich dir das All der Welten, Zitternd fliehen die Dämonen, doch dich preisen fromme Helden. Dich, der höher steht als Brahma, dich, der dieses All gestaltet, Dich, der unvergänglich, ewig, über Sein nnd Nichtsein waltet. Dich, den Ursprung aller Götter, dich, den ältesten der Geister, Dich, den Wissenden und Wisseuswerthen, dich, den Weltenmeister. Gott des Windes, Feuers, Wassers, Gott des Mondes und des Todes. Herr der Wesen, Alles harret schweigend deines Machtgebotes!

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Ehre dir von hier and dorten, Ehre dir tod allen Seiten, Dein Allmachtgen, Allgewaltgen , Ehre dir zu allen Zeiten!

45: Zitternd seh ich, was zu sehen früher mir noch nie geschehen, Schone, Herr der Götter, schone, lass dich mir wie früher sehen 1"

Und Krishna nimmt wieder seine frühere Gestalt an und weiht ihn immer tiefer in die Speculation ein. Er lehrt ihm, dass Natur und Geist beide anfangslos sind; die Natur der alleinige Grund jeder Sinnesthätigkeit; der Geist empfindend, betrachtend, erkennend in ihr wohnend. Die ganze Welt ist in die drei Regionen der Güte, Leidenschaft und Finsterniss 1 ein- geteilt, die von dem Weisen aber schliesslich alle drei über- wanden werden müssen. Im letzten Gesänge kehrt er wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück, die wahre Entsagung sei, zu handeln frei von Leidenschaft und Gier (XVIII, 2 und 7 flg.):

„Wer jeder That der Gier entsagt, hat der Entsagung Werk vollbracht, Verzicht geleistet hat, o Held, wer nicht des Handelns Frucht bedacht. Entsagung der gebotnen That, o Arjnna, ist Albernheit; Wer aus Verblendung ihr entsagt, der ist der Finsterniss* geweiht. Wer, weil es seine Ruhe stört, das Handeln zu vermeiden sucht, Der, weil die Leidenschaft ihn treibt, geniesst nicht der Entsagung Frucht, Wer die gebotne That vollzieht aus Pflicht und nicht ans Leidenschaft, Und nicht des Handelns Frucht bedenkt, nur dess Verzicht ist wesenhaft.*"

17: „— Wessen Sinnen und Verstand nicht durch die Selbstsucht wird

getrQbt,

Wenn er die ganze Welt zerstört, hat dennoch keinen Mord verübt."

23: „Wer handelt ohne Gunst und nass, nur wie es ihm die Pflicht gebeut, Und nicht des Handelns Frucht begehrt, dess Handlung ist voU Treff- lichkeit*4

So, unentwegt nach dem Pflichtgehote handelnd, und an- dachtsvoll immer wieder den Geist zur Gottheit kehrend, gelangt der Weise endlich zum höchsten Heil.

65: „Mich ehre, mich bedenke stets, mir huldige und opfre mir, So gehst du sicher zu mir ein; o Freund, die Wahrheit red* ich dir.

66: Gieb jeden andern Glauben auf und suche nur in mir dein Heil, 8o wird dir einst von aller Schuld durch mich Erlösung wohl zu Theü."

Es ist echte Weisheit, die dies Gedicht enthält, in be- geisterten Worten verkündet, tiefsinnige Speculation, verbunden mit ernster, mannhafter Erfassung des Lebens mit allen seinen Aufgaben und Lasten. Als Kunstwerk steht es hoch, denn

1 sattva, rajas und tamas.

Boxberger sagt Dunkelheit (tamas).

9 D. h. wahrhaft, wirklich.

4 Boxberger sagt „Wesenheit", wodurch aber der Begriff des indi- schen sattva sehr missverstandlich wiedergegeben wäre.

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schwerlich wird man irgendwo eine Dichtung finden, in welcher philosophische Gedanken von so echter poetischer Begeisterung durchwärmt, von so hohem Schwünge getragen werden. Ich darf darüber wohl zum Schluss die Worte W. v. Humboldt's anfuhren, der in der früher erwähnten Abhandlung von der Bhagavadgita sagt: „Wenn man das Gesprach Krishna's mit Arjuna von der poetischen Seite betrachtet, so möchte ich be- haupten, dass dasselbe mehr als irgend ein anderes, von irgend einer Nation auf uns gekommenes Werk dieser Art dem wahren und eigentlichen Begriff einer philosophischen Dichtung ent- spricht/4 1

Und das ist nicht zu viel gesagt.

1 a. ». 0. p. 64.

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Siebenundvierzigste Vorlesung.

Wissenschaftliche Leistungen der Inder. Sprachwissenschaft: Grammatik und Lexikographie. Der Padapatha. Die Nighantavas. Yaska's Nirukta. ^akatayana. Panini's Grammatik. Eigenthümliche Terminologie. Zeit- alter des Panini. Katyayana. Patanjali's Mahabhashya. Spätere gram- matische and lexikographische Leistungen. Der Amarakoca. Die Wurzel- wörterbücher. — Rhetorik und Poetik. Geschichte.

Unter den Wissenschaften, in Welchen die Inder etwas ge- leistet haben, nimmt die Sprachwissenschaft die erste Stelle ein, ja auf diesem Gebiete haben sie mehr erreicht als alle andern Völker des Alterthums, die Griechen nicht ausgenommen, und es ist eine ebenso bekannte wie bemerkenswerthe That- sache, dass die rasche und glückliche Entwickelung der ver- gleichenden Sprachforschung in unserem Jahrhundert nicht zum geringsten Theile durch die bedeutenden grammatischen Vor- arbeiten der Inder gefördert worden ist Nur durch diese war e8 den europäischen Gelehrten möglich, den Bau der für die Vergleichung so hochwichtigen Sanskritsprache zu durchschauen, von welcher aus bekanntlich das Licht auch in den viel weniger durchsichtigen Bau der anderen indogermanischen Sprachen hineinstrahlte.

Das hervorragende Verdienst der indischen Grammatiker liegt vor Allem in der höchst scharfsinnigen Zerlegung der sprachlichen Formen in die Elemente, aus welchen dieselben zusammengesetzt sind. Nicht sowohl geistvolle sprachphiloso- phische Theorieen, als vielmehr gerade die eindringendste und sorgfältigste empirische Forschung lasst die Inder auf diesem Gebiete gross, ja genial erscheinen, und die Methode, deren sie sich dabei bedienen, muss eine wahrhaft wissenschaftliche genannt werden. Sie besteht in der gründlichsten Analyse der äusseren Form der Sprache, Zerlegung derselben in ihre Bestand- teile und Erkenntniss der Funktion dieser einzelnen Theile.

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Auf diesem Wege, von aussen nach innen dringend, suchen sie den Inhalt, das wahre Wesen der Sprache zu erforschen. Gerade den umgekehrten Weg schlägt die philosophische Sprachbetrach- tung ein, als deren eigentliche Schöpfer wir die Griechen an- zusehen haben.1 Weil für die indische Sprachforschung gerade die analytische Methode charakteristisch ist, wird die Grammatik geradezu vyakarana genannt, d. L Auseinandermachung, Ana- lyse; ein Grammatiker heisst väiyakarana, d. h, Analytiker! Begünstigt wurde dieso Methode ohne Zweifel durch die grosse Klarheit und .Durchsichtigkeit des Sanskrit, aber nichtsdesto- weniger sind die Leistungen erstaunlich.

Die indischen Grammatiker haben es erkannt, dass die sprachlichen Formen aufgebaut sind aus, meist einsylbigen, Wurzeln, in Zusammensetzung mit mannigfachen, die Wnrzel- bedeutung moditicireuden Suffixen und Präfixen. Diese Wurzeln, sowie auch die Suffixe, haben sie verstanden, höchst gründlich und scharfsinnig in ihre mannigfaltigen Verbindungen und Um- gestaltungen zu verfolgen, wo dieselben oft keineswegs leicht herauszuerkennen sind. Sie haben die lautlichen Verhältnisse, die Gesetze, nach welchen Consonanten und Vocale sich ver- ändern, sich gegenseitig beeinflussen, verdrängen u. dgl. m, in höchst scharfsichtiger, wahrhaft wissenschaftlicher Weise er- forscht. Ihre Darstellung der Laut-, Flexions- und Wortbildungs- lehre zeugt von vorzüglichem Beobachtungstalent auf diesem Gebiete und dabei von wahrhaft staunenswerther Akribie, was umsomehr hervorgehoben werden muss, als gerade Genauigkeit und Präcision auf andern Gebieten der wissenschaftlichen For- schung bei den Indern bekanntlich sehr vermisst werden. Von entscheidender Bedeutung war dabei wohl der Umstand, da&s das Studium der Grammatik in Indien zunächst an den vedi- schen Texten erwuchs, deren Heiligkeit auch für den letzten, in ihnen enthaltenen Buchstaben ehrfurchtsvolle Scheu und Sorgfalt beanspruchte. In der Verzeichnung und Besprechung der vedischen Formen verfahren die indischen Grammatiker mit der äussersten Umsicht und einer Gewissenhaftigkeit, die wir nicht genug rühmen können."

1 Man vgl. hier namentlich Benfey, Geschichte der Sprachwissen- schaft (München 1869) p. 85—37. Die Darstellung der indischen Sprach- wissenschaft, welche Benfey in diosem Werk (p. 36 tOO) gegeben hat, ist die beste, welche wir bisher besitzen.

Nor durch diese Akribie der indischen Grammatiker ist es mir z. B. möglich gewesen, die N&itr&yani Sambia als einen echten alten Veda zu erweisen; nur dadurch, dass ich lii derselben eine ganze Reihe

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Dass sich der sprachwissenschaftliche Sinn schon früh hei den Indern regt» haben wir bereits aus den, in den Yajurvedeu und Brakmana's erhaltenen, ersten etymologischen Versuchen ersehen können. Als die ältesten uns erhaltenen Leistungen der Inder auf diesem Gebiete sind der sogenannte Padapatha der Yedischen Bücher und die unter dem Namen Nighantavas bekannten Vedenglossen zu nennen.

Der Padapatha oder Wort-Text ist eine besondere Form der yedischen Texte, in welcher die einzelnen .Wörter, welche sonst nach den eigentlichen Kegeln des Sanskrit eines mit dem andern verbunden, zusammengeflossen, im Anlaut oder im Aus- laut oder auch in allen beiden phonetisch verändert erscheinen, in ihrer ursprünglichen Gestalt, wie sie dieselbe ausserhalb jeder Verbindung mit andern Wörtern haben müssten, aufgeführt werden. Diese Scheidung oder Loslösung der einzelnen Wörter von einander war dank den complicierten Regeln, nach welchen im Sanskrit die Verschmelzung derselben im Satze vor sich geht, keineswegs eine leichte Aufgabe.1 Der Zweck dieser Ar- beit war aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich ein rein praktischer, nämlich das bessere Verständniss der vedischen Texte; im Verlaufe der Zeit nahm derselbe aber mehr und mehr einen wissenschaftlichen Charakter an. Man wurde sich bei diesem Unternehmen zuerst über die phonetischen Gesetze klar, dann über die grammatischen Formen und Hegeln überhaupt, und so führte dasselbe allmählich zum Aufbau einer wissen- schaftlichen Grammatik. Die Abfassung des Padapatha zum Rigveda wird dem Qäkalya zugeschrieben; die des Padapatha zum Sämaveda dem Gärgya. Es sind dies hochberühmte Namen in der Geschichte der indischen Sprachwissenschaft, und werden diesen Männern auch noch andere grammatische Ar- beiten zugeschrieben.2

Die sogenannten Nighantavas (auch Näighanvukam ge- nannt), in 5 Büchern, sind eine Sammlung vedischer Glossen,

angewöhnlicher und merkwürdiger Formen und Bildungen vorfand, welche bei Panini als vedisch verzeichnet werden, sich aber sonst in keinem andern Veda-Text nachweisen Hessen, Formen wie der Optativ pava- yamkriyat, der Infinitiv s&dhyai u. a. m. (Maitr. S. I, Einl. p. XIV flg.). Die gewissenhafte Aufführung all dieser ganz vereinzelt vorkommenden Bildungen ist gewiss ein Zeichen gründlichster Special-Beobachtung.

1 „In dieser Scheidung sagt Benfey liegt wohl der Anfang der indischen Grammatik überhaupt uud zugleich eine ihrer bedeutend- sten Thaten." (Gesch. d. Sprachwiss. p. 66).

* Vgl. Roth, Nirukta p. 222. Benfey, a &. 0. p. 67. Roth aagt a. a. 0. : „Durch die Herstellung eines Padapatha wurden die laut-

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offenbar zum mündlichen Unterricht bestimmt, hervorgegangen aus dem Bedürfniss, die zahlreichen, im Laufe der Zeit unver- ständlich gewordenen vedischen Worte ihrer Bedeutung nach näher zu erläutern. Es sind hauptsächlich synonymische Zu- sammenstellungen vedischer Wörter; ferner Zusammenstellungen besonders schwieriger Wörter des Voda (Buch 4), sowie der in den Hymnen vorkommenden Gottheiten (Buch 5). Ein Verfasser wird für diesolben nicht angegeben.

Gerado in. Bezug auf den Wortschatz und die Bedeutung der einzelnen Wörter ist die spätere Sprache stark von der des Veda verschieden, und gerade in diesem Punkte bedurfte man daher später dringend der Aufklärung und eines besonderen dahin zielenden Unterrichts. Wie stark schon in verhältniss- mässig früher Zeit das Verständniss des Veda verdunkelt war, beweist uns unter Anderem die von Yäska angeführte Behaup- tung des Käutsa, die vedischen Lieder seien sinnlos, da sie Wörter von unverständlicher Bedeutung enthielten.1 Dieser Käutsa war ein Zeitgenosse oder, vielleicht noch wahrschein- licher, ein Vorgänger des Yaska, und dieser letztere gehört spätestens in das fünfte Jahrhundert v. Chr. Es erleidet keinen Zweifel, dass die Schwierigkeit, den Sinn der alten heiligen Lieder zu verstehen, für die Inder ein mächtiger Sporn zu exegetischen und grammatischen Arbeiten gewesen ist, und in- direkt verdanken wir ihr das frühe Aufblühen der indischen Sprachwissenschaft. *

Zu den Nighantavas schrieb Yaska seinen berühmten Com- mentar, genannt Nirukta, d. i. Erklärung, ein Werk vou un- schätzbarer Bedeutung für die Geschichte der iudischen Sprach-

lichen Schwierigkeiten der vedischen Texte gelöst uud ihr Wortgehalt fttr die Exegese gleichsam bloßgelegt. Es erklart sich deshalb leicht, wie einerseits nur ein von den bedeutendsten Lehrern aufgestellter Padi- text allgemeine Geltung sich verschaffen konnte, andrerseits aber such ein solches Werk seinem Urheber dauernde Hochachtung sichern mosste.u

1 Vgl. Nir. 1, 15 yadi mantrarthapratyay&yanarthakaoi bhaTstlti kautso 'narthakä hi mantra{i. Vgl. auch Benfey a. a. 0. 48.

1 Ich fahre darüber noch die Worte Benfey's an (a. a. 0 p. „Wir müssen nicht unbemerkt lassen, dass, so sehr die Verdunkelung des Verständnisses dieser Lieder von vielen Gesichtspunkten aus zu be- dauern ist, so viel wir auch dadurch vielleicht unwiederbringlich verloren haben mögen, die bewunderungswerthen Thaten der Inder auf dem Ge- biete der Grammatik doch wesentlich ihr verdankt werden; an derüeber- windung der Schwierigkeiten, welche sich der Wiedererweckung des Ver- ständnisses dieser Lieder entgegenstemmten, erstarkten sie zu der Kraft welche sich in der Gestaltung der Sanskrit -Grammatik bis zu einem so hohen Grade entwickelte" u. 8. w.

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Wissenschaft. Yaska mass lange vor dem grossen Grammatiker Panini gelebt haben. Es wird eine beträchtliche Anzahl be- deutender Grammatiker zwischen Yaska und Pänini erwähnt.1 Da nun Panini, wie wir sehen werden, in der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. lebte, müssen wir Yaska mindestens in das fünfte, wenn nicht gar in das sechste Jahrhundert v. Chr. setzen. Die Nighantavas müssen lange vor Yaska abgefasst sein und reichen jedenfalls Jahrhunderte vor Panini hinauf, doch sind wir nicht im Stande, die Zeit näher zu bestimmen.'

Das Nirukta erläutert die Nighantavas und liefert bei der Gelegenheit die wichtigsten Beiträge für die Erklärung der Veden überhaupt Es enthält dasselbe ferner die ersten gram- matischen Mittheilungen, nennt verschiedene grammatische Lehrer und ist auch aus dem Grunde von Interesse für uns, weil es als das älteste Werk der eigentlich klassischen Sanskrit-Litera- tur anzusehen ist

Aus dem Nirukta des Yaska sehen wir deutlich, dass die grammatische Wissenschaft zu der Zelt, als dieses Work ver- laset wurde, schon recht entwickelt gewesen sein niuss. Wie aas einer Menge von Stellen deutlich hervorgeht, hatte man damals bereits klar erkannt, dass die Wörter aus einem be- grifflichen Element (der Wurzel) einerseits und einem oder mehreren formativen Elementen andrerseits zusammengesetzt sind. Man hatte auch bereits die Lautwandlungen, welche bei der Zusammenfügung dieser Elemente statthaben, sehr wohl erforscht und wusste die so bedingte Gestalt dieser Elemente von ihrer unbedingten, wo sie von keinerlei andern Lauten noch beeinflusst war, sehr wohl zu unterscheiden; man wusste z. B., „dass in den Participiis Perl Pass buddha, güdha, dvishta die auslautenden, dha, dha, ta nur phonetisch bedingte Umwand- lungen des in bhüta erscheinenden ta sind und diese Form als das (für die Erforschung der sprachlichen Thatsachen letzt - erreichbare) unbedingte Bildungselement der hierher gehörigen Wörter aufzustellen ist.*** Wichtig ist namentlich auch der Um- stand, dass Yaska sich bereits wesentlich derselben gram- matischen Terminologie bedient wie Panini. Er kennt nicht nur die Wurzeln, sondern er nennt sie auch dhatu* wie Panini;

1 Vgl. Benfey a. a. 0., p. 47. 48

1 «Yaaka'i Nirukta ummt den Nighantava*" ist mit sehr Werth- vollen Erläuterungen, Einleitung und andern Beigaben vorzüglich heraus- gegeben von Rod. Roth, Göttingen 1852.

* Vgl. Benfey, Gesch. d. Sprachwiss. p. 70.

4 Dbata bedeutet eigentlich „Basis".

f. Schröder, ladUu Lit. n. Cilt. 45

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er unterscheidet nicht nur die primären und sekundären Suffixe, sondern er nennt auch bereits die ersteren Krit, die letzteren Taddhita, ganz wie Panini 1 ü. dergl. öl „Wer aber weiss, sagt Benfey, mit welcher Schwierigkeit und Langsamkeit eine so treffende zumal so detaillirte wissenschaftliche Terminologie, wie sie in der indischen Grammatik hervortritt, sich zu ent- wickeln pflegt, welche umfassende, tief eindringende, vielseitig ordnende Forschung und Darstellung sie voraussetzt, der kann nicht umhin, für die dem Yaska oder selbst Qakatayana vor- hergegangene grammatische. Thätigkeit entweder eine kaum denkbare Intensität anzunehmen, oder ihr eine schon sehr lange Dauer zuzusprechen." *

Yaska citirt oft die Vaiyakarana's, d. h. die Grammatiker, und nennt eine Reihe derselben mit Namen.* Unter diesen ist vor Allem Caka^ayana berühmt Es scheint, dass er der bedeutendste Vorgänger des Panini gewesen. Ihm wird eine Grammatik zugeschrieben, von welcher Bühl er einen Theil ver- öffentlicht hat.4 Falls dieselbe echt ist, wirklich von £&ka^Lyana herrührt, worüber ich mir allerdings kein Urtheil anmawe, so wäre schon damals die Sanskrit-Grammatik der Hauptsache nach geschaffen und Panini hätte dieselbe nur vervollkommnet und in eine klassisch vollendete Form gebracht6 Qakatayana war es auch, der nach Yaska's Zeugniss die Behauptung aus- sprach, dass die Nomina aus den Verben entstanden seien. Seine Gegner, unter denen namentlich Gargya hervorragt, be- streiten dies nicht ganz und gar, sie beschränken es vielmehr nur und sagen: „nicht alle Nomina". Aber die Ansicht des Qak&tayana trug den Sieg davon; ihr schloss sich Yaska an, und sie bildet die Grundlage von Panini's Grammatik.6

Wir können schon aus der Art dieses Streites entnehmen, wie weit die Einsicht in die Sprache und ihre Formen damals vorgerückt gewesen sein muss. Man hatte offenbar schon die Nomina zum grössten Theil nach analytisch-etymologischer Me- thode auf Verbalwurzeln zurückgeführt Ferner geht aus eben diesem Streite deutlich hervor, dass jene alten indischen Gram-

1 8. Benfey, a. a. 0. p. 71.

Benfey, a. a. 0. p. 71. 72.

Vgl. Roth, Nirukta p. 222.

In Benfey*! Zeitechx. „Orient und Occident", II, 691-706; vgl. ebenda III, 182—184 und 192.

» Vgl Benfey, Gesch. d. Spr. p. 68. 69. Weber, Ind. Lit. 2. And.

p. 888.

8. Benfey, a. a. 0. p 69.

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matiker auch zu weiteren, allgemeineren, eigentlich sprachphilo- sophischen Fragen vorschreiten. Denn eine solche ist offenbar die Frage, oh alle Nomina auf Verbalwurzeln zurückgehen oder nicht Wir sehen ferner aus Yaska's Nirukta, dass auch die in Plato's Kratylos hervortretende Frage, oh auf onomatopoe- tischem Wege Wörter entstanden seien, von den alten indischen Sprachforschern behandelt wurde und es hatte sich z. B. der Ton Yäska oft citirte Äupamanyava dagegen erklärt1 Vorwie- gend ist aher freilich die Tbätigkeit der indischen Forscher auf die empirischo Analyse der Sprache gerichtet, und diese fuhrt sie zu den glänzendsten Resultaten, welche uns in höch- ster Vollendung boi Panini entgegentreten.

Panini bildet den Höhepunkt der grammatischen W Bchaft bei den Indem. Sein berühmtes Werk acht Bücher grammatischer Kegeln* ist zugleich die erste uns erhalteno zusammenhängende grammatische Arbeit3 Nichtsdestoweniger besteht kein Zweifel darüber, dass Panini eine bedentende An- zahl von Vorgängern auf dem Gebiete der Grammatik gehabt hat, wie deren denn auch in der That nicht weniger als 64 namhaft gemacht werden.4

Offenbar hat er durch die Vorzüglichkeit seines Werkes die Arbeiten seiner Vorgänger in Schatten gestellt und schliess- lich ganz verdrängt, wie sich Aehnliches auch auf anderen Ge- bieten der indischen Literatur ereignet hat Wie viel Panini diesen seinen Vorgängern verdankt, wie viel er selbst geschalten, ist unter diesen Umständen nicht möglich, sicher abzuschätzen. Aller Wahrscheinlichkeit nach fand er aber schon eine aus- gebildete grammatische Wissenschaft vor, welche er dann nur auf die höchste Höhe klassischer Vollendung, Exactheit, Prä- oision und Vollständigkeit erhoben hat Auch die eigentüm- lich formelhafte, sozusagen algebraische Terminologie, doren Bich Panini bedient, ist gewiss nicht von ihm selbst erfunden, vielmehr nur vervollkommnet worden. In dieser Beziehung, wie überhaupt, scheint vornehmlich QakatAyana dem Panini Torgearbeitet zu haben.6

1 S. Nir. 2, 18. Benfey, s. a. 0. p. 72.

* Das „ashtakam pAnlnlyam".

9 Wenn man toü £akat&yana's Grammatik absieht, über deren Echtheit ich, wie oben angedeutet, nicht zu urtheüen wage.

4 Vgl. M. Maller, History of anc. Sansk. Lit. p. 142. 143. Benfey, a, a. 0. p. 68. Panini 9etzt auch z. B. eine Sammlung von primären Affixen (unAdi genannt) direkt voraus (s. Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 233).

* So'Bühler's undWeber's Urtheil (vgl. Weber, Ind. I4t 2. Aufl. p. 233). Da uns nun aber von diesen vorauszusetzenden alteren gram-

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Die Grammatik des Pauini, von welcher uns BÖhtlingk eine vorzügliche Ausgabe sammt Scholien, Commentar und an- dern erklärenden Beigaben geliefert hat,1 enthält circa 4000 Regeln. Die meisten derselben sind ganz kurz, oft nur eine halbe, oft weniger als eine Viertelzeüe im Druck umfassend. Nach Benfey's Berechnung würden alle diese Regeln, fortlaufend, selbst mit grosser Sanskritschrift, gedruckt, kaum mehr als 150 Seiten füllen. ' Und diese, durch die denkbar grösste Kürze und Präcision ausgezeichnete Grammatik, bietet uns dabei eine umfassende Darstellung der gesammten Sanskritsprache bis in alle Einzelnheiten ihres Baues mit einer Vollständigkeit, welche fast unvergleichlich genannt werden kann.3 Insbesondere sind die phonetischen Gesetze mit einer Sorgfalt entwickelt, wie wir dies in der Grammatik keiner andern Sprache wiederfinden* 4 von andern Lichtpunkten des grossartigen Werkes zu geechweigen

Um wenigstens annähernd begreifen zu können, wie es möglich war, so grosse Vollständigkeit mit so grosser Kürze zu vereinigen, wird es nothwendig sein, die eigentümliche Form der Darstellung, die uns in diesem Werke entgegentritt, etwas näher in's Auge zu fassen. Wir finden hier ein eigenartiges, sehr scharfsinnig ersonnenes System von Formeln, willkürlich gewählten Sylben oder Buchstaben, welche in abgekürzter Weise bestimmte Dinge und Begriffe bezeichnen, oder gewisse gram- matische Qualitäten andeuten. So bezeichnet z. B. die Sylbe ac alle Vokale, die Sylbe eo alle Diphthonge; ak die Vokale a, i, u, r, J; hal alle Consonanten; a( saramtliche Vokale nebst den Consonanten h, y, v, r; al sämmtüche Laute; die Sylbe ku

matischen Schriften wenig oder nichts sicher erhalten ist, so treten wir wie Weber sich ausdrückt, „gleich mitten in das grossartige Gebäude - ein, das Paninfs Namen als den seines Erbauers tragt und das mit vollem Rechte das bewundernde Staunen jedes Eintretenden in Anspruch nimmt" (a. a. O. p. 283.)

1 Panini's acht Bücher grammatischer Regeln. Herausgegeben und erläutert von Dr. Otto BÖhtlingk, 2 Bande, Boan 1839. 1840. Hochwichtig ist die mit deutscher Uebersetzung versehene neue Ausgabe des Panini von BÖhtlingk, die im Jahre 1886 zu erscheinen begosneD hat und gleichzeitig mit diesem Werke beendigt sein wird: Panrnis Grammatik, herausgegeben, übersetzt, erläutert und mit verschiedenen Indices versehen von Otto BöhtlLngk.

» Benfey, a. a. 0. p. 77.

Benfey urtheilt von Panini's Werk, es sei „eine so vollständige Grammatik, wie sie ausser dem Sanskrit keine Sprache der Welt, selbst trotz der staunenswerthen Grimmschen Arbeiten unsre Muttersprache nicht aufzuweisen hat." (a. a. 0. p. 77.)

* Vgl. Benfey, a. a. 0. p. 87.

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bezeichnet alle Gutturale, pu alle Labiale u. 8. w. Es gilt z. B. als Regel, dass alle Suffixe auf der ersten Sylbe betont sind; davon giebt es nun aber zahlreiche Ausnahmen, und diese werden durch ein angehängtes p u. s. w. gekennzeichnet Z. B. das Suff, der 1. Pers. Sg. Act. (mi) wird mip genannt, weil es nie den Accent hat; ebenso lautet das (komparativ - Suffix tara bei Panini tarap aus demselben Grunde1 u. dgl. m. Dies erspart viele Regeln. Der Buchstabe 1 bezeichnet alle Personal- endungen des Verbums; ein hinzutretendes % die der Haupt- tempora (Präsens, Perfect, Futurum) und der ihnen verwandten Modi (Conjunctiv und Imperativ); ein gutturales n die der Nebentempora (Imperfl, Aorist, Conditional) und der verwandten Modi (Potential und Precativ). Das Präsens heisst lat,, das Imperfectum laft; das Perfectum h% Potential-Precativ lin; Fu- turum I luY, Aorist hin; Conjunctiv lev, Imperativ lot, u. s. w. „Man kann sagt Benrfey Ordnung, Gattung und Art wohl kaum kürzer und zugleich bestimmter bezeichnen; lat und lan sind z. B. dutch das 1 als Verbalform bezeichnet, jenes durch dos \ als ein Haupttempus, dieses durch das ü als ein Neben- tempus; beide durch a als erste Formen der beiden Gattungen d. h. Präsens und Imperfecta 8

Mit diesen conventionell angenommenen Zeichen werden nun die Regeln gebildet, welche man auf diese Weise zu kurzen, formelhaften Sätzen gestalten konnte, oft nur wenige Sylben, bisweilen sogar nur eine Sylbe gross.8 Es ist nicht leicht, sich in dies System von Formeln hineinzufinden, aber dasselbe ist streng consequent und lässt denjenigen, welcher sich damit vertraut gemacht hat, den Bau der altindischen Sprache voll- ständig erkennen. Um die Aufhellung dieser schwierigen R&thsel- sprache der indischen Grammatiker hat sich vor Allem Böht- lingk ein hervorragendes Verdienst erworben durch seine schon erwähnte Ausgabe des Panini. Die Uebersetzung dieses grossen Grammatikers ist ein weiterer wichtiger Schritt auf demselben Wege.4

Ueber das Zeitalter des Panini ist viel gestritten worden. Böhtlingk hatte, in der Einleitung zu seiner Ausgabe, zuerst versucht, dasselbe festzustellen, und kam hei seiner Berechnung

1 z. B. prthütara von prthA.

* Vgl. Benfey, a. a. 0. p. 92.

* Derartig kurze Regeln sind z. B. uiiaV, kfiiti ca, ce, adaso mat, adefi gunah u. dgl. m.

4 Vgl. oben p. 708 Anm.

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etwa in die Mitte des 4. Jahrhunderts vor Chr. Sein Haupt- grund dafür war eine Angabe des Kathasaritsagara , jener ans dem 12. Jahrhundert nach Chr. stammenden March ensammluug, der gemäss Panini Schüler eines gewissen Varsha gewesen sein soll, welcher in Patahputra unter der Regierung des Königs Nanda, Vorgängers des Candragupta, gelebt haben solL Damit kämen wir allerdings etwa in die Mitte des 4. Jahrhunderts yor Chr. BöhÜingk's Annahme wurde von Weber entschieden bestritten. Derselbe stützte sich besonders auf eine, von Reinaad mitgetheilte, Notiz des berühmten chinesischen Reisenden Hiuen Thsang, welcher im 7. Jahrhundert nach Chr. Indien bereiste. Es hat sich aber nachher herausgestellt, wie auch Weber selbst jetzt zugiebt, dass die betreffende Stelle völlig missver- standen war und dass in derselben über die Lebenszeit Paninfs in der That gar nichts ausgesagt ist Goldstücker1 wiederum war der Ansicht, dass Panini alter sei als Buddha, als die Pratic&khya's, ja als alle vedischen Texte, mit Ausnahme des $igveda, Samaveda und schwarzen Yajurveda. Nach Allem, was darüber gestritten worden ist, scheint mir immer noch die Zeitbestimmung Böhtlingk's bei weitem am besten begründet und am wahrscheinlichsten zu sein, und dürfte dies wohl auch die Ansicht sein, welche von der Mehrzahl der ludologen gegen- wärtig getheilt wird.1

Panini stammte, wie sich aus mannigfachen Gründen er« giebt, aus dem nordwestlichen Indien. Sein Geburtsort Qalatura (chinesisch Pholotoulo) lag nach Hiuen Thsang 1 */, Meilen nord- westlich vom Indus. Hiuen Thsang nennt den Panini* direkt als zu den Gandhara, den griechischen ravöaQOi, gehörig, welcher Volksstamm bekanntlich ganz im Nordwesten Indiens lebte. Er soll aus dem Geschlechte der Dakshi entsprossen sein, welche zu den Yahlka im Nordwesten gehören.4

Seit alter Zeit bis auf den heutigen Tag bildet Panini's Werk die maassgebende Autorität für alle grammatischen Fragen. Eine bedeutende grammatische Literatur ist inzwischen heran- gewachsen; sie hat aber Panini's Stellung nicht erschüttert oder

1 In Beinern Werk „Panini, bis place in Sanskrit Literature" (1861).

* Pischel'a Versuch einer .anderen Zeitbestimmung (Ztschr. d. D. M. 6. XXXIX, p. 96) muss als gescheitert betrachtet werden, Vgl darüber namentlich Kielhorn 's sehr werth volle und interessante Er- widerung, „der Grammatiker Panini" in den Nachrichten von der Kön. Ges. d. Wiss. zu Göttingent Jahrgang 1886, No. 5; p. 185 flg.

* Er nennt ihn Phonini.

* S. WeW, Ind. Lit., 2. Aufl., p. 236.

