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Acc 14 1$6 Zur Geſchichte der

dentſchen Kleingewerbe

im 19. NEN

Statiftifche und nationalöfonomifche Unterſuchungen

von

Gufav Schmoller.

Halle, Verlag der Buchhandlung des Waijenhaufes. 1870. |

mu.

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Meinem Schwager

Dr. Gustav Rümelin,

t w. Staatörath a. D., Vorſtand des k. w, ftatift. Bureaus, Dozenten der Philojopbie und Statiftit an der Umiverfität Tübingen,

in Liebe und Dankbarkeit

gewidmet.

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Borrede,

Die nachſtehenden Unterfuhungen find urjprünglich veranlagt duch die Redaktion des Arbeiterfreundes,. Seit geraumer Zeit dem Namen nah Mitarbeiter diejer Zeitfchrift fühlte ich längſt die moralijche Ver— pflihtung, dieſe nominelle Mitgrbeiterichaft zu einer faftiichen zu machen. Um den wiederholten Aufforde- rungen der Redaktion zu genügen, nahm ich eine Arbeit wieder vor, die mich feit lange bejchäftigte, die Bearbeitung der KHandmwerkerftatiftif der michtigern deutſchen Zollvereinsftaaten. Bald aber jah ich, daß die Vollendung diejer Arbeit einen Umfang gewinne, der die Beröffentlihung in einer Zeitichrift ausſchließe. Damit war eine jelbjtändige Publikation geboten, wie fie nunmehr erfolgt. Meiner Berpflichtung gegenüber dem Arbeiterfreund Fam ich dadurch) nad), daß mir Die Verlagsbuhhandlung des Waijenhaujes geftattete, einen Theil der Unterfuhungen (etwa die Hälfte derjelben) daneben im Arbeiterfreund abdruden zu lafjen. Es folgte aus diejer Kombination der Webelftand, daß der Drud der erjten Bogen im Januar 1869, noch ehe der Entwurf der neuen Gewerbeordnung ausge: geben war, begann, während die leßten erſt im Sep-

vi Vorrede.

tember und Oktober 1869 ganz vollendet und gedruckt wurden.

Seit mir im Jahre 1862 die Ausarbeitung der im Dezember 1861 aufgenommenen württembergiſchen Gewerbeſtatiſtik übertragen worden war, hatte ich die hiermit zuſammenhängenden Fragen und Unterſuchungen ſtets mit beſonderer Vorliebe im Auge behalten. Als ich nach Preußen kam, hatte ich doppelte Veranlaſſung mich immer und immer wieder für wiſſenſchaftliche Vor— lefungen, für Borlefungen in Gewerbe- und Hand— mwerfervereinen, jowie für literarische Arbeiten mit der preußiſchen Gemerbeftatiftif, ſowie mit der des Nachbar» landes, mit der ſächſiſchen, zu beihäftigen. So hatte ih das Material, die verjchiedeniten Arten der Berech- nung, der Tabellen bei mir gehäuft; meine eigenen Anfichten waren im Laufe diefer Zeit mannigfach andere geworden, als ich mich durch die genannte äußere Ver- anlaffung zur definitiven Ausarbeitung entſchloß. Ich theilte früher, meinen allgemeinern Studien und meinen politiſchen Anfhauungen gemäß, die hergebrachten An- fichten der liberalen Nationalöfonomie, die rein opti- miſtiſche Auffaffung unſerer volfswirthichaftlichen Fort- jchritte, die Idee, in der Gewerbefreiheit an fich Liege ausichlieglih das Heilmittel für alle Uebeljtände. Se tiefer aber meine Studien gingen, deſto mehr ſah ich nicht die Unrichtigkeit, im Gegentheil die Berechtigung, aber auch die Einfeitigfeit dieſes Standpunftes ein, dejto mehr verwandelten ſich mir frühere Abftraftionen in fonfrete Unterſcheidungen, der jchönfärbende Optimis- mus in die Einficht, daß nothivendig aus den großen

Borrede. vi

Umwälzungen unjerer Zeit neben glänzenden, unerhör- ten Fortſchritten tiefe joziale und wirthſchaftliche Miß— ftände fich ergeben; e3 verwandelte ſich mir der Nihilis- mus de3 „laissez faire et laissez passer‘ in die Forderung pofitiver Reformen, wobei die Reformen mir immer mehr al3 die Hauptjache erjchienen, nicht die Frage, ob fie der Staat oder die Gejellichaft in die Hand zu nehmen habe.

Doch zunächſt haben diefe Unterfuhungen für jene tiefer liegenden Fragen nur das Material zu jammeln, einen Theil des status quo feftzuftellen. Der erite Zweck der Arbeit lag für mich darin, die jo vielfach mißbräuchlich benußten ſtatiſtiſchen Zahlen kritiſch zu unterfuchen, nur vergleichbare Zahlen zujammen zu jtellen, durch richtige Anordnung der Zahlen die Fragen zu ftellen, welche fie beantworten können. Sch habe daher auch nicht geicheut, jelbft mit einer breiten und bier und da ermüdenden Ausführlichkeit die Entitehung und den Werth der einzelnen Zahlen Elar zu legen, duch zahlveiche Anmerkungen jedem Lejer die eigene Prüfung und Nachrechnung zu ermöglichen. Die Mehr: zahl meiner Rechnungen babe ich durch einen ausge- zeichneten Mathematiker, Heren Ulrih, Beamten der Berficherungsgefellichaft Iduna prüfen laſſen; auch im Drud find die Zahlen mit möglichiter Sorgfalt reftifizirt, jo daß hoffentlich die niemals ganz zu vermeidenden Drud- und NRechenfehler unbedeutend find. Daneben habe ich angeftrebt, die Zahlen jo mitzutheilen, daß auch der Nichtfachmann jie leicht verfteht, d. h. ich habe fie, durchaus in Heine Tabellen gruppirt, zwiſchen dem

vm Borrebe.

Terte mitgetheilt, auch abfichtlich die KHauptrefultate der Tabelle nochmals in Worten ausgeiprocdhen, was ja in offiziellen Publikationen, wie in Werken für den Statiftifer von Fach zu vermeiden ift.

Menn ich dabei möglichjt juchte, die Zahlen ganz für fich Sprechen zu laſſen, jo weiß doch jeder Statiftifer, daß das nur möglich ift, wenn der, welcher die Zahlen vorführt, eine genaue vollftändige Kenntniß der realen Berhältnifje hat, um die es fich handelt. Und dazu rechne ich nicht nur eine Kenntniß der ſpezifiſch gewerb⸗ lihen Zuftände, der Technif der Gewerbe, der Abjat - und PBreisverhältnifje, jondern ebenjo jehr eine Kenntnif der pſychologiſchen und fittlihen Zuftände, der Berjonen, um die es fich handelt, der Art, wie die betreffenden wirthichaftlichen Klaffen jozial und ſonſt mit einander verkehren und ftehen.

Ich habe mich in diejer Beziehung bemüht, das große literariiche Material, das in den Handelsfammer: berichten, in den Ausftellungsberihten, ſowie in den volfswirthichaftlihen Zeitichriften liegt, zu verwerthen. Ich ſammle feit Jahren an der jehr umfangreichen Brohürenliteratur über deutſche Volkswirthſchaft des 19ten Jahrhunderts. Auf manchen Reifen und Wan- derungen habe ich den Süden und den Norden des Zollvereins ducchftreift, die großen Fabriken befichtigt, die Werkftätten der Handwerker aufgeſucht und in den Mohnungen der Arbeiter eingeiprochen. Aber immer bleibt daS, was man jo jelbit gejehen, jogar das, was man jelbit gelefen und ftudirt hat, gegenüber dem großen Gebiete des gewerblichen Lebens ein kleines

Vorrede. IX

Brucdtheil. So kann es nicht fehlen, daß da oder dort vielleicht Die Information eine ungenügende war, die Ausarbeitung eine ungleiche wurde. Die Grenz linie zwiſchen Zahlenmittheilung und ausführender Be- trachtung Eonnte Schon wegen der verjchiedenen Bedeu- tung der einzelnen Fragen, Staaten und Gewerbe feine ganz gleihmäßige jein. Aber darauf fommt es au nit an. Das Wejentliche liegt immer wieder im Ge- Jammtergebniß. Diejes ift wohl mehr durch die gleich: jam mathematijch feitgeftellten ftatiftifchen Rejultate daneben aber immer auch durch die ſonſtigen Studien und Anfichten, durch das Temperament und die Erleb- nifje des Autors bedingt. Ein jubjeftiver Reſt bleibt immer. Es iſt die Schattenfeite jeder wifjenichaftlichen Arbeit; es ift aber aud im gewiſſen Sinne ein Vor- zug. Es ſoll ein jubjeftiver Reft bleiben. Eine Arbeit derart, welche mit über die wichtigſten volfswirthichaft- lihen Fragen der Gegenwart ſich ausipricht, joll jub- jeftiv im guten Sinne des Wortes, fie joll eine erlebte fein. Sie ſoll fich gründen auf jelbjtändige Forſchung, die unter Kenntniß aller bisherigen Reſultate der Wiſſenſchaft, doch bei der Beobachtung von allen Schul: theorien zu abjtrahiren, mit eigenem Auge und offenem Herzen zu ſehen vermag.

Das iſt doppelt nothmwendig für Fragen, melche vom Streite der politiichen Barteien jeit Jahren jo hin- und hergezerrt wurden, daß auf allen Seiten die Unbefangenheit des Urtheils verloren ging, daß man die Parteidevijen über die Dinge ftellte, daß man beiderjeits mit Argumenten focht, die aus der Rüſt—

x Vorrede.

kammer der doch ſchon vielfach wieder veralteten Partei— ihriften geholt (hier aus Adam . Müller, Haller, Sismondi, dort aus Adam Smith und Bajftiat), auf die im Augenblid ftreitigen Objekte oft kaum paßten. Bejonders die ertremen Flügel beider großen politijchen Parteien haben intolerant, wie die Extreme immer find, fich gerade auch für volkswirthichaftlihe Dinge ein Barteidogma zurecht gemacht, an deſſen Unfehlbar: feit und’ Unantaftbarkeit fie mit der ganzen Xeiden- ſchaftlichkeit einer pfäffiichen Drthodorie feſthalten. Diejer Vorwurf teifft nicht bloß unjere Fonfervativen, er trifft bejonders auch die radikalen Volkswirthe. Man fann mit den Hauptzielen der volfswirth- Ihaftlichen liberalen Agitation des legten Jahrzehntes, mit den Hauptzielen des volfswirthichaftlihen Kon- greſſes volljtändig einverftanden jein, man kann das Berdienjt jener vollswirthichaftlichen Agitation um die praftiihe Durchführung wichtiger, allerdings über- wiegend negativer Reformen, man fann das pofitive Verdienſt Schulze-Delitzſch's ſehr hoch ftellen, ohne darum die ganz einjeitigen theoretiihen Grundlagen jener volkswirthſchaftlichen Partei zu theilen jenes abitrafte Schuldogma, das die unbedingte Harmonie aller Brivatintereffen, das die unbedingte Berechtigung jedes wirtbichaftlihen Egoismus predigt, das, die piychologiichen, jozialen und fittlihen Vorbedingungen jedes konkreten vollswirthichaftlichen Zuftandes ver: fennend, das mwirthichaftlihe Leben aus abjtraften Motiven ableitet. Man kann die Grenzen einer über- mächtigen Bureaufratie eingeengt, den Polizeiſtaat in

Vorrede. xl

einen wahrhaft Fonftitutionellen verwandelt wünjchen, man kann ein Barteigänger politiiher und wirthichaft- licher Freiheit fein, ohne darum die rechtlichen und ftaatlihen Grundlagen der Voltswirthichaft zu ver- fennen, wie es jenen radikalen Volkswirthen jo oft begegnet. Sie wollen eine im Augenblid an der Re— gierung befindliche Partei, die theilweife freilich zugleich eine wirthichaftlihe Klaffe mit egoiftiichen Intereſſen iſt, befämpfen; und fie befämpfen häufig die ewig jittlihe Natur, das ewige Recht des Staates jelbit, oder erklären fie, wie ihr Gegner, das wirthichaftliche Privatinterefje, das die meiften ihrer Mitglieder als mwirthichaftliche Klaffe haben, ohne Weiteres für das Staatsinterefje, für das allgemeine Intereſſe jelbit. Sole Verwechslung von Partei- und Klafjen- intereffen mit theilweije oder ſcheinbar wiſſenſchaftlichen Ausführungen und Ergebnifjen fommt rechts und links vor; fie begegnet den Heißipornen beider Parteien oft ganz unbewußter Weiſe; manche, denen fie begegnet, glauben dabei in ehrlichiter Weije zu handeln. Dft aber auch ift das nicht der Fall. Und das ijt gerade die Gefahr, welcher die Nationalöfonomie mehr al3 jede andere Wiſſenſchaft ausgefegt ift. Nicht die vielen Laien und Dilettanten, welche in befter Abficht heute volfswirthichaftliche Abhandlungen jchreiben,, find gefähr: lich für eine klare und gejunde öffentliche Meinung, ſondern jene geſchulten Advokaten und Literaten, welche im Dienfte einzelner Börjenunternehmungen, einzelner mwirtbichaftlicher Klaſſen, einzelner Zeitungen und Zeit— jchriften, welche ausichließlich Die Intereſſen dieſer oder

xu Borrede.

jener Klafje, oft gar einzelner Perſonen verfolgen, doch immer fi” den Anjchein geben, als jei ihre egoiftiiche Intereſſentenpolemik ein Ergebniß der Wiljen- ichaft oder wenigſtens durchaus im Einklang mit der allgemeinen Wohlfahrt, mit dem Staatsinterefje.

Eine unbefangene Forihung, welche ſich bemüht, frei von allen Schultheorien und Intereſſen, nur von den Dingen jelbjt auszugehen, wird das Meifte unter anderem Geſichtswinkel jehen, als der Parteimann und als der Klafjeninterejjent; fie wird Irrthümer einer: ſeits, berechtigte Momente andererjeit3 auf beiden Seiten jehen und muß dieß, will fie anders ehrlich) verfahren, offen ausiprechen. Die politiihen Parteien und die wirthichaftlicden Klaſſen als jolche werden da— durch nicht. befriedigt werden; ja man läuft Gefahr, alle vor den Kopf zu ftoßen, ohne eine zu befriedigen. Die Wiffenihaft kann ſich darüber nicht grämen. Cie bat nicht den Parteien zu dienen, jondern über ihnen zu jtehen, jie hat nur einen Zweck, den ehrlich und mit Anjtrengung aller ihrer Mittel nach Wahr: heit zu jtreben.

Auch nur auf einem jolden Standpunkt wird es gelingen, was man jo oft verlangt hat, jo oft an- ftrebt, über die Theorien Adam Smith's wahrhaft binauszufommen binauszufommen nicht durch all: gemeine Deklamationen, durch unmahre Anpreifungen vergangener Zeiten und überlebter Inſtitutionen, ſon— dern durch die erafte Forihung, welche, die einzelnen Gebiete nad) einander durch emfige Arbeit Elarlegend, den großen Gedanken des Zuſammenhangs aller

Vorrede. xiu

ſozialen Probleme doch immer feſthält, vor Allem den Grundgedanken einer tiefern Auffaſſung, die Ueber— zeugung von der nothwendigen Einheit und Ver— knüpfung des wirthſchaftlichen mit dem ſittlichen Leben der Völker immer vor Augen behält.

Wenn es mir gelungen iſt, in dieſem Sinne einen Beitrag zur ethiſchen Begründung der National: öfonomie geliefert zu haben, in dem Sinne gearbeitet zu haben, in welchem ſchon J. ©. Hoffmann, dann Rojcher und Stein, Engel und Hildebrand, troß ihrer verjchiedenen Ausgangspunkte, jowie neuerdings mehrere der jüngeren deutſchen Nationalöfonomen geforiht und gearbeitet haben, dann glaube ic) meinen Zwed erreiht zu haben. Wenn mir das gelungen ijt, dann auch nur glaube id) das volle Recht zu haben, dem Manne dieſe Unterfuhungen zu widmen, der von tiefitem Einfluß auf meine geijtige Entwicklung vor Allem durch jein Beiſpiel, durch jeinen Umgang, wie dur jeine wiljenjchaftlichen Arbeiten dazu beigetragen hat, mich zu erziehen zu willen: Ihaftlicher Arbeit und zum Muthe jelbjtändiger unab- hängiger Ueberzeugung!

Halle a/S. im Dftober 1869.

Sujtad Schmoller.

Inhaltsverzeichnißz.

Einleitun

ei Rückblick ins 18te Sahrhundert. 1. Das allgemeine Darniederliegen der Gewerbe 13 22 2. Die preußijche Berwaltung und die preußijche Induftrie des 18ten Sabhrbunderts . . . . 23 46

Die Hauptrefultate der preußiihen Aufnahmen von 1795 1861. 1. Die preuß. Hanbwerkeftatiftit von 1795/1803 49 58 2. Die preuß. Handwerkertabellen von 1816— 43 59 69 3._Die preuß. Handwerfertabellen von 1846 61 70— 99

Die Ha ultate der Au en in Baden

Württemberg, Baiern und Sachſen im 19ten Zahrhundert. 1. Die badiſche Handwerferftatiftil von 1829—61 103 107 2. Die württembergiihe Handwerkerſtatiſtik von 1835 61 und die getan der Gemwerbefreiheit von 1862 67 108 3. Die bairifche ati ifvon 1810— 61 118 137

4. Die ſächſiſche Handwerkerftatiftif von 1830

1861, die Gewerbefreiheit von 1862 —66 . 138 156

Die Umgejtaltung von Produktion und Berfehr im 19ten Zahrhundert.

1. Die Urfaden . . . 2 2.2. ;

2. Die neuere Art der Produktion. - -. . 196—210 3. Das Berfaufsgefchäft bes Heinen Handwerfers 211 227 4. Die Magazine und der Haufichandel . . .„ 228 254

xvi Inhalt.

Seite Die lotale und geſchäftliche Vertheilung der Ge— werbetreibenden. 1. Das Handwerk in Stabt und Land 5722

2. Das Handwerk nach Provinzen und Staaten 288 325 3. Das Verhältniß der Gehülfen zu den Meiftern

. Das Berhältnif * Seifen suben Deiten

im Speziellen . . . :

Der Kampf des großen umd Betriebs in einzelnen Gewerbszweigen.

1. Die Nahrungsgewerbe im Allgemeinen und

die in der Rabriftabelle verzeichneten im

326 355

356 3%

393 410

r Die Bäder und

. Die Wirthihafts- und verwandten Gewerbe 431 446 i Die Baummwoll- und Leinenjpinnerei. 447 471 5. Die Wollipinnerei, die Zwirn— Shid-

Stick- und Nähgarnfabrifen, die Garnbleiche

und Färberei und die Seilerei . BG 6. Die Weberei überhaupt und die Weberei als

häusliche Nebenbejhäftigung im Speziellen 492 510 7._Die bandwerksmäßige lokale Weberei. . . 511— 533 8. Die Leinen» und Baummwollweberei für den

Abſatz im Großen nebft ihren Hilfsgewerben 534 575 9. Die Wollweberei im Großen, die Seiden»,

die Band - und die Strumpfweberei . . . 576—614 10. Die Schuhmader, Schneider und ver-

wandten Gewerbe . 1 1 3 2020. 615— 652

Schluß und Resultate. . >: 2 653-704

472 491

Einleitung.

Zweck und Gegenftand der Unterfuchungen. Die bisherigen Bearbeitungen der Gewerbeftatiftil. Die Quellen ver Ge- mwerbeftatiftif und der fritiiche Werth gemerbeftatiftiicher Auf- nahmen. Die Trennung der Aufnahmen in Fabrif- und Dandmwerfertabellen.

Das Gejeß vom 8. Juli 1868, betreffend den Betrieb der ftehenden Gewerbe, bat für das ganze Gebiet des norddeutichen Bundes die Gewerbefreiheit, joweit fie nicht vorher jchon erijtirte, gebracht. Lange Angeſtrebtes iſt damit erreicht, eine für alle Gewerbe nothwendige Gejegesänderung erzielt. Aber irren würde man ficber, wenn man einen allzugroßen jchnellen Ein- fluß Ddiefer Aenderung auf die Yage und Entwidelung der Handwerfe erwartete, wenn man glaubte, die Gewerbe— freiheit bringe den bejtehenden Kleingewerben zunächit Bortheil. Ihre Entwidelung ift mehr durch andere Umſtände, als durch die Gewerbegejetgebung bedingt. Die Technik in den einzelnen Gewerben, die Konkurrenz mit der Großinduftrie, die Bildung und Rührigkeit der Hanpwerfer jelbjt, die lanpwirthichaftliche und bie jonjtige industrielle Entwidelung einer Gegend, die Dich- tigfeit der Bevölkerung, die Verkehrsmittel find eben jo wichtig oder wichtiger, als die Gewerbeverfafjung.

Schmoller, Geh. d. Kleingewerbe. 1

2 Einleitung.

Mag dem aber fein, wie ihm wolle, ficher iſt e8 am Plate, bei einer jo wichtigen Aenderung der Geſetz⸗ gebung den Blick rückwärts und vorwärts zu wenden und fih von Neuem die oft beiprochene Frage vorzulegen, welches war, ift und wird die Lage der Kleingewerbe jein? Vieles iſt darüber geichrieben und gejagt wor— ven, vielfach Hat man einzelne Punkte unterjucht, jo gerade den Einfluß der Gewerbefreiheit, die Konfurrenz der Großinduftrie, die neuen Organifationen, Afjozta- tionen, Kreditvereine, die dem Handwerfe Hülfe bringen ſollen und theilweife auch ſchon gebracht haben. Biel weniger aber hat man nad) dem Gejammtrejultat aller der verjchiedenen zujammeniwirfenden Momente gefragt, wie fie in der Gewerbeitatijtif uns vorliegen.

Was ich in den folgenden Unterjuchungen beabfich- tige, ift weder eine zujammenfafjende deutſche Gewerbe- ſtatiſtik, noch eine vollſtändige Gejchichte der Klein- gewerbe, noch der Gewerbegejetgebung; eben jowenig beabfichtige ich ein näheres Eingehen auf das Aſſozia— tionswejen; ich will das gewerbeſtatiſtiſche Material der bedeutendern deutſchen SZollvereinsitanten, ſoweit es gedruckt vorliegt, Fritiich unterfuchen, damit das letzte Ergebniß aller zujammenwirfenden Urſachen möglichit feitjtellen und aus dieſer fejtgeftellten Beobachtung ver: juchen, Schlüffe über die Vergangenheit und gegen- wärtige Lage der Kleingewerbe, über dieſe und jene damit zujammenhängende Frage zu ziehen.

Die folgenden Betrachtungen und Unterjuchungen glauben um jo mehr am Plage zu fein, jowie auch in Iojer, jfizzenhafter Form auftreten zu dürfen, als es

frühere Bearbeitungen. 8

mit einer gleich zu ermwähnenden Ausnahme an jeder volljtändigen neuen Bearbeitung bejonders der preußiichen Gewerbejtatijtif fehlt. Der trefflichen Bearbeitung von Hoffmann ,! welche die gewerbejtatijtiichen Reſultate bis 1837 in Betracht zieht, iſt feine vollftändig ebenbürtige gefolgt. Dieterici hat die Ergebniffe der Aufnahmen von 1843 55? veröffentlicht, Engel die von 1858 und 1861.° Einzelne Fragen find von Dieterici in dem ZTabellenwerf von 1843, wie in den Mittheilungen erörtert; * für 1849 ijt die Bearbeitung in dem V. Folio-

1) Die Bevölkerung des preußiichen Staates. Berlin 1839. ©. 114 ff.

2) Dieterici die ftatift. Tabellen des preuß. Staates für 1843, Berlin 1845; Tabellen und amtliche Nachrichten über den preuß. Staat I— VI (enthaltend die Aufnahme von 1849, theilmeije mit der von 1852.) Berlin 1851 55; Tabellen und amtliche Nachrichten für 1852, 1855 und 1858, je ein Band (letzterer nah dem Tode Dieterici’S von Engel herausgegeben.) Mitthei- lungen des ftatiftiihen Bureaus in Berlin, 13 Bände. 1848 60.

3) Preußiſche Statiftif in zwanglofen Heften V. Die Er- gebnifje der Bolkszählung und Bolksbefchreibung nach den Auf- nahmen vom 3. Dezember 1861, reip. Anfang 1862. Ber- lin 1864.

4) Dieterici, Mittheilungen des ftatift. Bureaus: I, 68 ent- hält nur die Mittheilungen der Gejammtrejultate der Gewerbe- aufnahme von 1846, um zu berechnen, wie viele Perfonen zur eigentlich arbeitenden Klaffe gehören; I, 213 291 und II, 1— 16 enthält eine Bergleihung der wichtigern Handwerke von 1822 und 46, wobei bauptiädhli der Beweis geführt werben ſoll, daß Die Gewerbefreiheit nicht zur Ueberjegung des Hands werfs geführt habe; II, 235-— 64 eine Vergleihung des König. reichs und ber preuß. Provinz Sachſen nad dem Stand von 1846, worin die intenfivere gewerbliche Entwicelung des König-

1 *

4 Einleitung.

band der offiziellen Tabellen auch eine etwas weiter- gehende. Die Rejultate von 1846 58 find im erjten Band der Zeitjchrift des ftatiftiichen Bureaus zu einer überfichtlichen Tabelle wenigjtens vereinigt." Die Nejul- tate von 1846 61 find für Die einzelnen Gewerbe im Sahrbuch für die amtliche Statijtif vergleichend zujammen- gejtellt. Die Publikation der Aufnahme von 1861 ift eine bejjere umd eingehenvere, als die früheren. Eine befriedigende Bearbeitung des Materials kann ich in all dem nicht jeben.

Längſt nachdem ich mit diefer Bearbeitung begon- nen, erjchten der dritte Band von Viebahn's ausge: zeichnetevr Statiftif des zollvereinten und nördlichen Deutjchlands, der das Gewerbewejen umfaßt. So voll- endet derſelbe ijt, jo viel ich geitehe, aus demſelben gelernt zu haben, jo mannigfach ich mich auf jeine Reſultate und Berechnungen da und dort beziehen werde, jo wenig fonnte er mich abhalten, meine Unterjuchun-

reichs troß Zunftverfafjung nachgewiejen wird; III, 177—183 eine Weberficht der mit Weberei und Spinnerei im Zollverein beihäftigten Perjonen; IV, 252— 308 eine Bergleihung der Gemwerbeaufnahmen der Zollvereinsftaaten von 1846, in ber Hauptjahe ſich auf Mittheilung ber Zahlen beichränfend; V, 212—269 eine Ueberſicht der gewerblichen und Fabrikation verhältniffe des preuß.. Staates am Ende der Jahre 1846 und 49, ebenfalls in der Hauptſache nur die Zahlen mittheilend; VI, 328 352, die Meifter und Gehülfen 1849 und 52, nicht viel mehr als die Zahlen und den allgemeinen Beweis ber Zunahme.

1) Zeitichrift des königlich preuß. ftatiftiihen Bureaus 1, ©. 50— 52. 1860.

Literatur und Duellen. 5

gen zu Ende zu führen und zu publiziren. Viebahn will nur den gegenwärtigen Standpunkt der deutjchen Induſtrie darftellen,;, er geht nur jelten auf ältere Zahlen über 1861, noch jeltener über 1846 zurüd. Ich will nirgends wie er darjtellen, eine vollitändige Beichreibung geben, ich will nur ein paar große Tragen biftoriich unterjuchen, ſoweit e8 mit dem gewerbejtatt- jtiichen Material möglich ift. Die Fragen, welche mir die wichtigften find, fann Viebahn ſchon um des fnappen Raumes in einem Scammelmwerfe willen vielfach kaum berühren, theilweife übergeht er fie ganz.

Bon den andern deutichen Staaten haben eben: fall8 nur wenige genügende Bearbeitungen ihrer Hand— werfsjtatiftif aufzumeilen. Am umfafjendjten noch find die von Sacjen! und Württemberg; ? die bairijche ?

1) Zeitjchrift des ftatift. Bureaus des königl. ſächſ. Mini- fteriums des Innern 1860 Nr. 9 und 10: Zur Statiftif ber Handwerfe in Sachen; 1863 Nr. 9 und 10: Zur Statiftif ber Handwerfe im Königreihd Sachſen 1849 und 61. Das Elaf- fiihe Quellenwerk Engel’s über ſächſ. Gewerbeſtatiſtik, der britte Folioband der Mittheilungen (Dresden 1854) fommt für unjere Unterfuchungen weniger in Betradt, da es nur die Beichäf- tigungsftatiftif des einen Jahres 1849 enthält, die bortige Unterfuhung gebt mehr auf Fragen, die bier ausgejchloffen find, wie 3.8. die lofale Vertheilung der ſächſ. Indbuftrie, Die Alters - und Civilftandsverhältniffe der Gemwerbtreibenden.

2) Württembergiſche Jahrbücher 1862. Heft 2 Das Königreih Württemberg 1863.

3) Die Bevölkerung und die Gewerbe des Königreichs Baiern, nah der Aufnahme won 1861 vergliden mit 1847. München 1862.

6 Einleitung.

und badiſche! Bearbeitung geht nicht viel über die Mit— theilung der Zahlen hinaus, die hannöverjche ? beſchränkt ſich nur auf Das Jahr 1861 und bietet daher unferer hiſtoriſchen Unterjuchung fein Feld. Die thüringifche Gewerbejtatijtif,? joweit fie mir befannt iſt, geht über das Jahr 1861 nur Durch ein paar Mittheilungen aus Gotha und Koburg zurüd; in der Hauptjache beſchränkt fie fih auf 1861 und auf die Umrechnung der abjo- Iuten Zahlen in Prozentverhältnifje nach einigen Haupt- richtungen. Auch auf Thüringen und die andern feinen Staaten beabfichtige ich nicht näher einzugeben; auf allzufleinem Raume können zu leicht bejondere exrzeptionelle Urjachen einwirken, die. das Reſultat trüben. * Die

1) Dieß, die Gewerbe im Großherzogthum Baden, Karls— rube 1863.

2) Zur Statiftit bes Königreichs Hannover. Heft 10. Ge— werbeftatiftif von 1861. Hannover 1864.

3) Statiftit Thüringens, Mittheilungen des ftatiftifchen Bureaus vereinigter thüringiſcher Staaten, herausgegeben von Dr. Bruno Hildebrandt I. Sena 1865 —67. ©. 228 324. Die Gewerbtreibenden im Großherzogthum Sachſen 1861 find auch verzeichnet in: Beiträge zur Statiftit des Grofberzog- thums Sachſen-Weimar-Eiſenach. Erſtes Heft. Weimar 1864. ©. 57 65.

4) Derart waren die Berhältniffe in Bremen, mo ber übertriebenfte Zunftgeift die Gewerbe hemmte und die Zuftände mit ber Gewerbefreiheit um fo plötlicher fich änderten; ſiehe als Belag bierfür die interefjante Vergleichung der bremiichen Ge- werbeftatiftif von 1862 und 64: „Zur Statiftif des bremifchen Staats." Bremen 1865. ©. 24 fi. Es wäre aber ficher fehr falſch, aus den dortigen Zahlen auf eine Handwerferzunahme, bie überhaupt aus allgemeinen Urjachen erfolge, jchließen zu wollen.

Kritit der Aufnahmen. 7

geſammte Aufnahme in den Zollvereinsitaaten von 1861 ift nom Gentralburenu des Zollvereing publizirt, aber ohne daß nur die Totalſummen der Tabellen gezogen wären.!

Neuere Aufnahmen ſeit 1861 eriftiren leider faft gar feine, was um jo mehr zu bebauern ift, als gerade von 1861 68 unjer gewerbliches Leben ſich jo jehr verändert hat.

Ehe ih zur Sache fomme, muß ich noch eine Bemerkung vorausichiden. Die Nichtbeachtung und Nichtbearbeitung der Gewerbejtatijtif hatte und hat bei vielen hervorragenden Statiftifern und Nationalöfonomen einen, wenn nicht ganz genügenven, Doch auch nicht ganz unſtichhaltigen Grund nämlich die Unvollkommenheit der Aufnahmen. Ueber Großgewerbe, Aderbau, Forſt⸗ wirthichaft kann Die Statiftif eine Reihe wichtiger und theilweiſe leicht Fonjtatirbarer Berhältniffe und Merk male feſtſtellen. Das Handwerk hat in der Regel nur eine Perjonaljtatijtif; nur die Zahl der Meijter, der Geſellen und Lehrlinge over beider Yetteren zufammen läßt fich aufnehmen, daraus ihr Verhältnig zur Bevölke— rung berechnen. Damit weiß man noch unendlich wenig über die Produftion, über Blüthe oder Verfall, über die geichäftliche Organtjation. Was jagt eine geringere Zahl Gejchäfte, wenn jedes bejtehende Gejchäft mit fo viel mehr Majchinen arbeitet? was jagt eine bloße

1) Statiftiiche Ueberfihten der Fabriken und vorherrſchend für den Großhandel beichäftigten Gemwerbsanftalten, ber dafür arbeitenden mechanifchen Kräfte und fänmtliher Dampfmafchi- nen, der Hanbels- und Transportgewerbe, ſowie der Hanb- werfer im Gebiete des Zollvereins. Berlin, Jonas 1864.

8 Einleitung.

Perjonalftatiitit ohne Statiftif der technijchen Hülfs— mittel und des Umfages? Die Altern einfachen Kate— gorien „Meifter und Gehülfen“ pafjen auf heutige Zus ftände nicht mehr ganz, erichöpfen fie wenigſtens nicht. Vielfach. find heute verjchiedene Handwerke in Geſammt— unternehmungen vereinigt; dafjelbe Gejchäft treibt Pelz- handel, Hutfabrifation, Handjchuhmacherei. Dadurch und durch andere folche Verhältniſſe entiteht eine Reihe von Schwierigkeiten, Bedenken, Unforreftheiten. Nur bei einer möglichit genauen Kenntniß der realen gewerb- fihen Verhältniſſe, um die es fich handelt, wie ber Art der Aufnahmen werden fich die Irrthümer, die noth- wendige Folge dieſer Mißſtände find, nicht ganz, aber doch einigermaßen vermeiden laffen.

Der allgemeine Werth der Aufnahmen unterliegt neben diejen fpeziellen Bedenken noch dem Zweifel, ver aus einer Vergleichung mit der Aufnahme der Bevölke— rungstabellen hervorgeht. Die Bevölferungsaufnahmen haben jich ſucceſſiv verbefjert, eine wilfenjchaftlich bear- beitete ZTechnif der Aufnahmen bat fich gebildet; bie Selbitangaben in den Haus» oder Haushaltungsliften find glaubwürdige Zeugnifje der betreffenden Perjonen über einfache verjtändliche Fragen. So find die Gewerbe- tabelfen nicht aufgenommen; fie jtügen fich meift nicht auf Selbſtangaben; jchon die Rubriken der Tabellen find zu fomplizirt, um die Leute fie jelbit ausfüllen zu laſſen. Die Ausfüllung der erjten Tabellen fällt in die Hand von Lokalbehörden (Orts- oder Kreisporftän- den), bei denen oftmals die gehörige Einficht, öfter vielleicht noch der gehörige Wille fehlt. - Für die Ver-

Kritif der Aufnahmen. 9

gleichung der verſchiedenen Staaten kommt Hinzu, daß man fich bis zu einem gewillen Grade jchon 1846, volljtändig 1861 zu einem gemeinjamen Schema in den Zollvereinsitanten einigte, daß man aber feine fichere Garantie dafür hat, ob die Ausführung eine einheit- liche, gleichmäßige ift, ob dieſelben Kategorien überall gleichmäßig aufgefaßt wurden.

GSerechten Zweifeln und Bedenken unterliegt auch die ganze in Preußen übliche Trennung der Aufnahme in zwei bejondere Tabellen, in die Fabriktabelle und die Handwerfertabelle. Engel hat nicht ganz Unrecht, wenn er jagt, e8 fehle an jeder jcharfen Definition für dieſe Trennung, ganz abgejehen davon, daß die Uebergänge von der einen zur andern Art jo zahlreich und fein jchattirt jeien, daß es jchiver zu jagen jei, wo das Hanb- werf aufhöre, die Fabrik anfange. Es gibt Gerbereien, Schmieden, Olodengießereien in der Hanpwerfertabelfe verzeichnet, die größer find als viele Fabrifen. Als Meifter werben nicht bloß jelbjtändige Unternehmer, jondern viele Arbeiter bezeichnet, die zu Haufe für Verleger arbeiten.

Mag dem aber fein, wie ihm wolle, die Trennung ijt eine gegebene Thatjache; für fünftige Aufnahmen wird jie als offene Frage zu diskutiren fein, für die früheren ist fie da und es fragt fich bloß, ob fie die Thatſachen jo entjtellt, daß wegen ihr gar feine richtige Bearbei- tung möglich iſt.

1) Die Angriffe gegen diefe Eintheilung gehen hauptjächlich von Engel aus: j. Zeitichrift des ftatift. Bur. 1863. ©. 80. und Preuß. Statiftif V. ©. 49.

10 Einleitung.

Das zu behaupten wäre Tächerlich. Gerade für eine Unterfuchung, die nur die Kleingewerbe in Betracht ziehen will, bietet die Trennung fogar Vortheile. Und wenn man von Einzelheiten abfieht, fo entjpricht fie ſelbſt heute noch im Ganzen den realen Zuftänden, hat ihnen jedenfalls bis in die fünfziger Jahre entiprochen. In der Hauptfache find die Gefchäfte, welche in ber Handwerfertabelle jtehen, etwas Anderes als die in ber Fabriktabelle ſtehenden. Entjcheidet im Detail oft nur Willkür und Zufall, ob eine Unternehmung in der einen oder andern Tabelle verzeichnet ift, für die Haupt— fategorien ijt die Scheidung doch klar; für fie hat Die- jelbe jedenfalls in den verſchiedenen Jahren nach gleichen Grundſätzen jtattgefunden. Und wenn manche Unterneh- mung, die in der Fabriktabelle jteht, in die Handwerker⸗ tabelle gehört, jo wird auch der umgefehrte Fehler jtatt- gefunden haben, und das Gejammtrejultat wird in Folge diejer Ausgleichung doch relativ der Wahrheit jich nähern.

Für mancherlei Fragen und Berhältniffe werben bedeutende Zweifel bleiben. Da wird man verjuchen müfjen die Zahlen kritiſch zu reftifiziven, wenn es geht. Wenn das nicht geht, wird man die Schlüffe vorerſt bupothetiich ziehen und jo zunächit ein vorläufiges Re— jultat erhalten.

Derführt man nur wilienjchaftlih, jo hat man troß der Unvollkommenheit der Aufnahmen ein werth- volles Unterjuchungsmaterial, das bei richtiger und vor: fichtiger Frageftellung der Wahrheit entiprechende Ant- worten nicht ſchuldig bleibt.

Ein

Rükblik ins 18. Jahrhundert.

1. Das allgemeine Darniederliegen der Gewerbe.

A

Die Nahmehen des breifigjährigen Krieges und die Zuftände überhaupt. Die zeitgenöffiichen Klagen über die elende Yage der Handwerke. Die verjchiedene Wirkung der Zuftände auf die Lokalgewerbe und die für dem größeren Abjag arbeiten» den Gewerbe. Aus der Münchener Handwerksftatiftif bes 17. Jahrhundert. Einzelne gemwerbeftatiftiihe Notizen aus dem 18. Jahrhundert: Bairiſche Tuchmacher; Niedergrafichaft Katenellnbogen; Herzogthbum Magdeburg; Fürſtenthum Würze burg; Schweibnig; Kaufbeuern; Speier.

Obgleich wir für das 18. Jahrhundert feine umfaj- jenden Gewerbeaufnahmen haben, jet es gejtattet, mit einigen Worten an die damaligen Zuftände zu erinnern.!

Noch litt Deutjchland an ven Nachwehen des dreißigjührigen Krieges. Der deutſche Handel war ver- nichtet. Die Kleinjtaaterei hemmte jeve Bewegung. Das Gewerberecht war ausgeartet in den verrottetiten Zopf. Mißbräuche aller Art wucherten. Vergeblich juchten

1) Siehe darüber Biedermann, Deutſchland im 18. Jahr- hundert. Leipzig 1854. I, 235 329. Maſcher, das beutjche Gewerbewejen. Potsdam 1866. 349 477. Gülich, geihicht- liche Darftellung des Handels, der Gewerbe ꝛe. Jena 1830. D, 197 336.

14 Ein Rüdslid ins 18. Jahrhundert.

Reichs- wie Landesgefetgebung dagegen anzufümpfen. Bergeblid war Alles, weil Stumpffinn und Apathie, kleinlicher Spiefbürgergeift und bejchränfte Indolenz überall berrichten, weil Gevatter Schneider und Hand— ichuhmacher möglichit ohne Anftrengung und Arbeit fich nothdürftige Nahrung zu ſchaffen und zu erhalten ſuch— ten. Ein großer Theil der Handwerfer, auch ber jtäbtiichen, war zu Halbbauern herabgejunfen. Feindlich und apathiſch verhielt fich die Mehrzahl gegen neue Anregungen, wie fie von den flüchtigen franzöfiichen Protejtanten, von den Fürſtenhöfen ausgingen. Das Fabrikweſen oder vielmehr einzelne für weitern Abjak arbeitende Hausindujtrien wurden in einzelnen Ländern, wie in Preußen, in Sacjen, auch in Deftreich von aufgeflärten Fürjten gepflegt und gehoben; nur wenige Induftrien, wie die Yeinenmanufaktur, hatten aus alter Zeit her noch eine gewiſſe Blüthe gerettet; aber das berührte in der Hauptjache die hergebrachten Hand— werfszuftände nicht wiel, jedenfalls nur in einzelnen Ländern.

Die ökonomiſche Lage der meiſten Handwerker war ebenſo kümmerlich als ihre Technik unvollendet, ihre Arbeit ſchlecht. Das dauernde Siechthum, wie es ebenſo Folge der Geſetzgebung und der politiſchen Zu— ſtände, als der techniſchen Ungeſchicklichkeit und ſpieß— bürgerlichen Trägheit war, hatte aber je nach der Art der Gewerbe und lokal, je nach den mitwirkenden ſon— ſtigen Verhältniſſen, ziemlich verſchiedene Folgen. In einigen Gegenden und Gewerben allgemeiner Rückgang ſelbſt der Meiſterzahl, in andern im Gegentheil eine

Die Klagen über gewerbliche Notb. ' 15

Meberjegung des Handwerks. Ueberall aber treffen wir gleichmäßig die Klagen über gewerblichen Nothitand.

Juſtus Möfer klagt, daß man Handel und Hand- werf auf dem platten Yande gejtattete, da könne fich der Handwerker in allen Eleinern Städten nicht mehr halten. An einer andern Stelle ? jucht er die Urjache des Verfall in der Krämerei: „Man laffe ſich,“ ruft er, „die Rollen von unjern Handwerkern nur jeit hun— dert Jahren zeigen. Die Krämer haben fich gerade dreifach vermehrt, umd die Handwerker unter der Hälfte verlohren. Der Eijenfram Hat ven Kleinſchmid, ver Bureau- und Stuhlfram den Tijchler, der Golofram den Bortenwirker, der goldene, härene, gelbe und weiße Knopf den Knopfmacher und Gelbgießer verborben. Und kann man fi eine Sache gedenfen, womit der Krämer jet nicht heimlich oder ‚öffentlich Handelt?“ Aehnlich Tpricht fich auch Bergius in feinem Polizei- magazin aus.? Beide täuſchen fich über Urjache und Wirfung; die Krämerei war nicht die Urjache des Ver— fall8 der Handwerfe, ſondern mit und durch den Verfall des Handwerks und mit dem Aufblühen ver Fabriken entjtand erjt der regere Detailhandel.

ALS fernern Beleg über die elenden Zuſtände im Allgemeinen möchte ich noch die Klagen von Krug aus der Zeit gegen 1800 hervorheben, die Doppelt ſchwer wiegen, da fie fich auf Preußen beziehen, das immerhin den andern Staaten, wie wir jehen werben, noch wejent-

1) Patriotiihe Phantafien. Berlin 1775. I, 181 ff. 2) Eod. ©. 21. 3) Siehe Br. VI. 392 93 (1786).

16 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

lich voraus war. Krug! legt ſich die Frage vor, ob der Wohlſtand der Städte im Ganzen gegen ältere Zeiten zu- oder abgenommen habe. „Eine Erfahrung,“ antwortet er, „welche man nicht bloß in ven preußi- jchen Städten, jondern in den Städten vieler anderer Staaten gemacht bat und noch immer machen Tann, möchte wohl dieje Frage für die Abnahme des Reich thbums und Wohlſtands im Ganzen entjcheiven.” Er erinnert an die mittelalterlichen Bauten der Städte, er flagt wohl ziemlich übertrieben —, daß nur die— jenigen Inöuftriellen, die dem Yurus, den nichtstwür- digen Künſten, &aufeleien und Spielereien der Vor: nehmen dienen, noch zunehmen. „Wenn wir” jagt er „pen Wohljtand des Bürgerftandes oder der induſtriöſen Klaſſen in den Städten ohne Rückſicht auf jest herrſchende Moden und den Einfluß des Zeitgeiftes auf die Bedürfniſſe dieſes Standes betrachten, jo wird wohl für wenige Städte der gejunfene Wohljtand des Handwerksjtandes geleugnet und gründlich widerlegt werden fünnen. Die Klagen über zunehmende Nahrungs: Iofigfeit der Yandjtädte werden in allen Provinzen gehört und find in neuerer Zeit immer ausgebreiteter gewor— ven; in den Heinen Landſtädten hat der Luxus noch nicht unter der Mehrheit ver Handwerker Plag finden können, und die alte Simplicität der Sitten und ber Bedürfniffe ift hier noch am mehrjten zu finden. Es haben viele Urjachen zufammengewirkt, welche den Wohl-

1) Betrachtungen über den National- Reihthum des preuß. Staates II, 153 ff. :

Die Klagen Über gewerblihe Notb. 17

jtand des Bürgerjtandes zerjtört haben und die haupt- jächlichjten derjelben mögen in falichen Abgabenjyitemen, in der Verwandlung einträglicher Gewerbe in Fabrik— anftalten, in der Aufhebung oder Beeinträchtigung ber Innungen und in den Hanbelseinichränkungen zu ſuchen fein.“

Wir wollen mit Krug bier nicht vechten, in wie weit er Recht hat mit feinen Klagen, mit den Urjachen, die er anführt. Er vermengt Wahres mit Falſchem; er fieht vorübergehende Mißſtände zu Ende des Jahr— hundert8 für dauernde Urjachen an; er verfennt man— ches Gute, weil es neu ift, weil e8 ihm als zujammen- hängend mit verberblichem Luxus erſcheint! aber jo viel beweijen feine Worte, blühend war das Hand- werf des 18. Jahrhunderts nicht.

Suchen wir nun Einiges über die Zahlen der Handwerker und ihrer Gehülfen beizubringen.

Der vorhin jchon erwähnte Unterjchied in der Rückwirkung der allgemeinen Zujtände auf die Zahl der Handwerker mußte fich zeigen bauptjächlich zwijchen den reinen Lofalgewerben, die für den täglichen Abjak die nothwendigjten Waaren Yiefern, und jenen, Die ent- behrlichere Waaren, ſowie Waaren für den entfernteren Abſatz produziren. Bei letztern wird der Ruin viel ichneller eintreten, die Meifterzahl wird raſch finken;

1) Die ftatiftiihen Belege, welche er von ben Stäbten der Kurmark als Beweis des Verfalls anführt, zeigen wohl einzelnes Schlimme, aber zum größern Theile beweijen fie das Gegentheil, nämlich den wolfswirthichaftlichen Fortichritt der kurmärkiſchen Städte.

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 2

18 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

erſtere können lange der Zahl nach dieſelben bleiben, aber fie machen immer ſchlechtere Geſchäfte, führen Jahr— zehnte hindurch ein elendes Dafein. Ein zwar weiter zurück liegender, aber fehlagenver Beleg hiefür ift die Münchener Handwerksftatiftif von 1618, 1633 und 1649. Die Gefammtzahl der Meifter betrug nach den Steuerbüchern, während die Bevölferung der Stadt in dem einen Jahr 1635 um 15 000 Men- ſchen Durch den Tod ärmer geworben fein foll,?

113 7: N ar en 3; | 1633 . . 2. .......146 1089: >, u... 4.0 5,100

Einzelne Gewerbe, wie die Sammtweber, Kunſtfüh— ver, Meifingarbeiter, Saitenmacher, find ganz verſchwun— den. Andere ähnlicher Art zeigen wenigftens eine jehr ftarfe Abnahme. Es find . 1618 1633 1649

Zuhmader . . 2.2.83 17 10 Lein- und Zeugweber . 161 120 82 ROUEE 5 are 116 % 46 Schneider... .. 118 “0 64 Steinmeßen . . .. 27 8 5 Mar . 22.2.2... 28 17 KöhEe » 2 2 22208 27 15 Bitte. -. 2.2.2... 2 31 97 Soldihmicte . . . „838 33 20 Kornläufl . . 2.4 19 15 Shlfier . 2.2.2.3 22 12 Shmide . . 2... 2 16 13

1) Münden während des breißigjährigen Krieges, eine Rede don Georg von Sutner. Münden, Lindauer 1796. ©. 60. 66 ff.

2) Siehe eod. S. 36 und Hanfer, Deutfchland nah dem 30 jährigen Kriege. Leipzig, Winter 1862, ©. 213.

Handwerksſtatiſtik jener Zeit. 19

Keine wejentliche Aenderung, ja theilweile eine Zunahme zeigen Dagegen folgende Kategorien:

1618 1633 1649

Bierbrauerr . » . ..69 68 63 Eifenhändfer. . . . 12 16 9 Kramer . 50 61 63 Metzger 200% % 56 50 48 Schuhmader. . . . 57 62 50.

Diejelbe Bewegung, die hier als akute Krankheit fich zeigt, fehen wir von da bis gegen 1800 als chro- nijche Krankheit. Einzelne Handwerfe nehmen reißend ab, während fie daneben an manchen Orten, begünftigt durch beſondere Verhältniſſe und fürftliche Bemü— bungen, auch wieder aufblüben, die Mehrzahl ver gewöhnlichen Handwerfe aber nimmt kaum ab, jeven- fall nicht ftarf genug, um den bleibenden aus— fömmliche Nahrung zu jchaffen. Die Zunftverfaffung gibt dem Einzelnen zu viel, um zu fterben, zu wenig, um orventlich zu leben, und jo ijt das Handwerk im Verhältniß zur Bevölferung an vielen Orten viel zu ſtark bejegt. Auch erblicher Hausbeſitz, der gejtattet, von der Miethe zu leben, nebenhergehende Ader - und Gartenwirthichaft wirkte da und dort auf Ueber: ſetzung.

Daher die ſcheinbar widerſprechenden Zahlen und Angaben. Nicolai ! führt in ſeiner Reiſe durch Deutſch— land folgende Statiftif des Tuchmachergewerbes in Baiern an; e8 waren:

1) Theil VI. ©. 594. vergl. Gülich IT, 285. 2 *

20 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

| 1688. | 1716. | 1782.

| Meifter Geſelen Weifter Geſelen | Meifter | Geſellen zu Münden . | al sl 2 8) 51,79 zu Ingolftadt . | 72, 112 2| | 1 8 in ganz Baiern | 399 | 740 125 | 99 99 85

Dagegen ergibt fich eine volljtändige Ueberſetzung des Handwerks aus folgenden Zahlen. In der Nieder: grafihaft Katenellnbogen! fommen 1783 nach der zuverläffigen Angabe eines dortigen Beamten, des Kam— meraffeffor Hüpeden, auf 19 596 Seelen nicht weniger als 1663 Handwerker, Künftler und Hanvelsleute mit 87 Geſellen und 21 Yehrlingen zujammen 1751 hand» werfsmäßig beichäftigte Perjonen. Es find darunter einige wenige Yeute, die heute nicht in der Handwerks-, jondern in der Handelstabelle verzeichnet werden; neh— men wir nur 1600 handwerksmäßig beichäftigte Per— jonen auf 19596 Seelen an, jo find e8 8,,, °), der ganzen Bevölkerung, während 1861 die Handwerker in dem gewerbreichen Sachen erjt 8, in Preußen 5 —6 9, der Bevölkerung betragen, während 1845 in den größ- ten deutichen Städten die jümmtlichen Gewerbetreiben- den 4—6 %/,, nur in Berlin und Wien bis 10 %, ? ausmachen. Daß es fih um eine zu große Zahl Mei- jter Handelt, die ich des Halb Fümmerlich nährt, zeigt

1) Siehe Schlöger, Staatsanzeigen VI. 159 191. Majcher, Gewerbeweſen ©. 433.

2) Nach Reden, Zeitichrift des Vereins für deutſche Sta- tiftit I, 763: Vergleichende Zufammenftellung der Bevölke— rung und der Zahl der Gewerbtreibenden in 14 beutfchen

Städten, ®»

Handwerksftatiftif”jener Zeit.

die Gehülfengahl; 168 auf 1663, alſo 10 % der Meiſter; in Sachen kommen 1861 auf jeven Meifter etwa 1%/, Gehülfen, in Preußen auf jeden Meijter einer alſo 100 bi8 150 %, der Meijter.

Maſcher und Kotelmann! theilen ohne Angabe der Quellen noch einige Daten mit, die ein Ähnliches Bild ergeben. Im Herzogthum Magveburg Tommen 1784 auf 280 332 Seelen 33 203 Handwerker, darun- ter 2297 Gefellen und 1988 Lehrlinge und 1868 Meifter, Gefellen und Lehrlinge in Fabriken bejchäftigt. Es bleiben aljo 27 050 jelbjtändige Meine Meifter mit 4285 Gehülfen: mit den Gehülfen über, ohne fie bei- nahe 10 %, ver ganzen Benölferung. Das wenig indu— ftrielle Fürftenthum Würzburg hat auf 262409 Seelen 13 762 jelbftändige Gewerbetreibende mit 2176 Gehül- fen, zujammen 15938 oder 6,98 °/ der Bevölkerung. Schweidnitz Hatte 1788 folgende Bevölkerung: Civil- ftand 6118 Seelen, Militär 2865, zujammen 8983 Seelen, davon 1072 Handwerfer, aljo auf einen Handwerter etwa 8, Seelen, der Handwerkerſtand 12 %/, der Benölferung. SKaufbeuern hatte 1783 etwa 4000 Seelen mit 800 Gewerbtreibenden, worunter indefien 300 Weber eingerechnet find. Wenn wir Dieje in Abzug bringen, jo machen die Hanbwerfer immer noch 12,, % aus. Im Speier, das noch zu Ende des 16. Jahrhunderts 1000 Tuch- und Leinweberjtühle

1) Gewerbewejen S. 432. Kotelmann, bie Urfachen des Bauperismus unter den beutichen Handwerkern, beutiche Bier: teljahrsichrift 1851. Heft 1. ©. 19 ff., beſonders ©. 202 und 226.

22 Ein Rüdblid ins 18. Jahrhundert.

zählte, das 1792 deren nur noch 20 Hatte, kommen in diefem Jahre auf 5129 Eimwohner doch noch 674 jelbjtändige Gewerbtreibende mit 290 Gehülfen, aljo 964 Perjonen, das find 18,,, %, der Bevölkerung. Sie müfjen in jehr jchlimmer Lage gewejen fein, wenn man auch annimmt, fie hätten neben dem Abjak in der Stadt noch einen weitreichenden in der Umgegend gehabt. „Kaum 100 dieſer Meifter konnten von ihrem Gewerbebetrieb leben.“ „Ich kenne“ jagt ein Augen: zeuge, der damalige Zunftherr Adam Weiß zu Speier „äußerſt thätige vechtichaffene Profeifioniften, die Tag und Nacht anhaltend zu arbeiten wünſchen. Allein fie finden feine Beichäftigung und müſſen zu ihrem gro- Ben Yeidwejen gezwungen müßig gehen. Boll Wehmuth jieht man fie für die Ihrigen gegen den Hungertod käm— pfen, und kaum verichafft ihnen ihr Sieg das trodene Brod.“

So ſind die gewerblichen Zuſtände Deutſchlands im 18. Jahrhundert beinahe allenthalben. Immerhin aber gab es einzelne Theile des Reichs, wo die Lage des Gewerbsmannes etwas beſſer war, wie ich ſchon vorhin erwähnte. In Oeſtreich war durch Karl VI., durch Maria Thereſia und Joſeph II. Manches geſche— hen. Auch in Sachſen war einiger gewerblicher Fort— jchritt nicht zu leugnen. Bor Allem aber hatte man es in den preußijchen Landen verftanden, ven Wohl: jtand zu fürdern. Es ift nöthig, darauf noch einen Bli zu werfen.

2. Die preußiiche Verwaltung und die preußiſche Induſtrie des 18. Jahrhunderts.

Die Thätigkeit des großen Kurfürſten und König Friedrich's. Friedrich Wilhelm J., die poſitiven Beförderungen der Indu— ſtrie und die Reform der Zunftverfaſſung. Friedrich der Große; ſeine Juſtiz, Toleranz und Einwanderungspolitik; die poſitiven Beförderungen beſonders der Gewebeinduſtrie; die fortgeſetzte Reform des Zunftweſens, die weſtpreußiſche Hand— werksordnung von 1774. Der Erfolg dieſer Maßregeln nach Marperger, Mirabeau, Krug; das Handwerk in Berlin 1784, in Brandenburg 1784. Allgemeine Würdigung der preußi— ſchen Berwaltung des 18. Jahrhunderts; die Berechtigung der Maßregeln, bejonders der Neglements in Bezug auf die Hausinduftrie.

Schon der große Kurfürft beginnt mit jener plan- mäßigen Yeitung und Beförderung der Gewerbe und des Handels durch Die Staatsregierung." Seine Haupt- bemühung war, tüchtige nieverländiiche und franzöfifche

1) Das ziemlich vollftändige Material für vie Gejchichte die— fer Bemühungen liegt vor in Mylius, Corpus Const. Marchic. V und in der Fortjfegung, im Novum Corpus Const. Prussic. 1751 1800. Es fehlt aber noch an einer irgendwie genü— genden Bearbeitung. Einen furzen Abriß enthält die gejchicht- liche Einleitung in Rönne, Gemwerbepolizei des preuß. Staats, Breslau 1851. ©. 8 ff.

24 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

Gewerbsleute ins Land zu ziehen. Durch die Epifte von 1667, 1669 und 1683 jollte in jeder Weije Die Wieverbebauung wüſter Stillen in Städten und Dör- fern befördert werden. An Stelle des höchſt ungleich auf einzelnen Häufern haftenden alten Schoſſes ſetzte er die jpäter vielgejchmähte Accije in den Städten durch, die zumächit jehr zur Hebung der jtäbtiichen Gewerbe beitrug, Handwerker, Krämer und Kaufleute von ander: wärts anzog. „ES wurde ein Gebränge veripürt, um Häufer zu faufen.” Die Edikte vom 3. November 1686, 7. Mai 1688 und 13. Juli 1688 follten die ganze Gewerbeverfaffung befjern. Theure Meifterftücde wur— den verboten; alle Gejchloffenheit der Zünfte auf eine bejtimmte Anzahl Meifterjtellen ward verpönt. Alle Ein- wanderer erhielten freies Meifter- und Bürgerrecht. Wo e8 nothivendig war, wurden die Zunftichranfen Durch Perjonalprivilegien durchbrochen. Die YLinneninduftrie der Grafichaft Ravensberg, früher durch niederländijche Slüchtlinge begründet, wurde durch die Leggeordnung von 1652 wieder wejentlich gehoben! Die Maße, die Dualität, die Namen bejtimmter Gewebe wurden feſt— gelegt, die Yeinwand nachgemeſſen, mit herrichaftlichem Stempel verjeben, das Verhältnig von Stadt und Land georoniet. Er begann damit, das Privilegium der Städte in Bezug auf die Weberei aufzuheben, wie das noch mehr fein Sohn gethan hat.?

1) ®ergl. Mirabeau, de la monarchie prussienne. Lon- dres 1788. III, 217.

2) Dajelbft S. 221—22. Mylius V. Abth. I. ©. 428. Patent vom 25. Juni 1729, eod. ©. 754: Spinner und Leine—

Der große Ehurfürft und König Friedrich I. 25

Auch in den übrigen Zweigen dev Gewerbepolizei jegte König Friedrich eine ähnliche Politif fort; bejon- ders die Beförderung aller Art von Einwanderern wurde ſyſtematiſch betrieben. Magdeburg wurde von den Pfälzern volljtändig wieder aufgebaut. In Berlin mehr: ten fich die franzöfiichen Gejchäfte und Gewerbe. Im Yahre 1690 follen jchon 43 Arten neuer Gewerbszweige durch die Wallonen und Franzoſen in der Mark hei- miſch geworden fein. Heftig klagten die einheimijchen Gewerbe über dieſe neue Konkurrenz; aber die Regierung achtete nicht auf dieſe Klagen.

Unter Friedrich Wilhelm, dem fparfam Hugen, bausväterlichen Tyrannen feiner Unterthanen, knüpften fih an dieſe Maßregeln weitere und tiefer eingreifende ; Ausfuhrverbote von Rohſtoffen, bejonders von Wolle, Einfuhrverbote over hohe Zölle reſp. Aceifeabgaben für fremde Manufafte werben erlaſſen. Walfmühlen, Fär- bereien, Preſſen, Wollmagazine werden von der Negie- - rung angelegt. Das Berliner Lagerhaus, als ftaatliche Mufter- Tuchfabrif, wird gegründet. Niedere Steuern oder volfjtändige Steuerfreiheit, Freiheit von Einquartie- rung und Werbung, Vorſchüſſe auf 3 Jahre vom Tage ihrer DVerheiratung werden fremden Tuch-, Raſch-, Zeug-, Fries-, Strumpf- und Hutmachern verjprochen.?

weber joll mam auf dem Lande fo viel als man kann und will anfeten Dürfen.

1) Siehe. Stenzel, Gefchichte des preuß. Staats. Hamburg 1841. III, 47 ff.

2) Stengel III, 413.

26 Ein Rüdblid ins 18. Jahrhundert.

In der Inſtruktion an die Fabrikinfpektoren von 1729 1 wird dieſen aufgetragen, zu ſehen, daß die armen Zuchmacher Verleger befommen, welche ihnen Wolle und Arbeitslohn vorjchießen. Strenge wird befohlen, daß die im Zuchthaus zu Spandau das Rajch- und Zeugmachen erlernt Haben, in die Zunft aufzunehmen jeien. Im dem Generalprivilegium für die Tuchmacher der Mark von 1734 ? wird erflärt, das Gewerbe fei ein ungeſchloſſenes, jeder Meeifter dürfe Gefellen halten fo viel, als er wolle; ein niederes Marimum von 4 5 Thalern wird für die Koften des Meifterwerdeng feftgejetst; zwijchen Fremden und Einheimifchen, welche Meifter werden wollen, joll fein Unterjchied gemacht werden. Damit e8 nicht an Garn fehle für die Webe- rei, wird das Spinnen allen Höferweibern, Handwerks— frauen und Bürgertöchtern, die in öffentlichen Buben feil halten, anbefohlen.

In Bezug auf die Zunftverfaffung überhaupt wer- ven jchon vor dem Neichögejeg von 1731 weientliche Aenderungen getroffen. Das Handwerk joll in der Hauptjache den Städten bleiben, aber nicht ber bloß bornirte Egoismus der Zunftgenojjen der Stadt ſoll über die Ausnahmen entſcheiden. Es werden 1718 Prin- cipia regulativa ? über das Verhältniß von Stadt und Land erlaffen; nicht bloß Spinner und Yeineweber, fon: dern auch Schmiede, Schneider, Zimmerleute, Nabe macher find zuzulafjen, in jedem Dorfe wenigſtens jo

1) Mylins V. Abth. II. ©. 467,

2) Mylius V. Abth. II. ©. 375. 3) Mylius V. Abth. I. ©. 670.

Friedrih Wilhelm I. 27

viele als 1624 Handwerkeftellen da waren. Genaue Berzeichnijfe über die Zahl der alten Stellen werben publicirt. Jede Gutsherrichaft kann für fie ſelbſt arbei- tende Handwerfer anjegen, jo viel fie will. Die Yand- meifter bürfen beliebig Gejellen halten und ungen lehren, nur fie nicht Losjprechen.! Den Dorffüftern und Schulmeijtern ſoll wegen ihres fchlechten Gehalts fort erlaubt werben, eine Profeſſion zu treiben.

Mehrmals (1718 und 1721)? werben Verzeich- niſſe der in einzelnen Städten fehlenden Handwerker veröffentlicht, um Einwanderer gegen freies Bürger - und Meijterrecht, Bauholz und mehrjährige Abgaben- freiheit dahin zu ziehen. Alle theuren Meijterjtüce werden 1723 verboten? Waiſen und Soldatenfindern fol das Vorwärtsfommen in der Zunft in jeder Weile erleichtert werden.

Hauptjächlich aber wurde das Reichsgeſetz gegen die Zunftmißbräuche mit Nachorud durchgeführt. Ein bejon- derer Anhang in Mylius von 618 Spalten enthält die jämmtlichen hienach revidirten Zunftitatuten aus ben Jahren 1734—37, Mit polizeilicher Gewalt durch die beauffichtigenden Altmeifter, durch die Steuerräthe und dabrifinjpeftoren wird verfucht, in alle Gewerbe Ord— nung, Fortſchritt, tüchtige Arbeit zu bringen; viel Kleinliche8 und Beraltetes wird in hauswäterlichem Sinne beibehalten, aber die eigentlich monopoliftiichen Mißbräuche werden fchonungslos verfolgt.

1) Eod. ©. 735, Anno 1724.

2) Mylius V. Abth. I. 411. Abth. II. ©. 674. 3) Mylius V. Abth. II. 734.

28 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

Die Verwaltung des größten preußiichen Königs ging von denjelben Anjchauungen aus; aber die Durch- führung war großartiger, feiter, planvoller, wie feine Einfiht, jene Kenntniffe und fein Charakter dem jeines Vorgängers unendlich überlegen waren. Dagegen wirfte unter ihm die höchſte Anjpannung der Finanzen, die übermäßige Ausbildung des indirekten Steuerſyſtems den Bemühungen um Hebung des Wohljtandes jtärfer entgegen als früher.

Als der wichtigfte Grundſatz jeiner hierin feinem Bater weit überlegenen Regierung jtand der voran, Das Suftizverfahren jo zu beſſern und jo unabhängig zu machen, die Gewifjensfreiheit fo feitzuftellen, daß Preu— Ben der Zielpunft aller Auswanderung blieb und noch mehr werde. Hunderte von Dörfern hat er gegründet, ? Tauſende von fleißigen Handwerkern und Fabrifanten bat er ins Land gezogen. Wie früher wurden Liſten der an den einzelnen Orten fehlenden Handwerker publi- zirt. Maſſenhaft wurden bejonders Bauhandwerker aus dem DVoigtlande und dem Sächſiſchen nach Weftpreußen

1) Das Material bei Mylius; fonft: Nojcher, über die vollswirthſch. Anfichten Friederich8 des Großen, afad. Feftihrift ber kgl. ſächſ. Gejellichaft der Wiffenih.; Lippe» MWeißenfeld, Weftpreußen unter Friederih dem Großen. 1866; Mirabeau de la mon. prussienne 3b. III; Dohm, Denkwürdigkeiten Bd. IV. ©. 85— 132. 377— 527. Hannover 1819; Preuß, Frieberih der Große Bd. IH u. IV und Urkundenband III u. IV. Berlin 1833 u. 34. Hertzberg, Huit dissertations. Berlin 1787.

2) Hertberg, ©. 191.

Friedrich II. 29

übergefievelt (1776). Im Schlefien allein jollen 1763 77 nicht weniger als 30 000 Gewerbtreibende eingewandert ſein.

Die poſitiven Beförderungen der Induſtrie waren ſchroff merkantiliſtiſche, die eben, weil ſie ſchroff ein— greifen, manche Intereſſen verletzten, oft geändert, modifizirt werden mußten, wie z. B. die Wollausfuhr- verbote. Aber überalihin kam durch feine Anregungen gewerbliche Thätigfeit. , Der jchlefiiche Bergbau iſt auf ihn zurüczuführen; eine große Eiſenwaaren-Fabrik wurde in Neuftadteberswalde ins Leben gerufen; die Berliner Staats -Eijengießerei, die Mutter der ganzen Berliner Maſchineninduſtrie, iſt jein Werk. Die Krefelder Seiwen: inbujtrie erblühte unter ihm; die Elberfelder und Bar: mer Induſtrie? erwuchs unter ihm aus bloßer Bleicherei und Färberei zur großartigiten Weberei. Die Bielefel- der Linneninduftrie wurde durch Einrichtung holländiſcher Dleichanftalten, durch ein Handels- und DBleichgericht, durch Beförderung des Abjates auf diplomatiſchem Wege unterjtügt. Am meijten vielleicht geſchah für bie Gewebeinduftrie Schlefiend und der Mark, beſonders Berlins. Techniſche Neglements, wie 3.8. 1754 für die neumärkiſchen Tuchmacher, auch einzelne Spezial- befehle ordneten die gelfammte Spinnerei und Weberei. Die Garnausfuhr wurde verboten, das Spinnen in jever Weiſe befördert, jelbjt ven Soldaten wurbe es

1) Lippe» Weißenfed ©. 75 und 115.

2) Siehe darüber: Hoder, die Großinduftrie Rheinlandes und Weftjalens, ihre Geographie, Geſchichte, Produktion und Statiftit. Leipzig 1867. ©. 180— 188,

30 Ein Rüdblid ins 18, Jahrhundert.

befohlen, * den Baumwollipinnern ſogar Iahresprämien gezahlt.” Nievere Steuern, Freiheit von jeder Meifter- abgabe und von Einquartierung für Die Weber und Spinner, volle Gleichjtellung von Stadt und Land für diefe Gewerbe, Einrichtung von Schauanftalten, Woll- magazine, Gewährung von Staatsdarlehen, von PBenfio- nen an Lyoner und Schweizer Seivenweber neben dem Webelohn, den fie vom Fabrikanten erhielten; das waren die früher ſchon beliebten, jet noch mehr ausgebildeten Mittel. Wejentlih war die Sorge für die kleinen Handwerker, die für Verleger und Fabriken arbeiteten ; e8 war das um jo wichtiger, als die Hausinbujtrie damals noch fat Die allgemeine Form war, in’ der die gefammte Eiſen- und Gewebeinduftrie fich bewegte. Die wohlhabenveren Meiſter arbeiteten auf eigene Rechnung und verkauften an die Verleger; die ärmeren erhielten den Rohſtoff vom DBerleger und hatten die fertige Waare abzuliefern. Für diefe Handwerker find die Edikte bemüht, Kredit und Rohſtoff zu ſchaffen, für die Fabri— fanten Sicherheit des ihnen gehörigen Rohſtoffes durch jtrenge Strafen gegen Veruntreuung, durch ein 1756 eingeführte Separations- und PVindifationsrecht, Das ihnen im Konkurſe der kleinen Meifter die gelieferten Rohſtoffe an fich zu nehmen erlaubt. Im Berhältnig beider zu einander wird jtrenge darüber gewacht, daß fein Betrug, feine MWebervortheilung, fein unbilliger Nothverkauf ſtattfinde.

1) Mirabeau III. 74. 78. 2) Novum Corpus Const. Pruss. 1753. ©. 455.

Die Zunftreformen. 31

Die allgemeine Gewerbegefeßgebung in Bezug auf Zünfte und Innungen wird noch mehr als früher von alten Mißbräuchen gereinigt. In den Jahren 1751 55 werben eine jehr große Zahl Innungsprivilegien bejon- ders für Preußen (im e. ©.) revidirt;! daneben wird durch einzelne Spezialbefehle diejer und jener Uebelſtand abgeftellt. Ueber die Richtung diejer Gejeßgebung nur einige Worte. Die Losfaufung vom Meifterftüce gegen Geld und Gejchenfe wird 1747 verboten. Als mit der Noth des Jahres 1771 viele Handwerksgeſellen am Kolbergiſchen Feſtungsbau im Taglohn arbeiten, wird ſtrenge eingeſchärft, ſie derohalben nicht aus der Zunft zu jtoßen.? Aus der Handwerkerordnung für Weſt— preußen von 1774 hebe ich folgendes hervor: alle alten Artifel und Bräuche, alle Schmaufereien find abge- Ihafft; bei allen wichtigen Dingen, bejonders bei Hand— habung der Zunftgerichtsbarfeit, muß ein Magiftrats- mitglied anweſend jein; nur leicht verfüufliche Meifterftüce dürfen gefordert werden; Meiſter aus andern Städten müjjen überall zugelajjen werben, wenn fie das etwaige Plus an Meiftergeld nachzahlen; jeder Meifter hält fo viel Gejellen und Stühle, als er will; nur die Lehr- lingszahl kann auf Wunjc durch die Ortsbehörde unter Zuftimmung der Kriegs- und Domänenfammer beichräntt werden; alle fremden Gefellen, die nach fremdem echt eine Stufe in der Zunfthierarchie erreicht haben, find

1) Novum Corpus Const. Pruss. I, 1159.

2) Verordnung vom 21. März 1771; diefe, wie manche andere Edikte und Berorbnungen, die ich in den Driginal« druden gefammelt habe, ift nicht im Nov. Corp. abgebrudt,

32 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

in Preußen zuzulaffen, wie wenn fie in Preußen nach bortigem Recht dieſe Stufe erreicht Hätten; alle Geburts- beichränfungen für das Yehrlingwerden find befeitigt, ebenjo die zahlreichen Gründe der Unreblichkeit; volle Freiheit des Jahrmarktverkehrs, auch für Fremde, wird jtatuirt; mehrere einander nahejtehende Zünfte ſollen fombinirt werben, damit die Streitigkeiten aufhören.

Das waren im Großen und Ganzen die Grund- füge, nach denen im 18. Jahrhundert die brandenbur- giſch-preußiſchen Gewerbe behandelt wurden. Was war der Erfolg? der Erfolg troß dem, was dieſer Staat im 18. Jahrhundert erduldet. ch erinnere dabei nur an die Peit, die Preußen und Pommern 1709 1711 fait entwölferte,! an den Steuerdrud und die Kriege unter dem großen König, an die volkswirthichaftliche Krifis, welche nach dem 7 jährigen Kriege hauptjächlich durch die Münzwirren entjtand, ? an die Wirkungen der Hungerjahre von 1770 74. Trotz alledem war ber Erfolg ein großer, wie ich nur durch einige zeitgenöſſiſche Urtheile und jtatiftiiche Zahlen beweijen will.

Schon zu Anfang des Jahrhunderts gilt der preu- Bijche Gewerbfleiß als ein den Nachbarftaaten überlege ner. „Man jehe die Handwerksſtäte“ ruft Mar- perger ? jhon 1710 „voller fleißiger Handwerksleute

1) Stengel III, 188.

2) Preuß, Urkundenbud IT, ©.86 ff. Briefwechſel zwifchen Friederih dem Großen und feinen Miniftern über den Berfall des Handels, der Fabriten und über das Projekt einer neuen Billetbant. 1766.

3) Paul Jakob Marperger’s, Mitglied der königl. preuß. Sozietät der Wiſſenſchaften, Kurkgefaßte geographiſche, bifto-

Der Erfolg der Maßregeln. 33

und die öffentlichen Kramladen voll köſtlicher Waaren, welche die Kaufleute theils aus der Fremde verjchrieben, theils auch durch ihre eigene Induftrie im Lande jelbft von denen Handwerfsleuten zuwege gebracht haben.” Viel ficherer aber lauten die Nachrichten und die ftatiftiichen Ergebnifje, wenn wir uns in die leßten Lebensjahre König Friederich's verfegen.!

Bedeutend war vor Allem die jchlefiiche Gewebe— induftrie gewachien. Unter der öftreichiichen Regierung zählte man 12000 Webjtühle für Leinwand, zu Ende der Regierung Friederich's des Großen 20000.? Die Produktion an Stüden Tuch war gemwejen:?

1739 . 2. 2 .2....68268 Stüde BED 6 a 85462 = 175 . .... 195317 Die Produktion von Strümpfen in Schlefien war gewejen: * 1739 . . 2»... 151793 Paare 15.2... MA »

riſche und merkatorifche Beichreibung aller derjenigen Länder und Provinzen, welche dem königl. preuß. und churbrand. Scepter unterworfen. Berlin 1710. Zu vergleihen auch Büſching's neue Erdbeſchreibung, dritter Theil. Bd. II. ©. 2067 68. Bierte Aufl. Hamb. 1765.

1) Die Gefammtüberficht über die preußifche Inbuftrie im Jahre 1785 nach Hertzberg, huit dissertations ©. 254 theile ih nicht mit, da ich fie mit feinen frühern oder fpätern Zahlen bireft vergleichen kann; immerhin ift fie ſehr lehrreich, fie zeigt Har die Entwidelung der preußilchen Gewerbe bis gegen 1785.

2) Mirabeau III, 92.

3) Daſ. 96.

4) Daf. 106.

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 3

34 Ein Rüdslied ins 18, Jahrhundert.

ey 5 er 368 591 Paare TR 2.2 20% 393346 =

Mirabeau, der jo ſehr fich bemüht, die Erfolge von König Friederich's VBerwaltungsgrundfägen herabzu- jegen, ruft Doch über Schlefien aus: „il y rögne une population, une culture et une industrie vraiement immense.“ Schneer ſchildert die Zuftände der Weber: diftrifte gegen 1800 als behagliche, allerdings Durch jede Stodung des Abjates bedrohte, die Weber als 'jelb- jtändige Unternehmer, die auf den Yeinwandmärkten an die Kaufleute verkaufen. „Im Allgemeinen,” jagt er, „war namentlich unter den Yeinwandfaufleuten Reich— thum und UVeppigfeit und unter den arbeitenden Klafjen der Leinwandinduftrie ein gewiſſer Wohlitand und ein leichtſinniges Wohlleben verbreitet.“

Aehnliches Tiefe ſich von der weitfälifchen Linnen- induftrie,? von der rheinischen Seiden-, Baummolle - und Eijeninduftrie berichten. Ich will mich darauf bejchrän- fen, über die Marf Brandenburg und Berlin noch Eini- ges mitzutheilen. Krug? jtellt in Bezug auf die kur— märfiichen Städte die lehrreiche, oben jchon erwähnte Vergleichung zwiichen 1750 und 1801 an. Es gab in denjelben:

1750 1801 BEME: 1348 12254

Bierihenfen . . ... 674 1040

————

1) A. Schneer, über die Noth der Leinenarbeiter in Schleſien. Berlin, Veit 1844.

2) Siehe Mirabeau TI, 199.

3) II, 162.

Preußiſche Gewerbeftatiftif. 35

1750 1801 Bierbrauerr . » . . .. 2116 1121 Komddinten . : > 220 136 DBler - %- 04 58m MO BR Zudenfamilien . » » » . 5194 047 Mufilanten . - 2.2. 79 8330 Spinne . - » 2 2... 1979 8194 Tagelöbnr . » » 22 ...83977 9579 Züchtlinge und Arreftanten . 128 535 Kattunmeber und Drude . 34 1184 Baumwollzgeugmader . . . 962

Die Tabelle beweist freilich, daß mit dem Fort— jchritt der Induſtrie und der Benölferung auch die jchlimmen Elemente (Arme, Züchtlinge) wachien; aber im Ganzen deutet fie doch mehr auf Fortjchritt als auf Rückſchritt.

In Berlin hatte Handel und Verkehr außerordent— lich zugenommen; vor Allem die für den Großhandel arbeitenden ‚Gewerbe hatten fich entwidelt, aber auch ver Heine Handwerkerſtand befand ſich in guter Yage. Reden theilt gemwerbeftatiftiiche Zahlen aus ven Jahren 1783 85 mit,! Die er mit den Zahlen von 1847 vergleicht. Von Handwerksmeiſtern macht er 19 Kate- gorien namhaft, welche zufammen 1784 2,,%,, 1847 3,140, der ganzen Bevölferung ausmachen. Nicht alle einzelnen Kategorien aber haben zugenommen von 1784 bi8 1847. Abgenommen gegenüber der Benölferung haben folgende;

1) Zeitfchrift des Vereins für deutſche Statiftif II, 476: Die Gewerbthätigkeit Berlins in älterer und neuefter Zeit.

3*

36 Ein Riüdblid ins 18. Jahrhundert.

Berhältniß Verhältniß Handwerksmeiſter 1784 zur Bevölte- 1847 | zur Bewölte- rung wie 1: rung wie 1: = u Zimmerleute und Bauunter- nehmer 21| 5333 69 | 6073 nn = Er Re er er 42 | 2666 100 4100 Lobgerber . » 2 0. 46 | 2435 26 | 15769 Hutmader . 61 | 1836 75| 5466 Gold- und Sitberarbeiter 130 939 1369| 1111 Kupferjchmiebe ; 25 | 4480 45) 911

Dagegen haben zugenommen:

Ber Handwerfsmeifter 1784 | er —— 1847 der ei rung wie 1: rung wie 1:

Sl . ©» 2 2. ..] 583| 2113 3341 1228 Tiichler . . + 1269 417 12208 185 Sattler und Taf ner .. 1 4 | 2545 2031 2020 Tapeziere 28 | 4000 3531 1161 Riemer und Sederladirfabri-

fanten <= 2 2 2.1 81L]| 3613 | 1388| 2971 Schneider . » 2... .789 126 /4101 100 Schuhmader . 869 129 |3540 116 Klempner und dahingehörige

Ladirfabrifanten . . . | 44| 2545 335| 1224 Drechſsler . . 40 | 2800 378| 1085

Buchbinder u. Papparbeiter 39 | 2872 447 917 Buchdrucker, Steindruder ꝛc. 35 | 3200 1431 2867

Uhrmacher und Uhrgehäuſe—⸗ mahet 2 2 22...) 36 3111 | 106 209 Muſikaliſche Inftrumenten- macher, Draht» u. Darm⸗ faitenfabrifaten . N 8 14000 135 3037 Die erftern Betriebe find folche, bei welchen jchon bi8 1847 die Heinern Gejchäfte durch größere verbrängt find, bei welchen durch Maſchinen, verbeſſerte Technik

Die Gewerbe Berlin’s. 37

und größere Arbeiterzahl das gewiß auch geſtiegene Bedürfniß befriedigt wird.

Die Yettern Betriebe find folche, bei Denen das noch nicht geichehen ift, bei denen der fteigende Wohl- ſtand eine größere Zahl Heiner Gejchäfte bis 1847 her- vorgerufen bat. |

Jedenfalls ergiebt fich jo viel aus den Zahlen, daß der Unterjchied zwijchen 1784 und 1847 fein allzugroßer it. Sehr ſtark abgenommen hat nur die Zahl der Zohgerber und Maurermeiſter, jtarf zugenommen nur die der Tiſchler, Zapeziere, Klempner, Drechsler, Buch- binder, Inftrumentenmacher. Bei den übrigen Tiegen die VBerhältnißzahlen nicht weit auseinander, ein Beweis, daß jchon 1784 die gewerblichen Zuftände Berlins beffere waren, als in den meijten übrigen deutſchen Städten.

Eine andere Bemerfung drängt fi) daneben noch auf. Welch ungeheurer Umſchwung in der Zeit von 1784 bi8 1847, und in den wichtigern Kleingewwerben Berlins doch Feine jehr beveutende Aenderung.

Bon größern Gewerben hatten ſich in Berlin vor Allem die Xederfabrifation, die Blumenfabrifation, die Strohhutmanufakturen, die Zuderfiedereien, die Kattun— drudereien, die Weberei aller Art entwidelt. Ich will die Zahlen nicht alle wiederholen; viele dieſer Induſtrien find 1783 85 ftärfer vertreten ald 1847 49: Web- jtühle wurden 1783 gezählt für Seide 2316, für Wolle 2566, für Yinnen 238, für Baumwolle 1048, zuſammen 6168; die Zahlen nehmen noch zu bis ing neue Jahrhundert; 1804 find 3691 Baumwollftühle vor: handen; 1849 zählt man in Berlin 2147 Stühle für

38 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

Seide, 2270 für Wolle, 63 für Linnen, 2113 für Baumwolle. Mirabeau! muß von der Berliner Indu— jtrie gejtehen: „Les manufactures &tablies & Berlin y trouvent un march& immense sous la main, le concours de toutes les sciences, de tous les artistes; ils peuvent donner à leurs ouvrages une perfection, une beaute qui les fassent rechercher au dehors. Tant d’avantages, joints aux privilges exclusifs qui leur assurent le march& dans les 6tats du roi de Prusse, doivent &tendre considerablement leurs profits et accelerer leur activite.*

Nicht überall natürlich in den preußiichen Landen war Die gewerbliche Entwidelung eine jo glänzende ; bejonder8 der Eleine Handwerkerſtand befand fich noch da und dort in ähnlicher Lage wie im übrigen Deutſchland. Die oben angeführten Magdeburger Zahlen zeigen, wie flein die Zahl der Gehülfen war, und das ift immer ein ungünjtiges Zeichen. Aehnliches wird aus weit fälifchen Städten berichtet. So zählte Bochum 1780? auf 13 Schreinermeifter 2 Gefellen, auf 26 Schuh- machermeifter 3, auf 21 Bäckermeiſter 1, auf 8 Zim- merleute 1, auf 5 Maurermeiſter 1 Gefellen; die mei- jten andern Handwerfe waren ganz ohne Gefellen. Als Beweis aber, daß gerade auch in dieſem Punkte die preußijchen Zuſtände vielfach beſſere waren, als im übri= gen Deutjchland, möchte ich jchließlich einige Zahlen aus der Handwerksitatijtif der Stadt Brandenburg von 1784

13:IB..:318;

2) Sacobi, das Berg-, Hütten» und Gewerbeweſen bes Regierungsbezirk Arnsberg. Iferlohn 1857. ©. 532.

Die preußiihen Handwerke. 39

anführen." Es waren bei einer Bevölkerung von 8980 Civil- und 2290 Militärperjonen 134 Tuchmachermeiſter mit 76 Gejellen 53 Lehrjungen. 6 Raſchmacher 8 1 =

10 Hutmader : 12 7 6 Tuchſcheerer . 5 P 3 4 Tuchbereiter » 8 - 6

86 Garnweber 64 13

60 Schneider ⸗25 20

91 Schuſter - 64 . 20 + 9 Lohgerber :. 13 E 1

10 Poſamentiere 3 6

37 Bäcker : 24 - 8

17 Fleiſcher : 13 s 1 =

4 Fiſcher 18 - 1 .

Dieſe Gejellen- und Lehrjungenzahlen deuten im Gegenjag zu den eben und oben angeführten auf ein jehr blühendes Handwerk hin.

Nah dieſen Bemerkungen über die Art ver preußiſchen Gewerbebeförderung und über den thatjäch- lichen Erfolg derjelben, kann ich nicht umhin, noch einige allgemeinere Betrachtungen über dieſelbe anzuiftellen; denn wenn auch dieje Unterjuchungen in erjter Xinie die realen Zuftände feititellen, nicht die jeweilige Gejetz- gebung beurtheilen wollen, jo ift e8 doch gerade hier amt Plage, ein Wort gerechter Würdigung auszujprechen, da bis in die neueſte Zeit die Beurtheilung von boftri- närer infeitigfeit beeinflußt ist. Mirabeau, Dohm, Preuß, Stenzel find Theoretifer des entgegengejegten Extrems, und das Urtheil über die preußifche Gewerbe

1) Schlöger, Stantsanzeigen VI, 154.

40 Ein Rüdblid ins 18. Jahrhundert.

gejetgebung des vorigen Jahrhunderts ift bis auf die neuejte Zeit von ihren Ausiprüchen faft gänzlich abhängig geblieben.

Unter der Herrihaft des Merkantiliyitems, wie jpäter unter dem der Phyfiofraten und Smithianer hat man fich in doftrinärer Weiſe zu allgemein an allgemeine Sätze gehalten. Damals war das Prinzip: Staatsein- miſchung unter allen Umftänden; nichts lehrte man entjteht ohne fie; der Steuerrath, die Kriegs- und Domänenkımmer weiß Alles beffer. Dann wurde ebenjo einjeitig Fernhaltung aller Staatsintervention, Beſei— tigung aller Gewerbegeſetzgebung Prinzip; die Regie: rung lehrte man kann nur ſchaden, fie verjteht niemals die Dinge beſſer als die Gewerbetreibenden ; alle Induftrie gedeiht nur, wenn man fie fich ganz jelbft überläßt. Früher Ipezialifirte man zu jehr, man dachte mehr an die Vorbedingungen des gewerblichen Lebens im Kleinen und Einzelnen; dadurch, daß man da ein- griff, wollte man latente Kräfte entbinden, Hindernifje bejeitigen. Später generalifirte man zu jehr; man dachte nur an bie allgemeinften Vorbedingungen; in die klei— nern Urſachen und perjönlichen Hemmniſſe, gleichjam in die Reibungswiderftände des praftiichen Yebens wollte man gar nicht eingreifen. Beide Prinzipien find gleich wahr und gleich falſch. Keins derjelben, wenn auch das eine mehr als das andere, wird an fich Induſtrien ins Leben rufen; weder die volle Gewerbefreiheit noch die weitgehendften Gewerbereglements und Vorſchriften wirken ganz bireft und können darum Selbſtzweck jein. Für alles gewerbliche Leben und Gedeihen find eine

Würdigung ber preuß. Gewerbepoligei. 4

ganze Reihe der verjchtedenartigften und komplizirteſten Rulturbedingungen notwendig: ftaatliche und foziale Zu- ſtände, Bevölferungspichtigfeit, Kapitalanfammlung, per= fönliche Kräfte, Kenntniffe, moraliſche Eigepſchaften, Handelsverbindungen und manches Andere. Diele diejer Borbedingungen find von beiden Prinzipien gleich unab- hängig. Auf andere Vorbedingungen aber wirken fie, und das Urtheil über fie richtet fich eben danach, ob und wie fie auf eine Anzahl diefer Vorbedingungen fördernd wirfen. Jedes der beiden Prinzipien wird bei der Man— nigfaltigfeit der realen Verhältniffe da und dort hem— men, da umd dort fürdern. Jedes ift dann am Plage, wenn e8 nach den zeitlichen Gejammtverhältniffen von Land und Bolt im Ganzen mehr fördert, als hemmt. Je nach den piuchologijchen, moralifchen und jozialen Ver— hältniffen wird das eine fo jehr am Plate fein, wie das andere. Ein zartes Pflänzchen ijt ein ander Ding als eine mehrhundertjährige Eiche, ein Kind bedarf anderer Pflege als der Dann. Niemals aber wird man Fana— tifer des Prinzips fein dürfen, weil man es immer auch zu einer bejtimmten Zeit und in einem bejtimmten Staate mit den verjchievenartigften Menſchen, Kräften und Zu— jtänden zu thun hat. Es wird auch in Zeiten allge meinjter Staatseinmifchung Verhältniffe geben, wo freie Dewegung, freie Konkurrenz am Plate iſt; umgekehrt auch in Zeiten allgemeiner Cewerbefreiheit wird es « Punkte geben, wo ftaatliche Aufficht, polizeiliche Vor— jchriften am Plate find, weil fie im konkreten Falle die Vorbedingungen gewerblichen Lebens, technifche Ge— ſchicklichkeit, angeſtrengte Arbeitsenergie, reelle Ehrlichkeit,

42 Ein Rückblick ins 18, Jahrhundert.

die doch auch beim Syſteme der Freiheit letter Zweck find, mehr fördern. Man wird befonderg nie vergefien dürfen, daß gewiſſe Klaffen der Gefellichaft, gewiſſe Kreiſe der Voltswirthichaft viel langſamer fich entwickeln. Das Handwerk, der Kleinhandvel, der Detailverkehr ift etwas total Anderes als die Großinduftrie und der Groß— handel. Es handelt fih um andere Menfchen, um andere Wirkungen, um andere Möglichkeiten der Ent: wickelung.

Dieſe Erörterung mag ſehr theoretiſch klingen, ſie ſollte nur das apodiktiſche Urtheil einleiten, das ich wage. Jedem, der glaubt, durch ein Syſtem der vollen Ge— werbefreiheit und ſtaatlichen Nichtintervention wäre die preußiſche Induſtrie von 1650 1800 fo oder gar noch bejjer gewachien, als fie mit dem entgegengefetten Syſtem wirklich fich entwidelte, dem muß jedes tiefere hiftorijche und nationaldfonomijche Urtheil abgejprochen werben. Und damit ift das Syſtem im Ganzen für jene Zeit gerechtfertigt, mag e8 auch im Einzelnen viel Unrichtiges gethan oder mit fich gebracht haben, eben weil man an dem im Ganzen richtigen Syſtem auch damals zu bof- trinär feithielt.

Giebt man Letzteres auch zu, ift nicht zu leugnen, daß man zu einjeitig an ven Segen ftaatlicher Pflege glaubte, jo darf man dabei nicht vergeflen, daß die allgemeine Zunftgefeßgebung nach vielen Richtungen Hin im Sinne größerer Freiheit veformirt wurde. Die Ge: . ſchloſſenheit der Zunft wurde bejeitigt, wie Die egoiſtiſche Herrichaft der Altmeifter. Jeder Meifter durfte Gejellen halten, jo viel er wollte, durfte fich niederlaffen, wo

Würdigung der preuß. Gewerbepolizei. 43

er wollte; durch Tiberales Heranziehen Fremder wurde die Konkurrenz befördert, die gewerblichen Rechte des platten Landes wurden wefentlich ausgevehnt. Es Tieße fich noch fehr zweifeln, ob alle diefe Maßregeln nicht einen mindeſtens ebenjo großen Fortichritt im Sinne der Freiheit und Rechtsgleichheit repräfentiren als die Gewerbe⸗ freiheit von 1810, ob fie nicht einen größern Fortſchritt enthalten gegenüber den vorherigen Zunftmißbräuchen, als das Geſetz von 1868 gegenüber dem won 1849. Die pofitiven Förderungen einzelner Gewerbe durch Kredit, Prämien, Reglements, Verbot fremder Waaren ent- Iprachen im Allgemeinen der entietzlichen Lethargie und Lähmung aller gewerblichen Kreiſe jener Zeit, entiprachen der gejellichaftlichen Stellung und Bildung ver Kleinen Leute, der für Verleger arbeitenden Meifter, auf denen in der Hauptjache die ganze damalige Inbuftrie rubte. Dft wurde fehlgegriffen, öfter aber das Richtige getroffen. Die regierenden Elemente waren ven Gewerbtreibenven an Einficht und Kenntniß damals jo überlegen, daß fie ihnen jagen konnten, was zu thun jet.

In Bezug auf die Gewebeinduftrie, auf die zahl- reichen Spinner und Weberbörfer und Städte, die damals ins Leben gerufen, jpäter theilweile in fo große Noth gekommen find, hat man oft gezweifelt, ob bie Politif eine richtige war; ob e8 richtig war, jo viele Arbeitskräfte zu einer Thätigfeit zu veranlaffen, die in ihrer Einfachheit geringen Kohn gab und bei jeder Zoll— ermäßigung oder = Befeitigung in Gefahr war, wieder filtirt zu werden. Die Nothftände zeigten fich auch jehr bedeutend in den Napoleonijchen Kriegen und bis gegen

44 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

1818. Knuth! 3. DB. erflärt 1817 von der großen Berliner Rattunmweberei auf einfachen Stühlen, fie gehöre zu den allererbärmlichiten Erwerbsmitteln, ein Kattun— weber verdiene täglich höchſtens 6—7 Groſchen, ein Tijch- Vergejelle einen Thaler.

Dennoch wäre e8 faljch, aus den Nothitänden ver Weberei von 1800— 1818, aus der Thatjache, daß die einfache Kattunmweberei nicht nach Berlin paßte, ven Schluß zu ziehen, daß die ganze Beförderung der Ge— webeinduftrie faljch war. In der Hauptjache war bie Weberei gejund und nach ven Verhältniffen des vorigen Sahrhunderts naturgemäß. Die Art der Hausinduftrie ermöglichte einen glücklichen Uebergang des Heinen fleißigen Arbeiters zum Unternehmer. Viele arme Yeinwandweber vom Lande zogen in die Städte und wurden Da nach und nach wohlhabende Fabrifanten.? Das Eingreifen in die Kreditwerhältniffe dieſer kleinen Weber hatte ihre jehr gute Seite; nichts iſt für den Heinen Mann ſchlim— mer als die Krebitlofigfeit, durch nichts it ein Syſtem der Hausinduftrie mehr gefährdet, als Durch Yotterfredit, der in Abhängigfeit, Webervortheilung und Ausjaugung des Heinen Mannes nur zu leicht ausartet. Die ganze Ueberwachung der Hausindujtrie durch technijche Regle— ments und Schauämter war Bedingung einer gedeih— Yichen Entwidelung in jener Zeit. Ganz richtig jagt Roſcher,* ſolche Negierungsthätigfeit erjeße, was dem

1) Dieterici, der Bollswohlftand im preuß. Staate. Ber- Yin 1846. ©. 102.

2) Dieterici, Bolkswohlftand S. 98.

3) Volkswirthſch. Anſichten Friederich's d. Gr. ©. 37.

*

Würdigung der preuß. Gemwerbepolizei. 45

feinen Handwerker font ganz fehle, nämlich durch' ihre technischen Rathgeber die Verbindung des Gewerbes mit der Wiſſenſchaft, durch ihre Handelskonſule die fortlau- fende Kenntniß der fremden Märkte, durch ihre Schau und Stempelanftalten die weitreichende Notorietät einer großen Firma. Auch Mirabeau muß zugeben, daß man überall die Blüthe der Induftrie auf diefe Reglements zurückführt.“ Ich will von zeitgenöffiichen Stimmen nur Juſti? anführen, der 1758 fagt: „Im den mteijten deutichen Staaten, ohngeachtet man das Anjehen haben will, die Manufakturen zu gründen, fehlet e8 noch gar jehr an folchen Reglemente. Nur in denen preußifchen Staaten, wo man die wahren Maßregeln jelten außer Acht läßt, haben alle Arten von Manufakturen die um- ſtändlichſten und wortreflichiten Dronungen, und man muß diefelben zu Rathe ziehen, wenn man dergleichen Reglements verfertigen will.‘

Wenn ich jo im Ganzen die Friedericianijche Der: waltung als eine den damaligen Zuftänden entjprechende bezeichne, jo will ich Daneben nicht leugnen, daß manche der merfantiliftiichen Maßregeln verkehrt, daß die Regie-, Acciſe- und Steuerverwaltung drüdend und hart war. Bejonders aber darf man fir das Ende des Jahrhun— derts nicht vergeſſen, daß die Zuftände jelbjt fich änder— ten; was 1740 noch am Plate war, konnte 1800 ſchon unerträglich fein. Und eine eingreifende Verwal-

1) 3.8. II, 218. 2) Bollftändige Abhandlung von denen Manufalturen und Fabriken. Kopenhagen 1758. I, 122.

46 Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.

tungspolitif, wie Die preußiiche, erforberte Talent, Sach⸗ fenntniß, unermübliche Thätigfeitt, um immer wieder die Reglements in Einklang mit ven Zeitbebürfniffen zu bringen. Nach dem Tode des großen Königs war an die Stelle diejer unermüdlichen Thätigfeit Stagnation getreten.

Unter allen Umſtänden bleibt wahr, was Viebahn von riederich dem Großen fagt: er hat Preußen nicht nur politifch zur Großmacht erhoben, er bat jein Land auch kommerziell, gewerblich und geijtig in die Reihe der erjten der welthiftoriichen Staaten gejtellt. Er hat es gethan mit den Mitteln, Die die Zeit gab und for- derte. Einem in Individualismus aufgelösten Volke hat er umerbittlich in allen Gebieten und jo auch auf dem volfswirthichaftlichen Gebiete die höchſte Pflicht gepredigt und gelehrt, alles Einzelne und Individuelle dem Ganzen zu opfern.

Die Hanptrefultate der preußifchen Aufnahmen

von 1795 1861.

1. Die preußiſche Handwerfsitatiftif von 1795/1803.

Die Zuſtände gegen 1800. Die Gewerbefreiheit. Die wirth— ſchaftliche Entwickelung bis gegen 1831. Der Werth der Krug'ſchen Zahlen. Die Vergleichung der Aufnahmen von 1795/1803 und von 1831. Das Reſultat ziemlich unveränderter Berhältniffe.

Ich habe mein Urtheil über die preußiiche Ver— waltung wohl fchon durch die Rejultate der Statiftif zu ſtützen gefucht; ich habe aber dabei eine wichtige Quelle noch nicht berührt, die preußiiche Handwerksitatiftif von Krug in feinen Betrachtungen über den Nationalreich- thum des preußifchen Staates.! Es wird pafjend jein, bei ihr, an der Grenzſcheide des Jahrhunderts einen Moment zu verweilen und fie hauptjächlich mit einer jpätern Aufnahme zu vergleichen, fie dadurch zu einem lebensvollen Bilde zu gejtalten.

Waren die gewerblichen Zuftände gegen 1800 ſchon mannigfach durch die alte Gejetgebung gehemmt, im Ganzen war der Wohljtand ein fteigender bis gegen 1805 und 1806. Die außerordentliche Steigerung der Oetreide - und Bodenpreife in ganz Norvventichland von 1770 ab

1) U, ©. 172— 200. Schmoller, Geh. d. Kleingewerbe 4

50 Die preußifchen Aufnahmen.

hatte die Kaufkraft der ländlichen Kreiſe ſehr geho— ben. Die erjten franzöfifchen Kriege erſtreckten ihre ungünstigen Wirkungen kaum auf Preußen. Erjt jeit 1799 machte fich die Stodung in den norddeutſchen Handelsſtädten geltend. Erſt nach 1806 trat im ganzen Lande die Lähmung des Verkehrs, Die wirthichaftliche Erſchöpfung durch die Kriege, traten die Einquartierungen, Verwüſtungen, Kontributionen ein.

In diefe Zeit fällt Die Einführung der Gewerbe— freiheit. Sie war für Preußen und Littauen jchon 1806 und 1808, für den ganzen damaligen preußtichen Staat durch das Edikt vom 2. November 1810 einge: führt worden. Am linken Rheinufer verjtand fie fich mit der franzöſiſchen Herrichaft von ſelbſt; für Weſtfalen wurde fie durch die Defrete vom 5. Augujt 1808 und 12. Sebruar 1810, für das Großherzogthum Berg dur . das Dekret vom 31. März 1809 eingeführt.

Sicher ift die in Preußen eingeführte Gewerbe— freiheit eine jener unfchätbaren liberalen Konzejfionen gewejen, die zuſammen jo jegensreich gewirkt, den National- geift gehoben, die unwiderjtehliche Kraft der Bevöl— ferung im Jahre 1813 erzeugt haben. Aber e8 wird jchwer fein, nachzumeifen, welche birefte, unmittelbare Wirkung die gefetliche Aenderung auf die wirthichaftliche Lage der Kleingewerbe gehabt habe. Manches wird fich jogleich mit der Publikation des Ediktes geändert haben; mancher Gejelle wird ein eigenes Geſchäft angefangen haben, mancher fih an einem pafjendern Orte, in dem

1) Siehe: Gülich IT, 293— 336; Krug I, 404 fi.

Die Zuftände gegen 1800. 51

benachbarten Dorfe jtatt in der Stadt niedergelaffen haben; aber die gewerblichen Gejammtverhältniffe werden jich zunächſt nicht viel geändert haben, weil fie unter dem Drude vieler anderer, mächtiger wirfender Urjachen ſtanden.

Mit dem Frieden erfolgte die Vergrößerung Preußens ; in den neuerworbenen Yandestheilen ließ man die her- gebrachte Gemwerbeverfaffung unverändert, die Gewerbe: freiheit am Rhein und in Weftfalen, die Zunftverfaffung in Sachien. Immer war es der überwiegend größere Theil der Monarchie, in dem von da ab bis 1845 volle Gewerbefreiheit herrſchte.

Die erſten Jahre nach dem Frieden waren nicht eben günſtige für die wirthſchaftliche Entwickelung. Die Nachwehen der großen Verluſte und Zerſtörungen, die Hungersnoth 1816 17, die Ackerbaukriſis 1820 25 waren harte Schläge. Die Grenzveränderung brachte für die Induftrie der rheinischen Städte manchen Verluſt; das Aufhören der Kontinentaliperre, die engliiche Kon— furrenz, die fich um jo beftiger jet auf Deutichland warf, der Mangel einer gemeinfamen Ordnung des Zoll- weſens, das Alles waren zunächſt ungünjtige Um— jtande. Dem gegenüber war für Preußen die neue Drdnung des Zollwejens im Jahre 1818 ein großer Fortſchritt. Die öftlichen Provinzen jtanden nun ber rheinischen Induſtrie offen; Aachen, Elberfeld, Barmen, Berlin, zeigen einen raſchen Aufichwung,! wie überhaupt alle preußiichen Yande, während allerdings Die vom

1) Gülich II, 420 fi. 4*

52 Die preußiſchen Aufnahmen.

preußiichen Zollſyſtem ausgeichlofjenen nächitliegenden Nachbarlande litten. Ein anderes wichtiges Moment für die allgemeine Beijerung der Yage waren die Ende ver zwanziger Jahre wieder fteigenden Produftenpreife. ‚Die Getreiveausfuhr nach England nahın wieder zu, Das Wollgeichäft des norddeutichen Landwirths war in Der höchſten Blüthe, die Aderbaufrifis jo ziemlich zu Ende. Somit werden wir nicht irren, wenn wir die Jahre gegen 1830 als jolche bezeichnen, in denen die beſon— deren Mißſtände, die fih an die Kriegsjahre und an die erſten Friedensjahre anſchloſſen, weſentlich zurüd- getreten find, im denen aljo die Gewerbefreiheit in ihren reinen Folgen fich erfichtlich zeigen muß; daneben find e8 Jahre, in denen die Konkurrenz der Groß— indujtrie noch kaum begonnen bat, jedenfalls noch nicht in dem Maße vorhanden ijt, wie heutzutage.

Deshalb glaube ich, richtig zu verfahren, wenn ich, wie früher ſchon Dieterici, Die preußiſche Gewerbe- jtatijtif von 1795/1803 gerade mit Der von 1831 vergleiche. Die erjte ein Bild der Zuftände vor dem Krieg, ein Bild relativ blühender Stleinindujtrie, wie fie unter der Herrichaft des Zunftweſens und der jtaat- lichen Maßregelung möglich war; die zweite ein Bild der Zuftände, wie fie nach jo ziemlicher Bejeitigung der Kriegswehen unter der beinahe volljtändigen Herrichaft der Gewerbefreiheit jich gejtalten.

Krug's ftatiftiihe Aufnahmen jind in den Jahren 1795 —1803 nach den einzelnen preußtichen Provinzen gemacht; fie erjtreden fich nicht auf jämmtliche Provinzen der Departements. Die in Betracht kommenden find

Die Krug'ſchen Zahlen. 53

das Pofener, Kalifcher, Warfchauer Departement, Pom- mern, Neumark, Schlefien, Kurmarf, Magdeburg, Paderborn, Minden und Ravensburg, Grafichaft Mark, Kleve, Lingen und Tedlenburg, Oftfriesland, Neuchatel. Da diefe Departements fich gleichmäßig auf die Monarchie vertheilen, jo kann die Methode nicht angefochten werden, nach der Bevölkerung und der Meiſterzahl diefer Auf: nahmen, die muthmaßliche Meifterzahl für die ganze Monarchie zu berechnen. Die Handwerksgejellen bleiben außer Betracht, da Krug ihre Zahl gar nicht nach den einzelnen Gewerben, jondern nur nach Provinzen mittheilt.

Folgen wir nun für 1831 den Zahlen Dieterici’s,! io ergiebt zunächit eine allgemeine Vergleichung von 26 der wichtigiten Hanbwerfe, daß 1795 —1803 auf 10.023 900 Einwohner 194183 Meifter in denjelben, 1831 auf 13.038960 Einwohner 300 752 Meiſter, damals alfo einer auf 51,, Menſchen, jett auf 43,, Men- chen famen. Damals find 1,95 0, jett 2,, 90 per Bevölkerung Handwerfsmeifter in den betreffenden 26 Hauptgewerben. Die Zahl der Meifter iſt aljo jtärfer gejtiegen al8 die Benölferung; aber wir werden dieſer Steigerung ein geringeres Gewicht beilegen, wenn wir ung erinnern, daß in den Zahlen von 1795/1803 die armen unbevölferten Yandftrihe (Südpreußen und Neuoftpreußen) jteden, die an Rußland abgetreten wurden, in benen von 1831 eine Reihe jehr entwidelter Gegen: den, die erſt 1815 zu Preußen famen, wie Theile der Rheinprovinz und der Provinz Sachien.

1) Der Bolkswohlftand, ©. 180.

54 Die preußifchen Aufnahmen.

Eine genauere Einficht gewährt die folgende ſpezielle Bergleichung einiger der wichtigern Gewerbe, wobei je in der erjten Spalte die Zahl der Meeifter, in ber zweiten die der Einwohner, welche auf einen Meifter fommen, verzeichnet iſt.

1795/1803

Namen

der Gewerbe Ein Meifter | Ein Meifter

Meifterzahl | auf jo viel | Meifterzahl J ſo viel

Einwohner J Einwohner Schuhmacher .| 46500 | 206 | 658% 197 Schneider . . .| 39672 242 | 53919 241 Schmiete . . .| 26614 361 | 30344 429 Bäder . . .,.| 15289 628 | 21217 614 Sleiiher . . .| 11443 839 | 15367 848 Ziihler . . 11 394 843 | 24744 526

Stell- und Rade⸗

macher ... 9267 1033 | 13 280 981 Bötther. . . . 7321 1312 11 798 1105 Maurer... . 6 053 1587 | 24771 662 Riemer, Sattler,

Täfchner ae: 3947 2433 6 232 2092 Dredslr . . . 2655 3617 | 5140 25386 Beller: . 2... 2137 4494 | 3206 4.066 Sutmader . . . 1632 5883 | 2128 6 001 Goldſchmiede . . 1279 7510 1 338 9 744 Buchbinder. . . 1021 9408 | 1808 7211 Zinngießer. . . 339 | 28301 | 502 | 25972

Hiernach iſt die Meifterzahl geringer gejtiegen als die DBevölferung bei den Schmieden, den Hutmachern, den Goldſchmieden; das find Gewerbe, in denen Die Bildung der größeren Gefchäfte die wahrjcheinlichite Urjache des Rückganges ift. In den wichtigjten ver angeführten Gewerbe hat fic) die Proportion zwiſchen Bevölkerung und Meijterzahl jehr wenig verändert, jo

.

Der Bergleich von 1803 und 1831. 55

bei ven Schuhmachern, Schneivern, Bädern, Fleiſchern, Rade- und Stellmachern, faum etwas mehr bei den Böttchern, Niemern, Sattlern, Seilern. Eine wejent- fich ftärkere Zunahme als die Bevölkerung zeigen nur die Tiicehler und Drechsler, die Maurer, die Buchbinder und Zinngießer.

Diefe Zahlen find beredt. Sie zeigen uns das Leben und die Entwidelung der wichtigiten Handwerke für die Zeit von 1800 1831 gleichjam als etwas Elementares, das von den Stürmen der Zeit, von ber Aenderung der äußern Gewerbeverfaffung weniger berührt wird, als man gewöhnlich erwartet. Die Gemeinde: verfafjung, die ſtändiſchen Nechte, das ganze Agrarrecht war ein anderes geworben; die Gewerbefreiheit, Die unbedingte Zulaffung der Handwerker auf dem Lande war eingetreten. Das ftädtiiche Accijewejen war ein anderes geworben, die Gewerbeſteuer war eingeführt worden. Und e8 ericheint beinahe, als ob AU pas ipurlos an den Kleingewerben vorbeigegangen wäre. In vielen Gewerben dieſelbe Meeifterzahl trog der außer: ordentlichen Veränderungen, die zwiichen 1800 und 1831 liegen. Auch die großen Aenderungen in der Technik mancher Gewerbe, die Dampfmajchinen und bie anderen neuen Maſchinen und Entvedungen zeigen feinen wejent- lichen Einfluß bis dahin auf die Handwerke. Selbſt der gejtiegene Wohljtand, wenn man für 1831 überhaupt einen folchen gegenüber 1800 annehmen will, zeigt fich nicht in einer größern Zahl von Büder-, Tleilcher >, Schuhmacher: und Cchneidermeijtern; Diefe Haupt: gewerbe dienen ja auch ziemlich elementaren, fich nicht

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56 Die preufiichen Aufnahmen,

ſo leicht ändernden Bebürfniffen; ſondern nur in der größern Zahl Maurer, Tiichler, Drechsler; d. h. man baut 1831 wieder mehr, man richtet die Wohnungen bejjer ein, aber man ift, man Fleidet und beſchuht fich auf alte Weife.

Man mag allerdings daran erinnern, daß Diejelbe Meiſterzahl nicht nothwendig diejelbe Technik, denſelben Wohlitand, dieſelbe Gejellen- und Lehrlingszahl andeutet. Aber jehr viel hat ſich darin gerade bis 1831 nicht geändert; was die Gehülfenzahl betrifft, jo führe ich als Beweis dafür an, daß die Meifter- und Gehülfen— zahl von 1819 bis 1828 fich im ziemlich gleicher Pro— portion ändert; t gerade die Gewerbefreiheit mußte dahin wirken, daß zunächit die Tendenz zur Bildung größerer Geſchäfte mit mehr Gehülfen eher etwas aufgehalten wurde.

Freilich ift bei dieſer Vergleichung nur auf den Anfang und das Ende der Periode gejeben, auf die Zeit von 1795/1803 und auf die von 1831. Dazwiſchen hat der Handwerkerſtand wohl jtärker gejchwanft. Im Sahre 1811 waren in Preußen noch 286 000 Gewerbe: patente ertheilt worden; dieſe Zahl finft bis 1814 auf 242700, ift aljo in dieſem Jahre um 15%/,°/, niedriger ; dann fteigt die jährliche Zahl wieder; im Jahre 1820

1) Nah den Zahlen bei Ferber, Beiträge zur Kenntniß der gewerblichen und kommerziellen Zuftände ber preußifchen Monardie. Aus amtlichen Quellen. Berlin, Trautwein 1829. Tabelle zu S. 329. Neue Beiträge ©. 160.

Der Vergleich von 1803 und 1831. 57

ift fie 20%, höher als 1814— 15.1 Durch folche Schwankungen in Folge der Kriege wird aber unjere Behauptung nur noch in helleres Licht geſtellt. Trotz— dem, daß Alles erſchüttert, geändert, umgeſtürzt wurde, kann man jagen bringen e8 gleichmäßig ſich erhal- tende volfswirthfchaftliche Bedingungen dahin, daß nad) wenigen Jahren Alles jo ziemlich im alten Geleiſe ift, daß ähnliche Bablenproportionen ſich bei den ſtatiſtiſchen Aufnahmen wieder ergeben.

Dabei will ich allerdings Eins im Voraus als Einſchränkung meiner Behauptung hinzufügen. Die elementare, vom Wechfel der Jahre, wie der ftantlichen Berfaffung und Verwaltung wenig berührte Natur der wichtigiten Handwerke, die vor Allem gegenüber dem viel wechjelvollern Leben der Großinduftrie zu betonen ift, wird fich immer geltend machen; immer werben die Aenderungen ſchwer fich vollziehen, ſchon weil fie zufammenhängen mit ven jchwer fich ändernden Lebens— gewohnheiten, häuslichen Sitten und Bräuchen des ganzen Volkes. Aber zunächſt beweifen die vorjtehenden Zahlen nur, daß die großen Ereignifje von 1795 1831 daran wenig geändert haben. Wir werben jehen, daß jpäter vielleicht unbedeutendere Ereigniſſe, aber Ereignifje anderer Art, tiefer eingreifen. Nur folange die Technif, die Häusliche Wirthichaft und die Verkehrsverhältniſſe diefelben bleiben und die haben fich bis 1831 wenig geändert —, wird die Thatfache, daß die vorzüglichiten

1) Rau, Grundfäge der Volfewirthichafts » Politik. 2te Abth. 5. Aufl. ©. 29; e8 find Zahlen, welche der preuß. Staats: zeitung entlehnt find.

58 Die preußifchen Aufnahmen.

Handwerfe in erſter Linie für lofale, nothwendige, ſtets ziemlich konſtante Bedürfniſſe arbeiten, dem Handwerk den fichern, unveränderten Boden erhalten.

Zugleich iſt nicht zu vergeſſen, daß bier nur von 26 Arten der wichtigern lofalen Handwerke die Rede war. Die ganze Weberei und andere handwerksmäßige Hausinduftriezweige find nicht mit einbegriffen. Auch in den folgenden Unterfuchungen müſſen die Weber zunächit außer Betracht bleiben, da unfere Betrachtung ſich von jet an jtreng an die Art der ftatiftiichen Aufnahmen halten muß.

2. Die preußiichen Handwerfertabellen bon 1816 43.

Geſchichte der Aufnahme. Kritifche Feftftellung der Hauptfummen. Ergebniß: Stabilität von 1816 —28; Blüthe der Klein» gewerbe von 1828— 43. Die einzelnen Faktoren ver Gefammt- änderung nach den einzelnen Gewerben, nad Meiftern und Gehülfen.

Nach dieſen einleitenden Bemerkungen über die Zuſtände vor und nach den Kriegsjahren wenden wir uns ausſchließlich der Zeit nach 1815 zu. Und das Erjte wird fein, uns einen Gefammteindrud der Ge— ichichte des Handwerks zu verjchaffen durch Betrachtung der Geſammtſummen, welche die preußifchen Gewerbe- tabelfen in den einzelnen Aufnahmejahren ergeben.

Ueber die Aufnahme und den Umfang der Tabellen iſt Folgendes zu bemerfen.

Nachdem J. ©. Hoffmann, als Leiter des ftati- jtiichen Bureaus, im Jahre 1816 die wichtigften Hand- werfer in der Populationsliite hatte mitzählen lafien, richtete er 1819 zum erjten Male eine bejondere Gewerbe: tabelle ein, die nun von drei zu drei Sahren bei ven Regierungen ausgefüllt werden ſollte. Diefe Tabelle blieb trog mancher Aenderungen in den Grundzügen unver:

60 Die preußiihen Aufnahmen.

änbert bi8 1843. Erjt die Aufnahme von 1846 erfolgte auf wejentlich anderer, breiterer Grundlage.

Die ältere Tabelle war von Hoffmann jo einfach als möglich entworfen.! Ihr Hauptinhalt waren die wichtigften mechaniſchen Künjtler und Handwerker. Nicht bei allen‘, wohl aber bei der Mehrzahl wurden die Gehülfen (Gejellen und Lehrlinge zuſammen) gezählt. Nicht inbegriffen find z. B. Fiſcher, Gärtner, Barbiere, Trifeure, ebenjo wenig Spinner und Weber. Nach ven Künftlern und Handwerkern enthält die Tabelle noch die gehenden Webjtühle, die Mühlen, die Handelsgewerbe, die Transportgewerbe, das Gefinde. Für die Zuftände des preußifchen Staates vor 50 Jahren gaben dieſe Rubriken immerhin ein genügendes Bild, wenn fie auch für einzelne Gegenden und ihr entwickelteres Gewerbe— Yeben, bauptjächlich für die Aheinprovinz nicht ganz aus— reichten. Ihr Vortheil war, daß fie in ihrer Einfach- beit leicht auszufüllen waren.

Das Bedürfniß nach Erweiterung zeigte fich aber bald. Neue Rubrifen wurden hinzugefügt; beſonders 1837 erweiterte Hoffmann die Tabelle wejentlich durch Aufnahme einer Anzahl Fabriken, ver Dampfmajchinen u. f. w. Auch 1837 aber wurde an der eigentlichen Handwerfertabelle wenig geändert; für die Kürjchner, Mechaniker, Buchbinvder wurde die Gehülfenzahl Hinzu:

1) Siehe Tabellen und amtliche Nachrichten über ben preuß. Staat für das Jahr 1849 Band V. Berlin 1854. ©. IV. ff., und Böckh, die gefchichtlihe Entwidelung ber amtlihen Statiftit des preußiichen Staates. Berlin 1863. ©. 47, 53 fi., 78 ff.

Kritit der Aufnahmen. 61

gefügt; die Zimmermeifter wurden in Zimmermeijter und Zimmerflidarbeiter, die Maurer in Maurermeifter, Flicker, Ziegeldeder und Steinmeßen zerlegt; 1840 wurden die Färber in Färber und Rattundruder geſchie— den. Es läßt fich jomit eine vergleichbare Tabelle bis 1843 infl. leicht herſtellen.

Die Aufnahmen, jowie offizielle Summirungen der- jelben find nicht gleichmäßig publizirt. Man ijt genöthigt, die Zahlen für die verſchiedenen Jahre aus jehr ver- ichiedenen offiziellen, balboffiziellen oder ganz privaten Arbeiten der jeweiligen Direktoren des ſtatiſtiſchen Bureaus zujfammen zu juchen. Daber find auch darüber einige kritiſche Bemerkungen nöthig.

Die Summe der Meifter und Gehülfen für 1816 ift der Publifation Dieterict'8 in feinem „Volkswohl— ſtande“ entnommen! Die Summe, wie fie von da aus in alle fpäteren, amtliche und nichtamtliche Schriften überging, iſt aber injofern etwas zu niedrig, als in ihr die Kuchenbäder, Korbmacer, Buchdruder und Zuchicheerer fehlen. Doch würden dieſe nach Analogie der fpätern Zahlen nicht mehr als circa 7000 Meifter und 4000 Gehülfen betragen.?

1) Siehe daſelbſt S. 187.

2) Für die Gehülfenzahl von 1816 bis zur Gegenwart bemerfe ih, daß fie mit den im Jahrbuch für die amtliche Sta- tiftit des preuß. Staates Jahrg. II, S. 238 publizierten Zahlen nicht ganz Üübereinftimmen können. Es find dort bie männlichen Gebülfen getrennt von den weiblichen; ich habe überall Die Summe beider beibehalten, da die Zahlen ber weiblichen Ge— hülfen verſchwindend Hein find und die großen Gejammtzahlen

62 Die preufifchen Aufnahmen.

Die Summen für 1819, 1822, 1825 und 1828 find Ferber's Beiträgen,! aljo einer halbamtlichen Publi- Kation entnommen. Ferber giebt nicht näher an, was feine Zahlen umfaſſen; deswegen glaube ich annehmen zu müffen, daß fie ſich auf bie fänmtlihen damals aufgenommenen Handwerker eritreden.

Für das Jahr 1831 ift mir feine amtliche Sum⸗ mirung der Handwerker befannt, außer ber bei Diete- rici,? die aber unvollſtändig iſt, indem ſie ebenfalls die Kuchenbäcker, Korbmacher, Buchdrucker und Tuchſcheerer wegläßt. Durch Hinzufügung dieſer iſt meine Zahl höher als die von Dieterici, wie ſie ebenfalls in alle ſpätere Werke übergegangen iſt.

Für 1834 iſt mir keine amtliche Summirung bekannt. Ich habe daher die Zahlen nach der amt» Yichen Speztalpublifation berechnet, die im Dieterict’8 ſtatiſtiſcher Weberficht ® enthalten iſt.

durch dieſe Beibehaltung ſich nicht wejentlich ändern. Außerdem fönnen die Zahlen von 1816 43 beöwegen nicht ganz dieſelben fein, weil ih in meiner Zählung fiir alle die Gewerbe, für welche die Zählung ber Gehülfen erft ſpäter eintrat, die Ge⸗ hülfen bis 1843 wegließ. Groß find übrigens Die Unterjchiebe ver Zahlen nicht.

1) Beiträge Tabelle ©. 228. Neue Beiträge, Tabelle

160.

2) Voltswohlftand ©. 253.

3) Dieterici, ſtatiſtiſche Ueberficht der wichtigften Gegen- ftänbe bes Berfehrs und Verbrauchs im preuß. Staate und im deutſchen SZollverbande von 1831 —36. Berlin 1838. ©. 462 68.

Zur Kritik der Zahlen. 63

Auch für die folgenden Aufnahmen habe ich bie Summen nach den Spezialtabellen neu berechnet, für 1837 und 40 nad den Fortjegungen ber jtatiftiichen Ueberfichten,! für 1843 nach dem bejondern für dieſes Jahr veröffentlichten Tabellenwerf.? Ich habe dabei die ſämmtlich bisher gezählten Gewerbe mitgezählt, Die Gehülfen da weggelaffen, wo fie früher auch fehlten, um jo die Summen direkt vergleichbar mit den frühern Aufnahmen zu machen. Dadurch ftimmen die Zahlen aber nicht ganz überein mit den gelegentlich von Die- terici erwähnten oder peziell von ihm berechneten.?

1) Erfte Fortjegung, Berlin 1842. ©. 384 401. Zweite Fortſetzung, Berlin 1844. ©. 600 618.

2) Dieterici, die ftatiftiichen Tabellen ©. 130.

3) Für 1837 erwähnt Dieterici, 2te Fortfegung ©. 619, 368429 Meifter mit 231266 Gebülfen; er giebt nicht an, wie er das berechnet hat; ohne Zweifel läßt er wieder die Tuchicheerer, Korbmacher, Buchdruder, Kuchenbäder weg; für 1840 giebt er daj. ©. 619 und 627 (an Tetterer Stelle nad Provinzen jummirt) 387 687 Meifter mit 286612 Gehülfen an; die gerin- gere Meifterzahl hat dieſelbe Urſache, die höhere Gehülfenzahl als unfere hat ihren Grund in dem Mitzählen aller aufgenom« menen Gehülfen. Für 1843 giebt er in feinem „Bolfswohl- ſtand“ ©. 254 eine Summirung (400 932 Meifter mit 309 570 Gehülfen), die von da in alle fpätere Literatur übergegangen if. Sie ift wejentfich niedriger als unfere, da fie, zur Ber- gleihung mit einer ebenfalls Tüdenhaften Tabelle von 1831 gemacht, wieder verjchiedene Kategorien wegläßt. In den ftatift. Zabellen pro 1843 ©. 145 giebt er eine andere Summirung nad Provinzen (410221 Meifter mit 358660 Gehülfen), bie wieder weſentlich höher, ift als unſere; die Zahl der Meifter nur um 2000, die Urfache ift mir nicht Harz; die Zahl der Gehülfen um circa 47000, weil Dieterici bier für alle Gewerbe, in

64 Die preußifhen Aufnahmen. In der nun folgenden Tabelle, in welche ich die Bevölkerung Preußens nach Dieterici’g Handbuch ver Statiſtit des preußiſchen Staates! einſetze, vergleiche ich das Verhältniß des Handwerkerſtandes zur Total— bevölkerung. Die erſte Prozentberechnung giebt Ant- wort auf die Frage, wie viel Prozente der Bevölke— rung machen Meiſter und Gehülfen zuſammen aus? Die zweite auf die Frage, wie viel Prozente der Bevöl— kerung machen die Meiſter mit ihren Familien und Gehülfen aus? Die Familie eines Meiſters iſt dabei nach dem Vorgang Dieterici's? zu 4,, Perſonen gerechnet. Da die Gehülfen alle als unverheiratet angenommen find, während die zahlreichen Maurer- und Zimmer: gejellen wenigjteng zu einem großen Theil verheiratet find, jo bleiben jedenfalls die Summen der jo gewon— nenen ganzen vom Handwerk lebenden Bevölferung weit eher unter, als über der Wirklichkeit. Daß überhaupt gefragt werden muß, nicht ob die Zahl der Handwerker an fich, jondern ob fie im Ver— hältniß der Bevölkerung zugenommen bat, darüber brauche ich wohl fein Wort hinzu zu fügen. Nur daran möchte ich noch erinnern, daß allerdings bei einer fo ftarf fortichreitenden Bevölkerung, wie bei der preußifchen von 1816 43, eine Zunahme im Verhältniß der Bevöl-

denen auch damals die Gehülfen noch nicht gezählt wurden, eine ungefähre Schätzung berfelben einftellt, dahin gehend, daß wenigftens jo viele Gehülfen als Meifter vorhanden jeien.

1) Berlin 1861. ©. 134. Ich erwähne das nur, weil Kolb 3. B. etwas andere Zahlen angiebt.

2) Statiftiiche Tabellen pro 1843 ©. 145.

Die Zahlen von 1816 43. 65

ferung jchon einen Heinen Fortichritt andeutet. Da die Zunahme der Bevölferung in erjter Linie Folge zahl- reicher Geburten ijt, jo find es zunächſt die niedrigiten Altersklaffen, die veichlicher ausgefüllt find, während die böhern, die jchon einem bejtimmten Beruf angehören, fich gleich bleiben, ja vielleicht, wie in diefem Fall, durch die Kriege dezimirt find. Der Handwerferftand behauptet ſich num auf feinem Niveau, wenn er nur im Verhältniß zu den gefammten Erwachjenen die gleiche Prozentzahl beſchäftigt. Behauptet er im Verhältniß zur ganzen, hauptſächlich an Kindern reichen Bevölferung die gleiche Prozentzahl, jo nimmt er offenbar von den Erwachjenen relativ etwas mehr in Anſpruch als vorber.

Doc hier endlich nach langen Vorbemerkungen die Tabelle jelbit:

Jahre | Meifter

Diefelbe 9% der Bevöller.

2 8 5 S

1816 |258 830 145 459 404 289 | 10,40 | 3,4. | 1.206 862 | 11,50 1819 1276 815 1142 149 | 418 964 | 11,05 | 3,70 | 1.277 090 | 11,5r 1822 |295 584 | 161 968 | 457 552| 11/,, | 3/50 11.373 862 | 11/,. 1825 |315.118| 187 176 | 502294 | 1250 | 4.os | 1.479 159 | 120g 1831 |834 346 | 187 565 | 521911] 13,95 | 3,0s | 1.558383 | 11,00 1834 | 356 515 |215 650 | 572 167 | 13,55 | 451 | 1.677 361 | 12,3, 1837.|375.097 |244 875 | 619 972 | 14/,, | 4.3s | 1.782 772 | 12550 1840 | 396 016 | 280 089 | 676 105 | 14,05 | 4,51 | 1.903 754 | 12,50 1843 |408 825 |311 458 | 720 285] 15,53 | 4,65 | 1.987 640 | 12,79

Man unterjcheivet bei Betrachtung diefer Tabelle leicht zwei Perioden. Von 1816 31 beinahe Stabilität, die nur 1825 durch ein vorübergehendeg Shmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 5

66 Die preußiſchen Aufnahmen.

Anwachſen unterbrochen ift; von 1834 an eine juccejfive Zunahme des Handwerferftandes gegenüber der Bevöl- ferung. Die Urfachen Tiegen überwiegend in den allge- meinen, früher ungünftigen, fpäter günftigen Vorbe— dingungen der wirtbichaftlichen Entwidelung, an die ich, foweit fie die Zeit von 1816— 31 betreffen, jchon oben * erinnerte. Man erholte fich erft wieder von Krieg und Aderbaufrifis. Der Einfluß der vorangejchrittenen Induftrieländer war noch gering, der deutſche Handel noch gelähmt durch die Zollichranfen.

Weſentlich befjer geftalten fich die Zuftände in den dreißiger Iahren. Der Zollverein beginnt feine Seg— nungen fühlbar zu machen; der deutſche Exporthandel nimmt zu, neue Gewerbözweige entjtehen; Zuderfabrifen, Baumwollipinnereien werden gebaut. Daneben freilich it der Einfluß des Auslandes noch gering; die erjten Eijenbahnen find in England eben erjt vollendet; noch haben die großen internationalen Ausftellungen nicht gewirkt, noch Haben wir kaum einen heimijchen Mafchinen- bau, noch exiſtiren unjere großen polytechniichen Schulen nicht oder find eben erjt gegründet. Der Fortichritt mußte fich aljo in ven hergebrachten Formen halten, d. h. Hauptfächlich in einer Zunahme ber Kleingewerbe zeigen.

Auch für wichtige Induftriezweige, welche auf den Abſatz im Großen angewiefen find, bleibt die Form der Hausinduftrie vorerſt unangetaftet fo für wichtige Theile der Metallinvuftrie; jo für die Weberei, die nicht

1) Oben ©. 51 52.

Die Refultate von 1816 43. 67

in diefen Zahlen begriffen ift. Die Tuchmacher und Tuch- jcheerer find zwar theilweije fchon in übler Lage, aber jonjt ijt der Handwebituhl noch unangefochten. Die Zahl der Webjtühle nimmt fogar in den meiften Branchen einen vajchen Aufſchwung bi8 1840; erjt in den rüd- gehenden Zahlen von 1843 zeigt fich der Eintritt der MWeberfrifis, die fiegende Konkurrenz der neuen vollen- deteren Technif.

Die vorjtehenden Folgerungen aus der Tabelle für 1816— 43 galten dem Hauptrejultat, das dahin ging: Stabilität in den zwanziger, Bortichritt in den dreißiger Jahren. Ein folches Gefammtrefultat kann nun aber auf jehr verſchiedene Weiſe erreicht fein; es kann ausſchließlich durch Die Meiſter- oder durch die Gehülfenzahl over gleichmäßig Durch beide, es kann erzielt ſein dadurch, daß einzelne Gewerbe ganz zu Grunde gingen, während andere um ſo kräftiger erblühten. Obwohl hier noch nicht näher in dieſes Detail eingegangen werben ſoll, muß ich wenigftens einige Worte nach beiden Richtungen bin beifügen.

Die Bewegung der einzelnen Gewerbe ift natür- lich feine ganz gleichmäßige; aber doch handelt es fich um feine allzugroßen Differenzen, nicht um den Unter- gang einzelner Gewerbe, für die andere an die Stelle träten. Es gehen einzelne etwas zurüd, andere und zwar jehr viele bleiben der Bevölkerung parallel, wieder andere nehmen etwas jtärfer zu. Beſonders in einzelnen Perioden iſt die Differenz etwas größer. Die ftärffte Zunahme erfolgt 1831— 34; nach der Depreffion von Revolution und Cholera, nach der Bildung des Zoll—

5 *

68 Die preußiſchen Aufnahmen.

vereins nimmt Alles einen freudigern Aufihwung; wäh— rend die Benölferung von 100 auf 103 jteigt, fteigen beinahe alle Gewerbe von 100 auf 106—8, manche noch mehr; und es nehmen daran gerade die wichtigjten Gewerbe, wie Bäder und Fleiſcher, die ſonſt gerne der Bevölkerung parallel bleiben, Theil. Im den Yahren 1834— 37 erhebt fich die Bevölkerung von 100 auf 104; eine wejentlich ſtärkere Zunahme zeigen in biejem Zeitraum nur die Gewerbe für Bauten und Haugein- richtung, jowie einzelne, die einem fich entwidelnden Luxusbedürfniß dienen, wie die Pugmacherinnen. Aehnlich ift e8 in den Perioden von 1837 40 und 1840 43; es gejellen fich als ſtärker fortjchreitende Gewerbe zu ihnen bauptjächlich noch jolche, welche die Großinduſtrie beichäftigt, wie Mechanifer, Schloffer, Steinmegen, während die Hauptgewerbe Bäder, Fleiſcher, Schub: macher ihr Verhältniß zur Bevölkerung nicht viel ändern ; ſelbſt das entwidelungsfähige Schneidergewerbe zeigt 1837, 40 und 43 jedesmal eine die Bevölkerung nur kaum überholende Zunahme. Die bereit8 rückgehenden Gewerbe find ſolche, bei denen die Konkurrenz der großen Gejchäfte anfängt zu wirken: Geifenfiever, Gerber, Handſchuh— macher, Hutmacher, Töpfer und Ofenfabrifanten,

Die Verichiedenheit der Bewegung zwijchen den einzelnen Gewerben iſt nicht jo groß als die zwiſchen Meifter und Gehülfen. Von 1816 19 nehmen nur die Meifter zu, die Gehülfen ab; von 1819 25 ift die Dewegung jo ziemlich gleich; von 25—28 nehmen nochmals die Meifter zu und die Gehülfen ab; von 28 31 überwiegt wenigftens die Zunahme der Meifter ;

Die Refultate von 1816 43. 69

erſt von 1831 ab tritt dauernd und zwar in ganz über- wiegender Weile eine jtärfere Zunahme ver Gehülfen ein, jo daß als Gefammtergebniß von 1816 bis 43 die Meifter von 100 auf circa 180, vie Gehülfen von 100 auf circa 220 fteigen.

Dieſe Verſchiedenheit der zwanziger und dreißiger Jahre entipricht dem Ergebniß der obigen Unterjuchung. In dem erſten Zeitabjchnitt fehlt die Möglichkeit, die Geſchäfte auszudehnen, mehr Gehülfen zu halten; die Gewerbefreiheit ermöglicht Jedem, Teicht ſelbſt ein Ge— ichäft anzufangen, leer gebliebene Lücken füllen fich; der Handel, das Einkaufen in Magazinen, das Ladenhalten ift noch weniger entwidelt; das ladet zur Nieverlaffung überall ein, dem lokalen Bedürfniß zu dienen, wenn auch das zu machende Gejchäft worerft Hein if. Im zweiten Abjchnitt liegen die Dinge ſchon wejentlich anders: die Lüden find beſetzt; troß der Gewerbefreiheit wird das Anfangen eines eigenen Betriebes in den größeren Städten, wo die Nachfrage wächit, jchwieriger, und fo nehmen bier eher die vorhandenen Gejchäfte zu, als daß neue gegründet würden. Dieje Richtung zeigt fich jpäter noch viel mehr. Es ijt aber wichtig, daran zu erinnern, daß fie jchon vor 1845 und 1849 eintrat, weil man fpäter oft glaubte, die veränderte Gewerbegejetgebung jet daran jchuld, was jedenfall nur zum Theil der Tall war.

3. Die preußiſchen Handwerfertabellen bon 1846 61.

Die Summen. Kritifche Prüfung derſelben und Gefchichte der Aufnahmen. Die allgemeine wirthichaftliche Lage und im Anschluß daran das Ergebnig der reftifizirten Tabellen. Bergleih von 1843 und 46, Beginn der Handwerfernoth. Bergleih von 1846 und 49, Höhepunkt der Krifis durch Revo— lution und Gejhäftsftodung. Die Gejetsgebung von 1849 als Folge der Klagen; Beurtheilung dieſer Gejetgebung und ihrer Wirkung. Bergleih von 1849 und 52, unbedeutende Beflerung. Bergleih von 1852 und 55, abermalige Krifis. Die Aufnahmen von 1855 61; die Befjerung durch die allge- meine wirthichaftliche Lage. Die Zuftände 1861 65.

Die Zeit nach 1843, reip. von 1846 an, jcheibet fih von der früheren in Preußen materiell durch Die 1845 und noch mehr durch die 1849 erlaffene Gewerbe: geſetzgebung; formell müßte fie ſchon unjere Betrachtung trennen, da die jtatijtiichen Aufnahmen von 1846 an weſentlich andere find. Ehe ich aber auf die DVerjchie- denheit der Aufnahme eingebe, will ich die Zahlen jelbft vorausſchicken, wie fie bergebrachtermaßen in ber offi- ziellen Statiftif für 1846— 58 mitgetheilt werben." Ich

1) „Die Hauptrefultate der Gemwerbetabellen in ben Jahren 1846, 1849, 1853, 1855 und 1858" in der Zeitjchrift

Die Zahlen von 1843 61. 71

wiederhole dabei die Zahlen für 1843 und ſetze für 1861 die Hauptjummen der Handwerfertabelle bei, wie fie in der amtlichen Publikation lauten.“ Die gefammte Handwerferbevölferung iſt wieder fo berechnet, daß bie Gehülfen al8 unverheiratet, die Familien der Meiſter jede zu 4,, Perjonen angenommen find.

E—

J55

F 28 4 ae = a8 5298 ce: Is*lä8l 833 4

1852 | 553 107 | 447 502 | 1.000 609 |1 1855 | 548 296 | 454 088 | 1.002 384 | 17 1858 | 545 034 | 507 198 | 1.052 232 [1 1861 | 534 556 | 558 321 | 1.092 877 |1

Sollen diefe Zahlen einer vergleichenden hiſtoriſchen Betrachtung zur Grundlage dienen, jo muß man ihren Werth und ihre Entjtehung kritiſch prüfen, ehe man Schlüſſe daraus zieht.

Was die Richtigkeit der Zahlen an fich betrifft, fo will ich nur wenige Worte in Bezug auf andere Sum: men, welche man da und dort trifft, vorausſchicken. Für 1846 und 49 giebt Dieterici ? in den Mitthei-

des ftatiftiichen Bureaus Jahrg. I, 50—52. Viebahu, Statiftik des zolfvereinten und nördl. Deutſchlands III, 561.

1) Preußiſche Statiftif, im zwanglofen Heften. Berlin 1864. V, ©. 28.

2) Mittheilungen V, 216:

1846 453330 Meifter und 382161 Gehülfen.

1849 469892 387 150 -

3

12 Die preußiſchen Aufnahmen,

Yungen andere Zahlen, als die obigen und zwar niebri- gere. Dies ift für 1849 ſehr erflärlich; er will bie Aufnahmen mit 1846 vergleichbar machen und läßt jo alle erſt 1849 Hinzugefommenen Spalten weg. Warum aber 1846 circa 4000 Meijter und 2000 Gehülfen weniger gerechnet find, als in der jpätern offiziellen Sta— tiftif, vermag ich nicht anzugeben; eine eigene Nach- rechnung ift mir gar nicht möglich, da die Tabellen pro 1846 nicht volljtändig publizirt find. Immerhin aber iſt diefe Abweichung jo mäßig, daß fie überfehen werden kann.

Für das Jahr 1852 giebt Dieterici die Zahlen in den amtlichen Tabellen, wie in einer fpäteren Bearbei- tung ? etwas niedriger an, als fie Engel in den jpä- tern offiziellen Angaben anführt. Da jpätere Angaben derart als die reftifizirten gelten müſſen, habe ich fie beibehalten. Der Grund der Differenz iſt mir nicht erſichtlich; doch iſt die Abweichung ebenfall® jo unbe- deutend, daß fie Feine weitere Beachtung verdient.

1) Die Mittheilungen I, 213— 291; II, 1—32 geben nur einzelne ber wichtigern Handwerke, um fie mit ben Zahlen von 1822 zu vergleichen. Auch bie Publikation im erften Bande des Jahrbuchs für amtliche Statiftif ift pro 1846 nicht zu Grunde zu legen; die Hanbwerfertabelle ift bort mit der Fabriktabelle vereinigt, eine gefonderte Summirung ber Handwerfer nicht vollzogen; eine Nachrehnung ift ebenfalls unmöglih, da Meifter und Gehülfen nicht gelondert angegeben find,

2) Amtlihe Tabellen V, ©. 884, Mittheilungen VII, 332 33 find die Zahlen folgende:

552 766 Meifter und 446035 Gehülfen.

Kritif der Zahlen. 13

Für 1858 habe ich nach der amtlichen Publi- fation eine falfulatoriich genau geprüfte Nachrechnung angeftellt; ich mußte die Hauptjummen getrennt haben nach Stadt und Land für die Unterfuchung dieſes Ge— genſatzes. Das genaue Ergebniß der Gejammtjumme ift 1.042513, alfo etwa 10000 Berjonen weniger, als in der fpätern Publikation Engels. Die Differenz ver- mag ich ebenjowenig zu erflären. Für biefe Unter— fuhung muß ich Engel’8 Zahl ftehen Yaffen; für vie ſpätere Unterfuchung über den Gegenjat von Stadt und Land kann ich nur die won mir berechneten Zahlen benugen, da andere fehlen.

Für 1861 fenne ich noch zwei Summirungen, aller- dings nicht amtlicher Natur, die mit den vorſtehenden Zahlen nicht übereinftimmen. Ab. Trank ! giebt in fei- nen gewerbeftatiftiichen Tabellen allerdings beinahe die— jelbe Hauptjumme von 1.092368 Perjonen, aber die— jelbe entjteht bei ihm aus circa 16100 mehr Meifter und weniger Gehülfen. Das kann nur ben Grund haben, daß er die Flidarbeiter bei den Maurern und Zimmerleuten, die gerade jo viel ausmachen, zu ben Meiftern rechnet, während fie die offizielle Statiftif offen- bar zu den Gehülfen zählt. Mag Letteres auch unrich- tiger jein, jofern die Flickarbeiter immerhin ſelbſt Unternehmer find, eigene Geſchäfte haben, ich mußte bei den offiziellen Zahlen bleiben, jchon weil fie bie Vermuthung für fich haben, daß diefe Frage bei ihnen

1) Ad. Frans, Tabellen der Gewerbeftatiftit der Staaten des deutſchen Zollvereins. Brieg 1867.

74 Die preußifchen Aufnahmen.

gleichmäßig wie bei den frühern Aufnahmen entjchieven it. Es ift aber von Intereſſe, fich deſſen eben bei diefen Zahlen bewußt zu bleiben. Die Abnahme der Meifter im Ganzen kommt theilweife davon her, daß Leute, die früher als Fleine Zimmer- und Maurer: meijter gezählt worden wären, jett als Flickarbeiter unter den Gehülfen fteden.

Viebahn zählt in feiner Statiftif des Zollvereing ! für 1861 nur 523481 Meifter und 519412 Gehül- fen, zufammen 1.042893 Perſonen; auch jeine Zahlen für die andern Staaten find etwas geringer als Die mir jonft befannten Summirungen. Die Urjache der Dif- ferenz ift nicht erfichtlich. Viebahn muß wohl verjchie= dene Kategorien der offiziellen Tabelle weggelaſſen haben.

Gehen wir von der Falkulatorijchen zur jachlichere Prüfung, jo bleibt die Hauptjache zu wiſſen erjtens, wie verichteden die Aufnahmen von 1846 ab gegenüber ben frühern find, und zweitens, ob fie wenigjtens unter fich vergleichbar find, wie ſich aus ihrer Zujammenftellung in der amtlichen Statiftif zu ergeben jcheint.

Die Gewerbetabellen bi8 1843 waren I. ©. Hoff⸗ mann's Werk; noch die letzten Aenderungen, die im Jahre 1837 eingeführt wurden, hatte er angeordnet. Sein ſpäterer Nachfolger Dieterici war zwar ſeit 1835 Hülfsarbeiter des jtatijtiichen Bureau's; die Direktion übernahm er aber erjt 1844, als das jtatiftiiche Bureau dem Handelsamt unterjtellt wurde. Eine jeiner erſten Aufgaben war die veränderte Einrichtung der Gewerbe:

1) III, 743.

Kritif der Aufnahmen. 75

tabelle, die durch die Entwidelung der gewerblichen Berhältniffe, durch die Spezialifirung jo vieler Gejchäfte, durch die Ausdehnung der Großinduftrie geboten jchien. Ueberdies hatte die Zollvereinskonferenz jchon am 11. No— vember 1843 die Aufnahme einer Gewerbeſtatiſtik Des Zollvereins beſchloſſen, wobei Die Abficht zunächit nur auf eine Statijtif der Großgewerbe gerichtet war. Eine neue Grundlage war zu fchaffen. Langivierige Unterhand- lungen fanden 1844 und 45 darüber mit dem Finanz— minifterium und den Oberpräfidenten jtatt. Dieterici bemühte fich, gegenüber den ganz neuen Vorjchlägen die Tabelle der Handwerker wenigſtens jo zu erhalten, daß nicht alle Vergleihung mit früher ausgejchlofjen war. Das endliche Rejultat war das, daß zunächit Die Auf- nahme in zwei Haupttabellen geſchah; die eine war Die jog. Fabriktabelle; vie andere erhielt folgende Abthei- lungen: 1) die mechanifchen Künftler und Handwerker (110 jtatt bisher 72 Kolonnen, e8 waren mehrere Arten - hinzugeſetzt und durchgehend die Zahlen für die jelbjtän- digen Gewerbtreibenven und für die Gehülfen und Lehr: linge getrennt worden), 2) die Anftalten für den litera- riihen Verkehr, 3) die Handelsgewerbe, 4) die Schiff- fahrt, das Fracht- und Lohnfuhrwerk, 5) die Gaſt- und Schenfwirthichaft, 6) das Gefinde, 7) die Hanbarbeiter. Die Regierungen wurben angewieſen, in allen beventenven Drten eine Prüfung der Tabellen durch Gewerbtreibende eintreten zu lafjen. So fand die Aufnahme 1846 ftatt.

1) Böckh, die geichichtl. Entwidelung der amtl. Statiftif ©. 54 ff., 75 ff.

76 Die preußifchen Aufnahmen.

Wie viel die Aufnahme der Gehülfen zu allen Handwerfen ausmacht, läßt fich etwa darnach bemeffen, daß die Tabelle von 1843 etiva 40000 Meifter ohne Gebülfen angab, und daß Dieterici, wo er für 1843 die Gehülfenzahl voll rechnen will, ftatt 311458 358 660 annimmt.! Wie viel die ‚bisher nicht gerech- neten Arten von Hanbiverfern ausmachen, kann ich nicht jagen, da mir für 1846 feine vollſtändige Spezialauf- nahme vorliegt und die von 1849 wieder wejentlich umfaffender ift.? Es wurben 1849 abermals 16 neue Arten Hinzugefügt. Die Gefammtzahl der Perjonen, welche in der Tabelle von 1849 der Art der Gewerbe nach neu find gegenüber der von 1843, wird circa 130 150000 Perfonen ausmachen. Es find darunter die Yeinenfpinner (57 981 mit 26305 Gehülfen), die Gärtner (6 598 mit 2853 Gehülfen), die Fiicher (6430 mit 2633 Gehül- fen), die Barbiere (6033 mit 2431 Gehülfen), die - Auftionatoren (4204 mit 270 Gehülfen) und noch manche Andere.

Darnach ift, wenn die Zahlen von 1846 und 49 mit ben früheren verglichen werben follen, für 1849 ein Abzug von gegen 200000 zu machen (150000 für andere bisher nicht gezählte Arten von Gewerb— treibenden, 50000 für bisher nicht gezählte Gehülfen), für 1846 wenigjtens einer von 100000.

1) Statiftiiche Tabellen pro 1843 ©. 145.

2) Das geht auch daraus hervor, daß Dieterici bei ber Bergleihung mit 1846 nicht 942373 Perfonen, fondern 848042 rechnete, wobei er offenbar bie Arten wegläßt, bie 1846 nicht gezählt find, Mittheilungen V, 216.

Kritif der Aufnahmen. 77

Bon 1849 an iſt an den Tabellen relativ weniger geändert; beſonders die Aufnahmen für 1852 und 1855 haben ganz denſelben Umfang, höchſtens eine Unterjchei- dung diejes oder jenes unbeveutenden Gewerbes in zwei Unterarten fommt vor, was fir unjern Zweck gleich- gültig. ift.

Die Hauptänderung bei der Aufnahme von 1858 ijt die Trennung der Gehülfen in Gefellen und Lehr— linge bei jedem &ewerbe; doch iſt das wieder für unjere Zwede ohne Bedeutung. Andere Aenderungen find nicht allzu wejentlih. Die letten Rubriken find 1858 nicht ganz gleich gefaßt, doch handelt e8 fich da höchſtens um einige hundert Perjonen; nur eine große Rubrik blieb 1858 ganz weg, nämlich die der Auftionatoren, welche 1855 6188 BPerjonen mit 310 Gehülfen umfaßte. Dagegen umfaßt die Rubrik „Kahnführer“ 1855 nur 93 Perfonen und 10.Gehülfen, 1858 ift fie zu „Kahn- führer, Pferdeverleiher, Vermiether möblirter Zimmer erweitert und bat num 5551 Perfonen. Die ganze Diffe- renz der Aufnahme überjchreitet jomit einige Taufende nicht.

Nicht ganz daffelbe läßt fich von der lebten Auf- nahme, von der für 1861 jagen; fie ift nach ziemlich verändertem Schema gemacht. Man wollte endlich mit einer gleichmäßigen Aufnahme im Zollverein Ernſt machen; denn 1846 war e8 nur dahin gefommen, daß einige Staaten fih in der Hauptfache der preußijchen Zabelfen bedient hatten.! Weitere Unterhandlungen mit

1) Mittheilungen IV, 252 —308: Statiftifche Ueberficht ber Fabrifations- und gewerblichen Zuſtände in den verjchie- denen Staaten des deutſchen Zollvereins im Jahre 1846,

78 Die preußiſchen Aufnahmen.

den Zollvereinsftaaten wurden feit 1852 geführt. Be— jonder8 in München fanden 1854 Berathungen auf Grund eines Entwurfes von Viebahn ftatt, deren Re— jultate aber 1859 nochmal modifizirt wurden.! Hier— nach geſchah 1861 die Aufnahme in den ſämmtlichen Zollvereinsftaaten.?

Die Hauptänderung der Tabelle betrifft aber die äußerliche Anordnung. Dem Inhalt nach find Die wich- tigern Abtheilungen Ddiejelben wie 1858; daß einige Gewerbe in Unterabtheilungen zerlegt, einige unbeveu- tende Gewerbe hinzu kamen (Inhaber von Badeanftalten, Waſchanſtalten, Verfertiger von Streichriemen 2c.), daß einige andere unbedeutende Gewerbe wegblieben (Blatt- gejchirrmacher, Berfertiger von Wachslichtern, Zünd- waaren 2.) wird nicht viel ausmachen, wird höchſtens eine Differenz von einigen Hundert Perjonen bedingen. Dagegen babe ih in Bezug auf die Xeinenpinner, welche 1849 noch 84286, 1858 noch 54054 Meifter und Gehülfen umfaffen, einigen Zweifel, ob die Zahl von 14557 im Jahre 1861 der wirklichen Abnahme entfpricht oder nicht vielmehr auf einer veränderten Auf- nahme beruht; das ergäbe eine Differenz von circa 40 000 Perjonen, davon 36000 Meiſter. Auch wenn bie

1) Böckh, geihichtlihe Entwidelung S. 81 und „For mulare für Gewerbeftatiftil des Zollvereins nach den Vorſchlägen der im Jahre 1854 zu Minden verfammelten Kommiſſion und nad) den Abänderungsvorfchlägen Preußens. Berlin, Oberhof- buchbruderei.

2) Ueber Preußen fiehe: Preußifche Statiftif Bb. V. ©. 49, Nr. 14.

Die Lage der Kleingewerbe 1840 46. 79

Abnahme von 1858 61 wirklich jo groß ift, jo muß ‘man diefe Zahl bei der Vergleichung im Auge behalten; denn es ift ein großer Unterjchied, ob die Spinner um 40000 Berjonen oder ob die eigentlichen Handwerker zufammen um 40000 Perjonen abnahmen.

Nach diefer Kritif der Zahlen fünnen wir erjt zur Trage zurückkehren, welches die Yage des Handwerker— ftandes von Anfang der vierziger Iahre bis zur Gegen- wart nach diefen Zahlen war.

Erinnern wir und dabei der allgemeinen volfswirth- ichaftlichen Lage. Die Fortichritte der technijchen Bildung in Deutjchland gehen Hand in Hand mit dem Bau der Eiſenbahnen; die internationalen Beziehungen vervielfäl- tigen fich; der Erport nach Amerifa, nach den Kolonien nimmt nie dagewejene Dimenfionen an; die großen Unternehmungen, vor Allem die, welche die Vortheile einer vollendeten Technik, eines großen Kapitals, einer weitfichtigen faufmännijchen Leitung in fich vereinigen, erlangen jetzt erjt eine Stellung, wie fie fie in England ichon früher inne hatten. Die Folgen für das Hand- werf mußten jehr verjchieven fein, bier Wörberung, Abſatz, Arbeit in Fülle, dort Hemmung, Nüdgang, erdrückende Konkurrenz. Im Ganzen überwog entjchieden das Letztere.

Seit der Hanbelöfrifis von 1839 hatte die Krifis der Kleingeiverbe begonnen. Schon 1840 Hatten ja bie Stadtverorbneten in Berlin dem König eine Denkjchrift überreicht mit der Bitte um Aenderung der Gewerbe— gejeßgebung. Schon da hatten fie geklagt, daß alles Handwerk überjetst jei, während die Steuerfühigfeit der⸗

80 Die preußischen Aufnahmen.

jelben ab-, die Zahl der Bankerotte unter ihnen erichredend zunehme; da hatten fie geflagt über um ſich greifende Entfittlichung, unzuverläffigere, jchlechtere Arbeit der Handwerker, über die Thatjache, daß das Bedürfniß der Berliner Armenkaſſe von 104137 Thlr. im Jahre 1821 auf 373530 Thlr. im Jahre 1838 gejtiegen jet." Und ſolche Klagen waren nicht alleinjtchend. Köln Hatte eine ähnliche Bittichrift dem Könige überreicht.

Statijtifch zeigt fich Die Krifis jprechend genug in dem Stilljtand der Zahlen. Ziehen wir für 1846 circa 100000, für 1849 circa 200000 Berjonen von ber preußijchen Hanpdwerfertabelle ab, jo bleiben die Haupt- jummen jo ziemlich auf dem Niveau von 1843, wäh— rend die Bevölferung zunimmt.

Vergleicht man die einzelnen Hanbwerfe in ihren Zahlen von 1843 und 46, jo nehmen wohl noch manche ber wichtigern unbedeutend zu; eine wejentliche Zunahme zeigt nur die Zahl der Maurergehülfen, was Folge der Eijenbahnbauten und Fabrikanlagen ijt. Viele bleiben ftabil; manche zeigen ſchon eine Abnahme theilweife von nicht geringer Bedeutung; e8 find jolche, - die unter der Konkurrenz der Fabrikwaaren leiden; ein- zelne von ihnen haben fpäter wieder zugenommen als Reparaturgemwerbe oder durch andere Urjachen. Was fie zunächſt niederdrückt, ift der erjte Gewaltſtoß der neuen Zeit, der neuen Technik, dem fie nicht» gewachfen find, vor allem damals noch nicht gewachjen waren, Da ber

1) Ueber das Innungsweſen und die Berhältniffe der

ſtädtiſchen Handwerfe überhaupt von M. M. Gießen 1843, ©. 13.

Vergleich von 1843, 1846 und 1849, 8l

alte Schlendrian, die Unfähigkeit, der neuen Entwide- lung fich anzubequemen, damals noch in hohem Maße vorhanden war. So nehmen 3. B. die Schloffermeifter von 20769 auf 17933, ihre Gehülfen von 19788 auf 18400 ab. Aehnlich die Drechsler und Glaſer— meiſter.

Nicht beſſer wurde es 1847 49; die Fehlernte fam Hinzu, die Revolution, die allgemeine Gefchäfts- ſtockung und Unficherheit. Bei den Zählungen im Dezember 1849 war e8 jchon wieder etwas beijer; Die gute Ernte von 1849 hatte günftig gewirkt, aber immer lebte Handel und Wandel noch nicht wieder auf.

Da uns die obigen Zahlen für die genauere Ver— gleichung von 1846 und 1849 im Stiche Yaffen, jo muß ich auf die von Dieterici jpeziell für dieſe Vergleichung modifizirten zurüdgehen.! Es betrug nad) ihm in ver: gleichbaren Ziffern:

die Zahl der bie Zahl der die Zahl beiver

Meifter Gehülfen zuſammen 1846 453330 382 161 835491 1849 469 892 378 150 848 042

Während die Bevölkerung ftieg im Verhältniß von 100 :101,5,, ftieg die Geſammtzahl der handwerks— mäßigen Bevölferung im Verhältniß von 100:101,,,, die der Meifter in dem von 100:103,,,, die der Ge— bülfen nahm ab in dem von 100: 98,5,.

Daß die Gefammtzahl überhaupt noch etwas wuchs, fann auf den erjten Blick überrajchen. Wenn man aber näher zufieht, jo findet dieſe immer jehr mäßige

1) Mittheilungen V, 212 ff., befonders ©. 216 17. Schmoller, Gefh. d. Kleingewerke. 6

82 Die preußifchen Aufnahmen.

Zunahme der Gefammtzahl, die etwas ftärfere der Meifter ihre einfache Erklärung. Die Speialtabelfen zeigen beinahe durchgehend eine geringere Anzahl Gehülfen. Bon wichtigern Gewerben haben nur die Bäder, Tlei- jcher und Schuhmacher etwa dieſelbe Gehülfenzahl; Die Riemer, Sattler, Schneider, Zimmerleute, Tiſchler, Böttcher, die Schmiede und Schloffer, fowie noch viele unbedeutendere bejchäftigen nicht mehr die alte Gehülfen- zahl. Die Tiſchler zählen 4000, die Schneider 2 000 Gehülfen weniger als 1846,

Der Abjak ſtockte, Jeder jchränfte fich ein; ein- zelne Gejchäfte nun, die längſt nur noch nothdürftig erijtirt hatten, brachen zujfammen. Das war aber bie Minderzahl; in der Hauptjache blieben die alten Ge— ihäfte zunächit, fie hatten nur nicht genug zu thun; fie entlafjen aljo Hunderte früher bejchäftigter Gejellen. Von diefen wifjen viele feinen andern Ausweg, als fich felbjt zu etabliren und jo die Konkurrenz zu vermehren. Sp erflären fich ſehr klar die obigen Zahlen; jo erklären fich die großen Klagen des ganzen Handwerkerſtandes in jener Zeit. Es waren allerdings die vorhandenen Geſchäfte nicht genügend beichäftigt, es waren zu viel Meifter, aber nicht in erfter Linie in Folge ber Gewerbefreiheit, nicht wegen mangelnder Prüfung, jondern wegen vorübergehender Gejchäftsjtodung; es nahm aus diefem Grunde die Meijterzahl noch etwas zu, während die fchon vorhandenen Meiſter täglich weitere Geſellen entlaſſen mußten.

