Sämtliche poetischen

Werke: -3. Bd. Der rasende Roland

Lodovico Ariosto, Alfons Kissner

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LUDOVICO ARIOSTO

SÄMTLICHE

POETISCHEN WERKE

ERSTER BAND

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LüDovico Ariosto

Sämtliche Poetischen werke

ÜBERTRAGEN VON

ALFONS KISSNER

ERSTER BAND

D £ R

Rasende Roland

Erstbii bis vierzehnter Gbsang

BERLIN

IM propylAen-verlag

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ALLE RECHTE V0RBP:HALTEN COPYRIGHT 1922 BY F KO P Y E X VE K L AG G. IL B. H. IN DKRLIN EINBAND UNO SATZANORDNUNG VON HUGO STEINER-PRAG DRUCK DIR 8PAHBR8CHBN BUCHDRUCKBRBI IN LBIPZIG

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11U-

I Vorbemerloing des Übersetzers IX

Vorbemerkung zur zweiten Auflage des „Rasenden Roland", zugleich zum ersten deutschen Gesamt-

Ariost XV

Einleitung XXVII

Geschlechtstafel des Hauses Ariosto . , , ._ CLXll

Geschlechtstafel Karls des Großen und seiner Paladine CLXII

Inhalt der Gesänge CLVII

Erster bis vierzehnter Gesang:

I I 21

II 22 41

III 42—61

IV 62—^0

V 81—104

VI 105—125

VII 126—146

VIII 147— i6q

IX 170— IQ3

X IQ4 222

XI 223—243

XII 244 267

XIII 268—288

XIV 28Q 322

Anmerkungen 323 342

VORBEMERKUNG DES ÜBERSETZERS

... wenn tief in der Nacht darch dämmernde Wipfel

der Mond scheint

Und, vom Zuge berührt, dttert die Flamme des Herds, Sei Arioet mir ge^fOßt, der Poet twwtfarliigerMftrcheiil. .

Geibel

Wir haben aus dem Jahre 1507 den Brief einer ita- lienischen Fürstin, der für die Literaturgeschichte von Bedeutung geworden ist. Die von Jacob Burckhardt als „unerschütterHch ruhige, im Beobachten schalkhafte und liebenswürdige, zur Unterstützung jeder künstlerischen Bestrebung bereite und das Grofie wahrhaft bewundernde Frau'* gefeierte Isabella von Este, Gemahlin des Ifarchese Gian Francesco Gonzaga von Ifantua, dankt darin ihrem Bruder, dem Herzog Alfons I. von Ferrara, für seinen Glückwunsch zu ihrer Entbindung von einem Sohne (dem nachher so berühmt gewurdenen Ferrante Gonzaga). ,,Ganz besonders danke ich," fügt die Marchesana hinzu, ,,daß Ihr mir als Boten Messer Ludovico gesandt habt; denn abgesehen davon, daß er mir als \^ertreter Eurer Herrlichkeit willkommen war, hat er auch durch sich selbst mir hohe Befriedigung gewährt und durch Bericht über das Werk, an dem er schafft, mich diese zwei Tage nicht nur ohne Müdigkeit, sondern mit großem Vergnügen verbringen lassen.**

Das Werk, dessen Plan Ludovico Ariosto der Mantuaner- Fürstin entwickelte, war der „Orlando furioso", und jene beiläufige Bemerkung der Marchesana ist der erste Beleg

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X VORBEMERKUNG DES ÜBERSETZERS

für das Vorhandensein einiger GesSnge man wdB nicht, wie vieler des unsterbfichen Gedichtes. Die Schreiberin ahnte nicht» daß nenn Jahre später die vollendete Dichtung einen allgemeinen Sturm des Entzückens hervorrufen, dafi ganz Italien dem Verfesser zujubdn und ihn als den h(}chsten Dichtergenius der Nation mit dem Beinamen des Gdttlichen begrüßen sollte.

Seitdem hat der Ruhm Ariosts nichts von seinem Glänze verloren. Noch heute ist es unbestritten, daß wir im

Rasenden Roland", der einen Goethe zu begeisterter Be- wunderung hinriß, das poetische Meisterwerk der gesamten großen Renaissanceperiode zu erkennen haben. Ob der Dichter ernste Töne anschlägt imd, \vie es zuweilen ge- schieht, zum Pathetischen sich erhebt oder ob er was er bei weitem vorzieht im behaglichen PJauderton, ein Lächeln auf den Lippen, erzählt, köstlich in seiner leisen Ironie und schalkhaften Anmut, hier und da Leuchtkugeln des Witzes emporschickend oder die Schellenkappe des Humors eines gar prächtigen Humors schüttelnd, ob er die altromantische Wundemvelt aufbaut, innerhalb der gegebenen phantastischen Bedingungen stets durch Folgerichtigkeit und einen wahlhaft modernen Wfarklich- kdtssmn uns überraschend immer ist er voll Leben, frisch und anziehend. Ganz besonders hoch werden wir Neueren es ihm anrechnen, daß er, streng künstlerisch schaffend, durch fein abgewogene Gestaltung des einzel- nen Vorwurfs den ästhetischen Sinn zu ergötzen weiß. Das gilt auch von jenen Stellen, wo Ariost in besonders übermütiger Laune mit dem Ton der verwegensten Fa- bhaux wetteifert und fast die Grenze des Erlaubten über- schreitet. Des Dichters vollendete Kunst weiß auch den heikelsten Stoff zu adeln.

Wenn der „Rasende Roland" nun gegenwärtig gewisser- ma6en das vierhundertjährige Jubiläum seines Daseins*

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Vorbemerkung des Übersetzers xi

beginnes feiert, werden wir Deutsche als GratidanteD nicht snrückbleiben dOrfen. I^d mit wdcher besseren Festgabe könnten wir erscheinen als mit dem Kunstwerk selbst in deutscher Fassung ? Zumal da gerade auch die fünf Lustra abgelaufen sind, die wie es scheint immer einer neuen Rolandübersetzung die Wege bahnen müssen. So gab uns das verflossene Jahrhundert in seinem Lauf vier Übertragungen des ..Furioso": zwei in seiner ersten Hälfte, die von Gries und die von Streckfuß. Im Jahre 1855 erschien der „Roland" von Hermann Kurz. Der liebens- würdige Dichter, dem wir so reizvolle Übertragungen ver- danken, war bei seiner Arbeit vom Verleger zu übermäßi- ger Hast gedrängt worden, so daß sein Werk die Voll- endnng nicht eneichte, die er ihm wohl sonst gegeben hätte. In der Frachtansgabe mit den herrlichen lUnstra- tionen Dor^ bot nns daran! Fänl Heyse eine verbesserte Gestalt der von seinem allzufrüh geschiedenen Freunde lunterlassenen Nachdichtung. Den Beschlnfi machte 1882 der geniale Otto Gildemeister, der, wenn man gleich gegen manches Einwendungen erheben kann, seinen Rnhm auch auf dem neuen Gebiete behauptet hat.

Bei aller Anerkennung dieser Leistungen bedeutender Übersetzer dürfen wir uns nicht verhehlen, daß dem großen Ferraresen voll gerecht zu werden noch weiterhin versucht werden muß. Die neue Zeit bringt neue Anforderimgen auch für den Nachdichter fremder Geisteswerke. Früher nahm man unreine Reime ruhig hin ; jetzt stören sie uns. In der Schule Platens imd Geibels sind wir empfindhcher geworden, anspruchsvoller auch in bezug auf die uns gebotene Form. Während Kurz und Gildemeister nicht die einheitliche Stanze, sondern nach dem Vorbild Lord Byrons, der für seine Zwecke eine saloppe Form branchte, beliebig wechsebide, für den Übersetzer freilich viel be- quemere, Varianten derselben angewendet haben, werden

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XII VORBEMERKUNG DES ÜBERSETZERS

wir das jetzt nicht mehr gutheißen. Wer etwas vom Reiz italienischer Oktaven deutsche Leser fühlen lassen will, darf sich von der einheitlichen geschlossenen Form nicht entfernen. Dem Bedürfnis nach Abwechslung genügt der festgelegte dreifache Reim (b— d—f). Die Melodie der Stanze verklingt, wenn die Versausgänge durcheinander geworfen werden. ,,Wenn ich die Endverse der Stanze stumpf finde, so habe ich das Gefühl, wie wenn einer königlich gekleideten Frauengestalt die Schleppe abgetreten würde," ist das Wort eines Kenners, das zu Recht besteht. Daß wir uns auf gleichbewegten Wellen des Rh3rthma8 wi^en müssen, hat auch Goethe wohl gewußt: er ge- braucht ausschließlich („Zueignung**, ,,Die Geheinuusse") die einhdtliche Form. Gries suchte ihm zu folgen, ver- mochte aber die Einheitlichkeit nicht durchzufuhren. In einer durch Entlehnungen aus Kurz, Heyse, Gildemeister herbeigeführten Ausbesserung des Grie^chen Textes ist sie gleichfalls nicht vollständig erzielt worden.

Eine neue deutsche Ariostausgabe muß dem ver- feinerten ästhetischen Empfinden unserer ,, reizsamen" Zeit Rechnung tragen: sie muß die geschlossene einheitliche Form festhalten und ebenso reine Reime (bei den Reimen mit offenem e, für das eine Norm der Aussprache noch nicht erzielt ist, mag man sich in Übereinstimmung mit Gildemeister einen gewissen Spielraum gestatten). Erfor- derlich sind sodann Anmerkungen, die, wenn sie auch mit Rücksicht auf den Durchschnittsleser möglichst knapp ge- halten sein müssen, ihm die notwendigen historischen, literarischen und sonstigen Aufklärungen bieten. Nament- lich wird was bis jetzt von sämtlichen deutschen Über- setzern außer Augen gelassen worden ist auch den Quellen gewisser Wendungen, in erster Linie Gleichnissen, wenigstens in den wichtigsten Fällen, Aufinerksamkeit zu schenken sein; denn oft gewinnen wir erst den rechten

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VO R BEMERKUNG DES ÜBERSETZERS XIII

Eindruck, wenn wir über die zugrunde liegende, von Ariost als bekannt vorausgesetzte Entlehnung oder Anspielung auf Stellen aus klassischen oder späteren Autoren unter- richtet sind. Empfehlen wird es sich auch, in den An- merkungen gelegentlich an Stellen der Dichtung anzu- knüpfen, um des Dichters künstlerisches Verfahren zu be- leuchten; gewissermaßen in seine poetische Technik, wenn auch nur andeutungsweise, Einblick zu gewähren. Ein Register am Schluß des Werks erleichtere, wie bei Gilde- meister, die Übersicht über das darin Gebotene: „Ob vom die Sachen, ob sie hinten stehen, Aus dem Verzeichnis findet man'sherans/' mag man mit Ariost (Gesang 15, St. 14) denken, wenn es sich auch nm kein Zauherbuch handdt.

Nach diesen Gnmdsätzen Ist im Nachfolgenden ver- fahren worden. Natürlich kommt das Beiwerk nur neben- her in Betracht, und eines bleibt das weitaus Wichtigste: eine aus Sprach- und Formgeschick hervorgegangene und womöglich von poetischem Gef&hl getragene flotte Übersetzung. Sie ist imerläßlich für den neuen deutschen Roland", dessen wir bedürfen. Möge sie hier nicht ver- mißt werden!

Und möge ein Arnold Böcklin, der den Rasenden Roland" zu seinem Liebhngsbuch erkor, mit dieser Vor- liebe recht viele Nachfolger finden!

Marburg i. H., April 1907

ALFONS KISSNER

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VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUF- LAGE DES „RASENDEN ROLAND«, ZUGLEICH ZUM ERSTEN DEUTSCHEN

GESAMT-AKIOST

Gebührt auch dem Ersiimen höhre Guast, Gnt fibenetna ist nicht Idclit« i&uit: Der Gegenstand ist fiteüicli längst gefonden,

Doch Phantasie und Hand sind dir gebunden. Und bringst du, was ein andrer Mann ersann. Kommt es auf Urteil, nicht Erfindung, an. (Invention labooxs less, bat judgment more.)

So ungefähr schrieb vor etwa dritthalbhundert Jahren der englische Dichter Roscommon, Verfasser der immer noch bemerkenswerten „Abhandlung über Versüber- setzung'* {Essay ort translated verse). Den fast trivial zu nennenden Rat, bei Versübertragungen Überlegung, Urteil {judgrneni) walten zu lassen, wird besonders ge- rechtfertigt finden, wer bereits erschienene Nachbildungen zu einer neuen Ausgabe vorzubereiten imd möglichster VoUkommenheit entgegenzuführen hat. Bei der Neu- gestaltung des „Rasenden Roland" ergab sich zunächst die Frage: Sollte am Ende doch der neuerdings be- liebten, s. B. auch von Detlev von Lihencron und Ddunel bevorzugten freieren Stanzenform, wie sie nach dem Vorbilde Lord Byrons H. Kurz und Gfldemeister für ihre Aiiostübersetzung gewählt hatten (vgL oben S. XI)» Raum zu vergönnen sein? Leichter zu handhaben war ja diese Form unstreitig, bot auch größere Abwechslung und freiere Bew^^ung, aber ein Durcheinanderwerfen der

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XVI VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUFLAGE

männlichen und der weiblichen Versausgänge, die bald an dieser, bald an jener Stelle erscheinen, bringt in die Stro- phen eine Unruhe, die den stolzen Fluß der Oktaven stört. Bei einer saloppen* Formgebung, einer kapriziösen Dich- tung \de Byrons ,,Don Juan" mag man sich das gefallen lassen; mit der strengen Gesetzmäßigkeit, die dem gött- lichen Ludovico" über alles ging, imd mit der Wieder- gabe italienischer Ottave rime verträgt es sich nicht. Darum blieb die einst von Heinse, dem Verfasser des ,,ArdingheUo", zuerst euigeführte« aber erst von Goethe zur Geltung gebrachte Stanzenform, die den klingen- den Reim in der ersten, dritten, fönften Verszeile sowie im Schlußcoiiplet, den stumpfen Reim in der zweiten, vierten, sechsten verlangt, auch in dem neugestalteten „Rasenden Roland" unangetastet.

Während die Einkleidung der Dichtung beibehalten wurde, haben die einzelnen Strophen zum Teil sehr be- trächtliche Änderungen erfahren; für gewisse Abschnitte wäre die Bezeichnung Umarbeitung zulässig, weil das Feilen weitgehende Anforderungen machte. Wenn der Meister von Ferrara, wie wir sehen werden, mit dem Ver- bessern und Ändern seines Rolandtextes sich gar nicht genugtun konnte, so ist es dem Nachbildner ähnlich er- gangen. Inuner wieder, bald hier, bald da, tauchte bei der Durchsicht ein „mehr entsprechender" Ausdruck auf und verlangte gebieterisch Aufnahme, denn „Auch in ver- änderter Form noch wirken Bericht und Gedanke, Doch die Empfindung Übt einng im eigensten Wort"

Ihrer, der Empfindung, habhaft zu werden, die Stimmung, die das fremdländische Kunstwerk umfingt, herüberzu-

* Der Anadrnck 9aiopp itt mir von Pftvl Heyae bemingett ipocte;

der Dichter vergaß, daß bereits sein Freund Otto Gildemeister, der Byronübersetzer, zur Kennzeichnung der Don-Juan-Dichtttilg ^rade dieses Wort gewählt hatte, und gewiß mit Kecht.

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VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUFLAGE XVII

retten, in die Atmosphäre des Originals den deutschen Leser einzuhüllen, mußte ja vor allem das Augenmerk

des Übersetzers sein, wollte er dem „Äquivalent", dem Gleichwert des Vorbildes, möglichst nahekommen. Hier lag manchmal die Versuchung nahe, mit Hilfe unreiner Reime sich die Sache bequemer zu machen, aber die innere Stimme, von der Geibel spricht {,,dte dich belohnt für das, was sinnvoll du bereitest, U7td Straß, wenn du das Maß des Schönen über schreitest'^), ließ das nicht 7ai. Seit Platen, Geibel, Fehx Dahn u. a. auf Reinheit der Versaus- gänge drängten, ist ihnen ein energischer Mitstreiter er- wachsen in Detlev von Liliencron, der wiederholt (im „Maecen"*, im „Poggired*" usw.) sehr drastisch und mit

* So S.B. S. 60: „Platen reimte rein, nnd das können die Deutschen dnrchans nicht leiden; sofort werden sie mifitnraiach: Das kann doch kein

Dichter sein, der uns reine Reime schenkt I Mir ist ein unreiner Reim wie eine Ohrfeige. Deshalb wird es mir auch ?o schwer, einen von mir zu den Höchsten geschätzten Dichter, Martin Greif, zu lesen. Seine Reime, ihnlicih wie bd MSrike, Schiller, Goethe, sind geradesu SedenmOrder. Es ist mir eine Unerklärlichkeit: ein Dichter mnß doch starken Sinn fSr guten Klang und Schönheit haben; es muB ihm doch wehe tun, wenn ei unrein reimt oder unreine Reime hört. Aber nein, es hilft nichts. Selbst Gottfried Keller reimt Erde auf Gefährte. Wenn die Deutschen nicht mehr Teufel auf Zweifel reimen dfirffcen, ftthren sie ohne Zweofel sum Teifd." Besonders eindringlich veranschaulicht LiliencKOn seine Theocie, indem er Heines berölmites FrühlingsUed mit strengen Bindungen versieht:

Leise zieht durch mein Gem&t

Liebliches Geläute:

Klinge, kleines Frfihlings 1 ü d ,

Xling iiiiians ins Wäutet

Kling hinaus bis an das Haus,

Wo die Veilchen sprießen:

Wenn du eine Rose schaust,

Seg*, ich lass' sie grieBenl Dies sehershafle Beispiel ist swingend. Sind einmal die tatsächlichen Klang\'erh,iltnisse zum Bewußtsein gebracht, so dürfte manchem das Auge geöffnet oder vielmehr das Ohr geschärft und feinfülihgcr ge- macht sein so daß die Erkenntnis des Unbefriedigenden falscher Reime auftaucht. Der Obersetser selbst, dem früher unechte Bindungen nicht wehe taten, machte, von Felix Dahn beldirt, diesen nach Damaskus.

Arlost I n

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XVIII VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUFLAGE

ergötzlicher Erbitterung nachgewiesen hat, daß Bindun- gen wie „Höhen sehen** einen Gleichldang auf diesem

beruht doch das ästhetische Vergnügen nicht bieten und das Cicfühl verletzen. Bald wird die Ablehnung der unreinen Reime allgemein sein*.

* Zu den ventechniscbeii Fragen mdcbte ich noch bemerken, daß von dner Seite Reime ynt »Stang* taag Wang"', „Ehr* mdur her" wegen der Apostrophiernng beanstandet worden sind. Mit Un- recht. Bei Goethe finden sich ApostropWerungm massenhaft : „ich . . . bin der lang'" reimt aui „Gesang" ; „die Quer' und Läng' durch seine Gäng'", also mit Bevonugung der abgekOrsten Fenn. So Im Faust: ... so m ich wollf vergehen soUf *' ; femer ,>er wir"*, „Red* tfif"; „vor die Angm brächt' Knecht". Heine reimt: ,,anis Haupt dir legen sollt' hold". Heutzutage wird die gleiche Abkürzung sogar im hohen Stil von den iormstrcngsten unserer Poeten angewandt. Felix Dahn reimt: „. . . es gilt vid mehr Als unser Leben, es gilt die Ehr"*; Fanl Heyse: „schdner Mund mr rechten Stmd"', „Stadt ge- trunken hatt'", „Herzgeiüst ersiegen wüßt'". Und wer dächte nicht an das allbekannte „Lehn' deine Wang' an meine Wang'".

Fem er wurden Reime bemängelt wie „die Degen in der Scheid' ~> Streit WirlcUchkeit'*. Allein was ffir das Auge eine unreine Bindung daistdlt, ist noch keine solche Iftr das Otat, Nidit der graphische Ausdruck, das Wortbild, ist maßgebend, sondern lediglich der Laut- wert. Stimmhafter Verschlußlaut, auslautend o<ler in pausa, wird als stimmlos gehört: „Scheid'" klingt dann wie Scheit und darf ruhig mit „Streit** gebunden werden. So rehnt GoeÜie mit gutem Recht „Leid gescheit", „Not Tod*', „gesinnt das Kind", und Geibd, immer noch die oberste Autorität auf vexstechniacbem Gebiet, schliefit sein „Zigeunerleben" mit den Versen:

Und die aus der sonnigen Heimai vcr bannt , Sie schauen im Traume das glückliche Land.

Von derselben Seite wurden Formen getadelt wie „entwind 't find't ~ verschwind't" (die aus videa Dichtem zu bdqgen sind) und

Wortstellungen wie „Erbarmt euch, Herr, ich sprach, die Händ* erhoben*', , .Betrübt und mild er bleibt im Grase liegen". Man fragte: Warum nicht „bleibt er" ? Antwort: weil der Vers dadurch euphonischer wurde und solche Wortstellungen aus gleichen Gründen bei unseren Klsssikem und Romantiicem oft angewendet werden; dann auch, weil dadurch ein gewisser altertümlicher Eindruck erzielt wurde. Diesem gleichen Zwecke dienten Ausdrücke wie ,,miteinand*', ,,empfahn", die auch gerügt worden sind (wiewohl es noch gar nicht lange her ist, daß „swei Löwen einst seiband In einem Wald spazoren gingen" usw.).

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«

VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUFLAGE XIX

Bei der Nachprüfung der deutschen Oktaven ging das Hauptbestreben natürHch dahin, eine möglichst glatte Diktion, Wohlklang und rhythmischen Schw'ung zu er- zielen. Unter diesem Gesichtspunkt haben sich viele Stellen eine Umwandlung gefallen lassen müssen. Daß unsere deutsche Sprache, hart und spröde, dem Übersetzer wenig entgegenkommt, beklagte schon unser berühmtester

Das prosaischere „einander" klingt aber hart und uneuphonisch, wäh- rend die Sltete Form geschmeidiger ist und Wohlklang besitzt. Tiefcr- bUdranden entging es nicht, welche Wirkung durch solche altmodische Formen gewonnen wurde. Ein hervorragender Romanist hebt in einer Besprechung meiner „Orlando" -Einkleidung zustimmend hervor, daß ich ,,dem Ganzen ein leicht archaisierendes Gepräge gegeben, das ja für den heutigen Italiener die Werke der Renaiasaace haben'* (Nene freie Presse, i8. April 1909).

Unter diesem Gesichtspunkt sind um noch eine Beanstandung zu erledigen meine archaistischen Wendungen „in Tränen leisen", „aus Qualen herben" nstr. an fassen: das nachgesetzte Adjektivom darf auch in der schwachen Form stehen. Im Anfang des Nibelungenliedes ist uns

. . . •« «Am Maren wonienoÜ gntit Von rsektn lobebmrtn,.,,

und später träumt es

Kriemhilden in lugenden^ der sie pflac,

Wie sie einen valhen wilden xüege manchen tac.

Seitdem ist dieser Gebrauch noch nicht ganz veraltet.

Ein wirkungsvolles Mittel zur Belebung des leicht eintönig wirkenden

Ganges der regelmäßigen Jamben besteht in der ..Taktumstellung", d. h. in dem Ersatz der beiden Anfangsjamben durch den Choriambus (— v^vy— ), z.B.: „Eher den Tod als stets in Knechtschaft leben"; „Dn.9 ist das Los des Schönen anf der Erde" ; „Kurz ist der Schmerz, und ewig ist die Freude." Früher suchte man in solchen FUlen mit „schwebender Betonung" zurechtzukommen, bis Bernhard ten Brink nachwies, daß Taktumstellung' anzunehmen ist. Ich habe mich ihrer zuweilen bedient, z. B. : „Brennender Durst und Wunsch nach etwas Rnh." Das ist von jener „einen" Seite mißbilligt worden. Dann müfite auch Schiller zurechtgewiesen werden und von nnseven ftbrigen Fbeten MU qutmH, a. B. Uhland, wenn er sagt :

Graf Richard von der Normandie Erschrak in seinem Leben nie, Er schwtifU nachts wie Uigs umher, Manehgm Gtspenst h»stpiif «r.

II«

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XX VORBEMERKUNG ZUR ZEITEN AUFLAGE

Shakespeareübersetzer gar beweglich, nachdem er einen ein- zigen Gesang des „Orlando", den elften, verdeutscht hatte. Deutsche Stanzen schmieden bleibt freilich immer mißlich, wenn die Behauptung Liliencrons (im „Poggfred'*) zutrifft:

Auf italienisch fährt der Achter zu^

Vollendet anmutig durch alle Stege.

Auf deutsch ist er beinah schon ein Betrugt

Er kotpni, sMpert, knart^, hnmn^ äunk W§gß,

Auf italienisch iOnfs wie Himmelsflug,

Auf deutsch wie eine stumpfe irdische Säge.

Aber alles das durfte nicht entmutigen beim Versuche, für die Nachdichtung des ^»herrlichsteii Werkes roman- tischer Phantasie" und jenen »»wundersamen, zugleich ur- alten und doch noch lebendigen Stil, an dem der Edelrost von fünf Jalirhunderten haftet", etwas Verwandtes im

Freilich muß tkh dieie „'DiktamBteUaiig" auf den Venanfui^ und auf den Anfang der «weiten Vershälfte beschränken. Gfldemelster gestattete

sich die Taktumstellung beliebig, und dagegen mußte teil, weil dann holperige Verse herauskommen, mich erklären.

Von strittigen Punkten hat einer mich beschäftigt: Dari eine lange SObe mit einer kurxen gebunden werden, x, B. „Bahn" „daran**? FQr gewöhnlich habe ich das vermieden, wiewohl Dichter ersten Ranges es sich gestatten, z. B. Paul Heysc: ,,Da mußtet ihr ihn sehen, wie er toastete" als Reim zu , .kostete" und „röstete". Sämtliche bisherigen Arlostübcrsetzcr haben dergleichen zugelassen, auch Gildemeister. Eine gewisse SUbengruppe solchen xweifelhaften Charakters ist uns durch zahlreiche Gedichte nnd Lieder vertrant geworden:

So hob* ich denn die Stadt verlassen,.. Ich wandle einsam durch die Str** ßen,,,,

ferner im Volkshed:

Da ich dich so treu geliebt.

Ober alle Mäßen,

Muß ich Oeh vcrlUsseu...

bei Lenan:

Jeder Pfad ver lassen, Nur der volle Mondenschein Wachte auf den Straßen

nnd ähnliche Verse stören uns nicht. Diese Bindung«! glaubte ich welter im Reime dulden su sollen.

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VOKPFATrP.KTTyn 7T^R ZWEITKN AVTJ \cr XXT

Deutsch des zwanzigsten Jahrhimderts za schaffen. Hof- fentlich nickte Zeus Kronion diesem Bemühen Gewährnng. Gänzfiche Umgestaltung erfuhr die Einleitung. An

Stelle der kurzen biographischen Skizze ist eine breiter

angelegte Darstellung getreten, die nicht nur die Lebens- schicksale Ariosts verfolgt, sondern auch in die Psyche dieses einzigen Mannes Einblick zu gewinnen versucht. Dem gleichen Zweck dienen die sich anschließenden ebenfalls neu angegliederten Untersuchungen und lite- rarhistorischen Ausfühnmgen. Eine Ergänzung hierzu bil- den verschiedene, den Anmerkungen zu gewissen Stellen des „Orlando" eingefügte Darlegungen, die mir dort einen wirksameren Platz zu haben schienen als in der allgememen Einleitung.

Eipe nicht nnbeträchtUche Verstärkung hat das Glossar zum „Roland" gefunden. Wer des Dichters technisches Ver- fahren studieren wiU, muß besonders den Gleichnissen, so- dann den Staten, Entlehnungen und Nachbildungen (die auch über den Umfang seiner Bildung und Belesenheit Licht verbreiten) sowie den Naturschilderungen Auf- merksamkeit zuwenden. Hierfür wurden entweder neue Rubriken eingeschaltet oder die vorhandenen Beispiele vermehrt. Auch den Anmerkungen wurde einiges hinzu- gefügt. Bei diesen Zusammenstellungen leisteten mir das monumentale Werk von Pio Rajna, Le Fonti ddP Of' lando furioso, und die vortreffliche Ausgabe der großen Epopöe durch P. Papini (Firenze 1903) gute Dienste*.

Die zwei Bände der ersten Auflage hatten lediglich be- zweckt, den „Roland" zu bringen. Während des Druckes

* Von aadevBii Werkm irurdeii beDStit: Batotti, G. A.» V4tm a L. AHoito (ia M§moH§ StoriekiU Fenara 1807; Baniifiüdi, G.,

La Vita di L. Ario^; Campon, G., Notisie per la Vita di L. Ariosio, Mantna 1901; Fornari: in der Vorrede zu seiner Erklärung des Orl. Fur., 1549; Frizzi, Memorie storiche della nobiU famiglia Ariosti di Ftnmm, Fenara 1779; Gaidaflr, B. G., DhAm and po$t9 in Finrara,

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XXII VORBF>IFKKT^Xn 7T'T' ZWmT X ATU-T AHK

r^e sodann der kunstsinnige Verleger eine Herausgabe der „Kleineren Werke**, zunächst einer Auswahl, an, und es lautete eine Ankündigung: „Ariosts Komödien und Satiren**. SchliefiUch wurden auch die Eime hinsuge- fOgt, und das Ganze erschien als ein gesondertes Werk, „Ariost, Kleinere Werke", tatsächlich, aber nicht dem Titel nach, die Gesamtausgabe vollendend. Die vorliegende zweite Auflage \vill auch die formale Einheit herstellen: an den umgearbeiteten Roland" (Bd. I, II, III) schließt sich Band IV, im wesentlichen unverändert die „Kleineren Werke" enthaltend.

Im bisherigen dritten (dem gegenwärtigen vierten) Band, der jetzt nur Text, nämlich der Komödien, dann der Gedichte (Elegien, Capitoli, Ekloge, Kanzonen, Sonette, Madrigale), endlich der Satiren sowie die zugehörigen An- merkungen, das Verzeichnis der zumeist benutzten Werke, eine Sammlung von Sentenzen und sprichwörtlichen Stellen aus allen Werken Ariosts, als Anhang fünf Proben aus den lateinischen Gedichten, eine Kanzone und zwei Sonette, deren Autorschaft zweifelhaft ist, femer einige nachtragliche Ausführungen und den Epilog des Obersetzers, schliefilich das Namen- und Sachr^[ister enthält, beschränken sich die Änderungen auf Einzelheiten, Verbesserungen der Diktion, wo solche nötig erschienen, sowie ein Feilen und Glätten der Verse. Aus dem Nach- laß Paul Heyses erschienen (bei Diederichs in Jena), in dem Sammelwerk ,,Aus der Zeit der Renaissance'* ins Deutsche übersetzt, einige itaUenische Komödien des Cinquecento, darunter die von Ariost verworfene Prosa-

Westminster, Constable, 1904; Gardner, E.G., The King 0/ Court Poets, London, Constable, 1906; Garofalo, Girolamo, Vita di M. Lod. Ariosto, Venezia 1584; Pitterie, Opere minori di L. Äriosto^ Venedig 1856; Twnban, Stiwd^ L,Anoilo, livomo 1903; Tortoli, Conmsiii § Saün a L.Avioslo, FSrense 1S56.

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VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUFLAGE XXIII

fassung der Cassaria. Im Vorwort gedenkt Heyse meiner Übertragung der Verskomödie gleichen Namens, stellt sich in einer Formfrage (die Beseitigung des Endeca- siüaho sdrucciolo und den Ersatz durch unseren fünf- füßigen Jambus betreffend) an meine Seite, wendet sich aber dann gegen mein Aufgeben der Terzinen form in den Satiren sowie gegen den Umtausch gewisser, eme Deutung tragender Personennamen (in der „Kasten- komödie") in deutsche: der Diener „Geier*', „Rabe", „Füchsldn", „Strahl" und des Schwindlers „Mausfall"*. Was den eisten Punkt betri^, so bin ich noch heute 4er Ansidit, die ich in den „Kiemeren Werken" (S. XXIX bb XXXIV) auseinandergesetzt habe: die (erxa nma**

* Heyse schließt mit der Bemerkung: „Dies befremdet am so mehr, als IQfiiMr dch sonst in saneii Übeisetrangen als etneii gewandten

Poeten erwiesea hat." Wer da weiB, dafi infolge eines wahren Ratten« kfinigs von Mißverständnissen Heyse im Jahre 1907 vor dem Er- scheinen meiner „Roland" -Übersetz u ng hinsichtlich dieser sehr nnsanft fibcr mich hergefalten war (BeiMntt zur ..Münch. Allg. Ztg."), wird begreifen, wie wertvoll diese posthnme EhrenerUftrong mir gewesen ist. Hbbe ich doch dadurch gewissermaßen geradezu aus der Hand eines früheren Gegners ein pamassisches Diplom erhalten. Mit Rüh- mng denke ich daran, daß der ehrwürdige Nestor unserer deutscheu Dichter an seinen Beteten Lebenstagen nch mH; meinen Atiostarbeiten beschäftigt hat nnd dann Veranlassung nahm, mir Genngtanng zu geben. Einer an jener Stelle gemachten Äußerung Heyses habe ich Rechnung getragen: er bezeichnete dort die Wiedergabe der Pro- loge zu den fünf Komödien durch gereimte Verse als stilgerecht. Dies fand ich bei nochmaliger Durchsicht zutreffend und wandelte in den ffinf Prologen den Usfaerigen reimlosen fflnffHBigen Jambns in den gereimten nm.

** Hübsch hat Detlev v. Liliencron den Charakter der ierMa rima veranschaoUcht (im „Poggfred", S. 39):

Terzinen müssen wie granitue Mauern Geprüft, gepaßt, gefügt, gemArtdt sein. Damit sie jeden Sturmstoß überdauern.

Genau gepaßt, gefügt ruht Stein an Stein. Nicht nur die Form, der Inhalt muß erst recht ,Wie angegossen' sich zusammemreihn.

XXIV VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUFIAGE

ist eme uns fremde, vornehme Versfonn, nicht geeignet för das leichte Pärlato. Wohl hat der mistreitig erste Meister

dieser Dichtform, Paiü Heyse, uns vollendet leichte und glatte Terzinen geschenkt (z. B. im Salamander" und in den herrlichen „Versen aus Itahcn"), aber die Frage ist, ob selbst er diese Vorzüge mit der erforderten Treue der Textwiedergabe hätte vereinigen können. Der frei- schaffende Dichter kann durch gclegenthches Umbiegen des Gedankens, durch irgendeine kleine Scitenwendung der Schwierigkeit ausweichen und die Sache gestalten, wie er will, nicht aber der Nachschaffende. Um die Hauptsache zu erreichen, das heißt : um den Ton der Vorlage zu treffen, bedürfen wir sowohl für Ariosts »»Satiren" wie für seine Rime einer anderen Form als der von ihm gewählten. Daß die Diener „Füchslein", „Rabe" usw. mitten unter Bewohnern von Sybaris etwas wmiderlich wirken, war auch mir von vornherein klar gewesen, aber die fremden Namen hätten niemals dem deutschen Durchschnittsleser die vom Autor beabsichtigte Kennzeichnung des Charakters deut- lich gemacht; es galt, durchsichtige, typische Namen zu

Die hier in dröhnenden Versen gepredigte „feiscnhaitc" starre Gesetz- mlBiglMit ist mit der ISasigen Uagebandeiilwit des bequemen Parlato schlechterdings unvereinbar. Rceilich hat Lilieacron, gewiisermafieii

sich selbst ironisierend

{Ich Kleisterknecht '/ Dagegen: W eich ein mfOuam Lrimtn, SchUbtn, Und welch ein lochgeflicktes Felsgeflechtl Nichts da von Dantes großen Hammerhiebenl),

die edle Strophenfbcm, die im „Poggfired" mit Oktaven abwechselt, ge- l^entlich sn kaprisifieeii lud grotesken ^viagen genrangen, aber

damit die Wahrheit oTn^cr Verse nur um so deutlidier gemadit. Wv pflichten dem Dichter bei, wenn er weiter sagt:

Und der Terzinen sancta trinitas Dämmt die GedankenÜut ins rechte Maß.

Ganz recht. Wo aber, wie z. B. in Arioets Satiren, die „Gedankenflut" frei nnd ungehemmt dahinstrSmen soU, ist im Deutschen die Una rima nidit die geeignete Ansdracksionn.

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VORBEMERKUNG ZUR ZWEITEN AUFLAGE XXV

wählen. Also mußte eine Obersetsnng stattfinden: dem höheren Interesse mußte das geringere geopfert werden.

Übrigens sind wir, nicht bloß durch Shakespeare, längst gewohnt, im Drama neben Helden und Königen des Alter- tums Handwerker usw. mit unseren heimischen Namen zu finden. Frau Hurtig als Engländerin mit deutschem Namen mitten unter Engländern stört uns nicht; eine aus dem Original her übergenommene Missis Quickly würde uns seltsam vorkommen.

Heyses Beanstandungen vermochten nicht zu über- zeugen: 80 verblieb den „Satiren" ihr dem bequemen Plau- derton entsprechender fünffüßiger gereimter Jambus, den lyrischen Gedichten {Rime) derselbe fünitaktige Vers, nur mit der Reimstellmig a— a— b, c~c ^b. Wenn Heyse memte, diese Strophenfonn sei bei uns nicht aulgenom- men, so irrte er: sie findet sich z. B. in einem Gedicht (von Hoffinann v. Fallersleben) auf den Rolandsbogen bei Ro- landseck. Weitere Veranlassung zu Abänderungen in den »«Kleineren Werken" lag nicht vor; letztere durften also als ,,vierter Band*' der Gesamtausgabe in der alten Gestalt herübergenommen werden. Der „Anhang" erhielt eine Vermehrung von acht Abschnitten: zu dem Fragment einer Epopöe über Obizzo d'Este; zur Romreise im März 1513; zur römischen Aufführung der ..Suppositi", Raffael Theatermaler; vor dem Abschied von Castelnovo; Doku- mente zu Ariostos Rime; Ariost-Calcagnini-Copemicus ? Gottfried Keller über Ariost; zu der Frage der unreinen Reime.

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EINLEITUNG

Mitten im Toben des jüngsten Weltkrieges, im April 1916, beging eine ach! kleine Anzahl italienischer Gelehrter und Literaturfreunde zu Ferrara in aller Stille den vierhnndertsten Geburtstag eines Geisteskmdes» das durch vier Säkula hindurch die Welt mit semem Ruhme erfüllt hatte. Das Geburtszeugnis lag vor und wurde mit gebührender Ehrfurcht besichtigt. Es lautete: Orlando furioso. Ferrara per Maestro Giovanni Mazoco del Bondeno, a. d. XXII de Aprile, 1516, 4°. Zugleich zirkulierte ein um ein paar Monate älteres, von Seiner Heihgkeit Papst Leo X. höchst eigenhändig unterzeichnetes päpstliches Privilegium an den Vater des Kindes, Messer Ludovico Ariosto, der darin mit huldvollen Äußerungen über- schüttet wurde, also beginnend: Singularis tua vekts erga me familiamque meam henevoUnÜa egregia^ bonarum arüuM, UUeranm doctrina aiqm in sMns tmüoribus praeserHmque PoeHds' eUgans ac praedearum ingemim jure prope cxposcere videniur, qme tibi usm futufa smU, jusia praesertim d honesta petenU, ea Hbi a me ntm Ubenter modo, sed KheraHter concedantur.

Ohne die Kriegsnöte würde jener Gedenktag in allen Kulturstaaten der Erde festlich begrüßt worden sein, voraus natürlich durch eine nationale Kundgebung des Heimatlandes. Gerade in der jüngsten Zeit vor Ausbruch des Krieges war in manchen Ländern Europas das Interesse für den Orlando furioso und seinen Autor ein lebendiges

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XXVTTI

EIN T. F, T T T' V n

gewesen; ansehnliche Gelehrte In Italien und England hatten das Arioststudium gefördert, voran Edmund G. Gardner mit seinem großangelegten Doppelwerk „Herzöge und Dichter in Ferrara" und ,,Der König der Hüfdichter** (Dukes and Poets in Ferrara. The King of Court Poets. A Study of the Work, Life and Times of Lodovico Ariosto, London, Constable, igo6) und Pio Rajna mit seinen meisterhaften „Forschungen und Stu- dien über die Quellen des Orlando" (zweite Auflage, Flo- renz 1900).

Solerti ließ auf sein „Ferrara und der Hof von Este" (1900) „Das Archiv der Familie Ariost'* (Prato 1904) fol- gen. Bertoni, Agnelli, Tambara, Valeri, Cesareo, Paidi haben sich an der Ariostforschung beteiligt. Der ehr- würdige Giosad Carducd schenkte uns kurz vor seinem Lebensende ««Studien** {Su L. Ariosto e T, Tasso, Bologna 1905), die auch eine klassische Abhandlung über die Jugend Ariosts und die lateinische Poesie in Ferrara enthalten. Es ist gelungen, manches Dunkel aufeuhellen, und nach verschiedenen Seiten hin, in bezug auf des Dich- ters Familie, Schicksale und innere Entwicklung, sehen wir jetzt klarer als früher.

I

Riosto, eui kleiner Ort im Bolognesischen (dessen Name sich als Bezeichnung eines Tdb der Gemeinde Pianoro er- halten hat), scheint die Heimat von Ludovicos Voreltern,

die eigentlich da Riosto hießen, gewesen zu sein. Der älteste, von dem man weiß, war ein Alberto da Riosto. Einer seiner Söhne, Ugo, lebte 1156 in Bologna*; ein zweiter, Gherardo, Bischof dieser Stadt, mußte 1213, von

* „Bologna, dem ich bin entsprungen" (Ond'hai l'antiqua origine) heiat et Sat. VII, 337.

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EINLEITUNG

XXIX

Innozenz III. gezwungen, seine Würde niederlegen. Ugos Nachkommen waren hartnäckige Guelfen: Einer seiner Enkel, Antonio di Obizzo, zählte zu den Heerführeni, die 1249 König Enzio gefangennahmen. In dem blutigen Zu- sammenstoß der ghibeUinischen Lambertazzi mit den Geremei in Bolognas Straßen, 1274, standen die Ariosti zu den letzteren und verloren zwei der Ihrigen. Als Führer der Geremei finden wir 1280 zwei Vettern dieser Erschla- genen, Tommaso und Bonifazio di Princivalle. Tommaso wurde Begründer der Bologneser Linie der Ariosti; Boni- fazio hatte zur Enkelin jene beila Lippa di Bologna, deren Aziost unter den Fürstinnen des Hauses Este gedenkt {Orl, Ges. 13., St. 73). Sie war zuerst die Geliebte und dann (auf ihrem Totenbett, 1347) die rechtmäßige Gemahlin des Marchese Obizzo II. Durdi ihre Söhne Aldobrandino III., Niccold II. und Alberto wurde Lippa die Ahnin samtlicher Herzöge von Ferrara und Modena, und ihr EinfluB ließ das Haus der Ariosti von Ferrara emporblQhen. So könnte unser Dichter, wie er es in der Tat zuweilen scherzend ge- tan hat, sich als Mitglied des Herrscherhauses bezeichnen. Lippas Brüder, Bonifazio und Francesco, wurden geadelt und mit Gütern belehnt; einer ihrer Vettern, Niccolö (f vor 1411 als Bürger von Ferrara), hatte zum Sohn Folco, dessen Kinder Aldobrandino, Rmaldo und Niccolö am Hofe des Marchese Niccolö III. eine hohe Stellung einnahmen. Rinaldo, von 1432 bis 1440 Kommandant von Reggio, heiratete eine Bologneserin aus gutem Hause und hatte von ihr fünf Sohne. Der jüngste, Niccolö, wurde, wie zwei seiner Brüder, von Kaiser Friedrich III. bei dessen An- wesenheit in Ferrara 1469 zum Grafen des Laterans und des Heiligen Römischen Reiches gemacht und am ersten Tage des Jahres 1472 vom Herzog Ercde zum Befehls» haber der Zitadelle von Reggio, zur Belohnung, wie es scheint, für einen wenig rühmlichen Dienst, die Beteiligung

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XXX

EINLEITUNG

am Mordversuche gegen des Herzogs Neffen Niccold von Este am Hof zu Mantua, ernannt. Auch was wir sonst über des Dichters Vater hören, ist abgesehen von seiner Treue gegen das Haus Este unerfreulich: Nio^old war offenbar ein harter, habsüchtiger und gewissenloser Mann, wenn auch seine Söhne Liidovico und Gabriele nach seinem Tode liebevoll seiner gedachten. Gleich nach seiner Anstellung kaufte er in und um Reggio Land; 1473 hciraUtc er die Tochter Daria eines begüterten Arztes und Lokalpoeten Gabriele Malaguzzi. Von Daria weiß man nur, daÜ sie eine zärtliche Mutter war und bei Niederschrift der ersten Satire ihres Sohnes noch lebte. Dieser, Ludovico* Giovanni , wurde als der älteste von fünf Sölinen** fünf Töchter folgten nach am 8. September 1474 auf der Zitadelle von Reggio geboren (nicht in dem Hause, das auf der Piazza zu Reggio als Geburtshaus des Dichters gezeigt und Pälazzo Ariosto genaunt wird. Dieses war viehnehr der „Palazzo" der Familie seiner Mutter, der Malaguzzi. Frau Daria wurde darin geboren. Die Steintafel,

Ariost schreibt seinen Vornamen immer Ludovico. Die Namen sind auf der Stammtafel des Hauses Ariost (S. CLXII) verzeichnet. Der Zweitälteste hieß Gabhel. Er war lahm und miß- gestaltet (vgl. Sat 3, V. 9o6iL), vernichte sich als Schriftstdler und Dichter und hat, wie wir später sehen werden, den Torso von Ludovicos Komödie La Scolastica ergänzt; ist auch sonst den FuO- tapfen seines berühmten Bruders gefolgt. Frau Darias dritter Sohn war Carlo, der mit Auszeichnung ab Krieger diente. Zur Zeit der sweiteii Satire, in der er genannt -wird, d. h. im Jahre 1518, befand er sich im Königreich Neapel, und zwar in Otianto, wie aus Vers 199 hervorgeht. Nach IMpna, dem Biographen des Dichters, ist Carlo in Neapel gestorben. Gala^so, an den die erste Satire gerichtet ist, der dritte Bruder des Dichters, nach Carlo geboren, und zwar, als die Arioeti bereitB Reggio verlassen liatten, wird von Pigna als ein Geistlicher und hervorragender Hofmann bezeichnet, der es weit in der Welt ge- bracht habe. Er starb 1543 bei Tngü''=t3dt, wohin er sich als Abgesandter des Herzogs von Ferrara zum Kai.ser begeben baiCe. Des Grafen Niccolö fflnfter Sohn, Alessandro, wurde Page beim Kardinal IppoHto d'Este nnd begleitete diesen nach Ungarn (vgL Sat. 2^.

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EINLEITUNG

XXXI

die das Haus als Geburtsstätte Ludovico Ariostos be- zeichnet, rührt aus späterer Zeit her und Ijcweist nichts). Von der Zitadelle, wo der Dichter das Licht erblickte, ist nichts mehr vorhanden. Daß Frau Daria bei der Geburt ihres ältesten Sohnes nicht im elterlichen Hause, sondern beim Gatten Niccolö auf der Zitadelle sich befand, darf jetzt als ausgemacht gelten. 14S1 erhielt Graf Niccolö einen anderen Posten als Kapitän des Kastells von Rovigo. Dort- hin nahm er seine Frau und drei Söhnchen mit, darunter Ludovico. In dem gleich darauf beginnenden „Krieg von Ferrara" wurde er nach dreimonatiger Belagerung durch R^ggios Bürger gezwungen, die Festung den Venezianern zu übergeben und nach Verlust seines ganzen Besitztums sich auf ein Landhaus der Umgebung zurückzuziehen. Später sehen wir ihn in Bedrängnis in R^ggio und schließ- lich nach dem Frieden von Bagnolo in der Hauptstadt. Vermutlich siedelte er Ende 1485 dahin über, so daß der junge Ludovico in seinem zwölften Jahre zum erstenmal Ferrara, die Stätte seines künftigen Ruhmes, erblickt haben wird. Vor dem Abschied von Reggio mag der Knabe wohl öfter, wie Gardner wahrscheinlich macht, „den edlen Dichter und ritterlichen Herrn, mit dessen Schöpfimg sein eigenes Meisterwerk später verknüpft blei- ben sollte", den Grafen Matteo Maria Bojardo, zu Ge- sicht bekommen haben. Der Statthalterschaft in Modena enthoben, hatte sich dieser damals auf sein in der Nähe von Reggio gelegenes Schloß Scandiano zurlu l<^gezogen und war dort der Fortsetzung seiner großen Epopöe nach langer Unterbrechung wieder beflissen*.

* Bei Ausbruch des Krieges mit Venedig hatte Graf Bojardo so

seinem Schmerze das geliebte Heldengedicht beiseitelegen müssen. Seinem Orlando innamorato (,,la bella historia, che ho gran tempo ordita") sich wiederzuwenden zu können, war ein Fest für den Dichter. Um jene Zeit, nach Beendigung des unheilvollen „Krieges von Ferrara" durch den Rieden von Bignolo (1484), mOgea beim Weiterspiimen

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XXXII

EINLEITUNG

In dem ,^^änzeiidstett Jahrzehnt der italienischen Re- naissance", wie man die Zeit von 1484 bis zum Emfall der Franzosen genannt hat, stand Ferrara an Ftachtentfaltung obenan. Zu der empfänglichen Seele des Knaben mag die damals beginnende Reihe festlicher Theatervorstellungen» deren Zeuge er war, mächtig gesprochen haben: die erste dramatische VorsteUimg in italienischer Sprache fand im Januar i486 im Palasthof des Herzogs Ercoie statt. Man gab die Menaechmi des Plautus, ein Jahr später den Amphitruo. Vom jungen Ludovico erzählt einer seiner frühesten Biographen, Garofalo, aus dieser Zeit: „Wenn Vater und Mutter ausgegangen waren, kleidete er seine Geschwister in Gewänder, deren er habhaft werden konnte, und ließ sie aus den Zimmern auf den Vorplatz kommen und wie Schauspieler hersagen, was er für sie erdacht hatte." Unsicher sind die Nachrichten von den Beweisen außer- ordentlicher Anlagen, die der Knabe auf der Schule zu

früher fallengelassener Fäden die plückatmcndcn Stanzen entstanden sein, die ein poetischer Freudenrui genannt worden sind (grido dt gioia) und aal deotsch «twa lanten:

Sufsknm, nwm Ms» Stmm verflogen, Jk» wU gaqmäit ktU und ihr H§rt btdiHektt

Seheint wonniger der Meerflut sanftes Wogen, Die heitre Luft, der Äther sternge schmückt: Utul heller strahlt die Sonn' am Himmehbogen Dim Pilger, der^ dem ndchfgen Grtmn mUHkMt Nach Müh' und Not auf rauhen Bergupfmimn JDm Bltm$ tükt im MargsnUeki» baden.

So, ult dtr miUei^Uos» Krieg enUehmunden, Der teufliteke, darin die WeU gebe^, Und dieser Hof hat neuen Clans gefundon

Voll Festesfreude, wie man's nie erlebt,

Soll besser mir euch zu verkünden munden

Die gute Mär, darrnn ieh lang gewM,

Daß ihr in Schoren homnU, wOtich vertrauen:

Hört tu vM Hnld, ihr Herrn und sehOnon Frauen l

(Orlando inaainntmto, III, i, 3.)

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K I N T. E T T l' X G

XXXIII

Ferrara g^ben haben soll. Früh schon, so heißt es, habe er die Fabel von Pyramus und Thisbe dramatisiert und seinen Geschwistern einstudiert; auch hier lassen uns zu- verlässige Quellen im Stich. Des Dichters eigene Au0e-

ning in seiner Epistel von 1531 an Pietro Bembo, er habe mit zwanzig Jahren kaum den Übersetzer des Asop ver- standen {a jatica Intcso havrci quel che iradusse Esopo), geht ihrerseits wohl nach d( i entgegengesetzten Seite zu weit und mag auf dem Wunsch beruhen, die Dankesschuld an seinen geliebten Lehrer Gregorio recht lebhaft zu be- zeichnen.

Als Niccolö Ariosto 1489 nach Modena versetzt wurde, wird der Knabe Ludovico zu Ferrara im Hause eines seiner zwei Oheime geblieben sein» die beide gewichtige Persönlichkeiten waren (Francesco in ansehnlicher Stellung bei Hofe, Lodovico Kanoniker und Erzpriester). Nach dem väterlichen Willen sollte er die Rechte studieren und Notar werden. Seine erste juristische Unterweisung er- hielt der Vierzehnjährige vermutlich von Ende 1488 an durch den Professor der Rechtswissenschaft Giovanni Sadoleto aus Modena; „aber im geheimen*' sagt der älteste Biograph „verbrachte er all seine Zeit mit dem Verschlingen von Ritterbüchem, wie sie in seine Hände kamen". Indessen scheint er dem verhaßten Studium doch nicht ganz sich entzogen zu haben:

Achl als ich just zum Ritt des Mu5H;nrosses Im rechten Alter stand, als noch kein Haar Zu sehen auf den frischen Waagen wax. Hat Vatere Schwert und Spiefi mich angetrieben,

Nicht nur sein Sporn, zu Gloss' und Text; geblieben Bin ich fünf Jahre bei Alfanzerein (^ciancit).

So seufzt er später, zurückbUckend, in der Satire an Bembo. In einem von Gardner mitgeteüten Verzeichnis juristischer Doktorpromotionen an der Universität wird Studiosus Ludovico asweimal als Zeuge erwähnt; am

Arlott I III

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XXXIV

EINLEITUNG

8* August 1492 : Ludovicus Nicolai d'Ariostis, legiunscholaris Feirariensis; dann am 15. Mai 1493 bei der Promotion

eines Jacopo de' Barzelieri. In demselben Wonnemonat des Jahres 1493 fanden zu Ferrara große Festlichkeiten statt, im Palnzzo Strozzi des kunstsinnigen Tito Vespasiano, mit szenischen Aufführungen („in Gegenwart des Herrn Herzogs und alles Volkes von Ferrara"), bei denen der Jüngling wohl zugegen war, ebenso am 7. Mai zur Ver- mählung des jungen Guido Strozzi mit Simona degli Uberti, und zwar ab einer der mitwirkenden Darsteller. Ein Bericht der späteren Gonnerin Ludovicos, Isabella dTste, über die Aufführung einer Komödie des Aiiost befreundeten Eroole Strozzi ist uns erhalten. Am 18. Mai begannen große Feste zu Ehren des Lodovioo Sforza, Ü Moro, und seiner Gemahlin Beatrice d'Este. Bei einer Auffuhrung der Menaechnd am Hofe damals soU Ariost ebenfalls mitgewirkt haben. GewiB befand er sich im August 1493 unter den zwanzig Jünglingen, die der Herzog lucole mit sich nach Pavia nahm behufs Aufführung von Komödien". An der weiteren Reise des Herzogs Ercole nach Mailand scheint er sich nicht beteiligt zu haben, sondern nach Ferrara zurückgekehrt zu sein.

II

Die Stunde der Erlösung aus den Banden der Themis schlug dem zwanzigjährigen Jüngling. Graf Niccoiö, seit 1492 aus Modena zurückgekehrt, sah ein, daß aus dem Sohn kein Jurist zu machen sei, „schob den Riegel von der Freiheit Toren" und ließ ihn seinen Weg gehen. Mit aUer Macht warf Ludovico von Ende Z494 an sich auf lateinische Studien, unter Anleitung eines aus dem Kloster getretenen Augustinermönches, Gregorio von Spoleto. In der Epistel an Bembo heißt es von jener Zeit:

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EINLEITUNG

XXXV

III tt

Alt FreottdiB war mir damals hold Fortuna:

Sie bot mir durch Gregoiio ihren GroB,

Den ich für alle Zeiten segnen muß. Die beiden Sprachen lagen ihm erschlossen. Und ob der Venus, ob der Thetis Sprossen Das Ii51ire Lied eddaag, das wuBt er gnt.

Doch kümmerte mich damals nicht die Wut

Der Hekuba, noch wie zugleich entrissen

Dem Rhesus Pferd und Beel' ward durch Ulyssen.

Vor dem Versuche, Griechisch zu lenion , wollte der Jüng- ling in die Sprache seiner Lateiner eindringen. Er machte in dieser so reißende Fortschritte» daß er im Herbst 1495 bei Neueröffnimg der Vorlesungen im Dom in Gegenwart des Erbprinzen Alfons ein lateinisches Gedicht zum Preise der Philosophie voigetragen haben soll. Im Sommer 1496, als drei französische Heere mit Einfall in Italien drohten» schrieb Ariost das erste uns erhaltene lateinische Gedicht, die Ode Ad PhUiroem, Horaz, Tibull, Catull waren seine nächsten Muster (sie empfiehlt er auch spater seinem Sohne Virginio; weniger den Properz); die Nachahmung Vergils folgte mit der Epik.

Was diese Beschäftigungen für des Dichters Entwick- lung bedeuten, hat vortrefflich Carducci dargelegt: „Stu- dium und Übung in lateinischer Poesie", schreibt er, „bildeten und erzogen Ariost (der in seinen ersten Ver- suchen mit italienischem Vers noch recht prosaisch und ungelenk erscheint) zu jener in ihrem leichten Fluß so an- mutigen Harmonie, jener in ihrer Fülle so vollendeten Eleganz, die anderen, selbst großen italienischen Dichtem abgeht und seine allerpersönlichste Eigenschaft darstellt. Terenz und die Bekanntschaft mit dem lateinischen Drama kamen Ariost sehr zustatten an den Stellen, wo sein großes Poem vertrauten Plauderton annimmt; Catull und Horaz haben die musikalischsten seiner Oktaven g^lättet und sie von jenen ÜberflOssigkeiten und Auswüchsen freigehalten, wie sie z. B. Bojardos Poesie behindern und

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XXXVI

EINLEITUNG

zuweilen ersticken ; Bojardos, der doch so viel Einlnldnngs- kraft imd so große Macht der Daistelliing besaß." {Siudi,

S. 2X6—218.)

In der Ode Ad PhtUroem erscheint der jugendliche Dichter, unbekümmert darum, „daß Karl**, Rosse und Schiffe rüstend, Ausoniens Türme mit fürchterlicher Kriegswut bedroht**, an murmelndem Bach weichlichem

Genuß hingegeben. Philiroe soU das feuchte Haupt ihres Geliebten mit Purpurblumen kränzen und, neben ihm auf dem Rasen ruhend, sanft zur Laute singen. Man hat diese Gleichgültigkeit gegen die Not des Vateilai des getadelt; aber das noch vorhandene, von Ariost geschriebene Manuskript weist noch andere von ihm verwoifene Strophen auf; aus ihnen ergibt sich, daß die Unbekümmertheit einen anderen Grund hat; er will nicht kämpfen, um nicht dem undankbaren Tyrannen zu dienen, will nicht sein Blut verkaufen, und Carducci erkennt hier schon den konmienden Dichter der Satiren : „Er versteht noch nicht, sieht noch nicht Italien; wohl aber sieht und kennt er Italiens Herrscher und versichert, er werde ihnen keine Lohn- dienste leisten.**

Da uns Ariosts lateinische Dichtungen nicht weiter beschäftigen werden, sei hier noch bemerkt, daß er außer Epitaphien (darunter Distichen auf den Kardinal Ippo- lito und auf Raffaels Tod) später wohl nur ein wich- tigeres lateinisches Poem geschrieben hat, die Elegie De diversis amoribus, die von Gardner mit Recht ,,ein Meister- stück in ihrer Art** genannt wird. Des Dichters ganzes früheres Leben zieht vorüber: die kleinen Licbeshändel seiner Jugend, sein Rechtsstudium, sein Übergang zur Poesie und der Beginn seiner heroischen Epik; alles

* Gemeiat ist Karl VIII. voa F^cankreich.

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EINLEITUNG XXXVII

dies wird seiner Wandelbarkeit, mens impar, zu- geschrieben*.

Im Jahre 1498 kam Pietro Bembo nach Ferrara und blieb dort zwei Jahre. Mit ihm, dem fünf Jahre Älteren, schloß Ariost einen Freundschaftsbund, der sein mildes Licht auf das ganze fürdere Leben unseres Dichters wer- fen sollte. In seinem großen Gedicht hat er dem Freund em unvergängliches Denkmal gesetzt. Bembo genoß mit seinen achtundzwanzig Jahren einen hohen Ruf als lateinischer Dichter und gründhcher Kenner des Griechi- schen, anch als Lyrikor in der Muttersprache. Sein Ein- fluß auf Ferraras literarisches Leben wurde beträchtlich. Er soll damals Ariost abgeraten haben, sich als Epiker in italienischer Sprache zu versuchen. Dann geschah es gewiß nicht aus pedantischer Vorliebe für die klassischen Idiome denn die einheimischen großen Dichter wußte Bembo durchaus zu würdigen , sondern wohl in der Erkenntnis, daß Ariosts lateinische Lyrik alles das weit überragte, was von seinen italienischen Versuchen damals vorlag**.

Neben Bembo hatte Ludovico zu gleichstrebenden Freunden den hochbegabten Fürsten von Carpi, Alberto Pio, und Ercole Strozzi. Besonders nah stand seinem Herzen ein Vetter, Pandolfo Ariosti. Jedem dieser drei hat er Dicht ergrüße gesandt. Den Fürsten Alberto kennt die Geschichte als freigebigen Gönner Baldassare Peruzzis und Aldo Manuzios sowie als verschlagenen

^ Du Gedklit De ÜotnU mmtHIntt (Auf dm dgenen Flattenjnn) ist in dentscber Obenetrang am Ende des vierten Bandet ab erste der aiisg«w(Uütni 5 ftoban von Ariotta tateiniBclier Diditiing

mitgeteilt. ,

** Erst der Tod löste den Freundschaitsbund des Hvunanistea und dca Dichten. Von diesem schOnen VerhUtnis geben Ariosti lateinische Dichtungen Zeugnis. Anch wo er in seinem großen Poem der geistigen

Elite seiner Zeit gedenkt, erh&lt Ben\bo seinen Platz: so im 37. Gesang (St. 8); ferner im 42. (St. 86), wo Bembo mit Sadolet als Sänger der Herzogin Eiiäabetta von Urbino erscheint; endlich im Anfang des

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XXXVIII

EINLEITUNG

Berater der Päpste Julius und Leo, die er ab geschwormer Feind der Este gegen Ferrara aufstachelte. Seine politi- schen Intrigen trennten ihn bald von dem einstigen Mit- schüler bei Gregorio. Ercole, eine schönheitsdiirstige Seele, huldigte mit Erfolg der lateinischen Muse wie der einheimischen in freundschaftlichem Wettstreit mit Ludo- vico. In jimgen Jahren starb er gewaltsamen Todes; über den Umständen, die seine Ermordung herbeiführten, hegt ein Schleier. Noch früher sollte Ariost den geliebten Vetter Pandolfo verlieren. Ihm, dem auf dem Lande weilenden, gilt eine reizvolle £l^e: Die Dryade lauscht dem Gesänge des Jünglings; um besser zu hören, streicht sie das Haar zurück; dann, als er geendet hat und müde die Aqgen schließt» hdpft sie herbei, föchelt ihm mit einem Zweige Kühlimg ZQ nnd raubt ihm, auf den Arm gestutzt sich überbeugend, leise Küsse.

Zu dem vom jungen Ludovioo heiß ersehnten Studium des Griechischen kam es leider nicht. Bald nach Bembos Abrdse sah der Lernbegierige den gdiebten heSxrer in die Feme entführt: infolge der Erobenmg Mailands durch die Franzosen im Jahre 1499 gewann Isabella von Aragon für ihren Sohn Francesco Sforza, der als Gefangener nach Frankreich gehen mußte, den weisen Gr^orio da Spoleto als Erzieher.

Und zu dem einen Mißgeschick gesellte sich ein gr(> ßeres: Graf Niccolö Ariosto starb im Februar 1500 in

SdüuBgesanges: unter den VtmMMätu, die dcMt den nach langer See- fahrt Heimkehrenden begrüßen, darf natürlich sein Pietro nicht fehlen. Giraldi. der Verfasser der Hekatommüi (Hundert Novellen), berichtqt, Ariost habe seine letzte Überarbeitung und Verbessemng des „Rasenden Rcrfaod" dem Urteil Bembos (neben Maba nnd Na- ygfto) nntecteeitat. Dia Wertwhitsuig, die aeUwweito der Hnmaiiht dem Dichter entgegenbrachte, geht ans seinem Bri^ vom \^ Angnst 1533 an Agostino Mosti hervor, worin er mit großer Trauer des jüngst (am 6. Juli) geschiedenen Freundes und ,,seiner Liebe zu ilun und sa aeinen Inbin Werte«* gedenkt

EINLEITUNG

XXXIX

bedrängten Vermögensverhältnissen, und Ludovico, mit der Sorge mn neun Geschwister beladen, mußte „seine Ge- danken von Maria fort zu Martha wenden"; aus einem Le- ser Homers ein Haushalter werden; mußte zwei Schwestern zu Männern verlieifen; den jüngeren Brüdern die Schuldig- keiten erweisen, die das Mitleid und die Pflicht ihm auf- erlegten: zur Universität den einen, an den Hof den andern schicken, in ein Gewerbe jenen, und auch darüber walten, daß nicht Laster die Oberhand über die weichen Gemüter gewinne und dies alles mit einem von Kummer so be- schwerten Herzen, daß die Kürzung des Lebensfadens durch die Parze eine Wohltat schien, denn er, dessen süße Gesellschaft den Studien des Niedergedrückten Nah- rung gab, ihn durch holden Wetteifer vorwärtstrieb, sein Vetter, Freund, Bruder, nicht nur seme halbe Seele, nein, die ganze . . . :

Er, ohne den ihm nichts gelingen mag. Er aterb. Puukillo ttarbl O, adtcwmt Schlag im d^, dn Stamm Ariostl Voa ddnen Zwogen Der flchAnste war'aL . . (Sat. VII, tgjfL)

Ob der Tiefbekümmerte wirklich dem Musendienst sich völlig entzog und auf wie lange wir wissen es nicht. Einig sind die alten Biographen in Hervorhebung der un- endlichen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, mit der Lu- dovico in jener schweren Zeit sich der verwaisten Fa- milie annahm und die Geschäfte erledigte; auch des liebe- vollen Wesens gegen alle von ihm Betreuten gedenken sie übereinstimmend.

Im Anfang des Jahres 1503 sehen wir ihn so weit er- holt, daß er die verlassene Muse wieder anfeuchte, als eine Art Hof dichter. Denn eine sozusagen „offizielle'* Lei- stung liegt vor in dem Hdchzeitßgedicht (EpühaUmium) zur Vermählung des Prinzen Alfonso mit der „rätsel- haftesten Erscheinung des sechzehnten Jahrhunderts"

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XL

r T N T. "P T T y n

Locrezia Borgia: Ferrara von dnst und jetzt das ist das Thema seiner schwungvollen Hexameter. Zum Schiaß heißt es: „Wo die Menschen über fischreiche Ge- wässer ihre Boote trieben oder auf sonnigen Gefilden Netze

trockneten, da leuchten schöne Tempel, Häuser, Plätze, Straßen, Paläste, Türme und Mauern eines Herkules . . . Kaum reicht die Stadt aus für ihr Volk ; mit Rom darf sie sich messen an edlen Sitten und Studien. Aber nichts er- hebt Ferrara so sehr, wie daß es Herrin dich nennt, du schönste, du herrlichste Jungfrau!'* Lucrezia als pul- cherrima virgo\ Dies an die Adresse der Vielverwitweten will uns freilich kühn erscheinen.

Ungeachtet seiner angeblichen Zurückgezogen- heit vom Musendienst muß Ahost bereits um diese Zeit als Dichter anerkannt gewesen sein. Ein Zeugnis dafür ist seines Freundes Ercole Strozzi Venaüo ad divam Lucreziam. Darin wird uns das Bild einer von Karl VIII. von Frankreich veranstalteten (imaginären) Jagd entrollt : Italienische Fürsten geleiten den König; die hervoiragenden Dichter des Tages folgen, MarceUo, Bembo, Pontanususw.; zuletzt, in Gedanken verloren, der Falschheit der Schönen nachsinnend, läßt der jugendliche Ariost zwei Hunde auf einen Elch los.

Bald nach der herzoglichen Hochzeit erhielt er sein erstes Amt. Herzog Ercole ernannte ihn zum Kapitän der Burg von Canossa, unfern Reggio: ein er- freulicher — nur zu kurzer Abschnitt seines Lebens begann.

Ariost Verehrer aus Deutschland machten früher gern und machen hoffentlich bald wieder von Re,G:gio- Emilia aus durch die reizvolle, vom Dichter so anmutig geschilderte Hügellandschaft den Weg nach der alten Burgruine, die uns auch aus anderen Zeiten so vieles zu er- zählen weiß und von manchem unserer Poeten verherrhcht

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EINLEITUNG

XLI

worden ist*. Wer in rechter Stimmung, ariostische Verse im Sinn, jene Bergpfade wandelt, der vermeint wohl, den jungen Schloßhauptmann zu sehen, wie er nach vollbrachtem Dienst von der Bergfeste wohlgemut seinem , .heimatlichen Nest" {il dolcc nido )nio natio) so nennt er Reggio zueilt oder dem unweit der Stadt gelegenen Land- haus seines Vetters Sigismondo Malaguzzi im Dorfe San Maurizio. In ländlicher Einsamkeit verbrachte er damals hier, dichtend und träumend, beglückte Tage. Zwanzig Jahre später ruft er aus der Bergwildnis der Garfagnana dem gastlichen Vetter diese schöne Zeit ins Gedächtnis in wehmutvollen, dem lieben ,,Villino Mauriziano"** ge- widmeten Versen:

* Z. B. von Kudoli Baumbach in seinem schalkhaften Gedichtchen: In dem Scliloßh<rf von Canossa Stdkt der Monde dentoche Dichter. . .

In die spärlichen Trümmerreste des ehemaligen Schlosses jener Gräfin Matliildis, der Freundin Gregors VII. unheilvollen Andenkens, ist ein einfaches Gemach eingebaut, das als Besuch- zimmcr, Bibhothek und Archiv dient und einige Merkwürdigkeiten enthält, darunter eine Art Chronik, d. h. ein Veneichnls von forstlichen Besuchen nnd sonstigen die Ortlichkeit betreffenden Begebenheiten. Da findet sich unter dem Jahre 1502 vermerkt: ,,Lndr>vicn Art'nsto, Dichter, tiird von Ercolc I, Herzog von Ferrara, tum Hauptmann der Burg ernannt (e vi risiede per quasi tutti gli Ultimi sei mese) und wohnt da während etwa der gansen letzten sechs Monate, d. h. der zweiten Hälfte des Jahres.** Vermutlich von Weihnachten 1 502 ab haben wir uns den Dichter als Gast seines Vetters Malaguzzi im Villino Mauriziano zu denken. Der Aufenthalt dort mag bis in den Herbst 1503 gedauert haben. Mög- lich, daß er von dort ans nmäebBt seinen Dienst als Sdüofihaiqit- tnann weitertat.

Das Villino Mauriziano, zum Nationaldcnkmal erklärt, i^^t noch vorhanden, wenigstens das Hauptgebäude (Casino). Man geht von der Porta San Pietro zu Reggio etwa drei Kilometer weit geradeaus nacli den aerstreuten HSnsern des Dorfes Sui Hanrisio. In der Nähe der Kirche bringt uns ein Weg rechts über das Flüßchen Rodanoin wenigen Iiinuten zu dem im Grünen freundlich gelegenen Casino Mauriziano. Die Verse aus der Epistel an Sigismondo t-ind auf einer Steiutafcl an- gebracht. Noch heute triät die Schilderung der örtlichkeit zu. Auch il moMno^ die Wassennflhle, wiewohl umgestaltet, ersählt von dar Jngend

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XLII

EINLEITUNG

Einst lockte mich, zu füllen Blatt um Bbttt,

Die traute Flur um Reggio, unsre Stadt,

Mein Heimatnest. Vor Augen steht mir immer

Dein Ifacffixiano dort: das schOne Zimmer.

Der nahe Rodano durch Wiesen eilt,

Im schatt*gcn Busche die Najade weilt . . .

Bald hier, bald dort im Schatten, hab' ich viel,

In mehr als einer Zung' und einem Stil,

Kastabcbe Flut geschöpft vom Musenqnelle.

Das war meiA Lenx, mein Blfitenmoiiat hdle ...

Wie lange des Dichters Bufo-Retiro beim Vetter Sigis- moado gedauert hat, er&hren wir nicht. Gern wüßten

wir, ob er bis tief ins Jahr 1503 dort geblieben ist. Kam er vor Oktober zurück oder erschien er während des Sommers in der Hauptstadt, so ist seine Begegnung mit einem deutschen Geisteshelden anzunehmen (s. IV. Bd., Anhang Nr. 14: „Ariost Calcagnini Copemicus?"). Gegen Ende des Jahres 1503 sehen wir ihn wieder in Ferrara. Im Oktober hatte er an den Kardinal Ippolito von Este, dritten Sohn des Herzogs Ercole und der Leonora

des Rolandsängers. Drei Zimmer, die Ludovico bewohnte, werden dort gezeigt. Sie liegen an der Schmalwand nach Osten, gegen Modena zu, und aus drei Fenstern mit Eisenstangen und Butaenscheiben hat man den Blick auf die liebliche Landschaft, wie Ariost sie malt. Vor den Fenstern erhebt sich jetzt eine mächtige Trauerweide. Auf der Lang- seite nach Norden, beim Eingang, stehen zwei, auf der nach Süden vier schöne Platanen. Dem Besucher, der an schönem Lenzabend jene St&tte sieht, mag es ans Stanxen des Agostino Cagnoli an die Contessa Linati'MalBgiizsi en^egenklingen:

Porgi aitenio Vorecchio, e la primavtra Qui udrai dentro Vaura peregrina Molleminie ondeggiar verso la sera Un resto ancor deW armonia divina.

(Wenn leise raunend linde Lüfte weben O lausche nurl zur Abendzeit im Mai, In weichem Wohlklang wallt es: aofsuleben Scheint dir ein Hauch unird'scher MdodeL)

(S. die Reiseskizze des Übersetzern; : „Auf den Spuren Arioetaa", Flraak- lurter Zeitung 1908, Nr. 36, 5. Februar.)

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F T N* T. r T T X C,

XLIII

von Aragon, bei Gelegenheit seiner Ernennung zam Ers- bischof von Ferrara ein lateinisches Epigranun gerichtet (dessen allzu starke Schmeicheleien wir mit Cardnod als scherzhaft und leise ironisch gemeint werden auffassen

müssen). Vielleicht hatte dies Ippolitos Augen auf den jungen Poeten gerichtet. Er nahm ihn als famigliare, als KavaUer seines Haushaltes, in seinen Dienst.

Wiewohl von Castiglione im Cortegiano gepriesen, war dieser damals vierundzwanzigj ährige Kardinal keine anmutende Persönlichkeit. Sittenlos, weltHch und hoch- mütig, ein echter Mensch der Renaissancezeit, kannte er nicht Rücksicht noch Pietät ; nichts war ihm heilig. Nur die unverrückte AnhängUchkeit an Alfons, seinen herzog- lichen Bruder und Herrn, bleibt anzuerkennen. Auch persönlicher Mut kann ihm so wenig abgesprochen wer- den wie Klugheit und Umsicht in diplomatischen Dingen und militärischen Angelegenheiten. Für Dichtkunst dar gegen hatte er kein Verständnis und verachtete sie. Aiiost klagt fiber den Rückgang seiner Studien, der im Dienste eines solchen Herrn unvermeidlich war : ,JSx (der Kardinal) machte aus einem Poeten mich zum Postknecht: Konnte ich auf Felsen und in Gräbern Griechisch oder Chaldäisch lernen ? Ein Wunder, daß es mir nicht wie jenem Philo- sophen erging, dessen Kopf durcli den Stein alles entrissen wurde, das er vorher wußte." (Sat. 7.)

Immerhin scheint Ippohto d'Este nicht ganz so gleich- gültig gegen Ariosts Interessen gewesen zu sein, wie die meisten Biographen melden. Gardner hat festgestellt, daß der Kardinal für Beschaffung von Druck- und Schreib- papier, dessen sein Sekretär benötigte, durch Bestellungen in Venedig sich bemühte und auch sonst allerdings in Zwischenräumen und nach Laune, vielleicht je nachdem seine Kasse beschaffen war Ariost günstige Anord- nungen traf. Ob hier wirkUche Teilnahme an Ludovicos

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XI TV

F T X T, F T T N O

dichterischem Schaffen ihn leitete oder die selbstsüchtige Erwägung der ihm daraus erwachsenden Vorteile imd Ehren, wird sich schwer nachweisen lassen. Jedenfalls ist mit der Gestalt des göttlichen Ludwig für

alle Zeit die seines Gebieters verbunden, über den er später voll gerechten Selbstgefühls schrieb:

Meiner Drommete schmetterndes Erklingen

Läßt diesen Namen einst so hoch sich schwingen,

Wie niemals eine Taube sich erhob.

Ariosts Obliegenheiten beim Kardinal waren teils die eines Sekretärs und Gesellschafters, teils die eines Kammer- herm und Diplomaten, wurden ihm aber recht schlecht bezahlt. Auch viele Botendienste und Reisen mu0te er im Auftrag IppoUtos übernehmen; zum Teil nicht unge- fährliche, wie wir sehen werden. Sogar Kriegsdienste scheint er, wie aus einer El^e hervorgeht, für den Kar- dinal geleistet zu haben. Des Dichters Bruder Gabriel be- zeugt, daß Ludovico ein tapferer Kämpe war; sein Mut und seine Entschlossenheit bewährten sich namentlich in einem kritischen Moment zu Rom, wo ein Streit zwischen Ferraresen und Päpstlichen sich zu einem Gefecht ent- wickelt hatte: durch Ariosts Geistesgegenwart wurde Schlimmerem vorgebeugt.

In dieser Stellung war Ludovico Zeuge der fürchter- lichen Ereignisse nach dem Tod Ercoles I. und der Thron- besteigung Alfonsos I. in den Jahren 1505 und 1506, einer Familientragödie, die Konrad Ferdinand Meyer zum Hin- tergrund seiner Novelle „Angela Borgia'' gemacht hat. Ariost gedenkt dieser grausigen Vorgänge in einer drama- tischen — in jenen Jahren entstandenen „Ekloge" und dann wieder, in einem ganz anderen Sinne, später im drit- ten Gesang seines Orlando. Ein den gegenwärtigen Aus- führungen nachfolgendes Kapitel (über die Rime) wird auf diesen Gegenstand zurückkommen müssen.

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EINLEITUNG

XLV

Gelegenheit, dicht erisclie Fähigkeiten zu entfalten, bo- ten die zahlreichen Feste am Hofe zu Fcrrara. Ariosts Stellung brachte es mit sich, daß ihm zumeist Veranstaltung und Inszenierung literarischer Unterhaltungen zufiel. Für höfische Aufführung schrieb er wie wir noch weiter sehen werden vier italienische Komödien, leitete die Darstellung und trug persönlich den Prolog vor. Epische Entwürfe lebten gleichzeitig in seinem Kopf. Der Gedanke einer gröi3eren erzählenden Dichtung hatte ihn schon lange beschäftigt, ehe er, drei Jahre nach seinem Eintritt in den Dienst des Kardinals, zur Ausführung schritt. Von früh auf hatte er mit besonderer Vorliebe sich in das Stu- dium der alten Rittergesänge vertieft; es heiBt, Ariost habe, um die spanischen Romanzen im Original lesen zu kdnnen, Kastiliens Sprache erlernt. Bestimmend für die Wahl seines Stoffes sind jedenfalls zeitgenössische Werke, vor allem Luigi Pulcis Morgante Maggiore und Bojardos ,, Verliebter Roland" gewesen. Daß in jenem Jahre 1506 die ersten Federstriche an seinem berühmten Werke ge- schahen, ist eine durchaus gerechtfertigte Vermutung. Hätte doch nur im April des fol^^eiiden Jahres die Marche- sana Isabella von Mantua in ihrem (Seite IX der Vorbe- merkung" genannten) Brief, dem ersten Zeugnis des wer- denden Orlando, ihrem Bruder Alfonse außer der Bewun- derung über das entstehende Werk noch die Zahl der da- mals vorhandenen Gesänge mitgeteilt 1 Wir wissen nur so vid, daß von da an die Arbeit an der großen Epopöe so vonstatten ging, wie es des Dichters unstetes und oft recht unerquickliches Leben im Dienst des Kardinals nur irgend gestattete. Er wird das Manuskript auf den vielen Bot- schaftsreisen, die er teils im Auftrag des Kardinals, teils des Herzogs unternahm, zumeist bei sich gehabt haben, nicht nur auf den Fahrten nach Rom in den Jahren 1509 und 15 10 und im Feldlager, als er im letztgenannten Jahre

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F T X T, F T T T' N C

am Zuge gegen die Venezianer teilnahm nnd mirabüe Oct» , wenn die OberUeferang zutrifft, den Feinden ein Schiff entriß, sondern vieQeicht schon jetzt, im Jahre 1506, als er mit dner Sendung an Lucrezia von Este Benti-

voglio, Ippolitos Halbschwester, betraut wurde*. Nach dem Wochenbesuch in Mantua sehen wir ihn im Mai 1507 in Mailand, in hochpolitischer Eigenschaft, zusammen mit seinem Bruder Alcssandro, der jetzt auch zu des Kardinals Gefolge gehörte : es galt die Begrüßung des französisclien Königs Louis XII.

Das Jahr 1508 war, wie wir mit dem Verfasser von Dukes and Poets es aussprechen dürfen, von großer Wich- tigkeit für Ferrara wie für die Entwicklung seines Dichters. B^dmund G. Gardner bezeichnet als die zwei ,, unstreitig größten Persönlichkeiten in Ferraras Geschichte" den Her- zog Ercole I. und Ludovico Ariosto. Der ^tere schuf so führt er aus das moderne Ferrara, der zweite erhob es zu weltweiter Bedeutung in der Geschichte der euro- paischen Literatur. Ferraras Geschichte zerfallt in zwei deutlich geschiedene Peri^klen mit dem Teilungspunkt im Jahre 1508, dem Jahr, das die Liga von Cambray sah. Von da an schlägt Ferraras Kunst, Literatur und Politik eine neue Richtung em. Die Werke Ludovico Ariostos zeigen eine veränderte Form und Schemen wie von emem neuen Geist beseelt. Zwischen seinen früheren Schriften in Vers und Prosa und seiner späteren Dichtung stellt sich der ganze Unterschied zwischen Früh- und Hochrenaissance dar; mit seiner Prosakomödie ,,Die Untergeschobenen", die im Karneval des folgenden Jahres zur Auffülirung

Was Ippolito d'Este durch Ariost in Bologna erledigt wissen wollte, hat aich nicht nachweisen lassen. Gardner meint, im Hinblick auf den bevocstdwadea Fdt des Hanaes Bmtivoglio, der Herrscher v<m Botogna, habe eine Xhiterknnft fSr Lucrezia d'Este und ihre Kinder vorbereitist werden nkOsseii«

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EINLEITUNG

XLVII

gelangte, krönte und vollendete er das Werk der Erneuerung des italienischen Dramas, die sein verstorbener Herrscher Ercole begonnen hatte.

Vor den Suppositi konnte Ariost, noch im Jahre 1508, die Cassaria (Kastenkomödie) auf den Brettern er- blicken.

Das Jahr 1509 beschenkte ihn mit einem Sohn, seinem Virginio, den er inmier zärtlich geliebt und in späteren Jaluren nicht mehr von sich gelassen hat. Die Mutter stammte aus Modena und hieß Orsolina Catinelli (er hat später großmütig für sie gesorgt; sie verheiratete sich mid schemt dem einst Geliebten eine dauernde Anhängfichkdt bewahrt su haben). Daß Ariost »,den Schönen hold'*, dabei eifersüchtig und leidenschaftlich war, berichtet sein Biograph Garofalo; etwas Ahnliches gestand, wie wir lesen, er selbst ein, in dem lateinischen Gedicht vom wankel- mütigen Sinne.

III

Herzog Alfons erfreute sich anfangs der Huld des grim- men Papstes Julius II. Als er aber auf eigene Faust den Franzosen die Juhus eigentlich gerufen hatte, jedoch mit Mißtrauen betrachtete sich anschloß und zur Be- grüßung des Königs Ludwig mit glänzendem Gefolge nach Mailand ging, sah der Papst, wahrscheinlich au%estachelt von Alberto Pio, darin die Eigenmächtigkeit eines Va- sallen'': „Er wurde des Herzogs Todfeind", schreibt dessen Sekretär Bonaventura PistofUo, „und blieb dies sein Leben lang.** Zur Besänftigung des Papstes wurde Ariost nach Rom entsandt. Von dort aus meldete er nach Ferrara, der Zorn des HeOigen Vaters sei zu groß ; der Herzog m^e selbst nach Rom kommen. Doch Alfons blieb in Ferrara. Nach der Rückkehr hatte Ludovico für den imFdde stehen- den Kardinal mancherlei Geschäfte zu besorgen: zwei

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XLVIII

EINLEITUNG

Briefe aus dieser Zeit an Ippolito sind uns erhalten. Als Fenara durch den Venezianer Trevisano bedroht wurde, befand sich der Dichter in der Kriegsschar seines Herrn, der gegen die venezianische Flotte und gegen eine starke Bastion am Ufer des Po zugleich zu kämpfen hatte. Am I. November 1509 befahl Ippolito einen Vormarsch zum Sturm, seine Leute in der Front. Dabei geriet Ercole Cantelmo, Sohn des Herzogs von Sora, wie Luigi da Porto schreibt, ,,ein herrhcher, überaus anmutiger und schöner Jünghng", der mit Alessandro Ferrusino vorausgesprengt war. durch slawonische Söldner in Gefangenschaft und wurde vor Augen seines Vaters und aller Ferraresen auf einem Schiff enthauptet. Daran erinnert Ariost den Kar- dinal im Orlando (36. (ies., St. i 7).

Die Kriegsereignisse machten Verstärkungen der Trup- pen Ferraras notwendig. Um solche vom Papst zu erwir- ken. \\airde Ariost aufs neue nach Rom geschickt. Am 16. Dezember brach er nach Bologna auf. Unterwegs wäre er fast in den übergetretenen Fluten des Po umgekommen. Am Tiber blieb er zwei Monate. Dort traf ihn die Nachricht von der Vernichtung der venezianischen Flotte bei La Polesella durch Alfons und Ippolito, einem so vollständigen Siege, daß danach ,,weder Pferde noch Fußvolk mehr nötig waren**, wie er sich ausdrückt. Im Orlando findet der Schlachtendonner von La Polesella seinen Widerhall bei Schilderung des Sieges, den Dudo über die Flotte König Agramants errang (Ges. 40, St. 15). Der Dichter war nicht zugegen. ,,Wie vom Blute rot die Wogen gingen," ruft er dem Kardinal ins Gedächtnis, „Ihr saht's und ließt es viele andre sehen"*.

* Aus Rom, wo ihn die Nacliricht von der siegreichen Schlacht bei La Polesdia erreicht hatte, achrieb Ariost am Wcabnachtstag 1509 an den Kardinal IppoUto. Sein Brief ist noch erhalten und auch deshalb wichtig, weil eine Anspielung auf Dinge, die im letaten Gesänge des

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EINLEITUNG

XLIX

Ich sah es nicht: ich war in Hast gelangen,

Die Pferde wechselnd stets, sechs Tag' vorb^,

Vorm großen Hirten kniend zu erlangen,

Daß er zur Hille rasch entsend' ein Heer.

Doch nicht um Beistand braucht' ich mehr zu bangen:

Des Leuen Klanen und Gebisses Wehr

Bracht' ihn schon so, daß Unbill oder Flage

Er onterlasaen hat seit jenem. Tage.

Am i6. Februar 15x0 war Ariost wieder in Ferrara.

IV

Die Stadt ging einer schweren Zeit entgegen. Acht Tage nach des Dichters Rückkehr machte die Repubhk Venedig ihren Frieden mit dem Papst, und immer offenkundiger zeigte Julius II. seine Gelüste nach Alfonsos Herzogtum. Ippolito seinerseits erregte den Grimm des geistHchen Oberiürten durch erfolgreichen Druck auf die Mönche der

Orlando vorkommen (nämlich den wunderbaren Pavillon, in dem Ruggiero nnd Bradamaate verheiratet werden sollen), uns zeigt, daß die erste Gestalt des Gedichtes -wenigstens im Gehirn des Dichters nahem vollendet, wenn anch wohl noch nicht schriftlich ausgearbeitet

war. Der Brief lautet: ,,Seit ich Ferrara verließ, hat es beständig, Tag und Nacht, geregnet; die Flüsse sind ausgetreten, so daß eine Reise aasntfietsii fsdkt g^fthrUch ist Damm möchte ich bei Eurer Herrlichkeit entschuldigt sein, wenn meine Rückkehr sieh etwas v«r-

spätct. Heute traf die Nachricht ein, daß Eure Herrlichkeit zusammen mit dem Herzog die venezianische Flotte auf dem Po besiegt hat, worülxjr, wie ich meine, dieser ganze Hol sich freut. Das ist mir heb, denn ab- gesdien voa der öffentlichen Eznngenschaft, wird meine Muse in dem Pavillon meines Ruggiero eine Geschichte zu neuem Preis Eurer Herr' lichkeit zu malen haben." (Bei Gardner, The Kinq S. 67.)

Die ani Ende als beabsichtigt erwähnte Ausmalung ist erfolgt im letzten Gesang des Orlando: Gemälde in dem Prachtzclt für die Ver- mählung voa Roger nnd Bradamant stellen Taten ihrer Nachkommen dar nnd auch diese Waffentat IppoUtos. Der Schluß, den Gardner hieraus zieht, daß Orlando um diese Zeit schon seiner Vollendung nahe gewesen sei, ist unwahrscheinlich. Vielmehr genügt es, anzunehmen eine Möglichkeit, deren auch er gedenkt , daß der Dichter den Plan seines Werkes im Kopfe hatte.

Atiost I IV

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EINLEITUNG

begüterten Abtei Nonantola, die ihn nach dem Tode des bisherigen Inhabers zmn Abt ^lvählen sollten. Eine aber- malige Entsendung Ariosts nach Rom (im Mai 1510), um Gefahren, die den beiden Fürsten drohten, abzuwenden, blieb wirkungslos; ebenso zwei im August. In anderer politischer Angelegenheit ging er in diesem Jahr zum Fürsten von Carpi, Alberto Pio. In alter Herzhchkeit konnten sie einander nicht begegnen. Durch Albertos fortgesetzte Ränke gegen das Haus Este löste sich ihr Verhältnis, vermutlich um diese Zeit, wie Ariosts Sohn Virginio es ausgesprochen hat.

Mit zahlreichen hochstehenden Herren unterhielt Ariost, zumeist infolge seiner Missionen, Verbindungen. Aus dem Jahr 1511 besitzen wir ein Glückwunschschreiben von ihm an den Kardinal Giovanni de' Medici, der damals zum L^ten von Bologna ernannt worden war. Er hatte sich dem Dichter immer äußerst wohlgesinnt bewiesen, und dieser glaubte, einen zuverlässigen Gönner in ihm gefun- den zu haben.

Als Ende 15 11 die Spanier unter Cardona in die Ro- magna einrückten, ergaben sich die dem Herzug Alfons gehörigen Städte mit Ausnahme der Badia del Zaniolo, die den Flußübergang beherrschte. Nach heldenmütigem Widerstand wurde die kleine Garnison überwältigt und mit ihrem Befehlshaber Vestidello niedergemacht. Bald darauf erschien Alfons mit französischen Truppen. In- folge seines Artilleriefeuers löste sich ein Stein des Walls, traf ihn an die Stirn und streckte ihn besinnungslos zu Boden. Wütend darüber, stürmten seine Leute vorwärts, nahmen die Bastei und ließen sämtliche Spanier darin über die KUnge Biringen. Als es nun im Orlando gilt, dar- zustellen, in wdchem Grad beim Kampf Roland durch den Tod seines Freundes Brandimart zur Wut gereizt wird, dient jener Vorfall dem Dichter zu einem seiner anziehenden

EINLEITUNG LI

Exkurse, wie sie namentlich gern den Eingang seiner Gesänge schmücken (Ges. 42, i 4).

Das nächste große Ereignis im Kriege war die fürchter- liche Schlacht bei Ravenna am Ostersonntag 1512, dem II. April. Alle päpstlichen und spanischen Feldherren wurden gefangen, mit ihnen der Kardinal Giovanni von Medici. Der verwundete Fabrizio Colonna ergab sich nach veratweifelter Gegenwehr dem Herzog von Ferrara persdoHch. Die Artillerie Alfonsos entschied den Tag; g^en sie konnten die Sensenvragen der Spanier nichts aus- richten. Jedoch verloren die Franzosen in der Stmide des Sieges ihren gefeierten Feldherm Gaston de Foix. Den gefangenen Fabrizio Colonna lieferte Alfons trotz allen Drängens des französischen Königs nicht aus, sondern behanddte ihn wie einen geehrten Gast.

Auch dieses Ereignis verwertet Ariost im Orlando: um den schwererkauften Sieg der Sarazenen über das Christen- heer zu illustrieren, zieht er zum Vergleich die Schlacht von Ravenna heran und erinnert Alfons an seinen ,,glanz- und ehrenreichen Triumph",

Triumph, auf den mit schmerzgesenkten Brauen, Beträntem Aug' Ravennas Bürger schauen.

(Gesang XIV, St. 2.)

Bald nach der Schlacht scheint Ariost vermutlich als Träger einer Botschaft von Ippolito an den Herzog per- sönlich in Ravenna gewesen zu sein. Darauf deutet die zehnte Elegie, wo er sagt: „Ich kam dahin, wo rot noch die Gefilde waren von unserm und Barbarenblut . . . Und sah so eng gereiht der Toten Schar, daß meilenweit keui Fleckchen Erde war, den Fuß zu setzen, ohn' auf sie zu treten."

'Im August 1512 gelang es dem Dichter, im Auftrag Ippolitos sich durch die päpstlichen Staaten zu dem geächteten Herzog Alfons, der in Verkleidung bei den

IV*

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EINLEITUNG

Cdonna weilte, zu schleicheii und ihn auf der Flucht nach Florenz zu begleiten. Von dort begab er sich nach Ferrara zurück. Als im März 1513 nach dem tbde Julius' IL der allgemein beliebte Giovanni de' Medici als Leo X. den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, eilte Ariost nach Rom*^, dem Heiligen Vater des Herzogs Glückwunsch zu bringen, froher Hoffnung voll; denn wiederholt hatte er vom Kar- dinal Giovanni die Versicherung erhalten, wenn er einen Wunsch habe, werde sein Gönner ihn wie den eigenen Bruder Giuliano behandeln. Ein liebreicher Empfang in Rom versprach viel und hielt nichts. „Die Hoffnung'*, schrieb Ariost später in einer Satire, ,,floh von mir in des Himmels unbekannte Regionen an dem Tage fort, da der Heilige Vater mir die Hand drückte und die Wangen küßte." In Rom blieb er noch einige Wochen, verdrieß- lich und enttäuscht; sodann, im Frühsommer, finden wir ihn in Florenz**, als Teilnehmer an den Freudenfesten, die vom Papst gegeben wurden. Dort sah er die schöne junge Florentinerin Alessandra Benucci, Gattin des Tito Strozzi, wieder, die er früher schon kennengelernt hatte, und

* Weiteres über diese Romreise siehe IV. Band, Anhang Nr. lo und Anm. ni SaA. in. V. 184.

** Er Itfttt» dort im Namen seines Vetteis Rinaldo Aiiosti mit Gio- vanni Vespucci Geldangelegenheiten zu regeln (s, Gustavo Uzielli,

Vita di Amerigo Vespucci scritta da Angolo Bandini, Firenze 1898, p. g.) und wohnte damals, wie Uzielli nachgewiesen hat, als Gast Kiccold VeepocciB in dessen Hans am Sfidende des Ponte Vecchio. Dieses Gebäude ist noch vorhanden (es trägt die Nr. 2) und darf der Stein- tafel gewärtig sein, die Florenz, wie Uziflli sehr richtig bemerkt, dem Dichter noch schuldet. Alessandra, eine \'crwandte des Vespucci, war mit ihm zusammen Gast dieser Familie (Näheres in: „Auf den Spuren L. Ariostos", Frankforter Zeitong 1908, Nr. 36). Wenn Uzidli in der von Fomari erwähnten Cognata der Vespucci eine andere Verwandte sieht und nicht Alcssandra Strozzi-Bcnucci, so steht er mit dieser Ansicht wohl allein. Bei seinem zweiten Aufenthalt in Florenz wohnte Ariost als Gast des Zanobi Buondelmonti im Hause (heute Nr. 6) Bmndam<mH*\ Fiasza Santa TtinitA, gerade der Kirdhe gsgenftber, an der Ecke der SantI Apostoli.

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EINLEITUNG

Uli

verlor jetzt ganz sein Herz an sie. Und diese Leidenschaft blieb lebendig durch sein ganzes Leben; der flatterhafte Sinn" kam zur Ruhe. Alessandra soll den Dicliter zur Vollendung seines Orlaftdo angetrieben haben, indem sie ihm die Verpflichtung auferlegte, ihr jeden Monat einen durchgesehenen Gesang zu schicken. Bald hier, bald da blickt aus dem Dicht er werk ihr Antlitz uns entgegen. Man könnte meinen, schon beim ersten Anfang habe Ariost in Alessandras Banden gelegen ; denn von ihr macht er die VoUendung des Ganzen abhängig, gleich in der zweiten Stanze des ersten Gesanges:

Von Roland gilt es Unerhörtes sagen, Was weder Reim noch Prosa je gckauut; Vn» er, ao vreiae aonat in allen Tagen, Durch Liebe ward vom Wahnsinn übermannt; Wenn sie, die fa?;t wie ihn mich hat geschlagen, So daß mir scliier mein bißchen Witz ent'^chwand, Von diesem Rest so viel mir will vergönnen, DaB ich Versprochnes werde achaffen kAnnen.

Aber die Fassung mag jünger sein, die Anspielung ein- geschaltet wie so viele. Noch einmal bezeichnet der Sänger sich als Leidensgenossen Rolands. Nach der köstlichen Schüderung der Fahrt Astolfs zum Monde, von wo der in einem Kruge verwahrte Verstand des verrückten Helden zurückgeholt werden soll (denn alles« das hier auf Erden verloren ging, findet sich dort auf dem Monde au%e- . speichert), beginnt er einen neuen Gesang mit der Anrede an Alessandra (ohne Namensnennung):

Wer wird für micli herab vom Himmel bringen,

Was ich verlor, o Herrin, an Verstand,

Der seit aus Eurem Aug' ins Herz mir dringen

Die scharfen Pfeile mehr und mehr verschwand?

Doch will ich drob nicht KlagnHedwr tingen.

Wenn keine neuen werden ausgesandt.

Denn, muß ich ihn noch mehr geschmälert sehen,

So wird mir's, furcht' ich, bald wie Roland gehen.

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LIV EINLEITUNG

ich brftucli* in tolclie HOhen nicht sn iteigeQ,

Um einzuholen meines Geists Verlust, In Mondeskreis und Paradieses Reigen DttB er 80 hoch nicht «eilt, ist mir bewnfit. Ab Wohndts watd ihm En«r Anllits eigmt;

Die Alabasterhügel Eurer Brust

Durchschweift er, und ich kann mit diesen Lippen,

Glaub' ich, wenn Ihr's vergönnt, herab ihn nippen.

(35, 1—2.)

Wie hoch er Alessandra stellt, zeigt ihre Einreihuag unter die acht edelsten und schönsten Damen des zeitge- nössischen Italien, deren Bfarmorstatuen Rinald auf dem Brunnen eines wundervollen Schlosses am Po findet. Sieben von ihnen werden von je zwei Sängern, auf deren Schultern sie stehen, getragen: Lucrezia Borgia von Te- baldeo und Strozzi; IsabeQa Gonzaga von Calandra und Barddone; Elisabetta Gonzaga da Montefeltro von Sado- leto und Bembo; Leonora Gonzaga (gleichwie Elisabetta eine Herzogin von Urbino) von Castiglione und Arelio; Lucrezia Bentivoglio von Paleotto und Silvestri; Diana de* Contrari von Calcagnini und Cavallo; Beatrice Sforza von Niccolö da Correggio und Bendadei. Zwischen der Borgia und Beatrice

In Alabaster schön ist ausgehaueu

Ein Frauenbild: gar herrlich scheint es dir,

Im Schleier und im schwarzen Kleid zu schauen,

Ohne Juwelen, ohne goldne Zier

Strahlt nnter den GeBchmOckten diese eine,

Wte Venns strahlt bei andrer Sterne Scheine . . .

Wie ächr auch immer Huld und Anmut eigen Hier dieseui schöneni wohlgefbnnten Stein, Scheint er doch Unmut ob des Sangs xa seigen, Des einer sich erkühnt mit Stümperein (Warum kein zweiter führt mit ihm den Reigen, Nicht weifi ich's), der die Dame trägt allein. Der Ibme wu bei allen soost geachiieben. Und nngenannt nur diese beiden blieben.

{42, 8o— 95.)

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EINLEITUNG

LV

Daß der Dichter Alessandra und sich selbst geraeint hat, steht außer Zweifel.

Sechs Monate verbrachte er zAim Studium des feinen toskanischen Idioms, so wird überliefert, in Florenz* der Stadt, die von da an ihm über alles teuer wurde , „den Orlando beendend", schreibt Gardner; doch so weit war das Werk wohl noch nicht vorgerückt. Die Notiz Fomaris, Ariost habe damals am Kampf des Prinzen Zerbin mit Mandrikard (im 24. Gesang) gearbeitet, spricht auch dagegen. Die imgewohnte Weichheit wid Zartheit, die jener Gesang atmet, mag ans dem von Liebe bewegten Dichtelgemüt geflossen sein.

Ob Alessandra ihren Sänger, der gegen Ende des Jahres nach Ferrara zurückkehrte, dorthin begleitet hat, steht nicht ganz fest, doch ist es wahrscheinlich. Sie war in- zwischen Vi^twe geworden nnd scheint sich in bedrängten Verhältnissen befunden zu haben. Auch Ariosts Lage wurde immer schwieriger. Die Freiheit der jüngsten Jahre ent- sprang dem Umstand, daß der Kardinal Ippolito ihm sein Gehalt niclit mehr auszahlte. Schulden bedrückten den Dichter. Da kam es ihm sehr zustatten, daß ihm durch eine Bulle Leos X. im Juni 1514 die Pfründe von Santa Agata bei Faenza verliehen wurde. Das verhalf ihm zu einem Einkommen von dreihundert Golddukaten. Von der damit verbundenen VerpfUchtung, innerhalb Jahresfrist Priester zu werden, scheint er Dispens erhalten zu haben. Im Herbst darauf war er mit dem Kardinal auf dem Wege nach Rom, erkrankte aber in den

„Im Hanse seines Freundes", so meldet Fornaxi, „verweilte er sechs Monate und pflegte mitten in der Nacht aufzustchn, um zu dichten. Oftmals mnOte aein Diener Giovanni, der ans Peada war nnd in der Satirc an IfesSer Galaaso erwähnt wird, für ihn Feder nnd

Papier holen. Frühmorgens dann, ganz glühend und mit sich zu- frieden hinsichtlich des nächtlicbtfweile Geschafienen, las er Vespucci das von ihm Niedergeschriebene vor/*

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F T X L K T T TJ X C

Apenninen* imd kehrte dann wieder zu seiner Alessandra zurück. In Ferrara führte er seingroßes Werkim Herbst 1515 zu Ende. Schon im Juli hatte er von Leo X. für die Ausgabe das S. I erwähnte Privilegium erhalten; ein anderes vom Senat von Venedig folgte im Oktober. Der Druck wurde im April IJ16 beendet. IiTtümlicherwcise hat man zwei Ausgaben, von 1515 und von 1516, angenommen. Die von 15 16 ist die erste**. Der Kardinal empfing sein Exem- plar nach der Rückkehr von Rom im Juni und soll be- kanntlich mit der Frage quittiert haben: ,, Messer Lodovico, dovc mai trovastc tanie fanjaluche? (,,Wo habt Ihr all die Hirngespinste gefimden?"). Darin eine Verlegenheits- äußening über die in dem Werk ihm gespendeten Lob- sprüche zu sehen, wie Gardner es tut (der die Worte für authentisch nimmt), will doch, zumal bei Ippolitos Selbst- bewußtsein, nicht einleuchten.

Ariost war mit seinem Heim längst wenig zuMeden ge- wesen. Er hatte durch seine Dichtungen Ruhm und Ehre erworben, aber bei der Kargheit des Kardinals nicht so viel erübrigt, „daß er sich einen neuen Mantel hatte an- schaffen können" (Sat. I). Der Dienst war beschwerlich;

* Siehe Capitcdo IV. Diese reisenden, an Ippc^to d'&te gerich«

teten Verse atmen Schmerz über die Trennung von der Gdiebten und Sehnsucht nach ihr sowie der Heimat.

Sie enthält nur 40 Gesänge. Auf 46 wurde erst die Ausgabe von 1532 gebracht.

Eines anderoi Ansdmda (gemeiat ist wohl eofb»IUn$i die

überlieferten Bezeichnungen sdiwanken) gedenkt P. Heyae in seiner

„Madonna im Oelwald":

„Wie kamt Ihr zu dem Possenkram, Mcssere Ariost?*' rief jener Kardinal; er branchte Ein stärkres Wort, das jetzt nicht «r.hicklich wize. Braucht's gegen den, der seinen Pinsel tavchte In Irisfarben, frei von Erdenschwere, Und eine Zauberwelt ins Leben hauchte, Sich trOetend: „honny soit qni mal y pense. Sind wir nicht in der Zeit der Renaissance?**

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EINLEITUNG

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namentlich die zahlreichen Entfernungen von Alessandra durch die Reisen behalten ihm nicht. Als Ipix)lito im Herbst nach seinem Bischofssitz Agram übersiedeln und dea Dichter mitnehmen woUte, weigerte sich dieser zu gehen. Er wurde in kränkender Weise entlassen und ge- zwungen, auf seine zwei einträglichsten Benefizien zu verzichten. Sein jüngster Bruder Alessandro ging mit nach Ungarn. An ihn schreibt er über den Kardinal in der zweiten Satire: ,,DaB er, weil ich nicht willig war, zu gehen. Um Buda mir und Agram anzusehen, das Seine nimmt, kränkt nicht so überaus (Riß er mir gleich die besten Federn aus. Womit die letzte Blauserung mich schmückte), Als daß er mich der Lieb und Huld entrückte, Ifich ohne Treu und Glauben nennt" usw.

So war, anderthalb Jahre nach Erscheinen des Orlando, ,,das Joch des Kardinals" abgeschüttelt und Ludovico Ariosto der Freiheit zurückgegeben.

V

Die goldenen Tage der Unabhängigkeit gingen rasch vorüber. Ariost vermochte von zwei Benefizien, die ihm geblieben waren, seine bescheidenen Lebensbedürfnisse nicht zu befriedigen. Er trat (April 1518) als Mitglied des herzoglichen Haushaltes in den Dienst Alfonsos, der freigebiger und weniger anspruchsvoll war als sein Bruder Ippolito. Dennoch sollte Ludovico auch über den Herzog zu klagen haben. Als sein Vetter Rinaldo Ariosto, das eigentliche Haupt der Familie (er führte auch den Grafen- titel, von dem der Dichter kdnen Gebrauch machte), im Juli 1529 starb, hätte ein reiches, von Ercole L an Ri- nalds Vater verliehenes Besitztum bei Bagnolo an Ludo- vico und seine Brüder fallen sollen. Aber die herzogliche Kammer nalim es für sich in Anspruch, und Alfonso zeigte

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K T N L E I T U N G

für die Bitten des Dichters ein taubes Ohr. Ein Prozeß, den dieser anstrengte, führte zu nichts nnd verbitterte, wie die alten Biographen melden, den Rest* von Ludovicos Leben.

Weiteres Ungemach brachten ihm die Kriegsereignisse.

Der Herzog, zur Sparsamkeit gezwungen, ließ ihm sein Gehalt sehr unregelmäßig auszalilen und deutete an, er werde es ganz auflieben müssen. Da zu gleicher Zeit noch eine andere, aus dem Erzbistum Mailand fließende Ein- nahmequelle versiegte, blieb der Dichter fast mittellos. Offenherzig bekannte er dem Herzog, er werde einen andern Dienst suchen. Das half. Ariost wurde (Februar 1522) zum herzoglichen Kommissar in der Garfagnana er- nannt*, einer ursprünglich ferraresischen, zwischen Mo- dena, Lucca und Massa gelegenen. Von Gebirgen um- schlossenen Provinz, deren Bewohner gerade nach Leos X. Tod (Dezember 1521) der päpstlichen Herrschaft sich ent- zogen und die- Wiederaufnahme unter Alfonsos Schutz nachgesucht hatten. Am 12. Februar -machte der neue Statthalter sein Testament, worin er, abgesehen von from- men Spenden, alles seinem inzwischen legitimierten \^ginio vermachte, und ging einen Tag nach Veröffentlichung der zweiten Ausgabe seines Furioso nach dem neuen Wirkungskreis ab, von Virginio und einigen Bewaffneten begleitet. Am 20. Februar traf er in Castelnovo ein*"^.

Freilich XU seinem Mißvergnügen, wie wir durch ihn selbst er- fahren; er nennt das neue Amt , .nicht recht seinem Wunsch ent- sprechend (non molto conformc al mio disio)". Seine schwache Gesund- bdt 'war für das anstrengende, entbehrungsreiche Leben, das dort seiner wartete, nicht aagetan, seine städtischen Gewtihiiheitea nicht für die rauhe Bergwildnis. Aber er konnte nicht ablehnea und nahm die Stelle an.

** Zu sehen, wie der Orlandodichter in Ausiibung Reiner staats- minnisdien Pflichten als heraoglicher Kommissar verfuhr, ermögUchen nns vorhandene Briefe nnd Berichte Ariosts ans jener Zeit. Kein Ab- schnitt seines Lebens li^ so reich beurinmdet und so klar vor nns wie

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Das stille Bergörtchen gefällt dem Städter gar nicht I „Wo wäre wohl zu finden eine Stätte," schreibt er nach einem Jahre an Vetter Sigismondo ,,die minder Raum für heil'ge Studien hätte, An Liebreiz weniger, an Sclurecken mehr*?**

Die ihm gestelhe Aufgabe ging in der Tat über seine Kraft, zumal da er von oben her im Stich gelassen wurde. Oft sollte er es erleben, daß bei Vorstellungen, die er nach Ferrara machte, gegen ihn entschieden ¥rurde, weil der Einfluß örtlicher Persönlichkeiten größer war als der seine.

die drei Jahre in der Garfagnaua. Sein erstes staatspolitisches Schreiben nach der Aakoiift In Castelnovo war an den Kapitän der florentinischen BeMtxnng im benachbarten St&dtcben Barga gerichtet Ein Teil der

Garfagnana nämlich, mit diesem Barga ab Hanptort, gehörte nicht 7u den cstcnsischen Besitzungen, vielmehr zu Florenz. Mit dem dortigen Machthaber sich gut zu stellen, war eine wichtige Aufgabe für den ferrareaischen Stattiialter nnd eine domige, denn die Besidrangen sn jener R^Uik waren natnrgemäB gespannte. Am 3. Mira 1532 schrieb Ariost an ,,sf incn hohen und geehrten Bruder", den Kapitän von Barga: „Da mein erlauchter Herr, der Herzog von Ferrara, mich für die Re- gierung dieser Provinz Garfagnana ausersehen hat und ich weiß, wie- viel Seiner EsoeUena daran liegt, dafi seine Untertanen in Frieden und ohne Argwohn mit ihren Nachbarn, insonderheit den Untertanen der hohen Republik Florenz, leben und verkehren mögen, habe ich in Anbetracht der vollkommenen Freundschaft, die immer zwischen genannter hoher RepubUk und Seiner Exzellenz bestanden hat und besteht, es für meine Pflicht gehalten, nach meiner Ankunft Euer Herrlichkeit mit diesem Brief zu besuchen nnd Sie zu bitten, falls Schwierigkeiten . . . entstehen sollten, gemeinsam mit mir zu handeln, wie ich es Ihr gegenüber tun würde, damit wir durch allen Fleiß nach unserm besten Vermögen die Untertanen zu jenem Frieden, jener Eintracht und Ruhe zurtkckführen mögen, in der nnsere hohen und erlauchtesten Herren immer verharrt haben und xur Zeit verharren."

* Ein moderner Besucher des Bergstädtchen!^ Castelnovo di Gar- fagnana, das von Lucca aus, zumeist im Serchiotal hin, in ein paar StmideiB m erveichien ist, wird anderer Bidnung sein xtuA von SefaredBen nichts, von landschaftlichem Liebreiz aber gar manches verspfiren. La Rocca, die Burg, einst Wohnsitz des herzogUch ferraresischen Kom- missars Conte Ludovico Ariosto, ist ziemUch unverändert gebUeben. Das kleine Zimmer, in dem unser Poet dichtete und sclirieb („5t äice wie man sagt", bemerkt vorsichtigerweise die liebenswürdige Schloß-

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EINLEITUNG

Das mußte ihn um so mehr kränken, als er sein Amt durch- aus ernst nahm und mit ganzer Kraft für das Wohl seiner Bergbewohner zu wirken strebte. „Solange ich in dieser Stellung bin," schrieb er an den Herzog (am 23. Juh 1524), werde ich keinen anderen Freund kennen als die Gerech- tigkeit." Die Bevölkerung zollte ilim Dank dafür. ,,Er wurde", sagt der älteste Biograph, ,,in jener Gegend nicht nur geliebt, sondern verehrt, sogar von den Straßenräubem, nahezu tierischen Gesellen." Einer der gefürchtetsten Wegelagerer, Filippo Pacchioni , war ihm begegnet, ohne ihn zu keimen. Als er von einem Diener erfuhr, Ariost sei vor- übeigeschritten, eilteer ihmnachundbat, demütig grüßend, um Verzeihung für die unterlassene Achtungsbezeigung.

Ein eindringlicher Brief des Kommissars Ludovico an Herzog Alfons um Abberufung aus seiner Einöde (vom 30. Januar 1524) blieb ohne Erfolg. Indessen hätte er wenn der Sdoretär Fistofilo seinen Einfluß nicht zu hoch einschätzte bald darauf ,,für ein oder zwei Jahre" Gesandter in Rom bei Papst Clemens werden können. Der Dichter wies das Angebot zurück. Glänzende Ehren locken ihn nicht mehr, auch nicht die von Pistofilo eröffnete Aussicht, im Strome, wenn es ihm um leckere Fische zu tun sei, mehr Beute zu finden als im Bach. Den ehrgeizig Emporldimmenden bedroht ja eine besondere Gefahr: „Man braucht bei keiner Sphinx sich Rat zu holen : Wer au&teigt, der vereselt unverhohlen." Sein Sinn steht nach Ferrara. „Wenn man," so heißt es in der Epistel an

bewohnerin), sieht freilich jetst nicht wie das Allerheiligste daes Literaten

aus. Die Ortlichkeiten, deren der Dichter in seiner vierten Satire gedenkt, sind alle da und reden eine beredte Sprache zu jedem cmpfängüchen Gemüt. Vom Strahl einer Dichtersonne beschienen worden zu sein, ist ein danernder Ruhm für die gute Stadt Castelnovo di Gerfagnaaa. Stds auf ihren großen Ferraiesen, hat flie in das Gemäner ihrer Borg den Dantcschen Vers eingehauen: „Qui basta il nonte di quel divino ingegno" Genügend ist des hohen Geistes Name"). Näheres in dem Aufsatz „Staatsmann und Dichter" (Münchencr AUgem. Zeitimg 1909, Nr. 16).

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Pistofilo (Sat. 7), warum mir's Nest so lieb ist, fragt, Sag' ich 's so gern, wie man die Sünden sagt Dem Beichtiger. Du sprichst : ,Will das sich schicken Für einen Mann von neun- imdvierzig dicken, Gereiften Jahren, voll und wohlgezählt ?' Du würdest gleich nach einem Prügel schaun, War' ich dir nahe, um mich durchzuhaun, Nennt' ich den tollen Grund, daß ich nicht gerne. Von euch getrennt, leb' in der weiten Feme*"

Pistofilo wird vermutlich Alessandra gekannt und den Grund erraten haben. Endlich, im Jimi 1525, durfte der Staatsmann wider Willen Castelnovo Valet sagen; sein geliebtes Ferrara hat er fortan, abgesehen von kürzeren Ausflügen, nicht mehr verlassen.

VI

Nachdem während der drei Jahre in der Garfagnana die poetische Ausbeute notgedrungen eine geringe gewesen war außer zwei, vielleicht drei Satiren scheint dort nichts entstanden zu sein , konnte der Dichter nunmehr sdn Musenrofi wieder nach Herzenslust tununeln. Das Echo der großen Ereignisse dieses Jahres 1525 findet sich im Orlando, wie er später vorliegen sollte. Von den Ge- sängen, die gegenüber den Fassungen der beiden ersten Ausgaben Umgestaltungen und Erweiterungen aufweisen, steht der dreiunddreißigste obenan. Einen breiten Raum nimmt hier der Tag von Pavia (24. Februar) ein, an dem die Glücksgöttin sich von Franz I. (und seinem Bundes- genossen Alfonse) ab wandte. Vom französischen König heißt es dort:

Sie, die dem Wind gleicht, der emporzujagcn Ein Weilchen pflegt den Staub im Sturmeswehn Und jetst üm yrim Umaaf zum IBrnmel tragen Und irieder läßt hinab mr Erda gdin«

* Vgl. Anmerkung zum letzten Vers der letzten Satire.

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EINLEITUNG

Gibt ihm den Wahn dn, daß, den Feind su schlagen, Dort bei Favia hunderttausend stehn:

Er sieht, wie viele durch die Hand' ihm laufen, Doch nicht, ob abnimmt oder wächst der Haufen.

Weitere Schlachtbilder verherrlichen den tapferen Be- siegten und seine Überwmder Pescara und del Vasto, denen Ariost auch sonst in seinem Gedicht wiederholt Ruhmeskränze gewunden hat.