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ihn überflügelt, sondern gruppirt sich um ihn herum als um ihren regierenden Mittelpunkt

Die Grammatik des Panini, die in ihrer räthselhaften Kürze so schwer zu verstehen ist, wurde s hon früh von den Indern mit mancherlei Erklärungen und Commentaren versehen. Als die ältesten derselben gelten die sogenannten Paribhasha's, deren Verfasser unbekannt ist. Dann haben wir die Yarttika's oder Erklärungen des Katyayana und endlich das grosse erläuternde Werk des Patafijali, genannt das Mahabhashya, welches uns gegenwärtig vollständig in der vortrefflichen Ausgabe von Kielhorn vorliegt.1 Was Katyäyana's Zeit anbetrifft, so findet sich bei Hiuen Thsang die Angabe, dass der gelehrte Kia to yan na 300 Jahre nach Buddha in Tamasavana im Penjab gelebt habe. Ich glaube, dass Böhtlingk Recht gehabt hat, diese Angabe auf unsern Katyayana zu beziehen, für welchen sich demnach das Jahr 180 vor Chr. fixiren Hesse. Dies stimmt auch vortrefflich zu der wahrscheinlichen Zeit des Patafijali, welcher auf Katya- yana folgt und mehrfach gegen ihn polemisirt Historische Be- ziehungen, welche in dem Mahabhashya des Patafijali zu Tage treten, machen es wahrscheinlich, daas dieses Werk in der ersten Hälfte, etwa in den vierziger Jahren des zweiten Jahrhunderts Tor Chr. entstanden sein dürfte.1 Neuerdings hat diese Zeit- bestimmung eine wichtige Stütze durch einen darauf bezüglichen Artikel von Böhtlingk erhalten.»

Eine Angabe der Rajataramginl, der kaschmirischen Königs- chronik, besagt ferner, dass das Mahabhashya unter König Abhimanyu (dem Nachfolger des Kanishka, 40—60 nach Chr.), also im ersten Jahrhundert nach Chr. in Kaschmir eingeführt worden sei Es muss doch jedenfalls längere Zeit vorher schon exißtirt haben, und das Jahr 140 vor Chr. dürfte dazu durch- aus stimmen.4

1 The Vyftkarana-Mahabhashya of Patanjali. Sanskrit text with ar read. ed. by F Kielhorn, 8 Voll. Bombay, 1878—1886.

* Goldstücker fixirte die Abfassungazeit des Mahabhashya auf 140—120 vör Chr.; Bhandarkar auf «wischen 144—142 vor Chr.

" Ztachr. d. D. M. G. XXXIX, p. 538—581. Man erkennt ans einer Aeuaserung des Pak, dass die Herrschaft der Maurya damals schon ihr Ende erreicht hatte, daas dies aber noch nicht lange her war, vielmehr noch in frischem Andenken lebte. Dazu a. a. 0. XL, p. 175 flg.

« Weber kam (in s. Ind. Lit, 2. Aufl., p. 241 Anm.) in dem Schiusa, dass wir uns begnügen müssen, die Abfassungsseit des Mahabhashya zwischen 140 vor und 60 nach Chr. au verlegen. Ob er auch nach Böht- lingk's letzten Darlegungen noch an dieser Ansicht festhält, ist mir nicht bekannt.

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Dass auch die Annahme, Panini selbst habe im vierten Jahrhundert vor Chr. gelebt, zu diesem muthmaasslichen Zeit- alter seiner Commentatoren (180 und 140 vor Chr.) aufs Beste stimmt, braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden.

Die grammatische Literatur der Inder ist weiterhin zu sehr bedeutendem Umfang angewachsen, doch muss ich bei der Kürze der Zeit es mir versagen, hier auf einzelne Werke und Autoren, unter denen wir zum Thoil sehr bedeutenden Er- scheinungen begegnen, näher einzugehen. Es sei nur noch be- merkt, dass neben Panini auch mehrere andere grammatische Systeme existiren, die ihre eigene Terminologie haben. Schon Yäska unterscheidet eine östliche und eine nördliche Schule der Grammatik, ebenso Panini. Ueber die wichtige Schnle der Aindra-Grammatiker verdanken wir Burnell werthvolle Mit- theilungen.1

Als ein wichtiges grammatisches Werk der späteren Zeit sei noch die Kacika, ein Commentar zu Panini, erwähnt, von Vämana, resp. Vämana und Jayaditya gemeinsam, verfasst Die- selbe dürfte nach einer Angabo des chinesischen Reisenden J-tsing dem siebenten Jahrhundert nach Chr. angehören.1 Als berühmte Grammatiker auf dem schwierigen Gebiete der PrA- krit- Dialekte müssen noch Vararuci3 (im sechsten Jahrhun- dert) und Hemacandra4 (im zwölften Jahrhundert) namhaft gemacht werden. Die Anordnung in der Grammatik des Panini ist durch das Streben- nach grösstmöglicher Kürze geleitet uud so unübersichtlich wie nur möglich. Sie eignet sich daher nicht zum Gebrauche für Anfänger. Für solche schrieb Vopadeva (im 13. Jahrhundert) seine Grammatik (Mugdhabodha genannt), welche von Böhtlingk6 herausgegeben ist. Hier erscheint die Grammatik in leichtem, fast europäischem Gewände, und haben

1 A. G. Burnell, On the Aindra School of Sanskrit Grammarian* Mangalore 1876 (London, Trübner). Ich notire auch noch F. Kiel- horn, (antanava's Phiteutra, Leipzig, 1866.

* Vgl. M. Maller, Indien in s. weltgesch. Bed p. 293 300. Wissenschaftl. Jahresbericht aber die Morgenland. Studien L J. 1880 Klatt) p. 23. Herausgegeben ist die Kicika von dem Inder B 41a- ((4s tri, Benares, 1876. 1878.

3 Vararuci's Prakritapraka^a ist Ton Cowell herausgegeben,

1864. 1868.

* Hemacandra's Declnämamala, herausgeg. ton TL Piichel und 0. Bühler, Bombay 1880. Sein Wörterbuch Abhldh4nacin- t&mani ton Böhtlingk nnd Rieu, Petersburg 1847.

5 St. Petersburg 1847.

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Europäer auch zuerst iu der Regel nach diesem Werke das Sanskrit erlernt1

Auf dem Gebiete der Lexicogr*aphie dürfen die schon besprochenen Nighanvavas nur als erste Anfänge gelten. Das erste und zugleich bedeutendste eigentliche Sanskrit-Lexicon ist der sogenannte Amarakoca, dessen Verfasser Amara, Ama- radeva oder Amarasiinba genannt wird. Auch dieses gi und wichtige Werk muss eine Reihe von Vorgängern gehabt haben, die uns aber nicht erhalten sind. Amara ist einer von jonen neun Edelsteinen am Hofe des Vikramaditya, zu denen ja auch Kalidasa und Varahamihira gehörten, und er musste demnach im sechsten Jahrhundert nach -Chr. gelebt haben. Zu dieser Annahme stimmen nun auch alle sonstigen Thatsachen so vortrefflich, dass wir dieselbe wohl als gesichert betrachten dürfen. Ja, der Amarakoca trägt noch wesentlich dazu bei, die Glaublichkeit der Annahme, dass der Vikramaditya der neun Edelsteine im sechsten Jahrhundert nach Chr. gelebt habe, zu erhöhen.1 Diesem für die indische Lexicographie hochwichtigen Werke ist auch unser Petersburger Wörterbuch in vieler Be- ziehung verpflichtet.8

Den Indern eigentümlich sind endlich noch die Wurzel- wörterbücher, Dhatupatha oder Dhatuparayana genannt,

1 S. Bonfey, Gesch. d. Spr. p. 99.

3 Cunningham zeigt, dass der buddhistische Tempel in Buddha- g*y* derselbe ist, welchen Hiuen Thsang gesehen, der aber zu Fahian's Zeit noch nicht da war. Er muss deshalb nach C. zwischen 414 und 642 nach Chr. erbaut sein; eine Inschrift nennt Amaradeva, eken der nenn Edelsteine am Hofe des Vikramaditya, wodurch dessen Zeit also zwischen das 5. und 7. Jahrhundert gesetzt wird (vgl. M. Müller, Indien in s. w. B. p. 281). Weber hat für eine dem nahe kommende Zeit- bestimmung den Gebrauch des Wortes Tantra für Lehrbuch im Amara- koca in's Feld geführt, „da er nur einer bestimmten Periode angehört, und zwar wohl dem 6., 6. Jahrhundert, insofern die nach Jara auswan- dernden Inder ihn iu diesem Sinne mitgenommen.4' (Ind. Lit, 2. Aufl., p. 246.) H. H. Wilson setzte in der 1. Ausgabe seines Sanskrit- Lexicone (1819) den Amara uVs 5. Jahrhundert nach Chr. ; später hat er dies freilich aufgegeben (s. Weber, a. a. 0. p. 246).

1 Wir haben eine Ausgabe des Amarakoca von Colebrooke (1808); eine andere nebst französischer üebersetzung: Amarakocha ou Voca- bulaire d Amarasinha, publ. en Sanscrit avec une traduct firan$. cet par A. Loiseleur Deslongchamps, Paris 1839—45. In Indien sind zahlreiche Ausgaben dieses Werkes bereite erschienen und kommen noch immer neue heraus. Ich notire nur: Amarakoca, with the comm. of Mahecvara inlarged by Raghnnat Shastri Talekar, Sanskr. text, with an index by Chintomani Shastri Thatte under the superintendence of F. Kiel- horn, Bombay 1877 (2 ed. Bombay 1882).

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bedeutsame Zeugen für die Gründlichkeit, mit welcher sie die Wurzelforschung betrieben.1 Diese Werke sind auch für unsere heutige Forschung noch von Wichtigkeit, und finden sich in denselben unter Anderem auch Wurzeln aufgeführt, die sonst nirgends in der Sprache nachweisbar sind, die sich aber durch die vergleichende Sprachwissenschaft als entschieden echte, alte Wurzeln erweisen.1

Unter den Werken über Rhetorik und Poetik ist das älteste und wichtigste wohl das erst theilweise veröffentlichte Natvacastra des Bharata, welches nach Regnaud aus dem ersten Jahrhundert nach Chr. stammt, nach Pischel's weit wahr- scheinlicherer Annahme dagegen wohl nicht über das sechste Jahrhundert hinausgehen dürfte.4 Dem sechsten Jahrhundert gehört wohl auch der dem Dandin zugeschriebene Karya- dar$a* an. Die Entstehungszeit von V&mana's Poetik (Ka* vyalamkaravritti genannt) dürfte wohl das achte Jahrhundert sein; doch sind die Ansichten darüber getheilt6 In hohem Ansehen und zwar mit Recht stehen bei den Indem als Lehrbücher der Rhetorik und Poetik der Kavyapraka^a und das Sahityadarpana. Der Kavyaprakaca, von Mam- niata und Alata oder Alata verfasst, dürfte wohl nicht tiefer

1 Der Dhatupatha ist herausgegeben von Westergaard, Radices linguae Sanscritae, Bonn 1841.

* 80 a. B. das seit lange bekannte pard. Eine solche, noch nicht in der Literatur nachgewiesene, Wurzel war auch stlgh (— griech. orelzv, deutsch, steigen), bis ich das Glück hatte, dieselbe in mehreren Formen in der Maitr. Sanih. zu finden. Specielleres Ober die indischen Lexico- graphen findet man bei Zachariae, Beitrage zur indischen Lezico- graphie, Berlin 1883.

a Vier Capitel dieses Werkes theilte Hall mit in s. Ausgabe des Dacarüpa i. J. 1865; zwei Capitel nebst französischer Uebersetiung gab P. Regnaud heraus, Paria 1880; zwei weitere Capitel (das sechste und siebente) als Anhang zu seinem Werk La Rh^torique Sanskrite, Paris 1884.

4 VgL Pischel, Gött Gel Am. 1885. No. 19, p. 763. 764 (Becen- slon von Regnaud's Rhetorique Sanskrite).

8 Herausgegeben in der BibL Ind. von Premacandra Tarkav&gica !. J. 1868. Vgl. Weber,- Ind. Lit, 2. Aufi.f p. 248 Anm.

6 Nach Buh ler 's Meinung, der im Wesentlichen auch Pischel beipflichtet, lebte VAmana im 8. Jahrhundert nach Chr., unter König Jay&pida; die Chronik von Kaschmir erwähnt einen Vamana am Hofe dieses Königs. Regnaud will den Poetik er Vamana in daa 11. Jahr- hundert setzen, Cappeller in das 12. Vgl. PischeJ, Gött. Gel. Ana. 1886. No. 19, p. 764. M. Müller, Indien in s. weltgeschichtl. Bed. p. 293 flg. Herausgegeben ist Vamana's Poetik von C. CappeHer, Jena 1875; desgl. von Anundoram Borooah, Calcutta und London 1883.

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als in das elfte oder zwölfte Jahrhundert hinabzurücken sein.1 Das Sabityadarpana endlich ist etwa am die Mitte des 15. Jahrhunderts in Bengalen entstanden.*

Die- rhetorische Literatur der Inder, welche übrigens dem VerstiLndniss grosse Schwierigkeiten bietet, ist für die Litera- turgeschichte von höchster Wichtigkeit. Dieselbe ist neuer- dings zum ersten Male gründlich und eingehend in einem be- sonderen Werke von P. Regnaud behandelt worden.8 Wichtige Beitrage in dieser Hinsicht hat namentlich auch Bühler ge- liefert*

Gern würde ich noch, bevor ich mich zu den ezacten Wissenschaften wende, die Geschichtswissenschaft bespre- chen, aber eine solche giobt es leider bei den Indern nicht Es ist dies eine völkerpsychologisch höchst merkwürdige That- sache, insbesondere merkwürdig bei einem so hoch begabten Volke, welches auf andern Gebieten der Forschung, wie z. B. in der Sprachwissenschaft, so staunenswerthen Scharfsinn, so vor- zügliches Beobachtungstalent und so ungewöhnliche Akribie be- wiesen hat Historische Betrachtung ist den Indern auf allen Gebieten völlig fremd. Epische Poesie und Geschichte lässt sich hier für gewöhnlich kaum unterscheiden. Am bekanntesten unter den quasi -historischen Werken dürfte wohl die Raja- tarangini sein, eine Geschichte von Kaschmir, aus dem zwölften Jahrhundert stammend, deren Verfasser aber, wie Weber be- merkt,6 mehr Dichter als Historiker ist/1 Als historisch werth- voll müssen die Familienchroniken einzelner fürstlicher Ge-

1 VgL Pischel, a. a. O. p. 767.

Tal. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 248 Anm. Das Work ist schon mehrere Mals herausgegeben worden: so auch in der BibL Indica Ton E. Roer, i J. 1851.

La Rhltorlqae Sans k rite, exposee dans son developpement hißtoriqae et see rapports arec la rhe'torique claasique, suivie des textet in£dites da Bharatlya-Natya-Q&stra (sizieme et septieme chapitres) et de ia Rasataraflginl de Bha'nudatta, par Paul Regnaud, Paria 1884. Vgl. dazu die eingehende Anzeige PischeU, Gott Gel. Ana. 1886. No. 19, p. 757—769.

4 In seinem Detailed report of a tour in tearch of Sanskrit Mss. cet. Bombay 187T. Ich notire noch als eben erschienen R. Pischel, Ra- drata's QrngaratilakA and Ruyyaka's Sahrdayalllä, with an introducUon and notes, Kiel 1886. Der Rhetoriker Rodrata gehört nach Pischel in das 9. Jahrhundert; Tgl. a. a. 0. die Einleitung p. 12.

6 Ind. Lit, 2. Aufl., p. 230.

Herausgegeben ist dieses Werk nebst franaOs. Uebersetzung ron A. Troyer, 3 Bande, Paris 1840— 18&2. In'a Englische übersetst unter dem Titel Kings of Käshmtra von Jogesh Chnnder Dutt, Calcutta 1879.

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schlechter hervorgehoben werden.1 Die Stammtafeln in denselben pflegen allerdings bis in die epischen Heldeugeschlechter hin- aufzusteigen und ermangeln der Glaubwürdigkeit

1 So Bana's Harshacarita, aus dem 7. Jahrhundert stammend, scheint gute Nachrichten zu enthalten (cf. Hall, Vorrede zur VasavadattA p. 12 flg. 1859; Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 231). Bilhana's Vikra- mankadevacarita, dem 11. Jahrhundert angehörig, nehst einer Einleitung herausgegeben von O. Bühler, Bombay 1875 (Vikramankadevacarita. life of King Vikramaditya-Tribhuvanamalla of Kalyona). Modern, aber werthvoll int das Kahitic>vam$avalicarita , herausgegeben und übersetzt von W. Pertsch, Berlin 1852 ^erzählt die Geschichte der Vorfahren des Raja Krishnacandra, der 1728 zn Navadvipa in Bengalen den Thron bestieg); vgl. Stenzler 's Ree. Ztschr. d. D. M. ö. VII, p. 203.

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Achtundvierzigste Vorlesung.

Mathematische Wissenschaften. Ziffersystem. Geometrie. Die Qiüva- •fttra's. Arithmetik und Algebra. Astronomie. Suryaeiddhanta. Arya bhafta. VarahamiMra. Brahmagupta. Bhaskara. Die Medicin. Muth- maassUches Alter und Bedeutung derselben. Sucruta und Caraka.

Auch auf dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften haben wir alle Ursache, der Inder mit hoher Anerkennung und warmem Danke zu erwähnen. Sie haben in der Geometrie, der Astronomie, vor Allem aber der Arithmetik und Algebra ach- tungswerthe, ja bedeutende Leistungen zu Stande gebracht. Aller- dings sind die Ansichten über das Maass dessen, was die Inder' in dieser Beziehung dem Auslande, insbesondere den Griechen yerdankten, unter den Kennern zum Theil noch recht abwei- chend, und erleidet es keinen Zweifel« dass solcher ausländischer Einfluss in höherem oder geringerem Grade thatsächlich stattgefunden hat, nichtsdestoweniger bleibt genug Selbständiges übrig, um das obige Urtheil als hinreichend begründet erschei- nen zu lassen.

Um mit etwas scheinbar Geringfügigem, thatsächlich aber Hochwichtigem zu beginnen, das Ziffersystem, mit welchem gegenwärtig die gesammte gebildete Welt rechnet, ist eine Er- findung der Inder. Wir pflegen diese Zahlzeichen arabische Ziffern zu nennen, weil uns dieselben im Mittelalter durch die Araber übermittelt worden sind, die Araber selbst jedoch nennen sie, mit dankbarer Erinnerung an ihre Lehrmeister, die indi- schen Zeichen« Arabische und rabbinische Berichte des zehnten Jahrhunderts lassen über die Herkunft dieser Zeichen und des damit verbundenen Zifferrechnens aus Indien kaum einen ZweifeL1 Nähere Mittheilung darüber giebt der byzantinische Gelehrte Maximus* Planudes im 14. Jahrhundert.*

1 Vgl. Cantor, Gesch. der Mathematik, p. 511. 512. 3 In seiner y^(po<popla xerr* IvMq. Vgl. Cantor a. a. 0. p. 432. Die indischen Zahlzeichen 1—9 sind nach Weber's Ansicht die ab*e-

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Es braucht wohl kaum besonders hervorgehoben zu wer- den, von wie eminenter, weittragender Bedeutung die Erfindung dieser bescheidenen zehn Zeichen für die Entwicklung der mathematischen Wissenschaften, ja der Cultur überhaupt ge- wesen ist. Wir können uns gegenwärtig doch weder aus unserer Mathematik noch überhaupt aus unsrem kulturellen Leben diese sogenannten arabischen Ziffern wegdenken; sie sind als ein wichtiges Element fest damit verwachsen und sichern ihren Er- findern, den Indern, dauernden Anspruch auf unsere Dank- barkeit.1

Die Inder haben übrigens noch mehrere andere Systeme der Zahlenbezeichnung erfunden, die schwerfalligerer Natur, iii- dess doch auch nicht ohne Interesse sind.1

Die ältesten uns erhaltenen mathematischen Schriften der Inder sind die sogenannten Qulvasütra's oder Schnurregeln, deren Inhalt man ganz passend als einen geometrisch -theolo- gischen bezeichnet hat Es enthalten diese Schriften die Regeln der brahmanischen Priester für die Ausmessung des Opferplatzes, die Construction der Vedi und der Altäre üf ihren verschie- denen, zum Theil complicirten Gestalten u. dergL m. Die Qul- vasütra's bilden gewisse Capitel der sogenannten Qrautasutra's und gehören demnach noch zur vedischen Literatur. Wir haben solche Qulvasütra's aus einer ganzen Reihe von Schulon des schwarzen und weissen Yajurveda erhalten, so z. B. der Manava's, des Xpastamba, Bäudhayaaa, Katyavana u. a. Die- selben weichen in der Form und der Ausdrucksweise vielfach von einander ab, enthalten aber im Wesentlichen alle dieselben Bestimmungen, verrathen das gleiche Maass geometrischer Kennt- nisse. Ein Entdecker oder Erfinder läset sich für die hier ent- haltenen mathematischen Wahrheiten nicht angeben. Weder Apastamha, noch BandhAyana oder Katyayana können als solche

kürzten Formen der Anfangsbuchstaben der Zahlwörter selbst; die Noll welche übrigens spateren Ursprungs als die andern Zeichen su sein scheint wäre nach ihm aus dem Anfangsbuchstaben Ton c&nya (leer) entstanden (vgl. Weber, Ind. Iii, 2. Aufl., p. 974). Die Sache darf in- des* keineswegs als gesichert angesehen werden. Vgl. namentlich den Widerspruch BurneU's, Elements of ßouth-Indian Palaeograpby, M anga- bt« 1874, p. 47. 48. Canter a. a. 0. p. 618.

1 Wir können uns gegenwärtig schwer vorstellen, wie man ehne diese Ziffern rechnete, und doch scheinen dieselben in Byzanz erst im 14. Jahrhundert bekannt geworden su sein; im westlichen Europa (durch Spanien) ca. 200 Jahre früher. Vgl. Center a. a. 0. p. 482. 433.

Vgl. Näheres über mehrere dieser Systeme bei Cantor, Geschichte der Mathematik p. 514 flg.

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angesehen werden. Nor die Form» die Redaction der einzelnen Calyasntra's dürfen wir den Häuptern, resp. maassgebenden Autoritäten der einzelnen vedischen Schulen zuschreiben. Der wesentliche, ihnen allen gemeinsame Inhalt ist natürlich älter, muse als alte Priesterweisheit, brahmanische Opfertradition be- zeichnet werden.

Wir sind mit dem Inhalte der Qulvasutra's in vortrefflicher Weise durch G. Thibaut bekannt gemacht worden.1 Ea er- giebt sich aus demselben eine verhältnismässig schon sehr be- deutende Kenntniss geometrischer Verhältnisse, allerdings nicht eigentlich in theoretisch-wissenschaftlicher Darstellung, sondern ganz von dem praktischen Gesichtspunkte der Messungen zu Opferzwecken geleitet, darum aber nicht minder wichtig und b ©achtens werth. Von besonderer Bedeutung erscheint dabei der Umstand, dass den Qulvasütra's der sogenannte pythagoreische Lehrsatz nicht nur bekannt ist, sondern in denselben eine her- vorragende, leitende Rolle spielt. Ich habe es früher in einer besonderen Schrift wahrscheinlich zu machen gesucht, dass Pythagoras seine Weisheit zum grössten Theile den Indern ver- dankt und dass auch auf dem Gebiete der Geometrie die Brah- manen seine Lehrmeister gewesen. Den Indern wäre damit ein hochbedeutsamer Einfluss auf die Entwicklung der griechischen Mathematik zugewiesen. Diese meine Ansicht hat von fachge- nöseischer Seite Billigung, aber allerdings auch entschiedenen Widerspruch erfahren.1 Es kommt hier Alles auf die Frage nach dem Alter der Qulvasutra, resp. der in ihnen enthaltenen geometrischen Vorschriften, an. Dass die Berührungen zwischen der griechischen Geometrie und der der Qulvasutra in wesent- lichen Punkten augenfällig sind und darum eine Entlehnung von der einen oder der andern Seite her im höchsten Grade wahrscheinlich, ja so gut wie gewiss ist, hat schon Cantor klar erkannt und ausgesprochen.8 Er vermuthet nur, „es sei die alexandrinische Geometrie in einer Zeit, die später liegt als das Jahr 100 vor Chr. nach Indien eingedrungen4* und ist

1 Durch dessen höchst werthvolle Arbeit „On the Culvasntra", Journal of the Asiat Soe. of Bengal, Vol. XLIV, Part I p. 237—375, Calcntta 1875. Thibaut fahrt uns dort den Inhalt der Qufvasütra des B&udhayana, 'Apastamba und Katyayana vor. Wesentlich auf dieser Ar- beit beruht auch die Darutellung von Cantor, Gesch. der Math. p. 540 flg.

Letzteren vor Allem durch Weber, Liter. CentralbL f. 1884. No. 45.

* Moritz Cantor, Vorlesungen Ober Geschichte der Mathematik, Leipzig 1880, p. 548. Dieses vortreffliche Buch enthalt p. 505—662 eine suBammenhangende Darstellung der gesammten indischen Mathematik.

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der Meinung, dass die Qulvasütra's durch Hero von Alexandria (um 215 vor Chr.) heeinflusst sein möchten.1 Auch Weher hat sich dahin ausgesprochen, es stehe nach seinem Dafürhalten „der Annahme einer Benutzung der Lehre des Alexandriners Hero [ron Seiten der Qulvasütra's] literargeschichtlich nichts im Wege."* Dieser Annahme stehen jedoch, wie ich glaube, sehr gewichtige Bedenken entgegen.

Die Qulvasutra's gehören noch zu der Tedischen, der hei- ligen Literatur der indischen Priester. Es ist bei der vorneh- men Abgeschlossenheit in religiösen Dingen, bei dem grossen Stolz, mit welchem die Brahmanen seit Alters auf diese für geoffenbart geltenden Schriften blicken, bei der tiefen, aber- gläubischen Verehrung, welche sie ihnen gegenüber empfinden, schwer möglich zu glauben, dass sie ausländischen Einflüssen hier Eingang gegeben hätten, dass in der That griechische Wissenschaft in den Veda gedrungen. Es muss dies a priori ab höchst unwahrscheinlich erscheinen, und ist denn auch bis- her für keinen andern Theil des Veda angenommen oder gar nachgewiesen worden. Was bei profanen Schriften sehr wohl möglich wäre, erscheint bei religiösen kaum glaublich; und die in den Culvasütra's gelehrten Melsungen sind in der That eine heilige Sache, ein Theil der brah manischen Theologie.

Sodann erscheint es nicht wohl möglich, die Qulvasütra's resp. den wesentlichen Inhalt derselben, zeitlich so tief herah- lurücken, wie dies bei Weber's und Cantor's Annahme noth- wendig ist. Es mag wohl sein," dass die uns vorliegende end- liche Redaction und schriftliche Fixirung der Qulvasutra's in dieser oder jener Schule in verhältnismässig später Zeit statt- gefunden hätte, aber der wesentliche, ihnen allen gemeinsame Inhalt weist in eine Zeit zurück, wo diese Verschiedenheit der Schulen noch gar nicht eingetreten war, muss als allgemeine brahmanische Tradition beim Opfercultus angesehen werden.3

1 a. a. p. 548. 549, auch 540.

* In der Recension meines „Pythagoras", Liter. Centralbl. 18*4 No. 45. p. 1564.

* Es beweist nichts für eine spätere Entstehung der Qulvasatra'i (wie Cantor a. a. 0. p. 541 irrigerweise annimmt), wenn einige als Ver- fasser solcher Sütra's genannte Lehrer (wie Baudhayana, Katyayan*^ Namen haben, die mit dem Suffix ayana gebildet sind. Vielleicht hat Weber Recht, wenn er annimmt, dass dies Suffix schon in die Zeit aus- gebildeter Schulen weise, aber solche ausgebildete Schulen bestanden zweifelsohne doch schon im 4. und 5. Jahrhundert vor Chr., welche Zeit man . vielleicht mit Recht als die eigentliche Sütra- Periode bezeichnet hat. Qakattyana, dessen Name mit demselben Suffix gebildet ist, lebte,

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Es ist die gross te Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, dass die Constituiruug dieser Opfer-Messregeln wenigstens ihrem Kauptinhalte nach zu derjenigen Zeit stattfand, als der Opfercultus in Blüthe stand, als die Bedeutung desselben seinen Höhepunkt erreichte, nicht aber zu einer Zeit, wo das Interesse daran bereits stark geschwunden und durch andere Fragen, andere Mächte in den Hintergrund gedrängt war. Jene Blüthe- periode des Opfers fällt aber, wie wir früher gesehen haben, in die Zeit vor Buddha, etwa in die Zeit vom zehnten bis zum siebenten Jahrhundert vor Chr.

Die prosaischen Theile der Yajurveden und die Brahmana's erwähnen unendlich häufig die Herrichtung des Opferplatzes, die Construction der Altäre, nicht nur der gewöhnlichen (Grar- hapatya, Ähavaniya und Dakshina), sondern auch der compli- cirteren, zum Theil sehr complicirten, welche zur Feier der so- genannten Agniciti aus einer Menge verschiedener Backsteine in der Gestalt eines Falken, eines Wagenrades, einer Schild- kröte u. dergl. m. nach streng bemessenen Regelu, von denen die kleinste Abweichung grosses Unheil bringen konnte, aufge- führt werden.1 Wir haben keine Ursache anzunehmen, dass diese Construction nicht wenigstens in ihren Hauptgrundsätzen nach denselben Regeln wie später stattfand. Dazu aber wäre gerade der pythagoreische Lehrsatz unerlasslich. Er wird schon für die blosse Orientirung des Opferplatzes und den Bau der einfachsten Altäre in den Qulvasütra's angewandt und spielt auch sonst in denselben eine dominirende Rolle. Es ist un- denkbar, dass die wichtigsten, jene Werke geradezu durch- ziehenden und beherrschenden Regeln in späterer Zeit aus alexandrinischen Schriften in diese, zu der heiligen vedischen Literatur gerechneten Sfltra's eingedrungen sein könnten.

Wenn man sich dann erinnert, weloh eine hervorragende Bedeutung dem Opfer während mehrerer Jahrhunderte in Indien beigemessen wurde, wie viel Scharfsinn auf die kunstgerechte Ausführung desselben in allen Details verwendet wurde, wie

wie wir gesehen heben, nicht nur vor Panlni, sondern euch vor Yaska (6. oder 6. Jahrhundert). Wenn Acvalayana Zeitgenoase des Panini war, ao gehört auch er in das 4. Jahrhundert vor Chr. (nicht in das 2. nach Chr., wie Cantor glaubt). Wenn Weber hervorhebt, dass die £ul?a- sitra's alt Paricjshta (d. h. Anhingsei, Ergänzungen^ der Qrautasutra's erscheinen, so habe ich darauf hingewiesen, dass in dem Manara-$r. das gnlrasutra kein Paricwhta, sondern ein reguläres Capitel (Cap. 10) bildet (TgL Pythagoras und die Inder p. 46).

1 Instructire Zeichnungen solcher Altäre nach den Qulvasütra's findet man in den Tafeln zu Thibaut's oben citirter Arbeit.

y. Stkrtitr, Iadl«a* Ltt. u. Call. 46

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eine jede Einzelheit dabei im höchsten Grade wichtig erschien, nicht zum wenigsten der richtig abgemessene Platz und die Gestalt der Altäre, so erscheint es gewiss begreiflich, dass alle diese unablässige, mühevolle» Generationen hindurch dauernde Arbeit, der beständig auf die äusseren Formen gerichtete Scharf- sinn eines begabten Volkes zu der Entdeckung der geometri- schen Verhältnisse fuhren mochte, deren Kenntniss die Qulva- sütra's verrathen. In so früher Zeit ist es viel wahrscheinlicher, dass gerade wichtige praktische Bedürfhisse zu solchen Erkennt- nissen führten, als theoretische Speculationen, wie wir dieselben wohl bei Pythagoras annehmen müssten, wenn wir ihn als Ent- decker seines Lehrsatzes betrachten wollen.

Für die Annahme, dass die Brahmanen in der Geometrie des Pythagoras Lehrmeister gewesen, spricht unter Anderem auch der Umstand, dass die Qulvasutra's den Lehrsatz in der- selben Art beweisen, wie ihn nach Cantor's Vermuthung wahr- scheinlich Pythagoras selbst bewies,1 während später eine an- dere Form des Beweises durchdrang. Es erhöhen die Glaub- lichkeit dieser Annahme auch die weiteren Punkte, die im Allgemeinen eine Aneignung indischer Lehren von Seiten des Pythagoras wahrscheinlich machen (wie insbesondere die Lehre von der Seelenwanderung), auf welche ich aber an diesem Orte naturlich nicht näher eingehen kann.1

Wenn ich nun auch nach alledem an der früher schon von mir vertretenen Ansicht in Betreff der Qulvasütra's und ihres Verhältnisses zur griechischen Geometrie festhalte, so bin ich doch weit davon entfernt, die Schwierigkeit dieses Problems zu unterschätzen, glaube durchaus nicht, dass die Sache schon als abgethan betrachtet werden darf, hoffe und wünsche vielmehr, dass recht bald mehr Licht in diese Frage gebracht werden möchte. Soviel aber dürfte wohl von Jedermann zugegeben werden, dass die Uebereinstimmungeu, welche wir hier zwischen der ältesten indischen und griechischen Mathematik wahrneh- men, ein hervorragendes Interesse beanspruchen und einer er- neuten Untersuchung in hohem Grade werth sind.