Es wird paffend fein, bier einige Worte über Die veränderte Gejeßgebung einzufügen, welche ja wejentlich

Die Zuftände und Klagen 1848 und 1849. 83

bervorgerufen wurde durch die unklaren Klagen des Handwerkerſtandes. Die Gewerbeordnung von 1845 batte den bejtehenden Zuftand nach jahrelangen Vor— berathungen im Wejentlichen nur fodifizirt, die Gewerbe— freiheit auf die Provinzen ausgedehnt, wo fie noch nicht beitand. Die Innungen jollten, wo fie bejtehen, erhalten bleiben, auch neue gebildet werben dürfen; doch wurde ihnen jeder Beitritts- und PBrüfungszwang unterjagt. Nur bei einigen wichtigeren Handwerken wurde bie Befugniß, Lehrlinge zu Halten, von der Mitgliedſchaft einer Innung oder dem Nachweis der Befähigung durch Prüfung abhängig gemacht. Bon einer Rückwirkung diejes Geſetzes auf Gedeihen oder Nichtgeveihen des Hand⸗ werferftandes wird nicht die Rede fein Eönnen. Das Geſetz wurde nirgends als etwas Neues, Einjchneivendes betrachtet. Da kamen die ſchlimmen Jahre, die Gährung und Unflarheit der Revolution. Nach der Theorie des Radikalismus follte jeder Einzelne, wie jeder Stand jelbft die beſte Einficht haben, was ihm frommte, aljo hielten auch die ehrbaren Handwerke Verſammlungen und Zage, und wie jeberzeit jede ökonomiſche Klaſſe ihr nächſtliegendes egoijtiiches Intereſſe als das Intereſſe des Staats und der Geſellſchaft anſieht, ſo thaten es jetzt die Handwerker.

Den Anfang der Zunftbewegung machte am 22. April 1848 das offene Sendſchreiben der zweiund— zwanzig Leipziger Innungen an ihre Handwerksgenoſſen mit einem Proteſt gegen das ganze „Weſen, wie es ſich jetzt in Frankreich breit macht, den letzten Reſt von Tüchtigkeit und Wohlſtand untergräbt und gleichſam

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84 Die preußiichen Aufnahmen.

mit fliegenden Fahnen und Flingendem Spiele über Preußen feinen Einzug in Deutjchland hält.“ Damit war die Gewerbefreiheit gemeint. Kurz darauf tagte der Vorkongreß der deutſchen Handwerker in Hamburg (2—6. Juni). E8 wurden Anträge auf Beibehaltung der Bannmeile, auf ausjchließliche Befugniß der Städte zum Gewerbebetrieb, Aufhebung des Haufirhandels und der faufmännijchen Reiſenden, „diejer modernen Hauſirer,“ geſtellt. Endlich am 15. Yuli trat das Handwerfer- parlament in Frankfurt zufammen. Es tagte bis zum 18. Auguft in jtürmifchen Situngen. Man ging aus von einem „feierlichen, von Millionen Unglüclicher bejiegelten Protejt gegen die Gewerbefreiheit.” Man verlangte neben dem politiichen ein bejonderes aus den Innungen hervorgehendes Handwerferparlament als jtehendes Organ; dieſes ſelbſt jollte jährlich das Hand— werfsminifterium ernennen. Im Bezug auf die Gewerbe- | gejetgebung verlangen die von der „Freiheitsluft des Völkerfrühlings“ zujammengeführten Meifter Folgendes: eventuelle Beichränkung der Meifterzahl an Einem Orte, Verbot des Haufirhandels, Verbot der Afjoziation mit Nichtinnungsgenojien, Zugehörigkeit aller Handwerks— arbeit ver Fabriken an die zünftigen Meiſter des Ortes, Beichränfung auf Ein Gewerbe, Zuſcheidung des Klein— handels mit Handiverfswaaren an die Innungsmeijter, für die Regel ausjchließliche Berechtigung der Städte zum Gewerbebetrieb, Unzuläffigfeit von Gemeinde-, Staats, Aktienwerfftätten, Verbot des Zujchlags der öffentlichen Arbeiten an den Mindeſtfordernden und Bertheilung derſelben an die Meifter durch den von dieſen bejekten

Die Wünfche der Handwerker. 85

Gewerberath, Verbot öffentlicher Verfteigerung noch neuer Waaren, Verbot der Haltung won mehr als zivei Lehrlingen, Beſteuerung der Fabrifen zu Gunften des Handwerks, eine Geichäftsgrenze für die Fabrifen und den Handel mit Yabrikaten, enplich gleichmäßigen Lehr- zwang; Wanderzwang, Zwang zur Erſtehung einer theoretiichen und einer praftiichen Prüfung. Ueberboten wurden dieje Forderungen nur noch von dem befondern Frankfurter Schneiverfongreß, der vor Allem Aufhebung ver Magazine, Beichränfung der Arbeit der Frauen: zimmer, Verbot auswärtiger Kleivereinfuhr verlangte.

Wunderliche Produfte der Kurzfichtigfeit wie der damals allerdings berrichenden Noth! Nur hätten die ehrbaren Meifter nicht vergeſſen jollen, daß die Noth des Handwerkerjtandes da am größten war, wo man dem Ideal eines jolchen Gewerberechts noch am nächiten jtand.

Uebrigens hätte die ganze Sturmflut von Petitionen, alle Agitation auch in Preußen nichts erreicht, wenn nicht zwei Parteien in einer gänzlich unklaren Ber: fennung des Zujammenbangs die Bewegung unterjtütt hätten. Die fonjervative, wie die jchutzölfneriiche Partei?

1) Siehe über die ganze Bewegung: Schäffle, gemeinfame Ordnung der Gewerbebefugnifje in Deutjchland, deutſche Biertel- jahrsſchrift. 1859. Heft 1. ©. 218 ff., und Böhmert, Freiheit der Arbeit, Beiträge zur Reform der Gewerbegeiete. Bremen 1858. ©. 163 ff.

2) Man vergleiche darüber das Organ der jchußzöllne- riſchen Partei, das deutſche Zollvereinsblatt 3. B. Jahrgang 1849. ©. 230: „Und jo begrüßen wir denn aud) eine der wichtigften Folgen der neuen preußifchen Gewerbeordnung, die Innungen

86 Die preußiichen Aufnahmen.

glaubten ihre Sache zu fürdern, wenn die Zünfte her: gejtellt würden. Ueberdies war die preußiſche Negierung, wie leicht jede Regierung, geneigt zu glauben, man fönne der augenblidlichen Noth im Gewerbejtande durch irgend welche Akte der Gejetsgebung abhelfen. Eine Kommilfion von betheiligten Sachverjtändigen wurde berufen und berieth den 17. bis 30. Januar 1849. Die Klagen Eonzentrirten fich darin, man könne fich zu Teicht niederlaffen und ein Gejchäft eröffnen. Die Berordnung vom 9. Februar 1849 gibt dieſem kurz— fichtig egoiſtiſchen Klaffenintereffe nach, jchafft wieder fejte Arbeitsabgrenzung für die wichtigern Gewerbe und verlangt für die Ausübung derjelben Beitritt zur Innung nach vorangängigem Nachweiſe der Befühigung bei der Zunft oder Nachweis der Befähigung vor einer befondern Prüfungstommiffion. Ein feiter Bildungsgang als Lehrling und Gejelle wird wieder worgejchrieben; Hand- werfsmeijter dürfen zu technijchen Arbeiten fich nur der Gejellen und Lehrlinge des Handwerks bedienen; dieſe dürfen nur bei Meijtern ihres Handwerks oder bei Fabrikinhabern eintreten. Wo das Halten von Magazinen zum Detailverfauf von Handwerfsiwaaren erhebliche Nach-

in Preußen, welche hie und da, als Anfänge einer neuen Aera des Handwerferftandes, bereit8 ins Leben getreten find, mit Freuden und wünſchen ihnen guten Fortgang und Nahahmung von allen Seiten.” ©. 233 folgt ein Artifel „Handwerk und Freihandel;“ in demjelben wird die Erflärung ber 27 Stettiner Gewerke angeführt, welche dahin lautet: daß fie in der neuen preußiſchen Gewerbeordnung das Mittel erfennen, „der grenzen- loſen Gewerbewillfiir und dadurch Herbeigeführten Demoralifation und Berarmung ein Ziel zu ſetzen.“

Die Gewerbenovelle von 1849. 87

theile für die gewerflichen Verhältniſſe des Drtes zur Folge hat, kann durch Ortsſtatuten die Haltung von Magazinen dur) Sole, die nicht Meifter find, beichränft werben.

Der Handwerferjtand war zunächſt durch dieſe neue Gewerbeordnung befriedigt; die vorhandenen Meiſter gewannen zunächſt etwas durch die Erjchwerung des Meifterwerdens, und die durch ganz andere Urjachen bewirkte Beſſerung des Abſatzes, der Gejchäfte im fol- genden und nächitfolgenden Jahre jchob man ohne Wei- tere der neuen Gejetgebung, bejonvders den Prüfungen zu.

Daß man damals jo dachte, ijt natürlich. Mehr zu verwundern ift und bat mich bei vielen perjönlichen Rückſprachen mit liberalen aufgeflärten Meiſtern oft über- rajcht, daß die Mehrzahl auch heute noch für bie Prüfungen eingenommen ift. Waltet dabei mancherlei Mißverſtand, mancherlei egoijtiiches Motiv vor, ein rich— tiger Kern ift mir in den Ausjagen von vielen Meiftern " entgegengetreten. Das Leben der Gejellen und Lehrlinge außer dent Haufe des Meijters, in der heutigen Groß— ftadt, birgt in feiner Unabhängigfeit manche große Ge: fahr. Bei dem einen wächst damit der Charakter und der jelbftvertrauende redliche Fleiß, bei jehr vielen nur die Genußjucht, die Unzufriedenheit, die Faulheit und Unzuverläffigfeit; Teichtfinnige, zu frühe Ehen fommen zahlreicher vor. Mit dieſen Uebelſtänden hat ver Meijter zu kämpfen; er wird fie, weil er darunter leidet, leicht überjchägen; aber vorhanden find fie, und berechtigt iſt es, auf moraliiche Mittel der Gegenwirkung zu denken. Und weil ihm die andern Mittel ferner liegen, jo it

88 Die preußiichen Aufnahmen,

der Meifter für die Prüfungen eingenommen, die aller- dings für Viele als Sporn, als zu erreichendes Ziel von guter moralifcher Wirkung fein können. Wenn die Prü- fungen nicht zu leicht in egoiftiichen Mißbrauch aus- arteten, wenn fie nicht nothwendig fich verknüpften mit der heute ganz unleivlichen Abgrenzung der Arbeits- zweige, jo könnte man allerdings die Frage als eine offene behandeln.

Was die allgemeine Wirkung der Gejetgebung von 1849 betrifft, jo möchte ich dabei die mehr pſychologiſche Wirkung von der realen, direkten Wirkung unter: jcheiben.

Die piychologiichen Wirkungen waren theils gün- ftige, theil® ungünstige. Viebahn betont die erjteren bejonders, wenn er jagt: „Nach dem Erjcheinen dieſer Novelle, welche der Innung wieder bejtimmtere Rechte und mehr Inhalt verlieh, entitand im Handwerferitand wieder ein lebhaftes Intereffe an diefen Korporationen : die Statuten der alten wurden vevidirt, zahlreiche neue errichtet. Die Zufammenkünfte, die Prüfungen und Freiſprechungen beförberten das forporative Zuſammen— halten und die Bildung unter den Gewerbsgenoffen. Die Handwerker » Fortbildungsichulen find großentheils aus der Anregung oder unter Mitwirkung der Innungen herporgegangen, und wenn fich der gewerbliche Stand- punft und die Leiſtungen der preußiichen Handwerker gehoben haben, jo kann auch den Innungen ein gewiljes Verdienſt dabei nicht abgejprochen werben.” Das ift bis auf einen gewiljen Grad wohl wahr. Das eigentlich Treibende aber, das Leben Gebende war die Noth, Die

Die Folgen der Gewerbenovelle. 89

Einficht ſchlug Durch, daß endlich auch der Handwerker vorwärts ſchreiten müſſe. Deswegen rührte man fich, ftrebte nach Bildung, war für die Pläne von Schulze'- Delitich empfänglich, gründete man Schulen und Gewerbe- vereine, deswegen hatte man auch lebendigeres Intereffe für die Innungen und für die Prüfungen. Aber nicht umgefehrt waren die Innungen das Erfte, das Anre— gende. Im Gegentheile vielfach wurden fie bald das Hemmtende, einmal weil man fich durch die Eriftenz der Innungen an fih nun geholfen glaubte, noch mehr aber, weil die perjönlichen Elemente, die in ihnen an die Spite famen, feine jolche waren, die Verſtändniß für gewerblichen Fortichritt hatten. Das ift ja der Fluch jeder alten, einmal auf Abwege gerathenen Imftitution, daß bei Wiederbelebungsverjuchen nicht die tüchtigen, die jungen, die aufopfernden Kräfte zuftrömen, jondern die alten, egoiftifchen. Den Kreditvereinen, den Gewerbe- vereinen, den Arbeiterbildungsvereinen widmeten fich Die friſchen, aufjtrebenden Kräfte; den Innungen mehr jolche, die darin eine behagliche Exiftenz ohne Anftren- gung erhofften. Für Viele und nicht die untüchtigften wurde die Sache durch Die unpaffende reaftionäre Ver— quidung verdächtigt. Die perfönlichen Eigenfchaften Derer, welche in den Innungen obenan famen, waren ver Krebs- ſchaden der neuen Inftitution, waren ſchlimmer als der Inhalt der Novelle ſelbſt. Diefe Wahrnehmung ift mir überall, wo ich mich näher nach Perjonen und Dingen erkundigte, entgegen getreten, und Negierungsrath Mülmann beftätigt das vollftändig, wenn er in Bezug auf Die Aheinprovinz und die dortige Innungsbildung

90 Die preußiſchen Aufnahmen.

fagt:! „Nicht das Intereſſe des Handwerkerſtandes, feine techniſche und joziale Fortbildung und Bereinigung zu gegenfeitiger Unterjtügung war die Triebfever des Zuſam— mentrittes, jondern wieder das Anjtreben von Erklufiv- rechten, der Egoismus, wenn nichts Schlimmeres. Mit dem Durchoringen der Ueberzeugung, daß auch Die Innungen zur Erfüllung dieſer jelbjtjüchtigen Wünfche nicht geeignet feien, erlahmte auch mehr und mehr die Theilnahme an diejen Inftituten. Ihre Berfammlungen wurden micht mehr bejucht, die Beiträge nicht mehr geleitet, umd fie jchrunmpften zuerft bis auf die Schatten- gerippe der Innungs- Prüfungstommiffionen ein und vegetirten, ſeitdem auch diefe Durch Neuwahlen nicht mehr zu ergänzen find, als leere Organijationen fort.“

So viel von den piychologiichen Wirkungen. Was die direften, realen Wirfungen betrifft, jo laffen fie fich aus den gewerbeſtatiſtiſchen Zahlen nicht ganz ficher nach- weijen, da bier der Streit immer offen bleibt, ob die Zahlen fo find wegen oder troß der Einrichtung. Immer: bin aber lehren die Zahlen, wie ich gleich zeigen werde, daß jedenfalls eine auffallende Wirkung nicht vorhanden ift. Eine folche iſt aber auch nicht wahrjcheinlih. Daß die Novelle wejentlich genutst babe, glaubt Niemand heute mehr; daß fie gejchadet habe, wird eher noch behauptet werben fünnen. Sie legte dem Handwerk einige Feſſeln auf, beſchränkte die verjchievenen Kleingemerbe unter fich, ohne e8 aber zu wagen, die Großinduſtrie,

1) Statiftit des Negierungsbezirts Düffeldorf. Iſerlohn 1867. IIP, 489,

Die Folgen der Gewerbenovelle. 9

die Magazine, den Handel irgendivie zu Gunſten ber Kleingewerbe zu beichränfen. Selbſt joweit die Novelle dazu etwa die Hand bot, wie durch die Beſtimmung über die Magazine, wurde fie nicht ausgeführt. Weber: haupt ift in jolchen Dingen ja nicht der Wortlaut ent- icheidend, fondern die Art der Ausführung. Und dieſe war feine fchroffe, jelbit in Bezug auf die Prüfungen. Wohl haben diefe manche Niederlaffung erichwert, am meisten noch in den Baugewerken; das Anwachjen ber bloßen Fliefarbeiter gegenüber den Meiſtern hängt damit zufammen. Aber abgejehen hiervon wurde die größte Milde beobachtet; ſchon durch das Gejez vom 15. Mai 1854 wurden, was bem Gejellen die Hauptjache war, die Prüfungsgebühren reduzirt. Kontraventionen, abjicht- liche Täuſchungen, Namensleihungen wurden jelten ver— folgt. Die Strafen waren praftifch jo nieder, daß jelbjt eine gerichtliche Verurtheilung feine Aenderung zur Folge hatte." Somit find in der Hauptfache die ſtatiſtiſchen Zahlen von 1852 61 nicht aus der veränderten Gejeß- gebung, fondern aus andern Urfachen zu erklären.

Dies zeigt fich gleich bei denen für 1852. Die Hauptnoth iſt vorbei; wenn fie in einigen Gewerben noch fortvauert, jo haben die übrigen um jo mehr fich erholt. Es waren ?

1849: 535 232 Meifter mit 407 141 Gehülfen. 1852: 553107 » 447502

1) Vergl. darüber die praktiſchen Bemerkungen von Mül— mann daſ. S. 493.

2) Siehe die ſpezielle Vergleichung der beiden Jahre, Mit— theilungen VII, 328 52.

92 Die preußifchen Aufnahmen.

Die Zunahme von Meiftern und Gehülfen zufam- men beträgt 5,99 °%o, die der Bevölkerung nur 3,,%, ; die Zunahme mußte natürlich ſtärker jein als die der Bevölferung, wenn man nur halbwegs wieder auf Yeidliche Zuftände fommen wollte, da die Zahlen für 1849 einen Nothſtand repräſentiren.

Die Zahl der Meiſter allein nahm um 3,55%, zu, alſo nicht ganz jo ftarf wie die Bevölferung; in den meiften einzelnen Gewerben zeigen aber die abjoluten Zahlen einige hundert Meifter mehr als 1849. Abge- jehen von denen, welche dauernd wegen Konkurrenz der Großinduftrie zurüdgehen, bat die Meifterzahl von wich- tigen Gewerben nur bei den Zimmerleuten auch abjolut etwas abgenommen; das wird den Prüfungen zuzu— ichreiben fein. Bei den Maurern iſt die abjolute Meiſter— zahl troß der Prüfungen gejtiegen.

Die Meiſter zeigen nur eine abjolute, feine relative Zunahme, die wejentliche relative Zunahme der Geſammt— zahl Tiegt in den Gehülfen. Sie nahmen um 9,4% zu; in den bebeutenden Gewerbszweigen handelt es fich in jedem um einige taufend Gehülfen mehr, gegenüber von 1849. Der Abfat iſt wieder ein bejjerer, die 1849 entlaffenen Geſellen find meist wieder eingejtellt.

Die Befferung der Zuftände war aber noch Feine nachhaltige; war die politifche Lage eine ruhigere, ja warfen fich viele Kräfte, enttäuſcht im politiichen Leben, um jo mehr auf das Gebiet materieller Thätigfeit, fo wirkte das doch mehr nur belebend in ven höheren Regionen des gewerblichen Lebens. Mehrere ſchlechte Ernten folgten fich, fie wirkten durch die Theurung

Die Kleingewerbe 1849 1855. 93

der Lebensmittel lähmend auf den Abjat der ohnedies gedrückten Kleingewerbe.

Die Gejammtzahl von Meiftern und Gehülfen ijt 1855 zwar um circa 1700 Berjonen höher als 1852 (1.002 384 gegen 1.000 609), verglichen mit der Bevöl- ferung bat aber eine Abnahme ftattgefunden; die ſämmt— lichen ©ewerbetreibenden machen 1852 5,35 pr 1855 5,5, %, aus. Im vielen wichtigen Gewerben baben jogar die abjoluten Zahlen der Meijter, wie ver Gehülfen, abgenommen. Es gibt 1855 abjolut weniger Meiſter bei den Fleifchern, Seifenfievern, Gerbern Schuhmachern, Handjchuhmachern, Seilern, Sprigen- machern, Schneidern (um 2000), Pofamentieren, Hut machern, Tuchicheerern, Färbern, Zimmerleuten, Zim— merflidern, Brunmenmachern, Wagenbauern, Böttchern, Drechslern, Haarlammmachern, Bürjtenbindern, Maus rern, Mauerflidern, Steinjegern und noch manchen unbe— deutendern. Biel wirkt dabei der Prüfungszwang nicht. Die allgemeinen Urfachen und die Theurung find wich- tiger, denn wäre jener die Haupturjache, jo müßten die Gehülfen jtärfer zugenommen haben. Aber auch fie zeigen vielfach nicht nur velativ, ſondern abjolut niedrigere Zahlen als 1852. So bei folgenden Gewerben: bei den Fleiſchern, Seifenfievern, Gerbein, Schub: machern (2000 weniger), Handſchuhmachern, Seilern, Schneidern, Pojamentieren, Quchicheerern, Färbern, Brunnenmacern, Tiſchlern, Wagenbauern, Böttchern, Drechslern, Töpfern, Glaſern.

Wieder etwas befjer geftaltet fich die Lage in der zweiten Hälfte des Jahrzehntes. Die allgemeinen Vorbes

94 Die preufiichen Aufnahmen.

dingungen der gewerblichen Entmwidelung waren wieder andere geworden; die Ernten find befjere, die Groß— induſtrie und der Welthandel nehmen ftärfer zu, als je. Die größeren Städte wachſen in ihrer Bevölferung mehr und mehr, die Eifenbahnbauten vollenden fich in den meisten Provinzen. Das wirft auch auf die Klein— gewerbe, wenigſtens auf einen Theil derſelben zurüd, Auch die Kreditvereine von Schulze » Delitich beginnen ihren jegensvollen Einfluß zu üben. Beſonders ein- zelne Gejchäfte dehnen ſich aus, beichäftigen mehr Gehülfen. Die Gejammtzahl ift 1858 um circa 50000 Perjonen höher als 1855, 1861 ift fie abermals um 40000 Perſonen gejtiegen, und fie würbe fich noch wejentlich höher darjtellen, wenn die Zahl der Leinen- jpinner von 1858 61 nicht um circa 40000 abge- nommen hätte. Will man hiervon abſehen und fett deshalb für 1861 noch 40000 Perjonen zu, jo ift auch die relative Zunahme 1858 61 größer als die von 1855 —58. Die Handwerker würden danach 1855 5,5, %, 1858 5,,%), und 1861 = 6,,% der ganzen Bevölkerung ausmachen.

Die Zunahme von 185561 liegt in der Gehülfen- zahl und konzentrirt fich auch hier auf einige Haupthand- werte, auf folche, die einen fabrifartigen Betrieb ein- zuführen anfangen, und ſolche, die jeverzeit mit wachjendem Wohljtand fich ausdehnen; dahin gehören die Schuhmacher, Seiler, Schneider, Putzmacher, Riemer, Ziichler, Rade- und Stellmacher, Schmiede, Schlofier, Zimmerleute und Maurer. Sie find es hauptſächlich, deren Gebülfenzahl von 1855 —61 weſentlich wuchs.

Die Kleingewerbe 1855 1861. 95

Immer ift die Zunahme aber nicht allzubeveutend, und die Zunahme ver Gehülfen hat die Kehrſeite einer abnehmenden Meijterzahl. Daraus erklärt fich auch, daß wir von 1849 ab den Prozentantheil der handwerks— mäßigen Bevölkerung mit ihren Samilien an ver Gefammt- bevölferung als einen abnehmenden berechneten. Dieſer Prozentantheil war:

18343808 ur 16,58 % PDS, u u... 16,03 % 1 1212 Bu er 15,70 %o IE: 3: 5.8.5: 15,45 % BB: 5204 0% 14,37 %o-

Natürlich, wenn man die abnehmende Meifterzahl mit 4,, Perjonen multiplizirt, dazu auch Die etwas zunehmenden Gehülfen abbirt, jo müſſen die ganzen Summen gegenüber einer rajch wachſenden Benölferung finfende jein.

Die Lage der meiſten Eleinen Geſchäfte ift übrigens auch gegen 1861, auch 1861 65, in welchen Jahren bejonders die Löhne ftiegen, die Lebensmittel bilfig waren, in welchen ver Abſatz allerwärts flott ging, feine jonderlich günjtige. Ein mehr oder weniger trau- riges Bild gibt die Zufammenftellung des einfchlägigen Material aus den landräthlichen Kreisbeichreibungen (1858 —66) im Jahrbuch für die amtliche Statiftif des preußijchen Staate8.! Sieht man manchem der Berichte die landräthlich konſervative Tendenz an, die Ber: gangenheit auf Koften ver Gegenwart, das Zunftweſen auf Koften der Heutigen Gefete zu erheben; in ven

1) Yahrg. II. Berlin 1867. ©. 265 348.

96 Die preußiihen Aufnahmen.

meiften Teuchtet doch eine wahrbeitsgetreue Bericht- erjtattung durch, und fie lautet mehr oder weniger dahin, daß der Abjag der Handwerker abnimmt, fich immer mehr auf die ımtern Klaffen beichränft, vaß ihre Zahl dagegen vielfach noch wächit, daß nur, wo Haus - oder Grundbeſitz vorhanden, ihre Lage bebaglich iſt, daß ohne denjelben die Yage des fleinen Meifters fich nicht über die des einfachen Tagelöhners erhebt, daß die feinen Meifter auf Jahrmärkten herumziehen oder auf Tagelohn neben der Gewerbsarbeit gehen müfjen. Ich will nur einige im Jahrbuch nicht wörtlich, aber dem Sinne nach treu wiedergegebene Mittheilungen der Landräthe anführen.

Aus. Frauftadt (Neg.- Bez. Pojen) wird 1860 gejchrieben: „Nur die größte Betriebjamfeit und Ein- ichränfung vermag den jtäbtiichen Handwerkern eine forgenfreie Eriftenz zu fichern.” Aus Schroda (Pojen) 1863; „Weil die Handwerker vielfach ihren Betrieb mit Schulden beginnen und mit den Induftriellen der großen Städte nicht fonkurriven können, jo müſſen fie nicht jelten tagelöhnern oder Erwerb durch Transport von Bagabunden oder durch Pachtung von Obftgärten ſuchen.“ Aus Kröben (Pojen) 1863; „Die fleinen Städte werden meistens von dürftigen, jchlecht ausgebildeten und ungeſchickten, mit mangelhaften Arbeitszeug verjehenen Handwerkern bewohnt, deren Zahl das Bedürfniß über- fteigt.” Aus Habelichwerdt (Schlefien) 1860; „Die Mehrzahl der Handwerker arbeitet ohne Gejellen und Lehrling bei wenig ſchwunghaftem Betrieb; ebenjo über- ihreitet die große Anzahl der Viktualienhändfer, welche

De landräthlichen Berichte über das Handwerl, 97

ie Chtennz auf möglicht bequeme Weije friften wollen, werd das Bedürfniß.“ Aus Weißenfels und Weißenſee (Shin) 1860: „Se jchlechter die Lage des Heinen Handwerks in den Städten durch theure Wohnungen, hohe Gemeinvefteuern, Konkurrenz des Kapitals wird, deſto mehr überjievelt das Handwerk auf das platte Yand, und zwar ohne dabei zu gewinnen; denn jelten bringen e8 die Handwerker, wenigſtens Schuhmacher und Schneider, zu eigenem jchuldenfreien Befis. Vielen ſonſt fleißigen Handwerkern wird e8 durch die zu zahlreichen Konkurrenten unmöglich gemacht, fich zu behaupten.‘ Aus Oſchersleben (Sachjen) 1863: „Das Handwerk iſt von geringem Umfang und geht, abgefehen von ven Bauhandwerkern, eher rüd- als vorwärts.” Aus Münfter (Weftfalen) 1863: „Das Handwerk hat geringe Deveutung; die meijten Handiverfer treiben nebenher Aderbau. Viele Schneider, Schreiner, Wagenmacher und jelbjt Schuhmacher arbeiten bei ihren Kunden gegen Koft und Tagelohn. Geſellen verdienen oft faum jo viel wie Knechte.“ Aus Bonn (NRheinprovinz) 1859: „Die Auswanderung hat abgenommen; jet wandern faſt nur noch junge und allein jtehende Handwerker aus, welche in Amerifa oder Auftralien eine Eriftenz zu gründen beabfichtigen.” Aus Bergheim (Rheinprovinz) 1863: „Die Hleinern Handwerker, Weber und vergl. jtehen mit ven Tagelöhnern, denen Wege- und andere öffentliche Bauten eine lohnende Beichäftigung gewähren, auf einer Erwerbsſtufe.“ Aus Warendorf (Wejtfalen) 1865; „Mit ven Hauptjächlichiten Handwerkern iſt jebe Gemeinde fat mehr als genügend veriehen, dem ver— Schmoller, Geſch. d. Mleingewerbe. 7

98 Die preußiichen Aufnahmen,

mögenslofen jungen Manne bleibt alfo, will er nicht Zeitlebens Tagelöhner fein, nur übrig, im inbuftrie- reichen Gegenden einen Hausjtand zu gründen.‘

Man könnte diejen traurigen Ausiprüchen gegenüber die Frage aufwerfen, ob e8 jemals früher in dieſen Kreifen beffer bejtellt war? Mean könnte daran erin- nern, daß jede jtarfe Bevölferungszunahme, man mag fie im Allgemeinen als noch jo günftig betrachten, in einzelnen Streifen, für Stellungen, die leicht zugänglich find, einen jtärferen Andrang und Damit ein gewiſſes Unbehagen erzeugen muß, daß aus diefem Unbehagen heraus ja aller Fortichritt jtattfindet. Beide Einwen- dungen jchiwächen die Klagen über die gegenwärtige Lage der Handwerker ab; aber fie machen fie nicht ver- jtummen. Die Haupturjachen des Drudes liegen in der volfswirtbichaftlichen Umbildung aller unjerer Verhält niffe feit 20 Jahren.

Wenn man das bei den eigentlichen Handwerfern leugnen wollte, jevdenfall® müßte man e8 zugeben in Bezug auf die Hausinduftrie der Weber, die von unferer bisherigen Unterjuchung ausgejchloffen war. War ihre Lage 1850 60 vielfach wieder eine beſſere als 1840 50, im Ganzen war fie doch jammervolf genug, wie die Mittheilungen aus den landräthlichen Kreisbe- ſchreibungen ebenfall8 zeigen. Es gilt wenigjtens für den größern Theil der Handweberei, was der Landrath des Kreiſes Yandeshut in Schlefien (1860) fagt: „Die Beihäftigung jo vieler Menjchen mit einem unterge- henden Gewerbe läßt faum einer Hoffnung des Beſſer— werdens Raum.‘

Die landräthlichen Berichte Über das Handwerf, 99

Sch werde hierauf in den folgenden Unterjuchungen zurüdfommen. Es handelte fich hier nur um die Kon- ftatirung der Lage der Handwerker überhaupt. Un um das Bild zu vernollftändigen, gehe ich nunmehr auf die Handwerksitatiftif einiger der wichtigern Kleinſtaaten über. Es ift das zur Beftätigung der bisherigen Reſul— tate um jo pafjender, als die preußiichen Zahlen eigentlich geographiich zu groß find, d. h. Länder mit zu ver ſchiedenen Zuftänden umfaljen. Eine zunehmende und abnehmende Gefammtzahl kann hier aus zu verjchie- denen Faktoren zuſammengeſetzt ſein; es kann in einer Provinz ein Gewerbe von der Großinduftrie ſchon voll- jtändig verdrängt fein, während e8 in einer andern noch jo zunimmt, daß die Zahlen der ganzen Monarchie als fteigende erjcheinen. Aus dieſem Grunde find bie Refultate Eleinerer Länder, die wejentlich nur eine gleiche Kultur umfalfen, belehrender.

Es wird fich bei der Betrachtung der Handiverfs- zuftände in ven Sleinjtanten nicht vermeiden laffen, einige Worte über die allgemeinen Kultur- und Wirth- ichaftsverhältniffe einzuflechten, obwohl ich zunächit nur die Veränderung der Zahlen in jevem einzelnen Lande für fich unterjuchen und nicht die verjchiedenen Staaten vergleichen will. Auf die Lofalen Verſchiedenheiten der einzelnen Staaten und der einzelnen preußiichen Pro- pinzen unter einander werde ich erjt in einem ſpätern Abjchnitte eingehen.

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Die Hauptrefultate der Aufnahmen

in

Baden, Württemberg, Baiern und Sachſen

im 19. Jahrhundert.

1. Die badische Handwerfäftatiftif von

1829 1861.

Land und Kulturverhältniffe. Zunahme der Handwerker von 1829 —43. Die Krifis 1847 —61. Die Gewerbefreiheit feit 15. Oftober 1862.

Wer je auch nur flüchtig mit dem Dampfwagen duch das badiiche Yand von Heidelberg bis Baſel gefahren ift, ver hat ein anichauliches Bild von dem langgeſtreckten Lande. Cine fleißige aufgewedte Bevöl— ferung bebaut den nicht färglichen, meijt in fleine Befit- ftellen zertheilten Boden. Schon im Jahre 1834 Tebten 4421, 1845 4845, jpäter wieder etwas weniger Menjchen auf der Quadratmeile. Das Yand war bis zum Anſchluß an den Zollverein ein vorzugsweile ader- bauendes. Denn von der alten gewerblichen Blüthe mancher Städte, bejonders Freiburg’s, war längſt nichts mehr übrig; und die in der zweiten Hälfte des vorigen Yahrhunderts von Markgraf Karl Friederich ins Leben gerufenen Induſtriezweige, die Bijouteriefabrikation Pforzheims, die Baumwolleninduſtrie des Wiejenthals hatten bis da nicht allzuviel zu beveuten. Cher Beben:

m mM

104 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

tung hatte die hausmäßige Induftrie von Uhren, Bürften und Holzwaaren auf dem Schwarzivalbe. !

Die Heinen Handwerke aller Art waren in ben behaglichen Dörfern und fleinen Städten, in den Reſi— denzen und Univerfitäten zahlreich verbreitet. Günſtig auf fie wirkte auch zumächit der Anſchluß an den Zoll verein, die guten Jahre von 1830 1840. Nach den Aufnahmen der Steuerverwaltung erijtirten ?

1829: 87131 Handwerksmeiſter mit 28769 Gehülfen, 1843: 104998 . 39879

während die Zahl der Fabrifanten ſich von 161 auf 405, die ihres geſammten Perjonals von 2756 auf 8745 in diefer Zeit gehoben hatte. Es war zunächit ein Yort- jchritt im alten Stile, ein Fortichritt viel mehr ber Klein als der Großgewerbe. Von der neuen Zeit, von der neuen Technik, von der neuen Konkurrenz wußte man noch wenig. Die beiden folgenden Sahrzehnte aber brachten das um jo reichlicher. Und die Wirkung auf die Kleingewerbe iſt um fo ftärfer.

Leider Liegen mir? für die Vergleichung von 1847 und 1861 nur die Meifterzahlen der Hauptgewerbe vor, die der Gejellen fehlen für 1847; dadurch erjcheint bie Krifis noch Schlimmer, als fie iſt; denn wahricheinlich würde der Abnahme der Meijter eine Zunahme der Gehülfen gegenüberſtehen. Wie dem aber auch fei,

1) Siehe darüber, wie über das Folgende: Die, bie Gewerbe im GroßherzogthHum Baden, ihre Statiftif, ihre Pflege, ihre Erzeugniffe. ©. 330 ff.

2) Die ©. 17.

3) Dietz ©. 17— 28.

Die Zahlenrefultate in Baben. 105

jedenfalls zeigt die folgende Tabelle, wie viele Feine Handwerfsmeifter in diefer Zeit zu Grunde gegangen find. Es exiftirten in Baden 1847 und 61, während die Benölferung jo ziemlich diejelbe blieb:

| Zus Ab- Namen ver Gewerbe 1847 1861 nahme | nahme der Meifter aa een anne | Meifter || Meifter ar) um | um

Schuhmacher

PIE

Groß⸗ und Kleinbott⸗

cher Rade⸗ und ZStelimacher Zimmerleute Schloſſer Metzger . Uhrmader . Glafer . Sattler . Dreher . Seiler Barbiere

afner .

iſcher Berfertiger grob. ol

mwaaren Gerber . Steinhauer Klempner Zimmermaler . Buchbinder. . Putzmacher . . Seifenfieder Färber . . Korbmacher

30

2 UDEUTE

pr

106 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

Dagegen betrug die Zahl der Fabrifarbeiter mit Einjchluß der Weber im Jahre 1861 50147 Berfonen; noch 1849 waren e8 17105 geweſen. Nicht weniger al8 15649 Handwerker find in den 10 Jahren von 1852 —62 aus Baden ausgewandert, meift nach Amerifa, um dort jenfeit des Ozeans fich den Heerd zu gründen, für den fie in der Heimath feinen Plat mehr fanden. Viele frühere Meifter find auch als Arbeiter in Fabriken eingetreten. Diet verfichert, daR nunmehr durch dieſe Aenderung die Lage der übrig: gebliebenen Handwerker im Lande fich wejentlich gebefjert babe.

Dis zum 15. Oftober 1862 hatte in Baden ber Zunftzwang gedauert; jeither exriftirt Gewerbefreiheit; war die Ausübung des Zunftzwangs jowie des obrig- feitlichen Konzeſſionsweſens auch nicht allzuftrenge gewejen, immer fühlte man fich beengt; und vor Allem war etwas erichwert, was in jolchen Zeiten allgemeiner Umbildung der Technif und der Gliederung der Arbeitsfräfte erleich- tert werden follte, der Uebergang zu andern Gejchäften und Betrieben, die Ueberſiedlung nach andern Orten. Das ift jet leichter, und injofern war die Gewerbe: freiheit auch eine momentane Crleichterung für das Kleingewerbe.! Abgejehen aber hiervon, drückt dig Kon- furrenz der Großinduftrie jet noch mehr als vorher. ? Der Zunftzwang war für manchen kleinen unvollfom- menen Betrieb noch eine Art Schutmauer, die jet

1) Dieg ©. 145. 2) S. Biebahn III, 548.

Die babifchen Kleingewerbe feit 1861. 107

wegfällt. Das ift natürlich fein Argument gegen bie Gewerbefreiheit; denn es Handelt ſich da nur um ein Früher oder Später der Beſeitigung doch unhaltbarer Exiſtenzen. Aber das zeigt fich hier wie überall, daß die Noth ver legten Jahrzehnte nicht Folge des Zunft- zwanges war, daß mit der Gewerbefreiheit nicht jogleich goldene Tage für den Handwerker fommen. ‘Die Haupt- urjache der Krifis ift von Zunft und Gewerbefreiheit unabhängig-

2. Die mwürttembergiiche Handwerferftatiftif bon 1835 61 und die Folgen der Gemerbefreiheit bon 1862 67.

Wirthſchaftliche Zuftände und Gewerbegejetgebung. Die Meifter- zahlen 1835, 1852 und 1861, Abnahıne bverfelben. Die Zahlen der Meifter und Gehülfen zufammen in benfelben Jahren. Bergleihung von 26 wichtigen Handwerken 1852 und 62. Beendigung der Krifis 1861. Die Handelsfammer- berichte von 1862 67 über Gewerbefreiheit; die Klein»

gewerbe in unveränderter Lage.

Weiter ab von der großen Heerftraße, weniger berührt von fremden Einflüffen al8 Baden, liegt das Württemberger Land; zäher, langſamer ift ver Charakter des Stammes. Aber jonft find Yebensbedingungen, wie wirtbichaftliche Entwiclung ähnliche. Auf engem Raume eine Dichte Bevölkerung; zahlreiche Fleine Städte und Flecken; ein zertheilter Grundbeſitz; bis in die neuere Zeit eine mehr landiwirtbichaftliche als gewerbliche Thätig- feit, wenigjtens die Großinpuftrie hat erjt in ben lekten Jahrzehnten fich entwidelt, in diefen allerdings große Vortichritte gemacht.

Die Gewerbegejeßgebung wurde jchon 1828 und 1836 in liberalem Sinne reformirt; das Geſetz vom

Wirthichaftliche Zuftände und Gefetsgebung. 109

22. April 1828 hebt für 13 Gewerbe die Zünftigfeit auf, für etwa 50 behält fie fie bei, aber jo, daß mit Beſeitigung aller läſtigen Vorrechte die Zünftigfeit nur zu zweierlei zwingt: zum Erwerb des Gemeinvebürger- rechts am Drte der Nieverlaffung und zu einem ziemlich leichten Nachweis der Befähigung. Eine weitere Erleich- terung war die 1854 erfolgte Zufammenlegung von 28 bisher in einzelne Zünfte getheilten Gewerben in 7 Zunftgruppen. Don da war der Uebergang zu der 1862 (1. Mai) eingeführten Gewerbefreiheit fein allzugroßer Schritt.

Die vorzugsweiſe in dem Kleingewerbe Eonzentrirte gewerbliche Thätigfeit ging in den zwanziger Jahren die alten bergebrachten Bahnen. Der bairiiche Zollverein brachte 1828 feine gefährliche Konkurrenz; erft mit dem Eintritt in den großen Zollverein entjtand eine folche, aber damit auch Leben und Fortfchritt. ES Datirt von diejer Zeit der Uebergang zur Großinduftrie, die ver- mehrte Berührung mit dem Ausland, die Verbefjerung der Zechnif, aber zugleich die theils verſchuldete, theil8 umverjchuldete Krifis der Sleingewerbe, ! deren Iprechendes Bild in der folgenden Tabelle liegt, welche die Zahlen der Meifter in den wichtigern Gewerben 1835 36, 1852 und 1861 verzeichnet.

1) Zu vergl.: Württ. Jahrbücher 1862. Heft 2. S. 161 236: Schmoller, die Rejultate der Gemerbeftatiftif von 1861, und Königreid Württemberg S. 551 ff.: Der Entwidlungs- gang des Gewerbslebens in den letten 40 Jahren.

110 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

Bevdlferung: 1852 1861

ls Mil. | 1, Mil. Gewerbe

Bäder . 6 277 Konditoren ; 453 Metzger . 4438 Barbiere . 774 Gerber. . 1193 Kürjchner, Riemer, Sattler xc. 1825 Schuhmader . j 12611

utmacher 201

chneider . 8168 Putzmacher 573 Färber .. 373 Tapeziere . 102 Dredsler . 1111 Tiichler 5 084 Maler . 608 Glajer - 1435 Uhrmacher 636 Gold» und Silberarbeiter 311 Schloſſer und Schmiede 6791 Rade- und Bene 3 462 Böttdr - » »- » 3941 Töpfer, Hammer . 1105 Seifenfieder ; 461 Steinhauer 1063 Maurer 4551 Zimmerleute . 3 246 Pflafterer . 461

| 73990 | 73634 | 71151 %

Während die Bevölkerung wenigjtend 1835 52 zunimmt, finft Die Zahl der Meifter in den meijten Ge— werben, und dabei find einzelne, die am meiften litten, wie das Tuchmachergemwerbe, in dieſer Tabelle gar nicht begriffen. Einzelne finfen nur bis 1852 und erholen fih von da an wieder; fie haben die Krifis ſchon hinter

Die Zahlenreiultate in Württemberg. 111

fih. Die Gejammtzahlen würden viel ſtärker finfen, wern nicht doch manche jteigende Gewerbe dazwiſchen wären, folche, die erft fich ausbilden, wie Putmacher, Zapeziere, oder folche, bei denen der Feine handwerks— mäßige Betrieb wenig oder feine Konfurrenz zu leiden bat, die aljo mit dem jteigenden Wohlitand fich auch ver Meijterzahl nach heben.

Daß der Wohlftand im Ganzen fteigt, daß er ver Krifis entgegen wirft, ift klar; die Fleinen Geſchäfte machen Banferott; neue in geringerer Zahl, aber umfang- reicher betrieben, prosperiren; daher ganz diejelben Ge— werbe meift fteigende Zahlen zeigen, wenn man bie Gejammtheit der Beichäftigten inkl. Gejellen und Lehr— lingen vergleicht. Nur die am ſtärkſten leidenden zeigen auch bier einen Rückgang. Die Gefammtzahl der Meifter, Gejellen und Lehrlinge betrug:

Gewerbe 1835 36. 1852. | 1861.

Bade een. 8797 | 8758| 9181 Konditoren- » 2 2.) 404 916 886 DEREN 6 287 6 152 6 374 Darblete 00%. 0:00’ \ 1 324 1033 969 2 EEE 2 207 2 065 2497 Kürjchner, Riemer, an u 2 297 2 693 3 186 Schuhmacher —— 15575 18526 20998 Hutmacher. 327 296 405 Schneider.... 928622 | 9957 | 13530 PBugmader . » » 2 20. 46 496 790 Fürbbe en 125 703 716 ZA 5 30 9 68 190 Drechsler..... . 1082 1410 1781 5586 | 7441 8950 74 1259 1632

Latus: 54362 | 61373 | 72.055

112 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

Gewerbe

Transport: | 54362 | 61373| 72055

BIRIER 1532 1750| 2087 Uhrmacher 54 486 871 1239 Gold⸗ und Silberarbeiter . . 684 466 682 Schloffer und Schmiede. . . 9 832 11314| 12608 NRade- und V 4283 4692| 5405 Bötthder. - » - 5325 5309| 5710 Töpfer, Hafner Be u 1516 1 627 1791 Seifenfieber El A a ee 654 682 629 Steinhauer . . » » 2... 1649 1827| 3286 GROBER u, 9156 12497| 12196 Zimmerlute . . "2... 7002 7394| 8413 Pflaſterer | 283 339 609

| 96 764 | 110 141| 126 710

Nach einer Vergleichung, welche Profeſſor Mährlen! anftellt, Haben in den 26 wichtigjten Hanbiverfen die Meifter 1852 62 um 4, %,, die Gehülfen und Lehr- linge um 76°), zugenommen. Faßt man aber die- jenigen zujammen, bei welchen weniger günftige Verhält— nijje vorhanden find, nämlich die Bäder, Fleiſcher, Maurer, Zimmerleute, Töpfer, Schmiede, Kupfer- jchmiede, Gerber, Sattler, Küfer, Färber, Poſamen— tiere, Nadler, Gürtler, Zinngießer, Hutmacher, Fri- jeure und Barbiere, jo haben bei ihnen zufammen von 1852 62 die Meifter um 8,, %, abgenommen; die Gehülfen um 34,, %, zugenommen.

Nach der größern Tabelle über Meifter und Ge- bülfen zuſammen könnte man verfucht fein, die Krifis ganz zu Yeugnen, nach den legtern Prozentverhältniſſen

1) Witt. Iahrb. Jahrg. 1863. ©. 39 40,

Die Rejultate in Württemberg. 113

fieht man ihr Vorhandenfein, aber auch die Bejjerung. Die Krifis iſt jo ziemlich überwunden, nachdem die Zahl der Meifter abgenommen, ihre Geſchicklichkeit und Bil- dung fich mwejentlich gehoben bat. Freilich darf man dabei nicht vergejfen, daß dem Jahre 1861 eben fo glückliche Ernte» als Gejchäftsjahre vorausgingen, wäh— rend 1830 40 der erjte Stoß der fremden Konkurrenz, in den vierziger Jahren die Handelsfrijen, Die Hungers- noth und die Revolution, zu Anfang der funfziger Jahre wieder die Mißjahre die Krifis jehr verſtärkt hatten, daß aljo die Beſſerung 1861 ebenfo oder noch mehr accidentellen Urjachen zuzujchreiben ift als einer bleibenden Beränberung.

Für die Zeit nach 1861 fehlt e8 an einer ftati- ſtiſchen Aufnahme der württembergijchen Gewerbe, wie in den andern Zollvereinsitaaten. Wohl aber erfieht man aus den zuverläffigen mwürttembergiichen Handels— fammmerberichten! wie die am 1. Mat 1862 eingeführte Sewerbefreiheit gewirft hat.

Im erjten Jahre, heißt e8, habe ein ungeheurer Zubrang von Gewerbtreibenven nach den größern Städten, Stuttgart ausgenommen, oder von Gebülfen in jelb- jtändige Unternehmungen in dem Umfang, wie er befürchtet wurde, nicht ftattgefunden, wohl aber ſei ver Zudrang zu den Detailgejchäften und zum Haufirhanvel ein jehr jtarker. Die Lage ver Kleingewerbe wird als

1) Sahresberichte der Handels- und Gewerbefammern in Württemberg, Stuttgart, Blum und Vogel; für 1862 ©. 28. S. 63. ©. 119; für 1863 ©. 23. ©. 34. ©. 46—49; fiir 1865 &.118; für 1866 S. 45; fir 1867 ©.7—11.

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe 8

114 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

günftig, aber von ver Gewerbefreiheit faum berührt bezeichnet.

Im Jahre 1863 wird bejonders die immer ftärfer . wachjende Zunahme des Haufirhandeld erwähnt. Sehr viele Heine Gewerbetreibende, welche fich früher ohne . Haufiren durchzubringen juchten, heißt e8, laſſen fich Haufiricheine geben. Hauptjächlich kommt es auch vor, daß Haufirer an einzelnen Drten wochenlang ein Lokal miethen, ihre Waaren zum Verkauf bieten und dann weiter ziehen. Ueber die neue Gewerbeordnung über- haupt jchreibt die Heilbronner Handelsfammer: „Viel— fache Erfundigungen, welche wir von Gemeindebehörden, Gewerbevereinen und Einzelnen über die Wirfungen der neuen Gewerbeordnung eingezogen haben, jprechen fich ziemlich übereinftimmend dahin aus, daß fie bis jett, abgejehen vom Haufirhandel, fich weder als merklich wohlthätig noch als merklich nachtheilig erwieſen habe. Wie vorauszujehen war, jo hatte fie namentlich durch die Bejeitigung des Erforbernijjes des Drtsbürgerrechts zur Folge, daß eine Menge Yeute ſich zur jelbjtändigen Ausübung von Gewerben meldete, namentlich in ben Städten, und daß der Wegfall der Konzejfionen bei Krä— mereien und des Beweijes der Vorbildung beim Detail- handel gleichfalls jehr viele Yeute veranlaßte, den Handel als Haupt- oder Neben» Erwerbözweig zu ergreifen. Uebergänge von einem Hanbwerf auf ein anderes find jelten, von einem Handwerk oder von einer jonjtigen Beichäftigung auf den Handel aber jehr häufig, häu— figer als wünjchenswerth. Klagen über Veberjegung jind uns nur bezüglich von Schneidern, Schuhmachern

Die Gewerbefreiheit in Württemberg. 115

und Händlern von einigen Orten aus befannt gewor— den.‘

Ganz ähnlich Tpricht fich die Ulmer Handels— fammer aus. Von 87 in der Stadt Ulm 1863 neu angemeldeten Handelsgejchäften find 10, von 173 neu angemeldeten Kleingewerben 14 ſchon im gleichen Jahre wieder eingegangen. Die zahlloſen Heinen Handels— geichäfte, heißt es, fürmen unmöglich prosperiren. Der Zudrang der Handwerker bejteht nur für Gewerbe, die fein Kapital erfordern; es find Schufter und Schneider, Tiſchler und Maler, die daneben fortfahren, für andere Meijter zu arbeiten. Dann kommt e8 vor im Maurer- und Zimmergewerbe; alte Gejellen, Bolire verſuchen ein eigenes Feines Gejchäft zu beginnen, "Reparaturen zu übernehmen. Auch von ihnen ift bereits eine ziem- liche Zahl wieder zu ihren Meijtern- zurücdgefehrt. „Bei den übrigen Gewerben hat Dagegen die Freigebung bei- nahe gar feine Aenderung hervorgebracht.‘

"Der Bericht für 1865 berichtet eher ungünftig als günftig über die Folgen; er betont, daß nicht jowohl durch das Syſtem der Gewerbefreiheit als durch bie heutigen Verkehrsverhältniſſe Die Ueberlegenheit der großen Geſchäfte immer fteigt. „Der Einfluß der Gewerbe— freiheit“ fchreibt er „zeigte fich theils in ber vermehrten Zahl ver Ehen, theild in der Vermehrung der Gewerbsitellen. Arbeiter, welche bisher in größern fabrifmäßig betriebenen Gejchäften arbeiteten, errichten im Vertrauen auf ihre Gefchieflichfeit, aber Leider häufig ohne die gehörigen Mittel und die für den Unternehmer erforderliche Geſchäfts- und Marktkenntniß, eigene Ge-

8 *

116 Die Aufuahmen der kleinern ‚Staaten.

jchäfte, mit denen fie fich in einen Wettkampf mit Gegnern einlafjen, deren Ueberlegenheit fie zu jpät fühlen, wenn das feine Kapital aufgezehrt iſt und noch oben- rein Schulden gemacht find. Man fieht jich genöthigt, um Spottpreije für Grojfijten zu arbeiten und jchließlich doch wieder zum Fabrikanten zurüdzufehren. Je jchwie- riger e8 für ben bloßen Arbeiter in jeiner Stellung ijt, eine genaue Kenntnig der jtatijtiichen Verhältniſſe feines Habrifationgzweigs ſich zu verichaffen, deſto mehr thut Borficht bei Gründung neuer Unternehmungen Noth, wo bei dem Fortſchritt der Handelsfreiheit die Beurtheilung des Umfangs der Konjumtion eines Artifel8 und jeiner Produktion immer jchwieriger wird.“

Die Geſchäftsſtockung im Jahre 1866 und. 67 drücdte nach den Berichten wejentlich auch auf die Yofal- und Stleingewerbe; das hat mit der Gewerbefreiheit nichts zu jchaffen. Nicht uninterejfant aber ijt, Daß die in den Kleingewerben herrſchende Gejchäftsjtodung bauptjächlid den Haufirhandel, theilweife mehr "den Bettel in der Form des Hauſirhandels angeichwellt hat. In einzelnen Gegenden des Yandes wird die Zunahme als eine wahre Yanbesfalamität betrachtet. Bejonders das Ausgebot ganzer Waarenlager im Umberziehen von Stadt zu Stadt unter dem Titel und der Form von Waarenausverfäufen wird injofern beklagt, als jolche Leute ſich den Steuern volljtändig oder ganz zu ent- ziehen wiſſen. „Allen Berichten gemeinjchaftlich ijt die Klage, daß dieje Leute den Abja der ortsanjälfigen und. bochbefteuerten Handel: und Gewerbetreibenven beeinträchtigen, und daß ihr herumziehendes Xeben

Die Gewerbefreiheit in Würtlemberg. 117

meijtens ihren fittlichen und öfonomifchen Ruin herbei: führe.”

Das mag übertrieben jein, wie jederzeit die Klagen der jtehenden Gewerbe über den Haufirhanvel; aber es zeigt, wenn es auch mur theilweiie wahr ift, eine Wahrheit, welche von den Schwärmern für volfswirth- Ichaftliche Freiheit jo oft überjehen wird. Ye tiefer man in den gejellichaftlichen Klaſſen berabfteigt, deſto häufiger regulirt nicht mehr die Einficht in das wirth- Ihaftlich für das Individuum Beſte feine Handlungen, jondern Furzfichtige Genußfucht, augenblidliche Neigung zur Unthätigkeit; umfittliche Nebenmotive werjchiedener Art bilden die piychologtichen Faktoren, mit denen der Nationalöfonom bier rechnen muß.

3. Die bairiſche Handwerferftatiftif von 1810 61.

Bolkscharakter und Kulturverhältniffe. Die Gefeßgebung und ihre Bedeutung gegenüber ander Urſachen. Vergleich ver Gewerbsmeifter 1810 und 1847 in den unmittelbaren Städten diesfeit bes Rhein's; die Urſachen der Stabilität. Vergleich der Gejammtergebniffe 1847 und 1861 im Staate und nach) Kreifen. Bergleich der wichtigern einzelnen Gewerbe 1847 und 1861. Die batrifche Weberei. Das Handwerk in den unmittel- baren Städten und in dem übrigen Gemeinden diesfeit des Rhein's 1847 und 1861. Die Zuftände in ber Pfalz, Zunahme von 1847 61, als Folge der vor 1847 erfolgten Abnahme und Auswanderung; die Zahl der Handwerker 1861 in der Pfalz noch weſentlich unter der von Altbaiern.

Manche Theile Baierns ſtehen in ihrer induſtriellen Entwidelung dem übrigen Süddeutſchland glei), vor allen die Pfalz, die Gegend von Nürnberg und Fürth, Augsburg; aber in der Hauptiache iſt Baiern Doc) gewerblich weniger entwidelt. Es iſt vom großen Ber- fehr weniger berührt, theilweile gejtattet die Boden - und Gebirgsformation nur eine jparjamere Bevölkerung, Keligion und Gejchichte Haben den eigentlichen Baiern jpröde gemacht gegen die Einflüffe der entwidelteren

Bolfscharakter und Kulturverhältnifie. 119

Nachbarſtämme. ES ift vor Allem ein tüchtiger, gejunder, wohlhabender Bauernftand, der zähe feithält am Alten in Sitte und Tracht, in Lebensanſchauung und wirth- ſchaftlichem Betriebe.

Wohl dringt auch das Neue da und dort ein, aber eher jchafft es fich ganz neue Formen, als daß e8 zunächſt bejtehende Verhältniſſe umwandelt. Der Bauer ift reicher geworden mit den jteigenden Getreide> preifen; aber wenn er mehr fauft, jo find es mehr Induſtrie- als Handwerfsprodufte. Die Großinduftrie füngt an die Naturjchäte, die Wafferfräfte, ven billigen Arbeitslohn in Baiern zu benugen, fie dehnt fich jogar in rein Yandwirtbichaftlichen Dijtrikten aus. Daran ift theilweife die den Fabriken günftigere Geſetzgebung ſchuld; aber ebenjo jehr wirken die allgemeinen Verhältniſſe. Wo vorher jede Yebendige, industrielle Thätigfeit fehlt, wo heute erit die Gejchäfte neu eingerichtet werden, da werben fie viel mehr nach modernſter Art mit umfaljen- berem Betriebe angelegt, als wo fich der neue Aufichwung an altes, gewerbliches Leben anjchließt. Auch in ver preußifchen Rheinprovinz ijt Heute noch Manches in ber Hand Heiner Gejchäfte, wofür die jpäter entwickelten altpreußiichen Provinzen nur große Gejchäfte Fennen.

Die Iandläufige Auffaffung jchiebt die Schuld der langjamen Entwidelung Baierns vornehmlich auf die bisherige Gefeßgebung. Und es ijt wahr, die Nieber- lafjungs-, Gemeinde» und Berehelichungsgejeßgebung war engherzig; fie hat wejentlich dazu beigetragen, eine wenig dichte Bevölkerung zu erhalten (Oberbaiern 2452 Menjchen auf die DMeile, ganz Barien 3327 im Jahre

120 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

1858). Aber ebenjo wenig läßt fich leugnen, daß Sitte und Charakter des Volks ebenjo daran Theil haben. Die Handhabung der Gejege liegt in der Hand der Gemeinden. Wo moderner Sinn, Regſamkeit und Betriebjamkeit ift, da machen die Gemeinden feinen jo engberzigen Gebrauch von ihrem DVetorecht bei neu zu gründenden Heimweſen. Oberfranken hatte bei derjelben Geſetzgebung 1858 ſchon über 4000 Menjchen auf ver Quadratmeile. Meit der größten Yeichtigfeit erfolgte da aber auch ‚die Nieverlaffung, bejonvders in einzelnen Indujtriedörfern, wie in den SKtorbflechtergemeinven.! Mehr jedenfalls als durch die Nieverlaffungs - und Ehegeſetzgebung war das gewerbliche Leben durch Die Realgewerberechte und die bejtehende Zumftgejetsgebung gehemmt. Schon zu Anfang des Jahrhunderts hatte man die Einficht, daß dieſe Monopole, dieſe Ausichlie- Bungsrechte der Zünfte durchbrochen werden müßten. Eine Verordnung vom 1. Dezember 1804 und das Gejet vom 11. September 1825, welches prinzipiell auf dem Boden der Gewerbefreiheit jteht, juchte dieſen Zweck dadurch zu erreichen, daß ven Behörden die Befugniß zu Konzejfionsertheilungen eingeräumt wurde. Das Konzeſſionsſyſtem hat ja jeine großen Nachtheile; aber two die Gewerbefreiheit noch nicht möglich ift, jchafft es doch einige Konkurrenz. Es war auch den ehrbaren bai— riichen Meijtern jo unbequem, daß fie fich jehr Mühe gaben, e8 zu bejeitigen. Schon 1834 wurde das Necht

1) Bergl. Bavaria, Landes» und Vollskunde des König: reichs Baiern. IH. Erſte Abtheilung. Münden 1865. ©. 445.

Die bairiſche Gewerbegejetsgebung. 121

der Behörden wejentlich zu Gunſten der Meifter und Kenlberechtigten bejchränft. Die allgemeinen Klagen, die jeit 1840 durch ganz Deutjchland wiederklingen, daß das Handwerk überjetst jei, trugen nicht Dazu bei, die Gefee milder zu handhaben. Die Inftruftion von 1853 jteht unter dem Hochdruck der Neaftion. Die Praris war eine wejentlich härtere, als in Würtemberg, Sachſen, Baden, die ja damals auch noch Zunftverfaſ— jung hatten. Ä

Erſt 1862 trat infolge der um fich greifenden Agitation für Gewerbefreiheit eine Yiberalere Behand— fung durch die veränderte Gewerbeinftruftion dieſes Jah— res ein. Die volle Gewerbefreiheit erreichte ihre geſetz— liche Einführung endlich den 30. Januar 1868. In der Pfalz war die durch die franzöfiiche Herrichaft ein- geführte Gewerbefreiheit nie angetaftet worden.

Al Beweis, daß nur die einjchränfende Geſetz— gebung an der gewerblichen Stagnation Baierns Schuld jei, liebt man anzuführen, daß die Pfalz in befferer Lage jei, daß jeit 1862 ein großer Aufichwung einge treten jet, daß Fürth Die Grundlage jeiner gewerblichen Blüthe der Zeit verbanfe, in der e8 als anipach’icher Flecken volle Gewerbefreiheit beſaß. Sicher ift daran viel Wahres. Ebenſo ficher aber haben jederzeit andere Umſtände wejentlich mitgewirkt, und ebenſo ficher wird die Vergleichung der Pfalz mit Altbaiern jehr häufig unter falſchen Gefichtspunften vorgenommen, wie ich unten zeigen werde.

1) Schöller, das Gejeß vom 30. Janırar 1868, das Gewerb- wejen betreffend, erläutert. Erlangen 1869.

122 Die Aufnahmen der Hleinern Staaten.

Hauptjächlich eine wichtige Thatjache, auf welche ich in einem der folgenden Abjchnitte über vergleichende deut: jche Gewerbeftatiftif noch näher fommen werde, möchte ich der Unterjuchung der Zahlen voraus ſchicken, um durch jie einen richtigen Standpunkt zu gewinnen; es ift die, daß Baiern troß feines vorwiegend aderbauenven Cha: rakters, troß der Stabilität der Dleifterzahl von 1810— 61 noch 1861 unter den deutjchen Yändern fteht, welche Die größte Zahl Handwerker haben. Das wirft jedenfalls auf die gewöhnliche Anficht, die Zahl der Meifter jet nur der beſchränkenden Geſetzgebung wegen nicht N jen, ein jonderbares Yicht.

Für die Zeit vor 1847 iſt mir nur Die Unterfu- chung Dr. Mayr's über die Entwidelung des Handwer— fes in den Städten des Königreichs Bayern diesjeit des Rhein's befannt.!

In den Jahren 1809 12 wurde eine umfajjende bairiiche „Neichsjtatijtif” erhoben. Im Jahre 1847 wurde die Gewerbejtatijtif in Baiern nach dem Zollver- einsichema ausgeführt. Mahr ſtellt nun Die vergleich- baren Zahlen der Gewerbsmeijter in den unmittelbaren 28 Städten biesjeit des Rhein's zufammen; die Gehül— - fen waren 1810 gar nicht gezählt. Das Berhältniß ijt folgendes:

Bevölkerung. Zahl der Gewerbsmeifter.

1810 335 344 Seelen. 15 761 1847 453986 = 16 730

+35 % + 6%

1) Hildebrandts Jahrbücher für Nationalölonomie und Statiftit. VI. S.113— 129.

Das Handwerk in den Städten 1810 und 1847. 123

So weit bleibt das Anwachien der Meifter Hinter dem der Bevölferung zurüd. Aber dürfen wir bariı, wie Mayr, nur eine Folge der Erjchwerung des Mei— jterwerdens jehen? Die Erichwerung tritt erſt jeit 1834 ein; von 1810 34 herrjchen liberale Grundſätze; von dem ganzen Zuwachs der Bevölferung um 118642 Seelen fommen 90494 auf die vier großen Städte, München, Nürnberg, Augsburg und Würzburg; Die andern Städte bleiben jtabil, nehmen vielfach jogar ab; hier in den kleinen Städten ift man am engherzigſten mit neuen Niederlaſſungen. In den vier großen Städten, die allein bedeutend zunehmen, iſt man e8 wohl auch, aber zugleich wirken bier alle die neuen Faktoren jchon, welche dem Heinen Meifter Konkurrenz machen. Da entjtehen jchon die größer und bejjer eingerichteten Unter- nehmungen, welche mit kleinerer Perjonenzahl die glei— chen, ja die vielfach gefteigerten Bebürfnifje befriedigen. Zieht man alles das mit in Erwägung, jo wird man die Haupturjache der Stabilität in allgemeineren Zuftän- den finden müſſen, hauptjächlich darin, daß die Mehr— zahl der Mittel- und Kleinſtädte nicht vorwärts jchrei- tet, daß bejonders für die Yangjamkeit der allgemeinen wirthichaftlichen Entwidelung die Zahl der vorhandenen Meiſter jchon zu Anfang der Periode eher zu groß ift. Berichlimmernd mußten allerdings darauf die engher- zigen Grundſätze von 1834 an wirken. Statt durch freie Konkurrenz haltloje Geichäfte zu bejeitigen und fie da, wo fie am Plage find, neu entjtehen zu laſſen, jucht ‘man überall nur das Meifterwerden zu erjchtve- ven, hindert leichte Ueberſiedelungen und jteigert dadurch

124 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

die Klagen, das Mifbehagen, bejonvers da in ver Mehr: zahl der Städte die Bureaufratie und die Zünfte doch nicht jo durchgreifen, daß die beſtehenden Geſchäfte ent- Iprechend abnehmen. Gerade in Baiern wird gegen 1850 mit am meijten won Ueberjegung der Handwerker gejpro- chen. Und das tjt nicht bloße Phrafe, jondern geht zu einem Theile auf einen wahren Webeljtand, auf eine lokal und zeitlich zu große Zahl von Meiftern zurüd.

Für den Vergleich von 1847 und 1861 iſt die offizielle Bearbeitung der beiden Aufnahmen von Staats- rath Hermann! zu Grunde zu legen. Ich ſchicke die Betrachtung der Geſammtſummen voraus, um erft nach: her auf einzelne Gewerbe, auf die Handiverfe in ven Städten, jowie auf die bejondern Zuſtände in der Pfalz zurüdfommen. Die Bergleichung umfaßt nicht Die jammtlichen 1847 und 1861 aufgenommenen Gewerbe, jondern nur die in beiden Jahren gleichartig gezählten.

Die Meijter und Gehülfen mit Einfchluß der Hand— weber betrugen

1847 . . . 8360692 Berfonen 1861 . . . 3700866

aljo um 9364 over 2,, %/, mehr, während die Bevöl— ferung um 4, %,, die Zahl der Fabrifarbeiter um I 9%, geitiegen war. Im Altbaiern fiel die Zahl von 333466 auf 330640, aljo um 2826 Perjonen oder O,5 %. Laſſen wir die Weber bei Seite, jo kommen,

1) Die Bevölkerung und die Gewerbe des Königreichs Baiern nach der Aufnahme von 1861, die Gewerbe in Ber- gleihung mit deren Stande im Jahre 1847; herausgegeben vom königl. ftatiftiichen Bureau. Miinchen 1862.

Dergleih von 1847 und 1861. 125

Meifter und Gehülfen zujammen gerechnet, je auf einen Gemwerbtreibenden Einwohner:

1847 1861 in SIberbaler 8%. 0 18 13 in NRieberbaiern . ». 2.2... 15 16 in der Pla . . . er in der Oberpfalz und xigenchurz . 16, 17 in Oberfranfen . . . ..18 15 in Mittelfranfen . . 18 12 in Unterfvanfen und Achaffenkurg . 2 13 in Schwaben und Nürnberg . . . 14 13

Gegenüber der Bevölkerung alſo bauptjächlich ein Rückgang in Nieverbaiern, dagegen in der Oberpfalz, in Dberbaiern, Oberfranfen und Meittelfranfen Stabilität, eine Feine Zunahme in Unterfranken und Schwaben, eine wejentliche Zunahme nur in der. Pfal;-

Läßt man die Gehülfen bei Seite und rechnet nur die Meifter, jo betrugen fie in ganz Baiern (ohne die Weber):

1847 ... 151006 1861 . . . 15297 alſo 1,,%%, mehr bei einem Zuwachs der Benölferung um 4,0; bleibt die Pfalz weg, jo nimmt die Zahl der Meifter um 1 9%, ab; mit ven Webern ſinkt die Sefammtzahl der Meifter in ganz Baiern um 3 %,, in Altbaiern um 5, %o- |

Ueberall macht e8 einen wejentlichen Unterjchied, ob die Pfalz in den Durchſchnitt einbezogen over aus- gelajjen wird. Aber nicht die Pfalz allein trägt dazu bei, ven relativen Geſammtrückgang kleiner ericheinen zu laſſen. Auch die Gegend von Nürnberg und Fürth wirft in ähnlichem Sinne. ‚In den genannten Städten

126 Die Aufnahmen der fleinern Staaten.

baben, abgejehen von der Blüthe befonders der Grof- induftrie, gerade auch eine Anzahl Handwerker, die jonft überall zurüdgeben, z. B. die Gold» und Silberjchläger, die Roth- und Gelbgiefer, die Gürtler und Nadler bedeutend zugenommen; gejchiet als Hausinduftrie orga- nifirt, vereinigen fie die Vortheile des Heinen Betriebs mit einem Abſatz im Großen.! Auch in andern Gegen- den haben einzelne Gewerbzweige, die für weitern Abjat thätig find, zugenommen, wie 3. D. die Holzſchnitzerei und die Storbflechterei. In um jo grellerem Lichte erjcheint der Rüdgang im Uebrigen.

Auf Die wichtigern einzelnen Lokalgewerbe überge- hend, theile ich die abjoluten Zahlen derjelben 1847 und 1861 mit; die Bevölkerung hat fich (1847 4, Mill., 1861: 4,5, ein Plus von 4,0) ſehr wenig geändert, jo daß, ähnlich wie in Württemberg und Baden, für diefe Zeit die abjoluten Zahlen ziemlich Har Fortſchritt oder Rückgang zeigen. Es gab:

| 1847 zz 1861 Namen der Gewerbe Br a ET Eu | Meifter Gefütfen Meifter Gehulfen Bidet - vo... 8887 | 6335 8880 | 7419 Sleiher. . . . 8880 | 5447 || 9489 | 5275 Gärtner . 1997 997 913 439 Gerber . . 2462 | 2101 2115 | 1964 Seifenfieder. 1124 532 986 453

Steinmehen. - . - - 815 | 2153 | 1150 | 3159 an 2257 | 2349 | 2201 | 2381

1) Bavaria III, zweite Abtbeifung. S. 1059 ff.: der Riten berg » Fürther Imduftvie - Diftrift von Dr. Beeg.

Die einzelnen Gewerbe 1847 und 1861: 127

| 147 0 1 1861 Namen der Gewerbe | Meifter GeSiifen! Meifter Gehülfen Ä | Glaſer © 222.2. | 1876 | 1074| 1000| 1085 Maurer. . 2.2.2.) 3982 | 24936 | 3905 | 27325 Mauerflider Be Br 343 | 3409 Zimmerleute . . . - 2655 A 19884 | 2351 | 19 679 Zimmerflidr . . . 2210 Stellmader. . . . 5.668. nn 3356 | 6021 | 3739 Shmide . . . . 10610 | 9330 110220 | 8706 Shlöfr - - - » - | 4203 | 4608 | 4541| 5653 Nadler.. ei | 520 | 382 | 600 312 Gürtler . - 2 2 2». 1470 | 493 437 417. Kupferſchmiede. | 386 412 | 369 482 Klempner ee a: 7 | 987 ı 1195 Ubrmader . . . . 766 | 54 866| 719 Seiler . © 2... | 1365 | 1180) 1445| 1121 Tuhiherrer. - - - » 406 | 268 | 419 | 260 1 RE ea er 1095 879 | 1055 900 Schuhmader . . . . 125019 | 18 978 | 24 160 |, 20 141 Riemer... 2664 2109 | 2679 | 2225 Schneider . . . . . 117366 | 12054 | 25527 15251 Bojamentiere . . . . 2112| 5111 562 287 Tiihler -. - 2 2 1.7880 | 7408 | 8549 | 9361 Bötther. © 2 2. - 7 | 3766 | 63% | 3550 Solgmanzenverfertiger 316 60 | 2004 365 orbflehter. . - 1753 | 401 | 2710| 678 Drechsler | 2306 | 1387 | 2175| 1494 521 | 484 608 | 508 uhbinderr . . » 817 ı |

1018 | 1027 | 1124

Einzelne Gewerbe, welche anderwärts amt meiften litten, wie die Tuchicheerer und Färber, haben bier ſo— gar noch etwas zugenommen; eine jtarfe Zunahme an Meijtern wie an Gehülfen zeigen nur die Schneider, die Buchbinder und die ländlichen Gewerbe der Korb— flechter und Holzwaarenverfertiger; ſonſt Rückgang oder Stabilität; aber nicht bloß bei den Meiftern, fondern

128 Die Aufnahmen der kleinern Staaten.

auch bei den Gehülfen; die Fleiſcher, die Gärtner, die Gerber, die Seifenfieder, die Zimmerleute, Die Schmiede, die Nabler, die Gürtler, die Seiler, die Pojamentiere, die Böttcher haben 1861 weniger Hülfsperjonal als 1847. Das beweist, daß der Hauptübeljtand nicht in der Erjchwerung des Meijterwerdens lag, ſonſt hätten die Gehülfen doch eher wachen müjjen; aber e8 beweist, daß die Zunftverfaſſung viele halbbejchäftigte Handwerfer hält, die allerdings bejjer unter dem Sturmwind freier Konkurrenz vollends ganz bejeitigt würden.

Mehr als alle erwähnten Gewerbe haben die Weber gelitten. Man Hat e8 in Baiern weniger als anderswo verjtanden, den modernen Fortſchritten ſoweit zu folgen, daß, wenn auch mit geringen Yöhnen, wenigſtens Die

Erijtenz der Handweber gerettet wurde. QUuchmacherei |

und Wollweberet war von Alters her im ganzen Lande zu Haufe, Hauptjächlich aber in Schwaben, in Mittel - und Oberfranken, in der Oberpfalz und Nieverbaiern, an der böhmijchen Grenze. Bon letterer Gegend jagt der DBerichterjtatter in der Bavaria, Alois Schels:! „die. Zuchfabrifation bejchäftigte vor Jahren im Vils - und Rottthale viele fleißige Hände; Doch gegenwärtig liegen mehrere Nealrechte brach und ijt der frühere Snoujtriebetrieb zum Sleingewerbe herabgejunfen; ehe noch Die mächtige Konkurrenz der andern zollvereinten Staaten eintrat, gab Präfident von Rudhart, der Die Zujtände und Bebürfniffe der ihm anvertrauten Pro- vinz wohl erkannte, den Tuchmachern Die entjprechend-

1) I, zweite Abtheilung ©. 1050.

Die bairiihe Weberei. 129

jten Andeutungen zu gemeinjamem Zuſammenwirken und gegenjeitiger Hilfeleiftung; Teiver vergebens.” Die Zahl der Webjtühle für wollene Stoffe janf von 2797 auf 2480 in dem Zeitraum von 1847 61.

Am ſtärkſten ging die Linmeninbuftrie zurüd; von 29499 Stühlen auf 22740. Im bairiicher Wald wurde fie theilweije von der Holzinduſtrie erſetzt, gedeiht aber dort daneben noch leidlich.“ Der frühere Haupt- ji diefer Induftrie war Schwaben. Ein Hanbelsfam- merbericht des Kreijes fpricht fich darüber (1863) jo aus:? „Die früher jchwunghaft betriebene Yeinenfabri- fation hat jowohl durch den allgemeiner gewordenen Gebrauch von Baumwollfabrifaten als durch die An— wendung mechanijcher Spinn- und Webjtühle, wozu noch der Mangel an einheimijchem Rohmaterial und zwechnäßigen Röftanjtalten fich gejellte, fait gänzlich auf- gehört, und es ijt feine Ausficht vorhanden, ſelbſt mit nambaften Opfern fie wieder zu einiger Bedeutung zu bringen.” Nur die Augsburger Weber jcheinen eine . Ausnahme zu machen. Dort gelang es nach und nach, wie der Berfajfer von „Augsburgs Industrie” 3 nach- weist, „Durch Vereinigung zu gemeinfamen Werfen, durch zwecnäßige Verwendung des Innungsvermögens und anderweitiger Zujchüffe zur Anjchaffung von Material und der zur Gebild- und Buntweberei erforberlichen Stühle und Majchinen, dann Durch die Beitrebungen

1) Bavaria I, zweite Abtheilung S. 1048. 2) Daf. II, zweite Abtheilung ©. 926. 3) Die Induftrie Augsburgs mit Rüdfiht auf die poly— techniſche Schule 1862. Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 9

130 Die Aufnahmen der Hleinern Staaten.

einzelner intelligenter und bemittelter Meijter, die Hand- weberei auf dem rechten Weg zu führen und wieder zu heben.“

Die Baummollweberei hat ihren Hauptfit in Ober- franfen, im Voigtlande, wo eine rührige fleißige Bevöl— feryng mit erjchöpfender Thätigfeit und Arbeitsluft ihr rührend genügjames Dajein friftet.! Der 30ſte Menjch ift in Oberfranken ein Weber, in ganz Batern der I6fte. Im Bezirfe Müncheberg kommen auf 24000 Seelen etwa 2000 Webermeijter mit ungefähr 1000 Geſellen, alfo eine Weberbevölferung von gegen 10 000 12000 Menſchen. Die Baumwollweberei entwickelte fich hier als freieres Gewerbe gegenüber der ftrengern zunftmäßigen Leinenweberei jeit dem 15. Jahrhundert. Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war e8 ein blühenber Zuftand. Einige wenige Fabrikanten bejchäftigten ſchon 140 150 Stühle, die meijten nur wenige Stühle;

1) Siehe Bavaria III, erfte Abtheilung ©. 336. Fentich, der lokalkundige unparteiiihe Verfaſſer dieſes Abjchnitts fagt: „Der Oberfranfe ift im Allgemeinen rührig und fleißig. In - den Bezirken, wo eine induftrielle Beihäftigung vorwiegend ift, bei den Paterlmadern, den Berfertigern von Holzihuhen und den Schwingenmadern im Gebirge, den Korbflechtern am Main und an ber Rodach, den Tafelmahern im Thüringer Wald, in den Weberbiftriften des Boigtlandes und des Wunfiebler Kreifes, dann um Berned, wo das Plauifch - Nähen (die Stide- rei) in einem großen Theil der Hütten und Bürgerhäufer alle Hände beihäftigt, ift die Arbeit nahebei zur Mühſal geworben. Der geringe Berdienft geftattet nur wenig Ruhepunkte, und auf dem Werktagsleben laftet eine unerquidlihe Monotonie, deren Wirkung fih in einem Mangel an Friſche und Freubigfeit fund» giebt. *

Die bairiiche Weberei. 131

die Heinern verkauften ihr Produft an die großen, waren aber als bejitende Leute von dieſen nicht abhängig. In diejem Jahrhundert nahm die Berarmung mit den fin- fenden Preifen der Baumwolle und der Baumwollpro- dukte zu. Diele hatten bald feine eigenen Stühle, feine eigenen Spulen mehr; Spullohn und Miethe für den Stuhl wurde ihnen vorweg amt Verdienſt abgezogen. Kapital zu Ankauf eigener Twiſte war nicht mehr da. Sp wurden die Weber reine Lohnarbeiter; die Auswahl, für diefen oder jenen Yabrifanten zu arbeiten, wurde im- mer fleiner, da die Heinen Fabrikanten jelbit Bankerott machten. Der Höhepunft des Elend war in ben vier- ziger Jahren. either iſt e8 eher wieder beſſer gewor— den, bejonders feit ſächſiſche Fabrifanten, durch die Bil- figfeit des Lohnes angezogen, viel im Voigtlande arbei- tew laſſen und jo den wenigen inländifchen Großgeſchäf— ten, die den Weber ganz in den Händen hatten, Kon— furrenz machten. Die Zahl der Baumwolljtühle hat in Oberfranfen jogar von 11301 auf 13378 von 1847 bis 61 zugenommen.

Die Gefammtzahl der Webermeifter in Baiern aber hat nach der Berechnung von Hermann! von 38323 im Jahre 1847 auf 30935 abgenommen, d. h. um 23,9 %,, während die Benölferung um 4,%, wuchs; auch in der Pfalz nahmen die Webermeifter um 13,,% ab. Welche Kämpfe, welches Elend, wie viel zerrüttetes Familienglück liegen zwiſchen zwei ſolchen Zahlen!

1) Die Bevölkerung und die Gewerbe ꝛc. im Jahre 1861. ©. 162. 9*

132 Die Aufnahmen der kleinern Staaten.

Nach dieſer Abjchweifung über die Weber fehre ich zu den Gejammtrejultaten zurüd, wie fie fich unter bejondern lokalen Verhältniſſen gejtalten.

Die unmittelbaren Städte diesſeit des Rhein's haben ſich jtark vergrößert, von 453 986 auf 544.067 Einwohner; fie find um 19%, reicher an Menjchen, von welchen freilich wieder der Haupttheil auf München, Nürnberg, Augsburg und Würzburg fällt, die ganze Zunahme iſt 90081 Seelen, auf die vier Städte fom- men 79863. Die Zahl der Haudwerfer infl. der Weber und mit den Gehülfen fiel in den unmittelbaren Städ— ten von 58850 auf 57694, d. h. um 2%, ; die Zahl der Meifter mit den Webern um 2,,%,; ohne die Weber ftieg die Meifterzahl um 8%. Die Meifterzahl ohne die Weber bat aljo wenigjtens abjolut noch etwas zuge- nommen, die der Gehülfen dagegen bat auch abſolut abgenommen. Wieder ein Argument gegen die Zurüd- führung aller Mißſtände auf erfchwertes Meiſterwerden.

In den fämmtlichen übrigen Gemeinden nach Abzug der unmittelbaren Städte nahm die gejammte Handwer— ferbevölferung nur um O,,% ab, während die Bevölke— rung nicht jo ftieg, wie in den Städten. Und doc) galten da die gleichen Geſetze, und es wird im ben Dörfern und Heinen Städten die Handhabung eher noch engberziger geweien fein. Die Städte litten mehr als das Land, weil auf dem Lande noch die alten Zuftände fortdauern, in den Städten die Umbildungen beginnen.

Daß in der gewerbefreien Pfalz die Rejultate bejjer find, d. h. daß da die Geſammtzahl der Handwerker von 1847 61 jtieg, iſt ſchon erwähnt; es iſt aber

Die Zuftände in der Pfalz. + 188

nöthig, dabei noch einen Moment zu verweilen. Um feine falſchen Schlüffe aus dem Gegenjat zu ziehen, muß man fich der Vergangenheit und der anderweitigen Zu: jtände in der Pfalz erinnern.

Das jchöne, von der Natur reich geſegnete Land hatte mit der franzöfiichen Herrichaft Die freiheitliche Gejetgebung erhalten; der beweglich rührige Sinn der Bewohner war dem Neuen ohnedieß zugänglich; Die Aenderungen, welche andere Länder erſt nach Jahrzehn— ten erfuhren, vollzogen fich ſchon jett; die zahlreichen indolenten bisher nur durch die Zunft geſchützten Meifter begannen ſchon damals abzunehmen. Als die Verwü— jtungen der Kriege überwunden waren, als vollends mit dem Zollverein die Segnungen des freien Verkehrs und der günjtigen Lage, die Segnungen der Eijenerzlager, des vorzüglichen Weinbodens mehr und mehr zu Tage traten, da wuchs die dichte Bevölkerung immer mehr; die Kultur des Landes, der Bau von Tabak und Wein drängte zu immer weiter gehenver Parcellirung; die Parcelle ift im Durchichnitt noch nicht ein halbes Tag— werk! groß; jeder Grundbeſitzer hat jeinen Heinen Befit durchichnittlich in nicht weniger al8 9 Parcellen. Die Bevölkerung hatte 1818 4124 Menjchen pro Duadrat- meile betragen, 1849 betrug fie 5697.

Aber fuccejfiv war die Zunahme eine Tangjamere geworden, der Lohn war gejunfen, die Noth geftiegen. Die Auswanderung nach Amerifa nahm bedeutende Di- menfionen an, nannte man doch häufig den deutſchen

1) 1 Tagwerk = 1,, preufß. Morgen.

134 Die Aufnabmen der Eleinern Staaten,

Auswanderer jchlechthin einen Pfälzer. Von 1849 bis 1856 wanderten nicht weniger als 64852 Köpfe aus, ganz abgejehen von ver heimlichen Emigration, das find etwa 10%, der Benölferung des Yandes. Die Bevölkerung nahm troß des immer ſtarken natürlichen Zuwachſes um etwa 5%, in Diejer Periode ab.

Die nächjtliegenden Urſachen waren die theuren Jahre, die Revolution; die ferner liegenden aber waren die allgemeinen Veränderungen der inpuftriellen Pro- duftion, die Dichtigfeit der Bevölkerung, die Parcel- lirung. Ein großer Theil der Yeute lebt halb vom Boden, halb von gewerblicher Arbeit. „Wenn Pflug und Hade, Senje und Drejchflegel ihre Arbeit gethan haben, nehmen Gigarrenfabrifation, die Strobflechterei, die Bürftenbinderei, der Haufirhandel ihren Anfang.“ Auch in diefen Branchen drückte die Konkurrenz mit vor- angejchrittenen Gegenden die Preije; das Ausfommen wurde immer fürglicher. Aehnlich war es in den Stlein- gewerben, deren Betrieb troß der Gewerbefreiheit tech- nisch zurüd war. Sie waren längſt zurücgegangen ; 1845 50 wanderten noch mehr Handiwerfer aus. Es gab in der Pfalz im Jahre 1847, Meiſter und Gehülfen zujfammengevechnet, noch nicht halb jo wiel Handwerker, als z. B. in dem gewerbelojen Oberbaiern; ein Hand» werfer fam in Oberbaiern jchon auf 13 Menichen, in ver Pfalz erjt einer auf 271. Das Verdienſt der Sewerbefreiheit war jomit das geweſen, mit dem Klein— gewerbe in der Pfalz jehr viel früher aufgeräumt zu

1) Die Bevölkerung und die Gewerbe ©. 31.

Die Handwerker in der Pfalz 1847 und 1861. 135

haben al8 anderswo. Der Zuftand damals war fein . erfreulicher; immer weniger Fonnte fich der Eleine Mei— jter halten, und doch entjtanden zunächſt feine größeren Gejchäfte, weil der Trieb nach Selbjtändigfeit überwog und die Gewerbefreiheit Jedem die Selbftändigfeit ge- Itattete. Auf 17756 Meifter fommen 1847 nur 4717 Gehülfen; das heißt, die vorhandenen Gejchäfte find fleiner und elender als irgendivo anders; im übrigen Baiern fommen damals 39 Einwohner auf einen Gehül- fen, in der Pfalz fommt erit auf 129 Einwohner ein jolcher. Ä

Nah Mitte der 50er Jahre beſſern fich nun, wie allerwärts, jo auch in der Pfalz die Zuftände; die Pro- duftenpreife jteigen, die Großinduſtrie erhebt fich in glänzendfter Weile, die Eiſenwerke, die Majchinenfabri- fen, die großen Spinnereien und Webereien in Kai— jerslautern und Zweibrüden, die chemijchen Fabriken, die großen Glas- und Steingutfabrifen geben mit der Bollendung der Eijenbahnen dem Lande einen andern Charakter; auch die Bevölkerung wächjt wieder und überſchreitet jelbjt Die 1849 erreichte Höhe, fie jteigt auf 5779 Menjchen pro Duabratmeile im Jahre 1864.

Das wirft auch auf die Kleingewerbe zurüd; ihre Gefammtzahl inkl. ver Weber und Gehülfen iſt

1847... .. 27226 | 1861 . . . . 39416,

alfo eine Zunahme von 44, %; Pie Tabrifarbeiter hatten 1847 8501, 1861 12348 Perjonen betragen, fie find aljo auch um 45%, gejtiegen. Die Zahl ber Meijter allein (inkl. Weber) betrug

136 Die Aufnahmen der fleinern Staaten,

1847 2.2.2. 20785 1861 2. 2.2 0.283708,

alfo eine Zunahme von 14%. Die Hauptzunahme bei den Kleingewerben erfolgte jomit in ver Gehülfenzahl.

Dabei darf man aber nicht vergeſſen, daß dieſe Zunahme eine Zunahme ift nach Jahren der Noth und der Decimirung; jelbit mit diejer großen Zunahme ift die Gefammtzahl der im Handwerk beichäftigten Perſo— nen in der Pfalz immer noch nicht jo ſtark, wie im Durchichnitt des Königreichs Baiern; e8 kommen im Durchſchnitt Des Königreih8 1861 auf 14 Menjchen 1 Handwerker, in der Pfalz auf 17. Die Zahl der Meifter iſt jett wieder ftärker in der Pfalz als im Durchichnitt des Königreichs. Die Zahl der Gehülfen iſt troß der Zunahme noch wejentlich geringer. Die einzelnen Gejchäfte find auch jetzt noch Kleiner als in Altbaiern. Der Trieb, fich jelbjtändig zu machen, über- wiegt die Tendenz der Zeit auf größere Gejchäfte.

Die Hauptzunahme der Kleingewerbe bis 1861 trifft übrigens in der Pfalz wohl nicht jo jehr die für Iofalen Bedarf arbeitenden Meijter aller Art, jondern vornehm- lich einzelne Hausinduftrien, die in technijch vervoll- fommneter Weife für den Großhandel thätig find, jo die Schubfabrifation in Pirmajens, die Strohflechterei, die Bürjtenfabrifation.

Seit 1861, beſonders von 1861 —65 hat fich der Zuftand der Pfalz noch mehr gehoben; bei der im- mer noch geringen Zahl der vorhandenen Handwerker im Jahre 1861 ift das begreiflih. Wenn beſonders in einzelnen raſch wachjenden Städten, wie Kaiſerslau—

Die Handwerker in der Pfalz 1861 1865. 137

tern, die Zunahme groß iſt, wenn die Meijter dort 1861 410, 1863 542 Perſonen, die Gehülfen berjel- ben 1861 526, 1864 die Gejellen allein 889 Perjo- nen ausmachen, wenn bei der Zunahme alle Arten von Meiftern betheiligt find, wenn 3. B. die Schmiede von 10 auf 23, die Schneider von 47 auf 76, die Schuh— macher von 69 auf 90, die Bäder von 27 auf 34, die Slafer von 9 auf 14, die Metger von 20 auf 28, die Buchbinder-von 6 auf 8, die Sattler von 6 auf 7 ftiegen,! jo beweist das allerdings, daß ein technijch vollendeteres Handwerk auch heute immer noch jeinen Pla Hat; aber e8 beweist noch nichts über das Ge— jammtverhältnig von großer und Heiner Induftrie, nichts über die gejunde und ungejunde Vermögens - und Ein- fommenvertheilung der heutigen Zeit überhaupt.

Die Gewerbefreibeit der Pfalz hat unbaltbare Zu- jtände früher bejeitigt, den Webergang befördert, Die Technif allerwärts verbefjert, aber die Kleingewerbe hat jie nicht erhalten, jondern früher vernichtet, freilich um fie fpäter auf gejunderer Grundlage mit - bejjerer Zechnif wenigitens zu einem Theile wieder erjtehen zu lafjen. Vor Allem aber und hauptjächlich hat fie die Großgewerbe gejtärkt. Auch von 1861 bis zur Gegen- wart füllt auf fie die Hauptentwidelung.

1) Bavaria, IV, 2. Abth. 1867. ©. 472 ff.

4. Die ſäüchſiſche Handwerferitatiftif von 1830 61, die Gemwerbefreiheit von 1862 66.

Die ältern gewerblichen Zuftände, zahlreiches Haudwerk, große Hausinduftrie 1846. Die Gejeßgebung. Beginn der Krifis ihon zwiichen 1836 und 49; Bergleihung der Meifterzablen diejer Jahre; Zunahme ver Hausinduftrie, Abnahme der übri- gen Meifter. Bergleihung der Handwerker in den 30 größ- ten Städten” des Landes 1830 und 1856. Die Beichäfti- gungsftatiftif 1849 und 61, Wahsthum aller übrigen Kate- gorien von Perjonen, Rüdgang der Handwerker. Die Hand- werferliften 1849 und 61 und die wichtigern einzelnen Hand- werfe. Die Gewerbefreiheit im Handelsfammerbezirt Dresden 1862 65, im Handelsfammerbezirk Leipzig 1862 66.

Das Königreih Sachen iſt das Dichtbewölfertite Land des Zollvereing ; jchon im Jahre 1834 lebten 5868, 1858 7805 Menjchen auf der Quadratmeile. Handel und Gewerbe, jeit alter Zeit dort heimiſch, find Die wejentlichen Faktoren diejer Bevölferungsentwidelung. Der Boden ijt theilweile Farg; im Erzgebirge bietet er jelbjt dem bartnädigiten Fleiße große Schwierigkeiten. Der Befit aber ijt meiſt ziemlich getheilt. Große und Flei- nere Städte bilden überall gewerbliche Mittelpunfte. Die vielfach verbreitete Hausinduftrie der Weberei, der

Die gewerblihen Zuftände 1846. 139

Strumpfwirkerei, der Pojamentierarbeiten erſtreckt fich ebenjo über die Dörfer als über die Städte, jo bejon- ders in der Yaufit, im Erzgebirge, in den jogenannten Schönburgiichen Rezeßherrichaften.

In den Iahren 1790 1806 hatte der füchfiiche Handel durch die Leipziger Mefjen einen großen Auf- Ihwung genommen. Während der Kontinentaliperre ent- wicfelte fich bejonders die Gewebeinduſtrie raſch und erhob ſich jelbjt u einem bedeutenden Export nach dem Auslande. Die Aufhebung der Kontinentaljperre, die Konkurrenz mit England brachte manche Schwierigkeit, aber fie hielt den Fortſchritt nicht auf; Hinderlicher waren Die 1818 errichteten preußiichen Zollichranfen, die erſt 1833 durch den Eintritt Sachſeas in den Zollverein fielen.

Die größte relative Zunahme erfuhren jchon damals die großen Betriebe, der Bergbau, das Hüttenweſen, die Spinnereien; aber der Berfonenzahl nach jtanden Hausinduftrie und Handwerk bis Ende der vwierziger Jahre im Vordergrunde. Mechanische Webftühle waren 1846 noch feine vorhanden. Außer für Eijenbahnen und Bergbau, Spinnereien und Majchinenfabrifen gab es 1846 nur einige Dampfmafchinen im ganzen Yande.! Die Zahl der Handwerker (jogar ohne die Weber) war 1846 in Sadjen am höchſten won allen den Staaten, in denen eine Gewerbejtatijtif Damals aufge nommen wurde. Es Fam damals jchon auf 13, Ein- wohner ein Handwerker (Meifter und Gehülfen zujam-

1) Mittheilungen d. ftatift. Bureaus in Berlin. II, 255.

140 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

mengenommen), in Baden erjt auf 15,,, in Bayern auf 16,, , in Preußen auf 20, Einwohner.!

Und doch galt damals in Sachen die alte Zunft- verfaffung mit Innungszwang, Lehr» und Wanderziwang für alle älteren Gewerbe; bis 1840 noch mit wejent- licher Erichwerung des Gewerbebetriebes auf dem plat- ten Lande. Die Hausinduftriezweige freilich, die Webe- rei, Strumpfwirferei, Holzwaaren= und Inftrumenten- fabrifation, ferner die Gewerbe der Bürſtenmacher, Nagelſchmiede, Blechſchmiede, Bandmacher und Poſa— mentiere hatten ſich wenigſtens in vielen Gegenden unter Beibehaltung der Innungsverfaſſung auf dem Lande aus— gebreitet. Viele Landgemeinden hatten überdieß beſon— dere Privilegien für Gewerbebetrieb. Außerdem waren auf dem Lande die unzünftigen Gewerbe frei, die zünf— tigen waren nur unter gewiſſen Beſchränkungen zugelaſ— jen. Das Gefeß vom 9. Dft. 1840 brachte wenigjtens einige Erleichterung: Tabrifgewerbe, Maurer, Zimmer: leute, Ejjenfehrer und Schwarzbrobbäder jollten wie bisher jchon frei fein; außerdem joll von der Obrigfeit für jede Yandgemeinde wenigjtens ein Schneider, Schub: macher, Weißbäcker, Fleiſcher, Schmied, Stellmacher, Sattler, Tiſchler, Glaſer, Seiler und Böttcher ohne Weiteres zugelafjen werden. Weitere zünftige Handwer— fev bevürfen der Regierungserlaubniß. Vor wie nad) 1840 waren für einzelne wenige Innungen und ein- zelne Städte Realrechte vorhanden, welche kraft bejon- derer Privilegien allein in dem Orte Meeijterrecht gaben,

1) Mittheilungen des ftatift. Bur. in Berlin IV, 292.

Die ſächſiſche Gewerbegejeßgebung. 141

eine geſchloſſene Zahl repräjentirten. Manche Uebelſtände ergaben fich aus dieſer Gejetgebung. Die gewerbliche Entwidelung im Ganzen aber wurde dadurch bis in Die bierziger Jahre nicht gehemmt. Das jächfiiche ftatiftiiche Bureau jagt hieran anſchließend: „Die Gewerbeverfai- fung hat auf die Zahl der Meijter lange nicht den Ein- fluß, als man anzunehmen geneigt ift. Wenn die übri- gen Bedingungen nicht gegeben find, vermehren fich auch in gewerbefreien Ländern die Meijter nicht vajch, und wo fih diefe Bedingungen vorfinden, hindert auch die Zunftverfaffung ein raſches Anwachſen der Meiſterzahl ſelbſt über das reelle Bedürfniß hinaus (vd. h. unter gleichzeitiger Abnahme des Hülfsperfonals) nicht.“

So viel ift richtig, fo viel beweijen die ſächſiſchen Zahlen vor 1846, daß die anderen Urjachen wichtiger find, als die Gewerbeverfaffung. Die praftiiche Hand- habung der Gewerbegejege war feine allzufchroffe. “Die induſtrielle Entwiclung Sachjens war eine günjtige; der Zuwachs an Handwerkern war natürlich, folange in dieſen Bahnen fich die gewerbliche Thätigfeit über- haupt bewegte. Die große Verbreitung ber Kleinge- werbe batte ihre einfache Urjache darin, daß die gewerb⸗ liche Blüthe Sachſens ſchon lange vor 1840 beginnt.

Mit den vierziger Jahren freilich und noch mehr mit den fünfziger wird Vieles anders. Mehr und mehr wächft nur der große Betrieb. Die Eijenbahnen und der große Verfehr vollenden die Leichtigkeit des Abjates,

1) Zeitichrift fir 1860. Nr. 9—12. Zur Statiftif der Handwerke in Sachſen. ©. 109.

142 Die Aufnahmen der kleinern Staaten.

verlangen billigere und vollendetere Produfte, wie fie nur jpezialifirte Betriebe mit ausgezeichneten Majchinen liefern fünnen. Es jteigert jich der Bedarf an Kohlen, es wachjen hauptjächlich die großen Berg- und Hütten- werfe, daneben Me Spinnereien, die großen Appretur- anftalten, die mechantjchen Webereien.

Die erjte Wirkung dieſes Umſchwungs zeigt fich ung ſchon in einer Vergleichung der Meeifterzahlen des ganzen Königreich® von 1836 und 1849 ,' wobei zu bedauern ift, daß die Zahl der Gehülfen für die Ver— gleichung diejer beiden Jahre fehlt; nur wenn man beide zujammenfaßt, ijt ja erjichtlich, ob das Hand- werk im Ganzen zu- oder abgenommen, ob nicht die theil- weile Abnahme der Meiſter durch Zunahme der Gehül- fen ſich ausgleicht. Letzteres jcheint aber hier nicht der Fall zu fein, wenigjtens jpricht ſich das jtatijtiiche Bu— reau über dieje Epoche dahin aus, daß Die Zahl ver Gejellen und Lehrlinge nicht bloß relativ, fondern jogar in vielen Gewerben abjolut in deutlicher Abnahme begriffen jet.?

Was den Fritiihen Werth der Zahlen betrifft, jo jet nach dem Gewährsmann des jtatiftiichen Bureaus bemerkt, daß die Zahlen für 1836 dem Gewerbejteuer- fatajter entnommen find, daß die Weber und Strumpf- wirfer für dieſes Jahr zu niedrig erjcheinen, weil die Yohnmeifter nicht einbegriffen find, daß die Schnei- derzahl damals zu hoch ijt, weil die Flickſchneider und

1) Zeitfchrift d. ftat. Bur. 1860. ©. 106. Tab. 3°. 2) Zeitjchrift d. ftat. Bur. 1860. ©. 100.

Die ſächſiſchen Meifter 1836 und 1849. 143

Schneiderinnen mitgezählt find. Für 1849 find die Zahlen der Meijter durchaus etwas zu hoch, da bei der Aufnahme von 1849 auf die Frage, ob ein Innungs- meijter auch wirklich noch jein Gewerbe ausübe, gar fein Gewicht gelegt wurde.! Darnach iſt Die Zahl der Mei- jter und ihr VBerhältniß zur Bevölferung zu —— Es waren:

1836. | 1849. Namen der Gewerbe A | Meifter | * Meiſter Auf 10.000

Einw. | | Einm.

Bäder, Konditoren . . . | 3631 | 21,08 3334 17,00

Barbiere ., 247 1,40 | 373 ‚97 Beutler und vaidſchuhmachei 415 | 2,1 | 529| 2,80 Bötther . . 1629 | 9,86 1922| 10,14 Buchbinder, Pappanbeiter A 465 | 2sı | 566 Buchdrucker . . i 50 | 0,0 | 119] O,se Büdhfenmader . . » .. 103 | O,se 149 ns Bürftenmacher ee ae ie 129 O,rs | 145 7 Dreddler 2 202% 563 | 340 | 680] 3,50 JJ 360 | Zus || 988 10 ee a a 39 | Os |) 61 ‚2

Seither, Hauefeplägter . 15158 | 31,0 | 3569

Friſeure 75 145 7 ‚u Gerber 1 824 | 40 | 1025| 5a Gelb = und Glockengießer 84 0,1 | 54 0,0 Glaſer Pe . 587 3,55 187 ‚15

Gold- und Silberarbeiter . 183 | 1,12 | 240| 1,os Gürtler, Sporer . . ! 215 | 1,0 || 286] 1,5 Sraveure, Sormenfteiher 99 | 0,0 248] 131 Hutmacher 2 4 349 | 211 | 374] 14 Kammmader . . 2... 260 | 1, 152 0,9 Klempner 0. 2.0 373 | 2,86 695 | Bar Knopfmaderr . 2... 88 0,53 | 93 0, Korbmader . . 2 2... 806 | 4,0

1) Zeitjchrift d. ftat. Bur. 1860. S. 102 —3.

144 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

Tr)

Ir 1849, en, Namen der Gewerbe F | Meiſter Auf 10 000 Einw. | Einw. . Kürſchne 9— 226 ı 653 3. Kupferfchmiede . » 128) O,r 169| 0,88

Maurer . - 000. 758| 4, 7118| 3 Mefjerihmiede . » . - 103| 0, 1166| 0a

Mechaniker . 139| 0,84 197) Los Verfertiger mufifl. Snftr mente . » 529| 3,80 991 as

Nagelihmiede . 416| 2,58 561! 2,080 Pojamentire © 2... | 1246| 7,4 3191) 16,85 Riemer : 2 2 20 e 210| 1,35 2837| 1sı Sattler2 733 4,44 1053 51 Schloſſe..* 694 420 1012| 54 Schmiede 3 244 19,94 3 856 20,38 Shneiterr : . . 410410 63,., | 9224| 48,,, Schubmaher . . . 10085] 61,06 | 11994 | 63,58 Schornfleinfgr . . +... 117) Oyaı 185| 0,4 Seifenfieder er ee ae a —— 461 2,19 506 2,67 Sclt : » 0... 770 As || 1006| 5,80 Steinmeßen. » 2... 87 O5 1383| Oo Strumpfwirter . . » » + | 3315| 20,0: 114768 | 77, Täſchner und Be —— 1391 0, 162| O,s Tiſchler . - » . .| 2356| 14,6 | 3717| 198: Topf ee 470 2,84 590| 3, Zuhmader . » » + +.) 1602| 90 | 3687| 19,15 Tuhfcherrerr . » » . +. 273| 1es 3836| 2,04 Uhrmader . . 2336| 1, 422| 2a Ma u” und Stellmacher .1 1577| 954 | 2077| 10,8 De . | 9950| 60,25 | 42 246 | 223,05 Sn: und Birtetfmich : 54| Os 124 0, Zimmerleute . Ä 2850| 1.0 ll 751 3,s Zinngiefer : 2 0. 940 | 5,ro 135) On

Ich Habe in der vierten Spalte da, wo fich eine Abnahme gegenüber der Bevölferung findet, ein Minus— zeichen beigefügt; die Geſammtzahl aber hat nicht ab, fondern zugenommen; es kamen auf 10000 Einw.

Die ſächſiſchen Meifter 1836 und 1849, 145

1836 - 415, 1849 - 645 Meifter; die Zunahme trifft aber ausjchließlich die Hausinduftrie der Gewebe, Die überdie8 1836 zu niedrig angegeben ijt, womit frei- lich nicht geleugnet werben joll, daß fie zugenommen habe. Zrennt man die Pojamentiere, Strumpfwirfer, Zuchmacher und Weber von den übrigen Handwerkern, jo fommen von erjteren auf 10000 Einwohner 1836 - 97,54, 1849 - 336,,, Meifter, von den ſämmtlichen übrigen aber 1836 - 317,,,, 1849-308, , 3.

Die Zahlen für 1849 find nicht ganz maßgebend, jofern dieſes Jahr ein bejonders geprüctes war. Doch würde von dieſem Drud die Zahl der Gejellen viel mehr affizirt jein, als die der Meijter. Nehmen wir dazu, daß die Aufnahme 1849 viele Meifter mitzählte, welche ihr Gewerbe nicht mehr ausübten, jo kommen wir allerdings zu dem Schluffe, daß in einer Zeit, in der die Bevölkerung, Die Yandiwirthichaft, die große Induftrie Sachſens die größten Fortjchritte machte, Die Zahl der Handwerker nicht ebenjo gewachien, gegen- über der Bevölkerung eher zurüdgegangen ift. Es ift das um jo jprechenver, als gerade der jonjtige Fortjchritt der Yandwirthichaft und ver Benölferungspichtigfeit Doch für viele einzelne Gewerbe Vortheile, weitern Spiel- raum und auch wirkliche Zunahme brachte.

Die Arbeit, der die vorjtehenden Zahlen entnom- men jind,! bejchäftigt jich außer den allgemeinen Fragen jpezieller mit der Handwerfsitatiftif der 30 größern

1) Zur Statiftif der Handwerfe in Sachſen. Zeitjchrift 1860. Nr. 9— 12. j Schmoller, Gef. d. Kleingewerbe. 10

146 Die Aufnahmen der Hleinern Staaten.

jächfüichen Städte, indem fie die Zahlen der Mleifter, Gejellen und Lehrlinge für die Jahre 1830 und 1856 vergleicht; die Zahlen ſtützen ſich auf eine bejonvere durch die Innungen gemachte Aufnahme Es kann fich bier nicht darum handeln, aus ben umfangreichen Tabellen der einzelnen Städte das Detail mitzutheilen, um jo weniger, als wir auf den Gegenjaß von Stadt und Yand noch bejonders werben zu jprechen kommen ; nur das Gefammtrejultat, joweit e8 eine Bejtätigung der bisherigen Unterjuchung enthält, iſt zu erwähnen. Und das geht nach den Worten der Zeitjchrift dahin: „Gehen wir” jagt fie „auf die Vergleichung der Zuftände von 1830 und 56 ein, jo iſt auffallend, daß die meijten Gewerbe (auch abgejehen von den mit Bankgerechtigkeiten in gejchlojfener Zahl verjehenen, welche ſich freilich gar nicht oder nur wenig. mehren fonnten) in den meijten Städten in ihrer Meifterzahl hinter dem Wachsthun der Bevölferung zum Theil jehr erheblich zurücgeblieben find, ja zum Theil ſich abjo- [ut vermindert haben. Nur bei wenigen ijt dieſe Ver— minderung der Meijterzahl pofitiv durch eine Vermeh— rung des Hülfsperjonals ausgeglichen oder jelbjt in eine relative Vermehrung des Gewerbes verwandelt; bei eini- gen ijt jogar eine relative Vermehrung ver Meijterzahl durch Verminderung des Hülfsperjonald negativ ausge- glichen. Ein Theil des Zurücbleibens Hinter dem Wachs- tum der Bevölkerung rührt gewiß von der zum Theil in Folge des Gejeges vom 9. Oft. 1840 entjtandenen gleichmäßigern Verbreitung gewifjer Handwerfe über das platte Yand ber. Indeſſen wird fich doch zeigen, daß

Das Handwerk in den ſächſiſchen Städten 1830 u. 1856. 147

diejer Einfluß auf die Geftaltung des jtäbtiichen Hand- werfsbetriebs überjchägt worden ift, und daß viele Kleine Städte noch immer die Meittelpunfte des Handwerks auch für das Land geblieben find, joweit man dies nach den Berjonalverhältnifjen beurtheilen fann. Je größer eine Stadt wird, deſto mehr tritt von jelbjt der Antheil in den Hintergrund, welchen das umgebende platte Land von der Beichäftigung der jtäbtijchen Handwerker hat. Solche Städte dürften auch von völliger Freigebung des Gewerbebetrieb auf dem Lande nur wenig oder gar nicht berührt werben.“

Wenn in Leipzig, in Dresden, in Chemmit die Zahl der Meifter, Gejellen und Lehrlinge nur in 2 3 Handwerfen zugenommen, in vielen aber um 20 50, ja bis 70 %, gegenüber der Bevölkerung abgenommen bat,! wenn das in den Kleinen Städten nicht ganz jo, aber ähnlich ift, jo iſt neben der veränderten Geſetzge— bung. die Haupturjache die, daß in den großen Städten die neue Richtung, die nach Ipezialifirter Produktion und nach dem Magaziniyitem brängt, am gewaltigiten fich jetzt ſchon geltend gemacht Hat.

Die Ergebniffe der Beichäftigungs- und Gewerbe- itatiftif von 1849 und 1861? bejtätigen im Allgemeinen

1) Die prozentuale Abnahme ift berechnet in Tabelle 35 ©. 122 —124 a. a. O.

2) Zeitjchrift des fat. Bureaus für 1863. Nr. 3 u. 4: „Beiträge zur Statiftit der in gefchloffenen Etablifjements mit mechaniſchen Mitteln betriebenen Induſtriezweige Sadjens im Sabre 1861.” Nr. 5—8.: „Die Bevölkerung des Königreichs Sachſen nad ihrer Beihäftigung und ihrem Erwerbe 1861.”

10*

148 Die Aufnahmen ber Fleinern Staaten.

die Richtigfeit der vorjtehenden Folgerungen. Es handelt fih um zwei einander entgegen wirfende Strömungen: auf der einen Seite eine raſch zunehmende Bevölkerung, ein raſcher Zuwachs bejonders der Städte, eine glän- zende Entwidelung der großen Induftrie, bejonders der Gewebeindujtrie; das muß nothwendig auch auf einzelne kleine Gejchäfte und Betriebe günftig zurüchwirfen; auf der andern Seite die Unmöglichkeit für viele Handwerke, mit dieſer Entwidelung gleichen Schritt zu halten ; theil- weijer Rückgang, Abnahme der Meifter, zum Theil auch des Hülfsperjonals.

Was die pofitiven Zahlen betrifft, jo geichah bie Aufnahme in folgender Weile. Im Jahre 1849 hatte Dr. Engel in direktem Anjchluß an die Bevölferungs- zählung eine Beichäftigungsitatiftif erheben laffen, wobei nicht die Fabriken, die einzelnen Unternehmungen über ihre Gejchäfte und Arbeiter Angaben machten, jondern in den Hausliften den Individunlangaben Bemerkungen über die Art des Unterhalts beigefügt wurden. An dieſe Art der Zählung jchloß man fich auch 1861 an und fügte nur auf den Nücheiten der Haushaltungsliften die Sche- mata der Gewerbejtatijtif des Zollvereins bei, welche von andern Gefichtspunften ausgeht, nach Geſchäften, Unternehmungen zählt. So entjtand eine doppelte Auf- nahme, die.aber, was die Handiverfer betrifft, ziemlich identilch ijt. An Unrichtigfeit leivet die Aufnahme in jo fern, als viele Heine Meiſter, welche für größere arbei-

Nr. 9—10.: „Zur Statiftit ver Handwerle im Königreih Sad- jen 1849 und 1861.”

Die ſächſiſche Induftrie 1849 und 1861. 149

ten, fich als jelbjtändige Gejchäfte angegeben haben, und noch mehr in fofern, als wiele frühere Gejellen, beſon— ders Schmiede-, Schloffergejellen, die in Fabriken arbei- ten, die oft nicht am Orte ſelbſt, ſondern in den nächit- liegenden Dörfern wohnen, fich nach ihrer innungsmäßig erivorbenen Qualififation als „Geſellen“ angaben, und dadurch in der Handwerker- jtatt in der Fabriftabelle verzeichnet find. Sowohl Meifter als Gehülfen -erjchei- nen daher 1861 in größerer Zahl, als fie wirklich vorhanden, rejp. dem Kleingewerbe angehörig find.

Nah der Beichäftigungsitatiftif betrugen nun bie Selbftthätigen 1849 und 1861 in den folgenden Abthei- lungen:

1849 Berabau . » 2. . 19744 männl. 43 weibl. Perſonen FSabritindufttie . . . 20123 1116 - Hausinduftiie . . . 105825 - 59558 - Handwerfebetrieb . - 129492 = 1803 = 5 freie Gewerbe . . . 16713 =: 118 . bandarbeitende Klaſſe, Näherinnen . . . 21886 = 355297 * 1861 Bergbau . 2». . 28297 männl. 205 weibl. Perſonen Fabrikinduftrie . . „. 41970 26580 - s Hausinduftrie . . 128305 89661 = Handwerfsbetrieb . . 152608 = 3043 2 freie Gewerbe . . . 23980 = 2248 = handarbeitende Klaſſe, Näherinnen ꝛc... 42393 - 57821 -

Faßt man dieſe mit den ſämmtlichen übrigen Selbt- thätigen zujammen und fragt, wie viele Prozente der ſämmtlichen Selbftthätigen jede diejer Klaſſen 1849 und

150 Die Aufnahmen der Heinern Staaten,

1861 ausmachte, jo jteigen die Selbjtthätigen im Berg— bau von 2,;, % auf 2,55 %, Pie in der Fabrifin- duftrie von 3,54 auf 6,97 %0 , Die in der Hausinbujftrie von 17,4, auf 19,5, 0, Pie in freien Gewerben von 1,99 auf 2,35 % , die Handarbeiter von 6,13 Auf 8,gg Vo, nur die Handwerfer finfen von 14,,; auf 13,79 %o der ſämmtlichen Selbitthätigen des Königreichs herab.

Die Handwerfertabelle, nach der Zollvereinsauf- nahme im Jahre 1861 georbnet it, nicht direkt mit der Beichäftigungsitatijtif von 1849 vergleichbar; doc) ift die Mehrzahl der Handwerker mit Ausjchluß der Handelsgewerbe und Hausinduftrie in einer bejondern Zabelle nach den abjoluten Zahlen von 1849 und 61 verzeichnet, ! deren Reſultat ich jummirt Habe. “Die dort verzeichneten Meiſter find von 54 859 auf 56 257, die Gehülfen von 73403 auf 95359, die Summe beider ijt von 128 262 auf 151 610 gejtiegen. ‘Das ijt eine Zunahme von 11,35 %,, während die Zunahme der Benölferung 17,,5 %/, beträgt.

+ Dieje Rechnung bejtätigt, was die Zeitjchrift ver— jichert, ohne die Zahlen zu jummiren. Nachdem fie vorausgeſchickt, daR fich die Meifterzahlen in jehr vie- len Gewerben und Städten jogar abjolut vermindert haben, daß in vielen andern Gewerben die Meifterzah- len zwar abjolut gewachfen find, aber jelten im Ver— hältniß Der Bevölferung zunahmen, fügt fie über die Geſammtzahlen von Meiftern und Gehülfen noch Hinzu, daß auch fie meijt hinter dem Wachsthum der Bevölkerung

1) Zeitichrift des ftatift. Bur. 1863. S. 102.

Die jächfiichen Kleingewerbe 1849 und 1861. 151

zurücigeblieben jeien, doch jeien die Ausnahmen des Gegentheils zahlreicher, als wenn man die Meijter allein in Betracht ziehe.

Was die einzelnen Gewerbe betrifft, jo haben fich ausnahmslos weniger vermehrt als die Bevölferung die Schneider, Schuhmacher und Nagelichmiede, fait aus- nahmslos die Gerber, Seifenfiever, Kammmacher und Gürtler. Der Benölferung jo ziemlich parallel blieben, eher ihr etwas voraus eilten die Bäder, Barbiere, DBürftenmacher, Buchbinder, Friſeure, Glaſer, Hut- macher, Korbmacher, Kürjchner, Klempner, ZTifchler ; ausnahmslos vermehrt haben fi nur die Maurer, Zimmerleute und Schloffer. Die Zeitjchrift knüpft daran die richtige Bemerfung, daß die für perjönliche Dienfte und Nahrungszwede arbeitenden Gewerbe, bejonders Da jie bis jest der Majchinenhülfe faſt noch ganz entbehren, nothwendig fich in einem gewiſſen Gleichgewicht mit ber Bevölkerung halten, daß dagegen alle mit dem Ma— ſchinen- und Bauweſen verfnüpften Gewerbe einen größern Spielraum für Zu- oder Abnahme bieten, daß wenn jie der Bevölkerung voraus eilen, dieß wohl als ein Beweis des wachjenden Wohlitandes im Allgemeinen anzu- jeben jet. Es wird auch Niemand leugnen Fünnen, daß der Wohljtand im Allgemeinen in Sachien- trog des Miß— behagens jo vieler Stleingewerbe von 1849 61 geftiegen iſt.

Durch das Geſetz vom 15. Dftober 1861 wurden in Sachſen die Realgewerberechte aufgehoben und entjchä- digt, die Gewerbefreiheit vom 1. Januar 1862 an eingeführt, die Innungen aber als freiwillige Vereinigun- gen beibehalten.

152 Die Aufnahmen der Eleinern Staaten.

Eine volljtändige ftatijtiiche Erhebung, wie das Seje gewirkt hat, iſt auch für Sachen nicht vorhan— den. Immer aber mögen einige Mittheilungen über die Wirkung auch bier ihre Stelle finden. Für den Dresdener Handelsfammerbezirf hat Dr. Rentzſch eine Anzahl ftatiftiicher Angaben in Bezug auf die Stüdte des Handelskammerbezirks Dresden durch bejondere Erhe- bungen gejammelt und publizirt, die einiges Licht auf die Folgen werfen. !

Er unterjucht, wie viele neue gewerbliche Niederlaj- jungen in den 33 Städten des Dresdener Handelsfam- merbezirks 1862 65 vorfamen. Auf 1000 Einwoh- ner famen durchſchnittlich jährlich 6,,, Neuetablirungen ; der Hauptandrang erfolgte 1862; man war jeit Ende 1860 der Erlafjung des Gejetes ficher geweſen, jehr viele hatten der Koſten wegen gewartet, jo wurde bie Zahl 1862 ziemlich groß. Im den beiden folgenden Jahren fanden aber wieder um jo weniger jtatt; ber Ausfall gegen 1862 beträgt faft überall 33 %,, nicht jelten bis 50 %,. Im den Fleinen Aderbauftädten iſt der Fortſchritt ein geringer; die Hauptanziehungsfraft haben die größern Städte Dresden, Freiberg, Meißen. Eine wejentlihe Zunahme mußte bejonders da erfolgen, wo vorher Verbietungsrechte waren. Daß aber bie Örundverhältniffe des Handwerksbetriebs dadurch Feine andern geworden find, geht aus zweierlei hervor. Ein-

1) Dr. 9. Rentzſch, gewerbeftatiftiiche Mittheilungen zur Berathung der Minifterial« Vorlage über das Gemerbegeieß. Dresden 1866. *

Die Folgen der Gewerbefreiheit. 153

mal bat nach Rentzſch der Zuwachs ber Gejellen und Lehrlinge mindeſtens gleichen Schritt gehalten mit der Vermehrung der Niederlaffungen. Und dann hat ber gejammte Perjonalbeitand ſowohl an ſich als gegenüber der Bevölkerung fich nicht wejentlich geändert. „Won 302 Gewerben“ jagt Rentjch „hat eine Steige: rung des Perjonalbeftandes nur bei 92 ver aufgezählten Gewerbe ftattgefunden und darunter in Bezug auf Die Arbeitgeber nur bei 56, in Bezug auf das gefammte beichäftigte Perjonal nur bei 57 über das Wachsthum der Bevölkerung hinaus.”

In der Stadt Leipzig erfolgte ebenfalls. nach den Handelsfammerberichten * der Hauptandrang 1862; es ergaben fich 986 Anmeldungen, im Jahre 1863 finfen fie jchon auf 568. In der Hauptjache erfolgt der Andrang nicht auf das eigentliche Handwerk; von den 986 Anmeldungen bezweden 163 die Eröff- nung von Schankwirthichaften, gegen 100 Detailhänpler- geichäfte aller Art; außerdem find die Schneider (35), Schuhmacher (46) und Tiſchler (40) noch etwas jtärfer vertreten. Geklagt wird nur über allzu ftarfen Andrang im Kleinhandel. Sonft wird fonftatirt, daß die große Umgejtaltung, die der eine gefürchtet, der andere gehofft babe, in der Hauptjache bis jetst noch nicht eingetreten jei. „Die gefürchteten und gehofften Erſcheinungen“

1) Jahresbericht der Handels- und Gemwerbefammer zu Leipzig für 1863. Leipzig, Hirzel. ©.4—8; für 1865 u. 66. Leipzig, Hirzel 1867. ©. 10 u. 157. Der Bericht pro 1864 ift mir nur im Abdruck des preuß. Handelsarchivs 1866. I. hauptſächl. ©. 620. zur Han.

154 Die Aufnahmen der Heinern Staaten.

jagt der Bericht „waren wohl auch meijtens ber Art, daß fie erſt im Verlaufe eines längeren Zeitraumes eintreten können; weder ein Verluſt an Selbftändigfeit jeitend der kleinern Mleifter gegenüber dem Kapitale, noch die wegen Wegfalles des Lehrzwangs gefürchtete Berjchlechterung oder die von anderer Seite gehoffte Ver- bejjerung ver technijchen Fertigkeiten und Kenntniſſe, und endlich größere Billigfeit Der Arbeit vermöge grö— Berer Theilung der Arbeit und häufigerer Verwendung von Mafchinen ift bis jet im Großen und Ganzen auffällig bemerkbar geworden. Und wenn auch manche Gricheinungen dieſer Art allerdings bereits vorliegen, wie 3. B. der überall wahrgenommene Vebergang des Schneidergewerbes zur Mlagazinjchneiverei und damit verbundene Unjelbjtändigfeit Eleinerer Meijter, fabrikmä— Biger Betrieb des Zimmergewerbes, der Schlofjerei, der Klempnerei, der Böttcherei, der Schuhmacherei, jo iſt bierin wohl mehr die Entwidelung der Gewerbe über: haupt, als gerade eine Folge der &ewerbefreiheit zu erbliden, wie denn auch einige dieſer Erjcheinungen bereitS weit hinter Einführung der Gewerbefreiheit zu: rückreichen.“

Aehnlich lauten auch die ſpätern Berichte. Der Gewerbefreiheit wird nachgerühmt, daß ſie ſchärfere Konkurrenz bringe, die Intelligenz anſpanne, aber mehr in den höhern gewerblichen Kreiſen, als im eigentlichen Handwerk.

Die Gewerbefreiheit iſt heut zutage unentbehrlich, weil die alte Abgrenzung der Arbeitszweige zur Unmög— lichkeit geworden iſt. Das aber, was die Maſſe, an

Die Folgen der Gewerbefreibeit. 155

ihr lobt und tadelt ift für das Gemeinwohl gleichgültig ; denn der eine tabelt fie, weil unbequeme Konkurrenz für ihn entjteht, der andere lobt fie, weil einige Unbequent- fichfeiten und Förmlichfeiten ihm erjpart find. Das, was an Segen fir das Gemeinwohl der Weiterblickende von der Gewerbefreiheit erwartet, ijt etwas anderes, e8 kann eintreten, aber e8 muß nicht immer eintreten. Man erwartet, daß Die wirthichaftliche Freiheit andere Sitten, andere Eigenichaften, andere Menjchen ichaffe, daß, wenn zunächſt mur Einzelne ſich mehr an- jtrengen, die andern durch die Konkurrenz gezwungen werden, ihnen zu folgen. Das geht jevenfalls lang: jam; nur von Generation zu Öeneration ändern fich Sitten und Menjchen. Mögen die Folgen aber etwas früher oder fpäter kommen, nur und ausſchließlich günftige Wirfungen könnten dann eintreten, wenn alle Gewerb- treibende rührig und dem Fortjchritt geneigt wären, wie jo häufig Nationalöfonomen und Politiker glauben, Die nur höher ſtehende Fabrifanten und Kaufleute perjönlich fennen. Da daß nicht immer der Tall ift, ſo fann die Gewerbefreiheit in einzelnen Kreifen ziemlich wirfungs- [08 bleiben, ja fie kann umgefehrt durch den Konfurrenz- fampf einen großen Theil der Handwerker tiefer hevab- drücken, fie wird es Yeicht thun, wenn nicht zugleich andere Mittel und Einwirkungen piychologiicher und realer Art diejelben faſſen und vorwärts bringen. Wenn der radicale Volkswirth gerne bereit it, zu erflären, alle welche durch die Gewerbefreiheit nicht vorwärts kommen, feien werth zu Grunde zu gehen, jo zieht er in feinem Urtheil eine jchroffe Scheidelinie, die

156 Die Aufnahmen der Heinern Stanten,

den Thatjachen des Lebens gegenüber als unwahr erſcheint, jo überfieht er neben zwei Extremen, welche wenige Perjonen zählen, die große Zahl derer, welche zwijchen beiden in der Mitte jtehen.

Die Gewerbefreiheit jchafft einen leeren Raum; aber fie garantirt nicht, daß alles, was in dieſem Raume wächst, geſund jei. Will: man das gewiß behaupten, fo muß man den Boden, die Pflanzen, alle witwirfenden Urfachen noch genau unterfuchen; dann erjt hat man ein fichere8 Urtheil über das wahrjcheinliche Reſultat.

Diefe mitwirfenden Urfachen find gar mannigfaltig ; Iofale Sitten und Zujtände, wie allgemeine Thatjachen fommen in Betracht. Die Technik, die Produktion bildet fih um, der Verkehr ändert ſich. Die Bevölke— rung wächst in einer früher nie erlebten Weife. Und wern die heranwachſenden Ueberſchüſſe verjelben bis in die dreißiger und vierziger Jahre Pla fanden in dem ſchon jeit alter Zeit reichlich bejetten Handwerk, jo änderte fich das jpäter um jo mehr. Es trat die Stockung, die Stabilität, ja theilweile eine Abnahme ein. Das Mißbehagen einer Mebergangszeit drückt fich allerwärts aus. Eine veränderte gefchäftliche und fociale Schichtung der Geſellſchaft vollzieht fich, die vorerjt zum mindeſten nicht nach allen Seiten hin als eine erfreuliche betrachtet werden darf.

Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr

im 19. Jahrhundert.

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1. Die Urſachen.

Fabrif und Handwerk. Die Bortheile des Großbetriebs und der Fortichritt des Großbetriebs im Zollverein. Die eigent- liche Großinduſtrie nur theilmeife in Konkurrenz mit bem Handwerk. Die Berfehrsänderungen und der Zeitpunkt ihrer Wirkung in Deutſchland. Kanäle und Chauſſeen. Die Poſten, die Dampfihiffahrt, die Eijenbahnen, die Telegraphen und der Welthandel. Der ftäbtiiche Verkehr der Droſchlen, Omni- bufje und Stabteifenbahnen. Die Lofalifirung ber gemwerb- lichen Thätigkeit vor diefen Verfehrsänderungen, die Ummäl- zung mit benjelben. Die veränderte Wirthihaft ber Familie, der moralifhe und der wirthſchaftliche Erfolg berjelben. Die veränderte Bertheilung der Bevölkerung. Amerilaniiche Ber- hältniſſe. Die deutſchen Dörfer, Mittel» und Landftäbte; bie Decentralifation ber Inbuftrie; das moderne Anwachjen ber Großftädte Durch Induftrie, Handel und andere Urjadhen. Die ſtädtiſche Bevölkerung in Preußen und die Aenderungen ber- jelben von 1831 64.

Wenn ich in den bisherigen Betrachtungen ver- juchte, die äußerlichen Gejammtrejultate der Gejchichte des Handwerks zu verzeichnen, Die Zu- und Abnahme, Die wirthichaftliche Blüthe oder den wirthichaftlichen Verfall ber deutſchen Kleingewerbe in den einzelnen Epochen der erjten Hälfte des 19. Jahrhunderts fejtzuftellen, jo habe ich dabei die mancherlei Urjachen, den Einfluß Der Gefetgebung, die Rückwirkung der allgemeinen wirth-

160 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

ichaftlichen Zujtände auf das Handwerf da und dort berührt, aber ich habe es abfichtlich vermieden, prinzipiell die Hauptfrage zu erörtern, nämlich die, welche von den verichievenen Urjachen des Umjchwungs die wichtigjte jet. Darauf fomme ich nunmehr.

Die Antwort jeheint einfach, jeder Laie hat fie auf der Zunge, fie iſt in diejer befannten Faſſung von mir auch in den bisherigen Unterjuchungen gleichlam als ſelbſtverſtändlich vorausgejegt. Die Fabrik, jagt man, hat das Handwerk verdrängt; Die große Induſtrie jiegt allerwärts über die Feine. Nur die großen Betriebe entiprechen den heutigen Anforderungen, fünnen vor der jtärferen Konkurrenz der Gegenwart Stand halten.

Es iſt das bis auf einen gewiſſen Grad ja richtig. Aber ver Satz ijt zu allgemein, rückt zu verjchiedene Dinge unter einen Gefichtswinfel, als daß man fich dabei befriedigen fönnte.

Fragen wir, woran man in eriter Yinie denkt, wenn man von der Großindujtrie jpricht. Man denft an die Majjenproduftion, an die größere Zahl von Arbeitern, die in einem Unternehmen, meijt in denjelben großen Gebäuden vereinigt find, am die Arbeitstheilung, die mit der Zahl der Perjonen einer und derſelben Unter: nehmung wächſt. Man denkt vor Allem an die neuen Kraft und Arbeitsmajchinen.

Die Dampfmajchine und die Turbine arbeiten billi- ger als jede thieriiche umd menjchliche Arbeitskraft. Man bat berechnet, daß nach englichen Preiſen die Arbeit von Pferden 10 mal, die von Menſchen 90 mal, nach deutichen Preijen die von Pferden 2, mal, die von

Die Bortheile des Großbetriebs. 161

Menjchen 36 mal jo theuer jei, al8 die der Dampf: majchine. Mag die Berechnung ganz genau fein over nicht, fie giebt der Phantafie ein Bild der Nenderung. Und wichtiger vielleicht noch als die technijchen Fort- jchritte in den Motoren find die Fortichritte in den Arbeitsmafchinen, in den Spinn- und Webjtühlen, in den Walzwerfen und Dampfhämmern, in den Mafchinen aller Art. Ste jparen an Arbeit und Stoff, fie voll- enden in Sekunden, zu was man früher Stunden und Tage brauchte. Mit ihnen fam in die technijche Seite der Produktion jene wunderbare Ausnugung aller Natur- fräfte, jene ſcharfſinnige Weberlegtheit, welche die großen Fortichritte der Wiſſenſchaft benutzend die Natur» und Menjchenkraft zu fomplizirten Geſammtlei— ſtungen auf die finnreichite, fojtenjparendjte Art verbindet. Außerdem aber denkt man, wenn man von der Großinduſtrie fpricht, an die Verfehrsvortheile großer Geſchäfte, an die Leichtigkeit, ſich überall, auch in der Ferne, Abſatz zu verihaffen, an die DBortheile jozialer und geichäftlicher Verbindungen. Je großartiger die Gejchäfte find, deſto größer ift der Kredit, mit dem das große Kapital noch zu vergrößern, die großen Yeiftungen noch zu verboppeln find. Je größer die Gejchäfte find, deſto Yeichter rentirt es, in der Preſſe und in der Deffent- Yichfeit für die Intereſſen der fpeziellen Induſtrie zu wirken, bochbejolvete Literaten in Dienft zu nehmen, die Regierung für das Gedeihen der Induſtrie zu interejfiren. 1) Annalen der Landwirthſchaft Bd. 38. ©. 175. Schmoller, Gedichte d. Kleingewerbe. 11

162 Die Umgeftaltung von Produktion und Berkehr.

Ich will mich bei diefer Schilderung nicht aufhalten ; fie ift Schon oft! von Meiſterhand ausgeführt worden; ich könnte nur Bekanntes wiederholen. Es handelt fich bier nicht darum, dieſe Aenderung zu jehildern, jondern fonfreter die Frage zu jtellen dahin, ob und in wie weit auch bet ung im Zollverein diefe Nichtung auf größere Betriebe fich geltend gemacht hat.

Man wird es nicht leugnen Fönnen. Jede technijche Befferung des Betriebs muß fich bei freier Konkurrenz auf die Dauer Geltung verichaffen, und es ift gut, daß fie es thut, denn jede techniſche Beſſerung ift ein wahrer Fortjchritt der Kultur. Wir jehen auch deshalb den Großbetrieb umerbittlich bei ung wachen. Das durch: Ichnittliche Anlagefapital jeder Spindel in der Baum: woll- und Flachsſpinnerei nimmt ab, je größer Die Spindelzahl iſt; jährlich wächjt die Durchichnittszahl der Spindeln einer Spinnerei; fie war in Preußen 1837-828, 1846 - 1126, 1858-2627, 1861-5783 Spindeln

1) Ih erinnere 3. B. an Roſcher, Anfichten der Bolfs- wirtbihaft S. 117: „über Induftrie im Großen und Kleinen;” ©. 173: „über die volkswirthichaftliche Bedeutung der Maſchinen— inbuftrie.“ Frederie Passy, les machines et leur influence sur le developpement de l’humanite. Paris. Hachette 1866. Michel Chevalier, die Weltinduftrie, überf. von Horn. Stuttg. 1869. Uebrigens ift es für den Nationalöfonomen ſchwer, allen Fortichritten der Technik und des Maſchinenweſens zu folgen und die hiernach fich bemefjende größere Billigfeit und Leiftungsfähig- feit der Induſtrie im Detail zu überjehen, da auch bie ſpezifiſch technischen Werke dariiber oft nicht einmal Auskunft geben. Biel Gutes gerade nach technijcher Seite enthält auch Viebahn's Gewerbeftatiftif.

Der Fortichritt des Großbetriebs im Zollverein. 163

in der Baummwollipinnerei. Die Etabliffements fteigen 1837 bis 55 von 152 auf 209, finfen 1858 auf 127, 1861 auf 69. Aehnlich geht e8 in vielen Branchen der Sewebeinduftrie, bejonders auch in den Hilfsgewerben, den Färbereien, Bleichen, Appreturantalten. Für fie find technijche Kräfte ausgezeichneter Art ein Bedürfnif. Solche können nur in großen Ctablifjements angeftelit, voll beichäftigt und bezahlt werben.

Bon immer größerer Wichtigkeit werden die Unter: nehmungen, welche ung die Brennjtoffe und die Metalfe liefern. Auch fie zeigen Diejelbe Tendenz. Die Heinen Zorfitiche rentiren faum; immer mehr bilden fich große Anstalten, die den Torf als Brennmaterial, Leucht— material, als Düngemittel zu chemijchen Zwecken in ſyſtematiſcher Weile ausnutzen.“ Die Leiſtung jedes Ar- beiter8 in den Steinfohlenbauten der Nuhr war 1855 noch 700, 1864 986 Tonnen; die Zahl der Werke hat nicht zugenommen, aber ihre Größe. Mit ihr haben fih die technifchen Einrichtungen, die Majchinen ver- bejjert, und dadurch wird die größere Yeiftungsfähig- feit jedes Arbeiter erreicht.? Die Iahresprobuftion eines zollvereinsländiſchen Steinfohlenwerfs war 1848 - 148 344 Zentner, 1857 - 354 694 Zentner.? Aehnlich geht es mit allen Bergwerfen. Die in Spefulations- zeiten in großer Zahl auftauchenden Kleinen Gruben,

1) Zeitſchrift des jächl. ftatiftiichen Bureaus II, ©. 9 ff. 2) Hoder, die Großinduftrie Rheinlands und Weftfalens ©. 217, verglichen mit 227 28. 3) Viebahn II, 366. 11*

164 Die Umpgeftaltung von Produktion und Verkehr.

jagt die Zeitjchrift des ſächſiſchen ſtatiſtiſchen Bureaus,“ verjchwinden immer bald wieder, theil® durch Konjoli- dation, theils durch Auflaffung; aber die größern jtärfen fich und dehnen fich aus, jo daß mit Ausnahme des Kobaltbergbaues, welcher die frühere Höhe nicht wieder erreichen dürfte jowohl nach Arbeiterzahl, als nach Produktion alle Hauptzweige des Bergbaues thatjächlich trog der Verminderung der Grubenzahl im Steigen begriffen find. Und nicht viel Anderes als von den BDBergwerfen wird von den Hütten» und Cijenwerfen berichtet. Ein Heiner Hochofen nach dem andern wird ausgeblajen, nur die großen halten fih. Die Leiſtungs— fähigkeit der großen Eifengießereien und Majchinenfabrifen wächit mit dem Umfang. Bei Krupp in Eſſen, erzählt ein Augenzeuge, find zur Erzeugung des Gußſtahl 240 Schmelöfen in einer Gußhütte aufgejtellt; beim Guf wirft eine eigens dazu bejtimmte gut eingejchulte Bri- gade von 800 Mann nach dem Kommando mit einer jtaunenswerthen Prözifion zuſammen, wobei bi8 auf bie Sekunde jeder Handgriff, jede Leiltung in den Zufammen- bang des Ganzen paſſen muß.?

Die kleinen Ziegeleien können nicht mehr konkur— riren mit den bejjer eingerichteten großen. „Ein Hof- mann'ſcher Ringofen veranlapt manche Feldziegelei zum Eingehen.” Die Steingutfabrifation und die Glasinduftrie leiden unter der Holztheuerung; fie können nur durch ganz große, technijch vollendete Heizeinrichtungen und

1) VI Jahrg. 1860. ©. 79. 2) Hoder, ©. 373.

Die Großinduftrie und das Handwerf. 165

Uebergang zur Steinkohle billig genug produziren.! Die Zahl der Branntweinbrennereien im Zollverein bat von 11225 im Jahre 1851 auf 7711 im Jahre 1865 abgenommen, die Produktion ift auf Das Anderthalb— fache geftiegen. Von den AZuderfabrifen machen die großen die beiten Geſchäfte. Die alten Fleinen Mahl— müblen, welche für Kunden um Lohn arbeiten, ver: jchwinden menigjtens in den Städten, große Dampf- müblen, technijch vollendet eingerichtet, treten an Die Stelle und fie arbeiten nicht mehr um Lohn; der Dampfmüller macht eigene Gejchäfte, um zugleich alle Vortheile des Preiswechjels und der großen Spefula- tion auszunugen.? Die Zahl der ſämmtlichen Dampf: majchinen nimmt nicht jo zu, wie ihr Umfang; die Zahl derjelben jtieg im Königreich Sachlen von 1856 bis 1861 um 82 Prozent, die der Pferbefräfte um 119 Prozent. ?

Ich habe dieje zahlreichen Beifpiele der immer groß- artiger fich entwidelnden Großinduftrie abfichtlich ange- führt, um dadurch won jelbjt den Einwand hervorzu— rufen, den ich machen muß; nämlich den, was hat diefe ganze Entwidelung mit dem Handwerk zu thun ? Was jchadet e8 dem Bäder und Fleiſcher, dem Schuh- macher und Schneider, dem Tiſchler und Schloffer, wenn die Spinnereien und Färbereien, die Gruben und Hütten,

1) Viebahn III, 866. 2) Zeitjchrift des ſächſ. ftatiftifchen Bureaus IT, 126, 3) Dajelbft VIIL, 105.

166 Die Umpgeftaltung von Produktion und Berkehr.

die Brennereien und Mühlen immer größer werben ? Das ijt eine Sache für fich.

Diejer Einwand ift richtig; er zeigt ung wenigſtens, daß die landläufige Phraje, die Großinduſtrie habe das Handwerk verdrängt, Die Sache nicht erjchöpft. Diele, man Fönnte jagen die meisten, Großinduftrien berühren das Handwerk nicht direkt; fie beziehen fich auf neue Betriebe, auf jolche, welche nie dem Handwerk ange- hörten; daß fie jelbjt in immer größere Etabliffements ſich konzentriren, kann dem Handwerk nicht jchaden. Ihr Wachsthum muß im Gegentheil, wie das Wachjen der Verfehrsanftalten, der Eifenbahnen, ver Poften, mehr Handwerker bejchäftigen.

Es gilt dieß freilich nicht von allen den heutigen großen Fabriken und Etabliffements; die Spinnereien haben allerdings die profeffionsmäßigen Spinner ver: drängt; Die ganze Gewebeinduftrie ift heute noch mitten im Kampf zwijchen Handwerk und Fabrik begriffen; ähnlich ein Theil der Metallinduftrie und der Holz waarenindujftrie.

Aber immer find das nur einzelne bejtimmte Ge— werbszweige, die jo direft mit den Fabriken zu kämpfen haben. Und doch jehen wir in der Geſammtheit der Kleingewerbe Aenderungen, deren Urjachen wir uns Elar zu machen haben. Um dieſen näher zu treten, müſſen wir etwas weiter ausholen.

Die tiefer Yiegende Urjache, die auch der Mechanif und Zechnif der Neuzeit erit die Möglichkeit einer allge meinen Anwendung verjchaffte, iſt die Aenderung des Derfehrs, aller Verkehrsformen. Ich will nur an

Die Berlehrsänderungen. 167

einige Thatſachen und Jahreszahlen flüchtig erinnern. ! Sie werben jchlagend zeigen, in welch engem Zufammen- bang fie gerade auch mit der Gejchichte der Klein: gewerbe jtehen.

Alle unjere heutigen Verkehrsmittel find neueften Datums, wenigitens ihre allgemeine Anwendung. Der engliiche Kanalbau nimmt erſt jeit 1755 eine größere Bedeutung an; Großbritannien hat 1824 jchon 528 deutjche Meilen Kanäle; Altpreußen 1866 erſt 94,,. Der engliiche und franzöfiiche Straßenbau beginnt eben- fall8 erjt in der zweiten -Hälfte des 18. Jahrhunderts. In Preußen baut Friedrich der Große 1757 die erite Chauſſee. Erſt 1812 lernt Diac Adam ? die heute all- gemein übliche Methode des Chaufjeebaues in China fennen; exjt gegen 1820 verbreitet fie fich in Europa, erit nun beginnt der größere Frachtverfehr mit ſchweren Laſtwagen ftatt der Heinen Karren. Im Jahre 1816 exiſti— ren in Preußen 3 694 Frachtfuhrleute mit 8 440 Pferden,

1) Zu vergleihen: Behm, die modernen Verkehrsmittel, 19te8 Ergänzungsheft dev Petermann’schen Diittheilungen. 1867. Die Verkehrsmittel auf der Weltausſtellung zu Paris im Jahre 1867, offizieller öftr. Ausftellungsberidht , 2te Lieferung. Perrot zur Gejchichte des Verkehrsweſens in Faucher's Bierteljahrs- ichrift XXI, 27 ff. XXI, 62 ff. Berlin 1867. Baxter, Railway Extension and its Results in dem Journal of the statistical society 1866, S. 549 595.

2) Ueber die Wirkungen ber Mac Adam’ichen Ehaufjeebau- methode bis in alle Einzelheiten des Dorflebens fiehe die hübſche Skizze von I. ©. Kohl „alte und neue Zeit im Dorfe Lehr: bach“ in der Bierteljahrsichrift für Volkswirthſchaft VII, 1—7.

168 Die Umgeftaltung von Produftion und Berfehr.

im Jahre 1861 9642 mit 27464 Pferden. Straßen (Chauſſeen) zählte man in Preußen:

vom Staat unterbaltene andere zufammen 1816 419%, Meilen 1023/, Meilen 5221/, Meilen - 1831 8485, 2987, 11471, = 1844 1383,04

1862 1926 1865, > 379lı = Die Hauptthätigfeit im Chaufjeebau fällt erſt in die Zeit von 1844 1861.

Die erjten modernen Pojten waren von Franz von Zaris zwilchen Wien und Brüffel 1516 eingerichtet worden. In Brandenburg richtete der große Kurfürſt eine Zandespoftanjtalt ein, „weil zuwörderjt dem Kauf und Handelsmanne hoch und viel daran gelegen ſei.“ Es waren Reitpoſten, jpäter auch Poſtwagen, welche die Poſt von Berlin nach Königsberg in 4, von Amijter: dam nach Königsberg in 12 Tagen brachten. Das war eine außergewöhnliche Schnelligkeit, die allgemeines Auf- jehen erregte. Den Perjonenverfehr übernahmen Die Pojten in England und Frankreich früher; in Deutjch- land mußte man im 18. Jahrhundert eigenes Fuhrwerf -faufen, Extrapoſt nehmen oder mit den Fonzejjionirten Landkutſchen fahren. Sie vermittelten den Perjonenver: fehr, aber entjeglich Yangjam. „Won Dresden nad) Berlin ging die Yandfutjche alle 14 Tage, nach Alten: burg, Chemnig, Freiberg, Zwidau ein Mal wöchent— lich; nad Bauten und Görlitz war die Zahl der Paj- fagiere nicht jo ficher, daß der Kutſcher jede Woche an bejtimmten Tagen abgehen konnte; nach Meißen gingen das grüne und vothe Marktichiff, jedes ein Mal wöchent-

Das Poftweien. 169

ih Hin und zurüd. Man veijte auch mit der beiten Fuhre jehr langſam. Fünf Meilen der Tag, zwei Stunden die Meile, jcheint der gewöhnliche Fortjchritt geweſen zu jein. Eine Entfernung von 20 Meilen war zu Wagen nicht unter 3 Tagen zu durchmeſſen, in der Kegel wurden 4 dazu gebraucht.“

In England hatte man für die Briefbeförderung ſchon Yänger die jogenannten Schnellpojten. Der preußijche Generalpoftmeifter von Nagler führt fie 1824 auf deutſchem Boden ein. Es erregt große Bewunderung, daß der Pojt- wagen von Berlin nach Magdeburg, der vorher 2 Tage und eine Nacht gebraucht, nunmehr den Weg in 15 Stunden zurücdlegt. Die Perjonenpojten zum Verkehr von Perjonen, Briefen und Paketen zujammen bativen in Preußen erjt von 1838. Yanpbriefträger gab e8 1846 erit 571 in Preußen, 1856 jchon 3868. Das Land— briefträger - Inftitut beförderte 1850 etwa 74), Millionen Briefe, 1856 jchon 15 Milfionen.!

Die Briefportoreform ging von England aus; Row— land Hill jet 1840 die einjtufige Tare durch; 1839 wurden in England 79, 1840-186, 1854 - 400, 1862-605, 1865-720 Millionen Briefe befördert. In Preußen fonnte noch 1844 ein Brief bis 19 Ser. fojten. Bon Frankfurt a/M. bis Berlin foftete er 8 Sgr., von Frankfurt a/M. bi8 Danzig 15 Sgr. Im Jahre 1844 tritt die Ermäßigung auf höchſtens 6 Sgr.

1) Vergl. darüber Jahrb. für die amtliche Statiftit I, 516 ff. Schmidt, zur Geichichte der Briefportoreform in Deutjchland in Hilbebr. Jahrb. IH, ©. 1 ff.

170 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

ein. Die Dresdener Poftfonferenzen von 1847 48 und der Pojtvereinstag von 1851 bringen die breiftufige DBrieftare, der norddeutſche Bund 1867 die einjtufige, Die preußiiche Poſt beförderte 1840 - 36, 1854-90, 1861 - 140, 1862 - 148 Millionen Briefpoftgegen- jtände. Die Hauptentwidelung füllt wieder nach 1850.

Die erſte regelmäßige Dampfichiffahrt zwiichen Amerifa und England wird 1838 eingerichtet; 1848 beſaß England 1100, 1866 3165 Dampfer; die norddeutſche Handelsflotte zählt 1866 erjt 249 Damıpfer. Die großen regelmäßigen Dampferlinien des Weltver- fehrs find meiſt erjt in den letten Jahren eingerichtet worden.

Die erite Eijenbahn wurde 1825 von Darlington nach Stodton, mehr nur für den Kohlenverfehr eröffnet. Die erjte wichtige Eijenbahn war die 1830 zwiſchen Manchejter und Xiverpool vollendete. Das preußtiche Eiſenbahngeſetz ftammt von 1838; erjt im Jahre 18421 fam dadurch Leben in die Sache, daß die Regierung Zinjengarantien übernahm; im Jahre 1847 entichloß fie fich jelbjt Hand ans Werk zu legen. Im Jahre 1840 exiftirten in Preußen 17 Meilen Bahn, 1845 - 138, 1850-356, 1855-467, 1860-713, 1866-874 Mei- Yen. Eine Meile Bahn kommt 1866 in Preußen auf 5,5 D Meilen, in Frankreich auf 5,,, in Großbritannien und Irland auf 2,,, in Belgien auf 1,,.?

1) Bluntſchli, Staatswörterbuch Art. Eijenbahnen III, 379. 2) Jahrbuch für die amtl. Statiftit I, 607 9 u. preuß. Handelsarchiv 1867. II, 710.

Die Eiſenbahnen und Telegraphen. 171

Die Telegraphenlinien find noch jünger. Die Zelegraphie wurde 1840 zuerit an engliichen Bahnen angewandt. Erſt 1843 ließ die Direftion, der rheini- ichen Eijenbahn bei Aachen die erjte furze Yeitung aus— führen. Der deutjchsöjterreichiiche Telegraphenverein hat 1856 Yinien von 2317, 1865 von 5623 Meilen Länge im Betrieb. Die Anzahl! der in ganz Preußen beför- derten Depejchen u:

1850 ee 35317 1855 . . . 152820 1860. . .. .. 384335 1862 . . . » 660297 1866 . . .. 1544400.2

Damit im Eintlang ſteht die Welthandelsentwide- fung, die ganz ähnlich in allen europäiſchen Staaten erſt etwa von 1850 an ihren großen Aufichwung nimmt. Sch Belege dieſe Thatjache nur mit einigen englijchen franzöfiichen* und deutjchen 5 Zahlen.

Werth der großbrit. Aus- und Einfuhr, Werth der franz. Aus= und Einfuhr. 1833 85 Mill. Pf. St.

14019.» » 1340 82 Mill. Pf. St. 1845 135 = 1845 GT =. 1850 1 » - 1850 102 »- « - 1855 260 =: » 1855 1793 = = . 1860 3 =.» = 1860232 + = » 1865 490 = Ei = 1865 293 *

1) Jahrbuch für die amtliche Statiſtik I, 537.

2) Hanbelsardhiv 1867 I, 574.

3) Baxter a. a. DO. ©. 564.

4) Dajelbft ©. 575.

5) Hamburgs Schiffahrt und Handel 1867, offizielle tabella- riſche Ueberſichten.

172 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Werth von Hamburgs Einfuhr. Zollpflichtige Einfuhr.

1821 30 69 Mill. Mark Banco. "1831 —40 8 = . . 1841 —50 104 . . 1851 —60 152 : 1861 —65 169 J 1865 183

Totale Einfuhr. 1846 —50 295 Mill. Mark Banco.

1851 —55 45 = . . 1856 —60 605 1861—65 707 = - . 1865 7U = ® s 1866 779 5 z 1867 819 =

Aber nicht bloß auf die großen Welthandelsſtraßen muß man blicken, wenn man das heutige Wachſen des Verkehrs ermeſſen will; eben ſo ſehr muß man ſich erinnern, daß auch der bedeutende lokale Verkehr, die meiſten Vicinalwege, die Landpoſtſtellen, die Landfahr— gelegenheiten, die Droſchken und Omnibuſſe in den Städten erſt Kinder der letzten Jahre und Jahrzehnte ſind.

Das Inſtitut der Fiaker entſtand 1630 in Paris. In Berlin! wurden 1739 durch Friedrich Wilhelm I. 15 Fiafer eingerichtet, Die regelmäßig auf einigen ber größeren Pläße bereit ftehen jollten. Im Jahre 1780

1) Dieterici jr., geſchichtliche und ftatiftifche Mittheilungen über das Öffentliche Fuhrweſen in Berlin, Zeitichrift des ftat. Bür. V. ©. 155— 164, 179— 189. Bruch, der Strafßen- verkehr in Berlin im Berliner Gemeinbefalender für 1868, S. 65 —121.

Der Welthandel und der ftäbtiiche Verkehr. 173

gab e8 deren 20. Erſt 1815 wurde das Berliner Droſchkenweſen orventlich polizeilich geregelt. Im Jahre 1836 exijtirten etwa 300 bis 400 einjpännige Drojchken, 1848 - 839, 1860 - 999, 1865 dagegen jchon 2077.

Die Omnibufje für den ftädtiichen Verkehr kommen in Paris und London in den zwanziger Jahren auf. Im Berlin werden fie 1846 eingeführt; es jind 1848 erſt 19 Wagen, 1855-43, 1860-47, 1862-110, 1864 dagegen ſchon 393, die dieſem wichtigen Verkehrszwecke dienen. Noch neuer find die Straßeneijenbahnen; in Berlin exiftirt erſt jeit wenigen Jahren die einzige Berlins Sharlottenburger Linie, während hauptjächlich in Ame- rifa e8 deren in allen großen Städten jeit 10 15 Jahren giebt, und fie dort einen Hauptfaktor des enormen Anwachjens der Städte bilden.” Der Höhepunkt ſtädti— ichen Verkehrs wird freilich erjt erreicht Durch die Stadteifenbahnen mit Dampfbetrieb, wie fie vollftändig wohl erjt in London organifirt find. “Der Metro- politan Railway? transportirt jährlich 111 Millionen Perjonen. Jeder joll dabei nur eine Stunde Arbeitszeit gewinnen, jo giebt das in dem einen Jahr ein Plus von Arbeitszeit für die Londoner Bevölkerung von 111 Millionen Stunden oder, wenn man das Jahr zu 300 Arbeitstagen und den Tag zu 10 Arbeitsjtunden rechnet, von 38 000 Jahren.

Nicht um ftatiftiiche Notizen zu häufen, habe ich alle dieje Zahlen mitgetheilt, jondern um durch fie

1) Wiß, das Geſetz der Bevölkerung und die Eijenbahnen,

Berlin, Herbig 1867. ©. 55. 2) Passy, les machines ©. 35.

174 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

Maß und Zeit der großen Aenderungen einigermaßen feftzuftellen, um durch fie zu erklären, warım Die Krifis der Handwerker in den vierziger Jahren beginnt, um durch fie amjchaulich zu machen, daß wir, in Deutichland wenigſtens, nur einen Theil der ganzen Umwäßung Hinter uns haben.

Die frühere Zeit, der die Verkehrsmittel fehlten, mußte alle gewerbliche Thätigfeit lokaliſiren. Produftion im eigenen Haufe, im eigenen Dorfe, in der eigenen Stadt, wenigjtens im eigenen Kreife, das war die Folge davon, daß man Anderes nicht gejehen, nicht kennen gelernt, daß man es, jelbjt wenn man es fannte, nur ſchwer beziehen konnte. Der perjönliche Reiſeverkehr, der Brief- und Zeitungsverfehr, der ung jett leicht und Schnell Nachricht und Kenntniß des Vollkommenern überall her bringt, ijt ebenjo wichtig für Die Aenderung aller Produktions: und Konfumtionsverhältniffe, wie ver fachliche Verkehr, der ung die Waaren jelbjt bringt.

Alle größere, alle jpezialifirte Produktion, alle weiter gehende Arbeitstheilung iſt erjt mit dieſem Ver— fehr möglich geworden. Die Art der Probuftion, wie fie früher nur für wenige leicht transportable Luxus— gegenjtände üblich war, ift jett erjt auf die Maſſe, auf die Mehrzahl der gewöhnlichen Waaren anwendbar. Deshalb Hat diejer neue Verkehr das Größte wie Das Kleinfte geändert. Ueberall und in allen Beziehungen bat er die Fäden des wirthichaftlichen Lebens ausein- andergezogen, fünjtlicher und komplizirter gefnüpft, er hat gejchäftlich und lokal dem Wohnorte nach die Menjchen anders gruppirt, er hat den Handel wie die

Die Folgen der Verfehrsänderungen. 175

Produktion, die Anfchauungen und Bedürfniſſe der Menjchen, wie ihre Sitten und Yebensgewohnbeiten umgeſtaltet. Durch dieſen Verkehr vor Allem ift es anders geworben in der Welt, ſeit der Großvater die Großmutter nahm, iſt es anders geworben in Haus und Hof, am Familientiſch wie in der Gefindejtube, auf dem Jahr- und Wochenmarkt wie im Laden des Städtchens, auf den großen Börſen wie auf den rie- figen Stapelplägen, wo zwei Welten ihre Schäße taujchen.

Die totale Nenderung der Verfehrsverhältniffe und die hieraus folgende Revolution in der ganzen Pro- duftion und in der lofalen und gejchäftlichen Gruppirung der Menichen hat auch die Unzufriedenheit mit der früher bejtehenden Gemwerbe- und Nieverlafjungsgejetgebung erft jo gejteigert, daß fie mit Recht Beachtung verlangte. Solange die Zuftände fich nicht wejentlich änderten, die großen und Heinen Städte, Städte und plattes Yand in denjelben Verhältniſſen blieben, da war zwiſchen Gewerbe- freiheit und einem Zunft- und Konzeſſionsſyſtem, das liberal gehanvhabt wurde, Fein jo großer Unterjchied. Als aber alles in Fluß kam, als alle Zuſtände andere wurden, als die Technik, die Arbeitstheilung, die Ge— ichäftsorgantfation total andere wurden, ohne Daß die Bureaufratie oder irgend Jemand anders die Tragweite der nothiwendigen Aenderungen und Ueberſiedlungen auch nur entfernt ermeffen konnte, da erjt hörte jeve Mög— lichkeit, ein ftaatliches Zunft» und Konzeſſionsweſen, einen in alter Weife polizeilich fontrolirten Detail- und Haufirhandel der realen Umbildung entiprechend zu leiten,

176 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

auf. Da mußte man freien Spielraum geben, wenn man auch manchen Mißſtänden, manchem modernen Schwindel dadurch ebenfalls freie Bahn gab. Durch eine bureaufratijche Leitung jchadete man zu viel, hemmte man die nothwendige, den Wohlitand im Ganzen jeven- falls außerordentlich befördernde gewerbliche und Verkehrs⸗ revolution zu jehr.

Dleiben wir zunächit beim Kleinſten und Größten, bei der Umbildung der Familtenwirthichaft und ver veränderten lokalen Vertheilung der ganzen Bevölkerung ſtehen.

Wenn ich davon ſpreche, was in der Familie ſeit drei Generationen anders geworden iſt, ſo bleibe ich nicht dabei ſtehen, was der Verkehr geändert hat. Es iſt mir gleichgültig, ob der ſich ändernde Verkehr die erſte, die Umbildung der Produktion die zweite Urſache iſt; ich kann nicht genau ausſcheiden, wie viel auf die erwähnten Urſachen, wie viel auf Rechnung des größern Wohlſtandes und Kapitalbeſitzes kommt. Weſentlich iſt mir ja nur, zuſammenfaſſend zu zeigen, wie alle dieſe Urſachen in Verbindung mit der ganzen Lebensrichtung der neuen Zeit dem wirthſchaftlichen Leben der Familie und damit dem Handwerke eine andere Stellung gegeben haben.