Des Dichters Gebieter mußte nunmehr zwar auf die Seite der bisherigen Feinde, der Kaiserlichen, sich stellen, beteiligte sich aber nicht an dem Raubzug gegen Rom. So durfte Ariost die Plünderer der heiligen Stadt brand- marken :

Seht, wie sie uxisrcr Roma Jammer bringen Allüberall, durch Mord und R&nbereinI Am Heil'gen frevelnd und an Menschendingen, Durch Brand und SchändunR alles rings entweihnt Zum Heer der Liga Klag' und Wehruf dringen: Von draußen sehen sie die Wfistenein Und lassen, statt sich vorwärts an bewegen, Den Erben Petri dort in Fesseln Ugoa,

Die nächsten Jahre sollten Stoff zu fröhlicherem Tun imd

freudigeren Gesängen liefern. Die achtzehnjährige Ge- mahlin des Erbprinzen Eicole d'Este, Renata von Frank- reich, hielt ihren Einzug in Ferrara. Als zu ihrer Begrüßung Herzog Alfons ihr nach Reggio und Modena entgegenreiste, befand sich aller Wahrscheinlichkeit nach Ariost im Ge- folge. Sicher ist, daß er die Oberleitung über die drama- tischen Aufführungen zu Ehren der Prinzessin zugewiesen erhielt. Zwei seiner eigenen Stücke bekam die künftige Landesmutter damals zu sehen: am 25. Januar 1529 die aus der früheren Prosafassung völlig umgestaltete, durch Verseinkleidung in eine höhere Sphäre gehobene Cos- saria und ein ganz neues Werk: Lena (Die Kupplerin). Vielleicht war es gut, daß Madame Ren6e kein Italienisch verstand: manche Stellen der zweiten Komödie hätten sie

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am Ende doch, trotz der Unbefangenheit der Zeit, die sich viel Heikliges gefallen ließ, peinlich berührt.

Im Orlando ist eine Huldigung an Renata dem drei- zehnten Gesang cingesclialtet worden; die Prinzessin er- scheint unter den edlen Damen der Zukunft, die der Brada- mante als Zierden des Hauses Este von der Zauberin ge- zeigt werden. Nach einem Lobgesang auf Lucrezia Borgia f äturt letztere fort :

Ich ^11 dir nicht Renatas Ruhm verschließen, Die man dereinst als Schnur der vor'gen kennt. Dem zwulften Ludwig wird das Kind entsprießen Und ihr, die man Bretagnes Glorie nennt. Was safte Fkaven siert, seitdem die Ströme iIieOen Dem Meere zu seitdem das Feuer brennt Seitdem der Himmel kreist wird sich vereinen, Um als L-in Schmuck Renatas hell zu scheinen.

Dies und was sonst in den ilim noch beschiedcnen Lebensjahren der Dichter veröffentlichte, müssen wir uns in dem kleinen Häuschen ersonnen und niedergrscln ieben denken, zu dem jeder Besucher Ferraras wallfahrtet: es steht in der Contrada di Mirasole bei San Benedetto und trägt noch über der Tür die Inschrift, die ihm Meister Ludovico gab, als er den Hafen erreicht hatte und „hinter sich liefi das Meer und Stürme'*. Sie lautet:

„Klein, doch passend für mieh, doch niemand sinsbar. nicht dfiritig, Und von dem eigenen Gdd haV ich das Häuschen erlSant."

{,, Parva sed apta mihi, sed nutli obnoxia, sed non Sordida, parta meo sed tarnen aere domus.")

Die harmlose Besitzerfreude, die sich darin ausspricht, hat etwas Rührendes. Das „eigene Geld" wird wohl mit Recht als die Ersparnis der drei Statthalterjahre gedeutet. In der Loggia stehen die Verse De pßupaiaie (Carm. II, 28 29). Nach der Erzählung seines Sohnes Virginio soll er auf die Frage von Besuchern, warum er, in dessen Werk sich so herrliche Beschreibungen von Palästen finden, sich mit so kleinem Hause begnüge, die Antwort gegeben haben,

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E I N L E I T U N C;

ZU jenen Palästen habe es keines Geldes bedurft. Sehr hoch hielt er seinen Garten, pflanzte und hantierte darin mit großem Eifer, aber ohne Sachkenntnis. Einmal dachte er, Kapern zu ziehen; es kam aber Holunder heraus. Was er gesät oder gepflanzt hatte, verfolgte er mit der größten Spannung, ungeduldig nach Zeichen des Wachstums spähend. Durch fortwährendes Prüfen der Pflanzen ver- hinderte er sehr oft das Aufgehen.

Auf dieses kleine Besitztum (das Grundstück wurde im Jahr 1526 erstanden, das Haus während der nächsten zwei Jahre erbaut, der Garten von ihm selbst angelegt) verwendete er nach Virginios Zeugnis jeden Betrag, der von seinem Einkommen sich erübrigen ließ, oft auf Ver- besserungen bedacht und dann beklagend, „daß es für ihn nicht so leicht sei, am Hause Änderungen vorzunehmen wie an seinen Versen".

Wann Alessandra seine rechtmäßige Gattin wurde, ist ungewiß. Daß die Eheschließung stattgefunden hat, nimmt man allgemein an. Gardner setzt sie gleich in die erste Zeit nach der Rückkehr; dagegen spricht aber man- cherlei. Er mußte sie heimlich heiraten, um nicht der Pfründe von Santa Agata verlustig zu gehen. Auch als Hausfrau in sem Hdm sie aufzunehmen, war ihm ver- sagt. Daß er sich verstohlen zu ihr schleichen mußte, wird mehrfach in den Elegien berührt. Als der Dame Se- kretär {tl suo cancellierc) bezeichnet er sich selbst (vielleicht scherzhaft) in einem Brief, den er in Alessandras Namen schrieb. Seine Leidenschaft für sie war wie die eines JüngHngs; er wird von den Freunden deshalb geneckt. Einer von ihnen, Ercole Bentivogho, als Sohn der Lu- crezia d'Este Neffe des Herzogs und selbst ein Poet, läßt uns m seinem „Liebestraum*' {Sogno amoroso, 1530) erkennen, welchen Einfluß auf den Dichter man jener Frau zuschrieb. Dort heißt es:

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I

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Ich sah Arioet and sie an seiner Seite, Die gaas von liabeB^nt ihn UL0t erbebea: So trägt er ihren Namen in di» Weita Anf Fl&geln, die sie selber ihm gegeben.

Von den jungen Männern, die sich damals um ihn scharten und bewundernd zu dem Meister aufbUckten, muß noch besonders Giovan Battista Giraldi genannt werden, bekannt als Cintio, der Verfasser der von Shake- speare benutzten Novellensammlung Hecatommiti (Hundert Novellen): seine Discorsi geben wertvolle Aufschlüsse über Ariosts Leben und Schaffen. Zu solchen Schülern des Dichters, wie man sie nennen kann, gesellte sich auch der Thronerbe Don Ercole. Wenn er nach Virginios Über- lieferung — den Meister zur Wiederaufnahme der Föesie veranlaßt haben soU, so werden wir mit Gardner das auf die Neugestaltung des Orlando beziehen. Ariost seinerseits hatte eine außerordentlich hohe Meinung von dem jungen Mnzen und stellte ihn über fast samtliche Fürsten der Zeit.

Von äußeren Ereignissen dieser letzten Jahre Ariosts ist der einzigen diplomatischen IGssion, die ihm noch über- tragen ward, zu gedenken. Er ging im Oktober 1531 nach Correggio zu dem Marchese del Vasto, dem von ihm so überaus gefeierten Feldherm, dessen spanische Truppen damals im Modeneser Gebiet standen und dem Herzog Alfons zu schaffen machten. Alle Wünsche des letzteren wurden erfüllt, und dem Dichter selbst eine glänzende Auf- nahme bereitet. Fürsthch beschenkt, kehrte er heim. Wir wissen noch, daß er auf einigen Ausflügen, z. B. nach Venedig, den Herzog begleitete. Im übrigen lebte er, wiewohl noch Kavalier des Hofes, für sich, ein stilles Poetendasein führend. Von dichterischen Erzeugnissen gehört dem Jahre 1531 die schöne Epistel an Bembo an, dem er seinen Virginio als Studenten nach Padua schickte.

Ariost I V

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V I >: T, K T T u X n

Ein Geleitbrief in Ftosa, den er '^^]:ginio für Bembo mit- gab, enthält die Notiz, seine Durchsicht des Orlando sei nahezu beendet. Die Privilegien" zum Druck für die Ge- biete des Herzogs von Mantua, des Kaisers, Mailands und

des Papstes waren bis Ende Januar 1532 (die Venedigs

schon 1527) genommen. Im März schreibt der Dichter an Calandra: ,,Ich bin so mit dem Druck meines Furioso be- schäftigt, daß ich für nichts anderes zu brauchen bin." Im folgenden Monat begleitete er wahrscheinlich den Her- zog nach Venedig*. Er sollte die Lagunenstadt nicht wieder- sehen. Darauf nahmen ihn gänzlicli die Drucksorgen in Anspruch. Unaufhörlich, bei jedem Wetter, ging er von seinem Hause zur Druckerei und zurück und quälte die Setzer mit tausend Kleinigkeiten, um alles in vollendetem Italienisch nach Bembos Regeln zu haben. „Bei Korrek- tiu: der Druckbogen", meldet Giraldi, holte er sich den Keim der Krankheit, die ihm den Tod brachte**." Trotz

* Damals adieiiit Ariost auf einer vom Herzog befohlenen Spasier- Ubrt ins Meer hinaus in Lebensgefabr gewesen zu sein. Einer der

Teilnehmer, Antonio Musa Brassavola, herzogUcber Leibarzt, berichtet darüber zwanzig Jahre später (,,De medicamentis" usw., Venedig 1552): Der Herzog „bestellte eine Gondel . . . und hieß mich und den hoch- ansehnlichen Lodovico Aiiosto ihn begleiten. Der Henog und Zeno saßen hinten, Ariosto und ich vom". Es ging aus dem Porto de' Castclli mit Ruderern zwei Meilen vom Hafen in die offene See. Ein Sturm erhob sich und nötigte zur Rückkehr: die beiden auf den Vorder- sitzen, der Poet und der Ar^t, wurden jämmerlich durchweicht und gesch&ttelt. In seiner Seelenangst gedachte der Askulapsjünger, steh an den Herzog, den er als vorzfi^hen Schwimmer kannte, ansn- klammem. Wie unserem Dichter zumute gewesen sein mag, erfahren wir leider nicht. Als echte Landratte verabscheute er, wie seine Biographen melden, Meerfahrten. Zudem war sein Gesundheitszustand schon damals sdir mifiüdi.

** Welche unendliche Sorgfalt Ariost auf die Vorbereitung zu der neuen, endgültigrn Ausgabe seines Orlando und schließlich auf ihre Herstellung verwandte, schildert anschauUch sein Landsmann und jüngerer Freund Giraldi in den SeritÜ estefid, S, 140: „Wlhrend eines Zeitranms von sechsdu Jahnen nach der ersten Ausgabe'*, so heiOt es dort, „nahm er die Durchsicht seines Gedichtes vor; kdn Tag verfing.

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all dieser Sorgfalt war er, als der Orlando fertig gedruckt (Anfang Oktober 1532) vorlag, unzufrieden damit und klagte, man habe ihn gemordet". Im November ging er mit seinem Herrn nach Mantua zur Begrüßung des Kaisers und überreichte diesem persönlich das Werk, in dem auch Karl V. seine Verherrlichung gefunden hat. Die Huldigung ist wieder in Form einer Pro]:)lu'zeiung gekleidet. Er gedenkt zunächst der Eroberung der Neuen Welt:

ohne daß er sowohl mit der Feder wie mit seinen Gedanken daran gearbeitet hätte. Sodann, als die Durchsicht beendet, dieVerbenerungen

und Zusätze erledigt warai, brachte er das Werk zu vielen guten und ausgezeichneten Denkern Italiens, um deren Urteil zu vernehmen, wie Monsignor Bembo, Molzo, Navagero und vielen anderen, deren im letsttD Gesang Erwähnung geschieht, nnd nach Etnholnng ihrer liemnng begab er sich nach Hause. Und wie Apelles in alter Zeit mit seinen Gemälden, verfuhr er mit seinem Werk; denn zwei Jalire, bevor er es zur Presse gab, legte er es in ein Zimmer seines Haasts und ließ es beurteilen von jedem, der da wollte. Und zuletzt, nachdem er in der Stadt nnd anBorhalb in dieser Art viele Urteile gesammelt hatte, schloß er sich denen an, die ihm die besten schienen." An einer späteren Stelle seines Discorso de' Romanzi kommt Giraldi auf diese Eigentüm- lichkeit des Dichters zurück; ,,Ariosto, dieser glückhche, für solche Art Poesie wahrhaft geschaffene Geist, pflegte über seine Schöpfungen sich mit SchriflsteUem und snmal mit denen, die in der Volkssinrache zu schreiben pflegten, zu beraten; und oftmals änderte er nach ihrem Urteil, schnitt weg, fügte hinzu, formte um. Und zuvörderst war es seine Gewohnheit, bevor etwas zu ihm gesagt wurde, herauszulinden zu Sachen, «aa die, deren Rat er einholte, von ihm woUtea. Deshalb pflegten letztere zu bezeichnen oder zu unterstreichen, was ihnen der Verbesserung zu bedürfen schien; dann ließen sie ihn darüber nach* denken; und wenn er befriedigt war und herausbekommen hatte, was sie von ihm wollten, so suchte er nicht weiter. Wenn nicht, so strebte er in ihre Meinung einzudringen, und wenn sie ihm zusagte, pflichtete er ihr bei. Dergestalt kann man sagen, in seinem Gedicht sei das lori« tische Urteil aller hervorragenden Männer der Zeit, in der er die letzte Ausgabe vcröffentliclUf, mit dem Siegel seiner letzten Hand versehen, niedergelegt." Danach hätten gewissermaßen die hier erwähnten drei Lnstra der Hochrenaissance die vorafiglichsten Köpfe des Landes an der endgültigen G<staltung des ,, Rasenden Roland" als Mitarbeitende sich beteiligen sehen fürwahr eine stolze Gemeinschaft! , und das Gedicht wäre eine Art Denkmal gesamtitalischen Geistes, wie ihn jener Abschnitt des Cinquecento vor der bewundernden Mitwelt entfaltete.

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Ich seh' das heirgc Kreuz und seh' entfalten Die Kaiserbanner an dem grünen Strand; Seh* viele noch in Schüfen Wache halten Und als Verwitter niidM vid im Laad; Sdi' sehn verjagen tawend, sah* die alten Reiche bis Indien in der Spanier Hand Und Karls des Fünften tapfre Kapitäne I Aufpflanzen überall die Siegesfahne.

Gott hielt den Weg in Zeiten, die vergangen,

Verhüllt, und lang noch wird verhüllt er sein.

Es soll auf ihm noch weiter Dunkel hangen,

Bis einst des achte Alter bricht herein;

Dann wird der Herrscher auf den Thron gelangen,

Dem Gott die Wcltenhcrrschaft will verleihni

Der weise Kaiser hehr und auserlesen,

Der edelste, der seit August gewesen. (Orl. 15, 23 ff.)

Daß Ludovico zu Mantua vom Kaiser als Dichter ge- krönt worden sei, bezeichnet Virginio als Fabel. Trotz- dem — auch Gardner neigt dazu nimmt man es noch vidfach an, weil Fornari und andere Zeitgenossen, auch Urkunden es melden. In einem Dokument von 1530 heißt Alessandra ^mof . . . iMm NMUs a LaureaH Poetae Lu- dovid de Afiosiis\ Femow meint, die Ernennung möge ohne öffentlichen Akt durch kaiserlichen Brief erfolgt sein, und ein solches Privilegium solle wirklich existieren. Aber daß des Dichters Sohn davon nicht gewußt habe, ist doch kaum denkbar.

Über einen Monat dauerte der Aufenthalt in Mantua; am 17. Dezember war Ariost wieder in Ferrara (wie ein Schreiben an Guidobaldo della Rovcre besagt) , aber schon krank. In der Silvesternacht brach in einer Bude unter der Schloßhalle ein großes Feuer aus und verzehrte auch die Sola grande mit der Bühne, auf der Ariosts Komödien aufgeführt worden waren*. Sein Zustand

Der alte Ariostbiograph Pigna (der als dreijälariges Kind Zeuge dieses Brandes war) nennt die Vernichtung der Bühne ein Vorzeichen fOr dmi henifitiBhunden Tod des Dichtos, „wio ein Komet oder etn

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verschlimmerte sich durch die Aufregung in derselben Nacht und ging im Frühling in Schwindsucht über. Am 6. Juh 1533* ,,\iTr) ein Uhr nachts" (d. h. kurz nach Sonnenuntergang), wie ein ohnlängst durch Luzio und Renier im Giomale Storico della Literatura, XXXV. TT. 229 231 veröffentlichter Brief von Girolamo da Sesto an Isabella von Este (Gardner, S. 259) dartut, schloß der größte Poet, den Italien seit den Tagen der Divina CommeHa der Welt geschenkt hat, die gütigen Augen auf ewig.

Seine sterbliche Hülle wurde von Mönchen nach der Kirche San Benedetto getragen und dort, seiner Anord- nung gemäß, prunklos beerdigt; im Jahre 1573 kam sie nach dem heutigen San Benedetto» zu Anfang des 19. Jahr- hunderts nach der Bibliotheca Communale. Dort, in der Sala Ariostea, steht des Dichters Grabmal.

Bis zuletzt war er ein Jüngling an Frische des Geistes und Wärme des Herzens, wiewohl körperlich früh gealtert. Ein Gemälde Tizians, das den Dichter „zum Sprechen ähnHch" darstellte, ist leider verlorengegangen. Um seine Züge uns zu vergegenwärtigen, sind wir auf den Holz- schnitt angewiesen, der nach einer Zeichnung Tizians die Ausgabe von 1532 schmückt**. Auf Grund des ge- samten Materials an Abbildungen, Nachrichten, Anekdoten usw. ergibt sich nach Gardner folgendes Bild: Er war hochgewachsen und mager, hielt sich etwas gebückt, wurde frühzeitig kahL Was von seinem Haar blieb, war schwarz, seine Stime umfangreich, die Nase groß und adlerartig, der Bart etwas spärlich ... Er war freundlich und heiter in der Unterhaltung, witzig und schlagfertig, aber nicht

Blitzschlag das Lebensende von Fürsten vorausverkündet". Diese Auffassung scheint in Ferrara verbreitet gewesen zu sein.

* Dieses Datnm ist jetst sichergestellt; bisher nahm maa auf (änmd späterer Überlieferungen den 6. Juni als Todestag Ariosts an.

** Denn das Gemälde in der National Gallery xu London trflgt höchst" wahrscheinlich mit Unrecht Ariosts Namen.

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ZU vielem Lachen geneigt; dem Pomp und der Feierlich- keit durchatis abhold. Niemals im geringsten anspruchs- voll, wußte er seine Rechte geltend zu machen imd wurde,

wenn gereizt, nicht leicht besänftigt. Ein treuer und liebe- voller Freund, war er stets hilfsbereit für andere, in Ge- sellschaft, zumal in weiblicher, äußerst liebenswürdig, wiewohl eigenthch von melancholischer Anlage. Er haßte Gelage und Feste, machte täglich nur zwei Mahlzeiten, mittags imd abends, imd dann rasch und reichlich, die einfachste Kost vorziehend. Eine Rübe auf eigenem Tisch, sagte er, schmecke ihm besser als köstliche Speisen an des Herzogs Tafel . Er war ungemein nervös, besonders als Reiter oder auf dem Wasser, auf Brücken und auf Reisen durch Bei]gg^enden; ein tüchtiger Fußgänger und unglaublich zerstreut, immer im Traiune*.

Beun Dichten nvar er höchst peinlich, nie zufrieden mit dem, was er niedergeschrieben hatte. Die unzähligen Änderungen im Manuskript des Orlando überraschen jeden Besucher Ferraras; seine leichtflüssigen Verse sind wie bei Heinrich Heine das Ergebnis einer äußerst sorg- fältigen, immer wiederholten Arbeit gewesen.

Ober sein inneres Leben erfahren wir am meisten aus den „Satiren". Unsere Vorstellung von dem Menschen Ariost zu vervollständigen, sind sie am besten geeignet. Da, wo er in vertraulichem Geplauder sorglos sich gehen läßt, lernen wir den ganzen liebenswerten Mann kennen, seine harmlose Einfachheit, sein warmes Herz, seine Recht- schaffenheit, übereinstimmend heben die Zeitgenossen die Güte seines Wesens hervor; sie erkennt sogar ein Pietro Aretino an. „Großen Verlust liat die Welt in diesem Manne

Einmal so wird übrrHefert befand er sich rur Sommerzeit in Carpi. Sehr früh ging er aus, zu einem Spaziergange, ohne zu merken, daß er Morgenschube trug, und machte so, von seinen Ge- danken in Anspruch genommen, den ganzen Weg nach Ferrara, etwa eine Tagereiae weit; wiewohl dies gar nicht sein Ziel war.

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erlitten/* schreibt er nach Ariosts Tode, »,der, neben seinen Geistesgaben, die Güte selbst war.*' Und Isabella von Este schreibt : ,,Die Stadt Ferrara hat einen Edlen ver- loren, der, abgesehen von seiner Trefflichkeit, ihr größter Schmuck war durch die in ihm vereinigten seltensten und erlesensten Tugenden."

Wie das moderne Itahen seinen großen Toten in Ehren hält, bekunden zahlreiche gelehrte Arbeiten, Äußerungen der Presse und Stimmen der Dichter. Eine solche mache den Beschluß dieser Skizze. In den Poesien von Giosud Cardnod findet sich ein Sonett, das wir nach der Über- setzung von Paul Heyse mitteilen:

BCit einem Bilde des Ariott An Fma

Dies Bildnis, edle Frau, darin wir schauen Des göttlichen Lombarden AnijcJ'icht, Trägt es den Abglanz großer Träume nicht Auf dieser mScht'gen Stirn, den festen Bnraen?

Der Glücklichel Voll dürft' er im Gedicht SIdi Seins heitre, kecke Welt erbauen Und dann nicht Unger sehn die ird'schen Anen, Ihr tristes Grfin, ihr Meiches Hinuneblicfat

Noch mehr beglfidct, da0 keine Fttrstengonst

Noch Volkesgunst, die wankelmüt'ge Dirne, Kein theologisch IJiebchen nur ihn kränste.

Ein schöner Mnnd belohnte seine Kunst,

Die Gluten kühlend seiner Dichterstirnc

hGt Küssen, daß sie wie ein Stern erglänzte."

VII

Wir wenden uns zu seinem Lebenswerk und fragen zunächst : Wie stellt sich zu ihm unsere Gegenwart ?

,,Es hat nicht an Stinunen gefehlt," schreibt Eugen Zabel*, „die in diesem Werk nur ein reizendes Unter-

* In einem Aufsatz über Ariost (Sonntagsbeilage Nr. 28 tnrVcMSischen ZeitnnK» io> Juli 1910).

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haltongsspiel ohne tiefere Bedeatung, ein Meisterstück an Fonngeschick und Sprachkonst erkennen wollten, das aber unserer modernen Empfindung nur noch wenig sagt und als schöne Mumie in den Schaukästen der Literaturge- schichte aufbewahrt wird. Dieser kühlen Verneinung von Ariostos Wert widerspricht die volltönende Huldigung, die ihm und seiner Dichtung gerade von den feinfühligsten Geistern dargebracht wurde. Die Führung übernimmt dabei Goethe, der ihn in Worten von solcher poetischen Schönheit gepriesen liat, wie sie keinem anderen Dichter jemals zuteil geworden sind. Leonore San vitale, die im „Tasse" seine Büste mit frischen Frühlingsblumen schmückt, meint, daß seine Scherze „nie verblühen", und der vorsichtige Staatsmann Antonio knüpft daran eine Betrachtung, die Bilder aus der Geisteskraft des Menschen mit Gleichnissen aus dem Naturleben verbindet, um seinem Verdienst gerecht zu werden, mit all seiner Weisheit und Phantasie, Leidenschaft und Schalkheit im „blühenden Gewand der Fabel". Selbst ein so strenger, im Tiefeten bohrender Geist wie Schiller, bekennt in einem Brief an Kömer, wie anziehend und erquickend ihm die Lektüre des „Rasenden Roland" war, weil er ihn mit Leben, Be- wegung, Farbe und Fülle aus sich heraus und zugleich in sich zurückgeführt und in einen Zustand von Behaglich- keit und Fröhlichkeit versetzt habe. Auch der italienische Klassiker des Weltschmerzes, Leopardi, kann sich in einem Gedicht an Angelo Mai nicht enthalten, dem Mann der holden Träume mit seinen Rittern und schönen Frauen, seinen Palästen und Gärten seine echt empfundene Bewun- derung auszudrücken. Bis auf die jüngste Zeit ist Ariosto der Liebling unserer großen Künstler, vor allem der Maler, geblieben, die in der breiten und dabei doch stets gestei- gerten Durchbildung der Situationen mit ihrem leuchtenden Sinnesglanz etwas Seelen- und Geistesverwandtes finden.**

EINLEITUNG

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Avfier dem Furiosobewuiulerer Arnold Böddin (dessen oben S. XIII am Schluß des Vorworts zur I. Auflage Er- wähnung geschah) gedenkt Zabel der Begeisterung von Reinhold Begas für den Rolanddichter. Die Liste gleich- fühlender künstlerischer und literarischer Autoritäten ließe sich noch sehr vermehren, allein

Es hieß' Ägyptern Krokodile bringen, Nach Samoa Vasen» Eulen nadi Atiien.

Nur an Geibel, dessen Huldigungsverse die Entrada ztun ersten Vorwort bilden, sei noch erinnert, an Konrad Fer- dinand Meyer und an Lassalle. Daß ein kühl wägender Kopf wie dieser in literarischen und anderen Salons eifrig für den Orlafido Propaganda maclite und iotä Berlin, voraus die Damen, durch seinen Vortrag ariostischer Stan- zen entzückte, ist besonders lehrreich.

Wer bloß die Geschehnisse, das rein Stoffliche der großen Epopöe sich erzählen Heße, dürfte kaum zu einer näheren Bekanntschaft mit diesen Dingen „aus der Vorzeit holder Romantik" angelockt werden. Es mag ihm gehen wie dem Einsiedler der Insel Ufenau in der auch von Zabel herangezogenen Dichtung K. F. Meyers »»Huttens letzte Tage*'. Der vereinsamte Kranke nimmt den „Roland in Furie" zur Hand, und wir verfolgen den Eindruck, den das Werk auf ihn macht: „Zuerst erscheinen ihm Drachen- brut und verwunschene Prinzessin als tolles Zeug für Kin- der. Dann wird er nachdenklich bei einem frischen Bild, einem feinen Spruch, beim Kugelflug und Pulverknall und erkennt schheßlich den tiefen Sinn des Ganzen:

Aus abergläub'schen Mären seh' ich braun Und Ui^ des Sdialkes Augen spottend achaiu. Vor holden GiOfien benc^t dn sierÜdi didi Und grfl^eet hflfasch nnd machet tie licherMch.

Der Schalk und Spdtter bleibt in Ariosto immer lebendig .. . Am Eingang der einzelnen Gesänge werden sinnschwere Betrachtungen geprägt, als handle es sich um ein Lehrbuch

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T.XXn' V. T V T. r T T T' X r,

der Lebensweisheit. Dann beginnt die kühne Jagd mit Heckenspdingen, gefährlichen Abstürzen, zerbrochenen Armen tmd Beinen nnd gewonnenen Siegespreisen, wobei der Veranstalter dieser Feste gespannt und schmunzelnd in seiner Loge sitzt und sich freut, wenn alles durchein- ander rennt, drängt, schreit und jubelt. Die hohen Herren merken es gar nicht, wie er ihnen eine Nase dreht, während er sie mit Schmcirheleien überschüttet*."

Überall im Orlando tritt die Begebenheit vor der Ver- arbeitung zurück. Das Was ist nichts, das Wie alles.

Als „Form" muß auch die Gliederung, die Verteilung des Stoffs, die Anordnung und Verknüpfung der Begeben- heiten betrachtet werden. Seitens Scharfsinniger (Dichter nnd Gelehrter) hat die feine Kombination, mit der dies geschehen ist (an Stellen gerade, wo auf den ersten Blick Wrrwarr und Willkür zu herrschen scheinen), Bewun- derung gefunden: wie geschickt die einzdnen Fäden der Geschehnisse ineinander verschlungen, zu einem wohl- berechneten Gewebe verbunden sind; die unendlidie Fülle der Einzelvorwürfe („Motive" könnte man malerisch sagen), ihr Ineinanderspiel, Abbrechen und Wiederaufnahme, Wechsel des Stimmungsgehaltes alles sorglich be- stimmten Zwecken dienstbar gemacht. Voran steht das Bestreben, ,,die böse Langeweile fernzuhalten". Auch hierin zeigt sich der Meister kunstvollen Gestaltens.

Wenn ein modemer Leser unvorbereitet an den „Ra- senden Roland" herantritt, ist er betroffen, gleich zu An- fang einer Reihe von Personen zu begegnen, die der Dich- ter weder eingeführt noch in ihren Beziehungen zueinander klargestellt hat. Da ist von einer Angelika die Rede, als wäre sie eine alte Bekannte. Ist das nicht wunderlich ? Nein, für die Leser, die Ariost im Auge hatte, war An- gelika, waren Sakripant und die anderen in der Tat alte

* Eufm Zabel, a. a. O.. S. aai.

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EINLEITUNG

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Bekannte. Er durfte die Vertrautheit mit diesen Personen und Dingen als etwas so Selbstverständlicfaes betrachten, da0 er nicht einmal den Namen des Grafen Bojardo

von Scandiano, aus dessen „Verliebtem Roland" er seine Figuren heriibemimmt, zu nennen für angebracht gehalten hat. Der Orlando innamorato war eben in den Händen aller, der Inhalt lebte im Gedächtnis aller. Immerhin war sich Ariost der Überraschung und der etwas komischen Wirkung wohl bewußt, die er hervorrief, indem er die Existenz fabelhafter, zum größten Teil dem Gelürn eines Zeitgenossen entsprungener Gestalten als so ausgemacht \virklich hinstellte, wie wenn es sich tun historische Persön- lichkeiten handle. Das gabseinem Gegenstand nach Gilde- meisters Ausdruck etwas von der „Dignität" der Ge- schichte, stinmite aber zugleich eben dadurch die Gemüter auf den ironisch-humoristischen Ton, der im Funoso ganz anders als im Innamoraio angeschlagen wird. Ariost unter- ließ vermutlich den Hinweis auf Bojardo auch deshalb, weil eine buchmäßige Bezeichnung seiner Quelle die Frische des Eindrucks verwischt haben würde. Möghchst leib- haftige Menschen hinzustellen, war sein Bestreben. Er schob seine Figuren vor, ak ob man ihnen auf der Straße begegnen könnte. Ein Ursprungsattest hätte gezeigt, daß es sich um literarische Erfindungen handelte. Dem steht die zuweilen bei ihm sich findende Berufung auf ,.Turpin" (d. h. den Pseudo-Turpin, der für die meisten Ritterbücher die (inmdlage bildet) nicht im Wege, denn eine solche Berufung gehörte eben zu der überlieferten Ein- kleidimg der romantischen Fabeleien, ist gewissermaßen ein Ton, der mitkhngen muß, um das rechte Konzert zu erzielen. Kein Mensch nahm eine solche Quellenbe- zeichnung als ernst gemeint; alle Welt wußte es zu wür- digen, wenn der Autor bei Vorführung seiner aus anderen Werken entnommenen Figuren sich mit gravitätischer

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EINLEITUNG

Schalkhaftigkeit anstellt, als ob es sich um historische Personen handle, deren Existenz beglaubigt sei, ein Vor- gehen, das seine belustigende Wirkung gewiß nicht verfehlt

hat zu einer Zeit, als die Erinnerung an jene Werke noch frisch war. Aber selbst spätere Geschlechter standen noch unter dem gewaltigen Eindruck dieser genialen Schöpfung. Noch 1559, ein Viertel] ahrhundert nach dem Tod des Dichters, schreibt Bemardo Tasso, Vater des von Goethe verherrüchten Torquato, in einem Brief: ,,Es gibt keinen Gelehrten, keinen Künstler, keinen JüngUng, nicht Jung- frau noch Greis, der an einem einmahgen Lesen des Rasenden Roland genug hätte. Dies Gedicht dient dem Reisenden zur Erholung, der, vom Weg ermüdet, Er- schöpfung und Unbehagen durch das Singen einiger Stan- zen aas dem herrlichen Werk verscheucht/*

Der Streit darüber, ob eine solche Aneignung fremden Stoffes za tadehi sei, geht nun bald durch vier Jahrhun- derte; von den Tagen eines Speroni und eines Jacobus Gaddius (der den Grafen Bojardo als durch seinen Nax:h- folger „ausgeweidet, geblendet und des Herzens beraubt" bezeichnet) bis in unsere Gegenwart. Noch jüngst haben die beiden einander entgegengesetzten Meinungen Ver- treter gefunden. Wenn nach Heinrich Morf* ,,Ariosts unvergleichliches Poem einen Jahrhunderte alten, stolzen Bau krönt, einen Bau, dessen Fundamente in den Tiefen des Mittelalters ruhen und dessen Gipfel hineinragt in den Himmel der Renaissance", so ist jedes Steinchen dieses Baues von Pio Rajna [Fonti delT Orlando) sorgfältig auf seine Herkunft untersucht worden. Der Florentiner Forscher meint, die Phantasie eines Dichters bestehe in der Erfindung, das heißt in der materiellen Verknüpfung der äußeren Tatsachen, und weigert unserem Ariost

* „Vom Rdandilied snm OrUmdo furioso" Deatsd» Rondachan. 1898, Bd LXXXXV, S. 370a

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EINLEITUNG

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Zuerkennung der Phantasie, weil er arm sei an Erfindung. „Er fand", sagt Rajna, ,,das Scliöpfungswerk schon getan und brauchte nur in diese neue Welt einzudringen", und zu der Frage, ob die Entlehnungen, seien es Nachahmungen oder Umgestaltungen, Ariosts Verdienst Eintrag tun, wagt er niclit mit ,,Nein" sich zu äußern. Gegen Rajnas Prämissen und Schlußfolgerung wendet sich energisch sein Kollege in Palenno, G. A. Cesareo, in einem anregenden Aufsatz; La fantasia deW Ariosto*. Die Vorstellungen, so führt er aus, d. h. die von den Eindrücken der äußeren materiellen und moralischen Welt in unserm Innern hinter- lassenen Furchen können durch das Gedächtnis reprodu- ziert und mannigfach kombiniert werden; das ist die Er- findung. Die Amme, die auf gut Glück Märchen schmiedet, der Lügner, der da schwindelt, das Volk, das sich Sagen webt, sie alle zeigen solche imemume. Die Fähigkeit, die einzelnen Merkmale der Idee zu &ssen und wiederzu- geben, heißt ihm Imagination. Der Dichter z. B., der nacheinander die Schönheiten seiner Dame beschreibt, Augen, Haare, Stirne, Nase usw., ohne doch die Gestalt vor unser inneres Auge zu zaubern, besitzt diese unvollkom- mene Phantasie"; er hat niclit die Kraft, seinen Eindruck einfach und ganz, wie etwas im Spiegel Geschautes, zur Vorstellung zu bringen. Die Fähigkeit vollkommener Vor- stellung heißt Phantasie; sie ist die Kraft, das Gefühlte in seiner Ganzheit, in jeder Eigenschaft, in jeder beson- deren Beziehung mit der größtmöglichen Sicherheit und Wirksamkeit hervorzurufen; sie besteht in der vollen Er- ziehung und Überlieferung des Eindrucks ; sie ist das All- gemeine, das in ein lebendes Individuum niedergestiegen ist, kurz das Wesen, die „Gestalt** {la forma)* Gegenüber der Phantasie ist die Erfindung nur die rohe Bfaterie, der gemeinsame Besitz, die stumme Region des Ungeschaffenen,

* Nmoa Antologia, i6. Novambcr 1900, S. 278 ff.

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EINLEITUNG

etwas, das als Kunst gar nicht existiert. Darum ist es das Recht der Dichter, sich der ^findungen anderer zu bemächtigen; denn das Gefandene ist nichts als der tote

Stoff, der Poesie werden kann oder nicht, je nach der Wärme des Gefühls, das der, der ihn beseelt, ihm einzu- flößen vermag. Dieser braucht sich, weil der Stoff, der Inhalt nichts und das Gefühl, die Form, der Ausdruck alles ist, um die Quelle des Eindrucks so wenig zu be- kümmern wie der Bildliauer um das Modell zu seiner Sta- tue. Vielleicht kein großer Dichter hat jemals es sich an- gelegen sein lassen, aus sich heraus den Gegenstand für sein Werk zu finden. Die Erfindung zu Dantes Commedia steckt in den vorhergehenden Visionen, in theologischer und historischer Überlieferung; die zu Shakespeares Dra- men in der Chronik des Belleforest, itaüenischen No- vellen, Volksüberlieferung; die des „Faust" in der Sage und in der Puppenkomödie. Für den Poeten macht es kehlen Unterschied, ob historischer, ob erdichteter Stoff ihm zustatten kommt : Ems wie das andere bietet ihm etwas Fremdes, nichts Eigenes, und wenn die Originalität wirk- lich in der Erfmdung bestände, wäre einer, der die Ge- schichte plündert, nicht mehr original, als wer eine Fabel ausbeutet.

Hier drängt sich ein Einwurf auf: Möge der Dichter sich des Gemeinguts bemächtigen schön! Rührt aber die Erfindung von einem her und hat dieser ihr als Dichter schon Form gegeben, ist dann der Räuber der Idee kein Plagiator? Darauf antwortet Ccsareo: Der subjektive An- laß, der zum Kunstwerk führt, kommt dennoch bei der Bewertung des Kunstwerks nicht in Betracht, weil er nicht zur ästhetischen Tätigkeit gehört. Der Anlaß ist ein physischer Vorgang; die künstlerische Tat besteht im Ausdruck. Gar viele Seeleneindrücke gelangen nicht zur Verwandlung in ein Kunstwerk, unzählige Erfindungen

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EINLEITUNG

LXXIX

werden nicht zur Poesie. Wo es aber geschehen, wo aus dem inneren Anlaß die entsprechende „Gestalt" ge- worden ist, da muß, wer dieser Gestalt sich bemächtigt, ein Plagiator genannt werden, selbst wenn der Gegen- stand ein anderer ist. Gelang dem Dichter nicht, seine Erfindung zur Gestalt zu erlieben, so bleibt sie toter Stoff und fällt zurück in die Nacht des Unausgesproche- nen, wo sich dunkel Chroniken, Sagen, lyrische und epische Motive, die zahllosen Fälle des Menschenlebens bewogen. Ein Inhalt ein Ahasverus, Don Juan, Faust kann, wiewohl von einem erfunden, hundert Ge- staltangm erfahren, ohne daB eine die andere wieder- holt, bis die Phantasie eines großen Dichters ihm zum wahren Ansdnick, zur vollendeten, unveigänglichen Form veriiilft

Wir werden Cesareo zustimmen. Der Dichter darf sich eines schon behandelten Stoffes bemächtigen, an ihn an- knüpfen, ihn weiterentwickeln vorausgesetzt, daß ein

Neues, Lebenskraftiges daraus entsteht, wie er ja auch mit geschichtUcher überheferung für seine Zwecke nach Be- heben schalten mag {,,Le poHe peut violer Uhistoire pourvu quHl lui fasse un enfant," pflegte Jules Janin zu sagen). Für Shakespeare war der entlehnte Stoff, die Ereignisse, Figuren, Handlungen, wie ein Gefäß, das er mit Eigenem mit psychologischem Inhalt zu füllen hatte: daraus er- wuchs das Kunstwerk, sein volles Eigentum. Wenn Ariost dem, was er vorfand, die Vollendung, la forma sttprma, gab, war er in seinem Recht.

Bojardos Innamorato ist in der Tat, wie Cesareo be- merkt, eme schwindelerregende Anhäufung von Turnieren, Schlachten, Verzauberungen, Abenteuern aller Art. Aber diese Schlachten und Abenteuer sind immer dieselben, bei aller ermüdenden Abwechselung: plus ga change, plus c^eü la rnhne chosi! Von innerem Leben semer Personen

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K T X T, f- T T r X C

keine Spur! Sie endieiuen unfrei« memakplastisdiheraiis» gearbeitet. Sie tragen Namen das ist fast ihre ganze Charakteristik. Das Geschehnis allem interessiert Bo- jardo; Menschen nns vor Angen zu stellen, vermag er nicht. Die wahre „Phantasie", die künstlerische Gestal- tungskraft geht ihm ab, und das ist wie schon der alte de Sanctis sagte der Tod des Dichters.

Ein voller und ganzer Künstler ist dagegen Ludovico. Was er nur berührt, das erblüht zum Leben. Läßt er seine Helden ein Wort sprechen, eine Bewegung machen, wir sehen sie leibhaft vor uns. Vierhundert Jahre haben der Wirkung seines unsterblichen Poems keinen Eintrag ge- tan; in jugendlicher Schönheit strahlt es aus der Welt der Renaissance in unsere Zeit herein*.

Die künstlerische Wirkung geht ihm über alles. Ihr opfert er auch, wenn es sein muß, andere Rücksichten, während er doch für gewöhnlich durch seine Gegenständ- lichkeit fast von den Anhängern des heutigen Verismus als einer der Ihren in Anspruch genommen werden kann. Er weiß um ein Beispiel zu wählen recht gut, daß ein Schwerverwundeter keine langen Reden halten wird, läßt aber einen solchen (den Hermonides von Holland im 21. Ge- sang) die Geschichte von Argeus und seiner schlinmien Frau erzählen, keine Beschreibung oder Ausführimg ihm schenkend, die im Mund eines Gesunden angebracht gewesen wäre. Warum ? Weil die Wirkung der Erzählung selbst für ihn das Wichtige ist, nicht die begleitenden Um- stände. Raffaels Gemälde von der Meeresfahrt Christi zeigt uns die Jünger ruhig und harmonisch gruppiert, mit glatten Haaren und trockenen Gewändern, ohne Spur des überstandenen Sturmes, imd ist deshalb getadelt worden. Aber dem Meister kam es ledighch darauf an, ,,schöne Menschen in einer bedeutenden Situation" zu malen; da

* VgL Vorbeaicrkiiiig nr ersten Auflage oben S. X.

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K T N T. K T T r N C

LXXXI

miiBten andere ErwSgungen zurückstehen. Auch hier zwang Stil, d. h. strenge Kunstmäßigkeit, zur Verletzung des scheinbar Natürlichen.

Dahin gehört auch eine Gepflogenheit Ariosts, die von vielen als seltsam empfunden werden mag: die Kund- gebung klassischer Anschauungen, der Gebrauch mytho- logischer Bilder, Erinnerungen an Sage und Geschichte der alten Welt, wo sie wenig angebracht erscheinen. Wenn Medor, der ungebildete Sarazenen] üngling, den thebani- schen Kreon, Gradaß den Pompejus zitiert, Roland seinen Freund Brandimart mit Curtius und Kodrus vergleicht, so berührt ims das als ein empfindUcher Anachronismus. Aber realistisch korrekt sein zu wollen, lag dem Dichter gänzlich fem; die Wirkung auf seine Zeitgenossen mußte sein Hauptaugenmerk sein, und dafür war es erfcnnder- lieh, daß er die in der feinen Gesellschaft damals übliche Ausdrucksweise auch seine Helden gebrauchen ließ. „Eigentlich wäre** so sagt Gaspary vortrefflich „der ganze Orkmdo ein Anachronismus, da er ja durchaus nicht das wahre Rittertum darstellt, sondern im Rahmen des- selben die Neigungen und Tendenzen von des Verfassers eigener Zeit. Ein solcher Anachronismus gehört aber, wie . Goethe bemerkt, gerade zum Wesen der Dichtung, welche lebendig und gegenwärtig, nicht gelehrte Vertiefung in die Vergangenheit sein soll." Wenn auf Paul Veroncses Gemälde der Hochzeit von Kana alle Dargestellten sich als Venezianer des i6. Jahrhunderts zeigen, so liegt wohl ein älmhches Gefühl zugrunde; auch, wenn Corneille seine römischen Helden wie französische Kavaliere sprechen und mit Allongeperücke und Degen erscheinen ließ. Ein Karl Simrock billigte das durchaus und sagte: „Der Dichter soll in seinem Werk nur den Anschauungen seiner Zeit ge- mäß verfahren.'* Der Unkenntnis darf man Ariost bei solchen Fehlem nicht zeihen.

Ariost I VI

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LXXXTI

EINLEITUNG

Hörten wir eben ans dem Poem die zeitgenössische Ge- sellschaft, so sind die Stellen von besonderem Reiz, wo das „Ich** des Dichters nns nahetiitt, wo la noU pmaunäU erklingt. Von seiner Subjektivität ist eigentlich zor Freude des Genießenden das ganze Werk durchdrungen. Wer wie Grillparzer denkt: „Wenn ich lese, will ich es mit jemandem zu tun haben", findet sein Genüge im „Rasenden Roland*'. Aber zuweilen und das ist das Schönste spricht er direkt zu uns, so z. B., wenn er mitten im Erzählen eine Unterbrechung für angemessen erachtet, sei es, um eine Sentenz einzustreuen oder zur Illu- stration des Gesagten sich selbst oder andere als Exempel heranzuziehen, sei es, weil er aus einem ästhetischen Grund den Faden für eine Weile fallen läßt:

So wie den Appetit reist nene Speise, So darf ich, will mir scheinen, dann und wann Abwechslung der Erzählung Euch bescheren, Um böse Langeweile abzuwehren, (13, 8a)

Ein andermal:

Bedenkt, o Herr, in Huld, daß mein Beginnen Dem klugen Saitenspieler gleichen soll: £r läßt die Weisen durcheinemderrimien, ^lielt jetrt in Dar und gleich darauf in M6U. Derweüan nach Kinald ging all mein Sinnen, Brschdnt Angdika mir vorworfmill ... {S, 39.)

Noch bedeutsamer als die Unterbrechungen sind zu- meist die Einleitungen zu Anfang der einzelnen Gesänge. Schon Ludovicos Schüler und jüngerer Freund Giraldi weist bewxmdemd auf die Gesangsanfänge hin und meint, Clau- dians Elegien und Vorreden seien das Vorbild gewesen. Aber so weit brauchen wir nicht zurückzugehen. Die volks- tümlichen Rittergeschichten boten ähnhches; auch Bo- jardo. Aber erst Ariost verlieh diesen Präludien die künst- lerische Vollendung. Man denkt bei ihnen auch Gardner tut es an die vielberufenen Kapitelanfänge in Fieldings

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EINLEITUNG

LXXXIII

Tom Jones. Sie verbmden das Gesagte mit dem Kom- menden, bieten einen Rnhepmikt in der Erzählmig mid bereiten die vom Dichter gewollte Stimmung vor. Manch- mal übernimmt ein solcher Eingang die RoUe des antiken

Chors. Wo unsere Gefühle durch das zuletzt Vorgetragene zwiespältig sind, leiht er dem Empfinden Worte, erklärt, beschwichtigt es. Am Ende des dritten Gesangs sehen wir die ideale Heldin Bradamante vor der Aufgabe, den verschlagenen Brunei zu überhsten. Es kann ohne Trug nicht geschehen, und ihre Handlungsweise hinterläßt ein gewisses Mißbehagen. Da setzt der vierte Gesang ein* entschuldigt die Heldin md leitet zu einem neuen Aben- teuer über.

Galt es hier, eine unerwünschte Wirkung zu verhüten, so stageri der Eingang zu Gesang 5 eine beabsichtigte, indem er auf das Grausen, das die späteren Stanzen wecken sollen, vorbereitet.

Am reizendsten ist der Autor, wo er selbst ins Spiel kommt. Im sechsten Gesänge sind viele Wunderdinge ge- schehen. Er stellt sich, als ob er sich verteidigen müsse.

Man höre, wie der Schalk gravitätisch sich wehrt. Der Anfang des siebenten Gesangs lautet :

Wer weit von Hanse geht, begegnet Dinges Verschieden vom Gewohnten ganz und gar. Und Glauben findet er daheim geringen; Ein Lttgner heiSt er, aller Wahrbdt bar. Denn weiter kann's das dmniiie Volk nicht Illingen, Sieht es nicht selber alles klipp und klar. Unwissenheit wird jetzt, besorg' ich banf^e, Auch wenig Glauben schenken meinem Sange.

Ob rie mir Glavben schenken oder keinen,

Wi gUt der dummen Leute Meinung gleich;

Each, weiß ich, Herr, wird's Lüge nicht erscheinent

Ihr seid an Weisheit und Verständnis reich.

All mdine Kraft will ich dahin vereinen,

DnB Buch geidle meines .Schafffen» Reidi.

VI*

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I.XXXIV

V T N T.. F T'T N (;

Wie er bei der Rückholmig von Rolands Verstand des eigenen, verlorenen, gedenkt, haben wir gesehen.

Wenn er hier (und auch sonst mehrfoch) scheinbar zer- knirscht in schalkhafter Demut eigener Schwächen und

Fehler gedenkt, so bilden einen scharfen Gegensatz hierzu andere Stellen, wo er mit voller Bestimmtheit sich seiner Kraft und seiner Sendung bewußt zeigt. Dann erfreut uns das gesunde Selbstgefühl dieses für gewöhnlich so be- scheidenen Mannes, dessen Schhchtheit die Verwunderung der Zeitgenossen erregte. Wenn es sich um seine Kunst handelte, trat er, im Leben wie in seiner Dichtung, zu- versichtlich auf, seines Wertes bewußt, als ob er ein an- derer Mensch wäre. Freimütig spricht er zu den Gewaltigen der Erde, sobald ihn als einen Priester Apollos der Pegasus trägt. Während aber in einer ähnlichen Lage sein moder- ner Kollege Heinrich Heine auf die schrecklichen Terzinen, „des Dante klin^de Flammen**, hinwdst und mit Verdammung zu gleicher HdDe droht, sucht der Furioso- dichter nicht Furcht und Beben in die Sede seiner hoch- mögenden Zuhörer zu senken. Vielmehr möchte er sie durch das BOd einer lockenden Unsterblichkeit ge wi n ne n, indem er ihnen einschmeichelnd zu Gemüt fuhrt, wie „Poäm vor VergessenheU bewahren. Die ja noch sehUnmer fast als Sterben ist". Hier haben wir die einzige Art von Schrecknissen, deren Ausmalung dieser seltsame Buß- prediger gern imtemimmt. Eindringlich verweilt er bei den üblen Folgen des Knausems den Jüngern Apollos gegenüber, ungeschcut und lachend spricht er pro domo imd geißelt jene Gebietenden, die

Die hohen Geister lassen betteln gehn, Unwert erheben und Verdienst verbannen.

Dem Tode verfallen sind die Kurzsichtigen, während sie

Sonst lebend schritten über Grabesrand

Und duften würden Dichtkunst sprengt die Grüfte

Nock UehUcJm als Nord- und Myrfk$ndüfU.

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EINLEITUNG

LXXXV

Scheinbar emsthaft in Wahrheit mit feinem Spott werden die wohltätigen Wirkungen der Poesie illustriert, wobei die Dichtkunst sogar als Schönfärberei (I) Verherr- lichung findet; denn gewöhnliche Menschen wie Aeneas, Hektor, Achill machte sie durch Übertreibung zu Heroen:

ZW Diekt0ir Hmnd sekuf aU dU hohtn Bkran, Zu 4Mtm »it »ontt gtkommm mär$n,

ja noch mehr: sie gestaltete, erkenntlich kombäe diäu für klingende Münze oder andere ,,Spenden** recht bescheiden werden „PalOsie, Vüten amedesen**^ namhaft gemadit das Tatsächliche nach Gutdünken

und Laune! Ein Glück, daß der scherzhafte Ton des Vortrags diesen Ketzereien das Unerfreuliche nimmt I Die Warnung klingt hindurch: „Nehmt es nicht zu ernst- haft!*' Ariosts Ruf als des anspruchslosesten, uneigen- nützigsten Menschen der Welt war bei seinen Landsleuten gesichert; er durfte jene recht unverblümten Aufforde- rungen an die Machthaber, für das Sängervölkchen ordenthch in den Säckel zu greifen, sich gestatten, ohne Mißdeutung befürchten zu müssen. Wie einst für unsere mittelalterlichen Minnesänger war für ihn Milde, d. h. Freigebigkeit (bei den französischen Trouvöres largesse), die oberste der Henschertugenden, Unmüde, Kargheit, der schlimmste Fehler. Eine solche Haltung gebot ihm schon das Interesse der gesamten Sängerzunft.

Wenn In jenem 35. Gesänge weiterhin der Dichter, auf das angestimmte Rügelied zurückblickend, gewissermaßen entschuldigend sagt:

Ich xnnBt es tun, ich liebe die Autoreo,

Hab' ich die Schreibenoiift doch «elbet erkoren,

so darf er auf Gegenliebe rechnen, der göttliche Ludovico.

Und nicht nur ,,die Autoren", auch andere entzückt der

Glanz seines Geistes, der Flug seiner Phantasie, sein rei- zender Mutwille, seine vollendete Kunst.

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EINLEITUNG

Ein einziges Mal vergönnt er scheinbar dem lieben Ich weiteren Spielraum und stellt es geradezu in den Vorder- grund. Das geschieht im Eingang zum letzten, dem 46. Ge- sang, aus dem uns die Freude, sein großes Werk dem Ende nahegebracht zu haben, entgegentönt. Sie zaubert vor die Augen des Dichters eine Vision ; er selbst, ein Schiffer, der sein Fahrzeug dem heimischen Hafen entgegensteuert, studiert mit klopfendem Herzen die Seekarte*:

Wenn mich die Karte läSt die Wahrheit schauen.

So ist jetzund der Hafen nicht mehr weit: Ich danke bald am Strand, darf ich vertrauen, Ihm, der durchs große Meer mir gab Geleit. Ach, drauf sn Bcfaeitem wollte schon mir grauen Odtf omliersiniven ew'ge ZdL

Mich deucht zu sehn vidmehr ich kann es sdien Daa Land, das Landl Die Kfisten oüea stehen.

Da, horch 1 die Fiat erbraust, die Lfifte hallen,

Und Freudenruf erklingt und lautes Wort, Und Pfeifen hör* ich und Trompeten schallen. Drein Jubel tönt von vielem Volke dort. Kon seh' ich anch die Züge sdM» von allen. Die grüfiend füllen rechts ond links den Port Von Freude scheinen allesamt entglommen, Daß ich ans End' der langen Fahrt gekommen.

An die edlen Frauen aus dem Haiise Corr^ggio mit der Dichterin Venmica, einer Schülerin Bembos, schließt sich eine glänzende Schar erlauchter und gefeierter Damen, eine Angela Borgia, eine Vittoria Colonna, und von Män- nern eigentlich alle Sterne der Literatur und Kunst, von Fürsten sehr viele. Ein einziger von den führenden Gei- stern des zeitgenössischen Italien fehlt in diesem durch neunzehn Stanzen gehenden Katalog der Berühmtheiten : Niccold Machiavelli, der die Vemachlässigung zwar bitter empfunden, aber in seinem Asino d'oro dem götthchen

* Im Vergleich eines Dichtwerkes mit einer Seereise hatte Ariost Vorgänger : Ovid (Fast. II, vmimus im partum), Vergil, Boccaccio sjn Ende des Filocopo.

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LXXXVII

Ludovico nicht nachgetragen hat*. Wenn wir genau zu- sehen, ist es dem Dichter mit dieser Aufzählung glänzen- der Persönlichkeiten gar nicht um eine Selbstverherr- hchung zu tun, vielmehr um eine Huldigung an die Ge- nannten. Im Orlando erwähnt zu sein, galt als die höchste Ehrung, war wie ein Diplom für die Erlesenen. Uns Mo- demen wird es schwer, die Wirkung dieses Abschnittes auf die Zeitgenossen naclizufühlen. Nur wer tiefer in die Geschichte der Renaissance eingedrungen ist, dem ge- stalten sich die neunzehn Stanzen zu einem lebensvollen Bild aus großer Zeit.

Aiiosts Oflanio wird noch kommenden Geschlechtern eine Quelle des Genusses sein.

VIII

VOM „VERLIEBTEN" ZUM „RASENDEN" ROLAND

In der Neugestaltung des volkstümlichen Stoffes aus der alt französischen Epik für den Geschmack des vor- nehmen Publikums der Renaissancezeit hatte Ariost zwei bedeutende Dichter zu Vorgängern gehabt: Luigi Pulci, den Genossen Lorenzos von Medici, in seinem 1483 erschienenen groteskkomischen Heldengedicht Morganie maggiore und den ferraresischen Grafen Matteo Maria Bojardo von Scandiano in seinem Orlando innamoraio (1494). Pulet steht über sdnem Gegenstand, hat kein Herz für ihn und sucht durch spöttische Behandlung im persiflierten Bänkelsängerton nur das Gelächter der kunstmäßig Gebildeten zu erregen. Bojardo wählte den volkstümlichen Stoff, nicht um ihn zu verspotten, sondern

Man vermutet, jenes auffällige Schweigen Ariosts sei einer Ver- stimmung des Dichters über abfällige Äußerungen Machiavellis in bezug Mif da« AxiflfliMiM Komödie nnaMlinibeD.

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F T NM, F T T TT V r,

um ihn mit höfischem Geiste zn erfüllen nnd in einer Fabelwelt, an die auch er nicht glaubt, sein höfisches Ideal zu verkörpern*.

Ariost knüpft an das unvollendet gebliebene Werk Bo- jardos an, setzt die Kenntnis des dort Erzählten voraus und führt das Schicksal der von seinem Vorgänger einge- führten Personen fort, daneben beUebig den Schatz von anderen Sagen und Romanen, der im Gedächtnis seines Pubükums lebendig war, verwertend. An den ursprüng- lichen Charakter der alten Volkssagen, die der religiösen Begeisterung entsprungen waren, erinnert nichts mehr trotz der Ähnlichkeit des Stoffes. Wohl haben wir es noch mit den Kriegen Karls gegen die Sarazenen zu tun, aber um was es sich eigentUch handelt, sind nicht religiöse Dinge und Fragen, sondern lediglich die Entfaltung der ritter- lichen Persönlichkeit in Kampf und liebe, im Abenteuer um des Abenteuers willen.

Eine phantastische Welt fand der Dichter auch bei Bo- jardo; aber was hat er aus ihr gemacht! Hören wir hier- über Heinrich Morf: „Ariosts Orlando furioso bringt in diese Wunderwelt jene vollkommene Natürlichkeit, welche bei Bojardo fehlt, jene der kräftigsten Realität abge- lauschten feinen Züge und Gefühle, jenen Mikrokosmus widerstreitender Empfindungen, der uns in seinen Figuren unseresgleichen erkennen läßt. £r hat in die reizende

* NShere» hierüber und Aber das llaterial snm stoben Bmi der aiieetischeik Dichtung, „dessen Fandamcntc in den Tiefen des Mitt^ alters ruhen und dessen Gipfel hineinragt in den Himmel der Renais- sance", lese man in der anziehenden Abhandlung von Heinrich Mori: „Vom RdlandsUed mm Ofhmdo fwim^* in „Aus Dichtung und Sprache der Romanen".

Die Frage nach der Herkunft der vielen in das Gedicht verwebten Geschichten ist von 1542 an mehrfach untersucht und schheßüch von dem geistvollen Florentiner Gelehrten Pio Rajna (Le Fonti deü' Odandö Furioto 1876, in 9. Anllage 1900) erledigt worden. Wit die Fäden bei Ariost sich verscUingeii, ist dort ringehund idaxgdsgt

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EINLEITUNG

LXXXIX

Traumwelt gerade das Maß von Realismus, von Verstän- digkeit, von Emst, ja von Tragik hineingelegt, das sie er- trug, und damit jenes Maß von Ironie und Schalkhaftigkeit verbunden, das nötig ist, um das moderne Bewußtsein mit dem ganzen Anachronismus dieser Fabeleien fortwährend zu versöhnen . . . Orlando furioso, das Lied vom Roland, der über der Liebe zur schönen Heidenfürstin Angelika den Verstand verliert und in Raserei verfällt, ist das wahre Ge- dicht der Renaissance. In ihm verkörpert sich das Kunst- ideal einer Zeit, welche den Kultus des Schonen zum Selbst- sweck gemacht hat. Das ist eine Dichtung, die sich selbst genülgt, die wahre Ldkamaticm des gesmiden Vart pour Fort, In Pulds Dichtung erscheint die Karlssage gleichsam als eine Ruine. Aus dieser Ruine ist durch das Zauberwort Bojardos neues Leben aufgeblüht, ein Leben, zu dessen Verherrlichung ein wahrhaft großer Dichter in Ariost er- standen ist. Ein gütiges Geschick hat das französische Volksepos, dem im eigenen Vaterlande eine ruhmlose Auf- lösung bestimmt war, im italienischen Adoptiwaterlande einen Poeten finden lassen, der an ihm die höcliste Auf- gabe der Dichtkunst löste und aus dem mittelalterlichen Stoff zugleich das glänzendste Poem der Renaissance schuf.

So ist Ariosts Sang eine Apotheose des Mittelalters und der Renaissance zugleich. Und wie er zwei Weltzeiten verbindet und krönt, so vereinigt er in sich die Arbeit mehrerer Nationen. An die französische Epik von den germanischen Helden hat ein italienischer Künstler die letzte Hand gelegt.

Sein Werk erhebt sich über Zeiten und Völker."

Zum Verständnis des Zusammenhanges in Ariosts Dich- tung wird es gut sein, sich das Folgende, das dort als bekannt vorausgesetzt wird, aus Bojardos „Verliebtem Roland** gegeuwäitlg su halten.

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EINLEITUNG

Angelika, Tochter Gakfrans, des Herrschers von Ka> tai (China), ist im Auftrag ihres Vaters an Karls Hof ge- kommen, um alle seine Paladine und Helden als Gefan- gene nach Katai zu bringen. Das soll so geschehen: Da viele, von ihrer wunderbaren Schönheit ergriffen, sie ge- winnen wollen, macht sie ihre Gunst von einer Probe ab- hängig. Der Werbende muß ihren Bruder Argalia im Speerkampf überwinden; unterUegt er, wird er Angehkas Gefangener. Wiewohl nun Argalia von Galafron mit einer Zauberlanze, vor deren goldener Spitze jeder von ihr Be- rührte zu Boden sinken muß, femer mit undurchdring- lichem Harnisch und dem schnellfüßigen Hengst Rabiküi versehen worden ist, wird er doch von dem spanischen Sarazenen Ferragn getötet, nachdem dieser g^gen die Bestimmung den Kampf zu Fnße fortgesetzt hat. Der Sieger verspricht dem sterbenden Argalia auf dessen Bitte, ihn damit die Welt nicht erfahre, daß er trotz solcher Waffen überwunden worden sei samt der Rü- stung im nahen Strom zu versenken. Nur den Helm will Ferragu auf vier Tage borgen, um unerkannt unter den Feinden sich zu bewegen.

Angelika ist nach dem Ardennenwald entflohen; drei in sie verliebte Helden, Roland, Rinald, der Sohn Haimons, und der Sarazen Ferragu, suchen sie. Nun fließen in den Ardennen zwei Quellen: die eine zwingt zu Haß, die andere zu Liebe. Rinald trinkt aus der ersteren und verliert seine Leidenschaft zu Angelika; diese aus der zweiten und ist nunmehr für Rinald ent- flammt. Aus Verzweiflung, daß der Held sie ver- schmäht, eilt sie nach Katai zurück. Dorthin folgt ihr Roland nach, Ferragu wendet sich auf die Kahnung Flor- despinas, der Tochter seines Königs Marsil, heim nach dem geföhrdeten Spanien, wahrend Rinald nach Paris reitet.

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EINLEITUNG

XCI

Auch Kaiser Karl ist schwer bedroht, durch den ge- waltigen Streiter Gradaß, König von Serikane, der aus- gezogen ist, um das beste Schwert der Welt, Rolands Düren dal (dieser bekanntere Name wird in der Über- setzung statt des itahenischen Durendana gebraucht), und das beste Pferd, Rinalds Bajard, zu erringen. Gradaß überwindet Marsil, führt die spanischen Ritter, darunter Ferragu, gefangen mit nach Frankreich und schlägt dort auch Karls Heer, nachdem dessen Oberfeldherr, Rinald, auf Veranlassung Angelikas, die den Geliebten in Asien haben will, durch Zaaberkünste seines Vetters Malegis vom Heere verschwanden ist.

Angelika, nach Katai zurückgekehrt, war von mäch- tigen Herrschern umworben worden, darunter dem Tatarenkönig Agrikan. Sie wies ihn aber gegen den Wunsch ihres Vaters ab und wurde in ihrer festen Burg Albrakka von den zahDosen Scharen Agrikans belagert.

Ihr zu helfen, nahten heidnische Herrscher, darunter der starke Zirkassierfürst Sakripant, in heißer Liebe für Angelika entbrannt; auch christliche Helden wie Roland, die Zwillingssöhne OHvers Grifon und Aquilant, und Herzog Astolf, der junge Sohn des Königs Otto von England.

Astolf war nach Asien geraten, nachdem er, der jugend- liche Streiter, durch des Himmels Fügung den Kaiser Karl und die Christenheit aus schwerer Not befreit hatte. Nach der Niederlage des führerlosen Frankenheeres war nämlich Karl mit seinen Paladinen in Gefangenschaft ge^ raten und Gradaß vor Paris gezogen. Dieser eröffnete dem gefangenen Kaiser, er solle Freiheit und Reich gegen Aus- lieferung Bajards und Durendais zurückerhalten. Das Schwert führte Roland in Asien mit sich, aber Bajard be- fand sich nach dem Verschwinden Rinalds in Paris. Als der Hengßt dem Sieger zugeführt werden sollte, erschien der

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EINLEITUNG

einzig freigebliebene Christenkämpfer, den Karl wegen Un- gehorsams mit Haft bestraft hatte, Herzog Astolf, um Gra- daß zum Zweikampf herauszufordern, unter der Bedin- gung, daß der Serikaner, falls besiegt, die Gefangenen frei- gäbe und das Land räume. Der gewaltige Gradaß wurde nun in der Tat aus dem Sattel gehoben: Astolf hatte die herrenlos im Lager gebliebene goldene Lanze Argalias auf- genommen und. ohne deren Kraft zu kennen, mit ihr den Gegner getroffen. Der zog darauf, das Erringen von Schwert und Roß auf späteren Einzelkampf mit Roland und Rinald verschiebend, ab, und Astolf, auf Bajards Rücken, gelangte, den Helden Roland und gemeinschaftliche Aben- teuer suchend, nach Asien zu Angelikas Burg Albrakka.

Die Schdne läßt, um ihre Helfer festzuhalten, es nicht an Schmeicheleien und Versprechungen fehlen; denn nach dem Tode Agrikans, der von Rolands Hand gefallen ist, sieht sie sich von der furchtbaren Kriegerin Königin Mar- fisa bedroht und bedarf der Freunde. Auch den Ge- hebten will sie bei sich liaben. Da nun unter den gefangen nach Katai gebrachten Rittern Rinalds Vetter Malegis ist, läßt sie den Zauberkundigen mit dem Versprechen der Freiheit durch Geister nach Barcelona tragen, wo am Strande Rinald imd Gradaß im Zweikampf sich haben messen wollen. Vor dem Eintreffen seines Gegners jedoch wird Rinald durch ein Zauberkunststück des Malegis auf ein Schiff gelockt imd nach Asien entführt. Aber nichts mindert seinen Widerwillen gegen Angelika. Statt ihr zu helfen, wendet er sich nach allerlei Taten heimwärts, im Besitz seines Bajard, den ihm Astolf zurückerstattet hat. Die Ankunft des Paladin D udo , Sohnes Holgers des Danen, führt in Gesellschaft Rinalds auch den jungen Herzog sowie Grifon und Aquilant heim nach Westen; denn der Kaiser bedarf ihrer. Auch den Grafen Roland sollte Dudo bringen ; der aber kann sich nicht von Angehka losreißen.

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F T X T. K T T T' X C

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Die Schöne, seiner überdrusog, laßt ihn die Fee Falerina aufsuchen, die auf sein Kommen schon vorbereitet ist; aus Zauberbüchem hat sie das Nahen eines Unverwundbaren

erkundet, der ihren Garten zerstören werde. Sie schmiedet das Wundei Schwert Balisarde, das die Kraft besitzt, jeden Zauber aufzuheben. Aber Roland siegt über alle Ungeheuer Falerinas, erringt Balisarde und kommt zurück nach Albrakka.

Dort ergeht es Angelika schlimm: sie muß, von den wil- den Belagerern bedrängt, auch den einzigen ihr gebHebenen Helfer Sakripant zu Gradaß schicken, um Beistand zu er- bitten. Ein Kleinod, das allein ihr gegen die schreckliche Marfisa Schutz gewähren könnte, nämlich ein Ring, der, am Finger getragen, jeden Zauber veniichtet im Munde getragen, unsichtbar macht, ist ihr von dem Erzdieb Brunei gestohlen worden.

Dieser Brunei war der Sklave eines afrikanischen Kdnigs, Untergebenen des Oberherrschers aller Sarazenen, Agra- mant von Biserta. Des Agramant Vater Tro j an fiel durch Rolands Hand; ebenso sein Oheim Almonte, von dem der Sieger das Schwert Dorendal, das Horn, die gefeite Rüstung und den Hengst Güldenzaum (Brigliador) er- beutete. Früher schon war auch Agramants (Großvater, Agolant, im Kampf gegen die Christen gefallen. Diese Erschlagenen zu rächen, rüstet sich wie der von Karl ob dieser Gefahr entsendete Dudo berichtet jetzt Agra- mant. Aber ihm wird die Weissagung, ohne den jungen Roger, seinen Schwestersohn, werde der Kriegszug ver- gebens sein. Roger so hört er weiter wurde bei seiner Geburt mit einer Zwillingsschwester der sterbenden Mutter von einem Zauberer Atlas abgenommen und weilt in unnahbarem Schlosse auf dem Berg Carena. Durch diese Verborgenheit will ihn Atlas vor Verderben be- wahren: er hat namlidi in den Sternen gelesen, Roger

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EINLEITUNG

werde, wenn er nach Frankreich komme, zum Christen- tum übertreten mid durch Verrat sterben. Den offenbar zu erwartenden Wderstand des Zauberers gegen Rogers Ent- führung kann nur der Ring der Kaiserstochter von Katai überwinden, der jeglichen Zauber zunichte macht. Diesen Ring der Prinzessin, während sie einer Schlacht zusah, vom Finger zu streifen, war damals dem zur Erlangung des Kleinods von Agramant ausgesandten Brunei gelungen. Außerdem stiehlt er dein Sakripant, der nachdenkhch des Wegs reitet, sein Pferd Milchstirn (Frontalatte) unter dem Leib weg, der Marfisa ihr Sciiwert, dem Grafen Ro- land das Horn des Almonte und das Schwert Balisarde. Der Ring führt dann in der Tat zur Auffindung Rogers. Der jimge Held schließt sich dem Heere Agramants an. Der König erhält den Hengst MÜchstim sowie Balisarde und macht Brunei zur Belohnung zum Herrn von Tingi- tanien.

Roland» von Karl an seine Pflicht gemahnt, tritt die Reise nach Ftankreich an; ihn bebtet Prinzessm Ange- lika. Das Abendland ist inzwischen schwer vcmi ge- waltigsten Mohrenkämpen, dem König Rodamonte (Ariost

nennt ihn Rodomonte) von Algier, heimgesucht worden. Dudo mißt sich nach seiner Rückkehr mit ihm im Kampf, erhegt und wird gefangen nach Algier geschickt. Rinald, der im Ardennenwald jetzt aus der anderen Quelle getrun- ken hat und in Liebe zu Angelika erglüht, tritt ihr, als sie an Rolands Seite ihm vor Augen kommt, leidenschaftüch entgegen, ohne Erhörung zu finden, weil sie mittlerweile aus der HassesqueUe getrunken hat. Zwischen ihm und Roland kommt es zum Zweikampf: Karl tut diesem Ein- halt, und um den Anlaß des Haders zu beseitigen, über- gibt er die Sch6ne dem ehrwürdigen Naims von Bayern: der soll sie hüten, bis der Krieger, der sich in der bevor- stehenden Schlacht am glänzendsten hervorgetan haben

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E T N I. T- I T U N r.

wird» Angdika als Preis erhalt. Der ungeheure Zusammen- stoß zwischen der gesamten Mohrenschaft miter Agramant von Afrika, Marsil von Spanien usw. und dem christlichen Heere findet in nächster Nihe der Pyrenäen statt: Karl wird geschlagen und flieht nach Paris. Dorthin führen nun alle Heidenfürsten ihre Scharen. In der Stadt rüstet Roland der an dem unglückhchen Kampfe nicht teil- genommen hat, weil ilm ein Zaubertrug von dannen führte, bis ihn sein Freund Brandimart (nach der Schlacht) zu den Seinigen zurückbrachte die Verteidigung der Hauptstadt gegen die andringenden Feinde.

So weit geht die Erzählung Bojardos. Die Fäden, die er hier fallen Meß, niount Ariost auf.

IX

KLEINERE WERKE

Wenn ein großer Dichter durch ein Meisterwerk die Bewunderung der Mit- und Nachwelt gefunden hat, wird in manchem dankbaren Leser der Wunsch rege werden, auch mit den anderen Darbietungen eines solchen Genius Bekanntschaft zu machen.

An Ariosts phantastische Epopöe reihen sich seine Kleineren Werke, die Opere minori, das enthaltend, was er uns sonst noch an poetischen Schöpfungen hinterlassen hat. Das allermeiste hiervon war bis vor ein Jahrzehnt in Deutschland unbekannt, während sonst fast sämtHche führenden Geister unserer Naclibamationen sich bei uns durch Gesamtausgaben vertreten finden. Der helle Glanz, der vom Rasenden Roland ausstrahlt, blendete vier Jahrhunderte hindurch unsere Augen, ließ uns ihm Benachbartes nicht erkennen und nicht würdigen; nicht nur Lichtlein, auch größere Feuer erblassen vor der Sonne. So hat die gefährliche Nähe des Orlatido furioso den andern

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EINLEITUNG

Schdpfungeii semes Meisters Abbruch getan; jedenfalls bei uns. Denn im Lande des Autors waren auch seine Verskomödien einst hochberfihmt imd populär, und seine köstlichen Versepistebi, die sieben Satiren, werden noch heute in Italien bewundert und immer wieder ange- legt.

Unter den nunmehr gehobenen Schätzen befinden sich zunächst die eben genannten Komödien und die Rime, fünfundsechzig teils längere, teils kürzere poetische Kom- positionen des Meisters, Elegien und Capitoli, seine Ekloge, die Kanzonen, Sonette imd Madrigale ent- haltend. Man mag diese verschiedenartigen Erzeugnisse unter der Bezeichnung lyrische Gedichte zusammen- fassen, wenngleich eines davon, die Ekloge, in dramatischer Form gehalten ist und auch in den anderen das Gebiet des rein Lyrischen vielfach überschritten wird.

Einiges in den italienischen Ausgaben der Opere minori Enthaltene mußte von der Aufiiahme ausgeschlossen blei- ben: Vereinzeltes, Unvollendetes, wofür die Teilnahme des deutsdien Lesers nicht zu erhoffen schien, oder Erzeug- nisse, deren Autorschaft nicht sicherstand. Aus dem dnen wie dem anderen Grund blieben so zunächst die fOnf Gesänge, die den Titel SitiaHo ardito tragen, bei- seite, d. h. das Bruchstück eines einsehen Gedichts in Oktaven zur Verherrlichung des aus dem Funoso bekannten Helden Rinald. G a rd ner* verwirft es in Übereinstimmung mit Pohdori u. a. schon aus dem Grund, daß während der Jahre zwischen 1525 und 1534 dieser Zeitraum er- gibt sich aus inneren Gründen für die Abfassung des Rinaldo Ariost mit der dritten endgültigen Ausgabe seines Roland viel zu sehr beschäftigt war, um sich einem anderen Stoff zuzuwenden. Ludovico kann überhaupt im- möglich diese (zuerst 1551 erwähnten) „plumpen, geist-

* Tk$ Kütg of Comt PobU (Londoo, GoosUAle, 1906), p. 313.

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EINLEITUNG

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und witzlosen" Stanzen geschrieben haben: sie sind, wenn nicht eine beabsichtigte Fälschung, das Machwerk eines ferraresischen Nachahmers; man hat an des Dichters Bruder Gabriel, der die ScolasUca beendete, auch an den Sohn Virginio Ariosto gedacht; indessen sollte das Andenken dieser beiden nicht durch die Annahme, solcher geradezu pornographischen Ausführungen fähig gewesen zu sein, ohne Beweis verunglimpft werden.

Ein anderes Fragment besteht aus 84 Stanzen, die eine Episode aus dem 32. Gesang des Orlatido weiterverfolgen und vom Schicksal des Goldschildes berichten, den UUania zu Karl bringt. Auf dem Schild sind die Kriege in Italien von der Gotenzeit bis 1308 dargestellt: vermutlich be- stimmte Ariost diese historischen Erinnerungen anfänglich für den 33. Gesang, ersetzte sie aber durch die jetzt dort zu findende Schilderung der Gemälde auf den Wänden des Palastes. GioHtos,,Orlando"-Ausgabe von 1547 brachte diese Strophen, Frammenti in ottave, als Anhang, nachdem sie schon ein Jahr vorher in der Venezianer Ausgabe der Rime gedruckt worden waren.

In einem weiteren Bruchstück, den sog. Cinque Canü, haben wir fünf Gesänge, deren Entstehung und Bestim- mung ziemlich rätselhaft ist. Am besten sieht man darin direkte Überbleibsel einer vom Dichter, wohl nach der Ruckkehr aus der Garfagnana, geplanten und begonnenen Weitelgestaltung des Orlaiiio, der auf ffinfzig Gesänge gebracht werden und noch die Ermordung Rogers durch die Mainzer sowie Rolands Tod bei Roncesvalles enthal- ten sollte. SchließHch gab Ariost dies auf und beschränkte sich auf die Zusätze und Erweiterungen, die seine dritte Ausgabe des Furioso (von 1532) uns darbietet. Der ver- änderte Ton der Cinque Canti gegenüber dem vollendeten Gedicht ist seltsam und viel erörtert worden; „sie haben", so bemerkt Pio Rajna, „einen schwereren/ feierlicheren,

Artost 1 VII

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EINLEITUNG

kurz mehr epischen Gang als das Werk, das sie ursprüng- lich erweitem sollten."

Unverkürzt erscheinen in dem vorliegenden Bande zu- nächst als erster Teil der „Kleineren Werke" die fünf Verskomödien. Daran schließen sich die lyrischen Ge- dichte {Rime), die Elegien, CapUcU, dieEklcge» Kanzonen, Sonette und Madrigale.

Aus der Zahl der CapitoU blieb nur eines, das eigent- lich zu dieser Gattung gar nicht gehört, aber in den Aus- gaben als Capitolo VI verzeichnet ist, unberücksichtigt. Es ist unverkennbar epischen Charakters und stellt in der Tat den Anfang einer erzählenden Dichtung dar, in der das Lob des Hauses Este gesungen werden sollte, und zwar in Terzinen*. Zum Helden war ein Obizzo d'Este gewählt, der zur Zeit Philipps des Schönen im französischen Heer gegen die Engländer focht und im Einzelkampf einen berühmten Kämpen ,,Aramone di Nerbolanda" (North- umberland) besiegte. „Aber der Dichter," so bemerkt Molini nach Pigna , „unzufrieden mit dem Gegen- stand oder in der Erkenntnis, daß die Terzine für solche Stoffe weniger geeignet sei als die Oktave, gab den Plan auf und wandte sich dem Orlando funoso zu." Das Frag- ment zahlt 210 Verse und beginnt: „Canterd Pame, cafUerd gli affami D*amor**,

Die dreißig Sonette wurden vollständig aufgenommen. Als unecht betrachtet man neuerdings die Sonette 31 und 32 (das erstere beginnt: ;,Magmftco fattore Alfonso Trotto'\ das zweite: ,,Non ho dctto di tc cid che dir posso"), Schmäh- gedichte, an den Intendanten des Herzogs Alfonso, Trotto, gerichtet. Da letzterer im Orlajido wohlwollend erwähnt wird, sprachen Gardner und der neueste Herausgeber des Orla7ido, Papini, die Autorschaft der beiden Sonette un- serem Dichter ab. Gewiß mit Recht: der Ton der beiden

Vfl^ IV. Band, Anhang Nr. 9.

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EINLEITUNG

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Gedichte erscheint auch nicht ariostisch. Von den vier Kanzonen blieb die vierte {Quante fiaU) unberücksichtigt. Sie findet sich, wie schon Barotti und Polidori bemerkten, nicht in den Handschriften» ist entschieden minderwertig imd gilt mit Grund als unecht.

Von diesen Einzelheiten abgesehen, ist die Wiedergabe der „Kleineren Werke", d. h. der Komödien, der lUme (Elegien. CapikU, Ekloge, Sonette, Kanzonen, Ifadrigale) und der Satiren eine voUst&idige.

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KOMÖDIEN

Wiewohl die Calandria des Kardinals Bibbiena was von einigen angenommen, von anderen, wie z. B. Tortoü in seiner Ausgabe der Opere tninori {Firenze 1854), sehr ent- schieden bestritten wird möglich einweise ebenso alt oder etwas älter als Ariosts Cassaria und Supposüi ist, so gilt er doch allgemein als der erste, der eine regelrechte Ko- mödie in der Volkssprache nach dem Muster der Alten ver- faßt hat ; unter allen Umständen wird i h m es zuzuschrei- ben sein, daß man der Muttersprache die Fähigkeit zuer* kannte, von der Bühne zu wirken, sowie dem Dichter das Recht, die Gegenwart, zeitgenteische Zustände, nicht bloß Stoffe aus der Antike, zu behandehi, und daß diese ungeheure Neuheit sich Bahn brach. Dies würde schon ge^ nügen, Ariosts Komödien ihren Platz in der Weltliteratur zu sichern. Aber auch abgesehen hiervon, sind sie der Teilnahme eines modernen Lesers nicht unwert : er muß sich nur gegenwärtig halten, daß er es mit einer entstehenden, nicht mit einer fertigen Kunst zu tun hat. Kein Ver- ständiger wird dort den Maßstab modemer Technik an- legen, Charakterzeichnung, dramatischen Aufbau so er- warten, wie ihn eine vierhundert] ährige Schulung uns

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EINLEITUNG

gelehrt hat. An den Werken der Präraff aehten stören beträchtHche Unvollkommenheiten nicht unser Vergnügen an diesen hebenswürdigen Schöpfungen der Vorblüte: die Fehler gegen die Perspektive, die harten, wie mit dem Messer gegrabenen Umri^^se, die sich bei dem jetzt so sehr gefeierten Botticelh finden, nehmen wir als Zeichen der Entwicklung aus der Skulptur in Stein und Metall, steife Unbehilflichkeit als Nachwirkung der früheren byzan- tinischen Auffassung, kurz als historisch gegeben hin und freuen uns der unfertigen Kunst oft mehr als der vollentwickelten: das Werden fesselt uns mehr als das Sein. Vielleicht konunt diese Betrachtungsweise auch den Erstlingen der dramatischen Kunst zugute. Nicht byzantinische Gebundenheit, aber römisch-antike hält sie noch gefangen: in der Nachahmung des Plautus und des Terenz erkennen wir die Eierschalen, die dem gar jungen Vöglcin, der nationalen Komödie, noch ankleben.

Immerhin gilt es hier zu unterscheiden. Diejenigen gehen zu weit, die in der beginnenden italienischen Komödie nichts als eine bleiche Wiederholung der lateinischen sehen. Gegen sie hat sich Tortoli mit Recht gewendet: be- stand jener Einfluß unfraglich, so hat die junge Komödie doch keineswegs aUes wie behauptet worden ist , Gegenstand, Charaktere, Zwischenfälle, vis comica, Ideen und fast die Worte herübergenommen. Nur die Form, die Handhabung der Fabel, ist lateinisch. Das gebot der herrschende, an die Art des Plautus und des Terenz ge- wähnte Geschmack der maßgebenden Gesellschaftsklassen, der etwas Abweichendes kaum geduldet haben würde. Hierzu bekennt sich Ariost mit klaren Worten im Prolog zur Cananai er fürchtet Widerspruch gegen seine „neue Komödie, die niemals lateinische oder griechische Zungen aufführten"; denn der Zuhörer erachte nur, was die Alten fijesagt, für vollkommen, darum wolle er, der

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EINT.EITUNG

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Verfasser, mit allen Kräften ein Nachahmer der alten und gefeierten Dichter sein nnd sich nicht vom Verfehren imd von der Art lateinischer Autoren entfernen. Aber schon im zweiten Stück gewinnt er eine gewisse Unabhängigkeit ; . er wagt eine andere Zeit und Gesellschaft darmsteUen: die eigene. Zwar gedenkt er wiederum der Entlehnungen (aus dem Eunuchus des Terenz und den Captivi des Plautus), aber er fügt hinzu, sie seien so geringfügig, daß Terenz und Plautus selbst daran keinen Anstoß nehmen, sie mehr poetische Nachahmung als Diebstahl nennen würden". Mit der Wahl der eigenen Zeit und Umwelt wurde die Gepflogenheit der lateinischen Schriftsteller verlassen, bei denen alles griechisch ist, Schauplatz, Personen, Fabel, Charaktere, Ideen, und kaum je die römische Gesellschaft vorgeführt wird. In den folgenden Komödien« wie wir sehen werden, wird ein reicherer Stoff wiederum mit er- weiterter Selbständigkeit behandelt.

Ariosts erste Komödie, die Cassaria, d. h. Kastenkomodie (der latinisierende Name schlieOt sich unverkennbar an Bildungen an wie Aidulanat MosUüana), in Prosa ge- schrieben, gelangte in Ferrara Anfang März 1508 auf Be- fehl Ippofitos d'Este tur Aufführung bei Hofe, mit großem Erfolge, wie der uns erhaltene (von Campori, NoHne per la Vita di L. Ar., 1891, S. 48 ff. mitgeteilte) Bericht eines Zuhörers an die Marchesana Isabella von Mantua meldet. Das Entzücken, dem letzterer Worte leiht, gilt allerdings zum großen Teil der Ausstattung, der Musik, Tänzen, Pan- tomimen, kurz Nebenumständen, die, statt der Handlung zu dienen, die Aufmerksamkeit von ihr ablenkten. In solcher , »anderweitigen Beschäftigung der Schaulust", in der Pracht der Kostüme, der Dekoration, den Inter- mezzi, die bereits die Mysterien überwucherten, erkannte J. Burckhardt* geradezu das Verderben für das italienische

* Kultur der Remiasaace.

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EINLEITUNG

Drama : der Pomp tötete die Tragödie, verhinderte die reine Entwicklung der Komödie.

Ariosts Aufgabe ward dadurch von vornherein be- schränkt, daß er ledigHch dem Zeitvertreib zu dienen hatte: man wird sich nicht womdern, wenn die Stücke leicht ge- zimmert sind und die Cassaria die aus den lateinischen Komödien bekannten Vorwürfe imd Personen bringt. Zwei verliebte junge Männer za MytUene betrügen» unterstützt dnrch sctüaue Diener (denen die Hauptrollen zugewiesen sind)^ einen Kuppler um zwei sch&ie Sklavinnen, zugleich auch ihre Väter. Wenn letzteres uns etwas peinlich berührt, so scheint das damalige Publikum nichts von Bedenken gespürt, viebndir die vorgeführten komischen Szenen voll genossen zu haben. Eine einzige etwas emster gehaltene Szene, die Ermahnung des hintergangenen alten Crisobolo an seinen Sausewind von Sohn, tritt fast etwas befremdend auch Gardner macht darauf aufmerksam aus dem allgemeinen Leichtsinn, wo Betrachtungen über Recht und Unrecht kaum eine Stätte haben, heraus. Nach der Über- heferung hat der junge Ariost hier ein eigenes Erlebnis verwertet: Sein Vater kam 1492 von Modena nach Ferrara, wo Ludovico allein ,,studierenshalber" geblieben war, zu- rück und hielt dem Sprößling über dessen unbefriedigendes Verhalten eine gewaltige Strafpredigt. Der junge Gabriele war zugegen und wunderte sich über das demütige Schwei- gen, mit dem sein Bruder alles hinnahm. Nachher gestand ihm Ludovico, er habe für seine im Werden begriffene Komädie gerade solch einer Strafrede bedurft und still- geschwiegen, weil er während des väterlichen Donnems die Emreihung der gehörten Worte in seinen Plan überdachte; er selbst fühlte sich als den Erofilo und sah im Vater den Crisobolo von Mytilene. Danach hätte Ariost also be- reits im 18. Jahre sich mit dem Plan zu seiner Cassatia getragen.

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EINLEITUNG

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Eine zweite Komödie, Die Untergeschobenen, wie die erste in Prosa abgefaßt und im Karneval 1509 aufgeführt, brachte ihm weitere Lorbeeren. Derselbe Berichterstatter, Bemardino Prosperi, bezeichnet (wieder in einem Brief an die Marchesana Isabella von Mantua) das Stück als „gaiw neu, höchst ergötzhch und voll von Sentenzen und Worten und Taten, die großes Gelächter hervorriefen, mit drdiacher Vertauschung von Personen. Der Prolog ward von dem Autor selbst vorgetragen, der Stoff ist ausgezeich- net und unseren Sitten wohl entsprechend, denn er stellt den Fall als in Feirara* geschehen dar.*'

ICan mag es sich vorstellen, mit welchem verwunderten Behagen die Ferraiesen sich diese Neuerung gefallen Ueßen ; wir sind noch jetzt imstande, nach den im Stück genannten örtlichkeiten unsere Wanderung durch die Stadt zu den Kirchen, den öffentlichen Gebäuden, den Toren, der Um- gegend vorzunehmen. Alles das mußte den Eindruck der Wirklichkeit verstärken. Auch die Figuren sind nicht mehr aus Plautus und Terenz entlehnt diese haben im wesenthchen nur die Vertauschungsmotive geliefert , bis vielleicht auf den Parasiten Pasofilo; und auch diese typische Gestalt war, wie Gardner aus Dante und Boccaccio belegt, in ItaUen nicht unbekannt**. Der Gegenstand des Stückes ist ebenfalls dem modernen Leben entnommen: Werbung des als Diener verkleideten Studenten Ero- strato um Polimnesta, die er zuletzt gewinnt, indem der

* Daß mao es in der Tat mit der Gegenwart, dem Ferrara zwisclien 148S und 1493, Sil tan hatte, UBt sich aw npeiStdlenbel^asi: ein junger Ifonn ist (Akt $, Ss. 5) Stndent an der Universität, während er nur

2^it der Plünderun!:; von Otranto (1480) ein Knabe von fünf bis sechs Jahren gewesen ist. Den Terminus ad qnern gewinnen wir durch die Erwähnung, daß König Ferrante in Neapel herrscht und Herzogin I^eonota noch lebt*

** Über weitere Quellen Arlosts ni den Supposüi siehe Guido Mar- pillero {Giornals Storico della LettereUura ItaJinna, S. 291-310), der das Stück iür ein Mosaik ans voschiedenen Komödien erklärt.

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CIV EINLEITUNG

Dichter durch ein bei den Alten behebtes Mittel, eine Wie- dererkennung, sämtliche Schwierigkeiten löst. Mit solchen UnWahrscheinlichkeiten müssen wir uns abzufinden suchen und für die hier beliebte nicht nur mit Tortoli an die Wechselfälle- jener Zeiten der Türkenraubzüge denken, sondern auch an den durch solche Vorfälle genährten Ge- schmack des damaligen PubUkmns, das wmidersamen Be- gebenheiten gern ein gläubiges Ohr schenkte. DaB die bewmiderten Vorbilder der Vergangenheit fast regelmäßig dergleichen starke Würze boten, ließ den ZuhGrer nach ihr als etwas Selbstverständlichem verlangen.

Kein Geringerer als William Shakeq>eare hat sich eines Teils der SupposiH bemächtigt, indem er durch Vermittlung der Übersetzung von George Gascoigne {The Supposes, 1566) in seine , »Bezähmte Widerspenstige" die Episode von Bianca und Lucenzio aufnahm.

Lange Zeit ruhte Ariosts dramatische Tätigkeit. Zehn Jahre nach der Aufführung von Ferrara, im März 15 19, wurden die Suppositi 7ai Rom vor Papst Leo X. gespielt*. Der Herr der Christenheit fand großes Vergnügen an dem Stück und lachte sehr über die darin enthaltenen Anzüg- lichkeiten, auch die histicd 6aromaUci des Prologs, d. h. gepfefferte Wortspiele, an denen nur manche der frem- den Gäste Anstoß nahmen. Der Beifall, den zu Rom die Suppositi fanden, veranlaßte bald darauf den jungen Federigo Gonzaga von Mantua, den Dichter um sein frü- heres Lustspiel anzugehen, bei dessen erster Aufführung der Bfarchese noch ein Kind gewesen war. Ariost schickte ihm die Cassana mit einem noch erhaltenen Brief vom 6. Juni 15x9.

Wie Ludo^cos Komödien eingeschätzt wurden, zeigte um die Jahreswende eine durch Galasso Ariosto, des

Dichters Bruder übermittelte Nachfrage des Papstes * VgL IV. Band, Anhang: Zur römischen Aufführung der „Suppositi".

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EINLEITUNG

CV

nach einem neuen Stück für den Karneval von 1520. „Solches Gewicht hatte der in Euer Heiligkeit Namen mir gewordene Auftrag" schrdbt Ariost am x6. Januar an Leo X. ,,daß ich in zw& t»8 drei Tagen beendigte, was ich in den zehn Jahren, seit die erste Idee mir auf- stieg, nicht ausgeführt habe." So lange also hatte er sich mit der Komödie getragen, die jetzt nach Rom wanderte aber nicht aufgeführt wurde, vielleicht weU Leo doch die darin befindlichen Ausfälle auf den Ablaßhandel Übel vermerkte. An dem bedenklichen Stoff wird er kaum Anstoß genommen haben.

Dieses dritte Lustspiel, Der Nekromant, zeigt eine ver- änderte äußere Form: Verse statt der früher gebrauchten Prosa. Durch die gebundene Form wird das Ganze in eine höhere Sphäre gehoben, zugleicli aber gestattet die be- queme Handhabung des endecasillabo sdrucciolo, des elf- silbigen Gleitverses*, ungefähr die gleiche freie Bewegung wie die Prosa. Wenn manche, wie z. B. späterhin Federigo Gonzaga, statt des Verses in Ariosts Komödien lieber

„Ein von ihm eigens erfundener fünffüßiger Jambus mit gleiten- dem Ausgang", sagt Paul Heyse (Satiren, übersetzt von Gildemeister, Vorwort S. VI): das ist nur insofern richtig, als es den reimlosen sdrucciolo betritffc, denn dieBer Veis vnif in XcTsinen gebunden» bereits in Eklogen und andern Dichtungen vorhanden. Einen solchen endecnsU- lAbo cdruedolo haben vdt bei Goettie:

Sehnsucht ins Feme, Künft'ge zu verflüchtigen. Beschäftige dich heut und hier im Tfichtigen;

bei Bodenstedt:

Wir suchpn allebcide gern durch Predigen Uns überflüssiger Weisheit zu entledigen;

auch bei Paul Heyse:

Da mußte man ihn sehen, wenn er toastete,

Vfi» in dar Scheide nie das Schwert ihm rostete,

Und wenn in deutschem Schanmirrfn, der nichts kostete. . .

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EINLEITUNG

die ungebundene Form festgehalten gesehen hätten, so bheb der Autor bei seiner Ansicht, daß seine Lustspiele ,,so besser seien als in Prosa" (Brief an Federigo Gonzaga vom 25. März 1532). Künstlerische Einkleidung war ihm eben Bedürinis, auch bei Stoffen aus der niederen Alltag- lichkeit.

Zur Aufführung gelangte der «»Nekromant" erst später in Ferrara; wahrscheinlich im Kameval 1530. Durch Kraft und Kühnheit der Gestaltung ragt diese Komödie entschieden über die Vorgänger empor. Einzelheiten smd allerdings sehr heikel und würden auf der Bühne unserer Zeit undenkbar sein, wie eigentlich schon die ganze Vor- aussetzung, auf der das Stück beruht.

Noch rücksichtsloser im Aufdecken von Gebrechen seiner Zeit finden wir Ariost in ,,Lena, die Kupplerin" (La Lena): ein Hauch von Wirklichkeit, allerdings keines- wegs ein erfreuHcher, weht uns hier wie aus keinem andern Stück des Dichters entgegen. Nirgends erscheint er so ,,naturaHstisch*' wie hier, nirgends verrät sich so eine bei- nahe moderne Betrachtung wie Behandlung der Dinge. Der sonst meist so Milde, Nachsichtige erscheint in seinem Verweilen beim HäBhchen, Abschreckenden manchmal fast geradezu als Schwarzseher mid Pessimist, bis schließ- lich doch noch zu einer befriedigenden Lösung abge- schwenkt wird und das Ganze in Heiterkeit endet. Das Stück ist, wie Gardner es kennzeichnet, „zweifellos eine genaue Studie des niederen Lebens in Ferrara während der zwanziger Jahre des Cinquecento. Es ist voll von kleinen

Nach Gardners Ansicht fiind Ariost mit dt-m sdrucciolo „die goldene Mitte zwischen Poesie und Prosa, indem er durch meisterhaite Hand- babwig und VarUerung desselben die Sprache sebier KbmMien Aber die Plattheit der letzteren erhob und sie vor der Unecfatheit der ersteren

(im Dialog) bewahrte". In der deutschen Übertragung mußte natür- üch die gleitende Silbe fallen, so daß sich der steigende fünftaktige Vers (fünffüßiger Jambus) ergab, der im tiöheren Drama auch bei uns üblich ist.

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EINLEITUNG

CVIl

Abschriften aus den täglichen Szenen des Stadtlebens. Wir hören von Verfügungen gegen den Luxus, von Jagd- gesetzen, jüdischen Geldverleihem und Verderbnis der Ver- wattung. Selbst die Dien» des Prinzen Don Ercole lassen sich durch Getränke und Profit bestechen. Die Gesetze bestehen, aber der Podestä erhöht nach eigenem Gutdünken die Strafen, je nach den Mittehi des Schnldigen, nicht nach den Vorschriften und nicht im Verhältnis zum begangenen Fehler. Was hilft AppeU an den Podestä, die Sekretäre, den Herzog selbst ? Seine Exzellenz wird den Klagenden einfach an den Podest ä zurückverweisen. Sie, die etwaige Übeltäter ergreifen sollen, plündern selbst, und die Beamten, sogar der Podestä, sind den Gewinn zu teilen bereit. Solche Sprache durfte der Dichter in Gegenwart des Herzogs führen I"

Die nächste Tätigkeit Aiiosts auf dem dramatischen Gebiet bestand in einer Um formung seiner beiden ersten Komödien aus der Prosa in den sdrucciolo, um sie in Ein- klang mit den späteren zu setzen vaid zu vervollkommnen, sogar nach Seite der Charakteristik, wie eine Vergleichung der neuen Gestalt mit der anfängUchen erkennen läßt; es findet sich außerdem die Einführung einer neuen Figur in die Cassaria, der Stamma, die der Figur des Kupplers noch mehr Relief verleiht. Auch ist dort aus Versrücksichten Sybaris an die Stelle von Ms^tilene getreten.

In der neuen Gestalt wurde die Cassofia im Karneval 1531 zu Ferrara aufgeführt, mit ungeheurem Erfolg. Der Autor selbst, so hdren wir, hatte die Szenerie gezeichnet; er trug auch den Prolog vor. Im Karneval des nächsten Jahres, Februar 1532, wirkte er noch einmal als Intendant bei Aufführung einer Komödie des Ruzzante sowie seiner eigenen Cassaria. Es war sein Abschied von der Bühne, die ihm so sehr am Herzen lag; bald darauf brannte sie ab, und Ludovicos eigenes Ende nahte heran.

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CVIII

EINLEITUNG

Die Nachfrage nach ariostischen Lustspielen mehrte sich. Vor Weihnachten 1532 wandte sich der Erbprinz von Urbino, Guidobaldo della Rovere, an Ariosto mit dem Wunsch, ein noch niemals an^führtes Stück zu erhalten. Der Dichter entschuldigt sich in einem Brief vom 17. De- zember: „Euer Exzellenz muß wissen, dafi ich nur vier Ko- mödien schrieb; von diesen wurden mir zwei, die Suppo- siÜ und die Cßssana, vor zwanzig Jahren, als sie in Ferrara aufgeführt wurden, durch die Schauspieler gestohlen und zu meinem großen Mißvergnügen gedruckt. Dann nahm ich vor etwa drei Jahren die Cassaria wieder auf, änderte sie fast vollständig und schrieb sie um und erweiterte sie auch in der Form, in der Herr Marco Euer Exzellenz eine Abschrift sandte; in dieser neuen Form wurde das Stück hier aufgeführt und nirgendwo sonst. Die beiden andern, die Lena und der Nekromant, wurden, soviel ich weiß, nur in dieser Stadt dargestellt. Andere Komödien besitze ich nicht. Allerdings begaim ich vor vielen Jahren eine, die ich ,,Die Studenten" benannte; doch bei meinen vielen Beschäftigungen habe ich sie nie beenden können .

Das erwähnte Werk, die „Scholastika" so wird es jetzt genannt wurde nie von seinem Autor zu Ende ge- führt. Virginio Ariosto wandte sich nach des Vaters Tod ver- gebens zur Fortsetzung an Giulio Guarini von Modena und ergänzte die väterliche Komödie dann selbst. Er nannte sie bescheiden Die „Unvollkommene" (La ImperfeUa). Hiervon ist alles bis auf den Prolog verlorengegangen. Wir besitzen dagegen eine „etwa zwischen 1543 und 1548" (Gardner) angefertigte Ergänzung durch Gabriel Ariosto, der mit ihr einem Auftrag des Herzogs Ercole II. entsprach. Er nannte das Stück La Scolastica, d. h. die Scliolarenkomödie, weil ja darin ein Stück Universitäts- leben jener Zeit zum Ausdruck kommt. Die Fortsetzung muß als gelungen bezeichnet werden; Gabriel hat sich

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EINLEITUNG

CIX

in Stil und Ton seines großen Bruders hineinzuleben ver- standen. Wir brauchen nicht der Mahnung im Prolog ein- gedenk zu sein, uns nichts merken zu lassen, falls eine Ver- schiedenheit uns auffallen sollte. Diese einleitenden Verse Gabriels sind wenn auch der üblichen Obszönitäten nicht ennangelnd geschickt, und die Einkleidung in eine Vision, die den toten Dichter erscheinen und ihn selbst das Werk beenden läfit, ist hübsch und eindrucksvoll. Schalkhaft schließt er:

Dfinkt euch der angefügte Stil zuweilen Atmddiend, haltet solchet nicht fOr sdtMin: Die Toten dnd von Lebenden verschiedenl

Gabriel dachte bei seiner ganzen Einkleidung wohl an die bekannte Überlieferung, daß Dante nach seinem Tode dem Sohn im Traum erschienen sei und ihm den Platz, wo die fehlenden Gesänge des Paradiso" lagen, gezeigt habe.

Die satirische Geißel wird in der Scolastica nicht so un- barmlierzig geschwungen wie in den beiden vorhergehen- den Stücken, erscheint aber doch gelegentlich, wie z. B. im dritten Akt (und IV, 4), wo ein Dominikanermönch dem Bartolo Ablaß dafür erteilt, daß er des verstorbenen Gentile Geld für sich behalte, ohne die übernommene Pflicht zu erfüllen. Die kulturhistorische Ausbeute, die wir aus den mannigfachen Därstellungen des ferraresischen Lebens jener Zeit gewinnen, ist wieder bedeutend.

Fragen wir nach der Wirkung, die Ariosts Komödien auf uns ausüben, so werden wir uns in erster Linie an der Lebendigkeit seines Dialoges, namentlich in den späteren Stücken, erfreuen und an den zahlreichen witzigen l^nfiillen, die uns aus den munteren Versen entgegaolachen, wenn es auch zumeist Wortwitze sind, wie die puns, an denen der jugendliche Shakespeare sein Vergnügen fand. Von einer dramatischen Sprache und dramatischer Ent- wicklung im Sinne dieses Meisters ist freilich keine Rede.

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EINLEITUNG

Für den Mangel an wahrhaft dramatischem Leben ent- schädigen uns viele Einzelschönheiten; die Kunst, den jedesmaligen Vorwurf fein auszugestalten, treffen wir hier nicht minder als in der unsterblichen Epopöe; wir werden darüber wegsehen, daß manchmal der Fortschritt der dramatischen Handlung, die rasch „wie nackte Füße auf glühendem Eisea" vorandrängen sollte, aufgehalten wird.

Die Bewahrung der drei Einheiten mußte bei einem Schüler der Alten selbstverständlich sein. So dürfen wir uns nicht wundem, wenn die vertrautesten Dinge auf der Straße geschehen, zwischen den Häusern der Beteiligten die ganze Handlung vor sich geht. Wie bequem eme solche Szenerie war, hat bereits Gaspary"^ hervoigehoben: „Hier konnten alle möglichen Personen, ohne schwierige Motivierung, kommen und gehen. Sie konnten leicht auf- treten, ohne die Abgehenden zu sehen und auch ohne selbst von den Anwesenden bemerkt zu werden. Sie konnten auf der Straße selbst, in den Türen, von den Fenstern, auch ungesehen in den Häusern spreclicn." Da mußte man die Nachteile schon mit in den Kauf nehmen, die vielen Berichte über Vorgänge, die wir gern vor uns auf der Bühne gesehen hätten; auch die Monologe. Bei Ahost indessen begrüßen wir diese letzteren von der modernen Technik verworfenen** Hilfemittel, wenn sie

* Italifniurlin Literaturgesch. II, S. 419. Ind«H«ik hat ftodi jetrt noch der Monolog Verteidiger; man hOro P. Heyse:

Sie haben 's auf dcu Brettern streng verpönt, Sein Herz in Selbstgesprächen zu entladen; Was Meister sich erlaubt von Gottes Gnaden, Wird von den Jfingrten als vUu» jtu verhGhnt.

tBXt an die slte Technik noch gewohnt,

Scheint: die Natur kommt nicht dabei an Schaden,

Weil, frei von theatralischen Tiraden, „Sein oder Nichtsein" ganz natürlich tönt.

(Prolog zu „Waldmonologe aus Kreuth'*.)

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EINLEITUNG

CXI

gleich den eigentlich dramatischen Zwecken nur selten dienen, mit Wohlgefallen : nirgends sprudelt der Geist des Dichters reicher als hier ; die feinen Bemerkungen, tiefen Gedanken, prächtigen Einfälle jagen einander. Daran ergötzen wir nns und sehen der Handlung ihren verlang- samten Schritt nach.

Seltsam wird manchem erscheinen, daß die Diener so sehr im Vordergrund stehen, als die eigentlichen Helden des Stückes, die Protagonisten, durch Erfindung und Ge- schick ihre Herren überschattend. Sie sind eben die Nach- kommen unerläßlicher Gestalten* der lateinischen Komödie.

Die weiblichen Figuren treten sehr zurück: in den drei späteren Stücken sehen wir die Schönen, die doch eigent- Hch der Anlaß für die ganze Intrige sind und nach iin- scrm Gefühl im Mittelpunkt der Handlung stehen sollten, nicht einmal auf der Bühne; es wird nur von ihnen ge- sprochen. ,,Die Liebe hat noch etwas von dem antiken Charakter, als bloßes Begehren nach dem Besitze, und die Geliebte ist kein selbständiges Wesen. Die Schürzung imd Lösung des Knotens geschieht mit äußeren Mitteln, und dem Zufall ist ein weiter Spielraum gewährt" (Gaspary).

Stammvater der ,, verschmitzten Diener" in den griechischen, latei- nischen, spanischen, französischen Komödien usw. ist der Sklave Daos des griechisclien Dichters Menauder in dessen Komödie „Der Land- maan" (411 vor Chr.) Alfred KQrte nennt diesen Daos eine ftacht- figur, einen Liebüngstypus des hellenischen Poeten „Auf einem hellenistischen Reliefbild ist Menander dargestellt mit drei Masken vor sich, der eines JüngUngs, der eines Mädchens und der eines listigen Sklaven. Das waren also die Figuren, die für ihn besonders charak- teristisch schienen: das Uebe^sar nnd der venchmitste Sklave, der meist der eigentliche Leiter der Intrige ist. Wir kennen diese frechen, ergötrlichen Burschen zur Genüge aus Plautws und Terenz, bei Calderon fehlen sie nie, in Moretos „Donna Diana" spielt ein sol- dier IHener Perin die Hauptrolle, in Leisings Jagendlustspielen kdurt der alte Typns fast nnverindert vrieder, nnd in BeanmarpJiais* „Figaro^' hat er seine feinste moderne Ausprägung gefunden (,, Menander im Lichte neuerer Fände", D. Rundschaa, Mirs 1904, S. 300).

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CXII

EINLEITUNG

Wenn auch eine vertiefte Charakteristik, wie wir sie heutzutage im Drama beanspruchen, in den Komödien nicht gerade des Autors starke Seite ist, so zeigt er sich doch als Kenner der menschlichen Leidenschaften und weiß sie zum Ausdruck zu bringen. Sein Schmarotzer Pasifilo eigentlich die aus dem Altertum herübergenommene Figur des Parasiten verkörpert nicht nur seinen Typus, er gelangt durch tausend individuelle Züge zum Leben; ebenso seine Lena, die Kupplerin, und sein Nekromant, dessen Prahlereien, mit seinen Geisterbeschwörungen den Tag verdunkdn, sich unsichtbar machen, Menschen in Tiere verwandeln zu können, nur ein Anhängeschild smd*, während er in Wahrheit die Ausbeutung unglücklicher und leidenschaftlicher Liebenden, eigenwilliger Väter usw. betreibt.

Den Zeitgenossen und darauf den Nachkommen galt Ariost als vornehmster Dichter auch auf dem drama- tischen Gebiet, trotz MachiavelH, der ihn an vis comica und Neuheit der Charaktert3'pen übertrifft. Polidori in seiner Ausgabe der Opere minori (Florenz 1857, S. 115) zitiert zu Virginios Äußerung im Prolog zu der un- vollendeten Scolastica (,,Ariosto einzig in der ganzen Welt zu unsem Zeiten") den Florentiner Giovammaria Cecchi, der im Prolog zu seiner Komödie Die Rivalen schreibt:

El divino Ariosto a cht cedono

Creci, Latini s Toscani, tuUi i cotnici,

„der göttliche Ariost, vor dem Griechen, Lateiner und Toskaner, alle KomÖdienschreiber zurückstehen". „Das auffälligste Lob'*, fährt Polidori fort, „seitens derer, die den Lebenden kannten", ward ihm so scheint uns von einem als Übelredner berüchtigten Mann, seinem

Vgl. Burckhardt, Kultur der Renaissance IT, 287 28S, Über die Wichtigkeit der geheimen, zu persönlichen Zweclcen angewandten Magie.

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EINLEITUNG

CXIII

Nebenbuhler in der Kunst, jener Geißel nicht sowohl der Fürsten als der Literatur, die er tadelt, Pietro Aretino, gezollt. In der Cortigiana fragt einer der Prologsprecher, von wem die Komödie sei, vielleicht von Ariost ? Darauf erwidert der andere: ,.0 weh, daß Ariost in den Himmel ging, weil er auf Erden keinen größeren Ruhm nötig hatte!" Der erste bestätigt nachher; ,, Schade für die Welt um solchen Mann, der, abgesehen von seiner Trefflichkeit, die Güte selbst war!*'

Hinsichtlich des Stils hebt Polidori den Fortschritt her- vor von der Prosa zu den Verskomödien, die elegante „Spontaneität'' der Verse, die Ktmst des Ausdrucks, die doch von Rhetorik weit entfernt ist, „so daß im Herzen der Wunsch sich r^: hatten die Italiener doch niemals die metrische Form in ihren dramatischen Erzeugnissen aufgegeben!"

XI RIME

Elegien, Capitoli, Ekloge, Kanzouen, Sonette,

Madrigale

„Unflbenetsbw dftnkt mich das Lyrische, ist doch der

All"- druck

Hier mit des Dichters Gemftt Us in das Kleinste ge-

tränkt"

Wenig ermutigend klingt dieser Geibelsche Satz für den Vermittler von Ariosts Lyrik. In der Tat ist die Aufgabe domig. Wenn unsere Armut an Reimen nach A. W. von Schlägel derart ist, „daß sie einem Übersetzer des Rasen- den Roland, der nicht eher loskommen sollte, als bis er fertig wäre, Flüche und Verwünschungen abringen könnte, wie die Verdammten sie ausstoßen", was soll man dann von der Kanzonen- und Sonettenform sagen? Zum

Ariost I

VIII

cx^^■

r T X T, r T T T' X G

Glück ist Ariosts Lyrik überwiegend Gedankeii*, Verstandes- poesie, der vielleicht in so schwieriger Form eher beisu- kommen ist als dem zarten Duft des Gemütes.

Wer an diese Gedichte etwa mit der Erwartung heran- treten sollte, in ihnen den Inlialt und die Formgebung unserer dcutsclien Lyrik wiederzufinden, dürfte sich ent- täuscht sehen. Wir verlangen vom Lyriker, daß in seinen Versen sein Herzschlag uns vemchmHcli werde: was in der Weihestunde des Musenkusses seme Seele bewegte, soll in der unsem nachzittemd uns seines inneren Lebens teil- haftig machen*. Also ein ernstes Empfinden ist die erste Anforderung nach der Seite des Inhaltes ; ihm muß femer nach nnsem Anschauungen, damit die rechte Wirkung er- zielt werde, eine dem Gegenstand, der Stimmung wohlan- gepaßte Form entsprechen. Unter unzahligen Vers- und Strophenarten mu6 die angemessene herausgesucht oder ganz neu im Hinblick auf die Ziele des Dichters erfunden, gebildet werden, in langen oder kurzen Versen, einfach oder verschlungen usw. Solche Erwagimgen lagen in Italien den Dichtem des Cinquecento ganzlich feme: für die Lyrik war im wesentlichen einmal der Stoff gegeben, durch das Vorbild Petrarcas. In der Nachahmung dieses Vielbewun- derten ging die ganze Gefühlspoesie jener Zeit auf; der durch ihn eingeführte platonische Frauenknltus galt so ziemlich als das einzig denkbare Thema, das lyrisch

Kunstgebildo, die dem Kopfe, nicl)t zugleich der bewegten Seele entsprangen, pflegen uns kalt zu lassen, auch wenn virtuos gestaltet; sie liefert der „Macher**, nicht der HenensfcBndiger, den wir finden wollen, wenn vrix VerM war Hand nehmen. „Innerlichkeit!" tönt der

große Mahnruf im<5erer Gegenwart (er ist, scheint es, noch nicht ge- nügend beiolgt worden: ein feinsinniger Poet, Theodor Birt, klagt:

Was sollen mir die Chöre Der Dichter um mich her? Die meisten sind Faiseure Und ihre Verse leer).

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EINLEITUNG

CXV

behandelt werden konnte. Nur ganz wenige Poeten im Quattrocento vor allem der große Mediceer, Lorenzo il Magnifico entzogen sich dieser Norm.

Wie der Stoff, war auch die Form sozusagen festgelegt, das herrschende Versmaß in epischen Dichtungen wie in der Lyrik der EndecasMabo (der fünffüßige Jambus), für jene poetischen Gattungen zur achtzeiligen Stanze, der Ottava, verbunden, für diese zur terza rima und zum Sonett. Auch die Kanzone mit ihren meist langen Stro- phen und kunstvollen Reimverschlingungen wies diesen EUsilbler auf, veigdnnte jedoch gleichzeitig einem kür- zeren Vers von sieben Silben einen gewissen Spelraum.

Für alle denkbaren Eigüsse einer Dichterseele auf eine einzige Versart angewiesen zu sem, muß uns in der Tat als eine arge Einengung erscheinen. Wo bleibt da die Freiheit der Bewegung, die für die gestaltende Tätigkeit doch un- erläßlich ist ? Erfordern nicht die tausendfach verschie- denen leisen Regungen des Innern ebenso viele verschie- dene Maße und Rhythmen, um den Weg zu uns zu finden ? Ganz gewiß, für das, was wir heutzutage unter L^Tik verstehen. Was aus den Tiefen der Empfindung quillt, schaffe sich so wollen wir es die eigene, besondere Form!

Hier ist der Punkt, wo unsere Auffassung vom Poetischen zu der des italienischen Cinquecento in fühlbarem Gegen- satze steht. Die Gebildeten jener Zeit und nur für solche schrieben die Dichter, Ariost an der Spitze waren in der logischen Schulung altrdmischer Poeten herange- wachsen und suchten im Gedicht, auch dem lyrischen, nichts anderes als intellektuelle Ergotzung: klare Gedan- ken, fein abgewogene Verhältnisse, geistreiche Diktion, kurz, in allererster Linie Schönheit der Form. Wenn der Trank der Poesie geboten wurde, war die oberste Er- fordernis, daß er in herrlich geschhffener künstlerischer

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CXVI

EINLEITUNG

Schale kredenzt werde. Die Offenbarung eines Seelen- zustandes vom Dichter zu empfangen, diesen Anspruch er- hob niemand. Nicht mit dem I( h des Autors wollte man e,s zu tun haben, sondern mit seiner Kunstfertigkeit; sie mußte, ohne sich einen besondeni Boden durch Auswahl eigener Form bereitet zu haben, gleichsam auf neutralem Felde sich bewähren, in der hergebrachten \'ersart, die für alle Zwecke, für hoben und niedem Ton. als die gegebene galt.

Mit dieser Erwägimg daß der Subjektivität des Schaffenden keinerlei Zugeständnis gemacht wurde und Stoffe und Form, mit denen er zu gestalten hatte, ab- gegrenzt für ihn bereit lagen soll man Ariosts Rime lesen; dann wird man staunen, wieviel Eigenartiges, Persönfiches, IndividueDes auch hier trotz ungünstiger einengender Umstände sich kundgibt.

Auch auf dem Gebiete der Lyrik war Ludovico, wie wir gesehen haben, zunächst ein Schüler der rdmischen Dichter gewesen.

Das erste Gedicht in der Muttersprache war ein Klage- poem auf den am ii. Oktober 1493 erfolgten Tod der Her- zogin Leonora von Aragon, Gemahlin Ercoles I. von Fer- rara, im Stil Petrarcas, an dessen Trionfo della Morte sich unverkennbare Anklänge finden. Aufrichtige Anhänghch- keit an die edle Fürstin läßt den jugendhchcn Poeten bei aller Nachahmung und manchen aus ihr entspringen- den Floskeln bereits wirkungsvollen Schwimg finden und eine Kraft, die uns überrascht. Ariost schrieb das Poem in Terzinen; ebenso die meisten andern seiner größeren Gedichte, die Elegien und CapUoU. Diese bei- den Gattungen sind kaum vonemander geschieden* und

Auch gehen die Bezeichnungen in den verschiedenen Ausgaben durcheioander. So hat die Ausgabe Ü(>cre di L.Ariosto (Trieste 1857), der iioMre Aiuvdoung folgt, das Gedicht ,^om i al fin" als erstes

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EINLEITUNG

CXVIl

nur zum Teil lyrischen Gehaltes: vielfach überwiegt Be- trachtung, manchmal mit didaktischem und satirischem Charakter. So findet sich die Abwehr der Neugierigen (Deila mia negra penna) unter den Elegien (Nr. II). Hoher und niederer Ton wechseln in beiden Gattungen miteinander; jeder Stimmung werden seine virtuosen Terzinen gerecht*.