Die Leistungen der späteren indischen Mathematiker auf dem Gebiete der Geometrie sind nicht sehr erheblich.3 Wich-

1 Nämlich nicht als einheitlicher Satz, sondern in zwei Unterfallen, je nachdem die beiden Katheten gleicher Lange sind oder nicht (VgL Cantor a, a. 0. p. 644.)

1 Ich muss mich darauf beschranken, den Leser auf meine Schrift „Pythagoras und die Inder" (Leipzig 1884) zu ?erweisen.

» Vgl. Cantor, a. a. 0. p. 549-669.

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tiger ist der Fortschritt, den sie auf dem Gebiete der Trigono- metrie erzielt und der vor Allem in der Herstellung der Sinus- tabelle besteht.1

Diese späteren Mathematiker sind durchgängig zugleich Astronomen und bieten ihre mathematischen Forschungen nur als bestimmte einleitende Capitel grösserer astronomischer Werke dar. Sie gehören sämmtlich schon der Zeit an» welche Max Müller die Renaissance der Sanskrit-Literatur genannt hat Es sind Tor Allem drei hervorragende Forscher namhaft zu machen: Aryabhata, welcher i. J. 476 nach Chr. zu Pataliputra geboren wurde und im dritten Abschnitt des von ihm verf aasten Arya- bhatiya mathematische Probleme behandelt;1 Brahmagupta, geboren i. J. 598, Verfasser des Brahmasphutasiddhanta; 8 und Bhaskara Äcarya, geboren i J. 1114, Verfasser des Sid- dhantaciromani.4

Die hervorragenden Leistungen dieser späteren indischen Mathematiker liegen nicht sowohl auf dem Gebiete der Geo- metrie, als vielmehr auf dem der Arithmetik und Algebra. Waren die Griechen das vorzugsweise geometrische Volk,6 so sind die Inder dagegen durch hohe rechnerische Begabung ausgezeichnet; bei ihnen hat die Rechenkunst eine staunener- regende Höhe erreicht.

Ueber die Bedeutung des von den Indern erfundenen Zifferrechnens haben wir bereits früher gesprochen. Be- merkenswerth für die Gewohnheit der Inder, mit grossen Zahlen zu rechnen, erscheint der Umstand, dass wir im Sanskrit eine so grosse Anzahl von besonderen Nameri für Zahlen von schon ganz exorbitanter Höhe besitzen, wie in keiner andern Sprache

1 Vgl. Cantor, a. a. 0. p. 559—562. Die hohe Bedeutung der Sinus- tabelle ist indossen nach Cantor erst den Nachfolgern der Inder, den Arabern, deutlich geworden (a. a. 0. p. 562).

Uebersetzt von L. Rodet, Journal Asiatique für das Jahr 1879 (Seria 7, T. XIII).

Das 12. und 18. Capitel dieses Werkes sind der Mathematik ge- widmet.

4 Die mathematisch wichtigen Capitel dieses WerkeB heissen Llla- vmÜ, die Reizende, und V^jaganita, d. i. Wurzelrechnung. Schon Cole- brooke, der am Erforschung der indischen Mathematik sich sehr ver- dient gemacht, lieferte uns eine Uebersetzung der angeführten Capitel des Brahmagupta und. Bhaskara (Algebra with arithmetic and meneu- ration frorn the Sanscrit of Brahmegupta and Bhascara transl. by H. Th. Colebrooke* London 1817). Das Geburtsjahr der drei im Text an- geführten Forscher ist durch ihre eigenen Angaben sicher festzustellen (a. Cantor» a. a. 0. p. 508).

8o bezeichnet sie Cantor, a. a. 0. p. 511.

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der Weit. So bedeutet laksha 100000, niyuta oder prajuta eüie Million, koti (eigentlich Spitze) zehn Millionen, arbuda (Anschwellung) 100 Millionen, maharbuda (grosse Anschwellung) 1000 Millionen, padma (Lotusblume) 10000 Millionen, maha- padma (grosse Lotusblume) 100000 Millionen, kharra eine Billion u. s. w. bis zur Bezeichnung einer 1 mit 20 Nullen akshAuhinl (eigentlich das Heer) und einer 1 mit 21 Nullen mahakshauhinl (grosses Heer).1

Der Lalitavistara berichtet uns, dass sich der jugendliche Buddha bei dem Wettkampf der Künste namentlich auch in der Bechenkunst auszeichnet Er versteht es, Zahlennamen anzugeben bis zu der 1 mit 53 Nullen (tallakshana) und kennt Systeme, die noch darüber hinausgehen,* eine Angabe, die gewiss auch dann bemerkenswerth und interessant ist, wenn dieselbe nur als Sage betrachtet werden muss. Welche wichtige Rolle die Zähle- kunst in der Geschichte des Nala spielt, ist bekannt3

Das Erheben einer Zahl in die Potenz, sowie das Ausziehen der Quadrat- und Kubikwurzeln rechnen die Inder noch zu den elementaren Operationen.4

Vor Allem gross und genial erscheinen die Inder auf dem Gebiete der Algebra; selbst wenn Cantor Recht haben sollte mit der Behauptung, dass sich Spuren griechischen Einflusses in der Behandlung der bestimmten Gleichungen bei den Indern erkennen lassen. Lässt doch derselbe Forscher nicht nur die Möglichkeit offen, dass jene griechische Algebra in Indien auf eine dort einheimische Schwesterwissenschaft stiess, sondern hebt auch ausdrücklich hervor, dass die Algebra sich jedenfalls weiterhin bei den Indern zu einer slaunenswerthen Höhe ent- wickelte, wie sie dieselbe in Griechenland niemals zu erreichen vermochte.5 Schon in der Ausbildung der algebraischen Be- zeichnungen und Benennungen sind die Inder weit über dasjenige hinausgekommen, was Diophant auf diesem Gebiete leistete.6 Sie haben in der Algebra der bestimmten Glei- chungen Staunenswertes geleistet.7 Noch höher stehen sie

1 Vgl Bopp, Kritische Grammatik der Sanskrita-Sprtche in kurier Fassung § 229. Cantor, a. a. 0. p. 517.

* S. Cantor, a. a. 0. p. 521.

* D. h. die Kunst des raschen Zahlens, die hier in zauberhafter Vollendung vorgeführt wird. Vgl. Nala, Gesang XXIV.

4 8. Cantor, a. a. 0. p. 532.

* Cantor, a. a. 0. p. 611. 532.

* Cantor. a. a. 0. p. 526. ' a. a. 0. p. 582.

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in der Zahlentheorie, in welcher sie zuerst wirklich allge- meine Methoden anwenden.1 Sie haben endlich, wie es scheint, ganz selbständige und sehr hervorragende Leistungen auf dem Gebiete der unbestimmten Gleichungen zu Stande gebracht1 Näher auf alle diese wichtigen Errungenschaften einzu- gehen, mus8 ich mir an diesem Orte versagen und verweise dafür auf die Arbeiten von Colebrooke, L. Rodet, Cantor und Hankel.*

Während des Mittelalters (im achten und neunten Jahr- hundert) wurden die Inder die Lehrer der Araber in Arith- metik und Algebra und durch diese Vermittelung haben sie dann indirekt einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung auch der europäischen Wissenschaft ausgeübt

Die astronomische Literatur der Inder ist eine rocht umfangreiche, aber allerdings scheinen sie vor der Bekannt- schaft mit der griechischen Astronomie nur wenig weit gekom- men zu sein. Vom astronomischen Wissen der vedischen Zeit ist nur wenig zu berichten. Das vedische Jahr ist ein Sonnen- jahr, auch kannte man damals schon, wie es scheint, die Aus- gleichung der Berechnung durch einen Schaltmonat. Ferner sind den Indern ziemlich früh die 28 Mondstationen bekannt gewesen, doch wird ihre Kunde davon von einigen Forschern (wie Biot) auf die Chinesen, von anderen (wie Weber) mit weit

1 Cantor, a. a. 0. p. 632. 533. 1 Cantor, a. a. 0. p. 583 flg.

3 Interessant dürfte vielleicht manchen Leaern eine Stylprobe aas der Lilavati de» Bhaskara sein, der sich bemüht, die mathematischen Auf- gaben in eine poetische Form zu kleiden. Wahrend sich Aryabhata einer ernsten, schmucklosen, lakonischen Ausdrucksweise bedient, heisst es bei Bhaskara z. B.: „Schönes Madchen mit den glitzernden Aagen, sage mir, so du die richtige Methode der Umkehrung verstehst, welches ist die Zahl, die mit 3 vervielfacht, sodann um */4 des Produktes ver- mehrt, durch 7 getheilt, um 7a des Quotienten vermindert, mit sich selbst vervielfacht, um 52 vermindert, durch Ausziehung der Quadrat- wurzel, Addition von 8 und Division durch 10 die Zahl 2 hervorbringt." Eine andere Aufgabe lautet: „Von einem Schwärm Bienen lasst */» 8icn auf einer Kmdambablüthe, auf der Silindhablume nieder. Der drei- fache Unterschied der beiden Zahlen flog nach den Blüthen eines Kutaja, eine Biene blieb übrig, welche in der Luft hin- und herschwebte, gleich- zeitig augezogen durch den lieblichen Duft eines Jasmin und eines Pan- damus. Sage mir, reizendes Weib, die Anzahl der Bienen." (Gleichung ersten Grades.) Tgl. Cantor. a. a. 0. p. 523. 529. Aehnliche Formen scheinen auch andere Mathematiker noch angewendet zu haben.

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grösserer Wahrscheinlichkeit auf die Chaldäer zurückg o fuhrt. 1 Von den Planeten scheinen die Inder zur Tedischen Zeit noch keine Kenntniss gehabt zu haben.1

Ein wirkliches Aufblühen der Astronomie in Indien be- ginnt jedenfalls erst mit der Zeit des griechischen Einflusses, und es ist dies die einzige Wissenschaft, in welcher wir un- zweifelhaft starke Beeinflussung Ton Seiten der Griechen nach- weisen können. Die indischen Astronomen geben denn auch durchweg die Yavana (d. L die Jonier oder Griechen) als ihre Lehrer an. Dieser Einfluss springt vor Allem deutlich in die Augen durch die zahlreichen griechischen Bezeichnungen, welche sich in den astronomischen Schriften der Inder vorfinden. So werden uns z. B. (in Varahamihira's HoracÄstra) die griechi- schen Namen der Zodiakalbilder und Planeten vollständig auf- geführt und zum Theil neben den indischen, und ebenso häufig wie diese, gebraucht; bo Ära=r .^(Mys, Rdi = HBlioq, Jyau = Zsvq, Asphujit= kipQOÖtTt], Kriya = *Qtog, Tavuri = tovqo$, Pathona = xaQ&svoq, Jituma = öiöv/iog, Äkokera = cdyoxtQcac, u. s. w.8 Es finden sich ausserdem noch eine Menge termini technici bei den Indern (so namentlich bei Varahamihira) im Gebrauch, welche direkt den astronomischen Werken der Grie- chen entnommen sind; so z. B. kendra = xbvtqov, apokliina = axoxZifia, trikona == TQiymvoq, jamitra = öiafiexQOV, dyutam = övrov, meshürana = fiscovQcanjfia, panaphara = IxavaipoQa, lipta = Xexrrj, anaphä = avcupr], sunapha = awcupfj, drka^ia = öexavog u. s. w.4

Unter den fünf für die ältesten geltenden sogenannten Siddhanta's oder astronomischen Lehrbücher der Inder, welche übrigens aber auch schwerlich weiter als in dag fünfte Jahr- hundert nach Chr. zurückreichen, weisen mehrere schon in ihrem Namen oder dem Namen ihrer Verfasser auf den Westen, auf die griechische Wissenschaft hin. So der Pauligasiddhanta oder Siddhanta des Pulica, welcher nach Alblrüni (um das Jahr 1000) von Paulus al Yünänl verfasst ist, vielleicht eine Ueber- setzung der elocr/arfti des Paulus Alexandrinus. 5 Ferner der

1 S. Weber, Ind. Lit., 2. Aufl., p. 264.

Ob die Inder die Planeten selbständig entdeckt, ist fraglich. VgL Weber, a. a. 0. p. 268.

Var&hamihira bezieht sich für die Sternbildernamen aacn direkt auf einen Yavane^varac&rya, d. h. einen griechischen MeiBter (cf. Cantor, a. a. 0. p. 609).

4 V 1 Weber, a. a. 0. p. 272.

Vgl. Weber, a. a. 0. p. 271. M. Müller, Indien in s. w. B. p. 279.

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Romakasiddhanta oder der römische Siddhänta.1 AU Ver- fasser des oftgenannten Süryasiddhanta oder 8. der Sonne wird der Asura Maja, d. L Dämon Maja genannt, der nach der epischen Sage der älteste Astronom sein soll und Beine Wissen- schaft von der Sonne selbst erhalten haha Da nun der grie- chische Name Ptolemaios auf indischen Inschriften als Turamaya erscheint, hat Weber sehr scharfsinnig vermuthet, jener Dämon Maja (Asura Maya) sei durch eine Art Volksetymologie aus Turamaya entstanden und würde das betreffende Werk somit auf den berühmten griechischen Astronomen zurückgeführt1 Es kommen übrigens in demselben auch Termini vor, die aus dem Griechischen stammen wie kendra und lipta oder liptika (vgL oben).8

Späterhin haben nun freilich auch wieder die Inder auf den Westen eingewirkt Sie wurden im achten und neunten Jahrhundert, wie in der Arithmetik und Algebra, so auch in der Astronomie die Loferer der Araber. Die sogenannten Sid- dhanta's der Inder (Sindhend) wurden vielfach in's Arabische übersetzt und bearbeitet, und wiederholt beriefen die Califen von Bagdad indische Astronomen an ihren Hof, um diese Ar- beiten zu leiten.4 Durch die Araber wanderte die indische Astronomie weiter nach Westen und hat ihren Einfluss geübt, wenn sie auch kein genuines Produkt der Inder ist Ja es ist auch ein Sanskritwort, nämlich ucca, der Höhestand der Plane- ten, in der Form auz, Gen. augis, in die lateinischen Ueber- setzungen der arabischen Astronomen übergegangen.5

Als den eigentlichen Begründer der indischen Astronomie hat schon Lassen den von uns bereits wegen seiner mathemati- schen Leistungen erwähnten Äryabhava bezeichnet,6 welcher nach seiner eigenen Angabe im Jahre 476 nach Chr. geboren wurde, also an der Schwelle des goldenen Zeitalters der klassi- schen Sanskrit -Literatur steht Er gilt als Rivale des Pulica. Die Araber feiern ihn als Ardschabahr, und nach WeberWer- muthung wäre er auch in jenem Andubarius (vielleicht richtiger Ardubarius) zu erkennen, welchen das Chronicon Paschale, resp.

1 Komaka «= Römer, römisch; Boinakapura » Römerstadt, Rom, bei den indischem Astronomen öfters geuannt.

Vgl Weber, Ind. Stud. I, 243; Ind. LIt. 2. Aufl. , p. 270. 271.

Vgl. Cantor, a. a. 0. p. 509. Der Sürya siddhanta ist heraus- gegeben mit englischer Uebersetzung von Burgesa, und Anmerkungen von Whitney, im Journal of the Amer. Ür. Soc. VI (New-Uaven 1800;

4 Vgl. Weber, Ind. Lit., 2. Aufl., p. 273.

Vgl. Weber, a. a, 0. p. 275.

ü Ygl. M. Müller, Indien in s. \r. B. p. 277.

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dessen im siebenten Jahrhundert verfasste jüngere Redaction, als den ältesten indischen Astronomen bezeichnet1 Sein schon früher erwähntes Werk, das Aryabhatiya, ist von H. Kern herausgegeben.1 Es erscheint besonders bemerkenswerth, dass Aryabha(a die Umdrehung der Erde um ihre eigene Axe behauptet und in die Frage nach der Ursache von Sonnen- und Mondfinsternissen Licht gebracht hat* .

Der bekannteste Astronom der Inder ist Var&hamihira, welcher nach den übereinstimmenden Angaben und Berech- nungen der mittelalterlichen wie der neueren Astronomen im sechsten Jahrhundert nach Chr. lebte.4 Er war einer der neun Edelsteine am Hofe des schon oft genannten Königs Vikrama- ditya zu Ujjayini und hat uns den festen Ausgangspunkt zur Bestimmung der Zeit des berühmtesten indischen Dichters ge- liefert. Er verfasste die von Kern herausgegebene Brihat- samhita;6 femer des Horägästra, welches Werk schon in seinem Namen (hor& = G>Q*i) den griechischen Einflusa bekun- det;6 endlich das Karana, welches die Commentatoren meist PaficasiddhantikA nennen, weil dieses Werk anf den schon er- wähnten ältesten fünf Siddh&nta's beruht7

Nach Var&hamihira ist noch Brahmagupta zu nennen, der im siebenten Jahrhundert lebte (geboren 598) und den Brahmasphutasiddhänta verfasste;8 Bha^totpala, der Commen- tator des Varahamihira, im zehnten Jahrhundert; und der be- rühmte Bhäskara AcÄrya, Verfasser des SiddhAnta^iromanl, d.i. „Diadem oder Krone der Systeme", geboren im Jahre 1114.*

1 Vgl. Weber, a. a. 0. p. 273. Allerdings rückt das Chron. P. den Andubarius nun auch gleich in die Urseit hinauf.

* The Aryabhatiya with the commentary of Pramadicvara (Bhata- dipikaK ed. by Dr. H. Kern, Leyden 1874.

3 Vgl. Kern, Aryabhatiya p. 76. M. Maller, Indien in 8 vr. Bed. p. 278.

* Er starb i. J. 687 nach Chr. Vgl. M. Müller, a. a. 0. p. 278. A Kern's Ausgabe der Brihatsamhita erschien in d. Bibl. Ind.

1864. 1865. Eine Üeberseteung des Werks von Kern im Jonrn. R. As. 8. IV flg., 1870 flg.

Das IIorA^tUtra ist herausgegeben sammt dem Commentar des Bhattotpala in Bombay (1867); Thelle desselben wurden edirt ?on Weber (Ind. St. II, 277; Text und üebersetzung), H. Jacobi (Doctorschrift 1872) und Kern (Ind. St. X, p. 161 flg.; Text und Uebersetzung).

' Dieses Werk scheint noch handschriftlich zu existiren, Ist aber noch nicht bekannt geworden; vgl. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 277 Anna.

Vgl. oben p. 723. M. Müller, a. a. 0. p. 279.

9 Für das Alter aller dieser Astronomen vgl. man den wichtigen Aufsatz von Bhao Daii, On the Age and Authenticity of the work of Aryabhata, Varahamihira, Brahmagupta, Bhaftotpala and Bhiskaracarra (Journ. As. Soc. 1865; New Ser. I, p. 892—418).

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Schliesslich mögen noch ans der späteren Zeit die Com- mentatoren des Bhaskara erwähnt werden: Gafigadbara (um das Jahr 1420), Suryadilsa und Ganeca im 16. Jahrhundert, Rafiganätha im 17., und Rama Krishna vielleicht zur selben Zeit1

Die indische Medicin finden wir in ihren ersten An- fangen im Atharva da, wo eine Menge verschiedenartiger Krankheiten aufgezählt und Mittel dagegen angegeben werden. Doch kann man hier nicht wohl von Wissenschaft reden, da die Heilung hauptsächlich durch Beschwörungen, Zauberfor- meln, die eben der Atharvaveda mittheilt, bewerkstelligt werden soll. Allerdings werden auch heilkräftige Kräuter ge- nannt, und zeugt immerhin die Aufführung so vieler Krank- heiten schon von einiger Beobachtung auf diesem Gebiete. Die Inder selbst betrachten die Medicin als einen Upaveda, d. i. Nebenveda, und nennen sie auch Ayurveda oder den Veda der Lebenskraft, worunter man aber nicht etwa ein specialis Werk zu verstehen hat*

Wann die eigentlich wissenschaftliche Medicin in In- dien ihren Anfang nahm und wie weit die Inder es auf diesem Gebiete zu selbständigen Leistungen gebracht haben, läset sich gegenwärtig leider noch nicht mit Sicherheit entscheiden, da die Untersuchung dieser Fragen und die Bearbeitung der be- treffenden indischen Literatur noch in ihren Anfängen begriffen ist. So viel ist aber doch bereits klar geworden, dass man früher sowohl das Alter als auch die Bedeutung der indischen Medicin weit überschätzt hat, und Niemand denkt jetzt noch daran, wie dies in den vierziger Jahren wohl geschehen ist,* einen Schriftsteller wie Sucruta ca. 1000 Jahr vor Chr. anzu- setzen. Die uns vorliegende wissenschaftliche Medicin der Inder gehört zweifellos erst der nachchristlichen Zeit, der von Max Müller sogenannten Renaissance- Periode der Sanskritliteratur, an, aber der genaueren Bestimmung stehen Schwierigkeiten genug im Wege.

Das grosse Lexicon Amarakoga, als dessen Entstehungs- zeit wir das sechste Jahrhundert nach Chr. kennen gelernt

1 Vgl. Cantor, a. a. 0. p. 610.

1 Tgl. Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 284.

So von Frani Heuler in der Vorrede zu seiner i. J. 1844 be- gonnenen Uebersetxung des Bufruta; desgl. von Völlers, der L J. 1846 d&a Capitel dieses Werkes über die Geburtsbülfe besonders bearbeitete. ^Vgl. Haas, Ztscbr. d. D. M. G. XXX, p. 618. 619. Weber, Ind. Iit., 2. Aufl., p. 286.)

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haben, l&sst uns durch die Art, wie es das Capitel des mensch- lichen Leibes und der Krankheiten behandelt, jedenfalls schlies- sen, dass es damals schon eine wissenschaftliche Medicin gab.1 Vielleicht war auch jener Dhanyantari, der als einer der neun Edelsteine des Königs Vikramaditya genannt wird, eine medicinische Autorität des sechsten Jahrhunderts. 1 Aber über die Zeit, welcher die Werke der bedeutendsten medizinischen Autoritäten, Caraka und Sucruta, entstammen, sind wir doch noch stark im Zweifel. Jedenfalls würde, wie Stenzler schon vor längerer Zeit bemerkte, die Chronologie keinen Widerspruch erheben, wenn man eine Beeinflussung der indischen Medicin durch die der Griechen annehmen wollte,3 ja eine solche Be- einflussung erscheint sogar entschieden wahrscheinlich. Es könnte, wie Roth schon im Jahre 1872 hervorhob, „nur die Verglei- chung der Grundlagen indischer Medicin mit denen der griechi- schen zu einem Urtheil über Ursprung, Alter und Werth der ersteren führen."4 Eine solche Vergleichung ist nun aber leider bislang noch nicht ausgeführt

Interessante Beiträge zur Aufhellung dieser Fragen lieferte im Jahre 1876 der leider inzwischen verstorbene Dr. E. Haas in einem Aufsatz „Ueber die Ursprünge der indischen Medicin, mit besonderem Bezug auf Sucruta,"5 welchem sich im Jahre 1877 ein zweiter Artikel „Ueber Hippokrates und die indische Medicin des Mittelalters" anschloss.6 Er suchte zu zeigen, dass die bisherige Annahme, die medicinische Wissenschaft der Inder habe in den ersten Jahrhunderten nach der Hedschra, nament- lich im achten und neunten Jahrhundert dio arabische Medicin beeinflusst, auf ganz unsicheren Füssen stehe und dass wahr- scheinlicherweise vielmehr das ganze medicinische Wissen der Inder auf die ihnen durch die Muhamedaner vermittelte Kennt- niss der griechischen Medicin zurückzuführen sei, sich etwa in die Zeit der Purana 's verlegen lasse.7 Das Zeitalter des Sucruta lag nach Haas zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert nach

1 Vgl. Weber, a. a. 0. p. 286.

I)han?antari ist sonst Name des mythischen Götterarztes , der z. B. bei Manu und im Epos erwähnt wird. S. Weber, a~ a. 0. p. 285

Vgl. Weber, Ind. Lit., 2. Aufl., p. 286. 287. Weber meinte, das doch manches gegen den griechischen Einfluas spreche, z. B. dass die Yarana nie als Autorität genannt wurden (a. a. 0. p. 287).

4 Ztschr. d. D. M. G. XXVI, p 441. Roth ist es auch, der in dem Petersburger Wörterbuch die xncdicinischen Artikel bearbeitet hat

Ztachr. d D. M. G. XXX, p. 617—670.

Ztachr. d. D. M. G. XXXI, p. 647—666.

Ztschr. d. D. M. G. XXX, p. 651. XXXI, p. 648.

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Chr.,1 ja er führte in dem zweiten der erwähnten Aufsätze in fesselnder Weise die Vermuthung ans, der vielgenannte Inder Sucruta wäre im Grunde nur ein umgewandelter Hippokra- tes, indem nämlich des letzteren Name in der Form Bu^rat hei den Arabern leicht mit Su^rät (Sokrates) graphisch ver- wechselt werden konnte,* und aus Sukrat wäre dann Sucruta entstanden, eine Annahme, welche um so wahrscheinlicher wird, wenn man berücksichtigt, dass Hippokrates und Sokrates thatsächlich bei den Arabern wiederholentlieh verwechselt wor- den sind. So vertrat Haas gegenüber der früheren Anschauung von dem hohen Alter der indisch- med i ein ischen Wissenschaft und des Sucruta speciell das extreme GegentheiL Seineu Aus- fuhrungen widersprach schon Weber,* und August Müller lieferte sodann in einer höchst werthvollen Abhandlung4 aus arabischen Quellen den Nachweis» dass Sucruta und die andern medicinischen Autoritäten, namentlich Caraka, doch nicht so ganz modernen Ursprungs seien, wie Haas geglaubt hatte. Das Buch Sanaq's „Ueber die Gifte", aus dem Anfang des zehnten Jahrhunderts, enthält unverkennbare Spuren der Benutzung eines Capitels des Sucruta;6 ebenso wird Sucruta unzweifelhaft von dem berühmten arabischen Arzt Razl (AI Razl, Rhazes), welcher im Jahre 932 nach Chr. gestorben, wiederholentlich citirt,* und werden wir diese indische Autorität demnach min- destens in's neunte Jahrhundert nach Chr., wenn nicht höher hinauf, zu setzen haben. Es stellt sich übrigens dabei als höchst wahrscheinlich heraus, dass der uns vorliegende Text des Sucruta eine stark verbreiterte und verwässerte Auflage derjenigen Recension sein dürfte, welche den Arabern vorgelegen hat. Auch Caraka und noch andre Inder sind dem Razl be- kannt gewesen und werden von ihm als Autoritäten ritirt7 Ebenso wird Caraka von Serapion (Ibn Serabi) und Alblrünl (im elften Jahrhundert) erwähnt*

Wir dürfen nach alledem es wohl für wahrscheinlich, ja gewiss halten, dass die Inder schon vor der Berührung mit den

Ztschr. d. D. M. G. XXX, p. 667.

» Vgl. Haas, Ztschr. d. D. ÄL G. XXXI, p. 652 flg

* Ind. Ut, 2. Aufl., Kachtr. p. 18.

4 Arabische Quellen zur Geschichte der indischen Medicin, Ztschr. d. D. M. G. XXXIV. p. 465-556.

* Vgl. A. Mttller, a. a. 0. p. 654.

* Vgl. A. Müller, a. a. 0. p. 545—548. T A. Maller, a. a. 0. p. 548.

8 Vgl. Haas, Ztschr. i D.* M. G. XXXI, p. 651. Weber, Ind. Lit, 2. Amt, p. 290.

Arabern eine medicinische Wissenschaft gehabt haben. Die Blüthe derselben mag etwa in das fünfte oder sechste bis nennte Jahrhundert nach Chr. fallen. Unsicher aber bleibt es noch, wie viel die Inder selbständig geleistet, wie viel sie eventuell griechischen Vorbildern verdanken. Diese Frage bedarf noch gründlicher Prüfung, ehe man endgültig über dieselbe ent- scheidet1 Im Allgemeinen aber dürfte wohl der Glaube an bedeutende Leistungen der Inder auf medicinischem Gebiete durch Haas u. A. gründlich erschüttert sein.1 Hatte es früher sehr imponirt zu hören, dass die Inder seit Alters die Kuh- pockenimpfung und die Bildung künstlicher Nasen, die so- genannte Rhinoplastik, gekannt haben, so muss jetzt das Erstere als entschieden irrig bezeichnet werden,3 und auch das Letztere ist vielleicht keine originelle Erfindung der Inder,4 wenn es auch gewiss ist, dass die Europäer die Rhinoplastik im vorigen Jahrhundert bei den Indern vorfanden und von ihnen gelernt haben,5 wofür sie ihnen denn freilich unter allen Umständen Dank schulden.

1 Seligmann, der ebenfalls werthvolle Beitrage zur Geschichte der indischen Medicin geliefert, kommt zu dem Schluss, welchem auch A. Müller beistimmt, „dass man zwei Schalen indischer Medicin unter* scheiden müsse, die altere 8uc,ruta, Caraka u. s. w. bei denen ein Einfluas alterer griechischer Medicin nicht ausgeschlossen, aber auch bisher nicht nachgewiesen sei, und die jüngere, welche direkt unter dem von den Arabern vermittelten Einflüsse der Galenischen Theorie stehe.*' Vgl. A. Müller, a. a. 0. p. 561. 562.

* A. Müller sowie eine competente medicinische Autorität, llaeser. haben im Allgemeinen von Sucruta und Caraka denselben ungünstigen Eindruck wie Haas gewonnen (vgl. A. Müller, a. a, 0. p. 556). Man hatte schon a priori nicht viel erwarten sollen. „Zu keiner Zeit hat sich ja der indische Geist viel mit den Gesetzen beschäftigt, welche die Materie regieren, aber von keinem andern Felde der Untersuchung hielt ihn religiöses Vorurtheil und unüberwindliche Scheu so sehr ab, als gerade von der Beschäftigung mit dem todten Organismus." (Haaa, Ztscbr J D. M. G. XXX, p. 668.) Ohne eine solche aber war eine gedeihliche Entwickelung der Anatomie und damit auch eine wirkliche Blüthe der Medicin unmöglich. Wohl aber konnte man Mittheilungen und Vor- schriften aus fremden Quellen geben, mit eigenen Speculationen and Theorieen versetzt. Ob die Inder wirklich mehr gethan, muss erst noch die Zukunft lehren.

Vgl. Haas, Ztschr. d. D. M. G. XXX, p. 660 flg. 4 Haas, a. a. O. p. G58 flg.

* Haas theilt a. a. 0. p. 659 flg. den Brief eines Englanders ans dem Gentleman's Magazine für 1794 Vol. 64, Part. II, p. 891 mit, in welchem derselbe über eine, von einem Inder ausgeführte, rhinoplastibche Operation als etwas Neues und sehr Interessantes berichtet Er beginnt: „A friend hau transmitted to me, firom the Eaat Indies, the following

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Das System der indischen Med i ein ist Ton dem Engländer Dr. Wise im Jahre 1845 zusammenfassend nnd übersichtlich dargestellt worden.1 Hoffen wir, dass Textausgaben, Ueber- seteungen, chronologische und sonstige Untersuchungen uns all- mählich in Stand setzen werden, klarer als bisher auf diesem Gebiete zu urtheilen.*

verv corious, and in Europe, I believe, unknown chirurgical Operation vbich ha« long been practised in India with success ; namely affixing a &e«r noae on a man's face." Folgt der Bericht und eine Abbildung des Operirten. Haas meint etwas zu geringschätzig, man hatte dieser Sache vohl nicht so viel Gewicht beigelegt, wenn man ihr nicht ein ungebühr- lich hohes Alter zugeschrieben hatte. „Im Lichte der späteren Zeit be- leben, wo der äussere Umstand einer durch muhammedanische Gewalt- haber eingeführten barbarischen Justiz das Nasenabschneiden zum all- täglichen YorkommniBs machte, verwandelt sich das Wunder in eine vor der Noth eingegebene Erfindung/4 (a. a. 0. p. 658.)

1 T. A. Wlse, Commentary on the Hindu system of medicine, Cal- cutta 1845; neue Aufl. London 1860.

Der Text des Sucruta ist herausgegeben durch Madhusüdarm Gopta, Calcutta 1835. 1836., 2. Aufl. 1868; ferner durch Jivananda Vidya- aagara im Jahre 1873. Eine lateinische Uebersetzung, die freilich sehr viel zu wünschen übrig lasst, veröffentlichte Franz Hessler, Erlangen 1844—1850. Ferner ist eine engl. Uebersetzung begonnen: Suc.ru ta- Samhita, transl. from the original Sanskrit, by Udoy Chand Dutt, Cai- catta 1883 (Bibl. Ind.). Eine Ausgabe des Caraka begann Gaflga- dhara Kaviraja, Calcutta 1868 flg ; eine andere veranstaltete Jiv&nanda Vidya&agara, Calcutta 1877. Rott) hat einen Theil der Lehren des Ca- raka besprochen, Ztschr. d. D. M. G. XXVI, p. 448 flg. Vgl. ferner Hessler, Ueber die Materia Medica des ältesten ind. Arztes Tscharaka, Sitzungsber. d. math. phys. Cl. d. Ak. d. Wiss. zu München 1883, H. 3, p 364 371. Trendelenburg, de veterum Indorum chirurgia, Bero- Uni 1866. Werthvolle Mittheilungen über indische Heilmittel findet man bei W. Dymock, The vegetable Materia Medica of Western India. 2 Ed. Bombay- London 1885 (Trübner).

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Neunundvierzigste Vorlesung.