Roſcher erzählt nach Eden, daß noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts der Bauer in Hochſchottland Weber, Walker, Färber, Gerber, Schuſter in eigener Perſon war; es galt noch das alte Wort „every man Jack of all trades.* Das ift theilweiſe bei und noch jo in den rein agrarijchen Gegenden. Noch 1861 kommen in

Die frühere Wirtbhichaft der Familie. 177

der Provinz Preußen auf 765 gewerbsmäßige Linnen- webjtühle 114 550, die in den Bauerhäufern ftehen und dort wefentlih mit für den eigenen Bebarf arbeiten. Hoffmann berichtet 1837, daß die Yanpbenölferung Preußens meijt das jelbjtgewebte jogenannte Wand, ein tuchartiges jtarfes wollenes Gewebe, zu Oberröden und Mänteln trägt. Noch jchlachtet in wielen Gegenden der Dauer zu Anfang des Winters jeine Kuh und ein oder zwei Schweine für den Winter, von dem eigenen Baden des Brotes gar nicht zu reden. Noch ſoll in Oberbaiern in manchen Dörfern, wenn ein Haus gebaut wird, bie ganze Gemeinde zufammen helfen. „Am mittleren Inn“ heißt e8 in der Bavaria! „bejteht noch die Sitte, daß die Bauern mit ihren Leuten unter Beihilfe weniger Handwerker die Häufer ſelbſt bauen; jogar die Ziegel zu den Mauern werden nicht jelten von den Landleuten jelbjt bereitet; alle Arbeiten der Handwerker, jelbjt der ZTiichler und Maler, werben auf der jogenannten „Stör“ bejorgt; der Bauherr liefert die Rohſtoffe, beföftigt Die Arbeiter und zahlt gewöhnlich noch einen Tagelohn.“ Noch ift e8 der Polizei nicht ganz gelungen, die Spinn- ſtuben Oberbaierns zu jchließen, wo die Frauen und Mädchen jpinnen, die Burſchen Späne jchneiden und allerhand Schnitzwerk fertigen.

So wie e8 auf dem Yande noch heute zugeht, jo und ähnlich ging es im ſtädtiſchen Bürger» oder Beamten- baufe noch vor 60, noch vor 30 Jahren zu. Wefjen Erinnerung zurüdveicht in das großelterliche Haus, Das

1) I, erfte Abtheilung S. 283.

Schmoller, Gedichte d. Kleingewerbe. 12

178 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

noch vor dem Anfang dieſes Jahrhunderts begründet wurde, der kann fich eine Vorſtellung davon machen, was wir meinen. Wem dieſe Erinnerung fehlt, der möge einen Blid in Kießelbach's veizende Skizze über die „rei Generationen“! werfen. Ich will nur mit einigen Worten an jene Zeit erinnern.

Die Spindel war noch immer das Symbol ver Hausfrau; jelbitgejponnenes Linnen zu tragen, war Ehre und Stolz; eine Heilfame Sitte war e8, daß in allen Kreifen die Jungfrau nicht für eigentlich berechtigt galt zur Ehe zu jchreiten, ehe fie die Ausſteuer aus jelbitgefponnenerteinwand beichaffen konnte. Dem Weber des Hauſes wurde das Garn überliefert, er hatte die Leinwand zu fertigen; für die Bleiche forgte wieder die Hausfrau. Aber nicht nur an Leinwand, auch an Tuch, ſelbſt an Leder hielt man eigene, jorgfältig bereitete oder gewählte Vorräthe; die Schränfe mußten wohlgefülft fein. Das Weißzeug, die Kleider, die Beichuhung ſelbſt wurden im Haufe gefertigt; der Schneider, der Schufter kam dazu als technijcher Gehülfe.

Auch Poljterwaaren und Betten entjtanden in ähn— licher Weile. Bon ſelbſt geichlachtetem Geflügel wurden die Federn durch eine Schaar eigens fich hiezu ver: miethender Weiber ausgelejen; das Roßhaar wurde jorg- fältig gereinigt; der Boljterarbeiter mehr als jeder andere mußte unter dem Auge der Hausfrau arbeiten, Damit die Füllung der Bettjtüde, der Matragen, der Sophas jicher mit dem gewählten Material und in der gewünfchten

1) Deutjche Bierteljahrsichrift 1860. 3tes Heft S. 1— 57.

Die frühere Wirthichaft der Familie. 179

Menge erfolgte. Bei Gründung der Haushaltung, wie bei Erweiterungen verjelben wurde der Zijchler beauftragt, dieſe bejtimmten Stühle und Zijche, Bettjtellen und Schränfe nach Maß und Vorſchrift zu fertigen. Alljähr— lich erjchien er wenigjtens einmal bei ber großen min- deſtens eine Woche dauernden Reinigung, um zu helfen, auszubejjern, aufzupoliren.

Diefer Neinigungszeit ähnlich an Unruhe und Mühſal war die große Wäjche, die alle zwei oder drei Monate gehalten wurde, welche wieder verſchiedene Ge— werbe bejchäftigte, von dem Kübler oder Böttcher, Der die Gefäße Herrichtete, und den Wajchfrauen, die am erjten Tag Morgens um 2 oder 3 Uhr in hellen Haufen vor das Haus rüdten, bis zu den Plättfrauen, die am letzten Tag die häusliche Ruheſtörung abſchloſſen.

Wichtiger als All das war die Thätigfeit für Küche und Keller. Das Gemüje, das Obſt zog man möglichft im eigenen Garten, man hatte jeinen Gärtner, ver an bejtimmten Tagen erichien, wie jeinen Nebmann oder MWeingärtner, der den eigenen Weinberg bejtellte, bie Nebengelände am Haufe aufband. Das Holz wurde in großen Klaftern gekauft; eine Reihe von Tagen arbeitete der Holzipalter mit jeinen Jungen und Gehülfen im Haufe. Die Hauptjorge der Hausfrau aber bezog fich auf die Winterporräthe, die man theils ſelbſt produ— zirte, theils einfaufte, bis Alles in Ordnung war, hatten aber mancherlei Handiverfer dabei zu thun. Zum Ein- Ichneiden und Einlegen des Sauerfrauts Fam eine bejon- dere Frau mit ihrer Maſchine, ven jelbitgefauften Weizen oder Roggen ließ man in der Mühle mahlen, das

12*

180 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Brot wurde ſelbſt gefertigt; wenn man feinen eigenen Badofen Hatte, wurden die Laibe in den Gemeinde— badofen oder in den Dfen des Bäckers gebracht und da fertig gebaden. Die Sorge für ven Keller und jeine Weinſchätze, die Sorge fir Inſtandhaltung der zabl- reichen Fäffer, die Beobachtung der Gährung des neuen Weins, die Nachfüllung der Fäſſer, in denen der alte Mein fich befand, das war dem Küfer anvertraut, der jede Woche einmal fam, die Kellferichlüffel erhielt und ein paar Stunden fich im Keller zu thun machte. Der Hauptfejttag aber war der des Schlachtens. Der Flei— ſcher mit jeinen Gejellen hatte ein oder mehrere Tage zu thun, bis die einzelnen Stüde in der richtig kompo— nirten Salzlauge lagen, bis die Würfte dutzend- und hundertweiſe im Nauche hingen.

Kam endlich noch Landwirthichaft Hinzu, hielt man Pferde, dann wurde auch der Sattler, der Stellmacher oder Wagner, der Schmied in ähnlicher Weije beichäftigt. Sie famen ins Haus, zu bejtimmten Zeiten oder berbei- gerufen, erhielten einen bejtimmten Tage- oder Stüdlohn, theilweije Averjaljummen fürs ganze Jahr, daneben meift auch Koft, Brot, jedenfalls einen Trunk Wein, Bier oder wenigitens Apfelmojt.

Das Handwerkszeug und einige Hülfsitoffe hatte der Meifter zu Kiefern, ſonſt brauchte er für dieſe Art der Geichäfte faum Vorräthe an Rohſtoffen zu halten, noch weniger an fertigen Waaren. Er hatte daneben wohl auch Vorräthe und Waaren zum Verkauf, aber jelten in ausgedehntem Maße; dazu fehlte der fichere Abfat, wie das Kapital. Die Hausfrau mußte alſo die Vorräthe

Die heutige Wirthſchaft der Familie. 181

halten. Waaren im Vorrath zu arbeiten, Möbel, Ge— räthichaften, Kleider, Schuhe auf Lager zu halten, war auch deswegen nicht jo leicht wie heute, weil mit dem mangelnden Berfehr die individuelle Liebhaberei, Die Eigenart jedes Individuums mehr im Vordergrund jtand, weil entjprechend dem geringern Wohlitand die Kaufenden oder Beſtellenden damals viel mehr als heute ausichließ- lich der Klaſſe angehörten, die Das nicht befiten will, was taujend Andere in gleicher Form haben.

Heute iſt Das Alles, beinahe Alles anders geworben in jeder halbwegs modernifirten Stadt. Vorräthe Hält man nicht mehr, Handlungen aller Art find ja in der Nähe, die Jahr aus Jahr ein bieten, was man braucht. Man fauft fertige Hemden, fertige Kleider und Schuhe, fertige Möbel, auf Flaſchen abgezogenen Wein; Brot und Fleiſch wird ins Haus gebracht, theilweije gar das Ejjen; die amerifanijche Sitte, welche auch für ganze Familien das Leben im Boardinghaufe, im Gaſt— hofe gejtattet, beginnt auch bet uns Nachahmer, Ber: theidiger zu finden. Im großen Etabliſſements läßt man wachen. Man bat in den größern Städten weder zum Halten der früheren VBorräthe, noch zur Vornahme aller jener früheren DBerrichtungen die Räume.

Der Laudator temporis acti fieht nur mit Weh- muth diefe Aenderungen. Und es iſt wahr, daß in der Art und Weije, wie früher die Wirthichaft einer Familie geführt wurde, viele Motive und Veranlafjungen zu einem georpneten Leben lagen. Vorſicht und Sparjamfeit por der Ehe, Umficht und Fleiß, Haushälteriicher Sinn und angeftvengte Thätigfeit in der Ehe hingen damit

182 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

zufammen. Aber jollten diefe moraliichen Eigenjchaften jo ausichlieglich mit einer einzigen Art äußerlichen Wirth- ichaftens verknüpft jein? Sollten die Menſchen nothwen- dig wichtige Eigenjchaften verlieren, wenn einige äußere Beranlafiungen zu Fleiß und Sparſamkeit nicht ſowohl ganz wegfallen, als andere Form gewinnen. Die Aende- rungen find Folgen wahrer technijcher Fortjchritte, und jomit muß man fich ihrer bebienen; immer muß es möglich bleiben, auch mit der neuen Art des Wirth- Ichaftens das Leben jo zu gejtalten, daß Die alten wirth- ichaftlichen Tugenden diejelben bleiben.

Und das wird jelbjt der eifrigjte Freund des Alten zugejteben, daß in ven höhern Streifen die Tugenden des Fleißes, ver Thätigfeit nicht verſchwunden find, daß fie nur eine andere Richtung erhalten haben. Es wurde früher für geringen Effekt viel geiftige und körperliche Arbeitskraft mit viel Geräufch und viel Unruhe ver: ſchwendet. Die Arbeitskraft der helfenden kleinen Meiſter war nicht ausgenutzt; mit Laufereien, mit Warten und Herumſchlendern wurde viel Zeit verſäumt. Die Leiſtun— gen nach techniſcher Seite konnten nur unvollkommen ſein. Eine beſſere Zeiteintheilung und Arbeitstheilung gibt jetzt beſſere Leiſtungen und Produkte mit geringerem Aufwand. Das Familienleben hat an Ruhe und an Möglichkeit geiſtiger und gemüthlicher Vertiefung gewonnen.

Weniger freilich wird man das von den untern Klaſſen ſagen können. Da hat die Leichtigkeit, Alles fertig im Laden zu kaufen, ſtatt es durch die Thätigkeit der Hausfrau entſtehen zu laſſen, bis jetzt moraliſch eher ungünſtig gewirkt. Indolenz, Unluſt zu weiblichen Ar—

Bergleich der alten und neuen Zeit. 183

beiten, jelbjt Ungejchiclichfeit zu baden und zu kochen einerjeitS, Frauenarbeit außer dem Haufe andererſeits find zujammenhängende traurige Beigaben der neuen Entwidlung. Aber auch bier find dieſe Folgen feine nothwendigen ; überdies iſt gerade in biejen Kreiſen, bejonders auf dem Lande, die alte Art der Wirthichafts- führung noch überwiegend und wird e8 noch lange bleiben.

Aber ich vergejfe, Daß ich Hier nicht von Den moraliichen Folgen diejer Aenderung für das Familien- leben, jondern von den Folgen für den Handwerferitand zu jprechen babe. Der Handwerfer war früher ein technijcher Arbeiter, thätig für eine Anzahl ihm perjönlich nahe jtehenver Tamilien. Jetzt Dagegen tritt das Ver— faufen fertiger Waaren immer mehr in Vordergrund; der Handwerker muß die Stoffe einfaufen, Yager halten, mit Vorräthen jpekuliven; dazu gehört Kapital, kauf— männiſche Bildung, eine höhere joziale Stellung. Eine viel Hleinere Zahl größerer Gejchäfte wird übernehmen, was früher eine größere Zahl einzelner technijcher Ar- beiter d. h. Heiner Meijter mit den Hausfrauen zujammen bejorgte.

Ich werde davon im folgenden Abjchnitt noch weiter zu jprechen haben; vorher ift es nöthig, noch von ber wichtigiten Vorbedingung der ganzen Umwandlung zu iprechen. AU das Erwähnte vollzieht fich Hauptjächlich in den großen Städten. Die veränderte Vertheilung der Bevölkerung iſt mit die wichtigfte Folge der neuen Ver: fehrsimittel.

Am EHarjten hat man die Wirkung der Eijenbahnen auf die Bevölferungsvertheilung in den Vereinigten

184 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

Staaten von Nordamerika vor fih, und zwar besiegen Flarer als irgend wo anders, weil bier die ganze Kultur erit mit den Eijenbahnen entjteht. Keine zahlreichen Dörfer und Marktfleden, feine kleinen überall zerjtreuten Städte, jondern einzelne Farmen und Rieſenſtädte, in denen fih Handel und Induſtrie fonzentriven, bie in wenigen Jahren um Hunberttaujende zunehmen, das ijt das Bild, das fich ung dort bietet.! Das riefige Anwachjen der Städte fpiegelt ſich am ficherften in den Boden - und Miethpreifen. „Eine Wohnung, welche in Leipzig, Dresden oder Berlin 100 Thaler fojten würde, fojtet in den beſſern Theilen von Newyork und Bofton 5— 800 Thlr. jährlich.” ? Auch der Aderboden fteht in der Nähe diefer Rieſenſtädte ja höher im Preiſe als in Europa. ?

Im alten Europa ift die Wirkung Yangjamer; bie beſtehenden Verhältniſſe ftammen aus einer andern Zeit, und fie bleiben zunächſt maßgebend. Wo ber Fleine Beſitz vorherricht, da exiftiren feit dem Mittelalter die großen Dörfer, die Kleinen Landſtädte. Bis zur Zeit der Eijenbahnen Hat der fteigende Verkehr in der Form der Poften und der Frachtfuhrwagen dieſe Heinen Ver:

1) Bergl. hauptſächlich Wiß, das Gejeß der Bevölkerung und bie Eijenbaßnen, eine volkswirthſchaftliche und ſtatiſtiſche Unterfuhung geführt auf dem Terrain ber Vereinigten Staaten von Nordamerika,

2) Douai, Land und Leute in der Union, Berlin, Janke 1864. ©. 224.

3) Pflaume, Einleitung zur Kenntniß der norbamerifani- Ichen Landwirthſchaft. Leipzig, Wigand 1866. ©. 57.

Die Vertheilung der Bevölferung in alter Zeit. 185

fehrsmittelpunfte noch begünftigt. Die Klagen aus dem vorigen Jahrhundert über den Verfall der Landſtädte find mehr auf die allgemeinen Urjachen gewerblichen Still- ſtands zurückzuführen; theilweije find- fie nur Ausdrücke egoiftifcher Unzufriedenheit darüber, daß aufgeflärte Regierungen einige Handwerker mehr auf dem Lande zulafien ; theilweife beruhen fie auf einem Irrthum. Sie beziehen fich auf Orte, die niemals größer waren, Orte, welche erſt in ver Zeit des Fleinftaatlichen Despotismus der Märkte und der unbejchränkten Aufnahme von Gewerbtreibenden wegen die Verleihung des Stadt: rechts an fie durchjetten, und die num gegenüber jtädttichen Begriffen und Anfprüchen doch zu Fein waren. Ein Rückgang der fleinen Städte als jolcher ift ficher im vorigen Jahrhundert nicht eingetreten. Die Fleinen Territorien Deutſchlands beförverten ebenfalls eine gleich- mäßige Vertheilung der Bevölkerung; da war eine Feine Reſidenz, dort eine Univerfität, da war Garnifon, dort eine Kriegs: und Domänenfammer, ein Oberlandes- gericht.

Dieje beſtehenden Verhältniſſe ändern fich nur ſchwer und langjam, aber immer find ſchon wejentliche Umbil- dungen eingetreten. Die volfswirthichaftlichen Aenderun— gen machen fich nach und nach umerbittlich geltend. In Bezug auf die gewerbliche Entwicklung möchte ich wor Allem an die Reſultate von Roſcher's Unterjuchung über den Standort der Induftrieziweige erinnern. ! Er führt aus, wie im Mittelalter, überhaupt in Zeiten geringen

1) Deutjche Bierteljahbrs- Schrift 1865. Heft 2. S. 139— 201.

186 Die Umgeftaltung von Produktion und Berkehr.

Verkehrs, in Zeiten, in welchen beinahe nur die Luxus— indujtrien jtärfer fich entwideln, die Gewerbe ven Markt- mittelpunft aufjuchen, da produziven, wo fie auch gleich verfaufen Können. Mit der Zeit, jo zeigt er weiter, wird das anders. Der Verkehr hat fich gehoben, ver Waarentransport ift jchon leichter; in den Hauptſtädten ift das Yeben und ber Boden jchon jehr theuer geworben; die Maſſeninduſtrien fangen an fich zu entwideln, fie bedürfen der jchweren Rohſtoffe, ver Erze, der Kohlen, jowie der zahlreichen Arbeiter. Die Induſtrie decentralifirt ſich, fie zieht dem Urjprungsort der Rohſtoffe, fie zieht der Waſſerkraft, dem billigen Arbeitslohn nad. Erſt mit der Vollendung der Eijenbahnen wird Das wieder anders. Die Lebensmittel können nun viel leichter aus weiter Verne zur Stadt geführt werben. Das Wachjen iſt möglich ohne Steigerung der Lebensmittelpreife und der Löhne; und nicht nur Fleiſch und Getreide, auch Kohlen, Eijen, Wolle, Baumwolle können jett billig Hunderte von Meilen weit ber bezogen werben. Der billige und leichte Kredit in den Städten, die Leichtigkeit des Abjates, die mannigfaltige Förderung durch perjün- liche Berührung und perjönliche Bekanntſchaft, die Hülfe ineinander greifender Induftrien, die größere Möglichkeit, Abfälle zu verwertben, die technijchen und Fünjtlerijchen Bildungsmittel der Großſtädte werden jet das Ent- ſcheidende.

Und wie die Induſtrie, ſo konzentrirt ſich auch der Handel; ein Mittelglied nach dem andern fällt aus, weil der Verkehr ſo viel leichter geworden iſt. Der Getreidehandel von Poſen und Breslau geht jetzt direkt

Die Anziehungskraft der Städte. 187

an den Rhein; er braucht die vermittelnden Handels: häufer in Mitteldeutſchland nicht mehr. Der große Holz handel von Süddeutſchland nach Holland ging früher durch mehrere Hände; der Holzhändler auf dem Schwarz: wald, in Heilbronn, in Mannheim verkaufte an den Kölner, ver Kölner an ven Holländer; jetzt kauft Der Commis voyageur des Holländers direkt in den Wäldern bei den Auktionen. Der Kolonialwaarenhandel hat ich wejentlich umgebildet; ver Eleinjte Krämer füngt an, direkt von dem Antwerpener und Hamburger Großhändler zu faufen, um die Spejen zweiter und dritter Hand zu erſparen. Weſtfäliſche Hütten laſſen die Provinz Preu— Gen bereiſen und führen ſelbſt die kleinſten Aufträge direkt aus.“ Die großen Pläte nehmen zu, die Heinen ab. Auf den großen Plägen ift jeder Käufer ficher, durch Feine Zufälligfeiten getrübte, durch lebendige Kon— kurrenz fejtgejtellte Stapelpreije zu erhalten; ver Bezug von den großen Plätzen wird durch die billigen Frachten auf weite Entfernungen erleichtert.

Und das find noch nicht Die einzigen Urjachen, welche heute immer größere Menſchenmengen nach den großen Städten ziehen. Soziale und fittliche, reſp. unfittliche Motive aller Art wirken da mit; Bildungs und Exzie- hungsintereffen, die Anziehung, welche die geiftig hoch- geipannte Atmojphäre jeder Großſtadt übt, das Intereſſe am Mittelpunkt von Politif und Yiteratur zu fein, dann wieder die Ausficht auf erlaubte und unerlaubte Genüfje

1) Sahresberichte der Handelsfammern des preuß. Staates für 1865. Beilage des Handelsarhivs S. 102.

188 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

aller Art, die Eitelfeit, welche dem Gejellen und Bauer: jungen, der in der Großjtadt diente, die Bedientenlivree mit ihren Reizen verführerijcher macht, als eine jelbjtän- dige Stellung auf dem Yande, auch die Hoffnung auf eine befjere Armenverpflegung, hauptſächlich aber ver Gedanke zahlloſer Halb und ganz verlorener Eriftenzen, dort in dem großen Getriebe irgend eine Chance zu finden, ehrlich oder mit Betrug und Schwindel in dem wechjelvollen Hazardipiel des großjtädtiichen Yebens einen Treffer zu ziehen, all das wirft zujammen. Wie einfache Zeiten einen Abjchen vor den engen Mauern der Stadt haben, jo jtürzen fich hoch- und überfultivirte in den Strudel des ſtädtiſchen Lebens. Im fpätern römischen Reich war das platte Yand verövet, Alles wollte an den Genüffen der Städte theilnehmen.

Ich brauche dieſe allgemeine Richtung unjerer Zeit nicht weiter zu jehildern; fie iſt Jedem befannt; es handelt fich hier wielmehr wieder, wie bei den obigen Tragen darum, feitzuftellen, wie weit fie bei ung in Deutjchland und jpeziell in Preußen bis jett fich durch— gejetst hat, in wie weit ihr andere Thatjachen, die ein- mal becentralifirte Induſtrie, die beftehende Bodenver: theilung, die Anhänglichkeit an die engere und engjte Heimat und manches Andere ‚bis jest das Gleichgewicht gehalten haben. !

1) Zu vergl. Dieterici, ftatift. Unterf. der Bevölkerung der Städte der Kurmark Brandenburg von 1736 1846, Mit- theilungen II, 265 277; Dieterici, über die Anzahl und Dichtigkeit der Bevölferung von Frankreich, England und Preußen m Allgemeinen und nad den einzelnen Landestheilen, ſowie über

Eu

Städtiſche und ländliche Bevölkerung. 189

Berechnet man zumächit die ganze jtädtiiche und Die ganze Ländliche Bevölkerung verjchievener Staaten nach den Ausweifen der amtlichen Statiftif, jo ift der Begriff der „ſtädtiſchen Bevölkerung“ ja nicht überall und nicht jederzeit gleich, aber ungefähr laſſen ſich die Zahlen doch vergleichen, wie e8 auch Wappäus, deſſen Rejultate ih anführe, gethan hat. In Preußen zählen befannt- lich bei den jtatijtiichen Aufnahmen diejenigen Orte als Städte, denen diejes Prädikat nach dem beftehenvden Ver- waltungsrecht zufömmt. Es waren jchon 1816-935 Orte, 1861 find e8 gerade 1000, won welchen etiva ®, über 1500, nur wenige unter 600 Einwohner haben. Die Auspehnung der Bezeihnung „Stadt“ auf eine Anzahl früher nicht jo bezeichneter Orte ift von feiner jo großen Bedeutung, daß nicht zeitlich Die verſchiedenen Zahlen verglichen werden Fünnten.

Die ſtädtiſche Bevölkerung betrug nach Wappäus in den beigefügten Jahren folgende Prozente der Gejammt-

bevölferung: in Großbritannien 1851 50,97 % in Preußen . . 1855 28,08 °/o in Sranfrid . . 1856 27,1 % in Belgien. . . 1856 26,08 %-

Mittheilungen VI, 142 205. Dieterici, über die Zunahme der Bevölkerung im preuß. Staate in Bezug auf die Vertheilung derjelben nad) Stadt und Land, aus den Abhandlungen der Ala- demie von 1857. Horn, bewölferungswiffenjchaftliche Studien aus Belgien 1854, ©. 47 —61; Wappäus, allg. Bevölferungs- ftatiftit 1861. II, 476— 546. Viebahn, Statiſtik des BZollver- eins IT, 138— 164. Schwabe, Statiftif des preußiichen Städte— weſens, in Hilvebrand’s Sahrbüchern, VII, ©. 1— 32.

190 Die Untgeftattung von Probuftion und Berfep,

Von Den engliihen Zuftänden it man auf dem Kontinent woch jehr weit entfernt. Im einzelnen kleineren Diſtrikten freilich zeigen fich fchon andere Verhältniffe. Es beträgt die ſtädtiſche Bevölkerung:

int Königreich Sahfen . . . 1855 35,9%,

Im Regierungsbezirk Düffeldorf! 1851 39, 9,

im Potsdam . 1851 53, %

im - Magdeburg 1851 35, %.

In dern andern Regierungsbezirken ſchwankt fie zwiſchen 9 (Sumbinnen) und 31, %, (Erfurt).

IH fo zunächſt gegenüber andern Ländern die An- häufung der Bevölkerung in den Städten immer noch eine mäßige, jo fommt Die weitere Frage: iſt das ein jtabiler Zuftand, oder beginnen auch bei ung die Ver— hältniſſe fich zu ändern?

Horn? fucht zu zeigen, daß man die Zunahme der ſtädtiſchen Bevölkerung in Preußen jehr übertreibe; er jagt, in den 19 Jahren von 1831 49 habe in Preu-

Ben dieſe ſtädtiſche Bevölkerung nur zugenommen von 27, % auf 28,,%,; das ſei feine wejentliche Aende— rung. Die hiervon etwas abweichenden Zahlen Legoyt’s ergeben für Preußen allerdings eine geringere Aende— rung als für Frankreich. Die Prozente der ftäbtifchen Bevölkerung waren nad) ihm:

1846 1851 1856 in Frankreich 24, 24 27,3 in Preußen. 26, 7 28,

1) Mittheilungen VI, 174. 2) Bevölferungswiffenfchaftliche Studien aus Belgien. S. 25.

Die preußiſche ſtädtiſche Bevölkerung. 191

Ob iſt Das auch für Preußen feine ganz unbedeutende Zwmabnne und wenn vollends 1858 die Städte 29,,, 1861 30,4, 1864 31,97 ! ausmachten, jo jieht man, daß der Aug nach Den Städten immer nicht jo Hein ift, daß er von 1831 - 51 vielleicht unbebeutend, dagegen 1851 - 64 jehr wirkſam auftritt. Und dabei ift nicht zu überjehen, daß in dem Gefammtourchichnitte ver Städte die vielen jtabilen ganz Fleinen Landſtädte jteden; ohne fie würde der ſtädtiſche Zuwachs beveutend größer fich darftellen. Das erklärt ja auch allein, daß nach den Berechnungen des amtlichen Jahrbuchs die geſammte Ländliche Bevölke— rung von 1816 bis 1858 micht viel weniger zunahm als die ftädtiiche, von 100: 167, während die jtäbtiiche von 100 :181 ſtieg.

Was nun aber das Verhältniß der verjchiedenen Städte unter fich betrifft, jo ift klar, daß Die Zeit bis gegen 1850 eine andere war, als die von 1850 bis 1869, und ebenjo unzweifelhaft ift, daß, -abgejehen von den Großſtädten, die Mitteljtädte von den Verkehrs— änderungen anders berührt werden, als Die’ ganz Heinen Ader- und Beamtenftädte. Vollſtändige Unterfuchungen, die dieſe Frage nad) allen Seiten bin abjchließend lösten, befigen wir leider nicht. Von den vorhandenen hebe ich die von Dieterici und Schwabe hervor.

Dieteric’8 Unterjuchung geht auf die Zeit von 1840 -55. Er jucht zu beweijen, daß in dieſer Zeit nicht bloß und nicht am meiften die großen, jonbern

3) Die Zahlen für 1858 und 61 nach Kolb, Ate Auil.,

S. 171, die für 1864 berechnet nach d. Zeitſchr des tar. Buratıs

1865. V. ©. 286.

192 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

auch die Mitteljtädte zugenommen haben; daß nicht bloß die hauptjtädtiiche Induftrie, jondern auch andere Ele- mente, Bergbau, ländliche Gewerbe, Yandwirthichaft am Wachsthum theilhaben.

Ich führe nur einige Zahlen an. Im Regierungs- bezirt Düfjeldorf find an mittleren Städten von 1840 -55 jtarf gewachien: Dülfen von 100 auf 157, Duisburg auf 165, Ejjen auf 203, Gladbach auf 157, Greven- broich auf 134, Hüdeswagen auf 296, Kaiferswerth auf 135, Langenberg auf 133, Mülheim an der Ruhr auf 133, Orjoy auf 133, Rheydt auf 153, Ruhrort auf 178, Solingen auf 154, Süchteln auf 169, Velbert auf 155, Vierſen auf 162. Achnliches zeigt fih in der Marf: Angermünde ftieg in derjelben Zeit (1840-55) von 100 auf 136, Bernau auf 141, Bie- jenthal auf 132, Brandenburg auf 134, Charlottenburg auf 144, Köpnif auf 132, Friefad auf 132, Kremmen auf 142, Lucdenwalde auf 141, Rhinow auf 151, Saarmund auf 158, Spandau auf 143, Werber auf 130, Wittenberge auf 201; das find meijt gegen oder über 3%, jährliche Zunahme. Von den großen Städten (über 30 000 Einw.) ftieg Breslau in derjelben Zeit von 100 auf 131, Köln auf 142, Königsberg auf 118, Magdeburg auf 129, Danzig auf 109, Aachen auf 123, Stettin auf 147, Krefeld auf 174, Barmen auf 134, Elberfeld auf 130, Pojen auf 128, Halle auf 126, Potsdam auf 120, Frankfurt auf 124; fie find alſo meist nicht jo ſtark gewachien, wie die Mitteljtäbte. Bon den jämmtlichen Fleinern Städten ift nur durch jchnittlich eine von 11 in diefer Zeit zurüdgegangen;

Die preußiichen Städte 1840 55. 193

in der Provinz Sachien z. B. nur Bitterfeld, Düben, Stolberg, Burg, Darbesheim, Hornburg, Kroppenjtebt, Dfterwied, Salzwedel, Wanzleben, Ellrich, Tennſtedt, Thamsbrück, Treffurt, alfo 14 von 138 Heinern Städten. Die ganze Zeit von 1840—55 hat noch mehr die Rich- tung auf Decentralijation der Induſtrie; noch ift Die Wirkung der Eifenbahnen Feine jo beherrſchende wie ſpäter.

Auch jpäter aber nehmen nicht alle Fleinen, noch weniger alle Mittelftädte ab. Auf diefe Zeit und auf die Wirkung der Eijenbahnen erjtredt ſich Schwabe's Unterfuhung. Er faßt feine Rejultate in folgenden drei Sätzen zujammen: „1) Unter den mittleren und fleinern Städten wirken die Eiſenbahnen bauptfächlich auf diejenigen, welche fich Durch einen vorherrichend gewerb- lichen oder induftriellen Charakter auszeichnen. 2) Der Vermehrung der übrigen mittleren und Heinen Städte entziehen die Eijenbahnen vielfach Terrain, namentlich wird die Bevölferungszunahme der. Heinen Städte fichtlich abgeſchwächt. 3) Bloß die großen Städte, fo zu jagen die Knotenpunkte des Verkehrs, nehmen durch die Eifen- bahnen zu.” Schwabe illuftrirt dieſe Behauptungen durch folgende Tabelle. Es betrug in Prozenten der gefammten

Bevölferung die Einwohnerzahl 1834 1864 der Städte von über 50 000 Einwohner . » 30 Tue = von 10001—50000 Einwohner . . . an Tas 5 e unter 10000 Einwohner . . . . 18,58 15,18

E - unter 10000 Einmw. u, des platten Landes 313 8406. Ich füge dieſen Zahlen die von mir gemachte Berech— nung? bei, wie fich die ganze ftädtiiche Bevölferung im

1) Berechnet nach den abjoluten Zahlen, Preußiiche Statiftik, die Ergebniffe der Volkszählung von 1864. Berlin 1867. ©. 284. Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 13

194 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Jahre 1864 auf die verjchievenen Größenflaffen ver: theilt. Bon den 5,,, in Städten lebenden Millionen Menſchen, welche jelbjt 31,0, %/, der ganzen Bevölferung ausmachen, kommen auf

die Städte unter . . 4000 Einwohner 24,54 Po

von 4— 10000 24,6 0 «= von 10— 40000 . 22.03 s = von 40 100 000 113 5 « über 100 000 RR

Beinahe die Hälfte der ſtädtiſchen Bevölkerung kommt alſo noch auf die kleinen Städte, welche bis 10000 Ein— wohner haben, ein Drittel beinahe freilich auf die großen und ganz großen Städte!

Die letzte Tabelle iſt geeignet, die Behauptungen Schwabe's nicht abzuſchwächen, aber doch ſie auf ihr richtiges Maß zurückführen. Eine große Aenderung iſt im Begriff ſich zu vollziehen, aber noch ſind die frühern beſtehenden Verhältniſſe dadurch nicht weſentlich umge— ſtaltet. Auch jetzt noch wachſen viele kleine Städte, auch jetzt noch nehmen viele Mittelſtädte ſtärker zu, als die ganz großen. Die Induſtrie iſt einmal in vielen Theilen Deutſchlands mehr decentraliſirt, und ſo erfolgt das weitere Wachsthum an den Punkten ver beſtehenden gewerblichen Thätigkeit. Im Königreich Sachſen haben viele der Weber- und Bergbaudörfer, der Vorſtadt- und Gärtnerdörfer bis in die neuefte Zeit jo jtarf zugenommen wie irgend eine Stadt.! Chemnitz nahm 1861— 64 um 18,5%, alſo jährlihd um 6%,, lau: hau in derjelben Zeit um 16,,; %,, Delsnig um

1) Zeitfchrift des ſächſiſchen ftatift. Bureaus 1865. ©. 64.

Die preußifhen und ſächſiſchen Städte 1864. 195

dns lo , alſo beide jährlich auch über 5%, zu. Berlin gott, während die ganze preußiſche Bevölkerung jähr- wo um 2/7, 1, % zunimmt, 1736 85 jährlih um %s8 lo, 1786—1802 jährlih um 1,,%,, 1802—46 um 2,95 /0 ! zugenommen, erjt in letter Zeit ftieg die Zunahme auf 3— 4%, ? jührlid. Das ift eine unge- heure Zunahme, aber immer ift fie noch nicht jo groß, als die der mittleren ſächſiſchen Induſtrieſtädte.

AL das ijt jehr wichtig für das Handwerf. Der

Zug nach den Großſtädten vernichtet das Feine Hand- werf; die entgegenftehende Erhaltung der fleinern und der Mittelftädte friftet Das Dafein des kleinern ein-

fachern Handwerksbetriebs.

1) Dieteriei Mittheilungen II, 272 77. 2) Engel, die Induftrie der großen Städte, im Berliner Gemeindekalender IT, 134.

13*

nn

2. Die neuere Art der Produftion.

Die verjchiedenen Arten des heutigen Handwerks. Das Klein- gewerbe im Dienfte der großen Induftrie. Die Reparatur- gewerbe. Das Ausarbeiten heutzutage. Der Charafter bes neuen jpezialifirten Handwerks und jeine Borausjegungen. Beijpiele deffelben. Webergang mander Handwerfe zur Haus- induftrie. Die Organifation der Hausinduftrie; die Berhältniffe, welche ihren Uebergang zur Fabrik wünſchenswerth machen; bie Verhältniſſe welche die Hausinduftrie erhalten. Das Genofjen- ſcha ftsweſen. Die Nürnberger Hausinbuftrie.

Die leisten Bemerkungen über die Zunahme auch der Heinern Städte deuteten jchon darauf hin, daß der Umſchwung im Handwerfsbetrieb immer bis jet nur ein partieller ift. Mancherlei Umbildungen find erjt in ihren Anfängen vorhanden ; fie werden für manche Verhältniffe, bejonders für das platte Land niemals erreichbar fein, weil eben bier die Bedürfniſſe, die Verfehrseinrichtungen andere find. Die Eigenart mancher Gewerbe und der von ihnen produzirten Waaren jchliegen theilweije vie modernen Veränderungen aus. Vorerſt aber möchte ich von diejen legtern Ausnahmen abjehen und verfuchen, die Aenderungen im Allgemeinen zu jchilvern. Ich will dabei die zwei Seiten alles Gejchäftslebeng, die Produftion und den DBertrieb der Waaren, in der Beiprechung aus-

Die verſchiedenen Arten des Handwerks, 197

einanderhalten; im Ganzen geht ja auch die reale Richtung des Gejchäftslebens auf eine Trennung beider Seiten, wenn auch einzelne Neubildungen, wie das Ma— gazinſyſtem, nicht jowohl eine vollftändige Trennung als eine andere Art der Verbindung von Produktion und Vertrieb beziweden.

Auch da übrigend, wo der Boden für moderne Ein- richtungen vollſtändig vorhanden ift, bleiben noch viele Handwerksgeſchäfte alter Art, ja es bilden fich gerade wieder durch die große Induſtrie Verhältniſſe, welche neben den neuern Gejchäften diefen und jenen Meiſter in alter Weiſe bejchäftigen.

Wie früher als technifche Gehülfen in den Familien, fo arbeiten jett noch viele Feine Meifter für große Unter: nehmungen. Auf großen Gütern iſt ein eigener Schmied, ein Stellmacher nothwendig; mancher Tijchler und Bött- cher Liefert ausjchließlich Kiften und Fäffer zur Verpadung in eine große Fabrif. Jedes größere induftrielle Etablij- jement bat jeine Schloffer =, jeine Reparaturwerkftätte. Mancher Buchbinder ift ausjchließlich für dieſe oder jene große VBerlagsfirma beichäftigt. Dazu fommen nicht bloß für die großen, ſondern ebenſo für die kleinen Gejchäfte und die Wirthichaften ver Familien die Reparaturgewerbe. Mancher Schloffer, Schmied, Stellmacher hat in ma— ſchinen- und inbuftriereichen Gegenden heute jo viel mit Reparaturen zu thun, als früher mit Neuanfertigungen. Wo jeder Junge von 10 Yahren eine Tafchenuhr trägt, wird ein Uhrmacher mit Reparaturen mehr verdienen, als mancher mit Uhrenanfertigung in einer Zeit, in welcher auf Tauſende von Menfchen erſt ein Uhrenbefiger Fam.

198 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

Kleine Gejchäfte diefer Art, die ihren Mann nähren, find auch bee noch möglich. Dagegen ift es meift nur ein Zeichen verarmter überzähliger Meifter, wenn heute wieder das Ausarbeiten in den Häufern der Kunden zunimmt, wenn 3. DB. im Regierungsbezirk Arnsberg 1855 57 noch Schneider, Schufter, Tiſchler und ähn- liche Handwerker bei jolchem „Ausarbeiten“ mit 3 Ser. täglich und freier Koft zufrieden find, 5 Sgr. ſchon als einen guten Verdienſt jchägen.! Dazu wird heute in der Kegel nur die Verarmung den Heinen Meijter bewegen. Unter Umftänven freilich, auf dem Yande, kann auch dieje Art des Gejchäfts noch ganz am Plate fein.

Meiſt aber verjchwindet fie; eine andere Art der Geichäftsführung iſt üblich geworden. Der tüchtige Meifter jucht auf Vorrath zu arbeiten, ſucht vor Allem einen mehr als lofalen Abfat; er verjucht alle technijchen Fortichritte zu benugen; er kauft einzelne Theile, vie andere Gejchäfte befjer liefern, von ihnen, beſchränkt fich mehr noch in der Anfertigung als im Verkauf auf bejtimmte Spezialitäten; den veränderten Bedürfniſſen dienend, vielfach ganz neue Artifel anfertigend, braucht er verſchiedene Arbeitskräfte, hat er nur zwei bis drei Arbeiter , jo gehören fie doch häufig verjchievenen früher getrennten Gewerben an.

Es iſtdamit fozial ein ganz anderer Stand von fleinen Unternehmern entjtanden, die nicht ſowohl Durch die Größe des Geichäfts und Kapitals als durch Die

1) Jakobi, das Berg-, Hütten» und Gewerbeweſen bes Regierungsbezirks Arnsberg. ©. 531.

Der moderne Handwerksbetrich. 199

Art des Betriebs vom alten Handwerk und zwar zu ihrem Bortheil fich unterſcheiden. Viele waren urjprüng- lich tüchtige Gefellen, oft einfache Arbeiter, manche find urjprünglich Kaufleute, alle nennen fich aber jett mit Vorliebe Fabrifanten, auch wenn fie nur einen einzigen oder zwei Arbeiter bejchäftigen. Ihre andere joziale Stellung beruht wejentlich mit auf ihren Kennt: nijjen und ihren Verbindungen. Es find Leute, die auf Fortbildungs-, auf Gewerbe= und polytechnijchen Schulen etwas gelernt haben, Yeute, die auf Reifen, auf Jahr— markts- und Mepbejuchen fich Bezugsquellen und Abjat verjchafft haben. Dieje perjönlichen und gejchäftlichen Verbindungen find in den großen Städten leichter zu eriverben, fie jind es oft am meilten, was dem unge- wandten Fleinen Manne in abgelegenern Orten fehlt. Immer gehört zu diefer Art von Gejchäften einiges Kapital, zu einzelnen jchon ein bedeutendes. Vielfach aber find es Gejchäfte, die im jehr verjchiedener Aus- dehnung betrieben werden fünnen. Techniſche Geſchicklich— feit und Marktkenntniß find meift wichtiger als ein großes Kapital. Sp wenig ich leugnen will, daß das große Kapital im manchen. Beziehungen durch die Gewalt jeiner Ueberlegenheit heute unberechtigte Gewinne macht, eine zu ungleiche Bermögensvertheilung noch ungleicher macht, jo darf man auf der andern Seite da, wo gerade nicht jowohl das Kapital als perjönliche Eigenjchaften den Ausichlag geben, das nicht vwerjchweigen. Unfähigfeit, fih in Neues zu finden, Unfähigfeit, ſich einer ganz regelmäßigen Thätigfeit zu unterwerfen, Unfähigfeit zu iparen, wenn ver Erwerb einmal flotter geht, niedrige

200 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr,

Leidenschaften, Trunk und Spiel, häusliche Mißverhält- niffe find in den tiefern jozialen Schichten häufiger, als in den höhern. Mag andere moraliiche Fäulniß in den höhern Schichten weit größer fein, für den wirth- ichaftlichen Erwerb ftehen fie höher, für den wirthichaft- lichen Erwerb neuerer Art fehlen gerade dem Hand— werfer oft die moralifchen Qualitäten, die Erziehung, wie Schulge-Deligich das auch immer und immer wieder betont.

Als Beweis, daß zu dieſer neuen Art des Hand- werfsbetrieb8 nicht ſowohl großes Kapital, als perjün- Yiche Eigenfchaften gehören, führe ich nur einige befannte Beilpiele an. |

Die Gerberei bat fich wejentlich umgebildet; es giebt große, aber auch noch mittlere und Eleinere gute Geichäfte. Die Yeververarbeitenden Gewerbe find jehr vielfältig geworden. Einzelne Gejchäfte fertigen nur Sattelgeug, andere nur Reiſezeug und Aehnliches. Hier: mit verwandt find eine Reihe von Buchbinderarbeiten, die zu jelbjtändigen Gejchäften geworden find: Die Anfer- tigung von Etuis, Futteralen, Mappen, Albums, Karten, Portefeuilles. Die Fabrikation von fünftlichen Blumen, von Papiermachewaaren, von Spielkarten, von Horn = und andern Dojen, von Kämmen, von Düten, Fir— nifjen, Schmieren, Wichſen Tiegt meiſt in der Hand fleiner, aber für größern Abjat arbeitender Gejchäfte. Bon den Klempnern jpezialifirt fich heute der eine auf Lampen, der andere auf Wagenlaternen, der dritte auf ladirte Waaren; auch im Hleinften Gejchäfte werden dabei die neuen Mafchinen, die Abfantmajchine, die Biege—

Die Specialifirung der Geichäfte. 201

majchine, die Rundſchneidemaſchine angewandt. Gejchäfte, welche eijerne Möbel Yiefern, haben einzelne Arbeiter in Berlin und in Frankfurt a/M. zu gleicher Zeit. Die Zuſammenſetzung, die lettte Ausjtattung erfolgt an irgend einem andern Orte. Aehnlich iſt e8 in vielen Branchen der Metallwaareninduftrie.

Die Tiſchlerei hat fich in die verſchiedenſten Zweige aufgelöst, da find die Hauptbranchen Bautijchlerei und Möbeltijchlerei; jede Branche Hat verjchievene Hülfs— gewerbe, welche einzelne Theile, Fourniere, Schniterei liefern. Aber jede hat in fich noch eine weiter gehende Arbeitstheilung. Es giebt Meifter, die nur Fenſter, die nur Thüren, nur Stüde zu Parfetböden fertigen. Thüren- drücker und dergleichen aus Horn verfertigen für ein weites Abjatgebiet zwei hiefige Drechslermeifter, jagt der Leipziger Handelskammerbericht von 1866. Einzelne Meifter Yegen fich nur auf Tiſche, andere auf Stühle, wieder andere auf Buffets. Verwandt mit Diefen ver- ſchiedenen Tijchlergefchäften, theilweiſe in den eigentlichen Holzhandel übergehend, find Gejchäfte, Die Radfelgen, Speichen, Stäbe, Mauerlatten, Eiſenbahnſchwellen, Tele- graphenjtangen Tiefen, ſolche welche Hauptjächlich Die Imprägnation der letztern bejorgen.

Der ftädtiiche Wagenbau, der Eijenbahnwagen- bau, das Tapezier- und Poljtergewerbe braucht eine Reihe von einzelnen Hülfsgewerben, welche die majjen- hafte Anfertigung einzelner Theile übernehmen.

1) Siehe 3. B. die Schilderung der Berliner Möbelinduftrie in den preuß. Handelgfammerberichten für 1866. ©. 281.

202 Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.

Die Organiſation ift in all diefen Branchen ſehr wechſelvoll und verſchieden. Es giebt Da meijt große geichloffene Etabliffements, aber eben fo oft Heine fich gegenjeitig in Die Hände arbeitende Gejchäfte. Beſon— ders wo größere perjönliche Gejchieflichfeit und Kunſt— fertigfeit gefordert wird, da blühen die feinen neben ven größeren Gejchäften,; die einen übernehmen das, bie andern jened. So in der Waffenfabrifation, in der Ver: fertigung von Beinwaaren, plattirten Waaren, Kupfer: waaren, Zinnapparaten, pharmazeutiichen Apparaten, chirurgiichen und muſikaliſchen Injtrumenten. In Silber: waarenartifeln haben Meifter und Fabrikanten in Berlin zujammen 1864 112 Werfftätten mit nur 475 Gehülfen oder Arbeitern! Der ftädtiiche Wagenbau wird in jehr verjchiedener Ausdehnung betrieben; nur im den ganz großen Städten hat er fich zu Geſchäften konzentrirt, welche die ganze umliegende Gegend verjehen. Ant wenigjten find die Nahrungs-, die Bau- und die perjön- lichen Gewerbe von der ganzen Umbildung ergriffen, fie bleiben ihrer Natur nach mehr lokal. Beinahe voll: jtändig dagegen zur Großinduftrie übergegangen ijt die Tapeten=, Hut-, Knopf», Schirm-, Stod-, Seifen— und Lichterfabrifation.

Wenn das Arbeiten für größeren und entfernteren Abſatz in den Vordergrund tritt, jo macht fich bald geltend, daß die Geſchäfte am beiten prosperiren, wo fie in größerer Zahl find, wo ſich Bachichulen für pas Gewerbe errichten lafjen, wo die Traditionen im Arbeiter:

1) Preußiſche Handelsfammerberichte für 1864. ©. 68.

Alte und neue Hausinduftrien. 203

ftand die gleiche Richtung haben, wo die Kinder ſchon mit den Handgriffen und technijchen Vortheilen vertraut werben. Für einzelne Gejchäftsbranchen ijt das nichts Neues; die jchwarzwälder Uhreninduftrie, die Bürften- binderei in der Pfalz, die Anfertigung mufifaliicher Injtrumente und verjchiedener Blechwaaren in den fächfi- ſchen Gebirgsgegenden, die Kleineifeninduftrie am Ahein und in Weitfalen, die Holzichniterei vieler Gebirgs- gegenven, die Strohmanufaktur, die Weberei aller Orten find Beifpiele dafür. „Neu ift es, daß fich für eine Reihe anderer Gewerbe, die früher nicht in diefer Kon— zentration vorkamen, diejelbe Tendenz zeigt. Die Ver- fertigung von Handichuhen, von Schuhen und Stiefeln, die DVerfertigung von fertigen Weißwaaren, Hemden, Hemdfragen, von fertigen Kleidern, die Korbflechteret, die Anfertigung von Spielwaaren, Gürtlerivaaren, Bein- waaren alle diefe Gewerbe find mehr und mehr zu Hausinduftrien in einzelnen Gegenden geworben.

Die gejchäftliche Organijation dieſer Hausinduftrien iſt jehr verſchieden, je nach dem erforderlichen Bildungs: grad, dem Verdienſt, den technijchen Hülfsmitteln, vie nothiwendig find. Je Höher nach allen dieſen Merk: malen eine Gejchäftsbranche jteht, deſto mehr werben die Fleinen Meijter jelbjtändige Unternehmer, Eigen— tbümer von Rohſtoff und Maſchinen jein, nur den Ver: fauf und etwa die legte Vollendung und Verpackung dem Berleger überlajien. Bei der Uhreninduftrie, bei manchen Produktionen von Metallwaaren übernimmt der einzelne Meifter nur die Anfertigung bejtimmter Theile ; da ift die Zufammenjegung und Adjuftirung der Waare

204 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

das Hauptgeichäft des Verleger. Je tiefer Bildungs: grad, Gejchieffichkeit und Verdienſt der betreffenden Ar- beiter fteht, deſto leichter kann der jchlimme Fall ein- treten, daß mit einem zu großen Angebot von Arbeits- fräften der Lohn gedrückt ift, der jelbjtändige Beſitz ver Arbeitsmittel aufhört, wie ber felbjtändige Einfauf des Nohmaterials, daß eine große Zahl verarmter Familien von wenigen Fabrifanten abhängig wird, in der Noth fich Durch betrügeriiche Waarenlieferung zu helfen jucht, zum verfommenen Proletariat herabſinkt.

Solche Zuftände find e8, wo ber Vebergang zur Arbeit in gefchloffenen Etabliffements nur eine Beſſerung enthält, den Arbeiter unter Aufficht und Kontrole ftellt, ihn in gejündere Räume fett, ihm von feiner Selbjtändigfeit nichts mehr nimmt, weil fie doch nicht mehr vorhanden ift.!

Außerdem iſt der Uebergang von der Hausinduftrie zum Fabrikbetrieb in großen Etabliffements dann ange— zeigt, wenn große Majchinen nöthig find, Die fich ver fleine Meifter nicht wohl halten fan. Die Mafchinen- weberei wird nur jchwer in die Hütte des Heinen Mannes einfehren. Die Hausinduftrie der Nagelſchmiede, der Bürftenbinder, theilweiſe auch der Stiderei gewährt ein zu elendes Auskommen, als daß man nicht ihr Aufhören, ihren Erjag durch Fabriken wünjchen müßte.

Abgejehen aber von ſolchen Fällen, kann fich bie Hausinduftrie, die jo viele moralifche und foziale Vor- züge hat, jehr gut Halten, und e8 geht viel zu weit,

1) Siehe die ausgezeichnete Heine Schrift von Dr. med.

Michaelis: Ueber den Einfluß einiger Gewerbezweige auf ben Gejundheitszuftand. Leipzig 1866.

Die mögliche Erhaltung der Hausinduftrie. 205

ihren Untergang allgemein zu prophezeihen. Für eine ganze Reihe von XThätigfeiten hat fie mit der Näh— majchine einen neuen Boden erhalten. Aus den jächfi- chen Gegenden der Stid-, Näh- und Konfeftionstwaaren- induftrie wird berichtet, daß zwar einerjeit8 die Zahl der Stickmaſchinen in den Fabrifen zunimmt und ein bisher noch der Handjtiderei gehöriges Gebiet fich zu eigen macht, daß Dagegen für alle Arbeit, in der die gewöhn— liche Nähmaschine ausreicht, die Hausinduftrie wieder zunimmt. Der Hauptabjag der Nähmaſchinen geht nicht an Fabriken, jondern an Familien, an fleine Gewerb- treibende. Die Nähmafchine, jagt der Bericht von Plauen für 1865, wird einestheils im Haufe des Arbeiters längere Zeit als in gejchloffenen Etabliffements und deſſen regelmäßigen Arbeitsitunden ausgebeutet und anverjeitS dort als eigener Beſitz des Arbeiter vor- fichtiger und pfleglicher behandelt. Der Arbeitgeber ift frei von eigener VBerantiwortlichfeit für Verderb und Ver- ichlechterung; die für Reparaturen erforberliche Zeit wird wejentlich abgekürzt. Manchfach Haben die Verleger oder Kaufleute den Arbeitern die Nähmafchine vorſchußweiſe angefchafft. Seine Abzüge am Lohn Yaffen fie ſukzeſſiv ins Eigenthum der arbeitenden Familie übergehen. Sicher ein erfreuliches Zeichen. Schon der eigene Beſitz eines folchen Kapitals, die Dadurch dem Arbeitgeber gegenüber erreichte Selbftändigfeit ift ein Gewinn.

Aber auch ſonſt jehen wir viele blühende Haus- induftrien noch heut zu Tage. Ihre Erhaltung gegen-

1) Preuß. Handelsarchiv Jahrg. 1867. I, ©. 278,

206 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

über dem Fabrikſyſtem hängt ab freilich in erjter Yinte von der Technik, von der Thatjache, ob für eine Pro- duktion ganz große Mafchinen nothiwendig werden, dann aber auc von der Geſchicklichkeit, der Nührigfeit, ven moralischen Eigenjchaften im Kreiſe der Heinen Meifter. Und Al das hinwiederum jteht im Zufammenhang mit der gejchäftlichen Organtjation, mit der Thätigfeit von Gemeinde und Staat für Schulen und gemeinjame Inſtitute,mit der Entwidelung des Genoſſenſchaftsweſens unter den Xeuten jelbjit. Oft hat nur das legtere den hausinduftriellen Betrieb, überhaupt die kleinern Ge— jchäfte gegenüber den Yabrifen erhalten. Beſonders ichwer iſt e8 häufig für ‚ven Heinen Meiſter guten und billigen Rohſtoff, Leder, Garn, Tuch und Aehnliches zu faufen. Es iſt nicht zu bejchreiben, wie ber Fleine Mann, der um jeden Preis Arbeit jucht, da von gewiljenlojen Händlern betrügerifch übertheuert, Durch abfichtlichen Xotterfredit in Abhängigkeit gebracht wird. Da wirfen die Kreditvereine, die Rohſtoffgenoſſenſchaften Wunder. Ebenjo wichtig freilich find die gemeinjamen Berfaufsmagazine und bejonders gemeinjame Wafler - oder Dampffräfte mit den entjprechenden Einrichtungen, gemeinjame Walfen und Appreturanjtalten für die Weber. Gemeinſame Unternehmungen der lettern Art find heut- zutage ſchon eher zu Stande zu bringen, auch iſt bei ihnen eine Intervention won Gemeinde und Staat weniger gefährlich als bei den eigentlichen Produktivaſſociationen. Da aber, wo für dieſe die moralifchen und gejchäftlichen Eigenjchaften bei den Kleinen Meiftern vorhanden find, liegt in ihnen ficher das bejte Mittel, das Handwerk

Das Genofjenichaftswejen. 207

zu retten, ihm einen Abjag im Großen zu verjchaffen, pen Fleinen Meiſter der Hausinduftrie zum Unternehmer zu erheben. Wo fie gelingen und wo fie mißlingen, da wiederholen fie die Lehre, daß meiſt perjünliche Eigen- ſchaften wichtiger find oder gleich wichtig, wie die Kapital- beichaffung. Uhrmacher, Tiſchler, Weber, Schneider, Schuhmacher, Buchdruder, Majchinenbauer, Stellmacher, Metallarbeiter und Klempner find es, die big jet auf dem Wege der Produftivafjociation fich zu helfen fuchten. Der Bericht! Schulze’8 für 1867 zählt bereits 36 folcher Unternehmungen auf und er umfaßt nicht alle, welche exiſtiren. Vieles ließe fich noch über diejes Thema Jagen. Da e8 aber jonjt jo vielfach beiprochen wird, jo bejchränfe ich mich darauf, nur im Allgemeinen noch einige DBei- jpiele der fich erhaltenden Hausinduftrie zu erwähnen. Die Korbflechterei it heute noch in manchen Ge— genden, wo auch für den Abjat im Großen gearbeitet wird, ganz Sache Heiner Meifter, z. B. in Frank- furt a. O., wo 30 hanbwerfsmäßige Gejchäfte einen ihwunghaften Abſatz an Zijchen, Stühlen, Blumen- ſtändern, Waſchkörben, Körben zum VBerpaden haben.?

1) Schulze Delitfch, Jahresbericht für 1867 Über Die auf Selbithülfe gegründeten deutichen Erwerbs - und Wirthichafts- genofjenichaften. Leipzig, Mayer 1868 S. 59. Der Bericht für 1865 ©. 13 enthält befonders lehrreiche Mittheilungen über bie zwei Produftivgenofjenjchaften der Berliner Chalesweber und ber Freiburger Uhrmacher. Die übrige Literatur iiber dieſen Gegenftand von Schulze, Huber und Anderen ift zu befannt, als daß fie hier Ipeciell angeführt zu werben brauchte.

2) Preußiſche Handelsfammerberichte für 1865. ©. 724.

208 Die Umgeftaltung von Produftion und Berkehr.

Dagegen ift 3. DB. die große bairiſche Korbflechterindu- ftrie in Oberfranken ! neuerdings mehr und mehr in die Hände großer Kapitalbefiger übergegangen. Die Korbflechter erhalten das Rohmaterial vom Fabrifanten entweder zum Kaufe oder gegen Abzug am Lohn, fie find ganz in jeinen Händen. Die eine wie die andere Geſchäftsform ift möglich; e8 handelt fich für die Fleinen Geſchäfte nur um eine richtige Organifation in Bezug des Rohſtoffs und Vermittlung des Abjates. In Berlin erijtirt jeit einigen Jahren mit Erfolg eine Genoſſenſchaft von Korbmachern zum gemeinjamen Bezug des Robftoffes. Die bedeutende Achatinpujtrie im Fürſtenthum Bir- fenfeld und im Regierungsbezirk Trier ? ift heute noch ganz Sache der Kleinen Achatjchleifmeijter, Bohrer, Gold— ſchmiede, Graveure, Tombakſchmiede. Man zählte

1866. 1867. Meifter und Prinzipale . 1297 1405 Sefellen und Commis,. . 466 510 Lehrlinge - - . . . - 278 307

Ein jchönes Bild fich erhaltender Hausinduftrie gewährt wor Allem die früher ſchon erwähnte Nürn- berger und Fürther Induftrie. Ich will nur Einiges nach der anziehenden Bejchreibung Dr. Beeg's anführen.?

Die Gegenftände der Fabrikation find Spielwaaren, Meflingwaaren und andere Metallwaaren, als Waagen, Gewichte, Schellen, Rollen, Hahnen, Zapfen, Feuer—

1) Bavaria III, erfte Abtheilung, 462 65.

2) Preußiſche Handelsfammerberichte fiir 1867. ©. 810.

3) In der Bavaria III, zweite Abtheilung, S. 1059 1079.

Die Nürnberger Hausinduftrie. 209

ſpritzen, phyſikaliſche Apparate, Nechenpfennige, Spiel— marken, Blattgold, Draht aller Art, Reißzeuge, Zirkel, Ahlen und Feilen, Ringe, Brochen, Haken, dann Kämme, Brillengläſer, Brillengeſtelle, optiſche Inſtrumente, Drechslerwaaren, Pfeifen, Zigarrenſpitzen, Papparbeiten, Buntpapier, Bilderbogen. Ein Lager Nürnberger Waaren zählt über 14000 Nummern, wobei die Größenver— ſchiedenheiten noch ungerechnet find. In dem Packlokal des Nürnberger Kaufmanns ftehen Kiſten, welche nach Madras und Hongfong beftimmt find, neben jolchen, die nach Newyork, Mexiko oder Südamerika gehen werden. Der Kumdige erfennt an dem Waarenmufter, an der Verpadung den Beftimmungsort: der Horn- famm mit diejen Verzierungen gehört nach Texas; diefe jchlanfen Hafen und Defen aus dünnem Draht finden nur in Südamerifa Käufer.

Die Produktion, jagt Beeg, geichieht in der Negel fabrifartig, aber doch zugleich handwerksmäßig, indem fich das Handwerk ebenfowohl für die einzelnen Artifel, ale fogar für manche Manipulationen in vielfacher Weiſe zergliedert hat. Die Werfftätten find daher jeltener in großen Fabrikpaläften, ſondern meiftens in ben Heinen Wohnungen der arbeitiamen Gewerbtreibenden. Eine Hanptftüge der Heinen Gejchäfte find die verſchie— denen Mühlen, bejonders die vom Magiſtrat 1854 ange faufte, umgebaute und hiefür eingerichtete Schwaben: mühle; e8 werben dort Lofale und Kraftbenugung an Gewerbtreibende wermiethet. Im der Schwabenmühle find 48 folcher Werkftätten; man zahlt für Boden— raum des Lokals 9 Kr., für die Benutzung einer ganzen

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 14

210 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Pferdefraft 300 FL, einer halben 160 Fl. einer Viertels- fraft 90 SL. jährlich. Erjt neuerdings haben auch Fabrik— befiger angefangen, ihre überjchüjfige Dampfkraft jo an fleine Leute zu vermiethen.

Die Heinen Produzenten vermitteln theilweife den Abſatz ſelbſt, befonders den in der Nähe, fie befuchen die Meſſen in Frankfurt a / M., Leipzig umd München. Mehr aber noch überlafjen fie den Vertrieb dem Nürnberger Kaufmann, deſſen Lager mit den meilten Nürnberger Waaren affortirt ift. Der Kaufmann empfängt die aus- wärtigen Aufträge und bejtellt nach denjelben die mannig- fachen Artifel bei den verſchiedenen Werfitätten gewöhn— lic) vermittelit Zettel mit bejtimmter Yieferzeit. Er ift aber nicht bloß Kommiſſionär; er verjorgt die Ge— werbsfeute gelegentlich mit neuen Muftern, hält häufig Lager, läßt Vieles auf Spekulation arbeiten, ſendet Reiſende aus. Die für ihn arbeitenden Gejchäfte find aber völlig unabhängig. Es darf ſo ſchließt Beeg ſeine Erzählung die glückliche Organiſation dieſer Induſtrie nicht überſehen werden, welche den unabhän— gigen bürgerlichen Handwerksſtand zur Produktion für den großen Welthandel herangebildet und die Gefahren des Entjtehens eines Proletariates auf ein Kleinſtes ermäßigt hat.

3. Das Berfaufsgeichäft des Kleinen Handwerfers.

Das Ladengeſchäft als Aushülfe, wenn die Produktion nicht geht. Die Schattenjeiten diefer Ladengefchäfte neben ihrer Nothwen- digkeit. Der ftarfe Zudrang zu ihnen und die Folgen für dieſe Geſchäfte. Der Wochenmarkt, foweit er von Handwerkern befucht wird. Der Jahrmarkts- und Meßverkehr früher und jett. Der traditionelle Verkehr auf denjelben und feine Ab— nahme. Nachweis diefer abnehmenden Bedeutung. Die Meffen. Die Jahrmärkte, zugleih abhängig won Geſetzgebung, Ber- waltung und Tofalen Nebeninterefien. Die Berbindung der Sahrmärkte mit Vieh- und Spezialmärkten, die eine ganz andere wirtbihaftliche Bedeutung haben. Statiftif der preußi- ſchen und ſächſiſchen Sahrmärkte.

Gehen wir nach dieſen Betrachtungen über die Aenderung in der Produktion auf die Aenderung im Bertrieb der produzirten Waaren über. Es handelt jich dabei um die feinen Detatlverfaufsgeichäfte, um ven Markt- und Meßverkehr vderjelben, dann um die grö- Beren Magazine, die in der Regel zugleich irgendwie an der Produftion betheiligt find, und um den Haufir- handel mit Handwerks» und andern Waaren.

Der Iofale Berfauf bleibt unentbehrlich, wenn bie Iofale Produktion auch aufhört. Mean will, man muß Läden aller Art in der Nähe Haben. Je unbedentender

14*

212 Die Umgeftaltung von Produltion und Verlehr.

Die eigentlich gewerbliche Thätigfeit des Handiverfers meift wurde, defto mehr trat das Yadengefchäft in den Vordergrund; man fing an, neben den eigenen fremde Produfte, zufammen pafjende und nicht zufammen pafjende Artifel zu führen, wenn man nur Etwas wenigjtens verdiente. Der Buchbinder handelt mit Dinte, Federn und Papier, der Klempner mit Petroleum, der Frijeur und der Bürjtenbinder mit Delen, Seifen, Parfümerien, alle werjuchen e8 mit Zigarren. Ein folcher Detailhandel war mit einzelnen Gewerben längjt verbunden. Geſetz— gebung und Theorie hatten fich jchon im vorigen Jahr: hundert viel damit bejchäftigt. Bergius meint,! das Handwerk verliere jett dadurch jo viel, daß der Meiſter int Yaden ftehe, daß ihm die Krämerei immer wichtiger werde; Die Arbeit gejchebe durch nicht beauffichtigte Ge— jellen und Yehrlinge, Krämerei und Handwerk jei nicht verträglich.

68 Tiegt in dieſem Vorwurf ficher ein Keim von Wahrheit; der Handwerfer mochte häufig jo viel an technijcher Gejchillichkeit verlieren, al8 er an faufmän- nijcher Gewanbtheit und Spekulationsfinn gewann. Aber gleichviel, war der Detailverfauf Bedürfniß, gewann man dabei, jo nahm er zu. Mochte der alte Zunft- meifter bedenklich den Kopf dazu jchütteln, mochten ein- zelne reaktionäre Geſetze, wie das hannöverſche? vom 15. Juni 1848, nochmals den Verſuch machen, dem

1) Bergius, Polizeimagazin (neue Auflage 1786) IV, 392 - 93; vergl. auch Möfer, Patriot. Phant. I, 21ff. II, 303. 2) Bening, zur Gewerbeorbnung. Hannover 1857. ©. 44.

Das Heine Ladengejchäft. 213

Handwerker zu verbieten, erfaufte Waaren im Yaben auszuftellen und Handel damit zu treiben; e8 war zu widerjinnig. Selbjt VBertheidiger der jonftigen alten Zunft: vorſchriften geftehen jetzt das wenigſtens, daß jeder Unter: jchied zwijchen Handwerker und Kaufmann aufhören müfje.! Das Bedürfniß war da. Wo volle Gewerbe: freiheit eintritt, da zeigt ſich als Hauptfolge Die ſtarke Zunahme diejer Heinen Läden, wie ich oben bei Betrach- tung der einzelnen Staaten mehrfach hervorhob.

So ſehr das aber mit dem wirklichen Bebürfnif des Iofalen Bedarfs zuſammenhängt, jo wenig läßt fich verfennen, daß dem Bedürfniß eine noch viel jtärfere Neigung der Anbietenden entgegenfommt. Der Hannd- veriche Handelsfammerbericht von 1867 bezeichnet es als eine förmliche Verivrung, daß das Handwerk, unfähig jeine Produktion zu vervollfommmen, fich jo ausjchließlich auf den bloßen Handel gelegt habe; es Habe da erſt recht die Macht des großen Kapitals fennen lernen müſſen, und jest erjt durch die vielen Mißerfolge Flug gemacht, werde es fich wieder mehr der Produktion zuwenden.?

Der ſtarke Zudrang iſt pſychologiſch leicht erklär— lich. Es iſt, wenn es gelingt von dem kleinen Laden zu leben, das bequemſte Geſchäft; ohne beſondern Fleiß, ohne Arbeit ſitzt der Mann hinter dem Ladentiſch, oft ſtundenlang Zigarren rauchend und Romane leſend. Liegt

1) Schübler, Gewerbefreiheit und Gewerbeordnung. Stutt- gart 1860. ©. 29. 2) Preußiſche Handelsfammerberichte für 1867. ©. 839.

214 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

der Laden gut, fo geht es Doch; liegt er jchlecht, jo fommt der Konfurs, ob er fich etwas mehr anjtrengt oder nicht. Sehr häufig aber kommt er; ich bin ficher, daß, wenn die Konfurslijten nach dieſer Richtung die Geſchäfte unterſchieden, ein jehr großer Theil der Konkurſe als aus folchen Verhältniſſen herrührend fich darjtellen würde. Die Handelskammerberichte bejtätigen das auch." ES find Diejelben Motive, die der Schanf - und Gaftwirtdichaft und dem Detailhandel mit Viktua— lien leicht zu viele und zweifelhafte Exiſtenzen zuführen; es find dieſelben piychologijchen Urjachen, die in dieſen Kreifen jo leicht zu Betrug und Fälſchung führen, zu jenen Mißbildungen des Detailverfehrs, welche die Kon: jumvereine nothwendig gemacht haben.

Gegen den Betrug kann eine jtrenge Polizei, gegen den zu jtarken Andrang auch zweifelhafter Perjönlich- feiten kann zunächit nur die freie Konkurrenz belfen; abmejjen läßt fi) das Bedürfniß zumal während ver jetzt ſich umbildenden Verhältniſſe nicht.

Aber jo viel iſt klar, daß gerade bei freieſter Kon— furrenz die zahlreichen Gejchäfte derart immer Fleine Gewinne machen werben. Nur wenige werben fich zu einem großftädtiichen Magazin emporjchwingen; vie andern werden um jo Feiner bleiben, werden unter Dem Niveau des alten Handwerks an Einfommen, wie aut ſozialer Stellung des Inhabers ftehen, werden Yeicht Der Gefahr des Banferott8, wie der Anwendung betrügerifcher

1) 3. B. Jahresberichte ver Handels- und Gewerbefammern in Wiirttemberg für das Jahr 1862. ©. 31.

Der Andrang zum Ladengefchäft. 215

Mittel verfallen, werben ven jchlechten Yotterfredit für- dern, weil fie nur jo ihre Kunden, die den ärmiten Volksklaſſen angehören, anziehen. Dennoch wäre jeder polizeiliche Eingriff da heutzutage nicht am Blake. Manchmal erhalten jolche Ladengeſchäfte dadurch ihre volle fittliche und wirthichaftliche Berechtigung, daß Frau und Kinder den Kram und Verkauf bejorgen, während ver Mann arbeitet, jet e8 im eigenen oder in einem fremden Geſchäfte. Nur indireft läßt fich der zu zahl: reichen Gründung jolcher Gejchäfte entgegenwirken, Durch Berbreitung technijcher Gejchieflichkeit, durch Erziehung des ganzen Volfes zur Arbeit, durch eine jolche volfswirth- Ichaftliche Entwicklung, welche alle tüchtigen Kräfte beſſer verwendet, fie überhebt, zu dieſem Nothbehelf zu greifen.

Neben dem Verkauf im Yaden jpielt der auf den Wochenmärften immer noch eine Rolle.

Der eigentliche Wochernnarktsverfehr zwar berührt das Handwerk nicht." Die Hauptjache auf dem Wochen: markt ift ja nach Bedürfniß, nach Herfommen und gejeß- lichen Bejtimmungen ver Kleinverkehr mit BViktualien, welche die ländlichen Produzenten, die Gemüjegärtner oder die Auffäufer, die Höfer zu Markte bringen. Daß auch

1) Zu vergl. iiber den Wochenmarkt: 3. ©. Hoffmann, die Befugniß zum Gewerbebetrieb, Berlin, Nicolai 1841. S. 328— 344. Auch über diefen Punkt find die Ausführungen Hoffe mann’ klaſſiſch; wenn auch theilweije nicht mehr ven heutigen Berhältniffen entjprechend, ftehen fie immer noch höher als Manches, was von abftraftem unbhiftoriichen Standpunkte die entgegengejetste Einfeitigfeit vertritt, wie 3. B. in dieſem Punkt der Artifel von Karl Scholz „der Wochenmarkt” in Faucher’s Vierteljahrsſchrift, XVII, ©. 25 —43

216 Die Umpgeftaltung von Produktion und Berkehr.

dieſer Biktualienhandel in ven großen Städten ſich um: bildet zu ſtehenden Verkaufshallen, großen Yadengejchäften, iſt eine Sache für fich, die uns hier nicht weiter bejchäftigt.

Je fleiner aber eine Stadt iſt, deſto mehr trifft man auf den Wochenmärkten noch Handwerkerprodufte daneben aufgejtellt. Die preußiſche Verwaltung läßt überall grobe Korbwaaren und Zöpferiwaaren ! zu. Da— neben bejtimmt die Gewerbeordnung von 1845 ($ 78), daß in jedem Regierungsbezirk nach Ortsgewohnheit und Bedürfniß weitere Artikel zum Wochenmarftöverfehr gerechnet werden fünnen. Im diefem Falle dürfen auch andere als Ortseinwohner fie auf den Markt bringen. Die Gewerbetreibenden des Ortes jelbjt dürfen natür- lich auf dem Markt zur Wochenmarftszeit alle Produkte, alle Handwerferwaaren verkaufen, wenn fie nach der Marktordnung eine Bude oder einen Stand haben, veip. bezahlen. Der Entwurf einer Gewerbeordnung des norddeutichen Bundes läßt e8 den Gemeinden offen, Die jen Rechtszujtand zu erhalten.” Die betreffenden Artikel fanden auch in der Berathung des Neichstages Feine wejentliche Beanjtandung. Es liegt auch fein Bedürfniß vor, die Beitimmungen zu ändern, 3. B. unbedingt alle fremden Handwerker auch mit Waaren, Die nicht Wochenmarktsartifel find, zuzulaffen. Denn nicht fremde Handwerfer, die durch Erklärung einer Waare als

1) Rönne, Gewerbepolizei II, 256.

2) Drudjahen des Reichstags I. Legislatur = Periode, Situngspericde 1869. Nr. 19 Entwurf 88 65—72. Motive ©.79. Im Geſetze jetzt $. 64, Abjak 2.

Der Wochenmarkt. 217

Wochenmarktsartifel erjt zugelaffen werben, ſondern vie jtädtifchen armen Handwerker jtellen das Hauptfontin- gent zu dem Berfauf von Handwerkswaaren auf dem Wochenmarkte.

Es iſt ein zeitraubendes, jchlechtes Gejchäft. Der tüchtige Handwerfsmann, der jeine Stunden, feinen Abſatz hat, läßt fich in feinem Laden, im feiner Werkſtatt auf- ſuchen. Es juchen fich mit dem Beziehen des Wochen- marftes die zu helfen, welche die Miethe für einen gut gelegenen Laden nicht erſchwingen können. Es iſt häufig das letzte Ausfunftsmittel; Deswegen kann gerade eine große Zahl dem Bankerott nahe ftehender Kleingewerbe den Andrang zum Wochenmarktsverfehr zunächit jteigern.

Auch der Jahrmarktsverkehr iſt zu einem großen Theil auf dieſes Niveau berabgejunfen.

Die Jahrmärkte und Meſſen hatten früher einen andern Sinn. Läden, Magazine mit reicher glänzenver Auswahl gab es nicht, nach den großen Städten fam man nicht. Man war dem Zunftmeifter des Drtes preisgegeben, der mancherlei Waaren gar nicht, andere nur unvollfommen hatte. Dem gegenüber jchufen Märkte und Meſſen Tage und Wochen freier Konkurrenz, eine örtliche und zeitliche SKonzentrirung von Angebot und Kachfrage. Der Konjument fand bier alle jeltenern Artikel, eine reiche Auswahl, billige Preiſe. Der Pro: duzent, der Handwerker fand bier allein die Gelegen- heit, jeinem Vorrathshandel Schwung zu geben. Die

1) 3. ©. Hoffmann, die Befugniß zum Gewerbebetrieb ©. 344 ff.

218 Die Umgeftaltung von Probuftion und Verkehr.

Bauern und Gutsbefiger ver ländlichen Dijtrifte, vie Hanptbejucher des Marktes, richteten ihre Einkäufe an Kleidern und Stoffen, Haus- und Wirthichaftsgeräth, an Spielwaaren für die Kinder ohnedieß gerne auf bejtimmte Tage und Zeiten, auf die, in welchen fie jelbjt verfauft hatten. Die traditionell fich anſchließenden Volksfeſte, Die Schauftellungen und Thierbuden, Die engliichen Reiter und die Seiltänzer lockten Menſchen und Käufer von fern und nahe an. Sp waren die Meſſen und Märkte, ehe die Zeit der Eifenbahnen Fam, ein wichtiges Glied unſers Verkehrslebens, wichtig nicht nur für Die Heinen und großen Händler, für den Abjatz von Fabrikwaaren, jondern vor Allem auch für einen großen Theil der Handwerksinduftrie.

Beſonders einzelne Gewerbetreibende, wie die Leb— füchler, die Heinen Weber, vor allen die Schuhmacher, dann auch die Verfertiger mancher Metallwaaren, die Gürtler, Injtrumentenmacher, Meſſerſchmiede lebten zu einem großen Theile vom Jahrmarktsbeſuch. 3. ©. Hoff: mann! meint 1839, die höhere Zahl der Schuhmacher gegenüber den Schneidern gehe wejentlich auf den viel- fach üblichen Jahrmarktsbeſuch der Schufter, der jo viel Zeit koſte, zurüd. Freilich fügt er jchon damals hinzu: „die Schuhmacher beziehen die Jahrmärkte in dem Maße mehr, worin ihr Gewerbebetrieb armjeliger wird.“

Das ift jedenfalls heute noch mehr der Tall als damals. Manche zwar brauchen die Märfte und Meſſen zugleich al8 Berührungspunfte mit Abnehmern und Liefe—

1) Die Bevölkerung des preußiſchen Staates ©. 120.

Die Jahrmärkte und Mefien früher und jett. 219

ranten, die fie nur jo ſehen, nur ſo kennen lernen. Aber abgeſehen hiervon, beginnt man einzuſehen, daß bei dem Jahrmarktsbeſuch nicht viel herauskommt. Der tüchtige Geſchäftsmann iſt ſparſamer mit ſeiner Zeit geworden; er widmet ſich ausſchließlich der Produktion oder dem ſtehenden Ladengeſchäft. Das Publikum findet beinahe überall auch ohne Märkte Alles, was es braucht. Immer weniger ſuchen tüchtige Handwerker ihre Erijtenz auf den Jahrmarkts- und Meßbeſuch zu gründen. Auch Hierdurch ift dem Heinen Handwerk eine Pofition entzogen, auf die es bisher theilweiſe geftüßt war. Und fie würde ihm längſt ſchon noch weiter entzogen ſein, wenn in diefem Verkehr mehr wirkliches Berjtändniß und Hares Intereffe Herrichten, wenn nicht traditionelle An⸗ fichten der Hausfrauen und Dienftboten, jowie der ganzen ländlichen Bevölferung, anerzogene und ſchwer ausrott- bare Irrthümer noch überwiegen würden.

Sp unzweifelhaft der Beginn Diejer veränderten Stellung der Meſſen und Jahrmärkte iſt, ſo ſchwer läßt er ſich ſtatiſtiſch oder durch anderweite ſichere Berichte nachweiſen.

Das große Meßzgeſchäft berührt unſere Unterjuchung nicht direkt; Doch jet beiläufig bemerft, daß much e8 beinahe überall in Rückgang ift. Das frühere Großmeßzgeſchäft beruhte auf Privilegien, auf Ermäßigung der ſonſt über⸗ mäßigen Zölle, Geleite, Stapel-, Wage- Pflaſtergelder. Für die Meſſen trat der Nachlaß ein, die Großhändler und Fabrikanten ſtrömten herbei, um, dieſer Gunſt ſich erfreuend, an den Handwerker und Detailhändler nach Pfund und Elle zu verkaufen. Seitdem dieſe Verkehrs⸗

220 Die Umgeftaltung von Produktion und Berkehr.

erjchwerungen zum großen Theil wegfielen, hat die Meſſe nicht mehr die alte Bedeutung. Seitdem überbieß Der Zelegraph, die Poſt und die Eiſenbahn zujammenwirken, um Angebot und Beitellung, Probe und Waare, Wechjel und Baarzahlung raſch, billig und ficher zu vermitteln, jeitdem Handelsgeſetz und rechtliche Ordnung überhaupt dem Handelsverkehr eine größere Solibität geben, bleibt die Meſſe nur nothwendig für Waaren wie 3. B. die Pelzwaaren, die nicht nach Probe zu verkaufen find, für Firmen, von denen man nicht gerne nach bloßer Probe kauft. Man will überhaupt manche Waare am Stücke jehen. Und das ift auch heute noch richtig, daß die große Auswahl und die Konfurrenz auf der Meſſe die Preije häufig noch erniedrigen. Für Yeipzig, deſſen Megßgeſchäft allein nicht pofitiv abgenommen hat, fommt noch Hinzu, daß fich bier das ganze Großmeßgeſchäft des Zollverein Fonzentrirt hat. Selbjt ver Großmeßver⸗ fehr Leipzig's aber, ver ja bejonters in Produften der Zollvereinsinduftrie immer noch bisher zunahm, iſt nicht jo gewachjen, wie der übrige Verkehr des ganzen Zoll: vereind. „Man könnte behaupten, daß der gefammte Meßverkehr Leipzig's trog jeiner quantitativen Steige: rung gegenüber dem &ejammtverfehr und ver Ge— jammtproduftion des Zollvereind eine relativ niedrigere Stellung einnimmt, als furz nach Gründung des Zoll-

1) Emminghaus, Mefjen und Märkte, Bierteljahrfchrift für Bolkswirtbichaft. XVII. ©. 65 ff., beionders ©. 78— 84. Leipzig's Handel und Meffen jeit Eintritt Sachſen's in den Zoll: verein, Zeitſchr. d. jächl. ftat. Bür. 1861. ©. 1— 16,

Die Jahrmärkte und Meffen früher und jekt. 221

vereins.“ Darüber aber find alle Kenner einig, daß nicht bloß in Folge des ſinkenden Großmeßgeſchäfts, jondern auch aus den andern angeführten Urjachen der Kleinverkauf von Handwerkswaaren auf dieſen Meſſen im Braunfchweig, in Frankfurt a/M., in Frankfurt a/D., in Leipzig nicht mehr Die alte Bedeu— tung bat.

In Bezug auf die eigentlichen Jahrmärkte iſt die Beurtheilung der abnehmenden Bedeutung dadurch ſchwie— rig, daß fie meift nicht bloß Märkte für Krammaaren und Handwerfsprodufte find, jondern fich verbinden mit Vieh- und andern Speialproduftenmärften. Dieſe letz— tere Marktart hat heute noch ihre volle Berechtigung. Woll-, Leder-, Flachs =, Vieh, Leinwandmärkte, Spezial- märfte, auf welchen 3. B. Zijchlerwaaren im Großen verfauft werden, ? find auch heute noch am Plat. Derartige Märkte bilden fich jogar täglich neue und erhalten jo theilweile mit den alten Krammarkt.

Außerdem kommt in Betracht, daß die Zahl ver Märkte nicht bloß von dem wirklichen wirtbichaftlichen Bedürfniß abhängt, von der Trage, ob in den jtehenven Läden die Waaren billiger und reeller zu kaufen find, auch nicht bloß von Gewohnheit und Einbildung, von der hergebrachten Neigung, ſich auf dem Jahrmarkt an- jehwindeln zu lafjen, jondern daneben vornehmlich von der Tendenz der Kommunalbebörden, durch Märkte den

1) Zeitſchrift d. füchl. ftat. Bür. 1861. ©. 14. 2) Bergl. Jahresberichte d. württ. Handelsfammern 1865 ©. 77. 1866 S.32—33. über die Stuttgarter Möbelmefen.

222 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Berfehr am Orte zu beleben. Diefe Tendenz jelbit ift wieder abhängig von den bejtehenden Gejeten und der bejtehenden Berwaltungspraris über Iahrmärfte Im Preußen gelten über die Jahrmärkte noch die Beitimmun- gen des Landrechtes, welche durch die Gewerbeordnung von 1845 nur näher beftimmt worden find.! Das Meß— und Mearktrecht wird vom Landesherrn ertheilt, in der Kegel nur an Städte Die Feſtſtellung der einzelnen Märkte erfolgt jährlich durch die Regierung im Einver- ſtändniß mit den betreffenden Ortsbehörden. Je mehr in früherer Zeit durch Die Regierungen und Grund- berrichaften Marktprivilegien ertheilt worden waren, nur um eine Cinnahmequelle zu Gunſten der berechtigten Ortſchaften zu Schaffen, um jo berechtigter evjcheint Die Absicht der preußiichen Verwaltung, die Zahl der Jahr— märfte wenigiteng einigermaßen zu beichränfen. Dieſe Tendenz zeigt ſich Har in den zahlreichen Rejfripten, welche Rönne mittheilt. Aber fie jcheint nicht recht zum Ziele zu gelangen. Im Pojen hatte man jchon 1805 umd 1817 die jümmtlichen Märkte auf dem platten Lande aufgehoben. ? Und doch heißt c8 noch 1830 in der

1) Rönne, Gewerbepolizei IT, 514. Staatsrecht, zweite Aufl. U, b, S. 376. Auch darin ändern der Entwurf der neuen Gewerbeordnung, ſowie die Beichlüffe des Neihstages nichts. Die Beftimmung der Gewerbeordnung 8.65 lautet: „Die Zahl, Zeit und Dauer der Mefjen, Jahr- und Wochenmärkte wird von der zuftändigen Berwaltungsbehörde feftgejegt. Den Martberedh- tigten fteht gegen eine folche Anordnung fein Widerfpruch zu.”

2) Herzog, die Entwicklung der gewerblichen Berhältnifie im Regierungsbezirk Pofen jeit 1815. Poſen 1867. ©. 65 ff.

Die Berwaltungspraris iiber Jahrmärkte. 223

Kabinetsordre vom 21. Auguft 1830, die Majorität des pojenjchen Yandtags jet mit den Staats- und Provinzial- behörden darin einverjtanden gewejen, daß die große Zahl der Jahrmärkte in dortiger Provinz auf die Sittlichfeit der Einwohner ebenfo nachtheilig wirfe als auf das Auf- fommen des dortigen"Verfehrs, und es follen daher in feiner Stadt jährlich mehr als vier Märkte gehalten werden.

In Sachjen hat das Gewerbegejeß vom 15. Oftober 1861 die Tendenz, die Jahrmärkte zu bejchränfen. Es jolfen von 1872 an in feinem Orte unter 10000 Ein- wohnern mehr als zwei, in feinem größern mehr als drei Jahrmärkte jährlich gehalten werden. „Man jcheint aber” jagt die Zeitjchrift des ftat. Bureaus ! „in den meijten Fällen diefe Zeit bis 1872 für den Fortbe- itand der alten Einrichtung voll ausnutzen zu wollen. Wenigſtens ijt bis jett, nachdem die Hälfte jener Frift verjtrichen ijt, erit an jehr wenigen Orten eine Reduktion eingetreten und bejteht noch ar jehr vielen Orten eine über das vom 1. Januar 1872 ab zuläffige Map hinausgehende Zahl von Jahrmärkten.“

Da überall die Intereffen der Wirthe, der Schau- und Vergnügungsluftigen, Nebenintereffen noch ſchlim— merer Art mit dem allgemeinen Iofalen Interejje zu- fammenfallen, die Märkte zu erhalten, jo iſt far, daß zunächit mehr ihre Bedeutung als ihre Zahl abnehmen muß. Immer aber zeigt eine nähere Betrachtung jelbjt

1) Sahrgang 1866. ©. 165.

224 Die Umgeftaltung von Produktion und Berkehr.

ver bloßen Zahl der Märkte, ! daß meine Behauptung im Allgemeimen richtig. tft.

Die Zahl der ſämmtlichen Jahr-, Vich- und Pro- Duftenmärfte war 1858 und 1867 folgende in Preußen:

In der Provinz 1858 1867 Preußen. . 1173 an 224 Orten; 1206 an 226Orten, Poſen. .. 587 - 15 608 14 Brandenburg 961 » 163 10358 - 167 « Pommern . 90 5385 - 0 » Schleſien. . 1043 = 160 - 1113 » 194 = Sadien . . 896 - 189 3895 - 188 - Weftfalen . 890 348 IT «32 * Rheinland . 1678 562 = 1671 » 595 +

Bejonders da die Vieh- und Produftenmärfte mit- begriffen find‘, iſt es begreiflich, daß im den öftlichen Provinzen noch eine Zunahme der Jahrmärkte jtattfindet. In den verfehrsarmen Streden des platten Yandes im Dften find fie heute noch am Pla, um Handiverfs- waaren, wie Fabrikreſte und Ladenhüter, die in ber Stadt nicht mehr gehen, die nicht mehr in der Mode find, aber ganz gut noch dem einfachen Bedürfniß ent- iprechen, abzufegen. Dagegen fehen wir, daß in Pont-

1) Mir ift an flatift. Nachweiſen nur befannt: Statiftifche Nachrichten über die Zahl der Jahrmärkte, weiche im Preußijchen Staate im Laufe des Jahres 1858 werben abgehalten werben, Mittheilungen des ftat. Bur. in Berlin XI. ©. 87 %. Der Marktverkehr, im Jahrbuch fir die amtliche Statiftif des Preuß. Staates I, 465, enthaltend ein Berzeichniß der Märkte von 1863. Die Jahr- und Biehmärkte im Königreich Sadien und in Preußen, Zeitjchrift d. ſächſ. ftatift. Bureaus 1866. S. 165 173. Märkte und Börjen, Königreich Württemberg 1863. ©. 651 54.

Die preußiichen Jahrmärkte. 225

mern, in Sachen und am Rhein die Zahl der Jahr— märfte fchon etwas, wenn auch wenig, abnimmt; in Pom— mern allerdings wohl nicht in Folge hochentwicelten Ver— fehrs, fondern eher in Folge eines gewiſſen Stillſtandes.

Nach dem Stande von 1858 war bie Bedeutung der preußiſchen Marftorte und Märkte folgende:

- Gin | Auf einen | uf 100 | Auf arktort arktort | Marftorte | 100 Märkte Provinzen: fommt auf | fommen fommen fommen

DMeilen | Einwohner Jahrmärkte Markttage

Rheinland. Or 5.308 29 | 130 MWeftfalen. - 1,06 4 389 256 112 Sachſen . - 2,44 9849 476 150 Poſen .. 30 9604 405 137 Brandenburg. 4,50 13 215 590 111 Schleſien .. 4,54 19 891 652 127 Preußen . . D,26 11771 524 132 Pommern . 6,41 14 322 601 | 114

Die dicht bevölkerte Rheinprovinz hat die meijten Marktorte der Fläche, Weitfalen der Benölferung nad). Ze mehr eine Provinz Marftorte Hat, deſto weniger bedarf fie der Märkte. An einem und demſelben Drte wurden durchichnittlich im Jahre in Weſtfalen am wenig- jten Märkte gehalten, nämlich 2'/;, in ben ‚öftlichen Provinzen noch 5— 6; die Jahrmärkte Haben aljo bier noch eine wiel größere Bedeutung. In der Rheinprovinz und Weſtfalen hat der Landbewohner durchſchnittlich bis zum nächſten Marktorte eine oder nicht einmal eine Meile zurückzulegen; er wird öfter, zu jeder Zeit in die Stadt kommen; damit tritt die Bedeutung des Jahrmarkts zurück. In Preußen und Pommern hat der Landbewohner 5— 6 Meilen bis zum Marktorte zurück—

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 15

2265 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

zulegen; da wird er viel jeltner fommen, aber wenn er fommt, viel zur faufen haben, und je weniger die Läden der Stabt bieten, deſto wichtiger wird ihm noch bie Konzentration des Angebots auf einem Markte fein. Schlefien hat im Verhältniß zur Bevölkerung die wenig- ſten Marftorte, erjt einen auf ungeführ 20000 Men— ichen, dafür aber an einem Marftort jährlich 6 7 Märkte. Die Dauer der Märkte (zwijchen 1, und 1,, Tage auf einen Markt) vermag ich nicht auf allgemeine Urjachen zurüczuführen; e8 jcheinen da mehr zufällige Momente zu walten.

Im Königreich Sachjen müßten nach dem Hohen Rulturgrad, nach der Dichtigfeit der Bevölkerung, nach) den zahlreichen Städten und Flecken mit Läden und Magazinen die Jahrmärkte entjchievden an Bedeutung und Zahl verlieren. Daß Dies auch bis auf einen gewifjen Grad der Fall ift, beweilen die Ausjprüche der Handelöfanmerberichte, wie 3. B. der Chemniter von 1863 jagt: „Auf den Jahrmärkten Hat fich das Groſſogeſchäft bis auf ein Minimum reduzirt; ebenjo ijt auch im Detailhandel für reelle Gejchäfte nur noch wenig zu erzielen, da durch den fich immer mehr ver- breitenden Handel in den Städten und auf dem Lande für die Befriedigung der Bedürfniſſe vollfommen gejorgt wird. Dagegen haben die ISahrmärkte jedenfalls ben großen Nachtheil, daß auf denſelben Tieverliche und un— ſolide Gefchäftsleute immer noch Gelegenheit finden, ihr

1) Zahresbericht der Hanbels- und Gewerbefammer in

Chemnig 1863. Chemnig, Fode 1864. ©. 10. Auch die dor— tigen Ausjprüche über das Meßgeſchäft find intereffant.

Die ſächſiſchen Jahrmärkte. 227

Spiel zu treiben und dem ſoliden Verkäufer das Ge— ſchäft zu erſchweren, wenn nicht unmöglich zu machen. Die Bedeutung der Jahrmärkte hat ſich überlebt. Die— ſelben untergraben die Solidität des Kleinhandels, erſchweren an einzelnen Orten die naturgemäße Ent widelung deſſelben und erzeugen und friften das Dafein eines handeltreibenden Proletariats. Die Verminderung und jchlieglich gänzliche Befeitigung der Jahrmärkte wird deshalb den veränderten fozialen Verhältniſſen der Sett- zeit entſprechen.“

Wir fahen jchon, daß dennoch die Gefammtzahl der fächfiichen Märkte zunächſt Feine Neigung zur Ab- nahme hat. Aber innerhalb der Gefammtzahl Yiegen wejentliche Aenderungen, indem die Vieh- und Produften-

märfte zu, die Krammärfte abnehmen. Es waren nämlich:!

gemischte Bieh- und Märkte

Krammärkte Märkte Produftenmärfte überh.

im Sahre 1856 373 141 207 721 - 1867 339 165 253 757.

Diefe Zahlen beftätigen ebenfall® die Richtung auf eine finfende Bedeutung der Krammärkte.

Wo und joweit die Jahrmärkte noch blühen, find die ausbietenden Verkäufer, wie auch der Chemnitzer Bericht andeutet, mehr reine Händler und Haufirer, als Handwerker, es find Leute, welche den Hanbels- vertrieb ausjchließlich treiben und deswegen wieder eher dazu pafjen, als die prodizirenden Handwerker, welche durd den Jahrmarktsbeſuch Zeit und Arbeitslujt verlieren.

2) Zeitfchrift des ſächſiſchen ftatiftiichen Bureaus für 1866. ©. 170.

15 *

4. Die Magazine und der Haufirhander.

Die ſädtiſchen Magazine, ihr Charakter, ihre Konkurrenz für

das Feine Handwerk. Ihre Schattenfeiten, Humbug und Be- trug. Daneben ihre volkswirthſchaftliche Berechtigung. Das verſchiedene Verhältnig der Magazine zur Probuftion, zu ben Arbeitern oder Heinen Meiftern. Die Uebelftände und ihre Erklärung. Die Wirkung der großen Magazine über das ganze Land. Die Wanderlager oder umberziehenden Magazine. Der DHaufirhandel. Die verfchiedenen Thätigfeiten, bie zu ibm gerechnet werden. Zur Geihichte befjelben. Die Haufirer Der ältern Zeit. Die Tendenz der Verwaltung, fie zu be- Tchränfen. Die von felbft erfolgende Abnahme bes alten Haufirhandels. Die Wendung der neueften Zeit auf Wieder- zunahme. Die Arten der Haufirer, welche wieber zunehmen. Die Berechtigung biefer Zunahme, neben ber theilmeije un— fittlichen und proletarifhen Zunahme. Württembergiſche Ber- hältniffe in dieſer Beziehung. Die Beftimmungen der Ge- werbeordnung des norddeutſchen Bundes.

Mie der tüchtige vorwärtsichreitende Handwerker den Bezug des Iahrmarkts aufgiebt, um Feine koſtbare Arbeitäzeit zu verlieren, fo weiß auch der Händler mit Handwerfspropuften, daß er beſſer fährt, wenn er jein Ladengeſchäft in der Stabt fo jteigern kann, daß es ihn ausichlieglich zu nähren, zu beichäftigen vermag.

Wir fprechen von einem Magazinſyſtem da, wo der faufmännifche Vertrieb den Schwerpunkt des Gejchäftes bildet. Der Bezug, die Anfertigung der Waaren ift

Der Charakter des ftäbtifchen Magazins. 229

mannigfach; Die Stellung des Unternehmers ebenjo: er it bald mur Kaufmann, bald Technifer, immer ein Dann etwas Höherer Bildung und fozialer Stellung. Größeres Kapital ift die Vorausfegung, große Vorräthe zuc Auswahl bilden die Grundlage des Gejchäfts. Eine vom Geiſt moderner Spekulation geleitete Reklame, glän- zende Ausſtattung, koloſſale Schaufenster, gewandtes Ein- gehen auf alle Bedürfniſſe des Publifums bilden vie Mittel anzuziehen und einen großen Abſatz zu erhalten.

Die Magazine bilden die Hauptflage des Kleinen Meijters, ihre Konkurrenz nimmt ihm die Arbeit und würde ihm Häufig noch gefährlicher werden, wenn das Magazin nicht meiſt Baarzahlung verlangte, während die Schneider und Schufter oft erft in einem Jahre, oft noch jpäter bezahlt werden und biejen ruinirenden Kredit nicht weigern können, da in der That ein großer Theil derer, die zu ihnen noch fommen, es nur thut, weil hergebrachter Maßen dieſer überlange Kredit im Verkehr mit dem fleinen Meeifter üblich ift.

Aber nicht bloß der Heine Meijter, auch mancher jolide Geſchäftsmann warnt bedenklich vor dem Magazin, und es unterliegt feinem Zweifel, das Magaziniyitem ijt jehr vielfach der eigentliche TZummelplag des modernen Schwindels und Humbugs, ja der eigentlichen Betrügerei. Der Großhandel ift reeller und oliver geworben, weil fich bei ihm in der Regel zwei Sachverjtändige gegen- über jtehen. Im Laden und Magazin ftehen fich meift ein Sachverftändiger und ein Laie, ein mit ben Fälſchungen, mit ver bejtimmten Waare überhaupt wenig oder gar nicht Vertrauter gegenüber.

230 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Der rechte Spekulant geht aus von dem Grundſatz: mundus vult decipi, ergo deeipiatur. Die glänzende Außenjeite der Produkte ift ihm die Hauptjache, viel weniger die Haltbarkeit, die Solivität. Doc darf man nicht vergeffen, daß die Waare, die er liefert, meijt fabrifmäßig hHergeftellt if. Sie kann nicht Die Voll- endung und Haltbarkeit haben, wie ein Produkt, Das nach Angabe des Beſtellers gearbeitet, in allem Detail von der Hand des Meijters ſelbſt geprüft it. Dit die Waare nur entiprechend billig, jo ift das fein Vorwurf gegen fie. Freilich geht oft Die Unſolidität viel weiter, wenn e8 auch nicht oft vorgelommen jein mag, daß Kleidermagazine geleimte ſtatt genähter Hoſen verkauften, die im Regen bedenkliche Reſultate geliefert haben jollen.

Aber nicht bloß Durch glänzend ausjehende Waare wirft der Spefulant, der jein Magazin in die Höhe treiben will. Alle erlaubten und unerlaubten Mittel der Täuſchung und der Reklame werden von gewiljen- loſen Menjchen in Szene gejegt; und, was das jchlimme ift, der eine kann nicht hinter dem andern zurückbleiben, jo häuft fih Täuſchung auf Täuſchung, Betrug auf Detrug.* Sind wir von amerikaniſchem, engliſchem

1) Ein ſehr interefjanter Beleg biefür ift der zunächſt auf englijche Verhältniſſe fich beziehende Artikel in der Westminster Review 1859, Vol. XV New Series ©. 357: „the morals of trade.“ Ein anderer nicht unwichtiger Beitrag findet fich in den „Hausblättern‘ für 1866, Heft 21 ©. 227: zur Gefchichte der Reklame, eine Eulturhiftoriihe Skizze von Hugo Schramm. Ferner: The humbugs of the world, by P. T. Barnum. London, Hotten 1865.

Die Schattenfeiten der Magazine. 231

und franzöfiichem Humbug noch weit entfernt, jo find dieſe Dinge bei uns doch auch ſchon jo entwidelt wie irgend wiünjchenswerth. ‘Der gewandte Rechtsanwalt und Handelsrichter weiß davon zu erzählen. Wie manchmal iſt der Tall jchon Durch ärgerliche Prozeſſe, die unter den Helfershelfern ausbrechen, ans Licht gekom— men, daß der jpottbillige Verkauf guter Kleider in dieſem und jenem Magazin darauf berubte, daß der Inhaber für 2000 Thaler einen Zuchvorrath faufte und baar bezahlte, der 4000— 5000 Thaler werth war. Der Verkäufer des Vorraths jteht vor dem Bankerott und will noch etwas auf die Seite fchaffen. Er verkauft, betrügt feine Gläubiger; Käufer und Verkäufer verpflichten fich zu jehweigen; in den Büchern wird die Sache irgend- wie vertujcht, und Niemand erfährt etwas, wenn bie jaubern Gejchäftsfreunde nicht Händel befommen. Andere Magazine helfen fich wenigjtens dadurch, daß fie feine andern Waaren als Stonfurswaaren faufen. Und in bewegter Spekulationgzeit machen ficher immer jo viele Magazine Banferott, daß aus ihren Zwangsauftionen billig zu kaufen ift.

Ich will nicht behaupten, daß auch nur die Hälfte, auch nur ein Drittheil unjerer deutſchen Magazine an jolchen Unlauterfeiten theilnehmen; aber immer wäre das Bild des Magazinſyſtems einjeitig, wenn man bieje Auswüchle nicht erwähnte. Sie find um jo mehr zu erwähnen, als Polizei. und öffentliche Meinung bei uns weniger al8 in entwideltern Ländern dieſe Dinge ver- pönen, verfolgen, überhaupt fennen; um jo mehr zu betonen, als doch troß aller dieſer möglichen Uebelſtände

232 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr.

zuzugeben ift, daß das Magazinſyſtem heute eine volfs- wirthichaftliche Nothwendigkeit ift.

Der bejte Beweis biefür iſt, daß fie troß aller Klagen über jchlechte Waaren ein immer größeres Publi- fum finden, immer mehr zunehmen. Und das hat ein- fache volfswirthichaftliche Urjachen. Die Arbeitstheilung zwijchen Produktion und Vertrieb ermöglicht beſſere Pro- duftion und beſſern Vertrieb. Die Magazine ent: iprechen bem heutigen Stande der Kapitalanfammlung, ver Technif, der Gejchäftsorganijation. Die Magazine haben Kapital und Kredit, die Konjunfturen zu benutzen, fie bilden, wo fie nicht jelbjt produziven, für die Kabrifen oder Heinen Produzenten fichere, zahlungsfähige Abneh- mer; fie faufen, wenn fie jelbjt produziren laſſen, die Roh- und Hülfsftoffe billig im Großen ein. Sie liefern billigere Waaren als früher, fie bieten dem Publikum die große Auswahl zwijchen fertigen Produften, die es wünjcht. Die Waarenvorräthe, welche fie halten, können als eine Art Rejervefonds für das ganze Volk betrachtet werden. Sind nur die Verhältniffe richtig geordnet, fo werden Preife und Betrieb durch die Magazine eher gleihmäßiger, Krijen jeltener. Das Magazin hält eine Mißgunſt der Konjunktur eher aus, als ver Heine Meifter; es wird auf Vorrath arbeiten lajjen, gerade wenn die Löhne gedrüdt find.

Das Verhältniß der Magazine zu den Arbeitern ift jehr verjchieven. Einzelne haben eigene Arbeits- räume, wo fie Arbeiter und Arbeiterinnen bejchäftigen ; fie find ganz auf dem Fuß einer Yabrif eingerichtet ; der Arbeiter bier unterjcheivet fi nur darin vom

Das Berhältniß der Magazine zur Produktion. 233

gewöhnlichen Fabrifarbeiter, daß er ein gelernter Hand- werfer ijt, dem entiprechend eine andere Stellung und andern Lohn beanjprucht.

Andere Magazine find ganz oder fat ausjchlieglich auf Einkauf fertiger Produkte, fertiger Lederwaaren, fertiger Kleider eingerichtet. Sie beziehen diefelben von Fabriken oder von verſchiedenen Hanpwerksgejchäften, welche jelb- jtändig die Rohitoffe einkaufen und verarbeiten, welche fich ausſchließlich auf einzelne Spezialitäten, 3. B. auf die ausichließliche Anfertigung von Damenmänteln werfen. Solche Handwerker arbeiten dann für eine Reihe von Magazinen, oft für Magazine an verjchiedenen Orten. Ihre Geichäfte vervollkommnen fich technijch, find durch ihren Abjag an verſchiedene Magazine unabhängig; fie machen häufig gute Geſchäfte; es ift Fein allzugroßes Kapital zum Beginne nöthig. In dieſer Weife hat fich in Thüringen und ganz Mittelveutfchland vielfach Die Schuhmacherei gejtaltet. Die kleinen Meifter Faufen jelbjt das Leder bejonders da, wo Rohjtoffgenoffen- ichaften ihnen das erleichtern und verfaufen die fer- tige Waare an die Magazine.

Häufig aber beichäftigen die Magazine die Fleinen Meifter und Arbeiter jo, daß fie den Rohſtoff Kiefern, den Arbeiter in feiner eignen Wohnung arbeiten laſſen, ihm nur die Arbeit bezahlen. Von jolchen Verhält— niſſen hauptjächlich geht die vielfach verbreitete Meinung aus, als ob das Magazinſyſtem an fich identisch jet mit Lohnherabdrückung, mit blutiger Ausfaugung des Arbeiter: jtandes. Diefe Meinung irrt in ihrer Allgemeinheit ſchon deshalb, weil das Magaziniyitem ganz verjchiedene

234 Die Umgeftaltung von Produktion und Berkehr.

gejchäftliche Organifationen zuläßt, die gerade die Be— ziehungen zwilchen dem Arbeiter und dem Magazin ganz verjchieden gejtalten.

Nur jo viel läßt ſich im Allgemeinen jagen, daß dem Magazininhaber meift der Vertrieb, der Verkauf die Hauptjache it, daß ihm die Probuftion erjt in zweiter Linie jteht, daß er alſo Deswegen weniger In— terejje an jeinen Arbeitern bat, als der eigentliche Fa— brifant und als der Verleger der Hausinduftrie, deren eigenes Gedeihen mit dem Wohle der Arbeiter näher zufammenhängt.

Ein Theil der Mißbräuche in diefen Gejchäfts- verhältniſſen hängt mit diefem Umjtande zuſammen; ber größere Theil aber hat andere Urjachen, liegt in ber allgemeinen Krifis der Handwerfsinduftrie, in dem zu großen Angebot von Arbeitskräften, beſonders in jolchen Gewerben, die leicht zu erlernen find, in denen der Zu— drang groß iſt, weil fie bisher ohne bedeutendes Kapital leicht die Gründung eines eignen Gejchäfts erlaubten. Auch die früher mangelnde Freizügigkeit, die Schwer: fülligfeit in Weberfievelungen bat viel mitgewirkt; bie Eifenbahnen haben die Schwerpunkte des gewerblichen Lebens total verrüdt; an einem Drte ift der größte- Arbeitermangel, am andern haben die Leute nichts mehr zu thun.

Wo jo das Angebot an Arbeitern überwog, wo zahlreiche Kleine Meeifter unbejchäftigt waren, da haben die Magazine arbeiten laſſen. Sicher haben fie vie Unfenntnig und die Noth der armen Yente oftmals blutig und entjeglich ausgenutt. Aber meiſt geſchah es

Das Arbeiten für die Magazine. 235

da, wo ohne die Magazine die Arbeiter gar Feine Arbeit gefunden hätten, die Noth aljo noch größer geweſen wäre. Oft auch Haben ſich die Schuhmacher und Schneider, welche für Magazine arbeiten, jelbjt dadurch gejchadet, daß fie das Magazin im Stiche Ließen, wenn diejes ihre Arbeit am nothwendigjten brauchte. Sie halten es häufig noch für eine Schande, für „die Juden‘ zu arbeiten, fie wollen eine eigene Kundſchaft erwerben und löſen, fobald in einem günjtigen Gejchäftsjahr die Nach- frage jteigt, ihren Zujammenhang mit dem Magazin. Kun kommt wieder eine Gejchäftsjtille; der Verfuch, ein eigenes Gejchäft zu gründen, zeigt fich als mißlungen ; die Erjparniffe find verbraucht. Der Magazininhaber wie der Meifter find gegenjeitig erbittert; jeder jchiebt den flauen Abjag dem andern in die Schuhe. Und jest gerade muß der Eleine Meiſter um jeden Preis Arbeit juchen !

So kann das Verhältniß jein, jo muß es nicht fein. Hat ſich nach Umwandlung der Verhältniffe die Zahl der Arbeitenden in ein richtiges Verhältniß zur Nachfrage geftellt, it die Lage der Leute eine behag— lichere, beſſere, befigen fie wenigjtens das nothwendige Handwerkszeug jelbit, find fie nicht durch Vorſchüſſe von einzelnen großen Unternehmern abhängig, jo ift ihre Lage nicht jchlimm. Es fehlt ihnen die alte Selbftän- digfeit des Handwerks, es fehlt ihnen die Möglichkeit, am Unternehmergewinn theilzunehmen; aber fie haben ihr gefichertes Verdienſt, und wenn fie jehr gejchieft find, wenn jie etwas eriparen, können fie immer in die Reihe ver Unternehmer jelbjt wieder eintreten,

236 Die Umgeftaltung bon Produktion und Berfehr.

Die Wirkung der ftädtifchen Magazine beſchränkt fich nicht auf die Städte; die ganze Umgegend der Stadt fängt an, bei ihnen zu faufen; der jchöne Laden beginnt auch dem Bauern zu imponiren, der ftaunend vor den gro- Ben Spiegelfenftern und ihrer Schauftellung ftehen bleibt. Die Eitelfeit jpielt mit: mancher will hinter der Move nicht zurückbleiben , die neuejte Mode, die neueſte Fagon findet man in den großen jchönen Läden. Die Eijenbahn erleichtert den Bejuch jelbjt für ven ferner Wohnenden. Wie der Bauer gern in die Stadt, jo geht ver Be- wohner des Stäbtchens gerne auf einen Tag in die Hauptjtadt der Provinz; der wohlhabende Bewohner der Provinzialhauptitadt aber würde es unter feiner Würde finden, wenn er nicht Möbel und Kleiver von Berlin bezöge; die vornehme Berlinerin Hat ihre Putmacherin in Paris, nur dort fann fie die neuen ſeidenen Roben einfaufen und erträglich machen laffen. Berliner Möbel find nächjtens in den Magazinen aller deutjchen Städte ; es ift daſſelbe Holz, dieſelbe Arbeit, diejelben Modelle ; aber der „Gebildete“ reist doch nach Berlin, um dort einzufaufen, und jicher findet er auch da eine noch) größere Auswahl, die jchönjten Stüde, die billigjten Engros- Breife, oftmals freilih auch noch mehr Täuschung und Betrug, als zu Haufe.

Aber auch für Denjenigen, der nicht Die Reifen nad) der Provinzial oder Landeshauptſtadt machen kann, hat die wachſende Spefulation Gelegenheit gejchaffen, die Magazinwaaren zu faufen, durch die wandernden Maga- zine, welche den Uebergang zu dem eigentlichen Haufir- handel bilden.

Die Wanderlager. 237

Man wird diefen Wandermagazinen nicht voll jtändig die volfswirthichaftliche Berechtigung abjprechen dürfen. Wenn an einem Orte ein Gejchäft nicht das ganze Jahr zu thun findet, jo kann ver Wechjel des Ortes von Monat zu Monat am Plate fein. Die Funktion, neue Bedürfniffe in abgelegenen Orten zu wecen, iſt ebenfalls eine berechtigte, wenn fie nicht zu weit gebt.

Auf der andern Seite aber ijt ebenſo unzweifelhaft, daß ſolche Wandermagazine mehr als jeder andere Ge- werbebetrieb e8 auf Täuſchung des Publitums, auf Umgebung der Gewerbejteuer anlegen. Die Reklame, das Aushängeſchild des Ausverfaufs, die verführerijche Form der Auftionen muß helfen einen jchnellen Abjak zu bewerfitelligen, und bis die Käufer den Schaden merfeni, iſt das Magazin längft an einem andern Orte. Was ich oben von den Schattenfjeiten der ftehenden Magazine jagte, gilt doppelt und dreifach von ben wandernden.

Die großen Klagen in Württemberg über der— artige Wandermagazine erwähnte ich ſchon oben. Seit die Gewerbeſteuer dieſer Art von Geſchäften geregelt iſt (1865), hat aber das wandernde Ausbieten von ganzen Waarenlagern in Wirths- und Privat- häufern wieder iwejentlich abgenommen. Das neue Bairifche Gewerbegeje hat troß jeiner jonft durchaus liberalen Richtung die Beitimmung, daß die jogenannten Wanderlager von der ortSpolizeilichen Bewilligung ab-

1) Württ. Handelsfammerberichte für 1865. ©. 119,

238 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

hängen und einer bejondern Abgabe für die Gemeinde— faffe des betreffenden Drtes unterliegen. Der große Erguß von Berliner Spekulanten über Thüringen und ganz Meittelveutichland in der Form von Wanderlagern, über den jett allerwärts geklagt ift, feheint auch mit einer mangelhaften Regelung ver Steuerverhältniffe zu- jammenzubängen; vielfach find natürlich die Klagen über- trieben, fie zeigen theilweife nur, daß Konkurrenz fommt, und daß fie ungefchieten Meeiftern und uncoulanten fenntnißlofen Heinen Händlern unbequem iſt. Wandernde wie jtehende Magazine, welche Fabrifwaaren verkaufen, hätten ja überhaupt unendlich weniger zu thun, wenn die Kunden bei den Heinen Meijtern etwas beſſere und funftgerechtere Brodufte im Falle der Bejtellung erhielten.

Wenden wir uns endlich zum eigentlichen Haufir- handel, der freilich nur theilweiſe Hierher gehört, nur theilweife dem kleinen Handwerker und jeinem Laden— geichäft Konkurrenz macht.

Es werben zum Haufirhandel im weitern Sitene ziemlich verjchievene Handels- und Gewerbebetriebe gerechnet: Leute, welche ihre Dienjte anbieten, wie Scheerenjchleifer, Kefjelflider, Topfbinder, Kaſtrirer, die in weiter Ferne berumfommen, und Glaſer, die mit Slasicheiben und Werkzeug nur in der nächjten Umgegend Nachfrage halten, ob irgendiwo eine Reparatur noth- wendig jei; Händler, welche alle Arten von Krammwaaren vertreiben, und jolche, die von einzelnen Induftrien aus—

1) Art. 21. f. die angeführten Erläuterungen von Schöller ©. 79 80.

Der Haufirhandel. 239

gefendet, ihre Produfte in die weiteſte Ferne bringen, diefen Induſtrien vielfach erſt Abfatz jchaffen; dann wie— der Sammler von Abfällen, Auffäufer von Obſt, Ges | flügel, Eier, Garnſammler und wandernde Flachsver- käufer, die letztgenannten alles Leute, die mit feſtem Wohnfig den Verkehr höchſtens auf einige Meilen ver- mitteln, in kurzen Zeiträumen immer wieder erjcheinen.

Dieſe Verjchievenheit derjenigen, die man unter dem Begriff der Haufirer umfaßt, und die bisher nach den meisten Gefeßgebungen ziemlich gleichmäßig unter den gejeß- lichen Beftimmungen über den Gewerbebetrieb im Umher— ziehen ftanden, erflärt auch die Verſchiedenheit der An— fichten über Werth und Berechtigung des Haufirhandels. Ye nachdem die eine oder andere Art vorwiegt, je nachdem die fonftigen begleitenden Kulturzuftände find, muß Das Urtheil anders ausfallen. Ich will nur flüchtig anzu— deuten fuchen, twie je nach den verſchiedenen Branchen, je nach den Zeitverhältniffen der Haufirhandel zu- oder abnehmen mußte, günftiger oder ungünftiger beurtheilt wurde.

Dei ganz rohen Zuftänden, wie heute noch in vielen Gegenden Nordamerifa’s, ift der Haufirer der einzige Vermittler mit der übrigen Kulturwelt, der ein- zige, der Kunftprodufte, Gewebe, Nadel und Faden, Geräthe und Injtrumente dem abgelegen wohnenden Landmanne bringt. Der römijche Haufirer durchzog Die germanijchen Lande; ähnliche Dienjte Yeiftete im Mittel- alter der Jude, der Lombarde, der Zigeuner, jpäter auch viele Deutjche felbft. In armen gebirgigen Gegen- den warfen fich ganze Ortjchaften auf dieſen mühevollen

240 Die Umgeftaltung von Probuftion und Verkehr.

Erwerb und haben fich bis in die neuere Zeit jo erhalten. Ich erwähne aus Süddeutjchland die naſſauiſchen Töpfer: händler, die ſchwarzwälder Uhrenhändler, aus Nord- deutſchland vor Allem die Haufirer Weſtfalens, die Winterberger und Wejtfälinger, die Händler aus dem Hüdengrunde, die mit Holz, Töpfer- und Eifenwaaren, mit Hopfen und andern Waaren durch die Welt zogen, die früher vorzüglich nach Dänemark, nach Schweden und Norwegen bis in die einfamjten Thäler vorbrangen, deutſche Waaren abjetten und dafür den Feuerſchwamm mitbrachten. In Weftfalen gibt e8 noch bis in die neuere Zeit Städtchen - und Dörfer von 1000 6000 Ein- wohnern mit mehreren Hundert Haufirern.! Zu Zaufen- den zogen fie aus jenen Gegenden jedes Frühjahr aus.?

Waren immer jehon viele jchlimme Elemente unter einer derartigen Bevölkerung, war das noch mehr der Tall an der polnijchen Grenze, wo unter Juden und Polen noch mehr nomadenhafte Gewohnheiten und Hang zu Betrug und Diebftahl exrijtirten, immer gab e8 unter ihnen jehr viele ehrliche, tüchtige Leute. Aber neben ihnen finden wir früh ganz andere Elemente, Die mit Necht die ftrengite polizeiliche Ueberwachung heraus— forderten. Aus den fahrenden Leuten des Mittelalters wird nach der Neformationszeit, noch mehr nach Dem dreißigjährigen Kriege eine wahre Landeskalamität; Die Berwilderung hatte alle fittlichen Bande zerſtört. Die

1) Jacobi, das Berg-, Hütten» und Gewerbeweſen des Negbz. Arnsberg, ©. 488 ff.

2) Ulmenftein, über den Haufirbandel, Archiv d. pol. Def. von Rau I, ©. 213 und passim.

Die vagabunbirenden Haufirer. 241

Arbeitsſcheu jchwellte damals den Haufirhandel unnatür- lih an. Die Bevölferung ganzer Dörfer, ganzer Gegen- den hatte jich in fahrende Diebs- und Räuberbanden verwandelt. Mißbräuche aller Art nahmen zu. Schleich- handel, Kundjchafterei für Diebsbanden, Dieböhehlerei, wenn nicht Schlimmeres, Duadjalberei, ſyſtematiſcher Betrug, Verkauf unfittliher Bilder und verbotener Schriften galten für iventijch mit Haufirhandel, und big in die neuere Zeit trifft man nur allzureiche Spuren hiervon.

Eine gewaltthätige Gejetgebung juchte dieſes Geſindel wieder zu ſeßhaftem Leben zu bringen, juchte mit allen Mitteln dieſem unjteten Leben entgegen zu wirfen; und als längſt jchon in andern Gebieten die abjtrafte Theorie von der Freiheit alles wirthichaftlichen Verkehrs als unbedingtes Dogma galt, war in Bezug auf den Haufir- handel Theorie und Praxis einig, war bemüht, ben Haufirhandel möglichit zu bejchränfen, das jtehende Ge— werbe vor jeiner Konkurrenz zu jehügen. Von dieſem Geiſte find die Haufirgejege bis in Die meuere Zeit beberricht. Auf dieſem Standpunkt jteht z.B. noch 1841 Hoffmann, dem Rönne? diejelben Worte noch 1851 unbedingt nachipricht, wenn er jagt: „Die Fortdauer des Gemwerbebetriebs im Umherziehen auf der Bildungs- jtufe, worauf fich Deutjchland und Preußen insbejondere befindet, ift eine merfwürbige Erjcheinung. Eine Noth- wendigfeit derjelben ift durchaus unerweislich.‘

1) Die Befugnif zum Gewerbebetrieb ©. 240. 2) Gewerbepolizei II. 224. Schmoller, Gef. d. Kleingewerbe. 16

242 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Das preußifche Negulativ vom 28. April 1824, das bis jetzt gegolten bat, war übrigens in relativ Yiberalem Geifte gehalten. Hoffmann findet, daß es viel zu jeher die Dinge fich jelbjt überlaſſe, wenn es auch auf der andern Seite durch die hohe Gewerbeſteuer für den Gewerbebetrieb im Umberziehen an einzelnen Punkten wieder einjchränfend wirke. Für Denjenigen, dem die VBerwaltungspraris in den verjchtedenen Landes— theilen nicht genau bekannt ijt, iſt e8 jchiwer, ein jelb- ſtändiges Urtheil darüber zu füllen, in wie weit Die Geſetzgebung, in wie weit die andern Urjachen, vie realen wirtbichaftlichen Bebürfniffe auf Zunahme oder Abnahme des Haufirhandels gewirkt haben. Jedenfalls ijt anzunehmen, daß die Verwaltungspraris in Preußen von 1824 bis zur Gegenwart ungefähr dieſelbe blieb, daß aljo die Stabilität des Haufirhandeld früher und die Zunahme, die neuerdings eingetreten ijt, auf andere Urjachen zurüczuführen find.

Im Ganzen wird man behaupten dürfen, daß die wirthichaftlichen Verhältniſſe, die fteigende Deffentlichkeit und Moralität bi8 in die neuere Zeit in ähnlichem Sinne wirkten, wie die Haufirgefege. Der Haufirhan- del, der nur dem Vagabundenleben zum Schilde dient, bat entjchievden abgenommen. Und nicht bloß der unjolide, auch der ſolide Haufirhandel ift theilweije nicht mehr jo nothiwendig wie früher. Seit der neuern Zunahme des Verkehrs Hängen nicht mehr, wie früher, ganze Induftrieziweige vom Abjag der Haufirer ab. Die Nürnberger und Fürther Induſtrie, die jchwarzwälder Uhreninduftrie, die rheinbairiſche Bürjten- und Beſen—

Die Abnahme des ältern Haufirhandels. „243

inbuftrie jegen ihre Produkte jetzt mehr auf andere Weije ab. Der Tyroler Haufirer mit feinen Lederwaaren und Handſchuhen bejucht jett die Meſſen und Märkte, vielfach hat er fich feſt angefiedelt, als Haufirer trifft man ihn jelten mehr. Die Gegenden und Ortjchaften, die beinahe ausjchlielich vom Haufirhandel Tebten, geben wejentlich zurüd oder nehmen die Betriebsweifen eines georbneten jtehenden Handels an. Wenn ver weſt— fäliſche Haufirer jo erzählt Jacobi früher oft 1000 Fl. von einer Yahrestour aus Holland zurück— brachte, jo ift er jegt mit 100 Thlr. durchichnittlich zu— frieden. In immer weitere Kreife muß er ziehen, um fih zu nähren. Bon den ſüddeutſchen Haufivern der Ehninger Gegend, die in aller Welt befannt find, berichtet Mäbhrlen:! „Der Hauſirhandel, wie er bisher von den Krämern in Ehningen mit einem Jahresum— ichlag von einigen Millionen Gulden betrieben wurde, iſt in ftarfer Abnahme begriffen, und es haben manche der zahlreichen Firmen dieſes Orts bereit8 angefangen, ihren Uebergang zur Seßhaftigfeit durch Kommanditen im In- und Auslande anzubahnen. Während aber jo auf der einen Seite von jelbjt und durch die Be- mühung der Verwaltung einzelne Arten des Haufir- handel abnahmen, mußten die neuejten Verkehrs— änderungen wieder andere zur Ausdehnung veran- laſſen.

Ladengeſchäfte und Handwerk nahmen ſeit der Zeit der Eiſenbahnen auf dem Lande nicht mehr ſo zu wie

1) Königreich Württemberg ©. 623. 16 *

244 Die Umgeftaltung von Probuftion und Verkehr.

früher; der Jahr- und Wochenmarktsbeſuch ift nicht mehr derjelde. Der Bauer hat nicht mehr Zeit, fo oft zu Markte zu fahren und ganze Zage mit Verkaufen und Einkaufen zu verlieren. Der Haufirer kann billigere und beſſere Waaren liefern, als der Yaden im Dorfe. Der Haufirer mit Krammwaaren, mit Weißwaaren, mit Küchengeſchirr, gewinnt dadurch eher wieder. Mlancherlei Neues wird heute produzirt; Bedürfniſſe und Anjprüche ändern ſich; in abgelegenere Gegenden kommt dieſes Neue nur durch den Haufirer. Bor Allem aber mußte der einfaufende Haufirhandel zunehmen. Der Viktualien- handel ijt meijt jet in den Händen jolcher Fleinen Kommiffionäre, welche bisher in Preußen einen Haufir- jchein brauchten. Sie faufen für den Müller die Fleinen Getreidepoſten zuſammen, fie liefern dem Geflügel- händler, dem Eier», Butter» und Milchhänpler ver Stadt ihre Waaren. Aber fat immer verbindet fich damit ein Vertrieb von Waaren, welche der Landmann braucht; fie bejorgen dem Bauern dies und jenes in der Stadt, faufen dort für ihn ein. Außerdem iſt man heute bemüht, die Abfälle beſſer zu nüten als früher. Altes Eiſen, Yumpen lafjen fich jchwer anders jammeln al8 durch den Haufirer, fie würden nicht benutzt, wenn der Haufirer fie nicht holte Die meijten derartigen Geſchäfte find in den Händen nicht ganz unbemittelter Yeute; fie müſſen baar zahlen und gegen Kredit ver- faufen, wenigjtens die an die Viltualienhändler der Stadt verfaufenden. Dazu gehört einiges Kapital. Das erklärt, warum im neuerer Zeit die Zahl der jogenannten Haufiver reſp. der Haufirpatente auch bei

Die neuefte Zunahme des Haufirhandels. 245

gleichbleibender Geſetzgebung zunahm, erklärt, warum bei einer Erleichterung des Haufirhandel® durch eine (iberalere Gejetgebung der Zudrang ein jo großer ift, obwohl damit nicht geleugnet werden joll, daß, wenn eine folche Gejegesänderung eintritt, auch eine Neihe unlauterer Motive, ſowie die fteigende Zahl der Bevöl— ferung an fich zur Ausdehnung mitwirken.

Die Zahl der jührlih in Preußen nachgefuchten und ertheilten Haufiricheine iſt mir leider nur für ein- zelne Jahre befannt. Die Zahlen der in der amtlichen Statiftif feit 1837 angeführten Gewerbetreibenden dieſer Art find mir zu einem jtrengen Beweis nicht ganz un— verdächtig; denn einmal ftimmen fie nicht überein mit der Zahl der aus einzelnen Jahren mir bekannten Haufiricheine; das Hat wohl jeinen Grund darin, daß nur die ausſchließlich als Haufirer lebenden Perjonen in der Gewerbetabelle unter dieſer Rubrik gezählt werben. Dann ift die aufzunehmende Kategorie aber auch nicht immer gleich gefaßt geweien. Immerhin will ich die Zahlen mittheilen und vwerjuchen, zu folgern, was fie ungefähr enthalten.

Die aufzunehmende Kategorie Tautete zuerjt! „herumziehende Krämer,” jpäter „herumziehende Krämer und Lumpenſammler;“ die Pferde» und Biehhändler waren nicht darunter; fie machen 1858 noch eine bejon- dere Kategorie aus (12112 Perjonen zufammen mit Kohlen-, Pech-, Theerhändlern und Trödlern). Im

1) Dieterici, ſtatiſt Ueberſicht. 2te Fortſ. S. 617.

246 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Jahre 1861 find die Kategorien etwas andere. Die Rubrik „Pferdes, Vieh, Pech >, Theer-, Kohlenhändler und Trödler“ fehlt ganz. Die Haufirer find fo gefaft: „herumziehende Krämer, Yumpenjammler und andere herumziehende Händler.” Darnach ift ein Theil ver 1858 unter den 12112 Perſonen jtedenden Händler jetst hier mitwerzeichnet, aber auch nur ein Theil, 3.2. die Trödler nicht, wonach die Zahl für 1861 aljo, um mit den früheren Zahlen vergleichbar zu werden, um einige Tauſend veduzirt werden müßte.

Die Zahlen jelbjt find rue

1837 15 753 1840 . 16237 1843 . 18146 1846 . 21049 1849 . 16724 1852 . 20404 1855 . 21214 1858 . 22497 1861 44411.

Nach dieſer Tabelle wüirbe die Zahl der Haufirer von 1837 bis 58 ſich faum, nur etwa der Bevölkerungs— bewegung entiprechend, vermehrt haben. Die vorüber: gehende Steigerung 1846 erklärt fich aus der damaligen Noth und Stodung der Kleingewerbe, welche Manche nöthigte, auf dem Wege des Haufirens fich durchzu— bringen. Für 1858— 61 bleibt eine bedeutende Zu— nahme, man mag auch taufende von der Zahl wegen anderer Faſſung der Rubrik abziehen. Und dieje Zu— nahme halte ich gerade von 1858 ab nicht für un— wahrjcheinlich.

Die Preußiſche Statiftit des Hauſirhandels. 247

Es tft Daneben nicht ohne Intereſſe auf die Ver— theilung der Haufirer nach Provinzen 1837 und 1861 einen Blick zu werfen:

1837 1861

Provinzen) Zahl | auf 100.000 Zahl auf 100 000

| ber Einwohner ber Einwohner —— ——— Preußen . . | 29 2 689 93 Polen. . . 806 69 1890 127 Brandenburg 1944 112 5263 213 Bommern . 1106 112 2509 180 Schiefien. - 4 150 155 9.006 265 Sadien - . 2 050 131 7515 383 Weftfalen. . 2573 194 5 256 324 Rheinland . 2503 101 9437 293

Wo am meijten Verkehr und Induſtrie, wo ber Kleinbefitz vertreten, wo bie wirthichaftliche Kultur am höchſten ift, da finden wir Die größte Zahl derſelben. Der relative Zuwachs, wenn wir ihn überhaupt nach dieſen Zahlen glauben jchäßen zu dürfen, ift nächit Preußen am ftärfjten in Sacjen und am Rhein, am Ihwächiten in Pommern, Brandenburg, Poſen. Das deutet Darauf, Daß es nicht jowohl Die vagabundiren- den, nomadenhaften, auf Diebjtahl und Nichtsthun jpefulivenden Haufirer, ſondern die Fleinen, reellen, wahren wirtbichaftlichen Bebürfniffen dienenden Auf: und Verkäufer find, die zunehmen.

Daß trogdem auch heute noch der Haufichandel jeine wirthichaftlichen und fittlichen Gefahren hat, zeigt fih am beften, wie ich vorhin ſchon erwähnte, wenn irgendivo die Verwaltung das Löſen der Gewerbejcheine erleichtert, die Steuern berabjett, oder die Umgehung

248 Die Umpgeftaltung von Produktion und Verkehr.

verjelben erleichtert. Der Andrang und die Mißbräuche, die da entiteben, find nicht unbedeutend, es fragt fich nur, ob fie nicht theilweije vorübergehend find, ob nicht durch Die bisherige einjchränfende Verwaltungspraris neben manchem Unfug jehr viele berechtigte Geſchäfte abgejchnitten wurden.

Ich möchte in diefer Beziehung noch Einiges aus den unparteiiichen, jchon oben erwähnten Berichten der württembergiichen Handelsfammern hervorheben.

Die Berichte erkennen volljtändig an, daß Die größere Ausdehnung des Haufirhandels feit dem liberalen Gewerbegeſetz von 1862 ihre volfswirthichaftliche Be— rechtigung babe, daß ver Haufirhandel Konkurrenz und Preisermäßigung jchaffe, daß er Gejchäfte, Einkäufe und Berfäufe veranlaffe, die ohne ihn vielfach ganz unter- blieben wären. Aber ebenjo betonen fie die Mißſtände. Die unreellen Gejchäfte, ver Schwindel, Täufchung und Betrug, die unverichämte Zubringlichfeit, welche fich nicht vermindert, wenn dem Hauſirer verboten wird, ‚die Häufer zu betreten, haben ebenfall8 zugenommen. Einzelne ganz ſchlimme Auswüchfe werden erzählt. In einem der Berichte heißt e8: „Es fommen Xeute ing Land, welche als Entrepreneurs eine Anzahl von Kin— dern und Halberwachjenen mit fich führen, in Wirthe- häuſern fich feitjegen und dieſe Leute mit Mausfallen, ordinären DBlechwaaren und dergleichen ins Haufiren hidden, mit der Auflage, täglich eine Summe Geldes einzubringen, in deren Grmangelung Mißhandlungen eintreten. Der Entrepreneur lebt gut, feine Unter— gebenen deſto jchlechter und kaum anders als in andern

MWürttembergifches Haufirwejen. 249

Welttheilen die Sklaven. Dieß iſt ein Mißſtand, welcher durch die Gewerbefreiheit nicht gedeckt werben ſollte.“

Sehen wir aber von ſolchen einzelnen Mißbräuchen ab, die theilweiſe wenigſtens durch eine richtige, ſonſt freieſte Bewegung geſtattende Geſetzgebung und Verwal— tung verhindert werben können, jo geht das Haupt— vejultat dahin: Die Zahl ver Haufirer hat fich 1862 und 63 außerorventlich vermehrt, jchon 1864 und 65 aber wieder abgenommen; erſt die Geſchäftsſtockung von 1866 hat fie wieder jehr vermehrt. Weitaus die Mehrzahl der Haufirausweie aber wird von Leuten benußt, über welche die ftehenvden Gewerbe nicht lagen, und welchen man feine Arbeitsicheu vorwerfen kann; es jind Frauen, ältere, jchwächliche Leute, die Knochen, Lumpen, Landesprodukte auffaufen, mit Beeren, Beſen, Schindeln handeln. Die fräftigen, zur Arbeit tauglichen Haufirer find meiſt Ausländer oder Iiraeliten. Allerdings wird mit der Zunahme dieſer Handelszweige die Neigung zu Diebjtahl und Nichtsthun etwas befördert; aber allgemein ift dieſe Folge nicht. Und bis jett haben in Württemberg die Verbrechen gegen Perjon und Eigen- tum, die Vergehen gegen die Sittlichfeit nirgends wejentlich zugenommen. Es wird zugegeben, daß bei einer richtigen Handhabung der Steuergejege die wirth- ichaftlichen Mißſtände keinenfalls überwiegen und theil- weiſe ganz vorübergehend find, daß der Andrang in mäßigen Schranken gehalten werden kann.

Die Berichte zeigen, daß jedenfalls eine berechtigte Tendenz zur Ausdehnung vorhanden ift, daß mehr an-

250 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

jtändige Motive und wirtbichaftliche Bedürfniſſe den Haufirhandel dort zunehmen laſſen als betrügeriiche und unlautere Abfichten.

Es fommt auf Yand und Yeute, auf Volkscharafter und fittliche Bildung im fonfreten Falle an. Jedenfalls aber find dieſe Faktoren auch in Preußen und im ganzen norbdeutichen Bunde jolche, daß eine Grleichterung gegenüber der früheren VBerwaltungspraris nothwendig und angezeigt ijt, wie fie in der neuen Gewerbeordnung des norddeutichen Bundes angeftrebt wird. Es gehört eine Betrachtung dieſer neuen Geſetzgebung eigentlich nicht hierher; Doch mögen einige Worte geftattet jein.

Der Entwurf! ſchon geht von der Abficht aus, die jtebenden Gewerbe als jolche nicht mehr zu bevor- zugen, ven Gewerbebetrieb im Umherziehen als gleich- berechtigt anzuerkennen, nur da Bejchränfungen eintreten zu laſſen, wo es fich um ungejunde und gefährliche Ele— mente handelt, um Gejchäftszweige, welche in ungleich höherem Grabe unlautern Zweden als dem redlichen Er- werbe zu dienen pflegen. Die im Allgemeinen beibehaltene Yegitimationspflicht joll, abgejehen von ihrer ficherheits= polizeilichen Unentbehrlichfeit, dem Publikum wenigjteng einigermaßen die Garantie, wie fie der ſtehende Betrieb von jelbjt bietet, erjegen. Zum Viktualienhandel im Umherziehen foll fein &ewerbejchein mehr nothiwendig

1) Drudjahen des Reichstags Nro. 13. 8 53 64. Die Motive find enthalten S. 13 29. Die Anlage C. ©. 113 ff. gibt eine Ueberſicht über die beftehende Geſetzgebung ber Bunbes- ftaaten in Betreff des Gewerbebetriebs im Umherziehen.

Das Haufirwejen in der neuen Gemwerbeorbnung. 251

jein. Während bisher Gewerbeicheine in Preußen nur ertheilt wurden für eine beftimmte Anzahl von Waaren- gattungen, follen jett jolche fir alle nicht beſonders ausgenommenen Waaren ertheilt werden. Ausgenommen jollten nur fein: Verzehrungsgegenjtände, ſoweit fie nicht zu den Gegenjtänden des Wochenmarktverfehrs gehören, geiftige Getränfe, gebrauchte Kleider und Betten, Garnabfülle, Enden oder Dräumen von Seide, Wolle, Leinen und Baumwolle, Bruchgold und Bruch— ſilber, Spielfarten, Yotterieloje, Staats- und fonjtige Werthpapiere, Schießpulver, Teuerwerksförper und an- dere explofive Stoffe, Arzneimittel, Gifte und giftige Stoffe. Nur für Gaufler, Marktichreier, Bänkelſänger und ähnliche Perjonen, welche fich produziren wollen, ſoll der Gewerbeichein auf einen oder mehrere Regie— rungsbezirfe bejchränft und joll die Ertheilung abhängig gemacht werden von dem Bedürfniß. Abgejehen bier- von jollte nach dem Entwurfe die Ertheilung nur ver: jagt werden, wenn der Nachſuchende mit efelhaften Krankheiten behaftet jet oder ihm die Zuverläffigfeit in Bezug auf ven beabfichtigten &ewerbebetrieb fehle. Die Befteuerung der Haufirer joll Sache der einzelnen Staaten bleiben und durch die neue Gewerbeordnung gar nicht berührt werben, obwohl der Gewerbejchein für das ganze Bundesgebiet Tegitimirt.

Die Motive gehen davon aus, daß dieſe Grund- ſätze gegenüber den bejtehenden Vorjchriften ein wejent- lich befreiende Wirkjamfeit üben werden. “Der Com— miſſar der Bundesregierungen bob in der Debatte ber- vor, daß jchon die Regierungsvorlage einen koloſſalen

252 Die Umgeftaltung von Produktion und Verkehr.

Schritt vorwärts im Sinne der Befreiung der gewerb— lichen Thätigfeit enthalte und warnte dringend, nicht viel weiter zu geben, nicht viel über dieſes Ziel hinauszuſchießen, da eine weitergehende Befreiung gar nicht einmal im Einklang mit der öffentlichen Mei— nung jtehe.

Die Majorität des Neichstages ftand auch prinzipiell auf gleichem Boden der Anjchauung, aber fie ging im Detail doch wejentlich weiter, glaubte eine Reihe von Gautelen fallen laffen zu können, welche der Entwurf beibehalten hatte, um Betrügerei und unlautere Ele— mente leichter auszujchliegen.

Der Entwurf verweigerte dem den Haufirjchein, der nicht zuwerläffig jet. Das fann und wird die Ver: waltungsbehörve leicht mißbrauchen, wenigitens ungleich- mäßig und mwillführlich auslegen. Jetzt iſt feſtgeſetzt, daß der nicht mehr Gewerbe- ſondern Yegitimationsichein genannte Ausweis nur dem verweigert werden darf, ver bejtimmte Strafen erlitten hat, unter Polizeiaufficht fteht, als notoriicher Bettler und Yandjtreicher befannt iſt. Sicher gerechter; aber die Zunahme unreeller Gejchäfte ift jo auch viel jchwerer zur hemmen. Der Entwurf ver: langte Meldung bei der Polizei an jedem Orte, ver- bot ohne Aufforderung die Häufer zu betreten. Beides wurde bejeitigt, letztere Bejtimmung, weil das gewöhnliche Hausrecht ausreiche. Bon Waaren, welche der Entwurf noch ausſchließen wollte und die jett doch zugelafien werben, find nur zu nennen die Verzehrungsgegen- jtände, welche nicht zum Wochenmarktsverkehr gehören, aljo hauptſächlich Colonialwaaren. Sie jollten ausge-

Das Haufirmejen in der neuen Gewerbeordnung. 253

ichloffen werden, weil bei ihnen Fälfchungen zu Leicht und häufig vorkommen. Die Kommilfion des Reichs— tages wollte auch den Handel mit Staatspapieren, Aftien und andern Werthpapieren den Haufirern zuge ſtehen, worauf aber der Reichstag in Anbetracht der großen Gefahren des Aftienjchwindels, in Anbetracht der großen Leichtgläubigfeit des Publifums in diefer Beziehung nicht einging.

Die Folge wird erjt lehren fönnen, ob man damit nicht theilweile zu weit ging. Daran aber zweifle ich feinen Moment, daß der Haufirhandel von dem Infraft- treten des Geſetzes an außerordentlich zunehmen wird, aber auch zugenommen hätte, wenn nur die Bejtim- mungen des Entwurfes angenommen worden wären. Es iſt eine Richtung, Die fich vollzieht, ob die gejeß- lihen Bejtimmungen etwas enger oder weiter gefaßt find, eine Richtung, welche mancherlei Schmuß aufrührt und mit fich bringt, aber in der Hauptjache berechtigt und nothwendig ijt.

Manch Feiner Laden, manch Feiner Handwerker wird darunter leiden, vielleicht gar zu Grunde geben. Das läßt fich nicht Ändern. Das jteht in nothwendigem Zujammenhang mit der ganzen Umbildung der Pro— duftion und des Verkehrs in unjerer Zeit.

Eine Produktion durch Fabrifen oder größere Hand— werfergejchäfte, eine Produktion, die nicht mehr am Drte des Konjumenten zu jein braucht, Die nicht mehr jich verbindet mit dem direkten Verkauf an den Konju- menten, daneben die jelbjtändigere Entwidlung des

254 Die Umgeftaltung von Produktion und Berfehr,

Handels als Großgeſchäft, als Magazin in ven größern Städten, theilweije ald Detailhandel und Feines Zadengejchäft in den Fleinen Städten und “Dörfern, theilweiſe als Wandermagazin und Haufirhandel auf dem Yande, das jind Glieder einer und vderjelben Kette.

Die lokale und gefchäftliche

Vertheilung der Gewerbetreibenden.

1. Das Handwerk in Stadt und Land.

Der Gegenjaß von Stadt und Land, volfswirthiehaftlih und

biftoriih. Die jpezifiich ländlichen Gewerbe. Ihr Vorkommen ſchon zur Zeit des gewerblichen Stäbtezwangs. Kornweftheim 1787. Die preußiihen ländlichen Gewerbe nah Krug 1795/1803, diejelben in Schlefien und in der Marf 1810 nah Hoffmann. Das ftatiftifche Material für die jpätere Zeit. Die volkswirtbichaftlichen VBorbedingungen für das Landgewerbe von 1815 55. Das preußiſche Handwerk nah Stadt und Land 1828, 1849 und 1858. Die veränderten Verhältniffe in neuefter Zeit. Die wichtigften einzelnen Gewerbe in Stabt und Sand 1828 u. 1858. Der Unterſchied zwijchen ben grö- fern und Heinern Städten 1828 und 1837. Das Handwerk der größern preußifchen Städte 1861. Das bairifche Hand- werf in ben unmittelbaren Städten und im übrigen Lande 1847 und 1861. Die fächfiichen Kleingewerbe in den Stäbten 1830 und 1856; der Vergleich der großen, der Heinen Stäbte und des platten Landes 1849 und 1861.

In einem mehr ſyſtematiſchen Ueberblick die Haupt- veränderungen, welche das Handwerk im 19. Jahrhundert erfahren Hat, darzuftellen, war der Zwed ver Testen Betrachtungen. Mancherlei jtatiftiiches Material babe ich zum Beweis für diejes und jenes herangezogen, nicht aber die jtatijtijchen Aufnahmen der Kleingewerbe jelbit. Zu ihnen fehre ich jetzt zurück, um zu prüfen, ob dag,

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 17

258 Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.

was ich im Allgemeinen behauptete, ſich hier im Spe- zielen beftätigt.

Die Hauptpunfte freilih, um die es fich dabei handelt, entziehen fich aller ſtatiſtiſchen Erfaßbarkeit. Aber immer läßt ſich die Prüfung wenigſtens nach ein— zelnen Seiten hin vollziehen und zugleich ſchließen ſich daran Unterſuchungen, die auch ein ſelbſtändiges Intereſſe für ſich in Anſpruch nehmen.

Wir beginnen mit der Frage nach der lokalen Ver— theilung des Handwerks. Dieſe Vertheilung kann bei der Art der ſtatiſtiſchen Aufnahmen, die wir beſitzen, nach zwei Richtungen unterſucht werden. Man kann fragen, wie verhält ſich Stadt und Land im Durch— ſchnitt von ganz Preußen, Sachſen, Baiern, und man kann fragen, wie vertheilt ſich das Handwerk nach den einzelnen deutſchen Staaten und nach den Provinzen des preußiſchen Staats?

Bleiben wir zunächſt bei dem Verhältniſſe von Stadt und Land, jo liegen die weſentlichen Urſachen der verjchievenen Bertheilung des Handwerks natur: gemäß in dem volfswirthichaftlichen Gegenjag von Stadt und Land jelbjt, in der werjchiedenen wirthichaft- lichen Bedeutung, welche die Städte und das platte Land früher gehabt haben und gegenwärtig haben. Nur in zweiter Linie fommt die Gejetsgebung in Betracht, die von jeweiligen Theorien, von anderweiten Geſichts— punkten aus die Vertheilung des Handwerks beherrichen wollte, aber gegenüber den realen Bedürfniſſen das doch immer nur bis auf einen gewifjen Grad vermochte.

Der Segenſatz von Stadt und Fand. 259 Die Städte jind entjtanden durch die nach einem gemeinjamen Meittelpunft drängenden politifchen, kirch— lichen, wirthichaftlichen Bedürfniſſe der einzelnen Landes: teile. Jede Gegend, jeder Kreis hat dag Bedürfniß, die Verwaltung, das Gericht, den Handel, die Feſte der Kirche und des Volkes an einem Punkte zu kon— zentriren; im Mittelalter bot der Schutz der Mauern und der ſtädtiſchen Rechte dem Handelsmann und dem Handwerker allein die Garantie einer geſicherten Eriftenz. Handel und Gewerbe blühten ausjchließlich in ven Städten, weil hier ausſchließlich die Bedingungen ihrer Blüthe vorhanden waren.

Mit einer gewiffen Entwiclung des platten Yandes entjtand aber auch in den Dörfern, auf den Gütern das Bedürfniß, für einzelne Thätigfeiten Gewerbetreibende am Orte jelbjt zu Haben; das theure Leben in ven Städten ließ dem armen Handwerfsmann die Anfievlung auf dem Lande mit etivaigem Vertrieb der Waaren nad) der Stadt wünfchenswerth ericheinen. Das war jchon im Mittelalter jo umd erjt mit der Ausartung des Zunftwejens, mit dem Sinfen der deutſchen Volkswirth— ſchaft ftrebten die Städte danach, das Handwerk mög- lichſt ausichließlich auf ihre Mauern zu beichränfen,

1) In Nürnberg wird erft im 15. Jahrhundert gegen das Landhandwerk eingejchritten: |. Baader, Nürnberger Polizei - orbnungen. Stuttgart, liter. Verein 1861. S.170. In Lübeck beginnen die Klagen über das Landhandwerk erft im 16. Jahr⸗ hundert, wie auch das ſyſtematiſche Jagen der Bönhaſen erſt um dieſe Zeit beginnt: ſ. Wehrmann, Die ältern lübeckiſchen Zunftrollen, Lübeck 1864, ©. 96 u. 98.

17

260 Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.

ſuchte die Fürſtenpolitik, welche die Städte als Stüten ihrer Macht und ihrer Steuerfraft betrachteten und pflegten, fie dadurch zu halten.

Die Kriege des 17. Jahrhunderts Hatten viele deutſche Gegenden in ihrer ganzen wirthichaftlichen Kultur wieder um Jahrhunderte zurüdgebracht. Alles lag dar- nieder. Um jo mehr hielt man ſich am alte Rechte; auc die Städte jtrebten jet mehr als je, das Hand— werk für fich allein in Anfpruch zu nehmen, und erreich- ten da ihren Zwed, wo nicht eine aufgeflärte Fürjten- politif dazwiſchen griff.

Sp fommt e8, daß im 18. Jahrhundert Stadt und Yand fich noch ziemlich in alter Weije jchroff gegen- über jtehen. Aber zugleich haben die mannigfaltigjten Schickſale dafür gejforgt, daß ein großer Theil der Drte, welche den ftädtijchen Namen tragen und damit die Vorrechte einer Stadt genießen, dafür mehr bijto- riſche und zufällige, als wirthichaftliche Gründe anzu— führen haben.

Es find alte Neichsftädte, alte und neue Fürſten— und Biichofsfige, einige Beamten- und Milttärjtäte ; da und dort jchon einige neu aufblühende Handels - und Induftrieftädte; unter den letteren wie Unter denen, die mehr nur einem Dorfe gleichen, find manche, welche das Stadtrecht fich erjt jet vom Landesheren erfauft haben, um auch einen Jahrmarkt zu halten, um ihre Gewerbſamkeit etwas weniger Durch die fteifen landes— herrlichen Beamten geniven zu lajfen, um auf Kreis - oder- Yandtagen eine Stimme zu Haben. Die über- wiegende Mehrzahl füllt auf jene mittleren Land > und

Stadt und Land in alter und neuer Zeit. 261

Kleinjtäbte, Die allerdings den gewerblichen und Ver— waltungsmittelpunft für eine Anzahl Dörfer und Herr- ichaften bilden, die aber feinen durchaus gewerblichen Charakter haben, manchen Bauern in ihren Mauern bergen, wenn fie nicht gar faſt ausjchließliche Ackerſtädte find. Manche früher jtolze Stadt war ganz zum Dorfe herabgejunfen, führte aber die ſtolzen ſtädtiſchen Titel gleichmäßig fort.

Dieje Verhältnifje erftreden ihre Wirkung bis auf den heutigen Tag. Der Begriff einer Stadt in Preußen iſt auch heute noch, wie ich oben jchon erwähnte, Feiner, der eine gewifje Größe, einen ausjchließlich gewerblichen Charakter bezeichnete; es läßt fich nur foviel jagen, daß von den 1000 gegenwärtig in Altpreußen erijtirenden Städten °/, etwa über 1500, nur wenige unter 600 Einwohner haben, daß e8 dagegen nicht jehr viele Dörfer geben wird, die über 600— 800 Einwohner haben.

Ich mußte dieſe theilweile jchon oben gemachten Bemerkungen wiederholen, um zu zeigen, daß eine Auf- nahme des Handwerks nach Stadt und Land die wirth- ichaftlichen Gegenfäge, an die man dabei denkt, nur ungefähr trifft. Unter ven Stäbten find manche Drte rein landwirtbichaftlichen Charakters, unter den Dörfern manche gewerbetreibende Drte. Und bis auf einen gewifjen Grad war das ſchon im vorigen Jahr— hundert jo, bejonders wo Bergbau, Weberei, Spinnerei und andere Induftrien fich übers platte Land ausdehnten. Privilegien, Konzeifionen aller Art hatten den Städte zwang burchlöchert. Da und dort hatte fich ſchon da— mals das platte Yand als vorzugsweije geeignet zu

262 Die BVertheilung der Gemwerbetreibenden.

einzelnen Gewerben gezeigt. Und überall bedurfte auch Damals jchon die rein bäuerliche Wirthichaft der Hülfe wenigjtend einiger Handwerker. Diefe mußte man zulaſſen. Es ijt vielleicht gut, zunächjt von dieſen heute wie damals auch für die rein lanpwirthichaftlichen Gegenden nothwendigen Handwerkern ung ein Bild zu machen.

Die Schmiede und Stellmacher oder Wagner jtehen in erfter Linie. Der Schmied ift unentbehrlich für den Beichlag der Pferde, des Fuhrwerks, der Aderwerkzeuge, für alle Eijenreparaturen. Der Stellmacher iſt heute mehr auf dem Yande zu Haufe als in der Stabt, wo ver Wagenfabrifant theilweije an feine Stelle getreten ift. Die einfachen Wagengejtelle, die Räder, die Holztheile an Pflug und Egge fann er leicht fertigen. Wo mehr landwirtbichaftliche Meafchinen angewandt werben, da bat er auch vielfach mit ihren zu thun. Die Arbeiten beider Handwerfe find jo umfaſſend, daß jelbjt ein mäßiges Dorf jchon mehrere Meifter von jedem der beiden Gewerbe beichäftigt, daß größere Güter je einen Meifter für fich in Anjpruch nehmen. Schon weniger Arbeit findet der Riemer oder Sattler auf dem Lande, und doch ijt er fir Sattelgeug und Pferbegejchirr ein nothwendiger Gehülfe; die Produkte feines Handwerks fauft der Bauer freilich mit Vorliebe auf dem Jahr: markt, dem Dorfmeifter bleiben mehr die Reparaturen, wenn er nicht jelbjt den Jahrmarkt bezieht. Die Fäffer, die Kübel, die Geräthichaften des Böttchers fehlen in feiner ländlichen Wirthſchaft ganz; das Produkt ift ein jo einfaches, daß der kleinſte Betrieb möglich ift. Die

Die nothwendigen ländlichen Handwerker. 263

amerikanische Faßmaſchine, welche auf der letzten Pariſer Ausftellung zu jehen war und nach der Derficherung des Ausftellers ! täglich 1100 Fäfler aus rohem Holz bis zum Binden fertig macht, dürfte kaum in Deutjch- land eriftiren und wenn fie eingeführt wird, dem Bött- cher in der Stadt wohl, aber faum dem auf dem Lande Konkurrenz machen.

Neben den Bedürfniſſen des Tanpwirthichaftlichen Betriebes fommen die Bau- und Wohnungsbebürfniffe. Den Maurer und Zimmermann, den Schloffer und Tiſchler kann das größere Dorf ſchwer entbehren. Da— gegen ift der Müller von den Nahrungsgewerben ver einzig nothiwendige. Die Zahl der Brauer, der Bäder, der Fleiicher und der Wirthe hängt von dem Grade ver Arbeitstheilung und dem Verkehr, -von Sitten und Wohlitand ab.

Die meijten der ländlichen Handwerker find Daneben Bauern oder Tagelöhner und je nachdem in jehr ver: Ichiedener Lage. Da fie vielfach ohne alle Gehülfen arbeiten, find ihre Leiftungen technijch gering, aber Doch dem Zweck entiprechend.

Weniger ob die erwähnten, al® ob auch noch) andere Arten des Handwerks fich auf dem Yande, bejon- ders in den großen Dörfern befanden, hing, jo lange die Städte ausjchliegliche Gewerberechte hatten, von der Berwaltung ab.

1) Siehe die deutſche Ausftelungszeitung. Paris 1867. Neo. 15.

264 Die Bertheilung der Gemerbetreibenben.

Da man fich häufig über das Fehlen der Hand— werfer auf dem Lande in früherer Zeit faliche Vor: jtellungen macht, will ich nur Einiges über diejen Punkt anführen, ehe ich zu den Berhältnifjen ver Gegenwart übergebe.

Das altwürttembergijche Dorf Kornweitheim, ! einige Stunden von Stuttgart, an einigen größern Straßen liegend, hatte im Jahre 1787 eine Bevölferung von 838 Perſonen; bi8 1850 war dieje Bevölkerung geitiegen auf’ 1465 Perjonen; das Dorf ijt heute noch ausſchließ— lich mit Aderbau bejchäftigt. Die große Aenderung, die eintrat, ift nur die, daß die alte Straße fich in eine Eifenbahn verwandelt hat. Die Gewerbetreibenden waren:

1787 1852 1787 1852

Bidr . . . 6 2 Maurer 4 2 Mebger. . - 3 Schmiee. . . 5 3 Wirthe . ho Schäfer. 1 1 Seifeufieder . 1 Fruchthändler. 1 Schuhmader . 12 13 Krämer. 1 1 Sattler 3 4 Weber . . . h 20 Geiler . 3 1 Strumpfmweber 2 Schneider . 8 7 Müller. . . . 2 5 Zimmerl:ute . 1 1 Bierbrauerr . . 1 Schreiner . 3 3 Branntmweinbrenner— 2 Magner 3 4 Eiſenwerkbeſitzer. 1 Kübler, Küfer 2

Die Zahl der Gewerbetreibenven ift 1787 nicht unbedeutend, ja fie ijt in den wichtigjten Gewerben

1) (Rümelin), Statiftif eines alımürttembergiichen Dorfes vor 70 Jahren und jest. Wiürttembergiiche Jahrbücher 1860. 1. Heft. ©. 95 ff. bejonders ©. 122 128,

> Das Dorf Kornweſtheim 1787 und 1852. 265

höher al8 1852, troßdem, daß die Benölferung beinahe auf die doppelte Zahl gewachien ift. Die Verminderung der Wirthshäujer, der Bäcker- und Metgerladen hängt damit zufammen, daß die früher jehr frequente Land— jtraße durch die Eijenbahn jo ziemlich verövet ift. Die Nichtzunahme der übrigen läßt darauf ſchließen, daß die damaligen Handwerker jehr wenig zu thun hatten. Es waren damals wohl nicht viele Gehülfen bei den Dorf: meijtern bejchäftigt, 1852 find deren eine nicht unbe- deutende Zahl vorhanden. Ueber die für die damalige Zeit große Zahl Gewerbetreibender bemerkt der Verfaſſer diefer Dorfjtatijtif aus dem Jahre 1787, Regierungs- rath Kerner, es könne auffallen, daß Kornweitheim fo viele Gewerbetreibende babe troß der Nähe ver drei Städte Stuttgart, Ludwigsburg und Cannſtadt, aber es jet jo in den. mehrjten Dörfern; freilich werde dadurch der alte Grundjag, in den Städten jolle das Hanbiverf, in den Dörfern der Feldbau getrieben werden, aus dem Gleichgewicht gebracht; aber das jet nicht zu ändern. „Daß die Anzahl der Handwerker in den Dörfern” jo fährt er fort „gegenwärtig ftärfer iſt, als in ehe— maliger Zeit, hat jeinen Grund in der gegenwärtigen jtärfern Bevölkerung und der daraus fliegenden mehreren DVerjtüdelung der Bauerngüter, durch welche die Yand- leute außer Stand gejetst werben, einzig von den Gütern zu leben und dahero Handwerfe erlernen. Dieje Hand- werfsleute aber zu zwingen, ihre Arbeit nieverzulegei oder in die Städte zu ziehen, würde umſonſt jein.‘ Die VBerhältniffe waren ſtärker als Die veralteten Berwaltungsvorichriften. „Auch wo der jtrengjte Stäbte-

e 266 Die BVertheilung der Gewerbetreibenden.

zwang herrſchte“ jagt Hoffmann! „wohnten längft viele Handwerker, zum Theil im Verborgenen auf dem Lande, wenn daſſelbe volfreich und wohl: babend war.”

Ich erwähnte bei der Beiprechung der preußiichen Gewerbepolizei des 18. Jahrhunderts, daß man in Preußen wohl prinzipiell an dem alten Grundſatz feit- halten wollte, aber daneben einzelne Gewerbe, wie die Spinner und Weber, unbedingt, andere wenigſtens bedingungsweile zulief. Der Grundfag Friedrich Wil- helm's I., jo viele Handwerfer überall zuzulaffen, als 1624 Handwerfsitellen vorhanden gewejen- waren, gab ziemlich großen Spielraum. Beſonders in einzelnen Landestheilen, die eine höhere Kultur bejaßen, oder die vor ihrer Einverleibung in den preußiichen Staat in diefer Beziehung nach noch liberaleren Grundfägen regiert worden waren, wie Schlefien, hatte man bie Zulaffung auf dem Lande ziemlich wenig erjchwert.