Die Eli^e« deren Name der lateinischen Literatur ent- nommen wurde, hat im Italienischen ihr Gebiet merklich erweitert und wird für jede poetische Komposition nicht- epischen und nichtdramatisdien Charakters angewendet. Ebenso das Capüolo (der Name soll von Lorenzo ü Magnifico herrühren, dessen satirisches Gedicht Beoni in neun Kapitel gegliedert war ; in den Ariostausgaben herrscht Verwirrung: hier erscheint ein Gedicht als Elegie, dort als CapUdo, und umgekehrt): Satiren, Idyllen, Oden, Burlesken, moralische Betrachtimgen, lyrische Ergüsse aller Art gehen unter diesem Titel.

Außer dem Klagelied auf Herzogin Lconora gehörten jener ersten Schaffensperiode noch „heitere Dichtungen'* {amorose temprc), deren er im Trauergesang gedenkt und die verlorengegangen zu sein scheinen, sowie einige leicht gezimmerte andere Elegien und Capitoli an.

Neben antikem Einfluß verrät sich das Vorbild Petrarcas in Bildern und Wendungen. Frisch und frech, wie in den gleichzeitigen lateinischen Carmina, besingt er Venus

Capüolo; wihrend die Opwe minori, fer cwra di PcHdaH (Firense, Lo Mäanier, 1857) dasselbe sds 5. Elegie bringen. Der neuen Ausgabe der

Opcre minori (Firenze 1894) habe ich nicht habhaft werden können. Eine persönliche Anfrage beim Verleger Le Monnier in Florenz ergab, daß sie esaurUo, erschöpft, vergriffen sei; auf den Bibliotheken von Güt- tingen» Berlin, Wien trar sie nicht sn finden.

* In der Obersetzung ist der Ven und die Dreiteilung beibehalten, dagegen aus den S. CXXXI genannten Gründen die verschlungene Reimstellung, die im Deutschen den Terzinen einen hochtrabenden Charakter gibt, aufgegeben, die Stropheniormi somit vereiniacht worden.

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CXVIII

EINLEITUNG

Cypria, und nach dem Vorgang CatnUs und Ovids ver- kündet er den Grcai,dsatz:

Ich lieb' in dunklen und in weißen Haaren Und mahn', ohn End« Liebe sa bewabren; Und wird, da0 Lieb' erlischt, mir einst bewußt, Erlfiecbe auch das Leben meiner Brost I

Der junge Diditer, wiewohl noch zuweilen in den Ban- den der Rhetorik befangen, zeigt bereits Phantasie, Schwung der Diktion und überraschend sichere Hand- habung poetischer Mittel.

Eine Sonderstellung nimmt die sogenannte ,,Ekloge, ein historisches Gedicht [Egloga. Poenietto siorico), ein. Die dra- matische Form der Ekloge war namentlich von Bojardo ge- braucht worden. Ariost hat in ihr nur diese eine in Terzinen abgefaßte Komposition hinterlassen, von der zuerst 37 Verse im Jahre 1807 von Baruffaldi veröffentlicht wurden. Die ganze Dichtung erschien 1820 im ersten Band der Nuova coUezione cTopuscoH des Francesco Inghirami und wurde 1824 von Mdini in den Poesie varie di L. Ariosto neu ge- druckt. Gegenstand ist in pastoraler Einkleidung eine bereits erwähnte traurig berühmte Familientragödie im Hause Este, die sich nach dem Tode des Herzogs Ercole und der Thronbesteigung Alfonsos I. in den Jahren 1505 und 1506 abspielte. Der Kardinal Ippolito hatte aus Eifer- sucht gegen seinen Halbbruder Giulio, der mehr als er der schönen Angela Borgia gefiel, diesen in seiner Gegenwart nahezu völlig blenden lassen. Giulio verband sich darauf mit Ferrante, Ercoles zweitem legitimen Sohn, und noch vier Personen am Hofe von Ferrara zur Beseitigung Al- fonsos und Ippolitos; aber der Anschlag schlug fehl. Beide wurden zum Tode verurteilt, dann zu ewigem Kerker be- gnadigt. Giulio starb als Gefangener 1540; Ferrante, auf Ippolitos Betreiben geblendet, erhielt später als Blinder die Freiheit.

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EINLEITUNG

CXIX

AutfaUend ist der Unterschied der hier in der Ekloge

zutage tretenden Auffassung dieser fürchterlichen Ereig- nisse gegenüber der Haltung, die Ariost später im dritten Gesang des Orlando zu ihnen einnimmt. In der Ekloge kann man trotz der Allegorisierung den peinlichen Eindruck haben, daß Unrecht und Grausamkeit beschönigt werden. Letzteres war gewiß nicht die Absicht des Dich- ters, und Gardner tut ihm unrecht, wenn er die Ekloge „unzweifelhaft niedrig" {unmistakably vile) nennt*. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß Ariost unter streng monarchistischen Anschauungen aufgewachsen war und zu Urnen sich auch späterhin bekannte, wie frei er sich auch über die Persönlichkeiten der Herrscher, zumal in den Sa- ttren, änfiert. Ein Anschlag g^gen das Staatsoberhaupt mußte ihm als das denkbar ärgste Verbrechen erschemen. Nach dem Scheitern jener Verschwörung stand er vermut- lich ganz unter dem Eindruck der Darstellung, wie sie von den nächstbeteiligten Persönlichkeiten ausging. Später mag er zu anderer Ansicht gelangt sein, und freimütig auf die Gefahr hin, seinem Patron Ippolito und dem tyran- nischen Herzog zu mißfallen tritt er für die unglück- hchen Verschwörer ein (Ras. Rol. 3, 60 62). So erklären wir uns wohl am besten den merkwürdigen Umschwung in des Dichters Anschauung. Wenn auch ein Höfling und nach der damaligen Sitte Formen gebrauchend, die uns wie Schmeichelei erscheinen kriechend und unaufrichtig war Ariost niemals. Die übermäßigen Lobhudeleien an den Kardinal, denen wir in seinem großen Gedicht begegnen, tragen, wie wir sahen, die Kennzeichen scherzhafter Über- treibung, leiser Ironie. Das ist von Giosuö Carducci über- zeugend nachgewiesen worden.

Von den beiden Hirten, deren Dialog die Ekloge aus- macht, hat man in dem einen, Tirsi, der sich als begeisterten

* a. a. O. & 49.

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EINLEITUNG

Bewunderer der Licoria (Lucrezia Borgia) kundgibt, ganz richtig Ariost selbst erkannt. In der Art und Weise, wie

er Licorias Hochzeit mit Alfenio schildert, tritt uns der Augenzeuge entgegen, der er ja war. Ob wir mit Gardner in dem anderen, Meliböus, den Dichter Ercole Strozzi sehen sollen, mag dahingestellt bleiben. Die Deutung der übrigen im Gedicht erwähnten Persönlichkeiten findet der Leser in den Anmerkungen*.

Tiefer gefärbt als die früheren Dichtungen, markiger im Ausdruck und vollendeter in der Behandlung sind die übrigen Elegien und CapUolh die wir sämtlich einer spä- teren, reiferen Schaffensperiode zuzuweisen haben, sowie die drei Kanzonen und die Sonette. In den Kanzonen erhebt sich Ariost zuweilen zu einer ungewohnten Höhe des Pathos, namentlich in der zweiten Kanzone an Fiüberta von Savoyen, die im Jahre 1516 ihren Gemahl Giuliano de* Medid, Herzog von Nemours, verloren hatte. Das Ge- dicht führt den Verstorbenen als zu seiner V^twe redend em und enthält eme vidbewunderte ernste und begeisterte Huldigung an edle Weiblichkeit. Die FeierUcfakeit der Stimmung und des Vortrags erscheint uns als etwas fast Befremdendes an unserem Dichter. Auch vermeint man, hier und da zu spüren, daß ein solcher Stoff und auch die ge- wählte Form dem Genius des Dichters nicht recht homogen waren. Es ist, als bewege er sich auf einem fremden Gebiet; der angeschlagene Ton klingt unariostisch.

Kunstvoll wie die Kanzonen sind auch die Sonette. Sie lassen deuthch die Schulung nach dem Vorbilde Petrarcas erkennen, in der Gruppienmg der Gedanken, Ausdrucksweise, Antithesen, geistreichen Wendungen. Um

* Für die deutsche Übertragung der Ekloge schien ans den S. CXXXIVff. genannten Gründen eine Herübernahme der Terzinenform nicht rätUch. Der Vers dagegen wurde beibehalten, ohne Reime, so daB sich der ffir dramatwche Dichtungen üblkhc „reimlose fünMßige Jambus" oder der fünftaktige Vers mit steigendem Rhytimini ergab.

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EINLEITUNG

CXXI

diesen Poesien gerecht zu werden, miiB man sich abermals gegenwärtig halten, welchen Kidtns der Form man da- malstrieb. So erscheint uns manches gesucht, und einiges macht den Eindruck der Spielerei, zumal wir für mytho- logische Einkleidung, für die Bilder von Amor mit seinem Pfeile u. dgl., keine Empfänglichkeit mehr haben. Aber viele der poetischen Mittel, die bei uns längst in die ästhetische Rumpelkammer verwiesen worden sind, be- gegneten im Cinquecento einem lebendigen Gefühl, hatten für die an der Auffassung der Alten Herangebildeten etwas mmtiittelbar Wirkendes, eine Gegenständlichkeit und pla- stische Kraft, die wir uns kaum mehr vorstellen können. Immerhin wird auch heutzutage noch ein Freund kunst- voller Kleinarheit viele Sonette Ariosts mit Vergntigen lesen.

Wie den Sanger Lauras und die frühesten italieniscben Lsrriker (seit dem zweiten Fünftel des 13. Jahrh.) darf man noch Ariost als prooeH/uUeggiante (d. h. im provenza- Uschen Stil Sdiaffenden) ansprechen. Die Kuastübung der Troubadours, die drei Jahrhunderte vor ihm in den Tälern Südfrankreichs gesungen hatten, wirkt bei ihm noch nach: seine Vergleiche mit Rose und Dom, Schnee und Wachs, die Bilder vom Phönix und Salamander; die Hyperbeln vom Tränenstrom, vom tausendfachen Tod, zahlreiche Metapliem und Periphrasen waren schon jenen Minnesängern geläufig; Petrarca und seine Nach- folger übernahmen solche Kunstnüttel. Der in Stilkünstelei schwelgende Petrarkismus, dessen wesentliche Ele- mente, Auffassung und Formen solchen Ursprungs waren, wurde späterhin geradezu zur „Uterarischen Krankheit, die das ganze Abendland ergriff und mit den wechselnden Symptomen auch verschiedenen Namen hod: pridosiU, ctUUsmo, euphuisme, Marimsmus** (H. Mort Petrarca. D. Rundschau, Juli 1904). Auch die Giandiloquenz des

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CXXII

I N L E I T i; N G

Spanischen Gangorisaiiis hat ihre Wnrzeb in der Dik- tion jener mittelalterlichen Provenzalen, die, dem Ge- meinen abhold, Adel des Ausdrucks anstiebten.

Die Madrigale fassen einen flüchtigen Gedanken in kurze Form* Die recht verschiedenartigen, meist umfang- reichen Gedichte stechen nach einer Seite sehr von dem ab, was die Renaissancelyrik zu bieten pflegt. Selten ist dort so bemerkt Gaspary in seiner „Literatur der Re- naissance" — die Anknüpfung an reale Dinge, an Verhält- nisse und Vorkommnisse, die uns die Darstellung beleben könnten. Der ausgezeichnete Gelehrte hätte hinzufügen sollen: eine Ausnahme macht Ariost. Bei ihm haben wir fast immer einen deutlich erkennbaren realen Fall; der die dichterische Inspiration entflammende Funke blitzt sozusagen vor unsem Augen auf. Jene von Gaspary ge- rügte Unbestimmtheit des Stoffes nimmt man hier und da in Ariosts Jugendversen wahr. Später fühlen wir, daß WUT es mit Gelegenheitsdichtungen im Goetheschen Sinne zu tun haben, mit Schöpfungen von individueller Physiognomie; selbst, wo konventionelle Formgebung bei- behalten ist. Das Ich des Dichteis durchdringt die über- lieferte Einkleidung. Dieser Subjektivität des Autors zu begegnen auch da, wo er sich zu verstecken sucht wird der Leser als besonderen Reiz empfinden.

Den Menschen Ariost finden wir in einer Gruppe von poetischen Schöpfungen, die abgesehen von ihrem hte- rarischcn Wert uns dadurch fesseln, daß sie Streiflichter auf des Dichters Leben werfen und als autobiographische Dokumente gelten können. Im Mittelpunkt solcher „per- sönlichen" Gedichte steht Ludovicos Geliebte und spätere Gattin, die schöne Alessandra* Strozzi-Benucci, der er im

* Vgl. Einleitung S. LIV. Was sich über Alessandra hat ermit- tdn lassen« ist susammengestdlt in einer Schrift von G. Pardi« ta Moglit dtiF AfiostOt Ferrara 1901. Auch eine Arbeit von Adolfo

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EINLEITUNG

CXXIII

Furioso ein so glänzendes Denkmal gesetzt hat. Wenn wir seine lyrischen Aufzeichnungen nach ilirem Inhalt prüfen und die Einzelheiten ordnen, vermögen wir den Liebesromaji, deren Heldin Alessandra ist, in den Haupt- zügen zu verfolgen. Eine wichtige Quelle sind die So- nette (wenn wir auch nicht alle auf Alessandra beziehen, wie viele Erklärer es tun) und die Madrigale, daneben einzelne Elegien und Capitoli. Im ersten Sonett klagt der Dichter über ein feindseliges Geschick, das ihm Amors köstliches Geschenk rauben will ; im zweiten über Kälte der Geliebten. Sodann wird sie ermahnt, Hindernissen (wie es scheint, von Seiten der Famifie) kraftig zu widerstehen:

Wo groBe Fener lohen,

Da mehret nur dio Glut ein großer Wind;

Die kleinen Flammen bald crloschea aind ...

Schwach kommt mir Eure vor,

Madonna! Füglich darf ich dieses sagen,

Genfigt ein Drohn, sie in die Flucht sn schkigen. (Madr. 4.)

Geradezu eine Urkunde für die Anfänge dieses Liebes- lebens und seine Peripetien ist die berühmte erste Kan- zone, die, wie die ersten Verse zeigen, auf Alessandras Wunsch, den zu Florenz am 24. Juni 1513 geschlossenen Herzensbund verewigt zu sehen, geschrieben wurde.

Wir hören, daß Ariosts Leidenschait schon früher zu der damals noch Verheirateten sich regen wollte. Mo- nate und Jahre suchte er sich durch Abwesenheit und - durch gewöhnUche Liebeleien (dergleichen wird in der vierten Strophe angedeutet) zu betäuben, „Gewohnheit

Vital, Di alcuni documenti ri<;Haydan(i Alcssandra Bentuci, Conegliano i£K>i, gibt Aufschluß. Hervorgehoben zu werden verdient, daß Ales- sandia, «iernihl lie faeieitB ra Lebieiten ihres Gatten die Hnkligangen des Dichtere entgegennahm, doch keinerlei Untrene gegen den Ehge- mahl sich zuschulden kommen ließ, wie es scheint. Wir vernehmen, daß Alessandra von hoher Gestalt war und sehr schön, mit pracht- vollen blonden Haaren. Von ihren Eigenschaften wissen wir kaum etwas, abgesehen von dem durch den IHditer Angedeot«tea.

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CXXIV

EINLEITUNG

schien ihm stärker ab die Sterne**, da nahte sich das Schicksal (deutlich wird das Jahr 1513 bezeichnet).

An jenem schönen Tag, der Sankt Baptist Ifitten in Sommerszeiten heilig ist. Zur Tnskerstadt sie h&lt vor allen andern Den Tag ja hoch und hehr

Rief Fama nicht von nahe bloß die Frommen; Sie ließ zum feierhchen Schauspiel wandern Viele von ferne her.

Die Lust stt schauen trieb mich selbst sn kommen;

Was sonst ich wahrgenommm,

Nicht weiß ich's mehr es gilt mir gleich das eine

Lebt in des Busens Schreine

Unsterblich: in der Stadt, der schönen, hier,

Was ich auch sah nichts war so schön wie Ihr!

(Dieses ,,tion vidi in tutta quella Bella cittä di voi cosa piü bella" ist ein geflügeltes Wort geworden.) Noch viele anziehenden Einzelheiten melden die 164 Verse des Ge- dichtes: wie Alessandra, zu Besuch in der Familie ihres Verwandten (des Niccolo Vespucci, bei dem damals auch Ariost in dem heute noch vorhandenen Hause auf dem Ponte Vecchio als Gast weilte), beim Festglanz alle anderen Frauen überstrahlte:

Der Flüsse König stand darum voll Leid, Zum Arno blickten alle hin mit Neid . . . ;

wie das „Gold des blonden Haares, zu feinem Netz geschlungen," den Hals beschattete;

An tausend Herxen wohl man siblen mag, Gelangen von dem Nets an einem Tag.

Im Glauben an die lange Abwesenheit hatte er sich gefeit gemeint gegen Gefahren,

Doch unversehens waren

Die Knil1)Iein, die auf goldnen krausen Locken, Verborgen, lauernd hocken, Aof dieses Wfin gesdiwtont wie Wespenschar Und banden*« fest, gans fest an Euer Haart

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EINLEITUNG

CXXV

Dieses poetische \'erlubungsi)rotokoll, wie man das Ge- dicht nennen könnte, wird auch moderne Leser ansprechen. Im allgemeinen haben wir trotz Zedlitz' Totenkränze** und schöner Kanzonen von Max Waldau, Dingeist edt. Platen, Rückert gegenwärtig wenig Empfänglichkeit für die unsymmetrische Architektonik dieser (ursprüng- lich provenzalischen) Strophe mit ihren Verschlingungen und weitgetrennten Reimen.

Allerliebst ist es, wenn bei lyrischen Aufoeichnungen, die uns zuweilen wie Blatter eines poetischen Tagebuches anmuten» an kleine Geschehnisse des Tages angeknüpft wird: an den Tod eines Zickleins, das die Geliebte, den Neid des Dichters erregend, beweint (Son. 15); an ein- Goldstickerei, die sie kopieren will (Son. 26); an zwei Blue men auf ihrem Mantel (Son. 4). Manchmal gestalten sich aus flüchtigen Gedanken geradezu anmutige Genrebilder. Man nehme die Begegnung auf der Pobrücke zu Ferrara (Son. 17), wo wir etwas wie ein Gemälde vor uns haben: er geht bei schwarzbewölktem Himmel und drohendem Sturm über die Brücke, unter sich die aufge- regte Flut : da erblickt er sie am anderen Ufer und die Sonne durchbricht ihren Schleier, die Wogen sind ge- glättet. Un regard de tna belle, wie es in Blondeis Lied (variiert \'on Beethoven) aus Richard CoeurdeUon heißt, hat das Wunder getan.

Ein andermal sehen wir den Dichter in Florenz (vermut- lich bei seiner Botschaftsreise im Mai 1519, als er dem Lorenzo di Medid, der seine Gattin Madeleine d'Auvergne verloren hatte, kondolieren sollte), und er gedenkt des sechs Jahre zurückliegenden Johannistages am Arno (Son. 18):

Hier band mich fest das wunderschöne Haar: Die Schmerzen, die mich jotzt zu Tode quälen. Begannen hier! Ihr könnt davon erzählen, Ihr Dicher, Hallen, Marmor licht und rarl . . .

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CXXVI

EINLEITUNG

Das Sonett schließt:

Madonna sah, mir war die Sccl' entrissen:

Da hat sie mir die eigene gegeben;

Die hab* ich jetst: mit ihr nur leb' ich heute.

Den hier gepriesenen Schrniu k dvv Gehebten, ihr „Gold- haar", verherrhchen zahlreiche Gedichte. Einmal, bei einer Krankheit, war das Haar abgeschnitten worden: darauf allein beziehen sich drei Sonette (23 bis 25). Während eines anderen langwierigen Leidens Alessandras fleht er den Himmel um Genesung für sie an und um An- nahme seines eigenen Lebens, falls ein Opfer erforderlich sei.

Auf den soeben erwähnten Aufenthalt in der Amostadt bezieht sich noch die elfte Elegie, worin die Herrlichkeit von Florenz besungen wird: aber was hilft alle Schdnhdt der Welt, wenn die Gefiebte fem ist?

Der Liebe ewiges, nie ansgesungenes Thema durch- klingt auch die anderen, größeren Terzinendichtungen, Elegien und CafüoU» Daß der Schüler Ovids und Catulls nicht vor Verherrlichung der Sinnlidikeit zurückschreckt, wird uns kaum überraschen ; eine Schilderung, wie in der fünften Elegie, so sehr sie auch durch künstlerische Fas- sung gel loben ist, dürfte selbst unserem gewiß nicht prü- den Publikum allzu gewagt vorkommen.

Frohlockt diese Elegie im hellsten Dur über eine wonne- reiche Nacht, so murrt und grollt im Gegenstück (Elegie 6), das äußerst fein durcligcführt ist, die Enttäuschung.

Ergötzlicher ist wohl noch selten ein vereiteltes Stell- dichein geschildert worden.

Sehr schön offenbart sich wirkliches freudiges Erleben in einigen Gedichten, die man „Erwartung'* überschreiben könnte (Son. 3 und 10).

So wird Lust und Leid der großen Fässion gesungen, bald schwungvoll und pathetisch, bald spielend und nek- losch, mit kostUchem Humor, dessen Schellenglöckchen

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EINLEITUNG

CXXVII

nirgends in der Renaissance so unwiderstehlich lustig klingen wie bei Ferraras heiterem Sohne.

Der hohe Klang reiner Freude tönt durch ein Gedicht {Capitolo i), das wie die Erklärer gewiß mit Recht ver- muten — auf die heimlich vollzogene Vennählung mit seiner Alessandra sich bezieht. Man fühlt, wie der Über- schwang der Seligkeit, die doch verhehlt werden muß, nach Betätigung drängt. Der Schluß lautet:

Ich bin des Glückes voll mag's jeder hfiKOy Daß Lust und Hochgefülü mich ganz betören; Ein großer Teil kann nicht im Busen ruhn.

Doch was der Anlaß meiner luthen Wonne,

Konunt nicht durch Stimm' und Zung' ans Licht der Sonne.

Sollte mich Gott je andern Sinnes finden,

Bfag die entwnneH werden, jene schwinden I Die bisher betrachteten Dichtungen hatten es lediglich mit den beiden Liebenden zu tun. Unser besonderes Inter- esse nehmen andere Kompositionen, die gewissermaßen einen historischen Hintergrund haben und in der weiten und biegsamen Form der Terzine geschrieben sind, in Anspruch. Hier erschheßt sich ein größerer Horizont; wir sehen den Dichter als Teilnehmer an den großen Zeit- ereignissen, im Weltgetriebe, als Mithandelnden, Mitlei- denden, öffentüche Angelegenheiten, Ereignisse der Welt- geschichte finden wir in des Dichters Seele reflektiert: als einer der wenigen, die zu jener Zeit den Mediceem auf- richtig zugetan waren, fühlt er Trauer um den erkrankten* Lorenzo, Herzog von Urbino der in der Tat seinem Ende nahe war und lä0t in der eisten Elegie die Stadt Florenz klagen und hoffen.

* Nicht um dessen Tod, wie Gardner irrtümUch meint. Die Schlnfi- seileii weisen deatlidk darauf hin: „Wenn der Lorbeer (Lauro, *d. h. Lbrenio) stirbt, so sterbe andi Ich" (d. t Fkwens). Dies auf das hinter-

lassenc Kind (Caterina, die zukünftige Königin von Frankreich) zu beziehen, ist unmöglich. Vorher (Vers 37) iindet sich eine Anspielung auf das Kind Caterina.

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CXXVIII

K I NM. E I T r N C.

Die neunte Elegie zeigt uns, daß Ariost im April 1512 in Ravenna war, kurz nach der blutigen Schlacht vom elften desselben Monates, in der die Franzosen, und mit ihnen Alfons von Ferrara, über die Spanier, Schweizer und Papst Julius IL siegten. Wir hören, daß Liebeskum- mer und der Wunsch, seine Leidenschaft zu unterdrücken, ihn zur Entfernung aus Ferrara bewogen. Handelt es sich, wie manche glauben, auch in diesem Fall um Alessan- dra, so muß man annehmen, daß die Reise einer jener Ver- suche sich zu betäuben war, auf die Ariost in der ersten Kanzone anspielt: Alessandra war 1512 noch verheiratet und scheint den ihr dargebrachten Huldigungen wider- standen zu haben.

Der Liebende meidet Orte, wo Freude und Lachen wohnen; denn an solchen wird Amor genährt. Heilung suchte er an Stätten des Entsetzens und des Jammers.

Nachdem alle Mittel fehlschlugen, auch die Abwesen- heit, sieht er für sein Weh keine Rettung mehr:

Nun bleibt mir keine Hoffnung mehr auf Erden, Als daß die Schmerzen übermächtig werden, Bis sie, mich tfltend, Euch von Usfger Psin

Und mich von großer, langer Qual befrein.

Ein anderes Reisebild bietet uns das vierte Capitoh (vgl. oben S. LIV). Ippolito d'Este unternahm 1515 einen Besuch

am Hofe von Urbino; Ariost, in seines Herrn Gefolge, er- krankte unterwegs in den Apenninen und mußte zurück- bleiben, in Fossombrone wahrschoiiiHch. Auf diesen Ort weist eine Anspiehmg in den beiden Anfangsterzinen, wo von Flavius Vcsj)asian, der zur Abkürzung der Via Flaminia von Rimini nach Rom dort eine Bergdurchbohrung voi~nahm, sodann von der in der Nähe erfolgten Nieder- lage des Hasdrubal Barca am Metaurus die Rede ist. In Bergemöde, auf dem Krankenbett« unter Todesgedanken

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EINLEITUNG CXXIX

entstand die Versepistel an den Kardinal Del bei numero

vostro avretc uii manco.

Für Ungehorsam hat Amor dem Liebenden Strafen ge- schickt, deren kleinste das Fieber ist, und vielleicht bereitet der Tod ihm schon die Bahre. Ausführlich malt der Kranke sich aus, wie er einsam stirbt und zu Grabe getragen wird, ohne daß die Mutter (Frau Daria lebte noch) und die Schwestern trauern, und schwarzgekleidet hinterm Sarg die Brüder schreiten. Auch Madonna fehlt, deren Mitleid, im Busen erwachend, ihr Blut zu ungewohntem Feuer er- wärmen kannte:

Schant sie das AnÜits, bleich und ohne Lebeiii So wird der tote Körper sich erbeben; Ich glanbe sicher, abo ymd es sein.

Rührende Anhänghchkeit an die Heimat tritt in den Schlußversen hervor: er fleht den Kardinal an, die Leiche nach dem gehebten Ferrara zu senden, damit wenigstens die unnützen Überreste von ihm {intUili spoglie) dort Ruhe fänden, und schließt:

Es hat ihm, der hier sddSft in Grabesnacht, Das Femsein von der Herrin Tod gebracht.

Ob die Todesgedanken ernst waren ? Ob das ganze Ge- dicht nur der Form nach eine Epistel an den Gebieter, in Wahrheit aber eine vielleicht nachträglich dargebrachte Huldigung an die Geliebte darstellt ? Wir sind zur Be- antwortung dieser Fragen auf Vermutungen angewiesen.

Ebenfalls fem von Ferrara ist gedichtet und in eine Huldigung an Alessandra klingt jene elfte Elegie aus, deren eigentliches Thema eine begeisterte Verherrlichung der Stadt Florenz ist.

Man sieht, Alessandras l^d schwebt beständig vor des Dichters Augen; an sie denkt er, wenn immer seine Feder über das Papier gleitet; sie ist bei ihm, wenn er «,im üblen

Ariost I IX

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cxxx

EINLEITUNG

Dienst des Kardinals**, der „aus dem Poeten einen Boten- knecht macht", Bergeshöhen hinauf und hinunter reitet. Nichts macht ihm das Reisen so verhaßt als die Entfer- nung von ihr. Der Unmut darflber und über anderes, das . ihn ärgert, läBt ihn Rügelieder schreiben.

So kann man eine Anzahl Gedichte nennen, in denen Ariost die satirische Geißel schwingt. Manchmal wegen geringer Veranlassung. Er trug, wie sich aus der zweiten Elegie ergibt, an vielen Stellen seiner Kleidung eine gold- verzierte schwarze Feder {penna negra fregiata d'oro), über deren Sinn sich die Leute den Kopf zerbrachen. Den Neugierigen wird nun tüchtig der Text gelesen.

Warnend erinnert der Dichter an die Verwandlung des ursprünghch weißen Raben in einen schwarzen (wegen Verrates des Liebeshandels Apollos mit Koronis), an Tei- resias und an Aktäon, die für Vorwitz büßten, und schließt :

Ich sage: Dessen Recht scheint mir gwinge.

Der immer sinnt und keine andren I>inge Mehr denkt als einzig dieses: sn begreifen

Den Sinn der Feder mit den goldnen Strdlen.

Wenn der Ariostbiograpli Baruffaldi mit seiner Ver- mutung das Rechte getroffen haben sollte, so wiese das Schwarz der Feder auf das Kleid Alcssandras, das Guld auf ihr blondes Haar. Ludovico liätto dann nach Art der alten Ritter dies an die Geliebte erinnernde Abzeichen an sich getragen.

In der vierten Elegie {Era candido Ü corvo), die mit der Hindeutung auf den ursprünglich weißen Raben an die zweite anknüpft, läßt Ariost eine unter übler Nachrede leidende Dame sprechen und sich verteidigen. Abermals wird eingeschärft:

Auf jede Zunge sollt' ein Zaum sich legen,

Die Lehre allen in das Hen sn prägen:

Spfth* nicht, was andre tnnl Besprich es nicht I

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EINLEITUNG

CXXXI

Das immerhin merlcwürdige Gedicht schließt mit dem Verlangen:

Die Strafe, die so unerhArtem Falle Gebührte, nun auf jenen Schurken fallt-, Ans dessen Muud die ialscüe Rede üoUl

Ein Beispiel sei es fOr die Lfigner allel

Waren die beiden zuletzt erwähnten Gedichte sozusagen moralische Rügeheder, würdig eines Peire Cardinal, so ist das fünfte Capüoh ein persönliches; im Dienste über- mäßig angestrengt, macht Ariost seinem Unmut über den Kardinal Luft (wohl hinter dessra Rücken; der recht un- bequeme Gebieter hätte eine offene Auflehnung veimut- fich übel vermerkt). Ariost veigleicht sich dem Atlas, der den Hunmel ohne Rasten trSgt, dem Typhöus unter dem Epomeo auf Ischia, dem Giganten Enkelados unterm Ätna. Im Anfang schien ihm seine Last leicht, und frdhlich trug er sie; aber sie wuchs. Er ist das überfüllte Schiff und der überspannte Bogen, der, wenn der Schütze sich nicht ge- linder zeigt, statt zu töten, zerspringen wird. Trotzig ist der Schluß:

Ich war' ein Tor, wollt' ich hier schweigend stehen. Durch Lasten unerträglich stumm vergehen. Drum will ich's sagen, eh Vernichtung droht:

Mir stehn nicht weitre Krifte ra Gebot

Gestattet sei noch der Hinweis auf ein strafendes Sonett {Se con speranza), worin Ariost ziemlich herb einige Damen, die ihn mit der Bitte um weitere Liebes- poesien bedrängt hatten, abfertigt; seine Leiden sollen nicht zur Unterhaltung dienen. Er schließt:

Seid ihr ein Phalaris verzeiht, o Fraun , Ich will der Mann nicht sein, an dessen Klagen Und Sterbdied sich andre Leat' erbatin.

IX*

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CXXXII

r I X T F I T \' \ (]

Oberall vemehmen wir wahfhaft modernen Ton. Viele dieser Sonette, Eleven usw., von einem sseitgenfissischen Dichter geboten, würden uns In der Tat als Geist von unserm Geist anmuten ; man staunt, daß solche Verse vor vierhundert Jahren geschrieben worden sind: Thema, Durchführung, Stmimung alles spricht uns an wie von Zeitgenossen gedacht und empfunden, zumal nachdem wir neuerdings wieder mit der Sonettform mehr Fühlung gewonnen haben.

So lohnen Ariosts Rimc eine nähere Bekanntschaft reich- lich. Es sind zweifellos hochbedeutende poetische Erzeug- nisse. In vollem Sinne ein Künstler, hat der Dichter des Furioso seine glänzenden Gaben auch hier entfaltet ; seine reiche Individualität hat diesen kleineren Werken ihren Stempel aufgedrückt. Die Klaue des Löwen ist überall zu erkennen. Welche Fülle der Stimmungen imd Bilder in seinen Elegien und CapüaUt Jedem Tone werden seine virtuosen Strophen gerecht, dem feierlichen, dem necki- schen« dem behaf^ch scherzenden. Und wuchtig weiß er die satirische Geißel zu schwingen. Das Sonett für so viele ein „vierzehnzeihges Prokrustesbett der (Gefühle und Gedanken" wird für ihn das geschmeidigste Instrument In der Gedrungenheit der Form wächst nur seine Kraft. Die Klarheit und Schönheit des Sonettenbaus, die Jakob Burckhardt hervorgehoben hat, die Aufforderung zur Stei- gerung des Inhaltes in der lebhafter geghederten zweiten Hälfte, alles kommt bei Ariost in vollendeter Weise zur Geltung. Für den Literaturfreund hat noch eines in diesen lyrischen Gedichten besonderen Reiz: der Niederschlag dessen, was des großen Ferraresen Seele bewegte, und die darin zu findende Ausbeute für die Kenntnis seines Lebens.

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EINLEITUNG

cxxxin

XII SATIREN z

Ariosts Satiren erschienen in deutscher Fassung zu- erst 1794 in Berlin bei Friedrich Maurer. Der Übersetzer, Christian Wilhelm Ahlwardt, bot damit eine für seine Zeit recht achtbare Leistung. An Stelle der Terzinen des Originals verwendete er reimlose, teils fünf-, teils sechs- füßige Jamben, die sich im ganzen recht glatt lesen. Aber heutigen Anspdichen genügt das Büchlein doch nicht mehr, ganz abgesehen davon, daß dieses schwankende Versmaß dem gegenwärtigen Geschmack nicht entspricht; an ziemfich vielen Stellen ist ihm das Verständnis des allerdings kehieswegs leichten italienischen Textes mißglückt; sodann hat er auch, erschreckt über gewisse Derbheiten des Originals, em paarmal willkürliche Än- derungen vorgenommen, die vom Dichter gegebene Pomte ganz tmd gar umgebogen und durch eigene Erfindung ersetzt. Ihm bleibt Indessen das unstreitige Verdienst, nachdrücklich auf die Größe seines Helden, des Dichters von Ferrara, aufmerksam gemacht zu haben. In seiner Begeisterung ging er so weit, daß er jeden, der sich nicht gründlich den Orlando furioso zu eigen gemacht habe, geradezu aus der Schar der Gebildeten verwies.

Über ein Jahrhundert war Ahlwardts Wiedergabe der Satiren die einzige. Unlängst hat sich eine zweite zu ihr gesellt, von keinem Geringeren als Otto Gildemeister, ans dem Nachlasse dieses genialen Vermittlers hremd- zungiger Geisteswerke.

Paul Heyse versah die Nachdichtung seines geschie- denen Freundes mit einem Vorwort und Anmerkungen und gab sie 1904 heraus (in B. Behrs Verlag zu Berlin).

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CXXXIV

EINLEITUNG

Abweichend von Ahlwardt hat es Gildemeister nicht für notig befunden, von der Form des Originals abzugehen.

seiner „spielenden Herrschaft über Sprache und Me- trum'* — die gebührend von Paul Heyse hervorgehoben wird kleidete er ohne Bedenken seine Wiedergabe in Terzinen, mit gewohnter formaler Meisterschaft.

Immerhin muß hier eine Frage, die vielleicht zunächst sonderbar erscheint, aufgewwfen werden; die Frage: sind Terzmen wirklich hier angebracht ? Man sollte meinen, ja; weil das Original sie bietet. Aber für die italienische Sprache ist die Terzineniorm etwas ganz anderes als für die deutsche. Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht das- selbe. Dem Italiener steht bei der Reimfülle seiner Sprache die ierxa rima für jeden poetischen Zweck zu Gebot: für den hohen Kothnm, den Sermon, die feierliche Rede, philosophischen Tiefsimi, mystische Spekulation eben- sowohl wie für die niederen Gattungen, für Scherz, Sa- tire, Neckerei, das Geplauder der Alltä^chkeit, das höchste Pathos und das leichte Parlato; ja für Gerin- geres: für die Derbheit und Roheit volkstümlicher Dar- stellung. Diese Geschmeidigkeit, Biegsamkeit geht aber der deutschen Terzine durchaus ab: bei uns ein aus- gesprochen aristokratisches Versmaß, kann sie nur er- habenen Gegenständen, der ernsten Betrachtung dienen. Selbst da hat sie in den meisten Fällen für uns etwas Fremdartiges, Steifes, Unlebendiges. Sollte es diesem Ge- fülil zuzuschreiben sein, daß einer der jüngsten Dante- übersetzer, Pochhammer, sogar bei der ,, Göttlichen Ko- mödie*' die Terzinenform des Originals durch Ok- taven* ersetzt hat? Auch frühere Danteübersetzer ver- mieden zumeist die Terzine.

* Pochliammer ncnut die Oktaven „der Terzine überlegen an selbst- tätiger Wirkung, an tragender KniV'i das soD wohl sagen, dafi die Oktaven, als dem deutschen Volke vertraut, schon dadurch auf das

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F T N T, !• T T T' N r,

rxwv

Wenn das feierliche Element, das Hochtrabende, nicht aus der deutschen Terzine zu verbannen ist, so muß bei einer Übertragung von Ariosts Satiren die Originalform aufgegeben werden. Denn in den so bezeichneten poetischen

Episteln läßt sich der Dichter sehr im Gegensatz zum Orlando behaglich gehen, im ungezwungenen (iesprächs- ton; ja er zeigt zum Teil deutHch, daß er volkstümlich derb, vulgär sein will. Er gestattet sich hier imd da Ausdrücke und l.jigeheuorlirhkeitcn, die dort im ,,R(jland'* unmöglich gewesen wären. Sogar aus der niedern Volks- sprache, ja aus dem Gaunerkauderwelsch hat er Entleh- nungen gemacht; über seine ,,Reggianismen'* und „Lom- bardismen" sind wissenschaftliche Untersuchungen an- gestellt worden.

Bewegt sich also der Autor unverkennbar im stilisti- schen Hauskittel zuweilen möchte man sagen, in Hemd* Srmefai so dörf en wir ihm nicht ein Prunkgewand an- ziehen: für deutsche Dichtungen ist und bleibt die Terzine eine Art Königsmantel. Die gemessene Würde ihrer kunstvollen Reimverschlingungen ist mit einfachem Flau- derton unvereinbar*. In diesem stolzen Versmaß bequem, lässig, behaglich, grobkörnig, hanebüchen, zynisch zu sein, ist auch einem Otto Gildemeister nicht gelungen, so glän- zend einzelne Teile der Satiren zur Geltung kommen: die- jenigen, bei denen der Dichter die im ganzen vorherrschende niedere Diktion mit einer höheren zu vertauschen Anlaß nimmt. Im wesentlichen ist der von Ariost angeschlagene

Geiühl wirken und des Dichter» Worten ein Helfer sind, indem sie mit Uurer inaeran I&aft adne Mitteilung tragen, während der uns fremden Tenioe im Gmüte des Lesen nichts entgegenlro^^ Wenn man dieser Ausführung snstimmt, so wird man dem uns noch bei weitem mehr vertrauten Reimpaar die gleiche freundliche Eigenschaft in erhöhtem MaJße zuerkennen müssen, zumal wo der Gegenstand dem anspruchs- losen Reimpaar entspricht.

VgL oben Vorwort S. XXIII, FnOnote

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CXXXVI

EINLEITUNG

Ton in den deutschen Terzinen nicht getroffen worden, konnte nicht getroffen werden.

Diesen den Ton zu retten, muß aber des Über- setzers höchstes Ziel sein. Mir schien hier ein Fall vor- zuliegen, wo das Hesiodsche Wort „Die Hälfte ist mehr als das Ganze'* seine Geltung hat. Der Vers darf bleiben, die Strophe fallt. Wenn beim Roland der hervorragend höfische Charakter der grofien Epopöe dem Übersetzer peinliche Gesetzmäßigkeit und Strenge in der Form auf- erlegte, so erheischt der eigenste Geist dieser vertraulichen Episteln geradezu ein leichtes, lässiges Formgewand. Wer aber in deutschen Terzinen sich bewegt, geht schwer gekleidet und geht wohl immer auf Stelzen. i fej

Um die Aneignung eines fremden Geisteswerkes mög- lichst voll zu erzielen, müssen die Ausdrucksmittel der aufnehmenden Sprache berücksichtigt werden. Zuweilen darf man nicht das Original, wie es ist, herübemehmen. Man könnte hier an den „Vater der englischen Literatur" erinnern: Geoffrey Chaucer entkleidete den Stoff von Boccaccios Teseida, die er schon in schwungvollen Stanzen übersetzt hatte, der feierhchen Form imd schrieb danach seine „Erzählung des Ritters" für die Canterbury- geschichten in einfachen Reimpaaren. Noch deutUcher wird uns der Weg, der in unserem Fall zu beschreiten ist, durch Theodor Mommsen gewiesen. Er spricht von einem saloppen Dichtwerk, einer Satire des LudUus, und be- merkt dazu, es wurde verkehrt sein, bei einer deutschen Wiedergabe den Hexameter beizubehalten; der Knüttel- vers sei hier am Platz. Zur gleichen Anschauung bekennt sich der Verfasser einer feinsinnigen Schrift über die Kunst des Übersetzens, C. Bardt, der uns nacli einem Band alt- römischer Lustspiele und den Horazischen Sermonen (Römische Komödien, II. Band, Berlin, Weidmann 1907) Plautus' Gefangene, Bramarbas und Schiffbruch, Terentius'

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EINLEITUNG

CXXXVII

Selbstquäler in allerliebsteii Knüttelversen geschenkt hat. Man wird wohl gemerkt: unter gewissen Umständen,

bei Dichtungen von nachlässiger Haltung die Hora- zische Mahnung an Übersetzer: „Klebe nicht am Wort!" {ne verhum verbo reddas) allmähUch zu einem „Klebe nicht am Vers!" erweitem müssen*.

Als mir klar wurde, daß bei Ariosts Satiren die Bei- behaltung der ierza ritna nicht rät lieh sei, dachte ich in der Tat zuerst an den Knüttelvers. Aber dieses volks- tümliche Versmaß entfernt sich doch gar zu weit vom italienischen Vorbild. Von letzterem konnte, wenn auch die Strophenform fiel, immerhin der Vers beibehalten werden. Also wählte ich den fünftaktigen Jambus, der dem Endecasiüabo entspricht, und die einfachste Stro- phenform: das Reimpaar. WeU aber Ariost alles in einem künstlerischen Rahmen halt, §^ubte ich einen solchen dadurch andeuten zu sollen, daß ich im wesentlichen die Altemans, den regehnäßigen Wechsel klingender und stumpfer Versausgänge, beobachtete, mir die Freiheit wahrend, hier und da eine Umkdmmg eintreten zu lassen.

Noch auf ein Moment machte ich hinwdsen, das für die Entscheidung der Frage, ob das Aufgeben der Original- form in einer deutschen Fassung der Satiren Ariosts zu empfehlen sei, in Betracht kommt. Kann die erforderliche Treue der Textwiedergabe ganz abgesehen von der Frage der poetischen Wirkung in deutschen Terzinen

* Wann die Fenn des Vorbildes beizubehalten ist dies wird die Regel sein und wann sie aufgegeben werden muß, entscheide des Übersetzers Feingefühl. Vor die Aufgabe gestellt, ein annäherndes Äquivalent des Originals zu schaffen, hat er sämtUche Elemente des NachbUdnngsmatBrials auf ihre Eigenart und ihre 'Wirkung ra prfllen und danach den EkBats dar Vorlage zu gestalten, wobei bald dem Stoff, bald der Form das größere Zugeständnis zu machen sein wird. In allen Fällen bleibt natürUch oberstes Erfordernis, daß wir in die Stimmungs- lage der fremden Dichtung vezaetst werden. Hierffir gilt es, möglichst dae Wort singen sn lassen wie den Klang «nl der BogensaHe eines KflnstieES.

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CXXXVTTT

r I N T. E I T U N G

eizielt werden ? Ich sage unbedenklich nem. „Der Ober- setzergilde Meister** hat sie auch in seinen kunstvollen Viersen ein von ihm eingefOhrter regelmäßiger Wechsel klingender und stumpfer Reime erhSht die Kunstmäßigkeit (und mit ihr die Schwierigkdt) nicht genügend za retten vermocht. Hier und da kommt er um Gewaltsamkeiten nicht herum. Viele Leser mögen es ja ruhig hinnehmen, wenn sie (S. 2) einen „Doktor Bonaläus" statt „Buonleo** finden. Wer aber die ansehnliclie FamiHe Buonleo von Ferrara kennt (ein Niccolö Biionko stand zu Ariosts Zeit im Briefverkehr mit Pietro Aretino), der wird über diese Umbiegung den Kopf schütteln ; denn auch das Erforder- nis, auf „Lyäus" und „Hymenäus" den dritten Reim zu haben, wird ihm kein genügender Grund für die Umge- staltung erschemen. Femer sind, bei so schwierigem Stro- phenbau, Änderungen des Textes zuweilen geradezu un- vermeidUch, auch selbständige Zutaten, wie z. B. S. 3, wo (V. 62) »»trotz weiser Sprüche** sich als Versausgang findet, während nichts Ahnliches im Original steht; aber die Reime »»Brüche** und »»Küche** verlangten ihre Bindung. Umgekehrt sind auch wesentliche Bestandteile der Verse manchmal gefallen» z. B. IV» 189: a procacdar iTalif^esca, d. h. : »»sein Futter sich bei andern Herden zu holen**. Dies einfach auszulassen» war nicht berechtigt. Auf die Einengung durch so strenge Kunstform hat übrigens auch Paul Heyse hingewiesen : er nennt den in Gildemeisters Terzinen streng durchgeführten Wechsel von männlichen und weiblichen Reimen einen Zwang, der in den Satiren sogar von zweifelhaftem Wert für den Gesamteindruck ist, da der Ton bequemer briefücher Mitteilung eher gewonnen hätte durch einen willkürHchen Wechsel der Reime**. Auch eine Reihe gespreizter Wendungen erklärt sich aus der Reimnot: wenn Ariost aus seiner Verbannung nach der Garfagnana klagend die Gründe nennt» die ihn

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EINLEITUNG

CXXXIX

„dem Dienst der Musen entzogen" (dalle Dee m^han toUo), sind es bei Gildemeister (S. 47) solche, ,,die mich jedem Feste/Entfremden im pamassischen Revier". Ganz unverständlich ist Sat. VII, V. 145 „den römischen Paß/ Nach Delphi gehen" für per U latine vestigic, auf dem Pfade lateinischer Übersetzungen. Daß hier die Reim- not ungünstig gewirkt bat, mußte auch Paul Heyse zu- geben.

Es li^ mir fem, durch diese Bemerkungen die vor- treffliche Verskunst Güdemeisters* herabsetzen zu wollen. Es galt nur» durch Beispiele zu zeigen, wie die drei Reime in ihrer kunstvollen Veischlingung den Übersetzer selbst wenn es ein Otto Güdemeister ist ins Gedränge bringen. Wo wir aber Zwang merken, wird der poetische GenuB be- einträchtigt.

* Einige wenige Ififiverständniäse, die sich in seiner Übertragung finden, hftbe ich in den Anmerkungen richtiggeetdlt. Einwendungen

ließen sich gegen eine Freiheit Gildemeisters erh(l)en, die ich an anderm Ort bereits in seiner ,, Roland "-Übersetzung beanstandet habe. Takt- umsteUung nicht bloü nach der Zäsur veranlaßt ziemhch häuüg nnschiöne Verse, wie:

Du wirst mich wohl ausimchen, wenn tch sage (/, 80) Das gatue Haus umkskrt rnutn Sitten (/, 147)

Das heiß ersehnte Naß antreffen werde {IV, 123)

Und Sphinx braucht nicht Dolmetscher er^t .ru sein {Vi^ $1)

Der sie aufrichtet nach der Niedcrlai^e (VI, 9'J)

Dann aber, ah die Zeit fruchtlos verflossen {VII, 160).

Zuweilen geht der lünftaktige Rhythmus geradezu in einen vier- taktigen, anapistischcn oder daktylischen Charakters, über:

Und wie du so großtun und prassen kannst (/F, 296) Wer diesen Wahn hegt, dem antwort' ich hier (IV, 106) Plebs oder Adel ihn anreden würde {V, 9g)

Seit durch die spanischen Schwei fwedeUien {III, 77) V<)}i deinen Freunden auch Auskunft erfragen {VJI, 12) Nach xwatizicjähriger Abwesenheit (R. Ii.)

Man bedauert diese Unebenheiten in den sonst auageceicbneten Versen.

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CXL

E I N L E I T N n

So stehen denn gegenwärtig dem deutschen Leser zwei Übersetzungen eines ariostischen Dichtwerkes zu Gebote, ich denke, nicht zum Schaden der Sache. Jede fOr sich trägt dazu bei, das Interesse für den großen Meister der

Renaissance in weitere Kreise zu tragen. Der Literatur- freund mag nach seinem Geschmacke wählen. Man könnte sich vorstellen, daß zwei Gemälde, den gleichen Gegenstand darstellend, sich nebeneinander befinden, eins im Stile des Raffael, eins in der Art des Teniers: wer edle Formgebung, harmonische Gruppierimg, fein abgewogene Verhältnisse, rhythmische Linienführung und Stilisierung sucht, wird sich zum Schüler des Urbinaten wenden ; wem es um die packende Note der Wirklichkeit, um den Ein- druck des pulsierenden Lebens, um das Ungefärbte, Echte zu tun ist, der hält es vielleicht mit dem ungeschlachten Holländer. Im Hause der Kunst sind viele Wohnungen.

2

Bieten uns Ariosts Komödien und Rime viel des An- ziehenden, so sind doch als das Bedeutendste, das uns nach seinem „Roland" der göttliche Ludwig hinter- lassen hat, unbedingt die eben genannten Satiren zu bezeichnen. Daß diese literarischen Kleinodien in Deutsch- land ungeachtet der Übertragung eines Otto Gilde- meister fast unbekannt geblieben sind, kann nicht genug wundernehmen. Trotz seines Weltruhms könnte Messer Ludovico sich Lessings Wunsch zu eigen machen: ,,Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein." Die Satiren erwecken die Teilnahme des Lesers nach drei Richtungen hin: durch ihren literarischen, ihren kultur- historischen und nicht zum mindesten durch ihren biographischen Wert: durch die Aufschlüsse, die sie über den Verfasser geben.

EINLEITUNG

CXLI

Wer vom ,,Roland" kommt und den Hauch ariostischen Geistes verspürt hat, in dem regt sich der Wunsch, der

Psyche des Mannes näherzutreten, dessen dichterischem Genius er so auserlesenes Ergötzen verdankt. Fühlen wir uns doch, wenn wir in das Werk uns versenken, am freu- digsten da in den Banden des unvergleichlichen Dichters, wo er sei es, um uns eine Pause zum Ausruhen zu ver- gönnen, sei es, um die Abwechslung zu erhöhen oder um die Stimmung für Neues präludierend vorzubereiten die Fäden des phantastischen Gewebes fallen läßt, unsere Aufmerksamkeit von seinen Helden und Heldinnen und dem altromantischen Land abzieht und mit irgendeiner nachdenklichen weisheitsvollen, launigen, übermütigen Bemerkung uns unerwartet in seine Gegenwart, das italienische Cinquecento und vielleicht dann ist's am schönsten zu dem persönlich zu uns sprechenden Ludo- vico Ariosto zurückführt. Solche Stellen, die vom Stoff auf den Gestalter, vom Erzählten hinweg den Blick auf den Erzähler lenken, sind von jeher bewundert worden. Angelockt von den dort ob auch nur spurenweise hervorquellenden Lebensäußerungen einer reichen Indivi- dualität, möchten wir den Menschen kennen lernen, dessen Genie uns entzückt hat.

Leider fließen die Quellen über das innere Leben Ludo- vico Ariostos nur spärhch. Die erhaltenen Briefe von ihm geben wenig Aufschluß. Zeitgenössische Überliefe- rungen verbreiten wohl liier und da em Licht, aber doch nicht mit der erwünschten Klarheit. Dagegen springt aus einer Reihe Schöpfungen das Bild des Autors mit vollkommener Deutlichkeit hervor: wir vermeinen ihn vor uns zu sehen, die äußere Gestalt und fast die Züge. Es sind die »»Satiren**, poetische Epistehi, sieben an der Zahl, in Terzinenform, gerichtet an Verwandte und Freunde. Ob es Briefe im eigentlichen Sinne sind oder

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CXLII

F I N' L K I r f N G

nur literarische £rzeugnisse, die sich scheinbar als persön-. fiche Mitteflungen geben, darüber gehen die Meinungen der Gelehrten auseinander, wovon später.

Die erste* wendet sich an Galasso Ariosto, des Dichters Bruder, einen Geistlichen in Rom, und enthält zunächst die Bitte, Wohnung, Holz, Wasser, Koch und Diener für Ludovico, der zum Tiberstrand kommen will, zu besoigen. Als Zeit wird das Jahr 1518 anzunehmen sein. Der Kn- weis auf den Anlaß seines Kommens und andere persön- liche Verhältnisse dient aber nur als Einleitung zu seinem eigentlichen Thema: den korrupten Zuständen in der Welt der Hierarchie, die ihm die Lust benehmen, die geistliche Laufbahn zu verfolgen.

Der Ehrgeiz des geistlichen Emporkömmlings wird ge- geißelt, ebenso die Gleichgültigkeit der Päpste gegen das Wohl Italias und der ganzen Christenheit. Ariost findet hier schier Dantesche Töne, wie sie der milde Ferrarese sonst kaum wieder angeschlagen hat. Versvandte Dinge berührt er auch im Rasenden Roland", aber ohne solchen Ingrimm. Er gewinnt in seinem gro6en Gedicht don Falschen und Verkehrten mit Vorliebe die komische Seite ab.

Nur gelegentlich flackern auch hier Spott und Ironie auf, so, wenn der Flitterkram priesterlicher Eitelkeit les caUfichäs de la vaniU sacerdokäe, wie Ferdinand Fahre sagen würde zerzaust wird: die faulen Mönche lassen sich verleugnen

(Wenn sie zum Mittagbrote sind zur Stell';

£i, klingeln mag, so lang sie will, die Schell' i

„Ich bitt Eadb, Heri" ao md' kh liMBeh sagen

Zu brauclwii „Brnder", ist kein fein Betragen,

* Wir folgen der Anordnung in der Afaechrift su Fenrarm, die anch Giovanni Tambara in seiner kritischen Ausgabe {Lt SaHre ü Lmdovico AHotto, Livomo 1903) beibehalten bat

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EINLEITUNG

CXLIII

WiU doch mr Zeit die spen'eehe Sdundchelei, BaB ,,Herrliclikeit'* eeBbst in BordeUen sei, „Herr" ~ ist* s ein StraOenkebrer usw.)

und verfaUen mit ihrem Anspruch auf die dem spanischen Senor Cavaüero entsprechende Anrede Vossigfwria dem

Fluch der Lächerlichkeit.

Auch an die eigene Brust schlägt der Dichter in ergötz- licher Zerknirschung und bekennt sich schuldig, denn . . .

Wer ist klug und tadellos zu nennen, So sehr, daß er nicht Torheit sollte kennen» ' Mag sie nun kleiner oder größer sein?

Seine Torheit, das Tragen holder Fesseln, gibt er reu- mütig zu.

Die zweite Satire, ebenfalls auf das Jahr 1518 weisend, ist an einen anderen Bruder Ludovicos, Alessandro Ariosto, und einen Freund namens da Bagno gerichtet, die mit dem Kardinal Ippolito d*£ste nach Ungarn gegangen waren. Seinem Gebieter dorthin zu folgen, hatte der Dichter sich geweigert und war in Ungnaden entlassen worden. Die Gründe, die ihn zum Bleiben bestimmten, legt diese Epistel dar: Anhänglichkeit an die Heimat, üble Gesundheit, Furcht vor dem nordischen Winter und geheizten Stuben, Rücksicht auf die alte Mutter, eine zu versorgende Schwe- ster und einen verkrüppelten Bruder in Ferrara. Ob nicht noch etwas anderes in die Wagschale fiel ? Kr schweigt davon, aber man darf mit Fug annehmen, daß die Leiden- schaft für seine geUebte Alessandra Benucci, die später sein heimlich angetrautes Weib wurde, und die Furcht vor der Trennung von ihr seiner Vaterlandsliebe als sehr wesoitHche Verbündete sich zugesellten.

In dieser Epistel frohlockt wieder das Wohlgefühl ge- wonnener Freiheit langersehnter, denn „der üble Dienst beim Kardinal*' dauerte fünfzehn Jahre. Freilich ist der Schreiber arm geblieben; doch, wenn er in dürftigen

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CXLIV

E I NM. E I T U N G

Verhältnissea lebt, so gelten ihm mehr als Reichtum Ruhe und die lieben Studien.

Die Torheit derer, die auf Geld und Gut ausgehen, er- hält ihre Peitschenhiebe; dazu andere Verkehrtheiten und Laster, die mit der Habsucht in Verbindung stehen. Mit allerliebsten Fabeln belegt er seine Weisheit.

Allzu kurz waren die Tage der Unabhängigkeit. Der Dichter mußte den Nacken unter ein neues milderes Joch beugen: er trat im April 1518 in den persönlichen Dienst des Herzogs Alfons. Ein Sendschreiben an seinen Vetter Annibale Malaguzzi berichtet von der Veränderung, von seinem Einreihen in die Hofgesellschaft, deren Glanz ihn ebensowenig verführen kann wie das Wohlleben, die ' Gastereien der Reichen:

Daheim die Rüb' ist kfistUdier für midi.

Die ich mir koch' und spieß' und säuberlich

Mit Essig, Senf zu würzen bin beflissen,

Als Wildschwein und die andern Leckerbissen

Auf fremdem Tfach . . .

Die Ferne reizt ihn wenig: Reisen macht er, ohne Geld zu verbrauchen, auf der Weltkarte des Ptolemäus; und daß er daheim bleiben darf, weiß er dem Herzogsdienst Dank. Zum erstenmal gesteht er auch ein, daß noch etwas anderes als Heimatliebe und Studieneifer ihm das Fort- gehen schwer macht em Weib! (Frau Alessandra huscht in den Episteln gelegentlich vorüber oder neigt das schöne Antlitz über den Schreiber.) In Rom ein Benefizienjäger zu sein, lehnt er ab, wiewohl er zu des Papstes Freunden zählte.

Lang, eh man den zum höchsten Hirten wählte.

Leo X. hielt nichts von seinen früheren Versprechungen dem Dichter gegenüber. Doch gesetzt den Fall, der Papst besinnt sich jetzt eines Besseren,

Ffillt mir den Sack, den Schoß, den Mantd wach Mit Gold and, wenn es nicht gen&gt, den Bauch,

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EINLEITUNG

CXLV

Um ■CihW^OHch all die Eingeweid' m toben, WM eett davon die wilde Gier, »u haben?"

So erzeugt Reichtum Unersättliclikeit ; weiser ist Be- scheiduijg.

Auch hoher Stand tut's nicht (wie er schon im Orlando [Ges. 44, St. 50] gesungen hatte: „Tiara nicht, noch Krön' und Zepter heben die Päpst und Kaiser über andre Leut*'), in Halskette und neuer Würde läuft mancher Lump herum, und einige dieser Spezies fühlen sodann die Peitsche des Satirikers. Wiedenmi veranschaulichen Gleichnisse und Fabeln aufs ergötzlichste die Predigt.

Fünf Jahre nach der Aufnahme unter des Herzogs Fa- miliah schreibt Ariost an seinen Vetter Sigismondo Mala- gnzzi aus der Bergwildnis der Garfagnana (nordwestlich von Lncca), in die er als Statthalter Alfonaos versetaet worden ist, umdiekleineProvinzsur^eren. Diese hatte, wie wirsahen, nach dem Tode Leos X. am i. Dezember 1521 das päpst- liche Joch abgeschüttelt mid Ferraras Schutz nachgesncht. Der träumerische Poet als Staatsmann, als Bändiger von Aufruhrern und Banditen es ist eme tragikomische Situation; sie kommt in der vierten Epistel durch des Dichters Verse, die \ms hier ganz besonders durch ihren subjektiven Gehalt fesseln, uns zum vollen Bewußtsein. Von seinen Terzinen geleitet, können wir noch heutzutage in Castelnovo di Garfagnana die einzelnen örtHchkeiten, Brücken, Höhen, Wald, Fluß und Waldbach, erkennen, wo Conte Ludovico Ariosto zum ersten und einzigen Male machte er dort von dem ihm zustehenden Titel Ge- brauch — als Mann des Gesetzes waltete. Die Rocca, d. h. die Burg, wo er seinen Amtssitz hatte, können wir noch sehen; dank seiner lebensvollen Schilderung steht die „Höhle", die „Grube", das „Loch", der „Käfig" deutlich vor uns; auch er selbst, der arme Gebieter, wie er am 20. Februar 1523, genau em Jahr nach sehiem Eintrefföi,

Arto*t I X

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CXL^'T r T V T F. T T r* N G

dort am Tisch sitst und, voniübeigebeugt über das Papier »»imökonoimsch ist^s nur in der lütt' beschrie- ben** — , dem Vetter in der Feme sein Herz ausschüttet, yor allem beklagend, daß er der Diditkunst g^nz ent- fremdet worden sei.

Er kennt nicht mehr Scherz, Lachen oder Singen, und voll Wehmut denkt er an seine Vaterstadt Reggio il gio- condo {il natio nido vito). Dort hatte er ja in jungen Jahren, als Schloßhauptmann der Burg Canossa, auf dem Landgut des Vetters, dem er schreibt, im trauten Mauri- ziano (wie wir oben S. XL sahen) sinnend mid genießend geschwelgt.

Ein Jahr später suchte Pistofilo, der Sekretär Alfonsos, dem Dichter einen anderen Wirkungskreis zu bereiten : er fragte bei ihm an, ob er als herzoglicher Gesandter an den Hof des Papstes Clemens VII. nach Rom gehen wolle. Ariost lehnte ab; ob dies wie anzmiehmen steht zu- nächst in einem Prosaschreiben geschehen ist, hat sich nicht ieststeUen lassen. Erhalten ist nur eine poetische Epistel an Pistofilo, die im Manuskript zu Ferrara und in TambaraS Ausgabe als letzte der sieben Satiren er- scheint, weil sie vermutlich nachträglich als rein literari* sches Erzeugnis entstanden ist und die Ramm^^yig har- moniscfa abschließt.

FtelUch, dem Tone nach ließe sie sich auch ganz gut als aktuelle briefliche Mitteilung denken, trotz der allge- meinen Betrachtungen, Abschweifungen, wie sie in einem offiziellen Schreiben ja nicht üblich sind, ebensowenig wie die poetische Form. Aber offiziell war wohl auch die An- frage nicht, höchstens offiziös.

An den Dank für die gute Absicht des Freundes, der Vorteil und Ehre für Ariost in Aussicht gestellt hat, falls er zur Kurie sich begebe, schließt sich der Hinweis auf seine Bereitwilligkeit, zu gehen, wenn es sein müsse. Doch

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EINLEITUNG

CXLVII

Ho^nng auf gute Dinge solle ihn nicht länger wie einen Büffdochsen am Kasenring z^en.

Eines könnte ihn fast nach Rom verführen und diesen Ton hätte der Versucher anschlagen, an die Gesellhcliaft der großen Humanisten Bembo, Sadoleto, Giovio erinnern sollen: die würden, mit Büchern in den Händen, die Ver- gangenlieit der sieben Hügel ihm aufhellen. In den Bücher- schätzen,dieSixtus (IV.) sammelte, könnteerschwelgen. Den Grund, weshalb auch diese Beschwörung keine Macht über ihn hat, deutet er widerstrebend an Frau Alessandras weiße Hände halten, so vermeinen wir, in der Feme un- sichtbare Fäden und er schreibt es nieder, im Anthtz erglühend und ob seiner Torheit Stockschläge vom Freund befürchtend.

So spottet der Fünfzigjährige über sich selbst. Zu den Besten gehörend, durfte &r sich zum besten haben.

Aul die Zeit der reifen Jahre der ja samtliche Sa- tiren angehören weist auch die fünfte, wieder an Anni- bale Malaguzzi gerichtete. Hier sehen wir den göttlichen Ludovico in emer ungewohnten Rolle: in der undankbaren des getreuen Eckart, der andere vor Schaden warnen wiU \md nicht bedenkt, „sie laufen dennoch nach den Garnen**. Es gilt, den auf Freiersfüßen gehenden Vetter zu beraten (freihch etwas spät, denn die Braut wähl scheint bereits ge- troffen zu sein), und als Grundmotiv khngt durch alle Verse:

Ich denk' und sag' es auch zu jeder Zeit :

Der Mensch kann ohne Weib an seiner Seit' Sich nie zur Höhe rechten Wertes schwingen.

Dem Einwurf, daB einer raten will, ,,der niemals hatt* in Schlingen Fuß noch Hals**, begegnet er mit der Be- merkung:

Beim Schachspiel, Freund, da sahst du jedenialls: Oft ist et gut, dem Urteil zn vertrauen Der Leute, die deaebenetdm und tdiMen.

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CXLVIII

EINLEITUNG

Der wirkfich wetsheitsvoUen Lehren, die nim der Hei- ratskandidat erhält, sind viele; sie sind auch in der Form- gebung sehr reizend. Vielleicht hat dieser Umstand mit- gewirkt, wenn in den Ausgaben, bis auf Tambara, dieser Satire der erste Platz eingeräumt worden ist. Gewisse Unflätigkeiten nicht Unsittlichkeiten wird man der Unbefangenheit jener Zeit zugute halten:

Vetter Hannibal tut wohl daran, jung zu heiraten, weil das Alter mehr die Zeit des Bacchus ist als der Venus. Auch gewissen ehehchen Gefahren ist der an Jahren Vor- gerückte mehr ausgesetzt. Wer aus Furcht, durch Kinder das Erbgut zerstückt zu sehen, nicht heiratet, gerät leicht auf Abwege. Und wie soll die Zukünftige beschaffen sein ? Das wird ausführlich erörtert. Es folgt ein goldenes Wort ums andere. Dem Alter nach soll die Frau zehn, zwölf Jahre jfinger sein als der Gatte. Sie hüte sich vor der Tor- heit, das Antlitz, das Gott ihr §ab, bessern su wdlen. G^gen die Unsitte des Schminkens findet Ariost kräftige allzu kraftige Ausdrücke; man erkennt den Schüler Juvenals. Mägen auch die Vielen der Modetorheit folgen, so komme des Vetteis Erkorene

. , . vMA mit dem grofien Sdtwarm gegangen,

Nein, mit der Ifinderalil, wfiliininlrloii die Waagen;

Und Faden sei and FinicMag gnt and tdxtl

Einmal findet sich etwas bedenkliche Weisheit: hat sie etwas Verkehrtes getan» wird das kluge Frauchen es nicht wie die Törin an die große Glocke hängen,

Nein, einem Kätzlein weiß sie's nachzumachen, Das Ekide deetct aaf mUebeame Saehen.

Unerschöpflich geht es weiter mit feinen Bemerkungen. Sehr unfein aber, wiewohl lustig, ist ein Geschichtchen, das den Beschluß macht imd den Sänger edler Weiblich- keit auf einmal als zynischen Pessimisten den man frei- lich nicht einst nehmen darf zeigt.

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EINLEITUNG CXLIX

Wer Aliost kennt, ist gewärtig, daß er im nächsten Augenblick gegen sich selbst Front macht und sich zur amende honorable für seine Ketzereien versteht, wie mehrfach im Orlando; Abbitte tuend, ähnlich der im 29. Gesang:

Ihr edlen Fraun, was an Vorrätereien Der Mann, euch scheltend ohne jedes Recht, Begangen hat, werd' ich ihm nicht verzeihen, Bis er es merkt, wie bös er war und Bchlecht. Und Unf ttnd Feder soll dem Ansdruck leihen. Damit man sieht, wie sehr's ihm Nutzen brächf , Hätt' er sich th'r die Zunge abgebissen, Als schmähend euren Wert herabgerissen l

Vermutlich die ktste Satire der Abfassung nach ist die sechste, an Pietro Bembo in Padua gerichtete. Sie ent- hält die Bitte an den berühmten Humanisten, sich des jungen, dorthin Ende Februar 1531 zur Alma mater wandernden Virginio Ariosto aneundmuen und ihm emen Griechen als Ldirer zu besorgen, aber eincai Ehrenmann.

Nicht, wie ins Lateinische, vermag der Vater den Sohn in die Sprache Homers selbst einzufüliren, denn und nun eröffnet sich ein RückbHck auf seine Jugendzeit, den wir mit Freuden begrüßen erst spät, als er über zwanzig Jahre alt war, konnte er die antiken Studien unter seinem Gregorio beginnen, dem geUebten Lehrer, den er „für alle Zeiten segnen muß".

Der anziehenden Aufschlüsse über des Dichters Ver- gangenheit sind zahlreiche in diesem bedeutenden Send- schreiben und machen es besonders wertvolL Wir tun Blicke in seine Jönglingstage;'die Jahre steigen herauf, da er unter dem Joch des Kardinals seufste und nicht nach Wunsch den Musen dienen konnte. Vor dem Schicksal der Unbildung den Sohn zu bewahren, möge der Freund ihm helfen, damit der Jünghng den Weg zum Parnaß finde.

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CL

BIMLEITUNG

Ton und CharaJrter der Satiren sind dem „Rasenden Roland*' gegenüber nicht nnwesentfidi verschieden, wie

das ja Stoff und Anlage mit sich bringen mußten. Den Orlando sollen wir nach Geibel in später Abendstunde lesen (s. ,,Ras. Rol.", Motto zur Vorbemerkung), die Satiren gehören in' das Licht des Tages, in dem sie entstanden sind, von dem^sie Kunde geben. Trägt dort der Hippo- gryph den Sänger in luftige Höhen, zum Ritt ins' alt- romantische Land, so sehen wir hier den Poeten in der Alltäglichkeit seiner Gegenwart, mit Freunden und Nach- barn plaudernd, Erinnerungen auftischend, in der Garfa- gnanaals Staatsmann waltend, richtend und schhchtend; dann wieder allein in seinem selbstgebauten Häuschen in der Contrada di Mirasole zu Ferrara, seine einsame Mahl^ sdt geniefiend. Dementsprechend unterscheidet sich auch Stil und Sprache vom „Roland". Hier in den vertraulichen Episteln lafit sich der Schreiber bequem gehen^. Dabei veilSßt ihn aber niemals sein unendlich feines Gefflhl ffir das Künstlerische. Sogar bei Derbheiten, die uns er- schrecken» wird das zu erkennen sein.

So sind die Satiren wichtig für die Kenntnis des Dich- ters wie des Menschen Ariost: sie sind auch, literarisch betrachtet, wahre Kabinettstücke voll Geist und Witz, und Gardner bezeichnet mit vollem Recht diese sieben Episteln als die ,, vollkommensten, unnachahmlichen Beispiele einer Brief konespondenz in Versen'' (wenn auch

* Von ihnen gilt, was Tlieodor Birt in seinen bedeutenden Reue- skizzen (,,Aus der Provence", Deutsche Rundschau, Februar 1907, S. 313) von den Briefen Petrarcas rühmt: ,,Wer sie liest tritt in

Verkehr mit einem Menschen voll wirklichen irischen Erlebens, fast so, als ob er jetzt eben die Feder ffihrte, und fühlt sich noch heute ge- fesselt und bdohnt . . . Petrarca hat «ufi neue entdeckt, was schon Qcero wußte: daß man im Brief das Intimste sagen, daß Geist und Herzensregung sich im Brief aui das ireiste geben kann. Der Brief wird ein unwillkSrliches Inntes Denken. Das war eine Losbindung des Individnellen fflr immer."

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! ■■ T N I 1^" ! T r V r

CLI

das Wort „Korrespondenz** nicht ganz zutrifft, da von einer Entgegnung der Angeredeten nichts bekannt ist) und als ,,die wundervollste Autobiographie mi ndmatme, die ein groBer Dichter jemals der Wdt hinterlassen hat.

Die Gestalt des liebenswerten, schlichten, wahrhaftigen Ehrenmannes, der als der schärfste Beobachter und zu- gleich als der gutherzigste Zyniker in der verderbtesten aller Zeiten seinen geraden Weg geht, steht im Vorder- grunde des Gemäldes. Hinter ihm das Italien des Cinque- cento, nur im Hintergrunde aber dieser Hintergrund ist mit einem Pinsel gemalt, bei dem jeder Strich seine beredte Sprache führt, sobald die sieben Szenen nach- einander sich entfalten. Wir sehen der Reihe nach die verrottete Kirche, die Zustände au Hof und Kurie, etwas vom Familienleben des alten Ferrara, die Bergregion der Garfognana mit ihren Parteizwisten und Ban<üten; dann wieder die Sitten und Gepflogenheiten der Gelehrten und Humanisten an den Universitäten. Kaum etwas fehlt, kaum etwas ist böswillig niedergeschrieben. Wer diese sieben herrlichen Gedichte gut studiert hat, weiß mdu: von dem i6. Jahrhundert der Italiener, mehr von dem wirklichen Leben der Hochrenaissance, als eine ganze Bibliothek gelehrter Abhandlungen ihn lehren könnte."

Wiewohl zu Lebzeiten Ariosts nie gedruckt, haben die Satiren doch vermutlich durch vorsichtig betriebene handschrifthche Verbreitung ihres Verfassers Ruhm schon bei den Zeitgenossen in noch luftigere Höhe ge- hoben. Paolo Giovio gedenkt jener Episteln im Jahre 1520 {sunt et nonnullae ejus scUirae), und der Poet Luigi Alamanni, als Satiriker eine anerkannte Größe, huldigt dem auch auf diesem Gebiet unerreichten Ludovico. Er hofft, der gefeierte Mann Ferrarese nm ckiaro e gMÜlc) werde über das Unterfangen, mit ihm zu wetteifern, nicht ungehalten sein:

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CLII EINLEITUNG

D«0 miBer lfdster dort, auf den die Wdt Bswundemd blickt» doch keinen GcoU mir trage,

Wenn ich jctzund wie er zu singen ivage. Und mein geringes Können ihm miBflUltl

Es kann sich hier nur um die Satiren, nicht etwa um anderes handeln. Der gelehrte Giovanni Tambara in Udine, der uns vor ein paar Jahren mit einer kritischen Ausgabe der Satiren beschenkt hat (einstweilen allerdings nur mit dem Text; die sachhchen Anmerkungen stehen nochAUs), bezweifelt auch die handschriftliche Verbreitung dieser poetischen Sondschreiben. Nünmermehr, meint er, habe Ariost so gefährliche Dinge, wie z. B. in der Epistel an den Bruder Alessandro Ariosto und da Bagno, die in Ungarn beim Kardinal Ippolito weilten, brieflich auf eise so nufiHche Reise schicken können. Es ist wahr, der Freimut des Schreibers hätte, wenn entdeckt, groBe Un- annehmlichkeiten für ihn zur Folge gehabt; nicht minder för die Empfänger. Femer würden solche Abschriften, meint Tambara, kaum gierigen Buchhändlern entgangen sein, die schon früher zum Arger Ariosts handschriftliche Kopien einiger seiner Komödien „geraubt" [rubaie) und unrechtmäßigerweise zum Druck gebracht hatten. Die Berühmtheit der Satiren zu Lebzeiten des Verfassers er- kläre sich aus den Lobsprüchen, mit denen vermuthch Verwandte und Freunde nach EinbHck in das vom Dichter aufbewahrte Originalmanuskript andern g^en- über jener Dichtungen Erwähnung getan hätten.

Dies will doch nicht recht überzeugen. Daß die rück- haltlose Anerkennung des Satirikers Ariost, die Huldi- gung rivalisierender Kollegen an ihn auf bloßes Hören- sagen hin erfolgt sein sollte, leuchtet nicht ein. Auch läßt sich em Zeugnis für die handschriftliche Verbreitung von 1554, zwanzig Jahre nach Ariosts Tod nicht so ohne weiteres beiseite schieben. In der Ausgabe, die im

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EINLEITUNG

CLin

genannten Jahr Girolamo Ruscclli von den Satiren unseres Dichters zusammen mit denen Luigi Alamannis zu Ve- nedig veranstaltete, sagt er im Vorwort: Da diese sehr schönen Satiren niemals vom Autor selbst ans Licht be- fördert wurden (er schrieb die eine hierliin, die andere dorthin), geschah es, daß dieser und jener eine Abschrift nalmi«" Ruscelli spricht darauf von drei solchen in seinem eigenen Besitz befindlichen Abschriften, die er ,, schon seit vielen Jahren" in Rom gehabt habe. Die Annahme Tambaras, diese Abschriften möchten von bereits vor- handenen Drucken (der erste, unrechtmäßige, «^folgte 15^) herrühren, ist wenig wahrscheinlich.. Warum ab- schreiben, wenn der Druck vcfflag?

Wir werden, obwohl keine einzige solcher Abschriften in unsere Zeit herübergekommen ist, doch, wie man es bisher getan hat, annehmen müssen, dafi sie vorhanden waren und mit Vorsicht zirkulierten, vielleicht ohne Gutheißen des Autors. Obwohl in den letzten Lebens- jahren des Dichters die Gefahr übler Folgen minder drohte, nachdem der Kardinal Ippolito im Grabe lag und Ariost in einer leidlich imabhängigen Stellung zu Ferrara den Zorn der Großen nicht mehr so sehr zu fürchten brauchte, hat er doch sein Satirenmanuskript sorglich gehütet und wenigen Einblick gestattet. Der Zorn der Kirche freilich wäre nach wie vor durch eine Veröffentlichung erregt worden.

Mit der Frage über die Verbreitung der Satiren zu Leb- zeiten des Autors hängt eng eine andere zusammen: haben wir diese in Epistelform gehaltenen poetischen Er- zeugnisse wirklich als Briefe zu denken, die einem be- stimmten Anlaß ihre Entstehung verdankten und zur Zeit dieses Anlasses an den Adressaten als persönliche Mit- teilung abgingen? Ks in die neueste Zeit wurde dies bejaht. Tambara kommt zu einem anderen Exgebnis. Gestützt auf die Tatsache, daß wir neben der Verseptstel

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EINLEITUNG

an Pietro Bembo, worin dem Paduaner Gelehrten Ariosts Sohn Virginio empfohlen ^^ird. noch Ludovicos Prosa- sclirciben, das dem nach Padua auf die Universität gehen- den JüngHng für Bembo mitgegeben wurde, besitzen, spricht er die briefliclie Eigenschaft und aktuelle Verwen- dung den Satiren ganz ab. Ihr eigentlicher materieller In- halt bilde nur ein nebensächliches Element, dessen der Dichter sich bediente, um die Hauptsache anzureihen: seine Betrachtungen über die Wechselfälle seines eigenen Lebens, über zeitgenössische Zustände, über Gott und die Welt. Als Briefe seien die Satiren überhaupt nicht abgegangen imd hätten somit auch nicht jener handschriftlichen „Ver- breitung** unterfiegen können; sie seien zu der Zeit, die sie bezeichnen, wohl gar nicht ver^t worden, sondern später, nachdem der scheinbare AnlaB nicht mehr existierte.

Wenn man genauer zusieht, wird sich die Notwendig- keit ergeben, hier zu unterscheiden, und auf dem Wege dazu befand sich auch Tambara. Hinsichtlich der Epistd an Bembo (Sat. VI) hat der Gelehrte von Udine recht: die vorhandene Prosaempfehlung schließt aus, daß schon vor ihr ein poetisches Ersuchen an den Humanisten, für den jungen Virginio einen griechischen Lehrer zu besorgen, ergangen sei, zumal von einem solchen Versebrief kein Wort in dem Prosaschreiben sich befindet. Ebenso wird man die Epistel an Pistofilo (Sat. VII), worin der gutge- meinte Vorschlag des herzoghchen Sekretärs, dem Dichter den Gesandtschaftsposten bei der Kurie zu vermitteln, ab- gelehnt wird, als post festum geschrieben anzunehmen haben. Der offiziellen oder offiziösen Anfrage antwortete vermut- lich zimächst ein ebensolcher Bescheid, d. h. in Prosa.

Aber in der vierten Satire mit ihrer Beschreibung von Ariosts Leben in der Garf agnana befindet sich Tambara selbst gesteht es zu nichts, das die Grenzen eines harm- losen Bekenntnisses an einen Freund überschritte. Ebenso

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EINLEITUNG

CLV

kann die fünfte mit den Ratschlägen an den heiratslusti- gen Vetter durchaus als ein persönlicher Brief aufgefaßt werden. Kommt der Rat darin, wie wir sahen, etwas spät, so ist das kein Grund für uns, die Sache anders zu nehmen. Ferner gibt sich die Epistel an den Bruder Alessandro (Sat. II) nach Ungarn als rein persönliche Mit- teilung zu erkennen. Gefährlich war der Inhalt wie bemerkt freilich; möglicherweise indessen verfügte Äriost über einen imbedingt sicheren Boten. Das gleiche gilt von der dritten: sie ist rein persönlich. Daß die darin enthaltene VerherrMchiing der Freiheit den Schreiber beim Herzog Alfons in Ungelegenheiten bringen konnte, ändert nichts an dem Charakter des Schriftstückes.

Somit ist kein Grand, in vier Satiren (II ^V) etwas anderes za sehen als Frivatschrdben, denen die poetische Form gegeben ist, weil der Absender in erhöhter Stimmung sich befand. DaB er mit der Wahrscheinlichkeit der Iftt- teilung des Versebriefes an andere Personen als den Empfänger rechnete, wird wohl anzunehmen sein, wenn er auch später das Manuskript verschloß.

Von einer Epistel ist es sicher, daß sie rein literari- schen Zwecken diente: es ist die an Bembo ; von der letzten, an Pistofilo gerichteten, ist dies wahrscheinlich. Bei der ersten, an Galasso Ariosto, werden wir vielleicht gut tun, das gleiche anzunehmen. Daß Ludovico den Brief geschrieben habe, bloß van nach seiner Ankunft in Rom Wohnung, Holz und Wasser bereit zu finden, ist nicht recht denkbar.

Wir kommen zum Ergebnis, daß drei Satiren ledighch als literarische Erzeugnisse zu betrachten sind ; vier können als briefliche Mitteilungen betrachtet werden.

Nicht über alles, das diese kleine Gruppe dichterischer Erzeugnisse, ihren Umfang, ihre Entstehung, Anordnung betrifft, sind wir im klaren. Hätte doch ^ginio Ariosto, des Dichters Sohn, sein Wort gehalten 1 Er versprach, in

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T: T X T I- T T ü N C

bezog auf Werke seines Vaters zu veröffentUchen: „dessen erste Satiren; und den Grund, warum er späterhin von der Abfassung weiterer Satiren Abstand nahm. Welches die erste Satire war, die er schrieb; und wie er vermeinte,

sie seien verlorengegangen, und deshalb keine mehr ver- fertigte. Und wie er, nachdem sie wiedergefunden waren, zwei oder drei neue begann, die unvollendet blieben und von denen eine an Castiglione* gerichtet ist."

Von den hier erwähnten unvollendeten Gedichten ist nichts auf uns gekommen, und "\'irginios lockende Ver- kündigungen haben sich nicht erfüllt. Für manches sind wir noch auf Vermutungen angewiesen. So in bezug auf die Frage, ob Ariost noch weitere sokher Satiren ver- faßt habe: seine Absicht sei es gewesen meldet Garo- faio, der alte l^ograph ; auch habe er sie selbst veröffent- fichen wollen, sei aber durch häusliche und andere An- gelegenheiten daran verhindert worden. Man vermag an das Vorhaben nicht recht zu glauben, da, wie bemerkt, der gedruckte Inhalt dem Verfasser immerhin noch Unan- nehmlichkeiten bereiten konnte.

Das berühmte Manuskript in der BthUctheea ehka zu Ferrara ist die einzige erhaltene zeitgenössische Nieder- schrift der Satiren. Wie Tambara endgültig festgestellt hat, rührt es nicht von Ariosts Hand her, bietet aber eine Abschrift, die dem Dichter vorgelegen und seine Billigung erhalten hat. Von den Änderungen am Rande und zwi- schen den Zeilen ist ein Teil, Ariosts Handschrift zeigend, in der Tat als von ihm persönlich vorgenommen anzu- sehen, eine andere Gruppe solcher Korrekturen späterer Zeit zuzuweisen.

Zum erstenmal gedruckt erschienen die Satiren in einer unrechtmäßigen Ausgabe im Juni 1534, ein

* Baldanwure Castiglione, der Verlasser des „Hofimaiui«'* (Corte- gUmo). V|(l. Sat. III, Anm. 16.

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F. T X T. F, T T T' X G

CTA'II

Jahr nach des Dichters Tod. Auch der nächste Druck, im Oktober desselben Jahres, war ein unrechtmäßiger. Darum fehlt in diesen beiden Ausgaben die Bezeichnung des Orts und Verl^ers. Nachdem Ariosts Erben vom venezianischen Senat im April 1535 das ausschliefiliche Veröffentlichungsrecht erhalten hatten, folgten gleichwohl eine Reihe weiterer betrügerisclier Ausgaben. Die erste rechtmäßige, von Doni besorgt (Venedig, Gabriel Giolito), gehört dem Jahr 1550 an. Der gleiche Verlag brachte 1553 und 1556 neue Drucke mit der Widmung an Ercole Bentivoglio (Tambara, S. 29), der mit Ariost durch Freundschaft verbunden gewesen war. Die Gesamtzahl der Ausgaben von 1550 bis 1^24 beträgt siebzig.

Reizvoll nach ihrem literarischen Gehalte, bleibe& Ariosts Satiren das unschätzbare Denkmal einer großen Zeit und eines hohen Dichtergenies. Kein Verehrer des Ferraresen sollte diese köstlichen Schöpfungen uqgelesen lassen vorausgesetzt, daß er „einen Puff vertragen kann": von zarten Seelen sind die Satiren, weil die darin enthaltenen Ungeniertheiten und Zynismen aller- dings sehr weit gehen, nicht oder nur in Auswahl zu ge^ niefien. Es waren eben die Erzeugnisse emer Zeit, in der eine Prinzessin von Frankreich das Heptameron schrieb. „Man erinnere sich nur," so sagt Paul Heyse in scmem Vorwort zu Gildemeisters Übersetzung ,,von wie über- mütiger Frivolität die Mandragola eines so ernsten Poli- tikers wie Machiavelli strotzt und welche Freiheiten ein so tiefsinniger Geist wie Giordano Bruno in seinem Can- delajo sich erlaubte, und man wird es nur natürlicli finden, daß Ariost, dessen Heldengedicht ja auch an mutwilligen Szenen nicht arm ist, in Briefen an seine Freunde sich keinen Zwang auferlegt.'' Tugendsam Entrösteten möchte man jenes lustige Dictum Paul Heyses, das er scherz- haft dem Furiosodichter in den Mund legt, als Sdiüd

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CLVIII

EINLEITUNG

entgegenhalten, den Trostspruch: „Horniy soU qm mal y pMse; sind wir nicht in der Zeit der Renaissance?"

Trotzdem hätte ich, Heyses Beisi»el folgend (oder Gildemeisters selbst ?), gern einiges gar zu Arge ausgelassen. Allein ich wagte es nicht : der Leser hat Ansprach auf un- verkürzte Wiedergabe des Werkes, wie es aus der Feder des Dichters hervorgegangen ist. Der Übersetzer darf nicht den Zensor spielen. Daß nur reife Literaturfreunde die Satiren wie die Komödien zur Hand nehmen dürfen, versteht sich von selbst : sie werden am Ausdruck jener Ungebundenheit, die in ihrer Art doch auch das Zeichen einer bestimmten Kulturepoche ist, kein Ärgernis nehmen, zumal wenn sie mit Sainte Beuve die Ansicht teilen: ,,que la pruderie est unc chose funeste en UtUrature et que, jusqu* ä rohscenite ex- dusivement, Fart consacre et purifie tout ce qu'il touche*^

Die sieben Versepisteln veranschaulichen unsdes Dichters „secanda mamera*^ am deutlichsten; sie zeigen nach Ton und Stil einen fühlbaren Unterschied g^gen die Verse der „eisten Periode". Gemeinsam ist den Schöpfungen beider Lebensabschnitte eines: wenn immer Ariost spricht sei es der jüngere, sei es der spätere , so hält er den Leser, auch den modernen, im Bann setner Kunst, zwingt ihn zu freudiger Bewunderung und was mehr ist zu stets wachsender Liebe. Als ^nale dieser Ausführungen sei in Erinnerung gebracht, was der Vorgänger des gött- lichen Ludovico bei der Darbietung des „Verliebten Roland" seinen Landsleuten in jenem ,,Grido di gioia^*^ (s. oben S. XXXIII) ans Herz legte in Bezug auf:

,,dif ßute Mär, daran ich lang gewebt:

Daß ihr in Scharen kommt, will ich vertrauen;

Hört Mu 9oß Hitld, ihr Herrn und sehänen Frauen!**

Möge die Teilnahme weiter Leserkreise zur Erreichung des Zieles beitragen, dem die in den vorUegenden Bänden abgeschlossene erste deutsche Gesamtausgabe Ludovico

EINLEITUNG

CLIX

Ariostos entgegenstrebt: ein tieferes Eindringen unserer Literaturfreunde in die Schöpfungen des Meisters der Renaissance, auf den wir sein eigenes im Orlando einer seiner anmutendsten Phantasi^estaiten gewidmetes Wort anwenden dürfen:

Natura il fece e poi ruppe la stampa,

Ihn schuf Natur und hat die Form zerbrochen.

Auerbach in Hessen, November 19x9

DER ÜBERSETZER

XIII

ARIOST-BIOGRAPHEN, -ERKLÄRER,

-AUSGABEN

Wer tiefere Arioststudien verfolgt und über des Dichters Leben im Zusammenhang mit den Geschicken seiner

Vaterstadt eingehend unterrichtet sein will, nimmt als die beste Leistung, die auf diesem Gebiet die Neuzeit aufzu- weisen hat, die beiden mehrfach schon erwähnten Bände von Edmund G. Gardner zur Hand: Dukes and Poeis in Ferrara (Westminster 1904), mehr allgemein ferraresische Dinge behandelnd, bis zur Liga von Cambray, dem Jahre 1508, in dem für Ferrara eine neue Epoche begann, gehend, und The King of Court Poeis (London 1906), wo die Gestalt des Dichters im Mittelpunkt steht.

Auch der vorliegende deutsche Gesamt-Ariost ist diesen hervorragenden Veröffentlichungen des englischen Ge- lehrten ffir wertvolle Hinweise und Ausfühnmgen zu Dank verpflichtet.

Von den älteren Erklärem kommen aus dem Cinque- cento drei in Betracht, die Gardner mit Recht als exceUent biographers in den Vordergrund, stellt: zunächst Simone Fomari aus Reggio in Calabrien, der während seiner

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CLX

EINLEITUNG

Studienzeit in NorditaUen den Sohn des Dichters» Vir- ginio Ariosti« besucht und, wie wir sagen würden, inter- viewt hatte. Er berichtet darüber in La sfoaitione ii M, Simone Fomari da Rheggio sapra POrlando Furioso ü M. Ludooico Ariasto Firenze 1549, einer Art Vorwort zu Bemerkungen über den »^Rasenden Roland*': „Ich fand ihn (Virginio) in Ferrara, als ich die Universität von Padua verlassen hatte und den würdigen und blühenden Schulen von Pisa zustrebte, und er teilte mir mancherlei das Leben seines geehrten Vaters Betreffende mit; gleicher- weise Messer Gabriele Ariosto, der allein von den Brüdern noch am Leben Befindliche: auch er, wiewohl von bestän- digen Gebrechen heimgesucht, hielt aus, bis ich ein langes und gelehrtes epicedium von etwa zweihundert Versen gelesen hatte, die von ihm klagenderweise auf den Tod des Messer Ludovico, seines Bruders, gedichtet worden waren."

Fünf Jahre später, 1554, veröffentlicht Giovanni Bat- tista Pigna, der Sekretär einer aus Goethe uns bekannten Persdnfichkdt, des Herzogs Alfcmso II., zu Venedig 7 R<h maim, deren zweiter Band sich mit Ariost beschäftigt. Nach dreißig Jahren erschienen diese Ausemandersetzun- gen, durch wertvolle Zusätze vermehrt, noch einmal, einer Or2aiMfo-Ausgabe vorgedruckt, unter dem Titel: La viia di M. Lodoüico Ariosto Traüa in compendio dai Romangi (Venczia 1584). Gardner bezeichnet Pigna als einen , »Pe- danten schwärzester Färbung", zollt aber seiner Gelehr- samkeit und seinem kritischen Scharfblick Hochachtung: die Bemerkungen seien oft wahrhaft lichtvoll {genuinely iUuminating).

Zu dem Ferraresen Pigna gesellt sich als dritter sein Landsmann Girolamo Garofalo, Sohn des berühmten Malers Benvenuto Tisio. Auch seine Ausführungen er- schienen zttsammeu mit dem Orlando von 1584 in Venedig.

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EINLEITUNG

CLXI

Wer Ariosts Satiren gelesen hat, wird der Äußerung Gardners zustimmen, das Haupt aller seiner Biographen sei der Dichter selbst gewesen.

Als die hervorragendsten der späteren Ariostgelehrten gelten G. A. Barotti {Memorie Istoriche dt Letterati Ferraresi, Ferrara 1777) und G. Baruffaldi {La Vita di L. Ariosto, Ferrara 1807). Auf ihrer und der früheren Er- klärer Mitteilungen beruht ,,Ario6t06 Leben" von Fernow (Zürich 1807).

Der Tätigkeit neuerer itaüenischer Gelehrten ist schon gedadit worden (in da: „Einleitung**, Anfang). Voran steht Pio Rajna mit seinem grandiosen Werk über die Qttdlen des „Rasenden Roland" (die zweite Auflage der Ricerehe e Siuäj erschien in Florenz 1900). Ober die lateinischen Quellen des Orhmio hat sich A. Romizi verbreitet (Turin 1896). Sehr wichtig sind die Natizie per U Viia ü L. Ariosio (Firenze 1896) von Giuseppe Campori. Daß der ehrwürdige GiosuÄ Carducci in seinen Studj (5m Ludovico Ariosto e Torquato Tasso) namentlich durch einen hochberühmt gewordenen Essay [La Gioventü di L. Ariosto e la Poesia Latina in Ferrara, Bologna igoS) an der Ariostforschung sich be- teihgt hat, sahen wir in der Einleitung. Die Briefe des Dichters {Letterc di L. A., con prefazione storico-critica) kamen in dritter Auflage zu Mailand 1887 heraus, per cura di Antonio Cappelli. Eme gute Ausgabe der Komödien und der Satiren besorgte (Hovanni Tortoli: Commedie e SaHre di L. Ä. (Firenze 1856), der gesamten kleineren Werke später Polidori: Opere nUnori in verso e in frosa di L, A. ordinafe e annctate (Firenze 1894).

Von den Gichten allein besteht eine Ausgabe aus dem Jahr 1546: Le Rime di M. L. A. non piü viste et nuofoa- mefUe stampaU , . . (Venezia).

Arioit I XI

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CLXIl

I' I N T FT T r SC

Die treffliche Ausgabe der Satiren (d. h. bloß des Textes) von Giovanni Tambara (Livomo 1903) beschäftigte unsere Einleitung.

Was die Ausgaben des Orlando betrifft, so lernten wir

die nur 40 Gesänge enthaltende editio princeps von 1516 beim Berlin der „Einleitung" kennen. Die erste vollständige, alle 46 Gesänge enthaltende und vom Dichter noch persönhch besorgte und durchgesehene erschien am I. Oktober 1532 in Ferrara: Orlando Furioso dt Messer Ludovico Arioslo ,, nobile Ferrarese^' nuovamente da lui pro- prio correito e d'altri canti ntiovi ampliato. Impresso in Ferrara per Maestro Francesco Rosso da Valenza, a di primo d'OUobre, MDXXXII. Vier Venezianer Ausgaben folgten, eine 1545 {In Casa di Figliuoli di Aldo), eine andere 154Ö, die dritte 1556, eine vierte 1584.

Im ganzen wurden weit über hundert Ausgaben der großen Epopöe gedruckt ; die beste der neueren ist die un- serem Gcsamt-Ariost zugrunde liegende: OrUmdo Furioso di L, An seeondo Pedixione del MDXXXII con commento di Piäro Papim (Fketae 1903).

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GESCHLECHTSTAFEL I

AllMrtP da I

I

t«74)

Pündvaile Makteii (t 1494 Paadollo (t SSM)

Tonunaso (Begründer der Bd Linie der Ark

(t I499)*

(t 1519)

dovamd Battiste iuMA. Saba. 1S09— Kapitio

Ann« m der StaoimtaM M P. Utt% FtaUBa CcMfaM Itdlm.

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»ES HAUSES ARIOSTO»

liosto

PriadvaUe

Jaoopo

Booifuio (t 1365)

Llppa (t 1347) I B.OUMOlUd'Brt» Niccolö

Ftoloo Bonifaxio

Rin&ldo, I. M. Taddea GOBtadinI

Niccolö

N iccold (t 1500) venn. ra. Daria Malaguizl

.udovico, Gabriele, Carlo. Galasao, AlesModro, Taddea, Dorothaa, Vitgini«.

1474-1^33 (ttSMl (t»5t« (t»5«j) (t49»— S96»)

* ^

Virginiü, 1509 x56o (Mutter Ürsolina CatinelU)

GiuUo, X540— »533

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GESCHLECHTSTAFEL KARLS DES Gl

dodondt

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Rampald

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lU.

I

Bernhard von Clermont

Ilalmon von Donlogne. Getfuud von RonaaUlon. Buovo von Airgemoot. Pmpat Lao. Ott ÄUrd. Goiscttd. RinaUL Rktanlet. BmUmaat«. Guido (dw WÖSc) 'Aküfier. Makfta. VMn.^

* Dieser von Gries anifeaibeitete fabdhafte SUnunbaam, der zunSclist mf dMi itaUl von Ludwig Frinkel in tataer EiaMtanf n Bo|a>da« «Vcriiabm Roiml" (Stattfut» C

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iOSSEN UND SEINER PALADINE*

Fioljrdaot I

itHtfaH^ CtÜOCUS

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Fioravant

OcUvian (vom Löwen)

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ÜUvter. Alda (Rolands Frau) GfÜDD. AquUaot

(nm 1300), Buch V, Scblnfikapitcl, bcnibt, irt

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DERRASENDE ROLAND

£RST£R BIS VIERZEHNTER

GESANG

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INHALT DER GESÄNGE

ERSTER GESANG

ElngMif <i*-8). WidmaBg «n den Kardinal Ippolito d'Eate (5— 14).

Angelika im Lager der Franken. Sie flieht vor Rinald (5 13). Ferragn kämpft mit Rinald (14—23). Der Geist Argalias erscheint Ferragn (24 31). Rinald verfolgt Angelika (32). Sie trifft Sakripant (33 59). Bradamaat endwfait und beeiegt Sakripant (60—70}. Der Heagn Bajaid kommt; hinter Uun Rinald (7t 81).

ZWEITER GESANG

Klage an Amor (i). Rinald kämpft mit Sakripant {2 10). Ange- lika und der Einsiedler (11 15). Rinald kehrt nach Paris zurück und wird nach England geschickt (16 30). Bradamaat trifft den Grafen FiaabeL Bericht Uber den Reiter anf dem geflflgdten RoB (31—63). Bradamnnt, von Pinabel gefflhrt, bricht nach der Borg des ZaabeRdten auf. Pinabels Verrat (63—76).

DRITTER GESANG

Der Dichter rfistet rieh, das Haoa Este ra verherrlichen (1—4). Bra- daaiant in der Grotte Merlins (5 62). Sie wird belehrt, wie sie durch einen Zauberring den Magier auf dem Flflgelpferd überwindca und Roger befreien kann (63 77).

VIERTER GESANG

Über die Verstdlnng; wie notwendig rie snweilen ist (i 3). Bra*

damant vor dem Zauberschloß des Atlas. Sie entreißt dem Brunei den Ring, überlistet Atlas 37). Das Schloß verschwindet; die Ge- fangenen werden frei. Roger wird vom Flügelroß entführt (38 50). Rinald» dnrch efaien Sturm nach Schottland gebracht, hfirt von der Not der Königstochter Ginevra (51 72).

FCNPTER GESANG

Über die Schändlichkeit, sich an Frauen zu vergreifen (i 3). Da- linda erzählt Rinald, wie Ginevra durch den Betrug des PolineO in Gefehr achwebt (4—74). Rinald enKheiat am achottiscfaea IGBniiriM»C und besiegt PoUnefi (7S— 93).

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CLXVI INHALT DER GESÄNGE

SECHSTER GESANG

über dea Fli»li bfl.« Tat <,). Der Ue Ariod.»t gewinnt Ginevra {2 16). Roger gelangt auf dem FlfigdroO nach dem Eiland der Alcina (17 25). Astolf, in eine Myrte verwandelt, erzählt seine Geschichte (26—54). Roger sticht Alcinas Reich zu meiden (55—

SIEBENTER GESANG

Abwehr der Unglaubwürdigkeit (i 2). Roger kämplt mit der Riesin Eriphyle (3 j). Im Zauberreich Alcinas (8 32). Bradamant mid Meliaaa aaterttdiiiiea die Befreimif Roceta (33--50). Enmrddnsch MdiMa, die dea Atiaa Geatalt annimm^ entianbert (51 80).

ACHTER GESANG

Über Falscliht it und Arglist (i 2). Roger flieht zur weisen I.o- giatilla; Alcina verfolgt ihn (3 21). Rinald in England (22—28). Der Einsiedler umstrickt Angelika (29 50). Von der Insel Ebuda, WO der Orka tii^ich eine Vnn geopfert wird. Angelika 96H dem Untier snr Beute werden (51 68). Roland härmt sich um Angelika. Sein Tranm. Roland nnd Brandimart brechen nach Paris auf (69— -91I.

NEUNTER GESANG

Über die Macht Amors (1—2). Roland sucht Angelika; er will nach Ebuda fahren (3 17)1 hört die Geschichte der Olympia von Htdland (18 56), befreit deren Vertobten Biren von Sedand und t5tet den mit einem Fennrolir bewaffiMim FkiesenkOnig Cimoaco {S7—^7h Roland wirft das Penerrahr ina Meer nnd a^idt nach Ebuda (S8— 94).

ZEHNTER GESANG

Biren verläßt verräterisch Olympia (l 34). Roger reitet ins Land der Logistilla. Niederlage der Alcina (35 68). Roger kelu-t auf dem Flügelpierd nach Europa zurück (69 73), sieht die Heerschau über die engUsdien und achottisciien Truppen (74 90), fliegt nach Ebuda, be- tiubt die Orka und befreit Angelika {91 115).

ELFTER GESANG

Weisheit ist schwach gegen Leidenschaft (i). Roger fli^ mit Angelika nach der Bretagne; dort verschwindet sie ihm; sein Flügel- roü verläüt ihn (2 14). Er glaubt Bradamant von einem Riesen be- droht SU adien (15—21). Dlicr die FeuerwulfBa (s»--48). Rola»! kommt nach Eboda, tötet die Orka and befreit <Xympia; diese ver- mählt sich mit dem KiSoig von Irland (29— «9).

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INHALT DER GESANGE CLXVII

ZWÖLFTER GESANG

Rolaad wird in das verhrncto ScUoa des Atlas geloekt (i->x6): avdl Roger (17 32). Angelika kommt dahin; Roland, Sakripant und Ferraf^u werden durch sie frei (23 37). Roland und Ferragu kämpfen um den Helm Almonts (38 $5)- Angelika, vor Ferrago fliehend, findet dnea verwundeten Jüngling (56—65). Roland btttaht allein awei Heore der Saraawen (66 85), kommt auf der Umachan nach Angelika in eine PdeenhOhle und trifft dort eine gefangene Prinanwrfn (86 94).

DREIZEHNTER GESANG

Lob der alten Zeit (i). Geschichte der Isabella von Gaücicn und des Prinzen Zerbin von Schottland (2 31). Roland befreit Isabella (33 44). Melissa unterrichtet Bradamant von Rogers Gefangenschaft im ZanbeneUoB; die Jnngfran beeddleOt, Uun in bdlen (4$— S5)* Verherrlichung der Frauen aus dem Hanse Este ($6 73). Bradamant läßt sich vom Zanbcrer Atlas fangen (74—79). Heeischan Agcamanta (80—85).

VIERZEHNTER GESANG

Schlimme Lage der Christen wie der siegreichen Saraaenen (i 3). Vergleich mit dem Znstand nach der Schlacht bei Ravenna (3 9). Heerschau der Sarazenen (10 27). Mandrikard, König der Tataren, neidet Roland seine Ruhmestaten (28 37), überwältigt allem die Wachen, von denen Doralis, dl« KBuigstoditer von Granada, beschfltst wird, und entführt letztere (38 64). Agramant beschließt den Sturm auf Paris (65^ 67). Die Christen beten, insbesondere Karl (68 74). Gott schickt den Erzengel Michael: er soll den Christen helfen und die Ungläubigen durch Erregung von Zwietracht schwächen (75 97). Sturm der Saraaenen nnf Puls (98—113). Rodomonts gewaltige Taten nnd ünteigang scinea Heerea in den Flammen (119—134).

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ERSTER GESANG

X. Die Ritter, Fraun, Großtat der Hochgemuten, Lieb', Edelart zum Sang ich mir erkor, Wie sie die Welt sah, da durch Meerosfluten Nach Frankreich fuhr aus Afrika der Mohr, Treu seines Herrschers jugendlichen Gluten, Des Königs Agramant, der sich verschwor. Den stolzen Sinn des Kaisers Karl zu brechen Und schwer an ihm den Tod Trojans zu rächen.

2. Von Roland gilt es Unerhörtes sagen. Was weder Reim noch Prosa je gekannt: Wie er, so weise sonst in allen Tagen,

Durch Liebe ward vom Wahnsinn übermannt; Wenn sie, die fast wie ihn mich hat geschlagen. So daß mir schier mein biBchen Witz entschwand. Von diesem Rest so viel mir will vergdnnen. Daß ich Versprochnes werde schaffen können.

3. Hochherz'ger Sproß aus Herkules' Geschlechte, Du Schmuck und Glanz der Zeit, ninun gnädig an, Ippolito, was dir von deinem Knechte Gegeben wird, wie er es geben kann:

Mit Schreibwerk zahl' ich und mit Reimgeflechte Zum Teil zurück, was ich durch dich gewann. Der Kargheit Vorwurf trifft mich keinenfalles, Denn geb' ich wenig, geb' ich doch mein Alles.

Artott I I

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ERSTER GESANG

4. Es tritt mit andern auserlesnen Degen, Die hoch zu preisen dieser Sang erklingt, Auch Roger, ja, der Ahnherr, dir entgegen. Von dem des Hauses hehrer Stamm entspringt. Sein Wert und, was er tat auf Heldenwegen, \\'enn du's verstattest, dir zu Ohren dringt: Den Flug des Geistes senk' ein wenig nieder, Hinaulzimehmen meine schlichten Lieder.

5. Graf Roland, für Angelika entglommen, Gewohnt, für sie die Gegner hinzumähn, Erfocht im Inderreich zu ihrem Frommen, Bei Medern und Tataren Kriegstrophän ; Nach Westen war er jetzt mit ihr gekommen. Dort, wo am Fuß der schroffen Pyrenän

Für Frankreichs Heer und das aus deutschen Landen Auf Karls Befehl die Lagerzelte standen,

6. Daß vor Verdruß sich selbst ins AntUtz schlügen Marsilius und König Agramant:

Der schickte ja nach Nord in langen Zügen, Wer nur mit Schwert und Lanze war bekannt; Und jener sah die Hoffnung ihn betrügen. Mit der ganz Spanien ward ausgesandt. So traf denn Roland ein zu guten Stunden; Doch Freude drüber ist ihm bald geschwunden.

7. Denn seine Dame sieht er sich entrissen

Entfernt ist Wähnen oft von Wirklichkeit I : Die er von Ost trotz tausend Hindernissen Gen Abend hat geführt nach langem Streit, Die soll er mitten unter Freunden missen, In seinem Land, den Degen in der Scheid' ! Um schweren Brand zu löschen, als ein Weiser HinwQggenommen hatte sie der Kaiser.

ERSTER GESANG

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8. Vor kurzem schuf ein Zwist dem Herrscher Leiden: Rolands und seines Vetters, des Rinald,

Da jähe Glut im Busen dieser beiden Entbrannt war für die hebhche Gestalt. Karl sann darauf, den Anlaß ausauscbeiden, Der Schwächung drohte seiner Heergewalt: Er nahm die Schöne fort, den Streit zu enden. Und ließ sie in des Bayeniherzogs Händen.

9. Zum Lohn soll der von ihnen sie behalten. Der mehr der Feinde habe umgebracht; Der mächt'ger werde Kriegerkraft entfalten Und Kaisers Dank verdienen in der Schlacht« Doch anders sollte sich das Ding gestalten, Denn fliehen mußte der Getauften Macht. Der Herzog ward, mit vielen noch, gefangen. Und jeder könnt' ins leere Zelt gelangen.

10. Rasch ist die schöne Maid dort aufgesprungen. Die nach der Schlacht des Siegers sollte sein, Hat vor Entscheid sich auf ihr Roß geschwungen Und spreugt mit allen Kräften querfeldein. Sie ahnt, Herrn Karl ist heut der Tag mißlungen. Und feind das Glück des Christenvolkes Reihn. Ein Hain um^mgt sie; dort auf engen Wegen Kommt ihr, zu Fuß, ein Rittersmann entgegen.

XI. Hehn auf dem Haupt, das gute Schwert zur Seiten, Gepanzert und am Arm den Schildesrand, Lief er doch leichter durch des Waldes Weiten, Als nackt ein Bauer nach dem roten Band. Ein Hirtenkmd, sieht es die Schlange gleiten, Hebt flinker nicht das Füßchen aus dem Sand, Als hier Angelika die Zügel wandte, Sobald den Nahenden ihr Aug' erkannte:

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ERSTER GESANG

12. Den Haimonssohnl es bleichten ihie Wangen Den Paladin und Herrn von Montalbant

Gar seltsam war sein Roß ihm durchgegangen,

Bajard, und lockt ihn her auf diese Balm. Als hin zur Dame seine Blicke drangen, Hat er der Himmel wird ihm aufgetan! Vor sich die süße Huldgestalt gefunden, Die ihn mit starkem Liebesnetz umwunden.

13. Die Dame läßt den Zelter rückwärts jagen. Verhängt die Zügel, stets in vollem Lauf; Fragt nicht, ob guten Weg sie eingeschlagen.

Ob dicht der Wald, ob dünn ; sie schaut nicht auL Nein, zitternd, außer sich, läßt sie sich tragen Vom Tiere, wie es wäll; bergab, bergauf Schweift sie imiher auf rauhem Waldespfade Und kommt zuletzt zu einem Flußgestade.

14. Am Ufer dort war Ferragu zu finden, Beschmutzt und schweißbedeckt mit staub'gem Schuh. Vom Schlachtgewülil ließ zeitig üm entschwinden Brennender Durst und Wunsch nach etwas Ruh'. Da mußt' ein Zufall an den Ort ilm binden;

Denn als er gierig trank, ließ Ferragu

Vom Haupt den Helm ins Wasser sich entwischen.

Und nicht gelang's noch, ihn herauszufischen.

15. Schreiend, im tollsten Jagen kommt mit Bangen Das Mädchen; hei, wie jetzt sie neu erschrickt 1 Ans Ufer springt der Heide voll Verlangen:

Bei dieser Stimme hat er aufgeblickt.

Sind auch vom Schreck entstellt und blaß die Wangen,

Er weiß doch, wen sein guter Stern ihm schickt:

Von der er viele Tage ohne Ktmde,

Angelika schickt ihm die Gunst der Stunde!

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ERSTER GESANG

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z6. Vielleicht so hitzig wie die Vettern eben. Und weil ein edles Heiz ihm waid beä^hert.

Eilt er, zu ihrem Schutz den Arm zu heben,

So kühn, als sei er ganz mit Stahl bewehrt,

Und wo Rinald steht wahrlich ohne Beben! ,

Hin läuft er drohend mit gezücktem Schwert.

Die beiden kannten sich, und unvergessen

War ihnen, daß im Kampf sie sich gemessen.

17. Beide, zu Fuß jetzt, nur die Schwerter hatten: Ein grimmig Hämmern alsobald begann. Nicht Schuppenkleider oder Panzerplatten,

Ja selbst kein Ambos schützte hier den Mann. Derweil die zwei mit Hieben sich ermatten. Verstohlen fängt das Pferd zu laufen an; Denn jene jagt mit aller Kraft der Spornen Das Tier ins Feld durch Dickicht und durch Domen.

18. Lang mühten sich umsonst die beiden Degen, Den Gegner hinzustrecken in den Sand; Denn keiner war dem andern überlegen. Geschickt des Heiden wie des Christen Hand. Rinald begann zuerst den Mund zu regen Und sprach, dem spanischen Ritter zugewandt. Wie einer, der von innem Gluten so brennt, Daß ihm das Wort fehlt und er lichterloh brennt:

19. ,,Nur mich zu treffen, ist ja dein Verlangen; Allein dir selbst auch fügst du Schaden zu. Gesetzt, daß ich dir bis zum Morgenprangen Hier zu verweilen den Gefallen tu,

Ob ich dann tot bin oder bin gefangen, Bei alledem, sprich, was erlangst denn du? Das alles wird dir nicht die Maid gewinnen; Derweil wir säumen, flieht sie ja von hinnen.

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6 ERSTERGESANG

20. Gescheiter wär's, du ständest mir zur Seite, Liebst du sie auch; der Weg sei ihr verwehrt. Rasch, eh sie noch verschwinde dort ins Weitet Hübsch zu verweilen, werde ^e belehrt!

Wenn wir sie haben, wohll in blut'gem Streite, Wem sie geh^, entscheide dann das Schwert. Ich sehe nicht, was auf der Säunmis Pfaden Sich sonst für uns ergeben kann als Schaden."

21. Dem Mohr ge011t, was man ihm vorgeschlagen: Seht, angeschoben ist der Zweikampf schont Die Gegner haben derart sich vertragen

(Haß scheint vergessen und der Zorn entflohn). Daß, als des Mohren Roß den Herrn soll tragen, Er nicht zu Fuße läßt den Haimonssohn. Er lädt ihn ein, den Sitz mit ihm zu teilen, Und hinterm Fräulein drein die Ritter eilen.

22. O Trefflichkeit der Ritter alter Zeiten t Als Nebenbuhler, grimmig aufgebracht, Versdiiednen Glaubens, während noch vom Streiten Mandl harter Hieb am Leib sich fühlbar macht,

Ohn' alle Furcht auf gleichem Rosse reiten Sie krummen Pfad entlang durch Waldesnacht! Vier Sporen fühlend, kommt gleich einem Pfeile Das Pferd hin, wo der Weg geht in zwei Teile.

23. Und weil sie beide nun in Zweifel stehen. Wohin sich wohl das schdne Kind gewandt Denn hier wie dort ist neue Spur zu sehen.

Und keiner hat ein Zeichen sonst erkannt , Beschließt ein jeder auf gut Glück zu gehen. Der eine rechts, der andre linker Hand. Im Wald Herr Ferragu die Kreuz und Quer ritt. Und schüeßüch war er wieder, wo er herritt.

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ERSTER GESANG

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24. Am Flusse steht er, wo der Strdmiing Schnelle Ihm seinen Helm vom Haupt hinmiterzog.

Noch einmal will er prüfen hier die Welle,

Weil Hoffnung auf das Fräulein ihn betrog. Wo ihm der Helm entfiel, an gleicher Stelle Taucht er hinunter in das Flutgewog! Da hat der Helm sich in den Sand gegraben: Wohl Mühe kostet's, ihn zurückzuhaben 1

25. Aus einem zugestutzten glatten Zweige Schnitzt er sich eine mächtig große Stang' Und reizt den Fluß, daß er den Helm ihm zeige. Und stochert auf und ab und tastet lang';

Er sucht und sucht, der Tag geht auf die Neige, Des Eifers Hitze rötet ihm die Wang', Als einen, bis zur Brust von Flut umgeben, Er ans dem Strom sich dräuend sieht erheben.

26. Der steckt bis an den Kopf im Eisenkieide, Und einen Helm trägt seine rechte Hand.

Es ist der gleiche Helm, um den der Heide Umsonst so viele Müh' hat aufgewandt. .Treuloser Schurke," spricht er zornig, leide. Daß ich behalte, was mir Gott gesandt! Den Helm zu lassen will dir Schmerz bereiten. Den du mir schuldest doch seit langen Zeiten I?

27. Besinne dich: als damals du erstochen Den Bruder ich war's der Angelika, Den andern Waffen nach hast du versprochen Zu werfen in den Fluß den Stahlhelm da. Hält das Geschick den Elid, den du gebrochen. Füg' didi, kein Grund zu jammern ist das ja. Rßg' dich nicht auf, und willst du auf didi regen. Je nun, so tu's, ich habe nichts dagegen!

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8 ERSTERGESANG

28. Trägst du nach einem schönen Helm Verlangen, Such' einen andern dir; trag ihn mit Ehr'l

In solchem Helm kommt Roland heigegangen; Rinaldos gilt so viel, vielleicht noch mehr. Man sah ICambrin darin nnd Alnumt prangen: Von jenen hole dir doch einen her. Weil diesen hier du hübsch mir lassen solltest. Wie deinem Wort nach du ihn lassen wolltest I"

29. Dem Möhren sträubte sich das Haar vor Schrecken, Als jäh der Schatten stieg aus Stromesflut;

Die Stimme blieb ihm in der Kehle stecken.

Und aus den Wangen wich zurück das Blut.

Er hdrte sich mit Schmach von ihm bedecken

(Einst Argalia hieB der Kämpe gut.

Den er erstach); als der ihn treulos nannte.

Vor Scham und Zorn er inn und aufim fafannte.

30. Es fehlte Zeit, um Antwort ihm su geben; Auch wüßt er wohl, daß jener Wahrheit sprach. So blieb das Wort ihm auf den Lippen schweben. Doch grub sich tief ins Herz ihm ein die Schmach, Und heilig schwur er bei Lanfiisas Leben , Das Haupt beschütz' hinfort kein ander Dach

Als jener Helm, den einst bei Aspramonte Roland gewann vom trotzigen Almonte.