Die Reehtsliteratur der Inder. Frühere Ansichten von dem sogenannten Gesetzbuch des Manu. Die Dh&rmasntra's. Die metrischen Gesetzbacher oder Dharm&cistra's. Das Gesetzbuch des Manu, seine Stellung, Be- deutung, Ursprung und muthmaassliches Alter. Das Gesetzbuch des Yajfiavalkya. Weitere metrische Gesetzbücher. Die Commentare. Me- dhatithi und andere Commentatoren des Manu. Die Mitakshari. Die

fünf juristischen Schulen. Schluss.

Von höchster Bedeutung für die Kenntniss des Staats- wesens wie der Privatverhältnisse, ja des gesammten Lebens und Treibens der Inder ist die juristische Literatur, die Gesetzbücher, Commentare und Digesten. Unsere Ansichten über diese Literatur haben in neuerer und neuester Zeit noch sehr erhebliche Umwandlungen, Bereicherung und Berichtigungen erfahren. Man ist lange gewohnt gewesen, das sogenannte Ge- setzbuch des Manu, das Manavadharmac.astra, nicht nur als das wichtigste und durchaus massgebende, sondern auch als das älteste Gesetzbuch der Inder anzusehen. Die Darstel- lungen indischen Rechts und indischer Sitte in europäischen Werken waren bis vor nicht langer Zeit fast nur auf dem Ge- setzbuch des Manu aufgebaut, während wir gegenwärtig durch die Bemühungen einer ganzen Reihe bedeutender Forscher sei- nen Werth und sein Alter richtige abzuschätzen wissen und hinfort nicht mehr so einseitig urtheilen werden.

Das Gesetzbuch des Manu nimmt bei den Indern seit längerer Zeit ungefähr eine ebenso dominirende Stellung unter den Rechtsbüchern ein, wie die Grammatik des Panini auf dem Gebiete dor Sprachwissenschaft. Es ist weitaus das angesehenste Gesetzbuch, eine für ganz Indien maassgebende Autorität. Die Inder selbst umkleiden dieses Werk mit dem Nimbus fabel- haften Alterthums. Sir William Jones, der sich zu Ende de* vorigen Jahrhunderts ein hervorragendes Verdienst um die Rechtsliteratur der Inder erworben, glaubte das Gesetzbuch des Manu bis in das 13. Jahrhundert vor Chr. hinaufrücken ru

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müssen. A. W. v. Schlegel versicherte, dass es nicht jünger sein könne als das Jahr 1000 vor Chr.1 Aher als man in den vierziger Jahren die vedische Literatur zu studifen begann, erkannte man allmählich, dass dem Gesetzbuch des Mann dort keine Stelle angewiesen werden könne, dass es vielmehr un- zweifelhaft der nachvedischen Periode des klassischen Sanskrit angehören müsse, was schon seine Sprache und Form unzwei- felhaft bewies. Monier Williams setzte es nun um das Jahr 500 vor Chr.; Johaentgen, der im Jahre 1863 eine werth- volle Arbeit über das Gesetzbuch des Manu veröffentlichte, hielt das Jahr 350 vor Chr. für den spätest möglichen Zeit- punkt seiner Entstehung;1 und neuerdings ist man kaum noch im Zweifel darüber, dass das Werk ein nachchristliches ist und erst der zweiten Periode der indischen Rechtsliteratur ange- hört, welche Periode wir als die der metrischen Gesetzbücher» der sogenannten Dharmac&stra's, bezeichnen können.

Wir finden im indischen Recht eine merkwürdige Mischung von religiösen und weltlichen Materien. Genaue Bestimmungen darüber, wie man Bich in religiöser Hinsicht rein und heilig zu halten habe, wann und wie der Veda zu lesen ist, unter welchen rituellen Formen die Todten bestattet werden sollen, welche Wiedergeburt je diesem oder jenem Uebelthäter nach dem Tode bevorsteht u. dergl. m. findet man untermischt mit Angaben über die weltlichen Strafen für Betrug, Diebstahl, Mord oder Ehebruch, Darlegung des Processverfahrens, Zeugen- verhöres u. dergL m. Jeder, der einen Blick in die Ueber- aetzungen von Manu's oder Yajfiavalkya's Gesetzbuch thun will, kann sich leicht von der Richtigkeit dieser Behauptung über- zeugen. Wir dürfen uns darüber nicht wundern bei einem Volke, bei welchem das Religiöse so ungewöhnlich stark in alle Sphären des Lebens und Denkens hineingreift, überall dominiren will und auch wirklich dominirt In Uebereinstim- mung damit gilt denn der Veda unbestritten auch für das Recht als die höchste Instanz. Indessen berührt derselbe recht- liche Fragen doch nur ausnahmsweise, und wenn sich die Ge- setzbücher auf ihn berufen, so sind die betreffenden Stellen oft genug nur künstlich zum Beweise herangezwungen. s

1 Vgl Burnell, The Ordinancei of Manu, Introduction p. XVII.

1 Ueber das Oese Ubach des Manu. Eine philosophisch- lite- ratorhistoriache Studie Ton Dr. Fr. Johaentgen, Berlin 1868 (et p. 95).

Vgl. J. Jolly, Outlines of an HiBtory of the Hindu Law of Partition, Inheritance and Adoption, Calcutta 1885, p. 81 (Tagore Law Lectores 1888).

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Die ersten eigentlichen Rechtsbücher sind die sogenannten Dharmasütra's, welche noch der vedischen Literatur in ihrer jüngsten Phase zugerechnet werden. Sie sind in Prosa, unter- mischt mit Versen, abgefasst und enthalten meist kurze, apho- ristische Kegeln, welche dazu bestimmt waren, dem Gedächtniss' eingeprägt zu werden. Dieselben reichen etwa bis in das fünfte, vielleicht bis in das sechste Jahrhundert vor Chr. binaul Aus diesen alten prosaischen Dharmasütra's sind dann, unter Hin- zufügung noch andrer Elemente aus den Grihyasutra's, dem Gewohnheitsrecht u. dergL m., in der zweiten Periode der Rechts- literatur, während der Blüthezeit des klassischen Sanskrit, in der Zeit nach Christi Geburt, die metrischen Gesetzbücher, die sogenannten DharmacÄstra's oder metrischen Smriti's, her- Torgegangen, und zu diesen gehört auch das Gesetzbuch des Manu.

Die Arbeit an den für die Rechtsgeschichte so überaus wichtigen Dharmasütra's oder Gesetzesregeln ist erst in neue- ster Zeit in Augriff genommen worden, dafür aber auch gleich in gründlichster Weise, so dass uns dieselben, dank den Arbeiten Bühler's, Stenzler's, Jolly's und Andrer, gegenwärtig schon ziemlich vollständig herausgegeben und übersetzt vorliegen, auch in Bezug auf Ursprung und Geschichte mehr oder weniger aus- reichend untersucht worden sind.1 Damit sind uns die ältesten indischen Rechtsquellen, soweit dieselben noch handschriftlich existiren, zugänglich gemacht

Das verhältnissmässig hohe Alter der Dharmasütra's ergiebt

1 Die Ausgaben der Dharmasütra's sind folgende: Apastamba's Dharmasütra, 2 parte, ed. by G. Bühler, Bombay 1S68. 1871. The Institutes of Oautama, ed. by A. Stenzler, London 1876. The Vishnu-smriti, 2 fatc., ed. by J. JolLy, Calcutta 1881. Vasishtha-

dharma$astram ed. by A. A. Führer, Bombay 1883. Baudba- yanadharmac,astra ed. by £. Hultsch, Leipzig 1884 (Abhdl. f. <L künde d. Morgl. Bd. VIII, No. 4V [Die beiden letztgenannten Werk«

heissen in den Mss. zwar Dharmacistra's, doch zeigt Inhalt und Form deutlich, dass es Dharmasütra's sind. Dasselbe gilt von der Vishnu- smriti. Vgl. Jolly, History of Hindu Law p. 87.] Uebersetzungen der Dharmasütra's nebst daran sich anknüpfenden Untersuchungen sind ▼on Bühler und Jolly in den 8acred BookB veröffentlicht worden: The Sacred Laws of the Aryae ae t&ught in the schools of Xp&stamba, Gautama, Vasishtha and Baudhayana. Transl. with an introduction and notes by G. Bühler, 2 voll. Oxford 1879—1882 (Sacr. Books II u. XIV). The Institutes of Vishnu, transl. by J. Jolly, Oxford 1880 (Sacr Books VII). Kritische Bemerkungen zu mehreren dieser Ausgaben und Uebersetzungen veröffentlichte 0. Böhtlingk, Ztschr. d. D. M. Ges. Bd. XXXIX.

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sich schon daraus, dass dieselben noch zur vedischen Literatur gehören. Die Dharmasütra's des Apastamba, Baudhayana^ und Hiranyakecjn lassen diese ihre Zugehörigkeit zum Veda,* schon rein äusserlich genommen, deutlich durch den Umstand erkennen, dass sie bestimmte Theile der grossen Tedischen Sütra- Sammlungen bilden, welche je ein und demselben Autor dem Apastamba, Baudhayana, Hiranyakecm zugeschrieben wer- den.1 Ob diese Autorschaft begründet ist, kommt dabei nicht sehr in Betracht; es sind dies eben die kanonischen Samm- longen der betreffenden vedischen Schulen, welche die genannten Männer als ihre Stifter verehren und welche sämmtlich zur Taittiriya-Abtheilung des schwarzen Yajurveda gehören.

Das Dharmasütra des Apastamba zeigt eine Sprache, die besonders reich an altertümlichen Formen ist. Es muss dieses Werk geschrieben sein, bevor der Kanon der klassischen Sprache, wie ihn Panini fixirt, in Indien durchgedrungen war. Dies und andere Gründe noch machen es wahrscheinlich, dass der Autor dieses Sütra nicht später als im fünften Jahrh. vor Chr. lebte.*

Apastamba'8 Dharmasütra scheint nicht durch spätere In- terpolationen, Zusätze und Aenderungen in seinem ursprüng- lichen Charakter gestört und entstellt zu sein, während dies bei den anderen Dharmasütra's in der That wohl niohr oder weniger der Fall ist Die Kritik vermag diese Zusätze bis zu einem gewissen Grade auszuscheiden, und Bühler, der sich um diese Literatur ein besonderes Verdienst erworben, suchte zu zeigen, dass das Sütra des Baudhayana in seiner ursprüng- lichen Form wohl noch älter sein dürfte als das des Apastamba. Noch ältor als Baudhayana wäre nach Bühler das Dharmasütra des Gäutania,' welches einer Schule des Samaveda anzuge- hören scheint. Doch auch Gäutama ist nicht der älteste Rcchts- lehrcr; er citirt andre Lehrer und die Smriti oder Tradition im Allgemeinen.

1 So bildet z. B. das Dharmastitra des Apastamba den 28. und 2H. Abschnitt (prac.na) von Apastamba's Qräutasütra. Vgl. Weber, lud, UU 2. Aufl., p. 111 Anm. und p. 2H6 Anm. J. Jolly, llistory of the Hindu Law p. 37.

* S Jolly, a. a. 0. p. 37.

Vgl. Jolly, a. a. 6 p. 37. Wenn Wober den verhaltuiss- mlssig späten Ursprung der Dharmasütra und specicll des nach Bühler ältesten, des Gäutama, dadurch fUr erwiesen halt, dass bei Oautama (4, 21) die Yavana und Pararava, d. i. Griechen und Parther (Perser» als Namen von Mischkasten erscheinen, so ist nachdrücklich an das im Text oben Gesagte zu erinnern, dass eben dieses Sütra wie auch das des Baudh. eine Reihe jüngerer Zusätze hat. (Vgl. Weber, Lit. Centr. 1884, No 46, p. 15G40

t. SchrSdtr, Ind. Lit. u. Colt. 47

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Die sogenannte Yishnusmriti ist in ihrer gegenwärtig Torliegenden Form jedenfalis jüngeren Ursprungs, verfasst oder redigirt von einem Gliede der vischnuitischen Secte der Bh&ga- vatas. Aber die Haupttheile des Werkes sind sicher alt, und zwar scheint dies das Dharmasütra der ebenfalls zum schwar- zen Yajurveda gehöriger Kathaka- Schule gewesen zu sein.1 Schwieriger ist die Stellung von Vasishtha's Dharmasütra zu . bestimmen.8

Die meisten der genannten Dharmasütra's entstammen dem Süden Indiens;3 nur die Vishnusmriti und das Sütra des Va- sishtha scheinen in dem Lande nördlich von der Narmada ent- standen zu sein.4

Diese vedischen Dharmasütra's sind in späterer Zeit ganz in den Hintergrund gedrängt worden durch die sogenannten Dharmacastra's, die metrischen Gesetzbücher, auch metrische Sniriti'8 genannt, welche seit vielen Jahrhunderten schon bis auf den heutigen Tag als die Quelle des Rechtes gelten und die Grundlage des juristischen Studiums der Inder bilden. Diese metrischen Gesetzbücher haben eine viel universellere Bedeutung erlangt, als dies bei den Dharmasütra's jo der Fall gewesen. Insbesondere das Gesetzbuch des Manu ist als Kanon des Rechts über ganz Indien verbreitet, während das Sütra des Äpastamba wie auch die andern Dharmasütra's immer nur in einer speciellen vedischen Schule etwas bedeuteten.5

Die metrischen Gesetzbücher sind offenbar das Produkt einer Zeit, in welcher das Studium von Recht, Gesetz und Sitte

1 Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 88, sowie namentlich auch Jolly, da* Dharmasütra des Vishnu und das Kathakagrihyasütra, Sitz. Ber. d. Ak d. Wiss. zu München 1879 p. 22 flg. (Phil. bist. C).).

2 Nach Jolly, a. a, 0. p. 39 scheint das Dh. des Vasishtha einer Schule anzugehören, welche den Rigveda studirte. Mir scheint es be- sonders beachtenswerth, dass dieses Sütra 39 Verse enthalt, die sich in Manu's Gesetzbuch finden und die doch nicht als Citat markirt werden (Bühler, Sacred Books XIV, p. XVIII und XX. Jolly, a. a. 0. p. 47). Ich wage daher einen näheren Zusammenhang des Vasishtha mit den Manava-Maitrayanlya's zu vermuthen. Es würden dazu auch die geo- graphischen Verhältnisse stimmen. Das Sütra des Vasishtha scheint nach Jolly a. a. 0. p. 38 dem Lande nördlich von der Narmada anzugehören und gerade dort lebten und leben zum Theil noch nach meinen früheren Nachweisungen die Manava-Maitriyanlya's ; wesentlich in denselben Theü Indiens fuhrt uns Bumell bei seinem Versuch, das Ursprungsland des Gesetzbuchs des Manu zu bestimmen (vgl. weiter unten).

8 Die Taittirlya-Schulen des Äpastamba, Baudhayana und Hiranya- keem sind südindischc.

* Vgl. Jolly, History of the Hindu Law p. 38. 6 Jolly, a. a. 0. p. 41. 42.

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eo weit vorgeschritten war, dass es als ein besondrer Wis- senszweig selbständige Bedeutung gewonnen hatte, eine eigene Wissenschaft bildete. Während die Dharmasütra's doch immer nur ▼erhaltnissmassig wenig umfangreiche Anhängsel vedischer Textsammlungen waren, zeigen sich die Dharmacastra's als •elbständige und umfängliche Rechtsbücher. Allerdings standen auch diese noch, in einem gewissen Zusammenhang mit demVeda und erkannten ihn als oberste Autorität an, aber die Verfasser derselben wollten offenbar doch selbständige und mög- lichst vollständige Darlegungen des indischen Rechtes bieten, und nicht bloss einzelne Aphorismen, wie sie die Dharmasütra's enthalten. Die metrischen Gesetzbücher sind denn auch so- wohl in Bezug auf Umfang und Vollständigkeit als auch hin- sichtlich der systematischen Behandlung des Gegenstandes den magern Abhandlungen der yedischen Sütra's weit überlegen. Sie vertreten eben eine ganz anders vorgerückte Phase des Rechtastudiums. Um nur ein Beispiel anzuführen, so werden hier die Regeln über das Civilrecht nicht mehr wie in den Sütra'8 alle in einem Haufen gegeben, sondern systematisch in 18 Gruppen gesondert1

Was diese Dharmacastra's von vornherein schon äusserlich deutlich von den Dharmasütra's unterscheidet, ist der Umstand, dass sie durchgängig im epischen Cloka geschrieben sind, wäh- rend die Dharmasütra's in Prosa, nur untermischt mit Versen in Qloka- oder auch anderem Metrum. Ob diese Neuerung durch das- wachsende Ansehen der grossen Epen eingetreten, wie Bradke vermuthet hat,* oder infolge eines andern Grundes, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls sind durchgängig auch auf anderen Gebieten des indischen Wissens die Prosaschrif- ten die älteren.9

Als Quellen der metrischen Gesetzbücher sind vor Allem die Dharmasütra's anzusehen, aber nicht diese allein; auch die wichtigsten Bestimmungen der Grihyasütra's, Vieles aus dem Gewohnheitsrecht, gewisse Ansichten hervorragender Rechts- lehrer und Philosophen u. dergl. m. finden wir hier mit dem, was die Dharmasütra's boten, zu einem Ganzen verschmolzen.4

1 Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 42.

a Bradke» in seiner Arbeit über das Manava-Grihyasfttra, Ztschr. d. D. M. 6. XXXVI, p. 475. 476. a Yfl. Jolly, a. a. 0. p. 42.

4 Wenn nach dieser Darstellung nun auch im Ganzen die Dharma- sütra's den metrischen Dharmac&stra'u zeitlich vorausgehen, so sind doch auch in spaterer Zeit noch etliche anechte Dharmasütra's, den alten

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Das älteste, wichtigste und angesehenste unter dieseu me- trischen Gesetzbüchern ist ohne Zweifel das Manavadharm - c,ästra, das sogenannte Gesetzbuch des Manu.

Die Autorität des weisen Manu, der auch als Vater der Menschheit gefeiert wird, ist jedenfalls eine sehr alte. Eine Reihe vedischer Schriften citiren ihn bereits als Autorität für das Recht. Das Kathakam (11, 5) und die Taittirlya- Samhita (2, 2, 10, 2) sagen: „Allee, was Manu gesagt hat, ist Arzenei«1 In Yaska's Nirukta (3, 4) wird eine Regel des Erbrechts dem Manu Sväyambhuva zugeschrieben; der Autor unseres Gesetzbuches trägt denselben Beinamen, aber freilich stimmt jene von Yaska citirte Regel nicht zu dem, was das uns vorliegende Gesetzbuch lehrt* Qankhayana's Grihva- sütra (2, 16) citirt den Manu zur Stütze der Lehre, dass'bei bestimmten Opfern das Tödten von Vieh erlaubt sei, und wir finden die entsprechende Regel in der That im Mänavadharaia- c&stra (5, 41). Auch in der Gautamasmriti, dem ältesten Dharmasütra, wird Manu als Autorität citirt, und die ihm zu- geschriebene Regel findet sich wirklich in unsrem Gesetzbuch.4 Eine besonders grosse Anzahl von Citaten aus einem Manu- Buch (Mänavam), die factisch im vorhandenen Text zu finden sind, begegnen in Vasishtha's Dharmasütra;5 andre im Sütra des Bäudhäyana und auderen Werken.6 Auch im Mahabharata finden sich viele Verse, welche dem Manu zugeschrieben wer- den; einige davon finden sich in dem uns vorliegenden Gesetz- buch, andere nicht.7 Ebenso begegnen wir dem Manu auf den indischen Inschriften. Ueberhaupt, wo immer die alten Gesetz- geber aufgeführt werden, nicht nur in den juristischen Samm- lungen und Commentarcu, sondern ebenso auf den Inschriften,

ähnlich, fabricirt worden. Die Sütra -Compositlon borte also mit dem Beginn der metrischen Smriti-Periode noch nicht vollständig auf. Andrer* seito mag auch die Versificirung einiger SAtra vcrhältnlssmabsig früh be- gonnen haben. Dies möchte man namentlich von demjenigen Dharma- sütra glauben, welches dem Gesetzbu h des Manu zu Grande liegt

1 Vgl. M. Müller, Indien in s. w. B. p. 317. Jolly, a. a. O. p. 43

4 Vgl. darüber M. Müller, a. a. 0. p. 317. 318. Jener Vers be- sagt, dass alle Kinder, Knaben und Madchen, ein gleiches Erbt heil er- halten; davon aber weichen die Bestimmungen unseres Gesetzbuches er- heblich ab.

Vgl. M. Müller, a. a. 0. p. 318.

4 Manu 11, 90—92; 104. 105.

6 Dasselbe Werk hat, wie bereits oben bemerkt, 39 Verse überein- stimmend mit dem heutigen Manu, ohne dieselben als Citat zu marldren. 6 Vgl. Jolly, History of the Hindu Law p. 43. 44. ' Vgl. M. Müller, a. a. 0. p. 318.

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in den Purana's und metrischen Gesetzbüchern, immer finden wir Manu obenan genannt1

Dieses schon für eine sehr frühe Zeit vorbürgte, hohe An- sehen des Manu als Autorität für das Recht beweist nun aber natürlich nichts für ein hohes Alter des Gesetzbuches des Manu in der Form, wie uns dasselbe gegenwärtig vorliegt; es ist viel- mehr sowohl durch» die einfache und moderne Sprache des- selben als auch durch andere Umstände wohl unzweifelhaft, dass dieses Werk erst dem Mittelalter, der nachchristlichen Zeit angehört, der Blüthezeit des klassischen Sanskrit.8

In Anlehnung an jenen altberühmten Weisen Manu hat sich innerhalb des schwarzen Yajurveda eine Manava-Schule* gebildet, und aus diesem Kreise ist aller Wahrscheinlichkeit nach das sogenannte Gesetzbuch des Manu hervorgegangen. Dasselbe war aber jedenfalls nicht das erste Rechtsbuch dieser Schule, sondern geht zurück auf ein älteres Werk, welches zu jener ersten Kategorie vedischer Rechts-Sutra's gehörte, ein Mänavadharmasütra, von dem wir mit Bestimmtheit vor- aussetzen dürfen, dass es einstmals existirt hat, das aber leider verloren gegangen ist4

Die Mänava'8 bilden eine Unterabtheilung der Mäitra- yaniya- Schule, und das Gesetzbuch des Manu gehört demnach dieser Schule an. Ein specieller Zusammenhang der Textbücher der Maitrayaniya-Schule mit dem Manavadhairmac&stra hat sich

1 Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 44. Interessant ist es, dass sogar die buddhistischen Birmanen, zu denen das indische Recht früh gelangt ist, die aber sonst von brahmanischem Wesen doch nichts wissen wollen, ihre Recbtsbucber als „Gesetzbücher des Manu" bezeichnen, offenbar um ihnen dadurch höhere Autorität zu verleihen. (S. Jolly a. a. 0.)

Edgren hat die Sprache des Manu einer besonderen Untersuchung unterworfen und dieselbe auf statistischem Wege als modern erwiesen; vgl. Avery's Aufsatz im Journal Amer. Or. Soc. X, p. 320. 821; Bur- nell, The Ordinances of Manu, Introd. p. XX.

•• Das Wort „Mänava" bedeutet „auf Manu sich beziehend, zu ihm . gehörig1' Die Minava-Schule war eine Sütra-Carana, d. h. eine Schule, die sich auf Abfassung von Siitra's beschränkte, kein eigenes Brahmana oder dergleichen besass.

* Die Citate aus einem „Manavam", die wir In Qautama's und VasiBhtha's Dharmasütra finden, entstammen wohl jedenfalls diesem Mänavadharmasütra. Eins der Citate bei Vasishtha ist in Prosa, ge- mischt mit Versen, abgefasst, und dieser äussere Umstand macht es noch gewisser, dass wirklich ein Mänavadharmasütra existirt hat (vgl. Jolly a. a. 0. p. 47). Daraus, dass die sonstigen CitAte in Versen sind, mochte ich den Schluss ziehen, dass gerade das Mänavadharmasütra be- sonders früh versificirt wurde.

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indessen bisher nicht gezeigt und scheint in der That nicht vorzuliegen.1 Die Schule der Mäitrayaniya's ist mit der der Katha's nahe verwandt, und die Vishnusmriti, welche den Katha's angehört, hat Vieles mit dem Texte unseres Manu gemein.* Ja die Vishnusmriti scheint in manchen Fällen geradezu die Sütra's zu bieten, die dem Verfasser des Manu-Textes vorgelegen haben und die von ihm versificirt sind. In andern Fällen sind die Regeln des Manu altertümlicher als* die der Vishnusmriti. Zwischen dem Gesetzbuche des Manu und den noch erhaltenen Dharmasütra's, namentlich dem des Vasistyha, finden überhaupt vielfache Beziehungen statt, und es .kann wohl nicht daran ge- zweifelt werden, dass ähnliche Werke die Hauptquelle unseres Gesetzbuches gewesen sind.

So viel sich nun im Gesetzbuch des Manu nachweisen lässt als übereinstimmend mit den Dharmasütra's, und noch bedeu- tend mehr, ist sicher alt Anderes mag vom Verfasser des metrischen Textes und wohl auch noch späteren Redactoren oder Interpolatoren hinzugefügt sein. Namentlich dürften auf deren Rechnung einige Widersprüche kommen, die sich in dem Gesetzbuche vorfinden.9

Wir bestreiten demnach durchaus nicht, dass der Kern, ein wesentlicher Theil des Inhalts unseres Gesetz >*\ches alt ist; aber in der Form, wie uns das Werk vorliegt, ist es jedenfalls nicht alt Die Sprache ist ungefähr die des Epos; Composita ganz moderner Art u. dergl. m. kommen darin vor.4 Die philo- sophischen Partieen, welche sich im ersten und letzten Capitel vorfinden, rahmenartig das Werk einschliessend, sind keinesfalls

1 Auch zwischen dem Manavagrihyasütra und dem Gesetzbach des Manu Bcheint kein näherer Zusammenhang zu bestehen (vgl. Bradke's werthvolle Arbeit über' das Manavagrihyasütra, Ztschr. d. D. M Ges. XXXVI, p. 417 477). Die ganze Beziehung des Gebetabuches zur Mai- trayanlya-Manava-Schule bedarf daher wohl noch einer gründlichen Prü- fung iind darf keineswegs als feststehend und klar bezeichnet werden. Whitney hat seinem skeptischen Standpunkt in dieser Hinsicht Aus- druck gegeben in den Proceedings der Amer. Or. Soc. vom Mai 1885, p. XXXI und XXXII (Journ. Am. Or. Soc voL XIII). Seiner Meinung nach ist ein Zusammenhang des Gesetzbuches mit der vedischen Manava- Schule und deren Sütra's ganz ungewiss und fraglich. Indessen möchte ich doch auf die im Text hervorgehobene, von Jolly constatirte nahe Beziehung des Gesetzbuches zur Vishnusmriti entschiedenes Gewicht legen; denn dies ist das Sütra der Katha's und die Katha's sind den Mäitrayaniya-Manava's nahe verwandt.

» Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 47.

9 Vgl. Jolly, a. a. 0. i>. 48.

4 Vgl. Burneil, The Ordinances of Manu, Introd p. XX.

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alt1 Der Dialog, welcher die Hauptsache einleitet, ist nach BurnelTs Urtheil ganz im Style der Purana's u. dergi m.

Eine genauere Bestimmung der Entstehungszeit des Mana- Tadharmac4stra ist aber leider bisher noch nicht gelungen. M. Müller in seiner Abhandlung über die Renaissance der Sanskrit -Literatur constatirte nur, dass keinerlei zwingende Gründe vorliegen, die Existenz dieses Gesetzbuches vor den? Jahre 300 nach Chr. anzunehmen,1 Eingehender untersuchte Burneil die chronologische Frage in der Einleitung zu seiner Uebersetzung des Manu. Er kam zu dem Schluss, dass das Gesetzbuch etwa um das Jahr 500 nach Chr. verfasst sein dürfte. Es soll dasselbe nach seiner Annahme für einen König Pulikccj geschrieben sein, der zur mächtigen Dynastie der Ca- lukya gehörte, die längere Zeit über den Dekhan und Gujerat herrschten und sich mit dem Geschlechtsnamen ihrer Purohita's Manavya's nannten.3 Die spätere grosse Ausbreitung und Macht der westlichen Calukya- Dynastie habe wesentlich dazu beigetragen, dem Gesetzbuch sein grosses Ansehen zu ver- schaffen.4

Leider stehen die Ausführungen BurnelTs fast nach allen Richtungen hin auf so schwachen Füssen, dass wir seine Re- sultate keineswegs für gesichert halten können.* Es ist nicht unmöglich, dass das Gesetzbuch unter der Aegide der Calukya- Fürsten abgefasst wurde; es würde auch die von mir näher bestimmte geographische Vertheilung der Maitrayaniya-Schule,6 zu welcher die M&nava's gehörten, nicht übel zu den Wohn-

1 Das philosophische System, welches in diesen Capiteln su Tage tritt, hat schon Coiebrooke, In Ueberei nstimmung mit allen Commen- tatoren, als S&nkbya -Lehre bezeichnet, und zwar nennt er es speciell „Puranic S&nkhya", d. L eine ferhaltnissmassig spate Form der Lehre ' (vgl. Burneil a. a, 0. p. XXII). Johaentgen (in s. Schrift Ober das Ges. des Manu 1863) wollte eine altere Phase der S&akhya-Lehre darin erkennen; doch hat dies wenig Wahrscheinlichkeit Die betreffenden Capitel werden wohl jetzt ziemlich allgemein zu den jüngsten TheUen des Gesetzbuches gerechnet

* M. Malier, Indien in s. w. Bed. p. 819.

* Vgl. Burnell, The Ordinanees of Manu, Introd. p. XXIV. XXV. 4 Vgl. Burnell, a. a. O. p. XXVII.

8 Zu einer eingehenden Darlegung der von uns für hinfallig ge- haltenen Burnellschen Argumente fehlt uns der Raum. Eine kurze und klare Widerlegung derselben, der wir in der Hauptsache beistimmen, bat bereits der Herauageber des Bnrnel Ischen Werkes, Prof. E.W. Hop- kins, im Journal Am. Or. Soc. vol. XIII, p. XXVIII— XXX geliefert VgL übrigens auch die Ree. von Wi. im Lit Centr. 1886 No. 26, p. 896. 897.

* Einleitung zum 1. Buch meiner Aasgabe der Mäitr&yani Samhitl p. XIX— XXVUL

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sitzen jener Fürsten stimmen; aber sicher ist die Sache doch noch lange nicht Aach andre Könige haben den Geschlechts- namen Manava oder Mänavya für sich beansprucht;1 und wenn auch einer der Cälukya die Abfassung des Gesetzbuches ver- anlasste, so bleibt doch ganz unsicher, welcher von ihnen es gewesen.

Es erscheint mir nicht unwahrscheinlich, däss dus Gesetz- bu h des Manu im Beginn der Blüthezeit des klassischen Sans- kr t, d. h. etwa im vierten oder fünften Jahrhundert nach Chr., abgefasst sein möchte. Eine speciellere Bestimmung aber ist unmöglich und auch diese allgemeine darf nicht als sicher- stehend angesehen werden.8

Jedenfalls wusste unser Gesetzbuch das hohe Ansehen, welches schon der alte Weise Manu genoss, dauernd ihm und sich zu wahren. Seine Vollständigkeit, seine gute Anordnung und Verständlichkeit verschaffte ihm eine weitreichende Popu- larität und Verbreitung in Indien.3 Wie weit dabei noc 1 an- dere, historische Factoren mit im Spiele gewesen der Ein- fiuss eines bestimmten Herrscherhauses, das Ansehen der Mai- trayaniva-Manava-Schule u. dergL m. müssen wir dahingestellt sein lassen. Die grosse Menge von alten Commentaren zu Manu's Gesetzbuch aus verschiedenen Theilen Indiens beweist die frühe Verbreitung des vorhandenen Textes über das ganze Land. Von Medhätithi (etwa im neunten oder zehnten Jahrhundert) bis auf Raghavananda (im 16. oder 17. Jahrhundert) zeigen die Commentare bei ihren Citaten aus Manu wenig Abweichung in den Lesarten und man sieht daraus, dass der jetzt vorliegende Text seit jener Zeit also wohl mehr als ein Jahrtausend lang sorgfältig überliefert wurde.*

Vorher freilich hat das Gesetzbuch so manche Wandlungen durchgemacht, denn es birgt wie früher schon erwähnt einen alten Kern, der mehrfach überarbeitet und mit Zusätzen versehen ist. Es hat nach einander, vielleicht auch gleichzeitig, verschiedene Recensionen des Manu gegeben. Nur so erklärt es sich, dass Vieles, was ihm in älteren Werken zugeschrieben, resp. aus ihm citi/t wird, in der uns vorliegenden Recension nicht vorhanden ist. Ein merkwürdiger Bericht über vier ver-

1 Hopkins a. a. 0. p. XXX

* Dass indessen das Gesetzbuch des Mann mehrere Jahrhunderte älter sein muas als sein ältester Commentator (Medhätithi, im 9. oder 10. Jahrhundert), halte ich für ausgemacht.

3 Vgl. darüber auch Burneil s ürtheil a. a. 0. p. XVII.

* Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 45.