Den beiten Beweis hiefür giebt Krug. Er führt in jeiner Handwerfsjtatijtif ? (aus der Zeit 1795/1803) bei jeder einzelnen Gewerbsart an, ob die Meijter aus- ichlieglich in den Städten, oder auch auf dem Lande, und in welcher Zahl fie da und dort zu treffen jeien.

Die ausjchließlih in den Städten Vorfommenden find nicht die der Zahl nach beveutenderen; es find bie Apotheker, Bildhauer, Buchbinder, Buchdruder, Bürften-

1) $. ©. Hoffmann, Nachlaß kl. Schriften S. 407. 2) Nationalreichthum des preuß. Staates II, 173— 205.

Die Ländrichen Handwerker in Preußen 1800. 267

Binder, Roth = und Gelbgießer, Goldſchmiede, Gürtler, Handſchuhmocher, Hutmacher, Klempner, Knopfmacher, Kürſchner, Kupferſchmiede, Dealer, Perückenmacher, Schornſteinfeger, Seifenſieder, Seiler, Tuchmacher, Uhrmacher, Weißgerber und Zinngießer. Sehr ſparſam ſind auf dem Lande vertreten die Fleiſcher (mit Aus— nahme Schleſiens, wo Stadt- und Landfleiſcher nicht unterichteven find), ſchon etwas ftärfer die Glaſer, die Kaufleute und Krämer, die aber in den rheinifchen Pro- vinzen auch jehon zahlreicher auf dem Lande vorfommen, dort jogar auf dem Yande theilweije ſchon ftärfer find, als in den Städten; ähnlich die Korbmacher und Mufifanten, die Riemer und Schloffer, die Färber DBranntweinbrenner und Barbiere; Lohgerber find nur in der Mark ländliche vorhanden. Die übrigen Gewerbe find auf dem Yande jchon ziemlich allgemein und zahl- reich vertreten. Yandbäder fommen in Pommern 10 auf 571 Stabtbäder, dagegen in der Grafichaft Mark 113 Landbäcker auf 289 Stabtbäder, in Magdeburg 229 Landbäder auf 316 Stadtbäder, in Ojftfriesland 247 Yandbäder auf 197 Stabtbäder. Auch bei ven Böttchern, Schneidern, Stell- und Rademachern, Tiſch— lern, Schuhmacern und Maurern halten Stadt und Land ſich etwa die Waage. Und bei ven Zimmerleuten, den Schmieden, Müllern und Yeinewebern find bie Yanbmeijter weitaus überwiegend.

Dei diejen Zahlen müßte man, um fie vecht zu würdigen, noch genau wiſſen, wie in ben einzelnen Landestheilen die ftäbtifche fich zur ländlichen Bevölke— rung ftellt. Das zieht Hoffmann in Betracht, wenn

268 Die BVertheilung der Gewerbetreibenben.

er die Aufnahme von 1810 für die Kur» und Neu— marf einer=, für Schlefien andererjeit3 vergleicht," Dabei ſtillſchweigend vworausjegend, daß die Zuftände 1810 noch ganz als Folge der früheren Gejetgebung aufzu— faffen jeien. In der Kur- und Neumark fommen auf 3 Städter 4 Landleute, in Schlefien auf 2 Städter 9 Landbeivohner; d. h. in der Marf find neben zahl- reichen Städten nur Heine Dörfer, iſt das platte Yand weniger bewohnt; in Schlejien find zahlreiche jchon etwas größere induftrielle Dörfer; Orte, die in der Mark vielleicht ſchon ſtädtiſche echte haben, zählen hier als Dörfer. Dieſer Gegenſatz wohl mehr als der von Hoffmann betonte Gegenſatz der Verwaltung, d. h. die Nachwirkung der größern Liberalität, mit der die öſtreichiſche Regierung das Landhandwerk zuließ, iſt als Urſache anzuſehen, daß die ländliche Bevölkerung Schleſiens zwar gleich viel Schneider, Schmiede und Stellmacher hat wie die der Kur- und Neumark, aber 19, mal jo viel Tiſchler, 2mal jo viel Böttcher, 4 mal jo viel Schuhmacher, 7 mal jo viel Fleiſcher und 8 mal jo viel Bäder.

In der Zeit nach den Treiheitsfriegen, nach der Feſtſtellung des preußiichen Zollſyſtems, nach der Grün- dung des Zollvereing war für den größern Theil ver preußiichen Monarchie die Gejeßgebung eine andere geworden, wurden für Die Zollvereinstaaten die allge: meinen volfswirtbichaftlichen Verhältniſſe andere. Wir

1) 3. ©. Hoffmann, Befugniß zum Gewerbebetrieb ©. 17 20.

Das preußifche Landhandwerk jeit 1815. ° 269

haben zu prüfen, wie fich nun unter Einwirkung dieſer beiven Faktoren das Handwerk in Stadt und Land zu einander ftellt.

Leider iſt das ftatiftiiche Material für dieſe Prü- fung ein ziemlich unvolljtändiges. Die Unterjcheivung von Stadt und Land iſt in Preußen nicht bei allen Aufnahmen oder Publikationen fejtgehalten. Eine wejent- liche Beachtung bauptfächlih auch mit weiterer Unter: ſcheidung großer, mittlerer und feiner Städte hat der Gegenfag nur bei Hoffmann gefunden. Was Die ipätern Aufnahmen betrifft, jo unterjcheivet Dieterici 1849 das Gefammtrejultat nach Stadt und Yand,? und die Zahlen für 1858 find wenigjtens getrennt nach Stadt und Yand veröffentlicht. Die Aufnahme von 1861 fennt dieſen Unterjchted gar nicht, führt aber die Handwerker für alle einzelnen Städte über 20000 Ein- wohner bejonvders an. Von andern deutſchen Ländern hat man nur in Sachjen diejer Trage nähere Aufmerf- famfeit bei den ftatiftifchen Arbeiten gejchenft.?

Nach Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen lagen die Dinge folgendermaßen. Es fonnte fich auf dem Lande jeder Meijter nieverlajfen; e8 war auch zu erwarten, daß mit fteigender Wohlhabenheit theil- weiſe die Arbeitstheilung, die in der Stadt vor fich

1) Nachlaß Heiner Schriften ©. 398, Bevölkerung bes preuß. Staates S 114, Befugniß zum Gemerbetrieb passim.

2) Band V. der Tabellen u. amtlichen Nachrichten S. 825.

3) Hauptfächlih für die Aufnahme von 1861, Zeitſchrift des ſächſ. flat. Bureaus für 1863. S. 102 und 108.

270 Die Vertheilung der Gemwerbetreibenden.

gegangen, auf dem Lande fich vollziehe. Aber zunächit famen ungünjtige Jahre; die Zahl der Landhandwerker war immer jchon beveutend gewejen. Mancherlei Arbeitd- theilung auch, welche für den Städter geboten, ift es nicht auf dem Lande. Wo ein Gemeindebadhaus gebaut wird, werben theilweile Heute noch die Bäder des Dorfes überflüſſig. Die Neigung gelernter Handwerker zieht fie immer zunächit mehr nach den Städten.

Sp glaube ih war die Zunahme des Land— handwerks zuerjt feine allzugroße; wo fie ftattfand, berubte jie wohl darauf, daß Bauernjöhne, um fich zu halten, um den Beſitz des Vaters theilen zu fönnen, anfingen, nebenher ein Handwerk zu treiben.

Als aber jpäter die Bevölferung noch weiter zunahm, als die Stellen in den Städten mehr und mehr bejett waren, als auch die größere Induſtrie theilweife auf das platte Land fich zurüdzog, als 1830 55 die Bodenpreiſe und die ländliche Wohlhabenheit bedeutend jtiegen, da mußte auch das Landhandwerk an Zahl zu- nehmen. Uebrigens glaube ich immerhin, daß die wejentliche Zunahme erjt mit der eigentlichen Hand— werferfrijis beginnt, d. b. von 1838 40 an.

Die Diittheilungen von Hoffmann zeigen für 1828 wenigſtens ungeführ die damalige Bedeutung des Länd- lichen Gewerbebetrieb. Er faßt die Meifter von 13 der wichtigjten Gewerbe zufammen, die gegen ?/, aller damals gezählten Handwerker ausmachen. Es find 268023 Mei- jter, während die Gefammtzahl fich auf 323 538 beläuft. Obwohl dabei die vielfach auf dem Lande wohnenden Weber und Spinner nicht find, jo machen die Land—

Das preußiiche Landhandwerk 1828 und 1849, 271

meifter hiervon 140112 over 52%), aus. Dabei ift aber zuzugeben, daß Hoffmann zu den 13 Gewerben diejenigen wählte (außer den Webern und Spinnern), die am meijten auf dem Xande vertreten find. Auch erhält die Eintheilung jogleich ein etwas anderes Aus- jehen, wenn man neben die Meifter die Gehülfen jtellt. Es waren 1828 von den gleichen 13 Haupt—

gewerben: . Meifter Gehülfen

in den 39 größern Städten.. 31687 37177 in allen übrigen Städten . . . 96224 55959 auf dem Yand in Fleden u. Dörfern 140112 36756

Alſo 221047 beichäftigte Perjonen in den Städten, 176 868 auf dem Yande; 55,,,/, jtädtijche gegen 44,,, 0), ländliche Handwerker; die in den Städten würden ficher noch etwas mehr überwiegen, wenn die Zahlen alle Handwerker umfaßten. Es könnten dann wohl 60%, jtädttiche gegen 40%, Ländliche Handwerker jein.

Im Jahre 1849 zählt Dieterict in den Städten 535 232 Perjonen, auf dem Yande 407 141 Perjonen als dem Handwerferjtand angehörig; fie machen in den Städten bei einer Bevölferung von 4,,, Dill. Menſchen 10,95%, , auf dem Lande bei einer jolchen von 11,,, Mill. 3,51 0 aus. Mit den Zahlen Hoffmanns von 1828 jind fie nicht direft zu vergleichen, da fie nicht dieſelben Kategorien umfaffen. Die 1828 bei Hoffmann fehlen- den find theilweiſe jolche, welche 1849 die Zahlen des platten Yandes jteigern, wie die Leinenſpinner, theilweife und noch mehr aber folche, welche ausjchließlich in den Städten wohnen. Wenn daher 1849 von den gefamm-

272 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

ten Handwerkern 56,,9°/, auf die Städte, 43,,,°%, auf das Land kommen, jo glaube ich Liegt darin immer noch ein Beweis, daß das Landhandwerk von 1828 49 jtärfer zunahm, als die jtädtifchen Handwerfer.

Bolltommen vergleichbar find Aufnahmen von 1849 und 58. Nach der von mir angejtellten Berechnung fommen 1858

564 845 Meifter und Gehülfen auf die Städte,

477668 - - das Land, dv. h. 54,18 ° der Handwerker find ſtädtiſche, 45,95 % ländliche ; die ländlichen find 2 3%, jtärfer als 1849. Im Verhältniß zur Bevölkerung erjcheint diefe Zunahme etwas geringer. Die ganze ſtädtiſche Bevölkerung macht 1858 5,,, Millionen aus, davon nehmen die Hand- werfer 10,,,%, ein (gegen 10,,, im Jahre 1849), die ganze ländliche Bevölkerung macht 12,,, Millionen, da— von die Handwerker 3,35 /, (gegen 3,5, im Jahre 1849). Alſo im Verhältniß zur Benölferung nur eine jehr um- bedeutende Zunahme des Landhandwerks.

Man darf bei jolchen großen ftatiftiichen Durch- jchnitten, bei den großen Zahlenergebniffen eines ganzen Yandes nie vergeſſen, daß gerade dieſes bejtimmte Ge— jammtrejultat durch jehr verjchievene, oftmals entgegen- geſetzte lokale Zuftände bedingt ift, daß die verſchieden— jten Urjachen und Bewegungen, neben und gegen einander wirfend, dieſe gemeinjamen Nejultate ergeben. Deßwegen fann meine obige Behauptung, daß von 1830 55 eine ziemliche Zunahme des ländlichen Handwerks nach allgemeinen Urjachen anzunehmen jei,

Das preußiiche Landhandwerk 1858 und fpäter. 273

mit dieſem Zahlenergebniß ganz wohl zuſammen beſtehen.

Aber je nach den Provinzen iſt das verſchieden; es iſt mehr der Fall in Provinzen wie Sachſen, Schle— ſien und der Rheinprovinz, viel weniger in Pommern, Poſen. Es nehmen überall die Meiſter mehr auf dem Lande zu, die Gehülfen mehr in den Städten und oft ſtärker, als dort die Meiſter. Auch wo die Zunahme des Landhandwerks eintrat, da erreichte ſie wohl bald eine gewiſſe Grenze, über die ſie nicht mehr hinauskam. Ich erinnere an das Beiſpiel des Dorfes Kornweſtheim, das ich oben anführte. Es begannen vor Allem ſeit den fünfziger Jahren die Wirkungen der großen Pro— duktion, des großen Verkehrs, der ſtädtiſchen Maga— zine, es begann der Zug vom Lande ab nach den Städten, ſo daß es mir fraglich erſcheint, ob nicht jetzt im Durchſchnitt des ganzen preußiſchen Staates bereits wieder ein Rückgang des Landhandwerks ein— getreten iſt.

Einzelne Gewerbe werden trotzdem auf dem Lande wachſen, während die andern zurückgehen. Ich will in dieſer Beziehung nur einige der wichtigern, haupt— ſächlich der ländlichen Gewerbe nach dem Stand der Meiſter von 1828 und 1858 mittheilen; ich füge für 1858 noch einige weitere Gewerbe bei, für die ich keine Vergleichung anſtellen kann. Man ſieht bei ihnen wenigſtens, wie ſich 1858 die Land— meiſter zu den Stadtmeiſtern verhalten. Es betrug die Zahl:

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 18

274 Die BVertheilung der Gewerbetreibenben.

| 1828 | 1858

Gewerbe: ber der di elänbl. ber bie Länbl.

ftäbtifch. | ländlich. 9% aller wies % ler

Meifter | Meifter Meiſter iſter Grobſchmiede. | 4969124 964| 83 | 6700131566, 82 Stellmader.... | 3244| 9904| 75 | 3923115272| 79 Schneider. ... . 121814131 977| 59 30229 40849 57 Shloffer.... | 7258| 7810| 52 116379| 5838| 26 Böttcher... . . | 5949| 5766| 49 | 7242| 7876| 52 BANBIER .-u ie, 11961/11105) 48 21582 24924 52 Dale 2.5 5:1 11324 10384| 48 13636 12049 46 Fleiiher .... | 9173| 6481| 41 112213) 8687| 41 Schuſter. .... 137 864126555| 41 51 521/39463| 43 Riemer u.Sattler 3964| 2012| 34 | 5951| 3785| 34 WERE. 2. 2%; 3615| 1366| 27 | 3755| 1335| 26 Geber ..... 4080| 1249| 23 | 3604| 1266| 25 Sälle 2696| 539 17 3103 863| 21 Zimmermäiftr. | | | | 2197) 2963| Zimmerflider. . | 2495 Maurermeiſter. | 2547| 2559| Maurerflider.. | 895 2717

Siegel und

hieferdeder | 1354 1207| Steinmetzen 568 1320 Ölaferr ..... ı 3521| 1 547

Die Aenderungen von 1828 —58 find belehrend. Ziemlich bebeutender ijt das Landhandwerk geworben bei den Stellmachern, Böttchern, Tifchlern und Seilern, etwas ftieg es bei den Schuftern und Gerbern, gleich im Verhältniß zum Stadthandwerk blieb es bei ven Fleiſchern und Riemern; zurück ging e8 bei den Schmieden, Schneidern, Bädern, Töpfern, ganz außerordentlich bei den Schloffern, die auf dem Lande fogar der abjoluten Zahl nach abgenommen haben, von 7810 auf 5838. Das Heißt: es nahmen einige Gewerbe, welche aus- ichließlich der bäuerlichen Wirthichaft oder den einfachiten

Einzelne Gewerbe nah Stadt und Land. 275

häuslichen Bedürfniſſen dienen und Yeicht auf dem Lande betrieben werden fönnen, auf dem Yande ftärfer zu wie in der Stadt. Solche dagegen, deren Produkte jett mehr in Mafle erzeugt werben, für welche in ven Städten große Handlungen find, folche, welche unter dem veränderten Verkehr leiden, nahmen ab. Wären die Beijpiele zahlreicher, jo würde fich das wahrfcheinlich noch mehr zeigen. |

In engem Zufammenbang mit der Vertheilung des Handwerks nach Stadt und Yand fteht die Verbreitung der großen Induſtrie. Eine dezentralifirte Induſtrie wird eher das ländliche Handwerf, eine zentralifirte mehr das ſtädtiſche Handwerk heben.

Eine abſchließende Unterfuchung darüber iſt an diejer Stelle nicht möglich, aber einige Bemerkungen darüber will ich nicht unterlaffen einzufchieben. Auch für bie größere Induftrie wurde 1849 und 1858 eine Trennung der preußijchen Tabellen nach Stadt und Land vollzogen ; e8 ift hiernach ein einigermaßen begründetes Urtheil möglich, obwohl der große Zug nach den Städten wahrjcheinlich bei einer Vergleichung von 1858 und 1868 viel mehr hervortreten würde.

Eine Reihe von Induſtrien zeigen von 1849 bie 1858 feine wejentlichen Aenderungen. Die Kunſt-, Die Lurusinduftrien, die feinere Mechanif und ähnliche Ge- werbe find damals wie jpäter vornehmlich in den Städten. Die Eiſen- und Hüttenwerfe, die Braun- und Steinfohlen- werfe, die Glashütten, die Kupferhämmer, die Ziegeleien, die Theeröfen, die Zuderfabrifen befinden fich damals wie fpäter überwiegend auf dem Lande. Dagegen zeigen

18 *

276 Die Bertheilung der Gemwerbetreibenben.

andere Induſtrien doch nicht unbedeutende Aenderungen. Dliden wir z. B. auf Die folgende Ueberficht der Dampf-

majchinen und ihrer Pferbekräfte:

Maſchinen Stadt Land Land En ER EL EL Pite. gaht M BER. | | EEE Bis Spinnerei. 143) 1833 | 53| 924 | 323 5592| 76 2124 Weberei 34 486 6 79 1 9811823) 11) 266 Walkerei . 28 231 10 108 62 648 10 126 Maichinenfabrifen | 56. 771 ı 35: 583 | 1186/1869 33, 1102 Getreidemühlen.. | 50| 715 | 45. 396 | 17612586 345 3609 Schneidemübhlen . 19 181 10) 1564| 84/1051) 46) 692 Sonftige Mühlen | 40| 390 | 23 208 | 82) 906) 39 441 Bergbau . . 52.2264 | 28011431 | 29:6 0271096 |39 893 Metallfabrifen 103 | 2 1214 | 89] 3177 | 29717683 | 541 | 19 046

Die Getreivedampfmühlen, die Bergwerfe und die

Metallfabrifen haben auf dem Pande, alle übrigen Gewerbe in der Stadt mehr zugenommen; und das letztere theil- weije in jehr viel jtärferer Proportion, als hier erfichtlich it. Die Arbeiter der ſtädtiſchen Mafchinenfabrifen 3. B. nahmen von 3980 auf 16 697, die der Tändlichen nur von 2218 auf 5729 zu. Als weiterer Beleg mögen noch die Zahlen der Feinipindeln und der Web- rtäple nach Stadt und Yand folgen. are zählte:

mn —— 2

Spindeln | 1849 | 1858 PR für | a. Land | Stadt idt Land Wolle, Streihgarn . | 235 867134528 445 392| 166 417° Kammgarn. . 29553 7158| 42 556 | 5660 Sad. « . 0... + 14 230 24448 | 41872) 33031 Werg . ie 4000| 3 396 ı 5192! 9380

Baumwolle . 70 244 | 124.046 | 177 029 156648

Die große Induftrie nah Stadt und Land. 277

Webftühle für Stadt Land | Stadt AR Land

Seite.

gewerbsmäßig gehende | 1849 | 1858 | |

* 14922 | 9120 | 21866. 14338 Baumwolle . 17381 53312 | 9127 57142 . einen 0.1.1286 | 35498 | 11861 | 33798 Wolle. . . - | 19504 | 720 | 24197 | 5822 Strumpfwaaren . . |, 1459| 647 | 1657 646 Bandwaaren . . - | 1370 | 3587 | 2266 | 1369

| | |

Auch Hier zeigt fich eine ziemlich ſtärkere Zunahme der ſtädtiſchen wie der ländlichen Induftrie: ein Beweis wohl, daß im Allgemeinen meine ſchon oben ausge: Iprochene Behauptung, die Induftrie habe im neuejter Zeit eine mehr zentralifivende Nichtung, der Wahrheit entipricht und daß wahrjcheinlich demgemäß auch in der frühern Zunahme des Landhandwerks jchon ein Still: jtand, wenn nicht gar ein Rückgang eingetreten tjt.

Uebrigens ijt man bei diefer ganzen Unterjuchung immer wieder verjucht, daran zu denken, daß die ftatiftt- ichen Begriffe „Stadt“ und „Land“ jo wenig fejte find. Man müßte, um ganz ficher zu gehen, die verjchiedenen Arten der Städte wie der Dörfer trennen können; man müßte große und Heine Dörfer, vein landwirthſchaftliche und inpujtrielle Dörfer auseinander halten. Dazu fehlt aber leider das ftatiftiiche Material.

Wenigſtens in Bezug auf die Städte können wir den entiprechenden Unterjchied etwas verfolgen, ich meine den Unterjchied, der zwilchen größern und kleinern Städten, d. 5. der Zahl und Art der Handwerfer, die fie zählen, ſein muß.

278 Die Bertheilung dev Gewerbetreibenben.

Hoffmann! trennt in der mehr erwähnten Unter- juchung über die 13 wichtigjten Arten der Handwerker im Jahre 1828 die 39 größern preußiichen Städte von den fämmtlichen übrigen Fleinern Städten und dem platten Yande. Es kommen nach ihm auf je 10 000 Einwohner:

zuf. Gewerbe- Meifter Gehülfen treibende

in 39 größern Städten 270 317 587 in allen übrigen Städten 438 255 693 auf dem Sande . . . 150 39 189

Die 13 Arten von Gewerbetreibenden machen in den größern Städten 5,57, in den Heinern 6,93%, , auf den Lande 1,0, aus. Im den fleinern Städten ift der Hauptfig des alten Handwerks. Da find die Heinen Meifter am zahlveichiten. In den größern Städten ift die Zahl der Meifter kaum viel mehr als halb jo groß, dafür ift die Zahl der Gehülfen wejentlich höher. Die Geſammtzahl der Gewerbetreibenden aber ift geringer. In den großen Städten haben 10000 Menichen 587, in den fleinen 693 Gewerbetreibende nöthig. Und die der größern Städte haben ohne Zweifel einen wohlhabendern Kundenkreis, der fie mehr in Anipruch nimmt, haben auch auf das Land hinaus einen größern Abjat, als die fleinjtädtijchen Mleifter. Der Zahlengegenjat zeigt alfo recht Far die Unvollfommenheit des Hleinftädtiichen Hands werfs, Die großen Zeitverlufte, Die vom Wochen - und Sahrmarftswerfehr herrühren, die Nothwendigfeit für das fleinftäbtiiche Handwerk, auf Nebenbejchäftigungen fich zu legen.

1) Nachlaß Kleiner Schriften ©. 395 ff.

Das Handwerk der Heinern Städte. 279

In den Mittheilungen über die Aufnahme von 1837 unterjcheivet Hoffmann ! in Bezug auf die wich- tigern einzelnen Gewerbe die 10 Städte erfter Gemerbe- fteuerflafje, die 30 anjehnlichjten Städte zweiter Gewerbe- ftenerffaffe, die jämmtlichen übrigen Städte und das platte Land. Es zeigt fich da derjelbe Gegenjat. Außer bei den Ländlichen Gewerben ift die Hauptmaffe der kleinen Meifter in den Heinen Städten, die Mehrzahl arbeitet ohne Gehülfen. Bei einzelnen Gewerben zeigt fich jchon damals, daß fie in den größern Städten einer neuen Produftionsmethode Pla machen, dagegen fich noch in den Fleinen Städten halten. Es find 3.8. Meifter und Gehülfen zufammen 1837 an

Töpfern Gerbern in den 10 Städten erjter Gewerbeſteuer⸗ Halle » 2 2 22.77 816 in den 30 anjehnlichiten Städten zweiter Gewerjteuerflaffe. . . 476 1127 in allen andern Städten . . . .6178 6640 auf dem Lande . » 2 2 2. ..2218 1899

Beides find Handwerfe, die größern Gejchäften weichen; in den Eleinern Städten aber geht die Entwid- lung langſamer. Da find noch feine Leberfabrifen, ba verfauft der Töpfermeijter noch jeine Waaren. Im den größern Städten wird das Leber beim Lederhändler, der nicht jelbjt probuzirt, gefauft; da treten das Steingut, die Fayencewaaren der Fabriken, das Kochgeichirr. aus

1) Bevölkerung des preuß. Staates, ©. 117 ff.; bie Be- fugniß zum Gewerbebetrieb ©. 126.

280 Die Bertheilung der Gewerbetreibenbent.

Gußeiſen, Eiſen- und Kupferblech an die Stelle des irdenen einfachen Geſchirres, da tritt der eijerne Dfen, der berliner Fabrifofen an die Stelle des alten irdenen vom ZTöpfer gelieferten. |

Die fpätern preußijchen Aufnahmen und ihre Be- arbeitung laſſen dieſen Unterjchied zwijchen den verſchie— denen Städten ganz außer Acht. Nur die Aufnahme von 1861 gibt, wie erwähnt, die Gewerbetabellen in Bezug auf alle größern preußifchen Städte, danach iſt die folgende Tabelle berechnet. Um den Charakter der einzelnen Städte noch etwas näher zu Fennzeichnen, habe ich in den beiden letzten Spalten die Prozent: zahlen der Fabrik- und der Handelstabelle Hinzugefügt. Sie zeigen, welchen Antheil an der Bevölkerung einer Stadt die Fabrikvirigenten und Tabrifarbeiter incl. der Weber, Müller ꝛc. einerjeits, die jämmtlichen in Han— dels-, Transport>, Wirthichafts- und Yiterarifchen Ge— werben bejchäftigten Perjonen andererjeit8 haben. Daß die Prozentzahlen der Handwerker mit den Hoffmann’: hen von 1828, welche nur 13 Handwerfe umfahten, nicht zu vergleichen find, brauche ich wohl kaum zu bemerfen.

Das Handwerk der größern Städte 1861. 281

Die Die

Namen Bevölkerung wie Hand- Gerjonen

werker

der 1861 Sehen betragen. ge

0 Ü

Städte inel. Militär gar ber 0, der ' der

Vevölles | Yenölte- | Bewölte-

Tabelle rung rung. rung

Königsberg. | 94 579 9785 | 10,54 2,0 | Am Elbing. . . 25 539 3186 | 12,4 ‚ss | 5 Danzig 82 765 6 039 7,29 0,08 | Dog Bojen 51232 9172 | 10,10 | Lea | 4% Bromberg 22474 | 2674 | leo | Les | In, Berlin | 547571 69186 | 12,4 —— Potsdam . 41824 | 4602 o | 6 | 3 Brandenburg . 23727 | 2701 | los | 12,0 | 2m Franffurt . .| 36557 | A197 | Il | Bar | Ans Stettin. . . 64431 | 6492 | 10,08 | Bas | Ting Stralfund. .|. „24214 | 2711| Mao | so | dıse Breslau. . . 145589 18750 | 1% Au | im Gi. . .| 27983 | 3015 | 10: | den | Bas Magdeburg . 67607 | 8658 | 125 | use 6 Halberftadt. .| 22810 | 2685 | 11 | 7a | pn Halle . . „| 42976 | 5070 | leo | Ss | Bun Erfurt . . 37012 | 4648 | 1% | Bu | 2. Miünfter 27332 | 3149| Ilse | Are | 3 Dortmund. .| 23372 | 2362| 10m Im | Im Köln . ı 120568 11853 | de | Bao, Ans Krefeld . 50584 | 3432| 65 | 1604 | Lan Düfelborf . 41292 4055 Ds | Asa | Ava Eſſen 20811 | 1558 | 7 ,s8 13,41 4,90 Eiberfeld 56307 4414 Tas | oo | ds Barmen 49787 1375| 7so | 27,70 | 200 Koblenz. 28 525 | 2 678 9,31 40 3,94 Trier 21215 | 2419 | 110 | As | 35, Aachen . 59941 | 5462 | 91 | 1500 | Am

Das Handwerf im Sinne der Tabelle von 1861 beichäftigt in diefen Städten 6— 12%), der Bevölkerung, d. h. wenn wir die erwachjenen Männer zu etwa 25%, der Bevölkerung annehmen, den vierten Theil bis zur

282 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

Hälfte derjelben. Die Rangordnung geftaltet fich fo, daß die rheinijchen Städte mr 6— 9%, Handwerker, die Städte der mittleren und öftlichen Provinzen 10 12%, Handwerfer befigen, wobei nur Trier unter den rheinifchen, Danzig unter den öjtlichen Städten eine Ausnahme macht. Daß an der größern oder geringern Zahl der Handwerker die große Induftrie direkt ſchuld fer, Yäßt fich nicht behaupten. Koblenz mit 3%,, Köln mit 5%,, Aachen mit 15%,, Elberfeld mit 26%, Fabrikperjonal ftehen fich in Bezug auf Das Handwerk faft gleich. Ebenfowenig läßt fich behaupten, daß Die Größe der Städte einen Einfluß auf die Prozentzahl der Handwerker habe. Alle diefe Städte haben mehr oder weniger den Charakter einer größern Stadt. Der vorhin beiprochene Gegenſatz von Kleinjtädten und größeren Städten füllt vollftändig aus dieſer Tabelle hinaus. Theilweiſe liegt der Grund des weniger zahl- reihen Handwerks der rheinischen Städte in der höhern wirtbichaftlichen Kultur, die für diefelben Zwecke weniger Arbeitskräfte braucht. EI fommt das gegenüber den jächfiichen Städten in Betracht. Theilweiſe aber Liegt der Grund darin, daß bei der Art, wie die Bevölkerung am Rhein vertheilt ijt, die dortigen Städte viel weniger als im Dften die gewerblichen Meittelpunfte ganzer Gegenden bilden. Das ganze Land hat dort mehr Handwerfer, darım können die Städte etwas weniger haben. Wenn fich die fächfiichen und wejtfältichen Städte einer=, die preußiichen, pojenjchen, märkiſchen anderer: jeit8 jo ziemlich gleich in der Progentzahl ihrer Hand- werfer jteben, jo bat das nicht ganz dieſelben Urſachen.

Das Handwerk der größern Städte 1861. 283

In Magdeburg, Erfurt, Halle, Münſter ift die Hand» werferzahl groß, weil hier eine gleichmäßigere Bermögens- vertheilung auch die Heinen Handwerkögeichäfte hält. Im Oſten ift man überhaupt weiter zurück; bewegen iſt die Zahl hier nicht unbeträchtlich, und dann pielen hier die größern Städte eine ganz andere Rolle gegenüber dem platten Lande, als in Sachſen und Weitfalen.

Wir fehen, wie auch bier wieder die verjchiedenften Urjachen neben= und gegeneinander. wirfen.

Vergleicht man die Prozente der Handwerfertabelle mit denen der Fabrif- und der Handelstabelle, jo iſt her: vorzuheben, daß die Handelstabelle vielfach höhere Prozente zeigt, als die Tabriftabelle, daß meiſt beide zuſammen noch nicht jo Hoch find, wie Die Prozente. der Hand- werfertabelle. Nur in wenigen Fabrikſtädten kommt die Fabriktabelle der Handwerfertabelle nahe, nur in Brandenburg, Krefeld, Eſſen, Elberfeld, Barmen und Aachen überwiegt fie. Das Handwerk zeigt gegenüber den beiden andern Branchen jeinen immer noch vorhandenen elementaren Charakter, jeine aller- wärts fich zeigende Nothwendigfeit dadurch, daß es nur zwilchen 6 und 12 °%), der Benölferung ſchwankt; vie die Fabriktabelfe jchwanft zwijchen O, und 27%,, die Handelstabelle zwijchen 2 und 9%, der Bevölferung.

Als Ergänzung der bisherigen Unterjuchung über die preußijchen Verhältniſſe will ich nunmehr noch Einiges aus der bairischen und ſächſiſchen Statiſtik anführen, ſchicke jedoch wieder voraus, daß die abjoluten und die Prozent- zahlen mit den preußtichen nirgends direkt vergleichbar find, da die Kategorien der Handwerker, die in ben

gr

284 Die BVertheilung der Gemwerbetreibenben.

einzelnen drei Staaten zu Gefammtrefultaten vereinigt find, nicht ganz übereinftimmen, theilweiſe wefentlich Differiren.

Die bairiihe Handwerksftatiftif Liefert nur einen Heinen Beitrag über ven Gegenjag von Stadt und

Sand; ! fie unterjcheivet nicht Stadt und Land über:

haupt, jondern nur Die größern ſog. unmittelbaren Städte und das gefammte übrige Yand, welches alſo das platte Yand mit feinen wenigen, wie die Heinen Städte mit ihren zahlreichen Handwerkern umfaßt. Die Meijter und Gehülfen find mit Einfchluß der Weber zufammen- gerechnet. Es famen in den größern Städten

aljo Tetztere 9%,

auf Seelen Handwerfer ber erftern 1847 . 453986 58850 12,98 0 1861 . 544067 57694 10,96 * in dem übrigen Yande 1847 4.050 888 274616 67 1861 4,145770 272946 6,58 :

Aljo Die Hauptabnahme eben auch da, wo die Um— bildung in neue Zuftände fich vollzieht, d. h. in ven größern Städten.

In Bezug auf Sachjen erwähnte ich in anderem Zuſammenhang jchon, ? daß nach einem Vergleich von

1) Die Bevölkerung und Gewerbe Baiernd ©. 163; ich babe die Zahlen b) dort zu Grunde gelegt und darnach bie Prozente berechnet. Die Pfalz ift nicht einbegriffen.

2) Siehe oben S.146—147; vergl. Zeitjchrift des fächl. ftat. Bür. 1860. S. 122 24.

Stabt und Land in Baiern und Sachſen. 285

1830 und 1856 das Handwerk in den größern Städten jehr bedeutend, einzelne Gewerbe um 20—70 %,, in den kleinern Städten dagegen nicht ebenjo abgenommen babe; an fie follte die Reihe erſt ſpäter kommen.

Für die ſpätere Zeit, d. h. für den Vergleich von 1849 und 1861 benütze ich eine Tabelle,“ welche die 36 wichtigjten Handwerke, mit Ausſchluß aller Haus- industrie, bejonders der Weberei, von 1849 und 1861 getrennt nach den größern, den fleinern Städten und dem platten Yande umfaßt. Nach ihr ift die folgende Ueberficht berechnet. Es waren

1) in den Städten über 10000 Einwohner

Meifter und alſo ®/, der

Einwohner Gehülfen Bevölkerung 1849 . . 279574 26 340 us 1861 . . 381595 34492 2) in den Mittel- und kleinen Städten 1849 . . 383466 42976 ii; 1861 . . 438036 46 574 10,., 3) auf dem platten Lande 1849 .„ . 1.231391 58 946 1861 . . 1.405619 70550

Sollte der Leſer trotz meiner Warnung an einen Vergleich dieſer Zahlen mit den preußiſchen denken, ſo iſt zu erwähnen, daß in den preußiſchen Tabellen etwa 80, hier 36 Arten von Handwerkern zuſammengefaßt ſind. Sind das auch weitaus die zahlreichern, dennoch bleibt eine direkte Vergleichung mißlich. Einige Prozente

1) Tab. 13, Zeitſchr. des ſtat. Bür. 1863. ©. 102.

286 Die Vertheilung der Gewerbetreibende. müßte man jedenfalls zujegen, fo daß die größern fächft- ſchena Städte auf 10—11,, die Fleinern auf 12—13 9, fanıen. Das ijt jedenfalls den preußiichen Verhältniſſen analog, daß die Feineren Städte das zahlreichite Hand- werk haben. Das gegenüber Preußen viel ftärfere länd⸗ liche Handwerk hat jeine Urjache in dem ſtädtiſch- in- Dujtriellen Charafter eines großen Theiles des platten Landes in Sachjen, außerdem in den zahlreichen Bor: ſtadtdörfern, in welchen für die Stadt arbeitende Hand- werker wohnen. Zugleich erhellt aus den jächjiichen

uind preußiſchen Zahlen, welche das platte Land betreffen,

wieder, wie viel wichtiger die realen Zuſtände und Be— Dürfniffe gegenüber der Gewerbegejeßgebung find. In Sadjen bis 1862 gewiſſe Beichränfungen des Yand- Handwerks, in Preußen feine Spur hiervon mehr jeit Yanger Zeit; und doch ijt das jüchjiiche Landhandwerk zahlreicher.

Was nun aber die Veränderungen zwijchen 1849 und 1861 in Sachjen betrifft, jo find fie jehr jprechend. In den größern Städten hat das Handwerk nicht viel mehr abgenommen, weil e8 bier jchon früher jehr zurüdging ; die Hauptabnahme trifft die Heinen Städte; in ihnen vollzieht fich der Umſchwung erjt jetzt. Auf dem Lande haben die Handwerker etwas, aber jehr unbedeutend zu— genommen.

Unterjcheivet man die einzelnen Gewerbe in dieſer Beziehung, jo trifft die Zunahme auf dem Lande gegen- über der Bevölferung außer den hausindujtriellen Be—

1) Zeitjchrift des ſächſ. ftatift. Büreaus 1860. ©. 122.

Stadt und Land in Sachfen. 287

trieben hauptſächlich die Tiſchler, Glaſer, Stellmacher, Seiler, Riemer, Kürjchner, Bäder und Buchbinder, jowie die Zimmerleute und Maurer, letstere wahrjcheinlich nur icheinbar, durch Zählung ftädtiicher Arbeiter an ihrem "Jändlichen Wohnort in der ftäbtiichen Umgebung, wie auch aus diefem Grunde allein die ländlichen Buch— druder Sachſens zunahmen. Dagegen haben auf dem Lande abgenommen die Schneider, die Schuhmacher, die Fleifcher, die Hufſchmiede, die Gürtler, die Kupfer- jchmiede, die Seifenfieder, die Gerber, die Töpfer, die Kammmacher, die Drechsler. Mlancherlei bezieht ver ländliche Konſument jet von der Stadt, was er früher beim Meifter im Dorfe beitellte.

Ob das jeit 1862, feit das Landhandwerk im Sachſen ganz frei wurde, wieder fich geändert hat, ob die Gewerbefreiheit dem ländlichen Meifter den Abjak wieder brachte, den er jchon 1861 verloren hatte, möchte ich bezweifeln.

2. Das Handwerf nad Provinzen und Staaten.

Die preußifhen Provinzen 1822, 1846 und 1861. Die preufi- ſchen Regierungsbezirfe 1861 mit ihrer Handwerker -, Fabrik» und Handelsbevölferung. Die Bäder, Fleiſcher, Schneider und Schuhmacher nad Provinzen 1849 und 1861. Einzelne Gewerbe im Regierungsbezirt Pojen 1822, 1846 und 1861. Das Handwerk in den wichtigern Zollvereinsftaaten 1846 und 1861. Die fpezielleren Ergebniffe von 1861 in jämmtlichen Staaten des Zollvereins. Die Urſachen der Gegenjäte: Der verſchiedene Wohlftand. Die Dichtigkeit der Bevölkerung. Landwirtbfchaftliche und inbuftrielle Gegenden. Der Einfluß der Großinduftrie. Das Alter der wirtbihaftlichen Kultur in den verſchiedenen Gegenden. Die frühere oder jpätere Bejei- tigung des Zunftwejens. Die ganze Einkommens- und Ber- mögensvertheilung, die Art und Größe der Wohnfite ver Bevölkerung, die Bertheilung des Grund und Bodens. Die daraus folgenden wirthſchaftlichen Sitten, der Volfscharafter, die Thätigfeit der Regierungen für das kleinere Handwerk.

Dem Gegenſatz zwijchen Stadt und Yand folgt der zwiſchen Yandjchaften und Provinzen, Provinzen und Staaten. Er ijt theilweife ein ähnlicher, ein Haupt- moment des Gegenjates iſt dafjelbe. Da mehr agra- riiche, dort mehr gewerbliche Zuftände. Aber dazu kom— men eine Reihe andere Momente; es wechjeln alte und junge Kultur, veiche und arme Gegenden. Andere

Die preußiichen Provinzen 1822 61. 289

Beſitz- und andere Bevölferungsvertheilung, verſchie— dene Verwaltung und verſchiedenes Recht, verichiedene Geſchichte und verſchiedener Volkscharakter fprechen mit.

Ehe ich auf die Urfachen aber näher eingebe, will ich die jtatiftiichen Grundlagen vorlegen. Ich bleibe zuerjt bei den alten preußifchen Provinzen jtehen, da für fie das veichhaltigfte Unterfuchungsmaterial vorliegt; erjt nachher will ich die übrigen Zollvereinsſtaaten und die neuen preußiichen Provinzen in den Vergleich her- . einziehen.

Wie ftarf war der Handwerkerſtand gegenüber ver Devölferung in den einzelnen preußiſchen Provinzen 1822, 1846 und 1861? Im Bezug auf die erjten beiden Jahre gibt die Umterfuchung Dieteric’s! Ant- wort. Im Bezug auf 1861 Hat Viebahn? Berechnun- gen gemacht. Ich jtelle daneben eine eigene Berechnung, die nach den offiziellen Zahlen angeftellt ift, und noth- wendig etwas höhere Procentzahlen ergiebt, da Viebahn's abſolute Handwerkerzahlen für 1861, wie ich ſchon er— wähnte, wie ich hier noch beſonders bemerken will, wahrſcheinlich durch Ausſcheidung der Kunſtgewerbe etwas niedriger find, als die der offiziellen Tabelle. Was den Vergleich der Zahlen für dieſe drei Sahre unter jich betrifft, jo ijt der zwijchen 1822 und 1846 ganz der Wirflichfeit entjprechend, da Dieterici nur die gleichen Kategorien von Handwerkern in den Bergleich bereinzieht, dagegen umfaffen die Zahlen von 1861

1) Mittheilungen II, 13. 2) UI, ©. 745. Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 19

290 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

einige weitere Kategorien von Handwerkern; die Zu— nahıme erjcheint daher etwas zu groß, wenigſtens nad) der von mir berechneten Zahlen. Der Vergleich, wie ſich im den einzelnen Provinzen die Procentzahl in den drei verjchiedenen Zeitpunkten jtellt, ift bier aber auch . nicht die Hauptjache; wichtiger ift hier die Frage, wie ſich das Rangverhältnig der Provinzen unter einander in den genannten Epochen umgejtaltet hat, und zur Beantwortung diefer Frage iſt Die Tabelle vollſtändig Brauchbar. Ic gebe die Zahlen in der doppelten möglichen Berechnung; die ſämmtlichen Gewerbetreibenden machten

Procente der Bevölkerung aus: 1861 nad 1861 1822 1846 Viebahn's nach meiner Berehnung Berechnung

in Preußen . . . 3 Ban 3,0 4,11 - PBofen. . . 2,68 3,57 34 8,78 . Brandenburg 52 6,8 T,aı - Bommern. . . 30 Aa⸗ 4,8 24 - Schlefin. . . 3 4,35 d,6 d,81 - Sadien . . . Las D,55 Ta Tsı . We falen. .. 4,ıs Dar 6,4 6,40 am Rhein . . 4,s5 155 6,8 6,48

Oder, was daſſelbe iſt, es kamen auf einen Gewerbetreibenden Einwohner:

1861 1822 1846 nach Biebahnn’s Berechnung

in Preußen... 33 31 25 ⸗Poſen .. 66 28 27 Brandenburg. a 17 14 - Pommern. . . 2.27 24 20

. Shlefien . . ....% 23 17 - Sadieen . ». 2... 21 18 13 « MWeftfalen . - . 2... 19 15

am Rhein. . 22... 18 16

Die preußiichen Provinzen und Regierungsbezirte. 291

Die Zahlen fir 1861 will ich verjuchen gleich dadurch noch etwas weiter zu illuftriven, daß ich eine Prozentberechnung des Handwerferjtandes nach den ein- zelnen Regierungsbezirken beifüge. Denn welche Gegen: jätge birgt 3. B. Schlefien; im Regierungsbezirf Breslau zählt man 6,,; % Handwerker, im Regierungsbezirk Oppeln nur 3,93 %. Zugleich will ich, wie oben bei den größern Städten, die Prozentzahlen der Fabrif- und ver Handelsbevölferung daneben jtellen, d. h. die Pro- zente, welche Die geſammten 1861 in der Fabrif= und in der Handelstabelle nach dem befannten Inhalt der— jelben verzeichneten Perjonen gegenüber der ganzen Be— völferung ausmachen. Man erfieht daraus die unge- führe Bedeutung des Handwerks in den einzelnen Re— gierungsbezirfen gegenüber den Fabrik- und Handels: geichäften.

Neben dem jpeziellen Nejultat diejer Tabelle, das uns bier zumächit interejfirt, möchte ich den Leſer darauf aufmerfiam machen, welche Nejultate vergleichender Betrachtung fich ergeben, wenn er die folgende Tabelle über die Regierungsbezirfe vergleiht mit der obigen entjprechenden über die größern Städte.

Am Rhein find die Prozente der Handwerfer in den Städten und Regierungsbezirken nahezu gleich, im Nordoſten haben die Negierungsbezirfe theilweile nur ein Drittel oder Viertel der ſtädtiſchen Prozentzablen. In der ſtädtiſchen Tabelle ift die Fabrik- und Handels- bevölferung der Handwerkerzahl jchon viel näher gerüdt, als in der Tabelle der Regierungsbezirk. Doch das nebenbei. Die Tabelle ijt folgende:

19*

2m Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

Beoötte- | Meifter | Diefe | zuprir- Handel

3 m DT egierungs- rung 1861 und ug 0), * bezirke inel. Gehülfen Benäfte-) %o der | 9, ber Militär dufommen | a a Kðnigeberg | 982894 | 46599 | Are | Ans! I Sumbinnen . | 6% 571 | 25260 Bas | Oo | Lo

Danig. . » | 475570 | 208358 4as | 1us | Iaı Marienwerber. ı 712831 | 26769 35 | Or | Io Polen . . . 963441 36 677 3,81 la; | 1,gs Bromberg . . | 522109 | 19140 | 3a | Las 1 Potsdam . . | 947034 | 58958 6,85 | 30 | Zaı (ohne Berlin) | Srantfurt . . | 973154 | 52335 da | ro | Lan Stettin. . . 654963 | 35946 5,40 lo | 254 Köslin J 524 108 22 899 4,9, 1,32 0,81 Stralfund. . | 210668 | 13931 | Gen | Im | 3m Breslau . . , 1,295959 | 84706 6,55 | 52 | Les Oppeln . . . 1,137 844 44 125 | 3,08 2,67 1,4 Liegnig. . » ı 956892 67 408 | 7,04 | 5,6 1,1 Magveburg. . | 779754 | 58 74 ‚ss | 2,48 Merieburg. - | 831968 | 61527 | Tas ws | 1a Erfurt » u | 364 695 28 556 | T ‚88 7,20 | l,s4 Miünfter s 442 397 27197 | 6415| De | 14 Minden. . . | 472145 | 27283 | 5rn| Aso| La Arnsberg . | 703523 | 50609 Tıo | 6,7 | As Köln. Fe | 567 475 | 38 100 On | 4,35 | 2,88 Düffeldorf. . | 1115365 | 80200 | Tue | 11a 33 Koblenz. . | 529929 | 33987 64 | 28 | 22 Trier 544 269 30172 | 5,4 | ar | Im Aachen . 458 746 | 25 907 | Bi | 10.1.2,

Die lofalen Gegenfäge der Fabrif> und der Handels: entwiclung find hier, wie in den großen Städten, viel bedeutender al8 Die des Handwerks. Es giebt Negierungs- bezirfe und Provinzen, die noch einmal jo viel Hand- werfer haben als andere, im Handel und Fabrifwejen jolhe, die 4&—11mal fo viel Perjonen bejchäftigen. Das Handwerk zeigt auch hier wieder feine elementare Natur.

Die Beränderungen von 1822 61. 293

Es dient nothwendigen lokalen Bebürfnijjen, die einer: jeit8 auch heute noch überall vorhanden find und ande: rerjeit8 nirgends über ein gewiſſes Maß hinausgehen.

Freilich find die Differenzen noch jtarf genug: im Diten bejchäftigt 8 3—4%,, im Weiten 6 und 7%, der Bevölkerung. Am tiefjten jteht der Regierungsbezirk Gumbinnen 1861 mit 3,;,, dann Bromberg mit 3,66, Pojen mit 3,91%; über 7%, haben die Negierungs- bezirfe Lieguig, Magdeburg, Merjeburg, Erfurt, Arne- berg, Düffeldorf; am höchſten fteht Erfurt mit 7,35%.

Um aber zumächjt zurüdzufehren zu der Provinzial- tabelle und dem Unterſchied zwifchen den verjchiedenen Sahren ver Aufnahme, jo ift das Nangverhältniß der Provinzen unter fic) 1822 und 1861 jo ziemlich dafjelbe. Pofen 3. B. hat damals iwie jett etwa halb jo viel Hand— werfer als Sachen. Dieß Nejultat hat mich vollitändig überrajcht; ich hatte, ehe ich die Unterjuchung anjtellte, erwartet, daß in den weitlichen und mittleren Provinzen die Prozentzahl jich weniger geändert zeigen werde; ich dachte mir bier gleichlam das Bedürfniß gejättigt; ich dachte, daß wenn hier Neubildungen jtattfinden, fie eher die Form der Fabriken und großen Unternehmungen an- nehmen werden. Im den öſtlichen Provinzen dagegen, dachte ich, war die Zahl jelbjt der nothwendigiten Hand— werfer, wie der Bäcker, Fleiſcher, Schneider, Schuh: macher, Tiſchler 1822 noch jo gering, daß fie mit der Kulturentwicklung, mit der jteigenden Arbeitstheilung hier bedeutend fteigen müſſe, ich dachte, daß 1822 61 dieſe Provinzen ſich den Zuſtänden in Mittel» und Wejt- deutſchland müßten genähert haben.

294 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

Und ganz unrichtig war dieſe Vermuthung auch nicht. Von 1822 —46 ijt der Zuwachs in Preußen, Posen, Brandenburg, Pommern und Schlefien im Ganzen relativ faft größer als in Sachjen, Weftfalen und der Rheinprovinz; erſt von 1846 61 bleiben Preußen, Pojen, Pommern jo ziemlich ftabil, während die andern Provinzen wieder ſchneller voranjchreiten.

Es wird nun micht zu leugnen jein, daß einzelne Hauptgewerbe auch 1846 61 im Often noch zuneh- men; die wichtigfte Urjache der geringen Gefanmtzunahme liegt nicht jowohl in den einfachen Haupthandwerfen, als in der größern Zahl der Handiverfer, welche feinern Be: dürfniſſen dienen in den Gürtlern, Hutmachern, Hand: Ihuhmachern, Gold- und Silberarbeitern, Klempnern, Pojamentieren, Tapezierern und ähnlichen. Derartige, wenn ich jo jagen ſoll, höhere Handwerke fehlten worher faſt noch ganz; da fie erjt nach 1846 hätten fich bilden müſſen, blieben fie faft ganz aus, weil nunmehr der Handel und Verkehr fich jchon umgeftaltete, die lokale Produktion nicht mehr wie früher nothwendig war.

Freilich bleiben auch die wichtigern Handwerfe von 1846 an im Dften zurüd; theilweije wirken die ange— führten Urjachen auch auf fi. Sch will nur für einige Hauptgewerbe, die Bäder, Fleiſcher, Schneider und Schuhmacher eine jpezielle Berechnung anftellen, wie fie in den einzelnen Provinzen 1849 61 zuge: nommen haben. Die folgende Tabelle beantwortet die Frage, auf wie viele Einwohner ein Gewerbetreibender je des betreffenden Gewerbes kam:

Der Gegeniat ber weftlichen und öftlihen Provinzen. 295

| Ein | Ein | Ein | Ein

- Bidr | Fleifher | Schneider | Schuhmacher Provinzen. | tam auf Tamauf ) Fam auf | Kam auf

| 1849 | 1861 | 1849 | 1861 | 1849 | 1861 | 1849 | 1861

Preußen . . | 749| 784 | 8932| 673 | 217| 181 153| 156

Polen . . . | 552) 587) 641 | 569 | 196 | 199 137 | 133 Brandenburg . | 423 395 | 550 | 502 | 121) 104) 109, 107 Pommern . . | 489, 482 | 874 758 161 147 | 124 | 129 Schlefien 511| 508 470 | 419 | 185 151| 121| 114 Sadjen. . . | 341) 331 445 | 451 | 126| 118) 90| 92 Weſifalen 339| 290 762 675 124 109| 131 134 Rheinprovinz . | 259| 242 564 | 515 | 139) 126 113 118

Die Tabelle zeigt, daß von 1849 61 fait nur die Fleiſcher in Preußen und Pojen bedeutend zunahmen, die anderen Gewerbe aber in den mittlern und wejtlichen Provinzen mehr jtiegen als im Oſten. Und auch bei ven Fleiſchern erjcheint hauptſächlich deßwegen eine Zus nahme in Preußen und Pojen, weil die Zahl der Fleiſcher hier 1849 ausnahmsweife niedrig, viel niedriger als 1816 ijt. Es ijt, als ob das Handwerk, weil e8 bier jünger war, der neuen Zeit, ihrer Technik und ihrem Betrieb noch weniger Widerſtandskraft ent- gegenzufeßen gehabt hätte.

Einen weitern jchlagenden Beweis hierfür liefern die Zahlen, welche Herzog ! aus dem Regierungsbezirk Poſen mittheilt. Ich erwähne nur einige Hauptgewerbe nach den abjoluten Zahlen der Jahre 1822, 1846 und 1861:

1) Die Entwicklung der gewerblichen Verhältniſſe im Re— gierungsbezirk Poſen ſeit 1815. ©. 108— 133.

“4

296 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

| | 1 | sc 2 1#|.4ı el. 18 mis 3 eis y 8 8; |: Bjals dl Ss Schuhmacher | 2928 |1241| | 4848| 2380| |ası5 271866 Schneiber. . 11969 | 562) | 3514 |1443| | 3111 1535| Bäcker ... | 961| 146 | 1094| 538] 1000 | 776| Sleifcher .. | 948 | 210) | 1214| 472 1130| 588| Maurer .. 2485| 254 | 861426 89) 87 1508325 inmımerleute | 387 | 257 153 1113 142 88| 917 340 ch miede. . 11419 302| | 2066 11199 | | 2023 1282 | 516 | 1121 | 942| 399! 1003 | 389| Tischler... | 547) 249 | 1422 1131| |1400 11041)

Eine große Zunahıne bis 1846; von da ab Dollitändiger Stillftand oder Rüchang, während doch ſonſt die Verhältniſſe gerade von 1846 ab erſt weſentlich ſüich beſſern, die Straßen, der Verkehr, der Bodenwerth ſteigen. Gerade das muß nach den dortigen Verhält— niſſen eben dem kleinen Handwerkerſtand nicht günſtig geweſen ſein. Er blieb beſonders in den kleinen Städten zurück, während die wohlhabendern Konſumenten nicht zurückbleiben wollten, ſich hier wohl mehr als ander— wärts nach der Hauptſtadt der Provinz oder nach Berlin wandten. „Wohlhabendere machen ihre Einkäufe und Beſtellungen meiſtentheils in der Stadt Poſen,“ ſagt ein Bericht im Jahrbuch für amtliche Statiftif,t welcher hauptjächlich die Noth der Handwerker in den Heinen Städten der Provinz Pofen betont.

Daß die gewerbliche Thätigfeit in der Provinz Pojen wie in der Provinz Preußen vor Allem Durch

1) Jahrgang TI, 288.

Die Zuftände in Poſen 1822 61. 297

die ruſſiſche Zolllinie gehemmt und gelähmt wird, ijt richtig, kann aber hier nicht als hauptfächliche Urſache angeführt werden. Es trifft das mehr die größere Induſtrie; überdieß war diefer Umstand fchon 1822 1846 vorhanden. Der Stilljtand von 1846 an muß aljo mehr andere Urfachen haben.

Ehe ich aber hierauf noch näher eingehe, theile ich die Zahlen über die andern Theile des Zollvereins, ſo— weit jolche vorliegen, mit. Sie zeigen theilweije diejelben Gegenſätze; theilweile aber ijt das Nefultat auch ein wejentlich anderes; gerade da, wo das der Fall ift, find wir aufgefordert nachzuforfchen, warum es ein anderes ijt.

Für 1846 hat jchon Dieterici eine Vergleichung der: jenigen Zollvereinsitaaten angejtellt, die damals brauch- bare Aufnahmen machten! Die Summen der Hand- werfer aber, die er hiebei für Preußen 3. B. zu Grunde legt, find ziemlich niedriger, als die der fonjtigen offiziellen Statiftif,? wohl weil er jolche Kategorien, in denen die Aufnahme nicht überall gleich gemacht wurde, weg ließ. Deshalb find die aus den Hauptfummen abge- leiteten Prozentzahlen eigentlich nicht direkt vergleichbar mit den Prozentzahlen nach ver Aufnahme won 1861. Für 1861 erijtiren offizielle Summirungen nur von den

1) Mittheilungen IV, 252 ff. Statiftifche Ueberficht ber Fabrikations- und gewerblichen Zuftände in den verichiedenen Staaten des deutſchen Zollvereins im Jahre 1846.

2) Er zählt 803658 Meifter und Gehülfen in Preußen, jonft werden 842148 gezählt.

298 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

Staaten, die ihre Gewerbeaufnahme bejonders publizirt haben. Außerdem bat man die Summirungen in der Privatarbeit von Frantz,! die mit den offiziellen Summen, joweit fie exiftiven, theilweije fat ganz, theilweije wenig- ſtens ungefähr übereinjtimmen, und die Summen bei Biebahn,? die, ähnlich wie jeine preußiichen Zahlen, etwas niedriger als die offiziellen Summen find. Da fie aus eben dem Grunde den von Dieterici für 1846 berechneten Zahlen am nächjten jtehen werden, am ehejten mit ihnen vergleichbar jein werden, jo ftelle ich fie zunächſt mit denen Dieteric’S von 1846 zufammen. Ganz forreft tjt die Tabelle freilich nicht; einzelne Staaten zeigen eine fleine Zunahme, welche fie nach unjern obigen Unter: juchungen nicht haben; Die größern Veränderungen aber find ficherlich wahrheitsgetreu; jedenfalls bleibt der Ta— belle, wie der obigen Tabelle über die preußiſchen Pro- vinzen, der Werth, daß fie zeigt, wie die Proportionen der Zahlen von 1846 und der Zahlen von 1861 je unter einander fich änderten, wie das Rangverhältnig der Staaten unter fich gewechjelt hat. Es betrug die Zahl der Meijter und Gehülfen in Brozenten der gefammten Bevölferung :

1) A. Frans, Tabellen der Gewerbeftatiftif der Staaten des beutjchen Zollverein. Brieg 1867. Die Differenz der Frantz'ſchen und der offiziellen Summe für Preußen erwähnte ich ſchon oben S. 73. Für Württemberg führt Fran 80775 Meifter und 64468 Gehülfen an, in den württembergiichen Jahrbüchern für 1862 Heft 2, ©. 245 werden 79912 Meifter mit 64147 Ge- hülfen gezählt. Für Baiern weichen feine Zahlen von den offi— ziellen etwas weiter ab.

2) Statiftit des Zollvereins III, 745.

Bergleihung einiger Staaten 1846 und 1861. 299

1846 1861 in Sadfen. -. 2 ..7 8. in Bden . . 2.2.6 6, in Baierrn 46. 6,5 im Großb. Hefien. . . 5, Ta im Kurf. Hefen . .. 55 6,0 m Preußen. -. - .. 4 5, in Rofau .„ + de 5 in Thüringen BE 8,5

Die Zuftände haben fih von 1846—61 im Ganzen nicht unwejentlich geändert. Thüringen hatte 1846 am wenigiten Handwerker, 1861 am meiften. Das Großherzogthum Heffen fteht in der Reihe der Staaten mit zahlreichen Handwerk jegt oben an; Baden iſt zurüdgeblieben. Die Außerjten Differenzen find 1861 geringer, weil die Staaten, welde 1846 das ſtärkſte Handwert Hatten, Sachſen, Baden und Baiern, ziemlich stabil Hlieben, dagegen Die Staaten, twelche 1846 zurück waren, an Handwerkern zunahmen, namentlich Thü— vingen und beide Heffen, jelbjt Najjau. Wie kommt eg, daß fie, welche bis 1846 auf ähnlichem Standpunft wie die öftlichen preußiichen Provinzen ftanden, noch an Handwerkern zunahmen, während in jenen das Hand- werk fich nicht weiter entwidelte? Ich werde darauf zurüdfommen.

Zunächſt möchte ich noch eine jpezielfere Vergleichung ſämmtlicher Zollvereinsitanten und preußifchen Provinzen pro 1861 al8 weiteres Material für die Unterjuchung an—⸗ führen. Die Tabelle iſt Biebahn entlehnt. Sie beantwortet

1) Statiſtik des Zollvereins III, 745.

300 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

in der letzten Spalte die Frage, wie viele Meifter je auf 1000 Familien famen, in der vorlegten die Frage, wie viele Meifter und Gehülfen je auf 1000 Einwohner famen; die vorhergehenden Spalten geben darüber Auskunft, wie ſtark die einzelnen Hauptabtheilungen der Gewerbe im Verhältniß der Bevölferung waren.

Auf 1000 Einwohner find dandwerter Provinzen | und Gehülfen = Siz8l.T: l8l8s] 188 und 218228, 5|88|5&| 5 '8|28|8|15E|833]j5888& Staaten 2 EE S|38|1% Eu 55 'ı8 28/3838 3 Sölsels ERTL BES 3 ee. ı Tr i BG: TE Preußen... | 8 1| 9 156, 5 1 39 Boien . 71515 113 Pommern . ee 1113 17 4 6 | 48 Brandenburg. . ı 5) 2 ı 16 25 | 9 11168, Schiefien . -. . | 5| 1114, 22, 7156, Sadien . . - 161 2721295181 9 72) Weftfalen. . - 5 2112| 25 | 9 11 | 64 | Rheinprovinz. 10 Hohenzollern. ı 9113 Alt» Preußen | 8 Hannover . | 9 Kurbefien . 9 Homburg . 9 Naſſau. Frankfurt. .. Zuſ. ganz Preußen | Baiern. ; | Württemberg. Baden. -

Süddeutſchland

Das Handwerk in ſämmtlichen Zollvereinsftaaten 1861. 301

Auf 1000 Einwohner find Handwerker 5 Brovingen |_ u und ski 2 =, »|e8|,.|la |$ | Sg 2 und s 5812 23 31 28|5210%5 '2/.8|8 58 833[88 85 Staaten | Z|EE|S 22% 57 52 m 32 59 3172815513 _____|&la8l&|& 3 Könige. Sadfen. | 7| 2 14,9 | a 9 | 80 Thüringen. . - ) 6| 4 27, 27 ı 913 | 86 Anhalt. ı 71 3 1271351 8| 917% Dberfahien 71 2125| 9 155 Braunfhweig. . | 21722 8 | Oldenburg. . - | 2 |19 6 tippe J— 1 6 Niederfahen | 2 7 159 Großherz. Heffen 3 8 j | Waldeck . . . 2 9 Lurembug . - | 4 8 Rheinftaaten 3 | 194 Zollverein, 149

Als Ergänzung führe ich noch die Prozentzahlen einiger |peziellen Gewerbe nach Viebahn an. Bei einzelnen bat er Meifter und Gehülfen, bei andern nur die Meifter in Rechnung gezogen. An Meiftern und Gehülfen famen

1861 auf 10000 Einwohner bei folgenden Gewerben:

bei den bei den bei den Malern, Maurern Zimmerleuten Studateuren ıc. in Preußen. 30 23 4

in Boien . . 20 14 2 in Bommern . . 42 31 6 in Brandenburg . 65 42 12 in Schlefien . . 62 40 4 in Sadien. . . 98 60 5 in Weftfalen . . 46 32 8 am Rhein. . . 43 21 12

302 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

bei ben bei ben bei ven Malern, Maurern Zimmerleuten Studateuren ꝛc.

in Hannover . . 56 Hl 10

in Kurheſſen . . 62 28 22

in Naffau_. . . 74 27 11

in Sadjen, Kgr.. 109 74 5

in Thüringen. . 110 72 13

in Heflen-Darmft. 46 23 19

in Württemberg . TI 47 9

in Baden . . . 58 33 6

in Baiern . . . 74 52 8

Bon den folgenden Gewerben famen 1861 auf 10000 Einwohner je die folgende Zahl Meijter:

|

| |. el |

Provinzen | S „181 ,| F und „Iel8l2 E88 EI 21818 Staaten * AG ale AH Ei $ * 200908100 Preußen. . | 6,0,| 8131/3811, 10, |2,| 4 |% Poſen 9/1 12 30 48 ‚5 0, X 4 23 Pommern . . . . 11010, 8137147/2,|0,!1,| 4 |21 Brandenburg. . . 110 10 10 48 51 40 O0 12,2) 5 15 Sälefien . . . . |1111,/15/37155/2, 0,123 16 128 Sadien. . . . . ,18/11|1414766|7,/0%13,5| 9 |20 MWeftfalen PR . . . 21 1,10 46 48'3,; 0, 3,5 4 28 Rheinproviny . . . 23 1,714 43 56 64 04/4 5121 Hannover . . » . |17/0,119145|54|3,, 10,12, | 5120 Kurbefien . . . . 15,0,!114/39155|2,, 0,451 5 26 Naffat . . 26 1317 34 57 403 12,51 4 124 Sadien, Kar. . - Rt la 40 D> Is MN = 2

Thüringen. . - '1,122/48/63/3,,0,,/7s Heſſen-Darmſtadt 27 1237141 63 910205627 Württemberg. - - 36 20 26 38 73 45 02 60 928 Baden...» - 119/15 .14|32/63 450,131 6 122 Balert . . >». | 19|1,.120| 3451 58 10214,| 6122

Die provinzielle Stärke einzelner Gewerbe, 303

rovinzen | | N 8 * | 8 * 1212 —— 5 | 5 | 8 und *833532335 J2158182072* a|2|3| Staa ISalaaaasıaae Breußen | alı, |ıs] 6/2,lo, 2,5. [0,10, Rofen . | 5/1, |16| 5/1, 10, 12,410, 0% Pommern .. 7 2,0 26 6 3,0 O,5 2a 3 | Ya Brandenburg - ‚10|1,z 26 63, | 1, 73,2 13,5 | 0,5 |0,8 Schleſien 7 3,8 21 8 4,4 ‚ö 4 5 0,8 0,3 ———— eſtfalen | „ı 36 416,/0,8/2,0/0,41/2,3 10, Rheinprovinz . | 31 12,8 36 12 Bo 1a 3 LT Hannover. = 9 = 712,31) 874/04 2,114 10,10%

Kurheſſen "FRE. De AB 21 2,4 31 | 10 | d,9 | DEE 3,1 3 | #1 Nafjau . SE | 16 4 | 9 3,5 Zu 4 2,0 ‚8 ‚3 | Sadjien, Kor. 11013120) 9/2, 0.140124 11,0, —— 33338 Heften Darmit 11313124 14/6, 3,150 24124 2% Württemberg . 000 I 16 2,4 24 23 6,4 | 0,5 8,4 6,4 | 6,2 2,7 Baden » . . re \ 15 | 3,0 25 18 | am | 0,5 | 6,2 4a 8.1 | Lo Baiern . » «+ \ 10 2, | 18 14 4, 0,5 | 4a dr 24 0,8

Daß einzelne Differenzen, welche fich in dieſen ipeziellen Zahlen zeigen, nicht bloß und nicht volfftändig von der wirklichen Verjchiedenheit der Zuftände, fondern da und dort auch theilweije von einer Verſchiedenheit der Aufnahme herrühren, wird nicht zu Teugnen fein. Aber wir brauchen und in diefer Beziehung hier mit feiner Detailfritif abzugeben, da es fich ja zunächit mehr um das allgemeine Nejultat, um die allgemeinen Gegen füge, die zu Tage treten, handelt.

Dieſe allgemeinen Gegenjäte nun, welche ſich uns in den ſämmtlichen Tabellen erfichtlich machen xD

304 Die Bertheilung der Gemwerbetreibenbeit.

etwas größer als die, welche wir bei Vergleich der alt- preußifchen Provinzen und Regierungsbezirke erjahen. In den altpreußifchen Provinzen jchwanft der Hand- werferjtand zwijchen 3,, und 7,,°/, der Bevölkerung, ur ven altpreußiichen Aegierungsbezirfen zwiſchen 3,, und 7, ,, in den von Viebahn verglichenen Gegenden zwijchen 3,, und 8,;°%/,, wobei ich Sranffurt mit 16,,°/, als einzelne Stadt außer Acht laſſe. Hohenzollern, Württemberg, Sachjen, Thüringen haben alle über 8%, Handwerker, aljo mehr als irgend eine altpreußijche Provinz, über 7%, haben Anhalt, Braunichweig, Groß— herzogthum Hefjen, ihnen jteht nur die Provinz Sachjen mit 7, gleich; zwijchen 6 und 7%, haben ähnlich wie Brandenburg, Weftfalen und die Rheinprovinz Hannover, Kurheſſen, Baiern, Baden, Oldenburg, Waldeck, Luremburg. Naſſau allein von den weſt- und ſüddeutſchen Bezirken ſteht mit 5,, 0, den öftlichen preußiichen Provinzen gleich oder nahe; Schlefien hat 5,5, Pommern 4,;, Preußen 3,9, Polen 3,5%.

Die einzelnen Hauptgruppen von Handwerken find theilweije gleichmäßiger, theilweije aber auch um jo un— gleichmäßiger vertheilt. Ziemlich gleich ſtark find überall die Metallarbeiter. Achnlich die Beffetvungsgewerbe und Holzwaarenarbeiter; in den Befleivungsgewerben z. B. jtehen die mittleren preußtichen Provinzen den ſüddeutſchen und rheiniſchen Staaten jo ziemlich gleich, während fie in den Geſammtzahlen wejentlich zurücbleiben; ſelbſt Pojen und Preußen jtehen hier nicht jo ſehr zurüd; jie haben 1,, 9%, in den Bekleidungsgewerben, Hoben- sollen nur 2,;,, Württemberg 2,8, aljo noch nicht

Die provinzielle Stärke einzelner Gewerbe. 305

doppelt jo viel; Dagegen wird tm den Baugewerben die Zahl Pojens von Hohenzollern um mehr als das 4 fache, von Süddeutſchland, Oberſachſen und ven rbeinijchen Staaten um das 2-— 3fache übertroffen. In Poſen fommen auf 10000 Menſchen 20, in Preußen 30, in Ponmern 42 Maurer, in Thüringen dagegen 110, in Württemberg 71, in Baiern 74. Cine jtarfe Ver: jchiedenheit zeigen auch Die Gewerbe für perjönliche Dienft- leiftungen umd für Stoffberettung, jowie Die Nahrungs: gewerbe. Im Südweſten Deutſchlands etwa Die drei— fache Zahl wie im Nordoſten.

Dieſe Differenzen, wie überhaupt die Differenzen in den meiſten Gewerben, werden noch ſtärker, wenn man nur die Meiſterzahlen anſieht. Da wo die Zuſtände noch ein zahlveiches Handwerk erlauben, gibt es auch noch mehr Heime Geſchäfte, alſo um jo mehr Meifter, während in den Ländern mit entgegengejeßten Zuftänden die Gehülfenzahl relativ ftärfer fein wird.

In Helfen » Darmjtadt gibt es 4— 5mal jo viel Sleiichermeijter als in Preußen im e. S., in Württemberg gibt es Gmal jo viel Bäckermeiſter als in Preußen, in Hefjen 6 mal jo viel Barbiere als in Preußen, in Thü- ringen 7mal jo viel Gerbermeiſter als in Poſen, in Württemberg 60 mal jo viel Steinhauermeifter als in Poien, Smal jo viel Glaſermeiſter als in Schlefien.

Einige andere Gewerbe freilich zeigen auch, wen man nur die Meifterzahlen vergleicht, feinen größern Unterjchied. Die Ipezifiich Ländlichen Gewerbe Der Schmiede, der Sattler, dann die Gewerbe der Tiſchler, auch der Schneider und Schuhmacher find fich in den

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 20

306 Die BVertheilung der Gemwerbetreibenben.

verjchiedenen Gegenden ihrer Meifterzahl nach ziemlich nahe. Im einigen Gewerben jtehen ſich Württemberg, Baden, Baiern einerjeits, Preußen und Poſen anderer jeit8 fogar fehr nahe. In der norbötlichen, wie in der ſüdweſtlichen Ede find z. B. noch am metjten Zöpfermeifter; in dem ganzen Gebiete dazwiſchen find fie von den größern Gefchäften und dent Handel ver drängt. Dort ift e8 die Unentwiceltheit der wirthichaft- lichen Verhältniſſe überhaupt, hier find es die Heinen Städte und großen Dörfer, welche fie halten.

Dieje letzte Bemerkung zeigt, wie mannigfaltig und verjchieden Die Urjachen jein können, die eine hohe oder niedrige Prozentzahl von Handwerkern hervorrufen, wie vorfichtig man in allgemeinen Schlüffen fein muß.

Um daher, ehe ich die Urjachen, welche Die Gegen: ſätze beherrichen, genauer beipreche, noch weiteres Licht auf den Gegenjtand zu werfen, will ich noch einige Berech— nungen über das Verhältniß der Handwerker zur Fabrik— bevölferung in den einzelnen Staaten nach dem Stande von 1861 mittheilen. Die abjoluten Zahlen find Frantz! entnommen. Der Inhalt der Handwerker- und der Fabrif- tabelfe iſt bekannt. Die BVergleichung gibt wenigſtens ungefähr ein Bild davon, wie in den einzelnen Staaten

1) Die geringen Abweichungen feiner Zahlen von ben offiziellen, Soweit dieſe überhaupt eriftiren, find für dieſe Berech— nungen gleichgültig. Ich habe abfichtlich hiezu nicht die Viebahn— ihen Zahlen gengmmen, weil fie in Bezug auf bie Fabrifen viel mehr als in Bezug auf das Handwerk unter ben offiziellen Zahlen bleiben.

Fabrik und Handwerk in den einzelnen Staaten. 307

Fabrik und Handwerk fih in Wirklichkeit verhalten. Die erjte Tabelle gibt die abjoluten Zahlen und den Prozentantheil von Fabrik und Handwerk an ver Geſammtſumme.

—— | |

| | Die | Die Berfonen | Berjonen Ä Perſonen | | Hand⸗ der der de der | | Ä Staaten: s Han . | Zufammen \ werfer | Fabrik⸗ werker⸗ Fabrik⸗ | _ | tabelle tabelle | tabelle machen °/, ber | Geſammtſumme m m ——— Tai I Altpreußen . |1,092368 |764 352 | 1,856 720 | 58, | Aus Hannover. . | 122465 | 49805 | 172270 | Too | Ban Kuchefien . . 47718 | 25033 | 12 761 Gb, Ho Sadin - . | 189120 293 775 | 412895 | Ada | 54m Baden. -. . 91 498 | 64 862 156 360 | 58,;s Als Württemberg. | 145243 | 90592 | 235835 | Gl | 38 Baien. - . | 343706 1171927 | 515633 | 666 | 33 | |

In Hannover, wo die rein lanbiwirthichaftlichen Gegenden vorwiegen, iſt das Handwerk am ftärkjten, es folgen Baiern, Kurheſſen, Württemberg; dann Preußen und Baden; zuletzt Sachjen, wo allein die Fabriftabelfe jtärfer ift, als Die Hanpwerfertabelle. Dieſe Zahlen find aber nur relativ. Hannover hat gegenüber jeinen Fabriken das ftärfite Handwerk; mit der Bevölferung verglichen, hat es ein ſchwächeres Handwerk als Sachjen, Baden, Württemberg und Baiern. Diejen Vergleich der Fabrif- und der Hanbiwerfertabellen mit der Bevöl- ferung führt die folgende Tabelle noch aus, wobei ich für die Handwerferzahlen neben die Frantz'ſchen Die

20 *

308 Die BVertheilung ver Gewerbetreibenden.

oben jchon angeführten von Viebahn jtelle. Sie zeigen, daß der Unterichied Fein allzugroßer ijt.

Die Br | Die |

ſonen ber Perſonen | Berjonen | Provinzen |Fabrit- u. der Hand» | der Hand« | Perfonen dandwerker· werler | werfer- | ber und ' tabelle tabelle nach | tabelle nach |Fabriftabelle | zufammen ' Biebahn Gran machen %, Staaten: | machen °/, |maden °/, | machen Kor der Bevöl- ‚der Bevölke⸗ —S lerung rung tung ‚Bevölkerung Altpreußen . 10,04 De | yo | 4,14 Hannover I | 6,2 br | ur Kurheſſen ),8 6, sw | „380 Sadjen ] d,52 | 8,0 49 | 10,08 Baden . .. | ‚42 | 6,2 | 6,6 74 Wirttemberg 3000 1 | ‚3 D,o7 Baiern.. . . | m | 6,0 | Ta 3467

Das Handwerk iſt hiernach am ſtärkſten in Württem— berg, wo die Fabriken bedeutend, aber nicht am ſtärkſten find; dann folgt Sachſen, mit 8 reſp. 8,4, %/ Hand- werfern neben 10,,5,/, Fabrikperſonal. Alſo vertragen fich zahlreiche Handiwverfer wohl mit zahlreichen Fabriken ; freilich nur unter Umpftänden. Nach Sachjen folgt Batern mit der nächſthöchſten Handwerferzahl, während fein Fabrikperſonal mit an letter Stelle ſteht. Hannover und Altpreußen find an Handiverfern faſt gleich, wenig: jteng jehr nahe, an Fabrikperſonal hat Preußen nahezu die Doppelte Zahl. Die Bemerkungen beweifen aufs ichlagendfte, daß das Handiverf weder im gerader Proportion wächſt mit den Fabrifen, wie man oft

Die Urjachen der Handwerkerzahl. 309

behauptet hat, noch Daß es umgekehrt in gerader Proportion mit ihnen abnimmt, wie andere oftmals vorgaben. Ich werde darauf im Zuſammenhang mit den andern Urjachen, um die es fich handelt, zurüd- fommen.

Gehen wir num endlich nach langen, beinahe ermüden— ven Zahlenmittheilungen auf die einzelnen Urfachen näher ein, welche ein jchwächeres oder ftärferes Handwerk in den einzelnen Provinzen und Staaten bedingen, welche das Plus oder Minus an Handwerkern beeinfluffen und beberrichen, jo wird man zunächſt beim Allgemeinjten jtehen bleiben müjjen. Man könnte zuerjt geneigt fein, an die Berjchiedenheit des Wohlitands überhaupt zu denfen, man könnte geneigt jein zu glauben, daß reichere Gegenden mehr, ärmere weniger Handwerker int Ver— hältniß zur Bevölkerung bejiten. Gewiß ift das auch bis auf einen gewilfen Grab ver Fall; aber entfernt nicht durchaus. Bei größerm Reichthum und hoher Kultur kann die Art und die Richtung der Volfswirth- ichaft fo fein, daß doch die Zahl der Handwerker nicht fo groß ift, als in andern minder wohlhabenden Gegen— den. Schlefien und Naffau haben dieſelbe Prozentzahl Handwerker, und Schlefien ift viel reicher, Hohenzollern bat 8,,0/, Handwerker, die Rheinprovinz 6,2, und Doch) ift lettere gewiß viel veicher; Baden hat 6,,%,, Baiern 6,9%, und letzteres iſt weit hinter dem erjten an allge meiner wirthichaftlicher Entwidelung zurüd.

Nächit dem Wohlitand im Allgemeinen wird es gerechtfertigt fein, die Dichtigfeit der Bevölkerung ins Ange zu falfen. Und man wird wieder jagen können,

310 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

daß im Allgemeinen allerdings mit der größern Zahl Menichen, die auf der Quadratmeile leben, die Prozent: zahl der Handwerfer gegenüber der Bevölkerung wächſt, daß aber im Einzelnen jehr grelle Ausnahmen won diejer Regel vorkommen, die auf das Mitwirken anderer Ur- jachen hindeuten. Nehmen wir die Hauptgruppen, fo hatten:

Menſchen Prozente au

pro Meile! Handwerkern Atpreußen . 2.0.3476 5,6 bie füdbeutichen Staaten . 3783 7. rheiniſchen - „4929 7, = oberfähfiihen = . 6030 87;

Dieje beiden Zahlenreihen entiprechen fich ungefähr; aber e8 hatten dagegen

die Provinz Sachien . . 4147 7.

2 = Brandenburg. 3174 6,85 die Bevölferung der letstern Provinz um 25 %, geringer, die Zahl der Handwerker nur um 5—6 %,; e8 hatten

die ARheinprovimy . . .. 6357 m

Hohenzollern. . . . . 3081 8,9 in Hohenzollern aljo bei der halb fo ftarfen Benälferung viel mehr Handwerker; man zählt in

Zhüringen . . x... 4291 8;

Sadien . . . 2.2... 7805 8,0; das letztere Yand hat, bei doppelt jo jtarfer Bevölke— rung, Doch etwas weniger Handwerker.

1) Nah Viebahn II, 171 ff. Die Zahlen find von 1858; ih wähle fie, weil fie nach denjelben Hauptgruppen zufammen- gefaßt find, wie die Handwerkerzahlen.

Die Beoðlterungsdichtigkeit und die Großinduſtrie. 311

An weder der Wohlſtand im Allgemeinen, noch die Dihügleit Der Benölferung beherrichen allein bie Hanvwerterzifier.

Ader Die Richtung der Produktion, wird man ent- gegnen; in den rein agrarichen Gegenden fünnen nicht jo viele Handwerker fein, wie in den indujtriellen. Wenn Poſen 3,;0/,, Die Provinz Sachjen 7,,°), Hand» werfer bat, jo iſt daran jchuld, daß die eine Provinz eine landwirtbichaftliche, die andere eine induftrielle iſt. Aber wieder laſſen fich andere Länder reſp. Provinzen neben einander ftellen, bei denen die Gleichheit oder bie Differenz daraus nicht zu erflären ijt. Das induftrie- reiche Schlefien bat 5,,%,, das vein landwirtbichaftliche Hannover hat 6, 0/5; das vorwiegend agrariiche Baiern hat 6,, % Handwerker, das gewerbiame Baden zählt 6,5 %,, Pie fait nur aus Bauerngemeinden beſtehende Provinz Kurheſſen hat ebenfalls 6,,%/, Gewerbetreibende. Und es ijt natürlich, Auch das platte Yand und die Heinen Aderjtädte können zahlreiche Handwerker Haben. Der induftrielle Charafter eines Landes als ſolcher jteigert nicht überall das Feine Handwerk.

Ich Habe dafür jchon oben die Belege mitgetheilt, wo ich die Prozentzahlen der Handwerker und ber Vabriftabelle verglich. Es gibt allerdings Gegenden, - wo mit der Großinduftrie nicht jowohl die Kleingewerbe zunehmen, wo fie aber von früher her zahlreich, ſpäter leidend und abnehmend, durch den Aufichwung der Großinduſtrie eher wieder in beijere Tage Famen. Württemberg, einzelne Theile Sachjens und der Rhein— provinz beweijen das. Aber ganz faljch ijt es, das all-

312 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

gemein zu behaupten, allgemein es auszufprechen, die Sropinduftrie am fich fürdere und hebe nothwendig das Handwerf. Offizielle und balboffizielle Schönfärberet, von der jelbjt Viebahn nicht ganz frei ijt,* Haben Das eben ſo oft zuverjichtlich ausgejprochen, als der Optimis- mus dev vadifalen Volkswirthe, die den Beruf fühlen, die Großinduftrie und die große Spekulation gegen jeden Borwurf zu vertheidigen, alles jchön und vollfommen zu finden, was wirklich oder fcheinbar durch freie Kon— furrenz entjtanden ijt. Beide Richtungen haben es behauptet, aber nicht bewiejen.

Sobald man näher zufieht, wie Die Konkurrenz won Handwerk und Großinduftrie ift, jo befommt man eine flare Anſchauung, wo die Ießtere dem Handwerke ichadet, wo fie es fördert. In den wenigen Branchen, in welchen die Fabrik dieſelben Waaren liefert wie der Handwerker, vornehmlich, wo fie jelbjt die Lofalen Bedürfniſſe befriedigt, da drückt fie auf das Handwerk, verdrängt e8. Der überwiegende Theil aber der größern Unternehmungen liefert nicht Waaren für lokalen Bedarf, jondern für ganze Länder. Dadurch entjteht auch ein Drud auf das Handwerk, aber es ijt ein Drud, der fi) dann auch über ganze Länder verbreitet, der in dieſer Vergleihung nach Provinzen gar nicht erfichtlich jein kann. Die Förderung, welche die Großinduftrie dem Handwerk geben kann, iſt nur indiveft, wenn wir von einigen Reparatur- und Hülfsgewerben abſehen.

1) Statiftif des Zollvereins III, 744.

Be

j Das Alter der gewerblichen Kultur. 313 | Sie ſchafft eine Dichtere, unter Umſtänden wohlhabendere k Bevölkerung. Ob dieje aber viele Handwerker beichäftigt, | hängt ab von dem Grade der Wohlhabenheit der Ar: : beiter, von der Art des Zufammenwohnens, von einer Reihe weiterer Umſtände. Beſonders in den Groß— jtädten bejchäftigt die größte Zahl Tabrifarbeiter nicht j jowohl Handwerker, als zahlreiche Detailhändler und ! Magazine, große und Feine Speifcehäufer und Schaf: | wirtbichaften. A Biel hängt in dieſer Beziehung ab von ven 1 bergebrachten Sitten und ven häuslichen Gewohn— Ä heiten einer Gegend. An allem Hergebrachten hängt | die Mehrzahl viel zäher feft, als die National:

öfonomen meiſt glauben. Das verjchievene Alter der gewerblichen Kultur, das den ganzen Weiten Deutichlands von dem Oſten untericheivet, fommt da in Betracht. Wo ein zahlreicher Heiner Handwerfer- ſtand ift, da erhält er fich wenigitens theilweife durch die zähe Feſtigkeit beſtehender Yebensgewohnbeiten und Geſchäftsſitten; wo eine gewerbliche Entwickelung erſt | mit der Zeit der Dampfmajchinen und Eiſenbahnen

eintritt, da wird, worauf ich ſchon in anderem Zu- \ ſammenhang aufmerkſam machte, das nun nen Anzu- fangende nicht im alten, jondern in neuem großen | Style begonnen. Die größere Zahl Handwerker am | Rhein, im Südweſten Deutichlands hängt hiermit zu- ſammen. Aber wieder wäre c8 falich, wenn man Diefe Wahrheit zu jehr eriveiterte, zu allgemein ausipräche. i Thüringen hatte 1846 noch 3,,%, Handwerker, 1861 j 8,5%; Teine gewerbliche Entwicelung ift alſo ſehr jung,

314 Die BVertheilung ber Gewerbetreibenden.

und Doch zählt es jetzt mehr Handiverfer als Sachien, Baden, Baiern und Württemberg.

Mit den zulett beiprochenen Punkten hängt ein anderer enge zufammen; ich meine den Einfluß der Zunftverfaffung. Es ift ein entjchievener Unterſchied zwijchen den Ländern, wo fie früher befeitigt wurde und denen, wo fie länger beitand. Die Gewerbefreiheit hat mit ihrer größern Konkurrenz das Feine, technifch weniger vollfommene Handwerk früher bejeitigt. Wo die alten Zunftvorjchriften beibehalten oder auch nur vermittelnde Gewerbegejege erlafjen wurden, da hatte der Groß— ‚betrieb, das Magaziniyitem, da hatte alles Neue doch mit mancherlei Schwierigfeiten zu fümpfen; da erhielten fih die beftehenden Gewohnheiten des Verkehrs und Geſchäftslebens mehr im alten Geleiſe. War man zu engherzig, jo beichränfte das wohl wieder die Zahlen der Handwerker, aber abgejehen hiervon erhielt eine gemäßigte Zunftverfafjung entjchieven eine größere Zahl fleiner Gejchäfte. Das iſt wehl die Urjache, auf die es neben andern zurücdzuführen it, Daß die entwideltern altpreußifchen Provinzen Hinter ſonſt Ähnlichen Gegenden in der Zahl der Handwerker zurüdjtehen; die Provinz Sachſen hat 7,,, das Königreich 8,,, Thüringen 8,0; Schlefien hat 5,, und Hannover 6,,%/,, die Aheinprovinz bat 6,,%,, die Rheinftaaten haben 7,,°/, Handwerker. Man fieht daraus wenigjtens, daß die bejtehenden Hand- werfe von einem eng egoiftiichen Standpunkte nicht ganz unrecht hatten mit ihrer Abneigung gegen Die Gewerbe- freiheit. Von einem höhern Standpunkt aus wird man anders urtheilen; da wird man es nicht an fich als

Der Einfluß der Gemwerbegefetgebung 315

ein Glück betrachten, wenn die Handwerker etwas zahl- reicher, dafür aber um fo ungejchicter und indolenter find und viele halbbeichäftigte Exiſtenzen in fich bergen. Da wird man, ſelbſt wern man die mit der Gewerbe— freiheit und den Fortichritten der Technik fich ergebende ungleichere VBermögensvertheilung, das theilweile Ver: Ihwinden eines Mittelftandes tief beklagt, die ander: weitigen Fortſchritte immer dagegen halten.

Uebrigens darf man den ganzen Einfluß der Ge- werbegejetgebung nicht überjchägen. Er bejchränft jich, jo wie unjere deutſchen Geſetze alle waren und gehand- Habt wurden, darauf, daß große Durch andere Urjachen hervorgerufene Bewegungen etwas verlangfamt oder etwas verjtärft wurden. Auch die Rheinprovinz bat troß der längft bejtehenden Gewerbefreiheit noch immer ein nicht unbedeutendes Handwerk; das Königreich Sachſen Hat troß der Zunftgejege und Realberechtigungen feinen Uebergang zur Großinduftrie, da wo er angezeigt war, vollzogen.

Alle bisher beiprochenen Urjachen treffen nicht in das Herz der Sache; theilweije jelbjt nicht einfacher Natur, wirken fie vollends unter jehr verjchiedenen Ver— hältniſſen ſehr verjchieven. Mehr und weniger wird man freilich jo von den meiften Urſachen jozialer und volfswirthichaftlicher Dinge urtheilen müſſen, wein man genauer zufieht. Aber doch nur mehr over weniger. Es gibt durchgreifendere Urjachen mit ein: fachern Wirkungen. Und eine folche, wie mir jcheint die wichtigfte in diefer ganzen Frage, habe ich noch hervorzuheben.

316 Die Vertheilung ber Gewerbetreibenben.

Ich erwähnte jchon, wie wichtig die häuslichen Sitten, die Art der Familiemwirthichaft je. Der Stammescharafter und die wirtbichaftliche Gefchichte eines Volkes find die allgemeinen Urjachen, von denen dieje Sitten abhängen. Spezieller aber läßt fich behaupten, daß die Geſammtheit diefer Verhältniſſe Hauptjächlich wieder bedingt ijt von der Vermögens- und Einfommensvertheilung einerjeits, der Vertheilung der Bevölferung in großen oder Fleinen Städten, großen oder fleinen Dörfern anderjeits.

Die Kleingewerbe find da am jtärfjten, wo ver feine Grundbeſitz und ver Feine landwirthichaftliche Betrieb vormwaltet, wo zahlreiche große Dörfer jtatt der anjehnlichen Nittergüter mit wenigen Tagelöhnerhütten find, wo viele Fleinere und mittlere Städte ftatt weniger ganz großer Städte neben einem wenig bevölferten platten Yande exiftiren. Ich glaube Lorenz Stein jpricht es einmal aus, „die Bertheilung des Grundbeſitzes gibt der ganzen BVBolkswirthichaft ihre Signatur.” Das zeigt fich gerade Hier jehr deutlich.

Wo der Fleine Befit vorherrſcht, da ſteht fich Arm und Reich anders gegenüber, da bilden fich Anjchauungen und Sitten durch alle Schichten der Gejellichaft Hin- durch, welche die Gegenſätze nicht jo hervortreten laſſen. Selbit die höheren Klaſſen der Gejellichaft, der Abel, die hohen Beamten, die Offiziere jtehen in folchen Ländern mit ihren Gewohnheiten, Anſchauungen und Bebürf- niffen nicht jo über der Maſſe des Mitteljtandes. Die maßgebenden Perjonen in der Regierung wie in den politiichen Parteien jtehen dem kleinen Mitteljtande

Wohnſitze und Grundbefitvertheilung. 317

näher. Der Wohlhabende lebt in Süddeutſchland ein- facher, der Nermere bejfer als in Norddeutſchland. Es wiegt mehr ein mittleres Niveau von Bedürfniſſen und Lebensanjchauungen vor. Und die Art der Bedürfniſſe, die Art der Konjumtion bejtimmt, ob größere oder fleinere Gejchäfte, ob der Handwerfermeiter oder das Magazin fie befriedigen. Das Yand der Fleinen Leute, des vorwiegenden Meittelitandes gibt auch der Fleinen Induſtrie noch mehr Beſchäftigung.

Wo der bünerliche Mittelſtand fehlt, Fehlt der übrige Mittelſtand Teicht auch. Da find feine Fleinen Städte und Berfehrsmittelpunfte, da wird heute nur noch im Großmagazin der Hauptjtadt oder vom Haus jiver gefauft. Und das iſt Die weſentlichſte Urſache, warum Die öjtlichen preußifchen Provinzen auf die gleiche Bevölferung nie Die gleiche Zahl Handwerker wie im Süd- und Deittelveutichland befommen hätten, auch wenn die Technik, die Arbeitstheilung diejelbe geblieben wäre, auch wenn dev neue Verkehr nicht Alles geändert hätte, Das tjt die wejentlichjte Urſache, warum fie fie jest noch weniger bekommen werden, warum fie, wie wir beim Regierungsbezirk Poſen ſahen, ſeit 1846 einen folchen Stillſtand ihrer Handwerkerzahl zeigen.

Nur mit ein paar ſtatiſtiſchen Zahlen will ich dieſe Behauptung noch zu illuftriven fuchen. Die Durchſchnitts— größe der einzelnen Grundbeittung tt nach Hausner in der Rheinprovinz, Württemberg, Baden, Naffaı, Heijendarmjtadt 3 5,, Hektaren; in den Königreichen Sachſenzund Baiern, jowie der Provinz Weſtfalen iſt der durchiehnittliche Befit 6,,—7,, Heftaren, in Preußiſch

318 Die Vertheilung der Gewerbetreibenben.

Sachſen 9,,, Hannover und Schlefien 11,,, Branden- burg, Pojen, Preußen, Bommern 21—28,, Heftaren;! das ift, wenn man einige entgegengefett wirfende Ur- jachen wegdenkt, in der Hauptiache dieſelbe Nang- ordnung, welche fich nach dem Prozentantheil der Hand- werfer an der Bevölkerung ergiebt.

Ueber die Größe der Dörfer in den einzelnen preußiichen Provinzen fehlen mir neuere Zahlen. Ich muß daher auf einige ältere zurüdgreifen, welche theil- weije vielleicht nicht mehr ganz richtig, doch immer noch ein ungeführes Bild der Sache geben. Im Jahre 1849 ? hatten von 36588 ländlichen Gemeinden in Preußen 8355 weniger als 100, nur 5292 hatten über 500 Seelen. In den Provinzen Preußen, Pojen und Pom— mern fommen 20--30, am Rhein 60— 70 Woh- nungen auf ein Dorf. Genauere Zahlen gibt Hart: haufen 1839.?° Nah ihm hatte ein Dorf durch: fchnittlich in den folgenden NRegierungsbezirfen Ein: wohner: Königsberg 104, Danzig 108, Marienwerder

1) Bergleihende Statiftif von Europa, Lemberg 1865, II, 211. Die Zahlen von Hausner ftimmen mit Biebahn’s (1I, 563) preuß. Zahlen vwollftändig, den Heftar zu 4 preuß. Morgen gerechnet.

2) Kries, Betrachtungen über Armenpflege und Heimath- recht, Zeitjchrift für die gefammte Staatswifjenfchaft IX, 22. Die Zahlen find theil® den Regierungsmotiven der damals vor- gelegten Gemeindeordnung, theils der offiziellen Statiftif ent— nommen.

3) Die ländliche Berfafjung in Oft- und Wſpreußen. Königsberg 1839. ©. 66.

Die Größe der Dörfer und Städte. 319

94, Poſen 134, Bromberg 196, Köslin 227, Stettin 293, Stralfund 262, Potsdam 321, Frankfurt 309, Liegnig 323, Oppeln 330, Magdeburg 351, Merſe— burg 243, Erfurt 442. In Württemberg dagegen hat ein Dorf nach Hausner ! gegenwärtig 857, in Hannover 209 Einwohner. Es iſt Far, von wel cher Bedeutung das für das Feine Handwerk iſt; ebenio wie das Vorkommen vieler Feiner Städte, die nachgewiejenermaßen den größten Handwerkerjtand haben. Es fam, wieder nach Hausner, ? in Württem— berg jchon auf eine DMeile eine Stadt (incl. der Marftfleden), in Naffau eine auf 1,,,, in Heſſendarm— jtadt auf 1,,, in Thüringen auf 1,,, in Baden umd Sadjen auf 1,,, in Heſſen-Kaſſel auf 1,,, in Baiern auf 2,55, in ganz Preußen auf 3,,, in Hannover auf 3; Meilen. Je größer die Zahl der Städte, deſto fleiner find fie. Die Reihenfolge entjpricht wieder un— gefähr dem prozentualen Vorkommen des Handwerks.

Im Anjchlug hieran möchte ich noch auf zwei Punkte aufmerkſam machen, die in gewiſſem Sinne nur } eine Wiederholung des eben Gejagten enthalten, da— neben aber doch auch jelbjtändige Gefichtspunfte zur Erflärung beibringen.

Bon der Art des Familienlebens, der Vertheilung des Grundbeſitzes, der Art der menjchlichen Wohnftätten (freilich auch von manchem Andern), ijt das bebingt,

1) I, 102. 2) I, 190,

320 Die Bertbeilung der Gewerbetreibenben.

was man im Allgemeinen ven Bolfscharafter nennt. Jeder deutihe Stamm hat feine Eigenthümlichkeit; ver höfliche einfige Sachje, der bejcheidene gutmüthige Thü- ringer, der leichtlebige Rheinländer, der derbe Baier, jever hat jeinen eigenen Charakter, hat Züge, die dag ganze wirthichaftliche Yeben ver Provinz, der Gegend influiren, die bejonders von Einfluß find auf die Art, wie man die nächjtliegenden täglichen Bedürfniſſe befrie- digt. Viel größere Unterſchiede aber al8 die eben erwähn- ten bietet ganz Weſt- und Mittel -Deutjchland mit feiner vein deutjchen Bevölkerung einerſeits und der Oſten mit feinen ſlaviſchen, emigrirt -franzöfifchen, auch jtär- keren jüdifchen Beimiſchungen andererjeits. Schon im Mittelalter war der Handwerker in den ehemals ſlaviſchen Ländern ein Deutjcher. Zu einem gejunden ftädtijchen Mittelitande haben e8 die mehr ſlaviſchen, die polnijchen Gegenden nie vecht bringen fünnen. Ob e8 mehr ver Verlauf der polniichen Gejchichte mit ſich gebracht haben mag oder der urjprüngliche Stammescharafter, die großen Dörfer und die Städte find germanijcher Ab- funft. Im den fleinen Städten dev Provinz Pojen da bilden den wichtigiten Theil des Mittelitandes die Juden. Der Iſraelit beginnt mit dem Schnapsladen, er geht dann zu einem Materialladen, zum Handel mit Yanbes- produften und mit allem Möglichen über, und wenn er reich geworden ift, zieht ev nach Pojen oder gar nad) Berlin. Der dortige Mittelftand überhaupt neigt mehr zum Handel, als zum Handwerf. Es iſt charakteriſtiſch, daß der deutſche Tagelöhner auf den großen Gütern der Mark und Pommerns im Winter am Webjtuhl

Der Bolkscharafter und die Verwaltung. 321

figt, alle mögliche Handwerksarbeit lernt und verrichtet, während dazu der ſlaviſche Tagelöhner in Poſen nicht zu brauchen ift. Aus einem folchen Arbeiterftand gehen feine Handwerker in Dorf und Stadt hervor.

Der andere Punkt, den ich noch hervorheben möchte, it folgender. Im den Ländern des Kleinbeſitzes, der gleichen VBermögensvertheilung, die freilich zugleich Klein— ftaaten find, Hat fih in Zuſammenhang mit den dor— tigen fozialen Sitten und Anſchauungen nicht die Geſetz⸗ gebung, aber die Verwaltung dem Handiwerfe gegenüber anders gejtellt als in Preußen.

Man wird nicht behaupten können, daß man in Preußen am fich weniger thue oder gethan habe für In- duftrie und Verkehr, im Gegentheile; aber das wird man jagen bürfen, daß das, was gejchieht, an eine andere Adreſſe geht. In den größern Verhältniſſen macht fi) das Bedürfniß der Fleinen Leute weniger geltend. Große Fabrifanten und Unternehmer, große Ingenieure und Spekulanten mit ihren jpezififchen In— terejjen ftehen in Berlin mehr im Vordergrund als in den Regierungsfigen der Kleinjtaaten, führen mehr das Wort in den öffentlichen VBerjammlungen, in den Ge— werbefanmern, im Parlament, in der Preffe. Großes dat Preußen im gewerblichen Bildungswejen geleiftet ; das Gemerbeinjtitut und die Bauafademie find Zeuge dafür; Staatstechnifer, die in Privatdienfte übertraten, haben die großen Privatbergiverfe und -Hüttenwerke mejent- lich gehoben; die Seehandlung, die Bank haben tauſend— fach da umd dort eingegriffen, geholfen, Kredit gegeben ; Staatsgarantien haben dem Eifenbahnbau Schwung ver-

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 21

322 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

lieben. Alle dieſe Beitrebungen kommen indirekt dem Ganzen, direkt und zumächit aber der großen Induſtrie, dem großen Kapital zu Gute.

Was für die Fleine Induftrie geſchehen tft, iſt unbe- deutend; ! die wenigen Provinzialgewerbejchulen erſtrecken ihre Wirkung nur auf die Elite des höhern Hand- werferjtandes; der Zeichenunterricht, das niedere gewerb- liche Schulwejen Tiegt bis in die neuere Zeit mit weni- gen Ausnahmen ganz darnieder, ijt nur an denjenigen Drten entwidelt, wo Privat, Handwerferbildungs- und Gewerbevereine die Sache in die Hand nahmen.

Dean blide dem gegenüber auf das gewerbliche Bildungsweien Süddeutichlands, auf das, was man dort für die Stleingewerbe überhaupt thut. Ich will von der Thätigfeit Badens umd Baierns nach diefer Richtung nicht weiter Iprechen. Von Baiern wäre haupt- jachlih der wohlthätige Einfluß der ausgezeichneten Nürnberger Kunftgewerbeichule zu erwähnen. Nur an die mir am meiſten bekannte Thätigfeit der württem- bergifchen Zentraljtelle für Handel und Gewerbe ? will

1) Schwabe, die Förderung der Kunftinduftrie in England, Berlin 1866 , gibt einen Ueberblid über die deutſchen Beftrebungen nach diefer Richtung und jpricht fih ganz in gleihem Sinne aus ©. 188 191.

2) Siehe: Steinbeis, die Elemente der Gewerbebeför- derung, nachgewiefen an der belgiſchen Induſtrie. 1851. Mirus, über Gewerbebeförderung und Gewerbsthätigkeit im Königreih Württemberg. Leipzig 1861. Wirttembergifhe Han— delsfammerberichte fiir 1864, Anhang. Dorn, Pflege und För— derung des gewerblichen Fortichritts durch die Regierung in Württemberg. Wien 1868.

Die Förderung ber Kleingewerbe in Württemberg. 323

ich erinnern. Sie hat unter ihrem tüchtigen Direktor Steinbeis ſich vorzugsweile bemüht, in Die Kreife des eigentlichen Handwerks Anregung und Förderung zu bringen. Sie hat neue lohnendere Induftriezweige ein- geführt, die bejtehenvden Hausinduftrien auf die kunſt— volleren Branchen, die dem Handwerk bleiben, überge- leitet, fie Hat tüchtige Gewerbetreibende im Auslande lernen lafjen, fremde Gewerbetreibende zur Einführung und Hebung einzelner Gewerbe ins Yand gezogen. Sie hat einen dauerden Fonds zu Neifeunterftügungen für fleine Gewerbetreibende. Sie hat in jeder Weiſe den Abſatz nach Außen zu fördern geſucht; fie hat in dem jtutt- garter Muſterlager dem Fleinen Mlanne, der nicht reifen fan, Gelegenheit gejchafft, alles Neue, Mufter, Ma— ſchinen und Werkzeuge zu jehen; fie überläßt zeitweife neue Maſchinen den Einzelnen zur Probe. Zwei Webjchulen und verſchiedene Yehrwerfjtätten für Weber Hat fie in’s Leben gerufen, fie zahlt Prämien für Anjchaffung neuer mufterhafter Webjtühle In hunderte von Werkftätten famen jo im Laufe weniger Jahre verbeſſerte Werkzeuge und Methoden. Auch Titerariich jucht fie zu wirfen durch das billige tüchtig redigirte Gewerbeblatt, durch Verbreitung leicht verjtindlicher technischer Schriften. Das wichtigite aber iſt das geſammte gewerbliche Fortbildungswejen, das die Yehrlinge und Geſellen all- abendlich und des Sonntags wieder zur Schule ver- jammelt. Die Anregung ging auch von der Zentral: jtelle aus, die Gemeinden wirkten mit, indem fie einen Theil der Kojten übernahmen. Bejonders der

ertheilte Zeichen- und Modellirunterricht, der in den 21*

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324 Die Bertheilung ber Gewerbetreibenbent.

größern Schulen, wie in Stuttgart, getrennt für einzelne Gewerbe, wie für Bauhandwerker, Schreiner, Schloffer, Sattler ertheilt wird, Hat ſchon unendlichen Segen geftiftet. Mag der Unterricht einzelner norddeutſcher Mufteranjtalten, wie der des Berliner Handiverfervereing, diejen Schulen Fühn an die Seite treten, mögen da, wo Tolche freiwillige Schulen fich dauernd erhalten Haben, die— jelben noch größern Segen jtiften, wie jede rein auf Selbithülfe bafirte Einrichtung einen größern Werth hat, für alle kleinern Verhältniſſe reichen die freiwilligen Lehrer, reichen zufällige Privatmittel und Anregungen nicht aus. ! Der Unterricht bloßer Privatvereine ift zu oft chlecht, ungenügend, geht zu häufig wieder ganz ein. ine ſyſtematiſche Ordnung durch den Staat, ein ſyſtematiſches Heranziehen dev Gemeinden ift nothwendig, um Beitand und Erfolg in dieſes gewerbliche Fortbil- dungsweſen zu bringen, um e8 allgemeiner zu verbreiten.

Der große Vorzug der württembergijchen Schulen ift eben ihre große Verbreitung. Bon den 101 im Jahre 1864 jchon beftehenden gewerblichen Fortbildungsichulen

1) Es foll damit das gejammte norddeutſche Hand— werfer- und Arbeiterbildungsvereinswejen fein Vorwurf treffen. Es hat dafjelbe feine volle Berechtigung; es bat viel geleiftet, aber es reicht für den gewerblichen und Fünftferiichen Unterricht nicht aus. Bergleiche über dieſe Vereine den Arbeiterfreund 1866: Die Handwerker», Arbeiter- und ähnlichen Vereine in Preußen, bearbeitet von Hermann Brämer, ©.48 ff., ©. 222 ff. und ©.293 ff.; daneben in demſ. Jahrg. ©. 338: Kletke, über die wifjenjchaftliche Erziehung unferer Handwerker. Ferner über biefen Punkt: Dr. Schwabe, Staatshülfe und Selbfthülfe auf dem Gebiete der Kunftinduftrie. Berlin 1868.

Das gewerbliche Bildungswefen. 325

find 86 in Orten von weniger ald 6000 Einwohnern; die Schulfrequenz iſt eine außerordentliche.

Es bezeichnet den Gegenjag zum Norben, daß man jest endlich in Preußen anfängt, won Seiten des Kultus: minijteriums die großen Städte von gegen 50000 Ein- wohnern aufzufordern, ähnliche Zeichenjchulen zu errichten, daß der Staat fich bereit erklärt, für dieſen Tall einen Beitrag zu geben, daß das neu gegründete Berliner Gemwerbemufeum daran denkt, nach Art des englijchen Kensington - Mujeums feine Wirkfjamfeit auch außer: halb Berlins auszudehnen.

Es ift diefer Unterricht mit der wichtigfte Faktor, das Feine Handwerk zu erhalten, es produftionsfähig für den weiteren Abjat zu machen, ihm Bildung, Kennt— niffe, Unternehmungsgeift zu geben. Denn die Heinen Geichäfte erhalten fich für direkten Abjat oder als Haus- industrie organifirt in alfen den Branchen, in welchen die perjönliche Arbeitskraft und Gejchieklichfeit, der künſt— leriſche Geſchmack im Vordergrund jteht, ohne daß doch) eine Maffenproduftion möglich wäre, welche fich des vom großen Fabrikanten bejolveten Künſtlers bedienen könnte. Das Tiichler -, Das Drechsler +, dns Klempner >, das Stein: hauer⸗, Maurer- und Zimmergewerbe und noch viele Andere haben als Kleingewerbe einen ganz andern Boden, wo ein tüchtiger gewerblicher Unterricht exijtirt.

Das gewerbliche Bildungswejen ift vielleicht noch wichtiger als das ganze Affoziationswejen; blühende Ge- noffenfchaften nügen doch zunächſt nur Einzelnen; Das gewerbliche Bildungsweſen werdet fich an Alle,

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3. Das Verhältnig der Gehülfen zu den Meiftern im Allgemeinen.

Die Stellung des Lehrlinge und des Gejellen in alter Zeit; Mißſtände ſchon damals. Die Gehillfenzahl im vorigen Jahr— hundert. Die Zahl der preußifchen Gehülfen von 1816—43. Die Aufnahmen von 1846—61, das Gleichgewicht ber Meifter- und Gehülfenzahl 1861. Der Fortſchritt, der in der fteigenden Gehülfenzahl Liegt; daneben die immer geringere Ausfiht für alle, felbft Meifter zu werben. Die Urſachen, warum bie Zunahme ber Gehülfenzahl leicht die Bevölkerungs— zunahme überfteigt, nicht im Verhältniß mit dem wirklichen dauernden Bedürfniß der BVBolfswirtbichaft fteht. Die Auf- löſung der alten Handwerfszuftände Der Uebergang älterer Gejellen zu anderen Berufen und die Auswanderung. Die Nothwendigkeit eines verheiratheten Gejellenftandes. Die Miß- fände und Schwierigfeiten, welche aus dem Uebergang biezu entftchen. Die Bernichtung ber alten Rangorbnung im Hand» wert; die Nothwenbigkeit der vwerfchiebenften Arbeitskräfte nebeneinander. Die Stellung bes Lehrlings in Folge ber wegfallenden Prüfung und der ganz anderen Einrichtung ber heutigen Gejchäfte,

In dem Verhältnig des Meifters und der Meifters- familie zu dem Geſellen und Lehrlinge Tiegt eigentlich der Halb poetiſche Halb patriarchaliihe Duft, der heute noch auf dem Handwerk der alten Zeit, wie eine

Der Lehrling und Gefelle in alter Zeit. 327

ihöne Erinnerung, liegt. Und es ift wahr. In dem Berbande der verjchiedenen wirtbichaftlichen Kräfte nicht bloß zu Einer Arbeit, jondern auch zu Einen Familien— leben lag eine große fittigende Kraft. Der Yehrling wurde nicht bloß techniich unterrichtet, ev wurde Durch Anweiſung und Borbild zu Fleiß und Ehrbarfeit vom Meiſter erzogen, zu Sparjamfeit, Ordnung und Rein: lichfeitt vom jorgenvden Auge der Meifterin angehalten. Der Gejelle, der in der Werfjtatt des Meiſters arbeitete, an jeinem Tiſche und unter jeinem Dache jchlief, war in eimen für jeine Jahre engen Kreis gebannt, er opferte jeine beiten Jahre der Hoffnung, ſpäter ſelbſt Meijter zu werden; aber in dieſem engen Kreile um— ſchloß ihn zugleich eine heiljame bürgerliche Zucht und Sittenjtrenge; eine Reihe finniger Gebräuche und Zere- monien gliederten jeinen Yebensgang, der in feite Sta- tionen gebannt war, aber auch ein ficheres Ziel vor ſich hatte, eine schöne einheitliche Ordnung darſtellte. Die joztale Gleichheit von Arbeitgeber und Arbeiter, die Berbindung von Arbeit und Erziehung, won techniſcher und menjchlicher Erziehung, Das waren die großen Vor— züge jener ältern Gewerbeverfaflung.

Freilich hafteten ihr auch zu ihrer Blüthezeit, auch

jo lange noch nicht Die ſinnigen Bräuche in ein dem

grafjeiten Egoismus dienendes jchwerfülliges Zeremoniell ausgeartet waren, nicht unbedeutende Mißſtände aut. Das deal war niemals ein dauernd baltbares. Wo die Bevölferung wächjt, wo das Handwerk blüht, da wächſt Die Lehrlings- und Geſellenzahl, der überjchüjfige Nachwuchs der Bevölkerung drängt ſich bejonders gerne

328 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

in diefe Bahnen; das blühende Handwerk ſelbſt braucht eine größere Gehülfenzahl. Aber für dieje fteigende Gehiülfen- zahl wird die Zahl der Meijterjtellen bald zu Hein. Die alte Ordnung läßt fich nicht oder nur gewaltjam aufrecht erhalten. Die zunehmende Bevölkerung zer: jprengt hier, wie in andern Verhältniffen, immer wie- der die beſtehenden volfswirtbichaftlichen Formen.

Die deutſche Zunftverfaffung Half fich in ihrer jpätern Zeit damit, ſowohl die Lehrlings- als die Ge— jellenzahl zu bejchränfen ? und das Meifterwerden immer mehr zu erſchweren. Das hatte wieder die Kebrjeite, daß in Diejer ſpätern Epoche der Gejellenjtand als jolcher ſich zufammenjchloß gegen die Meijter, in ſyſtematiſche DOppofition und Feindichaft zu dem Meijteritande kam. ?

In Frankreich drängte die frühere industrielle Ent- widelung auch früher zu einem Berlaffen der alten Formen. Auf dem Höhepunkt der mittelalterlichen Entwidelung im 13. Jahrhundert Tebte in den größern Städten wohl der Lehrling aber nicht der Gejelle im Haufe des Meijters; die Zahl der zu haltenden Lehrlinge war bejchränft, Die Zahl der Geſellen unbe- ſchränkt; vielfach waren die Geſellen verbeirathet und ließen ihre Frauen mit arbeiten.” Später, im 14ten

1) Schönberg, zur wirtbichaftlichen Bedeutung des beut- ihen Zunftwejens im Mittelalter. Hildebrand’s Jahrbücher IX, ©. 105.

2) ©. Wadernagel, Werkftattfehden in alter Zeit, in ber Bierteljahrsfhrift für Volkswirthſchaft XX, S. 81— 92.

3) Siehe die Beweiſe Levasseur, histoire des classes ouvrieres en France. Paris 1859. I, 235, 236, 238.

Die alten Mifftände der Zunftverfaffung. 329

und 15ten Jahrhundert waren die Gejellen damit nicht mehr zufrieven. Das erjchwerte Meijterwerden führte noch viel mehr als in Deutjchland zu einer jelbjtändigen gegen die Meiſter gerichten Organifation, zu beftigen Kämpfen und Mißbräuchen aller Art.

Bon der Zeit der ſtehenden Heere an berubte bie Erhaltung der Zunftverfaffung mit darauf, daß der große Ueberſchuß alternder Gejellen, die nicht Meifter werden fonnten, ſich anwerben lief. Die ftehenden Soloheere des 17 ten und 18ten Jahrhunderts beſtanden hauptjäch- ih aus früheren Handwerksgejellen.? Erjt mit ber Konfkription und noch mehr mit der allgemeinen Wehr: pflicht hörte Das auf.

In wie weit freilich das vorige Jahrhundert dieſes Abfluffes noch bedurfte, um die Zunftverfaffung in alter Weife zu erhalten, darüber ließe fich jtreiten. In der Hauptjache lagen jetzt die Dinge wieder total anders, als zur Blüthezeit der mittelalterlichen Gewerbe. Das Handwerk befand fich mit wenigen Ausnahmen ja auf jo tiefem Standpunkt, daß es zahlreiche Lehrlinge und Geſellen gar nicht beichäftigte. Die ftatiftiichen Zahlen find in dieſer Beziehung geradezu erſchreckend. Sie zeigen, wie wenig die Meifter zu thun Hatten, wie viel- fach fie jelbjt nebenher auf Tagelohn gehen mußten, um nur das ganze Jahr beichäftigt zu fein. Die Zahl ber Meifterjtellen war feit langeher trog der Zunftwer-

1) Levasseur I, 496 516. 2) 3. ©. Hoffmann, Nachlaß Heiner Schriften ©. 402.

330 Die Vertheilung der Gemwerbetreibenben.

faffung zu groß, die der Lehrlinge und Gefellen war zu fein für einen halbwegs blühenden Gefchäftszuftand.

Nah den im erjten Abjchnitt angeführten Hand- werferzahlen kamen 1783 in der Niedergrafichaft Katzen— elinbogen auf 100 Meijter vurchichnittlich 5,,, Gehülfen ; 1784 auf 100 Meijter im Herzogthum Magdeburg 15,54 Gehülfen, ungefähr zur jelben Zeit im Fürſten— thum Würzburg 15,, Gehülfen; d.h. von 100 Meijtern datten 95 reſp. 85 gar feine Gehülfen, weder Gejellen noch Lehrlinge. Da ergab es fich aus den Verhältniſſen von jelbjt, daß der Gejelle nicht verheirathet war. Und wenn die Handwerksgewohnheit e8 erjchtwerte, jo war fie nicht im Widerfpruch mit den thatjüchlichen Be— bürfnifjen. !

In Preußen mag die Zahl der Gehülfen jchon 1795 1803, der Zeit der Krug'ſchen Aufnahmen, ziemlich höher gemwejen jein. Für einzelne Provinzen führt Krug? jogar eine jehr hohe Zahl von Gejellen und Yehrlingen an, 3. B. fir Schlefien 60 860, während 1861 erft 102679 Gejellen und Lehrlinge gezählt werden. Die Krug'ſche Zahl faht ohne Zweifel alle Spinner » und Webergehülfen mit in fich, von welchen 1861 nur bie erjtern in der Handiverfertabelfe jtehen. Ein all- gemeiner Schluß läßt fich jevenfall8 aus den unvolljtän-

1) Siehe Majcher, S. 404. Abi. 42. Das NReichsgejek v. 16. Aug. 1731, das die mejentlichften Mißbräuche abſchaffen will, ſpricht fich übrigens Art. XII. Abf. 6 auch dagegen aus, dag man an einzelnen Orten verheirathete Gejellen nicht mehr zum Meifterwerben zulaffen wolle.

2) II, ©. 205,

Die Zahl der Gehülfen in Preußen 1783 —1843. 331

digen Angaben von Krug nicht ziehen. Wohl aber gejtattet Einzelnes eine Vergleichung. Er führt z. B. für das Herzogthfum Magdeburg 1802 - 3135 Gejellen an; 1784 waren es nach den vorhin erwähnten Angaben 2297 Gejellen gewejen; aljo immerhin eine Zunahme, aber feine große für die Zahl von etwa 27000 Meijtern.

Feftern Boden für die Unterfuchung befommen wir bon 1816 ab durch die Zahlen der preußijchen Gewerbe- jtatiftif. Ich lege dabei die von mir im erjten Abfchnitte berechneten Hauptzahlen zu Grunde, wobei freilich nicht zu vergefjen ift, daß zumächit nur die Aufnahmen von 1816 —43 unter fich vergleichbar find, und daß in dieſem Zeitraum die Gehülfenzahl gleichmäßig etwas zu niedrig erjcheint, weil bei einigen Gewerben die Gehül— fen nicht mit aufgenommen wurden. Die Berechnung jtellt fih nun dahin, daß auf 100 Meifter im Durch— Ichnitt Der geſammten gezählten Handwerke in Preußen famen:

1816 . . . 56,» Gelellen und Lehrlinge 1818 „. . Bla - « . 1822 ... 54,02 # 1825 . . . 59, E . 5

ı 1.3 Be er . 1881 . . . Bio . . 184... 60, . . . 1887... 65 1840 . . . TO . -

1843 6a > :

Wir haben e8, wie ich darauf ſchon bei Beiprechung der Grundzahlen aufmerkſam machte, mit zivei ziemlich verjchiedenen Perioden zu thun; 1816 31 eine Zeit der

332 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

Stabilität; theilweile gedrückte, theilweiſe erſt langſam ſich beſſernde Zuſtände; ſpäter eine Zeit des Fortſchritts, der Blüthe. In der erſten Periode beträgt die Gehülfen— zahl mit nicht allzugroßen Schwankungen etwas über die Hälfte der Meiſterzahl. Es iſt das Verhältniß, wobei jeder Gehülfe noch ſichere Ausſicht hat, bald ſelbſt Meiſter zu werden, eine Ausſicht, die durch die Gewerbefreiheit noch erhöht wurde. Jedem war ja jetzt geſtattet, ſelbſt ein Geſchäft anzufangen. Und die tech— niſchen Anforderungen waren noch ſo gering, daß die kleinen Geſchäfte wohl noch beſtehen konnten.

Der Wechſel der Gehülfenzahl unter ſich in ven Yahren 1816 31 ift darnach auch ſehr .begreiflich. Mehren fich die Beitellungen, die Gejchäfte etiwas, jo nehmen die Meifter zunächſt etwas mehr Yehrlinge an, die bald zu Gejellen werden. Dauert das nur einige Zeit, das Meifterwerden iſt aber nach den Erforder- niffen, die an den Kapitalbefig, an die techniiche Fertig: feit der Betreffenden vom Publikum geftellt werben, noch leicht, jo wird der Wunſch aller ältern Gejellen, jelbjtändig zu werden, fich geltend machen. Dadurch muß bei der nächjten Aufnahme die Meijterzahl wieder etwas höher, die Gehülfenzahl wieder etwas niedriger ſich jtelfen, wenn nicht unterdeffen die Gejammtnachfrage jo geftiegen ift, daß die vom Gejellen zum Meiſter Uebergehenden jchon wieder mehr als erjett find durch Neueintretende. Sp, glaube ich, haben wir den zivet: maligen Anlauf zu einer etwas ftärferen Gehülfenzahl 1816 und 1825 zu erflären, ber beivesmal wieder einem Rückgang Plat macht.

Der Wechjel in der Gehülfenzahl 1816 43. 333

Don 1834 an tritt diefer Rückgang zunächit nicht mehr ein. Die Meijter jteigen langſam und gleic)- mäßig, viel ftärfer aber die Gehülfen. Sie, die 1828 noch 56 %, der Meifter ausgemacht, machen 1843 jchon 76 9), aus. In den guten Jahren 1833 40 hatten die Meifter den jteigenden Bedürfniſſen dadurch genügt, daß fie eine größere Zahl Yehrlinge angenommen und diefelben jpäter als Gejellen beichäftigt hatten. Das ergab blühende Zuftände, gute Gejchäfte für die Meifter, jo lange die neu dent Gewerbe Jutretenden jung waren, noch nicht ſelbſt Meiſter werden wollten.

Als aber gegen 1840 43 die zahlreich jeit 1828 Eingetretenen älter wurden, das dreißigſte Yebensjahr meift hinter ſich hatten, da begamı die kritiſche Zeit; entweder mußte der Stand der Meiſter Die großen Ueberſchüſſe aufnehmen, oder man mußte zu einem Syſtem verbei- ratheter Gejellen übergehen, over e8 mußten Handwerks— gejellen in größerer Zahl in Fabriken eintreten, zu an— dern Berufsarten übergehen.

Die Mehrzahl der Gejellen war in den Städten, hatte bisher da gearbeitet; fie verjuchten eigene Gejchäfte anzufangen; e8 wurde immer jehiwieriger, e8 war bei der Umbildung der Technik immer mehr Kapital dazu nöthig. Diele Bankferotte jolcher Anfänger und Stlagen, daß das Handwerf überſetzt jet, mußten num nebeneinander vor- fommen. Theilweiſe allerdings trat nun die Ueberſiedlung älterer Gejellen auf das Yand, nach kleinern Städten ein. Aber immer füllt dem Gefellen, der in der Stadt gelebt, die Rückkehr in das jtille Dorf der Heimath ſchwer. Jeder fängt nur da gerne ein jelbftändigeg

334 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

Geſchäft an, wo er als Gefelle befannt geworben ift, wo er fich eingelebt bat.

Was nun die Zeit von 1846 an betrifft, jo find die Aufnahmen von 1846 ab etwas andere. Eine Berechnung von Dieterici, die fi auf den Vergleich einer Anzahl Gewerbe nach dem Stande von 1822 und 1846 bezieht, ergiebt zwar, daß die Auspehnung der Aufnahmen von 1846 auf einige weitere Kategorien von Gewerben das Verhältniß der Meiſter zu der Ge— bülfen nicht allzuſehr berührt. Aber das macht jeven- fall8 einen Unterjchied, der die ganz direfte Vergleichung ausichließt, daß von da ab für alle Gewerbe die Ge- jelfen und Lehrlinge aufgenommen jind. Wenn jonach 1843 auf 100 Meifter 76 Gehülfen famen, 1846 aber 84, ſo iſt diefe Zunahme in Wirklichkeit nicht ganz jo ftarf gewejen.

Das Umgefehrte gilt für den Vergleich von 1846 und 1849. Im letzterm Jahre find eine Reihe von Ge- werben binzugefommen, die überwiegend mehr Meijter als Gehülfen Haben; dadurch erjcheint das Verhältniß der Gehülfen zu den Meiftern als ein zu gebrüdtes.

Nach der Totalaufnahme famen 1849 auf 100 Meifter 76,95 Gehülfen; darnach hätten die Gcehülfen von 1846 —49 (auf je 100 Meifter) von 84 auf 76 abgenommen. Nach einer nur die gleichen Kategorien umfafjenden Vergleichung Dieterici's? Dagegen jtellt ſich das Verhältniß jo; e8 fommen

1) Mitteilungen I, ©. 8— 9,

2) Mittbeilungen V, 216.

Die Ks 1843 55, die Zunahme der Gehülfen bis 1861. 335

1846 . . . 84,0 Gehülfen x 1849 . . . 80,6 auf 100 Meiſter. Vier Gehülfen weniger auf 100 Meiſter deutet ſchon eine weſentliche Kriſis an. Er— wägt man dabei, daß die ſchlimmſte Geſchäftsſtockung im Dezember 1849 bei den Aufnahmen ſchon vorüber war, daß der Rückgang wohl ausſchließlich durch ent- | laſſene Geſellen, nicht durch eine Minverzahl an Yehr- | lingen hervorgerufen war, daß einzelne Gewerbe, wie 3. B. die Nahrungsgeiverbe 1849 ſogar mehr Gejellen f hatten, daß der Rückgang hauptjächlich die Kunſt-, Bau >, | Holz= und Metallgewerbe traf, dann ericheint die oben näher beiprochene Krifis Har genug in dieſen Zahlen. Wenn der Durchichnitt der Totalaufnahme von 1849 mit dem vorn 1846 nicht vergleichbar ift, jo it er e8 Doch mit den folgenden. Sch theile daher zunächit das Verhältnig der Gehülfen zu den Meiftern von 1849 an, nach den früher mitgetheilten Grundzahlen berechnet, mit. Es famen auf 100 Meifter in ganz Preußen nach dem Durchichnitt der ganzen Handwerfertabelle: 1849 . . . 76,6 Gehülfen, SER ; 45 Di + IBRh: su Bin 9

1858... Be 4 1861... .14u - A! Die Aenderung von 1849 -— 52 zeigt nur, daß die früher jchon vorhandene Zahl Gehülfen wieder Be— ichäftigung findet. Abgejehen davon bleiben die Dinge = ziemlich ftabil; auch von 1852 55 zeigt fich feine

. große Zunahme der Gehülfenzahl. Die ganze Zeit von

336 Die Bertheilung ber Gewerbetreibenden.

1850 55 ijt eine für das Handwerk jtabile, gedrüdte, und der Drud geht hauptjüchlich hervor aus dem Ber: hältniß der Zahl der Gehülfen zu dem der Meijter. Die Yage wird feine bejjere, weil man in der Hauptjache noch zu feiner andern Organijation der Gejchäfte iiber geht, weil die technijchen Fortjchritte nicht Plat greifen; die Zahl der Gebülfen nimmt nicht mehr bedeutend zu, weil viele auswandern und in Fabriken eintreten, weil die allgemeine Noth unter ven Meiftern doch manche jungen Leute von dem Erlernen eine Handwerks abjchredt.

Erjt mit der Mitte der fünfziger Jahre wird das anders. Die technijche Bildung und der Verkehr jteigen ; alle Berhältniffe werben andere. Auch im Handwerk vollzieht fich mehr und mehr Die oben eingehender beiprochene Revolution. Neue Kräfte ftrömen zu, Yehr- linge find wieder gejucht. Das Verhältniß der Ge- hülfen zu den Meiftern, das lange 80: 100 geweſen war, geht auf 104 :100 im Jahre 1861 empor. Auch wenn man die Maurer- und Zimmerflidarbeiter nicht zu den Gehülfen, jondern zu den Meijtern vechnete, it das Verhältniß 98,,, : 100.

Unmiderleglich Liegt in der großen Veränderung feit 1830 der Beweis, daß auch das Handiverf, wenig- jtens ein Theil vejjelben, mehr und mehr zu etwas größern Betrieben übergeht.

Sch will nun zunächſt abfichtlich davon abjehen, daß der Yandmeijter wie dev Meijter in Fleinern Städten vielfach auch Heute noch ohne Gejellen und Lehrlinge arbeitet, daß die Gehülfenzahl in einigen Gewerben viel größer ijt als in andern, ich will auch das außer Acht -

Das Gleichgewicht der Meifter- und Gehülfenzahl. 337

lajjen, daß felbjt in großen Städten häufig nur wenige Meifter eine größere Zahl, die andern gar feine Gehülfen haben, ich will zumächit nur die allgemeine Frage noch etwas eingehender erörtern, welche Folgen fich aus ver Thatjache ergeben, daß die Gehülfenzahl die Meifter- zahl im Durchichnitt erreicht hat,

Dft Hat man darauf aufmerkſam gemacht, daß in diefer Veränderung ein Fortſchritt Liege; man hat vie jteigende Gehülfenzahl an fich als einen Beweis geſunder Handwerkszuftinde angejehen.! Man hat es als das joziale und wirtbichaftliche Ideal hingeftellt, daß jedes Gewerk ungefähr eben jo viele Lehrlinge und dreimal jo viele Gejellen als Meiſter habe. Ich ſelbſt habe mich früher fajt- unbedingt dahin ausgejprochen, wenn ich jagte:? „Sowohl in jozialer als in technijch öfonomifcher Beziehung liegt in der fteigenden Gehülfenzahl ein unbe- rechenbarer Fortſchritt.. Die Veränderung, die wir vor uns haben, iſt nicht eine Verminderung der öfonomijch gefunden -jelbjtindigen Handwerksmeiſter, jondern ein Wachsthum diejer neben dem Verſchwinden der abſolut unjelbjtändigen proletarierartigen kleinen Meiſter, welche ohne Gejellen und Lehrlinge nur ein fümmerliches Da— fein friften, und an deren Stelle mehr und mehr jolche Arbeiter treten, welche e8 vorziehen, ſtatt mit geringen Mitteln ein eigenes Gejchäft zu eröffnen, bei Meiftern, welche fie ununterbrochen bejchäftigen, als Gejellen zu arbeiten. Nicht ein Verſchwinden des bürgerlichen

1) Zeitſchrift d. fächl. ftat. Bureaus 1860. ©. 110. 2) Württ. Jahrb. 1862. Heit 2. ©. 247. Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 22

333 - Die Bertheilung ber Gewerbetreibenden.

Mittelftandes, wie man ſchon gemeint hat, erfennen wir in dieſen Reſultaten, fondern gerade die Bildung einer gefunden ökonomiſchen Mittelklaſſe.“

Sicher ift daran viel Richtiges. Es iſt bejonders in den größern Städten eine neue Art bürgerlichen Meittelitandes in den letzten Jahrzehnten groß geworden, die über dem früheren Meijter ftehend dem größern Unternehmer fich nähern, mehrere, ja viele Gejellen oder Arbeiter bejchäftigen, großentheils perjönlich durch Fleiß und Thatkraft fih auszeichnen, techniich alle Fortjchritte der Neuzeit verfolgen.

Wenn wir das aber einerjeit8 freudig begrüßen, wenn wir zugeben, daß dieſe Entwidelung eine in gewiſſem Sinne nothivendige ijt, jo Dürfen wir anberer- ſeits nicht vergeilen, daß Das eine Kehrſeite hat, welche wenigſtens zumächit für die Gejellen und Lehrlinge traurig iſt. Es vermindert fich für fie Die Möglichkeit, je jelbjtändig zu werben, immer mehr. Ich habe darauf ſchon hingedeutet, ich muß dabei noch etwas verweilen.

Es ijt ein einfaches Rechenexempel, um das e8 fi) handelt, auf das I. ©. Hoffmann! zuerſt aufmerf- ſam machte. „Der einzelne Menſch“ jagt er „welcher vom 14. Sahre ab 16 Jahre lang als Lehrling und Gejelle dient, will doch mit dem 30. Jahre endlich einen eigenen Hausjtand anfangen, um nun 30 40 Jahre Yang als Meifter zu leben. Er iſt aljo wenig- jtend doppelt jo lange Meijter, als er vormals Gehülfe war, und e8 wird demnach nur halb jo wiel Gehülfen,

1) Die Bevölkerung des preuß. Staats ©. 118.

Tr» und Schattenfeiten der großen Gehüffenzahl.. 339

old es überhaupt Meifter giebt, wirklich Die Ausficht auf Die Meiſterſtelle eröffnet werben können.“ Wenn man Die Rechnung nur auf die Lehrlinge beichränft, fo wird fie noch flarer. „Ein Meiſter“ jagt Hoffmann an anderer Stelle! „unterhalte nur einen Lehrling gleichzeitig, jo wird er doch von jeinem dreißigſten bis zu feinem jechzigften Lebensjahre bei wierjähriger Lehrzeit fieben auslernen können, wovon endlich doch nur einer ihn dereinſt als Meiſter erjegen kann. Nechnet man auch darauf, daß während eines Zeitraums von breißig Jahren die Benölferung ungefähr um fünfzig auf hun- dert wächſt, daß alfo in demjelben Verhältniſſe auch ftatt zwei jeßigen Meijtern nach dreißig Jahren drei zur Befriedigung der Bedürfniſſe des Volkes nöthig fein werden, und daß auch in ven-Gejellenjahren einige zum Handwerfe Angelernte jterben, jo wird man doch immer für Fünfe von jenen Sieben feine Ausficht auf anftän- digen Erwerb als Meifter eröffnen können. Im Die jem jelten klar genug erkannten Verhältniſſe liegt die Unbaltbarfeit der Zunftverfaffung und der feit Jahr— hunderten fortdauernden Beſchwerden über unverbefier- liche Mipbräuche der zünftigen Handwerker.“

Je nachdem man eine Zunahme der Meifter für möglich oder wahrfcheinlich hält, je nachdem man die mittlere Lebensdauer der Mleijter jet und eine Sterblichkeit unter den Lehrlingen und Gejellen annimmt, wird die Rechnung etwas anders, aber in der Haupt- ſache bleibt die Frage biejelbe.

1) Die Befugniß zum Gewerbebetrieb ©. 131.

22*

340 _ Die Bertheilung der Gemerbetreibenden.

Der Berfaffer der Unterfuchungen über ſächſiſche Handwerferjtatiftif in der Zeitjchrift des ſächſiſchen jtatifti- ichen Büreaus hat den Hoffmann'ſchen Gedanken etwas genauer ausgeführt und fommt da zu folgendem Reſul— tat. „Nimmt man” jagt er „an, daß im Mittel der Handiwerfer nicht vor dem dreißigſten Jahre Meifter wird, und daß die mittlere Lebensdauer des Handwerks— meifters 55 Jahre fei (ftatt 60O— 70, wie Hoffmann), fo ift in jedem Jahre nur der 25 ſte Theil der Meijter zu ergänzen, um die abjolute Zahl zu erhalten. Neb- men wir aber, da auch ein Zumachs der Bevölkerung zu beachten iſt, und mancher Meijter aus andern Gründen in Abgang kommt, den zwanzigjten Theil an. Iſt ferner Die Durchichnittliche Lehrzeit 4 Jahre und wird auch die Sterblichkeit zwijchen dem 14ten und 30 ſten Lebenjahre beachtet, jo kann Die Zahl der Lehr— linge in einem Gewerbe, welche berangebildet werden muß, um den Perjonalbeitand im Verhältniß zur Be— völferung auf gleicher Höhe zu erhalten, nur zwijchen 4, und höchſtens 1/; der Meifterzahl betragen; d. h. nur je der dritte oder vierte Meijter darf einen Yehrling halten, wenn nicht ein Weberjchuß herangebildet werden joll, der Feine Ausficht auf Selbjtändigfeit hat. Die mittlere Gejellenzeit nehmen wir hoch zu 12 Jahren an. Die Zahl der Gejellen wird aljo unter gleicher Vorausſetzung zur Erhaltung des Gleichgewichts nur /,—*, der Meifter betragen, die Summe der Gejelfen und Lehrlinge ficb alfo zu den Meiftern zwijchen 1:1 und 1,3; :1 verhalten dürfen. Bei Gewerben mit furzer Lehrzeit wird dieſes Verhältniß Fleiner, bei langer

Die fintende Möglichkeit des Meifterwerbens, 341

Lehrzeit größer werden, und einen ähnlichen Einfluß müßte eine etwaige Verſchiedenheit der mittleren Yebens- Dauer der Meijter äußern. Gewerbe, bei denen dieſe Normalverhältniffe nicht erreicht werden, gehen entweder zurück oder vefrutiren fich vorzugsweile aus dem Aus: lande; Gewerbe dagegen, welche ein größeres Verhältniß darbieten, find entiweder in der Vermehrung begriffen oder überhaupt nicht geeignet, allen Gejellen Aussicht auf Selbitändigfeit zu gewähren.“

Die hier angenommene Sterblichkeit wird ungeführ den realen Berhältnijjen entiprechen. Soweit exafte Unterjuchungen über Sterblichfeit diefer Berufsklafjen vorliegen, bejtätigen fie ungefähr vie bier ange: nommenen Zahlen. Es jind die befannten von Neufville, Engel und Neumann. Näher auf fie einzugehen, iſt bier nicht der Ort. Nur ein paar Worte find zu bemerfen. Die beiden letten Unter: juchungen bejchäftigen jich mit den Meiftern und Ge— hülfen zujammen, mit den 15 70 jährigen, wenn Engel alſo für die verichiedenen hauptjächlichen Hand- werfe ein Durchjchnittsalter von 33 48 Jahre berech— net, jo wideripricht das der obigen Annahme nicht;

1) Dr. U. Neufville, Lebensdauer und Todesurfachen 22 verſchiedener Stände und Gewerbe, Frankfurt 1855. Die Beobachtung umfaßt die Stadt Frankfurt und die Zeit von 1820 55. Engel in der Zeitfchr. des ftatift. Bir. 1862. ©. 242. E3 find Berliner Ergebniffe von 1855 —60. Neumann, bas Sterblichkeitsverhältniß der Berliner Arbeiterbevölkerung. Arbeiter- freund 1866. ©. 113 ff. Siche auch Frank, Handbuch ber Statiftil, 1864. S. 117 ff.

342 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

denn fie geht nur dahin, daß der 30 Jahre alt Gewor- dene durchichnittlich das 55 ſte Jahr erreiche, nicht daß die Gejammtheit der 15 70 jährigen durchſchnittlich 55 Jahre erlebe. Die Unterjuchung von Neufville bejchränft ſich nun aber auf jolche, die ſchon Meiſter geworden find, und da jchwankt das Durchichnittsalter eben um dieſe Grenze; es betrug für die Bäder 51,,, die Bildhauer 43,,, die Brauer 50,,, die Fijcher 55, die Gärtner 56,,, die Gerber 56,,, die Kürjchner 56,,, die Maler 47,,, die Maurer 48,,, die Schlächter 56,,, die Schmiede 46,,, die Schneider 45,, die Schub: macher 47,,, die Tiichler 46,,, die Zimmerleute 49, Jahre. Der Durchichnitt würde wohl etwas, aber nicht jehr viel unter 55 Jahren fein.

Nimmt man biernach die Möglichkeit, Meeifter zu werben, auch noch für etwas mehr Lehrlinge und Gejellen an, als das ſächſiſche ftatiftiiche Büreau es thut, im Ganzen bleibt das Verhältniß daſſelbe. Von der Zeit an, in welcher die Gehülfenzahl die Meifterzahl wejent- Yich überjchreitet, hört die Möglichkeit, Meijter zu werden, je ein jelbjtändiges Geichäft anzufangen, für eine Anzahl von Gehülfen auf. Selbit abgejehen von der Umbildung der Technik und der Arbeitstheilung, von den Einflüffen des Verkehrs und des Kapitals, liegt in diefem Zahlenverhältnig an ſich die voll- ftändige und nothwendige Auflöfung der alten hand— werfsmäßigen Zuftände. Das Hinzufommen dieſer erwähnten Cinflüffe verjtärkt aber die Auflöfung. Täg— lih wird es wegen ihrer jchwerer, ein eigenes Ge— Ichäft anzufangen Die Zahl der preußiichen Meiſter

Die Urſachen des Zudrangs zum Handwerk. 343

it 1861 noch nicht wieder jo hoch wie 1849, trotzdem daß 1861 wahrjcheinlich unter den Meiftern jehr viele mehr gezählt find, die Feine jelbjtändigen Unternehmungen mehr haben, als 1849.

Ehe ich von den Folgen dieſer allgemeinen Auf: löfung der alten Handwerkszuſtände jpreche, will ich noch bemerfen, daß der Zudrang zum Handwerk, der zunächft die Gehülfenzahl jteigen läßt, nicht nothwendig ein ben wirklichen dauernden wirthichaftlichen Bedürfniffen, jet es des alten oder des neuen Hanbwerfs, entiprechender ift. Mit raſch wachjenver Bevölkerung kommt leicht ein Zufluß, der feine Urfache nicht in dem dauernden Bebürf- niß der Gewerbe hat, fjondern in andern Umftänden pipchologiicher und moralifcher Natur, jowie worüber: gehender wirthichaftlicher Art. |

Man hat in Bezug auf eine ftarfe Zunahme der Bevölkerung furz nach einander gleich ertremen und un- richtigen Theorien gehuldigt. Man hat, angeſteckt vom eriten Schreden der Malthus’ichen Theorie, eine Zeit Yang jede Zunahme für jchlimm und unheilvoll gehalten, man bat dann wieder in optimijtiicher Uebertreibung der wirthichaftlichen Fortichritte unferer Zeit jeve Zunahme an fich al8 ein Glück gepriefen. Sie iſt es, aber nur in gewiffen Sinne. Alle höhern Güter der Kultur find nur erreichbar in vichtbewölferten Gegenden. Aber jede itarfe Bevölferungszunahme jest Fortſchritte, Aende— rungen in der ganzen BVolfswirthichaft voraus, muß in der Regel verbunden fein mit einer ganz anderen Drga- nifation aller Gejchäfte, aller Verfehrsverhältniffe, mit einer andern lokalen Vertheilung der Bevölferung, mit

344 Die Bertheilung ber Gewerbetreibenben.

einer andern DVertheilung berjelben nad) Berufszweigen. Das jett fich langjam durch, will erkämpft fein, braucht Jahre und Yahrzehnte. Die heranmachjenden Gene— rationen ergreifen jelten jogleich und in richtigem Ver: hältniß die Bahnen, in denen ver Ueberſchuß jpäter definitiv Plat findet. Die Bodenvertheilung ändert fic) meift jchwer, die Landwirthſchaft jenvet zumächjt ihre jüngern Söhne den Gewerben zu. Ge tiefer ein Ge— werbe jteht, je leichter e8 zu erlernen ift, je weniger es Kapital erfordert, deſto größer leicht der Zudrang ohne Rückſicht auf das Bedürfniß.

In den Kreifen, um die e8 fich da vorzugsweiſe handelt, wird der 14 jührige Junge, der aus der Schule entlajjen tft, durchaus nicht immer mit Harer Erfenntniß für einen der Berufe bejtimmt, in denen im Augen- blide die größte Nachfrage iſt. Das häufige traditionelle Fefthalten am Gewerbe des Vaters ift noch nicht das ihlimmfte; Zufall, Rüdficht auf die geringften Kojten, auf die größte Bequemlichkeit für die Eltern und ähnliche Motive wirken theilweile noch jchlimmer. Die alther: gebrachte Ueberſetzung einzelner Gewerbe, die heutzutage meist doppelt fich geltend macht, hängt damit zu— ſammen.

Trifft in dieſer Beziehung die Väter der betreffen- den Rinder oder vielmehr die Unfenntniß dieſer Kreije in derartigen Fragen die Schuld, jo wirken von ber andern Seite zeitweije auch die Meifter und Arbeitgeber auf partiellen und zeitweifen zu großen Andrang. Wenn mit den ſtark wechſelnden Konjunkturen des heutigen Marktes die Geiphäfte zeitweilig wachjen, ſo ſuchen ſich

Die Berufswahl des Lehrlinge. 345

die Betreffenden häufig, weil e8 zumächft das Billigſte ift, durch Annahme weiterer Yehrlinge zu helfen, ohne Rück— ficht auf die dauernde Bedürfnißfrage.! Es giebt zeit- weile Gewerbszweige, in welchen in Folge hiervon Die Lehrlingszahl die Gefellenzahl erreicht, während. bei vier: jähriger Lehr- und zwölfjähriger Gejellenzeit die Zahl der Lehrlinge doch immer höchſtens */; der Gejellen ausmachen jollte. Daraus erklärt fich, daß die frühere Beichränfung der Yehrlingszahl nicht jo ganz finnlos war, wie man oft meinte. Noch neuejtens jpricht ſich Richard Härtel ? in Beziehung auf die Buchdruderei aufs Entjchiedenjte dahin aus, daR auf die Dauer ein ordentlicher Stand von Buchdrudergehülfen und = Arbei- tern nur dann fich erhalten laſſe, went die Druckerei— bejier der Verſuchung einer zu jtarfen Anwendung joge- nannter Yehrlinge, d. h. unerwachjener Arbeiter wider: ftünden, wenn fie der alten Gejchäftsjitte treu bleiben, auf drei Gehülfen einen, auf neun Gehülfen erſt zwei Lehrlinge zu halten.

Welches aber auch die Urjachen der anjchwellenden Gehülfen- und Yehrlingszahl im Einzelnen jein mögen, io viel ijt ficher, die alten Handwerkszuftände müſſen

1) Siehe ein ſchlagendes Beifpiel derart bet Degenkolb, Arbeitsverhältniffe, Zte Aufl. Frankfurt 1849, S. 70 ff. Es bezieht ſich auf die Kattundruder ; eine übermäßige Annahme von Lehrlingen 1833 40, ber brüdendfte Ueberfluß an Gefellen von 1840 46.

2) Bergl. den auch jonft intereffanten Artikel ‚zur Lehrlings- frage" im Correjpondent, Wochenfchrift für Deutſchlands Bud)- druder, Ertrabeilage zu Nro. 11 vom 12. März 1869.

+

346 Die Bertbeilung der Gewerbetreibenben.

fich damit auflöjfen; d. h. e8 muß einerjeits eine Anzahl gelernter Geſellen ſpäter wieder zu andern Berufen übergehen, e8 muß andererjeits ein verheiratheter Gefellen- ſtand fich bilden, die ganzen Rangverhältniſſe im Hand- werf müſſen andere werden.

Defter wurde es jchon erwähnt, wie viele Geſellen heute in eigentliche Fabriken eintreten; das war ihnen auch nach der Verordnung vom 9. Februar 1849 nicht verboten. Selbjt für Arbeiten, die nicht einen gelernten Handwerker gerade diejer Art erfordern, nehmen viele Vabrifanten gerne Gejellen; fie find gejchidter, haben mehr gelernt und gejehen, als einfache Fabrifarbeiter.

Uber das reicht nicht aus, den Ueberſchuß aufzu- nehmen. In den verſchiedenſten anderweitigen Berufen finden wir frühere gelernte Handwerksgejellen. Mag es an Zahl verichwinden, daß auf den Brettern, Die die Welt bedeuten, jo manche Schneiver= und andere Ge- jellen eine Zuflucht gefunden, daß der Stiefelpuger der deutfchen Univerſitätsſtädte faft ausjchließlich ein alter Ge- jelle ift, der nicht Meifter werben konnte, daß die vielen Diener von Mufeen, Lejegejellichaften, Vereinen, haupt⸗ fächlich aus verunglücdten Meiftern und Gejellen bejtehen; ſchon nach Hunderten und Tauſenden zählen andere Zufluchtsonte ihre aus dem Handwerkerſtand refrutirten Mitgliever. Höcerei und Schanfwirthichaft find da in eriter Linie zu nennen. Die zahllofen Dienftmänner, die in jeder größern Stadt jetst ſich anbieten, Habe ich bei vielfacher perjönlicher Frage faft immer als gelernte Handwerksgeſellen erfannt, denen es mißlungen ijt, ein eigenes Gejchäft zu begründen, und Die Doch nicht zeit-

Die Schidjale alternder Gejellen. 347

lebens Gefellen bleiben wollten. Die Hunderte und Taufende von preußifchen Zivilverjorgungsberechtigten, die durch längere Meilttärzeit fich einen Anjpruch auf eine fubalterne Anftellung im Staats-, Gemeinde» oder Eiſenbahndienſt erwerben, haben zu einem großen Theil früher dem Handwerk angehört. Vor Allem aber find die Altern Gejellen und Meiſter, die nicht vorwärts fommen, unter den Auswanderern vertreten. Zur Zeit der ftärfjten Auswanderung gegen 1854 wanderten jährlich etwa 250 000 Berionen ! aus Deutichland aus, ein jehr großer Theil hiervon gehörte dem Handwerker— itande an.? Und noch jetst zeigt jeder Ausweis über den Beruf von Auswandern daſſelbe. Im Jahre 1866 famen z. B. in Württemberg ? auf 1275 einwandernde 6995 auswandernde Perjonen; von lettern find 3576 erwachſene Berjonen männlichen Gejchlechts; und von ihnen wieder füllt weitaus der Haupttheil auf das Handwerk, nämli 2110 Perſonen; ver Reſt theilt ich in 24 Tabrifarbeiter, 153 Tagelöhner, 694 Bauern,

1) Hübner, Jahrb. f. Volkswirthſchaft u. Statiftil V, 285.

2) Hübner II, ©. 293 bringt darüber Nachweiſe für Preugen, Braunſchweig, Meflenburg, Oldenburg pro 1853; V, ©. 288 für Baden pro 1840 55; bafelbft für Meklenburg und Braunfhweig pro 1855; VII, ©. 146 für Sachſen pro 1853 —58; VII, ©. 229 für Sadfen pro 1859 —61. Nur wo ein verfommenes bäuerliche® Zmergproletariat ift, wirb ber bäuerlihe Antheil an der Auswanderung ebenfall® bedeutend; fonft überwiegt durchaus das Handwerk nach den Zahlen Hübner’s; mit am ftärfften in Sadjen.

3) Württembergiiche Jahrbücher 1866, ©. 9—13,

348 Die Bertheilung ber Gewerbetreibenben.

353 Handelsleute und etliche andere Kategorien von geringer Bedeutung. Die einzelnen Haupthandiverfe zeigen Pojten von nicht unbebeutendem Umfang. 8 find verzeichnet 232 Schmiede und Schloffer, 193 Tiſchler, 176 Maurer, 95 Zimmerleute, 197 Schuhmacher, 150 Weber, 110 Schneider, 151 Bäder, 134 Metsger, 85 Bierbrauer, 96 Drechsler und Wagner, 78 Gerber, 62 Küfer, 53 Mechaniker, 50 Gieker, 42 Goldarbeiter. Die andern Gewerbe find etwas geringer vertreten.

Und troß aller diejer Abflüffe der verſchiedenſten Art bleibt die Zahl 27 36 jähriger Gejellen, die jelbjtändig werden möchten, doch noch immer jo groß, daß jede Erleichterung der Geſetzgebung im Sinne der Gemwerbefreiheit und ver Nieverlaffungsmöglichfeit ben Anstoß zu zahlreichen Verſuchen jelbftändiger Feiner Ge- ſchäfte gibt, aus denen einzelne tüchtige Leute fich empor arbeiten, von denen die Mehrzahl aber wieder eingeht.

Zu einem verheiratheten Gejellenjtande überzugeben, hatte jchon Hoffmann! 1841 als das Hauptmittel em— pfohlen, um die Mißbräuche und Mißſtände des Zunft: wejens, die Erjchwerung des Meiſterwerdens, die Wander- pflicht und ähnliches zu bejeitigen. In Gewerben mit größerer Gejellenzahl, wie in den Baugewerben, iſt das auch längſt der Fall; Lohn- und Kontraktsverhältniſſe haben fich da jo georbnet, daß fie einem verheiratheten Geſellenſtand entiprechen.

In andern Gewerben füngt das erjt an und ijt zunächjt mit mancherlei Schwierigfeiten und Uebeln ver-

1) Die Befugniß zum Gewerbebetrieb ©. 141— 150.

Ein Stand verheiratheter Gejellen. 349

bunden. Das alte Verhältnig, den Lehrling und Die Gefellen im Haufe zu haben, wird verlajjen, nicht aus der theoretijchen Einficht heraus, daß man zur reinen Geldwirthichaft übergehen, daß man nach der heutigen Gehülfenzahl einen verheiratheten Gejellenjtand erhalten müffe, jondern weil es zunächſt bequemer oder jchein- bar billiger ift, weil die Stüd- und Affordarbeit das Zufammenfein überhaupt, jelbjt während der Arbeit überflüffig macht. Der Meifter, der in guter Verfehrs- lage miethet, hat nicht Raum, die Yeute zu beher— bergen, oftmals nicht Raum zum Arbeiten in feinem Lokale. Er part, wenn er die Yente zu Haufe arbeiten läßt, Licht und Heizung, oft auch das Handwerkszeug. Der Gejelle hat zu Haufe ohnedieß ein geheiztes Kämmer— chen, bejonders wenn er verheirathet ijt; Frau umd Kinder können mithelfen: Es iſt dieß unvermeidlich, hat auch feine guten Seiten, aber vorerjt hört man darüber Sagen aller Art, wie 3. B. Regierungsrath Mülman! in feinem Bericht über die vheinifchen Ver— hältniſſe Hauptjächlich Die Schattenfeiten betont. „Die alte patrfürchalifche Sitte jagt er „die Gewerbs- gehülfen als zum Hausjtande des Meiſters gehörig zu betrachten, herrſcht fajt nirgendwo mehr, vielmehr wird der Lohn nur in baarem Gelde gegeben. Die Gefellen jtehen fich Hierbei nicht bejjer, da fie für Koft und Wohnung überall mehr ausgeben müfjen, als ihnen ver Meijter anvechnen konnte. Aber das Streben nach un-

1) Mülmann, Statiftif des Regierungsbezirks Düſſeldorf. II, zweite Hälfte. S. 491 9.

350 Die Bertheilung der Gemwerbetreibenben.

abhängigem Leben läßt fie dieſe Vertheuerung überjehen. Noch mehr entfernt das immer mehr und leider oft in hierzu jehr ungeeigneten Arbeitsverhältnijjen einreigende Afforvarbeiten die Gejellen von dem Meifter, indem es fie auch Hinfichtlich der Arbeitszeit unabhängig macht. Im Allgemeinen ift durch dieſe Geftaltung der Verhält- niſſe der Meifterftand in jehr übler Lage wegen feines Hülfsperjonals, denn er hat weit größere Interefjer zu vertreten, als der mit feiner Arbeitskraft leicht wieder unterfommende Gejelle. Es iſt hierdurch fo weit gefom- men, daß in manchen Hanbiverfen viel mehr die Furcht vor Mangel an treu aushaltendem Perjonale, als vor Mangel an Kundihaft won Erweiterung des Gejchäfts abhält, und daß im Allgemeinen die Meifter die freie und geficherte Stellung der Gejellen beneiden, weshalb denn auch eine verhältnigmäßig große Zahl von Geſellen in zwar bejcheivenen, aber geficherten Verhältnifien einen ehelichen Hausjtand führt.“

Es ift zuzugeben, daß nicht bloß ältere verheirathete Leute, ſondern ebenjo junge kaum 18 25 jährige, denen eine gewiſſe Zucht und Aufficht jehr heiffam wäre, dadurch jelbjtändig werden, dadurch Gefahren aller Art ausgeſetzt find, Förperlich, moraliih und geiftig zu Grunde gehen. Dem Berhältnig zu ihrem Meijter fehlen die früheren Bande, die aus dem Zufammenfein am häuslichen Heerde entiprangen. Die Lohnfrage muß überdieß Meijter und Gejellen mehr als je entziveien. Die früheren Gejellenlöhne waren relativ jehr niedrig; der Geſelle wurde früher neben Geld und Verpflegung gleichſam mit der fichern Ausficht bezahlt, Meifter zu

OO ü

Die reine Geldablohnung der Gehülfen. 351

werden und da von ſeinen Geſellen den Vortheil zu haben, den er jetzt ſeinem Meiſter bot. Dieſe Ausſicht iſt verſchwunden, darum ſchon muß der Lohn höher ſein. Außerdem muß die Naturalverpflegung erſetzt werden. Die Löhne müſſen noch mehr ſteigen, je mehr die Ge— ſellen verheirathet ſind, je mehr ſie in Fabriken Gelegen— heit haben, als geſchickte, techniſch gebildete Arbeiter ſo viel zu verdienen, daß ſie leicht eine Familie ernähren können.*

Alles das will der ehrbare alte Meiſter, der ſeine Anſchauungen aus einer andern Zeit mitgebracht hat, nicht ſehen, nicht anerkennen. Und darum ſteht er viel— fach auf Kriegsfuß mit feinen Arbeitern. Dem Meiſter an Bildung gleichitehend, empfinden die ältern Gejellen den drückenden Unterjchied zwilchen Unternehmer und Arbeiter Doppelt. Viele unter ihnen haben vergeblich verjucht, ein eigenes Gejchäft anzufangen. Oft find das mit die gejchieftejten, begabtejten, die in dem Bemuft- jein ihrer Talente nicht begreifen wollen, daß fehlende moraliſche und Charaftereigenjchaften fie in dem Ver— juche einer eigenen Unternehmung jeheitern laſſen mußten. Sie find heute mit die unzufriedeniten Clemente der

1) Es würde zur weit führen, wollte ich hier dieſes Steigen der Löhne durch Eingehen auf das vorhandene Beweismaterial nachweijen; ich hebe nur zmei ausgezeichnete Arbeiten bervor: Statiftit der Arbeitslöhne in Fabriken und Handwerfen von 1830 65, im ftatiftiihen Anhang zu den württembergifchen Hanbelsfammerberichten für 1865. ©. 30—40. „Die Arbeits- löhne in Niederſchleſien“ von Regierungsrath Jacobi, Zeit» ſchrift des preuß. ſtatiſt Bureaus 1868. ©. 326 351.

352 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

Gejellichaft. Aus ihnen vor Allem vefrutirt jich die jozialdemofratiiche Partei.

Theilweije liegt die gegenjeitige Unzufriedenheit an der Neuheit des ganzen Verhältniſſes. Soweit in ber neuen Art des Lebens der Gehülfen wirkliche Gefahren Yiegen, bejonders für jüngere Xeute, jo weit müſſen eben alle die übrigen Mittel geijtiger und moralijcher Hebung jtärfer herangezogen werden. Volksſchule und Kirche, Vereinsleben und genofjenjchaftliche Ehre, vor Allem ein richtiges georbnetes gewerbliches Bildungs- wejen müfjen erjegen, was an moralijcher Wirkung neben allen Mißbräuchen mit dem alten Yehrlings- und Gejellenverhältniß gegeben war. Dann werben die Klagen über Zunahme wilder Ehen, über Sittenlofigfeit, über Zunahme des Luxus ohne Zunahme ver Sparjanı- feit, die Klagen über leichtfinnige und zu frühe Ehen in Diejen Kreiſen Klagen, mit denen man gegen: über den untern Klaſſen ohnedieß zu leicht bei ber Hand ift nicht mehr zunehmen; dann werden fich bei den verheiratheten Gejellen die möglichen ſegensvollen Wirkungen ver Ehe, Sparjanıkeit, Fleiß und An— jtrengung, mehr und mehr einftellen. Sie jtehen dann den fleinen Meijtern, die für Magazine oder andere Meifter arbeiten, gleich; fie jtehen immer noch wejentlich über dem Wabrifarbeiter, können bei Geſchicklichkeit und Sparſamkeit immer jelbjt in die Reihe der Unternehmer eintreten, jet e8 allein, jei es im Wege der Aijjoziation.