31. Und treuer sollt' er stehn zu diesem Eide, Als er vordem des andern hat gedacht.

Er zieht davon, das Herz beschwert von Leide, Und härmt und grämt sich lange, Tag und Nacht, Den Paladin zu finden strebt der Heide, Sucht hier und dort nach ihm mit aller Macht. Rinald, der sich indessen fortbegeben, Sollt' andre Abenteuer noch erleben.

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ERSTER GESANG

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32. Er geht noch gar nicfat lang, da sieht er springen Bajard nicht weit vor sich, sein stolzes Tier: „Halt, Bajard, halt! Du willst mir Schaden bringenl" So ruft er laut, ,,gar sehr ja fehlst du mir!"

Er sieht das KoiS nur immer weiter dringen, Als ob es taub war', in das Waldrevier. Nun eilt er nach, in Zomesf lammen, brennenden; Doch folgen wir Angelika, der rennenden.

33. Sie flieht dahin durch dunklen Waldes Weiten,

Einöden menschenleer und grauenvoll. Wo Blätter wiegen, wo sich Schatten breiten Von Ulmen, Eichen, Buchen da wie toll Muß sie auf einmal pfadlos seitwärts reiten, Hier-, dorthin, weil die Furcht im Busen schwoll. Bei jedem Schatten fängt sie an zu traben: Stets glaubt sie hinter sich Rinald zu haben.

34. So wie das Zicklein oder Reh, das junge,

Das unter Buschwerk sah im heim 'sehen Hain Des Pardels Wut zerreißen Brust und Lunge Der lieben Mutter, und mit fünkem Bein Von Wald zu Wald flieht in entsetztem Sprunge, Zitternd vor Angst, in Dunkelheit hinein Bei jedem Knistern, jedes Zweiges Knacken Fühlt es das' grimme Tier in seinem Nacken :

35. Den Tag, die Nacht, vom nächsten Tag noch Stunden Schweift sie wo, weiß sie selber nicht umher. Bis einen Waldeshag sie hat gefunden.

Von frischer Luft bewegt und düfteschwer; Von zartem Gras und Blumen hold umwunden, Zwei Bächlein drängen murmelnd nach dem Meer» Und lieblichem Gesang glaubt man zu lauschen. Da leise plätschernd durchs Gestein sie rauschen.

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10 ERSTERGESANG

36. Sicher za sein scheint dieser Ort der Wonnen, Rinald entfernt wohl manche weite Meil'; Von Hitz' imd Mühen viel ist sie gesonnen Hier anssnruhen eine kleine Weil'l

Und unter Blumen steigt sie ab am Bronnen. Das Pferd nimmt, zügdfr^, am Rasten teil: Es schweift vergnügt mnher im kühlen Räume, Der frische Gräser beut an seinem Saume.

37. Ganz nahe, siehl ein scfadn Gebüsch sich brdtet, Wo Blütendom bei roten Rosen sprießt,

Sich hold im Wasser spiegehid, das da gleitet; Der Sonn' ein Eichendacfa den Platz verschließt.

Die Mitte drinnen zum Gemach sich weitet, Durch das erfrischend dichter Schatten fließt, Blattwerk und Zweige kunstvoll sich verschlingen Selbst Phöbus' Bück vermag nicht durchzudringen.

38. Ein zartes Gras ladt ein die müden Glieder, Wes Augen immer diese Rtihstatt sahn;

Die Schöne läßt sich in der Mitte nieder

Und gleich vom Arm des Schlummergotts umfahn.

Jedoch nach kurzer Frist erwacht sie wieder:

Sie glaubt zu hören, daß sich Tritte nahn.

Leis steht sie auf, Gewißheit sich zu schaffen

Und sieht am Bäcblein einen Mann in Waffen.

39. Ob Freund, ob Feind es ist? Sie kann's nicht sagen: Bald ist sie hoffnungsfroh, bald wieder bang

Und mag den Hauch nicht eines Seufzers wagen:

Sie wartet auf das End' vom Liede lang.

Zum Fluß hinab ihn jetzt die Schritte tragen:

Dort bleibt er, auf den Arm gestützt die Wang',

Und in Gedanken steht er tief, alleine,

Ganz wie erstarrt zu regungslosem Steine.

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ERSTER GESANG

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40. Gesenkten Hauptes stand mit seinem Harme Der Ritter stundenlang am Bachesdanmi;

So weich zu klagen drauf begann der Arme,

So schmelzend süß, von seiner Liebesflamm',

Als gelt* es, Herr, daß sich ein Stein erbarme.

Ein Tigertier sich wandle in ein Lamm.

Sein Seufzer scheint aus Ätnas Gnmd zu dringen;

Als wär's ein Wasserfall, die Tränlein springen.

41. Gedanke," sprach er, ,,der mich glutentglommen Und eisig macht, du drückst das Herz mir wund! Was soll ich tun? Ich bin zu spiit gekommen: Ein andrer pflückt die süße Frucht jetzund. Kaum einen Blick, ein Wort hab' ich bekommen. Ein andrer die Trophäen, Herz und Mund.

Kann weder Frucht noch Blüte mich beglücken. Was soll ich mir um sie den Sinn bedrücken?

42. Die Jungfrau ist der Rose zu vergleichen, Die sich im Garten auf dem Stengel wiegt. Eh Hirtenhand und Herde sie erreichen, Im Schoß der Ruhe still geborgen liegt: Wind, Frührot neigen sich der Anmutreichen Und Land und Flut, von ihrer Huld besiegt; Burschen und Mägdlein mit verhebten Wangen Lassen an Schläfen sie und Busen prangen.

43. Doch sieht man sie nicht mehr am Strauch sich heben. Ward sie getrennt vom mütterlichen Stanun, . Was ihr bei Gott und Menschen Wert gegeben, Anmut imd Schönheit, schwindet allzusamm.

Das Mädchen, das nicht mehr als Licht und Leben Zu hüten weifi die Blüte wundersam. Verliert, wenn einer dieses Gut verletzte. Den Preis, den jeder über alles schätzte.

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ERSTER GESANG

44. Andern verhaßt, sei sie nur Heb dem einen, Den sie mit ihrem Selbst so reich beglückt. Gransames LosI Wie mnß ich dich beweinen!

Reich sah ich andre, mich von Not bedrückt. Ist's möglich: unhold wiU sie mir erscheinen? Mein Leben selbst, es wäre mir entrückt? Ach, lieber war' ich heute tot geblieben, Als daß ich sie nicht fürder sollte heben!"

45. Fragt jemand: wer mag innen also brennen?

Hat so viel Tränen nach dem Fluß gesandt?

So muß ich eiicli Zirkassiens König nennen:

Er ist's: der Uebeskranke Sakripant.

Und wollt ihr seines Leides Ursach' kennen?

Mit seiner Lieb' ist alles schon genannt.

Zu den Verehrern zählt er jener Schönen,

Und sie erkannt' ihn gleich in seinem Stöhnen.

46. Um sie allein war er in Liebesgrillen Gekommen aus dem fernsten Orient;

Denn er vernahm, daß sie um Rolands willen

Von Indien ging weithin zum Okzident;

Daß Karl in Frankreich dann, den Streit zu stillen»

Im Zelt sie hielt von andern abgetrennt

Und dem zum Lohn versprach, der im Gefechte

Den LiUen den größten Nutzen brächte.

47. Er war im Lager, sah die Niederlage, Die dort erlitt des Christenkönigs Schar. Umsonst irrt er umher seit jenem Tage,

Daß er von der Entschwundnen Kund' erfahr'. . Ihr wißt es nun, warum mit Liebesklage Die Zährenüut zum Bach geflossen war Und er so rührend Worte ließ erklingen, Schier um die Sonn' aus ihrer Bahn zu bringen.

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ERSTER GESA N G

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48. Zum Quell die Augen wandebd, liebentziindet In Sduneiz und Leid der Annste sich verlor. Derweil er spricht, was nicht die Muse kündet -

Denn andre Dinge hat zur Zeit sie vor

Fügt sich s o seht ! daß Glück sich ihm verbindet. Denn jeder Laut dringt zu der Holden Ohr. Was er mit einem mal jetzt soll erreichen, Drob könnten tausend Jahre sonst verstreichen.

49. Auf jedes Wort des Ritters, Art und Wesen

Gibt unsre schöne Dame sorglich acht. In seinem Herzen hat sie längst gelesen, Daß er nach nichts als ihrer Liebe tracht'. Allein voll Härte ist sie stets gewesen, Kalt, ohne Mitleid, wie aus Stein gemacht. Als schätze sie die ganze Welt geringe Und keinen würdig solch erlesner Dinge.

50. Zum Führer aber denkt sie ihn zu nehmen, Nun sie verlassen durch die Wälder schweift: Es muß zum Gnadenruf sich wohl bequemen, Wem an die Lippen schon das Wasser streift 1 Wer weiß, ob jemals bessre Helfer kämen. Wenn sie nicht die Gelegenheit ergreift!

Sie hatte ja schon in gar manchem Falle Den Fürsten treu befunden, mehr als alle.

51. Doch wül sie nicht den Armen wirklich letzen« Zu seines Kummers, seiner Treue Lohn,

Das lange Leid durch Sehgkeit ersetzen. Die jedem Jüngling aller Freuden Krön' Nein, nur in Wahn und Irrtum ihn versetzen. Damit in seiner Brust das Hoffen w^ohn' Und er als Werkzeug ihr ein Weüchen diene. Dann wieder zu begegnen harter Miene.

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ERSTER GESANG

52. Auftauchend plötzlich aus des Haines Schweigen, Wird sie, die Göttergleiche, nun erblickt

So mag Diana sich, so Venus zeigen,

W enn ihrer Schönheit Glanz den Wald erquickt

Und Friede dir!" spricht sie mit holdem Neigen,

„Vom Himmel wirst du mir als Hort geschickt.

Und sicherlich wird er nicht weiter dulden.

Daß du mich so verkennst obn' mein Verschulden/'

53. Die Mutter zeigt nicht solch ein freudig Beben, Wenn sie den Sohn schaut, den sie tot geglaubt, Des sie mit Weinen noch gedacht soeben

Als eines, den der Kriegsgott ihr geraubt.

Wie sich die Blicke Sakripants erheben

Zur edelen Gestalt, dem Engelshaupt,

Den zarten Gliedern dieser Uulderscheinung,

Der herrlichsten der Welt nach seiner Memung.

54. In holder Glut, vom süßen Trieb bezwimgen. Zu seiner Herrin, Göttin eilt er her.

Sie hält um seinen Hals den Arm geschlungen. Was in Katai wohl nicht geschehen war'. In ihr ist plötzlich Sehnsucht aufgesprungen: Die Heimat winkt, bleibt ihr zur Seite der. Durch ihn belebt sich Hoffnung und Vertrauen, Bald wiederum ihr reiches Schloß zu schauen.

55. Ausführlich läßt sie den Bericht ihn kosten. Von jenem Tag an, da sie ihn gesandt Zum Serikanerkönig dort im Osten,

Und wie für sie die Sache schHeßlich stand; Wie Roland treuhch blieb auf seinem Posten Und Schmach und Tod von ihr hat abgewandt; Sie trag' auch unverletzt, was edlem Weibe Der höchste Schatz ist, wie vom Mutterleibe.

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ERSTER GESANG

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56. So war's vielleicht, alkm der Fall wird rar sein (Wer klaren Kopf hat, urteilt so zumeist): Für Sakripant muß dieses alles wahr sein, Weil er in noch viel größrem Irrtum kreist.

Was man nicht sieht, das läßt uns Amor klar sein. Der Deutliches als unsichtbar erweist. Nun, jener glaubt: was lieblich ist zu glauben, Das läßt sich ja der Mensch nkht gerne rauben.

57. „Ließ recht als Tor sich zimperlich vervvehren So leckem Schmaus der Ritter von Anglant Der Schad' ist sein; das Glück will nicht bescheren Ein zweites Mal, was einmal ward verkannt:

Ich werde nicht mich an sein Beispiel kehren!" So sprach bei sich im stillen Sakripant. »»Entgehen mir zu lassen solchen Bissen, Hätt' ich in Ewigkeit auf dem Gewissen.

58. Die jugendfrische Rose will ich pflücken,

Bevor wie baldl die Zeit den Duft verjagt: Ein Dirnlein kann nichts Süßeres beglücken. Ziert auch ein wenig sich die gute Magd. Und scheint es noch so sehr sie zu bedrücken. Und ob sie weint und voll Verzweiflung klagt. Es soll kein Zorn, kein Widerstand mich rühren; Was ich mir vornahm, denk' ich auszuführen t"

59. Er spricht*s. Zum süßen Ansturm vorzugehen Schickt er sich an: da tönt gewalt'ger Schall Im nahen Wald; er muß sich wohl verstehen. Zu lassen, ob erbost, vom Überfall.

Er nimmt den Hehn mit Wehr sich za versehen, War er ja längst gewohnt für jeden FalL Er geht zum Renner, legt ihm an die Zügel, Ergreift den Sporn und setzt den Fuß in Bügel.

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E R S T F R C F ? \ \ G

60. Ein Ritter sprengt hervor ans wald'gen Auen« Dem Anssehn nach gar stolz und kampfbereit. Die Zier am Hehn ist weiß wie Schnee zu schauen. Und weiß wie Schnee ist audi sein Wafienkleid. Der König aber steht mit finstem Brauen:

Daß unterbrochen werde, was zur Zeit

So hohe Lust verspricht, stimmt ihn nicht heiter;

Voll Groll und Ingrimm blickt er auf den Reiter.

61. Leicht aus dem Sattel denkt er ihn za heben Und fordert ihn zum Zweikampf auf der Stell'; Und jener, der mir scheint zu schaffen geben Wird dem Zirkassier wohl auf alle Fäll',

Spornt seinen Renner, läßt die Lanze schweben Und unterbricht das stolze Drohen schnell. Herr Sakripant kehrt um wie Ungewitter, Und aufeinander jagen beide Ritter.

62. Nie trafen sich gewaltig gleidi dem Blitze

Die Stiere und die Löwen in der Schlacht, Wie die zwei Krieger hier in Kampfeshitze: Die Schilde bersten durch des Stoßes Macht. Vom üpp'gen Tal bis hin zur kahlen Spitze Von dem Zusammenprall die Erde kracht. Die Panzerkleider waren gut zum Glücke; Sonst gingen beide Leiber wohl in Stücke.

63. Auch keinen Umweg machten ihre Pferde: Sie stießen sich, wie Widder tun im Zorn. Tot blieb das Roß des Heiden auf der Erde, Und in der Zahl der besten stand es voml Auch jenes fällt: daß es lebendig werde. Besorgt in seine Flank' ein Druck des Sporn. Das andre Tier muß sich am Boden strecken Und mit der vollen Last den Herrn bedecken.

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ERSTER GESANG

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64. Der Fremde, der im Sattel fest geblieben.

Schaut seinen Gegner unterm Pferd, besiegt. Doch rüstet er sich nicht zu Schwerteshieben, Weil ihm an einem neuen Kampf nichts liegt. Man sieht nur, daß er, wie vom Sturm getrieben. Geraden Wegs im Wald von dannen fliegt. Eh aus der Klemme kommt der andre Streiter, Ist er ein Stündchexi fem, vielleicht noch weiter.

65. So wie der Pfiüger, wenn vorbei das Wetter,

Sich stumpf erhebt, betäubt, vom Schlag erschreckt Geteilt das Los schier um ein Härchen hätt' er Der Rinder, die der Blitzstrahl hingestreckt; Die Fichte schaut er ohne Krön' und Blätter, Die er vorher von weitem hat entdeckt So sucht der Heide wieder aufzustehen . . . Und alles das muß seine Dame sehen.

66. Er seufzt und stöhnt nicht etwa, daß ein Arm ihm. Ein Fuß gebrochen sei, verrenkt vom Schlag;

Die Wange wird aus Schamgefühl nur warm ihm.

Wie nie zuvor an einem Erdentag.

Nicht daß er fiel daß sie aus solchem Harm ihm.

Die last abwälzend, half, ist seine Klag'.

Ich glaub*, er war' am Ende stumm geblieben,

Hätt' ihn zum Sprechen jene nicht getrieben.

67. „Herr," sprach sie, ,,laßt Euch dieses nicht beschweren: Nicht Euch trifft Schuld, wenn Ihr gefallen seid; Nein, bloß den Renner: Speis' und Ruhe wären Ihm dienlicher gewesen als der Streit.

Nicht prahle jener mit den Siegesehren;

Er brachte sich ja schnell in Sicherheit!

Seht, wer das Fcdd rätunt das gilt allerwpgen

Der zeigt, daß er im Kampfe unterlagen."

Af i*«t I »

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ERSTER GESANG

68. Derweil sie ihn zu trösten Müh' verwandte, Kommt ein berittner Mann dahergejagt,

Mit Tasch' wid Horn versehn; der Unbekannte (Ein müder Bote schien's, von Gram geplagt) Kehrt sich zum nächsten, das ist Sakripante: „Kam nicht gii<id mit weißem Schilde sagt! Und weißem Federbusch auf Hchnes Mitten Durch diesen Wald ein Knegersmann geritten?"

69. Sprach Sakripant: „Den du zu sehn beflissen. Vom Pferd hier warf er mich und ist enteilt; Und weil ich semen Namen nicht will missen. Sag' mir, wer ist's, der solche Schlag' erteilt?" Der Bote drauf: ,,\\'as dich verlangt zu wissen. Von mir erfaliren sollst du's unverweilt; Erwarbst du Ruhm, verdunkelt ist dein Name: Dich hob vom Sattel eine edle Dame!

70. Sie hat durch Kühnheit hohen Ruhm gefunden, Durch Schönheit mehr; den Namen künd' ich dir: Die Heldin Bradamant hat dir entwunden.

Was du gewannst an Ehr' auf Erden hier."

Der Bote sprach's und war im Wald verschwund^.

Den Sarazen will Groll verzehren schier:

Ratlos und wortlos steht er da, befangen;

Es röten sich in Flammenglut die Wangen.

71. Nachdem er lange, was sich zugetragen, Vergebhch hat erwogen und zum Schluß Sich sieht von einem Mägdelein geschlagen (Je mehr er's denkt, je größer sein Verdruß!). Nimmt er das Fräulein, ohn' ein Wort zu sagen, Aufs Roß und festigt in dem Reif den Fuß, Mit ihr zu besserm Spiel davonzureiten

An stillerm Ort in spätem günstigen Zeiten.

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B R S T B R GESANG 19

72. Sie reiten nicht zwei Meilen, als ein Tönen

Und mächtiges Gelärm im Hain erschallt,

Der sie umgibt, ein Krachen und ein Dröhnen,

Als woir erbeben rings der weite Wald,

Und einen reich mit Gold geschmückten, schönen

Und stolzen Renner sehn sie nahen bald,

Der über Busch und Bach setzt, Bäum' entblättert.

Und alles, das im Weg ist, niederschmettert.

73. , »Täuscht trübe Luft und dichtverschlungne Zweige", So sprach die Dame, ,, jetzt mein Auge nicht, Will mich bedünken, daß sich Bajard zeige.

Der so mit Lärmen durch das Dickicht bricht. Gewiß, er ist's; will, daß man ihn besteige: Wie gut er doch versteht, was uns gebricht! Ein einzig Roß für zwei würd' unbequem sein: £r bringt uns Gutes: laß es uns genehm sein!"

74. Der Fürst steigt ab; er will den Renner rufen, Ergriffe gern den Zaum mit seiner Hand: Doch Bajard gibt die Antwort mit den Hufen; Schnell wie der Blitz hat er sich umgewandt, Mit Stößen, die jedoch kein Unheil schufen : Weh, träfen volle Schläge Sakripant!

Wollte der Huf die ganze Kraft beweisen. Zertrümmert hatt' er einen Beig von Eisen.

75. Sie sahn das Roß sich sanft zur Dame wenden. Fast menschengleich, voll Demut: wie vorm Herrn Des Hündleins frohe Sprünge gar nicht enden. Wenn der Gebieter heimkehrt aus der Fem'. Bajard erkannte sie: aus ihren Händen

Nahm er sein Futter in Albrakka gern. Als für Rinald in Liebesglut sie brannte, Der damals grausam ihr den Röcken wandte.

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aO ERSTERGESANG

76. Den Zugd mm erfaßt sie nnt der Unken

Und klopft nnd streichelt ihm den Bug in Huld:

Das kliige Tier, gehorsam ihren Winken,

Ist zahm und gut, ein Tümmchen an Geduld.

Da schwingt sich Sakripant mit einem flinken

Aufspmng hinauf, sitzt in der Sattelmuld':

Angelika hat seinen Platz bekommen;

Die Doppellast ist nun dem Tier genommen.

77. Aufblickend dann, erschaut sie einen Recken, Der stolz und waffenklirrend naht in Hast:

Es ist Rinald kann sie sich nicht verstecken? O wie bei seinem Anblick Zorn sie faßtl

Wie vor dem Aar das Huhn, flieht sie voll Schrecken,

Lud er verfolgt sie ohne Ruh* und Rast. Einstmals hat er von ihr nichts wissen wollen, Sie liebte ihn so tauschten sie die Rollen.

78. Als Ursach' muß ich euch zwei Quellen nennen; Zwiefache Wirkung hat der beiden Flut

(Sie stehn einander nah, in den Ardennen):

Die eine füllt mit Liebe heiß den Mut;

Wer von der andern trinkt, kann nicht entbrennen:

In Eis verwandelt sie die Liebesglut.

Aus jener trank Rinald und Liebe faßt ihn

Aus der Angelika: sie flieht und haßt ihn.

79. Der Bronnen ließ geheimes Gift sie trinken:

Statt holder Triebe fülilt sie Haß sogleich, Wenn dieser Held erscheint, und Schleier sinken Auf heitrer Augen lichterfülltcs Reich. Sie fleht zu Sakripant die Tränen blinken, Die Stimme bebt, die Wangen werden bleich : Schnell auf die Flucht mit ihr sich zu begeben, Fem von dem Krieger, der genaht soeben.

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ERSTER GESANG

az

80. „Hab' ich nicht schon Vertraun bei Euch besessen?" Sprach jener, „bin ich nutzlos und gering, Unfähig, mich mit jenem dort zu messen.

Daß ohne Schwertschlag ich von dannen ging? Habt Ihr Albrakka und die Nacht vergessen. Als ich allein fürwahr kein kleines Ding! Vor Agrikan und Scharen auserlesen Bin ohne Waffen Euer Schild gewesen?"

81. Sie weiß nicht, was sie tun soll, steht verlegen Und schweigend, denn Rinald ist fast schon da: Er hält dem Sarazen die Faust entgegen;

Sein Pferd, das dieser nahm, erkennt er ja; Erkennt auch sie, für die auf allen Wegen Sein Herz in Lohe steht, ob fem, ob nah. Wie weiter nun die Dinge sich gestalten. Das sei dem nächsten Sange vorbehalten.

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ZWEITER GESANG

X. Launischer Amor, sprich, warom fast nimmer Im schonen Einklang stehen Herz mid Herz? Warum geschieht es, daß so oft, du Schlimmer, Der Seelen Widerstreit für dich ein Scherz? Du gdnnst mir nicht die Flut mit hellem Schimmer. Ziehst mich zur dunklen tief hinab, zum Schmerz; Die meine Lieb' ersehnt, die soll ich lassen, Und lieben, die mir abgewandt voll Hassen!

a. Du machst Angelika, dem Jüngling teuer. Den sie für aig und widerwärtig hält: Als einst für ihn die Schöne stand in Feuer, Da haßt er sie wie nichts auf dieser Welt. Nun härmt er sich, in Leiden ungeheuer; Vergolten ward ihm gleich mit gleich; der Held Ist ihr ein Greuel jetzt sich ihm verbinden? Nein, eher dann den Weg zum Tode finden!

3. „Dieb, steig von meinem Pferd I" so schrie den Heiden

Mit großem Hochmut an der Haimonssohn. ,, Dali man mein Pferd nimmt, pfleg' ich nicht zu leiden. Und wer es tut, bekommt von mir den Lohn. Auch will ich dich von dieser Dame scheiden; Sie dir zu lassen, wäre Schmach und Hohn. Unwürdig scheint es mir, daß einem Diebe Solch edle$ Fräulein, solches Roß verbliebe."

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ZWEITER GESANG

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4. ,,Niir als ein Lügner magst du Dieb mich schelten," Spricht drauf, nicht minder stolz, Fürst Sakripant: „Das Wort kann eher von dir selber gelten. Nach dem, was in der Welt von dir bekannt.

Es zeigt sich, wenn Entscheid die Schwerter BOltm, Wer mehr mit Recht sich hat den Herrn genannt. Indes von ihr muß ich dir zugestehen: Man kann nichts Edleres auf Erden sehen."

5. Wie Hunde wohl, bevor sie sich zerstücken (Ob Haß, ob Neid und Mißgunst sie bewegt). Mit Zähnefietschen aufeinanderrücken,

Wie jeder, schielen Augs, die Glieder regt, Vor Wut dann schäumend, mit zerzaustem Rücken, Den scharfen Zahn in seinen Gegner schlägt So ging's, nachdem genug sie schrien und schalten. Zwischen den beiden jetzt ans Schädelspalten.

6. Zu Fufi ist der, und jener sitzt zu Pferde.

Meint Ihr, daß drum der Heide Vorteil hab*?

O nein! Nur Schaden; hilflos von (jtbärde,

Sitzt er, als wär's ein unerfahrner Knab':

Es schafft der Hengst dem Herren niclit Beschwerde,

Weil seltenen Instinkt Natur ihm gab.

Ob mit der Hand der Reiter lenkt mit Sporen,

's ist alles an dem störr 'sehen Tier verloren!

7. Soll stehn der Hengst, beginnt er fortzujagen. Dann rasch zum Kreisel wird er ganz und gar: Er bockt, soll er den Reiter vorwärts tragen, Bäumt sich, schlägt aus, beut alle Tücken dar. Der Heide sieht, die Stund' hat nicht geschlagen. Zu bändigen ein Tier so wunderbar,

Stützt auf den Sattelbogen sich zum Schwünge Und steht auf Füßen jetst nach raschem Sprunge.

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24 ZWEITERGESAXG

8. Als sich der Heide durch sem leichtes Spnngen Hat von des Tiers verbißner Wui befreit.

Hei, da beginnt ein Ansturm und Ringen, Wert eines Paars so hochbewahn ira Streit! Bald singen hoch, bald smmnrn tief die Kliiigai; Volkaos Gehämmer wäre Langsamkeit Dagegen in der Höhle, wo beschieden Htm war, den fiälz des Ji^iiter ra «rhrnieden.

9. Mit langen Hieben, Finten, kurzen Streichen Zeigt jeder sich als Meister: bald gereckt

Stehn b'eide aufrecht, bald geduckt dann sdileidiai Sie. Blöfie gebend, und darauf gedeckt; Sie rocken vor, um rasch anrockmiieicfaen. Parieren, mridm, lockiai TorgestzedTt, Drehn sich: wo Platz der eine bat gelassen. Will i^eidi der FoB des andern Posto iassen.

10. Mit voller Wucht zu hauen and zn p^chtn. Gibt jetzt Rinald sich hin mit einemmal ;

Der Fürst hält seinen Schild vor, der aus Knodien Mit Platten ist versefan von feinem Stahl: Fosberta hat den staiken doch dmchlnocben; Weit diOmend senfzt der Wald und klingt das TaL Wie Eis geisplittcrnd Stahl und Knodim .spraiigrii. Betäubten Arm laßt der Zirkassaer hangen.

11. Als mm das scheue Blädchen solch \'erderben Entspringen sah dem Hiebe fürchterlich Gleichwie dem armen Sonder» gdit's ans Sterben, Ihr aus den Wangen alles Blut entwich.

's ist Zeit zo lliehn, als Beote sonst ei werben Wird sie der Ritter ja, so sagt sie skh. Den sie verabscheot mit des Hasses Triebe, Wie er ihr zugetan ist voller Iid)e.

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7 W F T T F K n "F 5^ A N C

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12. Sie schwenkt das Rofi, läßt es von dannen jagen Auf engem, ranli em P£ad dnxch Waldesmitt':

Oft blickt sie scheu zurück mit Furcht und Zagen,

Im Wahn, sie höre der Verfolgung Tritt.

Noch hat das Tier sie nicht gar weit getragen.

Da kam im Tal daher ein Eremit,

Dem floß der Bart bis auf die Brust hernieder,

Ehrwürdig schien er ihr und fromm und bieder,

13. Von Fasten mitgenommen und von Jahren;

Ein Eselein, bedächtig, schaukelt ihn.

Man meint, es sei vor andren Menschenscharen

Ein fein und zart Gewissen ihm verliehn.

Als er die Holde sah mit Rabenhaaren

Und Rosenwangen durch die Büsche fliehn,

Da rief sie gleich wiewohl sie etwas schwach ihm

Und schüchtern schien die Menschenliebe wach ihm.

14. Sie möchte nun von ihm den Weg erkunden. Der sie zu einem Hafen bring' am Meer;

Denn gern aus Frankreich wäre sie verschwunden. Daß von Rinald nicht mehr die Rede wär'. Der Mönch er war der schwarzen Kunst verbunden— Müht sehr sich ab, daß er ihr Trost bescher'; In kurzem, sagt er, werde Fährnis enden Flink aus der Tasche hat er was in Händen.

15. Es war ein Buch das wirkte große Sachen! Er las darin noch keine Seite aus,

Als, auf des Herrn Befehl, sich aufzumachen. In Dienerform ein Geist erscheint daraus; Hin geht er, wo sich Aug' in Aug' bewachen Die Ritter noch nach halbvollbrachtem Strauß. Im Wald, doch nicht in Kühle, beide fand er. Und mutig sswiscben ihnen plötzlich stand er.

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a6 ZWEITERGESA NG

16. Er sprach: „Ihr Herrn, wollt mit Verlaub mir sagen, Was nutzt es euch, daß ihr einander fällt?

Was habt ihr wohl von allen euren Plagen, Nachdem die Schlacht zu End' ist, wenn der Held Roland, ohn' einen einzigen Hieb zu schlagen. Ohne daB nur ein Schuppenring zerschellt. Hin nach Paris das Fräulein fuhrt als Beute, Das Ursach' war für euren Zweikampf heute?

17. Ich fend ihn mit Angelika, der schönen Zur Seine geht die Reise hier ganz nah Und hörte sie mit Kichern euch verhöhnen. Daß euer Kämpfen ohne Frucht geschah. Jetzt ihnen noch den Spott abzugewöhnen. Das wäre klug, solange sie noch da.

Hält Roland in Paris sie erst geborgen,

Läßt sich das Wiedersehn wohl sclilecht besorgen."

18. O, säht ihr den Verdruß der beiden Ritter, Wie starr das Paar bei dieser Kunde stand! Blind, taub und sinnlos schalt sich jeder bitter. Als er von Roland so verhöhnt sich fand.

Und Herr Rinald! Davon mit Seufzern ritt er (Die kamen, schien's, aus einem Feuerbrand); Fänd' er den Grafen, schwört er sich verstohlen, Das Herz ihm aus der Brust herauszuholen.

19. Wo Bajaid seiner harrt auf Waldespfaden, Schwingt er skh auf und sprengt im Sturm dahin.

Zu sich aufs Roß den Ritter einzuladen,

Der noch zurück ist, kommt ihm nicht in Sinn.

Das Pferd, vom Herrn gespornt, bringt allem Schaden,

Was es im Lauf berührt im Busche drin.

Nicht Domen, Strom und Felsen will's gelingen.

Von seiner Bahn den Renner abzubringen.

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Z F T T E R OES A N C

27

20. Mag sein, o Herr, daß gegen mich der Schein ist. Sag* ich, daß jetzt Rinald den Renner ritt. Nach dem er tagelang schon hinterdrein ist. Und der nicht leiseste Berührong litt. Das Pferd bedenkt, daß Menschengeist ja sein ist I Aus Tücke nicht so rasch vorüberglitt: Ihn füliren wollt' es, weil den Weg es kannte. Zu ihr, für die sein Herz voll Sehnsucht brannte.

21. Als sie entschlüpft war aus des Zeltes Banden, Sah sie und folgt' ihr nach das gute Pferd, Dem leer gerad die Sattelbogen standen, Weil Herr Rinald zu Fuß focht mit dem Schwert In einem Ehrenhandel, ihm entstanden Durch einen Rittersmann, im Kampf bewährt. Den Spuren ging der Renner nach vom weiten, Begierig, sie zu seinem Herrn zu leiten.

22. Vom Wunsch erfüllt, die Maid zurückzubringen. Verlegt er ihr den Weg geschickt im W ald;

Sie darf sich nicht in seinen Sattel schwingen: Die Sache nähme andere Gestalt. Es schien Rinald ein-, zweimal zu gelingen, Ihr nah zu sein, doch er verlor sie bald: Erst war dazwischen Ferragu gekommen, Dann Sakhpant, wie Ihr es hier vernommen.

23. Auch Bajard glaubt, was jentM- (ieist verkündet. Der nun Rinald auf falsche Hahnen führt; Nicht ahnend, daß er sich dem Trug verbündet. Folgt er dem Herm, so wie es sich gebührt. Fort gen Paris jagt dieser, liebentzündet, Sturmgleich, weil auch der Haß die Flamme schürt. Mit Sehnsucht, der kein Renner je geschwnd scheint, Fliegt er dahin, und langsam ilmi der Wind scheint.

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ZWEITER GESANG

24. Kaum bleibt genug der Nacht, lun hinzureiten.

So meint Rinald, zvttn Ritter von Anglant;

Ach, daß er sich vom Boten heß verleiten, Den ihm der schlaue Magier hat gesandt! Er reitet früh und abends, bis vom weiten Vor seinen BHcken jene Stätte stand, Wohin der Kaiser seit dem Unglückstage Zurück sich zog nach schwerer Niederlage.

25. Und weil Belagningsnot und neue Schlachten Vom Mohrenkönig jetzt in Aussicht stehn,

Ist Volk zu sammeln und Proviant sein Trachten, Auch mit der Wälle Schutz sich ?ai versehn. Was man zur Abwehr dienlich mag erachten. Das zu beschaffen, läßt er Boten gehn Und Kriegsvolk ziefan aus Albions Gefilden, Mit ihrer Zahl ein neues Heer zu bilden.

26. Nochmals will er ins Feld mit seinen Scharen Und sehn, ob sich das Kriegsglück nicht gewandt. Flugs soll Rinald hin nach Britannien iahren, Britannien, das nun England ist genannt.

Der möchte gern die Reise sich ersparen: Nicht etwa, daß er haßte dieses Land, Nein, weil ihn augenblicklich Karl entsendet Und auch nicht einen Tag ihm Ruhe spendet.

27. Rinald ist ob des Auftrags recht verdrießhch. Der fem ihn führt von jenem holden Weib; Denn ihr zu nahen ist nun unersprießlich. Die ihm das Herz entführt hat aus dem Leib. Allein, um m gehorchen, meint er schließlich, Daß jetzt ihm nur sofort'ger Aufbruch bleib*. Er hat Calais erreicht in wen'gen Stunden

Und alsogleich ein Schiff zur Fahrt gefunden.

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ZWEITER GESANG

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28. Auf Heimkehr brennend, stößt er ab verwegen, Warnt auch davor der Scliiffer noch so sehr. Und ob sich schon in raschen Wogenschlägen Unwetter droliend künd' auf finstrem Meer.

Der Wind, empört, schickt Sturm dem Boot entg^en Und läßt die Wogen wirbehi ringsimiher. Er lÄÜhlt die See auf, daß sie voller Wut schäumt Und bis zum Mastkorb oben wild die Flut schäumt.

29. Die klugen Schiffer, die die Segel reffen, Gedenken wieder umzudrehn nach Haus, Um in demselben Hafen einzutreffen. Aus dem sie recht zur Unzeit fuhren aus:

, ,Nein/* spricht der Wind, „die Aussicht solleuchäffen ; Für eure Frechheit konunt ihr nicht heraus!" Und bläst und heult, läßt droh^d Schifflnnich blicken. Wenn sie nicht gefan, wohin er sie will schicken.

30. Nie ruht er, läßt die Schrecken neu beginnen; Von vom, darauf von hinten stürmt er an. Ins weite Meer so treiben sie von hinnen. Bescheidne Segel spannend dann und wann. Doch viele Fäden hab' ich auszuspinnen. Von denen nichts beiseite bleiben kann.

So mag der Sturm Rinald von dannen tragen I Ich wiU euch jetzt von Bradamante sagen.

31. Ich meine sie, der edlen Jungfraun Blume, Die den ^kassier hinwarf auf den Grund, Erbliiht des Bruders wert an Heldentume Heim Haimons und Beatrix' Ehebund.

Der Kaiser freute sich an ihrem Ruhme, Der rings erscholl durch aller Franken Hund Sie sahn gar oft schon ihre hohen Werke , Nicht minder als Rinalds gewalt'ge Stärke.

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32. Ergeben dieser Dame war in Treuen

Ein Held er kam mit König Agramant; Als Vater könnt' ein Roger sein sich freuen, Die Mutter war ein Kind des Agolant. Das Fräulein, das ja nicht von Bär und Leuen Entsprang, hat ihm den Rücken nicht gewandt. Das Glück Heß einmal beide sich erbhcken. Um dann sie weit getrennt hinwegzuschicken.

33. Ihn aufzufinden, war des Fräuleins Streben, Der nach dem großen Vater Roger hieß.

So sicher, wie von Kriegerschar umgeben, Ging sie allein; Geleit sie von sich wies. Nachdem sie Sakripant den Lohn gegeben Und ihn die Mutter Erde küssen ließ, Durch einen Wald, sodann bergaufwärts ritt sie, Und nun an eine schöne Quelle tritt sie.

34. Die lief durch eine Wiese; kühlen Schattin Von alten Bäumen bot ein trauter Hain:

Hier käme Rast den Wandrern wohl zustatten. Das sanfte Murmeln lud zu trinken ein, Wobei die Ruhnden links noch Hügel hatten, Um vor der Mittagsglut geschützt zu sein. Die schdnen Augen schweifen lassend, stazid sie. Und einen Rittersmann dort ruhend fand sie.

35. Sie sah im Schatten dichtbewachsner Hecken,

An grün-, weiß-, rot- und gelbgeschmücktem Saum, Einsam beim Quelle sitzend, einen Recken; Nachdenklich, stumm blickt er zum Himmelsraum. Es hingen Schild und Helm vorm Wasserbecken Beim angebundnen Pferd am Buchenbaum: Die Augen feucht, der Ausdruck trüb und bitter Sehr traurig schien und müde dieser Ritter.

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ZWEITER GESANG

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36. V'erlangen, das wir all im Busen tragen, Nach andrer Menschen Angelegenheit, Bevvog das Fräulein, jenen Herrn zu fragen, Was doch die Ursach' sei von seniem Leid: Und er war willig, alles ihr zu sagen, Gewonnen von des Wortes Artigkeit

Und stolzem Wesen, das ihm einen Helden, Und einen kühnen wahrlich, schien za melden.

37. Er sprach: ,,Ich führte Fußvolk, Herr, und Reiter Und zog dahin, wo Karl, dem Heer gesellt,

Des Feindes harrte: ging Marsil nun weiter. Fand er beim Niederstieg ihn aufgestellt. Ein Mädchen hatt' ich bei mir, sdiön und heiter. In Liebe war mein Herz für sie geschwellt Da seh' ich einen Mann ein R06 mit Flügeln Bewaffoet war er nah der Rhone zügeln.

38. Sobald der Kerl ob Mensch, ob Ungeheuer, Verdammter Geist, der sich der Holl' entwand Das Fräulein sah, mein Liebchen schön und teuer. Dem Falken gleich, wenn er ein Opfer fand.

Fiel er und sti^ rasch wie ein Blitz von Feuer Und, die betäubte Maid im Arm, verschwand. Noch eh ich sah, was Stoß und Angriff seien. Hört' ich die Holde in den Lüften schreien.

39. So schießt aufe Küchlein bei der Gluck' hernieder Der gier'ge Geier, der nach Beute lechzt:

Gern hätte wohl die Henn' ihr Junges wieder. Zu dem umsonst hinauf sie piepst und krächzt. Ich fliege nicht ^ 's ist der Natur zuwider Felswänd' empor, daran mein Rößlein ächzt: Das ist gar müd; nur langsam kann es schreiten Den rauhen Pfad abschüss'ger Bergesseiten.

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40. Ab einer» der es lieber sah' geschehen. Zerrissen ihm den Bosen Hieb und Stich,

Ließ ich ohn' Hilf und Rat von dannen gehen. Wo es verlassen blieb, mein zweites Ich, Und zog den Weg, da steile Höhen stehen Mit grausen Schluchten; Liebe führte mich, Dort ist, so schien es mir, in üblen Stimden Mein Frieden mit dem Käuber fortgeschwunden.

41. Sechs Tage ritt ich bis zum Abendgrauen Durch Felsgestein, vorbei an Kluft und Schlund. Es war kein \\'eg, es war kein Pfad zu schauen. Nicht eine Spur gab Menschenwesen kund.

Ich kam dann in ein ödes Tal voll Grauen, Sah nichts als Khppen, Höhlen, wilden Gnmd Und mitten drin ein Schloß auf Felsen ragen Wie schön und fest, vermag ich nicht zu sagen.

42. Es blitzt wie heller Flamme Licht vom weiten, Ist nicht aus Lehm gemacht und nicht aus Stein, Ein Werk erscheint es, wenn wir näherschreiten. So herrlich dürfte kaimi ein zweites sein. Dämonen, hört' ich, mußten es bereiten, Durch Zauberspruch gebannt und Räucherein. Sie haben ganz den Bau mit Stahl umschlossen. Um den Hölle Flut und Feuer flössen.

43. Nichts gegen ihn vermögen Rost und Flecken, Er steht, von glattem Stahl, in lichter Pracht. Der schlaue Wicht pflegt hier sich zu verstecken, Wenn er das Land durchschweift hat Tag und Nacht; Denn nichts auf Erden braucht ihn hier zu schrecken; Ohnmächtige Wut und Fluch wird nur verlacht. Dort sitzt mein Lieb, nein, sitst mein Herz ge&mgen. Und nimmer nimmer hoff' ich's zu erlangen.

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44. Was kann ich tun, ach, als die Blicke senden

Zum Fels, der sie verschließt, v(j11 Angst, ergrimmt ? Der Füchsin gleich, die hoch von glatten Wänden, Vom Adlerhorst, des Sohnes Ruf vernimmt ? Sie irrt umher: wo soll sie hin sich wenden? Der Flügel fehlt, der sie zur Höhe nimmt. Ach, daß der Fels, und auch das Schloß, so steil ist: Hinauf kommt nur, wer Vogel oder Pfeil ist.

45. Zwei Ritter, die ein Zwerglein führt erscheinen Des Wegs daher, derweil ich säume dort,

Die, Hoffen sei bereits Erfüllung, meinen;

Ach Wunsch und Hoffnung beide schwinden fort.

Zwei Krieger sind 's, die Mut mit Kraft vereinen:

Gradaß, der Fürst, gepriesen allerort.

Und Roger, dieser Stolz des Rittertumes;

Am Mohrenhof genoß er hohen Ruhmes.

46. ,Sie kommen', sprach der Zwerg, ,sich zu erproben Mit ihrer Kraft am Schloßherm, jenem Mann, Der auf behuftem Vogel von dort oben

's ist unerhört! kommt durch die Luft heran.' »Erbarmt euch, Herrn T sprach ich, die Händ' erhoben, «Nehmt meines herben Falls euch gütig anl Wenn ihr als Sieger will es hoffen lebet, Bitt' ich, daß ihr mein Lieb zurück mir gebet I'

47. Und ich erzählte, wie es ihr ergangen,

Mit Tränen viel, die mir der Kummer gab;

Erfüllen wollten jene mein Verlangen

Und stiegen drauf den Felsenpfad hinab.

Von fem zum Schlachtfeld meine Blicke drangen;

Von Gott den Sieg fl^t' ich für sie herab.

Es war ein Platz vorm Schloß, so groß, ich meine.

Wie, zweimal fortgeschleudert, fliegen Steine.

Ariokt 1

3

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48. Wie sie zum Fuß des hohen Felsens dringen, WiU jeder erster sein für das Duell:

Es ist Gradaß wollt es das Los ihm hringen?

Entsagte Roger seinem Anspruch schnell? Der Kämpfer läßt sein Horn mit Macht erklingen: Es dröhnt der Fels mitsamt dem Stahlkastell. Heraus tritt aus der Tür der andre Streiter: Der auf dem Flügelroß, der Panzerreiter.

49. Aufwärts ein wenig fing er an zu schweben,

So wie wir 's an dem fremden Kranich selm, Der anfangs schreitet, um sich dann zu heben. Daß ein, zwei Ellen Zwischenraum entstelm. Wenn er sich ganz der Luft hat übergeben. Dann läßt er erst mit Wucht die Flügel gehn. So flügelschlagend jetzt der Zaubrer aufsteigt In Ätherhöhn, wo kaum der Aar hinaufsteigt.

50. Mit einem Male dreht das Roß er wieder, Senkrecht wie Blei kommt er herab im Fall So stürzt der Falk herab, sieht aus dem Ried er Die Ente, ausgesucht für seine KralP;

Er saust, den Speer gefällt, im Flug hernieder. Die Lüfte spaltend mit gewalt'gem Schall. Ein Stich von hinten macht Gradaß gewahren Den Zauhrer, den er kaum sah niederfahren.

51. Des Magiers Speer zerbrach bei diesem Steclien, Worauf des Gegners Hieb die Luft nur schlägt. Und, statt den Flügelschlag zu unterbrechen. Der Flieger rasch sich weiter fortbewegt.

Des Mohren Tier nie kannt* es früher Schwächen Hat flink zuvor ein Stoß ins Gras gelegt. Gradassos Pferd war ein' Alfana-Stute, Die beste, drauf wohl je ein Sattel ruhte.

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52. Der Flieger schien zum Stemenland zu gehen; Dann dreht' er sich und schoß in Eil' herab.

Stach Roger, der sich dessen nicht versehen. Weil er nur auf Gradasso Achtung gab. Fast könnt' er nicht dem Stoße widers teilen: Er weicht zurück und lenkt ihn etwas ab. Als er dem Magier eins versetzte gerne, Ist der schon wieder oben in der Feme.

53. Bald den, bald den an Brust und Stirn und Beinen Und Rücken trifft er und wo sonst noch mehrl Er ist so flink, kaum sieht man ihn erscheinen; Der Gegner Stöße sind umsonst und leer.

Und droht er diesem, wird er jenen meinen. Und dreht sich stets im Kreise hin und her. Die Augen sind den beiden so geblendet, Daß sie nicht sehen, wer die Hiebe sendet.

54. Bis zu den Stunden währt der Krieger Ringen Zwei unten, einer sich in Lüften hält , Die unsrer Erde dunkle Schleier bringen,

So daß, was schön ist, farblos dar sich stellt. Zu sprechen wag' ich kaum von diesen Dingen, Die ich doch sah ich lüg' nicht um die Welt, s' ist, wie ich sprach: doch ireilich mehr der Lüge Trägt dieses Wunder als der Wahrheit ZQgß,

55. Ich sah den Zaubrer an dem Arme tragen Den Schild, von schönem Seidentuch verdeckt. Warum er ihn so lang verhüllt? Zu sagen Vermag ich nicht, was er damit bezweckt. Denn wer ihn offen sieht, der wird geschlagen Mit Blindheit gleich; sein Auge Dunkel deckt. So daß er £Ult, wie tote Kdrper fallen.

Und hilflos bleibt er in des Zaubrers Krallen.

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ZWEITER GESANG

56. Der Schild glänzt wie Pyropus, doch vergleichen

An Kraft läßt sich kein Glanz mit diesem Licht. Zu Boden stürzt, wes Augen ihn erreichen, Bewußtlos, mit geblendetem Gesicht. Auch mich, so fern, faßt Ohnmacht es verstreichen Wohl Stunden, bis ich wieder aufgericht't. Ich sehe nichts von Kriegern, nichts vom Zwerge; Leer ist das Feld, im Dunkel Tal und Berge.

57. So meint' ich denn, es trug mit emem Male Der Zaubrer jene beiden auf sein Schloß:

Er nahm die Freiheit ihnen mil dem Strahle Und mir der Hoffnung Quell, der noch mir floß. Ich schied darauf von dieser Burg aus Stahle, Die all mein Gut, mein ganzes Heiz umschloß. Sagt, kann ein hartes Los an dieses reichen? Kann Liebesleid dem meinen sich veigleichen?'*

58. Der Ritter sinkt zurück in stummes Trauern, Als er den Grund genannt hat seiner Pein: Graf Pinabel ist's, der sich läßt bedauern, Anselms von Haut'rives Sohn, aus Mainz am Rhein. Von jenen Schelmen, die auf Untat lauem. Wollt' er nicht wacker bleiben ganz allein.

Er kam nicht ihnen gleich an Lastern greulich. Nein, übertraf sie alle» falsch, abscheulich.

59. Wechselnden Schein der Dame Züge nahmen» Als still sie lauschte dieses Manns Bericht, Denn wie sie klingen hörte Rogers Namen, Vor Freude hell erglänzt* ihr Angesicht. Doch als dann später seine Leiden kamen. Verstört von Mitleid folgt sie der Geschieht'; Auch kann sie manches Mal sich's nicht versagen. Den Einzelheiten nochmals nachzufragen.

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ZWEITER GESANG

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60. Sie meint nach einer Zeit, sie sei im klaren, Und spricht: ,.Hcrr Ritter, gönne jetzt dir RuhM Aus meiner Ankunft magst du Heil erfahren; Daß nur das Glück jetzt auch das Seine tu! Hin zu der Stätte will ich mit dir fahren,

Die du ja sahst als reicher Schätze Tmh' ; Ob unser Mühn vielleicht belohnt sich findet, Wenn freundliches Geschick sich uns verbindet?"

61. Der Ritter sprach: ,,Ich soll den Weg dir zeigen? Die Höhen überschreiten jetzt aufs neu?

Weil alles ich verlor, was einst mein eigen. Fern sei es, daß ich Zeit und Mühe scheu*. Du aber willst hinauf zum Kerker steigen Den Felsenpfad? Es schafft vielleicht dir Reu'. Nicht über mich dann darfst du dich beklagen: Ich warnte dich; du willst es dennoch wagen."

62. Er spricht's und hat sich auf sein Pferd geschwungen Und gibt der kühnen Jungfrau das Geleit;

Wo sie Gefahr für Roger sieht, den jungen. Schreckt sie Gefängnis nicht noch andres Leid. Auf emmal schallt es „Haiti" aus vollen Lungen: Der Bote naht in größter Schnelligkeit, Der dem Zirkassierkönig dort entdeckt hat, Wer's sei, der in das Gras ihn hingestreckt hat.

63. Er bringt dem Fraulein Nachricht über FäDe In Montpellier, Narbonne; und wie der Strand Von Aiguesmortes zu Kastilien sich geselle Und alles lodre von des Aufruhrs Brand;

Marseille, bedrängt, weil sie nicht mehr zur Stelle, Ihm Schutz zu bringen, halte kaum noch stand: Es liarr' auf der Gebieterin Befehle Durch diesen Mann womit es sich empfelile.

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ZWEITER GESANG

64. Die Stadt und wo das Meer noch manche Meile

Rings zwischen Rlion* und Var die Wellen schlägt Ward durch Herrn Karl dem Haimonskind zuteile. Zu dem er lange schon Vertrauen hegt. Sein Blick verfolgt sie staunend eine Weile, Wenn sie v^or ihm sich kühn im Kampf bewegt. Nun kam der Bote, wie gesagt, geritten, Um für Marseiile um Beistand sie zu bitten.

65. Die Jungfrau läßt das Köpfchen zweifelnd hangen, Und zwischen Ja und Nein noch schwankt ihr Mut: Die Pflicht und Ehre Iii er hin sie verlangen.

Und dorthin treibt sie heiße Liebesglut. Zuletzt ist sie den Weg vorangegangen, Roger zu holen aus des Zaubrers Hut: Und kann sie nicht ihm helfen in die Weite, Gefangen bleibt sie an des Liebsten Seite.

. 66. Zum Boten spricht sie drauf in einer Weise, Daß froh er hört, was sie ihm anvertraut. Dann geht es rüstig weiter mit der Reise; Nur Pinabel ist wenig drob erbaut. Stammt jene doch aus eines Hauses Kreise, Für den er eitel Haß hegt leis und laut. Schon malt er sich im Geist die künftigen Schrecken, Wenn sie ihn je als Mainzer soüt* entdecken.

67. Clermont und Mainz! Des Hasses Wogen flössen Noch stark aus alten Zeiten rauh und wild. In Strömen ward der Gegner Blut vergossen; Gar oft zerhieb man noch einand den Schild. Arglosem Mädchen doch dem Feind entsprossen I Die Tücke jetst des falschen Mannes gilt: Kann er nur die Gelegenheit erfassen, Will er entwischen und allein sie lassen.

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ZWEITER GESANG

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68. Er ließ sich grübelnd von dem Rosse tragen Furcht, Z\v( ifol stieg und alter Haß empor ; So kam's, daß er, vom rechten Weg verschlagen, In einem dunklen Haine sich verlor.

Drin sieht er einen Bergesgipfel ragen, Ganz kahl und steinig, aus dem Grün hervor. Dem Reit er folgt die Haimonstochter immer. Bleibt ihm im Rücken und verläßt ihn nimmer.

69. Als sich der Mainzer fand im Walde drinnen. Regt sich in ihm die Lust, davonzugehn.

Er spricht: „£h noch das Dunkel mag beginnen, Wär's rätlich, sich nach Herberg umzusehn. Jenseits des Bergs glaub' ich mich zn entsinnen Mu0 ein vortrefflich SchloB im Tale stehn. Du warte hier, derweü vom Felsenrücken Ich Umschau halte: hoffentlich wird's glücken."

70. Bergaufwärts läßt er nun den Renner springen Zum Gipfel hin mit Wänden schroff und jäh. Und um von seiner Spur sie abzubringen, Aufederkt er, ob er einen Weg erspäh*.

Da sieht er eine Höhl' ins Innre dringen Des Felsens dreifiig Ellen, in der Näh', Und, wohl mit Pick' und Meißel zubehauen, Senkt sie sich rechts, läBt eme Pforte schauen.

71. Man schritt durch diese Tür zu einem Zimmer, Das hoch und sehr geräumig war, hinein. Daraus hervor, aufleuchtend, kam ein Schimmer : Es könnten Lichter wohl von Fackeln sein. Stumm blickt, verblüfft, der Schelm auf das Geflimmer. Das Fräulein, das von ferne hinterdrein,

Die Spur nicht zu verlieren, ist gegangen, Muß ebenfalls zur Höhle jetzt gelangen.

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/WETTE K G K S A K G

72. Der Schurke sah, daß es mit seinen Tücken, So wie er sich's zurechtgelegt, nicht ging, Und meint, es werd* auf andre Weise glucken, Ob er sie lasse, ob ums Leben bring*.

Er führt das Mädchen aufwärts, wo in Stöcken, Klaffend und hohl, ein loser Felsen hing: Ein Fräulein, sagt er, jung, von holden Mienen, Sei dort ihm auf dem Höhlenginind erschienen.

73. Sie sei gewiß auch edlem Stamm entsprossen, Das zeig' ihr Aussehn und ihr reiches Kleid; Und mit Gewalt wohl sei sie eingeschlossen,

Ihr Trübsinn zeig' es, ihre Traurigkeit.

Und weil er gern das Rätsel hätt' erschlossen.

Sei er hinabgestiegen, ziemlich weit.

Da sei vom Innern her ein Mann gekommen.

Der habe wütend sie hineingenommen.

74. So arglos wie beherzt, glaubt Bradamante Dem Märchen, das ihr auftischt jener Schuft, l^nd eifrig sinnt sie, um die Unbekannte

Zu retten, wie sie eindring' in die Gruft: Ein Ulmbaum, sieh, als jetzt den Blick sie wandte. Hob einen langen Zweig dort aus der Kluft. Der wird geschwind vom Schwert herabgehauen: Ihm kann sie für die Tiefe sich vertrauen.

75. Festhalten soll nun Pinabel den Stecken Am abgehiiunen End' ; sie hängt daran ; Zuerst die Füße sich hinunterstrecken, Bis sie an beiden Armen schweben kann.

Der Mainzer lächelt, fragt: ,,\\'ird Springen schmek- Er öffnet weit die beiden Hände dann [ken?" Und spricht: ,,Wär' alles hier von deinem Samen! Auslöschen möcht' ich gern den ganzen Namen 1"

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ZWEITER GESANG

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76. Nicht, wie er wünschte, sollt* es sich gestalten. Nicht solclies war der edlen Jungfrau Ix)S. Hinunterfallend mocht' er auch zerspalten! Kam auf den Grund zuerst der Stecken bloß. Ob er nun brach, er konnte doch sie halten: Sie ward vorm Tod gerettet durch den Stoß. Das Fräulein lag betäubt, wohl etwas lange; Ich meld' es Euch im folgenden Gesänge.

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DRITTER GESANG

1. Wer leiht die Stimme mir und wer die Worte,

Die sich geziemen für so hohen Plan? Wer gibt mir Flügel, mich der Himmelspforte, Aufsteigend wie mein Gegenstand, zu nahn? Jetzt müssen Gluten ganz besondrer Sorte, Begeistrungsflammen mir die Bnist umfahn : Denn dieses Lied wird meinem Herrn gelungen; Die Ahnen künd' ich, denen er entsprungen.

2. Wie viele Herrscher, Menschentun zu leiten, Vom Himmel kamen her in unsre Welt,

Nie durch die Erde, Phöbus, sahst du schreiten Ruhmvollem Stamm im Frieden und im Feld, Der seinen Adel führt aus fernem Zeiten Und führen wird (wenn wahrhaft mich erhellt Dein Licht, das mir die späte Zukunft weiset). Solang nm seinen Pol der Himmel kreiset.

3. \\'olIt ihren Wert ich voll zu künden trachten. Statt meiner Leier braucht ich jene dann,

Die du gebrauchtest nach Gigantenschlachten: Auf ihr ja stimmtest du dein Danklied an. Wenn jemals deine Gaben mich bedachten Mit beßrem Werkzeug, will ich, was ich kann, In edlem Stein die Bilder zu vollenden, Bfein ganzes Mühn, all meinen Geist verwenden.

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DRITTER GESANG

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4. Aufnehmend jetzt die ersten groben Stücke, Hab' ich den stumpfen Meißel hier benützt Voll Hoffnung, daß Vollkommneres mir glücke, Wenn tiefres Studium einst mich unterstützt. Zurück zu ihm nun, dem ob seiner Tücke Nicht Mut, nicht Panzerkleid den Busen schützt. Ich sagte, wie der Mainzer Mörderbube

Die Jungfrau töten wollte in der Grube.

5. Zerschmettert liegend wähnt der Schandgeselle Das Mädchen unten auf dem Felsengrund;

Von der durch ihn mit Schmach bedeckten Schwelle Eilt er davon mit schreckensbleichem Mund Und wendet sich zur Flucht mit aller Schnelle. Und weil er mit der ganzen Holl' im Bund Und gar kein Maß in Schuld und Sünden kannte. Nahm er das RoB hinweg von Bradamante.

6. Mag er für andrer Tod die Ränke weben, Dieweil er nur den Tod sich selber spann! Wir wollen uns zur Jungfrau jetzt begeben.

Die fast den Tod das Grab zugleich gewann. Sie konnte sich, noch halb betäubt, erheben Denn unsanft kam sie auf dem Boden an Und schritt durch jene Pforte wie im Traume Hin nach dem zweiten, größren Höhknraume.

7. Viereckig, hoch, als würdige Kapelle

Wxd gleich vom Aug' der hehre Ort erkannt; Auf Alabastersäulen schlank und heQe Sich wohlgegliedert das Gewölbe spannt: Inmitten ein Altar an rechter Stelle, Vor dessen Stufen einer Lampe Brand. Und reiches Licht für alle beiden Zimmer Bot dieser reinen Flamme klarer Schimmer.

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44 D R I T T £ R G E S A K G

8. In frommer Demut in der Stätte Mitten,

Der göttlich hohen, blieb das Mädchen stehn;

Um Beistand Gott mit Herz und Mund zu bitten,

Sank sie auf ihre Knie mit stillem Flehn.

Da kam mit offnem Haar daliergeschritten

Sie hörte knarrend sich ein Pförtchen drehn

In losem Kleide, barfuß, eine Dame,

Von deren Lippen klang des Mädchens Name:

9. Vieledle Bradamant! Mit Himmels Segen", Rief sie, ,,und seinem Willen trittst du ein. Merlins Prophetengeist sah dir entgegen

Schon manchen Tag: du werdest seinem Schrein, So sprach er, nahn auf wunderbaren Wegen, Zu grüßen fromm sein heiliges Gebein. Geblieben bin ich hier, dir m enthüllen, Was sich der Himmel wiU's dir soll erfüllen.

10. Dies ist die alte, weitverehrte Halle, Die sich Merlin der W^eise ließ erbaun.

Hier, wo du kennst die Mär in jedem Falle Getäuscht ihn hat die schlaueste der Fraun. Sein Fleisch verzehrt sich imten im Ver&Ue: Bestrebt, ihr zu gehorchen, voll Vertraun In ihren Rat, legt' er sich lebend nieder; Dort sind im Tod geblieben seine Glieder.

11. Tot ist der Leib, der Geist in ihm doch lebet, Bis einst des Engelchors Posaun' erklingt. Die ihn hhiabstößt oder ihn erhebet.

Ob er als Rab', als Taube fort sich schwingt. Die Stimme lebt und jeder Hörer bebet. Wie klar sie aus dem Marmorgrabe dringt. Denn allen ^1 er, die ihn drum befragen, Das Kiiuftige wie das Vergangne sagen.

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DRITTER GESANG

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12. Zur Stätte hier, wo Grabesschaiicr wehen. Aus fernen Landen bin ich hergeeilt,

Um meiner Kunst Mysterien zu verstehen, Darob die Kunde nur Merlin erteilt ; Und weil es dann mich drängte, dich zu sehen, Hab' ich noch einen Monat mehr verweilt: Für hent versprach nie trügen seine Worte ^ Merlin dein Kommen diesem heil'gen Orte."

13. Stumm steht die Haimonstochter und beklommen. Aufmerksam, still erwägend den Bericht,

Und solches Staunen hat sie überkommen:

Ob jetzt sie wacht, ob träumt, sie weiß es nicht.

Gesenkt die Lider, ganz von Scham benonunen.

Errötend in Bescheidenheit sie spricht:

„Was hat m mir denn sokh Verdienst begründet.

Daß ein Prophet mein Nahn vorausverkündet?"

14. Und fröhlich über solch ein Abenteuer, Hin geht sie mit der Fremden im Verein Zu jenem Mausoleum hehr und teuer, Allwo des Zaubrers Geist ruht und Gebein: Der Sarkophag erglänzt wie rotes Feuer (Glatt war er und von lichtem, hartem Stein). Von ihm nur ins Gemach der helle Schein drang, W eil nie ein Sonnenstrahl von außen eindrang.

15. Ist's manchem Marmor wie den Fackeln eigen. In helles Licht zu wandeln Dunkelheit? War's Räucherung? War es der Sterne Reigen?

War's Zauber, den ein Magierspruch verleiht ? Dies glaub' ich selbst und will es nicht verschweigen Kurz, reichen Schmuck voll Pracht und Herrlichkeit, Aus Farben teils und teils in Stein gehauen, Ließ jener Glanz in dem Gemache schauen.

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DRITTER GESANG

16. Kaum hat nun Bradamant den Fuß erhoben

Hin nach dem Grabesraume von der Schwell',

Als aus der toten Hülle dringt nach oben Lebend 'gen Geistes Stimme klar und hell: ,,Du keusche, tugendreiche Maid da droben, O daß dir ewig sich das Glück gesell' ! Du sollst uns reichen Samen ja bescheren, Italien und der gan^n Welt zu Ehren.

17. Das alte Troerblut fließt in zwei Bronnen; In dir sie strömen künftig ineinand

Und bringen alle Blüte, Zier und Wonnen Des Menschenstamms, den von des Indus Rand Bis hin zum Tajo schaut das Licht der Sonnen, Und fem vom Nil bis an der Donau Strand. Reich schmücken dein Geschlecht der Ehren Reiser: Üiarkgrafen mächtig, Herzoge und Kaiser!

18. Die Kapitän und Ritter draus entspringen, Die mit des Geistes Kraft und blanker Wehr Dem ehmals unbesiegten Lande bringen

Den alten Kriegsruhm imd die alte Ehr'. Und edle Herrscher ihre Zepter schwingen. Ob es Augustus oder Numa war'. Einmal noch läßt ihr weis und mildes Walten Sich femer Vorzeit goldne Zeit gestalten.

19. Daß sich in dir erfülle nun hienieden

Des Himmels Wille, der in seiner Gnad' . Jung Roger als Gemahl dir hat beschieden. Verfolge guten Mutes deinen Pfadl Kein Hindernis mag stdren deinen Frieden. Damit nicht Soige dir das Herz beladM Es wird beim ersten Ansturm überwanden Der Rauber, der dein Liebstes hält gebunden."

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DRITTER GESANG

47

ao. So spricht Merlin und sinkt zurück in Schweigen Und überläßt der Magierin das Feld, Die Bradamant soll jeden Apfel zeigen, Der künftighin von ihrem Baume fällt. Zum Dienst war ihr ein Geisterheer zu eigen. Ob aus der Holl'? Nicht weiß ich 's um die Welt. Die wurden all an einem Ort gehalten In mancherlei Gewanden und Gestalten.

21. Zur Kirche lenkt die Zauberin die Schritte, Ein Kreis war dort gezogen schon vorher; Der faßte Bradamant in seiner Mitte, Ganz ausgestreckt, und eine Spanne mehr. Daß sie nicht Unbill durch die Geister litte. Gab sie ein Pentagon ihr noch zur Wehr Und hieß sie zuschann, nie sie unterbrechen; Zur Geisterschar begann sie dann zu sprechen.

22. Die kommt vom ersten Höhlenraum geschossen Und will in jenen heil 'gen Kreis hinein; Doch als ihr dort der Eingang ist verschlossen. Wie wenn es Ifauem oder Graben sei'n.

Hin drängt sie, wo, von schöner Gruft umschlossen, Ruht des Propheten heiliges Gebein. Dorthin verloren sich die dunklen Schatten, Ak sie den Kreis dreimal umwandelt hatten.

23. ,,Soll ich die Namen dir von allen sagen, Die hier durch Geister", sprach die Zauberin, „Beschworen sind vor ihren Lebenstagen,

So reicht dafür die eine Nacht nicht hin.

Nicht weiß ich, traun, wann wird die Stunde schlagen.

Da ich mit allen diesen fertig bin.

Nur einige vermag ich auszuwählen

Und will davon nach Schicklichkeit erzählen.

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48 DRITTERGESANG

24. Mit schönen Zügen, freundlicher Gebärde, Dir selber ähnlich, sieh den Ersten hier:

Bestimmt ist's, daß des Hauses Haupt er werde.

Erzeugt von Rogers Samen und von dir.

Mit Ponthicus Blute rötet er die Erde

Und wird die feme Zukunft zeigt es mir '

Sich blutig rächen und mit Heldentaten

An denen, die den Vater ihm verraten.

25. Durch ihn wird Desider verlassen stehen. Der König auf der Langobarden Thron.

Für dies Verdienst wird er vom Reich versehen Mit Lehn von Este und von Calaon. Nach ihm wird als des Landes Hort erstehen Im Kranz des Waffenruhms dein Enkelsohn. Er wird gar oft der heil'gen Kirche nützen Und gegen die Barbaren sie beschützen.

26. Sieh Albert hier: er läßt die Tempel prangen Von Kriegstrophäen, unbesiegt im Streit. Hugo, sein Sohn, der das Panier der Schlangen Nach Mailand bringen wird, gibt ihm Geleit. Azzo ist jener, der das Reich erlangen

Wird der Insubrer nach des Bruders Zeit. Dort Albertazzo (durch sein Idug Beginnen Weicht Beiengar, mit ihm der Sohn, von hinnen)»

27. Wert, daß von Kaiser Otto er empfange Der Tochter Alda, der Prinzessin, Hand. Ein andrer Hugol Schöne Reihe, lange, Die väterlichen Ruhm vennehrt im Land! Hier dieser wehrt der Römer Überschwange Und löscht zu Recht des stolzen Mutes Brand* Den Kaiser und den Papst aus ihren Händen Wird er befrein und die Belagrung enden.

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DRITTER i: S A X ('.

49

28. Sieh Folco jetzt: dem Brader wird er geben. Was in Italien sein, und in die Welt

Hinaus, bis tief nach Deutschland wird er streben.

Wo er ein großes Herzogtum erhält.

Durch ihn wird Sachsin wieder sich erheben,

Wenn es schun ganz auf eine Seite fällt.

Als mütterlicher Erbe wird er walten

Und es durch seinen Nachwuchs aufrecht halten.

29. Ein zweiter Azzo kommt (nicht hold den Kriegen, Ein Freund von feiner Höflichkeit ist der)

Mit Söhnen Albert azz und Herthold; siegen Wird einer ob des zweiten Heinrich Heer. Von deutschem Blute rot wird Parma liegen Und seine sonn gen Fluten rings umher. Der andre nimmt zur Gattin sich Mathilde, Die weise, mit des Ruhmes blankem Schilde.

30. Er macht sich würdig solcher Ehebande: Für jene Zeit acht' ich das Lob nicht klein, Mit fast der Hälfte der ital sehen Lande Des ersten Heinrich Enkelkind zu frein. Von dieses Berthold teurem liebespfande, Rinald dort, wird der Ruhm errungen sein. Aus Friedrich Barbarossas Hand,- des bösen. Rettend die heil'ge Kirche zu erlösen«

31. Ein andrer Azzo! Zu Verona walten

Wird er des Herrscheramts und weit im Land Und auch als Markgraf in Ancona schalten. Vom Kaiser und vom Papst dazu ernannt. Lang währt es, wollt' ich alle dir entfalten. Die Romas Banner tragen in der Hand, Aus deinem Blut entstammt, und Kunde bringen. Was sie dereinst dem heil'gen Stuhl erringen.

Ariost 1

4

5^

D K I T T r R n 1^ ^' \ V C

32. Obizzo, Folco, Azzos, Hugos; beide Hemriche, Sohn und Vater, sind gesellt.

Zwei Weifen : der, inUmbrien, im Herrscberldeide Das Herzogszepter zu Spoleto hält.

Italia errettet er vom Leide,

Denn Wunden heilt und Ficudc bringt der Held. Azzo der Fünfte hier, er hilft aus Nöten Und fängt den Ezzelin und läßt ihn töten.

33. Der Ezzelin, der schlimmste der Tyrannen (Ihn halten viele für des Teufels Sohn), Trägt einst Ausoniens Herrliclik(>it von dannen, Schindend und marternd, aller Welt zum Hohn, Daß mild erscheint, was frülier schon ersannen Ein Sulla, Nero, Cajus und Anton.

Der Kaiser auch, der Friederiche zweiter, Wild überwunden einst von diesem Streiter.

34. Die Stadt wird dann sein Zepter glücklich preisen Sie zieht sich anmutvoll den Fluß hinab ,

Wo Phöbus rief mit trauervollen Weisen Den Sohn, als er vom Wagen stürzt' ins Grab, Und Ambra quoll in vielen Tränen, leisen. Und Cygnus sich mit weißem Flaum umgab. Für tausend Dienste ynid sie ihm zum Lohne Vom Hirten auf dem apostoFschen Throne.

35. Wo bleibt Aldobrandin der Bruder? Dienen Wird er dem Papst: er eilt, ihm beizustehn Im Kampf rrüt Otto und den Ghibellinen; Die sind schon nah beim Kapitol zu sehn. Und ringsumher ist alles Land mit ihnen. Gebändigt liegen Umbrien tmd Pizen.

Weil ohne Gold kein Beistand kann gelingen. So geht er, solches aus Florenz zu bringen.

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DRITTER GESANG

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36. Kann er nicht Kleinod und Juwelen geben. So läßt er seinen Bruder dort als Pfand. Siegreich die Banner wird er dann erheben

Und Krieger schlagen aus dem deutschen Land; Er setzt den Papst ein» straft für aiges Streben Die von Celano mit gerechter Hand; Dient, daß er treu den höchsten Hirt behüte. Und stirbt in seiner Jahre schönster Blüte.

37. Pisaurum läßt er und Auconas Auen

Dem Bruder imd was sonst er sein noch nennt

»

An Städten, die vom Apennin 2a schauen

Bis zum Isaur, am Ufer des Troent.

£r wird viel mehr auf Seelengrdße bauen

Als Gold und Edelstein, so viel man kennt:

Die gibt das Glück und läßt sie wieder schwinden:

Bestand ist nur in Trefflichkeit zu finden.

38. Sieh dort Rinald! Nicht minder wird er scheinen. Der nie den hohen Wert des Stamms veigißt: Doch wie sich neidisch gegen ihn vereinen. Ach, Mißgeschick und Tod, kein Mensch ermißt I Von hier bis nach Neapel wird man weinen.

Wo er die Geisel für den Vater ist.

Olnzzo kommt: der Lenze wird er zählen

Noch wen'ge, wenn sie ihn zum Fürsten wählen.

39. Durchs rauhe Modena, R^igio das schöne. Fügt er zum Prachtbesitz hinzu noch mehr. Einstimmig will das Volk, daß diesen kröne Ob seines Werts im Staat die höchste Ehr*.

Azzo der Sechste, einer seiner Söhne, Wird von dem heil'gen Kreuz Gonfalonier'. Karl von Sizilien wird sein Kind ihm geben Und ihn zum Herzog Andrias erheben.

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DRITTER GESANG

40. Schau die vereint in freundschaftlichem Ringe! Die herdichsten der Fürsten bilden ihn: .\lbert, an Milde reich und guter Dinge, Niccol, Zoppo, Obizz, Aldobrandin.

Zu melden, wie Faenza man erringe, Laß ich; auch, langer Weile zu entfliehn. Wie Adria sie festigen; bekannt ist, Daß es nach salz'ger Wogenflut benannt ist.

41. Dazu die Stadt, die nach dem Rosensegen

Den Namen hat mit holdem griech 'sehen Klang, Und jene, ganz im Fiscliesumpf gelegen, Um die der Po die Doppelhömer schlang. Daß wacker Wind und \\'ellen dort sich regen. Verlangt das Volk und wilden Sturmgesang. Ich lass' Argen ta, Flecken und Kastelle, Lugo nnd andre Städt' an dieser Stelle.

42. Sieh Niccolö, den schon als zarten Knaben Das Volk zum Herren seines Landes macht! Tideo wird durch ihn das Nachsehn haben; Gern hätt' er Bürgerkrieg hervorgebracht.

Als kindlich Spiel wird dies den Kleinen laben: Schwitzen in Stahl und Müh' bei Tag nnd Nacht. Aus früher 2^ten Plag' erwächst die Blume Von hoher Ritterschaft und Heldentume.

43. Kr macht zunicht rebellisches Gebaren,

Für den zum Schaden, der Empörung sann.

In Kriegeslisten ist er so erfahren.

Daß ein Betrug ihn schwerlich täuschen kann.

Zu spät wird Oto Terzo das erfahren,

Von Reggio und von. Parma der Tyrann:

Von ihm besiegt, muß der verlorengeben

Zu gleicher Zeit die Herrschaft und das Leben.

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DRITTER GESANG

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44. Ein stetig Wachstum ist dem Reich beschieden, Weil nie der Herrscher wankt vom rechten Pfad: Andre zu schädigen, das wird vermieden,

Wenn keiner Unheil bringt durch Missetat. Der Dinge Lenker ist damit zufrieden Und gönnt ihm froh Gedeihen früh und spat. Wacl^ende Wohlfahrt wird ihm niemals mangeln, Solang die Welt sich dreht in ihren Angeln.

45. Sieh Lionel! Und Borso sieh, den hehren, Ruhm seiner Zeit, zuerst im Herzogshut.

Er sitzt in Frieden: und das Glück zu mehren

Mit friedlichen Triumphen, weiß er gut.

Er wird dem Mars das Tageshcht verwehren,

Und fest schnürt er den Arm der blinden Wut.

Vortrefflich ist, was immer er begonnen.

Was er nur plant drum lebt sein Volk in Wonnen.

46. Kommt, halbverbrannt den Fuß, man sieht ihn schwan- Ercol ; er naht und wirft dem Nachbar vor : Pcen, Er stützte wahrlich nicht des Heeres Wanken

Bei Budrio, das schon die Schlacht verlor. Damit durch Krieg ihm jener möge danken Und ihn verfolge bis an Barcos Tor. Bei diesem Herren wird nicht leicht entschieden: Ist er im Kriege größer oder Frieden?

47. Apuliem, Kalabresen und Lukanen Wird sein Gedächtnis unveigeBlich sein. Durch Zweikampf mit dem Herrn der Katalanen Schon tritt er in des Ruhmes Tempel ein: lifanch ein Triumph wird bei den Kapitänen, Den unbesiegten, ihm den Platz verteihn.

Und er erringt das Reich durch Geistesgaben, Das er vor dreißig Jahren sollte haben.

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DRITTER GESANG

48. Was eine Stadt für gütig fürstlich Walten An Dank nur hat, das wird ihm zuerkannt:

Nicht, weil sich blühnde Felder dort entfalten, Wo er Moraste nur und Sümpfe fand; Nicht, weil den Ort er fester wird gestalten, Mit Mauern und mit Graben wohl umspannt, Mit Kirchen, schmucken Schlössern, freien Plätzen, Theatern was das Herz nur kaim ergetzen;

49. Nicht, weil er vor den Klaun des Flügelleuen Die Stadt beschützen wird mit kühnem Mut; Nicht, weil, wenn Gallierfackeln rings bedräuen Italias Fluren mit Vemichtungsglut,

Sie ganz allein des Friedens kann sich freuen, Sicher und frei von jeglichem Tribut Für diese nicht sowohl und andre Gaben Wird Herkules sein Volk als Schuldner haben ,

50. Als, weü er ihm Alfonso den Gerechten Und Hippolyt den Gütigen beschert;

Die werden sein, wie wenn sie wieder brächten, Was vom Geschlecht des Schwans die Sage lehrt: Daß, um den Bruder zu befrein aus Nächten, Der Bruder wechselweis der Sonn' entbehrt. Genug an Stärk' und Willen beide hätten. Durch ew'gen Tod den Bruder zu erretten.

51. Die Liebe, die das schöne Paar empfindet. Gewährt dem Volke größre Sicherheit,

Als selbst ein Stahlwerk, das Vulkan erfindet. Doppelt den Wall umschUeßend, sie verleiht. Alfons mit Weisheit Güte so verbindet, Daß man einst wähnen wird in sf^trer Zeit, Asträa kehr' ans Himmdsre^onen Dahin zurück, wo Hitz' und Kälte wohnen.

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DRITTER GESANG

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5a. Der Klugheit, wahrlich, darf er sehr sich freuen. Und Kühnheit, drin er ganz dem Vater gleicht: Denn selber schwach sieht er von dorther dräuen Venedigs Flotte, die durch Fluten streicht, Und, ach, die Mutter hat er hier zu scheuen Stiefmutter sagt man richtiger vielleicht ; Wenn aber Mutter, ist sie nicht gelinder Als Progne und Medea für die Kinder.

53. So oft er aufbricht, sei's bei Nacht, bei Tage, Mit seiner treuen Heeresmacht vom Strand, Bringt er den Feinden Flucht und Niederlage, Hier auf den Wasserfluten, dort zu Land. Romagnas Volk, noch jüngst zum Schwertesschlage Vereint mit ihm und Freunde da genannt, Erfährt es, wenn von Blut die Felder fließen.

Die Po, Santem und Zanniol umschließen.

54. Davon wird femer dort zu sagen wissen Der span'sche Mietling in des Papstes Lohn: Er hat dem Herzog die Bastei entrissen. Erschlägt den Schloßvogt, der gefangen schon; Zur Strafe müssen all' das Leben missen.

Vom Soldner bis zum obersten Patron; Nach Rom von der Erobnmg zu berichten Und von der Mordtat, gilt es zu verzichten.

55. Er hat durch Kraft des Schwerts und der Gedanken Auf der Romagna Feld die hohe Ehr',

Erlesnen Siegesruhm zu leihn den Franken, Entgegen Julius' und Spaniens Heer. Bfan sieht in Menschenblut bis an die Flanken Die Hengste schwimmen auf der Flur umher. Kaum wird man Platz um zu bestatten haben Italer, Griechen, Spanier, Franken, Schwaben.

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56 DRITTER GESANG

56. Der im Prälatcnkleid und Purpurhiite Auf heil'gen Locken das ist er zumal, Ippolito, der Edelmüt'ge, Gute,

Der röm'schen Kirche großer Kardinal. Zu Vers und Prosa leiht der Hochgemute In allen Sprachen Stoffe sonder Zahl. Ein Maro gibt dem Herrlichen Qeleite, Wie dem August ein andrer ging zur Seite.

57. Er wird der Glanz des schönen Stammes werden. So wie den Weltenbau die Sonne schmückt; Verdunkeln wird er jedes Licht auf Erden,

So wie von ihr wird Mond und Stern erdrückt. Er zieht mit wenig Fußvolk, wen'gen Pferden Bekümmert fort und kehrt nach Haus beglückt. Fünfzehn Galeeren, hingeschleppt in Banden, Und tausend Boot' als Beute sind vorhanden.

58. Und dort! Zwei Sigismunde kannst du sehen 1 Fünf Prinzen dort: Alfonsos Söhneschar.

Ihr großer Ruhm wird ühem Erdball gehen,

Kein Beig, kein Meer kann vdderstefan fürwahr.

Der zweite Herkules ist ausersehen

Zum Eidam Frankreichs; weiter stellt sich dar

Herr Hippolyt, um keinen zu vergessen.

Der mit dem Ohm sich kann an Glänze messen.

59. Franz ist der dritte, die zwei nächsten tragen Den Namen Alfons. Du vernahmst zuvor: Zeigt' ich dir alle Zweige, wie sie ragen Vom edlen Stamm in Herdidikeit empor.

Es müßte mehrmals nachten dann und tagen. Eh ich das Ganze brachte vor dein Ohr. Doch schweigen möcht' ich jetzt, will's dir gefallen; Zeit ist es, daß zurück die Schatten wallen."

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DRITTER GESANG

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60. Als Bradamant damit war einverstanden, Die weise Frau ihr Zauberbuch verschloß,

Und all die Geister nach dem Raum entschwanden

In Eile, der Merlins Gebein umschloß.

Weil ihr zu sprechen jetzt war zugestanden.

Die Dame so den holden Mund erschloß:

,,Wer sind die Traurigen möcht' ich erfahren ,

Die zwischen Hippolyt und Alfons waren?

61. Gesenkt die Augen, seufzend kamen beide. Als sei geschwunden Mut und kühner Sinn; Als ob sie von den Brüdern etwas scheide, Sie schritten fremd und fem den andern hin." Bei dieser Frage wurde blaß vor Leide Und weinend sprach die gute Zauberin: „Unselige, zum Weh euch muß sich's wenden. Daß ihr euch ließt durch böses Volk verblenden I

62. O Sproß des Herkules, laß nicht bezwingen Durch beider Schuld den edlen, güt'gen Mut! Mitleid statt Recht mag ihnen Gnade bringen: Die Armen sind ja doch von eurem Blutl"

Sie fügt hmzu ganz leis die Worte klingen : „Davon noch mehr zu sagen, ist nicht gut. Du solltest Süßigkeit im Munde schmecken ; Ich will sie nicht durch Bitternis verdecken.

63. Erstrahlt am Himmelsrand die erste HeÜe, Geradenweges brichst du auf alsbald

Zum Felsen mit dem leuchtenden Kastelle,

Wo Roger weilt in fremden Manns Gewalt.

Als Führerin ich selbst mich dir geselle,

Bis du herauskommst aus dem rauhen Wald.

Das Weitre werd' ich auf dem Meer erzählen:

Du kannst den Weg von dort nicht mehr verfehlen."

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58 DRITTERGESANG

64. Weil über Nacht die kühne Haid hier weilte. Besprach sie vieles in der Stunden Lauf Noch mit Merlin, der ihr den Rat erteilte,

Sie suche gleich den edlen Roger auf, Wenn sie vom Hölüengrund von dannen eilte. In Flammen steigt der Morgenschein herauf, Da führt ein dunkler Weg sie in die Weite; Stets schreitet ihr die weise Frau zur Seite.

65. Durch öden Grund, den Berge rings umschHeßen, Unnahbar mächt 'ge, wilde, ziehn sie fort. Tagsüber, ohne Ruhe zu genießen,

Vorbei an Strom und Abgrund geht es dort. Damit des Weges Mühn sie nicht verdrießen, So plaudern sie mit manchem trauten Wort Von wichtigen und angenehmen Dingen, Daß sie die langen Stunden schön verbringen.

66. Ermahnt wird Bradamant, zu überlegen. Sorglich und wohlbedacht auf ihre Hut; Mit List und Vorsicht solle sie sich regen. Dann meine sie 's mit Roger wirkhch gut. „Trittst du als Mars, als Pallas ihm entgegen Und mit dir größre Heere voller Mut,

Ais Karl besitzt, zu kriegen mit den Mohren» Gegen den Zaubrer bist du doch verloren.

67. Nicht nur, daß unersteiglich hoch sich heben Aus Stahl die Wände dort am Felsenschloß, Nicht nur, daß er durch Lüfte rennen, schweben Und springen kann auf seinem Flügelroß,

Ist ihm auch noch der Wunderschild gegeben; Der dringt, enthüllt, ins Aug' wie ein Geschoß, Und blendet es, daB alle Sinne schwinden Und die Getroffnen sich wie tot befinden.

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DRITTER GESANG

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68. Und wenn du meinst, der Angriff könne glücken, Wenn man beim Streiten dort die Augen schließt.

Du wüßtest nicht: wann gilt es vorzurücken, Wann ihn zu meiden, falls er niederschießt. Dich rettet eins nur vor des Lichtes Tücken, Daß du dem ganzen Zauber dich entziehst. Den er verübt, geschickt auf eine Weise: Und diesen einz'gen Schutz ich jetzt dir weise.

69. Herr Agramant hat einen Ring erhalten, Den man in Indien einer Fürstin stahl: Er läßt damit jetzt einen Diener schalten, Brunei; der reitet unfern hier im Tal.

Es kann sich keine Zauberkraft entfalten, Trägt man den Ring am Finger allzumaL Brunei versteht, was Schlich' und Listen sden. Wie Rogers Kerkermeister Zaubereien.

70. Nun will der Dieb so schlau und so verschlagen. Wie schon gesagt mit seiner Meisterschaft (Der König hat ihm dieses aufgetragen)

Und unterstützt von jenes Ringes Kraft, Die Fesseln Rogers auf dem Fels zerschlagen: Er hat geprahlt, er Idse seine Haft, Und also hat er's seinem Herrn geschworen. Dem Roger mehr gilt als die andern Mohren.

71. Daß Roger nur von dir die Rettung habe Und nicht verpflichtet sei dem Agramant Für die Befreinng ans dem Zaubeigrabe, Geb' ich dir hier ein Mittel an die Hand.

Drei Tage lang am Strand des Meeres trabe Es wird sich gleich dir zeigen durch den Sand, Bis dich der Abend an ein Gasthaus bringe. Wo auch der andre sein wird mit dem Ringe.

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DRITTER GESANG

7a. Sein Wachs dies mag dir zum £rkem[ien dienen

Sechs Spannen kaum, der Kopf ist schi/varzbehaart

Und wollig, braun die Haut und bleich die Mienen, Mit einem struppigen und wilden Bart; Die Augen scheel, geschwollen, über ihnen . Die Brauen dick; die Nase platter Art. Sein Rock ist kurz daß ich ihn ganz beschreibe Und liegt, wie bei Kurieren, knapp am Leibe.

73. Du kannst dich leicht zum Plaudeni ihm gesellen Und sprechen von dem Spuk das wird wohl gehn Und dich, wie du es bist, begierig stellen,

Dem Hexenmeister dort im Kampf zu stehn. Doch schweigen sollst du ganz in allen Fällen Vom Ring, vor dem der Zauber muß veigebn. Er bietet dann sich an, mit dir zu reiten Und dich nach jenem Felsen zu geleiten.

74. Du gehe hinter ihm, bis daß vom weiten Die Wände jenes Schlosses sichtbar sind; Dann töt' ihn: Mitleid darf dich nicht verleiten 1 Damit, was ich dir sag', Erfüllung find*,

Laß dir kein Zeichen deines Plans entgleiten: Verdecken würd' ihn sonst der Ring geschwind. Dir zu verschwinden, wird ihm leicht gelingen. Wenn er den Ring kann an die Lippen bringen."

75. So sprechend kamen sie, wo sich dem Meere Dort die Garonne bei Bordeaux verband. Da schieden nun, nicht ohne manche Zähre, Die beiden Weggenossen voneinand.

Daß sie dem Teuren Freiheit bald beschere. Strebt ohne Säumen vorwärts Bradamant Und geht, bis sie in abendlichen Stunden . Das Gasthaus mit Brunei hat vorgefunden.

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DR ITTER GESANG

6x

76. Und sie erkennt ilin an Gestalt und Zügen, Denn die Beschreibung hat sie gut im Sinn. Sie fragt: woher? wohin? Und zu belügen Sucht sie der andre gleich von Anbeginn. Jedoch, gewarnt, läßt sie sich nicht betrügen, Hält ihn geschickt mit FlunkiMeien hin,

Ob Stamm und Namen bunte Mären flickend Und oft dabei ihm auf die Hände blickend»

77. Mit Vorsicht öfter blickend auf die Hände, Vor seinen Diebesfertigkeiten bang.

Sie ließ ihn nicht ihr nahn, denn wie l)ehende Er Sachen stahl, das wußte sie nun lang. So standen sie, als ein Gelärm ohn' Ende Den beiden häßlich in die Ohren drang. Was Uisach', Herr, der Unruh' war im Hause, Erzähl' ich noch; jetzt schickt sich eine Pause.

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VIERTER GESANG

1. Wohl ist's verwerflich meist, sich zu veistelien. Wird oft ein Zeichen niedrer Seele sein;

Doch bietet Heuchelei in vielen Fällen Unstreitig einen Nutzen, der nicht klein, Und kann vor Schaden, Tod uns sicherstellen. Verkehrt man doch mit Freunden nicht allein Im Eidenleben, wo mehr Nacht als Licht ist Und mancher, ach, auf Neid und HaB erpicht ist!

2. Zur Not nach langer Prüfung mag's gelingen Zu finden, den du Freund nennst ohne Scheu, Dem du dein Herz vertraust in allen Dingen Und ohne Schleier zeigest stets aufs neu;

Doch soll Vertrann die Freundin Rogers bringen Jenem Brunei, der weder rein noch treu? Der sie durch Lug und Schändlichkeit empörte. Nach dem, das von der Zauberin sie hörte?

3. So heuchelt denn auch sie was kann sie machen? Denn aUen Truges Vater ist Brunei.

Und ihre Blicke seine Hand bewachen :

Ha, wahre Geierldaun hat der Gesell!

Da trifft ein Lärm ihr Ohr, ein Dröhnen, Krachen:

„O Himmelsherr! Bfaria, Gnadenquell!"

Ihr Ruf erklingt: „Was ist das för em Toben?"

Hin eilt sie, wo der Lärm sich hat erhoben.

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VIERTER GESANG

4. Und sieht den Wirt mit allen, jung und alten, Empor zum Himmel richten Aug' und Braun Innen und draußen : vnll sich dort gestalten Verfinsterung? Ist ein Komet zu schaun?

Sie sieht ein holdes Wunder sich entfalten (Daran zu glauben, mag sie kaum sich traun): Ein mächtig Flügelroß im Äther schweben Und einen Ritter in die Lüfte heben.

5. Vielfarbig und gewaltig sind die Schwingen, Und mittendrin, gewappnet, sitzt ein Mann; Von seiner Eisenrüstung Strahlen dringen, Nach Westen zu kommt er im Flug heran.

Er sinkt und ferne Höhen ihn verschlingen, 's ist sagt der Wirt, der keine Lüg' ersann Ein Zaubezer, der also pflegt zu schweifen Und nah imd fem die Gegend zu durchstieifen.

6. Jetzt zu den Sternen hebt er sich im Fluge, Jetzt streift er hin am Boden, fast im Staub, Und mit sich nimmt er, was er auf dem Zuge An Schdnen nur erraffen kann zum Raub, So daß ein armes Kind, ob es mit Fuge, Ob nur im Wahn sich eine Venus glaub'

(Es kommt auf eins heraus er nimmt sie allel). Die Sonne meiden muß in jedem Falle.

7. „Sein Schloß steht in den PyrenSn; da sprangen". Der Wirt sagt, „Mauern auf durch Zaubermacht; Leuchtend und schön in hellem Stahl sie prangen. Nie schien die Sonn' auf eine größre Ptacht. Gar viele Ritter sind dorthin gegangen.

Doch keiner hat den Weg zurückgemacht. Drum hab' ich, Herr, als glaublich dies erachtet: Im Kerker sind sie oder abgeschlachtet."

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VIERTER r, E S A X G

8. Die Dame hört's und hört es frohbetroffen; Denn fortzuraffen all den Zanbeigraus

Mit ihrem Ring, darf sie ja sicher* hoffen,

Den Magier selber und sein Wunderhaus.

Sie spricht zum Wirt: ,,Die Wege stehen offen;

Ein kund'ger Diener führe mich hinaus!

Ich brenne heiß der Ruh' muß ich vt-rgessen

Mit jenem Hexenmeister mich zu messen."

9. , .Nicht fehlen", sprach Brunei, ,,soll der Begleiter: Ich selber will mit dir als Führer gehn.

Den Wegplan hab' ich und noch manches weiter. Das als (Gesellen mich macht gern gesehn." Vom Ringe wollt' er sprechen, doch gescheiter Hält er das Schweigen, nicht geprellt zu stehn. Sie spricht: ,,Du bist genehm mir zur Gesellschaft" Und meint : Jawohl, weil mir 's denRing zurStell' schafft.

10. Was nützen kann, das sagt sie; was ihr schaden Mag bei Brunei, verschweigt sie mit Bedacht. Der W'irt besaß ein Roß: zu Wanderpfaden Vortrefflich schien ihr 's wie zu Krieg und Schlacht. Sie kauft es. Als im Morgentaue baden Die Fluren früh, man auf den Weg sich macht. Durdi enge Felsschlucht sie von dannen reitet; Brunei, bald vom, bald hinten, sie begleitet.

iz. Von Belg zu Beig, von Wald zu Wald sie ziehen Zum Fyrenaengipfel hoch und hehr. Von wo zu schauen, wenn die Nebel fliehen, Frankreichs und Spaniens Doppelküste wär'. Wie ob Camaldoli ein Blick verliehen Vom Apennin ist auf ein zwiefach Meer. Mühsam und steil, an schroHen Felsenschlünden Vorüber ging's zu tiefen Tales Gründen.

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VIERTER GESANG

la. Inmitten sieht man einen Felsen ragen; Stahlmauem kränzen kriegerisch sein Haupt.

Des Himmels Wolken, scheint es, will er tragen.

Die Berge rings man seine Diener glaubt. Wer Flügel hat, kann hinzudringen wagen; Sonst ist für Botschaft Hoffnung ganz geraubt. ,,Sieh !" sprach Brunei, ,,du kannst den Ort betrachten, Wo in der Haft die Fraiin und Ritter schmachten 1"

13. Viereckig zubehaun und glatt die Wände Des Felsens, lotgerecht wie nach der Schnur I Auf keiner Seite Halt für Fuß und Hände, Von Stufen oder Treppen keine Spur!

Daß dort ein Tier wohl seine Höhle fände. Meint man, doch ein Geschöpf mit Flügeln nur. Das Fräulein sieht, 's ist Eile jetzt vonndten. Den Ring zn nehmen rnnd Brunei zu töten.

14. Bloß mit des Schelmen Blut sich zu beflecken, , Des waffenlosen, sehr ihr widerstrebt.

Auch so wohl geht's, den Ring sich anzustecken

Und zu erlauben, daß er weiterlebt 1

Olm' Argwolm ist Brunei; da welch ein Schrecken!

Gebunden war er und wie festgeklebt

An eine Tann': am Stamme hilflos hing er;

Allein zuvor nahm sie den Ring vom Finger.

15. Vergebens seine Klagen, seine Bitten; Ihn freizugeben sinnt sie keinesfalls.

Sie steigt zu Tal mit langsam festen Schritten, Bis sie am FuB ist jenes Felsenwalls. Zum Kampfe laden aus des Schlosses lütten Soll jetzt den Zaubrer Kraft des HQmerschalls. Sie bläst» und hinterdrein mit drohndem Schreien Entbietet sie zum Streit ihn hier im Freien.

Ariest I K

I

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V T F T F F' r, ]■: ^ A N' n

i6. Nachdem das Horn erschallt ist und die Stimme, Läßt in der Luft der Flügelhengst »ch schaun Auf sie za, die ein Mann erscheint voll Grimme.

Von vornherein gleich wächst ihr das Vertraun; Geringen Schaden, meint sie, tut der Schlimme, Vor diesem Reiter braucht ihr nicht zu graun. Nicht Spieß noch Keul'und Schwert sieht man ihn hal- Den Harnisch zu zerschmettern und zu spalten, [ten,

Z7* Nichts trägt er als den Schild in seiner Linken,

Rotseiden Tuch darum als Decke weht. Und rechts ein Buch, o seht nur: auf sein Winken, Dieweil er liest, ein \\'under draus entsteht! Bald zeigt sich, wie man glaubt, ein Lanzenbiinken (Davon der Atem manchem Held vergeht). Und bald ein Tanz von Knüppel oder Keule; Fort ist er dann, ganz ohne Wtmd' und Beule.

18. Der Hengst, von Greif und Pferdestut' entsprungen. Ein wirklich Wesen und kein Zauber war:

Das Vatertier gab Federn seinem Jungen, Den Schnabel, \^orderfüß' und Schwingenpaar. Der Mutter war das übrige gelungen; Der Name ..Hippogrj'ph" macht solches klar. In Nordlandsbeigen kommen, freilich selten. Dergleichen Wesen aus den Etsmeerwelten.

19. £r bracht' ihn her von dort in Zauberbanden; Ihn abzurichten war er dann bedacht,

Bis er den Hengst, nachdem vier Wochen schwanden. Für Zaum und Zügel fügig hat gemacht. Das Tier gehorcht in Luft mid Menschenlanden, Wenn er es tummelt, vSDig seiner Macht. Nicht Zauberiisten hier, wie sonst, betören. Man kann das alles wiridich sehn und hören.

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V T F R T F R F S \ N C

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ao. Zu täuschen war der Zaubrer scmst nkht träge: Was gelb ist, sieht das Aug' in Rot verkehrt. Doch bd dem Frätdein hat das gute Wege, Weil ja der Ring jedweder Täuschung wehrt.

Und doch gibt sie dem Winde Schlag' auf Schläge Und wirft sich hierhin, dorthin mit dem Pferd. Sie tummelt sich, tut alles, heiß die Wangen, Wie sie die Unterweisung hat empfangen.

21. Ein Weilchen läßt sie so den Renner springen Und steigt darm ab, zu Fuß mit klugem Sum Bequemer noch das andre zu vollbringen, Was ihr gesagt ward von der Seherin. Unmöglich hält der Magier ein Mißlingen Und schleudert seinen stärksten Zauber hin: Den Schild enthüllt er und vermeint, sie werde Vom ZauberUcbt hinstürzen auf die Erde.

22. Gleich könnt' er ja die Hülle ziehn vom Schilde, Den Kämpfer schonend, eh er niederfiel;

Doch hatt' er seine Lust am schönen Bilde: Wie Schwert und Lanze träfen hübsch das Ziel. Er ghch der Katze hier, die, scheinbar milde. Sich mit der Maus ergötzt zu ihrem Spiel; Wird ihr das Spaßen dann zum Überdrusse, So beißt sie zu und gibt den Tod zum Schlüsse.

23. Ich sagt': er war der Katze zu vergleichen, Und wer ihm gegenüberstand, der Maus.

Doch muß das Gleichnis jetzt sein End' erreichen, Seit jene ndt dem Ringe kommt zum Strauß. Gespannt verfolgt sie seiner Absicht Zeichen; Nach Wunsche sdilägt es ihm wohl schwerlich ans. Als sk die Hülle sieht hemiederwallen. Schließt sie das Aug' und läßt sich niederfallen;

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68 VIERTERGESA N-'G

24. Nicht, weil der Blitz des leuchtenden Metalles, Wie allen andern, Schaden ihr gebracht,

Nem, bloß, damit beim Anblick ihres Falles Per Femd vom Pferde steige imbedacht. Und vie's ersonnen war, so glückt ihr alles: . Kaum lag sie da, so kam, mit aller Macht Die Schwingen regend, in gewalt'gem Bogen Der luft'ge Reiter auf sie zugeflogen.

25. Den Schild, veihüllt, läßt er am Sattel hangen Und konmit zu Fuß zum Mädchen her in Hast: Das gleicht verstecktem Wolf, der voll Veriangen Im Dickicht lauernd auf den Rehbock paßt;

Und als er nah ist, nimmt sie ihn gefangen. Indem sie rasch mit Armen ihn umfaßt, Vergessen hat der Arme, Unbedachte Das Buch, das sonst für ihn die Kämpfe machte.

. 26. Man sieht ihn eine Kette bei sich tragen. Damit er seine Opfer stets umwand;

Vermeint er doch, es geh' ihr an den Kragen; Die Arme wollt' er binden aneinand. Zu Boden jetzt hat ihn die Maid geschlagen: Er wehrt sich nicht was ich begreiflich fand. Er liegt so wollte sich das' Blättlein wenden . Ein schwacher Greis, in starker Jungfrau Händen 1

27. Das Haupt ihm abzuhaun, hat sie im Sinne: Die Siegerhand erhebt sie zum Gericht. Doch in das Antlitz schauend, hält sie inne; Die Rache scheint gemein, sie will sie nicht. Ein Greis, elirwürdig, weißen Bart am Kinne, Blickt zu ihr auf mit traurigem Gesicht; An seinen Runzeln und am weißen Haare Sieht man, er zählt wohl an die siebzig Jahre.

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VIERTER GESANG

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28. „Bei Gott, o Jüngling, nimm, o nimm mein Leben 1'* Verzweifelt rief der Greis in Zorn und Groll. Doch ist, es losasawerden, sein Bestreben,

Ifetnt jene, daß er's noch behalten soll. Und sie veilangt, er Kunde geben, Was all der Zauber hier besagen jvoll': Warum die Burg gebaut an diesm Orte Und er drin hause, aller Welt zum Torte.

29. „Weh, nicht aus Bosheit, nicht aus Aberwitze," Erwidert unter Zähren ihr der Greis,

„Ifacht* ich die schdne Burg auf Felsenspitze;

Von Raub und Habsucht, ach, mein Herz nichts weiß. Nein, Liebe treibt mich, vor der Jugendhitze Gefahr zu retten edler Ritter Preis. Der Himmel zeigt, er muß nun bald verderben Und durch Verrat als Christ und gläubig sterben.

30. Die Sonne nicht vom Nord zu Südpols Feme

So schönen, wackren Jüngling hat gekannt. Sein Nam' ist Roger; ach, ich hab' ihn gerne! Ich, Atlas, der ihn als ein Kindlein fand, Bis ihn die Ehr' und seines Schicksals Sterne Nach Frankreich führten gegen Agramant. Mehr als mein Kind ihn liebt' ich; ihn hier drinnen, Von Frankreich fem, zu bergen, war mein Sinnen.

31. Den Jüngling zu behüten vor (lefahren, Hab' ich allein die schöne Burg erbaut;

Ich fing ihn ein (du kennst nun das Verfahren, Mit dem auch dich zu fassen ich vertraut). Hier sammelt' ich, die hoch und edel waren, Ritter in Waffen kühn imd Damen traut. Danüt er, ging es nicht nach seinem Willen, Doch in GeseUschaft weile sonder Grillen.

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VIERTER GESANG

33. Läßt er den einen Wunsch der Rückkehr lahren. Wird hier kein' andre Lust der Weh entbehrt; Was nur zu hnden ist bei Menschenscharen Des Erdenrunds, das wird ihm dort gewährt. Sang, Speisen, Spiel. Gewänder, schöne Waren, Was sich der Mund ersehnt, das Herz begehrt. Gesät war gut, die Ernte will gelingen, Doch du erscheinst, um Unheil mir zu bnngen«

33. O möge doch dein Herz dem Antlitz gleichen! Mein Sinn ist redlich; laß mein Streben mir! Nimm hin den Schild und nimm als Friedenszeichen Das durch die Luft sich schwingt, das Flügeitier. Bleib Um der Buig und laß mit dir entwetdien Zwei, drei der Freunde noch vom Schioase hier! Ja, nimm sie alle nicht werd' ich dich hassen. Willst du mir einen, willst du Roger lassen!

34. Und nraßt du grausam dennoch ihn behalten, O dann, eh du ihn führst zum Frankenland, Löse die Seele mir, dem schwachen Alten,

Die hst aus morscher Hülle sdum entschwand!" „Schw&tzend und klagend magst du woter schalten; Ich lös' ihm," sprach die Maid, „das Fesselband. Es sollen Schild und Rofi mich nidit betöien. Die alle beide ja mir schon gehören!

35. Und könntest du sie nehmen oder geben.

Ich würde doch zum Tausch mich nicht verstehn. Du willst für Roger, sagst du, Unheil heben. Damit er schlimmen Sternen könn' entgehn? Nicht weißt du, was die Hinunel für ihn weben. Und wüßtest du's, es müßte doch geschehn. Dein Unglück siehst du nicht, das doch so nah ist. Wie willst du sehn, was lange noch nicht da ist?

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VIERTER GESANG

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36. Fleh' nicht, daß ich dich gleich ins Jenseits seode: Veigebeiis wär's! Ist Sterben dein Begehr Yerweigem auch die Menschen dir das Ende, Den Weg zum Tod veispenrt man nimmennehr. Doch eh vom Fleisch dich lösen deine Hände, Gab erst in Freiheit die Gefangnen her."

So sprach das Fräulein, und dem Fels entgegen Hieß sie den Zaubrer sich voran bewegen,

37. Der Zaubrer geht, in eigner Kette Banden) Das Fräulein neben ihm hat au^epaSt:

Noch ist nicht recht Vertraun in ihr vorhanden^ Scheint er auch jetzt ergeben und gefaßt. Als sie den Spalt nach wen 'gen Schritten fanden, Der aufwärts stieg im ^ckzack zum Palast, Auf Stufen, die in Bogenform sich schlangen, Sind sie zum Tor der Burg hinaufgegangen,

38. Ein Felsenstück mit Zdchen, nicht geheuer, Nimmt von der Schwelle dort der Nekromant.

Darunter qualmen von verborgnem Feuer

Beständig Töpfe (,,011e'* zubenannt).

Der Greis zerbricht sie : fort ist das Gemäuer!

Ungastlich, öde steht die Felsenkant*,

Und nirgends sind zu sehen Türm' und Wände,

Als wär's unmöglich, daß ein Schloß hier stände.

39. Der Zaubrer hat der Dame sich entwunden (So mag die Drossel sich vom Netz befrein).

Und mit ihm plötzlich ist sein Schloß verschwunden: Frei zeigen sich die Gäste jetzt, allein Nicht mehr in Sälen haben sich befunden Die Herrn \md Damen aUe, nein, im Frein. Auch waren viele drob, fürwahr, in Trauer; Denn groß Vergnügen gab's im Vogelbauer.

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VIERTER GESANG

40. Hier steht Gradaß, dort König Sakripante Und weiterhin der edle Held Prasild

(Der mit Rinaldo kam aus der Levante); . Bei ihm Irold der Freundschaft echtes Bildl Nun siebt auch ihn die schöne Bradamante, Roger, dem ihres Heizens Sehnen gilt Und kaum hat sie sein Auge wahigenommen. Gar .hold und freudig haßt er sie mUkomnien.

41. Mehr als am Augenlicht, am Blut und Leben Sein Herz an dieser stolzen Schönen hing,

. Seit er sie sah den Helm vom Haupte heben Für ihn, so daß sie jene Wund' empfiqg. Ich kann nicht sagen hier, wer die gegeben, Wie er, wie sie durch Wälder schweifend ging. Wie Tag und Nacht sie suchten, auf und nieder. Und nienials noch bis jetzt sich fanden wieder.

42. Nun er sie sieht und hört, dies hehre Wesen . Hab' ihn gerettet aus der Buig von Stahl»

Gesegnet nennt er sich, vom Glück erlesen, Das Hers.veikULrt von heller Freude Strahl

Zum Platze» wo sie Siegerin gewesen. Geht es hinunter jetzt, ins Felsental. . Dort haben sie den Flügelhengst gefunden;

. Den Schild, bedeckt, trug er zur Seit' gebunden.

43. Die Dame griff nach seinem Zaum: die GHeder Erst röhrt er nicht, ab er sie kommen sah; Dann flog er auf in heitre Luft, und nieder

Zu Boden senkt er sich, nicht weit von da. Sie folgt ihm nach: er regt die Schwingen wieder, LäBt sich herab und bleibt, bis sie ganz nah; So wie die Kräh' in trocknem Sande tänzelt. Wenn jagend hinter ihr ein Hündlein schwänzelt.

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VIERTER GESANG

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44. Roger, Gradaß und Sakripant, sie liefen. Wie alle, denen Freiheit ward gebracht. Bergauf, bergunter nach dem Hippogryphen, Weil jeder ihn zu fassen war bedacht;

Als dieser nun den W^ nach sumpfgen Tiefen Und der nach Bergeshöhen hat gemacht, Auf steile Spitzen ist hinaufgedrungen, Da kommt der Hengst zn Roger hingesprungen.

45. Ein Mittel war's, das Atlas schlau verwandte. Der stets, vdl Sorgfalt, zartlicfa überaus, Roger aus der Gefahr zn ziehen brannte. Nur dies bekümmert' ihn tagein, tagaus. Den Hippogryphen drum er jetzt entsandte, Roger zu tragen in die Fem' hinaus.

Als der zum Renner kommt, um ihn zu fassen, Sträubt sich das Tier, will sich nicht lenken lassen.

46. Erzflmt üeB Roger dem Frontin die Zügel (Den Namen führte dieses gute Roß)

Und schwang sich in des Flügeltieres Bügel, Reizt ihm den stolzen Mut durch Sporenstoß; Es lief ein Weilchen, regte dann die Flügel, Bis es in leichtem Schwung zur Höhe schoß. Kein Falk, der hutlos sich der Freiheit freute. Stieß schneller auf den Reiher, seine Beute.

47. Das Fräulein, das den Liebsten sah entweichen In so gefährüch mächt 'ge Höhn empor.

Ließ in Betäubung eine Zeit verstreichen. Darin sie das Bewußtsein schier verlor: Will ihn das Schicksal Ganymeds erreichen. Den für den Himmel Zeus sich einst erkor? Sie meint nun, dies erneut sich, all und jedes: Ist er doch lieb und schön me Ganymedes.

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74 VIERTERGESANG

48. Gespannten Augs zum Himmel muß sie schauen, Solang sie sehn kann; als er allzuweit

Und gänzlich bald verschwunden ist im Blauen,

Gibt ihm noch ihre Seele das Geleit.

Nun darf sie Klag' und Seufzern sich vertrauen.

Die bleiben ihr fortan für alle Zeit.

Als Roger ihr entführt ist vom Geschicke,

Treffen den Hengst Frontin der Dame Blicke,

49. Und sie beschließt, für sich ihn zu behalten (Vom ersten besten würd' er ja geraubt), Bis Roger werd' als sein Gebieter schalten. Weil an ein Wiedersehn bestimmt sie glaubt. Der Vogel steigt; des Zügels kann nicht walten Der Reiter : tief versinkt der Höhen Haupt; Sie weiden kleiner, und mit einem Mal ist Nicht mehr za schauen, was Gebiig, was Tal ist.

50. Roger ist hoch (als Punkt mag er erscheinen Den Leuten, die ihn von der Erde sehn) Und steuert hin, wo Sei sich senkt, um seinen Wagen fortan im Krebseshüd zu drehn.

Es fohr' ein Schifflein, möchte man venneinen. In dessen Segel günst'ge Winde wehn. So geh' er denn wir wiinschen gute Reise! Und von Kinald erkhnge jetzt die Weise.

51. Zwei Tage fuhr er hin durch Meereswogen Gewalt'ge Strecken, von dem aigen Wind Nach Westen bald und bald zum Bar gezogen. Und Tag und Nacht im wilden Sturm verrinnt. So kam er auch zum Schottenland geflogen, Wo Kaledonias Wald und Rasen sind.

Sie hören durch die alten schatt'gen Eichen

Oft Klang von Waffen und von mächtigen Streichen.

VIERTER GESANG

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52. Britanniens Ritterschaft und ihre Leiter» Die kampfbereiten, alle sind darin. Von nah und ferne viel erlesae Streiter

« Ifit Deutschlands, Frankreictis, Nordlands Heldensinn. Wem Kraft gebricht, der gehe lieber weiter. Denn, sucht er Ruhm, wird Tod nur sein Gewinn. Galaß, Galvan und Lancelot vollbrachten Mit Artur, Tristan Wunderwerk in Schlachten.

53. Dazu der Tafelrunde Kampfgesellen, Der alten und der neuen, wie bekannt.

Es künden ihren Ruhm an manchen Stellen Denkmäler und Trophäen weit ins Land. Rinald fand Waffen, Bajard auch, den schnellen, Und fährt von dannen nach dem Nebelstrand, Befiehlt dort seinem Schiffer, zu verschwinden Und später sich in Berwick einzufinden.

54. Allein, auch ohne Knappen, zog der Ritter Hin durch den weiten, ungeheuren Wald: Ob sich ein Abenteuer träfe, ritt er

Bald diesen Weg und wieder jenen bald. Da fand er sich vor eines Klosters Gitter, Das guten Teil von seinem Unterhalt Hingab, im Klosterbau die Herrn und Damen Gut zu bewirten, die des Weges kamen.

55. Der Paladin wird höflicli aufgenommen

Und fragt beim Abt und bei den Mönchen an (Doch nicht, bevor am leckren Mahl der Frommen Er für den Magen Stärkung sich gewann). Wie einer, der in diesen Wald gekommen, Wohl solch ein Abenteuer finden kaim. Wo sich bewähren mag des Menschen Adel Und ob mit Recht er Preis verdien', ob Tadel.

76 VIERTERGESANG

56. Die Antwort ist : es gäbe dort im Freien Seltsamer Abenteuer wohl genug,

Ällein der Ort und Vorgang dunkel seien. Weil keiner ans dem Walde Kunde trug. ,,Auf, suche/* sprachen sie, „ob in den Reihen Der Helden man dich preisen darf mit Fug Und Ruhm sich sddieBt an Mühen mid Gefahren, Um dauernd deinen Namen zu bewahren.

57. Und willst du deine Tapferkeit bekunden. Zur schönsten Tat ist jetzt Gelegenheit, Und keine beßre wurde noch gefimden. Sei's in der alten, sei's in neuer Zeit:

Des Kdmgs Tochter braucht in diesen Stunden Verteidigung und Schutz vor Schandfichkdt Eines Barons Lurcan ist er geheißen Der sucht ihr Ehr' und Leben zu entreißen.

58. Es hat vielleicht mit Unrecht und aus Hasse Beim Vater selbst sie angeklagt Lurcan,

Gesehn hab' er, wie nachts sie zu sich lasse

Und hoch zum Sdller ziehe den Galan.

Wenn kdner kommt, der ihre Sach' erfasse,

Den Todesweg zum Hohsstoß tritt sie an.

In Monatsfrist die Zelt wird nächstens enden

Muß er die Lüge auf den Kläger wenden.

59. Rauh, gottlos, strenge, wiH die Satzung eben. Daß jede Frau, wie hoch sie stehen mag. Die andrem als dem Gatten sich eigeben. Den Tod erldde nach eihobner Klag*.

Und nichts auf Erden rettet ihr das Leben, Als daß ein Krieger zum bestimmten Tag Erschein' und mit dem Schwert den Satz verfechte: Unschuldig sei sie, stürbe nicht zu Rechte.

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VIERTER GESANG

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60. Der Kdnig, «unfind, m sdn Kind er rette {Cmem. heißt die Tochter hold und gut),

lieB künden durch die SchlSsser und die Städte: Wer, sie verteidigend mit Kraft und Mut, Erstickt die schändliche Vedeumdung hätte. Solle sie freien (wenn aus edlem Blut), Auch reiches Gut empfangen, Land und Habe, Wie solcher Maid geziem' als Morgengabe.

61. Sie stirbt, wenn kein Verteid'ger will erscheinen.

Auch, wenn der Sieg im Kampf nicht wird erreicht.

Ein solches Werk frommt besser, sollt* ich meinen. Als daß man irrend durch die Wälder streicht. Und Ehr' und Ruhm dem Namen sich vereinen. Daß nimmermehr der lichte Glanz erbleicht; Dazu die lieblichste der schönen Frauen, So viel von hier bis Indien sind zu schauen,

62. Und einen Reichtum femer, deinem Leben Behaglichkeit auf immer zu verleihn; Machst du des Hauses Ehre neu sich heben. So ist des Königs Huld und Gnade dein.

Die Unschuld zu beschützen mußt du streben Vor Niedertracht, aus Ritterpflicht allein. Das Mädchen ist nach aller Stimmen Einheit Das Urbild aller Tugend, aller Reinheit."

63. Nachdenkhch stand Rinald ; dann sprach er :, .Sterben Soll eine junge Maid ohn' andre Schuld,

Als daß in ihrem Arm von Qualen, herben, Den Liebsten sie erlösen wollt' in Huld? Wer solch Gesetz gab, mög' er stracks verderben, Verderben jeder Feige, der es duld'l Gebührend stirbt, wer grausam Liebe wehret; Nicht, wer des liebsten Wonn' und Leben mehret.

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VIERTER GESANG

64. Nicht kfiminert's mich, ob sie tu süBem Ifinnen EinlaB dem Freund gewähr'« ob nicht gewähr', : Und sie xu loben kdnnt' ich gleich beginnen. Wenn nnr der Fall geheim geblieben wär'* Ihr Hort zu sdn, danach steht all mem Smnen» Nun bitt' ich: gebt mir einen Führer, der Den Kläger zeig' und mich zu ihm geleite; Ihr Kummer, hoff ich, sucht nun bald das Weite.

Ich sage nicht: die Tat sei zu verneinen; Unkundig, ging ich leicht ja falschen Weg; Ich sage dies: verkehrt wäl mir erscheinen.

Daß man auf solche Dinge Strafe leg', Und wer die Satzung gab, der, sollt' ich meinen, War bös und reif, daß ihn ein Tollhaus heg'. Als schädhch schaffe man sie aus dem Lande, Und neue mache man mit mehr Verstände!