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8chiedeno Recensioneu des Manu findet sich in der Einleitung zur Näradasmriti. Dort heisst es: Manu verfasste ein grosses Werk, das alle möglichen Dinge, göttliche und menschliche, be- handelte, in 100000 floken und 1080 Capiteln. Dieses Werk überlieferte er dem Narada, der es zum Gebrauch der Men- schen auf 12000 Qloken reducirte. Es wurde dann später successiv durch Markandaya und Sumati, den Sohn des Bhrigu, weiter reducirt auf 8000 und 4000 Qloken. Das Originalwerk soll jetzt nur noch von den Göttern studirt werden.1 Die letzte Recension ist offenbar die uns vorliegende, welche ausdrücklich sich selbst als Bhrigu -Recension bezeichnet2 Dem übrigens natürlich fabelhaften Bericht3 dürfte doch etwas Wahres zu Grunde liegen; zum mindesten in soweit, als er eben auch das einstmalige Vorhandensein verschiedener Rocensionen des Manu constatirt. 4

Neben dem Gesetzbuch des Manu giebt es nun noch eine Reihe andrer metrischer Dharniac.astra's, von denen mehrere in hohem Ansehen stehen. Das bedeutendste unter ihnen ist ohne Zweifel das Gesetzbuch des Yajflavalkya, welches, wenn auch minder berühmt als Manu, doch immerhin auch einen immen- sen Einfluss auf die neuere Entwickelung des indischen Rechtes

Doch soll der Abriss, welchen Narada von dem 9. Cap. machte, das Civilrecht betreffend, in der Näradasmriti enthalten sein.

» Vgl. Jolly, a. a. O. p. 57; M. Müller, a. a. 0. p. 319. Der Um- fang der ans vorliegenden Recension (2685 Hökern stimmt annähernd zu dem in der Nar. Sm. behaupteten Umfang der letzten Recension.

* Vgl. Jolly, a. a 0. p. 57.

* Ausgaben des Gesetzbuchs des Manu sind in Indien seit dem Jahre 1813 eine ganze Reihe erschienen, theils mit theils ohne den Com- mentar des Kulluka; sie sind aber alle unkritisch. In Europa sind zwei Ausgaben erschienen, die es versuchen, den Text kritisch herzustellen: die von G. C. Haughton im Jahre 1825 und die von Loiseleur Des- longchamps 1830—1833. Der Letztere giebt auch eine französische Uebersetzung. - Eine englische Ueberaetzung gab schon W. Jones, Calcutta 179«; wiederabgedruckt Calcutta 179b und London 1796; in's Deutsche übersetzt von Hüttner, 1797; jetzt veraltet, trug diese Ueber- setzung ihrer Zeit wesentlich dazu bei, dass Manu 's Gesetzbuch rasch in Europa bekannt wurde. Neuerdings ist eine vortreffliche englische Uebersetzung von Burnell erschienen The Ordinances of Manu), vervollständigt und herausgegeben von E W. Hopkins, London 1884. Zahlreiche Stellen des Gesetzbuchs hat Muir fibersetzt in seinen „Original Sanskr. Texte" und „Metrical Translations from ßanskrit". Viele das Gusetzbuch betreffende Fragen hat Johaentgen behandelt in seiner Schrift „Ueber das Gesetzbuch des Manu", Berlin 1863. Die Verhaltnisse der Kasten speciell nach Manu hat E. W. Hopkins voll- ständig behandelt („The Mutual Relations of the Four Castes aecording to the ManavadharmacAstra").

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geübt hat, namentlich durch das Medium der sogenannten Mi- takshara und anderer Commentare.

Im Ganzen sind die Regeln des Yajfiavalkya offenbar weniger alterthümlich als die des Manu. Auch die sehr syste- matische Anordnung des religiösen wie des weltlichen Rechtes bekundet eine spätere, vorgeschrittenere Zeit. Der Styl ist la- konisch, prägnant. Das Gesetzbuch des Yäjfiavalkya ist inner- halb der Schule des weissen Yajurveda entstanden. Es ent- hält 1009 Verse, und mehr als die Hälfte derselben sind die gleichen oder ähnliche wie bei Manu.1

Nächstdem wichtig ist die Naradasmriti, das einzige Werk derart, in welchem das Civilrecht behandelt ist ohne Beimischung von Regeln über religiöse Dinge, Gottesdienst Bussen und dergleichen. Zu der Zeit, als dieses Werk entstand, muss das Civilrecht schon viel spezieller entwickelt gewesen sein, als zur Zeit der erstgenannten Gesetzbücher. Es ist das- selbe offenbar nicht aus einem alten Dharmasütra hervorge- gangen, sondern gehört einer Zeit an, wo man sich von jenen Sütra's zu emancipiren begann; vielleicht dem sechsten oder siebenten Jahrhundert* Die Naradasmriti enthält 859 Verse, von denen 37 sich auch bei Manu vorfinden.3

Die Zahl der metrischen Smriti's ist übrigens eine recht bedeutende. Die neuere indische Tradition giebt meist 36 an und unterscheidet 18 Smriti's und 18 Upasmriti's, d. h. Neben- Smriti's.4 Nandapan^ita6 und Mitramicra,* zwei juristische Au- toritäten, geben 57 Smriti's an.T Die Bibliotheken, die Com- mentare und Digesten zeigen aber, dass die Zahl noch weit grösser, dass es mehr als 100 sind. Darunter ist nun freilich auch recht viel Werthloses.8 Viele Smriti's sind uns nur aus

1 Vgl. Barnell, a. a. 0. p. XXXI. Das Oesetibach des Yäjfiavalkya ist in yortrefflicher Weise herausgegeben und übersetzt von A. F. Stenzler, Berlin 1849.

* Jolly setzt es vermuthungsweise in's 5. oder 6. Jahrhundert Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 49. 50.

1 S. Burneil, a. a. 0. p. XXXI. Besonders wichüg ist du Fragment einer alteren Recension der Naradasmriti, welches neuerdin^ entdeckt ist, mit dem Commentar des berühmten Asahftya (vgl. Jolly, a. a. 0. p 54).

* Joll%\, a. a. 0. p. 51. 8 In der Vaijayantl.

* Im Vtramitrodaya.

* Und zwar 18 Smriti's, 18 Upasmriti's und 21 „andere SrnrltTs**.

* Die grosse Mehrzahl dieser Smriti's Ist metrisch; einige ahmen die Dnannasutra's in der Form nach (Prosa mit Versen gemischt), sind aber neueren Ursprungs. Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 53. 64.

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Citaten fragmentarisch bekannt Die wichtigsten darunter sind die des Brihaspati and des Kutyayana, welche übrigens beide nah zusammenhängen.1 Weiter kennen wir Fragmente von den Smriti's des Vyasa, Devala, Pitamaha u. a. m.;s auch Fragmente von Smriti's, deren Verfasser unbekannt sind. Doch ist es sicher, dass auch die jüngsten metrischen Smriti-Frag- mente älter sind als das elfte und zwölfte Jahrhundert, wo sie ▼on Vijfianecvara und Apararka citirt werden; die meisten wohl älter als das neunte Jahrhundert, wo Medhatithi sie citirt.3

An die Gesetzbücher scliliesst sich nun, etwa yom neunten Jahrhundert nach Chr. bis auf die neuere Zeit, die sehr um- fängliche Literatur der Commentare und Digesten an, in welchen ausserordentlich viel Scharfsinn und Gelehrsamkeit auf- gespeichert ist, eine grosse juristische Literatur.

Der älteste uns erhaltene Commentar zum Gesetzbuch des Manu ist das berühmte Manubhäshya des Medhatithi, etwa aus dem neunten Jahrhundert nach Chr. stammend.4 Aber Medhatithi war nicht der älteste Commentator des Manu. Er citirt öfters Vorgänger und bespricht die Erklärungen Andrer. Diese älteren Commentare sind leider verloren gegangen. Me- dhatithi's Werk ist von grösstein Eiufluss auf die Entwickelung der indischen Jurisprudenz gewesen und erfreut sich mit Recht eines hohen Ansehens.5

Auf Medhatithi folgt noch eine ganze Reihe alter Com- mentare zu Manu's Gesetzbuch, die für die Geschichte des indischen Rechts von hoher Bedeutung sind. Ich will nur die beiden wichtigsten, den des Goviudaraja und den des Kul- lüka, besonders hervorheben. Govindaraja, ein sehr bedeuten- der Gelehrter, welcher zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert gelebt haben muss, hat offenbar den textus reeeptus festgestellt, welcher in Indien allgemein verbreitet ist und welchen auch

1 Sie schliessen sich beide eng au Manu an und erkennen ihn als oberste Autorität an. Brihaspati sagt, dass jede Smriti, welche dem Mann widerspricht, kein Gewicht habe. Sie zeigen die juristische Wissen- schaft schon in einem vorgeschritteneren Zustande, sind jünger als Yajfia- Talkya und wohl auch als Narada (vgl Jolly, a. a. 0. p. 59. -63. 64).

Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 64.

1 Aach Bnrnell meint, dass die Entstehung der metrischen Gesetz- bücher etwa bis 900 nach Chr. fortgedauert haben durfte (s. a. a. 0. p. XXX).

4 Jolly setzt ihn in's 8 oder 1>. Jahrh., Burnell um c. 1000 nach Chr

* Vgl. Bnrnell, a. a. 0. p. XLI: Jolly. a. a. 0 p. 8. xMedhatithi sUmmte wohl aus dem Dekhan.

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Kullüka bietet. Das hohe Lob, welches schon Jones dem Com- mentare des Kullüka gespendet hat, gebührt zu einem grossen Theil dem Govindaraja, welchen Kullüka stark benutzt hat1 Von Medhätithi's Meinung weicht Govindaraja nicht selten stark ' ab und Kullüka erwähnt bisweilen die entgegengesetzten Mei- nungen der Beiden.2 Kullüka endlich hat durch seine Man- varthamuktavali alle früheren Commentare zum Manu in Schatten gestellt Dies gedrängt geschriebene, klare und praktische Werk hat für alle bisherigen Ausgaben des Manu die Basis gebildet und ist in unserem Jahrhundert wiederholt mit dem Text zu- sammen abgedruckt worden. Kullüka lebte wahrscheinlich im 16. Jahrhundert.3 Er stammte aus Bengalen und hat sein Werk in Benares geschrieben.*

Nächst Manu ist das Gesetzbuch des Yajfiavalkya am meisten von don mittelalterlichen Schriftstellern über das Recht beachtet worden. Es existiren drei Commentare desselben, ein vierter ist vorauszusetzen.

Vor Allem wichtig ist die sogenannte Mitaksharä, ver- fasst von Vijfianec,vara aus Kalyanapura, im Lande des Nizam, Ende des elften oder Anfang des zwölften Jahrhunderts. 5 Es ist dies wohl das bekannteste und wichtigste Werk der ge- sammten juristischen Literatur der Inder und war schon früh maassgebend für einen sehr grossen Theil von Indien. Dies steigerte sich noch unter englischer Herrschaft, als Colebrooke Buch 14 und 15 dieses Werkes, das Erbrecht betreffend, uber- setzte.6 Von der Mitaksharä sagt Stenzler in der Vorrede zu Yajfiavalkya' s Gesetzbuch*' (p. V): „Sie ist mehr als ein blosser Commentar zum Yajfiavalkya. Sie hat sein Gesetzbuch zur Grundlage, beschränkt sich aber nicht darauf, dasselbe zu erklären, sondern discutirt zweifelhafte Stellen ausführlich und scharfsinnig und ergänzt da, wo nach dem Standpunkte ihrer

1 Jolly, a. a. 0. p. 9.

* Burneil, a. a. 0. p. XLII.

Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 10; Burneil, a. a. 0. p. XLU.

4 Wir haben ausserdem noch einen Comm. des Narayana, dar jünger als Govindaraja ist, aber spätestens im 15. Jahrhundert gelebt haben muss, da das Ms. seines Werkes, das Jolly erwähnt, im Jahre 1497 nach Chr. geschrieben ist' (a. a. 0. p. 10); ferner Raghunandana oder Raghavananda's (16. Jahrh.) Manvarthacandrika (vgl. Jolly p. 11; Burnell XLII); einen anonymen Comm. aus Kaschmir \ Jolly, p. 11); und endlich Nandanacarya's Comm., gen. Nandinl, mehr modern (tgl. Jolly, a. a. 0. p. 11; Burnell a. a. 0. p. XLII).

5 Zeitgenosse des Königs Vikramaüka (1076 1127 nach Chr.).

6 Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 12. 13. Coiebrooke's Uebersetzunp ist gegenwärtig natürlich veraltet, wie die des Manu von Jones.

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Zeit irgend eine Lücke erscheint, aus einer reichen Literatur ▼on Gesetzbüchern und anderen Werken, so dass sie eine ge- treue Darstellung des ganzen Inhalts des Gesetzes gewährt, wie sich dasselbe zu ihrer Zeit gestaltet hatte." Ihr Ansehen ist sehr gross. „Sie gilt, wie Colebrooke sagt, in allen indischen Rechtsschulen, von Benares bis zur Südspitze Indiens, als die Hauptgrundlage der von ihnen befolgten Lehren und als eine Autorität, von welcher sie selten abweichen."1

Ein Beweis für das hohe Ansehen der Mitakshara ist es auch, dass dieselbe wiederholt von berühmten Gelehrten com- mentirt worden ist*

Erwähnenswerth ist endlich noch ein Commentar zur Vi- ehnusmriti, die sogenannte Vaijayantl von Nandapandita (im 17. Jahrhundert). Die Vaijayantl ist ein reichhaltiges, vor- zügliches Werk, und schon Colebrooke hat hervorgehoben, dass dieselbe, ebenso wie die Mitakshara, sehr wohl als ein indisches Corpus juris dienen kann.9

Man unterscheidet jetzt fünf verschiedene juristische Schulen in Indien, drei nördliche und zwei südliche, und wer- den die Digestensammlungen und auch einige der Hauptcom- mentare je einer dieser Schulen zugerechnet Ursprünglich aber hat es wohl noch mehr als fünf gegeben.4

Jene fünf Schulen, deren Hauptwerke jetzt schon in's Eng- lische übersetzt vorliegen, sind: die Schule von Bombay, die

1 Vgl. Stenzler, a. a. 0. p. VI; Colebrooke, Hindu Law of Inheri- tance p. IX. Ausser der Mitakshara besitzen wir einen Comm. zu YajÄavalkya von Apararka, König von Konkan, im 12. Jahrhundert, umfangreich und reich an Ci taten verlorener Werke (s. Jolly, a. a. 0. p. 14. 26); ferner den Comm des Culapant, gen. Dipakälika (15. oder 16. Jahrhundert. Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 14).

* So erfasste YicvecvarabhaUa auf Befehl des Königs Madana- pala einen werthvollen Comm. zur Mitakshara, gen Subodhini oder Mi- taksharatika (ca. 14. Jahrh.); einen andern Comm. vcrfasste der bekannt« Nandapandita von Benares (17. Jahrh.); auch die Bhalambhatta- tlka ist ein Comm. zur W\, angeblich von einer Frau Lakshmidevl verfaast (vieU. 18. Jahrh.). Vgl. JoUy, a. a. 0. p. 15.

* Vgl. Jolly, a. a. 0. p. 16. Die Paracarasmriti ist commentirt von dem berühmten Midhava, Minister des Königs Bukka von Vijayana- gara im Dekhan (14. Jahrh.); einen andern Comm. verfasste Nandapandita (17. Jahrh.). Zu Apastamba's Dharmasfitra und zur Gautamasmriti hat HaradatU einen Comm. geschrieben (nicht spater als zu Ende des 16. Jahrhunderts).

4 Zu keiner jener fünf Schulen gehört z. B. Hemadri, Verfasser der Gesetzessammlung Caturvargacintamani (Minister in Dowlatabad, Südindien, c. 1200 nach Chr.); desgl. Dalapati, Minister de9 Nizam in Ahmednagar (c. 16. Jahrh.), Verfasser der Nrisimhaprasada genannten

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von Benares, die von Mithilft, die von Madras und die von Bengalen.1

Die meisten alten Commentare und Gesetzessammlungen sind im Dekhan verfasst. Dort bestand eine ununterbrochene Tradition, eine fortdauernde Pflege der juristischen Wissenschaft, während in Hindostaa mit dem Beginn der von so viel Greueln und Unordnungen begleiteten mohammedanischen Herrschaft, etwa vom elften Jahrhundert an, ein Stillstand auf diesem Ge- biete eingetreten zu sein scheint1 Erst in der Zeit der Gross- mogule wurde es damit auch in Hindostau wieder besser und haben diese Herrscher zum Theil selbst die Abfassung von juristischen Werken veranlasst oder doch begünstigt. Das letzte in der Reihe der grossen juristischen Sammelwerke, welche von den indischen Gerichtshöfen als Autorität anerkannt wur- den, ist dasjenige des Jagannatha, welches zu Ende des vori- gen Jahrhunderts auf Veranlassung des Sir W. Jones zusam- mengestellt wurde und auch für den Beginn der Sanskritstudien von Bedeutung gewesen ist5

Eine zusammenfassende Darstellung des gesammten indi- schen Rechtes und seiner Geschichte vom Standpunkte der mo- dernen Wissenschaft fehlt uns leider bis jetzt.4 Am Gründ- lichsten ist bisher das Erbrecht behandelt5 Auch über die Gottesurtheile, die im indischen Recht eine Rolle spielen,6 über

Gesetzsammlung; desgl. Todaränauda oder Todaramalla, berühmter Minister des Kaisers Akbar (16. Jabrh/i, Verfasser des Saukshya {vgl. JoÜy, a. a. 0. p. 19).

* Vgl. Näheres bei Jolly, a. a. 0. p. 20 flg.

* Vgl. Jolly, a a. 0. p. 24; Weber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 301.

* Jolly, a. a. 0. p. 30; Weber, a. a. 0. p. 301.

* Werthvoll aus früherer Zeit ist: Colebrooke, A Digest of Hindu Law Vol. I— III, London 1801. Vgl. auch John D. Mayne, A Treatise on Hindu Law aud Usage, Madras und London 1378.

* Colebrooke, Two Treatises on the Hindu Law of Inheritance, Calcutta 1810. Aurel Mayr, das indische Erbrecht, Wien 1873. Raymond West and 6. Bühler, A Digest of the Hindu Law of Inheri- tance and Partition cet. Bombay 1878 (3. Ed. 1884). Daya-Vibhäga The law of inheritance transl. from the unpubl. sanskr. text of the V^a- vahara-Kän<fa of the MAdhavtya- comm. on the Paracara-Smriti, by A. C. Burneil, Madras 1868. Däyadagac, lokl, sumwary ot the Hindu law of inheritance (sanskrit und englisch), ed. by Burneil, Manga- lore 1875. Und endlich J. Jolly, Outlines of an History of the Hindu Law of Partition, Inheritance and Adoption, as contained in the original Sanskrit treatises, Calcutta 1885. iTagore Law Lectures 1883 )

* A. F. Stenzler, Die indischen Gottesurtheile, Ztschr. d. D. M. O. IX, p. 661 flg. (1865). Emil Schlagintweit, Die Gottesurtheile der Indier (Rede b. d. öffentl. Sitzung der Ak. d. Wiss" zu München), München 1866

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die rechtliche Stellung der Frauen1 und einiges Andre* be- sitzen wir Monographien; sehr viel aber bleibt da noch zu thun übrig.

Eine Reihe wichtiger und charakteristischer Bestimmungen des indischen Rechts sind schon früher von uns bei der Schil- derung der allgemeinen Culturverhältnisse angeführt worden.* Wir können uns über diesen Gegenstand jetzt nicht weiter ver- breiten.

Recht und Rechtswissenschaft der Inder haben freilich keinen so hohen Grad der Vollendung erreicht, dass die euro- päische Wissenschaft von hier so werthvolle Förderung erhalten könnte wie auf einigen andern Gebieten des Wissens (z. B. der Sprachwissenschaft). Die Schüler der römischen Juristen fühlen sich den indischen Rechtslehrern weit überlegen. Aber für die Kunde Indiens ist das Studium der umfangreichen und com- plicirten Rechtswissenschaft jenes Landes von hervorragender Wichtigkeit Es ist von Wichtigkeit auch für einige andre Lander, deren Cultur von Indien aus beeinflusst ist, und er- weist sich endlich als nicht unfruchtbar für die, freilich erst in ihren Anfängen begriffene, comparative Rechtswissenschaft

1 J. Jolly, Ueber die rechtliche Stellung der Frauen bei den alten Indern nach dem Dharmacastra (Sitzungsber. der phil. hist. CL der Ak. d. Wiss. zu München, 187b, p. 420—476). Ans froherer Zeit: Kalt- hoff, Jus matrimonii vet Ind. Bonn 1829.

J. Jolly, Ueber das Ind. Schuldrecht; J. Jolly, Ueber die Syste- matik des ind. Rechts; A. Fahrer, Die Lehre von den Schriften in BrihaspatTs Dharmacastra, Leipzig 1879 (Diss.).

Vgl. oben Vöries. XXVIII - XXX.

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Fünfzigste Vorlesung.

Musik und bildende Kunst bei den Indern.

Am Schlüsse unsrer Darrstellung sollen noch in Kürze und mehr nach Axt eines ergänzenden Anhangs die Leistungen der Inder auf dem Gebiete der Musik und der bildenden Künste betrachtet werden, welche auch in der Literatur bis zu einem gewissen Grade systematische Behandlung erfahren haben.

Die Musik ist bei den Indern seit alter Zeit gepflegt wor- den und jedenfalls sohr beliebt gewesen. Das beweisen uns nicht nur die zahlreichen musikalischen Instrumente, die schon im Veda erwähnt werden, und der Umstand, dass die heiligen Hymnen bei den Opfern zum Theil gesungen wurden, sondern auch die sonst in der Literatur begegnenden zahlreichen An- gaben über musikalische Aufführungen in den Städten, an den Höfen der Könige und deren Abbild, dem Hofe des Götter- königs Indra.1 Wir wissen, dass seit Alters die dramatischen Aufführungen mit Musik und Tanz verbunden waren, dass ein lyrisch -dramatisch es Gedicht, wie der Gitagovinda des Jayadeva. für den Gesang geschaffen war;* wir kennen eine ganze Menge himmlischer Genien der Musik und halbgöttliche Weise wie Narada, Tumburu u. a> m., die als berühmte Lehrer der Musik gepriesen werden; auch liegen uns Beschreibungen und Abbil- dungen von Instrumenten und eine Reihe indischer musiktheo- retischer Werke vor, aber trotz alledem müssen wir bekennen, dass wir bis jetzt nur eine recht mangelhafte Einsicht in das WeBen der indischen Musik besitzen.

1 So begegnen uns in Kalidäsa's Malavikagnimitra am Hofe des Königs zwei malisirende Musiklehrer; wir sehen den Helden der Mric- chakatika aus einem Concert heimkehren und noch in der Erinnerung entzückt die Feinheit der Tonubergange des Sangers u. dgl. m. preisen; der musikalische Esel im Pancatantra entwickelt uns eine nicht ganz verächtliche musiktheoretische Weisheit u. dgl. m.

8. W. Jones, Musik der Indier p. 41 (deutsche Uebersetzung^; Ambros, Gesch. d. Musik p. 47.

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Es liegt dies theila an der überaus phantastischen, ab- strusen, ja wüsten und verworrenen Art, wie die musiktheore- tischou Werke der Inder ihren Gegenstand behandeln, theils auch daran, dass musikkundige Europäer erst in neuerer Zeit die Musik der Inder kennen zu lernen gesucht haben und uns die Gewahr dafür fehlt,* wie weit die moderne Musik daselbst der echten altindischen Musik entspricht, wie woit sin vielleicht von andern Völkern, namentlich durch die Europaer, beeinflusst sein mag. Der ganze Gegenstand ist bisher noch keineswegs genügond untersucht und es wäre wohl möglich, dass gründ- lichere Studien und Beobachtungen auf diesem Gebiete uns mit der Zeit zu einem besseren und klareren Urtheil verheilen, als wir es leider gegenwärtig abzugeben im Stande sind.

Es ist bemerkenswerth, dass die Inder schon in gewissen Werken, die als Anhang der vodischen Literatur (als sogenannte Vedftfiga) gelten und zwar nicht uralt, aber auch nicht ganz jung sein können, in der sogenannten £iksha und im Chandas die sieben Töne der Octave unterscheiden und ihnen bestimmte Namen geben.1 Der Kürze wegen werdeu diese sieben Töne sodann mit den zum Theil etwas modificirten Anfangsbuchstaben ihrer Namen bezeichnet': sa, ri, ga, ma, pa, dha, ni; und diese Bezeichnung scheint, wie schon Bohlen uud Benfey darge- legt haben,9 von Indien aus zu den Persern uud weiter zu den Arabern übergegangen zu sein, von welchen sie dann schon einigermaassen umgestaltet durch Guido von Arezzo im elften Jahrhundert in die europäische Musiktheorie eingedrungen wäre. Dem indischen sa ri ga ma pa dha ni steht bei den Persem die Scala da re mi fa sa la be gegenüber, und daraus hätte sich das europäische ut re mi* fa sol la si entwickelt4

Diese aus sieben Tönen bestehende Scala wird (Jrama6 oder Svaragrama genannt, und die ganzen Töne derselben wer- den weiter in halbe und Vierteltöne eingetheilt, worüber man Näheres bei Ambros, Gesch. der Musik I, 50 flg. einsehen

1 Vgl. ^Veber, Ind. Lit, 2. Aufl., p. 291. Hang, üeber Wesen und Werth des vedischen Accents, p. 58. 59.

1 Es sind die Namen sha.(Jg&, riahabha, gändhara, madhyama, pan- cama, dhai?ata, nishada. Tgl. Haug, a. a. 0. p. 59.

Vgl. Bohlen, Das alte Indien II, p. 195 (i. J. 1830); Benfey, Ersen nnd Grubers Enryklopadie, vol. XVII, p. 299 (Artikel Indien; 1840) .

4 Vgl. auch Webor, a. a. 0. p. 291.

Die Guidonlsehe Bezeichnung Gamma für Tonleiter geht aller Wanrscheinlichk« it nach auf das indische Grama, in einer volkssprach- lichen, prakritis ten Form Gäma, zurQck.

t. Sehr *4«r, Iadi«. Ut. 1. Cmlt. 48

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kann.1 Die Zahl der von den Indern angenommenen Tonarten ist eine ausserordentlich grosse, aber es erleidet keinen Zweifel, dass diese sogenannten Tonarten diesen Namen gar nicht ver- dienen, vielmehr nur auf dem Wege einer spitzfindigen Syste- matisirung gewonnen sind. Der in der Melodie zumeist berührte Ton wird als Grundton, als Tonika -angesehen, und wenn in dieser oder jener Melodie einzelne Töne zufallig nicht Tor- kommen, so construirt man eine Scala mit jenem meistvorkom- menden Tone als Grundton und mit Auslassung jener nicht vorkommenden Töne und kann auf solche Weise aus zehn ver- schiedenen Melodien, die nach europäischen Fegriffen alle der- selben Tonart angehören, zehn verschiedene Tbnarten construi- ren.* Dazu kommen dann noch verschiedene andere, ebenfalls mehr zufällige Unterscheidungen, und so begreift es sich, dass ein indisches Werk wie der Ragavibodha bis auf 960 Tonarten gelangen kann, und wie die Inder sogar behaupten mochten, zu Krishna's Zeit hätte es nicht weniger als 16000 Tonarten gegeben, von denen eine jede durch eine der Nymphen in der Umgebung dieses Gottes vertreten wurde, resp. in ihr personi- ficirt erschienen sein soll* Dass diese spitzfindigen Spekula- tionen für uns keinen Werth haben und nicht dazu dienen, uns von dem Wesen der indischen Musik eine deutliche Vor- stellung zu geben, liegt auf der Hand.

Es wird nach Ambros* Urtheil eitle Mühe bleiben, in die verwickelte, phantastische, mit ihrem Stoffe spielende Musik- ^octrin der Inder Zusammenhang bringen und den Nachweis ihrer Gesetzlichkeit fuhren zu wollen.4 Willkühr und Regel- losigkeit herrscht in der (Instruction ihrer Tonarten vor,6 und die Ausserach tlassung des mathematischen und physikalischen Theiles der Tonlehre rieht sich auf empfindliche Weise.6 Aber die Praxis war vielleicht besser als die Theorie, und wenn auch die hindostanische Musik nicht frei ist von „Zügen,, welche sie als eine wildgewachsene Blüthe erkennen lassen'4, so „findet sich, in ihr doch, was der übrigen asiatischen Musik fast völlig mangelt: Sinn fUr Wohlklang und Schönheit"7

1 Vgl. auch Nohl, Musikgeschichte p. 13. - S. Ambro«, Gesch. d. Musik I, p. 51. 52. 31 Ambrot, a. a.-0. p. 62. 42. 4 Ambros, a. a. 0. p. 61.

* Ambros, a. a. 0. p. 52. Gewöhnlich werden 3ti Tonarten (6 Riga s nnd 30 Raginl's) angenommen.

Ambros, a. a. 0. p. 52.

7 Ambros, a. a. 0. p. 61. 7ft.

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Von Harmonie ist in der indischen Mußik keine Rede, die Melodie ist hier das einzig Vorwaltende , in der Melodie besteht die ganze Musik1

Die Inder haben eine ganze Menge musikalischer Instru- mente, mehrere Saiteninstrumente, verschiedene Blas- und Schlaginstrumente, wie Pauken, Trommeln u. dergL m.' Unter ihnen allen will ich nur ein Instrument als besonders charak- teristisch und beliebt hervorheben, das von der ältesten bis iL die neueste Zeit viel erwähnt wird und auch uns bereits mehr- fach begegnet ist. Ich meine die VlnA oder die indische Laute. Dieses Instrument besteht aus einem cylindrischen Rohr, oft einem Bambusrohr, von drei bis vier Fuss Länge, auf dem eine ganze Reihe von Stegen (ca. 20 und mehr), ähnlich unseren Geigenstegen, angebracht sind, von den Wirbeln an in abstei- gender Höhe. Die sieben Saiten des Instrumentes sind von Metall und zwar fünf von Messing, zwei von Stahl. Die Re- sonanz wird durch zwei hohle Kürbisse bewirkt, die an der Rückseite des Bambusrohres an den beiden Enden des Griff- brettes correspondir enden Stellen angebracht sind. Der Spielende lehnt die Vinä fest an die linke Schulter, so dass der eine Resonanzkürbis über dieselbe hinaus ragt, während der andere das rechte Knie berührt und das Instrument also zu dem Kör- per des Spielers sich in schräger Lage befindet*

Als Verfasser eines musikalischen Lehrbuchs, des als Upa-

1 Vgl. Ambros, a. a. 0. p. 74. Kohl, Musikgeschichte p. 15. £■ scheint mir ein glücklicher Gedanke von Nohl, die Musik der Zigeuner in Ungarn, die ja unzweifelhaft ein indischer Stamm sind und deren Musik wir gut kennen, sur Erkenntniss des Wesens der indischen Musik mit su verwerthen (a. a. 0. p. 13 flg.). In der That finden sich auf- fallende Berührungspunkte. „Die Scala der Zigeuner zeigt die gleiche wunderbare Beweglichkeit und feine Nuancirung, die von der indischen berichtet wird Der ganze Nacl brück liegt hier auf der melo- dischen Tonlinie, und diese kann nicht genug gebrochen, geziert, ver- brämt werden; ein unsäglich fein und leicht bewegter Rhythmus giebt ihr ununterbrochen neues Leben und eine üppige Fioritur und Orna- mentik von oft kleineren als unsem Halbtonen den Schmuck, der zu dem blendenden Glanz und seltsamen Schimmer jener erhöhten Inter- valle den echt orientalischen schwelgerisch-üppigen Verzierungscharakter fügt" (a. a. 0. p. 14). Näheres darüber vgl. bei Nohl, a. a. 0. p. 13 flg.

* Eine ganze Reihe indischer Instrumente findet man abgebildet bei Sonnerat, Reite nach Ostindien und China, Bd. I, p. 86 (2 Tafeln). Mehrere derselben werden* von Ambros a. a. 0. p. 76 flg. naher - be- sprochen.

1 Näheres bei AmbroB, a a 0. p. 74—76. Eine gute Abbildung der Ylna findet man bei Sourindro Mohun Tagore, Hindu music from various authors, part. I, Calcutta 1876, su p. 193.

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veda gerechneten sogenannten Gandharvaveda, wird Bharata genannt, den wir schon als angeblichen Begründer des Dramas kennen, und tritt darin wieder die enge Beziehung von Musik und Drama bei den Indern hervor. Von diesem Werke schei- nen jedoch nur Bruchstücke zu ezistiren, die in den Scholien zur dramatischen Literatur citirt werden. Neben ihm gelten noch Narada, Icvara, Pavana, Kalinatha oder Kallinatha, Soinec,- vara, Abhinavagupta, Kohala u. A. als musikalische Autoren.1 Au noch erhaltenen Werken, die von Gesang und Musik han- deln, liesse sich eine ganze Reihe aufführen, ohne dass wir ihre Entstehungszeit näher zu fixiren im Stande wären; so Samgita- darpana, Samgltakäumudi, Samgltadamodara, Samgitanarayana, Samgitaratnamala, Samgltaratnäkara (von Qarfigadeva), Samgita- castra, Samgitas&ra, Samgitarnava, Ragavibodha, Ragamälä u. a. m.

Unter den neueren indischen Schriftstellern über Musik hat sich durch eine ganze Serie von Werken Sourindro Mohun Tagore hervorgethan.