Die alte Rangordnung im Handwerk, ver feite Stufengang ijt allerdings damit unmwiederbringlich ver: nichtet, wie fie zugleich durch Die neuere Technik, durch die

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Die Auflöfung der alten Handwerkszuſtände. 353

verjchiedenen Arbeitskräfte, die man heute nebeneinander in einem Geſchäfte braucht, unhaltbar geworden find. Für leichtere Arbeit verwendet man jetst vielfach Frauen- hände, für gemeine Arbeit Tagelöhner. Letztere auch im Handwerk anzuwenden iſt ganz pafjend, ermäßigt die Zahl derer, die Meijter werden wollen, vermeidet Bergeudung höherer Kräfte zu niederer Arbeit. Das hat ja auch die Verordnung von 1849 zugelafjen. Sie wollte aber hin- dern, daß der gelernte Tijchlergejelle bei einem Zimmer- meijter arbeite, fie wollte alle Meiſter zwingen ſich nicht ar Gejelfen, jondern an Meiſter der andern Gewerbe zu wenden, wenn fie deren Hülfe brauchten. Es war ein lächerlicher Verſuch, den Yauf der Dinge zu fejjeln, e8 war überdieß ein erbärmlicher unmoralijcher Verſuch, weil man dem Fabrifanten erlaubte, was man dem Meifter verbot.

Mit der andern Technik, mit der veränderten Ab- grenzung der Gejchäfte gegeneinander, mit der größern Speztalifirung aller Produftion it, um hierauf noch zu fommen, auch die Stellung des Yehrlings, joweit es fich gerade um das Erlernen des Gewerbes handelt, eine total andere geworden. Wurde er früher oft ein Jahr lang und Länger als Laufburjche verwendet, von der Frau Mei- jterin zu allen möglichen häuslichen Dienftleiftungen gebraucht und mißbraucht, jo lernte und jah er Doch ſpäter Alles, was in der Werfjtatt gemacht wurde, und alle die verſchiedene Arbeiten jeines Gewerbes kamen in der Werfftatt vor. Die Prüfungen nöthigten ihn zu einer gewiſſen Ausbildung nach allen Seiten.

Der Mißbrauch erjterer Art ift nicht verſchwunden; wo heute, um Taglöhner oder Dienjtboten zu jparen,

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 23

354 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

allzu zahlreich Lehrlinge angenommen werben, da lernen fie in der erſten Zeit jo wenig wie früher. Aber auch jpäter lernen fie theilweife heute nicht mehr jo viel iwie früher, weil die einzelnen Gejchäfte nur einfeitig auf wenige Artikel fich werfen. Und innerhalb des ipezialifirten Gejchäfts wird der Lehrling zu einer ein- zelnen bejtimmten Art der Arbeit gebraucht. Wie foll er da viel lernen? Die Prüfung iſt weggefallen und damit jedenfalls auch ein gewilfer Sporn. Die zu große Unabhängigfeit vom 14. Jahre ab fteigert bei der Maſſe nicht den Trieb, etwas zu lernen. Die allgemeine Aus- bildung bleibt jo leicht zurüd.! Böhmert, der eifrigite Vertheidiger der Gewerbefreiheit, muß zugeben, daß bie ichweizer Gewerbetreibenden jehr gerne deutiche Geſellen aus Ländern, wo noch Prüfungen erijtiren, haben, weil fie Diejelben für fleißiger, geſchickter und anftelliger halten. Und aus ähnlichem Grunde find veutjche Ge- jellen in Frankreich und England beliebt.

Daraus will ich entfernt feinen Schluß ziehen, der auf Wiederherftellung des Zunftwejens und der Zunft: prüfungen ginge. Dieſe Wiederherjtellung wäre aus andern Gründen jchäplih, ja unmöglich. Aber das glaube ih mit dem Angeführten bewiejen zu Haben, daß die Beibehaltung der alten vierjährigen Lehrling- ihaft, ohne die Prüfungen und ohne die alte viel- jeitige Werkſtatt, die aufwachſende gewerbliche Gene-

1) Biel Wahres über diefe und ähnliche Punkte in ben amtlichen Protofollen, welche über die „Verhandlungen ber 1865 zur Berathung der Koalitionsfrage berufenen Kommiffion“ publizirt wurden. Berlin, Deder 1865.

Die Bildung des Lehrlinge. 355

ration noch tiefer herabbrüdt, noch mehr dazu beiträgt, alle Gejchäfte in die Hände der höhern Unternehmer: flajje zu bringen. Dem ijt nur abzuhelfen, wenn man in den Streifen der Handwerker den gewerblichen Schulen die Aufmerfjamfeit jchenkt, Die fie verdienen, wenn man die jungen Yeute zu ihrem Beſuche anhält, wenn man diejelben je kürzere Zeit in verſchiedene Etabliffements als Volontaire oder Arbeiter unterbringt, wobei fie praftiich alles in ihr Geſchäft Einichlägige lernen und jeben, wenn man endlich möglichit durch freiwillige Prüfungen den Ehrgeiz zu weden, ven Bemühungen ein fejte8 Ziel zu ſetzen ſucht.

Das ift die neue Art, wie man die gewerbliche Jugend beranbilden muß. Die Yugend joll arbeiten lernen; aber die Jugendjahre jollen daneben vor Allen eine Bildungs-, nicht bloß eine Arbeitszeit jein, Und das Gefährliche aller in neuerem Style eingerichteten Geſchäfte iſt es, ſchon den 14 jährigen als reinen Ar- beiter zu gebrauchen, ohne ihn etwas lernen zu laſſen, ohne ihm einen Ueberblick über die jümmtlichen kauf— männijchen und technijchen Spezialitäten feiner Gejchäfts- branche zu geben.

23 *

N he

4. Das Verhältniß der Gehülfen zu den Meiftern im Speziellen.

Die Gehülfenzahl nah den preußifchen Provinzen 1822, 1846 und 1861, ſowie nach den preußifchen Regierungsbezirken und einigen andern Zollvereinsftaaten 1861. Die preußijche Ge- bülfenzahl in Stadt und Land 1828, 1849 und 1858. Die

Gehülfenzahl in den großen preußiichen Stäbten 1861. Die Gehülfenzahl in Sahfen nah Stadt und Land 1849 und 1861. Die Gehülfenzahl in einzelnen Gewerben ; ſächſiſche Zahlen von 1849, preußifche von 1822 61, württembergijche von 1835 61, berliner von 1861. Die Reſultate diejer Tabellen. Die Gewerbe, in melden die Gehülfenzahl jelbft in neuerer Zeit niedrig bleibt. Die Gewerbe mit höherer Gehülfenzahl. Die Baugewerbe. Die Meifter und Flid- arbeiter. Die Zahlen der preußiichen Baugewerbe von 1816 61. Die provinziellen Gegenjäge in der Organifation ber Geſchäfte: Die größern Bauunternehmungen im Oſten, ber Bau für eigne Rechnung durch die Heinen Meifter im Weften.

An die Thatjache, daß in Preußen im Jahre 1861 die Gehülfenzahl im Durchichnitt des ganzen Staates und der jämmtlichen Handiverfe die Meifterzahl erreicht bat, Fnüpfte ich die allgemeinen Betrachtungen an, welche jich aus der Umbildung der Handwerksgeſchäfte nach dieſer Richtung bin ergeben. Ich kehre jetzt zu den Rejultaten der Statiftif zurüd.

Die Verſchiedenheit ver Gehülfenzahl. 357

So unbeftreitbar das alfgemeine Nejultat ijt, das ih aus ven Durchichnittszahlen des ganzen preußifchen Stanted und feiner gejammten Kleingewerbe folgerte, jo nothwendig iſt e8 andererjeits, hier wieder, wie jchon oft, daran zu erinnern, daß jede jolche Durchichnittszahl in gewiſſem Sinne falſch iſt, ein falſches Bild giebt, fofern fie den Schein erweckt, als ob diejer Durchichnitts- zahl entiprechende Zujtände nun, gleichmäßig verbreitet, in den verjchievenen Gegenden und Gejchäften vorhanden wären. Die Wahrheit ijt, daß ſehr verſchiedene Zu— ftände, verſchieden nach Gegenden wie nach Gejchäfts- branchen, dieſes Durchichnittsrefultat ergeben haben. Soll unjere Betrachtung aljo nicht einfeitig fein, fo müſſen wir neben dem allgemeinen Rejultat diefe Ver: jchiedenheiten noch in Betracht ziehen. Sie bieten an fich jelbjt und in Bezug auf die hier beiprochene Frage der Meijter- und Gehülfenzahl ein Intereffe; außerdem aber wird ihre Unterjuchung manche frühere Ausfüh- rungen, 3. B. die über die Iofalen Gegenfäte, noch in helleres Licht rüden. Einige Wiederholungen find dabei leider nicht zu vermeiden.

Dieterict hat jchon früher * auf den großen Unter- jchied aufmerfiam gemacht, der zwiſchen den einzelnen preußiſchen Provinzen herrſcht. Bei der Vergleichung von 1822 und 1846 hat er die Lücken der Aufnahme von 1822 durch Schätzungen ergänzt. Ich ftelle neben feine Zahlen die für 1861 von mir nach der offiziellen Aufnahme berechneten. Daß die Aufnahme von 1861

1) Mittheilungen II, ©. 9,

358 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

einige Kategorien von Handwerkern mehr umfaßt, iſt für diefe Durchichnitte ganz gleichgültig. Das Rejultat iſt folgendes: e8 famen auf 100 Meijter

1822 1846 1861

in Preußen -. . . . 46 81 103 Gehülfen ⸗Poſen..... 36 60 78 = ⸗Brandenburg. . . 87 128 146 = «= Pommern. . . . 65 95 103 = .e Schlefien . . . . 50 88 115 = e Sadien . . .. 64 119 120 = . Meftfalen. . . . 48 61 92 = » ber Rheinprovinzg . 59 60 716 = Hohenzollern . . . 58 »

Die Marf Brandenburg ericheint in ihren Zahlen ausjchlieglich von der Hauptitadt, von dem Charakter der hauptſtädtiſchen Gejchäfte beeinflußt. Ein Drittel ihrer Meifter und Gehülfen gehören Berlin an. Daber laſſe ich diefe Provinz außer Betracht.

In den Zahlen ver andern Provinzen zeigt fich vor Allem wieder der große Unterjchied zwijchen dem Weſten und Oſten des preußiichen Staates, hauptſächlich aber der Unterjchied in der Entwidlung beider Theile. Die Gegenſätze find 1822 total andere al8 1861. Im Jahre 1822 ftehen die Rheinprovinz, Sacjen und Pommern voran in der Gehülfenzahl, e8 folgen Wejtfafen und Schle- fien; Preußen und Poſen haben die geringfte Gehülfen- zahl. Schon 1846 Tiegen die Dinge anders. Poſen z. D. bat jett ſchon die gleiche Gehülfenzahl wie Wejtfalen und die Rheinprovinz. Vollends bis 1861 dreht fich das Berhältnig vollftändig um. Am Rhein, in Wejtfalen, in Sachen wächſt die Gehülfenzahl wohl auch noch etwas,

ee

Die Gehülfenzahl nach den preußiichen Provinzen. 359

aber unbedeutend. In der Aheinprovinz find 1861 noch Verhältniſſe, die auf ein Ueberwiegen kleiner Gejchäfte, auf die Möglichkeit für jeden Gefellen, ſelbſt Meifter zu werden, deuten. Im Oſten dagegen iſt die Gehülfen- zahl auf das 2 3 fache gegen 1822 gejtiegen, obwohl anzunehmen ift, daß das Landhandwerk hier, joweit es exijtirt, auch heute noch weniger Gehülfen bat, als das Landhandwerk am Rhein. Die Zahlen zeigen, daß bier die Gehülfen nicht bloß gewachien find, wie es im All gemeinen einem etwas geftiegenen Wohlftand entjpricht, fie zeigen, daß bier ganz andere Zujtände fich gebildet haben, fie zeigen, daß bier mehr und mehr das Handwerk der großen Städte, daß in den bedeutendern Städten mehr und mehr die größern Handwerfsgefchäfte und die Magazine überwiegen.

Aehnliche Gedanken ergeben fi uns, wenn wir och etwas weiter ins Detail gehen, uns die Ergebnifje nach den einzelnen preußijchen Negierungsbezirfen geordnet anjehen. Ich laſſe ihnen als weitere Ergänzung gleich die Zahlen für einige der neuen preußiichen Provinzen und kleinern deutjchen Staaten, berechnet nach Den Frantz'ſchen Summen, ! folgen. Es kamen auf bie;

1) Die Zahlen weichen, wie mehr erwähnt, von ben offiziellen, foweit fie exiftiren, theilweile etwas ab; aber ich fonnte bier feine anderen zu Grunde legen; Viebahn hat über- haupt feine Summen ber Meifter und Gehülfen getrennt, und offizielle Summirungen eriftiren nur von ein paar Staaten. Die Frang’shen Zahlen haben wenigftens die Wahrjcheinlichkeit für fih, nach derſelben Methode gewonnen zu fein.

360 Die Bertheilung ber Gewerbetreibenben.

=> | ae = Alſo auf Negierungsbezirke: Meifter Gehülfen | 100 Meifter 5 J Gehülfen

Königsberg -. » : 21731 24 861 114 Gumbinnen. . » . . 12 932 12 328 94 Danzig - . Beh 9140 11 218 123 Marienwerber . Beau 14812 11 957 81 Poſen. 20617 16 060 78 Bromberg . . 10 672 8468 79 ohne Berlin ; 25 783 33175 129 Frankfurt . . : 24 997 27 338 109 Stettin... in. 02% 16 790 19 156 114 BEN 3,3 20% % 12 364 10 535 85 Steliuind . - 6 627 7304 110 Bretlal.-- « +.» 38 101 46 605 122 Oppeln. 2... 22.079 22 646 103 Liegni - - « : » 31 309 36 099 115 Magdeburg . a 26 139 32 212 123 Merieburg - . » » - 28 359 33 168 117 Britt. = ut 12 993 15 563 112 Münferr. -. » - : 15 133 12 064 80 Minden. ». 2. 13 656 13 627 100 Arnsberg. - » ... 25 928 24 681 95 1 A 20 201 17 899 89 Düfieldorf . . » . » 43 954 36 246 82 Koblen - 21 046 12 941 61 2% nr 2 Pe Er 17 663 12 509 71 Aachen - ar | 15 151 10 756 71 Es famen * ——— au :

Hannover . . » 54 311 79 Kurhefien . » - . - OR 172 18 944 65 Naſſau . . 16 598 9 656 58 Hefien » Homburg . —TF 1121 1348 120 Be GR: 4 672 11 742 351

achſen, Kr. . » - 71 250 117 870 165 Dldenburg. . » » 9 580 7830 81 Braunfhweig . » - - 10 346 12 816 123 Unbalt . . - Er 6610 8417 127 Sadjen » Weimar. —J 12016 12 342 115 Provinz Oberhefien . - 13 999 7904 56 Uebriges Hefien 22271 25 034 112 Baden . . . e 50 033 41 465 82 Württemberg . » 80 775 64 468 79

Balırn . > >... 1172773 170 933 98

Die Gehülfenzahl in verfchiedenen Gegenben. 361

De niedrigſte Gehülfenzahl haben die armen vor: wiegend landwirthſchaftlichen Gegenden, wie Naffau und Dperheilen. Wo der Wohlftand jteigt, der rein land- wirthichaftliche Charakter zurüdtritt, iſt die Gehülfenzahl etwas größer. Aber dieſes Steigen der Gehülfenzahl geht num nicht weiter diejen beiden Urjachen entjprechend. Wohlhabende gewerbliche Gegenden wie Württemberg, Baden, die Regierungsbezirte Koblenz, Trier, Aachen behalten ihre mittlere Gehülfenzahl ; der Regierungsbezirk Erfurt hat eine niedrigere Gehülfenzahl als die Regie— rungsbezirfe Merjeburg und Magdeburg und ift jo wohl- habend als fie, hat auch wohl jo ziemlich gleichen gewerb- lichen Charakter. Die größte Gehülfenzahl außer den Yetstgenannten haben die Regierungsbezirfe Königsberg, Danzig, Potsdam, Breslau, Yiegnis, aljo der Oſten, der weder am reichiten ijt, noch überall durch ſpezifiſch gewerblichen Charakter fich auszeichnet. Da zeigt es fich wieder, daß die ganze Vermögens- und Einkommen vertheilung, das Wohnen in großen oder Fleinen Städten, die Grundbeſitzvertheilung es beſtimmt, ob fich heute bie Heinern Handwerksgeſchäfte noch halten.

Dei einzelnen Staaten, wie Baiern und Sachſen, hängt die größere Gehülfenzahl vielleicht etiwas mit der früheren Erjchwerung des Meiſterwerdens zufammen. Biel wohl nicht. Auf die Dauer wirft die freie Kon— furrenz allerdings an anderer Stelle und mit andern fonftigen Wirkungen noch mehr auf größere Geſchäfte als die Zunftverfaffung.

In den Gegenden und Bezirken, in welchen bie Gehülfenzahl am niebrigjten ijt, in welchen gegen 60

362 Die Bertheilung ber Gewerbetreibenben.

bis 80 Gehülfen auf 100 Meifter kommen, wird immer- hin dieſe Zahl ausreichen, um die Meifterftellen wieder zu bejegen. Ein regelmäßiger Zufluß aus Gegenden mit größerer Gehülfenzahl ift faum anzunehmen. Be— jonders zwijchen den verjchievenen Staaten war eine berartige Beweglichfeit der Arbeitskräfte früher jehr erichiwert. Iſt ja jetzt erjt im norddeutſchen Bunde die Freizügigkeit gejchaffen.

Dagegen ijt allerdings zwiſchen Stadt und Land einer und berjelben Gegend und Provinz eine jolche Fluktuation der Arbeitskräfte anzunehmen. Wünjcht auch der Lehrling, der in der Stadt gelernt, der Ge— jelle, der dort gearbeitet hat, wo möglich dort zu bleiben, der Meittellofe muß aufs Land zurück, wenn er jelb- jtändig werden will; andere werden durch Familien— verhältniffe, durch Land- und Hausbefig dazu gezwungen. Das ijt bei ven Gehülfenzahlen nach Stadt und Yand, zu welchen wir uns jett wenden, nicht zu überjehen.

Nach der Aufnahme von 1828 berechnet Hoff: mann, ! die 13 wichtigjten Arten der Handiwerfer zu- jammenfajjend, im Durchichnitte auf 100 Meiſter

in den anjehnlichiten 39 Städten 117 Gebülfen, in allen übrigen Städten. . . 58 auf dem Lande...2686

1) Nachlaß H. Schriften ©. 399. Der Durchſchnitt für das ganze Land ftellt fich dort zu 48 Gehülfen (auf 100 Meifter), während ich oben 56 berechnet habe. Das bat feine Urjache darin, daß Hoffmann feiner Berechnung nicht die gefammten Handwerker, fondern nur die 13 wichtigften Arten zu Grunde legt.

Die preußifchen Gehülfen in Stadt und Land. 363

Nah Den einzelnen Provinzen vertheilen fich 1828 die Sehülfen Der Landmeijter folgendermaßen; auf 100 Landmeiſter kamen

in Weſtfalen und der Rheinprovinz 36 Gehülfen,

in Brandenburg und Pommern . 24

in Sabien . . > 2 22002. . 23 2 in Schlefien . . . ae: | in Oſt- und Weftpreufen el - in der Provinz Pofen . . . . 1

Im Weſten hat wenigſtens jeder dritte Yand- meiſter einen Geſellen oder Lehrling; im Nordoſten arbeiten von 100 Landmeiſtern 89 ohne jede gewerb— liche Hülfe.

Im Jahre 1849 haben Gehülfen und Meiſter in den preußiſchen Städten etwa das Gleichgewicht erreicht, es kamen auf 100 Meiſter da 98, auf dem Lande 56 Gehülfen. Neun Jahre ſpäter, im Jahre 1858, haben 100 ſtädtiſche Meiſter 115,,, 100 Landmeiſter 71,5 Gehülfen. Das Landhandwerk ‚hat 1858 beinahe fo viel Gehülfen, daß es jeine Meifterjtellen allein bejegen könnte. Die Zahl der Lehrlinge, gegenüber ven Geſellen, ericheint im Ganzen 1858 als normal: 125202 Lehrlinge auf 377093 Geſellen; aljo jene etwa /, biejer ; in den Städten freilich nähert fich die Zahl der Lehrlinge nahezu der Hälfte der Gejellen, auf dem Lande beträgt fie etwa ein Viertel derſelben.

Nach der Aufnahme von 1861 ftellt fich das Ver- Hältniß der Meifter und Gehülfen in den größern preu- Bifchen Städten folgendermaßen:

364 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

Städte über 20000 Ein- Auf wohner . Meifter Gehülfen 100 Meifter Gehülfen Königsberg 2638 7145 270 Elbing . 914 2 272 249 Danzig . 2470 3 569 145 Poſen . . 1836 3336 182 Bromberg . 941 1733 184 Berlin . | 22553 46 633 207 Potsdam . » 2... 1769 2833 160 Brandenburg. . . . 871 1 830 209 Sranffınt . . 2»... 1881 2316 123 Stettin. Se 5 2180 4312 198 Stralſund. . . .. 917 1794 196 Breslau 9 5431 13 319 245 Görlitz. Enid ve 1149 1 866 165 Magdeburg. . » . . 3437 5 221 152 Halberftadt. . - . . 1012 1673 162 DaBE: , 5-2 u: 0% 2263 2807 124 Erfurt . —— ar 1 640 3 008 183 Miünfter rk 1353 1 796 133 Dortmud. . » » . 973 1389 143 Köln. ee 4841 7012 145 Krefeld re 2 065 1 367 65 Düffeldorf. . . » . 2025 2.030 100 Ejien . ee 681 877 129 Elberfeld | 209 2315 110 Barmen 1646 2089 121 Koblenz. 1 456 1222 84 Trier 1241 1178 95 Aachen . 2 253 3209 142

Die mehr beiprochenen provinziellen Gegenſätze zeigen ſich auch hier. Die größte Gehülfenzahl Hat nicht Berlin, jondern Königsberg, Elbing und Breslau. ° In Berlin! kamen fchon 1822 auf 100 Meifter 185, 1846 - 210 Gehülfen, 1861 dagegen 207. Daraus

1) Mittheilungen DI, ©, 9.

Die Gehülfen in den größern Städten 1861. 365

liege jih ein Schluß ziehen, den ich freilich nur mit einer gewiſſen Vorſicht ausiprechen möchte, nämlich der, daß für Die Mehrzahl der Handwerfe der Ueber: gang zu einem größern Betriebe, auch heute noch eine gewilfe Grenze hat, wenigjtens 1861 noch hatte. Ich juchte oben zu zeigen, daß Das heutige Handwerk nicht zu dem wird, was man pezifiich Großinduſtrie nennt, jondern nur zu etwas umfajjenderen und anders orga— nifirten Gejchäften übergeht. Erwägt man überdieß, daß gerade im den großen Städten Doch noch viele Fleine Meijter, Anfünger, Flickarbeiter ohne alle Gehülfen arbeiten, jo könnte man allerdings den Schluß für berechtigt halten, 2—3 ©ehülfen auf einen Meifter im Durchichnitt jei das Maximum. Immer aber bleibt diejer Schluß problemattich; er tjt richtig für einzelne, für viele Gewerbszweige, daneben unvichtig für andere, welche auch in der Handwerfertabelle verzeichnet find und bis zu 10 und mehr Gehülen auf einen Meijter haben fünnen, wie das Zimmer- und Mauvergewerbe, einzelne Metall» und Holzgewerbe, Glockengießereien, große Möbelanftalten. |

Daß im Königreich Sachen die Zahl der Gehülfen im Durchichnitt des ganzen Staates wejentlich höher it, als die in Preußen, jahen wir jchon; fie iſt höher als die irgend eines preußischen Regierungsbezirks. Stadt und Yand haben gleichmäßig blühende Gewerbe aller Art; die dortige Handwerfertabelle umfaßt mehr wahrſcheinlich als Die irgend eined andern größern veutjchen Yandes jolche Gejchäfte, die für den Abjak im Großen thätig find.

——

366 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

Schon im Jahre 1849 famen im Durchſchnitt des ganzen Landes bei den 50 wichtigjten Hanpwerfen ! auf 100 Meifter 111 Gehülfen, in den Städten alfein nur 112, aljo faum mehr als im Durchichnitt des ganzen Landes. Trennt man Gefellen und Lehrlinge, jo fommen nach diefer Rechnung auf 100 Meifter

Gejellen in den Städten . . . 84 - imGtabt und Yand . 87 Lehrlinge in den Städten . . . 28 in Stadt und Land.. 24.

Dabei find aber die bejonders auf dem Lande als Hausinduftrie betriebenen Gewerke einbegriffen; von einem Theil derjelben rührt die hohe Zahl Gehülfen des platten Landes her, jo von den Bürjtenmachern, ven Landflempnern und Nagelichmieden; andere wieder, wie die Weber, haben feine beſonders hohe Gehülfen- zahl. Daneben ift nicht zur vergeſſen, was ich oben ichon erwähnte, daß die Gehülfenzahl auf dem Lande viel zu hoch erjcheint Durch die Art der Zählung. Zaufende von Maurern, Zimmerleuten, Buchorudern und andern Gejellen und Arbeitern, die in der Stadt arbeiten, wohnen auf dem Lande umd werben da gezählt.

Für die Vergleihung von 1849 und 1861 find andere Zahlen zu Grunde zu legen; nämlich die der öfter ſchon angeführten Tabelle, ? welche die Meifter und Gehülfen in 36 Handwerken, getrennt nach größern,

1) Zeitfchrift des jächl. ftatift. Bilreaus 1860. ©. 105. 2) Zeitjchrift des ſächſ. ftatift. Büreaus 1863. ©. 102.

Die Gebülfenzahl in Sachen. 367

fleinern Städten und plattem Lande, aufführt. Die Tabelle beſchränkt fich auf Die jpezifiich Yofalen Gewerbe und jchließt alle Hausinduftrien und fabrifmäßigen Hand- werke, wie die Weber, Zuchmacher, Tuchſcheerer, Strumpfwirker, Poſamentiere, Imftrumentenmacher, Färber, Nadler und Aehnliche aus. Nach den dortigen abſoluten Zahlen habe ich die folgenden Verhältniſſe berechnet. Es kamen auf 100 Meiſter:

in den größern Städten 1849 . 167 Gehülfen

2 z 2 = 1861 238 7

in den kleinern Städten 1849 . 9 . + 1861 . 109 auf dem Lande. .. 1849 . 161 -

= ee ee. ... 181 . 195 -

Das Verhältniß der drei verjchiedenen Arten des Handwerks unter fich iſt ebenjo jchlagend, wie die Um— bildung jeder einzelnen Art von 1849 61. Das An- wachlen der Gehülfenzahl auf dem Lande ift am über- rajchendften. Es entzieht fich aber jeder weitern Erörte- rung, da man nicht abfieht, wie weit e8 aus den vorhin angeführten Gründen der Wirklichkeit, d. h. dem thatjäch- lichen Umfang der Gejchäfte auf dem Lande entipricht. Keine wejentliche Aenderung zeigt fich in den kleinern Städten, wie das nach den obigen Unterjuchungen über das Hleinftäbtiiche Handwerk zu erwarten war. Die ftärfite Zunahme der Gehülfenzahl fand in den großen Städten ſtatt. Es ift ein totaler Umſchwung der Ver: bältniffe, der zwijchen diejen beiden Zahlen liegt. Vor— ber noch 1"/,, jegt im Geſammtdurchſchnitt 2 3 Ge— hülfen auf einen Meifter. Damit ijt in den ſämmt⸗

368 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

lichen ſächſiſchen Städten über 10000 Einwohner die Grenze erreicht, die wir vorhin als eine Art Marimum hinftellten, die Grenze, die ſelbſt in der Großſtadt Berlin und den andern größten preußtichen Städten 1861 nicht überjchritten iſt.

Dieſes Marimum aber, wie alle die vorſtehenden Berhältnißzahlen find berechnet als Durchichnitte verichie- dener Gewerbe. ine wirklich konkrete Anjchauung Der Berhältniffe gewinnen wir erjt, wenn wir bie einzelnen Gewerbe unterſcheiden. Jedes ift in feiner Technik, in feiner Organijation, in jeinem Verhältniß zum Publikum wieder ein amderes, wie ein Blick auf bie folgenden Tabellen lehrt. Um das ftatijtiiche Material nicht zu ſehr zu häufen, beſchränke ich mich auf bie Mittheilung von vier Tabellen. Die ſächſiſche umfaßt 50 Gewerbe nach dem Stande von 1849.1 Die preu- fifche für die Jahre 1822 und 1846 ſtammt von Dieterici;? die Jahre 1858 und 1861 babe ich nad den Quellen nachgerechnet. Die württembergijche Tabelle ift von mir in meiner württembergiichen Gewerbeftatijtif? berechnet. Als Gegenjab zu diefen drei ganze Länder umfaſſenden Ueberfichten füge ich noch den Stand einiger der wichtigern Berliner Handwerke im Jahre 1861 bei, berechnet nach den Zahlen der offiziellen Publifation.!

1) Zeitichrift des ſächſ. ftatift. Bireaus 1860. ©. 108. 2) Mittheilungen TI, ©. 8.

3) Württembergiiche Jahrbücher 1862, 2tes Heft, ©. 248. 4) Preußiſche Statiftik in zwanglofen Heften V, 172—182.

Die Gehülfenzahl in einzelnen Gewerben.

369

Es famen 1849 in Sachjen auf 100 Meifter;

Seifenfieder Öraveure . Zinngießer. Seilr. . . Sandfjuhmacher. Kammmader . Böttcher Riemer. Sattler. Gerber. Bürſtenmacher Friſeure. Fleiſcher.

Ölafer . Gürtler. Uhrmacher. Strumpfwirfer . Stellmacher . Zeugs u, tZirlelſchmiede Hufihmiede . F Gelb⸗ u. A Särber . ; Schneider . Buchbinder

Tiſchler.

Gehülſen 47

120

97 140 106

87 140 122

Schloffer .

Kirichner .

Dredsler . Feilenhauer Knopfmader . Poſamentierer. Kupferſchmiede

Weber . Büchſenmacher

Gold- u. Silberarbeiter Hutmacher. Korbmacher Schuhmader .

Bäder und Konbiteren Klempner . Tuchſcheerer

Täſchner u. Tapezierer

Tuchmacher Töpfer. . . Nagelichmiebe. Meſſerſchmiede Steinmeßen . Müller . Zimmerleute . Maurer.

Gehülfen

170 81 68 117 94 96 110 63 90 96 113 43 94 112 169 105 136 106 159 139 149 578 160 . 180: t

. 2574

Die preußiichen Zahlen find, wie wir das jchon

aus den allgemeinen Ergebnijjen wifjen, geringer ;

famen da,auf 100 Meifter Gehülfen:

Bäder.

Fleijcher . Schneider.

Schmoller, Geh. d. Kleingewerbe,

1822 35

33 38

1846 1858 1 57 74 46 56 55 58 24

es

861 79 61 64

370

Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

Schuhmacher.

Tiichler _. Töpfer. Rademacher . Seiler. Sattler . Gerber Hutmacher

Zimmerleute. Steinhauer .

Maurer Grobſchmiede Schloſſer. Gürtler . Klempner. Glaſer.

Und nochmal

Bide . Fleifcher . Schneider Schuhmacher Tiihler . Töpfer Rademacher. Seiler Sattler . Gerber Hutmader . Zimmerleute Steinhauer. Maurer .

29

1858 60

45

49

geringer als die preußifchen find die württembergiſchen Gehülfenzahlen; e8 famen dort Ge— bülfen auf 100 Meifter:

1852 33, ‚5 39, 42,

1861

Die Gehülfenzahl in einzelnen Gewerben. 871

1835 1852 1861

Gold» u. Silberarbeiter 63,8 61 ‚2 119,, Farber WEGE nr 644 65,4 92, Volamentierer . * “. . 40, 47,4 52,8

Ganz anders natürlich lauten die Verhältnißzahlen Berlins; ich theile zugleich die abjoluten Zahlen ver Meifter, Gehülfen und Lehrlinge mit; man zählte 1861:

Gewerbe

Beide zufammen Auf 100 Meifter tamen Gebülfen

Lehrlinge

2 ee 359 |1438| 348 DUDEN. = = um ce # 340 | 148 8 224 160 Ra: 5 130 Barbiere. er m. I 88 a 455 Steinmegen . ——

Töpfer. .

Ölajer .

Maurer. Zimmermaler . immerleute . flafterer . GStellmader. MWagenbauer . Schmiede . zo Shbfer . ». : . » Klee. . En Rupferfämiehe

Roth - * ———— Klempner —J Gold⸗ und Silberarbeiter. . 162

. 812 Die Vertheilung ber Gewerbetreibenden.

= |»58 EB | ES BE S5 52566 Gewerbe * 5 a |ı5 30

81 5371137 ss 88 Dehunite für mathem. Inſte. 1471 | | 372|.:253 - dirurg. = 4221| | 148 - mufifal. = 1653| | | 474|..291 Nernader, Uhrgehäuſemacher 217| 187) 90| 277) 126 Schubmader. . » . . » 1311513397 1045 4442 143 Handbihuhmaher. - . . - | 179) 211) 55 266) 149 Kirfhner . > 2 2020». 1212| 321] 64] 385| 182 Renneeee 338| 474 200 674| 199 Schneider -. . 2 = 2 = ..13839|4083|1215 5298 138 Bofamentierer. . » .. . 281! 257 60, 317| 113 Butmader. - 2 2 202 + 1297| | | 6714| 227 Hutmader. - - 2 2... 141! 8375| 67) 442| 313 Tiihler. - 2 2 2... 11948|4507|1219|5726| 294 Bötther » u... 200% 202| 380) 91| 4711. 233 Korbwaarenmaher . . . . | 179) 235| 102) 337) 188 Tapegierev . © 2.2... | 361) 8334| 126| 460) 127 Diehslr - 2 2 2 2020. 388 641| 225) 866) 223 Kammmader . . . . e 721 66/1 12) 781 108 Bürftenbinder. . » 2. . 85| 108| 31/139] 164 Buchbinder. » 0. + | 494| 674| 224| 898| 182 Photograppiften ee Es an a a 3832| 353 92 gadirer . . . . 103| 204 4% 249| 242

Wir jehen Gegenfähe in diejen Zahlen und Gegenſätze verjchievener Art. Von den provinziellen Gegenſätzen will ich weiter nicht reden; e8 find die ſchon mehr beiprochenen. Auch die ſukzeſſive Aenderung von 1822, reſp. 1835 bi8 1861 bietet nach den obigen Ausführungen zunächit nichts Neues. Was ums bier interejfirt, it der Unterjchied ‚ver einzelnen Gewerbe unter fih. Die äußerften ‘Differenzen, die ſich da zeigen, liegen ziemlich weit auseinander. Bei den Glaſern

Die Gehülfenzahl in einzelnen Gewerben. 373

famen 1861 in Preußen auf 100 Meifter 49, bei den Maurern 566 Gehülfen; in Sachjen ift 1849 der äußerjte Gegenjat 47 und 2574, in Württemberg 1861 43 und 209, in Berlin 1861 - 92 und 1686.

Je ärmlicher und einfacher ein Gewerbe in ber Kegel iſt, je mehr es Landmeiſter unter fich begreift, je weniger es großes Kapital zum Anfang des Gejchäfts fordert, je mehr e8 ausjchließlich auf perjönlichen Dienjt- leiftungen des Meijters beruht, deſto niedriger iſt Die Sehülfenzahl. Man fieht bejonders an der württem— bergijchen, aber auch an der preußiichen Tabelle, daß wo und fofern die Verhältniſſe jo einfach bleiben, . die Ge— hülfenzahl, welche auf 100 Meifter kommt, 43 80 nicht überjchreitet. Dede zeitweilig höhere Zahl funkt wieder, da die Gejellen, in ein gewifjes Alter gefommen, feine Urjache haben, nicht ein eigenes Gejchäft anzu- fangen.

Anders wieder in den Gewerben, welche größeres Kapital erfordern, welche für größern Abſatz anfangen zu arbeiten; die hausinduftriellen Betriebe bilden zwar gerade einen gewiſſen Gegenjat zu den großen Gejchäften, aber wo fie blühen, hat der Meifter, welcher für ven Kaufmann oder Verleger arbeitet, doch häufig einige Geſellen oder einen Lehrling, wie fi) das bei den ſächſiſchen Nagelichmieden, Klempnermeijtern, Poſamen— tieren zeigt. Die Gewerbe, welche durchgängig die höchſte Zahl von Gehülfen zeigen, find die Gerber, Töpfer, Hutmacher und vor allem die Baugewerbe. Alle die genannten neigen mehr oder weniger zu größern Geſchäften. Ihnen am nächſten ftehen die Gürtler, Klempner,

374 Die Vertheilung der Gewerbetreibenben.

Schloſſer und Buchbinder, Gewerbe, welche ſchwung— haft betrieben zur Meajchinenanwendung und zur Spezialifirung auf einzelne Artifel übergegangen find. In allen diefen Gewerben kann nicht mehr davon bie Rede fein, daß die Gejellen ſämmtlich jelbftändig werben fönnen.

Wenn in den Gewerben, welche außer dem Haufe arbeiten laſſen, die ſämmtlichen jo Beichäftigten als Gehülfen, und nicht, wie vielfach, als Meifter gezählt wären, jo würde die Gehülfenzahl in vwerjchievenen Ge— werben noch wejentlich höher fein.

Diejenigen Gewerbe, welche eine gleich hohe Gehülfen- zahl im Durchichnitt Haben, werben ſich an technijcher Entwidelung, Kapitalbevürfniß, Einkommen und jozialer Stellung ungefähr auch gleich jtehen. Aber doch nicht vollftändig. Das eine Gewerbe bedarf mehr des Kapi— tald, das andere mehr der perjönlichen Arbeitskräfte. Die Fleiicher, Schneider und Scufter 3. B. haben 1861 in Preußen diejelbe Gehülfenzahl. Und doch fteht im Durchſchnitt der Schneidermeijter etiwas unter dem Schuhmachermeifter, jevenfalls überragt der Fleijcher- meijter beide durchichnittlich an Einkommen und jozialer Stellung. Der Schufter hat in der Regel fchon etwas mehr Kapital in feinem Geſchäft ſtecken, er treibt eher als der Schneider VBorrathshandel. Eine andere Stellung al8 beide hat der Tleiicher, der Gelb zum Vieheinkauf braucht, der meijt ein Pferd Hält, um auf den Einfauf zu fahren, der eines eigenen Haujes, einer Schlacht: jtätte jchwer entbehren kann. Im Jahre 1822 haben die Bleijcher ein Drittel weniger Gehülfen als die

.

J TE EHRE HRERER

Die Gewerbe mit gleicher Gehülfenzahl. 375

Schufter und doch ift damals fchon der Fleifchermeifter durchſchnittlich wohlhabender als der Schuhmacher.

Uebrigens haben die Nahrungsgewerbe in Wirflich- feit einen größern Umfang; fie bejchäftigen mehr Hände, als hier erfichtlich iſt; aber es find nicht ſowohl technifch gebildete Gehülfen, Lehrlinge und Gefellen, als Knechte und Mägde. Wenn 1864 in den thüringijchen Staaten! auf 100 Selbjtändige in den Nahrungsgewerben 71 Dienftboten, in den Befleidungsgewerben aber nur 5, bei den Bauhandwerken 21, bei den Gewerben, welche ih mit Einrichtung der Wohnungen und Herftellung von Geräthichaften abgeben, 11, bei allen übrigen Ge— werben endlich 6 Dienjtboten kommen, jo find das Ver- hältnißzahlen, wie fie fich ähnlich auch wohl anderwärts ergeben würden, fofern Aufnahmen nach der Richtung erijtirten. Sie zeigen einen fprechenden Unterjchied der einzelnen Gewerbearten in der Wohlhabenheit und in dem Bedürfniß an belfenden, Händen für das Geſchäft. Sie zeigen, daß die Zahlen der technifchen Gehülfen . nicht allein maßgebend find.

Don bejonderem Einfluß auf die Gehülfenzahl ift Die Thatſache, ob das betreffende Gewerbe auf dem Lande mit vorkommt. Zahlreiche Yandmeifter ohne Ge: hülfen neben ſtädtiſchen Meiſtern mit 2 3 Gehülfen geben für den Durchichnitt des ganzen Gewerbes doch nur 60— 80 Gehülfen auf 100 Meifter. Die Rade— macher haben in Preußen 1861 - 55, die Glaſer 49

1) Kollmann, Geſchichte und Statiftif des in Hildebrand's Jehrbůcher X, ©. 298,

376 Die Bertheilung der Gewerbetreibende.

Gehülfen; die Tiſchler, Schloffer und ähnliche Gewerbe jehr viel mehr. Und doch wird zwijchen den ſtädtiſchen Sejchäften fein jehr großer Unterſchied fein.

In Berlin ift die Gehülfenzahl jehr viel größer, als im Durchſchnitt Des ganzen Landes. Einzelne Arten von Gewerben werden in der Großſtadt zu etwas ganz Anderem. Aber in der Hauptjache ijt doch die Ab- ftufung zwijchen den einzelnen Arten der Gewerbe die— jelbe, und bei der überwiegenden Mehrzahl kommen auf einen Meifter doch nicht über 1— 3 Gehülfen durchjchnittlich. Nur wenige Gewerbe haben eine noch größere Gehülfenzahl und auch das find faſt Tauter folche Sewerbszweige, bei welchen große und Heine Gejchäfte neben einander vworfommen. Bon den in der Fabrik tabelle Berlins verzeichneten Gejchäften find fie faft alle noch weit entfernt. Es kamen durchjichnittlich auf einen Arbeitgeber 1861 in Berlin: ! bei den Spinnereien 15,,, den Webereien 7,,, den Fabriken für Metallproduftion 21,;, denen für Metallwaaren 22,,, denen für mine- raliiche Stoffe 16,,, denen für Pflanzenjtoffe 7,,, denen für Holzwaaren 12,,, denen für Verzehrungsgegenjtinde 8, Arbeiter. Dieſen Fabriken jtehen von den oben angeführten Gewerbszweigen nur die Baugewerbe gleich. Jeder BPflajterermeifter in Berlin Hatte 1861 durch— jcehnittlich 6, jeder Steinhauermeijter 8, jeder Zimmer: meifter 14, jeder Maurermeifter 16 Gejellen und Lehrlinge.

1) Engel, die Induſtrie der großen Städte, Berliner Gemeindekalender II, ©. 143.

Die Baugewerbe. 377

Zahlreiche Arbeitskräſte find in den Baugewerben für ven Meiſter nothwendig; vielfach ift er in den roͤßern Städten überhaupt ein großer Spekulant und Unternehmer geworden, ver über taufende von Thalern muß verfügen können. Immer aber zeigt fich auch hierin noch eine große Verſchiedenheit der VBerhältniffe. Darüber möchte ich noch einige Worte bemerken, auch einige weitere Betrachtungen über die Baugewerbe, auf die ich nicht mehr im Speziellen komme, beifügen.

Zuerjt eine Bemerkung über die obigen Zahlen. Wenn nach den Tabellen 1861 ein Maurer» oder Zimmer: meister in Württemberg 1 2, in Preußen 4 5, in Sachen 18 25, in Berlin 14 16 Gehülfen beichäf- tigt, jo find Das nicht durchaus vergleichbare Zahlen. Die polizeilichen Beſtimmungen über das Meiſterwerden find verſchieden, und in Folge Davon ift theilweife eine bejondere Mittelklaſſe zwiſchen den Meeiftern und den Gehülfen ausgejchieden, theilweile iſt Dieß nicht der Fall. In Württemberg 3. B. fehlt dieſer Unterjchied. Die Meifterprüfung war überbieß niemals allzuſchwer; die Zahl der Gejellen iſt daher nicht jo jehr viel ſtärker als die der Meifter; ein Verhältniß, Das noch durch Die übrigen Urfachen, die dort überhaupt auf fleinern Be— trieb binwirfen, unterjtütt wurde.

In Preußen hatte das Gewerbepolizeiedift von 1811 die Beibehaltung der Prüfungen für die Bauhand— werfer ausgeiprochen, die Inftruftionen von 1821 und 1833 hatten Diefelben geordnet.” Die Anforderungen

1) Rönne, Gemwerbepolizei II, 99.

rn, =

en en nn Die

378 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

waren mäßige, aber immerhin mußte man bejonders auf dem Lande eine Weihe von Heinen Arbeiten auch Leute jelbjtändig ausführen laſſen, welche die Prüfung nicht bejtanden hatten. Dieje jogenannten Flickarbeiter wurden aber erit 1837 als bejondere Rubrik bei der ſtatiſtiſchen Aufnahme gezählt. Bei der BVergleichung von 1822 und 46, welche Dieterict anjtellte, rechnet er die Flicfarbeiter zu den Meiftern, und demgemäß habe ih in den Berechnungen für 1858 und 61 daſſelbe gethan. Dagegen zeigen die Zahlen für Berlin nur das Verhältniß der eigentlichen Meifter zu den Gehülfen. Läßt man für die Zahlen des ganzen Staates die Flid- arbeiter weg, jo jtellt fich das Verhältniß ganz anders, als die obigen Zahlen e8 darjtellen; es kommen dann auf 100 Meijter

bei den Zimmerleuten 1858 ... 1025 Gehülfen ss 1861... 1076 2 - = Mauren 1858... 1582 Fr 1861 ... 1623

Dieſe Zahlen beweiſen augleich, daß die nach den obigen Zahlen fich ergebende Abnahme der Gehülfenzahl von 1858 bis 1861 (von 653 auf 440 Gehülfen bei ven Zimmerleuten, von 927 auf 566 bei ven Maurern pro 100 Meifter) nur eine jcheinbare, von der Zunahme ver Wlidarbeiter herrührende iſt. Die Zunahme der Flidarbeiter war jelbjt wieder nicht Folge einer volfswirthichaftlichen, jondern einer polizei lichen Anordnung. ine jolche war durch die Gewerbe- ordnung von 1845 und die Gewerbenovelle von 1849 eigentlich nicht hervorgerufen worden; man war wohl

Die Baugewerbe in Preußen. 379

von 1849 an etwas ſtrenger; aber die alten Prüfungs- inftruftionen waren bis 1856 in Geltung gewejen. Exit die neue Inſtruktion vom 24. Januar 1856 hatte die Meifterprüfungen wejentlich zu erichweren, die Arbeiten, welche zur jelbjtändigen Ausführung ältern Gejellen als Flickarbeitern überlaſſen bleiben, ziemlich enge einzu— Ichränfen gejucht. Darauf hin hatten die Meijter zuerft abgenommen; nach wenigen Jahren mußten die Ylid- arbeiter, die nun troß ihres engen Wirkungskreiſes um jo nothiwendiger wurden, um jo mehr zunehmen.

Um jedoch über die ganzen bier in Betracht kom— menden Gewerbe eine Elarere Weberficht zu geben, Tafie ich zunächit die zwei folgenden hiſtoriſchen Tabellen folgen. Sie enthalten eine ziemlich volljtändige Ueberficht über Die geſammten preußtichen Baugewerbe von 1816 61. Sch ſage eine ziemlich volljtändige, denn zu einer ganz wollftän- digen würde gehören, daß fie auch die Kalkbrennereien und Ziegeleien, die Gyps- und Traßmühlen, die großen Zementfabrifen, die jett Grabvenfmale, Bauornamente, Slurplatten, Treppenlehnen liefern, daß fie alle die

Arbeiter, die in Stein, Marmor- und Schieferbrüchen -

thätig find, mitzählten. Auch die Maurer» und Zimmer: meiſter jelbit bejchäftigen noch außer ihren gelernten hier gezählten Gehülfen viele bloße Tagelöhner. Die Zählung der Gehülfen jelbft iſt bei ven Maurern wenig- ſtens Deswegen unficherer als bei einem andern Gewerbe, weil die Maurergeſellen in den jtrengen Wintermonaten, in welchen die Zählung jtattfindet, meift nicht in ihrem Gewerbe bejchäftigt find, dann auf dem Lande wohnen und anderweitigen Arbeiten obliegen.

880

Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.

Man zählte:

Maurer Steinmeßen | | Ziegel

Sabre J rg ————— M ide eide r eiſt ar bite ee Gehülfen Meifter Gehülf. meifter, | 1816 | so8| | 8088| Mm 124 | \ 1816 34 find Diele, 1822 9204 9294 | 19542 Il Gewerbe unter ben | 1831 10 196 10196 24771 |f Maurern mit inbe— 1834 10728 10728 | 28988 griffen. 1837 6096 | 3550 9646 | 31351 499 11675 1887 1840 b812 | 3814 9628 | 37011 |1167 |2494 21753 1843 570 | 3970 9760 | 43380 |1387 |2530 |2419 1846 -- 13 755 | 60260 mit unter den Maurern 1840 5966 | 4504 | 10470 | 54046 |1640 3308 |2338 | 1852 6019 | 4352 | 10371 | 60462 1741 13846 | 2486 | 1855 | 5936 | 3891 | 9830 | 65832 |1835 14334 |2 497 | 1858 5106 | 3612 | 8718 | 80792 | 1888 |5095 |2561 | 1861 | 5037 | 9405 | 13442 | 81739 2415 [5782 13015. 1816:1861| | —- | —- I 1 II

EN

ahre Mei ſter Flick- Beide arbeiter zuſammen 1816 | 9646| | 9646 | 1538 1822 10 201 10201 18299 1831 9901 9901 21293 1834 9 820 9820 24 796 1837 7383 | 2746 10 129 27218 1840 7085 | 2953 10 038 30 877 1843 7204 | 3017 10 221 33 407 1846 10 423 40 312 1849 6574 | 3617 10 191 39 007 1852 6325 | 3426 9751 42247 1855 5964 | 2994 8958 45 271 1858 5160 | 2943 8103 52 875 1861 4633 | 6 695 | 11 328 49 868 1816:1861| | |100:117, |100: 325,0

Brunnenmacher | Gehülfen er Gehülſ.

1816 46 find die Brunnen

| | | |

macher unter | ben Zimmer leuten | begriffen. 5413 456 559 506 548 453 564 585 743 127

ı-1I-

Statistik Der preußifchen Baugewerbe. 381

Maurer *r | Meifter Auf Ein Gehülfen und 100 Meifter ce sıc Meifter zujammen Selen. Einwohner

8 048 14 124 22 172 176 | 469 9 294 19 542 28 836 210 406 10 196 24 771 34 967 243 375 10 728 28 988 39 716 270 3412 12 532 33 026 45 558 264 311 12 968 39 505 52473 305 286 13 566 45 910 59 476 331 261 13 753 60 260 74 013 438 219 2916 14 448 60 270 74 718 410 219 3489 14 598 67 787 82 385 464 208 3875 | 14162 74 041 88 203 523 195 4439 | 13167 % 326 103 493 686 171 4977 | 18872 92 498 111 370 | 490 166

Zimmerleute, Meiſter Auf 6 Ein Brunnen⸗ und 100 Meifter) Oewerbe⸗ treibender macher ꝛc. aller Gehülfen fommen | fommt auf zufammen | Gehülfen | Eimmwohner

| ..9646 | 15383 24 989 19 | 416

10 201 18299 28 500 179 411

9901 21293 31194 215 419

9820 24 796 34 616 252 392

10 129 27 218 37 347 269 379

10 038 30 877 40 915 307 366

10 221 33 407 43 628 327 356

10 423 40 312 50 735 387 319

10 734 39 463 50 197 368 325

10 310 42 753 53 063 415 319

9 506 45 724 55 230 481 311

8667 53 460 62127 617 285

12071 50 595 62 666 419 295 \ 100:125, | 100:329,, | 100:250, | 100:263, | 100: 141,

382 Die Vertheilung ber Gewerbetreibenben.

Aus dieſen Tabellen erhellt zuerjt, wie beveutend die Baugewerbe zunahmen. Die Zimmerleute wuchjen 41, die Maurer 182 %/, jtärfer als die Bevölkerung.

Dann zeigt fich, wie troß der Juziehung der Flick— arbeiter zu den Meijtern die einzelnen Gejchäfte an Um— fang zunahmen; fie Haben burchichnittlich 1861 etwa bie dreifache Gehülfenzahl gegen 1816. Die Abnahme des Umfangs von 1858 bis 1861 Tiegt wieder in der ſtarken Zunahme der Flickarbeiter, welche bier als Meifter gerechnet find.

Drittens ſehen wir, daß 1816 die Zimmerleute und Maurer, je nebjt den einjchlägigen Gejchäften, fich beinahe die Waage halten, daß jogar die Zimmerleute noch etwas überwiegen. Das ändert fih. Die Maurer nehmen jehr viel jtärfer zu; 1861 find fie beinahe doppelt jo ſtark vertreten. Es hängt gewiß damit zufammen, daß mit wachjendem Wohljtand und fteigen- den Holzpreifen der Fachbau und die Holzkonjtruftionen zurücktreten gegenüber dem Steinbau, neuerdings auch gegenüber der Anwendung von Eijenfonjtruftionen.

Einen tiefern Einblid in die Art der gejchäftlichen Drganifation der Baugewerbe geben die worjtehenven Tabellen noch nicht. Um ihn zu gewinnen, will ich eine Tabelle mitteilen, in der die Zimmerleute und Maurer nach Provinzen geordnet erjcheinen, in der nur die Meifter und Gehülfen, nicht aber die Flickarbeiter in Betracht gezogen find. Die Zahlen für 1837 1 find Hoffmann entlehnt, die für 1861 find von mir nad)

1) Die Bevölkerung des preuß. Staats ©. 131.

Die Baugewerbe in den einzelnen Provinzen. 383

den offiziellen Zahlen ! berechnet. In der letzten Spalte füge ich die oben jchon angeführten Prozentzahlen bei, mit denen die Baugewerbe 1861 an der ganzen Bevöl— ferung theilnehmen. Es fommen Gehülfen auf 100

Meiſter: Zimmerleute | Maurer | Auf 100 Provinzen Einwohner , Baugewerbe⸗ 1837 | 1861 | 1837 | 1861 | freibenbe Preußen . . | 633 | 1250 | 740 | 1936 0,, Boien - . | 364 | 1086 | 748 | 1530, 0, Brandenburg . | 1377 | 2161 | 1892 | 2696 ls Pommern . . | 834 | 1523 | 1150 | 2597 ls Sclefien . . | 1336 | 3482 | 2106 | 3800 14 Sadien. . . | 798.1 2482 | 999 | 3903 2.2 Weftfalen . . | 123 | 269 | 220 | 1549 1 Rheinprovinz . 98 261 | 166 | 557 1,3

Die großen provinziellen Gegenjäte, die wir hier vor uns jehen, Die 1861 etwas geringer geworden aber nicht verſchwunden find, entiprechen zugleich der hiſtori— ſchen Entwidlung der geichäftlichen Organijation.

Der mittelalterlihe Maurer- und Zimmtermeifter war ein Handwerker ohne großes Kapital; er durfte wohl mehr Gejellen und Lehrlinge halten als andere Meifter, oft 4 Gejellen und noch mehr, während andern nur einer oder zwei erlaubt waren; aber ein großer Unter- nehmer wurde er dadurch nicht. Die Lieferung der Materialien, des Kalks, der Steine, des Holzes, der Ziegeln, war Sache defjen, der bauen ließ; der Kapital befig des Meiſters reichte dazu nicht, Sitte und Vor—

1) Preußiſche Statiftit in zwanglofen Heften V, ©. 23.

384 Die Bertheilung der Gewerbetreibenden.,

ichrift wollte e8 auch nicht, um die Gejchäfte nicht zu groß werden zu laſſen. Oft war ja auch den Meijtern verboten mehr al8 ein oder zwei Werfe zugleich zu über— nehmen. Größere Bauten lagen in der Hand eines Rathsherrn,? eines Domfapitulars, dem die Rechnungs— führung übertragen war; an jolchen arbeiteten viele Meijter. Für Meijter und Gejellen waren feite Tage- lohnſätze hergebracht, die des Meijters etwas höher, weil er die Geräthe auch für feine Gefellen zu ftellen hatte. Im der Blüthezeit des mittelalterlichen Bau— weſens gaben die Baubhütten,? die als Bauhütten ein- zelner großer Städte wie ganzer Länder auftraten, ver Sefammtheit der Meiſter eine feſte Organijation, die bei großen Bauten auch wohl geichäftlich verwandt wurde.

Die in Polizei-, Landes- und Taxordnungen feit- gejtellten Yöhne geben uns heute noch eine klare Anſchauung von diejer Stellung der Meifter. * Selbſt in großen

1) Schönberg, deutſches Zunftwejen, Hildebr. Jahrb. IX, 106 ff. Baader, Nürnb. Polizeiordnungen, ©. 286, Abf. 1.

2) Bergl. hauptſächlich die intereffanten Details über den Rathhausbau in Bremen von 1407 10 im II. Jahrgang bes brem. Jahrbuchs, jowie Entres Tuchers Baumeifterbuch der Stadt Nürnberg (1464 1475), herausgegeben von Dr. Lerer, Stuttgart, literar. Verein 1862.

3) Biebahn III, 627 28.

4) So 3. B. in den ausführlihen Beftimmungen der bairischen Landesordnung, die in ber mir vorliegenden Ausgabe von 1553 S. 163 164 davon handelt.

Der Maurer- und Zimmermeifter alter Zeit. 385

Städten wie Wien ift e8 nach der Polizeioronung won 1527 die Regel, daß die Meifter nicht Unternehmer find, jondern für Tagelohn arbeiten; nur als Ausnahme wird ihnen erlaubt, daß fie „Beſtännd und geding an— nemmen müge; doch jollen fie fich dann nicht übereilen, und es jollen ihnen die in der Polizeiordnung feitge- jtellten Tagelohnſätze dabei als Norm dienen.

Bei dem tiefern Stand der Bolfswirthichaft im 17ten und 18ten Jahrhundert treten jelbjt dieſe An- fünge von Affordarbeit und eigentlicher Bauunterneh— mung durch die Meijter wieder zurüd. Die churjäch- fiiche Taxordnung von 1623? fennt in ihrer unendlich breiten Ausführlichfeit nur Tagelohnſätze für Meiſter, wie für Gejellen; die Sätze des Meijters find etivas höher dafür, „daß er den Werkzeug belt.“ Für das 18te Jahrhundert führe ich an, daß Bergius? zivar die Affordarbeit bei Bauten unter Erwähnung preußtjcher Neglements empfiehlt, aber doch die Bezahlung jelbit der Meijter im Tagelohn als das Gewöhnliche betrachtet, den Meijtergrojchen genau bejpricht, den der Gejelle dem Meifter für die Benütung der Werkzeuge gibt. Im Gegenſatz zu den Zimmerleuten, Maurern und Stein- meten bemerft er, die Glaſer, Schloffer und Klempner pflegten bei den Bauten nicht auf Tagelohn, jondern

1) Wiener Polizeiordnung von 1527. DOriginaldrud ©. IX—X und ©. XXX.

2) Münk- Mandat und Taxtordnung, nachdem ſich män- niglihen in dieſem Churfürftentfumb achten und richten joll. Leipzig 1623. ©. 265 69.

3) Polizei- und Kameralmagazin. Wien 1786, I, 217 fi.

Schmoller, Geſch. d. Meingewerbe. 25

386 Die Bertheilung der Gewerbetreibenben.

nach dem Verdinge oder ftüchweile zu arbeiten. Daß auf dem Yande in Batern noch heute jo gebaut wird, erwähnte ich oben. Aber nicht bloß bier, auch ander: wärts geht e8 noch jo zu, wenigjtens theilweije, wenig: ſtens auf dem Lande und in Heinen Städten; da arbeitet der Meifter ſelbſt mit, Hat nur wenige Gejellen ; der Privatmann, welcher bauen läßt, muß es auf eigene Rechnung thun.

In den jchon vor 1815 zu Preußen gehörigen Zandestheilen hatten die Dinge jchon früher fich geändert. Eine ftrenge Baupolizei hatte Höhere Anforderungen an den einzelnen Meiſter gejtellt. Alle größern, beſonders die jtaatlichen Bauten, wurden zwar den böhern, vom Stante geprüften und von ihm angeſtellten Bau— technifern zur Leitung übergeben. Und bis in die neuere Zeit läßt ja jelbjt der reichere Privatmann die Pläne und Riſſe von jolchen entwerfen. Aber für die Aus: führung derjelben brauchte man größere Werkmeijter und eigentliche Unternehmer. Und je mehr es früher an großen Baujpefulanten fehlte, die bloß als kauf— männijches Gejchäft, als Spekulation gegen feſte Averjal- jummen Bauten übernahmen und fich jelbjt wieder der einzelnen Meifter für die Ausführung bedienten, um jo mehr begünjtigte man es, wenn die Meifter jelbjt al8 Unternehmer auftraten. Die Rechnungslegung wurde einfacher, man hatte Einen verantwortlichen Unternehmer, einen Mann von größerer Zuverläffigfeit, von einigem Vermögen, an den man fich halten konnte; jolhe größere Zimmer» und Maurermeifter hatten jelbjt die nöthigen Rammen, Pumpen, Nüftungen,

Die großen Bauunternehmer der öftlihen Provinzen. 387

Hebezeuge, die zu umfafjenden Bauten nothwendig find ; ſchon deßwegen gab man ihnen gerne den Borzug. ! Wie die fünjtleriiche Seite des Bauhandwerks veformirt wurde in erjter Linie Durch den Einfluß der böhern vom Staate gebildeten Baubeamten, durch den Einfluß der vom Staate in's Leben gerufenen Schulen, befonder8 der 1799 gegründeten Bauafademie, jo find es auch in erjter Yinte jtantliche Einflüffe, welche die geichäftliche Organtjation umgebildet haben. Und va dieje Einflüjfe tut den altpreußiichen Provinzen älter und tiefgreifender find, da bier Die ungleichere Vermögens vertheilung ohnedieß, wie wir oben jaben, auf größere Geſchäfte hinwirkt, jo iſt e8 begreiflich, daß die einzelnen Meifter in den Bftlichen Provinzen jo viel mehr Ge- bülfen bejchäftigen, als am Rhein und in Weitfalen. Die Maurer und Zimmermeijter jind da mehr und mehr große Unternehmer geworden, die nach Entwürfen eines Baumeijters die Generalentreprife großer Bauten übernehmen, aber auch jelbjt Pläne entwerfen, Häufer auf Beitellung und auf Spekulation bauen, Häufig eine ganze Reihe von Bauten zu gleicher Zeit ausführen, auf dem einzelnen Bau die Aufficht einem Polir übertragen, in ihrer Wohnung ein bejonderes Zeichen = und Gejchäfts- bureau balten müſſen. Dt dieſe Richtung einmal im Gejchäftsleben vorhanden, jo müfjen da, wo am meijten gebaut wird, wo der größte Wohlitand tft, wo die In— duftrie viele größere Bauten erfordert, Die Gejchäfte

1) 3.6. Hoffmann, die Bevölkerung des preußiſchen Staats. S. 131— 133. 25*

388 Die Bertheilung der Gemwerbetreibenden.

Teicht noch größer werben. Sie find in Sachſen und Schlefien am größten, wo die Baugemwerbetreibenden am ftärfften find. Es find dort über 2%, der Bevölkerung in den Baugewerben bejchäftigt; der einzelne Meijter Hat 24— 39 Gehülfen. Dann folgt Brandenburg. Es hat 1,, % Baubandwerfer, 21—26 Gehülfen auf einen Meifter. Pommern fteht nicht viel nah. Preußen umd Pofen haben viejelbe allgemeine Richtung, aber ber geringere Wohlitand, die geringere Bauthätigfeit (O,, 0, %, der Bevölkerung find Bauhanowerfer) bewirken es, daß auf den Meifter nur 10—19 Gehülfen fommen.

Biel mehr Bauhandwerfer wieder haben Weitfalen und die Rheinprovinz ; aber Diejelben find in Heine Gejchäfte zertbeilt, bejonders am Rhein. Dort fommen auch 1861

- auf einen Zimmermeifter erſt 2—3, auf einen Maurer: meijter 5 Gehülfen. Dort war, wie Hoffmann jagt, die Vielherrjchaft Fein Förderungsmittel einer jtrengen Baupolizei. Das Meijterrecht fonnte Teicht erlangt werben; das Gewerbe der Bauhandwerfer zerjplitterte jih, wie das Yand, worin es getrieben wurde. Die fleinen Yandwirthe, wie die Handwerker und Fabrikan— ten, nahmen die einfachen Bauten gerne jelbjt in die Hand. Und jo haben ſich die Sitten erhalten mehr oder weniger bis auf den heutigen Tag, trogdem daß die Habrif- und Eifenbahnbauten, die Bauten von jchönen Privathäufern, entiprechend dem großen Wohlſtand ver Provinz, dort jo zahlreich und großartig find, als in irgend einem andern Theile der Monarchie. Im ben größeren Fabrikſtädten haben fich natürlich die Verhält-

Die Baugewerbe am Rhein. 389

niſſe ſchon etwas anders gejtaltet; Die Durchichnittszahlen der Provinz find beeinflußt von den zahlreichen Meistern in den vielen Dörfern. Aber jelbit in Köln bat der Maurermeiſter wieder Zimmermeiiter durchichnittlich 1861 nur etwa 6 Gehülfen; ähnliche Zahlen zeigen fich in Krefeld, Düſſeldorf, Eſſen, Elberfeld, Barmen und Aachen; in Koblenz und Trier find die Gejchäfte noch ſehr viel Feiner. Die allgemeinen Verhältniſſe begün- jtigen dort auch heute noch mehr die Fleinen Gejchäfte. Der Bau auf eigene Rechnung ijt überhaupt auch heute noch bei richtiger Beauffichtigung das billigite. Große Bauten werden dort, wie anderiwärts, nicht von den Werk- meiftern, ſondern von füniglichen Baumeiftern entworfen und geleitet und e8 handelt fich dann bei der Ausführung nur darum, jtatt einem oder wenigen Werfmeijtern um— fangreiche Theile des Baues in Verding zu geben, eine größere Zahl Heinerer Meiſter für die einzelnen Theile heran zur ziehen.

Die Aufhebung der Prüfungen für die Bauband- werfer wird Manches beionders in den alten üftlichen Provinzen ändern. Für die Bauten auf dem Yande, für die Bauten der Fleinen Yeute wird fie entjchieden als eine Wohlthat zu begrüßen fein; Feine Wohnun- gen, Wohnungen für die arbeitenden Klaſſen werben Yeichter entjtehen, weil kleine Meiſter, die vom einfachen Geſellen fich durch Fleiß und Sparjamfeit empor arbet- ten, zahlreicher als vorher ſich zu ſolchen Bauten an— bieten werden. Es kann da auch der Bau auf eigene Rechnung durch kleine Meifter wieder etwas häufiger erben,

390 Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.

Aber verwifchen wird fich Dadurch der Gegenjak nicht; wo nach den bejtehenden Sitten und Traditionen die großen Werfmeifter herkömmlich die Bauten über: nehmen, da wird es in der Hauptjache dabei bleiben; Sitten diefer Art find mit taujend Wurzeln feſt— gewachien, hängen überdieß mit jonjtigen Urſachen, Klaſſen- und Befitverhältniffen jo zufammen, daß fie nicht leicht fich ändern.

Und Manches wirft den fleinen Bauunternehmungen in neuefter Zeit noch mehr als andern Eleinen Unter: nehmungen entgegen: eine immer fomplizirtere Technik, große Auslagen, für Baumaterialien, Mafchinen und Borrichtungen, erhebliche Vorſchüſſe an Löhnen, welche nothwendig find, endlich die Neigung der Beftellenden, lange Kredite vom Unternehmer zu fordern, erlauben nur Leuten von einigem Vermögen, ſolche Gejchäfte zu beginnen.

Der

Kampf des großen und kleinen Betriebs

in einzelnen Gewerbszweigen.

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1. Die Nahrungsgewerbe im Allgemeinen und die in der Fabriftabelle verzeichneten im Speziellen.

Einleitung. Bedeutung der Nahrungsgewerbe. Zahl der Per- jonen. Die großen Betriebe. Die Zuderinduftrie. Der Um— fang der antern hierher gehörenden Fabriken. Das Miühlen- weſen. Seine Fortichritte, Mehlhandel und Dampfmüllerei. Trogdem daneben der Fortbeftand ver Heinen Mühlen. Die Spiritusbrennerei, der frühere Kleinbetrieb, der jeige aus— Ichliegliche Großbetrieb. Die Brauerei, der theilweiſe Ueber- gang zu größern Gejchäften. Der Gegenjat zwijchen dem Südweſten des Zollvereins und dem Norboften.

Die letzten Betrachtungen über die Baugewerbe haben uns eigentlich jchon von der allgemeinen auf Die ipeziellere Unterjuchung einzelner Gewerbe übergeführt, die als letter Abſchnitt ſich anſchließen ſoll.

Den Mittelpunkt der Betrachtung wird daſſelbe Thema bilden wie bisher die Umbildung der Klein— gewerbe, die Frage, in wie weit das einzelne Gewerbe durch die veränderte Technik, durch die Aenderung der Verkehrsverhältniſſe und Geſchäftsgebräuche, durch die Anſammlung großer Kapitale, durch die großſtädtiſchen Verhältniſſe ein anderes geworden iſt. Ich werde mich dabei aber nicht wie bisher auf Die in der Handwerker—⸗

F v d f

394 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

tabelle verzeichneten Gewerbe beichränfen fünnen. Auch in der Fabriktabelle jtehen viele Fleineren Geſchäfte; auch einzelne eigentliche Großgewerbe, joweit fie mit den Kleingewerben konkurriren over fachlich ihnen nahe jtehen, werde ich, wenigſtens flüchtig, berühren müſſen. Rück— blide auf frühere Aufnahmen, hauptſächlich aber Die Ergebnifje von 1861 werben die jtatiftiiche Grundlage bilden. Um die Unterjuchungen nicht allzujehr an Um— fang anjchwellen zu laſſen, werden es worzugsweile Die altpreußifchen Provinzen fein, auf deren Betrachtung ich mich bejchränfe. Wenden wir und zunächit den Nahrungsgewerben zu.

Nach den Unterfuchungen von Ducpetiaur, Ye Play und Engel fommen bei einer wohlhabenden Familie durchjchnittlich 50 Prozent, bei einer Familie des Mittel— Itandes 55 Prozent, bei weniger beimittelten Familien bi8 zu 65 und 70 Prozent der Ausgaben auf Die Nahrung. Die Nahrung ijt bei weiten ver größte Pojten in den meiſten häuslichen Budgets, in allen, die den gewöhnlichen mittleren Kreijen angehören.

Dem entiprechend umfaſſen auch Die Nahrungs gewerbe in ihrem weitejten Sinne den größten Bruch: theil der arbeitenden Bevölkerung; e8 gehört neben den ſpezifiſch jogenannten Nahrungsgewerben beinahe bie geſammte landwirthſchaftliche Bevölkerung hierher, welche in Preußen 1849 noch 51, %,, 1861 - 45, %, der Bevölkerung betrug, in Sachen 1849 - 33,95, 1861

1) Engel, in der Zeitfchrift des ſächſ. ftatiftiichen Bureaus 1857. ©. 168— 171.

Die Bedeutung der Nahrungsgewerbe. 395

26,5%), der Selbitthätigen ausmachte. Die landwirth— schaftliche Bevölferung intereffirt uns hier allerdings nicht, wir haben es nur mit den Gewerben im engern Sinne zu thun. Aber auch ohne die Landwirthichaft find die Nahrıumgsgewerbe noch umfangreich genug. Engel rechnet für die gefammten Nahrungsgewerbe 1849 45,41%), der Selbjtthätigen, wovon 33,85% auf Die Yandwirtbichaft fommen, alſo 11,,, % für Fabriken, Handwerfe, Wirthe und Händler übrig bleiben. Die Handwerfer allein, die hierher gehören, nämlich Die Bäder, Fleiſcher und Kuchenbäcker, nebſt Fiichern, Gärt— nern und Verfertigern von Getreideprodukten, machen allerdings 1861 nach Viebahn in den verſchiedenen Zollvereinsſtaaten nur 0,,— 0,5%, der Bevölkerung aus, das wären etwa 2—30,, der männlichen erwachſenen Perſonen; der Reſt füllt auf die Fabriken, Mühlen, Wirthichaften und Händler.

Die Fabriken für Verzehrungsgegenftände haben 1861 in Preußen ein Perjonal von 168963 Perjonen, die Handwerfe für Nahrungsmittel ein jolches von 107 092, aljo zuſammen von 276055 Perſonen. Hiezu fämen noch) etwa 80 000 90000 Perſonen in den Wirth— ichaftsgewerben, 50000 Perſonen, welche Viktualien— handel treiben, eine Anzahl Weinhandlungen und Ge— treivehandfungen, jo daß zuſammen mindeſtens 450 000 Berfonen oder 2,,%, der ganzen Bevölferung, 9—10 %. der eriwachienen männlichen Bevölferung herauskommen.

Wie viele von dieſen Perſonen gehören nun wirklich großen Gejchäften an? Darauf gibt die Statiftif von 1861 in fo fern eine Antwort, als fie alle Fabriken, welche

396 Die Umbildung einzelner Gewerbszmeige.

iiber 50 Perſonen bejchäftigen, beſonders ausgeſchieden hat. Bon den 50319 hierher gehörigen Fabrifen, Mühlen und Anjtalten haben nur 338 je über 50 Perjonen beichäftigt; Die auf die 338 großen Fabrifen fallende Perjonenzahl ift 50245, alſo 11,,%, der gefammten vorhin gezählten, 29,,°/, der in der Fabriktabelle aufgeführten Perjonen.

Es find das Hauptjächlich die Rübenzuderfabrifen und Raffinerien, deren eine durchſchnittlich nach ver preußiichen Aufnahme 1861 - 159 Berjonen bejchäftigt. Die Anfänge diejer Induftrie waren jehr viel Fleinere; aber jchon 1849 famen in Preußen 130 Perſonen auf eine einzige Fabrik. Die techniiche Durchichnittsleiftung jeder Rübenzuckerfabrik ift 1840 65 auf das fünffache geftiegen. Hat hierzu die Art der Beſteuerung, welche in jeder Weile auf technijche VBervollfommmuang, ja jogar auf eine Vervollkommnung jelbjt mit einer übermäßigen Steigerung der Produftionsfoften hinwirkt, etwas bei- getragen, hat fie die Inbuftrie wejentlich an Die großen Güter gefnüpft, auch mit einer Befteuerung ähnlich der franzöfiichen hätte der Umfang der einzelnen Gejchäfte wachien müjjen, hätten jich die ganz Fleinen Fabriken nicht gehalten.

Biel weniger umfangreich find die übrigen hierher gehörigen Gejchäfte nach der Aufnahme von 1861. Eine Chocoladenfabrif zählt durchichnittlich 15 Perſonen, eine Schaumweinfabrif 9, eine Stärfefabrit obwohl dabei die Fleinften Produzenten nicht find, fie ſtehen mit in der Hanpwerfertabelle 6; eine Bierbrauerei und

1) Biebahn I, 775.

Der Großbetrieb in den Nahrungsgewerben. 397

eine Branntweinbrennerei haben je nur gegen 3, eine Ejfigfabrif, eine Fabrik für eingedicte Pflanzenfäfte, eine Fleiſchpökelei Durchichnittlich nur gegen 2 Perjonen zur Verfügung; auf eine preußiiche Mühle kommen noch nicht 2 Perjonen nach der Aufnahme von 1861. Wenn wir nur auf den Durchichnitt jehen, aljo Yauter Ge— ichäfte, die den Grenzen des Fleinern Betriebs noch nicht oder kaum entwachjen find.

In gewiljen Sinne kann jede ſolche Durchichnitts- zahl freilich trügen; fie fann das Produkt einer großen Zahl mittlerer Gejchäfte, wie das Produft ganz großer und ganz kleiner Unternehmungen jein. Mehr oder weniger ijt das Yettere der Fall bei den Mühlen, den Brauereien und Brennereien.

Im Meühlenwejen drängen zwei Urjachen auf größere technijch verbefjerte Einrichtungen. Der Mehl- handel im Großen gewinnt eine immer jteigende Bedeu— tung gegenüber dem etreidehandel. Nicht bloß die große amerikanische und deutſche Einfuhr nach England zeigt mehr und mehr jtatt des Getreides Mehl, auch der deutſche Provinzialhandel geht jchon vielfach auf Mehl über. Beveutende Mafjen Weizenmehl werden in der Mark aus jchlefiichen, pojenjchen und preußiichen Mühlen bezogen. In Berlin wurden 1866 - 438 949 Zentner Weizenmehl und 545 204 Zentner Noggenmehl eingeführt, in Berlin jelbjt gemahlen nur 118465 Zentner Weizenförner und 215718 Zentner Roggenförner.! Zu

1) Meyer, Bericht über den Getreide» 2c. Handel in Berlin im Sabre 1866. Berlin 1867. ©. 11.

398 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Diejem Mehlhandel ift aber das in ven alten Heinen Mühlen gemahlene Getreide wenig brauchbar. Die Art Der Befeuchtung beim alten Mahlverfahren macht das Mehl unhaltbar. Die neueren Mahleinrichtungen erfor: vern das Befeuchten gar nicht und liefern ein haltbares Mehl, wie e8 der Großhandel erfordert. !

Wichtiger noch ijt die billige und bejjere Produktion an fich durch Die neueren Deühleinrichtungen. Paſſy verfichert, die gleiche Quantität Korn, die in früherer Zeit 100 Pfund Mehl geliefert habe, fünne nach den verbejjerten Einrichtungen über 190 Pfund geben.” Die neue Sichtmajchine von Henri Cabanet aus Bordeaux allein will, da fie 10—75°/, fremde Theile vorher ausjcheivet, den Steinen eine unnütze Arbeit von 10 75°/, abnehmen und jtellt außerdem eine Vermehrung des Mehles in Ausficht, die bei allgemeiner Anwendung gleich . Yo der ganzen Ernte jein würde. 3 Wie dem aber genauer im Detail jet, die Yeiftungsfähigfeit iſt jedenfall® eine außerordentlich viel größere. Der Gang einer Wind» oder Roßmühle macht in 24 Stunden 8— 12 Scheffel, ein Waffergang 24 Scheffel, ein Dampfgang 48 Scheffel bei unausgejegtem Betriebe. *

1) Stohmann, theoretiſche, praftifche und analytiſche Chemie 2te Aufl. I. Braunſchweig 1865. Sp. 1191.

2) Paſſy, Dietionnaire d’economie politique II, 515 nah Schilg, über die Nenten, Tübinger Zeitichr. für Staats- wiſſenſchaft XI, ©. 203.

3) Offizieller Katalog der internationalen Ausftellung von Maihinen, Produkten und Spezialitäten der Müllerei ꝛc. im Mai und Juni in Leipzig 1869. ©. 41 46.

4) Viebahn III, 759.

Die Fortichritte ver Müllerei. 399

Die beſſern Einrichtungen find nichts Neues. Das amerifanifche Mahlverfahren wurde jchon Anfang der dreißiger Jahre in größern ſtädtiſchen Mühlen einge: führt. Im den großen Seejtädten, auch theilweije in Den bedeutendern Binnenjtädten erijtiren heute große Aktien- unternehmungen jowie reiche Unternehmer, die nicht mehr mit der Lohnmüllerei fich abgeben, ſondern die Miüllerei und die Meblipefulation auf eigene Rechnung im Gro— Ben betreiben. Die Dampfmühlen haben bedeutend zu: genommen; jede ganz große Mühle beinahe muß, wegen der Ungleichheit des Waſſerzufluſſes, wenigjtens eine Re— jervedampfmajchine Haben. Es gab deren in Preußen

1837 . . 27 mit 64 Gängen, 1846 . . 115 = 303 5 1852 . . 339 = 604 . 1861 . . 664 = 1727 .

Das find die großen Gejchäfte, deren einzelne big zu 60 und 70 Arbeiter bejchäftigen. Sie haben befon- ders von 1861 bis zur Gegenwart noch große Fort— ichritte gemacht, aber fie werfen fich auch mehr und mehr auf den Export. Der Stettiner Handelskammer: bericht von 1865 1 fchildert in glänzenden Farben die FSortichritte der großen Dampfmühlen, bejonders ver Stettiner Dampfmühlenaftiengejellichaft, aber als Haupt- erfolg hebt er hervor, daß die Produfte nunmehr auf englijchen und franzöfiichen Märkten konkurriren fönnen.

Das kann e8 uns erklären, daß die Konkurrenz der großen Dampfmühlen den zahlreichen Kleinen Mühlen

1) Preußiſche Handelsfammerberichte für 1865, ©. 234.

400 Die Umbildung einzelner Gewerbsjmweige.

noch nicht allzu gefährlich war. Die letzteren beftreiten noch immer den größten Theil des Bedürfniſſes. Der Mehlhandel im Großen ift verſchwindend gegen ven Iofa- fen Mehlbedarf. Alle technijche Vollendung und billige Produktion großer Unternehmungen kann nicht auffom- men gegen die Transportfojten, die aus einer größern Konzentration des Mühlenweſens entjtehen würden. Und theilweije find ja die Verbeſſerungen auch im Fleinen Betrieb anzubringen.

Die ländlichen Mühlen find auch jetzt noch die Haupt- jache; 1861 find von den preußijchen Wafjermühlen 88%, ländliche,“ von den Windmühlen wohl noch mehr. In Sachjen exiftiren 1855 - 512 ſtädtiſche, 3 543 länd— liche Mühlen; von 5328 gewöhnlichen deutſchen Gängen find 2979 noch nicht über 4 Monate im Gange.? Der fleine Müller ift nebenher Bauer, Wirth, er hat eine fleine Säge- over Delmühle mit jeiner Waſſerkraft ver- bunden und ijt trog unvollfommener Technik ein mwohl- habender Bürger und Handwerker, der nicht unter der Konfurrenz der großen Mühlen Teivet. Als Beweis, daß jelbjt die Heinen Windmühlen die neuern Fortſchritte ver Technik theilweiſe aboptiren fünnen, führe ich die Demerfungen der Greifswalder Handelskammer von 1865 an; e8 wird, nachdem ber jchwunghafte Betrieb der einzigen Dampfmühle erwähnt ift, berichtet, die dortigen 20 Windmühlen hätten ungefähr die gleiche

1) Viebahn II, 756.

2) Zeitichrift d. ſächſ. ſtat Bur. 1857. ©. 53.

3) Preußiihe Handelsfammerberichte pro 1865. ©. 316.

Der Fortbeftand der Kleinen Mühlen. 401

Duantität Roggen und Weizen, aber ausjchlieglich für ven Platfonjum vermahlen. Dann beißt e8: „Dank der jpornenden Konkurrenz der Dampfmühlen muß an erfannt werben, daß die Windmühlen ihr Mahlſyſtem jetst hier ſämmtlich verbejfert und nach dem Muſter der Dampfmühlen eingerichtet haben. Sie haben des— halb e8 auch dahin gebracht, in Noggenmehl ein jo gutes Produkt zu liefern, daß fie wohl von dieſer Sorte hier die Platverjorgung der Hauptjache nach behaupten fönnen, da gerade auch Roggen fich für fleinere Mühlen- betriebe geeigneter zeigt als Weizen.” Auch auf ver dießjährigen Ausjtellung von Mlüllereimajchinen und - Produkten in Leipzig hatte man den Eindruck, daß bie meijten Fortſchritte und Berbejferungen in Kleinen Mühlen durchzuführen jeien. Die theilweiſe ganz neuen Hülfsmafchinen find nicht allzutheuer. Die vorhin erwähnte Sichtmajchine 3. B. war zu 1200 France notirt. Aehnlich manche der andern Majchinen. Bei einzelnen beſſern Hülfsvorrichtungen am Mahlgang handelt es jich jogar nur um ein paar Thaler.

So fommt e8, daß uns die Statijtif neben der Zunahme der Dampfmühlen feine Abnahme der andern zeigt. Man verzeichnete in Preußen früher Waſſer- und Windmühlen zufammen, erjt jpäter getrennt. Von den Windmühlen Haben in der Regel die alten Bockmühlen, welche noch 1861 -88 9, der gefammten Winpmühlen aus- machen, einen, die holländiſchen Mühlen zwei Gänge. Die Zahl der Gänge wird bei den Windmühlen nicht aufge- nommen. Abgeſehen nun von den nicht zahlreichen Durch thieriiche Kräfte getriebenen Mühlen gab e8 in Preußen;

Schmoller, Geſchichte d. Klein gewerbe. 26

402 Die Umbildung einzelner Gewerbszmweige.

Wind- Waſſer⸗ Mahl⸗ Waſſer- und mühlen mühlen gänge Windmühlen der letzteren zuſammen

1819 . . 23 962 1825 .. 25 099 1831 . 10451 13 949 22 693 24 400 1845 . .„ 11446 14 220 24 250 25 666 1349 . . 13150 14 475 25 122 27 625 1861 . . 14866 14 712 28 096 29 578

Mach Aufhebung des Meühlenzwangs 1810 in Preußen waren viele Windmühlen raſch entjtanden; 1825 wurde der Bau einer Windmühle an eine Kon— zeifionsertheilung geknüpft, welche erfolgen jollte je nach dem Bedürfniß; jeit 1845 ift das befeitigt; in Folge hiervon trat die bedeutende Zunahme ver Windmühlen ein, die aber nicht jtattgefunden hätte, wenn die Kon: furrenz der großen Etablijjements auch auf dem Yande und in den kleinen Städten wirfte.

Im Süden und Wejten Deutjchlands ift die Zahl der Mühlen größer, ſchon weil»der Mehlfonfum viel jtärfer iſt. Selbſt die größern Gejchäfte aber find Heiner als im Norden; auf eine badiihe Dampfmühle fommen nah Viebahn 14, auf eine pommerfche 40 Sänge. Es gibt im Süden noch viel mehr Lohn- oder Kundenmühlen; man Hat dort auch viele Kundenmühlen mit verbefjerten amerifanijchen Einrichtungen. Dagegen fehlen dort die Fleinen ländlichen Windmühlen. Es überwiegt die mittlere Waffermühle, während man in Norodeutichland mehr ganz große und ganz Heine Ge— ſchäfte findet.

Die Branntweinbrennerei. 403

Die Branntweinbrennerei gehört nach der jozialen Stellung der Unternehmer weniger dem gewerblichen als dem landwirtbichaftlichen Xeben an. Aber ein paar Worte mögen doch erlaubt jein.

Die preußiiche Branntweinbrennerei empfing ihren Hauptimpuls durch die landwirthichaftliche Ueberproduk— tion der zwanziger Jahre. Im jener verfehrsarmen Zeit war fie doppelt am Plat, um die untransportablen Kartoffeln, auch das Getreide zu verwerthen. Es ent- jtanden die vielen kleinen und vielfach unvollfommenen Drennereien. Bon 1831 ab nimmt, wohl auch in Folge der verjchärften Steuer, die Zahl der Brennereien ſchon ab, die Gejammtproduftion jteigt aber noch big 1839; da erreicht die preußijche Produktion den Höhe- punft von 197 Millionen Quart Branntwein oder 13,, Quart pro Kopf der Bevölkerung.! Im den vierziger Jahren famen die jchlechten Startoffelernten Hinzu; 1854 ijt die Produktion gejunfen bis auf 109 Mill. Duart.? Die Rohitoffe find theilweije ſchon einträglicher - anders zu verwerthen, die Branntiveinpreife find in Folge der Ueberproduftion außerordentlich gefallen. Das Quart fojtete in leichten Pfennigen: ®

1) Dieterici, ftatift. Ueberj., erfte Folge, 1842. ©. 228.

2) Bienengräber, Statiftif des Verkehrs und Verbrauchs im Zollverein fir die Jahre 1842 64. Berlin 1868. ©. 183,

3)3. ©. Hoffmann, Darftellung des Zuftandes, worin fich Die Bereitung und der Verbrauch des Branntweins in Bezug auf ftaatswirthichaftliche und fittliche Berhältnifje dermalen im preußi- Ihen Staate befindet, Sammlung Heiner Schriften. Berlin 1843, ©. 448.

26 *

5

wir

404 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. 1820 1830 1840 in Königsberg. . 9 58 42 - Damig - - . 102 63 60 . Bin - .». 3 60 36 Balin - » 50 31 30 « Stettin. - 78 55 43 - Breslau. » . 68 59 48 » Magveburg. . 62 57 60 . Münfter. . . 69 81 72 . Min... 66 53

Den tiefjten Stand erreichen die Preije 1849 und 50; da ftehen fie auf 24 Pf. pro Quart in Berlin.! Mean hatte in feinen Geichäften überall fortproduzirt ohne jede Nückficht auf den Abſatz des Branntweing, nur um die Schlempe als Viehfutter zu haben. Sie Hat ihrer Zujammenjegung wegen einen bejonbern Werth, braucht weniger Zujäge an Proteinjtoffen, als wenn man die Kartoffeln direkt verfütterte, das kann ja unter Verhältniffen jo weit gehen, daß die Schlempe, die als DViehfutter nebenher abfällt, jo viel Werth bat, als der uriprüngliche Rohſtoff im Ganzen.?

Das war auch Hauptjächlich Die Urjache, warum die Fabrifation trotz der Ueberproduftion und den gejunfenen Preijen nicht ganz aufhörte. Ja fie nimmt von 1854 an jogar einen neuen Aufſchwung; fie jteigt von 109 Mill. Quart 1854 bis auf 208 Mill. Quart 1864.

1) Jahrbuch für die amtliche Statiftit IT, 152, 2) Siche die Kofteuberehnungen für die Zeit von 1840 bis 1850 bei Engel, ſächſ. Jahrb. ©. 382. Ferner: Settegaft, Die Thierzucht, Breslau 1868. S. 444 448,

Der Sieg des Grofbetriebs in der Brennerei. 405

Aber möglich war das nur durch das volljtändige Verlaſſen des Kleinbetriebs. Die Zunahme ift rein auf Rechnung der vollendeten Technik, des Großbetriebs, der Brennereien auf ganz großen Gütern zu feßen. Schon in den dreißiger Jahren hatten die Fortſchritte in den Fabriken, welche den Betrieb fortjegten, begonnen, vollendet haben fie fich erjt von 1854 ab. Die Zahl der Gejchäfte Hat beveutend abgenommen; e8 gab:

1831 . 22988 preuß. Brennereien, davon im Betrieb 13819

1839 . 1593 = ne - 11628 1854 . 10114 2 6611 1866. 7711 = » oe 6209

Schon 1831 freilich zahlten von den 13819 betriebenen Geſchäften 2795 je über 500 Thlr. jährliche Brannt- weinjteuer, aber 1865 zahlen von 7 711 nicht weniger als 3682, aljo beinahe die Hälfte, über 500 Thlr. Der Umfang der Gefchäfte nimmt auf der Linie nach Nordoſt wieder zu. Im Jahre 1864 haben 533 Brennereien über 5 000 Thlr. Steuern gezahlt, 115 hiervon fallen auf Poſen, 51 auf Pommern, 74 auf Schlefien, 124 auf die Marf, 90 auf Sachſen; das find zujammen 454, Die 466 Brennereien Poſens produziven das Dreifache Quantum der 2422 rheiniſchen Brennereien. Es liegt in alledem der Klare Beweis, daß der Großbetrieb zur Herrichaft gelangt ift. Wenn 1861 auf eine Brenneret durchichnittlich 3 Perſonen fommen, jo beweift das nur, daß neben den großen Gtabliffements im Oſten eine gewilfe Zahl ganz unbedeutender Brennereien noch exiftirt, fowie daß die Erhebung der Perfonenzahl nicht genau fein kann bet einem Nebengewerbe, das nur

406 Die Umbildung einzelner Gemwerbszweige.

einen Theil des Jahres Perjonen befchäftigt, die jonft rein der Landwirthſchaft fich widmen.

Etwas anderes iſt e8 mit der Brauerei, wenn gleich auch fie vielfach im den Großbetrieb übergeht. Die Braueret tritt auch theilweiſe als ländliches Neben- gewerbe auf, aber viel weniger, als Die Dranntwein- brennerei; fie flüchtete fich hauptfächlich zu einer Zeit aufs Land, als die Zunftmißbräuche in ben Städten gerade hier, gerabe im dieſem Gewerbe den höchſten Grad erreicht Hatten. !

Die alte weitberühmte Brauerei der deutſchen Städte, welche bis in das 17te Jahrhundert fich erhal- ten hatte, zerfiel im 18ten mehr. und mehr. Thee und Kaffee, Wein und Branntwein verbrängten das Bier bei Vornehm und Gering. Die jtädtifche Brauzunft bejtand aus einer Anzahl Hausbefigern, die das aus— ſchließliche Recht zu brauen als eine Pfründe betrachteten, es häufig nur verpachteten, jedenfalls wenig won ber Brauerei verftanden, da fie nicht, wie andere Real— berechtigte, gezwungen waren, durch eine technijche Bildung ſich Das Meifterrecht zu erwerben. Bei finfen- dem Abjat wurde das Neihebrauen eingeführt, oft mit einem gemeinfamen Malzhaus und in einem gemein- jamen Brauhaus, welche jever nach der Reihe benutzte, weil e8 nicht lohnte, mehrere jtehende Einrichtungen derart zu baben.?

1) Engel, ſächſiſches Jahrbuch S. 376.

2) 3. ©. Hoffmann, Befugniß zum Gewerbetrieb ©. 188 bis 197.

Die Bierbranterei. 407

Erſt mit einer veränderten Gewerbegejeßgebung, welche dieſe Mißbräuche bejeitigte oder zu bejeitigen erlaubte, nahm die Brauerei einen neuen Aufſchwung, zeigte fich aber auch bald die Neigung zu größern Ge— Schäften. Die Möglichkeit eines bedeutenden Abjates in die Ferne iſt vorhanden, die techniichen Anjprüche an die gute Leitung einer Brauerei, wie an die Vollkommen— heit der Einrichtung haben fich immer mehr gejteigert. ‚Eine den heutigen Anforderungen entiprechenvde Kunſt— brauerei“ jagt Viebahn „bedarf nächſt ausgedehn— ten Gebäuden eines umfafjenden Syjtems von Apparaten und Mafchinen zum Darren und zur Zerkleinerung des Malzes, zur Fortichaffung und zum Kochen des Malz— ichrotes, eijerner Kühler in Verbindung mit Ventilatoren und Eisfühlung, welche eine für längere Dauer geeignete Untergährung auch bei wärmerer Witterung erinöglichen, Sackharometer zur genauen Beobachtung des Gährungs- laufes, ausgevehnter Eis- und DBierfeller. Die alten profejfionsmäßigen Brauereien find der Konkurrenz mit diefen neuen planmäßig eingerichteten Sabrifen im Bier: handel felten gewachſen, fie bejchränfen ſich Deshalb, da fie meiftens auch Schenfen haben, auf die Produftion für den eigenen Bedarf.“

Letstere find im Süden Deutjchlands, am Rhein und in Wejtfalen noch zahlreicher, auch da vergrößern fich die einzelnen Gejchäfte;, ' bejjere, theuerere Einrich— tungen werben gemacht; aber vielfach auch in Eleinern mit Schanf> und Gajtwirthichaft verbundenen Gejchäften.

——

1) Siehe württemberg. Jahrb. 1862 Heft 2. ©. 230.

408 Die Umbildung einzelner Gewerbszmweige.

Jedes Dorf beinahe, jedes Fleine Städtchen hat eine oder einige Brauereien. Die joztale Stellung des Brauers ift dort überwiegend noch die eines wohlhaben- den Handwerfers, während im Norden der Brauer ein vornehmer Fabrikherr geworden ift.

Die bairiichen Brauereien, won welchen die Impulſe - des Fortſchrittes ja wejentlich ausgingen, find theilweije jehr groß, im Durchichnitt aber auch noch mäßigen Um— fange. Der jährliche Durchichnittsverbrauh an Malz für eine Brauerei wird auf 247 bairifche (etwa 1000 preußiiche) Scheffel gerechnet, die entiprechende Pro: duftion auf 1730 bairische Eimer Bier. ! In München waren 1857 zwei Brauereien, welche jährlich über 100000 . Eimer (100 = 93 preuf.), 10 welche zwijchen 34000 und 77000 Eimer produzirten, und 14 fleinere, auf welche Durchichnittlich 14000 Eimer famen. Das find große Geſchäfte. Aehnliche gibt e8 in Erlangen, Nürnberg, Kitingen, Kulmbach, Yandshut, Regensburg, Windsheim, Bayreuth, Hof und Tölz; die übrigen Brauereien im Yande find dagegen viel Feiner.

In Preußen werden die nicht gewerblichen Brauereien, die nur für den Hausbevarf arbeiten, unterjchteden von den gewerblichen; die Zahl ver nicht gewerblichen bat ſich wenig geändert, dagegen bat die Zahl der gewerblichen bedeutend abgenommen, während die Produftion allein von 1854 64 von 9 auf 14 Quart pro Kopf ftieg; e8 waren: ?

1) Bavaria I, erfte Abtheilung , 501. 2) Bienengräber, Statiftit des Verklehrs S. 159.

Die Abnahme der Kleinen Bierbrauereien. 409

in den Städten auf dem Lande zufammen 1839 . . 5201 6890 12091 1848 . . 4493 5659 10152 18556 . . 3934 4509 8443 1864 . . 3730 3683 7413

Die Abnahme erfolgte in den verjchiedenen Pro- vinzen wieder in derjelben Ordnung von Südweſt nach Nordoſt; fie betrug 1839 64 in Prozenten:

in den Städten auf dem Lande in Oftpreußen. . 45, °% 70 % « MWeftpreußen . 22, - 76,5 « Boien . u -* 80,7 » Bommern . . 524 75° - Schlefien . - +4, - 41, = - Brandenburg . 35, _ 52, * - Sadien. . . 277 « 39, » Weftfalen . . 36, - 44, - » ber Rheinprovinz 14, - 33,5 im Staate. . . 285; —⸗ 46,5 =

Aus diefen Zahlen ijt erſichtlich, wie viel ſtärker der Rüdgang der ländlichen als der ſtädtiſchen Gejchäfte, hauptiächlich aber, wie viel ſtärker der Nüdgang in den öſtlichen Provinzen ift. Die ſtädtiſchen Brauereien der Rheinprovinz haben amt wenigjten abgenommen, die ichlejiichen jogar etwas zugenommen. Deutlicher noc) zeigt fich die Größenvertheilung der Unternehmungen in folgender Zabelle, welche zujfammengezogen nach ven Zahlen von Bienengräber mittheilt, wie groß die Zahl der Brauereien iſt, welche 1864 eine bejtimmte Quan— tität Braumalz verarbeiten. Ich füge in ver Tetten Spalte nach Viebahn den Betrag bei, den 1865 durch- jchnittlich eine Brauerei an Steuer zahlte.

410 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Ueber Tann sis 10 100 big is | un Unter —— Provinzen | rauerei

| Gi. [0er Joman | 100 Cr. be Steuer |

Oftpreußen . | ı 62 251 9 450° MWeftpreußen. 23 13 72 9 830 Bojen . 6 10 120 | 67 231 Bommern... 10 13 92 96 | 2390 Schleſien . | 24 60 575 | 534 | 297 Brandenburg | 52 43 277 179 | 698 Sadjen . 43 59 | 530 261 341 Weftfalen . 8 | 13 | 322 844 | 102 Rheinprovinz 24 ı 51 | 804 1153 | 155 Zufammen| 206 324 3043 3 264 Al Prozente der Gejammtzahl: | 3,01 Ana 44,51 As |

Die Heinen Geichäfte, welche unter 100 Gentner Braumalz verbrauchen, find der Zahl nach nur in den beiden weftlichen Provinzen noch überwiegend, Dagegen find der Zahl nach überall noch die mittleren Geſchäfte vorherrſchend, welche zwiſchen 100 und 1000 Centner ver— arbeiten. Die Aenderung aber ſeit 1853 in dieſer Beziehung iſt groß; damals machten aus

die über 2000 Etr. verarbeitenden . 1,05" 1864 3,01 “o die 1000-2000 Etr. verarbeitenden 23 * * Am’

die 100 --1000 = werarbeitenden 34,5 * * Adsı - die unter 100 Etr. verarbeitenden. . 6954 - Ans:

Wenn vorerſt noch die Mittelgejchäfte überwiegen, fo ift die Frage, wie lange- das noch anhält. Wir find auch Hier mitten inne in dem Umbildungsprozeß.

2. Die Bäder und die Fleilcher.

Die techniſchen Fortichritte in der Bäckerei. Die Brodfabrifen. Die Urſachen ihrer geringen Zunahme. Die preußiichen Bäder 1816 61. Ihre Stabilität. Die Brodkonſumtion und die Hausbäderei. Die Kucenbäder und die Konfiturenfabrifen. Das Fleiichergewerbe. Seine großftäbtiiche Organifation. Die Schlachthausfrage. Die preußiſchen Fleiſcher 1816 61. Kleine Gefchäfte und geringe Zunahme. Die Fleiſchproduktion und Konfumtion. Ihre theilweife Abnahme Hausichlüchterei und gewerbliche Schlächterei.

Sieht man nur auf die Technif und ihre Fort- Ichritte, jo könnte man erwarten, vaß die Brodfabri- fation der Brauerei in ihrer Umbildung nicht nach: jtünde. Nicht bloß die alte Art ver Brodbereitung bat große technijche Verbeſſerungen aufzumeilen, auch ganz neue Methoden find in den großen englijchen Brodfabrifen in Anwendung.

Ich erwähne als Beijpiel die in einigen englijchen Dampfbrodfabrifen eingeführte Methode von Dauglijch.! Sie befteht darin, daß das Mehl unter Zugabe der erforderlichen Menge Salz unter jehr hohem Drude in einer Athmoſphäre von Kohlenjäure mit an Kohlen—

1) Stohmann, Chemie I, 1224 29.

412 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

ſaͤure gejättigtem Waſſer angerührt wird. Der Teig enthält danı Eohlenfaures Gas in Waffer unter hohem Drud vertheilt. Sobald diefer Drud aufgehoben wird, jtrebt das fomprimirte Gas zu entweichen und lockert dabei den Teig. Das Baden erfolgt in einem 40 Fuß langen Dfen, deſſen Sohle aus Eifenplatten bejteht und bon umten geheizt wird; über der Sohle läuft ein end— lojes Rollenpaar, das die Bacplatten trägt und all- mählig nach dem andern Ende des Ofens bringt. Das Brod ijt ausgezeichnet, die Ausgaben für Hefe und mancherlei Verluſte fallen weg; Arbeit ift beinahe Feine nöthig, da Alles durch Mafchinen geichieht. Das Mehl ift in 11%, Stunden in fertiges Brod verwandelt, wäh— rend jonjt eine 3— 4fache Zeit nothwendig tft.

Auch in England, jpeziell in Yondon, aber find folche Etablifjements nad) der ausprüdlichen Verficherung eines kompetenten Beurtheilers * 1861 noch jehr jelten gegenüber der Maſſe gewöhnlicher Bäder.

Außerordentliches läßt ſich unter Beibehaltung ver alten Art der Zubereitung ſchon leiſten durch die verbejjerten, vornehmlich durch Die ganz großen Dadöfen. Engel bat fchon 1857 über die Er: jparung an Heizfojten und Heizmaterial interejjante Berechnungen gemacht. ? Im ven gewöhnlichen land—

1) Des Halles et marches et du Commerce des objects de consommation à Londres et à Paris. Rapport a s, Exec. le ministre de l’agrieulture du commerce et des travaux publics par S. Robert de Massy. Paris Impr. imper. 1861. I, 75.

2) Zeitichrift des ſächſ. ſtat. Bür. 1857. ©. 54— 55.

Die Brodfabrifen und die verbefjerten Badöfen. 413

wirtbichaftlichen Badöfen, jagt er in welchen nur zeitweilig Brod gebaden wird, braucht man für je 100 Pfund Brod 60— 70 Pfund Holz; in Defen, worin täglich 2- bis 3mal gebaden wird, 30— 36 Pfund; in Defen, in welchen Tag und Nacht ununter- brochen gebaden wird, 17 18 Pfund; das macht das Pfund Holz zu 1 Pfennig gerechnet 70, 36 oder 18 Pfennige; bei Eonjtanter Steinfohlenheizung braucht man 10—12 Pfund Steinfohlen, die 7 8 Pfennige fojten, womit die wirklichen Rechnungen der großen Bäderei im Hojpital St. Jean in Brüſſel überein- jtimmen. Engel nimmt an, daß in Sachjen jährlich 800 Millionen Pfund Brod konſumirt werden, und daß- demnach durch Konzentration der ganzen Brodbäderei eine Eriparnig von nahezu einer Million Thaler zu erzielen wäre. Die jet viel genannten Wochenmeyer— chen Dampfbadöfen leiſten bei gleichen Koſten mindeſtens das 21, fache gewöhnlicher Backöfen.

Zu derartigen großen Einrichtungen gehört aber ein großes Kapital. Weiche Unternehmer nur oder Aktien- gejellichaften, Spitäler, große militärtiche Verpflegungs- anſtalten, jowie Genojjenjchaften können jie in die Hand nehmen. In Stuttgart ift Ende 1865 eine Brod— fabrif entjtanden, welche einen großen Zulauf hat und eine gute Qualität Brod unter. dem Preife der übrigen Däder liefert. Die Berliner Aktienbäderei hat nach Viebahn einen jährlichen Abjag von 15 Millionen Pfund. In Trier und Köln find große Gejchäfte, die ihre Pro- dufte meilenweit in die Umgegend abjegen. Die Bäcke— reien von Hameln jollen in den letzten Jahren für etwa

414 Die Umbildung einzelner Gewerbszmweige.

42000 Thaler jährkih Brod nach Weſtfalen abgeſetzt haben. In Berlin und Chemnitz exijtiren große Ge— nofjenjchaftsbädereien, der St. Sohann = Saarbrüder Konfumverein hat eine eigene Brodbäderet.

Die zweite Vorausjegung folcher großer Bäckereien ift die Organifation des Abjages, des Brodhandels. Nun iſt der Brodhandel ja beſonders in Nord— deutſchland ſehr entwickelt, der Brodverkauf auf den Wochenmärkten durch die umliegenden Landmeiſter iſt ziemlich bedeutend. Häufig haben die Landmeiſter beſtimmte Kunden in der Stadt, denen ſie täglich oder alle paar Tage die nothwendige Brodquantität in's Haus bringen. Im Berlin wurden 1864 - 184 400 Zentner Brod eingeführt. Aber das iſt mehr ein Brod— handel im Kleinen; die Frau und die Kinder des Yand- meifters beforgen ihn, ohne daß es dazu Fojtipieliger Organe bedurfte. Auch die genofjenjchaftliche Bäckerei kommt ohne große Koſten für den Abſatz weg. Die Mitglieder holen es in der Regel in den ohnedieß gehaltenen Kaufitellen.

Nicht fo die Privatbrodfabrif. Ber ihr entjtehen bedeutende Koften für Verfaufsitellen, für den Transport, welche theilweife die Erfparniffe der Mafjenproduftion aufiviegen können. Die Einrichtung bejonderer Brod⸗ wagen, welche herumfahren, den Familien den täglichen Bedarf in's Haus zu liefern, lohnt nur in großen Städten. Und dann koſtet eine ſolche Organiſation nicht bloß viel, fie widerſtreitet auch vielfach den Gewohn— heiten und Bedürfniſſen. Viele wollen nicht ſo feſt beſtellen, ſondern ſelbſt einkaufen, in der Nähe ein⸗

Die Erhaltung der profeffionsmäßigen Bäckerei. 415

faufen. Dede Hausfrau wünjcht’einen Bäder in nächjter Nähe zu haben, bejonders um frijches Gebäck jeverzeit zu befommen. Diejes Iofale Bebürfniß ijt neben ber Zähigfett aller Gewohnheiten, neben dem meift noch) mangelnden Kapital und ven früher und bis in bie neuere Zeit mangelnden Kenntniſſen in den Kreijen der gewerbsmäßigen Bäder die Haupturjache davon, Daß bis jeßt die Brodfabrifen jo wenig Terrain erobert haben, daß bis jest die althergebrachte profeſſionsmäßige Bäckerei in der Hauptjache noch unbejtritten herrſcht. Dazu kommt freilich noch ein wichtiger Umſtand. Die erwähnten ganz neuen Shiteme laffen ſich nur in großen Fabriken durchführen, vie höchſte Feuer— materialeriparniß tritt nur ein bei Etagenbadöfen, welche in 3— 4 Stodwerfen zugleich zu baden erlauben, aber eine Reihe anderer Eleinerer Berbejferungen und Erfin- dungen, die das Geſchäft jchon ziemlich ventabler machen, jind jo, daß jelbjt der kleinſte Bäder fie anwenden fann. Sie gerade haben fi) mannigfach in Yeßter Zeit verbreitet, haben ſich leichter verbreitet, weil fie fih an das beſtehende Syſtem kleiner Gejchäfte anjchliegen. Die Knetmaſchinen find einfach, billig, Durch Die Hand in Bewegung zu jegen. Dampfbadöfen kleinſten Umfangs und jehr billig werden heute neben Den großen gebaut. Mit Horsford -Liebig’ihem Backpulver, Das man in Heinen Probepadeten von 5 Pfund, dann in Kiften von 50 Pfund für ein paar Thaler erhält, kann jeder heute verfuchen zu baden; jeder, der e8 anwendet, wird 10 —12 9, mehr Brod, wird innerhalb 2 Stunden

AG ° Die Umbilbung einzelner Gewerbsjweige.

aus dem Mehl fertiges Brod erhalten, wenn Die Angaben, durch welche diejes Pulver empfohlen wird, richtig find. Alle jolche technijchen Aenderungen ſtützen wieder den $tleinbetrich.

Daß jedenfalls bis 1861 in Preußen fih im All— gemeinen der Kleinbetrieb volljtindig erhalten Hat, Das Yehrt die folgende Tabelle, welche eine Ueberficht über die preußtichen Bäder von 1816 61 gibt: !

| Meifter Auf Auf einen ur 100 Gewerbe— xahre ; Mi un | treibenden Jahre | Meifter | Gehülfen Meifter |

RER fommen | Gin-

zuſammen Gehülfen | wohner ısıs | 18133 | 7118 331 | 39 | 42 1822 | 19651 | 6853 | 36504 | 35 | 442 1825 20 223 7287 | 27510 36 447 1828 21 708 71559 29 267 35 437 1831 21217 8049 29 266 38 447 1834 | 2215 | 9118 | 31293 | A 434 1837 23 437 10 452 33 889 44 418 1840 23 458 11 460 34 918 49 429 1843 24 257 12 385 36 642 öl 424 1846 24 601 14 047 38648 | 57 419 1849 | 24391 | 15266 | 39657 | 62 412 1852 | 25067 16 503 41570 66 407 1855 | 25 229 17 559 42 788 69 402 1858 | 25685 19 077 44 762 74 | 3% 1861 | 26 156 20 801 46 987 | 79 393

| | 1816: 61 100:144,,| 100:292,, 100: 186, 100::203 100: 104,

1) Zu vergleichen über die preußiſche Bäckerei: Mit— theilungen I, S. 224. Tabellen und amtliche Nachrichten V, S. 826.

Die preußiichen Bäder 1816 61. 417

Die Zahl der Gehülfen ift ziemlich geftiegen, aber noh bat fie 1861 die der Meifter nicht erreicht; noch Fönnen nach diefer Durchichnittszahl nur wenige größere Gejchäfte vorhanden fein; noch hat nach dem Zahlenverhältniß an fich jeder Gehülfe die Ausficht, jelbft Meijter zu werden.

Das Verhältniß jümmtlicher Gewerbetreibenven eined Handwerks zur Bevölkerung gibt da, wo die Technik fich ſchon vollſtändig geändert hat, fein Bild ver Produktion, aber bei der Bäckerei, wo das bis 1861 noch jo wenig der Fall iſt, da belehrt ung das Verhältniß der Zahl der Gewerbetreibenden zur Bevölferung über die Größe der Produktion; denn bedeutend fann der Umfang der Gejchäfte in jolchem Falle bei gleichbleibender Meifter - und Gehülfenzahl nicht wachjen. _ Die Zahl der Bäder num ſchwankt won 1816-—49 etwas, bleibt mehr ober weniger hinter der Bevölferung zurüd; 1849 ift die Zahl diejelbe wie 1816 und erſt von da überholt fie die Be— völferung, aber nur um 4, %. Wie viel fpricht man von den Fortichritten der Konjumtion, von der DVer- bejferung der Lage aller Klaſſen, von der befjern Er- nährung, welche heutzutage jtattfinde, und wir jehen hier das ganze 19te Jahrhundert hindurch faft unver änderte Berhältniffe, kaum eine etwas größere Zahl Bäder! Und man denfe nur, wie 3. B. die ftädttjche Bevölkerung zugenommen bat, welche nach der gewöhn- lichen Annahme doch ihr Brod und Gebäd vom Bäder bezieht.

Jedenfalls beweist die geringe Aenderung von 1816 bis 1861 wieder die elementare, ftabile Natur der ein-

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 27

Te

ne

418 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

fachen Handwerke, beweift, wie langjam die Gewohn- heiten des häuslichen und wirtbichaftlichen Yebens ganzer Völker fich ändern.

Uebrigens hängt die Zahl der Bäder von zivei ganz verjchiedenen Urjachen ab, 1) davon, wie viel Brod gegejjen wird gegenüber Breiarten, gegenüber der Kar— toffelfonfumtion und 2) davon, wie viel Brod vom Bäcker gekauft, wie viel von den Hausfrauen ſelbſt bereitet wird. Die erjte Urjache kommt bejonders für das platte Yand und für die öftlichen preußiichen Provinzen in Betracht. Wenig hat fich da in den Yebensgewohn- heiten des Ländlichen Arbeiters, des Landvolks noch geändert. Die Zahl der Landbäcker iſt beinahe Diejelbe 1849 und 1858. In Preußen im engern Sinne fommen auf 10000 Einwohner, wie oben ſchon erwähnt iſt, 6, im Weftfalen 21, in Württemberg 36 Bäcker— meijter.

Ebenjo freilich ift an diefen Zahlen die Haus- bäderei jchuld. Viebahn nimmt am, daß in Frankreich die Hälfte, in ganz Deutjchland mur "/, des gebadenen Brodes vom Bäder gekauft wird. Hauptjächlich im Nordoſten Deutjchlands iſt auf dem Yande das Haus: baden noch üblich. Das Yeben ift in Diefer Beziehung da faſt dafjelbe, wie vor 50 und 100 Jahren. Wenn auch z. B. im Regierungsbezirk Köslin, der die wenig— ſten Bäcker überhaupt hat, die Landmeiſter von 17 im Jahre 1849 auf 41 im Jahre 1861 gewachſen jind, jo will das nicht viel jagen. Aber auch auf dem Yande in Mittel- und Weftdeutichland hat ſich noch nicht wiel geändert. Viebahn berichtet von Sachien

Der Broblonfum und die Hausbäderei. 419

ausdrücklich, daß man mehr zu dem Syſteme der häuslichen Brodbäckerei auf dem Yande zurücfehre,! wie das mit dem Bau von Gemeindebadöfen ja auch anderwärts gejchieht. Was die Stüdte betrifft, fo hat in den höhern Streifen das Hausbaden bedeutend abge: nommen; int den untern aber verhält e8 fich, theil— weile wenigſtens, umgefehrt. Selbjt der Aermſte wird dem Bäder etwas Durch Einkauf friicher Semmeln zu verdienen geben. Das Selbitbaden des Brodes aber hat in dieſen Kreifen mit der fteigenden Theuerung des ſtädtiſchen Lebens, mit den Nothſtänden des ftädtijchen fleinen Miannes wieder zugenommen. Bon verjchievenen Orten höre ich das; hier in Halle iſt es entjchieden der Sal. ES hängt Das im den preußifchen Städten theil- weile mit der Mahlſteuer zujfammmen Beim Bäcker muß fie mit bezahlt werden; zum Hausbaden bringt man das Mehl in jo Fleinen Quantitäten durch die Kinder in die Stadt, daß die Steuer vermieden wird. Zugleich aber rechnet die Hausfrau ihre Arbeit nicht, weil fie fie häufig doch nicht anders verwerthen kann, während fie die des Bäckers theuer bezahlen muß.

1) Die Ergebnifje der ſächſiſchen Statiftik find jehr zweifel- haft. Nach der Zeitſchrift 1857, ©. 44 55 zählte man länd— liche Bädereien 1846 - 1460, 1855 - 2046; alſo eine wejentliche Zunahme; nad) Zeitjchrift 1863, S. 102 gab es ländliche Bäde- reien 1849 - 1147, 1861 - 1318, aljo eine Zunahme, welche etwa der Bevölferungszunahme entjpridt. Mag das platte Land 1846/55 und 1849/61 anders gefaßt, und jo theilweije bie Differenz zu erklären fein; immer bleibt e8 unmöglich, daß alle Zahlen richtig find; das reale Reſultat ift zu verjchieben.

27°?

420 Die Umbildung einzelner Gewerbszmeige.

Es ijt aus diefen Bemerkungen erfichtlich, daß die Stabilität der Bäckerzahl im Ganzen fich aus verjchie- denen Verhältnifjen zuſammen jet. Zugleich zeigt eine derartige fonfrete Betrachtung, von wie vielen Umjtän- den eine allgemeine Bewegung wie die fortichreitende Arbeitstheilung, welche die abjtrafte Nationalökonomie gerne ohne weiteres annimmt, im Cinzelnen ab- hängig tft.

Ein Hauptnebengewerbe der Bäcker in Süddeutſch— land, das ihre Zahl wejentlich dort vermehrt, iſt der Weinichanf; im Norden ijt Das weniger Sitte, wohl aber find bier die Konditoreien jehr viel mit dem Aus- ſchank von Kaffee, Thee und Punjch oder mit Zeitungs- fabinetten verbunden. Daraus und aus dem fteigenden Wohlftand überhaupt iſt die Zunahme diefer Gewerbe- treibenden, welche beinahe nur in den Städten vor— fommen, zu erflären. Dieterici bat ſchon früher darauf aufmerfiam gemacht, daß die Hauptzunahme in den öftlichen Provinzen erfolgt jei.! Das liegt theilweiſe in den Lebensgemohnbeiten. Der Rheinländer geht in die Kneipe, im Norden geht man in die Konditorei. Theilweiſe hängt e8 auch mit der ungleichern Vermögens- vertheilung zujammen.

Die preußijchen Zahlen der Konditoren und Kuchen- bäder, die ich leider nur feit 1831, vollitändig nur jeit 1849 mittheilen kann, find folgende:

1) Mittheilungen I, 225.

Die Konditoren und Kuchenbäder. 421

E ar | Huf | uf einen 100 Gewerbe—⸗

d | Jahre Meiſter Gehluen Meiſter treibenden Gehülfen | fommen | kommen u snfammen, —— 1831 | 1 1007 | | m * = 1834 | 1539; |! u 1837 | 158811 = _ 2 1840 | 1739 | = —— 1843 1957 1846 1945 | 1849 2056 2106 | 4162 102 3 924 1852 2145 ; 2315 | 4 460 108 3 797 1855 2234 | 2507 4741 ' 112 3 628 1858 2326 | 27% 121 120 3 464 ıs6ı | 2423 ı 3108 | 5595 128 | 3346 Zunahme | | 1831-61 |100: 172, = - | —_ Zunahme | | 184961 100: 117, 100: 147,0 100::132,, :125,,1100:117,,

Der Umfang der einzelnen Gefchäfte iſt größer als bei der Büderei, die Zeit von 1849 61 zeigt in dieſer Beziehung eine nicht unmwejentliche Aenderung. Es hat fich neben ven fleinen Gejchäften mehr und mehr eine fabrifartige Produktion entwidelt, die nur theil- weile in ver Fabriktabelle vorgetragen, theilweije noch in der Hanpwerfertabelle verzeichnet ijt. Chokoladen-, Konfituren=, Eſſenzen-, Liqueurfabrifen entjtehen da und dort. Zuckerbackwaaren bilden jogar einen nicht unbe- deutenden Erportartifel des Zollvereind. Viebahn hebt eine Reihe von Orten hervor, wo die Fabrikation blüht.‘ Königsberg, jagt er, liefert feinen Marzipan, Thorn

1) III, 591.

422 Die Umbildung einzelner Gewerbszmeige.

jeinen Pfefferfuchen mafjenhaft in den Handel; letzteres fabrifmäßig jährlich gegen 2000 Gentner. Im Halle und Gilenburg werden Zuderwaaren und Konfituren fabrikmäßig hergeſtellt, bis Süddeutſchland und im bie Oſtſeeprovinzen abgeſetzt. In Sachſen hat ſich Die Großinduſtrie der Fabrikation von Bonbons, Dragées, engliſchem Biskuit und dergleichen mit Erfolg bemächtigt, namentlich ſeit zweckmäßige Maſchinen für einzelne Zweige in Anwendung kamen.

Das Fleiſchergewerbe gehört wie die Bäckerei zu den Gewerben, in welchen zu einer ſelbſtändigen Unter— nehmung, abgeſehen vom Hausſchlächter auf dem Lande, von jeher ein gewiſſer Beſitz, ein gewiſſes Kapital gehört hat. Die Technik des Gewerbes hat vielleicht noch weniger als bei dem Bäckergewerbe ſich bis jetzt geändert. Wohl exiſtiren in großen Städten, beſonders in den Seeſtädten, große Pökel- und Räucherungsanſtalten mit mehr fabrikmäßigem Betrieb, wohl ſetzen auch größere Wurſtfabriken ihre Schneide- und Hackapparate mit Dampf in Bewegung; aber die Hauptoperationen, das Tödten des Vieh's, das Abziehen, das Zerlegen, bleiben Sache des Arbeiters. Allerdings werden in den Städten die ſtehenden Einrichtungen einer Schlächterei theurer und koſtſpieliger und für die meiſten Geſchäfte wächſt die Bedeutung des Kredits und des Betriebs— kapitals; ein gutes Geſchäft hängt weſentlich ab von geſchicktem auf genauer Kenntniß des Vieh's geſtütztem Vieheinkauf; dabei hat das größere Geſchäft, das größere Kapital mancherlei voraus.

Das Fleifchergewerbe. 423

Vebrigens iſt die Arbeitstheilung " zwiſchen dem eigentlichen Viehhandel und dem Fleiſchergewerbe eine jehr verjchiedene. Die großjtädtiiche Entwicklung jcheint theilweife dem Fleiſchergewerbe ven fojtipieligen, Vor— ſchuß erfordernden Viehhandel wieder abzunehmen. Hartjtein! bejchreibt die Londoner DBerhältniffe der Gegenwart in folgender Weiſe. Die Viehhändler ver: faufen auf dem zweimal wöchentlich gehaltenen Metro- politan Cattle Market durch ihren Kommiſſionär, den . salesman, an den Grofjchlächter, der in der Hegel

baar bezahlt. Wenn der salesman Kredit gibt, thut er es auf feine Gefahr. Der Großſchlächter ift ein großer Unternehmer, der wöchentlich 80 100 Stüd Großvieh und 500 800 Stüd Schafe in eigenen großen Etablifjements, Schlachthaus und Stallungen enthaltend, jchlachtet und in großen Stüden verkauft. Seine Käufer find verjchiedene Leute. Einmal die großen Sletichlieferanten, welche die Wleifchlieferungen an die Armee, an öffentliche Inftitute, an Schulen übernommen haben. Theilweiſe führen dieſe Lieferanten das Gefchäft nicht jelbjt aus, jondern bilden nur die faufmännijche Bermittelung, übergeben einzelnen Schlächtern die Liefe- rungen im Detail, haften aber dafür im Ganzen. Da— neben verkaufen die Großſchlächter an die Kleinfchlächter,

1) Hartftein, der Londoner Viehmarkt, Bonn 1867. Da— neben das erwähnte Werk von R. de Mafiy über ben Lebens- mittelverfehr von London und Paris, und Dr, H. Janke, der internationale Fleiſchverbrauch in feiner neueften Geftalt, Biertel- jahrsſchrift für Volkswirthſchaft XXIV, 1— 45.

424 Die Umbildung einzelner Gemwerbszweige.

die theilweiſe auch ſelbſt fehlachten, aber nur eine geringe Zahl Vieh, umd an bie reinen Detailhänbler, die das Fleiſch in größern Stüden übernehmen, die verichiedenen Sorten trennen, die einzelnen Stücke hübſch zurecht machen, bei denen das Ladengeſchäft Die Haupt- jache ift. Beide letztere Arten von Schlächtern verfaufen ihre Abfälle an den Eingeweidehändler (tripe - shop), oder an den Kochladen (cock -shop), wo vornehmlich die unterften Volfsklafjen dieſe Abfälle Faufen oder ver- zehren.

Eine ähnliche, wen auch nicht jo weit gehende Arbeitstheilung findet in andern großen Städten jtatt. Der Berliner Adreßfalender unterjcheivet wenigſtens Schlächter und Fleiſchwaarenhandlungen. Im Jahre 1860 fommen auf 80 Fleiſchwaarenhandlungen 557 Schlächter, 1868 auf 101 Handlungen 976 Schlächter.! Die Kleinſchlächter und Detailhändler brauchen troß dieſer Arbeitstheilung noch ein nicht unbeträchtliches Kapital.

Wichtig auch fir den Groß- und Kleinbetrieb des Fleiſchergewerbes ift die jet aus janitätspolizei- lichen Standpunkt viel beiprochene Schlachthausfrage.?

1) Engel, die Induſtrie der großen Stäbte, Berliner Gemeinbefalenver II, 144.

2) Siehe Riſch, Bericht Über Schlachthäufer und Bieh- märkte, Berlin 1866. Ueber die preuß. Gefeßgebung und bie Unmöglichkeit mit ihr die einzelnen wiberftrebenden Fleiſcher zur ausſchließlichen Benutzung öffentlicher Schlachthäuſer zu zwingen, Biebahn II, 593 9.

Der Bieh- und Fleifhhandel, die Schlachthausfrage. 425

Zunächſt ijt jede große Wenderung derart für Die beſtehenden Verhältniſſe, hauptſächlich für ven beftehen- den Befig, unangenehm. Auf Die Dauer aber wür— den durch gemeinfame Schlachthäufer, deren Bau Alfoziationen oder die Gemeinden übernähmen, deren Bau der Staat ganz mit Necht auf verjchievene Weiſe fördern könnte, die Kleinen Gejchäfte wahrjcheinlich mehr gewinnen als die großen; fie würden dadurch mit billigen Kojten Die Bortheile gut eingerichteter Anftalten erhalten, während der Großſchlächter nichts dort fünde, was er nicht in feinem eigenen Schlachthaus auch anorbnen kann. Die allgemeinen Bortbeile jolcher Anftalten Liegen in den niedrigen Generalkoſten überhaupt, ſpeziell in verjchiedenen Einrichtungen, die nur in größern Etabliſſe— ments möglich find, z. B. in der Nutung des meiſt bisher ungenutt abfließenden Blutes zur Gewinnung von Eiweißitoffen.

Kehren wir nach diejen allgemeinen Bemerkungen über das Fleiſchergewerbe zu den fonfreten VBerhältnifien Preußend ! und den jtatijttichen Ergebnifjen von 1816 1861 zurüd, jo iſt im Durchichnitt des ganzen Staates der Fortichritt zu größern Geichäften wohl vorhanden; aber noch überwiegen die Heinen Meiſter weitaus, noch it eine Schlächterei durchichnittlich kleiner als ein Bäckergeſchäft. Man zählte:

1) Zu vergleihen: Hoffmann, die Bevölkerung des preuß. Staates, ©. 120 ff. Mittheilungen I, 226. Tabellen u. amt- liche Nachrichten V, 827 828.

426 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. iſte Auf | Auf einen ae : 100 | Gewerbe. Sabre | Meifter Gehülfen 2 Meifter | treibenten | Gehülfen fommen | kommen il zuſammen Gehülfen Einwohner 1816 | 2 367 4 754 T 18 121 36 574 1822 14 871 4 846 19716 | 33 | 594 1825 15 163 5257 | 20420 | 35 | 603 1823 | 15654 5344 | 20998 34 609 1831 | 15367 | 53550 | 0717 | 35 | 6832 1834 1609 ! 6021 | 22116 | 37 613 18537 | 16853 6987 ı 23840 | 41 594 1840 17 754 7796 | 25550 ı 44 587 1843 | 18399 8173 | 26572 | 44 585 1846 19 396 9090 | 283486 46 | 568 1849 | 18372 | 9397 27769 | 51 588 1852 | 19970 | 10040 | 80919 55. 548 1855 | 19318 | 10255 | 29573 | 53 581 1858 | 20900 | 11892 | 32792 67 | 585 1861 21566 | 133837 | 34953 | 62 929 Zunahme, | 1846—61 100: 161,100: 231, 100: 192, 100:172, | 100:108,,

Selbſt in Berlin hat 1861 ein Fleifcher durch: ichnittlih nur 1%, Gehülfen, während der dortige Bäcker 3 4 Gehülfen bejchäftigt. Der Fleiſcher iſt in der Regel ähnlich wie ver Bäder auf einen Abſatz in den nächjten Straßen und Häuſern angewiejen; Die Hausfrau will nicht zu viel Zeit verlieren, wenn fie zu ihm geht, noch weniger, wein fie das Dienſtmädchen ſchickt. Das vielfach übliche Bringen des Fleifches in die Wohnungen der Kunden ijt nur möglich, wenn ber Sleifcher in der Nähe wohnt. Der Fleiichhandel iſt noch ſchwieriger zu organifiren al8 der Brodhandel, wenn er nicht zu dem gejalzenen und getrockneten Fleiſche über-

Die preußiſchen Fleifher 1816 61. 427

gehen joll, das weniger jchmadhaft, weniger beliebt iſt. Wenn man neueftens Verſuche macht, auch frijches Fleiſch nach bejondern Methoden zu konſerviren und auf weite Entfernungen zu transportiren, jo kann Das jpäter vielleicht einmal die bisherige Art des Betriebes ändern. Bis jet haben dieſe Verſuche feine allgemeine praftiiche Bedeutung.

Die Geſammtzahl der preußiichen Fleiſcher, welche um etwa %/, geringer ift, als die der Bäder, bat eben- falls Faum ſtärker zugenommen, als die Bevölferung ; es kommen 1861 auf die gleiche Zahl Einwohner nur 8,0%, mehr Fleiſcher als 1816. Bis 1843 hat die Bevölkerung jtärfer zugenommen; 1849 ſowie 1855 jteht wieder die Fleiſcherzahl Hinter der’ von 1816 zurüd. Trotz der großen jonjtigen Aenderungen des 19. Jahr: hundert eine jolche Stabilität!

Die erjte Urjache der Fleiſcherzahl ift Die Fleiſch— fonjumtion. Wenn in Hejjen- Darmjtadt, Braunſchweig 37 38 Sleijchermeijter, in Baden, Sachjen, Hannover 14—19, in den öſtlichen preußiichen Provinzen nur 8 12 Fleifchermeifter auf 10000 Einwohner fonmen,! jo läßt fih der Zuſammenhang nicht verfennen mit Der andern Thatiache, daß die Fleiſchproduktion (incl. Aus: fuhr) in Mltpreußen pro Kopf der Bevölferung nur auf 46 —47 Pfund, in Nafjaus Frankfurt, Baden, den rheiniſchen und thüringiichen Staaten auf 48 56 Pfund, in den niederjächliichen Staaten, bejonders in den Elb- herzogthümern, auf 74 Pfund pro Kopf jteigt. Freilich

1) Viebahn III, 594— 95, verglichen mit 606.

428 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

zeigt die Vergleichung auch Ausnahmen, da Hohe und niedrige Produktion und Konfumtion nicht nothwendig zufammen fallen, va Aus- und Einfuhr, die Haus- ichlächterei und Anderes mitjprechen. Gerade in ben öftlichen preußiichen Provinzen ijt die Fleiſchproduktion wieder größer als im Durchichnitt Preußens, die Kon- jumtion aber auf dem Lande umd in den untern Klafjen ſehr gering.

Unzweifelhafter ijt der Jufammenhang zwijchen der hiſtoriſchen Veränderung der Fleiſcherzahl und der Fleiſch— lonſumtion in Preußen. Der geringen Zunahme jener entipricht dieje. Die Fleiſchkonſumtion betrug ja nach Dieteriei und Engel! pro Kopf der Bevölkerung

1806 . . + 30,84 Pfund, 1831... 2u 1842... 2m 149... 37a - 1863 . . . 3,0 *

Die jteigenden Fleiſchpreiſe erſchweren troß aller Fortichritte des Wohlitandes eine fteigende Fleiſchkon— jumtion jehr. Für die 30 Pfund 1806 gab der Ein- zelne 2 Thlr. 6 Sgr. aus, für die 35 Pfund 1863 gibt er 4 Thlr. 4 Sgr. aus. In Berlin zahlte man 1835 für das Rindfleisch bejonderer Güte 2 Sgr. 6 Pf., jest 10 und mehr Sgr. Und je größer die Vermögens: ungleichheit in einem Lande ijt, je mehr Sitten und Bedürfniſſe der verjchiedenen Gejellichaftsflaffen ausein- ander Tiegen, deſto ungleicher wird fich die Abnahme der Fleiſchkonſumtion vertheilen. Beſonders in den

1) Zeitfchrift des ftatift. Bureaus IV, 129.

Der Fleifhlonfum und die Hausfchlächterei. 429

Städten bat ver Fleiſchkonſum der Wohlhabenden, ja des ganzen Mitteljtandes unzweifelhaft zugenommen; aber in den untern Klaffen muß er abgenommen haben, jonft Könnten ſich die Geſammtzahlen ver Konjumtion nicht gleich bleiben. Theilweiſe freilich finden dieſe Klaſſen Erjaß im dem Uebergang zu Pfervefleiich, zur Kon- jumtion von bloßen Abfällen. Es heißt aber die opti- miſtiſche Schönfärberet weit treiben, wenn man in diejer Thatjache, wie Faucher, nur ein „feiner ausgebildetes Schlächtergewerbe findet. Die genauen Unterjuchungen, welche Aſher und Spetbeer über Fleiſchkonſumtion ver: öffentlicht haben, * reichen allerdings nur bis 1852 und jchliegen alfo mit ungünftigen Jahren ab, aber fie zeigen, auch wenn man das berüdjichtigt, eine in den größern Städten fait ausnahmslos abnehmende Fleiſch— fonjumtion. Sch führe nur die Hamburger Zahlen an; da hat der Verbrauch pro Haushaltung betragen an Fleiſch:

Vergleich mit 1821 25

1821—25 . . . 538 Pfund, 100 1826 —30 . ..523 » 97 1831 —35 . .. 42 = 84 1836—40 . ..48 83 1841 —45 . . . 429 » 80 1846—50 . ..339 63 18815 3.2 80 # 70 18552 .... 372 = 69

Daneben ift der Fiſchkonſum nicht geftiegen, vie Butter» und Räfefonfumtion hat auch abgenommen, der

1) Beiträge zur Statiftit Hamburg's, mit befonderer Riüd- ficht auf die Jahre 1821— 52, Hamburg 1854. ©. 145 149,

430 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Gerealienverbrauch ijt jo ziemlich derſelbe geblieben. Ohne Zweifel hat fich Das in neuerer Zeit wieder etwas gebejjert; aber wie dem auch jei, die obigen Zahlen jagen genug.

eben dem Fleiſchkonſum hängt die Tleiicherzahl davon ab, wie weit die Hausichlächterei noch verbreitet ilt, welche den gewerbsmäßigen Schlächter in der Form des Hausichlächters zwar nicht durchaus, aber doch theil- weije entbehren fan. Die hohe Zahl der Fleijcher in Württemberg, in Hohenzollern (26 28 Meijter auf 10000 Einwohner) ijt theilweiſe Folge Davon, daß die Hausichlächterei Dort wenig mehr vorkommt. Die Sletjch- konſumtion iſt Dort nicht um jo viel ſtärker als in Schlefien, um allein e8 zu erklären, daß hier nur 15 ‚Meijter, dort 26— 23 auf 10000 Einwohner fommen. In Den öftlichen preußtichen Provinzen, aber auch in Baiern, wie überhaupt in ven rein landwirth— ichaftlichen Gegenden, ift Hausjchlächterei noch wielfach vorhanden. Theilweiſe wird fie gegenüber der gewerb- lichen Schlächteret wieder durch die jteigenden Preiſe begünftigt.. Täglich friiches Fleiſch zu genießen, iſt theurer, als eingepöfeltes und geräuchertes Fleiſch im Vorrath zu halten.

3. Die Wirthichafts= und berivandten Geiverbe.

Die gewerbliche Thätigkeit des Landwirths; die Weinbauern, Gärtner und Fiſcher. Der Handel mit Lebensmitteln. Die Viktualiengeſchäfte in Preußen von 1837 58. Die Wirth— ſchaftsgewerbe, meiſt als Nebenbeſchäftigung. Die preußiſche Statiſtik 1822 61. Die Gaſthöfe und Ausſpannungen. Die Speiſewirthſchaften. Die Schankwirthſchaften, ihre Ab— nahme Die möglichen Urſachen einer von ſelbſt eintreten— den Abnahme. Das Konzeſſionsſyſtem. Seine allgemeine Würdigung. Die Ausführung in Preußen. Die frühere und Die neueſte Gejetsgebung. Allgemeine Betrachtungen über Groß» und Kleinbetricb in den Nahrungsgewerben. Die Volksküchen, die Konfumvereine und Achnliches.

Der Kreis der dem Nahrungsbedürfniß dienenden Gewerbe ijt mit den Bädern, Konditoven und Fleiſchern noch nicht abgejchloffen.

Der Heine und große Landwirth übernimmt vielfach gewerbliche Thätigkeit, abgejehen ganz von dev Rohpro— duftion. Er fabrizirt Butter und Käſe, verkauft getrod- netes Obſt und fünjtlich wie unkünſtlich zubereiteten Wein. Eine zahlreiche Kaffe von Perjonen find die fleinen Weinbauern und die Blumen- und Gemüfe- gärtner, die zwiichen Landwirthſchaft und Gewerbe in der Mitte jtehen, einen gejunden Mittelitand repräfentiren,

4.32 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Durch die Art ihres Betriebs, Durch Die vorzugsweiſe geforderte forgfältige Arbeit niemals von großen Ge— Tchäften verdrängt werden fünnen. Außer ven 4224 preußiichen Gärtnern mit 3310 Gehülfen (1861) find auch die 7197 Fiſcher mit 3822 Gehülfen zu nennen; auch dieſes Gewerbe bleibt, der perjönlichen Ihätigfeit, des mäßigen Gewinne wegen, im Binnenlande dem Stleinbetriebe.

Dann gehören hieher mannigfache Hanvelsgejchäfte, welche ihrer Natur nach gewifje gewerbliche Umformungen vornehmen. Der Weinhandel, der Getreivehandel thut das, vor allen aber ber Feine Detailhandel, der Kaffee röftet und Zucker jchlägt, alle möglichen Waaren färbt, vielfach auch verdirbt und fälſcht. Noch mehr gibt fich der Heine Viltualienhandel damit ab. Im Butterladen wird gefochter Kaffee ausgejchenkt; die Garfüche iſt häufig hiermit verbunden. Die Zahl der faſt durchaus fleinen Biktualiengejchäfte ift etwa jo groß in Preußen, als die der Bäder und Fleijcher zufammen. Im Jahre 1861 find fie nicht aufgenommen. Früher zählte man:

1837... . 46789 1852 . . . 47412 1840 .. . 54156 1855 . . . 49852 1843 . . . 58556 18558 . . . 50514 1849 . . . 43741

Es gehört zu diefen Gejchäften geringe Bildung und geringes Kapital. Die Art des Betriebes, des Auffaufs, des Verkaufs auf dem Wochenmarkt over in den Heinen SKellerläven, übt auf Leute, welche etwas bejjeres ergreifen können, feinen Reiz aus; daher wenden fih ihnen mehr nur Leute der unterften Klafjen zu. Größere Gejchäfte mit jchönen Läden beginnen höchſtens

Die Biltualiengefhäfte und Wirthſchaftsgewerbe. 433

in einigen größern Städten, aber auch da nur für die Lebensmittel und Biftualien der höhern Gefelljchafts- klaſſen. Abgejehen von diefen, jowie von den Gefchäften, welche hauptjächlich den Wochenmarkt beziehen, fucht der Heine Biktualienhandel ähnlich wie der Bäder und Sleijcher einen Tofalen Abſatz in den nächftliegenden Häufern und Straßen.

Die eigentlichen Wirthichaftsgewerbe endlich, welche in der Umformung und Bereitung der Nahrungsmittel am weitejten gehen, find, wie ich das jchon mehr erwähnte, jehr vielfach in den Händen von Perſonen, welche nebenbei mit der Produktion oder dem Handel von Nahrungsmitteln bejchäftigt find, oder vielmehr von jolchen, welche das Wirthichaftsgewerbe nur neben- bei betreiben. Es ijt ebenfalls das lokale Bedürfniß, das darauf hinwirkt. Die Brauerei verbindet fich mit der Gaftwirthichaft, die Mühle mit einer Ausfpannung, die Bäderei mit dem Weinausichanf, Die Höferei mit dem Bier- und Kaffefchanf, der Miaterialladen mit dem Schnapsverfauf je eines allein würde feinen Mann nicht nähren, beides zujammen aber reicht aus, eine leidliche Eriftenz für eine Familie zu jchaffen.

Dieje häufige Verbindung der Wirthichaftsgewerbe mit andern ijt für das richtige Verſtändniß des ganzen Gewerbes, wie jchon für Die richtige Beurtheilung der Zahlen wichtig. Das Hiülfsperjonal wird in den Tabellen etwas nieverer erjcheinen, als es in Wirklich- feit if. Zu- und Abnahme haben eine etwas andere Bedeutung.

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe, 28

A434 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Die Zahlen, um die e8 fich handelt, find folgende; es gab in Preußen :! Gafthöfe, Krüge, Speifewirth- Schanfwirth-

Ausipannungen ſchaften ſchaften 1822... 20312 50 833 1831 . . . 21682 2077 51123 1843... 5018 2182 53 706 1849 . . 27520 1928 43 670 1861 31 520 2221 37 917

Die Zahl der Gejchäfte hat in feiner Der drei Ab- theilungen jo zugenommen, wie die Bevölkerung, welche von 11 auf 18 Millionen in dieſer Zeit ftieg; in einer Adtheilung Hat die Zahl der Gejchäfte jogar abgenommen. Wären die Wirthichaften alle voll bejchäftigt geweſen, lebten die betreffenden Gewerbetreibenden nur hiervon, jo wäre vorauszufegen, daß die Gejchäfte mindeſtens der Bevölkerung entjprechend zugenommen hätten.

Bon der erjten Kategorie, den Gaftwirtbichaften, fällt nur ein Feiner Theil unter den Begriff eines Gaſthofs; 1861 find die eigentlichen Gaſthöfe nicht bejonders unterjchieden; 1849 machen von den 27520 Gaftwirthichaften nur 4447 Gajthöfe für die gebildeten Stände aus, wovon 2833 auf die Städte fommen. Nur dieſe find zu einen Theile als größere Etabliffe- ments aufzufajfen. Im Ichre 1861 zählen die 31 520 Saftwirthichaften ein Hülfsperjonal von 7919 Perjonen, aljo find */, der jümmtlichen Gaſtwirthe wenigſtens

1) Nach Ferber’s, Dieterict’8 u. Engel's amtlichen Zahlen, vergl. bauptiächlich für 1849 Tabellen u. amtliche Nachrichten V, ©. 994 ff.

Die preußiſchen Wirtbichaftsgewerbe 1822— 61. 435

ohne gewerbliches Hülfsperfonal; fie fünnen nur ganz fleine Geſchäfte haben.

Die Speijewirtbichaften gehören faſt ganz ven Städten an; von 1928 im Jahre 1849 verzeichneten find 1461 ſtädtiſche. Die Zahl ift eine beinahe ftabile. Der durchnittliche Umfang der Gejchäfte ift ein jehr geringer, denn es werben 1861 auf 2221 Speijewirthe nur 885 Diener, Kellner und Kellnerinnen gerechnet.

Aehnliches gilt von den Schanfwirthen; auf 37 917 Gejchäfte fommen 1861 nur 6290 Hülfsperfonen,, was einen fichern Schluß auf den troß der gejunfenen Ge- ſammtzahl immer noch geringen Umfang der meijten Schankwirthichaften geitattet. Mögen auch manche Hülfsperjonen aus den vorhin angeführten Gründen gar nicht in den Tabellen erjcheinen, viel kann das nicht ausmachen. Die Abnahme der Schankwirthichaften von 1843 ab bis 1861 iſt eine jehr bedeutende. Damals kam jchon auf 289, 1849 auf 343, 1861 erſt auf 487 Einwohner eine Schenke. Die Marimal- grenze, auf welche herab die Verwaltung * in Gegen- den eines aflzugroßen Reichthums von Schenken die Zahl verjelben zu bringen juchte, ift eine auf 250 Einwohner. Zunächſt ift man vwerjucht zu zweifeln, ob die Aufnahmen überhaupt richtig find, denn jedermann ift geneigt, heute eher an eine Zunahme, als an eine Abnahme der Schenken zu glauben. Ich kenne faft feine größere Stadt näher, in der ich nicht Klagen über eine allzugroße Zunahme der Schenken gehört hätte.

1) Bergl. Arbeiterfreund V, 185. 28 *

436 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Da ich jedoch feinen Anhalt dafür habe, die Aufnahmen für falſch zu Halten, jo muß ich fie bis zum Gegen- beweis als richtig annehmen. Nur das will ich noch bemerken, daß nicht bloß die Gaſthöfe und Speifewirth- ichaften zugleich geiftige Getränfe ausjchenfen, jondern daß auch jehr viele Spezereiläden Branntwein jtehend verabreichen. Und dieje find, wie ich annehme, nicht unter den Schankwirtbichaften der amtlichen preußijchen Statiftif mitgezählt. Selbit wenn aber die Branntwein verfaufenden Materialläden ebenjo zugenommen hätten, als die eigentlichen Schanfftätten abrnahmen, wäre es ohne Zweifel eine Befjerung. Die Trunkſucht wird durch dieſe mehr gefördert, al8 Durch den Verkauf in dent Spezereiladen, wo der Arbeiter jtehend, ohne langen Aufenthalt, ohne Gejellichaft fein Gläschen Schnaps trinkt. So wie jo bleibt die Abnahme ver eigentlichen Schankwirthichaften als eine bemerfenswerthe Thatſache ftehen, und es wirft fich die Frage auf, ob jie eine von ſelbſt erfolgende war, oder nur Durch die Handhabung des polizeilichen Konzeſſionsweſen eintrat. Eine Abnahme von jelbft Liege fird immerhin denken; die Schaufwirthichaft iſt bei Vielen nicht die uriprüngliche TIhätigfeit; fie werfen fich darauf, wenn nicht8 anderes mehr geht. In den Weinländern ift der Ausichant noch mehr bloßes Nebengewerbe des Heinen Weinprodizenten. In Zeiten der Noth ſchwillt vie Zahl der Schanfftätten, dann auch in Zeiten politijcher Aufregung. Es wäre hiernach wohl denkbar, daß die Zahl der Schanfftätten zu Anfang der 40er Jahre durch Die Kriſis der meiften Handwerke, 1848 50

Die Abnahme der Schanfwirtbichaften 1843 61. 437

durch Die Revolution jtärfer war, als fie ohnedem geweſen wäre, daß die beiferen Zeiten nach 1856 nicht mehr jo viele Leute nöthigten, zu diefem Nothbehelf zu greifen. Nach den Provinzen ftellt fich der Unterſchied der Schanfftätten 1849 und 61 folgendermaßen; e8 gab in:

j 1849 | 1861 | 1849 | 1861 Provinzen N Schankwirthſchaften je eine auf Einwohner Preußen . . | 4373 | 3637 569 788 Bolen - - „| 3309 2875 408 517 Brandenburg . | 4769 5103 446 484 Bommern . . | 1391 1119 861 | 1242 Shiefien . . | 6274 6175 488 549 Sadlien. . . | 3509 2814 508 702 Weftfalen . . | 4812 4439 304 364 ber Rheinprov. | 15 233 11 650 185 276

Am meijten haben fie aljo in der Nheinprovinz abgenommen, und das ift großentheils ficher auf die beijere wirtbichaftliche Lage zurüczuführen, die nicht zu einem geringern Konjum an Speifen und Getränfen, wohl aber zu einem etwas geringeren Kneipenbeſuch und einem geringeren Angebot von Perſonen führt, die fich als Schanfwirthe zu nähren juchen.

Dennoch, glaube ich, wäre es im Allgemeinen faljch, anzunehmen, daß die Abnahme der Schanfjtätten ganz von ſelbſt erfolgt wäre. Der Andrang zu dieſem mübelofen &ewerbe ijt im den untern Klaffen immer jehr groß; es übt einen bejondern Reiz durch die Unter- haltung, den Verkehr, ven e8 gewährt, durch unfittliche und verwerfliche Genüſſe, Die fich leicht damit verbinden. Wo feine Konzeffionspflicht mehr exiftirt, wie bis jet allein in Bremen, erfolgt leicht eine rapide, verwerfliche

438 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

und gefährliche Zunahme. Vor Erlaß der Konzeſſions— pflicht im Jahre 1862 gab es in Bremen 512 Xofale, in welchen fpirituöfe Getränfe feil gehalten wurden, im Jahre 1867 - 829, damals eines auf 192, jett eines auf 132 Einwohner.

Dieß ift der Grund, der mich veranlaßt anzuneh: men, daß auch in Preußen die Abnahme nicht ganz von jelbjt erfolgt wäre, wenn man nicht auch durch das Konzeſſionsſyſtem darauf hingewirkt hätte.

Bei der Trage der vollftändigen Freigebung der Scanfgewerbe muß man die allgemeinen Gefichtspunkte und die Art der Ausführung aus auseinander halten.

Der abſtrakte Theoretifer verlangt auch hier unbe— dingte Freiheit, weil er das Leben nicht fennt. Gr über: fieht die Gefahren, die bejonders mit dem Branntwein- ſchank, vollends in Fabrikdiſtrikten, verbunden find; er überfieht, daß die proletariiche Konkurrenz die Schanf: wirthe nöthigt, in jeder Weije anzuloden, zu verführen, einen forrumpirenden Kredit zu geben; er überfieht, daß die ganze Xebenshaltung, das Familienleben, die Sittlich- feit der arbeitenden Klaſſen Hiermit zufammenhängen ; er weiß e8 nicht, wie fegensreich es in großen Fabrif- dijtriften wirkt, wenn den Arbeitern fontraftlich verboten wird, eine Schanfwirtbichaft anzufangen. Alle dieſe Gründe jprechen für eine Beichränfung der Zahl ver Schankwirtbichaften, für eine Beibehaltung des Kon: zeſſionsſyſtems.

1) Des Freiherrn von Diergardt Maßregeln zur Förde rung ber arbeitenden Klaffen, Arbeiterfreund V, 1867. S.115.

Die Konzeffionirung der Wirthichaftsgewerbe. 439

Es handelt fich nur darum, es vichtig und gerecht zu handhaben. Daß immer Mißgriffe vorkommen, ift natürlich. Nur können fie joweit gehen, daß Die Frei— gebung Dagegen wieder als das Fleinere Uebel erjcheint.

Immer jollte man vermeiden, politiiche Partei: gefichtspunfte einzumiſchen. Schwer hat in diejer Be— ziehung ein veaftionäres Regiment in Preußen gejündigt. Ganz übertrieben aber bat das verlette Interejje Ein- zelmer diefe nicht zu leugnenden Mißbräuche dargeſtellt. Abgejehen hiervon kamen Mißgriffe da vor, wo unfähige Zandräthe oder vielmehr willfürliche Kreisjefretäre fich Sehler zu Schulden fommen Tießen. Soweit Die Regie: rungen eingriffenr, war die Praris cine faſt durchaus gerechte. Weber die Borjchriften der Kabinetsordre vom 7. Februar 1835, welche nur etwas durch Die Ver— ordnung vom 21. Yuni 1844 verjchärft wurde, ſei nur joviel bemerkt, daß die Konzeifionen je auf ein Jahr ertheilt wurden, in den Städten von der Orts— polizeibehörde, auf dem Yande durch ven Landrath nach Anhörung der Kommunalbehörve, wobei Die Yage des Lokals und die Perjon des Wirthes immer, die Nützlichkeit und das Bedürfniß aber nur geprüft werben jollte, wenn es fih um Gajtwirtbichaften in den Ortjchaften vierter Gewerbeiteuerklaffen, um Schanfwirthichaften, in welchen geiftige Getränfe zum Genuß auf der Stelle feilgeboten werben jollten, um

1) Rönne, Staatsrecht zweite Aufl. II, b ©. 318. Der- felbe Gewerbepolizei II, 51. Döhl, das Konzeffionsweien des preußischen Staates, Berlin 1862, ©. 149 ff.

440 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.)

Kleinhandlungen mit geiftigen Getränfen handelte. In erjter Linie follte dem Kleinhandel mit Branntwein oder vielmehr dem übermäßigen Genuſſe dieſes geführ- lichen und durch feine zunehmende Billigfeit immer Yeichter erreichbaren Reizmittels in den untern Klaſſen entgegen gewirkt werben.

Die neue Gewerbeordnung des norbdeutichen Bun- des behält nach dem Antrage Miquel's das Konzejfiong- wejen für die Gaſt- und Schankwirthichaft, jowie für den Detailhandel mit geiftigen Getränfen bei; die Er- laubniß wird nicht auf eine beſtimmte Zeit ertheilt, fie fann Perjonen nicht mehr verjagt werben, denen nur der vage Teicht zu Willkür führende Begriff der joge- nannten Zuverläjfigfeit fehlt, wie der Entwurf wollte, jondern nur jolchen, gegen vie bejondere gravirende Thatjachen vorliegen, oder welche fein geeignetes Lokal haben. Es bleibt aber der Landesgejebgebung vorbe— halten, in Bezug auf den Branntweinausichanf auch die Bedürfnißfrage zu prüfen. Darnach werden in Preußen einige bisher hervortretenden Mißſtände und Willfürlich- feiten der Konzeſſionspraxis verſchwinden, in der Haupt: jache aber wird das Syſtem daſſelbe bleiben.

Wenn wir im Vorſtehenden jahen, daß bei den Wirthſchaftsgewerben noch durchaus die Heinen Gejchäfte poriwalten, jo find die Urjachen ähnliche, wie bei allen Nahrungsgewerben, wie beim Detailhanvel mit Lebens: mitteln und Kolonialwaaren; ich habe fie theilweije jchon berührt, aber ich muß nochmals auf fie zurückkommen.

Ich betonte als Haupturjache ver kleinen Gejchäfte das lokale Bedürfniß; das allein aber würde nicht

Der proletarifche Kleinbetrieb in ben Nahrungsgewerben. 441

genügen, die große Zahl allzufleiner Betriebe hervor zu rufen. Denn dem ftehen immer wieder die Vortheile größerer Gejchäfte entgegen; wie viel billiger läßt fich im Großen kochen und doch herrichen die kleinen elenven Garküchen vor; wie viel billiger läßt fi im Großen einfaufen, und doch überwiegen die Fleinen Kramläden, die Fleinen Gewürz = und Kaffeefrämer.

Das hängt eben mit dem übermäßigen Andrang zu allen diejen leicht betreibbaren Gejchäften zufammen, welcher dann bejonders erfolgt, wenn bei rafch wachen: der Bevölferung die Erziehung der untern Klaſſen zur Arbeit, die Gelegenheit zu Ausbildung und zu Verdienst nach andern Nichtungen zeitweile nicht ebenſo wächit. Die übermäßige Konkurrenz drückt dann auf alle diejen ZThätigfeiten Angehörenden, Mißbräuche und Unveellität fteigern fich; Das ganze Standesbewußtfein und Ehr— gefühl ver Betreffenden wird dadurch herabgedrückt; Lotterfredit wird gegeben, nur um Kunden anzuziehen. !

1) Bergl. oben ©. 113 fi, ©. 153, ©. 213 fi. Huber, beffen eben erfolgten Tod die Wiffenfchaft ebenfo zu beffagen bat, wie ber Arbeiterftand und alle Freunde ber Arbeiterfahe, Spricht ſich noch neulich in dem Artifel über die Arbeiterfrage in Deutſchland (deutiche Vierteljahrsichrift Juli Septemberbeft 1869. ©. 173 ff.) über den verderblichen Ein- fluß biefer Elemente aus, er betont die BVertheuerung unb Adulteration aller Lebensbebürfniffe, die Ueberfüllung konkur— rirender Verkaufsſtätten, bie Ueberreizung von Probuftion und Konjumtion. Wo 3— 4 einfache oder kooperative Gejchäfte mit einem Perjonal von 2—3 Dutend Perfonen ausreichten, fagt er, wird bie A«—5fache Zahl beichäftigt, die Koften werben ver- theuert, Schwindel aller Art, trügeriicher Krebit als Reizmittel

442 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige,

Man wird mir entgegnen, diefe Behauptungen jeien übertrieben und ich gebe es auch zu, daß fie eg, jo allgemein ausgejprochen, find. Ich muß mein Urtheil noch etwas begrenzen. ES ijt ganz wahr nur jo weit, als dieje Gejchäfte mehr dem Dienjte der untern Klaſſen ſich zuwenden.

Die Reſtaurants, in welchen der Gebildete ißt, die feinen Weinjtuben, die Detaillävden mit guter Kund— haft find etwas für fich; fie erfordern größeres Kapital, einen anjtändigen Gejchäftsführer. Je weiter man aber herabjteigt, deſto jchlimmer wird es. Und da it die eigenthümliche Urſache, welche die vielfach korrupten Heinen theuren Gejchäfte erhält, eben die, daß ver wohl- habendere anjtändigere Geſchäftsmann, der ihnen allein mit Erfolg Konkurrenz machen, fie, was wünjchensiwerth wäre, ganz bejeitigen könnte, dazu Feine Luft hat wegen der Perjonen, mit denen er dadurch zu thun befüme. Mehr als man glauben follte, jucht jeder Gewerbe: treibende in jeinem &ejchäfte neben dem Gewinn den jozialen Zujammenhang; jeder will möglichjt vornehme, wohlhabende Kunden. find die Folge. Der Altenaer Handelsfanmerbericht pro 1867 (preuf. H.⸗K.-B. ©. 1182) fagt: „Das Kapital trägt eine ſchwer wiegende Schuld, jo lange man zugeben muß, daß der Arbeiter feine Lebensbedürfniſſe am theuerften bezahlt, obgleich feine Mittel die Heinften find. Niemand kann fih auch mit Unwiſſenheit entjchuldigen gegenüber dem jchreienden Mißftande, daß ein großer Theil der Arbeiter noch in ber traurigften Ab— hängigkeit in Folge der Teichtfinnigen Borgfhulden lebt.“ Segensvoll wird in biefer Beziehung das gejeliche Verbot ber Beihlagnahme nicht verbienter Löhne wirken.

Die Schattenfeiten des proletariichen Kleinbetrichs. 448

Hiervon giebt e8 in großen Städten einige wenige Ausnahmen, bejonders was große VBergnügungslofale betrifft; aber in der Hauptjache ift der Heine Mann auch in der größten Stadt auf die Fleine elende Gar: füche, auf die erbärmlichite Schnapsjchenfe, auf den korrupteſten Spezereiladen angewiejen; fie allein nehmen ihn als Kunden an, weil fie feine bejjern erhalten. Selbjt die Höferfrauen auf dem Gemüſe-, dem Butter», dem Fiſchmarkt machen ftrenge Unterſchiede der Art.

So leiden die fleinen Yeute nicht bloß als Produ zenten, jondern vor Allem auch als Konjumenten. Die Bortheile der großen Gejchäfte fommen ihnen nicht ein- mal da zu Gute. Die fapitalbefitende Privatipefulation arbeitet nicht für fie, weil fie fich nicht mit ihnen beſchmutzen will, weil fie fich vor ihrer Zahlungsunfähig- feit fürchtet. Es iſt diejelbe Urjache, welche in ven großen Städten die Miethpreife für ärmliche Wohnungen unnatürlich anjchwellen läßt, während die Brivatipefulation noch fortfährt elegante Quartiere zu bauen, jelbjt wenn ſolche jchon in übergroßer Zahl angeboten find,

Ein Beweis, daß dieſe Mißſtände vorhanden find, liegt darin, daß längſt humane Fabrifanten, Vereine, Gemeinden, der Staat, wo er Privatunternehmungen hat, vor Allem aber Genofjenjchaften von Arbeitern ſelbſt ſich entjchloffen Haben, einzugreifen, das zu über: nehmen, was die Privatipefulation für die armen Xeute nicht Teijtet.