66. Wenn gleiche Glut, just mit dem gleichen Triebe, Geschlecht sowie Geschlecht bezwingt und lenkt Zu jenem letzten süßen Ziel der Liebe,

Daran im Volk man wie an Sünde denkt, Wie käm's, daß für die Frau Verbrechen bliebe. Wenn ein, zwei Freunden sie dasselbe schenkt. Was wir beliebig tun und unbeachtet, Jawohl, gelobt sogar imd nicht verachtet?

67. Den Fraun ist Unrecht im Gesetz geschehen. Steht solche Strafe dort für sie bereit;

Und bald, ich hoff es, laß die Welt ich sehen. Daß man die Unbill trug zu lange Zeit." Und zu Rinald die Mönche sämthch stehen. Daß sich die Alten aller Bilhgkeit Entschlugen, als sie dieses ließen gelten; Der König auch, der's zuläßt, sei zu schelten.

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VIERTER GESANG

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68. Als weiB und rot en^r der Moigen gleitet Und hell und freudig naht am Hinunelsrand, Sieht er Rinald, der zu dem Hengste schreitet; Ein Knapp' auch aus dem Kloster ist zur Hand.

Stunden, Meilen hat ihn der begleitet, Stets durch des Waldesdickichts graiise Wand. Hin nach der Gegend beide Reiter streben, ^^'0 um die Maid der Kampf sich soll erheben.

69. äe wählten, abzuschneiden von dem Wege,

Ein schmales Pfädchen, das sich seitwSrts schlingt.

Da horch! tönt eine Klage durchs Gehege,

Die jammervoll zu ihren Ohren dringt.

Rinald voran, der andre auch nicht träge,

Eilen dem Tal zu, draus der Ruf erklingt:

Zwei Kerle stehn, ein Mädchen zwischen ihnen.

Nach Ansehn war es jung und schön von Mienen.

70. V erzweiflung, Schmerz der Armen Züge tragen, Wie sie nur je ein Mädchenantlitz bot;

Und schon gezückt die grimmen Eisen ragen.

Bereit, das Gras zu färben blutigrot.

Um Aufschub fleht sie, weinend und mit Klagen»

Das Paar bleibt ungerührt von ihrer Not,

Rinald erscheint, erblickt sie mit den Zweien

Und stürzt herbei mit lautem Drohn und Schreien.

71. Die Missetäter waren gleich entwichen; Kaum wurden sie der Nahenden gewahr. Als tief hinab ins dunkle Tal sie schlichen. Rinald verfolgte nicht das Mörderpaar:

Er wollte hören, was 2u Schwerterstichen

Der beiden Schelme wohl der Anlaß war.

Zum Knappen setzt er Zeit ja gilt's gewinnen 1

Die Maid; zum Pfad zurück geht es von hinnen.

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VIERTER GESANG

78. Wie schön sie war und artig, sah genauer Rinald, als er an ihrer Seite ritt. Wiewohl sie noch eischöpft durch Todesscfaauer Und all den Schrecken war, von dem sie litt. An& neu befragt, was Ursach' ihrer Trauer Und Leiden sei, erfüllt sie seine Bitt' Und sagt mit leiser Stimme jetzt dem Helden, Was, mit Verlaub, ein neuer Sang soU melden.

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FÜNFTER GESANG

1. All andre Tiere auf des Erdninds Weiten, Ob sie nun Eintracht halten wohlgemut. Ob sie sich jagen, beißen und sich streiten, Sie halten doch ihr Weibchen stets in Hut. Im Wald selbander Bär und Bärin schreiten. Beim Ldwen sicher seine Löwin ruht.

Die Wölfin mag zum Wolf sich ruhig strecken, . Die Jungkuh IQhlt vorm Stiere keinen Schrecken.

2. Welch böse Pest, welch eine Furie gräßlich Nun in den Bfensdienbusen Wohnung nimmt. Daß immer Ehmann, ach, und Frau sich häßlich Mit Schelten überschütten, arg ergrimmt? Zerkratztes AntHtz färbt sich schwarz und bläßlich. Von Tränen selbst das traute Lager schwimmt. Und nicht bloß Zähren sind darin geflossen:

Oft hat auch blinder Zorn dort Blut vergossen.

3. I^cht nur ein schlimm, ein unerhört Betragen, Mit Gott und der Natur im Widerstreit,

Zeigt, wer das Antlitz einer Frau kann schlagen Oder nur tun, was Schmerz ihr bringt und Leid, Und wer mit Gift, mit Strick, mit Dolch zu jagen Die Seele sucht aus ihrem Erdenkleid, Ich glaube nicht, er sei ein Mensch zu nennen: Nein, Teufel nur ihn als Genossen kennen.

Ariost I 6

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FÜNFTER GESANG

4. Deigleicfaeii waren wohl die Mordgesellen, Die Herr Rinald traf mit der Schdnen an;

Sie war geschleppt an jene dunklen Stellen,

Daß ihre Spur entschwinde jedermann.

Wir ließen sie, als sie von Wechsclfällen

Ihres Gesclucks dem Paladin begann,

Dem freundlichen, zu künden die Geschichte.

So hört, was nach dem Mädchen ich behchte.

5. ,,Ich habe", sprach sie, ,,mehr in meinem Leben An ausgesuchter Grausamkeit gesehn,

Als in Mykene, Argos oder Theben Und schlimmem Orten jemals ist geschehn. Mag hier die Sonne mindro \\'ärme geben Als sonst, läßt sie die Stralilen femer stehn. So will sie, mein' ich, nur zu sehn vermeiden, Was Menschen hier durch Bösewichte leiden.

6. Daß man mit seinen Feinden grausam schalte. Das zeigen wohl Exempel jeder Zeit;

Doch ihn, der sinnt, wie deines Glücks er walte, Morden, ist Gipfel doch der Schändlichkeit. Und daß sich klar und deutlich dir entfalte, Wie man hier ohne Recht mich arme Maid Umbringen wollt' in meinen Blütetagen, Will ich vom Anfang an dir alles sagen.

7. Der Königstocher, edler Herr, zu dienen In früher Jugend kam ich hin zum Schloß, Wuchs mit ihr auf, die Großen freimdUch schienen. So daß ich Ehr' und Gunst bei Hof genoB. Doch Amor, grausam, stand mit neid'scfaen Mienen: Zur Sklavin machte mich, ach, sein GeschoBI Mir wollte von den Herrn und Junkern allen

Der Herzog von Albanien Wohlgefallen.

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FÜNFX£K GESANO

83

8. Als ich ihn drauf mir Liebe hörte schwören. Mit eins ward ihm mein ganzes Herz zuteil. Das Antlitz kann man sehn, die Rede hören. Allein die Brust? da hat es gute Weil'! Liebend und glaubend, ließ ich mich betören: Ich gab mich und nicht merkt' ich in der £ü\ Daß mt uns just zu trauten liebesbanden

In meiner Herrin Leibgemach befanden;

9. Dort weilte sie bei ihren liebsten Dingen, Dort war es auch, wo sie gewöhnlich schlief. Man konnte hier tu einem SdUer dringen. Der von der Blauer aus ins Freie lief.

Den Liebsten ließ ich dort hinauf sich schwingen. So oft ihn meine Sehnsucht zu mir rief. Ich selber warf vom Söller ihm die Leiter, Die hänfne, zu: auf ihr stieg er dann weiter.

10. Und jedes einz'ge lial ließ ich ihn konmien. Sobald es ging, weil in gar mancher Nacht

Ihr Bett die Herrin wechselt, wenn beklommen

Sie schlimmer Nebel oder Hitze macht.

Stets ungesehn ist er hinaufgeklommen.

Weil jener Schloßteil altem Häuserschacht,

Zerfallnem, gegenüber ist gelegen,

Wo Tag und Nacht sich niemals Menschen regen.

11. So mochten Tag' und Monde viel vergehen, Seit wir genossen heimlich Minnespiel.

Die Liebe wuchs, ließ mich in Flammen stehen;

Ich brannt' im Innern ohne Maß und Ziel

Und war wie blind! Nicht wollt' und wollt' ich sehen.

Er liebe wenig nur und heuchle viel.

Und doch verrieten sich in tausend Zügen

Schon unverkennbar seine schnöden Lügen.

6*

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FÜNFTER GESANG

12. Da stand er eines Tags in hellen Flammen Für die Prinzessin; mir ist nicht bewußt. Ob jene Gluten dieser Zeit entstammen. Ob er sie früher schon trug in der Brust. Gewachsen war mit ihm mein Ich zusammen; Mich zu beherrschen hat er so gewußt,

Daß er mir's eingestand ohn' ein Bedenken Und bat, ich solle selbst ihm Beistand schenken.

13. Nicht unsrer Liebe, sagt' er, zu vergleichen Sei jener Handel, den er neu begann;

Er heuchle nur mit der \'erliebtheit Zeichen« Damit er sie Gemahlin nenne dann. Vom König könn' er alles leicht erreichen» Woll' ihn Ginevra nur zum Ehemann, Da er an edlem Blut und hohem Stande Gleich nach dem König komme hier im Lande.

14. Er setzt' hinzu: wenn 's ihm durch mich gelinge. Und sei er seines Herren Schwiegersohn

(Ich müsse sehn, ihm sei die Müh' geringe, Wie keiner hochzusteigen, nah zum Thron), Veigess' er nie das Opfer, das ich bfinge. Und spende mir zvm Danke solchen Lohn: Höher als Weib mid Freund werd' er mich setzen Und ewig mich als HeiBgeliebte schätzen.

15. Ich, nur bedacht, zufrieden ihn zu stellen. Verstand, o weh, das Nein auf keine Weis*, Für mich b^fann der Tag sich erst zu hellai, Hatt' ich ihm zu gefallen den Beweis.

So oft sich's machen läßt, in allen Fällen, Find' ich Gelegenheit zu Lob und Preis, Versuche alles, mühe mich voll Treue, Daß sich Ginevra meines Liebsten freue.

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FOMFTER GESANG

85

16. So tu ich, was ich kann: mit ganzer Seele

Der Himmel weiß wirk' auf mein Ziel ich hin; Allein so sehr ich auch den Herrn empfehle,

Bei ihr bring' ich dem Herzog nicht Gewinn; Und zwar daß ich dir nicht den Grund verhehle Weil einem galt ihr Denken und ihr Sinn, Der, artig, herrhch, schön gleich einem Sterne, In Schottland war erschienen aus der Feme.

17. Er kam mit seinem Bruder, dem noch jungen. Zum Königshofe aus Italiens Gaun,

Hat als ein Held sich bald emporgeschwungen (Kein stärkrer war im Britenland zu schaun) Und auch des Königs Lieb' und Huld errungen; Der schenkt' ihm als Beweis für sein Vertraun Kastelle, Burgen, Städte seiner Krone Und hob ihn hoch im Kieise der Barone.

18. Der Tochter nocli viel teurer als dem Vater Ward dieser Rittersmann Ariodant;

Nicht nur im Kampfe wahre Wunder tat er. Als ihr ergeben auch ward er erkannt. Nicht des Vesuv und nicht des Ätna Krater, Nicht Troja so in hellen Flammen stand V/ie sie, als sie erfuhr, daß im Gemüte Ariodant getreu für sie erglühte.

19. Die Liebe, die sie für den Fremdüng hegte, Anfricht'gen Heizens, inniglich und treu, Abneigung für den Herzog nur erregt : Sie gab mir keine Antwort, die mich freu*. Und als ich weiter mich aufs Bitten legte

Sie umzustimmen sucht' ich stets aufs neu , Begann sie tadelnd ihn gering zu schätzen

Und feindhch immer mehr herabzusetzen.

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86 F N F T E H (', F S A X C

80. So mußt' ich denn in meinen liebsten dringen. Nicht ISnger auf verkehrtem Plad zu gehn; Die Maid sei nicht auf andern Weg zu bringen, Sie werde treu vom Anserwählten stehn.

Wie nach dem Helden ihre Wünsche gingen.

Das sei, so zeigt' ich ihm, doch klar zu sehn. Um auszulöschen solch gewalt'ge Flamme, Gleiche das Meereswasser einem Gramme.

21. Dem FtdineB (so hieß, den ich erkoren) Schon zu verschiednen Malen sagt' ich das;

Als er nun selber merkt' mit Aug' und Ohren, Daß sie zum andern hält ohn' Unterlaß, Hat er der Leidenschaft nicht abgeschworen. Nein, Arger plagt ihn nur und wilder Haß, Daß ihm, dem Stolzesten der weiten Erde, Ein andrer Ritter voigezogen werde.

22. Und jene beiden sinnt er voller Tücken In Zwietracht zu verstricken und in Streit; Feindschaft soll ihre Liebe niederdrücken: Die soll nicht währen für die Ewigkeit. Ginevras Stirn soll unter Schmach sich bücken, Davon kein Leben und kein Tod befreit. Doch von dem Plan, so niedrig sich zu rächen. Wollt' er mit mir nicht noch mit andern sprechen.

23. ,Dalinda,' sprach er (so bin ich geheißen),

,Du weißt, fällt man im Wald durch Beileshieb Den Baum, den man dem Boden will entreißen. Noch an der Wurzel zeigt er weitem Trieb; Also ergeht es jetzo meiner heißen, Durch Schicksalsschläge hingestreckten Lieb' : Auch sie keimt fort, will nimmer von mir weidien Und muß zuletzt des Wunsches Ziel erreichen.

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FONFTER GESANG

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24. Ich will's, nicht weil ich Lust so sehr begehre.

Nein, weil Gefühl des Sieges wohl mir tut.

Drum, das ich in der Wirklichkeit entbehre.

Das zeige mir der Wahn, das hohe Gut.

O nimm, wenn ich demnächst hier wiederkehre

Und die Prinzessin schon im Bette ruht,

Die Kleider all, die ihr zur Hülle dienen,

Und schmücke selber deinen Leib mit ihnen!

25. Wie sie sich schmückt, das Haar pflegt zu bereiten, Das ahme sorglich nach und gleiche ihr.

So sehr du kannst; laß dann die Leiter gleiten: Ich klimm' empor zum Söller, liin zu dir. Verstellung wird dann sie zu dir geleiten, Von der das Kleid du trägst, sie winke mir! So hoff ich denn, mich sähst zu hintergehen Und meine Leidenschaft geschwächt zu sehen.'

26. Er sprach's. Ich, wie von Sinnen, traumbefangen, Hab' all die offnen Liegen nicht erkannt,

Daß Fallstrick war sein dringendes Verlangien Und auf Betrog sein ganzes Sinnen stand. Im Kleid Qnevras von dem Söller hangen Ließ ich die Stufen, die er oft schon fand. Nicht efa'r vermocht' ich all den Ttog zu sehen« Als bis das ganze Unhdl war geschehen.

27. Der Herzog hatt* an einem jener Tage Dies Wort gerichtet an Arfodant

(Sie waren Freunde, das stand außer Fragte, £h um Qnevra war der Streit entbrannt): Ificfa wundert, sprach er, eines, und ich sage« Daß du, für den idi Liebe nur empfand. Der du im Herzen obenan mir throntest. Recht übel meine Freundschaft nun belohntest.

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FÜNFTER G£SANG

28. Ich meine fest, es ist dir nicht entgangen: Midi und Ginevia knüpft em liebesband, Und sie als Ehegattin zu erlangen.

Geh' ich zum König noch in dieser Stund'. Soll nun dein Herz an ihr veigeUidi hangen? Was stdrst du mich? Gibst dich ak G^er kund? Ich würde wahrlich Rücksicht dir erzeigen, Wäre dir mein Fall und mir deiner eigen/

29. Jch muß noch mehr verwundert mich bekennen'. Sprach jener drauf mit hocbgehobnen Braun; »Ihren Getreuen dürft' ich schon mich nennen,

Eh sie dein Auge mochte noch erschaun.

Nicht heißer könnte unsre Liebe brennen. Das ist dir auch bewußt; ich mag drauf baun. Mein Weib zu werden, ist ihr ganzes Sehnen; Daß sie dich liebe, kannst du nimmer wähnen.

30. Warom nicht selbst die Rüdcsicht üben wollen

(Da wir doch Freundschaft hegen für einand). Die du verlangst, ich würde sie dir zollen, Hätt' ihre Liebe sich auf dich gewandt? Nicht deine Schätze, traun, mich schrecken sollen. Bist du der Reichre schon in diesem Land. , Beim König unser Wert der gleiche bliebe. Doch mir allein gehört der Tochter Liebe.'

31. ,Du heßt', sprach der, .vom Wahne dich umkrallen. Durch tolle Liebesglut, das ist mir klar.

Du wähnest dich, ich mich geliebt vor allen; Gewißheit bieten nur die Früchte dar: Den Schleier lasse dein Geheimnis fallen; So mach' ich dir auch meines offenbar. Und wem von ihr ward kleinre Gunst erwiesen. Lasse den Sieger freie Bahn erkiesen.

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F V N r T E R r. F. S A X C

32. Ich bin bereit, dir, wenn du willst, zu schwören, Kein Mensch veminunt, was ich von dir erfuhr; Du schwerst: von dem, was deine Ohren hören.

Verrät dein Mund auf ewig keine Spur.* Drauf einzugehn ließ jener sich betören, Und auf die Bibel taten sie den Schwur, Den Pakt zu halten, Treubruch zu vermeiden. Ariodant als erster sprach von beiden.

33. Und er begann dem andern darzulegen, Wie zwischen ihm und ihr die Sache stand:

Sie schwur ihm mündhch, schriftlich, allerwegen , Sie kenne niemals andres Liebesband; Und stelle sich der König dem entgegen. Dann weise sie den Ehbund von der Hand. Sie werde, wie die Ritter immer hießen, Ihr lieben einsani, unvermähit beschließen.

34. Er selber hoffe nun, im Lauf der Zeiten Durch Waffen taten, die er oft vollbracht

(Daß sie dem Reich auch Ehr' und Ruhm bereiten. Sei er dem Herrn zu zeigen noch bedacht), In seines Königs Gunst so vorzuschreiten, Daß er ihn schließlich doch für würdig acht'. Als Ehgemahl die Tochter heimzuführen, Säh' er ihn heiß bemüht, ihr Herz zu rühren.

35. ,Das ist der Punkt, wo ich mich jetzt befinde'. Sprach er, ,und wo gewiß noch keiner stand. Nicht such' ich mehr, und von dem holden Kinde Erwünsch' ich mir kein klarer Liebespfand. Auch möcht' ich nichts, bevor die Eh' uns binde. Von dem, was Gott für sie uns zugestand.

Mehr heischen wSr' umsonst in jedem Falle; Denn wdt an Tugend überstrahlt de alle.'

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90 F Ü N F T £ R G £ S A N G

36« Wie er der Mfihen Lohn hofft 2x1 eisiesea, Tnt so der RittecBmann dem Herzog kund; Und dieser plant in seiner Brust verschwiegen. Bald xa durchkreuzen beider liebesbund. Und 8i»icht: ,Du ÜeBest weit dich überfliegen! Und zugestehen soll's dein eigner Mimd. Sieh meiner Freude Wurzel und bekenne, Daß ich allein mit Recht mich glückhch nenne!

37. Sie heuchelt, weiht dir nicht die zarten Triebe, Da sie mit Hoffaiung dich und Worten speist: Spricht sie vernimm I mit mir von deiner Liebe,

Ihr das nur Kinderei und Dummheit heißt. Ganz andre Sicherheit, traun, mir verbliebe. Als Kleinigkeiten, die man dir erweist. Ich will bei deinem Eide dir es zeigen, Wiewohl sich mehr geziemte, hier zu schweigen.

38. Kein Mond vergeht, daß nicht sechs, sieben Nächte Und manchmal zehn vielleicht in ihrem Arm

Ich in der Liebeslust mit ihr verbrächte, Die heiß begehrt wird vom verliebten Schwärm. Wer ist nun, sprich, der nicht gering hier dächte Von dem, das dir ward? Ists nicht dürftig, arm? Räume den Platz, such' sonst dich zu versehen, Da du nicht leugnen kannst, mir nachzustehen/

39. ,Ich kann', spricht jener, , dem nicht Glauben schenken: Ein T.ügner, mein' ich, hat dies vorgebracht: Hast dich bemüht, dies alles auszudenken.

Weil du dem Handel gern ein End' gemacht, Versuchst auf sie Verleumdung nun zu lenken; Dein Wort jetzt zu vertreten sei bedacht: Hier auf der Stelle seig' ich. Missetater, Nicht Lügner bist du blo6, nem, auch Verräter.'

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FÜNFTER GESANG

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40. Der Herzog sprach: »Nicht recht ynSxs, muß ich sagen, Sollten wir darum aufeinander haun.

Was ich als Wahrheit so will vor dich tragen. Daß deine eignen Augen es erschaun!* Venvirrt steht nun der Ritter und mit Zagen, Durch sein Gebein scliieicht ihm ein kaltes Graun. Hätt' er die Wahrheit fest geglaubt zu sehen. So war es um sein Leben jetzt geschehen.

41. Er sprach mit schwerem Herzen, bleichen Wangen, Bebender Stimm', im Munde Bitterkeit:

,Läßt du zu solcher ^^'ahrheit mich gelangen, Und gibt der Augenschein mir Sicherheit, Nicht länger wird mein Herz an jener hangen. Die mich läßt fasten, alles dir verleiht. Doch denke ja nicht, daß ich dir vertraue. Bevor ichs nicht mit eignen Augen schaue.'

42. .Nachricht erhältst du, wenn das Ding beschlossen'. Sprach Polineß und ließ ihn dann allein.

Zwei Nächte, glaub' ich, waren kaum verflossen. Da kam Befehl zum nächsten Stelldichein. £r hält bereit, was er an Tniggeschossen Zu schleudern denkt, lädt nachts den Ritter ein Und hdßt ihn warten in den Häusertrünunem, Um die gar niemals Menschen sich bekümmern.

43. Es ist ein Ort, vor dem Balkon gelegen.

Zu dem schon oft der Aufstieg ward gemacht. Nun wollt' im Ritter der Verdacht sich regen. Man hab' an den entlegnen Ort gedacht (Gewählt, so schien's, des Hintertialtes wegen), Um aus der Welt ihn fortzuschaffen sacht. Heuchelnd, man werde dort ihn schauen lassen. Was von Gmevra nimmer war zu fanen.

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F N F T K R O F S A V G

44. Und er beschloß, an jenen Platz zu gehen. Gerüstet aber gegen ihrer viel:

So branch' er nicht in Furcht des Tods zu stehen. Auch für den Fall, daß man ihn Überfiel

Als Held kein beßrer war am Hof zu sehen Sein Bruder galt, berühmt im Waffenspiel. Er hieß Lurcan; mehr schätzt er sein Geleite, Als hätt' er sonst ein Dutzend sich zur Seite.

45. In Waften hieß er den sich ihm gesellen

Und nahm ihn mit sich nachts an jenen Ort,

Ohn' aber das Geheimnis aufzuhellen;

Ihm, wie den andern, sagt' er nicht ein Wort.

Der mußte sich in Stein wurfsweite stellen;

Und nur auf Anruf sollt' er nahn sofort.

Auch ward ihm eingeschärft bei seiner Liebe ,

Daß, wenn kein Ruf scholl, er am Platze bliebe.

46. ,Geh', sprach Lurcan, ,verfolge deine Zweckel* Und zum Gelasse ging der Ritter hin;

Er barg sich in der stillen Lauscherecke, Dort vor dem Söller in der Straße drin. Und bald erscheint der trügerische Recke, Ginevras Schande plant sein arger Sinn. Das Zeichen, das vorher von ihm bestimmte, Gibt mir, die nicht den Trug ahnt, der Ergrimmte.

47. Und ich, in weißem Kleid mit goldnen Streifen, Die vom und rings am Leibchen gehn entlang (Ein Netz aus reinem Gold, mit roten Schleifen Und schönen Quasten um das Haupt sich schlang Ginevra ganz allein trug diese Reifen,

Sonst niemand mehr ), tret', als der Laut erklang. Hinaus auf den Balkon, der solch ein Bau ist, Daß vom und nach den Seiten man zur Schau ist.

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FÜNFTER GESANG

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48. Lurcan, ob von Besorgnis jetzt befallen, Sein Bruder sei schon in Gefahr gebracht. Ob jener Wunsch, der ja gemein uns allen, Geheimnis zu erspähn, in ihm erwacht,

War der Versuchung schließlich doch verfallen Und hielt sich nur voll Vorsicht in der Nacht. Noch nicht zehn Schritt von seines Bruders Klause Bheb er verboigen In dem gleichen Hanse.

49. In dieser Tracht ich wähnt' uns ganz alleine Stellt' ich auf oHenem Balkon mich dar

(Ich ging dorthin ja früher mehr als eine Und als zwei Nächt' ohn' Nachteil und Gefahr), Hell leuchtete das Kleid im Mondenscheine; In Wuchs und in den Zügen sdber war Ich von der Herrin gar nicht allzufeme; Man komite uns verwechsehi gut und gerne,

50. Zumal vom Söller und des Schlosses Mauer Ein großer Raum war bis zum öden Haus. So legen beide Brüder, auf der Lauer, Sich alles nach des Herzogs Willen aus. Bedenke, wie des Ritters Herz voll Trauer

Sich wild zusammenpreßt in Schmerz und Graus I Der Herzog nahm, die ich ihm bot, die Leiter Und stieg auf ihr hinauf zum SöOer weiter,

5z. Wo meine Arme ihn sogleich umschlangen; Nicht ahn' ich, daß mich fremde Augen sehn: Ich küß ihn auf den Mund und auf die Wangen, Wie stets bei seinem Kommen war geschehn. Den Trug erhöhend, hält er mich umfangen, Läßt längre Zeit als sonst dabei vergehn. Er, der als Zeuge kam des schnöden Falles, Steht elend dort und schaut von fernher alles.

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FOVFTER GESANG

52. Vernichtet steht er ; daB er sterben werde.

Scheint einz'ger Trost im übemiächt'gen Schmeix: Er setzt den Knaul des Schwertes auf die Erde Und gibt der Spitze Richtung auf das Heiz. Lurcan, der wohl mit staunender Gebärde bah einen Menschen khmmen söllerwärts, Doch, wer es sei, nicht konnte imterscheiden. Kommt, als der finider käizen will sein Leiden.

53. Er hält ihn ab, daß er mit eignen Händen In Minder Wahnsinnswut sein Mörder sei: Stand er entfernter, war 's nicht abzuwenden. Und kam er später wär' es schon vorbei. ^Unserger*, rief er, ,laß die T(^heit enden 1 Ward dein Verstand denn ganz zur Raserei? Kannst du nicht Treubruch einer Frau verwinden? O, schwanden sie wie Nebel vor den Windenl

54. Laß jene sterben, die verdient zu sterbenl Für beßre Sache spare deinen Tod!

Als du nicht Falschheit sahst, war's Zeit zu werben; Jetzt wird für dich ein starker Haß Gebot. Dein Auge liefi Gewi0heit dich erwerben» DaB sie verbnhlt ist; die wird nicht mehr rot! Das Schwert, statt gdgen dich es zu erheben. Bewahre, ihres Trogs Beweis zu geben!'

55. Als der Betrübte sah den Bruder kommen. Stellt' er sein blutiges Beginnen em; Doch soDte, was er still sich voigenommen. Flucht in den Tod, nicht au%egeben sein.

Er ging davon, das Hers nicht bloß beklommen, Nem, wie durchbohrt von Schmerz und tiefer Pein. Vorm Bruder stellt er sich, als sei geschwunden Der grimme Haß, den er noch just empfmiden.

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FÜNFTER GESANG

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56. Geführt von der Verzweiflung wilden Trieben, In aller Stille war er morgens fort.

Wohin er sich gewandt, wo er geblieben,

Blieb unbekannt noch viele Tage dort.

Was aus dem Land ihn habe weggetrieben.

Das wußten jene beiden nur am Ort.

Im Königshaus ward dies und das gesprochen;

Ganz Schottland hat sich drob den Kopf zerbirochen.

57. Acht Tag' und mehr am Hofe so vergingen, Den Weg ein Waller zu Gmcvra fand;

Er brachte Kunde von gar üblen Dingen: Ertrunken lag im Meer Ariodant. Der eigne Wille sollte Tod ihm bringen, Kein Boieas, kein Wind vom Morgenland. Weit ragt ins Meer ein Fels wie Landeszongen: Kopfüber war er da hina1?gesprungen.

58. Der Fremde sprach : , Von mir am Weg gefunden. Sagt er, bevor die Untat noch geschehn:

Was du Ginevra später sollst bekunden Als Bote, komm, es jetzt mitanznsehn. Sag' ihr, mich hab' ein Anlafi nur gebunden. Das hier zu tun, was jetzt wird vor sich gehn: Zuviel Erblicktes wollte mir nicht taugen, Und glücklich wSr' ich, hätt' ich keine Augen.

59. Wir waren grad, wo Iiiand gegenüber

Hoch Capobaß sich streckt ins Meer hinaus:

Als er gesprochen, sah ich ihn kopfüber

Vom Felsen springen in der W ogen Graus.

Ich UeB ihn in der See und lief hinüber.

So bring* ich gleich die Botschaft dir ins Haus.*

Ginevra, wie verwirrt, mit bleichen Wangen

Blieb zitternd zwischen Tod und Leben hangen.

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o6 F f N r T F r. F ^ A X n

60. Gott, welchen Januner mußte sie eist tragen. Als sie allein war in dem Schla%emachl

Wie sie das Kleid zerrifi, die Brust zu schlagen I Den goldnen Haaren tat sie Schimpf und Schmach,

Und immer mußte sie das Wort sich sagen. Das der Geliebte vor dem Sterben sprach: Gekommen sei das Leid, der Tod des Trauten, Kurz alles nur vom Allzuvieigeschauten.

61. Am ganzen Hofe ging von ihm die Märe,

Der sich aus großem Schmerz das Leben nahm.

Der König unterdrückte nicht die Zähre

Und auch kein Rittersmann und keine Dam'.

Der Bruder aber fast gestorben wäre,

In bittrem Leid ertränkt und tiefem Gram.

Schon nach dem Dolche tasteten die Hände,

Damit er bald den teuren Bruder fände.

62. Und immer wieder sagt' er sich im stillen: Ginevra nur hat ihm den Tod gebracht; Zum Sterben führte Gram und Wider^villen Ob dessen, was er sah in jener Nacht.

So blind verrannt' er sich in wilde Grillen, Von Schmerz und Kümmernis wie toll gemacht. Daß es ihm gleich galt, alle Huld zu missen. Von Volk und König sich gehaßt zu wissen.

63. Und vor den König, als im Saale drinnen Der ganze Hof war, trat er hin und sprach: .Herr, wisset, wenn mein Bruder kam von Sinnen Und sich den Tod gab, weil das Herz ihm brach, 's ist eurer Tochter schändliches Beginnen:

Denn solch ein Schmerz ihn in die Seele stach, Als er sie sah der Keuschheit sich begeben, Da0 Tod ein größrer Freund ihm war als Leben.

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FÜNFTER GESANG

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64. Er liebte sie; weil all sein Streben otfen Und ehifidi war, enthfilP ich alks gem.

Zur Frau sie zu gewinnen dürft' er hoffen Durch treuen Dienst, geleistet semern Herrn. Da hat er einen auf dem Baum getroffen, Der mit dem Duft ihn labte nur von fem; Die heißersehnte Fnicht sieht er sich rauben, Die nur für ihn bestimmte (mochf er glauben).'

65. Ginevra zeigt er dann, hab' er gesehen Ein Seil entsendend von des Söllers Rand: Ein Mensch begann darauf hinaufzugehen, Doch ward er von Lurcanio nicht erkannt; Denn jener hatte gut sich vorgesehen,

Das Haar verdeckt, verändert das Gewand. In seinem Schwerte den Beweis er trage* Daß alles Wahrheit sei, was hier er sage.

66. Denk, welche Qual den Vater elend machte. Als er sein hebes Kind beschuldigt hört'! Ach, er vernahm, was er unmöglich dachte Und was ihm völlig seinen Sinn verstört. Dem Wahnsinn nahe ein Gedank' ihn brachte: Will keiner, ob der Niedertracht empört, Lurcan der LQge mit dem Schwerte zeihen, Muß ja sein Urteilsspnich dem Tod sie weihen I

67. Herr, das Gesetz, vermein ich, wirst du kennen: Es kündigt Todesstrafe jeder an,

Mädchen wie Frau, hört man sie Buhle nennen. Weil sie sich andrem gab als ihrem Hann. WH keiner als ihr Kämpe sich bekennen. Stirbt sie, sobald ein Monat nnr verrann: Ein Sieger muß Beweis der Unschuld geben Und zeigen, daß mit Recht sie dürfe leben.

Artott I 7

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98 F Ü N F T E R G E S A N G

68. Der König will, die Arme zu befreien, Weil sie unmöglich schuldig heißen kann,

Es soll mit großer Mitgift der sie freien. Durch dessen Waffen Klag' und Schimpf zerrann. Es zeigt sich keiner aus der Krieger Reihen; Unschlüssig sehen sie einander an: Lurcan hat großen Ruhm, mit ihm sich schlagen» Will keiner von den andern Rittern wagen.

69. Auch fügt's das Schicksal, grausam ohnegleichen: Zerbin, der kühne Bruder, fehlt der Maid.

Er soll seit Monden durch die Feme streichen. Die Fama kündet seine Tapferkeit. War' er zu finden in den Nachbarreicfaen, Wo ihm die Botschaft naht in kurzer Zeit, Unfehlbar würd' er für die Schwester fechten. Wenn ihm entsandte Diener Kunde brächten.

70. Durch andres noch, als Waffen, zu erkunden War mittlerweil' der Konig sehr erpicht.

Ob die Beschuldigung wahr sei, ob erfunden.

Ob sie den Tod verdiene oder nidit.

So rief er denn bereits nach ein paar Stunden

Der Fürstin Frauen vor sdn Angesicht

Ich sah voraus, wenn nun auch mich sie fingen,

Werd' es Gefahr mir und dem Herzog bringen.

71. Noch in der Nacht entschlüpft' ich leis dem Bette, Worauf ich fem vom Hof zum Herzog schlich; Ich zeigt' ihm, nötig sei's, dafi er mich rette; Um unser beider Leben handl' es sich.

Er lobt mich, spricht von einer sichren Stätte: Dahin, für ihn zur Freude, send' er mich. Und einer Buiig, nicht weit von hier gelegen, Schickt er durch zwei der Diener nüch entgegen.

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FÜNFTER GESANG

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72. Ou weißt es, Herr, wie alle meine Triebe

Hinzielten auf des Herzogs Glück fürwahr; Und daß er auch noch dann mein Schuldner bliebe. Wenn er mich liebt" und ehrte, das ist klar. Sag' mir, was ich empfing für meine Liebe Und was der Lohn für meine Dienste war? Kann irgendeine von uns armen Frauen, Liebend, das Glück, geliebt zu werden, Schagen?

73. Besorgt ist dieser Böse, Ungetreue,

Am Ende könne wanken doch mein Mut,

So daß ich aufzudecken mich nicht scheue

Den wölfischen Betrug und seine Wut.

Er sagt, bis sich des Königs Sinn erneue

Aus Grimm und Zorn, woU' er mich bergen gut

Und mich dorthin zu seinem Schlosse senden

In Wahrheit aber zu des Todes Händen.

74. Dem Führer hatt' er heimüch aufgetragen. Sobald wir hier im dunklen Walde sei'n. Zu meiner Treue Lohn mich zu erschlagen.

Und wärst du nicht erschienen auf mein Schrei'n« Hätt' alles dies sich wirkUch zugetragen. So lohnt die Liebe, die ihr Treue mhnt" IKes der Bericht Dalindas, herb und bitter. Den sie, des Weges reitend, macht dem Ritter«

75. Dem aber kommt es überaus gelegen, Daß an die Maid ihn hier der Zufall band. Durch die mit einemmal dem jungen Degen Der Zweifel an Ginevras Unschuld schwand. War sein Entschluß schon, helfend sich zu regen. Wenn er das Königskind auch schuldig fand. Erneut er mit noch größrer Wärme diesen. Nachdem Verleumdung offenbar erwiesen.

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FÜNFTER GESANG

Zur Stadt Sankt-Andres, wo am Königsheide Ein jedes Gfied des hehren Hauses weilt. Harrend, daß noch der Held erscheinen werde.

Der dort im Kampf den Ruf der Tochter heilt, Ist jetzt Rinald mit aller Macht der Pferde Auf etwa eine Meil' herangeeilt. Der Stadt schon naht er, als er frische Kunde Am Weg vernimmt aus eines Knappen Munde:

77. Ein fremder Ritter hat sich eingefunden, Ginevras Kämpe will er sein im Streit;

Nichts läßt sich durch die Waffenzier erkunden: Still und verschlossen hält er sich beiseit; Verhüllt ist sein Gesicht zu allen Stunden; Entschleiert sah ihn keine Tageszeit. Sein Knappe schwört, daß er den Herrn nicht kenne; Er wisse nicht» wie man den Ritter nenne.

78. Sie reiten, bis sie an den Mauern stehen; Dalmda schliche gerne jetzt sich fort;

Sie fürchtet sich und will nicht weitergehen. Doch folgt sie noch Rinaldos Trosteswort. Verschloßne Tür! Als sie den Pförtner sehen. Fragt ihn Rinald: „Sag' an, was gibt es dort?" Gegangen heißt's, sind Männer sowie Frauen, .Das ganze Volk, den Zweikampf anzuschauen,

79. Den grad am andern End' ein fremder Streiter Zu dieser Zeit bestehe mit Lurcan,

Wo Rasen sei, ein ebener und breiter; Im Gang schon sei der Kampf auf jenem Plan. Der Pförtner öffnet drauf für unsre Reiter, Dann wird das Gitter wieder zugetan. Durch öde Straßen trabt Rinald geschwinde; £r ließ im ersten Gasthaus schon Dalinde.

FÜNFTER GESANG

lOI

80. Sie weide, sprach er, Scfaerheit dort haben, Er xeit' allein ein Weilchen jetzt fOrbaß;

Und nach dem Kampfplate sah sie rasch ihn traben. Wo jene beiden noch otia* Unterlaß Angriffe- tmd Antworthieb' emander gaben. I;iircan ist ganz erfüllt von tiefem Haß Auf die Prinzessin; treu sie zu beschützen, Will jener alle Kraft mit Eifer nützen.

81. Sechs andre Ritter noch zu Fuße halten

Ifit Schwert und Harnisch um das KSmpferpaar.

Nach dem Befehl des Herzogs hier sie schalten;

Der stellt sich stolz auf edlem Renner dar. Als Reichsmarschall muß er des Platzes walten Und nimmt an diesem Tag die Ordnung wahr. Froh ist sein Herz, hochmütig seine Brauen, In solcher Not Ginevra hier zu schauen.

82. Rinald dringt vorwärts zwischen Meng' und Menge; Platz schafft ihm Bajard, sein erlesnes Roß. Nicht lahm und säumig, sei es noch so enge,

Ist, wer sein Dröhnen hört im Menschentroß. Hoch ragt Rinald empor aus dem Gedränge; Man sieht es wohl: das ist ein Heldensproß. £r hält am Königssitze vor dem Ringe: Ein jeder lauscht, was wohl der Ritter bringe.

83. , .Erlauchter Herr," sprach er, gehört von allen, „Hör' mich, laß hier den Kampf nicht weitergehnl Denn wer von diesen beiden möge fallen,

Ein Unrecht war' mit seinem Tod geschehn. Ehrlich ist der und doch dem Trug verfallen. Lügt nicht und muß auf Falschem doch bestehn: Zum Müschen Kläger ihn der Irrtum machte. Der schon vorher Tod seinem Bruder brachte.

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102 FüNFTERGESANG

Dem andern selbst ist dunkel sein Gebaren;

Was ihn in Todes Nähe z«g herbei,

Hochsinn alldn imd eitel Güte waren,

DaB solcher Liebreiz nicht des Todes sei.

Der Unschuld bring' ich Rettnog ans Gefüueiit

Das Gegenteil wird der Verräteici

Dodi eist befiehl, den Zwakampl enmstdlen;

Dann gib Gehfir nur, alles anfenheDenr'

8^ Des fremden Ritters Hoheit ohnegleichen

Er schien ein Heldp ein wfiidiger, färwalir Macht Eindruck anf den König, nnl das Zeichen Gibt er, das Halt gebent dem Kan^lecpaar. Vor ihm, dem ganzen Volk, den Arm nnd Reichen, Der Kitterschaft, legt Herr Rinald nmi dar. Wie FölineB versachte, schnM' mit Lügen Den Ritter ob Ginevras tu betrügen.

86. Die Waffen sdlen snm Beweise dienen. Daß man die lautre Wahrheit hat gefafirt Geholt wird Folinefi: er ist erachiencn. Jedoch man sieht's im Antlits ganz verstört

Indes er leugnet mit verbißnen Mienen.

„Nun", spricht Rinald, „Beweis dem Schwert gehört." Gewaffnet sind sie, und der Platz bereit ist, Daß kein Verzug mehr für den blut'gen Streit ist.

87. Wie Konig nmi nnd Volk vom Wunsche brennen:

Ginevras Unschuld zeige das Gefecht!

Durch Gott, so hoffen sie, wird man erkennen:

Man zieh sie schwerer Sünde ungerecht.

Und grausam, stolz, falsch und verworfen nennen

Die Stimmen rings den Herzog, bös und schlecht.

Ein W under seinen' es keinem, wenn die Märe

Von dem Betrüger rein erfunden wäre.

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F N F T F IR G F S A X G TO3

88. Bleich steht der Henog seine Lippen beben Das Antlitz stair und dumpf das Heiz und schwer. Beim dritten Schall sieht man die Lanz' ihn heben: Da stttnnt RinaM in vollem Lauf daher.

Er zielt tmd will, ihm gleich den Rest zu geben. Durchbohren den Verräter mit dem Speer. Und also kam es sieh, dem bösen Recken Blieb in der Brust der Spieß zur Hälite stecken.

89. Am Schaft gespießt, fliegt Polineß vom Pferde

Sechs Ellen weit: so mächtig war der Stoß.

Rinald springt ab, packt, eh er von der Erde

Aufstehe, seinen Helm und knüpft ihn los.

Doch jener kämpft nicht mehr: mit Angstgebärde,

Demütig, bittet er um Gnade bloß;

Und er bekennt vorm Hof, vor aller Ohren

Den Trug, durch den das Leben er verloren.

90. Mitten im Sprechen noch eh er kann enden Ihm Stimm' und Leben schon geschwunden sind. Den König, der des grimmen Todes Händen Und üblem Ruf entrungen sieht sein Kind,

Hört man zum Himmel Freudenrufe senden. Als ob er jetzt die Krone wiederfind'. Die er dem Haupte sah bereits entrissen: Daun soll Rinald von Ehren keine missen.

91. Er sieht, als das Visier emporgeschoben. Den Helden, ihm von früher schon bekannt; Und streckt die Hand zum Himmel, Gott zu loben, Der solchen Schutz in Not ihm hat gesandt. Der andre Ritter, der den Arm erhoben.

Als Unglück auf Ginevra sich gewandt. Und unbekannt eintrat für sie zum Streite, Sieht alles dies, doch steht er still beiseite.

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FÜNFTER GESANG

92. Der König bittet ihn, sich kund zu geben Oder auch nur im of&ien Hehn zu stehn, Weil er und alle hier des Wunsches leben, Sein' edle Absicht recht belohnt zu sehn. So muß er denn den Helm vom Haupte heben Nach langem Bitten, und was sonst geschehn. Das möcht' ich für den nächsten Sang verschieben, Will weiter zuzuhören Euch beheben.

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SECHSTER GESANG

z. Dem Fievkr wehe, der da meint, es werde Die Ifissetat bedeckt ffir alle Zeit!

Wenn alles schweigt, so spricht die Luft; die Erde,

Wo sie verscharrt ist, in die Weite schreit. Verschiebt auch Gott dem Sünder die Beschwerde, Er lenkt die Schuld, der er die Kraft verleiht. Daß sie den Täter muß von selber zwingen, - Den Frevel unversehns ans Licht zu bringen.

2. Der Unglücksel'ge war im Walm befangen. Die Untat sei begraben ganz und gar, Und dachte fortzuleben ohne Bangen: Nur in Dalinda sah er die Gefahr.

Dem ersten Frevel weitre so entsprangen; Beschleunigt ward, was noch gekommen war. Vielleicht aufschieben könnt' er 's und vermeiden Und fügt nmi selbst, daß er den Tod muß leiden.

3. Freund', Güter, Leben werden ihm genommen. Dazu die Ehre Schhmmres gibt es nicht. Als man den Fremden bat (Ihr habt 's vernommen). Daß er das Antlitz biete frei dem Licht,

Hebt er den Helm, und sieh: zum Vorschdn kommen Bekannte Züge, ein geliebt' Giestcht: Ariodant ist's, den im Grab man meinte. Der Edle, den das ganze Land beweinte.

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SECHSTER GESANG

4. Ailodant, um den Ginevra klagte

Und Kdnig, Hof und Volk in Trauer stand. Der als ein Tnim der Rittertugend ragte Und teuer war rings allem Schottenland. So war es falsch, was jener Bauer sagte? Noch hielt den Edlen nicht des Todes Hand? Nein, Wahrheit sprach er; denn den Hochgemuten Sah er vom Fels sich stürzen in die Fluten.

5. Doch wie es geht: man ruft den Tod vom weiten, Willkommen scheint er uns in hohem Ma6; Sieht man ihn aber wirklich näherschreiten.

So hat man bald genug von solchem SpaB.

Als um ihn Wasser floß von allen Seiten,

Da sehnt der Ritter sich nach fester Straß'. Und kühn, geschickt, entreißt er sich dem Bade Und schwimmt voll Kraft zurück nach dem Gestade.

6. Er schilt sich töricht jetzt und schier von Sinnen, Zu scheiden aus dem Dasein freundlich hell;

Durchweicht und triefend macht er sich von hinnen

Und kommt gemach zu einer Klausnerzell'.

Er denkt, in aller Stille nun hierinnen

Zu weilen, bis man hör' an dieser Stell',

Ob sich Ginevra des Geschehnen freue.

Ob sie vielleicht Betrübnis zeig' und Reue.

7. Zunächst vernimmt er, daß sie, schmerzzerrissen. Dem Tode nahe sei, gebeugt vom Gram (Davon zu reden, war man so beflissen.

Daß kaum die Red' im Land auf andres kam): Es stimmt zu allem, das er glaubt zu wissen Ach, ihm zum Jammer! , freilich wimdersam. Dann hört er, daß Lurcan, so wie man sagte, Ginevra bei dem Vater selbst verklagte.

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SECHSTER GESANG

107

S. Zorn auf den Bmder regt sich, em so giiminer, Vfie er für sie vor Liebe will veigehn, Demi nichts eisdieint ihm grausamer und schlimmer. Wiewohl er weifi, es ist für ihn geschehn. Darauf erfährt er, daB die Schranken nimmer Den Kämpen für Ginevra werden sehn ' (Lurcanios Taten waren unvergessen, Daß jeder Scheu trug, sich mit ihm zu messen).

9. Als klug ihn imd besonnen zu erheben.

Hat keiner, der ihn kannte, noch verfehlt:

Derart gefährden würd' er nicht sein Leben, Wenn unwahr wäre, was der Held erzählt! Drum die Verteid'gung lieber aufzugeben, Hat als das Klügste jedermann erwählt. Ariodant nach langem Überlegen BeschUeßt, er stellt dem Bruder sich entgegen.

10. „Vor meinem Ende jene sehen sterben", Sprach er bei sich, ,,es würde schrecküch sein; Erlitte sie imi mich den Tod, den herben.

Das machte meinen Tod zu bittrer Pein. Um andre Herrin könnt' ich nimmer werben: Sie bleibt mir Göttin, meiner Jugend Schein. Mit Recht imd Unrecht muß ich, sie zu retten. Im Kampf für sie mich 2a den Toten betten.

11, Mit Unrecht, gut! So muß ich dem willfahren. Ich sterbe wohll Doch eins schafft bittre Not: Ich schütze sie dadurch nicht vor Gefahren;

Erst recht vielmehr bringt der Verlauf ihr Tod. Den einen Trost mag ich im Sterben wahren: Daß Polineß, der ihr doch Liebe bot, Nidit im geringsten dentfidi mn6 sie's sehen Den Fnß nnr xegt, dsx Hdden bdzustefaen.

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I08 SECHSTERGESANG

12. Idi aber» dem das Hers sie wollte brechen, Ifich aiAt äe sterben, auf ihr Heil bedacht 1 Am Bmder werd' Ich dann zugleich mich rächen. Der diesen &and hat gransam angefacht:

In seinem Herzen wird die Reue sprechen, Sieht er zu solchem Ziel sein Tun gebracht. Daß er dem Bruder, den er rächen wollte, Mit eigner Hand Verderben bringen sollte/*

13. Als die Gedanken zum Entschlüsse reifen. Ein' andre Rüstung und ein Pferd er fend.

Ein schwarz Gewand auch ; schwarzen Schild mit Strei-

Grüngelber Farbe nahm er drauf zur Hand. [£en Und einen fremden Knappen sah er schweifen; Den nahm er, weil ihn niemand kannt' im Land. So stellte sich wo keiner ihn erkannte Dem Bruder dann zum Kampf Ariodante.

14. Wie's weiter ging, habt Ihr bereits erfahren,

Und was nach der Erkennung noch geschah: Der heben Tochter Rettung aus Gefahren Den König nicht in größerm Jubel sah. Sie finde, meint er, nie so treuen, wahren. So edeln Ehgemahl wie diesen da: Die, wie er wähnt, ihn tödlich hat beleidigt. Gegen den Bruder hat er sie verteidigt!

15. Und wie der Held ihm selber hat gefallen Und weil 's dem ganzen Hofe gut erschien,

* Und weil Rinald es wollte so, vor allen Als Eidam grüßt er ihn mit froher Mien'. Ein Herzogtum, Albanien, heimgefallen Von Polineß, kam grade recht für ilm. Fiel ihm anheim zur besten Zeit im Leben : Er könnt' es seinem Kind zur Mitgift geben.

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SECHSTER GESANG

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16. Dalinda durch Rinakl erhielt Venseihen; . Frei ging sie aus, die groBe Sünderin.

Der Welt entsagen, künftig Gott sich weihen

Und Frieden finden, darauf stand ihr Sinn.

Sie schied aus Schottland: in der Nonnen Reihen-

Zu büßen ging sie, weit nach Dazien hin.

Nun ist es Zeit, nach Roger auszuschauen.

Der auf dem Flügeltier hiniährt im Blauen.

17. Man sieht ihn oben keineswegs erblassen: Er ist ein kühner Held allein ich glaub', Es mag doch größrer Schauer ihn erfassen. Als man bemerken kann am Espenlaub. Europa hat er hinter sich gelassen

Und macht sich immer weiter aus dem Staub. Das Zeichen ist weit unter ihm geblieben. Das Herkules hat Schiffern voigeschrieben.

18. Der Hippogryph, ein Vogel nur zum Teile, Führt ihn dahin auf Flügeln alsoschnell: Des BUtzes Träger käm' erst eine Weile Nach ihm, vermein' ich, an dieselbe Stell'. Es gibt kein Tier, das fliegend ihn ereile Oder an Schnelligkeit sich ihm gesell'.

Auch Pfeile, glaub' ich, selbst die Blitze dringen Vom Himmel kaum herab mit raschem Schwingen.

19. Nachdem der Vogel weiten Raum durchflogen (Im Zickzack nie, gradaus ohn' Unterlaß), Senkt er sich leis, von Luft nun voUgesogen, Im Kreise auf ein Inselland wie das.

Wo Arethusa vor dem Gott der Wogen, Den sie, gar sprdd, geplagt in ihrem Haß, Nach unterseeisch dunklem Weg voll Schreckfai Vergebens lange sann sidi za verstecken.

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HO SECHSTERGESANG

20. Er schaut, was lieblicbes die Welt kann schenken Nichts Ähnliches hat noch sem Flug gesehn ; Sollt' er die Erde zu durchsncben denken.

Doch würde unerreicht das Eiland stehn,

Zu dem des Vogels Schwingen jetzt sich senken;

Bedächtig läßt er sie im Kreise drehn .

Bebautes Land, der Hügel sanft Gefälle,

Wiesen und scbatt'ger Strand und Bächlein helle:

21. Sieh dort des sanften Lorbeers Büsche prangen! Und Myrten hold und Palmen rings im Hagl Zitronen und Orangen golden hangen

Und Frucht und Blüten, was es geben mag; Der Blätter Dächer bieten Schutz: sie fangen Den Sonnenstrahl am heißen Sommertag, Und im Gezweige hüpfend läßt erschallen Sein schmelzend Lied ein Chor von Nachtigallen.

22. Rotröselein und Lihe weiß der Heiden, Frisch in den Lüften schmeichelnden und laun. Sehn Hasen und Kaninchen sicher weiden Und Hirsche stolz und ernst auf grünen Ann« Die sonder Furcht, Verfolgung zu erleiden. Die Gräser rupfen oder wiederkaun. Damwild und Böcke fliegen hin in Sätzen; Gar zahlreich sind sie dort an stillen Plätzen.

23. Als sich der Erde nahn des Tieres Schwingen, Daß man wohl einen Sprung darf wagen hier. Alsbald vom Sattel muß sich Roger schwingen Wdch fiel er in ein blumiges Revier.

Die Zügel fest noch in der Hand ihm hingen,

DaB nicht das Roß sich in die Luft verlier'.

An eine Myrte fesselt er's durch Bande

Grad zwischen Ficht' und Lorbeerbaum am Strande.

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SECHSTER GESANG

III

24. Dann kgt er, wo sich nah um eine Quelle Zitnmenbfttim' und hohe Pafanen^ieihn,

Handschuh und Schild an eine grüne Stelle,

Vom Helm darauf die Stime zu befrein: Er blickt zum Berg, auf Wogen, blaue, helle. Und Kühlung frische Lüfte ihm verleihn, Die um die mächt'gen Wipfel raunend weben Und Tann' und Buche lassen wohlig beben.

25. Nunmehr in klaren, frischen Fluten kühlt er Die trocknen Lippen, und im Händebad Aus seinen Adern fort die Gluten spült er. Die ihm der Harnisch brachte nachgerad.

Kein Wimder, diesen ganz empfindlich fühlt er: Was er vollbracht, war keine Promenad'l In ganzer Rüstung, ohne je zu weilen. Hat er zurückgelegt dreitausend Meilen.

26. Da sieh, der Renner, den er dort gelassen.

Wo dichtes Blattwerk frischen Schatten bringt, Bäumt auf, zu fliehn, als woll' ihn Schrecken fassen Durch etwas, das aus jenen Büschen dringt; Zerrt an der Myrte, beugt sie Übermaßen, Daß er mit Zweigen sich den Fuß umschlingt; Die Blatter fallen und die Aste krachen; Doch nicht gelingt es ihm, sich ftd zu machen.

27. Wie in dem Klotze, hohl und marklos innen. Den man ans Feuer brachte auf dem Herd, Nachdem die Luft, die dumpfe, die ihn drinnen Erfüllte, ward durch Hitze aufgezehrt.

Ein Sieden und Rumoren mag beginnen, Bis schließlich sich die Wut nach außen kdirt. So zischt und murrt, als ob sie Zorn empfuide. Die Myrte: sieh, da öffnet sich die Rinde,

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Iia S E C TT ^ T F R G E ? A N r,

28. Und eine Stimine k&agt in flehnden Klagen* Und deutlich fügt es sich zu Worten gar: „Bist du so gut und edel", hört man's sagen, „Wie es die schönen Züge stellen dar.

Wolle dies Tier von meinem Baume jagen! Was schon mich peinigt, das genügt fürwahr! Nicht weitre Schmerzen, traun, braucht man zu wählen. Um auch von außenher mich noch zu quälen."

29. Beim ersten Ton sprang Roger auf und wandte

Sich nach der Richtimg, wo er das vernahm; Versteinert bheb er stehn, als er erkannte. Wie aus dem Baum heraus die Stimme kam. Nachdem er rasch von dort das Pferd entspannte (Die \\'angen fingen an zu giühn vor Scham), Sprach er: ,.\Ver du auch sein magst, was ich fehle. Verzeih» Waldgöttin oder Menschenseele 1

30. Daß hier ein Geist sich barg, nicht könnt' ich's denken. Als ich das schöne Laubhaar dir verwirrt,

Und daß in knorr'ger Rind' er sei zu kränken; So schuf ich Unheil der lebend'gen Myrt'. Der Bitte woUe nun Erfüllung schenken: Sprich, wer hat sich in strupp'gen Leib verirrt. Daß er, mit Stinmi' und Seele, lebend leide? , So wahr des Himmels Hagel dich vermeidel

31. Und fügt es sich, daß ich für mein Vergehen Ersatz dir leisten kann zu einer Zeit,

So soll es heilig schwör' ich's dir geschehen;

Bei jener, der mein beßres Teil geweiht.

Mit Worten und mit Taten, sollst du sehen.

Erring' ich dann von dir Zufriedenheit."

Ak so der Ritter hat geendet eben,

Sieht man den Baum vom Fuß zum Wipfel beben.

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SECHSTER GESANG

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32. Die Rinde schwitzt, wie Holz aus Waldgehegen,

Das frisch geschlagen ward in seinem Saft, Der Feuerghit setzt Widerstand entgegen Und sich vergebens wehrt mit aller Kraft. Es klingt darauf: ,,Du zwingst mich darzulegen Und zu entdecken, wer ich vor der Haft Gewesen bin und wer mich hier zum Baume Verwandelt hat am schönen Meeressaume.

33. Ich hieß Astolf, war Paladin, mich kannte Frankreich als wohlbewährt im Kriegesspiel, Rinald und Roland waren mir Verwandte, Sie, deren Ruhm nicht Ende hat noch Ziel. England, das mich des Reiches Erben nannte. War mein, wenn Otto dem Geschick verfiel. Schön war ich auch, stand bei den Fraun in Gnaden Und schuf doch schließlich mir allein den Schaden.

34. Heim kehrt' ich von den fernen Inselstranden, An die von Ost die Meerflut Indiens floß. Rinald und ich mit andern, wir befanden Uns in dem Keikerraum, der uns umschloß. Da brachte Rettung aus den schnöden Banden Mit seiner Riesenkraft der Milonsproß, Worauf wir westwärts längs der Küste fuhren. Die oft des Nordwinds Wüten schon erfuhren.

55. Das Schicksal will, daß wir auf unsem W^gen, Als wir uns in der Früh* am Strand eigehn, Ein Schloß, hübsch nach dem Meere zu gelten Der Hex' Aldna war's gehörig , sehn. Wff finden sie, nicht in den Burggehegen, Nein, einsam am Gestad' des Meeres stehn. Und ohne Netz und ohne Angel brachte Sie Fisch' ans Land, so viel ihr Freude machte.

Ariott I 8

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SECHSTER GESANG

36. ]>a haschen ffinke Hänfen wotk Driphrngn; Hit cttaem Manie kommt der dicke Unm, WaIro6 nod Robben mit den grasen ^*«**^, Emporgeschrecfct ans ihrem fanlen Rnhn: Lad», Barbe, Bett und Meeraal, und zn Oma Die gröBten ans der Herde des Neptxm,

Wal, Pottfii<:h, Bii'-zkopf, Narwal sich gest^cn; Die Rieäenröcken ragen aas den \\ elkn.

37. Da ist ein Wal, der machtigste toi allen. Die je gesdien wuidoi in dem Meer; Fettlagen dick nm seinen Hak sich ballen.

Die Schill ter ra^ elf Schritt empor raMi mehr;

So daß wir inigesamt dem Wahn verfallen,

Wir kommen hier zu einem Eiiand her:

Es stand; man sah s sich rühren mcht noch wende»;

Groß war der Zwischenraum der beiden Enden.

5S. D:e Fische las-^n ihre n«issen Barinen,

Sobald die Hex' ein Wort, ein SprücbJein sagt. Sie kam zur Welt als Schwester von Morganen« Ob früher, später hab' ich nicht erfragt. Aldna sah mich an schon mocht' ich ahnen (Nach ihrem Antlitz), ich hab' ihr behagt; Mich schlau hinwegznlocken, 2a berücken. Sann sie mit List; m gat nur sdlt' es glücken.

39. Sie trat heran mit Anstand edler Sitten, Anmutig, höfüch und mit heitrem Wort; Sie sprach: .Ihr werten Herrn, darf ich euch bitten: Nehmt Herberg' heut bei mir an diesem Ort! Ich zeig' euch, was die Jagd aus Meeres Mitten Mir brachte, schöne Fische jeder Sort'; An schupp'gen, weichen, rauhen ein Gewimmel Und mehr, als oben Sterne sind am Himmeir

SECHSTER GESANG

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40. Eine Sirene drauf uns anzusehen,

Die Stürme stillt mit süßen Melodie 'n.

Zum anderen Ufer wir hinübergehen,

Wo sie zu dieser Stunde stets erschien,

Als wir mit einemmal vorm Walfisch stehen,

Der, wie gesagt, ein kleines Eiland schien.

Fürwitzig stets wie sollt' ich es beklagen I

Mußt' ich hinüber auf den Fisch mich wagen.

41. Und ob Rinald mir Wamerzeichen machte, Dudo desgleichen, half es mir nicht mehr; Alcina ließ hei, wie die Hexe lachte! Die andern, sprang geschwinde zu mir her. Gleich regte sich der auf sein Amt bedachte Walfisch und schwamm hinaus ins salz'ge Meer. Jetzt reuten mich wohl meiner Torheit Bande, Doch aUzuwdt schcm waren wir vom Strande*

42. Rinald war, mich zu retten, nachgeschwommen Und hätte selbst sich fast den Tod gebracht. Denn wütend war ein Sturm heraufgekommen. Der Meer und Himmel hüllte tief in Nacht.

Was aus ihm ward, ich hab' es nicht vernommen.

Alcina war auf memen Trost bedacht.

Mitten im Meer, ans Ungetüm gebunden.

Hielt de mich Tag und Nacht, viel bange Stunden,

43. Bis wir zuletzt hier an das Ufer steigen; Der Zaubrerin gehört zumeist das Land, Das einer Schwester war vom Vater eigen, (Eh sie es nahm mit räuberischer Hand), Weil die als echtes Kind sich konnte zeigen, Derweil (ich hab's von einem, dem bekannt Die weitren Einzelheiten allzusammen)

Die beiden andern vom Inzeste stammen.

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SECHSTER QESANG

44. Und wie in Schand' und Sünden diese leben Und voll sind jedes Lasters auf der Welt, Hat jene Maid, der Keuschheit hingegeben. Auf hohe Tugend ihren Sinn gestellt.

Doch als die zwei sich gegen sie erheben Und Heer auf Heer entsandten in das Feld, Sind mehr als hundert Schlösser ihr entrissen; Sie zu verjagen, sind sie jetzt beflissen.

45. Und jene, die sie Logistilla nennen, Besäße kaum mehr einen Fuß breit Land, VV'är' hier nicht ein Gebirg', das wen'ge kennen. Und dort ein Meeresgoii die Scheidewand,

So wie das Schottenreich von England trennen Die Bergeshöhen und der Meeresstrand. Doch auch das Wenige, das ihr geblieben. Zu rauben, ist das Ziel von jenen Dieben.

46. Weil lasterhaft das Paar ist, muß es hassen Sie, die voll Züchten stets und heilig war. Doch Nvill ich diesen Gegenstand nun lassen; Wie ich zur Pflanze wurde, werde klar. Alane lieB mich schwelgen Übermafien Und stand in liebesfeuer ganz und gar.

Sie selber, sch5n und artig anzusehen,

liefi bald auch mich für sie in Flammen stehen.

47. Sie gOmiet mir der zarten Glieder Wonnen; Ich bin es, der in vollem Zug genießt.

Was Menschenkindern beut der Glückesbronnen, Der stets nur späriich, niemals reichlich fliefit Frankreich und alks sonst ist wie zerronnen; Ich hang* am Antlitz, das mein Heil umscMeOt. Sie ist das Ziel dort endigt Tun und Trachten , Der Grenzstein, den ich nimmer kann mißachten.

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48. Und so geliebt ward ich von ihrer Seite; Sie kimimert nimmer sich mn andre mehr: Die sonstigen Buhlen schickt sie in die Weite Penn früher waren freilich andre mehr). Mich als Berater will sie stets zur Seite, Mich als Gebieter ob der andren Heer,

Mir glaubte sie, ich war ihr der Vertraute, So daß sie nie nach einem andern schaute.

49. Warum, ach, rOhr' ich an die alten Wunden,

Wo keine Hoffnung für den Schmers bereit?

Der Lust gedenkend, die dahingeschwimden.

Derweil ich dulde hier unsäglich Leid?

Ich wähnte schon das Glück an mich gebunden

Und ihre Liebe größer allezeit,

Als sich ihr Herz auf einmal von mir wandte

Und neu in Glut für einen andren brannte.

50. Gleichzeitig spät erkannt' ich's war das Lieben Und Ninunerlieben ihrem Flattcrsinn:

Als ich zwei Monde war im Land geblieben, Schloß einen neuen Bund die Buhlerin. Mich hat sie schmähüch von sich fort getrieben; All ihre Gunst und Huld war nun dahin. Behandelt hatte sie mit gleichem Spiele, Hört' ich, ohn' Anlaß, schon der Buhlen viele.

51. Zögen die Abgesetzten nun von dannen. So hörte ja die Welt den argen Brauch, Drum werden sie verwandelt hier in Tannen, Ölbäume oder Palmen, Zedern auch.

Und wieder andre läßt sie grausam bannen, We mich du siehst, in grünen Myrtenstrauch, In QueUen andre oder wilde Tiere, Wie's grad der Zaubrin paßt, im Waldreviere.

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SECHSTER GESANG

52. Da aber, der auf ungewohnten Wegen, Herr, in dies UnglückseUand dringst herein, Daß iigendein Galan um deinetwegen Verwandelt werd' in Wasser oder Stein, Nimm Reich und Zepter eine Weil' entgegen, Um mdir als aBe Menschen froh ta sein; Allein auch du trittst dann auf alle Fälle

In Holz, in Fels, in Tier ein oder Quelle.

53. Ich habe gerne dir Bescheid gegeben,

Wenn*s auch nicht grad von Nutzen für dich ist; Gut ist es stets, gewarnt voranzustreben: Denk, daß du nun des Brauches kundig bist.

Wenn das Gesicht verschieden ist im Leben, Mag auch Verstand verschieden sein und List: Dem Schaden, den die andern nicht vermieden, Vielleicht ist ihm zu trotzen dir beschieden.'*

54. Roger, dem Astolf, seiner Dame Vetter,

Schon längst bekannt vom Hörensagen war.

Betrübte sich, als er in Holz und Blätter Ein Antlitz sah verwandelt ganz und gar. Und Bradamant zuliebe gerne hätt' er (Wär' ihm dabei das Wie nur offenbar!) Thm Beistand hier geleistet; doch zur Stunde Könnt' er nichts tun als trösten mit dem Munde.

55. Er tat's nach Kräften, um sodann zu fragen.

Ob nicht ein Weg durch Tal, durch Berge sei

Zum Reiche Logistillas einzuschlagen,

Am Lande der Alcina hübsch vorbei.

Wohl gab' es den, hört' er die Myrte sagen.

Doch nur durch eine stein 'ge Wüstenei;

Ein wenig rechtshin mög' er sich bewegen.

Aufwärts, dem Aipengipfel dann entgegen.

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SECHSTER GESANG

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56. Doch leicht geschah' es, daß Ge&hr ihm drohte, ZQg' er auf diesem einen Wege fort;

Denn wilde Menschen, rechte Schlagetote,

Und eine böse Sippschaft hausen dort. Sie stehn der Fee statt Mauern zu Gebote, Wenn einer fliehen wolle von dem Ort. Roger hat seinen Dank dem Baum entrichtet Und scheidet dann, belehrt und unterrichtet.

57. Er geht zum Pferd, löst es und nimmt die Zügel, Geht selbst zu Fuß, das Roß trabt hinten sacht. Denn nicht wie früher steigt er in die Bügel: Leicht hätt' es ihn zu anderm Ort gebracht.

Auf sichren Wegen über Tal und Hügel Dem Reiche dort zu nahn ist er bedacht. Und fest vor Augen hat er eins vor allen: Nicht in die Macht der Zaubrerin zu fallen.

58. Er dachte freilich sich aufs Roß zu schwingen Zu neuem Ritte durch das Luftrevier,

Doch könnte dies ihm größres Übel bringen. Denn allzu störrisch war das Flügeltier. „So werd' ich mit Gewalt das Ding eizwingen". Sprach er bei sich doch anders kam es hier. Zwei Meilen weit kaum ging er an der Küste, Als ihn die schöne Stadt Äldnens grüßte.

59. Fem sieht er eine lange Mauer scheinen, Die in der Runde vieles Land umspannt; Sie will an Höh' dem Himmel sich vereinen Und ist aus Gold von imten bis zum Rand. Wenn jemand, andrer Ansicht als der meinen. Es Messing nennt ob minder sein Verstand, Ob mehr als mir ihm die Minerva hold ist , Weil es so glänzt, behaupt' ich, daß es Gold ist.

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SECHSTER GESANG

60. Als Roger näherkommt der großen Mauer, Der in der Welt der erste Platz gebührt. Läßt er den breiten Weg, der in genauer Gerader Richtung zu den Toren führt; Rechts strebt der sichre Pfad empor an rauher Felswand: er ist es, den der Held erkürt. Bald aber tauchen auf die Waldgesellen,

Die sich mit Wüten in den ihm steDeo.

61. Nie sah man noch so wunderliche Fxatsen, Bildungen seltsam, scheußlich und verzwickt: Köpfe von Affen hier imd dort von Katzen, Abwärts vom Hals man Menschenleib erblickt Bocksfüfie stampfen hier, dort Bärentatzen, Kentauren gibt es, hurtig und geschickt, Und Burschen frech und stumpfe alte Leute, Die nackt, die greulich eingehüllt in Häute.

62. Der reitet, zügellos, gleich Blitzesstrahle, Langsam auf Ochs und Esel dort ein Paar; Der qnringt auf den Kentaur mit einem Male, Und viele reiten Kranich, Straufi und Aar; Der setzt ein Horn ans Maul, der eine Schale, Hier ist ein Mann, hier Frau, hier beides gar. Der trägt den Haken, der die Leiterseile, Stemmeisen jener, der die stille Feile.

63. Dickbaddg kam ihr Hauptmann angeritten. Dem war als Zier ein fetter Wanst gesdienkt; Er saß auf einer SchildkrÖt' in der Ifitten, Die gar bedächtig ihre Schritte lenkt'.

Zwei, rechts und links, um ihn zu halten, schritten:

Er war berauscht und trug den Kopf gesenkt; Einer hat Stirn und Kinn ihm abzuwischen, Einer muß fächeln, um ihn zu erfrischen.

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SECHSTER GESANG

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64. Ein Ungetüm mit MenscfaenfoB mid -leibe. Doch Hundehals und -ohr und -schädelstück, Bellt gegen Roger an und meint, es treibe Ihn zu der schönen Zaubeistadt zurück.

Da ruft der Kitter: »»Nimmermehr, ich bleibe« Solange dies noch mein zum guten Glückt" Und zeigt sein gutes Schwert und droht dem Wichte, Die Spitze scliarf vor dessen Angesiebte.

65. Nun eilt der Unhold, seinen Speer zu schwingen. Doch plötzfich stürzt der Ritter auf ihn los.

Und in den Wanst läßt er das Eisen dringen,

Heraus zum Rücken ragt es händegroß.

Den Schild am Arm will Roger vorwärts springen

Ja, hätt' er Raum sich zu bewegen bloß!

Der sticht ihn vom, der fällt ihm in den Rücken

Er wehrt sich wild, schlägt alles nngs in Stücken.

66. Durchschnitten bis zum Maul muß der erkalten, Zerhaun liegt jener bis aufs Brustgebein, Denn alles mag die gute Klinge spalten,

Helm, Schild und Panzer haut sie kurz und klein. Doch wird der Held so eingeengt gehalten, Daß, fortzuscheuchen all der Feinde Reihn Und Raum zu schaffen im verruchten Schwarme, Mehr nötig waren als Biiareus' Anne.

67. Ja, wenn des Schilds er jetzt gedenken wollte, Des herrhchen vom alten Nekromant!

Der Blendung gab, wenn man das Tuch entrollte, Und den am Sattel ließ des Atlas Hand! Wie rasch er das Gesindel zwingen sollte 1 Bünd würden alle stürzen miteinandl Vielleicht war grade dies ihm widerwärtig: Kraft bringe, nicht Betrug, die Siegtat fertig!

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122 SECHSTERGESANG

68. Sei's, wie es sei» er hat sich Tod geschworen. Müßt' er so niedrea Volks Gekogner sein Doch sieh, da kommen aus der Mauer Toren (Hell leuchtend, wie gesagt, in Goldes Schein) Zwd Mägdlein hold, voH Anstand auserkoren. Auch nach der Kleidung hochgestellt und fein; Erwachsen nicht in diirft'ger Hirtenklause, Nein, wonniglich in stolzem Königshause.

69. Auf dnem Einhorn weiß wie Hermeime Gelagert heide, zogen sie heran.

So reich geschmückt und von so holder Miene,

Fremdartig hoheitsvoll, dafi emem Mann

Es Aufgab' eines Götterauges schiene,

Zu sagen, welche hier den Preis gewann.

Wenn Reiz und Schönheit jemals leibhaft walten

Und Anmut, wär's in diesen Huldgestalten.

70. Wie beide zu der Wiese nun gelangen. Wo Roger im Gedräng des Haufens stand

(Der Schwann war rasch auf und davon gegangen).

Da boten sie dem Ritter fein die Hand.

Ihm färbten rosenrot sich jetzt die Wangen,

Als für die Huld er Dankesworte fand.

Dann, ihnen einen \\'unsch nicht zu ver^'ehren,

Wilhgt er ein, zum Tor zurückzukehren.

71. Zum Schmuck des Architraves sich vereinen

Überm Portal ragt er ein wenig vor Endlose Zahl von seltnen Edelsteinen, Wie nur das Morgenland sie bringt hervor. Ans eitel Demant dicke Säulen scheinen. Die an vier Seiten tragen dieses Tor. Ob das nun unecht oder ob es echt ist. Für höchste Augenlust es just so recht ist.

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SECHST I - K r, E S A N G

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72. Über die Schwelle hm und Säulenhallen Gehn üpp'ge Mädchen scheizend aus und ein; Wollt' ihnen Züchtigkeit nur mehr gefallen.

So könnten sie vielleicht noch schöner sein. Grünfarbne Kleider sieht man schier an allen, Die Häupter tragen frische Kränzelein. Entgegenkommend, nett in jeder Weise, Führen sie Roger nach dem Paradeise.

73. Denn also kann man wohl den Ort begrüßen.

Wo Amor, mein' ich, seine Heimat hat;

Und Tanz und Spiel der Stunden Flucht versüßen.

Der frohen Feste wird man niemals satt.

Grauhaar 'ge Weisheit und der Wunsch zu büßen

Die haben in den Herzen keine Statt.

Nicht Mangel naht hier mit den leeren Händen,

Nur Überfluß will stets sein Füllhorn spenden.

74. Hier, mit der Stime heiter stets und helle. Für ewig, scheint's, lacht lieblicher April, Sind Jüngünge und Frauen; nah der Quelle Süßinnig der sein Liedchen singen will;

Der unterm Baimn, am Berg, an schattiger Stelle Spielt oder tanzt, vergnügt Mrohl auch sich still; Und der, den andern fem, vertraut dem Hersen Des Freundes seines Liebesleides Schmensen.

75. Wo Buchen hoch und Pinien wipfel wiegen, Und bei dem Lorbeer strupp'ge Tannen stehn. Hold tändelnd junge Liebesgötter fliegen: Der hat ein Herz für seinen Pfeil ersehn. Und jener triumphiert nach schnellen Siegen; Der zielt, und diesen sieht man Schlingen drehn; Im Bach Geschosse härtet jener Kleine,

Und der da spitzt sie zu auf glattem Steine.

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124 SECHSTERGESANG

76. Man führt für Roger einen fetuig flinken, Gewalt'gen Hengst ein Braoner ist's herbei; An dem Geschirre Prachtjuwelen blinken

Und pures Gold in schöner Stickerei. Und einen Knaben hden sie durch Winken, DaB er des Flügeltieres Hüter sei; Hinter dem Helden, mit geringrer Eile, Am Zaum gehalten, trabt es alleweile.

77. Die beiden Holden, die entweichen machten Den wilden Haufen dort am Beigesrand Und Ungetüme, die den Weg bewachten. Der rechts hin weiterführte diuch das Land, Sie sprachen: „Edler Ritter, die vollbrachten Großtaten deines Arms sind uns bekannt; Drum bringen wir die Bitte dir entgegen, Auch uns jetzt beizustehn mit deinem Degen.

78. In zwei getremate Teile, wirst du sehen. Scheidet die Eime hier ein sumpf 'ger Spalt; Dort pflegt das Weib Eriphyle zu stehen Und sperrt da stets mit Tücke und Gewalt Die Brücke allen, die hinübergehen;

Und eine Riesin ist sie von Gestalt,

Mit langen Zähnen, gift'gem Biß und Tatzen,

Scharfen, die ganz wie Bärenklauen kratzen.

79. Und dieses nicht allein muß uns empören. Daß sie gesperrt die freie Straße hält; Auch in den Garten läuft sie, zu zerstören Bald dies, bald das, was in die Hand ihr fällt. Und denk, als Kinder viele ihr gehören

Vom Schwann, der dir sich in den Weg gestellt. Ihr folgen alle, sind gleich ihr abscheulich, Ungastlich, räuberisch, kurzum ganz greulich."

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SECHSTER GESANG

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80. Sprach Roger: „Nicht, daß eine Schlacht ich schlage. Nein, hundert möchte ich für euch bestehn.

Ich und was Gutes nur man von nur sage, Soll, wie ihr wollt, euch ganz zu Diensten stehn; Wenn ich als Ritter Schien' und Harnisch tiage. Will ich nicht Geld und Gut errungen sehn. Nein, lediglich den andern Beistand leisten Und schönen Frauen so wie euch am meisten.*'

81. Wie sich's geziemt genüber hohem Degen, Ward jetzt anmut'ger Dank ihm ausgedrückt; So plaudernd gingen sie dem Ort entgegen: Sie fanden dort die Ufer überbrückt.

Schon sahen sie das Mannweib sich bewegen In goidner Rüstung, edelsteingeschmückt. Ob Roger hat mit dieser angebunden. Das wird im nächsten Sange vorgefunden.

SIEBENTER GESANG

1. Wer weit von Hause geht, begegnet Dingen Verschieden vom Gewohnten ganz und gar. Und Glauben findet er daheim geringen; Ein Lügner heißt er, aller Wahrheit bar.

Denn weiter kann's das dumme Volk nicht bringen, Sieht es nicht selber alles klipp und klar. Unwissenheit wird jetzt, besorg' ich^ bange. Auch wenig Glauben schenken meineni Sange.

2. Ob sie mir Glauben schenken oder keinen, Mir gilt der dummen Leute Meinung gleich; Euch, weiß ich, Herr, wird's Lüge nicht erscheinen, Ihr seid an Weisheit und Verständnis reich.

All meine Kraft will ich dahin vereinen, Daß Euch geialle meines Schaffens Reich. Zur Brücke nun, wohin ich grad Euch brachte. An der Eriphyle voll Glimme wachte.

3. Zu feinen Panzers Schmuck hat sie genommen Buntfarbig glänzend herrhches Gestein: Smaragden grün, und rot Rubinen glommen. Dann wieder Chrysolith mit gelbem Schein.

Sie war beritten nicht zu Pferd gekommen: Statt dessen muß dn Wolf ihr Schlachtroß sein. Ein Wolf ihr Scfalachtroß an des Wassers Rande, Ifiit Sattelzeug, wie's keiner kennt im Lande.

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SIEBENTER GESAKG 127

4. So großen gibt's nicht in Apuliens Auen,

Hoch wie ein Stier, die Knochen stark und fest; Kein Zügel, dran des Rachens Zähne kauen; Weiß selber nicht, wie er sich lenken läßt. Ein Kleid von sand'ger Farbe ist zu schauen Über dem Harnisch dieser Höllenpest, Dem ähnhch, von der Farbe abgesehen. Darin Prälaten jetzt zu Hofe gehen.

5. Auf ihrem Helm sitzt, ebenso im Schilde, 'ne Kröte, die sich giftgeschwollen bläht. Die Damen zeigen ihrem Held die Wilde,

Die drüben, kampfgerüstet, schilt und schmäht Und höhnend sperrt den Eingang ins Gefilde, Wie sie's zu tun gewohnt ist früh und spät. Zurückzuweichen schreiend jetzt gebeut sie; Jung Roger nimmt den Speer auf und bedräut sie.

6. Ihm sprengt die Riesin kühn und rasch entgegen; Spornend den Wolf, sitzt sie im Sattel schwer; Er sieht sie halben Laufs die Lanze legen

Bei ihrem Nahn erdröhnt der Grund umher. Doch nicht vom Feld soll sie sich fortbewegen. Denn unterm Helm trifft sie des Ritters Speer So wuchtig, daß die ungeheuren Glieder Sechs Ellen weit nach hinten fallen nieder.

7. Den Kopf, den trotzigen, ihr abzuschlagen. Hat nun der Hekl bereits das Schwert gezückt (Vollbringen könnt' er's, ohne was zu wagen; Im Gras ja lag sie, schon der Welt entrückt), Jedoch »,Genug," hört er die Damen sagen, „Begnüge dich, daß dir der Sieg geglückt I Steck' ein den Degen, ritterlicher Streiter;

Die Brück' ist frei: so gehen wir denn weiter I'*

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128 SIEBBNTERGESAN6

8. Ifitten durch ein Gehölz am Beigesiaiiie,

Ein wenig rauh und mühsam ging die Bahn; Nicht eng nur war der Pfad und voller Steine,

Auch kerzengrade stieg er himmelan. Doch oben, bei dem Ausgang aus dem Haine, Bald einer breiten Wiesenflur sie nahn, Und dort vor ihren Augen steht der beste Und lieblichste der irdischen Paläste.

9. Alcine war vorm ersten Tor erschienen, Wo sie dem Ritter hold entgegentrat Und grüßte ihn mit hoheitsvollen Mienen, Umringt von ihres Hofes stolzem Staat.

Das neigt und beugt sich, und dem Held zu dienen. Das Menschenmögliche ein jeder tat, An Ehren könnte gar nicht mehr geschehen. Und ließe sich der Herrgott selber sehen.

IG. Nicht weil an Glanz es alles überwindet, Muß dieses Schloß weit über andern stehn, Nein, weil man hier die nettsten Leute findet. Die feinsten, artigsten, die man kann sehn. Und die ein gleiches Alter hübsch verbindet Und Jugend, Schönheit, blühndes Wohlergehn. Alcine Königin der Huld und Wonn' ist. Wie über alle Sterne schon die Sonn' ist.

II. So muß das Urbild aller Reize p/cingen. Wie 's zu erfassen sucht des Malers Fleiß, Mit blonden Haaren, schön verschlungnen, langen (So leuchtet nicht des Goldes Strahlenkreis); Und Uebhch mischt sich auf den zarten Wangen Der Rosen Rot und des Ligusters Weiß. Es gleicht die heitre Stirn dem Elfenbeine, Ist keine allzu hohe noch zu kleine.

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SIBBBNTER GESANG

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12. Unter zwei schwarzen, allerfeinsten Brauen Zwei schwarze Augen, nein, zwei Sonnen sind. Langsam beweglich, die voll Mitleid schauen, Und um sie scherzt und spielt das Flügelkind. Dort leert er seinen Köcher, möcbt' ich trauen. Und stiehlt von dort die Herzen sich geschwind. Dort ins Gesicht senkt sich der Nase Adel Da findet selbst der Neid nicht einen Tadel.

13. Darunter, von zwei Tälern klein umschlossen, Das Rot des Mündleins, dem Zinnober gleich: Darin zwei Schnüre Perlen, glanzumgossen ;

Die zeigt und schließt die Lippe schon und weich. Von der so oft die holden Worte flössen. Die jedes Herz ziehn in der Liebe Reich, Heimat von Schalkheit und von süBem Lachen, Die uns die Welt zum Paradiese machen.

14. Milch ist die Brust, der Hals Schnee, frisch gefallen. Breit jene, dieser wie ein rundes Band.

Von Elfenbein zwd herbe Äpfel wallen Hinauf, hinab gleichwie die Weil' am Strand, Wenn Meer und Unde Luft in Zwist gefallen. Mehr wird dem Aigns selber nicht bekannt. Doch meint man, was man sieht, wird wohl sich reimen Mit jenem, das verborgen im geheimen.

25. Die Arme bieten ganz die rechte Weite,

Es zeigt sich oft das Händchen weiß und fein. Länglich gestreckt und nur von schmaler Breite; Kdn Knötchen sichtbar und kdn Aderletn!

Zuletzt stellt diesen Reizen sich zur 5>cite

Das liebe Füßchen, zierlich rund und klein. Nie wird sich dieser Himmelsreize Fülle Verbergen lassen unter einer Hülle.

Arlott 1 9

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SIEBENTER GESANG

^l6. Stets spannt ^ie Schlingen, jemand einzufangen. Ob sie nun geht, ob. singt und lacht und spricht: Kein Wunder ist's, bleibt Roger darin hangen, Ihm hat es angetan ihr hold Gesicht. Die Warnung, die er jüngst erst hat empfangen Von ihrer List und Tücke, nützt ihm nicht. Er kann sich's einmal nicht begreiüich machen. Daß Trug vereinbar sei mit solchem Lachen,

17. Er glaubte lieber, daß dort an der Küste Astolf um eigne Schuld verwandelt sei Und er darum mit Recht so schmerzUch büßte Als Undankbarer, für Verräterei, Auch alles dies gesprochen haben müßte Aus Räch' und Haß in eitel Heuchelei; Und Mißgunst nur und Neid hab' ihn bewogen Zu seiner Rede alles sei erlogen.

lö. Aus seinem Herzen ist die Maid geschwunden. Die schöne, die bisher es hat bew^t; Durch Zauber hat ihm, was er einst empfunden, Aldna vom Gedächtnis fortgefegt; Ihr Bild allein ist ihm in diesen Stunden Und ihre Liebe nur ihm eingeprägt. Entschuldigung drum darf man Roger gdnnen; Er hat nicht treu und standhaft bleiben können.

IQ. Bei Tische fehlt, die Freude zu verschönen. Das Spiel von Zithern, Harfen, Lauten nie; Und noch von vielen andern holden Tönen Erbebt die Luft in süßer Harmonie. Ein kund'ger Mund, die Wonne recht z\x krönen. Preist Liebeslust in Lied und Poesie, Und mit Erfindungen und Melodien Ruft er empor wiUkommne Phantasien.

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SIEBENTER GESANG

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20. Kann sich ein Mahl bei Ninus wohl, dem Zecher (Oder wer nach ihm kam m Ninivc), > ti>.ti Kann, das Kleopatra gab Romas Rächer, f^-^f^-*. Kann irgend eines sich veigkichcn je k .., ( Dem üpp'gen Prunkmahl, dran vor seinem Becher Der Paladin saß bei der Zauberfee ? > .

Es gibt kein solches Mahl, zurück steht jedes; Selbst, wo dem Zeus den Trank reicht Gan3miedes.

21. Als dann die Speisen waren abgetragen,

Saß man im Kreis und spielt' ein fröhlich Spiel:

Ein jedes mußt' ins Ohr dem andern sagen

Etwas Geheimes, wie es ihm gefiel;

Ist's für Verliebte doch ein groß ^Behagen,

Liebe gestehen ohne Zeugen viel.

Zuletzt zu dem Beschluß sie sich verbinden.

In dieser Nacht zusammen sich zu finden.

22. Ein Ende wurdt» bald dem Spiel bereitet

(So früli war's für gewöhnlich noch nicht aus): Blutjunger Pagen Fackellicht verbreitet Sich bald und jagt die Finsternis hinaus. Von freundlichsten Genossen schön geleitet. Trat Roger aus dem hohen Saal heraus. In einer Kammer, schön und kühl gehalten, Die allerbeste war es Ruh' zu halten.

23. Backwerk und guten Feuerwein b^;innen Sie neu zu liieten, wie es Brauch im Land, Dann, tief sich neigend, gehen sie von hinnen. In seine Kammer jeder, wo sie stand.

Auch Roger schlüpft hinein in duft'ge Linnen, Gewoben, schien es, von Arachnes Hand, Doch hält er weiter noch, in frohem Hoffen, Sie nahn zu hören, seine Ohren offen.

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SIEBBNTBR GBSANG

24. Mag irgendwo das kleinste sich bewegen,

Hebt er den Kopf und denkt: .Jetzt ist sie nah!"

Ermcint: ,,Daregtsichs!" Ach, nichts will sich regen l

Aufseufzt er nun, ein Irrtum war es ja!

Jetzt hebt er sich vom Bett, der Tür entgegen.

Und blickt hinaus vergebens, nichts ist da.

Er flucht wohl tausendmal dem Gang der Stunde:

Sie schleicht doch allzu säumig in der Runde 1

25. Oft sagt er sich: .Jetzt ist sie schon im (iange!" Und rechnet, wie viel Schritt es mögen sein.

Bis sie von ihrer Schwell' an die gelange,

Die sie betreten muß zu ihm herein!

So, eh die Dame kommt, verfällt er bange

In die verschiedensten Phantasterein

Und fürchtet, daß ein Hindernis sich finde.

Das ihm die Frucht noch aus der Hand entwinde.

26. Nachdem die Fee hat lange Zeit verschwendet, Zu duften von den feinsten Spezerein. Scheint's, daß im Hause die Bewegung endet. Und aus dem Zimmer schlüpft sie fort allein. Und auf geheimem Wege, leise, wendet

Sie sich dahin, wo zwischen Glück und Pein Der Ritter harrend muß die Zeit verbringen, In dessen Seele Furcht und Hoffnung ringen.

27. Kaum daß die lächelnden, die hellen Sonnen Astolis Ersatzmann in der Näh' erschaut. Loht es in Adern wie aus Schwefeltonnen: Ihm ist, es duld' ihn nicht in seiner Haut. Bis zu den Augen hoch im Meer der Wonnen Schwimmt er ob all der Dunge süß und traut. Er springt vom Lager: ohn' ihr Zeit zu lassen. Sich zu entkleiden, muß er sie umfassen.

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SIEBENTER GESANG

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28. Wenn sie auch weder Reif rock trägt noch Mied^: Nichts als ein leichter Zindel hüllt sie ein; Darunter wallt ein Hemdchen um die Glieder, Gewoben weiß wie Schnee, unsagbar fein.

Wie Roger sie umarmt, da gleitet nieder Der Mantel, und der Schleier bleibt allein. Der deckt nicht mehr vom Reiz der Tadellosen, Als Glas verbiiigt die Lilien und die ^osen.

29. Kein Efeu hält den Baum so fest umschlossen» Um den er sich mit zähen Wurzeln schlingt. Als sich umfahn die liebenden Genossen:

Ein süßrer Hauch von Mund zu Munde dringt Als Duft, der Indiens Blumen ist entsprossen Oder dem Sand von Saba sich entringt. Wie sie genossen fragt sie selbst um Kunde: Sie haben mehr als eine Zung' im Munde.

30. Verhohlen bUeben oder doch so galten Die Dinge, die da trieb das junge Paar:

Des Mundes Lippen hübsch gepreßt 2U halten. Ein Fehler nie, doch oft schon Tugend war. Für Roger alles freundlich zu gestalten, Befliß sich eifrig jene schlaue Schar. Ihm neigt sich und ihm huldigt jede Miene, Denn so gefiel's der Hebenden Alcine.

31. Fem bleibt dem Liebesnest nicht ein Behagen, Nicht eine Lust; schier alle sind sie hier. Zwei-, dreimal täglich frisch Gewand sie tragen. Nach dieser bald und bald nach der Manier.

Stets eilt man von den Festen zu Gelagen, Zu Schauspiel, Ringen, Bädern. Tanz. Turnier. Man liest am Quell, in schattig kühlem Grunde, Wie Dichter geben von der Liebe Kunde,

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SIEBENTER GESANG

32. Man folgt im Tal, in fröhlichen Gehegen

Durclis Hügelland des scheuen Hasen Lauf; Man schreckt mit klugem Hund auf Feldeswegen Dumme Fasanen unter Lärmen auf; Dann geht man, im Wacholderduft zu legen Leimrut' und Schhnge für der Drosseln Häuf Oder man holt die Angeln und die Netze, Dem Fisch zu stören seine stillen Plätze.

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33. So lebt man denn in Freuden unermessen. Derweil sich abmühn Karl und Agramant; Sie wollen wir nun auch nicht ganz vergessen« So wenig wie die gute Bradamant,

Die Tage lang voll Kummer unterdessen Den Freund beweint« der ihr so rasch entschwand Und vor den Augen ward davongetragen; Wohin des Weges, weiß sie nicht zu sagen*

34. Vernehmt von ihr zuerst aus meinem Munde, Daß sie vergebens suchte tagelang

Auf offnen Feldern und in schatt'gem Grunde, In Dorf und Stadt, im Tal, am Bergeshang; Ach, von dem Liebsten ward ihr keine Kunde, Der allzu weit ja sich von hinnen schwang! Im Mohrenheer besucht sie Kriegerscharen, Doch über Roger kann sie nichts erfahren,

35. Befragt tagtäghch mehr als hundert Streiter, Ohne daß jemals sie Bescheid erhält;

Von Lagerplatz zu Lager geht sie weiter.

Durchsucht nach Roger Hütten und Gezelt.

Wohl kann ^e's tun; durch Fußvolk und durch Reiter

Hinschreitet sie, sobald es ihr gefällt:

Hat sie den Ring nur in den Mund genonmien.

Wird sie von keinem Menschen wahi genonmien.

SIEBENTER GESANG

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36. Er lebt noch, glaubt sie glaubt es obn' Bedenken: Denn schwände solch ein großer Name fort.

Zu hören wär' es von des Indus Bänken Bis wo die Sonne sucht der Ruhe Port. Nur weiß sie nicht zu sagen noch zu denken, Wohin er ging; betrübt von Ort zu Ort Geht sie und sucht, und ihre W'rggesellen Sind Seufzer, herbe Pein und Tränenquellen.

37. Zurückgehn will sie, hin, wo die Gebeine Merhns des Weisen jene Grotte hegt,

Will schreien dort so lang an seinem Steine« Bis Mitleid sich im kalten Marmor regt: Lebt Roger? Oder ruht er schon im Schreine, Früh vom \Vrhängnis in das Grab gelegt? Dort wird es kund dann läßt sich erst beginnen« Was man als besten Ratschluß mag ersinnen.

38. Mit diesem Plane sucht sie nun die Wege Nach Pontier hin und seiner Waldesnacht, Wo in dem düstren beigigen Gehege

Des Zaubrers Stimme noch im Grabe wacht. Doch jene Magierin, die aUerw^ Auf Bradamantes AVoU&hrt ist bedacht, Sie mein' ich, die ihr in der Felskapelle Gezdgt hat künftgen Stammes Wechselfölle»

39. Die Zauberin voll Weisheit und voll Güte, Die Soige trägt um diese eine bloß Daß sie vor Ungemach die Ahnin hüte Siegreicher Hdden imd Heroen groß. Verfolgt ihr Tun und Lassen im Gemüte Und wirft an jedem Tag für sie das Los. Wie Roger frei ward und sich dort verrannte, Erfuhr sie so, daß sie schon alles kannte.

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136 S T T- B ]• X T K K r, K c A X G

40. Sie sah ihn und das R06, das ungezäumte, Das er nicht lenken konnte, ganz genau» Wie sie durch grause P£ade, nie geträumte. Hinflogen wdüün» weit durchs Atherblau;

Sie weiß, dafi er mit Spiel die Zeit versäumte. Weichlich und schwelgerisch, bei jener Frau, Daß er den Herrn ganz aus dem Sinn verloren Und Ehr' und Dame, die er sich erkoren.

41. So hätte in der Blüte seiner Jahre

Sich solcher Held verzehrt in Lässigkeit, Nicht nur den Leib bereitet iür die Bahre, Nein, auch die Seele selbst dem Tod geweiht; Und jener Duft, der einzig bleibt, der wahre (Weil alles andre schwindet mit der Zeit) Und der uns aus dem Grab zieht als Heroen, Wäre geschwächt, vielleicht auch ganz entflohen.

42. Doch jene Magierin, die mehr beflissen Als Roger selber seines Heiles schien,

Denkt durch ein Leben hart und schmerzzerrissen

Zur Tugend wider Willen ihn zu ziehn:

Ein guter Arzt muß ja zu heilen wissen

Mit Eisen, Feuer, gift'ger Medizin;

Ob er im Anfang quält den armen Kranken,

Er, heilt ihn doch, und jener wird ihm danken.

43. Sie will nicht, daß der Held zu weich sich bette: Von solcher AffenHebe ist sie frei;

Atlas sinnt nur, wie er das Leben rette. An andres denkt er kaum so nebenbei; Daß er auf Ehr' und Ruhm verzichtet hätte. Wenn Roger vor Gefahr nur sicher sei; Kein Jährlein hätt' er vom bequemen Leben Für allen 'Preis der Welt dahingehen.

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SIEBENTER GESANG

44. Das Waffenwerk am Hofe zu vergessen, Hätt' er ihn dort mm Eiland hingebracht,

Und durcli Magie, die er vollauf besessen Und trefflich anzuwenden war bedacht, Alcine auf den Ritter ganz versessen, Auch solchen Knoten um ihr Herz gemacht. Daß nichts ihn lösen könnt' auf dieser Erden, Und sollte Roger alt wie Nestor werden.

45. Und nun zu ihr, die alle Zukunft kannte! Vernehmet denn: in kurzem war sie dort. Geraden Weges, wo ihr Jkadamante Begegnen mußte, schritt sie weiter fort: Als auf die Magierin ihr Blick sich wandte, Zu froher Hoffnung wird die Pein sofort. Doch Roger sei Alcinens Gast, die Kunde Hört jetzt die Anne aus der Freundin Munde.

46. Vom Tode fühlt die Jungfrau sich umfangen. Als sie erfährt, wie fem ihr Liebster weilt, Und Wolken schwer auf ihrer Liebe hangen, Wenn starke Hilfe nicht zur Rettung eilt; Doch Trost bringt nun die Magierin der Bangen Und reicht das Pflaster, das die Wunde heilt:' In wenig Tagen wird, sie kann's beschwören. Nun Roger konmien und ihr angehören.

47. „Versehen bist du", sprach sie, „mit .dem Ringe, Vor dem der Zauberspuk verliert die Kraft;

Ich meine wohl, wenn ich dorthin ihn bringe. Wo jetzt Akine all dein Glück entrafft, DaB ihren Plan zu stören mir gelinge: Dein süBer Trost wird dir herbeigeschafft. Ich gehe, wenn des Tages Glut verglommen, Nach Indien mit dem Morgenrot zu kommen."

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SIEBENTER GESANG

48. Des weitem legt sie dar, worauf sie baute. Daß glücken möge der gefaßte Plan

Und, aus dem weib'schen Bann befreit, der Traute

Dem Frankenlande wieder könne nalm; Worauf die Maid den Ring ihr anvertraute. Sie hätte gern viel mehr dazu getan: Herzblut und Leben %vürde sie verschenken, Um Roger auf den Rettungspfad zu lenken.

49. Sie gibt den Ring und eilt, sich zu empfelilen. Empfiehlt ihr auch den jungen Ritter fein, Noch tausend Grüße läßt sie ihm befehlen; Drauf zur Provence schlägt sie die Richtung ein. Die Magierin \vill andren Weg sich wählen; Daß sie dafür gesattelt möge sein,

Ein Roß ihr für den Abend zu Gebot ist, Das rabenschwarz, an einem Fuß nur rot ist.

50. War's ein Aichin, den sie der Holl' entzogen? Ein Farfarell? Nicht weiß ich's ^^elbst fürwahr. Sie schwang sich barfuß in den Sattelbogen Und gürtellos; frei wallt ihr offnes Haar.

Den Ring nahm sie vom Finger wohlerwogeo, Ihr Zauber wäre sonst der Wirkimg bar. Nun gings voran, so eilig, daß am Morgen Sie auf dem Inselland sich fand geborgen.

51. Gleich fing sie an, sich selbst umzugestalten: Sie wuchs an Höhe eine Spanne weit; Entsprechend daim die Glieder sich entfalten, Sie werden massiger und derb und breit:

Jetzt kaim man schon sie für den Zaubrer halten. Der solche Liebe Roger hat geweiht; Es nmzelt sich die Haut^ die. Stirn, die Wangen, Von denen lange Barteshaare hangen.

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SIEB ENTER GES A N G 139

52. An Zügen, Worten und an äußern Zeichen Ihn so zu treffen, herrlich sie verstand,

Um ganz und gar dem Zauberer zu gleichen.

Daraul verbarg sie sich und stand und stand,

Bis sie Alcine sah von Roger weichen

Und nun den JüngUng ohne Hexe fand.

Das war ein Glück» denn ihren Schatz 2a meiden

Auch nur ein Stündchen, konnte die nicht leiden.

53. Den frischen, heitern Morgen zu genießen, Ging er, wie sie's gewünscht, dahin allein, Wo talwärts eines Bächleins Wellen fließen, Lieblich und klar, in einen See hinein.

Er atmet Üppi^ceit: den Leib umschUeBen Gewänder kfistlich, Stoffe weich und fein. Die ihm Äkine, zart aus Gold und Seide, Kunstvoll mit eignen Händen wob zum Kleide.

54. Ein Halsschmuck, herriich, ganz aus reichen Steinen, Ihm tief bis auf die Brust hemiederhing;

Die beiden Arme (männlich gleich den Beinen) Mit lichtem Glanz je eine Spang' umfing; Die Ohren sind durdibohrt mit zierlich kleinen Goldfäden in der Form von einem Ring, Daran zwei große Perlen hangend schweben. Wie es in Indien keine hat gegeben.

55. Vom lock gen Haare Wohlgerüche kamen. Das Kfistlidiste, das sich nur denken läßt. Verweichlicht schien er, wie gewohnt, den Damen Zu dienen in Valencia beim Fest.

Gesund an ihm war nichts bis auf den Namen, Verdorben, mehr als faul, der ganze Rest. Also der Jüngling seines Weges wandelt, Durch Zauberkunst im Innersten verwandelt.

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SIEBENTER GESANG

56. Mit einem Mal tritt ihm die Fee entgegen: Sie bietet sich dem Aug* als Atlas dar

Und weiß den würd'gen Ausdruck anzulegen, Den Roger stets mit Ehrfurcht ward gewahr; Unwiir und Zorn im dräunden Bück sich regen, Der ihm als Knaben oft so furchtbar war. Sie sprach: ,,Soll Schweiß und Mühe langer Zeiten Mir dieses als ersehnte Frucht bereiten?

57. Ließ ich mit Leun- und Bärenmark dich laben Als erster Nahrung für die Heldenbahn?

Und grausen Schluchten dich und Höhlengraben, Sclilangcn zu würgen, schon als Kindlein nahn, Dem Panther, Tiger ihre Klauen gaben? Lebend'gem Eber nahmst du seinen Zahn, Um nach der besten Zucht auf dieser Erden Ein Atys und Adon der Fee zu weiden?

58. Ist das, was mir die Sterne offenbarten? Die heil'ge Maserung, die Punkt-Figur, Orakel, Traum, Augiuien, alle Arten Von Zeichen, ausgespäht in der Natur, Die mir seit deiner Kinderzeit, der zarten. Verhießen: kämen diese Jahre nur.

Das Allerhöchste werdest du erreichen Durch Waffentaten völlig ohnegldchen?

59. Fürwahr der herrlichste Beginn aui Erden I Ein Alexander, Juhus, Sdpio,

Das seh' ich deutlich mußt du sicher werden 1 Wer hatt' o wehl geglaubt, dich jemals so Zu sehn als Sklav' Aldnens didi gebärden? Und daß kein Zweifel sei noch iigendwo. Mußt du an Hals und Ann die Kette zeigen. Dran sie nach Laune führt, wer ganz ihr eigenl

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SIEBENTER GESANG

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60. Und wenn dvi eigne Ruhm dich nimmer rühret, Nicht die von Gott dir auferlegte Tat,

Was raubst du, ach, das deinem Stamm gebühret, Das Glück, das ich verkündet früh und spat? Was schheßest du, den Gott für dich erküret. Den Schoß, der tragen soll nach seinem Rat Heroenblut, das in des Ruhmes Kränzen Einst heller als die Sonne selbst wird glänzen?

61. Ü gönne doch den adeligsten Seelen, Die ewiger Idee entsprungen sind,

Von 2^it zu Zeit sich einen Leib zu wählen. Der da in dir des Stammes W^urzel find'! O laß der Welt nicht tausend Siege fehlen. Womit, nach Leid und Schicksal ungelind, Die Söhn' und Enkel einst und ihre Erben Italiens frühsten Glanz zuröckerwerbenl

62. Doch dich zu weihn dem herrlichen Beginnen, Brauchst du so vieler schdnen Seelen kaum. Die glorreich, unbesiegt und hoch von Sinnen Entblühen sollen deinem reichen Baum:

Ein einzig Paar schon müßte dich gewinnen: Alfons und Hippolyt; der Eide Raum Vermag wie sie nur wenige zu zeigen, Die alle Stufen auf zur Größe steigen.

63. Mehr mußt' ich dir von diesen beiden sagen Als von den andern Deinen miteinand; Teils weil an Ruhm sie über alle ragen

(So hoch an Tugend noch kein dritter stand), Teils weil dir selbst sie mehr am Herzen lagen. Als wen ich sonst aus deinem Samen fand: Dich freute, daß dir Enkel werden sollen, Heroen, denen Menschen Ehrfurcht zollen.

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142 SIEBENTERGESANG

64. Was hat nun die, daß Vorzug sie verdiene Vor tausend andern Dirnen dieser Welt? Sie, die so vielen schon war Konkubine (Du weißt, wie das Beglücken ihr gefällt)? Damit du siehst, wie's stehe mit Alcine, Und dir vom Aug' des Truges Schleier fällt, Den Ring am Finger, sollst du zu ihi' gehen; Wie schön sie wirklich ist, wirst du dann sehen."

65. Rüger stand schamerfüllt, stumm und beklommen; Zu Boden schauend, lang kein Wort er sprach. Sein kleiner Finger hatte hingenommen

Mehssas Ring, da ward der Jüngling wach.

Und als er völlig zu sich war gekommen,

Sah er sich so bedrängt von Schimpf und Schmach,

Daß er versinken möchte tausend £Uen,

Um keinem vor die Augen sich zu stellen.

66. Mit eignen Zügen, als ihr Wort verklungen. Die Magierin nun plötzHch vor ihm stand; Nachdem der Si^ so glänzend war errungen, Atlas zu sein sie nicht mehr nötig fand. Melissa (was mir früher nicht gelungen Euch mitzuteilen) war sie zubenannt.

Und Roger hörte nun aus ihrem Munde Von dem, was her sie brachte, treue Kunde.

67. Wie jene von so großer Lieb' Entbrannte, Die ihn ersehnt, nicht von ihm lassen kann. Ihn aus dem Netz zu lösen, sie entsandte, Das, ihn zu halten, Zauberkunst ersann; Wie sie des Atlas Ztige dann verwandte. Ihn besser zu bcfrein aus jenem Bann; Nun aber, da Vernunft zurückgekehrt sei, Einsicht in alles ihm nicht mehr verwehrt sei:

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SIEBENTER GESANG

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68. „Die edle Jungfrau, dir so ganz ergeben« Die deiner Liebe also würdig ist,

Der du verdankst, in Freiheit jetzt zu leben. Von ihr gerettet ob du's wohl vergißt? , Schickt diesen Ring, der Zauberspuk kann heben. Sie hält' ihr Herz entsandt zu dieser Frist, War' in dem Herzen jene Kraft erschienen. Wie sie der Ring hat/ deinem Heil zu dienen."

69. Sie zeigt ihm, welche Liebe stets getragen . Ihm Bradamante hat imd weiter trägt.

Und weiß den Ton des Ix)blieds anzuschlagen, Soweit mit Freundschaft W ahrheit sich verträgt. Auch alles dies aufe trefflichste zu sagen. Wie kluger Botin wohl ist auferlegt. Und macht den JungUng derart jene hassen, Wie böse Dinge nur sich hassen lassen.

70. Ja, hassen mocht' er noch so sehr sie lieben Vor dieser Stunde; staunet nicht fürwahr,

DaB Liebe, ihm durch Zauber eingetrieben. Sobald der Ring erschien, ohnmächtig war. Auch daß ein Schein Aldnes Reize blieben. Erborgt und fremd, es ward jetzt offenbar. Nicht eigen, nein, erborgt vom Fuß zur Sdiläfe: Die Schönheit schwand, und übrig blieb die Hefe.

71. So wie em Kind, das Früchte ging verwahren Und dann (wenn es vom Platz sich wandte fort) Vergißt, wo die geliebten Schätze waren.

Nach langer Zeit zurückkommt an den Ort

Und muß verfault nun und verschrumpft gewahren, Verändert ganz, was es geborgen d^rt, Und, was es einst bewundernd hat betrachtet, Jetzt haßt, verschmäht und wegwirft und verachtet

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SIEBEXTER GESANG

J2. So fand der Jungimg, als zurück er kehrte Zur Fee. wie das ihn ja Melissa hieß (Mit jenem Ring, der allem Zauber wehrte. Solange man ihn nur am Fmger ließ). Nicht jene Schönheit mehr, die heißbegehrte. Die er doch erst vor kurzer Zeit verüeß. Vielmehr ein Weib, so alt, verschrumpft und häßlich Nichts auf der weiten Welt schien ihm so graßbch.

73. Fahl, runzlig, dürr und \%-idrig anzuschauen

Im Antlitz, kaum sechs Spann hoch, stand sie da.

Mit borst gen Haaren, spärlichen und grauen;

Nicht einen einz'gen Zahn im Mund man sah.

So alt nicht waren jemals Erdentraoen,

Kumäs Sibylle nicht und Hekuba.

Doch Kunst, uns unbekannt, war ihr su eigen.

Trotzdem als schon und lieblich sidi za zeigen.

74. Ja, lieblich wußte sie sich darzustellen Und täuschte schon damit der Ritter viel; Da kam der Ring, um alles aufzuhellen, Die wahren Karten und ihr falsdies Spiel.

Kein Wunder, wenn dem Jungling nach der schnellen Verwandlung der Gedanke ganz entfiel, Sie noch zu lieben, nun er sie gefunden, Nachdem ihr alle Zauberkraft geschwunden.

75. Doch ohne nur die Wimper zu bewegen. Hielt er sich ruhig, nach Melissas Rat, Bis sich von Kopf zu FuB der junge Degen llit allen Waffen wohl gerüstet hat

Und um nicht ihren Arg\\'ohn zu erregen, Deucht ihm eni bißchen Heuchelei probat: Ob er nicht dick geworden, müss' er sehen Und drum ein Weilchen voll gerüstet gehen.

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SIEBENTER GESANG

76. Er nimmt die scharfe Balisarda, bindet Sie um, es ist sein gutes Schwert gemeint, Bei der zugleich sich jener Schild befmdet. Der mit der Augcnblendung dies vereint. Daß er der Seele ihre Kraft entwindet Und daß sie plötzlich wie betäubt erscheint. Mit Zindelstoff, wie immer» ganz umwunden, Trug er den Schild um seinen Hals gebunden.

77. Im Stalle einem Renner, schwarz wie Raben, Legt' er den Sattel und die Zügel an; Melissa riet's; sie weiß ja, wie er traben Und leichten Laufes pfeilschnell fliegen kann. Und „Rabikan" soll er als Namen haben; Den Renner hatte mit dem Rittersmann, Den jetzt am Meeresstrand die Winde plagen, Der Walfisch einst an diesen Ort getragen.

78. Wohl könnt' er auch den Hippogryphen nehmen, Der neben Rabikan gebunden war;

Doch warnend spricht die Fee: „Das Tier zu zähmen Ist schwer, unlenkbar scheint es ganz und garl" Und fugt hinzu, sie wolle sich bequemen Zu zeigen und am nächsten Tage zwar (Dort, wo man sich die rechte Ruhe gönne), Wie man ihn zäumen und dann lenken könne«

79. Auch werd' er also nicht Verdadit erregen, DaB er den Plan geheimer Flucht gefaßt. Roger tat alles dies Melissas wegen.

Die unsichtbar ihm beistand ohne Rast.

Drauf, sich verstellend, auf verschwiegnen Wegen

Mied er der Vettel üppigen Palast.

Und konnte still nach einem Tor entweichen.

Zum rechten W eg nach Logistillas Reichen.

Ariott I

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SIEBENTER GESANG

80. Urplötzlich fiel er auf die Wächterscharen,

Sein gutes Schwert brach ihm die blut'ge Bahn:

Und jene tot und die verwundet waren.

Er sprengte von der Brücke dann bergan;

Und eh Alcine noch die Flucht erfahren.

War eine große Strecke schon getan.

Bald hört ihr, welchen Weg er eingeschlagen

Zu Logisti]!, und was sich zugetragen.

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ACHp:ER GESANG

1. Wie viele Zaubrer, ach, und Zaubrerinnen Sind unter uns, von denen man nichts weiß! Die mit Betrug em liebend Heiz gewmnra« Mit falschem Antlitz schüren Gluten heiB! Sie fördern nicht durch Geister ihr Beginnen, Erkunden nicht der Sterne Lauf mit Fleiß, Derweil sie mit Verstellung, List und L%en Ums Herz die Bande, unzerreißbar, fügen.

2. Wer mit dem Zauberring, vielmehr dem Ringe Der Einsicht stünde, wohl war' ihm verliehn, Bis auf den Grund zu schauen, weil die Dinge Nicht Trug und Täuschung hätten mehr für ihn.

Dann zeigte schlecht sich mancher und geringe, Der da, geschminkt, ganz schön und gut erschien. Für Roger war's ein glückliches Geschehen, Daß ihn der Ring ließ also Wahrheit sehen.

3. Verstohlen trabt so sagt' ich unser Reiter

Auf seinem Rabikan zum Tore her: Nichts ahnt die Wache, und der junge Streiter Fährt unter sie, haut um sich kreuz und quer, Zerschlägt das Brückentor und reitet weiter (Den läßt er tot und den getroffen schwer) Und sprengt zum Wald, als ihm auf seinen W^en Ein Diener der Alcine tritt entgegen.

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ACHTER GESANG

4. Ein Habicht auf der Faust gab ihm Geleite, BGt dem er alle Tage jagen ging.

Bald nah dem See, bald durch des Feldes Weite, Wo jederzeit sich etwas Beute fing; Der Hund, sein Jagdgenoß, trabt* ihm zur Seite; Der Klepper, drauf er ritt, war nur gering. Gleich denkt er sich, der Kitter woU' entflidien. Als er so rasch ihn sieht des Weges ziehen.

5. Mit drohnder Miene tritt er ihm entgegen Und fragt ihn barsch, warum er eile doch. Antworten wollt' ihm nicht der gute D^en; Das macht dem Knecht die Flucht gewisser noch: Er schickt sich an, den Weg ihm zu verlegen, Und spricht, den linken Arm erhoben hoch: ,,Was meinst du, wenn du jetzt dir Ruhe gönntest Und diesem Vogel nicht entfliehen könntest?"

6. Auf fliegt der Vogel, regt so schnell die Flügel, Daß Rabikan nicht seines Siegs gewiß. Herab mm springt der Jäger aus dem Bügel Und löst dem Renner Zügel und Gebiß.

Der gleicht dem Wind und Blitz, befreit vom Zügel, Furchtbar durch seine Hufe und durch Biß. Und hinterdrein muß nun der Diener jagen. So schnell, als hätte Feuer ihn am Kragen.

7. Nun will der Hund auch nicht dahinten bleiben: Mit solcher Hast verfolgt er Rabikan,

Wie da im Wald die Panther Hasen treiben. Da wandelt Scham zu fliehn den Helden an: Den Mann zu Fuß gilt es zuerst vertreiben; Den sieht er rüstig mit dem Stecken nahn, Von ihm gebraucht, um Hunde abzurichten; Das Schwert zu ziehn, will Roger da verzichten.

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ACHTER GESANG

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8. Der Knecht beginnt mit Kraft den Stock zu schwingen , Ins linke Bein des Ritters beißt der Hund,

Derweil des Kleppers Hufe Nöte bringen,

Der dreimal ausschlägt, und nach rechts jetzund.

Der Vogel kreist herum in tausend Ringen,

Und seine Klauen schlagen manche Wund';

Auch macht sein Schrei des Helden Rappen scheuen.

Daß Sporn und Zügel ihn umsonst bedräuen.

9. Nun doch zum Schwert greift Roger in der Enge, Und ob des Unfugs, der ihn so beschwert, Wird auf den Kerl, den Hund, des Vogels Fänge Der Waffe Schneid' und Spitze jetzt gekehrt.

Der Schwärm bringt immer mehr ihn ins Gedränge Und hält ihm allerorts den Weg verwehrt. Schon sieht der Jüngling Schimpf und Schaden kom- Wird nicht das Hindernis bald weggenommen, [men,

10. Macht man ihm nur ein Weilchen noch zu schaffen. Hat er auf Fersen die von unten all:

Er hört den Lärm schon, wie sie auf sich raffen, Den Glocken-, Trommel- und Trompetenschall. Jetzt gegen Hund und Bauer ohne Waffen Das Schwert ziehn, war' ein zu fataler Fall; Eins wird den Zweck viel kräftiger erfüllen: Den Zauberschild des Atlas zu enthBIlen.

11. So ließ er frei den roten Schleier wallen. Der viele Tage schon den Schild umschlofi; Die Wirkung war dieselbe wie bei allen.

In deren Augen sich das licht eigoß: BewnBtlos aeht er gleich den Jager fallen, Des Vogels Schwinge ^t wie Hund und Roß; Nicht in der Luft mehr kann der Habicht schweben: Sie liegen da, dem Schlaf dahingegeben.

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ACHTER GESANG

12. Alane, die inzwischen hat erfehien.

Daß dem geliebten Hann die Flucht gebückt

Und viele tot von ihren Wächterscharen,

Fnhlt bis zum Sterben sich vom Schmerz zersttickt.

Zerreißt die Kleider, wühlt in ihren Haaren

Und schilt sich selber töricht und verrückt.

Dann ruft sie rasch das Kriegsvolk zu den Waffen,

Den flüchtgen Ritter ihr herbeizuschaffen.

15. Zwei Teile macht sie und entsendet einen Auf jenem Wege, drauf der Ritter flieht; Am Halen muß der andre sich vereinen, Von wo zu Schiff er in die Weite zieht; Das Meer wird schwarz vor all den Segehi scheinen, Mit denen die Verfolgung jetzt geschieht. Von Sehnsucht läßt die Fee sich so erfassen. Daß sie die Stadt hat ohne Scliutz gelassen.