Von Europäern war es zuerst W. Jones, der uns einige, wenn auch riemlich unvollkommene, Aufschlüsse über die Musik der Inder gegeben* * Dies und was spät r hinzugekommen hat Ambroß in seiner Geschichte der Musik erarbeitet, deren I. Band p. 41—80 von der indischen Musik handelt3

Unter den bi den den Künsten scheint die Malerei bei den Indern nur einen geringen Grad von Ausbildung rlangt zu haben. Es werden zwar in den Dramen oft Porträts, bis- weilen auch mit landschaftlicher Staffage,4 erwähnt, und wird deren überraschende Aehnlichkeit mit ihren Urbildern geprie- sen,6 aber ich glaube nicht, dass wir viel darauf geben können. Schon dass es immer gerade die Liebenden sind, welche von dem Gegenstand ihrer Neigung, oft mit unglaublicher Geschwin- digkeit, die betreffenden Bilder entwerfen ein beliebtes dra- matisches Motiv macht das Misstrauen rege, und wir werden das Beste an diesen Bildern wohl der Phantasie des Dichters zuschreiben dürfen. Im Uebrigen liegt uns nicht gerade viel

1 Vgl. Weber, a. 0. p. 291.

a William Jones, Ueber die Musik der Indier, aus dem Eng- lischen übersetzt mit erläuternden Anmerkungen und ZusaUen von F. H. v. Dalberg, Erfurt 1802.

Ambros, Geschichte der Musik, Bd. I. Breslau 1862.

4 Vgl. flakuntala, Akt VI.

5 So in der gakuntala, Ratnarall, Malattmadhava o. a.

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Material vor, um uns ein Urtheil über die indische Malerei ru bilden.

Von hervorragendem Interesse sind die Freskomalereien, welche in verschiedenen Felsen tempeln, so amentlich in den Grotten von Ajunta, erhalten sind, wo wir ausser Bildern des Buddha und der Heiligen namentlich Episoden aus der Buddha- Legende und den Jatakas, Scenen aus dem Leben der Inder» festliche Aufzüge, Jagden, Kämpfe n. a. m. zum Theü sehr leb- haft und gut dargestellt finden. Dieselben wurden zuerst von Lieutenant J. £. Alezander beschrieben;1 dann wusste Fer- gusson in seiner Schrift The Rock-cut Temples of India (1843) ein lebhaftes Interesse für dieselben zu wecken. Major Gill fertigte sorgfältige Copieen dieser Bilder an, die aber leider in London im Jahre 1866 beim Brande des Krystallpalastes ver- nichtet sind. Griffith hat im Jahre 1873 neue Copieen dieser Bilder angefertigt, und sind dieselben neuerdings von Burgesa eingehend besprochen.8 Die Mehrzahl derselben dürfte dem fünften bis siebenten Jahrhundert nach Chr. entstammen, doch sind manche auch älter und reichen vielleicht bis in das zweite Jahrhundert nach Chr. zurück.

Einen relativen Grad von geübte Miniaturmalerei erreicht zu haben, aber wenn sich auch manches hübsche und lobenswerthe Product derart vorfindet, so scheint doch wirkliche Kunst im höheren Sinne des Wortes kaum vorzuliegen und im Ganzen für diesen Zweig der indischen Malerei der Name des Kunsthandwerks noch besser zu passen.8

Weit bedeutender sind die Leistungen auf dem Gebiete der Plastik, wenngleich die Inder auch hier von dem Ideal voll- endeter Schönheit noch recht weit entfernt bleiben. Die Kör- performen der Bildwerke sind meist nicht unschön; sie ver- rat ben mehr Kunstsinn, sie tragen mehr Naturwahrheit und Leben in sich, als dies bei den Erzeugnissen der meisten orien- talischen Völker der Fall ist Aber denjenigen plastischen

1 Transactions of the Roy. Ab. 8oc. 1829.

8. Burgess, Notes on the Bauddha Rock-Temples of Ajanta, their Paintin« and Sculptures (Bombay 1879; Archaeol. Survey of Western India). Daselbst findet man eine ganze Reihe yon Abbildungen gegeben. Vgl. anch Indian Antiquary III, p. 27; Journ. R. Ab 8oc. 1879, p. lfc'O.

* So artheilt Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, 2. Aufl. I, p. 143. Ganz hübsch und cart sind manche der zahlreichen kleinen Bilder, welche W. Jones in seinem Buche über die Musik der Inder mittheilt und welche namentlich Scenen aus Krishna's Leben und spe- ciell jene Hirtinnen darstellen, deren Liebe der Gott sich erfreute und die zugleich als Personifikationen der verschiedenen Tonarten gelten.

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Schöpfungen der Inder, bei welchen fremder Eintfuss ausge- schlossen erscheint» ist in der Regel ein Zug von Weichlichkeit und U eppigkeit eigen, der die wahre, von harmonischer Kraft durchdrungene Schönheit nicht aufkommen lasst Die Bild- werke sind grossen theils bekleidet; bei den nackten aber stösst uns das übermässige Hervortreten der Fleischtheile, der Mangel deutlicher, gedrungener Structur ab. Die ungeheuren Brüste und Hüften der weiblichen Bilder wirken oft geradezu ekelhaft, und die männlichen Gestalten nähern sich in dem Typus der Weichlichkeit nicht selten sehr den weiblichen. Knochenbau und Muskulatur ist wenig erkennbar, üppige Fleischmassen wal- ten vor, und man begreift, dass bei solcher Behandlung nament- lich die Kolossalbilder der Götter in den Felsentempeln einen unerfreulichen Eindruck machen. Sinnlichkeit, verbunden mit einer gewissen Schlaffheit, ist charakteristisch, und der Eindruck der Schwere und Müdigkeit wird durch das nicht selten ge- schlossene Auge gesteigert. Sehr unschön ist die an vielen Götterbildern erscheinende Vermehrung der Gliedmaassen, welche von Schnaase wohl mit Recht „unter allen phantastischen Ver- änderungen der menschlichen Gestalt die hässlichste" genannt wird.1 Vier Köpfe bei Brahma, vier, ja acht Hände bei Brahma, Vishnu, Qiva und andern Göttern, sechs Köpfe uud zwölf Anne bei Karttikeya, ja sogar 10 Köpfe und 20 Arme bei dem Rie- Ben Ravana können in bildlicher Darstellung auf uns nicht anders als sehr übel wirken. Die menschliche Gestalt wird dabei auf die unnatürlichste Weise entstellt und verzerrt. Da- bei aber ist die Bildung des Gesichtes und der einzelnen Kör- pertheile nicht selten ganz vortrefflich, ja geradezu schön, und die Wirkung derjenigen Bilder, bei welchen jene Unnatur ver- mieden ist, daher oft eine recht günstige. Weniger störend schon als die Gliedervermehrung ist die ebenfalls nicht seltene Anbringung thierischer KÖrpertheile bei den Göttergestalten, aber auch hier haben die Inder sich nicht von dem rechten Sinn für Maass und Schönheit leiten lassen. Sie begnügen sich nicht damit, die weniger edlen Theile des menschlichen Körpers durch thierische zu ersetzen, sondern geben den Göttern häufig Thier köpfe, die natürlich die Wirkung des Ganzen zerstören. Ein Vishnu, dessen untere Partie in einen Fischleib ausläuft, lässt sich ganz gut ertragen, aber ein Vishnu mit Eber- oder Pferdekopf ist nichts als ein Unthier, und besonders widerwär- tig erscheint Ganeca mit dem Elephantenkopf.

1 a. a. 0. p. 182.

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Von einer Geschichte der indischen Plastik läset sich bislang kaum reden. Ob eine solche möglich ist, werden nur vertieftere Forschungen auf diesem Gebiete lehren können. Wir wissen nicht, wie weit die Bildnerei der Inder zurückreicht, mehrere Jahrhunderte Tor Chr. muss sie aber jedenfalls schon geübt worden sein. Das Aolteste, was uns erhalten ist, scheinen die Löwen auf den Säulen des Acoka (250 tot. Chr.) zu sein,1 und ungefähr derselben Zeit entstammen die alterthümlicheu und sehr wichtigen Reliefs der Steinumzäunungen von Buddha- Gaya und Bharhut,* an welche sich weiter die nach Fer- gus8on in das erste Jahrhundert nach Chr. gehörigen3 be- rühmten Reliefs auf den Portalen des grossen Tope von San c Iii schliessen, alles Denkmäler buddhistischer Kunst Der Tope oder Reliquieuthurm in Sanchi, im Staate Dhopal in Centrai- indien gelegen, ist in einiger Entfernung von einem Zaune aus Steinbalken umgeben, mit vier hohen Thorwegen, nach den vier Himmelsgegenden hin. Diese Thorwege, von denen zwei ein- gestürzt sind, zwei (der nördliche und der östliche) noch stehen, sind sehr reich mit Steinskulpturen bedeckt Wir finden hier nicht bloss einzelne Gestalton, sondern ganze Scenen jind Be- gebenheiten, insbesondere Erzählungen von Buddha in seinen verschiedenen Existenzen, voll Leben und Bewegung dargestellt; ao unter Andrem die berühmte Geschichte von dem Königs- sohn Vessantara in ihren verschiedenen Stadien u. dergl. m.; wir sehen Kämpfe, Belagerungen, Processionen, zahlreiche Scenen von Verehrung des heiligen Baumes, Rades u. a. m., Scenen aus dem Leben der Inder u. s, w.4 In künstlerischer Beziehung

1 Brahmanische Götterbilder bat es wahrscheinlich schon früher gegeben (TgL oben p. 880), doch ist uns nichta erhalten, was wir so hoch hinauf setzen könnten und bleibt es ganz fraglich, welchen KunstwertL jene alten Idole hatten.

* Nach Fergnsson 250 und 200 vor Chr.; vgl. seine History of Indian and Eaatern Architocture, London 1876, p. 34. 86. Abbildungen ebenda p. 86. 88. 90. Eino ganze Reihe interessanter Abbildungen der Reliefs von Bnddha-Gaya findet man in Cunningham's Report I (pl. VIII— XI) und III (pL XXVI— XXX).

8. FerguBson, a. a. 0. p. 34. 92 flg.; sowie desselben Tree and Serpent Worship

* Eine Beschreibung des Tope von Sanchi mit zahlreichen schönen Abbildungen der Portale und ihrer Skulpturen findet man bei J. Fer- gusion. Tree and Serpent Worship, or Illustration» of Mythology and Art In India in the first and fourth Centuries after Christ, from the Sculptures of the Buddhist Topes at Sanchi and Amravati, London 1868. VgL auch Fergusson, Hlst of Ind. and East. Arch. p. 92 flg. .ßchlag- intweit, Indien II, p. 128. 124.

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besonders bedeutend sind endlich nach Fergusson's Urtheil die Skulpturen auf der Umzäunung des (selbst nicht mehr vor- handenen) Tope von Amravati am Ufer des Kistnah, 60 Mei- len von seiner Mündung, dem vierten und fünften Jahrhundert nach Chr. entstammend.1

Die buddhistische Kunst, die weiter noch /ahlreiche grosse Skulpturen in verschiedenen Felsen tempeln, unzählige Buddha- bilder u. a. m. geschaffen hat, hält sich verbältnissmässig mehr an die Natur und ist freier von den oben gerügten Fehlern und Ausschreitungen der indischen Plastik, insbesondere hat sie die Gliedervertnehrung und die Zusammensetzung mit Thier- köpfen nicht nöthig, da ihr ja eine eigentliche Mythologie ganz fehlt und Alles mehr auf das Historische gerichtet ist Dahin- gegen wuchern die erwähnten Fehler in üppiger Fülle in den Bildwerken brahmanischen Ursprungs, welche eine oft sehr un- schöne, wüst-phan tastische Mythologie plastisch wiederspiegeln.*

Während der Brahmanismus, durchaus beschränkt national- indisch, starr und fest in dem Banne altererbter einheimischer Vorstellungen und Vorurtheile, alles Fremdländische mit Miss- trauen betrachtete, war der Buddhismus freier, grösser und mehr allgemein menschlich angelegt, und man begreift, dass er, »ler darauf ausging, auch mit den ausserindischen Völkern sich /u amalgamiren, es nicht verschmähte, gelegentlich auch von dem Auslande zu lernen. Dies hat auf dem Gebiete der Pla- stik, wie auch in der Architektur, offenbar stattgefunden. Der Buddhismus, dem gerade in seiner Blütheperiode im Mutter- lande, in den ersten Jahrhunderten vor Chr., die griechische Culturwelt durch Alexander d. Gr. und seine Nachfolger, die griechisch-baktrischen und griechisch-indischen Herrscher, ganz nahe gerückt war, ist auf dem Gebiete der Kunst offenbar in jener Zeit durch die Griechen beeinflusst worden. Damals ist jener Styl ins Leben gerufen worden, der nicht unrichtig der

1 Vgl. Fergusson, Hist. of Indian and East Aich. p. 99 flg. und namentlich desselben Tree and Serpent Worship, wo sahireiche Ab- bildungen der Skulpturen von Amravati gegeben sind.

- Hrahmanische Götterbilder, die die obigen Behauptungen erhärten können, findet man in reicher Zahl in dem schönen Werke von E. Moor, The Hindu Pantheon, London 1810; ferner in ßonnerat's Reise nach Ostindien und China, Bd. I; bei Chabrelie, L'Inde Francaise, avec un texte explicatif par M. E. Bnrnouf, Paris 1827 (2 Bande); In den Tafeln zu Darstellung der brahmanisch- indischen Götterlehre, nach dem lateinischen Werke des Vaters Paul Unna a St. Bartholom eo, Gotha 1797t; in verschiedenen Reisebeschreibungen und Werken, welche die Architektur behandeln (vgl. weiter unten).

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gräco- buddhistische genannt wird,1 und dieser Einfluss griechischer Kunst dauerte auch noch weiter fort, als indosky- thische Herrscher buddhistischen Glaubens an die Stelle grie- chischer Herrscher getreten waren.

Man war früher fast mir auf Münzen* griechischen Kunst- typen im indischen Lande begegnet, so dem schreitenden Zeus mit Blitz und Aegis, der Athena Promachos, dem Helios u. a. Neuere Ausgrabungen haben aber (namentlich seit 1870) den Beweis geliefert, dass der Einfluss griechischer Kunst sich viel weiter erstreckte, viel tiefer griff, und namentlich sind ausser dem Pen j ab MathurA an der Yamunä und das berühmte Buddha-Gaya, 65 Meilen südlich von Patna (d. i. Pätaliputra) ergiebige Fundstätten dieser griechisch -indischen Kunst ge- wesen, welche demnach im Gangeslande ganz heimisch gewesen sein muss.8 Ausser der später zu erwähnenden Ornamentik in der Architektur sind es namentlich zahlreiche Buddhabilder, welche die Einwirkung hellenischer Kunst deutlich verrathen. Buddha erscheint mit untergeschlagenen Beinen sitzend oder thronend, stehend, mit eingestemmtem linken Arm, lehrend, wandernd, Wunder thuend u. dergl. m. Er begegnet uns im Gegensatz zu den nackten indischen Buddhabildern stehend und sitzend in faltenreicher griechischer Gewandung,4 würde- voll und mit gutem Ausdruck, kräftiger und wohlgebildeter Muskulatur. Klassischen Einfluss verrathen nach Fergusson auch die schönen Skulpturen des Tope von AmravatL6 Grie- chische Vorbilder müssen auch verschiedene Gestalten des dio-

1 Vgl. darüber E. Curtius, die griechische Kunst in Indien (Ar- chäologische Zeitung f. 1875, p. 90—95).

1 Man vgl. für dieselben namentlich A. v. Sallet's Aufsatze in der Zeitschrift für Numismatik (Bd. VI flg.) und die lugehörigen trefflichen Tafeln.

1 8. Curtius, a. a. 0. p. 91.

* 8. Curtius, a. a. 0. p. 93 und Tafel 11 No. 3 und 2.

* Hiuen Thsang, der im Jahre 639 den Tope von Amraratl be- suchte, spricht mit besonderer Begeisterung von der Schönheit und Herrlichkeit dieses Denkmals. Unter Andrem sagt er: „Es war ce- schmückt mit aller Pracht der Palaste von Baktrien.u Dies erschien zuerst auffällig. ,.Now, however, that we know what the native art of India was from the sculptures at Bharhut and Sanchi, and as we also know nearly what the art oi Bactria was from those recently dug up uear Peschawur, especially at Jamalgiri , we see at once that it was by a marriage of these two arts that the Amravati school of sculpture was produced, but with a stronger classical influence than anything of ita kind found elsewhere in India." (Fergusson, Hist of Ind. a. E. Arch. p. 103.)

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nysischen Kreises gehabt haben, die uns bisweilen in ganz oder halb indischer Umgebung begegnen. Dahin gehörte der schon 1836 in Mathura entdeckte, von Prinsep besprochene sogenannte Silenus im Museum zu Calcutta, ein trinkender Alter auf einem Steinsitz, von einer weibliehen und einer männlichen Figur unterstützt, die letztere deutlich in griechischem Mantel. Es haben sich dazu noch mehrere Parallolbildungen gefunden, doch scheint der Zweck, dem sie in Indien dienten, mir noch nicht recht klar zu sein.1

Auch die brahmanische Kunst hat sich damals hellenischem Einfluss vielleicht nicht ganz entziehen können. Dafür spricht das Bild des Sonnengottes Surya in Taxila (Takshacila), ein griechischer Helios mit vier Pferden, unter indischem Doppel- schirm, nebst noch einigem anderen indischen Beiwerk;* doch liegt freilich Taxila im Penjab ausserhalb des strengbrahma- nischen Gebietes. Dafür scheint ferner die weit mehr griechi- sche als indische kräftige und harmonische Körper- und Muskel- bilduug des zum civaitischoa Kreise gehörigen Riesen Vlra- Bhadra in Ellora zu sprechen (Relief des Felsentempels), der andrerseits- durch seine acht Arme deutlich zu erkennen giebt, dass die Kunst der Brahmanen sich dem griechischen Schön- heitssinne wirklich zu unterwerfen doch nicht geneigt war.*

Der griechische Einfluss mag etwa vom dritten Jahrhundert vor Chr. bis mehrere Jahrhunderte nach Chr. gewährt haben, wurde aber offenbar späterhin von der national-indischen Kunst durchaus verleugnet und abgethan, ein Process, bei welchem der immer deutlicher hervortretende, endlich ganz entschiedene Sieg des nationalen Brahmanenthums über den Buddhismus wahrscheinlich nicht unwesentlich mitspielte. Dem verstockten Inderthum war auch die griechische Plastik auf die Dauer zu helfen nicht im Stande.

Eine wirklich fachmännische Bearbeitung des grossen, in Indien gebotenen archäologischen Materials wäre jetzt wohl sehr an der Zeit, und wenn die indische Kunst als solche

1 Den erwähnten „Silenus" und mehrere verwandte Bildungen findet mau abgebildet im Journal of the As. Soc. of Bengal, New Serie* Vol. XLJV, Part. I No. III, Calcutta 1875, Taf. XIII und XII. Orowta, der die Sachen daselbst p. 212 flg. bespricht, ist wohl mit Unrecht gegen den griechischen Einfluss.

* VfL Curtius, a. a. 0. p. 92.

* Eine Abbildung dieser eigentümlichen halb griechischen, halb indischen Gestalt findet man nach J. Tod, Transactions of the R. As.

Soc II, 328 fl. gegeben bei Schnaase. a. a. 0. p. 132.

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vielleicht nicht im Stande ist, genügende Anziehungskraft zu üben, so wäre es doch vielleicht eine nicht uninteressante Auf- für einen klassisch gebildeten Archäologen, der Geschichte riechischen Kunsteinflusses in Indien weiter nachzuspüren.

Am Eigenartigsten und Bedeutendsten sind ohne Zweifel die Leistungen der Inder auf dem Gebiete der Baukunst1 Dieselben bestehen ganz vorwiegend in Bauten religiösen Cha- rakters und zerfallen ihrem Ursprung nach in buddhistische und brahmanische Schöpfungen. Die buddhibtisohen Bauten sind im Allgemeinen alter als die brah manischen und zeichnen sich durch grössere Einfachheit und Strenge des Styles aus; die brahmanischen dagegen zeigen grösseren Reichthum in der Decoration, arten aber nach dieser Seite auch förmlich aus und verfallen in's Ueppige, Ueberladone und bizarr Phanta- stische. Danebon stehen als eine dritte, weniger umfangreiche Gruppe die Bauten der Jaina's, die einen besonderen Styl re- prasentiren.

Die Denkmäler indischer Baukunst reichen nicht in hohes Alterthum zurück. Das Aelteste, was wir mit Sicherheit da- tiren können, sind die schon früher erwähnten, mit Inschriften versehenen Säulen des Königs A$oka (250 vor Chr.), die so- genannten Gesetzessäulen oder Löwcnsäulen,2 welche dieser be- rühmte Herrscher an verschiedenen Orten seines weiten Reiches zur Ehre Buddbas und des guten Gesetzes errichten Hess. Es finden sich solche Säulen, mehr oder weniger gut erhalten, in Delhi, in Allahabad, zu Sankissa (im Duab zwischen Mattra und Kanoj), bei Bakhra nicht weit von Patna, und zwei der- selben bei Bettiah in Tirhoot, nordwestlich wiederum von Patna.

1 Ueber diesen Gegenstand im Allgemeinen ist vor allen Dingen su vergleichen das vortreffliche Werk von James Fergusson, History of Tndian and Eastern Architecture, London 1876. Ferner von Demselben: Handbook of Architecture, Vol. I London 1866; History of Architecture in all Countries, 2 ed. 1867; L. Langlös, Monuments anciens et mo- dernes de l'Hindoustan, 2 voll. Paris 1821; F. Kugler, Geschichte der Baukunst, Stuttgart 1869, Bd. I, p. 442—486; W. Lübke, Geschichte der Architektur, 8.Aufl, Leipsig 1866, p. 72—92; 282—285; Schnaasc, a. a. 0. p. 81 127; Rara Rar (Native ludge and Magistrate of Bauga- lore), Essai on the Architecture of the Hindus, vrith Plates, London 1834- Alex. Cunningham, Reports of the Archaeological Survey of India. 8imla and Calcutta 1871 flg. (bereits 22 Bande, mit reichem Inhalt); Burges«, Archaeological Survey of Western India; Burgess. Arch. Survey of Southern India.

' dharmastaxnbha oder simhastambha.

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Aus rothem Sandstein gemeisselt heben, sie sich schlank, etwa 40 Fuss hoch, empor und trugen zum grössten Theil ursprüng- lich oben das BÜd eines sitzenden Löwen, das Symbol des „Löwen aus dem Stamme der Qakya", welches meist verloren, mehrfacli aber auch noch ganz wohl erhalten ist.1 Das Capitäl hat die Form eines umgestürzten Kelches; auf dem Saulenhals findet man theils eine Reihe heiliger Vögel, theils das Ornament eines Perlenstabes, mit Palmetten und Lotosblumen darüber, auffallend an westliche, resp. griechische und persische Motive erinnernd.* Ueberhaupt ist die Ornamentik der indischen Archi- tektur ohne Frage von Westen her, und speciell durch die Griechen mit beeinflußt, während che Anlage der Bauten im Grossen und Ganzen ein durchaus eigentümliches, national- indisches Gepräge trägt.3

Aus derselben Zeit wie die Säulen des Acoka stammen wohl auch die ältesten unter den sogenannten St dpa 's oder Tope's, den Reliquien- und Gedächtnissthürmen der Buddbi- sten. Es sind dies auf einer runden Basis ruhende, halbkugel-, kuppel- oder glockenförmige, meist ziemlich schwere und mas- sige Bauten, welche theils in vielfacher Ummantelung wohl- verwahrt irgendwelche Reliquien von Buddha, seinen Jüngern oder sonstigen buddhistischen Heiligen bergen, theils auch nur zur Auszeichnung besonders heiliger Stätten erbaut sind. Solch ein Bau, ursprünglich wohl ein Tumulus, stellt nach Ansicht der Buddhisten in seiner Form eine Wasserblase dar, das Sinn- bild der Vergänglichkeit Er ist bekrönt von dem Sonnenschirm,

1 S. Fergusson, Hist. of Indian and East. Aren. p. 54. Die ßaule von Saukissa trägt einen Elephanten; s. ebenda, und Cunningham, Report I, Tafel XLVI. Abbildungen der Säulen des Acoka findet man bei Fergusson, a. a. 0. p. 53 flg.; im Journal of the As. Soc of Bengal III pl. III u. pl. XXVII; IV pl. VII u. IX; Vpl. XXXI; Cun- ningbam, Report Vol. I, Tafel XXII. XXV; Vol. XVI, Tafel XX VII, XXVIII; s. auch Lübke, a. a. 0. p. 74; Schnaase, a. a. 0. p. 105.

« Vgl. Ferguuson, Hist. of I. a. E. A. p. 58 flg.; F. Kugler, a. a. O.p. 447. 448; Schnaase, a. a. 0. p. 106.

3 E. Curtius hebt a. a. 0. ^ Archaol Zeit., N. Folge, Jahrg. 1875, p. Ol) hervor, der Tempel der Griechen habe als Ganzes bei den Indern keinen Eingang gefunden, „aber im Einzelnen hat sich die Ornamentik der griechischen Kunst in reichstem Maasse ausgebreitet: cannellirte Pfeiler, Astragalen, Honetten, Kragsteine, Zahnschnitt und Akanthusblatt finden sich aller Orten. Las letztere ist mit Vorliebe angewendet; wir finden Buddhaköpfe in Akanthuscapitalen angebracht" Abbildungen von Capitalen der sogenannten indokorinthischen Säulen von Jamalgiri (Jamal-Garhi». die eine interessante Mischung griechischer und indischer Motive zeigen {Akanthusblatter. darüber sehr wohlgebildete Elephanten u. dgl. m.}, findet man bei Cunningham, Report V (1875) pl. XLVm— L.

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dem indischen Zeichen der Herrschaft,1 und in einiger Entfer- nung von öiner Umzäunung oder von Säulenreihen eingcfasst.

Man findet solche Stüpa's oder Tope's in verschiedenen Gegenden Indiens, mehrfach in grösseren Gruppen beisammen. So z. B. in der Nähe der Stadt Bhilsa, des alten Bi<jic& oder VidicA, in Centraiindien im Staate Bhopal, in dessen Umgebung man ca. 30 Tope's gefunden hat.8 Der berühmteste darunter ist der grosse Tope von Sanchi, dessen wir oben bereits wegen der reichen Skulpturen an den Portalen der Steinumzäunung Erwähnung gethan haben.8 Ein anderer barg die Reliquien der beiden Jünger Säriputta und Moggalläna. Weiter findet sich eine grössere Gruppe solcher Bauten auf der Insel Ceylon, namentlich in der Umgebung der alten Hauptstadt Anuradha- pura. Sie werden hier meist Dagop's genannt und sind zum Theil von kolossaler Grösse, ermangeln aber aller Skulpturen. Die ältesten derselben dürften etwa im 2. Jahrhundert vor Chr. erbaut sein.4 Eine dritte grosse Gruppe von Tope's findet sich im nordwestlichen Indien und zieht sich, im Osten des Indus bei Manikyala5 beginnend, über Peschawer, Jelalabad und Kabul durch Afghanistan längs der alten Königsstrasse hin, durch welche einstmals Indien mit Baktrien und Persien ver- bunden war.6 Man zählt in diesem Gebiet über 100 Tope's.

1 Die Bekrönung, welche, wie es heisst, das Schinndach des heil. Feigenbaumes darstellen soll, unter welchem Buddha den Erlösungs- gedanken f aaste, ist meistentheils nicht mehr erhalten, aber an den zahlreichen Abbildungen der Tope's auf den Steioreliefs stets deutlich zu sehen. Uebrigens wechselt die Form dieser Bekrönung, namentlich besteht dieselbe nicht selten in einer pyramidalen Spitze.

Vgl. A. Cunningham, The Bhilsa Topes or Buddhist monuments of Central India, London 1854; J. D. Cunningham, Journ. of the As. Soc. of Bengal, XVI p. 739 flg.; Fergusson, Hist. of Ind. a. E. A. p. 60 flg.; Kugler, a. a. 0. p. 460.

* Abbildungen siehe bei Fergusson, Tree and Serpent Worship; auch Schlagintweit, Indien II, p. 121—124. 15.

* Ueber dieselben vgl. Chapman, TranBactions of the R. As. Soc. Hl, p. 463 flg. Journ. of the R. As. 8oc. XIII, p. 164 flg. W. Knigh- ton, Journ. of the A& Soc. of Bengal XVI, p. 218 flg.; Fergusson, Hist. of Ind. a. E. A. p. 188 flg.; Kugler, a. a. 0. p. 453.

B Bei Manikyala findet Bich eine grössere Gruppe von Tope's (15—20), unter denen namentlich einer durch seine Grösse bemerkenswerth er- scheint. Vgl. Fecgusson, Hist of Ind. a. E. A., p. 79 flg. Cunningham, Keport II, p. 152 flg.; V, p. 75 flg.; XIV, p. 1 flg. (nebst Abbildungen).

* Vgl. Ober dieselben namentlich die Schrift von C. Ritter, die Stupa's (Topes) oder die architektonischen Denkmale an der Indo-Bak- triachen Königsstrasse und die Kolosse von Bamiyan. Berlin 1838. H. H. Wilson, Ariana antiqua, a deecriptive account of the antiquities and colns of Afghanistan; Fergusson, a. a. 0. p. 72 flg.

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Ausser den genannten Gruppen von Tope's finden sich an ver- schiedenen Orten auch vereinzelte Bauten dieser Art vor, unter denen ich jedoch nur einen, den merkwürdigen Tope von Sar- nath, nicht weit von Benares, besonders hervorheben will*

Der Zeitraum, innerhalb dessen die indischen Tope's vor- nehmlich erbaut wurden, erstreckt sich etwa vom 3. Jahrhundert vor Chr. bis in das 4. und 5. Jahrhundert nach Chr. Es hat ihrer früher viele Hunderte, ja Tausendo gegeben, und auch die chinesischen Pilger erwähnen noch Hunderte solcher Bauten; aber die Mehrzahl derselben ist heutzutage von dem Erdboden verschwunden.

Die merkwürdigsten Schöpfungen der indischen Baukunst sind ohne Frage die berühmten Felsengrotten, * unter welchen wiederum die Bauwerl-c der Buddhisten gegenüber denen der Brahma n en den Vorzug höheren Alters haben. Die buddhi- stischen Felsenbauten sind theils Vihara's oder Münchs Woh- nungen, theils sogenannte Caitya's oder Tempelgrotten, theils endlich findet sich Beides vereinigt, indem sich Wohnungen von Mönchen um einen Tempelraum herum gruppiren. Die offenbar in Anlehnung an die buddhistischen Schöpfungen ent- standenen brahmani8chen sind durchweg Tempelräume.

Die ältesten uns erhaltenen in den Fels gehauenen Woh- nungen für Mönche siud die in der Nähe des alten Rajagriha, der öfters erwähnten Hauptstadt des alten Magadha- Reiches, wo Bimbisära und Ajatacatru herrschten und der aufkommende Buddhismus zuerst festen Boden fand. Es ist dasselbe Land, welches heute den Namen Behar oder Bihar trägt, gerade nach der Menge der dort ursprünglich vorhandenen Klöster (Vihara). Die erwähnten Felsenzellen sind von sehr einfacher Cohstruction und bescheidenem Umfang; sie gehören ihrer Entstehung nach gewiss in die Frühzeit des Buddhismus.3

1 Abbildungen Biehe bei Fergusson, History of Ind. a. £. Aren, p. 66; Schlagintweit, Indien II, p. 55. 57.

* Vgl. über dieselben J. Fergusson, On the Rock-cut Temples of India, im Journ. of the R. As. Soc. VIII, p. 90 flg.; J. Ferpnaaon, IUustrations of the Rock-cut Temples of India, London 1845; Derselbe: Tie Rock-cut Temples of IndU, illustr. by 74 photographs cet, Lon- gen 1864; Desselben History of Ind. and East Arch. Ferner: J.Wilson, Memoir on the Cave Temples and Monas teries and otber ancient Bud- dhist, Brahmanical and Jaina Remains of Western India, Journ. of'the Bombay Branch of the R. Aa. Soc. III, VI. Th. nnd W. Daniell, AnU- qoities of India r Langds, a. a. 0.; Kugler, a. a, 0. p. 457—474.

3 Man findet eine Abbildung der Eingänge tu denselben bei Cun- ninffham, Report III pl. XLIII; darnach bei Schlagintweit, Indien I, p. 63; vgl. Fergusson, Hiat. of Ind. a. E. A. p. 108.

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8ebr aJterthümli Vihara- Grotten finden sich im Nord- osten Indien« in der Provinz Orissa, im Udayagiri oder „Auf- gangsberge**. Dieselben sind von einfacher Construction, haben aber doch Säulenhallen vor den Eingängen und einige Sculp- toren, welche an die der Tope's von Bharhut und Sanchi er- innern sollen. Vermuthlich sind die ältesten von ihnen auch ungefähr von gleichem Alter und entstammen etwa dem 3. und 2. Jahrhundert vor Chr.1

Wichtige und alte Felsenbauten der Buddhisten liegen ferner in dem West-Ghat-Gebirge zwischen Bombay und Puna, in der Nähe des Dorfes Karli. Unter diesen sind die Caitya's von Bhaja und Bhedsa besonders alterthümlich, in das 2. Jahr- hundert vor Chr. gehörig, vielleicht sogar noch älter.1 Beson- ders bekannt und berühmt ist aber mit Recht eine Caitya- Grotte, welche gewöhnlich schlechtweg als der Tempel von Karli bezeichnet wird. Es ist einer der schönsten und gross- artigsten Felsentempel, dessen Entstehung wir nach inschrift- lichem Zeugniss in das 1. Jahrhundert vor Chr. zu setzen haben,3 und der in seiner eigenartigen Grösse und edlen Einfachheit noch heute auf den Besucher einen gewaltigen Eindruck macht. An einer sechzehn kantigen, vier Löwen tragenden Säule vor- über tritt man in die Vorhalle des Tempels, deren Wände reich mit Sculpturen bedeckt sind, theils mit menschlichen Gestalten, theils mit hocherhaben gebildeten mächtigen Elephanten; die menschlichen Bilder stellen theils Tänzer und Tänzerinnen, theils den Buddha und buddhistische Heilige dar.4 Das grosse Schiff des Tempels ist von mächtigen achteckigen Säulen ge- tragen, 15 auf jeder Seite» über deren Capital in Hochrelief Elephanten und Menschengestalten gearbeitet sind. Den Ab- schluss des Schiffes, unserem Altarraum entsprechend, bildet ein kuppeiförmiger steinerner Dagop oder Reliquienbehälter mit schirmartigem Aufsatz, von sieben Säulen umgeben. Die Decke ist als Tonnengewölbe gearbeitet5

1 Vgl. über dieselben Fe rgusson, Hist. of Ind. a. £. A. p. 138 flg. ; Kittoe, Jonro. of the B.As. Soc. of Bengai, Vol VII (mit Zeichnungen) ; Kogl er, a. a. 0. p. 462 flg.