Man jtreitet fich in Paris, ob die neuen eleganten ungeheuren Arbeitercaf6s, in denen die Arbeiter und

444 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

ihre Familien jo billig effen und trinfen, geheime- faifer- liche Subvention haben’ oder gehabt haben. Die cafes und restaurants fraternelles, die associations pour la vie & bon marche, die société de l’humanite in Lille, von welchen Huber erzählt,! find Sache von Ar— beitervereinen. Wenn jett in Paris ähnliche Rieſen— füchenanftalten auch vereinzelt durch Privatthätigfeit ent- Itanden find, wie die Duval'ſchen Etablifjements, Die maisons de bouillon, jo find das doch mehr Ausnah- men. In Berlin ift erjt durch gemeinnüßige Thätigfeit in den Testen Jahren der Verein für Volfsfüchen ent- itanden, der durch den Betrieb im Großen im Stande it, für 1°/, Sgr. eine ganze für einen Fräftigen Mann ausreichende Portion Fompaftes in Bouillon gefochtes Gemüſe und Fleiſch zu verabreichen.? In Sachen? werden jchon 1849 56 eine Reihe von Volksküchen erwähnt; 1855 jogar 74 an der Zahl; 1856 find fie ichon wieder auf 44 gejunfen; die bloß als Wohlthätig- feitsinjtitute fungirenden find wieder eingeftellt. Engel lobt ihren Erfolg außerordentlich in rein wirtbichaftlicher, aber auch in hygieniſcher und moraliicher Beziehung ; er fügt Hinzu: gedachte Volfsfüchen find zum Theil eine Maßregel der Wohlthätigfeit und der Gejundheits- pflege, zum Theil der Sparjamfeit, am wenigſten aber wohl ein Gegenftand der Spekulation.

1) Huber, Neifebriefe, Hamburg 1854, I, 293.

2) Siehe den Bericht im Arbeiterfreund V, 1867. ©. 375 ff.

3) Zeitichrift des ſächſiſchen ftatiftifchen Bureaus 1857. ©. 55 57.

Die Volksküchen und Konfumvereine. 445

Mit vielen Fabriken und Etabliffements find folche Küchengejchäfte im Großen jet verbunden; wie auch Holz >, Mehl-, Kartoffellieferungen im Großen und zu Engros- preifen vielfach von edel- und humandenkenden Fabrik— herren und großen Grundbefigern übernommen werben. Typiſch befannt hierfür ift ja Die cite ouvriere in Mühlhauſen mit ihrem Wafchhaus, ihrem Badehaus, mit der großen Büderei, dem Schlachthaus, Koſthaus und Materialwaarendepot. Aehnliches Aufjehen haben neuer: dings die Einrichtungen von Staub in Kuchen im König: reih Württemberg gemacht. Es ijt überall daſſelbe Prinzip des Betriebes im Großen, das durch die Privat: ipefulation nicht zur Geltung fommend, für den Konſum der fleinen Leute thätig gemacht werden joll.

Am beften freilich wird der Arbeiter dem Lotter- fredit, der Abhängigkeit vom kleinen Detaillavden ent- riffen durch den Konjumverein, der ihm alle Vortheile des Bezugs der Waaren im Großen bietet, theilweile auch Die Vortheile der Produktion im Großen. In England wenigjtens find die Konſumvereine längſt ver- bunden mit großen Afloztationsmühlen, großen Bäcke— reien, theilweie auch eigenen Schlächtereien. Auch in Deutichland haben fich die Konjumvereine jet raſch entwidelt. Im Jahre 1868 zählt der Schulte’iche Be— richt deren jchon 555. Die meiten find bis jet nur Kauf- und Verkaufsgeſchäfte. Aber jchon find auch ein- zelne zur ſelbſtändigen Produktion im Großen über- gegangen. In Berlin haben die dortigen Konſumvereine eine gemeinjame große Brodbäderei gegründet, in Saar- brüden, in Chemnig exiftirt eine Affoziationsbäderei ;

KAG Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

der Züricher Konſumverein bat eine große fünf Defen umfafjende Bäderei, die 1863 über eine Million Pfund Brod abjekte. !

Man wird fich über dieſe Beftrebungen auf der einen Seite nur freuen dürfen. Sie liefern dem Ar- beiter billigere und bejjere Waaren, fie verdrängen einen forrupten betrügerifchen Kleinhandel. Aber auf der andern Seite zeigen fie wieder, Daß das Gebiet, Das den Heinen Gejchäften bleibt, theilweife durch ihre eigenen Schuld fich einengt, daß der große Betrieb jelbit da, wo foziale Verhältniffe und das lokale Bedürfniß ihm entgegenjtehen, vordringt, daß, wenn die großen Unter: nehmer und das große Kapital ihm nicht einführen, die Humanität und die Arbeiter jelbjt ihn einführen müffen, weil er technijch zu große Vortheile bietet, weil ſoweit e8 ſich um den Kleinverfauf im Detail handelt, eme übermäßige VBertheuerung durch die Eleinen Geſchäfte leicht eintritt, zu leicht unreelle Gejchäftswerhältnifie den Konjumenten benachtbeiligen.

1) Pfeiffer, die Konfumvereine. Stuttgart 1865. ©. 38.

4. Die Baumwoll- und Reinenipinnerei.

Die Bedeutung der Befleidungsgewerbe überhaupt. Der allge- meine Umſchwung in ihnen. Die Handipinnerei und die Geichichte ver Spinnmaſchine. Die deutihe Baummwollfpinnerei des vorigen Jahrhunderts. Die Heinen deutſchen Majchinen- jpinnereien bi8 1840. Die großen Spinnereien der Neuzeit. Die deutſche profeffionsmäßige Flachsfpinnerei des vorigen Jahrhunderts. Die Anfänge der großbritanniihen Majchinen- jpinnerei. Die Abſatzſtockung des deutfchen Handgarns. Die Verſchlechterung der Produktion. Die Noth der Spinner, die Beränderung der gefchäftlihen Organifation. Die Zuftände 1820 40; die finfenden Garnpreije; Die Verſuche ver Hand- jpinnerei wieder aufzuhelfen. Die Abnahme der profejfions- mäßigen Spinnerei von 1849 61. Die nur zu Tangjame Entwidelung der deutſchen Maſchinenſpinnerei. Die Yage der Handjpinnerei von 1860 bis zur Gegenwart. Die Entftehung der bejondern Flachsbereitungsanftalten und ihr Umfang.

Den Nahrungsgewerben am nächjten an Bedeutung jtehen die Bekleidungsgewerbe, ja fie überragen fie, jofern man an die gewerbliche Thätigfeit im engern Sinne denft. Die Ausgaben einer Familie für die Kleidung betragen nach den oben jchon erwähnten Be— rechnungen von Ducpetiaur, Ye Play und Engel 14 bis 20%, je nach der höhern oder geringern Stellung der DBetreffenden, alſo zufammen mit ven Ausgaben für

AN Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Nahrung 64 90 %, des Gejammteinfommens. Nur eine Ausgabe fommt der für Kleidung noch nahe, die für Wohnung mit durchichnittlid 5 —18 %, der Ge: jammtausgaben, je nach Stand und Einfommen. Die Zahl der Perionen, welche fich ausjchließlich mit ber Herjtellung von Bekleidungsſtücken irgend welcher Art abgeben, umfaßte (1849) in Sachjen nach Engel! 30,,,% der ſämmtlichen Selbjtthätigen, während auf die geſamm— ten Nahrungsgewerbe incl. Yandwirtbichaft 45,,,/ auf die Gewerbe, welche fich mit Herftellung der Wohnung im weitern Sinne abgeben 12,5; %,, auf alle andern ZThätigfeiten zufammen nur 12,5% fielen. Sprechenver läßt fich die Bedeutung der Bekleidungsgewerbe nicht hervorheben.

Im Gegenfag zu den Nahrungsgewerben haben die Befleivungsgewerbe viel weniger das Bedürfniß, in der Nähe der Konjumenten zu jein. Cine ganz andere Wirkung mußten die modernen Berfehrserleichterungen und die moderne Technik da haben.

Das Yeder an unjeren Schuhen iſt aus der Haut eines jüdamerifantichen Büffels gejchnitten, die Wolle unjere8 Zuchrodes fommt aus Auftralien, der Rohſtoff unjerer jeidenen Wefte jtammt aus China oder Indien, aus Italien oder Südfrankreich, die Baumwollfaſer unjeres Hemdes fommt aus Amerifa oder Aegypten. Trans— portabler noch als die Rohſtoffe find die werthvollen Halb- und Ganzfabrifate. Garne und Zwirne, Yeinwand und Kattun, Tuche und Teppiche gehen Durch Die ganze

1) Zeitichrift des ſächſ. ftatiftifchen Biüreaus 1857. ©. 173,

Der Charakter der Gemwebeinbuftrie. 449

Welt. Mehr als in irgend einer andern gewerb- lichen Branche Haben ſich Hier die Eigenthinnlichkeiten der modernen Produktion ausgebildet: eine weit gehende Anwendung von Kapital, Die höchſte Ausbildung des Maſchinenweſens, die möglichite Erjegung aller menſch— lichen Kräfte durch Dampffraft, die möglichite Spesialifi- rumg der Induftrie nach Städten und Gegenden, vie nach einzelnen Geſchäften, alles gefteigert durch die leben— digite Konkurrenz und durch die Ausbildung der weit- gehenditen Handelsbeziehungen. Es ijt befannt, daß gerade in das Gebiet der Gewebeinduftrie die größten Fortſchritte, die ſchönſten praftiichen Anwendungen der Naturwiſſenſchaften fallen. Auch das drängte vor Allen auf den Betrieb im großen gejchlojfenen Etabliffements.

Es ijt eine ungeheure volfswirtbichaftliche und joziale Umwälzung, die ich hier, freilich nur im ihren Hauptumriffen und nur joweit fie Deutjchland und jpeziell Preußen berührt, zu jfizziven habe. Ich werde nachzuweiſen haben, im wie weit die häusliche Thätigfeit der Familie, die lokale Thätigfeit des Heinen Meijters zurücgetreten ift, im wie weit fie fich auch jpäter, auch beute noch erhalten. Es wird fich darum handeln zu zeigen, wo ber Uebergang mit harten volfswirthichaft- Yichen Krifen, mit dem Ruin ganzer Gegenden und voirthichaftlichen Stlafjen verbunden war, und wo er im Öegenjag hierzu nicht nur leichter fich vollzog, jondern theilweife neben Dem technijchen Fortſchritte won Anfang an zugleich eine joziale Beſſerung für die arbeitende Klaſſe, eine Bejeitigung ungejunder Ber- hältniſſe im jich ſchloß.

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 29

450 Die Umbildung einzelner Gemwerbszweige.

Wir haben zuerjt von der Herjtellung der Garne, von der Verſpinnung des Flachſes, der Baumwolle und der Wolle zu reden.

Das einfachite Werkeug zum Spinnen, Das man bis in Die neuere Zeit noch findet, ijt Kunfel und Spindel. Das 1530 erfundene Spinnrad war billig genug, um gleichfall$ einzubringen bis in die unterjten Klaſſen. Die Fürjtin wie Die Tagelöhnerfrau ſaß in jrüherer Zeit am Spinnrad oder arbeitete mit ver Spindel; auch Männer füllten ihre Zeit damit aus. Und noch heute iſt bejonder8 auf dem Lande die Sitte noch nicht verſchwunden. Das alte Mütterchen, wie die fränflichen Schweitern, die halberwachſenen Mädchen fönnen nur jo fich nüßlich machen; Abend— jtunden und Wintertage, welche ſonſt ganz verloren wären, werden nur jo mit emfiger Arbeit ausgefüllt.

Was jo als Nebenbeichäftigung geiponnen wurde, fonnte Da nicht reichen, wo eine blühende Weberei exi— jtirte, veichte aljo auch in Deutjichland, bejonders in Preußen und Sachjen, nicht mehr hin, als im vorigen Jahrhundert die Weberei zunahm, fich zu einem blühen- den Erportgewerbe emporjchwang. Um einen Weber voll zu bejchäftigen, braucht man das Gejpinnft won 10 und noch mehr Spinnern. Ich exzäblte oben jchon, wie man in Preußen das Spinnen zu fordern fuchte.! Man lieg die Soldaten ſpinnen; man führte in allen Strafanjtalten das Spinnen als Hauptbejchäftigung ein; es reichte nicht; man gründete ganze Spinnerfolonien ;

1) ©. 26 md ©. 299 30.

Die Handipinneret. 451

die Bevölkerung mancher ländlichen Diftrifte wuchs raſch unter dem Sporn der fteigenden Garnpreiſe. Der Unterhalt, den diefe Beichäftigung gab, mochte Teivlich jein, jo lange die Nachfrage entfernt Durch die fteigenve Produktion nicht befriedigt wurde; aber immer war c8 ſchon damals eine elende Thätigfeit. Sie erforderte weder Kunſt, noch Kraft, noch Kenntniſſe; der jchwäch- lichite Theil des Arbeiterjtandes floß ihr zu. Cine ganze Bevölkerung, Die fich ihr durch Generationen hin— durch ergab, mußte geiftig und körperlich herunter: fommen. „Es war immer wie Hoffmann jagt! „eine Vergeudung menjchlicher Kraft, weder hinreichend fruchtbar in wirtbichaftlicher Beziehung, noch wirdig genug im fittlicher.”

Auch in England hatte der Aufſchwung bejonders der Baumwollenweberei eine immer größere Nachfrage nach Sarnen, nach Handſpinnern erzeugt. John Wyatt? hatte jchon 1730 38 Berjuche gemacht, eine Spinn- maschine mit einer Reihe. von Spindeln zu fonftruiren. Im Jahre 1738 hatte John Katy die wichtigfte Ver— bejferung des Webjtuhls, Die Schnellſchütze, erfunden, Wo fie angewandt wurde, war die Doppelte und mehr:

1) 3.6. Hoffmann, Nachlaß Heiner Schriften S. 55 in der klaſſiſchen „‚Ueberfiht der Wirkungen ver Spinnmajchinen.”

2) Bergl. über die Gejchichte diefer Erfindungen den amt- lichen Bericht der Zollvereinsregierungen über die Imbuftrie- ausftelung von 1851, Berlin, Deder 1852, Bd. U, ©. 1 ff.‘ Ellijon, Handbuch der Baummollfultur, deutſch, Bremen 1860; Grothe, Geihichte der Baumwolle und Baumwollenmanufaktur in der deutſchen BVBierteljahrsfchrift 1864, Heft 2, ©. 77— 121.

29*

452 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

fache Produktion möglich, großer Garnmangel war un— ausbleiblich. Der weitere Fortſchritt in der Spinnmaſchine ſchließt ſich an den Namen von James Hargreaves, eines armen Webers, der im Jahre 1767 ſeine Spinn— maſchine erfand und nach ſeiner Tochter Jenny nannte. Schon im folgenden Jahre trat Arkwright mit ſeiner Spinnmaſchine hervor, die zum erſtenmale mit Pferde— oder Waſſerkraft in Bewegung geſetzt war. Bis 1785 mit einem ausſchließlichen Patente verſehen, baute er bereits viele Spinnereiapparate. Der Hauptaufſchwung der mechaniſchen Spinnerei datirt aber erſt von dem Er— löſchen ſeines Patents; Samuel Crompton hatte 1775 (oder 79) die Erfindungen Hargreaves' und Arkwright's kombinirt, die ſogenannte mulejenny konſtruirt. Die letzte Vollendung erreichte die Spinnmaſchine erſt 1825, in welchem Jahre Roberts zu Mancheſter den ſelbſtthätigen Muleſtuhl erfand. Erinnern wir uns daneben, daß James Watt 1769 85 die Dampfmaſchine, Cartwright 1787 den mechantijchen Straftwebituhl, daß 1793 Eli * Whitney in Connecticut den Saw-gine zur Trennung der Baumwolle von der Kapſel, d.h. die Majchine, welche die nothwendige Bedingung der Ausdehnung der Baum- wollfultur war, daß 1785 der Franzoſe Berthollet die Kunjtbleiche mit Chlor erfunden hatte, daß 1798 Mac Intoſh fie verbejjert in England einführte, jo haben ‚wir damit das merhvirdige Zujammentreffen außer: oroentlicher Männer und Erfindungen, die alle ineinander: greifend den ungeheuren Aufſchwung der Gemwebeinduftrie bedingten, den Webergang zur Großinduftrie won jelbit nach jich zogen. |

Die Spinnmafchine und ihre Folgen. 453

Der Umfchwung, der fich zuerjt in England und ipeziell in der Baumwollinduftrie vollzogen hatte, mußte jih nach und nach auch anderwärts geltend machen. England fonnte durch ihn bilfiger und bejjer produziren. Die Konkurrenz mit England wurde zur Eriftenzfrage für alfe Fontinentale Gewebeinduftrie. Es fragte fich, welche Stellung, welchen Umfang die einzelne Induftrie, zunächſt hier Die einzelne Art der Spinnerei hatte.

Baumwolle wurde im vorigen Jahrhundert in Deutichland noch wenig getragen. Der Stoff war jchon viel zu theuer; koſtete doch der Centner Hundert und mehr Thaler. Die am meiften getragenen Gewebearten, die Zite und Nankings, wurden eingeführt. Gegen Ende des Jahrhunderts Hatte die Baumwollweberei zwar wejentlich zugenommen; immer hatte man zu Lichtern und Lampendocht Baummwollgarn gebraucht; zu ven Stoffen, welche Die Zunft der Züchner webte, war es ebenfalls notwendig. Aber in der Hauptjache hatte es doch gereicht, die Baumwolle von Frauen und Kindern um Lohn verjpinnen zu laffen. Eine profejfionsmäßige Spinnerbevölferung gab es wenigſtens nicht in allzu- großem Umfange Als fi) daher 1738 79 die mechaniiche Baumwollipinneret in England entwicelte, als von 1783 an auch in Deutjchland die Mafchinen- ſpinnerei begann, verbrängte fie langjam die Beichäftigung einiger alten Frauen, aber fie traf nicht eine ganze Bevölkerungsklaſſe in ihrem Haupterwerbszweig. Und als vollends das Sinfen der Baumwollpreiſe und der Twiſte im 19. Jahrhundert eintrat, als der Gentner rohe Baumwolle, der 1817 noch 70 Thaler in Berlin

454 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

gefoftet hatte, bis auf 19 und 20 Thaler gegen 1829 bis 1832 ſank, als damit Die ungeheure Zunahme des Baumwollverbrauchs erfolgte, da dachte man längſt nicht mehr an die Möglichkeit einer Handjpinnerei der Baumwolle. Die Twiſtpreiſe jtanden jo, daß damals ſchon eine Spinnerin ſelbſt beim böchiten Fleiße noch 1 Sgr. mit den gröbjten Garnnummern, höchſtens einige Pfennige bei höhern Nummern hätte verdienen fönnen.t Und das Minimum des VBerbienjtes, mit dem fich damals eine Perjon begnügte, wäre Doch etwa 2 Sur. gewejen. Mean verarbeitete daher jchon damals nur Mafchinengarn.

Innerhalb der Mafchinenjpinnerei jelbjt aber trat der große Konkurrenzkampf zwilchen England und Deutjch- land, zwiſchen den großen Etabliſſements und jenen kleinen Spinnereien ein, welche dem Handwerke noch nahe ftanden. Den Hauptanjtoß erhielten die deutſchen Spinnereien durch die Kontinentaliperre. Am Rhein, an der Wupper, Nuhr, Erft und Sieg, in Sachen, Schlefien und Baiern entjtanden zahlreiche, meijt Eleine, aber bei den damaligen Preiſen jehr gewinnbringenve Geſchäfte.“ Nach 1815 trat unter dem Drud der eng- liichen Konkurrenz ein Stillftand ein, manche ver Eleinen Spinnereien gingen wieder ein. Das Schlimmite waren von da am Die Nücjchläge des ſchwankenden englijchen Marktes; nach Jahren jteigender Nachfrage und fteigen-

1) $. ©. Hoffmann a. a.O. ©. 4— 9. 2) Wiek, induftrielle Zuftände Sachſens, das Gefammtgebiet des ſächſ. Manufaktur= u. Fabrikweſens, Chemnit 1840, ©. 56.

Die deutihe Baummollipinnerei. 455

der Preiſe, welche wieder zahlreiche Anfangsgeichäfte hervorgerufen hatten, trat mit den Handelskriſen (jo von 1825 26) wieder eine längere Zeit des gedrückteſten Abſatzes ein, welche in England wie bei uns den Fleinen Geſchäften ein Ende machte. Die Zeit von 1826 32 war feine glänzende Bon 1833 —36 waren wieder jteigende Konjunkturen; Berichte aus dieſer Zeit jagen: wenn ein Bauer oder Müller fich zu wohl fühlte, baute er eine Spinnerei. Nach den Handelskrifen von 1836 und . 39 traten wieder Die Rückſchläge und mit ihnen wieder die zahlreichen Bankerotte der Heinen Spinner ein. So 309 ſich unter wechſelnden Verhältniſſen die deutſche Baumwollſpinnerei hin, mehr und mehr auch auf ganz große Etabliſſements ſich beſchränkend, was ja in dieſer Geſchäftsbranche mehr als irgendwo angezeigt iſt, da nicht leicht in einem Zweige ſo ſehr wie hier das größere Geſchäft immer billiger zu arbeiten erlaubt. Wenn die deutſche Baumwollſpinnerei in den letzten 20 Jahren endlich in Folge der ſteigenden Kapitalanſammlung und der Ausbildung unſerer Maſchinenfabriken zu vollſtändiger Ebenbürtigkeit mit den engliſchen Spinnereien herange— wachſen iſt, ſo hat darunter nicht das eigentliche Handwerk, ſondern nur ein Theil der Heinen Fabrikanten gelitten; ! der Haupterfolg aber war die wenigſtens theilweife Ver— prängung der englifchen Twiſte vom deutſchen Markte. 1) Bergl. oben die Zahlen über den Umfang der preuf. Spinnereien S. 162 63; ſonſt: Mährlen, die Darftellung und Berarbeitung der Gejpinnfte, Stuttgart 1861, ©. 102 ff. Zollvereinsländiicher Ausftellungsberiht von 1851. Bd. II, ©. 10 ff. Oeſtr. Ausftellungsbericht von 1867, Bd. IV, ©.3 ff.

456 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Ganz anders Yagen die Dinge in der Flache: jpinneret. Leinwand war ſeit Jahrhunderten der Hauptitoff für Ober» und Unterffeiver, für Bett- und Tijchzeug aller Stände. Dieterici rechnet, T daß 1806 im ‘Durch- Ichnitt der ganzen preußifchen Bevölkerung jede einzelne Perjon jährlich Elle Wollgewebe, ?/, Ellen Baumwolf- jtoffe, aber 4 Elfen Leinwand verbraucht habe. Und zu dieſem Bedarf für den eigenen Verbrauch Fam der Export. Seit alter Zeit hatte man aus Deutfchland viel Leinen exrportirt; im 18ten Jahrhundert hatte die Ausfuhr befonders jchlefiicher und wejtfäliicher Leinwand jih wieder außerordentlich gefteigert. Und mit der Ausfuhr der Yeinwand hatte fich auch die Ausfuhr von Leinengarn gehoben. Allein aus den preußiichen Staaten erreichte der Werth der jährlichen Ausfuhr gegen Ende des Jahrhunderts einen Betrag von etwa 3 Millionen Thaler. ?

In ganz Norbdeutjchland, beionder8 aber in Schlefien, in Osnabrüd, in Ravensberg, im Hannöver- chen und Braumnjchweigijchen hatte fich das Spinnen verbreitet.” Man ſpann in allen Familien des Mittel-

1) Der Bolkswohlftand im preuß. Staat, ©. 142 46.

2) Dieterici, daſelbſt ©. 24.

3) Vergl. Gülich IL, 318. Die Hauptquelle für Die Gefchichte der preuß. Leindwandinduftrie ift Schneer, über die Noth ber Leinenarbeiter in Schlefien, Berlin 1844. Bergl. auch Volz, Bei- träge zur Gejchichte der Leinwandfabrifation und bes Leinwand— handels in Württemberg von den Älteften bis auf die neueften Zeiten. Württembergiiche Jahrbücher 1854. Heft 1. ©. 148 184, Heft 2, ©. 1— 62.

Die deutiche Flachsſpinnerei vor 1800. 457

jtandes, man fpann in den Bauern- und ZTagelöhner- hütten; man baute den Flachs ſelbſt, bereitete ihn jelbit; der Verdienſt einer jpinnenden Perjon von etwa 2", Groſchen täglich war ein hübſcher Zuſatz zu dem Ein- fommen aus der bäuerlichen Stelle. Daneben waren aber auch zahlreiche Spinnerfolonien, wie ich vorhin Ihon erwähnte, entjtanden, welche fajt ausjchließlich vom Spinnen lebten; man hatte ihre Zunahme in jeder Weiſe begünftigt. Ihre Eriftenz war immer prefür gewejen; doch konnte eine Familie, zu 3 4 Köpfen gerechnet, Deren jeder täglich 2—2'/, Grojchen ver— diente, noch behaglich ausfommen, jo lange die Lebensmittelpreife niedrig waren, jo lange in thehren Jahren die Friedericianischen großen Getreivemagazine fich ihrer angenommen hatten. Mit dem außerordent— lichen Steigen aller Lebensmittelpreife gegen Ende des Sahrhunderts freilich wurde ihre Lage, troß Der noch) immer dauernden Zunahme der Spinnerei, ſchon viel weniger günftiger, kamen Notbzuftände jchon da und dort vor.! Die Spinner, welche den Flachs nicht jelbft bereite: ten, fauften denfelben von den Detailhändlern, wie fie in den Spinnerbörfern vorhanden waren. Das fertige Sarır wurde auf dem Garnmarkt oder an ven haufiren- ven Garnſammler verfauft. Die bloße Lohnjpinnerei war

1) Bergl. Jacobi, die Arbeitslöhne in Niederfchlefien, Zeit» fohrift d. ftat. Bür. VIII, S. 330, Anm. und Gemählde des gejell- Schaftlihen Zuftandes im Königreich Preußen bis 1806, Berlin 1808, I, 90; es werben dafelbft die Folgen ber Lebensmittel- vertheuerung für die Handwerker überhaupt bejchrieben.

458 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

‚jelten. Der Spinner war jelbftindiger Unternehmer, Eigen:

thümer des won ihm verarbeiteten Rohſtoffs. Strenge gehandhabte Vorſchriften über den Flachshandel, über die Garnmaße und Benennungen, über die Zahl der Süden, welche eine Strähne, ein Gebinde enthalten mußte, über getrennten Verkauf von Kette und Schuß— garn erhielten die Gejchäfte veell, jchafften den Produften Dertrauen int Ausland.

Wührend jo in Deutjchland die Spinnerei neben der Weberei fich entwicelt hatte, mußten andere Linder ihr Leinengarn für die Weberet aus dem Ausland beziehen. So beionders Irland, Das jchon damals eine nicht unbedeutende Leinenweberei batte. Irland alle bezog jährlich etwa 16 Millionen Pfund deutjches und holländiſches Leinengarn.“ Da mußte, nach der Erfin- dung der Baumwollſpinnmaſchine, der Gedanfe nahe liegen, diefe Mafchine auch fir die Slachsipinneret zu perivenden. Aber e8 stellten fich Diefem Verſuche die größten Schwierigkeiten entgegen. Der Flachs erträgt das gleichmäßige Ziehen der Maſchine wiel weniger als die Baumwolle, die Anfeuchtung Des ausgezogenen Flachſes durch Die Spinner wußte man lange nicht zu erjegen. Die Herjtellung der Majchinen war jehr Fojt- ſpielig; die erften mechanifchen Flachsſpinnereien arbeite: ten unvollkommen und theuer. Weder die feinen, noch die ganz groben Nummern fonnte man vorerit auf Der Machine ſpinnen.

1) Zollvereinsblatt, Jahrg. 1843, ©. 969 ff. Ueber vie deutſche Leineninduftrie und den deutſchen Leinwandhandel.

Die Flahsipinnerei 1800 1820. 49

Sp wire auch die Entwicelung ber engliſchen Maſchinenſpinnerei zunächft eine ſchr langſame geblieben, wenn nicht durch die napoleoniichen Kriege, ſpäter haupt— \üchlich durch Die Kontinentaljperre der Bezug der deutſchen Garne wie der deutichen Leinwand erjchwert worden wäre. Die Preije ftiegen; auch in den jpant- jchen Kolonien blieb die deutjche Leinwand aus; da warf ſich das englifche Kapital mit Macht auf die Flachs— jpinnerei. Prämien für Flachsbau, halbjährig fteigende Importzöffe ? auf fremdes Leinengarn, Rückzölle für aus— geführte Yeimvand kamen hinzu, jchnell und jicher die DBlüthe der englifchen Majchinenjpinnerei herbeizuführen.

Unterdejjen begann in Deutfchland vie Noth der Spinner, übertäubt vom Lärm des Krieges, erſt recht far fich zeigend, als 1815 ver Frieden wiederkehrte.

Theilweiſe zwar bob fich der Garnbedarf und die Garnausfuhr wieder etwas, aber nicht geitligend; Die Baumwolle verbrängte die Leinwand mehr umd mehr; der Abjat erhielt jich nur, wenn man dag Handgarn immer billiger lieferte. Die Vorurtheile gegen Das Majchinengarn ſchwanden überall nach und nach, nur in Deutſchland nicht. Jedenfalls zeigte das Maſch inen— garn einen Vortheil, den das Handgarn nie in dem Maße gehabt, jetzt vollends Durch ſchlechte Prodicktlornn verlor, eine reelle Gleichmäßigkeit des Geſpinnſtes.

Dieſer letztere Umſtand der abnehmenden Güte des deutſchen Handgarns wurde verhängnißvoll. Noch war

1) Ueber die Geſchichte der engl. Maſchinenſpinnerei vergl. den zollver. Ausſtellungsbericht von 1851, IT, 155.

460 Die Umbildung einzelner Gewerbszmweige.

der Export und der innere Bedarf ein jolcher, noch war innerhalb Deutjchlands der Uebergang zur Majchinen- Ipinneret jo ſchwierig, theuer und unbeliebt, daß ver Handipinnerei immer noch ein großes Feld geblieben wäre, wenn fie fich nicht jelbjt durch die Verjchlechterung des Produftes disfreditirt hätte.

Gerade als die Garnpreife zu finfen begannen, fing man in Schlefien an, das ſächſiſche Spumrad ein- zuführen, das mehr und jchneller, aber auch viel Ichlechter zu jpinnen erlaubte. ? Bei dem täglich finfen- den Lohn juchten fich Die Leute Durch eine immer ſchnellere und jchlechtere Produktion zu helfen. ine ftrenge poli- zeiliche Beauffichtigung der Produkte wäre Doppelt am Plate gemwejen und gerade jett fiel fie fat ganz weg. Man hatte in Preußen mit der freibeitlichen Gewerbe- gejeßgebung die Spinner- und Weberreglements nicht volljtändig aufgehoben, man batte aber aufgehört, fie jtreng durchzuführen. Mehr umd mehr jchlichen fich betrügeriiche DVerjchlechterungen ein, die deutſche Waare kam im Ausland in Berrufe Das Mafchinengarn gewann damals an Beliebtheit nur, weil man ficher war, ein gleichmäßiges bejtimmtes Produkt vor fich zu haben, während das Handgarn vie Publica fides, deren es früher genoß, verloren hatte. Im Jahre 1828

1) Die preußifche Regierung hatte zuerft 1810 eine unvolf- fonımene Spinnmajchine gekauft und dem Kaufmann Alberti im jchlefiichen Gebirge überlaffen; aber erft nach Jahren war fie leidlih in Gang gefommen. ©. Hoffmann, Ueberſicht ber Wir- fungen ber Spinnmafdinen a. a. O. ©. 149.

2) Schneer, Über die Noth der Leinenarbeiter ©. 11.

Die Verſchlechterung bes deutſchen Handgarns. 461

erflärten die britiſchen Kaufleute Das deutſche Garn, das früher ſo beliebt war, ſei aus dieſem Grunde faſt unverfäuflich. !

Mit der unreellen Behandlung des ganzen Gejchäfts und der fich jteigernden Noth gejtaltete fich auch die ganze bisherige Organijation des Gejchäfts zur Geißel für die Spinner. Sie hatten früher durch den Selbit- bau oder Baarkauf des Flachſes und den Verkauf des Garnes eine gewijje Selbjtändigfeit behauptet. Mit der Noth wurde das anders. Für den GSelbjtbau des Flachſes fehlten die Mittel; e8 wurde den Leuten immer jchwerer ein Stüdchen Yand zu pachten; fie mußten ben Flachs vom Flachshändler nehmen. Dieſer machte ohne: dieß jchlechte Geſchäfte durch die finfenden Konjunkturen, juchte fich Dadurch zu helfen, daß er immer jchlechtern und billigern Flachs faufte, den die von ihm abhängigen, an ihn ſchon verſchuldeten Spinner doch zu den alten Preifen nehmen mußten. Der Verfall ver Flache: bereitung hängt hiermit zuſammen.

Gegenüber dem Garnhändler war der Spinner nicht im befjerer Lage; konnte er gar feinen Flachs mehr faufen, jo mußte er frob jein, dem Garnhändler welchen um Lohn zu verſpinnen; Hatte er noch eigenes Garn zu verkaufen, jo war er doch beim Handel immer der, den die Noth drängte zu verfaufen, der fich jeden Preis gefallen lafjen mußte. Vom Händler und Faktor oft mals gewijjenlos gedrückt, hielt er fich nun jeinerjeits zu jedem Betrug berechtigt. Es entjtand ein Syſtem

1) Güfi II, 467.

462 Die Umbildung einzelner Gemwerbözweige.

der Geichäftsorganifation, das nach allen Seiten ver- giftet und verdorben, die wirtbichaftliche Noth nur noch jteigerte, die Bevölkerung ganzer Dörfer und Gegenden moraliih jo tief berabvrüdte, daß von da an Das Syſtem einer in den Hütten der Heinen Leute zerjtreuten Hausinduftrie in manchen Kreiſen für identiſch galt mit der Zulaffung won Betrug und Diebjtahl aller Art.

Man könnte glauben, die billigen Yebensmittel Der zwanziger Jahre hätten Die Eriftenz der Spinner erleich- tert; aber in Wahrheit war diefe Billigfeit für fie cher verhängnißvoll. Site liegen fich leichter die finfenden Löhne gefallen, und als von 1828 an die Preife wieder jtiegen, da war die Yage um jo jcehlimmer. Der Ber: dienjt eines wejtfüliichen Spinners betrug 1828 jelten mehr als 2 Grojchen täglich." Und daneben trieb die Yandbaufrifis viele Heine Bauern, welche früher nicht geiponnen Hatten, zu dieſem Nebenerwerb. Es war ein zunehmendes Angebot bei jinfender Nachfrage und über- dieß lieferten Die Bauern oft noch ſchlechteres Garn, als die profejfionsmäßigen Spinner.

Da die Garne der deutſchen Länder, wo die jtrengjte Leggeordnung jtets aufrecht erhalten worden war, wie z. B. die Hannover'ſchen, entſchieden beffer blieben, ihren Ruf im Ausland behaupteten, jo juchte auch Die preußtiche Regierung den täglich finfenden Auf des preußiſchen bejonvers - jchlejiichen Handgarns durch theilweife Wiederheritellung der Neglements noch zu retten, dem unreellen Sejchäftsbetrieb entgegen zu arbei-

1) Gülich II, 489,

Die zunehmende Noth der Handjpinner. 463

ten. Bejonders für Schlefien und die Orafichaft Glatz wurde die Verordnung vom 2. Juni 1827, betreffend die polizeilichen Berhältniffe des Yeinengewerbes, erlaſſen, welche wieder einigermaßen Ordnung jchaffen ſollte. Aber fie genügte nicht. Daß fie nicht wagte mit der nothivendigen Schärfe und Strenge gegen Die armen Yente Durchzugreifen, war begreiflich, aber e8 wäre noch das einzige Hülfsmittel Damals gewejen. Der Provinzial: landtag hatte jchon 1825 es ausgeiprochen und bewielen, dar nur eine jehärfere polizeiliche Regelung des Flachs— handels die Geſchäfte wieder auf reelle Baſis zurüd- führen fünne. ?

Wenn man übrigens die Preije betrachtet, ſieht man, daß alles auf die Dauer nicht helfen fonnte, der Handarbeit ihr immer ſchon fürgliches Verdienſt zu erhalten. Hoffmann berechnet, daß ver Flachs für das Schock Garn von 60 Stüden rein gehechelt, das Verdienſt des Händlers eingerechnet, auf durchſchnittlich etwa 18 Thaler zu jtehen kam. Der Preis des Sarnes? war nun:

für bejtes für geringes 185 . .. . 838 Thlr. 31 Thlr. 1193 ...M8 > 34 = 1303... 4 + 35 = 1813 . . . 392 »s 30 = 1823... 25 2 21— 1833 ...3 » 18 1843 ...9% »s =

1) Rönne, Gewerbepolizei I, 451 ff.

2) Schneer, ©. 155 ff., befonders S. 157,

3) Vergl. auch die Preistabelle in dem zolfvereinsländ, Ausftellungsberiht für 1851. U, ©. 157.

464 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Darnach blieb dem Spinner früher an dem Schod ein Verdienſt von 28— 32 Thlr., 1833 noch von 5 Thlr. bei dem bejjern Garn, während das jchlechtere, das Einfchußgarn, bei dem auch viel früher die Ma- ſchine konkurrirte, kaum mehr einen Verdienft gab. So fam es, „daß zu Anfang der wierziger Jahre eine ganze Spinnerfamilie, Mann, Frau und Kinder, bei allem Fleiße, wenn fie fait Tag und Nacht am Spinnrade jaßen, nicht über 2 Groſchen täglichen Verdienftes hatte.”

Schon waren damals die Bemühungen für Ver— bejjerung der Flachsbereitung im Gang. Gut einge: richtete Staatsflachganftalten, wie in Belgien, wurden vorgeichlagen und eingerichtet, mn den Spinner aus der Hand des Flachshändlers zu befreien; in ähnlicher Weife jorgte man für direkten Abjag des Garns, um den wucheriichen Drud des Sarnjanımlers won ihm zu neh— men. Durch zahlreiche Spinnjchulen juchte man auf eine beſſere Produktion Hinzuarbeiten. In Weitfalen erijtirten 1845 - 75 derartige Schulen, ! in Schlejien wurden ebenfall® zahlreiche errichtet. Das waren Linderungsmittel der Noth; in der Hauptjache konnten jie nicht Helfen, um jo weniger, als die mechanijche Flachsſpinnerei fich nunmehr in England großartig ent- widelt hatte, im Stande war, größere Mengen guten Majchinengarns auch nach dem Zollverein zu liefern. Die Flachsſpindel in der Fabrik hatte jchon 1818 etwa 120 mal jo viel geliefert, als ein Handſpinnrad; in

2) Zollvereinsblatt, Jahrg. 1845. ©. 605. (aus der Enquöte, welche das Berliner Handelsamt anftellte). Gülich IV. 447,

Die Krifis der deutjchen Handſpinnerei. 465

den vierziger Jahren nahm man an, daß ein Arbeiter mit Hilfe der Spinnmajchine 500 mal jo viel Tiefern fönne, als ein Handipinner. Auch das konnte nicht ohne Wirkung bleiben, daß fich heraus ftellte, der Weber könne mit Mafchinengarn täglich , mehr zu Stande bringen. !

Die größte Noth der Spinner fällt in Die vwierziger Sahre. Zaufjende find dem Hungertyphus erlegen. “Die Vebelftände waren da am größten, wo das Spinnen ausjchließliche Beichäftigung der Leute, ja ausjchließlicher Erwerb ganzer Dörfer war, welche, erjt im 18. Jahr— hundert gegründet, oft faum einigen Grundbeſitz hatten. Am meisten war dieß in Schlefien und der Yaufi der Tall, weniger in Weftfalen. Schwer entjchloß fich Die ichwächliche, Durch Generationen herabgefommene Spinner- bevölferung zu anderer Thätigfeit überzugehen. Es gab auch damals noch nicht jo viele Aushülfswege, noch nicht jo viele neu aufblühende Industrien, die Arbeiter juchten. Der Lohn war allerwärts noch gedrückt, erjt gegen 1850 fangen die Eiſenbahnbauten an, ihn zu heben.

Die preußifchen Gemwerbetabellen verzeichnen erjt von 1849 an die noch mit Handipinnerei von Yeinengarn bejchäftigten Perſonen. Ihre Zahl betrug:

für eigne

Rechnung Gehülfen zuſammen . arbeitende

1849 . . .„ 57981 26 305 84 286 1852 . . . 56308 22417 18 725 1855 . . . 52787 22912 75 699 1858 . . . 36818 17 236 54 054 1861 . . .- 5 906 8651 14 557

1) Degenkolb, Arbeitsverhältnifie, ©. 35 und 69, Schmoller, Geh. d. Kleingewerbe. 30

466 Die Umbilbung einzelner Gewerbszweige.

Die lapidvare Sprache dieſer Zahlen ijt deutlich und entjeglich, wenn man das Elend bevenft, das zwiſchen ven Zeilen liegt. Der Sprung von 1858 61 ijt der größte. Selbſt wenn man annehmen wollte, daß er im Folge von Fehlern der Aufnahme größer jet, als vie Beränderung in Wirklichkeit war, das letzte Reſultat bleibt daſſelbe. Die Handjpinnerei als jelbjtändige Be— Ihäftigung hat beinahe überall jeit den legten Jahren aufgehört. Ueber 6 Pfernige täglich läßt ſich kaum mehr damit verdienen." Soweit die Spinner nicht, förperlich und geiltig zu tief gejunfen, dem Elend nach und nad) erlegen find, baben fie in Feld- und Wald- arbeit, bei Straßen- und Eifenbahnbauten eine gefündere und beſſer bezahlte Beichäftigung gefunden.

Die Majchinenjpinnereien, welche das profeſſions— mäßige Handipinnen zur Unmöglichkeit gemacht, waren in der Hauptjache Feine zollvereinsländifchen, ſondern fremde, bejonders englijche. Für die Handipinner aber lag darin feine Erleichterung, daß die deutſche Majchinen- ſpinnerei fich jo langſam entwidelte.? Und daneben hatte dieſe langſame Entwidelung große Nachtheile für die Weberei; der verjpätete Uebergang zum Mafchinen- garn war die Haupturjache, welche ihren alten Ablat vernichtete.

Freilich war der Uebergang in Deutjchland ſchwie— rig; e8 fehlte das große Kapital, es fehlten die Ma- ichinenfabrifen; vor Allem mußte e8 im einem Lande,

1) Jacobi, Arbeitslöhne in Niederſchleſien, a.a. DO. S. 328. 2) Gülich IV, ©. 442 ff.

Die Flachsmaſchinenſpinnereien. 467

welches das Handgeſpinnſt jo billig und jo über den Be— darf lieferte, jchwer halten, zur Maſchinenſpinnerei über: zugehen. Die jchutzölneriiche Partei verlangte längjt einen Schußzoll zu Gunſten dev Majchinenfpinnerei, fie erinnerte an England und die englischen Schußzölle für diefe Branche, fie pochte darauf, daß Belgien, in ähn— licher Lage wie der Zollverein, ſich durch Einführung von Schutzzöllen jeit 1838 außerordentlich raſch eine bedeutende Majchinenjpinnerei gejchaffen ? und dadurch jeiner ganzen Leinenmanufaktur wieder aufgeholfen habe.

Man zögerte aus Nücficht auf die Spinner, man wollte den Webern das Garn nicht vertheuern, man entſchloß fich mit Necht nicht jo leicht zu Erhöhung und Einführung von Schutzöllen, obwohl ein Schußzoll hier vielleicht eher amı Plate war, als für manche andere Gewerbe.

Der Export des deutichen Garnes hörte mehr und mehr auf; das fremde Majchinengarn wurde immer nothiwendiger. Noch 1833 hatte die Mehrausfuhr an rohem Leinengarn 35 267 Zentner betragen; jchon 1840 belief jich die Mehreinfuhbr auf 10939,? 1842 46 jährlich auf 29 990 Zentner. Da entſchloß man fich 1847 doch zur Erhöhung des Zoll von 5 Sgr. auf 2 Thlr. pro Zentner. Doch blieb auch jet die Entwicelung der zollvereinsländijchen Majchinenjpinnerei eine jehr lang—

1) Bergl. Ausftelungsberit von 1851 II, 160. Hanie- mann, bie wirthſchaftlichen Berhältniffe des Zollvereins, Berlin 1863. ©. 44 (ſchutzzöllneriſch-tendenziös, aber ſehr gut in ſach— lihen und techniſchen Ausführungen).

2) Dieterici, Ueberfiht S. 412, zweite Fortſetzung ©. 521.

30 *

468 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

ame. Im Jahre 1843 hatten 20 Spinnereien eriftirt, im Sabre 1861 betrug ihre Zahl erſt 38, von welchen 21 auf die ältern preußifchen Provinzen famen. Die Zahl der Teinipindeln ift in diefer Zeit im Zollverein von 36 000 auf 136492 gejtiegen; auch 1865 zählte man erſt 219000 Spindeln. Die Mehreinfuhr an rohem Leinengarn war durchichnittlich 1860 64 noch 90 667 Zentner. Deftreich zählte 1865 - 340000, Frankreich 600000, Großbritannien 1.781000 Spindeln, fie find alſo dem Zollverein weit woraus.

Ganz Hat die Handipinnerei noch nicht aufgehört und wird nicht fo leicht aufhören, da einzelne Garn— jorten nur mit der Hand zu jpinnen find. Aber es wird nur noch als Nebenbeichäftigung auf dem Lande geiponnen, und auch das jchränkt fich von Jahr zu Sahr ein. Immer weniger findet dieſes Garn Anwendung

1) Viebahn III, 893. Die Zunahme der Mafchinen- jpinnerei hat in Deutjchland mehr noch als in England eine Schwierigfeit: die Konftruftion von Flachsmaſchinen ift jo viel jeltener, als die von Baumwollmaſchinen, daß fich ſchwerer Etabliffements bilden, die ausſchließlich fich hiermit abgeben; nur in Irland und in Norkihire gibt e8 einige wenige Firmen; in Belgien eriftirt ein einziges Haus von Bedeutung in Gent. In Deutichland baut Hartmann in Chemnit, „ver überhaupt Alles macht,“ auch Flachsmaſchinen. Einige ſüd— deutſche und ſchweizer Mafchinenfabrifen haben fich darauf gelegt, 8 aber wieder aufgegeben, weil ſich die Unmöglichkeit heraus- ftellte, ftet8 genug Arbeit in dem Face zu finden. Selbft die paar englijchen großen Fabriken fangen an, neben ben Flachs- maſchinen fih auf Werkzeugmafchinen zu werfen, um bei ein- tretender Ebbe nicht ganz feiern zu müſſen. Deftreih. Aus- ftelungsberiht Bd. I, ©. 517— 18.

Die neuefte Lage der Handfpinnerei. 469

für die gewöhnlichen Gewebe, welche in den Welthandel fommen; aus Bielefeld, aus dem Ravensberg'ſchen, aus Schlefien erzählen die Hanvelsfammerberichte Jahr für Jahr, daß die Produktion aus Handgeipinnft abnehme. Der Herforder Verein für Leinen aus reinem Hand— geſpinnſt ift der Auflöfung nahe, fehreibt der Bericht für 1864.1 Einzelne Theile unſeres Bezirks, jchreibt verjelbe Bielefelder Berichterjtatter 1865,? halten vor- erjt no am Handgeſpinnſt feit, aber ohne dabei zu projperiven. Im abgelegenern Gegenden hält fie fich eher noch. So famen 3. B. 1867 in den hannöverjchen Yeggebezirfen von den geleggten Yinnen

auf auf Handgarne Maſchinengarne im Leggebezirt Abelebfen. . . 100 °% —_ 9%, . Münden. . .„. 9700 Door * - Einbed . » . 94, * Dar * Uelä 92,06 * Ins a » Gladebeck . . 91,3 8,07 Markoldendorf. 72,35 * Göttingen . . 13a * 86 45 :

Aber auf den Leggen, auf welchen die Handgarne noch bedeutend überwiegen, find die abjoluten Sum: men des jührlich probuzirten Yeinens jehr geringe und nehmen immer mehr ab. ‘Der Bericht für die Stabt Hannover jchreibt in demjelben Jahre: „Die Darftellung von Hanbgeipinnft findet zwar immer noch jtatt, läßt jedoch bebeutend nach. Mit der Spinnerei genau

1) Preußifche Handelsfammerberichte pro 1864. ©. 152. 2) A. a.O. pro 1865, S. 144; zu vergl. pro 1866, ©. 209. 3) U. a. O. pro 1867, ©. 668.

470 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

bekannte Perſonen halten es im Intereſſe des Hand— geſpinnſt liefernden Publikums, wie des Handels für wünſchenswerth, daß die Handſpinnerei ganz aufhöre. Die Anſicht, daß Leinen von Handgeſpinnſt beſſer ſei, als das aus Maſchinengarn, hat mehr dazu beigetragen, die deutſchen Leinen zu verdrängen, als Englands mer— kantiliſche Lage. Das Rohmaterial wird ebenſo theuer bezahlt, wie das Handgeſpinnſt. So erzielten z. B. im letzten Winter Handgeſpinnſte von etwa 7 Pfund 1 Thlr. 15 Gr. für das Bund, und find zu berjelben Zeit 7 Pfund Flachs mit 1 Thlr. 12 Gr. bis 1 Thlr. 15 ©r. bezahlt.”

Daß ſelbſt der Bauer und Tagelöhner in Gegen- den, wo das Spinnen bisher üblich) war, es nunmehr aufgibt und feinen Flachs verkauft, hängt mit der Um: bildung der Flachsbereitung zu eigenen jelbjtändigen Geſchäften zufammen. Das alte Röjten, Brechen und Schwingen des Flachſes durch den Bauern felbjt lieferte ein zu jchlechtes Produkt. „Seit den 40er Jahren haben die Schenf’iche Warmwaſſerröſte, die Watt’jche Dampfröjte, die Brech- und Schwingemajchinen von Lee, Durand, Yowder, Chriftian, Kuthe, Büclers, Kaſelowsky, Sriedländer die weitere fabrifmäßige Zubereitung des Flachſes angebahnt, welche zu ihrer Ausführung mecha- nijche Kraft und Fabrifationsräume erfordert. Die Regierungen, wie patriotifchen Vereine juchten jolche An— ſtalten ing Yeben zu rufen, um dem Flachsbau in Deutjch- land jeine alte Bedeutung wieder zu geben, die große Mehreinfuhr von Flachs überflüjfig zu machen. Theil— weile verbanden fich jolche Anjtalten mit den großen

Die Flachsbereitungsanfalten. 471

Majchinenjpinnereien, theilweije traten fie jelbjtändig auf; zuerjt mehr in Eleinern Umfang und mehr um Lohn den Flachs für Die Eigenthümer zubereitend, die ihn dann felbjt verjpannen oder verfauften; ſpäter mehr als große Fabrifgejchäfte, die nicht um Lohn arbeiten, jon- dern den rohen Flachs einfaufen, den geichwungenen fertigen Flachs verkaufen. Die Gemwerbetabellen für 1861 zählen zum erjtenmale jolche Anjtalten und zwar in Schlefien jolche mit über 30 Arbeitern auf eine An- ftalt, ähnlich große in Polen, im Königreich Sachien, in Braunfchweig; dagegen find es in Wejtfalen uno Süddeutſchland mehr handwerksmäßige Gejchäfte; den die Zahl der Gefchäfte fteht ver Zahl der Arbeiter jo ziemlich gleich. Es handelt ſich theilweiſe um Mafchinen, welche durch einen Pferdegöpel in Betrieb gejett werben, um Majchinen, deren Preis einige hundert Thaler nicht üiberichreitet, fo daß die kleinen Gejchäfte auch wohl beſtehen und projperiven Fönnen. !

1) Oeſtreich. Ausftellungsberiht Bd. II, S. 520 ift 5.8. eine ausgezeichnete Brech⸗ und Schwingemafchine von Victor Rad in Erbmannsborf erwähnt, welche 200 Thlr. Loftet.

5. Die Wolljpinnerei, die Zwirn:, Strid-, Stick⸗ und Nähgarnfabriten, die Garnbleiche und -Fürberei und die Seilerei.

Dex Berbrauh an Wolle und die Technik der Wollipinnerei- Die Handjpinnerei und Kämmereiin früherer Zeit. Die frühe CS ntwidelung der kleinen beutjchen Streichgarnfpinnereien. Die theilmeife Erhaltung der Handipinnerei. Der Kampf ber großen und ber kleinen Streihgarnfpinnereien; bie Statiftif Derſelben 1837 61. Die Lage der Streihgarnipinnereien feit 1861.- Die Kammgarnfpimmerei. Die Handlämmerei als Zohnarbeit, die Maſchineukämmerei erſt feit neuefter Zeit. Der geringe Umfang der deutichen Kammgarninduftrie; das Aufhören der deutichen Handlämmerei. Die Zwirn-, Strid-, Stil» und Nähgarnfabrifen. Die Garnbleihen. Die Färberei; die Abnahme der handwerksmäßigen Gejchäfte, die Bildung großer fabritmäßiger Geſchäfte. Die Seilerei und die Fabriken für Seilerwaaren.

Die Hanbipinnerei und Kämmerei von Schaftwolle bejchäftigte, al8 die neuen Spinnmajchinen entdeckt wurden, auch zahlreiche Perſonen; aber ihre Zahl und ihre Stellung war doch eine andere, als die der Yeinengarn- jpinner, und das geht auf Urfachen zurück, die bis in die neueſte Zeit auch die mechanijchen Wolljpinnereien beein- flußt haben, die ich daher zuerjt erwähnen will.

Der Berbrauh an Wollgarn. 473

Die Technif des Wollipinnens ift eine andere, weniger Arbeit erfordernde; der Verbrauch an Woll- waaren ift ein ſehr viel geringerer, als der von Baum— wolle und Yeinen.

Ueber den Berbrauch an Wollwaaren in früherer Zeit jagt Dieterici, indem er den Verbrauch pro Kopf der preußijchen Bevölkerung auf "/; Elle gegen 1800 an— ichlägt: „es ift notorijch, wie arm in Bezug auf tuchne Bekleidung das Landvolk, d. h. die Maſſe der Nation, vor 1806 gewejen. Der Zuchrod des Bauern mußte viele Jahre aushalten und oft erichienen Knechte und Tagelöhner im jtrengjten Winter bei dem Gutsheren und im Gerichtstermin im leinenen Kittel.‘

Die Tuche und andere Wollwaaren werden jett ja Teichter gemacht, aber immer kann man noch vechnen, daß fie die drei- und mehrfache Zeit von Baumwoll— ſtoffen aushalten, wodurch fich der jährliche Bedarf natür lich geringer ftellt. Der Wollverbrauch . wird jet im Deutjchland auf etwa 2, in England auf 5 Pfund ! pro Kopf berechnet, der Baumwollverbrauch in Deutjch- land auf 4, in England auf 30— 40 Pfund. Dieterici und Engel rechnen pro Kopf in Preußen einen jährlichen Berbrauch (mach freilich ganz ungeführen Schätungen) :

1) Für Frankreich berechnet Moreau de Jonnès, Sta- tistique de l’industrie de la France (Paris 1856) &.22 nur Yz Kilogr., alfo 1 Pfund pro Kopf und fügt bem bei: c'est une penurie extreme pour le temps nous vivons. On peut dire möme que c'est une calamit6 publique, car le pauvre est prive des vötements de leine qu’exige la rigueur du climat.

474 Die Umbilbung einzelner Gewerbszweige.

1849 1863 an Tuch- und Wollwaaren von 1 Ellen 2,10 Ellen an Leinwand . . 5 > 5 s an Baummollwaaren . . 16 = 13, *

Was die Technif betrifft, jo ift die Urjache ber geringern Arbeit die viel geringere Feinheit aller Woll- geſpinnſte. Das gröbite Baumwolßeug beginnt mit 70 Kettenfäden auf den Zoll, das grobe Tuch beginnt mit 27 Kettenfäden, das mittlere hat 40 60, nur das feinjte Tuch jteigt bi8 zu 70. Die durchichnittliche Arbeit bei der Baumwollſpinnerei ijt nach Hoffmann mindeſtens die 24 fache gegenüber ver Wollipinneret. Der Werth der Wolle wird jelbjt durch Die lettte Verarbeitung zu feinen Geweben durchichnittlich nur verdoppelt, der Werth des Flachſes verdreifacht, der Werth der Baumwolle fteigt auf das 10, 30 und mehrfache durch die Verarbeitung bis zu bejjern Geweben. Die Bortheile der Maſchine und des Großbetriebs find damit jelbjtverjtändlich für Die Wollinduftrie Hleinere. Spinnereien als felbftändige Ge- ichäfte waren und find auch dadurch für Wolle ſchwieriger zu etabliven, daß die Wolle pro Zentner 40 100 Thlr. fojtet, während die Baumwolle von ähnlichen Preifen zu Anfang des Jahrhunderts bis auf wenige Thaler herab- gejunfen ijt.

Aus diefen Gründen war auch die Wollipinnerei früherer Zeit, welche das Garn für die wollenen Gewebe, wie zum Striden und zu Strumpfiaaren mit der Hand

1) 3. ©. Hoffmann, Ueberficht ver Wirkungen der Spinn- maſchine a. a. D. ©. 127.

Die Wollfpinnerei in früherer Zeit. 475

und dem Spinnrad zu liefern hatte, niemals ein jo bedeutendes Gewerbe, wie die Flachsſpinnerei; fie war jelten ein felbftändiges Gewerbe wie jene.

Auch im Mittelalter bildeten nur in den größten und blühendften Städten der damaligen Tuchinduſtrie die Wollichläger, die Wollkämmer und die Wollipinner eigene Zünfte. Meift wurde das Schlagen der Wolle von den Tuchmachern jelbjt bejorgt; das Kämmen wurde beinahe durchaus von Frauen um Lohn betrieben und jelbjt das Spinnen war mehr Nebenbejchäftigung ber untern Rlafjen überhaupt, vielfach hielten fich die Weber eigene Knechte und Mägde zu dieſem Gejchäfte.! Das vorige Jahrhundert, deſſen Wollinduftrie die der früheren Zeit ja im Durchichnitt feinenfalls erreichte, fannte zwar neben ver Hausipinnerei profeijionsmäßige Spinner, aber nicht in zu großer Zahl; die armen Yeute in ben Städten der Wollinduftrie, in nächſter Nähe der Tuch— macher und Rafchmacher gaben fich damit ab. Sie bildeten nicht wie die Leinenfpiimer ganze Kolonien auf dem Lande. ? Sie waren nicht Unternehmer, wie jene; fie waren zum Cinfauf des Rohmaterials viel zu arnı. Die Wolle war zu theuer, der Wollhandel war jchon entwidelt, jelbit die Webermeilter waren theilmweile ja zu arm, Wolle jelbjt zu faufen. Das Bild, das uns aus den zahlreichen Reglements des vorigen Jahr:

1) (Hildebrand) zur Geſchichte der deutſchen Wollinbuftrie, in Hildebrand's Jahrbücher VII, ©. 90.

2) Zufti, Abhandlung von benen Manufaltur- und Fabrifenreglements zur Ergänzung feines Werkes von benen Manufalturen und Fabriken, Berlin und Leipzig 1762. ©. 48.

476 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

hunderts entgegen tritt, ift folgendes. Der Weber mit jeinen Gefellen und Jungen jortirte, jchlug und reinigte die Wolle, gab fie dann dem Spinner und Kämmer, der für ihn um Lohn arbeitete; dann erjt wurde geivebt, gewalkt, appretirt, und "wenn der Weber nicht Eigen- thümer des Rohſtoffes war, erhielt nun der Verleger das fertige Produkt gegen den Lohn zurüd.

Das erklärt es, daß die Stodung des Abjates von Wollwaaren zur Zeit der napoleonifchen Kriege und der Uebergang zu der Heinen Spinnmajchine, der fich Ihon zu Anfang des Jahrhunderts vollzog, nirgends als ein allgemeiner Nothitand, als der Ruin eines blühen- den Handwerfs empfunden wurde.

Für das fogenannte Streichgarn, d. h. für das Garn zu gewalften Waaren, Flanellen und einigen andern Stoffen, bedurfte e8 Damals nur jehr einfacher Maſchinen. Das Garn darf nicht jcharf gedreht jein, muß einen ziemlichen Durchmeſſer haben, um ven Ein- fluß des Walfens nicht zu widerſtehen. Maſchinen hierzu waren leicht zu bauen, leicht zu bezahlen. Wohlhabende Zuchmacher, deren e8, wie ich unten noch zeigen werde, bejonders in Preußen und Sachen damals ziemlich viele gab, erwarben jchnell und zahlreich folche Kleine Majchinen; auch Feine bandwerfsmäßige Lohnſpinne— reien entjtanden. „Schon vor 1800 bauten in Berlin die Mechaniker Hoppe und Tappert Mafchinen zum Schrobbeln, Streichen und Spinnen der Wolle, in welchen letztern dreißig Spindeln gleichzeitig gingen und welche man zur Produktion ordinärer. Garne mit Erfolg verwendete.“ Der engliihe. Majchinenbauer Cockerill

Die Heinen Streichgarnftühle und die Handfpinnerei. 477

brachte bald darauf feine jchon viel wollendetere Woll- ipinnmaschine nach Verviers, führte fie dann auch in Aachen ein, und feine Söhne errichteten jchon 1815 aus Veranlaſſung der preußtjchen Negierung eine hierzu eingerichtete Majchinenfabrif in - Berlin.

Neben diejen Heinen rajch fich verbreitenden Streich- garnipinnmajchinen erhielt ſich bis in die neuejte Zeit in abgelegenen Gegenden als Nebenbeichäftigung Die Handfpinnerei. Wo der Bauer fein eigenes Tuch fich noch webt, da fpinnt er auch die Wolle dazu. Mehr noch wird zu Strid- und Strumpfwaaren das Garn mit der Hand gejponnen. In Thüringen, Wejtfalen und Württemberg gibt e8 bis in die neuere Zeit noch Spinmerfamilien, Doch dringen auch auf dem Lande Die DMajchinenftridgarne täglich weiter vor. Die preußijche Statiftif verzeichnet die Wollfpinner zufammen mit den gewerbsmäßigen Wollftridern ; das erſchwert eine jichere Beurtheilung der Verhältniſſe nach den Zahlen; auch die Grenze zwifchen gewerblicher und Hausarbeit iſt natürlich ſchwankend. Man zählte in Preußen:

1849 . . 2826 Meifter mit 1970 Gehülfen 1852 . . 2721 « 3352 1861 . . 1684 . - 4283 .

Sp viel ſieht man aus den Zahlen, daß es fich um fein bedeutendes Gewerbe mehr handelt, auch nicht um ein plögliches Zurückgehen.

Wohl galt e8 noch einen Kampf zwijchen dem fleinen und dem großen Betrieb; aber die Loſung war bier nicht mehr: Handarbeit oder Maſchine, fondern: fleine oder große Majchine! Es Hatte ſich der Kampf

478 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

zu vollziehen zwiſchen den handwerksmäßigen Spinn- ftühlen von 30 40 Spindeln und den großen Etablijfe- ments. Es ijt der Kampf zwilchen den profeſſions— mäßigen Quchmachern und den Zuchfabrifen, auf ven ich weiter unten nochmals komme.

Es ijt befannt, wie raſch und Fräftig fich die große deutiche Zuchinduftrie jchon in den dreißiger und vier- ziger Jahren entwicelte; es ijt befannt, daß bei ihr eine Konzentration fich vollzog, weiter gehend jogar als in England. Damit war aber zugleich die Unbaltbar: feit der Fleinen Streichgarnipinnereien von 30 40 Spindeln gegeben.

Es jpricht fich Das deutlich und klar in der folgenden Ueberficht der preußiſchen Streichgarnipinnereien, welche erjt von 1837 an aufgenommen wurden, aus:

Auf eine ahl ber abl ber

—— 1837 . . . 3345 345 894 103, 1840 . . . 3561 380 839 106, 1843 . . . 3300 405 603 122, 1846 . . . 2184 419 523 192. 1849 . . . 1787 420415 235,8 1852 . . . 1689 509 758 301,s 18555 . . . 1374 543913 395,8 1868 . . . 1261 611809 485, 1861 1109 651145 587 ı-

Dis Anfang der vierziger Jahre deuten die Zahlen noch überwiegend auf Heine Geſchäfte; es find Spinne- reien in der Hand der Zuchmacher; diejelben hatten ein oder zwei Stühle mit je 40 Spindeln in ihrer eigenen Wohnung und bejorgten das Spinnen darauf jelbit mit

Die Krifis der Heinen Streihgarnfpinnereien. 479

Hülfe der Familienmitgliever und Hausgenofjen. Noch 1843 hatten von den 3300 Majchinen 2 894 zujammen 163 211 Spindeln, aljo eine 56; in Preußen, Pojen, und Bommern famen 1843 auf ein Gejchäft nur 45 Spindeln; e8 jcheint, jagt Hoffmann, daß es in dieſen Provinzen feines gab mit über 80 Spindeln. In der Mark Hatten die Tuchmacher noch fajt ausſchließlich eigene kleine Spinnereien; im Regierungsbezirk Frankfurt famen 150 Spindeln auf eine Spinnerei. Nur in Schlefien und am Rhein war e8 damals jchon wejentlich anders. In Schlefien hatten fich jchon damals größere Lohnipinnereien gebildet, welche für Die TZuchmacher wie für die Tuchfabrifanten arbeiteten. Im der Gegend von Aachen hatten die ZTuchfabrifanten meiſt jchon ihre eigenen größern Spinnereien; im Regierungsbezirk Aachen kamen damals jchon auf ein Geichäft etwa 1000 Spindeln.

In die Zeit von 1843 55 fällt die Hauptfrifis; es ijt die kritiſche Zeit für die kleinen Tuchmacher; ihr eigenes Garn, wie ihre eigene Walferei, Färberei und Appretur können nicht Schritt halten mit den Verbeſſe— rungen, und bamit verjchiwinden auch Die Kleinen Spinnereien nach einander. Bon 1855 61 ſetzt fich dieje Richtung fort, etwas weniger afut, weil diejenigen, welche am wenigiten fonfurriren fonnten, jchon gefallen find. Die Zahl der Gejchäfte finft von 1843 61 auf den dritten Theil herab, der Umfang der einzelnen Spinnereien jteigt auf das dreifache bis fechsfache. ‘Doch it der Verlauf der Krifis jehr verjchieden nach den Provinzen. In Preußen, Pojen, Pommern gibt eg

480 Die Umbildung einzelner Gewerbözweige.

1861 noch 84 Spinnereien mit durchſchnittlich 102 186 Spindeln; in der Provinz Sachſen hat ein Gejchäft 1861 durchichnittlich 288, in Brandenburg und Schle- fien 524, am Rhein 1246 Spindeln. Im den übrigen Theilen des Zollvereind find die Verhältniſſe ähnlich; Die Krifis fällt auch meift in Die vierziger Yahre. Die Umbilvdung zu größeren Gejchäften geſchieht in den beiden Yetten Jahrzehnten. Im Jahre 1861 zählte man im ganzen Zollverein 1797 Gtreichgarnipinnereien mit 1.117 870 Feinſpindeln, auf eine Spinnerei durch— fchnittlih 15 Perjonen und 629 Spindeln.

In der Zeit nad) 1861 hat fich noch Manches geändert; die Arbeitstheilung, die Spezialifirung, die Anwendung von weitern Majchinen hat zugenommen, aber mehr in andern Yändern, bejonders in England und Frankreich, ohne daß ich jagen ließe, daß die zollvereinsländiiche Industrie zurückgeblieben wäre. Es fommt wejentlih auf die einzelnen Spezialitäten au. Auch in England gab es noch 1850 neben den großen Streichgarnipinnereien viele mit nicht mehr als 100 Spindeln. ? Theilweiſe ift das dort jetst noch fo. Es fönnen fich auch Fleineve Geichäfte noch halten für ein- zelne Artifel, für gröbere Waaren, für den Lofalbedarf der mittleren und untern Klaſſen. Die ganze Tuch induftrie, bejonders die Produktion gröberer Tuche, wie fie der Zollverein Hauptjächlich Liefert, ſtellt bejchei-

1) Oeſtreich. Ausftellungsberiht Bb. IV, ©. 86. 2) Mährlen, die Darftellung und Verarbeitung der Ge- jpinnfte, ©. 187.

Die jebige Lage der Streichgarnfpintierei. 481

denere Anforderungen an die Spinnerei, hat etwas Stabileres, Einfacheres, als die Produftion der Mode >, der Phantafieartifel, der mouveautes und hautes nouveautes, wie fie vor allem die Franzoſen erzeugen, oder die Produftion der ganz feinen Modetücher, wie jie von Aachen aus Abjak auf allen Weltmärkten finden.

Je feiner die Artikel find, für welche das Garn bejtimmt iſt, deſto mehr werben alle die neuen fomplizirten Majchinen nothwendig, deſto mehr wächſt der Umfang der Spinnereien. Die Krämpel- ober Krazmajchinen, die Vorſpinn- und die Peinjpinn- majchinen fehlen in feiner großen Fabrik mehr. Dagegen find Selfactors noch jelten. Erſt jeit Anfang der jechsziger Jahre wurden biejelben auf die Streich- garnipinnerei angewandt. Erjt in neuerer Zeit gewinnen die Wollwaſch- und Zrodnungsmajchinen an Ausdeh— nung. Auf der parijer Ausftellung von 1867 machte eine Wollwajchmajchine aus Rouen großes Aufjehen, welche mit einer Frau und einem Arbeiter leijtet, was früher 28 Leute thaten, wodurch ſich der dortige Fabri- fant eime tägliche Erjparniß von 60 France berechnet.

Das läßt fich nicht leugnen, daß die neugegrün- deten Gejchäfte meift auf breitefter Grundlage beginnen; befonders in ganz neuen Branchen iſt das erfichtlich, z. B. in der Kunjtwollfabrifation, d. h. der Herftellung von neuem Garn aus alten Tuchreſten. Cine Reihe großer Aktiengejellichaften Hat fich auch in der Streich: garnipinnerei gebildet.

1) DOeftr. Ausftellungsberiht Bd. II, S. 536. Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 31

482 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Allerdings erfolgt damit wieder eine theilweiſe Trennung bisher in einheitlichen Etabliffements ver— bundener Gejchäfte. Das Wajchen und Reinigen der Wolle füngt an, ein felbjtändiger Induſtriezweig zu werden. Die neuen großen Spinnereien find nicht mebr jo häufig wie früher mit Zuchfabrifen verbunden, jondern beichränfen fich auf das Spinnen und Färben der Wolle um Lohn oder auf eigene Rechnung, was jreilich nur beweijt, daß in den bisher bejtehenven Stabliffements zu Berjchiedenartiges zujammengehäuft war, nicht daß wieder kleine Gejchäfte entftehen.

Im Ganzen aber ijt die Streichgarnfpinnerei Doch entfernt nicht jo fonzentrirt, wie die Baumwollipinnerei; jelbjt die größten Gejchäfte Haben nicht über einige taufend Feinfpindeln. Die lokale Verbreitung ift eine gleichmäßigere.

Weniger laßt fich Das von der andern Art ver Wollipinnerei, der Kammgarnipinnerei jagen.

Man bezeichnet die Kammgarne (worsted yarn) gewöhnlich dadurch, daß man hervorhebt, fie feien für die ungewalften Gewebe beitimmt; das ift injofern nicht ganz richtig, als es auch eine Reihe ungewalfter Gewebe aus Streichgarn gibt. Das Kammgarn tft das— jenige, welches für Thibets, Drleans, für Hoſen-, Weiten, Miöbeljtoffe, für gemijchte Gewebe beftimmt it; es wird meilt aus der langhaarigen Wolle des englijchen Landichafes, oder aus Alpafa- und Mohair- wolle gefertigt; nur ein fleiner Theil des Lüſtre—

1) Bergf. öftr. Ausſtellungsbericht Bd. IV, S. 14. Anm. 2.

Die Kammgarnipinnerei. 483

garns iſt aus Merinowolle.. Die Wolle wird nach der Wäjche zuerjt gekämmt, dann durchjchnittlich wiel feiner geiponnen als das Streichgarn und jtärfer gedreht. Die ganze Technik ijt komplizirter und jchiwieriger, und doch hat die Handarbeit hier lange fich behauptet. Die Majchinen waren jchwieriger zu konſtruiren.

Bejonders das Kämmen geichah bis in die neuere Zeit mit der Hand, aber viel weniger in jelbjtändigen Geſchäften, jondern um Lohn von einzelnen Arbeitern, von Weibern, von Züchtlingen für vie betreffenden Weber und Fabrifen. E83. war fein jelbjtändiges, gejun- des Gewerbe, wenn auch der Lohn zeitweile, wie in England bei dem großen Aufſchwung der Worjtenfabrifen, hoch ftand (17 —20 Sh. die Woche)! „Die Hand- kämmerei“, jchreibt Wief 1840,? „it der große Hemm— ſchuh der Spinnerei; gekämmte Wolle ift nicht immer zu haben; die verſchiedenen Hände kämmen ungleich; die Veruntreuung, ja die Umtaufchung der Wolle ift nicht zu vermeiden; die gekämmte Wolle (der Zug) wird ‚durch Del verunreinigt.” Doch wollte e8 lange nicht gelingen, brauchbare und billiger arbeitende Kämm— maschinen zu fonjtruiren. Erſt in den fünfziger Jahren, mehr noch feit 1861 trat der Umjchwung ein. Ein Handipinner hatte täglich etwa 1", Pfund Zug und etwa eben jo viel Abfall (die Kämmlinge) Tiefern fünnen; die Collier'ſche Kammmajchine Tieferte nun mit wenigen

1) Ausftellungsbericht von 1851, II, 64: man zählte in ber Grafſchaft York 1851 auf 423 Fabriken und 118433 Arbeiter (incl. der Känımer) 30000 Handfämmer.

2) Induſtrielle Zuſtände Sachſens ©. 221.

31*

484 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Händen 50— 60 Pfund Zug per Tag; weitere Ber: befjerungen brachte das Heilmann’iche Syſtem, das Nobeliyitem, die Morel-Kammmajchine, welche auch gröbere Wolle und ohne viel Abfall kämmen.“ Eine Moreliche Mafchine Foftet 8000 Frances und fordert 2, BPferdefraft, liefert mit einem Arbeiter in 12 Stun- ven 350 Kilo, d.h. 700 Pfund. ?

| Für Deutjchland war der Mebergang von der Hand- fümmeret zur Mafchine, wie von der Handſpinnerei zur Majchine, nicht von jehr großem Einfluß, da der Um— fang diefer Induſtrie früher nicht bedeutend war.

Die Raſchmacher Hatten das jogenannte Rafch, ein ziemlich grobes Gewebe, welches meist zum Futter bejjerer Kleider verwendet wurde, geliefert. Was an feinern Stoffen derart, bejonders für die Frauenkleider ver höhern Stände verivendet wurde, fam aus Belgien, Sranfreih und England. Aber der Verbrauch auch dieſer Stoffe nahm eher noch ab, als zu Anfang diejes Sahrhunderts die feinern, manmigfaltigen Baumwollſtoffe fih mehr und mehr verbreiteten.

Die Produktion folcher Stoffe war gegen 1840 beinahe verſchwunden. Erjt von da brachte die fteigende Wohlhabenheit, die Unzufriedenheit mit den vielfach ichlechten Baumwollwaaren wieder eine größere Neigung für derartige Gewebe hervor. Es entjtanden zumächit eine Anzahl faſt durchaus Fleiner Spinnereien; aber ihre Bedeutung war nicht groß; 1840 famen in Preußen

1) Oeſtr. Ausftellungsbericht von 1867 Bb. IV, ©. 65. 2) Dajelbft II, 555.

Die geringe Zahl deutſcher Kammgarnfpinnereien. 485

auf 380839 Streichgarnipindeln nur 56 258 Kamm— garnipindeln. Und ihre Zahl nahm jogar mit dem größern Bedarf noch mehr ab, weil die. kleinen Spinne: reien in diefer Branche viel weniger die Konkurrenz des Auslandes aushalten fonnten. Im Jahre 1846 war die Zahl der Spindeln in Preußen auf 32470 geſunken; 1861 find e8 47153, die fich aber jeßt auf einige wenige große Gejchäfte (auf 49 in ganz Preußen, 1846 noch 253) vertbheilen. Im ganzen Zollverein zählte man 1861 - 146 Rammpgarnipinnereien mit 251897 Spindeln. Noch jet bejteht der überwiegende Theil der großen Einfuhr von einfachen Wollgarn des Zoll: vereins (213071 Ztr. im Jahre 1864) aus Kamm: garnen. Immerhin aber erijtiren jet eine Anzahl großer Kammgarnipinnereien in Schlefien, Brandenburg, am Rhein, vor allem im Königreich Sachſen und in Baiern. Aber fie find meijt ziemlich jungen Urjprungs und haben dann gleich von Anfang an einen den englifchen Gejchäften ähnlichen Charakter angenommen, jenen Charakter ver Großartigfeit, wie er bier aus der Natur der Sache folgt. Die Mode ftellt an diefe Garne gegenwärtig jo hobe Forderungen in Bezug auf Anjehen, Weichheit, Farbe, Elaftizität, Leichtigkeit und Gejchmeidigfeit, daß nur bie raffinirtefte Anfpannung und Anwendung aller technijchen Mittel auf dem Markte bejtehen kann. Was durch dieje Anjtalten jet bei uns verdrängt wird, ijt Die fremde Einfuhr, feine einheimifchen Heinen Gejchäfte. Ebenjowenig kann man das Aufhören der Hand— fümmerei, Das fich in ven legten zwanzig Jahren voll- zogen bat, beflagen. Theilweiſe verjchwinden bamit,

486 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

wie ſchon erwähnt, gar feine ſelbſtändigen Gejchäfte, fondern nur Lohnarbeiter der Weber und Fabriken; theilweife wurde das Kämmen allerdings auch als jelb- ftändige Unternehmung auf eigene Rechnung betrieben. E83 gab folche Gefchäfte in Sachſen, in Thüringen, in Württemberg, in Brandenburg, in Schlefien, am Rhein. Die preußiiche Statiftif gibt injofern feine klare Auskunft über fie, als fie fie mit der Leiſten- (Kubhaar =) jpinnerei, Haarjpinnerei und früher mit der Hand— jpintterei zuſammen aufführte, auch wahrjcheinlich Ar- beiter mit aufzählt, die nicht für diefe Geichäfte, ſondern direkt für Fabriken arbeiteten. Die Zahlen find folgende: Anftalten beichäftigte

Perſonen 1846... 28 3914 18349... 63 7048 1852 . . . 1% 4 387 1855 . . .„ 200 3655 1858 . . . 187 2791 1861 50 1915

Eine Zunahme der Anjtalten bis 1855, der Per: jonen bi8 1849; von da an rajche Abnahme. Es wird jet bald nur noch in den großen Kammgarnjpinnereien jelbjt mit den peigneuses gekämmt werben.

Im Anſchluß an die Spinnerei noch einige Worte über die Herjtellung von Zwirn, Strid-, Stid- und Nähgarn, einjchließlich der Garnbleiche und Färberei, und über die Seileret.

Was die Zwirne und mehrfachen Garne betrifft, jo ift Har, daß mit der Mafchinenfpinnerei auch fie der majchinenmäßigen Anfertigung im Großen anheim-

Die Zwirn- und Garnfabrifen. 487

fielen, daß die Heinen handwerksmäßigen Gejchäfte in den Hintergrund traten. In Preußen find fie 1846 zum erſten Male aufgenommen. Man zählte:

1846 . 139 Anuftalten mit 1446 Perſonen,

1855 . 130 E » 2458 5

1861. 5 - 38047»

Die Umbildung fällt in die Zeit von 1855 —61. In andern deutſchen Staaten ſehen wir auch 1861 noch viel kleinere Gejchäfte, die immerhin auch nicht bloß für den Iofalen Bedarf arbeiten; z. B. werben in Württemberg 24 Gejchäfte mit 395 Perjonen, in Sachſen 118 Gejchäfte mit 472 Perjonen gezählt. Das jind entjchieven noch mehr handwerksmäßige Heine Unter: nehmungen. Aber es ift fraglich, ob fie fich auf Die Dauer halten werden. Wenn e8 fich darum handelt, in diefer Branche die englifche Konkurrenz zu bejeitigen, bejonders die immer noch jehr ſtarke Einfuhr von Leinen- zwirn überflüffig zu machen, fo werben dazu nur größere Geichäfte im Stande fein.

Aehnlich verhält es fich mit den Garnbleichen und Garnfärbereien aller Art, die nur theilmweije als ſelb— ſtändige Geichäfte, theilweije verbunden mit andern Be— trieben, Stüdbleihen, Appreturanjtalten, Stidgarn- fabrifen, vorkommen.

In Schlefien exijtiren viele Sarnbleichen für Leinen und Baumwolle; jeit alter Zeit ijt Elberfeld und Barmen dafür befannt; fie Hatten ſchon 1790 - 150 Garnbleichen. Der Verbrauch gebleichter Garne für die Weberei ijt im Zunehmen. Im Jahre 1846 wurden in Preußen 206 Garnbleichen mit 989 Arbeitern,

488 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

1861 230 mit 1124 männlichen und 226 weiblichen Arbeitern, im ganzen Zollverein 403 Anftalten mit 1623 männlichen und 420 weiblichen Arbeitern gezählt. Die Garnfärberei lag früher mit in der Hand der profejfionsmäßigen Färber, welche in ver Regel alle Zweige der Garn- und Stücfärberei, des Wiederauf- färbens, Häufig auch noch die Druckerei zugleich betrieben. Derartige Geſchäfte exiftiren immer noch für den Lofal- bedarf, fie arbeiten für Fleine Spinnereien und Webereien. Aber fie Haben doch jchon bedeutend abgenommen; bie fabrifmäßtgen Garnfärbereien, welche fich auf einzelne Spezialitäten legen, die Kattundrudereien, die Tärbe- reien, welche mit den Wolljpinnereien und Zuchfabrifen vereinigt find, erjegen fie. Bis 1837 wurden fie in Preußen mit ven Kattundrudern zufammengezählt, daher die Abnahme von 1837 40 viel zu groß erjcheint; aber auch von 1840 61 bleibt fie BD) Man zählte in Preußen: 1831 . 3470 Schwarz » u. SEINEN mit 4045 Gebätfen

1834 . 3791 . P » 4729 = 1837 . 4358 = - . 8054 = 1840 . 3519 s . 4293 = 1843 . 3741 - 5 . .- 4562 » 1846 . . . . 9126 Meifter und Gefellen zufammen. 1849 . 4355 Schwarz > u. ER EEE mit 3787 Gehülfen 1852 . 4350 » 3904 1855 . 4130 - 3506 . 1858 . 3717 . » 2567 1861 . 3360 ⸗248

Der Rückgang des Gewerbes wurde von den Meiſtern wohl als Kalamität empfunden, aber die Ge— ſellen kamen leicht in den Fabrikgeſchäften unter.

Die Färberei. 489

Bon den fabrifmäßigen Garnfärbereien haben befon- ders die Türkiſchrothfärbereien Fortichritte gemacht. Von Elberfeld und Barmen, wo fie jeit 1780 blühten, haben fie fih auch nad) Sachien und Süddeutſchland verbreitet ; man zählte in Preußen 1849 erſt 22 mit 831, 1861 36 mit 1388 Arbeitern. Die andern Garnfärbereien in Wolle und Baumwolle wurden früher in Preußen mit den Färbereien überhaupt zufammen gezählt; 1861 erit wurden fie bejonders aufgenommen ; man zählte in Preußen 561 Anftalten mit 2526 Arbeitern. Sie fommen auch jonjt zahlreich vor; im ganzen Zollverein betrug ihre Zahl 834 mit 3826 Arbeitern. Doch find alle dieje Zahlen wenig zuverläffig, da fo viele dieſer Gejchäfte nicht jelbjtändig, ſondern mit andern großen Etablifje- ments verbunden vorfommen. Bon bejonderer Bedeutung find die Fürbereien von wollenen Stidgarnen, ven joge- nannten Zephhrgarnen, deren Hauptſitz Berlin ift.

In der Seilerei handelt e8 ſich um zwei große Aenderungen. Der Hanf wird nicht mehr mit ber Hand verjponnen, auch bier hat die Majchinenjpinnerei Plat gegriffen. Das iſt aber nicht das Schlimmite für den Heinen Seilermeifter; theilweile hat er dadurch jogar Förderung erhalten, indem er jelbit hanfenes Maichinengarn werwendet.! Der weitere Schritt aber war, daß auch für die Herjtellung der Seilerwaaren jelbjt neue Apparate und Mafchinen erfunden wurden. Der deutiche Ausftellungsbericht von 1851 ſchreibt jchon :

1) Siehe einen Bericht aus Chemnik im Handels⸗ archiv 1868. II, 116.

4 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

„Die mechanifche Arbeit ijt bereits in alle Zweige dieſes - Gewerbes eingedrungen, von der Herjtellung des Bind- fadens und der Taue an, bis zu den Spritenjchläuchen, Majchinenband, ja jelbit bis zur Anfertigung von Fiich- regen. Allerdings findet bei vielen Waaren dieſer Gattung feine nennenswerthe internationale Konkurrenz ftatt; allein trogdem ift vorauszujehen, daß das Gewerbe überall in die drüdendfte Lage gerathen wird, wo man es verſäumt, rechtzeitig die Handarbeit zu verlaſſen und auf den Meafchinenbetrieb überzugehen.” Schon 1849 zählte die preußijche Fabriktabelle 7 Seilerwaarenfabrifen mit 222 Arbeitern, aljo Gejchäfte mit durchichnittlich 31 32 Arbeitern. Beſonders wo der Abſatz ein großer ift, in Fabrif- und Seeftäbten, oder in den Gegenden eines ausgezeichneten Rohproduktes, einer blühenden Hanffultur Haben die großen Gejchäfte zugenommen.

Immer aber handelt e8 ſich in der Hauptfache nicht um einen volljtändigen Webergang zu ganz großen Gtabliffements, jondern nur zu etwas größern, mit Mafchinen arbeitenden Hanpwerkögeichäften. Die Ma- ichinen, welche zur Anwendung fommen, find ſehr ver- ſchieden; von einer Art der mechanijchen Seilerei heißt es in dem Berichte über fie: die Meafchine ift jo Klein, daß jeder fie anwenden kann; fie ift im Innern jeder Wohnung, im kleinſten Raume, wenn man will Hinter dem Ofen aufzujtellen. Andere jind allerdings ſchon viel fompfizirter und theurer. !

1) Bergl. öſtreich. Ausftellungsberiht von 1867. Bd. U, ©. 570 fl.

Die Seilerei. 491

Die preußiichen Zahlen über Das Seilergewerbe zeigen jedenfalls, daß der Uebergang zum Meafchinen- betrieb und zu den großen Gejchäften 1861 noch nicht allgemein fich vollzogen haben konnte; man zählte:

1834 . . .„. 3413 Seilermeifter mit 1845 Gehülfen 1843 . . 3841 . . 2461 - 1861 . . . 3951 = 3457

Freilich darf man dabei nicht außer Acht laſſen, daß ſehr viele der ſogenannten Seilermeiſter heute nur noch Detailhändler find; fie verfaufen Seilerwaaren in der Regel zufammen mit Schnaps, mit Salzgurfen, theilweife auch mit Kolonialwaaren.

6. Die Weberei überhaupt und die Weberei als häusliche Nebenbeichäftigung im Speziellen.

Zur techniſchen Gejchichte der Weberei. Die Leiftungen und Preife der verichievdenen Stühle. Die verjchiebene geſchäftliche Drganijation der Weberei und ihre Beachtung in ben ftatifti- fhen Aufnahmen. Kritif der preußiichen und zollvereins- ländifhen Weberftatiftit überhaupt. Die Hausmweberei und ihre felbftändige Stellung gegenüber der Konkurrenz. Die Wollweberei in Preußen als Nebenbeichäftigung. Die Lein- wanbmeberei als Nebenbejhäftigung. Die preußifche Statifit von 1816—61, Zunahme bis 1843, Stabilität von 1843 1861. Die Stühle nad) den einzelnen Provinzen. Schätzung der Produktion der häuslichen Weberei gegenüber ber gewerbs- mäßigen.

In der Spinnerei haben die großen Fabrifen mit mechanijcher Arbeit heute vefinitiv gefiegt, Die Weberei jteht noch mitten inne in dem Kampfe zwijchen Heinem und großem Betrieb, zwijchen Handarbeit und Majchinen- arbeit. Die Aenderungen in der Technik des Webens jind mehr Berbejjerungen als totale Veränderungen ; die wichtigiten und folgenreichjten waren auch am Hand: ſtuhl anzubringen, ja theilweife waren fie bis in die neuejte Zeit nur von ihm auszunügen; ver Majchinen: jtuhl hat im der Hauptjache dieſelbe Konjtruftion, wie der Handjtuhl, er wird nur von der mechanischen, ftatt

Zur technifchen Gejchichte der Weberei. 493

von der menjchlichen Kraft bewegt; die Majchine arbeitete lange kaum oder gar nicht billiger, als der meijt genüg— jame Handweber ; für einzelne Branchen ift die Mafchinen- arbeit heute noch nicht anwendbar. Die technijchen Ope— rationen, denen die Gewebe vor und nach dem Weber zu unterwerfen find, waren e8 früher mehr, als die Maichinenweberei, welche der Großinduftrie das Ueber: gewicht verfchafften. Und aus eben dem Grunde erifti- ren bis heute blühende Branchen der Textilgewerbe als Hausinduftrie, mit technifcher Vollendung der Gewebe durch Fabrifanten und Kaufleute,

Der alte einfache Webftuhl, wie er bis zu Anfang dieſes Jahrhunderts jo ziemlich überall üblich war, it beinahe Sahrtaujende alt. Wir finden ihm in den Ge— mächern der Penelope, wie in den Frauenhäujern auf den großen Königshöfen und Domänen Karls des Großen. Es ift derjelbe Webjtuhl, an dem jpäter die zahlreichen niederländiichen Tuchmacher -figen, den die Niederländer von da über ganz Norddeutſchland verbreiten, es iſt derjelbe Webjtuhl, der im 15ten Jahrhundert der ichwäbiichen Linneninduſtrie zu ihrem Weltrufe verhilft, der jpäter Die große weitfäliiche oder ravensbergiiche Erportinduftrie, die ſchleſiſche Linneninduſtrie, die ſächſiſche und preußiiche Zuchmacherei des 18ten Jahrhunderts in Flor bringt. Nur eine etwas andere werbeijerte Einrichtung durch eine Mehrzahl von Tritten und Schäften brauchte eg, um die im 17ten Jahrhundert aus den Niederlanden nach Deutichland gebrachte Weberei der künſtleriſch gemuſterten Gewebe, der Drelle und Damajte zu ermöglichen.

494 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Die tägliche Leitung eines ſolchen einfachen Hanb- ſtuhles ijt natürlich ſehr verſchieden je nad) der Breite, je nach dem Stoffe, jowie je nach der Teinheit des Garnes. Die Durcchicehnittsangaben, welche darüber früher und jpäter gemacht wurden, ziehen zugleich häufig noch in Rechnung, daß ein großer Theil ver Webftühle nur einen Theil des Tages im Gange ijt; es hängt Davon ab, ob der Weber noch andere Arbeit verrichtet, ob er die Hülfsoperationen jelbft vornehmen muß oder nit. Man wird bei 12 jtündiger Arbeit und mittlerem Gewebe zu Anfang des Jahrhunderts nicht über 3 6 Ellen als tägliche Yeiftung annehmen können. Viebahn rechnet noch 1846 bei 14 jtündiger Arbeit 3 6 preußijche Elfen Leinwand, Dieterict etwa zur jelben Zeit 5 Ellen als tägliche Leiftung.

Die Hauptverbejjerung des gewöhnlichen Webjtuhls ijt die jchon 1738 von John Kay erfundene Schnell: jchüge, die mechanijche Bewegung des Weberjchiffchens; fie erlaubt viel breitere Zeuge zu weben und fteigert die tägliche Ellenzahl wenigjtens auf das Doppelte. In Deutichland fand die Schnellichüge erjt in den zwanziger Jahren diejes Jahrhunderts allgemeinere Verbreitung. Noch neuer ijt die Verbeſſerung des gewöhnlichen Web— jtuhls durch einen Mechanismus, welcher das fertige Zeug von ſelbſt aufwidelt und die Kette von jelbjt weiter abwicelt.

Schon 1750 hatte Baucanjon einen Webjtuhl gebaut, deſſen einzelne Thätigfeiten mitteljt Kurbelorehung bewirkt wurden; aber bie Einrichtung war nicht praftiih. Im Jahre 1785 ließ der Theologe Dr. Kartwright jeinen

Die Verbeſſerung des Handftuhle und der Kraftwebituhl. 495

mechanijchen Webjtuhl patentiren; aber die Anwendung icheiterte immer noch daran, daß die baummollenen Fäden nicht feit genug waren, den Fräftigen mechaniichen Gang des Gefchirres auszuhalten. Man half durch Beitreichen der Kette mit der jogenannten Schlichte ; das foftete zu viel Zeit, bis 1802 die Schlichtmafchine erfunden wurde. Aber ſelbſt 1813 waren noch kaum 4000 jolcher Webjtühle in England, als fie in dieſem Jahre durch den Aufitand der Weber beinahe alle zer itört wurden. Bon da an aber fanden fie weitere Ver— breitung. Horrod in Stodport hatte die Stühle bedeu— tend verbejlert, nocd) - mehr gelany das Noberts in Manchefter, deſſen Stühle von 1822 an auch nad) Deutjchland Famen. Lange blieb ihre Anwendung auf Baumwolle beſchränkt, dehnte fich dann auf Kammgarn und Leinengarn, nur Tangjam und jeher bejchränft auf Streihgarn und Seide aus. Die neueren Erfindungen beziehen fich auf die Hülfsmajchinen: Schuß-, Spulen - und Aufwindmajchinen, Zettel» und Schlichtmafchinen, Meß- und Faltınajchinen, Meajchinen zur Neinigung der Gewebe vollenden in den großen Fabriken die Prä- zifion, Schnelligkeit und Billigfeit der Arbeit.

Die Jacquardmaſchine, welche die Hebung der Kettenfäden in beliebiger Weije nach bejtimmten Muftern regulirt und dadurch gemufterte Gewebe leichter herzu— jtelfen erlaubt, ſtammt aus dem Jahre 1808; fie ver- breitete fich ziemlich jchnell auch in Deutjchland. Der Jacquardſtuhl, wie alle die andern komplizirteren Stühle, der Korjettjtuhl, die Stühle mit einer Mehr: zahl von Schäften und Zritten, die Stühle mit

496 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Wechjellade find bis in die neuere Zeit überwiegend Handſtühle.

Die Leiſtungen der verſchiedenen Stühle nun können durchſchnittlich in neuerer Zeit jo angenommen werden:! der verbefjerte Handjtuhl mit Schnellichüge ꝛc. Liefert etwa 8 Ellen feine, 20 Ellen jtarfe Yeinwand, 25 30, unter Umftänden noch mehr Ellen Calico, der Jacquard— ſtuhl 5 6 Ellen, der Korjettituhl 3 Ellen; der Kraft- jtuhl dagegen 40 und mehr Ellen; er hat daneben den Borzug des immer gleichen Schlages, des gleichmäßigeren Gewebes. Bei Wollgeweben liefert der Handſtuhl 5— 10 Ellen, der Maſchinenſtuhl durchjchnittlich auch nicht viel mehr als 10 Ellen.

Die Preiſe auch der einfachen Stühle find je nach der Stärfe verſchieden; für Baumwolle und Yeinen bat man leichtere, für Wolle jchwerere. In ven 40er Jahren vechnete man als Preis des einfachen Leinwand— ſtuhls 6 Thlr.? Jetzt werben in Schlefien die geſammten Kojten für Webjtuhl, Gejchirr u. j. w. zwijchen 11 und 30 Thlr. gerechnet; ein guter Webjtuhl für ®/, breite Waare allein Eoftet 15 Thlr.? Ein guter Handtuch-

1) Hauptſächlich nach den genauen Unterſuchungen von Mährlen, die Darſtellung und Verarbeitung ber Geſpinnſte, passim. Die Angaben dort find in württemb. Ellen; 100 preuß. 108,5 württemb. Ellen. Einzelne verbefierte Handſtühle liefern no mehr; 3. B. der Schwarz’ihe Doppelwebftuhl in 12 Stunden 55 Ellen */, breite Neſſel; der Stuhl koftet 65 FI. ſüdd. Zollvereinsblatt 1849. II, ©. 55.

2) Schneer, ©. 84.

3) Jakobi, Zeitichrift d. preuß. flat. Bur. 1868. S. 329.

Preije und Leiftungen der Webſtühle. 497

webſtuhl, der Fräftiger gebaut jein muß, als ber Lein— wandjtuhl, aber in der Hauptiache von Holz ijt, wird hier zu Lande zu 20 30 Thlr. angeichlagen. Mährlen! rechnet einen guten Baumwollſtuhl zu 20 3. ſüdd., einen jchmalen Jacquardſtuhl zu 75 Fl., einen breiten zu 200 Fl., einen Korſettſtuhl zu 50, einen Kraftſtuhl zu 230 5. Der Mafchinenftuhl wird nicht bloß da— durch ſoviel theurer, daß die Haupttheile von Eijen jind, er ijt auch Tomplizirter und muß viel exakter gearbeitet jein. Freilich entjcheidet der Preis des Stuhls noch nicht allein die Nentabilität des einen oder andern Betriebs; die Kojten der bewegenden Kraft, die An- wendung anderer Arbeiter an der Majchine, die General- fojten der Fabrik, die verjchiedenen Preiſe für Hand - und Majchinenprodufte fommen mit in Betracht.

Dieje technijchen Vorbemerkungen enthalten jchon einen ungefähren Weberblid über den Gang ver Ber- änderungen, aber eine halbwegs befriedigende Kenntniß fönnen wir doch erjt erhalten, wenn wir konkreter auf die Verhältnijfe eingehen. Wir müfjen uns dabei jchon nach dem Zwecke dieſer ganzen Unterfuchungen vor Allem an die Ergebnifje der zollvereinsländiichen, hauptſächlich der preußiichen Gewerbeſtatiſtik halten. Die erſte auf- zumerfende Frage iſt demnach, welche Arten der Weberei müjjen wir untericheiven und wie ijt dieſer Unterjchei- dung in der offiziellen Statiftif Rechnung getragen ?

Die Gejchäftsarten, welche wir für unjere Unter- juchungen zu trennen haben, find folgende: 1) die Pro-

1) Darftellung und Berarbeitung der Gefpinnfte, S. 145. Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 32

498 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

duktion als Nebenbeichäftigung für den häuslichen Bedarf ; 2) die Lohnweberei für einzelne Kunden, welche dem Weber das Garn liefern und für ihren eigenen Bedarf verweben laſſen; diejes Gejchäft verbindet fich meiſt mit der handwerfsmäßigen Weberei auf eigene Gefahr für ven Yofalen Abſatz, für den Vertrieb auf Wochen- und Zahrmärkten; 3) die Weberei für den Abjat im Großen; fie kann ſelbſt wieder Weberei in gejchlöffenen Etablifje- ments vorzüglich auf mechaniſchen Stühlen oder wenig- tens fünftlicheren Handſtühlen fein, oder e8 übernimmt der Fabrifant nur die kaufmänniſche Vermittelung und gewiffe jchwierigere techniſche Prozeſſe, läßt dagegen Die Weberei durch Heine Meeifter im Haufe ausführen; letzteres kann wieder Kauf- oder Lohnweberei fein.

Was zuerſt die Nebenbeſchäftigung für den häus— lichen Bedarf betrifft, ſo haben die preußiſchen Tabellen ſeit 1816 eine beſondere Rubrik hierfür, und die andern Zollvereinsſtaaten ſind dem gefolgt; es bleibt nur die Frage, welche Stühle dahin gerechnet werden, welchen Werth die Zahlen haben.

Die Angaben über die Stühle ſind durchſchnittlich immer zu niedrig, da ſie ſehr ſchwer zu ermitteln ſind, in abgelegenen Dörfern ſich der Beobachtung entziehen. ! Das Kriterium für die Aufnahme in diefe Rubrif kann nicht der Umſtand jein, ob neben der Produktion für

1) 3. 38. wurden 1861 in Sachſen nur noch) wenige gezahlt; es wird aber bemerkt, es feien noch manche vorhanden, fie jeien nur ſchwer zu ermitteln; Zeitjchrift des ſächſ. ftatift. Bilreaus 1863. ©. 69.

Die geihäftlichen Arten der Weberei 499

den eigenen Bedarf auch ab und zu einige Stüde Lein— wand verfauft werben, jonvern ob der DBefiter des Stuhl in der Hauptiache Bauer, Hanbwerfer oder ſonſt etwas ijt und nebenher feine freie Zeit zum Weben benugt. Stühle dagegen, welche einem Weber gehören, der auch nicht Das ganze Jahr am Webſtuhl fit, der vielleicht jet den ganzen Sommer auf Tagelohn gebt, gehören nicht in dieſe Kategorie. Die preußiichen Ta— belfen find in der Hauptjache jo aufgefaßt und behandelt worden, obwohl die Grenze zwijchen Hausarbeit und gewerblicher Arbeit natürlich immer etwas jchwanfend bleibt. Der Beweis hierfür liegt darin, daß die Web- jtühle, welche unter dieſer Kategorie verzeichnet find, zum Heinften Theil auf die Weberbiftrifte, fait aus- ichlieglih auf die rein agrariichen Gegenden fallen. Weniger ift das der Fall in Süpbeutichland. Das Weben iſt dort als häusliche Nebenbejchäftigung über- haupt jehr viel weniger verbreitet als im Norben. Man Hat 8 jchon allgemein ausgejprochen, in ven Gegenden des Weinbaues fehle dieſe Nebenbeichäftigung ganz. Die Zeit der Heinen Leute ift mehr durch andere Arbeiten ausgefüllt. Die dort unter diefer Rubrif ver- zeichneten Stühle gehören mehr jedenfalls als im Norden fleinen Lohnwebern, welche nur einen Theil des Jahres fih mit Weben abgeben.!

1) Bergl. Mährlen S. 168 und 169; Mährlen bat eine genaue Aufnahme veranftaltet, welche für Wilrttemberg erhebt, welche Anzahl Tage jeder Webftuhl durchſchnittlich gebt; (fiehe daj. ©. 65): ein Stuhl auf Baumwolle geht durchjchnittlich 255,

32 *

500 Die Umbildung einzelner Gewerbözweige.

Neben diefen Stühlen wurden in Preußen 1816 1843 die ſämmtlichen gewerbsweife gehenden Webjtühle für jede Art der Tertilinduftrie in einer Summe erhoben. Die Lokale Weberei um Lohn und für eigene Rechnung, wie die Weberei für Verleger und Fabriken ſtecken gleichmäßig in diefen Zahlen. Eine Unterjchei- dung war auch früher faum nothwendig, da es Fabriken nur wenige gab, der profeffionsmäßige Weber eine ähn- liche Stellung hatte, ob er für Kunden, für eigene Rechnung oder für Verleger arbeitete.

Don 1846 an follte mit der Aenderung der Ge— werbeaufnahmen überhaupt auch eine genauere Erhebung der Gewebeinduftrie eintreten. Zuerſt jollten wie bisher die ſämmtlichen überhaupt vorhandenen Webjtühle gezählt werden. Dann die Webermeifter jeder Branche mit ihren Gehülfen und Lehrlingen. Im diefer jollten aber alle nicht technifchen Hülfskräfte, Kinder, Frauen, Die häufig beim Spulen, Stettenjcheeren, Aufbäumen, Mujter- machen belfen, ausdrücklich weggelaffen werben. Da— durch find diefe Zahlen jtet3 etwas zu niedrig. Ferner it aber auch nicht volljtändig Har, ob unter den Webern und ihren Gehülfen außer denen, welche in jelbjtändigen Handwerfsgejchäften und in der Hausinduftrie befchäftigt

einer auf Wolle 296, einer auf gemifchte Stoffe 251, einer auf Leinwand nur 115 Zage; darnach wären faft alle württem— bergiihen Leinwandftühle ſolche, die nur als Nebenbefchäftigung betrieben werben; Mährlen rechnet auch 86,, %/, ter Stühle dahin, während die amtlichen Aufnahmen 1852 - 45,, %/,, 1861 - 56, %% (Königreih Württemberg ©. 576) der Leinwanbdftühle als jolche bezeichnen, welche nur nebenbei betrieben werben.

Die amtliche Statiftil der Weberei. 501

find, auch die ſämmtlichen in geſchloſſenen Etabliffements arbeitenden Weber mitgerechnet find oder nicht. Neben diefer Geſammtaufnahme der Weberei wurden nun Die Fabriken noch bejonders gezählt. Nur die Zahlen ver unter den Fabriken gezählten Majchinenftühle können als zuverläffige betrachtet werden. Die Zahlen ver Fabriken jelbjt und des Direftionsperjonals find unzu— verläffig, ſofern nicht klar ift, ob bei den verfchiedenen Aufnahmen und jelbjt bei derjelben Aufnahme in ven verichiedenen Gegenden nur die eigentlichen Fabriken, oder auch Die Kaufleute, welche fertige Gewebe Faufen und etwa noch bleichen und appretiren laſſen, als jolche gerechnet, ob auch die Faktoren als Inhaber ſelbſtändiger Geſchäfte mitgezäblt find. Noch viel werthlofer aber find die Zahlen der Arbeiter und der Handftühle, welche mit den Fabriken aufgenommen find. Bei den Arbeitern foll auch all das untergeoronete Hülfs— perjonal, das bei der Gelammtzählung weggelajjen wird, mitgerechnet werden. Die Hauptfrage ijt aber die, ob nur die in den Fabriken ſelbſt arbeitenden Leute und aufgejtellten Handſtühle oder ſämmtliche für die Fabriken arbeitenden gerechnet werden. Als 1846 zum erjten Male die Fabriken beionders gezählt wurden, geſchah mehr das letztere. Dieterict ſpricht damals von „in und für Fabriken arbeitenden Web- jtühlen. Später geſchah mehr und mehr das erſtere aber nicht durchaus. Durch diefe Unficherheiten von Anfang an, durch die vollends ſich ändernde Praris ift jeder Schluß aus diejen Zahlen volljtändig werthlos; wir müſſen daher leider faſt ganz von ihnen abjehen.

502 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Die Zollvereinsfonferenz, welche in München 1854 über die Tabellen berieth, ging nicht von einer derartigen Doppelzählung 1) der geſammten und 2) der fabrif- mäßigen Weberei aus; fie jtellte als Kriterium feit, daß alle Unternehmer, welche mechantjche Stühle oder über 10 Stühle bejchäftigen, unter die Fabriken, alle andern zu der handwerfsmäßigen Weberei gehören. Darnach find die württembergijchen ohne Zweifel auch die meijten andern zollvereinsländiichen Aufnahmen 1861 gemacht. In Sachſen 3. B. find ausdrüdlich unter den IT A (Rubrik 50) verzeichneten Webjtühlen nicht alle Stühle, jondern nur Diejenigen begriffen, „welche nicht unmittel- bar zu den unter B angegebenen geſchloſſenen Etablijje- ments und Gejchäften gehören. ? Biebahn jelbit hebt hervor, daß die vierzehnte Generalfonferenz feine Doppel- zählung, wie fie früher in Preußen üblich war, an— ordnen wollte.? Und bei einzelnen Poſten der preußi- chen Zabelle ift man verjucht zu glauben, es jet auch in Preußen 1861 jo gezählt worden, die Rubrif IT A 50 umfafje nicht mehr die Gejammtheit der Stühle. ?

Selbjt wenn aber theilweije jo gezählt worden ift bei den Regierungen, das preußijche ftatiftiiche Bureau geht Davon aus, e8 habe wie früher eine Doppelzählung

1) Bergl. württ. Jahrb. 1862, Heft 2, ©. 126 u. 129.

2) Zeitjchrift des fächl. ftat. Bureaus für 1863. ©. 63. Anmerkung zu TA.

3) Viebahn II, 932 33.

4) 3.3. könnte die Abnahme der Seidewebftühle von 1858 61, die gewiß ber Wirklichkeit nicht entſpricht, jo erklärt werben.

Kritik der amtlichen Webereiftatiftif. 503

stattgefunden, ? die Rubrik II A 50 umfaffe aljo ſtets bie Geſammtheit aller Webjtühle. Das Zollvereinsburenu hat e8 nicht für der Mühe werth gehalten, irgend welche Aufflärungen über die Art der Aufnahme in ven verjchtedenen Staaten zu publiziven, e8 ftellt einfach die preußifchen und die andern Zahlen, die demnach unver: gleichbar find, untereinander, und Viebahn benutzt in jeiner Gewerbeftatijtif dieſe Webftuhlzahlen faft unbean- jtandet,? obwohl fie nach unſern Auseinanderjegungen jtet8S um den Betrag der Stühle, welche die Zoll- vereinsjtanten außer Preußen bei den Fabriken zählen, zu niedrig find.

Wenn. ji) aus den vworjtehenvden Bemerkungen ergibt, daß Die preußiiche und Zollvereinsitatiftif für 1861 nicht einmal ganz fichere Summen über die Ge— jammtzahl der Webjtühle einer Gattung TYiefert, daß die preußiiche Statiftif auch in ihren frühern Aufnahmen weder ein ganz zutreffendes Bild von der lokalen hand: werfsmäßigen Weberei, noch von der Hausweberei für den großen Abſatz, noch von der Weberei in gejchlofjenen Etablifjements gibt, ganz werthlos iſt darum ein Theil der Zahlen doc) nicht, wenn man fie nur wiljen-

1) Jahrbuch für die amtl. Statiflit I, 451. Preußifche Statiftif in zwanglofen Heften V, 48.

2) III, 933 fügt er die Summe ber Baummwollftühle des Zollvereinsbureaus in Rubrik 50 noch die Fabrikftühle Hanno- vers, Anhalts und Hefjens bei, ohne daß man erfieht, warum gerade nur dieſe. Bei den andern Arten ber Weberei nimmt er einfach die Summen des Zollvereinsbureaus unter II A 50 als Gefammtjumme der ganzen Weberei.

504 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

ichaftlich gebraucht und gruppirt, andere fichere Nach- richten beranzieht, um die Schlüffe und SKonjefturen zu jtüßen.

Gehen wir nun aber zur Sache jelbjt über und zunächſt zur Frage, im wie weit fich bie häusliche Weberei als Nebenbejchäftigung bis jetzt erhalten hat.

Die häusliche Weberei jteht eigentlich bis in bie neuejte Zeit nicht in Direkter Konkurrenz mit der gewerbs- mäßigen. Wo der Bauer, der ländliche Handwerker und Tagelöhner die paar Thaler für einen Stuhl erichwingen kann, wo die Beichäftigung traditionell jeit Jahrhunderten bejteht, ſich naturgemäß anſchließt an die eigene Produktion von Wolle und Flachs, da macht man feine Anfprüche an eine technijch vollendete Waare. Da wird das Bedürfniß der Kletvung am billigjten und pafjendjten auf dieſe Weije befriedigt, jo lange die Zeit und die Arbeitsfräfte dazu vorhanden find, im Winter unbenugt blieben ohne dieſe Nebenbeichäftigung. Der mangelnde Verkehr und Handel im früherer Zeit machte die Thätigfeit nothwendiger; aber fie Dauert auch noch fort, lange nachdem der Bauer in den Läden der näch- jten Stadt, auf Wochen- und Jahrmärkten einkaufen fünnte.

In Preußen, Bojen, Pommern werden auch heute noch die Wollgewebe, welche das Landvolk trägt, theil- weile jo gefertigt. ! Wolljtühle als Nebenbejchäftigung gehend gab e8 im ganzen Staate 1831 - 2693, 1840

1) Bergl. oben ©. 177 und 3. ©. Hoffmann, Bevölferung des preuß. Staates ©. 159.

Die Weberei als häusliche Nebenbeichäftigung. 505

6072, 1846 - 4519, 1861 - 4447. Alſo bis 1840 jogar eine große Zunahme, von da Abnahme bis 1846; jeither aber faum eine Aenderung. Dieje Stühle machen 1846 12,,%,, 1861 12, %, aller Wollwebjtühle aus.

Biel zahlreicher find die Leinwanbjtühle, welche als Nebenbejchäftigung gehen. Die Leinenweberei iſt feit Jahrhunderten Sache des deutſchen Landmannes; in gleicher einfacher Weiſe hat fie fich erhalten bis in die neuere Zeit; ihre jüngere Schweiter, die Baumwoll— weberei, hat fie in diefem Jahrhundert zwar aus der Kleidung der untern Volksklaſſen theilweile verdrängt, aber mehr in der Stadt ald auf dem Yande; die Her- jtellung baummollener Gewebe ift jo viel jpäter ent- Itanden und jchnell zur Großinduftrie entwidelt nie— mals in ähnlicher Weije eine trauliche Nebenbejchäftigung des Fleinen Mannes geworben.

Die Zahlen der als Nebenbeichäftigung gehenden Leinwandftühle in Preußen kann ich theilweije nicht direft angeben; ich muß theilweije dafür die janmtlichen als Nebenbeichäftigung gehenden Stühle ſetzen; doch machen erjtere immer den weitaus größten Theil der Yegtern, 3. B. 1861. - 96 °/, derjelben, aus. Man zählte in Preußen als Nebenbeichäftigung betriebene Stühle:

Überhaupt geinmand 1816 . . . 164870 1819 2... 148826 1822 . . . 191026 1825 . >. 202404 1838... . 215415

1831 . . . 223181 216 780

506 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Webſtühle als bavon für

Nebenbeſchäfti

Fre Leinwaud 1834 . . . 229134 220343 1837 . .. . 245968 246 294 1840... 266011 254441 1843 . . . 291426 276071 1846 . . . 291129 278122 1849 . . .„ 287729 274 096 1852 . . . 292041 282 982 1855 . . . 299027 288031 1858 . . . 300206 288 483 1561 . . .„ 276266 264 135

Es ijt eine ftarfe Zunahine von 1816 bis 1843, Während die Bevölkerung etwa auf das 1'/,fache ſtieg, nahm die Zahl diejer Stühle beinahe um's Doppelte zu. Und nicht etwa nur jcheinbar, indem früher gewerbs- mäßig betriebene Stühle in dieſe Kategorie übertreten. Die Zahl diejer ijt jchon viel zu Elein, um die Zunahme jo zu erklären. Die vorhin angegebenen Urjachen wirfen auf eine wirfliche Zunahme bis 1843, d. h. bis zu dem fritiichen Zeitpunkt, der ja auch nach anderer Nichtung pie Grenzſcheide einer andern voltswirtbichaftlichen Zeit bezeichnet.

Bon da an nimmt die Gejammtzahl nicht ab, fie bleibt nur jtabil; die häuslichen Stühle machen 1846 86,, 0, 1861 - 86,, %%, aller auf Leinwand gehenden Stühle aus. Schuld hieran ijt nicht jowohl die direkte Konkurrenz, das Angebot billiger Fabrikwaaren, das überall Hin bringt, ver etwa zunehmende Luxus, der mit dem einfachen eigenen Produkt nicht mehr jo zu- frieden wäre, Etwas wirfen dieſe Faktoren ja mit,

Die Statiftit der Hausweberei. 507

aber nicht allzuviel. Dem Bauer fommt fein Hand» gewebe immer noch billiger als das billigfte Maſchinen— probuft, das er in diefer Form nicht einmal Tiebt, jo lange er Zeit und Arbeitskräfte zur eigenen Weberei hat. Aber gerade das hört auf. Man hat mit ber intenfiven Kultur, mit andern Nebenarbeiten jo viel mehr zu thun. Und während die Arbeit in Haus und Hof, in Flur und Feld gewachfen ift, Hat man weniger Leute. Die jüngern Söhne und Töchter Haben nicht mehr Luft, umverheirathet auf dem Hofe zu bleiben, man bat bejonders in Weſt- und Meittelveutjchland jehr viel weniger Gefinde als früher. Das eben jo ſehr, als die geftiegenen Flachspreiſe veranlaffen den weitfäliichen Bauern, heute mehr und mehr jeinen Flachs zu Markte zu tragen und bie fertige Leinwand zu faufen.

Während aber im Weften die Stühle abnehmen, nehmen fie im Ojften bi8 1861 noch zu. Die Stabilität der preußiichen Zahlen. wird 1843 61 durch dieſe entgegengejetste Bewegung erreicht. Um die provinziellen Zahlen auch noch mit dem Stande von 1816 zu ver: gleichen, führe ich zuerjt die jümmtlichen als Neben: beichäftigung gehenden Stühle an.? Man zählte:

1) Kollmann, Geſchichte und Statiftil des Gefindewefens in Hilbebrand’s Jahrbücher X, 237 ff.; Jahrbuch für die amtl. Statiftif des preuß. Staates II, 234 37.

2) Die Zahlen für 1816 nad Dieterict, Volkswohlſtand ©. 186, die für 1851 nah Hoffmann, Bevölkerung ©. 156 die für 1861 nad ber offiziellen Publikation, preuß. Statiftik V, ©. 30.

508 Die Umbildung einzelner Gemwerbszweige.

1816 in Preußen . . . 64831 s Boien . -. . . 5098 » Brandenburg. . 22838 - Pommern. . . 24105 . Shlefien. . . 11529 Sadien . . . 9364 = MWeftfalen. . . 20541 « Rheinland. . . 6564

1831 91647 12 388 23 817 31229 14094 12 043 24 165 13904

1861 118310 27 282 24 331 53 100 10571 10199 19 957 11983

Die ausjchlieglich für Leinwand gehenden Stühle jind kaum etwas geringer; fie machen aus:

1837 1861

in Preußen 98849 114 550 -e Bofen . 22245 26 754 ° Brandenburg. 24877 24 184 - Pommern . 35 326 51 625 - Gclefien . 11 620 7936 » Gadjien 13 505 9022 : Meftfalen . 26 900 18 369 «e Rheinland. 12974 11162

246 294 264 135

Achnliche Ergebnifje, wie die öſtlichen preußiichen Provinzen, zeigen einige andere norddeutſche Staaten, ähnliche Ergebnifje wie Sachſen, Schlefien, Weitfalen und die Aheinprovinz zeigen die ſüddeutſchen Staaten.

Biebahnı ! giebt in der Gejammtüberficht der Weberei des Zollvereins, die allerdings nach meinen obigen Aus- führungen zu niedrige Zahlen enthält, das folgende all- gemeine Reſultat. Auf 39554 Majchinenjtühle und 394865 gewerbsmäßige Handjtühle aller Art zählt er

1) III, 952.

Bergleich der häuslichen u. gewerbsmäßigen Linnenprobuftion. 509

noch 387969 als Nebenbeichäftigung gehende Hand- jtühle. In der Linneninduftrie allein zählt er 350 Maſchinenſtühle, 119 9281 gewerbsmäßig gehende Hand- jtühle, 370970 als Nebenbeichäftigung gehende Hand- jtühle. Wollen wir die Produftion vergleichen, fo dürfen wir für die letztern Stühle als tägliche Leiſtung nicht über 3 Ellen annehmen, auch feine Thätigfeit, die über 1 2 Monate, aljo etwa auf 45 Tage fich erſtreckte. Die Leiftung wäre etwas über 50 Millionen Ellen. Bei der gewerblichen Produktion fümen 350 Maſchinenſtühle mit täglich etwa 40 Ellen und 300 jährlichen Arbeitstagen in Betracht; das gäbe etwas über 4 Millionen Ellen. Die 119928 Handftühle jollen hoch gerechnet täglich je 10 Elfen Tiefern; über 250 Arbeitstage find auf fie nicht zu rechnen. Das ergäbe zufammen etwa 300 Millionen Elfen. ?

So wenig jicher diefe Zahlen find, jo geben fie doc) eine Hare Anſchauung davon, von welcher Bedeutung die häusliche Weberei auch heute noch ift. Denjenigen

1) Diefe Zahl ift höchſtens um einige hundert Stühle zu niebrig; mehr haben die andern Zollvereinsftaaten (außer Preußen) nicht bei ihren Fabriken verzeichnet.

2) Hiernach fommen etwa 10 Ellen jährlich auf den Kopf der Bevölkerung des Zollvereins, von Aus» und Einfuhr abge- jeben; bie oben angeführte Berechnung Engel’s (Zeitjchrift IV, 130), mit 5 Elfen pro Kopf nad) Abzug der Mehrausfuhr, ift zu niedrig; er rechnet auch für dem gewerblichen Handftuhl täg- lich nur 5 Ellen. Die gewerbsmäßige Produktion betrüge in Preußen 1861 nad Engel's Nehnung 70 Millionen Ellen, die häusliche 36 Millionen Ellen,

510 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

aber, der bieran noch zweifelte, den möchte ich daran erinnern, daß nach den Berechnungen von Moreau de Sonnes ! in Frankreich die gewerbliche Leinenprobuftion allerdings nach Abzug des Werthes des Rohitoffes einen Werth "von jährlich 62 Millionen Fres., die häusliche ländliche Linnenprobuftion, unter Hinzufügung Des Werthes des gefammten Rohſtoffes, einen jährlichen Werth von 288 Millionen res. erzeugt; auf jene fommen 18, auf diefe 82%, des Geſammtwerthes.

1) Statistique de l’industrie de la France. ©. 177. Die Zahlenergebniffe beziehen fi an dieſer Stelle wohl wie durchaus auf das Jahr 1850.

7. Die Handwerfsmäßige lokale Weberei.

Die Gefchäfte des handwerfsmäßigen Webers, die Lohnweberei für Kunden, die Produktion für den Tofalen Bedarf, für Wochen» und Jahrmärkte Die Konkurrenz mit der für den Abſatz im Großen arbeitenden Hausinduftrie. Die ftatiftijche Ermittlung der lokalen Produktion. Ihre Bedeutung in Preußen 1795/1803 nad) Krug. Ihre Lage 1816— 1831. Die fofale Baummollweberei 1834 1861. Die profejfionsmäßige Linnenmweberei 1834— 1861. Die Zunahme der kleinen preußifchen Tuchmacher bis gegen 1840. Die Lage in andern Zollvereinsftaaten. Die Krifis der Heinen Gefchäfte und ihre Urſachen 1840 1861. Rückblick auf die Tofale Weberei überhaupt. Die Urjachen, welche fie theilweife noch halten. Die lokalen Unterfiede in dieſer Beziehung. Berichte aus Württemberg. Die Verdrängung der Iofalen Weberei aus den größern Städten duch den Detailhandel. Halle und Berlin. Der Gegenfat eines Mittelftandes, der auf dem Handwerk, und eines ſolchen, der auf dem Detailhandel bafirt.

Schon eine Stufe weiterer Arbeitstheilung zeigt es an, wenn das Weben nicht mehr in der Familie, jon- dern im Haufe des Iofalen handwerksmäßigen Webers geichieht. Das in der Familie gefponnene Garn wurde dem Weber ausgehändigt, er hatte das rohe Gewebe zurüdzuliefern, das die Hausfrau dann vollends bleichen, färben, fertig machen ließ. “Die armen Leute, die feinen

512 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige,

eigenen Webjtuhl erjchwingen konnten, wie der wohl- habendere Mitteljtand, die Bürger = und Beamtenfrauen, welche zum Selbſtweben jchon zu wornehm ſich fühlten, erfuhren jo. In den Gegenden einer ſchwunghaften Weberei arbeiteten die Weber fat immer neben ihrer Thätigfeit für die Kaufleute und Verleger nebenbei für Kunden. In anderen Gegenden fuchte der Lohnweber, wenn er etwas eripart Hatte, womöglich auch auf eigne Rechnung zu arbeiten, um entweder jelbjt einen Laden zu eröffnen, oder an einen ber Meijter des Orts zu verfaufen, welche jchon in der etwas glüdlicheren Yage waren. Solche hießen Saufweber; fie bezogen die Wochen- und Jahrmärkte; aus ihnen gingen jpäter viel- fach die größern Fabrikanten und Kaufleute hervor.

Dieje Iofale Produktion Lieferte die landesüblichen altbergebrachten Stoffe; vor allem einfache Leinwand, höchſtens etwas Drell, ſpäter auch Jacquardgewebe, aber nicht viel (im Jahre 1820 fommen in Württemberg auf 28 ſog. Bildweber 17492 einfache Leineweber); dann, aber in viel geringerem Umfange, die einfachen Kattune, Die balbbaummollenen Gewebe, das alte Parchend, das Die Züchner fertigten, jene farbigen Kotonette, in Süddeutſch— land „Zeugle“ genannt, buntjtreifige Gewebe, die theil- weile zu Bettzeug, theilweije zur weiblichen und Kinder— fleivung in den untern und mittleren Klaſſen dienen; endlich die ungewalften Raſche und Die einfachiten gröberen Zucharten.

Eine größere an einzelnen Drten als Hausinduftrie fonzentrivte Weberei exiſtirte wohl jchon in verjchiedenen Gegenden Deutjchlands im vorigen Jahrhundert; aber

Die Iofale Weberei früherer Zeit. 513

ihre Konfurrenz übte feinen Drud auf die faft aller- wärts vorhandene lokale Produktion. Dene lieferte bie feinern beſſern Stoffe für die höhern Klafjen, für die großen Städte, für die Höfe; theilweiſe lieferte fie auch diejelben Produfte wie die Tofale Weberei, war in ihrer Technik gleich einfach wie fie; aber fie arbeitete dann hauptjächlich für den Export; es waren Weberbijtrifte, welche durch den wachjenden Export groß geworben waren. Nach dem damaligen Zujtande des Verkehrs, der Handelsorganijation war es faſt leichter, daß die ichlefiiche Leinwand über Hamburg nach Amerifa und Indien ging, als daß fie den Weg in alle abgelegenen Landſtädtchen Deutichlands gefunden hätte. Doch war natürlich zwiſchen den verſchiedenen Arten der Weberei in diefer Beziehung ein ziemlicher Unterjchied. Die Tuchmacherei war jchon nicht jo allgemein verbreitet wie die Xeineweberei; und beiden gegenüber traten vie jüngern Industrien, die Baumwoll- und Seidenweberei, von Anfang an weniger als Yofalgewerbe auf.

Nach dem Charakter der amtlichen jtatiftiichen Er- bebungen, wie ich ihn oben jchilverte, läßt fich aus ihnen fein direkter Schluß ziehen, wie früher die Tofale handwerfsmäßige Weberei fich zur großen Hausinduftrie, jpäter zur fabrifmäßigen Weberei jtellte. Die einzige Methode, welche uns offen bleibt, indirekt das Ver— hältniß der Tofalen zur großen Weberei zu unterjuchen, liegt darin, nach den Spezialtabellen zu prüfen, ob die eine oder andere Art der Weberei eine allgemeine Iofale Verbreitung Hat oder ausichließlih an einzelnen Orten Fonzentrirt vorkommt.

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 33

514 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

In dieſer Beziehung geben jchon die Krug’ichen Tabellen (1795 1803) ein ziemlich Hares Bild. Seiden- und Baumwollweber verzeichnet Krug mur an wenigen Drten, aber dann in größern Pojten. In ver Wollweberei zählt Krug 305 einzelne Orte auf, eine Anzahl hiervon mit über 100 Stühlen, die überwiegende Mehrzahl aber mit je nur ein paar Arbeitern und Stühlen. Die an gleicher Stelle von Krug gegebene Ueberficht über Die Leineweberei reſp. die Leinewebſtühle ijt weniger klar, jofern fie theilweile nach ganzen Pro- vinzen, theilweife nach Städten Die Stühle und Arbeiter aufführt. Dagegen gibt die Tabelle der Leineweber unter den Handwerkern ? eine Anjchauung davon, wie neben der Fonzentrirten Produktion Schlefiendg und einiger anderer Theile der Monarchie doch überall die lokale Weberei blühte. Die Zahl der Yeineweber betrug hier— nach in den folgenden einzelnen Landestheilen:

Name der Provinz in ben Städten auf bem Lande

Dftpreußiiches Departement . .

Littauer 118 Marienwerder 356 Bromberger 66 Bialyſtocker _- 102 Plozter 63 Poſener 1023 325

1) Betrachtungen über ven Nationalwohlftand des preuß. Staates II, 220— 315; Dieterici gibt Volfswohlftand ©. 28 eine Tabelle nach diefen Krug'ſchen Zahlen, welche aber total falfh ift, indem fie nur diejenigen Stühle reproduzirt, welche Krug je am Schluffe einer Abtheilung, ala an ben wichtigften induſtriellen Punkten fonzentrirt , nochmals wiederholt.

2) II, 189,

Die lokale Weberei gegen 1800. 515

Name der Provinz in ben Stäbten auf dem Lande Kaliſcher Departement. . . . 75 75 Warfhaur = Ban 34 84 Pommen. -. oo 0 0 0. 87 _ 445 Neumal . » 2 2 2020202468 431 BSR ur 0: 00 Te 14 656 NEINBEE 222-5. 1: IR - 2000 Magveburg - . . .. 585 1584 Halberſtadt und Geha .. 1474 Paderborn. .. 2 429 Minden und Haventieıg . . . 221 - - 1264 Grafihaft Matt. . . » 2... 83838 642 BIEBE: ;. 2. 5 || | 63 Lingen und Telfenburg —— 151

. Oftfrisland . . . 2.2... 8316 645 ERIREE 1 u ee 160 30 846 !

Auch für die fpätere Zeit ift ftatiftiich Fein anderer Beweis für das Vorkommen dieſer Iofalen handwerks— mäßigen Weberei zu führen, als durch eine Prüfung der Spezialtabellen nach der erwähnten Nichtung. Am beiten taugen hierzu Tabellen nach Regierungsbezirken; da mir jolche aber für die frühere Zeit fehlen, muß ich mich für 1816 31 darauf bejchränfen, eine Tabelle nach Provinzen mitzutheilen; ? man zählte Webftühle:

1) Diefe Zahl der Leineweber jett natürlich eine fehr viel größere der Leinewebftühle voraus; hatte doch Herkberg (huits dissertations &. 254) ſchon 1785 - 51000 Webftühle gezählt, mobei die als Nebenbeichäftigung gehenden kaum ‚mit erhoben find, und Dieterici zählt in ber erwähnten unvollftäubigen Tabelle 41420 Leinwandftühle. Im Departement ber Breslauer Kammer wurden nah Schneer S. 2 allein 19000 Leinwand- ftühle 1808 gezählt.

2) Nach Dieterici, Volkswohlſtand ©. 186.

33*

516 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

In Seide |InBaummwolle| In Bole

und und Halb- und

Provinzen Halbjeide baummwolle Halbwolle 1816 | 1831

1816 | 1831 | 1816 | 1831.

Oftpreußen . - 367 Weftpreußen. . 335 Polen...» 1254 Brandenburg . 3915 Bommern. .. 622 Schleſien ... 2539 Sadien... . 2072 Weftfalen.. . . 450 Nheinprovinz - 3806

Bandſtühle

Provinzen Zahl der Gänge

1831

Weftpreußen. . 413

Poien .....] 1173| 948 9 5 Brandenburg .| 5401) 5480| 503 | 326 Pommern ...| 1631| 2199 18 15 Schleſien ... [16245/12358] 265 | 265 Sadien....| 6338| 4917| 547 | 471

MWeftfalen . . . | 6664| 4936| 209 | 230

Rheinprovinz . | 4858| 4094| 474 | 750 117094! 15 777

Die Zahlen der Seidenweberei zeigen Har, daß fie nicht Hierher gehören; e8 ijt ein fonzentrirter Maſſen— betrieb an einzelnen Orten. Aehnlich auch die Baum- wollweberei, jowie die damalige Bandweberei. Cine relativ gleichmäßigere Verbreitung dagegen ergibt ich bei der Strummpfweberei; und die Leinen- und Wollen: weberei zeigen neben der größern Induſtrie ein ziemlich

Die lokale Weberei 1816 31. 517

allgemeines Vorfommen. Die Leinetveberei in Schlefien, Sadjen und Wejtfalen geht jchon bebeutend zurück; in dieſen Provinzen ift der Sig der großen Weberei, der Abſatz nach dem Ausland ftodte, wie wir weiter unten noch näher jehen werben. In den Provinzen mit mehr Tofaler Weberei ijt der Nüdgang ent: weder jehr viel Fleiner, oder jogar eine Zunahme zu Fonftativen, wie in Weftpreußen, Brandenburg, Pommern. Die Wollmeberei zeigt 1816 31 theil- weiſe bedeutende Rückſchritte, am ftärkjten in Schlefien und Poſen; dieſe Provinzen verlieren ihren großen Ab- jag nach Rußland; die Tofale Tuchmacherei aber nimmt da und dort etwas zu, wie wir z. B. an den pommer: ſchen Zapfen jehen.

Für die jpätere Zeit ftelle ich die Webjtühle nach Regierumgsbezirten zufammen, laſſe babei aber bie Seidenweberei, die Band» und Strumpfweberei zunächit außer Betracht. Ich komme auf fie weiter unten zurüd.

Die auf der folgenden Seite abgebrudte Tabelle der Baummvollweberei zeigt in Bezug auf die lokale Ber: theilung ein wechjelndes Ergebniß: 1834 gibt e8 in den öftlichen Provinzen außer den Weberbiftriften faft noch gar feine „Züchner ,“ wohl aber in den mittleren und wejtlichen Provinzen; fie nehmen bis 1840 und von 1840 bis 1849 in den Regierungsbezirken, wo fie vorher fehlten, meist zu. Dagegen zeigt fich von 1849 61 jchon wieder eine theilweife Abnahme aber auch nur theilweile —, in einzelnen Bezirten, Gumbinnen, Danzig, Poſen, Köslin, Trier, nehmen fie noch zu. Dabei ift nicht zu vergeſſen, daß die Zunahme der Heinen, wie der großen

518 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Regierungs⸗

bezirle Königsberg. 11 46 4) 74 9 Gumbinnen. 1 13 21 7 19 53 31 20 Damig.. . » 8 63 93 16| 78 128 25 104 Marienwerber . 3 1 3 | 182 7 261 Polen . . . 12] 136] 203 64) 213 244 35 217 Bromberg . . 63 4 64 41 9 38 Potsdam. . . 11923] 2062| 2135| 1347| 935| 1888| 1 163 759 Berlin (Stadt) |2 861] 2858| 2113| 862 1424 572| 236 353 Tranffnt - „| 415] 6201 2931 143) 200) 2732| 1512) 13% Stettin. - - 7 14 57 9) 49 194 31 162 Köslin . . 1 7 11 8 5 370 33 497 Stralſund . . 5 2 21 Breslau. . . 196481 15 741118807110 901 | 9 276 | 19475 | 9a 615 10 3534 Oppeln. . .| 276] 7881 8881| 526) 374| 1126| 704 305 Liegnitz. . . | 7501| 5372] 6905| 3541/14 807| 9972| 3179| 651 Magbeburg. .| 229] 359] 5031 292 271 497 | 177 38 Merieburg . . [1155| 1495] 1923| 847 11441 1706| 933 755 Erfurt . . .11509] 3084| 8391| 5203/4084] 8623| 5296| 339 Münfter. . .| 904] 3250|11494| 4295| 7210| 12252/4713) 7a Minden. . .| 192] 420] 19 71) 2238| 4424| 168 36 Arnsberg. . „1022 997] 1580| 1679| 260 467! 212 179 Kin. . » »| 293] 374] 5985| 190) 5350| 977) 107) 75 Düffeldorf . . [8398] 10 097112520) 8980/45354] 13785) 9100| 4035 Koblenz . . . 89 71] 207) 177) 984 152 63 93

ER. s.%. 4 24 11 79 18 Aachen . . »1 288] 6911| 1572| 1360

122 127 43 245] 1400| 1 076

Baummwollweberei meiſt mit dem Uebergang von ber Linnen= zur Baummollweberei zufammenhängt, und daß die Ronjunkturen von 1849 61 für die Baumwoll- weberei felten günjtige, die Handweberei durch ganz exzeptionelle Preije wieder frijtende waren. Ohne das würde die lofale Weberei nicht einmal jo ftarf zugenom- men haben. Im jchroffen Gegenjat aber zu der immer: bin feinen Zunahme der Stühle und Geichäfte in ven

Die lokale Baummwoll- und Linnenweberei 1834 61. 519

beiprochenen Bezirken jteht die ſtarke Zunahme bejonders von 1840 an in den Hauptgegenden der großen In— duſtrie, in den Regierungsbezirken Breslau, Yiegnit, Erfurt, Münfter. Der Schwerpunkt der jett erit glänzend fich entwidelnden Induſtrie mußte naturgemäß nicht in Die lokalen Gejchäfte, jondern in den fonzentrir- ten maffenhaften Betrieb an einzelnen Orten fallen.

Die me gibt folgende Zahlen:

Regierungs⸗ 1894 1840 bezirfe Stügf Sci Feirte [Snäprehscäsrelötisee Mr

Dir. | oeh. Sinhle Mftr. Geh.

Königsberg . 117) s7| 118 52!) 10 Gumbinnen . . 202 919 291) 201 109] 203| 147) 46 Danzig .. . .| 273] 354] 359| 241 1a0| 1991| 99) 104 Marienwerber.| 160] 2031 274| 2583| 441 245| 160 91 Bojen. ....| 94011163] 919! 722| 247] 846| 672| 240 Bromberg. . .| 90] 158] 181) 112) 53| 1299| al Aa Potsdam . . .|2 9261 3251] 3399| 2 0623| 8836| 2346 1787| 621 Berlin (Stab) 791 601 63 26 a4 2 2 Frankfurt... .|25851 267012727 894 | 920 en 1021| 507 Stettin... .|1054] 1015] 993 778 250 0 513| 140 Köslin.... . 2051 2271 258| 188 84 377 129| 144 Stralfund. . .|1048| 940] 922| 6838| 234 540| 159 Breslau... .|3373| 3906| 4152| 3 195 11 772] 4826| 3 293 |1 800 Dppeln .... .115471 2384| 2224 1664| 678 2301/1625, 727 Liegnit . . . .17879| 723319193 |5 808 |6 8521 9673 |4 769 |3 8ı2

Magbeburg . . [1411] 1411|2665 2827| 9a6|2611lj208ı| 473 Merjeburg. . -11793] 1758| 2158 1679| 516 | 17071 a65| 255 Erfurt... . -]1792]1521]3126 2641| 5841539 1 136 | ası

Münfter. .. .|2811| 2505 3101| 2407 75013539|2555|1 073 Minden ....| 839] 109013622 | 1 802|3977|3882|2a54 1471 Arnsberg. . .11512] 1416| 1923 | 1488 so2| 1434| ı 142| 321 EEE 351] 500 429 ı29| 443| 397 69

469 ‚..+j1633] 174111962 |ı638| 4161255 1044| 215 Koblenz... .| 801] 752] 666 611 74 1799| 695| ı21 1023] 658] 914| sıa| 17211042] 940| 187 3361 4811 675 623 131 6465| 582| 79

520 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Im Gegenfake zur Tabelle ver Baummwollweberei jehen wir hier 1834 eine ziemlich gleichmäßige Ver— breitung der gewerbsmäßig betriebenen Stühle; aller Drten find Heine handwerktsmäßige Meifter. Von 1834 bis 1840 nehmen die Kleinen Zahlen mehr zu als Die großen. Das heißt: vie lokale Kundenweberei, Die bandwerfsmäßige Kaufweberei, das Verkaufen der Haus- Yeinwand auf Jahr- und Wochenmärften nimmt noch zu, während die Weberei für den Abſatz im Großen nur theilweiſe noch etwas zunimmt, theilweiſe jtabil bleibt oder jchon abnimmt. Bon 1840 49 nehmen die Heinen Zahlen noch etwas zu, die großen verhalten ſich ähnlich wie 1834 40. Bon 1849 61 erft gehen wejentlich auch die Fleinen Zahlen zurüd. Erſt alſo von 1849 61 ſchränkt fich die Art des Gejchäfts- betriebs, von welchen wir hier zunächit jprechen, wejent- lich ein; denn jett erjt nimmt DVerfehr und Handel fo zu, daß die Iofale Probuftion mehr und mehr über- flüffig wird. Doc ift fie 1861 von allen Arten ver lokalen Weberei noch am ausgedehnteſten.

Während bei der Linneninduftrie die Hausweberei für den Abſatz im Großen eine größere Krifis durchzu— machen hatte, als die Iofalen profejfionsmäßigen Unter- nehmer, gilt das Gegentheil von der Wollweberet. Einem faft vollftändigen Untergang der Heinen Gejchäfte in neuejter Zeit ſteht der glänzendſte Aufſchwung ber großen gegenüber. Deßwegen ijt die Krifis in ber folgenden Tabelle auch nicht jo klar erfichtlich. Voraus⸗ ſchicken will ich noch, daß bier die Tuchmacher und Rafchmacher (in Süddeutſchland Zeugmacher) zuſammen

Die Iolale MWollweberei 1834 61.

521

verzeichnet find, daß aber die erfteren weitaus über— wiegen.

Regierungs- bezirke

Die Zahlen find folgende:

Königsberg. —F |

Gumbinnen. . Danzig»... Marienwerber.

Berlin (Stadt)

Stralfund. . . Breslau... - Oppeln... . Liegnitz .... Magdeburg . - Merjeburg. . - Erfurt. ....

K Düſſeldorf. . . Koblenz ... - RE: 2.2.8 Aachen. .. . -

1861 Geh.

1834 | 1840 1849 StühlelStüg Stübte Difte. | Geh. Stuhle Mfır. | 2581 274| 145| 119) 1922| 84 | 80 51 58 55 50 61 30 21 36 421 44 40 9 8 5 153] 164| 142| ıs0| 55| 70 a 450] 470] 266| 2553| ı38| 199 97 4851 427] 162 160 5 63 33) 111511442|1534| sı2 1513 2%1 867 451| 9192270) 336 2754| 3166| ı 000 2468| 2835 | 3 527 1 3033 561 6488| 1 163 119] 113 63 41 51 6 44 343] A465] 521| 5327| 2820| 485) 398 | 2] 10 9 f 2! 9 7931 907] 1517| s6a5| 793]2067| 536 4721 359] 226| 206 ı54| 1381| 115 | 1125] 1388] 1919| ı 205 1321] 1972| 552) 931] 1182| 999| 2071117] 1021| Bee} 418] 509] 444 ı88| 3414| 467 247 761] 950] 1802| a27!1930| 1272| 536 120] 141] 106 52 zo| 154 70 12 15 12 3 181 108 4 338| 412] 516| 2s2| rı0ol 381| 95! 178] 187| 150| 112 248| 325) 112 1036| 1329] 3782| 2 ı72|1 851] 5460| 3 560 |: 201] 218] 124 85! 7e|l 1839 72 1422| 132] 8| 72 5ı| 110| 62 2602| 28861 6302| ı 391|6 488] 5979| 930

1568

1651

DE, Zuchmachergewerbe war in Deutichland jeit Ende des vorigen Jahrhunderts wieder vielfach aufge blüht, der rajche Uebergang zu Fleinen Streichgarn- ipinnereien war auch won den Heinen Gejchäften vollzogen worden; mit fteigendem Wohlſtand hob fich die innere Nachfrage; große Tuchfabrifen Hatten ſich daneben jchon

522 Die Umbildung einzelner Gewerbsjweige.

bis. 1831 zahlreich entwidelt; fie Hatten fich ftarf auf den Export geworfen und drückten jo zunächſt nicht jo jehr auf die Fleinen Geſchäfte; im Gegentheil, vie jteigende Ausfuhr kam auch diejen zu Gute; fie machten, wie Die obigen Zahlen Iehren, jedenfalls noch von 1834 40 Fortſchritte. Die fleinen Zahlen nehmen in der Tabelle jo jtarf zu wie die großen.

Gegen 1840 freilich beginnt ſchon der Umſchwung. In den andern Ländern des Zollvereins hatte fich ſchon mit dem Anjchluß an den preußiichen Zollverein die Schwierigfeit für die Heinen Tuchmacher gezeigt mit ven vorzüglichen Produkten der rheiniichen, ſächſiſchen over brandenburgifchen Fabriken zu konkurriren. Die in Württemberg jo zahlreich 1825 33 entjtanvdenen klei— nen Tuchmachergejchäfte * zeigten jett, daß fie zu wielerlet produzirten, daß ihren Waaren die Ausrüftung, Die Legart, die Appretur fehlte; der Detailverichluß am Wohnort, der Verkauf auf Jahrmärkten wollte, je mehr der Handel ſich ausbildete, nicht mehr gehen. . Auch der Webergang zu Mode- und Sommerftoffen allein fonnte den Kleinen Meijter nicht retten. Vom Königreich Sachſen meldet Wiek? jchon 1840 ähnliches: die feinen Tuchmacher verdienen troß großer Anjtrengung faum mehr jo viel, daß fie fich halten können; jelbjt wenn fie fich anftrengen, fönnen fie das Tuch der Fabriken nicht Tiefern, ihre Waare iſt eine total andere;

1) Mährlen bejchreibt die Krifis jehr gut a. a. O. S 200 bis 214.

2) Induftrielle Zuftände Sachſens ©. 40 48.

° Die Krifis der Heinen Tuchmacher. 523

fie ift durch den Drud der Konkurrenz billiger geworben, aber damit auch um ſo viel undichter, Leichter gewalkt und nicht mehr gut gerauht. Es ijt mit ziemlicher Gewißheit vorauszujehen, jagt er, daß nad und nach wie in England und den Niederlanden, jo auch hier der Meijterbetrieb aufgehen muß in ben Yabrif- betrieb.

Wo eine Mehrzahl von QTuchmachern bejtand, da hätten ſich dieſelben durch Afjoziation helfen können, wern nicht bei den meijten dev Hang an Vorurtbeilen, an Zunft- und Innungsjakungen, die Bedenflichfeit des Uebergangs vom Alten zum Neuen den Schritt erjchwert hätte. Der einzelne Heine Meijter aber war unrettbar verloren. Die eigentlich Fritiiche Zeit füllt in die Jahre 1840 55. |

Nicht aber der Maſchinenwebſtuhl war es, was den Tuchmacher ruinirte; e8 gab in Preußen, deſſen Fabriken im Zollverein an der Spike ſtanden, 1846 erit 4,,, ſelbſt 1861 erſt 11,, 9, Maſchinenſtühle unter den ſämmtlichen Wollwebjtühlen. Die Hauptjache war die Vereinigung aller bisher getrennten Zweige des Ge— ſchäfts in einheitliche Fonjequent geleitete Etablijfements ;! e8 war die Vervollkommnung der Spinnerei einerjeits, der Walfe, des Rauhens und Scheerens anbererfeits. Bejonders die in den vierziger Jahren fich verbreitenven Zhlinderwalfen wirkten epochemachend, fie erlaubten die

1) Bergl. die ausgezeichneten techniſchen und national» ökonomischen Ausführungen im Ausftelungsberichte von 1851. II, beſonders ©. 85.

524 Die Umbilbung einzelner Gewerbsziweige.

Filzung der Zeuge. genauer zu überwachen; es kamen ferner die Wäſch-, Rauh-, Borſt- und Scheermajchinen, die Transverjal-, Yongitudinal= und Diagonalzylinder⸗ icheermafchinen, die Dampflüjtrirapparate, Die hydrau⸗ liſchen Preſſen. Alles zugleich theure Maſchinen, welche dem kleinen Manne nicht erreichbar ſind.

Wir ſprachen ſchon in anderem Zuſammenhang von dem Rückgang der baieriſchen Tuchmacherei.! Bon Württemberg will ich noch erwähnen, daß 1840 —47 jever 6te Tuchmacher banferott machte. 2 Und doch jagt Mährlen: die meijten Yallimente unter den Fleinen Zuchmachern fallen in die Jahre 1847 bis 1853. Der Rückgang in Preußen ift erfichtlich aus der früher jchon angeführten Tabelle der Streichgarnjpinnereien und aus der Thatjache, daß von 1840 an die Wollwebjtühle in den Negierungsbezirten mit großer Induſtrie, wie Aachen, Düfjeldorf, Erfurt, Viegnig und Frankfurt außerorventlich zunehmen, während die Stühle in ven Regierungsbezirfen mit Feiner Iofaler Produktion, bejon- ders in den öftlichen, meiſt beveutend abnehmen.* Außerdem zeigt ſich der Verfall der Fleinen Tuchmacher noch vecht Mar in dem Rückgang der Hülfsgewerbe. Man zählte in Preußen:

1) Bergl. oben ©. 128— 29.

2) Württ. Jahrb. 1862. Heft 2. ©. 190.

3) Die Kreisbeichreibung von Ratibor ſchreibt: in Hultjchin gibt e8 dem Namen nach viele Tuchmacher, von denen aber

mangels Beftellungen nur wenige das Gewerbe betreiben. Jahr⸗ buch für die amtl. Statiftif II, 274.

Der Rüdgang der Tuchfcheerer und Wallmühlen. 525

Tuchſcheerer u. Bereiter Walkmüuhlen Meifter Gehulfen Auſtalten ygſgigte

1831 . . . 1392 3651 913 1834 °. . . 1514 3943 910 1837... 1364 2116 927 1840 . . . 1321 2851 904 = 1843 . . . 1256 2888 - 900 186... 796 1193 1849 . . . 1146 1912 740 1047 1852 . . . 109 1909 695 1102 1855 . 2.948 1270 627 995 1858 . . . 1087 990 564 972 1861... 89 1193 573 1413

Nach dieſen Zahlen beginnt die Krifis bei ven Tuchicheerern ſchon zwijchen 1834 37, bei ven Walf- mühlen nicht viel jpäter. Beide Gewerbe hören als ſelbſtändig nach und nach ganz auf, da die große Tuch- induftrie eigene Walken, eigene Scheermajchinen befitt.

Bliden wir jo im Ganzen zurüd auf die Heine handwerksmäßige Produktion, jo läßt fich nicht leugnen, daß fie allerwärts im Rückgang begriffen, theilweife ſchon volfftändig verſchwunden ift. |

Aber immerhin ijt der Uebergang noch nicht überall vollzogen; in einzelnen Branchen wird er noch Jahre und. Jahrzehnte ſich binziehen. Mancherlei Urjachen tragen dazu bei. Althergebrachte Gewohnheiten wirken den Babrifproduften entgegen; in abgelegenen Gegenden ijt der Handel mit ihnen nicht entwidelt. Die untern Klafjen, die Hausfrauen in diejen Kreijen wünjchen nach wie vor bei dem ihnen perjönlich befannten Weber auf dem Jahrmarkte zu kaufen. Auch jest noch haben

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526 Die Umbildung einzelner Gemwerbözweige.

manche Weber ausſchließlich damit zu thun, altes Garn, das von aufgezogenen Strümpfen, alten Stoffen und Reſten jtammt, für ärmere Leute zır verweben. Theil- weile liefert die Großinduftrie gar nicht das herkömmlich von den untern Klaſſen Gewünſchte und Getragene. Am meiften wohl noch in Tuchen; gerade die große deutſche Tuchinduftrie der öftlichen Provinzen Tiefert ein- fache, billige Stoffe. Daneben freilich werden auch noch rohe Tuche ohne Appretur gefauft; die ungewalkten Gewebe, wie fie vor 100 Jahren jchon die Zeug- und Raſchmacher Lieferten, die einfachen Flanelle, welche jever Weber leicht liefern fan, find heute noch auf jevem Jahrmarkt zu jehen neben ben mobernern Hofen +, Weſten- und Damenfleiderftoffen, die auch der fleine Kaufweber, der Heine Händler vom Yabrifanten erfauft bat. Das Fabrifproduft wird theilweife Durch zwei—

bis dreifache Spejen wertheuert und jo, wenn auch

uriprünglich billiger, doch zulegt dem Produkte des lofalen Webers im Preije gleich. ine plötzliche Aende— rung ift ſchon dadurch ausgejchloffen, daß die Fabriken nicht auf einmal ihre Produktion jo ausdehnen können, um den ganzen Lokalbedarf mit zu befriedigen.

Was das Linnenzeug betrifft, jo Haben auch manche ver lokalen Weber ſich die beſſern Zrittjtühle, ſogar Jacquardſtühle angefchafft, und liefern Tiſchzeug, Ser: vietten für einfachen Bedarf. Die gewöhnliche Yein- wand, welche in den Großhandel kommt, joll vor Allem durch ſchöne Bleiche, durch gute Appretur, durch jchönes Ausjehen fich auszeichnen. Für den lokalen Kleinhandel iſt das nicht nöthig. Schwere, dauerhafte, theilweile un

Die theilweife Erhaltung ber Tofalen Weberei. 527

gebleichte Yeimwand ohne Appretur wird auf den Yahr- märften verlangt; die mißtrauifche Hausfrau des Heinen Mannes traut den fünftlichen Bleichmitteln nicht. Sie zieht die alte Art des Ausiehens vor. Gebleichte Leinwand Tiefert der Feine Weber, indem er gebleichtes Garn kauft.

Theilweiſe allerdings erhält ſich die lofale Pro— duftion nur dadurch, daß fie fich die niedrigeren Preife, den geringern Gewinn gefallen läßt. Der feine Mann, der ein eigenes Haus, einen eigenen arten bat, kann immer noch beiteben, wenn auch jchlechter als früber; man vechnet in dieſen Streifen nicht jo, wie bei ver großen Induſtrie und dem großen Handel. Die Aende— rungen vollziehen fich erſt nach Generationen.

Ein großer Unterjchied findet auch im dieſer Beziehung noch zwijchen ven werjchievdenen Theilen des Zollvereins jtatt. Die allgemeinen Urfachen, welche den Kleinbetrieb erhalten, eine gleichmäßige Vermögens - und Einfommensvertheilung, ein zahlreicher, aber in feinen Sitten einfacher Mittelftand werben auch in der Weberei die Feine Iofale Produktion cher erhalten. Dem Eleinen Weber find die Berhältnijje in der Provinz Sachien, wm Thüringen, am Rhein, in Süddeutſchland günftiger, ald die im Norboften. Ueberraſchend ift in dieſer Deziehung die genaue öfter erwähnte Aufnahme von Mährlen in Bezug auf Württemberg. Ste bezieht fich zwar auf das Jahr 1858; jeitvem wird dort auch Vieles jchon wieder anders geworden jein. Aber für den da— maligen Zeitpunkt gibt fie genauen ‚Anhalt dafür, daß damals noch die Lokale Kundenweberei und die hand-

528 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

werfsmäßige Yofalprobuftion ziemlich bedeutend war. Ich will nur Einiges anführen.

Bon Kalw heißt e8: Die Lein- und Baumwoll- weberei wird nur von etwa 5 Meijtern für eigene Rechnung betrieben, alle übrigen Weber find Lohn- arbeiter, welche für Kunden weben. Von Gmünd: es werden jährlich 277750 Ellen Leinwand erzeugt, dar— - unter 55 60000 Elfen Handelswaare, Die jevoch nur im Bezirke und deſſen Nachbarichaft auf Wochen - und Sahrmärkten vertrieben wird. Beſonders die Yeine- weberei wird faſt überall als ausjchlieplich für ven Haus- und Lofalbevarf beftimmt bezeichnet. Auch von den jelbjtändigen Unternehmern, die um Lohn weben Lafjen oder Leinwand kaufen, jagt Mährlen gehört ein großer Theil noch den profejfionsmäßigen Webern ſelbſt an. Er berechnet, daß von der geſammten württembergijchen Linnenproduktion der Ellenzahl nad) 78,, %, auf gemeine Hausleinwand, 4, % auf feinere Hanbelsleinwand, 0, 0%, auf Jacquardgewebe, 16,, %, auf Pad- und Sadleinewand fallen.

Allerdings hebt Mährlen daneben hervor, daß die lokale handwerksmäßige Produktion allerwärts in Abnahme, die große Probuftion und der Handel mit Vabrifwaaren aber im Zunehmen begriffen jeien.

Anderwärts hat fi das jchon vollzogen, am meijten im den größern Städten. MS ſchlagenden Be— weis dafür möchte ich nur noch einige Zahlen anführen.

Halle ift gegenwärtig eine Stadt von etiva 50000 Eimvohnern, die aber in Allem, was großſtädtiſche Ent- wickelung betrifft, noch wejentlich zurüd ift, mehr noch

Der Iofale Handel mit Geweben. 529

den Charafter einer fleinen Stadt- an ſich trägt, einen zahlreichen Handwerferjtand, erſt neuerdings etwas glänzendere Magazine hat. Im dem Adreßbuch für 1869 zählt man noch 12 Webermeijter, 9 Strumpf- wirfermeifter, auch 3 Zuchjcheerer und 4 Zuchfabrifen, jowie 4 Schnürleibfabrifen und 1 Wattenfabrif;, Dagegen folgende Handlungen: 13 Garn- und Bandhandlungen, 9 Leinwandhandlungen, 17 Weißtwaarenhandlungen, 6 Tapifferiehandlungen, 17 Modewaarenhandlungen, 19 Put - und Modewaarenhandlungen, 15 Pojamentier- waarenhandlungen, 21 Schnittiwaarenhandlungen, 6 Tuch: bandlungen, 24 Wollwaarenhandlungen.

Die Statiftif, welche Engel! nach den Berliner Adrepbüchern von 1811 68 zujammenftellen ließ, zeigt ebenfalls, wie ver lokale Handel zu-, die fleine lofale Produktion abnimmt. Die Kategorien der Adreßbücher fajjen freilich theilweile gerade das, was wir trennen wollen, die Produftionsgejchäfte, Die Yabrifen und die Handlungen einer Art zujammen. Sch lajje daher noch die Zahl der Fabrifen und der Webermeifter nach den offiziellen Aufnahmen von 1849 und 1861 folgen, wodurch ein fichereres Urtheil möglich wird. Zieht man nunmehr 3. DB. die Zahl der Zuchfabrifen von der Geſammtzahl der Tuchfabrifen und Tuchhandlungen ab, jo ergiebt fich genau das Verhältniß der Produktions: geichäfte zu den Handlungen. Die angeführten Weber haben natürlich nur zum wenigiten Theil eigene Gejchäfte, jondern arbeiten für Fabriken.

1) Berliner Gemeindefalender fiir 1868, ©. 145.

Schmoller, Gefh. d. Kleingewerbe. 34

530

Die Umbildung einzelner Gewerbözweige.

Das —— der —————— it ————

Bandfabrifanten und Hanpfungen

Baumw. und Schnittw. - Handl. .

Damengarberobeartifel = Handlung.

Damenmäntelhandlungen.

Fußteppichfabrifanten u. Händfer.

Garnfabrifanten und Händler ,

Herrengarberobeartifel-Handlungen

Leinewand-, Leinenwaaren= und Wäichehändler.

Manufaktur u. Modewaarenhaudl.

Petinet- und Weißwaarenfabriken und Handlungen .

Pojamentiere und Bofamentier- waarenhandlungen

Putz⸗ 1. DEOBEINDEIERVERD TRIER

Raihmadıer . j

Schneider

Strumpfiwaarenfabrifen u Händler

Tapiſſerie-, Gaze- u. —— handlungen.

zu nie

Tuhmader . Weber. . Wollwaarenfabrifen und Händler .

r

1816 | 1835

Dagegen zählen die

Fabriken für Zwirn. Seidezwirnereien Tuchfabriken. Wollwaarenfabriken

Fabriken für baumwollene ——

* =

= =

Shawlfabrifen . Bandfabrifen. Zeppichfabrifen .

leinene Waaren . jeidene Stoffe.

ua 1842 | 1850 | 1860 |

os ı8l 19 as| 52] 65 m 1198 344 | 168| 296 | 235] 221 M Bag wi ae Be a er er -|-| -| 4| 3#| 50| 7 666 9 MM 2 7 4 50 38| 14 108) 128| 182| 18 -|-| 5 @| 8 120, 157 46/100) 73 126 | 133] 177| 30 ———— 18 169 | 241 218|

| J— 911) 14 26 46 131) 16 162 210 281 393 517 531| 82 21, 73. 31 160 162) 224| 248 57 186) 264 | 196! 155| 14 665 |596 1576| 2629 | 3329| 3602 4821 26 25 2 49, 76] 108 Alan | 12 | 26 53| 34 HT) 32| 32 56, 58 91, 1325 18 ! 72| 117: 123 144 107| 1% | | 571!1165 | 983| 823; 106 54, 21) 51) 108, 163) 225) 40

1849 1861

21 18

9 5

20 3

96 44

55 15

1 =

99 25

3 50

5 35

1 3

Gewebeproduftion und Gemebehandel in Berlin. 531

1849 1861

Bofamentierwaarenfabrifen . 27 en Strumpfwaarenfabrifen . . . . 31 15 Spiten» und Züllfabrifen . . . . Weißzeugfabriken.. 2.2... 5 Webermeifter in Seide . . . . . 55 273 . s Baumwolle . . . 862 236 . * BEINEN. = 0% 26 2 . . Wolle. 2 2 .20..8836 1000 J Strumpfwaaren .. 44 46 Bandwaaren.. . . 29 11 Handwerfsmäßige Pofamentiere . . 210 261 Putmadergeihäfte. . » . . 211° 297

Man muß die beiden Tabellen. genau jtudiren und unter fich vergleichen, um nach jo verjchiedenen Auf- nahmen ein klares Bild des Inhalts zu befommen. Und doch ift das eine Kejultat jchon für einen ober- flächlichen Blick klar. Es hört die lokale Produktion auf; einzelne immer größer werdende Fabriken, die nicht ſowohl für Berlin, als für den Abjfak im Großen arbeiten, bilden fich, daneben vollzieht ſich die jelbjtändige Entwidelung des Detailverfaufs und Handels. Auf 3 Teppichfabrifen der offiziellen Tabelle fommen (1860 bis 1861) 27 Zeppichhändler und Fabrikanten des Adreßbuchs; auf 18 Zwirnereien der offiziellen Auf- nahme fommen 182 Garnhändler und Garnfabrifanten des Adreßbuchs. Das darf man daneben nicht über- jehen, daß fajt alle Dieje zahlreichen Handlungen, die durch das lokale Bedürfniß jeder Straße, jedes Stadt— theil8 hervorgerufen werden, ſich in irgend welcher Weiſe an der Produktion beteiligen, dies und jenes vollenden, nähen, zuſammenſtellen, ausſchmücken laſſen.