14. Das Schloß sogar war völlig ohne Wachen,

So daß Melissa, die auf Lauer stand,

Die leid voll dort Gebannten freizumachen

Von solcher Tyrannei, nun leicht es fand,

Mustrung zu halten in den vielen Sachen,

Sorglich zu prüfen jeden Gegenstand,

Siegel zu lösen, Bilder zu verbrennen

Und Schlingen, Knoten, Schleifen aufzutrennen.

15. Sie eilt hinaus durch Felder und durch Haine Und gibt den Liebenden, auf weiter Flur

In Fels verwandelt, Holz, Quell, Tiere, Steine,

Zurück die alte menschliche Natur.

Sie folgten (und zwar schleunig, wie ich meine)

Zu Logistilla Ritter Rogers Spur

Und kehrten heim sodann zum Gnechenstrande,

Zum Peiser-, Skythen- oder Inderlande.

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ACHTER GESANG

x6. Sie ziefan nach Haus, entlassen von Melissen, Ifit einer Dankesschuld, die ewig währt. Astolf zuerst war, seinem Baum entrissen, In menschlicher Gestalt zurückgekehrt. Blutsfreunde haben, für sein Wohl beflissen. Mit Roger manches Gute ihm beschert. Damit die Fee noch mehr ihm Hilfe bringe, Beschenkt sie Roger noch mit seinem Ringe.

17. So ließ sie denn zurück ins Leben führen Den Paladin; er geht wie sonst umher.

Doch mehr wiU, meint Mehssa, sich gebühren. Jetzt gilt es eins: die Waffen müssen her: Zimial, der aus dem Sattel beim Berühren Den Gegner schleudert, jener goldne Speer Des Argalia, dann des Astolf Lanze, Die viel in Frankreich tat zu beider Glänze.

18. Melissa wußte diesen Speer zu finden. Verborgen von der Fee im Schlosse hier.

Und was der Herzog sonst noch sah entschwinden

Zuvor in diesem übelen Quartier;

Bestieg des Zaubiers Renner, den geschwinden,

Gdnnt' einen Hätz Herrn Astolf hinter ihr:

Vor Roger eine Stunde war die Weise

Bei Logistilla schon nach schneller Reise.

19. Der Jüngling ging der guten Fee entgegen Durch Felsgestein und domiges Gefild', Von H5h' zu H^ien und von St^ zu St^en, Ungastlich all und einsam, lauh und wild. Bis er zuletzt nach mühevollen Wegen

In Mittagsglut auf einem Plane hielt.

Der, frei nach Süden, zwischen Berg und Strand war

Und öd und nackt, unfruchtbar und verbrannt war.

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A C fl T F TR G E S A X G

20. Prall liegt die Sonn' auf nahem Htigelraine, Und solche Hitze strSmt das Feld entlang

Und macht die Luft eigllttien, Sand und Steine

Glas schmelzen könnte man an jenem Hang;

Reglos im Schatten sitzen Vögel, kleine, Und nur der Grill' eintöniger Gesang Betäubt in dichter Sträucher Laubgewimmel Die Täler und die Berge, Meer und Himmel.

21. Auf sandgem Wege mühsam hinzureiten, Mit Durst nur und mit Hitze als Genoß, Will unserm Ritter wenig Lust bereiten, Und Rogers Ungemach ist wahrlich groß. Doch ziemt es nicht, stets einen zu begleiten. Von einer Sache zu erzählen bloß,

So lassen wir jetzund den Helden schwitzen

Und schaun: wo mag Rinald in Schottland sitzen?

22. Rinald war bei dem König hochwillkommen. Auch bei der Tochter und beim ganzen Land. Er macht den Grund, weshalb er hergekonunen. Sobald ihm Muße wurde, dort bekannt:

Gern würde Hilfe von ihm mitgenommen Für Karl, aus Schottland und aus Engelland; Des Kaiseis Bitten nicht nur zu verkünden Wnßt er, nein, auch gewichtig zu begründen.

23. Der König zögert nicht, Bescheid zu sagen: Nach KrsüEten werd' er folgen dem B^ehr Und immer sich zu Reich und Kaiser schlagen; Sein Nutzen heische dies und auch die Ehr' ; Von seinen Reitern soll' in wenig Tagen Gewappnet stehn ein möglichst großes Heer; Und wär' er selbst nicht gar so hoch an Jahren, Als Feldherr würd' er mit zu Felde fahren.

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ACHTER GESANG

24. Doch auch das Alter nicht könnt' ihn, den Alten,

Zu gehen hindern, wäre nicht sein Sohn Besonders würdig, solchen Amts zu walten, Stark, ho(hl)egabt und aller Tugend Krön'! Und würd' er jetzt noch fem dem Reich gehalten. So müss' er kommen doch beizeiten schon. Um jenen vor der Fahrt sich zu gesellen Und an des Heeres Spitze sich zu stellen.

25. Schatzmeister hat der Herrscher in die Weite Nach Pferden und nach Mnnnscliaft ausgesaadt. Kr ließ die Schiffe rüsten vor dem Streite

Und eilig sammeln Geld und Proviant. Rinald dann gab er höflich das Geleite, Als dieser Abschied nahm nach Engelland: Von Berwick erst wollt' er nach Hause kehren; Er hatte, als er schied, im Auge Zähren.

26. Rinald steigt ein, wünscht wohl zu leben allen, Und gtinst'gen Windes Hauch die Segel bläht: Schon ist das Tau vom Halteblock gefallen. Und flott die Fahrt bis hin zur Mundung geht. Wo salziger der Themse Wogen wallen.

Die Meeresflut gerad im Wachsen steht; Und Wind und Ruderkraft die Schiffe treiben. Bis London kommt und sie vor Anker bleiben.

27. Von Karl und Otto war Rinald befohlen (Als eingeschlossen in Paris die zwei).

Zu melden an den Prinz von Wales verstohlen Durch Vollmacht und durch Briefe der Kanzlei: Was man in jener Gegend könne holen, An Pferd und Leuten, rasch zu sanuneln sei Und übers Meer hin nach Calais zu schaffen, Zum Heil für Kaiser Karl und Frankreichs Waffen.

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\ r H T F T? C F s \ X n

28. Es ehrt der Fdnz, der als Regent gelassen Am Herrsdiersitz von König Otto war» Rinald den Helden über alle Maßen Und mehr als seinen eignen Herrn sogär. So ließ er, um nichts unerfüllt zu lassen. Entbieten alle waffenfäh'ge Schar Britanniens und der Inseln in der Runde Zum Meeresstrand zur festgesetzten Stunde.

29. Bedenkt, o Herr, in Hnld, daß mein Beginnen

Dem klugen Saitenspieler gleichen soll:

Er läßt die Weisen durcheinanderrinnen;

Spielt jetzt in Dur und gleich darauf in Moll.

Derweilen nach Kinald ging all mein Sinnen,

Erscheint Angelika mir vorwurfsvoll:

Sie hatte durch die Flucht sich ihm entwunden

Und jenen Klausner unterwegs gefunden.

30. So folgen wir ihr jetzt, wenn auch nicht lange: Gesagt hab' ich, wie sie in Sorge schwebt.

Daß sie zum Strand des Meeres hingelange; Dies zu durchkreuzen ist, was sie erstrebt. Weil vor Rinaldo ihr zum Sterben bange. So daß sie nie im Westen ruhig lebt. Allein der Klausner sucht sie hinzuhalten: Bei ihr zu sein, behagte diesem Alten,

31. Dem ihre Schönheit Herzensglut entfachte: Ins kalte Mark ein Feuerfünkchen dringt; Doch als er merkte, daß sie sein nicht achte. Und daß Ihm, sie zu halten, nicht gelingt, Kam's, daß den Esel er zu spornen dachte, Doch ohne daß er ihn zur Eile bringt :

Schritt nur ganz wenig, Trab noch wen'ger geht er. Und sich zu strecken ganz und gar verschmäht er.

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ACHTER GESANG

32. Das Madchen war schon weit vorausgeritten; Als er heinah schon Ihre Spur verlor.

Mußt er sich Hilfe von der HöU' erbitten Und lieB Dämonen kommen, schier ein Korps.

Drauf wählt' er einen aus des Schwarmes Mitten

Und schrieb ihm, was er machen solle, vor. Er muß ins Pferd hinein die Straße finden, Demi auf dem Renner will sein Herz entschwmden.

33. So wie ein Hund, gewohnt Im Berg zu jagen. Wo er gar oft die Füchs' und Hasen hetzt,

Sieht er nach dieser Seit' ein Wild sich schlagen. Nach jener geht, die Spur geringe schätzt Und unversehns die Beute hat am Kragen Und ihr den Leib aufreißt und sie zerfetzt, So muß die Dame, wie sie auch geritten. Begegnen jedenfalls des Klausners Schritten.

34. Ich kann's begreifen, was der Kerl noch planet. Und nenn' Kiich später noch des Argen Ziel, Angelika, die nichts von allem ahnet,

Ritt Tag für Tag, bald wenig und bald viel. Im Pferd der Geist sich sacht die Wege bahnet, Verboigen, wie's dem Feuer oft gefiel. Bevor es aufloht in so mächt 'gen Flammen» Daß nichts es löscht und alles sinkt zusammen«

35. Die Jimgirau wälilt sich ihren Weg am Strande Des Meers, das den Gascognem bietet Giniß, Und hält den Renner dicht am Uferrande,

Wo Feuchtigkeit gibt festem Grund dem FuB: Da sieht der Geist das Rofi hinweg vom Sande Ins Wasser tief, daß es drin schwimmen muB. Die Schöne weiß nicht Rat für ihr Verhalten, Als nur recht fest im Sattel sich zu halten.

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ACHTER GESANG

36. Sie mag die Ziegel ziehen nach Gefallen,

Der Hengst drangt weiter nadi der Tiefe vor: Aufwärts muß sie das Kleid zusammenballen

Sonst taucht es ein und sieht den Fuß empor; Über die Schultern frei die Haare wallen.

Drin lüstern spielt der losen Lüfte Chor.

In stummer Schau die größt-m Winde schweigen.

Als müßten solcher Schönheit sie sich neigen.

37. Die tränenfeuchten schönen Augen flogen

Vergebens, ach hinüber nach dem Strand:

Des Ufers Linien fem und femer zogen, UndeutUch ward es, bis es ganz verschwand. Da tmg der Zelter rechts hin durch die Wogen Die Maid nach langer Schwimmfahrt an das Land, Das düstrer FeLs und Höhlen furchtbar machten. Derweil es mählich schon begann zu nachten.

38. Einsam in diese Wüste hier verschlagen, Grausig zu sehen schon und schauerlich, Zur Stunde just, da Phöbus mit dem \\ agen, Fem dunkler Erd' und Luft, ins Meer entwich. Da bheb sie stehn man wußte nicht zu sagen (Wenn einer sie mit Späherblick beschlich).

Ob sie ein Menschenkind aus Fleisch imd Bein sei, * Ob sie ein Bildwerk aus bemaltem Stein sei.

39. Die Haare wirr und fliegend im Genicke, Stand regungslos und starr die junge Maid, Sah mit geningnen Händen, trübem Bhcke

Und stunmiem Mund zum Himmel still und weit. Als klage sie dem Lenker der Geschicke, Daß er ihr nichts gesandt als Weh und Leid, Stand wie betäubt, nach einer Weil' erschlossen Die Lippen sich dem Schmerz, die Augen flössen.

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ACHTER GESANG

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40. Sie sprach: ,,Was kannst du, Scliicksal, wohl noch fin- Zu siitt'gen dich an mir, zu schänden dich? [den. Du heßest alles, das ich hatte, schwinden,

Nur nicht mein Leben ; was verschmähst du 's ? Sprich 1 Was mußtest du dem Meer es jetzt entwinden. Verlängerst meine Tage freventlich? Nur daß, bevor der Tod mich soll erwählen, Noch weiter dir veigönnt sei, mich zu quälen.

41. Zwar Schlimmeres vermagst du nicht zu bringen. Als was mir Böses schon dein Haß ersann: Heimat und Thron durch dich verlorengingen; Ach, daß ich nie sie wiedersehen kann!

Das Höchste willst du mir, die Ehr' entringen: Denn focht mich Sünde gleich noch niemals an. So mag die Welt doch sagen, weil ich flüchtig Und heimatlos, so sei ich auch nicht zQchtig.

42. Was nützt den Mädchen Gutes, sprach man ihnen Die Tugend ab und rechte Züchtigk^t?

Jung hin ich, ach, und vielen schdn erschienen; Sei's wahr, sei's falsch, mein Fluch ist's allezeit. Zur Freude kann das Gottgeschenk nicht dienen. Denn nur von ihm ja rührt mein ganzes Leid, Und auch dem Bruder mußte Tod es schaffen. Denn wenig halfen ihm die Zauberwaffen.

43. Darum war einst mein Vater Galafrone Verdrängt vom Tataricönig Agrikan,

Er, dessen Indien war und Katais Throne, Und ich bin angelangt auf solcher Bahn,

Daß ich des Nachts an andrer Stätte wohne

Als ta^s. Freund', Ehr' und (iut sind abgetan: Sprich , welchemSchmerz noch du mich aufbewahrt hast, Nachdem du mir bisher kein Leid erspart hast ? !

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158 ACHTER GESANG

44. Genügt's dir nicht, im Meer mich zu ersticken, Ich will bereit für größre Qualen sein:

Magst eine wilde Bestie zu mir schicken! Verschlingt sie mich, so endigt meine Pein. Bringt sie nur Tod, soll Marter mich erquicken; Ich will dir Dankbarkeit für Qualen weihn." So sprach die Jungfrau unter großem Weinen Als sie den Klausner sali vor ihr erscheinen.

45, Er hatt' hinabgebückt vom höchsten Rande , Turmhohen Felsens auf AngeHka:

Verwirrt und ganz verzweifelt dort am Strande Am Fuß der Klippen er sie stehen sah. Ihn trug sechs Tag' vorher zum Küstenlande Ein Dämon (der hat schneHe ja). Ifit frommer Bfien' ihr jetzt entgegen trat er, We Sankt Hilazion oder sonst ein Pater.

46, Als ihn Angelika sieht näher schleichen

Sie hat ihn nicht erkannt , so schöpft sie Mut, Die schweren Ängste fühlt ae langsam weichen. Bleibt auch die Wange jetzt noch ohne Blut. ^ spricht: „Gar üblen Port mußt' ich erreichen; Erbarme dich, nimm mich in deine Hutl" Und schluchzend gab sie und mit bleichem Munde Von dem, was ihm gar wohlbekannt war, Kunde.

47. Der Klausner spendet biedern Trost der Bangen Mit schönen frommen Reden allerhand,

Und auf den Busen und die feuchten Wangen er, dieweil er spricht, die freche Hand. Zum Kuß dann, sichrer, sucht er zu gelangen, Doch sie, entrüstet, leistet Widerstand, Stößt ihn zurück, als ob er Unbill böte, Und in das Antlitz steigt ihr keusche Röte.

ACHTER GESANG

48. In eine Tasche griff er auf der Stelle,

Zog draus ein Fläschchen Flüssigkeit hervor.

Und in die Augen, die als Fackel helle,

Als schönste Leuchte Amor sich erkor,

Leichthin ein kleines Tröpfchen spritzt er schnelle.

Davon das Augenlid die Kraft verlor:

Schon liegt die Schöne schlafend da im Staube,

Des gier'gen Alten Lüsternheit zum Raube.

49. Er küßt sie und berührt sie nach Gefallen; Sie schläft und ist zur Abwehr nicht bereit.

Er küBt die Brust, er küßt des Munds Korallen,

Und keiner sieht's in dieser Einsamkeit.

Doch bei dem Treffen ist sein Hengst gefallen.

Es bleibt das Fleisch ja hinterm Wunsche weit:

Er hat die Krankheit voiigeriickten Lebens,

Und plagt man ihn, so plagt man ihn vergebens.

50. Alles versucht er, daß er aufrecht schreite, Doch ohne daß der faule Klepper springt. Ob er den Zügel schüttle, abarbeite.

Den Kopf er ihm nicht in die bringt. Einschläft er schliefilich an der Dame Seite, Auf die schon andres, neues Unheil dringt. Ein bißchen will Fortuna nicht genügen. Gewährt ihr, uns zu quälen, ein Vergnügen.

51. Um deutlich zu erzählen und zum besten, Schwaf ich ein wenig aus dem Pfod heraus. Im Nordmeer ist gelegen, gegen Westen, Noch über Irland eine Streck' hinaus, Ebuda, eine Insel, nur mit Resten

Von einem Volke, weil die Orka graus Und Meergetier, das Proteus zugehörte, Den Gott zu rächen, jenes Land zerstörte.

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ACHTER GESANG

52. Ob wahr, ob falsch die alten Maren künden. Daß dort einmal ein mächt'ger König war:

In seiner Tochter sah man sich verbünden

Anmut und Schönheit so, daß sie fürwalir

Im Wasser drin den Proteus könnt' entzünden.

Bot sie dem Blick sich auf der Salzflut dar.

Einmal, als sie allein ist auf dem Anger,

Ergreift sie der und macht das Mädchen schwanger.

53. Entsetzlich, unerträglich schien die Sache Dem Vater, der gar wild und ungerecht: Was für Entschuldigung man geltend mache,

Er kennt nicht Mitleid, bleibt des Zornes Knecht, Auch nicht ihr Zustand sänftigt seine Rache; Er schiebt nichts auf, die Tat wird streng gerächt: Das Enkelkind, das keine Sünde kannte. Eh es geboren, in den Tod man sandte.

54. Proteus, der Hirte jener wilden Herde Neptuns, des Herrschers in dem Meerrevier, Fühlt ob des Liebchens bittere Beschwerde Und bricht im Zorn Gesetz mid Ordnung schier: Walroß und Robben schickt er auf die Etde Mit einenunal, das ganze Seegetier,

Und nicht nur Vieh, auch Stadt und Land und Bürger, Sie werden Opfer dieser grimmen Würger.

55. Die kommen oft bis an die Städtemauem Und dröhn zu den Belagerten hinein.

Die Leute, müd imd matt, in Schreckensschauem, Müssen bei Tag und Nacht bewaffioet sein; Verlassen ist das Land von allen Bauern. Sie gehn, um von der Last sich zu befinein. Zuletzt noch das Orakel zu befragen, Und solche Antwort läßt es ihnen sagen:

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ACHTBR GESANG

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56. Man suche eine auserlesne Schöne, So lieblich wie die andre ungefähr:

Ob man den Gott vielleicht durch sie versöhne. Die schaffe man zum Meergestade her; Wenn die Erfüllung dann die Wünsche kröne» Behalt' er sie und wüte dann nicht mehr. Mißfällt sie, gilt es andere zu bringen. Bis endlich die Versuche doch gelingen.

57. Zuerst sind jene in der schlimmen Falle, Auf deren Wang' am hellsten Schönheit lacht. Denn bis dem Proteus eine wohlgefalle. Wird täglich ihm ein Mägdlein daigebracht. Die erste starb, und dann die andern alle. Denn stets am Leibe packte sie mit Macht Ein Untier, wachend an den Uferwogen, Derweil die andern waren abgezogen.

58. Ob das mit Proteus wahr ist, ob nur Sage, Ich weiß es nicht und lafi davon die Hand: Ein alt Gesetz, das in so üble Lage

Die Mädchen brachte, wirklich dort bestand. So daß ein scheußlich Walroß alle Tage In Mädcfaenfleisch am Strande Nahrung fand. Ein Weib sein, ist ja Unglück jedenfadles. Es hier zu sein, ein Unglück über alles.

59. Den MSdchen wdie, wenn da bflse Sterne Zum Volk sie fOhren, das den Strand bewegt!

Nach Jungfratm schaut das Volk dort in die Feme,

Die sie zu opfern lange schon gewohnt; Und sterben lassen sie die fremden gerne. Denn eigne Kinder werden dann verschont. Allein nicht jeder W ind bringt ihnen Beute, Drum suchen überall danach die Leute.

Arloit I

It

l62 ACHTERGESANG

60. Hin durch die ganze weite Meerflut gleiten Die Boote, Kähne, Schiffe jeder Art

Und bringen aus der Nähe und vom weiten

Erleichterung der Not mit ihrer Fahrt:

Teils müssen sie mit Waffen Fraun erstreiten,

Teils wirkt das Gold, mit Schmeichelei gepaart.

Gefangne aus verschiedensten Regionen

Des Landes Türm* und Kerker stets bewohnen.

61. So fuhr ein Kreuzer aus von Land zu Landen Und kam auch an den stillen Uferort;

Es schlummert auf dem Gras in Schlaftrunks Banden

Angäika, die Unglücksel'ge, dort

Ein paar Matrosen dieses Fahrzeugs landen

Und tragen Holz und frisches Wasser fort,

% sie das lieblichste von schdnen Kinden

Im Arme jenes frommen Vaters finden.

62. O Beute, allzu hoch und aUzu teuer

Für solche wilde Menschen, wie da nahn! Wer sollte glauben, daß du so das Steuer, Fortuna, fuhrst auf dieser Erdenbahn,' Daß du zur Speise gibst dem Ungeheuer Die Schönheit, derentwillen Agrikan Halb Skythien hieß den Heereszug beginnen Nach Indien hin, den Tod nur zu gewinnen!

63. Der hohe Reiz, um den Fürst Sakripante Die Ehre hingab und sein schönes Reich, Die Schönheit, die dem Ritter von Anglante Den Ruhm getrübt hat und den Geist so reich,

Die Schönheit, die kopfüber die Levante Aufbäumen ließ und zähmte alsogleich, Hat niemand jetzt so ändern sich die Dinge , Der auch mit Worten nur ihr Hilfe bringe.

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ACHTER GESANG 163

64. Das holde Kind, von tiefem Schlaf umfangen. Es wird gefesselt, eh sie noch bei Sinn.

Der Bruder Hexenmeister, mitgefangen, Liegt bei der finstren Schar im Boote drin. Die Segel, die am hohen Mastbaum hangen. Führen das Schiff zur Schreckensinsel hin: Die Königstochter bannen Kerkerwände, Bis zu dem Tag, da sich ihr Los vollende.

65. Das wilde Volk zum Mitleid zu erregen, Gelang nun freilich ihrer Schönheit Macht, Und viele Tage wurde ihretwegen

Dem Tod ein sonstig Opfer dargebracht Solang noch Hille war auf andern Wegen, Ward dieser Engelsschönheit nicht gedacht. Zuletzt bringt man sie doch dem Tier als Beute, Und weinend hinterdrein g^ alle Leute.

66. Wer ist, der all das Schluchzen, Klagen künde? Das Jammern dringt zum Himmel schier hinein: Nicht staun' ich, öffnen sich die Felsengründe, Wie sie in Ketten steht auf kaltem Stein,

Daß alle Not den Schrecken sich verbünde. Um herbem, grausem Tode sie zu weihn. Ich sag' es nicht, bin, ganz von Schmerz durchdrungen. Ein andres Lied zu singen jetzt gezwungen

67. Und Klänge minder düster anzustimmen. Bis neue Kraft gewinnt mein müder Sinn;

Es könnten schleim 'ge Drachen nicht, die grimmen,

Und nicht in höchster Wut die Tigerin Und nicht, was in Ägypten schleicht an schlimmen Und gift'gen Tieren durch die Wüste hin. Sehn oder denken ohne Herzenswunden Angelika an nackten Fels gebimden.

II*

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ACHTER GESANG

68. O hätte dies ihr Roland doch erfahren. Der nur um sie war nach Paris gereist, Und jene, die getäuscht hat das Gebaren Des schlauen Alten mit dem Höllengeistl Sie wären, ihr zu helfen in Gefahren, Herbeigeeilt durch tausend Tode dreist. Allein wenn sie auch wirklich Kunde hätten. Wie kdnnten sie von fem die Holde retten?

69. Paris inzwischen dem Belagrungsringe Von Trojans tapfrem Sohne widerstand. Und mißlich schienen eines Tags die Dinge: Beinah schon fiel die Stadt in Feindes Hand; Da stieg zum Himmel des Gebetes Schwinge, Und dnnkler Regen ward von Gott gesandt; Durch Mohrenwaffen sonst ein Edöb nahmen

Das heil'ge Reich und Frankreichs großer Namen.

70. Der höchste Schöpfer wendet Gnadenblicke Auf Karls, des alten, Klageruf hinab. Schickt R^en, der die Fenersbrunst ersticke. Wo keine Menschenmacht mehr Hüfe gab. Heil, wer vertraut dem Lenker der Geschicket Er ist in aller Not der beste Stab.

Und dankbar gläubig König Karl erkannte. Daß Gott es sd, der ihm die Hilfe sandte.

71. Die Nacht hat Roland flüchtige Gedanken Dem läst'gen Pffihl vertraut in großer Zahl,

Faßt sie zusammen jetzt, läßt dann sie schwanken. Hierhin und dorthin ruhn kein dnzig Mal: V/ie Zwitterlicht des Wassers wohl, des blanken. Vom Mond getroffen oder Sonnenstrahl, Das weite Dach entlang in raschem Lauf hüpft. Nach rechts und links und hoch und niedrig aufhüpft.

ACHTER GESANG

72. Zur Liebsten hat sdn Geist den Weg gefunden

(Von ihr geschieden war er noch gar nie):

Die Glut erwacht aufs neu in nacht 'gen Stunden,

Der leisen Schlummer nur der Tag verlieh.

Er hatte als Genoß sich ihr verbunden,

Fem in Katai und hier verlor er sie

Und konnte keine Spur mehr von ihr finden,

Seit bei Bordeaux sich Karl ließ überwinden.

73. Das schmerzte Roland sehr; mit bittem Klagen Bereut' er jetzo seinen Unverstand:

„Mein Herz, wie könnt' ich nur mich so betragen 1" Sprach er bei sich. „Obwohl bei mir es stand Denn deine Güte wollt' es nicht versagen , Dich Tag und Nacht zu schauen imverwandt, LieB ich in Naims' Hand dich, du Holde, legen. Statt gegen solches Unrecht mich zu regen.

74. War's nicht mein Recht, dagegen anzuringen? Karl hätt' am End den Wimsch mir nicht verwehrt Und wenn verwehrt, wer könnte wohl mich zwingen ? Wer mir entreifien, was mein Sinn begehrt? Ließe das Herz man ans dem Leib mir springen, Mufit' ich nicht ihnen trotzen mit dem Schwert? Nicht hätten Karl und alle sdne Leute

Je mit Gewalt dich fortgeschleppt als Beute.

75. Ließ er sie wenigstens behütet leben. Sei's in Fbris, sd's sonst in guter Wacht I Doch daß er jenem Naims sie hat gegeben.

Zeigt mir, ich werde ganz um sie gebracht. Der beste Wächter war' ich selber eben:

Drum, was geziemte bis zur Todesnacht? Daß ich sie mehr als Herz und Augen schützte! Weh, daß ich nicht die rechte Zeit benützte!

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ACHTER GESANG

76. Ach, ohne mich wo bist du» süßes Leben, Geblieben, du so jung und hold und schSn?

Dem Lämmchen gleich, das, wenn die Schatten weben,

Verlassen irrt umher in wald'gen Höhn, Das hofft, dem Hirten Kunde noch zu geben, Und hierhin, dorthin schickt sein Klaggetön, Bis angelockt zuletzt die \^'ölf' erscheinen Und nun umsonst der arme Hirt muß weinen.

77. Wo bist du, meine Hoffnung, hingeschwunden? Irrst du umher, weil ich dich Heß im Stich? Hat dich vnelleicht der grimme Wolf gefunden? Wenn nicht dein Roland, ach, wer schützte dich? Hat sein Gebiß die Blume dir entwunden? Die höbe zu den hohen Göttern mich!

Doch dir zu trüben nicht dein keusch Gemüte, Bewahrt' ich unversehrt die hehre Blüte.

78. O weh mir! Weh! Verzweifelt muß ich enden, Nahm man der schönen Blume ihren Schein 1 Eh das geschieht, Allgüt'ger, wolle senden

All andres Herzeleid und jede Peinl Sonst taugt mir Tod nur von den eignen Händen, Und in Verdamnmis muß die Seele sein." Weinend und stuboead AUS dem tiefeten Heizen Sprach Roland so bei sich in bittren Schmerzen.

79. Gesunken war die süße Ruhe nieder Rings auf die müden Seelen allzumal,

Löst hier auf Federn, dort auf Stein die GHeder, Dem unterm Baum, dem auf dem Gras im Tal. Du aber, Roland, schlössest kaum die Lider, So sucht dich heim der Nachtgedanken Qual. Nicht einmal diesen kurzen, flücht'gen Sdilummer Gönnt man dir ganz, um auszuruhn von Kummer!

A r IT T F T? G F S .\ X C

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80. Wo duft'ge Blumen schien es Roland stehen In Pracht verstreut auf grünem Uferrand, Gelnld' aus Elfenbein glaubt er zu sehen

Und Purpur, den gemalt hat Amors Hand;

Zwei Sterne hell vor Wonne will vergehen Die Seele, die des Amor Netz umwand : Die Züge mein' ich und die lichten Strahlen, Die mitten aus der Brust das Herz ihm stahlen.

81. Die höchste Wonne will ins Herz ihm schleichen. Die sich von Treuverliebtem fühlen läßt:

Da plötzlich kommt ein Sturm wmd ohnegleichen, Der Blumen knickt und Büsche zaust und preßt. Nicht pflegt an diese Wucht fürwahr zu reichen, Was sonst noch weht von Nord und Ost und West, Ihm ist, er irre jetzt zum Schutz des Lebens Durch eine weite Wüste hin vergebens.

82. Mit einemmal verHert er seine Dame

Im Nebelgrau er weiß nicht, wie sich's thiit , Ob, laut gerufen, auch der schöne Name Ringsiun weckt Widerhall in Wald und Trift. Und wie er „Weh mirl" klagt in seinem Grame, „Wer wandelt meine Süßigkeit in Gift?'* , Ist ihm, als ob sein eigner Nam' ertöne Und ihn um Hilfe flehe seine Schöne.

83. Rasch in der Richtung, draus die Rufe hallen, Schafft er sich Bahn und sucht, von wo man spricht. O welche Schmerzen in der Brust ihm wallen: Er sieht nicht jener Augen süßes Licht! Da hdrt er eine andre Stimme schallen: „Goiießen sollst du sie auf Erden nicht!" Bei diesem Schreckmf ist der Traum verflossen Der Held wacht auf, von Tränen Übergossen.

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l68 A C H T E R G E S A N G

84. Er fragt nicht, ob vielleicht ein Trug ihn necke. Durch Sehnsudit oder Furcht hervoigebracht; Nur dafi in Nöten sdne Dame stecke.

Nur dieser einz'gen Sorge hat er acht. Blitzschnell von seinem Lager springt der Recke, Nimmt W affen, ist auch auf ein Roß bedacht. Auf Güldenzaum, und steht bereit zur Reise; Der Knappen Dienst will er in keiner Weise.

85. Um nun behebig Pfade einzuschlagen, Die seine Würde sonst vielleicht verbot,

Galt es, sein ruhmvoll Wappen sich versagen. Bekannt mit seinen Farben Weiß und Rot, Und lieber jetzt ein schwarzes Zeichen tragen. Vielleicht weil 's ähnlich seiner Herzensnot. Er hatt' es einem Amostant genonmien, Der einst durch seine Hand war umgekommen.

86. Um Mittemacht macht er sich auf in Schweigen, Grüßt nicht und gönnt dem Ohm kein Abscliiedswort, Will nicht einmal sich Brandimarte zeigen,

Der ihm so teuer doch, der Freundschaft Hort. Doch als mit goldnem Haar die Sonne steigen Die Rosse läßt vom Haus des Titon fort. Und feuchte Schatten fliehen vor der Helle, Merkt Karl, der Paladin ist nicht zur Stelle.

87. Er hört mit tiefem Groll, es ist verschwimden Sein Neffe ganz verstohlen in der Nacht,

Der ihm zu helfen, traun, doch war gebunden: O, wie dem schweren Grimme Luft er macht 1 Manch bittres Wort zeigt seiner Seele Wmiden, Des Frevlers wird mit hellem Zorn gedacht. Es dröhnt: „Kehrt nicht zurück der Ungetreue, So wird man sorgen, daß es ihn gereue."

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ACHTER GESANG

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88. Auch Brandimart beschließt davonzueilen, Der Roland ja sein ganzes Herz geweiht: Will er das Schicksal seines Freundes teilen? War ihm das Tadeln und das Schelten leid? Man sah ihn grad so lange noch verweilen. Bis sich der Tag geneigt zur Dunkelheit. Und Flordehs verschwieg er ganz die Sache, Daß sie dem Plan nicht Schwierigkeiten mache.

89. So hieß ein Fräulein, dem getreu zu dienen Ihm Wonne war, kaum ließ er sie allein Voll Anmut, Sitte und von holden Mienen, Mit hellem Geist begabt und klug und fein; Und war er jetzt nicht auch vor ihr erschienen. Geschah's, weil er zurück noch wollte sein

Am selben Tag; doch sollten Dinge walten. Ihn länger, als er dachte, au&uhalten.

90. So war ein Monat etwa hingegangen, Sie saß noch immer seiner harrend dort.

Da wurde Sehnsucht mächtig und Verlangen:

Ohn' einen Führer zog die Dame fort

Und suchte den geliebten Blann voH Bangen,

Wie die Geschichte zeigt am rechten Ort.

Von diesen beiden sag ich hier nichts weiter:

Mehr kümmert jetzt mich von Anglant der Streiter.

9z. Der hat ein neues Wappen sich erkoren.

Statt Almonts Schild, und sich zum Tor gewandt: „Ich bin der Graf, so raunt er in die Ohren

Dem Hauptmann leise, der dort Wache stand.

Man ließ die Brücke nieder vor den Toren, Und auf dem Weg, den er als nächsten fand Dem Feind zu, in gerader Linie ritt er. Der nächste Sang sagt Weitres von dem Kitter.

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NEUNTER GESANG

1. Was kann ein Heiz noch tun, ward es bezwungen

Von jenes bösen, falschen Amors Macht,

Hat sie sogar die Lehenstreu' entrungen Dem Ritter Roland aus des Busens Schacht? Er, weise sonst, von Ehrfurcht ganz durchdrungen. Stets auf der heil'gen Kirche Schutz bedacht, Er macht sich jetzt durch eitle Lieb' ein Blinder Aus Karl und sich nicht viel, aus Gott noch minder.

2. Doch ich begreif ihn und bin frohen Mutes, Daß nicht mir Toren der Genoß gebricht:

Auch ich bin krank und schwächhch für mein Gutes, Doch auf mein Böses ganz robust erpicht. Der, schwarz gekleidet, reitet schweren Blutes ' Freunde zu lassen, das bedrückt ihn nicht Hin, wo die Zelte der aus Spaniens Landen Und Afrika gekonunnen Scharen standen.

3. Was sag' ich Zelte! Durch den Regen blieben Sie unter Bäumen imd wo sonst was deckt,

Ztt zehn, zu zwanzig, vier, zu acht, zu sieben. Der weiter fort, der in der Näh* versteckt. Ein jeder schläft, zermürbt und au^erieben. Der auf die Hand gestützt, der ausgestreckt. Man schläft : er könnte viel ins Jenseits senden. Doch ninunt er nicht die Durendal zu Händen.

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N E u N T r n n F ? a n c

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4. Roland Ist edd: er kann nicht erschlagen. Wer waffenlos ist und vom Schlaf gebannt. Nun geht er, den und jenen Ort befragen

Nach einer Spur von ihr, die ihm entschwand. Und trifft er einen wachend, dann mit Klagen Beschreibt er die Gestalt und das Gewand, Vom Mohren sich die Richtung zu erbitten. In der die Dame sei davongeschhtten.

5. Als klar und leuchtend es begann zu tagen,

Das Mohrenheer durchforscht' er weit und breit,

Bedacht, ein Sarazenenkleid zu tragen;

So kann cr's tun in aller Sicherheit.

Es kommt dazu: er kann die Sache wagen,

Weil er in fremden Sprachen weiß Bescheid

Und, Afrikanisch sprechend, wird verstanden.

Als ob er selber stamm' ans jenen Landen.

6. Drei Tage bleibt er nicht zu andern Zwecken , Und aus dem Suchen kommt er nicht heraus, Sucht dann in Stadt und Dorf, sie zu entdecken, Durchs Frankenland und drüber noch hinaus Und sucht danach, bis auf den fernsten Flecken, Anveigne und Gasoogne ein und aus;

Er sucht von der Provence zu den Bretonen, Von den Picarden bis wo Spanier wohnen.

7. Es war Oktober, wenn die Blätter schwinden, Und der November zog gemach heran. Wenn nackend sich der Pflanze Glieder finden. Weil sie das Kleidchen nicht mehr tragen kann. Und Vögel sich zu enger Schar verbinden Da trat die Liebesfahrt Graf Rxdand an

Und HeB nicht ab von ihr an Winters Grenze Und auch noch nicht in nächsten Jahres Lenze.

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NEUNTER GESANG

8. So zieht er eines Tages auch von dannen

Von einem Land ins andre, wie er pflegt:

Nun trennt ein Fluß Bretonen von Normannen,

Der sonst sich still zum nahen Meer bewegt;

Jetzt aber hoch und wild die Wogen rannen,

Von Schnee und Bergesfluten aufgeregt:

Die Brücke, von des Wassers Wucht durchstochen.

War fortgeschwemmt, der Zugang miterbrochen.

9. Er späht hinüber, was da wohl zu machen, Blickt auf und ab dann wieder diesen Strand, Wie er (was Fische- sind und Vogelsachen) Hinkomme nach dem andern Uferrand:

Da sieh: ganz unversehens naht ein Nachen, Das Steuer führet eines Fräuleins Hand: Sie winkt, als komme sie des Ritters w^en. Doch scheint sie nicht gesonnen, anzulegen.

10. Sie landet nicht, vielleicht hat sie Bedenken, Man bring' am Ende ungebetne Fracht.

Nun winkt der Graf, das Boot heranzulenken: Er wäre gern zum andren Strand gebracht. Sie sprach: „An meinen Kahn darf keiner denken« Der nicht zuvor mir hat den Schwur gemacht. Den Kampf zu kämpfen, den ich fordern werde. Den besten und gerechtesten der Erde.

11. Und seid Ihr, mein Herr Rittersmann, gesonnen. Dem andern Uferrand zu nahn durch mich. Versprecht, daß Ihr, wenn dieser Mond verronnen. Und eh der folgende noch ganz entwich.

Die Fahrt zu Irlands König habt begonnen: Ein wackres, schdnes Heer bereitet sich. Denn eines gilt: Ebuda geh' zugrunde. Die sdiHmmste Insel auf dem Erdennmde.

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NEUNTER GESANG

12. Vernehmt: weit hinter Irland ist gelegen Ebuda (viele Inseln gibt es hier),

Wo die Bewohner noch des Raubes pflegen Nach alter Satzung rings am Strandrevier, Und was sie dann von Frauen finden, l^en Sie vor zur Speise einem Wassertier. Das kommt tagtäglich, und auf alle Fälle Ist dort ein Fräulein, eine Frau zur Stelle.

13. Denn Händler haben solche und Korsaren Im Vorrat stets, imd von den schönsten zwar. Ihr könnt nun zählen, welche Frauenscharen Tagtäglich eine! sterben Jahr für Jahr. Herr Ritter, habt Ihr Amors Macht erfahren Und seid im Herzen nicht des Mitleids bar, Ihr werdet zu den Edlen Euch begeben.

Die solch ein wohlgeföUig Werk erstreben."

14. Kaum ließ sie Roland bis zu Ende sprechen; Er schwur sogleich, als erster sei er da:

Wo er von Unbill hdrt, muß er sie rächen; Davon nur zu vernehmen, schmerzt ihn ja. Zudem will die Besorgnis Bahn sich brechen. Dort sei gefangen auch Angelika; Denn lang' hat er gesucht auf vielen Wegen, Und nirgends trat ihm dne Spur entgegen.

15. So nahm ihn der Gedanke jetzt gefangen. Und frühre Flän' entschwanden seinem Sinn, In aller Eile sucht' er zu gelangen

Nach jenem Eiland der Barbami hin.

Eh noch die nächste Sonn' ins Meer gegangen, Saß er bei Sankt Malo im Schiffe drin, Das er gefunden; ließ die Segel spannen, Und um Sankt Michels Berg fuhr er von dannen.

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NEUNTER GESANG

16. Kieuc und Landrigfier läBt CT TOT Ittnkcn, Fährt längs dem mächtigen Bretagnestrand Dann hin, von wo die weißen Khppen \%'inkeQ, Nach denen England Albion ist genannt. Allein der Südwind fängt nun an zu sinken, Und ein Nordwest, ein starker, ist zur Hand; Er zwingt, die Segel rasch herabzulassen Und ihm das Steuern selbst tu. äberiassoi.

17. Zurück m einem Tage flog mit Schnelle Das Schiff, wie es in vieren fuhr heran; Damit es nicht am Strand wie Glas zerschelle. Hielt es in offner See der Steuermann.

Der Wind. \ier Tag' dn wütender Geselle, Stimmt an dem fünften andre Liedchen an; Das Schiff kann sonder Mühe hingelangen. Wo lieefcswelbi Antwerpens Strom empfangen.

18. Der müde Schiffer war dort eingefahren

Mit dem zerzausten Schiff und dicht am Strand, Da kam vom Fhisse rechts, wo Felder waren. Ein hochbejahrter Mann rom Uferrand (Recht ah, man sah es an den wdBen Haaren). Der hat sich hdflidi an den Graf gewandt. Ifit Böcklingen, wie vor dem Obeihaiqyte, Das er in Roland hier za stSbea glaubte,

19. ^nach er, ein Fräulein weid' er recht vedMndm: Da» bitt' mn sdn Erscheinen ihn gar sdir.

Er werde nidit nur schön, aoch hold sie finden; Es gäbe solchen Ladneiz fast nicht mdir. Sonst mög' er sich sn warten überwinden. Dann komme sie zom Schiffe sdlier her. Er werd' ihr ganz gewiB nicht sänm'ger dienen Als viele Ritter, die vor ihm erschienen.

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NEUNTER GESANG

20. Von allen, die bisher des Weges gingen,

Zu Land, zu See und auch den Fluß liinauf.

Versäumte keiner, Rat ihr darzubringen,

Sie halfen ihr in ihren Nöten auf.

Roland vernimmt's, er eilt, ans Land zu springen.

Und geht ohn' Aufenthalt in schnellem Lauf,

Wie 's einem art'gen Ritter mag gebühren.

Wohin der Greis bestrebt ist ihn zu fähren.

21. Im Landgut tritt er, stets dem Greis zu Seiten, Ein in ein Schloß, geht dort die Trepp' hinan Und läßt zu einer Dame sich geleiten:

Nicht nur ihr Antlitz kündet Trauer an,

Auch schwarze Decken, die im Haus sich breiten.

So weit man SST und /Ammer sehen kann.

Sie grüßt ihn fein, ISdt ihn zum Sitzen drinnen.

Um daim mit trübem Tone zu beginnen:

22. ,,Dem Graf von Holland, Herr, bin ich entsprossen: Der hebte mich (blieb ich auch nicht allein. Denn noch zwei Brüder hatt' ich zu Genossen), Er konnte gar nicht liebevoller sein.

Nie hat er meinen Bitten sich verschlossen; Für meine Wünsche kannt' er nicht das Nein. Als mir in Frohsinn so die Tage schwanden. Erschien ein Herzog hier in unsem Landen.

23. Herzog von Seeland war er, und sein Sinnen Ging, nach Jffiska]^ in den Kri^ zu ziehn.

Ich ließ durch Jugend, Schtoheit mich gewinnen:

Sie machten zur Ge&mgnen mich für ihn.

Auch ihm erwachte Glut im Herzen drinnen,

So daß es nach den äußern Zeichen schien

(Ich glaubt' und glaub's und glaub', ich glaube richtig):

Er liebte mich und liebt mich nocli aufrichtig.

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176 N BUNTER GESANG

24. Ans Haus gebannt durch üble Wetterlage

(Übel für ihn, für mich war gut der Wind) Mir Sellien 's ein Nu, den andren vierzig Tage, So flog die Zeit auf Schwingen pfeilgeschwind Beschließen wir, wir wollen ohne Frage, Sobald zu End' die Kriegesfahrten sind, Uns zur Vermählung hier zusammenfinden Und feierlich zum ew'gen Bund verbinden.

25. Kaum war Biren nun fort auf seinen Wegen (So ist mein treuer Liebster zubenannt),

Als dort aus Friesland, das so nah gelegen. Wie sich die Mündung dieses Stromes spannt. Vom Konig Boten kamen, meinetwegen, Für seinen einz'gen Sohn zu werben, den Arbant; Die Höchsten aus des ^es'schen Adels Reihen Sollten bei meinem Vater um mich ireien.

26. Ich könnte nie mein Wort dem Freunde brechen. (Er gab mir seines; wie betrog' ich ihn?);

Und könnt' ich's, würd' es Amor schleunig rächen, Hätt' er so schnöden Undanks mich geziehn. Um das Geschäft auf einmal abzubrechen. Das schon im Gang war, fast zu End' gediehn. Sagt' ich dem Vater, sollt' er fort mich geben Nach Friesland hin, so wurd' ich nimmer leben.

27. Mein Väterlein, das stets tat, was ich wollte. Und nur auf meine Freude war bedacht. Hat, mir 2«um Trost, als meine Träne rc^te. Drauf der Verhandlung gleich ein End' gemacht; Der stolze Friese war empört, er grollte

Und, voller Haß, in helle Wut gebracht. Trug er nach Holland seine blut'gen Waffen, Die an mein Haus von hinnen sollten raffen.

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NEUHTER GESANG

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28. Er ist nicht nur an Kraft so übermächtig,

Daß kaum sich einer mit ihm messen kann;

Nein, auch im Bösetun so niederträchtig,

Es kann nicht Mut noch List an ihn heran:

Er hat ein Waffen, das noch niemals, dächt' ich.

In alter Zeit und neuer trug ein Mann;

Ein Eisen schwarz von zweier Anne Länge;

Und Blei und Pulver jagt er durch die £nge

29. Mit Feuer, wo die Röhre hinten endet. Und irgendwo dort eine Spalte sitzt;

Die braucht er so, wie sie der Arzt verwendet,

Wenn er dem Kranken eine Ader ritzt.

Mit solchem Krachen wird der Ball entsendet.

Daß man vermeint, es donnert und es blitzt,

Uild was er trifft » dem Blitz gleich, vnam es wettert ^,

Verbrennt, zerschlägt, zerstört er imd zerschmettert.

30. Zweimal durchbrach er unsre Heeresglieder Und hat die Brüder in den Tod gesandt: Beim erstenmal streckt er den einen nieder

(Das Herz durchbohrend durch das Stablgewand),

Kam bald darauf zum andern Male wieder

Und schoB den zweiten, der zur Flocht gewandt.

Von fem traf ihn die Kugel in den Rfkdcen,

Ging durch den Leib und riß die Brust in Stocken.

31. Als sich darauf noein Vater hinter Toren Der Buig, die ihm allein geblieben ist (Demi alles andre ging ihm schon verloren). Sich wehrt, da mordet ihn die gleiche List; Denn als er grad den Wachtdienst sich erkoren Und zeigt, was nottut zu derselben Frist Zwischen die Braun hat er den Ball bekommen Von dem, der ihn von fem zum Ziel genommen.

Ariott I 13

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NEUNTER GESA N G

32. Der Insel Holland Erbin nun gelassen, Dunch meiner Lieben Tod, war ich allein: Der Friesenfürst, gewillt dort Fn6 zu fassen

Und in dem Reiche sichrer Herr zu sein, Verkündet mir und auch den Volkesmassen, Er würde Ruh' und Frieden jetzt verleihn, Wollt' ich zur Zeit, was früher nicht ich wollte: Daß Prinz Arbant mein Gatte werden sollte.

33. Nicht darum nur, weil ich den Haß will tragen, Haß auf den Friesen und sein arges Haus, Der Brüder mir und Vater hat erschlagen.

Mein Heim verwandelt hat in Brand und Graus Nein, weil ich nicht dem Liebsten will entsagen (Er nahm ja meinen Schwur nüt sich hinaus. Daß ich nicht früher eines andren wäre. Bis er von Spanien ninuner wiederkehre),

34. Sagt' ich: Eh'r will ich hundert Tode kennen; Man mag mit allen Qualen mich bedräun, Man mag mich töten, lebend mich verbrennen Und meine Asche in die Winde streun!

Mein Volk sucht von dem Vorsatz mich zu trennen; Ich hör' ihr Flehen stürmisch sich ernenn. Mich und das Reich in seine Hand zu legen. Daß nicht das Land verderbe meinetwegen.

35. Als sie ihr Drängen ganz vergebhch sehen Und mich so felsenfest im Widerstand, Die Meinen all zum Friesenkönig stehen Und geben Reich und mich in seine Hand. Ohn' iigend weitre Unbill zu begehen. Versichert er mir Leben so wie Land, Damit ich alten Abscheu überwinde Und in die Heirat mit Arbant mich finde.

NEUNTER GESANG

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36. Zum Tcxie will ich meine Zuflucht nehmen,

Um so verhaßtem Zwange zu entgehn;

V^orher mich rächen; sonst würd' ich mich grämen

Mehr als um alles, das mir noch geschehn.

Auch der Verstellung darf ich nicht mich schämen.

Einzig in ihr ja kaim ich Hilfe sehn:

Verliebtheit heuchl' ich, bitt' ihn, zu verzeihen.

Scheinbar voll Sehnsucht jetzt, Arbant zu freien.

37. Von all den vielen, die im Dienste standen Des Vaters noch, wählt' ich zwei Brüder aus. In denen Mut und hoher Sinn sich fanden (Die Treue ragte drüber noch hinaus).

An mich gekettet durch der Jugend Banden, Mit mir enogen beid' im Königshaus Und also mein: sie würden gern ihr Leben Für meine Wohl&hrt mir zum Opfer geben.

3B. Den zwein vertrau' ich mich in diesen Zeiten, Und sie versprechen Hilfe mir sofort : Der geht nach Flandern hin die Fahrt bereiten. Der andre bleibt bei mir zurück am Ort* Derweil nun für die Hochzeit Boten reiten Und Fremd' und Heim'scfae laden hier und dort. Vernimmt man, daB Biren in Spanien rüste; Er bring' em Kri^^esheer nach Hollands Küste.

39. Nach jener Schlacht, in der das Heer geschlagen Ward und den Tod mein lieber Bruder fand, Hatt' ich, die Kunde zu Biren zu tragen. Nach Spanien einen Boten abgesandt. Derweil sie dort sich mit der Rüstung plagen. Kommt meines Reiches Rest in Feindeshand. Biren, dem noch lüervon die Nachricht fehlte. Zu unsrer Hilf indes die Schiffe wälilte.

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NEUNTER GESANG

40. Als drob der Friese Meldung hat empfangen. Gibt er die Hochzeit in des Sohnes Hand Und ist mit seinem Heer zu See gegangen: Des Herzogs Flotte ward besiegt, verbrannt, Er selbst nach Schicksals Willen, ach, gefangen; Doch davon wurd' uns damals nichts bekannt. Der Jüngling freit mich: nach der Sonne Schwinden Denkt er die Lagerstatt bei mir 2u finden.

41. Verborgen war und ohne sich zu regen Mein treuer Helfer hinterm Bettverhang: Als er den Gatten sah sich herbewegen. Mit starken Armen eine Axt er schwang

Arbant fand nicht die Zeit, sich hinzulegen , Und auf dem Hinterkopf der Hieb erklang. Der ihm die Stimme raubte und die Seele Scbnell spiang ich auf und schnitt ihm durch die Kehle.

42. Gleichwie die Ochsen in den Schlachthaushallen, Fiel der unsel'ge Jüngling auf den Grund, Cimosk zum Trutz, dem Schändlichsten von allen (Den. bösen Friesen nenn' ich dir jetzund), Durch den all meine Trmien sind gefallen

Und der mich zwang zu diesem Ehebund, Um seiner Henschaft gr56em Halt zu geben. Nachher wohl doch nach meinem Tod zu streben.

43. Wir nehmen rasch, eh Störung uns ereile. Was nicht viel wiegt und gute Dienste tut; Dann läfit mich man Genosse rasch am SeUe Hinab vom Fenster auf die Meeresflut,

Wo in dem Boot aus Flandern mittlerweile Sem Bruder wartet mit gespanntem Mut: Ins Meer die Ruder, Segel in die Windel Und Gott gefall's, daß jeder Rettung finde!

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NEUNTER GESANG

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44. Ob Rachewut, ob Schmerzen größer waren

Des Königs um den Sohn, könnt' ich nicht sehn; Er kam am nächsten Tage, zu gewahren, Was ihm zum Hohne Grausiges geschehn. Stolz war er heimgekehrt mit seinen Scharen, Stolz auf den Sieg, den Fang auch des Biren; Zu Fest und Hochzeit glaubt' er zu erschemeD, Nim fand er alles dunkel und zum Weinen.

45. Schmerz um den Sohn, ein Haß wild zum Erschrecken Auf mich verläßt ihn nicht bei Tag und Nacht. Doch weil die Klagen Tote nicht erwecken.

Die Rache aber Luft dem Hasse macht, Sdl nicht in Seu&er sich das Leid verstecken. Auf eines, nach dem Wehruf, sei's bedacht: Auf einen Bund mit grenzenlosem Hassen : Mich finden gilt es und mich büßen lassen 1

46. Wer mir verknüpf t war mit der Freundschaft Banden Und wem für die Genossen sdüug das Heiz,

Die zn dem Werk mir hatten beigestanden, . Beraubt', erschlug er, trieb sie anderwärts. Kren auch wollt' er töten mir zn Schanden; Das gäbe ja für mich den größten Schmerz; Doch lebend deucht ihn bild* er wohl die Schlinge In seiner Hand, darin auch ich mich finge.

47. lüt einem Vorbehalte, einem schlimmen. Bleib* er am Leben bis auf Jahresfrist; Sodann verfall' er doch dem Tod, dem grimmen.

Geläng' ihm durch Gewalt nicht oder List, Verwandte oder Freunde zu bestimmen. Daß sie mich, wenn es zu erreichen ist. Einliefern: also wird für ihn mein Sterben Der einz'ge Weg, nicht selber zu verderben.

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NEUNTER GESANG

48. Ich tue, was für ihn nur kann geschehen

(Bloß, daß ich selbst mich nicht dem Tod gestellt);

Sechs Schlösser geh' ich, die in Flandern stehen,

Und lasse für das so gelöste Geld

Te^ls hin zum Feind erfahrne Späher gehen,

Die Wache zu bestechen, die ihn hält,

Und teils verwend' ich 's zu des Friesen Schaden,

Engländer oder Deutsche herzuladen.

49. Ob dieses nicht vermocht die Mittler haben, Ob sie nicht taten, was sie doch gesollt

Ich weiß nur, daß sie nichts als Worte gaben; Sie höhnen noch, nun eingesteckt das Gold. Und jetzt, zu spät, ach, kämen Heer und Gaben, Denn jenes Jahr der Frist ist hingerollt, Und rings die weite Welt kein Mittel hätte. Das meinen Liebsten vor dem Moide rette.

50. Für ihn bin ich aus meinem Reich vertrieben. Für ihn sind Brüder nur und Vater tot; Für ihn das Wen'ge, das mir noch gebheben. Daß mir gesichert wär' ein täglich Brot •Es ward, ihn zn befreien, aufgerieben,

Und jetzt steht weiter nichts mir zu Gebot, Als mich zn geben in die Hand des bösen, Gransamen Feindes, nm ihn auszulösen.

51. Drum sollt* es keine Hilfe weiter geben Und stellt sich nichts zu seiner Rettung ein Als dies mein Leben, nun, so wird dies Leben Mir ihm zn opfern nicht zu teuer sein. Doch eine einz'ge Sorge macht mich beben: Wie treff' ich wohl den Pakt so klar und rein, DaB er mich sichre vor des Wfitrichs Lügen,

Der, bin ich sein, noch leidit mich kann betrügen?

NEUNTER GESANG

52. Ich fürchte, wenn mich seine Hände fassen Und alle Todesqualen mir geschahn,

So wird er doch darum Biren nicht lassen» Daß der mir danke freie Lebensbahn; Meineidig, voller Wut in seinem Hassen, Ist ihm mit meinem Tod nicht gnug getan: Mit meiner Qual wird er sich nicht bescheiden Und läBt die gleiche dann Biren erleiden.

53. Bring' ich der Lage Bild nun Euch entgegen Und ihnen, die noch sonst am Ufer hin

Als edte Herren ziehn nnd kühne Degen,

So geht mir der Gedanke durch den Sinn:

Ich hdre so von IGtteln wohl und W^gen,

Zu hindern, wenn ich des Tyrajoim hm.

Daß er doch hmterdrein Biren behalte

Und wie mit mir so auch mit ihm noch schalte»

54. So manchen bat ich schon, mich zu geleiten» Wenn ich mich liefre an den Friesen dort. Und jenen Austausch derart anzuleiten

Versprechen mftes* er dies mit seinem Wort

Daß ich mich gebe doch zu gleichen 2^ten Frei sei Biren; verfall' ich dann dem Mord, Getröstet werd' ich sterben und zufrieden, Daß ihm mein Tod das Leben hat beschieden.

55. Noch keiner wollte mir sein Wort verpfönden,

Daß er, führt man zum Friesenkönig mich.

Wenn der nicht gleich Biren auch will entsenden«

Hierher zurück mich bring' unweigerlich

Und nicht mich lasse in des Feindes Händen;

So fürchtet jeder vor der Waffe sich.

Der gegenüber nicht es hilft, sich rüsten.

Mag man sich auch im stärksten Panzer brfisten.

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l84 NEUNTER GESANG

56. Wenn Will' und Mut in Euch im Einklang stehen Mit trutz'gem Antlitz und herkul'scher Kraft Und Ihr vermeint zu kommen und zu gehen Mit mir, sobald der Friese Falsches schafft,

So mögt Ihr mich in seinen Händen sehen! Ich sorge nicht : denn, bin ich auch in Halt, So wei6 ich doch, muß ich schon selbst verderben, Es wird, seid Ihr bei ihm, mein Herr nicht sterben."

57. Des Fräuleins Rede, vielfach unterbrochen

Von Tränen und von Seufzern, fand liier Schluß. Roland, der sich noch niemals hat verkrochen Und, gilt es Gutes tun, nie zeigt Verdruß, Sagt kurz, als sie zu Ende hat gesprochen i (Er ist kein Freund von langem Redefluß): Mdbr als sie wünsche werd' erfüllt sie finden, Daianf woU' er mit seinem Wort sich binden.

58. Daß sie dem Leben für den Freund entsage. Schwebt keineswegs ihm jetzt als Absicht vor: Er rettet beide wohl mit einem Schlage,

Warn er sein Schwert hat md nicht Kraft verlor. Sie reisen ab, noch an demselben Tage, Gpt ist der Wind mid heU das Himmelstor. Der Graf hat Eile, denn er fühlt Vedangen, Zmn Eiland jenes Untiers zu gelangen.

59. Hieihin und dorthin lenkt von Land zu Lande Durch manchen tiefen Teich der Steuennann; Die Inseln Seelands zeigen ihre Strande: Jetzt schwindet die, und jene rückt heran. Am dritten Tag steht er auf Hollands Sande, Doch, die den Friesen haBt, nicht kommen kann: Der Graf will, daß sie von dem Schiff aiis sehe. Wie es dem Wüterich durch ihn ergehe.

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NEUNTER GESANG

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60. Auf einen Renner, einen schwärzlich-grauen. Steigt er am Strand, gerüstet, nach der Fahrt; Ein Däne war's, genährt in Flanderns Auen, Und mehr von starker als von leichter Art. Denn als der Held ging sich dem Schiff vertrauen, In der Bretagne ward sein Roß verwahrt,

Der Güldenzaum, an den kein Pferd kann reichen Und der sich last mit Bajard mag veigleichen.

61. Nach Dortrecht kam er, sah am Tore Wachen Und daß es angefüllt von Kriegern war,

Teils, weil sich Herrscher immer Soiigen machen (Wenn ihre Herrschaft noch ein Neuling garl), Teils, weil gemeldet waren neue Sachen: Von Seeland sei zur Fahrt mit einer Schar Erlesner Krieger und mit vielen Schiffen Ein Vetter des gefangnen Herrn begriffen.

62. Graf Roland läßt darauf dem König sagen, Gekommen sei ein Ritter vor die Stadt,

Wt ihm den Kampf auf Lanz' und Schwert zu wagen:

Doch die Bestimmung finde vorher statt:

Der Ritter liefre, weid' er selbst geschlagen.

Die Dam' aus, die Arbant getötet hat;

An nahem Orte sei sie gut verborgen;

Er selbst könn' ihr Erscheinen stets besorgen.

63. Der Kdnig aber soU sdn Wort verpfänden. Im Fall der Ritter si^, den Kren Sofort in voller Freiheit zu entsenden.

Daß er des Weges sicher möge gehn.

Der Bote eilt, zum König sich zu wenden,

Doch er, den keiner ehrhch je gesehn,

Er kennt im Augenblick nur dies Beginnen:

Auf Trug, Verrat und Hinterlisten sinnen.

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l86 NEUNTERGE8ANG

64. Er denkt, hab' er den Ritter in der Schlinge, So hab' er falls der Bote recht vernahm. Daß jener Held die Dame mit sich bringe Auch sie, die Schmach ihm angetan und Gram. Ein Trupp, gebietet er, von dreißig dringe

Aus anderm Tor, als jener Ritter kam, Zum Platz hinaus und falle dort mit Tücken Nach langem Umwog jenem m den Rücken.

65. Der Falsche hält ihn hin mit leerem Worte, Bis Roß und Reiter in dem Hinterhalt

Sind angelangt; dann sprengt er aus der Pforte, Mit Mannschaft rings umgeben, dergestalt, Wie wohl das Wild von jedem Zufluchtsorte Der kund'ge Jäger sperren mag im Wald, Und wie dort im Volano mit den Netzen Die Fischer jeden Wasserplatz besetzen.

66. So hat der König mit den Kriegermassen, Daß jener nicht entfliehe, sorglich acht;

Er will ihn lebend, und nicht anders, fassen Und hat sich dieses Ding so leicht gedacht, Daß er den irdischen Blitz zu Haus gelassen. Mit dem er schon so viele umgebracht; Denn dieser scheint ihm heute nicht vonndten. Wo es zu greifen gilt und nicht zu töten.

67. Wie Vogebteller lassen Schlingen hangen. Lebend zu haschen ein paar VögeLein (Mit ihrem Ruf und ihrem Zirpen femgen Sie ja die andern vielen hinterdrmn).

So ist jetzt dieses Fiiesenherm Verlangen: Doch Roland will kein solcher Vogel sein, Der da sich greifen läßt beim ersten Zuge: Er reißt die Schlinge durch mit starkem Fluge.

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NEUNTER GESANG

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68. Den Speer gesenkt, wo sie am dichtsten reiten, Hin sprengt der Ritter von Anglant in Hast: Er spießt den einen auf und gleich den zweiten, Den dritten, vierten Semmeln scheint es fast. So läßt er bis zu sechs den Schaft durchgleiten. Und weil die eine Lanze mehr nicht faßt,

Ist draußen nm) der nächste Mann gehlieben, Doch, schwer getroffen, stirbt auch Nummer sieben.

69. So sehn wir Frösche will's dem Jäger glücken Aus Gräben und Kanälen an dem Strand

Vom Schützen au^espießt in Seit' und Rücken

Wohl angereiht, gar viele nacheinand;

Er pflegt vom Pfeil nicht einen abzupflücken,

Eh er gefüllt von vom bis hinten stand.

Der Speer flog fort, der solcherart beschwerte.

Und Roland schritt zum Kampfe mit dem Schwerte.

70. Zur Klinge griff er nach dem Lanzenbrechen, Die niemals ein veigeblich Werk begann: Es fiel bei jedem Hauen, Schneiden, Stechen

Ein Mann zu Fufi, sonst auch zu Pferd ein Mann; Wo's traf, da &bte sich von roten Bachen, Was man zuvor als blau, weiß, gelb sah an. Der Friese weiß vor Wut sich nldit zu fassen. Daß er sein Feuerrohr zu Haus gelassen.

71. Er ruft mit lautem Drohn, man soll es bringen. Doch die erschreckten Krieger hdren nicht; Denn jedem, der zurück zur Stadt kann dringen, Der Mut, aufi neu herauszugehn. gebricht.

Der König sah, wie alle rückwärts gingen, Und war auf eigne Rettung nun erpicht: Die Brücke aufzuziehn, eilt er zur Pforte, Doch allzuschnell ist auch der Graf am Orte.

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NBUKTER GESANG

72. Umkehrend läßt der König Tor und Brücken Nun völlig frei dem grimmen Rittersmann, Läßt fliehend alle Mannschaft hinterm Rücken, Die weil sein Pferd am besten laufen kann.

Nach niederm Volk will Roland nicht sich bücken, Nur auf den Tod des Schurken kommt's ihm an; Doch wenig f^ugt sein Tier znm raschen Rennen: Man könnt' es lahm, das dort geflügelt nennen.

73. Verschwimden just als ob ihn Nacht bedecke Ist er dem Ritter; doch nach kurzer Weil' Kommt er mit neuen Waffen, denn ein Recke

Hat ihm das Feuerrohr gebracht in Eil'. Er drückt sich lauernd dicht an eine Ecke Und hairt, so wie mit Hmiden, Spieß und Pfeil Der Jäger wildem Eber harrt entgegen. Den er verheerend hOrt im Wald sich regen

74. Und Steine wälzen und die Zweige knicken:

Ein Berg so scheint's sich in Bewegung setzt; Läßt sich der stolze Kopf des Tieres blicken. Meint man, es werde rings der Wald zerfetzt. Ciinosk steht lauenid, und am Zesag zu flicken Denkt er dem übermüt'gen Grafen jetzt Der kommt : das Feuer in dem Spalt am Rdir blitzt. Worauf der Schuß im Augenblick hervoiblitzt.

75. Von hinten leuchtet's auf wie beim Gewitter, Und vorne kracht's, entsendend DonnerknalL Der Boden schwankt, als ob er beb' und zitter'. Der Himmel oben dröhnt vom grausen Schall. Der gluhnde Pfeil (es sinkt vor ihm in SpHtter, Was er nur trifft, und sei's dn Felsenwall),

Er saust und zischt ; doch sollt' er Unheil bringen Nach Wunsch des Mörders, wollt' es nicht gehngen.

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N EÜNTER GESANG 189

76. War's Eile oder daß za sehr er glühte, Roland zu töten, was ihn fehlen UeB? War's, daß, wie Blätter bebend, sein Gemüte

. Zugleich auch Arm und Hände beben hieß? "War's, daß den treuen Held die ew'ge Güte, Die noch ihn brauchte, nicht in Not verließ? Der Schuß drang in den Leib hinein dem Pferde Und« nie sich zu erheben» üel's zur Erde.

77. Es stürzt das Roß, es stürzt der Reiter nieder. Doch jenes bleibt, und dieser, leicht und frei. Springt auf geschickt und regt so frisch die Glieder, Ob Atem ihm und Kraft gewachsen sei.

Wie sie gedoppelt kam Antäus N^ieder Vom Boden dort in Libyens Wüstenei, So schien's, daß bei Berührung mit der Erde Roland die Stärke nea gegeben werde.

78. Wer je das Feuer sah vom Himmel fahren, Von Zeus mit solchem Krachen ausgesandt. Hinkommen, wo die Menschen aufbewahren Salpeter, Schwefel, Kohlen, allerhand

(Wie leicht auch die Zusammenstöße waren. So steht doch Eid' und Himmel gleich in Brand; Hartes Gestein zerreißt, die Ifaaem springen. Und Felsenstücke zu den Sternen dringen),

79. Der denke: also hob sich von der Erde, Die er berührt, Roland der Paladin; Mit solcher wilden, schrecklichen Gebärde, Daß Mars im Himmel drob zu zittern schien. Umwandte sich der Friese mit dem Pferde, Entsetzt und schaudernd, jäh davonzufliehn; Doch Roland hinterdrein mit grdßrer Eile Als, fortgeschnellt vom Bogen, rasche Pfeile l

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190 NEU NTER GESANG

80. Was er vorher umsonst versucht, beritten, Das führt er aus, nun er auf Füßen steht:

Er folgt so rasch und mit so mächt gen Schritten, Ihr glaubt es nicht, wenn Ihr's nicht selber seht Er holt ihn ein, und auf des Helmes Mitten Schwingt er das Schwert, und durch das Eisen geht Die Klinge, haut hinab bis auf die Kehle « Der Friese baucht am Boden aus die Seele.

81. Da hört man neuen W'affenlärm erklingen Und neu Getümmel drinnen in der Stadt: Die Krieger sind's und wollen Hilfe bringen. Die hergeführt Birenos Vetter hat.

Sie können durch die offnen Tore dringen. Und durch die Straßen geht der Durchzug glatt; Sie dürfen ohne Schwertstreich sie durchlaufen: So bang vor Roland sind die Büigerbaufen:

82. Die fragen nicht sie fliehen voller £ile , Wer jene seien und was ihr Begehr;

Doch merkt an Sprache mancher mittlerweile Und an dem Kleid, sie sind aus Seeland her, Sagt: Friede werde dieser Schar zuteile, - Stellt auch sich zur Verfügung wohl dem Heer Und wiU ihm beistehn gegen jene Friesen, Die seudem Herzog grausam sich bewiesen.

83. Feind ist dem Friesenkonig und den Seinen Das ganze Volk geblieben inmierdar.

Weil alle noch den frühem Heim beweinen. Und weil der Friese hart und ränbrisch war. Rdand versteht die zwd Partein zu einen. Zeigt sich als Freund so der wie jener Schar. Ifan duldet keinen Friesen mehr im Lande: Man tötet oder schlägt sie all in Bande.

N E U N T E R G E S A N G igi

84. Am Boden liegen die Geffingnispforteo, Zertrümmert, dnen Schldssd braucht man nicht.

Biren an Roland mit beredten Worten Den Dank für Rettung vor dem Tode spricht. Zusammen gehn sie, wo im Schiffe dorten Olympia harrt mit bangem Angesicht. Dies ist der Name, den die Dame führte. Der jenes Inselreich mit Recht gebührte»

85. Sie, die den Grafen nach dem Eiland brachte. Nur um ihr den Verlobten zu befrein,

Die niemals noch an solclie Lösung dachte. Auf seine Rettung sinnend ganz allein. Wie auch das Volk ihr Anbück glückhch machte Zu lange würd' es Euch zu schildern sein. Und wie sich beide in die Arme sanken, Dann stets au& neue Roland heiß zu dankwi

86. Als dann zum Treueschwur die Bürger gingen. Erhielt die Fürstin wiederum ihr Land.

Sie eilt, Biren an den mit ew'gen Schlingen Stahlharter Kette Liebe fest sie band Nebst ihrem Reich sich selber darsubiingen. Und er, nun andern Sorgen zugewandt, Gibt seinem Vetter alle Rdch^gewalten Und läßt der Burgen ihn und Güter walten:

87. Zurück nach Seeland, sagt er, woll' er reisen (Dort fuhr* er auch die treue Gattin hin). Erproben, ob das Kriegsglück hold sich weisen In Fliesland werde. Heg' in seinem Sinn;

Ein Pfand soU' ihm dort seine Kraft beweisen. Und dieses Pfond halt' er in Händen drin: Des Königs Kind, gefangen mit den vielen. Die bei der Beut' ilun in die Hände fielen.

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192 N F r N T Ii R G E S A N G

88. Bern Bruder möcfat' er gerne sie vermählen. Der jünger noch an Jahren war, za Haus. Den gleicfaen Tag will Roms Senator wählen Zmn Absdued, da Kreno fuhr hinaus.

Soviel man konnte Beutestücke zählen. Nahm er für sich ein einziges heraus: Das Marterrohr, mit dem, wie wir gesehen, Unheil wie durch den Blitzstrahl mag geschehen.

89. Der Waffe sich zum Schutze zu bedienen.

Das war es nicht, worauf der Ritter sann, Denn immer war es ihm als feig erschienen. Wenn einen Vorteil nahm im Kampf ein Mann. Wo keinem Menschen schaden Mordmaschinen, Da soll es nihn für alle Zeit fortan. Auch Pulver nahm er, Kugeln und was alles Dazugehören mochte allenialles.

90. Drum als er mit dem Schiff nun weit vom Lande Ins tiefe Meer hinausgefahren war

(Nicht von dem rechten, nicht vom linken Strande Bot sich vom Lande mehr ein Zeichen dar). Nahm er's und sprach : „Du seist nicht mehr imstande Zu krönen schlechten Mann, des Mutes barl Daß echte Rittertugend nicht verschwinde. Bleibe du hier, wo keiner mehr dich finde.

91. Aiges Gerät, abscheuhch, gottverlassen, Das aus dem Tartarus der Teufel gab!

Dich brachte Beelzebub mit tück'schem Hassen Den Menschen zu Verderben, Tod und Grab, Laß von der HäQ* aufs neue dich eifaase&r' Er sprach's und warf das Feuerrohr hinab. Zur Greuel-Insel trieb indes geschwinde Das Schiff mit vollen S^gefai vor dem Wnde.

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NEUNTER GESANG

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92. Den Grafen treiben vorwärts Sehnsuchtsflammen (Er brennt zu hören, was man von ihr weiß; Sie Hebt er mehr als alle Welt zusammen;

Ihr fem, lockt ihn kein Glück, nicht laut, nicht leis). Drum läßt er Irland liegen, denn entstammen Kann neuer Aufenthalt ja dieser Reis*, Und mit der Klage wird vielleicht geendet: ,Ach« hätt' ich doch die Schritte fortgewendet 1'

93. In England auch verbot er anzulegen Und wo ein Ufer sonst gesehen ward. Doch lassen wir ilin ziehen meinetwegen, Wohin da führt des nackten Schützen ArtI Ich möchte jetzt nach Holland mich bewegen Und Jad' auch Euch mit ein zu dieser Fahrt. Dean so wie iniGh würd' es wohl Euch verdrießen. Sollte die Festzeit ohne uns verffiefien.

94. Schön ist die Hochzeit wohl, zu der wir steuern. Indes so schön und glänzend nicht jetzund. Wie die in Seeland noch sich soll erneuern. Doch feiern wir nicht mit den neuen Bund; Denn Unheil will mit fnschen Abenteuern

Ihn stdcen. Alles sonst wird später kund;

Im nächsten Sange will ich es erzählen.

Wenn mir zum nächsten Sang nicht Hdrer fehlen.

Arlott I 13

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ZEHNTER GESANG

Von allen, die getreu dem edlen Triebe Und festen Herzens je die Welt erfand; Von allen, die als Muster hoher Liebe Standhaft in Freud* und Leiden man gekannt Der erste Platz (eh*r als der zweite) bliebe Olympia: nimmt sie nicht höher n Stand» So sag' ich dies : es braucht bei alt und neuen Nicht ihre Liebe den Veigleich zu scheuen.

Davon hat sie Biren Beweis gegeben

So unumstößlich sicher und so klar:

Kein Weib tat jemals mehr in ihrem Leben,

Bot* ihre Brust sich auch geöffnet dar.

Wenn nun ein Herz, so treu» so hingegeben»

Jemals der Gegenliebe wfirdig war»

So ist für den Biren es vorgeschrieben:

Er muß sie wie sich selbst» nein» mehr noch heben;

Nicht nur sie niemals um ein Weib verlassen» Und wär' es selber jene Helena» Anlaß von Asiens und Europas Hassen» Und falls die Welt noch eine Schönre sah Nein» von der Sonne scheidend» selbst erUassen Und alles opfernd für Olympia» Atem und Ruhm» und was man sonst erdenken Wohl könnt* an allerköstlichsten Gesdienken.

ZEHNTER C; E S A N G

4. Ob ihr Biren die Treue hat gehalten So wie sie ihm, ob er ihr zugewandt

Liebreich wie sie, nie Segel zu entfalten

Gedachte hin nach einem andern Land Oder ob ihre Opfer nichts ihm galten, Ob gegen Lieb' und Treu' er grausam stand, Das sollt ihr jetzt mit Staunen selber schauen, Gepreßt die Lippen und gewölbt die Brauen.

5. Und hört ihr von der Niedertracht mit Grauen, Die für so vieles Gute ihr geschieht,

Es tut nicht gut, bedenkt es wohl, o Frauen! Gläubig zu lauschen des Verliebten Lied! Denn der, bedacht nur, sich am Ziel zu schauen. Vergißt, daß Gott doch alles hört und sieht. Und hat gar leicht zu Schwüren sich vet&tiegen, Die nachher bald in alle Winde fliegen.

6. Schwur und Versprechen werden fortgetragen, Verweht und in die Luft gestreut vom Wind, Sobald die Wünsche, die Verliebte plagen. Gestillt, erloschen ihre Gluten sind.

Drum wenn die Männer bitten oder klagen. Nehmt's nicht für bare Münxe zu geschwind! Dies, werte Damen, ist der Weisheit Pfosten: Gewitzt zu werden auf der andern Kosten 1

7. Seid auf der Hut vor Männern in der Blüte Der Jugend, mit den Mienen schön und glatt 1 Strohfeuer lodert ihnen im Gemüte,

Das kommt und stirbt; bald wird die Flamme matt. Wie nach dem Hasen erst der Jäger glühte Bei Kitz' und Frost und, wenn er dann ihn hat. Nun den erlegten nicht mehr pflegt zu schätzen, WeiPs nur erfreut, dem fiiehnden nachzusetzen

13»

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T06 Z F H N T F F C F ^ A V C

8. So machen es genau die jungen Leate: Abstoßend zeigt euch, spröd' und kalt und hart. So lieben und verehren sie euch heute.

Nach wohlerzogner, treuer Werber Art.

Doch rühmen sie sich erst der sichern Beute, Bald aus der Herrin eine Sklavin ward, Und ihre Lieb' ist euch mit eins entzogen Die falsche ist wo anders hingeflogen.

9. Nicht will ich euch die Liebe drum verleiden;

Das wär* verkehrt; schwurst du der Liebe ab, Mußt du von Lust dich wie die Rebe scheiden. Die nicht zur Stütz hat Pflanzen oder Stab. Nur jene grüne Jugend sollt ihr meiden, Schwankend und unbeständig, stets im Trab! Pflückt lieber Frucht, die sauer nicht noch hart ist. Wofern sie nur nicht überreifer Art ist.

10. Ich sagt' euch, in der Beute wird gefunden Des Friesenkönigs schönes Töchterlein;

Sie soll, man hört es allgemein bekunden.

Die Gattin von Birenos Bruder sein;

Doch grad heraus ! ihm selber will sie munden.

Zu lecker ist der Bissen doch und fein!

Und Klugheit würde jener Rücksicht fehlen,

Die andern gibt, was sie für sich kann stehlen.

11. Das Fräulein hatte noch nicht überschritten Die Vierzehn, war ein schönes, frisches Ding, Ein knospend Röslein, das aus Buschesmitten Vorbricht, sobald die Sonne höher ging. Biren hat nicht nur Liebesqual erlitten. Nein, Zunder nie derartig Feuer fing; Kein Feuer je so bUtzschnell Nahnmg iande

Im reifen Kom, geschürt durch neid'scfae HSnde«

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ZEHNTER GESANG

12. Wie er sicli von den Flammen ließ erfassen Und Feuer drang bis tief ins Mark hinein, Als er beim Tod des Vaters dort erblassen Und weinen sah das holde Mägdelein;

Und wie des Wassers Glut pflegt nachzulassen, Sobald sich neues, frisches mischt hinein. Die Liebe zu der Gattin, ach, sich kühlte, Als er die neue Lieb' im Heizen fühlte.

13. Gleichgültig nicht, sie ist ilmi widerwärtig. So daß er jetzt sie kaum noch sehen kann. Und für die andre brennt er gegenwärtig; Wenn es noch lange währt, stirbt er daran. Doch bis znm Tag, an dem er alles fertig Für seine Pläne hofft, strengt er sich an:

In heifier Liebe schehit er zu veigefaen Und nur, was ihr gefiel, selbst gern zu sehen.

14. Liebkost der junge Mann die gute Kleine (Und mehr, als grade nötig, er es tat),

So wirft man drob auf ihn nicht etwa Steine, 0 nein, man nennt ihn mitleidsvoll und gut; Denn dem Gefallnen hilft man auf die Beine, Und gar nun so betrübtem jungem Blut, Das war nie tadelnswert, war vielfach rühmlich Und einem edlen Herzen eigentümlich.

15. Gott, wie verkehrt ist oft der Menschen Schalten! Wie oft ein Schleier ihren Sinn umwand!

Für fromm und gut die Zärtlichkeiten galten,

Und ruchlos war und böse doch die Hand! Sieh da! Die Schiffer schon die Ruder halten. Und vorwärts geht es, fort vom sichern Strand: Hin durch das Salzgewässer fröhlich fahren Der Herzog und die sonst noch mit ihm waren.

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198 Z E HNTER GESANG

16. Die Küsten Hollands schwanden in die Weite, Und bald erkennt das Auge sie nicht mehr. Friesland zu meiden, nach der linken Seite Hielt man sich etwas mehr nach Schottland her. Als ihnen starker Wind gibt das Geleite,

Der sie drei Tag* lang inen läßt im Meer.

Am dritten kommen sie es dunkelt mählich

Zu einer Insel öd und wüst, trübselig.

17. Olympia stieg ans Land (zum Ankern hatten Sie eine Bucht gewählt), zufrieden mit der Welt Speist sie mit ihrem ungetreuen Gatten,

Und kein Verdacht in ihre Freude fällt. Fürs Lager kam ein hübscher Ort zustatten; Da geht sie mit ihm schlafen unterm Zelt. Die andern wandten sich zum Wasser wieder Und streckten sich auf ihren Schiffen nieder.

18. Seekrankheit und die Furcht im Schiff, dem schwan- Hatten sie wach gehalten manchen Tag; [ken. Am sichern Ufer alle Sorgen sanken.

Und das Gefühl, daß sie geborgen lag, Und daß nichts mehr von qualenden Gedanken, Weil sie ja ihn hat, sie bedrängen mag. Versenkt sie gleich in Schlaf und in so tiefen, DaB Murmeltier und Bär nie fester schliefen.

19. Als sie der Falsche schlummern sieht (denn wachen Ließ ihn sein böser, ränkevoller Sinn),

Leis, leis schlüpft er vom Bette (seine Sachen Er zieht nichts an hat er im Bihidel drin); Er läßt das Zelt und eilt denn Flügel machen : Ihm seine Wünsche zu den Leuten hin Und wedct sie: ohne einen Laut zu geben. Vom Ufer weg ins offne Meer sie streben.

ZEHNTER GESANG

20. Die Arme bleibt zurück und das Gestade . . .

Olympia schläft, ist früher nicht erwacht.

Bis auf die Eid' hinab vom goldnen Rade

Aurora streut des eis 'gen Reifes Pracht

Und bis Alcyone vom Meeresbade

Des alten Leids in Klagen hat gedacht. [sie

Halb wach, halb schlafend jetzt das Hündchen streckt

Biren zum Kuß doch niemanden erweckt sie.

21. Niemand! Sie hat die Hand zurückgezogen, Und jetzt aufs neue tastet sie umher,

Den Arm gestreckt und jenen Arm gebogen, Und sucht mit Fuß und Fuße alles leer! Sie schaut sich um; Schlaf ist vor Furcht verflogen; Niemand ist da nun hält sie nimmermehr Ihr leer, verwitwet Bett: gleich einem Pfeile Fliegt sie heraus und läBt das Zelt in Eile.

22. Die Wangen sich zerfleischend, nach dem Rande Des Meeres läuft sie Unglück ist ihr klar , BUckt auf und ab (der Mond liegt auf dem Sande) Und schlägt die Brust und rauft sich wild das Haar: Ob nichts dem Blick sich bietet auBerm Strande? Und außenn Strande bietet nichts sich dar.

Sie rief Kren zurück die Rufe kamen Aus mitleidvollen Höhlen mit dem Namen.

23. Es ragt ein Fels am äußersten Gestade; Die Wogen hatten ihn durch Anprall schwer So ausgehöhlt wie einen Bogen grade.

Und oben hing er über nach dem Meer. Sie klomm in Eil' hinan auf steilem Pfade (Es spornte Herzensangst sie ja so sehr). Und vollgeblähte Segel sieht sie gleiten Und ihren Falschen fliehn in ferne Weiten.

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Z F H N T K K n F S \ X G

24. Sie sieht ihn oder glaubt doch, ihn zu sehen» Denn vdUig hell war noch der Moigen nicht: Da stürzt sie hin nnd will vor Schmers veigehen.

Blasser als kalter Schnee im Angesicht. Doch als sie wieder könnt* auf Füßen stehen, Rief sie, zur Bahn des Schiffes hin gericht't. Mit allen Kräften, die die Lungen hatten, Mehrmais den Namen ihres bösen Gatten

25« Und weint die schwache Stimme will nicht reichen

Und schlägt die Händ' zusammen immerfort: ,, Grausamer, sprich, wohin willst du entweichen? Dein Schiff hat nicht die rechte Last an Bord! Nicht schwerer wird es durch die Fluten streichen. Führt es auch mich: die Seel' ist ja schon dort!" Und macht mit Kleidern 21eichen und mit Händen, Daß doch das Schiff zur Umkehr möge wenden.

26. Allein die Winde, die von dannen tragen Den Ungetreuen und das Schifflein gut, Sie tragen auch davon der Armen Klagen Und ihre Tränen und verstörten Mut.

Sie sprang dreimal, den Tod sich zu erjagen. Hinab vom Strand, kehrt gegen sich die Wut; Dann hört sie auf, zu starren auf die Fluten, Und geht zurück, hin, wo des Nachts sie ruhten.

27. Sie liegt, das Antlitz abwärts, auf dem Bette; In heißen Tränen badet sie's und spricht: ,,Du waist uns zweien abends Ruhestätte; Warum sind zwei wir heut beim Aufstehn nicht? O weh, Biren! O wehe mir! Und hätte

Mich nie gesehen doch des Tages Licht 1 Was soll ich ton? Was kann ich tun alleine? Wer steht mir bei? Wer tröstet, wemi idi weine?

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ZEHNtER GESANG

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^8. Es will kein Mensch, kein Menschen werk sich zeigen. Und nichts verrät mir, daß hier Menschen sei'n. Ich sehe auch kein Schiff, daraufzusteigen Und mich aus dieser Öde zu befrei n. Ich sterb' in Angst: wer wird sich zu mir neigen. Das Aug' zu schheßen, wer Bestattung weihn? Falls nicht vielleicht das Grab mir Wölie geben In ihrem Leib» die hier im Walde leben.

29. Ich steh' in Angst und wähne schon zu schauen, Wie Low' und Bär aus diesem Dickicht nahn, Tiger und andre Tiere, die mit Klauen

Natur bewaffnet hat und scharfem Zahn. Doch könnte mir vor schlimmrem Tode grauen, Als den du, wildes Tier, mir angetan? Sie bringen einmal mir den Tod, den herben; Da aber, weh, läBt tausendmal mich sterben!

30. Doch falls ich wirklich einen Schiffer sehe.

Der fort mich nimmt und Mitleid fühlt mit mir. Daß ich dem Leid, der Todesqual entgehe Und Wolf und Bär und anderem Getier Bringt er mich wohl nach Holland, wenn dort, wehet In Buig und Hafen deine Wächter Stefan? Muß ich nicht weiter dann die Heimat missen. Wenn du sie mit Betrug mir hast entrissen?

31. Du nahmst, von Freundschaft sprechend, meine Habe; Schütztest Verwandtschaft vor, du falscher HortI Rasch deinen Leuten botest du die Gabe;

So sichertest du dir die Herrschaft dort. Geh' ich nach Flandern? Was mir blieb, das habe Ich doch verkauft; das Wen'ge ging ja fort. Dir beizustehn, dich aus dem Turm zu retten! Wohin, ach, geh' ich arme Frau mich betten?

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ZEHNTER GESANG

32. Fahl* ich nach Frieslandhin? Dort k&mt'kh schalten Als Königin idi weigert' es um dich!

Drum mußten Vater, Brüder mir erkalten.

Und darum ließ ich Hab und Gut im Stich! Nicht dir zu zeigen, nicht dir vorzuhalten Braucht's, Undankbarer, was geschah durch mich. Denn w^s ich alles tat. du weißt es eben. Wie ich und diesen Lohn willst du mir geben!

33. Warum, ach, faßten, die als Räuber streifen. Mich nicht als Sklavin für den Marktverkauf! Wolf, Bär und Löwe mögen eh'r mich greifen Und Tiger und der andern Bestien Häuf, Und mögen mich zur Höhle blutig schleifen. Zerfleischt von Krallen und zermalmt darauf!" Sie ruft's und anf cum Hanpt die Hände iaihrea Und zerren gransam an den goldnen Haaren.

34. Zum Küstenrande läuft sie hin aufs neue

Und reckt den Hals, zerzaust im Wind das Haar;

Wie hirnverbrannt, als jage und bedräue

Ein Teufel sie, nein, eine ganze Schar»

Wie Heknba schien wütend wie ein Leoe,

Als Polydoros eine Leiche war.

Von dnem Felsen anf das Meer sie starrte,

Lehks» ak ob sie seihst zum FcJs et&laiile.

35. Wir lassen sie in ihres Kummers Bande; Von Roger mm zu sprechen ist mein Sinn. Der in der höchsten Mittagsglut am Strande, Mnd nnd erschöpft, mühselig trabt dahin. VnE hegt die Sonne anf dem Htgdnmde, Von unten kocht's im feinen Sande drin.

Am Leib die Ru&lung* dranf die Strahlen s|vuhen. Ist nahezu, wie er sie trägt, im Glühen.

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ZEHNTER GESANG

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36. Derweilen Durst und Müh', voranzuschreiten Einsam auf tiefem Sand und ödem Pfad, Ihn durch den offnen Plan dahingeleiten (Der sowie die ein schlechter Kamerad), Sieht er in eines Turmes Schattenseiten,

Der aus dem Meer ragt unweit vom Gestad\ Drei Damen von dem Hofe der Alcine, Die er sofort erkennt an Tracht und Miene.

37. Auf Decken Alexandrias da lagen Sie, und sie sogen kühle Seeluft ein, Genossen feines Backwerk mit Behagen, Und für den Durst bereit stand edler Wein. Vom Strand, wo neckend sich die Wellen jagen. Ein schmuckes Boot winkt, will bestiegen sein. Sobald ein Hauch die Segel wird beleben; Denn nicht ein einzig Lüftchen xegt sich eben.

38. Als sie den Reiter sahn des Weges kommen

Und mühsam traben durch den schwanken Sand» Mit schweißbedecktem Antlitz, trüb, beklommen Aul seinen Lippen Durst geschrieben stand , Da riefen sie ihm zu, er sd willkommen. Wenn nicht auf seine Reise ganz verrannt; Er mOge nicht die Rast verschmähn im Schatten, Erquickung tauge seinem Leib, dem matten.

39. Die eine winkt ihm, sich vom Pferd zu schwingen, Und will beim Abstieg ihm behilflich sein;

Die zweite kommt, kristaUnes Glas zu bringen (Wie wächst sdn Durst !) mit schaumgekrSntem Wein, Doch mag er nicht nach dieser Pfeife springen: Denn, laßt er nur auf kurze Rast sich ein, Kann's leicht geschehen, daß Alcine da ist. Die hinterdrein kommt und zur Zeit schon nah ist.

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ZEHNTER GESANG

40. So lodert, gluterfaßt, in jähem Feuer

Nicht reiner Schwefel und Salpeter auf;

So rast das Meer nicht, wild und ungeheuer,

Wenn schwarzer Sturm mit Drohen steigt herauf»

Wie (da sie sieht, daß Roger nur noch scheuer

Am Strande hinlenkt in geradem Lauf

Und daß er alle drei verschmäht zusammen)

Die dritte wütend anfängt aufzuflammen.

41. Laut kreischend also fing sie an zu schmälen: „Du bist kein Ritter und kein Edelmann!

Du stahlst die Waffen, und das Pferd zai stehlen. Darauf kam dir 's vermutlich auch nicht an, So daß man dich und darauf magst du zählen Bald auf dem Rabensteine sehen kann. Gevierteilt dort, verbrannt, gepfählt zu werden. Du größter Lump, Halunke, Dieb auf Erden 1"

4a. Dem Munde der erbosten Frau entgleiten Schimpf reden so wie diese noch viel mehr: Antwort gibt Roger nicht ; aus solchem Streiten, So niedrigem, erwüchs' ihm wenig Ehr'. Die drei gehn in das Boot, mn ihm zu Seiten Am Ufer hinzufahren auf dem Meer: mt hurtigen Ruderscfalägen geht es weiter. Die Augen stets gerichtet auf den Reiter.

43. Dem Lästermund sich Fluch auf Fluch entwindet. Der Stoff geht gar nicht aus und Schmähn und Bis Roger sich an jenem Sunde findet, [Drohn, Wo da beginnt der guten Fee Region. Ein alter FiUumann an dem Ufer bindet Ein Fahizeug drüben los, als ob er schon Dort auf den Ritter warte, demi die Kunde, Daß Roger komme, machte schon die Runde.

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ZEHNTER GESANG a05

44. Der l^Umnann löst, wie Roger naht, den Nachen,

Ihn froh zu führen in em beßres Land;

Darf man die Schlüsse nach dem Antlitz machen. So ist er herzensgut imd voll Verstand. In Roger Dank an Gott und Freud' erwachen. Als er im Kahn ist, und zum andern Strand Fährt er durch stille Fluten mit dem Greise, Der an Erfahrung reich ihm^ scheint und weise.

45. Der lobt ihn, daß er aus Alcinens Schlinge Sich habe recht zur Zeit noch losgemacht, Bevor sie jenen Zauberbecher bringe, Der allen andern sonst war zugedacht. Wenn er zu Logistüla weiterdringe,

So find' er hoher, ew'ger Schönheit Macht Und Huld unendlich, Sitten ohne Fehle, Was niemals sättigt, immer nährt die Seele.

46. ,,Wem ihre Züge", sprach er, ,,kund sich machten. Ehrfürchtig Staunen in das Herz sie senkt: Such' immer eiihger sie zu betrachten.

Daß keines weitem Guts dein Sinn gedenkt. Wenn andre stets nur Furcht und Hoffnung brachten, Viel Besseres dir ihre Liebe schenkt: Nicht mehr Verlangen will das Hm bewegen, Nur Glück, sie anzuschann, es mild erregen.

47. Und beßre Dinge läßt sie dich erstreben Als Speisen, Tanz und Spiel und süßen Dttft, Daß die Gedanken höher sich erheben,

Ah sonnenwarts der Aar steigt durch die Luft, Und daß der Seligen Wonne man im Leben Schon hier genießt in dieser Erdengruft" So sprechend lenkt der Schiffer zum Gestade, Wiewohl noch fem vom sichren Felsenpfade.

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ZEHNTER GESANG

48. Da lassen auf dem Meer sich Schiffe sehen (Und alle sind dem Nachen zugewandt).

So viel Alcine zu Gebote stehen,

Auch viele Mannschaft hat sie ausgesandt

Der Staat mag, und sie selber, untergehen ,

Den Teuem einzuholen, der entschwand.

Anlaß von allem ist gewiß die Liebe,

Doch Kränkung auch, Verdruß und Rachetriebe.

49. Nie mußte sie so schweren Ärger spüren Wie den, der ihr jetzund am Herzen nagt: So eilig läßt sie alle Ruder führen,

Daß schäumend auf das Deck die Woge jagt. Im großen Lärme Meer und Strand sich rühren. Von allen Seiten her das Echo klagt. „Laß auf dem Schüd nicht mehr den Schleier hangen. Sonst bist du tot ; wenn nicht, mit Schimpf gefangen 1"

50. Also der Greis. Bevor sein Wort geendet. Zerreißt die Hülle, die den Schild umfücht, Und rasch wird dieser auf den Feind gewendet. Daß hell und frei hinausstrahlt all sein Licht. Der Zauberglanz, den jetzt der Schild entsendet. Benimmt den Gegnern deiart das Gesicht,

Daß sie vom Schiffe vom und hinten fallen: Geblendet sind die Augen ihnen allen.

51. Ein Späher hat vom Mast am Felsenraude Alcine mit den Schiffen auch erbhckt, Und seine Glocke wird gehört im Lande,

Das schleunigst Beistand an den Hafen schickt: Aus Wurfmaschinen hagelt's her vom Strande Auf ihn, der Roger was am Zeuge flickt, Und allerseits die Helfer sich erheben, Daß er die Freiheit rette und das Leben.

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ZEHNTER GESANG

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52. Vier Damen kommen zu den Strandtribünen, Und ausgesendet hat sie Logistill: Phronesia, klug und hochbegabt, die kühne Andronika, die redliche DikiU,

Die überlegte, keusche Sophrosyne, Die mehr noch als die andren schaffen will. Das Heer, schier unerreicht auf Erdenweiten, Verläßt die Buig, am Meer sich auszubreiten.

53. In vieler großen Schiffe stillem Schöße Stand unterhalb der Burg die Schar bereit

Beim ersten Laut, beim ersten Hömerstoße Zum Kampf bei Tag und Nacht in jeder Zeit. Und so begann das Ringen denn, das große. In Land und Meer der fürchterliche Streit: Kopfüber ging Aldnens Reich in Stücke, Das sie der Schwester einst entriß mit Tücke.

54. O wie so oft ist doch bei großen Schlachten Der Ausgang anders, als man sich gedacht 1 Alcine hat trotz allem heißen Trachten Den teuren Buhlen nicht zurückgebracht. Und von den Schiffen, die unsichtbar machten Des Meeres Fläche durch der S^el Pracht,

Ist nur ein Boot der Feuersbrunst entgangen. Auf dem sie kläglich jetzt enteilt voll Bangen.

55. Sie floh, und ihre Mannschaft überwunden« Ertrunken und verbrannt der Gegner sah. Sie hat Verlust des Teuren mehr empfunden. Als was ihr sonst noch SchmerzHcfaes geschah. Seufsend bei Tag und Nacht endlose Stunden, Mit Tränen in den Augen sitst sie da

Und möchte sich der bittem Qual entziehen Und klagt, daß sie nicht aus der Welt kann fliehen.

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ao8 ZEHNTERGESANG

56. Solange Sonne sich und Sterne drehen,

Ist es unmöglich, daß sie sterbe je; Sonst würde Klotho selbst voll Mitleid stehen Und kürzen mild den Faden dieser Fee; Wie Dido könnte sie dem Leid entgehen Und, wie die Herrscherin des Nils, vor Weh Sich retten tief hinab in Todesschlummer; Doch Feen sterben nie das ist ihr Kummer.

57. Zurück zu ihm, dem ruhmeswerten Degen Roger Alcine klage weiter dort!

Er also sieht sich kaum auf sichren Wegen Dem Boot entschlüpft, da dankt er Gott sofort. Daß, was er plante, alles nun zum Segen Erfüllt ist, schreitet dann vom Meere fort Mit eil'gem Fuß zur Burg auf trocknem Pfade, Die dort emporsteigt unweit vom Gestade.

58. So festes Schloß und herrlich anzuschauen Kein Menschenauge je auf Erden fand: Kostbarer sind die Wände, darf man trauen. Als wenn Pyrop es wär' und Diamant.

Nie nahm man solche Steine noch zum Bauen; Wer's sdien will, besuche dort das Land. Sonst niigends, ob er mn die Erde ginge, VieUeicht im Himmel, gibt es solche Dinge.

59. Daß weit zurückstehn andre Pracht juwelen, Macht dieses: Sehn die Menschen hier hinein. So schann sie deutlich ihre eignen Seelen Und was daxin mag gut und böse sein: Gleichgültig, wenn gefaäfige Tadler admifilen. Sind sie gefeit nun gegen Schmeichelein; ^e können bald sich klug und weise nennen. Denn dieser Spiegel lehrt sich selbst erkennen.

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ZEHNTER GESANG

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60. Das heDe Licht weicht nur dem Sonnenscheine,

Und solche Klarheit schickt es in die Welt, Daß ohne Phöbus dir die Kraft der Steine Den Tag kann schaffen, wenn es dir gefällt. Und wunderbar ist nicht nur dies alleine; Mit edlem Stoffe, den der Bau entliält, Rin^ höchste Kunst : es wäre schwer zu sagen. Was von den beiden hier mag überragen.

61. Auf mächt'gen Bogen, die wie l^tosten stehen. Geholt vom Jenseits, aus dem Himmel her, In weiten Gärten kann man sich ergehen, Wie 's unten kaum zu schaffen möglich wir'. Und durch die hebten Zinnen sind su seihen Grüner Gebüsche viele, düfteschwer, .

Die stets, in Sommer- und in Wintertagen» So Blütenflor wie reife Früchte tragen«

62. Von solchen edlen Bäumen kann man keinen Wo anders als in diesem Garten ziehn; Auch solclie Rosen niigends sonst erscheinen Und Veilchen, Lilien, Amarant, Jasmin.

Und sieht man sonst am selben Tag, dem einen, Entstehn und leben, wieder sinken hin Und ihren leeren Stiel als Witwer lassen Die Blume, die verschied ne Winde fassen,

63. So pflegte hier das Grünen nie 2u enden. Der Blumen Schönheit währte immerdar; Nicht etwa, daß Natur mit güt'gen Händen I£ier mild su herrschen stets beflissen war;

Nein, Logistilla wüßt' es so zu wenden (Den andern schien's unmöglich ganz und gar), Durch Sorgfalt, ohne höhrer Mächte Walten, Für ewig ihren Frühling festzuhalten.

Arlott 1 14

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210

ZEHNTER G E S A X C,

64. Vernommen hatte sie mit frohen Mienen, Welch edlen Herrn das Schicksal ihr gebracht. Und gleich befohlen, eifrig ihm za dienen.

Ihn hoch zu ehren, sei man recht bedacht.

Astolf war lange schon vorher erschienen O wie sein Anblick Roger fröhlich macht , Drauf alle andern auch, die von Melissen Entzaubert waren und der Fee entrissen.

65. Als ein, zwei Tage ruhevoll vergingen, Trieb es jung Roger, zu der Fee zu gehn Mit Herzog Astolf, der vor allen Dingen Den Westen gleichfalls wollte wiedersehn. Melissa müht sich, in die Fee zu dringen Und sie mit rechter Demut anzuflehn, Den beiden Rittern Hilfe zu gewähren, Daß sie imstande seien, heimzukehren.

66. „Wohl," sprach die Fee, „ich will es überlegen 1 Und in zwei Tagen geh' ich sie dir frei."

Sie geht mit sich zu Rate Rogers wegen. Dann auch um Astoifs willen nebenbei, . Und sagt, daß Aquitanien entgegen Zuerst der Flügelhengst zu schicken sei. Doch vorher müss* er ein Gebiß erhalten. Um ihn zu lenken und ihn auizuhalten.

67. Roger erfährt, wie man es macht, wann steigen Das Tier soll, nach den Wolken hingewandt, Warm schnell sich regen, wann zu Tal sich neigen. Wann wieder ruhn, die Flügel ausgebrannt.

In allen Künsten, wie sie Reiter zeigen Auf mut'gen Rennern »wohl in ebnem Land, Übt Roger sich, daß er ein Meister weide. Durch Luft zu rüten auf dem Flügelpferdc.

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2 E H NTER G B S A N G

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68. Als alle Dinge für ihn fertig waren, Schied von der edlen Fee der Rittersmann (Getreue Liebe sollt' er ihr bewahren

Für immerdar) und zog davon sodann. Zuerst von ihm noch müßt Ihr jetzt erlalireu. Von Englands Prinzen fang' ich später an. Wie langsam und in mühevoller Weise Zurück zum großen Karl ging seine Reise.

69. Herr Roger nahm den Weg nicht, den er machte, Als widerwillig durch die Luft er zog,

Und selten über Land der Greif ihn brachte. Der stets nur über Meeresüuten flog. Nun er ihn senken konnte, wenn er dachte, Hierhin und dorthin, wie er es erwog, Wählt' er wie die drei Könige gerade Beim Rückweg von Herod |etzt andre Pfade.

70. In Indien war er, um das Land zu finden An Spanien in geradem Strich vorbei , Wo sich des Ostmeers Uierlinien winden Und sich in Haaren lagen Fei und Fei.

Jetzt schaut er gerne, wo mit seinen Winden Gott Aolus ein wenig milder sei: Den Rundgang um die Erde möcht' er enden Und wie die Sonne seinen Kreis voU^den.

71. Katai erschien, darauf kam Maogitanien, Und auch Quinsai, die große Stadt, er sah. Flog über den Himavus, Serikanien

Zur Rechten lassend; und von Skjrthia

Abbiegend nach den Fluten von H3rrieanien,

Zu den Sarmaten kam er dann und da,

Wo nun Europa anfing, zu den Russen.

Zu den Kuthenen, Pommern und den Prussen.

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ZEHNTER GESANG

72. Wohl wünschte Roger seine Bradamante, Die hehre Jungfrau, möghchst bald zu sehn; Doch weil er jetzt die Lust zu schweifen kannte Durch weite Welt, Wieb er dabei mcht stehn: Auch zu den Polen und den Ungarn wandte Den Flug er, zu den Deutschen dann zu gehn Und was im wilden Norden sonst mag stecken; Zuletzt kam &)gland dran in fernsten Ecken.

73. Denkt nicht, o Herr, daß er die ganze Weile Auf seinem Flügeltieie sich befand:

Ein Gasthaus ward ihm abendlich zuteile; Auf gute Auswahl wurde Müh' verwandt. Und Tag' und Monde flohen hin in Eile; •So lieblich war es, schauen Meer und Land. Bei London eines Morgens war der Flieger, Und langsam nach der Themse nieder stieg er.

74. Auf Wiesen bei der Stadt in schönen Scharen Sah er, gereiht mit FuBvolk, Reiterei Herziefan bei Trommelklang und Kriegsfanfaren, Voran der Ritter Krone frank und frei, Rinald, der dort Ihr habt es schon erfaluen, Ich sagte ja darüber mancherlei

Von Karl entsandt, bemüht war, Leut' und Waffen Zur Hilfe seines Kaisers zu beschaffen.

75. Herr Roger kam gerade zu der Stunde, Um anzuschaun die stolze Heerschau hier; Noch mehr zu hören, bat er jetzt um Kunde Den Ritter, stieg zuvor von seinem Tier, Und artig meldet jener: aus der Rimde, Von Schottlands, Irlands, Engellands Revier Und von den Inseln seien hergezogen

Die Khegesbanner, die so lustig flogen: ;

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ZEHNTER GESANG

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76. ,,Und nach der Musterung wird dort am Strande Der Heeresmacht V erteilung vor sich gehn:

Das Meer zu pflügen bis zum festen Lande, Die Schiff im Hafen schon gerüstet stehn. Die Franken, liald nun ledig ilirer Bande, Im Zuzug hoffnungsvoll die Retter sehn. Doch um noch sichrer jetzt dich zu belehren. Will ich die ganze Streitmacht dir erklären,

77. Das große Banner muß ins Aug' dir fallen. Das mit der Libe dort den Pardel führt: Der Feldherr läßt es in die Lüfte wallen, Und alle folgen, wie das Schiff sich rührt, 's ist Leonel, der Tapferste von allen

(Der hohe Ruhm ihm ganz mit Recht gebührt)« Ein Mann, ob man im Rat, im Krieg ihn treffe, Herzog von Lancaster, des Kdnigs Neffe.

78. Dabei das nächste (es beginnt den Reigen), Das flatternd nach dem Berg hin sich bewegt

Im grünen Feld drei Flügel weiß sich zeigen , Die Farben Richards, Grafen Warwick, trägt. Dem Herzog Gloster dann ist jenes eigen, . Das ein Geweih mit halber Stime hegt. Für Herzog Qarenoe sieh die Fackel brennen! Den HetKJg York kannst du am Baimi erkennen.

79. Die Lanze schau*, dreifach geknickt vom Schlage: Der Herzog Norfolk ist damit gemeint.

Der Blitz ist Kent, ein Held ohn' alle Frage, Im Greif der Graf von Pmbroke dir erscheint;

Suffolk, der Herzog, führt im Feld die Wage. Zwei Schlangen sind, von einem Joch vereint: Der Herzog Essex ist es die Girlande Im blauen Feld gebührt Northumberlande.

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ZEHNTER GESANG

80. Graf Anindel zeigt einen Kahn auf Wogen: In Sturmesnot versinkt er auf dem Meer.

Von Barclay dann der Markgraf kommt gezogen, Der Graf von March, Richmond mit seinem Heer: Gespaltnen Berg führt Barclay, weiß; im Bogen [der. Schwenkt March die Palm : ein schwimmend Boot hat Und Graf von Dorset, Graf von Hampton tragen Der eine Krön' und jener einen Wagen.

81. Der Falk, des Schwingen auf das Nest sich neigen« Des Grafen Raimund ist von Devonshire.

Derby imd Oxford Hund und Bären zeigen,

Winchester bringt ein schwarz und gelb Panier.

KristaUnes Kreus ist dem Prälaten eigen

Von Bath, dem reichen Herrn, als Wappenzier.

Wo Ariman von Somerset der Held ist,

Die Fahn' dn Stuhl, zerstttdkt, in grauem Feld ist.

82. Wohl »weiundvicrzigtausend sind der Reiter, Lanzen und Schützen hier vereint zur Schau. Zweimal so staric erbUckst du die Begleiter, Das FuBvolk, bis aufs Hundert fast genau. Sieh grau und grün und gelb die Zdcben wHter; Ein andres folgt : gestreift ist's schwarz und blau. Als Führer Gottfried, Heinrich, Hermann gdien Und Edward; jeder läßt sein Fähnlein wehen.

83. Von Buddngham den Herzog sieh dort schalten Voraus; Hmnrich ist Graf von Salisbuiy. Burgh hat als Herren Hermann dort, den Alten, Und Edward ist der Graf von Schrewsbury. Die weiter gegen Osten hin sich halten, Engländer sind es. Nun nach Westen sieh: Wo dreißigtausend Mann dort stehn in Rotten, Da führt Zerbin, des Königs Sohn, die Schotten.

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ZEHNTER GESANG

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84. Den Löwen sieh zwei Einhorn' an den Seiten Er hat das Schwert von Silber in den Klaun: Dies Banner führt das Schotten volk zum Streiten; Zerbin, den Prinzen, kannst du dort erschann. Schön wie kein andrer, der ihn mag geleiten: Ihn schuf Natur, die Form dann za zttbaxai. Herzog von Roß ist er; niemand im ganzen Heete An Hnid und Kraft ihm zu veigleichen wäre.

S$, Sieh dort von Ottonley den Grafen führen Den goldnen Balken auf azurnem Gründl Ein Pardel in der Falle will gebühren Vcm Mar dem Herzog: dieser k<mmit jetzund. Den wackem Alkabrun schau hier: es rühren Sich Vdgel auf dem Schild in Farben bunt. Nicht Herzog ist er und nicht Graf zu nennen. Doch als den ersten ihn die Seinen kennen.

86. Den Herzog Stafford sieh den Vogel zeigen, Der frei die Augen nach der Sonne hält! Lurcan, dem Grafen Angus, ist zu eigen Der Stier« dem sich ein Doggenpaar gesellt. Von Albany der Herzog hat den Reigen Der Farben WeiB und Blau in seinem Feld. Graf Buchau läßt den grünen Drachen tragen, Den Geier sieht man drein die Klauen schlagen.

87. Armand, der Starke, pflegt in Forbes zu schalten; Sein Banner, weiß und sdiwaiz, ist dort zu sehn.

Zu seiner Rechten sieh Graf Ferrol halten

Und dort die Kerz' in grünem Felde stehn! Daneben will sich Irlands Volk entfalten, Zwei Scharen: mit Kildare, dem Grafen, gehn Der einen Leute; Desmond führt die zweite Von rauhen Beigeshöhn herab zum Streite.

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2l6 ZEHKTERGESANG

88. Desmood fobrt weißes Fdd rotem Stfcüeo. Und bei KÜdaie stdit eine Fkht' in Brand.

Für Kaiser Karl die Waffen jetzt ergreifen Nicht Schotti:irid bloß, Irland und Engeliand Norweger, Schweden auch die Schwerter schleifen, Thüle und Island, der entfernte Strand; Kurz, alle Länder, denen stets, den Frieden Za hassen, ist von der Natur beschieden.

Ö9. Wohl an die sechzehntausend, sollt' ich meinen. Sind angekommen so, aus Höhl' und Wald: Haar im Gesicht, auf Brust, Seit', Arm und Beinen Und Rücken, fast wie Tiere an Gestalt; Es wächst ein Wald vom Boden, will es scheinen. Aus Speeren, der ums weiße Banner wallt. Ihr Hauptmann tragt 's; der hat es sich erkoren. Es rot zn färben mit dem fihit der Mohren."

90. Derweilen Roger mustert all die Streiter, Die da sich rüsten, Frankreich beizustehn. Und die verschiednen Zeichen, um dann weiter Der hrit'scben Herren Namen durchzugehn. Kommt einer nach dem andern, diesen Reiter Mit seinem Wnndertieie anzosdm:

Sie lanfen starrend und mit offa&em Mmide, Und bald geschlossen ist un Sm die Runde.

91. Zu schaun noch mehr von staunender Gebärde Und auch des Scheizes willen eigentlich , Schüttelt der Held den Zaum dem Flägelpferde, Und leise gibt sein Sporn ihm einen Stich: AuffBegt es himmelwärts, weit von der Erde, Und laßt betäubt die andern nnter sich. Roger beschaut sich England nach Belieben Und hat den Greif dann Irland zugetrieben.

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ZEHNTER GESANG

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92. Hibemien sah er, jenes Land der Sagen, In dem des guten Heil'gen Grotte steht, Wo solche große Gnad' ist zu erfragen, Daß schuldbefreit heraus der Sünder geht. Den \\ cg zum Meer dann hat er eingesclüagen. Wo Kleinbritannien liegt, vom Wind umweht. Und, abwärts schauend, plötzhch dort gefunden Angelika, an nackten Fels gebunden!

93. An nackten Fels im Tränenland alleine I Denn jene Insel hieß das Tränenland,

Wo, grausam, wild, hartherzig wie die Steine, Sich jene rohe Völkerschaft beiand. Die ihr entsinnt £ach deren, wie ich meine Bewaffnet zog mnher von Strand zu Strand, Zu fangen schdne Fraun auf jede Weise, Dem Untier dort zva greuelvollen Speise.

94. Gebunden harrte sie an Meeres Borden, Verschluckt zu werden von dem grausen Tier; l%Uch ja kam das Scheusal, um zu morden Und zu der grauenhaften Atzung hier.

Ich sagt' Euch, wie sie Beute war geworden Der Menschen, die sie schlafend, und bd ihr Den alten Klausner, am Gestade fanden. Der sie bezwungen hielt in Zauberbanden.

95. Die unbarmherzig roh' und wilde Bande Die holde Jungfrau nackt der Bestie bot. Wie sie geschaffen war; am Ufeirande Wird sie vom aigen Ungettbn bedroht:

Verhüllt von keinem Schleier noch Gewände Ist jener Lilien Weiß, der Rosen Rot, Die, ausgestreut, den feinen Leib umwallen Und nicht im JuU und Dezember fallen.

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2l8 ZEHNTERGESANG

96. Ein Bildwerk dürft' es Roger fast erscheiiieii

Aus Alabaster oder Marmelstein,

Das dort durch Künstlerfleiß, so könnt' er meinen.

Sei aufgestellt am harten Felsenrain,

Säh' er das Aug' nicht eine Träne weinen

(Sie glitt in Rosen und in Schnee hinein

Und lag als Tau auf herbem Apfelpaare,

Derweil der Windhauch spielt im goldnen Haare).

97. Und als er in die schönen Augen schaute. Gedachte Roger seiner Bradamant,

Und aus der Wimper fast die Zähre taute. Von Mitleid und von Liebe übermannt. Mit sanfter Stimme grüßte er die Traute (Den Flug des Greifen hemmte seine Hand): ,,0 Jungfrau, der die Kette nur gebühret. In deren Haft die Seinen Amor führet,

98. Unfähig bist du. Böses zu vollbringen: Wer ist der Wütrich, dessen Machtgebot Das Elfenbein der Hände durfte zwingen

Der Schönen schnöden Neids in solche Not?**

Und heiße Gluten in das Antlitz dringen.

Das flicht dem Elfenbein, gefärbt mit Rot,

Weil, ach, die Körperteile unbedeckt sind.

Die sonst, ob schön, in Sittsamkeit versteckt sind.

99. Sie möchte das Gesicht mit Händen schUefien Die sind gekettet an den Felsen an;

Mit Tranen nur die darf sie ja veigießen Benetzt sie's reich und neigt sidi, wie sie kann. Ifit Schluchzen endlich ein paar Worte flieBen, In müdem Ton zu sprechen sie begann Sie kam nicht weit, und was die Rede störte. War großer Lärm, den von der See man hörte.

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ZEHNTER GESANG

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100. Da kommt das Ungetüm! Halb in den Wogen Verborgen ist es, halb ragt es heraus,

So wie ein Schiff im Nordwind kommt geflogen Und nach dem Hafen eilt im Sturmgebraus: So wird von seiner Mahlzeit angezogen Das Scheusal : seht, gleich speit das Meer es aus. Die Jungfrau ist halbtot vor Furcht und Schrecken, Kein Trosteswort kann ihren Mut erwecken.

101. Frei schwingt der Held— und legt nicht ein— die Lanze, Über die Hand hin sticht er nach dem Tier:

Ich weiß nicht, nennt man wirklich so das Ganze? Nur wtbte Masse dreht und wälzt sich hier; Nichts Tierisches zeigt sich vom Kopf zum Schwänze, Dem Schwein nur gleichen Zähn' und Augen schier. Der Stoß geht mitten hin, wo Augen scheinen. Und prallt zurfick, als wSr's von Stahl und Steinen.

102. Als es dem ersten Stoß nicht will gelingen. Kehrt Roger um: der zwdte macht's wohl gut. Das Tier sieht Schatten von den großen Schwingen So hin- und widerfahren auf der Flut;

Am Strand die Fleischgerichte sicher hingen, Drum folgt es diesen neuen jetzt voll Wut: Man siehts mit Drehn und Wälzen ab sich hetzen: Flink kommt der Held, ihm Hiebe zu versetzen.

103. So wie der Adler aus der Atherweite,

Wenn er die Schlang' im Grase schleichend sciiattt

(Oder ob sie auf nacktem Fels hingleite,

Drauf sie geleckt hat ihre bunte Haut),

Den Angriff nicht beginnt an jener Seite.

Wo zischt und pkift des Gifttiers drohnder Laut,

Nein, dies von hinten packt und schlägt die Schlugen,

Daß es nicht drehn sich kann und Unheil bringen,

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220 Z E H N T E R G E S A X G

104. So win hier Roger Speer und Schwert verwenden:

Nicht, wo des Rftchflps ^ihn ifan treffen fa*"n^

Nein, in die Ohren gilt's den Stoß zu senden;

Im Rückgrat und am Schwänze greift er an. Dreht sich das Tier, so muß auch er sich wenden. Steigt auf und ab, kommt hier und dort heran Für Jaspis möchte man die Bestie halten, Die harte Schuppenhaut ist nicht zu spalten.