* Vgl Fergusuon, a. a. 0. p. 110 flg. 116.

* 78 vor Chr. Vgl. FergusBon, a. a. 0. p. 117.

* Eingang, Vorhalle und Sculpturen der letzteren findet man ab- gebildet bei Scblagintweit, Indien I, p. 66. 67. -68.

8 Vgl. die Abbildung des Tempelschiffes bei Schlagintweit, a. a. 0. p. 69; Fe rgusson, Hist of Ind. a. E. A. p. 120. Durchschnitt und Plan des Schiffes ebenda p. 117. Auch bei Lobke, a. a. 0. p. 87; Kogl er, a. a. 0. p. 464.

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Auch bei Nasik im Nerhndda-Gehiet sind wichtige Höbleo- bauten erhalten. Eine Cäitya- Grotte daselbst entstammt dem 2. Jahrhundert vor Chr.1 Die zahlreichen Vihara's, deren Er- bauung vom 1. Jahrhundert vor Chr. bis etwa in das 7. Jahr- hundert nach Chr. reicht, sind zum Theil reich ornamentirt und trugen aller Wahrscheinlichkeit nach auf ihren Wänden ursprünglich, wie die Vihara's von Ajunta, Freskomalereien, von denen jedoch leider nichts erhalten ist*

Eine ganze Reihe wichtiger und zum Theil sehr schöner buddhistischer Felsenbauten findet sich bei Ajunta, im Gebiete des Tapti-Flusses, am Nordwestrande des Dekhan. Es sind etwa 30 Grotten, theils Vihara's, theils Cäitya's, deren Entstehung in die Zeit vom 2. Jahrhundert vor Chr. bis etwa in das 7. und 8. Jahrhundert nach Chr. fällt. Die besonders schönen, reich geschmückten Vihara's No. 16 und 17 stammen nach Fergusson 's Angabe aus dem 5. Jahrhundert nach Chr.* Be- sonders bemerkenswerth ist der Umstand, dass das Innere dieser Bauten vornehmlich durch zahlreiche Malereien in Fresko ge- ziert is* 4

Die Vihara-Grotten in der Nähe von Baugh oder Bagh, im Norden des Nerbudda, ca. dem 6. und 7. Jahrhundert ent- stammend,6 zeigen ebenfalls Freskomalereien und lassen im architektonischen Detail deutlich die westlichen, resp. persische und griechische Einflüsse erkennen.6

Buddhistische Grotten in grosser Zahl (ca. 100) birgt auch die Insel Salsette, und zwar speciell in den Felsen bei Kan- heri. Sie liegen zum Theil in mehreren Etagen über einander und sind theils Vihara-, theils Caitya-Bauten; an letzteren giebt es über zwanzig.7

Besonders bemerkenswerth aber sind die Felsenbauten von Ellora, im nördlichen Theile der West-Ghats, nicht weit von

s Vgl. Fergusson, a a. 0. p. 116.

* Vgl. Ferguson, a. a. 0. p. 147— 153.

* Vgl. Fergusson, a. a.O. p. i 8. Abbildungen ebenda p. 154. 155. 4 Vgl. Lieut Alexander's Visit to the Cavern Temples of Ad-

junta, TransactiooB of the R. As. Soc. II, p. 362 flg. Fergusson, Hist of Ind. a. E. A. p. 122 flg. 153 flg. 158. J. Qurgess, Notes on the Bauddha Rock-Temples cet. Vgl. oben p. 757 Anm.

S. Fergusson, a. a. 0. p. 161.

8. Danger field, Some aecount on the Caves near Bang, Tran»- actions of the Lit. Soc. of Bombay II, p. 194 flg. Dr. Impey, Journ. Bomb. Br. R. As. Soc. Vol. V.

' Einige Abbildtingen siehe bei Schlagintweit, Indien It p. 64.

65. 68.

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Daulatabad.1 Dieselbon sind theils buddhistischen, theils brah- manischen Ursprungs, und ein Theil verdankt seine Entstehung wohl auch den Jaina's. Die Zeit ihrer Entstehung fällt un- gefähr mit der Blütheperiode der Sanskrit-Literatur zusammen und erstreckt sich etwa vom 4. und 5. bis in das 11. und 12. Jahrhundert nach Chr. Die ungeheuren Massen des hurten Granitgesteines sind hier nach allen Richtungen hin ausgehöhlt und bearbeitet und in eine förmliche Tempelstadt umgewandelt, deren Herstellung unglaubliche Mengen von Arbeitskraft bean- sprucht haben muss. Hier hat die Kunst des Felsentempel- baues ihre höchsto Vollendung erlebt Neben einander und über einander, bisweilen in mehreren Stockwerken, finden sich zahlreiche grössere und kleinere Tempel, Vorhöfe, Woh- nungen für Mönche und Pilger u. dgl. m. in den Felsen ein- gehauen, und eine Menge von Treppen, Gängen, Corridoreu und Brücken verbinden die einzelnen Bauten mit einander Hier findet sich der berühmte Tempel des Vicvakarman, ein buddhistischer Caitya-Bau, an den eine ganze Menge von Vi- hara'8 angeschlossen sind.1 Sie sind jüngeren Ursprungs und lassen deutlich den Ue bergan g der buddhistischen Kunst des Höhlenbaues in die brahmanische erkennen.

Bisweilen ist bei den mehr nach der Oberfläche hin liegen- den Tempeln von Ellora der Fels auch von oben fortgearbeitet, so dass das Ganze als monolithischer Wunderbau zu Tage tritt, ein Granittempel aus einem Stück. Unter den Bauten derart ist der sogenannte Kailasa (d. i. der Göttorberg) hervorzuheben, ein Werk der brahmanischen Baukunst, das ca. 800 nach Chr. entstanden sein dürfte und oin staun onerregendes Kunstwerk bildet, ebenso mächtig und imposant angelegt, als im Einzelnen fein ausgeführt, die Aussenseite mit unzähligen Menschen- und Thiergestalten, Götterbildern und mythologischen Darstellungen, mit Verzierungen und schnörkelhaften Ornamenten aller Art bedeckt, Alles auf das Sorgfältigste aus dem Granitfelsen mono- lithisch herausgearbeitet3

Monolith-Tempel brahmanischen Ursprungs, die wohl älter sind und ca. dem 6. und 6. Jahrhundert nach Chr. angehören

1 Vgl. das Prachtwerk too Th. undW. Dan i eil, The excaYations of Ellora; auch Langles a a. 0.

Vgl. Fergusson, Hist. of-Ind. a. E. A. p. 127. 163.

* Eine Ansicht des Kuiläsa s. bei Fergusson a. a. 0. p. 3S5, nach einer Skizze des Autors; auch bei Lübke, a. a. 0. p. 88; Sehn aase, p. 86. Für die Entatehuagszcit a. Fergusson, a. a. 0. p. 337. 338.

t. Sekr6d«r, ladtau Ut. «. Cmlt. 49

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dürften, sowie brahmanjflche Grottentempel finden sich auch in Mahayellipur, im Südosten, an der Küste CoromandeL1

Brahmanischen Ursprungs sind endlich noch die berühmten Grottentempel der Insel Elephanta. Der Hanpttempel daselbst, etwa dem 12. Jahrhundert entstammend, ist ein staun enswerthea Werk in gewaltigen Dimensionen, im Innern mit Sculpturen der brahmanischen Götter, mit Ornamenten und Schnörkeln aller Art überreich vorziert.2

Neben diesen Felsenbauten haben wir aber auch frei- stehende Tempolge-bäude in grosser Anzahl über ganz Indien verbreitet Dieselben gehören zum weitaus grössten Theile den Brahmanen, ein kleinerer Theil auch der J &i na- Sekte an, während Freitempel der Buddhisten auf dem indischen Fest- lande nicht mehr anzutreffen sincL

Die Europäer nennen diese Hindu-Tempel meist Pagoden. Wir können die Zeit ihrer Erbauung vielfach nicht sicher fai- ren, doch sind sie im Ganzen jedenfalls jünger als die Felseu- bauten. Die ältesten unter ihnen gehören der Zeit unteres Mittelalters an, während die jüngeren erst in neuerer Zeit er- baut sind. Meist sind es einfache Gebäude, an denen wir eine Vorhalle und deD eigentlichen Tempelbau unterscheiden können, welcher letztere schwer, massig und düster angelegt, pyramiden- artig in Stufen oder Absätzen emporsteigt. Im Gegensatz dazu haben wir und zwar fast nur im Süden Indiens auch ausgedehntere, complicirte Tempelanlagen, bei welchen das ver- hältnissmässig unbedeutende eigentliche Tempelgebäude vom einem weiten Hof umgeben ist, dessen Mauern an mehreren Stellen durch hohe Portalbauten durchbrochen sind. Im Innern finden sich Säulengänge» Hallen für den Aufenthalt der Pilger (sogenannte Tschultris), Wasserbasshis und einer oder mehrere Tempel mit Götterbildern.9 Boi besonders grosser und com- plicirter Anlage ist der den Tempel umschliessende Hofraum

1 Vgl. Fergusson, Hist. of Ind. a, E. A. p. 826 flg. Schon Cham- bers beschrieb sie im Jahre 1788 (As. Res. Bd. I); darnach sind sie öfters und recht vollständig beschrieben und in Abbildungen vorgefahrt. Vgl. auch Babington, an Account of the Sculptures and Inscriptions of Mahamalaipur, Transactions of the R. As. 8oc. II, p. 258 flg. Daniell, Antiq. of India; LangUs, a. a. 0. II,' pl. 28 flg. Kugler, a. a. O. p. 478.

* Ein Relief, die Hochzeit des Qiva darstellend, findet man ab- gebildet bei Schlagintweit, a, a. 0. I, p. 70. Vgl. auch Erskine, Transactions of the lit. 8oc. of Bombay I, p. 218; Daniell, Antlq. of India; Langlcs, a. a. 0.

Vgl. Sonnerat, e, a. (h, Tafel 61.

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von einem zweiten grösseren Hof umgeben und dieser eventuell noch von einem dritten noch grösseren, wobei dann die hohen Portalbauten der Umfassungsmauern das unverhältnissmässig kleine eigentliche Tempelgebäude ganz übersehen lassen.1 Den Tempel selbst nennen die Inder Vimana, die Portalbauten Gopura. Die letzteren bestehen aus einem Unterbau mit dem Thor, über welchem sich eine hohe, oft sehr kunstvoll ge- schmückte Stufenpyramide erhebt*

Der nördliche Theil Indiens zeigt im Ganzen mehr ein- fache und strenge, oft recht alterthümliche Bauten, während im Süden, namentlich an der Küste Goromandel die gross- artigsten, schmuckreichsten und complicirtesten Tempelanlagen zu Hause sind.

Als Beispiele des einfacheren nördlichen, oder, wie Fer- gusson ihn nennt, des indo-arischen Styles (im Gegensatz zum südlichen oder dravidischen) seien in erster Linie angeführt: die Tempel zu Bhuwaneswar in Orissa, unter welchen nament- lich einer durch Grösse und Wichtigkeit ausgezeichnet ist Der* selbe ist dem Civa. geweiht und gehört dem 7. Jahrhundert nach Chr. an. Er ist einfach und alterthümlich, fast bienen- korbähnlich gestaltet, und Fergusson spendet der maassvollen Ornamentik, den feinen Steinsculpturen, die den ganzen Tempel von der Spitze bis zur Basis bedecken, alles Lob.* Ferner wäre der sogenannte Tempel des Oelhändlers (Teli-Mandir) in Gualior zu nennen, ursprünglich dem Vishnu, dann Qiva ge- weiht, dem 10. oder 11. Jahrhundert nach Chr. angehörig.4 Weiter die 28 Tempel zu Eadschuraha in Bundelcund (Centrai- indien), auch ca. dem 10. und 11. Jahrhundert entstammend, unter denen der Tempel des Mahadeva (Qiva) als ein imposantes Bauwerk mit vielen Sculpturen hervorragt,6 desgleichen der Tempel der Kali6 und der mit reichen Sculpturen geschmückte Tempel der LakshmL7* Dahin gehören ferner der Tempel zu Udaipur in Bhopal, nicht weit von Bhilsa, dem 11. Jahr-

1 Vgl. die Pagode von Tiruvalur bei FerguBson, Hist of Ind. a. £. A>. p. 846; Schnaase, a. a. 0. p. 117; Lubke, p. 79.

* Meist ans Ziegeln, mit Stuckbekleidung.

* Vgl. Fergusson, Hut. of Ind. a. £. A. p. 420 flg.; Abbildung p. 498; Scblagintweit, I p. 182.

4 Vgl. 'Fergusson, a. a. 0. p. 462 (mit Abbildung); Schlagint- weit, a. a. 0. II, p. 88.

» Vgl. das Büd bei Fergusson, a. a. 0. p. 466; Scblagintweit, a. a. 0. II, p. 128.

* Scblagintweit II, p. 76.

* SohUgintweit I, p. 100.

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hundert angehörig;1 der Ambernath-Tempel zu Kallian im Bombayer Hafen, wohl ebenfalls dem 11. Jahrhundert ent- stammend;a der Vishnu-Tempel in Chittoro, aus dem 15. Jahr- hundort9 u. a. m.

Bemerkenswerth ist endlich noch der berühmte Tempel des Jagannäth (Vishnu) zu Puri' in Orissa. Der Styl des eigentlichen Tempelgebäudes ist dem des Tempels von Bhuwa- neswar in derselben Provinz recht ähnlich, aber die Art der Einhegung in zwei concentrische Höfe mit complicirten Anlagen für den Aufenthalt der Pilger u. dgl. m. erinnert vielmehr an dio entsprechenden Tempelanlagen Südindiens. Das Innere dieses dem 12. Jahrhundert nach Chr. entstammenden Tempels birgt ein paar wahrhaft entsetzliche Götzenbilder.4

Von den Bauten Südindiens, die den sogenannten dravi- dischen Styl repräsentiren, nenne ich als hervorragende Bei- spiele die berühmten Pagoden von Tanjore (wahrscheinlich dem 14. Jahrh. angohörig),* von Conjcveram..'1 von Vijaya- nagar (aus dem 16. Jahrb.),7 von Tiruvalur,8 von Madura (17. Jahrh.),9 von Kombakonam,10 von Chillambrum (um d. J. 1700),11 von Srirangam oder Seringhain bei Tritechi- napalli (18. Jahrh.),11 und von Ramesseram U7. Jahrh.) auf einer Insel zwischen dem indischen Festlande und Ceylon ge- legen.18

Diese merkwürdigen Bauten sind durch eine originelle

1 Ferguaaon, a. a. 0. p. 457.

* Vgl. Ind. Antiquary III, p. 316; Fergimon, a. a. 0. p. 4f>8. ' Fergusson, a. a. 0. p. 458.

« Vgl. Ferguaaon, a. a. 0. p. 426. 428 flg. Schlagintweit 1. p. 185. 188.

6 Eine Abbildung siehe bei Schlagintweit I, p. 132: Fergus- son, a. a. 0. p. 344. 345.

* Fergusson, a. a. 0. p. 309. Y Fergusson, a. a. 0. p. 374.

* Vgl. oben p. 771 Anm.

9 Vgl. Fergusson, a. a. 0. p. 359 flg.; Lübke, p. 80; Schnaase, p. 119.

10 8. die Abbildung des Gopura von Kombakonam bei Fergusson, a. a. 0. p. 368; Schlagintweit, a. a. 0. I, p. 124.

11 Vgl. Fergusson, Hiat. of Ind. a. E. A. p. 850 flg.; Handbook of Aren. I, p. 97 flg.; Langles a a. 0. II, p. 14 flg.; Sehnaase p. 118; Lttbke p. 80.

" S. die schöne Abbildung bei Schlagintweit a. a. 0. I, p. 136; Fergusson, Hiat of Ind. a. E. A. p. 349.

*• Fergusson, Handbook of Arch. I, p. 97 flg.; Hiat. of Ind. and E. A. p. 355 flg.; Schnaase a\ a. 0. p. 118. Grossartig sind die 700 Fuss langen Säulenhallen dieses Tempels; vgl. die Abbildung bei Ferguaaon, Hist. of Ind. a. E. A. p. 368.

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Schönheit ausgezeichnet und mit Ornamenten reich versehen. Iii letzterer Beziehung ist aber freilich oft allzuviel geschehen, und so gewinnt man den Eindruck der Ueberladung und einer gewissen Unruhe. Unzählige Menschen- und Thiergestalten, oft wunderliche und fratzenhafte Bildungen, drängen sich da in buntester Weise durcheinander und übereinander, oft in selt- samster, abenteuerlichster Art verknüpft und mit allerlei Zier- rath und Schnörkeln durchsetzt. Eine ursprünglich des Schön- heitssinnes keineswegs baare künstlerische Phantasie lässt sich hier in regellosester Willkür gehen, ruft Schöpfungen in's Leben, die den Gebilden wirrer Träume ähnlich sehen, und fuhrt uns auf solche Weise die für Indien überhaupt so charakteristische Eigenschaft der Maasslosigkeit recht lebendig vor die Augen.

Eine eigentümliche Entwickelung hat die Baukunst der Brahmanen in Kaschmir erlebt. Daselbst ist namentlich die Aufnahme zahlreicher griechischer Elemente bemerkenswert!).1

Einen besonderen Styl hat endlich, wie schon erwähnt, die Secte der Jaina's ausgebildet. Derselbe unterscheidet sich in mancher Beziehung vorteilhaft von dem der Brahmanen, nament- lich durch etwas mehr Maasshalten in der Ornamentik. Die Anfänge der Jäina-Baukunst sind leider noch ziemlich in Dunkel gehüllt; aller Wahrscheinlichkeit nach schloss sie sich aber im Style an die leider nicht erhaltenen Freitempel der Buddhisten an. Die erste grosse Epoche der Jaina- Baukunst fällt in das 11. bis gegen Ende des 13. Jahrhundorts; sie erlebte sodann nach kurzer Pause noch eine zweite reiche Blütheperiodo im 15. Jahrhundert unter der Herrschaft des Khumbo Rana von Udaipur und setzt sich in mancher bedeutenden Schöpfung noch bia in die neuere Zeit fort* Die Halbinsel Gujerat ist beson- ders reich an Heiligtümern der Jäina-Secte, und berühmt ist daselbst namentlich der reich ornamentirte, ganz aus weissem Marmor gebaute Tempel de6 Vimala Sah auf dem Berge Abu, dem 11. Jahrhundert nach Chr. entstammend.8

Eine neue Epoche beginnt für die Baukunst auf indischem

1 Vgl. Fergusson, Hirt, of Ind. a. E. A. p. 279 flg.; A. Cun- ningham, Essay on the Arian Order of Arcbitccturc , as exhibited in the Temples of Kaschmir. Jonrn. of the R. As. Soc. of Bengal XVII, p. 241 flg.; F. Kot ler, a. a. 0. p. 474—479.

Vgl. (Iber die Jaina-Baukunst Fergusson. Hist. of Ind. a. E. A. p. 207—278: Handbook of Aren. I. 68 flg.; 8chnaase, a. a. 0. p. 121 fl*.

Vimala Sab. der Erbauer dieses Tempels, war ein reicher Kauf- mann ans Tomehmem Geschlechte. Abbildungen siehe bei Fergusson, Hist of Ind. a. E. A. p. 236: Schnaase, a. a. 0. p. 122? Lübke, p. 82.

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Boden mit der Herrschaft der Mohammedaner, die Beit dem Jahre 1000 nach Chr. mehr und mehr vordringend endlich die Herren von Indien werden und das Land mit Wunderbauten bedecken, die zum grossen Theil noch heute erhalten sind und insbesondere die alten Residenzen Delhi und Agra schmücken. Aber wenn auch indische Arbeiter -hier gebaut, wenn auch das ornamentale Geschick der indischen Künstler viel zur Ver- schönerung dieser Bauten beigetragen haben mag, der Haupt- sache nach sind dieselben doch durchaus nicht indisch, tragen vielmehr einen ganz fremdländischen Charakter, und gehört die Besprechung des hier geschaffenen maurisch-indischen oder in- disch-saracenischen Styles in die Geschichte der mohamme- danischen Baukunst. Wir nehmen darum hier Abschied von dem Lande, das so viel des Seltsamen, Wunderbaren, Aben- teuerlichen, und doch auch so viel des Schönen birgt

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INDEX.1

Absolute (das) 233. Ackerbau(i. Z.d.RV.)30. Ackerfurche (göttl.) 70, Adoption 428. Aera desV ikrama 3 14 flg. Ahnenopfer 428. Ahura Mazda 23, Ajunta (Grotten ?on) 768, Akbar 31L

Alexander d. Gr. 226 flg. Alexander, J. £. 757. Algebra 724, Allegor. Drama 658 flg. Alphabeto 440, Alterthumskunde (ind.) 12,

Alwis, de 16. Ambro« 753 flg. Anquetil Duperron 183.

239, Antiochos 306. Anundoram Borooah 648,

662.

Apsarasen 370 flg. Apudy 672.

Arische Einheitsperiode

22 flg. Arithmetik 123, Askese öfi, <XL 384.

38ft— 395. Astronomie 725—729. Aauren 136, 139, 143,

144.

Aufrecht, Tb. HL 83, 168.

169, 112, 182, Ausmessen der Vedi 104. Avery 741. Aveata 22 flg.

Baber 316. Babiugton 710,

Badeplatze (heil.) 38L

Balac&stri 112,

Ballantyne 688,

Barth, A. 66. 98. 256,

Baukunst 763—774.

Beichtfeier 286,

Benary 515.

Benfey, Th. 12, Ii, 44, 83, 169, 348, 519. 521 flg. 102 flg. 753,

Bergaigne, A. 646.

Bergmann, B. 543,

Beschäftigung der Ka- sten 419 flg.

Bestattung 41 flg.

Betrug(der Priester) 148,

Bewaffnung 34,

Bhandarkar 651, 711.

Bhau Dhaji 514, 728,

Bibliothek (Ind.) 10.

Bickell 523,

Birlinger IST,

Bohlen, P. t. 12, 34, 555, 564. M8, 681. 763.

Böhtlingk, 0. 13. 16, IL 564^572,618,630,643, 66L 669 fl?. 708 flg. HL 712, 136,

Bollensen, F. 13,625, 628,

Bopp, Fr. 11. 484. 492. 494. 495. 507.

Boxberger. R. 695 flg.

Boyd, P.

Bradke, P. v. 16, 23, 26. 65. 198. 730.

Brahmanen 146 flg. 411 flg- 416 flg. u. ö.

Brahman. Cultur (Ge- burtsland der) 164 flg.

Brandes. E. 643,

Brandes, G. 0.

Brockhaus, IL 12. 546.

562, 600, 659, Brugmann 23, Brunnhofer, IL 576. Buddha 252 flg. Buddhismm (Quellen z.

Stud. des) 2M8, (cult.-

histor. Bed. dess.) all, Buddhist. Kirche 284 flg. Bühler, G. 16, 111, 172

259. 641. 657. 706.

712, 715. 736 flg. 750, BurgesB 6- 727, 757, 763.' Burnell 6. HL 212,

743 flg. 747. 750. Burnouf, E. 13. 11 10.

322, 511. 694, 695, Busse und Büsserwesen

86, 93, 388—395.

Cantor, M. 119 flg. Cappeller, C. 16, 619,

645. 657. 666, 714. Carey 9. 542, Chabrelie 760, Chambers 770. Chaudrakünta Tarku-

laükära 199, Chapman 765. Chezy 13, 618, Childers. R. 16, Chronologie der alt. Lft

Gesch. 291. Chrysobora (Cyrisobora)

36L

Colcbrooke, IL Th. JL 13, 83. 222, 235, 686.

713, 723, 143, 748— 750.

Concilien (buddh.) 286, 302. 805.

1 Die Sanskrit- Worte und -Namen siehe unten in einem besonderen Index (p. 780 flg.); deagl. die zendischen und die griechischen.

776

Connubium (der Kasten) 421.

Construction der Altaro

I2L

Cowell 15, 186. 646. 684, 112.

Criuiin algesetze 416

418.

Culturverhaltnisse (z. Z.

des RV. i 30 flg. (im

Mitt. 381 flg. Cultus(z.Z.d.YV)91flg.

(altbuddbist.) 28fi flg.

(im Mitt) 378 flg. Cunningham, A. 6. 319.

713, 759, 763 flg. Curtius, E. Ifil flg. Ciist 439,

Dangerfield 7m Daniell, Th. u. W. Tfik Dankgebet, -lied, -opfer 95.

Darius Hystaspis 295. Davics, J. 695. Delbrück, B. 15. 33.186. DemetrioB SQL Deussen, P. 690 flg. Deutschland (verglichen

mit Indien) (L L Dialekte (im Drama) 596. Digesten 747. Dio Chrysostomos 463. Diodotos 306. Dionysos £iva) 860.

364 flg. Dioskureii («— Acvinen)

55.

Donner, 0. 428.

Dorfgemeinden 414.

Drama (Urspr.) 578 flg. 521 flg. (Arten) 593. (allgem. Charakteri- stik) 595 flg. (scen. Apparat) 597; (griech. Einfluss)5S2 flg.; (Vor- hang) 602j (Blüthe- zcit) 6Ö8T^

Dreieinigkeit 353.

Dreigöttersystem 321 flg. 359.

Dtchemshld 24. Duncker, M. 366 u, ö.

Dursch 542. 562. Dutt 215, Dymock, W. 733.

Eberhard von Württem- berg 523.

Edelsteine [3 Ed. am Hof des Vikrama) 604 flg.

Edgren 1AL

Eggeliu$, J. 1& 186.

Eheschliessung 422 flg.

Einheit von Zeit u. Ort (im Drama) 596.

Einsiedlerwesen 85* 93. 384 flg. 387. 610 flg.

Elcphanta (Grotten von) 710,

Elfen (— JJibhu'a) 62. Ellora (Grotten) 268. 769. Entsagung (völlige) 670. Lpos 451 flg. Etymologieen (im YV)

135—137. Eukratides 307. Euthydemoa 306. Ewald, II. 13.

Fabeln 517 flg.

Familienchroniken 715.

Familien verbinde 414,

Familienverhältnisse (z. Z. des RV.) 40, (im Mitt.) 427—434.

Fausböll, V. 16, 280.

Feinde (Stell, zu ihnen im CultuB) 121.

Fclsenbaoten 766- 770.

Fergusson, J. 6.310.315. 606, TM flg. 763 flg.

Fesseln des Varuua 116,

Feuer altäre OL i09.

Feuercultns (in d. ari- schen Zeit) 24.

Feueropfer 98,

Fieber (Beschwörung) 173. 114.

Flüche (der Brahmanen) SSO.

Flüsse (verehrt) 70,

Formeln (unverständ- liche) HL 112.

Forster, G. 8. 9. 612, 618. 619.

Foucaux, Ph. E. 625, 628,

Frank, 0. 13,

Frauen (Stell, den. z. Z. des YV.) 152 flg. (im Mitt.)431-434.677flg.

Frauenraub 429.

Freibauten (der Brah- manen) 770—773 (d. Jaina's) 773.

Fritze, L. 16. 541. 54*. 549.555 619. 625. 628. 643.645. 651.657.681.

Frösche (Lied an d. Fr.) 48.

Frühling (ind.) 560. Führer, A. 236. 751. Furtwaengler, A. 521. Fusskampf 34.

Galanos.D. 542 546. 695. Gandharven 370, Garbe, R. 16. 96, 120.

135, 35a Garrett 695. Gegenzauber 174. 175. Geiger, W. 24. 25. 27.28. Geldner, K. 15, 16 Gemeinde (buddhist)

284 flg. Geometrie 718 flg. Gerhard, W. Ü20, Gerhardt, P. 169. Geschichtswissenschaft

215.

Gewerbe (im RV.) 31^ (im Mitt.) 435 flg.

Gildemeister, J. 13. 554. 56L

Gill 757.

Goethe & 2,

Gold- u, Silberarbeiten

Goldschmidt, P. Iß, 516, Goldschmidt, 8. 16. 516. Goldstücker, Th. 13.659.

HL Gorreaio 509. Götter (im RV.) 45 flg.

(im Mitt.) 821 flg. •Gottesurtheile 750. Govinda DevaSastri 657. Gottesverehrung (z. Z.

des YV.) 94 flg. Graco-buddhistisch Styl

260 flg.

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777

Grammatik (des Sskr.) 8, SL LL 16 (einheimi- sche) IQlflg. (vgl.) IL

Graesmann, IL 15. 83.

Gray, J. 681

Griechiach-baktr. Reich 806.

Griech.-ind. Reich 30L Griffith 514, 757, Grill 657,

Grimm, J. 1ÜL 1IL 619.

GroBsmogulherrschaft

817. Günta, Th. 114,

Haartracht (z. Z. d. RV .)

ÖL

Haas, E. 19L IM flg. Haeberlin 13, Haeser 132, Hall 646, 647. 684. 714 HamÜton 10. 542. Hammerich, M. 620, Handel u. Industrie (i. Z. d.RV >31 (im Mitt.) 435 flg. Hardy, Spence 16, Haug, M. 15. 96. 182.

291. 438. Haughton 745. Hausliche Ceremonieen

196—198. Hausvater« .Stand de«)

203, Heine 6, Heliokks 807. Henotheismus H flg. Herabkunft der Ganga

503 flg. Herakles («=» Vishnu)

36Qflg. Herder 8. 681. Hermaios 308. Hessler, F. 129, IM, Hillebrandt, A. 1& 53, 96, 98, 102, 195, 374. 656. 666, Hirzel, B. 619, 625, 659. Hochzoitabrauchel96flg. Hoefer, A. 13, 503, 514,

547. 562. 625. Holtzmann, Ad. (d. ältere) 13.472. 501.503. 605.

Holtzmann, Ad. (d. jün- gere) 16, 333, 352, 355 flg. 369, 371. 460, Hölle (im Veda) 44; (im

Mitt.) 403. Hopkins, E.W.743— 745. Höppl 620, Hultsch, E. IM, Humboldt, W. v. 12. 694.

695. 700. Husten (Beschwörung)

114, Hüttner 745, Hydaspes (Schlacht am) 297.

Hymnenpoesie (RV.) 31 flg.

Jacobi, H, 16, 254, 259,

444, GOQ. 606. 128, Jagann atha 750, 112, Ideal (d. ved. Inden) 34, Identificiren 127—136. Identificirungssucht 130, Identität (der Seele mit

Brahman) 690 flg. Jlvananda Vidyas&gara

651. 656, 657. Impey 168,

Indopersische Einheits- periode 22 flg. Indoskythen 309 flg. Indra (im RV.) 59—64;

(im Mitt) 360, 368, Industrio 3L 496. 437. Inschriften (des Ac.oka)

802. 443 flg. Johaentgen, F 16, 686,

735. 743. 745. Johann von Capua 523. Jolly, J. 16,41,430,735,

736. 738 flg. 750, 151. Jones, W. 8. 9, 555, 612,

734.745.752, 756,757, Julien, Stan. 522, Jurist. Schulen 749.

Kabir 332 flg. Kaegi, A. 15, HL 2k Kalanos 394, Kaliiah u. Dimnah 523, Kämpfe and Kampfart (z. Z. d. RV.) 34,

Karli (Tempel von) I6L Kashinäth Trimbak Te- lang 655, 656,668, 695, Kastenwesen (z. Z. des RV.) 33, 85i (s. Z. d. TV) 152 flg. (im Mitt) 410—426. Kathenotheismus 12, Keller, 0. 513. Kern, H. 16, 251, 253 flg. 259, 262, 210 flg. 605, 128,

Khosru Anushirvan 521.

523.

Kielhorn, F. 16, 541.710.

11L 113, Kittoe 161. Klein 653,

Klimat Wirkungen (im

Gangeslande) 87. Kluge, F. 65, Knauer, F. ÜL 199, Knighton 165, Königthum (z. Z. d. RV.)

33;(imMitt.)4l8~416. Koeppen,C.87. 252, 379. Korur (Schlacht bei)315, Kosegarten, J. G. L. 13, 541.

Kosmogooisohe Bedeu- tung d. Opfers 139, 140, Kossowitsch 643. Kreutz wald 177. Kriegerisches Wesen (z.

Z.d. RV.) 33 flg. Kriegerstand 418. Kriegswesen L Mitt. 434, Ktesias 320, Kugler, F. 7£3 flg. Kühe s. Rinder. Kuhn, Ad. 15. 68, 175— HL

Kuhn, E. 16. 68, Kuhpockenimpfung 732. Künste (z. Z. d. RV,) 31 flg. (im Mitt.) 152 flg. Kunstgewerbe 437. Kutab od diu 316. Kyros 295,

Lackfarbe 436. Lancereau 542, Langlös 163 flg. Languinais 695.