34 *

632 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Einzelne dieſer Verfaufsgeichäfte haben wohl auch einen großen Umfang, die Mehrzahl aber ift klein, bafirt auf dem allernächiten Iofalen Bedürfniß. Es fommt das in jozialer Beziehung in Betracht. Viele fleine Yeute, welche bier wie allerwärts früher als Prodizenten, als Handwerfsmeifter ihr Gejchäft trieben, leben jett als Händler; und häufig find es diejelben Perjonen, wie 3. B. ein Bericht aus Bunzlau jchreibt:! „Zuchmacher und Weber Faufen von größern Fabriken die Waare und leben faft nur no vom Handel.“ Bon den jüchfijchen Heinen Zuchmachern jagt ein fompetenter Berichterftatter: ? „Das Handwerf hat auch bier im reinen Handelögewerbe geendet.. Gleiches haben wir bei den Pojamentieren gejehen, es findet auch bei den Strumpfiwirfern jtatt und wird für die Weber bald nachgewieſen werben.”

Es iſt das, wie gejagt, für ven Sozialpolitifer, den nur die Erhaltung eines gejunden Meitteljtandes interejfirt, von Bedeutung. Er wird auf der einen Seite fich freuen, wenn wenigitens ein Theil der fleinen Geſchäfte jich jo hält, aber er wird auf der andern Seite zugleich betonen, daß der fich jo erhaltende Mittel- itand jedenfalls ein anderer tft, andere Menjchen, andere joziale Kräfte, andere Anfchauungen und Sitten in fich ihließt. Der Heine Händler ijt etwas Anderes, als der Fleine Meifter. Dieſer lebt von feiner Arbeit, jener

1) Zeitichrift des preuß. flat. Büreaus 1864. Bd. IV, S. 127; vergl. au oben ©. 211 ff. 2) Zeitſchrift des ſächſ. ftatift. Bilreaus 1860, ©. 135.

Der Gegenjat des Handmwerkers und Detailhändferse. 533

von jeiner Klugheit, jeinem Rechentalent; diejer hat fich von früh bis ſpät anzuftrengen, thätig zu jein, jener jucht Gewinn, nicht ohne zu arbeiten, aber doch ent- jpricht der Gewinn nicht jowohl der Arbeit, als der rich- tigen Reklame, der Mode, den Zufüllen der Konjunktur.

Aehnliche Mißbildungen aus Ähnlichen Urjachen, wie der oben bejprochene Kleinhandel mit Yebensmitteln, birgt auch ver Kleinhandel mit Geweben, Garnen, Bändern und derartigen Artifeln. Flagrante Beijpiele haben ſich neuejtens in den größern Städten gehäuft. Eine proletariiche Konkurrenz, die jich nicht genirt mit gejtohlenen Waaren zu handeln, ijt nichts Unerhörtes. Zeigte fich doch neulich in Berlin, bei Aufhebung der großen jeit Jahren thätigen Diebesbande, welch’ erichredend große Zahl für achtbar gehaltener Firmen mit gejtohlenen Waaren gehandelt Hatte. Man darf aus jolchen einzelnen Beiſpielen freilich nicht zu viel folgern; aber eben jo wenig darf man fie in einem Geſammtbild unjerer gegenwärtigen Zuftände überjeben. 68 fommt darauf an, ob die vorhandenen moralijchen Kräfte, eine jteigende Deffentlichkeit, eine gejunde fauf männtiche Preſſe, im Stande find, dem unreellen Zreiben die Waage zu halten und es in die Grenzen zurüdzudrängen, wie e8 immer als Folge einzelner Per- jönlichfeiten vorfommen muß.

8. Die Leinen= und Baumtmollenweberei für den Abſatz im Großen nebjt ihren Hülfsgewerben.

Die große Weberei des Mittelalters und ihre Organijation, Die Weberei des 18. Jahrhunderts. Der wachſende deutſche Erport von Yeinwand und Tuch. Die Organijation als Hausinduftrie. Die Bortheile und Nachtheile derjelben. Die Napoleonifhen Kriege. Die Leineninduftrie von 1806 an. Die Lage von 1816 —49. Die PVerichlechterung der Pro— duftion, die Noth der Weber, die geichäftliche Organijation, die Wermittlung durch den Falter. Die Zuftände von 1846-— 61, Beginn der Majchinenweberei. Die Berhältnifie, in welchen das Fabrifiyftem fiegt; die, in welchen die Haus— inbuftrie bleibt. Der Aufihwung der Baummollenweberet. Statiftit derfelben 1816— 61. Der Charafter der Unter: nehmungen: Fabriken neben Erhaltung ter Hausweberei. Die Roth der Weber; die durch bejontere Preisverhältniffe eintretende Wiederbelebung der Handweberei 1850 60. Der Sieg der Maichinenweberei auch in Deutſchland. Die lokale Bertheilung von Hand- und Majchinenmweberei in Deutjchland. Die theilweis mögliche Erhaltung der Hausinbuftrie. Die bandwerfsmäßigen Bleiher und die fabrifmäßigen Kunſt— bleihen und Appreturanftalten. Die Färbereien und Kattun— drudereien.

Der Lofalen handwerksmäßigen Weberei habe ich in den bisherigen Ausführungen die Weberei für ven

Die Gewebeinduftrie des Mittelalters, 535

Abſatz im Großen entgegengefett. Es war unter leß- terev dabei jowohl die Hausinduftrie, welche für ven großen Markt arbeitet, als die fabrifmäßige Weberei verjtanden. Wir Haben jetst noch zu unterfuchen, wie jich der Konkurrenzkampf zwiſchen diejen beiden Faktoren gejtaltet Hat, wo das Fabrikſyſtem und der Maſchinen— jtuhl die Hausinduftrie verdrängt haben. Das Schwierige iſt dabei, daß auch ver flüchtigite Ueberblick über die Geſchichte der betreffenden Induſtrien fich nicht geben läßt, ohne eine Reihe von mitwirfenden, aber umnjerer Unterjuchung ferner Tiegenden Urfachen hereinzuziehen. Die allgemeine Handelsgejchichte, die Rückwirkung polt- tiicher Ereigniſſe, das Zollwejen des eignen und der benachbarten Staaten und ähnliche Dinge find theil- weiſe beveutungsvoller für Aenderung oder Erhaltung diefer und jener Form der Induftrie geworden, als die direkten Vortheile und Nachteile dieſer und jener Art des Betriebs jelbit.

Zahlreiche handwerksmäßige Gejchäfte an demſelben Orte vereinigt mit theilweiſe gemeinſamen Einrichtun— gen, mit einem ſehr bedeutenden Abſatz nach fremden Märkten kannte ſchon das Mittelalter und zwar hauptſächlich in der Gewebeinduſtrie. In Gent ſollen ſeiner Zeit 40000 Webſtühle geſtanden haben, in Brügge ſollen zur Zeit der höchſten Blüthe 50 000 Men— jchen von der Verarbeitung der Wolle gelebt haben. In Köln wurden nach einem Aufjtande der Weber auf einmal 1800 Zuchmacher verbannt. Noch 1610 gab es in Augsburg 6000 Yeineweber. Von 1415 bis gegen 1564, bis die englijche Konfurrenz durch die vertriebenen

536 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige

Niederländer jo bedeutend zunahm, lebten die märftichen Städte faſt ausjchließlich von der Wollweberei.!

Es war eine Meaffeninduftrie, aber feine Groß— industrie. Die einzelnen Weber waren theilweije reiche Leute und traten als jolche in die höhern Klaſſen ver GSejelfichaft über, aber in der Hauptjache blieben fie, fo lange fie das Gejchäft betrieben, Handwerker, Meifter, die jelbjt Hand anlegten. Ob dieſe glückliche joziale Organijation der mittelalterlichen Gewebeinduftrie mehr Folge der allgemeinen damaligen wirthichaftlichen Zu— itände, der einfachen Zechnif, der mäßigen Kapitalvor- räthe war oder vielmehr Folge einer naiven jozialiftt- jchen Gejeßgebung, die im Einklang mit den Sitten und den moraliichen Anjchauungen jener Zeit abfichtlich eine gewiſſe joztale und wirtbichaftliche Gleichheit unter jammtlichen Produzenten erhalten wollte,? will ich bier nicht entjcheiven. Es würde zu weit abführen, wollte ich Hier das Entjtehen, die Vorausjegungen, die Urſachen der Blüthe jener Gewebeinduftrie jchildern. Nur das möchte ich betonen, daß auch damals, wie bei einer

1) Bergl. über die ältere Gejchichte der deutſchen Gewebe— induftrie: (Hildebrand), zur Geſchichte der deutſchen Woll- induftrie in feinen Jahrbüchern VI, 186 254, VII, s1— 153; Werner, Urkundliche Geihichte der Iglauer Tuchmacherzunft, Leipzig 1861; Hiftoriihe Nachricht von den Hauptmanufafturen ber Tücher ꝛc. in der Churmark, in den „biftoriihen Beiträgen die fgl. preuß. Staaten betreffend,’ Deſſau 1781; ferner Mone, Zeitichrift d. Gejch. des Oberrheins passim und die erwähnte Geſchichte der Linneninduftrie von Volz.

2) Das behauptet bauptiählih Schönberg in feinen Unter- juchungen über das Zunftweſen.

Die Organifation der mittelafterlihen Weberei. 537

handwerksmäßigen Mafjenindujtrie immer, das einzelne fleine Geſchäft nicht auf fich allein jtehen konnte. Die große Fabrif der Gegenwart ijt eine Einheit für fich, geleitet von einem Manne höherer Bildung und weiten Dlides. Bei der Hausinduftrie Handelt e8 fich immer um eine Reihe von Geſchäften, die theils in einander greifen, theils fich parallel entwideln müjjen, um einen gemeinjamen Effeft zu erreichen, die in der Mehrzahl von Yeuten mittlerer und geringer technijcher und kauf— männijcher Bildung geleitet werden.

Großes hat in den blühenoften Zeiten des kräf— tigen Städtelebens das Genofjenjchaftsweien für gleich- mäßige Produktion, für gemeinjame Ginrichtungen und gemeinfam organifirten Abjag geleitet. Aber angelehnt waren dieje genofjenjchaftlichen Imjtitute immer an die Zunft, und die Zunft war im ihrer beiten Zeit Feine den ſtädtiſchen oder ftaatlichen Behörden entgegengejetste Senofjenichaft, fie war Genoſſenſchaft und ſtädtiſche Behörde zugleich, von Rathe Eontrolirt, vom Rathe gehindert, egoiſtiſche Furzfichtige Beichränfungen eintreten zu laſſen, durch jchlechte Waarenlieferung den Krebit der Stadt zu fompromittiven, vom Rathe unterjtügt und nach Außen vertreten. Die Zünfte „errichteten oder brachten an ſich Wollfüchen, in welchen die rohe Wolle gereinigt, Kämmhäuſer, in welchen viejelbe gekämmt wurde, Walfmühlen, Schleifereien, um die Scheeren der Zuchicheerer zu jehleifen, Zuchrollen, Mange- und Färbehäuſer; fie beſaßen oder mietheten gemeinjam große Räume, wo die Tuchrahmen zum Trocknen aufgeſtellt wurden, Gärten, wo gebleicht, endlich Gewandhäuſer,

538 . Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

in welchen die Tuche verfauft wurden.” Ebenſo oft als die Zunft übernahm die Stadt jelbjt jolche Inſtitute. Der Name und das Siegel der Stadt garantirte in weiter Ferne die Güte der Waare. Im jeder Weije bemühten jich die jtädtiichen Behörden für das Gebeihen jolcher Gewerbe, auf welchen ver Wohlftand der ganzen Stadt ruhte.

Die territoriale Fürjtenmacht tat im 17, und 18. Jahrhundert, als der Zunft- und Gemeindegeijt tief geſunken, einer jelbitändigen gejunden Aktion nicht mehr fühig war, nur das Erbe des früheren ſtädtiſchen Regiments an, wenn fie num dieje Funktionen übernahm, wenn fie durch ihre Gewerbereglements, durch Legge— jtellen und Schauämter für die nothwendige gleichmäßige Produktion der einzelnen Eleinen Meiſter, wenn fie mit staatlichen Mitteln für mancherlei gemeinjame Einrich- tungen und Anjtalten jorgte. Nach dem Stande der Technif, nach der Bildung des damaligen deutjchen Handwerferjtandes, nad) den vorhandenen Kapitalmitteln war in vielen Zweigen eine blühende Induſtrie nur jo oder gar nicht möglich, Ohne dieje Vermittlung, ohne dieſe einheitliche DOrganifation war es nicht möglich, damals in Deutichland Tauſende von Heinen Unter: nehmern zur Wohlhabenheit und zur Thätigkeit für den Welthandel zu erziehen! Die Prohibitivmaßregeln, die Aus- und Einfuhrverbote, welche in merkantiliſti— ihem Sinne in Preußen umd anderwärts erlajjen

1) Bergl. oben S. 23— 46; über die Hausinbuftrie bauptfählid S. 44— 45,

Die große Weberei des 18. Jahrhunderts. 539

wurden, mag man verurtheilen; für die wichtigite Ge— webeindujtrie, für die Yeineweberei, waren fie gleich- gültig; ihre Blüthe beruhte auf dem großen Export; in freier Konfurrenz Hatte fie fich ihre Stellung auf dem Weltmarkt erfämpft, nnd die Wollindujtrie, Die Strumpfivaareninduftrie, auch Anfänge andrer Gewebe: indujtrien waren gefolgt, hatten ebenfalls begonnen zu exportiven.

Die deutſche Yinnenweberei des vorigen Jahrhun— derts hatte in Schlefien, in der Yaufis, in Weitfalen, in Osnabrüd, im Navensbergiichen ihre Haupftſitze. In Bielefeld hatte fich jchon jeit Anfang des Jahr: hunderts die Damajtweberei entwidelt. Mehr und mehr bezahlte Deutichland jeine Colontalwaaren mit Yeinwand; in den holländischen und jpaniichen Colonien war deutjche Yeinwand zu Haufe; vor Allem der Abjag über Spa- nien und nach Spanien war jehr beveutend; nach ver Schweiz, nad) Italien und Frankreich kam ebenfalls viel dentjche Leinwand, nach diejen Yänvdern mehr aus Süd— deutſchland; die vereinigten Staaten eröffneten nach ihrem Abfall vom Mlutterlande einen neuen großen Marft. Beſonders jeit 1776 jteigerte fich die deutſche Yinnen- ausfuhr von Jahr zu Jahr. Die Bevölkerung nahm in den Webergegenden raſch zu, die Bodenpreiſe ſtanden dort noch einmal jo hoch als anderwärts.! Die Kon: junfturen waren immer jteigende, der Begehr regelmäßig größer als die Produktion. Allein aus Schlefien wurden 1777 fir 3—4 Mill. Thaler Yeinwand direkt nach)

1) Gülich II, 226.

540 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Spanien gefandt.! Gegen 1800 hatte die jährliche Ausfuhr aus Schlefien an Leinwand einen Werth von gegen 13 Mill. Thaler. Der Werth der jührlic) aus der ſächſiſchen Oberlaufig ausgeführten Leinewand erreichte im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts durchichnittlich mehr als zwei Mill. Thaler.?

Die große märkiſche Tuchinduſtrie war durch den Zuchmacher hatten fich nach Sachjen gezogen, wo die Zuchmacherei. fortdauernd blühte, gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch die Wolle der 1765 und 1778 vom Churfürjten eingeführten Merinoheerven, durch ven Slanz des jächjiichen Hofes und durch Die Yepziger Meſſe einen neuen Aufjchwung nahm Aber auch in den preußiichen Staaten erblühte die Wollweberei, durch alle möglichen Regierungsmaßregeln befördert, wieder ; ? die franzöfiichen Refugies, jpeziell hiefür herbeigeholte Zuchmacher aus Jülich und Holand, die Gewerberegle- ments hoben die Zechnif; die jtehenden Heere jteigerten bier wie anderiwärts bedeutend die Nachfrage. Aber auch nach dem Auslande nahm der Abjat zu. Bran- denburgijche und jchlefiiche Zücher wurden nach Nieder: jachjen und Weftfalen gebracht; der Haupterport aber ging über Hamburg und dann Direkt nach Polen und Rußland. Während für die legten Jahre Friedrich's des Großen Mirabeau eine Gejammtproduftion in dem

1) Schlöter’s Briefwechlel Th. III, 69 70. 2) Wiek, induftrielle Zuſtände Sachſens ©. 234. 3) Siehe oben ©. 33.

Die große Weberei des 18. Jahrhunderts. 541

preußiichen Staate von 5, Mill. Thlr. Wollwaaren und einen Export von 1 Mill. Thlr. annimmt, wird die Gefammtproduftion von Krug für 1802 auf 13 Mitt. berechnet, wovon über 7 Mill. ausgeführt wurden (neben einer Einfuhr von etwa 2 Dill.).*

Die Seiven- und Baumwollenweberei arbeitete mehr für den innern Bedarf, war aber im einzelnen Gegenden auch jchon ziemlich bedeutend. Erſtere am . Rhein und in Berlin, letztere beſonders im ſächſiſchen Boigtlande, wohin jchweizer Spinner und Weber dieſe Induftrie ſchon im 17. Jahrhundert gebracht hatten. Auch die Erzgebirgiiche Spigen- und Strumpffabrifation erijtirte jchon als blühende Hausinduftrie mit einem sicht unbeträchtlichen Abſatz nach außen.

Die Organiſation der Weberei war faft überall diejelbe, wie die jtaatliche Beauffichtigung durch Regle— ments und Schauämter. Die Weber waren bejonders in der Linnen= und Strumpfwaareninduftrie faſt durch: aus jelbjtändige Unternehmer, häufig zugleich Fleine Haus- und Grundbefizer, Eigenthümer der Webjtühle ; die wohlhabendern bejchäftigten ein oder ein paar Ge— bülfen. Sie verkauften meiſt direkt, d. h. ohne die Zwilchenhand eines Factors, eines Kommijfionärs, in der Regel auf bejondern Märkten an die Kaufleute, welche die Waare bleichen, färben und zurichten ließen, diejelbe in den Welthandel brachten. Die Kaufleute waren jelbjt zu einem großen Theil wohlhabend gewor- dene Weber. Sie erhielten die Aufträge auf die beftimmt

1) Dieterici, Volkswohlſtand S. 20— 21.

542 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

bergebrachten Arten von Geweben aus Hamburg, Bre— men, aus den Abjatlänvdern jelbit.

Der Bortheil der DOrganijation lag eben darin, daß die großen Gewinne fich auf jo viele Fleine Unter- nehmer vertheilten, daß die große Induftrie auf die Weiſe Herabjtieg in die Hütte des Heinen Handwerkers, fi) auf dem Lande anfievelte, jene glüdliche Verbin— dung mit der Bewirthichaftung eines Fleinen Grundſtücks erlaubte, welche 3.3. Bowring noch im Jahre 1839 zu den begeifterten Lobreden auf Die deutſche Gewebe— industrie im Gegenjat zur englijchen veranlaßte.

Dagegen Tießen Nachtheile auch jchon Damals fich nicht verfennen. Die überwiegende Mehrzahl ver Pro- duzenten waren weder technijch noch kaufmänniſch gebil- dete Handwerker ; ſchwerfällig hielten fie am Hergebrach- ten fejt. Wollte je Einer Etwas Neues einführen, jo hing er 3.2. in der Wollinduftrie vom Spinner und Kämmer oder Streicher, von der Ortswalfe, vom Zuchicheerer ab.” Der Kaufmanır, der einen neuen Artikel verlangte, hatte die verjchiedenjten Leute und Geſchäfte Dazu anzulernen, mußte ihnen Die neuen Mujter, den neuen Robftoff liefern. Von einem Anjchmiegen an den wechjelnden Geſchmack des Publikums, von vajcher Einführung neuer Methoden konnte nicht die Rede jein. Nur langſam, mit Verlujten, durch veränderte Regle—

1) Sohn Bowring’s Beriht über den deutſchen Zollver- band, lberf. von Dr. Bued, Berlin 1840, ©. 85.

2) VBgl. Rojcher, Anfichten der Volkswirthſchaft S. 147 bis 148.

Bortheile und Nachtheile der Hausinbuftrie. 543

ments war dies möglich. Ganz beftimmte Arten von Geweben mit feiten Namen, bejtimmter Breite und Stücdlänge konnten in der Negel mur gefertigt werben. Dei ihnen mußte man ſchon bleiben, weil nur über ſolche feftitehende jtereotype Produkte eine Kontrole durch Schauämter, eine Stempelung möglich war; und dieſe Kontrole wieder war unentbehrlich, weil ohne fie die Waaren, welche der einzelne Kaufmann lieferte, welche aber Dutzende von Webern gefertigt hatten, zu ungleich mäßig ausgefallen wären, weil unter den Heinen Webern immer viele waren, die nicht jo weitfichtig fein konnten, wie heute jede große Fabrik es ift oder jein jollte, einzujehen, daß Heine Fälſchungen und Nachläjfigfeiten den ganzen Abjat gefährden.

Große politiiche Stürme, große anhaltende Stodun- gen des Abſatzes, bedeutende Fortichritte in ver Technif, veränderte Anfchauungen über Recht und Pflicht des Staates, fich der Induſtrie des Landes anzunehmen, das waren Schläge, welche eine derartig organifirte Hausinduftrie doppelt treffen mußten, zumal wenn fie ſich fajt alle zu gleicher Zeit vereinigten.

Die napoleoniichen Kriege, die Kontinentaliperre, die Vernichtung des auswärtigen deutichen Handels, die großen Veränderungen innerer und äußerer Zolllinien und Zollfäge haben je nach den einzelnen Induftrien auf Deutjchland jehr verſchieden gewirkt; einzelne, wenig entwidelt und jet von der englijchen Konkurrenz befreit, haben große Fortjchritte in diefer Zeit gemacht; andere, deren Abja bisher über England, überhaupt nach Staaten und Yändern gegangen war, mit denen ver

544 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Handel damals unmöglich war, mußten um jo empfind- licher leiden; da die Stodung eine Jahrelang audauernve war, mußten die bisher von Deutjchland aus werjorgten Yinder entweder ihre Induſtrie ſelbſt entwiceln over nit andern Bezugsquellen ſich in Verbindung jegen.

Das war zunächjt der Hauptichlag, der die deutjche Yinneninduftrie traf! und zugleich die englijche bob, wie ich oben jchon bei Beiprechung der Flachsipinnerei zu zeigen juchte. Englands Marine, jein auswärtiger Handel nahm zu, ihm allein jtanden die Märkte ver Kolonien noch offen, die Kinnenpreije jtanden dort hoch; es warf fi) mit Macht auf diefe Induſtrie, in der Spinnerei die Majchine, in der Dleiche und Appretur die neuen Methoden, in der Weberei aber auch noch jajt durchaus den Handſtuhl bemugend.

In Deutichland war die Noth in den Weber- dijtriften in jener Zeit groß, freilich verjchieden je nach- dem die Weberei ausjchliepliche Erwerbsquelle der Yeute war over nicht. Der Abſatz jtockte, Die Preife waren gedrückt und doch jchränfte fich die Produktion nicht ein. Die fleinen Meiſter fuhren fort zu arbeiten, ja die eben erlaſſene Gewerbefreiheit in Preußen und die Noth auch in andern Gewerbszweigen veranlaßte da und dort jogar noch einen weitern Zudrang, bejonders in Schlefien. Während die Leinwandfaufleute und die wohlhabenden Weber fich eher aus dem Gejchäft zurückzogen, um nicht auch, wie jo manche ihrer Kollegen, Banferott zu machen, vermehrte fich das Angebot der Fleinen unvoll-

1) Gülich II, 337— 376.

Die preußiſche Leinemweberei 1806 15. 545

fommenen Weber. Hätte das Gejchäft geblüht, jo wären jene, die fich jegt mit ihrem Vermögen zurüczogen, die berufenen Yeute gewejen, die Fortjchritte Des eng- liſchen Maſchinenweſens nachzuahmen. Bei der Ueber- produktion aber war feine Veranlaſſung hiezu. Und die, welche bei ver Weberei blieben und neu fich zudräng— ten, waren die mittellojen und ungejchietern Weber. Sie fingen im Gegentheil mehr und mehr, freilich durch die Noth getrieben, an, zu verjuchen, ob fie Durch jchnelle, ſchlechte umd gefälichte Produktion nicht erjegen könnten, was fie an den gedrückten Preijen verloren.

Es kann in diejer Beziehung nach den übereinjtim- menden Ausjagen der Sachverftändigen ! nicht zweifel— haft jein, daß Die Gewerbefreibeit und die in Folge hievon eingetretene larere Handhabung oder volljtändige ichtachtung der Reglements verhängnißvoll bejonders für die jchlefiiche Linnenweberei geworben iſt. Stände, Regierung und Kaufleute jaben das nad Jahren ja auh ein. Man verjuchte im Schlefien 1827 die Kontrolen theilweife wieder berzuftellen, wie ich jchon

1) Ich verweije hauptſächlich auf Schneer und das große dort angeführte Material. Auch in Frankreih fanden in den vierziger Jahren vielfache Verhandlungen ftatt, ob nicht der finfenden Hausinduftrie duch Wiederherftellung der alten Kon- trolen aufzubelfen ſei: Zollvereinsblatt 1845, ©. 922, noch 1856 erflärt Moreau de Jonnes den Zuftand der Kleinen Leine- weber für einen folhen, dem nur durch verjchiedene Staats - und Gemeindeanftalten ꝛc. zu helfen jei, Statistique de l'in- dustrie ©. 184— 185. Aehnliche Beratungen in Sadjien, die aber auch zu feinem Refultate führten, Wiek ©. 241

Schmoller, Geſchichte d. Mleingewerbe. 35

546 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

bei Betrachtung der Spinnerei erzählte. Aber es war ſchwierig; man fand Widerſtand aller Art; für einzelne größere jolive Gejchäfte war jede Derartige SKontrole überflüjfig, daneben läjtig und hemmend. Eine jehr große Zahl anderer Kaufleute und Weber, die jeit Jahren jchlechte und gefälichte Waaren Tieferten, hatten alle Urjache, aus dieſem Grunde Oppofition zu mache. So wagte man nicht die Schau und Stempelung obli- gatoriich zu machen; e8 wurde nur angeoronet, daß Die Weber gejtempelte Weberblätter benuten jollten, worin, wenn fie fie anmendeten, allerdings eine Kontrole der Breite des Gewebes und der Fädenzahl der Kette gele- gen hätte.

Ich Habe übrigens damit der Erzählung weit vor- gegriffen. Zunächſt Hatten ſich die Verhältniſſe nach 1815 wieder etwas gebejjert, wenigſtens ein Theil des Abſatzes nach Außen war, wern man billig genug ver- faufte, wieder zu gewinnen.“ Der Abjak in Deutjch- land ſelbſt bob ſich mit rückkehrendem Frieden; das preußiiche Zollſyſtem, jpäter der Abſchluß des Zollvereins wirften günſtig. Wo man jtreng an der Naturbleiche fejthielt, Hhauptjächlich feines Garn, das die Majchine noch nicht Tiefern konnte, verwebte, wie in Bielefeld,? wo jtrengere Kontrolen die Solidität des Gejchäfts auf- recht erhalten hatten, wie in Hannover, da nahm der Abſatz ſogar theilweie einen neuen Aufſchwung. In

1) Gülich II, 412.

2) Berhandlungen vor dem Berliner Handelsamt, Zoll- vereinsblatt von 1845, ©. 601. Ausjage, daß ber Leinen- handel Weftfalens feine glüclichfte Zeit 1833 39 gehabt habe.

Die Lage der Leineweberei 1815 40. 547

Hamover Hatte ſich die Yinnenprobuftion noch von 1826 bi8 38 verboppelt.!

Aber im Ganzen wurde die Yage nicht beffer, fon: dern immer jchlimmer. Die Konkurrenz der Baumwolle und der billigern engliichen und irtichen Yinnenprobufte drücte jchtwerer umd immer jchwerer. Das Sinfen der Leinwandpreiſe Hatte beſonders in den zwanziger Jahren begonnen. In Schlefien jagt Gülich ſanken vom Jahre 1823 1828 die Preife der meijten Yeinen- gattungen in dem Verhältniſſe von 7 zu5, im Osna— brüd’jchen wenigftens in einem eben jo großen; eine Eile des Hier viel gefertigten Yöwentlinneng, welche man im Jahre 1815 mit etwa 100 Pfennigen bezahlt hatte, foftete im Jahre 1828 nicht die Hälfte, in Münden faufte man im lettern Jahre ein Stüd der in der Um— gegend gemachten groben Leinwand, deren Preis im Jahre 1825 etwa 4 Thlr. war, für 2”, Täler.

Bejonders in Schlefien beantwortete man das Sinken der Preife mit Ausnahme weniger großer joliver Häufer, wie Kramſta durch eine immer ichlechtere Produktion und jchädigte dadurch den Ruf der deutſchen Leinwand immer mehr. Die neue Schnell- bfeiche wurbe theilweile eingeführt, ohne daß man jie recht verjtand. Verbrannte Waare, die beinahe im Stüd nicht mehr zujammenbielt, wurde nochmals geſtärkt und appretirt zum Export verpadt. Die betrügerijche Vermiſchung mit Baumwolle nahm von Jahr zu Jahr

1) Bowring’s Bericht über den deutſchen Zollverband ©. 70, 35 *

548 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

zu,! weil viele Häufer nur jo die tief gejunfenen Preije glaubten aushalten zu fönnen. Der einzige technijche Fortichritt war der, die beigemengte Baumwolle jo zu verjteden, daß kaum das geübtefte Auge dieſe Stoffe von unvermengtem Linnen zu unterjcheiden vermochte. Ueber die engliiche resp. irijche Konkurrenz will ich nur einige Worte bemerken. Durch was fie bis 1840 wirkte, war weder der Majchinenftuhl noch ein Herabbrüden des Handlohns, jondern das billige Ma— ichinengarn und die Lieferung joliver gleichmäßiger reeller Waare. Im Jahre 1835 exiftirten in ganz Großbri- tannien erit 309 Majchinenftühle für Leinwand, während für Baumwollwaare 109626, für Wollwaare 5 127, für Seidenwaare 1714 gingen.” Und die Ausfuhr war von 1800 bis zu Diejer Zeit beveutend gejtiegen, wenn auch die Hauptzunahme erſt jpäter fällt.” Der

1) Bergl. Gülich IV, 437. Zollvereinsblatt 1844, ©. 928 Ichreibt eine Korreipondenz aus Merico: „Den größten Fehler begingen die Deutjchen durch ein jchmales Gewebe und jchlechtes Maß. Ein anderer Fehler der deutſchen Waare ift die ſehr große Berjchiedenheit von Faden, Gewebe, Farbe, Appretur, Etiquette und die unendliche Mafje Nummern, welche die Käufer verwirrt. Nur ein Freiburger Haus hat von allen deutjchen Habrifanten ſich gut gehalten, es führt wenige allgemein befannte Nummern, welche immer diefelben bleiben und an Qualität fi gar nicht ändern.

2) Porter, progress of the nation, new edition. Lon- don 1851. ©. 200.

3) Porter, ©. 225 fi. Hanſemann, die wirtbichaftlichen Berhältnifje des Zollvereins, berechnet ©. 35, daß die großbrit. Ausfuhr betrug 1836/40 jährlich 78 Mil. Yards Linnengewebe, 1846/50 - 99, 1856/60 - 136 Mill. Narbe.

Statiftif der Leinewebftühle 1816 49. 549

Preis dejjelben Stüdes Kanvas war nach Porter von 1813 33 von 30 auf 16 18 sh, gefallen, der Web: lohn eines jolchen Stüdes nur von 2 sh. 8 p. auf 2 sh.6 p.

Wie geitalten fi dem gegenüber die deutſchen Berhältniffe bis zum Höhepunkt der Krijis zu Anfang und Meitte der vwierziger Jahre, bis zu jener Zeit, im welcher das Sinfen der Preife und der Rüdgang der deutjchen Ausfuhr am jtärkiten war?! Die Zahl der gewerbsmäßig in Preußen gehenden Webftühle war nach der Aufnahme folgende:

im ganzen Staate im Schlefien ?)

1816 . » 43045 16 245 1831 . . . 35668 12344 1834 . . . 36879 12799 1837... 35877 12 347 150 . . . IM ° 13524 1843... 34451 _

1846 . . 45029

1849. 48384 10 667

1) Die Ausfuhr über Bremen und Hamburg batte 1839 44 etwa um 50 %, abgenommen, Zollvereinsblatt 1845, S. 1021. An roher Yeinwand hatte der Zollverein noch 1834 eine Mehrausfubr von 9440 Etnr., von ba eine Mebreinfuhr, 1842 46 3. B. von jährlih 12331 Ctur. Die Mehrausfuhr gebleichter Leinwand mar 1842 noch 57499, 1860 - 18.693 Etr.

2) Die offiziellen Zahlen Schlefiens find nah Schneer viel zu niebrig; man zählte 1846 - 12 347 gewerbsweiſe, 8 820 als Nebenbeihäftigung gebende Webftühle, zuf. 21167; die Zahl der Spinner war nad ihm jedenfalls noch die vierfache damals, hierzu fommen die Spuler und Bleicher, fo baf die Zahl ber notbleidenden Arbeiter ohne ihre Kinder minbeftens auf 120000 anzufchlagen ſei. Schneer ©. 56.

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550 Die Umbildung einzelner Gewerbsjweige.

Bon 1816 31 eine bebeutende Abnahme; fie ift aber in Wirklichkeit nicht von großem Einfluß, da in diefer Zeit die als Nebenbeichäftigung gehenden Stühle um jo mehr zunahmen. Bon 1831 —49 troß ber furchtbaren Krifis im ganzen Staate eine Zunahme, in Schlefien erſt gegen 1849 eine Abnahme. Sehr viele Weber zivar gingen in dieſer Zeit jchon zur Baumwoll- weberei über, dafür aber refrutirte jich die Zahl der Leineweber immer wieder aus den Reihen der Spinner, die in noch jchlimmerer Lage fich durch den Uebergang zum Webſtuhl zu Helfen juchten.!

Diefe Stabilität der Zahl hängt zujammen mit dem jchlimmfterr Uebeljtand der Yeineweberei: alle Un- gunft einer langjam durch Jahrzehnte hindurch finfenden Preisfonjunftur wurde ertragen durch den langſam aber ficher immer tiefer finfenden Yohn, durch die jukzeffive Einjchränfung der Bedürfniſſe, welche eine genügjame Arbeiterbevölferung fich gefallen ließ. „Die Löhne“ ruft Schneer „wurden immer mehr herabgejetst, die Indolenz, der Eigenſinn und das Kleben am Alten, welche die eigenthiimlichen Charakterzüge des jchlefifchen Arbeiter bilden, Tieß die Weber und Spinner bei der großen Zahl der Bewerber um Arbeit, mit dem Noth: bürftigen und endlich mit dem Nothoürftigiten des Lebensunterhaltes fich begnügen.“ ? Und jelbjt wenn

1) Bgl. 3.8. Zollvereinsblatt-1845, ©. 520, über bie Spinner im Eichefelde, welche zur Weberei übergingen.

2) Ueber die ſchlechte Ernährung in den ſchleſiſchen und jächfi- ichen Weberbiftriften: Michaelis, über den Einfluß einiger Iu- duftriegweige ꝛc. Noch 1863 fehreibt die amtliche Kreisbefchreibung

Schilderung ver jchlefiichen Nothſtände. 551

die Weber andere Erwerbszweige hätten ergreifen können und wollen, e8 gab Deren vor 1846 kaum welche. Der tägliche Yohn für die mühevolle 14 16 ftündige Arbeit eines Webers, zugleich für Abnutzung der Ge— räthichaften, Benutung der Wohnräume, Heitung und Beleuchtung, für Beihülfe von Frau und Kindern wird im Durchſchnitt nicht über 2 3 Sgr. damals betra- gen haben.!

Mit den Bedürfniſſen und den Aniprüchen an’s Leben ſank die geiftige und moralifche Spannfraft ver Bevölkerung noch mehr; eine dumpfe, apathiiche Re— fignation lagerte fich über ganze Gegenden; won Gene— ration zu Generation wuchs ein jchwächlicheres Gefchlecht. Die Leute waren rührend fleißig, auch Trunkenheit und andere hervorſtechende Laſter waren in den Webergegen- den nicht zu Haufe; aber e8 mangelte an jeder höhern techniſchen und ſonſtigen Bildung und an allen Bildungs: elementen in den abgelegenen Gebirgsfreijen. Ueberfrühe Shen und ein großer Kinberreichthum bildeten wie gewöhnlich die Folge eines jozialen Zuftandes, von dem es ſchien, daß er fich nicht mehr verjchlechtern könne.

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von Neurode in Schlefien (Jahrbuch für die amtliche Statiftik II, 306): Die Lohnweber haben jo geringen Berbienft, daß fie mit den ichlechteften Nahrungsmitteln Kartoffeln ohne Butter, Klößen oder Suppen von ſog. Schwarzmehl u. ſ. w. fih begnügen müffen; babei arbeiten die Lohnweber oft Die ganze Nacht hin- durch, Arbeiter in den Spinn » und Appreturanftalten 18 Stun- den täglich.

1) Gülich II, 489. Schneer gibt 1844 den Lohn bes Leinewebers auf 10 20 Groſchen für die Woche an.

552 Die Umbildung einzelner Gewerbözweige.

Noch weniger als früher waren die Leute fähig zu irgend welchem Fortichritt, zu neuen Methoden, Muftern und Berbefferungen. Die Verſchuldung ſtieg. Manche griffen wieder zum Spinnen und Striden, weil fie in ber Roth den Webjtuhl verfauft hatten. Viele zahlten eine jährliche Miethe bis zu 4 Thaler für einen Stuhl, welcher höchſtens 6 Thaler werth war. !

Wer alles gewerbliche Leben immer nur fich jelbit überlaffen will, wird über dieſe Zujtände Niemand einen Borwurf machen dürfen. Wer aber auf dem humanen Standpunkt jteht, die Befigenden und Gebildeten einer Gegend einerjeits, die Lehrer, Geiftlichen und Beamten andererjeit8 jtetS mit für verantwortlich zu halten für die Bildung, für die Lage ihrer Nachbarn, ihrer Ge— meindegenoffen, ihrer Arbeiter, der wird allerdings Die Negierung ! und die größern Induſtriellen, die Kauf—

1) Bergl. oben die Schilderung ber bairiſchen Weber- biftrifte S. 128 131.

2) Die Klagen bei Schneer konzentriren fih auf Die Hand- babung der ländlichen Polizei, auf die Unthätigkeit unfähiger Landräthe und auf den ganzen Stanbpunft ber Regierung. Nach feiner Anficht hätte Die Regierung, wenn fie die MWeberei balten wollte, die Reglements ftreng wieberherftellen, tie Ver— mittlung des Abjates in großartiger Weile durch die See handlung und Eonfularifche Thätigfeit übernehmen müſſen; ftatt dem wurde jehr viel Geld ausgegeben, hauptjächlich in ver Form von zinslojen Darlehen (je bis zu Poſten von 8000 Thalern) an einzelne Leinwandfaufleute, damit fie die Weber beichäftigten ; viel beſſer, meint Schneer, wäre biejes Geld zur Gründung von Weberlompagnien (Affoziationen) verwendet worden, beren erfie Leitung man natürlich hätte in dev Hand behalten müflen.

Schilderung der fchlefiichen Nothſtände. 553

leute Der dortigen Gegenden großer Unterlaffungs- jünden zeihen.

Abgejehen aber hiervon find die maßloſen Vor: würfe, mit welchen man die Kaufleute überhäufte, ſie nußten die Noth der Weber aus, meijtentheils über- trieben; es geſchah lokal und individuell; aber im Ganzen Handelten fie nicht anders, als die heutigen Unternehmer in der Kegel handeln; die einzelnen als jolche waren nicht jchlimmer, als andere Gejchäftsleute. Site drüdten möglichjt die Preije, weil fie jelbit kaum bejtehen konnten. Sie juchten, ohne aus dem alten Geleiſe des bisherigen Gejchäftsganges herauszufommen, ohne die Mühe und die Gefahr auf fich zu laden, neue Methoden und Majchinen einzuführen, noch möglichit zu bejtehen, noch möglichit Gewinne zu machen, und das ging nicht anders, als durch möglichite Herabdrückung des Yohnes; es gelang immer, weil das Angebot von Arbeitern zu groß war.

Härter als über die Kaufleute, wird fich auch die gerechtejte Beurtheilung über die Faktoren, Mäkler, Kommijfionäre ausjprechen müjjen, welche fich mit der jteigenden Noth mehr und mehr zwiichen Weber und Kaufmann einjfchoben, obwohl auch diejes Verhältniß nicht nothiwendig, nicht an fich jchlimm tjt, unter Um— jtänden heilſam und unentbehrlich jein kann und einzelne achtbare Perjönlichkeiten im fich bergen mag. Speziell bier aber gaben und konnten fich nur harte ungebilvete Menjchen mit diefem Gejchäft abgeben; die Verhältniſſe waren wie zu Mißbrauch und Betrug einladend; es wurde ein ähnliches Verhältniß, wie das des Middleman,

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554 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

der zwiſchen dem irifchen Zwergpächter und dem Grund- befitzer jteht.!

Der Faktor jteht zum Weber in verfchiedenem Ver: hältniß; bald ijt er nur Käufer feines Gewebes, bald ift er Gläubiger over Eigenthümer des Stuhls, ver bei iHın für Lohn arbeiten läßt. Der Weber ijt jo wie jo vom Faktor abhängig. Der Geichäftsgang ift meiſt jo. Der Faktor läßt fih vom Kaufmann das Garn zu ei nem bejtimmten Auftrag gegen bejtimmten Preis zu: meſſen. Wo er arbeiten läßt, was er dem Weber zahlt, darum kümmert fih der Kaufmann nicht. Der Weber erhält mit der Zeugprobe den fogenannten Scheerzettel, auf dem vom Kaufmann nach Gut: dünken die Strafen feſtgeſetzt find, welche für zu kurzes Maß, zu wenig Schuß, unveines Ablejen und

1) Die verſchiedenſten Zeugniſſe laffen ſich hierfür anfüh- ven, von Webern, von Kaufleuten, von amtlicher Seite; außer Scneer und Michaelis fiche die Notizen aus den Kreisbejchrei- bungen, Zeitſchrift des ftat. Bür. IV, 126. Degentolb, felbft ein großer Weber, jagt Arbeitsverhältnifie ©. 36: „Können die Weber nicht in großen Werfftätten vereinigt arbeiten, fo follte wenigftens bie Ummittelbarfeit zwilchen Arbeiter und Arbeitgeber hbergeftellt und alle läftigen Mittelsperionen, als Garnhändler, Faktor und Aufkäufer 2c., entfernt werben.” Im Frankreich find vielfach ähnliche Zuftände in ber Gewebeinduſtrie; und baber ift ber Ausspruch eines franzöfiichen Arbeiters: les commissionaires c’est la lepre de notre industrie, begreiflich ; fiehe Saraffin in Gelzer's MDonatsblätter Bb. 33. Heft 2. S. 117. Bergl. Rocher, Anfichten der Vollswirthſchaft S. 144 bis 145 u. ©.165, wo er von ben Mitteleperfonen ber engli- chen Metallhausinduftrie erzählt und bie verurtheilenden Aus- ſprüche Leon Faucher's über fie anführt.

Die Stellung der fogenannten Faltoren. 555

Achnliches vom Lohne abgezogen werben. Die Ab- züge werben mit echt oder Unrecht vom Kaufmann dann dem Faktor gemacht, der fih an den Weber halt. Remonjtrirt ver Weber beim Faktor, jo zeigt diejer ihm das Yieferbuch, in dem der Abzug verzeichnet ijt, vemonftrirt er beim Kaufmann, jo erhält er die Antwort, er jolle fih an den Faktor halten, der Kauf: mann. wifje ja nicht, wer dieſes oder jenes Stüd gemacht habe. Zur Klage fommt es nicht, das risfirt der arme Weber nicht. Sehr oft kann er es auch nicht risfiren ; oftmals liegen wirkliche Defekte vor. Die Noth, das Unrecht, das der Weber glaubt erdulden zu müſſen, hat es dahin gebracht, daß jelbjt früher ordentliche Yente fait immer etwas Garn auf Die Seite bringen. In fait jedem Weberborfe gibt e8 Yeute, won welchen jever weiß, daß fie mit geftohlenem Garn handeln. Alte Parteien befinden ſich in einer Art Kriegszujtand und jeder ſucht den andern zu übervortheilen, zu täufchen, zu betrügen.

Der Hauptübeljtand der Faktorenwirthſchaft ijt der, daß dadurch jeder fittliche Zuſammenhang zwiſchen Arbeit: geber und Arbeiter aufgehoben tft. Der Fabrifant Fennt jeine Arbeiter nicht, er weiß nicht, wen umd wie viele Yeute ex bejchäftigt, er hat nicht das Gefühl der Ver— antwortlichkeit, dieſe bejtimmte Zahl Yeute zu diejem Gewerbe veranlaßt zu haben, fie daher möglichit in gleicher Zahl dauernd beichäftigen zu jollen. Haupt: jächlich aus dieſem Grunde Yajten auf dem Gewerbe die drüdenden Wechjel der Konjunktur läftiger, als auf irgend einem andern.

596 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Nachdem in den vierziger Jahren bie Zuſtände hauptſächlich in Schlefien, bis auf einen gewiſſen Grad auch anderwärts, fich bis zu dieſer Entſetzlichkeit ent- wickelt hatten, nachdem ſelbſt die Zeit der höchſten Noth wohl Hunderte dem langſamen Hungertode über- tiefert, aber die Mafje der Weber, wie die ganze Ge— ſchäftsorganiſation Doch in alter Weife erhalten hatte, ncachdem der wichtigjte Theil des auswärtigen Abjates eirımal verloren war, mußte e8 in den folgenden Jahren eher wieder etwas bejjer werben. Die Probuftion hatte ſich doch jedenfalls etwas eingejchränft, es handelt ich jetst hauptjächlich nur noch um ben innern, von Zöllen gejchügten Bedarf. Daraus erklären fich die preußiichen Zahlen von 1846 —61, die ich hier einſchiebe:

Webftügge Meifter und gabriken Wechaniſche

Gehülfen Webftühle 1846 . . 45029 50 770 217 15 1849 . . 48384 56.037 274 46 1852 . . 49791 56 428 235 33 1855 . . 46397 52155 204 30 1858 . . 45659 45 941 183 78 1861 42860 42621 69 244

Der ganze Zollverein zählte nach dem Zollvereing- bureaun 1861 - 120278! Webjtühle mit 87812 Mei: jtern und 39833 Gehülfen, neben 301 jogenanten Fabriken mit nur 350 Majdinenjtühlen.

Diefe Zahlen find feine erfreulichen, nicht ſowohl weil jie von 1852 —61 cine fleine Abnahme der

1) Die Webflüühle find nach meiner obigen Ausführung wohl auch etwas, aber micht viel zu niebrig, ba mit den Fabriten nur 2678 Hanbftühle aufgeführt find.

Die Leineweberei von 1846 61. 557

Stühle, der Weber, auch der Fabrilgeſchäfte, deren Zählung übrigens wenig zuverläjfig erjcheint, zeigen, jondern weil aus ihmen erjichtlich ift, Daß bis 1861 jo ziemlich die alten ungeſunden Verhältniſſe ſich erhalten haben.

Marcherlei Verbejjerungen waren zwar da und dort eingetreten. Die Bleihe und Appretur einzelner größerer Gejchäfte hatte fich vervolllommnet, die Mujter- weberei war da und dort mit beſſern Stühlen einge: führt worden. Wo jolche Fortichritte gemacht wurden, jtieg auch der Lohn; aber die Mehrzahl blieb unberührt hiervon und begnügte ſich mit einem Yohn, der etwas beſſer als in den vierziger Jahren, aber immer noch ichlecht genug war. Zu Anfang der jechöziger Jahre war der tägliche Verdienſt eines Hirichberger Damajt- weberd wohl 10 12 Gr., eines Bolfenhainer Webers ganz feiner Leinwand jogar 10—15 Gr., aber der gewöhnliche Weber fam täglich noch nicht über 3—4, wöchentlich über 20 25 Grojchen. !

Jetzt erit hatte die Mafchinentonturrenz begonnen und drückte den Yohn für einfache Gewebe, nachdem er kaum etwas zu jteigen begonnen, wieder herab. Man hatte gelernt, das Mafchinengarn jo zu fpinmen, daß es auch den Maſchinenwebſtuhl aushielt; die große Nein-

1) Zeitichrift des prenf. flat. Bür. IV, 126— 128 „über die Lage der Weberbevölterung in Schleſien;“ Jahrbuch für die amtliche Statiftit IT, 264 348, die zahlreichen Angaben aus den amtlichen Kreisbeichreibungen; aus Ratibor wird geichrieben: Der Lumpenfammler verdient täglich 10 Sgr., der Leineweber 4—5 Sgr.

558 Die Umbildung einzelner Gewerbözweige.

heit, die vollfommene Gleichheit, das gefällige Ausjehen des engliihen Majchinengewebes gewannen mehr und mehr Beifall. Für den Weltmarkt werben bauptjächlich ſolche Gewebe gewünjcht. Man erfannte den Bortheil der englifchen mechanifchen Webereien, welcher darin liegt, je nad den SKonjunfturen die Produktion zu jteigern oder zu mindern, ohne eine ganze große Weber- bewsölferung zeitweife heranzuziehen und wieder in Un- thätigkeit zu verſetzen.

Dennoch war es lange fraglich, ob der deutſche Fabrifant nicht noch immer billiger produzire, wenn er die Noth des armen Handivebers ausnutze, jtatt fich theure Mafchinen anzujchaffen. Die Zahl der Majchinen- ſtühle war 1858 noch verſchwindend, 1861 ijt fie etwas gewachſen, dann erjt jtieg fie raſch; 1867 wurde fie auf 1800 im Zollverein geſchätzt; in Frankreich dagegen ſollen ſchon 4000, in Belgien 3000 Majchinenjtühle geben, in England zählte man 20000, 1

Man ging in Wejtfalen, in Schlefien und andern deutſchen Gegenden zur Maſchinenweberei über, ald end— lich mit der großen Nachfrage nach Arbeitern von 1862 an die Handweber anfingen, maſſenweis zu einfacher Tagelohnarbeit überzugehen.? Es kann fich jegt die Hand-

1) Oeſtr. Ausftellungsbericht Band IV, ©. 50.

2) Preußiſche Handelsfammerberichte pro 1865, ©. 144 Abnahme in Bielefeld; S.258 in Gladbach; S. 325: in Hirſch— berg wollen frühere Leineweber jelbft gegen eine Erhöhung ber Löhne um 25 % nicht mehr zu der alten Beſchäftigung zurüd- tehren; S. 633: im Eichsfelde jogar wird die mechaniſche Weberei wegen Mangel an Arbeitskräften notwendig.

Die Konkurrenz der Mafchinenweberei. 559

weberei für einfache Sorten nur unter beſondern Verhält— nijjen noch erhalten; z. B. da, wo die Männer an Zritt- und Jacquardſtühlen arbeiten, Frau und Kinder da— neben am ein oder zwei gewöhnlichen Stühlen, die jo viel weniger Kraft erfordern, oder wo die Weberei zur bloßen Nebenbeichäftigung geworben ijt. „Diele, in einigen Gegenden die meiſten Weber” jagt Jakobi? von Niederjchlefien „haben von Frühjahr bis Herbit mancherlei in eigener Garten= und Feldwirthſchaft zu thun, oder find jelbjt al8 Maurer, Zimmerleute, Eijen- bahnarbeiter, Feldarbeiter, Holzhauer außer dem Haufe bejchäftigt und betreiben daher in Sommerszeiten die Weberei nur bei ungünftiger Witterung, oder beim Sehlen von jonjtiger Arbeit.‘

Abgejehen von jolchen Verhältniſſen, kann fich die Handarbeit und damit die Hausinduftrie auf die Dauer nur für ganz feine und gemujterte Artikel halten. Ein rajcher entjchlojjener Uebergang zum Fabrikſyſtem kann nur evwünjcht jein. Zeitweiſe und lofal nimmt die Noth der Handiweber dadurch nochmals zu.! Aber im Ganzen trifft Die Majchinenkonkurrenz; den Handweber jetzt nicht jo jchwer, weil die Yöhne faft überall ſteigen. Das Verſchwinden der Hausinduftrie, welche befeitigt wird, ijt nicht zu beflagen; es verjchwindet eine ärm— liche, jchlecht bezahlte Art der Beichäftigung, es ver- ſchwinden korrupte, betrügeriiche Gejchäftsverhältniffe.

1) Zeitichrift des preuß. flat. Bureaus VIII, 328.

2) Jahrbuch für die amtl. Stat. II, 303 (Bolkenhain 1865): „durch die Mafchinenmweberei werben die Löhne der Handweber immer mehr gebrüdt.‘

560 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Es find meijt Leute, welche wegen mangelnder morali- jcher, geiftiger und technijcher Bildung auch für das Aſſoziationsweſen, welches ihnen ihre frühere Selbjtändig- feit erhalten fönnte, wenig oder gar nicht brauchbar und empfänglich find. sch komme auf dieſen Punkt zurück und gehe zunächit zur Baumwollweberei über.

Diejelbe hat im Allgemeinen total andere Schidjale aufzuweilen; wie die Leineweberei im Ganzen zurüdgiung, ging jie vorwärts; fie verdrängte jene ja vielfach; eine rapid wachjende Ausfuhr gab ihr von Jahr zu Jahr größern Spielraum; und doch ift die Gejchichte Der deutjchen Baumwollweber, d. h. der Arbeiter, eine fajt eben jo traurige, als Die der Leineweber.

Zu Ende des vorigen Dahrhunderts war die Weberei von Baummolljtoffen noch nicht jehr bedeutend. Sie hatte fich von den Niederlanden her am Nieder: rhein, in Kurjachien, in Oberfranken, auch in Branden- burg und Schlejien verbreitet. In Augsburg blühte neben der Weberei jchon die Kattundrudere. Es wur: den auch jchon deutſche Waaren exportirt, aber ver Import überwog. Und daraus ijt erflärlich, daß die Kontinentaliperre dem Gejchäfte einen großen Impuls gab; der täglich‘ jteigende Bedarf des innern Marktes war zu deden, Frankreich, Italien und Dejtreich boten einen großen jett den Engländern veriperrten Markt. Die Entwidlung war bejonders im Königreich Sachien, aber auch anderwärts, außerorventlid. Es handelte fih damals überwiegend um Eleine Gejchäfte, e8 waren ja meijt junge Anfänger.

Die Baumwollweberet. 561

Nach 1815 trat ein heftiger Nücjchlag durch die engliiche Konkurrenz ein; aber als fich Preußen 1818 abſchloß, als Preußen wie jpäter der Zollverein die ſämmtlichen Baumwollgewebe mit einem hoben, für gröbere Waaren faſt prohibirenden Schutzoll verjah, nahm die Weberei nicht bloß für den innern Bedarf, jondern bald auch zum Export wieder einen glänzenden Aufſchwung. Bienengräber! T berechnet die inländifche jährliche Produktion an Baumwollwaaren und die Mehrausfuhr an Jolchen (über die Einfuhr) im Zoll— verein folgendermaßen:

im Durchſchnitt zollvereinsländ, Mehrausfuhr des von Produktion Zollvereins 1836 —40 . . . 357964 Zentner 72 791 Zentner 1841 —45 . . . 489617 - 66 942 . 1846—50 . . . 547505 = 83 826 . 1851 —55 . .„. . 699263 » 155 444 1856—61 . . . 999749 = 172 426 .

Diejen Zahlen entiprechend find Die Zahlen der gewerbsmäßig in Preußen gehenden Webjtühle (ohne Band», Pojamentier- zc. Stühle), der Webermeijter und Gehülfen; man zählte in Preußen Webjtühle:

1816 . . 12690 1837 .. 39324 1831 . . 25464 1840 . . 48540 1834 . . 31759 1843 . . 47747

1) Statiftit des Verkehrs ©. 214. Der zollvereins- ländiſche Erport erreicht freilich noch entfernt nicht dem engli— hen, der pro Kopf der Bevdlferung nah Hanjemann ©. 71 über 8 Thlr. 1856 60 betrug, während er im Zollverein 0,4, , in Belgien O,g,, in Franfreih O,0 Thlr. erreicht.

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 36

562 Die Umbildung einzelner Gemwerbszweige.

Webſtühle Weiſter u. Fabriken

Gehülfen 1846 . . 71166 81193 6161 2 628 1849 . . 7069 76 779 608 2583 1852 . . 71267 76339 682 1350 1855 . . 69568 74 459 701 2061 1858 . . 76269 76 110 716 4747 1861 78210 77813 346 7177

Im ganzen Zollverein zählte das Zollvereinsbureau 1861 - 151451 Handjtühle,* 77915 Webermeijter mit 80387 Gehülfen, 940 Fabrifen und 23491 Mafchinenftühle. Baiern, Sacjen, Württemberg, Baden und Thüringen find außer Preußen Haupt: jächlich beteiligt.

Die Geichäftsorganijation war von Anfang an eine andere, als bei der Linneninbuftrie. Es war fein althergebrachtes überall verbreitetes Gewerbe; e8 han— delte fih um Schaffung einer ganz neuen Induſtrie, einer Induftrie, deren Produkte fich einer ſteigenden Beliebtheit erfreuten, da fie durch ihre Billigfeit den ärmern Klaſſen erlaubten, fich beſſer und reichlicher zu fleiven und daneben durch die Mannigfaltigfeit ver Verarbeitung dem Luxus der böhern Klaſſen dienten. Die Baumwolle war der Stoff, auf den ſich alle die neuen Majchinen und Verfahrungsweiſen am leichtejten

-—

1) Die Zahlen der Fabriken erſcheinen wie bei der Linnen- inbuftrie werthlos; bie Abnahme von 1858 —61 zeigt, daß nicht immer nach gleichen Grundſätzen gezählt wurde,

2) Diefe Zahl ift wieder zu niedrig, aber höchſtens um 13008 Stühle, denn fo viel zählt das Zollvereinsbureau unter den Fabriken Handftühle.

Statiftif und Organifation der Baummwollweberei. 563

anwenden ließen; die Ausbeutung aller der Möglich- feitent, welche diejer Stoff ſchon lange der Proteus der modernen Imduftrie genannt bot, mußte den Scharfſinn der Ingenieure, der Tabrifanten, ver Kauf- leute in bejonderer Weiſe reizen.

Der bloße Kaufmann, der das fertige Produkt vom Weber Faufte, wie in der Sinneninduftrie, veichte nicht aus. Auch wo zunächſt Die Weberei dem Hand- weber blieb, mußte der Kaufmann für das Garn forgen, es aus dem Auslande beziehen oder ſelbſt jpinnen laſſen, die Vollendung der Waare, die DBleiche, die Appretur, die Färberei und Druderei übernehmen. Selbit die einfachen Hemdenkattune, die Shirtings, find nur ver- fäuflich mit fabrifmäßiger jchöner Appretur. Ein großer Theil der Stoffe wird bedrudt verkauft. Die bunten Baumwollgewebe, die geföperten und Froifirten Stoffe, die Piqués, Trikots, Jakonets, Die locker gewebten Mouſſeline, die Vorhangſtoffe, vielfach durch Stickerei verziert, die faconnirten Hoſen- und Wejtenftoffe, die gemijchten halbbaumwollenen und halbwollenen Stoffe, die Jacquardgewebe, Möbelftoffe, Tiſchdecken, Bettdecken und Aehnliches, die Baumwollſammte und Plüſche All das ſind mehr oder weniger Modeartikel, erfordern einen gebildeten Unternehmerſtand.

Während ſo die Natur des Gewerbes, freilich unter manchen harten Rückſchlägen, einen tüchtigen, dem Fortſchritt geneigten Fabrikantenſtand heranzog, blieb derſelbe in einer Beziehung doch überwiegend im alt— hergebrachten Geleiſe; die Weberei wurde nicht mit den übrigen Prozeduren in großen Etabliſſements vereinigt,

36 *

564 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige,

jondern blieb Hausweberei; faft nirgends jo, Daß die Weber als jelbjtändige Unternehmer Garn gekauft und das Gewebe an die Fabrikanten verkauft hätten, jondern fo, daß fie die -Garne nebſt Mufter und Anweiſung erhielten, um bejtimmten Yohn webten. Die Vermitt- lung des Faktors wurde dadurch in der Baumwoll— weberet noch viel häufiger, als in der Yeineweberei ; alle Mißſtände dieſer Geſchäftsorganiſation zeigten fich Hier in faft noch grellerem Lichte, als bei der Linneninduſtrie.

In England hatte fich für alle einfachern Gewebe der Uebergang zum Maſchinenſtuhl jchon in den zwanziger und dreißiger Jahren vollzogen, in Verbindung freilich mit entjeßlicher Noth unter den Handwebern. In Deutjchland Hatte man faum Kapital genug, für die jonftigen Einrichtungen; die direkte Konkurrenz der eng— lichen Majchinenjtühle war durch die Schutzzölle abge- halten. Der Ueberfluß der fich anbietenden Hand- weber war jo groß, der Preis zu dem fie ſich anboten jo niedrig, Daß von einem Uebergang zu Maſchinen— jtühlen nicht die Rede jein konnte. Die zahllojen ver- arnıten Xeineweber in Schlefien, in Sachſen, am Rhein waren froh, hier wenigjtens wieder Beichäftigung zu finden. Die rajche Bevölferungszunahme in den Weber- dijtriften hielt das Angebot Arbeitjuchender auf einer jtet8 bevenklichen Höhe.

Der Lohn eines Baumwollwebers war in den zwanziger Jahren im Boigtlande und im ſächſiſchen Erzgebirge nicht über 2 Gr. täglih.! In Schlefien

1) Gülich IT, 489,

Die ſchlechte Lage des Handwebers. 565

konnte der Lohn nicht höher ſein, als in der Leine— weberei; auch alle die übrigen traurigen Folgen, die betrügeriſchen Geſchäftsgewohnheiten, das niedrige geiſtige Niveau, der Volkscharakter dieſer Bevölkerung, wenn ich ſo ſagen darf, übertrug ſich von der Leine- auf die Baumwollweberei.

Von Anfang der dreißiger Jahre bis 1836 und 37 erfolgte die große Zunahme der Baumwollinduſtrie, die Löhne beſſerten ſich etwas. Dann folgte der Rückſchlag von 1837 41; in Mancheſter ſtanden damals ja 1000 Häuſer leer, über 10000 Familien waren brotlos, in ganz Lancaſhire etwa 400 000 Menſchen ohne Beſchäf— tigung.! Der ſächſiſche und ſchleſiſche Kattunweber war 1840 zufrieden, wenn ſich ſein Wochenverdienſt einem Thaler näherte, und Wiek, der dies mittheilt, meint damals, die Maſchinenweberei werde wohl nie in Deutſchland ſich ausbreiten, denn die Dinge lägen in England, wo die Maſchinen jetzt zunähmen, total anders, der einfache Handweber erhalte dort min— deſtens wöchentlich 4 Thaler. ?

In Chemnig,? einem der Hauptfige der deutſchen Baummollweberei, Hatte man bisher fajt nur einfache Kattune gefertigt. Als der Lohn Hierfür immer jpär- licher wurde, ging man zu den Ginghams, den Bunt- waaren über. Die Ginghams jagt der Bericht:

1) Grothe a.a. 0. D. V. T. Sch. 1864. Heft 2. ©. 111.

2) Wiek, induftrielle Zuftände Sachſens ©. 29.

3) Siehe die eingehende Gejchichte der Chemniter Gewebe- indufirie im Handelstammerbericht für 1863, ©. 91 ff.

566 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

eritatter der Chemniter Handelsfammer gaben in Chemnig und der Umgegend lange Zeit vielen Händen Beichäftigung, bis in Folge drücender Konkurrenz die Löhne auf ein Minimum herabſanken, kaum ausreichend, zur Bejtreitung der dringlichiten Lebensbedürfniſſe. Dann ging man zu den gemijchten Stoffen, Mleubles- jtoffen, Jacquardgeweben über, in welchen Gebieten man wieder etwas höhere Löhne zahlen Eonnte; in neuejter Zeit (von 1860 an) hat aber auch das mehr und mehr (als Handarbeit und Hausinduftrie) aufge hört; „der Grund der Abnahme ift darin zu fuchen, daß bei den verhältniimäßig niedrigen Löhnen (von 1Y/, Thlr. wöchentlich bis 4 Thlr.) und bei der beveu- tenden Bertheuerung aller Yebensbedürfnifje die jungen Arbeitskräfte fich denjenigen Induftriezweigen zugewendet haben, bei welchen höhere Löhne zu erreichen find.‘

Ein Hauptübelftand für die moralichen Verhält— nifje, für die ganze Yebenshaltung der Handweber liegt in den oben jchon erwähnten wechjelnden Kon— junfturen: eine Zeit lang glänzender Verdienſt, dann Monate und Jahre lang wieder eine Noth, welche zwingt, mit dem erbärmlichjten zufrieden zu jein. Solcher Wechjel führt dahin, daß auch in den befjern Zeiten nicht gejpart, jondern nur gejchlemmt wird, er depravirt die Weberbevölferung. Solcher Wechjel trägt außerdem vor allem dazu bei, die Handarbeit zeitweilig wieder unnatürlic) zu Halten und auszu— dehnen.

Mach der Noth der vierziger Jahre mußte man die Handweberei für alle einfachen Gewebe jchon für

Die zu lange Erhaltung der Hanbweberei. 567

ganz verloren halten, zumal in der Baumwollweberei. Da gab die außerordentliche Nachfrage, die glänzende Steigerung des Erports nach Amerifa von 1851 57 und wieder von 1858 61 den Preifen und Löhnen eine jolche Wendung, daß der Handweber wieder erijtiren zu können glaubte; ftatt ausjchließlicher Aus— dehnung der Majchinenweberei, die theilweile ja auch erfolgte, bejchäftigte man wieder zahlreich die mit dem geringjten Yohn zufriedenen Handweber und veranlaßte Die Eltern, ihre Kinder wieder dem Gewerbe zu widmen; viele Leineweber gingen auch jetzt wieder zur Baummwollweberei über. Man ließ Artikel aufs Neue bei Handwebern fertigen, die längſt der Majchine verfallen waren. Selbit der einfachite Kattunweber Fam damals in Württemberg wieder auf etwa 34 Fr. täglich (d. b. beinahe 10 Gr.), der Jacquardweber auf 50, der Korjettweber auf 60 Kr.! Auh in Sachſen nahmen in Folge hiervon die Hand» jtühle (theilweije freilich waren e8 Tritt- und Jacquard— jtühle) von 1846 61 jo jehr zu: von 17739 auf 31508, die Majchinenftühle von 150 auf 1418, Schon damals warnte der Einfichtige, es könne das nicht auf die Dauer jo bleiben. „Beſondere Konjunkturen des Marktes,“ ruft Mährlen 1858, „exempte Betriebs - und ökonomiſche Berhältniffe der Unternehmer und Lohn— weber mögen es eine Zeit lang der Handarbeit möglich machen, mit dev Mafchinenarbeit auf dem gleichen Pro: duftionsgebiet zu fonfurriren von Dauer ift ein jolcher

1) Mährten, Darftellung und Berarbeitung der Gefpinnfte ©. 142,

568 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Zuftand nie, da er gegen die Natur der Dinge jtreitet. Ueber furz oder lang macht vie Majchine ihr MUebergewicht geltend und reißt ihr natürliches Recht an ſich.“

Und jo war es natürlich; ver Rückſchlag begann ichen etwas 1858, vollends 1862 mit ver Baumwoll— kriſis und dem gejtörten Erport nach Amerifa. Die Anfang der jechsziger Jahre in den amtlichen Kreis: bejchreibungen erhobenen Yöhne,! waren täglich 4 5 Or. in Hirihberg, 3— 4 Gr. in Glatz (Regierungsbezirk Breslau), 5%— 6 Gr. in Kösfeld (Weſtfalen). Zahl— reich gingen nun auch die Kattun= und Neſſelweber zu andern Gewerben, zur gemeinen Tagelohnarbeit über.? Die Konkurrenz der Majchinenarbeit zeigte jich jetst natürlich mehr als je, ſowohl in andern Län— dern, als im Zollverein jelbjt. Berechnete Mährlen doch ſchon 1858, daß durchichnittlich der Maſchinenſtuhl von den in Württemberg fabrizirten Geweben die Elle zu 9 Kr., der Handjtuhl aber die Elle zu 14 Kr. liefert. ?

In Großbritannien hatte man ſchon 1835 - 109 626 Powerlooms für Baumwollartifel gezählt, 1856 betrug ihre Zahl gegen 300000. Die Weberei bat fich kon— zentrirt wie die Spinnerei; meift ift dort Spinnerei umd Weberei nicht ohne Bortheil in denſelben Etabliffements

1) Zeitichrift des preuß. ftat. Bür. IV, 128.

2) Jahrb. für pie amtl. Stat. II, 346. Biebahn III, 926.

3) Mährlen, Darftellung und Verarbeitung der Gejpinnfte ©. 87.

Die Konkurrenz der Maſchinenweberei. 569

verbunden. In Frankreich exijtirten 1855 etwa 50 000 mechaniſche Webitühle, 1867 aber fchon 80000, !

Selbſt die große Schweizer Baumwollweberei, deren Uebergang zur Maſchine lange auch durch die billigen Löhne aufgehalten war, ift jet im rapidem Uebergang hierzu begriffen. Man zählte 1867 gegen 13000 Majchinenjtühle Die daneben noch zahlreichen Hand— weber (hauptjächlih in St. Gallen noch vorherrichend ) arbeiten vor Allem die bunten Stoffe, die Ginghams. Aber jelbjt dieſer Artikel fängt wie in Sachen an, auf den Mafchinenjtuhl überzugehen.

In Preußen hatten die Majchinenftühle 1846 erſt 3,17 °/, betragen. Bon 1855 61 fand, wie die obige Tabelle ausweiſt, eine nicht unbedeutende Zunahme ſtatt; die Powerlooms machen 1861 - 9,,%, der Geſammtzahl aus. Die Zunahme ijt aber jehr verichieden je nach den Provinzen; fie war auch in andern Yändern ftärker als in Preußen, wie die folgende Tabelle zeigt, welche je die Geſammtzahl? der Stühle mit den Majchinen- jtühlen vergleicht. Von den andern beutjchen Yänbern führe ich nur die an, im welchen die Baumwollweberei von größerer Bedeutung ift.

1) Oeſtr. Ausftellungsbericht Band IV, 25.

2) Bei den preußifchen Provinzen ift als Gefammtzahl die Summe der gehenden Webftüble (Spalte 50 der Aufnabme- tabelle), bei den andern Staaten die Summe biefer, nebft der bei ben Fabriken gezählten Hand» und Majchinenftühlen (Spalte 50, 87 u. 88) angenommen, wie das nad) meinen obigen Aus- führungen nothwenbig ift.

570 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. Geſammtzahl Meafchinen- biefe °/o

Stühle ftühle jener Preußen . . . 372 93 2,50 Polen... . 285 2 0,70 Brandenburg. . 5192 14 Q,28 Pommern. . . 564 Schleſien. . . 30 573 1354 4, Sadien . . . 10 826 867 8,01 Meftfalen. . . 13143 1557 11a: Rheinland . . 16441 3290 20,01 Baier. . - « 24711 5 365 21,71 Sadien . . 30600 1418 4,63 Württemberg. . 14 937 2 251° 18,08 Baden. » . . 12292 5190 42,22 Thüringen . . 6 937 87 0,53

Es ergiebt ſich aus diejer Tabelle unzweifelhaft und auch Viebahn betätigt das, daß die mechanijche Weberei Hauptjächlich da ſich auspehnt, wo fie fich an die große Spinnerei anjchließt, wie in Baden, Baiern und am Rhein. ES find zugleich Die Länder, wo nicht ein mafjenhaftes Weberproletariat den Fabrifanten ver: anlaßt, vorerſt Lieber bei der billigen Handarbeit zu bleiben, als zum Majchinenftuhl überzugehen. Schlejien und das Königreich Sachſen jtehen in letzterer Beziehung oben an; fie haben 1861 die größte Baumwollweberei, aber faft die wenigiten Mafchinenftühle. Won 1861 bis zur Gegenwart hat ſich nan noch viel verändert; beſon— ders im Königreich Sacjen bat ſich die Maſchinen— weberei ausgedehnt, die Hausinduftrie eingejchränft.! Ein genauer Nachweis darüber ijt mir nicht möglich).

1) Bergl. die Tab. im Chemniter H.-8.-Ber. pro 1863, ©.97.

Die mögliche Erhaltung der Hausinduftrie. 571

Die letzte Frage, welche fich hieran anfchließt, ift die, ob mit diefer Bewegung die Handarbeit und Haus- induftrie ganz verichwinden wird oder nicht. Es fommt darauf an, was ihr je nach ven konkreten Verhältniſſen bisher geblieben war, auf welcher Stufe moralijcher und technifcher Bildung die Weber der einzelnen Gegend jtehen. Dr. Peez berichtet 3. B.? von Franfreich, daß 1867 neben 80000 mechanijchen noch 200 000 Hands jtühle gehen, und jest hinzu: „Um die hohe Zahl der letteven zu begreifen, muß man jich erinnern, Daß e8 ſich in Srankveich nicht mehr um den boffnungslojen Wettlauf der Handweberei mit der Maſchine bei groben gewöhnlichen Geweben handelt, daß vielmehr die hoch- entwicdelte franzöfiiche Feimmwaareninduftrie eine Menge von Geweben fordert, Die wegen häufiger, von ber Mode geforderter Variationen nur mit gut bezahlter Handarbeit erzeugt werden fönnen. Hierher gehören vor Allem Die feinen Artikel von St. Quentin und Tarare, aber auch die Piqués für Weiten und Anderes.‘

Das iſt der Punkt, um den es fih auch in Deutjchland Handelt. Wo der niedrige Yohn und die Noth die Weberbevölferung nicht allzuweit herabgedrückt haben, wo die Gejchäftsvermittlung der Faktoren nicht zu dem traurigen Syſteme gegenfeitiger Betrügerei und Uebervortheilung ausgeartet ift, wo man den Yeuten theure Garne und werthvolle Mufter anvertrauen fann, wo die technijchen Kenntniſſe der Weber, jet es in Folge der bejiern Yage, jet es in Folge von Webjchulen Fort:

2) Im öftreihischen Ausftellungsbericht Bd. IV, ©. 25.

972 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

ichritte gemacht haben, wo fie den Sinn dafür und Geld oder Kredit hatten, fich beſſere Stühle, Tritt-, Jacquard- und Korjettjtühle anzuſchaffen, wo fich weitere Arbeiten, wie die VBorhangftiderei, mit der Weberei verbunden haben, wo Alles das durch einen noch vor— handenen Fleinen Haus- und Landbefit der Weber begünjtigt wurde, da hat fich die Hausweberei bis jetst erhalten und wird fi) auch in Zukunft in ziemlicher Ausdehnung noch halten.

Leider ift das nicht überall, in den meiſten deutichen Weberdiſtrikten ſogar nicht der Fall. Leider trat in Schlefien, in der Yaufig, im bairiichen Boigtlande zu einem großen Theile der umgekehrte Fall ein. Man fing an, weil man den Webern das koſtbare Material nicht anvertrauen wollte, won ihnen nicht die gehörige Sorgfalt der Ausführung erwartete, fie die Stühle nicht bejaßen, alle feinern und bejjern Gewebe in der Fabrik, nur die gemeinen Sorten noch außer dem Haufe weben zu laſſen. Wo das gejchah, war e8 auch natürlich, daß man die tüchtigern Leute mit höherem Yohne in die Fabrik nahm. Die ungejchidten, unfähigen blieben Hausweber aber Hausweber für Artifel, Die nur alubald ver Majchinenweberei anbeimfielen. Cine jolhe Hausinduftrie mußte bald einer noch größern Zohnberabjegung und endlich ihrem völligen Ruin ent- gegen gehen.

1) Bergl. Zeitjchrift des ſächſ. ſtat Büreaus 1863, ©. 36. Dort wird die ganze Entftehung gejchloffener Etabliffements wor ber Zeit der Mafchinenmweberei fo erklärt.

Die mögliche Erhaltung der Hausinbuftrie, 573

In einzelnen Zweigen der Baumwoll- wie anderer Sewebeinduftrien mag die jpezielle Technik diejen Weg vorgezeichnet haben, in der Hauptjache aber wurde der eine oder der andere Weg der Entwiclung vorgezeichnet durch Die technijche und fittlihe Bildung der Weber, durch die rechtzeitige Anbahnung von technijchen Fort jchritten, durch eine Erziehung der Weber zu einer Zeit, da die Noth fie noch nicht auf die tiefite Stufe des Proletariats herabgedrückt Hatte. Ganz die gleichen Momente fommen bei der Möglichkeit einer Ausdehnung des Afjoziationswejens in Betracht, vor der ich lieber erſt unten im Zuſammenhang ſpreche.

Zunächſt will ich nur wenige Worte noch über die Bleichereien, Appreturanſtalten, Färbereien und Kattun— druckereien anhängen.

Eine genaue Statiſtik über dieſe Hülfsgewerbe der Weberei gibt es freilich nicht. Ein Blick auf die amt— lichen Tabellen zeigt, wie werthlos ſie im Ganzen ſind; die Abgrenzung von Handwerk und Fabrik, die Ver— bindung mit andern Geſchäften macht die Zählung hier ſo ſchwierig, führt bei jeder Aufnahme wieder zu anderer Behandlung, jo daß die Zahlen kaum irgend brauchbar zu einer Bergleichung find. Ich hebe auch nur die all gemeinjten Reſultate hervor.

Die Handwerksmäßigen Bleicher, Kalanderer ꝛc. haben in Preußen von. 1849 61 von 979 Meijtern auf 732, von 1051 Gehülfen auf 873 abgenommen. Die Kunftbleichen und Appreturen haben technijch große Fortichritte gemacht, die großen Gejchäfte haben alle die neuen chemijchen Hilfsmittel, die Kalander- und

574 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Walzenmaſchinen eingeführt; ihre Zahl, wie die beichäf- tigten Perjonen haben aber abgenommen; man zählte in Preußen 1849 - 385 mit 1990, 1861 - 251 mit 1792 Arbeitern.

Bon den bandwerksmäßigen Färbern und ihrer Abnahme habe ich ſchon oben geiprochen. Die fabrif- mäßigen Stücdfärbereien wurden in Preußen bis 1858 mit den Garnfürbereien zuſammen erhoben; erſt 1861 find fie bejonders gezählt und umfaſſen 1077 Anjtalten mit 9429 Arbeitern.

Die Kattundrudereien, jowie die Druckereien aller Art, waren mehr noch als handwerksmäßiges Gewerbe bejonders während der Stontinentaliperre aufgeblüht, waren dann aber der engliichen Konkurrenz wieder faft erlegen. Die Handorudtiiche und die bölzer- nen Druckmodel berrichten noch durchaus vor. In den Sahren bis 1839 fand mit dem Aufjchwung der Baumwollinduftrie nochmal eine Zunahme hauptjächlich von Heinen Gejchäften jtatt. Unterdeſſen hatten fich in England und Frankreich die Walzendrucmafchinen, die Perrotinen, die Majchinen zur Herftellung der Drud- walzen verbreitet. Die jtarke englische Konkurrenz erdrückte in den vierziger Jahren die Fleinen unvoll- fommenen Gejchäfte; die größern Gejchäfte, die fich hielten, machten die Fortſchritte mit, umd gegenwärtig jteht die zollvereinländiiche Druderei mit dem Auslande auf ziemlich gleicher Höhe, nachdem fie fich wefentlich

1) Wiek, ©. 161 ff.; Degenfolb, ©. 48.

Die Färbereien und Kattundrudereien. 575

fonzentrirt bat, wie man aus den folgenden Zahlen jieht ; man zählte in Preußen:

1840 . . . 1115 Drudereien mit 5656 Arbeitern 1848 . .„ . 1016 4826 1846... 520 5528 1849 . . . 552 - » 4856 . 1852 . . . 552 «» 4704 . 1865.50... 418 . » 4705 - 1858 . . . 432 « - 4508 - 1861 369 « - 4208 -

Der ganze Zollverein zählte 1861 - 640. Anftalten mit 362 Drudmajchinen, einjchließlich der Perrotinen, mit 3309 Drudtiichen, welche hauptſächlich noch in Sachſen und Thüringen zahlreich find, und mit 9 264 Arbeitern. Auch bier haben fich wenige große Fabriken an Stelle der zahlreichen früheren kleinen Gejchäfte gejett.

9. Die Wollweberei im Großen, die Seiden-, die Band- und die Strumpfiweberei.

Die Zunahme der deutihen Wollinduftrie und des deutichen Erports. Preußiſche Statiftif von 1816— 61; zollvereins- ländiihe von 1861. Die Organifation der Tuch- und Kamm- garnwaareninduftrie. Die großen geichlofjenen Etabliffements. Die Möglichkeit filr Feine Gejchäfte, bei richtiger Organifation für den Abjag im Großen zu arbeiten. Die genofjenjchaft- lihen Spinnereien, Walken und Webereien. Beijpiele aus England und Deutjchland. Die Bedingungen des Entftehens und der Blüthe der Genofjenichaften. Die deutiche Seiden- induftrie. Preußiſche Statiftit von 1816 61; zollvereins- ländifhe von 1861. Das leberwiegen des Handftuhle und der Hausinduftrie. Ein Wort über Shawl- und Teppich weberei. Die Bandweberei und die Pofamentierarbeiten. Zur Geſchichte der Technik. Die preußiichen Pojamentiergejchäfte 1816 61. Die unfichern ftatiftiichen Ergebniffe über die Band - weberei. Das ſächſiſche Polamentiergewerbe. Die Strumpf- wirferei. Die preußiſche Statiftil. Die Apoldaer Strumpf- wirferei. Die jächfiihe Strumpfwirkerei. Ihre Zunahme und Blüthe der Hausinduftrie; ihre Schattenfeiten. Die Krifis feit 1862 und die neuen Mafchinen. Die theilmeile Befjerung 1865 66.

Nachdem die große Linnen- und Baumwollweberei im letzten Abſchnitt ziemlich ausführlich beſprochen it, bleibt mir für dieſen Abjchnitt übrig, zuerſt über Die Wollweberei im Großen und im Zuſammenhang hiermit

Die Wollweberei. 977

über genojjenjchaftliche Weberei einige Worte zu jagen, um dann noch auf einige Zweige der Weberei einzu- gehen, deren handwerksmäßiges Vorkommen ich oben noch nicht näher bejprochen babe, weil ich über fie an ſich Fürzer jein wollte; ich meine Die Seidenweberei, die Bandfabrifation und die Strumpfwirferei.

In der obigen Beiprechung der Wolljpinnerei jowie der handwerksmäßigen Wollweberei ift der Gang, den die große Weberei genommen hat, im Allgemeinen jchon bezeichnet. Ich muß hier aber nochmals von dem Stand— punft der Induftrie zu Anfang des Jahrhunderts aus- gehen. Es gab damals in Preußen, in Sachen, am Rhein zahlreiche Heine Gejchäfte, welche, ähnlich wie bei der Linneninduſtrie, durch Vermittlung von Kaufleuten für den Export arbeiteten. Ihre Zahl war bejonders in Schlefien, Polen und Brandenburg groß, der Abjat ging nach Rußland. Der bärtefte Schlag der fie traf, war die Einführung der prohibitivartigen Zölle in Ruß— land. Bon 1818 28 follen gegen 250 000 Deutjche nach Polen ausgewandert fein, welche nur durch dag ruſſiſche Zolliyitem dazu gendthigt wurden, und von welchen die Tuchmacher einen beveutenvden Theil aus- machten. Trotzdem ftieg die jährliche Produktion von Wollwaaren in Preußen von 1806 —31 nach Dieterici von 13%, auf 25 27 Mill. Thlr. Noch glänzender iſt der jpätere Aufichwung der großen Induſtrie. Die Einfuhr blieb fich jo ziemlich gleich; es ift Darunter aber durchichnittlich nur 1%, Tuche, der Reit fällt auf Kamm—

1) Gulich II, 470. Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 37

578 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

garnartifel. Dagegen bat fich die zollvereinsländtjche Ausfuhr von Anfang der vierziger Jahre bis Anfang der jechziger Sabre auf den 4 5fachen Betrag dem Gewicht nach gehoben. Im Durchichnitt der Jahre 1860 64 hatte ver Zollverein eine jährliche Mebrein- fuhr von roher Wolle und Wollgarn im Werth von 31 Mill. Thlr., dagegen eine Mebrausfuhr von Woll- geweben im Werth von 44 Mill. Thalern ! (bei einer jährlichen Totalausfuhr von 50 60 Mill. Thalern). Dem entiprechend ift auch die Zunahme in der Gejammtzahl der preußifchen Webſtühle; der Auin der bandwerfsmäßigen Gejchäfte von 1840 55 iſt darin, wegen ber fie mehr als erjegenden Zunahme der großen —— gar * RN: Bun zählte:

Meifter | Zuchfabrifen gebriten f. andere

Gehende wollne Stoffe.

und Webſtühle Geſellen

te| eine | Geſchäfte | ei

1sıs| 18380

1831 | 15360 = 1834 | 15075 1837 | 16937 1840 | 17846 1843 ı 17911 1846 | 22967 31779 | 708 364 301 716 1849 | 26 724 34339 | 798 459 295 751 1852 | 28643 35597 | 819 388 286 892 1855 | 28372 33619 | 796 844 297 692 1858 | 30019 34170 | 650 |1385 316 1052 1861 | 33273 36867 | 505 11877 136 |1826

1) Bienengräber S. 227 231. Nah Hanjemann, bie wirthſch. Verhältniffe des Zollvereins, ©. 77 und 84, beträgt

Die Zunahme der Wollmeberei im Großen. 579

Das Zollvereinsbureau zählt 1861 für den ganzen Zollverein 67 343, gehende Webjtühle mit 31 310 Mei- jtern und 51645 Gehülfen, 1067 Zuchfabrifen mit 2592 Mafchinenftühlen und 11818 Handftühlen, 622 Fabriken für andere Wollwaaren mit 3655 Majchinen - und 9068 Handftühlen. “Die Gefammtzahl der Stühle würde fich auf etwa 78000 ftelfen, wenn wir bei den nichtpreußiichen Staaten die mit den Fabriken gezählten Stühle der Hauptjumme zujegen.

Wenn in Preußen 1861 auf 33273 gewerbsmäßig gehende Stühle überhaupt noch 10771 Webermeifter und 26096 Gehülfen, zujammen 36 868 Perjonen, gerechnet werden, jo fünnte man verjucht jein zu glau- ben, diefe große Zahl Meifter und Gehülfen beveute, da es jelbftändige Heine ZTuchmachergeichäfte in ver Hauptjache nicht fein Finnen, eine blühende Hausinpuftrie; aber dem ijt nicht jo, es find das überwiegend Per- ſonen, welche in Babrifen arbeiten, wie man durch einen Did auf die Spezialtabellen fieht. Im Regierungs— bezirf Aachen kommen auf 930 Webermeifter 5 349 Ge- bülfen, im Regierungsbezirk Frankfurt auf 1163 Meifter 6 602 Gehülfen. Es find dieſelben Perjonen, welche unter den Quchfabrifen nochmals gezählt find. Im Sachſen freilich und den andern Staaten, wo die mehr beiprochene Doppelzählung nicht jtattfand, ijt es etwas

der jährliche Export pro Kopf der Benölferung von 1856 60 an Tuch aus dem Zollverein O, Thlr., aus England 0,5, aus Belgien 1,55, aus Frankreih O,,, an jämmtlichen Woll- waaren dagegen aus dem Zollverein 1,,, Thlr., aus England 2,55, aus Belgien 1,,;, aus Frankreich 1,., Thlr.

37”

580 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

anderes. Da deutet eine bedeutende Zahl Wollweb— meijter, welche sub. II. A. Rubrif 37 58 der amt- lichen Zabellen aufgeführt find, auf Iofale Gejchäfte oder Hausinduftrie. Won Bedeutung find jolche außer: halb der Fabriken arbeitende Wollwebmeijter aber auch nur in Sachſen und Thüringen; da ift aljo 1861 auch die Wollweberei noch vielfach Hausinduſtrie.

Im Ganzen ift aber in der Wollweberei die Haus- induftrie mehr verdrängt, als im irgend einer andern Spezialität der Weberei. Die Anfertigung von Kamm garnartifeln iſt überdieß ziemlich jung im Zollverein, die zu liefernden Artikel erfordern einen hohen Grad von technijcher Vollendung, das engliiche Vorbild zeigte faft nur ganz große Geſchäfte.“ Die Majchinenftühle des Zollvereind find in diefer Branche auch ſchon zahl- reicher (3655, davon 1391 auf Sachen) als in ver Zuchfabrifation (2592, davon nur 506 auf Sachen).

In der Tuchweberei wurde die Aufitellung der Web- jtühle in den gejchloffenen Etablijjements jelbjt auch ichon frühe üblich. Viele große heute wohlhabende Tuch- fabrifanten ? haben fich vom Heinen Meifter jelbjt herauf-

1) In der Kammwollinduftrie (worsted -Artifel) liegt der Schwerpunkt der engliihen Wollmaarenfabrifation; in ihr hat auh der Mafchinenftuhl und das Fabrikſyſtem feit 1836 —40 volftändig gefiegt; die Ausfuhr dieſer Artikel hat außerordentlich zugenommen in England, ungefähr in eben dem Maße, als bie Ausfuhr von Tüchern zurüdging; vergl. Ausftellungsbericht von 1851 I, ©. 54 67.

2) Bon Sachſen jagt die Zeitichrift des flat. Bureaus 1860 S. 135: „Die Inhaber faft aller großen Zuchfabrifen find urſprünglich Tuchmachermeifter und Innungsmitglieder.‘

Der frühe Sieg der großen Etabliffements. 581

gearbeitet, Haben nach und nach einen Stuhl nad) dem andern aufgeftellt. Der Sit der großen Tuchinduſtrie ijt nicht oder nicht vorwiegend, wie der Ei der großen Linneninduftrie, an den Orten, wo von altersher zahl- reiche Weber waren, die man hätte bejchäftigen können. Die Zahl der Stühle ift überhaupt geringer, als in ver Linnen= und Baumwollinduftrie. Wer die Fortjchritte mitmachte in der Tuchinduſtrie, erzielte veichliche Gewinne, welche die Ausdehnung der Etabliffements erlaubten, und es galt in den Gejchäftsfreijen für ganz unzweifel- haft, daß die Blüthe der deutſchen Tuchinduſtrie von dem Uebergang zu größeren geichlojfenen Etabliffements, von der Verbindung des Färbens, Spinnens, Webens, Walfens, Scheerens und Appretirens in einem und demſelben Yofale abhänge.!“ Biel unmejentlicher war dem gegenüber die ſukzeſſiv eintretende Ausdehnung des Maſchinenſtuhls. Die Majchine machte ja auch bier Fortichritte, aber langjame; noch heute arbeiten viele Zuchfabrifen erjten Rangs mit Handjtühlen. Die Leiſtung des Maſchinenſtuhls iſt gleichmäßiger und kann fich täg- Yich auf eine längere Zeit erjtreden; aber abgejehen bier: von ift fie kaum größer. Nach Mährlen’s Aufnahme von 1858 z. B. ijt die tägliche Durchichnittsleiftung der württembergiſchen Mafchinenjtühle 10, Ellen, während er als Durchſchnittsleiſtung der Handftühle im Ulmer Kammerbezirk 10, Ellen, im Durchichnitt des ganzen Landes allerdings 8,, Ellen anführt. Wenn die Ma: ichinenftühle von 1861 bis zur Gegenwart noch ziemlich

1) Siehe oben ©. 523; Hanfemann, ©. 78 ff.

582 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

zugenommen haben, jo haben fie doch dadurch die Hand⸗ arbeit in den Fabriken jelbjt kaum beeinträchtigt. Ich fenne Zuchfabrifen, in welchen neben den Majchinen- jtühlen Handjtühle gehen, auf welchen der Arbeiter mit Leichtigkeit täglich einen Thaler verdient.

Das Charafterijtiiche der großen Betriebe ift jo, wie gejagt, nicht der Mafchinenftuhl, ſondern die Vereini— gung aller Hülfsgewerbe, die höchſte Ausbildung dieſer in einheitlichen gejchloffenen Etabliſſements. Aber es ijt hiegegen doch jchon eine Art Reaktion eingetreten, wie Staatsrath Hermann bereit8 1851. bemerkt, wenn er jagt: „ES waren die ganz großen Gejchäfte, welche die Tuchmanufaktur Deutjchlands auf ihre jegige Höhe gehoben haben. Aber gerade bei der Vereinigung aller Zweige der Fabrikation und des Abjates in einer Hand fommt der Unternehmer endlich an einen Punkt, wo die Deauffichtigung der vielen verſchiedenen technijchen Arbeiten und die Bejorgung des Abjates jo umfangreich und fomplizirt wird und jo viele Kojten verurjacht, daß der Gejammtertrag der Fabrik leicht Fleiner ausfällt, als bei mäßigerem Umfang der Hauptgejchäfte der Yall gewejen. Damit ift dann die Theilung der Gejchäfte durch das eigene Intereffe der Fabrikanten geboten.“

Dieje Theilung kann darin bejtehen, daß die Fa— brifanten ihr Garn wieder außer dem Hauje weben lafjen, wie das in Sachjen niemals ganz aufgehört hat, auch in Aachen * noch theilweife üblich iſt. Oder fann fie darin bejtehen, daß das Spinnen und die Her-

1) Jahrbuch für die amtl. Statift. II, 328.

Die Heinen engliſchen Tuchmacher. 583

ſtellung roher Gewebe Sache des Fleinen Tuchmachers bleibt, das Scheeren und Appretiren jowie der Vertrieb der Waare dem Fabrifanten bleibt.

Das ijt die in England, beſonders in Xeeds und Um— gegend noch heute allgemein übliche Gejchäftsorgani- fation. Baines erzählt 1859 von ihr: „Vor einigen Jahren glaubte man, die großen Fabriken würden durch die Macht des Kapitals, durch die Macht ver Mafchinen und Die Zeiteriparniß das alte Syſtem der häuslichen und ländlichen Manufaktur vollitändig zeritören. Aber fie haben das Syſtem nicht wejentlich alterirt. Der Hauptgrund wurde jchon erwähnt, er Tiegt in der Eigen: thümlichfeit der Wollinduftrie, dem Powerloom feinen bedeutenden Bortheil über den Handſtuhl zu geben. Dennoch Hätte Die häusliche Manufaktur unterliegen müffen, Hätten nicht die Tuchmacher die Majchine für diejenigen Prozejje zu Hülfe gerufen, in welchen fie eine unzweifelbafte Weberlegenheit über die Handarbeit Hat, d. h. für die Vorbereitung der Wolle und das Spinnen. Sie vereinigten fih, Aftienfabrifen zu errichten, wohin jeder Theilhaber jeine eigene Wolle bringt und fie rei- nigen, färben, jtreichen und jpinnen läßt, dann wird Kette und Einjchlag wieder in das eigene Haus oder die eigene Werfjtatt gebracht und auf dem Handſtuhl perwebt, oft durch die Mitglieder der Familie, das

1) Siehe Beichreibungen: Zollvereinsblatt 1844, ©. 33 bis 36; Journal of the stastical Society 1859, S. 1— 34: Baines on the woollen manufacture of England, ſpeziell ©. 29— 30; Oeſtr. Ausftelungsberiht von 1867, Band IV, ©. 94.

584 Die Umbildung einzelner Gewerbsziweige.

Tuch wird Hierauf in der Fabrik gewalft, gewaſchen und geſtreckt und endlich in jog. robem Zuſtande (balk state) nach Leeds gebracht und verkauft; vollendet wird e8 durch die Quchbereiter (Dressers) nach) der DBeitel- fung der Kaufleute. Viele diefer gemeinjamen Fabriken find gut verwaltet und zahlen den Theilnehmern hohe Dividenden. Sie arbeiten nach Auftrag auch für andere als für die Aktionäre. Die TZuchmacher finden jo durch Fleiß und Sparſamkeit fich in der Yage, mit den großen Vabrifbefigern zu Fonfurriren, deren große Werfe und fomplizirte Majchinen große Ausgaben mit fich bringen.“ Es ift eine glüdliche Verbindung von jelbjtändigen: Kleingewerbe, Aſſoziation und fabrifmäßigem Abjate. Zu einem Heinen Theile haben wir auch in Deutſch— land ähnliche Verhältniſſe. Schon in den vierziger Sahren bildeten fi) an Orten mit einer großen Anzabl Zuchmachern größere Spinnereien, welche für fie um Lohn arbeiteten und fie jo zunächit hielten.! Auch voll- ſtändig modern eingerichtete Appreturanjtalten mit Walt-, Rauh-, Zylindericheer- und Bürftmafchinen als eigene Geichäfte bildeten fich, wo eine Reihe Tuchmacher umd Heiner Fabrifanten fie um Lohn beichäftigten.? Der Ankauf roher Tuche von den kleinern Tuchmachern durch größere Fabrifanten, um die Waare zu vollenden und in den Handel zu bringen, ift in Schlefien, im ber

1) Siehe die Beichreibung der Hersfelder Tuchmanufaktur in biefer Zeit, Zollvereinsblatt 1845, ©. 91.

2) Sp 3.8. in Kalm (Württemberg), Dörtenbah, Mit- tbeilungen über Gewerbe und Handel in Kalw. Kalw 1862, ©. 6.

Die Erhaltung der Tuchmacher durch Affoziationen. 585

Mark, auch in Sachjen nicht ungewöhnlich; beſonders für Milttärtuche ift diefe Art der Arbeitstheilung in Preußen üblich." Aber auch eigentliche Affoziationen find vorhanden; am zahlreichiten wohl in Sachſen. Schon 1860 wird berichtet: ? „An manchen Orten, wie Roßhain, Großenhain, Leisnig, Kamenz hat fich neben größern Etabliſſements der genofjenjchaftliche Betrieb entwicelt, indem, abgejehen von ven faft überall vor- handenen Innungswalfen, ſich (mit der Innung nicht identische) Genoffenjchaften von Meiftern zu gemein- ichaftlichem Betrieb der Spinnerei und Appretur ver- einigt haben.” Doch haben auch die Innungen theil- weile die Anregung gegeben; die TZuchmacher und Weber: innungen find diejenigen, welche nach ver Aufnahme von 1860 von allen Innungen das bedeutendſte Vermögen bejigen, und die außer den Fleiſchern (zu Schlachthäufern) allein dieſes Vermögen zu gewerblichen Produktions: zweden verwendet haben. Vierzig jüchfiiche Weberin— nungen hatten damals ein Vermögen von 149000, 19 Tuchmacherinnungen ein folches vor 59 000 ZThlr.? Genaueres theilt ein Leipziger Bericht 1863 mit: „Die älteften hieher gehörigen Aſſoziationen“ jagt er „ſind wohl die in den Wollmanufakturjtädten aus den Zuchmacherinnungen beroorgegangenen, theil- weije über einen Zeitraum von 50 60 Jahren und

1) Ausftellungsbericht von 1851, II, ©. 94.

2) Zeitfchrift des jächl. ftat. Bureaus 1860, ©. 135.

3) Dafelbft ©. 140.

4) Yahresbericht der Handels» und Gewerbelammer zu leipzig 1863. ©. Al ff.

586 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

noch weiter zurüdgreifenden Genojjenichaften, welche vie einen fabrifmäßigen Betrieb erfordernden Arbeiten bei der Zuchweberei, als Walfe, Färberei, Spinnen der erforderlichen Garne und die Appretur auf gemeinjchaft- liche Rechnung betreiben, und auf dieſe Weije den Flei- nern Tuchmachermeijtern Selbjtändigfeit und Konfurrenz- fähigkeit verleihen. Derartige Afjoziationen finden wir in Yeisnig, wo neben der Innungswalfe eine Aſſoziation von 9 Genofjen zur Appretur und eine jolche zur Woll— ſpinnerei mit 3 Ajjortimenten befteht. Ebenſo bat vie Zuchmacherinnung zu Großenhain eine Wolljpinneret von 3 Aljortimenten, womit fie den Bedarf von 15 für ſich arbeitenden Genoſſen jpinnt und mit 13 direft betheilig- ten Genofjen eine Appretur, welche mit 2 Raubma- Schinen und den nöthigen Scheerzylindern das Bedürfniß der Betreffenden an Appretur auf ihre Erzeugniſſe dedt. In gleicher Weile hat Roßwein mehrere derartige Afjoziationen zur Spinnerei mit zufammen 10 Aſſorti— menten und Dobeln eine Innungswalfe.‘ Im Leipziger Berichte für 1865 66! wird betont, daß die mecha— nijche Weberei immer mehr Terrain gewinne, daß aber auch bereits eine Genojjenichaft in Großenhain eine An: zahl mechanischer Stühle in einem Dazu errichteten Saale des der Tuchmacherinnung gehörigen neuen Haufes auf- geitellt habe. Wo der mechaniiche Stuhl abjolut noth- wendig wird, da läßt fich auch die in England jchon ab und zu vorfommende Einrichtung treffen, daß von einer gemeinfam betriebenen Dampfmajchine die Kraft

1) Handelsfammerberiht ©. 104.

Deutihe Webergenoffenfchaften. 587

durch Transmiffionen ganze Straßenzüge entlang in die Wohnungen der Heinen Weber geleitet wird.!

Dereinzelt finden fich ähnliche Einrichtungen wie die fJächfifchen auch anderwärts. Die Göttinger Tuch- macherinnung bildet eine Gewerfichaft, befitst ein grö- Beres Yabrifetabliffement.? Vor Allen find die Tuch- macher von Sagan zu erwähnen, welche jchon 1810 eine Walfe, 1841, nachdem die Walfe abgebrannt war, eine volljtändige Fabrik, d. h. Spinnerei, Walfe und Appreturanftalt für 48362 Thaler, damals in ber Hauptfache auf Schulden bauten; 1863 waren 85 Mei— jter fabrifberechtigt, die Activa der Fabrik betrugen 288129, die Passiva 58312, das freie Vermögen aljo 229817 Thlr.; in ven letten 10 Jahren hatten die Meifter für 121520 Thlr. neue Majchinen ange: Ichafft. ?

Dieje Beijpiele beweiſen wenigſtens, daß das, was jo jehr wünjchenswerth wäre, im Bereiche der Möglich- feit Tiegt. Da die Frage eine ähnliche für Die ganze Sewebeinduftrie ijt, möchte ich hier noch einige Worte über die Webergenojjenichaften im Allgemeinen anfügen. Borausichiden will ich thatjächlich nur, daß Schulze - Delisih in feinem. Berichte von 1867 resp. 1868 5 Webergenofjenjchaften zu gemeinichaftlichem Ankauf des Rohitoffs und 9 resp. 10 eigentliche Produftiv-

1) Sar, Die Wohnungszuftände der arbeitenden Klaffen. Wien 1869. ©. 102.

2) Preußiihe Hanbelsfammerberichte pro 1867, ©. 666.

3) Jacobi, die Fabrik der Tuchmacherinnung zu Sagan, Zeitjchrift des preuß. flat. Bureau’s 1864, ©. 205 208.

588 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

genojjenichaften anführt; es find Baumwoll= und Leine: weber, Zuchmacher und Shawlweber darunter. Ein wejentlicher Fortſchritt findet nicht ftatt; ſchon in dem Bericht von 1863 zählt er 10 Weberafjoziationen für gemeinjamen Einkauf oder gemeinfame Produktion auf. Außerdem find mir nur noch eine Anzahl jächfiicher Genofjenichaften befannt, welche den einzigen Zweck ver: folgen, ven Faktor und dejjen drückendes Zwijchengeichäft entbehrlich zu machen. Aber was will das heißen gegen die Hunderte und Tauſende von Fleinen Meiftern, die im Laufe der letten 30 Jahre zu Grunde gegangen find, die Heute noch im Dienjte der Großinduftrie, wie für eigene Rechnung arbeitend exiſtiren?

Gewifje Arten der Gewebeinduſtrie freilich entziehen fih dem genofjenjchaftlichen Betrieb von jelbit, theils wegen der perjönlichen Eigenjchaften außerordentlicher Art, welche vom Dirigenten, von den Technikern Des Geſchäfts gefordert werden, theil8 wegen der zu großen Rapitalien, die das gut betriebene Gejchäft bedarf. Die Majchinenweberei gehört, wie wir jahen, nicht nothwen— dig hieher, wohl aber die Kattundrucderei, die Anfer- tigung von Modeartifeln und Aehnliches. In Bezug auf die Perjonen iſt der genofjenjchaftliche Betrieb da unmöglich, wo eine jeit Jahrzehnten verarmte halb ver: hungerte Weberbewölferung, an Geiſt und Körper ver- fommen, alle Kraft zu jelbjtändigen Fortſchritten ver: loren bat.

1) Bgl. die genauere Beſchreibung dieſer Gejchäfte, Yeip- ziger Hanbelsfammerbericht für 1863, ©. 42, Chemnitzer für 1863, ©. 9.

Die Bebingungen der genofjenjchaftlichen Weberei. 589

Aber wie viele kleine Webermeifter jtehen doch noch über dieſem Niveau; wie manche Fortichritte der Technik, der Bildung, welche andere tüchtigere Menſchen vorausjegen, find wenigſtens in einzelnen Gegenden zu fonftatiren. Und doch fehlt e8 an jeder erheblichen Zunahme, während doch der genofjenjchaftliche Betrieb gerade in der Weberei am angezeigteften wäre, während e8 fein zahlreicheres, älteres, der Erhaltung würdigeres Gewerbe in Deutjchland gibt. Das tauſendmal geprie- jene Syitem der Hausinduftrie drückt, an große Fabriken angelehnt, die Arbeiter doch Teicht zum Proletariat herab, genofjenjichaftlic aber organifirt würde es taujende und aber tauſende kleiner gejunder Gejchäfte erhalten. In der ganzen volfswirtbichaftlichen Gejchichte des 19. Jahr⸗ hunderts wäre neben der Konſervirung unſeres deutjchen Bauernitandes eine Erhaltung der kleinen Webermeijter die wichtigfte Daßregel, wenn man überhaupt auf eine jozial und politifch jegenswolle größere Gleichheit ver Beſitz- und Eintommensverhältniffe Werth legt.

Aber es geht Hier wie in andern Gejchäftsbranchen. Sp lange der fleine Meifter noch zur Noth von dem lofalen Abjag leben kann, jo lange der Hausweber noch mit halbwegs leidlichem Lohn vom Fabrikanten bejchäf- tigt wird, jo denkt er nicht an jolche radikale Reformen. Auch in dieſen Kreifen überwiegt das träge Kleben am Althergebrachten; zu was Mühe, Sorge, Gefahr auf ih nehmen, wenn es im alten Geleife noch geht? Wenn die Noth dann eintritt und einige Zeit, einige Jahre und noch länger gedauert bat, ja dann fehlt es an Kapital, dann find die Tüchtigern unter den Leuten

590 Die Umbildbung einzelner Gewerbszweige.

ausgewandert, zu andern Berufen übergegangen, dan it das ganze geiftige und moralifche Niveau der Xeute zu tief herabgedrückt. Es fehlt in erjter Yinie an Der Initiative zur rechten Zeit, an den rechten Führern.

In der ganzen genofjenichaftlichen Bewegung han— delt e8 ſich darum, die fleinen Meiſter und Arbeiter zu erziehen zu ven Gejchäftsfitten, zu der kaufmänniſchen Umficht, der reellen Zuverläffigfeit der bürgerlichen Mit— telflafjen. Wer die VBorjchußvereine und die andern Genofjenichaften in der Nähe fennt, muß das zugeben; die Perjönlichkeiten entſcheiden; Schulze-Delitzſch wird genannt, Hunderte von Andern mit ähnlicher höherer Bildung halten die Sache, erziehen den Handwerkerſtand, indem fie an die Spitze treten. Nur fie überwinden das Miftrauen, den Neid der Meijter unter einander. In der größern Stadt nun findet mar leichter die Per- jönlichfeiten biezu, viel weniger aber oder gar nicht find fie aufzutreiben in den einſamen Gebirgsthälern, auf dem platten Lande, wo die Hütte des Webers fteht. Die einzig Gebildeten, von welchen hier die Initiative ausgehen fönnte, find neben den Geiftlichen, vie fich leider ja heute um jolche Dinge gar wenig kümmern, die Faktoren, die Kaufleute, die Fabrifanten, d. h. die— jenigen, welche gerade das gleiche Interejje haben Weber- aſſoziationen zu ftiften, wie etwa die Detailhändler, Konfumvereine ind Leben zu rufen.

Es iſt das einer der Punkte, wo die Frage ent- iteht, ob der Staat nicht in irgend welcher Form nicht jowohl das Kapital beichaffen, als die Orga— nijation anregen, zur Erziehung der Heinen Meifter für

Die Bedingungen ber genoffenfchaftlichen Weberei. 591

den genojjenjchaftlichen Betrieb mitwirfen jollte, ob er ed nicht in den vierziger Jahren Hätte thun follen, ba es heute vielfach jchon zu fpät if. Das Kapital allein vom Staate dargereicht, wäre nur jchäblich; es würde in nutzloſen Verſuchen vergeudet, wenn nicht die Erzie⸗ hung, die Organifation, die geiftige und technifche För— derung der Yeute hinzukommt.! Ich werde auf die Berechtigung jolcher ftaatlichen Eingriffe nochmals zurüd- kommen.

Kehren wir aber nach dieſer Abſchweifung über Webergenoſſenſchaften zurück zu der Schilderung der thatſächlichen Verhältniſſe in Preußen und im Zoll— verein, und zwar zunächſt zur Seide- und Seidenband— weberei.

Die deutſche Seideninduſtrie iſt ein Produkt der franzöſiſchen Proteſtanten und der preußiſchen Gewerbe— politif.? Im Laufe dieſes Jahrhunderts hat fie ſich aber auch in andern deutſchen Staaten entwickelt. Bayern und beſonders Baden beſitzen eine nicht unbe— deutende Seidenweberei. Die Hauptſitze der Induſtrie ſind aber auch jetzt noch Elberfeld, Krefeld, der ganze Regierungsbezirk Düſſeldorf, Aachen, Berlin und Pots-

1) Die mehrerwähnte Schrift des Dr. Michaelis, eines Arztes, Über die Zuftände in ben fchlef. u. fächl. Baumwoll- und Leinenweberbiftrikten, fordert unter Hinweifung auf die ſtaatlichen Kräfte, melde in Belgien bie verarmten Diftrilte wieder zu einer beſſern Flachsbereitung erzogen haben, bie Hülfe bes Staates, Kapital, das in feften furzen Terminen zurückzuzahlen wäre noch mehr aber bie geiflige Initiative, die Erziehung ber Weber für gemeinſame befiere Produktion.

2) Bgl. oben ©. 29 u. 37,

592 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

dam. Theilweiſe unter jchwerem Kampf mit der fran- zöſiſchen und engliichen Konkurrenz haben fich die Deut- hen Gejchäfte emporgearbeitet, mehr und mehr haben fie den inländijchen Markt fich erobert und einen beveu- tenden Export gewonnen, jo daß jest Die deutſche Seideninduſtrie die erjte nach der franzöfifchen ijt, die deutſche Stadt Krefeld nächſt yon als der erjte Seiden- manufafturort der Welt gilt. Die Einfuhr frember, hauptjächlich franzöfiicher Seidenwaaren hat in Artikeln, welche in Deutichland wenig oder gar nicht gemacht werden, noch bis in die neuejte Zeit zugenommen, aber jehr viel ſtärker jtieg die Ausfuhr, jowohl in jeidenen als in halbſeidenen Waaren.!

Die folgende Ueberficht zeigt die Zunahme ver preußijchen Seidenweberei, wobei ich jedoch bemerfe, daß der Rückgang in der Zahl der Webjtühle und noch mehr in der Zahl der Fabrifgejchäfte von 1858 61 mehr von einer veränderten Art der Zählung, als von einer wirklichen Abnahme herrühren muß. Im Ganzen zeigt die Tabelle flar die glänzende Entwidlung der preußi- chen Seidenweberei:

Webſtühle Weiſter u. Fabriken er

Gehülfen 1816 . . . 687% 1831 . . . 8956 _ _ 1834 . . . 12044 1837 . .. 14111

1840.. 15715

1) Bienengräber ©. 237 ff.: 1842 eine Mehrausfuhr von 2736 Ztnr. jeidnen und 1075 Ztnr. halbjeivnen, 1864 von 13 676 ſeidnen und 10276 Ztnr. balbjeidnen Waaren,

Die Seidenweberei. 593

r Meifter u. Mechaniſche Webſtühle Gchufen Fabriken Stüble

1843... 1691

1846 . . 166013 24 394 281 420 1849 . . .„ 24042 30 528 323 580 1852 . . . 25772 31 128 311 361 1855 . . 29140 32 562 378 626 1858 . . .„ 36204 40 366 418 224 1861 30 499 33 217 272 573

Die auch hier wieder nicht ganz zuverläffige Zäh— lung des Zollvereinsburenus ergiebt für den ganzen Zollverein 1861 - 32882 gehende Webftühle mit 18806 Woebermeiftern und 17432 Gehülfen; da— neben als Babrifen aufgeführt 314 Gefchäfte mit 1270 Mafchinenftühlen (689 auf Baden) und 5392 Handjtühlen.

Kleine profeifionsmäßige Gejchäfte mit Tofalem Abjag, mit einem Bertrieb auf Jahrmärkten gab es früher wohl auch welche, aber ihre Zahl war nie groß. Der Verbrauch der Seidenmwaaren ijt Sache der höhern Klaſſen; der Einfauf geichieht und geſchah auch früher mehr in den Läden der großen Städte, welche ihre Waaren von den Fabriken beziehen; die Fabrikation war von jeher mehr eine für den Abjag im Großen. Die Leitung der Gejchäfte war feine leichte, der Bezug des theuren Rohſtoffes, die Herrichtung der Garne, die fünftlevijche Seite des Gewerbes, das Färben der Garne, die Sorge für jchöne gejchmadvolle Mufter erforderte wohlhabende, technijch und künſtleriſch gebildete Unter- nehmer. Dabei blieb aber das Weben bis jet über- wiegend Sache der Hausindujtrie.

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 38

594 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Der mechanijche Webftuhl hat wohl in feiner andern Branche der Weberei mit jo viel technijcher Schwierig- feit zu kämpfen als bier. Trotzdem ift er in England auch zur Herrichaft gelangt; aber er hat darum die Hausinduftrie nicht verdrängt, indem gerade bier Die erwähnten Einrichtungen vorkommen, welche den Ma- ichinenjtuhl in den Wohnungen der Weber ſelbſt aufzu- jtellen erlauben. Man zählte Dort nach Grothe 1861 auf 7217 Handftühle 10709 mechanijche Stühle für Seidenweberei.t Es hat das MVeberwiegen der Ma- ichinenftühle in England feinen Grund in der Speziali- tüt der engliichen Seidengewebe; es find einfache nicht der Mode unterivorfene Artifel. Ueberall jonjt über- wiegt theils der technifchen Schwierigfeiten, theils der wechjelnden Mode, theils der tüchtigen Handweberei wegen noch die Handarbeit, hauptfächlich auch in Frank— reih. Sowohl in Lyon und Umgegend, wo die Stoff- weberei, als in St. Etienne, wo die Seidenbandweberei zu Haufe ift, werden die Weber, die jog. contremaitres, welche auf dem Lande zerftreut wohnen, von dem Unter- nchmer entweder durch Komiſſionäre, welche unjern Faktoren gleichitehen, oder direkt Durch die reitenden Kommis des Haujes bejchäftigt. Dieje contremaitres beiten meift einige Stühle, fat durchaus Tritt» und Jacquardſtühle, deren Injtandhaltung, Veränderung und Berbejjerung fie mit Intelligenz und Sachkenntniß bejor-

1) Grothe, Gejchichte der Seidenzucht und Seidenmanu- faltur ©. 99, in der deutſchen Vierteljahrichrift, 1864, 4. Heft ©. 44—12%0. |

Die glüdliche Organifation der Seidenweberei. 595

gen. „Wohl wird" jagt Harpfe ? „durch diejes Syſtem der Arbeitslohn vertheuert, Doch genießt der Fabrifant den Vortheil, für ganz Feine Gruppen von Stühlen verantwortliche Werfführer zu befiten, welche die Ausführung der Arbeit mit der größten Sorgfalt überwachen, wovon in vielen Fällen die Yung mancher Ichwierigen Aufgabe abhängt.‘

In Deutjehland find die Verhältniſſe verjchieven ; neben Mafchinenjtühlen für glatte Gewebe trifft man auch Handjtühle in gejchlojjenen Etablijjements, aber un ganzen überwiegt auch im Zollverein bis jet ber Handftuhl und die Hausinduftrie. Auf 30699 Web- jtühle zählt man in Preußen 1861 erjt einige Hundert Majchinenjtühle, 4533 Handſtühle find bei den Fabri- fen gezählt; und ſelbſt von dieſen ijt ja nach ver unvollfiommenen Art der Aufnahme fraglich, ob fie alle in den Fabriken jelbjt jteben. In Krefeld und Elber- feld wohnen die Weber mehr in der Stadt und nähern fih damit mehr der gewöhnlichen Arbeiterbevölferung. Die großen Gejchäfte in Vierjen und Gladbach bejchäf- tigen mehr auf dem Pande zerjtreut wohnende Weber; auch bier wird die Verbindung einer Heinen Landwirth— ichaft mit der Weberei als der größte Segen empfunden. Dem Bericht des erjt Fürzlich verjtorbenen Herr von Diergardt,? welcher das bauptjächlich auch betont, über jein enormes Seidengejchäft entnehme ich folgendes: Die

1) Oeſtr. Ausftellungsberiht Band IV, 136. 2) Der Freiherrn von Diergarbt Maßregeln zur Förderung der arbeitenden Klafjen, Arbeiterfreund V, 1867. ©. 181—189. 387

596 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige,

Hauptiorge des Gejchäfts geht auf dauernde gleichmäßige Beichäftigung der Weber; „es giebt eine Menge von Arbeiterfamilien, wovon der Großvater, Vater, Sohn und Enkel fortwährend für mich bejchäftigt gewejen find, trotzdem Daß jolche alle entfernt von der Fabrik wohnen und im ihren eigenen Häujern arbeiten; eine große Zahl der Arbeiter hat ziemlich erhebliche Erjparnijje gemacht ; viele befiten eim eigenes Haus, darunter find manche im Werthe von 2000 Thalern und darüber.“ Zu dem Haufe gejellen ſich Häufig Garten, Aderland, Wieje oder Holzung. Für gelungene Waare und jchnelle An— fertigung werden außer dem Lohn angemejjene Prämien bezahlt.

Der Lohn der Seidenweber iſt jeit lange, troß der ab und zu jchwer auf Fabrifanten und Arbeitern lajten- den Krijen und Gejchäftsftodungen, ein guter gemejen ; die fteigende Entwicklung der deutſchen Seidenindujftrie ſowie die Thatjache, daß die meiften Gewebe nicht mit der Maſchine berzuftellen find, wirkten günftig, man fonnte nur tüchtige Yeute brauchen, nur ſoliden zuver- läffigen Leuten die theuern Stoffe anvertrauen. Das ganze geijtige und moralijche Niveau iſt damit ein höheres geblieben. Gegenwärtig wird der Tagesverdienſt eines Seidenwebers auf etwa einen Thaler gejchätt.! Mehr und mehr find die früher den Yabrifanten gehörigen Stühle in das Eigenthum der Weber übergegangen.?

1) Zeitjchrift des ftat. Bureaus IV, 128, nach der mehr- erwähnten Tohnzufammenftellung aus ven Kreisbejchreibungen. 2) Viebahn III, 938,

Der hobe Lohn in der Seiben-, Shawl = u. Teppichweberei. 597

Aeußere Umftände waren für dieſe glückliche Ent: wicklung allerdings von Bedeutung; von größerem Ein— fluß aber noch waren die moralichen und geijtigen Eigen: ſchaften ſowohl der Unternehmer, als der Arbeiter.

Bon der ganzen Shamwl- ımd ZTeppichweberei, auf die ich hier des Raumes wegen nicht näher eingeben will, läßt ſich Achnliches jagen, wie von der Seiden— induſtrie. Theilweiſe ijt Die Fabrikation ganz auf die großen gejchloffenen Etabliffements übergegangen ; theil- weile aber hält fich die Hausweberei noch; fie jest aber dann gejchiefte, gebildete, zuverläſſige Yeute im Beſitz guter Jacquardſtühle voraus, deren Lage daher nicht jchlecht it. Die Berliner Shawlweberei it faſt durchaus noch Hausarbeit; ein tüchtiger Weber verdient leicht einen Thaler täglich," ſein Gehülfe 15 Sar., mithelfende Kinder 6— 71), Sur,

Einer der wichtigjten Zweige der Bandweberei, der der Seidenbandweberei, tjt jchon unter den ſtatiſti— Ichen Ergebniſſen der Seideninduſtrie begriffen. Wir haben e8 nunmehr nur noch mit der Anfertigung von leinenen, baumwollenen und wollenen Bändern zu thun, mit einem Gewerbe, das jo vielfach mit dem Poja- mentiergewerbe, mit der Anfertigung von Ligen, Kor: deln, Treffen, Borten, Gimpen, Schnüren, Frangen und Zeugfnöpfen zujammenfällt, daß eine getrennte Aufnahme leider immer dadurch leiden und unflar werden muß.

1) Näheres im Deftr. Ausftellungsberiht Band IV, 145 157,

598 Die Umbildung einzelner Gewerbszmweige.

Ehe ich jedoch die Zahlen mittheile, will ich bemerfen, daß auf den ganz alten Hanbjtühlen jedes Band einzeln gewebt wurde. Auch die jogenannten Schubſtühle find noch ziemlich unvollfommen. Daneben kam jchon frühe die Bandmühle auf, ein Fünftlicher Webituhl, der 8 40 Bänder zu gleicher Zeit zu weben erlaubt; eine jolche joll ſchon 1586 in Danzig erfun- den, aber vom Rathe verboten worden fein, weil fie eine Menge Arbeiter zu DBettlern mache. Uebrigens fonnte dieſe Bandmühle von der Hand getrieben werben und war ſonach auch im Kleinen handwerfsmäßigen Ge- haft anwendbar. Erjt der neueiten Zeit gehören die eigentlichen Bandmafchinenftühle, die Anwendung von Jacquardmaſchinen für Pofamentierartifel, die Klöppel- majchinen an. Auf einem Mafchinenjtuhle kann ein einziger Arbeiter täglich, je nach der Breite des Bandes und der Zahl der Läufe, von 50 big gegen 700 Ellen Band weben.

Dem entiprechend haben auch die Kleinen hand— werfsmäßigen lokalen Gejchäfte abgenommen. Nur ein: zelne Arten lofal vorfommenver Bauernbänder, einfache Borten, Schnüre und Gurte für's Yandvolf werden von ihnen noch geliefert und dann Polantentierartifel, welche auch heute deßwegen der Fabrik⸗- und Hausinduſtrie nicht ganz anheim fallen, weil fie theilweile Doch immer noch nach Beitellung des einzelnen Kunden gearbeitet werden müſſen. Doch ift auch hierin ein großer Um:

1) Biebahn IIT, 663 und 929, Bedmann, Beiträge zur Geſchichte der Erfindungen, Yeipzig 1786, I, 122,

Die Banbweberei und das Pofamentiergewerbe. 599

ſchwung Durch Die Berfehrgerleichterungen eingetreten. Jedes Feine Ladengejchäft kann heute eine DBejtellung, statt fie ſelbſt auszuführen, einer entfernt liegenden Fabrik übertragen. Die Pofamentiere halten fich heute mehr als Ladengejchäfte und Detailhändler. Die Zu: nahme des Bedarfs füllt auf die Fabrifwaaren, auf jene zahlreichen Artikel für Kleider, Möbel, Zimmer: deforationen, für Eiſenbahn- und andere Wagen.

Die preußiiche Statiftif zählt num die handwerks— mäßigen Pojamentiere in der Handwerfer-, die Band- jtühle in der Fabriftabelle, das Ergebniß ift folgendes.

Man zählte Pojamentiere: Meifter Gehülfen 1411

1816 . .

31081: 2 u: 2.198 1834... 1234 1837 ... 1095 1840 . . . 1119 1843 . .„ . 117 1849 . . 1295 1044 1852 . . . 1288 1089 1855 . . . 119 841 1858 . . . 1186 836 1861 1089 700

mentiere neuerdings jtatt; Doch ift fie in jo fern nicht ganz ficher, als die Grenze gegenüber der in der Fabrik— tabelle gezählten Bandweberei unficher if. Was bie Bandſtühle betrifft, jo zählte man früher ausjchließlich die Zahl der Gänge; es gab: !

1) Bergl. oben ©. 516 die Bertheilung nad Provinzen, welche zeigt, daß ſchon 1816 und 1831 die Baudftühle nicht

gleichmäßig überall, jondern mehr Eonzentrivt vornehmlich in der Nheinprovinz als Hausinbuftrie vorfamen.

600 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

1816 . . . 27062 1831 . . . 32642 1834 . . . 49679

Bon da an zählte man die Stühle, wobei aber die Zahlen von 1852 und 1855 offenbar falſch find; e8 werben erwähnt:

18377. . .. 4340 152... 9685 1840... 4112 1855 . . . 12600 1843 . . . 3918 1858 . . . 3635 1846 . . . 4070 1861 . . . 4246 1849 . 4 957

Die Weber und Gehülfen, jowie die Fabrifen nebſt Stühlen ergaben daneben jeit 1846 folgendes Reſultat:

Mechaniſche Einfache

ifter üble un

ne Fabrilen —— Fan . und

Gehütfen * oſamentier⸗ Handbetrieb ſtühle 1846 . . 8 222 211 238 2 988 1849 . . 7759 212 320 2 240 1852 . . 1163 227 2070 2 870 185 . . 14789 302 1 708 3138 1858 . . 4 579 209 280 2377 1861 . . 5 920 182 2 405 1105

Auch diefe Zahlen zeigen theilweije durch ihren ihroffen Wechjel, daß fie falſch jein müſſen; die bei den Fabriken daneben noch gezählten Arbeiter betrugen ebenfall8 1852 und 1855 circa 10000, jonjt gegen 7000 Berjonen. Sicher jcheint nur Die Abnahme der Handjtühle und die Zunahme der Majchinenjtühle.

Das Zollvereinsburenu zählte 1861 bei der Band— weberei in den andern Staaten nur verjchwindend Feine

Die Bandweberei ald Hausinduftrie. 601

unbedeutende Zahlen. Die Mehrzahl der hierher gehö— rigen Perjonen ift in der Handwerkertabelle verzeichnet. Dieß gilt bejonders von Sachſen, wo das Pojamentier- geiverbe bisher als ſchwunghaft betriebene Hausinduſtrie blübte, jetzt theilweife auch zum Fabrikſyſteme übergeht. Im Jahre 1836 zählte man 1246 Meijter in Sachfen, im Jahre 1849 aber 3191; 1861 werden 2741 Meijter mit 3782 Gehülfen als Pojamentiere in der Handwerfertabelle, 316 handwerksmäßige Banbiweber mit 450 Stühlen und 236 Gehülfen, 115 Fabrifen (in ganz Preußen nur 182) mit 284 Maſchinenſtühlen, 197 einfachen Pojamentierjtühlen und 1420 Stlöppel- majchinen in der Babriktabelle gezählt. Die Stühle der profejjionsmäßigen Polamentiere find jonach in ven Tabellen gar nicht gezählt. Viebahn ſchätzt die betheilig- ten Perjonen in Sachjen 1861 auf wenigjtens 1 700 Faktore und 20000 arbeitende Männer, Frauen und Kinder, die einen guten Verdienſt haben. Er jagt: „Sachſen hat jeit alter Zeit in Annaberg, Buchholz, Geyer, Thum und Scheibenberg eine wichtige Poja- menteriefabrifation, welche gegen 5000 Pojantentier - und Bandjtühle beichäftigt und ganz Deutjchland mit wobhlfeilen Borden, Bändern, Frangen, Giürteln, Gorls (Agrements), Chenille und Zeugfnöpfen verficht. Auch Soutachen und die für Beſätze erforberlichen Seiden— ichnuren werden jeit einiger Zeit in Annaberg und Buchholz fabrizirt. Gedrehte und geflochterre Kleiver- Ichnuren in Wolle und Baumwolle, ſowie Schnuren für industrielle Zwede werben in einem mit Dampf: fraft ausgejtatteten Etabliſſement zu Chemnitz, außer:

602 Die Umbildung einzelner Gewerbsziweige.

dem in Hainichen und andern Orten fabrizirt; nament⸗ lich haben die geflochtenen Spinvelichnuren wegen ihrer Haltbarkeit bedeutenden Abſatz gefunden. Die Ber: fertigung leinener und baumwollener Bänder, Schnür- ſenkel, Hofenträger und Gurten bejchäftigt in der Lauſitz und im Dresdener Bezirk namentlich zu Pulsnitz, Grof- röhrsdorf und Brettnich zu Zeiten bis zu 1200 Stühle: die urjprünglichen mangelhaften Schubftühle weichen den Müpfftühlen, auch zahlreiche Maſchinenſtühle find ichon im Gange und die nöthigen Baumwollfärbereien fommen zu Hülfe. Die bekaunte Inequarohojenträger- gurtfabrifation jteht hier allein und unterliegt feiner

PATER

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vi 7. 4

ı | Konkurrenz.‘ | Die Gejchäfte gingen bis in die neuere Zeit jo z | } - Schwunghaft, daß Fabrik- und Majchinenftühle die Hand- - +] oh arbeit und Hausinduftrie nicht verdrängt haben; es fand on mehr eine Arbeitstheilung zwifchen beiden Syſtemen

ftatt; der Yohn war ein fteigender. rauen, welde früher die Woche nicht über 1%, Thaler gekommen waren, verdienten jeit Anfang der jechsziger Jahre oft bis 3 Thaler die Woche. Der Chemmiter Handels: fammerbericht gibt für 1863 folgende UWeberficht über die Stühle im Kammerbezirk. Man zählte:

überhaupt im Thätigfeit

Pojamentierhandftühle. . . 2771 1162 Pofamentierfhubftühle- - - . 83 73 Bofamentiermüplftühle. . . . 69 50 Chenillemafhinen . - 26 25 Klöppelmaſchinen zu Rrinofinen. 1498 1421 Klöppelmafchinen zu Gummiborben 254 171

Der neuefte Stand der Pojamentierinbuftrie. 603

Er fügt bei: „Nur die Klöppelmafchinen, worauf Schnüre und Bänder zu Krinolinen fabrizirt werben, gehören den Fabrifanten, die andern Stühle, auch die Chenilleftühle, gehören den Faktoren oder den Arbeitern jelbft. Der Fabrifant fauft vom Faktor und liefert ihm die neuen Muſter.“ Der Umſchwung der Technik und der Gejchäftsorganijation zeigt fich aber Doch darin, daß von den einfachen Pojamentierjtühlen etwa nur Die Hälfte, die andern Stühle faſt alle voll beichäftigt find.

An die Bemerkungen über das Polamentiergeiverbe ichließen fich endlich Die über Strumpfwirferei; fie it theilweije auch Iofal mit jenem Gewerbe vereinigt.

Strumpfivaaren werben jeit alter Zeit neben ber Handjtriderei auf dem hölzernen Strumpfwirkſtuhl gefer- tigt, welcher ſchon 1589 von dem Magifter William Lee zu Kambridge erfunden worden war und bis zur Mitte dieſes Jahrhunderts unverbrängt blieb. Ein jolcher Stuhl koſtete in den zwanziger nnd dreißiger Jahren faum einige Thaler, war aljo auch dem ärm— lichſten Handwerfer erreichbar. Zahlreiche lokale Ge- ſchäfte entwickelten fich jchon im vorigen Jahrhundert, neben der bejonders in Sachen und Thüringen blühen- den Hausinduftrie.

Die preußifchen Strumpfwirferjtühle führte ich für 1816 und 1831 ſchon oben nad) Provinzen an; wir jaben, daß fie überall vorfamen. Die Geſammtſumme der Stühle hatte 1816 - 2085, 1831 - 2110 betrageır. Auch die folgende UWeberficht nach Regierungsbezirken zeigt für die fpätere Zeit einen ähnlichen Charakter,

604 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Kegierungs»

bezirke tühfe Königsberg ..| 16] 14] 1383| ı| 12] 18 Gumbinnen .. 5 6 5| 3 3 5 Danzig .... 7 8 595 4 3 Marienwerber. 4 5 3 3 1 6 HRS... 2 3 5 4 1 10 Bromberg.... 4 —s, a

Berlin (Stadt)| 173] 212] 106 44 so] 149 Botedam ...| 88] 93 77 371 09 42 Frankfurt .„..| 47 46 38 31 13 35

Stettin .... 13 11 5 4 2b. Köslin.....| Stralfund... . 1 5 4 3 1 Breslau... .| 123] 119 83 59 42 74 Oppeln....| 37 74 54| 42 27 97

Liegniß © ..-| 91 9] 801 0| seh 61 Magdeburg .| 167| 125 13| ı3)] Merjeburg. . .| 1811 215] 113 69 es 129

Eıhmt..-. 107] 118] 118 112 10 99 Miünfter 129] 122| 114) 97 39] 107 Minden 1 10 3 3 2 Arnsberg... .| 142] 102 93), 63 501 127

JJ 281 2161 314 285 21 332 Düffelderf . 351] AST] 6937| s2ı] s77] 849 Koblenz . . 155] 174| 119| 99 24 88 —FJ— 60 59 6058 12 62 Aachen... .. 14 v0 37 91 22 30

d. h. einzelne Sie einer nicht gerade bedeutend induftrie, daneben feine durchgängige große Abı den Bezirken, welche nur Feine handwerksmä häfte haben. Die Gejamumtjunme ber St preußtichen Staate war 1834 - 2181, 1840 1849 - 2106, 1861 - 2336. Die Meiſte 1849 61 von 1438 auf 1369, die Gehülfe von 971 auf 1137. Es trat bis 1861 mi

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Die Strumpfwirferei. 605

wejentliche Aenderung der Technit, noch der Gejchäfts- organtjation ein.

Die daneben in Preußen bejonders gezählten Fabri- fen find wohl hauptfächlih nur Gejchäfte, welche vie Produkte der Hausinduftrie vollenden und vertreiben ; ihre Zählung iſt demgemäß unficher; man findet 1846 - 165, 1861 - 64 Fabriken mit damals 92, jpäter 94 Majchinenftühlen, einigen hundert Handſtühlen und gegen 1000 Arbeitern.

Das Zollvereinsburenu zählt unter II. A. 39 944 Strumpfwirkerftühle, 17962 Meifter und 16093 Ge— hülfen, von welchen die Hauptpojten auf Sachſen, Thüringen und Baiern fallen, daneben unter II. B. 279 Fabriken mit 4236 Mafchinenftühlen, 1739 Hand- jtühlen, 2535 männlichen und 3369 weiblichen Arbei- tern. Bon den 4236 Majchinenjtühlen fallen wieder 3965 auf Sadjen; es jind zu einem großen Theil englijche Rundſtühle, welche mit der Hand betrieben werden. Sch fomme darauf zurüd; vorher will ich nur ein Wort über den Hauptfit der thüringijchen Strumpf- wirferei, über Apolda bemerken. !

Ein einfacher Strumpfwirfer, Chriftian Zimmer- mann, der zu Ende des vorigen Jahrhunderts jeine Waaren auf dem Rücken nach Yeipzig trug, bat die große dortige Strumpfwirferinduftrie, welche Die ganze Gegend beichäftigt, welche die verjchiedenjten Artifel über 4000 Nummern zählen die Wanrenlager nach

1) Die Wolleninduftrie Apolda’s, Hildebrand’s Jahrbücher II, ©. 310— 312.

606 Die Umbilbung einzelner Gewerbszweige.

alfen Weltgegenden Tiefert, veranlaßt umd ins Leben gerufen. Was die Drganifation betrifft, jo herrſcht faſt durchaus noch die Hausinduftrie. Die Wirfermeifter, “welche bi8 1. Januar 1863 eine Handiwerferzimft bil- deten, haben ihre eigenen Wirkerftühle in ihren eigenen Wohnungen, erhalten Mufter und Garne von dem Fabrikanten zugewogen und fertigen mit ihren Gejellen und Lehrlingen die bejtellten Waaren für die affordirten Preije in ihrem Haufe an, jo daß dem Fabrifanten nur die Anfertigung der Mufter umd vie Arbeit der Prüfung, Sortirung, Etifettirung und Berpadung ver fertigen Waaren bleibt. Um dem Bedürfniß ver Detail- händler, welche von ihnen die Waaren erhalten, voll- jtändig zu genügen, laſſen fie auch, hauptſächlich aus- wärts auf Meilen weit bis Halle und Kafjel jtriden und andere Handarbeit von Frauen, von Wittwen und Waiſen fertigen. Von 941 Wirfermeijtern im Groß— herzogthum Weimar famen 1861 - 534 auf Apolda; fie hatten 449 männliche und etwa 400 weibliche Gehülfen ; daneben zählte man 39 Fabrifanten, die innerhalb ihrer Lokale 73 Buchhalter und Kommis, 77 männliche und 191 weibliche Arbeiter beichäftigten. Mechaniſche Wirkftühle gab es erſt 62; man ging 1861 eben erjt daran, jie zum eritenmal mit Dampf in Bewegung zu jegen. Die Aufnahme von 1864 zeigt im Großherzogthum Weimar nur 748 jelbjtandige Strumpfwirfergejchäfte.! Die Ab- nahme von 1861 64 hat diejelbe Urjache, Die ich gleich bei der ſächſiſchen Induſtrie werde zu bejprechen haben.

1) Statiftit Thüringens von Hildebrand I, ©. 249,

Die apoldaer und die ſächſiſche Strumpfwirklerei. 607

Die ſächſiſche Strumpfwirferei,? ſchon aus dem vorigen Jahrhundert jtammend, nahm bauptjächlich jeit Anfang der zwanziger Jahre ihren großen Aufjchwung. Damals regten deutjche Importeure aus den Vereinigten Staaten die Anfertigung von Strümpfen nach englijchen Muftern an; „die Nachahmung führte auf wejentliche Verbejjerungen in Façon, Naht, Herftellung, Bleiche und Induſtrie; die nun von Spinnmajchinen gelieferten Garne ermöglichten auch feinere Qualitäten als bisher, und jo bilvete fich ziemlich vajch ein Erportgeichäft aus, das zwar auch jeine Kriſen hatte, aber doch mächtig zur Ausvehnung des Induſtriezweiges beitrug.” Bowring gibt die Zahl der ſächſiſchen Strumpfwebemajchinen in beinahe libertrieben jeheinenden Zahlen jo an:

1815 . ... 900 1821 . . . 14000 1834 . . . 18000 18356 . . . 20000

Die Zahl der Meifter gibt er 1831 zu 7165 an, während eine offizielle Angabe 1836 nur 3315 zählt. Den Wochenverdienjt von einem Rahmen ſchätzt Bowring auf 1 Thlr. 4 Gr. „Diejer Induſtriezweig“ jagt er „erfordert mur eine Heine Auslage an Kapital für den Strumpfiwirfer; jein hölzerner Rahmen ift nicht fojtjpielig, die Ausgabe für den Vorrath an Baum— wollengarn ijt Hein; er fann das Yeben des Landmanns

2) John Bowring's Bericht über ben deutſchen Zollver- band. ©. 53— 54. Zeitfhrift bes jächl. flat. Bureaus 1860, ©. 106; 1863, ©. 27 1.6.38 fj. Chemniter Handelskammer⸗ bericht für 1863 ©. 101 111.

608 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

mit dem des SHandarbeiterd vereinigen. Man kann jagen, daß die jächfiichen Strumpfiwirfer fich in einem Zuftande fortjchreitend wachſenden Wohljtandes befinden, und daß ihre Lage eine Art häuslichen Glückes ift. Biele von ihnen find unabhängige Arbeiter, faufen aus eigener Hand das rohe Material und verfaufen die fer- tigen Strümpfe an Auffäufer, welche die Märkte in Chemnitz und Leipzig verſorgen.“

Daneben zeigten fich freilich auch ſchon Damals Die Mipjtände jeder Hausinduftrie, die ihre Impulje nicht von oben herab, durch Einmilchung dev Regierung oder durch jehr intelligente, um die ganze Bildung der Yeute ſich kümmernde Fabrifanten befümmt. Schon von den dreißiger Jahren jagt ein anderer Bericht:. „Leider ging niit dieſem allgemeinen Wohlbefinden der Arbeiter Das Streben uach Verbeſſerung nicht Hand in Hand. De bejjer der Verdienſt war, deſto nachläfjiger wurde gear- beitet und man war taub gegen jeve Mahnung, auf tadelloje Qualität zu Halten und neue Erfindungen ein- zuführen. Alles Neue, Ungewohnte fand bei der Mehr— zahl der Arbeiter Widerftand, den nur die Noth befiegen fonnte.“

Und fie trat ein; der Abſatz ſtockte gewaltig zu Anfang der vierziger Jahre mit der allgemeinen Ueber- produftion an Baumwollwaaren; erjt gegen Ende Des Jahrzehntes wurde e8 wieder bejfer, man zählte in Sachſen 1846 - 19611 Handwirferjtühle, 1849 - 90 Fabrifanten oder Unternehmer, 136 Yaltore, 14763 Strumpfiwirfermeifter und 18189 Gehülfen; von einer Aenderung der Technik, von Majchinenjtühlen, von einer

Die ſächſiſche Strumpfwirterei. 609

Produktion in Fabrifen war noch nicht die Neve. Dazu fam es erſt in den funfziger Jahren; zuerjt wohl, weil der Abjat wieder tote umd man verſuchen mußte, billiger zu produziren. Von 1855 an freilich konnte wieder für den amerifanijchen Abjat nicht genug pro: Duzirt werben, die technijchen Fortichritte waren nicht mehr nothwendig, um Arbeit zu erhalten, fie waren nur angezeigt, um mehr Waare zu liefern. Im Jahre 1861 werden 21179 Handjtühle, 12854 Strumpf- wirfermeifter und 12185 Gehülfen (lettere wohl nicht mit der Zahl von 1849 vergleichbar, da nach der preuß. Vorſchrift alle helfenden Perjonen für Spulen, Nähen ꝛc. wegblieben) gezählt; daneben 151 Fabrifen mit 3965 Majchinen-, 775 Handjtühlen, 893 männlichen und 1208 weiblichen Arbeitern. Neben der jo lautenden offiziellen Aufnahme ! bat eine genauere durch Sach— verftändige für alle größeren Gejchäfte im Yaufe des Jahres 1862 ftattgefunden; dieſe ergiebt, daß 124 größere Gejchäfte den Abjat der Strumpfwirkermaaren in Sachen vermittelten, Daß aber auch von diefen damals nur 46 gejchloffene Etablijjements bejaßen, wovon 8 mit Dampf, 3 mit Waffer, 1 mit Waffer und Dampf betrieben wurden. Man jchägte die Gejammtzahl der Perjonen, welche in Sachſen (1861 62) von der Strumpfiwirferei lebten, auf 45 000, nämlich auf 30 000 Männer und 15 000 Frauen.

Was die Nenderung der Technik betrifft, die eigent- ve mit der Abſatzſtockung von 1862 an ſehr

1) Vergl. Zeitſchrift des ſächſ. ſtat. Bür. 1863, ©. 21.

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 39

610 Die Umbildung einzelner Gemerbszweige.

empfindlich wirffam für die Hausinduftrie wurde, jo will ich darüber nur noch einige Worte bemerfeit.

Die alten ganz einfachen und billigen Holzftühle lieferten nur ein einziges gerabliniges Stüd, die jpäter verbejjerten mehrere, hauptſächlich 6 und 12 Stüde auf einmal. Diefe einfachen Stühle aber machen alle og. gejchnittene Waare, welche zujamınengenäbt werden muß. Die breiten Handſtühle, jowie die Theilung der Arbeit, auf einzelnen Stühlen je Beine, Ferſen, Füße für fich zu machen, wie das in England länger ſchon üblich ift, haben fich erjt zu Ende der funfziger Jahre verbreitet. Daneben war aber ein ganz anderer Stuhl, der Kreis: wirkſtuhl, in den vierziger Jahren erfunden worben. Der engliiche Rundſtuhl wird in der Regel mit meh— rveren (6 8) Köpfen gebaut, d.h. jo, daß mehrere rohrartige Gewebe zugleich gefertigt werden fönnen. Der gewöhnliche engliiche Rundſtuhl Liefert 96 000 Meajchen in der Minute, in der Woche das Maſchenwerk für 1200 Paar Strümpfe; er koſtet pro Kopf 30 bis 50 Thaler. Der franzöfiiche Rundſtuhl ift etwas anders gebaut umd iſt ziemlich theurer (Preisangaben zwijchen 150 und 500 Zhlr.); er liefert Trikots, Jacken, Unterbojen. Eijerne Handftühle fommen auch jchen auf 130 bis 200 Thlr. Auf bejonderen Kettenftühlen (zu 150 big 250 Zhlr.) werden Handſchuhe, auf den jog. Ränder— jtühlen (zu 50 80 Thlr.) die elaftifchen Nänder fir Strümpfe, Aermel und Hofen, auf den ftarfen Couliv- jtühlen bejonders ſtarke Strümpfe und Hojen gefertigt. Eine bejondere Art von Nähmajchinen (d 20 Thlr.) wird zum Zuſammennähen ver einzelnen Stüde gebraucht.

Die techniſchen Fortihritte in der Strumpfwirkerei. 611

Endlich exiſtiren jet auch breite mechanijche Stühle, deren einer etwa 1000 Thaler fofte. Die anderen Stühle können alle auch mit der Hand bewegt werben.

Die erjten englijchen und franzöfiichen Rundſtühle wurden in Sacjen 1851 (nad) einer anderen Angabe 1852) eingeführt. Die Fortjchritte gingen aber langſam. Im Yahre 1861 hatten erſt 12 Gtablifjements jolche verbejjerte Stühle durch mechanijche Kraft betrieben, 34 hatten folche, aber von - Arbeitern. bewegt. Man

zählte damals in ganz Sachſen: von med. Kraft von Menſchenhand

bewegt bewegt Englifhe Rundftühle . 366 175 Köpfe derfelben . * . 2761 1 037 Franzöſiſche Rundftühle . 76 61 Breite Stühle . . . 26 4 Nähmafhinen . - . 311 84

Das größte Etabliſſement hatte allein 1600 eng— liſche Köpfe und 60 franzöſiſche Rundſtühle. Die kleinen Strumpfwirker waren faſt alle bei ihren alten Stühlen geblieben und Hatten zu thun, bis 1862 ver Abſatz nah Amerifa in's Stoden fam. Der Lohn wurde gebrüdt; ein gewöhnlicher Strumpfiwirfer ver- diente nicht mehr als 25— 30 Sgr. in der Woche, wobei die Hülfe von Frau und Kindern zum Nähen und Spulen noch eingerechnet werben mußte. Selbſt auf breiten Stühlen und mit bejjer lohnenden Artikeln konnte es ein fleißiger Wirker faum auf 2 Thlr. bie Woche bringen, während beim Cijenbahnbau 15 Gr. täglich bezahlt wurden. Die folgende Weberficht ver Stühle des Kammerbezirts Chemnitz zeigt die Stodung,

39*

612 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

am bejten, daneben gibt fie die Zahl und Die Art der Stühle, wobei zugleich erfichtlih, daR die Aufnahme der Handjtühle für ganz Sachen 1861 unvollſtändig war. Man zählte im Den 1863 nach der befonveren

Aufnahme: Gejammtzahl im Betrieb

Höfzerne Handftühle - » » » . 268781 11211 - Nänderftühle . . . . 424 218 Eijerne Eoufirftühle. . . . » 99 19 Kettenftühle.. . - Ben 495 413 Franzöſiſche Rundftühle . 6 303 131 Köpfe, engl. Rundftühle, Handbetr. 1774 1.066 .. E med. Betr. 2484 1037 Breite mechaniſche Minderftühle . 21 10 . Ränderftühle . 28 20

Nih⸗ und Steppmafdhinen . 1325 881

Der Chemnitzer Berichterjtatter erklärt die Noth neben der Abjagitodung aus dem geringen Vortjchritt im Maſchinenweſen, aus dem Zurücbleiben gegenüber den englifchen Konkurrenten. Cr beklagt vom fittlichen Standpunkt aus den Verfall der Hausindujtrie, aber

1) Etwa 3000 diefer Stühle wird hinzugefügt gehören Maurern, Zimmerleuten, Feldarbeitern, fie find immer nur im Winter im Gange. Der Geſammtwerth ber obigen Handftühle (wozu Hand-, Ketten» und Ränderſtühle gerechnet find) wird von dem Berichterftatter zu 929510 Thlr., der Sejammtwerth der jog. Mafchinenftühle (von welchen aber auch viele mit der Hand betrieben werben) zu 278990 Thlr. berechnet, wobei alle Hülfsmaſchinen, Spulräber, Spulmafchinen, Appreturutenfilien, die Motoren 2c. noch nicht gerechnet find. Bei vollem Gange erfordern biefe Stühle jährlih 10 Mil. Pfund Garn.

Die Krifis der Heinen Strumpfwirfer 1862— 65. 613

er findet in ihr die Haupturjache der Stabilität. „Das Uebel” jagt er „Liegt in unjerem Syſtem ber Hausinduftrie, nach welchem fait jeder Arbeiter fein eigener Herr und Befiger jeines Stuhles iſt, mit welchem er, zähe am Alten hängend, lieber das Ge— wohnte zu billigerem Lohne macht, als fich auf neue Betriebsarten einzurichten. Meiſt fehlen ver Yeuten auch die Mittel dazu, denn da fie Feine Amortijation und feine Reparaturen rechnen, jo verarmen fie jchließ: lich und drücken mit ihrem billigen, freilich oft auch ſehr jchlechten Fabrikat den Markt, daß es jchwer tit, felbft mit vwerbejjerten, aber bejjeren Lohn erheiſchenden Stühlen im Welthandel dagegen zu fonkurriren.‘ Hunderte von Strumpfvirkern Haben allerdings damals ihr Gejchäft aufgegeben, haben ihre Stühle verkauft und find zu dem damals flott gehenden Anna— berger Pojamentiergefchäft oder zu anderem Beruf, auch zur veinen Tagelöhnerarbeit übergegangen. Aber als 1865 der Abjat wieder beſſer wurde, da fanden alle noch nicht verfauften Stühle wieder Beichäftigung, der Lohn ftieg wieder. Es bildete fich, woran e8 vorher hauptjächlich gefehlt, in Sachjen jelbjt ver Bau von Rundſtühlen und verbefjerten eijernen Stühlen überhaupt aus, Der Chemmiter Bericht von 1866 ' meldet, daß auch die Hausinduftrie fich mehr und mehr in den Beſitz jolcher verbejferter Arbeitsmittel geſetzt Habe. Die 1863 oft gehörte Propdezeihung, nur das voll ſtändige Verlaſſen der Hausinduftrie könne die jächjiiche

1) Preußiſches Handelsarhiv 1868, II, ©. 93 -94.

614 Die Umbildung einzelner Gewerbszmeige.

Strumpfiwirkerei retten, hat fich erfrenlicher Weife wenig— ſtens nicht vollftändig bejtätigt.

Die Hausinduftrie ijt hauptjächlih da und dann nicht haltbar, wo und wenn ihr ver geijtige Impuls, die Bildung fehlt. Der faufmänniihe Standpunkt ratjonnirt gerne auf die Hausinduftrie, weil fie am die Kaufleute und Fabrifanten das Verlangen jtellt, mit Mühe und mancherlei Schwierigkeiten für die technijche Bildung der Arbeiter zu jorgen. Die große Fabrik ift bequemer; da bezahlt man einen tüchtigen . Ingenieur und einen tüchtigen Zeichner; dann ijt die Bildung des Reſtes der Arbeiter nicht mehr von jolcher Bedeutung.

10. Die Schuhmacher, Schneider und verwandten Gewerbe.

Der Charakter dieſer Gewerbe. Die Nabel», Kamm, Kuopfr, Stod- und Schirmfabrifation. Die Gerberei; ihr Aufihwung und ihre Organijation. Statiftif ber Gerberei von 1816 bis 67. Die preußijhen Schuhmacher 1816 —6l. Das Schuhmachergewerbe bis 1846. Die Aenderungen der Organi- fation und Technik jeither. Die Genofjenjhaften von Schub madern. Die Kürſchner, Rauchwaarenhändler und Müten- macher. Die probuzirenden und die Handelsgeſchäfte dieſer Branche; die provinzielle Vertheilung. Die Haudſchuh⸗— macherei ; ber Uebergang zu großen Geſchäften. Die Kravatten- macherei. Die Strobhutfabrifation. Die Hutmacherei, ihre Konzentration in großen Fabrilen. Die weibliche Kopfbe- bedung und die Anfertigung künftliher Blumen. Das Put- machergeſchäft. Das Schneidergewerbe. Der Inhalt der Tabellen, die Zunahme bes Gewerbes. Die veränderte Or- gantjation des Gewerbes, Die glänzenden großen Geſchäfte, die Noth der Heinen Meifter. Die Anwendung von Frauen arbeit. Die Weißmwaarenfabrifen. Die Stiderei und Spiten- induftrie. Die Stickmaſchine.

Wollen wir nach den Ausführungen über die wich- tigjten Arten der Herjtellung von Bekleidungsſtoffen unjern Blick noch auf Die weitere Verarbeitung verjelben, überhaupt auf die Gewerbe werfen, welche mit der Bollendung der menjchlichen Bekleidung und Beichuhung

616 Die Umbildung einzelner Gewerbsziveige.

zu thun haben, jo ift bier von einer Großinduftrie, wie bei der Spinnerei und Weberei nicht die Rede. Aber jehr Vieles hat fich auch hier geändert oder ift nahe daran, fich zu ändern.

Die frühere faft ausichließlich Tofale Produktion, jowie die Herftellung von Kleidern innerhalb der Familie bat einen bedeutenden Stoß erhalten; die Fortichritte des Berfehrs, Die Arbeitstheilung, die Mechanif haben auch hier eingegriffen. Aber die Aenderungen der Technik find faft alle jo, daß die volljtändige Durchführung der— jelben doch nicht zu ganz großen Ctablifjements führt, daß, wo ſolche erijtiren, diejelben doch nur dieſelben Apparate zehn und mehrfach neben einanderftellen, daß fie in den perjönlichen Leiftungen der Arbeiter vielleicht eine noch etwas weiter gehende Theilung und Speziali- firung eintreten laſſen, aber doch Feine jolche Ueberlegen- heit über die Heinen Geſchäfte befigen, wie z. B. die großen Baummwollipinnereien über die feinen, der mecha— niiche Webjtuhl über den Handſtuhl. Außerdem aber wirft der Konzentration in dieſem Gebiete, der Pro- buftion für andere Orte, Gegenden und Länder ber Umftand entgegen, daß der perjönliche Geſchmack fich doch nie vollftändig mit Schablonenarbeit zufrieden gibt, daß eine große Zahl von Perſonen alle Kleider und Schuhe, Hüte und Handichuhe nach bejtimmten Vor- Ichriften gearbeitet haben will. Das erhält bis auf einen gewiſſen Grad die lofalen und damit auch Eleinere Gejchäfte neben den großen.

Das moderne Magazin hat fich gerade der bier in Betracht kommenden Gewerbe am meijten bemächtigt.

Der Charakter diefer Belleivungsgewerbe. 617

Das Magazin ift ein glänzendes Verkaufsgeſchäft, ein Laden mit großer Auswahl, aber ein ſolcher, ver in der Regel doch auch auf Beftellung, auf Maß arbeiten läßt, weil das in biefen Artifeln vom Publitum ge— wünjcht wird. Die Produktion des- Magazins ift eine andere, als die des Fleinen Handwerfers, aber in der Regel doch auch nicht die einer großen Fabrik; das Magazin bezieht die einzelnen Theile, die Halb fertigen Waaren da und dort her, läßt da und bort arbeiten, wendet Mafchinen an, wenn es nothwendig ijt, aber der lokale Abjat bleibt die Hauptjache. Uebrigens will ich Hier nicht wiederhofen, was ich oben von dem Ma: gazinſyſtem fagte; es genügt, daran zu erinnern.

Am weiteften ift wohl das Fabrikſyſtem vorgedrun- gen in der Probuftion jener Heinen Theile und Hülfs- mittel menjchlicher Bekleidung, welche am Teichteften verjendbar, zu Hunderten und Tauſenden nach gleichen Muftern angefertigt werden fönnen. Doch ijt auch hier der Umjchwung noch fein volfjtändiger.

Die Nähnadeln werden jett durchaus in Fabriken, die Stecknadeln, Hanrnadeln, Hafen, Defen auch noch mannigfach von Handwerkern gemacht. Der alte Horn- kamm ift theilweile von den Waaren aus vulfanifirtem Kautjchuf verdrängt, und diefe werden von Fabriken geliefert; aber noch exijtiren viele Kammmacher, Horn- dreher, Elfenbeinarbeiter; eine Kammſchneidemaſchine iſt nicht ganz billig, aber fie wird auch von Profeifio- niſten angeichafft. Die überjponnenen Knöpfe liefert das Pofamentiergewerbe, die Knöpfe aus Horn und Holz, jowie die Metalffnöpfe find ſchon mehr auf große Ge-

618 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

ſchäfte übergegangen, ähnlich wie die Anfertigung von Stöden, Sonnen und Regenjchirmen, Fächern und ähnlichen Dingen. Doch iſt in allen diefen Gewerben Der Großbetrieb nicht abjolut nothwendig. Wir jehen sieben den Fabriken lokale Gejchäfte, freilich vielfach mit Läden und Reparaturgeichäften verbunden, wir ſehen außerdem, daß dieſe Waaren theilweile auch durch Die Hausinduftrie, aljo durch die Thätigfeit Feiner Meijter entjtehen können. Ich erinnere nur an das ZTabletterie- gewerbe in der Umgegend von Paris,! an die Thatjache, Daß die große Londoner Sonnen- und Regenſchirm— fabrifation mit ihrem ungeheuren Erport durchaus Haus- induftrie ift. „Die Fabrifation der Geftelle für Regen - und Sonnenſchirme“ jagt Profejlor Hofmann in London ? „wird hauptjächlich von kleinen Meiſtern betrieben, die gewöhnlich einige Knaben als Gehülfen beichäftigen ; das Ueberziehen der Schirme hingegen wird von Frauen und Mädchen bejorgt, die in ihren Woh— nungen arbeiten. England verdankt den Borrang in diefer Induſtrie nicht jowohl der Einführung neuer foftbarer Majchinen denn die Werkzeuge der Sonnen» und Regenſchirmmacher find noch faſt eben jo einfach, als fie e8 vor 100 Jahren waren jondern vielmehr einer verjtändigen Anwendung des Prinzips der Arbeits- theilung.“ Gehen wir aber nun zu den eigentlichen Hand— werken, welche hierher gehören, über. Ich beginne als

1) Roſcher, Anſichten der Vollswirthſchaft. S. 149. 2) Zollv. Ansftellungsberiht 1851. III, S. 549— 50.

Die Gerberei, 619

Einleitung für die Betrachtung dev Schuhmacherei mit der Lederbereitung, mit der Gerberei.

Der Bedarf an Leder ift außerordentlich gejtiegen ; der Gebrauch lederner Fußbekleidung iſt jehr viel all- gemeiner geworden als früher; auch für andere Zwecke, für Fuhrwerke, Pferbegeichirr, Majchinenriemen wird heute jehr viel mehr Leder erfordert. Die eigene Pro- duftion von Häuten im Zollverein ift mit der Viehzahl gejtiegen; 1816 zählte man in Preußen 4, Dill. Stüd Rindvieh, 1864 - 5, Mil. Die Mebreinfuhr von rohen Häuten zur Yeberbereitung in Preußen betrug 1822 - 45334 Ztnr., die Mehreinfuhr in den Zoll verein 1842 - 183 980 Ztnr., 1861 64 - 470 000 bis 500 000 Ztnr. Fertiges Leder wird wenig eingeführt; die Verarbeitung dieſer eingeführten wie ber im Zoll- verein produzirten Häute erfolgt im Lande ſelbſt; ebenjo aber auch der Verbrauch des fertigen Leders; Die Mehr: ausfuhr von fertigem Leder (hauptſächlich nach Oeſtreich und der Schweiz) ift nicht bedeutend.“ Die Leberpro- duftion des Zollvereindg wurde jchon 1844 zu 1 Mill. Zentner im Werthe von 47 Mill. Thalern gejchätt; fie joll fih von 1850 62 etwa verboppelt haben. “Die deutſche Lederinduſtrie fteht mit an erjter Stelle.?

Schon früher war das Gewerbe neben einzelnen Iofalen Gejchäften mehr in denjenigen Gegenden und Drten zu Haufe, welche ihm die günftigften Vorbedingun— gen, bauptjächlich gute Eichenrinde zur Lohe boten. Es

1) Bienengräber, Statiſtik des Verkehrs. S. 391 402. 2) Viebahn III, 613.