105. So mag sich zwi^Lhen Mück' und Hund erheben Der heiße Kampf im staubigen August

(Und in den Nachbarmonden auch daneben. Dem reich an Ähren, dem an Weineslust): Sie weiß die Stiche Aug' und Maul zu geben, Läßt ihn nicht los imd schwirrt um Hals und Brust. Aufs neu stets muß er nach dem Suzren schnappen Doch ans ist alles, läßt sie skh ertappen.

106. Schier himmelhoch gepeitscht die Wellen springen. So mächtig schlägt die Bestie imd so schwer, Roger weiß nicht, sind in der Luft die Schwingen Oder da unten schwimmend auf dem Meer. Gern mocht' er wohl sich jetzt ins Trockne bringen. Denn dauert dieses Wasserspiel noch mdir

Und wild des Greifien FItticli inuner niaser Nicht Kahn nocbSchwimmhlas* hilft ans demGewaaser.

X07. Er sinnt und beßrer Rat ist jetzt za Händen, Wenn es dem Untier obzusiegen gilt: Man mnß es mit dem Zauberscheine blenden. Der eulgeschlossen ist im WandeischikL Er eilt zom Strand, nm Unheil aheawenden. Und steckt, der Jungfrau nahend zart nnd mild. Den Ring ihr an, den Zaubeiknnstbezwinser, So daß sie fest ihn trägt am kleinen Finger.

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ZBHKTER GESANG

22Z

108. Ich meine jenen Ring, den Bradamante, Um Roger zu befrein, nahm von Brunei Und durch Mehssa hin nach Indien sandte, Um Rogers Geist zu machen stark und hell, Meüssa, die zum Guten ihn verwandte, Wie ihr vernommen habt an frührer Stell' Und den der Jüngling dann zu allen Tagen» Wie eben noch, am Finger hat getragen.

109. Er gibt ihn jetzt Angehka gerade.

Weil sonst der Schild ja gar nicht bhtzen kann. Und auch, daß nichts den schönen Augen schade (Er zappelt, ach, bereits in ihrem Bann). Das lialbe Meer bedeckend, ans Gestade Kommt nun der \ingeheure Fisch heran. Roger, bereit, läßt rasch das Tuch sich heben. Ein zweites Sonnenlicht der Welt zu geben.

ixo. Ins Auge traf des Zauberlichtes Helle Das Ungetüm und zeigte seine Macht: So vde den Fluß hinab treibt die Forelle, Den erst mit Kalk der Bauer trüb gemacht. So, scheußlich umgekehrt, am StrandgefSUe, Im Sdiaum'gen lag die Bestie ungeschlacht. Roger versucht, ihr Wunden beizubringen. Doch niigends will der Stahl die Haut durchdringen.

III. Da fleht die Jungfrau, doch ein End' zu machen: „O mtQi' an harten Sdrappen dich nicht mehr. Binde mich los, rasch, eh es kann erwachen Um Gottr* So rief sie weinend zu ihm her. „O laß mich nicht in garst'gen Fisches Rachen; Nimm mich mit dir imd wirf mich dann ins Meerl" Gerührt von ihrer Angst, löst er die Bande Der Jimgfrau, führt sie weg sodann vom Strande.

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222 Z I' !T N* T r, R G F S .\ N C

112. Er spornt den Hengst, de r spornt den Sand mit Füßen, Worauf der Renner in die Lnft entwich.

Den Reiter auf dem Rücken mit der Süßen,

Der Roger gab ein Plätzchen hinter sich.

Er zwang den Fisch, die Mahlzeit einzubüßen, Für den ja viel zu fein und wonniglich. Er wendet sich, und unserm Helden taugen Der Küsse viel auf junge Brust , und Augen.

113. Nicht, wie er anfangs wollte, rings um Spanien Nahm er auf seinem Greifen jetzt den Flug: Wo in die See liinein ragt Kleinbrilannien, Zum nächsten Ufer ihn der Renner trug.

Ein schatt'ger Hain von Eichen und Kastanien, Wo allzeit Philomele klagend schlug. Barg manchen stillen Hügel grün und helle Und in der Mitte Rasenplatz mit Quelle.

114. Hier stieg der glühnde Reiter aus dem Bügel, Nach stürm'schem Ritt; zum Rasen hin er drang; Er ließ den Gaul jetzt einziehn seine Flügel,

Nur den lücht, der sie immer höher schwang.

Er stieg vom Pferd imd hielt sich kaum im Zügel,

Ein andres zu besteigen; doch umschlang

Die Rüstung ihn: sie gilt es abzulegen.

Denn Schranken setzt sie seinem Wunsch entgegen.

115. Verwirrt und eilig riß er von den Waffen Bald hier, bald wieder dort ein Stück herab. Wie hat es lang gewährt, sie wegzuraffen: War auf ein Knoten, es zwei neue gab.

Doch schon zu lang macht Euch der Sang zu schaffen, Herr; zuzuhdien müht vielleicht Euch ab. Darum verschieb' ich jetzo die Geschichte, Bis Euch genehmer sei, daß ich berichte.

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ELFTER GESANG

1. Zwar hat ein schwacher Zaum schon, die Bewegung Des mut'gen Pferds zu hemmen, oft die Kraft, Doch selten ist's, daß des Verstandes Regung Zur Umkehr bringt die tolle Leidenschaft, Sobald Genuß im Spiel; wie die Erregung

Des Bären überm Honig nicht erschlafft. Wenn der Geruch ihm auisteigt in die Nase Und er ein Tröpfchen hat geschmeckt am Glase.

2. Was soll zurück den guten Roger halten,

Nach Wunsch des holden Mädchens froh zu sein,

Wo ihre Reize sich ihm frei entfalten

Hier im verschwiegnen und bequemen Hain?

Die sonst in seinem Herzen pflegt zu schalten»

Das Fraulem Bradamant, ÜUlt ihm nicht ein.

Er war' ein Nair falls er an sie gedacht hätt' ,

Wenn er nicht jetzt auch dieser Schönen acht hätt',

3. Bei der Xenokrates, so starr und hieder.

Ja selber, mein' ich, kaum noch hielte stand. Roger entwaffnet ungestüm die Glieder, Am Boden liegen Speer und Schild sdband Da blickt die Schöne schamhaft vor sich nieder Und hat am Finger jenen Ring erkannt, Den teuem, den sie lange mußte missen, Den in Albrakka ihr Brunei entrissen;

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ELFTER G E S V * .

4. Der Riqg ists, dessen sie so vid gedadite (Das erstemal nach Frankreich nahm sie ihn. Als dorthin seine Lanz' ihr Bnider bradite.

Die dann an Astolf kam, den Paladin), Der jenen Zaubertrug zunichte machte Des Malegis am Steine des Merlin, Mit dem sie Roland hatt' an jenem Morgen Vor Dragontinas Sklaverei geborgen,

5. Mit dem sie, un wahrnehmbar dem Gesichte, Aus jenem Turm des argen Alten schlich Doch weiß ich nicht, warum ich das berichte. Ihr wißt es alles ebenso wie ich.

Der Diebstahl glückte drauf Bnmel dem Wichte; Der König wollte ja den Ring für sich. Seitdem ist ihr Fortuna ieind gebüeben Und hat sie gar aus ihrem Reich vertrieben.

6. Als sie am Finger nun den Ring sieht hangen, Aufglülit in freud'gem Staunen ihr Gesicht;

In eitlen Träumen wälmt sie sich befangen. Traut ihren Augen jetzt und Händen nicht. Sie läßt vom Finger leis den Ring gelangen Zum Mund und plötzhch, gleich des BUtzes Licht» Ist sie den Blicken Rogers fortgesdiwimden So wie die Sonne von Gew6lk unwunden.

7. Er hat, verblüfft, ringsum den Blick entsendet. Er dreht wie närrisch sich herum im Kreis. Als sein Gedanke zu dem Ring sich wendet, Steht er beschämt, verwirrt und kreideweiß. Und wie sein Vorwurf gegen sich nicht endet. Klagt er das Mädchen an, das solcherweis Undankbar für den Beistand, unfein, ohne Rücksicht auf ihn, genoßne Hilfe lohne.

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ELFTER GESANG

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8. ,,So willst du dies als Dank für mich erwählen/' Rief er verzweifelt, grausam Mägdelein?

Nimmst du denn lieber jenen Ring durch Stehlen Als zum (ieschenk? Er ist mit Freuden dein, Und Schild und Roß soll als dein eigen zählen Und ich dazu, ich will dein Sklave sein. Nur daß du mir dein holdes Antlitz zeigest! Ich weiß, du hörst mich. Böse, und du schweigest!"

9. So spricht und ringsum tastend wankt der Arme, Gleichwie ein Blinder, nach der Quelle iün.

Oft schließt er leere Luft in seine Arme Und hofft, er fasse seine Schöne drin. Die war schon fem auf ihrer Flucht vor Harme Und immer weiter strebt die Wandrerin. Da beut sich eine Höhle ihrem Blicke. Groß und mit Vorrat, daß sie sich erquicke.

10. Ein alter Hirt, der eine Herde Stuten Zu hüten hatte, brauchte sie als Hort. Die Fohlen weideten bei frischen Fluten Die zarten Gräser ab im Tale dort

Und fanden mittags vor den heißen Gluten In StäUen rechts und Unks geschützten Ort. Angelika ließ viele Zeit vergehen Mit ihrer Rast und ward noch nicht gesehen.

11. So gegen Abend ist sie munter wieder

Wie Nahrung stärkte, Ruhe wohl ihr tat 1

Und hüllt in rohe Röcke nun die Glieder,

Unähnlich freilich ihrem Kleiderstaat.

Sie hatte grün', gelb', rot' und blaue Mieder,

Von jedem Schnitte, schön und akkurat.

Doch, mag ihr Kleid jetzt niedrig sein zu nennen.

Als edles Fräulein ist sie doch zu kennen.

Ariott I 15

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226 ELFTER GESANG

12. Von AmaiyUb, Phyllis und Neäien

Und Galathee ihr füglich schweigen sollt:

Sie all^sammen nicht so reizend wäxen,

Ob Tityrus, ob Meliböus grollt.

Dann wählt sie eine von den vielen Mähren,

Die ihr am besten dort gefallen wollt'.

Jetzt kann sie dem Gedanken nicht mehr wehren«

TnR Morgenland aiimähiirh hpi nry-^ik'^br^n i

13. Als Roger lange Zeit, dahinzustreifen

Nach seinem Fräulein, hat mnsonst verbracht,, Muß er zuletzt den Irrtum wohl begreifen Und daß die Schöne sich davongemacht. So kommt er denn zurück, sucht seinen Greifen Und ist, ihn zu besteigen, just bedacht Da hat das Tier sich seinem Zaum entzogen Und ist zur Freiheit in die Luft geflogen,

14. Den Flügelhengst nach Ärger und Beschwerden Zu missen, war ein recht empfindhch Ding;

Der Frauenlist zur Beute so zu werden, Bedrückt ihn auch: doch was darüber ging Und ihm erschien als Scfapierzhchstes auf Erden, War der Verlust von jenem Zauberring: Nicht ob der Kraft möcht' er ihn gern erlangen. Nein, weil er von der Trauten ihn empfangen.

15. Er legt verdrießlich, ach, im höchsten Grade Die Rüstung an und hängt sich um den Schild, Sucht sich den Weg landein vom Meeigestade Nach einem brdten Tal durch Grasgefild,

Wo deutlicher die Spijr von' einem Pfede Sich hinzieht dmch die Waldung didit und wild. Er geht und wo Gesträuch steht engverschlungen« Ist laut Getöse an sein Ohr gedrungen.

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ELFTER GESANG

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16. Getös' von Waffen, die zusammenschlagen.

Und als er eilig durch die Zweige bricht, Da haben zwei im Kampfe sich am Kragen, Auf engem Platz, wo Bäume stehen dicht. Ohne nach Rücksicht irgendwie zu fragen. Blutig zu rächen was, das weiß man nicht: Ein Riese, finster wie das Ungewitter, Der andre scheint ein kühner, edler Ritter.

17. Er kämpft mit Schwert und Scliild, und auszubiegen Weiß er, indem er liier- und dorthin springt.

Um nicht der schweren Keule zu erliegen. Die jener Riese mit zwei Händen schwingt. Am Wege tot sieht man den Renner liegen. Roger bleibt stehn ; was wohl der Ausgang bringt? Er stellt im Geist sich auf des Ritters Seite Und wünscht, er mfige Sieger sein im Streite.

18. Nicht, daß er ihm zu helfen Anstalt machte: Er hält sich abseits, sieht den Fall mit an. Da mit dem Knüppel hieb der Ungeschlachte Zweihändig auf den Helm den kleinem Mann, . Daß er ihn mit dem Schlag zu Boden brachte. An den Betäubten trat er .dann heran.

Schnallt ihm den Helm ab, ihm den Rest zu geben Und Roger sah den Eisenhut sich heben,

19. Und im enthüllten Antlitz da erkannte Er der Geliebten himmlische Gestalt: Die schdne, o, die süBe Bradamante Will tdten jener Unhold mißgestaltl

Auf ihn mit Uofiem Schwerte Roger rannte Und fordert ihn zum Streit mit lautem ,,Halt!" Doch ohn' auf neuen Kampf sich einzulassen. Eilt der, die Regimgslose zu erfassen.

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228 ELFTERGESANG

20. Er packt sie auf; so schleppt hinweg vom Stalle

Der Wolf die Beut' aus einer Lämmerschar;

So trägt die Taube fort mit seiner Kralle

Oder ein Vöglein sonst der grimme Aar.

Eingreifen tut jetzt not in jedem Falle,

Und Roger eilt herbei, doch rasch fürwahr

Der Kerl davon mit seinem langen Bein kommt,

Daß kaum der Blick des Ritteis hinterdrein kommt.

21. Der läuft, und jener folgt mit raschen Schritten, Bis sie zuletzt auf immer breiterm Pfad

Durch Dickicht und durch düstren Waldes Mitten

Sind einer großen offnen Au genaht.

Genug jetzt. Nun zu Roland, möcht' ich bitten,

Der des Cimosco Feuerblitz gerad

Hinausgeschleudert hat in Meeresweiten,

Daß er der Welt entschwind' auf alle Zeiten!

22. Doch wenig half's ; der Feind der Menschenkinder, Dem ja das Unheilschaffen zugehört

(Er war recht eigentlich des Strahls Erfinder,

Der wie der Blitz vom Himmel her zerstört),

Er ließ, auf Weh und Leid bedacht (nicht minder.

Als da mit Trug einst Eva ward betört).

Noch einem Zaubrer jenen Fund gelingen.

Als unsre Ahnen hier auf Erden gingen.

23. Das Höllenrohr, das auf dem Grund der Wogen Versteckt gelegen viele Jahre lang,

Ans Licht herauf durch Zauberkraft gesogen. Zuerst hin zu dem Volk der Deutschen drang. Die das und dies versuchten und erwogen. Bis ihnen, ach, zum Fluch für uns, gelang, Geschärften Sinns durch Satans Unterstützung Neu aufzufinden jenes Rohrs Benützung.

ELFTER GESANG

229

24. Italien, Frankreich, all die andern Lande Der Welt sind auf die grimme Kunst erpicht: Der zwingt das Erz in hohler Formen Bande, Das flüssig aus des Ofens Gluten bricht ;

Der bohrt das Eisen, gibt die Form im Brande, Bald klein, bald groß, von dem und dem Gewicht: Der nennt es Mörser, jener nennt's Kartaune, Kanone einiach, doppelt auch, nach Laune.

25. Von Schlangen hör' ich, F\ilken, Kolubrinen, Wie 's just ihm einfällt, der das Ding beschert. Das Stahl zerbricht, aus Burgen macht Ruinen Und dem auf Erden nichts den Weg verwehrt. Armer Soldat, wozu noch sollen dienen

Dir alle deine Waffen bis aufs Schwert? Nimm auf die Schulter einen Donnerkasten I Sonst ohne Löhnung, fürcht' ich, mußt du fasten.

26. Erfindung, frevelhaft und tief zu hassen, Was kamst du je in eines Menschen Sinn? Durch dich muß aUer Waffenruhm erblassen. Durch dich sinkt ehrenlos das Kriegswerk hin; Durch dich steht Mannheit jetzt und Mut verlassen. Denn über Wert ist Feigheit Siegerin:

Nicht Heldenschaft, nicht Kühnheit, die man lobe. Kommt in dem Kriegesfelde mehr zur Probe.

27. Gegangen sind durch dich und werden gehen Der Herrn und Ritter viel in Todesnacht, Eh wir das Ende jenes Krieges sehen.

Der für Italien so viel Leid gebracht.

Ich sagt' es und als wahr bleibt es bestehen: So GreuHches ward niemals noch erdacht ; Es hat der schhmmste aller Menschengeister Im Feuerrohrerfinder seinen Meister.

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ELFTER GESANG

28. Und Gott soglaub'ich wird im tiefstea Grunde, Damit den Frevler dort die Stral' ereilt, Einschließen die verdammte Seel' im Schlünde

Der Hölle, wo verflucht der Judas weilt. Doch folgen wir dem Ritter, der zur Stimde Hin nach Ebuda voller Sehnsucht eilt, Dem Eiland, wo man schöne zarte Frauen Dem Ungeheuer vorsetzt zum Verdauen.

29. Je mehr der Held strebt eilig in die Weite, Nur um so wen'ger eilig hat's der Wind: Ob er von rechts bläst, ob von linker Seite, Ob hinterdrein stets weht er so gehnd.

Man wünscht nicht mehr, als daß das Schifflein gleite. Weil manchmal gänzhch still die Lüfte sind. Dann wieder bläst er stracks dem Lauf entgegen, Daß man lavierend war sich kann bewegen.

30. Gott Heß ihn früher nicht zu Lande gehen. Als bis Hibemias König weilte dort;

Sonst konnte alles das nicht leicht geschehen. Wovon ihr bald erfahrt am rechten Ort. Als sie vom Schiff das Eiland nahe sehen. Spricht Roland zu dem Steurer: „Bleib am Bord; Mir aber gib das Boot, daß ich zum Rüfe, Ohne Geleite sonst, hinübeischiffel

31. Auch Tau imd Anker noch sollst du mir lassen. Die allergrößten, die zu finden sei'n:

Du wirst den Grund, warum's geschieht, erfassen. Laß ich in Kampf mich mit dem Untier ein." Das Boot mit aüem, das zum Plan kann passen» V/jift man dem Ritter in das Meer hinein. Von seinen Waffen nimmt er nnr den Degen Und föhrt allein dann jenem Riff entgegen.

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ELFTER GESANG

23X

32. Er zieht die Ruder an die Brust, den Rücken

Gewendet nach dem Ziel am Uferrand;

Vergleichbar großem Krebs in allen Stücken,

Der aus dem Meer hinaufkriecht nach dem Strand.

Die Stund' ist's, wenn das goldne Haar, das schmücken

Aurora darf, der Sonn' ist zugewandt:

Halb ist's verdeckt, halb darf es sich entfalten.

Nicht sonder Äiger Titons wohl, des Alten.

33. Als er so weit genaht dem Felsenraine,

Wie kräft'ge Hand den Kiesel schleudern kann, Deucht ihn und deucht auch nicht , daß jemand So schwach und leise kam der Laut heran, [weine« Nach links gewendet sucht er am Gesteine, Zum Ufer blickend, wo die Welle rann; Gebunden war ein nacktes Weib zu sehen; Die Füfie, weiß und zart, im Wasser stehen.

34. Sie ist noch fem und läßt das Antlitz hangen; Drum kann er nicht erkennen, wer es sei.

Er regt die Ruder emsig, voll Verlangen,

Von ihr noch zu erkunden mancherlei.

Als plötzlich Wald und Schluchten rings erkhutgen;

So mächtig drShnt des Ungetiimes Schrei,

Auf schwillt die See, das Scheusal kommt gezogen

Und hält fast mit der Brust verdeckt die Wogau.

35. So wie aus dunklen Tales feuchten Weiten Au&teigen Wolken stürm- und regenschwer. Die sich ringsum als trübe Nacht verbreiten. Erstickend scheint's des Tages Leudite hehr.

So dehnt die Bestie sich nach allen Seiten; Sie schwimmt und füllt dabei das ganze Meer. Die Wogen beben. Roland, kalten Blutes, Schaut auf das Untier festen BUcks und Mutes.

232

ELFTER GESANG

36. Ab einer, der sich klar mit seinen Sachen, Durch raschen Gii^ dem Boot er Schwang verleiht: Es gilt, die Fraa zu schützen vor dem Rachen Und anzugreifen in derselben Zeit.

Drum zwischen beide lenkt er seinen Nachen, Das Schwert bleibt in der Scheide noch bereit; Anker und Tau sind m die Hand genommen Nun, kühn gefaßt, läßt er das Scheusal kommen.

37. Sobald der Fisch sieht, daB die WeUen bringen Den Schiffer und den Kahn, naht er im Flug, Aufsperrt er weit das Maul, sie zu verschlingen; Für Roß und Reiter wäre Platz genug.

Roland stößt vor, weiß in den Schlund zu dringen Mit Anker und dem Boote, das ihn trug (Vemehm' ich recht), und keilt im raschen Schwünge Den Anker zwischen Gaumen ein und Zunge,

38. So daß von oben her sich nicht kann senken. Von unten nicht sich hebt der Kiefer Macht; Wie sie beim Eisengraben Stützen renken

Ins Erdreich, wenn man aushöhlt emen Schacht; Damit nicht, während sie an Arbeit denken, Ob ihrem Haupt der Bau zusammenkracht. Groß ist von Zahn zu Zahn des Ankers Länge, Daß Roland kaum im Sprung so hoch sich schwänge.

39. Als fest der Halt ist und sich nicht bewegen Noch schheßen mehr des Untiers Rachen kann, Zieht er das Schwert, und mit gewalt'gen Schlägen Haut er und sticht im Dunklen drauf und dran. Wie eine Burg sich wehrt, wenn man sich regen Den Feind drin hört, der schon den Hof gewann. So wehrt das Scheusal aus dem Meeresgrunde Sich gegen diesen Mann in sdnem Schlünde.

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ELFTER GESANG

233

40. Bald läßt der Schmerz es in die Höhe schießen

Die Schulter kommt, der Schuppenkamm heraus , Bald möcht' es in die Tiefe sich verschließen. Und Sand von unten wirft der Bauch hinaus. Als \\ assermengen gar zu reichlich fheßen. Flieht Roland schwimmend aus dem nassen Graus: Er läßt den Anker fest und nimmt behende Vom Ankerstricke jetzt das eine Ende,

41. Und eilig schwimmt er mit der Kraft der Lungen Der Klippe zu; dort stemmt er fest das Bein Und zieht den Anker, der den Biß bezwungen, Mit den zwei Zacken in den Schlund hinein.

Das Untier folgt dem Seile notgedrungen:

Vor dieser Kraft ist jede andre klein.

Der Kraft, durch die mit ei ne m Ruck geschefan kann

Mehr, als durch einen Kran geschehn mit zehn kann.

42. So wie ein wilder Stier, dem man die Schlingen Warf unversehens um das mächt'ge Horn, Hier-, dortbin taumelt, um sich loszuiingen. Umsonst sich wälzt und aussteht voller Zorn, So folgt der Fisch mit Zucken und mit Springen Der Kraft, die ihn gewaltig zieht nach vom;

Er kommt vom Strick nicht los trotz allem Rütteln, Mag er sich drelm und zappeüi, zerren, schüttehi.

43. Man könnte, traun, vom roten Meere sprechen; So schießt der Blutstrom aus dem Schlund hervor; Gepeitscht vom Untier, sich die Wogen brechen,

Sie teilen sich vom Meeresgrund empor, So dicht, daß sie der Sonne Strahlen schwächen. Und spritzen hoch hinauf zum Himmelstor, Und von dem Krachen, dem Getös' und Dröhnen Wälder und Höhn und femer Strand ertönen.

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ELFTER GESANG

44. Jetzt auf den Finten läßt sich Ptotens sehen. Der Länn lockt ans der Grotte Tiefen ihn: Als er nun Roland kommen siebt nnd gehen In solchem Fisch nnd den zum Lande ziehn. Erschreckt läßt er die Herde gehn nnd stehen. Hinaus ins weite Meer davon zu fliehn. Neptun spannt die Delphine vor den Wagen Und läßt sich schleunigst nach Äthiopien tragen.

45. Ino hält Uelioertos hang nmschlungen, Gelösten Haars kommt der Neriden Heer»

Tritonen auch, die alten und die jungen. Voll Angst, verzweifelt, rennen hin und her. Roland ist mit dem Fisch ans Land gedrungen. Braucht sich mit ihm nicht abzumühen mehr, Denn, eh der Weg zum Strand noch ist beendet. Liegt, schon der Fisch vor Qual und Not verendet.

46. Vom Eiland waren viele hergelaufen. Um anzuschauen so besondre Schlacht,

Und was der Held getan, erschien dem Haufen In falschem Wahn gottlos und unbedacht: Sie meinten, Proteus werde neu sie raufen. Denn wachsen müsse seines Zornes Macht, £r sende wohl die ganze grause Herde, So daß die Plage neu beginnen werde.

47. Das Beste sei um Unheil abzuwenden , Sie flehen jetzt den Gott um Gnade an;

Es gilt, als Opfer auch hinabzusenden

Zur Sühne diesen allzu frechen Mann.

Wie eine Fackel andre Feuer spenden

Und einen ganzen Ort entzünden kann.

So zündete von einem Herz zum andern

Der Schrd der Wut: er soll ins Wasser wandeml

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ELFTERGESANG 235

48. Der ging ein Schwert, der einen Spieß erraffen, Schleudern nahm der, den Bogen der zur Hand; Sie dringen auf ihn ein mit diesen Waffen

Von hinten, vorn, wie einer timlich fand.

Solch schnöder Undank will Verwundrung schaffen

Dem Helden ob der Sitten in dem Land:

Er findet Unglimpf für die Tat gerade,

Für die er Ruhm erhofft und Huld und Gnadel

49. Doch wie ein Bär geht nihig durch die Gassen, Wenn ihn ein Pole oder Russe führt

(Er \vird sich vom Gebell nicht stören lassen.

Das kleiner Hunde läst'ger Häuf vollführt

Nicht einmal hinzublicken will ihm passen ),

So wenig Furcht vor jenen Bauern spürt

Der Paladin; er braudite nur zu blasen.

So lägen sie zersdmiettert auf den Nasen.

50. Und wohl verstand ^ auch, sich Platz zu machen: Er wandte sich, nahm seine Durendal.

Es meinte jenes Volk (dumm schier zum Lachen), Das Spiel mit ihm sei recht bequem, zumal Ihm Harnisch ganz und Eisenschild gebrachen Und was die Glieder sonst noch deckt an StahL Allein ihm deckt was jenen unbekannt ist ^ Hornhaut den Leib, die hart wie Diamant ist.

51. Was andre ihm zu tun ohnmächtig blieben. Andern zu geben ist in seiner Hand;

Tot liegen dreißig von zehn Schwerterhieben

(Vielleicht, daß einer mehr dabei sich fand). Der Strand ist leer, die Räuber all zerstieben, Zur Schönen wollt' er an der Felsen wand, Als neuer Lärm und Schreie zu ihm drangen Und andre Teile des Gestads erklangen.

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£LFTER GESANG

52. Derweilen Roland so mit den Barbaien Zu schaffen hatte dort am Meeigetos',

Die Streiter Irlands angekommen waren,

Von allen Seiten, nicht am Ufer bloß; Ohn' allen W idtrstand rings auf die Scharen Des Volks im ganzen Lande haun sie los. War's Grausamkeit, war es Gefühl des Rechtes, Sie schonten keines Alters noch Geschlechtes.

53. Kaum widersetzten sich die Inselleute, Teils weil der Angriff gar zu rasch geschah, Teils weil die kleine Mannschaft sich zerstreute Und weil kein Plan war für die Leitung da. Die Habe fiel den Siegern zu als Beute,

Und Brand fuhr in die Häuser fem und nah: Wo früher Mauern, war der Grund jetzt eben. Und keine Menschenseele blieb am Leben.

54. Roland, als ob er fem zu bleiben meine Dem Lärmen, der Zerstörung, dem Geschrei, Geht hin zu ihr, die man zum kahlen Steine Als Speise schleppte für das Tier herbei.

Er schaut und sieh , ihn deucht , er kennt die Kleine ; Je mehr er naht, deucht ihn, daß sie es sei: Olympia und Olympia ist's gewißlich, Die für die Treue Lohn fand also mißlich I

55. Die Ärmste! Zu der Liebe Mißgeschicken Mußt' ihr ein feindlich Los voll Grausamkeit Am gleichen Tage die Korsaren schicken, Die da von hinnen schleppten jede Maidl Als Roland sich am Felsen läßt erblicken. Erkennt sie ihn; doch weil sie ohne Kleid,

Neigt sie das Haupt. Zu sprechen will nicht taugen. Und zu erheben wagt sie nicht die Augen.

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ELFTER GESANG

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56. Der Paladin fragt, welche Schicksalstikke Sie nach der Insel habe hingebracht;

Er ließ sie doch beim Gatten, voll im Glücke, Wie man ein größres hätte kaum gedacht. ,,Des Dankes, daß man mich dem Tod entrücke, Hab' ich vielleicht," so sprach sie, minder acht Als Vorwurfs, daß man mir den Tod nicht gönnte. Der beut mein ganzes Elend enden könnte.

57. Euch danken kann ich nur für dieses eben. Daß Ihr habt abgewandt die Todesart; Daß icli dem Scheusal wür e hingegeben

Für seinen Bauch, zu greulich wär's und hart. Doch kann ich Euch nicht danken für das Leben, Weil nur der Tod das Elend mir erspart: Wollt Ihr mich diesem Retter überweisen. Der Leiden endet, will ich gern euch pretaen."

58. Schluchzend erzählt sie, wie sie sclmöd' betrogen Ward von dem Gatten mit verruchter List; Wie er sie schlafend Heß am Rand der Wogen, Und Räuberschar sie nahm nach kurzer Frist. Derweil sie sprach, stand sie zurückgebogen.

So wie Diana oft gemeifielt ist,

Wenn sie Aktaon straft, ihn mit den Wellen

Bespritzend, den fürwitzigen Gesellen.

59. So viel sie kann, verhüllt sie Schoß und Büste, Nimmt's mit den Lenden nicht mehr so genau. Roland sein Schiff jetzt gern im Hafen wüBte, Kleider zu schaffen für die schöne Frau,

Die nun der Ketten frei , da auf der Küste Zeigt sich der Herr von Irlands grüner Au, Der König Hubert, er erfuhr gerade, Tot liege jenes Untier am Gestade,

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ELFTER GESANG

60. Und einer sei geschwommen durch die Wogen,

Der keilte ihm den Anker in den Schlund, Und hab' es hinter sich zum Strand gezogen. Wie man ein Boot zieht nach dem Ufergnind. Zu sehn, ob jener Mann ihn nicht belogen. Der solche Wundermäre machte kund, Kam Hubert selbst hierher, derweil vom weiten Sein Heervolk sengt und brennt auf allen Seiten.

61. Steht Roland gleich von Wasser Übergossen, Voll Schlamm und häßlich rot gefärbt von Blut, Vom Blute rot, das um ihn her geflossen.

Als er vom Fisch herausschwamm durch die Flut, Sieht Hubert gleich in ihm den Milonsprossen, Zumal er selbst sich sagt, daß solchen Mut Und solche Kraft kein andrer könne zeigen; So hoher Wert sei nur dem Roland eigen.

62. Als Edelknab' hatt' er am Hof gestanden, Frankreich verlassen erst seit einem Jahr, Krone zu tragen in den eignen Landen, Nachdem sein Vater dort gestorben war. Roland und er sich viel gnsammenfanden. Oft sprach er ihn dort in der Ritter Schar. Den Stahlhelm hat er eilig abgenommen. Begrüßt den Herrn und heißt ihn froh willkommen.

63. Wie man den Kdnig sah sich Rolands freuen, Ist diesem die Begegnung höchst genehm; Gruß und Umarmung beide Herrn erneuen Und wohl ein drittes Mal noch außerdem. Roland erzählt dann, von der Frau, der treuen. Wie sie verlassen wurde und von wem;

Dem Schuft Biren, der doch in jedem Falle Dies wen'ger durfte als die andern alle.

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ELFTER GESANG

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64. Er nennt die Ftobe», vrie mit treaem lieben

Sie zu dem Gatten hielt in jeder Zeit;

Wie ihr nicht Eltern mehr noch Gut gebüeben

Und sie dem Tode sich für ihn geweiht.

Aufopfrung habe stets sie angetrieben;

Dies zu beweisen, sei er selbst bereit.

Indes er sprach, der Dame Tränen flössen

Und ans sonst heitren Augen sich eigossen.

65. So ghch ihr Antlitz einem schönen Morgen, Wie ihn der junge Frühling manchmal bringt, Wenn Regen fällt und Sonne, halb verborgen. Den Nebelschleier hier und da durchdringt. Und wie ihr süßes Lied dann ohne Soi]gen Die Nachtigall im grünen Busche singt.

So taucht in Zähren Amor seine Schwingen, Froh, wenn vom Auge helle Strahlen dringen.

66. In dieser Glut entzündet er behende

Den luft'gen Pfeil und löscht ihn in der Flut, Die jetzt hinsinkt auf rosiges Gelände; Auf dich, aigloser Jüngling, zielt er gut, DaB den gestählten er ins Hers dir sende Nicht Schuppenwerk noch Eisen frommt als Hut, Du siehst im Augenpaar den Himmel offen. Und eh du weifit, wieso? bist du getroffenl

67. Ihr aind ja Reize atiserlesen eigen,

Die seltensten, wert hellsten Ruhmesschalls: Stirn, Augen, Wangen hohe Schönheit zeigen, Mund, Nase, Haar und Schultern audi und Hals; Doch wenn wir niederwärts vom Busen steigen. So ist, was sonst verhüllt wird, jedenfalls So herrlich, daß wohl keinem Weib hienicden Ein solcher Liebreiz jemals war bescbieden:

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ELFTER GESANG

68. An Weiße gleich dem frischen Schnee, dem hellen; Nicht Elfenhein kost also das Gefühl;

Die runden Brüstchen gleich der Milchflut quellen,

So wie sie einfließt aus den Binsen kühl. Dazwischen einer Höhlung holde Stellen Vergleichbar einem Tal an sanftem Bühl, Anmutig, wenn der Lenz es eingehüllt hat Und wenn, wie jetzt, es Winters Schnee gefüllt hat.

69. Der Hüfte, Lenden Wölbungen und Flächen,

Der Uchte Leib so glatt wie Spiegelwand, Die weißen Schenkel, die ins Auge stechen. Entstammen, scheint es, eines Phidias Hand. Soll ich jetzt noch von jenen Teilen sprechen, Die ihr Bemühen nicht dem Bück entwand? Ich sage kurz : vom Kopf bis zu den Füßen VolUcommne Reize den Beschauer grüßen.

70. Falls sie dem Paris in des Ida Hagen Erschienen wär' ob Venus wohl (wer weiß!). Wenn auch die beiden andern ihr erlagen, Errungen hätte höchster Schönheit Preis?

Es wäre zu Amyklä nicht getragen Der Frevel in des Hauses heil'gen Kreis; Gesprochen hätte so der Hirt vom Ida: „Bleib, Helena, zn Haus, ich nehme die dal"

71. Und hätt' in Kroton ihrer wahrgenommen Zeuxis, als es das Bild zu malen galt (Das in der Juno Tempel sollte kommen) Nach vielen Schönen, herrhch von Gestalt, Um eine darzustellen ganz vollkommen, Und er bald diese nahm und jene bald. Er brauchte keine andre hier zu wählen. Weil alle Reize sich in ihr vermählen.

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ELFTER GESANG

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7a.- Biieno hatte niemals wohl. Ich wette.

Den schönen Körper hüllenlos gesehn:

Denn nicht so grausam dort vom Strande hätte Er ohne sie von dannen können gehn. Hubert beweist's: gebannt an jene Stätte, In hellem Liebesbrand sieht man ihn stehn; Er tröstet sie und sucht sie aufzuheitern; Gut werden dürie alles noch des weitem.

73. Er werde sich mit ihr nach Holland wenden Und ein sie setzen in ihr Reich sodann. Damit Gerechtigkeit und Rache fänden Den ungetreuen, ehrvergeßnen Mann, Strenge, die Sache möglichst rasch zu enden. Sein Irland alle seine Kräfte an.

Und was an Kleidern war herbeizuschaffen. Das ließ er ans dem Ort zusanmienraifen.

74. Man braucht fürwahr nicht Kleider zu verschreiben Aus Orten ferne von dem Inselland:

Genug ja von den Mädchen übrig bleiben.

Die man dem Fisch zur Nahrung bot am Strand.

Hubert gelang's, in kurzem anzutreiben

Von Röcken und von Kleidern allerhaiid.

Er UeB Olympia kleiden, doch er groUte,

Nicht kleiden sie zu können, wie er wollte.

75. Allein so edles Gold, so feine Seide Fertigt am Arno selber keiner an. Und Stickerei zu andrer Frauen Neide

Mühten sich auch die größten Künstler dran , Man findet's nicht, auch nicht das Prachtgeschmeide, Und sei es von Minerva, von Vulkan, Das würdig kdnnte jene GHeder schmücken, Die stets sich neu ihm ins Gedächtnis drücken.

Ariott I 16

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ELFTER GESANG

76. Aus manchem Gnmd ist Roland woblzufrieden»

Und es gefällt ihm diese Liebe sehr: Nicht nur ist Strafe dem Biren beschieden Für den Verrat und andre Falschheit mehr; Es wird durch dieses Mittel auch vermieden Für ihn ein Mißstand unbequem und schwer: Nicht um Olympia, zu Schutz und Frommen Der eignen Herrin ist er ja gekommen!

77. Daß sie nicht da war, stand ganz außer Frage; Nur ob sie dagewesen, war nicht klar:

Es gab hier keinen Menschen, der 's ihm sage.

Weil keiner mehr vom Land am Leben war.

Er stach in See schon an dem nächsten Tage;

Von dannen zogen sie in einer Schar.

Mit jenen fuhr er Irland mm entgegen,

Demi auf dem Weg nach Frankreich war's gelegen.

78. Aufhalten ließ er sich auf keine Weise, Und einen Tag bheb er in Irland nur; Dann schickt ihn Amor wieder auf die Reise, Der gönnt nicht Rast ihm auf der Liebsten Spiar. Er geht; zuvor mahnt er den König leise

Noch an Olympia und gegebnen Schwur. Unnötig war es; mehr, als er veq>llichtet Zu tun war, hat ja Hubert dann verrichtet.

79. Als bald darauf ins Feld die Seinen gingen Tm Bund mit Schottland und mit Engelland, Wüßt' er dem Feind rasch Holland zu entringen Und lieB ihm auch kein Stückchen friesisch Land, Um dann zum Aufstand Seelands Volk zu bringen. Nicht eher ruht das Schwert in seiner Hand,

Bis er Büren erschlägt; und dennoch stdien Die Strafen noch zurOck vor dem Vergehen.

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ELFTER GESANG

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80. Als Hubert und Olympia sich vermählen. Ward sie aus einer Gräfin Königin. - Doch von dem Ritter gilt es zu erzählen.

Der Tag und Nacht fährt durch die Wogen hin. Zuletzt den gleichen Hafenplatz zu wählen. Von dem er früher nahm der Fahrt Beginn: Auf Güldenzaum, den Hengst, steigt er geschwinde Und läßt im Rücken salz'ge Flut und Winde.

81. Wolü mein' ich, daß von meldenswerten Dingen Noch manches andre dieser Wiat^ sah;

Doch weil sie im verborgnen vor sich gingen, Ist's meine Schuld nicht, steh' ich schweigend da. Geneigter war ja Roland zu vollbringen Als zu erzählen, was durch ihn geschah. Wir wissen darum nichts von seinen Taten, Als was die Zeugen uns davon verraten.

82. So ist der Winter ruhig hingescfaritten;

Man weiß nicht, was geschehn ist von Gewicht: Doch als vom Tier, drauf Phrjrxus einst geritten. Die Sonne sandt' auf unsre Welt ihr Licht Und holder Lenz in junger Blüten Mitten Durch Zephyr kam mit Mhlichem Gesicht: Da kamen auch von Rolands Heldentume Beweise staunenswert mit Gras und Blume.

83. Von Tal zu Beig, von Feld zu Meereswellen Voll Schmerz und Mühsal ritt er kreuz und quer Da hört er einen langen Wehruf gellen

Beim Eintritt ins Gehölz, vom Dickicht her;

Gleich spornt er nach der Richtung hin zu schnellen Sprüngen das Roß und hält gezückt die Wehr Was dann geschah, werd' ich erzählen können Ein andermal, wollt Ihr Gehör mir gönnen.

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ZWÖLFTER GESANG

1. Als Ceres von der Mutter wiederkehrte Vom Ida, eilig, in das stille Tal

(Wo Ätnas Last den Enkelad beschwerte, Nachdem ihn rächend traf der Himmelsstrahl) Und nicht die Tochter fand, die heißbegehrte. Die fem blieb jedem Pfad, hat sie vor Qual Sich Wang' und Brust zerfleischt, des Leids beflissen» Und Augen dann zwei Fichten ausgerissen.

2. Die ließ sie durch die Glut Vulkans entzünden. Und Dauer gab sie ihnen, die nicht schwand. Daß sie als Fackeln ihr in Händen ständen Im W'agen, dran zwei Drachen sind gespannt. Und sucht in Wald und Feld, Berg, Flur und Gründen, In Teich und Fhifi und Strom und Sumpfesland Und £rd' und Meer und als die Welt durchzogen, Ist sie zum Tartarus hinabgeflogen.

3. Könnt' an Vermögen Roland sich vergleichen Der Göttin, wie er's kann an Sehnsuchtsglut, Er würde wahrlich Beig und Tal durchstreichen, Angelika zu suchen, Wald und Flut

Und Erd' und Himmel, und den Ort erreichen. Wo tief das ewige Vergessen ruht. Doch weil er keinen Wagen bat mit Drachen, Muß er, wie's eben geht, die Sache machen.

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ZWÖLFTER GESANG

«45

4. Er forscht, so plant er Frankreich ist durchzogen

Italien jetzt, sodann auch Deutschland aus,

Kastilien neu und alt und (durch die Wogen Des Spaniermeers) auch Libyens Wüstengraus. Grad als er dies hat still bei sich erwogen. Hört er den Klageruf vom Wald heraus. Er sprengt hinzu, und wen'ge Schritte weiter Sieht er auf mächt gern Renner einen Reiter,

5. Der vor sich auf dem Sattel hält in Armen Gewaltsam ein verzweifelt Mägdelein:

Sie sträubt sich, weint; der Klageruf der Armen Klingt herzbewegend, und mit lautem Schrein Fleht sie den Herrn von Anglant um Erbarmen; Der bHckt sie an und meint, sie müss' es sein. Gerade sie, nach der bei Nacht und Tage Durch Frankreich hin und drum herum er jage.

6. Ich sage nicht: sie war's nur daß er glaubte. Die Vielgeliebte sei's, Angehka.

Daß man ihm seine Herrin, Göttin raubte Und daß vor seinen Augen es geschah , Darob vor Zorn und höchster Wut er schnaubte Und schrie den Reiter an: „Du, halte dal" Er schrie ihn dräuend an mit graus'ger Stimme Und spornte GtUdenzaum ihm nach voll Grimme.

7. Stumm bleibt der Dieb, ist nicht zum Stehn zu bringen. Und nur für seine Beute hat er Sinn:

Schwer kam' der Wind ihm nach mit seinen Schwingen,

So pfeilschnell jagt er durch die Zweige hm.

Der flieht, der folgt die tiefen Wälder klingen

Vom Klageruf der schönen Dulderin.

So kommen sie auf eine große Wiese:

Ein Schloß, gar reich und prächtig, zieret diese.

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246

ZWÖLFTER GESANG

8. Ans Marmor mannigialtig, stolz und bdter Das Haus, kunstvoll gebaut, gen Himniel ragt. Zur goldnen Tur hinein ritt nun der Reiter, Im Arme hielt er jene schdne Magd.

Auf Guldenzanm erscheint ein Weilchen weiter Graf Roland trutziglich und unverzagt. Ringsum im Kreis läßt der die Augen gehen: Jungfrau und Krieger sind nicht mehr zu sehen.

9. Ab steigt er rasch und fliegt nach allen Seiten Wie Wetterstrahl durchs Haus, der Tiefe nach. Wo hieihin, dorthin sich die Zimmer breiten: Kehl Raum entgeht ihm, Kammer noch Gemach.

Zum Oberstock ihn nun die Stufen leiten.

Weil jeden Anhalts unten es gebrach.

Doch war's vergebens unten, ist's auch oben;

Umsonst die Müh' sie sind wie fortgestoben.

10. Wt Seid* und Gold geschmückt sieht er die Betten,

Doch nichts von Mauern, nichts von einer Wand;

Sie, und wo Füße sich zu setzen hätten. Der Boden, sind mit Teppichen bespannt. Treppauf, treppab durchsucht er alle Stätten, Doch wird ihm nicht der Augentrost gesandt, Das Mädchen oder jenen Dieb zu schauen, Der fortgeschleppt die schönste aller Frauen.

11. Wie er den Schritt so hierhin, dorthin wandte, Erfüllt von Sorgen, in Gedanken schwer.

Sah er Gradaß, den König, Sakripante Und Brandimarte mit noch andern mehr. Und jeder so wie er vergebens rannte Treppauf und -nieder in dem Haus umher. Und alle aul den bösen, unsichtbaren Schloßherm gar au%ebracht und wütend waren.

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7. W ö T . F T F. K a F 9 \ X C

2|7

12. Sie klagen, also suchend, unverhohlen. Geraubt sei ihnen dieses oder das:

Dem ist sein Roß und dem sein Lieb gestohlen;

Sie sind voll Wut so geht's ohn* Unterlaß;

Dem fehlt was andres , alle stehn auf Kohlen, Denn auch kein Ausgang ist aus dem Gelaß, Und viele sind, von dieser List gefangen. Schon Wochen, Monde lang herumgegangen.

13. Umsonst war Roland auf imd ab geflogen. Vier-, sechsmal durch das sonderbare Haus;

Da sagt er sich: ,,Hier werf ich wohlerwogen ,

Wenn ich verweile. Müh' und Zeit hinaus:

Mit ihr inzwischen ist schon abgezogen

Der Dieb aus andrer Tür vom Haus heraus."

So ging er jenem Wiesengrün entgegen.

Das rings um den Palast her war gelegen.

14. Das stille Haus beginnt er zu umschreiten. Dabei zum Boden stets das Haupt gebückt,

Und späht nach rechts, nach links, nach allen Seiten,

Ob neue Spuren nicht sind eingedrückt.

Da hört er seinen Namen, nicht vom weiten:

Er hebt die Augen auf und hdrt beglückt

Die Stimme, sieht die Züge auserlesen.

Die teuren, die verwandelt all sein Wesen.

15. Angelika mit flehenden Gebärden

Ruft weinend: „Komm, o hilf mir, komm zu mirl Mein Magdtum, mir das Teuerste auf Erden, Mehr als das Leben selbst, empfehl' ich dir; Soll ich von Räubern denn bewältigt werden. Vor Augen mehies lieben Roland hier: Dann la0 mich eher rasch des Todes sterben VonTdeiner Hand, als schmählich so verderben!"

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ZWÖLFTER GESANG

16. Er sncht» durchsacht aufs neu das Schloß, das schlim-

Wobei er in ein jedes Simner dringt, [me.

Mit viil Beschwerd' und Müh' und voller Grimme;

Und Linderung allein die Hoffnung bringt.

Stehn bleibt er manchmal und vernimmt die Stimme,

Und ganz wie von Angelika sie klingt,

Und ist er hier, so wird sie dort vernommen,

Und dunkel bleibt, woher sie wohl mag kommen.

17. Zu Roger nun, den ich auf schatt'gem Pfade Dem Riesen und der Maid nachjagen ließ. Und der bei jenes Räubers Retirade

Vom Wald heraus auf eine Wiese stieß I Dieselbe ist's, die Roland sah gerade. Wenn mich mein Ortsgedächtnis nicht verließ. Dem Ungeschlachten, der ins Tor hinein eilt. Voll Eifer folgend Roger hinterdrein eilt.

18. Als auf der Schwelle seine Füße stehen, Blickt er den Hof und Säulengang entlang: Jungfrau und Riese sind nicht mehr zu sehen. Soweit ringsum sein suchend Auge drang; Und mocht' er auf und ab die Treppen gehen. Was er ersehnte, niemals ihm gelang;

Es war in keiner Weis' herauszufinden. Wo jene bdden konnten hinverschwinden.

19. Als auf und ab durch Zinuner, Säle, Gänge Viermal und fünfinal er gelaufen war. Durchsucht er nochmals jedes Winkeb Enge, Sucht unterhalb der Treppe noch sogar. Zuletzt, daß nicht der Ries' im Wald entspränge. Ging er hinaus da hört er, um ein Haar

Wie Roland, seinen Namensruf erschallen, Der ihn zurücktreibt in des Schlosses Hallen.

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ZWÖLFTER GESANG

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20. Dieselbe Stiinm' tmd nämliche Person ist's, Die für Graf Roland war Angelika: För Roger jetzt die Dame von Dozdon ist's, Dorch die er sich sein Ich entrissen sah; Fifa- alle just der Frauen Preis und Krön* ist's, So viel der Ritter sind im Schlosse da; Ein joder als die Schöne sie erachtet, Für die sein Herz gerad in Sehnsucht schmachtet.

22. Das waren neue seltne Zanbeidinge,

Die jener Atlas von Karena bot,

Daß Roger hier geschützt die Zeit verbringe

In Liebesmühen süßer Pein und Not,

Damit der Einfluß so vorüberginge,

Der böse Einfluß, der den Tod ihm droht.

Nichts half die Stalilburg und auch nichts Alcine:

Drum sucht er, ob ihm dieses Mittel diene.

32. Die Helden, die empor am höchsten ragen Im Frankenreich an Mut und Armeskraft, Hätt' er, damit sie Roger nicht erschlagen. Gern all in dieses Zaubemetz geschafft. Und daß sie niemals über Hunger klagen. Derweil sie drin erdulden solche Haft, Ins Schloß so viele gute Dinge kamen, Daß sich behaglich fühlen Herrn nnd Damen.

23. Nim zu Angehka, die dank dem Funde, Dem rückerlangten wunderbaren Ring, Unsichtbar ward, wenn sie ihn trug im Munde Und, wenn am Finger, Zauberein entgingt Gefunden hatte sie im Höhlengrunde

Ein Kleid, ein Pferd und Speisen, manch ein Ding, Des sie bedurft, und jetzt war all ihr Streben, Nach Indien in ihr Heim sich za begeben.

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250 7 W T F T E R GESANG

24. Sie hätte Roland oder Salcripante Nun gern auf ihrer Reise zum GenoB;

Nicht da6 ihr Herz tkh mehr zu einem wandte: Für beide kalt ihr Bhit in Adern flofi.

Doch führte ja der Weg nach der Levante

Durch gar so manche Stadt und manches Schloß,

Da wäre wohl zu brauchen ein Begleiter;

Und zuverlässig schien ihr keiner weiter. ]

25. Lang ist sie suchend hin und her gezogen, Eh' sie von jenen eine Spur erhält;

In Städten, Dörfern ist die Zeit verflogen Und, wo es sonst noch sei, in Wald imd Feld. Da schickt das Glück sie, das ihr jetzt gewogen, Hin, wo mit Roger Roland weilt, der Held, Und sich Gradaß und Sakripant befinden Und andre, die in Atlas' Netz sich winden.

26. Sie tritt hinein, vom Zanbrer ungesehen. Durchsucht, versteckt vom Ring, das ganze Haus Und sieht da: Sakripant und Roland gehen, Um sie zu finden, immer ein und aus;

Sieht Atlas an den beiden Trug begehen Mit ihrem Bild von Fenstern dieses Baus, Sie sinnt, wer als Genoß ihr nützt von beiden Am meisten, und sie kann sich nicht entscheiden.

27. Ist Roland auszuwählen wohl gescheiter? Oder Zirkassiens König stolz und hehr? Roland mag freilich als der stärkre Streiter Sie schirmen in Gefahren wohl noch mehr; Doch hat sie einen Herrn, wenn er Begleiter, Und ihn zu ducken wäre sicher schwer.

Was tun, wemi sie von ihm genug wird haben, Und wünscht, er mflge heim nadh Frankreich traben ?

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ZWÖLFTER GESANG

28. Fortschicken aber kann sie den Zirkassen» Wann's ihr gefiUlt bis in des Himmels Ann, Dnun als Begleiter schont er ihr m passen. Und Eifer will sie zeigen und Vertrann.

Sie nimmt den Ring* und ihre Züge lassen Vor Sakripant sich ohne Sdileio* schaun. Allein zu sein glanbt sie mit diesem Degen, Doch Roland ist und Ferra^ zugegen.

29. Zugegen sind sie. Gleichen Eileis sprangen Treppauf und -ab im Hanse diese zwei.

Innen und außen, dahin zu gelangen,

Wo ihre Schöne, ihre Göttin sei.

Nachdem der Spuk des Zaubers nun vergangen.

Hin zu der Dame stürzen alle drei

(Weil an den Finger sie den Ring genommen.

Hat einen Kiß des Magiers Plan bekommen).

30. Den Harnisch alle, Helm nur zwei liier tragen Der Helden, denen dieser Sang geweiht.

Sie legten ihren Helm in all den Tagen, Seit sie das Haus betraten, nicht beiseit. Sie brauchen über Schwere nicht zu klagen. Weil sie an ihn gewöhnt sind lange Zeit. Gewappnet ist auch Ferragu als dritter, Doch keinen Hehn will tragen dieser Ritter

31. Als jenen, der dem Bruder ward entrissen Trojans durch Roland einst, den Paladin; Er schwur's, als er vergebens war beflissen. Vom Strom den Zauberhelm ans Land zu ziehn. Daß Roland hier sei, könnt' er noch nicht wissen Und legte drum noch keine Hand an ihn; Unmöglich war es, im Palast beun Wandern

Zn untmcheiden einen von den andern.

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ZWÖLFTER GESANG

« 32. So ganz verhext ist in dem Hans hier alles:

Die andern zu erkennen fehlt die Macht. Man trennt sich von dem Harnisch keinesfaDes, Auch nicht von Schwert und Schild bei Tag und Nacht, Und für die Pferde ist statt eines Stalles Ein Zimmer dicht am Ausgang angebracht; Gesattelt stehn sie, ohne Zaumcsbanden : Und Stroh und Hafer, die sind stets vorhanden.

33. Ohnmächtig, hindert Atlas nicht durch Klagen, Daß rasch zu Pferde stieg die kleine Schar,

Hinter den Rosenwangen drein zu jagen, Dem goldnen Haar und schwarzen Augenpaar Der Jungfrau, die von ihrer Stute tragen Sich Heß, weil ihr es unheb war. Daß drei sich ihr gesellten um die Wette, Die Mann für Mann sie wohl genommen hätte.

34. Als fem vom Schloß so viel des Wegs gemacht ist. Daß weiter zu Besorgnis kaum ein Grund

Und jeder sicher vor des Zaubrers Macht ist. Ersinnt sie eine neue List jetzimd: Den Ring, durch den ihr Hilfe oft gebracht ist. Verschließt sie plötzlich in den Rosenmund Und ist im AugenbUck den drein entschwunden. Die, ganz verwiirt, schier Wahnsinn drob bekunden.

35. Ihr Plan war wohl gewesen, fortzugehen Mit Roland oder König Sakripant,

Bis sie die Heimat würde wiedersehen.

Das Reich des Galafron im Moigenland

Doch alle beide jetzt ihr widerstehen;

So hat auf einmal sich ihr Sinn gewandt:

Nur mit dem Ring, um sich nidit sonst zu Innden,

Gedenkt sie weiter ihren Weg zu finden.

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ZWÖLFTER GESANG

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36. Die drei Geprellten drehn, als sie verschwunden,

Ein dumm Gesicht nach dem entwischten Schatz Und gleichen ganz, fürwahr, verblüfften Hunden, Wenn Hase, Fuchs nach fast geglückter Hätz Mit einemmal hat ein Versteck gefunden In Höhle, Graben oder Dickichtplatz. Angehka sieht mit vergnügten Sinnen, Die Böse, unsichtbar, was sie begiimeii.

37. Nur eine Straße geht durch Waldesmitten: Vermeinend, daß die Flüchtige da vom Vor ihnen sei auf diesem Weg geritten

(Kein andrer sonst führt durch Gebüsch und Dom), Eilt Roland; Ferragu läßt sich nicht bitten. Und Sakripant braucht Gerte frisch und Sporn. Angelika veig&int sich größre Weile Und folgt, die Zügel straff, in mindrer £i]e»

38. Gekommen waren sie mit ihrem Jagen

Hin, wo im Wald der Pfad gemach verschwand. Und gingen dran, das Gras jetzt zu befragen. Ob dort sich eine Spur von Pferden fand. Als Ferragu, der hoch die Nas' zu tragen Am besten von den dreien wohl verstand, Ifit bösem Blick und klirrend mit den Waffen, Ausrief: „Ihr zwei, was habt ihr hier zu sdiaffen?

39. Kehrt schleunigst um, mir diesen zu lassen. Wollt ihr nicht hier des blassen Todes seini Nicht will ich mit Gesellsdiaft mich befassen. Ich lieb' und folge meiner Dam' allein."

„Was könnte der", sprach Roland zum Zirkassen, „Wohl mehr noch sagen, sah' er in uns zwein Die kläglichsten und feigsten Schwätzerinnen, Die nur vom Rocken ihre Wolle spinnen?"

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254 ZWÖLFTER GESAKG

40. Darauf zu Ferragu: „Da GrobgeseDe, Hielte mich nicht, daß du des Helmes bar. So zeij^e sich 's gleich hier auf dieser Stelle, Ob, was du sprachest, gut gesprochen war." Der Heide: ,,\Vas mir recht für alle Fälle, Wanjm doch fändest du darin ein Haar? Gegen euch zwei und frei von UelmesGcbutze Veriecht' ich, was ich sagte, eocli zum Trutze."

41. Willst du nicht mir zulieb den Helm ihm kibea?" Roland zum König von Zirkassien sprach:

„Bis ihm die Schrullen ausgetrieben seien. Denn diesen stehn wohl alle andern nach." ,,Dann war' ich selbst der größte Narr von dieien'% Die Antwort ist: „scheint dir 's ein Ungemadi» So leih ihm deinen; ich muß dranf beluiren: Ich zfichtige wie du wohl einen Nauen."

42. Doch Ferragn fiel ein: „Als ob» ihr Toren, Zu tragen einen Hehn, bequem mir wär'l Ihr hättet euren eignen sdion verloren;

Ich hätt' ihn mir erlcämpft mit meiner Wehr. Alletn, damit ihr's wifit: ich habs geschworen. Drum ohne Helm stets geh' ich jetzt umher Und werde gehn, bis ich den Hdm mir raubte. Den Roland trägt, der Graf, auf seinem Haupte."

43. Der Graf spricht lachehid und die Brauen heben Sich voller Spott: „Barhäuptig denkst du da

Im Kampfe Roland so den Rest zu geben, Wie's Agolantes Sohn durch ihn geschah? Doch kam' er wirklich, würdest du erbeben. Vermein' ich schier, von Kopf zu Füßen ja. Und keine Helmsgelüste weiter zeigen, Nein, ihm die Waffen geben, die dein eigen."

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ZWÖLFTER GESANG

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44. Der span'sche Prahler rief: Schon oft bezwungen Hab' ich den Roland hier mit dieser Hand

Und hätt' ihm leicht nicht nur den Helm entrungen. Auch, was sich sonst von Waffen an ihm fand. Und tat ich 's nicht, ist's meiner Laun' entsprungen. Es wechseln ja Gedanken miteinand: Einst hatt' ich nicht, nun hab' ich das Verlangen Und denke leicht den Hehn mir zu erlangen 1"

45. Jetzt kam dem Grafen die Geduld abhanden: „Du arger Schuft und Lügner," rief er, , .sprich I Zu welchen Zeiten und in welchen Landen Besiegtest du in einem Kampfe mich?

Der Paladin, der schlecht vor dir bestanden Und den du fem geglaubt hast, der bin ichl Sieh zu, ob du den Hehn dir kannst verschaffen Oder auch nur behältst die andern Waffen I

46. Und keinen Vorteil will ich hier un Streite." Damit löst er des Helmes Schuppenband, Hangt ihn an euien Buchenzweig zur Seite Und mmmt zugleich die Durendal zur Hand. Henr Feiraga sucht keineswegs das Weite:

Er zieht das Schwert und deckt sich recht gewandt, DaB Schild und Schwert gleichwie ein Dach ihm nützen Und dergestalt sein nacktes Haitpt beschützen.

47. Im Kreis sich hurtig drehend auf den Rossen, A]s flinke Reiter stellten sie sich dar:

Zu treffen galt es, wo zusammenschlössen Die Fugen, und das Eisen dünner war.

Es fände schwerlich würdige Genossen Rings auf dem Erdenrund dies Kämpferpaar; An Kraft und Mut einander beide gleichen. Und beide trotzen allen Schwertesstreichen.

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ZWÖLFTER GESANG

48. Kaum nötig ist es, Herr, daß ich Euch sage; Gefeit war Ferragu gen Hieb und Stoß,

Nur da nicht, wo zuerst in sichrer Lage Das Kind sich nährt, das noch im Mutterschoß. Drum trug er hier bis zu dem letzten Tage, Stets, wenn ihm zweifelliaft erschien sein Los, Aus Stahl gehärtet, sieben starke Platten, Weil Waiien da nur Kraft zu schaden hatten.

49. Bis auf nur einen Punkt war gleichermaßen Durchaus gefeit der Ritter von Anglant: Unter den Sohlen bloß war er zu fassen, Doch diese schützt' er eifrig und gewandt. Hat uns die Wahrheit nicht im Stich gelassen. War alles andre hart wie Diamant. Gewappnet gingen mehr des Schmuckes wogen Als aus Bedür^iis diese beiden D^gen.

50. Grausamer geht der Kampf und wilder weiter. Des Schreckens voll und grauslich anzusehn:

Es schlägt und sticht drauüos der span'sche Streiter, Und niemals fehl die grimmen Stöße gehn: Platten und Schuppen bricht der fränk'sche Reiter, Bei jedem Hieb muß eine Lück' entstehn. Angelika, allein noch gegenwartig. Unsichtbar, wird mit Staunen nimmer fertig.

5X. Der König von Zirkassien glaubt indessen Angelika ein Stückchen noch voraus; Er sieht die beiden dort auf Kampf versessen Und will auf gleichem Wege jetzt hinaus. Den, wie er meint, das Fraulein hat durchmessen. Da sie dem Blick verschwindend nahm ReiBaus. So kann die Tochter Galafrons das Hauen Und Stechen als allem'ge Zeugm schauen.

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ZWÖLFTER GESANG

52. Wfist und entsetzlich findet sie dies Streiten; Ein Weilchen schaut sie noch den Fall sich an.

Der ihr gefährlich dünkt für beide Seiten

Und ihre Seele nicht erfreuen kann.

Sie möchte neuen Scherz sich jetzt bereiten

Und nimmt den Helm fort, um zu sehn, was dann

(Er soll nicht lang in ihren Händen bleiben),

Wenn er entschwunden ist, die Kämpfer treiben.

53. Wohl mag der Graf ihn noch zurückerlangen, Doch erst, nachdem ihr kleiner Spaß vollbracht; Sie läßt den Helm auf ihrem Schöße prangen, Schaut noch ein Weilchen zu der Reiterschlacht, Und ohne Abschieds wort ist sie gegangen.

Sie hat ein gut Stück Weges schon gemacht. Eh einer noch des Falles wahrgeworden; So sind sie voller Wut erpicht axds Morden.

54. Zuerst bemerkt Herr Ferragu die Sache;

Von Roland reißt er sich und ruft: „Fürwahr! Als dumme Kerls behandelt uns, und schwache. Der Ritter, der noch eben mit uns war. Was meinst du, welcher Lohn dem Sieger lache. Sind wir durch Diebstahl jenes Helmes bar?" Roland schaut um, kann keinen Helm erblicken Am Zweige dort und will vor Wut ersticken.

55. Er muß mit Ferragu die Meinung teilen (Und lenkt sein Pferd herum in Uchtem Zorn): Der Ritter nahm den Helm, den man verweilen Dort sah, nun ffUüt der Hengst den Sporn. Sogleich beginnt der Mohr ihm nachzueilen, Und wie die beiden dort am Wpge vom

Zu jener neuen Spur im Gras gekmgen. Wo sie und der ^kassier sind gegangen.

Ariott I

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258 ZWÖLFTER GESANG

56. Nimmt links der Graf den Weg von dieser Stefle Talein, wo hingeritten Sakripant,

Und Ferragu hält sich ans Beiggeiälle, Den Pfad hin, wo Angelika verschwand. Die Jungfrau kam indes an eine Quelle Hit schattigem und anmutrdchem Rand, Die Wasser dort in kühlem Schatten winken: Kein Wandrer gehe, ohne da zu trinken.

57. Das Fraulein \Mbt am klaren Wasser stehen Und wähnt sich hier geschützt vor aller Welt; Sie meint, es kdnn' ihr Übles nicht geschehen, Weil sie der Zauberring verborgen hält.

Der grüne Rand ist mit Gebüsch versehen: Dorthin hat sie sogleich den Helm gestellt Und geht darauf, den kühlsten Platz zu finden Und dort das Pferd zum Grasen festzubinden.

58. Da kommt der Spanierstreiter hergeritten.

Der ihrer Spur gefolgt, zum Quell heran. Als ihn das Mädchen sieht in W'aldesmitten, Verschwindet sie und treibt die Stute an. Der Helm, der auf das Gras herabgeglitten. Liegt fem, so daß sie ihn nicht fassen kann. Kaum sieht Angelika der Mohrendegen, So sprengt er voller Freude ihr entgegen.

59. Doch sie verschwand, just als er sie erkannte. Wie beim Erwachen flieht ein Traumgebild; Er sah sie nicht, ob er die Augen wandte. Die leiderfüllten, weithin durchs Gefild;

Und jetzt dem Makon und dem Trivigante, All seinen Göttern flucht er laut und wild Und kehrt darauf zurück an jene Stelle, Wo noch der Helm im Gras li^t bei der Quelle.

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60. Im Innern hat er eine Scbrift gefunden Daran erkannt' er ihn am Helmesrand, Besagend, wen der Graf einst überwimden Und wann und wie und wem er ihn entwand. Der Heide hat ihn sich ums Haupt gebunden, Wv'i] ihm die Gier nicht durch den Ärger schwand. Den Schmerz, daß ihm die Maid zerfloß soeben. So wie Gespenster in der Nacht entschweben.

61. Als er den schönen Helm nun umgeschlungen. Schien alles gut es felilt' ein einzig Ding; Sie aufzufinden (wär' ihm das gelungen!),

Die wie der Blitz des Himmels kam und ging] Tief in den Wald ist er hineingedrungen, Und als er sah, die Hoffnung war gering, Daß jemals noch von ihr sich Spuren fänden. Wollt' er ins Lager nach Paris sich wenden.

62. Wenn jener Holden Reize ihm entschwanden. Und Stillung seines Sehnens fehl ihm schlug. War nur ein Trost für seinen Schmerz vorhanden: Daß er ja nun den Helm des Grafen trug.

Als Roland merkte, wie die Sachen standen. Ging er den Spanier suchen lang genug; Doch nahm er ihm den Helm nicht eh'r vom Haupte, Bis er sein Leben bei zwei Brücken raubte.

63. Angelika, unsichtbar und verlassen, Geht ihres Wegs mit traurigem Gesicht:

Daß sie den Hehn hat bei dem Quell gelassen. Zu eilig, das beschwert sie, und sie spricht: „Mit fremden Dingen mußt' ich mich befassen Und nahm ja Rolands Hehn; das ziemte nicht 1 Recht hübschen Lohn hat er bei mir gefunden. Die ich so sehr zu Dank ihm bin verbunden!

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ZWÖLFTER GESANG

64. Wohlmeinend ja, weiß Gott, im Herzen drinnen

Kam's anders auch und endet traurig nun , Nahm ich den Helm: es war mein einzig Sinnen, Daß doch der Kampf der beiden möge ruhn, Und nimmermehr wollt' ich durch mein Beginnen Dem dummen Spanier nach Gefallen tun/* So ritt sie ihres Wegs in bittem Klagen, Daß sie den Helm des Grafen fortgetragen.

65. Verstimmt und unzufrieden hin nach Morgen Schlug sie die Richtung, die ihr gut schien, ein, Teils sich den Menschen zeigend, teils verborgen. So wie gerad die Leute mochten sein.

Gar manches Land durchstreifte sie voll Sorgen Und kam zuletzt in einen Wald hinein; Dort lag bei zwei Erschlagnen auf dem Grunde Ein junger Knab', die Brust mit schwerer Wunde 1

66. Doch von Angelika sing' ich nicht weiter, Mit andern Dingen mach' ich Euch bekannt; Auch kümmert uns nicht mehr der Mohrenreiter Für lange Zeiten oder Sakripant.

Von ihnen holt mich fort ein andrer Streiter: Ich künde von dem Ritter von Anglant, Wie jene Sehnsucht Leid fand und Beschwerden, Die nun fortan kein Enäß nahm auf Erden.

67. Er eilt, sich in dem ersten besten Flecken Denn unerkannt zu gehn ist er bedacht Das Haupt mit neuer Kappe zu bedecken;

Ob schwach, ob^gut gestsüolt, hat er nicht acht.

Mag an Metallen drin, was wolle, stecken;

Er ist ja gegen Wunden fest gemacht.

So sucht er wdter fort auf seinen Wegen,

Sei's Tag, sei's Nacht, bei Sonnenschein und Regen.

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68. Die Stunde war's, da Phöbus' Rosse steigen Mit Tau in Haaren aus dem Meer empor Und rot und gelb sich Eos' Blumen zeigen. Von ihr umhergestreut am Himmelstor; Und schon beendet hatte seinen Reigen Und scheidend sich verhüllt der Sterne Chor: Als eines Tages wahre Wunderwerke

Tat Roland zu Paris mit seiner Starke.

69. Er traf zwei Feindesscharen: der bejahrte Herr von Norizia ist's, der Sarazen,

Einst stolz und kühn, jetzund im weißen Barte Durch Rat mehr als durch Taten angesehn; Die andern mit der eigenen Standarte Führt jener große Herr von TmnisenLj Der ab erlesnen Helden sich ervnesen; Alzirdo nannten seine Mohren diesen.

70. Sie lagen mit den andern Heidenschaien Bisher den ganzen Winter vor Paris, Wo jene näher dran, die femer waren. Wie Dorf und Bmg ein Obdach finden Ueß, Weil König Agramant, der längst erfahren. Daß da zu stürmen nicht Erfolg verhieß. Es mit Belagrung jetzt versuchen wollte. Wenn noch die Stadt genommen werden sollte.

71. Dafür bedtzt er ungezählte Massen:

Nicht nur, was mit ihm selbst gekommen war. Auch was Marsilius' Heeresreihn umfassen. Von Spanien her die kriegerische Schar. Aus Frankreich hat er viele kommen lassen. Denn von Paris zum Strand von Arles, sogar Mit Teilen der Gascogne und den besten Besiegt ist alles bis auf wen'ge Festen.

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ZWÖLFTER GESANG

72. Als rasche Bäche nun in laue Wogen Mählich verwandeln hartes, kaltes Eis

Und Wiesen stehn mit frischem Grün bezogen Und auf dem Baume sproßt das junge Reis, Hat Agramant das Heer herangezogen, Das ihm gefolgt in seines Glückes Kreis, Um Heerschau seiner Scharen abzuhalten Und all das Seine besser zu gestalten.

73. Wie nun die beiden sich dahin bewegen. Um zeitig anzukommen auf dem Feld, Wo es bald Rechenschaft gilt abzulegen,

Ob gut, ob schlecht es mit dem Heer bestellt. Geschieht's, daß, wie gesagt, Roland der Degen Urplötzlich auf den Schwärm der Mohren fällt Bei seiner Suche, jene sn erlangen, Die mit des Amors Netz ihn halt umfangen.

74. Als diesen Grafen, der nicht seinesgleichen An Heldenschaft hat auf dem Erdenrund,

Dem selbst der Kriegsgott scheint es müßte wei- Alzird, der junge Herrscher, sieht jetzund, [cfaen. Bleibt er verbliifft bei solcher GröBe Zeichen, Dem stolzen Blick, dem grimmen, trutz'gen Mund; Er fühlt: das ist ein Krieger, hoch zu loben. Doch spürt er Lust, es selber zu erproben.

75. Alzud war jung, zum Übermut verwegen. Ob großer Kraft berühmt im ganzen Heer.

Dem Fremden spornt er rasch den Hengst entgegen O daß er in der Schar gebüeben wär't Durchs Herz gestoßen liegt der kühne Degen Vom Ritter von Anglant beim Anprall schwer. V'oll Schrecken flicht der Hengst mit leerem Bügel: Es lenkt ihm ja kein Reiter mehr die Zügel.

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76. Ein ungeheures Schreien hört man schallen, Das weithin rings durch alle Lüfte klingt, Wie man da sieht den jungen König fallen, Und Blutstrom aus so reicher Ader springt. Wutvolle Haufen sich um Roland ballen;

Ein Heer von Schwert und Lanzen ihn umringt, Beschwingte Pfeile, schwarz wie Stünne, fliegen Noch dichter» um dem Helden obzusiegen.

77. So wie mit Lärm aus Bergen oder Auen Die borst ge Herde kreischend stürzt daher, Wenn sich ein Wolf aus dunkler Schlucht heß schauen Oder vom Waldgebirg herab ein Bär

Mit einem zarten Ferklein in den Klauen, Das mit Gegrunz und Quieken klagt gar sehr, So läimt's um Roland aus der Mohren Reihen, Die alle wütend „Auf ihnl Auf ümt" schreien.

78. Der Harnisch hat an Pfeilen, Lanzenstücken Und Schwertern tausend, ebenso der Schild: Der schlägt ihn mit der Keule auf den Rücken, Der droht von vom, der von der Seite wild. Doch ihn zu schrecken wollte niemals glücken; Der wüste Heereshauf nicht mehr ihm gilt.

Als einem Wolfe gelten drin im Stalle In Finsternis die vielen Schäflein alle.

79. Das nackte Flammenschwert sieht man ihn tragen. Das so viel Mohren schon hat Tod gebracht; Drum wer hier Rechnung führen will und sagen, V/ie viel es sind, hat sich's nicht leicht gemacht« Kaum foßt der Weg noch alle, die erschlagen ; Rot flieBt ein Blutstrom durch den Leichenschacht. Sturmhaube nicht und Tartsche können nützen, Vor Durendal, der grimmigen, zu schützen.

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ZWÖLFTER GESANG

80. Nicht Baumwollkleid, nicht Leinwand» die in Falten Sich tun das Mohrenhanpt schlingt tansendfach.

Es fliegen Arm' und Köpfe rings, gespalten,

Und Schultern, nicht bloß Seufzer, Weh und Ach;

In vielen, lauter grausigen Gestalten Zieht durch das Feld der Tod dem Schwerte nach Und sagt sich: hundertmal will dies Gewaffen Mehr JBeute mir als meine Sensen schaffen.

81. Fast eh ein Hieb sitzt, geht's an neues Morden; Bald fliehn die Heiden all in wildem Graus; Ihn zu verschlucken meinten diese Horden:

Er stellte ja sich ganz allein zum Strauß!

Ach, keiner fragt, was aus dem Freund geworden;

Und keiner wartet auf Geleit nach Haus.

Zu Pferd, zu Fuß den Fliehnden schlimm zumut ist.

Und niemand fragt, oh auch die Straße gut ist.

82. Mochte die Tugend mit dem Spiegel gehen. Das jedes Herzensfältchen macht bekannt, Ein einz'ger Alter kam, hineinzusehen,

Dem Kraft, nicht Hochsinn, mit den Jahren schwand;

Statt sich zu retten und heschimpft zu stehen.

Reicht ec dem Tode unvensagt die Hand:

Ich meine Manilart, der ohne Wanken

Den Speer hielt nach dem uigewalt'gen Franken.

83. Er bricht ihn vom am Schild des Feinds in Splitter, Der bleibt im Sattel, gänzlich unbewegt.

Das nackte Schwert schwingt jetzt der Christenritter, Der im Vorbeigelm nach dem Kdnig schlägt Dodisitzt der Hieb nicht scharf ; durch Drehung glitt er Und wurde auf die Seite so gelegt. Ifan kann nicht immer nach dem Scfan&chen hauen; Doch außer Sattel ist der Mohr zu schauen.

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84. Betäubt am Boden streckt er seine Glieder. Es wendet Roland nicht das Haupt um ihn; Er spaltet, schneidet, säbelt, schmettert nieder; Ein jeder meint, ihn sucht der Paladin,

Und flüchtet, wie mit ängsthchem Gefieder Die Staare vor dem grimmen Falken fliehn. Vernichtet ist der ganze Heereshaufen : Sie ducken sich, sie fallen, und sie laufen.

85. Des Schwertes Wüten wollte nimmer enden. Bis leer das Feld von allem Leben stand. Im Zweifel ist der Graf, wohin sich wenden, Ob auch das ganze Land ihm wohlbekannt.

Mag er nach rechts, nach links die Blicke senden. So bleibt das Herz dem Fortgehn abgewandt: Es gilt, Angelika nicht zu verfehlen; Er fürchtet inuner, falschen Weg zu wählen.

86. Stets fragend, Kunde von ihr zu erlangen, Hielt er sich nun durch Felder hin und Wald: Wie er sich selbst verloren war gegangen. Den Weg verlor er und gelangte bald

Zu einem Beig; wie fltigelschlagend drangen Lichter heraus aus einem Felsenspalt. An diesen Felsen kommt heran der Recke, Ob nicht Angelika sich dort verstecke.

87. Wie man Wacholder in dem Waldgehege Durchsucht und Stoppeln auch und freies Feld, Wenn in durchwühlten Furchen ohne Wege Man Jagd auf das erschxockne Haslein hält. Zu jedem Busch geht, ob es drunter läge. Und jeden Domstrauch auf die Probe stellt So voller Mühe sucht der Graf und schrotet Allüberall hin, wie die Hoffnung leitet.

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ZWÖLFTER GESANG

88. Eilig bewegt er sich und sieht, das Blitzen, Das in den dunklen Wald sich dort ergießt.

Kommt just aus diesem Berg durch schmale Ritzen, Der eine weite Höhle in sich schließt, Und als ein Wall davor, mit scharfen Spitzen, Wildes Gesträuch, wo Dom und Dickicht sprießt Zum Schutz für jene in der Höhle drinnen Vor solchen, die von draußen Schaden sinnen.

89. Am Tage hätte niemand sie gefunden,

Doch nachts zog dieses Licht den Blick hinein. Gern Weit res nukhte Roland nun erkunden. Obwohl vermutend, was es möge sein. Nachdem er Güldenzaum hat angebunden. Tritt er ganz leise in die Höhl' hinein Durch jene Öffnung mit dem Domgezweige Und ruft sich keinen, der den Weg ihm zeige.

90. Die Gruft, in der sich Lebende begraben, Stieg viele Stufen in den Grund hinab. Herausgemeißelt aus dem Felsen, gaben Wölbungen größre Weite diesem Grab. Auch etwas Tageslicht wohl mocht' es haben. Wiewohl der Eingang nur geringes gab. Doch bot ein Fenster rechts an einer Stelle Der Wand in einem Loch genügend Helle.

91. Ein Mädchen sitzt in jener Höhle Mitten Beim Feuer; Huld und Reiz war ihr verliehn: Und kaum die Fünfzehn hat sie überschritten. Meint auf den ersten Blick der Paladin.

Sie war so schön, das AntUtz fein geschnitten, Daß dieser Ort ein Paradies erschien. Blinkt gleich im Auge eine bittre ZSÜtuK, Als ob groß Leid ihr widerfahren wäre.

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ZWÖLFTER GESA NG

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92. £in altes Wdb war da; wie Weiblein pflegen. So saßen sie gerade streitend dort.

Jedoch zur Höhle steigt herab der Degen,

Und sieh, verstummt ist plötzlich Zwdst und Wort.

Er tritt den zwein mit feinem Gruß entgegen.

Wie sich's zu Fraun gebührt an jedem Ort,

W'orauf alsbald die beiden sich erheben,

Um freundlich ihm den Gruß zurückzugeben.

93. Anfangs erbleichten sie ja wohl vor Schrecken, Als unversehns erscholl die fremde Stimm' Und sie gewappnet vor sich sahn den Recken: Der schien ein mächt 'ger Krieger, stark und grimm. Er fragt: ,,Wer mag sich so mit Schmach bedecken. Ein Wütrich grausam, ungerecht und schlimm, Um ein Gesicht, dran sich die Augen laben.

In dieser finstem Höhle zu begraben?"

94. Mühsam gab ihm Bescheid darauf die Traute, Doch unterbrochen oft von Schluchzen heiß. Das durch die süßen abgerißnen Laute Aufstieg aus Perlen- und Korallenkreis.

Die Träne, bis kein Aug' sie mehr erschaute. Hinab sie rann durch Ros' und Lilien weiß. Vernehmt im nächsten Sang die weitem Sachen: Zeit ist's, mit dieser hier ein £nd' zu machen.

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DREIZEHNTER GESANG

1. Wohl hatten's gut die Ritter jener Tage, Die ja mit einemmal im Felsenschlund, In Höhlen fanden oder finstrem Hage, Im Bären-, Löwen- oder Drachengrund,

Was doch dem Kenner von dem rechten Schlage Sich kaum noch beut in stolzem Schloß jetzund: Mägdlein in allerfrischsten Jugendjahren, Die jedes Schönbeitspreises würdig waren.

2. Ich habe vorher schon davon gesprochen: Graf Roland langte bei dem Fräulein an

Und fragte: Welch ein Schehn hat das verbrochen? Fortfahrend meld' ich, daß die Dame dann. Von mehr als einem Seufzer unterbrochen. Mit süßer Stimme anmutsvoll begann Dem Grafen ihren Kummer mitzuteilen. Dabei bemüht, sich möglichst zu beeilen.

3. Sie sprach: „Ich weiß, die Strafe wird nicht fehlen, Sie bricht, sobald ich sprechen will, herein; Denn diese hier wird alles gleich erzählen

Dun, der mich schloß in diesen Kerker ein. Und doch will ich die Wahrheit nicht dir hehlen. Sollt' auch mein Leben drum vernichtet sdn. Denn als mem größtes Glück ich dieses fasae: Daß er mich eines Tages sterben lasse.

DREIZEHNTER GESANG

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4. Ich heiße Isabell in frühren Tagen

Des Königs von Galicien Kind ich war;

,War* heißt's mit Recht, denn jetzt kann ich nur sagen :

Das Kind von Schmerz und Leid bin ich fürwahr.

An allem hat nur Amor Schuld getragen

Und seine Niedertracht, das seh' ich klar:

Beifällig, hold weiß er zuerst zu bücken,

Mit List und Trug uns heimUch zu umstricken.

5. Wie lebt' ich einst so glücklich: hochgeboren Und jung und schön dazu und brav und reich 1 Arm bin ich nun, vom Unheil auserkoren: Gibt es ein schlimmes Los, mich trifft es gleich. Doch höre, was ich weiter noch verloren

Und was mich hergeführt in Unglücks Reich 1 Mag mir zu helfen dir auch nicht gelingen. So wild dein Mitgefühl mir Lindrung bringen.

6. Mein Vater gab Bayona Ritterspiele,

Es mögen nunmehr wohl zwölf Monde sein. Die Kunde zog der tapfem Kämpfer viele Von ferne her in unser Land hinein. Von allen (fügten solches Amors Ziele? Leoehtet Verdienst schon durch sich selber ein?) Gebührte, schien es mir, allein die Krone Zerbin, des großen Schottenkönigs Sohne.

7. Ich hatte Taten, die erstaimlich waren, Dort in den Schranken ihn vollbringen sehn Und fühlte Liebe, ohn' es zn gewahren; Als ich es merkte, war's um mich geschehn. Bin ich durch seme Lieb' auch schlimm gefahren, Stets wird mir tröstlich in der Seele stehn:

Ich gab mein Herz, zu ruhn auf lautrem Grunde, Dem Edelsten rings auf dem Erdenrunde*

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D R F. I Z E H >: T E P GESANG

8. Mir war, als ob an Mut dahmten bliebe Und Schflnheit jeder aus der Herren Schar.

Er zeigte mir und, glaub' ich, fühlte Liebe;

Daß er wie ich erglühte, sah ich klar.

Auch fehlte nicht, wer Dolmetsch unsrer Triebe

Und eines wie des andern Bote war:

Wir waren noch getrennt von Mund zu Monde,

Vereinigt nur in unsrer Seelen Bunde.

9. Denn heimwärts schied Zerbm aus unsem Mauern, Die großf Festlichkeit war ja vollbracht.

Weiß ich, was Lieb' ist, weiß ich auch in Trauern

Blieb ich zurück, sein denkend Tag und Nacht

Gewiß, in seinem Herzen werde dauern

Ganz ebenso die Glut, die ich entfacht.

Sein Sinnen ging nicht mehr nach kühnem Strdte,

Nein, mich nur,, nudi wollt' er an seine Seite.

10. Und weil unmöglich (seines Glaubens wegen: Weil er ja Christ, ich Sarazenin bin) Vom Vater mich erbitten kann der Degen, Geht auf Entführung allgemach sein Sinn. Von unserm Schloß hinaus, das hübsch gelegen In grünen Auen nach dem Meere hin. Zieht sich ein schöner Garten nach dem Strande Mit Aussicht auf die See und Hügellande.

XI. Um doch, was Glaube wehrte, zu gestalten. Erschien ihm sehr geeignet dieser Ort. Er ließ mir seinen Plan darauf entfalten. Ein Leben freudenreich zu führen dort. Verborgen bei Sankt Martha ließ er halten Ein heimlich Schiff mit Kriegesvolk an Bord, Dem Odrich von Bisca3ra zugewiesen; Zum Obersten des Heeres macht' er diesen.

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n K r T / IC H N T E R C E SANG

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12. Da, selbst zu kommen, Möglichkeit ihm fehlte (Weil für die Hil&schar nach dem Frankenland Sein alter Vater ihn als Fuhrer wählte), Ward jener Odridi von ihm hergesandt,

Den er zu seinen treusten Freunden zählte Und dem sein Herz zumeist war zugewandt. Er hätte treu sein müssen bis zum Sterben, Wär's wahr, daß gute Taten Freunde werben.

13. Er sollt' auf einem Kriegsschiff durch die Wogen

Mich schaffen zu der festgesetzten Zeit.

So kam der kingersehnte Tag gezogen,

Im Garten stand ich für die Flucht bereit.

Mit seiner Mannschaft, kampferprobt, verwogen,

An einem Punkte von der Stadt nicht weit,

Gelang's dem Mann, die Landung zu vollbringen

Und leis zu meinem Garten vorzudringen.

14. Bevor zur Stadt die Kunde noch gedrungen. War ich auf dem geteerten Fahrzeug schon. Vom waffenlosen Hansstand, alt' und jungen. Fand mancher seinen Tod, und andre flohn; Ein Teil, gefangen, ward aufs Schiff gezwungen. So ließ ich Heimat, Haus und Nation;

Wie gern möcht' ich zu sagen fast mich scheuen. Voll Hoffnung, bald Zerhins mich sni erfreuen.

15. Wir waren über Mongia dort zur Stelle,

Da zieht ein Sturm auf, von der Linken her; Ein mächt'ger Windstoß trübt die heitre Helle Und wirbelt hoch zum Firmament das Meer. Der Mistral tanzt und häufet Well' auf Welle: Er wächst und steigt, nimmt weiter überhand Und wächst und steigt voll Wut und will nicht enden. Und wenig nützt das Drehen und das Wenden.

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DREIZEHNTER GESANG

16. Veigebens refft man Segel, kappt man oben Den hohen Mast, zerbricht man das KasteU : Wir treiben hin, wo, hoch vor mis erhoben, Die scharfen Klippen dränen von Rocfaelle. Schickt jetzt nicht gnädig Hilfe Der von oben,

So bringt uns grauser Sturm zum Scheitern schnell. Es jagt der schlimme Wind in größrer Eile Als je vom Bogen fortgescimeilte Pfeile.

17. Der von Bkc&yaL sah die Not und wandte Ein Mittel an, das oft mag trügrisch sein: Er lief zum Boot, ließ es hinab und sandte

An Tauen mich hinunter mit noch zwein. Ein andrer Haufe auch zu kommen brannte. Doch Ueßen sie die ersten nicht hinein. Sie hielten mit den Schwertern sie beiseite, Lösten das Tau und suchten rasch das Weite.

18. Wir sind ans Land geworfen, doch gelangen Hinauf, die in das Boot gestiegen sind;

Die mit dem Schiff sind all zugrund gegangen,

Manch Waffcnkleid ward Raub für Well' und Wind.

Empor zur ew'gen Lieb' und Güte drangen

Des Herzens Dankgebete, weil, gi lind,

Sie mich in Sturmeswut nicht üeß vergehen.

Daß ich den Liebsten dürfe wiedersehen.

19. Im Schiffe bleiben Kleider und Juwelen, Kostbare Sachen und Kleinodien mehr;

Soll mir die Hoffnung auf Zcrbin nicht fehlen. Gönn' ich das andre alles gern dem Meer. Kein Pfad ist von dem Ufer aus zu wählen. Und keine Herberg zeigt sich ringsumher; Nur Fels, um dessen Haupt die Winde gellen; Den Fuß umtoben wilde Meereswellen.

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D R I - T :/ I H N T E R GESANG

20. Doch Amor, der Tyrann« der bei Verqnechen Sich ialsch erweist und Treue ganz veigiBt Und sich bemüht, zu hindern und zu brechen. Wo ein vemünft'ger Plan entstanden ist, Weiß sich für meine Freud' an mir zu rädien. Verkehrt mir Glück in Leid durch HinterUst: Er, dem Zerbin vertraut in jeder Weise, Entbrennt in Lust und wird als Freund zu Eise.

21. Ob er an Bord schon fühlte die Gdüste

Und sie zu äußern nur den Mut nicht fand,

Ob erst der \\ misch an der entlegnen Küste, Wo volle Muß' er hatte, jetzt entstand? Weil keiner wohl ihn jetzt zu liindern wüßte. Wollt' er die Laune büßen unverwandt. Nur säh' er gern den einen Mann verschwinden. Von zweien, die sich noch im Boot befinden.

22. Ein Mann war's, der Zerbin sich treu bewiesen, Almonio hieß er, aus dem Schottenland, Als wackrer Krieger sehr von ihm gepriesen Damals, da er zu Odrich ward gesandt. Ob es nicht schade sei, so fragt er diesen, Wenn ich zu Fuße geh' am Klippenrand. Und bat ihn, nach Rochelle vorauszugehen, Nach einem Rofi für mich sich umzusehen.

23. Almonio, ohne irgendwas zu ahnen, Geht augenbhcks, um in den Wald hinein, Der uns die Stadt verbirgt, sich Weg zu bahnen; Es mochten kaum zwei kleine Stunden sein. Und Odrich meint, jetzt in sein böses Planen Auch jenen andern Schiffsmann einzuweihn. Weil er kein Mittel weiß/ ihn fortzubringen. Und ihm vertrauen kann in allen Dingen.

Ariost I 18

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DREIZEHNTER GESANG

24. Der eine, der geblieben am Gestade, Corebo von Bilbao war genannt.

Mit Odricfa aufgewacbsen, gleiche Flade Ging er mit ihm und immer Hand in Hand.

Sich zu enthüllen diesem Freund gerade. Für ungefährlich der Verräter fand:

Er hofft, die Rücksicht werde überwiegen

Und mehr am Freund ihm als an Tugend hegen.

25. Doch als Coreb der Brave voll Empöre Den Vmatz des Genossen dranf vernimmt,

Verräter nennt er ihn und sagt, ihm stören

Werd' er den schnöden Handel ganz bestimmt; Und nackter Schwerter Klirren läßt sich hören: Sie schlagen aufeinander dort ergrimmt. Erschrocken eil' ich, bei der Eisen Klingen Ins Waldesdickicht fliehend zu entspringen.

26. Weil Odnch Meister ward in vielen Kriegen, Geschah's, daß er sogleich in Vorteil kam; Corebo bheb für tot am Boden liegen.

Dem Schuft, der die Verfolgung unternahm, Lieh, um mich einzuholen, wohl zum Fhegen Amor die eignen Flügel wundersam Und lehrt' ihn Schmeichelreden viel imd Flehen, Um seine Wünsche doch erfüllt zu sehen.

27. Vergebens. Eh'r hätt' ich den Tod gelitten Entschlossen war ich als ihm willig sein. Da Drohung nicht verfängt und alles Bitten So wenig Nutzen bringt wie Schmeichelein,

Ist er zur offenen Gewalt geschritten.

Umsonst mit Flehen dring' ich auf ihn ein.

Daß er der Treue zu Zerbin gedenke

Und mir, der ihm Vertrauten» Schonung schenke.

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DREIZEHNTER GESANG

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28. Als mein vergeblich Bitten mich belehrte. Daß keine Hilfe sonst zu hoffen mehr (Nur immer lüsterner und schlimmer kehrte Er sich zu mir, so gierig wie ein Bär),

Mit beiden Händen und mit Füßen wehrte Ich mich und biß und kratzte um mich her, Bis ich das Kinn ihm und die Haut zerkrallte, Und schrie, daß es empor zum Himmel schallte.

29. Ist's Zufall, ist s mein Schrein bei diesem Raufen, Das eine Stunde weit gewiß wohl gellt,

Ist's, daß auch Leute sonst zum Strande laufen, Wenn an den Khppen dort ein Schiff zerschellt Oben am Berg erscheint ein Menschenhaufen, Der auf das Meer und uns die Richtung hält. Als Odrich sieht, daß sie zum Strande ziehen, Läßt er von mir und wmdet sich zum Fliehen.

30. Vor dem Verräter also war der Haufe

Mir wohl zum Schutz, o Herr; doch wie es geht: Vom Regen kam ich tüchtig in die Traufe. Dies Sprichwort, traun, zu gutem Recht besteht. So schlimm swar kam's nicht in der Dinge Laufe (Nicht solcher Bosheit Opfer Ihr mich seht). Daß sie Gewalt an meinen Körper l^en; Nicht, daß im Herz sie etwa Tugend hegten:

31. Nein, weil sie so nur großem Vorteil haben: Als Jungfrau bring' ich ihnen höham Preis. Acht Monde, bald sind's neun, bin ich begraben Lebendigen Leibes hier in solcher Web*.

Nicht Hoffoung auf Zerbtn mehr kann mich laben, Denn wie ich aus erlauschten Reden weiß. Will mich ein Händler jetzt von diesem Haufen Für einen Sultan der Levante kaufen."

18*

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276 D REIZEHNTER GESANG

32. So, züchtig und bescheiden, sprach die Traute, Und oft ein Schluchzen oder Seufzer schnitt Ab die Musik der engelhaften Laute:

Es hätt' erbarmt wohl Vipern und Granit. Derweil sie ihre Schmerzen ihm vertraute. Vielleicht die Qualen lindernd, die sie htt, An zwanzig Menschen in die Höhle drangen, Veisehn mit Waüen Messern, Spießen, Stangen.

33. Des ersten Anthtz, hart und wild zum Grauen, Hatt' nur em Aug', das schielend, finster stand; Das andre ward durch einen Hieb zerhauen. Durch den ein Stück von Wang' und Nas' entschwand. Als sie den Ritter in der Höhle schauen, Spricht jener, zu der Schar zuriickgewandt:

„Ein neuer Vogel ist ins Netz gegangen

Von seibat, für den die Maschen gar nicht hangen I"

34. Zum Grafen sagt er drauf: „Niemals im Leben Sah ich gefälligem, bequemern Mann.

Hast du's geglaubt? Hat man dir Wink gegeben? Zeigte man dir's durch einen Boten an, Daß ich so leichtes braunes Röcklein eben Und just so scfatee Waffen brauchen kann? Da kommst zur rediten Zdt in jedem Falle, Um SU erfüllen meine Wünsche aller

35. Roland sprang auf und gab mit bittrem Lachen Die Antwort, nach dem Räuber hingewandt: „In einer Mimze sollst du Zahlung machen.

Wie sie noch nicht dem Handelsmann bekannt." Vom nahen Herd, daraus die Flammen brachen, Kifi er den glühnden rauch*gen Feueibrand Und traf durch Zufall da den Mordgesellen, Wo zu der Nase sich die Braun gesellen.

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36. Der Brand verzehrte beide Augenlider, Derweil er großem Schaden Hnks verhieß; Den unglücksel'gen Teil ja riß er nieder. Der Sonnenlicht herein vom Himmel ließ; Nicht nur geblendet hat den Räuber wieder Der grimme Stoß nein, zu den Geistern stieß Er ihn, die Chiron dort mit seinesgleichen

Tief unten waten läßt in glühnden Teichen.

37. Ein mächtiger Tisch auf einem kurzen Beine, Zwei Spannen dick, tief in die Höhle dringt. Dran mit der ganzen Sippe im Vereine

Der Diebsgesell die Essenszeit verbringt. Und mit der Leichtigkeit, wie wohl der feine, Gewandte Spanier dünne Rohre schwingt, Schkodert der Graf den Usch dem Ort entgegen. Wo dichtgedrängt die Ränber sich bewegen,

38. Zerschmettert dem die Brust, dem Arm und Hände, Den Bauch dem, jenem fliegt das Hirn heraus; Der stirbt, der bleibt ein Krüppel bis ans Ende; Der, weniger getroffen, flieht hinaus.

So bricht ein starker Steinwurf Seit* und Lende, Zermahnt die Knochen, leert die Schädel aus Von Nattern, die nach Winterfrost voll Wonne Sich glätten und sich ringeln in der Sonne.

39. Gar viel verschiedne Fälle da erscheinen: Die stirbt, und ohne Schwanz eilt jene fort; Die möchte sich verkriechen hinter Sternen, Das Hinterteil umsonst regt diese dort;

Mit jener will's ihr Heil'ger besser meinen: Sie huscht ins Laub und schleicht an sichern Ort. Erschrecklich war der Wurf und ohnegleichen; Nicht wunderbar bei Rolands mächt 'gen Streichen.

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DREIZEHNTER GESANG

40. Wer leklit verwundet oder heil gebfieben.

Hat, sich zu retten, rasch den Fuß gewandt

(Turpin erzählt, es waren grade sieben); Jedoch am Ausgang, ach, der Ritter stand: Als sie zusammen waren all getrieben. Mit einem Strick er ihre Hände band; Mit einem Stricke wurden sie gebunden. Den er im Waldbaus grade angefunden.

41. Er bringt die Angeseilten, wo da breitet, Ein' alte Esche knorriges Geäst;

Der Baum wird mit dem Schwerte zubereitet. Da schnürt er sie als Rabenfutter fest. Nicht Haken braucht's, als er zum Werke schreitet. Die Welt zu säubern rasch von solcher Pest. Wo aus dem Baum hervor viel Zacken sprangen. Da ließ er allesamt am Halse hangen.

42. Mit Heulen floh, die Hände in den Haaren, Das alte Weib, der Räuber Helferin, Sobald sie sah, daß tot die andern waren. Durch Waldesdickicht und Gebüsche hin.

, Ab sie auf rauhem Weg so fortgefahren flfit schwerem Schritt und furchterfuUtem Sinn, Traf sie am Flussesrande einen Streiter Doch wen, erfahren wir ein wenig weiter

43. Und scbaun nach ihr, die, nicht sie zu verlassen. Den Paladin fleht gar beweglich an:

Sie woll' ihm folgen; höflich, sich zu fassen, Ermahnt er sie und tröstet, wie er kann. Und tJs, geschmückt mit hellen Rosenmassen, Im Purpurkleid zu zeigen sich begann Die weiße Eos und gewohnten Weg ging. Sah sie, daß Roland mit der Dame weg gmg.

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DREIZEHNTER GESANG

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44. Sie zogen fort, und viele Tage schwanden, Da nichts geschah, was des Berichtes wert. Bis unterwegs sie einen Ritter fanden, Der aus Gefangenschaft war heimgekehrt.

Wer's war, noch sag' ich; jetzt nimmt uns in Banden, Von der zu hören ihr gewiß hegehrt: Die Tochter Hahnons, die wir ja in Schmachten Veriiefien und in sehnsuchtsvollem Trachten.

45. Die ScbSne harrt dort am Marseiller Strande Umsonst auf ihres Rogers Wiederkehr; Inzwischen macht sie jener Heidenhande, Und zwar tagtäglich fest, das Leben schwer» Die rauhend auf und ab zog durch die Lande Von Languedoc und um Provence umher.

Als Lenkerin und Kriegerin von Eisen Verstand sie sich aufs beste zu beweisen.

46. Veistridien war der Zeitraum nun schon lange. Da er versprach, zu ihr zurückzugehn.

Und als er gar nicht kam, da ward ihr bange. Denn tausend Böses könnt' ihm ja geschehn*. So stand sie auch einmal mit nasser Wange, Einsam für sich, da ließ sich jene sehn, Die mit dem Ring dem Herzen Heilung brachte. Als es der Hexe Zauber treulos machte.

47. Wie sie nun ohne Roger hat gesehen Nach solcher Zeit! die gute Magierin, Erbleicht sie, kaim kaum auf den Füßen stehen. Und fiele um ein Haar vor Schrecken hin. Doch jene macht, daß Sorgen bald vergehen (Der Freundin Herz durchschaut ihr kluger Sinn), Und tröstet sie mit freundlich heitrem Munde, Qeich emer Trägerin von froher Kunde.

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DREIZEHNTER GESANG

48. Nicht härme dich um Roger," sprach sie, Kleine I Er ist gesund und frisch und liebt dich heiß; Doch nicht in Freiheit ist er, denn die seine Nahm, der dir feindlich ist bekannterweis.

Jetzt aber steigst du wohl zu Pferd, ich meine. Und folgst, um ihn zu sehn, mir auf die Reis'. Gehorchst du mir, will ich den Weg dir zeigen, Drauf ihm die Freilieit wird durch dich zu eigen."

49. Und sie erzählt, mit welchen Zauberstücken Der Magier ihn zu täuschen dort verstand Und mit dem Bild der Jungfrau zu berücken. Die sich in eines Riesen Armen wand;

Wie er ihn nach dem Schloß mit seinen Tücken Fortzog und dann vor seinem Blick entschwand» Und wie er sonst noch einfing Herrn und Damen Auf gleiche Art. wemi sie des Weges kamen:

50. Im Zaubrer meint ein jeder den zu schauen. Den er gerad mit heißem Sehnen sucht:

Ihr Lieb die Ritter, ihren Freund die Frauen. Wie Leidenschaft die Menschen grad versucht. So suchen sie im Schlosse voll Vertrauen Und mühn sich ab, doch ohne jede Frucht. Und wird auch der Gesuchte nie getroffen, ^e gehn nicht fort ; so stark bleibt Wunsch und Hoffen.

51. „Wenn deine Schritte", sprach sie, „hin sich lenken In die Umgebung beim verhexten Haus,

Gleich kommt dann Roger sei es, wirst du denken. Doch Atlas ist es selbst zu dir heraus Und zeigt, dafi ;sr in schlimmen Zauberranken Als Heister fiber alle ragt hinaus. Um dich als Helferin sich zu gewinnen Und festzuhalten wie die andren drinnen.

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DREIZEHNTER GESANG 2S1

52. Damit dich seine Lügen nicht bestricken, Wie schon so viele, höre wohl mich an: Erscheint er gleich als Roger deinen Blicken, Der , Hilfe!* ruft und sich nicht retten kann Glaub's nicht und eü', ihn in den Tod zu schicken« Kommt er an dich ein wenig nah heran!

Und wähne nicht, daß etwa Roger sterbe; Nein» er, der so viel Plage schafft, verdeibe!

53. Ich weiß ja, töten, wer dir Rogers Züge

Zeigt, scheint wohl hart für dich und grausam schier; Mißtrau' dem Auge, denke stets, es lüge. Und Zauberkunst verhehle Wahrheit dir. Nimm fest dir vor, daß nicht dein Wille trüge. Bevor du hmgehst in den Wald mit mir; Für ewig hast du Roger ausgegeben. Laßt deine Feigheit jenen Zaubrer leben!"

54. Dem falschen Mann ein Ende zu bereiten Entschlossen, schickt die tapfre Maid sich an. Gewappnet jetzt Melissa zn begleiten;

Sie wdß, wie sehr sie ihr vertrauen kann. Die drangt in Eil' durch Wald und Fhuenwdten Von früh zum Abend vorwärts drauf und dran. Bemüht dabei, durch freundlich Unterhalten Des Weges Mühn geringer zu gestalten

55. Und namentlich ihr neu ans Herz zu legen: Sie und ihr Roger sind von Gott bestellt. Ahnen zu werden von erlesnen Degen, Halbgöttern, Fürsten, Zierden dieser Welt.

Denn was Verborgnes ew'ge Götter hegen.

Vor ihrem Seherblicke sich erhellt, Und alles weiß sie drum vorherzusagen, Was einst geschehen wird in fernen Tagen.

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56. „O kluge Führerin, du hast vor Jahren", Sprach zu der guten Fee die edle Magd, ,,Gar vieles schon von hoher Männer Scharen Meines Geschlechtes mir vorausgesagt,

So möcht' ich jetzt von einer Frau erfahren Aus meinem Stamm, die über andre ragt Und, schön und gut, erringt die höchsten Preise." Und freundlich diauf erwiderte die Weise:

57. ,,Hervor aus deinem Stamme sollen gehen Königs- und Kaisermütter ; keusche Fratm Werden als Säulen großer Reiche stehen Und neu erianchte Häuser auferbann»

Im Frauenkleid so würdig anzusehen. Wie nur die hehrsten Ritter sind zu schaun: Hochherzig, fromm, an Klugheit unerreichbar. Voll Edelsinn und Tugend unveigleichbar.

58. Sollt' ich von jeder Einzefaien erzählen.

Die dem erlauöhten Stamm wohl Ehre macht, Es war' zu viel; denn keine würde fehlen. Würdig, daß ihrer rühmend sei gedacht. Ein paar nur unter tausend will ich wählen; Sonst würde nie der Stoff zu End' gebracht. Du fragtest in der Höhle nicht nach ihnen: Sie wären dir im Bilde dort erschienen.

59. Dem hehren Haus entsprießt an erster SteUe Der hohen Werk' und Studien Schützerin

(Macht Huld und Schönheit mehr den Namen helle

Oder ein reiner und ein weiser Sinn?), Die edle, die großherz 'ge Isabelle, Die lichten Glanz mit ihrem Geiste hin Zum Land am Mcnzo-IHer weiß zu ziehen. Dem Ocnus' Mutter Namen hat verliehen;

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60. Wo sich ihr edler Wettstreit soll erhebCD Mit ihm, dem ehrenreichen Ehgemahl,

Wer mehr an hoher Tugend glänz' im Leben Und feine Sitte fördre allzumaL Wenn er Italien hat am Tarus eben Befreit von wfister Gallier Plag' und Qual, Sagt sie: »Weil kenscfaen Wandels stets beflissen, Weicht nicht Penelope an Ruhm Ulyssen.'

61. Mein knrzes Wort vermag nur anzudeuten Der Dame Wert, und ungesagt bleibt mehr

Von dem, was als ich tetfloh von den Leuten Merlin mir kOndete vom Steine her. Duichffihr' ich alle Flut, sie auszubeuten, Dem Tiphys, traun, ich überlegen wär'; Und nun zum Schlufi: was gut ist, wird auf Erden Durch Gott und auch durch eigne Tugend weiden.

62. Ihr wird Beatrix Schwester sein, und schmücken Wird sie der schOne Name stets mit Recht,

Ihr wird das hOchste Gut in allen Stücken, Das nur vergönnt dem irdischen Geschlecht. Sie soll von allen Fürsten reich beglücken Den Gatten, aber, ach, des Unglücks Knecht Wird er, wenn sie die Erdenwelt verlassen Und des Geschickes Arme ihn umfassen.

63. Solange sie zu atmen ist imstande, Werden Viscontis Schlangen furchtbar sein Wie Moro Sforza, bis zum roten Strande Vom Nord; vom Indus in dein Meer hinein. Stirbt sie, droht Knechtschaft dem Tnsnbreriande: Auf ganz Italien dann bricht Not herein

Und Schmach und Pein ; der höchsten KlugheitWalten Wird ohne sie für Zufall nur gehalten.

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64. Gleichnam'gen andern soll noch Ruhm gebühren« Die früher kommen um gar manches Jahr: Pannoniens Krone wird die eine spüren

Als Königin auf dem gesalbten Haar,

Und eine wird der Heil 'gen Namen führen,

Wenn sie entrückt ist in die sel'ge Schar,

Verehrt im Reich ausonischer Gefilde

Mit Weihrauch und gelobtem fronmiein Bilde.

65. Lang ist ich sagt s die Reih' ; ich muß verschweigen Die andern; Zeit fehlt, sie zu nennen all.

Ob jede wert auch sei, daß heller Reigen Sie grüß' und der Trompeten lauter SchalL Ich kann nicht aUe die Lucrenen zeigen, Konstanzen, Blanken, deren Rnhmeshal! Sie preisen wird durch ganz Italias Gauen Als Herrscherinnen, Mütter, edle Frauen.

66. Mehr als in andern Häusern sind die Deinen Begluckt durch ihre Frauen hehr und traut; Dein Haus soll hell nicht nur durch TOchter scheinen. Auch durch die Gattin und die edle Braut.

Daß klar dir sei Meilins des Weisen Meinen, Will ich von dem, was er mir anvertraut. Vielleicht, um es dir weiter vorzutragen Und sehr verlangt mich dies , noch etwas sagen:

67. Zuerst Ricdarda nenn' ich, hoch zu preisen Ffir edlen Sinn und standhaft festen Mut:

Jung Witwe, sieht sie grollend sich erweisen Das Glück oft leiden muß der Mensch, der wirklich Die Kinder, die des Throns beraubten Waisen, [gut ; Geht sie besuchen, fem, in Feindes Hut Die zarten Sprossen in der Gegner Händen? Doch schheßUch wird ihr Leid in Glück sich wenden.

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68. Vom Stamm des alten Aragon verschweigen Nicht darf ich die erlauchte Königin:

Die alten Bücher wissen kaum zu zeigen Solch edle Griechin oder Römerin, Und keiner will das Glück sich holder neigen; Denn ihr entspringt nach Gottes gnäd'gem Sinn Ein Dreiblatt, strahlend in des Ruhmes Helle: Alfons mit Hippoljrt und Isabelle.

69. Lenore wird in eurem Glücksbaum bauen; Die Hohe wird dem edlen Stamm vermählt. Darf ich genug zu feiern mich getrauen Die zweite Schnur und Erbin auserwählt, Lucresia Borgia, sie» die Zier der Frauen, Der keine Schfinheit, keine Tugend fehlt? Stets wächst ihr Gl&dc, wie eine junge Pflanze Im lockern Erdreich wächst beim Sonnenglanze.

70. Was Zinn ist vor dem Silber, Blech vor Golde, Was vor dem Lorbeer ist die blasse Weid' Und Ackermohn vor voller Rosendolde,

Glas vor des edlen Steines Herrlichkeit, Ist einst vor dir, noch ungebome Holde, Jedwede Schöne, sei es Frau, sei's Maid, Die jemals ward um Geist und Huld gepriesen. Was sich auch Hohes hab' an ihr erwiesen.

71. Doch was man immer mag an ihr erheben Und was die Lebende, die Tote ehrt.

Am höchsten lobt man dies: sie weiß zu geben

Den Kindern fürstlich Wesen, Art und Wert

Und legt den Grund, daß glänzend sich im Leben

Im Frieden jeder wie im Krieg bewährt.

Mag ein Geruch in neuem Krug sich finden,

Gut oder schlecht er wird nicht leicht verschwinden.

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286 D R F T 7, E II \ '!• F R r, F S A X C

72. Ich will dir nicht^Renatas Ruhm verschlieBoi, Die man dereinst als Schnur der vor'gen kennt: Dem zwölften Ludwig wird das Kind entsprießen Und ihr» die man Bretagnens Glorie nennt. Was Frauen ziert, seitdem die Ströme fließen Dem Meere zu, seitdem das Feuer brennt. Seitdem der Himmel kreist wird sich vereinen. Um als ein Schmuck Renatas hell zu scheinen.

73. Gern spräch' ich noch von Alda von Sansogna Und von der Gräfin von Celano hier.

Von der Prinzessin auch von Catalonia Und von Sizihens Königstochter dir, Auch von der schönen Lippa von Bologna Und sonst noch andern; doch das hieße schier. Wollt' ich berichten, was zu sagen wäre. Ich führe hin auf uferlosem Meere."

74. So gab sie dem erfreuten Mädchen Kunde Von künft'gem Stamm und hehrer Enkel Schar Und machte nochmals mit beredtem Munde Die Lage Rogers im Palaste klar

Dann hlieb sie stehn: die Landschaft in der Runde Schon vom Bereich des alten Zaubrers war, Und weiter nicht gedachte sie su gehen; Leicht hätte ja sonst Atlas sie gesehen.

75. Sie mahnt, auf den gegebnen Rat zu bauen Und alles, das sie oft ihr eingeprägt,

Dann geht sie, Bradamant hat durch die Auen Und Wald zwei Meilen kaum zurückgelegt. Da meint sie ihren Roger zu erschauen. Und auf ihn ein mit grausen Hieben schlägt Ein Riesenpaar, die mächt'gen Schwerter hebend. Und sdum erscheint er ihr mdir tot als lebend.

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n K F I Z F. TT X T F T^ G F S \ N ^ 287

76. Die Dame sah gefährdet, glückverlassen Ihn, der ihr Rogers Antlitz zugewandt. Da wollte fester Glaube ihr erblassen;

Mit eins ihr ganzer Plan und Vorsatz schwand.

Melissa, meint sie, müsse Roger hassen Ob Kränkung und Beleid 'gung unbekannt Und suclie nur in bösem Rachetriebe, Daß sie jetzt töten solle, den sie liebe.

77. Sie sprach bei sich: Ist das nicht Roger, wehe! Den stets mein Herz schaut, jetzt die Augen schaun? Wenn ich ihn jetzt nicht kenne, jetzt nicht sehe, Wen zu erkennen soll ich mehr vertraun?

Will ich, daß andrer Wähnen höher stehe? Soll ich nicht auf mein eigen Urteil baun? Auch ohne Augen, nur durch sich alleine Fühlt ja das Herz, ob nah, ob fem der eine!

78. Da hört sie einen Hilferuf erkhngen,

Und Rogers Stimme scheint es ihr zu sein;

Sie sieht ihn fortfliebn auf des Windes Schwingen,

Verhängten Zügels, in den Wald hinein.

Und jene beiden wilden Riesen dringen,

In vollem Lauf sich t\immelnd, hinterdrein.

Das Fräulein reitet gleichen Weg mit Hast hin

Und kommt zu dem verzauberten Palast hin.

79. Sobald sie eingetreten in die Pforte, Bleibt jene Sinnverwirrung auch nicht aus: Sie sucht gradaus und krumm, an jedem Orte, Oben und unten, in und außerm Haus

Bei Tag und Nacht; denn starke Zauberworte Sprach Atlas, und dabei lief 's da hinaus. Daß beide, schemt's, einander sprechen, sehen. Doch ohn' Erkemien sich vorübeigehen.

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DREIZEHNTER GESANG

80. Wir JasBen sie mfig' Euch m kdner Weise Betrüben, daß sie nodi verbleibt im Baun,

Weil ich, weim's Zeit ist, daß sie Weiterreise, Sie, und auch Roger dann, erlösen kann. So wie den Appetit reizt neue Speise, So darf ich, will mir scheinen, dann und wann Abwechslung der Erzählung Euch bescheren. Um böse Langeweile absuwehren.

81. Aus vielen Fäden muß ja das Gewebe, Das ich bereite, fein gewoben sein;

So hoff ich, daß man Einspruch nicht erhebe. Wenn ich zur Zeit der Mohren Kriegerreihn Und König Agramant hier Zutritt gebe, Der Drohung ist's ins Lilienheer hinein Zu neuer Heerschau lädt die Kämpfer alle. Der Zahl gewiß zu sein in jedem Falle:

82. Nicht nur vom Fußvolk viel und viele Reiter Des ganzen Mohrenlandes fehlten ja,

Auch Führer, jene schlachterprobten Streiter Von Spanien, Libyen und Athiopia, Und die Kolonnen standen ohne Leiter, Die Vdlkerscharen ohne Fddherm da. Ordnung und Leitung überall zu schaffen. Rief er zur Heenchau alles Volk in Waffen,

83. Und wo er Lücken in dem Heer erkannte. Von Schlachten oder sonst von Waffenstreit, Da wurden viele frisch durch Abgesandte Aus Afrika und Spanien angereiht;

Wobei er jedem seine Truppe nannte Und ihm den Führer wies zu gleicher Zeit. Erlaubt mir, Herr, daß ich im nächsten Sange Zur Schilderung der Heeresschau gelange.

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VIERZEHNTER GESANG

1. GelaUen waren in den Kampfestagen Aus Spanien viel und viel aus Afrika; Dem WoM und Raben preisgegeben lagen Und grimmem Geier ihre Leiber da.

Und waren die von Frankreich auch geschlagen (Denn räumen mußten sie das Schlachtfeld ja). So trauerten die Mohren schmerzzerrissen. Daß ihnen manches Oberhaupt entrissen.

2. Mit zu viel blut'gen Wunden war und Leichen Erkauft der Sieg, um seiner sich zu freun. Und lassen alten Dingen sich vergleichen, Alfonso, unbesiegter Fürst, die neun, Brauchst du mit deinem glänz- und ehrenreichen Triumph Zusammenstellung nicht zu scheun; Triumph, auf den mit schmerzgesenkten Brauen, Beträntem Aug' Ravennas Bürger schauen.

3. Als schon der Tag Picarden und Morinen, Normannt n, Aquitanier weichen fand

Und dort die span sehen Feinde Sieger schienen. Drangst du zur Mitte, wo das Banner stand. Dir nach die Heldenjugend; zu verdienen Galt es an diesem Tag mit tapfrer Hand Die hohen Ehrenzeidien auserkoren: Den goldnen Degenknauf und goldne gieren.

Ariott I 19

V ! E p Z E H N" T E P G E S A N" G

4. Furchtlos man xähtte fast euch zu da Toten . Zum letEtcD End' getaugt sduo nm cio Haar, Biadit ihr den Fddhermstab, den gdb- und rotea, Ziertrommertet die Eicheln ganz und gar.