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778

Lanman, Ch. 16. 83. Lassen. Chr. IQ, IL 12.

296 flg. 304 flg. 313.

334. 348, 542. 578,

580. 591. 694. Leben nach dem Tode

43, 44. Lebensstadien (äcrama)

201 flg. 205. Legenden (d. YV.) 141flg. Lehrzeit (der Knaben)

901—203. Leiden (der Welt) 272 flg. Lenz, R 13. 625, Leopardi 670, Leviratsehe 428. Lichterscheinungen

(Götter der) 54—59. Liebesgedichte 564 flg. Lindner, B.lilfi, 108,

186.

Literaturgesch. (ind.) 16, Lobedanz, E. £19, 625, Loeschcke, G. 521 Loiseleur Deslong-

champs 13. 713, 145 Lorinser 695. Lübke Z63 flg. Lüden» 598. Ludwig, A. 15. 83. Luftraum (Götter des)

59 flg. Lyrik 548 flg. 563 flg.

Maasslosigkeit 448. 449.

im

Mahlen (der Körner z.

Opfer) 103. Mahmud von Ghasna316. Malerei 756. 757. Manencult (z. indopen.

Zeit) 25* (im RV.) 43.

44. (im Mitt) 427. Mannlöwe 839. Märchen und Fabeln

517 flg. Mathematik 717 flg. Mayne, J. D. 750. Mayr, Aurel 750. Medicin 729—733. Meditation (buddh.)288. Mogasthenes320.361flg. Meter, E. 13. 619.

Melken (der Kühe zum Opfer) 99,

MenandroB(Milinda)308.

Mensch (legendär. Ur- sprung) 137.

Menschenliebe (allgem.) 673 flg.

M erse bürg er Spruch 116.

Metra 25. 131.

Meyer, E. H. 371.

Mischel, F. 240.

Misch kästen 422 flg.

Mittelalter (indj 86 flg. 243 flg. 318. 381 flg.

Mohammed Darascha-

koh 239*

Mönchthum 384 flg. Monogamie (z. Z. des

RV.) 40, Monotheismus 72, 79,

80, 8L Moor, E. 760. Moral (des Buddhismus)

280 flg. (im ind. Mitt)

896—400. 673 flg. Morgenröthe 56* 56. Mosaikarbeiten 437. Muir, J. 15. 83, 186.

m* 745. Müller, A. 731 flg. Müller, E. 1& Müller, M. 4, 13, 14. 22.

29, 7L 72. 82. 83. 109,

185. 186.226.235.238.

2ia 257. 27£flg. 29L

810, 313. 815. 542. 654.

555. 564. 604. «i07. 620.

683, 688. 743. Münzen 805 flg. Musik 38. 752 flg.

Nohl 755= Nothfeuer 69.

Odin (=- Vita) 65* Oldenberg, H. 16* 186,

187. 198. 199.238.247.

253, 255. 257, 269.

262 flg. 270flg.277flg.

310, 312. 319. Opfer 91 flg. (Macht u.

Bedeutung d. 0. «. Z.

d. YV.) 187—141; (a.

Z. d.Brahmana'8) 180. Opferlöffel 105. Opferlohn (der Priester)

161. 162* Originalität (der ind.

Lit) L 2, Orissa (Grotten von) 762* Oupnekhat 183, 239. 240.

Nacht (Göttin) 56* (Er- schaffung der) 142.

Nahak-Ceremonie 124.

Nal u. Damajanti483flg.

Nanak 382 flg.

Nasik (Grotten von) 768,

Neus 177.

Neve, F. 655.

Nichtwissen (Wurzel d. Uebels) 274, *

Nisikanta Chattopa- dhy&ya 579,

P&li 16* 288, 289, 443. Pantheismus (Neigung zum P. im RV.) 76. (in den Upanißhad) 212 flg. (im Vedaata) 689 flg. Paria's 423.

Paullinus a St Bartho-

lonieo 760. Peiper 695. Pertsch 116* Peschel, 0. 11L 124. Pessimismus 669. Peterson 542. 657. Philosophie der lader

682 fr. Philosophisches im RV.

81. 82. Pickford, J. 652. Pischel, R. 16, 66. 000. 618.625,629.646,650. 657. 710. 712. 714.71:.. Plastik 757— 7G3. Poesie dos ind. Mittel- alters 571. Poetik 714, Poley, L. 13. Polyandrie 431.468.476. Polygamie 430, Polytheismus (im RV.)

1^ flg. Porös 296. Prakrit 443,

Pmier 293. 294,

Priester (s. Z.d.RV.)33, (z. 2. d. YV.) 92 flg. (Stellung z. d. Opfer- herrn) 148 flg. (Stel- lung z. d. Kriegern) 156 flg. (Begehrlich- keit) 200; (im Mitt.)

ill flg. Prinsep, J. fi. 819. 762. Prosa (älteste indogerm.)

88; (Mangel ders. im

ind. Mitt.) 450. PtolemaioB (Astronom)

72L Putjata 620, Pythagoras 260, 119 flg.

Rabbi Joel 523. RAjendraläla Mitra 15. Ram Raz 163, Rechtsliteratur 734 flg. Regenzeit (ind.) 557. Regnaud, P. 643. 714. 715.

Reinheitevorechriften 404—409.

Religiös-philosoph. An- lage 2* &

Reliquien verehmng 286,

Reulaux 502«

Rhetorik 714.

Rhinoplastik 732,

Rieu, Ch. 13, 712.

Rlgveda (Stud i um u. Aus- gaben) 14, 15, 82. 83. (Zeit u. Ort der Ent- stehung) 28; (Cultur- verhaltnisse z. Z. des RV.) 30 flg.; (Charak- teristik) 4 5 flg.

Rinder (Cultus den. in d. indopers. Zeit) 25 ; (Wichtigkeit z. Z. d. RV.) 3L

Ritter. C. 765,

Ritual 95 flg.

Rodet, L. 723,

Roer, E. 14, 83. 688,

Roger, Abrah. 681,

fltomantiker ti.

Rosen, F. 13. 82.

Rosenkranz, E. 659.

Roth, R. 14. 16, IL 22,

779

23. 29, 42. 4L 83.

172, 183, 439, iS

705, 730, 733. Roxbourgh 30. Rückert, F. 12. 484. 572.

581 flg. 620,

Sakuntala 8, (8. den Sanskrit -Index s. v. Qakuntala).

Sallet, A. v. 305 flg. 761.

Salsette (Grotten von- 768,

Sanchi (Tope von) 759. 265.

Sandrakottos 299,

Sanskrit 442,

Sanskritstudien 10 flg. 13 flg.

Säulen d. Acoka 759. 763,

Scenischer Apparat (im Drama) 697.

Schack, A. F. v. 496, 51L 515.

Schaalen (für d. Opfer- kuchen) 102.

Schamanismus (im Cul- tus) 11L 118.

Schauspiele (volksmas- sige, in Bengalen) 579.

Schelling 240,

Schicksal (Brahma als 8.) 355, (Vorstellung vom) 678,

Schiefher 392,

Schiller 612,

Schlacht (die grosse) 470 flg.

Schlagintweit, E. 316. 425, 426. 250, 765 flg.

Schlangengötter 9L 37L

Schlegel, A. W. t. 10. 484.509. 542.694.735.

Schlegel, F. 10. 491 507. 695,

Schlüter, W. 177.

Schnaase 757 flg. 763 flg.

Schönberg, J. 16, 542,

Schopenhauer 239, 240, 670.

Schrift 487—442. Schroeder, L. t. 89. Schütz, K. 13. 514. 515, 555,

Schwab, J. 16. 96, Schwachsinnige (Schreibweise ders.)

lia— Iis

Seelen Wanderung 85. 93, 245 flg. 400—403.

Segen (Beschwörungen) HO flg. 175 flg.

Selbstlosigkeit 673,

Selbstwahl 429.

Seleukos 300,

Selfgovemment 414,

Seligkeit (n. d. Tode^ 43,

Seligmann 732.

Senart, E. 16. 261 flg.

Sexuelle Verhaltnisse (im YV.) 160.

Shankar P. Pandlt 514,

625, 628, Sindbad 54L Sinnenzügelung 86, Sintflutt Sage 189. 888.

482 flg. Skylax 295, 319,

Socin 528.

Solf, W. 562,

Somacultus (in d. indo- pers. Zeit) 24,

Somaopfer 9L 108.

Sommer (Schilderung d. ind.) 555.

Sonnerat 424. 755. 760.

Sourindro Mob un Tagore 756,

Speisegesetze 406 408. Spielerlied 39 flg. 48. Sprache (im Mitt.) 442— 444.

Sprachforschung (ind.)

701 flg. (vgl.) IL Sprüche (ind.) 18. 398.

667 flg. Standische Verhältnisse

(i. Z. d. YV.) 152 flg.

(Z. d. Brahmana) 200]

(im Mitt.) 410 flg. Stenzler, A. F. 18. 198,

199. 514, 555, 643,

736. 746, 148, 750. Stevenson 169. Strehly 65L Sturm (Götter desselb.)

64 flg.

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780 -

Sühnopfer 95, SündenbewuB8t8ein 95. Symbolisiren 127 flg. Symeon Seth 523,

Tacitus 32.

Tan* (i. Z. d. RV.) 38, Taranatha Tarkayacas-

pati 514. 54L 656, Tawney, C. IL 628. Tempelbauten 86, (der

Brahman<p)770~778 ;

(der Jaina's) 773. Terminologie der Ind.

Gramm. 708 flg. Theologie(d.YV.)126flg. Thibaut, G. HL 1Q£ 719. Thieropfer 9L Thomas, E. & Timor 316. Todtenmahle 428. Tonarten 754. Tope's 764—766. Trendelenburg 733, Trithen 65L £52, Troyer THl Trumpp 382. Tugendlehren 672, 674.

697 flg. Tnllberg, 0. F. 628. TiUinameh 546, Tyr 22.

Ueberliefernug (münd- liche Ueberl. der heil. Texte) 438,

Uhie, H, 54&

Umfang der ind. Lit. 4.

Umstreuung der Feuer mit Grasern 101.

Unsterblichkeit (z. Z. d. RV.) 43, 44.

Upanishaden 180, 191, 192. 212 flg.

Urzeit (indogerm. - 2L

Varnhagen, iL 541. Veden (Studium ders.)

IS flg.

Verbrennung (der Lei- chen b. Z. d. RV.) 4L 42,

Vergänglichkeit des Ir- dischen 669, 672.

Verkörperungen des Vi- ahnu 329 flg.

Verlobung 196,

Viehzucht 3L

Viveka Kalanidhi 651.

Volksversammlung (zur Zeit des RV.) 33.

Völlers 129,

Wagener, A. 518. Wahrheiten (d. 4 heil.

Wahrh.) 26L 212. Waldeinsiedler 203 flg. Waldfrau 10. Wallfahrten 387. Waffsersucht (Gebet um

Befreiung v. den.) 53* Weber, A. 14, 16, 44. 89,

96. 108. 168. 170.172.

182 flg. 186. 194, 12k

197. 518.575.597.604.

626. 628. 684.711.713.

727. 728. 737. Weberei 437. Wehklage des Brah-

manen 494, Weltalter 448. Welthüter 368 flg. Weltliche Lieder im RV.

48, 49, Weltschmerz 274.. 670

Anm. Werbung 196, West, R. 750. Westergaard, N. L. 13.

Whitney, W. D. 14, 16, 172. 186.292.727.742

Wiedersterben 246. Wilkins, Ch. 2, 8. 542. 694.

Williams, Monier 735. Wilmans, O. 656, Wilson, H, H. 9, 10, 611*

554, 579. 643. 64&

651. 655, 656. 657.

665. 113, 765, Wind (Götter des W.)

64 flg. Windisch, E. 16, 598 flg. Windischmann 13. 24,

689.

Winter (Schilderung

dess.) 559. Wise, Dr. 133, Wissen (theolog.) 14L Wittkowsky 620, Wittwenverbrennung

40, 432—434. Wolzogen 620. Wörterbuch (Sanskrit-)

16, IL Wunder- und Märchen-

drama 610. Würfelspiel 38 rig.

Yuel-tschi 309.

Zachariae, Th. 16, 114. Zahlentheorie 725. Zehnkönigsschlacht

34 flg. Zeitalter des Kalidasa

604 flg. Ziflersvatem Hl flg. Zimmer, II . 15, 16,24.80«

31, 32, 37, 40. 65, £3, Zio 22,

Zoroaster 22. 26. Zwecke d. Opfere 118 flg. Zweifel (an Indra's Exi- stenz EL

SANSKRIT-INDEX.

Amca 21. 53. 54, Agnidti 108. 109. Anga 167,

Agni 68, 69, 14, IL Agnihotra 98. 100, Ajätacatm 208, 292,

28, 130, 135, 143, Agnidh 98, Atri 45, 55,

315, Agnyadhuna 97 Atharvan 24, 25. 68.

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- 781

Atharvaveda 14, 170 flg.

(AV. Uparishad) 19L Atharvaugimsas 171. Aditi 53. 102. Adhvaryu 88, 86, Anaöga 877. Anuahtubh 25. 3L Aparärka 749. Apsaraa OL 320 flg. Amara713; -koca 9,713. Amaru u. -cataka568flg. Amravatl (Tope von) 260, Aranyani 70, Arjuna 189, 491—494. Aryaman 22. 5iL 54, AvatAra's (des Vishnu)

329 flg. Acoka (König) 301 flg.

759. 763. A?vaka (Volk) äüö. A(jvattha 69, 136. Ac.vin 54, 55. Asikni 29. Asura 23. 26. 90, Ahl 59,

Ahura-Varüna 65,

Akhyana 452,

Atman 217 flg. 226 flg.

Atman - Brahman 249.

258. Atreya 45.

Aditya23.27.53.54 134. Ananda 2S5T Apaatamba (Cr. $A Ü>5,

(Dharm. S.) 736, Ayurveda 729. Aranyaka 180 flg. 203, Aranyagana 16t. Anini IM. 187. Arya 30,

Aryabhata 723, 72L Acrama 201 flg. 205. Acvalayana (gr. SJ 195,

(Grih. 8.) 198. Asuri 190, Ahavaniya 97,

Ida 78.

Itihasa 452,

Indra 26. 59—64. 73, 74.

75, 18, 36a 368 flg. Indra- Agni 78. 142

Indradatta 293, Indraprastha 165. 468, Indra -Varuna 36, 63,

Gl 18,

im im

'Icopanishad 2M, 'Icvara 349, *Ic.vara Krishna 686.

Ukha 108, 112, Utkara (Schutthaufen) 104.

Uttararamacarita 595.

648, 652 flg. Udgätar 16L Upanishad 18. 180, 19 L

192, 212 flg. Upali 286.

Urva$l 190.610.620.625.

U^lnara 496, Ushas 55, 56,

Rigveda (Studium und Ausgaben dess.) 14 UL 82, 83. (Zeit und Ort der Entstehung) 28 30. (Culturver- haltnisse 2. Z. d. RYJ 30 flg. (Charakteristik. Eintheilung, Verfas- se Entstehungszeit u.a.) 45 flg. (Samm- lung u. Redaction) 4iL (weltliche Lieder) 48, (Götterwelt des RV.) 49 flg.

Ritusarnhara L 9. 12, 555 flg.

Ribhu 62,

Kishi 45,

om 110,

Aitareya - Aranyaka 183; -Upanishad 183_i -Brahmana 18L 182.

Aindra-Qrammatik 712.

AiravaU 310,

Katha 89, 1£5, 184, Kanada 682, 688, Kanva, Kanviden 45,

Kathasaritsägara 543. 546.

Kanishka Kanerki)

309 flg. Kapila 682. 684, Kapilavastu 262. Kapishthala 165. Kapishthala - Samhitä

89,

Karpüra aiijari 657.

Karman ^Lekre vom^SO. Karmamimämsa 689. Kalki 339.

Kalpa-Sutra 18L 193 flg. Kavi 28. KavirAja 516.

Käthaka 89, HL Käthaka-Upanisha<L191.

235 flg. -Grihyasütra

198,

Kätyayana (Grammati- ker) 711.

Katyayana's Qr. Sütra 90. 195,

Kadarabari 547.

Kama 82. 316.

Kamptla, Kampilya 164

Kurttikeya 316,

Kftläcuka 293.

Kälidäsa 3LL £lLL 516, 548 flg. 655. ^Zeitalter) 604 flg. (allgem. Cha- rakter.) 610 flg.

Kavya 452, 514 flg.

Kavyaprakaca 714.

Kavyudarra 714

Kac.i 16

Kacika 112,

Kayyapa 287.

Kiinnara 310. 313, Kiratarjuniya 515. Kunala 282. Kuntl 466.

Kubera,Kuvcra368.;i25 Kubha 29,

Kumarasambhava 514. Kuyava 60.

Kurukshotral64flgl83.

18L

Kimi-Pancala 164 flg.

182. 187. Kullfika 148, Kuca-Gras 99,

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Krishna 329, 331 flg.

468 flg. Krishnapura lfifL Krishna Migra 659. Kena-Upanisbad 184. Eosala 167. KailÄBa (Tempel) 169. Kautsa IM, KaucAmbi 166. Kaucika (Grih. S.) 199, Kauahitaki - Arany aka

188. -Upanishad 183.

233 flg. -Brahmana

182. Krumu 29. Kshatra 152, Kabatriya 418, 413» KihitlcavamcAvalicarita

716,

Kshemendra oder Ksbe-

mlcvara 657. Khema 279.

Gafiga 29, 30, Ganega 375. Gandbarva 310. Gatha 22, 25. Gana 168.

Gandharvaveda 756, Gayatrl (Metrum) 25.37.

(— RV. 3, 62, 10) 6L

58.

Gargi Vacaknavl 208. Gargya 703. Garhapatya (Agni) 91. Girica, Giri$anta 344flg. 849.

Gitagovinda 11. 12.578.

681—690. Gupta (Dynastie) 312 flg. GritBamada 45. Grihastha 203, Grihyasutra 181. 194 flg. Gotama.682. 688. Gopatha-Brahmana 190, Gobhila (Griby. 8.) 192. Gomatt 29. Govindaräja 747. Gaudapäda 686. Gautamal90.263.736flg. Gramageyagana 168. Gbatakarpara 562.

Caturhotaras 141.

Candakau$ika 667.

Candragupta 299 flg.

Candrabhäga 29.

Caraka ( ved . Schule) 188. (Medicin. Autorität) TM flg.

Can(}ala 423.

Carana 313,

Carvaka 661 flg. 694,

Caitanya 382 flg.

Caurapancägika 562,

Chandogya- Upanishad 184. 226 flg. -Brah- mana 184.

Jagannätba 750, 712, Janaka 187—189. 208,

209 flg. Janamejaya 164. 187.

189.

Janardana 326 flg.

Jaya-Fonneln 115, 138,

Jayadeva (Verf. d. Glta- goy.) 527 flg. (Drama- tiker) 658,

Jätaka 287,

Jaina 269.

Jaimini 682, 689,

Takman 173 flg. Takshacila 29iL tapas 82,

Talavakara-Upan. 184, Tancjya-Brahraana 183. Tanünaptra - Ceremonio

108, 152, Taranatha 392, Tirtha 387, Tritsu 35.

Täittirlya 165. -Aran- yaka 184, 185, -Brah- mana 184. 185, -Sara- hita 89,

To<jarananda 750,

Trita (Aptya) 24.

Tripitaka 287,

Trimürti 359,

Trishtubh 25. 37,

Daksha 27. 53. 54. Dakshina 161 162, Dakshinägni 9L Dancjin' 547. 629, 714.

Darbha-Gras 101. Dar^apürnamäsa 98 flg. Dalapati 749. Dacakumaracarita 547. Dasyu 30.

Dakshayana Familie

107. ' Dänu, Dänava 60. Damodara Micra 657. Diksha 108, Durga 349. Drishadvati 84. 164. Deva26 27. 90.136. 137. Drahyäyana (Qr. S.) 195, Draupad! 495. Dyaus 22. 23 49, 74. 77. Dhanananda 293. Dhanyantari 730. Dhammapada 273. 282,

287.

Dharmacastra 738—747. Dhannasütra 194. 199. 236.

Dhatupatha 713 flg. DEavaka 646.

Nanda 293. Nandapandita 749. Nandanacarya 748. Nannada (Nerbudda)

165.

Nala LL 12. 483 flg. Nalodaya 515. Nalopäkhyana 483-486. Nagananda 644, 645. Nataka 593. Natyacastra 714. NIradasmriti 746, Narayana (Gott) 32L

(Jurist) 748, Nighantayas (Naighan-

tuka)' 703 flg. 713. Nifukta 14, 704 flg. Nirgrantha (Secte) 259, Nirväna 276 flg. Nlticataka 667 flg. Naishadhlya 515, Nyaya-System 682. 688.

Pancätantra 518, 521 flg. Mittheil, aus dems,) 526 flg. (Ausgaben) 541, (Sprüche) 668 flg.

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PaÄcavimca-Br. 183.. Pancahoiaras 112, PancAla IM flg. PataSjali 682, 687, OL PadapA^ha 703, Parikshit 164, 474. Paridhi-Hölzer 106, Parjanya 66. 67. Parjanya-VAta 78, Paryagni - Ceremonie 104,

Pagupati (Beiname Ru- dra's) im 344 flg.

PAnini £ Iii 707—711.

PAntfu WL 189. 466 flg.

PAn<Jva-Reich 363.

Paraakara(Qriby.S.)199.

Pirvati 349.

Purana 452. 609 flg.

Poxushasükta 214 flg.

Purüravas 190.

Pu roh iU 33,

Püsban 58, 73, 77,

PrithWl 14,

Paurava 296.

PAulicaaiddhanta 726,

PracandapAndava 657.

PrajApati 8i.' 9L 134. 139. 140, 144, 213.

Prabodhacandrodaya 669—666.

Prasannaräghava 658.

PriyadarcikA 644.

Baka 494, Barbis 25. Bali 326,

BAna 541. 646. 716, BAdarAyana 682, 689, BAlabhArata 657. BAlarAmAyana 657. BAlaki GArgya 208, BimbisAra 268, 292. Bilhana 562, 716, Buddha 18. 252 flg. 261

flg. 290. Buddhagaya 759. BribateamhitA 728, Bribad - Aranyaka 190,

207, 208.* 209, 220,

222 flg. 228 flg. Brihaspati 10. 71. BAudhAyana (Qr. S.) 195,

(Dharmacastra) 73G,

783

Brahmagupta 723, 728.

Brahmacarin 201, 202,

Brahmanaspati 70, 71.

Brahman (neutr., das) 91, 152. 217 flg.

Brahman (masc, Prie- ster) 98. 100 flg. HL 172.

Brahmamlmamsa 689. Brahmarshi 166. Brahmateda 17L 172, BrahmA 17, 244 flg. 322,

354 flg. Brahm&varta 166, BrAhmana 152, 179 flg.

183,

Bhaga 27. 53. 54, 65,

BhagavadgltA 8, 10. 12, 836. 694—700.

Bbatta NarAyana 657.

Bhattikavya 514. 515,

Bhattotpala 728.

Bharata (Volk) 35, 166,

Bharata (N. pr. myth. Schöpfer deB Dramas) 578. 591. (Rhetoriker) 714. (Musiktheoreti- ker) 756,

Bharadvaja 45. 195,

Bharbut 759,

Bhartrihari 12, 398. 563! flg. 667 flg. 681.

Bhava 344 flg.

Bhavabhüti 608. 647.

Bharatl 78.

Bhäravi 515.

BhAlambhattatikA 749,

Bhaskara Äcarya 723. 725, 728.

Bhikshu (brahman.) 204, (buddbist.) 269, 285.

Bhlsbma 465 flg.

Bhürja-Ms. 172.

bhür bhuvah svah 100. 11L 112.

Bhrigu HL

Bhoja (König) 658,

Magadha 167. 294. Matöva 165. MathurA 166, Madhyadeca 163, Mandala (des RV.) 45.

Manu 9. 166. 734 flg. 740 flg.

ManubhAshya 747,

Marut 65, 66,

Macaka (Cr. £y 195,

Mahädeva 344,

Mahanätaka 658.

Mahabhärata 452 flg. 459 flg. (universaler Charakter) 453 flg. (erste Abfassung) 461. (Umgestaltung) 462 flg. (Umfang) 463, (In- halt) 465— 475. (histor. Umstände, die der Fa- bel zu Grunde liegen) 476 flg. (Vermuthung über die Umgestal- tung) 479 flg. (Aus- gaben) 497. (Sprüche) 668 flg.

MababhAshya 711.

Mahärashtri 444,

Mahä v iracarita 648. 651,

Mahendra 301.

MAgha u. -kÄvya 515.

Mänava (Schule) 11L 741.

Manava-Grihy. S. 198. 742.. -fr. 8. 194, 195, -Dharmacastra 111. 166. TM flg. 740— 745. -Dharmasütra 74L

MAra 265,

MAlatlmAdhavall. 648-

651.

Malavikagnimitra 610.

626—628. MAlukya 278.

Mitäksharä £48, Mitra 23. 27. 53. 54. 58,

74. 15, 131. 143. Mitra- Vamp a 78. Milinda 3«»0 MlmamsA Gb2. 688 flg.

Mudr&rAkshasa 655 flg. MricchakatikÄ 12« 599 flg. 629 flg.

Meghadnta548flg. (Aus- gaben) 554. MedhAtithi 74L Mohamudgara 668 flg.

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- 784

Maitrayantya 11L 165, Maitravani Sambita 89.

hl 202.

Maitreya 339. Maurya 299 306.

Yaksha 325,

Yakshma 113,

Yajamäna 98, 148 flg.

Yajurveda Ii. (Periode des) 84 flg. (Schulen dess ) 89 flg. (Ver- gleich mit dem RV ) 90 flg. (Geist u. Inhalt d. Y.) 92. (Ursprungs- land) 163 flg. (der schwarze Y.) IM (der woisse Y.) 185.

Yama 24. 43. 142. 3G8. 824.

Yaml 24. 142.

Yamuna 29, 84.

Yavanika 602,

Yajnavalkiyakanda 188.

Yaifiavalkya 182 flg. 208 flg. 228 flg. (Gesetz- buch des Y.) 245 flg.

Yatra 529,

Yaska 204 flg.

Yoga -System 682. 687.

ßakshas, Rakshasa 102, 378.

Raghunandana 748.

Raghuvamfa 614.

Ratnavali 628. 644 flg.

Ragavibodha u. a. mu- ßikal. Werke 256.

Raghavapändaviya 616.

Rajagriba 162, 266.

Rajatarangint 715..

Rajanya 152.

Rajayakshma 123,

Raja^ekhara 657.

Rama 329. 333 flg. 491 flg. 661 flg.

Ramäyana 10. 452 flg. (Inhalt) 492 flg. (Epi- soden) 603 flg. (Aus- gaben) 609.

Ravana 336. 328,

Rudra 66, 23. 341 flg.

Budrata 715.

Romakasiddhanta 222.

Rauhina 60. Lakshml 34t). Latyäyana (Cr. SJ 196. Lokapala 368 flg. Läugäkshi 195.

Vararuci 212. Varahamihira 605. 228. Varuna 22. 23, 2L 3L

49-53. 23. 24. 142.

368. 321. (Hymnen

an V.) 6Q flg. Vala 6a

Yasishtha 3L 35 flg. 45.

52 flg. 34£ 389, Vasishtha's Dharmasu-

tra 738. 242. Vajasaneyi-Samhita 89.

165. 185. Vata Gl 65. Vanaprastha 203» Vämadeva 45. Vamana 214. Vayu 64. 65. 143. 375. Yarttika 711. Valakhilya-Hymnen 45. Valmiki 454. Vashkaia-Up. 234, Väsayadatta 542, V as 18 h t had h a r raa £ a s tr a

236/ Vasudeva 32L Vastoshpati 70. Vikrama 314 flg. Vikraniorvagi 620. Vijuäne^vara 748. Vitasta 29.

Yidegha Mathava 189, Yideha 167. Viddhacalabhaiijika657. Vidyadhara 373. Vindusara 300, Vipac. 29, 35 flg. Vibhidaka 39, Vimala Sah 223, vic. 32,

Vic&khadatta 608. 655. Vi? vakarman 19.80, 269, Vicvamitra 35. 45, 61

389. 502 flg. Vic>ecvarabhat(a 749. Vishnu 58. 5IL 74, 22.

91^ 130. 324 flg. 358, Vishnusmriti 236. 238,

Vlna 255, Vritra 59 flg. Ventsambara 657. Vetalapancav im^ati 543. Veda 9. 13, 46 flg. Yedi 97. 104. Vedanta 191. 239. 682.

689—694. Vopadeva 13, 212, Yaikhanasasütra 195. Yaijayantl 749. Vaitana-Sutra 120. 196. Vairagyacataka 668, Vaiceshika-System

68L

Vaicja 162 flg. 419. Yyasa 454 flg. 465 flg.

473. 477. Vratyastoxnab 184.

Cam kara (B. d.Qa 344.

(oer. Philosoph^ 689, Caka 309 flg. fakuntala (Saknntala,

Sakontala) 8. 9. 496,

BIO. 613- 620. Qatapatha - Brahmana

90, 186—190. Cami 69, (Jambara 60. Carva 344 flg. Cakatayana 206. Cäkal'ya 203. Cakya 263,

fankhayana ($r. 8.) 195. (Grihy. S.) m (Brih- mana) lfiL 182. andüya 1SL änti^ataka 668 flg. Cäriraka-Mimamsa 689. Civa 9L 341 flg. 35L ^irupalavadha 516. Clladitya Harsha 315. Cukasaptati 543. 545 flg. yuüga (Dynssüe) 305. Cutudrl 29. 35 flg. ('unah«;epa 182, Cunahcepa Xjigarti 50, Culvasutra 218 flg. Cushna 60.

£udra 152 flg. 419 flg. Cüdraka £ÜL 629. £ürasena 166, Culapani 249,

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785

Oringaratilaka 567. Criflgaracataka 564. Cauraseni 444. Cr! 340,

Qrlbarsha oder -deva

fiOS, S28, 644. 646, Crautasütra 1SL 193 flg. Cloka 450, 506.

ähadviipca- Brahmaija

184.

Samnyasin 204. Samgitakauinudi u. a.

musik. Werke 756 flg. Sapta^ataka 575. Samudragupta 813. Saraavati (Fluss) IB. 81

164. (Göttin) 352, Savitar 52. 24, 21, Samkb vakarika 686. S&Dikhya- Lehre 25L

682. m flg. Samaveda 14. 1&L 183. Samidheni-Verse 1ÖL Sayana 4L

S&vitrl Gayatrl) 5L

58. (Nom. pr. einer Frau) 186 -490.

Säuityadarpana 572 714.

Simhasanadvätrim^ati 543. 546.

Siddha 323,

Siddhunta 726 flg.

Sindhu 22,

Sita (Ackerfurche) 30.

(N.pr.imRam.)499flg

652 flg. Sudäs 85 flg. Sun da u. Upasunda 494. Subandhu 547. Suvastu 29, Sucruta 229 flg. Sutra 18L 193 flg. Surya 57. 77. 375. Süryasiddhanta 727, Setubandha 516. Sorna u. -Opfer 24. 62.

63, 20, II. 73. 74 97,

108. 375. Somadeva 540. Soma-Pübhan 7& -Ru-

dra 23,

Skanda 376. Skandagupta 313. Stupa 293, Sthali 22.

Smärtasutra 123 flg. Smriti-Lit. 746 svadha 82, svataa IUI

Hannmannataka 658 Hara 350. Hari 226 flg. Hari-Rudra 352. Haris-Opfer HL Hala 525,

Hastinapura 165. 465 flg. Uidimba 494. Hitopadeca 8—11. 542,

m. flg.-

Hiranyake<jin (r. S.)

ifift.

Hemacandra 13. 112. Hemadri 749. Hotar 28 Hotra 2& Uorac&stra 728.

ZEND-INDEX.

airya 30, Amoretat 2L Amesha cpenta 23. 27. Aiha vahista 26, 22, Ahura Mazda 23. 26. 27. .Uhrawa 24. Athwya 24.

Ifidra oder Andra 26. 59, ücij 28, Kavi 20,

Kshathra vairya 27. Gatba 22, 25, Zarathustra 22. 26, 22. Thraö täoua, Thrita 24. Daöva 26. 22. dahyu 30. Fravashi 25. Bagha 52. bare^man 25, Mithra 23, 24.

yazata, ya$na 25. Vima, Yimak 24, Vishtaspa Vlvanhvao Vohu mano 27. Cpenta ärmaiti 27. Haoma 24 Haurvat 2L

GRIECHISCHER INDEX.

ÄxeotvtjQ 29. uvayvwQiOfioq 600. Biödonyg 29* Btnaaig 29, yMdaöwq 29, Zaqa6(>oq 20, ZtVQ TlUTtjQ 22, 65. "HXios 51.

7/oJc 55, yIv66q 22, Kigßeoo; 44. KXeiooßoQu 361. Küxptjv 29. Me&opd 361. Ofyavoc: 23, 49, üavMn äüL 363.

i>O'()«(>0</ 'ry^ 29,

2Toaoros 22, TÜQxaQoq 4A_ 'Fdaowi^ 22, vAo/fcoi 204, 393, "r>aa/c 22.

Schräder, Indiens LH. u_ Galt. 50

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Berichtigung.

p. 745 Anra. 4 füge hinzu: Bühle« Uebereetzung des Manu in den Sacred Books of tbe Eatt Vol. XXV (The Lawt of Mann, translated with Extracto from teven Commentarioa).

Bochdruckerei in holprig.

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uigitiz

CjOoqIc

MAY 1 1 1937

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