620 Die Umbildung einzelner Gewerbszmweige.

erfordert von jeher ein gewiſſes Kapital zum Einkaufe der Häute und der Hülfsftoffe, Dann umfaſſende Gebäude, Gruben, Vorrathshäufer. Die Einrichtungen find meift jo, daß, wenn nur das größere Kapital zum Einfauf der Häute da ift, die Ausdehnung des Gejchäfts Feine Schwierigkeiten hat, und dieſes nicht entiprechend mehr Arbeit erfordert. Große Aenderungen in ber Technik find kaum zu Eonftatiren, abgejehen von den Methoden, welche die Abkürzung der Zeit, die jogenannten Schnell- gerberei anftreben, und den Manipulationen, welche die mehr mechanische Zurichtung des Leders nach dem eigentlichen Gerbeprozeſſe bezweden.* ine vollendete Produktion freilich jet einen ziemlichen Grad chemijcher Kenntniſſe, eine gejchiefte Leitung und eine jehr exakte Arbeit voraus. Noch mehr ift Das der Fall bei der Dereitung der ladirten und gefärbten Leder, welche daher auch am früheften auf eigentliche Yabrifen über: gegangen ift.

Die Zahl der Gejchäfte hat in Preußen jeit neuerer Zeit nicht zu= jondern jogar etwas abgenommen; man zählte: |

1) Bergl. Preuß. Handelsfammerberichte 1866, ©. 150; e8 heißt da: von den 3 großen Leberfabrifen Krefeld's arbeiten zwei nach der alten Gerbemethode faft ausjchließlich Lederſorten, bie zu Schuhmacherwaaren in Stadt und Umgegend Abjat finden. Eine dagegen läßt mit den neueften Majchinen ihres Faches, mit Dampf, unter theilweifer Anwendung ber Prin- zipien ber Schnellgerberei hauptſächlich folche Artikel fertigen, melde in Wagenfabrifen, zu feinen Sattlerarbeiten, zu Militär- effeklten Abſatz finden.

Die Gerberei. 7821 18316 . . . 4963 Gerbermeifter mit 4064 Gehülfen 1831 . . . 5362 . 4338 B 1843 . ...569 ⸗5474 1849 5 243 4772 5

Im Jahre 1849 Hatte man die großen fabrif- mäßigen Gerbereien mit den Fabrifen, in welchen lackir— te8 und gefürbtes Leder bereitet wird, zujammen gezählt; es ergaben fich jolche Lederfabriken 505 mit 3361 Ar- beitern,* von welchen dtwa die Hälfte auf Wejtfalen und die Nheinprovinz famen. In Malmedy, einem der Hauptorte der Gerberei, zählte man jchon 1849 6 Meifter mit 9 Gehülfen, 39 Fabrifheren mit 208 Ar- beitern, in Berlin 30 große Gerbereien mit 303 Arbei- tern neben 74 Meiftern mit 252 Gehülfen. Im Iahre 1861 find wieder die großen Gerbereien in der Hand- werfertabelle mit gezählt; daher das Rejultat: 4907 Meifter mit 6292 Gehülfen. Manche Fabriken find darunter, die große Steigerung der Produktion fommt bauptjächlich auf ihre Rechnung. Aber auch die großen Gejchäfte find gegenüber anderen Großinduftrien noch mäßigen Umfangs und daneben Hat fich eine große Zahl Heiner Gejchäfte erhalten. Die außerpreußijchen Hauptfige der Gerberei des Zollvereins find Bayern, Württemberg, Sachjen und Thüringen, in welchen die Gehülfenzahl die Meiſter entweder nicht ganz erreicht oder Doch kaum überjteigt. Im ganzen Zoll— verein zählte man 1861 - 11992 Meifter mit 14 309 Gehülfen.

1) Tabellen und amtliche Nachrichten V, ©. 832,

622 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Bon 1861 bis zur Gegenwart jehen wir ähnliche Reſultate; die 1353 Gejchäfte, welche 1861 in ver Rheinprovinz waren, find bis 1867 auf 1155 gejunfen, während die Produftion noch zunahm; aber auch 1867 ijt Die durchſchnittliche Quantität verarbeiteter Häute, welche dort auf eine Gerberei fommt, nicht über 656 Ztur. mit einem Durchichnittswerth des fertigen Produktes von 5 939 Thlr. für,je eine Gerberei. Das deutet immer noch auf Gefchäfte hin, welche im Durch— jchnitt zwilchen großem und fleinem Betrieb in der Mitte jtehen.

Das wichtigite Gewerbe in der Verarbeitung des Leders find die Schuhmacher; fie find überhaupt fait überall das zahlreichite Gewerbe; ? jelbjt Preußen, Poſen, Pommern haben im BVBerhältniß zur Bevölkerung nicht jehr viel weniger Schuhmacher als Wejtfalen und Die Rheinprovinz; die größte Zahl Schuhmachermeifter Hat Württemberg (73 auf 10000 Einw., 52 in Altpreußen), während nach Viebahn in Frankreich 52, in Dejtreich 20 Meifter auf diefelbe Einwohnerzahl fommen. Was die hiſtoriſche Entwicklung betrifft, jo wirken man: cherlei Urfachen neben und gegen einander. Ich teile zunächſt das Nefultat der preußiichen Aufnahmen mit, um daran die weiteren Bemerfungen zu knüpfen. Man zählte:

1) Bienengräber, Statiftit des Verkehrs, ©. 397.

2) Bgl. oben ©. 302; ferner Mittheilungen I, 234; Tabellen und amtliche Nachrichten V, 833. Biebahn III, 680.

Die Schuhmacher. 623 | Meifter Auf Auf 1

Gewerbe-

as und 100 Mitr. | De

Jahre | Meifter Gehülfen Gehütfen | kamen auf SSR | Einw. 1816 | 50157 | 27970 | 78197 56 138. 1822 | 56728 | 27976 | 84704 49 138 1825 | 61775 | 32986 | 94761 53 129 1828 | 64419 | 32968 | 97387 | 51 131 183 65870 , 32630 | 98500 | 49 133 1834 | 69993 | 35656 | 105649 | 51 128 1837 | 73708 | 39616 | 113324 | 54 125 1840 | 77380 | 428236 | 120206 | 55 125 1843 | 81126 | 45455 | 196581 | 56, 123 1846 | 86163 | 48363 | 134526 | 56 | 1% 1849 | 87964 | 48493 | 136457 | 55 | 119 1852 | 90841 | 53583 | 144424 | 9 | 17 1855 | W328 | 51179 | 141507 6 | ıı 1858 | 90084 | 54851 | 145835 | 60 | 192 1861 | 94849 | 59342 | 154191 3 120

Zunahme | 1816—61|100:189,, 100:212,,, 100:197,, | 100:112,, |100:110,,

Im ganzen Zollvereine zählte man 1861 - 189 006

Meijter mit 127875 Gehülfen ;

men 60 Gehülfen. Die Zunahme des Gewerbes von 1816 46 (um

10 9%,

wenigſtens als Folge

betrachtet

werden.

auf 100 Meiſter fom-

jtärfer als die Bevölkerung) darf theilweije

des jteigenden Wohljtandes Es hatte ſich bis dahin in ver

Technik und in der Organifation des Gewerbes nichts geänvert. Freilich wäre eine Zunahme des Schuhver- brauchs auch denkbar ohne Zunahme der Gewerbe: treibenden, da die Schuhmacher von jeher zugleich eins der Gewerbe waren, welches am meiften über eine zu große Zahl von Meiftern klagte. Beſonders

624 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

fo Yange faft nur auf Beitellung, faſt gar nicht auf Lager gearbeitet wurde, war es eines der amt leich- teften und mit den wenigjten Mitteln zu ergreifenven Gewerbe. Das Bedürfniß an Schubmachern war von jeher groß, es jtieg mit jeder allgemeinen Bejjerung der wirtbichaftlichen Verhältniffe; der Zudrang war daher immer groß; Die halbbejchäftigten Erijtenzen waren immer zahlreich, der Jahrmarkts- und Wochenmarfts- bejuch war die Folge davon. Dieſe Yage der überwie— genden Zahl der Meiſter erflärt zugleich ven koloſſal jteigenden Lederverbrauch neben der mäßigen Zunahme der Schuhmacher. Bis 1849 (vorübergehend jogar noch einmal 1855) bleibt auch die Zahl der Gehülfen jo niedrig als fie 1816 war: auf 100 Meijter nur 56 Ge- hülfen; d. h. jeder Gejelle, der in ein gewiſſes Alter fommt, und dann nicht zu einer andern Beichäftigung übergeht oder auswandert, verjucht al8Meifter fein Glück.

Bon da bis 1861, noch mehr von 1861 bis zur Gegenwart ändern fich die Dinge; und e8 zeigt fich das auch in den Zahlen. Die Gejammtzahl der Schub: macher bleibt 1846 61 gegenüber der Benölferung jo ziemlich ftabil, während der Lederkonſum noch viel ſtärker wächſt; die Gehülfenzahl jteigt wenigſtens etwas und deutet darauf bin, daß neben den zahlreichen Fleinen Meiftern, deren Klagen in diejer Zeit lauter als je ertönen, einzelne größere Gejchäfte fih bilden. Es beginnt der Umjchwung in der Technik, wie im der Geſchäftsorganiſation.

In den Städten bilden ſich die Magazine; die verarmten Meiſter, welche die Mittel Leder zu kaufen,

Die Schuhmacherei im Großen. 625

nicht mehr befiten, müfjen für fie arbeiten. Es beginnt mehr und allgemeiner das Arbeiten auf Lager; die fauf- männtiche Spekulation bemächtigte fich der Sache. Der Zollverein, der 1842 46 erſt eine Mehrausfuhr von jährlich 1559 Ztmv. groben und 1068 Ztmr. feinen Yedermaaren hatte, bringt es 1860 61 auf eine Mehr- ausfuhr von 16781 Ztnr. groben und 10532 Zinr. jeinen Leder waaren. Damit befnmen die Schufter als Hausinduftrie eine andere Stellung. Innerhalb des Zollvereins freilich hatten längſt einzelne Orte Schube, Stiefeln und Bantoffeln auch fir weiteren Abſatz ange- fertigt. Schon 1822 ijt der 10te Kahlauer ein Schub- macher, ebenjo der 34 fte Erfurter; 1846 der 8 te Kahlauer und der 30ſte Erfurter. Aber eine jolche Produktion war doch meht vereinzelt. Mit dem heutigen Verkehr konnte dieje Art des Betriebes einen neuen Aufſchwung nehmen, um jo mehr als an folchen Orten größere Gejchäfte entjtanden und alle Fortſchritte der Technik ſchnell ein- geführt wurden. In Erfurt waren jchon 1849 neben 410 Meiftern mit 411 Gehülfen 5 Schubfabrifen mit 148 Arbeitern. In Mainz bat jest ein Geſchäft alfein 160 männliche und weibliche Arbeiter. In Württemberg geht der Schuberport von Tuttlingen und Balingen aus. In Thüringen kommen bejonders noch Gotha, in der Provinz Sacjen Naumburg und Mühl- baujen in Betracht. Im Königreich Sachen liefern die Groitz'ſchen Schuhmacher mit 339 Gejellen und Lehr— lingen, 1200 anderen Perjonen und 44 Steppmajchinen jährlich 72000 Dutend Paar Schuhe. Im der Rhein- pfalz ift neben Worms vor Allem das Feine Städtchen Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 40

626 Die Umbildung einzelner Gewerbözweige.

Pirmaſenz als Schuhmacherort befannt. Die Entjtehung des Gewerbes an diefem Ort ijt fomijch genug. Land— graf Ludwig IX von Hejjen hatte jeine Reſidenz dahin verlegt und wollte daſelbſt möglichit viel Soldaten, zugleich aber eine zunehmende Bevölkerung haben; er machte jeinen Soldaten das YHeirathen zur Pflicht, erlaubte ihnen aber nebenher ein Gewerbe zu treiben; fie warfen ſich hauptſächlich auf Die Schuhmacheret, die Pirmafenzer Schuhmädchen gingen damit hauſiren; jetzt zählt der Ort von 8000 Eimwohnern 13 größere und 63 Fleinere Gejchäfte mit 17 Buchhaltern, 54 Zuſchnei dern, 1154 Arbeitern und 466 Arbeiterinnen mit 60 bis 90 Näh-, Sohlichneide- und andern Majchinen. Sie liefern jährlich 130 000 Dugend Paar Stiefeln oder Schuhe im Werthe von etwa 2 Mill. ‘fl., ver Export geht nach Oſt- und Weitindien, Auftralien und Südamerika.

Die erite wichtigere Aenderung der Technik, war die in den vierziger Jahren ans Amerika importirte Methode, die Sohlen mit Holzjtiften aufzunageln jtatt zu nähen; bie Arbeit geht vafcher und iſt beſſer; auch ijt die Arbeitsart freier, der Konjtitution des Körpers angemefjener. Später kam die Nähmafchirre, welche bejonder8 mit der zunehmenden Verwendung von Ge- weben für das Schuhwerk von Damen die Anfertigung der oberen Theile der Schuhe jehr erleichterte. Be—

no

1) Deutſche Ausſtellungszeitung v. 20. Mai 1867, Nr. 20 verglichen mit Viebahn III, 682.

Die techniſchen Fortſchritte in der Schuhmacherei. 627

ſondere größere Geſchäfte bildeten ſich, welche einzelne Theile en gros produziren und liefern wie Abſätze, Schuhverzierungen, Gummizüge u. ſ. w. Eine Maſchine zum Anſchrauben der Sohlen befand ſich ſchon 1851 auf der Londoner Ausjtellung; im neuerer Zeit kom— men ſolche Mafchinen in den preußiichen Militärſchuh— machereien zur Anwendung; eine Berliner Fabrik Yiefert fie das Stüd zu 200 Thlr. Der volljtändige Ueber— gang zur Mafchinenanwendung aber Datirt erft aus neuefter Zeit. Er hat fih Sagt der Ausitellungsbericht von 1867 jeit kaum zwei Jahren und fo zu jagen plöt- lich vollzogen. Den Anjtoß gab das indujtrielle Amerika. Mehr als drei Sahrtaufende, feit der Zeit der Pharao: nen, hat man die Schuhe in gleicher Weije einfach mit der Hand gearbeitet, jetst iſt Die rein mechanifche An— fertigung gelungen. Man fonnte den Beweis hierfür auf der Ausstellung jelbjt jehen. Im einer der aus- gejtellten Werkftätten konnte man fich ein Paar Leder— gamajchenjchuhe nach Maaß unter feinen Augen binnen 45 Minuten anfertigen laſſen. Die Mafchinen von Silvan Depuis‘ et Comp. waren darauf eingerichtet nur durch Frauenhände bedient zu werben; eine Mafchine lieferte mit einem Arbeiter täglich 23— 27 Paar Schuhe, eine andere. Die Doppelte Zahl, während jett ein Geſelle allein 4 Stunden ‚zum Annageln eines Paares mit Holz: jtiften braucht. Die Meafchinen, um welche es fich handelt, find abgejehen von der Schraubenmajchine, die Leiftenfchneivemafchine, die Stanzmajchine, welche Die Sohlen nach bejtimmten Nummern berausfticht, Die Walmafchine, die Sohlenprejfe, die Abſatzpreſſe und 40 *

628 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

die Hobel- und Glaͤttmaſchine, beibe letttere am Her ftellung dev Abjätze.!

Die meiften diefer Mafchinen find in Beutiehland noch kaum bekannt. Mit ihrer Verbreitung werden fie noch mehr das Vebergewicht der großen Gejchäfte ver— jtärfen und dem Heinen Meifter die Konfurrenz erſchwe— ven; dejto mehr kann aber auch eine jteigende Pro- duftion mit abnehmender Perjonenzahl ftattfinden. Den fleinen Meiftern bleibt auch dem gegenüber nur ver Weg der Genofjenjchaft übrig, Den fie gerade in ver Schuhmacherei auch jchon mit einigem Erfolg betreten baben; zunächit allerdings nur, um fich die Rohſtoffe bejjer und bilfiger zu bejchaffen.?

Schulze erzählte ſelbſt auf dem wolfswirthichaftlichen Kongreß zu Gotha 1858 darüber Folgendes: „Man macht ſich kaum Vorſtellungen davon, wie ſehr die ärmeren Handwerker von den Zwilchenhändlern in ven Preijen beraufgejetst werden. Ein einziges Baar Stiefel- ſohlen fam in der Afjoziation 25 9%, billiger und Dazu war das. Material beſſer. As nun gar in den Yegten Jahren die hohen Lederpreiſe, welche im Jahre 1857 bis auf 100 %, gegen früher gejtiegen waren, eintraten, war für viele Mitglieder jene die einzige Rettung. Der Aufſchwung des Schuhmachergewerfes in Delitich, wel- ches fich zuerjt aſſoziirte, war bald jo bedeutend, daß

1) Oeſterr. Ausftellungsbericht, IV, 240; Ausftellungs- zeitung Nr. 31 u. 32. 2) Vergl. oben ©. 233.

Die Schuhmachergenoſſenſchaften. 629

Die Schuhmacher aus den Nachbarftäbten, welche mit Em Deligich’en die Märkte bezogen, zu mir famen und dagten: wir fönmen mit den Schuhmachern in Delitich nicht mehr Fonfurriven, fie haben ihren Markt nad) Magdeburg ‚hin ausgedehnt, wir wünfchen uns auch zu aſſoziiren.“ Die Bewegung kam in Gang; im Jahre 1863 zählte Schulze bereit 33 preußifche, 18 ſächſiſche und 30 andere deutihe Schuhmacherrobftoffgenoffen- ſchaften; 1866 find e8 22 preußijche, 15 füchfiiche und 25 andere deutjche Rohjtoffvereine, neben einigen Ma— gazin- und Produftivgenoffenjchaften; die Zahl hat alio jeither nicht zugenommen, wohl aber haben einzelne 40, 60 ja bis 140 Mitglieder; der Berliner Verein hat 1868 für 39016 Thaler, der Wolfenbütteler für 31104 Thlr. Leder an die Mitglieder verfauft. Gegenüber der Gefammtzahl der 189006 zoll: vereinsländiichen Meifter ift e8 allerdings immer roch unbedeutend, wenn einige Hundert durch die. Rohſtoff— vereine in beiferer Lage find. Und dann reichen Die Rohitoffvereine nicht aus, die Yage der Betreffenden pon Grund aus zu bejfern; die Produktion bleibt unvoll—⸗ fommen, der Abſatz prefir. Die Geichäftsführung ver: Yeitet leicht die Vorſtände, den Verein für ſich auszunutzen. Viele dieſer Genoſſenſchaften ſind dadurch wieder zu Grunde gegangen, daß die an der Spitze ſtehenden Meiſter immer das beſte Leder für ſich ausſchnitten. Das was nun für die kleineren und ärmeren Mitglieder übrig blieb, war nicht beſſer, als ſie es ſonſt erhalten konnten. Und ſo löſten ſich die Vereine wieder auf. Es fehlt hier, wie in andern Gewerben, an den Leuten,

630 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

welche die Genoſſenſchaft richtig Teiten und zufammen- halten können. Die Maſſe der Meiſter iſt in ſchlechter, elender Lage. Jedem, der praftiich in unſern großen Städten ſich um das Armenweſen bekümmert hat, dem iſt der hungernde verarmte Schuhmacher mit zahlreicher Kinderſchaar als typiſche Erſcheinung belannt. Und ein neuer Stoß bereitet ſich vor, wenn die Maſchinen ſieg— reich weiter vordringen und doch zunächſt nur Einzelne, feien e8 einzelne Meifter oder einzelne Genoffenjchaften, fie einführen.

Während wir bei den Schuhmachern mit einem einfachen Gewerbe zu thun hatten, kommen wir bei ben Kürjchnern zu einem Handwerke, das in der Regel mit einem Handelsbetriebe werthvoller Waaren, mit dem Pelzbanvel, verbunden ift. Die Anfertigung von Mützen ift ein einfaches Gewerbe, ver Pelzhandel dagegen fett eitt: bedeutenderes Kapital voraus. “Die Inhaber größerer Pelzwaarenmagazine in den Stüdten gehören im ber Kegel zu den wohlhabendſten Mitgliedern des Bürger- ſtandes. Es Handelt ſich eigentlich um zwei zwar häufig verbundene, aber doch jehr verſchiedene Gewerbe; in beiden ift die lofale Produktion zurüdgetreten gegen: über der Mojjenanfertigung; aber das eine kann als Handelsgeiverbe noch gut exiſtiren, während Das andere bierfür zu ärmlich ift. Danach ijt die folgende Tabelle zu beurteilen, welche die preußiſchen Kürſchner, Rauch— waarenhändler und Mützenmacher umfaßt. ‚ar. ganzen Zollverein zählte man 1861 - 8045 Kürjchner mit 15992 Gebülfen,

Die Kürſchner und Mützenmacher. 631

Meifter | Auf Auf und 100 Mftr.

Gehülfen | famen famen ° zul. Gehülfen Einw.

Jahre | Meifter | Gehülfen

1516 3 040 182 | 278 | _ 1 | 29 | | _ = IB | 2800 | | _ iszz 2871 | 1754 | 4625 | 61 | 3060 180 | 3121 | 2321 | 542 | 74 | 2754 1843 3446 | 2664 | 6110 | 77 | 201 1816 | 4220 | 3009 | 728 | 71 | 225 1849 | 4444 | 3102 | 7546 | 69 | 2164 1852 |. 4768 | 3488 | 8251 | 73 | 2082 1855 4816 | 3499 | 8315 | 72 | 2068 1858 4965 | 3590 | 8555 | 72 | 2078 1861 | 5066 | 3774 | 8849 | 7A | 2090

Zunahme | E j

181661 |100:166,| *

1837 —61 |100:176,,|100:215,, |100:190,, 100: 121,,|100:146,,

Der Verbrauch an Belzwaaren ift in fälteren Ge— genden nicht bloß ein Luxusbedürfniß, jondern eine Noth- wendigfeit; mit jteigendem Wohljtand wird er in dent höhern Klaſſen bedeutend zunehmen, wie auch Die Mehreinfuhr von Fellen zur Belzbereitung im Zollverein beweiſt; fie betrug jährlich 1842 46 - 8064 Zitnr., 1860 64 - 11564 Ztnr.;* die Einfuhr bat fich fait auf das Doppelte in Diefer Zeit gehoben, aber auch die Ausfuhr ftieg. Yeipzig mit feiner Mefje ift ja überhaupt der größte Markt für Pelzwaaren; die jährlich dahin gebrachten Pelze werden auf über 6 Millionen Thaler

1) Bienengräber, Statiftit des Verkehrs, ©. 394.

632 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

geichätt: etwa Der britte Theil der Geſammtproduktion der Erbe.

An diefes große Gejchäft haben ſich beſonders in Leipzig und Berlin größere Kürjchneretablifjements an- gejchloffer, welche das Reinigen und Gerben der elle, das Umarbeiten verjelben zu Röden, Mönteln, Kragen, Müten, Handichuhen, Müffen und Halswärmern im Großen betreiben und. ihre Produkte ind Ausland wie an die inkändiichen Lokalgeſchäfte abjegen. Die größere Leiſtungsfähigkeit ſolcher Geſchäfte erlaubt eine Aus— dehnung der Geſchäfte ohne ſtark wachſende Perſonen— zahl. Dagegen wachſen neben ihnen auch die lokalen Geſchäfte, mehr als Magazine, vom Handel und Re— paraturen lebend, als ſelbſt das Kürſchnergeſchäft noch ausübend. Je mehr dieſe Lokalgeſchäfte aber bloße Handelsgeſchäfte ſind, deſto weniger werden ſie eine ſteigende Gehülfenzahl beſchäftigen.

Aus ähnlichem Grunde hat die Zahl der aus— ſchließlich Mützen verfertigenden Meiſter wahrſcheinlich nur bis in die vierziger Jahre zugenommen. Wenn ſich auch die Technik der Mützenanfertigung ſeither kaum ſehr geändert hat, ſo hat ſich doch die Produktion unter Zuhülfenahme von Nähmaſchinen und Arbeitstheilung konzentrirt, der Geſchmack ſpielt eine größere Rolle als früher. Eine Reihe von Magazinen verkaufen nebenbei Mützen, welche ſie in größeren Quantitäten aus den Hauptſitzen der tonangebenden Mode beziehen. Der kleine bloße Mützenmacher oder Mützenhändler iſt jetzt einer der ärmlichſten Handwerker. Ich glaube, daß dieſe Art von kleinen Geſchäften ſogar eher abgenommen

Der Pelz» und Mützenhandel. 633

hat; Die obigen Gefammtzahlen der hierher gehörenden Gewerbetreibenden zeigen auch gegenüber der Bevölkerung von 1852 an eine Abnahme, was ich auf die abneh- menden Müßenmacher zurüdführen möchte, neben welchen der Pelzhandel wahrſcheinlich noch zugenommen hat. Daß der Belzhandel den Schwerpunkt ‘der Gejchäfte diefer Rubrik bildet, fieht man auch Kar aus Der pro- vinziellen Vertheilung; man zählte:

1837 1861 Meifter Gehülfen Meifter Gehülfen in Preußen. .. 502 365 849 335 - Boien . .. 737 307 873 253 » Brandenburg .. 331 305 719 565 PBommen . . 100 107 258 108 Schlefien . . 7% 456 1019 436 *- Sadien. . . 285 145 582 252 Meftfaln . . 49 21 278 128 am Rhein . . - 77 48 479 236

In den öftlichen Fülteren Provinzen ijt die Mehr: zahl der Gejchäfte, am Rhein und in Wejtfalen fehlten jie früher fat ganz, daher hier 1837 61 eine ar liche Zunahme.

Gehen wir von ber Nükenmasherei zu ver Hand» ſchuhmacherei über, jo find die geivebten Handſchuhe zu unterjcheiden von den zugeichnittenen und genähten. Gene werden von den Strumpfwirfern geliefert, Diele von den Handſchuhmachern. Die frühere deutſche Handichuhmacherei Tieferte Hauptjächlich ſchwere lederne, feinene und wollene Handſchuhe. Die moderne Ölage: Handichuhfabrifation kam Durch vertriebene Hugenotten im 17. Jahrhundert nach einigen großen Städten, nach

634 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Erlangen, Dresven, Prag und Berlin, die deutſche Gerberei hatte früher das Leder nicht jo weich, zart und elaftiich berzujtellen vermocht. Später entwidelte ſich dieſe Glacéhandſchuhmacherei in allen halbwegs beventenden Städten, Daneben wurden aber noch ziemlich viel franzöſiſche Waaren eingeführt. Bis Mitte der funfziger Jahre hatte der Zollverein eine Mebreinfuhr von ledernen Handſchuhen, erſt von da hat fich die Fabrikation jo gehoben, daß fich eine Mehrausfuhr heraus: jtellte. Zollvereinsländische Handſchuhe konkurriren jetzt mit engliſcheu, franzöſiſchen, öſterreichiſchen im Auslande.

Die Zunahme der Produktion hat aber wieder zwei verſchiedene Epochen, wie die folgende Tabelle der preußiſchen Handſchuhmacher zeigt:

| ' Meifter Auf Auf

1 Gewerbe-

Jahre Meifter | Gehülfen und | 100 Pfr. | treibenden | ı Gehülfen |. Tamen famen zuſ. Gehülſen Einw. I8i6 | 1398 | 567 | 1965 | arm) wat 1822 | 1343 | 597 | 190 | 4). 6088 1831 1366 372 | 2238 | 64 5 850 1834 | 1408 332 2288 ur 18377 | 142 994 | 2436 68. 1..5811 1840 ı 14% 1153 | 2651 717 5655 1843 1502 | 1116 | 2618 74 15084 1846 1238 | 1009 | 2247 | 81. }., 7Wp1 1849 1300 | 1101 | 201 | &%4 6801 1852 1277 | 1245 | 252 7 7 ru 1855 1278 | 1222 | 250 | 9% | 6881 1858 1277 | 1252 | 259 | 98 7014 1861 1336 | 2091 | 3427 | 156 5687

|

Gel. = Aenderg. | | 1816— 61 100: 95. 100 : 368,5 100: 174,100; 380,5 | 100:93,.

Die Handſchuhmacher. 635

Die. Zahl der Meifter, d. h. der Kleinen mehr Iofalen Gejchäfte, nimmt zu bis 1843; von Da geht fie zurüd, während nun von 1840 —61 die Gehülfen- zahl fich verdoppelt und die Geſammtzahl der Gewerbe- treibenden gegenüber der Bevölkerung jo, ziemlich: ftabil bfeibt, Letzteres wäre ohne Zweifel nicht der Ball; wenn die ſämmtlichen Frauen und Mädchen, welche für größere Gejchäfte zu Haufe Handſchuhe nähen, mit ver- zeichnet wären. |

In dieſer Weiſe hat ich nämlich die große Induſtrie gejtaltet, daß der Fabrikant nur das Leber einkauft, Die Handſchuhe theilweife mit der von Jouvin erfimdenen Machine zuichneidet, das Nähen aber als Haus: industrie und meiſt noch mit der Hand bejorgen läßt, .. Die- Berliner Geſchäfte haben fich - vielfach -— der Zheurung in Berlin wegen nach Potsdam gezogen und laſſen dort in der Umgegend auf dem Lande nähen. Außerdem find die größten Handjchuhfabrifen des Zoll- vereins in Luxemburg, wo jährlich etwa eine Million Zickel- und Lammfelle von 5 Fabriken mit 1576 Arbet- tern verarbeitet werden, in den Städten Aachen, Kaſſel, Magdeburg, Halberjtadt, Erlangen, im Königreich Sachſen und in Schlefien.* Auch in Deftreich blüht die Handjchuhmacherei und hat fich dort faft noch mehr als im Zollverein konzentrirt. „In Wien allein‘ berichtet Rehlen ? „find mehr als 250 Gejchäfte etablirt,

1) Preuß. Handelslammerberichte pro 1865, ©. 481. 2) Gedichte der Handwerke und Gewerbe, zweite Ausgabe, Leipzig 1856. ©. 143.

636 Die Umbildung einzelner Gemwerbszweige,

welche einjchließlich der Nätherinnen über 4000 Arbeiter beichäftigen und an 18000 Dutend Glacchandichube verfertigen, im Werth von mehr als einer Million Gulden. Prag befitt etwa 50 Etabliffements, welche über 25000 Dutend im Werthe von 200000 Gulden produziren.“ Der ganze Zollverein zühlte 1861 - 1854 Meifter mit 6520 Gehülfen, an welcher Zahl fich deutlich erkennen läßt, daß der Uebergang zu größern Geſchäften meift fich vollzogen hat. In Sachjen fommen auf 85 Meifter 792 Gehülfen, in Thüringen auf 33 Meifter 815 Gehülfen.

Der Iofale Vertrieb ift zu einem großen Theile auf Modewaarenhandlungen und Magazine verichievener Art übergegangen. Doch projperiren auch immer noch lokale Gejchafte in allen größern Städten. Manche Leute wünjchen doch Handſchuhe nah Map und die Produktion ijt technisch immer noch einfach; jelbit die Zuſchneidemaſchine ift nicht allzutheuer und ihre Vor- theile find mäßig. Sch kenne Gejchäfte, wo fie vor— handen iſt, aber nicht regelmäßig benutzt wird,

Die Anfertigung von Halsbinden, Halstüchern, Kravatten, Schlipfen und. ähnlichen Artikeln, welche früher dem lokalen Handſchuh- oder Mügenmacher zu- fiel, ijt in neuerer Zeit auch auf wenige große Geichäfte übergegangen, welche durch Direftricen die einzelnen Beitandtheile zufchneiden und fie von Arbeiterinnen in ihren Wohnungen nähen lafjen.!

1) Ausftelungsberiht von 1851, U, 666— 68.

Die Kravattenmacerei und die Strohhutmanufaftur. 637

Unter den Gewerben, welche ſich mit der Bededung des Kopfes beichäftigen, war die Strohhutmanufaktur niemals eigentlich ein Tofales Gewerbe; uriprünglic in Toskana zu Haufe, Fam fie als Hausinduftrie nach der Schweiz, nach dem Schwarzwalde, dann auch nach Sachſen, Schleſien, in’s Eichsfeld und fo ift die Strohhutfabri- fation und Strobflechterei heute noch mehr eine Neben- befchäftigung in Ländlichen Kreiſen, hat durch bejonvere Schulen eingeführt theilweife das Spinnen. und Weben erſetzt. Die aufgenommenen Zahlen von Arbeitern find daher auch wenig zuverläffig; man zählte in Preußen 1861. auf 99 Fabrifen 964 männliche und 1245 weib- liche Arbeiter, im Zollverein auf 496 Fabriken (Baden allen 239, wobei wohl die Faktore mitgerechnet find) mit 2068 männlichen und 3850 weiblichen Arbeitern.

Dagegen war die Anfertigung von Filzhüten, ſowie von Seidenhüten, früher Sache Tofaler Handwerker ; hierin ift ein großer Umſchwung eingetreten; der leichte Berfehr und die Herrichaft der Mode nicht bloß, ſon— dern auch eine ganz veränderte Technik begünftigte den Uebergang zu einigen wenigen großen Kabrifen. Die Enthaarung der Felle und Zurichtung der Haare für die Hutmacherei ijt anderwärts jchon ein eigenes Gewerbe geworben; fie ift in Deutjchland meift noch mit der Hut- macherei verbunden, doch erijliren auch ſchon einige größere Etabliffements in Hanau, Darmftadt, Offenbach und Berlin. Auch die früher mit der Hutmacherei ver- bundene Anfertigung von Filzſchuhen und anderen Filz- waaren bat fich zu bejondern größern Gefchäften abge-

638 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

jchieden. * Einzelne der großen Hutfabrifen haben jetzt mehrere Hundert Arbeiter. Auf der Pariſer Ausftellung von 1867 befand fich eine vollftändige Dampfhutfabrif,? in welcher jo ziemlich alle Stadien der Fabrikation, vom Abwiegen der zu eimem Hut erforderlichen Quantität Kaninchenhaare bis zur legten Garnirung, dem mecha- nijchen Betriebe anbeimgegeben waren. Darnach kann die folgende Tabelle der preußiſchen Hutmacher uns nicht in Erftaunen ſetzen; man zählte:

|

) | | | Auf | u | Meifter | —*— = : 1 Gewirke: Jahre | Meifter | Gehülfen | und | Äh "| treibenden amen ‚kamen | | Gehütfen | Gepütfen | Einwohner i | 18316 | 2166 | 1554 | ara "TUT 2796 1822 | 2299 | 1349 | 3648 59 3211 1831 2128 ı 834 | 2982 39 4420 1834 2048 | 833 | 2881 41 4709 1837 1917 | 898 | 285 | 4 5.029 1840 1792 6 | 2738 | 53 5475 1843 1654 oa 2861 5 6 066 1846 1596 92 2588 688 6252 1849 1475 939 | 2414 63 6.765 1852 1379 967 | 2346 | 70 7219 1855 1285 1058 | 238 | 82 7342 1858 1284 1263 | 2547 98 | 6965 1861 1320 | 193 | 39 | 18 5.669 Aenderung

1816 —61 | 100::61,, \100:123,, | 100 : 87,, | 100:201,,)100: 49, | | Noch nicht ganz die halbe Zahl der 1816 beſchäf— tigten Perjonen reicht 1861 aus, einem gewiß größern

1) Viehbahn III, 666. 2) Deutiche Ausftellungszeitung Nro. 32.

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Die Hutmacherei und die Blumenfabrifen. 639

Bedürfniß zu genügen. Im Zollverein fommen 1861 auf 3117 Meifter 5362 Gehülfen oder Arbeiter. An Heinen Orten halten jich wohl noch die Heinen Meiſter, aber mehr. ald Händler; in den großen Städten eröffnen die Fabriken jelbjt große Magazine und verkaufen da— neben an die Handlungen, welche vie ſämmtlichen Herrengarderobeartifel führen,

Während die mänuliche Kopfbevedung im Laufe der Zeit immer einfacher, jtereotyper wird, läßt fich Das von der weiblichen nicht jagen. Phantaſie und Mode find bejtrebt, in mannigfaltigjter, immer wechieln- der Weiſe den tweiblichen Kopf mit allen möglichen Arten von Kopfbedeckungen zu zieren, dabei in der raffinirtejten Weiſe den Stroh = oder Filzhut, die Spiten- oder Tüll- haube mit Bändern, Schleifen, Blumen und Federn zu deforiren. Die Band» und Pojamentiergewerbe Liefert, abgejehen von den Hüten und breiten Geweben, dazu die Ropftoffe; auch hierfür find beſondere große Geſchäfte in Berlin, Leipzig und Frankfurt thätig, ſoweit dieſe Waaren nicht vom Ausland bezogen werden. Daneben fonımen die Gewerbe der Buntſticker, Blumen, Feder— und Federbuſchmacher und Strohhutnäher in Betracht, welche in den Tabellen als eigene Kategorie zuſammen— gefaßt, in Preußen 1861 - 437 Meifter mit 1148 Ge— hülfen, im Zollverein 1936 Meifter mit 7 811 Gehülfen zählen. Schon die Zahlen zeigen, daß es vielfach größere Geichäfte find. Die wichtigfte Abtheilung ift die fünjtlihe Blumenfabrifation, die auch im Zollverein rajche Fortjchritte macht, ihr Vorbild aber immer. noch in Frankreich und jpeziell in Paris hat, woher roch

640 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

ein großer Theil der im Zollverein verbrauchten Blumen bezogen wird. Die dortige Induſtrie bat eine jeltene Vollendung und einen jeltenen Umfang erreicht; der Werth der prodigirten Waaren war 1847 - 11, 1858 16, 1867 - 25 Mill. Fres., wovon etwa die Hälfte der Handarbeit, zu dem größten Theil Frauen und Mädchen, welche zu Haufe ‚arbeiten, zu Gute kommt. Beſondere Graveure und Werkzeugfabrifanten liefern die Matrizen, Preffen und Modelle für vie künſtlichen Blumen; darunter find wirkliche Künſtler; je treuer und ſchöner fie die Natur nachzuahmen verſtehen, deſto voll- endeter find die Produfte. Dann fommen die Yabri- fanten, welche mit ſtrenger Sonderung der einzelnen Beitandtheile, Kelche, Samenfapjeln, Knoſpen, Gräſer, Körner liefern. Eine dritte Gruppe fürbt und preßt die Stoffe und jtellt Zweige ber. Dann erjt fommen die eigentlichen Blumenmacher, welche die meijten Frauen bejchäftigen, wobei auch wieder ftrenge Arbeitstheilung zwiichen Zrauerblumen, NRojenfabrifanten ꝛc. ſtatt— findet. Endlich fommen die Blumenmodiften, welche die verjchievenen Blumen zujammenjegen, Bouquets und Kränze fertigen, Hauptjächli aber in ven Ma— gazinen die Waaren verfaufen, die Mode beberr- jchen, die Verwendung für die einzelne Toilette bejtimmen.

In annähernder Weije hat fich auch das Gejchäft in Deutjchland gejtaltet. Die Herjtellung der Materialien

1) Ausftellungsbericht won 1851, III, 594. Oeſtr. Aus- ftelungsbericht 1867, Bd. IV, 232.

Die Putzmachergeſchäfte. 641

ift Sache bejonderer größerer Gejchäfte; im Putzmacher— laden findet nur die Zufammenftellung und Anpafjung, das Zufammennähen ftatt. Der perjönliche Geſchmack der Dirigentin iſt die Hauptjache; das Iofale Bedürfniß macht überall Gejchäfte nothwendig; bis auf die Yand- jtädte und Dörfer dringen Die neuen Moden jett, und jo jehen wir, daß bei den Putmachergeichäften mehr die Zahl der Geichäfte als ihr Umfang zunimmt. Dan zählte in Preußen (im Zollverein 1861 - 12 832 Ge— ihäfte mit 13348 Gehülfen):

| Auf

Meifter | Gehülfen | geipe | Jahre und Mei⸗ und Ge- | zuſammen amen Rerinnen | hülfinnen | Gehüfen Einwohner 1816 463 _ | = 1822 1070 u ZA 1831 1566 1834 2034 1837 2437 1840 3080 1843 3608 1846 4063 1849 4451 3068 7519 69 2172 1852 4763 3488 8251 73 2052 1855 9 327 3841 9168 12 1876 1858 5 552 3897 9449 70 1877 1861 6 424 5989 12413 93 1489

Zunahme 1816 1861 |100:1387 ,

Zunahme 1849 1861 |100:144,,|100: 195, |100:165,, 100: 134,.| 100: 145, Die bedeutende Zunahme Hat übrigens neben der

ſteigenden Wohlhabenheit und dem größern Luxus nod) Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 41

642 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

eine weitere Urjache. Es findet ein großer Zudrang zu diefem Gewerbe ſtatt. Die Mehrzahl der Gejchäfte ift in weiblichen Händen, wie die Mehrzahl der Ge- hülfinnen junge Mädchen find, welche theilweije nur das Gewerbe. erlernen wollen, jedenfalls fich ihm gerne zuwenden, da e8 immer noch etwas bejjern Verdienſt giebt, als die bloße Nätherei. Von den preußiichen 6424 Gejchäften haben 6177 weibliche Vorjteher, von den 5989 Gehülfen gehören 5819 dem jchönern Ge— ichlechte an. Die Gejichäftsinhaberinnen find meiſt Wittwen, ältere umverheirathete Fräuleins, vor Allen Frauen von Eleinen Gejchäftsleuten, von Angeſtellten, deren Einfommen nicht ausreicht. Die Frau verſucht durch ein Putgejchäft das Fehlende zu evjegen; fie tft mit mäßigem Berdienjt zufrieden, die Stonfurrenz iſt groß; zahlreiche Banferotte zeigen die Schwierigfeit und den großen Andrang. Daneben gibt es in den größern Städten freilich immer auch eine Anzahl jehr großer wohlrenommirter Geſchäfte, welche entiprechend theurer arbeiten und das können, weil fie die wohlhabendſten Klaffen zu ihren Kunden haben.

Umfafjender und bedeutender als alle dieſe Fleinern Gewerbe ijt das Schneivergewerbe; es jteht an Zahl faft dem Schuhmachergewerbe nahe. Ich theile zuerjt die Ueberficht der preußiichen Schneider von 1816 61 mit. Daneben will ich gleich als Ausgangspunkt unferer Betrachtung vorausjchidfen, daß 1861 von den 76823 Gejchäftsinhabern 13741, von den 49291 Gehülfen 8677 weibliche PBerjonen find. Im ganzen

Die Schneider und Kleidermacher. 643

Br ae | | Meifter | Gehülfen Beide gm beste. Jahre und Mei- | und Ge- ‚100 Mifte. treibenden

famen famen

zuſammen | Gehülfen Einwohner

ſterinnen hůulfinnen |

18316 | 42878 | 19115 | 61993

| 45 168 1822 49298 | 18959 | 68357 38 172 1825 ı 52676 | 21 670 74 346 41 165 1898 53791 | 0m | 75813 41 168 1831 | 53919 | 21200 | 75209 39 174 1834 ı 57121 | 24628 | 81744 43 166 1837 | 59 205 | 27913 | 87118 47 162 1840 ı 62254 | 32357 | M6ll | 52 158 1813 | 65946 | 36411 | 102357 | 55 152 1846 ı 69051 377388 | 106789 | 55 | 12 1849 ı 20428 | 35700 | 106128 | 51 154 1852 ı 2325 | 3855 110860 8 | 153 1855 | 7097 | 37647 | 108554 | 58 - | 158 1858 | 71078 | 4115 |112273| 8 | 158 1861 | 76823 | 49291 | 126114 | 64 | 146

Zunahme | | | 1816 1861 1100:179,,1100:257,,100:203,,|100:142,,|100:115,,

Zollverein zählte man 1861 - 169 824 Gejchäfte, davon 34191 in weiblichen Händen, und 98772 Gehülfen, davon 16102 weibliche. Uebrigens jcheint die Auf- nahme in der Heranziehung der Frauen zu berjelben jehr verjchievdene Grundſätze befolgt zu haben; in Baiern und Hannover find über ein Drittel der Gejchäfte in Frauenhänden, in andern Staaten find auf mehrere tau- jend männliche Schneider nur wenige weibliche Geichäfte notirt, ohne daß doch eine jolche reale Verſchiedenheit wahrjcheinlich wäre. Diejer Umjtand zeigt aber über- haupt, welchen Bedenken die ganze Aufnahme des Schneidergewerbes unterliegt. Der Uebergang von der 41*

644 Die Umbildung einzelner Gewerbözweige.

bloßen Nätherin zum Schneivergejchäft iſt ein unmerf- licher. Früher wurden in Preußen die Nätherinnen und Wäjcherinnen mit den weiblichen Tagelöhnern zujammen aufgenommen (3.8. 1849: 679719, wovon 149610 in den Städten), wobei aber nicht feitzuftellen iſt, wie viele von den bier gezählten Frauen Nätherinnen find. Die häusliche Weißnäherei ift ja wohl jedenfalls nicht unter der Kategorie der „Schneider“ mitbegriffen; aber fraglich erjcheint mir, ob die theilweife mit Kleider: geichäften verbundenen Konfektionsgejchäfte, die Magazine für Weißivaaren und Damenartifel bier mitgerechnet find oder nicht; Dadurch erjcheint mir der Zweifel nicht gehoben, daß der ganze Zollverein 1861 - 4 preußtiche Weißzeugfabrifen mit einigen Hundert Arbeitern bejon- ders in der Fabriktabelle aufführt.

Trotz dieſer Unklarheit des Inhalts der Tabelle müſſen wir verjuchen, die Rejultate aus derjelben zu fol- gern. Das erite wäre, daß die Gejamimtzahl der preußi- ichen Schneider um 15,,%, jtärfer zunahın, als Die Be— völferung. Nimmt man dazu, daß die Leijtungsfähig- feit des einzelnen Arbeiters in größern Gejchäften ſchon lange, auch in allen kleinern jeit Einführung der Näh— majchinen, jehr gewachien ift, nehmen wir ferner dazu, daß die Mehrausfuhr an fertigen Kleidern aus dem Zollverein jeit 20 Jahren ſich verzehnfacht bat (1860 64 jährli” 11365 Ztmr. im Werth von 3—4 Mill. Thle.), jo wird man einen Kortjchritt des Gewerbes nicht leugnen können, wie man wohl auch mit Recht annehmen kann, daß gerade die Bekleidung fait in allen Klaffen der Bevölferung eine bejjere gewor-

Die Zunahme der Schneider. 645

den ijt. Freilich bleiben daneben manche Zweifel: Die Zunahme des Perjonalbeftandes ließe fich auch darauf zurüdführen, daß jett gekaufte oder- beftellte Kleider in vielen Kreiſen getragen werben, welche früher Kleider trugen, die von der Familie jelbft gemacht waren. Die Poefie der Nationaltracht, der bejonderen ländlichen Be— kleidung verjchwindet; jelbjt der deutſche Bauer füngt an, fertige ſtädtiſche Kleider zu faufen. Auch Frauen- Fleider werden gegenwärtig vielfach fertig in den Maga- zinen gefauft, wenn gleich noch entfernt nicht jo jehr wie die Männerkleider. Doch) glaube ich faum, daß die Zahl der Nätherinmen, welche im Haufe der Kunden Frauen- kleider fertigen, gegen früher abgenommen hat.

In der Organijation des Gejchäfts find große Aenderungen . eingetreten, welche aber nicht aus Der obigen Tabelle zu erſehen find. Ob unſere großen Städte ſchon Gejchäfte haben, wie die Parifer, welche nur Modelle anfertigen, ift mir zweifelhaft, * wohl aber bat fich in den größern Städten die Arbeitstheilung vollzogen,? welche in Paris mit den Namen „Tailleurs

1) Oeſtr. Ausftellungsbericht Bd. IV, 230: „da gibt es Häufer, welche nur Modelle anfertigen, welche Zeichner, Maler, Literaten und Sacverftindige aller Art beichäftigen, mit ben Fabrifen im vegem Berfehr ſtehen, die Mobdefarbe beftimmen oder wenigſtens alle Stoffe diefer Art für eine gewifje Zeit, gewöhnlich drei Monate, auflaufen. In diefen Häufern kaufen die erften Schneider und Konfeltionsfabrifanten die Modelle und propagiven jene, welche Sufzeß haben.“

2) Vergl. die ausgezeichnete Unterfuchung von Laspeyres, die Gruppirung der Induftrie in den großen Städten, Berliner Gemeindelalender III, 65— 67.

646 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

fabricants“ und „Tailleurs apieceurs“ bezeichnet wird. In beiden Arten von Gejchäften jehen wir große Etabliffements, welche 50 60, ja bis 300 Gelellen in ihren Räumen bejchäftigen, daneben auch außer dem Hauje nähen laſſen. Beide beziehen die Tuche und anderen Stoffe mehr und mehr direkt vom Yabrifanten, um dadurch die vertheuernde Zwiſchenhand des Tuch- händlers zu jparen. Häufig find frühere Tuchmagazine durch Annahme eines Zuſchneiders und einer Anzahl Schneidergejellen zu Kleidermagazinen geworden. Der Umfang der Gejchäfte, welche nach Maß und Bejtellung arbeiten, bleibt jelbit in den größten Städten in ber Kegel ein etwas geringerer. Dagegen wächjt der Um— fang der eigentlichen Kleiverfabrifen theilweiſe in's Un— glaubliche. Von dem Gerſon'ſchen Gejchäft in Berlin, das hauptſächlich Damenmäntel, Mantillen, Mode— waaren aller Art führt und nach allen Staaten und Himmelsgegenden exrportirt, ſchreibt Viebahn jchon 1852: „das Gejchäft hat im vergangenen Jahre etwa 16000 bi8 20000 fertige Mäntel, Mantillen ꝛc. geliefert. In zwei Gejchäftshäujern werden unter Leitung von 5 Hand- werfsmeitern und 3 Diveftrizen 120 —140 Arbeiterinnen, außerdem aber in den Wohnungen etwa 150 Meifter mit durchichnittlih 10 Gefellen, welche nur für dies Haus arbeiten, und im Ganzen in folchen fertigen Artikeln, das Weißwaarenfach mitgerechnet, 1600 2000 Perjonen, je nachdem es ftille oder Yebhafte Zeit it, beichäftigt; in dem Verkaufslokal jelbjt arbeiten gegen 100 Kommis, Aufjeber, Yadenjungfern umd Diener.“

Die großen Kfeiderfabrifen und die Heinen Schneider. 647

Wenn in diefer Weife die Kleiverfabrifation fich fonzentrirt, jo muß es Wunder nehmen, daß im Ganzen in Preußen auf 100 Meifter erjt 64 Gehülfen, auch in Berlin nur 138 fommen. Selbjt wenn man berüd- fichtigt, daß manche als Meifter gezählte für Magazine und größere Meijter arbeiten, jo bleibt das Rejultat überrajchend. Es bat ähnliche Urjachen, wie die große Zahl Fleiner Schuhmacher. Dem Glanz und der Ent: wicklung der großen Gejchäfte und Magazine fteht Die um jo größere Noth der Heinen Meiſter gegenüber. Der Verſuch, ein eigenes Gejchäft zu beginnen, kann faſt ohne Kapital gemacht werden, der Zudrang iſt bedeutend. Selbft auf dem Lande ift die Zahl der Meifter fehr groß; 1858 famen in Preußen auf 30229 ftädtijche, 40 849 Yändliche Meifter; jchon 1849 ! fam auf dem platten Yande im Negierungsbezirt Arnsberg auf 131, im Negierungsbezirt Münfter auf 133, im Negierungs- bezivt Magdeburg auf 144, im Regierungsbezirk Köslin auf 220 Einwohner ein Schneider (Meijter und Ge— bülfen zujammen). Die meijten diejer Heinen Schneider leben in den ärmlichiten Berhältnijfen, viele nur als Flickſchneider und als Hausarbeiter in den Häufern ver Kunden. Auch Viebahn? nimmt an, daß zwar das Durchichnittseinfommen, das ein großftäbtiiches Schneidergejchäft gemähre, etwa 400 Thaler betrage, daß daſſelbe aber im kleinen Städten von 400 auf 200 Thaler finfe, auf dem Lande wohl noch tiefer

1) Tabellen und amtliche Nachrichten V, 837. 2) IH, 676.

648. Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

herabgehe, wofür dann freilich einige Naturaleinnahmen binzufämen.

Die Genofjenjchaften haben hierin wohl Einiges gebejjert; jchon 1863 eriftirten 20 preußifche und 16 andere deutſche Rohjtoffvereine von Schneidern; 1868 zählt Schulze 23 Robftoffvereine, 11 Magazingenofjen- haften und 10 wirkliche Probuftivvereine (einige hier— von find in Böhmen) auf; die Stuttgarter Produftiv- genofjenjchaft, durch Dr. Pfeifer bejonders in Gang gebracht, erfreut fich eines blühenden Gejchäfts, wie denn nicht zu bezweifeln, daß die Schneider fich auf fooperativen Wege helfen können. Aber was bedeuten bis jetst diefe paar Vereine gegenüber den 169 924 zoll- vereinsländiichen Gejchäften!

Je mehr das Magazinſyſtem fiegt, deſto mehr findet die Beichäftigung weiblicher Hände in der Schneiderei ſtatt; in allen Gejchäften, welche fertige Kleider liefern, jeien e8 Herren- oder Frauenfleider, wendet man mehr und mehr Mädchen an, was jchon aus den täglichen Annoncen der Zeitungen zu jeben it, welche Mädchen juchen, „die auf Herrenarbeit geübt find.‘ Und nicht bloß aus den untern Ständen refrutirt ſich die Zahl diejer weiblichen Hände; der ganze Ueberſchuß von Töch— tern aus dem Krämer-, Handwerker» und Beamten- jtand, die nicht jo glücklich find -in den Hafen einer ausfömmlichen Ehe einzulaufen, jehr viele Wittwen find froh, ſolche Beichäftigung zu finden; hat ja' doch exit in neuerer Zeit die Bewegung begonnen, ihnen auch andere und Lohnendere Stellungen zu eröffnen. An manchen Orten Hagen die Schneider, fie fünnten mit

Die Srauenarbeit in der Schneiderei u. d. Weißwaarengeſchäft. 649

den Berliner Geheimratbstöchtern nicht mehr konkurriren, jo billig, wie jene, können fie nicht arbeiten. Das alles drüdt auf die Heinen Gejchäfte, während die großen den Vortheil billiger und guter Arbeit dadurch haben.

Daß e8 nicht ganz klar jei, ob unter den obigen Zahlen auch die Weißwanrengejchäfte begriffen find, erwähnte ich jchon. Sch will über fie nur noch ein paar Worte hinzufügen. Die Anfertigung der Xeib- und Bettwäſche war früher ausjchließlich Sache ver Hausfrau; doch entjtanden ſchon in den vierziger Jahren große Geichäfte, welche auf Yager arbeiten ließen, die eigentliche Ausbildung des Gejchäfts, vor Allem die Ausdehnung des Exports, fand erjt in letter Zeit jtatt. Den lofalen Markt verjorgen überall die lokalen Lein- wandhandlungen, vie fait durchaus jest auch fertige Wäſche verkaufen; das Hauptgeichäft aber Fonzentrirt jih in den Gegenden der Gewebeinduftrie, jowie in den Hauptjtädten, in Berlin, Dresden, Wien ꝛc. Von Sachen erzählte ich jchon oben, daß mit der Nähmaſchine die Gejchäfte dieſer Art einen neuen Impuls befommen, daß Dadurch die Hausindujtrie wieder eine Kräftigung erhalten habe. Anderwärts freilich fiegt der Fabrik: betrieb. Bon Bielefeld wird 1867 in Bezug auf die Fabrikation fertiger Wäſche gejchrieben:; ! „Eine weitere

1) Preuß. Handelsfammerbericht pro 1867, ©. 964. Sehr groß ift dieſes Geſchäft in Frankreich; der öſtr. Ausftellungs- bericht IV, 193 jchätst den Werth der jährlichen Produktion auf 100 Mill. Fres. Der Hauptfit des Geſchäfts ift in Paris; bie

großen Lingerie -gejchäfte laſſen aber nicht ſelbſt arbeiten, ſon—

650 Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Zunahme des Umfjates und der Zahl der beichäftigten Nähmafchinen ift zu konſtatiren; ihre Zahl beläuft jich jet hier auf 504, wobei 1500 Arbeiterinnen fajt un- ausgefetste Beichäftigung finden. Diejer Gejchäftszweig bat immer mehr an Boden gewonnen; doch haben fich die Hoffnungen auf Den durch den Handelsvertrag mit Frankreich ermöglichten größern Abjat in diefem Lande bi8 jetzt nur noch in geringem Maße verwirklicht, da man unter Anderem auch noch der Handarbeit zu jehr den Vorzug gibt, die zu billigeren Preiſen in den Klöftern des Elſaſſes angefertigt wird. ALS eigenthümlich hervor: gehoben wird es, daß hierbei in Folge der Beitrebungen der hiefigen Fabrifanten die Einzelarbeit immer mehr abnimmt, um durch Vereinigung der dabei beichäftigten Kräfte unter den größern Fabrifanten, den handwerfs- mäßigen Betrieb immer mehr zu verlaffen. Die Aus: dehnung der Dampfnähereien iſt nur durch technijche CSchwierigfeiten verzögert, aber in Ausficht genommen.“

Mit der Weifnäherei jteht die Stideret umd Spiteninduftrie auf einer Linie. Neben der Thätigkeit aller Frauen der gebildeten Stände arbeiten überall arme Frauen um Lohn; zu einem eigentlichen Induſtrie— zweige wurde die Stiderei innerhalb des Zollvereins eigentlich nur in Schlefien, Weitfalen und Württemberg, dann im jächftichen Erzgebirge und im Voigtlande. In Sachſen follen 15000 Perſonen 1861 in der Haus-

bern die techniiche Ausführung Liegt in den Händen ber sousentrepreneuses (vergl. Laspeyres a. a. D. ©. 65 67), oder gar einzelner zu Haufe awbeitender Nätherinnen.

Die Stiderei und Spikeninbuftrie. 651

induftrie der Spitenflöppelei und Stiderei beichäftigt gewejen jein; der Vorzug der beutjchen Induſtrie liegt wieder jozial betrachtet in einem traurigen Grunde, in der außerordentlichen Billigfeit der Löhne.

Die eigentlichen Spiten werden entweder geflöppelt, oder mit der Nadel gefertigt; beides blieb bis in die neuere Zeit Handarbeit für Frauen und Kinder, wäh— vend die ihnen nahe ſtehenden Tüllgewebe, die Gaze, die Pettinets und Bobbinets auf Fünftlichen Maſchinen gewebt werden.

Erſt 1840 wurde eine mechanische Stickmaſchine von Heilmann im Eljaß erfunden; aber erit 1850 gelangte fie in St. Gallen und Appenzell zur praftijchen Anwendung. Erſt 1857 führte ein Haus in Plauen die eriten Stiemajchinen aus der Schweiz ein. Bald darauf bemächtigte fich ein fächfiicher Maſchinenbauer der Herjtellung und verbefjerte fie jogar wejentlich, indem er an dem 14— 15 Fuß langen Stuhl jtatt einer Reihe zwei bis drei Reihen Nadeln aubrachte. Ende 1861 zählte man in Sacjen 7 Etabliſſements mit 52 Majchinen, März 1863 jchon 16 mit 97 Ma- ſchinen. Sie werben übrigens mit der Hand getrieben. Die jogenannten doppelten Maſchinen foften 800 Thlr., die dreifachen 1100 Thlr. mit allem Zubehör.

Auch für die Stiderei alfo hat der Kampf mit der Mafchine begonnen; vorerjt freilich nur mib der Folge, den Lohn der armen Frauen und Kinder herabzudrüden. Im Jahre 1863 zählte man im Chemniter Handels— fammerbezirk noch 14695 Klöppelkiſſen für Erwachſene, von denen 12773 im Betrieb waren, 7296 für Kinder,

652 Die Umbildung einzelner Gewerbszmeige.

wovon 6851 in Thätigfeit waren. Der öftreichifche Ausitellungsbericht beginnt zwar jeine Betrachtungen über die Spitenmanufaktur mit den Worten: „vie Parijer Univerjalausitellung vom Jahre 1867 fällt in die Zeit, wo die Handipige über die Majchinenpite nach einem längern Kampfe den Sieg davon trug und die Austellung ſelbſt brachte dieſen Sieg erſt zur allge: meinen Anſchauung; fie wird daher in der Geſchichte der Spitenarbeit fortan als ein wichtiger Wendepunft merkwürdig bleiben. Die durch Nadel und Klöppel erzeugten Handjpigen erlangten dieſen Sieg über die Maſchinenſpitzen zumeijt durch die fchöne und gejchmad- volle Herjtellung der Zeichnung oder der Mufterung, aljo durch die jorgiame Pflege des fFünjtleriichen An- theiles.” Das ijt aber gerade für Die deutſchen Bezirke, welche bisher mehr einfache und billige Produfte Tiefer: ten, fein Troſt. Die belgiſche und franzöfiiche Spigen- manufaktur erjter Qualität wird bei der Handarbeit bleiben, vie deutjche wird der Mafchine in dem Mafe erliegen, als man verfäumt, auf bejjere Qualitäten überzugehen; die Handarbeit wird ſich nur da behaupten, wo bei höherem Lohn und bejjeren jozialen Berhältnifien die Stiderinnen nicht nach Bildung und Herfommen auf die traurige Konkurrenz mit den einfachern Majchinen- produften angewiejen jind.

Schluß und NRejultate.

No ein Wort über die Metall- und Majchineninduftrie. Die großen Fabriken und die Hausinduſtrie. Wo und wie letztere fih halten läßt. Die Krifis des Handwerks und ihre allgemeinen Urſachen. Die Gemerbefreiheit und bie Abnahme der Heinen Geſchäfte. Die Arten der Meifter: Die vorwärts- kommende Elite und die verarmende Maſſe. Der Handwerfer- bund. Die Muthlofigfeit. Die Stellenjägerei. Die Aus- wanderung. Die Sozialdemokraten. Die Banferottirer und „Mader. Die Meifter der Hausinduftrie. Sind alle dieje Leute Schuld an ihrem wirthichaftlihden Ruin? Der Zuſam— menbang zwijchen perjönlichen Tugenden und ber Befig- und Einfommensvertheilung überhaupt. Prüfung unferer Zeit nah dieſer Richtung: Die Lohn- und Fäbrifarbeiter, ber Bauernftand, der höhere Gewerbeftand, ber Haus- und Grundbefit, die Börje, das Aftienwejen, die Staatsjchulden. Die letzten Folgen jeder übermäßigen VBermögensungleichheit. Die pofitiven Aufgaben und der Standpunkt dafür. Die wirtbichaftliche Freiheit und die Deffentlichfeit. Staatliche Maßregeln; die Bureaufratie und der Egoismus der bürger- lichen Mittelllaſſen. Was verdient den Vorwurf einer fozialifti- jhen Maßregel? Unfere negative Gejetgebung reicht nicht aus. Die Bevölferungsfrage. Die Vorſchläge in Bezug auf Tabrifweien. Die Borjchläge in Bezug auf das Handwert und die Hausindbuftrie.

In ähnlicher Weife, wie im Vorjtehenden die Ge— webeinduftrie und Befleivungsgewerbe, noch die Metall -

654 Schluß und Refultate.

und Majchineninduftrie, die Inftrumenten-, Geräthe- und Holzwaarengewerbe nach ihrer hiſtoriſchen Umbil- ding in Deutjchland zu unterjuchen, war meine Abficht. Aber der dieſem Buche urjprünglich zugemefjene Raum iſt bereit3 ziemlich überjchritten und eine ähnliche Bear- beitung, wie die der Gewebeinduftrie würde das Er- jcheinen des Buches noch um längere Zeit verzögern. Die numerische Bedeutung der Metallgewerbe erreicht auch die der bisher beiprochenen Gewerbe entfernt nicht; berechnet doch auch Viebahn! nach dem Gejammtinhalte der Handwerfer-, Handels- und Yabriktabelle des Zoll- vereing im Jahre 1861, daß 40%, der Arbeitenden auf die Textilgruppe, 21%, auf die baulichen Arbeiten, 17%, auf die Nährgewerbe, 12%, auf die Deforationg>, artijtiichen und Literariichen Gewerbe und nur 10%, auf die Metallurgie kommen. Sachlich freilich ijt die Bedeutung der Metallgewerbe um jo größer. Es iſt die Induftriebranche, von welcher die übrigen vielfach in ihren Fortjchritten abhängen, die auch in Deutſch— land in den Ietten 30 Jahren die glänzendſte Ent- wicelung hatte, welche die tüchtigjten Unternehmer, die fräftigften und am bejten bezahlten Arbeiter zählt. So mögen denn wenigſtens einige Flüchtige Worte über fie hier noch als Einleitung der Schlußbetrachtungen ihre Stelle finden.

Die Werke und Hütten, welche die Metalle zu Tage fördern und ausſchmelzen, find nicht bloß ſelbſt zu immer größerem Umfang angewachjen, jie haben

1) III, 1133,

Die Metall» und Maſchineninduſtrie. 655

vielfach auch die erjte Verarbeitung der Metalle mit übernommen; eijerne Defen, ſowie einfachere Eijengeräthe und Majchinentheile werden auf den Hütten jelbjt gegoſſen; Stahl-, Eiſenwalz- und Eijendrahtwerfe find mit den Hütten verbunden; häufig find die großen Gewerkſchaften jogar im Befig von Mafchinenfabrifen. Aber auch wo die weitere Verarbeitung der Metalle, bejonvders des Eijens und Stahls, jelbjtändigen Geſchäften anheimfällt, fönnen wenigjtens für eine Reihe von Spezialitäten nur noch die größten Etabliffements konkurriren, da die noth- wendigen Ingenieure, Zeichner und Modelleure nur in jolchen voll ausgenutt und vemgemäß bezahlt werben fönnen, da die Gebäude, die jonjtigen Anlagen, die großen Summen. zum Cinfauf der NRobftoffe und zur monate lang vorher erfolgenden Auszahlung hoher Löhne nur dem großen Kapital die Betheiligung erlauben. So für 2ofomotiven, Damfichiffe, Dampfmaſchinen, mechantiche Spinnereien, Eiſenbahnwagen, bergmänniſche Majchinen und Gejchüge. Krupp in Eſſen hat gegen 8000, Borfig in Berlin gegen 3000, Hartmann in Chemnig 2000, ‚Kramer Klett im Nürnberg gegen 1000 Arbeiter. Auf eine Wagen» und Bahnenwagenfabrif im Zollverein fommen 1861 - 70, auf eine Majchinenbauanftalt 54, in Berlin allein 80 Arbeiter. Um die große Majchinen- indujtrie gruppiren fich nach und nach wieder eine Reihe mittlerer Gejchäfte, welche maſſenhaft einzelne Theile, Kejjelarmaturen und Aehnliches übernehmen; das ijt in entwickelteren Ländern, wie in England, noch mehr ver Fall; eigentlich Heine Gejchäfte find das aber auch nod) nicht. Neben den Majchinenfabrifen kommen eine Reihe

6566 Schluß und Reſultate.

von Anſtalten, deren Ausdehnung ziemlich verſchieden iſt: Dampfkeſſel-, Ketten-, Anker-, Schrauben-, Nägel - und Drahtſtiftfabriken, Senſenhämmer, kleinere Gieße— reien, Kratzenfabriken, Anſtalten für Hecheln, Kämme, Jacquardmaſchinenkarden, hölzerne Web- und Strumpf— jtühle und Aehnliches. Die für Webereibevürfnijje arbei- tenden Werkjtätten zählten 1861 noch (entfprechend der noch überwiegenden Handweberei) auf eine Anftalt nur 3 Perjonen; doc ändern fich auch hier die Dinge von Zag zu Tag.

Die Heinen Geräthe und Injtrumente aus Eifen und andern Metallen, die Produfte der Feinmechanif, die Dlechwaaren, Schmiedewaaren, die Waffen und Uhren, die mufifalifchen, optiſchen, chirurgifchen Inſtru— mente werden theilweije auch noch vom Handwerk, viel— fach noch von der Hausinduftrie, aber auch ſchon man- nigfach und mit täglich fteigendem Erfolg von großen Fabriken geliefert. Was Früher mit der Hand, aus gejchnittenen: Blechen, durch getriebene Arbeit hergejtellt wurde, wird jest mehr gegoſſen oder durch Drud-, durch Fall» und Walzwerfe gejtanzt und gewalzt; Die einfachen Adergeräthe, welche der Schmied lieferte, gin- gen auf Eifenwerfe und landwirthichaftliche Majchinen- fabrifen über. Alle Baubevürfniffe, Schlöffer, Thür - und Fenſterbeſchläge macht die Fabrik billiger; die Aus- führung von Dach- und andern Eijenkonjtruftionen beim Häuferbau, welche ſich nad) der Dertlichfeit richten, bleiben eher dem lofalen Handwerker. Die Nagel: jchmiede find theilweife jchon ganz verjchwunden, im Erzgebirge und Oberfranfen aber hämmern fie fich den

Die Kleinmetallgewerbe. 657

Drabtitiftfabrifen zum Trotze noch müde, unter Deren Konfurrenz fie vwerfümmern, und denken nicht daran, ihrer Arbeit eine andere Richtung zu geben, ihren jpür- lichen Gewinn durch ein gejuchteres Fabrikat zu erſetzen. In ähnlicher, theilweile auch noch im bejjerer Yage find eine Menge von Metall und Holz verarbeitenden Haus: induftrien Meitteldeutjchlands, in Sachſen, in Thürin- gen, im nördlichen Baiern bis nach Naſſau und der Rheinpfalz. Die Kleinen Nadler in Pappenheim, die „Heimarbeiter der Nähnadel- und ähnlicher Fabriken in Schwabadh, die erzgebirgiichen DBlecharbeiter, die fichtelgebirgiichen Tafelmacher und Schieferarbeiter, die Sonneberger Holzichniger und Spielmaarenverfertiger, die Krugmacher des Wefterivaldes, die pfülzer Bürſten— binder, alle dieſe Hausindujtrien haben zu kämpfen mit dem beginnenden Fabrikſyſtem und Halten jich vorerit durch die ſtaunenswerthe Bedürfnißloſigkeit und Genüg— jamfeit der Arbeiter. Manche find in jammervoller Noth und drückender Abhängigkeit von den Kaufleuten und Faktoren, welche ihnen die Rohſtoffe liefern. Wo durch techniiche Schulen und andere Mittel die Bildung und Yeiftungsfähigfeit fich gehoben hat, da iſt die Yage beifer, wie 3. B. die der Spielmaarenverfertigung in Sonneberg, die noch kaum Fabriffonfurrenz hat. Aehnlich gung es ja auch mit der großen Schwarzwälder Uhren: indujtrie, deren Kriſis jchon in den Anfang der vierziger Jahre füllt. Die Furtwanger Uhrmacherjchule, eine Reihe tüchtiger Werkeugmacher genügten, die Heinen Leute fo zu heben, daß fie jegt wieder mit jeder Großinduſtrie der Welt fonfurriven. Schmoller, Gef. d. Kleingewerbe. 42

658 Schluß und Refultate.

Die rheinifche Kleineiſen- und Metallinduftrie in Solingen, Remſcheid, Linvenjcheid, Hagen, Altena, Iſerlohn war bis in die neuere Zeit auch überwiegend Hausinduftrie und Sache Fleiner ſelbſtändiger Meijter. Die großen faufmännijchen Gejchäfte (Hier Kommiſſionäre genannt) geben dem Meiſter (hier Fabrifant genannt) die Beitellungen; den Robjtoff erhält er theilweije, theil- weile Yiefert er ihn ſelbſt. Die erjte Arbeit füllt dem Schmiede zu; man unterjcheidet Die verjchiedenften Arten (20— 30) von Schmieden; dann gehen die Stüde an den Schleifer, der in der Schleiffotte polirt, endlich an den Reider, der das Heft aufichlägt. Aehnlich ift ein großer Theil der Waffeninduftrie organifirt. Aber überall zeigen fich auch Hier die Aenderungen, überall diejelben Klagen: die Heinen Meeifter wohnen zu zer- jtreut, können größere Majchinen nicht anwenden, machen die technifchen Fortichritte nicht mit. Jacobi jagt (1855): „Es drängt auch bier der Zug der modernen Induftrie die Fabrikation unwiderftehlich mehr und mehr aus den vereinzelten Werfjtätten und dem noch halb handwerks— mäßigen Betriebe in die großen gewerblichen Anlagen und den gejchlojjenen Zabrikbetrieb hinüber. Schon find die Nadler, die Sporenmacher, die Gelbgießer, die Gürtler und Andere den großen Fabrifanftalten meiſtens gewichen und gleichartige Entwicklungen bereiten fich nach allen Sei- ten vor. Die Walzen treten an die Stelle der Hämmer,

1) Siehe die ausgezeichneten Schilderungen bei Jacobi, das Berg-, Hütten» und Gewerbeweien des Regbez. Arnsberg, beſonders ©. ©. 77, 365, 375 390.

Die rheinischen Hausinduftrien flir Metallwaaren. 659

die Pubdelöfen an die Stelle der Friichöfen.” Doch muß Jacobi zugeben, daß die meiften Webeljtände auch ohne Uebergang zur großen Fabrik fich vermeiden Yaffen, wenn nur Die richtigen Mittel ergriffen werden. Da und dort haben fich einige tüchtige Meifter vereinigt ; mancher Schloßſchmied arbeitet mit Durchichnittmafchinen, Prejjen, Kreisjcheeren zum Ausjchneiven und Former der Schloßkaſten, mancher Schüppenjchmied mit der Schlag- majchine zum Stampfen der Schaufeln. Bei richtiger Bildung der Eleinen Meifter, bei richtiger lokaler Ver- einigung, bei Benutung gemeinſamer mechanifcher Kräfte liegen fich auch Hier die Heinen Gejchäfte halten, fo gut wie in Birmingham. Die Fabrik fiegt nicht ſowohl, weil jie dauernd abjolut bejjere Produfte Liefert, ſon— dern weil die Fleinen Meifter den Uebergang zu manchen Neuen nicht zu machen verjtehen. Die oben befprochene

1) Zoll. Ausftellungsber. 1851 II, 168, e8 heißt da von der Meifingwaarenfabrifation und Schmieberei Birmingham’s: Die Stadt hatte 1820 - 100000, jest 240 000 Einw. Die Geſchäfte werben nicht bloß mit großen Kapitalien betrieben, es giebt deren Viele, in welchen nicht über 3 000 5 000 Thlr. fteden. Die kleineren Gejchäfte find im Zunehmen, feit ſich einzelne Unternehmer dazu hergeben, Dampffräfte von beliebiger Stärke mit entjprechenden Räumlichkeiten miethiweile abzugeben, jo daß der kleine Fabrikant oder Handwerker ſich nur Die Arbeits- maſchine und Werkzeuge, nicht aber bie theuren Triebwerke anzujchaffen braucht. Daneben ift das entwidelte Bankſyſtem von Bedeutung für die Heinen Leute. Durch die Zunahme ber Heinen Unternehmer find die Preife der Fabrifate weit billiger geworben, weil der Arbeiter, der für eigene Rechnung fabrizirt, viel mehr vaffinirt als der Lobnarbeiter.

42 *

660 Schluß und Reſultate.

Nürnberger und Fürther Hausinduftrie ijt ein Beweis hierfür.

Es handelt ſich Hier, Ähnlich wie bei vielen Bran- chen der Textilinduftrie jowie vieler anderer Gewerbe, um Arbeiten, um Prozeduren und Vorgänge, die nicht nothwendig ein großes Fabrikſyſtem erfordern, um Thätigfeiten, für welche das große Geſchäft dieſe, Das fleine jene Vorzüge bat. Den Ausjchlag nach der einen oder andern Wichtung geben die verichtevenartigjten, häufig gar nicht ſpezifiſch volfswirthichaftlichen Urjachen. Neben Klaffen- und Kreditverhältniffen fommen Volks— jitten und Charakter, hergebrachte Gewohnheiten und zufällige Anregungen durch einzelne Perjonen, die Ein- flüffe der Beamten, die Schulverhältnijfe, die Sorge für technijche Bildung, die erjte Organijation des für die Hausinduftrie immer jchwierigeren Abjates, Die zeit- weile Unterjtügung zur Ueberleitung in neue technijche und faufmännijche Verhältniſſe in Betracht.

Mit diefem Ergebniß, das den flüchtigen Ueber: blick über die Metallindujtrie abjchließt, aber zugleich auch ein allgemeines Reſultat unjerer Unterjuchungen ausſpricht, komme ich zurück auf den eigentlichen Zweck dieſes letzten Abjchnittes, auf die Endergebniſſe und Schlußrefultate, Die ich bier theilweiſe erſt zu ziehen, theilweije in Kürze zu vejumiren habe.

Die Krifis des Handwerks ift Feine Sache für fich, fie iſt nur eine Folge der allgemeinen Aenderungen unjerer gejammten wirtbichaftlichen Verhältniſſe. Ein totaler Umjchwung der Technif und des Verkehrsweſens,

Die Krifis des Handwerks. 661

eine außerorbentlich vajch zunehmende Bevölkerung, eine vollftändige Verlegung faft aller Standorte der Induftrie wie der Landwirthſchaft, eine ganz andere Organtjation der bei der Produftion zufammenwirfenden Kräfte, total veränderte Klaſſen- und Beſitzverhältniſſe, eine ganz andere volfswirtbichaftliche Gejetgebung, alle dieſe Mo— mente zufammen haben die moderne joziale Frage geichaffen. Einzelne dieſer tief eingreifenden Urjachen jtehen an fich in engem Zujammenbang, andere fallen gleichlam nur zufällig in diejelbe Zeit. Die Gejammt- wirfung kann feine einfache jein. Viele Errungenjchaften der neuen Zeit fommen allen Klaffen gleichmäßig zu gute, andere nur einzelnen. Die volljtändige Neugeftaltung der Vermögens- und Einkonmensverhältuiffe, als Folge nicht bloß ſpezifiſch wirtbichaftlicher, jondern auch anderer Urſachen hat einzelne Stände, einzelne Klafjen in ebenjo behagliche, wie andere in traurige ärmliche Yage verjekt. Die Streiflichter, welche unjere Unterjuchungen auf Die Konſumtion warfen, deuteten an, welch große Zunahme des Verbrauchs in einzelnen Artikeln, welche Stabilität oder gar Abnahme in anderen jtattfand, wie ungleich nach den verjchiedenen gejellichaftlichen Klaſſen fich Die, Fortſchritte des Wohlſtandes vertheilen. Da Licht, dort Schatten, da die größten Fortichritte, dort Stabilität und Mifbehagen das ift das Bild unjerer Zeit. Ein optimiftiicher „Ziviliſationshochmuth“ fieht nur, wie herrlich weit wir es gebracht, und es wird fich gar nicht leugnen lafjen, daß Großes gejchehen und erreicht iſt. Nur wird man bei unbefangener Beachtung zugeben, daß wir noch mitten inne in einem Gährungsprogeffe ſtehen,

662 Schluß und Rejultate.

in einem Kampfe gefunder und ungejunder Elemente, in einem Kampfe neuer Tugenden und neuer Laſter; man wird zugeben, daß in dem neuen Wohnhaufe, das die Menjchheit bezogen, gleichlam die Hausordnung noch nicht oder noch nicht definitiv feſtgeſtellt iſt. Das ichönere größere Wohnhaus wird der Meenjchheit zum Heile bleiben, aber vielleicht werben erſt Fünftige Generationen zu den Regeln des Zuſammenlebens, zu den Sitten und Anſchauungen fich durcharbeiten, Die das Wohnen in dem neuen Gebäude für Alle oder wenigjtens für die Mehrzahl zum Segen machen. Wer freilich daran glaubt, daß die Volkswirthichaft in ihrer hiſtoriſchen Entwiclung eine automatiſch und immer har- moniſch von jelbft fich drehende Maſchine jet, der wird, nur die technijchen und andern Fortichritte jehend, nicht zugeben, daß troß derſelben und theilweile durch die— jelben zunächft wiele und ſchwere Mißſtände fich ergeben, hauptjächlich die täglich fteigende Ungleichheit der Ver— mögens- und Eintommensvertheilung; der wird nicht einjehen, daß zur Ergänzung des totalen Umjchwungs in unfjerem äußeren wirtbichaftlichen Leben ein gleicher Umſchwung unjerer Sitten und Gewohnheiten, unſeres Rechts- und Sittlichfeitsbewußtjeing gehörte, daß ein jolcher, bis er durchgeſetzt und erkämpft iſt, längere Zeit, vielleicht Jahrzehnte und Jahrhunderte braucht, jeven- fall8 gegenwärtig noch nicht erfolgt if. Wer auf dem entgegengejettten Standpunkte fteht, wer den Zuſam— menhang zwijchen dem innern geiftigen und fittlichen Leben der Völker und den äußern Gejtaltungen von Recht und Wirthichaft erkennt, wer weiß, daß das eine

Die einfeitigen Fortſchritte unferer Zeit. 663

wie das andere Clement allein in Bewegung kommen kann, daß das Pflichtgefühl der höhern Klaffen ebenjo ichwer Neuem zugänglich ift, wie Die technijche Durch: jchnittsbildung der untern Klaſſen, der wird es jehr begreiflich ja nothwendig finden, daß wir und zunächſt in einem Chaos, in einem Kampfe der jozialen Klaſſen befinden, der wird nicht erivarten, daß die Folge jo großer theilweiſe unter fich gar nicht zufammenbhängender Urjachen eine volljtändig harmoniſche Entwidelung jet, daß wir für alle die Nenderungen unjeres äußeren wirth- ichaftlichen Lebens auch ſchon die abjolut richtigen fitt- lichen und rechtlichen Kulturformen gefunden haben. Die reine Wifjenjchaft wird fich Daher nicht jcheuen, von diejem Standpunkte aus alle Grundlagen unjeres jozialen Yebens in Frage zu jtellen; denn nur, was vor erneuter Prüfung Stich hält, joll bleiben. Aber fie wird fich nicht der jonderbaren Inkonſequenz unjerer radikalen Volkswirthe jchuldig machen, die jo leicht und vielfach mit Recht das bejtehende Privat: und Staats: recht als ein unbaltbares hiſtoriſch überlebtes an— greifen, Dagegen vor dem zufällig heute jo feſtgeſtellten Kecht des Privateigenthums, vor dem heute zufüllig bejtehenden DObligationsrecht der Arbeitsmiethe als einem unantaftbaren Noli me tangere jtehen bleiben und in diejen Punkten nicht bloß Eonjervativ, jondern reak— tionär und altgläubig bis zum Uebermaß werden. Nicht als wollten wir ohne Weiteres dieſe Rechtsformen an fih angreifen, aber das geben wir zu: auch fie find in ihrer augenblidlichen Gejtaltung doch nur hiſtoriſch gewordene, Durch bejtimmte Zuftände und Sitten bedingte

664 Schluß und Refultate.

Institutionen, die nicht immer gerade jo waren und nicht nothwendig in Zufunft immer jo jein werden, die nur dann ihre innere Berechtigung fich erhalten, wenn fie unter den bejtimmt gegebenen äußern und innern Berhältnifjen die beite Rechtsform für die Geſell— ichaft find.

Doch zunächſt nicht Diele allgemeine Frage haben wir zu beiprechen, ſondern die fonfretere, wie nach den vorjtehenden Unterjuchungen fich die Yage des Deutjchen Handwerferftandes im 19. Jahrhundert gejtaltet Hat.

Wir ſehen, daß die Gewerbefreiheit, nothiwendig nach dem heutigen Stande der Technik, mancherlei Hem- mungen, mancherlet veraltete Borjchriften bejeitigt, daß fie, joweit fie innerhalb fittlcher Schranken over, wie der Kaufmann zu jagen liebt, innerhalb des reellen Ge— ſchäftslebens auftritt, den einzelnen und bejonvers den Fähigen, den an fich ſchon Höherjtehenden zu früher nicht gefannter Anftrengung und Arbeit treibt, daß fie aber an fi dem Heinen Handwerk Feine Rettung, dem großen Gewerbe viel eher als ven Heinen Meijtern Förderung bringt, die Kardinalpunkte, um die es fich handelt, wenn das Handwerk d. h. ein zahlreicher ſtädti— ſcher Meittelftand erhalten werden joll, kaum berührt. In der neuen freieren Stellung der Inmungen, in dem Wegfall jedes Zwanges zum Beitritt wird man eher eine direkte Förderung jehen. Man kann das z.B. in Sachſen erfennen. Die Innungen, welche fich halten wollen, an deren Spite tüchtige Yeute ſtehen, müſſen, um anzuloden, etwas bieten, irgend wie pofitiv das Ge— werbe fördern, und dann werden fie auch an Mitglieder:

Die Gewerbefreiheit und die Zahl der Meifter. 665

zahl zunehmen, während fie bisher daran nicht dachten, nur eiferfüchtig auf ihre Nechte pochten, ohne damit ihrem Ruin irgend wie Einhalt zu gebieten. Zunächit wird aber auch Das nicht zu viel wirken.

Es wird die allgemeine Richtung nicht aufhalten, Die, wie wir an den vielen Beilpielen ſahen, dahin gebt, faft in allen Zweigen der Industrie die Heinen Gejchäfte zu verdrängen, eine geringe Zahl von großen Unter: nehmungen mit Yohnarbeitern an deren Stelle zu ſetzen. Man may fich dem gegenüber Darauf berufen, daß nach meinen eigenen Berechnungen die Hanpwerfertabelle faſt überall noch die Fabriktabelle überwiegt,! man mag daran erinnern, daß Biebahn für den ganzen Zollverein folgendes Verhältniß im Jahre 1861 berechnet:

auf das auf die auf bie

Handwerf Fabrifen Kunftinduftrie Seihälte. . © . 832% 14% 4% Berfonen. . . . 585% 38 '%o 40,

Solche Zahlen aber beweijen als Durchichnitt eines einzigen Momentes nicht jehr viel. Nicht auf die Lage in dieſem oder jenem Zeitpunkt fommt e8 an; Die Frage ijt, ob eme große Aenderung fich vollzieht und Diele kann fich nie in den Zahlen eines, Jahres allein zeigen, jie kann ſich vollends nicht in den Zahlen von 1861 Hav zeigen, da die Wirkung der dem Handwerk feind- lichen Faktoren theilweiſe wohl jchon jeit 1838 40, theilweife aber auch evjt von 1850 55, ja ven 1861 an beginnt. Um einen Ueberblid über die wirkliche

1).©. 307, dann au ©. 281 u. 292,

666 Schluß und Refultate.

äußere und innere Lage der Handwerker zu geben, möchte ich fie folgerdermaßen Haffifiziren.

Die tüchtigſten Meifter, die cholerijchen, geiſtig und förperlich Fräftigjten Naturen haben fich durch den Druck der Verhältnijje eher gehoben; es find die self made men, e8 jind die Stügen der Schulze = Deligich’ichen Vereine, es find die Parteigänger der Gewerbefreiheit unter den Meijtern jelbjt, es find politiich fajt durchaus liberale Yeute; es find diejenigen, aus denen immer einzelne zum Befite großer Fabriken ſich emtporarbeiten. Aber ihre Zahl ijt gering, jehr gering. Man darf fich durch die Mitgliederzahl der Vorſchußvereine nicht täu- ichen laſſen; die Mitgliederzahl der Rohſtoff-⸗, Magazin - und Produftivvereine ijt ohnedies Flein genug, wie wir da und dort jahen. In den Borjchußvereinen gehört die Hälfte bis zwei Drittel Yeuten an, Die nicht in der Hanpdwerfertabelle gezählt werden; es find gar viele feine Kaufleute, kleinere und größere Fabrikanten, Rentiers und andere Perjonen dabei, und unter den Handwerkern jelbjt ift nicht jedem an fich jchon geholfen, ver Mit— glied eines Vorſchußvereins ift. Viebahn zählt 1861 im ganzen Zollverein 1101714 jelbjtändige Handwerker und 47575 auch zum großen Theil Heine funjtinduftrielle Geſchäfte; Schulze zählt 1868 auf die ihm genauer befannten 666 Borjchußvereine 256337 Mitglieder, von denen aber, wie gejagt, jehr viele Feine Handwerker find. Immer ijt der Segen der Genofjenjchaftsbewegung und jpeziell der Vorſchußvereine ein großer, der Erfolg ein glänzender; e8 iſt, möchte ich jagen, faſt die einzige Lichtſeite des heutigen Handwerks; aber es ijt eine

Die vorwärtsfommenden und bie verarmenben Meifter. 667

Förderung, die nur einer verhältnigmäßig Heinen Elite zu Gute fommt.

Ihnen gegenüber jteht die Hauptmaſſe der Heinen Meijter, die über die herfömmlichen Anjchauungen, wie über die Noth des Tages nicht hinausfommen. ES find nicht bloß die faulen, phlegmatijchen, e8 iſt der Mittel: Ichlag der Menjchen, der überall überwiegt. Es find darunter auch manche Wohlhabende mit ererbtem, jeltener mit erworbenem Beſitz. Sie juchen ihr Handwerk zu treiben, wie e8 der Vater und der Großvater getrieben ; die neue Zeit verjtehen fie nicht, fie jehen nur, daß jie troß aller Arbeit ärmer und ärmer werden, fie haben die dumpfe Erinnerung, daß es früher um das Hand— werk beſſer geſtanden habe. Das fittlic) Berechtigte ihrer Bejtrebungen liegt in einem gewiſſen ſpießbürger— lichen Feithalten an althergebrachter Zucht und Sitte, das freilich nicht gepaart ijt mit dem Verſtändniß für die neue techniiche Bildung, die fie ihren Yehrlingen geben müßten. Ausjchlieglich jehen fie das Heil der Handwerkerjache in Zunftrechten und Innungen, welche doch nichts für das Handwerk leifteten. Sie ließen ſich von der Reaktion ins Schlepptau nehmen, welche ihnen mit Wiederberjtelung der Zunft beſſere Zeiten vor: ipiegelte. Wenn Yeute, wie der Geh. Rath Wagener, welche den Bund zwiſchen den alten Handwerfsmeijtern und der fonjervativen Partei zu fnüpfen juchten, nicht ausſchließlich politiiche Parteizwede verfolgt hätten, wenn jie mit Energie und den großen Geldmitteln, über welche jie verfügen fonnten, die ſyſtematiſche Or— ganijation von technijchen Schulen, von Genofjenjchaften

668 Schluß und Refultate.

und hauptjächlich von Produftivaffoztationen in die Hand genommen, fie injtruirt und geleitet hätten, jtatt mit der Tata Morgana einer neuen Zunftepoche Die Yeute zu' täuſchen, jo wäre auch mit diejer Klaſſe der Meijter Manches zu erreichen geweien. So aber bat ver Bund zwijchen den ehrbaren Meijtern und unfern Hochtory's diejen mehr gejchadet als genüßt, wie das Huber feinen ehemaligen fonjervativen Freunden immer gepredigt hat." Auch der Handwerferbund und die Handwerfertage, wo der Berliner Schuhmachermeijter Panje im Verein mit ultrawelfiichen Zeitungsredakteuren das große Wort führt, haben jih nur in Klagen über Gewerbefreiheit und in der Hoffnung einer Wiederherjtellung der Zunftrechte ergangen, als ob mit vielen Rechten der innere Fort— jchritt, der allein helfen fann, irgend wie angebahnt würde. Auf dem neuejten Handwerfertage, der eben jest bier in Halle berathet, wird zwar die Gewerbe: freiheit als fait accompli anerfannt, man bejchlieft, nicht mehr dagegen zu petitioniven, es wird im Detail manches Wahre und Gute von einzelnen Meiſtern bemerkt; aber die Wortführer, Panje und Genofien, verweijen doch in der Hauptjache nur auf eine Konſer— pirung der Innungen, die einjtens, nachdem allgemeine Unordnung und allgemeines Elend aus der Gewerbe freiheit entjtanden fein werde, wieder zu Ehren und echten kommen müßten. Die Maffe der Meijter glaubt das nicht mehr, Die Theilnahme für ſolche Verheißungen

1) Bergl. BA. Huber, Handwerferbund und Handwerter- noth, Nordhaufen 1867.

Die Muthlofigkeit der Heinen Meifter. 669

finft ganz entſchieden; aber eben damit fteigt die Rath: Iofigfeit und die Muthlofigfeit.

Eben für diefe Muthlofigfeit möchte ich einige perjön- liche Erfahrungen als Betätigung anführen. Ich habe feit längerer Zeit, auf Reifen und zu Haufe, verjucht, das Alter der Meifter zu beobachten; ich fand fait immer mehr alte als junge Meijter: viele der 1861 noch vorhandenen Meiſter werden nicht mehr durch neue erjett werben. Die Xelteren fiechen vollends din, weil fie nichtS anderes zu ergreifen willen. Als ich neulich den Vorſtand der biefigen an fich blühenden Weberafjoziation fragte, wie e8 gebe, meinte er, ver Abſatz gebe, jeine 9 Weber jeien immer voll bejchäftigt; aber einer jeiner alten Freunde nach dem andern jterbe weg, junge treten nicht zu, e8 ſetzten fich gar Feine jungen Webermeifter mehr hier. Und ähnlich geht e8 mit einer Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als Fleine Geſchäfte exiftiren, in die aber fein junger Nachwuchs eintritt. Unter den jüngern Meiftern, die in anderen Branchen noch verjuchen, ein Gejchäft anzufangen, hat mich bet mannigfachen Geſprächen da und dort ein Symptom um jo mehr erjchrecft, je öfter ich darauf ſtieß: die Stellenjügerei von Leuten, deren Stolz und Ehre das eigene Gejchäft doch fein jollte. Sie wollen ihr Gejchäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle eines Hausmanns, eines Schliegers mit freier Woh— nung oder ein paar Thalern in Ausſicht ſtellt, wenn fie bei einer Kiſenbahn nur Wagenſchieber mit jährlich 100 Thlr. werben können. Eiſenbahnen und Aktien: gejellichaften wiffen davon zu erzählen. Die zahlreichen

670 Schluß und Refultate.

Auswanderungen von Handwerfern find Folge des— jelben Zuſammenhangs. Nur ein anvered Symptom der Muthlofigkeit iſt e8, wenn die leidenjchaftlichen, die ſanguiniſchen, die verbiffenen Naturen der Sozial: demofratie fich in die Arme werfen. Kleine Meijter und ältere Gejellen, die e8 zu feinem ordentlichen Ge— jchäft bringen können, ftellen ein ziemliches Kontingent zu diejer Partei.

Freilich gibt e8 auch welche, die den Muth nicht ganz finfen laſſen; es find die pfiffigen, die verjchmit- ten, geriebenen; für fie iſt das Banferottmachen ein gutes Geſchäft; urjprünglich Handwerker, werben fie ſpäter ausjchließlich Krämer, Unterhändler, Kommiſ— fionäre, Winfeladvofaten, Haufirer; ihnen ijt fein Ge— ichäft zu ſchlecht; man nennt fie Hier zu Lande die Macher,” weil fie Alles und in Allem machen. Der ichlimmfte Theil bildet die Rekruten für das Zuchthaus; viele aber waren urjprünglich ehrliche Yeute, welche nur die Noth zu „Machern“ gemacht hat.

Unter alle die vorftehenden Kategorien paßt eine Klafje der Kleinen Meijter nicht recht und zwar eine der zahlreichjten; ich meine die Weber, die Schmiede, die Blecharbeiter, die Holzichniger und andere in Haus: induftrien bejchäftigte Meifter und Arbeiter, welche über- wiegend auf dem Yande wohnen. Von Schlefien bis an und über den Rhein zieht fich bejonders durch ganz Mittelveutichland zu Laufenden diefe Art Heiner Unter- nehmungen. Meiſt ſchon lokal abgejchnitten von für- dernden Anregungen, bleiben ſie trotz immer ſinkenden Lohnes ihrer Arbeit treu. In einzelnen Branchen, wie

Die Hausinduftrien. 671

ir der Spinnerei, find fie vernichtet, in anderen naht der Untergang. Sie haben der deutſchen Induſtrie zu dem traurigen Weltruf verholfen, in erjter Yinie Durch Billigfeit der Arbeit fich auszuzeichnen. Sie haben der Bevölkerung ganzer Gegenden jenen Typus der äußerſten Genügſamkeit verliehen, die fich jede Lohn— reduftion gefallen läßt. Wenn man jett jo oft verjichert, die Yöhne jteigen allgemein (was oft nur mit ein paar zufälligen engliichen Zahlen bewiejen wird), jo bilden fie einen lebendigen Proteft gegen diefe Behauptung in ihrer Allgemeinheit. Und wenn man diefe Yeute einfach mit der Anweiſung auf den fteigenden Yohn in der Fabrik tröjtet, jo gibt man damit wenigjtens zu, daß der jelbjtändige industrielle Mittelftand in bebeutenber Ab- nahme begriffen tft.

Gegenüber der Mehrzahl der jo verarmenden und abnehmenden Heinen Meiſter kann man ohne große Ungerechtigfeit nicht den Sat aufitellen, fie jeien ſelbſt an ihrem Untergange jchuld. Wohl find manche Ein- zelne perjönlich jchlechte faule indolente Menjchen, wohl ift jedem hervorragend Begabten der Weg nach Ober offen, wohl trägt der ganze Stand die Schuld Jahr— hunderte langer Lethargie und Fleinlicher Spießbürgerei ; aber jchon diejes letztere Moment ift feine Schuld, die den Stand allen, jondern eine Schuld, welche die Nation und ihre Gejchichte trifft. Und vollends allen den neuern Fortſchritten der Technik gegenüber befindet fich die Maſſe der Meifter fat vollftändig in der Un— möglichkeit, fie nach ihrer berfümmlichen, ſeit Jahr— hunderten ausreichenden Bildung zu verjtehen, in der

672 Schluß und Reſultate.

Unmöglichkeit, ſie nach ihrem Kapitalbeſitz anzuwenden.

Das hauptſächlich erzeugt den Mißmuth und die dumpfe

Unzufriedenheit der Meiſter, wie der vollends zum Lohn— und Fabrikarbeiter Herabgedrückten. Sie verarmen ohne oder ohne entſprechende Schuld, während ſie auf der andern Seite ſich Vermögen bilden, einen übermüthigen materialiſtiſchen Luxus entſtehen ſehen, ohne oder ſchein— bar ohne perſönliches Verdienſt.

Das Volksbewußtſein wird jede beſtehende Un— gleichheit des Vermögens und Einkommens als erträg— lich anſehen, welche wenigjtens ungeführ den perjönlichen Eigenjchaften, dem fittlichen und geijtigen Verdienſt der Betreffenden, der gejellfchaftlichen Klaſſe entjpricht. Ich ſage ungeführ. Denn ganz wird und kann das nie der Fall jein. Die bejtehende Vermögensvertheilung geht theilweile immer zurück auf Jahrhunderte alte Ge— walt, auf Zufälle mancher Art, auf Geſetze und Ereig- nijfe, die nicht wirthichaftlicher Natur find. Aber im Ganzen wird doch im gewöhnlichen Yaufe der Dinge der Tüchtige erwerben, ver Untüchtige verarmen. Auf diejen nur unklar gefaßten fittlichen Gedanken gründet ficb ja auch die in ihrer Vebertreibung freilich nicht mehr wahre Behauptung: aller Werth entipreche der Arbeit. Wenn dem immer jo wäre, jo gäbe es Feine jchwierigen jozialen Probleme. Sie entjtehen eben, wenn übermächtige große Ereigniffe politiicher, rechtlicher, volkswirthſchaft— licher und technijcher Natur die Harmonie zwifchen Befit und Einfommen einerjeits und dem perjönlichen Verdienſt andererjeitS entweder völlig aufheben oder wenigjteng mehr oder weniger trüben und verbeden. Unfere Zeit

Die Parallele zwijchen Verdienſt und Befit. 673

zeigt in dieſer Beziehung mancherlei widerfprechende ZThatjachen. Ich wiederhole Dabei nicht, was ich eben vom Handwerk und den Hausindujtrien jagte.

Der Lohn der Ländlichen Tagelöhner und Fabrif- arbeiter ijt bis in die fünfziger Jahre in Deutich- land überhaupt faum gejtiegen, von da an wohl nicht mehr, als die Lebensbedürfniſſe theurer wurden, feinen- falls aber in dem Make, als das Einkommen anderer Klaſſen ſtieg. Selbſt in neuerer Zeit ijt er nicht überall geitiegen. Das Steigen hängt ab von der Bevölkerungs— bewegung, dieſe von der ganzen fittlichen und wirthichaft- lichen Yebenshaltung der untern Klaffen. Sp wie die Dinge mit rühmenswerthen Ausnahmen Tiegen, tft aber eben die Stellung, die äußere Yage der Lohn- und Sabrifarbeiter dem geiftigen und wirthichaftlichen Fort— ſchritt der Betreffenden jo wenig, jo jehr viel weniger günftig, als ein eigenes Gejchäft; jenes leichtſinnige Leben in den Tag hinein, wodurch jelbit bei hohem Lohn die ganze Klaſſe der Arbeiter finkt, ift leicht Folge der Verhält- niffe, nicht Folge der Perjonen, und kann aljo ven Betreffen- den nicht rein als ihre Schuld angerechnet werden.

Unfer Heiner Bauernitand ijt vorwärts gefommen, vielfach wohlhabend ja reich geworden, aber mehr durch andere Verhältnifje und Einwirkungen als durch fich ſelbſt. Die Separationen, die Gemeinheitstheilungen und die Ablöfungen, alſo vor Allem ſtaatliche Thätigfeit und ftaatliche Eingriffe haben ihn wohlhabend und land» wirtbichaftlichen Fortjchritten zugänglich gemacht.

In Bezug auf den höhern Gewerbeſtand läßt ſich nicht leugnen, daß jehr viele umferer heutigen wohl-

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 4)

674 Schluß und Reſultate.

Habenven Babrifanten vom einfachen Arbeiter oder Hand- werksmeiſter emporgejtiegen find zum größten Beſitz, zu den höchſten Ehren in Staat und Gejellichaft. Die Standesunterichiede, welche früher ven Zalente oft jich in den Weg jtellten, find gefallen. Aber dieſes Empor- fteigen wird von Tag zu Tag jchwerer. In den Jahren 1830 —40 gab es noch faum große Tuch- oder Ma— Schinenfabrifen; gerade weil e8 damals fajt noch feine Konkurrenz, faſt noch Feine großen Gejchäfte gab, kamen die ZTüchtigjten unter den Tuchmachern und Keſſel— ſchmieden empor. Das ijt heute total anders geworden. Jedenfalls iſt ein ſolches Emporjteigen immer nur Einzelnen, beſonders Zalentvollen und von glücklichen Zufällen Begünftigten möglich. Daneben ift umbejtreit- bar, daß die große Induſtrie in ihrer Geſammtheit Tange Zeit das Schoßkind der Regierungen war. Die früher gegründeten polytechniichen Schulen haben unjere In— genieure und Yabrifanten großgezogen, Schußzölle haben unjere Baumwollſpinner, unjere Zuderfabrifanten und andere Fabriken veich gemacht; zahlreiche Direkte Staats- unterftügungen in Preußen, die Thätigfeit von Banf - und Seehandlung famen in erjter Yinie den großen Ge- ichäften, wenn auch im weiterer Yinie dem Ganzen ebenfall8 zu Gute.

In Bezug auf das große Kapital hat Yajalle von einem blinden Werthwechſel geiprochen, der die Befiten: den noch reicher, die Nichtbejigenden täglich ärmer mache. Dieſe Anjchauung gehört in das Yand der Träume. Aber Ein großer Werthwechjel bat allerdings jtatt- gefunden, an dem nur die Befigenden und zwar bie

Die wirthichaftlichen Klaſſen ver Gegenwart. 675

Einzelnen ohne jede entiprechende Arbeit theilgenommen haben, am dem die Nichtbefigenden nur negativ durch die höheren Mieths- und Yebensmittelpreife partizipi- ren. Die Werthiteigerung des Haus- und Grund— beſitzes iſt im letzten Jahrhundert, fpeziell in den letter 30 Jahren, ſtärker gewejen als je, weil nicht leicht jemals die Bevölkerung in jo kurzer Zeit und beſonders in den großen Städten jo gewachlen ift. Sie gleicht einer Neuvertheilung des Vermögens, von der man nie der Mafje oder der Wiljenjchaft weiß machen kann, fie gebe irgend welcher entjprechenden Arbeit der Gewin— nenden parallel. Welche Vermögen find entjtanden durch die zufällige Thatjache, daß eine Parzelle in den Bereich einer Bahnlinie oder gar eines Bahnhofes fiel. Wie find die Häufer der großen Städte, welche immer daneben bewohnt waren, aljo ihre Rente abwarfen, im Preije gejtiegen. Das Haus, in welchem Aler. v. Hum— bold geboren wurde, foftete 1746 - 4350 Thlr., 1761 8000, 1796-21000, 1803-35200, 1824 -40 000, 1863 - 92000, 1865 - 140000 Thlr.; damals erſt wurde e8 wejentlich umgebaut. Und ähnlich gewann ein großer Theil des ländlichen Beſitzes. Wenn heute der ſtädtiſche und ländliche Grundbeſitz jo wielfach über Berichuldung Hagt, jo fommt es bauptjächlich daher, daß die reich Gewordenen verkauft, ich als reiche Ren— tiers zurücgezogen haben, und der Spefulant, der mit Schulden gefauft hat, der in kürzeſter Zeit wieder auf ein weiteres Steigen der Preije rechnet, Dies nicht abwarten fann. In vielen Familien unjere8 Adels freilich hat die Verſchuldung die Urjache, daß Luxus 43 *

676 Schluß und Reſultate.

und Verſchwendung, theilweile auch Die Zahl der Fa— milienmitgliever, welche ohne Arbeit leben wollen, noch bedeutender ftieg, als der Güterwerth.

Am ungerechtejten wielleicht find die Anjchauungen des Yaien gewöhnlich über das unberechtigte Reichwerden an der Börſe. Die Spekulation an fich ijt ein noth- wendiges und heilſames Glied unſeres Verkehrs; wer bier oder als Bankier dauernd gewinnt, ven zeichnen meist außerordentliche Eigenjchaften aus. Aber ein richtiger Keim liegt doc) in der oft ausgejprochenen Mißachtung des Börſengewinnes. An der Börje und in den Börjengejchäften tft die faufmänmiiche Moral am larejten geworden; Geſchäfte werben hier vertheidigt, die ein Reit von Anjtandsgefühl verurtheilt. Täuſchun— gen, Fälſchungen von Nachrichten, Bejtechungen von Zeitungen und Beamten und Aehnliches gelten beinahe als erlaubt; die Grenze der reellen und unreellen Ge— ihäfte Hat fich bis auf volljtändige Unfenntlichfeit ver— wiſcht. Und dieſe Entjittlichung des Gejchäftslebens Hat ji) von der Börſe vielfach auf Das ganze Aftienwejen verbreitet. Betrügerijche Ausnugung des Publiftums zu Gunſten von Gründern und Verwaltungsräthen bat den Schein erwedt, als ob alles hier gewonnene Geld unrecht erworben wäre. In Bezug auf das ganze Staats: ihuldenwejen will ich wenigjtens daran erinnern, daß Die Unterjuchungen von Soetbeer! das unwiderleglich

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1) Beratungen über das Staatsihuldenwefen und befien Einfluß auf die Vertheilung des Volksvermögens, Bierteljahrs- Ichrift für Vollswirthſchaft X, 1— 35.

Die Gefahren der zu großen VBermögensungleichheit. 677

bewiejen haben, daß unjer modernes Staatsjchuldenmwejen die Befitvertheilung wejentlich zu Gunſten der Befiten- den und zu Ungunften der Nichtbefitenden beeinflußt. Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird fich ftreiten lafjen, aber über den Gefammterfolg, über die jteigende Ungleichheit der Befis- und Einfommens- verhältniffe nicht. Und mag der faktiiche Zufammenhang zwiſchen wirthſchaftlichen Tugenden und perjönlichen Fähigkeiten einerſeits und der Vermögensvertheilung andererſeits heutzutage ſein, welcher er will, der weitere Erfolg iſt jedenfalls ein ſchlimmer: das Verſchwinden des Mittelſtandes untergräbt unſere politiſche wie unſere ſoziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den Beſitzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen Ehrendienſtes für den Staat und die Gemeinde auferlegt, wird eine ſteigende Vermögensungleichheit die Folgen haben, die ſie immer gehabt hat, und es wäre thörichte Selbſttäuſchung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An— fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der einen Seite den Untergang der Befitenden in Genuf- jucht und Meaterialismus, Meaitreffenwirthichaft und Geldheirathen, kinderloſe Ehen, welche die großen Ver— mögen noch mehr zufammenhäufen, Mißbrauch des Regiments für die Zwede der Beſitzenden, hartherzige Frivolität gegenüber den nothleivenden Klaſſen; auf der anderen Seite die Mafje der Befitlojen ohne anderes Vorbild als dieſe Bermögensarijtofratie, ohne Bildungselemente und getjtige Anregung in fich, ver— zehrt von dumpfem gehäſſigem Neid, die Arbeit ver: fluchend, ergeben einem Teichtfinnigen Xeben in den Tag,

678 Schluß und Refultate.

angeftedt von den Laftern der Beſitzenden, fich proleta- riſch vermehrend, bis in Folge der Lafter auch dieß auf- hört; als letztes Ergebniß joziale und kommuniſtiſche Revolutionen von oben oder unten, allgemeinen Umſturz oder eine Tyrannys, welche die Befizenden beraubt, um ven Beſitzloſen panem et circenses ohne Arbeit zu reichen.

Noch find wir weit hiervon entfernt, noch find die guten Elemente zahlreich, noch iſt die Ungleichheit des Beſitzes nicht jo groß, noch haben wir einen nicht unbedeutenden Mitteljtand; aber Furzfichtig wäre es, zu verneinen, daß unjere gegenwärtige indujtrielle Ent: wicklung dahin neigt. Mit allen Mitteln iſt deßhalb ver jteigenden Vermögensungleichheit entgegenzuarbeiten, und eine der wichtigjten prafttiichen Fragen ijt eben die möglichjte Erhaltung des noch vorhandenen Handwerker: ſtandes.

Manche Anfänge dazu ſind auch vorhanden, ich habe ſie da und dort erwähnt. Am wichtigſten iſt die genoſſenſchaftliche Bewegung. Aber viel bleibt daneben zu thun. Der ganze Standpunkt, von dem aus dieſe Frage meiſt beurtheilt worden, iſt ein ungenügender. Ich meine damit die Uebertragung des ſchönen Wortes wirthſchaftlicher Freiheit von der Beſeitigung veralteter mittelalterlicher Geſetze, die vom Liberalismus mit Recht gefordert und durchgeführt wurde, auf die Negation poſitiver Aufgaben, die, wo es an freiwilligen Organen der Geſellſchaft fehlt, der Staat wenigſtens theilweiſe in die Hand nehmen muß, die theilweiſe ohne ein neues Recht, ohne poſitive Geſetze gegenüber dem Schlendrian

Das Prinzip der wirtbichaftlichen Freiheit. 679

und dem ftetS Furzfichtigen, immer nur an den nächſt— liegenden Erwerb denkenden Egoismus der Maffe nicht durchzufegen find. Ge mehr der Radikalismus das Alles nur negirt, die jtarre Reaktion fich feſtklammert an den Trümmern und Privilegien einer untergegangenen Zeit, dejto mehr ift e8 Sache der Mittelparteien, jollte e8 gerade auch Sache eines weitſehenden bochjinnigen Yiberalismus jein, dieſe pofitiven Aufgaben durchzu— führen, wenn er dadurch auch jeinen eigenen Partei- mitglievern wirtbichaftliche Opfer auferlegt.

Immer wird man nnter dem Baniere politiicher und wirtbichaftlicher Freiheit alle edel und idealiſtiſch Denfenden ſich vereinigen jehen. Aber die konkrete Durchführung der einzelnen Freiheiten darf den praf- tiihen Boden der Wirklichkeit nicht verlaſſen, muß immer darauf fehen, mit welchen Menjchen und Ber: hältniſſen man e8 zu thun bat. Die wirtbichaftliche Freiheit, welche die Gegenwart fordert, iſt Fein Unrecht in abstracto, ijt feine Schablone, die immer und überall paßt; fie ift nur joweit berechtigt, als fie Die wirtbichaftlichen Tugenden des Fleißes, der Anftrengung, der Selbjtverantwogtlichfeit fördert; fie wird um jo jegensvoller wirken, wenn es fich um Erleichterungen handelt, welche Allen oder den Meiften zu Gute kom— men. Aber vielfach wird auch ganz anderes im Namen der wirtbichaftlichen Freiheit verlangt. Einige verlangen von dem egoiftiichen Standpunkte ihres ſpeziellen Er— werbes und Gejchäftes die Bejeitigung fittlicher und rechtlicher Schranfen und Kontrolen, die der Geſammt— heit zum Segen, nur der ungezügelten Gewinnjucht der

Ä

680 Schluß und Refultate.

Einzelnen zum Schaden gereichen. Sie wollen die Mafje rückſichtslos ausbeuten und juchen, oft unterjtüßt durch eine feile bezahlte kaufmänniſche Preſſe, der öffentlichen ' Meinung weißzumachen, es gejchehe das im allgemeinen Intereffe. Nirgends freilich bin ich auch über jolche Mißſtände ängjtlich, wo e8 eine wahrhafte Deffentlich- feit giebt. Sie wendet alle wirthichaftliche, wie alle politifche Freiheit bei gejundem Volksgeiſte zum Segen. Aber die Deffentlichfeit erijtirt und befteht nicht von jelbft, nicht überall; fie braucht Organe; fie wirft nur günftig und kräftig, wenn fie gefunde und ſachverſtändige Organe hat; Die gewöhnliche Prefje reicht nicht überall, ift nicht überall jachverjtändig, nicht immer unbejtechlich genug.

Nach unten, in den Kreiſen des Kleinverkehrs, des Trödel, Haufirhandeld, der Schanfwirthichaft, der feinen Zwiſchenhändler find andere Verhältniffe, als im großen kaufmänniſchen Verkehr. Der Einkaufende it jelten Sachverftändiger; der Verfaufende weiß, daß feine öffentliche Meinung ihn ausfindig macht und brand: marft, wie der große Kaufmann over Fabrifant fürchten muß, der jeine Käufer täuſcht und betrügt. Die wirtb- Ichaftliche Freiheit kann Hier Die Untugenden und Miß— jtände mehr jteigern, als fie den Fleiß fürdert. Eine proletariiche Konkurrenz kann bier zugleich Kontrolen notbwendig machen, nicht in erjter Linie der Käufer wegen, die geprellt werben könnten, jondern der Leute jelbjt wegen, die ohne das moralisch und wirthichaftlich noch tiefer finfen.! Im dieſen Kreiſen iſt auch entfernt nicht

1) Bgl. oben ©. 114 ff, 153, 218 ff., 237 ff, 437 —446,

Die Kontrole wahrer Deffentlichkeit. 681

jeves neue Zwiſchenglied, das der Verkehr einjchiebt, berechtigt, wie man jo oft jagt. Das ift nur im höheren Faufmänntichen Verkehr ver Fall.!

Auch in höheren Kreifen kann nur die fittliche Kontrole der Deffentlichfeit verhindern, Daß die unbe- dingt freie Konkurrenz nicht die unreellen Gejchäfte jteigert. Wenn auf dem diesjährigen Genofjenjchaftstage der Antrag, „Den verbundenen Vereinen Die gegenjeitige Informationsertheilung über Krebitverhältniffe nach beitem Gewiſſen zur Pflicht zu machen und nach Be: finden die Organtjation förmlicher Schutsgenofjenichaften entweder ganz allgemein oder in einzelnen Verbänden und Bezirken vorzubereiten,“ trog Schulze's Bemühun- gen vollftändig durchfiel, wenn die gern im Dunfeln und Zrüben Wirthichaftenden alles Derartige für einen neuen Polizeiſtaat erflärten, jo iſt das ein jehr trau- rige8 Zeichen. Sie wollen die Freiheit ohne die fittliche Kontrole der Deffentlichkeit, fie wollen unreelle Ge- ihäfte machen, unveellen Kredit haben, und mer das ans Licht zieht, den erklären fie für „eine neue Art von ſchlimmem Polizeiagenten.“ Das ift die abjchüffige Bahn, die von der Gewerbefreiheit zur Spielfreiheit, zur Freiheit, betrügerifchen Banferott zu machen, endlich zur Berbrechensfreiheit führt, von der man dann auch ver: ſichern kann, fie werde am vollitändigiten die Ver: brechen bejeitigen.

1) Bergl. oben ©. 554 ff.; daneben über ben kleinen Biehhändler und feine die Heinen Bauern ruinirenden Gejchäfte: Held, die ländlichen Dahrlehnsfaffenvereine in der Rheinprov., in Hildebrand's Jahrb., XII, ©. 38.

682 Schluß und Refultate.

Eine Reihe von Verhältnijjen entziehen fich ber Deffentlichkeit in ihrer wahren Geftalt immer, wenn es nicht amtliche Behörden gibt, die ohne jeden jonjtigen Eingriff einen fichern Befund aufnehmen und ihn publi- jiren. So im DVerficherungswejen, theilweije im Bank-, Berg» und Fabrikweſen. Welche günftigen Folgen haben die Publifationen der jchweizer —— für die Behandlung der Arbeiter gehabt!

Ein Punkt aber iſt es vor Allem, der bisher ſtets überſehen wurde. Freie Konkurrenz zwiſchen deutſchen und engliſchen Spinnern, deutſchem und engliſchem Eiſen, freie Konkurrenz zwiſchen dem Rübenzuckerfabri— kanten und dem Hamburger Importeur, freie Konkur— renz zwiſchen den Gewerben von Stadt und Land, freie Konkurrenz zwiſchen Fabrik⸗ und Hausinduſtrie, zwiſchen den verſchiedenen Geſchäften derſelben Geſchäftsbranche, das Alles iſt ein total anderes Ding, als freie Kon— kurrenz zwiſchen Herrn und Knecht, zwiſchen dem iriſchen Lord und ſeinem Pachter, zwiſchen dem Fabrikanten und ſeinem Arbeiter. Wo die wirthſchaftlichen Kontrahenten als zwei ſoziale Klaſſen einander gegenüber ſtehen, die eine ausgerüftet mit der ganzen Uebermacht, welche Reich— thum und Bildung gibt, die andere ohne alle dieſe Hülfs— mittel, da kann bei jehr guten fittlichen und wirth- ichaftlichen Verhältniſſen auch die abjolute Freiheit das bejte ſein; aber jehr oft wird die wirthichaftliche Frei: beit bier auch nur jo viel beveuten, als vwolljtändige Unterdrüdung und blutige Ausnugung. Da hilft auch die Deffentlichkeit jelten allein, weil die Organe der- jelben im Befige der höhern Klafien find, weil vie

Die theilweife Berechtigung ftaatlicher Eingriffe 683

etwaigen Organe der untern Klafjen durch einzelne Roh⸗ heiten und Pöbelhaftigkeiten unehrlicher und ehrgeiziger Führer entjtellt werben, übers Ziel hinausſchießen, eine jonft gute Sache zu oft diskreditiren. Deßwegen können die Zuſtände leicht jo liegen, daß der Staat im Inter- eſſe der Allgemeinheit, als Träger der fittlichen Zukunft der ganzen Nation irgendwie eingreifen muß.

Die Gegner jeder. ſolchen Maßregel juchen fie dadurch Lächerlich zu machen, daß fie es darſtellen, als ob ein jolcher Eingriff nur jtattfinden könne in ber Form plumber Lohnregulirung, die in Widerjpruch mit Angebot und Nachfrage jtehe, oder in der Form roher ſozialiſtiſcher Eigenthumsverletzungen, daß fie jede derartige ZThätigfeit zujammenwerfen mit jenem „furor bureau- kraticus,“ der ohne Verſtändniß für bürgerliche Freiheit und Selbjtändigfeit alles durch Beamte regeln läßt.

Gewiß haben wir in Deutjchland bisher an einem Uebermaß von Beamtenmaßregelung gelitten; gewiß gilt e8 vor Allen, die Bureaufratie zu beichränfen, ihr | durch entiprechende Reformen Gegengewichte zu jchaffen ; aber einer fomplizirten Gejeßgebung können wir damit für unjere fomplizirten Kulturverhältnifje nicht entbehren. Wir Haben nur dafür zu forgen, daß ein möglichit großer Theil dieſer Gejege durch die Organe der Selbſtver— waltung, durch Ehrenämter, durch Bürger jelbjt und nicht durch Beamte ausgeführt werden. Für andere Dinge, bejonders für jolche, in welchen die Klafjen- intereffen der Beſitzenden engagirt find, fünnen wir Dagegen der ftaatlichen Organe nicht entbehren. Haben wir. aber erjt eine richtige Selbitperwaltung in ber

684 Schluß und Rejultate.

Gemeinde und im reife, jo ift jehr gut Platz für ein nothwendiges ftaatliches Fabrik⸗ und Gewerbeinjpeftorat. Ich habe viel über Gensdarmen, über Yandräthe und Regierungen Hagen hören; aber nie habe ich von ver- nünftigen Leuten gehört, unjere Spezialfommijjare und Generalkommiſſionen jeien ein überflüffiges ſchädliches Reis am Baume der Burenufratie; und ihnen wären etwaige neue Behörden derart gleichzuftellen.

Man mag zweifeln, ob unjere gegenwärtige preu- Biiche Bureaufratie zu ſolchen Aemtern, zu jolcher Thä— tigkeit fähig jei. Huber ſelbſt jpricht e8 aus, nur weil er Die gegenwärtige Generation gewöhnlicher preußiicher Beamten hierfür nicht für qualifizirt halte, jei er nicht dafür, daß die Regierung fich irgenpwie in das Ge- nojjenfchaftswejen mijche. Aber das ijt zu ändern; wenn e8 bie rechten Leute nicht gibt, find fie zu ziehen.

Ein großer Theil unjerer Liberalen mwiderjtrebt allen ſolchen Maßregeln nur, weil fie die im Augenblid an der Regierung befindliche Partei nicht jtärfen wollen ; fie würden, wie e8 jeder liberalen Partei, die zur Regie: rung fommt, gegangen ijt, jpäter jelbit Maßregeln durchführen müſſen, die fie heute befümpfen.

Aber jozialiftiich iſt jeder jolche Eingriff in die freie Volkswirthſchaft, das ift jett das beliebte Schlag: wort, mit dem eine abjtrafte Theorie, wie der behag- fihe Befig der Meittelflaffen zugleich die unfinnigften Umſturzideen, wie bie heilſamſten fozialen Reformpläne, welche den befitenden Mittelklaſſen einige Opfer oder Unbequemlichkeiten, einige Rontrole ihrer Gejchäftsbetriebe auferlegen, befämpft und brandmarkt. Ich billige nicht

Was ift ſozialiſtiſch? | 685

die übertriebene Verachtung, die täglich von gewiſſer Seite über den Egoismus diejer bürgerlichen Mittelklaſſen, über dieje geldfüchtige Bourgeoiſie,“ über dieje „Man- cheſterſchule,“ über dieſe Doktrin der Geldſäcke, welche nur deßwegen Freiheit verlange, um ohne jede Schranfe durch ihr Geld allein zu berrichen, ausgegojjen wird. Aber wer möchte unſere Fabrifanten und Bankiers, unjere Ingenieure und Unternehmer, wenn er gerecht ift, ganz freifprehen ? Sie find allerdings andere Yeute als die englifchen Manchefterleute und als die franzöfiiche Bour- geoifie von 1830 48. Aber bat fie nicht auch Mohl die Non Donnants genannt? haben fie nicht ihr jpezi- fijches Klafjeninterefje, und tritt das nicht nur allzu oft und grell in ihren politiihen Maßnahmen und Doftrinen hervor ? Maskiren fie nicht oft mit dem jchönen Worte der wirthichaftlichen Freiheit nur, was ihrem Geld: beutel und ihren Spekulationen ausſchließlich Gewinn bringt? Unſere Konjervativen dürfen nichts jagen. Der Großgrundbeſitz trägt in allen Steuerfragen, in der ländlichen Arbeiterfrage jeinen wirthichaftlichen Egoismus noch nadter und naiver zur Schau. Unſere bürger- lichen Mittelflajjen erheben fich durch den Einfluß von Gelehrten, Beamten, Juriſten immer noch eher zu höheren idealen Gefichtspunften. Aber gejündigt wird auf beiden Seiten, und die Rückwirkung davon trifft beivesmal die arbeitenden, die unteren Klaffen.

Was ijt denn nun aber eigentlich der von ben vadifalen Volfswirthen jo jehr gebrandmarkte Sozialis- mus? Die vollftändige Negation des Eigenthums- und Erbrechts wird jo genannt, aber auch jede Thätigfeit dev

686 Schluß und Rejultate.

Regierung für die unteren Klafjen, die ganze Armen- pflege, die jtantlichen Unterjtügungs- und Sparfafjen, die gejegmäßige Organijation des Knappſchaftsweſens, die Fabrikgeſetzgebung, vollends das Injtitut der Fabrik— injpeftoren, der Staatsfredit für Wohnungen der arbei- tenden Klaſſen, wie er in England lange gegeben wird; das alles wird ohne Weiteres in einen Topf geworfen. Wer noch auf ſolch' überwundenem Standpunkte fteht, der wird als Sozialiit oder als pieudoreaktionärer Schleicher verurtbeilt. Er fanı den Eid auf die alleinjeligmachende Yehre von der wirtbichaftlichen Freiheit ja nicht leiſten; er wird ausgeſtoßen.

Auch ich verurtheile jede Maßregel, Die aus unehr- lichen oder Nebenabfichten willfürlich in das bejtehende Eigenthum eingreift, die von materialiftiicher Gleich— macherei diktirt, von brutaler Leidenſchaft und neidiſchem Haß geſchürt, frivol die Kontinuität unſerer Rechts— inſtitutionen entzwei reißen, eine neue willkürliche Ord— nung des Beſitzes vornehmen will, ohne die Garantie zu bieten, daß die, welche nun mehr erhalten, dadurch beſſere und glückliche Bürger werden. Aber ich habe nicht jene kleinliche Furcht vor jeder Maßregel, die irgendwie das beſtehende Eigenthum und ſeinen Werth berührt. Das Eigenthum iſt kein abſolutes; der Werth des Eigenthums iſt immer mehr Folge der Geſellſchaft als Verdienſt des Einzelnen; jeder Einzelne iſt der Ge— ſellſchaft und dem Staate ſo tauſendfach verpflichtet, daß ſein Eigenthum nur denkbar iſt mit weitgehenden Pflichten und Laſten gegen das Ganze. Für gewöhnlich werden dieſe in mäßigen Grenzen ſich halten. In großen

Die berechtigten Eingriffe ins Privateigentfum. 687

außerorbentlichen Zeiten können auch große Opfer gefor- dert werden. In einem Staate ver allgemeinen Wehr- pflicht, in einem Staate, welcher das Recht hat, das Leben feiner Bürger jeden Augenblid fürs Ganze zu fordern, wie lächerlich ijt da eine Eigenthumstheorie, welche das kleinſte Opfer für das Ganze als unfinnigen Sozialismus bezeichnet. Sind irgendwo die Klaſſen- und Befitverhältniffe durch wirthichaftliche oder andere Ur- fachen jo abnorm geworden, daß dadurch Die ganze Zufunft des Staates und der Gejellichaft bedroht ift, und greift dann eine hochherzige Regierung auf gejet- lihem Wege ein, jtellt die Maßregeln nach genauen Prüfungen feit, läßt fie geordnet ausführen, jo werden immer Privatinterefjen verlegt werden, jo werben bie Berletsten über Bergewaltigung immer Hagen, jo werden einzelne darüber zu Grunde geben, aber der unbefangene Hiltorifer einer jpüteren Zeit wird die Maßregel nicht als unheilvoll ſozialiſtiſch verdammen. Iſt nicht heute noch das Herz jedes Edeldenkenden auf Seite Solon's, wenn er die Schuldverhältniſſe der untern Klaſſen Athens ordnet, ihre Schulden reduzirt; ſind wir nicht heute noch alle auf Seite der landfordernden Plebejer in Rom, auf Seite jener ſpäteren kaiſerlichen Geſetze, welche verboten, dem Kolonen den Pachtzins weiter zu erhöhen? Billigen wir nicht die mittelalterlichen und ſpäteren Säkulariſationen, die eben auch nichts waren als Eigenthumsverletzungen, um eine ungeſunde An— häufung des Beſitzes aufzuheben, wieder eine geſun— dere Grundbeſitzvertheilung herbeizuführen. Was iſt unſere ganze moderne Agrargeſetzgebung, Separation

688 Schluß und Refultate.

und Ablöfung, Durch welche Die Berechtigten oft mehr als die Hälfte ihres Vermögens verloren, anders als ‚eine jener gewaltjamen, aber unenblich jegensvollen Keuvertheilungen des Eigenthums? Gerade als man in Preußen überall, wo e8 ging, wirtbichaftliche Freiheit und freien Verkehr proflamirte, jette man Staats- behörden ein, um da zu interveniren. Warum überließ man das nicht auch dem Boluntarismus, wenn er Alles leiſten kann? Warum verbot man die alten Zuftände durch Privatverträge neu zu gründen, wenn der freie Privatvertrag das fürs Ganze Zuträglichite immer von jelbit findet? Warum jchuf man Durch gewaltthätig ins Eigenthum eingreifende Gejeße unjern deutſchen Bauernjtand, den Stolz und die Zierde unjerer Bolkswirthichaft, wenn durch den freien Verkehr die richtige Vermögens, Boden- und Einfommensverthet- fung jtetS von jelbjt erfolgt? Halt wird man jagen da galt e8 verrottete, veraltete, durch Gewalt ent- Itandene Zuftände zu bejeitigen. Ja, iſt denn heute jede Gewalt abwejend ? Iſt die Yage, iſt die Bildung unjerer unteren Klaſſen nicht auch eine Nachwirkung Sahrhunderte alter Mipbräuche? Werden die heutigen Zuftände unjeres Proletariats jpäteren Zeiten nicht ebenjo ericheinen, wie uns die Lage der Bauern im vorigen Jahrhundert? Wird das Privat: und Polizei- recht unjerer Zeit jpäter nicht vielleicht für ebenjo hart und gewaltjant gehalten werden, als e8 der Gegenwart geläufig und natürlich vorkommt?

Doch will ich feine direkten Folgerungen aus der Agrargejeßgebung von 1808 50 auf unjere heutige

Die Klaffengegenfäte als Bildungsunterſchiede. 689

Gewerbegejeßgebung ziehen. Wären die Zuftände jo ſchlimm, daß eine jolch’ radikale Reform nothiwendig wäre, die Ausficht, fie durchzufegen, würde gering jein. Nur einer großen tiefbewegten Zeit, nur politiichen Zuſtänden, welche zu einer kürzern oder Yängern Diktatur führen, find jolche Folofjale Reformen eigen. Freie parlamen- tarijche Irfaſſungen ſind, wie das Gneiſt immer betont, nicht für den Austrag ſolcher tiefen ſozialen Kämpfe geichaffen, da der Parteifampf in diejem Falle zum erbitterten Klaſſenkampf ausarten würde.

Es handelt fich aber auch, wie geſagt, um fo tief greifende Reformen noch nicht. Mildere Mittel reichen, an Beftehendes kann angefnüpft werben. Immer ijt es bejjer, wenn ein äußerer Eingriff in die bejtehende Befigvertheilung vermieden werden kann, ba jeine piychologiiche Wirkung ſtets problematifch bleibt. Für das gewerbliche Leben, von deſſen Reform wir bier ſprechen, ijt auch der Bei nie jo wichtig, wie die per- jönlichen Eigenjchaften. Gelingt die geiftige und tech- nijche Hebung des Handiwerferjtandes, wie des Arbeiter- jtandes, jo iſt damit das Wichtigfte erreicht. Es han— delt fich in erjter Linie um eine Erziehung der Leute zu andern gejellichaftlichen Gewohnheiten, zu andern häuslichen Sitten, zu einem weitern Blick, zu einer höhern technijchen Bildung. Wenn wir das voranſtellen, fönnen wir auch eher hoffen, die verſchiedenen politiichen Parteien für unjere Vorjchläge zu gewinnen. Aber das ift zu betonen, daß die bloßen Privatfräfte nicht aus— reichen. Man darf fich nicht einbilden, Alles Nothwendige jei gejchehen, wenn Gewerbe- und Bankfreiheit, Che - und

Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 44

690 Schluß und Rejultate.

Niederlaffungsfreiheit errungen if. Man darf nicht glauben, alles Vebrige finde ſich von ‚jelbjt. Ueberall muß diejer negativen Thätigkeit eine pofitive zur Seite geben, wober Private und Bereine, Schule und Kirche, Gemeinden und Staatsregierung mitzuwirken, zu fördern haben, wobei theilweile auch neue Beamtenorgane und neue Geſetze unentbehrlich find.

Die wichtigjte Grundlage der Arbeiter- und Hand- werferfrage iſt die Bevölferungsbewegung. Sch will nur andeuten, wie auch bier die bloß negative Bejeitigung bisher bejchrünfender Gejege allein die Uebelſtände unjerer Zeit nicht heilt.

Der außerordentliche jtarfe Bevölkerungszuwachs fann immer leicht zu einem übermäßigen Angebot von Arbeit und damit zum Drud und zur Noth der arbei- tenden Klaſſen führen. Die optimiftiiche Freihandels— ſchule glaubt das nicht. Sie hält die jtärfjte Bevölke— rungszunahme für das Beſte. Das Kapital wachſe immer von jelbjt noch jehneller. Dit Das aber jo ficher und fommt es nicht auf Die Vertheilung des Beſitzes, des Kapitals an? Ich habe oben ſchon auszuführen ver- ſucht, daß allerdings eine immer dichtere Bevölkerung die Vorausſetzung jeder höhern Kulturftufe jet, daß unjere gegenwärtigen beutjchen Verhältniſſe noch lange einen großen Zuwachs brauchen können, daß aber die Bedingungen, den Zuwachs zum Segen zu wenden, nicht jo einfach jeien. Sie liegen in einer totalen Aenderung der volfswirthichaftlichen Organijation, wo möglich in einer andern gleichmäßigern VBertheilung des Grundbeſitzes, in dem Aufblühen neuer Induftrien, in

Die Bevölferungsfrage. 691

einer andern lokalen und berufsmäßigen Bertheilung der Bevölferung. Alle dieje Aenderungen haben wieder jo mannigfache VBorbedingungen, vollziehen fich nur nach io jchweren Kämpfen, Irrungen, Gejetesänderungen, daß man fich nicht wundern darf, wenn fie häufig zunächſt hinter dem Zuwachs der Bevölkerung zurück— bleiben. Und das ift, nicht allgemein, aber doch jevenfall8 in einzelnen Gegenden und Verhältniſſen bei ung der Fall. Die neuejten Nejultate dev Bevölferungs- jtatijtif find feine durchaus erfreulichen. Ich will nur einige Punkte nach Engel, Wappäus und Horn anführen. Dbwohl die Zahl ver überhaupt Verheiratheten, wie die jährliche Trauungsziffer in Preußen ziemlich abge— nommen, bat die verhältnißmäßige Zahl der Geburten kaum etwas fich vermindert. Ein übermäßig großer Theil der Neugebornen jtirbt wieder in den erjten Jahren. Preußen und einige andere deutſche Staaten haben überhaupt die größte Kinderſterblichkeit; bejonvers trifft diefer Vorwurf die induftrielle Bevölferung. Der Ader- bau erzeugt weniger, aber lebensfähigere Geburten. Die Urjache ift naheliegend; ein übergroßer Theil ver Eltern ijt nicht in der Lage, die große Zahl Kinder jo zu nähren und zu pflegen, daß fie das höhere Alter erreichen, der Nation das wieder erjegen, was fie in ihrer Jugend gekoſtet. Es ijt eine der jchwerjten wirtbichaftlichen Yaften für eine Nation, wenn fie einen bejtimmten Bevölkerungszuwachs, den fie mit viel weniger Geburten und Todesfällen haben fünnte, jo d. h. mit einer Ueberzahl Geburten und einer übergroßen Sinderjterblichkeit fich erwirbt. Es deutet 44 *

692 Schluß und Refultate.

dag immer mehr oder weniger auf proletariiche Zuftände.

Daneben hat die Mortalität zugenommen. Die Behauptung einer Verlängerung der mittleren Lebens— dauer ijt von der Willenjchaft längſt in's eich ver Mährchen verwiejen. Die einzige wijjenichaftliche Be— rechnung für Preußen, welche ſich auf das Durchichnitts- alter der jährlich Gejtorbenen bezieht, zeigt, Daß dieſes jußejfiv von Anfang des Jahrhunderts bis zur Gegen- wart abgenommen hat. Das Leben ift eine burch- ſchnittlich kürzere Erjcheinung geworden. Arbeit und Genuß reiben es auf. Wechjelvollere Kämpfe und Schid- inle treffen das Leben der Meijten und lafjen viejes Reſultat natürlich ericheinen.

Und dem gegenüber jollte e8 ausreichen, wenn man nur unbedingt die Feſſeln abjtreift, die da und dort der Eheſchließung entgegenjtehen? Erzählen uns die Berichte bejonders aus den Gegenden der Haus: indujtrien, der Weber- und Fabrikdiſtrikte nicht, daß übermäßig junge und leichtfinnige Ehen im Alter von 20 und 21 Jahren, übermäßige Kinverzablen nicht Die erfte Quelle des Elends find, aber nachdem e8 vor- handen, die wichtigfte Urjache der Steigerung bilden ? Ich gebe zu, daß jede polizeiliche Eheerjchwerung unge- recht und jchablonenhaft ijt, daß fie, wo in der prole- tariichen Gefinnung jedes Verantwortlichkeitsgefühl auf: gehört hat, wo der Arme, im Gefühl, jchlimmer fünne es nicht mehr werden, fich dem einzigen Genuſſe, der ihm geblieben, ohne jeden Rückhalt ergibt, Yeicht nur zu einer Mehrzahl von unehelichen Geburten führt. Aber

Die Reformen im Bezug auf das Fabrikſyſtem. 698

das beweijt nicht, daß nicht andere pofitive Bemühungen der verjchievdenjten Art der Ehefreibeit zur Seite zu treten haben, um das leichtfinnige überfrühe Heirathen zu erjchweren, das VBerantwortlichfeitsgefühl nach dieſer Richtung wieder zu fteigern.

In Bezug auf das gewerbliche Leben jelbft nun ijt zu ſcheiden zwijchen den Gefchäften, die einmal noth- wendig dem großen Fabrikbetrieb anheimfallen, und denen, welche dem Handwerk und der Hausinduftrie bleiben.

Den erjteren Kreis der Gewerbsthätigfeit etwa finftlich auch den Kleinen Gejchäften erhalten zu wollen, wäre durchaus verwerflich. Da iſt das Fabrikſyſtem zu afzeptiren, aber jo auszubilden, daß der Arbeiteritand jeiner jetigen meijt elenden Yage entrijfen wird. Die äußern Verhältniſſe, im denen er bier lebt, find jo zu gejtalten, daß fie nicht mehr nothwendig an fich zu pſychologiſchen Urjachen von Inmoralität, von unglüd- lichen Ehen und leichtfinniger Lebenshaltung werden. Die Mittel dazu find mannigfach, ich babe fie hier nicht näher zu beiprechen; es handelt fich um die Schul= und die techniiche Bildung, um Spar- und Stranfenkaffen, um die richtige Organijation von Arbeitseinftellungen, um die Wohnungsfrage, um die Bezahlung nach dem Stüd, um die Hinzufügung von Prämien, um die Haftung der Unternehmer für Unglücsfälle, um die Betheiligung am Gewinn, um das Syſtem der Industrialpartnership, um das Genofjenichaftswejen, die Konjumvereine, Die Produftivafjoziation. Nur eines möchte ich hier noch betonen; die Ausbildung einer klaren konſequenten jpe- zialifirten Fabrikgeſetzgebung und die Schaffung jelbjtin-

694 Schluß und Rejultate.

Diger Organe, welche vdiejelbe handhaben. Die neue Ge- werbeordnung hat nur die jchüchterniten Anfänge Hierzu ; ihre Bejtimmungen über Injpeftionen, gejundheitliche Bor- richtungen u. ſ. w. find meift jo vag, Daß fie entweder gar nichts oder Alles jagen. In den Händen unjerer gewöhn- lichen lokalen Polizeibehörden find fie nicht wiel mehr als ein todtes Stück Papier. Allerdings kann eine ſolche Gejeg- gebung nur auf Grundlage umfajjender Enqueten richtig jich aufbauen und in jofern mußten Die weitergehenden Anträge der Sozialijten und Konjervativen zunächit ab- gelehnt werden. Aber die meiſten gegneriichen Reden im Reichstag zeigten den volljtändigjten Mangel an Ber: jtändniß für die ideale und ‚weitgreifende Bedeutung einer derartigen Fabrifgejetgebung, brachten nur einen furzfichtigen Doftrinarismus und die egoiftiichen nächſt— liegenden Interejjen der Unternehmerklafje zum Austrud. Die Bedeutung einer eingehenden ſpezialiſirten Fabrikgeſetzgebung, wie der englijchen, liegt nicht jowohl in den zunächjt ergebenden Geboten und Verboten (dieje müfjen oft plumb eingreifen, auch berechtigte Inter: ejjen verlegen, fünnen allein nie helfen, wenn fie nicht dauernd auf die innern Urjachen ver Schäden wirfen) ; jie Tiegt in dem erziehenden, die jittlichen Anjchauungen von Fabrikanten und Arbeiter ſukzeſſiv ändernden Ein- fluß, wie er für die engliiche Gejetsgebung neuerdings von Ludlow und Jones jo ſchön nachgewiejen wurde. Nachdruck hat eine jolche Gejetgebung aber nur in der Hand eigener reiſender Beamten, wie e8 die eng- lichen Fabrifinjpeftoren find. Selbſt die freie Schweiz bat fich dieſer Imjtitution bemächtigt; bei ung wird

Die Keformen in Bezug auf das Handwerk. 695

man als Sozialift und Pjeudoreaktionär bezeichnet, wenn man fie verlangt. Eine geringe Zahl jolcher Beamter mit je großen Bezirken würde genügen. Ihnen wäre auch das großentheils in Die Hand zu geben, was für Das eigentliche Handwerk und die Hausindujtrie von Negierungsjeite geicheben könnte.

Was fan aber geichehen? Es fonzentrirt fich in zwei Punkten: 1) Erziehung der arbeitenden Klaffen, d. h. Schulbildung und eine möglichjt überall zugänglich zu machende technijche Erziehung und 2) Ueberleitung in neue Zuftände und Verhältniſſe, joweit eine zurückgeblie— bene Bildung der Handwerfer Das nicht jelbjt vermag.

Aber jollen wir dabei den jegenswollen Weg der Selbithülfe verlajien? Was heißt Selbithülfe? Kein Gegenſatz iſt faljcher und unflarer, als die hergebrachte GSegenüberjtellung von Staatshilfe und Selbithülfe. Ob Schulze» Delitich, ob ein Fabrikinſpektor Genoſſen— ſchaften organifirt, fie ordentlich Buch führen, fparen und jammeln lehrt; in beiden Fällen wirft die höhere Bildung, getrieben von fittlichen Motiven, auf bie untern Klaſſen, erzieht fie und hebt fie. Die national- öfonomijche Schule, welche nur den platten Egoismus anerkennt, muß jede Genofjenjchaft, in der immer die Tüchtigſten und Bejten für die Gejammtheit arbeiten, verdammen. Auch Schulze's und aller jeiner tüchtigen Anhänger Einfluß ift, wie ich jchon oben bemerkte, in erjter Linie ein erzichender. Es iſt eine Thätigfeit, die jtet8 in einzelnen Fällen eben jo jchlimm, oder vielmehr eben jo erfolglos wirken kann, wie etwaige Staatsthätig- feit, nämlich dann, wenn die Aufopferung, die Thätigfeit

696 Schluß und Refultate,

der Leiter und Stifter die Mitgenofjen nicht erzieht und emporzieht, wenn biefe nur den Vortheil der Genofjen- ſchaft ausnutzen, ohne felbjt dadurch andere Menjchen zu werden. Jede Staatshülfe ift dann verwerflich, wenn fie bloß äußerlich eingreift, wenn fie Leuten, Die es nicht verdienen, die Dadurch innerlich nicht anders werben, Geld und Kapital bietet. Sie iſt dann berechtigt und jteht mit der ganzen Schulze’jchen Bewegung vollitändig auf einer Linie, wenn fie die erziehende Thätigfeit, Die geijtige Hebung voranjtellt und erreicht. Sie iſt dann notbwendig, wenn der Boluntarismus nicht ausreicht wie bier; wenn er, um vecht zu wirken, einer über ben ganzen Staat ſich erſtreckenden feſtgegliederten Organi— ſation bedarf. Und das iſt der Fall. In kleinern Städten, in den abgelegenen Gegenden der Hausinduſtrie fehlen die freiwilligen Kräfte, welche die großen Städte bieten; eine feſtgegliederte allgemeine Organiſation ſtrebt ja Schulze ſelbſt an; wo eine ſolche aber einmal noth— wendig iſt, da wird für die Regel der Staat, d. h. die organiſirte Geſammtperſönlichkeit aller berufen ſein, ſie in die Hand zu nehmen. So lange Schulze lebt und ſeine Anwaltſchaft ſo tüchtig wirkt, iſt ſie gewiß beſſer, als jede Staatsthätigkeit. Später werden die Dinge anders liegen. Jedenfalls iſt für jetzt die lofale Thätig— keit von unten herauf das wichtigere. Da gilt es nicht Schulze zu verdrängen, ſondern ihm nachzueifern und, wo es an Organen dazu fehlt, fie zu ſchaffen.

Der erjte Punkt ift die Schulfrage. Bei unjerer heutigen jonjtigen Rechts- und Staatsverfaffung find alle jozialen Gegenjäte in erjter Linie Bildungsgegenfäte.

Die Schulfrage. 697

Längſt Hat man in Preußen im jchroffen Gegenjat gegen die Theorie, Alles müfje fich in Leiſtung und Gegenleiſtung auflöfen fich auf den erhabenen ,ſoziali— jtiichen* Standpunkt geftellt, die Schulbildung für eine nationale Angelegenheit zu erflären. Der Schulzwang eriftirte jchon vor dem Yandrecht; das Landrecht fügt ihm den Sat bei, daß die Schulen auf Steuern zu bafiren jeien, ftatt auf die direkte Gegenleiftung, auf das Schulgeld. Bis in die neuefte Zeit hat fich der Streit über die letztere Frage hingezogen. Es war Lorenz Stein und Gneift vorbehalten, die eminent joziale Be— deutung der Frage ing Licht zu ftellen: Die Geſellſchaft ijt verpflichtet, die aufmwachjende unmünbige Generation auszurüften mit dem Maße der Bildung, welche die arbeitende Kraft über die bloß mechanijche Leiftung und damit über das Maß des Majchinenlohns, über Das Nivenu des Proletariats erhebt. Diejer Pflicht kommt die Gejellichaft nur nach, wenn fie den unbedingten Schulzwang ausjpricht, die wirtbichaftliche Laſt der Schule auf Steuern, d. h. in eriter Linie auf bie Schultern der Beſitzenden überträgt, die Forderungen ar den Elementarunterricht jteigert, Die ganze Schulorgani- jation befonders auf dem Lande ändert und dadurch das ganze geiftige Niveau der untern Klaſſen emporbebt. Der zweite Punkt ift die techniiche Bildung. Die befitenden Klafjen Haben Yängjt dafür gejorgt, daß fie auf Staatskoften (denn die Schul=, Kolleggelder ꝛc. find faft verſchwindend) Univerfitäten, Tandwirthichaftliche und andere Fachichulen, Polytechnifen haben, ſich eine über- legene Bildung auf ihnen jchaffen. Dieſen höhern

698 Schluß und Rejultate.

Schulen folgten die Mitteljchulen, Provinzialgewerbe- Ihulen, Baugewerkichulen und ähnliche Inftitute, die aber, wie ich ſchon oben hervorhob, auch mehr der höhern beſitzenden SKlaffe, den größern Werk: meijtern, als den fleinen Handwerkern zu gute fommen.! Einzelne Fachſchulen für die Meeijter und Arbeiter der Hausindujtrie hat die Noth da und dort hervorgerufen: Spinnjchulen, Webichulen, Polamentier- ihulen, Uhrmacherſchulen, Strobflechtichulen, Klöppel- ichulen, Näh- und Strickſchulen. Anderwärts fehlt e8 noch jehr an ſolchen. Manches haben dann in jpäterer, meiſt erſt in alferneuejter Zeit, freiwillige Sonntagsjchulen, der Unterricht in Arbeiter und Ge— werbevereinen geleijtet. Dennoch muß ich Die oben aus— geiprochene Behauptung aufrecht erhalten, Daß Diele Bemühungen nicht reichen, dem Fleinen Meiſter, dem Gejellen und Lehrling in Dörfern und Heinen Städten unzugänglich find. Nur eine ſyſtematiſche Ordnung des Zeichen und gewerblichen Yortbildungsunterrichts, wie fie in Württemberg erfolgt ijt und dieſe Wohlthaten bis in die Heinjten Städte und größern Dörfer hinaus: trägt, genügt. Ob nicht den Unternehmern ein Zwang zur Freilaſſung gewilfer Stunden für den Bejuch der Schulen, den Arbeitern ein gewiljer Zwang des Bejuchs aufzuerlegen jei, wird neuerdings jogar in vielen Handels- fammerberichten als eine offene Frage behandelt. Ich

*

1) Vergl. oben ©. 321; Viebahn III, 1144 gibt eine Meberfiht über die fämmtlichen zollvereinsländifchen gewerb— lihen Schulen.

Die techniſchen Schulen. 699

jehe in diejem Unterricht faft das einzige Gegengewicht gegen die durchaus einjeitige, Feine technijche und menjch- liche Erziehung gewährende Beichäftigung unjerer 14— 18 jährigen jungen Yeute in den großen Gejichäften. Die Prüfungsattefte ſolcher Schulen haben die Lehrlings >, Geſellen- und Meifterprüfungen zu erjegen.

Außerdem handelt e8 fich darum, am jolchen Stellen, wo der Uebergang zu neuen Verhältnifjen dem Handwerkerftande allein nicht möglich, wo die entjtehende große Konkurrenz zu plößlich gleichſam ihn überfüllt, auch pofitiv einzugreifen. Und dazu bedarf e8 der Or- gane. Die Berliner Innungen haben vorgeichlagen im Gegenjag zu den Hanbelsfammern Gewerbefammern, in welchen das Heine Handwerk zu Worte fomme und jeine Intereſſen vertrete, zu gründen. Damit wäre aber nichts erreicht. Was beijern ſolche Kammern? Selbjt die Thätigfeit der bejtehenden Handelsfammern fonzentrirt fich in ihren Jahresberichten. Daß dieje, ver: faßt meijt von bejolveten Literaten, welche der großen Industrie immer näher jtehen, als dem Heinen Handiwerf, alle Dinge mehr nur vom Standpunkt der großen Indu— jtrie und des Handels betrachten, ift wahr. Man hat bie Berichte jpöttifch oft fchon die Wunfchzettel unferer großen Unternehmer genannt. Ob das zu ändern wäre, durch andere Zujammenjegung, will ich bier nicht erörtern, jo viel aber ift unzweifelhaft, daß Gewerbefammern, in welchen nur Kleine Meifter ihre Intereffen berathen, die Handiwerferjache wieder mit dem jogenannten Handwerfer- recht zufammenwerfen und nicht viel Eriprießliches leijten würden.

700 Schluß und Rejultate.

Auf der andern Seite find die beftehenden Staat$- organe für die in Trage fommenden Aufgaben durchaus unfähig. Der Landrath verjteht nichts davon, ift mit andern Gejchäften und Schreibereien überhäuft, von den mannigfach noch vorhandenen Herren gar nicht zu Iprechen, welche jeden gewerblichen Fortichritt in ihrem Kreije überhaupt als ein Unglück, als eine Neuerung, als eine Gefahr für ven alten befejtigten Grundbeſitz beffagen. In den Regierungen und ſtädtiſchen Magi— jtraten bat irgend ein älterer wohlmwollender Rath nebenher auch ein Dezernat in Gewerbejachen, gewerb- lichen Unterjtütungsfaffen und Aehnlichem. Aber was außer dem bergebrachten Abarbeiten der Nummern Liegt, wäre in der Regel zu viel von ihm verlangt, wenn auch rühmenswerthe Ausnahmen vorfommen.

Es bedarf einzelner nur biermit bejchäftigter hoch: gebildeter und gutbezahlter Beamter, gewählt nicht noth- wendig aus dem Kreife der Bureaufraten, jondern und vielleicht noch eher aus dem Kreije tüchtiger Techniker oder Kaufleute, die an der Spite eines großen Bezirks gleichfam die Anwälte der arbeitenden Klafjen würden. Ich meine damit etwa eine Kombination der württember: giſchen Zentraljtelle und des engliichen Fabrikinſpektorats. Die Imfpektoren hätten neben der Aufficht über die Vabrifen, neben der Aufgabe, die Berichte hierüber zu publiziven, die Verpflichtung, ven Fleinern Yeuten mit Rath und Anweilung, unter Umftänden auch mit pofi- tiver Hülfe beizuftchen. Ein gewijjer Fonds, angewiejen auf jtaatliche oder fommunale Mittel, müßte ihnen zur Seite jtehen. Ihre Hanptjorge hätte fich zu beziehen

Das Gewerbe- und Fabrikinipeftorat. 701

auf die technifchen Fortſchritte der Heinen Gejchäfte ; [ofale Ausstellungen von Geräthen, Werkzeugen und Ma— ichinen aus dem Kreiſe der Heinen Gewerbe, Prämien für Anfchaffung folcher, einzelne Keijeunterjtügungen, unter Umftänden Ueberlaffung von Werkzeugen auf Probe fönnten Hinzufommen. Hauptjächlich aber hätten fie Ge— nofjenfchaften anzuregen, wo e8 an der Initiative fehlte, die Leute zur Theilnahme zu beivegen, die Buchführung einzurichten. Es fehlt jo vielfach nur an einer der- artigen gebildeten und fachverftändigen Initiative. Dabei hätten fie fich jedes Eingriffs gegenüber bejtehenden Ge— nojjenjchaften, die nichts von yon wiſſen wollen, zu enthalten.

Bor Allem in Bezug auf die noch beſtehenden Hausindujtrien wäre es Pflicht, nicht unthätig ihrem Untergange zuzuſehen. Die jchwerjten Vorwürfe treffen in diejer Richtung die Regierungen und die befitenden Klaſſen, wie ich oben bei der eingehenden Schilderung der Spinnerei und Weberei zeigte. Manches geſchah ja auch in Folge entjetlicher Nothzujtände, aber meift geichah es zu jpät und häufig am unvechten Plate.

Um nicht fünftlich eine Hausinduftrie da zu erhal- ten, wo nothwendig zuleßt Doc das Fabrikſyſtem fiegt, wäre als Grundlage jolcher Maßregeln eine umfafjende Enquete dieſer DVerhältnifje zu empfehlen. Exit auf Grundlage einer derartigen Detailinformation Fünen auch die Detailvorichläge gemacht werden. Manches aber läßt fich auch vom allgemeinen Standpunkt aus jagen. Alle die erwähnten Maßregeln, die für das Handwerk überhaupt nothwendig find, müfjen für dieſe meift auf dem Land

702 Schluß und Kejultate.

zerjtreuten und damit der Bildungselemente ohnedieß mehr entbehrenvden Induſtrien doppelt am Plate jein. Die wichtigite Maßregel, die Gründung von Etabliſſe— ments, in welcher Dampf» oder Waſſerkraft an die einzelnen Eleinen Meifter vermiethet wird, könnte ohne irgend welchen Berluft, wenn es an andern Mitteln fehlt, vom Staat oder von Gemeinden (wie in Nürn— berg) in die Hand genommen werben. Wo mur Itaatliche Auffichtsbehörden in die zerjtreute Produktion Einheit bringen, wo nur fie der Waare Ruf und Abjat verichaffen, hätte man fie einzurichten und zu erhalten. Die Solinger Schußwaffenfabrifation durch Heine Meiſter hat fich erſt jest recht entwidelt, nachdem man dem Drängen der Leute nachgegeben, eine fünigliche Probir- anftalt unter Yeitung eines Offiziers eingerichtet hat, welche jedem Stüde, das ſich tüchtig erweiſt, den preußijchen heraldiſchen Adler und die Buchjtaben 8. P. einprägt. ? Unter Umftänden find aud) heute noch Regle- ments aufzujtellen, andere find aufzuheben oder zu verbej- jern. Auch Staatsfredit kann hier unter Umſtänden noth— wendig jein, einzelnen Genofjenjchaften gegeben werben, heilſam da und dort wirfen, er darf aber nie als das wejentliche erjcheinen. her wären jtaatliche Gejchäfte zu

1) Ueber ein derartiges auf Aktien gegründetes Etablifje- ment in Dresden und die Gefchäfte, Die e8 macht, vergl. Dres- dener Handelskammerbericht für 1867, S. 102; es ift für Drechsler und Reifendreher; der Einzelne zahlt 12— 36 Thlr. jährliche Miethe; es find 150 Stellen; im erften Jahre 1867 waren nur 50 vermiethet; im zweiten ſchon über 100.

2) Handelsfammerberichte pro 1867, ©. 637,

Die Mittel zur Erhaltung der Hausinduftrien. 703

empfehlen, wenn e8 fich darum Handelt, einen betrüge- riichen die Noth der armen Meifter ausbeutenden Zwi— ichenhandel dadurch zu werbrängen, daß man ihm Durch Geſchäfte auf reeller anſtändiger Bafis Konfurrenz macht. Man hat ja auch in Preußen aus diejem Grunde Staats: flachsanftalten errichtet, gewifle Beitimmungen über den Garnhandel getroffen.

Durch ſolche Mittel laſſen fich hunderte und tau— ſende won kleinen Gejchäften noch halten und nicht bloß vorübergehend noch halten, jondern auf die Dauer, Geſchieht nichts, jo gehen fie Krifen entgegen, wie bie Weber umd Spinner Schlefiens feiner Zeit. reift man bei Zeiten ein, jo werden wohl die Interejjen der Faktore, der Kaufleute und Fabrikanten ab. und zu ver: fett, aber man erhält einen gefunden Mittelftand und vermeidet Nothitände, die zulett den Beſitzenden mehr foften, auc) ihre Interejjen tiefer jchädigen, ganz anders die Staatshilfe nothwendig machen, als wir es bier empfehlen.

Damit bin ich zum Ende meiner Schlußbetrach— tungen gelangt.

Wenn es wahr ift, daß ein Staat nur durch die Grundſätze ſich erhalten kann, durch die er groß gewwor- ven, jo hat der preußiiche Staat vor allen die Pflicht, einerjeit3 an der Spite zu bleiben jedes geiftigen und jittlichen Fortſchritts, jeder gefunden politiichen Frei- heit, aber amdererjeitd die ſchönſte Pflicht jeder Re— gierung, die Ynittative für das Wohl der untern Klajjen nicht aus feiner Hand zu geben. Er hat die befigenden Klaſſen durch Heranziehung zu einer

704 Schluß und Refultate.

wahrhaften Selbitregierung, zu den fittlichen Pflichten des Staats- und Gemeindeamts zu erheben über die furzfichtig egoiftiiche Sphäre nächjtliegender Interejjen bis zu der fittlichen Höhe gejellichaftlicher Pflichterfüllung ; er bat daneben jelbjt feinen Einfluß und jeine Macht zu brauchen, die Nothleivenden zu jchügen, die Unge— bildeten zu heben und zu erziehen, die Nichtbejigenden gegen den Egoismus und die Kurzfichtigfeit der Befiten- den, gegen dieje Laſter, welche immer und immer wie- der hervorbrechen, zu jchügen. Immer haben die großen preußiichen Negenten das gethan. Immer Haben fie darım vor Allen für große Fürjten gegolten. Le roi des Prusses &tait toujours un roi des gueux!

Eine jolche maßvolle Staatsthätigfeit,.die auf Hebung der untern Klafjen nicht durch gewaltthätige Experimente, jondern vor Allem durch Schule und Erziehung, durch Beeinfluffung der Sitten und Anjchauungen zu wirken jucht, wird immer und immer wieder erlaubt wie noth- wendig jein, eine jolche Stantsthätigfeit bat zu allen Zeiten für die Zierde einer weijen, freien und gerechten Regierung 'gegolten ! |

Halle, Buchdruderei des Waiſenhauſes.

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tlichiten Stellen der Vorarbeiten zu

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1, (Dr. jur. u. Privatdoe. für deutsches Recht

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Univ. Breslau), Geschichte schland bis zur Begründung der tigen % 4) aus archivalischen u. ur Quellen dar . 41 Bog. gr. 8. geh. 2 Thlr. 20 Sgr. |

Rektor Prof. Dr. Carl, Geschiehte Roms in 3

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te grösstentheils nmgearbeitete und verbesserte . Band. Bis zu den Grneehischen Unruhen. 1865, Bog. geh. 1 Thir. 15 Sgr. Br . Bis zum Sturze der Republik. 1866. 34 Bog, ‚er. 89 1 Thir. 15 Ser. . N Die Kaiser aus dem Claudisch - Julischen Hause. 1567. 25 Bo; gr. 8. geh. 1 Thir. 7! Ser. = 2. Abth. Schluss. Die Kaisergeschichte vom Tode Ne zum Tode Marc Aurels. 1869. 17 Bog. gr. 8.

ann, Dr. C. R., Kal. Pr. Oec.-Rath, General- Secret.

ich. Central-Vereins f. d. Prov. Sachſen c. Der Schuß

ichen Bögel in feiner Nothwendigkeit für den Land-, ©

Gartenbau. 4. Auflage. 1867. 4 Bog. gr. 8. geh. 4% des landwirthſchaftlichen Gentralvereins der Provinz

ſen, hrausgeg. v. Oec.“R. Dr. Stadelmann, Jahrg.

1869. Jährlich 12 Nummern. a 1/,—2 Bog. Ler.

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Halle, Buchdruderei des Waifenbaufes,

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