Der Lofheer des Triumphs waid dir gdiotcn, DaB mcht gepflfidrt imd wdk die Lilie war. Mit neuem Zweig die Stime du dir schmücktest, Aid du Fabricius nach Rom entrücktest.

5. Des idm'sdien Namens Säule, groß tot aDen, Die du ergriffen hast und heil hewahrt,

Sie ehrt ^ch mehr, als war' dnrch dich gefallen

Die ZaW der stolzen Kri^er dichtgeschart. Die auf Ravennas Feld als Dung sich ballen. Und sie, die flohn von Fahnen und Standart' Aus Aragon, Navarra und Kastihen; Denn SpieB und Karren taten nichts den Lilien.

6. Ein Trost war dieser Sieg; allein vergehen Mußte der Jubel, denn auf uns lag schwer. Der Freude gegenüber tot zu sehen

Den Feldherrn Frankreichs, Herrn vom ganzen Heer; Auch ließ ein Sturm hinab zur Tiefe wehen Der edlen Fürsten viel, erlaucht und hehr. Die für ihr Land, ans femer Lieben Mitten« Die kalten Aipea hatten überschritten.

7. Wohl unser Heil verdankten wir dem Si^e, Begannen unser Leben wie von vom: Ward doch verhindert, daß hemiederstiege Auf uns ergrimmten Jovis Rachezom;

Doch Freude ward nicht laut nach diesem Kriege: Zu reich an Schmerzen rann der TrSnehbom Der Witwen all: im dunklen Trauerkleide Erfüllten sie das Frankenland mit Leide.

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VIERZEHNTER GESANG

8. Zu schaffen muß der König Ludwig schauen Von neuen Führern viele für sein Heer, Damit sie hauen auf die Räuberklauen,

Die schnöden, zu der Lilie Schutz und Ehr', [grauen. Die sich ar Nonn' und Mönch, schwarz, weiß und An Mutter, Frau und Kind vergingen schwer Und Christus hinzustrecken nicht sich scheuten» Um Sübertabemakel zu erbeuten.

9. Armes Ravennal Still des Siegers Schalten Zu dulden würde besser dir gedeihn,

Und dir zum Spiegel Brescia vorzuhalten. Statt Riminis, Faenzas Spiegel sein, Scbick*, Ludwig, uns Trivulz, den guten Alten I Er führe Mäßigung beim Kriegsvolk ein Und zeige, daß für lockern Sinn gerade Viel in Italien starben ohne Gnade 1

10. Wie Frankreichs König muß nach Feldherm sehen. Daß es im Heere sei nach Wunsch bestellt, Marsil und Agramant zu Werke gehen:

Damit die Herde rechte Hut erhält. Von dort, wo sie in Winterruhe stehen» Zur Musterung entbeut er all ins Fdd, Auf daß, wo nur Bedürfois sich entfalte. Die rechte Zucht, die rechte Führung walte.

11. Erst schidct Marsil und nach ihm Agiamante Sein Kriegervolk vorüber, Schar für Schar; Die Katalanen vorne man erkannte

Am Banner. Dorifebo stellt sie dar.

Dann folgt, doch ohne König Fulvirante, Der von Rinaldos Hand gefallen war, Navarra; Isolier, den kühnen Streiter, Gab Spaniens König diesem Trupp zum Leiter.

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VIERZEHNTER GESANG

12. Grandonio führt die aus Algarves Laadea Und Balugant die Männer von Leon. Gewappnet die von Klein-Kastilieii standen Unter Marsilius' Bruder Falsiron.

Sodann mit Madarosso sich befanden. Die aus des blüh'nden Cordovas Region, Aus Malaga, Sevilla hetgezogen. Vom Meer von Gades und des Bätis Wegen.

13. Seht, wie zur Musterung die Scharen seigoi Tessira, Bavicond und Stordilanl

Lisbon ist dem, Majocca diesem eigen, Granada ist dem dritten Untertan. Lisbon muß jetzt sich dem Tessira neigen. Nachdem Larbin verlieB die Lebensbahn. Galiden folgt, der FtOuwr Serpentin ist; Statt Marikolds ihm der Befehl verhehn ist.

14. Die von Toledos, Calatravas Püiden (Wo Sinagon an ihrer Spitze war) Mit allen, die sich im Guadiana baden Und trinken aus den Fluten hell und klar« Hat Matalist zur Kriegesfehrt geladen. Und Blanzardin gebietet jener Schar,

Die Salamanc, Astorga mit Plagenza, Avila schickt, Zamorra und Palenza.

15. Die Leute Saragossas aufmarschieren. Vom Hof Marsils, mit Ferragu zum Herrn: Die starken Krieger gute Waffen zieren; Dort sind auch Malgarin und Balinvem,

Morgant und Malzaris, und allen vieren Beschied das Los, zu weilen in der Fem': Als Gäste hatte sie Maisil erkoren, Weil allesamt ihr eignes Reich verloren.

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V I E R Z EH NTER GESANG

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16. Mit Doricont ist dort auch der bekannte Bastard Marsils, Follicon, und Bavart, Langiran, Argalif und Archidante,

Der Saguntiner Graf, und Analard,

Der kühne Held: dazu noch Lamirante

Und Malagur, dem große Schlauheit ward,

Und noch gar viele sonst; kann es geschehen,

LaB ich Euch noch der Kämpfer Proben sehen.

17. Als Mustnmg über diese hat gehalten, Die stolzen Reihen. König Agramant, Des Orankönigs Scharen sich entfalten; Der Führer selbst war groß wie ein Gigant. Ein Zug kam leidvoll: seine Klagen galten Dem Martasin, geföUt von Bradamant.

^e trauern, daß ihr Herr, der gute Degen, Der Gaiamant, ist einer Frau erlegen.

18. Marmondas Schar als dritte ist erschienen; Sie lieB Aigost in der Gascogne tot.

Ein Führer fehlt ihr, dem sie känne dienen; Der zweit' und vierten auch tut Leitung not Weil FtQirer fehlten, sann der König, ihnen Zu helfen, und an ihre Spitz' entbot Er Burald, Ormid, Argan för die Streiter Und, wo es nötig war, noch andre weiter.

19. Aigan erhält das Volk der Libykanen, Das trauernd seines DudrinaB gedenkt. Brunei gdeitet seine Tingitanen,

Verstört das Antlitz und den Kick gesenkt;

Denn seit er dort in jene Felsenbahnen

Beim Schloß des Atlas hat den Schritt gelenkt Und dann den Ring verlor an Bradamante, In Ungnad' ist er bei Herrn Agramante.

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VIERZEHNTER GESANG

20. Sah ihn nicht Isolier am Baum gebunden. Der Bruder Ferragus (um es darauf Auch vor dem König selber zu bekunden). So hängte man ihn längst am Galgen auf. Schon war der Strick um seinen Hals gewunden. Da Heß der König noch der Gnade Lauf,

Auf andrer litten, doch beim ersten Fehle . Schwur er sei doch der Strick fttr seine Kehl

21. So daß er Ursach' hat, mit trüber Miene Und mit gebeugtem Nacken hier zu gehn. Folgt Famrant mit Leuten der Maurine: Fufivolk und Reiterei ist dort zu sehn. Danach die Heeresmacht von Constantine: Man aeht Liban, den neuen Fürsten, stehn. Das Recht, mit Krön' und Zepter dort zu walte Hat er vom König Primador erhalten.

22. Konunt Dorilon mit Settas Leonen; Das Volk Hesperiens bringt Herr Soridan; Ammonien Agrikalt; die Nasamonen Erscheinen mit dem Fürsten Pulian; Und Malufers führt jene, die bewohnen Das Land von Fez; mit Finaduro nahn Die von Kanariens Aun und von Marokko; Baiaster bringt, was hinterließ Tardokko.

23. Arzill und Mulga kommen; mit dem alten Gebieter naht das Heervolk von Arzill; Mulga verlor den seinen: und erhalten Soll's nun Corineus, ist des Königs Will'. Er läßt den Kaik, nach Tranfirion, walten Über das Aufgebot von Almansill.

Das Volk Getuliens gab er Rimedonte.

Mit Coscas Scharen konunt dann Balinfronte.

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VIERZEHNTER GESANG

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24. Dit! nächsten Truppen Bolgaleute waren. Des Mirabald einst, jetzo des Ciarind. Kommt Baliverz ich glaub', in allen Scharen Man keine Schelmen so wie diesen find't . Vom ganzen Heeresvolke der Barbaren

Die mit Sobrin mich dimkt die Bestea sind. Kein sichrer Banner sah man noch entfalten; An Weisheit gleicht kein Heidenfürst dem Alten.

25. Bellamarinas Volk, sonst von Galschotte Geführt» bringt jetzt der König von Algier, Von Sarza Rodomont, und eine Rotte,

Zu Fuß, zu Roß, von Neuen zeigt er hier; Denn als die Sonn' als feuchte Wassergrotte Im Schützen stand und im gehörnten Tier, Zum fernen Afrika man ihn entsandte; Erst jüngst kam er zurück zu Agramante.

26. Nicht ward im Afrikanervolk geboren Ein stärkrer und ein kühnrer Sarazen; Ihn scheuen mehr die bei Lntetias Toren

(Und haben Grund, vor ihm in Furcht zu Stefan) Als Agramant, IflarsiUus und die Mohren, Die mit den zwein nach Frankreich wollten gehn. Es war bei dieser Heerschau kein so schlimmer Feind unsres heiligen Glaubens und so grimmer.

27. Kam König Frusio, der Alvarache, Und Dardinel, Zumaras Fürst, nachher:

Weiß nicht, ob ihnen kund em Käuzcfaen mache Und wer noch Bot' ist sonst von Unheil tdiwer.

Krächzend auf Zweigen hier, dort auf dem Dache,

Welch Unglück dieser haben wird und der Daß andern Tags (die Stunde kennt der Himmel) Der Tod sie beide trifft im Kamp^ewimmel.

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VIERZEHNTER GESANG

28. Man harrte noch im Felde auf die Scharen Von Tremisen und von Norizia:

Weder die Fähnlein dieser Führer waren Nochjeine Kunde nur von ihnen da. Den Kopf «erbricht sich über dies Gebaren I>er König : arge Faulheit wär' es jal Da kommt, vom TiemisenenfQist gesendet. Ein Knappe an, der alle Zweifel endet.

29. Er meldet: Manilard, Alzird, sie lagen Mit vielen andern Kri^m tot im Fekl:

„Der Ritter/' sagt er, „Herr, der dort erschlagen Die Unsern hat, erschlüge schier die Welt, Wir' säumiger das Heer, davon zu Jagen, Als ich (ums Haar erwischte mich der Held). Zu Fuß und Roß die Streiter ihm erUegen Wie vor dem Wolf die Schafe und die Ziegen."

30. Zum Lagorfdd des Hohienkönigs wandte ^ch erst vor koiser Zeit ein KSmpe gut: Niemand im Westen und in der Levante Ragt über ihn an Stärke und an Mut. yi^ Ehr* erwies ihm König Agramante

. Als dnon Königssohne aus dem Blut

Des Agrikan im Tatareigefilde : . Er war geheißen Mandrikard der Wilde.

31. Es war ihm manche Heldentat gelungen. Sein Ruhm durch alle Lande sich ergofi: Zum Hfidisten aber hatt' er sich geschwungen. Ab bei der Fee von Soria im Schloß

Von ihm der hehre Harnisch ward errungen. Der Hektors Leib 's sind tausend Jahr umschlo Mit Zwischenfällen, seltsam, ungeheuer: Grausig zu melden ist das Abenteuer.

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V I £ R Z £ H NTER G£SANG 297

32. Der also hört den Unglücksboten sprechen; Er hebt empor das Heldenangesicht

Und ist sogleich entschlossen aufzubrechen: Meint, jenes Kriegers Spur entgeh' ihm nicht. Doch birgt er seinen Plan, den Schlag zu rächen. Sei's, daß er denkt, es habe kein Gewicht, Sei's, daß er fürchtet, wenn es andre hören, Sie könnten rasdier sein, den Plan ihm stören.

33. Er Heü den Tremisener Knappen fragen:

Wie sah das Waffenkleid des Ritters aus? [gen. Der sprach: „Schwarz hat er Kleid und Schild getra- Kein Zierat schaut aus seinem Helm heraus/' Und, Herr, in Wahrheit könnt' er dieses sagen. Denn Roland ließ sein Wappen ja zu Hans: Er wollte, daß die Trauer seiner Seele Auch nicht dem Äußern seiner R&tung fehle.

34. Ein Roß ward jenem von Maisil gegeben, Kastanienbraun und schwarz an Mahn' und Bein, Dem eine Friesenstute gab das Leben

Mit einem Spanierhengste im Verein. Hinau^Bpiingt der Tatar zu kühnem Stieben; In feurigem Galoppe geht's landein; Er schwört, vom Heer so lange zu ireischwinden. Bis er den schwarzen Ritter werde finden.

35. Ihm kamen viel entgegen, die mit Bangen Geflohen waren vor des Grafen Handi Dem war der liebe Sohn zugrundgegangen, Dem vor den Augen Tod der Brwier fand. Der feige, trübe Sirni noch auf den Wangen Des bleichen Angesichts geschrieben stand: Vom ausgestandnen Schrecken wie von Sinnen, Gedrückt und stumm und blaß gehn sie von hinnen.

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VIERZEHNTER GESANG

36. Er ritt nicht wdt und langt an dnem schlinmieEi Unmenschlich grauenvollen Schauspiel an.

Das aber Zeugnis gab von jenen grinunen Schwerthieben, die berichtet hat der Mann. Er sieht die Leichen und, um zu bestimmen Der Wunden Maß, legt er die Hand daran Und fühlt, seltsamen Neid muß er ihm tragen, Der alle jene Krieger hat erschlagen.

37. Wie Pulldogg oder Wolf da, wo gelassen Die Bauern haben ein geschlachtet Rind,

Bei Hfimem, Klauen nur und Knochenmassen, Dran Hund und Vogel schon gesättigt sind, Vorm Schädel steht, der nicht zum Schmaus will passer So starrt der grimme Mohr hier in den Wind: Zu spät zur Mahlzeit kommt er, und mit Neide, Flucht er im stillen, toll vor Wut und Leide.

38. Den Tag und noch ein Stück vom andern Tage Schaut sich der Ritter nach dem Schwarzen um; Da sieht er eine Wies' an schatt'gem Hage:

Es schüngt ein tiefer Fluß sich so darum, Daß nur ein Zugang bleibt in freier Lage; Ganz andrer Richtung folgt die Linie krumm. Unweit Otriciili ein Platz sich findet, Den ähnlich so der Tibeistrom umwindet.

39. Versammelt auf dem Pfad nach jener Wiese Hat er bewehrter Reiter viel erblickt; Weshalb so zahheich sind erschienen diese, Erführ' er gern, und wer sie hergeschickt:

Der Hauptmann gibt Bescheid, ihn macht der Riej Befangen: Haltung, Kleidung goldgestickt Und reich geschmückt mit köstlichen Juwelen Vom hohen Stande dieses Herrn erzählen:

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VIERZEHNTER GESANG

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40. ,,Es ist des Königs von dranada Wille, Daß wir der Tochter dienen zum Geleit;

Sie hat die Kunde bleibt noch in der Stille Den Königsherrn von Sarza jüngst gefreit. Wenn heute, die man jetzt vernimmt, die Grille Im Feld verstummt so um die Abendzeit, Wird sie zum Spanierheer gebracht in Eile, Zum Vater hin; sie schläft mm mittlerweile."

41. Er, dem nach Laune alle Welt muß bluten. Denkt: Lassen wir die Probe die bestehn,

Ob hier mit schlechten Wächtern, ob mit guten

Die Königin von Sarza sei versehn!

„Schön ist sie wohl", sprach er, „man kami's vermuten.

Doch mich gelüstet, selber es zu sehn.

Sollst hin mich führen oder nach ihr senden.

Denn ich mufi gleich nach anderm Ort mich wenden."

42. „Du bist fürwahr ein wackrer Narr zu nennen", Und sonst kein andres Wort der Hauptmann Als der Tatar schon kam in vollem Rennen, [sprach. Den Speer gesenkt, und ihm die Brust durchstach, Ohn' in dem Panzer Hindernis zu kennen.

So dafi der Spanier tot zusammenbrach. Der Ritter eilt, dcAi Speer zurückzuraffen. Sonst bleiben ihm zum Kämpfen keine Waffen.

43. Er führt nicht Schwort noch Keule, müßt Ihr wissen : Als er bekam, was Hektor trug zuvor.

Sollt' er dabei des Hektor Schwert vermissen Und mußte schwören (und getreu er schwor).

Bis er das Schwert dem Roland hab' entrissen.

Zieh' er im Leben nie ein Schwert hervor; Nur Durendal, von Hektor einst getragen, Dem Almont teuer, mehr als man kann sagen.

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yM VIERZEHKTERGESASG

44. Gar ob im Nachteil, trat entgegen. Erfüllt von hohem Mute, der Tatar.

Er ruft: „Wer will die Straße mir verlegen?" Und stürzt sich mit der Lanze in die Schar: Der senkt den Speer und jener zieht d^n De;gen, Umschlossen ist er plötzlich ganz und gai. Doch eine Menge hat er tot^estocfaen. Bevor ihm jene Lause wud icibmtliea,

45. Jetzt wüßt' er nfx*h den großen Stumpf zu ^sseii: Hei, wie er den m beide Hände nahm!

So viele Krieger hat er sterben lassen,

Kaum sah man einen Kampf so wundeoam.

Wie Simsen die Philister ließ erblassen.

Ah er den Backen in die Hand bekam,

Zenpeüt er Schild tmd Hdm; und Rofi und Reiter

EnchUigt mit einem Stvekh der wilde Streiter.

46. Zum Tod die Armen mn die Wette streben: Wer fällt, der fällt, von dannen keiner ecfaleicfat; Dem Sterben hat noch Bittetnis gegeben

Deucht ihnen wie der Mensch den Tod eneicht:

's ist mierträglich, wenn das sfifie LtSbm

So dnrch eui Stüde zerbrochen Holz entweidit

Und sie dwvh Prügel in den Tod gelangen.

In Haufen, just wie Frfiscfae oder Schlangen.

47. Doch als auf ihre Kosten klar gewoiden, Es sei vom Übel, so zu sterben dort

(Zwei Drittd hat sdion hingerafft das Molden), Begannen allesamt zn füefan vom Ort. Nun duldet nicht der Fürst der Heidenhoiden (Als trage man sein Eigentum ihm fort), Daß irgendwelche vom entsetzten Haufen Vor ihm von dannen mit dem Leben laufen.

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VIERZEHNTER GESANG

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48. Wie Stoppeln, die aus dürrem Boden stammen, Und Rohr aus trocknem Sumpfe stand nicht hält Vor Feuersglut mit Boreas zusammen

(Die klüglich hat der Ackersmann gesellt Seht, durch die Furchen laufen hin die Flammen Und knisternd, platzend fahren sie durchs Feld ), So hatten gegen Mandrikardos Gluten Geringen Widerstand die Schwadigemuten.

49. Nun keine Wächter mehr am Eingang stehen. Dem schlecht bewahrten, in das Innre dringt Er, eilt, auf frischem Graspfad hinzugehen, Wo ein Gejammer und ein Klagen klingt. Um sich die Königstochter anzusehen.

Ob man mit Recht von ihrer Schönheit singt. Er schreitet auf den Leibern all der Toten, Wo Krümimmgen des Flusses Zugang boten.

50. Innütten grüner Au, im Laubgemache, Lehnt Doralis so hieß die Spanierin

An einem Eschenstamm mit schatt'gem Dache Und gießt in Klagen aus den trüben Sinn. Die Traneofiiit gleich einem raschen Bache Rann perlend nach dem schönen Busen hin. Es schien, als ob das zeigten ihre Zlige Sie Furcht för sich und Leid um andre trüge.

51. Die Furcht nimmt zu, als ihrem Blick sich zeigen Die finstren Brauen, wild, befleckt mit Blut; Zum Himmel auf die Jammemife steigen

Von ihr und ihrer Schar ob seiner Wut. Denn auch noch andre waren ihr zu eigen Aufier den Wächtern, ihr bestellt zur Hut: Gereifte Alte, lÜdchen viel und Frauen Granadas, und die schönsten, die zu schauen.

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VIERZEHNTER GESANG

52. Als der Tatar die Reize dieser einen. Die nnerreicht in Spanien ist, erbüdct

Und sieht, wie sie in Amors Netz mit Weinen (Wie war's mit Ladien eist!) das Herz verstrickt» Mdcht' er sich schier im Paradiese meinen. Wenn ihn als Siegeslohn nur der erquickt: Gefangen sein in ihren lieben Händen! O, daß zu solchem Ziel sich Wege fänden!

53. Nnn, so weit ging er doch nicht im Verehren, Anf ansgestandner Mühe Lohn Verzicht

Zu leisten, mag sie, als ein Weib, sich wehren

Mit Tränen und mit traurigem Gesicht.

Voll Hoffnung, Leid in eitel Lust zu kehren,

Ist er sie fortzuführen ganz erpicht,

Hebt auf ein Roß sie, einen weißen Schütten,

Und setzt ihn drauf in Trab und einen flotten.

54. Mädchen und Fraun und andre Dienstbereite, Die mit ihr kamen aus der Heimat her. Entließ er gnädig also in die Weite:

,,Sie brauclit nicht andere Gesellschaft mehr. Ich bin ihr Herr, Verwalter und Geleite Und Magd dazu; lebt wohl, ich danke sehr." Zu widerstehn, das durften sie nicht wagen. So gingen sie, mit Seufzern und mit Klagen,

55. Und sagten unter sich: „Wie wird voll Schmeraen Der Vater sein, wenn ihm das Kind entwich!

Wie fühlt nun erst der Gatte Wut im Herzen! Er rächt sich blutig wohl und fürchterlich! O, käm' er doch, die Scharte auszumerzen Noch kerne andre Not hier dieser glich , Dafi frei das Kind des Kdnigs Stonülan sei. Bevor noch weiter fort der Weg getan seit"

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VIERZEHNTER GESANG

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56. Zufrieden mit dem großeaa Benteteile,

Den ihm das Glück beschied und Tapferkeit,

Hat der Tatar jetzt nicht mehr solche Eile, Den aufzufinden mit dem schwarzen Kleid. Erst ging's im Flug, jetzt hat es gute Weile, Er sinnt, wo wohl ein Obdach sei bereit; Bequeme Stätte könnt' er treffüch brauchen. Sein mächtig Liebesfeuer auszubauchen.

57. Inzwischen tröstet er die schmerzensreiche Verhärmte und verweinte Dorahs:

Schon lange hör' er, daß ihr keine gleiche. So flunkert er und fabelt das und dies. Die Heimat bab' er (samt dem blühnden Reiche* Das keinem sonst der Größe Namen ließ) Verlassen, nicht um Frankreich zu betrachten. Nein, ihre schönen Wangen anzuschmachten.

58. „Wenn Liebe sich durch Liebe läßt erringen, Verdien' ich es; denn längst schon hebt' ich dich; Wenn durch den Stamm, wer kann sich höher Der mächt 'ge Agrikan erzeugte mich, [schwingen? Durch Macht, wer kann mehr Land und Schätze Nur Gott hat größeren Besitz als ich. [bringen? Durch Mut, so hab'ich's, denk' ich, heut bewiesen: Geliebt zu sein, verdien' ich auch durch diesen."

59. Die Worte und was sonst für Liebeszeichen, Aus Amors Mund geraunt, der Ritter bringt, Das Herz gar sänftUch trösten und erweichen. Das immer noch mit leisem Bangen ringt.

Es flieht die Furcht ; der Schmerz beginnt zu weichen. Der ihr zur Zeit die Seele noch durchdringt. Geduldiger, scheint sie daran zu denken, Dem neuen Werber ein Gehör zu schenken.

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60. Auch gütiger ihm Antwort zu erteilen Beginnt nun allgemach das schöne Kind; Sie gönnt die hellen Leuchter ihm zuweilen» Die schon in Mitleid fast entgloöimen sind. So daß der Heide, neu von Amors Pieilen Getroffen, draus die Sicherheit gewinnt. Geschweige Hoffnung, daß nicht alle Tage Die Dame seinen Wünschen sich versage.

61. Vergnügt, mit der Gesellschaft höchst zufrieden, Die ihm gar angenehm erscheint und gut (Nun schon die Zeit naht, da im AbendMeden IMe Kreatur, zur Nacht sich bettend, ruht) Den Sonnenball sieht er schon halb geschieden , Trabt er jetzt rascher zu mit frischem Mut,

Da klingt ein Pfdfen- und Schahneienreigen, Und Rauch aus Hof und Hütte sieht er steigen.

62. Der Hirten Häuser sind es, recht bescheiden. Doch schicklich, mehr bequem als schön und fein. Er, der die Herde hütet auf den Weiden,

Laßt aUes sich so angelegen sein:

Es scheinen ganz zufrieden diese beiden:

Denn nicht in Stadt und Burg und Schloß alldn.

Nein, nette Menschen gibt's in vielen Fällen

In Hütten auch, in Böden und in Ställen.

63. Was sonst im Dunklen dort wohl noch geschehen Vom Sohn des Agiikan und Doralis,

Kann ich mit rechter Klarheit selbst nicht sehen; Der Meinung eines jeden lass* ich dies.

Doch da sie früh vergnügt von dannen gehen, Denk" ich, ins gleiche Horn das Pärchen bües; Und Doralis bedankte sich beim Hirten Für seine Freundüchkeit, sie zu bewirten.

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VIERZEHNTER GESANG

64. Wie drauf das Paar von Ort zu Orte reitet, Beut sich zuletzt ein schöner Fluß ihm dar, Der schweigend, langsam hin zum Meere gleitet; Er stehe still, vermeint man um ein Haar. Wenn Licht hineinblickt, bis zum Grund verbreitet Es sich hinab, so hell ist er und klar.

Am Rand, mit schattigem Gebfisch bestanden, Zwei Ritter und ein Fräulein sich befanden.

65. Jetzt führt mich Phantasie, die einem Pfade Allein mich nicht will folgen lassen, fort. Hin, wo der Mohren Kriegesheer gerade Frankreich betäubt mit Lärm und Schreien dort. Und wo der Sohn Trojans sinnt, daß er lade Zum heißen Kampf des heil'gen Reiches Hort, Und Rodomont ihm prahlend gibt zu hdren.

Er werde Rom und auch P^uris zerstören.

66. Es kam zu Ohren König Agramante, Daß die von England gingen übeis Meer: Drum holten den Algarven Abgesandte, Marsil auch und die andren Führer her. Zu rüsten galt es kräftig; man erkannte, Paris zu überwältigen sei schwer.

Und starken Zuzug brauche man vor allen, Sonst werde überhaupt die Stadt nicht fallen.

67. Ringsum läßt nun der König Leitern bringen (Man schleppt davon unzählige herbei)

Und Bretter, Balken mit Gezweig verschlingen.

Denn nützlich kann es sein für mancherlei, Für Schiff und Brücken; und vor allen Dingen Will er, daß für den Sturm gerüstet sei Die erst' und zweite Schar: in deren Mitten Komm' er dann selbst zum Sturme mitgeritten.

Arlott I 90

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VIERZEHNTER GESANG

68. Am Tag, bevor das Schlachten soll beginnen. Hält man bei Karl im eingeschlossnen Kreis Hochamt und Messen für die Scharen drinnen Durch Priester, Brüder schwarz imd grau und weiß. Man hört die Beichte drauf, durch sie entrinDai

Wir ja dem Feind im Höllen gründe heiß. Und alle, absolviert, kommunizieren. Als galt' es, bald das Leben zu verlieren.

69. Er selbst mit Paladinen und Baronen

Und Fürsten geht zum höchsten Tempel hin. Um fromm der heil'gen Handlang beizuwohnen; Sein Beispiel lenkt zn^ch der andren Sinn. Den Blick gewandt nach himmBschen Rogionen, Spricht er: „Ich weiß, Herr, daß ich Spider bin; Doch räch' es nicht in deiner lieb' imd Gnade, Daß nicht mein Fehler deinem Volke schade!

70. Und ist's unmiSgüdi, daß dein Zorn sich wende. Und mnß es Strafe dulden ach, gerecht! , Dann werde nicht durch deiner Feinde Hände, Nein, später irgendwie, die Schuld gerächt. Demi wenn der Heide uns erschlagen finde, Die deine Diener heißen, im Gefecht,

Höhnt er: ihm könne nichts durch dich geschehen, W eil du die Deinen lassest untergehen.

71. Und wo dir einer Feindschaft hat getragen. Da werden's hundert durch die Welt jetzuid.

Bis Babel deinen Glauben wird verjagen

Und falsche Lehre richtet ihn zugrund. Hilf deinem Volk und laß es nicht verzagen; Es hat dein Grab gesäubert ja vom Hund, Dem schlechten, und durch heil'ge Stellvertreter Schützt es die Kirche gegen Missetäter.

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VIERZEHNTER GESANG

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72. Unser Verdienst ich weiß kann nicht genügen : Dem ,Soll' genüber ist es viel zu klein;

Wir können nicht mit Hoffnung ims belügen» Betrachten wir hier unser Tun allein; Doch will die Gnade noch dazu sich fügen. Dann erst wird unsre Rechnung klar und rein. Weil wir Erinnrung deiner Huld uns gönnen, An deiner Hilfe wir nicht zweifeln können."

73. So sprach der fromme Kaiser schmerzzerrissen. Mit trübem Heizen und zerknirschtem Mut. Noch andres zu erflehn war er beflissen.

Der Not entsprechend, für des Reiches Hut. Heißes Gebet soll nicht Erfüllung missen: Sein bessier Engel nimmt's und trägt es gut Als Schutzgeist himmelwärts auf seinen Schwingen, Es dem Erläser oben darzubringen.

74. Noch viel' in diesem Augenblick gelangen Durch solche Boten hin zu Gottes Reich; Als sie ans Ohr der lieben Sel'gen klangen. Von lütkid förbte sich ihr Antlitz bleich. Worauf ae in den ew'gen Bräut'gam drangen Und ihren Wunsch ihm zeigten alsogleich. Daß doch dem Chxistenvolk dort auf der Erde IMe Bitt* erfüllt und ihm geholfen werde.

75. Die ew'ge Güte, die noch stets erreichen Gebete, treuen Herzens ausgesandt Mitleid'ge Augen hebend, macht ein Zeichen Zum Engel Michael hin mit der Hand

Und spricht: „Zum Chiistenheer sollst du entweichen. Vor Anker liegt es am Picardenstrand ; Zur Mauer von Paris sollst du 's geleiten, Von Feinden unbemerkt an seinen Seiten.

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VIERZEHNTER GESANG

76. Geh liin zunächst und sage du dem Schweigen, Zu jenem Zuge soll es mit dir gehn;

Denn es vermag am besten ja zu zeigen, Womit man sich am besten muß versehn. Wenn das geschehn ist, sollst du niedersteigen Und zu dem Aufenthalt der Zwietracht gehn; Sie nehme Schwamm und Stein sogleich zusammei Im Mohrenheer das Feuer zu entflammen

77. Und unter just die Tapfersten von allen Dort Zank zu streuen, Zwiste mancherlei. Daß sie nicht fürder kämpfen, manche fallen Und der verwundet, der gefangen sei

Und der das Feld verlass' in Zomeswallen; Dann stehe bloß ein Teil dem König bei. Der Engel, ohne nur ein Wort zu qnechen. Beeilt sich, ^ch vom Himmel aufimbrechen.

78. Und wo der Bote mag die Schwingen breiten. Da fliehn die Nebel, und der Himmel lacht; Strahlen umringen ihn von allen Seiten,

So wie die Blitze leuchten in der Nacht.

Wo es geboten sei, hinabzugleiten,

Das zu bedenken hat der Engel acht.

Um sichrer, nach des ersten Auftrags Zwecken,

Den Feind gesprochner Worte zu entdecken.

79. Wo wckhnt, wo weilt er? fragen die Gedankei Und diesen Schluß die Überlegung bringt:

Er muß sem Heim dem Priester, Mdnch veidankei Im Kloster ihn zu finden wohl gelingt: Dort setzt man dem Gespräch ja strenge Scfarankei Und überall, wo man die Psalter singt, Aucfawo man schläft und ißt, steht „Schweigen"imme Und „Schweigen" schließhch noch in jedem Zimme

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VIERZEHNTER GESAKG

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80. Dort such' ich, denkt der Engel, in den ZeUen,

Und regt den Fittich eiliger jetzund; Auch Friede, Ruhe, Liebe, sie gesellen Mit Frömmigkeit sich jenem heil'gen Bund. Doch kaum betritt er die geweihten Schwellen, So sieht er sich enttäuscht, und aus dem Grund: Hier weilt das Schweigen nicht; es ward vertrieben, Wohl findet man es dort, doch nur geschrieben!

81. Er sieht nicht Ruhe, Demut nicht noch Frieden Und sieht nicht Liebe, sieht nicht Frömmigkeit. Sie waren einst, doch sind sie längst geschieden: VorSchlemmerei,Stolz,GrausamkeitundNeid, Vor Faulheit und vor Zorn den Platz sie mieden. Der Engel staunt, der W echsel schuf ihm Leid. Er schaut die arge Schar mit trüben Mienen Und sieht nun auch die Zwietracht unter ihnen,

82. Nach der er den Befehl nicht zu vergessen. Der ihm gegeben durch des Ew'gen Wort Den Weg hin zum Avemus wollte messen,

Im Wahn, sie sei bei den Verdammten dort: Sie fand er hier bei heil'gem Amt und Messen Wer glaubt es nurl an neuem Hdllenortl Wie seltsam schien's, daB er hier finden sollte. Nach der er weite Wege machen wollte.

83. Er kannte sie am Kleid aus Lappenflecken, Ungleich sind hundertfarbig assnsdm.

Die bald den Körper zeigen, bald bedecken (Sie sind zerfetzt), im Winde und beim Gehn. Die Haare, die man meint sich feindlich necken, Goldferben, silbern, schwarz und graulich wehn; Die äind als Flechten, die als Schopf gebunden, Die fra tun Schultern und um Hals gewunden.

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\^ T F -R 7 F TT N T K T? G F S A N G

84. Von Klageschriften voll sind Brust imd Hände; Da gibt es Vollmacht, Ladung, Kommentar Mit Protokollen, Bihideln ohn' ein Ende;

Rechtsglossen, Rat, Erklärung nimmt man wahr.

Daß kein Besitztum sich gesichert fände Von armen Schelmen in der Bürgerschar. Und vor ihr, hinten und zur Seite waren Sachwalter, Advokaten mit Notaren.

85. Der Engel ruft und heißt sie niedersteigen Hin zu den Mächtigsten im Mohrenheer: Dort möge sie Gelegenheiten zeigen.

Wo Zwist entbrenne mannigfach und schwer. Drauf fragt er noch die Zwietracht nach dem Schweigen : Vielleicht, weil sie so weithin schweif umher. Um hier und dort die Feuer zu entzünden. Vermöge sie den Aufenthalt zu künden.

86. Vw Zwietracht sprach: ,,Ich sah's auf meinen Reisen, Soweit ich mich besinn', an keinem Ort.

Wohl hört' ich 's nennen oft und höchlich preisen Als schlau, denn es vermeidet jedes Wort. Vielleicht kann dir's der Unsem einer weisen. Der ihm sich schon gesellt hat hier und dort, Der Trug "; sie läBt den Finger sich erheben Und zeigt auf emen: „Diesen mein* ich eben."

87. Sein ehrbar Antlitz konnte schier bestechen: Demüt'ger Augenaufschlag, würd'ger Gang! Dazu so freundlich imd bescheidnes Sprechen, Wie Gabriels des Engels Grufi es klang. Sonst war er hä0Uch, widrig, voll Gebtecfaen, Doch barg er alles unterm Mantel lang. Und immer unter diesem weiten Kleide Trug er den Dolch vergiftet in der Scheide.

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VIERZEHNTER GESANG 3x1

88. Der Engel fragt: „Wie mag es sich verhalten Wohl mit dem Weg zum Sitz des Schweigens hin ?'* ,,Es pflegte sonst", sprach Trug, ,,sich aufzuhalten Bei lauter Tugenden im Kloster drin.

Als noch Sankt Benediktus' Regeln galten;

Es ging nach ihm und nach Elias' Sinn;

Auch durch die Schulen sah man's früher schreiten»

Zu des Pythagoras, Arch}rta Zeiten 1

89. Seit Heiligkeit und Weisheit ward vertrieben Die hatten seines rechten Weges acht , Ist's bei der Ehrbarkeit nicht mehr gebheben, Hat zum Verbrechen hin den Sprung gemacht : Ging nachts mit Buhlen und sodann mit Dieben Und übte schheßUch jede Niedertracht;

So ist es dem Verrat vertraut geworden. Und häufig sah ich's auch bei Menschenmorden.

90. In dunklem Loche hält es sich verschlossen Da, wo man falsches Geld zustande bringt. Und ändert oftmals Wohnsitz und Genossen; Nur wem Fortuna lächelt, zu ihm dringt. Doch wenn, sobald die Mittemacht verflossen. Dir Eingang in das Haus des Schlafs gelingt. In dem es ruht, so kann ich mich verbinden. Du wirst es dort ganz <dme Zweilei finden/'

91. Wenn auch des Truges Reden meistens lügen. Hielt Michael fnr Wahrheit jetzt sem Wort. Nun schien es Zeit, daB ihn von dannen triSgen Die Schwingen mählich, von dem Kloster fort Den Flugschlag mäßigt er zu langen Zügen, Dann winkt das Ziel zur rechten Stunde dort. Er kannte längst des Schlafes stille Klause, Dort, hört er, ist das Schweigen jetzt zu Hause.

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V T E R Z "F TT X T r R C F S A N G

92. Von Stadt und Ddrfem fem« in schöner Lage Ruht in Arabien ein schönes Tal

In Beigesschatten nnd mit dichtem Hage

Von Taraien, Buchen stark und alt zumal.

Die Sonne kommt umsonst mit hellem Tage: Nicht in das Dunkel dringt ihr lichter Strahl; Der Weg ist ihr versperrt von vielen Zweigen, Man muß zu einer Höhle niedersteigen

93. Und tief in eine weite Grotte dringen, Verdeckt von dunklem Wald am Felsenhang; Schmiegsamen Efeus Ranken kraus sich schlingen, Er kriecht gewundnen Schritts die Vv and entlang. Der Schlaf hegt hier, die Stunden zu verbringen. Feist imd behäbig sitzt der Müßiggang

Und, gegenüber, Faulheit auf der Erde

Sie kann nicht gehn mit lässiger Gebärde.

94. Gedankenlos am Tor steht das Vergessen: Keinen erkennt es, keinen laßt es ein;

Es kann nicht Botschaft noch Bericht ermessen;

Gleich ausgeschlossen muß ein jedes sein.

Das Schweigen spielt den Wächter unterdessen,

Filzschuhe sind und brauner Mantel sein.

Wen es nuf trifft, dem winkt es schon vom weiten

Mit seinen Händen, nicht heranzuschreiten.

95. Der Engel sagt ihm leise in die Ohren: „Gott will, daß du Rinaldos Heeresmacht, Die seinem Herrn zur Hilf' er hat erkoren, Fuhrst auf Paris zu noch in dieser Nacht, Jedoch so still, daß keinem von den Mcihren Ruf oder Laut das Nahen kenntlich macht; Fama zu holen, m^ keinem g^tlcken; Dem Heere folge sie viehnehr im Röcken T

VIERZEHNTER GESANG 313

96. Als Antwort ward ein Nicken ihm zuteile; Das hieß, es sei zum Werke schon bereit. Die Picardie zeigt' sich nach einer Weile; Der Engel gab dem Schweigen das Geleit. Er schenkte dort den kühnen Scharen Eile: Sie machen großen Weg in kurzer Zeit, Daß sie an einem Tag Paris erreichen, Und merken nicht das Wunder ohnegleichen.

97. Das Schweigen ging und ließ nun über allen. Den einzlen Haufen imd der ganzen Schar, Rings in der Runde tiefe Nebel wallen. Derweil doch sonst ein klarer Tag es war; Beim Nebel hörte man kein Hömerschallen, Kein Ruf, kein Ton bot sich dem Ohre dar. Dem Heidenheer das Schweigen andres brachte. Ich weiß nicht was, das taub und blind es machte.

98. Indes Rinald sich so geschwind bewegte, Daß man des Engels Führung gleich ersah. So still, daß für die Heiden nichts sich regte Und keiner ahnte, was beim Femd geschah. War Agramant nidit trag; sein Fußvolk l^e Er bei Paris dem Fuß der Mauern nah.

Bis an der Gräben Rand schickt er die Leute, Die KiSfte anzuspannen gilt es heute.

99. Wer sagen will, wieviele ausgezogen Sind an dem Tag mit König Agramant, Der hat die Zahl der Halme, die da wogen Auf wald'gem Kamm des Apennins, gekannt

Und weiß zu melden, wieviel Meereswogen

Des Atlas Fuß bespülen an dem Strand Und wieviel Augen wach am Himmel bleiben, Zu schaun, was nachts Verliebte heimlich treiben.

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314 V T F P Z F TT >T T F R HKS A N G

100. Mit raschen Schlägen laut die Glocken schallen. Erschreckend dröhnt ihr Hammer in der Rund'; Wo man nur hinblickt, in den Tempeln allen

Sieht man erhobne Hand und flehnden Mund.

Und könnten Schätze Gott so Wohlgefallen, Wie Unverstand es meint in mancher Stmid*, So fände sich ein beßrer Tag mit nichten. Sein golden Bildnis übrall zu errichten.

101. Man hört die guten Alten jammernd weinen, Verschont zu sein von solcher schweren Not; Sie singen Lob den heiligen Gebeinen,

Die in der Erde viele Jahre tot, Derweil's die rüst'gen Jungen anders meinen: Die, nimmer ahnend, welch ein Unheil droht, Der Altern Weisheit leichten Sinns verachten Und eil'gen Schrittes nach den Mauern trachten.

102. Barone, Paladine sind mit denen,

Und Könige, Fürsten, Grafen, edle Herrn; Einheimische und Bürger dicht bei jenen, Die für Herrn Christus kamen aus der Fem*. Sie wünschen Angriff auf die Sarazenen Und senkten schon des Tores Brücken gem. Der Kaiser irent sich, sie so kühn za sdien. Doch ans den Manem läfit er keinen gehen.

103. Die Wacht der nöt'gen Plätze gab er ihnen. Und keinen Weg läßt er dem Feinde frei. Genügend hier schon ein paar Leute schienen. Und dort bedurft' es großer Kompand.

Die schickt er zum Geschütz, und die bedienen Maschinen, wie's gerade nützlich sei. Nie steht er still, er schaut nach allen Dingen, Hier Schutz zu spenden, Hilfe dort zu bringen.

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VIERZEHNTER GESANG

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104. Paris ist einem ebnen Plan entsprossen,

Den Frankreichs Nabel, auch sein Herz man nennt.

Der Fluß hat durch die Mauern sich ergossen,

Sie zu verlassen an dem andern End'.

Ein Eiland wird vorher von ihm umflossen,

Das man als Stadtteil und den besten kennt.

Zwei andre ihrer drei ja sind es haben

Den Fluß als Grenze und sodann den Graben.

105. Verschiedne Meilen streckt sich in die Weite Die Stadt, die manchen Punkt zum Angriff beut. Doch stürmen will der Mobi von einer Seite, Weil er nicht gern die Kriegesmadit zerstreut: Drum geht er übern Fluß zurück zum Streite; Von dort her, aus dem Westen, stürmt er heut. Denn bis nach Spanien gibt's nicht Land noch Städte, Die er als feindlidi noch im Rücken hätte.

106. Was nur die großen Mauem lings umschUeßen, Hat Karl mit starken Werken wohl bedacht: Damit die Dämme keine Lücken heßen.

Sind Gänge drin und Banten angebracht; Wo Wellen münden und von dannen fließen, Da halten Ketten allerstärkste Wacht Jedoch die größte Sorgfalt Heß er walten. Wo irgend Stellen für gefährdet galten.

107. Mit Aigusaugen Karl sofort erkannte.

Wo Sturm und sonst ein Angriff etwa dröhn»

Und keinen Plan ersann Fürst Ägramante,

Dem nicht begegnet wäre früher schon.

Ifit Ferragu, Grandon und Baligante,

Mit Serpentin, Isolier, Falsiron

Und denen, die aus Spanien kommen waren,

Hielt Herr Marsil zum Kampf bereit die Scharen.

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3t6 V t e r z e n X t e r g e s a n g

108. Sobrin mit Almont und PuHan indessen

, Hält auf dem linken Strand der Seine sich Hit Orans König, den sechs EUen messen Von Kopf zu Fuß. dem Riesen fürchterlich.

Was bin ich, ach, aufs Schreiben nicht versessen, Wie jene Leute sind auf Hieb und Stich! Denn laut flucht Sarzas Fürst mit wilder Stimme, £r ist aus Rand und Band vor Wut und Grimme.

109. Wie auf den Rest von süßen Speisestücken

Hinstürmen dicht an heißem Sommertag

Und auf des Hirten Töpfe läst'ge Mücken

Mit surmdem Ton und rauhem Flügelschlag,

Wie Stare auf den Weinberg, um zu pflücken.

Was sich an reifen Trauben finden mag,

Also zum Angriff wilde Mohren schwirren:

Der Himmel dröhnt von Schrein und Waffenklirren.

HO. Die Christen oben auf der Mauer wehren

Mit Stein und Feuer sich und Lanz' imd Schwert. Sie schützen ihre gute Stadt mit Ehren, Und keiner an der Feinde Wut sich kehrt; Wo einer fiel von Pfeilen oder Speeren, Den Platz zu nehmen keiner feig verwehrt: Viel Sarazenen in den Gräben blieben. Hinabgestürzt von Stichen und von Hieben.

III. Nicht Eisen nur, nein ganze Turmeszinnen, Mächtige Klotz' und Steine braucht man gut. Und Blöcke, losgelöst von Mauern drinnen, Auch Mauerkranz und Dach hier Dienste tut. Siedende Wasser, die hemiederrinnen, Schaffen den Mohren qualenvolle Glut, Es will kein^ Schutz vor sokibiemiRegea taugen; Er dringt durch jeden Helm xmi trübt die Augen.

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VIERZEHNTER GESANG

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112. Und dies noch schuf vielleicht den schlimmsten Scha- Was tun, wenn Kalk sich senkt als Nebelmeer? [den: Was tun, wenn glühnde Schalen sich entladen Mit Ol und Pech und Uaiz und Schwefel schwer? Kianzieifen rasten nicht: in ganzen Schwaden Von Feuerflammen fliegen sie daher; Hinabgeschleodert nach verschiednen Seiten, O, wie sie bösen Kranz dem Feind bereitenl

1x3. Der Fürst von Saxza unterdessen reitet Hin zu der Mauer mit der zweiten Schar: Von Burald wird er und Onnid begleitet (Der Garamant, der aus Mannonda war), darin wie Soridan zur Seit' ihm streitet. Auch Settas König zeigt sich kühn fürwahr: Marokkos Herr und der von Cosca zeigen. Ein höher Mut ist ihnen beiden eigen.

1x4. Das rote Banner sieht man sich bewegen. Das Rodomonts von Sarza Löwen bringt. Der nicht verschmäht, die Zügel anzulegen. Die seine Dam' ihm in den Rachen schlingt. Mit diesem Löwen meinte sich der Degen. Und mit der Dame, die ihn zäumt und zwingt. Die schöne Dorahs bezeichnen mocht' er, Des Königs von Granada holde Tochter,

115. Dieselbe, die Fürst Mandrikard begehrte

Und an sich nahm, ich sagte, wo und wann , Die Rodomont so feurig liebt' und ehrte: Er gäbe Krone, Reich und Augen dran, Für die er hohe Ritterschaft bewährte Er ahnt nicht, daß ein andrer sie gewann. Hätt' er's gewußt, so tat er wehe, wehet Was ich an diesem Tage tun ihn sehe.

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3l8 VIERZEHNTER GESANG

Il6. Dort an der Mauer tausend Leitern lehnen, Aui jeder Staffel mindestens zwei Mann: Der zweite treibt den ersten Sarazenen» Derweil ihn selbst der dritte zwingt voran. Den führt der Mut, und blasse Furcht führt jenen« Und mit Gewalt klimmt jeder dort hinan: Wo einmal einer wirklich zaudern konnte. Da tötet ihn der grunme Rodomonte.

1x7. So zwingt sich jeder Mann, emporzusteigen; Durch Feuer und Vernichtung geht's hinauf. Die andern all sich mehr behutsam zeigen Und schaun: tut eine Lücke wohl sich auf? Lust an Gefahr ist Rodomont nur eigen: Er weilt, wo das Verderben dringt herauf; Wo andre betend Gottes Hilfe suchen. In schwerer Not, hört man ihn Gott verfluchen.

1x8. Als staricen, festen Panzer tragt er Lagen Von eines Drachen schuppenreicher Haut, Die einst um Brust und Rücken hat getragen Der Ahnherr, der da Babel hat gebaut Und Gott aus seinem goldnen Saal zu jagen Und ans dem Stenienieich vermafi sidi laut. Vollkommen ließ zu diesem Zweck der Wilde [de. Den Helm sich schmieden samt dem Schwert und Schil-

1x9. Wie Nimrod kann man Rodomont hier sehen Unbändig, wütend, stolz und unverzagt: Zum Kampfe mit dem Himmel wird er gehen. Sobald ihm einer nur die Straße sagt. Ob ganz die Mauern, ob zerstückt sie stehen. Ob tief die Flut, wird nie von ihm gefragt: Er eilt, nein, fliegt zum Graben; auf dem Grunde Im Schlamme geht er, Wasser bis zum Schlünde.

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VIERZEHNTER GESANG

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zao. Dorchweiclit tmdschmutzig, drängt ernachden Mauern

Durch Feuer und Geschoß von Pfeil und Stein, Wie im Mallea-Sumpf zum Schreck der Bauern Durchs Röhricht kommt gerast das wilde Schwein, Das, wo es geht, mdt Rüssel, Brust und Hauern In alles mächt 'ge Lücken reißt hinein. Er sucht den Schild als Schutzdach zu verwenden, Gott bot' er Trotz, geschweige Mauerwänden.

121. Im Trocknen kaum, schon auf der Mauer Rücken Und auf die Bauten dann klomm er hinauf,

Die für die Frankenscharen dort als Brücken Am Wall, hoch und geräumig, strebten auf: Zerspellt lag manche Stime hier in Stücken, Tonsuren schafft er einen ganzen Häuf; Es fliegen Arm' und Köpfe mit dem Hut hin. Und auf der Mauer rinnt die rote Flut hin.

122. Er läßt den Schild das Schwert in beiden Händen, Dringt er jetzund auf Herzog Arnulf ein.

Der kam vom Land, wo in der Meerüut enden. Der salzigen, die Wogen aus dem Rhein. Er ist nicht stärker, Unheil abzuwenden. Als g^gen Feuer mag der Schwefel sein. Er stürzt und haudit am Boden aus die Seele, Das Haupt durcfasi>alten tief herab zur Kehle.

123. Der Heide fällt darauf mit einem Streiche Adrad, Anselmo, Spinellotsch und Prand, Dieweil sein Schwert hier Beute, überreiche. Durch engen Platz und Menschenffille fand. Die eme Hälfte kam vom Vlamenreiche, Die andre Hälfte vom Normannenstrand. Orgett, der Mainzer, ist sodann zu schauen.

Vom Kopf zu Brust und Bauch hinab durchhauen.

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VIERZEHNTER GESANG

124. Moskin und Andropon wirft von den Zinnen Er drauf hinab: ein frommer Priester der; Der Wein nur ist des andern ganzes Sinnen, Führt er den Krug zum Mund, ist er schon leer, Vorm Wasser fheht er wie entsetzt von hinnen« Als ob es giftig wie die Viper war'.

Er stirbt; und bittrer macht den Tod dem Prasser« Daß er sich sterben fühlt in schnödem Wasser.

125. Der Provenzale Louis wird vom Riesen Zerspalten, imd durchbohrt sinkt hin Amald. Hubert von Tours, Claud, Hugo, Dionysen Macht er die Seele frei, die Leiber kalt. Vier aus Paris gesellten sich zu diesen, Gautier, Satallon, Odo, Arobald,

Und andre viel durch ihn ums Leben kamen. Ich kann nicht nemien aller Heim und Namen.

ia6. Auf Leitern hinter Rodomonte dringen Sie nun hinauf, an mehr als einem Ort. Abwehr kann hier den Christen nicht gelingen, Drum von der Mauer weichen sie jetzt fort. Der Feind muß drinnen vieles noch vollbringen; FQrwahr, kein Kinderspiel harrt seiner dort: Demi zwischen Wall und zweitem Ringe haben Die Mohren vor sich grausen, tiefen Graben 1

127. Nicht nur von unten kämpfen mittlerweilen Die Unsem mutig, naich der H5h' gewandt. Auch neue Scharen helfen jetzt, sie eilen Hin nach des innem Abhangs steilem Rand Und leisten brav mit Lanzen und mit Pfeilen Der großen Menge draußen Widerstand. Ich glaube wirkHch, diese war' erlegen Ohne den Sohn Uliens, den grimmen Degen:

VIERZEHNTER GESANG

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ia8. Die Widerwill'gen macht er kampfbereiter

Und treibt durch Zuspruch sie und Scheltwort an: Sieht er zur Flucht gewendet einen Streiter, Kopf oder Brust zerhaut er dann dem Mann; Er rückt und stößt sie vor, zu fechten weiter. Reißt fiie an Haaren, Hals und Arm voran Und macht von Leichen solch ein dicht Gedränge: Der Graben Ist ffbr alle schier zu enge.

129. Derweil die Mohren hier hinunterdringen

Nein, taumeln, stürzen auf den schlimmen Grund Ifit Leitern suchen sie emporzudringen Zum zweiten Kreis hin über diesen Schlund , Sieht man den Sarzakönig ob ihm Schwingen - AllüVrall wüchsen vom vom Rand jetzund Trotz mächt'gen Leibes und so schweier Waffen Zum Sprunge übern Graben auf sich raffen.

130. Hinüber sprang er, gleich geschmeidigem Hunde (Es waren dieifiig Fuß so ungefähr).

Und lauter klang sem Fuß nicht auf dem Grunde,

Als ob es dne Sohl' aas Filze wär'.

Die drüben streckt er hin in dieser Stunde,

Als sei von schwachem Blech die Rüstung sdiwer

Oder aus Borke gar und nicht aus Eisen:

So mächtig Kraft und Waffen sich erweisen.

131. Inzwischen haben unsre Krieger Fallen In tiefem Höhlengnmde aufgespannt. Versehn mit Reisigbündeln nach Gefallen,

Mit Pech geschmiert und sonst noch allerhand. Doch merkt man äußerlicli nichts von dem allen, Obschon vom hohlen Innern bis zum Rand Das Pech das Ganze füllt die Quer und Länge, Und flacher Schalen haben sie die Menge

Arlott I 31

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VIERZEHNTER GESANG

132. Mit öl, Salpeter, Schwefel was es geben An Stoffen mag, zu schaffen Feuers Graus. Die Unsem sehen auf das tolle Streben Daß es den Mohren schlage übel aus

(Die suchten auf die Zinne sich zu heben Mit vielea Leitern aus dem Sumpf heraus). Läßt man, da Zeichen den Moment verkünden, Aul einmal alle Feuer sich entzünden.

133. Die Einzelfeuer schheßen sich zusammen Und zünden rings die beiden Ufer an

Und steigen hoch empor, daß an den Flammen Der Mond den feuchten Busen trocknen kann*. Und Nebel schwarz dem Glutenmeer entstammen. Der Strahl der Sonne dringt umsonst heran In jähem Knall dn gräfilich Krachen, Schmettern, Wie Donner bei den fnxchterltcbsten Wettern!

134. Der Janunerrufe grauenvollem Schallen, Dem Heulen und dem Kreischen schanerlich Von jenen todgeweihten Armen allen.

Die ihres Führeis Schuld vom Lehen strich, VermShlt, als stimm' es ein mit Wohlgefallen, Mdrdiischer Flamme wildes Tonen sich. Genug, Herr! Laßt 2um Schlüsse mich gelangen: Bin heiser schon und trag' nach Ruh' Verlangen.

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ANMERKUNGEN

(Die Amaakunten folgen im wetentUclwP der Avtfßbt im OrL Für., TMeste, SedOM LattiAit. dil Uofd Awtr. tS jS, «ad 4er immb* FtnoM 1903 eoowMn to dl P. Papiai (P4. Vln äm ZAtaD tankha«! dto «nü 6m r i, dto mdli dto Stn».)

ERSTER GESANG

St I. Agramant. Trojan: «. EinL S. XXXIII. Zar Orieatiemiig

über die Begebenheiten, die von Ariost als bekannt vorausgesetzt ■werden, empfiehlt es sich, die Einleitung (S. LXXXVII bis XCVI) vor Lektüre des Textes einzusehen. Der Tod Trojans ist im ersten Gesaug dm MVetfiebten Robnd*« von Bc^fttdo mUitt.

St 2. Cosa mai detta in pnM nd in lima iRrurde bald ein geflügeltes Wort. Hilten hat es im Eingang zu seinem „Verlorenen Paradies" litiert. In der hier verherrUchten GeUebten sieht man Alcssandra Benncci, Witwe des Tito Strozal. Da diese Liebe in den Juni 15 13 fällt, wild die StaDM ipiter ciageedialtet ada, waten wir et nicht mit einer Unbekannten zu ton haben, der dce Dichten Hers etim 1506^ bei Beginn der Dichtung, gehörte.

St. 3. Ercoie I war der Großvater Ippolitos. Die Verherrlichung des Hautet Ette, dem Aiiosts Gtener, der Ktixlinal Ippolito (s. EinL), aagdiflrt, gdit dmnh dat gaaae Gedicht hindurch, iat todcwen vom Dichter, so emphatisch sie auch sich äußert, im Grunde nicht besonders ernst genommen, vielmehr vielfach durch ihre Übertreibung mit feiner Ironie ins Phantastische hinübergexogen w(»rden. Der Schmeichelei darf man A. nicht betdraldigen. Solehe Huldigungen an fBntildia Batrone waren nach Sitte der Zeit nncriifliich. VgLGca»3,St 19:36, 70b

St. 4. Der sagenhafte Roger (s. Einl. S. XCI) galt als Stammvater des Hauses Este. Bojardo gedachte sein Werk bis sum Tod dieses Helden fortzusetzen.

St. 5 n. 6. Angelika: t. EinL Roland, Sohn det Grafen Milon von Anglant und der Schwester Karls des Grofien Bertha, encheint in den Rittcrbüchem als Graf von Brava (vgl. Stammbaum Karls des Großen und der Paladine S. CLVIII). Brava ist ein sagenhaftes Scliloß.

St. 8. Rinald, ein Vetter Rolauds, Sohn des Herzogs Haimon vonDordQgne (Bmdert des Milon) nod der Beatrix, Tochter des Henogi

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ANMERKUNGEN

Naims von Bayern, war Herr von Montalban (Montauban) in Languedoc Als eines der „vier Haimonskinder" ist Rinald auch bei uns bekannt genug.

St. II. Über die .\bneigung Angelikas gegen Rinald s. Einl, S. LXXXVII und Gelang i, St. 77 78. Ht 4* Gemeint ist ein vdks- tfimUcbes Wettrennen.

St 13. In der fttr Karl nnglflcMichen Schlacht am VvB der Pyre* näen (s. EinL S. XCII) stoßen (nach Bojardo) Roger und Rinald su- sammen : Letzterer steigt ab, weil er sieht, daß sein Gegner sein Pferd verloren bat, und ficht, wie der, zu Fuß. Zuletzt ist Rinald genötigt, Mia«m KiBiaer auf dem Rflckng an folgen. Er eataduddigt aich hfiilieb bei Roger und wiD aeinen Bajard (a. EinL S. XCI) beateigeo. Der aber rennt in den Wald (warum, erfahren wir bd ArioBt); Rinald eilt ihm nach. Vgl. Verl. Rol. III, IV, 29, 40.

St. 14. Auch der tapfere Sarazen Ferragu, in den Volksliedern Feracuto und Ferragus („Spitzeisen", bei Boj. Ferraguto, vgl. Einl. S. LXXXVII), hat (nach Boj.), schon vor Roger, mit Rhiald gefiochtea; ErBchöpfnng nnd Durst veranlaßten ihn, zu einem Fluß sich zurück- zuziehen, um zu trinken. Dort fällt ihm der Helm ins Wasser. Bei „Turpin" ist F. ein Riese, der den spanischen Sarazenen zu HUle kommt, bei Boj. ein ritterticher Jüngling. Er befand sich am Hofe Karla, als Angelika kam. Arioat macht ihn an einem apanbchen Prahler. Doch zuweilen wird er auch sympathisch dargestellt (35, 74^79).

St. 16. Wie die Vettern: Rinald und Roland.

St. 22. „O Trefflichkeit der Ritter alter Zeiten!" Die Stellen, wo Arioat die Enihlung unterbricht, verdienen beaendere Beachtaag. Daa Ziel nnarea Dichters ist immer in erster Linie knnstmäfiige Durch- führung, das Erzielen der feinsten Wirkung. „Kanm in einem andren Gedichte von ihm", sagt Karl Voßler sehr hübsch (Italienische Literaturgeschichte, Leipzig 1900, S. 94), „dürfte das Interesse so aus- acMeOlich lormdkr, daa heiOt kfinatleciadMr Natur aeia wie hier . . sogar die Idurhaften und monliaierenden Betrachtnagea, die er gern in seinen „Roland" einstreut, sind nichts als künstlerische Mittel und wollen den Hörer nicht von einer moralischen oder philosophischen Wahr- heit überzeugen, sondern sie wollen ihm einen Ruhepunkt in der £r- aUJnng gewähren und ihn von einer Stimmung in die andro hinüber- leiten. Sie haben den Wert eines Intermeaaoa oder Präladinms." Das gilt vor allem von den Reflexionen, mit denen Arioat gewöhnlich die einzelnen GcsiinRc eröffnet.

St. 26—30. Über Argalia. AngeUkas Bruder, 8. EinL S. LXXXVII. Ferragu hatte versprochen, den Hdm nach vier Tagen an den andern Waffen in den Fluß au versenken, trug ihn jedoch noch weiter.

St. 36^ Die Saraaenen «erden in den lUttargeatogen ala „Heiden" angesehen.

St. 28^ Mambrin, ein schrecklicher Heidenkonig, den Rinald tbervand« besaO einen Hdm» der durch Cerwntaa* Don Quisote

ANMERKUNGEN

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weltbekannt geworden ist. Über Almonte 8. EinL S. XCL Durch Alaumt* Hand war Ifilon von Anfl^t, Rolands Vater, ge&dkn. Rinald nahm dem getöteten Mambrin den berühmten Hdm.

St. 30. Bei seiner Mutter Leben schwört Ferragu nach spanischer Sitte. Ges. 25, St. 74 ist von Lanfusa, Feiragus Mutter, die Rede. Aspramonte, ein Berg in Kalabrien.

St. 34. Das Gleichnis nach Horai, Od. I, 23.

St 4a Von der Gewohnheit der volkstümlichen SSnger (denen auch Kunstdichter vielfach gefolgt sind), sich an die Zuhörer zu wen- den, bewahrt Ariost noch eine Spur, indem er mit der Anrede „Herr'* (Signore) sich an den Kardinal IppoUto wendet (P.)

St. 42 43. Diese Verse sind eine vielbewunderte Nachahmung von Catnil:

Ut floB in septiB secretis naadtnr hortis Ignotoa pecori, nulio contnsns aratro.

Quem mulccnt aurae, firmat sol, educat imber; Multi iUnm puori, multac cupiere pucllae; Sic virgo dum intacta maact, dum cura suis. Sed Cum castom amisit poüuto corpore ilorem, Nee pneris jncunda manet, nec cara pndlb.

St 45. Sakripant: s. EinL S. LXXXVIII.

St 46. Die goldenen I ili -n waren das Wappen der Könige von Frankreich bis auf Louis VII (itso tito). Früher werde die Qriflammo verwendet. (P.)

St 55. OberdenSerikanerkönigGradaßs. EinLaLXXXIX. In den Sexikanem hat man eine indische Völkeiachaft erkennen wollen; aber Katai Uge dann nicht nach Westen. Auch andere Verrnntongen sind wenig einleuchtend.

St. 57. Der Ritter von Anglant ist Roland.

St 7a Bradamant war eine Tochter des Herzogs Haimon, also eine Schwester Rinalds. Bei Bojardo befindet sie sieh als kühne Strei- terin im Christenheere. Als ihr wihrend der unglücklichen Schlacht (Einl. S. XCII) Kunde von des Kaisers Flucht wird, kämpft sie gerade mit dem schrecklichen Rodomont. Sie möchte abbrechen, aber R. gestattet es nicht Das sieht Roger, mischt sidh ein und führt den vermeintlichen Jüngling auf die StraBe aar Hauptstadt Unterwegs sprechen sie sich aus und entbrennen in Liebe xneinander. Sie werden aber getrennt und verlieren einander aus den Augen. Vgl. 2, 31.

St. 75. Dem Roß Bajard gab erst Ariost den menschlichen Ver- stand. Bajard geh&te ancist Rinald. Dieser gibt (bei Boj.) den licugst vor einem Kampf an Richardet, der im Fall von Rinalds Tode Bajard an Karl geben soll. Das Tier wird Karte Kriegsroß, dann bei Fricdens- unterhandlungen dem Gradaß angeboten. Dem widersetzt sich Astolf und besteigt Bajard, um Roland und Rinald zu suchen. Er verliert

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326 ANMERKUNGEN

gagggg , , , , -■gf^^^— , ggsggga^^ga

dn Pferd aa Agrikan, dioser aa Rölaiid, dar Bajwrd aadi Albfahka Bchkkt, weil er ihn nicht biadigMi kaam. SchKellidi kcNnrnt daa Tim

wieder an Rinald. (P.)

St. 80. Über Agrikan und die Belagerung von Albrakka s. Einl. S. LXXXV'III. Sakripant schützte (bei Boy) Augeiikas SchloU mit ge> ringer Mannachaft bei einem nächtlichen ÜberfalL (MywoU varwnadet, apcaag er ans dem Bett und Umpfte im Hemd (Verl. RoL I, XI, 36!.

ZWEITER GESANG

St. I. Über die allgemeiiien Betrachtungen, mit denen Ariost die Tk>— ' Ges&ige eiaumleiten pflegt, vgL Gea. x, St. 29, Amn.

St. 3^ Heiden, Sarazenen und andere Mohammedaner weiden la

den alten Rittergesängen als Heiden bezeichnet.

St. 10. Wie die Pferde der Helden, haben ihre Schwerter iu den Ritter- gesängen Namen: das Rinalds heißt Fusberta (bei Pulci Frusberta), daa Rolaada Dnrendal (s. EinL S. LXXXVIII), daa Rogers Balisarde,

St. 15. Angclikas Geschichte wird fortgesetzt Ges. 8, St. 30. In Wald, doch nicht in Kühle ist vermutlich ein Zitat (aus einem Volkbhed?),

St. 21. Daß Roger aus Höflichkeit gegen seinen Gegner, der zu PnB war, vom Pferde stieg, findet sich bei Bofardo.

St. 30. Riaaids Geschichte wird fortgesetzt Ges. 4, St. 51.

St. 31. In der Gestalt der Kriegerin der Rittergesänge erkennt Pio Hajna eine Erinnerung an die Amaxonen, mit der sich das Bild Camillas verband.

9t. 33. Über AgoUnt. den Grofivater Agramanls, a. SiaL 8. XC (vgl. Boj. I, 27). Ein Roger: gemeiBt ist Roger von Risa (Reggio), der bei Bojardo zu einem Nachkommen HcJrtors gemacht ist. Des letzteren Sohn Astyanax, nach Sizihen entflohen, wird Vater des Polydor, von dem Chlodwig und Konstans abstammen. Cldodwig bat zum Nach- hommen jenen Roger von Risa, der Galadeila, Tochter des Agolaat, heiratet und Vater ansres Roger, des von Boj. und A. geleierten sagen- haften Ahnherrn des HawN Este, wird. Weitere Mttteilangen *^'»^i^^TT bringt der 36. Gesang.

St 33. AnchFBtrarca(Triomphe 6, 89) nennt die Erde „die grofie alte Mutter".

St 37. Pinabel erzählt die Geschichte, um Bradamant zu täuschen.

St. 41. Die Burg ist nach der Schildemag vom Garten des Atlaa bei Boj. dargestellt.

St. 43. Vom Hirten der Watfea durch Etntanchen in die Fluten das Styx spricht Vergil (Aen. XII, 91): Stygia candentem Vokaana tinxerat unda.

St. 47. Das Gleichnis findet sich hei Dante (Purg. III, 69): „Soweit ein guter Schleuderer mit der Hand wirit".

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ANMERKUNGEN

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St. Der Zauberschild erinnert an den Schild des Perseus.

St. i£. er fällt, wie tote Körper fallen", Zitat nach

Dante, Göttl. Komödie: E caddi, come corpo roorto cade (Inf. ^ 142).

St. £6. Pyropus hieB eine Metallmischung von hellem Glänze.

St. 58. Mains erscheint in den alten Rittergesängen als Heimat der Verräter; ihr Haupt ist „der böse Ganelon" Uhlands, Pinabels Oheim.

St. 62_. Clermont und Mainz. Dem Hause Clermont gehören Roland und Rinald an. Der alte Haß der beiden Geschlechter spielt eine bedeutende Rcdle, wie in andern Rittergeschichten, so im R. R. -

DRITTER GESANG

St. Gluten ganz besondrer Sorte : die leise Ironie, die in die Verherr- lichung sich mischt, kommt in dem etwas vulgären Wort zum Ausdruck.

St. j. Der Gigantenschlachten, deren Apoll, Zeus verherrlichend, gedenkt, tut Tibull Erwähnung (üb. II, el. £).

St. fi- Forts, der Geschichte Pinabels Ges. 20^ Str.

St. Q. Merlin der Weise, nach der Sage Zeitgenos.se des britischen Königs Artus, gedachte für Vivianc, „die Frau vom See", die ihn zu lieben vorgab, m Wald ein Grabmal zu bauen. Viviane veranlaBte ihn eines Tags, sich hineinzulegen, um den Umfang festzustellen. Dann hielt sie ihn durch einen Zauberspruch, den er sie selbst gelehrt hatte, dort fest. Merlin starb, aber durch die Kraft des 2^ubers konnte sein Geist das Grab nicht verlassen und fuhr fort zu reden und zu weissagen.

St. i_L Es ist schwer, hier mit Papini eine Erinnerung an Juvenal (Sat. II, 63J Dat veniam corvis, vexat censura columbas) zu sehen. Auf mittelalterlichen Gemälden, z. B. in Santa Maria Novella zu Florenz, sind die Seelen der Abgeschiedenen als Raben und Tauben dargestellt.

St. LZi Wenn R(^er (nach Bojardo) von Astyanax, des Priamus Enkel, abstammt, so nahm man im Mittelalter als Stammherm des fran- zösischen Königshauses einen fabelhaften andern Enkel des Priamus, namens Francus, an, von dem das Geschlecht von Clermont seinen Ursprung herleitete, also auch Bradamant. Zwei Bäche trojanischen Blutes vereinigen sich durch Rogers Ehe mit ihr zu einem Strom.

St. 2Q. Nachahmung Vergils (Aen. IV, 71 3 ff.).

St. 21^ Das Pentagon (Ariost schreibt Pentacol), ein fünfscitiges Stück Metall oder Stein, wurde als Amulett am Hals getragen, zum Schutz gegen Krankheiten, Zauber usw.; es entspricht dem „Druden- fuß" der deutschen Hexen.

St. 24.ff. Die hier beginnende, anfangs fabelhafte, Genealogie des Hauses Este und die damit verbundenen Anspielungen auf historische Ereignisse sind für Geschichtskundige vielfach von Interesse. Eine gründliche Erörterung darüber findet sich in der Ubersetzung des

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ANMERKUNGEN

R. R. von Lütkemüller (Zürich 1797). Des Hauses Haupt: gemeint ist ein nach des Vatcfs Tod gcborner Roger IV., der den Vater an den Mainsern gerächt haben solL In Ponthieu» einer Land-

Schaft in der Picardio, soll Roger, Bradamante«: Gatte, in einen SchloB von den Mainzern durch Verrat getötet worden sein.

St. 25. Este und Calaone, zwei Schlösser im Paduanischen, soll dieser Roger für Taten im Krieg gegen den Langobardenkönig Desidevios zur Belohnung erhalten haben.

St. 26. Das Panier der Schlangen, Mailands Wappenzeichen, wurde erst von den Visconti gebraucht. Ariost hat sich einen Ana- chronismus zuschulden kommen lassen. Das Keich der Insubrer ist die LombardeL

Von St. 34^90 sind viele Irrtümer Ariosts zu berichtigen, wie Lfit ke- mflller darp;etan hat. Besonders hinsachtlicll der in St. 2f genannten Persönlichkeiten herrscht Verwirrung.

St. 28. DaO A. hier Namen verwechselt, hat Gildemeister ge- teigt: „mdit Foico, sondern Weif der VUsrte, Sohn des MaAgmfen Azzo von Este und der Weifin Kunigunde, wurde X055 von seiner deutschen Großmutter Irmengard nach Bayern perufen, um sich nach Erlöschen des Mannsstammes der weUischen Besitzungen anzuuchinen, heiratete die Tochter des Sachsen Otto von Nord heim und wurde der Stam nt vater des michtigiilwi deulschen FflistengescbleclitB, wdcbes das sächsiscbe mit dem bayrischen Hersogtom sn vereinigen wuBta. Von diesem Rste stammen das Bans Hsnnover mid das Hans Brann> sch weig-Lün eb urg . ' '

St. 29. „Mathilde, die weise, mit des Ruhmes blankem Schilde" scheint manchem auf die berühmte Grfifin, IVeondin des Papstes Gregor VIL, zu gehen. Sie war aber snerst mit Gottfried von Lothringen, dann mit Weif V., Herzog von Bayern, verheiratet, nicht mit einem Albertazzo. In Wirldichkcit wollte A. wohl von der Gräfin Mathilde, der Mutter Albertazsos II., sprechen. / St 30*. Ober die Person dieses Rinald herrscht auch Unklarheit.

Nicht Bertholds, sondern eines Azzo Sohn soll der erste Rinald dea Hauses Eiste gewesen sein. Manche behaupten, der erste Rinald dieses Geschlechtes sei 125 1 als Gefangener in Apuhen gestorben; er wäre dann mit dem in St. 38 genannten identisch. Anch Tassos Rinald wird hier erkannt.

St. 31^. Gemeint ist AzzoVI., als Oberhaupt der Weifen 1207 Herr von Verona, i3o8 dwch TmiOSHni III. mit des Marligralscliaft Ancona belehnt.

St. 32. Obizzo: Obizzo I. erhielt 1184 die kaiserUchcn Lehen, die sein Grofivater Albertasso IL besafi. Ein Polco. Obixaos Bknder, starb II 78. Zwei Weifen: gemeint sind Weif VI., Neffe Kaiser

Friedrichs II., Herzog von Umbricn und Markgraf von Toscana, und sein Sohn Weli VII. Azzo der Fünfte: gemeint ist Azzo VIL,

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Heerfflhrw des Papstes Alexander IV. ; er besiegte 1359 Ezzelino da Roio>oo.

St. 14* Die Stadt ist Ferrara. Asso, der bier als Henr Ton Fw-

rara gefeiert wird, war Azzo VI., Vater des vorigen. A. hat die Namen verwechselt. Der Fluß, wo Phöbus rief.,.: in den Po (den Eridanus der Alten) soll Phaethon bei seinem Sturz aus dem Sonnen- wagen gelaOen teiii. Die SdiweBtern Phaethon» wniden vondenGOttetii aus Ifitldd mit ihrem Sefamefs in bemsteinweinende Binine^ der Xttnig Cygnus in einen Schwan verwandelt.

St. 35. Aldobra ndi n ist der Bruder des sechsten (nicht des fünften) Azzo. Aul Veranlassung Innozenz des Dritten und mit Geldunter- stfltnmg der Florentiner besiegte er 1215 die zu Otto IV. haltenden Grafen von Celano bei Ancona. Diese Stadt erhielt nachher Aldobrandin ab päpstliches Lehen. Pisenen sind die Bewohner der Ifaricgraf- schait Ancona (Piccnum).

St. 37. Pisaurum ist Pesaro. Der Isauro und der Troento (Tronto) sind Flfisse, die sich ins Adriatische Meer ergießen.

St 38. Über diesen Rinald von Este s. St. 30. Er starb an Gift

Obizzo, ein natürlicher Sohn Rinalds (bei Dante, Inferno XII, erscheint er unter den Gewalttätigen in der Hölle), wurde vom Papst Innozenz legitimiert und folgte 1264 in der Herrschaft von Ferrara. £r stand Karl von Anjou gegen lianfred und Konradin bei.

St 39. Reggio il Giocondo. Diese Benenaung der Stadt Reggio-Emi- lia ist ein geflügeltes Wort geworden. Der hier genannte Azzo war der achte, nicht der sechste. Karl von Anjou ernannte ihn im Kreuzzug zum Gonialouiere und gab ihm seine Tochter iieatricc zur Frau. Sie bracht» Asso die Herrschaft Andria bd Bari als Mitgift

St 40*-«. Obizso (St 38) hatte anBer Asso Vni. noch einen Sohn Aldobrandin (f 1326). Von Azzos VIII. Söhnen, Rinald, Niccold, überlebte Obizzo seine Brüder. Er starb 1352. Einer seiner Söhne und sein Nachfolger war Aldobrandin (| 1361); ein auacrcr Niccold wird als der ,»Zoppo'* (Lahme) Ariosts gedentet: er erwarb FaaM und starb 1386b Alberto, ein dritter Sohn Anas und Herr von Ferrara, starb 1353.

St. 41. Die Stadt, die nach dem Rosensegen: ist Rovigo (das Rhodigium der iVlten, vom griechischen Khodon, Kose); die im Fische- snmpf gelegen, ist Comacchio im Ferraresischen, zwischen den beiden Po-Armen (,, Hörnern"), die Primaro und Volano heißen.

St. 42. Niccol6 (der dritte) folgte .seinem Vater Alberto als Kind.

Tideo, Graf von Cunio, suchte vergeblich einen Azzo auf den Thron zu setzen.

St 45. Oto Torso von Psrma nahm Reggio dem Hans Este weg und drohte SehUmmeres; aber Miceolft, hersngowachsen, tfitete ihn.

St 45. Lio nel tmd Borso waren Bastarde Niccolös. Lionel herrschte bis 1450, dann rief Borso die rechtmifiigen Söhne Niccolte, Ercole und

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Sigiaamid» ans Neapol sorOek und hialt rie wie eigene Kinder. Bmo ffthtte alf enter den Herao^titel; er starb giUebt nnd gefeiert t47K. St. 46—47. Ercole, rechtmäßiger Sohn des 1441 gestorbenen

Niccol6, kam 30 Jahre nach dem Tod seines Vaters zur Regierung, 1471. Schon vorher, 1467, hatte er die hier erwähnten kriegeri&cbea Lorbeeren gepflftekt: er beifehligte im Kriege g^eo FknoM eine rme- zianiscbe Abteilung in der Schlacht bei Badria Wiewohl aai Fbfie ver- wundet, brachte er das bereits fliehende Heer zum Stdien un<^l rettete den Tag für Venedig. Später, 1471, standen ihm die Venezianer als Feinde gegenüber. Sie überfielen ihn und verfolgten ihn bis nach dem Scbloase Barco bei Ferrara. Ober Ercole L Nihere* in dem trfffHrhm Werk von Edmand G. Gardner: Doka» and poela in Fenara.

St. 49. Der geflügelte Löwe ist das Wappen von Venedig. Der Gallier Fackeln geht auf den Krieg^zxig Karls VIII. von Frank- reich (I4SK)' Hrcole wußte durch diplomatische Klugheit seine Neutra* lltit aa bewakren mid aein Land vor den Leiden des Kdegea aa achätaen.

St. 5a Alfonao nnd Ippolito, Ariosts Gtener, waren Sfibno daa Eroole: Allbna L, swei Jabre jlbiger als Ariost, regierte von 150$ laa 1534. Ippolito, geb. 1479, mit vierzehn Jahren Karflinal, starb 1520. Vom Geschlecht des Schwans: Jupiter besuchte Leda in Ge- stalt eines Schwans; von ihren Söhnen, Kastor und PoUux, starb der entere, während Fallnz nnsterbück war. Um sich nicht ron Bmder ru trennen, teilte Pollux die Hälfte des Jahres die Untertrat mit Kaator, während dieser die andere Hälfte mit ihm leben durfte

St. 51. Asträa, Enkelin des Titan, wohnte im goldenen Zeitalter mit den Göttern auf der Erde. Nach den Untaten der Menschen kehrte sie in den Himmel mrOck» Der Sinn ist hier: darch AUbna ist daa goldene Zeitalter wieder fingffkfthrt.

St. 52. .Mfons I. nahm 1509 an der Liga von C.inibrai gegen Venedig teil. Da trat der Papst Juhus II. plötzlich von der Liga zurück, und Alfons hatte sich nun sowohl g^en die Veneciaaer wie gegen die römische Kirche („die Matter, vie]mebrStiefmtttter")an wekren. R«gaia(?KMeden.

St. 53*. Die Romagnolen zogen, von JuUus II. anfgereiat, gegen Alfons I., wurden von ihm aber beim Kanal Zanniolo, swiechen den Flüssen Po und Santemo, geschlagen.

St. 54. Der spanische Mietling geht auf die Söldnerschar des Papstes, die dem Hersog Alfons die sogananats Bsstia nahmen nnd den B^ddsbaber, der sich kriegsgefangen gegeben hatte, töteten. Alfons ward verwandet ; seine Leute hielten ihn für tot nnd hieben des Papstes Mannschaft bis auf den letzten Mann nieder.

St. 55. geht auf die Schlacht von Ravanna (Oitem 1518). Der Tag sefl sagnasten der F^sosen dnrcb die von Alfens befehligte ferra> rcsische Artillerie entschieden worden sein.

St. 56'. An Ippolitos Hofe lebte ein wenig bekannt gewordener Dichter Andreas Marone, dessen noch m der 2. Satire Erwähnung geschi^t.

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Vielleicht hat Arioet ia Miaer Schalkhaftigkeit mit Absicht die Stelle hier ao gefaßt, daB man unter dem Bfero (Vergil) ihn «elfaetTentdien kann. St. 57*^. Ia Serge zog Ippcdito (der obrigens als tapfrer Kcieger

auch von andern geschiklc-rt wird) pinmal za einer Schlacht aus, weil er nur ein kleines Häuflein, 30« Reiter und 300 Mann Fußvolk, besaß. Die weit überlegenen Venezianer wurden indeü bei Volauo geschlagen. Fast aBe ihre Schüfe worden vom Kardinal vernichtet.

S^- 5^1 59- Z^wei Sigismunde: der eine war ein Bruder EtcoIm des Ersten, der zweite ein Bruder des Herzogs Alfons. Der älteste der fünf Prinzen, Ercolc (dessen Thronbesteigung als Ercole II. er- lebte Arioet nicht), war vermählt mit Renata, Tochter Ludwigs XII. Die andern hieBen Ippolito Ginniore. Francesco, Alfoaa fein natürlicher, später legitimierter Sohn), Alfonsino (auch ein Bastard).

St. 60. Die Traurigen sind zwei Söhne Ercoles I., Giulio (ein Ba.<tard) und Ferra ntc. Wegen einer Verschwörung gegen Alfons, deren sie der Kardinal bezichtigte, wnrden sie zum Tode verurteilt, dann sa efwigem Kerker begnadigt. Giulio starb 1540; Ferrante» anf IppoUtos Betreiben geblendet, erhielt später als Blinder die Rdhflit (I 1561). Unlängst hat Konr. Ferd. Meyer die Erinnerung an dieae Familientragödie in seiner Novelle „Angela Borgia" aufgefrischt.

St. 70. Hiervon steht nichts bei Bojardo. A. denkt sich, daß Agra- mant nach dem Verschwinden Rogers den Ring wieder an Branel gibt, snr Anfipfirong des Gesuchten (P).

VIERTER GESANG

St. 7. A. nimmt an, da6 AÜas nach Rogns Verschwfaiden aus Afrika den Berg Carena verlieB and sich ein Scblofi In den Pyrenien erbaute,

um Roger näher zu sein.

St. II. ... ob Camaldoli ein Blick: Die Höbe über CamaldoU in Toscaaa bietet Anasidit anf „ein swiefach Meer", das Ifittel- Uadische und das Adriatische (il mar Tosco e ü Schiavo, „Toskaaer^"

nnd ,, Slawen-Meer").

St. 13. Die vier Wände de« Schlosses sind eigentlich ,,nach dem roten Strich" gezogen (a iil de la sioopia), den die Holzsäger auis Hola malten.

St. 18. In Nordlandsbergen: M(mtiRifei stdit im Original. Das

Ripäische Gebirge dacütcn sich die Alten als das am meisten nördlich gelegene Land. Anfangs hießen so alle Berge nördlich von Griechen- land, dann rückten sie immer weiter nach Norden ins Sarmaten- und Skjrthenlaad.

St. 39. Töpfe. Olle zubenannt: Der fremde Name gibt den

Gefäßen etwas Geheimnisvolles. Viellficht hat A. das spanische OlÜ potrida vorgeschwebt, ein Gericht, das in Töpfen aufgetischt wurde.

33^

St. 40. Prasild und Irold werden scbon von Bojaido (I, la) ali treue, aufopfernde Freunde gepriesen.

St. 41. Der ersten Begegnung Rogers und Bradamantes, wie sie Bojardo darstellt, wurde schon gedacht (i, 70). Sie findet sich im Vcri. RoL ni, 4 5 enfthlt. Zn merken ist noch, dafl die Junglcma beim Bitt mit Roger von einem heransprengenden Mohren aal ibr unbehelmtcs Haupt einen Schwerthieb erhielt. Sie verfolgt^ verwandet den Sarazenen und verliert so Roger aus den Augen.

St. 46. Über den Ilaub des Pferdes Frontalatte durch Brunei s. EmL Von Stöger, der ee in seinen Besits hekommt, wurde ee Frantin genannt.

St. 49. Forle, der Geschichte Bradamantes Ges. f, St. 33.

St. 50. . . . wo Sei sich senkt, nm seinen Wagen fortan im Krebsesbild zu drehn: Die Sonne tritt zur Zeit des Sommersolstitiunis in das Zeichen des Krebses. Die Luitreise geht nach Westen, Indien zu. Forts, der Geschichte Rogers Ges. 6, St 17. Der Kslsdonischa Wald in' Nordscfacyttland ist Schauplatz der Artusromane.

St. 52. Galaß, Tristan, Lancelot. Galvan: Helden vom Orden der Tafelrunde des Königs Artus. Galaß war Sohn des Lancelot.

St. 53. Berwick, Stadt im südlichen Schottland. fSt S3« IM« «Ite Tlsielninde ist die von Utr, Vater des Artus; die nane die des Artus.

FÜNFTER GESANG

St. 5. Mykene, Argos oder Theben: aus Theben war Odipos,

der seinen Vater tötete und die Mutter liciratete; femer die Brüder Etcokles und Polyneikes, die einander töteten; aus Argos Thyestcs, der mit der Frau seines Bruders Atrcus Ehebruch b^ing, worauf letzterer den ans dem lasest Iwnrargegangenen Sohn sersMckein and den BItem als Speise vorsetzen Üefi; lemer Klytämnestra osw.; aas Mykene die Danaiden, die in der Brautnacht den Gatten ermordeten.

St. 23. Das Gleichnis erinnert an Horaz Od. VI, 4, 57 (P.).

St. 49. Die Gescliichte der schottischen Ginevra hat viele Nach- ahmungen gefunden. In Italien s. B. hat Msssimo d'Asei^io die Bal- koasieae in sdnem Roman „Fierasmosca" heräbeigenommen (s. Vtot Zchech, Frankf. Zeitung, Literaturblatt 13, Febr 1910).

St 59. Capobass: wt-Iches schottische Vorgebirge A. mit Caqpobasso gemeint hat, wurde uoch nicht festgestellt.

St 7& Die Stadt Sankt Andres ist St. Andrews in Schottland.

St. 9i. Sechs Ritter, d. h. Sekondisnten eines jeden Kimptos» die am Eingang des abgcRtccktrn Raumes standen.

St. 90. Mitten im Sprechen ... Stimm' und Leben schon ge- schwunden sind zeigt Erinnerung an Dantes „Quivi perdei la vista e la parola" (Purgat), „zugleich entschwanden mir Gesicht aod Sprache**.

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SECHSTER GESANG

St. 13. Auf schwarxem Grunde (Zeichen der Trauer) die Farben des gefallenen Laubes, Grüngelb, zu tragen war Sitte der Ritter, die eine trübe Gemütslage kundgeben wollten. Vgl. Ges. 33, St. 47: dort trfigt Bradunante mm Zekheo ctar Vemreiflung die Partie des genitalen Laubes.

St. 16. Dazia ist nach Papini nicht Rumänien, sondern Däne- mark (Dania), das auch Dana genannt wird. Forts, der Geschichte Rinalds Ges. 8, St. 22.

St, 17. Das Zeichen . . das Herkules hat Schiffern vor- geschrieben: die sog. S&ulen des Herkules» die Vorgebirge Abyla und Calje an der Meerenge von Gibraltar (vgl. Dante, Inferno 26, I07).

St. 18. Des Blitzes Träger: Der .Adkr Jupiters.

St. 19. In der Insel sehen Foruari u. a. Zipagu oder Cipingu, das heutige Japan. Die Nymphe Arethusa, in eine Quelle verwandelt, floh vor dem FluBgott Alpheus auf unterirdischen P^en, ohne je sich mit dem Meere zu mischen, nach Sizilien (Syrakus).

St. 20 ff. Bei aller starken Wirkung der laudschaftlichtn Umgebung auf das Gemüt des Renaissancemenschen „finden sich eigeutlichc Beschreibungen großer landschaftiicher AnbUcke kanm, weil Lyrik, Epos und Novelle in dieser energischen Zeit andres sn tun haben. Bo- jardo und Aiiosto zeichnen ihre Naturszenerie sehr entschieden, aber so kurz als möglich, ohne sie je durch Fernen und große Perspektiven zur Stimmung beitragen zu lassen, denn diese Uegt ausschließlich in den Gestalten und Ereignissen." So Bnrckhardt, der bei Ariost das ausgeführte Bild dieser Art findet. Hier der sechste Gesang „besteht aus lauter Vordergrund" (Kultur der Renaissance II, S. 34).

St. 27 erinnert an Dante, Inferno XIII, 40 45.

St. 33. König Otto von England war nach den Rittergeschichten Sohn Bernhards von dairval und hatte su Brfidem Haimon (Vater Rinalds), Bov von Aigremont (Vater Aldigers, Malegis' und Vivians). Dieser fabelhafte Otto gilt als Zeitgenosse Karls des Großen.

St. 35. Alcina: eine Erfindung Bojardoe.

St. 38. Morgana, Fee: Schwester des Artus. (Verl. Rol. II, XII, 04).

St. 51. Homer und Apulejns berichteten von 1 Verwand-

lungen.

St. 63. Nach Casella stellt der ohne Zaum die zügellosen Sünder dar, der langsame den Sflader aus Schwiche, der Springer den Gewalt- tätigen; die ftlirigen sind die Fdgen, Stolsen (auf Adlern und Kra- nichen), Prahler (mit dem Horn), Sünder g^^ die Natur, Delrftger,

Diebe, Räuber.

St. 66. Briareus, ein hundertarmiger Gigant der griechischen Mythologie.

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\ N'M F K T' N" G F V

St tip. Du Einhorn ist das SinnhiM der Kemchheit St. 73. Der ergraute Gedanke erinnert aa Petrarca (Rime 2, 179): Pensier canuti in giovcnile etade (P.)-

St. 78. Eriphyle (Bild der Habsuciit?) soU vielleicht an Eri- pbyle, Gattin des Ampbiarans, erinncm, der um eines von Poljneikan gesendeten goldenen Hsbhaiirles willen von ibr vemten ward.

SIEBENTER GESANG

St. II. Es mischt sich der Rosen Rot und desLignstcrs

Weiß: man hat hierin eine Erinnerung an Ovids Candida purpureis UÜa mixta rosis uud Petrarcas Canzone 28, St. 6 gesehen : Sc mai candidc rose con vermigUc; auch an Poliziano (Stanze 2, 44): Dolce dipinto di ügiistre e rose.

St. 20. Der Assyrerkünig Ninus wie seine Nadiiblger, namentiSch Sardanapal, waren der Schwel^^erei ergeben. I?o mas Rächer ist Cäsar.

St. 23. Arachne, eine stolze Weberin, hatte Minerva zum Wett- streit herausgefordert, erlag und wurde in eine Spinne verwandelt.

St 38. Das Pontier hier ist wohl nicht das Ges. 3, 94 erwftbnte PoDthieu der Mainzer. Manche denken an die Grafschaft Ponthicr im Departement der Somme, andere an Pontrieux (Cöt(s du Nord), wo nach Casella noch das Grab Merlins gezeigt wird. (F.)

St. 41. Petrarca (TrionL d. Fama, 9): Was den Menschen dem Grab entsieht nnd dem Leben erhält.

St. 49. Forts, der Geschichte Bradanumtes Ges. 13, St. 45.

St 50. Alchino und Fariarello erscheinen als Dämonen bei Dante (Inferno ai).

St. 55. Valencia in Spanien galt als Ort der Üppigkeit und Schwel- gerei (Pomari).

St. 57. Atys wurde von Kybele gelieb^ Adonis von Venus.

St. 60 63. Eine der vielen Anspielungen auf das Haus Este, ai» dessen Stammvater Roger galt.

St. 61. Nach Plato waren die Seelen vor den Körpern da (als Ideen).

St 65. Der Name Melissa besagt vidleicht „die Sorgliche" (vom griech. idleiy). Im R. R. ist die Aufgabe Mdissas recht eigentiich die Sorge um Bradaniant.

St. 73. Die „Sibylle von Kumä" galt (wie ja auch die Fresken IffichdangdoB in der Siactinisdien Ibpelle zeigen) als sdir alt; ebenso Hekuba, Hektors Mutter (vgl Metam. XIV, 129—153).

St 77. Rabikan. nrsprfinglich RoO des Argalia, Bruders der An- gelika (bei Bojardo).

ACHTER GESANG

St 31. Forts, der Geschichte Rogers Ges. 10, St. 35. St s8. Ports, der Geschichte Rinalds Ges. 16, St 29.

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ANMERKUNGEN

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St. 29. El gab auch Eremiten, die Mohammede Lciire folgten. SL 42. Wat nfltst den Mftdelien Gtttes, hmt man ihnen:

Die Ausleger erinnern an Petrarcas (Son. 204) „Das Bffidchen, das sich rauben läßt die Ehre, das ist kein Weib mehr, ist nicht mehr am Leben."

St. 45. WieSan ktHilarion: ImOriginalsteht„Paulund Hilarion"; der erstere war ein Einsiedler in Ägypten, der zweite in Palästina.

St. 51. Ebnda aoU das bei tat SchiiftsteUem tidi findende Eba- darium Min nad wird für eine der Hebndeninseln gehalten, etwa Mull.

St. 52. Der Meergott Proteus, Sohn des Okeanos und der Thctis, erhielt von Poseidon die Hütung der Seeherde übertragen und hatte die Gabe der Weissagung.

St. 66, Forts, der Gesdiichte AngeKkas Ges. 10, St. 93.

St. 73. In Naims' Hand: s. Einl. S. XCIV.

St. 79. Die Stelle crinnertan Vergil, Aen. VHI, 26: N<» erat, ettocras animalia fessa per omnes .... sopor altus habebat.

St. 84. Der Name Güldenzaum (BrigUadoro) ist eine Erfindung Bojardos. In der Chanson de Roland heißt das Pferd VdODantif.

St. 85. Amostant wird als ein sarazenischer Titel angesehen.

St. 86. ... gön n t a uch de m Oh m kei n Abschiedswor t : Bertha, Karls Schwester, war Rolands Mutter. Ober Brandimart s. Einl.

s. xca

St. 88. FlacdeÜB (bei Bojaxdo FSordelisa), Tochter des Königs Do* listone, wuchs mit Brandimart zusammen auf und verliebte flach in ihn.

Forts, der Geschichte Brandimarts Ges. 31, St. 59.

St. 90. Forts, der Geschichte der Flordelis Ges. 24, St. 53.

NEUNTER GESANG

St. 8. Nun trennt ein Fluß Bretonen von Normannen:

der Couesnon; er mündet bei Beauvais.

St. 15. St. Malo, Seehafen in der Bretagne. Der berühmte Mout Saint M ichd erhebt sich dort

St. 16. Brieuc: Dorf am Meer im Dep. Ule-et-Vilatne. Land-

riglier: Lantrcgnicr, Dorf (Cdtes du Nord). St. 17. Antwerpens Strom: Die Scheide.

St. 23. Seeland: die dänische Insel ist gemeint, wie aus Ges. 10, St. 16 hervorgeht, wo Biren nnd die Seinen von Holland auf dem Wey nach Seeland, „um nicht Fiicslsnd m berühren", sich links nad> Schott- land halten. (P.)

St. 25. Früher bewohnten die Friesen auch das nördliche Holland. Der Rhein war die Grenze zwischen Friesen und Batavern (P.).

St 43 erinnert an AeneSs Vj 481 : Stemitiir exanimisqae tremens procnmbit humi bos. (F.)

St. 59. Durch mn neben tiefen Teich: die vide Inseln ent- . haltenden Meeresteüc bei Seeland.

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St. 6s* Volano (oder Volana) ist ein Zweig des Po.

St. 77. Der Riese Anttoft eriiklt darck jede Berührung seiner

Mutter Erde neue Kraft.

St. 88. Nach den Ritterbüchern war Roland römischer Senator.

ZEHNTER GESANG

St. 3. Helena, die den Trojanerkrieg hervorrief. St. 9. Das Gleichnis vom Rebstock findet sich bei Ovid, Metcunor- phoaea 14.

St is^ lehnt nUh an Ovid (Metern. 6): Pro enperi, qnaatam mor-

taUa pectora etc.

St. 20. Alcyone: der Eisvogel. Alcyone, Königin von Thrazien, klagte beim Tod ihres Gatten Ceyx so, daß die Götter aus Mitleid beide in Eisvögel verwanddten. Von hier bis eor Stanze 35 folgt A. tut Schritt für Schritt Ovid (Epist. 10), iro die verlaasene Ariadne über Theseus kla^t. (P.)

St. 34. Hekuba wurde nach Ermordung ihres letzten Sohnes Poly- doroe rasend und von den Göttern in eine wütende Hündin verwandelt. Vgl. Inferno 30, i6iL

St, 35. Forts, der Geschichte Olympias Ges. n, St. 54.

St. 37. Alexandrien in Ägypten war durch seine Teppiche berühmt.

St. 44. Vgl. Dante Purgat. 28, 44.

St. 52. Vier Damen: es sind die vier Kardinaltugenden Tapfer- keit ( Andronika), Klngheit (Pbronesia), Gerechtigkeit (Dikilla), MaOignng (Sophrosyne), wie die Namen deutlich seigen. Dwch sie überwindet

Roger die Alcine (sinnliche Lust).

St. 56. Klotho, Eine der drei Parzen, schneidet eigentlich nicht den Lebensfaden ab; dies kommt der dritten, Atropos, zu, während Lacheste den von Klotho angesponnenen weiterspinnt Von vielen Dichtem schon vor A. wird, wie Papini bdegt, der Fane statt der Spindel (fuso) ein Haspd (aspo) gegeben.

St. 56. Die Herrscherin des Nils. Klcopatra, gab sich selbst den Tod.

St. 66b Aquitanien: das spätere Gnyenne nnd Gaacogne. Roger wollte sam Schloß der Bradamante an der Dordogne geben. Dem Hippogryphen, d. h. der Phantasie, wird ein Zaum gegeben: man soll sie lenken können. (P.)

St. 69. Die drei Könige ans dem Morgenlande nahmen bei ihrer Rückkehr von Bethlehem einen andren Weg als auf der Hinreise.

St. 71. Ariosts Geographie von Asien wird zumeist auf den Angaben des Venezianers Marco Polo beruhen. Katai ist China, von A. frciUch widerspruchsvoll gekennzeichnet, oder der Norden dieses Reiches, Q uin - sai ist Nanking, Mangiana Südchina, Himavns oder Imana das

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ANMERKUNGEN

337

Himalayagebirgc cxler die Steppe Pamir, Serikanie u die Mongolei, die Fluten von Hyrkanien das Kaspische Meer; Sarmaten sind die Bewohner des (Setiichen Rnfiland. Die Alten unterschieden ein enro- päischw und ein asiatisches Sarmatenland ; Grenze war der Tanais (Don).

St. 85. Der Graf von Ottonley führt die Mannschaft von Athol.

St. 92. Hibernien: Irland. Des guten Heil'gen Grotte: Der Apostel von Irland, Sankt Patrick, soU dort in einer Höhle durch ein „Fegefeuer" MeneRhea «or Seligkeit vocbeieitet haben. DieeeB„F^|eiener des heiligen Mrick" spielt noch in den Liedern des Thomas Moore eine Rolle.

St. 94. Gebunden harrte sie: Bei diesem Abenteuer der Angelika wie bei dem nachfolgenden der Olympia ist das Vorbild der Sage von FiBfeeoB vnd Andromedn nidit sa verkennen.

ELFTER GESANG

St. 3. Xenokrates, griechischer Philosoph, berühmt durch seine Enthaltsamkeit.

St. 4. Am „Steine des Merlin" (vgl. Ges. 3, St. 10) stand das Zelt Angclikas und ihres Bruders Argalia nach ihrer Ankunft in Frank- reich. Rinalds Vetter Malegis, Sohn des Bov von Aigrcmoiit, überfiel sie nachts und glaubte Angelika durch Zauber in unerwccklichen Schlaf versenkt zn haben; ihr Ring machte den Zauber unwirfcBam. Malegis wurde, von beiden gefangen, nach Katai zum König Galafron geschickt. Dragontina, eine Fee (bei Bojardo I, 14) hielt Roland und andere Helden gefangen, bis Angelika die Ritter mit Hilfe des Rings befreite.

St. 5. Der arge Alte war (bei Bojardo) ein Diener, der Angelika in einen Turm lockte. Durch den Ring geteng die Rettung.

St. 12. Amaryllis usw., Namen von Hirtinnen und Hirten ans Vergils Eklogen. Forts, der Geschichte AngeUkas Ges. 13, St. 33.

St. 20. Das Gleichnis erinnert an Aeneis IX, 563.

St. 31. Forts, der Geschichte Rogers Ges. 12, St 17.

St. 33. Anepiehmg «nl Bertiiold Sdiwars. Papini meint, A. habe nur die deutsche Erfindung der Hakenbüchsen im Auge.

St. 28. In Dantes Inferno birgt die unterste Hölle den Judas.

St. 33. Vgl Dante, Purgat. 3, 67: „so weit ein guter Schleuderer mit der Hand werfen würde".

St. 34: anch bei Ovid (Metern. IV, 688) hat das Mieemngetfim die ganze Meeresfläche unter sich (latum sub pectore poeiidet aeqnor)^

St. 35. Vgl. Valerius Flaccus II, 515 (P.).

St. 40. Vgl. Ovid, Metam. IV, 720 721.

St. 44, 8. VgL Dias I, 558; Odyss. I, 29 (P.).

St. 45. Ino, vm d^ Wnt iluee Gatten Atbamas sn entgdien, warf eich, Sven Söhn Melicertos umschlingend, ins Meer (v|^ Dante, Inferno

Arlost I

33

AXXERKUKGEN

i^eide wwcka m JÜeergottbmea verwuideit. Neridea. '

St. St.

la

JUA^ttd tpit in dem Ritterfcrö'Zh^rn als feint «cd uu»g» dcdbar, \ krion «rr^rdi^ ron Lnana, wcü er Mc im Bade T^rT*r<*^ in

7». Amyktt m wird hier dii

71. In Kroton foder in Aif^nj^irnt) «oü Zeuxr> «eine Jano ; viele ri'rr "-.hön-it/ n Frauen dienten ihm ;ils Mc^ .'.! : t2. Der Widder, der FhryTLiL-> und Helie aoi lixid Fluciit Thrtca tfafdi dis iJUtt tnis« wds aalcc dfe M Zekhea des „WiddMs" «ritt die Sone an 2t. Mft «ooitt: alt » FrthlinK war.

ZWÖLFTER C£SA^'G

St. I. Ceres, von einem Besuch bei der Götterrauttcr Kybele (die auf dem B^-rg Ida ihr Heiligtum hatte) zurückkehrend, fand, daß ihre Tochter l^oaerptna (Persephooe) vom Tal Enna am Fuß des Ätna vcrschwuaden wv. Pluto hatte üe in die Unterwelt entführt. Dort »Mb ftieg icUieBtich Cent «ad ted die Todtter. ~ Bei dieMr Stelle iMt A. Claodian (De Roierpi. I, isBti.) vor Augen; nur wählt

er etatt QaodiaTi'i Zypre-ssen Fichten, im Anschluß an Ovid (Metam. y, 44t)* Enkelados, einer der Giganten, ward von Zeus nieder- füfliinfiffirt ood lebend unter dem Ätna in Haft gehalten.

9t. caift wieder Eriascrnag aa Clandian (m, 386—190).

St. S. CewiMa EtiuEelbetten hier weisen auf die ScMVhraag dca Garten-'« fler Dragontina bei Bojardo (I, IX, 73).

St. II. Ferragu war (Ges. i, St. 31) auf der Suche nach Roland. Wir wissen nicht, wie er in das Nets des Atlas geraten ist: ebensowenig, wie Braodiaiart daliia kaai, der (S, SS) Roiaad aacben ging (P.).

St. 13. Vier- bis sechsmal dient aar BeadcbaangciBernnbestlmni- ten Anzahl von I'äik-n (P. ).

St. 20. Die Dame von Dordon: Bradamant. Dordona war ein SchloO Haimons an der Dordc>gne in Guycnne.

St. aa. Porta, der Geicliiclita Roge» Gea. aa, St. aa

1SL 31. Brudar Trojaaa war Almont (a. EiaL S. LXXXIX and Gea. I, St. 28).

St. 43. Agolants Sohn, Almont, besaß den Helm, den darauf Roland trug.

St. 44. Perragn erlteaat Roiaad aicht, weil dieser beim Verlaaaaa dr^ Srhimseii das Visier lierabgelaflaen hat. Im ScbloB verhinderte der Zauber die Erkenaong.

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ANMERKUNGEN 339

St. 59. Makon und Trivtgant galten in den KittergescUcilten als Götter der Sarazenen.

St<5. Forts. d«r Geschichte Angdikat G«8. 19» St. 17. St 69. Norisi«. dn labdinftai KBoigreicli in Afrika.

DREIZEHNTER GESANG

St. 6. Bayona: eine kleine Stadt in Gaiicien am Atlantischen Osean (P.).

St. IX. Sankt Martha: ein Flecken am Meer in Galicien.

St. 15. Mongia: ein Ort in Galicien, am Meere gelegen, „zwischen Cap Beiern und Cap Coriana" (Bolz»). Der Mistral tanzt: Mistral ist der bekannte provenzalische Name für den Nordwestwind ; in Italien lidOt er maestro.

St. 34. Bilbao. Stadt in Biscaya.

St. 36. Chiron (so steht in den von Ariost besorgten Ausgaben von 1516 und 1532, nicht „Charon", wie in späteren Drucken) ist in Dantes Hulie (Gesang 12) der Führer der Kentauren, denen die Bewachung der gewalttätigen Verdammten oUi^.

St. 37. Wie wohl der feine, gewandte SfMknier dnnne Rohre echvingt: Das Rohrwerfen, ein ursprünghch maurisches Reiterspiel (juego de canas), von spanischen Gauklern nach Italien gebracht, eriorderte groiie Geschicklichkeit.

St. 40. „Turpin** wird gern van A. ak Gewfthnmann genannt. Gemeint ist die sog. „Chronik des Turpin" (als .»Pseudo-Turpin" den Gelehrten bekannt), die mit dem Anspruch auftrat, eine Niederschrift des Erzbischofs von Reims Turpin, eines der zwölf Paladine zu sein, und Märchenhaftes über Karl den Großen und seine Paladine erzählte. Ob das Abenteuer, fOr das A. sich auf „Turpin" besieht, in jener Samm- hmg vorhanden ist oder nicht, gilt ihm gleich.

St. 44*. Fort«, der Geschichte Rolands und isabeUas, Gesang %$, St. 53.

St. 59. Isabella, Tochter Ercoles I. und der Eleonora von Aragon, alsoSchmster des Heraags Aliens von Fenara und des Kardimüs Ippo- ttto. Sie lebte von 1474 bis 1539, war Gattin des Markgrafen Gtan> francesco von Mantua am Fluß Menzo (Mincio). Diese Stadt soll von Ocnus, dem Sohn der Tliel)anerin Manto, gegründet und nach ihr benannt sein. Vom Ursprung Mantuas ist noch im 43. Gesang die Rede. Isabella »vrnrd von Trissino mit einer Kansone, wm Bandsllo in der 74. Novelle von Bemi im Inn. I, 2 gefeiert" (P.).

St. 60. „Am Tarus" (Taro) fand bei Fornova 1495 ^^"^ Schlacht statt: Gianfrancesco war Feldherr der vereinigten ItaUener gegen Karl VIII. und nötigte diesen, sich nach Piemont zurückzuziehen.

St. 61. Tiphys, Steuermann des Sditffes „Argo^\ ffihrte Jason und die andern Argonauten zur Eroberung des goldnen Vlieses nach

22*

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AMMERKUMGEK

Kolchis and ist als das Urbild eines geschickten Sctuüeknkezs töer

SL 63, 6$. Beatrix tod Brte Cs47$^i497)> heiratete t49f äam

Herzog von Mailand Lodovico Sforza, gen aimtfl Maro. Er geriet ' : 5^0), von seinen Schweizern verraten, in die Gefangensch?.ft c-:r Frir.zosen. Damals war seine Gattindret Jahre tot. Viscontis Schlangen, das Wappen ÜMlandf. Zorn roten Stnade: dem Rotm Meer. In dctaa Meer: das Atiaatocbe Meer. Dea Ineubrerland kt die LombeideL

St. 64. Pannoniens Krone tmg eine andere Beatrix von EMb^ Tochter des Aldobrandin (Ges. 3, St. 3), dritte Gemahlin des Königs Andreas II. von Ungarn (1234). Der Heil'gen Namen einer wird gebühren: Beatrix, Tochte^ Azaoe VL, grtodete bei FMlna aaf dem BcTjg Geroda ein Kloeter, wo lie 1226 starb.

St. 67. Ricciarda: Gemeint ist wohl nicht die VOB cinigea Eki> klarem hier erkannte Mutter Ercoles I., Markgräfin von Saluzzo (weil das über die Söhne Gesagte nicht zutrifft), sondern Ricciarda. Gemahlin Azzos, Sohnes Francescos II. von Eäte. Azzo wurde nach einem von ihm enegteo Dfligeiluiege 139$ iwerbaoaL Die SAhne eoOea aidi «pilcr in Rovigo niedergela^en haben.

St. 68. Die erlauchte Königin, Leonore, Gemahlin Ercoles I., Tochter des Königs von Neapel Ferdinand I. ans dem Hame Aragon (t 1493)» <^i^^t als Königstochter den Titel Königin.

St, 69. Locresia Borgi« hatte ali vierten Gatten AUone L iron Femia. Mm hat A. dieee Vcrherrfiehnag tdur vefftbelt, aber ala Hofmann konnte er sie nicht umgehen. Zudem erschien Lucrezia den Zeitgenossen vielfach in anderm Lichte, Auch K. F. Meyer in „.Angela Borgia" hat in Übereinstimmung mit neueren geschichtlichen Forschun- gen dicee Fficsliii wesentlich gfiuetiger datigeetdlt, ab man täm aaf- mfeiern gewohnt ist. Sie starb 1519.

St. 72. Renata, Tochter Ludwigs XIT. und der Anna von Bretagne, war Gemahlin Ercoles II., also Schwiegertochter Luciezias. Sie war eine Schützerin Condis und der Protestanten, als hochherzig auch von aaden ZeitgenoBsen (x. B. Braatfime) gefeiert.

St 73. Alda Ton Sansogna heiratete Albertano L (viß. Ges. 3, St. 26). Von den andern kurz erwähnten Fürstinnen, die hier angeführt sind, um die Verbindungen des Hauses Este glänzen zu lassen, mag die schöne Lippa von Bologna hervorgehoben werden. Sie war die Schwester eines Votfshrea imsres Dichten, des Bonifuio Ariosti, der die Fkmüie Ariost nadi Ferrara nberffihrte. Lippa, ob ihrer SchOohelt gefeiert, wurde die Geliebte und später Gemahlin Obizzos III., der auch die Söhne von ihr legitimierte. Lippa starb 1347. (VgL Einleitnag S. XXIX).

St. 80. Forts, der Geschichte BMdamanti, Ges. sa, St. 31. St. 81. Lilieaheer: das Fraakenheer, nach dem icaasBsisehen Wappen (späterer Zeit) so genannt.

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ANMERKUNGEN 341 SBSseessssssssaaBBSsasBBBBasaeaeBBBHvap'

VIERZEHNTER GESANG

St. I 9 bezieht sich auf die (Gesang 3, St. 55) erwähnte Schlacht bei Ravenna {am Ostertage 1512} zwischen den Franzosen, denen Alfons I. sich angeschloMon hatte, und den veniaigten Truppen der Spaninr und des Pspstes Jgliitii II. Der Hcnpf Aüona griff «rirkaam mit seiner Artillerie ein» ab tidi schon der Sieg avf der G«ign«r Seite wa neigen schien.

St. 3. Morinen hießen bei den Alten gewisse Völkerschaften der. GaOia Belgica, die Cslais ud Boulogne als Halen beaaflen.

St 4. Gelband Rot waren die qwniiifthen Plsrben.-~ Die Eicheln: Wappenieichen des Hauses della Rovere (Steineiche), aus dem Julius II» entsprang. Noch heute kann man auf seinem Grabe in St. Peter zu Rom die ,|goldnen Eicheln" sehen. Als du Fabricius nach Rom entrficktest: FstMrisio Colmna, Fddhetr der päpstlichen Truppe, geriet in der Schladit In AUooa' Gefangenschaft Der Hersog lielerte ihn nicht den Franzosen, wiewohl diese es verlangten, ans, sondecn schickte ihn frei nach Rom znrfick.

St. 5. Des römischen Namens Säule: Colonna (s. St. 4} heißt Säule. Spieß' und Karren taten nichts den Lilien: Die Spanier gebrauchten in der Schlacht Karren mit SpieBen, fthnUch den Sichel- wagen der Alten; sie erwiesen sich aber als nnwirhsam nnd fchMigten die Franzosen (.,die Lilien") nicht.

St. 7. Freude ward nicht laut: Der gefeierte Feldherr der Si^er, Gasten de Foix, fiel bei Verfolgung der fliehenden Gegner. Der Tr&nenborn der Witwen: Der Verlast auch der siegreichen Fhm- zosen war ungeheuer.

St. 9. Ravenna, vor Abschluß der Ubergabe von den Franzosen genommen, wurde entsetzlich von den Siegern behandelt. Brescia. das auch widerstanden hatte, war geplftndert wocdeit. Faensa, durch RavennasSdUcksalciiehreelrt, crgabdch fcdwülig. Schick', Lud- wig, unsTrivuIz den guten Alten: Der Dichter wünscht, König Ludwig XII. solle den trefflichen Marschall von Frankreich, da Trivulzio, um Mannszucht unter den Franzosen in Italien herzustellen, schicken.

St. 13. Bfttia: alter Name des Gnadalqnivir.

St 17. Garamanten: eine Völkerschaft ans Libyen.

St. 19. Den Ring verlor an Bradamante (s. Ges. 4).

St. 25. Als die Sonn' im Schützen stand und im ge- hörnten Tier (dem Steinbock): d. h. in der Zeit vom 21. November bis 31. Januar.

St. 31. Mandrikaxd hatte die Waffen Hektma ctiangt (s. Bojardo,

Verl. Roland III, iff.).

St. 40. „Es war kaum Frühling, als Roland Alzird und Mnmlard teaf (13, 72 74). Mandrikard bricht gleich nach erhaltener Kunde auf

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ANMERKUNGEN

(14, 34—36) und greift tdum •m swdten Tm WaclMn der Donlis

an. Wie konnte da der Sommer mit don GriUea knmiMB? Bin

Versehen des Dichters," (P.)

St. 43. Durendal als Waffe Hektors ist eine Erfindung Bojardos.

St. 64. Fots. der Geschichte von Mandrikard und Flordelis Ges. aj, St. 7t.

St. 71. Dar Glaube, daS Kart dai HcOiita Giab beirait Ube^ wmr

im Mittelalter verbreitet.

St. 83. Zur Beschreibung der Zwietracht ziehen Kommentatoren analoge SchÜdemngen aus alten Schriftstellern heran. Vergil, Aeneis VI, 381 ; Vni, 90; Mrosins ArUtar, Bdhm dvile.

St. 87. Gabriels des Engels GruB: mAvC" in ErimMraac DAnte (Purgat. XL.): „Geschworen hätte man, er sage ave".

St. 88. Nach Benedikt und nach Elias' Sinn. St. Benedikt gründete aeiaen Mönchsorden anf Monte Caasina Vom Propheten EUaa sott dar Kannditerorden gwtiftot mvdan taia. Zu Pytha- goras des Weisen Zeiten wurde dem Schweigen eine StiMe iMreitot durch Verpflichtung der Lernenden rum Stillschweigen. Arch3rtas, Zeitgenosse Piatons, Staatsmann, pythagor. Philosoph (365 v. Chr),

St 118. Dar Ahnbarr, dar da Balial hat gabant: Arioet Ufit Rodomont von Mbnrod abetaaunaB.

St. 120. Der Mallea- Sumpf befindet sich am linken Po-Ufer unweit Volano und birgt sehr viele Wildschweine (man hat hier eine Reminiszenz an Vergil, Aeneis IX, erkannt).

St laaff. In KamptecUlderungen kaan sieb Ariost, wia aeiaa Vor* giager Pnid und Bo|ardO| kein Genüge ton. Wihrend wir hier kicht Ermüdung verspüren, folgte damals das Publikum solchen Darstellungen mit atemloser Spannung. „Mit ihren massenhaften Kampfbeschrei- bimgen," sagt Burckhardt (Kultur der Ren. S. 44), „b^e^eten die Dichter einem Sachinteresee, von dem vrir aas schwer daa richtige VorttaDnag machen, so wenig als von dar Hoduehitsoag des lebandigaa momentanen Schildems überhaupt."

St. 133. Daß an den Flammen der Mond den feuchten Basen trocknen kann: der Mond galt als feuchtester der Planeten.

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